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German Pages 611 Year 1987
ELKE
HERRMANN
Der Störer nach § 1004 BGB
Hamburger Rechtsstudien herausgegeben von Mitgliedern des Fachbereichs Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg Heft 73
Der Störer nach § 1004 BGB Zugleich eine Untersuchung zu den Verpflichteten der §§907, 908 BGB
Von
Dr. Elke Herrmann
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Herrmann, Elke: Der Störer nach §1004 BGB : zugl. e. Unters, zu d. Verpflichteten d. §§907, 908 BGB / von Elke Herrmann. — Berlin : Duncker u. Humblot, 1987. (Hamburger Rechtsstudien ; H. 73) ISBN 3-428-06226-4 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1987 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hermann Hagedorn GmbH & Co, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06226-4
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Sommersemester 1985 vom Fachbereich Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg als Habilitationsschrift angenommen worden. Meine Gutachter waren Prof. Dr. Hans Hermann Seiler und Prof. Dr. Götz Landwehr; ihnen bin ich zu Dank verpflichtet. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung danke ich für großzügige Druckbeihilfen. Hamburg, im April 1987 Elke Herrmann
Inhalt
Abkürzungen
XX
Einleitung 1. Kap. Gegenstand der Untersuchung
1
1. Teil Der gegenwärtige Forschungs- und Meinungsstand Darstellung, Analyse, Kritik
2. Kap. Die Störerbestimmung der Motive und die sog. Aufrechterhaltungstheorie in Judikatur und Wissenschaft
12
12
§1 Einleitung
12
§2 Die Störerbestimmung der Motive
13
§3 Die sog. Aufrechterhaltungstheorie in Judikatur und Wissenschaft
18
A. Judikatur
18
B. Wissenschaft
23
§4 Zusammenfassung zu §§ 1-3 3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität §1 Einleitung: Überblick über die gegenwärtige Rechtslage §2 Kausalität auf Grund positiven Tuns A. Einleitung
28 29 29 36 36
B. Äquivalente und adäquate Kausalität
36
C. Die Bedeutung des Störerwillens
37
§ 3 Kausalität auf Grund Unterlassens
40
A. Einleitung
40
B. Handlungspflichten aus Eigentum
41
VIII
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung
41
II. Rechtsprechung
42
III. Schrifttum
44
IV. Zusammenfassung zu I—III und Kritik
45
C. Handlungspflichten aus einer Verkehrssicherungspflicht I. Gegenwärtige Rechtslage II. Kritik
47 47 48
D. Handlungspflichten aus dem Nachbarschaftsverhältnis I. Gegenwärtige Rechtslage II. Kritik
48 48 49
E. Handlungspflichten aus vorangegangenem Tun I. Gegenwärtige Rechtslage II. Kritik
49 49 50
F. Zusammenfassung zu A—E §4 Gründe für die Geltung des Kausalprinzips A. Einleitung
51 51 51
B. Berufung auf den Wortlaut des § 1004 BGB I. Darstellung der Ansicht II. Kritik
51 51 52
C. Die Ansicht R. Schmidts I. Darstellung
53 53
II. Kritik
53
D. Die Ansicht Offtermatts I. Darstellung
54 54
II. Kritik
54
E. Die Ansicht Münzbergs I. Darstellung
55 55
II. Kritik
55
§5 Zusammenfassung zu §§ 1—4
4. Kap. Handlungs- und Zustandshaftung
57
58
§1 Einleitung
58
§2 Die gegenwärtige Rechtslage
59
§ 3 Die Herkunft der Begriffe der Handlungs- und Zustandshaftung aus dem Polizeirecht und die Bedeutung dieses polizeirechtlichen Haftungssystems für das Zivilrecht
64
Inhaltsverzeichnis 5. Kap. Haftung auf Grund Haltens der Anlage
67
§ 1 Darstellung dieser Auffassung
67
§2 Bewertung
69
6. Kap. Die Lehre Pickers
71
§1 Einleitung
71
§2 Darstellung der Lehre Pickers
74
Α. Interpretation des Beeinträchtigungstatbestandes durch Picker
74
B. Interpretation des Störerbegriffs durch Picker
77
§3 Analyse und Kritik der Lehre Pickers
79
Α. Einleitung
79
Β. Die Interpretation usurpation"
des
Beeinträchtigungstatbestandes
als
„Rechts80
C. Die Bedeutung der Verletzung des Eigentums „als Recht"
82
D. Die Bedeutung der geschützten Sachbeziehung des Gegners
83
E. Zusammenfassung zu A—D
90
§4 Anwendung der Lehre Pickers Α. Einleitung
91 .
Β. Der Beeinträchtigungstatbestand
91 92
I. Der Beeinträchtigungstatbestand im Falle der Interpretation als „Rechtsusurpation"
92
II. Der Beeinträchtigungstatbestand im Falle der Interpretation als Eigentumsbeschränkung auf Grund geschützter Sachbeziehung des Störers
95
C. Der Störerbegriff I. Der Störerbegriff im Falle der Interpretation des Beeinträchtigungstatbestandes als „Rechtsusurpation" II. Der Störerbegriff im Falle der Interpretation des Beeinträchtigungstatbestandes als geschützte Sachbeziehung des Störers D. Zusammenfassung zu A—C §5 Zusammenfassung zu §§ 1—4
7. Kap. Haftung in besonderen Fällen §1 Einleitung
96 97 97 98
101 101
X
Inhaltsverzeichnis
§ 2 Haftung des Vermieters oder Verpächters für Störungen des Mieters oder Pächters A. Einleitung
.
B. Haftung auf Grund Kausalität I. Gegenwärtige Rechtslage II. Kritik
101 101 101 101 104
C. Die Lösung Lutters und Overaths I. Darstellung
105 105
II. Kritik
106
D. Die Lösung Pickers
107
I. Darstellung
107
II. Kritik
108
E. Zusammenfassung zu A—D §3 Haftung bei Störungen durch höhere Gewalt A . Einleitung
109 109 109
B. Haftung bei Störungen durch Naturwirken I. Verschiedene Lösungsversuche 1. Darstellung 2. Kritik II. Beurteilung auf Grund der sog. Eigentumstheorie (Pleyer) 1. Darstellung der Theorie 2. Kritik III. Beurteilung durch Picker C. Haftung bei Störungen durch Kriegseinwirkungen I. Gegenwärtige Rechtslage II. Kritik
109 109 109 111 112 112 113 114 116 116 117
D. Zusammenfassung zu A—C §4 Haftung bei Rechtsnachfolge in ein Störungen hervorrufendes Grundstück .
117 118
A. Einleitung
118
B. Beurteilung durch die Rechtsprechung
119
C. Beurteilung durch das Schrifttum
121
D. Zusammenfassung zu A—C und Kritik
122
§5 Gesamtergebnis zu §§ 1 - 4
8. Kap. Zusammenfassung zu Kap. 2—7
123
124
Inhaltsverzeichnis
2. Teil Eigene Untersuchung
129
9. Kap. Einleitung
129
10. Kap. Die Grundlagen der Störerermittlung
131
11. Kap. Die Bedeutung des §985 BGB für die Haftungsgrundsätze des §1004 BGB
142
§1 Einleitung
142
§2 Entstehungsgeschichte der §§985 und 1004 BGB
142
§3 Folgerungen des Schrifttums
146
§4 Stellungnahme
148
12. Kap. Die negatorische Haftung ftir Anlagen, Gebäude und andere Werke gem. §§907, 908 BGB
151
§1 Einleitung
151
§2 Überblick über die Regelung der §§907, 908 BGB
152
A. Die Regelung des §907 BGB
152
B. Die Regelung des §908 BGB
155
§3 Das Verhältnis der §§907, 908 BGB zu § 1004 BGB A. Einleitung B. Das Verhältnis der §§ 90711, 908 BGB zu § 100412 BGB
156 156 156
I. Tatbestände
156
II. Rechtsfolgen
160
C. Das Verhältnis des §90712 BGB zu § 100411, 2 BGB I. Tatbestände II. Rechtsfolgen D. Zusammenfassung zu Α—Β §4 Der gegenwärtige Stand der Erarbeitung der §§907, 908 BGB A. Überblick
161 161 161 161 162 162
Inhaltsverzeichnis
XII Β. Einzelheiten
164
I. Der gegenwärtige Stand der Erarbeitung des §907 BGB
164
II. Der gegenwärtige Stand der Erarbeitung des §908 BGB
164
C. Zusammenfassung zu A und Β §5 Untersuchung des §907 BGB
168 168
A. Einleitung
168
B. Begriff der Anlage iSd §907 BGB
169
I. Einleitung II. Die Definition des Begriffs der Anlage in Literatur und Judikatur . .
169 169
III. Untersuchung des Begriffs der Anlage
170
IV. Ergebnis
180
C. Die nach §907 BGB Verpflichteten I. Einleitung II. Der nach §90711 1.Fall Verpflichtete III. Der nach § 90711 2. Fall Verpflichtete 1. Einleitung 2. Meinungen des Schrifttums 3. Eigene Untersuchung a) Rechtlicher Ansatz b) Wortbedeutung des Begriffs des „Haltens der Anlage" c) Rechtliche Einzelheiten 4. Ergebnis zu 1 - 3 IV. Der nach §90712 BGB Verpflichtete V. Zusammenfassung zu I—IV VI. Folgerungen für § 1004 BGB: Übertragbarkeit der Haftungskriterien des § 907 BGB auf § 1004 BGB 1. Einleitung ' 2. Vergleich des § 1004 mit § 90711 1. Fall 3. Vergleich des § 1004 mit §90711 2. Fall, §90712 4. Zusammenfassung zu 1—3 und Ergebnis §6 Untersuchung des §908 BGB
181 181 181 183 183 184 185 185 186 187 197 198 198 199 199 199 201 203 204
A. Einleitung
204
B. Allgemeine Probleme des §908 BGB
205
I. Einleitung II. Gebäude und andere Werke iSd §908 III. Bedeutung des §908 neben §907 C. Die nach §908 iVm §§836-838 BGB Verpflichteten I. Einleitung: Der Gang der Untersuchung II. Der nach §836 Verpflichtete 1. Einleitung
205 205 206 208 208 208 208
Inhaltsverzeichnis 2. Der Besitzer als der nach §836 Verpflichtete a) Einleitung: Problemstellung b) Besitzbegriff der 1. Kommission c) Besitzbegriff der Vorkommission des Reichsjustizamtes und der 2. Kommission d) Besitzbegriff der §§ 837, 838 BGB e) Die Haftung nach §836 BGB neben §838 BGB f) Gesetzesmaterialien zum Besitzrecht g) Ergebnis zu a—f: Der römisch-gemeinrechtliche Besitzbegriff des §836 BGB h) Folgerungen i) Zusammenfassung zu a—h und Ergebnis für die Anwendbarkeit der Besitzarten des BGB auf § 836 BGB 3. Unterhaltungspflichtverletzung a) Grundsätzliches Erfordernis der Unterhaltungspflichtverletzung b) Entstehung der Unterhaltungspflicht ,... c) Inhalt der Unterhaltungspflicht d) Rechtsqualität der Unterhaltungspflicht . . . . . . 4. Bedeutung der Merkmale der „fehlerhaften Errichtung" und „mangelhaften Unterhaltung" (§ 83611 BGB) a) Einleitung b) Beurteilung der beiden Merkmale durch die Wissenschaft und Kritik c) Zusammenfassung zu a und b und Ergebnis
209 209 211 213 215 220 222 224 225 278 281 281 286 287 290 291 291 292 296
5. Kausalität
297
6. Inhalt und Bedeutung des §83611 BGB a) Einleitung b) Inhalt des §83611 BGB nach äußerer Fassung c) Bedeutung des §83611 BGB: Dogmatischer Aufbau der Vorschrift d) Ergebnis zu a—c
299 299 299
III. Der nach §837 BGB Verpflichtete
301 305 306
1. Einleitung
306
2. Der in §837 geregelte Fall a) Der Grundfall b) Einzelfragen
306 306 307
3. Die Frage der Wirksamkeit des Rechts iSd §837
309
4. Besitzart 5. Übrige Haftungsvoraussetzungen und Haftungsbegrenzung gem. §83611 BGB
310
IV. Der nach §838 BGB Verpflichtete
311 311
1. Einleitung
311
2. Unmittelbar in §838 enthaltene Voraussetzungen a) Übernahme der Unterhaltung (§838 1. Fall) b) Unterhaltungspflicht vermöge eines Nutzungsrechtes (§838 2. Fall)
312 312 317
Inhaltsverzeichnis
XI
c) Zusammenfassung zu a und b: Zwischenergebnis zu den Voraussetzungen des §838 d) Verletzung der internen Unterhaltungspflicht e) Die Frage der Wirksamkeit der Unterhaltungspflicht iSd §838
318 318 319
3. Dogmatische Bewertung des §838: Die Bewertung der Unterhaltungspflicht und der Haftungsgrund der Vorschrift a) Einleitung: Das Problem b) Qualität und Bedeutung der Unterhaltungspflicht iSd § 838 nach Ansicht Mertens c) Untersuchung d) Kritische Beurteilung der Ansicht Mertens (oben b)
321 322 332
4. Unterhaltungspflichtverletzung und Kausalität
335
5. Zusammenfassung zu 1—4: Ergebnis für die Hafiungsvoraussetzungen des § 838
335
6. Die Haftung der in §838 BGB nicht aufgeführten Fremdbesitzer . a) Einleitung b) Die Haftung nicht unterhaltspflichtiger Fremdbesitzer c) Die Haftung von Fremdbesitzern kraft Gesetzes und kraft Amtes
336 336 336 338
7. Haftungsbegrenzung nach §83611 BGB
340
V. Besondere Probleme des §908 BGB
319 319
341
1. Einleitung
341
2. Besitz iSd §908
341
3. Unterhaltungspflichtverletzung a) Allgemeine Probleme b) Inhalt der Unterhaltungspflicht c) Rechtsqualität der Unterhaltungspflicht
342 342 343 346
4. Bedeutung der Merkmale der „fehlerhaften Errichtung" und „mangelhaften Unterhaltung" des § 83611 für § 908
347
5. Kausalität a) Grundsätzliche Fragen b) Beurteilung des Erfordernisses der Kausalität in Literatur und Rechtsprechung c) Untersuchung der Kausalität im einzelnen
348 348
6. Das Entfallen der Haftung nach §908 mit Besitzende
361
VI. Zusammenfassung zu II—V 1. Einleitung'
348 348
363 363
2. Die Regelung des §908 und ihre bisher übliche Interpretation . . .
364
3. Einzelergebnisse
367
4. Terminologische Fragen
372
13. Kap. Folgerungen aus §908 BGB: Der Störer nach §1004 BGB bei störenden Grundstückszuständen §1 Einleitung
374 374
Inhaltsverzeichnis §2 Die Grundlagen der Übertragbarkeit der Haftungsgrundsätze des §908 auf §1004
375
A. Einleitung
375
B. Allgemeingültigkeit der Haftungsgrundsätze des §908
376
I. Übereinstimmung der Haftungsgrundsätze des §908 mit den Grundlagen der Störerermittlung (oben 10. Kap.)
376
II. Übereinstimmung der Haftungsgrundsätze des §908 mit den Motiven zu §1004
380
III. Ist §908 eine Verallgemeinerungen ausschließende Ausnahmevorschrift? 1. Einleitung 2. Die Auffassung Pickers 3. Die gesetzgeberische Bewertung der Verantwortung für andere als die in §908 geregelten Sachgefahren 4. Ergebnis
384 387
IV. Zusammenfassung zu I—III
388
C. Ermittlung der nach den Haftungsgrundsätzen des §908 zu behandelnden Fälle I. Einleitung II. Der unmittelbar in §908 geregelte Fall 1. Der unmittelbar in §908 geregelte Fall bei bloßer Gefahr (§ 100412) 2. Der unmittelbar in § 908 geregelte Fall bei eingetretener Beeinträchtigung (§ 100411)
382 382 382
390 390 391 391 391
III. Fälle, die den in §908 geregelten Fällen vergleichbar sind 1. Einleitung 2. Das den Fall des §908 kennzeichnende Merkmal 3. Dieses Merkmal aufweisende Fälle außerhalb des §908 a) Allgemeine Kennzeichnung der Fälle b) Einzelfälle 4. Zusammenfassung zu 1—3
392 392 393 393 393 394 399
IV. Zusammenfassung zu I—III
399
D. Zusammenfassung zu A—C: Ergebnis für die Übertragbarkeit der Haftungsgrundsätze des §908 auf § 1004
§3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des §908 auf § 1004 A. Einleitung B. Haftungsvoraussetzungen I. Einleitung II. Besitz III. Sicherungspflichtverletzung 1. Allgemeine Fragen
400
402 402 403 403 403 405 405
XVI
Inhaltsverzeichnis 2. Entstehung der Sicherungspflicht 3. Inhalt der Sicherungspflicht a) Einleitung b) Inhalt der Sicherungspflicht gem. § 100412 c) Inhalt der Sicherungspflicht gem. § 100411 4. Rechtsqualität der Sicherungspflicht a) Rechtsqualität der Sicherungspflicht gem. §100412 b) Rechtsqualität der Sicherungspflicht gem. § 1004II 5. Das Problem der Unmöglichkeit der Erfüllung der Sicherungspflicht aus dem Gesichtspunkt des Eingriffs des Besitzers in fremdes Eigentum a) Problemstellung b) Allgemeine Voraussetzungen der rechtlichen Unmöglichkeit . c) Die Frage der Rechtswidrigkeit des Eingriffs zur Erfüllung der Sicherungspflicht d) Ergebnis 6. Terminologische Fragen IV. Kausalität 1. Grundsätzliche Fragen 2. Einzelheiten a) Einleitung b) Sicherungspflichtverletzung als condicio sine qua non c) Haflungsbegrenzungsfragen
C. Das Entfallen der Haftung aus § 1004 BGB I. Einleitung II. Das Entfallen der Haftung aus dem Gesichtspunkt der Besitzbeendigung 1. Einleitung 2. Beurteilung durch Schrifttum und Judikatur a) Einleitung b) Dem Gedanken des §908 ähnliche Beurteilungen c) Allgemeine Äußerungen zum Entfallen der Haftung 3. Eigene Untersuchung a) Einleitung b) Entfallen der Haftung nach § 100412 c) Entfallen der Haftung nach § 1004II d) Dogmatische Begründung des Entfallens der Haftung e) Begrenzung der nach Besitzbeendigung andauernden Haftung gem. §83611 BGB analog 4. Zusammenfassung zu 1—3
406 407 407 407 410 411 411 412
412 412 414 415 418 418 419 419 420 420 420 421 431 431 431 431 431 431 432 433 433 433 434 434 435 436 439
III. Die Frage der Unmöglichkeit aus dem Gesichtspunkt des Eingriffs des Besitzers in fremdes Eigentum
440
IV. Zusammenfassung zu I—III
441
§4 Zusammenfassung zu §§ 1—3
441
§5 Kausalität und „Deliktsähnlichkeit": Beurteilung neuerer Entwicklungen in der Wissenschaft auf der Grundlage dieses Kapitels
450
Inhaltsverzeichnis 14. Kap. Der Störer nach §1004 BGB bei handlungsbedingten Störungen
452
§1 Einleitung
452
§2 Fallmaterial
453
A. Einleitung
453
B. Störungen durch das Zusammenwirken von Handlungen und Sachen . .
454
I. Die Sache als Mittel zur Durchführung einer Tätigkeit II. Störende Sachen im fremden Eigentumsbereich C. Störungen durch reines Handeln §3 Rechtliche Bewertung
454 457 458 460
A. Einleitung
460
B. Ermittlung des maßgebenden Haflungskriteriums
460
I. Störungen durch das Zusammenwirken von Handlungen und Sachen 1. Die Sache als Mittel zur Durchführung einer Tätigkeit 2. Störende Sachen im fremden Eigentumsbereich II. Störungen durch reines Handeln III. Zusammenfassung zu I und I I C. Anwendung des ermittelten Kausalkriteriums I. Problemstellung
460 460 462 463 464 465 465
II. Haftung für eigenes störendes Handeln (unmittelbare Verursachung) 1. Einleitung
467 467
2. Das Handeln als condicio sine qua non a) Einleitung b) Das Handeln als condicio sine qua non im Falle des § 100411 c) Das Handeln als condicio sine qua non im Falle des § 100412 3. Hafiungsbegrenzungsfragen a) Einleitung b) Die Frage der Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung im Falle des §100412 c) Die Frage der Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung im Falle des §100411 d) Zusammenfassung zu a—c III. Haftung für verursachtes fremdes störendes Handeln (mittelbare Verursachung) 1. Einleitung 2. Beurteilung durch Schrifttum und Rechtsprechung
467 467 468 468 469 469
3. Eigene Untersuchung a) Problemstellung b) Die Grundsätze der sog. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs c) Lösung einzelner Fälle
469 470 478 479 479 479 481 481 483 485
XVIII
Inhaltsverzeichnis
D. Probleme der Haftungsbefreiung I. Einleitung
492 492
II. Fragen der Unmöglichkeit bei eigenem störenden Handeln (unmittelbare Verursachung) 1. Einleitung 2. Erfüllung der Ansprüche aus § 1004 bei Störungen, die in der Handlung selbst liegen, bei Verbringen von Sachen auf fremdes Grundstück, bei Bau auf fremdem Boden 3. Erfüllung der Ansprüche aus § 1004 bei Immissionen a) Einleitung b) Erfüllungshandlungen bei Immissionsfolgen c) Erfüllungshandlungen zur Unterlassung oder Beseitigung der Immission selbst 4. Der Gesichtspunkt des §251 I I BGB
495 497
III. Fragen der Unmöglichkeit bei fremdem störenden Handeln (mittelbare Verursachung)
498
IV. Probleme der Haftungsbefreiung des Arbeitnehmers, Dienstnehmers, Beauftragten, Geschäftsbesorgers und Werkunternehmers 1. Einleitung
499 499
2. Probleme der Haftungsbefreiung des Arbeitnehmers a) Beurteilung durch Literatur und Rechtsprechung b) Eigene Untersuchung 3. Probleme der Haftungsbefreiung des Dienstnehmers, Beauftragten, Geschäftsbesorgers (§675 BGB) und Werkunternehmers a) Haftungsbefreiung aus dem Gesichtspunkt der Unmöglichkeit b) Haftungsbefreiung aus dem Gesichtspunkt gefahrgeneigter Tätigkeit
494 494
494 495 495 495
500 500 502 517 517 517
§4 Zusammenfassung zu §§ 1—3
519
§5 Abschließende Betrachtung
526
15. Kap. Mehrere Störer
531
§1 Einleitung
531
§2 Verursachungsbeiträge mehrerer Störer
531
A. Kumulative Kausalität
531
B. Alternative Kausalität
532
C. Hypothetische oder überholende Kausalität (sog. Reserveursache)
533
D. Nicht aufklärbare Kausalität (§83012 BGB analog)
536
§3 Probleme der Gesamtschuld
537
Inhaltsverzeichnis Α. Problemstellung
537
Β. Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Gesamtschuld (§§421 ff. BGB)
539
I. Voraussetzungen II. Rechtsfolgen C. Anwendung der Regeln der Gesamtschuld auf die vorliegenden Fälle I. Voraussetzungen II. Rechtsfolgen 1. Außenverhältnis 2. Innenverhältnis a) Die Regelung des §426 BGB b) Anwendung des §426 auf einzelne Fälle D. Zusammenfassung zu A—C §4 Probleme des internen Ausgleichs außerhalb der Gesamtschuld
539 539 541 541 543 543 543 543 545 550 552
A. Problemstellung
552
B. Konsequenzen
554
16. Kap. Zusammenfassung der Ergebnisse
556
Literatur
571
Stichwortverzeichnis
577
Abkürzungen aE AGB a.qu.n. AtomG
am Ende Allgemeines Berggesetz vom 24. 6. 1865 actio quasi negatoria Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren vom 23.12. 1959, BGBl I I I 751-1 Bespr. Besprechung BImSchG Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge vom 15. März 1974 (BGBl I S. 721, I I I 2129-8) E Entwurf ebd. ebenda Fn. Fußnote FS Festschrift GewO Gewerbeordnung für das Deutsche Reich von 1869 idF vom 26. Juli 1900 (BGBl I I I 7100-1) Halbs. Halbsatz iVm in Verbindung mit IherJb Iherings Jahrbuch für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts K. Kommentar Lit. Literatur 1. Sp. linke Spalte LuftVG Luftverkehrsgesetz vom 4.11. 1968, BGBl I 1113, I I I 96-1 Nachw. Nachweis(e) NuR Natur und Recht (Zeitschrift) OAG Oberappellationsgericht rkr. rechtskräftig r. Sp. rechte Spalte S. Seite s. siehe Urt. v. Urteil von VE Vorentwurf Vorbem. Vorbemerkung WarnR Die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechtes, herausgeg. von Otto Warneyer zit. zitiert, zitieren Zu weiteren Abkürzungen s. Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 3. Aufl., bearbeitet von Hildebert Kirchner und Fritz Kastner, Berlin, New York 1983.
Einleitung 1. Kapitel: Gegenstand der Untersuchung 1.1. Die actio negatoria ist ein alter, von den Römern überkommener 1 Rechtsbehelf zum Schutze des Eigentums. Als einheitliche Einrichtung besteht er erst seit den naturrechtlichen Kodifikationen der Neuzeit 2 . Der Gesetzgeber des BGB hat ihn in allgemeiner Form in § 1004 des Gesetzbuches niedergelegt, daneben in Gestalt spezieller negatorischer Ansprüche in den §§ 907 und 908. Ziel des § 1004 ist es, Eingriffe in das Eigentum abzuwehren, sei es, daß sie gegenwärtig bestehen (§ 100411) oder aber in der Zukunft zu erwarten sind (§ 100412); in beiden Fällen kann der Eigentümer sich zur Wehr setzen und verlangen, daß die Einwirkung auf sein Eigentum beseitigt werde oder daß die drohende Einwirkung unterbleibe. Die Vorschrift dient damit der Verwirklichung des absoluten Rechts Eigentum (§ 903 BGB) in Fällen, in denen es von außen Einschränkungen erleidet. Sie ergänzt auf diese Weise die rei vindicatio, die die Gesetzesschöpfer, ebenfalls in Fortführung des überkommenen Rechts 3 , dem Eigentümer an die Hand gegeben haben (§ 985 BGB). Während die rei vindicatio sich gegen einen ganz bestimmten Eingriff richtet, die Vorenthaltung des Besitzes, will § 1004, wie in der Vorschrift nachzulesen, alle anderen Arten von Beeinträchtigungen erfassen. So gewährleisten beide Rechtsbehelfe zusammen einen umfassenden Eigentumsschutz4.
1 Dazu Käser I § 103 II, S. 437 f., ferner § 98 I I I 5 mit Fn. 33, § 105 I I Fn. 8; bekannt sind aus dem römischen Recht folgende Stellen: D.8,5,8,5 (Rauch einer Käserei); D.eod.8,7 (Rauch einer Badeanstalt); D.eod. 14,1 und 1,17 (Ausbauchung einer Wand); D.eod. 13 (Wasserrohrbruch); D.eod. 17,2 (Mistgrube); D.43,27,2 (durch den Wind geneigter Baum); D.47,7,6,2 (Wurzeln); Lit. bei Käser I § 103 I I Fn. 55; s. ferner geschichtliche Darstellungen und Abrisse bei Picker S. 61 ff.; Hohloch S. 21 ff.; Offtermatt S. 5ff.; Baur AcP 160 (1961), 465, 475f.; Stoll AcP 162 (1963), 203, 218f.; Kötz AcP 174 (1974), 145, 146 f. Untersuchenswert wären die sich mit Nießbrauch, Dienstbarkeiten und Nachbarrecht befassenden Stellen der Digesten (D.7,5; 8,5; 39,1-3). 2 Vgl. preuß. A L R I 7 §§ 181, 182,1 19 §§ 10, 14, ferner I 9 § 170,1 9 §§ 287ff. (1794); österr. ABGB § 523 (1811); hess. Entwurf I I 3 Art. 5 (1853); bayer. Entwurf Art. 176ff. (1861-1864); sächs. BGB §§ 321 ff. (1863/1865); der frz. Code civil (1804) hat die actio negatoria nicht aufgenommen, dazu Picker S. 59ff.; Hohloch S. 90ff. 3 Zur römischen rei vindicatio Käser I § 32, S. 126 ff., § 103, S. 432 ff.; s. ferner Mot. Mugdan I I I S. 220. 4
Vgl. auch Mot.·Mugdan I I I S. 218ff., wo rei vindicatio (ebd. S. 220ff.) und actio negatoria (ebd. S. 236 ff.) dem gemeinsamen Titel „Eigentumsanspruch" unterstellt sind; dazu noch unten 11. Kap. § 2. 1 Herrmann
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1. Kap. Gegenstand der Untersuchung
Diesen Schutz hat das BGB aber nicht nur dem Eigentum, sondern auch einigen beschränkten dinglichen Rechten, dem Besitz und dem Namensrecht angedeihen lassen. Das Gesetz untersagt Eingriffe in den Besitz oder das Namensrecht durch eigenständige Vorschriften (§ 862,12 BGB). Entsprechend der Natur der dinglichen Teilrechte, die ebenso wie das Eigentum „absolute", also Herrschaftsrechte sind, begnügt der Gesetzgeber sich folgerichtig mit einem Verweis auf § 1004 (§§ 1027,1090 II) oder global auf die Rechte des Eigentümers (§§ 1065, 1227; 1027 II, jetzt § 111 ErbbauRVO) 5 . Dem Hypothekar dagegen hat er spezielle Rechte für den Fall der Gefahrdung der Hypothek durch Einwirkungen auf das Grundstück verliehen (§§ 1133 S. 1, 1134f.) 6 . 2. Als ein typischer Fall der actio negatoria, der die danach gegebene Situation anschaulich kennzeichnet, kann der aus der preußischen Geschichte bekannte Fall des Müllers Arnold aus der Neumark gelten, in dem es vor dem Kammergericht und schließlich dem obersten Gerichtsherrn, Friedrich dem Großen, um die Frage ging, ob der Nachbar und adelige Gutsherr auf seinem oberhalb der Mühle gelegenen Gebiet das Wasser des Bachlaufes für die Anlegung von Fischteichen aufstauen durfte mit der Folge, daß dem Müller die Wasserkraft entzogen wurde. Bekanntlich endete der Streit damit, daß der König auf eine Bittschrift des Müllers hin (1779) das Urteil des Kammergerichts, das dem Gutsherrn Recht gegeben hatte, kassierte 7. Prozesse um entzogenes Mühlenwasser sind immer wieder vorgekommen 8 , und sie sind dann teilweise auch nach preuß. A L R entschieden worden, das insofern eine Frucht des Arnold-Falles war, als der Prozeß die Kodifikationsbestrebungen Preußens nach einer langen Periode des Stillstandes wieder belebte 9 . — Eingriffe in das Eigentum oder beschränkte dingliche Rechte sind seit alters her dieselben; das Sachenrecht scheint also auch hier seine ihm zugeschriebene „Statik" zu beweisen10. Wenngleich Mobiliarrechte negatorischen Schutz
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Über landesrechtliche weitere Rechte wie Anerben-, Wasser-, Deich-, Siel- und Fischereirechte, Regalien, Gewerberechte s. Art. 55,64-66,68 f., 73 f. EGBGB; Nachw. zu Landesgesetzen bei Palandt-Bassenge bei den genannten Artikeln. 6 Für Grund-, Rentenschuld und Reallast (§§ 1191 ff., 1199ff., 1105 ff.) sowie Vormerkung und Vorkaufsrecht (§§ 883 ff., 1094ff.) existieren vergleichbare Bestimmungen nicht. Negatorische Ansprüche außerhalb des BGB sind: § 37 HGB (für die Firma), § 16 U W G (für Unternehmensbezeichnungen), § 9711 UrhG (für das Urheberrecht), § 47 PatG (für die Erfindung), § 2 4 1 W Z G (für das Warenzeichen), § 15 I GebrMG (für das Gebrauchsmuster), § 14a I 1 GeschmMG (für gewerbliche Muster und Modelle). 7 Vgl. Diesselhorst, Profil des Juristen, S. 335 ff.; weitere Nachw. bei Schlosser § 3 I I I 1. Scheint der Sachverhalt auch typisch für einen negatorischen Anspruch, so ist allerdings kurioserweise festzustellen, daß nach heutiger wohl h. M. sog. negative Einwirkungen nicht unter § 1004 fallen, s. MK-Medicus § 1004 Rdnr. 28 mwN. 8 Vgl. RGZ 13, 52; 26, 224; 26, 294 (jeweils preuß. Recht); 36, 233; 89,216; 90,47; 90, 52; 93, 100. 9 Vgl. Schlosser ebd. (Fn. 7).
Einleitung
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genießen, geht es doch in der Hauptsache um Störungen von Grundstücken 11 , wobei Schauplatz meist nebeneinander liegende Grundstücke sind, jedenfalls aber gewöhnlich der Nachbarbereich. Da geht es um unbefugtes Gebrauchen oder Nutzen des fremden Grundstücks, um störende Projektionen in den Nachbarraum durch Gebäudeteile (§ 912 BGB) oder Pflanzen (§ 910 BGB), um Bodenvertiefungen, die dem benachbarten Grundstück die Stütze nehmen (§ 909 BGB) sowie um Immissionen verschiedenster Art. Aus dem mehr ländlich-idyllischen, aber gleichwohl noch heute praktischen Bereich läßt sich berichten über unbefugtes Schneiden von Schilf und Rohr am fremden Flußufer 12 oder vom Fischen in fremden Gewässern 13. Überhängende Mauerteile beschäftigten nicht nur die Römer 1 4 , sondern auch unsere heutigen Gerichte 15 ; ähnliche Streitigkeiten wegen überbauter Gebäude oder Mauern 1 6 oder wegen auf das Nachbargrundstück hinüberwachsender Wurzeln und Pflanzen 17 sind ebenso häufig. Vor allem werden seit jeher Klagen wegen Immissionen geführt. Bleiben wir zunächst noch im ländlichen Bereich, so sind beispielsweise zu verzeichnen Störungen durch den Blätter- und Kätzchenfall einer Birke 1 8 , durch das Eindringen von Wasser 19 , durch hinüberwehenden Unkrautsamen 20 oder Bienen des Imkers, die die Nachbarschaft belästigen 21 ; überlautes Froschquaken 22 und Gänsegeschnatter 23 hat die geplagten Kläger bis vor das Reichsgericht geführt. — Immissionen entstammen jedoch zu einem Großteil dem Bereich des Gewerbes und der Industrie. Zwar berichten schon die römischen Juristen von Rauchbelästigungen einer Käserei und einer Badeanstalt 24 ; mit dem Aufkommen des Industriezeitalters im vorigen Jahrhundert aber nehmen die Fälle immitierter Einwirkungen stetig zu 2 5 . Von der Mitte des 10 Das Wort wird Radbruch zugeschrieben (s. Westermann §2 II), Radbruch bezeichnet aber unsere Rechtsordnung im ganzen wegen ihrer Einteilung in Schuld- und Sachenrecht als „statisch", s. Vorschule der Rechtsphilosophie, Göttingen 1965, S. 58. 11 Vgl. auch Mot. Mugdan I I I S. 236 letzter Absatz, ferner S. 237 2. Absatz. 12 RGZ 3, 232 (am Ufer der Obra). 13
RGZ 8, 181. D.8,5,14,1; eod.1,17. 15 Z.B. RGZ 88, 39; BGHZ 28, 110. 16 RGZ 46, 143; 52, 15; 87, 371; 123, 181 (Lichtreklamekasten); 132, 398 (störendes Schutzdach über der Straße). 17 D.47,7,6,2; L G Stuttgart M D R 1965, 990, 991. 18 BGHZ 60, 235; L G Stuttgart NJW 1985, 2340 (nicht rkr.). 19 RGZ 92, 22; 122, 196; 155, 154, 157. 20 L G Stuttgart M D R 1965, 990, 991. 21 RGZ 12, 173; O L G Stuttgart SeuffArch. 47 Nr. 97, S. 140; L G Ellwangen NJW 1985, 2339. 22 RG JW 1910 Nr. 13, S. 654. 23 RG WarnR 1917 Nr. 244, S. 385. 24 Oben Fn. 1. 14
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1. Kap. Gegenstand der Untersuchung
19. Jahrhunderts bis heute beschäftigen sich die Judikate mit den typischen Störungen des handwerklichen und industriellen Bereichs 26. Das BGB, ebenfalls ein Kind des 19. Jahrhunderts, hat sich der Zeiterscheinung angenommen und in § 906 BGB Beispiele derartiger Immissionen erfaßt: Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusche und Erschütterungen werden aufgeführt 27 . Die Judikatur weist zu derartigen Einwirkungen ein reiches Fallmaterial auf 2 8 . In diese Kategorie von Störungen gehören schließlich auch die heute so bedeutsamen, Forschung, staatliche Stellen, private Vereinigungen und die öffentliche Meinung beschäftigenden Immissionen der Industrie und des Straßenverkehrs, die die sog. Umweltschäden verursachen, das „Waldsterben" sowie Wachstumsstörungen der übrigen Vegetation im natürlichen und kultivierten Raum. Sind die Ursachen und einander bedingenden Wechselwirkungen dieser Erscheinungen im einzelnen auch noch nicht völlig geklärt, so scheint doch gewiß zu sein, daß sie jedenfalls teilweise auf immitierte chemische Stoffe zurückzuführen sind, die Fabriken, Kraftwerke und Kraftfahrzeuge in Luftraum und Gewässer entlassen. — Wenn es also zwar wahr ist, daß die zu negatorischen Klagen führenden Störungen über Jahrhunderte die gleichen waren, so haben aber Beeinträchtigungen durch Immissionen der Industrie heute an Bedeutung, jedenfalls hinsichtlich bestimmter Störungsarten, zugenommen. I I A Schaut man nun auf die Einzelheiten des § 1004 BGB, so ergeben sich zunächst die beiden schon erwähnten Ansprüche: Der Eigentümer kann verlangen, daß Beeinträchtigungen beseitigt werden (§ 100411), und, wenn weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind, kann er auf Unterlassung klagen (§ 100412). Die Rechte der Vorschrift unterscheiden sich somit danach, ob schon ein Eingriff in das Eigentum vorliegt oder ob er erst bevorsteht 29 ; der im letzteren Falle gegebene Anspruch hat also vorbeugenden Charakter. Sieht man von der bekannten theoretischen Streitfrage ab, ob der Unterlassungsanspruch 25
Dazu Ogorek S.40ff. Vgl. z.B. schon O A G Celle SeuffArch. 11 Nr. 14, S. 18 (Urt. v. 1937, Seifen- und Lichterfabrik); A G und OAG Dresden SeuffArch. 3 Nr. 8, S. 8 (Urt. v. 1844, Gasbereitungsanstalt); OAG Celle SeuffArch. 8 Nr. 346, S. 452 (Urt. v. 1848, Ziegelei). 26
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Vgl. auch Mot. (zu § 906 BGB) Mugdan I I I S. 147 1. Absatz, wo von der Entwicklung der Industrie die Rede ist. 28 Es wird im 2. Teil verarbeitet werden. 29 Nicht etwa unterscheiden sich die Rechtsfolgen des § 100411 und 2 danach, daß vom Beklagten ein Tun und ein Unterlassen verlangt werden kann; § 1004 I 2 ist insofern ungenau. Was der Beklagte zur Erfüllung des Anspruches tun muß, hängt von der Art der gegenwärtigen oder bevorstehenden Beeinträchtigung ab. Nach § 1004 I 2 kann ein Tätigwerden geboten sein, wenn die Gefahr von Sachen ausgeht, nach § 1004 I 1 ein Unterlassen, wenn die Beeinträchtigung durch eine Handlung hervorgerufen wird, die gegenwärtig andauert. Insofern sind auch die Mot. Mugdan I I I S. 237 unter 4a und S. 238 unter 4 b nicht zutreffend, die nach körperlichen und nicht-körperlichen Zuständen unterscheiden.
Einleitung
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des § 100412 ein materiell-rechtlicher oder ein rein prozessualer Rechtsbehelf ist 3 0 , sowie von der Detailfrage, wann die hinreichende Gefahr einer künftigen Beeinträchtigung besteht 31 , so läßt sich feststellen, daß die gegenwärtige Doktrin des § 1004 von zwei Problemen beherrscht wird: Einmal besteht die Frage der Abgrenzung der negatorischen Beeinträchtigung vom Schaden und — damit—die Frage der Abgrenzung der nach § 100411 geschuldeten Beseitigung vom Schadensersatz (§ 823 BGB). Das zweite Problem betrifft die Person des nach § 1004 Verantwortlichen. So läßt sich mit Fug und Recht sagen, daß die gesamte Vorschrift dogmatisch ungesichert ist, nämlich hinsichtlich von Tatbestand, Rechtsfolge und Anspruchsgegner; nur der Anspruchsinhaber, der Eigentümer, steht fest. Die zunächst genannte Frage betrifft — in groben Umrissen — folgendes Problem 32 : Die Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 kann nicht mit einem Schaden nach § 823 gleichgesetzt werden, denn dies liefe, da § 1004 Beseitigung der Beeinträchtigung verlangt, auf Schadensersatz hinaus 33 . Da Schadensersatz nach § 823 aber nur unter der Voraussetzung des Verschuldens zu leisten ist, würde bei Nichtbeachtung der Unterscheidung dieses Verschuldenserfordernis über § 1004 umgangen werden. Demnach besteht, um das Gesagte zu konkretisieren, die Frage, ob etwa in den die Rechtsprechung beschäftigenden Fällen von Bränden, die von Abraumhalden auf Bahndämme übergriffen 34 , nur verlangt werden kann, daß das Feuer gelöscht wird, oder auch, daß die beschädigten Bahndämme ausgebessert werden. Gegenstand der vorliegenden Arbeit aber ist das zweite genannte Problem, die Frage, wer Störer ist, wen also die negatorische Verantwortung trifft oder — anders gesagt — unter welchen Voraussetzungen eine Person zur Beseitigung einer Beeinträchtigung oder Beeinträchtigungsgefahr herangezogen werden kann. Wer der Frage nachgeht und Schrifttum und Rechtsprechung zu Rate zieht, dem eröffnet sich ein vielfaltiges Bild an Haftungskriterien. U m von dieser Lage einen Eindruck zu geben, seien stichwortartig herausragende Aspekte genannt wie ein Aufrechterhalten der Störung durch den Willen des Störers, die Kausalität, das Eigentum an der störenden Sache, der Tatbestand des „Haltens" einer störenden Anlage, eine in fremdes Eigentum übergreifende „Willensherrschaft" oder die aus dem Polizeirecht geläufige Unterscheidung in Handlungs30 Dazu Zeuner, FS Dolle I, S. 295, 301 ff.; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 28 mwN; zum vorbeugenden Rechtsschutz allgemein Henckel AcP 174 (1974), 97 ff. ' 31 Dazu MK-Medicus § 1004 Rdnr. 81 mwN. 32 Dazu etwa Baur AcP 160 (1961), 465, 489; Westermann § 36 I I I 1; Larenz I I § 76; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 14, 22; Picker S. 18ff. und ihm folgend Hohloch S. 159ff.; dazu unten 10. Kap. I 2 a. 33 Zwischen Beeinträchtigung und Schaden einerseits und Beseitigung der Beeinträchtigung und Schadensersatz andererseits wird in der Diskussion nicht unterschieden. 34 Z.B. RGZ 127, 29 = JW 1930 Nr. 18, S. 1208; 138, 327.
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1. Kap. Gegenstand der Untersuchung
und Zustandshaftung. Es handelt sich jedoch hierbei nicht etwa um Kriterien, die Bestandteil eines bestimmten Konzepts oder einer Theorie sind. A n einem derartig ausgeprägten Gedankengut fehlt es. Grundlinien oder Grundvorstellungen, die wenigstens als Ausgangspunkt, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, eine Basis für die Ermittlung des Verantwortlichen zur Verfügung stellen, gibt es, von einer gleich zu erörternden Ausnahme, nicht. Vielmehr existieren nur einzelne Ideen oder Ansätze, bei denen sich aber bei näherer Betrachtung zeigt, daß sie unzulänglich sind. Lehre und Rechtsprechung spiegeln durch die unterschiedlichen und meist nicht weiter begründeten Haftungskomponenten, mit denen sie die anstehende Frage zu bewältigen versuchen, das mangelnde dogmatische Fundament und die damit verbundene Rechtsunsicherheit wider, die Judikatur in eindrucksvollerer Weise als die Wissenschaft, weil sie gezwungen ist, die ihr vorgelegten Fälle zu entscheiden. Da es der Judikatur aber an einem verfügbaren Instrumentarium fehlt, weicht sie oft auf Lösungen aus, die allein von der Billigkeit und Praktikabilität diktiert sind. Der zu beobachtende Versuch, derartige Überlegungen dennoch rechtlich-theoretisch zu stützen und in ein Rechtsgewand zu kleiden, führt häufig zu unklaren und schwer verständlichen Entscheidungsgründen. Ob es der Rechtsprechung immer gelungen ist, trotz fehlender Hilfsmittel akzeptable Lösungen zu erringen, mag hier offenbleiben. Jedenfalls ist die beschriebene Situation in einem kodifizierten Recht, das in Systemen zu denken gewohnt ist, nicht hinnehmbar. 2. Fragt man nun nach wissenschaftlichen Bemühungen um den Störerbegriff, so ist folgendes zu konstatieren: Die vorliegenden Abhandlungen widmen der Störerfrage entweder im Rahmen der Behandlung des gesamten § 1004 BGB 3 5 oder im Rahmen anderer Themen 36 einen Abschnitt. An umfassenden Untersuchungen fehlt es. In grundlegender Form hat sich des Themas nur die 1972 erschienene Arbei Pickers angenommen. Pickers Lehre unterscheidet sich prinzipiell von den bisherigen Versuchen 37, da Picker für den Beseitigungsanspruch des § 1004 eine Art Gesamtkonzept entwickelt, aus dem heraus er alle ungelösten Fragen und damit auch die Störerfrage beantwortet. Unter dem Stichwort der „Rechtsusurpation" oder „Rechtsanmaßung" hat seine Lehre Bekanntheit erlangt. Hat sie auch wegen ihres originellen Gehalts die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, so ist sie doch in Einzelheiten bisher nicht überprüft worden 38 . Vor dieser Aufgabe sieht sich die vorliegende Arbeit, die das Thema 35 Vgl. R. Schmidt S. Iff. (1924); Memelsdorff S.23ff. (1931); Offtermatt S.48ff. (1937); Baur AcP 160 (1961), 465,471 ff.; Schlütter S. 1 ff., 4ff. (1966); ein kurzer Aufsatz Pleyers widmet sich aber der Störerfrage für besondere Fälle (Naturwirken, Rechtsnachfolge), s. AcP 156 (1957), 291 ff. 36
Kübler AcP 159 (I960), 236, 276ff.; Stoìf AcP 162 (1963), 203, 218ff.; Wetzel S. 105ff. (1971); Pinger, S. 188ff. (1973); Olzen S. 5ff. (1975); Heinze S. 65ff. (1974). 37 Einzelheiten unten 6. Kap. 38 Besprechung bei Baur AcP 175 (1975), 177 ff.; zu weiteren kritischen Würdigungen s. unten 6. Kap. Fn. 11.
Einleitung
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erneut aufgreift. Die Rechtfertigung für diese Wiederaufnahme des Störerproblems leitet sie u. a. aus dem Ergebnis ab, zu dem sie bei der Auseinandersetzung mit den Thesen Pickers gelangt. Die hier vorgelegte Untersuchung kommt zu dem Schluß, daß diese Thesen nicht nur dogmatisch angreifbar sind, sondern daß sie auch einen wichtigen Teilbereich der Beeinträchtigungen, nämlich den der Immissionen, nicht zu lösen vermögen. III. M i t diesen letzteren Bemerkungen ist bereits angedeutet, daß sich die folgende Arbeit in einem 1. Teil dem gegenwärtigen Forschungs- und Meinungsstand widmet. An grundlegenden und klärenden Untersuchungen dazu fehlt es bisher. Die Abhandlung Pickers beschäftigt sich zwar mit einigen wichtigen vorhandenen Auffassungen 39 , jedoch weniger in der Bemühung um unvoreingenommene Darstellung, als vielmehr unter dem Blickwinkel seiner neuartigen Idee und seiner damit verbundenen Kritik an bisherigen Deutungsversuchen 40. Eine Sichtung des vorhandenen Gedankenguts scheint aber geboten, weil anders eine fundierte Bewertung des vorgegebenen Materials weder in positiver noch in negativer Hinsicht möglich ist. Diese Sichtung und kritische Würdigung wird hier vorgenommen werden, indem verwertbares Gedankengut festgehalten und nicht akzeptable Anschauungen ausgeschieden werden. Es wird sich zeigen, daß brauchbare Ansätze kaum vorhanden sind. Das auf die beschriebene Weise bereitete Feld wird Grundlage und Rechtfertigung für den hier unternommenen Neuversuch (2. Teil) darstellen. IV. 1 Bei der Entwicklung des eigenen Konzepts beschäftigt sich die Schrift in nicht unbeträchtlichen Teilen mit den bereits erwähnten speziellen actiones negatoriae der §§ 907 und 908 BGB (12. Kap.). Sie ist daher auch ein Beitrag zum negatorischen Gegner dieser Bestimmungen. Diese thematische Ausweitung hat ihren Grund darin, daß eine Untersuchung über den Störer des § 1004 BGB nicht ohne Einbeziehung der §§ 907, 908 BGB auskommen kann. Die Notwendigkeit dieses Verfahrens ergibt sich im einzelnen aus den Ausführungen der Arbeit (9., 10. Kap., ferner 13. Kap. §§ 1, 2 Β I ) . Doch sei schon an dieser Stelle ein Wort zu dem Raum gesagt, den die Untersuchung den Vorschriften widmet. Er ist damit zu erklären, daß hier Neuland betreten wurde; der Gehalt der Bestimmungen war bisher auch nicht annähernd erarbeitet. § 908 BGB, ein Niederschlag der alten römischen cautio damni infecti 41 , erweist sich überdies als eine komplexe und komplizierte Regelung, weil sie für die haftende Person auf die deliktischen Normen der §§ 836 bis 838 BGB verweist, die ihrerseits eine nahezu völlig unerforschte Materie darstellen. In der Analyse der §§ 908, 836 ff. BGB liegt ein doppelter Ertrag; ihr kommt nicht nur Bedeutung für das vorliegende Thema des § 1004 BGB zu, sondern sie schafft zugleich neue 39
Picker S. 25 ff. Vgl. ebd. 41 Näher dazu 12. Kap. §2B Fn. 11; zur weiteren Geschichte des §908 BGB ebd. Fn. 14. 40
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1. Kap. Gegenstand der Untersuchung
Erkenntnisse für die heute so bedeutend gewordene, aber sehr unklare Lehre der schadensersatzrechtlichen Verkehrssicherungspflicht 42. 2. Vor allem aus Gründen einer notwendigen thematischen Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes mußten einige Fragenbereiche von der Bearbeitung ausgenommen werden. a) Bei einer so traditionsreichen Rechtseinrichtung wie der actio negatoria mögen Darlegungen über die Geschichte erwartet werden. Darauf ist hier aus zwei Gründen verzichtet worden. Einmal wäre die Bearbeitung sowohl des geltenden als auch des historischen Rechts ein zu weit gespanntes Forschungsfeld. Zum zweiten aber läßt sich wohl mit einigem Recht die Behauptung wagen, daß die Geschichte für die hier anstehende dogmatische Detailfrage nicht ergiebig sein wird. Zur Erklärung sei zunächst ein kurzer Blick in die Vergangenheit getan. Ursprünglich hatte die Eigentumsschutzklage der Römer einen einheitlichen Ausgangspunkt: Der (quiritische) Eigentümer wehrte mit der Klage, wie die heute noch gängige Bezeichnung sagt, die Behauptung des Beklagten ab, ihm komme ein Recht am klägerischen Eigentum zu (Servitut, ususfructus) 43. Da es jedoch zahlreiche Einwirkungen gibt, die sich nicht als Inhalt eines Rechts denken lassen, haben sich die römischen Juristen von dieser engen Voraussetzung gelöst; auch die nachfolgende Zeit bis hin zur Pandektistik hat daran nicht festgehalten 44. Wie bereits angedeutet, weist das überlieferte Fallmaterial seit zwei Jahrtausenden die unterschiedlichsten Störungsarten auf. Sie sind von den alten, der römischen Tradition verhafteten Rechtsordnungen ohne bereitstehendes Haftungssystem bewältigt worden. Aber auch die Vorschriften der naturrechtlichen Kodifikationen 45 , in denen die actio negatoria erstmals als geschlossenes Rechtsinstitut entgegentritt, enthalten keine Einzelerfordernisse der Haftung. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Verfolgung geschichtlicher Zusammenhänge nicht etwa Kriterien aufdecken könnte, anhand derer vergangene Zeiten den Störer bestimmt haben. Doch wären damit keine Erkenntnisse gewonnen, die ausschließlich die Geschichte zu vermitteln vermag. Die Komponenten, auf Grund derer eine Person für Beeinträchtigungen fremden Eigentums verantwortlich gemacht wurde, mußten vielmehr damals wie heute immer dieselben sein. Es ist das Anliegen dieser Arbeit darzutun, daß sich das Haftungskriterium des negatorischen Anspruchs aus den zu regelnden Sachverhalten mit Notwendigkeit ergibt (10. Kap.). Jedenfalls im Bereiche des § 1004 BGB ist eine Lösung von einer Rechtsidee her, wie sie namentlich von Picker versucht wurde, nicht möglich. Gerade in der unzurei-
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Vgl. unten 12. Kap. § 4 I I (zum Verhältnis von allgemeiner Verkehrssicherungspflicht und §§ 836 ff. BGB); ebd. § 6 C I I 2 h cc ccc (1) (zur Lehre der Verkehrssicherungspflicht); ebd. V I (Ergebnisse zu den Haftungsvoraussetzungen der §§ 908, 836 ff. BGB). 43 Dazu Käser ebd. (Fn. 1) § 103 II, S. 437. 44 Vgl. Picker S. 62 ff. mit Nachw. 45 Vgl. oben Fn. 2.
Einleitung
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chenden Erfassung der dem § 1004 BGB unterfallenden Sachverhalte liegt nach unserer Ansicht die Erklärung dafür, daß es bisher nicht gelungen war, ein für alle Fälle passendes Konzept zu finden, ein Mangel, der sich durch neuere Tendenzen in der Literatur (Picker, Gursky, Medicus u.a.) noch verstärkt 46 . Wenn diese hier vertretene These der Sachimmanenz des Haftungskriteriums also richtig ist, dann sind historische Hintergründe entbehrlich. b) Nicht aufgenommen wurde ferner die Frage, wer Verpflichteter der sog. quasinegatorischen Ansprüche ist. Bekanntlich haben Rechtsprechung und Lehre in Analogie zu den vorhandenen negatorischen Vorschriften 47 Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche zugunsten anderer Rechte und Rechtsgüter entwickelt 48 . Eigenständige Untersuchungen müssen ergeben, ob die für den eigentlichen Bereich der actio negatoria hier entwickelten Grundsätze auf die Quasinegatoria übertragbar sind oder ob sich dort besondere Probleme ergeben. c) aa) M i t dem Begriff des Störers verbindet der Jurist auch öffentlichrechtliche Kategorien. Es entsteht einmal der Gedanke an den polizeirechtlich Verantwortlichen, der ebenso wie im Zivilrecht als „Störer" bezeichnet wird. Auch findet sich das polizeirechtliche System der Handlungs- und Zustandshaftung zumindest dem Namen nach im Privatrecht wieder. Den Einzelheiten dieses Haftungskonzepts wendet sich diese Untersuchung auch unter dem Aspekt der Berührungspunkte von öffentlichem und privatem Recht zu (4. Kap.
§2).
bb) Der Störerbegriff führt aber auch insoweit ins öffentliche Recht, als Beeinträchtigungen des Eigentums von der öffentlichen Hand ausgehen können; Beispiele sind Störungen durch Kläranlagen, Mülldeponien oder öffentliche Straßen. Der Frage, nach welchen Grundsätzen der Staat als Störer haftet, geht die Schrift jedoch nicht nach. Damit verbinden sich an erster Stelle öffentlichrechtliche Probleme. Die Rechtsgrundlage des öffentlichrechtlichen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruches sind bisher ungeklärt 49 . Zunächst
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Dazu unten 3. Kap. § 1 B; 6. Kap. § 1 B; 13. Kap. § 3 Β IV, § 5; 14. Kap. § 3 C, § 5. Vgl. I 1 mit Fn. 6. 48 Seit RGZ 60,7; Ausdehnung des negatorischen Schutzes u. a. auf die in § 823 I BGB aufgeführten Rechtsgüter und das dem dort genannten „sonstigen Recht" unterfallende allgemeine Persönlichkeitsrecht (Ehre) und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb; dazu etwa Larenz I I § 76 mwN. 49 Vgl. nur jüngst J. Martens, Der verwaltungsrechtliche Nachbarschutz — eine unendliche Geschichte?, NJW 1985,23021. Sp. /r. Sp.; ferner etwa W. Martens, Öffentlichrechtliche Probleme des negatorischen Rechtsschutzes gegen Immissionen, Hamburger FS für Friedr. Schack, herausgeg. von Η . P. Ipsen, Hamburg 1966, S. 85,87 mit Nachw. in Fn. 19; ders., Negatorischer Rechtsschutz im öffentlichen Recht, dargestellt anhand der gerichtlichen Praxis zum Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch gegen hoheitliche Realakte, Stuttgart, München, Hannover 1973, S. 7 (unter 2), 10 /11,24 oben; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl., München 1978, S. 91, 192ff.; Papier, Immissionen durch Betriebe der öffentlichen Hand, NJW 1974, 1797, 1798 l.Sp. Die hier interessierenden 47
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1. Kap. Gegenstand der Untersuchung
wäre also festzustellen, inwieweit § 1004 BGB im öffentlichen Recht gilt 5 0 . Soweit die Vorschrift heranzuziehen ist, entstünden wiederum spezifisch öffentlichrechtliche Fragestellungen. Dies liegt zum einen an der besonderen Qualität staatlicher Rechtssubjekte; diese wirft spezielle dem öffentlichen Recht angehörende Zurechnungsprobleme auf (Art. 34 GG, § 839 BGB; §§89, 31 BGB). Zum zweiten findet der öffentlichrechtliche Charakter der auftauchenden Fragen seine Erklärung in den besonderen Handlungsformen des Staates (Gesetz, Verwaltungsakt). Diese werden, um nur ein damit entstehendes Problem zu nennen, im Rahmen der hier vertretenen kausalen Unterlassungshaftung (13. Kap.) zu anderen Garantenpflichten führen, als sie Privatpersonen zukommen 51 . — Mehr als diese allgemein gehaltenen Bemerkungen sind an dieser Stelle nicht möglich. d) Schließlich ist die Frage der Haftung von juristischen Personen (des Privatrechts) und von Gesamthandsgemeinschaften (etwa: Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, §§ 705 ff. BGB, Erbengemeinschaft, §§ 2302 ff. BGB, OHG und KG, §§ 105ff, 161 ff. HGB) oder deren Mitgliedern von der Bearbeitung ausgenommen worden. Diese Beschränkung bedeutet jedoch keine sachliche Lücke, da das vorliegende Konzept lediglich im Rahmen der bei diesen Rechtsgebilden geltenden allgemeinen Grundsätze anzuwenden ist. Auftauchende Fragen gehören den typischen Problemen an, die mit dem Recht der
Fälle der Störungen durch staatliche Einrichtungen (Immissionen) sind von den Fällen zu unterscheiden, in denen die Störung selbst von einer Privatperson ausgeht, diese die Störung aber auf der Grundlage einer staatlichen Genehmigung vornimmt (Beispiel: Baugenehmigung); eine stärkere Hervorhebung der Unterschiedlichkeit dieser Fälle in der verwaltungsrechtlichen Lit. würde m. E. die Frage der Anspruchsgrundlage erleichtern. Diese zuletzt genannten Fälle stehen heute offenbar im Mittelpunkt der Diskussion, s. aus der umfangreichen Lit. ζ. Β. Schenke, Baurechtlicher Nachbarschutz, NuR 1983,81 mwN; s. ferner die Zusammenstellung von Lit. bei J. Martens ebd. Fn. 2. — Das Verhältnis von privatem und öffentlichem Nachbarrecht behandelt Schapp (unter diesem Titel, Berlin 1978). 50
Zu § 1004 BGB im Verwaltungsrecht etwa Bettermann, Zur Lehre vom Folgenbeseitigungsanspruch, DÖV 1955, 528, 534/535; W. Martens ebd. (Fn. 49) S. 85, 87, 90; ders., Negatorischer Rechtsschutz (Fn. 49) S. 7 (unter 2); Schenke ebd. (Fn. 49) S. 81, 91 r.Sp. (bei ästhetischen und negativen Einwirkungen); häufig wird die verwaltungsrechtliche actio negatoria auf den sog. Folgenbeseitigungsanspruch gestützt [s. § 113 I 2 VwGO, s. etwa Ossenbühl ebd. (Fn. 49) S. 192ff.; Papier ebd. (Fn. 49); W. Martens, Negatorischer Rechtsschutz (Fn. 49) S. 10/11], dessen materiellrechtliche Basis ist aber wiederum ungeklärt; auch soweit § 1004 BGB als Grundsatz des öffentlichen Rechts ausdrücklich nicht herangezogen wird, scheint es, daß man ohne den Rückgriff auf die darin festgelegten Grundgedanken nicht auskommt, s. z.B. W. Martens, Negatorischer Rechtsschutz (oben Fn. 49), S. 36 oben; BVerwG NJW 1974, 813, 815 l.Sp. 2. Absatz; BVerwG ebd. S. 817, 818 l.Sp. 3. Absatz (Hinweise auf Parallelität zu § 1004 BGB). 51 Gerade auch die Frage der Störerperson ist ein offenes Problem; s. aus der jüngsten Judikatur das Beispiel V G H Mannheim NJW 1985, 2352, wo es um eine Klage auf Beseitigung einer störenden Telefonzelle ging und als Störer sowohl die Post als auch die Telefonbenutzer in Betracht kamen (VGH ebd. S. 2352, 2353).
Einleitung
11
juristischen Personen und Gesamthandsgemeinschaften verbunden sind (Beispiel: Handlungsfähigkeit, § 31 BGB). Auch hier würde die Abhandlung also zu weit in Bereiche vordringen, die nicht mehr zum eigentlichen Thema gehören.
1. Teil Der gegenwärtige Forschungs- und Meinungsstand Darstellung, Analyse, Kritik 2. Kapitel: Die Störerbestimmung der Motive und die sog. Aufrechterhaltungstheorie in Judikatur und Wissenschaft § 1 Einleitung U n t e r den vielfältigen Versuchen, die Person des negatorischen Gegners zu bestimmen, behauptet sich v o n Beginn dieses Jahrhunderts an bis heute eine aus den M o t i v e n zu § 1004 B G B stammende Störerumschreibung, die lautet, Störer sei, durch dessen W i l l e n der m i t dem Eigentumsinhalt i n Widerspruch stehende Zustand aufrechterhalten werde. Wie ein Leitthema durchzieht diese Formel Judikatur u n d Schrifttum i n dieser oder variierter F o r m ; i n k a u m einer A b h a n d l u n g über § 1004 B G B bleibt sie als sog. Aufrechterhaltungstheorie unerwähnt. So entsteht der Eindruck, daß es sich bei dieser Definition u m ein bedeutsames Instrument der Störerermittlung handele. Es erweist sich indessen bei näherem Studium als schwierig, Gehalt u n d Bedeutung der Aufrechterhaltungsformel auszumachen. Was dessen rechtliches K r i t e r i u m eigentlich sein soll, w i r d nirgends mitgeteilt. Es fehlt bei den Vertretern der Aufrechterhaltungstheorie an Definitionen; die Urteile enthalten eine merkwürdige Divergenz zwischen Störergrundsätzen u n d Subsumtion. I n denjenigen Abhandlungen, die über diese Lehre berichten wollen, w i r d die Aufrechterhaltungsformel zwar als ein inhaltlich feststehendes Konzept deklariert, doch weichen die Darstellungen nicht nur voneinander ab, sondern sie vermitteln auch jede für sich kein eindeutiges Bild. Daneben fällt auf, daß die eigentliche Quelle dieser sog. Theorie, die M o t i v e , nahezu unbeachtet bleibt. Ansichten über ihre Auslegung tauchen auf, sie beziehen sich aber jeweils nur auf einzelne K o m p o n e n t e n der Formel. Eine grundlegende Exegese der M o t i v e fehlt. Verwirrend v o r allem ist, daß Interpretationen der M o t i v e selbst u n d Darstellungen der Aufrechterhaltungsformel i n der Gestalt, wie sie v o n Rechtsprechung u n d Literatur rezipiert wurde, ineinander verschwimmen. So werden eigene Auffassungen einzelner Autoren, etwa hinsichtlich der Willenskomponente der Formel, als I n h a l t dieser i n Wissenschaft u n d Judikatur angeblich wirkenden Theorie ausgegeben. Es w i r d auch allgemein angenommen, daß die Aufrechterhaltungsformel der Rechtsprechung bei der E r m i t t l u n g des Störers hilfreich zur Seite gestanden habe, eine Bewertung, die sich schon bei Stichproben nicht bestätigt. Berichten
§ 2 Störerbestimmung der Motive
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über „die" Aufrechterhaltungstheorie ist, mit anderen Worten, mit Skepsis zu begegnen. Will man nun im einzelnen erfahren, wie diejenigen Urteile und Autoren die Aufrechterhaltungsformel verstehen, die sie für das richtige Störerkriterium halten, so stellt sich eine weitere Schwierigkeit ein. Da Definitionen des Erfordernisses des Aufrechterhaltens nicht geboten werden, fehlt es an einem Maßstab dafür, wie die Formel von Gerichten und Verfassern aufgefaßt wird. Es bedarf daher zunächst einer eigenen Überlegung darüber, welcher Sinn der Aufrechterhaltungsformel überhaupt zukommen kann. Deshalb muß ein Blick auf die Motive selbst getan und festgestellt werden, was der Gesetzgeber unter einem Aufrechterhalten der Störung verstanden hat. Dieser Schritt soll als erster unternommen werden (unten § 2). Sodann ist es möglich, sich dem Fortleben der Motive in Rechtsprechung und Literatur zuzuwenden (unten § 3).
§ 2 Die Störerbestimmung der Motive A. Die oben § 1 eingangs wiedergegebene Aufrechterhaltungsformel findet sich an zwei Stellen1 der Motive. Die beiden Sätze stehen aber nicht isoliert da, sondern werden ergänzt durch weitere Erläuterungen, die in Judikatur und Schrifttum eigenartiger Weise keine Beachtung finden 2. Die beiden Stellen lauten vollständig folgendermaßen: Der Anspruch hat, analog wie bei der Vindikation, seine Richtung gegen die Person desjenigen, durch dessen Willen der mit dem Inhalte des Eigenthumes in Widerspruch stehende Zustand aufrecht erhalten wird. Die Haftung ergiebt sich also nicht aus einer der Vergangenheit angehörenden einzelnen Handlung des Beklagten; auch ist dieselbe nicht davon abhängig, daß das Verhalten des Beklagten auf culpa oder auf dolus beruht, wie denn beispielsweise das Hinüberreichen eines Gebäudes über die Grenze genügt, um den Besitzer oder den Inhaber des Gebäudes haftbar zu machen.3
Später heißt es: Als Anspruchsverpflichteter . . . erscheint derjenige, durch dessen Willen die zuständliche Eigenthumsverletzung aufrecht erhalten wird, regelmäßig also der Eigenthümer der Anlage, unter besonderen Umständen auch der besitzende Nichteigenthümer oder der Inhaber der Anlage. Ob die bloße Handlung der Errichtung im einzelnen Falle dem Beseitigungsanspruche gegenüber verpflichten kann, bleibt besser dahin gestellt.4 1
A n der weiteren Stelle, an der es dem Gesetzgeber nicht um den Anspruchsgegner, sondern um das Ziel des Anspruchs und den Tatbestand der Beeinträchtigung geht, heißt es (Mot. Mugdan I I I S. 236 unter 4): „Voraussetzung des Anspruchs ist . . . das gegenwärtige objektive Bestehen eines durch den Willen einer anderen Person aufrecht erhaltenen Zustandes." 2
Vgl. aber unten Fn. 18. Mot. Mugdan I I I S. 237 (unter 4a); die Störerumschreibungen der Mot. beziehen sich nur auf den Beseitigungsanspruch (§ 1004 I 1), s. ebd. S. 237 oben unter 4; wegen des Störers des Unterlassungsanspruchs (§ 10041 2) enthalten die Mot. keine ausdrücklichen Ausführungen, es ist nur vom „zukünftigen Verhalten" die Rede, s. ebd. S. 238 unter b. 3
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2. Kap. Störerbestimmung der Motive und Aufrechterhaltungstheorie
Wenn die Motive ausführen, Störer sei, wer „durch" seinen Willen den beeinträchtigenden Zustand oder die Eigentumsverletzung aufrechterhalte, so muß demnach — wörtlich genommen — der Wille die Aufrechterhaltung bewirken. Jedoch ist eine solche Kausalität nicht denkbar, denn der bloße Wille hat keinen Einfluß auf die physische Umwelt. Wohl deshalb ist die Formel schon des öfteren auf die Willenskomponente reduziert und angenommen worden, daß der Gesetzgeber denjenigen als Störer qualifiziere, der den Willen habe zu stören 5 . Daran wird weiter die Konsequenz geknüpft, daß nicht Störer sei, wer sich mit der Beseitigung der Beeinträchtigung einverstanden erkläre 6 . Weil dieses Ergebnis aber unbefriedigend ist, setzt hier auch die Kritik an der Aufrechterhaltungsformel an 7 . Indessen kommt eine derartige Interpretation ernsthaft nicht in Betracht 8 . Einmal deshalb nicht, weil dem Gesetzgeber eine solche wenig sinnvolle Anschauung nicht unterstellt werden kann, zum anderen aber widerspricht sie auch dem Wortlaut der Motive. Gefordert wird ein „Aufrechterhalten" des störenden Zustandes; dies kann nur geschehen durch ein Verhalten, also durch ein Tun, juristisch aber auch durch ein Unterlassen, was freilich nur bedeutsam ist, wenn eine Pflicht zum Eingreifen in den Geschehensablauf besteht. U m nun dieses Verhalten präzisieren zu können, kommt es darauf an, sich zu vergegenwärtigen, daß der Gesetzgeber bei seiner Störerbeschreibung von einem ganz bestimmten Fall ausgegangen ist, nämlich dem der störenden Anlage. Dies belegen beide Zitate, das erste durch das Beispiel des Hinüberragens des Gebäudes über die Grenze, das zweite unmittelbar durch Benennung der an der Anlage dinglich Berechtigten. In den Motiven findet sich ferner direkt im Anschluß an das erste Zitat die Bemerkung, es komme als Quelle von Beeinträchtigungen hauptsächlich der Fall des Haltens von Anlagen in Betracht, die über die Grenze hinaus wirken oder über dieselbe hinausreichen 9. 4
Ebd. S. 237 unten, 238 oben. Offtermatt S. 48/49, 55 Fn. 19 (aber Bezug auf „h.M."); Crome I I I S. 426 bei Fn. 23 (der Anspruch gegen den Eigentümer sei gegeben, „wenn sein Einverständnis mit der Störung erhellt"); Picker S. 42 2. Absatz (auch S. 43-46, aber mit Bezug auf das Verständnis der Aufrechterhaltungsformel in Rechtsprechung und Lehre; andererseits versteht Pickert die Aufrechterhaltungsformel als Unterlassen, ebd. S. 43 /44); Wolf § 3 I V 3ee, S. 151/152 mit Fn. 143; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 43; v. Tuhr I S. 251/252, der für diese Ansicht viel angeführt wird, zitiert nicht die Mot., sondern Planck, s. ebd. Fn. 38; die bei Picker S. 45 Fn. 106 für die an den bloßen Willen anknüpfende Haftung zitierte Entscheidung RG WarnR 1909 Nr. 455, S. 435, 436 ist insoweit nicht eindeutig; das Gericht verneint die Haftung der Erwerberin des Grundstücks u. a. deshalb, weil sie die Anaige iSd § 907 mangels Nutzung nicht „gehalten" habe. 6 Vgl. die in der vorigen Fn. Genannten. 7 Vgl. Offtermatt, Wolf, Medicus ebd.; Picker S. 44 2. Absatz, 45, 46,47; ferner gegen das Entfallen der Beseitigungspflicht auf Grund Einverständnisses Meisner-Dehner § 38 IV 2 Fn. 179; RGZ 103, 174, 177; RG JW 1928 Nr. 35, S. 502, 504; BGHZ 18, 253, 257/258. 8 Gegen Anknüpfung an den Willen auch Bienenfeld S. 285. 5
§ 2 Störerbestimmung der Motive
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Beeinträchtigungen durch Anlagen können auf verschiedene Weise entstehen. Sie können dadurch stören, daß sie selbsttätig ohne weiteres Dazutun arbeiten (ζ. B. Gräben, Kanäle, Drainagen), oder aber dadurch, daß die Anlage bedient oder betätigt wird (ζ. B. Gewerbeanlagen, Maschinen). Bei der an erster Stelle genannten Art sind die Beeinträchtigungen darauf zurückzuführen, daß die Anlage sich selbst überlassen bleibt, bei der letzteren Art darauf, daß die Anlage jeweils in Funktion gesetzt wird. § 907 BGB, der einen negatorischen Schutz gerade gegen Anlagen bieten soll, unterscheidet selbst zwischen Anlagen, deren Bestand oder deren Benutzung zu unzulässigen Einwirkungen führt 1 0 ; der Gesetzgeber hat anläßlich dieser Regelung beide Anlagearten wiederholt beschrieben 11. — Drittens schließlich ist eine Beeinträchtigung durch eine Anlage durch ihr bloßes Vorhandensein möglich, ein Fall, den der Gesetzgeber des § 1004 BGB — wie soeben dargelegt — selbst nennt (Hinüberragen des Gebäudes)12. Damit ist der Faden wieder aufzunehmen: Der Gesetzgeber dachte bei dem Erfordernis des Aufrechterhaltens an Beeinträchtigungen, die von Anlagen ausgehen. Das damit vorausgesetzte Verhalten kann demnach einmal darin bestehen, daß der Betreffende es unterläßt, die Störung zu unterbinden. Im ersten oben wiedergegebenen Zitatteil (vor Fn. 3) ist auch ausdrücklich von einem „Verhalten" die Rede, und es ist dort offenkundig im Sinne eines NichtHandelns gemeint, denn es soll für die Haftung das bloße Hinüberreichen eines Gebäudes genügen, man könnte auch sagen: das Hinüberreichen-Lassen. Verpflichtet sein sollen Besitzer oder Inhaber, nach BGB-Verständnis also Eigen- oder Fremdbesitzer 13. Über die Art des Verhaltens als Tun oder Nicht-Tun gibt die zweite Motivstelle (vor Fn. 4) keinen direkten Aufschluß, sie wiederholt nur die Voraussetzungen des Aufrechterhaltens und benennt als Verantwortliche noch einmal Besitzer oder Inhaber, in erster Linie hier aber den Eigentümer. Ein wenig später wird in anderem Zusammenhang der Standpunkt vertreten, daß, wer Anlagen halte, also — wie der Gesetzgeber meint — Eigentümer, Besitzer und Inhaber, verpflichtet sei, sie in einem solchen Zustand zu halten oder auf einen solchen Zustand zurückzuführen, daß sie dem fremden Recht keinen Eintrag tun 1 4 . — Damit darf es als gewiß angesehen werden, daß der Gesetzgeber unter einem Aufrechterhalten des beeinträchtigenden Zustandes den Fall des Nicht-Eingreifens, also des Unterlassens, gemeint hat 1 5 und daß er 9
Mot. Mugdan I I I S. 237 3. Absatz. Zu § 907 BGB noch unten 2. Teil, 12. Kap. § 5. 11 Mot. Mugdan I I I S. 163 2. Absatz, auch S. 162 unten; Prot. ebd. S. 603 4. Absatz. 12 Oben vor Fn. 3. 13 Besitzer war nach pandektistischer Lehre nur, wer die Sache als eigene, Inhaber wer die Sache als fremde innehatte, näher unten 12. Kap. § 6 C I I 2. 14 Mot. Mugdan I I I S. 238 1. Absatz. 10
1 6 2 .
Kap. Störerbestimmung der Motive und Aufrechterhaltungstheorie
die Pflicht zum Handeln den genannten, sachenrechtlich zuständigen Personen auferlegen wollte 1 6 . Die soeben angeführte Stelle zeigt besonders deutlich, daß der Gesetzgeber von der allgemeinen Verpflichtung dieser dinglich Berechtigten ausging, schon vor Entstehung der einklagbaren Beseitigungspflicht dafür zu sorgen, daß seine Anlagen sich in einem Zustand befinden, die zu Beeinträchtigungen fremden Eigentums nicht führen. Die Gesetzesverfasser haben keine rechtlich-dogmatischen Ausführungen gemacht. Doch auf der Grundlage der heute ausgebildeten Unterlassungsdogmatik könnte man sagen, daß es sich hier um die Fixierung einer Handlungspflicht im Rahmen einer Unterlassungshaftung handelt 17 . B. Die gesetzgeberische Auffassung des Aufrechterhaltens als ein NichtHandeln wird in den Motiven zwar durch das dort aufgeführte Beispiel des Hinüberreichens eines Gebäudes direkt belegt, dagegen ergibt sich das Verständnis des Aufrechterhaltens als ein positives Tun aus den Motiven nicht unmittelbar. Es kann aber kein Zweifel bestehen, daß unter den Begriff auch ein solches Verhalten fällt. In einer Vielzahl der Fälle werden Beeinträchtigungen — wie beschrieben — dadurch hervorgebracht, daß Anlagen, etwa Fabrik- oder Gewerbeanlagen, betätigt werden und dann, wie die Motive sagen, „über die Grenze hinaus wirken", also zu Immissionen führen. Zwar legt der Gesetzgeber an der genannten Motivstelle dar, daß es auf „eine der Vergangenheit angehörende einzelne Handlung" 1 8 , also auf ein positives Tun, nicht ankomme. Damit ist aber lediglich der Akt der Errichtung der Anlage gemeint, nicht ein 15
Als Unterlassen deutet die Formel Picker S. 43 /44 (dagegen Deutung als reiner Wille ebd. S. 42 2. Absatz); die Interpretationen als Unterlassen durch Kübler AcP 159 (1960), 236, 278 unten; Olzen S. 24 (nur einerseits); Schlütter S. 10ff., 12f. bezieht sich wohl nur auf das Verständnis der Aufrechterhaltungsformel in Rechtsprechung und Literatur (s. noch unten § 3 Β III). Warum nach Meinung Pickers S. 441. Absatz „das Negativum" des Unterlassens nicht in der positiven Formulierung des Aufrechterhaltens zum Ausdruck kommen kann, ist mir nicht verständlich. 16
Damit erweist sich die Kritik Pickers S. 44 1. Absatz, es fehle an der für die Verantwortlichkeit auf Grund Unterlassens erforderlichen Handlungspflicht, als nicht richtig. Dieselbe Kritik äußern Kübler und Schlütter ebd., aber wiederum mit Bezug auf die (angebliche, s. noch unten § 3 Β III) Deutung der Aufrechterhaltungsformel durch Judikatur und Literatur. Anders als hier leitet Bienenfeld S. 285 die Anknüpfung der Haftung an die sachenrechtliche Position unmittelbar aus der Aufrechterhaltungsformel her („Haftung aus dem Objekt"). 17 Die Haftung kraft Unterlassens war dem Gesetzgeber aber nicht fremd, s. unten 12. Kap. § 6 C zu § 908 BGB. 18 Mit diesem über die bloße Aufrechterhaltungsformel hinausgehenden Fall der Motive beschäftigt sich Picker S. 42 2. Absatz; er schließt aus der Bemerkung der Mot., daß der Gesetzgeber die Verursachung generell nicht als Haftungsprinzip ansah. Damit ist zum einen übersehen, daß sich die von den Motiven genannte Handlung nur auf die Errichtung der Anlage bezieht (s. oben im Text), daß der Gesetzgeber den genannten Standpunkt an anderer Stelle (s. oben vor Fn. 4) wieder einschränkt und daß schließlich ein Aufrechterhalten nur durch kausales Verhalten erfolgen kann. Zudem nimmt Picker S. 43/44 andererseits an, daß das Aufrechterhalten als Unterlassen zu deuten sei.
§ 2 Störerbestimmung der Motive
17
positives Tun durch wiederholtes Bedienen der Anlage. Dies ergibt sich daraus, daß der Gesetzgeber nur Störungen durch Anlagen behandelt und Ursache der Störung in einem solchen Fall, außer der Handlung der Errichtung, ein gegenwärtiges wiederholtes Bedienen der Anlage sein kann. M i t der Voraussetzung des „Aufrechterhaltens" ist nun offenbar lediglich dieses letztere Tun gemeint, denn es wird dem Verhalten des in der Vergangenheit liegenden Handelns gegenübergestellt; ausgeschieden wissen wollte der Gesetzgeber also nur das einmalige Handeln des Erbauens. Die hier zitierte zweite Stelle der Motive bestätigt diese Deutung; dort wird der A k t der Errichtung ausdrücklich aufgeführt und als weitere Art des Verhaltens neben dem „Aufrechterhalten" einer Störung genannt, wobei die Erbauungshandlung hier allerdings im übrigen als möglicher Anknüpfungspunkt der Haftung betrachtet wird. — Damit steht fest, daß der Gesetzgeber lediglich das positive Tun der Errichtungshandlung nicht als ein „Aufrechterhalten" verstand; dies ist nach dem allgemeinen Sprachsinn des Begriffs auch nicht möglich. Da ein „Aufrechterhalten" aber, außer durch ein Nichts-Tun, durch ein wiederholtes Tätigwerden geschehen kann, ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber dieses generelle Verständnis zugrunde legte. Damit ist das Erfordernis des Aufrechterhaltens auch als ein positives Tun zu verstehen. C. Es bleibt die Frage, welche Bedeutung der Wendung der Motive zukommt, die Aufrechterhaltung müsse „durch den Willen" des Verpflichteten geschehen. Es kann sich nur um eine Ausdrucksweise handeln, die nicht wörtlich genommen werden will und die besagen soll, die Aufrechterhaltung müsse auf einem vom Willen getragenen Verhalten beruhen 19 . Gerade das Willenselement taucht bei den Störerbestimmungen in Rechtsprechung und Literatur in vielfältiger Gestalt auf 2 0 . Diese Bedeutung wird ihm zu Unrecht beigemessen, zum einen, weil die Wendung der Motive eine verkürzte und globale Ausdrucksweise darstellt; sie fügt sich insofern ein in die Art der Beschäftigung des Gesetzgebers mit der Störerperson, die insgesamt keinen begrifflich-präzisen Charakter trägt. Zum anderen ist das Willenserfordernis keine Besonderheit, da ungewollte Verhaltensweisen (Schlaf, Bewußtlosigkeit) rechtlich ohnehin irrelevant sind. — Die Wendung kann dagegen nicht dahin gedeutet werden, daß die Beeinträchtigung selbst gewollt sein müsse 21 . Dann würde es heißen müssen, die Beeinträchtigung habe „ m i t " Willen des Störers zu geschehen; außerdem würde damit ein Verschuldens-(Vorsatz-)element verlangt werden, das in der actio negatoria keinen Platz hat 2 2 . Daraus folgt auch, daß die Aufrechterhaltung 19
Zu der nicht glücklichen Formulierung Bienenfeld S. 285. Vgl. etwa Picker S. 40/41, 41 unten, 42 oben, 44 2. Absatz, 45-47; ferner die oben Fn. 5 Genannten sowie unten § 3 Β I I I Fn. 33 (Abhängigkeit vom Willen), 38 (Willensbetätigung), 40, 41. 20
21
So aber offenbar Picker S. 44, da er Wille als Kenntnis von der Beeinträchtigung versteht; ferner RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 72; nicht deutlich Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 14, S. 268 unten. 2 Herrmann
18
2. Kap. Störerbestimmung der Motive und Aufrechterhaltungstheorie
durch den Störerwillen nicht gleichzusetzen ist mit der Kenntnis des Störers von der Beeinträchtigung, wie Picker annimmt 2 3 . D. Damit ist festzustellen, daß die Aufrechterhaltungsformel als ein Verhalten, ein Tun oder Unterlassen, zu deuten ist. 2 4 . Ein anderer Sinn der Formel ist, entgegen anders lautenden Deutungsversuchen in der Literatur 2 5 , nicht erkennbar.
§ 3 Die sog. Aufrechterhaltungstheorie in Judikatur und Wissenschaft A. Judikatur I. Nach der Häufigkeit der Zitate zu urteilen, scheint die Aufrechterhaltungsformel ein lebendig wirkendes und unentbehrliches Störerkriterium der Rechtsprechung zu sein. Doch zeigt sich, daß die Verwendung eines Zitats noch nichts über dessen tatsächliche Bedeutung aussagt. Die von den Urteilen bei der Lösung des konkreten Falles herangezogenen Kriterien sind durchweg anderer Art; ein Zusammenhang mit der der Entscheidung vorangestellten Aufrechterhaltungsformel ist nirgends erkennbar. Durch das wiederholte Zitieren des Aufrechterhaltungserfordernisses erwecken die Urteile nur äußerlich den Anschein, daß auf der festen Basis dieser Voraussetzung judiziert werde. Überdies wird die Formel stets mit einer Vielzahl anderer Kriterien verbunden mit der Folge, daß die in der Entscheidung deklarierten Obersätze ein Konglomerat von Haftungserfordernissen enthalten, das in seiner Komplexität 1 schwer verständlich ist und das zudem in seiner Zusammensetzung von Urteil zu Urteil wechselt2. II. Für die vorliegende Untersuchung sind die einschlägigen Urteile einer genauen Analyse unterzogen worden 3 . Es handelt sich um Entscheidungen, in 22
So auch ausdrücklich die Motive, s. oben vor Fn. 3. Ebd. S. 44; auch die Kenntnis des Störers von der Beeinträchtigung spielt in rechtlich nicht einzuordnender Weise oft eine Rolle; Wissen und Wollen verlangen etwa: Endemann S. 474 Fn. 53; RG WarnR 1908 Nr. 380, S. 285, 286; 1917 Nr. 245, S. 378; Wissen verlangen etwa: RG JW 1904 Nr. 11, S. 142, 143 r.Sp.; BGHZ 3, 270, 276 (actio quasi negatoria); BGH NJW 1966, 1360, 1361 r.Sp. 24 Dagegen meint Olzen S. 14 3. Absatz, die Mot. nähmen zur Verursachung nicht eindeutig Stellung; z.T. gegen Interpretation als Kausalität Picker S. 27 2. Absatz, 42 2. Absatz passim, dazu oben Fn. 18. Picker hält die Aufrechterhaltungsformel im ganzen für unbrauchbar, ebd. S. 47 oben. 23
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Dazu oben Fn. 5, 15f., 16, 18, 21, 23f. Eindrucksvoll insbes. z. B. RGZ 92, 22,24/25,103,174,175/176; s. ferner die unten in Fn. 3 angegebenen Urteile. 1
2
Vgl. unten Fn. 3. Es handelt sich um (chronologisch geordnet): RG JW 1904 Nr. 11, S. 142, 143 = GruchBeitr. 48 Nr. 102, S. 949 (Urt. wahrscheinlich aus dem Jahre 1904, wie in GruchBeitr. ebd. angegeben, dagegen nicht aus dem Jahre 1903, wie in JW ebd. S. 143 3
§ 3 Aufrechterhaltungstheorie
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denen die Aufrechterhaltungsformel, sei es i n echter oder veränderter Gestalt 4 , i m M i t t e l p u n k t des Urteils steht; zugleich sind es Fälle, die als Beleg für die Aufrechterhaltungstheorie als eines angeblich wichtigen Mittels der Störerbestimmung angeführt zu werden pflegen u n d die darüber hinaus als Standardfalle der actio negatoria igelten. Die Einzelexegese der Urteile hat zu folgenden Ergebnissen geführt: i . Z u m einen läßt sich das Verständnis der Aufrechterhaltungsformel i n der Rechtsprechung nicht aufklären 5 . Eine ausdrückliche D e f i n i t i o n w i r d an keiner Stelle geboten, aber auch indirekt ist die Bedeutung des Aufrechterhaltens nicht erschließbar. Aus der bunten Vielfalt derjenigen anderen Verhaltensweisen des Störers, m i t denen, wie erwähnt (oben I), das Erfordernis der Aufrechterhaltung der Beeinträchtigung durch die Gerichte regelmäßig kombiniert w i r d 6 , sind etwa zu nennen: die „ V o r n a h m e " der störenden H a n d l u n g 7 , die „Auftragserteil u n g " zu einer solchen H a n d l u n g 8 , die „Schaffung" eines beeinträchtigenden
angegeben; Lärm einer Druckerei); 1910 Nr. 13, S. 654, 655 (Urt. v. 1910; lautes Froschquaken; Bespr. auch bei Picker S. 104/105,107 2. Absatz); RGZ 92,22,24/25 (Urt. v. 1918; Überschwemmungen durch eine Drainage; Bespr. auch bei Schlütter S. 7 unten, 8 f.); 97, 290, 293 1. Absatz (Urt. v. 1919; Brände durch Funkenflug einer Lokomotive; Entschädigungsanspruch, der an die Stelle des Anspruchs aus § 1004 BGB getreten war, s. RG ebd. S. 291,292 2. Absatz, 293); 103,174,175/176,176/177,177 letzter Absatz (Urt. v. 1921; Beeinträchtigung eines Nießbrauchs durch Erdrutsche infolge einer Lehm- und Tongrube, §§ 1065,1004 BGB; Bespr. auch bei Picker S. 99 ff.); RG JW 1929 Nr. 15, S. 744 r.Sp. 2. Absatz, 745 l.Sp. oben (Urt. v. 1928; Umbauten in einem Gebäude; Klage auf Kostenerstattung nach § 812 BGB); RGZ 155,316,319 unten, 320 2. Absatz (Urt. v. 1937; Gerüche einer Abdeckerei; Entschädigungsanspruch nach § 26 GewO, der an die Stelle des Anspruchs aus § 1004 BGB getreten war; § 26 GewO von 1869 ist heute ersetzt durch § 14 BImSchG von 1974, s. § 681 BImSchG); 159,129,136 2. Absatz (Urt. v. 1939; Geräusche, Abgase und Erschütterungen durch eine Autobahn; wiederum Entschädigungsklage nach §26 GewO); BGHZ 19, 126, 129/130 (Ausführungen des BGH), S. 129 4. Absatz (Ausführungen des Berufungsgerichtes, denen der BGH sich anschließt, s. ebd. S. 129 5. Absatz) (Urt. v. 1955; Brückentrümmer in einem Fluß; Klage auf Kostenerstattung, offenbar nach §§ 683 S. 1,670 oder nach § 81211 BGB, s. ebd. S. 128 unten); 28,110,111 unten, 112 1. Absatz (Urt. v. 1958; Hinüberragen einer Brandmauer; Kostenerstattungsklage, Einzelheiten dazu ebd. S. 112 ff.); 29,314,317 2. Absatz (Urt. v. 1959; Überschwemmungen durch Autobahngräben; Kostenerstattungsklage nach § 812 BGB, s. ebd. S. 315 2. Absatz, 319 2. Absatz); 41, 393, 397 (unter 3), 398f. (Urt. v. 1964; störende Hausruine; Bespr. auch bei Picker S. 136ff.; Schlütter S. 9f., 60ff. u.a., dazu unten Fn. 20). 4 Ohne Verbindung mit anderen Voraussetzungen findet sich die Motivformel nirgends; insoweit wird sie authentisch nur zit. in RG JW 1904 Nr. 11, S. 142, 143 l.Sp. unten; RGZ 103, 174, 175 unten; BGHZ 41, 393, 397. 5 Ausnahme RG JW 1904 Nr. 11, S. 142, 143 l.Sp. unten, r.Sp. oben, wo sie als kausales Unterlassen verstanden wird; dazu noch unten Fn. 15. 6 Nur Aufrechterhaltung fordern: RG JW 1910 Nr. 13, S. 654; 1929 Nr. 15, S. 744; RGZ 155, 316, 319 f. — Aufrechterhaltung oder Kausalität (Vornehmen, Schaffen usw.) fordern: RG JW 1904 Nr. 11, S. 142f.; RGZ 92, 22, 24/25; 97, 290, 293; 103, 174ff.; BGHZ 19, 126, 129f.; 41, 393, 397; unklar BGHZ 59, 378, 380. 7 RGZ 92, 22, 24 unten; 103, 174, 176 oben 4. Satz.
2*
2 0 2 .
Kap. Störerbestimmung der Motive und Aufrechterhaltungstheorie
Zustandes 9 , die „ Z u r ü c k f ü h r b a r k e i t " der Beeinträchtigung auf den W i l l e n einer Person 1 0 , der ursächliche Zusammenhang m i t einer „ W i l l e n s b e t ä t i g u n g " 1 1 oder die „ H e r b e i f ü h r u n g " 1 2 oder das „ H e r v o r b r i n g e n " 1 3 der Störung. Das gemeinsame abstrakte M e r k m a l aller dieser geforderten Verhaltensweisen ist aber das der Kausalität. D a n u n das Aufrechterhalten einer Beeinträchtigung ebenfalls nur durch ein Ursächlichwerden möglich ist (oben § 2 ) , ist unklar, w o r i n sich Aufrechterhaltung einerseits u n d die übrigen kausalen Verhaltensweisen andererseits unterscheiden sollen; die Urteile gehen jedoch v o n einer D i s t i n k t i o n aus, denn sie stellen die M o t i v f o r m e l den übrigen Kriterien gegenüber 1 4 . 2. Der zweite Befund, der sich zwangsläufig aus dem ersten ergibt, lautet, daß der Aufrechterhaltungsformel i n der Judikatur keinerlei Bedeutung zuk o m m t . F ü r keine Entscheidung ist sie bestimmend, vielmehr sind es stets andere Komponenten, die das U r t e i l tragen; dieses Ergebnis folgt aus einem — wegen der Unschärfe der Obersätze u n d Begriffe nicht leicht vollziehbaren — Vergleich zwischen der der Entscheidung vorangestellten abstrakten Störerdefin i t i o n u n d der jeweiligen S u b s u m t i o n 1 5 . D i e Entscheidungen werden m e i s t 1 6 auf 8
RGZ 92, 24 unten.
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RG ebd.; RGZ 155, 316, 319 unten; 159, 129, 136 2. Absatz. 10 RGZ 92, 24/25; BGHZ 19,126,129/130 (Ausführungen des BGH), 129 4. Absatz (Ausführungen des Berufsgerichtes, denen der BGH sich anschließt, s. ebd. S. 129 5. Absatz); 29, 314, 317 2. Absatz (Zurückführbarkeit der Aufrechterhaltung auf eine Person). 11
RGZ 92, 24/25; BGHZ 29, 317 2. Absatz. RGZ 103, 174, 176 oben. 13 RGZ 159, 136 2. Absatz. 14 Vgl. RGZ 92, 22, 24/25; 97, 290, 293; 103, 174ff.; 155, 316, 319f.; 159, 129, 136 2. Absatz; BGHZ 19, 126, 129f.; 41, 393, 397. 15 Auch in RG JW 1904 Nr. 11, S. 143, 144, wo „Aufrechterhalten" als Unterlassen interpretiert wird (s. oben Fn. 5), wird die Aufrechterhaltungsformel nur als bestätigendes Argument verwendet (ebd. S. 1431. Sp. unten: „Schon die M o t i v e . . . "); das Gericht hätte also seine Entscheidung auch ohne Heranziehung der Motive getroffen. Die h. L. bewertet die Bedeutung der Aufrechterhaltungsformel in der Rechtsprechung anders (dazu unten Β III), jedoch findet sich folgende Kritik an einzelnen Urteilen: Auch Picker S. 44 2. Absatz kritisiert, daß RGZ 103, 174 seine Entscheidung tatsächlich nicht auf die dem Urteil vorangestellte Aufrechterhaltungsformel stützt (versteht diese Formel allerdings, anders als die vorliegende Arbeit — oben § 2 —, im Sinne eines reinen Willens, s. Picker ebd.), verkennt diese Tatsache aber wiederum an anderer Stelle (ebd. S. 41 bei Fn. 86). — Zweifel an der Maßgeblichkeit der Kausalität für die Entscheidung in RGZ 155, 316, 320, als die das Urteil die Aufrechterhaltungsformel hier anscheinend versteht (s. einerseits RG ebd. S. 319 unten: Schaffung der Störung, andererseits ebd. S. 320 2. Absatz etwa Mitte: Aufrechterhalten der Störung), offenbar auch bei Baur AcP 160 (1961), 465,472 2. Absatz aE, Fn. 27. (Tragendes Kriterium waren in diesem Urteil tatsächlich die Rechte des Beklagten am störenden Betrieb.) — Wegen der Bewertung von BGHZ 41, 393 in dieser Arbeit sowie durch Picker und Schlütter s. unten Fn. 20. 12
16 A n begrifflich klare Voraussetzungen wird die Entscheidung in keinem Urteil gebunden, doch ergibt eine genaue Analyse, daß RG JW 1904 Nr. 11, S. 143 und BGHZ
§ 3 Aufrechterhaltungstheorie
21
G r u n d v o n Billigkeitsgesichtspunkten u n d rein praktischen Überlegungen getroffen; so tauchen beispielsweise auf der Gedanke des „Interesses" des Beklagten am störenden Z u s t a n d 1 7 , der „ F r e i w i l l i g k e i t " seiner für die Störung kausalen H a n d l u n g 1 8 , ferner die Frage, ob der nach § 1004 i n Anspruch Genommene „etwas d a f ü r " könne, daß eine Beeinträchtigung fremden Eigentums v o r l i e g t 1 9 , oder — noch allgemeiner — die Überlegung, wessen H a f t u n g als gerecht erscheint 2 0 . I m Vordergrund aber steht der Gedanke der Beseitigungsmöglichkeit, die rein praktische Frage also, ob der Beklagte zur Beseitigung der Störung i n der Lage i s t 2 1 , wobei die Gerichte schwanken, ob es auf die 28,110,111,112 ein Unterlassen für maßgebend halten, RGZ 97,290,293 1. Absatz, wohl auch RGZ 159,129, 136 2. Absatz die Kausalität durch positives Tun; unklar bleibt das tragende Kriterium in RG JW 1910 Nr. 13, S. 654, 655 (genannt werden: die Aufrechterhaltungsformel, das Halten von künstlich angelegten Teichen, die praktische Möglichkeit zur Störungsbeseitigung, die Voraussehbarkeit der Störung); für die übrigen Urteile s. Fn. 17-23. 17 RGZ 155, 316, 320 2. Absatz. 18
RGZ 92, 22, 25 2. Absatz/26. So der Sinn der Ausführungen in BGHZ 19,126,130; damit wird ein — dem § 1004 fremdes — Verschuldenselement für entscheidend gehalten. Ein Beleg für das dem Gericht fehlende Haftungskriterium ist auch die unklare Feststellung, es fehle an einem „so ursächlichen Zusammenhang" (ebd. S. 129/130), das dem Erbauer der störenden, in den Fluß gefallenen Brücke eine Haftung für die Folgen der Erbauung billigerweise nicht zugemutet werden könne; Baur AcP 160 (1961), 465, 472 Fn. 28 dagegen hält diese Formulierung für „anschaulich". 19
20
So der wahre Kern der Entscheidungsgründe in BGHZ 41, 393, 397-399; das Urteil gibt sich nur den Anschein rechtlicher Argumentation (nicht haltbar die Begründung der Handlungspflicht im Falle des Unterlassens, die aus dem Eigentumserwerb folgen soll unter der Voraussetzung, daß der Veräußerer auf Grund seines Eigentumsverlustes zur Erfüllung des gegen ihn gerichteten Beseitigungsanspruches nicht mehr imstande ist, s. BGH ebd. S. 398 oben). Bei der Prüfung, ob der Beklagte die Voraussetzungen des § 1004 erfüllt, geht das Gericht darauf über festzustellen (BGH ebd. S. 397/398), ob der Pächter, gegen den sich die Klage gar nicht richtet, haftet. Das Urteil besagt demnach im ganzen nichts anderes, als daß den Klägern ein Beseitigungsanspruch zustehen soll, daß aber möglichst nicht der Beklagte, sondern der Pächter haften soll. Dieses Ergebnis, daß das Urteil offenkundig als „gerecht" ansieht, ist aber nur erreichbar, wenn der Pächter auch praktisch zur Beseitigung in der Lage ist; dies ist der Grund, weshalb das Gericht untersucht, ob der Pächter zur Erfüllung des negatorischen Verlangens fähig wäre. Dieses Verständnis der Entscheidung wird durch den Schluß des Urteils bestätigt, wo Billigkeitsgesichtspunkte ausdrücklich ins Feld geführt werden, ebd. S. 399 2. Absatz. Anders dagegen Picker S. 138, 140 2. Absatz, der meint, die Entscheidung beruhe auf dem Kausalprinzip; Schlütter S. 9 2. Absatz ist der Ansicht, daß die Entscheidung „bemerkenswerte grundsätzliche Ausführungen" zur Aufrechterhaltungstheorie enthalte. Zu diesen Fehleinschätzungen s. unten Β III. Darüber, ob wenigstens das Ergebnis des Urteils akzeptabel ist, herrscht Uneinigkeit: Verneinend Picker S. 137 2. Absatz, 138 2. Absatz, 140 unten, 141 oben; Schlütter S. 60ff.;bejahend Baur § 12 I I I 2 c; Westermann § 36 I I 2; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 31 (mit Kritik an Picker ebd.), 36; wohl auch Fikentscher § 114 I vor 1; Erman-Hefermehl § 1004 Rdn. 14 zu Beginn. 21 Vgl. RGZ 92, 22, 25/26 ( „ . . . kann die Klage nur Erfolg haben, wenn... "); ebenso versteht Baur AcP 160 (1961), 465,474 mit Fn. 37 jedenfalls das an der hier zitierten Stelle
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2. Kap. Störerbestimmung der Motive und Aufrechterhaltungstheorie
Beseitigungsmöglichkeit auf Grund Eigentums am störenden Grundstück ankommt („Verfügungsmacht") 22 oder auf die faktische Möglichkeit, ζ. B. weil der Grundeigentümer mit den Maßnahmen des Beklagten einverstanden ist 2 3 . Daß aber die Frage, ob der Beklagte zur Störungsbeseitigung imstande ist, das letztlich entscheidende Haftungselement ist, wird nicht deutlich und unumwunden ausgedrückt, vielmehr liegt dieser Gedanke den Entscheidungen nur der Sache nach zugrunde; ohne genaue Urteilsinterpretation wird er dadurch verdeckt, daß die Gerichte versuchen, sich durch Verwendung der Aufrechterhaltungsformel und anderer — mehr oder weniger abstrakter — Haftungskriterien (oben 1) den Anschein begrifflich-rechtlicher Argumentation zu geben 24 . Vermutlich wegen dieses mangelnden „Bekenntnisses" zu der eigentlich tragenden Haftungskomponente haben die Urteile keine klaren Voraussetzungen des Kriteriums der Beseitigungsmöglichkeit herausgearbeitet. M i t demselben Faktum ist es wohl ferner zu erklären, daß die dogmatische Bedeutung dieses Erfordernisses im Dunkeln bleibt. Es kann sich um den Gedanken der Unmöglichkeit handeln (§§ 275, 306 BGB), so daß, wenn der Störer zur Beseitigung nicht in der Lage ist, der an sich gegebene Anspruch aus § 1004 ausgeschlossen ist; es kann sich bei der Beseitigungsmöglichkeit aber auch um eine Voraussetzung des negatorischen Anspruchs handeln. Doch liegen derartig präzise Rechtsbewertungen nicht auf der Linie der betreffenden Urteile, ausschlaggebend sind offenkundig rein praktische Gesichtspunkte. vom RG aufgestellte Erfordernis der Abhängigkeit der Störungsfortsetzung vom Willen des Beklagten; gegen diese Interpretation Wetzel S. 121/122, die aber sagt, mit dieser Störerumschreibung solle an die Herrschaft über die Störungsquelle angeknüpft werden, worin jedoch m.E. derselbe Gedanke der Beseitigungsmöglichkeit liegt; Picker S. 40/41 wiederum versteht die „Abhängigkeit" der Beeinträchtigung vom Willen des Störers als ein „Aufrechterhalten" der Störung. — Ferner s. RGZ 103, 174, 176 1. Absatz aE, 2. Absatz, 177 (Frage der Verfügungsmacht des Beklagten); RG JW1929 Nr. 15, S. 744 r. Sp. unten (Abhängigkeit des bestehenden Zustandes vom Willen des Beklagten, Ausführungen zur Verfügungsmacht); daß die Beseitigungsmöglichkeit der Störung in BGHZ 29, 314, 317 2. Absatz tragend ist, ergibt eine genaue Analyse der überaus unklaren Entscheidungsgründe, die die Elemente des Fortbestehen-Lassens oder der Aufrechterhaltung der Beeinträchtigung sowie der Eigentümer Stellung enthalten, außerdem die Feststellung, daß die Rechtsvorgängerin der jetzigen Beklagten wegen fehlenden Eigentums zu einer „Willensbestätigung" nicht mehr in der Lage sei; mit der letzteren Bemerkung kommt es also auf die eigentümliche Voraussetzung des KausalwerdenKönnens an. — Ferner enthalten das Kriterium der Beseitigungsmöglichkeit neben anderen Erfordernissen: RGZ 159, 129, 136 2. Absatz („Herr-Sein" des störenden Autobahnbetriebes); BGHZ 41,393,397-399; s. auch RG JW 1910 Nr. 13, S. 654f.; RGZ 155, 316, 320. 22 So RGZ 103,174,177 letzter Absatz; wohl auch RGZ 159,129,136 2. Absatz („HerrSein" auf Grund Eigentums). 23 So RG JW 1929 Nr. 15, S. 744, 745 l.Sp. oben; BGHZ 41, 393, 396 unter 2. 24 Erkennbar wird das tragende Haftungselement der Beseitigungsmöglichkeit teilweise daran, daß die Urteile neben den variierenden genannten Kriterien das der „Abhängigkeit" der Störung vom Willen des Beklagten aufführen, s. RGZ 92,22,26 oben (dazu auch oben Fn. 21); 103, 174, 176; BGHZ 41, 393, 397; dazu näher unten Fn. 33.
§ 3 Aufrechterhaltungstheorie
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3. Die Konsequenz dieser vorgenannten Ergebnisse ist — und hierin liegt der dritte festhaltenswerte Befund —, daß der Prozeß der Entscheidungsfindung gewissermaßen führerlos abläuft. Die Urteile belegen in eindrucksvoller Weise, in einem vielleicht bei anderen Rechtsproblemen seltenen Maße, daß es der Entscheidung an einem theoretischen Fundament mangelt. Daran ändern auch die neben der Aufrechterhaltungsformel gewöhnlich aufgeführten Kriterien nichts (Schaffen, Vornehmen, Erteilen eines Auftrags etc.), da auch sie nicht oder jedenfalls nicht allein und nicht in entscheidender Weise zu Hilfe genommen werden 25 . Es hat den Anschein, als wenn die Gerichte sich von den den Urteilen vorangestellten komplexen Störergrundsätzen in rechtlich präzisierter Form keine Rechenschaft abgelegt haben. Für diese Vermutung spricht nicht nur die Tatsache, daß diese Grundsätze bei der Subsumtion keine Verwendung finden, sondern auch, daß der Aspekt der Kausalität in abstrakter Form nie benannt wird. In einem System abstrakter Rechtssätze fallt der kasuistische — zudem sprachlich schwerfällige 26 — Charakter der Störerdefinitionen auf. Sie hätten, um brauchbare Obersätze abgeben zu können, auf das in ihnen enthaltene abstrakte Kriterium reduziert werden müssen. Da dieses nicht geschehen ist, haben die Gerichte den genauen Gehalt ihrer Störerbestimmungen entweder nicht beachtet oder ihn von vornherein als untauglich angesehen. Das Konglomerat von Haftungselementen, dessen sich die Urteile dann bei der Lösung (Subsumtion) der Fälle bedienen, ist aber ebensowenig deutlich. Zuzuschreiben ist diese unzulängliche Gesamtlage dem ungeklärten Inhalt der Aufrechterhaltungsformel und den übrigen, damit verbundenen Störerkriterien.
B. Wissenschaft /. In der Wissenschaft sind zwei unterschiedliche Gedankenkomplexe zu verfolgen, die gleichermaßen das Bild der sog. Aufrechterhaltungstheorie prägen: die Interpretation der Aufrechterhaltungsformel durch diejenige Literatur, die sich die Störerdefinition des Aufrechterhaltens zu eigen macht (unten II), und zum zweiten diejenigen Darstellungen im Schrifttum, die die Rolle der Aufrechterhaltungsformel für die actio negatoria in Lehre und Rechtsprechung beschreiben wollen (unten III). II. Angesichts dieser hier aufgedeckten Lage in der Rechtsprechung verwundert es nicht, daß sich über das Verständnis der Aufrechterhaltungsformel in der Literatur lediglich mitteilen läßt, daß es unklar ist, und zwar nicht etwa deshalb, weil verschiedene Deutungen gegeben werden, sondern weil es an Definitionen und interpretierbaren Erläuterungen überhaupt fehlt. Die Situa25
Vgl. die Nachweise oben in Fn. 6-23; zu RG JW 1904 Nr. 11, S. 142, 143 s. oben Fn. 15. 26 Vgl. etwa RGZ 92, 22, 24/25, insbes. S. 25 oben 2. Satz, der vor allem durch den 3. Halbs, („wenn nicht... ") unpräzise gefaßt ist.
2 4 2 .
Kap. Störerbestimmung der Motive und Aufrechterhaltungstheorie
tion präsentiert sich hier ganz ähnlich wie in der Judikatur: Die Aufrechterhaltungsformel wird meist unter Kombination mit verschiedenen anderen Verhaltensweisen des Störers zitiert 27 . Da die Haftung kraft Erteilung eines Auftrages zu einer störenden Handlung 2 8 , kraft der Vornahme der Beeinträchtigung, des Hervorbringens, eigenen Handelns, der Schaffung des störenden Zustandes, kraft unmittelbarer und mittelbarer Zurückführbarkeit auf eine Willensbetätigung und was dergleichen mehr an Tätigkeiten in den Störerumschreibungen enthalten ist 2 9 , nur als Verantwortlichkeit auf Grund der Kausalität begriffen werden kann und da andererseits auch das Aufrechterhalten ein Ursächlichwerden bedeutet 30 , bleibt der Sinn dieser Kasuistik unerfindlich; um so mehr gilt dieses dort, wo nähere Erläuterungen, meist in Form von Beispielen, den Schluß zulassen, die Motivformel werde im Sinne einer Ursächlichkeit interpretiert 31 . Auf Grund dieser abstrusen Situation ist festzustellen, daß die Aufrechterhaltungsformel auch in der Wissenschaft lediglich eine inhaltsleere Wendung darstellt, ein Befund, der hier nur sehr viel deutlicher als im Bereich der Rechtsprechung zutage tritt, weil es im Schrifttum nicht der Überprüfung bedarf, ob die Anwendung der Aufrechterhaltungsformel auf einen konkreten Fall eine bestimmte Deutung ergibt. ULI. Dasjenige Schrifttum, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Bedeutung der Aufrechterhaltungsformel in Rechtsprechung und Wissenschaft zu referieren, liefert ein völlig anderes Bild als das hier ermittelte (oben Α, Β II). Dort wird die Formel als lebendige „Theorie" der actio negatoria hingestellt. Diese sich auf Grund der hier vorgenommenen Analysen als falsch erweisende Einschätzung ist in zweierlei Hinsicht zu korrigieren. Zum einen wird die Aufrechterhaltungstheorie als eine Lehre mit jedenfalls im Kern feststehendem und überall gleich verstandenem Inhalt bewertet 32 . Eine 27
Salinger LZ 1919 Sp. 1154, 1159 2. Absatz; Biermann § 1004 Anm. 2b; StaudingerBerg § 1004 Rdnr. 24; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 52; Palandt-Bassenge § 1004 Anm. 4 vor a; Meisner-Dehner § 38 IV 2. 28
Dazu besonders Crome I I I S. 425 Fn. 19; Berg ebd. Vgl. die in Fn. 27 Genannten. 30 Vgl. oben § 2. 31 Vgl. Biermann, Berg, Bassenge und wohl auch Crome ebd.; ferner Weskott NJW 1953, 1109, 1110, der Aufrechterhaltung mit Nicht-Beseitigen, also Unterlassen wiedergibt. Aus dem oben im Text genannten Grunde auch unklar die Definition bei ErmanHefermehl § 1004 Rdnr. 14, S. 268, wo der Störerbestimmung die Unterscheidung von Handlungs- und Zustandshaftung zugrunde gelegt ist (dazu unten 4. Kap.). Handlungshaftung definiert Hefermehl ebd. als Haftung kraft Tuns und Unterlassens, Zustandshaftung als Haftung kraft Aufrechterhaltens, das wiederum als Halten der Anlage definiert wird (s. auch Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 4, S. 449,450; ähnlich Windscheid-Kipp I § 198, 2 a, S. 1014: Haftung des Anlagenbesitzers; anders Hefermehl ebd. Rdnr. 18. wo Aufrechterhalten als „Willensbetätigung" beschrieben wird). Hier kann Aufrechterhaltung weder Tun noch Unterlassen bedeuten, da diese Verhaltensweisen der Handlungshaftung unterfallen sollen; das Kriterium des Haltens der Anlage aber bleibt offen, so daß die Voraussetzungen des Aufrechterhaltens insgesamt ungeklärt bleiben. 29
§ 3 Aufrechterhaltungstheorie
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solche Theorie gibt es, wie w i r gesehen haben, jedoch nicht. Eine genauere Lektüre w i r d diesen vermittelten Eindruck allerdings alsbald revidieren: Der angeblich bestimmte I n h a l t der Aufrechterhaltungstheorie fallt nicht nur bei den einzelnen A u t o r e n verschieden aus, sondern auch innerhalb der Schilderung eines Verfassers finden sich unterschiedliche u n d einander widersprechende Darstellungen. A n keine Stelle der „Sekundärliteratur" läßt sich ein eindeutiger I n h a l t dieser „ T h e o r i e " feststellen, was angesichts der tatsächlichen Lage (oben, Α , Β I I ) nicht verwunderlich ist. D i e Lehre v o m aufrechterhaltenden W i l l e n w i r d wiedergegeben als Abhängigkeit der Beeinträchtigung v o m W i l l e n des Störers 3 3 ; sie w i r d demnach offenbar als Beseitigungsmöglichkeit verstanden 3 4 . Ferner w i r d sie dargestellt als eine H a f t u n g kraft Unterlassens 3 5 , so daß sie insoweit also i m Sinne eines Ursächlichwerdens interpretiert wird. Sie w i r d aber auch
32
Vgl. die Abhandlungen bei Offtermatt S. 48 3. Absatz iVm S. 54 Fn. 19, auch 60 unten; R. Schmidt S. 6ff.; Picker S. 40ff.; Schlütter S. 2; Olzen S. 23 1. Absatz; Wetzel S. 106; Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 69. 33
Picker S. 40/41; Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 69. Die Wendung von der Abhängigkeit kann auf Planck-Greiff^ § 1004 Anm. 3 zurückgehen, wo es heißt, Störer sei derjenige, durch dessen Willen der das Eigentum beeinträchtigende Zustand bestehe oder von dessen Willen die Beseitigung dieses Zustandes abhänge (zuweilen „Plancksche Formel" genannt; so aber nicht mehr Planck-Brodmann 5 § 1004 Anm. 2d, S. 614); variiert taucht diese Formel auf in RG JW 1927 Nr. 9, S. 45; 1936 Nr. 6, S. 3454 mit Anm. von Lehmann ebd.; bei Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 14, S. 268; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 31 (dort offenbar als Tun oder Unterlassen verstanden); auch bei RGZ 92, 22, 26 oben; 103,174,176; BGHZ 41, 393, 397; zu den letzteren drei Urteilen s. oben A I I 2 mit Fn. 24. 34
Anders Picker S. 41 Fn. 83, der meint, die Formulierung erwecke nur den Anschein, als begründe die Beseitigungsmöglichkeit als solche die Beseitigungspflicht. — Der Aspekt der Beseitigungsmöglichkeit findet sich häufig in einem Konglomerat von Störerkriterien, des öfteren im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltungsformel, s. Weskott NJW 1953, 1109 r.Sp. unter 2; Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 26; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 31, S. 461; Meisner-Hodes § 38 IV 2, S. 766. Unabhängig von der Aufrechterhaltungsformel findet sich der Gedanke in RGZ 47,162,163,164 = RGJW1901 S. 51 r.Sp.; BGHZ 48,98, 107; Goldmann-Lilienthal-Sternberg S. 374 Fn. 15; Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 28; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 32; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 80, 82, auch 72 (anders Rdnr. 55); Jauernig § 1004 Anm. 6b; vielleicht ähnlich MK-Medicus § 1004 Rdnr. 43 (Nachfolge in die „Herrschaft" über die störende Anlage sei entscheidend; anders Rdnr. 34). — Gegen das Kriterium der Beseitigungsmöglichkeit als haftungsbegründendes Element Baur AcP 160 (1961), 465,474 oben; ders. § 12 I I I 2; Pleyer AcP 156 (1957), 291,297 oben; ders. AcP 161 (1962), 500, 515; ders. JZ1961,499/500; Bartsch NJW 1956, 1266,1267 l.Sp. oben; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 38; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 14 aE, 18; Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 85; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 55 (anders Rdnr. 80, 82, 84). 35
Schlütter S. 10, 11, 12 2. Absatz; Olzen S. 25 1. Absatz; Picker S.43 unten, 44 1. Absatz. Ob Picker die Aufrechterhaltungslehre auch als positives Tun auffaßt, ist nicht deutlich; er meint (ebd. S. 43 2. Absatz), nach Ansicht der Vertreter der Aufrechterhaltungstheorie solle diese Theorie „aber auch" diejenigen Fälle erfassen, in denen ein positives Tun nicht vorliege (Hervorhebungen von Verf.); s. auch ebd., wo vom „Verhalten" des Störers die Rede ist.
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2. Kap. Störerbestimmung der Motive und Aufrechterhaltungstheorie
geradezu als Antithese oder Antinomie zur Kausalität hingestellt 36 , nämlich als Haftung auf Grund bloßen Willens 37 . Des weiteren wird sie referiert als Verantwortung infolge „Willensbetätigung" 38 ; dabei bleibt offen, welch rechtliches Kriterium — etwa ein positives Tun — hier haftungsauslösend wirken soll. Darüber hinaus soll sie allgemein als Fall der Zustandshaftung 39 gelten, wobei wiederum das die Verantwortung begründende Kriterium einer solchen Haftung unklar bleibt. Die Aufrechterhaltungstheorie wird außerdem dargestellt als ein mit einer „Beziehung zur störenden Sache" gepaarter Wille 4 0 , als eine „Manifestation" des Willens 41 , oder aber es wird, im Gegenteil, behauptet, eine äußere Manifestierung werden nicht gefordert 42 . — Diese unterschiedlichen Auskünfte über die Aufrechterhaltungstheorie geben nur einen kurzen Überblick über die Vielfalt der Aussagen. Auf die schattierungsreichen und undeutlichen Referierungen im einzelnen einzugehen, würde zu weit führen. Zweitens aber — und dieser Aspekt ist vielleicht gewichtiger — wird ein falsches Bild der Bedeutung der Aufrechterhaltungsformel für Rechtsprechung und Wissenschaft entworfen. Es wird der Eindruck erweckt, als stelle sie ein wichtiges Mittel der Störerbestimmung dar, das insbesondere in der Judikatur schon vielfach hilfreich gewesen sei 43 . Es wird ihr sogar die Aufgabe zugeschrieben, daß sie für spezielle Fallgestaltungen bevorzugt herangezogen werde, weil sie dort zur Störerbestimmung besonders geeignet sei. Es sollen dies die Fälle sein, in denen es um die Haftung des Rechtsvorgängers, des Vermieters (Verpächters) für Störungen seines Vertragspartners gehe, um die Verantwortlichkeit für Beeinträchtigungen durch höhere Gewalt und schließlich um Fälle, in denen eine ursprünglich rechtmäßige Störung rechtswidrig werde 44 . Das hier untersuchte Rechtsprechungs- und Schrifttumsmaterial läßt hingegen nicht erkennen, daß die Aufrechterhaltungsformel der Lösung derartig einheitlich 36
Picker S. 41 letzter Absatz, 42 2. Absatz, 47 1. Absatz aE; dagegen geht von einem „Zusammenhang" aus Olzen S. 24, 4. Absatz aE, 5. Absatz, 25 1., 2. Absatz. 37 Offtermatt S. 48 unten, 55 Fn. 19,60 2. Absatz; Picker S. 41 1. Absatz, 42 2. Absatz; Olzen S. 24/25, auch 28 2. Absatz; Wolf § 3 E IV 3 ee mit Fn. 143; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 43. 38 Picker S. 47 1. Absatz aE (nicht verständlich ist, inwiefern die Antinomie von Kausal- und Aufrechterhaltungstheorie in dem „gemeinsamen Moment" der Willensbetätigung „aufgelöst" sei, wie Picker ebd. meint); Olzen S. 23 1. Absatz; Schlütter S. 12 oben. 39 Wetzel S. 106; Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 69; Olzen S. 24 3., 4. Absatz (teilweise). 40
Picker S.41 1. Absatz. Picker S. 43 2. Absatz; mir nicht verständlich ders. S. 44 1. Absatz: zu Ende gedacht begründe nach der Aufrechterhaltungstheorie das „Nicht-Haftenwollen" die Haftung. 42 Olzen S. 24/25. 43 Wetzel S. 106; Schlütter S. 6 2. Absatz, 6ff.; Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 69. 44 Wetzel, Gursky, ebd.; ähnlich Picker S. 42 oben: die Aufrechterhaltungsformel begründe in allen Fällen die Haftung, in denen das Kausalprinzip versage. 41
§ 3 Aufrechterhaltungstheorie
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kategorisierbarer Fälle dient. Den analysierten Entscheidungen lagen unterschiedliche Fallgestaltungen zugrunde. Dazu gehörten die Fälle der beschriebenen Art nur unter anderem 45 ; aber selbst in diesen Fällen waren die die Entscheidung tragenden Gründe anderer Art. 2. Wie kann ein derart unrichtiges Bild entstehen? In den einzelnen Abhandlungen läßt sich nachweisen, daß seine Wurzeln in einer unzulänglichen Methode liegen. Die Mitteilung über den Inhalt einer bestimmten Lehre setzt zunächst die Untersuchung dieser Lehre voraus. Daran fehlt es. Zum Teil werden einzelne Urteile oder Autoren als exemplarisch hingestellt 46 , obwohl es, wie die hier vorliegenden Untersuchungen ergeben haben, beispielhafte Stellen für ein allgemein vertretenes Verständnis nicht geben kann 4 7 . Der behauptete exemplarische Charakter wird auch nicht belegt. Darüber hinaus wird bei der Befassung mit einzelnen Entscheidungen, soweit sie stattfindet, eine Exegese der Urteilsgründe nicht vorgenommen; man beschränkt sich auf eine Feststellung des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhaltes sowie auf die Konstatierung, daß das Urteil das Zitat der Aufrechterhaltungsformel enthalte 48 . Insgesamt handelt es sich bei den als Wiedergabe der Theorie ausgegebenen Ausführungen um eigene Interpretationen der Aufrechterhaltungsformel der Verfasser. Es wird damit den als Beleg angeführten Urteilen und Autoren eine bestimmte Auffassung „untergeschoben" und so im ganzen eine Theorie erfunden, die es nicht gibt 4 9 . Dieser letztere Tatbestand führt zu einer weiteren Beanstandung der Methodik. In den betreffenden Abhandlungen läßt sich verfolgen, daß zwischen einer eigenen Deutung der Motive selbst, einer bloßen Wiedergabe des zur Aufrechterhaltungsformel vorhandenen Materials in Wissenschaft und Judikatur, einer eigenen Interpretation dieser in Frage kommenden Stellen sowie eigenen kritischen Stellungnahmen nicht unterschieden wird 5 0 . Es versteht sich von selbst, daß ein derartiges Verfahren zu zutreffenden und klaren Ergebnissen nicht führen kann. Auf diese Weise wird ein Bild gezeichnet, das infolge seiner 45 Fälle der Rechtsnachfolge: RGZ 103, 174; BGHZ 29, 314; Fall der späteren Rechtswidrigkeit: RG JW 1929 Nr. 15, S. 444; der höheren Gewalt: BGHZ 19, 126; der Vermietung: RG JW 1904 Nr. 11, S. 142 = GruchBeitr. 48 Nr. 102, S. 949. 46 Etwa Wetzel S. 106 Fn. 2 (Zitierung Baurs „statt aller"); Schlütter S. 2, 6ff.; Picker S. 41 Fn. 85 und 86 (Zitierung von RG JW 1910 Nr. 13, S. 654; RGZ 103,174; dazu oben A I I 1 mit Fn. 6, 12, A I I 2 mit Fn. 15, 16). Fn. 87 (Zitierung von BGH L M § 1004 Nr. 14, wo die Aufrechterhaltungsformel nicht wiedergegeben ist). 47 Vgl. oben Α, Β II. 48 Vgl. z.B. die Verfahrensweise bei Schlütter S. 6ff.; bei Picker S. 41 2. Absatz mit Fn. 85-87. 49 Vgl. nur oben Fn. 33-42. 50 Vgl. die insoweit schwierigen Darstellungen, insbes. bei Picker S.40ff.; Schlütter S. 4ff.; Olzen S. 23 ff.; eigentümlich bei Olzen die Behandlung der Aufrechterhaltungsformel als Rechtssatz S. 23-28 (Beispiel: Interpretation auf Grund systematischer Stellung, ebd. S. 23 f.).
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2. Kap. Störerbestimmung der Motive und Aufrechterhaltungstheorie
Unschärfe hinsichtlich des Inhalts und des Gegenstandes der Darstellung undeutlich bleibt.
§ 4 Zusammenfassung zu §§ 1-3 Damit ergibt sich folgendes Gesamtresümee: Den Motiven sind die Vorstellungen des Gesetzgebers von der Person des negatorischen Gegners ohne größere Deutungsschwierigkeiten zu entnehmen (oben § 2). Die Gesetzesverfasser beschäftigten sich nur mit Beeinträchtigungen durch Anlagen, weil sie diesen Fall als den wichtigsten ansahen. In diesem Zusammenhang ist die Aufrechterhaltungsformel zu sehen. Sie ist danach zu verstehen als ein Tun oder Unterlassen; die Rechtspflicht zum Handeln erlegen die Motive dem an der Anlage dinglich Berechtigten auf (Eigentümer, Besitzer, Inhaber). Dagegen halten die Gesetzesschöpfer es nicht für entscheidend, wer die Anlage errichtet hat. — In diesem einleuchtenden Sinne ist die Aufrechterhaltungsformel in die Interpretation des § 1004 BGB nicht eingegangen (oben § 3). So sehr sie die mit der actio negatoria befaßte Jurisprudenz auch zu beschäftigen scheint, festgestellt werden muß, daß die Aufrechterhaltungsformel in Judikatur und Wissenschaft ohne jede Bedeutung ist. Das vorhandene Material bietet ein nur schwer zu durchdringendes Bild; in beiden Rechtsbereichen stellt die Formel kein auch nur im Kern bestimmbares Konzept der Störerermittlung dar. Demgemäß ist sie weder in der Rechtsprechung Grundlage der Urteilsfindung (oben § 3 A), noch ist sie im Schrifttum ein Instrument der actio negatoria (ebd. Β II). Anders lautende Darstellungen in der Literatur entsprechen nicht der Rechtswirklichkeit; ihnen lassen sich allenfalls eigene Deutungen durch die betreffenden Autoren entnehmen, allerdings fragmentarischer und undurchsichtiger Art (ebd. Β III). Die Ursache dieses Befundes ist methodischer Art. Die Aufrechterhaltungsformel hätte einer Definition bedurft; soweit man sich für ihre Verwendung auf die Motive beruft, hätte der Quellentext selbst herangezogen werden müssen. Zur Ermittlung ihrer Bedeutung in Judikatur und Wissenschaft hätte ihre dortige Verwertung einer objektiven Untersuchung unterzogen werden müssen. Vielleicht hielt man das Erfordernis des Aufrechterhaltens als für zu schlicht, als daß man diese grundlegende Arbeit für nötig befand.
3. Kapitel: Haftung auf Grund Kausalität § 1 Einleitung: Überblick über die gegenwärtige Rechtslage A . Neben der Aufrechterhaltungsformel ist das Literatur u n d Rechtsprechung beherrschende Störerkriterium die K a u s a l i t ä t 1 . I m Unterschied aber zur Haftungskomponente des Aufrechterhaltens ist der Kausalaspekt i n vielen Urteilen der tragende Entscheidungsgesichtspunkt gewesen. W o er isoliert u n d nicht i m Zusammenhang m i t der Aufrechterhaltungsformel auftaucht, verschwindet meist auch die schwerfällige u n d eigentümlich kasuistische F o r m der Störerdefinitionen. Z w a r w i r d die Kausalität zuweilen auch hier durch die Beschreibung konkreter Tätigkeiten z u m Ausdruck gebracht 2 , doch überwiegt
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(Literatur und Judikatur jeweils chronologisch geordnet) Windscheid-Kipp I (1906) §198, S. 1010; Endemann (1905) S. 590/591; Goldmann-Lilienthal-Sternberg (1912) S. 373, 374; R. Schmidt (1924) S. 9ff., 29ff. passim; Cosack-Mitteis I I 1 (1924) S. 218; Heck (1930) §66, 4; Memelsdorff (1931) S. 23-26 oben, insbes. 25 unten; PlanckBrodmann (1933) Anm. 2d, 3 (S. 614; im ganzen unklar, aber Anklänge an Kausalität); Offtermatt (1937) S. 19, 20, 25, 26,49/50, 60,140; Beierstedt JZ 1953, 389, 390 r.Sp. 3. Absatz; Hodes NJW 1954, 1345, 1346 l.Sp.; Staudinger-Berg (1956) § 1004 Rdnr. 24; Wolff-Raiser (1957) § 87 I 3, S. 348; Münzberg (1966) S. 385 2. Absatz, 390 2. Absatz; Westermann (1966) § 36 I I 1, teilweise auch § 36 I I 2; Lutter/Overath JZ 1968, 345 r.Sp. (unter II, im Grundsatz); Baur AcP 160 (1961), 465, 472 1., 2. Absatz, 486 1. Absatz (im Grundsatz); Soergel-Mühl (1978) § 1004 Rdnr. 25, offenbar auch Rdnr. 31, ferner Rdnr. 32 S. 463 oben, 34, 35; Wolf (1979) § 3 E V a 3aa („Begründungszusammenhang"), ebd. 3ee, ebd.3ff.; RGRK-Pikart (1979) §1004 Rdnr. 52 aE, 58, 59, 60 aE, 69, 72 (einschränkend durch Willenskriterium, dazu unten § 2 C III), 81, 85; Erman-Hefermehl (1981) § 1004 Rdnr. 14 (im Grundsatz), 15 zu Beginn, 18 (Naturereignisse); Fikentscher (1984) § 114 I vor 1; Baur (1985) § 12 I I I 1 (Handlungshaftung); MK-Medicus (1986) § 1004 Rdnr. 33, 36 mit Einschränkung bejahend trotz vorsichtiger Kritik ebd. Rdnr. 11. RGZ 2,213,215 (1880, preuß. ALR); 12,173,174 (1884, gemeines Recht); RG JW 1904 Nr. 11, S. 142,143 1. Sp. = GruchBeitr. 48 Nr. 102, S. 949 (1904; dazu oben 2. Kap. § 3 Β I Fn. 1); RG WarnR 1909 Nr. 143, S. 133,134 (1908); 1909 Nr. 455, S. 435,436 (1909); 1911 Nr. 331, S. 371, 372 = GruchBeitr. 55 Nr. 84, S. 1007, 1009 (1911); 1917 Nr. 245, S. 387, 388 (1917); O L G Dresden JW 1921 Nr. 8, S. 252 (1920); RGZ 97,25,26 (1919); 127,29,34 1. Absatz (1929); 134,231,234(1931); 149,205,210(1935); 155,154,157(1937); 156,187, 190 (1937); 162, 349, 358 (1940); BGH L M § 1004 Nr. 14 (1954); BGHZ 40, 18, 21, 22 (1963); 41,393,395 unten, 397,398 (1964); 49,340,347 (1967); 59,378,380 (1972); 69,118, 122,123 (1977); im Grundsatz sich für das Kausalitätsprinzip aussprechend, aber wegen des Aufrechterhaltungselements unklare Entscheidungen: RGZ 92, 22, 24, 25 (1918); 97, 290,293 (1919); 155,316,319 unten (1937); 159,129,135/136 (1939); BGHZ 59, 378, 380 1. Absatz (1972). 2
Vgl. ζ. B. Vornahme der beeinträchtigenden Handlung: Goldmann-Lilienthal-Sternberg S. 373, 374; Memelsdorff S. 25 unten; Wolff-Raiser § 871 3, S. 348; RG WarnR 1909
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3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
die Verwendung abstrakter Bezeichnungen3. Die insoweit gewonnene Klarheit erlaubt es in den meisten Fällen, die Subsumtion der jeweiligen Urteile durch Vergleich von Haftungsvoraussetzung und Entscheidung des konkreten Falles gedanklich nachzuvollziehen.—Aber nicht nur in der Begründung sind viele auf die Kausalität gestützte Urteile befriedigend, sondern auch im Ergebnis, denn es leuchtet ein, daß der Beklagte an seinem die Störungen hervorrufenden Tun festgehalten wird und daß er für die Beseitigung oder Verhinderung dieser Störungen Sorge zu tragen hat. Einige wenige aus der Judikatur herausgegriffene Fälle mögen das Gesagte kurz belegen. Beispielhaft für die Rolle der Kauslität ist etwa der folgende vom RG im Jahre 1908 entschiedene Fall 4 : Der Käger hatte in Ausübung einer Fischereigerechtigkeit in einem Gewässer Fischwehre aufgestellt, durch die der Beklagte Transportkähne auf Grund eines Schleppvertrages mit dem Führer der Kähne hindurchziehen ließ. Der Kläger klagte wegen Beeinträchtigung seiner Fischereigerechtigkeit 5, weil seine Fischwehre beim Hindurchschleppen der Kähne beschädigt wurden. — Das RG hielt, anders als die Vorinstanz 6 , den Beklagten für negatorisch verantwortlich, weil er auf Grund des Vertrages mit dem Führer der Schleppzüge für die Störungen kausal geworden war. Das RG bringt diesen Gedanken nicht unumwunden, aber deutlich zum Ausdruck. Es sagt 7 , Störer sei nicht nur, wie das Berufungsgericht annahm, derjenige, der eine beeinträchtigende Handlung vorgenommen oder einen Auftrag zu der Handlung erteilt habe, sondern auch derjenige, durch dessen maßgebenden Willen ein Zustandsverhältnis bestehe, das ohne oder mit seiner Mitwirkung eine Beeinträchtigung zur Folge habe. Denn bestehe eine solche zur Beeinträchtigung führende Sachlage, so werde durch denjenigen, der sie herbeigeführt habe, die Störung bewirkt. Der Beklagte habe es im vorliegenden Fall durch den Schleppvertrag mit dem Kahnführer veranlaßt, daß die Transportkähne forgesetzt zwischen den Fischwehren hindurchgeschleppt worden seien. Kernsatz dieser Ausführungen des RG ist die Feststellung, daß der Beklagte das Hindurchschleppen der Kähne durch den Schleppvertrag veranlaßt habe. Nr. 143, S. 133, 134; 1911 Nr. 331, S. 371; Schaffung der Beeinträchtigung: RG WarnR 1911 ebd.; RGZ 159, 129, 136; Veranlassung der Störung: Münzberg S. 390 2. Absatz; Hodes NJW 1954, 1345, 1346 l.Sp. oben; Wolff-Raiser ebd.; RG WarnR 1909 Nr. 143, S. 133, 134; RGZ 97, 25, 26; BGHZ 59, 378, 380. 3 Vgl. z.B. Endemann S. 590/591; R. Schmidt S. 29 unten, 31, 32 passim; Offtermatt S. 19, 20, 25,49, 50, 60,140; Baur AcP 160 (1961), 465, 472 1., 2. Absatz, 486 1. Absatz; Westermann §36 I I I ; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 14; RGJW1904Nr. 11, S. 142,143 1. Sp. = GruchBeitr. 48 Nr. 102, S. 949; WarnR 1917 Nr. 245, S. 387; OLG Dresden JW 1921 Nr. 8, S. 252; RGZ 149,205,210; 155,154,157; 156,187,190; BGHZ 49,340,347; 59, 378, 380; 69, 118, 122. 4 5 6 7
RG WarnR 1909 Nr. 143, S. 133. Insoweit gestützt auf Art. 69 EGBGB iVm I 9 § 170,1 15 § 3 preuß. ALR. Ebd. S. 134 2. Absatz. Ebd. 3. Absatz.
§ 1 Überblick über die Rechtslage
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Damit hält das RG, im Gegensatz zur Vorinstanz, jedes Ursächlichwerden für ausreichend, was nicht nur — dogmatisch betrachtet — vom Standpunkt des Kausalitätsgedankens her konsequent ist, sondern im vorliegenden Fall auch zu einer billigenswerten Entscheidung führt. Ein anderes Beispiel für die Anwendung des Kausalprinzips bietet ein Urteil des OLG Dresden aus dem Jahre 19208. Die Eigentümer eines Grundstücks hatten gegen die Inhaberin eines Bergwerks Klage erhoben, weil der beim Bergwerksbetrieb entstehende und zu einer Halde aufgeschüttete Abraum auf ihr Grundstück hinübergerutscht war. Zu einer Ausbreitung der Haldenmassen war es dadurch gekommen, daß das Gewicht der aufgeschichteten Erdmassen die tieferliegenden Schichten auseinandergedrückt hatte 9 . Mitursächlich waren also naturgesetzliche Vorgänge. Das O L G hielt die Bergwerksinhaberin für den Störer, weil die Verschüttung des klägerischen Grundstücks in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Handlung der Beklagten, der Errichtung der Halde, stand 10 . — Ebenfalls um Beeinträchtigung durch Halden ging es im Jahre 1929 wiederum vor dem R G 1 1 . Die aus Abraum und Fabrikrückständen bestehenden Halden der Beklagten gerieten immer wieder in Brand. Das Feuer griff auf die Bahndämme und sonstigen Bahnanlagen der Klägerin über 12 . Es war nicht geklärt, ob die Beklagte glühende Massen in die Halden entladen hatte; sicher aber war, daß die Halden sich von selbst entzündeten 13 . Das RG hielt es für die Verantwortlichkeit der Beklagten für ausreichend, daß die Brände auf die Lagerung der Stoffe „in irgendeiner Weise" zurückzuführen waren. Die schädlichen Einwirkungen bräuchten ihre Entstehung nicht unmittelbar menschlicher Tätigkeit verdanken, sie könnten ihre Grundlage auch in Naturereignissen haben. Es genüge, wenn nur die Tätigkeit des Störers einen Zustand geschaffen habe, der, wenn auch nur mitwirkend, das die Einwirkung verursachende Wirken der Naturkräfte ermöglicht habe 14 . — In diesen beiden Urteilen wird, ebenso wie im anfangs geschilderten Schleppzugfall, die Kausalität im Sinne einer condicio sine qua non für haftungsbegründend gehalten, was auch hier rechtlich-theoretisch wie im praktischen Ergebnis überzeugt. Schließlich mag noch ein Urteil des RG aus dem Jahre 194015 eine Anschauung vom Anwendungsbereich der Kausalität im Rahmen der actio negatoria geben. Das Gericht entschied über die Unterlassungsklage eines Grundstückseigentümers wegen Lärm, Erschütterungen, Staub und Dämpfen, 8
O L G Dresden JW 1921 Nr. 8, S. 252 mit zust. Anm. v. Silberschmidt ebd. S. 252/253. Vgl. ebd. S. 253 1. Absatz. 10 Ebd. 11 RGZ 127, 29. 12 Vgl. ebd. S. 29, 30. 13 Vgl. ebd. S. 30, 34 1. Absatz. 14 Vgl. ebd. S. 34 1. Absatz. 15 RGZ 162, 349.
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3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
die von einem unterhalb seines Grundstücks gelegenen Steinbruch ausgingen. Die Zweitbeklagte war Eigentümerin des Bruches, außerdem führte sie den Betrieb 16 ; die Erstbeklagte stellte die zur Ausbeutung des Steinbruches nötigen Werkzeuge, Maschinen und Arbeiter und ließ die zu sprengenden Steine durch ihren Werkmeister aussuchen17. Beide Beklagte waren nach Ansicht des RG Störer. Es heißt in den Urteilsgründen 18 , daß ein Unterlassungsanspruch sich nicht nur gegen die Zweitbeklagte richten könne, die als Eigentümerin des Steinbruchs den Betrieb führe, sondern auch gegen die Erstbeklagte. Indem diese die zur Ausbeutung des Bruches nötigen Werkzeuge, Maschinen und Bedienungsmannschaften gestellt habe und sodann die zu sprengenden Steine durch ihren Werkmeister haben auswählen lassen, wirke sie bestimmend an der Durchführung des Betriebes mit. — Die Störereigenschaft der beiden Beklagten wird mit ihren für die Beeinträchtigungen kausalen Handlungen nicht ausdrücklich begründet. Daß die Zweitbeklagte Störer sei, sieht das RG offenbar als selbstverständlich an, denn es begründet deren Haftung kurz mit der Betriebsführung. Auch die Verantwortlichkeit der Erstbeklagten, für die das RG darlegt, durch welche Maßnahmen sie die Führung des Steinbruches mitbestimmte, betrachtet das RG offenbar als unproblematisch. Führung und Mitbestimmung des Betriebes sind, jurisitisch ausgedrückt, die für die Störungen kausalen Handlungen. Das Urteil kann nur dahin verstanden werden, daß es die Kausalität für das entscheidende Störerkriterium hielt; vermutlich war dem Gericht die Maßgeblichkeit des Kausalaspektes so selbstverständlich, daß es auf dessen ausdrückliche Benennung verzichtete. B. M i t den vorstehenden Feststellungen ist allerdings nicht gesagt, daß die Kausalität — jedenfalls so, wie sie gegenwärtig gehandhabt wird — in allen Fällen ein Hilfsmittel darstellt, das geeignet ist, die Störerfrage zufriedenstellend zu lösen. Schon bei der Durchsicht der zur Aufrechterhaltungsformel vorhandenen Judikatur zeigte sich, daß die neben dieser Formel aufgeführten Kausalkriterien ebensowenig wie die Aufrechterhaltungsformel oder zumindest nicht ausschließlich verwendet wurden 19 . Zudem existieren besondere Fallbereiche, in denen die Ursächlichkeit allgemein als ein untaugliches Mittel der Störerbestimmung angesehen wird. Die übliche Sichtweise der Problematik dieser Fälle kann hier nur skizziert werden 20 . Bekannt für das angebliche Versagen der Kausalität sind die Fälle der Rechtsnachfolge. Stammt die die Beeinträchtigung hervorrufende Ursache vom Rechtsvorgänger des Grundstücks, so müßte dieser an sich infolge seines Ursächlichwerdens haften; da er jedoch nicht mehr Eigentümer des Grundstücks ist, kann er dem negatorischen Verlangen nicht nachkommen. 16 17 18 19 20
Vgl. ebd. S. 350 1. Absatz aE, 358 3. Absatz. Vgl. ebd. S. 353 2. Absatz, 358 3. Absatz. Ebd. S. 358 3. Absatz. Oben 2. Kap. § 3 A. Näher unten 7. Kap.
§ 1 Überblick über die Rechtslage
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Umgekehrt wäre der Rechtsnachfolger dazu in der Lage, er hingegen hat die Störung nicht verursacht. Ein Beispiel für diesen Sachverhalt bietet der bekannte, dem RG vorgelegene Fall 2 1 , in dem ein Nießbrauch dadurch beeinträchtigt wurde, daß das mit diesem Recht belastete Grundstück infolge der Anlegung von Lehm- und Tongruben auf dem Nachbargebiet absackte; den Beklagten gehörte das Nachbargrundstück jedoch nicht mehr. — Ferner wird bei Störungen, die Mieter oder Pächter hervorrufen, die Verantwortlichkeit des Vermieters oder Verpächters zumindest als problematisch angesehen; da er aber den Vertrag geschlossen hat, müßte er unter dem Kausalitätsaspekt haften. — Ob eine Verantwortung für Störungen durch höhere Gewalt besteht, wird nicht einheitlich beurteilt. Soweit man sie befürwortet, kann sie bei reinem Naturwirken jedenfalls nicht auf die Kausalität gestützt werden. Hält man — umgekehrt — eine negatorische Verantwortung nicht für gerecht, so führt die Kausalität zu einem unerwünschten Ergebnis, wenn ein mitursächliches Verhalten zugrunde liegt; so müßte infolge der Kaulität haften, wer das Gebäude, das unter Wettereinwirkungen Störungen hervorruft, errichtet hat. Auf Grund dieser hier umrissenen Situation weichen Rechtsprechung und Literatur vom Kausalitätsgrundsatz bei Bedarf ab, ohne daß für die problematischen Fälle ein eigenständiges Haftungskonzept bereitstünde. Dieser theoretisch wie praktisch unbefriedigenden Lage haben Pleyer und Kübler in den sechziger Jahren durch ihre sog. Eigentumstheorie abzuhelfen versucht, die die negatorische Haftung an das Eigentum knüpft und die ergänzend neben die Kausaltheorie treten soll 2 2 . Seit etwa einem Jahrzehnt nun sieht sich die negatorische Kausalhaftung insgesamt vereinzelt Kritik ausgesetzt. Zwar hatte sich schon 1963 Stoll gegen die „kausale Handlungslehre" und das „Kausalitätsdogma" ausgesprochen und gemeint, der eigentliche Bereich der actio negatoria sei der der Zustandshaftung 2 3 . Doch erst seit der Arbeit Pickers aus dem Jahre 1972, die sich generell gegen die Kausalität ausspricht 24 und die ein neues Haftungskonzept entwirft 2 5 , treten Stimmen hervor, die im Anschluß an Picker gegen die Kausalität den Einwand erheben, sie führe zur „Deliktsähnlichkeit" des § 1004 26 . M i t dieser Kritik wird sich die vorliegende Arbeit an anderer Stelle auseinandersetzen 27.
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RGZ 103, 174; dazu schon oben 2. Kap. § 3 A Fn. 1, 3f., 6f. u.a.
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Dazu unten 7. Kap. § 3 Β II, § 4 C III. Stoll AcP 162 (1963), 203, 223, 224. 24 Picker insbes. S. 22ff., 24, 27 2. Absatz, 30f.,34 passim. 25 Dazu unten 6. Kap. 26 Picker S. 30f.; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 11, 12-14; Staudinger-Gursky §1004 Rdnr. 71; in dieser Richtung wohl auch Hohloch S. 159; gegen Kausalität ferner Pinger S. 191, 192; Heinze S. 65ff.; Olzen S. 18 1. Absatz (nur teilweise). 27 Unten 13. Kap. § 3 Β IV, § 5; 14. Kap. § 3 C, § 5. 23
3 Herrmann
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3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
C. Ist die Kausalität auch ein verbreitetes Störerkriterium und hat es den Gerichten auch oft zur Seite gestanden, so wäre jedoch ferner die Vorstellung falsch, daß sie im Bereiche der actio negatoria ein durchgebildetes Haftungssystem darstellte, vergleichbar der Kausaldoktrin im Deliktsrecht. Das Instrument der Kausalität, zuweilen etwas anspruchsvoll als „Kausallehre" oder „Kausaltheorie" bezeichnet28, erschöpft sich in der Rechtsprechung in der Anwendung des Kausalitätskriteriums in einzelnen Fällen, in der Literatur darin, daß die Kausalität als der maßgebende Gesichtspunkt der Störerbestimmung hingestellt wird. Nähere Auseinandersetzungen mit den im Schadensersatzrecht entwickelten Kausaltheorien zur Haftungsbegrenzung — Äquivalenzoder Adäquanztheorie —, deren Heranziehung bei einer Kausalhaftung an sich naheliegt, existieren nicht; dagegen taucht das hier schon bekannte Willenselement häufig als Attribut des Kausalerfordernisses auf (Willensbetätigung, Zurückführbarkeit auf den Willen) 2 9 . Begründungen für die generelle Geltung des Kausalprinzips sind selten. Ungewißheit herrscht über die Bedeutung des kausalen Unterlassens für § 1004 BGB. Während im Delikts- und Vertragsrecht unter dem Zurechnungsaspekt der Kausalität ohne weiteres beide Verhaltensweisen, ein Tun und Unterlassen, verstanden werden, gilt dies für die actio negatoria nicht. Gewöhnlich ist mit einer negatorischen Haftung auf Grund Kausalwerdens Ursächlichkeit durch ein positives Tun gemeint, nicht durch ein Unterlassen 30 . Zwar wird eine negatorische Unterlassungshaftung teilweise für möglich gehalten, doch wird dieser Fall nur erwähnt und nicht näher ausgeführt. Vor allem ist die hier notwendige Rechtspflicht zum Handeln ungeklärt. Diese hier skizzierte Lage zur Kausalhaftung bedarf einer Einschränkung. Die Arbeit Rudolf Schmidts aus dem Jahre 1924 entwickelt als einzige eine umfassende Kausallehre. Sie wird auch heute noch als der Niederschlag des Kausalgedankens im Bereiche der actio negatoria schlechthin angeführt 31 . Doch ist die Abhandlung in mehrfacher Hinsicht unergiebig. Sie weist einen ausgesprochen kasuistischen Zug auf, der es allzu oft erschwert, den essentiellen und abstrakten Gehalt der Aussagen Schmidts zu erkennen; Schmidt wählt als Ausgangspunkt Fälle, anhand derer er seine Gedanken entwickelt. Die Abhand28
Vgl. Picker S. 25 ff. Oben 2. Kap. § 3 Α, Β II; ferner werden als nähere Erläuterung der Art der Kausalität des öfteren Fragen der Unmittelbarkeit oder Mittelbarkeit des kausalen Tuns aufgeworfen, s. Westermann § 36 I I 1; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 15 zu Beginn; RGZ 134,231, 234; 149, 205, 210; 156, 187, 190; 159, 129, 136; BGHZ 14, 163, 174 (Constanze-Urteil; a.qu.n.); 49, 340, 347; auch Baur AcP 160 (1961), 465, 472 2. Absatz mit Fn. 26; ferner Endemann S. 590/591; Goldmann-Lilienthal-Sternberg S. 374 Fn. 15; Kübler AcP 159 (1960), 236,277 (unter 1); BGHZ 17,266,291,292 (a.qu.n.); 19,126,129,130; OGHZ 2, 170, 172; L G Hagen NJW 1953, 266, 267. Damit ist die Reihe der Kausalfaktoren zwischen der Erstursache und dem Erfolg (Störung) angesprochen, ohne daß die Begriffe aber genauer definiert werden. 29
30 31
Vgl. die Nachw. oben Fn. 1. Vgl. etwa Picker S. 27 f.
§ 1 Überblick über die Rechtslage
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lung arbeitet mit Behauptungen und Fallösungen, die als richtig hinzunehmen sind. Das Gesamtkonzept überzeugt weder theoretisch noch praktisch. Die Arbeit leidet an ihrer Einseitigkeit, denn im Vordergrund steht als Anknüpfungspunkt der Haftung ein Handeln. Fragen der Unterlassungshaftung werden nur am Rande behandelt 32 . Daß damit aber ein unzulängliches Konzept geschaffen ist, beweist, um ein Beispiel herauszugreifen, der von Schmidt behandelte Fall, in dem jemand eine das Nachbargrundstück störende Grundstücksvertiefung geschaffen hat und sodann das Grundstück veräußert. Nach Schmidt richtet sich die actio negatoria gegen den Veräußerer auf Grund seines kausalen Tuns. Der daher von Schmidt angenommene Anspruch gegen den Erwerber, die zur Beseitigung der Störungsursache nötigen Maßnahmen des Veräußerers auf seinem Grundstück zu dulden 33 , ist ein Behelf, der sich nicht rechtfertigen läßt. — M i t diesen kritischen Bemerkungen können die Probleme, die die Arbeit Schmidts aufwirft, nur angedeutet werden. Das eben genannte Beispiel ist ein Beleg dafür, wie die Konsequenz, mit der Schmidt seine Idee durchführen will, zu Entstellungen führen kann. D. An Untersuchungen über die Rolle der Kausalität für § 1004 BGB in Literatur und Rechtsprechung fehlt es bisher 34 . Unbekannt ist, welche Bedeutung der negatorischen Haftung kraft Unterlassens zukommt 3 5 . Das Material zu diesen Fragen ist verstreut. Es ist im folgenden zusammengetragen, um einen Überblick darüber zu erhalten, inwieweit Ansätze für ein theoretisch-dogmatisches Fundament der Kausalhaftung vorhanden sind. Erst auf dieser Grundlage läßt sich beurteilen, was das Kausalprinzip bisher für die actio negatoria geleistet hat und ob die heute zunehmende Kritik daran (oben B) berechtigt ist. — Soweit Äußerungen zu dogmatischen Fragen vorliegen, beziehen sie sich — wie erwähnt — in der Regel auf die Kausalität durch positives Tun; dies gilt für Feststellungen zur Art des Kausalzusammenhangs und zum Störerwillen 36 . Dagegen umfassen Erörterungen zu den Gründen der Geltung des Kausalprinzips teilweise auch eine Unterlassungshaftung. Diesem Befund hat die Darstellung thematisch zu folgen (unten §§ 2 und 4). Für die Unterlassungshaftung speziell bedarf es der Klärung der Frage, worin für § 1004 die Rechtspflicht zum Tun gesehen wird (unten § 3). Nicht aufgenommen wird die Beurteilung der oben (B) erwähnten besonderen Sachverhaltsgestaltungen;
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Vgl. Schmidt S. 23f., 26/27, 34ff., 37; s. noch unten § 3 Fn. 4. Schmidt S. 16 2. Absatz. 34 Die Darstellung bei Picker S. 25 ff. ist nur globaler Art, vor allem enthält sie kritische Stellungnahmen. 35 Nur globale Darstellungen bei Picker S. 26/27; Wetzel S. 107 2. Absatz; Kübler AcP 159 (1960), 236, 277 unten. 36 Hinsichtlich des Unterlassens macht zum Störerwillen nur Memelsdorff S. 24 ff. Ausführungen, dazu unten § 3 A Fn. 3. 33
3*
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3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
bei ihnen spielt der Aspekt der Kausalität zwar eine Rolle, doch enthalten diese Fälle insgesamt eine eigene Problematik, die gesonderter Behandlung bedarf 37 .
§ 2 Kausalität auf Grund positiven Tuns A. Einleitung Der vorliegende Paragraph untersucht Äußerungen zur Art des Kausalzusammenhangs zwischen ursächlicher Handlung und Beeinträchtigung im Sinne der Äquivalenz- und Adäquanztheorie (unten B). Ferner wird dem immer wiederkehrenden Thema des Störerwillens, der das Kausalkriterium begleitet, nachgegangen (unten C). B. Äquivalente und adäquate Kausalität Wenn, wie nach dem Kausalprinzip angenommen wird, Störer sein soll, wer die Beeinträchtigung verursacht, ist nach der im naturwissenschaftlichen Sinne verstandenen sog. äquivalenten Kausalität derjenige Störer, dessen Handlung nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß die Beeinträchtigung entfiele (condicio sine qua non) 1 . Dieser prinzipielle, nirgendwo ausdrücklich angesprochene Ausgangspunkt wird jedoch des öfteren eingeschränkt. Die Verursachung wird dann dahin erläutert, daß es sich um eine adäquate Kausalität handeln müsse2. Die Bedeutung dieses aus dem Schadensersatzrecht geläufigen Zurechnungsaspektes wird für die actio negatoria jedoch nicht näher dargelegt. Die Verantwortung nach dem Maßstab der Adäquanz hat sich im Schadensersatzrecht bekanntlich als notwendig erwiesen, weil die Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne dort teilweise zu einer zu weitgehenden Haftung führt 3 . Übertragen auf die actio negatoria bedeutet adäquate Kausalität nach der gängigen negativen Formulierung, daß der Störer nur für solche Beeinträchtigungen aufzukommen hat, deren Eintritt im Augenblick des Handelns nach der Lebenserfahrung als nicht völlig unwahrscheinlich und ungewöhnlich erscheint; 37
Unten 7. Kap. Zur Äquivalenztheorie etwa Larenz I § 27 l i l a ; Einzelheiten noch unten 12. Kap. § 6 C V 5c cc aaa. 2 R. Schmidt S. 29 unten, 31 mit Fn. 1, 33 oben, 37; Offtermatt S. 50 oben; Ballerstedt JZ 1953, 389, 390 r.Sp. unten; Pleyer JZ 1961,499, 500 r.Sp.; ders. AcP 161 (1962), 500, 501 unten, 502 unten (offenbar im Grundsatz für Adäquanz); Münzberg S. 384 Fn. 785; Lutter/Overath JZ 1968, 345, 346 l.Sp.; 347 l.Sp., 348 r.Sp. oben, 349 l.Sp. unten, 352 r.Sp.; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 58, 60 aE; BGHZ 42, 118, 122, 124, 127 (Urheberrechtsverletzung, a.qu.n.); 49, 340, 347; 59, 378, 380; 69, 118, 122; Bartsch NJW 1956, 1266, 1267 (zu Fällen von Störungen durch höhere Gewalt); ablehnend in Fällen von Störungen durch Trümmergrundstücke Weskott NJW 1953, 1109 l.Sp. unten; in Fällen von Störungen durch wartende Fahrgäste an einer Haltestelle Pleyer JZ 1961, 499, 500. 3 Einzelheiten unten 13. Kap. § 3 Β IV 2c; 14. Kap. § 3 C I I 3. 1
§ 2 Kausalität auf Grund positiven Tuns
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nach der auch üblichen positiven Formulierung bedeutet sie, daß dem Betreffenden eine Beeinträchtigung nur dann zuzurechnen ist, wenn seine Handlung im allgemeinen und nicht nur unter ganz besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung der Beeinträchtigung geeignet war 4 . — Auseinandersetzungen mit der Frage der Angemessenheit der Haftung des Störers und mit der Frage, ob es einer Eingrenzung der Haftung auf Grund der condicio sine qua non überhaupt bedarf, finden sich für die actio negatoria nirgends 5; in der Feststellung der Notwendigkeit der Adäquanz erschöpfen sich die Überlegungen zur Art des Kausalzusammenhangs. C. Die Bedeutung des Störerwillens /. Schon im Verlaufe der bisherigen Untersuchungen erwies sich das Willenselement als ein in Schrifttum und Judikatur gleichermaßen konstantes Thema 6 . Wie ein roter Faden durchzieht es die Störerdefinitionen, indem es mit unterschiedlichen Störertätigkeiten kombiniert wird. Für die Aufrechterhaltungsformel der Motive, in die der Gesetzgeber selbst das Willenselement aufgenommen hat, zeigte es sich ohne besondere juristische Bedeutung7. Es bleibt zu ermitteln, was es mit der Willenskomponente auf sich hat, wenn sie, wie allgemein üblich, mit den Erfordernissen kausalen Handlens verbunden wird. Der Störerwille beschäftigt die Literatur bis heute 8 , ohne daß die grundsätzliche Frage nach seiner Funktion gestellt wird; aus diesem Grunde konnte es bisher nicht gelingen, hierüber Aufschluß zu erlangen. II. 1. An den Stellen, an denen die Kausalität als maßgebendes Störerkriterium zum Ausdruck gebracht und die Notwendigkeit eines Störerwillens betont wird, lauten die Definitionen folgendermaßen: Gegner des Abwehranspruches sei nur der, auf dessen Willen die Beeinträchtigung des fremden Eigentums zurückzuführen sei; zwischen seiner Willensbetätigung und der Beeinträchtigung müsse ein ursächlicher Zusammenhang bestehen9. Oder: Störer sei, wessen 4
Vgl. etwa Larenz oben Fn. 1; Einzelheiten noch unten 12. Kap. § 6 C V 5c cc bbb (2). Vgl. dazu die eigene Untersuchung (oben Fn. 3). Verwandt dem Gedanken der Adäquanz ist die vom RG in älteren Urteilen teilweise gestellte Frage nach der Vorhersehbarkeit der Beeinträchtigung, deren Notwendigkeit uneinheitlich beurteilt wurde, s. RGZ 12, 173, 174 (Urt. v. 1884, zum gemeinen Recht; störende Bienen); RG WarnR 1909 Nr. 143, S. 133, 134 (dazu oben § 1 A); GruchBeitr. 54 Nr. 9, S. 156, 158 (Haldenabsturz); RGZ 149, 205, 212 (Aussichtstempelfall). 6 Zum Schrifttum oben 2. Kap. § 3 Β II; zur Judikatur ebd. A, insbes. RGZ 92,22,25; 155, 316, 319 unten; 159, 129, 135/136; BGHZ 19, 126, 129/130; ferner BGHZ 49, 340, 348. 7 Oben 2. Kap. § 2. 8 Vgl. Picker S. 40 ff., insbes. S. 44 2. Absatz ff.; Schlütter S. 11 unten, 12 oben, 13 1. Absatz. 9 RGZ 149, 205, 210 (Aussichtstempelfall). 5
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3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
Wille für die Beeinträchtigung in adäquater Weise kausal sei 10 ; Anspruchsgegner sei derjenige, der die Beeinträchtigung willentlich veranlasse 11; der beeinträchtigende Zustand müsse auf einer Willensentscheidung beruhen 12 . — Diese Formulierungen erinnern an die Aufrechterhaltungsformel; statt des Aufrechterhaltens erscheint hier das Erfordernis der Kausalität. Wie dort soll der äußeren Formulierung nach teilweise der bloße Wille für die Beeinträchtigung ursächlich werden, doch kann auch hier nur gemeint sein, daß ein kausales Handeln vorliegen müsse, da es sich von selbst versteht, daß der reine Wille eine Störung nicht bewirken kann 1 3 . Ferner können diese Störerumschreibungen nicht anders begriffen werden, als daß der geforderte Wille auf das Handeln, nicht etwa, daß er auf die Beeinträchtigung ausgerichtet sein müsse 14 . Denn das letztere Verständnis liefe darauf hinaus, daß Vorsatz verlangt würde (Wissen und Wollen des Erfolges) 15 , eine Voraussetzung, die nicht zur actio negatoria gehört. Im Begriff der „Willensbetätigung" 16 wird zudem deutlich, daß Objekt des Willens die Handlung selbst zu sein habe. Die Formulierungen besagen demnach nicht mehr, als daß eine vom Willen getragene Handlung vorliegen müsse. Da von einer Handlung im Rechtssinne ohnehin nur gesprochen werden kann, wenn sie vom Willen beherrscht oder beherrschbar ist 1 7 , entspricht das genannte Erfordernis lediglich allgemeinen Grundsätzen 18 . 2. Über bloße Undeutlichkeiten hinaus hat die übliche Betonung des Störerwillens aber auch schon zu Mißverständnissen und Fehldeutungen geführt. So wird angenommen, daß ein ursächlicher Beitrag zur Schaffung der Störungsquelle, etwa einer Anlage, allein nicht zur Haftung führe. Eine 10 11 12 13 14
Beierstedt JZ 1953, 389, 390 r.Sp. 3. Absatz. Wolff-Raiser § 87 I 3, S. 348. Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 25. Vgl. Fn. 7.
So auch Pleyer AcP 156 (1957), 291, 293 Fn. 7. Vgl. zu den Vorsatzelementen etwa Larenz I § 20 II. 16 Verwendet von Picker S. 47 1. Absatz; Schlütter S. 12 oben; Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 24; Palandt-Bassenge § 1004 Anm. 4 vor a; RGZ 92, 22, 25; 97, 25, 26; BGHZ 28, 110,111; 29, 314, 317 2. Absatz; Baur AcP 160 (1961), 465,472 2. Absatz aE zweifelt, ob eine „saubere Abgrenzung" zwischen Handlung und Willensbetätigung möglich sei; Baur geht also offenbar von der Verschiedenheit beider Begriffe aus. 17 Vgl. etwa Larenz I I § 71 Ia. 18 Vgl. schon oben 2. Kap. § 2 zur Aufrechterhaltungsformel. Demgegenüber erwecken manche Urteile, in denen es um Störungen durch Naturwirken geht, den Anschein, als sei der Wille an sich — allein oder neben der Kausalität — tragendes Haftungskriterium, s. RGZ 149,205,209,212 2. Absatz, 213, auch 210/211 (Aussichtstempelfall); RGZ 127,29, 34 1. Absatz (Brände durch Abraumhalden); 134, 231, 235 oben (herabfallendes Felsgestein); BGHZ 19, 126, 129 unten (Brückentrümmer im Fluß); OLG Stuttgart SeuffArch. 47 Nr. 97, S. 140,141 (Urt. v. 1888, gemeines Recht; Eindringen von Bienen); die Entscheidungsgründe sind insoweit undeutlich, doch ergibt der Gesamtkontext etwa in RGZ 149 ebd., daß entscheidend nicht der Wille, sondern die Kausalität durch menschliches Tun überhaupt sein soll; dazu noch unten 7. Kap. § 3 Β I 1 b. 15
§ 2 Kausalität auf Grund positiven Tuns
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wenigstens mittelbare Zurückführbarkeit auf den Willen einer Person liege nur vor, wenn die Anlage von vornherein dazu bestimmt oder ihrem Wesen nach dazu angetan sei, Störungen hervorzurufen, dagegen nicht, wenn die Anlage an sich Zwecken dienen sollte, die keine Störungen hervorrufen 19 . — Dies kann nicht richtig sein, denn offenbar soll der Wille hier auf die Beeinträchtigung gerichtet sein, womit der Sache nach Vorsatz gefordert würde 20 . — Oder aber der stets geforderte Wille wird gleichgestellt mit Freiwilligkeit oder Freiheit der Willensbildung, Voraussetzungen, an denen es bei Delikts- und Geschäftsunfähigen, Arbeitnehmern, Besitzdienern und auf Befehl Handelnden fehlen soll, so daß die negatorische Verantwortung entfalle. Hier sei ein auf den Willen zurückführender Kausalverlauf nicht in Betracht zu ziehen 21 . Bei den genannten Personen ist jedoch ein ausreichend freier Wille gegeben, so daß von einer Handlung im juristischen Sinne gesprochen werden kann; die Weisungsgebundenheit von Arbeitnehmern, Besitzdienern und auf Befehl Handelnden führt nicht etwa dazu, daß ihre Handlungen nicht als vom Willen getragen angesehen werden können. Geschäfts- und Deliktsunfahigkeit sind nicht gleichzusetzen mit mangelndem Willen. Davon zu trennen ist freilich die Frage, ob die negatorische Verantwortung aus anderen Gründen entfallt, im Falle der auf Befehl handelnden Personen etwa wegen mangelnder Rechtswidrigkeit oder aber bei Geschäfts- und Deliktsunfahigen (§§ 104, 827 f. BGB), weil ihnen die Urteilsfähigkeit fehlt und sie daher als nicht verantwortlich anzusehen sind 22 . III. Die seit Jahrzehnten gebräuchliche Erwähnung und Betonung des Störerwillens erweist sich nach allem als überflüssig. Soweit der Wille im Sinne eines willensgetragenen Verhaltens zu verstehen ist (oben I I 1), bedarf es dessen Hervorhebung nicht. In den übrigen Fällen (ebd. 2) handelt es sich um juristisch verfehlte Einordnungen des Willenselements. Die Willenskomponente hat nur eine negative Funktion, sie hat zur Undeutlichkeit der Störerdefinitionen beigetragen, indem sie das eigentlich tragende Kriterium der Kausalität verdunkelt. Sie ist daher zu einem nicht unbeträchtlichen Teil verantwortlich für 19
RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 72. Vgl. schon oben bei Fn. 15. 21 RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 59; Pikart ebd. spricht allgemein von „Handlungsunfähigkeit" der genannten Personen. Die von Pikart ebd. angenommene Haftung des gesetzlichen Vertreters für den Geschäfts- oder Deliktsunfähigen ist nicht verständlich, da es bei ihm an der von Pikart (ebd. Rdnr. 52) grundsätzlich befürworteten Kausalität fehlt. 20
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Im Falle der Bewußtlosigkeit (§ 827 BGB) fehlt es bereits an einer Handlung im Rechtssinne. Für Analogie des § 827 S. 2 BGB R. Schmidt S. 65; Offtermatt S. 59/60 verlangt keine „Zurechnungsfahigkeit", aber „gewisse Willensfahigkeit" bei Kindern und Geisteskranken; für Störereigenschaft des Vormundes anstelle des Geisteskranken Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 16; Deliktsfahigkeit hält nicht für erforderlich M K Medicus § 1004 Rdnr. 48. — Eine weitere Variante der Bedeutung des Willens iVm der Kausalität findet sich bei Memelsdorff S. 25, auch 23 2. Absatz; er verlangt ausdrücklich einen außerhalb der ursächlichen Handlung liegenden Willen mit besonderer Qualität; die daraus für die Verteilung der Haftung zwischen Dienstherr und Dienstnehmer gezogenen Konsequenzen (ebd. S. 23) können als rechtlich nicht fundiert nicht akzeptiert werden.
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3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
die Unsicherheiten u n d Unklarheiten bei der Störerbestimmung. Der dominierende Einfluß des Willenselements w i r d auf die M o t i v e zurückgehen 2 3 . V o n hier ist es, ohne daß seine Bedeutung aufgeklärt wurde, übernommen worden u n d hat sich i n Literatur u n d Rechtsprechung „fortgeerbt", wie dies bei formelhaften Wendungen v o r k o m m t .
§ 3 Kausalität auf Grund Unterlassens A. Einleitung I n Literatur u n d Rechtsprechung w i r d , wie bereits festgestellt (oben § 1 C), zuweilen angenommen, daß die actio negatoria auch durch Unterlassen ausgelöst werden k ö n n e 1 , doch anders als i m Deliktsrecht, w o das Unterlassen heute zum festen Bestandteil der Haftungsdogmatik zählt, existiert ein regelrechtes Unterlassungssystem für die actio negatoria n i c h t 2 . Die vorhandenen Äußerungen z u m entscheidenden Element der Unterlassungshaftung, der Rechtspflicht z u m Handeln, bieten ein unübersichtliches Bild. Fragen der Kausalität, insbesondere der bei Störungen durch ein positives Tun öfter 23
So auch Pleyer AcP 156 (1957), 291, 293 Fn. 7. R. Schmidt S. 9, 24, 28, 37; Memelsdorff S. 24, 25 2. Absatz (Bestehenlassen der Beeinträchtigung), 26 oben; Offtermatt S. 24; Pleyer AcP 156 (1957), 291, 297 3., 4. Absatz, 298, 306; ders. JZ 1959, 305,307; Kübler AcP 159 (1960), 236,277 unten; Bartsch NJW 1956,1266,1267 r.Sp. unten (zu Fällen der Trümmergrundstücke); Cosack-Mitteis I I 1, S. 218; Westermann § 36 I I 2; Wolff-Raiser § 8712c; Fikentscher § 1141 vor 1; M K Medicus § 1004 Rdnr. 38 („Untätigkeitsstörer"); Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 14, S. 268 unten; Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 24,29 2. Absatz zu Beginn (ablehnend aber bei Störungen durch Trümmergrundstücke ebd. Rdnr. 30, S. 830 1. Absatz); Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 35; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 53,58,60,68; vorsichtig Münzberg S. 3891. Absatz, ferner 390, 385/386; grundsätzlich offenbar auch Hodes NJW 1954, 1345, 1346, 1347 l.Sp.; wohl auch Goldmann-Lilienthal-Sternberg S. 374 Fn. 15 (Duldung); nicht deutlich Planck-Greiff^ § 1004 Anm. 3. RGZ 47, 162, 164 = JW 1901 S. 51 (untätiges Dulden); RG JW 1904 Nr. 11, S. 142, 143 = GruchBeitr. 48 Nr. 102, S. 949; 1910 Nr. 13, S. 654 (nicht ausdrücklich); BGHZ 28, 110,111 (im Grundsatz); 41, 393,397, 398 f.; 49, 340, 347; nicht deutlich BGHZ 40,18,21 (Fortdauernlassen des beeinträchtigenden Zustandes); Unterlassungshaftung grundsätzlich bejahend, aber wegen fehlender Handlungspflicht im konkreten Fall abgelehnt: RGZ 134, 231, 235, 236; 149, 205, 212; BGHZ 19,126,129; ein Fall des Unterlassens lag auch BGHZ 29, 314 zugrunde, ohne daß dieser Gesichtspunkt herangezogen wurde (s. ebd. S. 318/319). Eine negatorische Unterlassungshaftung lehnen ab Picker S. 44 oben, 101/102; Wolf § 3 E V a 3ee (kritisch dazu MK-Medicus § 1004 Rdnr. 35); Staudinger-Gursky §1004 Rdnr. 70 aE, 71 ff.; grundsätzlich auch Stoll AcP 162 (1963), 203, 223 (im ganzen nicht deutlich). 2 Baur AcP 160 (1961), 465,476/477, auch 474 stellt die grundsätzliche Frage, ob die (?) für das Deliktsrecht entwickelte Garantenstellung auch für § 1004 gelte; s. auch Pleyer AcP 156 (1957), 291, 298 (dazu unten Β III). 1
§
Kausalität auf Grund
t e s
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geforderten A d ä q u a n z 3 , werden nicht gestellt; damit beschränkt sich die n u n vorzunehmende Untersuchung auf die für die actio negatoria erwogenen Handlungspflichten des Störers. Diese sind einmal die aus dem Deliktsrecht bekannten Garantenpflichten aus einer Verkehrssicherungspflicht u n d aus vorangegangenem Tun (unten C, E ) 4 . Daneben finden sich für § 1004 besondere Haftungsgründe; sie werden aus dem Eigentum u n d dem nachbarlichen Verhältnis abgeleitet (unten B, D ) . — Die folgende Untersuchung soll einen Überblick über dogmatischen Stand u n d praktische Bedeutung einer negatorischen Verantwortung auf G r u n d Unterlassens bieten. B. Handlungspflichten aus Eigentum /. Einleitung Der Gedanke der Garantenpflicht kraft Eigentums, der i n dieser F o r m 5 sonst unbekannt ist, ist zuerst i n der Rechtsprechung aufgetaucht, u n d zwar i n einem 3
Vgl. oben § 2 B. — Das im Zusammenhang mit der Kausalität durch positives Tun oft auftauchende Willenselement (oben § 2 C) erscheint im Zusammenhang mit einem kausalen Unterlassen nur bei Memelsdorff S. 24 ff. Für die Haftung genüge der auf das „Bestehenlassen" der Beeinträchtigung gerichtete Wille (ebd. S. 241. Absatz, 25 2. Absatz; S. 26 oben ist ausdrücklich von Unterlassen die Rede); der Verpflichtete müsse es wissentlich und willentlich trotz einer ihm zuzurechnenden Verantwortlichkeit unterlassen haben, die Beendigung des Zustandes zu bewirken, so daß der Zustand mit seinem Willen fortbestehe (ebd. S. 25/26). Damit verlangt Memelsdorff der Sache nach Vorsatzelemente (Wissen und Wollen, dazu oben § 2 C I I 1 mit Fn. 15). 4 Die im Deliktsrecht übliche Rechtspflicht aus Gesetz spielt bei der actio negatoria keine nennenswerte Rolle; R. Schmidt S. 23,24,27 oben, 37 bejaht eine Handlungspflicht aus öffentlichrechtlichen, besonders polizeirechtlichen Bestimmungen. Dagegen ist einzuwenden, daß öffentlichrechtliche Verpflichtungen grundsätzlich keine privaten Pflichten der Bürger untereinander auslösen; es besteht bei Verstoß gegen solche Pflichten nach heutiger Auffassung nur ein Anspruch auf polizeiliches Einschreiten, wenn Individualrechte und -güter bedroht sind, s. Wolff- Bachof I I I § 125 Rdnr. 39 f. mwN. Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 31 erwähnt eine Unterhaltungspflicht an einem Gewässer; in der bei Mühl ebd. und auch bei RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 68, S. 140 zitierten Entscheidung BGHZ 55,153 geht es nicht um § 1004 BGB, sondern um die Prüfung eines Schutzgesetzes nach § 823 I I BGB, s. BGH ebd. S. 158. — Hodes NJW 1954, 1345, 1346/1347 nennt wasserrechtliche Vorschriften der Länder (Art. 65 EGBGB). — In der Entscheidung BGHZ 1,57 (Urt. v. 1951) wird zwar § 1004 BGB erwähnt (ebd. S. 64 oben), doch ist dies nicht erklärbar: Die Klägerin, ein privates Unternehmen, hatte durch Beseitigung der im 2. Weltkrieg in das Flußbett der Weser gefallenen Brückentrümmer eine gem. §§ 113 ff. preuß. WasserG bestehende Unterhaltungspflicht der Eigentümerin der Weser, der beklagten Bundesrepublik Deutschland, erfüllt (s. ebd. S. 62 4. Absatz, 63 3. Absatz); deshalb stand ihr ein Erstattungsanspruch nach den §§ 677 ff., 812 ff. BGB zu, s. ebd. S. 61 ff. Es ging also nicht um eine gegenüber der Klägerin oder einer anderen bestimmten Person bestehende privatrechtliche Verpflichtung aus § 1004 BGB, die sich etwa auf ein Unterlassen und eine aus den Wassergesetzen folgende Handlungspflicht gründete. 5 Vgl. noch zur Verkehrssicherungspflicht unten C.
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3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
Urteil des RG aus dem Jahre 1904, in dem im Rahmen des Unterlassens eine Verpflichtung des Eigentümers bejaht wurde, von seinem Grundstück ausgehende Störungen durch Lärm und Erschütterungen einer Druckerei zu verhindern 6 . In allen weiteren, sehr viel später ergangenen Entscheidungen wird eine solche Rechtspflicht abgelehnt (unten II). Das Schrifttum beschäftigt sich nur wenig mit einer Garantenstellung des Eigentümers (unten III). Die für die actio negatoria bekannte sog. Eigentumstheorie (Pleyer) leitet die negatorische Pflicht unmittelbar aus dem Eigentum ab (Art. 14 I I GG), ordnet diese Verpflichtung also nicht als Handlungspflicht im Rahmen einer Unterlassungshaftung ein 7 . II. Rechtsprechung Abgesehen von dem soeben (I) genannten Urteil des RG im Druckereifall hat sich die Judikatur in den weiteren, über zwanzig Jahre später erlassenen Entscheidungen gegen eine Handlungspflicht aus Eigentum ausgesprochen. Dazu zählt das Urteil des RG von 1931 zur Klage der Deutschen Reichsbahn gegen eine Gemeinde, von deren zur Lahn abfallenden Böschungen Gesteine auf den Bahnkörper fielen 8 . Die Böschungen waren von der Rechtsvorgängerin der Klägerin, der Preußischen Eisenbahnverwaltung, im Zuge des Baues einer Eisenbahnstrecke abgetragen worden, um Platz für Gleisanlagen zu schaffen. Die Gesteinslockerungen waren neben den natürlichen Verwitterungsvorgängen auf den Bahnbetrieb der Klägerin und die Felsabtragungen, durch die steile Abhänge entstanden waren, zurückzuführen 9. Das RG war wie in dem später liegenden Urteil zum Aussichtstempelfall, dem der gleiche Sachverhalt zugrun6
RG JW 1904 Nr. 11, S. 142 = GruchBeitr.48Nr. 102, S. 949, dazu schon 2. Kap. § 3 A Fn. 3,15 f., 25; der Sache nach ebenso, aber ohne ausdrückliche dogmatische Einordnung RG JW 1910 Nr. 13, S. 654, 655 (Froschteichfall), dazu schon oben ebd. Fn. 3,16,21. — Im Falle BGHZ 65,221 geht es um eine Beeinträchtigung iSd § 1004 durch Einleitung von Abwässern der Oberlieger in einen Graben, der die Fischteiche des Klägers durchfloß. Beklagte war die Gemeinde, die gem. §§ 221WHG, 823 BGB (das nach Ansicht des BGH angenommene Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander wird nicht deutlich, s. ebd. S. 2251. Absatz) nach Meinung des BGH nur kraft Unterlassens haften konnte, wobei das Gericht eine Rechtspflicht zum Tun aus Eigentum annahm (ebd. S. 224 5., 6. Absatz, 225). Jedoch handelte es sich nicht um eine Klage nach § 1004, geltend gemacht wurde Schadensersatz (s. ebd. S. 222 unter I, III). Die Erwähnung des § 1004 durch den BGH (ebd. S. 225 2. Absatz) bezieht sich offenkundig auf einen Anspruch auf Unterlassung der Abwässereinleitung der Gemeinde (nicht des Klägers) gegen die Oberlieger. Der BGH zitiert die Vorschrift im Rahmen der Rechtspflicht der Gemeinde zur Verhinderung der Abwässereinleitung gegenüber dem Kläger. 7
Pleyer AcP 156 (1957), 291,299ff., 305, 306, dazu unten 7. Kap. § 3 Β II, § 4 C I I I ; s. ferner unten Fn. 28; bei Kübler AcP 159 (1960), 236, 276 ff. ist nicht deutlich, ob er eine Handlungspflicht aus Eigentum im Rahmen des Unterlassens annimmt oder eine negatorische Haftung unmittelbar aus Eigentum, s. ebd. S. 277 unten, 278 unten, 279,280 (unter d). 8 RGZ 134,231. 9 Vgl. zum Sachverhalt ebd. S. 231/232, 235 oben, 236 unten.
§
Kausalität auf Grund
t e s
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de liegt 1 0 , der Meinung, daß der Grundstückseigentümer für Störungen, die auf Naturvorgängen beruhen, nur hafte, wenn er Vorbedingungen für das Eingreifen der Naturkräfte geschaffen habe 11 . Diese Voraussetzung war hier nicht gegeben. Somit kam eine Haftung auf Grund Unterlassens in Betracht. Das RG stellt deshalb die Frage, ob der Beklagte auf Grund seines Eigentums verpflichtet sei, Vorkehrungen zu treffen, die es verhindern, daß unter der Einwirkung von Naturkräften Beeinträchtigungen entstehen12. Der Senat erinnert sich 13 insoweit an eine ältere Entscheidung des RG, in der es um Schäden durch einen umgefallenen morschen Baum ging und in dem das RG sich für eine Verantwortung des Eigentümers oder Besitzers für seine Sachen aus dem Gedanken des § 836 BGB ausgesprochen hatte 14 . Der mit der vorliegenden Entscheidung befaßte Senat folgert daraus, daß der Eigentümer auch Störungen fremden Eigentums verhindern müsse und nach § 1004 BGB zu Abwehrmaßnahmen verpflichtet sei 15 . Doch andererseits läßt der Senat die Frage letztlich offen. Für seine endgültige klagabweisende Entscheidung im vorliegenden Fall beruft er sich darauf, daß man es dem Beklagten nicht ansinnen könne, die durch die Klägerin selbst und ihre Rechtsvorgängerin geschaffene Gefahr auf seine Kosten abzuwehren 16 . Der Senat mag sich also in theoretischer Hinsicht nicht festlegen und zieht sich auf prozeßökonomische Grundsätze zurück, die von ihm prinzipielle dogmatische Stellungnahmen nicht verlangen. Die weiteren Urteile schlagen in der Folgezeit dann jedoch eine eindeutige Richtung ein. Wenige Jahre später (1935) lehnt das RG eine Handlungspflicht auf Grund Eigentums ab, und der BGH schließt sich dieser Ansicht in zwei weiteren, in den fünfziger Jahren ergangenen Urteilen an. In allen drei Fällen ging es um Beeinträchtigungen durch höhere Gewalt. Das RG stellte im Aussichtstempelfall fest, dem geltenden Recht sei kein Satz des Inhalts zu entnehmen, daß der Eigentümer schon aus dem Gesichtspunkt verkehrsüblicher Rücksichtnahme 17 kraft seines bloßen Eigentums aus § 1004 BGB hafte, wenn er es bei einem von Natur gegebenen Zustand seines Grundstücks unterlasse, die Einwirkung von Naturkräften auf sein Grundstück und die dadurch sich ergebende Beeinträchtigung des benachbarten Grundstücks zu verhindern 18 . 10
RGZ 149, 205, 210 (Urt. v. 1935). RGZ 134, 234 1. Absatz. 12 Ebd. S. 235 1., 2. Absatz zu Beginn. 13 Ebd. S. 235 2. Absatz, 236. 14 RGZ 52, 373, 379 (Urt. v. 1902). 15 RGZ 134, 236 oben. 16 Ebd. S. 236. 17 Davon spricht auch BGHZ 28,110,112 (s. sogleich); RGZ 52,373,379; 134,231,235 (unten) sprechen von „billiger Rücksichtnahme"; ähnlich ist bei MK-Mertens § 823 Rdnr. 177 zu Beginn, 184 von „sozialethisch fundiertem Rücksichtgebot" in bezug auf die Verkehrssicherungspflicht die Rede. 18 R G Z 149, 205, 212 2. Absatz. 11
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3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
Die beiden soeben erwähnten Entscheidungen des BGH im Brückentrümmerund Brandmauerfall 19 , in denen die Störungen durch Kriegseinwirkungen hervorgerufen waren, greifen die Worte dieses Urteils auf 2 0 . Im Brandmauerfall wandte der BGH sich außerdem gegen eine Verpflichtung aus der Sozialbindung des Art. 14 I I GG, da, so der BGH, Inhalt und Schranken der sozialen Gebundenheit des Eigentums sich nach dem Gesetz, das heiße nach der von diesem für den Einzelfall getroffenen Regelung bestimmten. Aus dem Eigentumsbegriff in seiner Allgemeinheit lasse sich eine Verantwortlichkeit des Eigentümers im Rahmen des § 1004 BGB nicht begründen 21 .
III. Schrifttum 1. Im Schrifttum dagegen wird in vorsichtigen Ansätzen eine Handlungspflicht kraft der Eigentümerstellung mit unterschiedlichen Begründungen bejaht. Pley er, der im übrigen eine Verpflichtung nach § 1004 BGB unmittelbar aus dem Eigentum ableitet und diese nicht als Garantenpflicht im Rahmen einer Unterlassungshaftung bewertet 22 , bejaht eine Garantenpflicht aus Eigentum für den besonderen Fall, daß die natürliche Beschaffheit einer Sache zu Störungen führt 2 3 . Er greift insoweit den — hier soeben (II) dargelegten — Gedanken des reichsgerichtlichen Urteils zum Gesteinsfall auf 2 4 . Pleyer meint, daß der in der Entscheidung des RG zum umgefallenen morschen Baum 25 in Anlehnung an § 836 BGB für das Gebiet der unerlaubten Handlung ausgesprochene allgemeine Satz, daß jedermann gehalten sei, Beschädigungen Dritter durch seine Sachen zu verhüten, auch für § 1004 BGB gelte. Bejahe man eine solche Pflicht, dann müsse sie auf allen Gebieten des Privatrechts bestehen. Der Schaden im Sinne des BGB, unter dem man jeden Nachteil verstehe, umfasse auch die Beeinträchtigung der §§ 1004 und 862 B G B 2 6 . Daher treffe den Eigentümer beispielsweise die Pflicht, uralte, sich auf das Grundstück neigende Bäume abzustützen und ihr Umfallen zu vermeiden 27 .
19
BGHZ 19,126 (dazu oben 2. Kap. § 3 A Fn. 3,10,19); 28,110 (dazu oben ebd. Fn. 3). Vgl. BGHZ 19,129 4. Absatz (Brückentrümmerfall; Ausführungen des Berufungsgerichts, denen sich der BGH ebd. 5. Absatz anschließt); BGHZ 28, 112 1. Absatz (Brandmauerfall) (jeweils Teilzitate von RGZ 149, 212 2. Absatz). 20
21
BGHZ 28, 110, 112 1. Absatz. Vgl. oben I. Eine Handlungspflicht aus der Eigentümerstellung bejaht für den Fall, daß der Mieter das benachbarte Eigentum stört, Memeldorff S. 25 2. Absatz, freilich ohne ausdrückliche Einordnung als Haftung kraft Unterlassens. 22
23 24 25 26 27
Pleyer AcP 156 (1957), 291, 297 3. Absatz, 298, 299 oben. RGZ 134, 231, 236, dazu soeben II. RGZ 52, 373, 379, dazu soeben II. Pleyer ebd. S. 297 unten, 298. Pleyer ebd. S. 298, auch 297 3. Absatz.
§ 3 Kausalität auf Grund Unterlassens
45
Raiser und Kübler begründen die von ihnen befürwortete Handlungspflicht des Eigentümers mit der in Art. 14 I I GG festgelegten Sozialpflichtigkeit des Eigentums 28 . Diese bestimme den Eigentumsinhalt und sei das notwendige Korrelat der Befugnisse des Eigentümers. Der Verfassungssatz verpflichte den Eigentümer, sich bei der Ausübung seines Rechts nicht nur von seinen privaten Interessen, sondern zugleich vom Wohl der Allgemeinheit leiten zu lassen. Da, wo sich aus dem Gebrauch der Sache Gefahren für unbeteiligte Dritte ergeben können, sei der Eigentümer verpflichtet, Abwehrmaßnahmen zu treffen 29 , ζ. B. gegen Wasser, Unkraut oder Ungeziefer, die auf das Nachbargrundstück dringen 30 . 2. Diese Handlungspflicht aus Art. 14 I I GG ist auf Widerspruch gestoßen. Die Sozialbindung des Eigentums führe ebensogut zu einer Beschränkung des Eigentümers der gestörten Sache, also zu einer Einschränkung der actio negatoria selbst, so daß der gestörte Eigentümer nur verlangen könne, daß der Störer eigene Maßnahmen des Eigentümers zur Beseitigung der Beeinträchtigung dulde 31 . Auch bedeute die Anerkennung einer solchen Garantenstellung eine Gefährdungshaftung kraft Eigentums 32 , ohne daß sich, wie in den gesetzlich geregelten Fällen, typische, generelle Gefahrenquellen feststellen ließen 33 . IV. Zusammenfassung zu /-///
und Kritik
Eine Rechtspflicht zum Handeln kraft Eigentums findet also überwiegend keine Annerkennung. Ausgeprägter taucht der Gedanke in der Judikatur auf. In der Wissenschaft dagegen wird er nicht regelrecht diskutiert; die wenigen 28 Wolff-Raiser § 87 I 2c mit Verweis auf § 52 I 3; zur dogmatisch nicht deutlichen Einordnung der Pflichtigkeit aus Eigentum durch Kübler AcP 159 (1960), 236, 276 ff. s. oben Fn. 7. Auch Pleyer AcP 156 (1957), 291, 301, 305 mit Fn. 52 befürwortet eine verpflichtende Kraft des Eigentums aus dem Gedanken des Art. 14 I I GG, zieht ihn aber nur für die seiner Meinung nach unmittelbar aus dem Eigentum folgende Pflicht zur Störungsbeseitigung heran, nicht für die Unterlassungshaftung. Die negatorische Haftung kraft positiven Tuns, kraft Unterlassens und kraft Eigentums (direkt) unterscheidet Pleyer ausdrücklich, s. ebd. S. 297, 298, 299, 301 2. Absatz, 305 2. Absatz, 306. 29 So Wolff-Raiser § 52 I 3; daneben Hinweis auf die §§ 836ff.,908, denen dieser Rechtsgedanke zugrunde liege; fraglich daher, warum es des Art. 14 I I GG bedürfen soll. 30 Raiser ebd. § 8712c; dagegen soll nach § 862 BGB ein Naturwirken nicht ausreichen, s. Raiser ebd. § 17 I 2b. 31 Baur AcP 160 (1961), 465, 477; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 38. 32 Baur ebd. S. 478 oben; Medicus ebd. 33 Baur ebd. Ferner beanstandet Baur ebd., daß es auf Grund dieser Anschauung an einem menschlichen Verhalten überhaupt fehlen könne. Dies kann indessen im Falle einer Haftung wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht (§ 823 BGBG) ebenso sein, dazu unten IV. — Die weiteren bei Baur und Medicus ebd. aufgeführten Argumente sowie das dort außerdem zitierte Schrifttum betreffen die Auseinandersetzung mit der Lit., die die Haftung kraft Eigentums unmittelbar (nicht im Rahmen eines Unterlassens) anerkennt.
46
3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
Äußerungen beschäftigen sich mit der Frage der verpflichtenden Wirkung des Art. 14 I I GG. Der von Pleyer für einen bestimmten Fall, der Störungen durch die natürliche Beschaffenheit der Sache, aufgegriffene 34 reichsgerichtliche Gedanke der Verantwortung des Eigentümers für eigene Sachen gem. § 836 BGB 3 5 ist vereinzelt geblieben. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit der von Judikatur und Schrifttum erwogenen Handlungspflicht „aus Eigentum" hat an dieser Stelle nicht zu erfolgen; diesem Problem vorrangig wäre die Frage, ob eine negatorische Unterlassungshaftung überhaupt möglich ist 3 6 . Doch kann versucht werden, die hier referierten Überlegungen in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Insoweit liegt folgende Kritik auf der Hand: Eine Rechtspflicht zum Handeln aus Eigentum ist zwar im Deliktsrecht, wo die Garantenpflichten ihren angestammten dogmatischen Platz haben, nicht bekannt. Auch § 836 BGB knüpft die Haftung nicht an das Eigentum, sondern an den Besitz. Doch handelt es sich in den besprochenen Urteilen um Fälle, in denen die Beeinträchtigung von Sachen — Grundstücken oder Bauwerken — ausgingen. Hier hätte ein Rückgriff auf die im Deliktsrecht anerkannte Verkehrssicherungspflicht nahegelegen, deren Gedanke es ist, daß, wer eine Gefahrenquelle beherrscht, wie Eigentümer oder Besitzer, für deren Zustand verantwortlich ist 3 7 . Hätten die Kläger Schadensersatz (§ 823 BGB) verlangt, wäre eine derartige Handlungspflicht sicher in Betracht gezogen worden. Nun sind die von der Lehre der Verkehrssicherungspflicht oder auch Verkehrspflicht erfaßten üblichen Fallgruppen sehr vielfaltig; jeweils maßgebliche präzise Haftungsvoraussetzungen sind kaum ermittelbar 38 . Doch ein im Vordergrund stehender Aspekt ist eben der des „Verkehrs". Es wird als verantwortlich angesehen, wer die Gefahrenquelle einem Verkehr eröffnet 39 . Im Brückentrümmerfall 40 liegt eine solche „Verkehrseröffnung" zwar vor, dagegen nicht im Brandmauerfall 41 und den beiden reichsgerichtlichen Fällen, in denen vom Grundstück des Beklagten Gesteine auf die Bahngleise fielen 42 . Wenn jedoch im Zusammenhang mit Sachgefahren regelmäßig von einer „Verkehrssicherungspflicht" oder „Verkehrspflicht" die Rede ist, so wird eine deliktische Verantwortung dennoch nicht nur bei Sachverhalten angenommen, in denen die gefahrbringende Sache
34
Soeben III. Oben II. 36 Vgl. dazu die eigene Untersuchung unten 12.-14. Kap. 37 Vgl. etwa Larenz I I § 72 I d; MK-Mertens § 823 Rdnr. 183, 185 („Zustandsverantwortlichkeit"), 206, 211; Erman-Drees § 823 Rdnr. 53. 38 Näher unten 12. Kap. § 6 C I I 2h cc ccc (2) (11), (22). 39 Vgl. Larenz ebd.; MK-Mertens § 823 Rdnr. 183. 40 BGHZ 19, 126; dazu oben II. 41 BGHZ 28, 110; dazu ebd. 42 RGZ 134, 231; 149, 205; dazu ebd. 35
§ 3 Kausalität auf Grund Unterlassens
47
(Räume, Wege, Brücken) einem Verkehr geradezu gewidmet ist; tatsächlich reicht die Möglichkeit, daß andere Personen mit der Sache in Kontakt treten. So ist ein Privatgrundstück keinem Verkehr gewidmet, und doch würden, wenn beispielsweise Äste von den Bäumen fallen oder sich Dachziegel lösen und jemand deswegen auf dem benachbarten Grundstück zu Schaden kommt, Eigentümer oder Besitzer im Prinzip wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht zur Verantwortung gezogen werden 43 . Es bietet sich also an, den für die Haftung ins Auge gefaßten Teilaspekt des Eigentums weiter zu verfolgen und auf die regelmäßig mit dem Eigentum verbundene Sach- und Gefahrbeherrschung, eines der tragenden Haftungselemente der Verkehrssicherungspflicht, zurückzugreifen 44. Dies ist, außer in Ansätzen bei Pley er, nirgends geschehen. Ein zweiter Kritikpunkt ist folgender: Der Einwand, daß eine Handlungspflicht „aus Eigentum" auf eine Gefahrdungshaftung ohne die dort notwendige Voraussetzung der typischen, der Sache immanenten Gefahr hinauslaufe, ist ein nur globales Argument. Auch die anerkannten Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht binden die Verantwortung an die Sachgefahr, ohne daß eine typische Risikoverwirklichung verlangt würde. Allerdings fordert die Schadensersatzpflicht Verschulden, § 1004 dagegen nicht 4 5 . Doch läßt sich insoweit nur feststellen, daß die actio negatoria eben wie die Gefahrdungshaftungen (z.B. § 833 BGB) eine Verantwortung ohne Verschulden darstellt. C. Handlungspflichten aus einer Verkehrssicherungspflicht I. Gegenwärtige Rechtslage Während der Gedanke der Handlungspflicht aus Eigentum ausdrücklich behandelt wird, wird die Frage, ob die Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht 4 6 für die actio negatoria herangezogen werden können, lediglich gestreift. Dies verwundert angesichts der Beurteilung der Rechtspflicht kraft Eigentums durch Judikatur und Literatur nicht (soeben B IV); wenn die Verkehrssicherungspflicht im Rahmen des § 1004 diskutiert würde, hätte man wohl den an sich naheliegenden Zusammenhang zwischen einer Handlungspflicht aus Eigentum und aus einer Verkehrssicherungspflicht erkannt. — Die wenigen marginalhaften Bemerkungen fallen negativ aus. Es wird die Ansicht vertreten, daß die Prinzipien der Verkehrssicherungspflicht im Falle des § 1004 nicht anwendbar 43
Vgl. etwa MK-Mertens § 823 Rdnr. 206 mwN; zwar ist Kübler AcP 159 (1960), 271 (unten) darin zuzustimmen, daß § 836 BGB einen „Verkehr" nicht voraussetzt, jedoch nicht darin, daß die allgemeinen Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht dies verlangten, wie Kübler ebd. S. 272 (oben) meint. 44 Dagegen stimmt den oben I I besprochenen Urteilen im Ergebnis zu Baur AcP 160 (1961), 465, 478 mit Fn. 55, 56. 45 Vgl. noch unten C II. 46 Dazu oben Β IV.
48
3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
seien 47 . Sie beruhten auf dem Gesichtspunkt der Verkehrseröffnung, dem für diese Vorschrift keine Bedeutung zukomme. Zudem würden damit die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Eigentümers überspannt, da die Anwendung der Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht zu einer Gefahrdungshaftung führen würde 48 . II. Kritik Wegen dieser Argumente kann auf das soeben (Β IV) Ausgeführte verwiesen werden: Dort wurde auf den Einwand der Gleichstellung des § 1004 mit der Gefahrdungshaftung, der gegen eine Handlungspflicht aus Eigentum ebenfalls erhoben wird, eingegangen. Ferner wurde dargelegt, daß auch die im Deliktsrecht nach den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht behandelten Sachverhalte nicht ausschließlich Fälle einer „Verkehrseröffnung" betreffen. Die vorgetragenen beiden Argumente sprechen also nicht gegen eine Anwendung der Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht. Für eine (positive) Beantwortung der Frage, ob die Prinzipien der Verkehrssicherungspflicht für § 1004 übernommen werden können, müßten die tragenden Kriterien dieser Lehre ermittelt und festgestellt werden, ob sie auf die actio negatoria übertragbar sind 49 . D. Handlungspflichten aus dem Nachbarschaftsverhältnis I. Gegenwärtige Rechtslage Nicht selten wird angenommen, daß Rechtspflichten zum Handeln dem nachbarlichen Verhältnis entspringen. Die Garantenpflicht aus „verkehrsüblicher nachbarlicher Rücksichtnahme", die in der Rechtsprechung schon als weitere Voraussetzung neben dem Erfordernis der Eigentümerposition begegnete 5 0 , fungiert auch als eigenständiger Haftungsgrund 51 . Ferner taucht die bekannte und rechtlich schillernde Figur des „nachbarlichen Gemeinschaftsver-
47
Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 35; zustimmend Baur AcP 160 (1961), 465, 474 Fn. 38; Wolff-Raiser § 87 I 2 mit Fn. 5 meint, die Verkehrssicherungspflichten kämen für § 1004 BGB seltener in Betracht. Dagegen spricht RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 68 von einer Unterlassungshaftung bei Verstößen gegen Sicherungspflichten, die aus der Eröffnung einer Gefahrenquelle oder aus der Herbeiführung besonderer Gefahrensituationen hervorgehen. Die dogmatische Bewertung bleibt offen; eher scheint hier der Gedanke der Ingerenz zugrunde zu liegen (s. unten E). Freilich ist für die Verkehrssicherungspflicht selbst ungeklärt, inwieweit es sich dabei um die traditionellen Pflichten aus Ingerenz handelt (so allgemein Fikentscher § 103 I I I 1 b) und inwieweit um selbständige Grundsätze; zur dogmatisch unklaren Lage der Verkehrssicherungspflicht oben Fn. 38. 48 Mühl ebd. 49 Vgl. oben Fn. 38 ebd. (33). 50 Oben Β I I Fn. 17.
§ 3 Kausalität auf Grund Unterlassens
49
hältnisses", der ganz unterschiedliche Rechtswirkungen zugeschrieben werden 5 2 , als Entstehungsgrund einer Garantenpflicht für § 1004 auf 5 3 . II. Kritik Derartig begründete Handlungspflichten erinnern an die Garantenpflicht aus engem Gemeinschafts Verhältnis oder enger Gefahrengemeinschaft 54. Sie sind viel zu allgemein, als daß sie einen rechtlich gesicherten Haftungsmaßstab abgeben könnten. Geht es um Störungen des benachbarten Grundeigentums, wie in dem meisten Fällen des § 1004, kann die Störereigenschaft des sich passiv verhaltenden Nachbarn (Eigentümer, Besitzer) nicht mit eben diesem Nachbarschaftsverhältnis begründet werden. Diese Sichtweise liefe auf den allgemeinen Satz hinaus, daß Störer im Sinne des § 1004 der Nachbar sei.
£. Handlungspflichten aus vorangegangenem Tun I. Gegenwärtige Rechtslage Hinsichtlich der traditionellen Garantenpflicht aus vorangegangenem gefährdendem Tun beschränkt man sich für § 1004 gewöhnlich auf die generelle Feststellung, daß derartige Rechtspflichten zum Tätigwerden im Rahmen der actio negatoria bestünden 55 . Insbesondere in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg ist für Störungen durch Trümmergrundstücke der Gedanke aufgetaucht, ob 51
Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 29; ähnlich Wolff-Raiser § 87 I 2 c: Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 68: Pflicht zum Handeln aus dem Nachbarschaftsverhältnis. 52 Das sog. nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis wird als anspruchsbegründendes oder -einschränkendes Institut verwendet; anspruchsbegründend wirkt es nach BGHZ 28, 110, 114ff. (Kostenerstattungsanspruch); 68, 350, 353 f. (Entschädigungsanspruch); Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 30, S. 460 unten (Anspruch offenbar auf Beseitigung oder Unterlassung von Störungen iSd § 1004 BGB); anspruchseinschränkend nach BGHZ 28, 225,230,231 (Pflicht zur Duldung der Beeinträchtigung); Westermann § 36 I I 2 (Anspruch auf Duldung der Störungsbeseitigung durch den gestörten Eigentümer); Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 18 (für Störungen durch Kriegsereignisse). Kritisch zum nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis Pleyer JZ 1959, 305ff.; Kübler AcP 159 (1960), 236, 284ff., 287ff.; Picker AcP 176 (1976), 28, 43. 53
Wolff-Raiser § 87 I 2c mit § 53 (vor I) Fn. 1; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 35. — Offtermatt S. 58,59,60,140 nimmt zwar eine Pflicht zur Unterhaltung der Sache aus einer nachbarlichen Rücksichtnahme an, doch obwohl es sich bei mangelhafter Unterhaltung um einen Fall des Unterlassens handelt, sagt Offtermatt S. 60 2. Absatz ausdrücklich, es komme auf eine Unterlassung nicht an. — Von „Rücksicht" ist außerhalb einer Garantenpflicht die Rede bei MK-Medicus § 1004 Rdnr. 29 (hinsichtlich sog. negativer Einwirkungen) und in BGHZ 38, 61, 63 ff. (zu § 906 BGB). 54
Dazu etwa Fikentscher § 103 I I I 1 b. Wolff-Raiser § 87 12c; Münzberg S. 385 3. Absatz, 390 1., 2. Absatz; Bartsch NJW 1956, 1266, 1267 r.Sp.; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 31, S. 461 etwa Mitte; Offtermann 55
4 Herrmann
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3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
in der Erbauung des Hauses ein pflichtenbegründendes Tun gesehen werden könne 56 . Aber auch außerhalb dieser Sonderfalle wird teilweise in der Errichtung eines Gebäudes die Schaffung einer Gefahrenquelle gesehen, die eine Rechtspflicht im Rahmen des Unterlassens begründe 57 . Ferner wird ganz allgemein konstatiert, daß aus der Eröffnung einer Gefahrenquelle oder der Herbeiführung von Gefahrensituationen eine negatorische Verantwortlichkeit erwachse 58. Der damit geforderte gefahrschafifende Charakter des pflichtenbegründenden Tuns entspricht allgemeinen Grundsätzen 59 . Im übrigen aber besteht hinsichtlich der näheren rechtlichen Qualität keine Klarheit. Raiser meint, das Handeln müsse „sozialwidrig" sein 60 . Nach Medicus ist es nicht notwendig, daß der geschaffene Zustand schon anfangs gefahrlich war 6 1 . Des weiteren können, so meint Medicus, dem Verpflichteten nur solche Tätigkeiten angelastet werden, die zu typischen Gefahren der Anlage führen und mit denen daher im Verkehr zu rechnen sei; dazu zählen nach Medicus beispielsweise der altersbedingte Verfall einer Anlage sowie die Brandgefahr eines Gebäudes, nicht aber durch Krieg oder Erdbeben bedingte Gefahren 62 . II. Kritik Das sich insgesamt bietende Bild zur Ingerenz ist nur bruchstückhaft. Es fehlt an einer präzisen, einheitlichen rechtlichen Qualifizierung des die Haftung auslösenden Tuns. Offenkundig genügt das Erfordernis des gefährdenden Charakters des Handelns nicht, um befriedigende Ergebnisse zu erzielen 63 . Auch bedarf es einer Abgrenzung gegen eine Haftung kraft positiven Tuns, denn etwa in der Errichtung eines Gebäudes kann auch ein unmittelbar die actio negatoria auslösendes kausales Handeln gesehen werden. S. 24 (unter 3; die übrigen Ausführungen Offtermanns zur Erfolgsabwendungspflicht aus vorangegangenem gefährdenden Tun betreffen nicht die Ingerenz, s. unten § 4 D). 56 Bejahend Bartsch ebd.; verneinend MK-Medicus § 1004 Rdnr. 41 ; Wolff-Raiser ebd. mit Fn. 8 (mit Einschränkungen); wohl auch Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 18. 57 Vgl. MK-Medicus § 1004 Rdnr. 39. 58 RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 68. 59 Vgl. etwa Fikentscher § 103 I I I l b . 60 Wolff-Raiser § 87 I 2c; Münzberg S. 385 3. Absatz mit Fn. 798, S. 322 Fn. 634 (mwN) läßt ein rechtmäßiges Tun ausreichen. 61 MK-Medicus § 1004 Rdnr. 39. 62 Medicus ebd. Rdnr. 40. 63 So gehen die Erörterungen bei Medicus hinsichtlich der Person des auf Grund der Ingerenz Haftenden (ebd. Rdnr. 40) und des Umfangs der Haftung (ebd. Rdnr. 41) über die Voraussetzung des vorangegangenen Tuns selbst hinaus. In BGHZ 41, 393, 397/398 (störende Hausruine) wird die Qualität der Ingerenz außer acht gelassen, indem aus dem Erwerb eines Hauses eine Handlungspflicht im Rahmen des § 1004 BGB angenommen wird.
§ 4 Gründe für die Geltung des Kausalprinzips
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F. Zusammenfassung zu A - E Eine negatorische Unterlassungshaftung existiert nach der gegenwärtigen Rechtslage praktisch nicht. Der bisweilen anzutreffenden Ansicht, daß auch die Kausalität durch Unterlassen eine Verantwortung nach § 1004 BGB auslösen könne, fehlt das Fundament, weil die tragende Voraussetzung einer solchen Haftung, die Rechtspflicht zum Tun, nicht erarbeitet ist. Die in Judikatur und Literatur erwogenen Handlungspflichten stellen kein auch nur in Ansätzen einheitliches Gedankengut dar. Vielmehr handelt es sich um nicht mehr als um verstreute, voneinander unabhängige Rechtsideen, die unausgeformt und teilweise gar nicht akzeptabel sind. Das fehlende Gesamtkonzept erklärt es wohl auch, daß Verbindungen zur deliktischen Unterlassungshaftung nicht gezogen werden und gerade solche Handlungspflichten auf Ablehnung stoßen, für die Anknüpfungspunkte an eine schon erarbeitete dogmatische Basis erkennbar sind (Handlungspflicht aus Eigentum, Verkehrssicherungspflicht, s. oben Β IV, C).
§ 4 Gründe für die Geltung des Kausalprinzips A. Einleitung Wo das Kriterium der Ursächlichkeit zur Störerermittlung herangezogen wird, scheint dessen Geltung meist selbstverständlich zu sein1. Die anschließende Darstellung wendet sich den wenigen tiefergehenden Auseinandersetzungen mit der Frage zu, warum das Kausalprinzip als das geeignete Instrumentarium der Bestimmung des negatorischen Gegners anzusehen sei.
B. Berufung auf den Wortlaut des § 1004 BGB /. Darstellung der Ansicht Teilweise wird auf den Wortlaut des § 1004 BGB, wonach der „Störer" die Beeinträchtigung zu beseitigen hat 2 und wonach Störer derjenige ist, der das fremde Eigentum „beeinträchtigt" 3 , gefolgert, daß die negatorische Haftung an eine ursächliche Handlung anknüpfe. R. Schmidt meint, § 1004 richte sich gegen 1
Kritisch deshalb Picker S. 27 2. Absatz. Heck § 66, 4; Pleyer AcP 156 (1957), 291, 293 (s. aber noch unten Fn. 11); Olzen S. 16/17, aber einschränkend S. 17 1., 3. Absatz; RGZ 45, 297, 298; RG JW 1904 Nr. 11, S. 142,143 1. Sp. = GruchBeitr. 48 Nr. 102, S. 949 (Druckereifall, s. oben 2. Kap. § 3 A I I Fn. 3); wohl auch RG WarnR 1909 Nr. 455, S. 435, 436. 3 BGHZ 41, 393, 397 (Hausruinenfall, s. oben 2. Kap. § 3 A I I Fn. 3). 2
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3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
eine Handlung 4 , und daher müsse er gegen denjenigen gehen, der die Handlung vorgenommen habe, ebenso wie im Falle eines Schadensersatzanspruchs 5. II. Kritik Zweifellos bindet § 1004 I die Haftung seinem Wortlaut nach an eine Handlung und damit juristisch an die Kausalität. Dies folgt nicht nur aus Satz 1 der Vorschrift, wo der Gegner als „Störer" bezeichnet wird und wo vom „Beeinträchtigen" des Eigentums die Rede ist, sondern auch aus Satz 2; „unterlassen" läßt sich nur eine Handlung 6 . Aber abgesehen davon, daß die Wortinterpretation nur ein methodisches Hilfsmittel unter mehreren ist 7 und allein kein tragendes Auslegungskriterium sein kann, stellt sie im Falle des § 1004 BGB auch für sich genommen kein ausreichendes Argument dar. Die Vorschrift soll Schutz vor allen Eigentumsbeeinträchtigungen bieten, die nicht von der rei vindicatio erfaßt werden. Dieser Tatbestand läßt sich positiv wegen der vielen möglichen Formen der Beeinträchtigung nicht umschreiben. Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber die negative Formulierung des § 1004 gewählt 8 . Hinsichtlich der Quelle der Beeinträchtigung aber hat er sich diese Offenheit nicht bewahrt, indem er so tat, als wenn diese nur in einem Handeln besteht. Störungsquelle können aber auch Sachzustände sein, wie etwa ein Mauerüberhang, eine Vertiefung des Nachbargrundstücks oder ein Überbau (§§ 909,912 BGB). Daß Störungen dieser Art von § 1004 ebenfalls erfaßt sein sollen, steht außer Zweifel. Die Motive selbst beschäftigen sich mit derartigen Beeinträchtigungen 9. Im einzelnen werden spätere Untersuchungen noch ergeben, daß die Person des Störers unabhängig von der Störungsursache nicht bestimmt werden kann 1 0 . — Würde man also § 1004 BGB wörtlich nehmen, so unterfielen dem Eigentumsschutz nur Beeinträchtigungen, die auf Handlungen beruhen. Dies kann nicht richtig sein 11 . Da die Bestimmung eine Kompilation aller Störungen fremden Eigentums darstellen soll, ist ihre Fassung insoweit nicht gelungen, als sie hinsichtlich der Störungsquelle und damit auch hinsichtlich des die Haftung auslösenden Kriteriums zu eng ausgefallen ist 1 2 . Es kann
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Schmidt S. 9 (unter 3). Ebd. S. 11 2. Absatz. 6 Nicht richtig daher Picker S. 27 2. Absatz, 78 letzter Absatz. 7 Zurückgehend auf Savigny, System I S. 213/214; s. ferner Larenz, Methodenlehre, Kap. 4, 2. 5
8 Vgl. Mot. Mugdan I I I S. 236 4. Absatz; zu den möglichen Beeinträchtigungsformen s. noch unten 10. Kap. I 2 a. 9
Oben 2. Kap. § 2; zu den Störungsquellen im einzelnen s. noch unten 10. Kap. I 2 b. Unten 10. Kap. 11 Aus diesem Grunde läßt Pleyer AcP 156 (1957), 291, 293 es bei der Anknüpfung an Handlungen nicht bewenden; zu dem insoweit unzureichenden Konzept Schmidts s. oben §1 C. 10
§ 4 Gründe für die Geltung des Kausalprinzips
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daher auf die Worte, in die die Gesetzesschöpfer die actio negatoria gefaßt haben, allein nicht ankommen. C. Die Ansicht R. Schmidts /. Darstellung Eine Gegenüberstellung von actio negatoria und rei vindicatio ist ein öfter verwandtes Mittel, um den negatorischen Störer zu bestimmen. Es wird auch von Schmidt angewandt. Während aber sonst § 985 gerade als Argument gegen eine Kausalhaftung des § 1004 angeführt wird 1 3 , folgert Schmidt aus dem Vergleich, daß die Kausalität Haftungskriterium der actio negatoria sei. Vom Wortlaut des § 1004 ausgehend, der sich gegen eine Handlung richte, zieht er § 985 heran und meint, im Gegensatz zu § 1004 erstrebe § 985 die Änderung eines Zustandes 14 . Auf Einzelheiten der Auffassung Schmidts soll hier verzichtet werden 15 ; im ganzen will Schmidt offenbar sagen, daß der Anspruchsgegner des § 985 wechseln könne, während der Gegner des § 1004 immer derselbe bleibe, weil hier Haftungsgrund die kausale Handlung sei 16 . II. Kritik Die von Schmidt vorgenommene Gegenüberstellung der beiden Ansprüche kann das Kriterium zur Ermittlung des Störers nicht verdeutlichen. Zunächst ist der Ausgangspunkt Schmidts, daß § 985 die Änderung eines Zustandes erstrebe, für die Frage des Anspruchsgegners wenig ergiebig, denn die Änderung eines Zustandes, nämlich die Beseitigung einer Beeinträchtigung, ist auch das Ziel des § 1004 17 ; es bleibt die Frage, wer diese Zustandsänderung herbeiführen muß. Der mögliche Wechsel des Anspruchsgegners der rei vindicatio im Gegensatz zur Konstante des Anspruchsgegners der actio negatoria ist lediglich eine Konsequenz der Schmidtschen Auffassung; er sagt über die Gründe der von 12 Die Vorentwürfe (Teilentwürfe) Johows zu § 1004 BGB hatten eine andere, noch dem alten Rechtszustand entsprechende, einzelne Fälle der actio negatoria erfassende Fassung, s. noch unten 11. Kap. § 2 C; dort auch zur Entstehung des § 1004 BGB. 13 Vgl. unten 11. Kap. § 3. 14 Schmidt S. 11 2. Absatz. 15 Vgl. die vier von Schmidt angeführten Fälle S. 9,15 unten, 16 oben, anhand derer er durch Gegenüberstellung der Ansprüche aus § 985 und § 1004 seine Ansicht erläutert; sie zeigen, daß das „System" Schmidts nicht stimmig ist, da in den Beispielen teilweise § 985 ohnehin nicht gegeben ist (s. auch Schmidt S. 15/16 selbst). 16
Vgl. SchmidtS. 9, 11, 13, 37. Ebenso Picker S. 27 3. Absatz, 28 oben. Westermann § 36 I I 2 aE meint, § 1004 stelle auf den Zustand ab im Gegensatz wiederum zur Schadensersatzpflicht, die Folge des Handelns sei. 17
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3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
Schmidt für richtig gehaltenen kausalen Handlungshaftung nichts aus. Insgesamt ist unklar, warum es für eine Interpretation des § 1004 auf den von Schmidt angenommenen Unterschied zur rei vindicatio ankommen soll. D. Die Ansicht Offtermatts I. Darstellung Für Offtermatt, der die Kausalität ebenfalls für entscheidend bei der Bestimmung des negatorischen Gegners hält, hat das Kausalprinzip Geltung, weil der Verursacher der „Nächstbeteiligte" 18 sei. Dem Beseitigungsanspruch liege die Wertung des allgemeinen, im Strafrecht entwickelten Grundsatzes der Erfolgsabwendungspflicht aus vorangehendem gefährdenden Tun zugrunde 19 . — Der Ausdruck „vorangehendes gefährdendes Tun" ist üblich für das die Handlungspflicht begründende Erfordernis im Falle der Haftung kraft Unterlassens (Garantenstellung) 20 . Nun beschäftigt sich Offtermatt mit der Haftung durch Unterlassen nicht; er erwähnt diesen Fall lediglich 21 und spricht sich sogar gegen eine Unterlassungshaftung nach § 1004 aus 22 . Seine Darlegungen müssen also als auf die Haftung durch positives Tun bezogen verstanden werden. Das „vorangegangene gefährdende Tun" soll demnach die negatorische Beseitigungspflicht auf Grund Handelns erklären. IL Kritik Abgesehen davon, daß die Terminologie Offtermatts verwirrend wirkt, weil sie eine gängige Ausdrucksweise aus der Unterlassungsdogmatik für die Verantwortlichkeit auf Grund positiven Tuns verwendet, stellen die Ausführungen Offtermatts keine Erkärung dafür dar, warum das Kausalprinzip zur Störerermittlung maßgebend sein soll. Es handelt sich lediglich um eine nähere Erläuterung des Verhaltens einer handelnden Person; das Tun desjenigen, der die Störung hervorgerufen hat, geht der Störung natürlich „voran" und ist „gefährdend", Feststellungen, derer es nicht bedarf. Das von Offtermatt vertretene Prinzip der Erfolgsabwendungspflicht aus vorangehendem gefährdenden Tun enthält demnach keine Besonderheiten gegenüber dem allgemein bekannten Kausalprinzip; es besagt wie dieses, daß verantwortlich ist, wer den Erfolg durch sein Handeln verursacht hat. Es handelt sich lediglich um eine andere Bezeichnung, mit der sachlich nichts gewonnen ist. 18 Offtermatt S. 19 oben, unten, 20 2. Absatz, zum Kausalgrundsatz S. 48 2. Absatz, 49 unten, 50 oben und unten. 19 Ebd. S. 20 3. Absatz, 21, 26, 49, 140. 20 Vgl. oben § 3 E. 21 Offtermatt S. 24 unter 3. 22 Ebd. S. 60.
§ 4 Gründe für die Geltung des Kausalprinzips
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£. Die Ansicht Münzbergs I. Darstellung Münzberg begründet den nach seiner Anschauung für die actio negatoria geltenden Kausalitätsgrundsatz folgendermaßen: Er meint, für die Wiederherstellung des dem Inhalt des Eigentums entsprechenden Zustandes kämen Personen in Betracht, die der Beeinträchtigung „nahestünden", und dies seien der gestörte Eigentümer und der Störer 23 . Der Gesetzgeber hätte nun nach Ansicht Münzbergs denjenigen verpflichten können, der zur Beseitigung in der Lage sei. Da zwar manchmal nur der Störer, oft aber zugleich auch der Eigentümer zur Beseitigung imstande sei, habe der Gesichtspunkt der Beseitigungsmöglichkeit ausscheiden müssen 24 . Münzberg führt weiter aus, es müsse gerechterweise derjenige die Störung beseitigen, aus dessen Bereich sie komme. Haftungskriterium sei damit das „Veranlassungsprinzip" 25 . Danach sei Störer, wer die Beeinträchtigung veranlaßt habe; bei positivem Tun bedeute dies Verursachung der Störung, bei einer Unterlassung werde der Verursachung die Pflicht zur Verhinderung gleichgesetzt. Diese Pflicht zum Handeln beruhe aber letztlich auch wieder auf irgendeinem Tun, weil sie ohne Rückgriff auf das Veranlassungsprinzip nicht begründet werden könne 26 . IL Kritik Nach Ansicht Münzbergs stehen also grundsätzlich zwei Personen für die negatorische Haftung zur Verfügung, der gestörte Eigentümer und derjenige, der die Beeinträchtigung veranlaßt hat. Auf die Gründe, die Münzberg dazu führen, den Eigentümer als Haftenden auszuscheiden, soll hier nicht eingegangen werden, da die Überlegung de lege lata ohnehin gegenstandslos ist. — Die für Münzberg übrigbleibende zweite Möglichkeit, wonach der „Veranlasser" der Störung haftet, bedeutet, daß Münzberg das Kausalprinzip für richtig befindet. Dessen Geltung begründet er mit dem Gerechtigkeitsgedanken, wenn er sagt, es müsse haften, wer der Beeinträchtigung „nahestehe" und „aus dessen Bereich" sie komme, eben weil er sie „veranlasse". Daß es gerecht sei, wenn derjenige für die Störung einzustehen hat, der sie hervorgerufen hat, leuchtet generell ein 2 7 . Doch im einzelnen bietet die
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MünzbergS. 383/384. Ebd. S. 384 oben. 25 Für § 1004 I 1 BGB ebd. S. 384 2. Absatz, 385, 388 2. Absatz, 389, für § 1004 I 2 S. 421; eine Art Definition des Begriffs des Veranlassungsprinzips findet sich ebd. S. 322 2. Absatz; nicht deutlich ist die von Münzberg getroffene Unterscheidung von „Zurechenbarkeit" und „Anrechenbarkeit" eines Erfolges, s. ebd. S. 383/384, 388/389. 26 Ebd. S. 390. 24
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3. Kap. Haftung auf Grund Kausalität
Auffassung Münzbergs in zweierlei Hinsicht Anlaß zu Kritik: Münzberg faßt unter den Begriff des „Veranlassungsprinzips" die beiden Fälle des Tuns und Unterlassens zusammen 28 . Für den Fall des positiven Tuns paßt die Bezeichnung ohne weiteres. I m Falle der Haftung kraft Unterlassens liegt dagegen eine „Veranlassung" jedenfalls im Sinne einer naturwissenschaftlichen Kausalität nicht vor. Zwar meint Münzberg, dem Fall des Unterlassens liege das Veranlassungsprinzip zugrunde, weil die Handlungspflicht hier „letztlich auch wieder" auf irgendeinem Tun beruhe 29 . M i t diesem Tun ist offenbar das „vorangegangene Tun" gemeint, aus dem im Falle des Unterlassens die Rechtspflicht zum Handeln folgt 3 0 . Dieses vorangegangene Tun wird in der Unterlassungsdoktrin jedoch für den rechtlich mißbilligten Erfolg gerade nicht als kausal gewertet, denn dann würde es sich um eine Haftung durch positives Tun handeln. Der Begriff des „Veranlassene" müßte hier also zumindest präzisiert werden. Zudem gibt es im Rahmen der Unterlassungshaftung auch andere Gründe für Handlungspflichten 31 . Die Berechtigung der Bezeichnung „Veranlassungsprinzip" ist im Falle des Unterlassens also zweifelhaft. Zweitens ist festzustellen, daß die Ausführungen Münzbergs keine Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen Kausalitätsverständnis enthalten 32 . Der Begriff „Veranlassungsprinzip" 33 ist lediglich ein anderer Ausdruck für Kausalitätsprinzip. Die Begründung dafür, daß dieses Prinzip der maßgebende Aspekt gerade der actio negatoria sei, ist nur allgemein gehalten 34 . Denn daß es gerecht sei, wenn derjenige für den rechtlich mißbilligten Erfolg einzustehen hat, der ihm „nahesteht", „aus dessen Bereich" er kommt und der ihn — genauer — „veranlaßt" hat, ist der leitende Gesichtspunkt jeder Verantwortung, die sich auf die Kausalität gründet.
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Vgl. auch Baur AcP 160 (1961), 465, 472 1. Absatz aE: das Recht finde den Anknüpfungspunkt für die Feststellung des Verantwortlichen im Sinne einer Kausalhaftung in dem Handelnden. 28
Dagegen meint Picker S. 29 1. Absatz, daß Münzberg das Unterlassen „ausschalte"
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Vgl. oben bei Fn. 26. Vgl. Münzberg S. 390 mit Beispielen in Fn. 799. 31 Neben der Ingerenz aus Gesetz und Vertrag, s. etwa Fikentscher § 103 I I I 1 b, der dazu noch bestimmte enge Lebensbeziehungen rechnet. 32 Ebenso Heinze S. 71 unten; anders teilweise das Verständnis Münzbergs bei Picker, s. oben Fn. 28. Der Auffassung Pickers S. 291. Absatz, daß die Lehre Münzbergs derjenigen Offtermatts ähnlich sei, ist insofern zuzustimmen, als beide das Kausalprinzip nur näher erläutern; im Unterschied zu Münzberg legt Offtermatt seinen Darlegungen aber ein Unterlassen nicht zugrunde (s. oben D). 33 Er findet sich auch bei R. Schmidt S. 48 Fn. 2; Larenz I I § 52 d mit Hinweis auf Canaris ebd. Fn. 2. 34 Kritik auch bei Picker S. 30 1. Absatz. 30
§ 5 Zusammenfassung zu §§ 1-4
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§ 5 Zusammenfassung zu §§ 1-4 Die Kausalität zeigt sich als ein in Literatur und Rechtsprechung nur lose gehandhabtes Instrument der Störerermittlung. Eine eigentliche Kausallehre oder Kausaltheorie im Sinne eines gedanklich geschlossenen und näher durchdachten Konzepts gibt es nicht. Es gibt nur einzelne Anwendungsfalle dieses Kriteriums. Als tauglich erweist es sich jedoch nur bei Störungen durch Handlungen (oben § 1 A, C, D). Eine negatorische Verantwortung kraft Unterlassens existiert auch nicht in Ansätzen; unter welchen Voraussetzungen eine Rechtspflicht zum Tun besteht, ist ungeklärt (oben § 3). Einzelheiten des Kausalzusammenhangs werden nicht untersucht; ob es, wie bei einer Ersatzpflicht für Schäden, einer Haftungsbeschränkung mit Hilfe einer wertenden Auswahl unter den Kausalfaktoren nach dem Maßstab der Adäquanz tatsächlich bedarf, wie gewöhnlich behauptet wird, ist bisher nicht überprüft worden (oben § 2 B). Die übliche Hervorhebung des Störerwillens im Zusammenhang mit dem Kausalkriterium stellt sich als bedeutungslos heraus (oben § 2 C). Schließlich sind auch die vorhandenen Versuche, die Geltung des Kausalgrundsatzes für § 1004 BGB zu begründen, unzulänglich (oben § 4 B) oder untauglich (ebd. C-Ε); insbesondere sie sog. Prinzipien der Erfolgsabwendungspflicht aus vorangegangenem gefährdenden Tun (Offtermatt, ebd. D I) und der Veranlassung (Münzberg, ebd. E I), die den Anschein erwecken, als deckten sie die Hintergründe der Kausalität im Bereiche der actio negatoria auf, ersetzen lediglich den Begriff des Kausalprinzips durch andere Bezeichnungen (ebd. D II, Ell).
Auf der Grundlage dieses Befundes läßt sich die allgemeine Frage, ob das Kausalkriterium ein geeigneter Haftungsaspekt zur Ermittlung des negatorischen Gegners ist, nicht beurteilen. Der erwähnten, im jüngeren Schrifttum anzutreffenden generellen Ablehnung einer negatorischen Kausalhaftung (oben § 1 B) fehlt es daher, unabhängig vom Inhalt dieser Kritik im einzelnen, an einem Fundament.
4. Kapitel: Handlungs- und Zustandshaftung § 1 Einleitung Der dritte bedeutsame Aspekt der Störerbestimmung ist der der Handlungsund Zustandshaftung. Diese auch aus dem Polizeirecht bekannte Differenzierung begegnet vor allem in der Lehrbuch- und Kommentarliteratur, und zwar ungefähr seit Beginn der sechziger Jahre 1 . In der Rechtsprechung kommt eine Unterscheidung in Handlungs- und Zustandsstörung, soweit ersichtlich, nicht vor 2 . Das Begriffspaar soll offenkundig ein regelrechtes Haftungssystem kennzeichnen, also ein gegliedertes, nach bestimmten Kriterien — Handlung, Zustand — geordnetes Schema. Auch der Inhalt der Haftungskategorien läßt sich vermuten: Die Gegenüberstellung von Handlungs- und Zustandsstörung berechtigt zu der Annahme, daß das betreffende Konzept an die Störungsquelle anknüpft und von daher das Haftungserfordernis bestimmt. Die Handlungshaftung scheint die Handlung zum Gegenstand der rechtlichen Bewertung zu machen, die Zustandshaftung den bloßen Zustand einer Sache. Demnach sind entscheidend ein Handeln und ein Nicht-Handeln. Das Haftungskriterium der Handlungshaftung liegt, so läßt sich weiter folgern, in der Kausalität, das der Zustandshaftung in der dinglichen Beziehung zur Sache (z.B. Eigentum oder Besitz). Dogmatisch müßte diese Sachbeziehung, da ihr verpflichtende Wirkung 1 (Chronologisch geordnet) Kübler AcP 159 (1960), 236, 280 oben, auch 279 unten („Verursachungs- und Zustandshaftung" erwähnt); Baur AcP 160 (1961), 465, 471, 472, 479,480; Brehm JZ 1972,2291. Sp. unten (Zustandsstörung); Soergel-Mühl (1978) § 1004 Rdnr. 30; RGRK-Pikart (1979) §1004 Rdnr. 53 aE, 58, 71, ferner 60, 69; ErmanHefermehl (1981) § 1004 Rdnr. 8 zu Beginn, 14 (S. 268/269), 18; Lent-Schwab (1981) § 46 I; Baur (1985)§ 12 I 3, I I 1 a, § 12 I I I 2; MK-Medicus (1986)§ 1004 Rdnr. 32, 34,3639 (aber mit abweichenden Begriffen, dazu unten A); Palandt-Bassenge (1987) § 1004 Anm. 4a, b. — Westermann (1966) § 36 I I 1,2, § 36 IV unterscheidet in Störungen durch Personen und Sachen, dazu unten Fn. 5. — Von Handlungs- und Zustandsstörung sprechen, ohne sich diese Einteilung zu eigen zu machen: Stoll AcP 1962 (1963), 203, 223 2. Absatz (gegen Handlungs-, für Zustandshaftung); Wetzel (1971) S. 105 ff.; StaudingerGursky (1982) § 1004 Rdnr. 68, 69 (gegen Handlungs-, für Zustandshaftung); auch Wolf § 3 E Va, 3ee spricht von der Haftung auf Grund Handlung und auf Grund Zustandes. — Die Begriffe „Handlung" und „Zustand" tauchen auch bei Goldmann-LilienthalSternberg (1912) S.374; Planck-Brodmann (1933) § 1004 Anm. 2d, ohne daß damit ein Haftungssystem gekennzeichnet sein soll. 2
Die Begriffe „Handlung" oder „Zustand" kommen, ohne daß ein Zusammenhang mit dem System von Handlungs- und Zustandshaftung bestünde, vor in RGZ 15,343,344 (Urt. v. 1885); RG WarnR 1909 Nr. 455, S. 435, 436 (Urt. v. 1909); RGZ 103, 174, 175 unten (Urt. v. 1921); BGHZ 19, 126, 130 (Urt. v. 1955); 28, 110, 111 (Urt. v. 1958).
§ 2 Die gegenwärtige Rechtslage
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zukommen soll, näher eingeordnet werden. In Betracht kommt eine unmittelbar aus dieser dinglichen Position abzuleitende Verantwortung; ferner kann die sachenrechtliche Beziehung als Entstehungsgrund für eine Handlungspflicht im Rahmen eines Unterlassens fungieren. Wendet man sich nach diesen Überlegungen dem Schrifttum zu, so trifft man auf eine ganz ähnliche Lage wie im Falle der sog. Aufrechterhaltungstheorie 3. Der in der Literatur erweckte Eindruck, es bestünde eine einheitliche Vorstellung über die beiden Haftungsarten 4 , täuscht. Die Begriffe werden zwar allgemein so verwendet, als repräsentierten sie ein bestimmtes Gedankengut, doch erfahren sie nicht nur bei jedem Autor eine andere Interpretation 5 , sondern es wird, von zwei Ausnahmen abgesehen, ein verständliches und widerspruchsfreies Haftungssystem nirgendwo entwickelt. Diese Feststellungen sind im folgenden näher zu erläutern (unten § 2).
§ 2 Die gegenwärtige Rechtslage A. Für die Handlungsstörung ist ungeklärt, ob darunter nur ein positives Tun 6 oder auch ein Unterlassen 7 fallt. Medicus rechnet zur Handlungs- oder Tätigkeitsstörung nur die Fälle des in der Gegenwart andauernden Tuns 8 . Soweit zur Handlungshaftung ein Unterlassen gezählt wird, bleibt dieses Element des Haftungssystems unvollkommen, denn offen ist, woraus die 3
Oben 2. Kap. § 3. Vgl. Stoll AcP 162 (1963), 203,223; Wetzel S. 105ff.; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 3234; Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 68, 69. 5 Vgl. MK-Medicus § 1004 Rdnr. 33, 36, 38, 39,40, 42; Lent-Schwab § 461; Baur § 12 I I I 1,2; ders. AcP 160 (1961), 465,471 letzter Absatz, 472 1., 2. Absatz (zu diesen Autoren noch sogleich); s. ferner das schwer verständliche Haftungssystem bei Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 8,14,18; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 30 (Handlungs- und Zustandshaftung gemeinsam sei eine Willensentscheidung); RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 53, 69, 71-75; Palandt-Bassenge § 1004 Anm. 4a, b. — Westermann § 36 I I 1 und 2 unterscheidet in Störungen durch eine Person und durch eine Sache. Dieser Einteilung liegt wahrscheinlich derselbe Gedanke der Handlungs- und Zustandshaftung, die Anknüpfung an die Störungsquelle, zugrunde; der Haftungsaspekt der Einwirkungen durch eine Person soll dementsprechend der der Kausalität sein (ebd. § 36 I I 1); derjenige der Einwirkung durch eine Sache ist nicht klar, da auch hier die Einwirkungen außer auf einen Sachzustand auf Personen zurückgehen können (ebd. § 36 I I 2). A n die Störungsquelle Person und Sache knüpft auch an Heinze S. 100ff., 108 ff., jedoch mit anderen Konsequenzen, s. ebd. und S. 75ff., 80 („Risikoprinzip"). 4
6 So Baur § 12 I I I 1; ders. AcP 160 (1961), 465, 471 letzter Absatz, 472 1. Absatz; Schwab § 46 I (dagegen s. ebd. Fn. 3: „Dulden"); MK-Medicus § 1004 Rdnr. 36; ferner Westermann § 36 I I 1; Palandt-Bassenge § 1004 Anm. 4a; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 53, 71 zu Beginn. 7 So Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 14 zu Beginn; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 53, 71 zu Beginn; offenbar soll nach Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 30 (gegen Ende) unter die Handlungshaftung nur der Fall des Unterlassens fallen. 8 MK-Medicus § 1004 Rdnr. 36.
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4. Kap. Handlungs- und Zustandshaftung
Rechtspflicht zum Tun folgt 9 . — Der Haftungsaspekt der Zustandshaftung wird ebenfalls in der Kausalität durch positives Tun 1 0 oder Unterlassen 11 gesehen, ferner im Halten der Anlage 12 , im Eigentum 13 oder im Aufrechterhalten der Störung 14 . Damit ist aber nur ein Überblick über die Deutungen gegeben, die die Handlungs- und Zustandshaftung überhaupt erfahrt. Beide Haftungsarten müssen jedoch im Zusammenhang gesehen werden, weil sie ein Haftungssystem darstellen sollen. Ein solches System existiert jedoch nur bei Medicus und Schwab. Medicus will das alte Begriffspaar durch die Ausdrücke „Tätigkeits- und Untätigkeitsstörung" ersetzen 15; er hält sie für begrifflich klarer 16 , will damit aber sachlich von der—von ihm angenommenen17 — „herrschenden Meinung" nicht abweichen. Unter die Tätigkeits-(Handlungs-)störung fallt nach Ansicht Medicus' ein in der Gegenwart andauerndes Tun, unter die Untätigkeits(Zustands-)störung ein Unterlassen, für das ein in der Vergangenheit liegender, einmaliger Akt (Schaffung einer Gefahrenquelle, ζ. B. Errichtung eines Baues) verpflichtend wirke (Garantenstellung) 18 . — Schwab charakterisiert beide Haftungsarten folgendermaßen: Eine Handlungshaftung liege vor, wenn die Einwirkung durch eine Handlung herbeigeführt werde, eine Zustandshaftung, wenn die Einwirkung von dem Zustand einer Sache ausgehe, wobei sich die Handlungspflicht aus dem Eigentum an dieser Sache ergebe 19. 9
Vgl. Hefermehl oben Fn. 5; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 53, 71, Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 30 (einerseits Garantenstellung aus Eigentum, andererseits Nennung des Haltens der Anlage offenbar als selbständiger Haftungsgrund). 10 Baur § 12 I I I 2; ders. AcP ebd. S. 472 2. Absatz; Westermann § 36 I I 2. 11 MK-Medicus § 1004 Rdnr. 38; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 30; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 73; Westermann § 36 I I 2. 12
Baur AcP ebd. S. 479, 480; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 30, S. 461; auch Palandt'Bassenge § 1004 Anm. 4a. 13 Lent-Schwab § 46 I; Westermann § 36 I I 2; befürwortend nur unter besonderen Umständen RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 71; Westermann § 36 I I 2, S. 179 nimmt einzelne Fälle davon aus; ablehnend Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 18 zu Beginn. 14 Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 14 zu Beginn; Baur § 12 I I 1 a. Der Störerwille wird angeführt von Baur § 12 III; Lent-Schwab § 46 I; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 18 zu Beginn; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 72; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 30 zu Beginn; s. auch Baur AcP 160 (1961), 472 2. Absatz (Willensbetätigung); MK-Medicus § 1004 Rdnr. 32 bei Referierung der Rechtslage; zum Willenselement oben 3. Kap. § 2 C. 15 MK-Medicus § 1004 Rdnr. 36, 38. 16 Medicus ebd. Rdnr. 33 (mit Verweis auf Rdnr. 40 und 42), 34, 36. 17 Das Verständnis Medicus' findet sich im übrigen Schrifttum nicht, s. die Ausführungen hier im Text und die Nachw. Fn. 5. 18 Medicus ebd. Rdnr. 36, 38, 39; neben einem Unterlassen verlangt Medicus die Beseitigungsmöglichkeit. 19 Lent-Schwab § 46 I; so auch Kübler AcP 159 (1960), 236, 279 (unter d), aber unter Heranziehung des Art. 14 I I GG für den Fall der Rechtsnachfolge und ohne Einteilung in Handlungs- und Zustandshaftung (im Falle der Rechtsnachfolge seien Verursachungs-
§ 2 Die gegenwärtige Rechtslage
61
Beide Haftungskonzepte sehen sich Kritik ausgesetzt. So ist es zweifelhaft, ob mit den von Medicus vorgeschlagenen Bezeichnungen der von ihm begriffene Inhalt beider Haftungsarten deutlicher zum Ausdruck kommt als mit den üblichen Bezeichnungen. Der Begriff der „Tätigkeit" enthält das von Medicus verlangte Moment des Fortdauerns des Tuns in der Gegenwart nicht klarer als der Begriff des „Handelns". Ferner ist „Untätigkeit" lediglich ein anderer Begriff für „Unterlassen", ohne daß damit das von Medicus aufgestellte negative Erfordernis des Nicht-gegenwärtigen-Tuns, also das Erfordernis des einmaligen, in der Vergangenheit abgeschlossenen Handelns, deutlich würde. Auch sachlich ist die Auffassung Medicus' nicht unangreifbar, denn es ist nicht erklärbar, warum das einmalige abgeschlossene Handeln als Anknüpfung für eine Haftung durch positives Tun auszuscheiden ist, es aber andererseits als pflichtenbegründendes Tun im Rahmen des Unterlassens, also dogmatisch lediglich anders eingeordnet, die Haftung auslösen soll. Offenbar ist es das Anliegen Medicus', nur das in der Gegenwart andauernde Handeln als verpflichtend zu bewerten (Tätigkeitsstörung), um das einmalige, in der Vergangenheit liegende Tun als Anknüpfungspunkt der Haftung auszuschalten. Denn Medicus begründet diese Auffassung damit, daß der auf diesem Handeln beruhende Zustand nicht „für alle Zeit" demjenigen zuzurechnen sei, der ihn herbeigeführt habe 20 . Nicht haften soll der Bauunternehmer, der das später vom Besteller (Eigentümer) vernachlässigte Werk errichtet hat, ferner nicht der Veräußerer einer Anlage, die dieser gebaut hat, sondern der Erwerber 21 . Diese Lösungen mögen wünschenswert sein. Doch entfallt auch auf der Grundlage des Konzepts Medicus' die Haftung des einmalig Handelnden nicht. Danach kommt, da die Errichtung eines Bauwerks eine abgeschlossene Handlung ist, eine Haftung kraft Untätigkeit in Betracht. Die Pflicht, für einen ordungsgemäßen Zustand zu sorgen, ergibt sich hier aus der Schaffung der Gefahrenquelle, der Errichtung des Bauwerks. Somit besteht die Haftung, sie wird dogmatisch nur anders begründet, indem das positive Tun als Garantenpflicht bewertet wird. U m dennoch die genannten Personen, deren Nicht-Haftung erreicht werden soll, von der Verantwortlichkeit auszunehmen, stellt Medicus fest, daß nicht jeder, der eine Gefahrensquelle schaffe, daran festgehalten werde. So hafte der Bauunternehmer nicht, sondern der Besteller-Eigentümer 22. Auf der Grundlage des Konzepts Medicus' läßt sich diese Lösung jedoch nicht
und Zustandshaftung ineinander verschlungen —?, s. ebd. S. 280 oben); Haftung aus Eigentum für bestimmte Fälle auch bei Pleyer AcP 156 (1957), 291, 299, ebenfalls unter Heranziehung des Art. 14 I I GG und ohne das System der Handlungs- und Zustandshaftung; ähnlich Brehm JZ 1972, 225, 229 l.Sp. (unter 7): Die Passivlegitimation bei der Zustandshaftung ergebe sich aus der Herrschaft und Verantwortlichkeit für die Gefahrenquelle. 20 21 22
Ebd. Rdnr. 33 aE. Ebd. Rdnr. 33 iVm Rdnr. 40 und 42. Ebd. Rdnr. 40.
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4. Kap. Handlungs- und Zustandshaftung
begründen; es handelt sich um eine Korrektur des entworfenen Systems vom Ergebnis her. Die von Schwab angenommene negatorische Verantwortlichkeit kraft Eigentums (Zustandshaftung) entbehrt der Begründung. Doch soll auf weitere Einzelheiten der beiden geschilderten Auffassungen hier nicht eingegangen werden 23 .Für den vorliegenden Zusammenhang ist festzuhalten, daß die Klarheit der beiden Haftungskonzepte für die Rechtslage der Handlungs- und Zustandshaftung nicht kennzeichnend ist, daß sie vielmehr die Ausnahme bildet. I m übrigen existiert ein System der „Handlungs- und Zustandshaftung" nicht, und zwar deshalb, weil die von den betreffenden Autoren aufgestellten Voraussetzungen von Handlungs- und Zustandsstörung Überschneidungen aufweisen; das Kriterium des positiven Tuns, das die Handlungshaftung begründen soll, wird auch der Zustandshaftung zugrunde gelegt. Ein wichtiges Beispiel aus der Literatur mag das Gesagte verdeutlichen: Nach Baur ist eine Handlungshaftung gegeben, wenn jemand die Einwirkung durch sein Handeln herbeiführt 24 . Von einer Zustandshaftung spricht Baur, wenn ein das Eigentum beeinträchtigender Zustand besteht, der auf den Willen des Störers zurückzuführen sei 25 ; fragt man, was Baur unter dieser Zurückführbarkeit auf den Störerwillen versteht, so stellt sich heraus, daß er auch hier ein kausales Handeln meint 2 6 . Damit ist nach diesem Konzept nicht ersichtlich, worin sich Handlungs- und Zustandshaftung unterscheiden. — Neben den Fällen kausalen Handelns rechnet Baur zur Zustandshaftung Fälle des Naturwirkens und Fälle störender Anlagen 27 . Eine Verantwortlichkeit für Störungen durch Naturvorgänge erkennt Baur nur dann an, wenn diese Vorgänge durch ein menschliches Handeln bedingt sind, das nicht gerade vom negatorischen Gegner zu stammen braucht 28 . Für Beeinträchtigungen durch Anlagen haftet nach Baur der Halter der Anlage, gleichgültig, ob er sie errichtet hat oder ob sich die Störungen erst in
23
Kritische Ausführungen zur Auffassung einer Haftung kraft Eigentums unten 7. Kap. § 3 Β I I 2 (Eigentumstheorie Pleyers); unklar ferner die Funktion des von Schwab ebd. geforderten Störerwillens (zum verbreiteten Willenselement oben 3. Kap. § 2 C); zweifelhaft des weiteren die Ansicht Medicus' ebd. Rdnr. 34, daß der bloße „natürliche Zustand" einer Sache keine rechtswidrige Beeinträchtigung sein könne und sich daher hier die Frage der Zurechnung an eine Person nicht stelle; zu dem m. E. hier entstehenden Problem der Haftung kraft Unterlassens unten 12. Kap. § 6, 13. Kap. 24 Baur § 12 I I I 1; ders. AcP 160 (1961), 465, 471 letzter Absatz, 472 1. Absatz. 25 Baur § 12 I I I 2; ders. AcP ebd. S. 472 2. Absatz. 26 Vgl. die grundsätzliche Auffassung Baurs AcP ebd. S. 472 2. Absatz, wonach der Anknüpfungspunkt der Handlungshaftung, die Kausalität, auch in vielen Fällen der Zustandshaftung verwertbar sei, und die von Baur für die Zustandshaftung angeführten Beispiele des Abdeckereifalles RGZ 155, 316 bei Baur ebd., des Vermieterfalles Baur § 12 I I I 2, des Lastkahnfalles Baur ebd., wo positive Handlungen gegeben sind. 27 Der Begriff der Zustandshaftung findet sich für diese Fälle bei Baur AcP ebd. S. 479 oben; im Lehrbuch § 12 I I I nach 2 wird diese Einordnung m.E. nicht deutlich. 28
Vgl. Baur § 12 I I I nach 2; ders. AcP ebd. S. 479.
§ 2 Die gegenwärtige Rechtslage
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Verbindung mit einem Handeln ergeben 29. In den genannten Fällen verlangt Baur also keine Kausalität. Demnach zählen nach Ansicht Baurs zur Zustandshaftung insgesamt Fälle des kausalen Handelns und Fälle, in denen es an der Kausalität fehlt. Damit ist, über die zu vermissende Distinktion von Handlungsund Zustandshaftung hinaus, der Begriff der Zustandshaftung in sich uneinheitlich. Das vorgeführte Beispiel ließe sich leicht vermehren, wobei die den beiden Haftungsarten (Handlung/Zustand) zugeordneten Kriterien jeweils variieren 30 ; manche „Haftungssysteme" sind kaum aufklärbar 31 . Der Hauptmangel aber besteht in der beschriebenen Überschneidung der Haftungserfordernisse. Wenn dasselbe Kriterium, das die Handlungshaftung begründen soll, der Zustandshaftung zugrunde liegt, wird die an sich in den Bezeichnungen zum Ausdruck kommende inhaltliche Verschiedenheit wieder aufgehoben, und die Differenzierung verliert ihren Sinn 32 . B. Daß insbesondere der Inhalt der Zustandshaftung ungeklärt ist, verwundert angesichts der Lage bei der negatorischen Unterlassungshaftung nicht. Es werden zwar, wie sich gezeigt hat, auch zur Zustandshaftung Fälle des Handelns gezählt 33 , doch an sich ist auf Grund der Gegenüberstellung zur Unterlassungshaftung deutlich, daß die Zustandshaftung gerade einen Fall des NichtHandelns umfaßt. In solchen Fällen des Untätigseins nun besteht offenkundig allgemein Ratlosigkeit, ob und unter welchen Vorraussetzungen eine negatorische Verantwortung gegeben ist. Dies zeigte sich schon unter dem Blickwinkel der Untersassungshaftung, für die ungeklärt ist, ob es negatorische „Garantenpflichten" gibt 3 4 . Hier, unter dem Aspekt der Zustandshaftung, stellt sich das Problem erneut. Obwohl sich bei dem Begriff der Zustandshaftung der Gedanke der Haftung durch Unterlassen anbietet, wird er außer bei Medicus (oben § 2 A: „Untätigkeitsstörer") nirgendwo mit Bestimmtheit verfolgt. Der Grund wird in der Ungeklärtheit der Handlungspflichten zu suchen sein. Der Gedanke einer Verantwortlichkeit kraft Eigentums, der schon bei der Unterlassungshaftung begegnete35, erscheint auch als Störerkriterium der Zustandshaftung, hier aber als unmittelbar die Haftung auslösende Voraussetzung, nicht als Garantenstellung 3 6 . Es zeigt sich also unter zwei verschiedenen rechtlichen Perspektiven, der 29 Baur AcP ebd. S. 479, 480 (arg. e §§ 907, 908 BGB); kritisch zu den Ausführungen Baurs ebd. Stoll AcP 162 (1963), 203, 204 Fn. 85. 30
Vgl. die Nachw. Fn. 5. Vgl. z. B. die Definitionen von Hefermehl und Mühl ebd. Fn. 5. 32 Nach Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 30, S. 461 ist eine klare Abgrenzung weder möglich noch notwendig; Abgrenzungsschwierigkeiten bekennen ferner RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 53; Brehm JZ 1972, 225, 229 l.Sp. unter 7. Kritisch zur Handhabung des Systems der Handlungs- und Zustandshaftung auch Wetzel S. 107/108. 33 Oben A mit Fn. 10. 34 Oben 3. Kap. § 3. 35 Ebd. Β III. 31
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4. Kap. Handlungs- und Zustandshaftung
Unterlassungs- und der Zustandshaftung, daß es in Fällen, in denen Störungsquelle ein Sachzustand ist, an präzisen Haftungsvorstellungen fehlt.
§ 3 Die Herkunft der Begriffe der Handlungs- und Zustandshaftung aus dem Polizeirecht und die Bedeutung dieses polizeirechtlichen Haftungssystems für das Zivilrecht A. Vermutlich handelt es sich bei dem System der Handlungs- und Zustandshaftung um eine Übernahme des entsprechenden Haftungskonzepts des Polizeirechts. Dort wird für die Verantwortlichkeit des „Störers" für Gefährdungen oder Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung seit langem in die Kategorien der Handlungs- (Verhaltens-) und Zustandshaftung unterschieden (s. §§ 18, 19, 20 preuß. PVG) 3 7 . Die genannte Vermutung liegt einmal deshalb nahe, weil Situation und Begriffe sich gleichen: Sowohl im Falle des § 1004 BGB als auch im Falle der polizeirechtlichen Verantwortung geht es um Störungen fremder Bereiche; im einen Fall handelt es sich um Störungen privaten Eigentums, im anderen um Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 38 . Die Bezeichnungen „Störer" und „Störung" sind für die actio negatoria ebenso geläufig wie im Polizeirecht 39 . Die Rezeption dieses äußeren polizeirechtlichen Haftungssystems wäre auch deshalb erklärlich, weil gerade in den letzten beiden Dekaden, in denen die Begriffe von Handlungs- und Zustandshaftung im Zivilrecht erscheinen 40, eine zunehmende Bedeutung des öffentlichen Rechts zu verzeichnen ist; Einbrüche dieses Rechtsstoffes in das bürgerliche Recht sind heute vermehrt zu beobachten 41 . Vielleicht schien im vorliegenden Fall für § 1004 BGB ein „griffiges" System bereitzustehen, das man bereitwillig übernommen hat, ohne es für die zivilrechtliche Dogmatik auszuformen. B. Die polizeirechtlichen Kategorien besitzen, was den Sachverhalt anlangt, den es rechtlich zu bewältigen gilt, sicher Allgemeingültigkeit. I m Polizeirecht wie im bürgerlichen Recht können Störungen von Rechten und Rechtsgütern ihren Ausgang nur von Handlungen und von Zuständen einer Sache nehmen. Daß das Recht für die Ermittlung des Verantwortlichen an diese Störungsquel36
Vgl. Schwab oben A, ferner die Fn. 13 Genannten. Preuß. PVG vom 31. 7.1931; zu den Polizeigesetzen der Länder s. Wolff-Bachof I I I §127 Rdnr. 2,6 und 14; das Recht der Polizeipflicht ist durch das preuß. OVG entwickelt worden, Nachw. bei Wolff-Bachof ebd. Rdnr. 2. 38 Vgl. § 19 I preuß. PVG. 39 Vgl. § 19 I preuß. PVG; ferner etwa Drews-Wacke-Vogel-Martens S. 170, 172f.; Wolff-Bachof I I I § 127 Rdnr. 2. 40 Vgl. oben § 1. 41 Vgl. etwa § 651 a I I I BGB, der die dem Zivilrecht fremden, dem öffentlichen Recht entstammenden Begriffe „Leistungsträger" und „sollen" enthält; s. dazu die Kritik bei Erman-Seiler Vor § 651 a Rdnr. 8; ders. § 651 a Rdnr. 9. 37
§ 3 Polizeirechtliches Haftungssystem und Zivilrecht
65
len anzuknüpfen hat, ist ebenso gewiß 42 . Fragt man nun, ob das Polizeirecht auch in der rechtlichen Bewertung dieses Ausgangspunktes ein für das Zivilrecht brauchbares Modell bereithält, so ist zweierlei zu beachten. Zunächst ist festzustellen, wie das Polizeirecht Handlungs- und Zustandsstörung definiert. Bei einer Handlungsstörung ist polizeipflichtig, wer die Störung durch sein Handeln verursacht 43 . Unter eine Handlungsstörung fallt ferner ein Unterlassen, sofern eine besondere Rechtspflicht zu polizeigemäßem Verhalten besteht 44 ; anstelle des Begriffs der Handlungshaftung ist daher auch der weitere Begriff der Verhaltenshaftung üblich (s. § 191 preuß. PVG) 4 5 . Bei Zustandsstörungen ist der Eigentümer oder derjenige verantwortlich, der die tatsächliche (§ 20 I, I I preuß.PVG) oder rechtliche Gewalt über die Sache ausübt 40 . — Ein dem öffentlichen Recht paralleles Haftungskonzept müßte also der sog. Handlungshaftung die Fälle des kausalen Verhaltens, des Tuns oder Unterlassens, zuordnen, der sog. Zustandshaftung die Fälle fehlender Kausalität; Störer der Zustandshaftung wären danach Eigentümer oder sonstige Gewalthaber tatsächlicher oder rechtlicher Art, also ζ. B. Besitzer oder Nießbraucher. So weit geht die Anlehnung an den polizeirechtlichen Gedanken, wie wir sahen, jedoch nicht 4 7 . Wenn mit dem Aufgreifen dieser polizeirechtlichen Kriterien auch immerhin ein klarer Ansatz gefunden wäre, so könnten diese Kriterien allerdings für das bürgerliche Recht nicht unmittelbar übernommen werden. Einmal bedürfte es der näheren Rechtfertigung dafür, daß die Haftung direkt auf der dinglichen Position basiert. Es ist ohne weiteres nicht erklärbar, warum etwa das Eigentum soll Verpflichtungen entfalten können; grundsätzlich legt es lediglich die rechtliche Beziehung zwischen Person und Sache fest. Dieses Problem stellt sich dem öffentlichen Recht nicht; es steht dem Gesetzgeber frei, die polizeirechtliche Verantwortung an das Verhältnis zur Sache zu knüpfen; das Zivilrecht dagegen fordert eine präzise Dogmatik. Zum zweiten bedürfte es der Ermittlung von Handlungspflichten im Rahmen des Unterlassens (Handlungshaftung). Und hier entstünde — auf der Grundlage der polizeirechtlichen Konzeption — die 42
Dazu unten 10. Kap. Zum umstr. Kausalbegriff des Polizeirechts Wolff- Bachof I I I § 127 Rdnr. 8-12. 44 Vgl. Wolff-Bachof I I I § 127 Rdnr. 6 mwN; dort auch Beispiele ebd. Rdnr. 1 - 3 (§ 1 StVO, §§ 5, 22 BImSchG u.a.). 45 Vgl. Martens ebd. (Fn. 39) S. 170, 171; Überschrift zu §4 des Musterentw. eines einheitlichen Polizeigesetzes der Innenministerkonferenz idF von 1977, abgedr. bei UleRasch; ferner Ule-Rasch Überschrift zur Kommentierung des § 4 Musterentw. Rdnr. 1 (unter I); zu dem weiteren Handlungsbegriff des Polizeirechts gegenüber dem des Zivilrechts s. Wolff-Bachof I I I § 127 Rdnr. 6; die Handlungsfähigkeit wird von den §§ 104ff., 827f. BGB abweichend beurteilt, s. § 19 I I preuß. PVG. 40 Vgl. Wolff-Bachof I I I § 127 Rdnr. 14, 20, 24 m. Nachw.; § 5 I, I I Musterentw. (s. Fn. 45). 47 Sie findet sich (eingeschränkt) nur bei Schwab, s. oben § 2A. 43
5 Herrmann
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4. Kap. Handlungs- und Zustandshaftung
Frage, in welchem Verhältnis Zustands- und Handlungshaftung zueinander stehen. Denn die für die Polizeipflichtigkeit in Frage kommenden Handlungspflichten 48 scheiden für das Zivilrecht aus, weil es sich um Pflichten öffentlichrechtlichen Charakters handelt, die grundsätzlich keine Verpflichtungen der Bürger untereinander begründen können. Für die negatorische Verantwortung kommen praktisch nur Pflichten in Betracht, die — ähnlich der Verkehrssicherungspflicht — aus der Sachbeziehung folgen (Eigentum, Besitz), die also wiederum an die Störungsquelle „Sache" anknüpfen; die Schaffung eines gefahrlichen Zustandes der Sache (durch ein Handeln) wäre nicht als Fall der Ingerenz für eine Unterlassungshaftung zu bewerten, sondern als Fall des positiven Tuns. Damit zeigt sich, daß das rechtliche Kriterium des Unterlassens der Handlungshaftung im Zivilrecht nicht zugeordnet werden kann, sondern nur der Zustandshaftung. C. Zusammenfassend läßt sich somit folgendes feststellen: Der Ausgangspunkt des Polizeirechts, die Bindung der Verantwortung an die Störungsquelle, ist ein auch für die actio negatoria brauchbarer Gedanke. Die rechtliche Bewertung aber dieses Anknüpfungspunktes ist auf das Zivilrecht nicht übertragbar. Die Rechtskriterien sind nur im Falle des positiven Tuns dieselben (Kausalität) 49 . Die für das Polizeirecht in Betracht kommenden Handlungspflichten sind öffentlichrechtliche Pflichten, die im Zivilrecht grundsätzlich nicht gelten. Der Fall des Unterlassens ist der bürgerlichrechtlichen Handlungshaftung nicht zuzurechnen. — Die rechtliche Beurteilung des Nicht-Handelns, also der Zustandshaftung, kann dagegen sowohl im Polizei- als auch im Zivilrecht bei dem Verhältnis zur störenden Sache ansetzen (Eigentum, Besitz), doch in der weiteren dogmatischen Einordnung muß das bürgerliche Recht eigene Wege gehen, es muß klären, ob eine Haftung direkt aus dem Sachverhältnis möglich ist oder ob ein Unterlassen gegeben ist, in dessen Rahmen die dingliche Position verpflichtende Wirkung entfaltet. Während im Falle der Haftung unmittelbar aus Eigentum oder Besitz die Verpflichtung nach § 1004 BGB ausgelöst ist, wenn der negatorische Tatbestand verwirklicht ist, also die Beeinträchtigung eintritt oder droht (§ 100411,2 BGB), besteht bei Bewertung der dinglichen Position als Handlungspflicht neben der Pflicht aus § 1004 BGB eine allgemeine, nicht einklagbare Pflicht, Störungen von vornherein zu verhindern. Es handelt sich also um unterschiedliche Denkkategorien 50 . — Die aufgezeigten Probleme sind von der Wissenschaft ununtersucht geblieben. So ist es erklärbar, daß das „Haftungssystem" der Handlungs- und Zustandshaftung nur dem Namen nach existiert.
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Vgl. oben Fn. 44. Abgesehen von dem im Polizeirecht geltenden teilweise anderen Kausalitätsbegriff s. oben Fn. 43. 50 Zu diesen Fragen unten 10. Kap. I 2 b, 3. 49
5. Kapitel: Haftung auf Grund Haltens der Anlage § 1 Darstellung dieser Auffassung A. Zuweilen wird die Definition, daß Störer im Sinne des § 1004 der Halter der störenden Anlage sei, als verbreitet hingestellt 1 , doch bestätigt sich diese Einschätzung bei Durchsicht des Materials nicht 2 . Sie findet sich bis zu Beginn der sechziger Jahre in der Literatur nur bei v. Tuhr 3 . Aber weder hier noch in den Urteilen, in denen die genannte Störerbestimmung aufgenommen ist, werden 1
v. Tuhr I S . 251 2. Absatz; Offtermatt S. 48/49 mit Fn. 1; der BGH verweist auf eine entsprechende Judikatur des RG, die indessen nicht existiert, s. unten Fn. 2. 2 Zum Schrifttum s. unten Fn. 3; die vom BGH für eine angebliche Rechtsprechung des RG zum Halten der Anlage (s. oben Fn. 1) zitierten Entscheidungen enthalten die Definition nicht, s. die in BGH NJW 1955,1474,14751. Sp. zitierten Urteile RGZ 97, 26; 155,319; 159,129,136; die in BGHZ 41,393,397 zitierten Urteile RGZ 103,174,176; 159 ebd.; RG JW 1936, 3454; RGZ 103,174 wird unrichtigerweise auch von Offtermatt S. 48 Fn. 1 angeführt. Auch folgende Entscheidungen enthalten die Definition nicht: RGZ 45,297,298 unten (Störungen durch Dampfwäscherei): Es hafte der Eigentümer des Grundstücks, wenn Grund der Störung eine mit seinem Grundstück zu einem Ganzen fest verbundene Anlage sei. Nach RGZ 134, 231, 234; 149, 205, 210/211 kommt es bei Störungen durch Naturwirkungen auf den Akt der Errichtung der Anlage an als Schaffung der Vorbedingung für das Wirken von Naturkräften. In RG JW 1928 Nr. 35, S. 502,504 aE heißt es nur, der Beklagte „halte" die Zweigleitung (elektrische Leitung über dem Mühlgraben des Klägers); zur Beseitigung sei der Störer verpflichtet, und die Störung dauere fort, solange die Leitung bestehe. In BGHZ 29, 314, 317 heißt es, die Bundesrepublik Deutschland sei als Störerin zu betrachten, weil sie die (Autobahn-)Anlage „fortbestehen" lasse und Eigentümerin der Autobahn sei. 3 v. Tuhr I S. 251 2. Absatz, 252 1. Absatz; nach Cosack-Mitteis I I 1 S. 218 haftet der Besitzer der Anlage. Die Auffassung v. Tuhrs ist Teil seiner eigenartigen Grundanschauung, nach der der negatorische Anspruch nicht gerechtfertigt ist; v. Tuhr nimmt deshalb einen Duldungsanspruch an, der erst bei Widerspruch des Beklagten im Prozeß zum Beseitigungsanspruch wird (ebd. S. 250-252). Obwohl diese Auslegung mit § 1004 BGB nicht zu vereinbaren ist, hat sie Bekanntheit erlangt (s. insbes. die Besprechungen bei Picker S. 45,166; Baur AcP 160 (1961), 465, 475) und hat sich die Idee des Duldungsanspruches bis heute erhalten. Dafür sprechen sich aus: Schmidt S. 7,12, 16 ff., 26/27 (bei Rechtsnachfolge, Störungen durch Mieter); Kübler AcP 159 (1960), 236, 281, 284 (auf Grund § 1004 iVm Art. 14 I I GG); MK-Medicus § 1004 Rdnr. 79 (wenn der Beseitigungsanspruch nicht bestehe); Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 41 aE, ferner 42 S. 466 Mitte, 105 (bei besonderen Fallgestaltungen); RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 86 („Reflex" des § 1004), 120 (da im Falle eines Abwehranspruchs auch ein Selbsthilferecht gegeben sei). — Für Duldungsanspruch in Fällen höherer Gewalt: Baur § 12 I I I 2; Westermann § 36 I I 2; Hodes NJW 1954,1345,1347 f.; Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 30 gegen Ende; diese Lösung hält für unbefriedigend Pleyer AcP 156 (1957), 291, 299/300; für Duldungsansprüche ferner wohl auch Offtermatt S. 94 oben; erwogen werden sie in RGZ 81,216,225 aE; BGHZ 41,
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5. Kap. Haftung auf Grund Haltens der Anlage
nähere Voraussetzungen des Haltens der Anlage aufgeführt 4 , so daß die rechtliche Bedeutung der Definition offen bleibt; auch praktische Konsequenzen der Komponente sind in der Judikatur nicht zu verzeichnen 5. B. Durch einen 1961 erschienenen Aufsatz Baurs 6 ist der Gedanke, daß der Tatbestand des Haltens der Anlage Störervoraussetzung sei, näher ins Auge gefaßt worden. Er wird hier erstmals auf die speziellen negatorischen Ansprüche der §§ 907 und 908 BGB gestützt. Seither wird das Erfordernis des „Haltens der Anlage" des öfteren wenigstens kurz aufgegriffen 7. Baur untersucht die Frage, ob und auf Grund welchen Kriteriums eine negatorische Haftung für Natureinwirkungen und für Handlungen des Rechtsvorgängers besteht8. Er meint, daß sich in den §§ 907 und 908 BGB Anhaltspunkte für eine Wertung finden, die die Frage beantworten könne 9 . Zum Verständnis der Baurschen Ausführungen sei der Inhalt dieser Bestimmungen kurz umrissen: § 907 bietet einen präventiven negatorischen Schutz, wenn Anlagen auf einem Grundstück hergestellt oder gehalten werden, von denen mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß ihr Bestand oder ihre Benutzung eine unzulässige Einwirkung auf das Nachbargrundstück zur Folge hat. Der Eigentümer dieses Grundstücks kann dann verlangen, daß derartige Anlagen nicht hergestellt oder daß sie beseitigt werden. § 908 verleiht dem Eigentümer einen Anspruch auf Schaffung von Vorkehrungen, wenn seinem Grundstück die 393, 398/399. — Picker S. 165/166; ders. JuS 1974, 357, 360 hält den Duldungsanspruch für eine Möglichkeit der gesetzlichen Ausgestaltung des § 1004 BGB; Baur AcP ebd. meint, v. Tuhrs Ansicht verdiene Interesse. — Dagegen ablehnend Memelsdorff S. 26; Heck § 66, 7. Insoweit ein Duldungsanspruch bejaht wird, ergibt sich damit auch die Kostentragungspflicht für den Gestörten. Die Frage der Kostentragung wird aber auch unabhängig von einem Duldungsanspruch gestellt. Nach § 1004 BGB und der Absicht des Gesetzgebers (s. Mot. Mugdan I I I S. 237 letzter Absatz, 238 1. Absatz) ist gewiß, daß der Störer entstehende Kosten zu bestreiten hat; dennoch wurde dies früher bezweifelt (s. Heck § 66, 7) und wohl deshalb heute für betonenswert gehalten, s. z. B. Wolff-Raiser § 87 I 4; Baur § 12 IV 1 b, c; Westermann § 36 I I I 1; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 74; BGHZ 57, 325, 334 (a.qu.n.). 4 Vgl. RG JW 1910 Nr. 13, S. 654 (Froschteichfall; die nicht definierte Voraussetzung des Aufrechterhaltens wird im Fall des Haltens der Anlage als verwirklicht angesehen); BGH L M § 1004 Nr. 14; BGH NJW 1955, 1474, 1475 l.Sp.; BGHZ 41, 393, 397. 5 Vgl. Fn. 4. 6 AcP 160 (1961), 465 ff. 7 Kritisch Stoll AcP 162 (1963), 203,224 Fn. 85 (für Stoll ist das Halten der Anlage nur ein Beispiel, s. ebd. S. 224); ablehnend Wetzel S. 114; Picker S. 132 letzter Absatz, 133,134 1. Absatz meint — jedoch ohne Zitierung Baurs —, daß sich aus §908 BGB kein allgemeiner Gedanke für § 1004 herleiten lasse (dazu noch unten 13. Kap. § 2 Β III); zustimmend dagegen Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 30; für Haftung des Halters der Anlage ferner ohne Zitierung Baurs RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 81. 8 Vgl. Baur ebd. S. 472 letzter Absatz, 473; ferner wird dort untersucht der Fall des zunächst rechtmäßigen Eingriffs, der später rechtswidrig wird. 9 Ebd. S. 479.
§ 2 Bewertung
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Gefahr droht, daß es durch den Einsturz eines Gebäudes oder anderen Werkes oder durch die Ablösung von Teilen des Gebäudes oder Werkes beschädigt wird. — Aus diesen Vorschriften folgert Baur, daß nach der Vorstellung des Gesetzgebers zurechenbare Störungsquelle eine hergestellte oder gehaltene Anlage sein könne. Dem Gesetzgeber schwebe eine Gefahrenquelle vor, die von Menschenhand geschaffen sei 10 . Demgemäß glaubt er, den §§ 907, 908 die Wertung entnehmen zu können, daß die Störungsquelle letztlich auf einer menschlichen Tätigkeit beruhen müsse, reines Naturwirken die actio negatoria also nicht auslöse11. Er leitet aus diesen Bestimmungen für § 1004 ferner den allgemeinen Gedanken ab, daß der Eigentümer oder Halter 1 2 für Störungen, die von einer von Menschenhand geschaffenen Anlage ausgehen, hafte, gleichgültig, von wem sie errichtet worden sei und ob bei den Einwirkungen unmittelbar ein menschliches Handeln beteiligt sei oder nicht. Die Verantwortlichkeit für eine Anlage sei gewissermaßen nach Art einer gesetzlichen Dienstbarkeit auf dem Grundstück „radiziert" 1 3 .
§ 2 Bewertung Ob der Gedanke des Haltens der Anlage in der älteren Literatur und in der Rechtsprechung — wie bei Baur — auf das Gesetz selbst (§ 907 BGB) oder aber auf die Motive zurückzuführen ist, läßt sich nicht sagen. Zwar stand im Mittelpunkt der Vorarbeit zu § 1004 der Fall der Störung durch Anlagen; wie wir sahen, werden dort Eigentümer oder Besitzer als Halter der Anlage als verantwortlich eingestuft 14 . Daß die Voraussetzungen den Gesetzesmaterialien entnommen wurden, ist dennoch nicht wahrscheinlich 15 , weil gerade diese Ausführungen der Motive keine Beachtung finden. Die Störervoraussetzung des Haltens der Anlage erfaßt lediglich einen besonderen Fall der Beeinträchtigung. Immerhin aber wäre, wenn das Erfordernis zutreffend ist, wenigstens der vom Störer zu erfüllende Tatbestand für diesen Störungsfall fixiert. Doch ist der nach § 1004 Verantwortliche damit nur grob umrissen, denn die Merkmale des Haltens der Anlage müßten noch ermittelt werden; ob sie durch die sachenrechtliche Beziehung (Eigentum, Besitz) oder etwa die Nutzung der Anlage (§ 100 BGB) erfüllt werden, ist ungeklärt. Die Gründe für eine solche Störerbestimmung reichen in der von Baur untersuchten Form nicht aus. Baurs Folgerungen aus den §§ 907 und 908 sind nur globaler 10
Ebd. Ebd. S. 479 unten, 480 oben. 12 Hier wird neben dem Halter auch der Eigentümer als verantwortlich bezeichnet, ebd. S. 479 gegen Ende. 13 Ebd. S. 479 gegen Ende, 480 unter 2.; auch Baur § 12 III. 14 Vgl. oben 2. Kap. § 2. 15 Vgl. aber Offtermatt S. 48, wo sich das Zitat der Motive jedoch auch auf die Aufrechterhaltungsformel beziehen kann. 11
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§ 2 Bewertung
Art. Die Schlußfolgerung von diesen Vorschriften auf § 1004 setzt voraus, daß der Halter der Anlage nach den §§ 907 und 908 verantwortlich ist; nach § 908 ist jedoch der Besitzer verpflichtet, nach § 907, der mehrere Tatbestände enthält, nicht in allen Fällen der Halter der Anlage. Im 2. Teil wird sich die vorliegende Untersuchung den beiden negatorischen Spezialbestimmungen genauer zuwenden und die hier aufgeworfenen Fragen klären 16 .
16
Unten 12. Kap. §§ 5, 6; 13. Kap. § 2.
6. Kapitel: Die Lehre Pickers § 1 Einleitung A. Eine sich von den bisherigen geschilderten Auffassungen grundsätzlich unterscheidende Konzeption hat Picker in einer 1972 erschienenen Abhandlung entwickelt. Diese Konzeption bezieht sich nicht nur auf die Definition des Störers, sondern auf § 1004 BGB insgesamt, also auch auf Beeinträchtigungstatbestand und Rechtsfolge. Picker meint, daß eine Anknüpfung an römischrechtliche Ursprünge, dazu berechtige 1, die actio negatoria ähnlich der Vermögensverschiebung im Bereicherungsrecht als Fall einer „Rechtsusurpation" oder einer „Überlagerung von Rechtskreisen" aufzufassen 2. Diese Deutung Pickers beruht auf einer besonderen Interpretation des Beeinträchtigungstatbestandes, von der aus Picker die weiteren Probleme des § 1004, den Inhalt der Beseitigungspflicht und den negatorischen Gegner, bestimmt. Anders als die bisherige Behandlung des § 1004, wonach die Tatbestandsmerkmale der Vorschrift einzeln und voneinander unabhängig ausgelegt werden, schafft Picker eine Art Gesamtsystem, das ihn seiner Meinung nach in die Lage versetzt, die gegenwärtig zu § 1004 bestehenden Fragen — die Frage der Abgrenzung zum Schaden und zum Schadensersatz und die Frage, wer Störer ist — auszuräumen. Ihre Beantwortung soll sich danach gewissermaßen von selbst ergeben 3. Nach Pickers Ansicht führt die herkömmliche Interpretation der actio negatoria zu einer deliktsähnlichen Haftung. Hierin liegt der Hauptvorwurf Pickers. Die h.L. hat seiner Auffassung nach die actio negatoria zu einem um das Verschulden „verkürzten" Tatbestand der unerlaubten Handlung gemacht 4 , zu einer „ A r t sekundärem Deliktsanspruch" 5 oder einer — an sich, wie Picker meint, dem Schadensersatzrecht eigenen — „reinen Erfolgshaftung" 6 . Für diese Behandlung der actio negatoria macht Picker zwei Gesichtspunkte verantwortlich, die miteinander zusammenhängen oder einander bedingen sollen 7 . Es ist dies nach Picker einmal eine falsche Interpretation des Tatbestandsmerkmals der Beeinträchtigung, das nicht oder nicht ausreichend vom Schaden unterschieden werde. Auf diese Interpretation wiederum ist aus Pickers Sicht die Anwendung des Kausalprin1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Picker S. 61 2. Absatz, 49 2. Absatz gegen Ende. Im einzelnen unten § 2 A I. Vgl. S. 49 1. Absatz, 129 2. Absatz, 157. S. 30 2. Absatz, ferner S. 26 2. Absatz aE. S. 31 oben. S. 31 3. Absatz. S. 24 2. Absatz, 27 2. Absatz, 28 2. Absatz, 30 2. Absatz, 49.
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6. Kap. Die Lehre Pickers
zips zurückzuführen. Dieses Prinzip aber ist seiner Meinung nach historisch und dogmatisch verfehlt. Die nach Picker bestehende Deutung der actio negatoria als einer deliktsähnlichen Haftung durch die h. L. und die dafür verantwortlichen Faktoren 8 basieren nach seinem Standpunkt auf einer Verfälschung dieses Rechtsbehelfes, einer Fehlentwicklung, die im 19. Jahrhundert ihren Ausgang genommen habe 9 . Picker versteht daher seine eigene Auffassung als Gegensatz zur Kausallehre. Ein gewichtiges Argument gegen die h. L. und für die eigene Deutung entnimmt Picker daher der Dogmengeschichte der actio negatoria, die er im Anschluß an die Darlegungen seines eigenen Konzepts analysiert und durch die er sich bestätigt findet 10. Das Anliegen Pickers ist also ein zweifaches: eine neue Lehre des § 1004 BGB zu begründen und damit gleichzeitig das bisherige Verständnis zu widerlegen. B. Wegen ihrer Originalität hat die Arbeit Pickers viel Beachtung gefunden. Zwar wird Pickers Störerkonzept wegen der praktischen Ergebnisse, zu denen es gelangt, meist negativ kritisiert 11 . Doch hat seine Lehre auch schon ein positives Echo gefunden; Gursky ist ihr in ihren wesentlichen Zügen gefolgt 12 . Positiven Widerhall hat, wie schon früher dargelegt wurde 13 , vor allem die generelle Ablehnung des Kausalprinzips durch Picker gefunden. Zunehmend wird mit Berufung auf seine Untersuchung Skepsis gegenüber der Anwendung der Kausalität im Bereiche der actio negatoria hörbar 14 . Im ganzen sieht es so aus, als wenn die Arbeit zumindest als Wegweiser aufgefaßt wird, der zwar nicht immer in konstruktiver Hinsicht überzeugt, der aber wegen seines prinzipiell anderen Gedankenansatzes eine Loslösung von bisherigen Denkschemata ermöglicht und insofern bereits einen Schritt nach vorn bedeutet. Diese Beurteilung der Untersuchung Pickers beschränkt sich allerdings auf allgemeine und im einzelnen unbestimmte Aussagen. Das Kausalprinzip wird verdächtigt, § 1004 zu einer Deliktshaftung auszugestalten, ohne daß deutlich ist, was dieser Vorwurf inhaltlich bedeutet und wie er zu begründen ist. Offen bleibt ferner, welche Richtung auf diesem nur negativen Fundament stattdessen einzuschlagen ist. Doch zeichnet es sich ab, daß das Gedankengut Pickers sich mindestens in diesem zuletzt geschilderten Sinne etablieren und die künftige Behandlung des § 1004 mitbestimmen wird. Die vorliegende Arbeit, die sich des Störerthemas 8
Vgl. S. 49 2. Absatz. S. 61 2. Absatz. 10 S. 61 ff. 11 Vgl. die Besprechung Baurs AcP 175 (1975), 177 ff. [Erwiderung Pickers AcP 176 (1976), 28, 50 Fn. 69]; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 23; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 4 (S. 450), Rdnr. 42 (S. 466); Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 7 (S. 264), Rdnr. 14 aE; teilweise zustimmend dagegen Rdnr. 14 (S. 268); Olzen S. 33 - 39, insbes. S. 37 unten, 38 1. Absatz. 9
12 Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 70 aE, 71 ff.; zustimmend auch Hohloch S. 159 hinsichtlich der Gesamtkonzeption Pickers. 13 14
Oben 3. Kap. § 1 B. Vgl. oben ebd. Fn. 26.
§ 1 Einleitung
73
erneut annimmt, sieht sich daher vor der Aufgabe, sich mit den Thesen Pickers auseinanderzusetzen. Zu diesem Zwecke ist die Lehre Pickers in ihren wesentlichen Zügen zu skizzieren und einer Beurteilung zu unterziehen. C. Der genannte erste Schritt, die Wiedergabe des Konzepts Pickers, der das Fundament der kritischen Würdigung darstellen soll, sieht sich bereits vor Schwierigkeiten. Diese beruhen auf der äußeren Gliederung der Arbeit sowie auf der Methodik Pickers, zwei Faktoren, die zusammenhängen. Beide führen dazu, daß der Gedankengang Pickers nicht immer leicht verfolgbar ist. Die Darstellung fremder Ansichten, daran von Picker geübte Kritik, die Darstellung der eigenen Auffassung und deren Begründung erscheinen nicht in jeweils gesonderten, klar voneinander abgegrenzten Abschnitten, sondern wechseln ab und sind über die einzelnen Teile der Arbeit verstreut 15 . Dieses Vorgehen erschwert es, einen Überblick über Gehalt und Gründe der Lehre Pickers zu gewinnen. Es bedingt, daß der Leser, der sich ein Bild des essentiellen Inhalts dieser Lehre verschaffen will, mittels des Studiums der verschiedenen Abschnitte wesentliche Aussagen und Argumente selbst zusammenstellen muß. Ferner sind Definitionen der verwendeten Begriffe und Obersätze zu vermissen. Die tragenden Gedanken entbehren der Ausformung im einzelnen, so daß, wer ihre eigentliche Substanz kennenlernen will, teilweise darauf angewiesen ist, die Ansätze der Untersuchung fortzuführen und zu Ende zu denken. Diese Arbeit läßt sich jedoch nicht umgehen, weil es anderenfalls an einer Basis für eine Bewertung des Pickerschen Konzepts fehlt. Die folgenden Bemühungen beschränken sich auf eine Wiedergabe der Lehre Pickers (unten § 2), auf eine kritische Würdigung ihres theoretischen Gehalts (unten § 3) und der mit ihr erzielten praktischen Ergebnisse (unten § 4). Sie befaßt sich mit den näheren Gründen Pickers 16 nur da, wo diese für das Verständnis der Lehre herangezogen werden müssen. Weiter setzt sich die folgende Darstellung nicht mit den Argumenten Pickers gegen die Kausallehre auseinander, also der angeblichen „Strukturähnlichkeit" mit der unerlaubten 15
Vgl. etwa die Abschnitte S. 18ff., 25ff., 40ff., 49ff., 55ff. Vgl. ferner z.B. die Verarbeitung der gegen die herkömmliche Auffassung und für die eigene Interpretation angeführten Argumente wie den Willen des Gesetzgebers (S. 27 2. Absatz bei Fn. 13,31 3. Absatz, 42 2. Absatz, 78 ff.), den Wortlaut des § 1004 BGB (S. 27 2. Absatz, auch 128,129 oben), die parallele Struktur von actio negatoria einerseits und Bereicherungsrecht (S. 52 1., 2. Absatz) und rei vindicatio (S. 53 2. Absatz mit Fn. 4, S. 54) andererseits. Methodisch zu beanstanden ist das „Nachschieben" von Gründen. Ein Beispiel ist die Tatsache, daß die Dogmengeschichte erst im Anschluß an die eigene Konzeption der actio negatoria geschildert wird, obwohl Picker hierin seine Hauptstütze findet (s. S. 49-54, 61 ff.). Der Leser des zentralen Abschnitts der Monographie, in dem Picker seine Auffassung von der actio negatoria entwirft (s. S. 49 unter I: „Das Wesen des von § 1004 vorausgesetzten Verletzungstatbestands") und von dem aus Picker alle weiteren Fragen, so auch die des Störers, klärt, muß daher die Interpretation Pickers zunächst ohne Begründungen hinnehmen. 16
Diese liegen in den oben Fn. 15 genannten Argumenten.
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6. Kap. Die Lehre Pickers
Handlung und deren von Picker angenommener Ursache, dem „Zusammenhang" zwischen der bisherigen Deutung des Beeinträchtigungsmerkmals und dem Kausalprinzip 17 . Zwar ist diese Kardinalkritik Pickers der Ausgangspunkt seiner Untersuchung 18 . Doch die hier nicht ohne weiteres begreiflichen Aussagen — die sich stellenden Fragen wurden soeben angedeutet (oben B) — bedürften einer näheren Überprüfung. Es kommt an dieser Stelle aber lediglich auf die Frage an, ob die Lehre Pickers eine befriedigende Lösung des Störerproblems bietet; ihre Beurteilung setzt eine Beschäftigung mit der von Picker geübten Kritik nicht voraus.
§ 2 Darstellung der Lehre Pickers A. Interpretation des Beeinträchtigungstatbestandes durch Picker /. Der Schlüssel für alle mit § 1004 verbundenen Fragen ist nach Ansicht Pickers eine richtige Interpretation des Tatbestandsmerkmals der Beeinträchtigung 19 . Von hier aus bestimmt Picker den Gegner der negatorischen Klage 2 0 ; das Verständnis der Störerdefinition Pickers setzt also die Kenntnis seiner Deutung des Beeinträchtigungsmerkmals voraus. Picker legt dar, daß der negatorische Tatbestand nur festgestellt werden könne, wenn neben dem nachteiligen Zustand auf Seiten des Eigentümers zugleich die gegnerische Position in die Betrachtung einbezogen werde 21 . Was hiermit im einzelnen gemeint ist, zeigt sich bei der Auslegung der „Beeinträchtigung" durch Picker als Fall der „Rechtsusurpation" oder „Rechtsüberlagerung". Folgende Ausführungen Pickers sind als Kernsätze seiner Lehre anzusehen: Die negatorische Haftung erfordere, „daß die von Rechts wegen gegeneinander abgegrenzten Rechtskreise einander überlagern, so daß der tatsächliche Herrschaftsbereich beider Beteiligten dem vom Recht bestimmten Umfang nicht mehr entspricht, der Berechtigte vielmehr, soweit und solange die Grenzverschiebung seine Herrschaftsmacht einschränkt, faktisch enteignet ist zugunsten des Gegners, der in den fremden Eigentumsraum übergreift" 22 . Eine Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 liege daher nur vor, wenn das Minus der Einschränkung des 17 Vgl. oben Fn. 4-8; zur Frage, ob das Kausalprinzip tatsächlich zur „Deliktsähnlichkeit" der actio negatoria führt, s. unten 13. Kap. § 3 Β IV, § 5; 14. Kap. § 3 C, § 5. 18 Vgl. S. 18 ff., insbes. 24. 19 Vgl. S. 49 1. Absatz („Angelpunkt"), ferner S. 129 2. Absatz, 157. — Nicht klar ist, was Picker unter „Grund" der Haftung versteht; darunter ist gewöhnlich der gesamte, die Haftung (Rechtsfolge) auslösende Tatbestand zu verstehen, während Picker S. 49 1. Absatz den „Grund" der Haftung neben dem „Gegner" und dem „Tatbestand" (Beeinträchtigung) des § 1004 nennt; s. ferner S. 24 2. Absatz (Vorrang der „Haftungsbegründung"), 50 2. Absatz („Zurechnungsgrund"). 20 S. 49 1., 2. Absatz, 129 2. Absatz. 21 Vgl. S. 49 2. Absatz; die Konstatierung nur des Nachteils des Eigentümers durch die h. L. beruhe darauf, daß man wie bei der Schadensfeststellung verfahre (ebd.). 22 S. 50 1. Absatz.
§ 2 Darstellung der Lehre Pickers
75
Einwirkungsbeliebens auf Seiten der Berechtigten bedingt sei durch das Plus der faktischen Rechtsusurpation auf Seiten eines Dritten 2 3 . Die danach notwendige Lage sei vergleichbar dem Tatbestand der ungerechtfertigten Bereicherung 24. Dort bestehe zwischen tatsächlicher und rechtlicher Güterverteilung ein ähnlicher Widerspruch wie im Falle der Beeinträchtigung. Auch im Kondiktionsrecht entspreche dem Minus auf Seiten des Gläubigers das Plus einer Bereicherung auf Seiten des Gegners. — Diese Auffassung Pickers wird weiter verdeutlicht durch seine Interpretation der Rechtsfolge des § 1004 I 1: Da Beeinträchtigung eine Verschiebung der Rechtskreise bedeutet, ähnlich dem bereicherungsrechtlichen Tatbestand, kann nach Picker die Beeinträchtigung nur durch Rückgängigmachung dieser Verschiebung 25, durch ein Sich-Zurückziehen des Gegners „hinter die Grenzen seines Rechtskreises" beseitigt werden 26 . — Picker begründet die Notwendigkeit der Einbeziehung des Vorteils des Gegners in das Beeinträchtigungsmerkmal damit, daß der negatorische Tatbestand „seinem Wesen nach" ein Negieren, ein Absprechen der gegnerischen Position sei 27 . II. Im Verlaufe der weiteren Ausführungen ergibt sich, daß Picker seine Deutung hinsichtlich einzelner Aspekte präzisiert. 1. Zum einen stellt er fest 28 , daß allein die Verletzung der rechtlichen Integrität des Eigentums von Bedeutung sei; das Eigentum müsse verletzt sein „als Recht", es genüge nicht, daß nur ein Eingriff in sein „Substrat", „die Sache" vorliege 29 . Während für § 823 die Einschränkung des tatsächlichen Könnens, der realen Möglichkeit des Gebrauchs der Sache ausreiche, sei für § 1004 eine Einschränkung des rechtlichen Könnens notwendig; sie treffe die Freiheit des Eigentümers, mit der Sache nach Belieben zu verfahren 30 . 2. Weiter unterscheidet Picker zwei Formen der Beeinträchtigung, Beeinträchtigungen durch ein Handeln und durch den Zustand von Sachen31. Bei Beeinträchtigungen durch ein Handeln stelle das Handeln selbst als gegenwärtig andauernder Übergriff die Beeinträchtigung dar, z.B. wenn jemand fremden 23
Ebd. S. 52 1. Absatz, auch 129 3. Absatz. 25 S. 51 2. Absatz aE, 52 1. Absatz aE. 26 S. 157 1. Absatz, ferner 2. Absatz: „Korrektur des Rechtskreises". 27 S. 49 2. Absatz; damit spielt Picker offenkundig an die römischrechtlichen Anfange der actio negatoria an, bei der Gegenstand der Klage das Bestreiten eines vom Gegner behaupteten Rechts am klägerischen Eigentum (ζ. B. einer Servitut) war, s. Käser I § 103 II, S. 437f.; dazu Picker selbst später S. 61 ff. 28 S. 49/50, 52 2. Absatz, 55. 29 S. 50 oben. 30 S. 51 2. Absatz (Hervorhebungen bei Picker); s. auch S. 50 2. Absatz, 53, wo Picker annimmt, daß „Beeinträchtigung" ein normatives Tatbestandsmerkmal sei (dagegen Olzen S. 33/34). 31 Vgl. S. 82 ff. und 91 ff. 24
76
6. Kap. Die Lehre Pickers
Boden betrete und sich dort betätige oder wenn der Nachbar einen störenden Betrieb unterhalte 32 . Nur der A k t des Eingriffs selbst, nicht aber die zugefügte Verletzung als solche begründe die negatorische Klage 3 3 . Für eine nähere Kennzeichnung einer Beeinträchtigung durch den Zustand von Sachen betont Picker zunächst, daß Handlungs- und Zustandshaftung prinzipiell gleichartige Tatbestände seien. Es handele sich bei der Beeinträchtigung durch den Zustand von Sachen um eine „im Prinzip gleiche Inanspruchnahme" des fremden Eigentums wie in den Fällen der Einwirkung durch Handeln 34 . Daher sei eine genaue Unterscheidung der Fallgruppen nicht möglich, aber angesichts der gebotenen rechtlichen Gleichbehandlung auch nicht erforderlich 35 . Beispielhaft nennt Picker Fälle, in denen eine Anlage körperlich in den fremden Eigentumsraum hineinrage, den Fall der Ausbauchung einer Grenzmauer, der unzulässigen Immissionen durch eine Anlage 36 , ferner Fälle eines auf fremdem Boden abgestellten Fahrzeuges oder der dort lagernden Trümmer eines rechtlich selbständig gebliebenen Bauwerks 37 . Das betroffene Grundstück sei hier nicht nur körperlich, sondern zugleich rechtlich überlagert 38 , und dieses sei das Entscheidende39. Der Verkürzung der Sachherrschaft des gestörten Eigentümers entspreche eine Erweiterung der Einwirkungssphäre auf Seiten des Störenden 40 . Hier bestehe der Zustand der Rechtsusurpation auf der einen und der partiellen Enteignung auf der anderen Seite. Der Berechtigte werde, weil die störende Sache ihrerseits rechtlich geschützt sei, in seiner Eigentumsbefugnis beschränkt 41 . 3. Schließlich entfällt nach Picker der Tatbestand der Rechtsüberlagerung (Beeinträchtigung), wenn die störende Sache derelinquiert ist 4 2 oder mit der gestörten Sache gem. § 946 BGB verbunden wird und sich damit das Eigentum an der gestörten Sache auf die störende Sache erstreckt (§ 93, 94 BGB) 4 3 . In beiden Fällen könne eine Beeinträchtigung in tatsächlicher Hinsicht bestehen44,
32
S. 82 3. Absatz, ferner 2. Absatz. S. 86 2. Absatz; so auch S. 113 2. Absatz. Nur die Position des Gegners, nicht der Nachteil des Betroffenen entscheide darüber, ob eine Beeinträchtigung vorliege, s. S. 87 1. Absatz, auch S. 113 2. Absatz. 34 S. 91 1. Absatz. 35 Ebd. 36 S. 91 1. Absatz. 37 S. 91 2. Absatz. 38 S. 91 1. Absatz, ferner S. 91 unten, 92 oben. 39 S. 91 unten, 92 oben. 33
40
S. 91 1. Absatz. S. 92 1. Absatz. 42 S. 113 3. Absatz ff., auch 92 oben; Beispiele S. 115 2. Absatz, 115/116, auch S. 92 2. Absatz. 43 S. 116ff., auch S. 92 oben. 41
§ 2 Darstellung der Lehre Pickers
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doch entscheidend sei, daß der Eigentümer rechtlich in seiner Freiheit, mit dem Eigentum beliebig zu verfahren, nicht mehr gehindert sei 45 . Denn ein seinerseits gegen fremde Eingriffe geschütztes Recht an der störenden Sache existiere nicht mehr 4 6 . B. Interpretation des Störerbegriffs durch Picker /. Aus der Konzeption der actio negatoria als Überlagerung von Rechtskreisen leitet Picker den Störerbegriff her: Wenn das Wesen der Beeinträchtigung in der Einbuße an Rechtsmacht auf Seiten des Eigentümers bestehe, so könne Adressat des Abwehranspruches nur sein, wer die Eigentümerbefugnisse usurpiere 47 . Picker hebt zur Verdeutlichung den von ihm angenommenen Gegensatz zur deliktischen Haftung hervor und die seiner Meinung nach bestehende Verwandtschaft mit dem kondiktionsrechtlichen Gedanken. Gehe es um Schadensausgleichung, so sei jeder „Beliebige" leistungsfähig, es bedürfe deshalb, um einen bestimmten Verpflichteten zu obligieren, der Rechtfertigung seiner Verantwortlichkeit durch besondere Zurechnungsgründe. Verfolge dagegen das Gesetz wie in § 812 und § 1004 den Zweck, einer Person einen ihr nicht gebührenden Vorteil zu entziehen, in § 812 ein Vermögensobjekt, in § 1004 eine rechtsanmaßende Position, so komme notwendig nur der in Betracht, der dem Berechtigten das Objekt vorenthalte, dessen Vermögen also zu entreichern oder dessen Rechtskreis zu korrigieren sei 48 . II. Entsprechend den von Picker unterschiedenen Formen des Beeinträchtigungstatbestandes durch Handeln und durch den Zustand von Sachen49 erfolgt eine Differenzierung in zwei Gruppen von Störern, den Handlungs- und den Zustandsstörer 50 . Störer sei, wer durch sein Handeln oder durch den Zustand seiner Sachen das fremde Eigentum für sich in Anspruch nehme und damit der Ausübung der Sachherrschaft durch den Berechtigten im Wege stehe 51 . Picker hebt aber auch hier, wie schon bei den „Beeinträchtigungsformen" 52 , hervor 53 ,
44 Zur Dereliktion: S. 113 3. Absatz, auch S. 114 2. Absatz; zur Verbindung: S. 116 unten, 117 2. Absatz. 45 Zur Dereliktion: S. 113 3. Absatz; auch S. 114 2. Absatz; zur Verbindung S. 117 1. Absatz. 46 Zur Verbindung: S. 1171. Absatz; s. ferner zur Begründung im Falle der Dereliktion: S. 113 3. Absatz, auch 115 1. Absatz aE; Kritik an h.L. S. 115 1. Absatz (wohl Druckfehler: „verletzenden" Sache); im Falle der Verbindung: S. 117 1. Absatz (es fehle an einem Objekt für die negatorische Abwehr). 47 S. 129 2. Absatz. 48 Ebd. 3. Absatz. 49 S. 82ff., 91 ff., s . o . A I I 2. 50 51 52
S. 129 unten, 130-131 (Handlungsstörer), 131-146 (Zustandsstörer). Vgl. S. 129 2. Absatz, ferner S. 50 1. Absatz aE. S. 91 1. Absatz; dazu oben A I I 2.
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6. Kap. Die Lehre Pickers
daß diese Trennung seiner Meinung nach keine Differenzierung in juristischer, sondern nur in tatsächlicher Hinsicht sei; beide Störerarten unterschieden sich lediglich äußerlich nach der Art und Weise der Inanspruchnahme des fremden Rechts, Grund der negatorischen Haftung aber sei in beiden Fällen die Verschiebung der Rechtsposition. 1. Nach Picker ist Handlungsstörer, wer durch sein Handeln auf das fremde Eigentum einwirke, z.B. durch Benutzung oder Schädigung der Substanz der Sache54. Störer sei der Handelnde aber nur so lange, wie der Eingriff als Akt andauere 55 , selbst wenn durch diese Tätigkeit ein sachlicher Zustand geschaffen worden sei, der seinerseits eine Beeinträchtigung darstelle 56 . Der Störer sei jedoch unabhängig von der vorausgegangenen kausalen Beeinträchtigung zu ermitteln; der ursächliche Zusammenhang sei ohne jede Bedeutung. Der Dieb beispielsweise, der das gestohlene Auto auf einem fremden Grundstück stehenlasse, sei mit Beendigung des Tuns nicht mehr Störer 57 . 2. Für den Zustandsstörer führt Picker zunächst generell aus, daß, wenn eine durch den Zustand von Sachen bedingte Beeinträchtigung vorliege, Gegner derjenige sei, der vermittels der störenden Sache das fremde Eigentum mit seiner Rechtssphäre überlagere. Dies treffe auf jeden zu, dem die störende Sache rechtlich zugeordnet sei 58 . Weil kraft der Zuordnung jeder Dritte von der Einwirkung auf die störende Sache ausgeschlossen sei, habe der Störer gleichsam einen geschützten Raum in der Eigentumssphäre des Gestörten inne und sei dieser in seiner Freiheit als Eigentümer beschränkt. Im Falle sachbedingter Beeinträchtigungen sei daher jeder Störer, der gegen Einwirkungen auf die störende Sache seinerseits rechtlich geschützt sei. Der negatorische Anspruch des Gestörten sei nichts anderes als das rechtliche Instrument, den negatorischen Schutz des Störers zu überwinden 59 . Störer ist demnach der dinglich Berechtigte 60 , und zwar im einzelnen der Eigentümer 61 unabhängig davon, ob er Besitz hat 6 2 , der Sicherungseigentü53
S. 130 2. Absatz. S. 129 4. Absatz. 55 S. 130 1. Absatz oben. 56 S. 130 1. Absatz. 57 Ebd. 58 S. 130 3. Absatz. 59 Ebd., S. 131 1. Absatz. 60 Vgl. S. 131 ff., 132 2. Absatz, 137 2. Absatz, 143 oben, 2. Absat.z, 144 2. Absatz zu Beginn. 54
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S. 131 unten. S. 132 2. Absatz; Beispiele ebd.: Abstellen eines gestohlenen Wagens auf fremdem Grundstück durch den Dieb; störende Anlage des Nachbarn. — Der Umstand, daß der Eigentümer zugleich den Besitz innehabe, begründe nicht den Beeinträchtigungszustand, sondern „intensiviere" ihn (S. 132 2. Absatz, 137 2. Absatz aE). Wie man sich eine „Intensivierung" einer Beeinträchtigung vorzustellen hat und welche rechtlichen Folgen 62
§ 3 Analyse und Kritik der Lehre Pickers
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mer 6 3 , der dinglich Teilberechtigte wie der Pfandgläubiger 64 , Hypothekar 65 , Nießbraucher und Dienstbarkeitsberechtigte, sofern — so Picker — das Recht „räumlich und funktionell" den störenden Teil der Sache mitumfaßt 66 , ferner der Anwartschaftsberechtigte 67, der Besitzer unabhängig von der Art des Besitzes68, und schließlich derjenige, der den Besitz gegen seinen Willen verloren hat, aber deswegen Ansprüche gem. den §§ 867, 1007 und 989 ff. BGB geltend machen kann 6 9 .
§ 3 Analyse und Kritik der Lehre Pickers A. Einleitung Diese Interpretation der negatorischen Beeinträchtigung und des verantwortlichen Störers im Sinne des § 1004 durch Picker ist im folgenden auf ihren rechtlich-theoretischen Gehalt hin zu überprüfen, d. h. es sind die Voraussetzungen, die Picker im einzelnen verlangt, zu ermitteln. Eine solche Untersuchung muß, entsprechend der Konzeption der Lehre Pickers, bei der Interpretation des Beeinträchtigungsmerkmals ansetzen. Das nach Picker entscheidende, der bereicherungsrechtlichen Lage vergleichbare Element der „Rechtsverschiebung" oder „Rechtsusurpation" ist eine bildhafte und daher zunächst einleuchtend erscheindende Definition der Beeinträchtigung. Bei dem Versuch, die präzisen rechtlichen Voraussetzungen des Merkmals zu ermitteln, entstehen jedoch Schwierigkeiten. An keiner Stelle der Arbeit findet sich eine alle erforderlichen Kriterien enthaltende Definition dies hat, ist unklar. Zur internen Bindung des nur mittelbaren Besitz innehabenden Eigentümers, die ihn hindern kann, dem Beseitigungsverlangen nachzukommen, Picker S. 134-136. M. E. unklar S. 135 aE, wonach der Eigentümer als verpflichtet anzusehen sei, die Beschränkung der Beseitigungsmöglichkeit des Besitzers, soweit sie durch sein Eigentumsrecht bedingt sei, auszuräumen. Der Besitzer soll demnach wiederum auf Grund Eigentums (des Störers) in der Beseitigung beschränkt sein; Anspruchsgegner ist aber doch hier der Eigentümer, nicht der Besitzer. 63
Vgl. S. 136-141 oben; S. 137 2. Absatz zur fiduziarischen Bindung im Innenverhält-
nis. 64
S. 141 2. Absatz. S. 143 2. Absatz; idR neben dem Eigentümer, s. ebd., 144 1. Absatz. 66 S. 144 2. Absatz; Beispiele ebd. 67 S. 141-143; neben dem Anwartschaftsverpflichteten, S. 142 etwa Mitte, 143 1. Absatz aE. 68 S. 144 3. Absatz, 145, 146 oben; Eigen- oder Fremdbesitzer: S. 144 3. Absatz; die Haftung des unmittelbaren oder mittelbaren Besitzers ergibt sich aus S. 145 1. Absatz, 132 2. Absatz, 134-136 oben, 137 2. Absatz. 69 Vgl. S. 145 2. Absatz; Beispiel ebd.: der gemietete und dann gestohlene Wagen wird auf fremdem Grundstück abgestellt; die Beziehungen des früheren Besitzers (Mieters) zu der störenden Sache seien trotz Besitzverlustes noch „von solcher Qualität", daß vermittels der Sache sein Rechtskreis das fremde Eigentum überlagere. 65
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6. Kap. Die Lehre Pickers
des Beeinträchtigungstatbestandes. Die grundsätzlichen Ausführungen dazu (S. 49-54, insbes. S. 49-52 1. Absatz) sind infolge ihres globalen Inhalts juristisch ungenau. Darüber hinaus erweisen sie sich im Verlaufe der weiteren Deutung als unvollkommen. Diese Erörterungen enthalten nicht, wie von Grundsatzausführungen an sich zu erwarten, die wesentlichen Elemente oder das gedankliche Gerüst. In den Abschnitten über die Formen der Beeinträchtigung (S. 82ff.), den Wegfall der Beeinträchtigung (S. 113 ff.) und den negatorischen Gegner (S. 128 ff.) stellt sich heraus, daß der als „Rechtsusurpation" umrissene Tatbestand der Beeinträchtigung durch entscheidende Merkmale zu ergänzen ist (unten D); diese wiederum führen teilweise zu einem anderen als dem zunächst gewonnenen Bild der Beeinträchtigung, so daß in der Gesamtinterpretation eine Unstimmigkeit entsteht (unten E). Erschwerend für das Verständnis kommt hinzu, daß diese weiteren Erfordernisse des Beeinträchtigungstatbestandes nicht als wesentliche, zur Definition der Beeinträchtigung gehörende Merkmale herausgestellt werden, sondern im Verlaufe der Arbeit einfließen und nur auf Grund ihrer wiederholten Nennung als entscheidend erkannt werden können. B. Die Interpretation des Beeinträchtigungstatbestandes als „Rechtsusurpation" /. Bei den grundsätzlichen Ausführungen zum Beeinträchtigungstatbestand (S. 49-52) wird kein einzelne, präzise Voraussetzungen enthaltender Obersatz entwickelt. Vielmehr handelt es sich um Beschreibungen einer Situation, die bei einer Beeinträchtigung im Sinne Pickers entsteht, und zwar unter Verwendung von Bildern. Die das Wesentliche des Pickerschen Verständnisses des Beeinträchtigungstatbestandes kennzeichenden Begriffe der „Rechtsusurpation", der „Verschiebung" oder „Überlagerung" von Rechtskreisen sowie des „Übergriffs" in einen fremden Eigentumsraum (oben § 2 A I) veranschaulichen das Gemeinte durch Gleichnisse, die zum Teil der physischen Welt entstammen; einzelne rechtliche Merkmale enthalten sie nicht 7 0 . Insoweit handelt es sich um Obersätze globaler Art, die einem anderen Seinsbereich angehören und die daher nur eine rechtlich ungefähre Vorstellung der Erfordernisse vermitteln. „Rechtsusurpation" oder „Rechtsanmaßung" etwa bedeuten dem Wortsinne nach Usurpation oder Anmaßung eines Rechts (fremdes Eigentum), aber auch, daß diese Verhaltensweisen durch ein Recht (Eigentum, Nießbrauch etc.) stattfinden. In einem begrifflich scharfen Sinne können sie nicht verstanden werden. II. Der Gehalt der Pickerschen Interpretation, der mehr schlagwortartig durch diese bildhaften Obersätze gekennzeichnet wird, ist jedoch unter Heranziehung weiterer Darlegungen Pickers genauer beschreibbar: Vorhanden sein 70 Vgl. auch Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 4, S. 450: „gewisse Unschärfe", die dem Begriff der Überlagerung einer fremden Rechtssphäre zukomme.
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müssen ein Nachteil des Eigentümers und ein Vorteil des Störers, und zwar gerade in der Weise, daß Vor- und Nachteil einander entsprechen. Denn es heißt, „das Plus einer faktischen Rechtsusurpation" müsse „das Minus der Einschränkung des Einwirkungsbeliebens" bedingen 71 , oder: was dem Gestörten fehle, müsse der Störer innehaben 72 , eine Lage, die mit dem Bereicherungstatbestand (§ 812) 73 und der Beseitigungspflicht in Gestalt der Rückgängigmachung der Verschiebung 74 verdeutlicht wird. Im einzelnen ungeklärt aber ist insoweit noch der Gegenstand der Usurpation oder Verschiebung, also das Objekt der Bereicherung auf Seiten des Störers und der Entreicherung auf Seiten des gestörten Eigentümers. Die prinzipiellen Darlegungen Pickers (S. 49ff., oben § 2 A I) verhaften auch insoweit im Bildhaften, als es heißt, eine Beeinträchtigung bedeute, daß das „eingebüßte ,Stück Eigentum' " durch einen Dritten ausgeübt werde und daß das, was dem Gestörten fehle, der Störer innehaben müsse 75 . M i t dieser Beschreibung verbindet sich die Vorstellung einer physischen Okkupation eines Teils des Grundstücks durch den Störer, so daß insoweit dem Gestörten der Besitz entzogen ist. Näheren Aufschluß über die genannte Frage geben die beiden nach Picker bestehenden Beeinträchtigungsformen durch ein Handeln und durch einen Sachzustand (S. 82ff., oben § 2 A II). Da im Falle des Handelns nur dieses selbst den Übergriff nach Meinung Pickers darstellt, nicht dessen Eingriffsfolgen 76 , kann daraus geschlossen werden, daß „Bereicherungsgegenstand" der Gebrauch des fremden Eigentums ist. — Das Vorliegen der Beeinträchtigung durch den Zustand von Sachen erklärt Picker einmal mit den stichwortartig fallenden Begriffen der Inanspruchnahme des fremden Rechts, der „faktischen Grenzverschiebung", der Verkürzung der Sachherrschaft des Eigentümers und der entsprechenden Erweiterung der Einwirkungssphäre des Störers, dem Widerspruch von Recht und Wirklichkeit 7 7 und der Rechtsusurpation auf der einen und der partiellen Enteignung auf der anderen Seite 78 . Daneben aber erscheint hier erstmals ein weiteres Erfordernis, nämlich die Notwendigkeit einer rechtlichen anstelle einer bloß tatsächlichen Überlagerung 79 . Da Picker die rechtliche Zuordnung der störenden Sache zu einer Person fordert 80 , ist 71
S. 50 1. Absatz. S. 51 2. Absatz. 73 S. 52 1. Absatz, oben § 2 A I. 74 Oben § 2 A II. 75 Vgl. S. 51 2. Absatz, später auch S. 113 3. Absatz zu Beginn. 76 S. 82 3. Absatz, 86 2. Absatz, oben § 2 A II. 77 S. 91 1. Absatz. 78 S. 92 1. Absatz; s. die Beispiele S. 91 1., 2. Absatz. 79 S. 91 1. Absatz gegen Ende, 91 unten, 92 oben; ähnlich S. 92 2. Absatz zu Beginn; ferner S. 92 1. Absatz. 72
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Vgl. oben § 2 A I I 2, Β II.
6 Herrmann
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6. Kap. Die Lehre Pickers
offenbar gemeint, daß die Usurpation oder Überlagerung in der Existenz dieser Rechte auf dem fremden Grundstück bestehe. Dafür spricht auch, daß Picker meint, das betreffende Grundstück sei nicht nur körperlich, sondern durch das fremde Eigentum zugleich rechtlich überlagert 81 . Welcher Art das überlagernde Recht im einzelnen sein kann, zeigt sich dann bei den Darlegungen zur Störerperson: es kann in dinglichen Rechten, Besitz und Ansprüchen aus Besitz bestehen (oben § 2 Β II). III. Damit ist die oben (II) gestellte Frage beantwortet: Bei störenden Handlungen soll der Vorteil des Handelnden offenbar im Gebrauch des fremden Eigentums bestehen, der Nachteil des Eigentümers darin, daß er durch die Vornahme fremder Handlungen auf seinem Grundstück in der eigenen Gebrauchsfreiheit behindert ist. Im Falle störender Sachen besteht der Vorteil des Störers in der Inanspruchnahme des fremden Eigentums durch seine Rechte, die ihm an der Sache zustehen, der Nachteil des Eigentümers liegt in der Existenz eben dieser Rechte in seinem Eigentumsbereich, also im faktischen Behindertsein durch die fremden Sachen. Somit läßt sich der Begriff der Rechtsursurpation oder Rechtsanmaßung auch genauer fassen (s. oben I): Bei Handlungen kann Rechtsusurpation nur bedeuten Usurpation eines Rechtes (Eigentum), denn an einem Recht, durch das das fremde Eigentum beansprucht wird, fehlt es. Bei störenden Sachen dagegen bedeutet Rechtsusurpation Usurpation eines Rechts (Eigentum) durch ein Recht. C. Die Bedeutung der Verletzung des Eigentums „als Recht" Fraglich ist jedoch, ob sich ein anderes als das eben (Β I I 3) ermittelte Verständnis der Beeinträchtigung im Sinne Pickers daraus ergibt, daß er eine Verletzung des Eigentums gerade „als Recht" verlangt im Gegensatz zur Verletzung des „Substrats" der Sache selbst, die er als nur für den deliktischen Schaden bedeutsam hält (oben § 2 A I I 1). Diese Differenzierung setzt voraus, daß sich zwei verschiedene Aspekte des Eigentums unterscheiden lassen, ein rechtlicher und ein tatsächlicher. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eigentum setzt zwar das Vorhandensein einer Sache (§ 90 BGB) voraus, das Eigentum selbst ist aber ein Recht. Die Sache „als solche" ist juristisch nicht bedeutsam, bedeutsam ist lediglich die Beziehung von Person und Sache, also die Qualifizierung dieser Beziehung etwa als Eigentum. Ein Eingriff in eine Sache „als solche", also in eine herrenlose Sache, ist rechtlich ohne Belang. Rechtlich relevant ist überhaupt nur ein Eingriff in das Recht Eigentum. Besteht Eigentum an der Sache und erfolgt ein Eingriff in die Substanz der Sache („Substrat"), ist das Recht Eigentum tangiert. Dies ist auch im Deliktsrecht der Fall, nicht wird dort durch die Sachverletzung lediglich das „tatsächliche Können" eingeschränkt, wie Picker meint (oben § 2 A I I 1). Die Sache an sich ist weder Schutzobjekt des § 1004 noch des § 823, sondern Schutzobjekt ist in beiden Fällen das Recht Eigentum. Auch 81
S. 91 1. Absatz gegen Ende.
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das in der Monographie verarbeitete Beispielsmaterial, das vom Dieb auf fremdem Grundstück abgestellte Fahrzeug 82 , die in den Nachbarraum ragende Anlage 83 , die auf dem Grundstück befindliche Hausruine 84 oder das auf fremder Wiese weidende Vieh 8 5 stellt Fälle dar, in denen in das Eigentum physisch eingegriffen wird und in denen daher das Recht Eigentum verletzt ist. Damit kann dem von Picker angenommenen Gegensatz der Beeinträchtigung des Eigentums in rechtlicher und nur tatsächlicher Hinsicht nicht gefolgt werden. Es läßt sich somit die von Picker getroffene nähere Qualifizierung der Art der Beeinträchtigung nicht aufklären 86 . D. Die Bedeutung der geschützten Sachbeziehung des Gegners /. Hat sich bis hierher ergeben, daß der Tatbestand der Rechtsusurpation durch Handlungen auf dem fremden Grundstück entstehen kann oder durch die Existenz von Sachen, an denen der Störer dinglich berechtigt ist (oben Β III), so taucht ein weiteres Erfordernis auf, das das bisherige Verständnis wieder in Frage stellt. Es bezieht sich auf die Qualität des Nachteils des Eigentums in Gestalt des Schutzes der störenden Sache. Diese Voraussetzung erscheint wiederholt im Verlaufe der Abhandlung, erstmals bei den Darlegungen der Beeinträchtigung durch den Zustand von Sachen (Picker S. 92 1. Absatz, oben § 2 A I I 2 vor Fn. 41), ohne daß deren Bedeutung in grundlegenden und zusammenhängenden Ausführungen erläutert würde. Dennoch wird deutlich, daß es sich um ein wesentliches Merkmal des Beeinträchtigungstatbestandes handelt. Der folgende Überblick über die genannte Voraussetzung mag Grundlage der Ermittlung seiner Bedeutung sein. 1. Im Falle der auf dem fremden Grundstück befindlichen störenden Sachen wird nach Meinung Pickers der Berechtigte in seiner Befugnis, nach Belieben mit seinem Eigentum zu verfahren, beschränkt, weil die störende Sache ihrerseits rechtlich geschützt sei (S. 92 1. Absatz, oben § 2 A I I 2 vor Fn. 41). 82
S. 132 2. Absatz, 91 2. Absatz. S. 144 3. Absatz, 91 1. Absatz. 84 S. 136-141. 85 S. 141 2. Absatz. 86 Vgl. auch Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 4, S. 450: „gewisse Unschärfe" des Begriffs der Verletzung der rechtlichen Integrität; ferner Olzen S. 36-37 oben, ähnlich wie hier wohl Olzen S. 36 3. Absatz, 37 1. Absatz. — Eine Beeinträchtigung ohne Substanzverletzung liegt bei Verfügungen eines Nichtberechtigten vor und ferner bei Beeinträchtigungen in ästhetischer Hinsicht (Beispiel: RGZ 76,130 = JW 1911 Nr. 33, S. 587, störender Anblick von Badegästen; umstr., ob die im letzten Falle beschränkte Benutzbarkeit Beeinträchtigung iSd§ 1004 ist, s. MK-Medicus § 1004 Rdnr. 30,31 mwN). Bei Erörterungen zum Fall der Verfügung eines Nichtberechtigten, die Picker als Beeinträchtigung betrachtet, betont er, daß eine körperliche Einwirkung auf das Eigentum nicht Voraussetzung sei (Picker S. 83 3. Absatz, ähnlich S. 50 oben); nach den übrigen Darlegungen ist diese dagegen überhaupt irrelevant. 83
6*
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6. Kap. Die Lehre Pickers
2. Später wird im Abschnitt über den Wegfall der Beeinträchtigung (S. 114 2. Absatz, oben § 2 A I I 3) das NichtVorliegen einer Beeinträchtigung folgendermaßen begründet: Erst dann, wenn keine rechtlich geschützte Beziehung des Gegners von der beeinträchtigenden Sache den Betroffenen hindere, diese zu zerstören, liegen zu lassen oder durch Aneignung oder Verwertung in sein Vermögen zu überführen, stehe seinem freien Einwirkungsbelieben innerhalb seines Rechtskreises nichts mehr im Wege 87 . Der Eigentümer brauche sich mit der bloßen Gestattung der Beseitigung aber nicht zu begnügen; einmal deshalb nicht, weil sie die Verteidigungsmaßnahmen des Gestörten vom Einverständnis des Störers abhängig mache und daher den Eigentumsschutz an der störenden Sache dem Gestörten gegenüber nur teilweise aufhebe (S. 114 2. Absatz); außerdem würde die Einwilligung in die Selbsthilfe mangels dinglicher Wirkung im Falle der Rechtsnachfolge weder den Eigentümer der verletzenden noch den der verletzten Sache verpflichten oder berechtigen; sie vermöchte daher dem Eigentum als solchem die Freiheit nicht zu verschaffen, so daß die Rechtsnachfolger, wenn Anspruch und Verpflichtung nicht mitübertragen würden, die Beseitigung der fortbestehenden Beeinträchtigung von neuem aushandeln müßten (ebd.). 3. Weiter heißt es für das Entfallen der Beeinträchtigung im Falle der Verbindung von gestörter und störender Sache: Hier fehle es an einem Objekt für die negatorische Abwehr, das Grundstück sei in seiner Substanz verändert, nicht aber in seiner Freiheit beschränkt. Denn ein fremdes Recht an der verbundenen Sache, das seinerseits gegen Eingriffe des Gestörten geschützt wäre, bestehe infolge der Verbindung nicht fort; das eigene Recht, mit der veränderten Sache nach Belieben zu verfahren, werde daher nicht eingeschränkt (S. 117 1. Absatz). 4. Und endlich findet sich bei den Ausführungen zum Störer im Falle der Störung durch Sachen folgende Begründung (S. 130 3. Absatz, 131 1. Absatz): Bei durch den Zustand von Sachen bedingter Beeinträchtigung sei Gegner der negatorischen Abwehr derjenige, der vermittels der störenden Sache das fremde Eigentum mit seiner Rechtssphäre überlagere; diese Voraussetzung liege bei jedem vor, dem die störende Sache rechtlich zugeordnet sei. Weil kraft dieser Zuordnung jeder Dritte von der Einwirkung auf die störende Sache ausgeschlossen sei, habe der Störer „gleichsam" einen geschützten Raum in der Eigentumssphäre des Gestörten inne und sei dieser (Gestörte) in seiner Freiheit als Eigentümer beschränkt. Störer sei im Falle einer sachbedingten Beeinträchtigung also jeder, der gegen Einwirkungen auf die störende Sache seinerseits rechtlich geschützt sei. Der negatorische Anspruch des Gestörten sei nichts anderes als das rechtliche Instrument, den negatorischen Schutz des Störers zu überwinden. II. Nach diesen Darlegungen genügt es für den Nachteil des Eigentümers nicht, wie die bis dahin erfolgten Ausführungen annehmen ließen, daß das 87
Ähnlich S. 113 3. Absatz.
§ 3 Analyse und Kritik der Lehre Pickers
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Eigentum eine faktische Beschränkung durch die fremde Sache erleidet 88 , sondern die Behinderung muß deshalb bestehen, weil die fremde Sache ihrerseits rechtlich geschützt ist und daher nicht angetastet werden darf. Das heißt: nicht erfolgt nur die Anmaßung des fremden Eigentums durch das Haben eines Rechts im fremden Bereich, sondern auch das Gegenstück, der Nachteil des Eigentümers, muß gerade darin bestehen, daß diese Rechte den Eigentümer hindern, die Sache anzutasten. — A n diese Beurteilung schließen sich drei Fragen an: 1. Die Behinderung des Eigentums liegt danach im Nicht-antasten-Dürfen der fremden Sache, sie besteht also hinsichtlich der störenden Sache. § 1004 verlangt aber eine Beeinträchtigung des Eigentums. Vermutlich ist gemeint, daß der Eingriff in das Eigentum die Folge des Schutzes der störenden Sache ist. Wenn diese nicht angetastet werden darf, stört sie das Eigentum durch ihr Vorhandensein: der Eigentümer kann sie nicht entfernen oder vernichten. Die Art des von Picker geforderten Nachteils wird jedoch insoweit nicht präzisiert. 2. Picker spricht lediglich allgemein von einer „rechtlich geschützten Beziehung" des Gegners zur störenden Sache. Welcher Art dieser Schutz im einzelnen ist, wird nicht dargelegt. Er kann nur darin gesehen werden, daß dem Rechtsinhaber der störenden Sache potentiell Ansprüche zustehen für den Fall, daß der Eigentümer zur Selbsthilfe greift und die Sache antastet, sie z.B. entfernt. Der Nachteil und damit die Beeinträchtigung setzt also voraus, daß Ansprüche des an der störenden Sache Berechtigten denkbar sind. Picker selbst äußert sich zwar zu möglichen Ansprüchen nicht 8 9 , doch können seine Darlegungen anders nicht gedeutet werden. Da sein Konzept nicht beurteilbar ist, wenn nicht feststeht, ob Ansprüche des Störers gegen den Gestörten in Frage kommen, sollen im folgenden die möglichen Fälle auf denkbare Ansprüche des Störers hin untersucht werden; dies muß in groben Umrissen genügen, um die auftretenden Probleme ins Blickfeld zu rücken. — Für mögliche Ansprüche des Störers kommt es darauf an, welche dingliche Position er an der Sache einnimmt: a) Ist der Störer Eigentümer der störenden Sache, etwa — um die Beispiele Pickers aufzugreifen 90 — des vom Dieb auf dem Grundstück abgestellten Fahrzeugs oder der überhängenden Mauer, so steht ihm seinerseits ein Anspruch aus § 1004 BGB zu, wenn der Gestörte die Sache antastet. Hier tauchen nun dieselben Probleme auf, die für den Anspruch des gestörten Eigentümers entstehen. Es ist also auch hier die Frage zu klären, ob eine Beeinträchtigung des Störers — infolge der Selbsthilfe des gestörten Eigentümers — gegeben ist und ob der Eigentümer — demgemäß — Störer ist. Die 88
Oben Β III. Die die Störereigenschaft begründenden Ansprüche bei unfreiwilligem Besitzverlust sind Ansprüche gegen Dritte auf Grund des Besitzentzuges, nicht Ansprüche gegen den Eigentümer wegen Eingriffs in die störende Sache, s. Picker S. 145 2. Absatz. 90 Picker S. 91. 89
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6. Kap. Die Lehre Pickers
Parteien des Anspruches, der an sich Thema der Abhandlung ist, d. h. Störer und gestörter Eigentümer des § 1004, treten jeder auch in der Rolle des Gegners auf; der Störer ist gestörter Eigentümer, der gestörte Eigentümer ist Störer. Demnach will Picker das Vorliegen einer Beeinträchtigung für den an sich zu prüfenden Anspruch aus § 1004 feststellen, indem er ermittelt, ob eine Beeinträchtigung im umgekehrten Verhältnis gegeben ist. — Damit zeigt sich, daß die entsprechenden Probleme, die der eigentliche Gegenstand der Untersuchung Pickers sind, mit der Interpretation der actio negatoria als „geschützter Raum" in der fremden Eigentumssphäre nicht geklärt sind. Neben § 1004 kommen für den Störer Ansprüche auf Herausgabe der störenden Sache nach § 985 BGB in Betracht sowie Schadensersatzansprüche nach den §§989ff. BGB. Diese Ansprüche werden aber praktisch nicht eingreifen; der gestörte Eigentümer ist nicht als Besitzer der störenden Sache anzusehen, weil es ihm am Besitzwillen fehlt 9 1 ; er will die Sache gerade loswerden. Denkbar sind aber grundsätzlich Schadensersatz- und bereicherungsrechtliche Ansprüche (§§ 823, 812 BGB). b) Als unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer kann der Störer besitzschutzrechtliche Ansprüche aus den §§ 861, 862, 869 BGB geltend machen. Dagegen paßt § 1007 BGB auf den vorliegenden Fall nicht, da er eine willentliche Weitergabe des Besitzes („Erwerb") voraussetzt. Soweit der Besitz als sonstiges Recht nach § 823 I anerkannt ist 9 2 , stehen Schadensersatzansprüche zur Verfügung, ferner Ansprüche aus § 812 I 1 2. Fall. c) Probleme entstehen für die von Picker für notwendig befundenen Schutzrechte des Störers, wenn der Störer Inhaber dinglicher Teilrechte an der störenden Sache ist. Der Teilrechtsinhaber ist zunächst deliktisch geschützt (§ 823 BGB). Ob ein Bereicherungsanspruch (§ 812) besteht, läßt sich generell nicht klären; die Frage wird von der Art des dinglichen Rechts abhängen: Bei einem Nießbrauch an einem Grundstück, deren Anlage in den Nachbarraum reicht, die der dadurch gestörte Eigentümer beseitigt, ist denkbar, daß der gestörte Eigentümer bereichert ist auf Kosten des Nießbrauchers; dagegen ist dies zweifelhaft, wenn der Störer Hypothekar ist. Es würde zu weit gehen, hier Einzelfragen anhand möglicher Sachverhaltsgestaltungen zu untersuchen. Jedenfalls zeigt sich, daß der kondiktionsrechtliche Anspruch in allgemeiner Form nicht zu bejahen ist. Eine Reihe grundsätzlicher Fragen aber wirft der Schutz dinglicher Teilrechte auf, weil das Gesetz diesen Schutz nur lückenhaft ausgestaltet hat. Teilweise geregelt ist das Verhältnis zwischen dinglich Teilberechtigtem und dem Eigentümer der belasteten Sache; die in diesen gesetzlichen Schuldverhältnissen für den Teilrechtsinhaber normierten Schutzrechte 93 haben hier jedoch außer Betracht
91 92
Zum Erfordernis des Besitzwillens für den Besitz s. MK-Haase § 854 Rdnr. 34. Vgl. etwa Erman-Drees § 823 Rdnr. 30 mwN.
§ 3 Analyse und Kritik der Lehre Pickers
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zu bleiben, weil es nicht um Ansprüche gegen den Eigentümer der belasteten Sache geht, sondern um Ansprüche gegen einen Dritten (Eigentümer des § 1004). Dieser hier in Frage stehende Schutz des Teilrechtsinhabers (Störers) gegen Eingriffe Dritter (Eigentümer) kann im vorliegenden Zusammenhang nur in seinen Grundzügen angesprochen werden, um die auftauchenden Fragen zu verdeutlichen; das Gebiet ist ohnehin wenig erforscht 94 . Für Dienstbarkeiten, Nießbrauch und Pfandrecht wird für den Fall der Beeinträchtigung dieser Rechte auf die Ansprüche des Eigentümers verwiesen, und zwar für Dienstbarkeiten auf § 1004 (§§ 1027,1090 I I BGB), für Nießbrauch und Pfandrecht global auf die Rechte des Eigentümers (§§ 1065, 1227 BGB), somit außer auf § 1004 auch auf die §§ 985ff. Derartige Verweise fehlen dagegen bei der Hypothek, für sie besteht aber ein Unterlassungsanspruch gem. §§ 1134, 1135, wenn Einwirkungen auf das mit der Hypothek belastete Grundstück selbst oder dessen Zubehör stattfinden, die die Sicherheit der Hypothek gefährden. Verweise auf den Eigentumsschutz fehlen ferner bei Grundschuld (§§1191 ff.), Rentenschuld (§§ 1199 ff.) und Reallast (§ 1105) sowie beim Vormerkungs- und Vorkaufsrecht (§§ 883ff., 1094ff.) 95 . Diese Rechte sind von Picker zwar nicht ausdrücklich berücksichtigt, doch besteht auf Grund seines Konzeptes Anlaß zu der Frage, ob sie ebenfalls das fremde Eigentum „usurpieren" können und ob demgemäß deren Inhaber als Störer qualifizierbar ist. Diese so im Gesetz geregelte Lage des dinglich Teilberechtigten wirft folgende Fragen auf: Einmal entsteht das Problem, ob die für den Eigentümer geltenden Schutzansprüche der §§ 1004, 985 ff. trotz fehlenden Verweises entsprechend heranzuziehen sind. Zum zweiten ist im einzelnen zu prüfen, wie sich die — gesetzliche oder analoge — Anwendung im einzelnen gestaltet. Jedenfalls auf den ersten Blick sinnvoll erscheint für alle dinglichen Rechte ein Anspruch aus § 1004, auch soweit sich im Gesetz kein Verweis darauf findet. Ob 93 Vgl. beispielsweise für den Nießbrauch an Sachen §§ 1035 S. 4,1036ff., Nießbrauch an Rechten §§ 1074ff.; für Dienstbarkeiten §§ 1020ff., 1090 II; für Pfandrecht §§ 1215ff.; für die Hypothek u.a. § 1169; für die Vormerkung §§ 886, 888; für das Vorkaufsrecht §§ 1098 I, 504ff.; keine Schutzvorschriften enthalten die Bestimmungen über die Rentenschuld (§§ 1199 ff.). 94 Vgl. die Kommentare und Lehrbücher zu den sogleich aufzuführenden Verweisungsvorschriften. 95 Der Grund wird darin bestehen, daß den Inhabern dieser Rechte eine dem Eigentümer nicht vergleichbare Rechtsstellung zukommt; das Gebiet ist kaum erforscht; Vormerkung und Vorkaufsrecht sowie Grundpfandrechte (Hypothek, Grund- und Rentenschuld) berechtigen nicht zum Besitz, der aber zumindest für den Anspruch aus §985 Voraussetzung ist, allerdings nicht für den Anspruch aus § 1004 (Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 2). Das Recht der Reallast enthält ebenfalls keinen Verweis auf die Schutzansprüche des Eigentümers; mit Besitz kann sie verbunden sein, wenn man es für möglich hält, daß Gebrauchsgewährungen für das Wohnrecht (sog. Altenteil) Inhalt einer Reallast sein können (umstr. s. MK-Joost § 1105 Rdnr. 9); die Frage wird mit der umstr. Rechtsnatur der Reallast zusammenhängen (dazu MK-Joost §1105 Rdnr. 4). Ob Vormerkung und Vorkaufsrecht dingliche Rechte sind, ist zweifelhaft, s. folgende Fn.
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6. Kap. Die Lehre Pickers
er auch für den Vormerkungs- und den Vorkaufsberechtigten gilt, was schon wegen der nicht eindeutig dinglichen Natur dieser Rechte 96 zweifelhaft ist, und ferner ob er überhaupt praktisch werden kann, müßte ermittelt werden. Soweit aber ein Anspruch aus § 1004 in Betracht kommt, entsteht für den Anspruch des Störers, der Teilrechtsinhaber ist, die bereits oben genannte Schwierigkeit: Der Anspruch des gestörten Eigentümers nach § 1004 wird bei Picker begründet mit einem denkbaren Anspruch des Störers ebenfalls aus § 1004, so daß dieselbe Frage, die an sich Gegenstand der Untersuchung ist (Beeinträchtigung, Störerperson) erneut auftaucht; sie soll also gelöst werden mit einer ihrerseits ungelösten Frage. Ein Anspruch des dinglich Teilberechtigten auf Herausgabe nach § 985 kommt generell in Betracht für solche Rechte, die zum Besitz berechtigen wie im Falle von Nießbrauch, Pfandrecht und — soweit mit Besitz verbunden — Dienstbarkeit und Reallast 97 . Ob dagegen die rei vindicatio auch bei Rechten eingreift, die mit Besitz nicht verknüpft sind, wie Hypothek, Grundund Rentenschuld, ist nicht geklärt; sie kann überhaupt nur auf Wiedereinräumung des Besitzes an den Eigentümer gehen (ähnlich § 869 BGB). Im vorliegenden Fall aber ist die rei vindicatio kaum denkbar, weil der gestörte Eigentümer nicht Besitzer ist; ihm fehlt es, wie bereits festgestellt wurde 98 , am Besitzwillen, weil er sich gerade von der Sache befreien möchte. Aus diesem (letzteren) Grunde scheiden auch Schadensersatzansprüche des Störers gegen den Gestörten nach den §§ 989 ff. grundsätzlich aus. Besitzschutzansprüche nach den §§ 861, 862 (§ 869) kommen für den Störer, der dinglich teilberechtigt ist, nur in Betracht, wenn sein Recht, wie oben erläutert, mit Besitz verbunden ist. Dagegen ist der negatorische Unterlassungsanspruch des Hypothekars gem. §§ 1134, 1135" praktisch vorstellbar; zu beachten ist, daß der Eingriff des Eigentümers in die sein Eigentum störenden Grundstücks- oder Zubehörteile die Hypothek gefährden muß 1 0 0 .
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Vgl. zur Vormerkung MK-Wacke § 883 Rdnr. 3, 4; zum Vorkaufsrecht M K - H . P. Westermann § 1094 Rdnr. 4 mit Fn. 6; bejahend die h. M. 97 Zum Besitz bei Reallast oben Fn. 95; Beispiele für Besitz bei einer Grunddienstbarkeit §§1021, 1022 BGB. 98 Vgl. oben bei Fn. 92. 99 Dazu Picker S. 143 2. Absatz unten, 144 oben. 100 Picker selbst scheint von dem Obersatz von der Schutzsphäre als das die Beeinträchtigung iSd § 1004 begründende Merkmale für den Hypothekar abzuweichen. Er begründet dessen Haftung außer mit dem Anspruch des Hypothekars aus § 1134 BGB damit, daß der Hypothekar „mit der Verwertung des haftenden Grundstücks praktisch ein Stück Eigentum des Gestörten verwertet" (S. 143 2. Absatz). Der Satz ist auch in sich m. E. nicht verständlich; verwertet wird das Grundstück durch Veräußerung; dem gestörten Nachbarn kommt es nicht darauf an, wer Eigentümer des anderen, störenden Grundstücks ist. Der Beispielsfall bei Picker bietet allerdings auch keine rechte Beurteilungsgrundlage, er ist zu allgemein (die Anlage soll „eine Beeinträchtigung darstellen"). Auf die weiteren, hier sich stellenden Fragen muß verzichtet werden.
§ 3 Analyse und Kritik der Lehre Pickers
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d) Soweit Ansprüche in Betracht kommen (oben a - c), müßte jedoch jeweils festgestellt werden, ob der gestörte Eigentümer sich nicht rechtmäßig verhält, weil ihm für seinen Eingriff Rechtfertigungsgründe zur Seite stehen. In diesem Falle existiert ein Anspruch des Störers gegen ihn nicht, der Eigentümer ist in seiner Freiheit im Sinne Pickers nicht beschränkt und eine Beeinträchtigung nicht gegeben; damit stellt sich auch die Störerfrage nicht. So ist denkbar, daß der gestörte Eigentümer im Falle des Überhangs auf Grund des § 910 BGB, der den Eigentümer zur Selbsthilfe autorisiert, rechtmäßig handelt. Möglich ist ferner ein Rechtfertigungsgrund wegen Notstandes nach § 228 BGB, etwa wenn ein morscher Baum herüberzufallen droht und der Nachbar für längere Zeit verreist ist, die Gefahr also nicht selbst beseitigen kann. Stören Sachen, deren Besitzer der Störer ist, stellt sich die Frage, ob der Eingriff des gestörten Eigentümers gerechtfertigt ist, weil der Störer durch seinen eigenen Eingriff in das fremde Eigentum verbotene Eigenmacht nach § 858 BGB geübt hat und daher ein Selbsthilferecht des Eigentümers nach § 8591 BGB existiert. Verbotene Eigenmacht bedeutet gem. § 8581 BGB Störung oder Entziehung des Besitzes ohne Willen des Beeinträchtigten (gestörter Eigentümer). Indem sich die störende Sache auf dem Grundstück befindet, stört der an der Sache dinglich „Zuständige" (Eigentümer, Besitzer etc.) das fremde Eigentum durch teilweisen Besitzentzug. Damit besteht ein Eingriffsrecht des Eigentümers nach § 859 I BGB, so daß Ansprüche des Störers aus den §§ 1004, 861, 862, 869, 823 und 812 entfallen und somit der Tatbestand der Beeinträchtigung (auf der Seite des gestörten Eigentümers) nicht gegeben ist. e) Im ganzen zeigt sich, daß die These vom Schutz der gestörten Sache in genereller Form nicht zutrifft. Alle denkbaren schuldrechtlichen (§§ 823, 812) und dinglichen (§§ 1004,985,989 ff., 861, 862, 869) Ansprüche stehen unter dem Vorbehalt, daß der (hypothetische) Eingriff des gestörten Eigentümers nicht gerechtfertigt ist; diese Frage läßt sich nur im Einzelfall beurteilen (oben d). — Soweit § 1004 in Betracht kommt (oben a, c), bleibt die Voraussetzung der „Schutzenklave" ungelöst, weil die Definition der Beeinträchtigung mit ihrerseits ungeklärten Merkmalen erfolgt. § 985 scheidet in der Regel aus, da der gestörte Eigentümer gewöhnlich nicht Besitzer der störenden Sache ist (oben a, c); deshalb greifen auch Schadensersatzansprüche aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§§ 989ff.) nicht ein (oben a, c). Darüber hinaus kommen für den dinglich Teilberechtigten (Störer) Ansprüche aus den §§ 985, 989ff. überhaupt nur dann in Frage, wenn ihn sein Recht zum Besitz berechtigt (oben c). Besitzschutzansprüche der §§ 861 f., 869 stehen dem Störer, der Besitzer ist, grundsätzlich zu, nicht jedoch Ansprüche aus § 1007 (oben b). Bei dinglich Teilberechtigten greifen diese Ansprüche wiederum nur ein, wenn das Recht mit Besitz verbunden ist (oben c). Bereicherungsansprüche des Störers (§812) sind ebenfalls nicht ohne weiteres gegeben; der Bereicherungsgegenstand ist von Fall zu Fall zu klären. — Der Schutz dinglicher Teilrechte ist nur lückenhaft durch das Gesetz ausgestaltet; hier entsteht deshalb das generelle Problem, welche Ansprüche dem Berechtigten (Störer) zustehen.
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6. Kap. Die Lehre Pickers
Damit ist festzustellen, daß im Falle störender Sachen der von Picker geforderte Nachteil auf Seiten des Eigentümers, der Bestandteil des Beeinträchtigungstatbestandes sein soll (oben I), nicht ohne weiteres gegeben ist, weil Schutzansprüche des Störers nicht etwa „automatisch" eingreifen. Damit bietet die Monographie ein Konzept, mit dem sich in der vorgelegten Form nicht arbeiten läßt. 3. Schließlich stellt sich die Frage (s. oben vor 1), worin der zum Verschiebungstatbestand des Beeinträchtigungsmerkmals im Sinne Pickers notwendige Vorteil für den negatorischen Gegner liegt (oben Β II, III), wenn im Einzelfall (potentielle) Ansprüche gegeben sind. Die Position des Störers ist auch außerhalb des fremden Eigentumsbereiches geschützt; schuld- wie sachenrechtliche Ansprüche stehen ihm jederzeit gegen jeden zu, der in sein Recht oder seinen Besitz eingreift. Der Unterschied zu dieser generell gegebenen Lage besteht im Falle der Situation des § 1004 nur darin, daß hier die allgemein gegebene potentielle Möglichkeit der Entstehung von Ansprüchen näherrückt; dadurch, daß sich die Sache in einem fremden Bereich befindet, kann der Eigentümer zu Eingriffen herausgefordert werden. Es kommen nun allerdings auch außerhalb dieser Situation nach § 1004 Lagen vor, in denen eine solche Aktualisierung von Verletzungen und damit von Ansprüchen entsteht, je nach der Lebenssituation; jedoch ist im Falle des § 1004, so viel ist einzuräumen, eine spezielle und typische gefahrenerhöhende Situation gegeben. Doch kann in dieser Aktualisierung von Ansprüchen kein Vorteil gesehen werden; die Erhöhung der Gefahr, daß die Sache verletzt werde, ist — im Gegenteil — ein Nachteil; die potentiellen Ansprüche bieten nur für sich genommen einen Vorteil, stellen im übrigen aber lediglich den Ausgleich dar für eine möglicherweise zu erleidende Verletzung. Damit erweist sich das Konzept Pickers auch dann als angreifbar, wenn dem Störer tatsächlich infolge ihm zustehender (hypothetischer) Ansprüche (Selbsthilfe des Eigentümers) ein „geschützter Raum" innerhalb der fremden Eigentumssphäre zukommt. £. Zusammenfassung zu A - D Überschaut man die Analyse insgesamt (oben B - D ) , so ergeben sich zwei unterschiedliche Gedankenansätze: Der eine ist der der Rechtsusurpation durch Handlungen und durch störende Sachen, an denen eine dingliche Berechtigung besteht (Picker S. 49ff.,82ff.; oben B). Der andere Gedankenansatz ist der des Schutzes gegen Eingriffe des gestörten Eigentümers (oben D 1 1 - 4). Diese beiden Deutungen führen zu einer Unstimmigkeit innerhalb des dargebotenen Systems. Nach dem Grundansatz Pickers soll die Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 einen homogenen Tatbestand darstellen (Picker S. 49ff, oben B). Dieses Anliegen zeigt sich auch in der von Picker betonten prinzipiellen dogmatischen Gleichheit von Störungen durch Handlungen und durch Sachen (Picker S. 92,
§ 4 Anwendung der Lehre Pickers
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oben Β II). Eine Gleichheit bestünde — abgesehen von der Frage der Praktikabilität in konkreten Fällen (s. noch unten § 4) — in der Tat, wenn der Tatbestand der Rechtsusurpation in der Abhandlung so durchgeführt würde, wie er zunächst aufzufassen ist, nämlich als Vor- und Nachteil („Bereicherungstatbestand") in faktischer Hinsicht (oben Β III, D i l ) . Der Vorteil des Gegners hat dabei zweierlei Gestalt: Er besteht in der Inanspruchnahme des fremden Eigentums durch Handlungen und durch Rechte oder Besitz (Sachen). Der Nachteil des Eigentümers war zu verstehen als tatsächliche Behinderung (etwa S. 51 2. Absatz: „eingebüßtes Stück Eigentum"; S. 91 2. Absatz: „faktische Grenzverschiebung"; S. 50 1. Absatz: „faktische Enteignung"). Neben diesem Konzept aber steht die besondere Interpretation des Nachteils, den das Eigentum zu erleiden habe (oben D). Diese Interpretation paßt überhaupt nur auf den Fall störender Sachen, die sich auf dem Grundstück des Klägers befinden, dagegen nicht auf den Fall störender Handlungen; nur hinsichtlich von Sachen sind Ansprüche des Störers denkbar. Der theoretisch auf den Fall störender Handlungen transponierbare Gedanke, daß auch die handelnde Person selbst grundsätzlich gegen Selbsthilferechte des Eigentümers geschützt ist (§ 227 BGB), findet sich bei Picker nicht und ist daher außer acht zu lassen. — Mithin behandelt Picker Störungen durch Handlungen und durch Sachen rechtlich unterschiedlich, obwohl er betont, daß sich beide Beeinträchtigungsformen nur äußerlich, nichtjuristisch unterschieden (oben § 2 A I I 2); denn der Beeinträchtigungstatbestand im Falle störender Sachen folgt anderen rechtlichen Grundsätzen als der Beeinträchtigungstatbestand im Falle von Handlungen. Darüber hinaus ist nicht mehr ersichtlich, daß bei der Interpretation des Nachteils des Eigentümers als Behinderung aus Rechtsgründen (Ansprüche des Störers) die prinzipiell verlangte Kongruenz von Vor- und Nachteil, also der dem Kondiktionsrecht ähnliche Verschiebungstatbestand (oben § 2 A I, § 3 Β II), gegeben ist (soeben D I I 4). Und schließlich beruht diese Deutung des Nachteils des Eigentümers für sich genommen auf einem fragwürdigen Fundament, weil die dem Eigentümer drohenden Sanktionen, die ihn in der Ausübung seines Rechts nach Picker behindern, im einzelnen ungeklärt sind (oben D I I 2). § 4 Anwendung der Lehre Pickers A. Einleitung Eine vollständige Bewertung der Lehre Pickers ist erst möglich, wenn ihre Verwendbarkeit im Einzelfall erprobt ist. Im folgenden wird versucht, die denkbaren Störungsarten mit Hilfe des Konzepts Pickers zu lösen, und zwar wird zunächst der Beeinträchtigungstatbestand untersucht (unten B) und sodann die sich nach Picker hieraus ergebende Störerperson (unten C). Dabei ist jeweils zweigleisig zu verfahren, indem sowohl die Interpretation der Beeinträchtigung als Rechtsusurpation (unten Β I, C I) als auch diejenige der
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6. Kap. Die Lehre Pickers
Behinderung des Eigentums infolge geschützter Rechte des Störers (unten Β II, C II) herangezogen wird. B. Der Beeinträchtigungstatbestand /. Der Beeinträchtigungstatbestand im Falle der Interpretation „Rechtsusurpation"
als
1. Der Fall, daß sich störende Sachen im fremden Eigentumsbereich befinden, ist auf der Grundlage der Rechtsusurpation ohne weiteres lösbar. Ragt eine Anlage körperlich in den Nachbarraum, etwa durch eine Mauerausbauchung, wird ein Fahrzeug durch einen Dieb auf fremdem Grundstück abgestellt oder lagern die Trümmer eines rechtlich selbständigen Gebäudes (§ 95 BGB) dort (Beispiele Picker S. 91), so „usurpieren" oder „überlagern" die an diesen Sachen Berechtigten—Eigentümer, Besitzer etc. — mit ihrer Rechtsposition das fremde Eigentum. Was ihnen an Raum und Gebrauch zugute kommt, fehlt dem Grundstückseigentümer. Sind die störenden Sachen dagegen derelinquiert, handelt es sich etwa um Schutt und Unrat (s. Picker S. 92 2. Absatz), so wird das Eigentum mit fremden Rechten oder fremdem Besitz nicht mehr beansprucht. Daß das Eigentum gleichwohl behindert ist, dagegen dennoch nach Picker eine Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 nicht vorliegen soll, ist die Konsequenz seiner Lehre (s. ebd., S. 50 2. Absatz, 113 f f ; oben § 2 A I I 3). 2. Ähnliches gilt im Falle störender Handlungen, die auf dem fremden Grundstück vorgenommen werden. Geriert sich der Betreffende dort wie der Eigentümer oder Mieter (Beispiele Picker S. 82), geht über das Nachbargrundstück oder betätigt sich dort, so korrespondiert seine vorteilhafte Position, die im Gebrauch des fremden Eigentums liegt, mit der nachteiligen Position des Eigentümers, der sein Eigentumsrecht auf Grund fremden Verhaltens nicht mehr uneingeschränkt ausüben kann. — Da allerdings nach Picker nur das Handeln selbst, nicht dessen Folge, eine Beeinträchtigung darstellt, bleibt der Beseitigungsanspruch im Falle störender Handlungen auf dem Grundstück auf einen engen Anwendungsbereich beschränkt. Die Beeinträchtigung liegt beispielsweise im Falle, daß der Dieb das gestohlene Auto auf fremdem Grundstück abstellt (Beispiel bei Picker S. 130 1. Absatz, 132 2. Absatz, 144 3. Absatz, 145 2. Absatz), daß jemand einen Stein ins Fenster wirft (Beispiel bei Picker S. 89 1. Absatz), daß von brennenden Halden Feuer auf die Bahndämme überspringt oder daß ein Tanklastwagen umkippt und das ausgelaufene Öl das Erdreich durchtränkt (Beispiele bei Picker S. 88 2. Absatz, 32 1. Absatz), nur in der jeweiligen Handlung 1 0 1 . Damit entfallt in solchen Fällen, in denen ein einmaliger Akt zu bleibenden Eingriffen in das. Eigentum führt, praktisch der Beseitigungsanspruch (§ 1004 I I ) , denn dieser besteht — entsprechend der Sicht Pickers — nur im Augenblick des Handelns, also etwa während der Dieb auf das 101 Weitere Beispiele Picker S. 88; ferner dazu, daß die Folgen eines Eingriffs außer Betracht zu bleiben haben S. 91 unten, 92 mit Beispielen.
§ 4 Anwendung der Lehre Pickers
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fremde Grundstück fährt. Da jedoch die Geltendmachung des Beseitigungsanspruches gerade im Zeitraum der Handlung meist nicht möglich ist, hat dieser theoretisch bestehende Anspruch kaum praktischen Wert. In Betracht kommt allenfalls ein Anspruch auf Unterlassen gem. § 1004 I 2, der aber, etwa in Unglücksfällen wie dem umgekippten Tanklastwagen, keinen rechten Sinn hat. Der Beseitigungsanspruch erlangt daher bei störenden Handlungen nach Picker Bedeutung nur in Fällen, in denen sich der Störer länger auf dem fremden Grundstück aufhält. 3. a) Schwierigkeiten bereitet die Pickersche Lehre bei Störungen, die von Handlungen und Sachzuständen ausgehen, die außerhalb des Bereiches des gestörten Grundstücks liegen, also bei Immissionen. Eine Rechtsusurpation oder -anmaßung liegt in der Handlung selbst nicht, denn diese wird außerhalb des gestörten Eigentums vorgenommen; eine Rechtsusurpation durch die Existenz der Sache scheidet aus dem gleichen Grunde aus. Der Tatbestand der Rechtsusurpation kann überhaupt nur darin gesehen werden, daß die außerhalb des beeinträchtigten Grundstücks getätigten Handlungen und die sich außerhalb dieses Grundstücks befindlichen Sachen Auswirkungen auf das fremde Eigentum haben. Doch ist diese Betrachtungsweise nicht möglich: Es ist mindestens zweifelhaft, ob sich sagen läßt, daß die von einer Fabrikanlage ausgehenden Beeinträchtigungen wie Rauch, Ruß oder Gase, die von einer Schweinemästerei ausgehenden Gerüche oder der Lärm einer Diskothek eine Usurpation oder Anmaßung fremden Eigentums darstellen. Die Bilder von der „Usurpation", „Verschiebung" oder „Überlagerung" passen hier nur noch in einem sehr übertragenen Sinne. Dingliche Rechte oder Besitz an den die Störungen hervorrufenden Immissionen wie Rauch, Ruß, Staub, Geräusche, Gerüche oder Erschütterungen (s. § 906 BGB) kommen nicht in Betracht. Es fehlt ferner an der geforderten Korrespondenz von Vor- und Nachteil ähnlich der bereicherungsrechtlichen Lage: Der Gegner des negatorischen Anspruchs hat von dem Nachteil des Eigentümers nichts; die auf das fremde Grundstück einwirkenden Immissionen kommen ihm nicht zugute. Sein Vorteil liegt in der Freiheit seines Verhaltens, also seinen lärmenden Handlungen (Singen, Radiohören) oder darin, daß er seine Sache benutzt, etwa durch Bedienen von Maschinen und Anlagen. Zwar ist der Nachteil des Eigentümers die Folge dieses Vorteils des Gegners, nicht aber ist die Einschränkung des Eigentums, beispielsweise durch die über das Grundstück ziehenden Rauchschwaden, gerade das Korrelat des Vorteils, also des Betreibens der Anlage. Es fehlt am Verschiebungstatbestand. Dies belegt auch die Beseitigungsfolge, deren Inhalt nach dem Konzept Pickers — wie im Kondiktionsrecht — notwendig vom Beeinträchtigungstatbestand abhängt: Der rechtswidrige Zustand ist nicht durch eine einfache Rückgängigmachung der* Verschiebung, eine „Korrektur" der Rechtskreise (Picker S. 151 2. Absatz; oben § 2 A I), behebbar. Würden beispielsweise die von einem Steinbruch auf das Nachbargrundstück geflogenen Steinbrocken vom Störer entfernt werden 102 , so bedeutete dies keine Entreiche-
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6. Kap. Die Lehre Pickers
rung, es läge darin kein Entzug eines Vorteils; ob die Steinbrocken auf dem fremden Grundstück liegen oder nicht, ist für die Situation des Störers ohne Belang. b) Picker hingegen nimmt an, daß Immissionen auch auf der Grundlage seiner Interpretation eine Beeinträchtigung darstellen. Dies wird hinsichtlich von Immissionen, die von Handlungen ausgehen, nicht begründet. Solche Fälle werden in der Arbeit nur erwähnt, ohne daß erklärt wird, inwiefern hier der Tatbestand der „Rechtsusurpation" erfüllt ist. So werden beispielshalber genannt der Fall 1 0 3 , daß der Nachbar einen störenden Betrieb unterhalte und damit eine Tätigkeit ausübe, die den fremden Eigentumsraum in Anspruch nehme; ferner der F a l l 1 0 4 eines nächtlichen lärmenden Tanzlokals. Die negatorische Haftung wird hier ohne weiteres bejaht. Für den Fall der Immissionen durch Sachen105 bejaht Picker das Vorliegen einer Beeinträchtigung 106 unter der Voraussetzung 107 , daß es sich bei der störenden Sache um ein von „Menschenhand geschaffenes Werk" handele. Er begründet die Haftung einmal damit, daß die Anlage bei unzulässigen Immissionen den Nachbarraum „durch ihre Ausstrahlung" mit in Anspruch nehme 108 . Die Voraussetzung, daß die immitierende Sache (Anlage) ein von Menschenhand erschaffenes Werk sein müsse, wird hier von Picker erstmals eingeführt und fügt sich in das Konzept der Rechtsusurpation durch störende Sachen nicht ein. Darüber hinaus ist die Begründung des Vorliegens einer Beeinträchtigung mit der Inanspruchnahme durch die „Ausstrahlung" der Sache globaler Art; über die bei Picker geforderte Voraussetzung der rechtlichen Zuständigkeit an der störenden Sache (oben § 2 A I, Β I I 2) gibt sie keine Auskunft. Picker begründet das Vorliegen einer Beeinträchtigung weiter damit, daß das betroffene Grundstück köperlich und rechtlich durch das fremde Eigentum überlagert werde; der Verkürzung der Sachherrschaft des gestörten Eigentümers entspreche eine Erweiterung der Einwirkungssphäre auf Seiten des störenden Nachbarn 1 0 9 . — Picker ist darin zuzustimmen, daß der Nachteil des Eigentümers Folge des Vorteils des Gegners ist. Daß jedoch der Nachteil des gestörten Eigentümers dem Gegner in irgendeiner Weise zum Vorteil gereicht, ist 102 Was aber nach Picker, da die Störung auf einem Handeln beruht, vom Grundsatz her an sich nicht möglich sein soll, s. soeben 2, ferner das Steinbeispiel S. 89 1. Absatz; demnach kommt nur ein Unterlassungsanspruch gem. § 1004 I 2 in Betracht. Bei Immissionen verfahrt Picker jedoch anders, s. sogleich b und c. 103
S. 82 3. Absatz. S. 130 1. Absatz. 105 S. 91 1. Absatz (Beispiel für Zustandshaftung); S. 96 ff. (Behandlung der Haftung für störende Anlagen). 106 S. 91 1. Absatz, 96 unten, 97 oben. 107 S. 96 unten. 108 S. 91 1. Absatz, 96 unten. 109 S. 91 1. Absatz, auch S. 98 1. Absatz; oben § 2 A I I 2 bei Fn. 40. 104
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gewöhnlich so. Die Besonderheit der Pickerschen Lehre soll jedoch, wenn man sie recht versteht, nicht darin liegen, daß Vor- und Nachteil der Parteien überhaupt gegeben sind, sondern darin, daß sie einander entsprechen müssen. Zu dieser Frage der sonst betonten bereicherungsähnlichen Situation (oben § 2 A I ) äußert Picker sich in den Immissionsfallen nicht. Er wendet seinen Obersatz von der Verschiebung oder Überlagerung in einem sehr allgemeinen Sinne an, indem er lediglich eine „Verkürzung" der Sachherrschaft auf der einen Seite und eine „Erweiterung" der Eigentumssphäre auf der anderen Seite konstatiert. Hier läßt sich der Grundgedanke Pickers nicht mehr präzisieren. c) Überdies ist festzustellen, daß das Ergebnis, zu dem Picker in den Fällen der Immissionen gelangt, in Widerspruch steht zu dem Ergebnis in Fällen, in denen störende Handlungen beeinträchtigende Folgen haben. Während Eingriffe durch Immissionen den Tatbestand der Beeinträchtigung erfüllen sollen, sollen die Folgen von Handlungen eine Beeinträchtigung nicht darstellen (oben § 2 A I I 2, Β I I 1, § 4 Β 12). Würde also jemand auf dem Grundstück ein Feuer anzünden, so würde der Eigentümer keinen Anspruch auf Beseitigung des sich ausbreitenden Feuers haben. Ginge hingegen das Feuer von einer Anlage aus, etwa von sich selbst entzündenden Halden einer Fabrik, so wäre der Anspruch — nach den Darlegungen Pickers zur Behandlung von Immissionen — gegeben 110 . Diese unterschiedliche Ergebnisse leuchten nicht ein. II. Der Beeinträchtigungstatbestand im Falle der Interpretation als Eigentumsbeschränkung auf Grund geschützter Sachbeziehung des Störers Die Interpretation des Nachteils des Eigentümers als Hemmnis, die auf dem Grundstück befindlichen Sachen anzutasten, weil diese ihrerseits Schutz genießen (oben § 3 D), paßt, wie bereits angedeutet (ebd. E), überhaupt nur auf den Fall, daß sich fremde Sachen auf dem Grundstück befinden. Besteht die Beeinträchtigung in einer aûf dem Grundstück vorgenommenen Handlung oder in Immissionen, die von außerhalb auf das Grundstück eindringen (auf Grund von Handlungen oder Sachzuständen), so fehlt es an einem geschützten Objekt; bei körperhaften Immissionen, etwa herüberfliegenden Steinteilen eines Steinbruchs, werden regelmäßig Rechte oder Besitz nicht mehr gegeben sein. Gehen die Immissionen von einer Sache (Anlage) aus, so kann es auf die dinglichen Rechte an dieser Sache selbst nicht ankommen, da sie sich nicht im gestörten Eigentumsbereich befindet. 110 Verneinend für diesen Fall allerdings Picker S. 88 2. Absatz, dort aber behandelt Picker den fortschwelenden Bahndammbrand als auf einer Handlung beruhend (s. das S. 82 gestellte Thema); in dem dazu zitierten Fall RGZ 127,29 ging das Feuer aber von sich selbst entzündenden Halden aus. Vgl. auch den Fall S. 82 3. Absatz, wonach der Nachbar „einen störenden Betrieb" unterhält. Der Fall wird als auf einer Handlung beruhend eingeordnet. Die Störung kann hier nur durch Immissionen geschehen, sie liegt also nicht, wie sonst von Picker gefordert (ebd.), im Handeln selbst. Dennoch soll der Beseitigungsanspruch gegeben sein.
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6. Kap. Die Lehre Pickers
C. Der Störerbegriff I. Der Störerbegriff im Falle der Interpretation des Beeinträchtigungstatbestandes als „Rechtsusurpation" Da sich nach dem Grundgedanken Pickers der negatorisch Verantwortliche aus dem Beeinträchtigungstatbestand ergibt, folgt schon aus den obigen Untersuchungen (B), welcher Art Kritik sich die Beurteilung der Störerperson durch Picker ausgesetzt sieht: 1. Der Störer ergibt sich schlüssig aus dem Beeinträchtigungstatbestand in dem Falle, in dem die Störung darin besteht, daß auf dem Grundstück Sachen lagern oder in den fremden Grundstücksbereich hineinragen (Mauerüberhang) (oben Β I 1). Gegner des Abwehranspruches ist hier notwendig der an der störenden Sache dinglich Berechtigte; er usurpiert mit seinem Recht oder Besitz das fremde Eigentum. Entsprechendes gilt im Falle von Handlungen, die auf dem Grundstück vorgenommen werden (oben Β I 2). 2. In den Fällen der Immissionen dagegen ist der Störer nicht feststellbar, da schon eine Bestimmung des Beeinträchtigungstatbestandes auf Grund der Definition Pickers nicht möglich ist. Man kann nicht sagen, wie sich gezeigt hat (oben Β I 3a), daß der an der Sache (Anlage) dinglich Zuständige oder der außerhalb des Eigentums Handelnde (Lärmen) mit den Immissionen das fremde Recht „usurpiere". Faßt man das Erfordernis der Rechtsusurpation aber in einem unbestimmten, allgemeinen Sinne auf, ergibt sich folgendes: Bei Störungen durch Immissionen, die von Sachen, etwa einer Anlage, ausgehen, kann Störer nur derjenige sein, der an der Sache dinglich berechtigt ist. Damit zeigt sich, daß der Störer sich nicht aus dem Beeinträchtigungstatbestand selbst, wie an sich nach Picker erforderlich, ergibt, denn dieser besteht in der Immission, nicht in der Anlage. Damit läuft in diesen Fällen das Konzept Pickers auf eine Haftung aus Besitz oder dinglichem Recht hinaus. Der eigentliche Gedanke Pickers, die bereicherungsrechtliche Situation der Verschiebung der Rechtskreise, des Sich-zu-viel-Anmaßens, muß verlassen werden. — Wird die Immission durch Handlungen hervorgerufen, so kann Störer nur der Handelnde sein. Wiederum ist der Verantwortliche nicht aus dem Beeinträchtigungstatbestand ableitbar, weil die Beeinträchtigung in der Immission und nicht im Handeln liegt. 3. Schließlich ergibt sich in allen Fällen des Handelns ein weiteres Bedenken: Die Störerperson ist hier nur mit Hilfe der Kausalität feststellbar, obwohl Picker das Kausalprinzip für die actio negatoria ablehnt 111 . Bei Handlungen auf dem fremden Grundstück, etwa dem Überqueren des Grundstücks, „usurpiert" das fremde Recht, wer den A k t vornimmt; damit muß die Person des Handelnden festgestellt werden und damit ist das Kriterium der Kausalität entscheidend. Die Kausalität ist ferner maßgeblich in Fällen, in denen die außerhalb des gestörten 111
S. 130 1. Absatz; oben § 2 Β II.
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Grundstücks vorgenommene Handlung zu Beeinträchtigungen führt (Immissionen), etwa in dem von Picker genannten Beispiel, in dem der Nachbar einen störenden Betrieb unterhält 112 . Die Zurechnung dieser rechtswidrigen Folge kann nur dadurch erfolgen, daß die dafür ursächlich gewordenen Handlung ermittelt w i r d 1 1 3 .
II. Der Störerbegriff Beeinträchtigungstatbestandes
im Falle der Interpretation des als geschützte Sachbeziehung des Störers
Der von Picker als ein Element des Beeinträchtigungstatbestandes geforderte Nachteil des Eigentümers im Sinne eines Hindernisses, mit dem Eigentum nach Belieben zu verfahren, weil der Störer seinerseits Schutzrechte genießt (oben § 3 IV), kann über die Person des Störers ebenfalls nur teilweise Aussagen machen. Bei Handlungen bietet sie keine Basis zur Störerermittlung, ebensowenig bei Störungen durch Sachen, die sich außerhalb des gestörten Grundstücks befinden (Immissionen). Bei Störungen durch Sachen, die sich im fremden Bereich befinden, muß der Vorteil — entsprechend dem Nachteil des Eigentümers — in der Innehabung des geschützten Raumes bestehen. Folglich ist Störer, wem (potentiell) Ansprüche gegen den Eigentümer im Falle, daß dieser die Sache antastet, zustehen. Da die Existenz dieser Ansprüche im einzelnen aber ungesichert ist (s. oben § 3 Β I V ) , steht diese Methode der Störerermittlung auf einem zweifelhaften Fundament. D. Zusammenfassung A - C I. Die Interpretation des Beeinträchtigungsmerkmals durch Picker kann nur einen Teil der Störungsfalle lösen. Die Deutung als Rechtsusurpation deckt die Fälle der Störungen durch Sachen, die sich auf dem fremden Grundstück befinden (oben Β I 1). Sie erfaßt ferner Störungen durch Handlungen, die auf dem fremden Grundstück selbst vorgenommen werden, führt aber im Falle von Handlungen, die bleibende Eingriffe in das Eigentum zur Folge haben, zu unbefriedigenden Ergebnissen; ein Beseitigungsanspruch ist hinsichtlich der Handlung selbst praktisch selten realisierbar, deren Folgen aber sind nach Picker als Beeinträchtigung nicht zu werten (oben Β I 2). — Die Fälle der 112
S. 82 3. Absatz. Eine Bestätigung dieser Notwendigkeit, das Kausalprinzip heranzuziehen, findet sich auch darin, daß sich die maßgebliche Ursächlichkeit in den Störerdefinitionen Pickers sprachlich nicht vermeiden läßt. Da, wo Picker die Handlungshaftung definiert, kann er auf eine kausale Formulierung nicht verzichten; so sagt er, Störer sei, wer „durch" sein Handeln auf das fremde Eigentum einwirke (S. 129 unten, ferner S. 50 1. Absatz aE, 2. Absatz aE). Typisch insoweit auch Stoll AcP 162 (1963), 203, der sich ebenfalls gegen das Kausalprinzip wendet (ebd. S. 223 f.), kausale Formulierungen aber nicht vermeiden kann, s. ebd. S. 220 (Willensbetätigung, Eingreifen), S. 221 unten (Störungshandlung), S. 222 („geschaffener" Eingriffs- und Gefahrdungszustand u. a.). 113
7 Herrmann
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6. Kap. Die Lehre Pickers
Immissionen vermag diese Interpretation gar nicht zu lösen; es fehlt an dem der bereicherungsrechtlichen Lage ähnlichen Verschiebungstatbestand (oben Β I 3). — Die Auslegung der Beeinträchtigung im Sinne eines geschützten Raumes des Störers paßt lediglich für Störungen durch Sachen, die sich auf dem fremden Grundstück befinden. Störende Handlungen sowie Fälle von Immissionen deckt sie gar nicht. (Oben Β II). Schließlich ist ein Widerspruch der Ergebnisse zu verzeichnen: Bleibende Folgen, die durch Handlungen hervorgerufen werden, stellen keine Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 dar, sie sollen lediglich als Schaden zu werten sein. Dagegen besteht eine Beeinträchtigung, wenn dieselbe Eigentumsverletzung auf Immissionen beruht. (Oben Β I 3c). II. Entsprechend diesem Befund ist auch eine Fixierung des Störers, der nach dem Entwurf Pickers aus dem Beeinträchtigungstatbestand ableitbar sein muß, nur teilweise möglich. Auf der Grundlage der Definition des Beeinträchtigungstatbestandes als Schutzenklave des Störers ist der Gegner nur im Falle unmittelbar im fremden Bereich existenter Sachen ermittelbar (oben C II). Auf der Basis als Rechtsusurpation ist der negatorische Gegner ebenfalls in diesen Fällen und in Fällen bestimmbar, in denen auf dem fremden Grundstück Handlungen vorgenommen werden (oben C11). In Fällen von Immissionen ist der Störer mit Hilfe des Pickerschen Konzepts nicht feststellbar (oben C I 2).
§ 5 Zusammenfassung zu §§ 1 - 4 A. Das Konzept Pickers arbeitet mit Bildern und globalen Vorstellungen. Ein rechtlich präziser Gehalt des Konzepts wird nicht entwickelt. Eine exakte Definition des Beeinträchtigungstatbestandes und des hieraus abzuleitenden Störers im Sinne des § 1004 existiert nicht. Wer das von Picker Gemeinte deutlicher fassen will, um anwendbare Obersätze zu gewinnen, sieht sich vor der Aufgabe, die wesentlichen Gesichtspunkte aus der Abhandlung herauszulesen und zu interpretieren. Aber auch dann läßt sich ein in allen Punkten klares Konzept nicht aufdecken. Darüber hinaus ergibt sich, daß die Thesen Pickers einen wichtigen Bereich der Störungsfälle nicht zu lösen vermögen. B. Bereits der ähnlich dem Bereicherungsrecht notwendige Verschiebungstatbestand, die Rechtsusurpation oder Rechtsanmaßung (oben § 2 A, B), bietet wegen der Voraussetzungen im einzelnen Schwierigkeiten, weil das Objekt dieser Verschiebung nicht mitgeteilt wird (oben § 3 Β II). Die Darlegungen zu den beiden möglichen Beeinträchtigungsformen (Handlungen, Sachen) führen zu dem Schluß, daß der Vorteil des Störers in der Innehabung seines Rechts oder Besitzes im fremden Eigentumsbereich besteht, der Nachteil des Eigentümers im körperlichen Vorhandensein fremder Handlungen oder Sachen und der damit verbundenen faktischen Einschränkung der eigenen Sachnutzung (oben § 3 Β III). In dieses Verständnis fügt sich nicht die von Picker geforderte besondere
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Art des Nachteils, die darin bestehen soll, daß der Eigentümer die im eigenen Bereich vorhandene Sache nicht antasten darf, weil diese ihrerseits geschützt ist (oben § 2 A I I 2 aE, § 3 D I). Diese Voraussetzung wird von Picker nicht näher dargelegt; sie erweist sich als eine offenbar nicht genügend durchgeformte Idee (oben § 3 D II, E). Der Schutz der Sachen des Störers besteht in drohenden Sanktionen, also potentiellen Ansprüchen im Falle, daß der Eigentümer zur Selbsthilfe greift. Ob aber derartige Ansprüche tatsächlich eingreifen, läßt sich allgemein nicht feststellen. Zu prüfen wäre einmal, ob dem Eigentümer nicht Rechtfertigungsgründe zur Seite stehen. Die Art der einzelnen Ansprüche hängt von dem Recht ab, das dem Störer an der Sache zusteht. Soweit §1004 in Betracht kommt, entstehen — im umgekehrten Verhältnis — dieselben Fragen, die Gegenstand der Untersuchung sind. (Oben § 3 D I I 3). — Des weiteren stehen diese eben beschriebenen Erfordernisse der „Rechtsusurpation" und der „Schutzenklave" des Störers in der Abhandlung Pickers nebeneinander, ohne daß ihr Verhältnis zueinander aufgeklärt wird (oben § 3 E). — Endlich nicht deutlich ist die Prämisse, wonach das Eigentum „als Recht" tangiert sein müsse und wonach ein Eingriff in das „Substrat" die Haftung nicht begründe (oben § 2 A I I 1, § 3 C). C. Was die praktische Verwendbarkeit der Lehre Pickers angeht, so ist diese Lehre im Sinne der Rechtsusurpation nur auf zwei Störungsfalle zugeschnitten, nämlich Störungen durch Handlungen auf dem Grundstück und Störungen durch Sachen ebenfalls unmittelbar im fremden Eigentumsbereich (oben § 4 Β I , CI). I m Sinne der Schutzsphäre des Störers paßt sie lediglich auf diesen letzteren Fall (oben § 4 Β II, C II). Fälle der Immissionen werden von dem Konzept Pickers gar nicht erfaßt (oben § 4 Β13, II, C I, II). Dies zeigt sich auch äußerlich, denn das Schwergewicht der Arbeit liegt, überschaut man das Beispielsmaterial, bei den beiden soeben zunächst genannten Beeinträchtigungsformen 114. Beispiele für die Fälle der Immissionen werden nur am Rande genannt und rechtlich nicht genau behandelt 115 . Will man durch mehr unscharfe und ungefähre Anwendung der Lehre diese Fälle dennoch erfassen, so zeigt sich deutlich, daß sie auf den fraglichen Fallbereich nicht paßt, denn dann besteht die Haftung 114
Vgl. die Beispiele für störendes Handeln: Picker S. 82 2. Absatz, 83 2. Absatz aE, 88 2. Absatz, 89 1. Absatz, 130 1. Absatz; für störende Sachen: S. 91 2. Absatz, 92 2. Absatz, 132 2. Absatz, 144 3. Absatz, 145 2. Absatz, 136-141, 141 2. Absatz, 144 1. Absatz. 115 Es fehlt eine Behandlung von Störungen, die durch Handlungen hervorgerufen werden, die außerhalb des gestörten Grundstücks vorgenommen werden; s. das Beispiel S. 82 3. Absatz, in dem der Nachbar einen störenden Betrieb unterhält (dazu oben Fn. 110). Fälle, in denen derartige Störungen entstehen, werden S. 88/89 unter dem Gesichtspunkt der Abgrenzung von Schaden/Beeinträchtigung behandelt. — Störungen durch Sachen, die sich außerhalb des beeinträchtigten Grundstücks befinden, tauchen zwar auf, eine genaue Befassung mit der Frage des Beeinträchtigungstatbestandes und der Störerperson erfolgt jedoch nicht, s. den Abschnitt S. 96ff.; ferner das Beispiel der Immissionen durch Anlagen S. 91 1. Absatz. Zur Behandlung der Störungen durch Immissionen s. auch oben § 4 Β I 3 b. 7*
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6. Kap. Die Lehre Pickers
kraft dinglicher Zuständigkeit an der störenden Sache und kraft Kausalität (störende Handlungen) (oben § 4 C I 2, 3). Schließlich ergeben sich im praktischen Ergebnis zwei weitere Unzulänglichkeiten. Da die Beeinträchtigung von Picker nur im A k t des Handelns selbst, nicht in dessen Einwirkungsfolgen gesehen wird (oben § 2 A I I 2), entfallt der Beseitigungsanspruch praktisch in allen Fällen, in denen durch einen einmaligen Eingriff fremdes Eigentum verletzt wird (oben § 4 Β I 2). Zudem besteht ein Widerspruch zur Lösung der Fälle, in denen durch Handlungen, die außerhalb des gestörten Grundstücks vorgenommen werden, Immissionen entstehen. Hier soll die Beeinträchtigung offenbar nicht lediglich im A k t des Handelns liegen, sondern in deren Folgen, den Immissionen (oben § 4 Β I 3 c) 1 1 6 . D. Ein Konzept, das nur einen Teil der Störungsfalle zu lösen vermag, das aber auch insoweit auf nicht gesichertem Fundament beruht, kann nicht befriedigen.
116 Kritik anderer Art an den Ergebnissen auch bei MK-Medicus § 1004 Rdnr. 23, s. ferner die oben Fn. 11 Genannten.
7. Kapitel: Haftung in besonderen Fällen § 1 Einleitung Das nun folgende Kapitel wendet sich den als „Problemfallen" des § 1004 bekannten, schon früher kurz vorgestellten (3. Kap. § 1 B) Sachverhalten zu. Es sind dies einmal die Fälle der Störungen durch den Mieter oder Pächter, die die Frage aufwerfen, ob der Vermieter oder Verpächter dafür aufzukommen hat (unten § 2). Ferner gehören dazu Fälle der Störungen durch höhere Gewalt (Naturkräfte, Krieg; unten § 3) sowie Fälle, in denen der Veräußerer eines Grundstücks einen störenden Zustand hinterläßt und das Problem entsteht, ob er oder sein Nachfolger dafür einstehen soll (unten § 4).
§ 2 Haftung des Vermieters oder Verpächters für Störungen des Mieters oder Pächters A. Einleitung Vielbesprochen ist die Frage, ob der Vermieter oder Verpächter für Störungen verantwortlich gemacht werden kann, die auf Handlungen des Mieters oder Pächters beruhen oder die von Sachen—Grundstücken, Gebäuden, Anlagen — ausgehen, die sich im vermieteten oder verpachteten Bereich befinden. Diese Frage wird als ein besonderes Störerproblem angesehen, ohne daß es gelungen wäre, das Problem auch nur juristisch einzukreisen. Die Undeutlichkeit der rechtlichen Fragestellung hat ihren Grund darin, daß es an einem einheitlichen Grundkonzept überhaupt fehlt, auf dessen Basis es möglich wäre, den speziellen Fall zu behandeln. Es werden die unterschiedlichsten Überlegungen ins Feld geführt, ohne daß deren rechtlicher Standort — innerhalb eines bestimmten Planes — deutlich würde (unten B); daneben existieren Lösungsversuche, die sich der besonderen Fallage annehmen (unten C, D).
B. Haftung auf Grund Kausalität I. Gegenwärtige Rechtslage i . Überwiegend wird die Einstandspflicht von Vermieter und Verpächter auf die Kausalität gestützt, doch haben sich auch insoweit einheitliche Grundsätze nicht herausgebildet. Hervorgehoben wird teilweise, daß die
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7. Kap. Haftung in besonderen Fällen
Adäquanz entscheidend sei 1 , der maßgebliche Kausalfaktor wird jedoch im übrigen unterschiedlich beurteilt. Allein der Abschluß des Vertrages wird nur selten als haftungsbegründend angesehen2. Verbreitet in Schrifttum und Rechtsprechung ist die Meinung, daß der Vermieter nur dann für Störungen des Mieters aufzukommen habe, wenn er das störende Verhalten gestattet habe3 oder aber wenn er das Grundstück dem Mieter gerade zu einer Benutzungsart überlassen habe, die mit Störungen verbunden ist 4 . So hatte das RG 19175 entschieden, daß die Vermieterin (Eigentümerin) für Störungen durch Geräusche und Gerüche einer zu einem Restaurant gehörenden Küche aufzukommen habe; sie hatte Räume ihres Hauses für den Betrieb eines Restaurants eingerichtet und sodann zu entsprechenden Zwecken vermietet. Es sei also, so sagt das RG, mit Wissen und Willen der Eigentümerin auf dem Grundstück ein Zustand geschaffen worden, dessen Bestehen die Störungen zur Folge habe. Sie sei somit Verursacherin der Störungen und daher als Störer im Sinne des § 1004 zu erachten. — Damit sieht das RG die Einrichtung des Hauses und den Vertragsschluß als maßgebende kausale Faktoren an 6 . — Dagegen meint Wolf 7 , daß der Vermieter nicht schon deshalb Störer sei, weil er dem Mieter die störende Handlung gestatte. Die Gestattung könne zwar die Bedingung einer störenden Handlung des Mieters sein, sie mache den Vermieter aber nicht zum Störer, weil der „Grund der Störung" nicht in der an den Mieter gerichteten Gestattungserklärung des Vermieters, sondern allein in der freien Handlung des Mieters liege. Insbesondere das RG hat den Vermieter dann als Störer angesehen, wenn er die Beeinträchtigung „veranlaßt" habe 8 . Auch hier soll für die Störereigenschaft 1
SchmidtS. 311. Absatz aE; Offtermatt S. 50; Lutter/Overath JZ 1968,345,347 l.Sp., r.Sp. unten/348 oben passim; nicht für ausreichend, aber für erforderlich hält die Adäquanz auch Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 17, S. 270 1. Absatz gegen Ende. 2 OfftermattS. 50; Rosenberg JW 1931,1191,1192; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 17 bezeichnet eine solche Haftungsbegründung als „fmgwürdig"; ablehnend Lutter/Overath JZ 1968, 345, 3471. Sp.; RGZ 47,162,163 = RG JW 1901, S. 51 r. Sp. oben; offengelassen von RG GruchBeitr.48 Nr. 102, S.949 = JW 1904 Nr. 11, S. 142, 143 l.Sp.; RG GruchBeitr. 46 Nr. 38, S. 650, 654 unten/655 oben erwähnt den Abschluß des Vertrages, aber im Zusammenhang mit der Frage, ob der Vermieter von dem Mieter durch die vertragliche Bindung Unterlassung der Störungen nicht verlangen könne. 3 Vgl. Goldmann-Lilienthal-Sternberg S. 374 Fn. 15; Medicus, Bürgerliches Recht Rdnr. 447; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 47; RGZ 45,298,299; 47,162,164 = RG JW 1901, S. 51 r. Sp.; 97,25,26; 134,231,234; RG GruchBeitr. 46 Nr. 38, S. 650,652/653; BGH JZ 1968, 384, 385 l.Sp. 2. Absatz aE. 4 RGZ 47,162,164 = RG JW 1901, S. 51; s. auch Schmidt S. 32 oben, der annimmt, daß der Vermieter bei einer Vermietung zu beliebiger Benutzung mangels Kausalität nicht hafte; Ablehnung der Vermieterhaftung von Heck § 66, 4; Planck-Brodmann § 1004 Anm. 3, S. 614/615 unter außerrechtlichen, unbestimmten Voraussetzungen im Einzelfall. 5 WarnR 1917 Nr. 245, S. 387. 6 Daneben erkennt das RG ebd. eine Haftung auf Grund der Eigentümerstellung an. 7 § 3 E V a 3 ff .
§ 2 Haftung des Vermieters oder Verpächters
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die Kausalität entscheidend sein; inwiefern allerdings eine „Veranlassung" durch den Vermieter gegeben sein muß, ob damit der Abschluß des Mietvertrages überhaupt gemeint ist oder die ausdrückliche vertragliche Erlaubnis zur Vornahme störender Handlungen, bleibt offen 9 . Ebenso unbestimmt ist das häufig anzutreffende Erfordernis, die Störung müsse jedenfalls mit „Wissen und Willen" des Vermieters geschehen sein 10 . Demnach muß der Vermieter also Kenntnis vom störenden Verhalten des Mieters haben 11 , ob aber generell oder in vertraglich fixierter Form, indem er die Mietsache gerade zu einem Gebrauchszweck überläßt, der mit Störungen verbunden ist (Restaurant-Beispiel 12), bleibt ungewiß. 2. Neben einem positiven Verhalten wird ebenso häufig als entscheidendes Haftungsmerkmal das Nichteinschreiten gegen den Mieter angesehen. Das R G hat mehrfach ausgeführt, daß der Vermieter nach § 1004 zu verurteilen sei, wenn er die Störungen des Mieters geduldet habe und wenn er den Mieter an den Störungen hindern könne, indem er aus dem Mietvertrag gegen ihn vorgehe 13 . Jeder Mietvertrag sei nach Treu und Glauben (§ 157 BGB) dahin auszulegen, daß der Mieter Handlungen, die den Nachbarn gegenüber rechtswidrig seien, nicht vornehmen dürfe 14 . Bei Zuwiderhandlungen mache der Mieter einen vertragswidrigen Gebrauch von der Mietsache 15 ; der Vermieter müsse daher gegen den Mieter nach § 550 BGB vorgehen, müsse also nach erfolgloser Abmahnung gegen ihn auf Unterlassung klagen 16 oder ihm kündigen (§ 553 BGB) 1 7 . — Auch im Schrifttum wird häufig die Auffassung vertreten, daß das
8 RGZ 45, 298, 299; 97, 25, 26; 134, 231, 234; RG JW 1904 Nr. 11, S. 142, 143 l.Sp.; GruchBeitr. 46 Nr. 38, S. 650, 652/653; ferner Endemann S. 591 Fn. 91; GoldmannLilienthal-Sternberg S. 374 Fn. 15. 9 Unklar ferner die von RGZ 45, RGZ 97 und RG GruchBeitr. jeweils ebd. geforderte Voraussetzung der Veranlassung durch „Anordnungen" des Vermieters, deren Herkunft unbekannt ist; in dem für dieses Erfordernis von Lutter/Overath JZ 1968,345,350 Fn. 36 zitierten Urteil RGZ 53, 23, 26 handelte es sich um eine besondere Vertragsgestaltung. 10 Endemann S. 474 Fn. 53; RG GruchBeitr. 46 Nr. 38, S. 650,653 unten; WarnR 1908 Nr. 380, S. 285; 1917 Nr. 245, S. 387. 11 Kenntnis verlangen ausdrücklich Baur § 12 I I I 2 (Tanzetablissement-Beispiel); Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 32; das Willenselement ist außerdem genannt bei Lent-Schwab § 46 I; Zurückführbarkeit auf den Willen wird gefordert von Goldmann-LilienthalSternberg S. 374; RGZ 97, 25, 26; RG Gruch-Beitr. 46 Nr. 38, S. 650, 653 oben. 12 Oben Fn. 5. 13 RGZ 47,162,163; 134,231,234; RG GruchBeitr. 46 Nr. 38, S. 652,653; RG JW 1904 Nr. 11, S. 142, 143 l.Sp., r. Sp. = GruchBeitr. 48. Nr. 102, S.949, 950; Dulden als Haftungsgrund sehen auch an RGZ 45, 297, 299; 97, 25, 26. 14 So auch Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 17, S. 270 1. Absatz. 15 Zustimmend Lutter/Overath JZ 1968,345,350 r. Sp. (unter I I 1); aA Schmidt S. 28 3. Absatz. 16 RGZ 47, 162, 163; RG JW ebd. = GruchBeitr. 48 Nr. 102, S. 952.
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7. Kap. Haftung in besonderen Fällen
Bestehenlassen der Beeinträchtigung trotz rechtlicher Möglichkeiten, gegen den Mieter vorzugehen, die negatorische Haftung begründe 18 . II. Kritik 1. Der theoretische Einwand gegen diese Ansichten liegt auf der Hand: Das für maßgebend befundene Kriterium der Kausalität wird nicht konsequent gehandhabt. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Haftung von Vermieter oder Verpächter muß für das Kausalprinzip die Frage sein, ob diese Personen für die Beeinträchtigungen des Mieters oder Pächters ursächlich geworden sind. Diese Frage ist ohne weiteres zu bejahen, denn zweifellos ist der Abschluß des Miet- oder Pachtvertrages für die beanstandeten Störungen kausal. Der Umstand, daß Vermieter oder Verpächter die Störungen nicht unmittelbar durch eigene Handlungen hervorrufen oder daß sie die Störung nicht ausdrücklich veranlassen durch Abschluß eines entsprechenden Vertrages, der den mit Beeinträchtigungen verbundenen Gebrauch der Sache festlegt, bietet vom Grundsatz her keine besondere Problematik, da es nach allgemeinen Kausalgrundsätzen nicht darauf ankommt, ob der rechtswidrige Erfolg erst durch eine Reihe weiterer Kausalfaktoren herbeigeführt wird. Wenn dennoch der Vertragsschluß allein nicht zur Verantwortung des Vermieters oder Verpächters führen soll, so handelt es sich nicht um Fragen der Kausalität 19 , sondern um das Problem, inwieweit das auf Grund der Kausalität ermittelte Ergebnis durch wertende Kriterien zu korrigieren ist. Dieses Problem ist aus dem Deliktsrecht hinreichend bekannt. Wenn also der dogmatische Standort der angewandten Kriterien — Vertragsschluß, Gestattung der Störung, Überlassung zu störendem Gebrauch — festgestellt worden wäre, wäre wenigstens das — sich auf der Grundlage der Kausalität ergebende — Rechtsproblem deutlich und damit für die Lösung der vorliegenden Fälle schon einiges gewonnen. Ob sich im Bereiche der deliktischen Kausaltheorien 20 tatsächlich Möglichkeiten zur Beantwortung der anstehenden Haftungsfragen bieten würden, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Zu denken ist etwa an die Grundsätze der sog. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs21, die dazu führen könnten, daß Vermieter oder Verpächter trotz der von ihnen gesetzten Bedingung für Störungen der anderen Vertragspartei nicht herangezogen werden können. 17 RGZ 47, 162, 163; die Haftung des Vermieters oder Verpächters bejahen ohne Begründung Wolff-Raiser § 87 I 3, S. 349 Fn. 11; RGZ 13, 52, 54 unten, 58 oben (preuß. A L R § 246 I I 15, s. RG ebd. S. 57); 89, 216; 92, 359; RG JW 1927 Nr. 9, S. 45. 18 Memelsdorff S. 25; Goldmann-Lilienthal-Sternberg S. 374 Fn. 15; Westermann § 36 I I 1, S. 179; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 17, S. 270 1. Absatz; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 65; auch Endemann S. 591 Fn. 91 (Haftung bei willentlichem Fortbestehenlassen); Lent-Schwab § 46 I Fn. 2 (Handlungshaftung bei Duldung des Vermieters). 19
So aber ausdrücklich Schmidt S. 32 oben; Wolf § 3 E V a 3 ff. Dazu etwa Larenz I § 27 III. 21 Dazu etwa Esser I § 46 I; ablehnend für den vorliegenden Fall Lutter/Overath JZ 1968, 345, 347 l.Sp. (unter B); dazu unten 14. Kap. § 3 C I I I 3. 20
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2. Wo die Haftung mit einem Dulden oder Nichteinschreiten begründet wird, ist bereits der auf dem Boden des Kausalprinzips maßgebende Faktor, der Vertragsschluß, ohne Rechtfertigung übersprungen und das Problem auf die Ebene der Unterlassungshaftung verschoben worden. Die entscheidende Frage der Handlungspflicht von Vermieter oder Verpächter freilich wird gewöhnlich übergangen 22. Die in Judikatur und Literatur vorhandenen Überlegungen zur rechtlichen Möglichkeit, gegen den Vertragspartner vorzugehen (Kündigung, Unterlassungsklage), sind praktischer Art, sie können die Haftung nicht begründen und sind rechtlich lediglich unter dem nachrangigen Aspekt bedeutsam, ob der negatorische Gegner seine Pflichten aus § 1004 BGB zu erfüllen in der Lage ist (Gedanke der Unmöglichkeit).
C. Die Lösung Lutters und Overaths /. Darstellung Lutter und Overath, die sich der Frage der Haftung des Vermieters näher angenommen haben 23 , wollen das Problem mit Hilfe des Kriteriums des verkehrsrichtigen Verhaltens lösen. Sie halten die adäquate Kausalität lediglich für geeignet, Beeinträchtigungen auszuscheiden24, meinen aber, daß die Adäquanzformel für eine positive Begründung der Haftung zu weit sei, weil es — anders als im Deliktsrecht — an dem Korrektiv des Verschuldens fehle 25 . Sie wollen daher neben der Adäquanz die sog. Lehre vom Handlungsunrecht 26 heranziehen und einzelne kausale Verhaltensweisen des Vermieters ausscheiden, die nach dieser Lehre nicht als rechtswidrig anzusehen seien, weil sie als „verkehrsrichtig" zu werten seien 27 . — Unter Kombination dieser beiden Aspekte, der Adäquanz und der Lehre vom Handlungsunrecht, vertreten Lutter /Overath die Ansicht, daß der Vermieter für Beeinträchtigungen des Mieters hafte, wenn er für die Beeinträchtigung adäquat kausal sei und wenn er objektiv gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstoße 28 . Letzteres sei der Fall, wenn der Vermieter dem Mieter das störende Verhalten ausdrücklich vertraglich gestatte, etwa indem er einen störenden Betrieb verpachte oder 22 Ausnahme RG JW 1904 Nr. 11, S. 142 = GruchBeitr. 48 Nr. 102, S. 949, 950, das eine Einschreitungspflicht aus der Eigentümerstellung des Vermieters ableitete. 23
Lutter/Overath JZ 1968, 345ff. Ebd. S. 349 l.Sp. (unter 5). 25 Ebd. S. 348 (unter 4). 26 Zu dieser Lehre, die anders als die herkömmliche sog. Lehre vom Erfolgsunrecht die Rechtswidrigkeit nicht schon dann bejaht, wenn der Verletzungstatbestand gegeben ist, sondern erst bei Verstoß gegen ein spezielles oder allgemeines (§ 276 I 2 BGB) Sorgfaltsgebot, etwa Larenz I I § 72 I c mit Nachw. 27 Ebd. S. 347 r.Sp., 348 r.Sp. unten, 349 l.Sp. 28 Lutter/Overath ebd. S. 349 l.Sp. (unter 5), 350ff. 24
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7. Kap. Haftung in besonderen Fällen
indem er das Grundstück zu einem störenden Gebrauch vermiete 29 . Ferner handele er aber auch dann nicht verkehrsrichtig, wenn der Mieter bei oder nach Vertragsschluß habe annehmen dürfen, daß der Vermieter gegen störende Handlungen nichts einzuwenden habe, wenn der Vermieter die Störung also stillschweigend gestatte 30 . Im übrigen halten Lutter und Overath es für ein verkehrsrichtiges Verhalten des Vermieters u.U. für geboten, daß er bei Abschluß des Vertrages oder später Störungen des Mieters verhindere. Wenn Anlaß bestehe, müsse der Vermieter in den Mietvertrag die Pflicht zur Unterlassung von Störungen aufnehmen oder aber die Vermietung an den Betreffenden unterlassen („Herr mit Trompete") 31 . Während der Dauer des Mietverhältnisses halten die Autoren den Vermieter für verpflichtet, gegen Störungshandlungen einzuschreiten und, wenn Störungsverbote vertraglich (ausdrücklich oder stillschweigend) festgelegt sind, dafür zu sorgen, daß der Mieter sich insoweit an den Vertrag halte; er muß also die nach den §§ 550, 553 BGB gegen den Mieter zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreifen 32. Hier nehmen die Autoren eine Haftung kraft Unterlassens an 3 3 ; die Pflicht des Vermieters zum Handeln leiten sie aus einer Garantenstellung aus vorangegangenem gefahrerhöhenden Tun ab 3 4 . II. Kritik Lutter/Overath halten, wenn sie recht verstanden werden, die adäquate Kausalität für ein im Grundsatz geeignetes Störerkriterium und wollen das in den vorliegenden Fällen auftretende Problem, daß der Vermieter auf der Basis der Kausalität für jede durch den Mieter hervorgerufene Störung einzutreten hat, unter dem Aspekt der Rechtswidrigkeit behandeln. Diese Lösung weicht dem eigentlichen Problem aus. Die Frage des Haftungskriteriums und die der Rechtswidrigkeit gehören unterschiedlichen Kategorien an. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob—wie die Lehre vom Erfolgsunrecht annimmt — der vom Gesetz verbotene Tatbestand (hier: Beeinträchtigung) rechtswidrig sein muß oder ob — wie die Lehre vom Handlungsrecht glaubt — schon das jeweilige Verhalten, das zu diesem vom Gesetz mißbilligten Tatbestand führt, als rechtswidrig zu werten ist 3 5 . Selbst wenn man sich auf den Standpunkt der Verfasser stellt und letzteres für richtig hält, ist die Frage, ob das kausale Verhalten der maßgebende Anknüpfungspunkt der Haftung ist, von der Frage zu unterscheiden, wie dieses Verhalten zu werten ist, ob als rechtmäßig oder 29 30 31 32 33 34 35
Lutter/Overath ebd. S. 350 l.Sp. (unter 1), 350/351. Ebd. S. 350 r.Sp. (unter 2), 350/351. Ebd. S. 351 r.Sp. Ebd. S. 351 r.Sp. (unter b), 352. Ebd. S. 351 r.Sp. (unter 5 vor a). Ebd. S. 351 r.Sp. (unter 5b), 352 l.Sp. 2., 3. Absatz. Zu den beiden Lehren oben Fn. 26.
§ 2 Haftung des Vermieters oder Verpächters
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rechtswidrig. Als dogmatisch vollständig können Störergrundsätze erst dann angesehen werden, wenn sie geeignet sind, den Verantwortlichen zu bestimmen. Diese Aufgabe erfüllt das Kriterium der Adäquanz offensichtlich nicht. Die Lösung kann jedoch nicht auf einer anderen rechtstheoretischen Ebene gesucht werden. — Darüber hinaus fallt auf, daß das System Lutters und Overaths, die Verbindung von Kausalität und dem Gesichtspunkt des „verkehrsrichtigen Verhaltens", in sich nicht stimmig ist: Während der Dauer des Mietvertrages soll der Vermieter u.U. kraft Unterlassens haften; die Notwendigkeit der von Lutter/Overath im Rahmen dieses Unterlassens angenommenen besonderen Pflicht zum Handeln aus vorangegangenem gefahrerhöhenden Tun, das in der Einräumung des Besitzes an den Mieter liegen soll, leuchtet vom Standpunkt der Autoren nicht ein. Danach kommt es lediglich darauf an, ob das Verhalten des Vermieters der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht, unabhängig davon, ob es sich um ein Tun oder Unterlassen handelt. Andernfalls bestehen zwei Verpflichtungen nebeneinander: einmal die Verpflichtung aus der Ingerenz und zum zweiten die Pflicht, sich sorgfaltig zu verhalten. D. Die Lösung Pickers I. Darstellung Picker will die Haftung des Vermieters entsprechend seiner grundsätzlichen Unterscheidung 36 in Beeinträchtigungen durch den Sachzustand und durch Handlungen beurteilen: Für Störungen, die von dem Mietgegenstand (Grundstück, Anlage) ausgehen, hafte der Vermieter in seiner Eigenschaft als Eigentümer oder Besitzer 37 . Die Problematik der Verantwortlichkeit des Vermieters entstehe überhaupt nur in Fällen des störenden Verhaltens des Mieters beim Gebrauch der Mietsache. Doch gelte hier das allgemeine Haftungsprinzip: Der Vermieter hafte, „wenn und weil er selbst durch die vom Mieter ausgehenden Störungen die Grenzen seines Rechtskreises überschreitet" 38 . Der Vermieter sei Störer, wenn das störende Verhalten des Mieters die Verwirklichung des Mietvertrages und deshalb die Ausübung der von dem Vermieter in Anspruch genommenen Befugnisse darstelle 39 . Der Vermieter, dessen Vertragspartner nach dem Mietvertrag zu einem Störungen hervorrufenden Gebrauch des Mietgegenstandes berechtigt sei, lasse ein Gebrauchsrecht ausüben, das dem Umfang seiner eigenen Berechtigung nicht entspreche und das deshalb die Inanspruchnahme des fremden Rechts einschließe. Er überlasse seinem Mieter praktisch einen Teil der fremden Sache zum Gebrauch und mache diese insoweit quasi zum Mietobjekt. Er usurpiere die Befugnisse des Berechtigten nur in 36 37 38 39
Oben 6. Kap. § 2 A II, Β II. Picker S. 150 1. Absatz. Ebd. Picker S. 151 2. Absatz; zustimmend Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 85.
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7. Kap. Haftung in besonderen Fällen
äußerlich anderer Form als bei eigenhändiger Einwirkung. Der Mieter als der unmittelbare Störer sei nur der Mittler der rechtsusurpierenden Position 40 . IL Kritik Die Haftung des Vermieters als Eigentümer oder Besitzer in Fällen, in denen die vermietete Sache durch ihren Zustand stört, ergibt sich folgerichtig aus der Grundthese Pickers. Dies gilt aber nicht für Fälle, in denen der Mieter durch seine Handlungen stört; hier müßte nach dem Obersatz der Rechtsusurpation durch Handlungen nur der Mieter haften, da er die störenden Handlungen vornimmt, nicht der Vermieter. Picker löst sich bei dieser Störungsart jedoch von seinem Konzept, indem er zu den beiden Formen der Rechtsusurpation durch störende Handlungen und Sachen eine dritte Form gesellt, die Anmaßung einer Rechtsposition durch den Abschluß von Verträgen, deren Gegenstand der störende Gebrauch der Miet- oder Pachtsache durch den Vertragspartner ist. Diese weitere Form des rechtsusurpierenden Verhaltens läßt sich — ähnlich wie die Rechtsanmaßung durch Hervorrufen von Immissionen 41 — aus dem Grundkonzept nicht ableiten, denn danach besteht die Usurpation in eigenen störenden Handlungen des Verpflichteten, nicht in mittelbar verursachten störenden Handlungen anderer 42 . In einem solchen Ursächlichwerden noch eine Usurpation zu sehen, bedeutet, diese in einem weiten und unscharfen Sinne verstehen; der Sache nach ist es die Kausalität, die hier entscheiden soll. — Ferner aber ist bei dieser Konstruktion die grundsätzlich geforderte bereicherungsrechtsähnliche Verschiebung nicht mehr deutlich. Die Störungen durch den Mieter oder Pächter müßten dem Vermieter oder Verpächter zum Vorteil gereichen. Vorteilhaft für ihn ist der Abschluß des Vertrages, zu dessen Inhalt der störende Gebrauch des Miet- oder Pachtobjektes gehört. Der Vertrag selbst führt aber nicht zu der Störung, sondern erst dessen Verwirklichung. Diese jedoch kann dem Mieter (Pächter) gleichgültig sein; er hat keinen Vorteil davon, daß sein Vertragspartner den Kontrakt in die Tat umsetzt 43 : Die Lösung Pickers vermag also auch in den vorliegenden speziellen Fällen nicht zu überzeugen. 40
Picker ebd. Vgl. oben 6. Kap. § 4 Β I 3, II; ebd. C I 2, II; ebd. D; ebd. § 5 C. 42 Aber selbst auf der Grundlage Pickers will die Lösung des von Picker S. 151 Fn. 81, S. 1521. Absatz als Beispiel angeführten Falles BGH JZ 1968,384 nicht einleuchten, denn die störenden Handlungen stammen dort nicht vom Pächter, sondern von dessen Kunden; hier muß also eine doppelte Vermittlung der Rechtsusurpation angenommen werden (zwei Verträge: Verpächter/Pächter, Pächter/Kunde). 43 Selbst wenn man der Vorstellung der Rechtsusurpation in Fällen des Gebrauchs fremden Eigentums durch Mieter/Pächter noch folgen wollte, trifft sie in den Fällen der durch Mieter/Pächter verursachten Immissionen sicher nicht mehr zu, da es bei Immissionen schon generell an einem Vorteil fehlt (s. Fn. 41); s. das Beispiel Picker S. 152 1. Absatz (verpachtete störende Gaststätte). 41
§ 3 Haftung bei Störungen durch höhere Gewalt
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£. Zusammenfassung zu A - D Ein Maßstab für die Einschätzung des Vermieters oder Verpächters als Störer ist nach allem noch nicht gefunden worden. Die Beschränkung seiner Verantwortlichkeit auf Fälle, in denen der störende Gebrauch der Miet- oder Pachtsache Inhalt des Vertrages ist, läßt sich auf der Grundlage der Kausalität (oben B), einer Kombination von Adäquanz und dem Rechtswidrigkeitsverdikt verkehrsgerechten Verhaltens (oben C) oder dem Gedanken der Rechtsusurpation (oben D) nicht erklären. Auch die Pflicht zum Einschreiten gegen den die Nachbarschaft störenden Vertragspartner, unabhängig vom Vertragsinhalt, ist rechtlich bisher nicht plausibel begründet worden (oben B, C).
§ 3 Haftung bei Störungen durch höhere Gewalt A. Einleitung Ein in Ergebnissen wie rechtlichen Begründungen gleichermaßen uneinheitliches Bild bietet sich bei Störungen, die auf höherer Gewalt beruhen, also auf Naturvorgängen oder etwa Kriegsereignissen. In den Fällen des Naturwirkens ist man sich einig darin, daß derjenige haftet, der die Bedingungen für das Eingreifen der Naturkräfte geschaffen hat (unten Β11), während die Mitverursachung bei Störungen, die durch Kriegseinwirkungen entstanden sind, nicht von allen Juristen als haftungsbegründend angesehen wird (unten C). Die Geister scheiden sich ferner, wenn es um reines Naturwirken geht. Das Gerechtigkeitsempfinden gibt hier offenkundig unterschiedliche Auskünfte, denn während eine Verantwortung teilweise abgelehnt wird (unten Β 11), wird sie andernorts bejaht (unten Β12). Wie in den Vermieter- und Verpächterfallen kommt man aber überwiegend vom Ergebnis her; der umgekehrte, an sich in einem kodifizierten Recht gebotene Weg, wonach zunächst das rechtliche Instrumentarium zu Rate gezogen und dann das Ergebnis überprüft wird, ist nicht gangbar, weil es an juristischen Grundlagen fehlt. — Da die Beurteilung der beiden genannten Fälle der höheren Gewalt unterschiedlich ausfallt, werden sie in der folgenden Darstellung getrennt behandelt (unten B, C). B. Haftung bei Störungen durch Naturwirken I. Verschiedene Lösungsversuche 1. Darstellung a) Überwiegend stehen Literatur und Rechtsprechung auf dem Standpunkt, daß eine Haftung für reines Naturwirken nicht bestehe, sondern nur dann, wenn der als Störer in Betracht kommende Grundstückseigentümer oder -besitzer eine Vorbedingung dafür geschaffen habe, daß unter dem Einfluß der Naturvorgänge die Störung entstehen konnte 1 . Beispiele bietet die Rechtspre-
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7. Kap. Haftung in besonderen Fällen
chung etwa folgende: Von sich selbst entzündenden Halden springt das Feuer auf das Nachbargrundstück über 2 , Gesteine lösen sich von einer als Untergrund eines als Aussichtstempel dienenden Felskuppe infolge des Druckes, den das Gebäude auf den Felsen ausübt 3 , der Grundwasserspiegel steigt durch Aufschüttung des Deichvorlandes und führt zu Feuchtigkeit und Rissen im Haus 4 , wolkenbruchartige, anhaltende Regengüsse verursachen einen Haldenrutsch 5 , die Bienen des Imkers 6 oder der Lärm schnatternder Gänse7 belästigt die Nachbarschaft. b) Von anderer Seite wird zwar ebenfalls ein menschliches Verhalten gefordert, aber eine Haftung auch dann bejaht, wenn dieses Verhalten („Vorbedingung", s. oben a) nicht gerade vom negatorisch Verpflichteten, sondern von einem seiner Rechtsvorgänger stammt, eine Ansicht, die auf eine Verantwortung für reines Naturwirken hinausläuft, da der Verpflichtete nach dieser Anschauung für die Störung nicht ursächlich geworden zu sein braucht. In dieser Weise betrachtete die Haftungslage das RG in dem eben angeführten Aussichtstempelfall 8 und in dem ebenfalls hier schon bekannten, ganz parallel liegenden Fall, in dem sich lösendes Felsgestein auf einen darunter liegenden Bahndamm fiel 9 . Diese Auffassung hat in weitere Urteile und die neuere Literatur Eingang gefunden 10 . Zum selben Ergebnis, der Haftung für reine Naturvorgänge, führt die Ansicht, daß die negatorische Haftung kraft Haltens der Anlage 11 oder kraft 1 Offtermatt S. 50; Planck-Brodmann § 1004 Anm. 2d; Staudinger-Berg §1004 Rdnr. 29; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 60; Jauernig § 1004 Anm. 6b; RGZ 12, 173, 174; 127, 29, 34 1. Absatz; 155,154,157; 156,187,190; RG GruchBeitr. 54 Nr. 9, S. 156,158; SeuffArch. 60 Nr. 55, S. 103, 104; O L G Dresden JW 1921 Nr. 8, S. 252, 253; OLG Stuttgart SeuffArch. 47 Nr. 97, S. 140; L G Stuttgart MDR1965,990,991 r. Sp. aE; BGHZ 19, 126, 129, 130. 2 3
RGZ 127, 29, 34 1. Absatz. RGZ 149, 205, 210, 211.
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RGZ 155, 154, 157. RG GruchBeitr. 54 Nr. 9, S. 156, 157,158; ferner RG SeuffArch. 60 Nr. 55, S. 103, 104 (Aufschüttung von Erdkegeln); O L G Dresden JW 1921 Nr. 8, S. 252, 253 (Haldenrutsch durch Druck der Massen). 6 RGZ 12, 173, 174; O L G Stuttgart SeuffArch. 47 Nr. 97, S. 140, 141; Belästigungen durch Bienen werden als Einwirkung iSd § 1004 BGB erwähnt in RGZ 76, 130, 132 2. Absatz; dazu auch Prot. Mugdan I I I S. 581 oben. 5
7
RG WarnR 1917 Nr. 244, S. 385 (zu § 906 BGB). RGZ 149, 205, 210, 211. 9 RGZ 134, 231, 234. 10 BGHZ 19,126,130; BGH NJW 1966,1360,1361 r.Sp. 2. Absatz; Kübler AcP 159 (1960) 236, 279 unten (Haftung des Rechtsnachfolgers, wenn der Vorgänger gehandelt habe, Art. 14 I I GG); Westermann § 36 I I 2,S. 179; MK-Medicus§ 1004 Rdnr. 21;ErmanHefermehl § 1004 Rdnr. 18; Palandt-Bassenge § 1004 Anm. 2 a bb. 8
11
Baur § 12 I I I 2; ders. AcP 160 (1961), 465, 479, 480 oben; dazu oben 5. Kap.
§ 3 Haftung bei Störungen durch höhere Gewalt
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Unterlassens 12 eingreife. Die im Rahmen des Unterlassens nötige Handlungspflicht ist freilich ungeklärt. Sie wird auf die nachbarliche Rücksichtnahme gestützt 13 , auf ein vorhergehendes Handeln des Eigentümers oder dessen Rechtsvorgänger 14, auf die Ermöglichung der Einwirkung durch den in Anspruch Genommenen15 oder allgemein auf menschliche Tätigkeit 16 , auf eine Vernachlässigung der Unterhaltung der Sache17 und ferner darauf, daß die Einflüsse ihren Ursprung im Herrschaftsbereich des Verpflichteten haben 18 . 2. Kritik Auf der Grundlage der Kausalität lassen sich die vorliegenden Fälle folgerichtig und im Ergebnis zufriedenstellend lösen, wenn der Haftende Vorbedingungen für das beeinträchtigende Wirken der Naturkräfte geschaffen hat (oben 1). Fehlt es hingegen an einem solchen Mitursächlichwerden, ist es fraglich, ob der Grundstückseigentümer nicht dennoch für die aus seinem Bereich kommenden Störungen einstehen muß; dieses Problem ist durch die Kausalität in Gestalt positiven Tuns nicht zu bewältigen. Wo die Verantwortung bejaht wird (oben 2), fehlt es an Begründungen. Warum der Eigentümer haftet, wenn einer seiner Rechtsvorgänger Ursachen für die später eintretenden, zu Störungen führenden Naturvorgänge gesetzt hat, z.B. durch Errichten einer Anlage (Baur), ist rechtlich nicht erklärbar. Die von einem anderen als dem nach § 1004 Verpflichteten stammende Ursächlichkeit ist juristisch bedeutungslos. Die Annahme, daß der Erwerber trotz fehlenden eigenen mitursächlichen Verhaltens wenigstens dann hafte, wenn bei der Entstehung der Beeinträchtigung überhaupt „Menschenhand" im Spiele war, beruht auf einer allgemeinwertenden, im außerrechtlichen Bereich angesiedelten Einschätzung der Einstandspflicht; juristisch mutet sie wie ein Verlegenheitsargument an. Der teilweise befürworteten Unterlassungshaftung (oben 1 b) mangelt es — entsprechend dem insoweit bestehenden grundsätzlichen Defizit (oben 3. Kap. § 3) —
12 Fikentscher § 1141 (morscher Baum); Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 18; Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 29; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 60, 70; RG SeuffArch. 60 Nr. 55, S. 103,104; BGHZ 19,126,129,130; Haftung kraft Unterlassens wird der Sache nach auch in RG JW 1910 Nr. 13, S. 654, 655 angenommen; gegen eine Haftung kraft Unterlassens L G Stuttgart M D R 1965, 990, 991 l.Sp. unten/r.Sp. 2. Absatz (Unkrautsamen). 13 Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 29. 14 Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 18. 15 RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 60; RG SeuffArch. 60 Nr. 55, S. 103, 104. 16
RG SeuffArch. ebd. BGHZ 19, 126, 130. 18 RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 70; mitentscheidend ist daneben die Voraussehbarkeit nach RGZ 12,173,174 (Bienen); nicht dagegen nach O L G Stuttgart SeuffArch. 47 Nr. 97, S. 140,141 (Bienen); RG GruchBeitr. 54 Nr. 9, S. 156,158; ferner soll es ankommen auf die Zumutbarkeit nach Lent-Schwab § 46 I; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 57; auch Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 29. 17
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7. Kap. Haftung in besonderen Fällen
am tragenden Element der Handlungspflicht. — Damit bestätigt sich erneut, daß die Orientierungslosigkeit besonders da besteht, wo es lediglich um störende Sachzustände geht (s. schon oben 3. Kap. § 3; 4. Kap. § 2 B; 5. Kap.). II. Beurteilung auf Grund der sog. Eigentumstheorie
(Pleyer)
1. Darstellung der Theorie Nach einer von Pleyer entwickelten Auffassung wird eine Haftung für Naturwirken auf das Eigentum gegründet 19 . Pleyers Kerngedanke ist, daß der umfassenden Dispositions- und Beherrschungsbefugnis, die das Eigentum verleiht, sowie dem Nutzen, den der Eigentümer aus seinem Recht ziehen kann, auch eine Verantwortung entsprechen müsse 20 . Dieser Gedanke sei in der Rechtsordnung auch im übrigen verschiedentlich anerkannt. Art. 14 GG erkenne die Innehabung von Eigentum als Quelle von Verpflichtungen an 2 1 ; es würde dem Geist unseres Grundgesetzes widersprechen, wenn man nicht auch für § 1004 BGB die Konsequenzen aus dem verpflichtenden Charakter des Eigentums zöge 22 . Die Haftung des Eigentümers oder Besitzers sei auch in § 836 BGB bestimmt 23 . Ferner sei seine Verantwortlichkeit im Polizeirecht anerkannt 2 4 . Aber auch der Gefährdungshaftung liege der Gedanke zugrunde, daß, wer durch gefahrliche Mittel seine Interessen fördere, für die damit verbundene Gefährlichkeit einzustehen habe 25 . Daß allerdings die Gefahrdungshaftung nicht an das Eigentum, sondern die Haltereigenschaft anknüpfe, erkläre sich aus der Zweckmäßigkeit, da ein bewußtes Halten erforderlich sei; dagegen könnten Beeinträchtigungen von einem Grundstück auch dann ausgehen, wenn es nicht bewußt für bestimmte Zwecke gebraucht werde. Das Risiko, eine vom Eigentum ausgehende Beeinträchtigung beseitigen zu müssen, sei auch erheblich geringer als das Risiko, sich schadensersatzpflichtig zu machen 26 . Pleyer verknüpft jedoch mit dem Eigentum keine generelle Verantwortung für höhere Gewalt, sondern differenziert. Sie bestehe nur für die der Sache selbst innewohnende Gefährlichkeit, nicht für von außen wirkende Ereignisse 27. 19 Vgl. Pleyer AcP 156 (1957) 291 ff.; ferner Wolff-Raiser § 87 I 3 (ohne Begründung); Lent-Schwab § 461; dagegen Kübler AcP 159 (1960), 236,280; Picker S. 102 3. Absatz, 103 3. Absatz; Westermann § 36 I I 2; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 18. 20 Pleyer ebd. S. 303, 304; zustimmend Lent-Schwab § 46 I. 21 Pleyer ebd. S. 301. 22 Ebd. S. 305. 23 Ebd. S. 297 unten, 298. 24 Ebd. S. 300 (preuß. A L R I I 17 § 10, preuß. PVG § 20); ebenso Lent-Schwab § 46 I. 25 Pleyer ebd. S. 304. 26 Ebd. 27 Ebd. S. 3071. Absatz; ebenso ders. JZ 1959,305,3071. Sp. (keine Haftung für höhere Gewalt).
§ 3 Haftung bei Störungen durch höhere Gewalt
113
Lockere sich etwa durch Witterungseinflüsse ein Felsen und rolle schließlich auf das Nachbargrundstück, bestehe die Haftung 2 8 . Werde der Felsblock hingegen durch ein Erdbeben losgelöst, hafte der Eigentümer nicht, weil sich hier das Grundstück selbst nicht in einem gefahrlichen Zustand befunden habe 29 . 2. Kritik Die Abhilfe, die Pleyer gerade für die Fälle schaffen will, in denen es an einem mitursächlichen Verhalten fehlt, mag im Ergebnis befriedigen, wenngleich die Differenzierung, die Pleyer trifft, von seinem Grundgedanken her nicht unbedingt überzeugt. Einmal ist die Grenze zwischen Beeinträchtigungen, die auf der „natürlichen Beschaffenheit" des Grundstücks beruhen und solchen Beeinträchtigungen, die lediglich von außen wirken, schwer zu ziehen. Bei dem sich durch Witterungseinflüsse lösenden Fels sind ebenfalls derartige von außen kommende Einwirkungen gegeben. Ohne diese sind zu Störungen führende physikalische Veränderungen der Grundstücksbeschaffenheit gar nicht denkbar. Zudem ist — umgekehrt - auch der sich infolge des Erdbebens lockernde Fels auf die Gefährlichkeit des Grundstücks zurückführbar. Aber abgesehen von der Frage, ob sich die von Pleyer für richtig befundene Distinktion treffen läßt, scheint sie mit seiner Grundidee nicht in Einklang zu stehen, denn wenn das Eigentum verpflichtende Kraft hat, müßte eine Verantwortung für alle Beeinträchtigungen bestehen, die vom Sachzustand ausgehen. Jedenfalls aber ist die theoretische Begründbarkeit der Konstruktion Pleyers fragwürdig. Zivilrechtlich legt das Recht Eigentum lediglich die Beziehung zwischen Person und Sache fest. Aus dieser dinglichen Position können Pflichten nicht entspringen; eine solche Vorstellung widerspricht sachenrechtlichen Grundvorstellungen. Wenn § 903 BGB bestimmt, daß der Eigentümer nach Belieben mit der Sache verfahren kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, so wird damit nur der Inhalt des dinglichen Rechts (potentiell) eingeschränkt; Pflichten entspringen dieser Beschränkung nicht. Pleyer stützt sich für seine These nun nicht lediglich auf die bürgerlichrechtliche Einrichtung Eigentum, sondern er verweist darauf, daß der Rechtsordnung die Bindung der Verantwortlichkeit an das Eigentum auch im übrigen nicht fremd sei. — Was insoweit die Gefährdungshaftung angeht, so stellt Pleyer selbst fest, daß diese an das Halten der Sache, also einen komplexen Tatbestand 30 , anknüpft, nicht an die dingliche Position als solche. Wegen der grundsätzlich anderen dogmatischen Lage im Polizeirecht kann auf frühere Ausführungen verwiesen werden 31 . § 836 BGB knüpft die Haftung nicht an das 28 29 30
AcP ebd. S. 299 oben, 302 3. Absatz iVm S. 307. Ebd. S. 307 1. Absatz. Vgl. zu den Verpflichteten der verschiedenen Gefahrdungshaftungen etwa Larenz I I
§77. 31
Oben 4. Kap. § 3 Β und C.
8 Herrmann
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7. Kap. Haftung in besonderen Fällen
Eigentum, sondern den Besitz, jedoch auch nicht an den Besitz schlechthin, sondern an eine daraus abgeleitete Pflicht zur Unterhaltung des Gebäudes32. — Diese Rechtsmaterien dienen Pleyer indessen auch nur als bestärkender Hinweis. Das eigentliche Argument für seine Idee entnimmt er offenbar Art. 14 I I GG. In dessen Satz 1 heißt es: Eigentum verpflichtet. Satz 2 legt fest, daß sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit diene. Dieser erste Verfassungssatz ist viel zu allgemein, als daß er zivilrechtliche Pflichten des Eigentümers ganz bestimmten Inhalts (§ 1004) schaffen könnte. Er kann für den Bürger zumindest im Verhältnis zu seinen Rechtsgenossen nicht mehr bedeuten als eine Verpflichtung allgemein-sozialethischer Art; der Satz läßt offen, welche konkreten Pflichten an das Eigentum gebunden sein sollen. — Das Wohl der Allgemeinheit (Art. 14 I I 2 GG) steht im Falle der actio negatoria nicht in Frage. Darüber hinaus ist Baur und Medicus darin beizupflichten, daß Art. 14 I I GG den Eigentümer, der den Anspruch aus § 1004 geltend macht, ebenso trifft 3 3 , so daß die Frage entstünde, ob dieser Anspruch auf Grund des Art. 14 I I G G inhaltlich einzuschränken ist und der Eigentümer gehalten ist, gewisse Störungen hinzunehmen, z.B. jene, die durch Natureinwirkungen vom Grundstück eines anderen ausgehen. Überspitzt ausgedrückt bedürfte es zudem, wollte man Art. 14 I I GG in der vorgeschlagenen Weise heranziehen, des § 1004 BGB gar nicht mehr; es könnte wegen des verpflichtenden Gehalts des Eigentums unmittelbar auf Grund Art. 14 I I GG festgestellt werden, daß der Eigentümer für nachteilige Folgen seines Rechts haftet 34 . III. Beurteilung durch Picker I . Nach dem allgemeinen Ausgangspunkt Pickers, wonach es auf die Usurpation des fremden Eigentums durch eine an der störenden Sache dingliche Zuständigkeit (Eigentum , Besitz etc.) ankommt 3 5 , wäre zu erwarten, daß nach Picker für die Haftung die Frage entscheidend ist, ob an der Sache, die zusammen mit natürlichen Einwirkungen zu der Störung geführt hat, solche 32
Einzelheiten unten 12. Kap. § 6 C I I 3. Oben 3. Kap. § 3 Β I I I 2. 34 Die sog. Drittwirkung der Grundrechte ist umstr.; neu aufgegriffen wurde die besonders zu Beginn der sechziger Jahre geführte Diskussion (Nipperdey, Leisner, Ramm u. a.) durch Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971. Allgemein zur Problematik s. aus der umfangreichen Lit. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, AcP 184 (1984), 201 [Stellungsnahme dazu Schwabe, Grundrechte und Privatrecht, AcP 185 (1985), 1]; Dürig in Maunz-Dürig, K . zum GG, München, 6. Aufl., Stand Jan. 1985, Art. 3 I Rdnr. 505ff.; v. Münch, GG-Kommentar Bd. 1, 3. Aufl., München 1985, Vorbem. Art. 1 -9 Rdnr. 28 ff. jeweils mwN; speziell zur Geltung des Art. 14 GG im Privatrecht etwa Schmidt-Bleibtreu, K. zum GG für die Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl., Neuwied und Darmstadt 1983, Art. 14 Anm. 3, S. 328 („gewisse Drittwirkung"); Dicke in v. Münch ebd. Art. 14 Rdnr. 9 (verneinend); zur Rspr. des BVerfG Schwabe, Bundesverfassungsgericht und „Drittwirkung" der Grundrechte, AÖR 100 (1975), 442 ff. 468 f. 33
35
Oben 6. Kap. § 2.
§ 3 Haftung bei Störungen durch höhere Gewalt
115
Zuständigkeiten bestehen. Auf dieser Grundlage löst Picker aber nur einen Teil der Fälle, während er für einen zweiten Fallbereich andere Kriterien heranzieht. Der Zugang zur Behandlung der Fälle des Naturwirkens wird schon durch diese Differenzierung in zwei Fallkategorien erschwert, da das unterscheidende Merkmal nicht deutlich wird. Picker faßt zu einer Gruppe Fälle zusammen, in denen das Naturwirken „lediglich Ursache" eines Beeinträchtigungszustandes ist 3 6 . Beispiele sind durch den Wind herüberwehende Rauchschwaden, ein durch den Sturm auf das Nachbargrundstück gewehter Baum und ein herüberrollender Felsbrocken 37 . — Zur zweiten Fallrubrik rechnet Picker Störungen, in denen „die Einwirkung in dem Naturwirken b e s t e h t " 3 8 . Es soll sich hier um „natürliche Ausstrahlungen" des Grundstücks handeln, die „landschaftliche Eigenart dieser Gegend" 3 9 . Konkrete Beispiele werden ausdrücklich nicht geboten. Picker stellt seine Lösung aber anhand einiger Beispiele dar wie den beiden Gesteinsfallen des R G 4 0 und dem Froschteichfall 41 und läßt erkennen, daß er in dieser Fallkategorie eine negatorische Verantwortung nicht anerkennt. Die erste Fallkategorie, in denen das Naturwirken „lediglich Ursache" der Beeinträchtigung ist, löst Picker auf der Basis seiner Grundthese: Es soll hier darauf ankommen, ob der Grundstückseigentümer weiterhin den Felsbrocken oder den umgefallenen Baum als Eigentum in Anspruch nehme; tue er dies, so bestehe eine Beseitigungspflicht, andernfalls nicht 4 2 . Es fehlt bezeichnenderweise eine Lösung des Falles, in dem Rauchschwaden das Nachbargrundstück belästigen 43 , denn Fälle der Immissionen lassen sich nach Pickers Lehre nicht behandeln 44 . Ganz anderen Gesetzen soll die zweite Fallkategorie folgen. Die Frage, ob der Eigentümer „natürliche Auswirkungen" des Nachbargrundstücks hinnehmen muß, ist für Picker allein eine „rechtspolitische Frage", aus der die Entscheidung über die Beseitigungspflicht von selbst folge 45 . Hier ist zum einen unklar, warum sich diese rechtspolitische Frage gerade für diese Fallrubrik stellt; sie läßt sich nicht beantworten, weil das die beiden Fallgruppen unterscheidende Merkmal
36 37 38 39 40
Picker S. 103 3. Absatz. Ebd. Picker S. 104 2. Absatz (Hervorhebung von Picker). Ebd. 2., 3. Absatz. Zu den Fällen s. oben Fn. 3, 9; Picker S. 105 ff., 107 1., 3. Absatz.
41 Zum Fall s. oben 2. Kap. § 3 Fn. 3; Picker S. 104 unten, 105 oben, auch S. 107 2. Absatz. 42 Picker S. 103 3. Absatz. 43 Ebd. 44 Oben 6. Kap. § 4 Β I 3, II. 45 Picker S. 104 2. Absatz.
8*
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7. Kap. Haftung in besonderen Fällen
verborgen bleibt 4 0 . Zum zweiten ist nicht verständlich, inwiefern in der zweiten Fallkategorie rechtlich-dogmatische Kriterien offenbar nicht gelten sollen. Picker beantwortet die von ihm gestellte rechtspolitische Frage dahin, daß der Eigentümer für reines Naturwirken nicht aufzukommen habe: Grundstücke seien „keine natürlichen Sachindividuen", sondern künstlich abgegrenzte Teile der Erdoberfläche; wirkten Naturkräfte von dem einen auf den anderen Teil ein, so sei dies die landschaftliche Eigenart der Gegend, die Einwirkung sei sozusagen ortsüblich 47 . Im Froschteichfall etwa hafte der Beklagte daher, wenn der Teich künstlich geschaffen sei, nicht aber, wenn es sich um einen natürlichen Teich handele 48 . 2. Der Einwand gegen die Beurteilung der Fälle des Naturwirkens liegt nicht nur darin, daß Picker teilweise sein Grundkonzept der Rechtsusurpation verläßt. Er richtet sich ebenso gegen die genannte grundsätzliche Differenzierung der Fälle. Worin der Unterschied liegt im Falle, daß ein Felsbrocken auf das Nachbargrundstück rollt (erste Fallrubrik: Naturwirken „lediglich Ursache"), und dem Falle, daß sich Felsgestein — ebenfalls — ohne menschliches Dazutun löst und auf das darunter liegende Grundstück fällt (zweite Fallrubrik: natürliche Grundstücksausstrahlung), ist nicht erkennbar 49 . — Die „rechtspolitische" Entscheidung Pickers, wonach es in der zweiten Fallrubrik darauf ankommt, ob die Störung auf reinem Naturwirken beruht oder auf menschlichen Mitwirkungen, ist eine nicht begründete weitere Unterscheidung, die auch vom Ergebnis her nicht befriedigt. Auch die Beispiele der ersten Fallkategorie des herübergerollten Felsbrockens oder des umgewehten Baumes sind reine Naturvorgänge, hier aber soll der Eigentümer haften (vorausgesetzt, er hält an seinem Eigentum fest), während er bei reinem Naturwirken der Fälle der zweiten Fallkategorie nicht dafür einstehen soll. C. Haftung bei Störungen durch Kriegseinwirkungen /. Gegenwärtige Rechtslage Ein wenig anders stellt sich die Rechtslage bei Beeinträchtigungen dar, die auf Kriegseinwirkungen zurückgehen, obwohl auch diese Störungen auf höherer 46 Ob Picker die Unterscheidung Pleyers AcP 156 (1957) S. 307 aufnimmt (dazu oben I I 1), ist nicht deutlich; Picker kritisiert die Ansicht Pleyers, s. Picker S. 102 3. Absatz, 103 3. Absatz. 47
Picker S. 104 3. Absatz. Picker S. 104 unten/105 oben; weiteres Beispiel Picker S. 107 1. Absatz: der Eigentümer hafte bei Mitursächlichkeit des Bauwerks für störenden Gesteinsfall als „Repräsentant" der Sache (-?). 49 Im übrigen besteht ein Widerspruch in den Lösungen der Felsbeispiele: Während S. 103 3. Absatz die Haftung für möglich gehalten wird (Rechtsusurpation), S. 107 1. Absatz ebenfalls (kein reines Naturwirken im Aussichtstempelfall), soll es sich bei dem 48
§ 3 Haftung bei Störungen durch höhere Gewalt
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Gewalt beruhen; hier werden überwiegend Billigkeitsgesichtspunkte und weniger rechtliche Argumente ins Feld geführt. Auf Kriegseinwirkungen beruhende Beeinträchtigungen haben Rechtsprechung und Literatur in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg beschäftigt, in der häufig Fälle auftraten, in denen sich Regenwasser in den Trümmern eines Hauses ansammelte mit der Folge, daß Feuchtigkeit auf das Nachbargrundstück drang. Damals wie heute wird eine Haftung nach § 1004 meist als ungerecht empfunden, freilich ohne daß dieses Ergebnis juristisch begründet würde 50 . Teilweise bejaht man aus Billigkeitsgesichtspunkten eine bloße Pflicht des Eigentümers des Trümmergrundstückes, die Beseitigung durch den Gestörten auf dessen oder auch auf eigene Kosten zu dulden 51 . Doch hat das Judiz nicht zu einheitlichen Beurteilungen geführt, denn vereinzelt ist die Haftung gem. § 1004 auch bejaht worden mit der Begründung, der Erbauer des Hauses sei für die Beeinträchtigungen adäquat kausal geworden 52 . II. Kritik Hier nun liegt es umgekehrt als in den Fällen störender Naturvorgänge: Die auf Grund der Kausalität an sich zu bejahende Haftung ist nach überwiegender Juristenmeinung nicht erwünscht. Eine Handhabe jedoch, die auf rechtlich fundiertem Wege die Haftung vermeidet, ist bisher nicht gefunden worden. D. Zusammenfassung zu A — C Die Fälle, in denen Störungen auf höhere Gewalt zurückzuführen sind, müssen als bisher ungelöst angesehen werden. Die Fälle der Kriegseinwirkungen unterscheiden sich insofern von den Fällen des Naturwirkens, als sie ganze Gebiete gleichermaßen treffen. Vergleichbar mit der kriegsbedingten Situation sich lockernden und auf das Nachbargrundstück rollenden Felsen S. 102 3. Absatz um eine „bloße Beschädigung", aber keine Beeinträchtigung handeln. 50 Pleyer AcP 156 (1957) 291, 308f., 309 Fn. 60; ders. JZ 1959, 305, 307 l.Sp.; Hodes NJW 1954, 1345, 1348 r.Sp. unter IV; Wolff-Raiser § 87 I 2 c aE; Westermann § 36 I I 1; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 41; Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 30; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 32, S. 463 oben; BGHZ 19,126 (Brückentrümmerfall); nach Picker S. 181 ff., 183f. ist der Eigentümer oder Besitzer grundsätzlich Störer, die Störung aber nicht rechtswidrig. 51 Kübler AcP 159 (1960), 236, 284 (Gestattungspflicht aus Art. 14 I I GG, differenzierend wegen der Kostentragung ebd. S. 284); Hodes NJW 1954, 1345, 1348; ErmanHefermehl § 1004 Rdnr. 18 (unter Kostenübernahme); nach Hefermehl ebd. besteht die Haftung aber ausnahmsweise, wenn die Trümmeraufräumung oder der Wiederaufbau grundlos verzögert werden. Für einen Anspruch aus nachbarlichlichem Gemeinschaftsverhältnis (§ 242 BGB) in Ausnahmefallen Westermann § 36 I I 2. 52 Bartsch NJW 1956, 1266, 1267; L G Hagen NJW 1953, 266, 267; dagegen Hodes NJW 1954,1346 r.Sp.; die Kausalität für nicht entscheidend hält Weskott NJW 1953,1109 1. Sp. / r. Sp.; für nicht gegeben hielt sie im Brückentrümmerfall BGHZ 19,126,130 (es fehle an einem „so ursächlichen" Zusammenhang); Kritik deswegen bei Picker S. 182; Kübler AcP 159 (1960), 236, 283.
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7. Kap. Haftung in besonderen Fällen
sind Naturkatastrophen; auch hier sind größere Bereiche von dem Ereignis erfaßt, das gewöhnlich die Grundlagen des Lebens erschüttert und für das auch die Rechtsordnung keine regulären Ordnungskategorien bereitstellt. Insofern ist die überwiegend vertretene Lösung verständlich, wonach der Eigentümer etwa eines durch Kriegsereignisse hervorgerufenen störenden Zustandes seines Grundstücks nicht haften soll. Doch könnte man sich hier mit den zu § 242 BGB entwickelten Prinzipien helfen; danach könnte man ζ. B. entscheiden, ob der Anspruch aus § 1004 völlig entfällt, zeitlich suspendiert oder inhaltlich zu modifizieren ist 5 3 . Eine solche rechtliche Bewertung setzt allerdings voraus, daß die grundsätzliche Haftungsfrage geklärt ist. Sieht man von dem A k t der Errichtung des Hauses ab, der ja nicht vom gegenwärtigen Eigentümer stammen muß, so sind die rechtlichen Schwierigkeiten hier ein weiteres Mal dadurch bedingt, daß es um die Verantwortlichkeit für einen Zustand geht. Dies gilt auch für die Fälle, in denen einzelne Naturvorgänge, wie gewöhnliche Wetterverhältnisse, zu Störungen führen 54 . — Der Gedanke der Haftung aus Eigentum (oben Β II) begegnet generellen dogmatischen Einwänden. Die Lösung Pickers vermag weder vom Konzept noch den Ergebnissen her zu überzeugen (oben Β III).
§ 4 Haftung bei Rechtsnachfolge in ein Störungen hervorrufendes Grundstück A. Einleitung In Fällen, in denen von einem Grundstück Beeinträchtigungen ausgehen und der Eigentümer des Grundstücks wechselt, ergibt sich das unter dem Stichwort der „Rechtsnachfolge" bekannte Haftungsproblem des § 1004 BGB 1 . Die bei einem Eigentumswechsel entstehende Lage wurde schon einmal skizziert (oben 3. Kap. § 1 B): Hat der Veräußerer den Zustand geschaffen, ζ. B. durch Errichten der Anlage, müßte er auf Grund der Kausalität grundsätzlich haften. Da ihm aber keine Rechte mehr am Grundstück zustehen, ist er rechtlich und gewöhnlich auch tatsächlich nicht in der Lage, den negatorischen Anspruch zu erfüllen. Dagegen hat der Erwerber die Möglichkeit, dem Beseitigungsbegehren nachzukommen. Seine Haftung ist aber zweifelhaft, weil er den Störungszustand nicht geschaffen hat. Wenigstens auf der Grundlage kausalen positiven Tuns entsteht so ein ungelöstes Haftungsproblem (unten teilweise B, C I ) . Diese Lage hat vereinzelt zu Lösungsversuchen außerhalb der Kausalität geführt; Offter53
Vgl. unten 13. Kap. § 3 Β I I I 3 b bb bbb, c. Vgl. schon oben 3. Kap. § 3 (Unterlassungshaftung), 4. Kap. (Zustandshaftung). 1 Es handelt sich um die Frage der originären Entstehung der Pflicht; zur Rechtsnachfolge in eine schon bestehende Unterlassungspflicht gem. § 1004 I 2 s. Karsten Schmidt ZZP 90, 38,44 (für den Fall der Unternehmensfortführung); Heinze S. 251 ff.; Brehm JZ 1972, 225 ff. (zur Nachfolge durch Erbschaft und bei Umwandlung von Rechtsformen eines Unternehmens). 54
§ 4 Haftung bei Rechtsnachfolge
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matt und das OLG Braunschweig in einem Urteil von 1901 behelfen sich mit § 908 BGB (unten Β II, C II); der Gedanke der Haftung kraft Eigentums wurde — außer an den Fällen störenden Naturwirkens (oben § 3 Β II) — an den Fällen der Rechtsnachfolge entwickelt (unten C III). Sind die Rechtskriterien, die herangezogen werden, auch ganz unterschiedlich, so wird die Frage, ob Veräußerer oder Erwerber haften, zwar nicht einmütig beantwortet, doch spricht man sich im Ergebnis überwiegend dafür aus, nur den Erwerber haften zu lassen. B. Beurteilung durch die Rechtsprechung /. Die Rechtsprechung hatte sich mehrfach mit Fällen zu beschäftigen, in denen Grundstücksvertiefungen vorgenommen waren, die dem benachbarten Grund und Boden die natürliche Stütze genommen hatten, so daß dieser abzurutschen drohte oder bereits abgerutscht war 2 . Auch zwei andere Entscheidungen befassen sich mit Störungen durch den Zustand eines Grundstücks. Dazu gehört der Autobahnfall des BGH, in dem es um vermehrten Wasserzufluß infolge eines Autobahnbaues ging 3 . Ferner hatte dem BGH eine Klage einer Stadtgemeinde gegen den Erwerber eines Industriegeländes vorgelegen 4. Die auf diesem Gelände lagernden sulfathaltigen Stoffe waren ins Grundwasser und von dort in andere Gewässer gelangt mit der Folge, daß der Beton einer Brücke beschädigt wurde. In einem weiteren Fall war die dem Kläger gehörige Grenzmauer zum Teil abgerissen worden und auf dem stehengebliebenen Teil neues Mauerwerk errichtet worden 5 ; der Kläger begehrte Wiederherstellung des alten Zustandes. In diesen Urteilen wird festgestellt, daß es nicht darauf ankomme, ob der Beklagte die betreffende Handlung vorgenommen habe 6 . Es reiche aus, daß er den störenden Zustand bestehen lasse7, aufrechterhalte 8 oder nichts dagegen 2 RGZ 103, 174 (Nachrutsche durch Lehm- und Tongruben); OLG Braunschweig SeuffArch. 56 Nr. 200, S. 356 = O L G Rspr. 4,62 (Gefahr des Einsturzes eines Wegegrundes); O L G Colmar O L G Rspr. 18, 129 (Vertiefungen eines Steinbruchbetriebes); O L G Zweibrücken SeuffArch. 64 Nr. 32, S. 70 (Aushebung eines Grabens, Veränderungen am Graben); BGH NJW 1968,1327 = W M 1968,750 (Anschnitt eines Hanges und Errichtung einer zu schwachen Stützmauer; Klage auf Aufwendungsersatz gem. §§683 S. 1, 670 BGB); die Oberlandesgerichte stützten den Anspruch direkt auf § 909 BGB. 3
BGHZ 29, 314. BGH NJW 1966,1360 = W M 1966, 643 (Klage auf Aufwendungsersatz gem. §§ 683 S. 1, 670 BGB). 5 O L G Marienwerder OLG Rspr. 4, 65. 6 Vgl. RGZ 103, 175/176; OLG Braunschweig SeuffArch. 56 Nr. 200, S. 357; O L G Colmar O L G Rspr. 18, 130; O L G Marienwerder OLG Rspr. 4, 65; O L G Zweibrücken SeuffArch. 64 Nr. 32, S. 70; indirekt auch BGHZ 29,317 2. Absatz; BGH NJW 1966,1361 r.Sp.; 1968, 1327, 1328 r.Sp. 7 OLG Braunschweig, OLG Colmar jeweils ebd. 4
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7. Kap. Haftung in besonderen Fällen
unternehme 9. Eine Haftung des Handelnden wird abgelehnt, wenn er nicht mehr Besitzer 10 oder Eigentümer 11 des Grundstücks ist. Die Begründung lautet meist, daß der Rechtsvorgänger zur Beseitigung der Gefahr oder der Beeinträchtigung nicht in der Lage sei 12 , aber auch, daß er die Störung nicht mehr aufrechterhalte 13 . II. Das O L G Braunschweig stützte sich für die Haftung des gegenwärtig Besitzenden auf § 908 BGB, wonach der Besitzer für den Zustand von Gebäuden einzustehen hat 1 4 . Es rechtfertigte seine Haftungsbegründung damit, daß seiner Meinung nach § 909 BGB, aus dem es den geltend gemachten Anspruch auf Beseitigung der Einsturzgefahr des Wegegrundes herleitete, eine Ergänzung des § 908 BGB hinsichtlich von Störungen durch Grundstücksvertiefungen darstelle 1 5 . III. Von dieser hier geschilderten Beurteilung der Rechtslage, wonach der Rechtsnachfolger verantworlich ist (oben I, II), hebt sich eine Entscheidung des RG ab, in dem es um eine störende Schutthalde ging 1 6 . Das RG hatte hier die Klage gegen den Erwerber des Grundstücks abgewiesen, weil der Besitznachfolger nicht weiter hafte, als er gestört und seinerseits in das fremde Eigentum eingegriffen habe. Eine Pflicht, den bereits früher geschaffenen Zustand wieder zu beseitigen, gebe es nicht 1 7 . — Die Nicht-Haftung des Rechtsnachfolgers wird hier also mit der fehlenden Kausalität durch positives Tun begründet 18 .
8 RGZ 103,176; O L G Marienwerder, OLG Zweibrücken jeweils ebd.; BGHZ 29, 317 2. Absatz; BGH NJW 1966, 1361 r.Sp. (jedenfalls bei Kenntnis des Zustandes). 9 BGH NJW 1968, 1327, 1328 r.Sp. 10 O L G Braunschweig SeuffArch. 56 Nr. 200, S. 357, 358; O L G Colmar O L G Rspr. 18, 130. 11 RGZ 103,176 2. Absatz; O L G Marienwerder OLG Rspr. 4,65; auch BGHZ 29,317 2. Absatz. 12 O L G Braunschweig SeuffArch. 56 Nr. 200, S. 357; OLG Colmar OLG Rspr. 18, 130; O L G Marienwerder OLG Rspr. 4, 65; BGHZ 29, 317 2. Absatz; RGZ 103, 176 1. Absatz aE, 2. Absatz. 13 BGHZ 29, 317 2. Absatz. 14 OLG Braunschweig SeuffArch. 56 Nr. 200, S. 358; grundsätzlich gegen eine Anwendung des § 908 Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 75, anders aber ebd. Rdnr. 77. 15 Ebd. 16 RG WarnR 1909 Nr. 455, S. 435. 17 Ebd. S. 436. 18 Die häufig zur vorliegenden Problematik angeführten Urteile RG WarnR 1911 Nr. 331, S. 371 und RGZ 134, 231 gehören nicht zu diesem Thema. Im Falle RG WarnR ebd. bestand der störende Zustand z. Zt. des Eigentums des Veräußerers noch nicht. Im Falle RGZ ebd. (Felsgestein fallt auf Bahnkörper) hatte ein Eigentumswechsel nicht auf der Beklagten-, sondern der Klägerseite stattgefunden.
§ 4 Haftung bei Rechtsnachfolge
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C. Beurteilung durch das Schrifttum I. In der Frage, wer im Falle der Grundstücksveräußerung verantwortlich ist, zeigt sich die Literatur ebenfalls unsicher. Nach der in dieser Form nirgends akzeptierten Kausaltheorie Schmidts haftet nur der Rechtsvorgänger, nicht der Nachfolger 19 . Während dagegen teilweise die Haftung des Rechtsvorgängers generell mit der Begründung abgelehnt wird, daß er nicht in der Lage sei, auf die Beeinträchtigung Einfluß zu nehmen 20 , wird seine Haftung von anderer Seite nicht für ausgeschlossen gehalten unter der Voraussetzung, daß die praktische Möglichkeit zur Störungsbeseitigung gegeben sei 21 . Unter welchen Gegebenheiten dieses der Fall sein kann, wird allerdings nicht erläutert. Auch die Aufrechterhaltungsformel wird herangezogen und festgestellt, daß der Nachfolger grundsätzlich nicht für Beeinträchtigungen hafte, die sein Vorgänger verursacht habe, es sei denn, daß er den störenden Zustand aufrechterhalte 22, eine Voraussetzung, anhand derer sich die Frage der Haftung nicht beantworten läßt, weil der Begriff— wie auch sonst (oben 2. Kap. § 3) — Undefiniert bleibt. II. Einen eigenen Standpunkt vertritt Offtermatt. Er zieht für den Fall der Rechtsnachfolge, ähnlich wie das OLG Branschweig (oben Β II), in erster Linie § 908, aber auch § 907 BGB heran. Aus § 908 in Verbindung mit § 836 BGB ergebe sich, daß der gegenwärtige Eigenbesitzer für Gefahren hafte, die von seinem Gebäude oder Werk ausgingen, und daß bei Weiterübertragung der Sache die Haftung erlösche 23. Nach § 907 hafte jeweils der Halter der Anlage 24 . Wegen der Gleichartigkeit der Interessenlage komme ein Ausscheiden des früheren Eigenbesitzers in allen Fällen in Betracht, in denen eine durch die Sache vermittelte Beeinträchtigung bestehe25. Somit hafte nur der gegenwärtige Eigenbesitzer 26. 19 Schmidt S. 13 2. Absatz, 16 2. Absatz, 18 3. Absatz, 21 2. Absatz, 30 oben; der Rechtsnachfolger soll zur Duldung der Beseitigung durch den Vorgänger verpflichtet sein, s. S. 30 oben; ausnahmsweise haftet nach Schmidt der gegenwärtige Eigentümer kraft Unterlassens, s. S. 34 3. Absatz. 20
Offtermatt S. 51, 53, 54, 60, 140; Planck-Brodmann § 1004 Anm. 3. Goldmann-Lilienthal-Sternberg S. 374 Fn. 13; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 36; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 74, 78-80. 22 Vgl. Mühl ebd.; ferner Pikart ebd.; ähnlich auch Brodmann ebd. (der Rechtsnachfolger sei Störer, wenn die Störung „fortdauere"); ferner Sternberg ebd. (der neue Eigentümer hafte neben dem alten, „wenn die Beeinträchtigung mit seinem Willen fortbesteht"); zur Aufrechterhaltung in diesen Fällen Pleyer AcP 156 (1957), 291, 295 1. Absatz. 23 Offtermatt S. 55 2. Absatz, 56 1. Absatz, ferner S. 51 3. Absatz, 53 2. Absatz. 24 Offtermatt S. 53 2. Absatz. 25 Offtermatt S. 56 2. Absatz, auch S. 53 2. Absatz. 26 Offtermatt S. 53 2. Absatz, 60 2. Absatz (nach S. 57 soll der Eigentümer haften); kritisch zu Offtermatt Kübler AcP 159 (1960), 236, 279. — Daß Offtermatt §908 dogmatisch nicht richtig einschätzt, indem er annimmt, die Haftung des Nachfolgers beruhe auf einer Übernahme der Haftung (ebd. S. 53/54, 57 2. Absatz) und den 21
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7. Kap. Haftung in besonderen Fällen
III. Pleyer löst die vorliegenden Fälle auf der Grundlage der oben (§ 3 Β II) dargelegten Eigentumstheorie 27. Danach ist das Ausscheiden des Veräußerers aus der negatorischen Verantwortlichkeit und die Haftung des Erwerbers an den Eigentumswechsel gebunden. Denselben Standpunkt vertritt Kübler 2 8 . Er begründet die Verpflichtung des Eigentümers nach § 1004 allerdings entschiedener als Pleyer mit Art. 14 I I GG. Während Pleyer es unbestimmt läßt, ob Art. 14 I I GG den Inhalt des Eigentums bestimme oder ob er lediglich Ausdruck eines vorgegebenen, also auch im privatrechtlichen Eigentumsbegriff verankerten Gedankens sei 29 , leitet Kübler die Verpflichtung des Eigentümers unmittelbar aus Art. 14 I I GG her 3 0 . I). Zusammenfassung zu A - ( und Kritik Überwiegend helfen Judikatur und Literatur sich in den vorliegenden Fällen mit praktischen Überlegungen (oben Β I, CI): Der Veräußerer soll nicht haften, weil er nicht mehr Besitzer oder Eigentümer ist; ob diese Position grundsätzlich Voraussetzung der Haftung ist, steht jedoch gar nicht fest. Die angeführte mangelnde Möglichkeit zur Erfüllung des negatorischen Anspruchs ist nur die praktische Konsequenz des Verlustes von Eigentum oder Besitz. Man hätte auf der Grundlage dieser tatsächlichen Gegebenheiten auch rechtlich argumentieren können, indem man auf dem Boden der Kausalität die Haftung des Veräußerers grundsätzlich bejaht, sie jedoch im Ergebnis aus dem allgemeinen Gedanken der Unmöglichkeit ablehnt. Die weitere Begründung liegt in dem Nicht-mehr-Aufrechterhalten der Störung durch den Veräußerer; unklar ist jedoch — wie allgemein —, welche Erfordernisse mit dem Aufrechterhalten verbunden sind. — Die Verantwortlichkeit des Erwerbers schließlich wird, da ihm das Aufrechterhalten oder Fortbestehenlassen der Störung vorgeworfen wird, teilweise auf ein Unterlassen gestützt, ohne daß die Rechtspflicht zum Handeln festgestellt wird. Die Rolle der daneben angeführten dinglichen Position am störenden Grundstück, Besitz oder Eigentum, wird dogmatisch wiederum nicht weiter eingeordnet. Eigenbesitzer treffe grundsätzlich keine Unterhaltungspflicht (S. 57 2. Absatz, 58), wird sich bei Untersuchung des § 908 noch zeigen (unten 12. Kap. § 6 C I - I V , V, insbes. VI). 27 Vgl. Pleyer AcP 156 (1957), 291, 295 (Frage nach der Haftung des Erwerbers), 305 (Lösung); so auch Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 92-94 (Haftung des Eigentümers oder Besitzers), ferner Rdnr. 74, wobei aber nicht deutlich ist, ob es sich um eine Haftung direkt aus Eigentum handeln soll oder um eine Haftung auf Grund des Pickerschen Gedankens der Rechtsusurpation, den Gursky grundsätzlich billigt (s. ebd. die Zitierung Pickers und ebd. Rdnr. 70 aE, 71 ff., 74, 76). 28 Kübler AcP 159 (1960), 236ff., 279/280 (unter d). 29 Pleyer ebd. S. 301 2. Absatz. 30 Kübler ebd. Im übrigen vertritt Kübler eine sehr differenzierte, von Fall zu Fall verschiedene Lösung hinsichtlich Tatbestand (Unterlassungshaftung mit Handlungspflicht aus Eigentum, Haftung unmittelbar aus Eigentum) und Rechtsfolge (Duldungsansprüche des Eigentümers, Differenzierung der Kostentragungspflicht), s. ebd. S. 276-282.
§ 5 Gesamtergebnis zu §§ 1-4
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Nach einer Haftung kraft einer aus Art. 14 I I G G abgeleiteten Verpflichtung aus dem Eigentum sind die als gerecht empfundenen Haftungsergebnisse ohne weiteres begründbar (oben C III). Daß gegen diese Anschauung rechtliche Bedenken bestehen, wurde schon an früherer Stelle dargelegt (oben § 3 Β I I 2). Dagegen weisen die Lösungen des O L G Braunschweig und Offtermatts (oben Β II, C II) wenigstens in eine Überdenkenswerte Richtung. Zwar überzeugt die Begründung des O L G für die Heranzierung des § 908 BGB nicht, denn § 909 BGB, auf den das Gericht den Klaganspruch stützte, kann nicht als ergänzende Bestimmung des § 908 BGB aufgefaßt werden. Die Vorschriften haben verschiedene Funktionen; § 909 BGB legt die Rechtswidrigkeit störender Grundstücksvertiefungen fest, § 908 BGB normiert einen negatorischen Anspruch. Auch das Ergebnis Offtermatts, die Haftung des gegenwärtigen Eigenbesitzers, beruht auf einer ungenauen Anwendung der §§ 907, 908 BGB; schon früher wurde festgestellt, daß die beiden Bestimmungen eine differenzierte Regelung enthalten (oben 5. Kap. § 2 aE). Hier zeigt sich, wie die nur ungefähre Anwendung der Vorschriften zu unterschiedlichen und zufalligen Folgerungen führt; während Offtermatt zur Haftung des Besitzers gelangt (oben C II), leitet Baur aus ihnen die Verantwortung des Halters der Anlage her (oben 5. Kap. § 1). Jedenfalls aber bietet die Bemühung der beiden Vorschriften generell einen einleuchtenden Gedankenansatz, da sie spezielle Fälle der actio negatoria regeln. Allerdings verlangte ihre Heranziehung eine genaue Bestimmung des dort Haftenden (s. schon oben 5. Kap. § 2); ferner müßte ermittelt werden, ob die Haftungsgrundsätze der §§ 907,908 auf § 1004 BGB übertragbar sind. Diese Fragen können nur in einem größeren Zusammenhang untersucht werden 31 .
§ 5 Gesamtergebnis zu §§ 1-4 Die Rechtslage hinsichtlich der behandelten besonderen Störungsfälle kann nur als verfahren bezeichnet werden. Das Ergebnis der vorliegenden Analyse lautet insgesamt, daß die betreffenden Sachverhalte unverändert als „Problemfalle" des § 1004 einzustufen sind. Nicht nur stellen die vorhandenen speziellen Bemühungen (Lutter/Overath, Pleyer, Kübler, Picker) ein in sich befriedigendes Haftungskonzept nicht dar, als unzureichend muß auch die Tatsache bewertet werden, daß diese Lösungsversuche auf den jeweiligen Fall besonders zugeschnitten sind und sich aus einem Gesamkonzept der actio negatoria nicht ableiten lassen.
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Vgl. unten 12. Kap. §§ 5, 6; 13. Kap. § 2.
8. Kapitel: Zusammenfassung zu Kapitel 2-7 Die Sichtung und Bewertung des vorhandenen Materials zur Bestimmung des negatorischen Gegners führt zu folgendem Gesamtresümee: A. Die sog. Aufrechterhaltungstheorie (oben 2. Kap.) befrachtet Wissenschaft und Judikatur gewissermaßen als Leergut. Sie hat weder rechtlichtheoretische noch praktische Bedeutung. Es empfiehlt sich daher nicht nur, sie gedanklich beiseite zu legen, sondern dieser Schritt ist dringend erforderlich. Denn nicht nur führt die Komponente des Aufrechterhaltens in der gegenwärtig gehandhabten Form nicht zum Ziel, sondern sie belastet darüber hinaus das Verständnis des § 1004 BGB. — Dasselbe gilt für den in mannigfachen Varianten auftauchenden Störerwillen (oben 3. Kap. § 2 C), ein Element, das seine Herkunft der Aufrechterhaltungsformel verdanken mag, da es dort ebenfalls enthalten ist. Auch bei den gelegentlichen Deutungsversuchen der Motive selbst (oben 2. Kap. § 2 Fn. 25; § 3 Β III) hat die Willenskomponente schon Rätsel aufgegeben. Offenbar wegen ihrer nicht recht geklärten Bedeutung ist sie gewissermaßen sicherheitshalber beibehalten worden. Ihre Funktion ist jedoch nur eine negative, sie verdunkelt die Rechtslage ebenso wie die gesamte Aufrechterhaltungsformel; sie sollte daher aus den Störerdefinitionen eliminiert werden. Eine andere Frage ist, ob die Motive selbst, die die Quelle der sog. Aufrechterhaltungslehre darstellen, verwendbar sind. Die obige Interpretation (2. Kap. § 2) hat klare Voraussetzungen für einen bestimmten, vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten Fall, den der Störungen durch Anlagen, aufgedeckt. Danach haften die an der Anlage dinglich Zuständigen, also Eigentümer oder Besitzer, und zwar dann, wenn sie die Beeinträchtigung aufrechterhalten, d. h. wenn sie sie durch ein Handeln (Betreiben der Anlage) oder durch ein Nicht-Eingreifen (Arbeitenlassen der Anlage, Nichtbeseitigung ihrer störenden Existenz) verursachen. Die somit in Rohform vorgegebenen Kriterien — dingliche Position, Handeln und Nicht-Handeln — müßten freilich, um rechtlich praktikabel zu sein, dogmatisch im einzelnen bewertet werden. Jedenfalls ist festzustellen, daß der Gesetzgeber Anknüpfungspunkte bereithält, deren wenigstens generelle Maßgeblichkeit einleuchtet. B. Obwohl das Kausalkriterium ein zur Störerermittlung verbreitetes Hilfsmittel darstellt (oben 3. Kap.), hat es bisher nicht mehr geleistet, als daß es in einzelnen Fällen positiven Tuns seine Aufgabe erfüllen konnte. Geht es jedoch um Störungen, die von einem Sachzustand ausgehen (bei Naturwirken, Grundstücksveräußerung), versagt die Kausalität offenbar ihre Dienste (oben
8. Kap. Zusammenfassung zu Kapitel 2-7
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7. Kap. §§ 3, 4). Der hier an sich naheliegende Gedanke der Haftung kraft Unterlassens findet für die actio negatoria keine nennenswerte Beachtung (oben 3. Kap. § 3). Es fehlt an grundlegenden Überlegungen zu der Frage, ob bei Beeinträchtigungen nach § 1004 Rechtspflichten zum Handeln bestehen. Der — bisher einzige — Versuch Medicus' (oben 4. Kap. § 2 C) sieht sich Bedenken ausgesetzt, weil die auf Grund des „gefahrschaffenden Tuns" erreichten Ergebnisse teilweise doch der Korrektur bedürfen (z.B. Nicht-Haftung des Bauunternehmers). — Wie andere einzelne Handlungspflichten, z.B. aus Ingerenz oder nachbarlichem Verhältnis, tauchen die Gedanken der Handlungspflicht aus einer Verkehrssicherungspflicht oder aus Eigentum als lose Rechtsideen auf. Dies verwundert, weil der Schritt zu dem im Deliktsrecht im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht anerkannten Aspekt der Gefahrbeherrschung nicht allzu fern liegt (oben 3. Kap. § 3 Β I V , C, G). Hier erweist sich der Begriff des „Verkehrs", der im Falle des § 1004 keine Bedeutung hat, als eine Gedankensperre, obwohl er im Deliktsrecht selbst nicht in allen Fällen wörtlich genommen wird. — Da sichere Maßstäbe für eine Unterlassungshaftung nicht erarbeitet sind, behilft man sich in Fällen fehlenden Handelns mit Überlegungen mehr praktischer Art, wie die Übersicht über die Behandlung der Fälle der höheren Gewalt und der Rechtsnachfolge gezeigt hat („menschliches Mitwirken", Eigentum, Beseitigungsmöglichkeit; oben 7. Kap. §§ 3, 4). Aber auch im Bereiche des positiven Tuns erweist sich die Kausalität nicht durchweg als geeignetes Mittel (oben 3. Kap. § 2). In den Vermieter(Verpächter-)Fällen wird sie als zu weitgehend empfunden, da der Abschluß des Vertrages den Vermieter (Verpächter) für alle störenden Handlungen des Vertragspartners verantwortlich machen würde (oben 7. Kap. § 2). So greift man auch hier zu Kriterien, die außerhalb des Kausalitätskonzeptes liegen (Gestattung der Störung, Vermietung zu störendem Gebrauch). Das aus dem Recht der unerlaubten Handlungen bekannte Instrumentarium der Haftungsbegrenzung, etwa die Grundsätze der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs, die in den Vermieterfallen vielleicht eine Handhabe bieten würden, werden außer acht gelassen. Diesem Standpunkt widerspricht es, daß andererseits die Haftung nur an adäquat kausal hervorgerufene Beeinträchtigungen gebunden werden soll, ein Standpunkt, der freilich in sich dogmatisch unvollkommen ist, weil die Notwendigkeit einer derartigen Haftungsbeschränkung nirgends überprüft wird (oben 3. Kap. § 2 Β I). Das Ergebnis lautet somit, daß das Kausalkriterium für die actio negatoria nicht mehr darstellt als einen Behelf, dessen Tauglichkeit im einzelnen bislang nicht überprüft wurde. C. Das verbreitete, wohl zumindest dem Namen nach dem Polizeirecht entnommene „System" der Handlungs- und Zustandshaftung (oben 4. Kap.) ist in seiner Bedeutung der Aufrechterhaltungstheorie vergleichbar. Hier existieren verschiedene, als ausschlaggebend hingestellte Kriterien wie Tun, Unterlassen,
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8. Kap. Zusammenfassung zu Kapitel 2-7
Aufrechterhalten oder Eigentum. Eine einleuchtende Zuordnung zu den beiden Aspekten „Handlung" und „Zustand" wird nicht vorgenommen. Da meist ein und dasselbe Haftungsmerkmal beiden Haftungsarten zugerechnet wird, wird die in der Bezeichnung dieses Systems zum Ausdruck kommende Differenzierung aufgehoben, so daß das Konzept insgesamt seinen Sinn verliert. Dies ist um so weniger verständlich, als Handlungs- und Zustandshaftung einen einleuchtenden Ansatz für die rechtliche Bewertung enthalten; die möglichen Störungsquellen liegen in Handlungen und Sachzuständen. Konsequent hat das Polizeirecht die ordnungsrechtliche Pflichtigkeit daher an die Kausalität und die Sachgewalt (Eigentum, Besitz) gebunden. Diese juristische Beurteilung läßt sich zwar, wie dargelegt (oben 4. Kap. § 3 B), nicht unmittelbar auf § 1004 BGB transponieren, weil das Zivilrecht mit genaueren dogmatischen Mitteln arbeitet. Doch liegt hier ein in seinem Ausgangspunkt überprüfenswerter Gedanke vor; er wurde von der Wissenschaft übergangen oder ungenutzt gelassen. D. Das Kriterium „Eigentum", das schon sporadisch im Rahmen eines Unterlassens sowie im Rahmen des Systems der Handlungs- und Zustandshaftung auftaucht, haben Pleyer und später Kübler zu einem einheitlichen und grundlegenden Konzept für gewisse Fälle ausgebildet (oben 7. Kap. § 3 Β I I 1, § 4 C III). Das verpflichtende Moment des Eigentums wird der in Art. 14 I I GG ausgesprochenen Sozialbindung entnommen. Diesem Konzept ist jedoch der Boden entzogen, wenn man, wie wir, annimmt, daß der Verfassungssatz nicht mehr darstellt als ein sozialethisches Postulat, das konkrete zivilrechtliche Pflichten nicht zu begründen vermag (oben 7. Kap. § 3 Β I I 2). E. Die für die besonderen Fälle der Vermietung, des Naturwirkens und der Rechtsnachfolge in der übrigen Literatur und Judikatur (oben 7. Kap.) herangezogenen Störeraspekte repräsentieren in eindrucksvoller Weise den ungeklärten Rechtszustand. Hier spätestens wird der Mangel des Fundaments greifbar. Stellt man nun neben diese speziellen Lösungsversuche (ebd.) die in grundsätzlicher Form von Schrifttum und Rechtsprechung erwogenen Haftungskomponenten (oben 2.-6. Kap.), so entsteht ein an Haftungskriterien vielfältiges Bild, das eine nahezu vollständige Rechtsunsicherheit widerspiegelt. Wer im Einzelfall vor der Aufgabe steht, den nach § 1004 Verpflichteten zu ermitteln, sieht sich gehalten, die diskutierten Kriterien nach dem Prinzip von „Versuch und Irrtum" anzuwenden und zu sehen, ob er damit zum Ziel gelangt. Nur im Bereiche von Beeinträchtigungen, die in der Handlung selbst liegen, also etwa, wenn jemand sich lärmend verhält oder seinen Weg über des Nachbarn Grundstück nimmt, ist gewiß, daß derjenige haftet, der die (kausalen) Handlungen vornimmt. Unsicherheit aber kommt auf, wenn Sachzustände an der Beeinträchtigung beteiligt sind. Wiederholt konnte beobachtet werden, daß die Schwierigkeiten vornehmlich in diesem Bereich bestehen (oben 3. Kap. § 3; 4., 5., 7. Kap. §§ 3, 4). Lediglich die bescheidenen Ansätze des älteren Urteils des OLG Braunschweig, das in § 908 BGB einen Weg erkennt (oben 7. Kap. § 4 Β II), ferner Offtermatts (ebd. C II) und—sehr viel später—Baurs (oben 5. Kap. §
8. Kap. Zusammenfassung zu Kapitel 2-7
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1), die an die §§ 907, 908 BGB anknüpfen, ragen als Überdenkenswerte Überlegungen aus der Vielzahl der Versuche heraus. Dies gilt auch für den Hinweis des RG im Gesteinsfall und — daran anschließend — Pleyers auf § 836 BGB, die meinen, daß die Vorschrift jedenfalls für Störungen durch Naturvorgänge eine Lösung bereithalten könnte (oben 3. Kap. § 3 Β II, I I I 1). § 836 BGB ist zwar eine Schadensersatznorm, aber, so muß man den Hinweis ergänzen, § 908 BGB verweist für den Haftenden u. a. auf diese Bestimmung; ihr kommt daher auch im Bereiche der actio negatoria Bedeutung zu. — Es handelt sich indessen bei diesen Rekursen auf die §§ 907,908,836 BGB um nicht mehr als um ein in schemenhaften Umrissen und Andeutungen vorhandenes Gedankengut. Fundierte Begründungen existieren nicht einmal ansatzweise; die aus den Vorschriften abgeleiteten Schlußfolgerungen über die haftende Person fallen demgemäß, wie wir sahen, uneinheitlich aus und sind beinahe Zufallsprodukte zu nennen. Doch weisen die betreffenden Stellen zumindest in eine Richtung, die es wert ist, aufgegriffen zu werden. Denn wenn der Gesetzgeber spezielle Fälle der Eingriffe in fremde Rechte durch den Zustand von Bauwerken und Anlagen geregelt hat, könnte in der Tat ein Blick auf diese Regelungen Aufschluß darüber geben, wie gleiche oder ähnliche Sachverhalte im Rahmen der allgemeinen actio negatoria zu behandeln sind. F. Die Analyse der Abhandlung Pickers (oben 6. Kap.) hat ergeben, daß dessen Lehre von einer Idee her konzipiert ist, die sich dogmatisch wie praktisch als unzureichend herausstellt. Sie ist nur auf einen Teil der Störungen zugeschnitten, die Fälle störender Sachen und Handlungen unmittelbar im fremden Grundstücksbereich. Im Falle störender Sachen ist der Satz der Rechtsusurpation präzisierbar als Usurpation fremden Rechts durch die dingliche Position, die der Störer an der Sache einnimmt. Bei störenden, auf fremdem Grundstück vorgenommenen Handlungen läßt sich der Obersatz der Rechtsusurpation verstehen als Anmaßung des fremden Eigentums durch Gebrauch. Doch auch insoweit ist die Pickersche Lehre nicht vollständig präzisierbar; nicht aufzuklären ist das Erfordernis der Überlagerung des Eigentums „als Recht"; der von Picker geforderte Nachteil des Eigentümers (im Rahmen des bereicherungsrechtsähnlichen Verschiebungstatbestandes) erweist sich als nicht genügend durchgeformte Voraussetzung. Auch die praktischen Ergebnisse, obwohl vom Gedanken der Rechtsusurpation her folgerichtig, befriedigen bei diesen Störungsarten nicht immer, so die Tatsache, daß es bei Aufgabe der dinglichen Position an der störenden Sache an einem negatorisch Verpflichteten fehlt, ferner, daß der Beeinträchtigungstatbestand bei störenden Handlungen nur im Akt des Handelns selbst zu sehen ist, so daß kein Anspruch auf Beseitigung der negativen Folgen des Eingriffs besteht. Das Konzept versagt schließlich sowohl in theoretischer wie praktischer Hinsicht gänzlich in den wichtigen Fällen der Störungen durch Immissionen. — Die Lösung der besonderen Fälle der Vermietung (Verpachtung) und des Naturwirkens endlich ist anhand des Grundprinzips Pickers nicht mehr verfolgbar; jedoch auch für
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8. Kap. Zusammenfassung zu Kapitel 2-7
sich betrachtet erweist sie sich in den theoretischen Ausführungen und den Ergebnissen als schwer zugänglich (oben 7. Kap. § 2 D; § 3 Β III). G. Der positive Ertrag dieser Untersuchungen liegt in den genannten Hinweisen auf die §§ 907,908, 836, ferner in den den Motiven zu entnehmenden Haftungskomponenten und schließlich im Kausalkriterium, das in Fällen störender Handlungen gewiß ein unverzichtbarer Aspekt der Haftung ist. Indessen sind dies bruchstückhafte und zage Ansätze. Der ermittelte Befund ergibt daher die Notwendigkeit, den Versuch zu unternehmen, den Störerbegriff neu zu erarbeiten.
2. Teil Eigene Untersuchung 9. Kapitel: Einleitung Zum festen Bestand der juristischen Hermeneutik zählen die bekannten Methoden der Auslegung eines Rechtssatzes nach dem Sprachsinn, dem systematischen Zusammenhang, der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der Regelung1. Zweien dieser Hilfsmittel hatte sich die Untersuchung bereits im 1. Teil zuzuwenden. Die an manchen Stellen befürwortete Möglichkeit, den Störer auf Grund der Kausalität zu ermitteln, stützt sich auf den Wortlaut des § 10041 BGB. Eine kritische Beleuchtung dieses Arguments hatte gezeigt2, daß diese Deutung zutreffend ist. Zugleich hatte sich ergeben, daß nach dem Wortsinn des § 1004 nur der Handelnde Störer ist, daß damit aber Beeinträchtigungen nicht erfaßt sind, die auf ein positives Tun nicht zurückführbar sind oder bei denen dieser Faktor jedenfalls zu einem befriedigenden Ergebnis nicht führt (Beispiel: Erwerb eines Grundstücks im störenden Zustand) 3 . Darüber hinaus wurde festgestellt, daß der äußeren Fassung des § 1004 generell kein großes Gewicht beizulegen ist, weil die Vorschrift den Versuch darstellt, sämtliche Eigentumsstörungen, die nicht der Vindikation unterfallen, in gesetzlich disziplinierter Form zu erfassen, und daß es angesichts dieses Anliegens auf einzelne Worte nicht ankommen kann. Der Wortlaut der Bestimmung löst daher das anstehende Problem nur partiell. Die Genese des § 1004 BGB, wie sie sich in den Motiven darbietet, gibt zwar, wie wir ebenfalls schon sahen4, Hinweise für die Störerbestimmung, die sich als einleuchtend und festhaltenswert erwiesen, doch reichten auch sie nicht aus. Sie geben Auskunft über den Anspruchsgegner in dem besonderen Fall störender Anlagen. Die Störerbeschreibung des Gesetzgebers soll daher nicht beiseite gelegt werden, es gilt aber, die Untersuchungen weiter zu verfolgen. Dem Zweck des § 1004, der in der Verwirklichung des Rechtes Eigentum liegt, sind Aussagen über den Anspruchsgegner nicht zu entnehmen. Die ratio einer Regelung ist viel zu allgemein, als daß sie Angaben über detaillierte dogmatisch1 Dieser feste Kanon an Auslegungsregeln wird für die Jurisprudenz Savigny I S. 213, 214 zugeschrieben; s. ferner Enneccerus-Nipperdey I 1 § 56; Larenz, Methodenlehre, Kap. 4, 2. 2 Oben 3. Kap. § 4 Β II. 3 Vgl. ebd. und 7. Kap. 4 Oben 2. Kap. § 2.
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9. Kap. Einleitung
technische Fragen enthalten könnte. — Es bleibt somit von den traditionellen Methoden die systematische Auslegung, die sich am äußeren und inneren Bedeutungszusammenhang einer Textstelle orientiert. Hier nun bietet sich die Überlegung an, ob die in § 985 BGB festgeschriebene rei vindicatio, die im selben Titel wie § 1004 geregelt ist („Ansprüche aus dem Eigentume") und die ebenfalls dem Eigentumsschutz dient, der Lösung des Problems näher rückt. Ein äußerer Kontext des § 1004 mit den negatorischen Ansprüchen der §§ 907 und 908 BGB, die sich mit Störungen durch Anlagen und Gebäude befassen, besteht insofern, als beide Bestimmungen zusammen mit § 1004 im Abschnitt des Sachenrechtsbuches über das „Eigentum" untergebracht sind. Vor allem aber handelt es sich bei diesen Rechtsbehelfen um spezielle Ausprägungen der allgemeinen actio negatoria des § 1004. Eine Bearbeitung des vorliegenden Problems mit Hilfe der Gesetzessystematik müßte die Frage prüfen, wer Anspruchsgegner der §§ 985, 907 und 908 ist; sodann müßte in einem zweiten Schritt ermittelt werden, ob die Haftungskriterien dieser Regelungen auf § 1004 übertragbar sind. M i t dieser zuletzt beschriebenen Deutungsarbeit wäre das herkömmliche Instrumentarium erschöpft. Indessen können sich die Bemühungen um die Störerkriterien auf eine Anwendung der genannten Methoden nicht beschränken. Vielmehr bedarf es grundlegender Überlegungen zu der hier anstehenden Frage, nach welchen Prinzipien eine Person für einen von der Rechtsordnung nicht erlaubten Tatbestand verantwortlich gemacht werden kann und nach welchen Grundsätzen sich eine solche Verantwortung gerade im Falle einer negatorischen Beeinträchtigung richtet. Es ist also, anders gesagt, festzustellen, welche Kriterien generell in Betracht zu ziehen sind, um einer Person den Störungstatbestand des § 1004 anzulasten. Die soeben gestellte Frage nach der Bedeutung der rei vindicatio und der speziellen negatorischen Bestimmungen der §§ 907 und 908 wird in diesen größeren und grundlegenden Zusammenhang gestellt werden, sie wird also nicht allein unter dem — engeren — Aspekt der „systematischen Auslegung" behandelt werden. Des beschriebenen übergreifenden Problems wird sich das folgende Kapitel annehmen (10. Kap.). Das dort Erarbeitete wird die Grundlage der weiteren Untersuchung darstellen. Diese Grundlage legt auch den äußeren Gang der Abhandlung fest, so daß erst im Anschluß an jene Ausführungen ein Überblick über den Aufbau der Arbeit im einzelnen gegeben werden kann (unten 10. Kap. III).
10. Kapitel: Die Grundlagen der Störerermittlung /. 1. Der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist mit der Fragestellung, wer Störer nach § 1004 sei oder unter welchen Voraussetzungen sich die actio negatoria gegen eine Person richte, rechtlich nur allgemein umrissen. Genauer gesagt geht es bei dieser Frage um die Aufgabe, den von der Rechtsordnung mißbilligten Tatbestand, die — bereits eingetretene oder erst bevorstehende — Beeinträchtigung fremden Eigentums einer Person zuzuordnen. Demnach gilt es, das rechtliche Verbindungsglied zwischen Beeinträchtigung und Person zu finden, also das Kriterium, das es rechtfertigt, den verbotenen Tatbestand einer Person zuzuschreiben mit der Folge, daß diese die Verpflichtungen des § 1004 I treffen. Diese Präzisierung der Fragestellung ermöglicht die Auffindung des Haftungsaspektes: Wenn es darauf ankommt, das Person und Beeinträchtigung verbindende Glied zu ermitteln, so muß folgendermaßen verfahren werden: Zunächst ist das Person und Beeinträchtigung verknüpfende Moment in tatsächlicher Hinsicht festzustellen. Dieses Moment ist im vorliegenden Fall die Störungsursache oder -quelle, die die Beeinträchtigung zur Folge hat; wenn ζ. B. jemand in störender Weise laut singt, so ist Störungsquelle sein Handeln. Sodann bedarf es der rechtlichen Bewertung dieser Störungsquelle; im Beispiel ist das Handeln, das Singen, als Kausalfaktor einzuordnen, so daß Haftungskriterium die Kausalität ist. — Die Störungsquelle ist also der tatsächliche Anknüpfungspunkt der juristischen Beurteilung. M i t anderen Worten, die Aufgabe, den Tatbestand und Person verbindenden rechtlichen Aspekt aufzufinden, ist nur lösbar unter Heranziehung der Störungsquelle. Damit ist das Verfahren, das die Ermittlung des Störerkriteriums ermöglicht, im wesentlichen umschrieben; im folgenden ist es im einzelnen darzustellen. Dazu bedarf es zunächst einer näheren Beschreibung des für maßgeblich erachteten Anknüpfungspunktes der Störungsursache (unten 2 b). Da diese der Art nach abhängig ist von der Art der Störung selbst, muß jedoch zuvor eine Anschauung von den möglichen Beeinträchtigungsformen geboten werden (unten 2 a). Im Anschluß daran kann auf die Frage der rechtlichen Bewertung eingegangen werden (unten 3). Schließlich ist die Bestimmung der Haftungskomponente nach der hier für richtig befundenen Methode für die beiden Ansprüche des § 10041 im einzelnen zu erläutern (unten 4). 2. a) Zwar ist der Gesetzgeber vorsichtig gewesen1; er hat sich wegen der unterschiedlichen möglichen Einwirkungen auf fremdes Eigentum einer positi1
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Dazu näher unten 11. Kap. § 2.
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10. Kap. Die Grundlagen der Störerermittlung
ven Beschreibung des Beeinträchtigungsmerkmals enthalten und sich auf eine negative Formulierung zurückgezogen, wonach jede Beeinträchtigung unter die actio negatoria fallt, die nicht in der Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes besteht. Dennoch zeigt das vorhanden Fallmaterial, daß die Möglichkeiten der Eigentumsbeeinträchtigung sich auf vier Gestaltungsarten beschränken: Eine Beeinträchtigung kann bestehen in störenden Handlungen und Sachen unmittelbar im fremden Grundstücksbereich; Beispiele für störende Handlungen sind das Gehen über ein fremdes Grundstück, für störende Sachen in das fremde Gebiet hineinragende Bauten oder dort abgelagerte Sachen, etwa Baumaterial oder Unrat. Drittens können Beeinträchtigungen fremden Eigentums in Immissionen bestehen, also in Einwirkungen durch Lärm, Gerüche, Erschütterungen oder Imponderabilien (s. § 906 BGB) 2 . Und schließlich — viertens — kann eine Beeinträchtigung in dem Entzug von Einflüssen auf ein Grundstück wie Licht, Luft, Wasser oder Wind liegen3. — Bei Fahrnis kommen Beeinträchtigungen seltener in Betracht; dort stellt sich die Störung meist als Besitzentzug dar. Doch prinzipiell handelt es sich bei beweglichen Sachen um die gleichen Beeinträchtigungsformen: Sie können in einer störenden Handlung liegen, etwa wenn sich jemand am fremden Auto zu schaffen macht, darin, daß Sachen auf der gestörten Sache abgelagert werden, z.B. wenn die Gäste eines Imbisses im Sommer ihre Kaffeetassen auf den vor der Tür parkenden Autos abstellen. Ferner sind auch hier Störungen durch Immissionen oder durch Entzug von Einflüssen denkbar; ein Beispiel für den letzteren Fall bieten Störungen des Fernsehempfanges durch Hochbauten. Diese Feststellungen über die möglichen Formen von Eigentumsbeeinträchtigungen gelten unabhängig von der umstrittenen Frage, wie sich die negatorische Beeinträchtigung vom deliktischen Schaden unterscheidet. Bei diesem Abgrenzungsproblem, das bereits kurz erläutert wurde 4 , geht es um die Frage, inwieweit Einwirkungs/ö/ge« als Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 anzuerkennen sind. 2 Zu dieser Kategorie Störungen können auch Einwirkungen ästhetischer Art gezählt werden (störender Anblick des Nachbargrundstücks); allerdings ist umstr., ob sie als Beeinträchtigung iSd § 1004 anzusehen sind (dazu etwa MK-Medicus § 1004 Rdnr. 30 f. mwN). Als Gegenargument kann nicht der Einwand gelten, daß es sich lediglich um Beeinträchtigungen psychischer Art handele; viele Immissionen beeinträchtigen das Eigentum an sich nicht, sie führen zu dessen beschränkter Benutzbarkeit erst über Sinneswahrnehmungen und Psyche des Menschen (ζ. B. unangenehme Gerüche). 3 Ob diese sog. negativen Einwirkungen Beeinträchtigungen iSd § 1004 sind, ist umstr., s. schon 1. Kap. I 2 mit Fn. 7; ferner Picker S. 108 ff. 4 Oben 1. Kap. I I 1; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 59 bezeichnet das Auffinden der Grenze zwischen Beseitigung und Schadensersatz als „das am wenigsten gelöste Problem" des § 1004; auch Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 7 nennt es ausdrücklich ein „offenes Problem". Zur Gefahr der „Deliktsähnlichkeit" bei Nichtunterscheidung von Beeinträchtigung und Schaden oder Beseitigung und Schadensersatz s. Schmidt S. 92 oben; Memelsdorff S. 8, 9; Baur AcP 160 (1961), 465, 466 1. Absatz, 487 (unter I I 1); Mertens NJW 1972,1783,1785; Picker S. 30 2. Absatz; Larenz I I § 76; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 59; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 7, auch 21 2. Absatz; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 42,
10. Kap. Die Grundlagen der Störerermittlung So ist beispielsweise der v o m Nachbargebiet übergesprungene Brand zweifellos eine Beeinträchtigung, fraglich ist nur, ob dies auch für die durch den Brand angerichteten Sachbeschädigungen gilt oder ob diese als Schaden gewertet werden müssen. Das Problem der Unterscheidung v o n Beeinträchtigung u n d Schaden betrifft also lediglich die nähere Qualität des Eingriffs, sie berührt nicht die hier entscheidende Frage, w o d u r c h eine Beeinträchtigung überhaupt erfolgen kann. U m dies zu verdeutlichen, ist auf das genannte Abgrenzungsproblem kurz einzugehen. Zunächst bedarf es der Präzisierung dieses Problems: Eine Abgrenzung der actio negatoria gegen die deliktische H a f t u n g (§ 823 B G B ) hat grundsätzlich i m Bereiche des Tatbestandes u n d der Rechtsfolge zu erfolgen, w i r d sie aber i m Tatbestand vorgenommen, so ergibt sich der I n h a l t der negatorischen Rechtsfolge (Beseitigung) v o n selbst 5 : Gegeneinander abzugrenzen sind negatorische Beeinträchtigung u n d deliktischer Schaden; ist der Begriff der Beeinträchtigung geklärt, so sind, da § 100411 die Beseitigung der Beeinträchtigung fordert, auch negatorische Beseitigung u n d Schadensersatz voneinander unterschieden. Die Abgrenzungsproblematik entsteht allerdings überhaupt nur unter dem Aspekt der Rechtsfolge; diese d a r f nicht dem Ersatz v o n Schäden gleichkommen, da S. 466 oben; dagegen äußert sich weniger bedenklich Wolf § 3 E V a 3; als geradezu „verkürzten Tatbestand der unerlaubten Handlung" bezeichnen § 1004 I 1 Lutter/Overath JZ 1968, 345, 347 l.Sp. (unter 2). 5 Die Schwierigkeiten beginnen bereits bei den unklaren Fragestellungen; zwischen der Abgrenzung im Tatbestand (Beeinträchtigung/Schaden) und auf der Rechtsfolgenseite (Beseitigung/Schadensersatz) wird nicht deutlich differenziert, s. z. B. Schmidt S. 46; Baur AcP 160 (1961), 465, 487, 488, 489 3. Absatz; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 6 gegen Ende, 7; ferner die hier unten weiter Genannten. Teilweise wird der Schaden in einem abgeschlossenen Verletzungstatbestand gesehen, die Beeinträchtigung in einem fortdauernden Eingriff: Crome I I I S. 424; Endemann S. 590 Fn. 19; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 22; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 21; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 7; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 3; Palandt-Bassenge § 1004 Anm. 2c; das Moment der Fortdauer betonen Goldmann-Lilienthal-Sternberg S. 373; Picker AcP 176 (1976), 28,55 oben; Westermann § 36 I I I 1 ; Lent-Schwab § 46 II; Larenz I I § 76; RGZ 103, 174,176; 163, 210, 214 unten (a.qu.n.); BGHZ 14, 222, 225 (a.qu.n.); 40,18, 20, 21; 57, 325, 327, 329, 333f. (a.qu.n.); BGH L M § 1004 Nr. 6 = NJW 1952, 417, 418 (a.qu.n.); BGH NJW 1958,1043 r.Sp. (a.qu.n.); OGHZ 1,182,191 (a.qu.n.); gegen die genannte Unterscheidung Mertens NJW 1972, 1783, 1785 r.Sp. Nach der Quelle der Einwirkung und der eingetretenen Veränderung der Sache (oder ähnlich) unterscheiden: Offtermatt S. 46,47; Mertens NJW 1972,1783,1785; Baur § 12 I I 1 b, IV 1 a; Westermann § 36 I I I 1; Lent-Schwab § 46 II; Larenz I I § 76; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 59; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 7 (S. 264), 21; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 42. Nach Baur § 12 IV 1 a und AcP 160 (1961), 465, 487ff., 489 schuldet der Störer den „actus contrarius"; teilweise zustimmend MK-Medicus § 1004 Rdnr. 61; dagegen kritisch Henckel AcP 174 (1974), 97, 102/103 Fn. 8. — Eine begriffliche Abgrenzung zwischen Beeinträchtigung und Schaden halten nicht für möglich Baur AcP ebd. S. 489 2. Absatz; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 7. — Als Schaden besonderer Art wertet die Beeinträchtigung Wolf § 3 E V a 3 aa, bb, doch meint er, daß es „begrifflich" nicht darauf ankomme (ebd. aa).
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10. Kap. Die Grundlagen der Störerermittlung
dann das Verschuldensprinzip des § 823 BGB umgangen würde. Dogmatischbegrifflich jedoch stellt sich das Problem ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Beeinträchtigungsbegriffs. — Literatur und Judikatur stellen die Frage nach der Abgrenzung lediglich allgemein6, doch läßt sie sich genauer fassen: Der Sache nach geht es um das Problem, ob auch Substanzverletzungen eine Beeinträchtigung darstellen und ob, von der Rechtsfolgenseite her gesehen, unter die Beseitigungspflicht des § 1004 1 1 auch Reparaturen an der gestörten Sache fallen. In dem oben genannten Beispiel etwa ist fraglich, ob der Störer nur den Brand löschen muß oder ob er auch zur Ausbesserung der Sachverletzungen gehalten ist 7 . — Damit wird deutlich, daß die Frage der Abgrenzung zwischen Beeinträchtigung und Schaden lediglich hinsichtlich der näheren Beeinträchtigungsqualität besteht, daß jedoch die hier beschriebenen, prinzipiell möglichen Arten des Eingriffs—durch Handlungen, Sachen, Immissionen und den Entzug von Einflüssen — als Beeinträchtigungen im Sinne des § 1004 zu beurteilen sind; auf die fragliche Abgrenzungsproblematik kommt es somit im vorliegenden Zusammenhang nicht an. b) Damit ist zur Ausgangsfrage zurückzukehren. Den genannten Beeinträchtigungsarten, um deren Zurechnung es geht, liegen wiederum bestimmte Störungsquellen zugrunde. Das verfügbare Fallmaterial belegt, daß Beeinträchtigungen sich auf drei Ursachenkategorien zurückführen lassen: Sie können einmal auf bloßen Handlungen beruhen, ohne daß am Störungsvorgang Sachen beteiligt sind. Diese Fälle beschränken sich auf einige wenige, wenn auch für die actio negatoria typische und wichtige Sachverhalte: Das Gehen über ein fremdes Grundstück oder das Verursachen von Geräuschimmissionen durch Singen, Sprechen oder sonstiges lärmendes Verhalten gehören dazu. — Beeinträchtigungen können — zweitens — auf Sachen zurückgehen, ohne daß Handlungen zugrunde liegen, eine Störungsart, die das Gegenstück zu den eben genannten Störungen bildet und die nur bei Naturvorgängen vorkommt. Beispiele sind das sich auf Grund von Witterungseinflüssen lockernde Felsgestein, das dem Unterlieger zu schaffen macht, oder der windschiefe, sich über die Grenze neigende Baum. Endlich existieren — drittens — Mischfälle, bei denen die Störung durch das Zusammenwirken von Handlungen und Sachen hervorgerufen wird. Innerhalb dieser Störungsart lassen sich wiederum zwei Fälle unterscheiden: Es gibt Sachen, die durch ihr bloßes Vorhandensein stören. Dazu zählen zum einen alle Fälle, in denen sich die störende (bewegliche oder unbewegliche) Sache unmittelbar im fremden Grundstücksbereich befindet. Beispiele stellen folgende Fälle dar: das über die Grenze reichende Gebäude (s. §912 BGB), die Ausbauchung einer Mauer, die Lagerung von Sachen auf fremdem Grundstück 6 Vgl. die in der vorigen Fn. Genannten; ähnlich wie hier aber Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 10. 7 Weitere Beispiele bei MK-Medicus § 1004 Rdnr. 60; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 10.
10. Kap. Die Grundlagen der Störerermittlung
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(Baumaterialien, Unrat) oder das auf fremdem Grund und Boden errichtete Bauwerk. Zu dieser Fallrubrik störender Sachen zählen ferner alle Fälle von Immissionen durch selbsttätige Anlagen, beispielsweise durch eine Drainage, die infolge ihres eigenständigen Wirkens zu Überschwemmungen des überfüllten, das überschüssige Wasser aufnehmenden Grabens führt. In diesen Fällen, in denen die Beeinträchtigung durch das Zusammenwirken von Handlungen und Sachen entsteht und in denen die Beeinträchtigung durch die bloße Existenz der Sache hervorgerufen wird, besteht die die Störung mitverursachende Handlung in einem einmaligen Akt, also in der Errichtung der Anlage oder in dem Verbringen der Sache in den fremden Bereich. Zur zweiten Fallart innerhalb der Kategorie der Fälle, in denen Handlungen und Sachen zusammen die Störungsquelle bilden, rechnen diejenigen Beeinträchtigungen, die nur durch wiederholtes Handeln entstehen und die unterbleiben, wenn die Handlung nicht vorgenommen wird. Solcher Art Störungen gehen von allen Anlagen aus, die nicht selbstwirkend arbeiten und die in Tätigkeit gesetzt werden müssen, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen. Eine Vielzahl von Fabrik- und Gewerbeeinrichtungen, die durch Immissionen wie Lärm, Gerüche, Erschütterungen oder Rauch und Ruß die umliegenden Grundstücke belästigen, gehören zu dieser Sorte Anlagen. Des weiteren zählen zu den Fällen der auf wiederholter Tätigkeit beruhenden Beeinträchtigung alle Störungen, bei denen die Sache als ein sonstiges Mittel zur Durchführung einer Tätigkeit benutzt wird, also als Gerät oder Handwerkszeug wie z.B. Steinbehauungswerkzeuge im Steinbruch oder ein Musikinstrument. Diese dritte Störungskategorie, in der Handlungen und Sachen zusammen die Beeinträchtigung hervorrufen, zeichnet sich also insgesamt dadurch aus, daß entweder eigentliche Störungsquelle die störende Sache ist, es aber einer einmaligen Handlung bedarf, damit es zu dieser Art Störung kommen kann (Bau der selbstwirkenden Anlage), oder aber dadurch, daß die Sache allein nicht störend wirkt, sondern daß dazu fortlaufende Handlungen nötig sind (nicht selbstwirkende Anlage, Handwerkszeug). Einen Teil dieser Störungsart des Zusammenwirkens von Handlungen und Sachen, nämlich Störungen durch das bloße Vorhandensein von Anlagen oder durch deren Betätigung hat der Gesetzgeber, wie wir sahen, als wichtige Fälle in den Motiven und in § 907 BGB aufgenommen 8. 3. Mit dieser Erfassung und Kategorisierung der möglichen Störungsursachen ist die Grundlage für die rechtliche Bewertung geschaffen. Da jede juristische Beurteilung von den tatsächlichen Gegebenheiten auszugehen hat, hängt das maßgebende Kriterium der Zurechnung notwendig vom Sachverhalt ab, der die Beeinträchtigung hervorruft; das gesuchte Verbindungsglied zwischen Beeinträchtigung und Störerperson kann nicht unabhängig von der Art der Störungsquelle bestimmt werden. Die beiden Fälle, die nur eine Störungs8
Oben 2. Kap. § 2.
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10. Kap. Die Grundlagen der Störerermittlung
quelle aufweisen, ein Handeln oder eine Sache, belegen diese Überlegung ohne weiteres: Es muß für das verpflichtende Kriterium einen Unterschied machen, ob die Störung durch eine Handlung hervorgerufen wird oder durch keinerlei Handlungen, sondern durch Sachen. Im ersten Fall scheidet der Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit auf Grund einer dinglichen Position (Eigentum, Besitz) von vornherein aus. Als verbindendes Glied zwischen Beeinträchtigung und Person kommt nur das Handeln selbst in Betracht; ein anderer Anknüpfungspunkt ist nicht denkbar. Demnach ist die Kausalität entscheidend; wer handelt, wird für den Erfolg (Beeinträchtigung) kausal; das ursächliche Tun schafft hier die Verbindung zwischen dem Handelnden und der Störung. — Im zweiten Fall der Störung durch Sachen, etwa durch herabfallendes Gestein, ist — umgekehrt — eine Verpflichtung kraft Handelns und damit kraft der Kausalität (durch positives Tun) nicht denkbar. Hier muß die negatorische Verantwortlichkeit an die dingliche Position an der Sache anknüpfen. Nur diese ist es, die Person und Beeinträchtigung miteinander verbindet, und zwar in folgender Weise: Störungsursache ist die Sache, ζ. B. eine Grundstücksvertiefung, die dem Nachbargrundstück die Stütze gibt (§ 909 BGB); die Verbindung zwischen dieser Störungsursache und einer Person entsteht durch die dingliche Position, Eigentum oder Besitz, die diese Person an der Sache einnimmt. Das dogmatische Problem besteht in der näheren Einordnung dieses Gesichtspunktes, also in der Frage, ob die Verpflichtung direkt auf der sachenrechtlichen Zuständigkeit beruht oder auf einem Unterlassen, in dessen Rahmen die dingliche Position verpflichtende Kraft entfaltet, etwa ähnlich dem der Verkehrssicherungspflicht zugrunde liegenden Gedanken, wonach aus der mit der Sachbeziehung verbundenen Gefahrbeherrschung eine Handlungspflicht herzuleiten ist; es handelt sich um eine Frage, die schon bei der Beschäftigung mit den Haftungskategorien der Handlungs- und Zustandshaftung zur Sprache kam 9 . Liegt demnach — abgesehen von dogmatischen Einzelfragen — der Haftungsaspekt dieser beiden Fälle, des störenden Handelns und des störenden Sachzustandes, fest, so wirft die dritte Fallkategorie des Zusammenwirkens von Handlung und Sache Zweifelsfragen auf: Für die rechtliche Bewertung kommen beide Anknüpfungspunkte, Handeln und dingliche Position, in Betracht. Hier ist das Problem zu klären, welcher der beiden Faktoren für die Haftung maßgebend ist. So ist, um ein Beispiel zu nennen, zu untersuchen, ob im Falle der zu betätigenden Anlage, die zu Immissionen führt, die Sachposition oder das Handeln die Haftung auslöst. Immerhin ist aber auch hier das Feld abgesteckt; als Haftungskriterien kommen nur die genannten beiden Komponenten in Frage. 4. Hinsichtlich der beiden Ansprüche des § 1004 I BGB besteht für die Störerbestimmung auf der dargelegten Basis im Prinzip kein Unterschied: Im 9 Oben 4. Kap. § 3 B; Zum Grundgedanken der Verkehrssicherungspflicht s. schon oben 3. Kap. § 3 Β IV.
10. Kap. Die Grundlagen der Störerermittlung
Falle gegenwärtig bestehender Beeinträchtigungen nach § 1004 I 1 ist an die tatsächlich vorliegende Störungsquelle — Handeln, Sache oder beide Faktoren — anzuknüpfen. Im Falle noch nicht eingetretener, aber künftig zu erwartender Beeinträchtigungen nach § 1004 I 2 bedarf es, soweit eine Handlung Störungsquelle ist, teilweise einer Hypothese, dies ändert aber nichts an dem Grundsatz, daß für die Ermittlung des Störerkriteriums das — wenn auch nur gedachte — Handeln maßgebend ist. Im einzelnen gilt für die Feststellung der Störungsquelle im Fall des Präventivanspruches des § 10041 2 folgendes: Ist Störungsquelle eine reine Handlung (der Nachbar droht, über das fremde Grundstück zu gehen), so ist für die rechtliche Bewertung von der erst in der Zukunft zu erwartenden, hypothetischen Handlung auszugehen. Ist Störungsquelle dagegen ausschließlich eine Sache, ohne daß Handlungen beteiligt sind (der morsche Baum droht umzufallen), ist Anknüpfungsaspekt der juristischen Beurteilung, nicht anders als im Falle des § 100411, die gegenwärtig gegebene Sachposition. — Bei Störungen, die im Zusammenwirken von Handlungen und Sachen entstehen, ist zu unterscheiden: Entsteht die Störung nur dann, wenn gleichzeitig ein Handeln gegeben ist, die Anlage also bedient, das Werkzeug benutzt wird, ist Anknüpfungspunkt der Haftung außer der gegenwärtig bestehenden dinglichen Position auch hier das hypothetische Handeln. Liegt die Störungsquelle des Handelns aber nur in einem einmaligen Akt (Errichtung der selbsttätigen Anlage, von der Immissionen drohen), so ist Gegenstand der rechtlichen Bewertung die dingliche Position und eine bereits vorliegende, keine hypothetische Handlung; ein Unterschied zu § 1004 I 1 besteht also nicht. Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch differieren also nur in Fällen, in denen Störungsquelle — allein oder im Zusammenwirken mit Sachen — eine Handlung ist; für § 1004 I 2 ist dann unter Umständen eine Hypothese anzustellen, für § 1004 I 1 nicht. In beiden Fällen ist aber die Störungsquelle „Handlung" maßgebend, das Störerkriterium also nach prinzipiell gleichen Grundsätzen zu ermitteln. II. Unter dem Blickwinkel dieser Feststellungen wird die Unzulänglichkeit der bisherigen Bemühungen um die Störervoraussetzungen erklärbar: Sie beruht auf einer nicht ausreichenden Erfassung der dem § 1004 BGB unterfallenden Sachverhalte und — notwendig damit verbunden — auf einer mangelnden Durchdringung der in Betracht kommenden rechtlichen Kriterien. D.h. den bisher erwogenen Haftungskomponenten fehlt es an einer Basis. Die obigen Ausführungen (I), wonach jede Rechtsbeurteilung von den tatsächlichen Gegebenheiten auszugehen hat, weil der Sachverhalt das Objekt der Beurteilung bildet, und wonach die faktisch vorgegebenen Sachverhaltsunterschiede (Handlungen, Sachen, Mischfalle) auch eine rechtliche Differenzierung bedingen (Kausalität, dingliche Position), verstehen sich an sich auch für § 1004 BGB von selbst. Dennoch ist dieses Grundprinzip für die Störerermittlung in prinzipieller und umfassender Form nie zum Ausgangspunkt der Untersuchung gemacht worden 10 . Die Abhängigkeit des Haftungskriteriums von der Störungsursache
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10. Kap. Die Grundlagen der Störerermittlung
klingt in Literatur und Rechtssprechung zwar verschiedentlich an, doch fehlt es an einer systematischen Durcharbeitung des Fallmaterials in faktischer und — dementsprechend — rechtlicher Hinsicht. Richtige Ansätze weist insoweit die Unterscheidung in Handlungs- und Zustandshaftung auf 1 1 ; sie stellt den Versuch dar, den Störer vom zugrunde liegenden Sachverhalt her zu bestimmen. Dieses „System" bildet in der gegenwärtigen Form, wie sich gezeigt hat, deshalb keine Hilfe, weil es inhaltlich nicht durchgeführt wird 1 2 . Zudem läßt das betreffende Konzept außer acht, daß es Störungen gibt, die sowohl auf einem Handeln als auch auf dem Zustand von Sachen beruhen; der Dualismus von Handlungs- und Zustandshaftung erfaßt die möglichen Sachverhalte also nur unvollkommen. Auch die Bemühungen Pleyers, Küblers 13 und Baurs 14 treffen zwar eine Unterscheidung in Störungen durch Handlungen und durch Sachzustände. Sie sondern die Fälle der Störungen durch Handeln aus ihrem Untersuchungsbereich ausdrücklich aus und entwickeln Störergrundsätze für Fälle der Beeinträchtigungen durch Sachzustände15. Doch wollen sie nur spezielle Fälle lösen (Naturwirken, Rechtsnachfolge, Störungen durch Anlagen), ohne daß in grundlegender Form nach Störungsquellen differenziert wird. Aus den oben getroffenen Feststellungen (I) ergibt sich ferner, daß der umgekehrte Versuch Pickers, sämtliche Störungsfälle mit Hilfe eines einheitlichen dogmatischen Kriteriums zu erfassen 16, keinen Erfolg haben kann. Dies zeigte die Analyse im 1. Teil der vorliegenden Abhandlung bereits ohne die hier angestellten grundlegenden Ausführungen durch Anwendung des Pickerschen Konzepts der „Rechtsusurpation" oder „Rechtsanmaßung" auf die vorhande10 Vgl. aber für § 100412 (unter dem Aspekt der Rechtsnachfolge in Unterlassungsansprüche) Brehm JZ 1972, 225, 229 l.Sp., r.Sp. 5. Absatz, 230 r.Sp.: Einteilung in Handlungs- und Zustandsstörung; der Handlungsstörung ordnet Brehm ebd. S. 230 r. Sp. die Störungsquelle des Handelns zu, der Zustandsstörung die Störungsquelle „Sache" oder „Personen-Sachgesamtheit"; ferner für § 1004 I 2 (ebenfalls unter dem Aspekt der Rechtsnachfolge), wohl im Anschluß an Brehm ebd., Heinze S. 58ff., 68 unten, der eine Einteilung in die Störungsquelle „Person", „Sache" und „Person-Sach-Gesamtheit" trifft, ebd. S. 100f., 108 f., 126ff., jedoch mit abweichenden Folgerungen („Risikoprinzip", s. ebd. S. 75 ff., 80); Heinze spricht sich insbes. gegen das Kausalprinzip aus, s. ebd. S. 65 - 74; Pinger S. 189 2. Absatz wertet die Unterscheidung in Handlungs- und Zustandshaftung als einen Versuch, „bestimmte Fallgruppen des § 1004 zusammenzufassen und dadurch der dogmatischen Erfassung näherzukommen"; Pinger selbst erkennt aber nur eine Zustandshaftung an, s. ebd. S. 189/190, 191/192. 11
Oben 4. Kap. Ebd. 13 Oben 7. Kap. § 3 Β II, § 4 C III. 14 Oben 5. Kap. 15 Vgl. Pleyer AcP 156 (1957), 291, 306; ders. JZ 1959, 305, 306 r.Sp. unten, 307 l.Sp. oben; Kübler AcP 159 (1960), 236, 277 (unter 1); Baur AcP 160 (1961), 465, 471 letzter Absatz, 472 letzter Absatz, 473 ff. Oben . Kap. 12
10. Kap. Die Grundlagen der Störerermittlung
nen Störungsfalle. M i t diesem Konzept können, wie sich herausstellte, nur bestimmte Störungssachverhalte erfaßt werden 17 . Dieses Ergebnis ist die Konsequenz der verschiedenen Beeinträchtigungsarten und der dementsprechend verschiedenen Beeinträchtigungsursachen; der Tatbestand der Rechtsusurpation kann Fälle, in denen Störungsquelle ein Handeln oder ein Sachzustand außerhalb des gestörten Grundstücks ist, nicht lösen. Weil faktisch vorgegebene Sachverhaltsunterschiede zugleich eine rechtliche Differenzierung bedingen, kann auch die Ansicht Pickers keinen Bestand haben, daß Beeinträchtigungen durch Handlungen und Sachen sich lediglich äußerlich, nicht juristisch, unterschieden 18. Daß diese These nicht zutrifft, ergab sich bereits auf der Grundlage der Pickerschen Lehre selbst, insofern für beide Beeinträchtigungsformen eine verschiedene Definition der „Rechtsusurpation" festgestellt werden mußte 19 . III. 1. M i t dem hier ermittelten Befund, der Abhängigkeit des Haftungskriteriums von der Störungsursache, ist das Fundament für die Aufgabe geschaffen, Haftungsvoraussetzungen zu entwickeln. Da das Verbindungsglied zwischen dem negatorisch Verpflichteten und dem Beeinträchtigungstatbestand notwendig geknüpft ist an die Beeinträchtigungsquelle, liegen die in Betracht kommenden Haftungskriterien im Grundsatz fest. Die vorliegende Aufgabe besteht also, kurz gesagt, darin, den (faktischen) Anknüpfungsaspekt — Handeln, Sache — zu fixieren und dogmatisch zu bewerten. M i t diesem Vorhaben ist auch der äußere Gang der Untersuchung festgelegt: Entsprechend der oben (I 2 b) vorgenommenen Rubrizierung der Störungsquellen ist das vorhandene Fallmaterial im einzelnen zu sichten und jeweils in einem Überblick darzustellen. Dieses Fallmaterial dient als Grundlage der jeweils anschließenden rechtlichen Bewertung. Die vorliegende Untersuchung wird also nicht, wie dies weitgehend bisher geschehen ist, das Störerproblem von einer „Rechtsidee" her lösen. M i t den vorhergehenden Darlegungen ist bereits gesagt, daß ein solches Verfahren den unterschiedlichen Störungsfallen nicht gerecht werden kann; es widerspräche dem an sich selbstverständlichen, hier (oben 11,3) ausgeführten Prinzip, daß jede rechtliche Beurteilung von den tatsächlichen Gegebenheiten auszugehen hat. Die gegenwärtige Rechtslage bietet den Beweis dafür, daß der Weg der Deduktion, die Lösung „von oben", die den Störer mit Hilfe abstrakter Rechtskriterien ausfindig machen will, nicht zum Ziele führt. Die vorliegenden Bemühungen wählen vielmehr die umgekehrte Methode: Sie verfahren induktiv, indem sie versuchen, für einheitlich gestaltete Fälle das entscheidende rechtliche Element aufzudecken. Auf diese Weise werden sich schließlich allgemeine Regeln entwickeln lassen.
17 18 19
Ebd. § 4 B, C, D, § 5. Ebd. § 2 A II, Β II. Rechtsursurpation eines Rechts und durch ein Recht, s. ebd. § 3 Β, E.
140
10. Kap. Die Grundlagen der Störerermittlung
2. An dieser Stelle nun ist auf die oben (9. Kap.) dargelegten Überlegungen zur Auslegungsmethode auf Grund der Gesetzessystematik zurückzukommen. a) Bei der soeben beschriebenen, hier in Angriff zu nehmenden Aufgabe kann das Gesetz eine Hilfe in Gestalt der speziellen negatorischen Ansprüche der §§ 907 und 908 bieten. Wie wir schon früher sahen 20 , beschäftigen sich diese Bestimmungen mit Störungen durch Anlagen, Gebäude und sonstige Werke. Sie regeln die sog. Mischfalle, in denen die Störung durch das Zusammenwirken von Handlung und Sache zustande kommt. Es ist daher zu überprüfen, ob sich den §§ 907 und 908 Aussagen über die Störerperson entnehmen lassen (unten 12. Kap.). § 908 wird zu einem positiven Befund führen. Er enthält für einen Teilbereich der Beeinträchtigungen, nämlich für Störungen, die von einem Gebäude ausgehen, detaillierte Haftungsvoraussetzungen. Dieser Ertrag der Vorschrift bestimmt den weiteren Verlauf der Untersuchung: Die in §908 verankerten Erkenntnisse erlauben es, Schlüsse für die Haftungskriterien des § 1004 in vergleichbaren Fällen zu Ziehen; dies sind Fälle, in denen Störungen von dem sonstigen Zustand des Grundstücks — außerhalb der in § 908 beschriebenen Art — ausgehen (unten 13. Kap.). Damit wird der gesamte Bereich von Störungen, deren Ursache ein Grundstückszustand ist, sei es unter Mitwirkung von Handlungen (Gartenanlage) oder ohne diese (Naturwirken), geklärt sein (unten 12. Kap. § 6, 13. Kap.). Es verbleiben für die weitere Untersuchung mithin die Fälle, in denen die Störung durch reines Handeln (z.B. Lärmen) bewirkt wird (unten 14. Kap. § 2 C, § 3) oder durch das Zusammenwirken von Handlungen und Sachen, ohne daß Störungsquelle ein Grundstückszustand ist (unten 14. Kap. § 2 B, § 3). Die Verwertbarkeit des § 908 für § 1004 führt also dazu, daß ein Teilbereich der Störungsfalle, eben Beeinträchtigungen durch Grundstückszustände, aus der oben getroffenen (I 2 b) Grundeinteilung — Störungen durch Handlungen, Sachen und durch das Zusammenwirken beider Faktoren — herausgenommen und gesondert überprüft wird. Dadurch wird die äußere Gliederung der Arbeit nicht parallel zu dieser Grundeinteilung verlaufen, sie wird vielmehr, um dies noch einmal zusammenfassend festzustellen, nacheinander behandeln: Störungen durch den Zustand von Grundstücken (Zusammenwirken von Handlungen und Sachen, Störungen nur durch Sachen; 12. Kap. § 6, 13. Kap.), Störungen durch reines Handeln (14. Kap. § 2 C, § 3) und Störungen durch das Zusammenwirken von Handlungen und Sachen, wobei die am Störungsvorgang beteiligte Sache kein Grundstückszustand ist, sondern eine Sache, die unmittelbar im fremden Grundstücksbereich stört (abgeladener Unrat, Bauwerk) oder die ein Mittel (Werkzeug) darstellt, um eine Tätigkeit durchzuführen (unten 14. Kap. § 2 B, § 3). Einzelheiten der Darstellung werden sich im Verlaufe der Untersuchung ergeben.
Oben . Kap.
10. Kap. Die Grundlagen der Störerermittlung
b) Schließlich ist die bei Erörterung der üblichen Deutungsmethoden erwähnte Frage wiederaufzunehmen, ob das Haftungskriterium des §985 Aussagen über die Störervoraussetzungen des § 1004 enthalten kann. Auf der Basis der soeben erarbeiteten (I) Prinzipien läßt sich diese Frage vom Grundsatz her schon beantworten: § 985 kann keine Hilfe bieten, denn die Eigentumsstörung besteht dort in der Vorenthaltung des Besitzes, und diese Störung ist von § 1004 gerade ausgenommen; folglich kann es für die Ermittlung des nach § 1004 Haftenden auf die entsprechende Störungsquelle, die Innehabung des Besitzes, nicht ankommen. Trotz dieses auf Grund prinzipieller Überlegungen gewonnenen Ergebnisses ist § 985 näher in Augenschein zu nehmen. Im neueren Schrifttum mehren sich Stimmen, die rei vindicatio und actio negatoria als „strukturgleich" ansehen und die auf diese behauptete Gleichheit die ebenfalls zunehmend an Boden gewinnende Ansicht stützen, daß das Kausalkriterium, das für die Bestimmung des vindikatorischen Gegners keine Rolle spielt, ί η κ Bereich des § 1004 gleichermaßen bedeutungslos sei. Diese Auffassung kann nicht unbeachtet bleiben; ihren Argumenten ist im einzelnen daher nachzugehen. 3. Die Untersuchung wendet sich zunächst diesem zuletzt genannten Thema, dem Vergleich von rei vindicatio und actio negatoria, zu (unten 11. Kap.), um sodann die zuvor beschriebene, mit den §§ 907 und 908 beginnende Analyse zu unternehmen (unten Kap. 12 ff.).
11. Kapitel: Die Bedeutung des § 985 BGB für die Haftungsgrundsätze des § 1004 BGB § 1 Einleitung In Fortführung des überlieferten Rechts1 stellte der BGB-Gesetzgeber zum Schutze des Eigentums die actio negatoria der rei vindicatio zur Seite. Beide Ansprüche verfolgen dasselbe Ziel, den Eigentumsschutz, beide setzen einen Eingriff in fremdes Eigentum voraus. Die Ansprüche unterscheiden sich lediglich in der Art der Eigentumsverletzung: nach § 985 ist es die Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes, nach § 1004 ist es jede andere Art der Beeinträchtigung. Aus dieser Gleichheit von Gesetzeszweck und Tatbestand werden im Schrifttum, wie erwähnt (oben 10. Kap. I I I 2b), des öfteren Schlüsse für die Störerkriterien des § 1004 BGB gezogen. I m folgenden soll der Zusammenhang von actio negatoria und rei vindicatio näher beleuchtet werden; dazu wird die Entstehungsgeschichte beider Bestimmungen herangezogen (unten § 2). Anschließend wird die Position der Literatur im einzelnen wiedergegeben (unten § 3) und schließlich festgestellt, ob Schlußfolgerungen vom vindikatorischen auf den negatorischen Gegner tatsächlich erlaubt sind (unten § 4). § 2 Entstehungsgeschichte der §§ 985 und 1004 BGB A. Das von Vindikation und Negatoria gleichermaßen verfolgte Ziel kam schon in der äußeren Systematik der Entwürfe zum BGB zum Ausdruck. In dem Vorentwurf (Teilentwurf), der der ersten, mit dem eigentlichen Entwurf („1. E n t w u r f ) des zu schaffenden Gesetzbuches befaßten Kommission als Arbeitsgrundlage diente und der von dem Redaktor Johow stammte 2 , erhielten rei vindicatio und actio negatoria einen einheitlichen Titel „Eigentumsanspruch" 3 . 1
Vgl. Mot. Mugdan I I I S. 236 (unter 1); zur römischen actio negatoria oben 1. Kap., Fn. 1 ; zur römischen rei vindicatio ebd. Fn. 3; zur gesetzlichen Fassung der actio negatoria in den Naturrechtskodifikationen der Neuzeit ebd. Fn. 2; zur rei vindicatio in diesen Kodifikationen s. preuß. A L R 1 1 5 § 1 (1794); österr. ABGB § 366 (1811); hess. Entw. I I 3 Art. 6 (1853); bayer. Entw. I I I Art. 153,1541 (1861 -1864); sächs. BGB § 295 (1863 /1865). 2 Zur Entstehungsgeschichte des BGB s. Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Einführung S. 27 ff.; ferner Benöhr, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis X L V I I I (1980), 349 ff. 3 Vgl. Schubert, Vorentwürfe, Sachenrecht 1, S. 44; die rei vindicatio war geregelt in §178, die actio negatoria in den §§205-209, s. die abgedruckten Bestimmungen bei Schubert ebd. S. 44 und 48/49.
§ 2 Entstehungsgeschichte der §§ 985 und 1004 BGB
143
M i t dieser selben Titelbenennung wurden beide Rechtseinrichtungen im 1. Entwurf geregelt 4, im darauffolgenden 2. Entwurf der 2. Kommission mit der veränderten Bezeichnung „Ansprüche aus dem Eigenthume" 5 ; dieser letztere Titel wurde dann für das geltende Recht beibehalten. B. /. Aber auch in ausdrücklichen Einzelausführungen der gesetzlichen Vorarbeiten tritt die Einheit beider Ansprüche hervor. Die Verschiedenheit der Rechtsbehelfe wurde lediglich in der Art des Eigentumseingriffs gesehen. Johow führt in der Begründung zu seinem Vorentwurf aus 6 , daß, wer sich mit der von der Rechtsordnung anerkannten Macht des Eigentums in tatsächlichen Widerspruch ohne ein sie einschränkendes Recht setze, diese Macht verletze und dadurch gegen sich den Anspruch des Eigentümers auf Wiederaufhebung der Verletzung und ihrer Folgen begründe („Eigenthumsanspruch"). Die Verschiedenheit der Verletzung gebe dem Eigentumsanspruch einen verschiedenen Inhalt. Die Verletzung sei eine totale, wenn die Sache dem Eigentümer vorenthalten werde, sie sei eine partielle, wenn ohne Vorenthaltung der Sache die Freiheit des Eigentums angegriffen werde 7 . Später greift Johow die Ansicht Puchtas auf 8 , wonach der Grund der Negatoria, wie bei der Vindikation, das Eigentum sei und sich beide nicht im Klagegrunde, sondern nur in der Beschaffenheit der Verletzung unterschieden. Johow stellt ferner, Windscheid folgend, fest 9 , die partielle Eigentumsverletzung solle die negative Eigenschaft haben, daß keine Entziehung des Besitzes stattgefunden habe. Sie solle sich darauf beschränken, daß gegen den Willen des Eigentümers auf die Sache eingewirkt oder der Eigentümer an der freien Verfügung über die Sache gehindert werde. II. Auch die 1. Kommission erläutert Vindikation und Negatoria als zwei einander ergänzende 10 Ansprüche mit derselben ratio. In den einleitenden Beratungen der 1. Kommission zu dem „Eigenthumsanspruch" überschriebenen Titel ist die Einheitlichkeit des Ziels beider Ansprüche selbstverständlich, kommt aber in einzelnen Darlegungen besonders zum Ausdruck. So wird dort 4 Vgl. Mugdan I I I S. X X X I I ; die rei vindicatio war geregelt in § 929, die actio negatoria in § 943, s. die abgedruckten Bestimmungen bei Mugdan ebd. S. X X X I I , X X X V I . 5 Vgl. Mugdan ebd.; die rei vindicatio war geregelt in § 899, die actio negatoria in § 916, s. die abgedruckten Bestimmungen bei Mugdan ebd. S. X X X I I , X X X V I . 6 Schubert, Vorentwürfe, Sachenrecht 1, S. 1018. 7 So auch später die Mot. Mugdan I I I S. 219 2. Absatz, 237 3. Absatz. 8 Ebd. S. 1117 1. Absatz. 9 Ebd. S. 1117 2. Absatz, auch S. 1127 2. Absatz. 10 Die bei Johow (Schubert ebd. S. 1122) geäußerte Ansicht, die Negatoria sei nicht als eine die Vindikation ergänzende Klage zu betrachten, bezieht sich auf das damals diskutierte theoretische Problem, wie es möglich sei, daß neben der Vindikation und den Besitzklagen noch ein weiteres Rechtsmittel nötig sei, da in dem Besitz das Eigentum seine „endliche und vollständige Verwirklichung" finde, s. ebd. S. 1122 2. Absatz, 1122ff.; ferner — in Bezug auf die Notwendigkeit des Beweises des Eigentums — ebd. S. 1116 unten/1117.
144
11. Kap. Bedeutung des § 985 für Haftungsgrundsätze des § 1004
zunächst die Notwendigkeit des Eigentumsschutzes durch die auch nach bisher geltendem Recht zur Verfügung stehenden dinglichen Ansprüche aus rei vindicatio u n d actio negatoria festgestellt 1 1 . Weiter werden i n diesen Vorbemerkungen beide Rechtsbehelfe als einheitliches Recht des Eigentümers behandelt, indem v o n „ d e m " Recht des Eigentümers u n d „ d e m " Herstellungsanspruch die Rede i s t 1 2 . Das Verständnis der Einheit der beiden Ansprüche zeigt sich ferner darin, daß rei vindicatio u n d actio negatoria gleichermaßen als auf Herstellung des dem I n h a l t des Eigentums entsprechenden Zustandes gerichtete Ansprüche bezeichnet werden u n d daß festgestellt w i r d , es seien V i n d i k a t i o n oder Negatorienklage a m Platze, je nach dem, ob das Eigentum ganz oder z u m Teil verletzt sei 1 3 ; demnach unterscheiden sie sich nach Ansicht der Gesetzesverfasser nur i m Ausmaß des Eingriffs. Die sich unmittelbar m i t der actio negatoria befassenden Beratungen der 1. K o m m i s s i o n belegen den den Rechten der actio negatoria u n d rei vindicatio zugrunde liegenden selben Gedanken ebenfalls, zugleich befassen sie sich aber — wie der V o r e n t w u r f — m i t dem i m einzelnen bestehenden Unterschied beider Ansprüche. Es heißt i n den M o t i v e n : Der Entwurf geht davon aus, daß der negatorische Anspruch der Vindikation in seinem Wesen gleichartig ist und von derselben nur durch die Art der Eigenthumsverletzung, deren Beseitigung erstrebt wird, sich unterscheidet 14. U n d weiter: Als Ziel des rein dinglichen Anspruches (sc. der actio negatoria) ist die Herstellung desjenigen Zustandes bezeichnet, welcher dem Inhalte des absoluten Rechtes, hier des Eigenthumes, entspricht. Voraussetzung des Anspruches ist lediglich das gegenwärtige objektive Bestehen eines durch den Willen einer anderen Person aufrecht erhaltenen Zustandes. Die Vindikation richtet sich gegen den fremden Besitz und die fremde Inhabung und verschafft dem Eigenthümer den Besitz und die Inhabung wieder. Es ist, wenn Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Vindikation herrschen soll, hier derjenige Zustand zu bezeichnen, welcher das Analogon des dem Inhalte des Eigenthumes widerstreitenden Besitzstandes bildet. Diese Bezeichnung ist nicht leicht; denn eine positive Bezeichnung aller zuständlichen Eigenthumsverletzungen, welche nicht in der Entziehung des Besitzes oder der Inhabung bestehen, stößt auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Der einfachste und zweckmäßigste Ausweg aus diesen Schwierigkeiten ist es, die Voraussetzungen des negatorischen Anspruches negativ zu bestimmen und zwar dahin, daß derselbe bei einer zur Vindikation nicht genügenden Verletzung des Eigenthumes stattfindet. Dadurch wird dann zugleich klargestellt, daß in analoger Weise, wenn auch in einem geringeren Umfange, wie bei dem Besitzer oder der Inhabung des
11 12
Mugdan I I I S. 218 3. Absatz. Ebd. 4. Absatz.
13 Ebd. S. 219 2. Absatz; zurückgehend auf Jakobs / Schubert, Beratung, Sachenrecht I; S. 851. 14 Ebd. S. 236 2. Absatz.
§ 2 Entstehungsgeschichte der §§ 985 und 1004 BGB
145
Nichteigenthümers, ein das Recht des Eigentümers objektiv verletzender Zustand vorliegen muß, auf dessen Beseitigung der negatorische Anspruch abzielt. 15
Und schließlich wird die Analogie zur Vindikation an der schon besprochenen Stelle der Motive im Zusammenhang mit Erörterungen zum negatorischen Gegner festgestellt (Aufrechterhaltungsformel) 16 . C. Die in dem soeben aufgeführten Zitat der Motive zum Ausdruck kommende Schwierigkeit, vor der der Gesetzgeber sich bei der gesetzlichen Fixierung der actio negatoria sah, weil er meinte, daß der Beeinträchtigungstatbestand sich wegen der vielfaltigen Möglichkeiten der Verletzungsformen nicht positiv umschreiben lasse, wurde von Johow im Vorentwurf anders gelöst als von der 1. und 2. Kommission. Johow nimmt zwar den Gedanken Windscheids auf, daß die Eigentumsverletzung der actio negatoria negativ dahin umschrieben werden könne, daß sie nicht in der Entziehung des Besitzes bestehe17, doch die die actio negatoria regelnden Entwurfsbestimmungen 18 drücken sich dennoch positiv aus. Der sich noch eng an die alte Auffassung der actio negatoria 19 anlehnende § 205 des Vorentwurfs setzt voraus, daß der Beklagte durch sein Verhalten genügenden Anlaß zu der Annahme gebe, daß er sich ein Recht an dem Grundstück des Klägers zuschreibe. Der über diese enge Voraussetzung hinausgehende § 206 sagt, daß der Beklagte durch sein Verhalten genügenden Anlaß zu der Annahme geben müsse, daß er sich „nachbarliche Befugnisse, die ihm nicht zustehen, anmaße oder derartigen Befugnissen des Klägers seine Anerkennung versage". Und § 207 schließlich verlangt für eine Unterlassungsklage schlicht rechtswidrige Handlungen des Beklagten. — Die Behauptung eines Rechts also, die rechtswidrige Anmaßung nachbarlicher Befugnisse, die Nicht-Anerkennung von Befugnissen des Klägers und rechtswidrige Handlungen sind Störungen fremden Eigentums, die die actio negatoria auslösen. Demgegenüber ist in den Motiven zwar von einem „Zustand" die Rede, der durch den Willen einer anderen Person aufrechterhalten werde und der das „Analogon" des dem Inhalt des Eigentums widerstreitenden Besitzstandes bilde, also das „Analogon" der bei der Vindikation bestehenden Beeinträchtigung durch Besitzentzug20, doch entscheiden sich 1. und 2. Kommission, offenbar 15
Ebd. S. 236 (unter 3); zurückgehend auf Jakobs/Schubert ebd. (Fn. 13). Oben 2. Kap. § 2 vor Fn. 3; Mugdan I I I S. 237 (unter 4a). 17 Oben bei Fn. 9; s. auch Windscheid-Kipp I § 198 zu Beginn. 18 Vgl. die bei Schubert ebd. (Fn. 3) S. 48, 49 abgedruckten Entwurfsbestimmungen. 19 Zum römischen Recht Käser I § 103 II, S. 437/438; zum gemeinen Recht Windscheid-Kipp I § 198 mit Fn. 7,8. Einzelheiten zur Loslösung aus der engen Voraussetzung der Rechtsanmaßung sind noch ungeklärt; zur näheren Untersuchung im römischen Recht müßte untersucht werden, inwieweit sich der Kläger mit den — von der Rechtsanmaßung unabhängigen (s. Käser I § 103 Fn. 57, § 96) — Besitzschutzklagen helfen konnte; ferner sind die oben 1. Kap. Fn. 1 genannten Digestenstellen heranzuziehen. 16
10 Herrmann
146
11. Kap. Bedeutung des § 985 für Haftungsgrundsätze des § 1004
unter dem Einfluß Windscheids, für eine negative Umschreibung des bei der actio negatoria bestehenden Eingriffs. Die Beeinträchtigung muß weniger umfassend sein als bei der Vindikation und daher „ i n anderer Weise als durch "
!
Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes" vorliegen, wie sich übereinstimmend beide Entwürfe ausdrücken 21 ; in dieser Fassung ist die actio negatoria in § 1004 Gesetz geworden. Zur Fassung der Vorschriften läßt sich also zusammenfassend feststellen: Abgesehen von dem eine spezielle Eigentumsstörung umschreibenden § 205 des Vorentwurfs sind die übrigen von Johow geschaffenen Bestimmungen (§§ 206 f) allgemein gehalten (Nicht-Anerkennung von Befugnissen, rechtswidrige Handlungen); eine unmittelbare Verbindung mit dem Tatbestand der rei vindicatio weisen die Vorschriften des Vorentwurfes nicht auf. Dagegen lassen 1. und 2. Entwurf sowie § 1004 BGB wegen der Bezugnahme auf die rei vindicatio erkennen, daß der Unterschied in dem beide Rechtsbehelfe auslösenden Eingriff gesehen wird. D. I m ganzen tritt in den Gesetzesvorarbeiten der Gedanke der Gleichheit von Ziel und Grund der Ansprüche klar zutage. Die Unterschiedlichkeit besteht lediglich in der näheren Beschaffenheit des Eigentumseingriffs, der einmal im Besitzentzug, einmal in allen sonstigen denkbaren Störungen liegt. Sowohl Einheit als auch Differenz der beiden Rechtsbehelfe kommen in der Fassung des § 1004 BGB zum Ausdruck.
§ 3 Folgerungen des Schrifttums Aus der Verwandtschaft der actio negatoria mit der Vindikation glaubt ein Teil der Wissenschaft Konsequenzen für die Bestimmung des Störers nach § 1004 herleiten zu können 22 . Einmal soll die Vindikation belegen, daß die Kausalität im Bereich der actio negatoria verfehlt sei 23 ; zum anderen soll sich auch positiv das maßgebende Störerkriterium für § 1004 aus § 985 ergeben 24. Folgerungen aus der rei vindicatio finden sich zuerst bei Stoll. Stoll ist der Ansicht, daß die „Handlungshaftung" und demgemäß die Kausalität eine 20 21
Oben vor Fn. 15. Vgl. § 943 E I, § 916 E I I (s. Mugdan oben Fn. 4, 5).
22 Stoll AcP 162 (1963), 203,220 2. Absatz ff., 224 unten/225; Wetzel S. 115 mit Fn. 1, S. 116, auch 122 unten; Picker S. 53 2. Absatz, 54,27/28; ihm folgend Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 72; Pinger S. 188 ff., 191 2. Absatz, 192 2. Absatz; Olzen S. 18 1. Absatz. 23 Stoll ebd. S. 223 mit Fn. 83 („Phantom der Handlungshaftung"), 224 mit Fn. 85, 225; Picker S. 27 3. Absatz, 28 1. Absatz, 30ff., 53 2. Absatz, 54; Pinger S. 188 ff., 191 2. Absatz; Olzen S. 14ff., 18 1. Absatz, 22 2. Absatz; Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 72; umgekehrte Folgerungen zieht aus § 985 Schmidt S. 11 ff., dazu oben 3. Kap. § 4 C I; generell gegen Kausalität auch Heinze S. 65-74. 24 Stoll, Picker, Gursky, Wetzel jeweils ebd.; Pinger S. 190 1. Absatz, 191 2. Absatz.
§ 3 Folgerungen des Schrifttums
147
„fragwürdige Rechtsfortbildung praeter legem" darstelle und daß der „legitime Bereich der Eigentumsfreiheitsklage" die Zustandshaftung sei 25 . Die negatorische Haftung werde begründet durch eine in fremdes Eigentum übergreifende Willensherrschaft als solche, häufig also durch ein „Gesamtverhalten". So sei beispielsweise nicht der Veräußerer eines Grundstücks, auf dem sich eine von ihm errichtete Dunganlage befinde, Störer, sondern der Erwerber, weil er die Anlage halte. Haftungsgrund sei das in den fremden Herrschaftsbereich unmittelbar eingreifende oder das diesen Herrschaftsbereich bedrohende „Gesamtverhalten" des Haltens der Anlage, kein ursächlicher Einzelakt 26 . Die Entlastung des Veräußerers von seiner negatorischen Haftung sei ebenso selbstverständlich wie das Entfallen der Vindikationshaftung des Besitzers bei Aufgabe des Besitzes. Auch dort sei derjenige, der den Besitzverlust des Eigentümers verursacht habe, ohne Rücksicht auf ein Verschulden nicht verpflichtet, dem Eigentümer die Sache wiederzubeschaffen. Zu diesem Ergebnis käme man aber, so Stoll, wollte man § 985 in gleicher Weise wie § 1004 verfalschen und auch in § 985 eine „Handlungshaftung" hineinlesen27. Ebenso basiert die Auffassung Wetzeis von den Voraussetzungen der Störerhaftung auf einer von ihr angenommenen „Parallele" des § 1004 zu § 985 28 . Ähnlich wie Stoll glaubt sie, daß wie im Falle des § 985 das „tatsächliche Haben" des Grundstücks, auf dem die Störungsquelle liegt 2 9 , die „Herrschaft" 30 über das gestörte Grundstück — etwa durch ein Sich-Aufhalten auf dem fremden Gebiet, durch Ablagerung von Sachen oder durch Immissionen von Anlagen — die Störereigenschaft begründe. Auch Pinger und Gursky leiten aus § 985 für § 1004 eine Zustandshaftung ab 3 1 . Beide Ansprüche seien eng „verwandt" 3 2 , ihnen liege eine im wesentlichen gleiche Art der Eigentumsstörung zugrunde 33 . Bei § 985 aber sei es, so sagt Gursky 3 4 , offensichtlich, daß er keine Folgenbeseitigungspflicht für ein Verhalten anordne. Wer den Besitzverlust verursache, werde durch § 985 nicht zur 25 Stoll ebd. S. 223 2. Absatz; s. ferner Stoll ebd.: „Kausalitätsdogma", ebd. S. 224 oben: „kausale Handlungslehre". 26 Stoll ebd. S. 224. 27
Stoll ebd. S. 224 unten, 225 (Anführungszeichen bei „Handlungshaftung" von Stoll); von „Verfälschung" spricht auch Picker S. 61. 28 Wetzel S. 115. 29 Ebd. S. 121 2. Absatz. 30 Ebd. S. 119 letzter Absatz, 120 1., 2. Absatz, 121 1. Absatz, 2. Absatz aE; s. die als Ausgangspunkt gewählten Beispiele S. 117/118; für „Herrschaft" auch Heinze S. 77, 78, 79, 103, 107. 31 Pinger S. 188ff., 189 letzter Absatz, 190 1., 3. Absatz, 192 2. Absatz; StaudingerGursky § 1004 Rdnr. 72. 32 Gursky ebd. 33 Pinger S. 188 2. Absatz. 34
10*
Gursky ebd.
1 4 8 1 1 . Kap. Bedeutung des § 985 für Haftungsgrundsätze des § 1004
Wiederbeschaffung verpflichtet; für diese Vorschrift sei es gleichgültig, wodurch der Besitzverlust des Eigentümers entstanden sei. Allein die Tatsache der Innehabung des Besitzes, die Herrschaftsausübung, begründe die Vindikation. Ähnlich meint Pinger 35 , § 1004 stelle ebenso wie § 985 eine Zustandshaftung dar, die durch einen Widerspruch zur Güterzuweisung des Eigentums entstehe. Picker gewinnt aus der vindikatorischen Haftung ein Argument gegen die Kausalität und findet sein Störerkonzept der Rechtsusurpation 36 durch § 985 bestätigt. Er ist der Ansicht 3 7 , Motive und Formulierung des Gesetzes zeigten, daß die Gesetzesverfasser in § 1004 dem „Wesen", der „juristischen Eigenart" nach die gleiche Form der Eigentumsverletzung wie in § 985 hätten regeln wollen, daß lediglich die „äußere Erscheinung" des Verletzungstatbestandes in § 1004 eine andere sei 38 . In dem dem § 985 analogen Tatbestand, bei der nur gesetzestechnisch aus § 1004 ausgeklammerten Beeinträchtigung durch Besitzentzug, liege das Kriterium der negatorischen Beeinträchtigung, die das fremde Recht usurpierende Position des Gegners. Bei § 985 sei es evident, daß die Beeinträchtigung nicht allein in dem durch den Verletzten erlittenen Nachteil liege. Denn nicht der Nachteil, der Verlust des Besitzes als solcher, begründe die Vindikation, sondern erst die Inanspruchnahme des fremden Eigentums, der Umstand, daß der Besitzer die dem Eigentümer zukommende Position einnehme. Entsprechend erlösche der Herausgabeanspruch nach § 985 nicht erst dann, wenn der Berechtigte den Besitz zurückerlange, sondern es genüge, daß der Gegner aufhöre, Besitzer zu sein, so daß der Zustand der Rechtsusurpation entfalle 39 .
§ 4 Stellungnahme A. U m eine präzise Deduktion der Haftungsgrundsätze des § 1004 aus § 985 handelt es sich bei den dargelegten Auffassungen nicht. Ohne weiteres lassen sich daher die in negativer wie positiver Hinsicht gezogenen Schlüsse nicht verfolgen. Im Kern aber handelt es sich um folgende Überlegungen: Es wird angenommen, daß § 1004 und § 985 den gleichen Störungstatbestand voraussetzten, daß also die Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 prinzipiell gleichzusetzen sei mit der Störung des Besitzentzuges nach § 985. Daraus wird gefolgert, daß der Gegner des § 1004 nach demselben Haftungsaspekt wie der Gegner der Vindikation bestimmbar sei. Offenbar wird die Gleichheit der Verletzungstatbestände wiederum aus demselben Schutzzweck der Vorschriften hergeleitet.
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Pinger S. 190 1. Absatz, 191 2. Absatz. Dazu oben 6. Kap. 37 Picker S. 54. 38 Ähnlich Wetzel S. 149, ihr folgend Pinger S. 191 unten: Die Handlung sei nur .Erscheinungsform" der Beeinträchtigung, nicht aber Haftungsgrund. 39 Picker S. 54. 36
§4 Stellungnahme
149
Dieser letztere Gedanke, wonach, da beide Rechtsbehelfe Eingriffe in das Eigentum abwehren wollen, auch der Eingriff selbst jedenfalls „dem Wesen nach" gleich sei, ist ohne weiteres zu widerlegen; er ist offenkundig unzutreffend, denn Eigentumsverletzungen können eben auf verschiedene Weise erfolgen; die §§ 985 und 1004 sowie die längeren Überlegungen der Gesetzesschöpfer (oben § 2) bezeugen dies. Ferner aber ist die genannte Gleichsetzung der Verletzungstatbestände selbst, auf welchen Gründen sie auch beruhen mag, generell nicht richtig, so daß die daraus hergeleitete Gleichheit der Haftungsgrundsätze der §§ 985 und 1004 auf einer falschen Prämisse beruht. Die geschilderte Auffassung geht davon aus, daß § 1004 sich ebenso wie § 985 gegen einen „Zustand" richte, daß also die Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 gleichzusetzen sei mit einem störenden Zustand ähnlich der Besitzinnehabung des §985. Aus dieser Gleichsetzung werden Haftungsgrundsätze der actio negatoria abgeleitet und angenommen, daß danach derjenige hafte, der den „Zustand" „innehabe", ebenso wie nach § 985 derjenige verantwortlich sei, der den Besitz einnimmt. Auf dieser Grundlage gelangen die betreffenden Autoren zum Haftungskriterium des „Gesamtverhaltens", der „Herrschaft" (Stoll, Wetzel), der „Herrschaftsausübung" (Gursky) und der „Rechtsusurpation" (Picker); des weiteren leiten die betreffenden Autoren aus der von ihnen vorausgesetzten Parallelität der Verletzungstatbestände die Ablehnung des Kausalprinzips für § 1004 her. Dem ist folgendes entgegenzuhalten: Es wird nicht mitgeteilt, worin dieser nach § 1004 angeblich bestehende „Zustand" im einzelnen besteht, welcher Qualität er ist und inwiefern er der Besitzinnehabung des § 985 gleichkommt, was also mit anderen Worten das Kriterium ist, das dem Störungstatbestand „Besitz" und dem negatorischen Beeinträchtigungstatbestand Ähnlichkeit verleiht. Selbst wenn man einmal den von den betreffenden Autoren nicht definierten Begriff des „Zustandes" aufgreift und annimmt, daß damit die Vorstellung des Moments der Dauer der Störung und der engen physischen Sachbeziehung — ähnlich dem Besitztatbestand — verbunden wird, so ist festzustellen, daß die Gleichsetzung von negatorischer Beeinträchtigung und „Zustand" unrichtig ist. Die Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 kann auf verschiedene Weise erfolgen, sie kann, wie sich zeigte (oben 10. Kap. I 2a), in störenden Handlungen und Sachen jeweils unmittelbar im fremden Eigentumsbereich bestehen sowie in Immissionen, also in Störungen, die von außen auf das Grundstück einwirken. Diese Unterschiedlichkeit der Eingriffe war es auch gerade, die den Gesetzgeber von einer näheren Umschreibung des Beeinträchtigungsmerkmals in § 1004 abgehalten hat. Die Gleichsetzung der Störungen dieser Vorschrift mit der Störung des § 985 ist daher jedenfalls in genereller Form nicht richtig. Der Ansicht, daß sich die Verletzungsformen der beiden Bestimmungen lediglich in der „äußeren Erscheinung" unterschieden, kann nicht gefolgt werden. Ein innerer, substantieller und ein nur äußerer Gehalt der Eigentumsverletzung existieren nicht; der Besitzentzug stellt einen anderen
1 5 0 1 1 . Kap. Bedeutung des § 985 für Haftungsgrundsätze des § 1004
Sachverhalt dar als etwa störende Rauchimmissionen. Damit entbehren die aus der „Verwandtschaft" 40 „Wesensgleichheit"41 oder „Parallelität" 42 abgeleiteten Haftungsgrundsätze des Fundaments: Die Folgerung, daß Störer sei, wer eine „Herrschaft" ausübe, ein „Gesamtverhalten" an den Tag lege oder fremdes Eigentum „usurpiere", generell aber nicht, wer kausal für die Störung werde, beruht auf einer unrichtigen Voraussetzung und kann daher nicht zutreffend sein. Es ist insoweit an das oben (lO.Kap. 1 1 , 3 ) Ausgeführte anzuknüpfen: Verschiedene Sachverhalte können rechtlich nicht gleichbehandelt werden. Die Beeinträchtigung des § 985 besteht in der Vorenthaltung des Besitzes; diese Beeinträchtigung fallt gerade nicht unter die actio negatoria (oben 10. Kap. I I I 2b). Damit erübrigt sich auch ein Eingehen auf das Argument, daß § 985 die Haftung an die Kausalität nicht binde und daß damit das Kausalkriterium auch für § 1004 nicht in Betracht komme. Die Kausalität ist für die Vindikation deshalb nicht entscheidend, weil Störungsquelle die Innehabung des Besitzes des fremden Eigentums ist; demnach haftet, wer den Besitz ausübt, unabhängig von der Frage, wie der Betreffende zu dem Besitz gelangt ist. Die Tatsache, daß die Haftung nach §985 mit Besitzverlust endet, ist eine Eigenheit dinglicher Ansprüche; diese entfallen grundsätzlich, wenn der Verpflichtete nicht leisten kann. Dieselbe Folge ist auch auf der Grundlage der Kausalität denkbar. B. Zusammenfassend läßt sich also feststellen: Aus demselben Schutzzweck von § 985 und § 1004 ergeben sich nicht auch gleiche Haftungskriterien. Die angenommene „Wesensgleichheit" der Beeinträchtigungstatbestände der beiden Bestimmungen, die in einem rechtswidrigen „Zustand" bestehen soll, beruht auf nicht präzisierten, vagen Vorstellungen. Die hierauf basierende Gleichsetzung des Beeinträchtigungstatbestandes des § 1004 („Zustand") mit der Störung der Besitzvorenthaltung nach § 985 geschieht zu Unrecht; die Störungen der actio negatoria sind gerade anderer Art als diejenigen der Vindikation. Auf der Grundlage dieser unzutreffenden Gleichsetzung gelangt die vorgetragene Ansicht zu unrichtigen Schlüssen über die Störergrundsätze des § 1004. Folgerungen für die Haftungsvoraussetzung der actio negatoria lassen sich aus § 985 weder in positiver noch in negativer Hinsicht ableiten; § 985 spricht also nicht gegen die hier prinzipiell für richtig befundene Anwendung des Kausalprinzips in Fällen, in denen Störungsquelle ein Handeln ist (oben 10. Kap. I 3).
40 41 42
Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 72. Picker S. 54, 27 unten. Wetzel S. 115 (unter b).
12. Kapitel: Die negatorische Haftung für Anlagen, Gebäude und andere Werke gem. §§ 907, 908 BGB § 1 Einleitung Der Gesetzgeber hat in den §§ 907 und 908 BGB zwei spezielle negatorische Ansprüche geschaffen, die gegenüber dem allgemeinen Anspruch aus § 1004 BGB Besonderheiten aufweisen. Sie befassen sich nicht wie dieser mit Beeinträchtigungen des Eigentümers schlechthin, sondern mit besonderen Arten von Störungen, nämlich in § 907 mit Störungen durch Anlagen, in § 908 mit Störungen durch Gebäude und andere Werke. Die beiden Vorschriften regeln also die sog. Mischfälle, in denen die Störung durch zwei Faktoren, Handlungen und Sachen, hervorgerufen wird (oben 10. Kap. I 2b): § 907 befaßt sich mit Störungen von Anlagen, deren Bestand oder deren Benutzung eine unzulässige Einwirkung zur Folge hat. M i t dieser Kennzeichnung der Störungsursachen erfaßt § 907 also einmal Störungen durch selbstwirkende Anlagen („Bestand"), d.h. solche Störungen, bei denen die Handlung lediglich in der Errichtung der Anlage besteht, die Störung im übrigen aber von der bloßen Existenz der Anlage ausgeht. Zum zweiten erfaßt sie Anlagen, die ohne Bedienung ihre Aufgabe nicht erfüllen können („Benutzung"), bei denen Grundlage der Störung somit das Zusammenwirken von Handeln und Anlage ist. — § 908 enthält einen Anspruch auf Abwehr von Gefahren, die durch den Einsturz eines Gebäudes oder eines anderen Werkes oder durch die Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder anderen Werkes hervorgerufen werden. Damit regelt die Vorschrift, anders als § 907, nur die eine Spielart der sog. Mischfalle, bei der sich das Handeln im Errichten des Gebäudes oder Werkes erschöpft, die Störungen aber ihren Ausgang von der Sache selbst nehmen. Wegen dieser in den beiden Regelungen speziell erfaßten Störungsarten liegt, wie bereits festgestellt (oben 9., 10. Kap. I I I 2a), die Frage nahe, ob die Vorschriften Aussagen über den negatorischen Gegner enthalten und ob der dortigen Bestimmung des Gegners allgemeine Grundsätze zu entnehmen sind, die sich auf die actio negatoria des § 1004 übertragen lassen. Diese Frage kann nur beantwortet werden, wenn die Störerkriterien der §§ 907,908 feststehen. Da sich diese weder zweifelsfrei aus den Vorschriften selbst ergeben noch insoweit ausreichende Interpretationen durch Wissenschaft und Judikatur vorliegen, hat die vorliegende Untersuchung die Haftungsvoraussetzungen der beiden Bestimmungen zu klären (unten §§ 5,6). Die Notwendigkeit dieser Aufgabe soll durch Darlegung des gegenwärtigen Standes der Erarbeitung der §§ 907 und.908 näher gerechtfertigt werden (unten § 4). Zuvor jedoch bedarf es eines Überblicks über
152
12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
den wesentlichen I n h a l t der beiden Vorschriften (unten § 2) u n d einer kurzen Skizzierung ihres Verhältnisses zu § 1004 (unten § 3).
§ 2 Überblick über die Regelung der §§ 907, 908 BGB A. Die Regelung des § 907 BGB § 907 I B G B enthält drei verschiedene Anspruchsgrundlagen 1 . W ä h r e n d die Vorschrift einen differenzierten Störungstatbestand aufstellt u n d genaue Rechtsfolgen anordnet, nennt sie für keinen der Ansprüche den Gegner. D i e Voraussetzungen der jeweiligen Ansprüche lassen sich der Bestimmung wegen der nicht geglückten Gesetzestechnik ohne nähere Interpretation nicht entnehmen. Die beiden Sätze des § 907 I müssen, o b w o h l sie dem äußeren Anschein nach voneinander unabhängige Tatbestände schaffen, i m Zusammenhang gelesen werden. Dabei ergibt sich, daß der I n h a l t der Ansprüche davon abhängt, ob die A n l a g e 2 nur erst geplant oder schon errichtet ist, u n d ferner davon, ob sie landesgesetzlichen Vorschriften entspricht, die einen bestimmten A b s t a n d v o n der Grenze oder sonstige Schutzmaßregeln vorschreiben 3 . § 9071 schafft i n Satz 1 zunächst zwei Ansprüche; für den einen dieser beiden Ansprüche stellt er dann i n Satz 2 eine zusätzliche Voraussetzung auf, die dazu führt, daß der I n h a l t des Satzes 1 teilweise modifiziert w i r d . N a c h Satz 1 k a n n 1
Alle Ansprüche des § 907 I sind bei Vorliegen einer nach BImSchG genehmigten Anlage (s. §§ 4ff. BImSchG) gem. § 14 BImSchG (früher § 26 GewO) beschränkt auf Schaffung von Vorkehrungen, die die Einwirkungen ausschließen. Die Bestimmung führt dazu, daß § 907 I den nach § 1004 I möglichen Rechtsfolgen gleichkommt. Zu den genehmigungsbedürftigen Anlagen s. § 4 BImSchG und den Anlagenkatalog in der 4. (vom 14. 2. 1975, BGBl. I S. 499) und 13. VO (vom 22. 6. 1983, BGBl. I S. 719) über genehmigungsbedürftige Anlagen. 2
Zum Begriff der Anlage unten § 5 B. Über den Inhalt dieser Vorschriften besteht keine Klarheit. Zunächst steht fest, daß § 90712 sowohl privatrechtliche als auch öffentlichrechtliche (ζ. B. polizei-, baurechtliche) Landesbestimmungen meint; dies belegen schon die Prot. Mugdan I I I S. 603 2. Absatz (s. auch MK-Säcker § 907 Rdnr. 15; Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 19; Soergel-Baur § 907 Rdnr. 11). Privatrechtliche Landesgesetze sind die gem. Art. 124 EGBGB neben dem BGB geltenden Vorschriften; eine Zusammenstellung findet sich bei Palandt-Bassenge Art. 124 EGBGB Anm. 2, 3. Auf bundesgesetzliche öffentlich-rechtliche Vorschriften (ζ. B. BBauG) muß § 907 I 2 analog angewendet werden (so auch MK-Säcker § 907 Rdnr. 16; Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 20 aE); man wird daher das BImSchG, das Regelungen über die Genehmigung bestimmter Anlagen enthält, auf § 907 BGB anwenden müssen. Ungeklärt ist das Schutzziel der Vorschriften iSd § 907 I 2 (Nachbarschutz oder anderer Schutzzweck, z.B. Grundwasserschutz), s. dazu die hier angegebenen Nachw., ferner Beutler ebd. Rdnr. 17; RGRK-Augustin § 907 Rdnr. 12; Hinweise geben die Prot. Mugdan I I I S. 603 2. Absatz [eher iS einer allgemeinen Gesetzestreue der Anlage; da heute nahezu alle baulichen Einrichtungen bestimmten gesetzlichen Anforderungen genügen müssen (BBauG, BauNVO, BImSchG), bliebe bei dieser Interpretation für § 90711 2. Fall kaum noch Raum]. 3
§ 2 Überblick über die Regelung der §§ 907, 908 BGB
153
der Eigentümer verbieten, daß auf den Nachbargrundstücken 4 Anlagen hergestellt werden, von denen mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß sie unzulässige Einwirkungen 5 zur Folge haben werden (§907 I I I . Fall). Er kann ferner verlangen, daß Anlagen, die schon errichtet sind, von denen aber noch keine unzulässigen Einwirkungen ausgegangen sind, beseitigt werden, wenn ebenfalls mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß diese eintreten werden (§ 907 1 1 2. Fall). Satz 2 der Vorschrift lautet, daß dann, wenn die Anlage landesgesetzlichen Vorschriften entspricht, die einen bestimmten Abstand von der Grenze oder sonstige Schutzmaßregeln vorschreiben, dem Eigentümer ein Recht auf Beseitigung der Anlage erst zusteht, wenn die unzulässige Einwirkung tatsächlich hervorgetreten ist. Zunächst steht auf Grund des Zusammenhangs dieser beiden hier wiedergegebenen Sätze des § 907 I fest, daß für den Anspruch auf Beseitigung der schon errichteten Anlage danach zu differenzieren ist, ob die Anlage den genannten landesgesetzlichen Vorschriften entspricht oder nicht. Ist dieses nicht der Fall, besteht ein Anspruch auf Beseitigung der Anlage bereits, bevor unzulässige Einwirkungen entstanden sind (§ 907112. Fall). Entspricht dagegen die Anlage diesen Vorschriften, so greift der Anspruch nur unter der zusätzlichen Voraussetzung ein, daß unzulässige Einwirkungen vorliegen 6 . In diesem letzteren Fall der Übereinstimmung der Anlage mit landesgesetzlichen Regelungen wird die nach § 90711 anzustellende Prognose (sichere Vorhersehbarkeit) also überflüssig; sie gilt für § 907 I 2 nicht 7 . Das Gesetz will sich hier also auf eine bloße Vorhersage nicht verlassen, sondern sieht die für den Verpflichteten einschneidende Rechtsfolge bei Anlagen, die mit landesgesetzlichen Bestimmungen in Einklang stehen, erst dann als gerechtfertigt an, wenn sich tatsächlich erweist, daß die Nachbargrundstücke unzulässigen Einwirkungen ausgesetzt sind 8 .
4
Zu Nachbargrundstücken iSd § 907 gehören nach allg. M . nicht nur die unmittelbar angrenzenden Grundstücke, sondern alle Grundstücke, die im Einwirkungsbereich der Anlage liegen, s. MK-Säcker § 907 Rdnr. 6; Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 4 mit Nachw. aus der Rspr. Damit ist der in § 907 enthaltene Begriff der „Nachbarschaft" aufgegeben, was aber angesichts des Schutzzweckes der Vorschrift zu billigen ist. 5 Zu diesem Begriff unten § 3 Β I. 6 Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 17; MK-Säcker § 907 Rdnr. 15; Erman-Hagen § 907 Rdnr. 6 fassen S. 2 des § 9071 als Ausnahme von S. 1 auf; auch die Prot. Mugdan I I I S. 603 2. Absatz bezeichnen die Regelung des S. 2 als Ausnahme. Ein solches Regel-AusnahmeVerhältnis besteht nur der äußeren Fassung nach, sachlich ergeben sich die Voraussetzungen des § 90711 2. Fall erst unter Heranziehung des S. 2. Die Gesetzestechnik ist insofern ein wenig umständlich, was darauf zurückzuführen ist, daß S. 2 nachträglich durch die 2. Kommission in die Vorschrift eingefügt wurde, s. §§ 864 E I, 821 E I I (abgedruckt bei Mugdan I I I S. XVIII); Prot. ebd. S. 601/602 (Antrag 1), 603 2. Absatz. 7 Anders offenbar MK-Säcker § 907 Rdnr. 15. 8 Auf den näheren Sinn dieser Regelung kann im vorliegenden Zusammenhang nicht eingegangen werden, s. aber oben Fn. 3.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Die beschriebene Beschränkung des Satzes 2 bezieht sich nach dem Wortlaut der Vorschrift nur auf den Beseitigungsanspruch des Satzes 1, also auf den Fall, daß die Anlage schon errichtet ist (§ 90711 2. Fall), nicht auf den Anspruch auf Unterlassen der Herstellung der Anlage (§ 907 1 1 1. Fall) 9 , denn es heißt dort, daß „die Beseitigung der Anlage erst verlangt werden" könne, wenn die unzulässige Einwirkung tatsächlich hervortritt. Demnach ist für den Unterlassungsanspruch nicht danach zu differenzieren, ob die Anlage landesgesetzlichen Vorschriften entspricht oder nicht. Der Eigentümer kann also die Herstellung der Anlage auch dann untersagen, wenn die Anlage jenen Bestimmungen entspricht, ausreichend ist hier die sichere Prognose, daß unzulässige Einwirkungen hervortreten werden. Das Gesetz macht also mit anderen Worten den Anspruch auf Beseitigung einer schon errichteten Anlage davon abhängig, ob landesgesetzliche Vorschriften eingehalten wurden, den Anspruch auf Unterlassung der Herstellung einer erst geplanten Anlage dagegen nicht. Diese Differenzierung wird teilweise für nicht gerechtfertigt gehalten und daher die Beschränkung des Satzes 2 auch auf den Anspruch auf Unterlassen der Herstellung der Anlage bezogen10. Diese Interpretation hat zur Folge, daß der Unterlassungsanspruch nur dann besteht, wenn die geplante Anlage landesgesetzlichen Vorschriften nicht entspricht. Wurden diese Vorschriften nach dem Plan dagegen eingehalten, entfallt nach dieser Auslegung der Anspruch. Der Eigentümer kann nur noch Beseitigung der Anlage verlangen, wenn unzulässige Einwirkungen tatsächlich hervortreten (§ 907 I 2). Da es lediglich Anliegen dieses Abschnittes ist, den wesentlichen Inhalt des § 907 darzustellen, braucht die betreffende Frage nicht entschieden zu werden. Der Interpretation kann allerdings ohne weiteres entgegen gehalten werden, daß die Errichtung einer Anlage, die zwar landesgesetzlichen Schutzbestimmungen entspricht, von der aber mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß sie unzulässige Einwirkungen zur Folge haben wird und daß sie demgemäß ohnehin wieder zu beseitigen ist (§ 90712), nicht sinnvoll ist. Daß der Gesetzgeber daher bei noch nicht errichteten Anlagen die Einhaltung landesgesetzlicher Vorschriften nicht für maßgebend hielt, ist verständlich. Dagegen mögen die Beteiligten, wenn die Anlage ohnehin schon erbaut ist, einmal abwarten, ob sie tatsächlich zu unzulässigen Einwirkungen führen wird (§ 907 I 2).
9
So auch die Prot. Mugdan I I I S. 603 2. Absatz. MK-Säcker § 907 Rdnr. 16; Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 17; Säcker ebd. meint offenbar, daß auch für den Unterlassungsanspruch nach § 10041 2 danach zu unterscheiden sei, ob eine geplante Anlage landesgesetzlichen Vorschriften entspricht oder nicht. Dies ist nicht verständlich, da nach § 100412 ohnehin nur verlangt werden kann, daß die Beeinträchtigung unterbleibt, nicht, daß die Beeinträchtigungsquelle (Anlage) nicht geschaffen wird. 10
§ 2 Überblick über die Regelung der §§ 907, 908 BGB
155
B. Die Regelung des § 908 BGB Für § 908 11 ergibt sich eine gegenüber § 907 umgekehrte Rechtslage: Während er nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen leicht verständlich ist, enthält die Vorschrift besondere Bestimmungen über den Anspruchsgegner durch einen Verweis auf die §§ 836ff. BGB, die ihrerseits eine differenzierte Regelung enthalten. §908 will die Nachbarschaft vor baufälligen Gebäuden schützen. Droht einem Grundstück die Gefahr, daß es durch den Einsturz eines Gebäudes oder sonstigen Werkes 12 , das mit einem Nachbargrundstück 13 verbunden ist, oder durch die Ablösung von Teilen des Gebäudes oder Werkes beschädigt wird, so kann der Eigentümer des bedrohten Grundstücks verlangen, daß Vorkehrungen zur Abwendung der Gefahr geschaffen werden. Die Bestimmung ergänzt die schadensersatzrechtliche Regelung der §§ 836 ff in negatorischer Hinsicht. Die §§ 836 setzen voraus, daß sich die in § 908 beschriebene Gefahr verwirklicht hat, das Gebäude oder Werk also eingestürzt ist oder sich Teile davon gelöst haben und Schäden entstanden sind. M i t dieser schon im Schuldrecht bei Schaffung der §§ 836 ff. erwogenen Regelung des §908 1 4 , die erst durch die mit dem Sachenrecht befaßte 2. Kommission ins Gesetzbuch aufgenommen wurde 1 5 , wollte der Gesetzgeber erreichen, daß der Eigentümer des bedrohten Grundstücks nicht erst den Schaden hinnehmen muß, um dann dessen Ersatz zu verlangen, vielmehr sollte er in die Lage versetzt werden, den Schaden zu verhindern 16 .
11
Die Vorschrift geht auf die römische cautio damni infecti zurück, s. Mot. Mugdan I I S. 455 1. Absatz (zu §§836 ff. BGB); danach konnte der Grundeigentümer eines Nachbargrundstückes, von dem Schäden durch Einsturz des Nachbargebäudes oder durch Anlagen drohten, Sicherheit für die Ersatzleistung für den Fall künftiger Schäden verlangen, s. Käser I § 98,7, S. 407f.; zum gemeinen Recht Windscheid-Kipp I I §§ 458 ff.; s. auch v. Bar JZ 1979, 332, 333 l.Sp. (unter 2b); Wolff-Raiser § 53 V. 12
Zum Begriff des Gebäudes und anderen Werkes unten § 6 Β II. Hier ist der Begriff anders als in § 907 (s. oben Fn. 4) im eigentlichen, engen Sinne zu verstehen, da Gefahren iSd § 908 von nicht unmittelbar angrenzenden Grundstücken nicht drohen können. 13
14
Sie war von der Vorkommission des Reichsjustizamtes vorgeschlagen und in der 2. Kommission beantragt (Struckmann) worden, wurde jedoch abgelehnt, s. Jakobs/Schubert, Beratungen, Schuldverhältnisse III, S. 991 (unter II), 992 oben (Vorkommission); ebd. S. 995 oben (2. Kommission). Vorbild waren Art. 68 des schweizerischen OR von 1881/83 und der Gegenentwurf von Bähr §809 (s. Jakobs/Schubert ebd. S. 992 oben, 995 oben; die Beratungen der Vorkommission fanden 1892 statt, s. Jakobs / Schubert ebd. S. 990). Eine dem § 908 BGB entsprechende Vorschrift ist der heute geltende Art. 59 I schweizerisches OR von 1911/12. 15 Vgl. § 822 E II, abgedruckt bei Mugdan I I I S. X V I I I ; Prot. ebd. S. 603 unten, 604, beantragt als § 864 a. 16 Vgl. Prot. Mugdan I I I S. 604 (Absatz vor III); ferner Denkschrift ebd. S. 973 3. Absatz.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Der Anspruch nach § 908 ist gegen denjenigen zu richten, der nach den §§ 836, 837 und 838 für den Schaden verantwortlich sein würde. M i t diesem Verweis nimmt sich die Vorschrift, anders als § 907, der den Gegner nicht nennt, und anders auch als § 1004, der den Anspruchsverpflichteten nur global als „Störer" bezeichnet, einer detaillierten Bestimmung des Störers an. Die mit § 908 befaßte 2. Kommission meinte anläßlich eines Antrags, auf die ausdrückliche Bezeichnung des Abwendungspflichtigen zu verzichten 17 , es gehe nicht an, den Gegner der Klage unbestimmt zu lassen18. Da §908 den Tatbestand der §§ 836ff. aufnimmt, bot es sich an, auch wegen des Verpflichteten an die Regelung der schuldrechtlichen Vorschriften anzuknüpfen. Ihr wird sich die vorliegende Arbeit im einzelnen widmen müssen (unten § 6).
§ 3 Das Verhältnis der §§ 907, 908 BGB zu § 1004 BGB A. Einleitung Den §§ 907 I 1, 908 kommt eine präventive Aufgabe zu. Darin liegt ihre Bedeutung. Sie wollen nicht gegenwärtig bestehende Störungen beseitigen, sondern verhindern, daß künftige Störungen entstehen. Hinsichtlich dieses vorbeugenden Charakters gleichen sie dem allgemeinen negatorischen Unterlassungsanspruch des § 10041 2, gehen aber nach Tatbestand und Rechtsfolge im präventiven Schutz weiter als dieser. — § 907 I 2 dagegen, der voraussetzt, daß Einwirkungen schon einmal zutage getreten sind, kann je nach Fallage unterschiedliche Ziele verfolgen. Bei gegenwärtig andauernden Störungen stellt er einen Beseitigungsanspruch dar, bei erst künftig wieder eintretenden einen Unterlassungsanspruch. — Zunächst sind die §§907 I 1 und 908 nach Tatbestand und Rechtsfolge § 100412 gegenüberzustellen (unten B), sodann ist § 907 I 2 mit den beiden Ansprüchen des § 1004 I zu vergleichen (unten C). B. Das Verhältnis der §§ 907 I 1, 908 BGB zu § 1004 I 2 BGB /. Tatbestände 1. Während nach § 100412, jedenfalls nach seiner ursprünglichen Konzeption, die Beeinträchtigung schon einmal eingetreten sein muß („Besorgung weiterer Beeinträchtigungen"), setzen dieses die §§ 9071 1,908 nicht voraus. Es ist lediglich notwendig, daß die Beeinträchtigung bevorsteht. § 907 I 1 bringt dieses Erfordernis zum Ausdruck, indem er eine sichere Vorhersehbarkeit der Einwirkungen verlangt, § 908, indem er eine drohende Gefahr voraussetzt. Der Präventivcharakter dieser Bestimmungen ist also stärker ausgeprägt als der des 17 18
Prot. ebd. S. 604 oben (Unterantrag 2). Ebd. S. 604 (vor III).
§ 3 Verhältnis der §§ 907, 908 BGB zu § 1004 BGB
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§ 1004 I 2. Nach heute in Lehre und Rechtsprechung für richtig befundener Deutung braucht der Eigentümer nach § 1004 I 2 entgegen dem Wortlaut der Vorschrift eine erste Beeinträchtigung jedoch nicht abzuwarten. Eine bereits eingetretene Störung wird nur als Indiz für das Drohen weiterer Beeinträchtigungen gewertet, als ausreichend für den Anspruch wird dagegen eine hinreichend nahe bevorstehende Beeinträchtigung angesehen19. Somit unterscheiden sich die §§ 907, 908 vom Unterlassungsanspruch des § 1004 I 2 insoweit nicht mehr. 2. Fraglich aber ist, inwieweit sich die drei Vorschriften nach der Art der Störungsquelle und dem Grade der Voraussehbarkeit der zu erwartenden Störung unterscheiden. a) Zunächst zur Störungsquelle. § 1004 I 2 will vor „Beeinträchtigungen" schützen, § 907 vor „Einwirkungen" und § 908 vor „Schäden". § 907 knüpft mit dem Begriff der „Einwirkung" an die vorangehenden Vorschriften der §§ 903, 904, 905 S. 2 und 906 I, I I 2 an 2 0 , die den Begriff ebenfalls enthalten. Doch während in den §§ 903,904 und 905 S. 2 mit „Einwirkungen" nur die Verletzung des Eigentums durch Eingriffe anderer gekennzeichnet wird, nennt § 906 beispielhaft besondere Fälle von Einwirkungen, nämlich Immissionen wie Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch und so weiter. Insoweit § 907 mit dem Begriff der „Einwirkung" Bezug auf § 906 nimmt, umfaßt er die typischen von einer Anlage ausgehenden Störungen, die gewöhnlich in Immissionen wie Geräuschen, Gerüchen oder Imponderabilien wie Rauch oder Ruß bestehen. Doch wird man den Begriff der Einwirkung in § 907 auf die Einwirkungen im Sinne des § 906 nicht begrenzen dürfen 21 , ebensowenig wie anzunehmen ist, daß die übrigen genannten Vorschriften den Begriff gerade im Sinne des § 906 verwenden. Wenn etwa der den grundsätzlichen Inhalt des Eigentums festlegende § 903 feststellt, daß der Eigentümer andere von jeder „Einwirkung" ausschließen könne, so ist gewiß, daß damit jeder äußere Eingriff in das Eigentum gemeint ist. § 906 trifft lediglich eine besondere Regelung hinsichtlich von nicht-körperlichen Immissionen und Imponderabilien. Der durch § 907 angestrebte Schutz des Eigentums wäre nicht gewährleistet, wären etwa Beeinträchtigungen durch grobe körperhafte Stoffe wie Steinteile, Gewehrkugeln oder Wasser ausgeschlossen. — Somit ist ein Unterschied zwischen Einwirkungen im Sinne des § 907 und den Beeinträchtigungen im Sinne des § 1004 nicht gegeben22. 19 Vgl. etwa MK-Medicus § 1004 Rdnr. 80; Münzberg JZ 1967,689 ff.; Wesel, Festgabe v. Lübtow, S. 787, 799. 20 § 906 I I 1 enthält dagegen den Begriff der „Beeinträchtigung". 21 Nicht deutlich MK-Säcker § 907 Rdnr. 7; Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 6 (unter 3 b); wie hier RGRK-Augustin § 107 Rdnr. 9. 22 Die Probleme sind hier die gleichen wie im Falle der Beeinträchtigung nach § 1004 (s. oben 1. Kap. Fn. 7, 10. Kap. Fn. 2); umstr. ist, ob auch sog. negative und ästhetische Einwirkungen unter § 907 fallen, s. etwa MK-Säcker § 907 Rdnr. 7; Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 7; Soergel-Baur § 907 Rdnr. 8.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Da zwischen einer Beeinträchtigung und einem Schaden grundsätzlich zu unterscheiden ist, entsteht jedoch die Frage, ob § 908 einen anderen Schutzbereich als die §§ 1004 I 2, 907 I hat, da er nicht wie diese Bestimmungen vor künftigen Beeinträchtigungen (Einwirkungen) schützen will, sondern vor künftigen Schäden. Nun ist das differenzierende Merkmal zwischen Beeinträchtigung und Schaden umstritten 23 . Die unterschiedliche Störungsquelle der §§ 1004 I 2, 907 einerseits und des § 908 andererseits wirkt sich jedoch weder praktisch noch theoretisch aus. Eine Aussage über die Differenz von Schäden und Beieinträchtigungen kann jedenfalls insoweit gemacht werden, als jede Beeinträchtigung auch einen Schaden darstellt. Würde also im Falle des § 908 lediglich die Gefahr einer Beeinträchtigung anzunehmen sein, so wäre damit gleichzeitig die Gefahr eines — von § 908 geforderten — Schadens gegeben. Nähme man etwa als eine mögliche Unterscheidung beider Eingriffe an, daß Substanzverletzungen als Schäden, nicht als Beeinträchtigungen einzuordnen sind, so wäre § 908 gegeben, wenn beispielsweise die Kalkschicht der Verputzung eines Gebäudes abblättert und auf das Nachbargrundstück fallt, ohne daß Substanzverletzungen, beispielsweise an dem über das Grundstück führenden Weg, die Folge sind. — Drohen umgekehrt im Falle des § 907, der nur voraussehbare „Einwirkungen" verlangt, Schäden, so gehen hier den Schäden gewöhnlich zunächst Einwirkungen, also Immissionen, voran. In deren Folge können Schäden entstehen, z.B. wenn sich, auf Grund von wiederholten Erschütterungen, die von der Anlage ausgehen, Risse im Nachbargebäude bilden. Ansprüche auf das Unterlassen der Herstellung der Anlage oder des Haltens der Anlage werden somit immer schon rein praktisch gesehen auch bei voraussehbaren Schäden gegeben sein. Aber auch dogmatisch-theoretisch besteht in den abwehrbaren künftigen Störungen der §§ 10041 2, 907, 908 kein Unterschied. Der Störungstatbestand liegt bei erst bevorstehenden Eingriffen in der Gefahr selbst, also darin, daß das Eigentum überhaupt von Eingriffen bedroht ist, sei es nun, daß diese als Beeinträchtigung zu werten sind oder als Schaden. Im Eingriff selbst kann der Störungstatbestand nicht liegen, weil er noch nicht eingetreten ist. Vom Sinn der negatorischen Vorschriften her, die die Freiheit des Eigentums von äußeren Einwirkungen anstreben, genügt es, daß es infolge der Bedrohung mit Eingriffen, gleich welcher Art, beschränkt wird. § 1004 I 2 spricht zwar von der Besorgung von „Beeinträchtigungen", doch müssen auch zu erwartende Schäden abwehrbar sein. Es wäre nicht verständlich, daß etwa ein Anspruch auf Unterlassung von Geräuschimmissionen, die zweifelsfrei als Beeinträchtigung zu werten sind, besteht, dagegen kein Anspruch auf Unterlassen der Vernichtung von Gartenpflanzen. Umgekehrt muß es für einen Anspruch aus § 908 ausreichen, daß vom benachbarten Gebäude Einwirkungen zu erwarten sind, die noch keine Schäden darstellen 24 . Zudem wird sich die Verwendung des 23
Vgl. oben 10. Kap. I 2 a.
§ 3 Verhältnis der §§ 907, 908 BGB zu § 1004 BGB
159
Begriffs des Schadens i n § 908 lediglich damit erklären, daß die Vorschrift sich inhaltlich an die §§ 836 ff., die Ansprüche auf Ersatz v o n Schäden geben wollen, anlehnt (oben § 2 B). — Es mag also rein begrifflich ein Unterschied sein, ob Schäden oder Beeinträchtigungen drohen, für den Präventivschutz k o m m t es darauf jedoch nicht an. b) Hinsichtlich der Voraussehbarkeit der Rechtsverletzung enthalten die Vorschriften verschiedene Formulierungen: § 907 verlangt eine sichere Voraussehbarkeit, § 908 eine drohende Gefahr u n d § 10041 2 die Besorgnis (weiterer) Beeinträchtigungen. Allgemeine Grundsätze zu diesen unterschiedlich umschriebenen Gefahrentatbeständen existieren n i c h t 2 5 . Einzelheiten können hier nicht behandelt werden. D o c h zeigt eine Gegenüberstellung der Bestimmungen, daß die §§ 908, 1004 I 2 an den G r a d der Wahrscheinlichkeit geringere Anforderungen als § 907 stellen 2 6 . Die sichere Vorhersehbarkeit, die § 907 verlangt, setzt, anders als das D r o h e n einer Gefahr (§ 908) oder die Besorgnis v o n Beeinträchtigungen (§ 1004 I 2), Gewißheit voraus, soweit diese a u f hypothetischem Wege erlangbar ist. Die Anforderungen der §§ 908 u n d 100412 an die Wahrscheinlichkeit des Eigentumseingriffs sind demgegenüber geringer; ob das D r o h e n einer Gefahr gem. § 908 einen höheren Wahrscheinlichkeitsgrad verlangt als die bloße Besorgnis gem. § 100412, wie eine erste D e u t u n g anhand des Wortsinns nahelegt, k a n n nur eine genaue Analyse ergeben. 24
So auch für § 1004 I 2 Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 10 zu Beginn. Vgl. zur sicheren Voraussehbarkeit in § 907 etwa: MK-Säcker § 907 Rdnr. 10 (Maß an Wahrscheinlichkeit, das der Sicherheit gleichsteht. Der Grad von Wahrscheinlichkeit, auf Grund dessen nach der Lebenserfahrung im gewöhnlichen Lauf der Dinge von einer wenn auch nur relativen Sicherheit des Eintritts der Einwirkungen gesprochen werden kann); RGRK-Kreft § 907 Rdnr. 7 (wenn nach der Lebenserfahrung mit höchster Wahrscheinlichkeit früher oder später zu erwarten); Soergel-Baur § 907 Rdnr. 9 (entsprechend der Lebenserfahrung relative höchste Wahrscheinlichkeit, nicht bloße, wenn auch hohe Wahrscheinlichkeit); Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 12 (wenn nach der Lebenserfahrung ernsthafter Zweifel nicht bestehen kann, eine der Gewißheit gleichkommende hohe Wahrscheinlichkeit). — Zum Drohen der Gefahr in § 908: MK-Säcker § 908 Rdnr. 2 aE (wenn der Eintritt eines Schadens in nicht allzu ferner Zukunft auf Grund der gegebene!} Verhältnisse objektiv wahrscheinlich ist); Staudinger-Beutler § 908 Rdnr. 5 (wenn die objektiven Umstände einem verständigen und ruhig überlegenden Menschen Anlaß geben, von seinem Abwehrrecht Gebrauch zu machen); Soergel-Baur § 908 Rdnr. 2 aE (genügend, daß das Werk so zur Nachbargrenze steht, daß ein Einsturz usw. eine Beschädigung herbeizuführen geeignet erscheine). — Zur Besorgnis der Beeinträchtigung in § 1004 I 2: MK-Medicus § 1004 Rdnr. 80 (hinreichend nahes Bevorstehen, drohendes Bevorstehen der Gefahr des Eingriffs); Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 27 (drohendes Bevorstehen, ernstliche Bedrohung); RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 103 (nicht bloße Möglichkeit, vielmehr ernster Anlaß zur Besorgnis von Wiederholungen); ders. ebd. Rdnr. 104 (das Drohen unmittelbarer Gefahr von Rechtsgutsverletzungen); Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 76 (drohendes Bevorstehen eines widerrechtlichen Angriffs). — Nachw. aus der Rspr. an den soeben genannten Stellen. — Möglicherweise kann bei der Aufklärung der unterschiedlichen Gefahrenstufen das damit vertraute Polizeirecht hilfreich sein. 25
26 Ebenso MK-Säcker § 907 Rdnr. 1 aE (Verhältnis § 100412/§ 907); ders. § 908 Rdnr. 2 aE; Planck-Strecker § 908 Anm. 2c γ (je zu Verhältnis § 908/§ 907).
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
II. Rechtsfolgen Was die Rechtsfolgen angeht, so kann nach § 1004 I 2 lediglich verlangt werden, daß der Störer die Beeinträchtigung verhindert. Wie er dieses Ergebnis erreicht, bleibt ihm überlassen 27. Demgegenüber bestehen nach § 907 I 1 Ansprüche auf bestimmte Maßnahmen. Der Eigentümer kann fordern, daß die Anlage gar nicht erst errichtet wird (§ 907 I I I . Fall) oder daß sie, wenn sie errichtet ist, wieder beseitigt wird (§ 907 1 1 2. Fall). Die Vorschrift packt das Übel somit bei der Wurzel und verlangt die Verhinderung oder Beseitigung der Störungsquelle. In dieser Rechtsfolge geht § 907 auch über die Regelung des § 908 hinaus. Droht der Einsturz eines Gebäudes oder anderen Werkes, so kann der Eigentümer nach § 908 nur verlangen, daß die bevorstehende Gefahr sich nicht realisieren wird; er kann, wie die Vorschrift sagt, beanspruchen, daß der Gegner die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Vorkehrungen trifft. Es bleibt also dem Gegner überlassen, mit welchen Mitteln er dem Anspruch des § 908 nachkommt 28 . Daß im Einzelfall einmal der Anspruch nicht anders als durch Abriß des Gebäudes oder Werkes erfüllbar ist, wie in der Literatur betont wird 2 9 , ändert am Prinzip nichts. Der Grund dieser unterschiedlichen Rechtsfolgen der §§ 100412,908 einerseits und des § 907 andererseits liegt auf der Hand. Anlagen, die, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen, notwendigerweise mit Störungen verbunden sind, müssen stillgelegt werden, wenn die Störung unterbunden werden soll; sie sind dann ohne praktischen Nutzen, so daß es zweckmäßig ist, sie zu beseitigen. Dagegen kann den beschriebenen Gefahren, die von Gebäuden ausgehen, gewöhnlich abgeholfen werden, ohne daß sie ihre praktische Verwendbarkeit einbüßen; sie können also bestehen bleiben. In der Rechtsfolge gleichen sich § 908 und § 1004 I 2 damit prinzipiell. Zwar spricht § 1004 I 2 nur allgemein von Unterlassung, § 908 hingegen von der Schaffung 27
Vgl. auch etwa Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 25; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 98; RGZ 37,172,174 (Urt. v. 1896, gemeines Recht); BGHZ 29, 314, 317; 67, 252, 253/254; L G Hagen NJW 1953, 266, 267; anders, wenn nur eine bestimmte Maßnahme die Beeinträchtigung verhindern kann, s. Hefermehl, BGHZ 67 jeweils ebd.; dagegen muß in der Zwangsvollstreckung eine konkrete Maßnahme beantragt werden (§§ 887, 888 I, 890 ZPO), s. Hefermehl, L G Hagen jeweils ebd.; ferner RGZ 40, 182, 184 (Urt. v. 1897, gemeines Recht); 60, 120, 121; RG WarnR 1917 Nr. 245, S. 387, 390. 28 Vgl. auch Wolff-Raiser § 53 V aE; MK-Säcker § 908 Rdnr. 5, 8; Erman-Hagen § 908 Rdnr. 1 ; Staudinger-Beutler § 908 Rdnr. 10; auf die Höhe der Kosten kommt es nicht an, s. MK-Säcker § 908 Rdnr. 5 mit Nachw. aus der Rspr. 29 Vgl. Planck-Strecker § 908 Anm. 2d; MK-Säcker § 908 Rdnr. 5; Staudinger-Beutler § 908 Rdnr. 10; Soergel-Baur § 908 Rdnr. 6; RGRK-Augustin § 908 Rdnr. 15. Überhaupt kann der Anspruch des § 908 wie der des § 1004 (s. oben Fn. 27) auf eine bestimmte Maßnahme gehen, wenn nur diese in Betracht kommt. Der Anspruch soll nach einem von der Literatur gebilligten Urteil des BGH entfallen, wenn dem Verpflichteten die möglichen Maßnahmen nicht zugemutet werden können, MK-Säcker § 908 Rdnr. 4, 5; ErmanHagen §908 Rdnr. 1; Soergel-Baur §908 Rdnr. 6; RGRK-Augustin §908 Rdnr. 16; BGHZ 58, 149, 158, 160; dem Eigentümer wird hier ein Entschädigungsanspruch zugebilligt, s. Literatur und BGH ebd.
§ 3 Verhältnis der §§ 907, 908 BGB zu § 1004 BGB
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von Vorkehrungen zur Gefahrabwendung. § 908 konnte die Rechtsfolge gegenüber derjenigen des § 1004 I 2 konkreter fassen, weil die Vorschrift eine ganz bestimmte Störung regelt. C. Das Verhältnis des § 907 I 2 BGB zu § 1004 1 1, 2 BGB I. Tatbestände Da im Falle des § 907 I 2 Einwirkungen schon hervorgetreten sein müssen, kann es sein, daß der Anspruch Beseitigungscharakter wie § 1004 I 1 hat, nämlich dann, wenn es sich um permanente, gegenwärtig bestehende Einwirkungen handelt. Handelt es sich jedoch um Störungen, die mit zeitlichen Unterbrechungen wiederholt auftreten, gleicht § 907 I 2 den Voraussetzungen nach § 100412. Wegen der heute allgemein vertretenen Deutung des § 100412, wonach eine erste Beieinträchtigung nicht notwendig ist 3 0 , enthält § 907 I 2 strengere Voraussetzungen als der allgemeine negatorische Unterlassungsanspruch, aber auch als § 908, der ebenfalls eine schon realisierte Störung nicht verlangt. II. Rechtsfolgen In der Rechtsfolge geht § 907 12 weiter als beide Ansprüche des § 10041. I m Gegensatz zu den allgemeinen Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen, die kein Recht auf Ergreifung bestimmter Maßnahmen geben, kann der Eigentümer gem. § 90712, wie nach § 90711, die Beseitigung der Anlage fordern. In diesem Anspruch auf eine spezielle Maßregel unterscheidet sich die Bestimmung auch von § 908. D. Zusammenfassung zu A-B Die §§ 907, 908 sind wegen ihres Präventivcharakters mit der allgemeinen actio negatoria des § 1004 I 2 vergleichbar. In den Einzelheiten unterscheiden sich die Vorschriften jedoch. Abgesehen von § 907 I 2, der wie § 1004 I 2 eine schon einmal eingetretene Einwirkung verlangt, lag nach der gesetzgeberischen Konzeption die Besonderheit der §§ 907 1 1, 908 gegenüber § 1004 I 2 einmal darin, daß der Abwehranspruch schon dann gegeben ist, wenn ein Eingriff in das Eigentum noch nicht erfolgt ist. A u f Grund der heutigen Interpretation des § 10041 2, nach der eine erste Eigentumsverletzung entgegen dem Wortlaut der Vorschrift nicht gefordert wird, ist diese Sonderstellung der beiden Bestimmungen aufgehoben. Damit beschränkt sich die Bedeutung des § 908 darauf, daß er einen Sonderfall des § 100412 regelt. Ist der Tatbestand des § 908 gegeben, greift auch der allgemeine 30
Oben Β I.
11 Herrmann
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Unterlassungsanspruch des § 100412 ein. Der Einsturz eines Bauwerks oder die Ablösung von Teilen des Bauwerks stellen eine Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 I 2 dar. Da der Unterschied im Grad der Vorhersehbarkeit dieser Störungen allenfalls darin zu sehen ist, daß § 1004 I 2 (Besorgnis) gegenüber §908 (Drohen der Gefahr) die geringeren Anforderungen stellt 31 , ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 908 auch der Tatbestand des § 1004 I 2 erfüllt. § 907 regelt ebenfalls einen speziellen Störungstatbestand, doch darüber hinaus besteht seine Besonderheit sowohl gegenüber § 908 als auch gegenüber § 1004 I 2 in allen drei Varianten der Vorschrift in der weitreichenden Rechtsfolge 32. Während nach den §§ 100412,908 nur Unterlassung der Störung selbst verlangt werden kann, kann nach § 907 gefordert werden, daß die Störungsursache, die Anlage, entweder gar nicht erst geschaffen oder aber vollständig beseitigt wird. Aus dieser einschneidenden Rechtsfolge des § 907 erklärt sich auch die gegenüber den §§ 100412,908 strengere Anforderung an die Prognostizierbarkeit des Eintritts der Einwirkungen.
§ 4 Der gegenwärtige Stand der Erarbeitung der §§ 907, 908 BGB A. Überblick Nach dieser Skizzierung der Rolle der §§ 907 und 908 als besonderer negatorischer Ansprüche neben der allgemeinen actio negatoria des § 1004 kann das eigentliche Thema der Störerkriterien dieser Bestimmungen wieder aufgenommen werden. Wie bereits angedeutet (oben § 1), ist die Feststellung der nach den §§ 907 und 908 verantwortlichen Personen durch einen einfachen Rückgriff auf zu der Frage etwa vorhandene Auslegungsarbeiten oder gar durch einen Blick in die Vorschriften nicht möglich. § 907 nennt den Störer nicht ausdrücklich, § 908 verweist deswegen auf die schuldrechtlichen Bestimmungen der §§ 836 ff., denen der Verpflichtete ebenfalls nicht ohne weiteres zu entnehmen ist. Die vorliegenden Bearbeitungen der §§ 907, 908 und der für § 908 geltenden §§ 836ff. sind unzulänglich. Die beiden gegenüber § 1004 speziellen negatorischen Ansprüche der §§ 907, 908 führen dogmatisch ein Randdasein, sie sind theoretisch wenig erarbeitet. Zum Teil zeigt sich dies schon äußerlich. Die Sachenrechtslehrbücher enthalten meist keine besonderen Abschnitte für die beiden Vorschriften, und wenn ihnen eigens Raum gewidmet ist, werden sie nur in skizzenhaften Umrissen dargestellt. Die Kommentierungen zu § 908 sind ebenfalls knapp gehalten; demgegenüber wird auf § 907 mehr Mühe verwendet, es wird sich allerdings zeigen, daß die 31
Soeben bei Fn. 26. Nicht deutlich Wetzel S. 114; MK-Säcker §907 Rdnr. 1 (bei Verweis auf ebd. Rdnr. 10, 15). 32
§ 4 Der gegenwärtige Stand der Erarbeitung der §§ 907, 908 BGB
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Vorschrift der wesentlichen Substanz nach dennoch kaum erfaßt ist. — Nun haben die §§ 907 und 908 wegen ihres engeren Anwendungsbereiches zwar nicht dieselbe Bedeutung wie die allgemeine actio negatoria des § 1004, doch existiert für beide Bestimmungen eine Reihe von Entscheidungen1, die zeigt, daß sie praktisch nicht ohne Gewicht sind; schon deshalb hätte ihr Gehalt gründlicher erarbeitet werden müssen. Für §908 verwundert die Zurückhaltung der Wissenschaft hinsichtlich der Klärung der dogmatischen Struktur der Bestimmung und ihrer Haftungskriterien im einzelnen aber aus einem weiteren Grunde. Die Vorschrift „lebt" von den §§ 836 bis 838, auf die sie verweist; diese Bestimmungen beantworten die Frage, wer Anspruchsgegner des § 908 ist. Sie sind bekannt als besonders geregelte Fälle der sog. Verkehrssicherungspflicht 2, die im Rahmen des § 823 I BGB weiterentwickelt wurde und die inzwischen zu einem festen und eigenständigen Bestandteil der deliktischen Unterlassungsdogmatik geworden ist. Die §§ 836 ff. begründen die Pflicht des Gebäudebesitzers, das Gebäude in einem solchen Zustand zu halten, daß andere vor Schäden bewahrt werden. Für die im Laufe der Rechtsentwicklung anerkannte allgemeine Verkehrssicherungspflicht, die sich nicht nur auf Gebäude, sondern auch auf andere Sachen bezieht, beruft man sich heute auf die Vorschriften als dogmatische Grundlage und Rechtfertigung 3. Auch umgekehrt werden die §§ 836 ff. als speziell geregelte Fälle der Verkehrssicherungspflicht gekennzeichnet 4 . Man sollte daher meinen, daß die Bestimmungen im einzelnen wissenschaftlich bearbeitet und erfaßt sind, so daß damit auch der Gehalt des § 908 geklärt wäre. Im folgenden soll die Rechtslage zu den §§ 907 und 908 im einzelnen dargestellt werden.
1 Vgl. die Rechtsprechungsnachw. in den Kommentierungen bei MK-Säcker §§ 907, 908; Staudinger-Beutler §§ 907, 908. 2 Daneben wird § 831 als gesetzlicher Fall der Verkehrssicherungspflicht (Verkehrspflicht oder Gefahrenabwendungspflicht) eingeordnet, s. etwa Larenz I I § 72 Id; M K Mertens § 831 Rdnr. 1; entsprechend müßte auch § 832 bewertet werden, so offenbar auch Fikentscher § 103 I I I 2 h. 3 Vgl. etwa Larenz ebd.; Esser I I § 108 I I 2, § 110 I I 2; Soergel-Zeuner § 823 Rdnr. 124: „Gewisse Ansätze einer Pflicht zur Sorge für die eigene Sphäre . . . in den Vorschriften der §§ 831,832,833 und 836"; MK-Mertens § 823 Rdnr. 185: Aus den §§ 836 bis 838 lasse sich entnehmen, wer Träger der Verkehrssicherungspflicht sei; ders. ebd. Rdnr. 192: Die Verkehrssicherungspflicht treffe in erster Linie den Eigenbesitzer bzw. denjenigen, der sonst die Unterhaltung der Sache übernommen habe. §§ 836 bis 838 drückten insoweit einen allgemeinen Rechtsgedanken aus. Ähnlich Medicus, Bürgerliches Recht Rdnr. 649: Die §§ 836 ff. erlaubten Rückschlüsse darauf, wem in anderen Fällen die Verkehrssicherungspflicht obliege. 4 Vgl. Larenz I I § 73 III; Esser I I § 110 I I 2; MK-Mertens § 836 Rdnr. 1, auch 2; ErmanDrees § 836 Rdnr. 1; Soergel-Zeuner § 836 Rdnr. 1; Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 4,4 a, 5; RGRK-Kreft § 836 Rdnr. 1; Palandt-Thomas § 836 Anm. 1; Medicus, Bürgerliches Recht Rdnr. 649: Die §§ 836 bis 838 seien ein gesetzliches Beispiel für Verkehrssicherungspflichten; MK-Mertens § 823 Rdnr. 185: Ein gesetzliches Beispiel für eine Zustandsverantwortlichkeit seien die §§ 836 bis 838.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
B. Einzelheiten I. Der gegenwärtige Stand der Erarbeitung
des § 907 BGB
Die äußerlich den Eindruck hinreichender Ausführlichkeit erweckenden Kommentierungen zu § 907 beschränken sich im wesentlichen auf eine Definition der in der Vorschrift enthaltenen Begriffe wie Nachbargrundstück, Einwirkung oder Anlage. Die Frage jedoch, wer Gegner der Ansprüche des § 907 ist, erfahrt vor allem deshalb eine unzulängliche Antwort, weil die drei unterschiedlichen Tatbestände der Vorschrift nicht auseinandergehalten werden. Die verschiedenen Störungstatbestände führen aber, wie sich zeigen wird, zur Verantwortung verschiedener Personen. Das großzügige Interpretationsverfahren des Schrifttums, bei dem die Tatbestände des § 907 „über einen Kamm geschert" werden, hat unklare und fehlerhafte Ergebnisse zur Folge. Eine Grundlage für die Frage, ob § 907 prinzipielle Aussagen über den negatorischen Gegner enthält, können sie daher nicht bieten. Aber auch der Inhalt einzelner Merkmale des § 907, denen die Literatur sich widmet, ist ausreichend nicht erarbeitet. So ist der Begriff des „Haltens der Anlage" ungeklärt. Da jedoch im Halten der Anlage einer der verbotenen Störungstatbestände des §907 liegt, ist das Merkmal für die Frage des Anspruchsgegners von Bedeutung. Daß hier ausreichende Interpretationsarbeit nicht geleistet wurde, verwundert besonders deshalb, weil der Begriff des „Haltens" oder des „Halters" aus dem Gefährdungstatbestand des § 833 BGB oder § 7 StVG geläufig ist. Der Versuch, einen Anhalt an den dort gewonnenen Ergebnissen zu finden, hätte nahegelegen. — Zu dem Begriff der „Anlage", der für den Anwendungsbereich des § 907 bestimmend ist, bestehen mancherlei ungeklärte Fragen und unzutreffende Deutungen. Der Begriff ist auch deshalb bedeutsam, weil die für den Anspruchsgegner einschneidenden Rechtsfolgen nur aus der besonderen Beschaffenheit einer derartigen Einrichtung erklärbar sind; Anlagen sind von einer gewissen Dauer und beeinflussen daher das Schicksal der Nachbargrundstücke nachhaltig.
IL Der gegenwärtige Stand der Erarbeitung
des § 908 BGB
I . Was die dogmatische Erfassung des § 908 angeht, so teilt die Vorschrift das Schicksal der meisten Verweisungsbestimmungen. Die Kommentierungen zu § 908 begnügen sich ihrerseits mit einem Verweis auf die Erläuterungen zu den Vorschriften, die für §908 gelten sollen, also mit einem Verweis auf die §§ 836ff. 5. Nun würde diese Bearbeitungsweise keinen Mangel bedeuten, wenn die vorhandenen Deutungen der §§ 836 ff. zufriedenstellende Auskünfte enthiel5
Vgl.MK-Säcker § 908 Rdnr. 2, 7; Staudinger-Beutler § 908 Rdnr. 8; RGRK-Augustin § 908 Rdnr. 7-10 (Skizzierung der §§ 836 ff.); Soergel-Baur § 908 Rdnr. 8; häufig fehlt es überhaupt an Hinweisen zum Störer des § 908.
§ 4 Der gegenwärtige Stand der Erarbeitung der §§ 907, 908 BGB
165
ten. Im Falle des § 908 aber ist derjenige, der sich auf diesem Wege über den nach der Bestimmung Verantwortlichen unterrichten will, unzulänglich beraten, weil die §§ 836 ff. selbst nicht ausreichend erfaßt sind. 2. Die vorhandenen Bearbeitungen des § 908 beschäftigen sich wie im Falle des § 907 hauptsächlich mit den in der Vorschrift enthaltenen Einzelmerkmalen, also mit Definitionen der Begriffe Gebäude, Werk, Einsturz, Ablösung von Teilen und Gefahr. Hier liegen leicht zu klärende Fragen. Das Problem aber, wer nach § 908 in Anspruch genommen worden kann, ist weder unmittelbar für § 908 erschlossen, indem man sich in dessen Rahmen der § 836 ff. annimmt, noch mittelbar über die §§ 836 ff. Die Frage bleibt also weitgehend ungeklärt. Zwar ist deutlich, daß es der Besitzer ist, der für die in § 908 beschriebenen Gefahren einstehen soll. Damit ist der Störer der Vorschrift aber nur zum Teil bestimmt; die Analyse der §§ 836 ff. wird zeigen, daß die Ermittlung der Haftungsvoraussetzungen dieser Vorschriften erhebliche Interpretationsbemühungen verlangt. — Neben prinzipiellen Aussagen über den Anspruchsgegner enthalten die §§ 836 ff für § 908 wesentliche Erkenntnisse über Einzelfragen, nämlich über die Frage der Haftung im Falle von Beeinträchtigungen durch Natureinflüsse und im Falle der Veräußerung eines störenden Grundstücks. Dieses sind Probleme, die im Bereiche der allgemeinen actio negatoria bisher ungeklärt sind (oben 7. Kapitel §§3,4); die §§ 836 ff. können aber möglicherweise—über die spezielle actio negatoria des § 908 — Aufschluß darüber geben, wie die betreffenden Probleme für § 1004 zu lösen sind. Dieser Gehalt der §§ 908,836ff. konnte bisher nicht genutzt werden, weil § 908 wenig Beachtung geschenkt wird. 3. Schaut man auf die §§ 836 ff. selbst, auf deren Interpretation sich die Bearbeiter des §908 weitgehend verlassen, so geschieht dies in der schon angedeuteten Erwartung, daß man es hier mit einer dogmatisch geklärten Materie zu tun habe. Da die §§ 836 ff. Vorbild und Ausgangspunkt der Verkehrssicherungspflicht waren, also einer über diese Vorschriften hinausgehenden allgemeinen Entwicklung, liegt die Vorstellung nahe, daß die Bestimmungen vor der Generalisierung der in ihnen enthaltenen Gedankenansätze wissenschaftlich ausgeschöpft wurden. Aber auch eine Gegenbewegung ist denkbar, nämlich in der Weise, daß die in jüngerer Zeit zunehmend erfolgte Ausprägung der Lehre der Verkehrssicherungspflicht zu Erkenntnissen führte, die ihrerseits für die Interpretation der §§ 836 ff. nutzbar gemacht werden konnte 6 ; so hätte auf zweierlei Wegen der Haftungsaspekt des § 908 geklärt werden können. Diese Vermutungen entsprechen indessen nicht der Rechtswirklichkeit. Somit läßt sich auf Interpretationen der §§ 836 ff. für die Feststellung des Anspruchsgegners des § 908 nicht zurückgreifen.
6
MK-Mertens § 836 Rdnr. 2 stellt die Forderung, daß die Vorschrift der „Einpassung in den allgemeinen Kontext der Verkehrspflichtverletzung" bedürfe. Ein derartiger Schritt ist in der Literatur nicht erkennbar.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Die vorhandenen Einzelabhandlungen zu den §§ 836ff., überwiegend älteren Datums, beschäftigen sich mit dogmatischen Einzelproblemen nicht 7 . Die neueren Kommentierungen vernachlässigen die §§ 836ff. Dies gilt zwar nicht hinsichtlich einzelner in den Vorschriften enthaltener Merkmale; wie bei § 908 selbst widmet man sich der Definition von Begriffen. Hinsichtlich der Frage des Haftungsgrundes aber bleibt es bei einer globalen Charakterisierung der §§ 836 ff. als gesetzlich geregelte Fälle einer Verkehrssicherungspflicht. Die insoweit vorhandenen eingehenden Erläuterungen zu den „Sorgfaltsanforderungen" bei Errichtung oder Unterhaltung des Bauwerks lassen den prinzipiellen dogmatischen Standort im Unklaren und führen infolge fehlerhafter Interpretationen zu teilweise unzutreffenden Ergebnissen. Einzelheiten interessieren an dieser Stelle noch nicht. Jedenfalls ist festzustellen, daß aus der grundsätzlichen dogmatischen Einordnung der §§ 836 ff. keine Konsequenzen für die Haftungsvoraussetzungen im einzelnen gezogen werden. 4. Die dargelegte Behandlung der §§ 836 ff. hat zum einen zur Folge, daß die heutige Dogmatik der sog. Verkehrssicherungspflicht in die Deutung der §§ 836 ff. nicht Eingang gefunden hat. Auf diese Weise entstehen teilweise Widersprüche in der Interpretation des §§ 836 ff. einerseits und der allgemeinen Lehre von der Verkehrssicherungspflicht andererseits; sie sind bislang unbemerkt geblieben. Zum zweiten enthalten die §§ 836 ff. historisch und technischentstehungsgeschichtlich erklärbare Unzulänglichkeiten, über die man infolge der mangelnden Durchdringung der Materie bis heute nicht hinausgewachsen ist. Die Vorschriften nennen den Haftungsgrund des pflichtwidrigen Unterlassens nicht ausdrücklich. Sie enthalten außerdem ein Besitzverständnis, das noch dem römisch-gemeinen Recht angehört und das mit demjenigen des BGB nicht übereinstimmt. Daß diese alte Besitzvorstellung den Vorschriften zugrunde liegt, lassen die Vorschriften unmittelbar nicht erkennen; nur wer sie aus historischer Sicht betrachtet, kann die vorhandenen Ungereimtheiten lösen und den zutreffenden Gehalt der Bestimmungen erschließen. Für den hier zu untersuchenden § 908 aber bedeutet der beschriebene Befund, daß der Inhalt der Vorschrift, ihr dogmatischer Standort sowie ihre Haftungskriterien, ungeklärt sind. Offenkundig ist diese Rechtslage gerade aus der starken Beschäftigung mit der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht erklärbar. Die §§ 836 ff. stehen ersichtlich im Schatten ihres Abkömmlings, der Verkehrssicherungspflicht, zu der sich inzwischen eine kaum noch überschaubare Literatur und Judikatur herausgebildet hat. Hier ist die umgekehrte Entwicklung zu verzeichnen: Die Verkehrssicherungspflicht ist im Bereiche des § 823 rechtlich näher ausgeprägt worden, doch das dogmatische Fundament wird inzwischen überwuchert von theoretischen Bemühungen und Kasuistik, so daß der Rechtsuchende Mühe hat, 7 Vgl. Frölich GruchBeitr. 57 (1913), 104; Eckstein GruchBeitr. 58 (1914), 329; v. Dassel Recht 1920, Sp. 140; Weimar M D R 1963, 985.
§ 4 Der gegenwärtige Stand der Erarbeitung der §§ 907, 908
B G B 1 6 7
die Grundprinzipien einer solchen Haftung zu erkennen. — Zuweilen wird auch offen ausgesprochen, daß man den §§ 836 ff. nur noch geringe Bedeutung zuschreibt oder daß man sich den Vorschriften angesichts der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nicht allzu genau widmen müsse. So heißt es etwa, § 836 habe seine „konstitutive Rolle als Grundlage der Gefahrenabwehrpflicht" „ausgespielt"; er regele nunmehr nur noch „Detailfragen" der Verkehrssicherungspflicht 8 . Seine Besonderheit „erschöpfe" sich in der in ihm geregelten Verschuldens- udn Kausalitätsvermutung 9 . Ferner wird für das Verhältnis von allgemeiner Verkehrssicherungspflicht und § 836 angenommen, daß die Frage, ob man in Fällen, die vom Wortlaut des § 836 nicht gedeckt seien, die Vorschrift analog anwende oder ob man auf § 823 zurückgreife, von „untergeordneter Bedeutung" sei 10 . Daher komme es auf eine „genaue definitorische Abgrenzung der in § 836 im einzelnen genannten Tatbestandsmerkmale" nicht mehr an 1 1 , v. Bar ist der Meinung, daß die §§ 836 ff. ersatzlos gestrichen werden sollten, da die Entwicklung der Verkehrssicherungspflicht über diese Vorschriften hinausgegangen sei und diese somit obsolet geworden seien 12 . Diese hier wiedergegebene Einschätzung der betreffenden Vorschriften mag für den Bereich des Schadensersatzes zumindest teilweise zutreffend sein. Allerdings muß sie sich den methodischen Einwand gefallen lassen, daß es kaum legitim ist, den Anwendungsbereich einer Vorschrift mit dem Argument offen zu lassen, daß jedenfalls die Voraussetzungen einer anderen (ähnlichen) Vorschrift (§ 823 I) gegeben seien. Auch ist zwischen einer direkten und einer analogen Anwendung (§ 836) methodisch zu unterscheiden. Darüber hinaus enthalten die §§ 836 ff. von § 823 abweichende Regelungen, so daß man sich auf Grund des Standpunktes, es komme auf Details der §§ 836 ff. nicht an, einiger Erkenntnisse begibt, die für die allgemeine Verkehrssicherungspflicht bedeutsam sein können. So ist die in § 836 I I enthaltene Beschränkung der Haftung des Sicherungspflichtigen eine Bestimmung, die auf die Verkehrssicherungspflicht (§ 823 I) übertragen werden könnte 13 . Wenn es jedoch im übrigen sicher richtig sein mag, daß es wenigstens für das Ergebnis nicht darauf ankommt, ob der Schadensersatzanspruch auf die §§836 ff. oder auf die allgemeine Verkehrssicherungspflicht im Rahmen des § 823 I gestützt wird, so wird mit der dargelegten verbreiteten Bewertung der §§ 836 ff. aber verkannt, daß die Vorschriften für den Bereich der negatorischen 8
Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 4a; daß gerade diese „Detailfragen" nicht behandelt werden, wird die Untersuchung zeigen, s. unten § 6. 9 Schäfer ebd. Rdnr. 5; auch Enneccerus-Lehmann § 239 vor I. 10 MK-Mertens § 836 Rdnr. 2. 11 Mertens ebd. Rdnr. 3. 12 v. Bar S. 20 2. Absatz aE. 13 Ähnlich MK-Mertens § 836 Rdnr. 2 zur Beweislast des § 8361, weshalb Mertens sich trotz des oben vor Fn. 11 wiedergegebenen Gedankens der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Vorschrift annehmen will, s. Mertens ebd. Rdnr. 3.
168
12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Haftung nach § 908 uneingeschränkt Bedeutung haben. Hier läßt sich auf entsprechende allgemeine Grundsätze nicht zurückgreifen. Diese Rolle der §§ 836 ff. ist bisher unbeachtet geblieben; aus diesem Grunde wird nicht erkannt, daß § 908 einen Fall negatorischer Unterlassungshaftung regelt und daß er die Verantwortung an das Haftungsprinzip der heute sog. Verkehrssicherungspflicht knüpft. Der Begriff mag hier wegen seines allgemein bekannten Inhalts zur Kennzeichnung des der Vorschrift zugrunde liegenden Haftungsdankens Verwendung finden, obwohl er für den dort geregelten Fall nicht paßt; das nach § 908 geschützte Grundeigentum ist nicht Teilnehmer eines „Verkehrs" 14 . Der Sache nach aber handelt es sich um den gleichen Gedanken der Verantwortung für denjenigen, der infolge der nahen Sachbeziehung in der Lage ist, davon ausgehende Gefahren zu verhindern. Dieser dogmatische Gehalt des § 908 ist bislang verborgen geblieben. C. Zusammenfassung zu A und Β Auf Grund des geschilderten Befundes ergibt sich die Notwendigkeit, die §§ 907 und 908 auf das maßgebende Haftungskriterium hin zu untersuchen. Dieser Aufgabe nimmt sich der folgende Abschnitt an, und zwar wegen des unterschiedlichen Inhalts der §§907, 908 unter getrennter Behandlung der beiden Vorschriften (unten §§ 5, 6).
§ 5 Untersuchung des § 907 BGB A. Einleitung Da § 907 voraussetzt, daß die zu erwartende (§ 907 I 1) oder bereits eingetretene (§ 90712) Einwirkung von einer Anlage ausgeht, kommt es für den Anwendungsbereich der Vorschrift auf den Begriff der Anlage an. Nicht nur ist der weitreichende Rechtsschutz, den § 907 gewährt, nur aus dem besonderen Charakter der Anlage als einer dauerhaften und damit für die umliegenden Grundstücke bestimmenden Einrichtung her erklärbar. Insbesondere für diehier vorzunehmende Ermittlung der nach § 907 Verpflichteten ist die Frage des Anlagebegriffs bedeutsam, weil der verbotene Tatbestand der Vorschrift im Herstellen und Halten der Anlage liegt (§ 90711,2) und der Störer sich nach der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht aus der Störungsquelle ergibt, die wiederum von der Art des Störungstatbestandes abhängt 1 . Zwar kommt der Begriff der Anlage außer in § 907 in anderen Bestimmungen des BGB vor, so in einigen Vorschriften der Dienstbarkeit und des Nießbrauchs (s. §§ 1020 S. 2,1021 1,1022; 1037 II, 1038 II), doch enthält das BGB nirgends 14 1
Dazu noch unten § 6 C V I 4, ferner 13. Kap. § 3 Β I I I 6. Oben 10. Kap. I 1, 2, 3.
§ 5 Untersuchung des § 907 BGB
169
eine Definition 2 . In Literatur und Rechtsprechung herrscht, wie bereits angedeutet wurde (oben § 4 Β I), über den Inhalt des Anlagebegriffs in den Einzelheiten keine Übereinstimmung. Die nun folgende Untersuchung wird daher zunächst dessen Merkmale aufklären (unten B). I m Anschluß daran wird sie versuchen, den Gegner der drei in § 9071 enthaltenen Ansprüche zu ermitteln (unten C I - V ) , um aus diesem Befund Folgerungen für den Störer nach § 1004 abzuleiten (unten C VI). B. Begriff der Anlage iSd § 907 BGB I. Einleitung Für eine Ermittlung des in § 907 enthaltenen Anlagebegriffs bedarf es zunächst eines Überblicks über die in Schrifttum und Judikatur vertretenen Ansichten (unten II). Sodann wendet sich die Arbeit einer eigenen Untersuchung zu (unten III). II. Die Definition
des Begriffs
der Anlage in Literatur
und Judikatur
Während sich die Rechtsprechung nur gelegentlich zu einigen Einzelmerkmalen einer Anlage geäußert hat 3 , hat sich die Literatur des Begriffs insgesamt angenommen. In der folgenden Darstellung sind deshalb Ausgangspunkt die im Schrifttum vertretenen Positionen; wo es um Fragen einzelner Merkmale geht, werden etwa vorhandene Äußerungen der Rechtsprechung angeführt. Die Inhaltsbestimmungen des Anlagebegriffs lauten meist etwa 4 , es handele sich bei einer Anlage um ein von Menschen geschaffenes Werk von gewisser Selbständigkeit und Dauer. Doch decken sich die Definitionen nicht in allen Einzelheiten. Einigkeit besteht darüber, daß eine Anlage eine Einrichtung sei, die ihre Entstehung menschlichen Handlungen und nicht Naturvorgängen verdanke 5. Darüber hinaus wird zum Teil angenommen, daß diese Einrichtung mit Willen des Eigentümers oder des Nutzungsberechtigten bestehen müsse, weshalb etwa durch Kriegseinwirkungen entstandene Trümmerreste nicht zu Anlagen gerechnet werden 6 . Gefordert wird auch, daß die Einrichtung einem bestimmten Zweck zu dienen habe 7 . Betont wird im Schrifttum weiter die 2
Zu den Anlagen iSd BImSchG (dazu näher oben § 2 Fn. 1) s. § 3 V BImSchG. Vgl. unten Fn. 6, 11, 12. 4 Vgl. MK-Säcker § 907 Rdnr. 3; Erman-Hagen § 907 Rdnr. 3; RGRK-Augustin § 907 Rdnr. 6; Jauernig § 907 Anm. 2 a; Palandt-Bassenge § 907 Anm. 2 a. 5 Baur AcP 160 (1961), 465, 479; MK-Säcker § 907 Rdnr. 2, 3; Erman-Hagen § 907 Rdnr. 3; RGRK-Augustin § 907 Rdnr. 6 zu Beginn und aE; MK-Falckenberg § 1020 Rdnr. 8; Erman-Ronke § 1020 Rdnr. 2; auch RGZ 134, 231, 234 unten. 3
6 Vgl. MK-Säcker § 907 Rdnr. 3; Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 23 5. Absatz aE; OLG Hamm NJW 1954, 273.
170
12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Notwendigkeit einer Dauer 8 und einer gewissen Selbständigkeit9 des Werkes. Ferner soll es sich einerseits bei „bloßen Veränderungen" des Grundstücks, ζ. B. Erhöhungen oder Vertiefungen von Grundstücksteilen, nicht um eine Anlage handeln 10 , dagegen werden andererseits „Grundstücksteile" wie Schlamm- und Sandaufschüttungen 11 oder Abraumhalden 12 als Anlagen angesehen13. Ungeklärt ist, inwieweit das Vorliegen einer Anlage eine Verbindung mit dem Grundstück erfordert. Zum Teil wird eine Verbindung der Anlage mit dem Grundstück zu einem wesentlichen Bestandteil verlangt (§§ 93,94 BGB) 1 4 oder nur eine „tatsächliche Verbindung" 15 . Dagegen meint Säcker, eine besondere Verbindung mit dem Grundstück in der Weise, daß die Anlage als unbewegliche Sache anzusehen sei, sei nicht erforderlich; es sei für die Funktion des § 907, vorbeugenden Eigentumsschutz zu gewährleisten, belanglos, ob die zu erwartenden Einwirkungen von einer ortsfesten oder einer beweglichen Anlage ausgingen 1 6 . III.
Untersuchung des Begriffs
der Anlage
Die beschriebenen Unsicherheiten erweisen sich bei näherer Bemühung um den Anlagebegriff als überflüssig. Er läßt sich durch einen Blick in die Gesetzesmaterialien, aber auch mit Hilfe des Begriffs selbst und des Zwecks des § 907 BGB zweifelsfrei aufklären. 1. Die verbreitete Annahme, daß es sich um eine künstliche Einrichtung handeln muß, die ihren Ursprung menschlichem Handeln verdankt, ist zutref7
Säcker ebd. Rdnr. 2 Fn. 3. Säcker ebd. Rdnr. 2; Soergel-Baur § 907 Rdnr. 2 vor a; Jauernig § 907 Anm. 2 a; Palandt-Bassenge § 907 Anm. 2a; Erman-Ronke § 1020 Rdnr. 2; MK-Falckenberg § 1020 Rdnr. 8. 8
9
Planck-Strecker § 907 Anm. 2b; Säcker, Baur, Jauernig, Bassenge jeweils ebd. Strecker ebd.; Jauernig § 907 Anm. 2a; MK-Falckenberg § 1020 Rdnr. 8. 11 Soergel-Baur § 907 Rdnr. 2; RGZ 60, 138, 140. 12 RGZ 134, 231, 234 2. Absatz (dort ist RG GruchBeitr. 54, S. 156 zitiert, wo es um Haldenaufschüttungen ging); nicht deutlich RGZ 155,154,157/158 zu Aufschüttungen des Deichvorlandes. 13 Vgl. MK-Säcker § 907 Rdnr. 3. 14 Planck-Strecker § 907 Anm. 2 b. 15 Erman-Hagen § 907 Rdnr. 3; RGRK-Augustin § 907 Rdnr. 6 gegen Ende verlangt offenbar ebenfalls nur irgendeine Verbindung. 10
16 MK-Säcker § 907 Rdnr. 2 mit Fn. 6 (fahrbare Bienenstände); auch StaudingerBeutler § 907 Rdnr. 23 4. Absatz; unklar Soergel-Baur § 907 Rdnr. 2 (Aufstellung von ein, zwei Bienenständen keine Anlage, aber mehrere Bienenstände, wenn diese mittels Pflöcken auf der Erde standfest angebracht seien; ferner sei fahrbarer Bienenstand wie ein fester Bienenstand als Anlage anzusehen); offen gelassen von RG GruchBeitr. 46 Nr. 38, S. 650, 652 2. Absatz (nicht oder nicht mauerfeste Verbindung von Maschinen einer Buchdruckerei mit dem Gebäude); BGHZ 51,396,399 3. Absatz unter IV (Lagerplatz für bewegliche Sachen wie Baumaterialien, Geräte, Baubuden).
§ 5 Untersuchung des § 907 BGB
171
fend; natürliche Erscheinungen wie Teiche, Flüsse, Felsblöcke oder von der Natur gesäte Bäume fallen nicht unter den Anlagebegriff. Einen Hinweis für diese Interpretation gibt allerdings nicht § 907 I I BGB. Die Vorschrift nimmt Bäume und Sträucher ausdrücklich von den Anlagen des § 907 aus, so daß man meinen könnte, hier läge ein Anhalt dafür, daß natürliche Gebilde generell nicht als Anlagen anzusehen sind. Aber abgesehen davon, daß bei Pflanzen nach ihrem Ursprung zu unterscheiden ist und der Gesetzgeber „Pflanzungen" (Pflanzenanlagen), also künstlich gesetzte Pflanzen — im Gegensatz zu Pflanzen, die die Natur gesetzt hat — als Anlagen einordnete 17 , wollte der Gesetzgeber mit § 907 I I keine Definition der Anlage geben. Die Bestimmung ist erst durch die 2. Kommission eingefügt worden, und sie hat diese Regelung aus folgenden Gründen getroffen: Einmal meinte sie, daß wegen des Selbsthilferechtes des § 910 BGB im Fall störender Bäume und Sträucher ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB nicht gegeben sei und daher der noch weitergehendere Präventivschutz des § 907 BGB einen Widerspruch zu dieser Lage bedeuten würde 18 . Außerdem hielt sie einen Schutz bei Bäumen und Sträuchern auch praktisch nicht für notwendig 19 . — Das Erfordernis der Künstlichkeit der Einrichtung ergibt sich aber einmal schon aus dem Wortsinn des Begriffs „Anlage", der sich von dem Verbum „anlegen" ableitet und ein menschliches Tun zum Ausdruck bringt. Es folgt ferner aus der Gesetzgebungsgeschichte des § 907 BGB und des gesamten Titels über den Inhalt des Eigentums (§§ 903-924 BGB) 2 0 . Zwar weist die Entstehungsgeschichte eine Definition der Anlage 17 Vgl. die Begründung Johows zu § 114 VE ( = § 907 BGB, abgedruckt bei Schubert, Vorentwürfe Sachenrecht 1, S. 32), wo in „Pflanzenanlagen" und „sonstige Anlagen" unterteilt wird (Schubert ebd. S. 747, 748 unter a und b, 750 1. Absatz) und die „Pflanzenanlagen" an erster Stelle abgehandelt werden (ebd. S. 747); einzelne Beispiele für Pflanzen sind sämtlich älteren Rechtsquellen entnommen (dem römischen Recht, preuß. A L R , Code civil, hess. und bayer. Entwurf), s. ebd. S. 747. Ebenso selbstverständlich war der 1. und 2. Kommission die Einordnung künstlich gesetzter Pflanzen als Anlage, s. Mot. Mugdan I I I S. 162, Prot. ebd. S. 602 letzter Absatz (zu § 864 E I = § 907 BGB, abgedruckt bei Mugdan ebd. S. XVIII). 18
Vgl. Prot. Mugdan I I I S. 602 letzter Absatz (zu Antrag 4 ebd. S. 602 oben). Die Kommission meinte (ebd. Fn. 18), daß störende Folgen durch Bäume und Sträucher (Wurzeln, Zweige) durch rechtzeitige Maßnahmen verhindert werden könnten. Verständlich ist diese Begründung nicht, da der Eigentümer diese Maßnahmen ohne entsprechenden Anspruch vom Nachbarn nicht verlangen kann. — § 907 I I BGB entspricht § 821 I I E II, abgedruckt bei Mugdan I I I S. X V I I I . 20 § 907 BGB = § 114 VE = § 864 E I = § 821 E II; zum Abdruck dieser Entwurfsbestimmungen s. Fn. 17,19; Begründung zu § 114 VE Schubert ebd. (Fn. 17) S. 746-750; Mot. Mugdan I I I S. 162f.; Prot. ebd. S. 601 unten-603. Vorläufer des oben im Text genannten Titels des BGB war der Titel des VE des Redaktors Johow: „Gesetzliche Begrenzung und Beschränkung des Eigenthumes an Grundstücken im nachbarlichen Interesse (Grenz- und Nachbarrecht)", §§100-114 VE, abgedruckt bei Schubert ebd. (Fn. 17) S. 30-32; Begründung Johows dazu Schubert ebd. S. 675 - 750. Der 1. Entwurf war benannt: „Inhalt und Begrenzung des Eigenthumes", §§848-867 E I, der 2. Entwurf: „Inhalt des Eigenthumes", §§ 818-917 E II, jeweils abgedruckt bei Mugdan I I I S. X I V - X I X ; 1. und 2. Kommission nahmen jeweils erhebliche Umstellungen im Aufbau des Titels vor. 19
172
12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
ebensowenig auf wie das Gesetz selbst (oben A), doch belegen die zahlreichen Beispiele, die in den Gesetzesentwürfen und -begründungen angeführt sind, die Notwendigkeit des Merkmals, denn sie betreffen sämtlich bauliche Einrichtungen. Da werden etwa genannt Vorrichtungen zur Ableitung der Dachtraufe 21 , Fenster, Altane und Erker 2 2 , grenzüberschreitende Bauten 23 , Back-, Brenn- und Schmelzöfen, Feuerherde 24, Brunnen, Schornsteine 25, Rauchfange 26 , Viehställe 2 7 oder Fabrik- und Gewerbebetriebe 28. 2. Die in Schrifttum und Rechtsprechung nicht klar beurteilte Frage, ob auch solche Einrichtungen als Anlagen anzusehen sind, die nicht aus besonderen Baumaterialien wie Holz, Steinen oder Metall geschaffen sind, sondern durch bloße Veränderungen des Erdreichs wie Grundstücksvertiefungen, etwa zur Ausbeute der Bodenbestandteile, Sandaufhäufungen zur Ablagerung überflüssigen Bodens oder Aufschüttungen zur Anhebung des Bodens (z.B. des Deichvorlandes), ist zu bejahen. a) Dies belegen einmal die Vorarbeiten zu § 907 BGB. In den Begründungen Johows zum Vorentwurf und den Beratungen der 1. und 2. Kommission werden als Beispiele für Anlagen Gruben, Rinnen 2 9 , Gräben und Teiche30 genannt, also Einrichtungen, die ohne Verwendung besonderer Baustoffe entstehen. 21 22
Vgl. § 113 VE, abgedruckt bei Schubert ebd. (Fn. 17) S. 32. Vgl. § 112 VE, abgedruckt bei Schubert ebd.
23
§ 107 VE, abgedruckt bei Schubert ebd. (Fn. 17) S. 31. Vgl. Begründung zum VE, Schubert ebd. (Fn. 17) S. 748 1., 4. Absatz (Feuerherde); die Beispiele sind dem preuß. A L R I 8 § 133 entnommen, Feuerherde auch dem sächs. BGB § 359, wie sämtliche Beispiele in den Gesetzesvorarbeiten älteren Rechtsquellen entstammen, s. Begründung zum VE, Schubert ebd. S. 747 f.; Mot. Mugdan I I I S. 162, 163; Prot. ebd. S. 602, 603; die Mot. ebd. S. 163 oben nehmen als uralte Fälle insbes. die Beispiele des VE, Schubert ebd. S. 747 (unter b) auf: sterculinum, focus, furnus, tubuli (Misthaufen, Feuerstätte, Backofen oder -haus, Wasserröhren; römisches Recht), „oven und gang (Kloaken und Abtritte) und Swinekoben" (Sachsenspiegel, magdeburgisches Weichbildrecht, lübisches Recht). 24
25
Begründung zum VE, Schubert ebd. (Fn. 17) S. 748 1. Absatz; Beispiele aus dem preuß. A L R ebd. §§ 131, 134. 26 Begründung zum VE, Schubert ebd. (Fn. 17) S. 748 4. Absatz; Beispiel aus dem sächs. BGB § 359. 27 Begründung zum VE, Schubert ebd. (Fn. 17) S. 747 (unter b, „Swinekoben", Schweineställe), 748 4. Absatz (Viehställe); Beispiele aus dem Sachsenspiegel, magdeburgischen Weichbildrecht, lübischen Recht („Swinekoben"), dem preuß. A L R I 8 § 125 (Schweineställe), dem sächs. BGB § 359 (Viehställe); ferner Mot. Mugdan I I I S. 163 1. Absatz („Swinekoben"). 28 Mot. ebd. S. 163 2. Absatz; s. auch Begründung zum VE, Schubert ebd. (Fn. 17), S. 749 1. Absatz („industrielle Anlagen"). 29 Begründung zum VE, Schubert ebd. (Fn. 17) S. 748 oben; Beispiele aus dem preuß. A L R I 8 §§ 125, 126, 128. 30 Mot. Mugdan I I I S. 163 2. Absatz (Gräben); Prot. ebd. S. 603 vorletzter Absatz (Teiche, Wassergräben).
§ 5 Untersuchung des § 907 BGB
173
b) Das Verständnis des Gesetzgebers der Anlage als bloße Bodenbearbeitung ergibt sich aber ferner unmittelbar aus dem Gesetz durch einen Blick in Vorschriften außerhalb des Nachbarrechts (§§903 ff. BGB). § 1037 I I BGB regelt das Recht des Nießbrauchers, neue, auf dem belasteten Grundstück bisher nicht vorhandene Anlagen zur Gewinnung von Bodenbestandteilen wie Steine, Kies, Sand, Lehm, Ton, Mergel oder Torf zu errichten 31 . § 1038 I I B G B 3 2 normiert Ansprüche von Eigentümer und Nießbraucher wegen eines Wirtschaftsplanes für den Fall, daß, wie es heißt, „ein Bauwerk oder eine andere auf Gewinnung von Bodenbestandteilen gerichtete Anlage" Gegenstand des Nießbrauchs ist. — Aus diesen beiden Vorschriften geht unmißverständlich hervor, daß es für das Vorliegen einer Anlage nicht auf die Errichtung von baulichen Werken aus bestimmten Baumaterialien ankommt, sondern daß Bodenveränderungen und -bearbeitungen genügen. Die Methode der Gewinnung vonBodenbestandsteilen ist je nach Mineralart und je nachdem, ob es sich um Tage- oder unterirdischen Bau handelt, unterschiedlich. Ein Bergwerk, wie es in § 1038 I I BGB genannt ist, erfordert Vorrichtungen (z.B. Stützgerüste) aus einem besonderen Baumaterial, etwa aus Holz oder Metallen. Andere Gewinnungsarten dagegen (s. § 1038 I I BGB: „andere auf Gewinnung von Bodenbestandteilen gerichtete Anlage", ferner § 1037 I I BGB) erfordern lediglich — unter Zuhilfenahme von Werkzeugen — die Vornahme von Handlungen, um den Boden auszubeuten. Ein derart bearbeiteter Boden wird vom Gesetz als Anlage bezeichnet. c) Auch die Entstehungsgeschichte des § 921 BGB, der sich mit Grenzeinrichtungen befaßt, bestätigt das bisher ermittelte Ergebnis. In dessen Vorläufer, § 103 I des Vorentwurfs 33 , wird der Grenzgraben, also eine durch bloße Veränderung des Bodens geschaffene Einrichtung, als Beispiel für eine „Grenzanlage" aufgeführt. Die dieser Bestimmung des Vorentwurfs entsprechenden Vorschriften des 1. und 2. Entwurfs (§§ 854 I E I, 834 E I I ) 3 4 und § 921 BGB selbst sprechen zwar nicht mehr von „Grenzanlagen", sondern von einer „Einrichtung". Ein Vergleich der Vorentwurfsregelung mit ihren Nachfolgern zeigt aber ohne weiteres, daß diesem Eingriff des Gesetzgebers keine Änderung des Anlagebegriffs zugrunde lag. § 103 I des Vorentwurfs unterschied zwischen Grenzflächen und Grenzanlagen. Grenzflächen, für die der Entwurf beispielhaft einen Rain nennt, ferner ein Grenzgestell im Walde 35 , einen Winkel und einen 31 Die Vorläufer des § 1037 I I BGB sind äußerlich anders gefaßt, aber sachlich gleichlautend, s. § 283 I I VE [abgedruckt bei Schubert ebd. (Fn. 17) S. 62] = § 989 E I (abgedruckt bei Mugdan I I I S. X L V ) = § 947 I I E I I (abgedruckt bei Mugdan ebd.). 32 Die Vorschrift wurde erst durch die 2. Kommission geschaffen, s. Prot. Mugdan I I I S. 748 f. ( = § 948 I I E II, abgedruckt bei Mugdan I I I S. XLV). 33
Abgedruckt bei Schubert ebd. (Fn. 17) S. 30. Abgedruckt bei Mugdan I I I S. XVI. 35 Dieses für Grenzflächen in § 1031 VE angeführte Beispiel wird in den Prot. Mugdan I I I S. 584 3. Absatz als eine Einrichtung erläutert, die in vielen Gegenden Deutschlands unbekannt sei; es handele sich dabei um einen Aushau oder sonstigen Zwischenraum. 34
174
12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Zwischenraum zwischen Häusern, sind keine Anlagen, da es bei ihnen an einer baulichen Vorrichtung fehlt; solche Flächen bilden sich von selbst als Folge anderer Einrichtungen oder Maßnahmen, also durch Bodenveränderungen, Errichtung von Gebäuden, Anpflanzungen und Wegnahme von Pflanzen, ζ. B. durch das Fällen von Bäumen. § 921 BGB nun faßt, wie der 1. und 2. Entwurf, Grenzflächen und Grenzanlagen zusammen, indem er ohne Unterschied hintereinander Beispiele sowohl für Grenzflächen als auch Grenzanlagen aufzählt. Er führt für diese Beispiele einen gemeinsamen Oberbegriff ein, den der „Einrichtung". Die Unterscheidung zwischen Flächen und Anlagen existiert also weiterhin, so daß sich hinter der Änderung des Wortlauts des § 921 BGB kein anderer Begriff der Anlage verbirgt 36 . Die Differenzierung tritt auf Grund der Fassung des Gesetzes lediglich nicht mehr äußerlich hervor 37 . d) Schließlich sei die Begründung Johows zu § 111 des Vorentwurfs 38 als Beleg für das althergebrachte Verständnis des Gesetzgebers angeführt. Die Bestimmung, die dem heutigen § 909 entspricht, beschäftigt sich mit Bodenvertiefungen, die dem nachbarlichen Grundstück die Stütze nehmen. Johow setzte sich mit den damals geltenden Regelungen auseinander; während das römische Recht nur die cautio damni infecti 39 gab, will Johow sich den neueren Gesetzen und Gesetzesentwürfen anschließen und dem Nachbarn von vornherein Vertiefungen verbieten, die die Gefahr des Nachrutschens des Nachbarbodens mit sich bringen 40 . In diesem Zusammenhang bezeichnet Johow derartige Bodenvertiefungen als „Anlagen" 4 1 .
36 Die Mot. sprechen von „Grenzeinrichtungen", aber auch weiterhin von „Grenzanlagen", s. Mot. Mugdan I I I S. 151 vorletzter Absatz, 152, 153; s. ferner Prot. ebd. S. 583 letzter Absatz, 5841., 4. Absatz („Grenzeinrichtung"); es heißt in den Mot. ebd. S. 152 2. Absatz auch, für eine „Grenzeinrichtung" sei das Vorhandensein einer „baulichen Anlage" nicht nötig, sondern es genüge, daß eine „Fläche" vorliege; hier wird also zwischen bloßen Flächen und Anlagen unterschieden. 37 Unzutreffend MK-Säcker §907 Rdnr. 2 Fn. 2, der annimmt, der Begriff der „Anlage" nach § 907 sei inhaltlich identisch mit dem der „Einrichtung" nach § 921 BGB; unklar Soergel-Baur § 921 Rdnr. 1 („Veranstaltung"). 38 Abgedruckt bei Schubert ebd. (Fn. 17) S. 32. 39 Dazu im einzelnen oben § 2 Β Fn. 11. 40 Recht auf das onus ferendum; zu den Erwägungen Johows im einzelnen s. Schubert ebd. (Fn. 17) S. 732-734, insbes. S. 733 1. Absatz gegen Ende (zu Windscheid), 734 3. Absatz. 41 Vgl. Schubert ebd. (Fn. 17) S. 733 4. Absatz (Auseinandersetzung mit Art. 674 Code civil). Dagegen kann § 111 VE unmittelbar der Anlagebegriff nicht entnommen werden, da dort mit „Anlage der Vertiefung" der Vorgang gemeint ist, durch den die Anlage geschaffen wird (substantiviertes Verb „Anlegen"), nicht das Ergebnis, „die Anlage" als Vorrichtung. — § 909 BGB ist nicht als Anspruchsgrundlage ausgestaltet, sondern regelt die Frage, wann Bodenvertiefungen rechtmäßig sind; § 907 BGB ist daher auch auf Bodenvertiefungen anwendbar; anders MK-Säcker § 907 Rdnr. 3; O L G Braunschweig SeuffArch 56 Nr. 200, S. 356, 357 = O L G Rspr. 4, 62; O L G Colmar O L G Rspr. 18,129, 130.
§ 5 Untersuchung des § 907 BGB
175
e) Dieses hier offengelegte Verständnis des Anlagebegriffs durch den Gesetzgeber, wonach unter einer Anlage auch die bloße Bodengestaltung ohne Verwendung sonstiger Baustoffe fällt, entspricht auch dem Sprachgebrauch. Daß man etwa eine Grube oder einen Graben „anlege", ist eine gebräuchliche Ausdrucksweise. Darüber hinaus wäre es vom Sinn und Zweck des § 907 BGB her nicht verständlich, wenn solche Bodeneinrichtungen von dem negatorischen Anspruch ausgenommen wären, denn es können davon ebensolche Störungen ausgehen wie von Vorrichtungen aus besonderen Baustoffen. Dafür bieten die vor die Gerichte getragenen Fälle Beispiele wie das Aufschütten von Deichvorland, das zu Feuchtigkeit und Rissen im Haus führte 42 , die zu Erdkegeln aufgehäuften Sand- und Schlammassen beim Bau des Kaiser-Wilhelm-Kanals (Nord-Ostsee-Kanal), von denen der Wind Sand auf das klägerische Grundstück wehte 43 , oder die Schaffung von Lehm- und Tongruben, die ein Nachrutschen des Nachbargrundstücks bewirkten 44 . 3. Was die in der Literatur meist geforderte „gewisse Selbständigkeit" der Anlage bedeuten soll, ist nicht deutlich. Soweit damit gemeint ist, daß die Einrichtung von sich aus, ohne betätigt zu werden, ihren Zweck zu erfüllen habe, ist das Merkmal unzutreffend. Selbsttätigkeit ist keine die Anlage prägende Eigenschaft. Wohl die Mehrzahl der Anlagen, insbesondere im industriellen und gewerblichen Bereich, muß bedient oder benutzt werden. Demgemäß unterscheidet § 907 BGB auch zwischen selbsttätig und nicht selbsttätig arbeitenden Anlagen 45 . Sollte gemeint sein, daß die Anlage körperlich eine selbständige Bauvorrichtung darzustellen habe, so ist auch dies unrichtig. Die Materialien zeigen verschiedentlich, daß auch gerade Teile von baulichen Einrichtungen als Anlagen einzuordnen sind. Der Vorentwurf, dem teilweise ein noch kasuistischer Zug anhaftet und der sich, anders als das BGB, mit Störungen einzelner Anlagen beschäftigt, nennt als solche Einrichtungen in seinem § 113 Vorrichtungen zur Ableitung der Dachtraufe, in § 112 Fenster, Altane und Erker 4 6 . § 114 des Vorentwurfs 47 , der direkte Vorläufer des § 907 BGB, regelt Störungen allgemein durch Anlagen und nimmt auf die ihm vorangestellten §§112, 113 Bezug, indem er von „anderen Anlagen" spricht. Da außerdem an keiner Stelle der Gesetzgebungsgeschichte ein Wandel in der Auffassung des Anlagebegriffs erkennbar ist, dieser sich durch das Beispielsmaterial vielmehr als selbstverständlich und immer gleichbleibend darstellt, steht schon damit fest, daß das Verständnis der Anlage im Sinne von unselbständigen Bauwerksteilen dem § 907 42 43 44 45 46 47
RGZ 155, 154. RGZ 60, 138. RGZ 103, 174; dazu schon oben 3. Kap. § 1 B. Vgl. oben 2. Kap. § 2 A. Zum Abdruck der §§ 112, 113 VE s. oben Fn. 21, 22. Zum Abdruck des § 114 VE oben Fn. 17.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
BGB unmittelbar zugrunde liegt. Aber auch die Vorarbeiten zu dem dem Dienstbarkeitsrecht angehörenden § 1022 BGB legen diese Anlagedefinition offen. Die Vorschrift regelt die Verantwortlichkeit im Falle des Rechts, auf einer „baulichen Anlage" des belasteten Grundstücks eine „bauliche Anlage" zu halten. Die entsprechende, wiederum weniger abstrakt gefaßte Vorentwurfsbestimmung (§ 273)^ enthält als Beispiele für die mit der Dienstbarkeit belastete „Bauanlage" Bauteile, nämlich Mauern, Gewölbe und Pfeiler. Eine Beschränkung auf Vorrichtungen, die ein (physisches) Ganzes darstellen, wäre mit dem Schutzzweck des § 907 BGB auch nicht vereinbar. 4. Für die im Schrifttum umstrittene Frage, ob eine Anlage mit dem Grundstück eine Verbindung aufweisen müsse, ergibt sich folgendes: a) Die in der Literatur anzufindenden Definitionen sind insoweit unklar. Denn soweit sie das Merkmal der Dauerhaftigkeit nennen, andererseits aber auf eine Verbindung mit dem Grundstück verzichten, sind sie offenbar ungenügend überdacht. Von einigem Bestand muß die Anlage nicht allein deshalb sein, weil sie für sich genommen dauerhaft ist; auch bewegliche Sachen können von langer Lebensdauer sein. Die Dauerhaftigkeit der Anlage muß darüber hinaus darauf beruhen, daß sie mit dem Grundstück verbunden ist. Dies folgt an sich bereits aus dem Wortsinn des Begriffs Anlage, zeigt sich aber auch dadurch, daß das Gesetz sich dem negatorischen Schutz vor Störungen durch Anlagen besonders gewidmet hat. § 907 BGB bietet einen weitreichenden vorbeugenden Rechtsschutz, indem er bereits das Herstellen der Anlage (§ 907 I I I . Fall) und, falls diese schon erfolgt ist, die Beseitigung der gesamten Anlage anordnet (§ 907 11 l . F a l l , S. 2). Diese weitgehende Prävention kann ihre Erklärung nur darin finden, daß Anlagen Einrichtungen sind, die das Schicksal der umliegenden Grundstücke eingreifend, weil auf Dauer bestimmen. Es kann sich daher nur um solche Einrichtungen handeln, die mit dem Grund und Boden verbunden sind. Des Schutzes des § 907 vor Einrichtungen, die sich, wie die oft zitierten bloß aufgestellten Bienenkörbe 49 , ohne weiteres entfernen lassen, bedürfte es nicht. Diese Überlegungen werden durch die Gesetzgebungsgeschichte bestätigt, und zwar zunächst indirekt durch das Beispielsmaterial. Sämtliche in den Gesetzesvorarbeiten angeführten Beispiele für Anlagen weisen eine Verbindung mit dem Grundstück auf. Die als Grenzanlagen in § 103 I des Vorentwurfs genannten Mauern, Wände und Gräben 50 , ferner die dort auftauchenden Einrichtungen wie Viehställe, Kanäle und Rinnen, die verschiedenen Zwecken dienenden Gräben, Brunnen und Schornsteine, die in den Materialien weiter aufgeführten
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Abgedruckt bei Schubert ebd. (Fn. 17) S. 60. Etwa Soergel-Baur § 907 Rdnr. 2; Erman-Hagen § 907 Rdnr. 3; Palandt-Bassenge § 907 Anm. 2 a. 50 § 103 I VE (zum Abdruck oben Fn. 33); s. auch § 921 BGB mit oben 2c. 49
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Öfen, Rauchfange 51 , alle Pflanzenanlagen wie Bäume, Hecken, Wein- und Hopfenstöcke 52 sind selbst oder über Gebäude mit dem Grundstück verbunden. Die hier gegebene Erklärung für das Erfordernis der Grundstücksverbindung mit dejn weitgehenden Präventivschutz des § 907 BGB wird aber auch in anderer Weise durch die Gesetzesmaterialien belegt. Der durch den Vorläufer des § 907 BGB, § 114 des Vorentwurfs 53 , gewährte vorbeugende Schutz wird von dem Redaktor Johow folgendermaßen begründet: Es sei nicht zweckmäßig, die unzulässigen Grenzüberschreitungen erst einmal abzuwarten und festzustellen, um sodann Schutz zu gewähren, denn hier pflegten sich die Eingriffe allmählich und unmerklich zu vollziehen, und sie seien, wenn sie sich erst einmal vollzogen hätten, in ihren Wirkungen schwer wieder zu beseitigen54. M i t diesen Bemerkungen ist offenbar gemeint, daß einzelne Immissionen von Anlagen häufig noch nicht zu spürbaren Eigentumseingriffen führen, daß sie aber durch ihre Permanenz solche Folgen zeitigen können. Hier kommt also der Gedanke der dauerhaften Bestimmung des Nachbareigentums zum Ausdruck. Die 1. Kommission greift diese Überlegung Johows auf, läßt den leitenden Gedanken des Dauercharakters von Störungsquellen, die in Anlagen bestehen, aber deutlicher hervortreten. In den Motiven heißt es, daß bei Anlagen, welche ihre Wirkung allmählich und unter kaum merklichen Fortschritten auf das Nachbargebiet erstreckten, die Lage beider Teile verschlimmert werde, wenn erst das Vorliegen einer grenzüberschreitenden Beeinträchtigung konstatiert werden müsse, da die Erlangung der Wiederherstellung des früheren Zustandes für den Beeinträchtigten erschwert und die Restitution für den anderen Teil mit größeren Mühen und Kosten verbunden sein werde 55 . Diese Ausführungen scheinen in erster Linie den Anspruch auf Unterlassung der Herstellung der Anlage im Auge zu haben (§ 907 I 1 BGB). Insoweit besagen sie mit anderen Worten: Ist die Anlage erst einmal errichtet, dann ist es schwer, sie wieder zu beseitigen. Die Ansprüche des § 907 I 1 werden daher im Interesse beider Beteiligter, also auch im Interesse des Störers, geschaffen. Die Darlegungen der Motive beziehen sich aber auch auf den weiteren Anspruch auf Unterlassung des Haltens der Anlage 56 . Hier wird zwischen selbsttätig arbeitenden Anlagen und 51 Vgl. das Beispielsmaterial der Begründung zum VE, Schubert ebd. (Fn. 17) S. 747, 748, der Mot. Mugdan I I I S. 162/163, der Prot. ebd. S. 603 4. Absatz. 52 Vgl. das Beispielsmaterial der Begründung zum VE, Schubert ebd. (Fn. 17) S. 747 / 748 (unter b), 7501. Absatz; ferner der Mot. Mugdan I I I S. 162 letzter Absatz, 163 2. Absatz gegen Ende und der Prot. ebd. S. 602 letzter Absatz (jeweils: „Pflanzenanlagen"). 53
Vgl. Fn. 17. Schubert ebd. (Fn. 17) S. 746/747. 55 Mugdan I I I S. 163 2. Absatz zu Beginn. 56 Vgl. ebd.: „Aus diesem Grunde rechtfertigt sich ein prinzipielles und allgemeines Präventiwerbot..., indem die Errichtung und Haltung der Anlage verboten wird." (Hervorhebung von Verf.). 54
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zu betätigenden Anlagen allerdings nicht unterschieden 57. Denn wenn die selbsttätig arbeitende Anlage hergestellt ist, z.B. eine Drainage, bringt sie die unerwünschten Wirkungen ohne weiteres Dazutun hervor, und es ist der Zustand eingetreten, der auch durch das Verbot des Haltens verhütet werden soll, nämlich die Schaffung von bereits störenden Verhältnissen. Insoweit ist § 9071 BGB unklar. Anders im Falle der erst in Funktion zu setzenden Anlagen: Dort läßt sich die Störung noch nach Errichtung der Anlage verhindern, indem sie gar nicht erst in Betrieb genommen wird. Die Inbetriebnahme ist ein weiterer einschneidender Schritt, der schwer wieder rückgängig zu machende Gegebenheiten schafft und der durch das Verbot des Haltens noch verhindert werden soll. Auf diesen Fall treffen die Erörterungen der 1. Kommission also zu. Doch kommt es auf diese Einzelheiten im vorliegenden Zusammenhang nicht an. Jedenfalls sind es die durch die Existenz einer Anlage eingreifenden, weil dauerhaften Zustände, die die 1. Kommission zur Fixierung eines Anspruches auf Unterlassung des Herstellens und des Haltens der Anlage bewog. In Ausführung desselben Gedankens rechtfertigt die 2. Kommission noch einmal die Schaffung des § 907 1 1 BGB. In den Protokollen wird festgestellt 58, daß eine Erweiterung des negatorischen Anspruches zu einem präventiven Schutzmittel zweckmäßig sei, da eine Anlage für den Grundnachbarn „eine dauernde Quelle der Gefahrdung" darstelle. Zu dem erst durch die 2. Kommission aufgenommenen Anspruch des Satzes 2 des § 907 I 5 9 ist überlegt worden, ob im Falle, daß eine Anlage errichtet wird, die den landesgesetzlichen nachbarlichen Vorschriften entspricht, nicht die allgemeine actio negatoria auf Beseitigung der Einwirkungen genüge60. Die 2. Kommission hat sich dann für den weitergehenden Anspruch auf Beseitigung der Anlage u.a. mit der Begründung entschieden, daß der Eigentümer, wenn die Anlage fortbestehe, „dauernd gefährdet würde" 6 1 , offensichtlich deshalb, weil das Vorhandensein der Anlage den Nachbarn auch zu deren Benutzung reizt. Die zur Schaffung des § 907 BGB führenden Überlegungen waren also, zusammengefaßt, die folgenden: Der Gesetzgeber hat auch die Lage desjenigen im Auge gehabt, der die Anlage errichten will oder der sie bereits hält: Er wollte die mit der Errichtung verbundenen eingreifenden wirtschaftlichen Dispositionen verhindern, da sie, wenn sie einmal in die Tat umgesetzt sind und die Anlage errichtet ist, eine dauernde Gefahr für den Nachbarn darstellt, denn der Betreffende möchte die Anlage natürlich gern nutzen. Dies ist auch der Grund 57 Im übrigen erfolgt die Unterscheidung aber, s. die Mot. gleich im Anschluß an das obige Zitat ebd. S. 163 2. Absatz, ferner ebd. S. 162 letzter Absatz; Prot. Mugdan I I I S. 603 4. Absatz, auch S. 602/603 (Benutzung der Anlage). 58 Prot. Mugdan I I I S. 603 1. Absatz. 59 § 9071 BGB = § 8211Ε I I (abgedruckt bei Mugdan I I I S. XVIII), s. Prot. ebd. S. 602 Antrag 8. 60 Prot. Mugdan I I I S. 603 2. Absatz zweite Hälfte. 61 Ebd.
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dafür, daß im Falle der schon hergestellten Anlage diese vor Ingebrauchnahme zu beseitigen ist. Den Gefahren, die von der Neigung des Erbauers oder des Halters ausgehen, könnte mit dem allgemeinen negatorischen Anspruch des § 1004 BGB auf Beseitigung oder Unterlassung der Beeinträchtigung nicht sicher begegnet werden. Damit steht fest, daß eine Einrichtung Anlage im Sinne des § 907 BGB ist, wenn sie selbst von dauerhaftem Bestände ist und wenn sie mit dem Grundstück verbunden ist. b) A n diesen Befund schließt sich die weitere, bisher nicht geklärte Frage nach der Qualität dieser Verbindung an. In Frage kommt eine Verbindung derart, daß die Einrichtung wesentlicher Bestandteil des Grundstückes wird (§ 94 BGB), sowie eine Verbindung, die diese Rechtsfolge nicht herbeiführt. Ein Grund, eine Verbindung mit der Qualität des § 94 BGB zu fordern, besteht nicht. Zwar ist eine derart feste Verbindung nötig, daß ohne eingreifende Maßnahmen und Folgen für das Grundstück eine Beseitigung der Anlage nicht möglich ist; dies folgt aus dem dargelegten Präventivcharakter des § 907 BGB. So weisen ζ. B. Wein- oder Hopfenpfahle, die sich einfach aus dem Boden ziehen lassen, diese Qualität der Festigkeit nicht auf. Praktisch wird das Erfordernis der hinreichenden Festigkeit der Verbindung oft dazu führen, daß die Anlage wesentlicher Bestandteil des Grundstücks wird. Notwendig ist dieses jedoch nicht. Sinn der Rechtsfolge des § 94 BGB ist es, die wirtschaftliche Einheit von Grundstück und damit verbundener Sache zu erhalten 62 ; folgerichtig erstreckt § 946 BGB das Eigentum am Grundstück auf diese Sache. Diese Bestimmungen besagen aber lediglich, daß, wenn eine solche Verbindung besteht, Grundstück und Sache rechtlich in einer Hand liegen sollen. Die für das Vorliegen einer Anlage nötige Verbindung mit dem Grundstück fordert diese Folge jedoch nicht. Die §§ 93 und 94 BGB geben aber bei der Beurteilung der hinreichenden Verbindung einen Anhalt; Anlagen, die als wesentliche Bestandteile anzusehen sind, genügen dem betreffenden Erfordernis ohne weiteres. Für die im übrigen grundsätzlich ausreichende Festigkeit der Verbindung von Anlage und Grundstück ohne die Qualität des § 94 BGB lassen sich sichere allgemeine Maßstäbe nicht geben 63 . Entscheidend muß der Sinn des § 907 BGB sein, der es verhindern will, daß durch die Anlage dauerhafte, nur unter eingreifenden Maßnahmen zu verhütende Folgen für die Nachbargebiete entstehen.
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Allg. Α., etwa Erman-Schmidt § 93 Rdnr. 1; Palandt-Heinrichs § 93 Anm. 1 a. Auch im Falle der §§ 93, 94 BGB entscheidet über die Frage, ob die Sache als wesentlicher Bestandteil anzusehen ist, der Sinn der Bestimmungen, wirtschaftliche Werte nicht zu zerschlagen; zum wirtschaftlichen Gesichtspunkt der Regelungen s. Larenz AT § 16 I I d. 63
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IV. Ergebnis Damit ergibt die Untersuchung folgendes Ergebnis: Dem Gesetzgeber war der Begriff der Anlage niemals zweifelhaft. Wohl aus diesem Grunde hat er auf eine Definition verzichtet. Was unter einer Anlage zu verstehen ist, läßt sich aber dem Wortsinn des Begriffs, den in den Gesetzesmaterialien und dem Gesetz selbst genannten Beispielen (§§ 921, 1037 II, 1038 II) sowie dem besonderen Schutz, den § 907 BGB gegenüber Anlagen bietet, entnehmen. Danach ergibt sich, daß der allgemein verstandene Begriff der Anlage (oben II) nur zum Teil richtig ist. 1. Anlagen sind Werke, Einrichtungen oder Vorrichtungen, die bauliche Maßnahmen oder Gestaltungen erfordern. Das heißt, die als Anlage zu qualifizierende Einrichtung muß künstlich sein, sie muß ihren Ursprung also in menschlichen Handlungen haben. Keine Anlagen sind Naturerscheinungen wie Teiche, Flüsse, Bäche oder Felsblöcke. 2. Aus der Notwendigkeit der Künstlichkeit ergibt sich bereits, daß Anlagen einem bestimmten Zweck dienen. Demnach stellen die Trümmer eines Bauwerks, die durch Außeneinwirkungen (Explosion) entstanden sind, keine Anlage dar. Der Frage, ob § 907 (S. 1 2. Fall, S. 2) BGB von seiner ratio her dennoch auf derartige zerstörte Anlagen anzuwenden ist, kann hier nicht nachgegangen werden. 3. Das Material, aus dem das Werk besteht, ist gleichgültig. Darunter fallen nicht nur Einrichtungen aus besonderen Baustoffen wie Steine, Holz oder Metalle, sondern auch Einrichtungen, die durch Veränderungen oder Bearbeitungen des Bodens entstehen; die §§ 921,1037 I I und 1038 I I BGB bieten dafür gesetzliche Beispiele. Vertiefungen des Bodens wie Gruben und Gräben, ferner Erhöhungen wie zu Erdkegeln aufgehäufter Sand sind demnach als Anlagen anzusehen. — Des weiteren zählen grundsätzlich auch (künstliche) Anpflanzungen zu den Anlagen; der Gesetzgeber hat in § 907 I I BGB Bäume und Sträucher von den Anlagen des § 907 BGB nicht ausgenommen, um den Anlagebegriff zu definieren, sondern weil er im Selbsthilferecht des § 910 BGB eine Sonderregelung sah und weil er einen präventiven Schutz im Falle von Störungen durch Bäume und Sträucher nicht für notwendig hielt (oben I I I 1). 4. Die Einrichtung muß in zweifacher Hinsicht dauerhaft sein: Sie muß selbst von gewisser Lebensdauer sein, und sie muß mit dem Grund und Boden eine derart hinreichende Verbindung aufweisen, daß ihre Beseitigung nicht ohne größeren Eingriff möglich wäre. Dagegen braucht die Einrichtung nicht wesentlicher Bestandteil des Grundstücks im Sinne des § 94 BGB zu sein. Bewegliche und leicht zu entfernende Sachen wie nicht am Boden verankerte Maschinen oder lediglich aufgestellte Bienenkörbe sind keine Anlagen. 5. Selbständigkeit der Einrichtung, wie sie vielfach gefordert wird, ist in keinerlei Hinsicht nötig: Das bauliche Werk braucht nicht, um als Anlage zu gelten, äußerlich eine abgeschlossene physische Einheit zu bilden wie etwa ein
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Gebäude. Es kann auch Teil einer Vorrichtung oder eines Bauwerks sein, wie ζ. B. ein Schornstein oder ein Balkon. Ferner braucht die betreffende Einrichtung nicht in dem Sinne Selbständigkeit aufzuweisen, daß sie von sich aus, ohne menschliche Bedienung, arbeitet (Drainagen, Wassergräben, Teiche). Anlagen sind auch solche Einrichtungen, die, um ihren Zweck zu erfüllen, bedient oder benutzt werden müssen (Industrie- und Gewerbeeinrichtungen, Viehställe; s. § 907 I BGB selbst). C. Die nach § 907 BGB Verpflichteten I. Einleitung Damit kann sich die Untersuchung der eigentlich anstehenden Frage der nach § 907 Haftenden zuwenden. Dabei ist nach den bereits skizzierten (oben § 2 A) drei Ansprüchen der Vorschrift zu differenzieren. Während § 1004 den Anspruchsgegner wenigstens allgemein bezeichnet („Störer"), nennt § 907 den Gegner in keinem seiner Tatbestände ausdrücklich. Dennoch gibt die Vorschrift einen genaueren Anhalt für die Ermittlung des Verantwortlichen, weil die jeweiligen Störungstatbestände des § 907, anders als in § 1004, fest umrissen sind. Entsprechend den dargelegten Grundsätzen zur Feststellung der für einen rechtswidrigen Tatbestand verantwortlichen Person (oben 10. Kap. I) besteht die Aufgabe darin, für die verschiedenen Ansprüche der Vorschrift den jeweils verbotenen Störungstatbestand und deren Ursache festzustellen (unten I I - I V ) . IL Der nach § 907 11 1. Fall Verpflichtete 1. Nach § 907 I I I . Fall 1 kann der Eigentümer verlangen, daß auf den Nachbargrundstücken keine Anlagen hergestellt werden, von denen mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß ihr Bestand oder ihre Benutzung eine unzulässige Einwirkung auf sein Grundstück zur Folge haben wird. Die Vorschrift gibt also einen Anspruch auf Unterlassung der Herstellung von Anlagen. 2.a) Äußerungen zum Gegner dieses Anspruchs existieren nur wenige. Auf Grund der bereits dargelegten fehlenden Unterscheidung der verschiedenen Ansprüche des § 907 I im Schrifttum 2 bleibt der Verpflichtete des hier zu behandelnden Anspruches häufig im Unklaren 3 . Nach Säcker und Hagen soll 1 Für diesen Anspruch kommt es richtiger Ansicht nach nicht darauf an, ob die Anlage den in § 907 I 2 genannten landesgesetzlichen Vorschriften entspricht, dazu oben § 2 A. 2 Oben § 2 A. 3 Vgl. RGRK-Augustin § 907 Rdnr. 4 zu Beginn (keine klare Unterscheidung zwischen 1. und 2. Alt. des § 907 1 1); Palandt-Bassenge § 907 Anm. 3 a (Verweis auf Kommentierung zu § 1004); nach Offtermatt S. 53 2. Absatz haftet gem. § 907 generell der „Eigenbesitzer", was Offtermatt aus den Worten „gehalten wird" folgert; nach Baur AcP 160 (1961), 465, 479 ist offenbar ebenfalls nach § 907 allgemein der Halter der Anlage verpflichtet (s. oben 5. Kap.). Die Gesetzesmaterialien geben für die Frage des
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dies derjenige sein, der die Anlage errichtet 4 . Dieses Ergebnis ist zutreffend, wenn auch ungenau und der Ergänzung bedürftig. b) Der nach der Bestimmung rechtswidrige Tatbestand ist das Herstellen entsprechender Anlagen. Dieser Tatbestand kann nur durch die Handlung der Errichtung herbeigeführt werden; folglich geht der Anspruch gegen den, der die Herstellung plant. Da das Herstellen ein Kausalwerden bedeutet, ist haftungsauslösender Faktor die Kausalität, jedoch, da die Herstellung der Anlage für die Zukunft beabsichtigt ist, eine hypothetische Kausalität. Gegner des § 907 I 1 1. Alt. ist also, wer bei Durchführung seiner Pläne für die Herstellung der Anlage kausal werden würde. Dieses hypothetische Kausalwerden ist auf zweierlei Weise denkbar: Der Betreffende kann die Anlage eigenhändig errichten wollen oder aber beabsichtigen, sie durch andere errichten zu lassen, sei es auf Grund Vertrages oder auf Grund einer Gefälligkeit. In beiden Fällen ist der haftungsauslösende Faktor der Vorschrift erfüllt. — Was die Qualität der Hypothese anlangt, so muß eine ernsthafte Absicht vorliegen, nicht genügend ist eine vage ins Auge gefaßte Erwägung. Andererseits aber sind schon unternommene rechtliche oder tatsächliche Schritte, etwa ein bereits geschlossener Vertrag mit einem Bauunternehmer (§ 631 BGB) oder der Beginn von Bauarbeiten, nicht notwendig. Dies widerspräche dem Zweck der Vorschrift, wirtschaftliche Maßnahmen von vornherein zu verhindern; liegen solche Realisierungen jedoch vor, belegen sie die Ernsthaftigkeit der Absicht. — Praktisch gesehen können nach § 907 I I I . Alt. haften der Eigentümer, der auf seinem Grundstück eine Anlage errichten will, oder aber andere Personen, die als Pächter oder Mieter des Grundstücks oder als Inhaber einer Dienstbarkeit oder eines Nießbrauchs einen derartigen Plan gefaßt haben (s. §§ 1020 S. 1, 1021, 1022, 1090 II; 1037 I I BGB). Kurz gesagt wirkt also verpflichtend nach § 907 I I I . Alt. das auf Grund einer Hypothese zu ermittelnde Kausalwerden für das Herstellen der Anlage, entweder durch geplantes eigenhändiges Errichten oder durch das geplante Veranlassen der Errichtung durch andere 5. Eine andere Frage ist, ob diejenigen, die die zur Herstellung der Anlage notwendigen Handlungen auf Grund Vertrages oder aus Gefälligkeit vornehmen würden, von ihrer prinzipiell gem. § 907 I I I . Alt. bestehenden Haftung befreit werden können. Soll ein Werkunternehmer tätig werden, so entsteht die Anspruchsverpflichteten keinen Anhalt. §114 des Vorentwurfes war noch nicht als Anspruchsnorm, sondern als Verbotsnorm ausgestaltet, s. Schubert, Vorentwürfe Sachenrecht 1, S. 32; in der Begründung zum Vorentwurf spricht Johow vom „auf die Person des Errichters" bezogenen Verbot, s. Schubert ebd. S. 749 letzter Absatz. Auch § 864 E I war noch als Verbotsbestimmung gestaltet, erst § 821 E I I als Anspruchsvorschrift, s. Mugdan I I I S. X V I I I ; Mot. und Prot, äußern sich zur Person des Verpflichteten nicht, s. Mugdan I I I S. 162f., 601 f. 4 MK-Säcker § 907 Rdnr. 19; Erman-Hagen § 907 Rdnr. 5. 5 Im Ergebnis ebenso Säcker ebd.
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Frage, ob der Anspruch gem. § 907 gegen ihn entfallt, weil ihm dessen Erfüllung wegen seiner vertraglichen Bindung unmöglich ist. Bei den unselbständig die Arbeit Durchführenden, also den Arbeitern und Angestellten des Werkunternehmers, stellt sich das Problem unter dem Aspekt, daß sie fremdbestimmte Tätigkeiten leisten; denkbar ist es, hier die im Arbeitsrecht entwickelten Grundsätze zur Erlangung eines innerbetrieblichen Freistellungsanspruches in Fällen von Schädigungen Dritter heranzuziehen. Diese Einzelheiten können im vorliegenden Zusammenhang nicht behandelt werden 6 ; entscheidend sind lediglich die Prinzipien der Haftung nach § 907. III. Der nach § 907 11 2. Fall Verpflichtete 1. Einleitung § 9071 1 2. Alt. bestimmt, daß auf den Nachbargrundstücken nicht Anlagen gehalten werden dürfen, von denen mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß sie unzulässige Einwirkungen zur Folge haben werden 1 . Die Vorschrift enthält also einen Anspruch auf Unterlassung des Haltens von Anlagen und damit einen Anspruch auf Beseitigung schon errichteter Anlagen 2 . Während der Anspruchsverpflichtete der 1. Alt. des § 90711 ohne weiteres ermittelbar ist, bereitet dessen Bestimmung im Falle der 2. Alt. der Vorschrift Schwierigkeiten. Trotzdem gibt es kaum nähere Auseinandersetzungen mit dem Problem; Äußerungen dazu finden sich nur in der Literatur. Im folgenden soll zunächst ein Überblick über die vorhandenen Deutungen gegeben (unten 2) und sodann ein eigenes Konzept entwickelt werden (unten 3). 6
Zu entsprechenden Problemen bei § 1004 unten 14. Kap. § 3 D IV 2, 3. Für den Anspruch aus § 90711 2. Alt. ist Voraussetzung, daß die Anlage nicht den in § 907 I 2 genannten landesgesetzlichen Vorschriften entspricht, dazu oben § 2 A. 2 Obwohl § 907 I 1 2. Alt. hierin eindeutig ist, wird die Rechtsfolge nicht einheitlich beurteilt. Wie hier MK-Säcker § 907 Rdnr. 15; Erman-Hagen § 907 Rdnr. 5; StaudingerBeutler § 907 Rdnr. 16. Letzterer dagegen differenzierend ebd. Rdnr. 23 4. Absatz: Beseitigungspflicht des benutzenden Nichteigentümers, wenn er die Anlage hergestellt habe, nur Anspruch auf Unterlassung der Benutzung, wenn er sie nicht hergestellt habe; diese Ansicht entspricht den Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 907112. Alt. nicht. Wie hier, aber unter der Voraussetzung, daß die „weitere Benutzung der Anlage die Fortdauer unzulässiger Einwirkungen zur notwendigen Folge" habe RGRK-Augustin § 907 Rdnr. 1; auch diese Voraussetzung ergibt sich aus der Vorschrift nicht: Einwirkungen brauchen noch nicht hervorgetreten zu sein. Unklar Soergel-Baur § 907 Rdnr. 10; Palandt-Bassenge § 907 Anm. 3 b: Der Anspruch des § 907 gehe auf Unterlassung der Herstellung oder der Benutzung oder auf Beseitigung der Anlage; RGZ 104, 81 läßt einerseits die Frage, ob § 907 I 2 einen Anspruch auf Unterlassung des Gebrauchs der Anlage oder auf Betriebseinstellung gibt, offen (ebd. S. 84 1. Absatz), geht dann aber davon aus, daß § 907 „mindestens" einen solchen Anspruch gebe (ebd. 2. Absatz, 85 unten, 86 1. Absatz). Dagegen geht keiner der Ansprüche des §907 I auf Unterlassung der Benutzung der Anlage. Dies widerspräche gerade der Intention des Gesetzgebers, der mit Schaffung der Vorschrift die in der Existenz der Anlage liegende Gefahr der Benutzung für den Nachbarn verhindern wollte, s. Prot. Mugdan I I I S. 603 2. Absatz; dazu oben Β I I I 4 a. 1
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2. Meinungen des Schrifttums a) Die scheinbare Einheitlichkeit der im Schrifttum vertretenen Beurteilung des nach der 2. Alt. des § 907 I 1 Verantwortlichen beschränkt sich auf die wiederholte Nennung bestimmter Haftungskriterien. Dogmatisch einheitliche Grundansätze sind aber nicht erkennbar. Die Ursache des unzulänglich erfaßten Haftungsmaßstabes liegt zum Teil darin, daß das Problem des Anspruchsgegners nicht getrennt nach den drei unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen des § 907 I behandelt wird. Eigenartig ist ferner, daß für den Verpflichteten der in Frage stehenden Vorschrift, den Halter der Anlage, nicht auf die besser entwickelten Grundsätze der Halterhaftung nach § 833 BGB oder § 7 I StVG zurückgegriffen wird, was nahegelegen hätte. — Im ganzen ist die Frage des Anspruchsverpflichteten der hier zu besprechenden Bestimmung völlig ungeklärt. Die Rechtslage läßt sich kaum zusammenfassend schildern: Nach Säcker besteht der Beseitigungsanspruch des § 90711 gegen jeden, von dem die Anlage gehalten werde. Halter sei, wer die Anlage im eigenen Interesse nutze; hier kämen, so heißt es weiter, außer dem Grundstückseigentümer sonstige Benutzer des Nachbargrundstücks in Betracht 3 . Beutler hält jeden für verpflichtet, der aus eigenem Recht die Anlage halte, das heiße im eigenen Interesse benutze4. Nach Hagen geht der Anspruch gegen den „Nachbarn", zu dem er auch den Pächter rechnet, oder den „Dritten", der die Anlage unterhalte 5 . Von Augustin wird angenommen, der Anspruch könne gegen den Eigentümer des Grundstücks, auf dem sich die Anlage befinde, „auch dann gestellt werden, wenn sie von ihm nur hergestellt" sei, aber von einem anderen, z.B. dem Pächter, für eigene Rechnung genutzt werde. Der Anspruch könne ferner gegen einen „Dritten" geltend gemacht werden, der die Anlage auf dem ihm nicht gehörenden Nachbargrundstück halte 6 . Schließlich meint Beutler, daß, wenn niemand mehr die Anlage halte, der Eigentümer als Hersteller auf Beseitigung in Anspruch genommen werden könne 7 . b) Hier einen homogenen tragenden Gedanken zu erkennen, ist nicht möglich. Es läßt sich nur feststellen, welche Kriterien überhaupt eine Rolle spielen; für entscheidend werden die Rechtspositionen an der Anlage gehalten, die Nutzung der Anlage und deren Herstellung. Das Verhältnis von Nutzung und Rechtsposition an der Anlage wird nicht einheitlich beurteilt. Bei Säcker und Beutler spielt die Rechtsstellung an der Anlage insoweit eine Rolle, als sie die Grundlage für das Nutzen der Anlage darstellt; danach sind — jedenfalls 3
MK-Säcker § 907 Rdnr. 19. Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 23 1. Absatz; auch Baur AcP 160 (1961), 479 und MK-Säcker §907 Rdnr. 20, Fn. 117 bezeichnen global den Halter der Anlage als verantwortlich. 5 Erman-Hagen § 907 Rdnr. 5. 6 RGRK-Augustin § 907 Rdnr. 4 zu Beginn. 7 Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 23 letzter Absatz. 4
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zum Teil — also sowohl ein Recht an der Anlage als auch eine Nutzung der Anlage erforderlich. Dagegen kommt es nach Ansicht Augustins und Beutlers auf eine Nutzung nicht an; haften soll der Eigentümer, allerdings unter der Voraussetzung, daß er die Anlage hergestellt hat. Eigentümerposition und Herstellung wirken nach Beutler aber nur in dem Falle verpflichtend, daß die Anlage von niemandem mehr gehalten werde. — Schließlich ist bei Hagen die Bedeutung des Nutzens der Anlage nicht deutlich; offenbar haften danach jedenfalls die an der Anlage Berechtigten („Nachbar", Pächter); Einzelheiten zu den die Anlage unterhaltenden „Dritten" werden nicht mitgeteilt. Überläßt der Eigentümer die Anlage einem anderen, so befürwortet Beutler die Haftung des Eigentümers mit der Begründung, daß er die Anlage durch entgeltliche Überlassung nutze 8 . Bei Säcker hingegen wird der Gedanke der Nutzung als Voraussetzung des Haltens verlassen; offenbar soll der Eigentümer aus praktischen Gründen haften, weil ein nur gegen den Besitzer gerichteter Titel wegen des Rechts des Eigentümers an der Anlage nicht vollstreckbar sei9. Nach Augustin kommt es dagegen für die Haftung des Eigentümers auf eine Nutzung nicht an 1 0 . — Während nach allen Ansichten derjenige, dem die Anlage vom Eigentümer überlassen wurde, haftet 11 , besteht nach Beutler der Beseitigungsanspruch des § 9071 nur, wenn der Betreffende die Anlage auch hergestellt habe, anderenfalls soll er—eingeschränkt — lediglich auf Unterlassen der Benutzung haften 12 . Im Ergebnis geht die Tendenz also dahin, den Eigentümer nach § 907 I zur Verantwortung zu ziehen unabhängig davon, ob er die Anlage nutzt. Daneben soll derjenige haften, dem die Anlage vom Eigentümer überlassen wurde. — Die referierten Ansichten sind in mehrerer Hinsicht negativ zu bewerten. Die Kritik im einzelnen wird sich im Rahmen der im folgenden zu entwickelnden Untersuchung ergeben. 3. Eigene Untersuchung a) Rechtlicher Ansatz
Der maßgebende Ansatz für die Ermittlung des nach § 907 1 1 2. Alt. Verantwortlichen liegt bei dem von der Vorschrift mißbilligten Tatbestand. Dieser besteht im Halten der Anlage. Anspruchsverpflichteter ist folglich derjenige, der diesen Tatbestand verwirklicht 13 . Somit ist für das Haftungskrite8
Ebd. 2. Absatz.
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MK-Säcker § 907 Rdnr. 19. RGRK-Augustin § 907 Rdnr. 4. 11 Vgl. MK-Säcker § 907 Rdnr. 19; Erman-Hagen § 907 Rdnr. 5; RGRK-Augustin § 907 Rdnr. 4 zu Beginn. 10
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Vgl. Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 23 2. Absatz und die genannte Einschränkung 4. Absatz.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
rium festzustellen, wodurch die Erfordernisse des Haltens der Anlage erfüllt werden. Dieses soll im folgenden geschehen. b) Wortbedeutung des Begriffs des „Haltens der Anlage"
Der Begriff des „Haltens" ist nicht spezifisch juristischer Art. Seine Bedeutung bestimmt sich ähnlich wie der Begriff des Tier- oder Fahrzeughalters (§ 833 BGB, § 71 StVG) 1 4 nach einem allgemeinen Sprachverständnis und damit nach den Anschauungen des täglichen Lebens. Zwar wird sich zeigen, daß diese allgemeine Wortbedeutung in rechtlichen Detailfragen keine zweifelsfreien Auskünfte geben kann, doch bietet sie eine Grundlage oder Richtlinie für die Interpretation. Zunächst ergibt dieses Verständnis ohne weiteres, daß das Halten einer Anlage ein Nutzen der Anlage bedeutet 15 . Eine Nutzung erfolgt durch Gebrauch oder, wie § 907 selbst sagt, durch Benutzung 16 . Zweck dieser Verhaltensweise ist es, die Vorteile und Wirkungen der Anlage zu verwenden (s. auch § 100 BGB: Gebrauchsvorteil). Des weiteren wird mit dem „Halten" einer Sache die Vorstellung der Nutzung im eigenen Interesse 17 verbunden, so daß nicht nur derjenige die Anlage hält, der sich ihre Vorteile durch eigenhändige Benutzungshandlungen aneignet, sondern auch, wer sie durch Hilfskräfte bedienen läßt. Zum Begriff des Haltens gehört ferner eine bestimmte Sachbeziehung, die es dem Betreffenden faktisch ermöglicht, die Anlage zu gebrauchen. Und schließlich haftet dem Halten auch ein Dauermomtni an. Halter ist demnach, wer die Anlage für einen längeren Zeitraum und nicht lediglich vorübergehend nutzt 1 8 . Wer nur für einige Tage über die Anlage verfügt, z.B. als Nachbar, der aus Gefälligkeit nach dem Rechten sieht, ist nach allgemeinem Verständnis nicht Halter der Anlage.
13
Insoweit zutreffend MK-Säcker § 907 Rdnr. 19. Dazu etwa Larenz I I § 77 II, IV. 15 So auch MK-Säcker § 907 Rdnr. 19; ferner für die Tierhaltung nach § 833 BGB ζ. B. MK-Mertens § 833 Rdnr. 19 aE; Erman-Drees § 833 Rdnr. 13; häufig ist Tierhaltung aber wegen der sog. Luxustiere nach § 833 S. 1 — im Unterschied zu den Nutztieren des § 833 S. 2 — allgemeiner definiert als „Verwendung", s. etwa Enneccerus-Lehmann § 253 IV 3; MK-Mertens § 833 Rdnr. 19, 20; Erman-Drees § 833 Rdnr. 9. 16 Näher unten c cc. 17 Ebenso MK-Säcker § 907 Rdnr. 19; Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 23 1. Absatz; ferner für den Tierhalter Larenz I I § 77 II; für Verwendung des Tieres im eigenen Interesse auch etwa Lehmann und Drees jeweils ebd.; für Nutzung zu „eigenen Zwecken" M K Mertens § 833 Rdnr. 20. 18 So auch für die Tierhaltung Larenz ebd.; Erman-Drees § 833 Rdnr. 9. 14
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c) Rechtliche Einzelheiten aa) Einleitung
Die hier gegebene Beschreibung des Tatbestandes des Haltens der Anlage mit Hilfe des Wortsinns des Begriffs ist rechtlich noch zu allgemein, als daß der Anspruchsverpflichtete des §907 damit bestimmt werden könnte. Der als wesentliches Merkmal des Tatbestandes des Haltens ermittelte Vorgang der Nutzung ist weiter aufgliederbar und juristisch genauer zu bewerten: Wer eine Sache nutzt, verhält sich in bestimmter Weise, er nimmt Handlungen vor oder bleibt passiv, wenn die Anlage ihren Zweck ohne Bedienungshandlungen erfüllt. Ferner ist die physische Sachbeziehung oder Sachherrschaft, die Voraussetzung der Nutzung ist, näher zu qualifizieren. Bevor sich die Untersuchung diesen Fragen zuwendet (unten cc), soll jedoch die Bedeutung der in der Literatur für nötig befundenen Rechtsposition an der Anlage behandelt werden (unten bb). bb) Bedeutung des im Schrifttum
geforderten
Rechts an der Anlage
Für die Feststellung des nach § 907 I Verantwortlichen wird im Schrifttum (oben 2) das dingliche oder obligatorische Recht an der Anlage, z.B. aus Eigentum oder Pachtvertrag, für magebend gehalten 19 . Doch ist die Bedeutung dieses Erfordernisses undeutlich. Als Element des Tatbestandes des Haltens der Anlage, etwa wegen der eben erwähnten (oben b, c aa) notwendigen Sachbeziehung, wird das geforderte Recht nicht eingeordnet. Soweit es kombiniert wird mit der weiteren Voraussetzung, daß der Eigentümer die Anlage errichtet haben müsse 20 , ist ferner der gedankliche Zusammenhang dieser Voraussetzung — des Errichtens — mit dem Erfordernis des Eigentums nicht erkennbar; abgesehen davon wird das Merkmal der Errichtung der Anlage ohne Berechtigung in die 2. Alt. des § 907 I 1 hineingetragen. Soweit die Rechtsstellung an der Anlage anscheinend als rechtliche Grundlage des Nutzens (Haltens) der Anlage angesehen wird 2 1 , also als die rechtliche Befugnis, die Anlage zu nutzen, ist das Erfordernis unzutreffend. Zwar ist die Heranziehung dieses Gedankens insofern verständlich, als die Nutzung der Anlage gewöhnlich auf der Basis eines dinglichen oder schuldrechtlichen Rechts, also auf Grund Eigentums, Diensbarkeit, Nießbrauches, Miete oder Pacht, geschieht. Doch ist dieses rechtliche Fundament für den Begriff des Haltens bedeutungslos. Dieser enthält keine rechtliche Qualifizierung, sondern besagt lediglich, daß ein tatsächliches Verhältnis zur Anlage gegeben sein muß 2 2 , 19
MK-Säcker § 907 Rdnr. 19; Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 23 1. Absatz (Haltung der Anlage „aus eigenem Recht"), passim; Erman-Hagen § 907 Rdnr. 5; RGRK-Augustin § 907 Rdnr. 4. 20 21
Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 23 4. Absatz. MK-Säcker § 907 Rdnr. 19; Beutler ebd. 1. Absatz.
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das eben in einer Nutzung besteht. Auf welcher Rechtsgrundlage die Nutzung vorgenommen wird, ist ohne Bedeutung. Dies zeigt auch die Überlegung, daß es auf die Wirksamkeit dieser Rechtsgrundlage für die Voraussetzung des Haltens der Anlage nicht ankommen kann. Würden sich beispielsweise Pachtvertrag oder Nießbrauch als nichtig herausstellen, so hätte dies auf die Frage, ob der Pächter oder Nießbraucher die Anlage „gehalten" hat, keinen Einfluß. Das gleiche gilt, wenn der Betreffende nur Buchberechtigter des Grundstücks war (§ 894 BGB). Entscheidend für den Tatbestand des Haltens ist lediglich die tatsächliche Nutzung der Anlage. Soweit die dingliche oder schuldrechtliche Rechtsstellung des Halters isoliert, ohne weitere rechtliche Einordnung gefordert wird, ist sie — dies ergibt sich bereits aus dem soeben Dargelegten — ebenfalls keine nach § 907 1 1 2. Alt. maßgebliche Voraussetzung. Zunächst gibt es generell keine Haftung kraft Eigentums, Dienstbarkeit, Nießbrauches, Pacht oder Miete. Zudem widerspricht diese Auffassung § 907 selbst, dessen verbotener Tatbestand das Halten der Anlage ist, nicht die dingliche oder schuldrechtliche Position an einer Anlage; damit ordnet die Vorschrift (mittelbar) die Haftung des Halters der Anlage an, nicht die Haftung von Eigentümer, Nießbraucher, Pächter oder Mieter. Somit bieten die dargelegten Ansichten nicht mehr als eine praktische Anschauung der möglichen Fallgestaltungen. Das Haftungskriterium des § 907 1 1 2 . Alt. aber ist danach ungeklärt. cc) Voraussetzungen der Nutzung der Anlage aaa) Einleitung
Für eine Untersuchung der Voraussetzungen des Haltens und damit des Nutzens der Anlage (s. oben b, c aa) sind zwei Fälle zu unterscheiden: Eine Anlage wird dadurch genutzt, daß der Betreffende sich die Vorteile der Anlage durch ihren Gebrauch zu eigen macht, beispielsweise dadurch, daß der Landwirt unter Ausnutzung des Entwässerungseffektes der Drainage seine Felder bebaut. Fraglich aber ist, ob eine Nutzung auch darin gesehen werden kann, daß einem anderen die Anlage auf Grund Schuldvertrages (ζ. B. Pacht) oder Bestellung eines dinglichen Rechts (z.B. Nießbrauch) überlassen wird, damit dieser seinerseits eigene wirtschaftliche Vorteile daraus zieht. Die Abhandlung wendet sich zunächst dem Fall der eigenen Nutzung zu (bbb), sodann dem genannten weiteren Fall (ccc). 22 Dies ist im Falle der Tierhaltung allg. Α., s. etwa Enneccerus-Lehmann § 253IV 3 vor a; Erman-Drees § 833 Rdnr. 9 aE (das Verhältnis sei ein rein tatsächliches, unwesentlich seien Eigenbesitz oder Eigentum); allerdings werden in inkonsequenter Weise die verschiedenen rechtlichen Grundlagen des Haltens wie Eigentum, Miete oder Verwahrung dennoch herangezogen, s. z.B. Enneccerus-Lehmann § 253 IV 3a, b; Erman-Drees § 833 Rdnr. 11 jeweils mwN.
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bbb) Eigene Nutzung
Für die Erfordernisse des Nutzens einer Anlage ist nach der Art der Anlage zu unterscheiden. § 907 differenziert selbst zwischen den beiden möglichen Anlagearten, die schon öfter erläutert wurden: Es gibt Anlagen, die selbsttätig funktionieren (§ 907: „Bestand"), sowie Anlagen, die jeweils in Funktion gesetzt werden müssen, um ihren Zweck zu erfüllen (§ 907: „Benutzung"). Die Art und Weise der Nutzung richtet sich nach dieser Differenzierung. (1) ( I i ) Handelt es sich um den zuletzt genannten Fall der zu bedienenden Anlage, so beruht deren Nutzung auf entsprechenden Benutzungshandlungen. Nun regelt die hier besprochene Bestimmung des § 907112. Alt. den Fall, daß von der Anlage unzulässige Einwirkungen noch nicht ausgegangen sind. Dies ergibt sich schon daraus, daß Voraussetzung des Anspruchs die sichere Voraussehbarkeit solcher Einwirkungen ist, zeigt aber auch Satz 2 der Vorschrift, der bestimmt, daß der Beseitigungsanspruch bei Anlagen, die landesgesetzlichen Regelungen entsprechen, erst dann gegeben ist, wenn die unzulässige Einwirkung tatsächlich hervortritt. Somit liegen im Falle des § 907 1 1 2. Alt. entweder noch gar keine Einwirkungen vor. Dann ist die Anlage überhaupt noch nicht betätigt worden. Oder aber es liegen zwar Einwirkungen vor, diese sind jedoch nicht unzulässig, da sie unwesentlich oder ortsüblich sind (§ 906 I, I I BGB); in diesem letzteren Fall liegen bereits Benutzungshandlungen vor. Damit zeigt sich, daß im Falle des § 907112. Alt. die Nutzung der Anlage erst geplant sein kann. Trotzdem spricht die Vorschrift vom Halten der Anlage. Dieses Verständnis des Gesetzes stimmt mit dem allgemeinen Wortsinn überein. Danach hält auch derjenigedie Anlage, der nur die Absicht hat, sie künftig zu nutzen und dementsprechende Benutzungshandlungen vorzunehmen. (22) Außer — tatsächlichen oder geplanten — Handlungen, die die Anlage in Funktion setzen, gehört zum Nutzen der Anlage ferner die schon erwähnte Sachherrschaft (oben b, c aa). Anders ist dieser Tatbestand, der im Gebrauch und der Aneignung der aus dem Gebrauch fließenden Vorteile besteht, nicht denkbar. Außerdem muß die Anlage im vorliegenden Fall, in dem es um nicht selbstwirkende Anlagen geht, bedient werden können. Dieses Erfordernis der Sachbeziehung oder Sachherrschaft ist rechtlich als unmittelbarer Besitz zu qualifizieren (s. § 854 I BGB) 2 3 . (33) Die Nutzung und damit das Halten der Anlage besteht somit im Falle nicht selbstwirkender Anlagen in geplanten oder tatsächlichen BenutzungsAanrflungen sowie im unmittelbaren Besitz. (2) Wirkt die Anlage hingegen ohne Dazutun durch ihr selbsttätiges Arbeiten (Wassergräben, Drainagen) oder durch ihre bloße Existenz (Erdauf23 So auch für den Tierhalter Enneccerus-Lehmann § 253 IV 3 vor a: ohne mittelbaren oder unmittelbaren Besitz sei das Verhältnis kaum denkbar.
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schüttungen), so wird die Anlage dadurch genutzt, daß der Betreffende sich den Effekt der Anlage zugute kommen läßt, ohne daß er Handlungen an der Anlage selbst vornimmt. Das Gebrauchen der Anlage beschränkt sich hier auf andere Handlungen, die in Ausnutzung der Wirkungen der Anlage getätigt werden, ζ. B. im Anbau der durch die Entwässerungsanlage entwässerten Felder oder aber dadurch, daß Bauarbeiten vorgenommen werden, deretwegen überschüssige Erdmassen 24 zu Erdkegeln aufgehäuft an anderer Stelle lagern. In diesen Fällen besteht das Halten der Anlage also in einem Nicht-Handeln 25 . Aber auch bei dieser Art Anlagen ist eine Sachbeziehung, also unmittelbarer Besitz 26 , nötig, da die Zugriffsmöglichkeit, etwa für Reparaturen oder bauliche Veränderungen, gegeben sein muß. (3) Zusammenfassend läßt sich folgendes feststellen: I m Falle nicht selbstwirkender Anlagen besteht die Nutzung und damit das Halten der Anlage in tatsächlichen oder geplanten Gebrauchs Handlungen. I m Falle selbstwirkender Anlagen erfolgt die Nutzung durch ein Wirken-Lassen der Anlage, also durch ein Nicht-Handeln. In beiden Fällen ist unmittelbarer Besitz notwendig 27 . ccc) Nutzung durch Überlassung an andere?
(1) Nunmehr hat sich die Untersuchung der Frage zuzuwenden, ob die Nutzung einer Anlage auch darin gesehen werden kann, daß sie einem anderen überlassen wird. In dieser Form wird die Frage im Schrifttum nicht behandelt, weil es danach auf die Nutzung der Anlage nicht ankommt 2 8 . Lediglich Beutler hält den Eigentümer deshalb für haftbar, weil in der entgeltlichen Überlassung eine Nutzung liege 29 . I m übrigen aber wird, wie die Darstellung der Rechtslage gezeigt hat (oben 2), ohne Begründung der Eigentümer neben dem Übernehmenden unabhängig von der Nutzung für verantwortlich gehalten. Da es nach hier vertretener Ansicht allein auf den Tatbestand des Haltens und damit nicht auf das Recht an der Anlage (Eigentum) ankommt (oben 3 c bb), ist diese letztere Auffassung abzulehnen. Die Frage, ob sich der Anspruch des § 907 1 1 2. Alt. gegen den Überlassenden richtet, hängt ausschließlich davon ab, ob er die Anlage nutzt.
24
Zum Begriff der Anlage oben Β III, IV.
25
Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 23 1. Absatz spricht hier von Anlagen, die einer eigentlichen Benutzung nicht zugänglich seien. 26 Vgl. auch oben b und Fn. 23. 27 Eine Beseitigungspflicht des Eigentümers nimmt für den Fall, daß die Anlage von niemandem mehr genutzt werde, an MK-Säcker § 907 Rdnr. 20; ferner Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 23 letzter Absatz unter dem weiteren Erfordernis, daß der Eigentümer die Anlage hergestellt habe. Bei Brachliegen der Anlage fehlt es an einer Nutzung und damit am Tatbestand des Haltens. 28 29
Oben 2. Ebd. Fn. 7.
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Das Nutzen der Anlage wurde oben (3 b, c cc bbb) als ein Gebrauchen der Anlage erläutert, dessen Sinn es ist, sich die Vorteile der Anlage anzueignen. Der Gebrauch kann nun zwar dadurch geschehen, daß der Betreffende die erforderlichen Gebrauchshandlungen durch Hilfskräfte durchführen läßt (oben b). Ihm fließen hier die wirtschaftlichen Vorteile durch die Tätigkeit anderer zu. Um diesen Fall geht es im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht, denn die Gebrauchsvorteile sollen dem Übernehmenden, etwa dem Dienstbarkeitsberechtigten, Nießbraucher, Pächter oder Mieter, zufließen, ein Gebrauch der Anlage durch den Überlassenden selbst liegt dagegen nicht vor. Wohl aber kann er Vorteile in diesen Fällen erlangen, wenn er für die Überlassung der Anlage einen Anspruch auf Entgelt erhält, also z.B. in Form von Miet- oder Pachtzinsen. Hier liegt eine andere Art des Nutzens der Anlage als durch ihren Gebrauch vor. Das Gesetz versteht unter der Nutzung einer Sache auch die Fruchtziehung (§ 100 BGB). Zu den Früchten einer Sache zählen auch die Erträge, welche eine Sache vermöge eines Rechtsverhältnisses gewährt (§ 99 I I I BGB, sog. mittelbare Früchte einer Sache30). Demnach würde das Halten der Anlage im Falle ihrer Überlassung an andere Personen darin liegen, daß dem Betreffenden auf Grund Vertragsschlusses Ansprüche auf ein Entgelt zustehen. Er wäre Halter der Anlage kraft dieser Forderungen. Die Überlassung der Anlage an einen anderen ist aber auch möglich, ohne daß Ansprüche auf ein Entgelt entstehen. Dies ist einmal der Fall, wenn die Anlage unentgeltlich (§ 598 BGB) oder aus Gefälligkeit überlassen wird. Hier liegen keine Erträge und damit auch keine Nutzung vor. Insoweit ist demgemäß ein Halten der Anlage nicht gegeben. — Der zweite mögliche Fall ist der eines unwirksamen Vertrages; hier ist zu unterscheiden: Wurde die Anlage bereits überlassen, so hat der Übernehmende den Gebrauch der Anlage rechtsgrundlos erhalten (§ 812 I BGB); er muß also gem. § 818 I I BGB Wertersatz leisten 31 . Somit sind trotz Unwirksamkeit des Vertrages Erträge und damit eine Nutzung gegeben; insoweit wäre der Tatbestand des Haltens der Anlage erfüllt. Wurde die Anlage dagegen noch nicht übergeben, besteht kein Anspruch auf Wertersatz; Erträge liegen somit nicht vor, so daß auch von einer Nutzung keine Rede sein kann; hier fehlt es am Merkmal des Haltens. Es hinge nach den bisherigen Überlegungen das „Halten" der Anlage von Art und Wirksamkeit des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses ab. Aus Gründen der Logik kann gegen diese Differenzierung kein Einwand erhoben werden; sie ist eine Konsequenz der Deutung der Nutzung mit Hilfe der §§ 100,99 I I I BGB. Doch bestehen gegen diese Übernahme der gesetzlichen Definition der Nutzung für den Tatbestand des Haltens generell Bedenken. Sie führt dazu, daß trotz des gleichen Sachverhaltes, nämlich der Überlassung der Anlage an einen anderen, 30
Dazu etwa Larenz AT § 16 V 1. Zum Bereicherungsgegenstand bei Gebrauch fremder Sachen s. Erman-H. P. Westermann § 818 Rdnr. 26 ff. 31
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unterschiedliche Ergebnisse vorliegen: Je nach Rechtsgrundlage der Überlassung (Entgeltlichkeit, Wirksamkeit des Vertrages) ist der Tatbestand des Haltens gegeben oder nicht. Darüber hinaus aber hat die genannte Definition zur Folge, daß das Halten der Anlage in der Existenz von Ansprüchen besteht, also in einer rechtlich abstrahierten Form. Insgesamt wird der Begriff somit abhängig gemacht von rechtlichen Wertungen. Es hatte sich aber gezeigt, daß das Halten der Anlage ein lediglich tatsächliches Verhältnis zur Anlage voraussetzt (oben 3 c bb). Die erwogene Definition des Nutzens im Sinne der §§ 100,99 I I I steht also mit dem Begriff des Haltens nicht in Einklang 32 . Somit ist in den Fällen der Überlassung der Anlage der Überlassende nicht Halter im Sinne des § 907. Wollte man sich nun von dem bisher definierten Verständnis der Nutzung (oben b, c cc bbb) völlig lösen und den Begriff in einem allgemeinen und weiten Sinne verstehen, könnte man Nutzung auffassen als jede „Verwendung" der Anlage, unabhängig von der rechtlichen Form der Überlassung, also unabhängig davon, ob ein wirksamer Vertrag zugrunde liegt, ein Gefalligkeitsverhältnis, ein entgeltlicher oder unentgeltlicher Vertrag. Die Nutzung der Anlage läge dann ausschließlich im Überlassungstatbestand, so daß Halten definiert wäre als Überlassung der Anlage an einen anderen in irgendeiner Rechtsform. Gegen diese Anschauung spricht aber, daß damit eine ins rechtlich Unbestimmte verflüchtigte Form des Haltens gegeben wäre; an einem rechtlichen Band zwischen Überlassendem und Übernehmer könnte es völlig fehlen. Löst man sich in den Fällen der Überlassung schon von der Voraussetzung einer tatsächlichen Nutzung durch Gebrauch (§ 100 BGB), so muß andererseits mindestens eine rechtlich qualifizierbare Form der Nutzung vorhanden sein, weil es sonst an einer Bindung zwischen Überlassendem und Übernehmer und damit an einer Beziehung zur Anlage überhaupt fehlen würde. Dem Sinn des Begriffes „Halten" entspräche ein solcher Sachverhalt nicht mehr. Schließlich wäre es auch nicht möglich, für den Begriff des Haltens im Falle der Überlassung der Anlage auf den Aspekt der Nutzung überhaupt zu verzichten und ihn zu beschränken auf die Rechtsposition des mittelbaren Besitzes (§ 868 BGB). Der Tatbestand des Haltens setzt ein Nutzen der Anlage (Gebrauchen) voraus. Er ist nicht mehr gegeben, wenn sich die Beziehung zu der Anlage in einem Besitzverhältnis erschöpft. Zudem würde es sich um eine tatsächliche Sachherrschaft nicht handeln, da sich die Rechte des mittelbaren Besitzers auf Herausgabeansprüche gegen den Übernehmenden beschränken (s. § 868 33 ).
32 Vgl. auch Ennecerus-Lehmann § 253 IV 3 a zum Tierhalterbegriff: Es sei sprachlich unannehmbar, den Verpächter haften zu lassen; niemand werde von dem, der sein Landgut mit Inventar verpachtet habe, sagen, er „halte" die zum Inventar gehörigen Tiere. 33 Zu dem für ein Besitzmittlungsverhältnis notwendigen Herausgabeanspruch s. etwa Erman-Werner § 868 Rdnr. 8 mwN.
§ 5 Untersuchung des § 907 BGB
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Somit ergibt sich für den Begriff des Haltens der Anlage, daß die Nutzung in einem engeren als von den §§ 100,99 I I I BGB verstandenen Sinne auszulegen ist. Nutzung bedeutet hier nur Gebrauch, jedoch nicht Fruchtziehung. Diese Interpretation folgt aus dem allgemeinen Verständnis des Ausdrucks „Halten" der Anlage, mit dem eine ins rein Abstrakte verflüchtigte Beziehung zu der Anlage in Gestalt von Ansprüchen nicht vereinbar ist. Damit ist festzustellen, daß der eine Anlage Überlassende nicht Halter der Anlage ist. (2) (11) Die Möglichkeit des Nebeneinander von schuldrechtlichen und dinglichen Rechten an ein und derselben Anlage kann dazu führen, daß, wenn einer der mehreren Berechtigten als Halter im Sinne des § 907 I in Anspruch genommen wird, er zur Erfüllung seiner Beseitigungspflicht in die Rechte des anderen eingreift. Der Nießbraucher, Dienstbarkeitsinhaber, Pächter oder Mieter verletzt die Rechte des Eigentümers. Bei einer Unterpacht oder Untervermietung greift der Unterpächter oder -mieter in die Vertragsrechte des Unterverpächters oder -Vermieters und die Rechte des Eigentümers ein. Sind zwei Personen gleichzeitig an einer Anlage dinglich berechtigt, ζ. B. Eigentümer und Nießbraucher nebeneinander, sind beide Halter. Wird das Beseitigungsverlangen nur an einen von ihnen gestellt und kommt er dem Verlangen nach, verletzt er die Rechte des anderen. Es handelt sich in allen diesen Fällen um Vertragsverletzungen und Verletzungen von Eigentum, dinglichen Rechten und Besitz mit der Folge denkbarer Ansprüche aus positiver Forderungsverletzung, aus § 325 wegen Unmöglichkeit der Überlassung der Anlage (§§ 535 S. 1, 581 11) sowie aus § 823 und §§ 1004,1027 (1090 II), 1065 und 862. I m einzelnen sieht die Rechtslage bei Zugrundelegung typischer Fallgestaltungen folgendermaßen aus: Bei Eingriffen der schuldrechtlich oder dinglich Berechtigten in das Recht des Eigentümers sind Ansprüche aus positiver Forderungsverletzung des betreffenden Vertrages und aus §§ 823 und 1004 denkbar. Bei Eingriffen des Unterpächters oder -mieters liegt ebenfalls eine positive Forerungsverletzung im Verhältnis zum Unterverpächter oder Untervermieter vor, außerdem kommen Ansprüche aus den §§ 1004 und 823 in Betracht. — Bei Beseitigung der Anlage durch den Eigentümer können dinglich Teilberechtigte sich auf die §§ 1027 (1090 II) und 1065 in Verbindung mit § 1004 berufen. — Bei Beseitigung der Anlage durch den Untervermieter, Unterverpächter oder den vermietenden oder verpachtenden Nießbraucher kommen ebenfalls Ansprüche aus § 325 wegen Nichtleistung (§§ 535 S. 1, 58111) und Ansprüche aus § 862 in Betracht. Ferner ist jeweils eine Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO denkbar mit dem Ziel, die Zwangsvollstreckung (§ 887 ZPO) zu verhindern. Dinglich Berechtigten wie Eigentümer, Nießbraucher und Dienstbarkeitsinhabern steht ein Recht im Sinne des § 771 ZPO zu, ebenso den schuldrechtlich Berechtigten wie Pächtern, Mietern oder Entleihern 34 . 34
Bei schuldrechtlichen Ansprüchen ist die Klage nach § 771 ZPO nach allg. A. nur gegeben, soweit es sich um Herausgabeansprüche aus Überlassung von Gegenständen handelt (§§ 535 S. 1, 58111, 598,688,667 BGB) im Unterschied zu Verschaffungsansprü13 Herrmann
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(22) Dieser materiell-rechtlich wie prozessual denkbaren Kollision der verschiedenen Pflichten nach § 907 I einerseits und vertraglichen und gesetzlichen Pflichten andererseits hat Säcker zu einer besonderen Interpretation des § 907 veranlaßt. Offenbar ist der durch § 907 I 1 2. Alt. mögliche Eingriff in fremdes Eigentum auch der Grund, warum Beutler den Anspruch gewissermaßen korrigierend interpretiert 35 . Nach Säcker sind grundsätzlich Eigentümer und Benutzer wie Gesamtschuldner auf Beseitigung der Anlage in Anspruch zu nehmen 36 . Ob Säcker den überlassenden Eigentümer als Halter im Sinne des § 907 ansieht und ob er (auch) deshalb zu diesem Ergebnis gelangt, ist nicht erkennbar. Jedenfalls aber aus praktischen Gründen hält er sowohl Eigentümer als auch Benutzer für beseitigungspflichtig, weil ein sonst nicht auflösbares „SpannungsVerhältnis" zwischen ihnen entstehe. Einmal könne der Benutzer den Eigentümer bei Eingriffen in die Anlage als Besitzer gem. den §§ 858, 859 BGB und auf Grund seines Benutzungsrechts entgegentreten. In der Zwangsvollstreckung sei ein allein gegen den Eigentümer gerichteter Titel nicht vollstreckbar. Diese Grundsätze hätten auch umgekehrt für den Fall der Beseitigung allein durch den Benutzer Geltung. Beide Personen seien wie Gesamtschuldner auf Beseitigung in Anspruch zu nehmen, um dadurch ein etwaiges Widerspruchsrecht in der Zwangsvollstreckung auszuschalten37. Anders ist die Lösung Beutlers. Er hält den Beseitungsanspruch gegen den Nicht-Eigentümer nur für gegeben, wenn er die Anlage selbst hergestellt hat. Dagegen will er ihn lediglich auf Einstellung der Benutzung 38 haften lassen, wenn er die Anlage nicht errichtet habe 39 . (33) Zu der nach § 907 möglichen Kollisionslage ist zunächst grundsätzlich festzustellen, daß sie keine Besonderheit darstellt. Das Nebeneinander von Rechtsverhältnissen einer Person mit verschiedenen Rechtsgenossen, wie hier auf Grund des gesetzlichen Anspruchs nach § 907 einerseits und vertraglichen und gesetzlichen Ansprüchen andererseits, kann zum Pflichtenwiderstreit führen. Die Konsequenzen seines rechtswidrigen Verhaltens muß prinzipiell chen (z.B. aus §§ 433 I, 2174 BGB), s. Thomas-Putzo, ZPO, 13. Aufl., München 1985, § 771 Anm. 6d. 35 Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 23 4. Absatz nennt ausdrücklich keinen Grund für seine Interpretation. Es heißt aber: Habe der Nichteigentümer die Anlage nicht hergestellt, so „rechtfertige" § 907 ein Beseitigungsverlangen „ihm gegenüber" nicht. 36 MK-Säcker § 907 Rdnr. 19, 24. 37 Auf Grund der von Säcker erwähnten Besitzschutzansprüche dringt der Kläger mit der Klage aus § 771 ZPO jedoch nicht durch, jedenfalls soweit es sich, wie hier meist (oben Β I V 4), um eine unbewegliche Sache handelt, da aus dem Besitz nicht folgt, daß, wie § 771 I ZPO dies verlangt, die Sache zum Vermögen des Dritten (Übernehmer der Anlage) gehört; s. auch Thomas-Putzo ebd. (Fn. 34) § 771 Anm. 6 f. 38 Staudinger-Beutler § 907 Rdnr. 23 4. Absatz. 39 Beutler ebd.
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jeder hinnehmen. So hat sich im vorliegenden Fall ζ. B. der Pächter den von ihm gesetzten rechtswidrigen Tatbestand des Haltens der Anlage nach § 907 entgegenhalten zu lassen, selbst wenn er dadurch in Schwierigkeiten im Verhältnis zu seinem Vertragspartner oder zum Eigentümer der Anlage gerät. A m materiell-rechtlichen Gehalt der Ansprüche kann dieser Pflichtenwiderstreit nichts ändern. Hier liegt der grundsätzliche Einwand gegen die Beurteilung des § 907 durch Säcker und Beutler. So kann die Kollisionsmöglichkeit im vorliegenden Fall nicht etwa dazu führen, den Eigentümer nach § 907112. Alt. unabhängig davon für verpflichtet zu halten, ob er Halter im Sinne dieser Vorschrift ist. Das Gesetz hätte, wenn es den Eigentümer hätte zur Verantwortung ziehen wollen, diesen als Verpflichteten benennen können. Dies ist nicht geschehen. Zudem hätte auch diese Lösung Konflikte nicht ausgeschlossen, denn die Beseitigungspflicht des Eigentümers würde zu Eingriffen in Vertragsrechte führen, wenn die Anlage vermietet oder verpachtet oder wenn sie Gegenstand einer Dienstbarkeit oder eines Nießbrauchs ist. Aber auch die Lösung Säckers, der grundsätzlich Eigentümer und Benutzer der Anlage in Anspruch nehmen will, schließt derartige Probleme nicht aus. Bei einer Unterverpachtung (Untervermietung) etwa würde ein Anspruch gegen den Eigentümer und den Pächter (Mieter), der gleichzeitig Verpächter (Vermieter) ist, zu Verletzungen des Unterpachtvertrages (Untermietvertrages) führen, es sei denn, man würde auch den Unterverpächter (Untervermieter) als Halter ansehen. Dies wäre jedenfalls auf der Grundlage der hier vertretenen Deutung des Halterbegriffs nicht möglich, weil der Unterverpächter (Untervermieter) die Anlage nicht gebraucht [oben (1)]. — Gegen die Ansicht Beutlers spricht zweierlei. Einmal kann der bestehende Konflikt nicht dadurch verhindert werden, daß der die Anlage benutzende Nicht-Eigentümer nur bei eigener Herstellung der Anlage auf Beseitigung haftet, bei nicht eigener Errichtung dagegen — eingeschränkt — nur auf Einstellung der Benutzung. Die Beschränkung der Rechtsfolge für den Fall der Nicht-Herstellung verhindert zwar den sonst nach § 907 1 1 2. Alt. gegebenen Eingriff in fremdes Eigentum, doch ist dieser Eingriff im Falle der Herstellung der Anlage durch den Benutzer gegeben. Beutler geht ja davon aus, daß der Betreffende trotz eigener Herstellung nicht Eigentümer der Anlage ist; demnach wird die Anlage wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, so daß das Eigentum am Grundstück sich auf die Anlage erstreckt (§§ 94, 946 BGB). — Im übrigen ist die von Beutler vorgenommene Differenzierung in Herstellung und Nicht-Herstellung und die von ihm befürwortete eingeschränkte Rechtsfolge mit der Vorschrift nicht in Einklang zu bringen. Es kommt nach § 907 1 1 2. Alt. nicht darauf an, wer die Anlage hergestellt hat, sondern nur darauf, wer sie hält. Die Beschränkung der Haftung widerspricht der klaren Anordnung des Gesetzes. (44) Die Lösung des Problems ist auf Grund anderer Überlegungen zu erreichen. Die Beseitigung der Anlage zur Verwirklichung des Anspruchs nach § 907 1 1 2. Alt. ist gegenüber anderen an der Anlage Berechtigten rechtmäßig 1*
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und würde daher die geschilderten vertraglichen und gesetzlichen Ansprüche [oben (11)] nicht auslösen. Wenn das Gesetz auf dem Standpunkt steht, daß das Halten der Anlage rechtswidrig und diese daher zu beseitigen ist, so kann die Befolgung dieser Anordnung nicht rechtswidrig sein 40 ; anderenfalls müßte man dem Gesetzgeber den Vorwurf machen, daß er den Halter der Anlage zu rechtswidrigem Verhalten zwingt. Damit ist auch eine die Zwangsvollstreckung hindernde Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) ausgeschlossen. Der betreffende Eigentümer oder sonst dinglich Berechtigte, Pächter oder Mieter können sich in der Zwangsvollstreckung (§ 887 ZPO) mit Erfolg auf ihre Rechte nicht berufen, weil sie den Eingriff hinzunehmen haben. Diese Lösung ist auch vom Ergebnis her zu akzeptieren. Würde ζ. B. der Eigentümer, statt die Anlage zu verpachten oder ein dingliches Recht daran zu bestellen, die Anlage selbst halten, wäre er nach § 907 1 1 2. Alt. beseitigungspflichtig. Er kann nun nicht deshalb besser stehen, also Schadensersatzansprüche gegen den Halter geltend machen (positive Forderungsverletzung, § 823) oder die Beseitigung verhindern wollen (§§ 1004, 862 BGB, § 771 ZPO), weil er sie einem anderen überlassen hat. Daß diese Lösung zutreffend sein muß, bestätigt schließlich folgende Überlegung: Sieht man einmal davon ab, daß der Gesetzgeber den Kreis der nach § 907 1 1 2. Alt. Verpflichteten auf den Halter beschränkt hat und eine Gesetzesinterpretation hieran gebunden ist, so ließe sich eine Kollision von Verpflichtungen selbst dann nicht verhindern, wenn alle mit der Anlage in rechtlicher Beziehung stehenden Personen als nach § 90711 2. Alt. verantwortlich anzusehen wären. Untereinander greifen diese Personen bei Erfüllung ihrer Pflicht aus § 907 in die Rechte des anderen ein. So würde bei der von Säcker behandelten Fallage 41 der Eigentümer bei Beseitigung der Anlage die Rechte aus Miete, Pacht, Nießbrauch oder Dienstbarkeit verletzen, umgekehrt würden diese Personen in die Rechte des Eigentümers eingreifen. Prinzipiell ist der Widerstreit der Verpflichtungen also gegeben und auch nicht dadurch zu beseitigen, daß beide Seiten nebeneinander nach § 907 zur Beseitigung der Anlage verpflichtet sind. Die Beseitigung durch den jeweils nach § 907 Verpflichteten führt nur deshalb nicht zu den materiell-rechtlichen und prozessualen Sanktionen, weil sie auf Grund von § 907 nicht rechtswidrig ist, nicht aber deshalb, weil jeden von ihnen die Pflicht der Vorschrift trifft 4 2 . Die von Säcker vertretene Lösung der Gesamtschuldnerschaft löst also das eigentliche Problem nicht. 40 § 907 I 2. Alt. ist daher selbst Rechtfertigungsgrund. Im Ergebnis kommt es nicht darauf an, ob man, was ebenfalls denkbar wäre, hier eine Rechtfertigung auf Grund Pflichtenkollision annimmt; einen solchen Rechtfertigungsgrund erkennt Fikentscher § 52 I I I 3 an. 41 42
Oben bei Fn. 36, 37.
Denkbar ist ferner, daß der Geltendmachung der Ansprüche durch den einen Beteiligten wegen Verletzung seiner vertraglichen und gesetzlichen Rechte das Verbot des venire contra factum proprium entgegensteht (§ 242); da aber der Eingriff nach hier vertretener Ansicht schon nicht rechtswidrig ist, bedarf es dieses Behelfs nicht.
§ 5 Untersuchung des § 907 BGB
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4. Ergebnis zu 1-3 a) Die Untersuchung ergibt für die Person des nach §907 I 1 2. Alt. Verpflichteten folgendes: Da das Halten der Anlage der vom Gesetz mißbilligte Tatbestand ist, ist in Anspruch zu nehmen, wer die Voraussetzungen des Haltens einer Anlage erfüllt. b) aa) Das Halten einer Anlage ist zu definieren als ein Nutzen der Anlage durch deren Gebrauch zu dem Zweck, sich deren wirtschaftliche Vorteile anzueignen (Gebrauchsvorteile, s. § 100 BGB). Die Nutzung erfolgt bei nicht selbstwirkenden Anlagen durch Benutzungsund Bedienungshandlungen. Diese muß der Halter der Anlage nicht eigenhändig vornehmen. Ein Gebrauchen liegt auch dann vor, wenn die entsprechenden Handlungen von anderen (Hilfskräften) vorgenommen werden. — Sind Einwirkungen nach § 907 1 1 2. Alt. noch nicht hervorgetreten, liegen noch keine Gebrauchshandlungen vor. In diesem Fall handelt es sich erst um eine geplante Nutzung der Anlage; diese erfüllt ebenfalls den Begriff des Haltens. Bei selbstwirkenden Anlagen erfolgt die Nutzung dadurch, daß dem Betreffenden die Wirkungen der Anlage zugute kommen, ohne daß er Handlungen an der Anlage selbst vornehmen muß. bb) Logisch-praktische Voraussetzung der Nutzung ist eine tatsächliche Sachherrschaft, also unmittelbarer Besitz an der Anlage (s. § 854 I BGB). cc) Erforderlich ist ferner eine gewisse, nicht bestimmt fixierbare Dauer von Gebrauch und Besitz der Anlage; durch eine nur kurzfristige, vorübergehende Übernahme, etwa durch verbotene Eigenmacht (§ 858 I BGB), wird der Betreffende nicht Halter der Anlage. dd) Im Falle der Überlassung der Anlage an einen anderen auf schuld vertraglicher oder dinglicher Grundlage (ζ. B. Pacht, Nießbrauch) ist der Überlassende nicht Halter der Anlage. Die rein abstrakte Beziehung zu der Anlage durch Nutzung in Form von Ansprüchen auf ein Entgelt (s. §§ 100,99 I I I BGB) und in Form nur mittelbaren Besitzes (§ 868 BGB) ist mit dem Begriff des Haltens nicht vereinbar. Damit bedeutet Nutzung im Sinne des § 907 nur ein Gebrauchen der Anlage, keine Fruchtziehung durch Erlangung von Erträgen. ee) Entgegen verbreiteter Auffassung greift die Verpflichtung nach § 90711 2. Alt. nicht auf Grund dinglichen oder schuldrechtlichen Rechts an der Anlage wie Eigentum, Nießbrauch, Miete oder Pacht ein. Weder ist ein solches Recht isoliert Haftungsgrund, noch ist es Bestandteil des Tatbestandes des Haltens der Anlage. ff) Zusammenfassend läßt sich das Halten einer Anlage bestimmen als Gebrauch der Anlage für eine gewisse Dauer und unter Ausübung des unmittelbaren Besitzes.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
IV. Der nach § 907 12 BGB Verpflichtete § 907 I 2 normiert einen Anspruch auf Beseitigung der Anlage, enthält also dieselbe Rechtsfolge wie § 907 1 1 2. Alt., verlangt aber anders als diese Vorschrift, daß die Anlage landesgesetzlichen nachbarrechtlichen Schutzvorschriften entspricht und daß unzulässige Einwirkungen bereits hervorgetreten sind 1 . Aus der Rechtsfolge des §907 I 2 ergibt sich, daß der rechtswidrige Tatbestand hier ebenfalls im Halten der Anlage liegt, nicht etwa in den unzulässigen Einwirkungen selbst2; diese sind nur Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs. Demgemäß ist zur Beseitigung verpflichtet, wer die Erfordernisse des Haltens erfüllt. Somit gelten die zu § 907 1 1 2. Alt. entwickelten Grundsätze (oben III). V. Zusammenfassung zu I-IV Damit sind die nach § 907 I Verpflichteten ermittelt: 1. Gegner des Anspruchs auf Unterlassung der Herstellung der Anlage nach § 907 I I I . Alt. ist derjenige, der beabsichtigt, die Anlage zu errichten oder errichten zu lassen (hypothetische Kausalität). 2. Die beiden in § 907 1 1 2. Alt. und § 907 I 2 festgelegten Ansprüche auf Beseitigung der Anlage richten sich gegen den Halter der Anlage. Für den Tatbestand des Haltens ist ein tatsächliches, nicht rechtliches Verhältnis entscheidend. Er wird durch den Gebrauch der Anlage zu dem, Ζ wecke der Verwendung ihrer Vorteile erfüllt (Gebrauchsvorteile, s. § 100 BGB). Der Gebrauch besteht bei noch nicht in Betrieb genommener Anlage in geplanten, sonst in tatsächlichen Bedienungs- und Benutzungshandlungen. Bei selbstwirkenden Anlagen entfallt die Notwendigkeit derartiger Handlungen; hier beschränkt sich der Gebrauch in der Aneignung der Wirkungen der Anlage (ζ. B. Drainage, Wassergraben). Der Gebrauch muß für längere und nicht nur vorübergehende Dauer erfolgen. Voraussetzung ist ferner unmittelbarer Besitz. Halter der Anlage ist nicht, wer die Anlage einem anderen überläßt, gleichgültig auf welcher Rechtsgrundlage (ζ. B. Nießbrauch, Pacht); hier ist Halter nur der Übernehmende.
1
Vgl. schon oben § 2 A. MK-Säcker § 907 Rdnr. 15 kritisiert an § 90712, daß im Falle der Übereinstimmung der Anlage mit landesgesetzlichen Vorschriften die Anlage erst dann beseitigt werden kann, wenn Einwirkungen tatsächlich hervortreten; er meint, daß die sichere Vorhersehbarkeit ausreiche. Zum Sinn der Regelung des § 907 I 2 oben § 2 A. 2 Diese Tatsache besteht unabhängig davon, daß § 907 I 2 letztlich zur Verhinderung von Einwirkungen geschaffen wurde.
§ 5 Untersuchung des § 907 BGB
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VI. Folgerungen für § 1004 BGB: Übertragbarkeit der Haftungskriterien § 907 BGB auf § 1004 BGB 1. Einleitung Die Untersuchung kann sich nunmehr der Frage zuwenden, ob den Haftungskriterien des § 907 ein allgemeiner, auf § 1004 übertragbarer Gedanke zu entnehmen ist. Da sich der Haftungsaspekt aus dem rechtswidrigen Tatbestand und dessen Ursache ergibt (oben 10. Kap.), sind diese beiden Faktoren für die drei Bestimmungen des § 907 und für § 1004 jeweils festzustellen; sodann ist zu ermitteln, ob sich die genannten Komponenten (Tatbestand, Ursache) des § 907 einerseits und des § 1004 andererseits gleichen (unten 2,3); bejahendenfalls kann § 907 Aufschluß über die Haftungsgrundsätze des § 1004 geben.
2. Vergleich des § 1004 mit § 907 I 1 1. Fall a) Die nach den §§ 907 I I I . Alt. und 100412 verbotenen Tatbestände sind unterschiedlich: § 907 I I I . Alt. richtet sich gegen das Herstellen von Anlagen, § 10041 2 gegen die Beeinträchtigung fremden Eigentums. Während § 907 I I I . Alt. also bereits die Schaffung der Quelle von Beeinträchtigungen verbietet, verbietet § 1004 I 2 deren mögliche Wirkungen. Quelle des Herstellens ist notwendig die Herstellungshandlung; damit ist der dafür Verantwortliche derjenige, der die Herstellungshandlung vornimmt (oben II). Dagegen liegt die Quelle der nach § 1004 I 2 verbotenen Beeinträchtigung in unterschiedlichen Faktoren: einmal im Herstellen der Anlage, darüber hinaus aber auch in der bereits errichteten Anlage selbst, und zwar — je nach Art der Anlage — entweder allein in deren Existenz oder aber, wenn es sich um eine nicht selbstwirkende Anlage handelt, im Zusammenwirken mit den sie bedienenden Handlungen (s. schon oben 10. Kap. 12b). Somit kommen als Verantwortliche in Betracht derjenige, der die genannten Handlungen (Erbauen, Bedienen) vornimmt oder derjenige, dem eine dingliche Position an der (fertiggestellten) Anlage zukommt. Es müßte entschieden werden, welches dieser Kriterien für die Haftung maßgebend ist, außerdem müßte das betreffende Kriterium dogmatisch näher eingeordnet werden (s. oben 10. Kap. I 3). Als Störer nach § 1004 kommt im Falle störender Anlagen also auch in Betracht, wer die Anlage errichtet hat, jedoch anders als im Falle des §907 I 1 1. Alt. nicht mit Notwendigkeit. Damit steht fest, daß §907 I 1. Alt. kein auf § 1004 I 2 übertragbares Haftungskriterium enthält. Wenn auch im Falle des § 100412 der Hersteller der Anlage verpflichtet sein sollte, bevorstehende Störungen zu verhindern, ergäbe sich dieses Ergebnis zudem unabhängig von § 907 I I I . Alt., nämlich aus dem Tatbestand des § 1004, dessen eine in Betracht kommende Störungsquelle das Errichten der Anlage ist. Die Haftungskriterien der §§ 90711 1. Alt. und 1004 I 2 differieren also auf Grund ihrer unterschiedlichen Tatbestände.
des
200
12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
b) Wenn soeben festgestellt wurde, daß § 90711 1. Alt. sich nicht gegen die Störung selbst richtet, so gilt dies für den Fall, daß Immissionen von der geplanten Anlage ausgehen. Es ist allerdings eine Störungsart denkbar, bei der die Störung in der Existenz der Anlage selbst liegt, nämlich dem Bau der Anlage über die Grenze hinweg. Würde sich §907 I 1 1. Alt. auch gegen diese Einwirkung richten, so würde er, indem er das Herstellen einer solchen Anlage verbietet, die Einwirkung selbst untersagen. Die nach § 907 I I I . Alt. gegebene Lage wäre derjenigen nach § 1004 I 2 vergleichbar: eine künftig zu erwartende Störung ist zu verhindern. Zum einen aber ergibt sich aus systematischer Stellung und Wortlaut des § 907, daß er die genannte Störungsart — die Existenz der Anlage selbst — nicht meint, sondern nur Störungen, die in Immissionen bestehen. Die Vorschrift schließt unmittelbar an § 906 an, der die Rechtmäßigkeit von „Einwirkungen" regelt, die, wie die Beispiele der Vorschrift zeigen, in Immissionen bestehen. § 907 enthält ebenfalls den Begriff der „Einwirkungen"; er verfolgt den Gedanken des § 906 weiter, indem er für den Fall von „Einwirkungen", wie § 906 sie versteht, Präventivansprüche statuiert. Damit wird deutlich, daß § 907 Einwirkungen im Sinne des § 906 meint, also Immissionen. I m Falle eines Überbaus müßte also die allgemeine actio negatoria des § 1004 herangezogen werden. Selbst wenn aber § 907 den betreffenden Fall erfassen würde, auch diese Vorschrift sich also wie § 1004 I 2 gegen die Beeinträchtigung selbst (in präventiver Form) wenden würde, würde der Störer des § 10041 2, wollte man denselben Sachverhalt nach dieser Vorschrift behandeln, selbständig zu bestimmen sein. Haftungskriterium des § 100412 wäre dann das Herstellen einer über die Grundstücksgrenze reichenden Anlage; dieses ergäbe sich aber aus dem allgemeinen Grundsatz, daß das Haftungskriterium von der Störungsquelle, hier dem Bau der Anlage, abhängt, nicht folgt die genannte Haftungskomponente aus § 907 I 1 1. Alt. c) Dieses Ergebnis, daß § 907 1 1 1. Alt. keine für § 10041 2 verwendbaren Haftungsgrundsätze enthält, wird bestätigt, wenn man untersucht, ob bei Vorliegen des in § 907 I I I . Alt. geregelten Sachverhaltes, der mit Sicherheit von der geplanten Anlage zu erwartenden Immission, auch ein Anspruch gem. § 1004 I 2 gegeben ist. Nach heutigem Verständnis brauchen für § 1004 I 2 bereits eingetretene Störungen nicht vorzuliegen 1. Ferner ist im genannten Fall der nach der Vorschrift notwendige Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Störungen gegeben, denn insoweit stellt § 10041 2 geringere Anforderungen („Besorgnis") als §907 I 1 1. Alt. („Sicherheit") 2 . Ein Anspruch gem. § 1004 I 2 ist also 1 2
Vgl. oben § 3 Β I. Ebd.
§ 5 Untersuchung des § 907 BGB
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gegeben. Der Unterschied zu § 907 I I I . Alt. liegt im Inhalt des Anspruchs (Rechtsfolge). § 1004 I 2 richtet sich gegen die Beeinträchtigungen, nicht wie § 907 gegen das Herstellen der Anlage. Verlangt werden kann nach § 1004 I 2 also nur, daß die Beeinträchtigungen nicht eintreten werden, nicht aber, daß der Bau der Anlage unterbleibt 3 . Wie der Betreffende es erreicht, daß Immissionen verhindert werden, bleibt ihm überlassen 4. — Der Gegner des § 100412 jedoch ist entsprechend den dargelegten Grundsätzen (oben a) zweifelhaft: Verantwortlich kann der Erbauer der Anlage sein, wenn die Anlage bereits im Bau ist, aber auch derjenige, der daran dinglich berechtigt ist (Eigentümer, Besitzer). Dagegen kann nach § 907 I I I . Alt. nur der Hersteller der Anlage haften, eben weil das Herstellen selbst den nach der Vorschrift rechtswidrigen Tatbestand darstellt. d) Zusammenfassend ist festzustellen, daß § 907 1 1 1. Alt. keine Aussagen über den Störer des § 10041 2 enthält. Aus § 907 1 1 1. Alt. kann also nicht der Grundsatz hergeleitet werden, daß für Störungen durch Anlagen dessen Hersteller haftbar sei. Der nach § 907 I I I . Alt. verbotene Tatbestand ist ein anderer als der des § 1004 I 2. Quelle des Tatbestandes des § 907 I 1 1. Alt. ist ausschließlich das Herstellen der Anlage, dagegen liegt die Störungsquelle des Tatbestandes des § 100412 nur unter anderem in diesem Faktor. Soweit auch der Hersteller der Anlage als Störer nach § 10041 2 in Betracht kommt (oben b, c), folgt dieses Ergebnis überdies unmittelbar aus der Vorschrift selbst oder, anders gesagt, aus den allgemeinen Grundsätzen, nach denen der Verantwortliche zu bestimmen ist (oben 10. Kap.), nicht handelt es sich um eine Übernahme des Gedankens des § 907. 3. Vergleich des § 1004 mit § 907 I 1 2. Fall, § 907 I 2 a) aa) Der rechtswidrige Tatbestand der beiden Ansprüche nach § 907 I 1 2. Fall und § 907 I 2 ist das Halten der Anlage. Da sich § 10041 demgegenüber gegen die Beeinträchtigung, also die Folge des Haltens der Anlage wendet, sind auch hier unterschiedliche Tatbestände gegeben. Die Quelle des Haltens der Anlage besteht in der Verwirklichung dieses Tatbestandes, so daß der nach den beiden Bestimmungen des § 907 I Verantwortliche der Halter der Anlage ist (oben III, IV). Die möglichen Quellen der Beeinträchtigung im Falle einer störenden Anlage — Errichtungs- und Bedienungshandlungen sowie die dingliche Position — wurden soeben dargelegt (2 a). Eine Gegenüberstellung jener Störungsquellen mit der Quelle des verbotenen Tatbestandes des Haltens der Anlage nach § 907 I 1 2. Alt. und § 907 I 2 ergibt, daß die Quellen jeweils unterschiedlich sind. Demgemäß können auch die Haftungskriterien nicht 3
Die praktische Bedeutung des § 907 ist daher erheblich. Dagegen sieht MK-Säcker § 907 Rdnr. 1 offenbar in § 907 nur einen Spezialfall des § 1004 12 („positivierter Sonderfall des allgemeinen Abwehranspruches"). 4 Oben § 3 Β II.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
dieselben sein. Aus § 907 ergibt sich also nicht, daß im Falle störender Anlagen der Halter der Anlage haftet. bb) Darüber hinaus ist folgendes festzustellen: Anders als im Falle des § 907 I I I . Alt., für den sich ergeben hatte, daß dessen Störungsquelle (Herstellen der Anlage) wenigstens als eine Störungsquelle der Beeinträchtigung des § 1004 in Betracht kommt, stellt die Quelle des rechtswidrigen Tatbestandes des § 9071 1 2. Alt. und des § 907 I 2 eine Quelle von Beeinträchtigungen nach § 1004 nur partiell dar, jedoch nicht schlechthin. Es hatte sich gezeigt, daß das Halten der Anlage zu definieren ist als ein Nutzen der Anlage (oben I I I 3 b, c cc, 4). Diese Voraussetzung stellt einen komplexen Sachverhalt dar, dessen einzelne Faktoren zum Teil die Quelle der Beeinträchtigung darstellen, zum Teil aber auch nicht: Es gehören dazu Gebrauchshandlungen, die nicht Ursache der Störungen sind wie das Abstellen der Anlage, beispielsweise das allabendliche Außer-Funktion-Setzen von Maschinen, ferner Handlungen, die zur Nutzung der Wirkungen der Anlage notwendig sind, etwa im Falle der Drainage das Bebauen der Felder. Diese Faktoren sind zwar Teil des Tatbestandes des „Haltens" der Anlage, nicht aber Quelle von Beeinträchtigungen. Somit können sie für die Verantwortung für Beeinträchtigungen, die durch die Anlage bewirkt werden, nicht maßgebend sein; sie stellen kein Verbindungsglied dar zwischen der Beeinträchtigung und einer Person (oben 10. Kap. 11,2). — Andere, den Tatbestand des Haltens der Anlage erfüllende Faktoren sind zwar Störungsquelle, so daß sie als Anknüpfungsaspekte der Haftung in Betracht kommen. Dazu gehören die Handlungen, die die Anlage in Betrieb setzen, ferner — bei selbsttätigen Anlagen — das Nichthandeln, also Wirkenlassen der Anlage (Unterlassen), und schließlich der zum Tatbestand des Haltens der Anlage gehörige Besitz. Während aber diese Komponenten für die Bestimmung des Tatbestandes des Haltens ausreichen, bedürfen sie als Kriterien einer Verantwortung für Beeinträchtigungen einer weiteren rechtlichen Bewertung (soeben 2 a und oben 10. Kap. I 3). Damit ergibt sich, daß im Tatbestand des Haltens der Anlage die Quelle der Beeinträchtigungen nur teilweise enthalten ist. Der Tatbestand stellt somit nicht als solcher die Quelle von Beeinträchtigungen dar. Soweit er Störungsquellen aufweist, bedürften sie noch dogmatisch einer näheren Einordnung. Die zum Tatbestand des Haltens gehörigen Komponenten von Handlungen, Unterlassungen und Besitz sind in dieser Form als Haftungskriterium des § 1004 nicht brauchbar; anders ausgedrückt ist das Halten der Anlage ein komplexer und rechtlich nicht ausreichend präzisierter Tatbestand. Er würde in dieser Gestalt die Störerermittlung darüber hinaus unnötig komplizieren, da er hinsichtlich der Verantwortlichkeit für Beeinträchtigungen nach § 1004 unmaßgebliche Faktoren enthält. Demgegenüber konnte der Gesetzgeber in § 907 an den Tatbestand des Haltens der Anlage anknüpfen, weil Rechtsfolge die Beseitigung der Anlage ist. Es soll, grob gesagt, die Anlage beseitigen, wer sie nutzt. Auf die Herkunft
§ 5 Untersuchung des § 907 BGB
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von Störungen im einzelnen kommt es nicht an, weil es bei § 907 unmittelbar nicht um Störungen geht. Dagegen ist die Verantwortlichkeit für die Störungen selbst nur auf Grund präzise bestimmter Kriterien möglich. b) Schließlich bestätigt sich das gefundene Ergebnis auch hier (s. schon oben 2 c), wenn man die Frage prüft, ob der § 907 1 1 2. Alt. und § 907 I 2 zugrunde liegende Sachverhalt Ansprüche nach § 1004 verleiht. Befindet sich auf dem Nachbargrundstück eine Anlage, von der vorauszusehen ist, daß sie zu Einwirkungen führen wird (§ 907 1 1 2. Alt.), so liegt eine zu besorgende Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 I 2 vor, so daß nach dieser Vorschrift ein Anspruch besteht5. Er richtet sich aber nicht wie § 907 1 1 2. Alt. auf Beseitigung der Anlage, sondern nur darauf, daß die Beeinträchtigung verhindert wird. Während jedoch der nach § 90711 2. Alt. Verantwortliche der Halter der Anlage ist, kommen für den allgemeinen negatorischen Unterlassungsanspruch mehrere Verpflichtete in Betracht: der Erbauer der Anlage, der die Bedienungshandlungen Ausführende, der an der Anlage dinglich Berechtigte (s. oben 2 a). — Ebenso verhält es sich im Falle des § 907 I 2, in dem rechtswidrige Einwirkungen schon hervorgetreten sind. Eine Beeinträchtigung im Sinne des § 100412 besteht, der Störer ist aber auf Grund der genannten und auch hier in Betracht zu ziehenden Anknüpfungsaspekte ungeklärt (soeben); dagegen steht der Verpflichtete nach § 907 I 2 fest. Auf den Tatbestand des Haltens kommt es also für § 1004 nicht an, sondern auf die Quelle der nach § 1004 verbotenen Beeinträchtigung. c) Damit steht fest, daß auch § 9071 1 2. Alt. und § 90712 keine für § 1004 verwendbaren Haftungsgrundsätze enthalten. Der nach diesen Vorschriften verbotene Tatbestand ist ein anderer als der des § 1004. Das nach § 907 maßgebliche Halten der Anlage stellt in allgemeiner Form keine Quelle von Beeinträchtigungen nach § 1004 dar. Es enthält nur einzelne Faktoren, die zu Beeinträchtigungen führen. Allein deshalb kann der Tatbestand des Haltens für § 1004 nicht übernommen werden, denn dann würde die Störerdefinition belastet werden mit Komponenten, die nicht zur Störerbestimmung gehören. Zudem gilt auch insoweit, daß die Maßgeblichkeit jener Faktoren aus allgemeinen Grundsätzen folgt und nicht aus Erkenntnissen, die § 907 zu entnehmen sind. 4. Zusammenfassung zu 1 - 3 und Ergebnis Der Befund ist insgesamt negativ. Die Haftungskriterien des § 907 lassen sich für § 1004 nicht übernehmen. Aus § 907 ist nicht der Grundsatz ableitbar, daß gem. § 1004 der Halter oder Hersteller von störenden Anlagen verantwortlich sei. Die Vorschriften regeln verschiedene Tatbestände. § 907 richtet sich gegen 5 Wegen der nicht notwendigen Wiederholungsgefahr und zum Grad der Wahrscheinlichkeit der Einwirkungen nach §§ 907 und 1004 I 2 oben 2 c.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
das Herstellen und Halten von Anlagen, § 1004 gegen Beeinträchtigungen fremden Eigentums. Die Ursache des Herstellens oder Haltens von Anlagen kann nur in der Verwirklichung dieser Tatbestände liegen; dagegen ist die Quelle von Beeinträchtigungen unterschiedlicher Art. Sie liegt auch im Herstellen einer störenden Anlage (§907 I 1 1. Alt.), aber ferner in Bedienungshandlungen sowie, wenn diese nicht nötig sind, in der Anlage selbst und damit in der dinglichen Position, die der Betreffende an der Anlage einnimmt. Zu klären ist, welche dieser Komponenten als für die Haftung entscheidend anzusehen sind und wie sie im einzelnen dogmatisch zu bewerten sind. Soweit auch das Herstellen der Anlage als maßgebender Aspekt in Betracht kommt, folgt dieses Ergebnis überdies nicht aus einer Anwendung von Erkenntnissen, die in § 907 enthalten sind, sondern aus allgemeinen Grundsätzen, also aus § 1004 selbst (s. oben 10. Kap.). — Dagegen stellt der Tatbestand des Haltens der Anlage (§ 9071 1 2. Alt., 2) als solcher keine Quelle von Beeinträchtigungen im Sinne des § 1004 dar. Zwar gehören zu diesem Tatbestand einzelne Faktoren, die eine Beeinträchtigungsquelle bilden, doch zählen dazu auch Faktoren, die nicht Quelle von Störungen sind (oben 3 a bb). Darüber hinaus bedürften die im Tatbestand des Haltens enthaltenen Störungsquellen einer näheren rechtlichen Bewertung. Das Merkmal des Haltens der Anlage des § 907 ist insgesamt ein zu komplexer und juristisch nicht ausreichend präzisierter Tatbestand, der in dieser Form kein brauchbares Störerkriterium abgibt. Die früher geschilderte Auffassung, wonach der Halter der Anlage als nach § 1004 verantwortlich anzusehen ist (oben 5. Kap.), erweist sich also als nicht zutreffend. Dieses negative Ergebnis steht nicht etwa im Widerspruch zum Schutzzweck des § 907, der derselbe ist wie derjenige des § 1004. Der Gesetzgeber gibt in § 907 zu erkennen, daß er Beeinträchtigungen fremden Eigentums als rechtswidrig wertet. Er verfolgt den Eigentumsschutz in § 907 und § 1004 aber mit jeweils verschiedenen Mitteln: In § 907 verbietet er die Ursache der Beeinträchtigungen, eben das Herstellen und Halten störender Anlagen. In § 1004 setzt der Schutz später ein, dort verbieten die Gesetzesverfasser lediglich die Beeinträchtigungen selbst. Diese unterschiedlichen Regelungsbereiche führen zu den dargelegten Konsequenzen in der dogmatischen Einzelfrage des Anspruchsgegners.
§ 6 Untersuchung des § 908 BGB A. Einleitung Bevor die Untersuchung sich der weiteren Aufgabe, der Herausarbeitung der Störerkriterien des § 908, zuwendet (unten C), bedarf es einer kurzen Klärung des Anwendungsbereiches der Vorschrift, die, anders als §907, nicht vor Störungen durch Anlagen, sondern vor Störungen durch „Gebäude und andere Werke" schützen will (dazu unten Β II). Ferner ist die generelle Bedeutung des § 908 neben § 907 festzustellen (unten Β III).
§
Untersuchung des § 90 BGB
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B. Allgemeine Probleme des § 908 BGB I. Einleitung Bei Darlegung des Inhalts der hier zu untersuchenden gesetzlichen Sonderfalle der actio negatoria war § 908 schon in groben Umrissen nach Tatbestand und Rechtsfolge geschildert worden (oben § 2 B). Ferner hatte die Gegenüberstellung der §§ 907, 908 mit § 1004 (oben § 3) notwendigerweise auch zu einem Vergleich der beiden Vorschriften untereinander geführt. Es hatte sich gezeigt, daß beide Bestimmungen, abgesehen von § 907 I 2, vor einer noch nicht eingetretenen Rechtsverletzung schützen wollen (oben § 3 A), daß aber § 907 einschneidendere Rechtsfolgen als § 908 normiert (oben § 3 Β II) und daß deshalb auch die Anforderungen des § 907 an die Voraussehbarkeit der Störung strenger sind (oben § 3 Β I ) . Ein Unterschied beider Vorschriften besteht ferner dem Wortlaut nach in der Störungsquelle. § 908 setzt als Gefahrenquelle nicht, wie § 907, Anlagen voraus (dazu oben § 3 B), sondern Gebäude und andere Werke. Diese Tatbestandsmerkmale konnten noch nicht miteinander verglichen werden (dazu unten II), weil zunächst der Begriff der Anlage zu klären war. Auch die Ermittlung der grundsätzlichen Bedeutung des § 908 neben § 907 steht noch aus (unten III). II. Gebäude und andere Werke iSd § 908 Aus der hier erarbeiteten Definition des Anlagebegriffs (oben § 5 Β I V ) ergibt sich bereits, daß auch Gebäude und „andere Werke" als Anlagen zu qualifizieren sind 1 und sich daher die §§ 907 und 908 insoweit nicht unterscheiden. Gebäude sind spezielle Arten von Anlagen. Der allgemeine Sprachgebrauch versteht darunter Bauwerke, die von Menschen betreten werden können und die zum Aufenthalt dienen, sei es zu Wohn- oder anderen Zwecken 2 . Der Zusatz „andere Werke" zeigt, daß darüber hinaus alle baulichen Einrichtungen erfaßt sein sollen, auch solche, auf die der Begriff des Gebäudes nicht paßt. Es wird sich allerdings bei den „Werken" im Sinne des § 908 wegen der von der Vorschrift geforderten Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen praktisch nur um solche Baulichkeiten handeln, die sich über den Boden erheben, also nicht um Tiefbauten wie etwa Baugruben. Doch muß der Einzelfall ergeben, welche Baulichkeiten Gefahren nach § 908 hervorrufen können. Ein prinzipieller Unterschied besteht in den Gefahrenquellen der beiden Vorschriften jedenfalls nicht 3 . 1 Der Begriff des Gebäudes ist außerdem in § 912 I BGB und § 1 I I I ErbbauRVO enthalten. 2 Vgl. auch etwa MK-Mertens § 836 Rdnr. 5, ferner folgende Fn. 3 Zu den Begriffen „Gebäude oder anderes Werk" Planck-Strecker § 908 Anm. 2 c; Staudinger-Beutler § 908 Rdnr. 2; Soergel-Baur § 908 Rdnr. 3, 4; Erman-Hagen § 908 Rdnr. 1; RGRK-Augustin § 908 Rdnr. 3; ferner MK-Mertens § 836 Rdnr. 5-8; Soergel-
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Die 2. Kommission, die § 908 in das Gesetzbuch aufgenommen hat 4 , hat den Begriff der Anlage vermutlich deshalb nicht verwandt, weil die Bestimmung mit Blick auf die §§ 836 ff. BGB geschaffen wurde 5 , die „Gebäude und andere Werke" als Gefahrenquelle voraussetzen. Auf diese Weise ist eine Paralletität in der äußeren Fassung der Tatbestände herbeigeführt worden, die dem Anliegen des Gesetzgebers entspricht, den in den §§ 836 ff. geregelten Tatbestand in § 908 aufzunehmen und mit vorbeugendem, negatorischem Inhalt zu versehen. Zwischen Gebäuden und anderen Werken einerseits und Anlagen andererseits sah der Gesetzgeber jedoch keinen Unterschied. In den Motiven zu den §§ 836 ff. 6 und § 908 werden die Begriffe unterschiedslos angewandt; anläßlich der Überlegungen der mit § 908 befaßten Kommission zu der Frage, ob § 907 ausreichenden Schutz vor Gefahren im Sinne des § 908 gewährleiste, greift die Kommission den Begriff der Anlage des § 907 auf und verwendet ihn ohne weiteres für die in § 908 zu regelnde Störungsquelle von Gebäuden7. III. Bedeutung des § 908 neben § 907 Es stellt sich die Frage, welche generelle Bedeutung § 908 neben § 907 zukommt. Im Schrifttum wird sie unterschiedlich beurteilt. Säcker ist der Meinung, daß im Falle des § 908 auch § 907 gegeben sei; er wertet § 908 daher als gesetzlich geregelten Sonderfall des § 907 8 . Dagegen halten andere Kommentatoren — ohne Begründung — § 907 auf den in § 908 geregelten Tatbestand nicht für anwendbar 9 . Wie die Aufnahme der Vorschrift in das Gesetzbuch zeigt, kam auch der Gesetzgeber zu dem Schluß, daß bei Vorliegen eines Falles des § 908 mit § 907 nicht geholfen sei. Er begründete diese Auffassung damit, daß die Nachteile, die dem Nachbarn durch den Einsturz zugefügt würden, nicht die Folgen des Bestehens und Benutzens einer Anlage seien (§ 907), sondern die Folgen eines allgemeinen Naturgesetzes, kraft dessen Gebäude „wie alle irdischen Dinge" mit der Zeit zugrunde gingen. Ein Anspruch auf Ergreifung von Vorsichtsmaßregeln gegenüber den von einem baufälligen Hause einem Nachbarn drohenden Gefahren sei daher bei Nicht-Aufnahme der vorgeschlagenen Bestimmung nicht gegeben10. Zeuner § 836 Rdnr. 4-7; Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 12-22; RGRK-Kreft §836 Rdnr. 10 jeweils mit Beispielen aus der Rspr. 4
Vgl. oben § 2 B. Vgl. Prot. Mugdan I I I S. 604 (unter 2) (der dort genannte § 735 E I entspricht den §§ 836-838 BGB, s. Mugdan I I S. C X X X , C X X X I . 6 Mot. Mugdan I I S. 455, 456 1. Absatz. 5
7
Prot. Mugdan I I I S. 604 (unter 2). MK-Säcker § 908 Rdnr. 1. 9 Planck-Strecker §908 Anm. 1; Erman-Hagen §908 Rdnr. 1 zu Beginn; RGRKAugustin § 908 Rdnr. 1. 8
§
Untersuchung des § 90 BGB
207
Diese gesetzgeberische Begründung hält Säcker für unzutreffend. Er versteht die Kommission offenbar dahin, daß sie § 907 dann nicht als erfüllt ansah, wenn die Einwirkung auf natürlichen Vorgängen beruhe. Da Säcker diese von ihm angenommene Interpretation des Gesetzgebers des § 907 für unrichtig hält, meint er, daß § 907 auch dann eingreife, wenn wie im Falle des § 908 die Einwirkungen auf Naturgesetze zurückführbar seien 11 . Doch liegt den Beratungen ein anderer Gedanke zugrunde. Die Kommission sah den Unterschied der §§ 907 und 908 nicht, wie Säcker meint, darin, daß die Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen nach § 908 auf natürlichen Vorgängen beruhen müsse, die Einwirkungen des § 907 dagegen auf ausschließlich künstlich geschaffenen Ursachen (Handlungen). Vielmehr sollte § 907 die Einwirkungen erfassen, die auf Grund der zweckbestimmten Tätigkeit der Anlage entstehen, bei selbstwirkenden Anlagen auf Grund ihres „Bestandes", bei nicht selbstwirkenden Anlagen auf Grund ihrer „Benutzung". Ob die Störung des § 907 unter Mitwirkung von Naturvorgängen entsteht, ζ. B. dadurch, daß der Wind den von der Anlage ausgehenden Rauch herüberträgt, oder ohne natürliche Einflüsse (Lärm von Maschinen), spielt keine Rolle. Dagegen ist der in § 908 geregelte Tatbestand des Einsturzes des Bauwerks oder der Ablösung von Teilen keine Folge des Arbeitens einer Anlage, sondern eine Folge des natürlichen Verfalls von Bauwerken. Diesen Unterschied wird die Kommission gemeint haben. Ihre Annahme, daß bei drohenden Gefahren durch ein baufälliges Haus die Voraussetzungen des § 907 nicht gegeben seien 12 , ist daher zutreffend. Allenfalls mag die Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen im Sinne des § 908 unter das Tatbestandsmerkmal der (zu erwartenden) Einwirkung durch den „Bestand" der Anlage subsumierbar sein 13 . Damit würde man aber dem Sinn des § 907 nicht gerecht, der nur vor Störungen durch die Tätigkeit der Anlage schützen will. Somit ist festzustellen, daß die §§ 907, 908 unterschiedliche Bereiche regeln. § 907 berechtigt zu Ansprüchen wegen (künftiger) störender Tätigkeiten von Anlagen, § 908 zu Ansprüchen wegen des Gebäudeverfalls. Damit kommt § 908 neben § 907 selbständige Bedeutung zu.
10 Prot. Mugdan I I I S. 604 (unter 2). Eine Konkurrenz des § 908 mit § 100412 konnte damals nicht zur Debatte stehen, weil § 100412 sich von § 908 dadurch unterscheidet, daß er, wie der Gesetzgeber ihn gedacht hatte, eine schon eingetretene Beeinträchtigung fordert; dazu oben § 3 Β I. 11 12 13
MK-Säcker § 908 Rdnr. 1. Prot. Mugdan I I I S. 604 (unter 2 2. Absatz zu Beginn). MK-Säcker § 908 Rdnr. 1 teilt nicht mit, inwiefern § 907 erfüllt sein soll.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
C. Die nach § 908 iVm §§ 836-838 BGB Verpflichteten /. Einleitung: Der Gang der Untersuchung Nach dieser Klärung der Grundlagen kann sich die Untersuchung dem eigentlichen Thema, der Frage der nach § 908 Verpflichteten, zuwenden. Die Vorschrift bedient sich zur Bestimmung des Gegners der §§ 836 bis 838. Demnach besteht die Aufgabe darin, die Haftungskriterien dieser Regelungen zu erarbeiten. Der durch den Verweis des § 908 gebotene Aufbau der Untersuchung bedarf einer näheren Erläuterung. Obwohl Thema des vorliegenden Abschnitts § 908 ist, stellt die Vorschrift nur den generellen Ausgangspunkt der Analyse dar; bei der Untersuchung im einzelnen ist von den §§ 836 ff. auszugehen; diese bilden das Kernstück der Ermittlung der nach § 908 Verantwortlichen. M i t dieser Verfahrensweise folgt die Bearbeitung der gesetzlichen Anordnung. § 908 selbst können keinerlei Störerkriterien entnommen werden. Erst auf der Grundlage der erarbeiteten Haftungsvoraussetzungen der §§ 836 ff. gewinnt die Vorschrift Gestalt; dogmàtische Struktur und Einzelerfordernisse werden verständlich. Äußerlich betrachtet mag der genannte Aufbau unbefriedigend wirken, doch erübrigt es sich festzustellen, daß bei der Untersuchung einer Vorschrift, deren Inhalt durch andere Regelungen bestimmt wird, eine Beschäftigung mit diesen Regelungen geboten ist. Deshalb kann die äußere Gestalt der Abhandlung nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Analyse der §§ 836 ff. unmittelbar Bedeutung für § 908 zukommt. Im einzelnen verläuft der Gang der Untersuchung folgendermaßen: Die §§ 836 ff. werden zunächst geschlossen behandelt (unten I I - I V ) , und zwar — entsprechend dem vorliegenden Thema — nur im Hinblick auf solche Fragen, die den Anspruchsgegner betreffen, nicht werden die Vorschriften insgesamt analysiert. I m Anschluß an diese Darlegungen beschäftigt sich die Arbeit mit den sich zu § 908 ergebenden besonderen Problemen (unten V). In einem dritten Schritt schließlich werden die jeweils zu den §§ 836 ff. und zu § 908 gewonnenen Ergebnisse in einer Übersicht zusammengefügt (unten VI). II. Der nach § 836 Verpflichtete 1. Einleitung § 908 verweist für den Anspruchsverpflichteten zunächst auf § 8361. Danach ist der Besitzer des Grundstücks, das mit einem Gebäude oder anderen Werk verbunden ist 1 , für den durch den Einsturz des Bauwerks oder die Ablösung von Teilen des Bauwerks hervorgerufenen Schaden verantwortlich. M i t dieser 1
Mißverständlich Jauernig-Teichmann § 836 Anm. 2, wonach der (Eigen-)Besitz sich auf das Gebäude oder Werk beziehen müsse. Der Besitz muß das Grundstück samt Bauwerk umfassen, bei Besitz nur am Bauwerk greift § 837 ein.
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Untersuchung des § 90 BGB
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äußerlich schlichten Feststellung steht der Gegner des § 8361 jedoch keineswegs fest. Die Art des Besitzes wirft erhebliche Probleme auf (unten 2). Darüber hinaus ist der Besitz nicht alleinige Haftungsvoraussetzung. Die nähere Befassung mit § 836 ergibt, daß die Vorschrift eine Unterhaltungspflicht für den Besitzer festlegt und daß er nur dann haftet, wenn er diese verletzt hat (unten 3). Damit entstehen ferner Fragen der Kausalität seines Unterlassens (unten 5). Die Bedeutung der beiden in § 836 I besonders genannten Schadensursachen, die fehlerhafte Errichtung und mangelhafte Unterhaltung, ist ungeklärt (unten 4). Schließlich ist zu ermitteln, welche Funktion § 836 I I zukommt (unten 6).
2. Der Besitzer als der nach § 836 Verpflichtete a) Einleitung: Problemstellung
M i t der Bestimmung des Besitzers als Verantwortlichen erheben sich Fragen nach der Art des Besitzes. Das BGB kennt verschiedene Besitzformen. Sie unterscheiden sich einmal nach Art und Grad der Sachbeziehung: Es gibt unmittelbaren und mittelbaren Besitz (§§ 854 I, 868), ferner Besitz auf Grund sog. Besitzdienerschaft (§ 855). Möglich ist die Erlangung des Besitzes durch Erbgang (§ 857); dieser verleiht eine besondere Besitzposition. Das BGB kennt ferner Allein-, Mit- und Teilbesitz (§§ 866, 865). Schließlich gibt es Unterscheidungen nach der Willensrichtung des Besitzenden: Der Besitzer kann die Sache als eigene (§ 872) oder als fremde innehaben. Eine Bestimmung über die Qualität des Besitzes trifft § 836 nur hinsichtlich der Willensrichtung: Dessen Absatz I I I ordnet an, daß Besitzer im Sinne der Vorschriften des § 836 I und I I der Eigenbesitzer ist. Damit scheint auf § 872 verwiesen zu sein, wonach Eigenbesitzer ist, wer eine Sache als ihm gehörend besitzt. Entscheidend ist nach dieser Definition allein der Wille des Besitzenden, nicht kommt es darauf an, ob er tatsächlich Eigentümer ist oder ob er selbst irrtümlich daran glaubt 1 . Eine nähere Festlegung des Besitzes nach Grad und Art der Sachbeziehung enthält § 836 dagegen nicht. Da das Sachenrecht unter Besitz sowohl den unmittelbaren als auch den mittelbaren Besitz versteht (§ 868), ferner Besitz annimmt, wenn der Fall der Besitzdienerschaft gegeben ist (§ 855), und da es auch dem Erben eine Besitzstellung zuspricht (§ 857), fallen demnach diese Besitzarten unter § 836. Auch Teilbesitz und Mitbesitz (§§ 865, 866) müßten auf Grund dieser allgemeinen Regelungen auf § 836 anwendbar sein. Dementsprechend wird allgemein und ohne Begründungen angenommen, daß neben dem unmittelbaren Besitzer auch der mittelbare Besitzer 2 sowie der
1
Vgl. auch Baur § 7 E I.
14 Herrmann
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Erbbesitzer 3 gem. § 836 verantwortlich sei. Will man sich aber Gewißheit darüber verschaffen, ob § 836 tatsächlich dieses Besitzverständnis umfaßt, und zieht man daher die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zu Rate, so entstehen Zweifel. Es zeigt sich dann, daß bei Schaffung der §§ 836 ff. die Besitzlehre des BGB noch unbekannt war. Dies gilt für den Vorentwurf (Teilentwurf), der die Grundlage der Beratungen der 1. und 2. Kommission bildete, sowie für die beiden nachfolgenden Entwürfe. Die dem Sachenrechtsbuch angehörigen Besitzvorschriften sind zeitlich nach den schuldrechtlichen Bestimmungen der §§ 836 ff. entstanden. Bis dahin galt das römisch-gemeinrechtliche Besitzverständnis. Dieses wurde auch noch dem 1. Entwurf des Besitzrechtes zugrunde gelegt. Erst der 2. Besitzrechtsentwurf gab die überkommene Besitzauffassung auf und schuf die Besitzlehre des BGB 4 . Diese unterscheidet sich von der Besitzlehre des gemeinen Rechts. So kannte die Pandektistik beispielsweise die Figur des mittelbaren Besitzes nicht. Angesichts dieser historischen Gegebenheiten ist es selbstverständlich, daß der Gesetzgeber bei Schaffung der §§ 836ff. von dem tradierten Besitzverständnis ausging, und er stellt dieses auch ausdrücklich fest. Zu einer näheren Bestimmung des Besitzbegriffes bestand Anlaß, weil der Besitz in Einzelheiten eine umstrittene Einrichtung war 5 . Auf der anderen Seite waren sich die Gesetzesverfasser dessen bewußt, daß die Besitzlehre des zu schaffenden Gesetzbuches noch nicht feststand und daß möglicherweise deshalb später Eingriffe in den Entwurf der §§ 836 ff. vonnöten würden. In der Tat ist ein solcher Eingriff vorgenommen worden, und zwar in Gestalt des § 836 III, dessen nähere Bedeutung noch aufzuklären sein wird. Schaut man nun außerdem in die Materialien zum Besitzrecht selbst, so sieht man, daß der Gesetzgeber dort einen Rückblick auf das bis dahin schon erarbeitete Gesetzbuch tat und dessen Revision im Hinblick auf die neue, von der 2. Kommission ins Leben gerufene Besitzlehre erwog. Dies ist, in groben Zügen, die Lage, vor der sich befindet, wer den Besitzbegriff des § 836 klären will. Der erste Eindruck ist mehrschichtig und nicht eindeutig. Auf Grund des dargestellten Befundes stellt sich einmal die Frage nach den genauen Besitzvorstellungen des Gesetzgebers der §§ 836ff., zum anderen die Frage, ob die im Sachenrecht geplante Angleichung an die neue Lehre, wenn sie für die §§ 836 ff. nötig war, tatsächlich durchgeführt wurde. Der 2
Larenz I I § 73 III; Fikentscher § 106 I I I 2; MK-Mertens § 836 Rdnr. 31; Erman-Drees § 836 Rdnr. 8, § 838 Rdnr. 1, 5; Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 57; RGRK-Kreft § 836 Rdnr. 32; Palandt-Thomas § 836 Anm. 7, § 838 Anm. 1,2; Soergel-Zeuner § 908 Rdnr. 18; wohl auch Esser I I § 110 I I 2d; MK-Mertens § 838 Rdnr. 1. 3 Baur§ 812 aE; MK-Mertens § 836 Rdnr. 31; Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 58-60; RGRK-Kreft § 836 Rdnr. 32 aE; wohl auch Soergel-Zeuner § 836 Rdnr. 18. 4 Quellenbelege unten b, c. 5
Vgl. nur die zahlreichen Literaturangaben bei Windscheidt-Kipp I zu §§ 148 ff.
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Untersuchung des § 90 BGB
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Interpret steht also vor der Aufgabe, die in den Materialien festgehaltene Entstehungsgeschichte genauer zu studieren. Bestärkt in dieser Notwendigkeit sieht er sich noch durch folgende Tatsache: Liest er die §§ 836-838 einmal unter dem Blickwinkel des gemeinrechtlichen Besitzverständnisses, wird seine durch die Materialien angeregte Vermutung bestätigt, daß diese Vorschriften auf dem alten Besitzbegriff basieren. So war beispielsweise der heutige Fremdbesitzer nach dieser Besitzauffassung nicht Besitzer. In § 838 ist nach BGB-Verständnis die Haftung von Fremdbesitzern geregelt. Die auffallende Erscheinung, daß § 838 jedoch nicht den Besitzer für haftbar erklärt, der Begriff des Besitzes dort überhaupt nicht auftaucht und die Vorschrift damit von dem in den §§ 836 und 837 festgelegten Prinzip der Haftung des Besitzers abweicht, wäre mit der alten Besitzanschauung erklärbar. Wenn dennoch Fundament der §§ 836ff. die Besitzlehre des BGB sein sollte, etwa wegen einer Anpassung nach Fertigstellung der besitzrechtlichen Vorschriften des 2. Entwurfs, sind die verschiedenen Besitzformen des BGB auf § 836 anwendbar. Die übliche und unangezweifelte Deutung des § 836 aus der Sicht des Besitzverständnisses der §§ 854ff. wäre dann grundsätzlich berechtigt. Sollte sich jedoch erweisen, daß die §§ 836 ff. der römisch-gemeinrechtlichen Besitzauffassung verhaftet sind, kann der Besitzbegriff des BGB nicht ohne weiteres für die §§ 836 ff. übernommen werden. In diesem Falle ist festzustellen, was Besitz im Sinne der alten Anschauung bedeutet und warum der Gesetzgeber die Haftung an den Besitz dieses Inhalts gebunden hat. Außerdem ist zu ermitteln, inwieweit die Besitzauffassung des BGB dem überkommenen Besitzverständnis entspricht und inwieweit sie dem Haftungsgrundgedanken des Gesetzgebers der §§ 836 ff. gerecht wird. Der folgende Abschnitt untersucht den Besitzbegriff des § 836 anhand der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien zum Besitzrecht des BGB. Da die §§ 836, 837 und 838 auf einer einheitlichen Konzeption beruhen, muß daneben das in den §§ 837 und 838 zum Ausdruck kommende damalige Besitzverständnis zu Hilfe genommen werden. b) Besitzbegriff der 1. Kommission
Die Beratungen der 1. Kommission zu § 836 werden hinsichtlich der Bemerkungen zum Besitz in den sog. Motiven und in dem Quellenwerk von Jakobs und Schubert unterschiedlich, aber der Sache nach gleichbedeutend wiedergegeben. In den Motiven heißt es, der Entwurf habe die gesetzliche Verpflichtung 1 dem Besitzer des Grundstücks auferlegt, das heiße demjenigen, der das Grundstück mit dem Willen innehabe, es als das seinige zu haben 2 . Bei Jakobs/Schubert 1
Zum Inhalt der hier gemeinten Verpflichtung, deren genauer Gegenstand im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle spielt, unten h bb bbb vor Fn. 6 (Unterhaltungspflicht). 2 Mugdan I I S. 457 3. Absatz. 1*
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
lauten die Beratungen: Der entsprechende Antrag 3 erkläre den Besitzer für verpflichtet, unter Besitzer denjenigen verstehend, welcher animo domini besitze4. Während sich in den Motiven an der skizzierten Stelle5 ein Verweis auf §797 des 1. Entwurfs zum Besitzrecht 6 findet, in dem die Besitzmerkmale festgelegt sind, fehlt in der Wiedergabe bei Jakobs / Schubert ein solcher Verweis. Diese Differenzen erklären sich daraus, daß die Motive und die bei Jakobs/Schubert zusammengestellten Beratungen der 1. Kommission aus unterschiedlichen Quellen schöpfen. Eine regelrechte Begründung des 1. Entwurfs ist von der 1. Kommission nicht erstellt worden. Die Motive sind von den bei der Gesetzesarbeit beschäftigten sog. Hilfsarbeitern nach Abschluß des 1. Entwurfs zusammengestellt worden. Sie enthalten eigene Ausführungen der Hilfsarbeiter sowie Auszüge aus den Begründungen der Redaktoren zu den Teilentwürfen, die der 1. Kommission als Grundlage dienten, und ferner Auszüge aus den Protokollen der 1. Kommission. Die jeweiligen Auszüge sind als solche nicht gekennzeichnet7. Die Motive lassen wegen dieser Zusammensetzung die Entstehung — im Sinne einer Entwicklung — des 1. Entwurfs nicht oder nur beschränkt erkennen, geben aber Auskunft über die Grundlagen, die zu den Vorschriften des 1. Entwurfs geführt haben 8 . — Demgegenüber gibt das Quellenwerk von Jakobs und Schubert die Protokolle über die Beratungen der Vorschriften der Teilentwürfe und über die Beratungen in Grundsatzfragen der 1. Kommission wieder 9 . Sie enthalten also authentische Mitteilungen über den Ablauf der Beratungen. Für die hier interessierenden Stellen kommt es auf den unterschiedlichen Gehalt der beiden Quellenwerke nicht an. Sie werden dort dem Sinne nach übereinstimmend wiedergegeben, da sie über den von der Kommission für notwendig befundenen Eigenbesitzwillen berichten. Die geschilderte Erläuterung des Besitzes mit dem Willen des Besitzers basiert auf der gemeinrechtlichen Vorstellung des Besitzes, wonach der Besitz außer in der Inhabung der tatsächlichen Gewalt (corpus) in dem Willen bestand, die Sache als eigene zu haben (animus) 10 . Wer zwar die tatsächliche Gewalt hatte, aber die Sache als fremde innehatte, war nur Detentor, Inhaber oder auch „natürlicher Besitzer" im Gegensatz zu dem eben skizzierten „juristischen Besitzer" 11 . Die tatsächliche Gewalt konnte nach gemeinrechtlicher Auffassung 3 Antrag No. 2, abgedruckt bei Jakobs /Schubert, Beratung, Schuld Verhältnisse I I I S. 986 (Kurlbaum). 4 5 6
Jakobs/Schubert ebd. S. 988 3. Absatz. Fn. 2.
Abgedruckt bei Mugdan I I I S. IV. Vgl. die Darlegungen bei Jakobs/Schubert, Beratung, Einführungsbd. S. 49. 8 Vgl. die Kritik bei Jakobs/Schubert ebd. S. 50 1. Absatz. 9 Vgl. Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse III, S. IX. 10 Vgl. Windscheid-Kipp I § 148, S. 732,734,745; zur römischen possessio Käser I § 94. 11 Windscheid-Kipp I § 149, S. 745; zum römischen Recht Käser I § 94IV, S. 389/390. 7
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auch durch Vermittlung eines anderen ausgeübt werden, also dann, wenn eine unmittelbare körperliche Sachbeziehung nicht gegeben ist. Entscheidend war die Beherrschbarkeit der Sache durch den Willen des Betreffenden 12. Besitzer waren danach beispielsweise Vermieter oder Verpächter, dagegen nicht Mieter oder Pächter. § 797 des 1. Entwurfs, auf den die Motive bei Mugdan verweisen 13, enthält die soeben genannten Besitzmerkmale der tatsächlichen Gewalt und des Eigenbesitzwillens 14 . Nun lagen zum Zeitpunkt der Beratungen des § 836 die Entwürfe zum Sachenrecht noch nicht vor. Aus diesem Grunde fehlt es an einem Zitat des § 797 in den bei Jakobs / Schubert wiedergegebenen Protokollen. In den Motiven kann es sich nur um eine nachträgliche Einfügung durch die Hilfsarbeiter handeln. Doch läßt sich diese als eine Bestätigung dafür auffassen, daß die 1. Kommission den Besitz im Sinne der eben umrissenen gemeinrechtlichen Theorie verstand. Es galt also noch nach Abschluß der Arbeiten am 1. Entwurf der §§ 836 ff. das alte Besitzverständnis. Für eine endgültige Einschätzung der Besitzaufifassung des Gesetzgebers ist allerdings zu beachten, daß er im Hinblick auf die Besitzlehre des zu schaffenden Gesetzbuches unsicher war. Die Protokolle der Beratungen der 1. Kommission (Jakobs/Schubert) enthalten den Vermerk, daß sich erst nach der Beratung des Sachenrechts entscheiden lasse, ob das Wort „Besitzer" einer „Verdeutlichung" bedürfe 15 . Ob hier lediglich gemeint ist, daß unter Beibehaltung der Definition des Besitzes unter Umständen ein anderer Terminus gewählt werden müsse, oder ob der Gesetzgeber seine eigene Besitzdefinition als nicht endgültig ansah, läßt sich mit letzter Sicherheit nicht sagen. Eher klingt der Hinweis im ersteren Sinne, nämlich so, als müsse bei einer Änderung der Besitzlehre dieser von der Kommission gemeinte Inhalt des Besitzes mit einem anderen Ausdruck versehen werden, falls der Begriff „Besitz" dann anders verstanden werde. Die weitere Durchsicht der Materialien aber beseitigt den immerhin etwas zwiespältigen Eindruck, den die 1. Kommission hinterläßt. c) Besitzbegriff der Vorkommission des Reichsjustizamtes und der 2. Kommission
aa) Fast neun Jahre nach den Beratungen der 1. Kommission 1 ging die Vorkommission des Reichsjustizamtes erneut kurz auf den Besitzbegriff des den 12
Windscheid-Kipp I § 149, S. 748 mit Fn. 1. Oben Fn. 2. 14 § 797 E I lautet: Der Besitz einer Sache wird erworben durch die Erlangung der thatsächlichen Gewalt über die Sache (Inhabung) in Verbindung mit dem Willen des Inhabers, die Sache als die seinige zu haben (Besitzwille). (Abgedruckt bei Mugdan I I I S. IV.) Dazu Mot. Mugdan ebd. S. 44f. 15 Vgl. Jakobs/Schubert ebd. S. 989 1. Absatz. 1 Sitzung der 1. Kommission am 21.11.1883 (Jakobs / Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse I I I , S. 985), der Vorkommission am 20. 9. 1892 (ebd. S. 990). 13
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§§ 836 ff. entsprechenden § 735 des 1. Entwurfs ein. Offenbar lag inzwischen der 1. Entwurf zum Besitzrecht vor, denn die Kommission bezieht sich auf den eben (oben b) erwähnten § 797, der das gemeinrechtliche Besitzverständnis festschreibt. Die Kommission erzielte Einverständnis darüber, daß sie die Haftung aus § 735 ( = §§ 836-838 BGB) auf den juristischen Besitzer im Sinne des § 797 des Entwurfs zum Besitzrecht „beschränken" solle und daß diese Beschränkung im Gesetz auch zum Ausdruck gebracht werden müsse. Von der Wahl der geeigneten Bezeichnung, heißt es weiter, glaubte man jedoch vorläufig absehen zu sollen, bis über die Gestaltung des Besitzes Beschluß gefaßt worden sei2. bb) Die 2. Kommission vertritt denselben Standpunkt. Es heißt in den Protokollen, daß unter dem Besitzer der juristische Besitzer im Sinne des Entwurfs (zum Besitzrecht) zu verstehen sei, so daß der Pächter, Mieter etc. nicht darunter falle. Es werde bei der Beratung des Sachenrechts zu prüfen sein, ob, falls die in Aussicht genommene Änderung des Besitzrechtes Annahme finde, ein entsprechender allgemeiner Ausdruck, etwa „Eigenbesitzer", zu schaffen sei3. Dieses Besitzverständnis sowie das schon von der Vorkommission ins Auge gefaßte (oben aa) und hier erneut geplante Vorhaben wurde anläßlich der vorläufigen Zusammenstellung der Beschlüsse der Kommission für die zweite Lesung 4 wiederum bekräftigt: Unter dem „Besitzer" werde der juristische Besitzer verstanden. Es bleibe vorbehalten, nach Beratung des Besitzrechtes einen anderen mit den darüber zu befassenden Beschlüssen in Einklang stehenden Ausdruck an die Stelle zu setzen5. cc) Dieser letztere, mehrfach ins Auge gefaßte Plan ist dann verwirklicht worden, und zwar in der von der 2. Kommission erwogenen Gestalt: Auf die Beschlüsse der Redaktionskommission der 2. Kommission 6 hin wurde in den 2. Entwurf die in Form des § 836 I I I geltendes Recht gewordene Bestimmung aufgenommen, wonach „Besitzer im Sinne dieser Vorschriften" der „Eigenbesitzer" ist 7 . dd) Während die 1. Kommission in Hinblick darauf, daß Entwürfe zum Besitzrecht noch nicht vorlagen, für ein anderes Besitzverständnis vielleicht noch offen war (oben b), bekennen sich Vorkommission und 2. Kommission nun mit Nachdruck zu dem alten und in § 797 des 1. Entwurfs zum Sachenrecht festgelegten Besitzverständnis. Inwieweit der Vorkommission und der 2. Kommission die geplanten Änderungen der Besitzlehre des 2. Entwurfs zum 2
Jakobs/Schubert ebd. S. 990. Prot. Mugdan I I S. 1149 = Jakobs/Schubert ebd. S. 994 (jeweils unter A). 4 Bei Jakobs/Schubert ebd. S. 995 (unter II) abgekürzt bezeichnet als „VorlZust", s. dazu das Abkürzungsverzeichnis bei Jakobs/Schubert ebd. S. V I I I und VII. 5 Jakobs/Schubert ebd. S. 996 (oben unter II). 6 Bei Jakobs/Schubert ebd. S. 996 unter III, IV abgekürzt bezeichnet als „ZustRedKom", s. dazu das Abkürzungsverzeichnis bei Jakobs/Schubert ebd. S. V I I I und VII. 7 Vgl. Jakobs/Schubert ebd. S. 996 unter I I I , IV und V. 3
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Sachenrecht bekannt waren, läßt sich nicht sagen. Sicher aber ist, daß die Kommissionen an ihrem Besitzverständnis unabhängig davon festhalten wollten, wie diese Besitzlehre aussehen würde. Die zitierten Stellen belegen, daß es nur darum ging, den nach neuer Besitzlehre passenden Ausdruck zu finden, der Inhalt des Besitzbegriffes der §§ 836 ff. BGB sollte der überkommene des römisch-gemeinen Rechts sein. Für den vorliegenden Zusammenhang spielt es keine Rolle, daß es dem Gesetzgeber durch Einfügung des Absatzes I I I des § 836 nicht gelungen ist, sein Anliegen zum Ausdruck zu bringen. M i t der Fixierung des Eigenbesitzwillens ist der Besitzbegriff nach BGB-Besitzlehre nicht schlechthin definiert, sondern lediglich eine besondere Art des Besitzes (näher unten g). Der Gesetzgeber dagegen hatte geglaubt, mit der Normierung des Eigenbesitzwillens seine Besitzauffassung festgelegt zu haben. Es sollte sich angesichts der zu erwartenden Änderungen des Besitzrechtes um eine prophylaktische Maßnahme handeln, die jedoch notwendig unvollkommen bleiben mußte, da die neue Besitzlehre noch nicht feststand und somit das Objekt der Vorbeugemaßnahme, wenigstens in Einzelheiten, unbekannt war. Freilich hätte auch der Gesetzgeber erkennen können, daß eine Fixierung seines Besitzverständnisses zumindest in der vorliegenden Form nicht möglich war, solange die neue Lehre nicht geschaffen war. Es war aber offenkundig überhaupt schwer, sich von dem tradierten Besitzbegriff zu lösen. Es wird sich zeigen, daß selbst nach Fertigstellung des 2. Entwurfs des Besitzrechtes, der die von der alten Theorie verschiedene Besitzlehre bereits aufgenommen hatte, die mit § 908 betraute Sachenrechts.kommission der gemeinrechtlichen Besitzvorstellung verbunden blieb 8 . d) Besitzbegriff der §§ 837, 838 BGB
aa) Einen weiteren Beleg dafür, daß der Gesetzgeber in § 836 BGB das gemeinrechtliche Besitzverständnis vertreten hat, bieten die §§ 837 und 838 BGB. Diese Bestimmungen sind in den Einzelheiten ihrer Haftungsvoraussetzungen erst an späterer Stelle zu analysieren 1, im vorliegenden Zusammenhang sind sie jedoch im Hinblick auf den Besitzbegriff heranzuziehen. Der auf Grund der bisherigen Untersuchung an sich schon sichere Befund zum Besitzbegriff des § 836 wird durch die den §§ 837, 838 zugrunde liegende Besitzdefinition bestätigt. bb) Die Beratungen zu den §§ 836 ff. haben ihren Schwerpunkt bei § 836. Die Vorschrift regelt den gewöhnlichen Fall, in dem der Besitz an Grundstück und Bauwerk in einer Hand liegt und in dem der Betreffende die tatsächliche Gewalt selbst ausübt. Die §§ 837 und 838 regeln demgegenüber Sonderfälle: Nach § 837 fallen Besitz an Grundstück und Gebäude auseinander; die 8 1
Unten V 2. Unten III, IV.
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Vorschrift ordnet die Haftung des Gebäudebesitzers an. Nach § 838 hat der Besitzer Grundstück samt Gebäude oder nur das Gebäude einem anderen entweder eigens zur Unterhaltung oder auf Grund eines ihm eingeräumten Nutzungsrechtes überlassen. Die Kommissionen befassen sich in erster Linie mit dem Grundtatbestand des § 836, in dem die Voraussetzungen der Haftung im einzelnen festgelegt sind, also Schadensursachen (Einsturz oder Ablösung infolge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung, § 836 I I ) , Verschulden (§ 836 I 2) sowie eine Begrenzung der Haftung (§ 836 II). Die Ausführungen zur Person des Haftenden, dem Besitzer, beziehen sich nicht auf eine bestimmte Vorschrift der §§ 836ff., sondern sind allgemeiner und grundsätzlicher A r t 2 . Auf die §§ 837 und 838 wird in den Beratungen nur kurz und hinsichtlich der dort geregelten Besonderheiten eingegangen3. Schon aus diesem Grunde gelten die hier wiedergegebenen Bemerkungen der Gesetzesverfasser zum Besitz auch für die §§ 837 und 838 (oben b, c). cc) Aber auch die Regelungen der §§ 837 und 838 selbst belegen, daß ihnen das überkommene Besitzverständnis zugrunde liegt. Im folgenden werden diese Vorschriften nur insoweit behandelt, als es auf die Frage des Besitzbegriffes ankommt. aaa) § 837 bestimmt die Haftung desjenigen, der auf fremdem Grundstück ein Gebäude oder anderes Werk in Ausübung eines Rechts besitzt. Die Besonderheit der Vorschrift liegt also darin, daß sich der Besitz des Haftenden auf das Bauwerk beschränkt. Grundlage des Besitzes ist ein Recht, in dessen Rahmen er den Besitz ausübt. Als ein solches Recht kommen obligatorische und dingliche Rechte in Betracht, also etwa Miete, Pacht, Erbbaurecht oder Dienstbarkeit'(§§ 535, 581 BGB, §1 I ErbbauRVO, §§ 1018, 1022, 1090 I I BGB) 4 . Nach dem Wortlaut des § 837 erfaßt die Vorschrift zwei Fälle: Einmal den Fall, daß der Betreffende nur das Gebäude ohne das Grundstück übernimmt, wobei das Gebäude, wie im Normalfall, wesentlicher Bestandteil des Grundstücks ist (§ 941 BGB). Grundlage des Besitzes kann hier eine Dienstbarkeit sein oder aber, was weniger praktisch sein mag, ein Miet- oder Pachtvertrag. In diesen Fällen besitzt der Berechtigte das Bauwerk als fremdes. Zweitens regelt § 837 nach dem Wortlaut den Fall, daß der Betreffende den Besitz an einem 2 Vgl. Mot. Mugdan I I S. 457 3. Absatz; Prot. ebd. S. 1149 vorletzter Absatz, 1151 2. Absatz; Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse III, S. 987 2. Absatz, 988 letzter Absatz, 989 1. Absatz (1. Kommission); S. 990 (unter B, Vorkommission des Reichsjustizamtes); S. 994 (unter A), S. 996 (oben II) (2. Kommission). 3 Vgl. Mot. Mugdan I I S. 457 vorletzter und letzter Absatz; Prot. ebd. S. 1152 (unter B, C); Jakobs/ Schubert ebd. S. 987 2. Absatz, 9891. Absatz (1. Kommission), 994 (unter Β 2. Absatz; dort ist mit „Abs. 2" Absatz I I des § 735 E I gemeint, der § 837 BGB entspricht). Im einzelnen s. sogleich. 4
Einzelheiten unten III.
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Untersuchung des § 90 BGB
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Bauwerk ausübt, das gem. §95 I BGB nicht wesentlicher Bestandteil des Grundstücks geworden ist. Dies ist denkbar, wenn er das Gebäude in Ausübung eines Rechts — etwa auf Grund eines Erbbaurechts oder einer Dienstbarkeit — selbst errichtet hat und wenn er gleichzeitig kraft eines am Grundstück bestehenden Rechts, ζ. B. einer Dienstbarkeit, befugt ist, das Gebäude dort zu besitzen. Hier hat der Berechtigte das Bauwerk als eigenes inne. Die Materialien zeigen, daß der Gesetzgeber nur diesen zweiten Fall in § 837 aufnehmen wollte, also auch für diese Vorschrift vom damaligen Besitzverständnis ausging. Ein den Beifall der 1. Kommission findender 5 , von dem Kommissionsmitglied Kurlbaum in die Gesetzesberatungen eingebrachter Antrag (Nr. 2) lautete: Hat der Inhaber eines Grundstückes auf demselben ein Gebäude oder sonstiges Werk errichtet, so ist der Besitzer des Grundstückes für die Gefahr des Werkes nur verantwortlich, wenn er das Werk übernommen oder das Grundstück zurückgenommen hat 6 .
Maß muß diesen Gesetzesvorschlag wohl ergänzen: Haftet der Besitzer nicht, ist der Erbauer des Gebäudes oder Werkes verpflichtet. Doch kommt es darauf nicht an: Der das Bauwerk Errichtende wird als Besitzer nicht ausdrücklich bezeichnet, seine Position am Bauwerk wird aber so bewertet worden sein. Der Betreffende hat das Bauwerk offenbar auf fremdem Grundstück erbaut, denn der Erbauer wird als „Inhaber" bezeichnet, hatte also die tatsächliche Gewalt mit dem Willen inne, die Sache als fremde zu haben, während der potentiell, unter bestimmten Voraussetzungen Haftende „Besitzer" genannt wird. Errichtet der Inhaber das Bauwerk auf fremdem Grund und Boden, so wird das Bauwerk nicht wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, sondern Eigentum des Erbauers 7. Er ist somit Besitzer des Bauwerks. Dafür spricht auch, daß der Grundstücksbesitzer haften soll, wenn er das Bauwerk „übernimmt", also mit anderen Worten erwirbt, wenn er also Eigentümer wird und es fortan als eigenes innehat. Demnach hatte bis dahin der Erbauer den Eigenbesitzwillen. Ferner spricht für die Bewertung der Position des Erbauers als Besitzer des Bauwerks, daß der Grundstücksbesitzer außerdem dann haftet, wenn er das Grundstück „zurücknimmt". Voraussetzung ist also, daß der Grundstücksbesitzer die tatsächliche Gewalt am Grundstück wieder selbst unmittelbar ausübt, offenbar somit das Rechtsverhältnis zwischen beiden beendet wird, auf Grund dessen der Betreffende das Grundstück detenierte und das Bauwerk errichtete. Die Beratungen erläutern den Antrag entsprechend dieser Interpretation: Verpflichtet sei danach der Dritte, der in Ausübung eines dinglichen oder 5
Jakobs/Schubert ebd. S. 987 2. Absatz, dazu sogleich. Jakobs/Schubert ebd. S. 986 oben. 7 Zur damaligen Rechtslage Mot. Mugdan I I I S. 26 f. (zu § 95 BGB = § 785 E I = § 77 f. E II, Entwürfe abgedruckt bei Mugdan ebd. S. I, II) (römisches Recht, § 284 sächs. BGB); die rechtliche Selbständigkeit des Baues stellt die Ausnahme von der Regel dar: superficies solo cedit (s. §§ 93,94 BGB), dazu Käser I § 92 I I 2, S. 381, § 102 I I I 4, S. 429; WindscheidKipp I §§ 223, 138, 142. 6
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
persönlichen Rechts auf fremdem Grund und Boden ein Gebäude oder sonstiges Werk „für sich halte" 8 . Wenn er es „für sich" hält, wird offenbar auf den Eigenbesitzwillen angespielt, auf Grund dessen nach damaliger Auffassung Besitz gegeben war. Später geht die Kommission noch besonders auf die Person der nach den §§ 836 ff. BGB Haftenden ein 9 und skizziert hier § 837 als Fall, in dem „ein Dritter in Ausübung eines dinglichen Rechts (z.B. als Superfiziar) oder eines obligatorischen Rechts (ζ. B. als Pächter) berechtigt sei, auf fremdem Boden ein Gebäude oder ein Werk zu errichten bezw. zu halten" 10 . Da die Kommission sich zuvor gerade für die Verantwortlichkeit des Besitzers ausgesprochen hatte und diesen verstanden wissen wollte als jemanden, der animo domini besitze 11 , folgt schon hieraus, daß der nach § 837 Haftende Besitzer in diesem Sinne sein sollte. Ferner aber ist dieses Besitzverständnis daraus zu folgern, daß der Betreffende das Gebäude errichtet haben muß. Der außerdem verwandte Begriff des „Haltens" ist allerdings nicht aussagekräftig, kann aber an der Grundposition des Gesetzgebers nichts ändern. Diese zuletzt zitierte Stelle der Protokolle (bei Jakobs / Schubert) taucht in den Motiven in abgewandelter, aber ähnlicher Form auf. Als eine Kompilierung aus Begründungen der Teilentwürfe, der Protokolle der 1. Kommission und eigenen Ausführungen ihrer Verfasser sind die Motive geeignet, den Grundgehalt des damaligen Denkens wiederzugeben. Hier wird nun der in § 837 geregelte Sachverhalt deutlich eingeordnet. Es heißt dort: Eine Ausnahme macht der Abs. 2 (sc. des § 735 E I 1 2 = § 837 BGB) . . . für den Fall, wenn auf fremdem Grund und Boden von einem Dritten in Ausübung eines (dinglichen oder persönlichen) Rechtes ein Gebäude oder sonstiges Werk gehalten wird (vgl. § 785). In solchem Falle soll den Dritten, z. B. den Erbbauberechtigten oder den Pächter, die im Abs. 1 § 735 bezeichnete Verantwortlichkeit an Stelle des Besitzers des Grundstücks treffen, da in diesem Falle nicht der Letztere, sondern der Dritte als der Besitzer des betr. Gebäudes oder Werkes erscheint.. , 1 3 .
Der in diesem Text zitierte § 785 entspricht dem heutigen § 95 I BGB; er bestimmte wie dieser, daß Sachen, die von einem anderen als dem Eigentümer des Grundstücks nur zu einem vorübergehenden Zweck oder in Ausübung eines Rechtes am Grundstück mit diesem verbunden werden, nicht Bestandteile des Grundstücks werden 14 . Diese im 1. Entwurf noch im Sachenrecht untergebrachte Bestimmung 15 war der ersten, mit den schuldrechtlichen §§ 836 ff. BGB 8
Jakobs /Schubert ebd. S. 987 2. Absatz. Ebd. S. 988 letzter Absatz, 989 1. Absatz; dazu oben b. 10 Ebd. S. 989 1. Absatz. 11 Vgl. Fn. 9. 12 Abgedruckt bei Mugdan I I S. C X X X I . 13 Mot. Mugdan I I S. 457 4. Absatz. 14 § 785 E I abgedruckt bei Mugdan I I I S. I / I I . 9
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befaßten Kommission noch nicht bekannt. Daß die Vorschrift dennoch in den Motiven genannt wird, ist aus der schon erläuterten Entstehungsgeschichte der Motive erklärbar (oben b). Das Zitat des § 785 muß vor dem Hintergrund des in jener Zeit herrschenden und von der 1. Kommission ausdrücklich definierten Besitzverständnisses als Extrakt des in § 837 gemeinten Falles verstanden werden. — Darüber hinaus wird der Verantwortliche hier erstmalig als „Besitzer" bezeichnet. Die entsprechende Vorschrift des 1. Entwurfs (§ 735 II) tat dies nicht, sondern enthielt, wie die soeben geschilderten Beratungen der 1. Kommission, nur den Ausdruck des „Haltens" 1 6 . Die in Gestalt des § 837 BGB geltendes Recht gewordene Vorschrift des 2. Entwurfs (§760 E II) 1 7 spricht dann ebenfalls vom „Besitz" des Berechtigten. Die 2. Kommission betonte, daß die Abweichungen dieses Entwurfs vom 1. Entwurf lediglich redaktioneller Art seien 18 . Dies bedeutet, daß der Verpflichtete schon im 1. Entwurf, also ohnehin als Besitzer aufgefaßt wurde. Da auch die 2. Kommission dem gemeinrechtlichen Begriff des Besitzes verhaftet war (oben c bb, cc), war mit „Besitz" im Sinne des § 837 also dieser Begriffsinhalt gemeint. Damit darf es als gesichert gelten, daß § 837 das Besitzverständnis alter Tradition zugrunde liegt 1 9 . bbb) Die nach § 838 Verantwortlichen sind Personen, die das Bauwerk zum Zweck der Unterhaltung oder auf Grund eines Nutzungsrechtes übernehmen. Nach BGB-Verständnis sind sie Besitzer. Nach gemeinrechtlicher Auffassung sind sie auf Grund ihres Fremdbesitzwillens keine Besitzer, sondern nur Inhaber oder Detentoren (oben b). Dementsprechend verwendet die Vorschrift den Begriff des „Besitzers" für den nach § 838 Verpflichteten, abweichend von den Bestimmungen der §§ 836,837, nicht. Auch die Wendung, die Betreffenden seien verantwortlich „wie der Besitzer", wirkt aus der Sicht der Besitzlehre des BGB befremdlich. Dies klingt so, als seien die nach § 838 Haftenden selbst keine Besitzer, was aber nach BGB-Lehre nicht verständlich ist. Erst bei Kenntnis der Besitzauffassung der Verfasser des § 838 wird die Ausdrucksweise begreiflich. Sie ist so gemeint, wie sie klingt: Die nach der Vorschrift Verantwortlichen sind nach Ansicht der Gesetzesschöpfer keine Besitzer, sie sollen aber haften wie ein
15
Es war ein allgemeiner Teil des Sachenrechts vorgesehen, s. Mugdan I I I S. I ff., 14 ff.,
486 ff. 16
Vgl. Fn. 12. Abgedruckt bei Mugdan I I S. C X X X I . 18 Prot. Mugdan I I S. 1152 = Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse III, S. 994 jeweils unter B. 19 In der heutigen Literatur wird § 837 BGB allgemein ohne weitere Begründung als Fall des §95 BGB eingeordnet, s. etwa Heck, Schuldrecht, §149, 6 b; EnneccerusLehmann § 239 I 4c; Larenz I I § 73 III; Fikentscher § 106 I I I 2; MK-Mertens § 837 Rdnr. 5; möglicherweise gelangt man zu diesem Ergebnis, weil man § 836 I I I auch auf § 837 bezieht (Eigenbesitz). 17
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Besitzer (nach §§ 836, 837). So erschließt sich das richtige Verständnis des § 838 erst auf Grund des Studiums der Gesetzesmaterialien 20. Daß die Gesetzesverfasser hier, in § 838, von ihrem Postulat abgewichen sind, nur den „juristischen Besitzer" haftbar zu machen 21 , ist in diesem Zusammenhang ohne Belang; mit dieser Frage wird sich die Untersuchung noch beschäftigen (unten IV 3 c aa, bb). e) Die Haftung nach § 836 neben § 838 BGB
Auf der Grundlage der Besitzauffassung des Gesetzgebers versteht es sich von selbst, daß der nach § 836 I Verpflichtete neben nach dem § 838 Verantwortlichen (weiter-) haftet, denn er ist auch im Falle der Überlassung des Bauwerks an einen anderen Besitzer, und § 8361 bestimmt die Haftung des Besitzers. Dagegen ist auf der Grundlage der Besitzlehre des BGB die Weiterhaftung des Überlassenden nach § 836 I neben der Haftung des zur Unterhaltung des Gebäudes Verpflichteten gem. § 838 zweifelhaft. Der Überlassende ist nach BGB mittelbarer (Eigen-) Besitzer. Er haftet nach § 8361 nur, wenn der mittelbare Besitz unter die Vorschrift fallt, und diese Frage ist gerade problematisch. Wenn heute in der Literatur die Haftung des Überlassenden nach § 836 I neben dem nach § 838 Verpflichteten ohne weiteres angenommen wird 1 , so beruht dies darauf, daß das den §§ 836 ff. zugrunde liegende gemeinrechtliche Besitzverständnis unbekannt ist und es als selbstverständlich gilt, daß der mittelbare Besitz von § 836 erfaßt wird 2 . Die Haftung des Überlassenden ergibt sich ferner nicht etwa unmittelbar aus der Wendung des § 838, wonach die nach dieser Vorschrift Verpflichteten „in gleicher Weise" „wie der Besitzer" verantwortlich sind. Damit ist lediglich gesagt, daß die gem. § 838 Verpflichteten unter denselben Voraussetzungen und mit denselben Rechtsfolgen wie der überlassende Besitzer haften. § 838 gibt Tatbestand und Rechtsfolge verkürzt wieder, indem er auf den Grundtatbestand des § 836 Bezug nimmt und im übrigen nur die von ihm zugrunde gelegte Sachverhaltsgestaltung beschreibt. Es fehlt an der Nennung der Schadensursachen (fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte Unterhaltung), der verletzten Rechtsgüter (Mensch, Körper, Gesundheit, Sache) und des Verschuldens (s. § 83612); ferner enthält § 838 die in § 836 I I geregelte Begrenzung der Haftung nicht. Somit läßt sich die Frage der Verantwortung des das Bauwerk Überlassenden dem § 838, also unabhängig von der Frage der Besitzart, nicht entnehmen. 20
Zu den mit dem alten Besitzverständnis verbundenen Interpretationsproblemen des § 838 unten IV. 21
Oben b, c. Vgl. etwa MK-Mertens § 838 Rdnr. 1; Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 1; ErmanDrees § 838 Rdnr. 1; RGRK-Kreft § 838 Rdnr. 1; Palandt-Thomas § 838 Anm. 1. 2 Oben I I 2 a. 1
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Die aber nach altem Recht an sich selbstverständliche Haftung des Besitzers neben dem nach § 838 Verantwortlichen wird in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich behandelt. Während der 1. Entwurf eine besondere Vorschrift hierüber nicht vorsah und die gleichzeitig Haftung der Betreffenden in den Beratungen nur kurz erwähnt wird, war in der 2. Kommission zeitweilig eine Bestimmung über die gesamtschuldnerische Haftung von Besitzer und gem. § 838 Verpflichtetem vorgesehen. Sie hatte aber entsprechend der Besitzauffassung der Gesetzgeber nicht die Funktion, die Haftung zu begründen, vielmehr sollte sie nur die Art der Haftung bestimmen. I m einzelnen bietet das Studium der Materialien folgendes Bild: Zu einem in der 1. Kommission vorliegenden Antrag, der die Haftung des Grundstücksbesitzers und des die Unterhaltung des Gebäudes Übernehmenden vorsah — also die heute in den §§ 8361 und 838 enthaltene Regelung3 —, findet sich in den Protokollen zu den Beratungen der 1. Kommission die Bemerkung, dieser Antrag verdiene Billigung, insofern er "neben dem Besitzer zugleich denjenigen, der die Unterhaltspflicht übernommen habe, für verantwortlich erkläre" 4 . In der 2. Kommission wurde beantragt, dem § 735 I I I des 1. Entwurfs ( = § 838 BGB) einen weiteren Satz anzufügen, der bestimmte, daß der nach der Vorschrift Verpflichtete neben dem Besitzer als Gesamtschuldner hafte 5 . Dieser Antrag wurde zunächst angenommen6, doch ist der betreffende Satz später gestrichen und in den endgültigen 2. Entwurf nicht aufgenommen worden 7 . Diese Tatsache ist mit der Schaffung des § 8401 BGB erklärbar. In den einzelnen Deliktsvorschriften war die gesamtschuldnerische Haftung mehrerer wegen unerlaubter Handlung Haftender jeweils bestimmt 8 . § 8401 BGB 9 hat dann eine 3 Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse I I I , S. 986 oben Antrag 2 (Kurlbaum). 4 Ebd. S. 989 1. Absatz (Hervorhebung von Verf.), ebenso S. 987 2. Absatz. 5 Prot. Mugdan I I S. 1148 unter I Antrag 1 (als § 735 a) = Jakobs/ Schubert ebd. S. 993 unter 11 (Verweis auf E I — RJA und damit auf ebd. S. 991 unten) (Struckmann); s. auch Prot. Mugdan I I S. 1149 Antrag 10 (zu § 735a) = Jakobs/Schubert ebd. S. 994 (Jacubezky). 6 Prot. Mugdan I I S. 1152 = Jakobs/Schubert ebd. S. 994 jeweils unter c. Der dort zitierte § 734 E I entsprach in seinem Abs. I I dem heutigen § 834 BGB (s. Mugdan I I S. CXXX). Für diesen war von der 2. Kommission eine Bestimmung vorgesehen, wonach der Tierhalter (§ 833 BGB) neben dem Tierhüter (§ 834 BGB) als Gesamtschuldner hafte, s. Prot. Mugdan I I S. 1124 Antrag 1 (als § 734a) und Wiedergabe der Beratungen dazu ebd. 2. Abs. Es sollte sich also für die Gebäudehaftung um eine parallele Vorschrift handeln. 7
Vgl. § 761 E II, abgedruckt bei Mugdan I I S. C X X X I . Vgl. Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse I I I , S. 1026 (zu § 840 BGB) mit Angabe der Paragraphenzählung in den verschiedenen Kommissionen. Zur Streichung des für § 838 vorgesehenen S. 2 ferner Jakobs/Schubert ebd. S. 996 Fn. 6 iVm Fn. 5. 9 § 840 BGB = § 713 E I = § 764 I E II, abgedruckt bei Mugdan I I S. CXXV. 8
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
zusammenfassende Regelung geschaffen, die diese Einzelvorschriften und so auch den ursprünglich geplanten Satz 2 des § 838 BGB überflüssig machte 1 0 . Darin, daß die Kommission in § 8401 BGB einen Ersatz für den vorgesehenen Satz 2 des § 838 sah, zeigt sich erneut, daß sie für die §§ 836ff. vom gemeinrechtlichen Besitzbegriff ausging. § 840 I BGB begründet die Haftung nicht, sondern setzt eine bereits bestehende Haftung voraus; er will nur die Art der Haftung festlegen (Gesamtschuld). Dieses war, wie soeben bereits erwähnt, auch das Anliegen des ursprünglich geplanten Satzes 2 des § 838. Daß der Überlassende haftete, stand auf Grund des Besitzbegriffes ohnehin fest. Dementsprechend heißt es später in der Denkschrift, die nunmehr den Begriff des „Eigenbesitzes" des fertiggestellten 2. Entwurfs aufgreift (§ 759 I I I Ε I I = § 836 I I I BGB; oben c cc), neben dem Eigenbesitzer hafte der nach § 838 BGB Verpflichtete 11 . f) Gesetzesmaterialien zum Besitzrecht
U m ein vollständiges Bild vom Besitz im Sinne der §§ 836ff. zu erhalten, bedarf es schließlich der Heranziehung der Gesetzesmaterialien zum Besitzrecht. Da die mit dem Sachenrecht befaßte 2. Kommission die Besitzlehre des 1. Entwurfs änderte, dachte sie an eine Überarbeitung des bis dahin schon geschaffenen Gesetzbuches. Es stellt sich also die Frage, ob der Besitzbegriff des § 836 der neuen Lehre nachträglich angepaßt wurde. Die nach altem Besitzverständnis gegebene Verbindung von tatsächlicher Gewalt (corpus) und dem Willen, die Sache als eigene zu haben (animus) 1 , hob die 2. Sachenrechtskomission auf. Auf die Willensrichtung kam es für das Vorliegen des Besitzes von nun an nicht mehr an. Entscheidend war grundsätzlich allein die tatsächliche Gewalt 2 . Somit war Besitzer auch derjenige, der Fremdbesitzwillen hatte (s. §§ 854 I, 872, 868 BGB), also etwa der Mieter oder Pächter 3. Es gab nun also zwei Besitzer an ein und derselben Sache. Damit war der Überlassende nicht mehr einfach nur „Besitzer"; es ergab sich die Figur des mittelbaren Besitzes4. Anders gesagt: da auch derjenige, der die Sache als fremde innehatte, anders als nach bisheriger Anschauung, nunmehr ebenfalls Besitzer
10
Vgl. Jakobs/Schubert ebd. S. 1025; s. ferner die Schilderung der Entstehung des § 840 BGB im einzelnen ebd. S. 1026, 1027. 11 Denkschrift Mugdan I I S. 1270 2. Absatz aE. 1 Vgl. § 797 E I, abgedruckt bei Mugdan III, S. IV; s. ferner oben b. 2 Vgl. §777 I E I I (abgedruckt bei Mugdan ebd.) = §854 I BGB: Erlangung der tatsächlichen Gewalt. 3 Vgl. § 793 E I I (abgedruckt bei Mugdan ebd.) = § 872 BGB (Eigenbesitz); § 7901E I I (abgedruckt bei Mugdan ebd. S. VII) = § 868 BGB (Fremdbesitz); ferner Prot. Mugdan I I I S. 513 ff. 4 § 790 I E I I (s. Fn. 3) = § 868 BGB, Mugdan ebd. S. 512ff.
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war, änderte sich die Besitzposition des Überlassenden. Ihm wurde der Besitz durch den Besitz des anderen „gemittelt" (§ 868 BGB). Angesichts dieser geänderten Besitzlehre machte sich die damit befaßte 2. Kommission Gedanken über die Bedeutung des in den Vorschriften des BGB auftauchenden Begriffs „Besitz". Sie hatte zunächst erwogen, den Ausdruck „Besitzer" nur für denjenigen zu verwenden, der die unmittelbare Herrschaft über die Sache ausübt, und daß, wenn die Rechtsfolgen, die das Gesetz an den Besitz als solchen knüpfe, auch beim Vorhandensein eines mittelbaren Besitzverhältnisses gelten sollten, dies durch einen besonderen Zusatz bei den einzelnen in Betracht kommenden Vorschriften hervorzuheben sei. Man entschied sich dann aber auf Vorschlag der Redaktionskommission zu dem entgegengesetzten Verfahren. Diese hielt den von der 2. Komission in Betracht gezogenen Weg für unpraktisch: Wenn man von den Vorschriften über den Besitzschutz absehe, so seien fast alle Bestimmungen, welche rechtliche Folgen an den Besitz knüpften, auch auf das Verhältnis des mittelbaren Besitzes anwendbar. Es sei deshalb richtiger und zweckmäßiger, das BGB so zu redigieren, daß grundsätzlich unter dem Besitzer auch der mittelbare Besitzer verstanden werde und daß da, wo sich ein Rechtssatz nur auf den unmittelbaren Besitz beziehe, dies hervorzuheben sei, soweit sich nicht die Beschränkung schon aus dem Zusammenhang ergebe. — Diesen Erwägungen Schloß sich die 2. Kommission an 5 . Die §§ 836 ff. sind äußerlich unangetastet geblieben. Wenn das geplante Vorhaben zuverlässig bei allen Vorschriften durchgeführt wurde, könnte man folgenden Schluß ziehen: Entweder sollen unter „Besitz" im Sinne der §§ 836ff. beide Besitzarten fallen, oder man war der Meinung, daß sich hier die Beschränkung auf den unmittelbaren Besitz aus dem Zusammenhang ergebe. Doch ist diese Folgerung hier nicht zulässig. Es kommt für den Besitzbegriff der §§ 836 ff. nicht darauf an, was sich die redigierenden Bearbeiter bei diesen Vorschriften gedacht haben. Sie haben sie nicht geschaffen und konnten nicht wissen, was die Verfasser mit der Regelung beabsichtigten. Dazu hätten sie etwa schon vorhandene Protokolle heranziehen müssen. Eine derartige erneute Beschäftigung mit dem materiellen Gehalt der §§ 836ff. hat sicher nicht stattgefunden. Durch bloße Überlegung, was wohl unter Besitz im Sinne dieser Bestimmungen im Lichte der neuen Lehre zu verstehen sei, konnten die mit der Redigierung befaßten Mitarbeiter den in den §§ 836 ff. fixierten Besitzbegriff nicht ändern. Überdies ist es auch offenbar nicht aufgefallen, daß die nach § 838 Verpflichteten nach neuem Recht als Besitzer einzustufen waren. Dies war von einer bloß redigierenden Tätigkeit wohl auch nicht zu erwarten, doch belegt die unveränderte Übernahme der Bestimmung, daß den Bearbeitern, wenn sie sich mit den §§ 836 ff. beschäftigt haben sollten, der nähere Gehalt des Besitzbegriffes der Vorschriften verschlossen war und der ihnen aufgetragenen Aufgabe für eine Besitzinterpretation keine maßgebende Bedeutung zukommt. 5
Prot. Mugdan I I I S. 516 vorletzter Absatz.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB g) Ergebnis zu a-f: Der römisch-gemeinrechtliche Besitzbegriff des § 836 BGB
Nach diesen Untersuchungen steht fest, daß die §§ 836 ff. besitzrechtlich ein Relikt darstellen. Ihnen liegt das römisch-gemeinrechtliche Besitzverständnis zugrunde.Im vorliegenden Zusammenhang galt es, den Besitzbegriff lediglich des § 836 zu ermitteln. Dieser Begriff aber mußte wegen des Grundkonzeptes, das für die §§ 836 ff. insgesamt leitend war, unter Heranziehung auch der übrigen beiden Vorschriften untersucht werden. Zwar ergeben schon die grundsätzlichen Ausführungen der Gesetzesverfasser, daß § 836 den gemeinrechtlichen Besitzbegriff übernimmt. Doch findet dieses Ergebnis eine Bestätigung darin, daß das alte Besitzdenken auch in den Einzelregelungen der §§ 837 und 838 zum Ausdruck kommt. Bei der generellen Beschäftigung mit § 838, der wegen der überkommenen Besitzvorstellung vor besondere Probleme stellt, wird sich erweisen 1, daß erst die Zusammenschau aller drei Vorschriften unter dem Blickwinkel des alten Besitzbegriffes das richtige Verständnis der §§ 836 ff. erschließt, während die Bestimmungen aus der Sicht der BGB-Besitzlehre ein unstimmiges Konzept bieten. Diese Konservierung tradierter Rechtsvorstellungen konnte geschehen, weil Schuld- und Sachenrecht nicht nur zeitlich nacheinander, sondern auch sachlich voneinander unabhängig bearbeitet wurden. Die eigenständige Behandlung beider Materien, die berechtigt war, da Schuld- und Sachenrecht im Prinzip unterschiedliche Rechtsstoffe darstellen, die aber auch technisch anders kaum möglich gewesen sein wird, hat im vorliegenden Fall zu dem, man darf schon sagen, Kuriosum geführt, daß in einzelnen Vorschriften des BGB ein überkommener, im übrigen Gesetzbuch nicht existierender Rechtsbegriff festgeschrieben wurde. Damit beruhen die §§ 836 ff. auf einem Fundament, das außerhalb des BGB liegt. Man mag sich fragen, warum der Gesetzgeber einen Begriff zur Basis seiner Regelung machte, von dem er wußte, daß dessen Inhalt möglicherweise nicht Gegenstand des BGB werden würde. Die Erklärung wird schlicht darin liegen, daß er die Schaffung der Besitzvorschriften nicht abwarten konnte, andererseits aber glaubte, durch § 836 I I I BGB für ausreichende Klarheit gesorgt zu haben. Daß es ihm mit der Bestimmung nicht gelungen ist, seine Besitzauffassung, wie dies seine Absicht war, festzulegen, belegt die heutige Handhabung des § 83J>; es ist nicht bekannt, daß die Besitzlehre des BGB den §§ 836 ff. nicht zugrunde liegt. Der moderne Gesetzesanwender geht, wie wir gesehen haben (oben a), als selbstverständlich davon aus, daß er wegen der näheren Besitzart der §§ 836 ff. auf die §§ 854ff. BGB zurückgreifen kann. Der Gedanke aber, der den Gesetzgeber zur Anknüpfung der Haftung an den Besitz geführt hat, trifft auf die Figur des mittelbaren Besitzes nicht ohne weiteres zu; dies wird sich im einzelnen noch zeigen2. — Der vorsorglich eingefügte § 836 I I I verhilft dem 1 2
Unten IV. Unten h cc.
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Willen des Gesetzgebers deshalb nicht zur Geltung, weil die Vorschrift auf der Grundlage der BGB-Besitzlehre, von der der heutige Gesetzesinterpret ausgeht, nur eine Aussage über den Besitzwillen enthält. Damit ist nach BGBAnschauung keine Definition des Besitzes generell gegeben. Da „Besitz" nach BGB grundsätzlich sowohl unmittelbare als auch mittelbare tatsächliche Gewalt bedeutet, also sowohl unmittelbaren als auch mittelbaren Besitz (§ 868), steht danach fest, daß beide Besitzarten unter die Vorschriften fallen und daß § 836 I I I lediglich die Willensrichtung festlegt, mit der der Betreffende den Besitz innehat (§ 872). Allerdings könnte sich der Interpret, der von der Besitzlehre des BGB herkommt, fragen, warum der Gesetzgeber nur den Eigenbesitzer und nicht auch den Fremdbesitzer zur Verantwortung zieht. Auf diese Weise könnte er veranlaßt sein, in die Entstehungsgeschichte zu schauen. Die Frage wird jedoch nirgends gestellt; man gibt sich mit der gesetzlichen Anordnung zufrieden. Die Erklärung für diese Haltung kann nicht darin liegen, daß man meint, der Fremdbesitz sei in § 838 geregelt und § 836 erfasse deshalb diese Besitzart nicht. Es wird sich noch erweisen, daß, da der Begriff des Besitzes in § 838 nicht auftaucht, die Vorschrift dem Haftungsprinzip „Besitz" nicht zugeordnet wird und daß Besitz als Voraussetzung der Haftung dort geradezu als verzichtbar hingestellt wird 3 . Während also § 836 „modern" interpretiert wird, folgt man in § 838 dem „unmodernen" Gesetzgeber. Gibt also §836 I I I für den, der die §§836ff. mit den Augen der BGBBesitzlehre deutet, keinen Hinweis auf einen von dieser Lehre verschiedenen Besitzbegriff, so war für den mit dem gemeinen Recht Vertrauten die Bedeutung der Vorschrift klar verständlich: M i t dem Erfordernis des Eigenbesitzwillen stand fest, daß nur der „juristische" und eigentliche Besitzer haften sollte, hingegen nicht der natürliche, der die Sache als fremde innehatte und der nur Detentor oder Inhaber war. Der aber auch hier sich ergebenden Frage, warum man letzteren von der Verantwortung ausnahm, wird die Untersuchung sich später annehmen4. Die Maßnahme des Gesetzgebers in § 836 I I I ist also vom Standpunkt damaligen Denkens aus verständlich. Da dieses Denken jedoch nicht mehr lebendig ist, sondern die Vorschrift aus der Perspektive des BGB gewertet wird, erhält sie einen anderen Sinn und verfehlt damit ihren Zweck. h) Folgerungen aa) Einleitung
Auf Grund des obigen Befundes (g) sieht sich der heutige Interpret des § 836 vor der Aufgabe, die zwischen dieser Vorschrift und dem Besitzverständnis des BGB bestehende Divergenz auszugleichen. U m feststellen zu können, auf welche Weise dies geschehen kann, ist zunächst der Grundgedanke herauszuar3
Unten IV.
4
Unten IV.
15 Herrmann
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
beiten, der den Gesetzgeber dazu veranlaßt hat, den Besitz als tragendes Haftungselement anzusehen (unten bb). Sodann sind altes und neues Besitzverständnis miteinander zu vergleichen, um zu klären, inwieweit der leitende Haftungsgedanke im Besitzbegriff des BGB enthalten ist, so daß auch Besitzarten dieser Besitzlehre nach § 836 behandelt werden können (unten cc). bb) Gesetzgeberische Gründe für die Haftbarmachung
des Besitzers
aaa) Einleitung
Die Frage nach den Gründen der Verantwortung gerade des Besitzers läßt sich aus den Materialien beantworten. Bei Schaffung der §§ 836 ff. standen zwei Verpflichtete zur Debatte, Eigentümer und Besitzer. Die Entscheidung der Gesetzesverfasser für den Besitzer weicht von den meisten damals geltenden Regelungen, die den Eigentümer verpflichteten 1, ab. Bevor die dazu in den Materialien festgehaltenen Erörterungen referiert und gewertet werden, muß weiter ausgeholt und in die diesen Erörterungen vorangehenden Überlegungen geschaut werden. Daraus ergibt sich, daß die Gesetzesverfasser in den §§ 836 ff. eine Unterhaltungspflicht für den Gebäudebesitzer schaffen wollten. Nur vor diesem Hintergrund sind Erwägungen zur Person des Haftenden verständlich. bbb) Der Hintergrund: Die Unterhaltungsverpflichtung des Haftenden
Grundlage der Beratungen der 1. Kommission, aus denen der 1. Entwurf zu § 836 hervorgegangen ist, war Art. 1028 des Dresdner Entwurfs, der von dem mit dem Vorentwurf (Teilentwurf) 2 über unerlaubte Handlungen betrauten Redaktor v. Kübel vorgeschlagen worden war 3 . Diese dem Dresdner Entwurf entnommene Vorschrift lautete: 1
Preuß. A L R I 8 §§ 37, 60 iVm I 6 §§ lOff.; französ. Code civil Art. 1386; sächs. BGB § 351; Züricher GB §§ 188511.; schweizer. OR Art. 67, 68 ( = Art. 58 in der revidierten Fassung vom 30. 3. 1911); hess. Entwurf §672; bayer. Entwurf Art. 950; Dresdner Entwurf Art. 1028. § 343 österr. ABGB dagegen verpflichtet den Besitzer. Art. 950 des bayer. Entwurfs verpflichtet „denjenigen, welchem die Unterhaltung eines Bauwerks als Eigentümer oder aus einem anderen Rechtsverhältnisse obliegt". 2 Die ersten Ausarbeitungen von Vorschriften nennt Schubert in der Reihe, die diese Vorschriften mit Begründungen wiedergeben (s. Literaturverzeichnis), „Vorentwürfe"; in dem von Jakobs/Schubert herausgegebenen Werk über die Beratung des BGB in der 1. und 2. Kommission und den folgenden damit befaßten Gremien werden sie „Teilentwürfe" genannt (s. Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse III, S. IX unter A 1, I). 3 Vgl. bei Schubert, Vorentwürfe, Schuldverhältnisse 3 (Verfasser v. Kübel und Hilfsarbeiter) den Abdruck des dem Dresdner Entwurf entnommenen Art. 1028 S. 755, dazu Darstellung der bisherigen Rechtslage S. 953 ff. (römisch-gemeines Recht), 964 ff. (Kodifikationen der Neuzeit), Materialien aus den Verhandlungen der Dresdner Kommission S. 968 ff., Bemerkungen des Redaktors S. 971 f. Ferner Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse III, S. 985 (Abdruck des Art. 1028 Dresdner Entwurf, Anträge und Beratungen der 1. Kommission).
§
Untersuchung des § 90 BGB
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Der Eigenthümer eines Gebäudes oder Werkes hat den durch dessen Einsturz einem Anderen verursachten Schaden zu ersetzen, wenn der Einsturz die Folge einer von dem Eigenthümer verschuldeten fehlerhaften Errichtung oder einer mangelhaften Unterhaltung des Gebäudes oder Werkes ist.
Dazu lag ein Antrag vor (Kurlbaum), der folgendermaßen lautete: Der Besitzer eines Grundstückes ist verpflichtet, die auf demselben befindlichen Gebäude oder sonstigen Werke mit der Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters so gut zu unterhalten und nötigenfalls zu verändern oder abzubrechen, daß sie nicht durch Einsturz Schaden anrichten. Er haftet für den durch Einsturz verursachten Schaden, wenn er seine Pflicht verletzt hat und bei Erfüllung derselben der Schaden nicht entstanden sein würde. 4
Vorentwurf und dazu vorliegender Antrag stimmen insoweit überein, als sie für den Verantwortlichen eine Verpflichtung zum Unterhalt des Bauwerks statuieren und die Schadensersatzpflicht an eine Verletzung dieser Pflicht knüpfen. Während der Vorentwurf die Unterhaltungspflicht nicht ausdrücklich nennt, sondern sich diese aus der Voraussetzung der mangelhaften Unterhaltung ergibt, regelt der Antrag zunächst die Unterhaltungspflicht ausdrücklich (Abs. I) und spricht dann die Schadensersatzpflicht für den Fall der Verletzung der Unterhaltungspflicht aus (Abs. II). Die Vorschläge unterscheiden sich jedoch insoweit, als der Vorentwurf die Schadensersatzpflicht an eine zweite mögliche Voraussetzung knüpft, nämlich eine fehlerhafte Errichtung durch den Verantwortlichen. Demgegenüber enthält der Antrag diese Voraussetzung nicht. In den sich mit Vorentwurf und Antrag befassenden Beratungen ging es nicht um die Unterhaltungspflicht. Vielmehr beschäftigte sich die 1. Kommission mit dem im Vorentwurf enthaltenen Haftungserfordernis der fehlerhaften Errichtung. Diese Erwägungen zeigen, daß die zu statuierende Unterhaltungspflicht außer Frage stand. Die Protokolle der Beratungen (Jakobs/Schubert) und die Motive berichten übereinstimmend, daß die 1. Kommission es für überflüssig hielt, diese Voraussetzung in die Vorschrift aufzunehmen. Denn, so heißt es in den Protokollen (Jakobs/Schubert): Betreffend die Fassung der hiernach aufzunehmenden Vorschrift, so sei die auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit beruhende fehlerhafte, den Einsturz nach sich ziehende Errichtung eines Gebäudes oder sonstigen Werkes schon an sich ein zum Schadensersatz verpflichtendes Delikt. In Betracht komme aber noch der Fall, wenn der Eigenthümer oder Besitzer selbst das Gebäude oder Werk nicht errichtet, sondern die Errichtung einem Sachverständigen überlaßen habe. In einem solchen Falle sei der Eigenthümer oder Besitzer verpflichtet, sobald er den Fehler erkannt habe oder habe erkennen müssen, für die Beseitigung des Fehlers oder des Gebäudes bezw. Werkes zu sorgen. 5
4 5
1*
Antrag 2, s. Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse III, S. 986 oben. Jakobs /Schubert ebd. S. 988 2. Absatz letzter Teil.
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Ganz entsprechend, aber deutlicher noch heißt es in den Motiven: Bei der näheren Bestimmung des Inhaltes der dem Besitzer des Grundstücks aufzuerlegenden gesetzlichen Verpflichtung braucht der Fall einer auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit beruhenden fehlerhaften, den Einsturz nach sich ziehenden Errichtung eines Gebäudes oder sonstigen Werkes nicht besonders berücksichtigt zu werden, da eine solche Errichtung vermöge der darin liegenden positiven Thätigkeit schon an sich ein . . . zum Schadensersatz verpflichtendes Delikt ist . . . 6
Die Motive zitieren an dieser Stelle die allgemeinen Deliktsvorschriften des 1. Entwurfs 7 und fahren dann so fort, wie dies in den hier soeben zitierten Protokollen (Jakobs/Schubert) wiedergegeben wurde 8 . Was an diesen in den beiden Quellenwerken enthaltenen Stellen gesagt sein soll, ist dieses: Der Fall der fehlerhaften Errichtung des Bauwerks brauchte nach Ansicht der Kommission in § 836 deshalb nicht aufgenommen zu werden, weil er schon unter die allgemeinen Deliktsbestimmungen fallt. Der Grund, der sich auch aus den Protokollen der Beratungen (Jakobs / Schubert) ergibt, den aber die Motive klarer noch aussprechen, ist folgender: Der Fall der mangelhaften Unterhaltung, der im Vorentwurf außer der fehlerhaften Errichtung verpflichtend wirkt, der aber im Antrag alleiniger Haftungsgrund ist, ist ein Fall des Unterlassens. Die dafür erforderliche Handlungspflicht liegt in der Pflicht zur Unterhaltung des Gebäudes. Eine derartige Regelung enthielten die allgemeinen Deliktsvorschriften nicht, so daß es insoweit besonderer Bestimmungen bedurfte. Die fehlerhafte Errichtung aber ist ein Fall der — wie die Motive sagen — „positiven Thätigkeit", er wird bereits in den allgemeinen Deliktsregelungen erfaßt. Die Kommission stellt jedoch fest, daß der Fall der fehlerhaften Errichtung nicht ohne Bedeutung ist, insofern er für den zu regelnden Fall der Verletzung der Unterhaltungspflicht in Betracht kommt, nämlich dann, wenn der Betreffende das Bauwerk nicht selbst errichtet hat. Für diesen Fall trifft ihn ebenfalls eine Unterhaltungspflicht, er muß den Zustand des Bauwerks beobachten und, wenn der Fehler hervortritt, für Abhilfe sorgen. M i t anderen Worten: Zu schaffen war eine Regelung, die eine Pflicht zur Unterhaltung des Bauwerks statuierte, also, allgemeiner und modern gesagt, eine Unterlassungshaftung. Dementsprechend wurde § 7351 des 1. Entwurfs gefaßt, der eine Synthese aus dem Vorentwurf und dem genannten Antrag (Kurlbaum) darstellte. Er lautet: Der Besitzer eines Grundstückes ist verpflichtet, unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters dafür zu sorgen, daß ein auf dem Grundstücke befindliches Gebäude oder sonstiges Werk nicht in Folge fehlerhafter Errichtung oder in Folge 6 7
Mot. Mugdan I I S. 457 2. Absatz. §§704, 722-726, 728, §§ 711-713, abgedruckt bei Mugdan I I S. C X X I I , C X X I I I ,
CXXVII-CXXIX, c x x v . 8
Vor Fn. 5.
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mangelhafter Unterhaltung einstürzt. Wird diese Pflicht verletzt, so ist der Besitzer nach Maßgabe der §§ 704, 722 bis 726 und des § 728 Abs. 1 zum Ersätze des Schadens verpflichtet, welcher einem Dritten aus dem dadurch verursachten Einstürze entstanden ist 9 . ccc) Erwägungen des Gesetzgebers zur Person des Haftenden
Diesen Hintergrund, der an späterer Stelle wieder aufzugreifen sein wird 1 0 , muß man kennen, um die daran anschließenden, hier eigentlich interessierenden Erörterungen der 1. Kommission und die nachfolgenden Erwägungen der 2. Kommission über die Person des Haftenden zu verstehen. Denn bei diesen Beratungen knüpfen die Kommissionen — notwendigerweise — an die Unterhaltungspflicht des zum Schadensersatz Verpflichteten an. Die 1. Kommission lehnte den Vorentwurf insoweit ab, als er eine Unterhaltungspflicht für den Eigentümer vorsah; sie hielt dagegen den (oben bbb zitierten 11 ) Antrag, der den Besitzer verpflichtete, für billigenswert. Die Protokolle (Jakobs/Schubert), mit denen die Motive wiederum fast gleichlautend ausfallen, geben folgende Überlegungen wieder: Es sei unbillig, dem Eigentümer, der nicht Besitzer und wegen des fehlenden Besitzes daher regelmäßig auch außerstande sei, die Verpflichtung zu erfüllen, diese gleichwohl aufzuerlegen. Zwar könne der Eigentümer gegen den Besitzer Regreß nehmen, und ein solches Regreßrecht könne ihm besonders gegeben werden. Doch der Regreß werde nicht immer Erfolg haben und beseitige auch nicht den unter Umständen empfindlichen Nachteil, die Mittel zu Befriedigung des Beschädigten zunächst herbeischaffen zu müssen. Weit einfacher und auch in jeder anderen Hinsicht angemessener sei es, den Besitzer als die verpflichtete Person zu bezeichnen. Eine Unzuträglichkeit könne sich daraus, daß dem Besitzer, ohne Unterschied, ob er redlich oder unredlich sei, die Verantwortlichkeit zugewiesen werde, zweifellos nicht ergeben 12. Die 2. Kommission geht erneut auf die Frage ein, ob Eigentümer oder Besitzer für haftbar erklärt werden sollen, und entscheidet sich ebenfalls für eine Verantwortung des Besitzers: Sie hatte zuvor Verschuldensfragen erörtert 13 und leitet zum Problem der Person des Haftenden mit dem Bemerken über, mit der Entscheidung der Frage des Verschuldens stehe die andere Frage, ob man den Eigentümer oder den Besitzer des Gebäudes für haftbar erklären solle, „ i n einem gewissen inneren Zusammenhange" 14 . Dafür, den Eigentümer haftbar zu 9
Abgedruckt bei Mugdan I I S. C X X X / C X X X I ; Jakobs/Schubert ebd. S. 989/990. Unten 3. 11 Vor Fn. 4. 12 Jakobs/Schubert ebd. S. 988 3. Absatz, 989 1. Absatz = Mot. Mugdan I I S. 457 3. Absatz. 13 Prot. Mugdan I I S. 1150 letzter Absatz, 1151 1. Absatz. 14 Prot. ebd. S. 1151 2. Absatz 1. Satz. 10
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
machen, sprächen das römische Recht und die meisten neueren Gesetze. Durch diese Regelung werde der Beschädigte insofern begünstigt, als der Eigentümer regelmäßig leicht zu ermitteln sei. Es könne aber auch der Fall eintreten, daß der Beschädigte gar nichts erhalte, wenn nämlich zwar nicht der Eigentümer, wohl aber der Besitzer es an der erforderlichen Sorgfalt habe fehlen lassen. Entscheidend für die Haftung des Besitzers müsse aber die Annahme des Prinzips der Verschuldung sein. Lege man dieses Prinzip zugrunde, so dürfe man die Ersatzpflicht nur dem auferlegen, dem es möglich war, durch rechtzeitige Abstellung vorhandener Mängel die Gefahr abzuwenden. Der Eigentümer, der sich nicht im Besitz befinde, sei aber vielfach nicht in der Lage, sich die nötige Kenntnis vom Zustande des Gebäudes zu verschaffen und rechtzeitig die erforderlichen Maßregeln zu treffen. Dies springe namentlich in dem Falle in die Augen, wenn der Eigentümer, z.B. der Erbe, von dem ihm angefallenen Eigentum gar keine Kenntnis habe oder wenn ihm der Besitz widerrechtlich vorenthalten werde und er gegen den Besitzer einen längeren Prozeß um die Herausgabe des Gebäudes führen müsse. Es sei im höchsten Grade unbillig, dann den Eigentümer für Versäumnisse der Unterhaltung während der Dauer des Rechtsstreites verantwortlich zu machen. Und wiederum wurde die Möglichkeit des Regresses gegen den Besitzer erwogen mit demselben Ergebnis, zu dem die 1. Kommission schon gelangt war: Es sei immer noch fraglich, ob der Besitzer imstande sei, Zahlung zu leisten. Es sei daher geboten, den Besitzer für verantwortlich zu erklären. Die 2. Kommission meinte, daß der dort gemachte Vorschlag, den Eigentümer haftbar zu machen und in allen Fällen, in denen er nicht Besitzer sei, den letzteren zur Verantwortung zu ziehen, „das Verhältnis" verdunkele, ohne sachliche Vorteile zu bieten 15 . Schließlich legt die Denkschrift des Reichsjustizamtes noch einmal dar, daß nur der Besitzer imstande sei, sich über den Zustand des Gebäudes zu unterrichten und das zu Abwendung der Gefahr Erforderliche zu unternehmen. Zur Erläuterung der Unbilligkeit der Haftung des Eigentümers greift die Denkschrift die von der 2. Kommission angeführten Beispiele des Erbfalls, von dem der Betreffende keine Kenntnis habe, und des Rechtsstreites mit dem Besitzer, der das Grundstück nicht herausgeben will, noch einmal auf 1 6 . ddd) Zusammenfassende Bewertung zu aaa-ccc und Ergebnis
Versucht man, diese Äußerungen in den Materialien einer Bewertung zu unterziehen, so ergibt sich folgendes: Bei den Beratungen der 1. Kommission war für die Entscheidung, den Besitzer statt des Eigentümers für verantwortlich zu erklären, die dem Betreffenden aufzuerlegende Unterhaltungspflicht ausschlaggebend. Da er das Gebäude 15 16
Prot. ebd. Denkschrift Mugdan I I S. 1270 2. Absatz.
§ 6 Untersuchung des § 908 BGB
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unterhalten soll, muß ihm auch die Möglichkeit zur Erfüllung dieser Pflicht gegeben werden. Diese Möglichkeit hat der Eigentümer dann nicht, wenn er nicht zugleich den Besitz innehat. Die Hilfe, die in diesem Falle ein Regreßanspruch gegen den Besitzer bietet, kann die Kommission aus zwei Gründen nicht dazu bewegen, es mit den meisten damals geltenden Gesetzen bei der Haftung des Eigentümers zu belassen: Der Regreß gegen den Besitzer bürdet dem Eigentümer Risiken auf, weil er den Anspruch vielleicht nicht durchsetzen kann. Zum anderen bedeutet diese Möglichkeit einen Umweg. Aus Gründen der Einfachheit will die Kommission stattdessen sogleich denjenigen haftbar machen, der auf Grund des Besitzes in der Lage ist, die Unterhaltungspflicht zu erfüllen. Der in diesen Überlegungen steckende eigentlich tragende Gedanke läßt sich noch deutlicher fassen: Maßgebender Haftungsaspekt ist offenkundig die mit dem Besitz verbundene Sachbeziehung, die die tatsächlichen Voraussetzungen schafft, um der Pflicht zur Unterhaltung des Gebäudes zu genügen. Wer ausreichenden Kontakt zum Bauwerk hat, kann es auf seinen Zustand hin beobachten und hervortretende Mängel beseitigen. M i t anderen Worten: Er wird auf Grund seiner Sachnähe in den Stand gesetzt, die Gefahr, die abzuwenden er verpflichtet ist, zu beherrschen. In der 2. Kommission tritt derselbe Gedanke auf, doch kommen daneben auch Interessen des Beschädigten ins Spiel: Für den Eigentümer des Verantwortlichen spricht zwar dessen leichte Ermittelbarkeit. Dagegen steht aber der Nachteil für den Beschädigten, daß ihm kein Anspruch zusteht, wenn nicht der Eigentümer, sondern der Besitzer es an „der erforderlichen Sorgfalt habe fehlen lassen" (oben ccc), wenn den Eigentümer also kein Verschulden trifft. Damit verlassen die Beratungen den Aspekt der Interessen des Beschädigten. Dieser vermag auch in der Tat entscheidende Argumente für die Frage der Person des Haftenden nicht zu bieten. Der Fall, daß die Ermittlung des Besitzers Schwierigkeiten bereitet, wird selten sein. Die Frage des für die Haftung erforderlichen Verschuldens steht aber wiederum in Zusammenhang mit den Voraussetzungen, die an die Person des Haftenden zu knüpfen sind, und diese lassen sich nur aus dessen unterschiedlicher Position als Eigentümer oder Besitzer beurteilen. Im Vordergrund steht auch bei den Beratungen der 2. Kommission das Argument, daß der Besitzer die Möglichkeit der Mängelbeseitigung habe, während diese mit dem Eigentum nicht notwendig verknüpft ist. Diese Möglichkeit wird durch die 2. Kommission mit den Gesichtspunkten näher erläutert, die sich schon aus den Überlegungen der 1. Kommission ergaben: Die Kenntnis vom Zustand des Gebäudes kann sich der Besitzer auf Grund seiner Sachbeziehung leicht verschaffen, so daß er auch zur rechtzeitigen Mängelbeseitigung in der Lage ist. Die Protokolle erläutern dann den Fall, daß dem Eigentümer diese Möglichkeiten nicht gegeben sind, mit zwei Beispielen, der Unkenntnis vom Erbanfall und einem Herausgabeprozeß. Diese Beispiele mögen vielleicht eher Ausnahmecharakter tragen. Insgesamt steht hinter den
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Erwägungen der 2. Kommission jedenfalls der schon in der 1. Kommission zutage tretende Gedanke, daß die Statuierung der Verantwortlichkeit des Besitzers den Vorzug hat, eine möglichst unkomplizierte Regelung zu schaffen: Aus diesem Grunde wird die im Zusammenhang mit den beiden Beispielen besprochene Möglichkeit des Regresses des Eigentümers gegen den Besitzer nicht für überzeugend gehalten, und daher wird auch die beantragte Regelung abgelehnt, wonach prinzipiell der Eigentümer haften soll, ausnahmsweise nur dann nicht, wenn ein anderer Besitzer ist. Da die zu statuierende Unterhaltungspflicht einmal Besitz voraussetzt, um dieser Pflicht überhaupt nachkommen zu können, ist unmittelbar der Besitzer verantwortlich zu machen. Das Kernstück der Überlegungen zur Person des Haftenden bilden die Ausführungen der 2. Kommission zur notwendigen Möglichkeit des Betreffenden, Mängel zur Kenntnis zu nehmen und sie rechtzeitig zu beseitigen. Anders aber als die 1. Kommission begründet die 2. Kommission die Notwendigkeit dieser faktischen Möglichkeit mit dem Erfordernis des Verschuldens, an dem für die §§ 836 ff. festgehalten werden sollte. Zur Argumentation der Kommission an dieser Stelle ist dreierlei anzumerken: Die Äußerung in den Protokollen, es sei „unbillig", hier den Eigentümer für die versäumte Unterhaltung „verantwortlich" zu machen, ist insofern mindestens mißverständlich, als der Eigentümer in diesen Fällen eben nicht in Anspruch genommen werden kann, weil es am Verschulden fehlt. Eine andere Frage ist, ob dieses Ergebnis für den Geschädigten nicht „unbillig" ist, da er dann ohne Ersatzanspruch dasteht. Diese Frage aber behandelt die 2. Kommission nicht. Zudem ist es — zweitens — selbstverständlich, daß es in Einzelfallen an den Voraussetzungen eines Anspruches fehlen kann. Hier scheint der Gesetzgeber sich zu sehr am Ausnahmefall zu orientieren, in dem dem Eigentümer der tatsächliche Zugriff auf die Sache nicht möglich ist, etwa, wie in den beiden Beispielen, mangels Kenntnis vom Eigentum oder weil dem Eigentümer der Besitz streitig gemacht wird. Eine vergleichbare Lage kann aber auch eintreten, wenn der Besitzer der Verantwortliche ist, beispielsweise dann, wenn der Detentor, etwa der Mieter, dem Besitzer die Besitzausübung verwehrt und ihm den Zugang zum Gebäude versperrt. Der gewichtigste — dritte — Einwand aber richtet sich gegen die Überlegung der 2. Kommission, daß die Möglichkeit zur Gefahrbeseitigung und damit die Haftung gerade des Besitzers mit dem Verschuldenserfordernis zusammenhänge. Die Kommission will offenbar sagen, daß es keinen rechten Sinn habe, jemanden verantwortlich zu machen, der nicht ohne weiteres zur Mängelbeseitigung in der Lage ist und den daher auch kein Verschulden am schädigenden Ereignis treffe. Dieser Gedankengang ist ungenau. Die Möglichkeit zur Mängelbeseitigung ist Voraussetzung der Unterhaltungspflicht. Sie besteht somit unabhängig vom Verschuldenserfordernis. Derjenige, dem die Pflicht auferlegt ist, für einen gefahrlosen Zustand der Sache zu sorgen, muß die faktische Möglichkeit für die Wahrnehmung dieser Sorge haben. Ist diese nicht gegeben, kann schon die Verpflichtung nicht entstehen. Auf die Frage des
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Verschuldens kommt es dann nicht mehr an. Dies übersieht die 2. Kommission. Ihre Erwägungen über die Möglichkeit zur Mängelbeseitigung, die dazu führen, daß sie — wie die 1. Kommission — den Besitzer für die geeignete Haftungsperson ansieht, weil dieser auf Grund seiner Sachbeziehung diese Möglichkeit hat, sind also mit der Unterhaltungspflicht verknüpft, nicht mit dem Verschulden. Die von der Kommission für die Verantwortlichkeit des Besitzers gegebene Begründung (Verschulden) ist also unzutreffend. Offenbar auf Grund der vorangehenden Debatte über Verschuldensfragen wurde die 2. Kommission dazu angeregt, einen Gedankenschritt zu überspringen und sogleich das schon von der 1. Kommission aufgestellt Erfordernis der Möglichkeit, Mängel des Bauwerks zu beheben, mit dem Verschuldensgedanken zu verbinden. Die Kommission drückt sich denn auch entsprechend vage aus, indem sie von einem „gewissen inneren Zusammenhange" spricht. Sieht man von dieser Verschuldenskomponente, die eine Ungenauigkeit in die Argumentation bringt, ab, so wird aber auch hier der eigentlich tragende, zur Haftung des Besitzers führende Aspekt deutlich, der schon in den Beratungen der 1. Kommission und später in der Denkschrift zum Ausdruck kommt: Es ist der mit dem Besitz verbundene nahe Kontakt zum Bauwerk, der den Verantwortlichen in die Lage versetzt, den Zustand des Bauwerks zu beurteilen und hervortretende Mängel zu beheben17. Die Möglichkeit der Sach- und Gefahrbeherrschung ist, kurz gesagt, das bestimmende Moment der Haftung. cc)
Vergleich:
Der gesetzgeberische Haftungsgrundgedanke des BGB
und der Besitzbegriff
aaa) Einleitung
Damit ist der Gedanke, der den Gesetzgeber zur Bestimmung des Besitzers als Haftenden bewegt hat, aufgedeckt. Das tragende Haftungsmoment steht somit fest. Die aber hier zu klärende Frage, wer die nach geltendem Recht haftende Person ist, ist mit diesem Ergebnis noch nicht beantwortet. Hierzu bedarf es der Feststellung, wie sich der Gesetzgeber auf der Grundlage seines Besitzverständnisses die Gestaltung der Sachbeziehung im einzelnen gedacht hat. Da der Besitzbegriff des Gesetzgebers nicht mehr existiert, kann es nicht bei der Feststellung belassen werden, daß die Gesetzesverfasser bei Vorliegen des Besitzes von der erforderlichen Sachbeziehung ausgingen. Vielmehr ist der heute geltende Besitzbegriff heranzuziehen und mit der alten Besitzauffassung zu vergleichen. Erst auf diese Weise kann festgestellt werden, ob die Qualität der Sachbeziehung, die den Gesetzesverfassern vorschwebte, derjenigen Art der Sachbeziehung gleicht, die der Besitzer nach BGB einnimmt. r
Dies aprichi für J S36 nur Enneccerus-Lehmann §239 I 4a aus: Der Grund der Haftung des Eigenbesitzers liege darin, daß er am leichtesten den Zustand des Gebäudes kenne und Vorsichtsmaßregeln treffen könne.
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Für diesen Vergleich ist zu klären, wie sich die Sachbeziehung des Besitzers nach altem Recht und des Besitzers nach neuem Recht jeweils gestaltet; zu diesem Zweck müssen die verschiedenen Besitzarten des BGB hinsichtlich Art und Grad der Sachbeziehung untersucht und dem gemeinrechtlichen Besitzbegriff gegenübergestellt werden (unten bbb-ggg). Daran anschließend geht die Untersuchung auf die Willenskomponente ein, also auf die Frage, ob die betreffenden, möglicherweise unter § 836 fallenden Besitzer nach BGB den von § 836 I I I festgelegten Eigenbesitzwillen aufweisen müssen oder ob auch Fremdbesitzwille in Frage kommt (unten hhh). bbb) Unmittelbarer Besitz nach BGB
Der sog. juristische Besitzer gemeinrechtlicher Tradition, der die tatsächliche Gewalt selbst ausübte, hatte den unmittelbaren Kontakt zum Bauwerk. Er war also ohne weiteres in der Lage, den baulichen Zustand zu prüfen und sich zeigende Mängel zu beseitigen. Hier war die Situation gegeben, die den Gesetzgeber veranlaßte, den Besitzer mit der Unterhaltungspflicht und dem Ersatz eventuell eintretender Schäden zu belasten. Die Stellung dieses Besitzers gleicht der Stellung des unmittelbaren Besitzers nach BGB. Der unmittelbare Besitz ist in den §§ 854ff. BGB nicht ausdrücklich geregelt 1, seine Bedeutung läßt sich aber § 854 I BGB entnehmen, der den Besitzerwerb bestimmt und in dem es heißt, der Besitz werde durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben. Was unter tatsächlicher Gewalt zu verstehen ist, richtet sich nach der Lebensanschauung2. Danch gehört dazu eine gewisse räumliche Beziehung von gewisser Dauer 3 . § 856 I I BGB legt ausdrücklich fest, daß eine ihrer Natur nach vorübergehende Verhinderung in der Ausübung der Gewalt den Besitz nicht beendet; wer etwa mehrere Wochen verreist ist, ist dennoch Besitzer seines Hauses. Damit hat der unmittelbare Besitzer wie der Besitzer alten Rechts die direkte Sachbeziehung. Er kann unbeschränkt jederzeit auf die Sache Zugriff nehmen. Die Frage der Willensrichtung, die für den gemeinrechtlichen Besitzbegriff außerdem prägend war, ist davon unabhängig. Somit ist festzustellen, daß der unmittelbare Besitzer ohne weiteres als der nach § 836 BGB Verantwortliche angesehen werden kann.
1
Vgl. auch Windscheid-Kipp I §§ 148-155, S. 783 1. Absatz gegen Ende. Etwa Baur § 7 Β I I 1 a; der Unterschied zwischen dieser Auffassung und derjenigen, die wie Heck § 5, 4, 5 (mwN aus der älteren Literatur) im Besitz einen „Blankettbegriff 4 sieht, ist mehr theoretischer Art. 3 Vgl. Baur ebd. 2
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ccc) Mittelbarer Besitz nach § 868 BGB (1) Vergleich der Position des mittelbaren Besitzers mit derjenigen des gemeinrechtlichen Besitzers
Dem „juristischen Besitzer" des gemeinen Rechts, der die tatsächliche Gewalt nicht selbst ausübte, sondern der das Gebäude auf Grund Miete, Pacht, Nießbrauch oder Dienstbarkeit einem anderen überlassen hat, fehlt die dauernde und direkte Sachbeziehung. Als „Herr" der Sache hat er aber die unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf die Sache. Da der Gesetzgeber die Möglichkeiten, die Unterhaltungspflichten zu erfüllen, gerade beim Besitzer als gegeben ansah, hat er diese Art der Sachbeziehung als ausreichend angesehen. Die Stellung des mittelbaren Besitzers im Sinne des § 868 BGB gleicht der des Besitzers nach altem Recht, der die Sache einem anderen überläßt, nicht vollständig. Die Lage ist insofern identisch, als es beiden an der direkten Sachnähe fehlt. Während aber der Besitzer alten Rechts den unmittelbaren Zugriff auf die Sache hat, ist der mittelbare Besitzer des § 868 nur über ein Rechtsverhältnis (Besitzkonstitut) mit der Sache verbunden. Er muß also, wenn er an die Sache herankommen will, Ansprüche aus diesem Verhältnis geltend machen, beispielsweise bei Vermietung oder Verpachtung nach den §§ 541 a, 581 I I BGB oder bei Überlassung auf Grund eines Nießbrauchs nach § 1044 BGB. Nimmt man an, daß mittelbarer Besitz auch im Falle eines unwirksamen Rechtsverhältnisses gegeben ist, hat er den Zugriff auf die Sache mit Hilfe der Ansprüche nach §§ 985 und 812. Sein Verhältnis zur Sache ist also abstrakter und „vergeistigter" A r t 1 , während sich die Herrschaft des Besitzers nach früherem Recht real gestaltete, vergleichbar der Beziehung zur Sache, die der Besitzer im Falle der Besitzdienerschaft nach § 855 BGB einnimmt. Damit zeigt sich, daß sich die Position des gemeinrechtlichen Besitzers, der die Herrschaftsgewalt wegen Überlassung der Sache an einen anderen nicht jederzeit unmittelbar ausübte, von der Position des mittelbaren Besitzers nach BGB unterscheidet. Der Gesetzgeber hat mit der Einrichtung des mittelbaren Besitzes nicht lediglich einen neuen Begriff geschaffen 2. Die „Herrschaft" des mittelbaren Besitzers nach BGB ist nur über Ansprüche realisierbar, während die gemeinrechtliche Besitzherrschaft direkt und konkret ist. Es ist demnach nicht möglich, wie dies im Schrifttum angenommen wird (oben a), den mittelbaren Besitzer ohne weiteres nach § 836 BGB verantwortlich zu machen. Wegen dieser Verschiedenheit der Besitzbegriffe stehen für die Anwendung des § 836 zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Man kann daran denken, auf das begriffliche Vorliegen des Besitzes überhaupt zu verzichten und für § 836 nur die Fallage zu verlangen, an die der Gesetzgeber dachte. Zu klären wäre bei dieser 1 Als „vergeistigte Sachherrschaft" wird der mittelbare Besitz häufig gekennzeichnet, s. etwa Wolff-Raiser § 8 III; Baur§ 7 Β I aE („vergeistigte Beziehung"); Westermann § 17,5 f. 2 Insoweit nicht richtig Prot. Mugdan I I I S. 516 vorletzter Absatz.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Betrachtungsweise, wann eine dem alten Besitzverständnis entsprechende Sachverhaltsgestaltung gegeben ist. Die zweite Möglichkeit besteht darin festzustellen, ob der Grundgedanke, der den Gesetzgeber zur Bestimmung des Besitzers als Haftenden bewogen hat, auch auf den mittelbaren Besitzer des BGB zutrifft, ob die abstrakte Sachbeziehung des mittelbaren Besitzers also ausreicht, um sagen zu können, er sei auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten in der Lage, die zur Unterhaltung des Gebäudes notwendigen Beobachtungen und Handlungen vorzunehmen. Diese letztere Möglichkeit hat den Vorzug der Klarheit, denn es ließe sich dann mit einem festumrissenen, zudem in § 836 enthaltenen Begriff arbeiten. Der zunächst genannte Weg zur Ermittlung des Verantwortlichen ist nicht gangbar. Eine Fallage, wie der Gesetzgeber sie vor Augen hatte, ist nach heutigem Recht nur in wenigen Fällen gegeben. Eine Situtation, in der jemand seine Sache einem anderen überläßt mit der Folge, daß er als „Herr" der Sache den unmittelbaren Zugriff auf diese Sache unabhängig von Ansprüchen hat, kommt nur dann in Betracht, wenn die Beteiligten sich darüber einigen, daß der Übernehmende sich den Weisungen des anderen unterzuordnen habe und ihm selbst keinerlei Rechte an der Sache zustehen. Dies ist—besitzrechtlich bewertet — die Situation bei der Besitzdienerschaft (§ 855 BGB). Diese Lage ist ferner dann gegeben, wenn jemand seine Sache aus reiner Gefälligkeit einem anderen überläßt, wobei noch fraglich ist, wie der Fall besitzrechtlich einzuordnen wäre. Der aber häufig vorkommende und praktisch bedeutsame Fall der Überlassung der Sache an einen anderen auf Grund Miete, Pacht, Nießbrauch oder Dienstbarkeit wäre von § 836 nicht erfaßt, denn hier ist die vom Gesetzgeber vorgestellte Situation nicht gegeben. Es würde also die Haftung des mittelbaren Besitzers entfallen, ohne daß geprüft wäre, ob der Fall des mittelbaren Besitzes den haftungsrechtlichen Vorstellungen des Gesetzgebers wenigstens ähnlich ist. Damit muß der zweite genannte Weg beschritten werden. Es besteht also die Aufgabe festzustellen, ob der mittelbare Besitz eine Sachposition darstellt, die der vom Gesetzgeber vorgestellten Sachposition gleichkommt, so daß auch der mittelbare Besitzer nach § 836 als verantwortlich anzusehen ist. Dabei entsteht ein weiteres Problem: Das Besitzkonstitut kann unwirksam sein. Die vergleichende Bewertung ist also vorzunehmen für den Fall des intakten und des unwirksamen Besitzkonstituts [unten (3) (22), (33)]. Im letzteren Fall entsteht die weitere Frage, ob hier überhaupt mittelbarer Besitz gegeben ist; diese Frage ist somit ebenfalls im Rahmen der geplanten Analyse zu klären [unten (3) (33)]. Doch bevor die Untersuchung dieser soeben skizzierten Probleme in Angriff genommen wird, ist zu berücksichtigen, daß außerhalb des § 836 allgemeine Grundsätze der sog. Verkehrssicherungspflicht entwickelt wurden. Diese beruhen ebenfalls auf dem Gedanken der Sach- und Gefahrbeherrschung. Deshalb liegt die Frage nahe, ob sich zur Lösung der hier anstehenden Probleme auf Prinzipien zurückgreifen läßt, die zur allgemeinen Verkehrssicherungspflicht entwickelt worden sind. Möglich ist, daß sich hier ein bereits gereiftes
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Gedankengut findet, das ein erneutes Ansetzen erübrigt. Es soll daher zunächst die heutige Lehre der Verkehrssicherungspflicht auf die Frage hin untersucht werden, ob und auf Grund welcher Kriterien eine Verkehrssicherungspflicht des mittelbaren Besitzers angenommen wird [unen (2)]. Sollte der Befund negativ ausfallen und sich eine Lösung der vorliegenden Probleme hier nicht bieten, muß eine eigene Untersuchung vorgenommen werden.
(2) Die Verantwortlichkeit des mittelbaren Besitzers nach der Lehre von der Verkehrssicherungspflicht (11) Allgemeine Kennzeichnung dieser Lehre
Der Begriff der „Verkehrssicherungspflicht" oder der stattdessen zunehmend verwendete Begriff der „Verkehrspflicht" umfaßt heute derart vielgestaltige Sachverhalte und dementsprechend rechtlich unterschiedliche Kriterien und Voraussetzungen, daß er inzwischen an Aussagekraft verloren hat und nur noch dazu dienen kann, Sachverhalte und Rechtsbewertungen in groben Umrissen zu kennzeichnen. Ohne daß hier eine präzise historische Bewertung erfolgen kann 3 , läßt sich aber sagen, daß der Begriff der Verkehrssicherungspflicht ursprünglich den Fall beschrieb, daß ein Rechtsgenosse Sachen, mit denen Gefahren verbunden sind, „in den Verkehr brachte" oder, wie es häufig auch heute heißt, daß er „einen Verkehr eröffnete". Ob sich nun mit Recht in allen Fällen von einem „Verkehr" sprechen läßt — das Vorbild der Verkehrssicherungspflicht, § 836 BGB, enthält den Fall des regelrechten „Verkehrs" nicht —, mag hier einmal dahingestellt bleiben; jedenfalls war die Situation gegeben, daß andere mit der gefahrbringenden Sache in Berührung kommen konnten. Paradebeispiele waren der im Winter bei Schnee und Eis nicht gestreute Weg, der unbeleuchtete Hausflur, der nicht ordnungsgemäß befestigte Treppenläufer
3 Zur Entwicklung der Verkehrssicherungspflicht v. Bar § 1, S. 3 ff.; ders. JZ 1979, 332; ferner Soergel-Zeuner § 823 Rdnr. 119 ff. Die besondere Rechtslage der Verkehrssicherungspflicht (s. sogleich) sowie das vorliegende Anliegen, lediglich einen Überblick zu geben [hier (11)] und einen Teilaspekt der Verkehrssicherungspflicht zu behandeln [unten (22)], fordern eine Beschränkung des im folgenden verarbeiteten Materials: Verwendet wird vornehmlich das Schrifttum und von diesem wiederum nur eine Auswahl aus der Standardliteratur. Die vorhandene Judikatur ist kaum zu übersehen und trägt zudem stark kasuistische Züge. Die Entwicklung der Verkehrssicherungspflicht hat hier ihren Ausgang genommen (s. die obigen Angaben); demgemäß versucht das Schrifttum, aus den Entscheidungen allgemeine Grundsätze zu deduzieren. Es sei deshalb auf die reiche Kasuistik insbes. der Kommentarliteratur verwiesen. — Eine Auswahl aus den Lehrbüchern und Kommentaren ist deshalb geboten, weil die Darstellungen sich in den Grundzügen gleichen. Daneben wird die jüngste umfassende Arbeit v. Bars (1980), die einen Systematisierungsversuch des gesamten Themas enthält, angeführt.
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oder der nicht trittsichere Weg 4 . Die Verkehrssicherungspflicht war also eine Handlungspflicht im Rahmen einer Unterlassunghaftung. Diese eben skizzierte Fallkategorie sowie ihre rechtliche Bewertung ist heute gleichermaßen von Bedeutung. Doch ist die Entwicklung in den letzten Jahren über diesen Inhalt der Verkehrssicherungspflicht weit hinausgegangen. In den Kommentaren und Lehrbüchern belehrt eine reiche Kasuistik, die man in Fallgruppen oder Katalogen von „Verkehrspflichten" zu ordnen versucht, darüber, daß Pflichten unterschiedlichster Art existieren, die es im „Verkehr" einzuhalten gilt 5 . Dem will man auch begrifflich Rechnung tragen durch den allgemeinen Ausdruck der „Verkehrspflicht", von der die Verkehrssicherungspflicht nur noch einen Teilbereich darstellen soll 6 . Die jüngste grundlegende von v. Bar stammende Arbeit unternimmt eine Systematisierung der anerkannten Pflichten. Sie ergibt 7 , daß es „Verkehrspflichten" etwa im Beruf gibt, bei der Warenherstellung (Produzentenhaftpflicht) 8 und beim Warenverkauf, beim Umgang mit gefährlichen technischen Geräten und Stoffen, bei der Teilnahme am öffentlichen Verkehr auf Straßen und Wasserstraßen, etwa als Fahrzeughalter oder Spaziergänger, bei Massenveranstaltungen oder in sog. Überordnungsverhältnissen (Aufsichtspflichten). War die Verkehrssicherungspflicht ursprünglich eine Handlungspflicht im Rahmen des Unterlassens, so wird der Begriff heute auch auf Fälle des positiven Tuns angewendet9. Soweit die Verkehrssicherungspflicht oder Verkehrspflicht als Handlungspflicht im Rahmen der Unterlassungshaftung eingeordnet wird, ist ihr dogmatischer Standort 4
Vgl. auch den bei v. Bar S. 4 und JZ 1979,332,333 angeführten Fall RGZ 54,53 (Urt. v. 23. 2. 1903), in dem der Kläger auf einer schadhaften, unbeleuchteten und trotz Schneeglätte nicht gestreuten Treppe zu Fall kam. Auf diesen und einen weiteren Fall — RGZ 52, 373 ff. [Urt. v. 30. 10. 1902 (umgefallener morscher Baum)] — geht nach den Untersuchungen v. Bars die heutige Rspr. zur Verkehrssicherungspflicht zurück. 5 Vgl. nur die umfangreiche Kasuistik bei MK-Mertens § 823 unter D und E, Rdnr. 183ff., 469ff.; Soergel-Zeuner § 823 Rdnr. 103-137; Erman-Drees §823 Rdnr. 53 ff., 63 -110. Treffend bemerkt Esser-Weyers I I 2 § 55 V1, die Kommentarliteratur werde der Stoffülle nur noch „durch alphabetische Reihung von Stichwörtern zu bestimmten Lebensgebieten (,Abfalle' bis ,Wasserstraßen')" Herr. 6 Vgl. v. Bar § 3, S. 43 ff.: Von der Verkehrssicherungspflicht zur Verkehrspflicht; M K Mertens § 823 Rdnr. 183; zum Ausdruck „Verkehrspflicht" ausdrücklich Fikentscher § 103 I I I 1 b (Es gehe nicht nur um „Verkehrssicherungen", sondern ganz allgemein um „Verkehrspflichten"); ders. § 97 I I I 2 e (der Ausdruck „Verkehrspflichten" sei besser und allgemeiner); Larenz I I § 721 d spricht nur noch von „Verkehrspflichten". Was mit diesem Begriff gewonnen sein soll, ist schwer einzusehen, denn der Inhalt der Pflicht besteht in allen Fällen in der „Sicherung" vor Gefahren; eine Pflicht „im Verkehr" ist beinahe nichtssagend, zumal es sich nicht immer um einen „Verkehr" handelt [s. noch unten (22)]. Der Akzent liegt also eigentlich auf dem Begriff der „Sicherung". 7 Vgl. v. Bar S. 49 ff. 8 Der Bereich der Produzentenhaftpflicht hat sich — so mit Recht v. Bar S. 521. Absatz — zu einer eigenständigen Haftungsmaterie entwickelt, s. die besonderen Abschnitte etwa bei Larenz I I § 41a; Fikentscher § 103 IV; Esser-Weyers I I 2 § 55 V 3. 9
Vgl. v. Bar S. 61 ff.; MK-Mertens Rdnr. 178 gegen Ende.
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in den traditionellen „Garantenpflichten" entsprechend den unterschiedlichen Fallgestaltungen schwankend; sie kann, so bei der Verpflichtung auf Grund der Schaffung von Gefahrenlagen oder der „Verkehrseröffnung", ein Fall der Ingerenz sein 10 ; wenn es aber an einem vorangehenden Tun fehlt, wie etwa beim Besitz an einer gefahrbringenden Sache, z.B. bei Gefahren im Bereich von Fluren, Treppen, Wegen, so kann es sich nur um eine Garantenpflicht eigener Art handeln 11 . Die Voraussetzungen für die Entstehung von Verkehrssicherungspflichten oder Verkehrspflichten lassen sich in abstrakter und genereller Form kaum mehr nennen. Sie sollen sich nach den Umständen des jeweiligen Falles richten 12 , und da die SachVerhaltsgestaltungen vielfältig sind, existieren ganz unterschiedliche und schattierungsreiche Anforderungen 13 . Meist wird überhaupt darauf verzichtet, generelle Voraussetzungen für die Entstehung der Pflicht zu nennen; man beschränkt sich dann auf die Beschreibung der betreffenden Fallgruppe, die die Verkehrssicherungspflicht begründet 14 . Die zentralen Komponenten dieser Pflicht sind die Tatsache der „Gefahrbeherrschung" und das Vorliegen eines „Verkehrs". Prägender noch für den gesamten Regelungsbereich als das Moment der Gefahrbeherrschung ist offenbar das Vorhandensein eines „Verkehrs", dessen Notwendigkeit durch den neuen Begriff der „Verkehrspflicht" mehr als zuvor in den Vordergrund gerückt wird. Dies ist deshalb nicht befriedigend, weil Fälle von der Verkehrssicherungspflicht erfaßt werden, in denen von einem „Verkehr" im eigentlichen Sinne keine Rede sein kann. So etwa erfassen die §§ 836ff., wie bereits erwähnt, nicht nur Fälle, in denen ein Verkehr besteht. Da es um Schäden durch Gebäude jeder Art geht, reicht die Möglichkeit, daß andere mit dem Gebäude in Berührung kommen. Geschützt sind ferner beispeilsweise auch die Familienmitglieder eines Einzelhauses. Und dieser in den §§ 836 ff. geregelte Bereich, der Schutz vor Gefahren, die von Grundstücken ausgehen, wird nach h. L. auch von der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht erfaßt 15 . Nach Medicus soll es dann an einem 10
Dafür teilweise allgemein Fikentscher § 103 I I I 1 b; Esser I § 9 I 2b (s. aber unten Fn. 11); MK-Mertens § 823 Rdnr. 187; Erman-Drees § 823 Rdnr. 53 zu Beginn. 11 Dafür wohl Enneccerus-Lehmann § 234 I I 2; ferner andererseits (s. Fn. 10) Esser I § 9 I 2 vor a ; ders. I I § 108 II; nicht deutlich Larenz I § 27 IIIc. 12 Ausdrücklich etwa Soergel-Zeuner § 823 Rdnr. 109. 13 Vgl. etwa die Darstellung bei Larenz I I § 72 Id. 14 Kennzeichnend für die Schwierigkeiten der systematischen Erfassung und Durchdringung Esser-Weyers I I 2 § 55 V 1 3. Absatz, wo es heißt, eine systematische Darstellung könne sinnvollerweise nur auf Problemschwerpunkte aufmerksam machen, die in der dogmatischen Konstruktion der Verkehrssicherungspflichten liegen, „einzeln oder zusammen in verschiedener Ausprägung in jedem einschlägigen Fall auftauchen können und deshalb bei der Beurteilung neuer Sachverhalte Beachtung verdienen". Ferner Esser I I § 108 I I vor 1: Angesichts der Verschiedenartigkeit der heute im einzelnen anerkannten Verkehrssicherungspflichten sei es kaum möglich, alle aus einem einheitlichen Prinzip abzuleiten. 15 Vgl. Larenz I I § 72 Id; ders. I § 27 IIIc; Esser I I § 108 I I vor 1; MK-Mertens § 823 Rdnr. 185; Soergel-Zeuner § 823 Rdnr. 113; Erman-Drees § 823 Rdnr. 100; v. Bar S. 45,
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„Verkehr" (im üblichen Sinne) fehlen, weil es sich nicht um Fortbewegungs- und Beförderungsvorgänge handele, wie bei der Produzentenhaftpflicht 16 , obwohl es hier darum geht, daß die potentiellen Käufer und insofern also der „Verkehr" vor Gefahren geschützt werden soll. Falls der Ausdruck „Verkehrspflicht" herrührt von dem Tatbestand der „Verkehrseröffnung", so fehlt es auch an dieser Voraussetzung in manchen Fällen, wie die Beispiele zeigen, in denen es für die Entstehung der Pflicht ausreicht, daß jemand eine gefahrbringende Sache „beherrscht", ohne daß er sie dem Verkehr selbst zugänglich gemacht hat 1 7 . Die vorstehenden Anmerkungen sollen nur verdeutlichen, daß der zentrale und prägende Begriff des „Verkehrs", der auf den zu regelnden Bereich angewendet wird, unscharf ist. Die Ausdrücke „Gefahrbeherrschung" und „Verkehr" geben beide lediglich einen losen Anhalt für die Sachverhalte, die für eine Bewertung nach den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht in Betracht kommen. Da sich die konkreten Erfordernisse der Verkehrssicherungspflicht bisher zu einem Obersatz nicht formulieren ließen, behilft man sich in der Literatur vielfach damit, Fallgruppen zu bilden, die den „Anlaß" zur Begründung von Verkehrssicherungspflichten bieten. Diese Fallgruppen dienen einer weiteren Einkreisung des in Frage kommenden Sachverhaltes und der entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen der Verkehrssicherungspflicht. Auf diese Fallgruppen wird sogleich zurückzukommen sein [unten (22)]. Was jedoch die Voraussetzungen der Verkehrssicherungspflicht angeht, so bilden die Fallgruppen nur den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, der durch weitere Erfordernisse ergänzt und eingeschränkt wird. U m das Gesagte zu erläutern, seien schlagwortartig genannt z.B. Gesichtspunkte der Zumutbarkeit 18 , der Rücksichtnahme 19 , der Nähe der Gefahr 20 , der Voraussehbarkeit des Schadens21, die Verantwortungsbereiche Dritter (Larenz: „Beherrschbarkeitsvorsprung") oder des Gefährdeten selbst, die die Verkehrssicherungspflicht einer Person einschränken können 22 . Hier hat sich ein kasuistisches Rechtsdenken entwickelt, das durch seine Unübersichtlichkeit, seine mangelnde Prägnanz und die dadurch verursachte Rechtsunsicherheit die Rechtsfindung erschwert und für wo eine Verantwortlichkeit für private Grundstücke und Gebäude angenommen wird (Fallgruppe der „Sachgefahren"). 16 Medicus, Bürgerliches Recht Rdnr. 650. 17 Vgl. auch Esser I I § 108 I I 2; Esser-Weyers I I 2 § 55 V 2; Medicus, Bürgerliches Recht Rdnr. 649; Soergel-Zeuner § 823 Rdnr. 113, wo ausdrücklich auf den Tatbestand der Verkehrseröffnung für eine Haftung aus Verkehrssicherungspflicht verzichtet wird. Es handelt sich um die teilweise so genannte Fallgruppe der „Sachgefahr" (z. B. Larenz I I § 72 Id), „Sachbeherrschung" (Esser-Weyers I I 2 § 55 V 2) oder der „Zustandsverantwortlichkeit " (so MK-Mertens § 823 Rdnr. 185). 18 Etwa Larenz I I § 72 Id; Esser I I § 108 I I vor 1; Erman-Drees § 823 Rdnr. 53. 19 Z.B. Esser I I § 108 I I vor 1 unter (b); Erman-Drees § 823 Rdnr. 54. 20 Larenz ebd. 21 Larenz ebd. 22 Larenz ebd.
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die Wissenschaft Anlaß gibt, den Versuch zu unternehmen, gegebene Grundgedanken auf abstrakte Rechtssätze zurückzuführen 23 . Im vorliegenden Zusammenhang ist auf Anwendungsbereich und Haftungskriterien der Verkehrssicherungspflicht im einzelnen nicht einzugehen. Es kam bei der vorstehenden Skizzierung nur darauf an, die hinsichtlich eines Einzelaspekts — den mittelbaren Besitz [oben (1)] — zu untersuchende Materie insgesamt näher zu kennzeichnen. Für das hier zu klärende Problem gilt es lediglich festzustellen, wie nach den zur Verkehrssicherungspflicht entwickelten Grundsätzen die Haftung des mittelbaren Besitzers einer gefahrbringenden Sache beurteilt wird. Demnach besteht die Aufgabe darin, Fälle, die demjenigen des § 836 vergleichbar sind und die nach den Prinzipien der Verkehrssicherungspflicht bewertet werden, heranzuziehen, um sodann zu ermitteln, ob und auf Grund welcher Erwägungen der mittelbare Besitzer nach der Lehre der Verkehrssicherungspflicht zur Verantwortung gezogen wird [unten (22)].
(22) Die Haftung nach der Verkehrssicherungspflicht
bei Sachgefahren
Fälle, die dem in § 836 geregelten Tatbestand entsprechen oder die ihm ähnlich sind [s. soeben (11) aE], sind alle Sachverhalte, in denen Gefahren von Bauwerken oder Grundstücken ausgehen. Daß die Gefahren, die auf Grund der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nach § 823 I behandelt werden, angesichts des besonders geregelten Tatbestandes des § 836 I anderer Art sein müßten, daß sie also nicht gerade im Einsturz von Gebäuden oder der Ablösung von Teilen des Gebäudes bestehen dürften, spielt für den vorliegenden Zusammenhang keine Rolle. Genaue tatbestandliche Abgrenzungen der h. L. sind nicht erkennbar 24 , doch kommt es hier auf den richtigen Anwendungsbereich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (§ 823 I) nicht an. Die zur Erfassung der Verkehrssicherungspflichten übliche Fallgruppenbildung erfaßt den hier interessierenden Sachverhalt, die Gefahrdung durch Bauwerke, durch zwei Fallkategorien. Die Kategorisierung, die unterschiedlich ausfallt 25 und die Überschneidungen aufweist 26 , umfaßt im wesentlichen neben 23
Die gegenwärtige Rechtslage kritisieren auch Esser-Weyers I I 2 § 55 V 1 (Unübersehbarkeit der Sorgfaltspflichten, der „stark differenzierten" Urteile, Schwierigkeiten der systematischen Darstellung); Medicus, Bürgerliches Recht Rdnr. 641 (Derzeit „wenig klare" Situation bei den Verkehrssicherungspflichten); s. ferner v. Bar S. 1 mit Hinweisen auf weitere kritische Äußerungen von Haverkate, Münzel („labyrinthische Rspr.") und Weitnauer („Elend der Schuldrechtsdogmatik") ebd. Fn. 2. 24
Vgl. schon oben § 4 Β II; insbes. MK-Mertens § 836 Rdnr. 3: Auf eine genaue deflnitorische Abgrenzung der in § 836 im einzelnen genannten Tatbestandsmerkmale komme es nicht mehr an. 25 Vgl. etwa die bei v. Bar S. 112ff.; Larenz I I § 72 Id; Esser I I § 108 I I vor 1; EsserWeyers I I 2 § 55 V 2; Fikentscher § 103 I I I 2; Medicus, Bürgerliches Recht Rdnr. 648 - 650; MK-Mertens § 823 Rdnr. 184 gebildeten Fallgruppen. 26 So auch ausdrücklich Larenz ebd.; dazu sogleich. 16 Herrmann
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dem Fall der Ausübung einer Tätigkeit in der Öffentlichkeit (berufliche Sorgfaltspflichten z.B. der Ärzte, Handwerker, Fabrikanten) die Fälle der Eröffnung oder Aufrechterhaltung eines Verkehrs und der Beherrschung einer Sache27. Larenz etwa nennt zusammenfassend Tätigkeits-, Verkehrs- und Sachgefahren 28. Gefahren durch Sachen können nach den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht nach diesen letzteren beiden Fallgruppen beurteilt werden, einmal unter dem Gesichtspunkt, daß jemand eine Sache, etwa ein Grundstück oder ein Gebäude, dem Verkehr zugänglich macht (Gruppe der Verkehrsgefahr), zum anderen dadurch, daß er selbst zwar keinen Verkehr eröffnet oder unterhält, aber die Sache „beherrscht" (Gruppe der Sachgefahr). In diesem ersteren Fall soll die Verkehrssicherungspflicht aus dem gefahrschaffenden Tun der Verkehrseröffnung oder -aufrechterhaltung folgen 29 . Daß der Fall des bloßen Andauernlassens eines Verkehrs, also der Fall, daß jemand eine dem Verkehr schon gewidmete Sache erwirbt, sich der Sachverhaltsgestaltung nach mit dem sogleich zu erörternden Fall der Sachbeherrschung deckt, soll hier außer acht gelassen werden 30 . Eine sachgerechte Einteilung der die Verkehrssicherungspflicht auslösenden Tatbestände ist nicht Gegenstand dieser Ausführungen. Auf sie kommt es auch nicht an; jedenfalls kann der die Verkehrssicherungspflicht begründende Aspekt der Eröffnung oder des Andauernlassens eines Verkehrs für die vorliegende Frage außer Betracht bleiben. Im Bereiche der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht kommt es auf diejenigen Grundsätze an, die für einen dem § 836 vergleichbaren Fall bestehen. Wie bereits festgestellt [oben (11)], spielt ein „Verkehr" für § 836 aber keine Rolle, weder in der Form der Eröffnung noch der Aufrechterhaltung des Verkehrs. Daß überhaupt andere mit dem Grundstück oder dem Gebäude in Berührung kommen, ist selbstverständliche Voraussetzung auch für § 836, da es bei der dort normierten Unterhaltungspflicht um den Schutz vor Schäden geht; das Moment des „Verkehrs" aber ist bedeutungslos. — Entscheidend ist also die weitere eben genannte Fallart, die meist mit dem Ausdruck der „Sachgefahr" oder „Sachbeherrschung" gekennzeichnet wird 3 1 ; Mertens spricht von „Zustandsverant-
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Vgl. Larenz, Esser, Esser-Weyers, Mertens jeweils ebd. Ebd. 29 Vgl. Larenz I I § 72 Id; Esser I I § 108 I I vor 1 unter (a); Esser-Weyers I I 2 § 55 V 2a; MK-Mertens § 823 Rdnr. 184, 186; Soergel-Zeuner § 823 Rdnr. 104; Erman-Drees § 823 Rdnr. 56. 30 Esser I I § 102 I I 2 erläutert den Unterschied zwischen der Fallgruppe der Verkehrseröffnung und der der Sachbeherrschung ausdrücklich dahin, daß in den letzteren Fällen Pflichtengrundlage die Gefährlichkeit der Sache selbst sei und nicht die durch vorangegangenes Tun geschaffene Sachgefahr. Dies leuchtet ein, doch stellt sich dann die Frage, warum der Fall des Andauernlassens oder Aufrechterhaltens eines Verkehrs häufig (Esser I I § 108 I I vor 1; ferner etwa Enneccerus-Lehmann § 234, 2 a; Larenz I I § 72 Id; Esser-Weyers I I 2 § 55 V 2a; Soergel-Zeuner § 823 Rdnr. 103,104,113) zusammen mit der Verkehrseröffnung in eine Fallgruppe gestellt wird und warum er nicht der Fallgruppe der Sachbeherrschung zugerechnet wird. 28
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wortlichkeit" 3 2 . Zu dieser Fallgruppe werden einmal Schäden durch bewegliche Sachen gezählt, also durch Maschinen, Geräte, Waffen oder Fahrzeuge 33. Schäden durch Grundstücke und Gebäude sind der traditionelle Bereich der Verkehrssicherungspflichten, in denen es sich um Schäden durch Wege, Gartenzäune, Bäume, Eingänge, Fluren oder Treppen handelt 34 . Sieht man sich nach der Frage um, wer in diesen letzteren, hier in Frage stehenden Fällen verkehrssicherungspflichtig ist, insbesondere ob der mittelbare Besitzer haftbar ist, so ist folgendes festzustellen: Ganz überwiegend wird die Verkehrssicherungspflicht nicht an eine dinglich qualifizierbare Position an der Sache geknüpft. Vielmehr wird hervorgehoben, daß nicht der Eigentümer oder Besitzer „als solcher" hafte 35 . Nach v. Bar kommt es „prinzipiell" überhaupt nicht auf die sachenrechtlichen Beziehungen an 3 6 . Zur Ermittlung des Sicherungspflichtigen wird auf allgemeine Grundsätze verwiesen, die das rein tatsächliche Verhältnis zur Sache betreffen; dabei fließen aber dennoch rechtliche Gesichtspunkte mit ein, ohne daß erkennbar ist, unter welchen Voraussetzungen sie zusätzlich zu beachten sind. Sicherungspflichtig soll danach sein, wer die Sache beherrscht 37 , wer die Gefahr erkennen kann und rechtlich und tatsächlich in der Lage ist, die erforderlichen Abwehrmaßnahmen zu treffen 38 , wer über die Sache zu verfügen in der Lage ist 3 9 oder wer die rechtliche oder tatsächliche Verfügungsgewalt hat 4 0 , Eigentümer und Besitzer vermöge ihrer Zugriffsmöglichkeit auf die Sache41 oder der „wahre Inhaber der Sachherrschaft" 42, v. Bar kennzeichnet die Voraussetzungen der Verkehrssicherungspflicht zusammenfassend und allgemein folgendermaßen: Den Verkehrspflichten komme die Halterhaftung „noch am nahesten" 43 . Damit soll offenbar 31 Vgl. v.BarS. 122 ff.; Larenz I I § 72 Id; Esser I I § 108 I I vor 1; Esser-Weyers 112 § 55 V 2 a; MK-Mertens § 823 Rdnr. 184, 185. 32 MK-Mertens § 823 Rdnr. 185, 192. 33
Beispiele bei v. Bar S. 54ff.; Esser I I § 108 I I vor 1 ; ferner etwa in der alphabetischen Zusammenstellung der Rechtsprechungskasuistik bei Palandt-Thomas § 823 Anm. 14. 34 Rechtsprechungsnachw. bei MK-Mertens §823 Rdnr. 185, 194, 204ff.; SoergelZeuner § 823 Rdnr. 104 ff. 35 v. Bar S. 122 3. Absatz; Enneccerus-Lehmann § 234, 2a; Fikentscher § 103 I I I 3a. Vgl. aber Erman-Drees § 823 Rdnr. 54: die Sorgepflicht obliege dem „Eigentümer von Sachen" und „neben ihm" jedem, der sonst über die Sache verfügungsberechtigt sei oder wer auch nur die tatsächliche Verfügungsgewalt über sie ausübe. Danach sieht es so aus, als wenn grundsätzlich der Eigentümer haften soll. 36 v. Bar S. 124 1. Absatz. 37 Etwa v.BarS. 122 ff.; Larenz I I § 72Id; Esser I I § 108 l i v o r i unter (b); Esser-Weyers I I 2 § 55 V 2a. 38 Larenz ebd. 39 Fikentscher § 103 I I I 3 a; Palandt-Thomas § 823 Anm. 8 b. 40 Erman-Drees § 823 Rdnr. 54. 41 Fikentscher ebd. 42 v. Bar S. 122 letzter Absatz. 16*
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gesagt sein, daß — ähnlich wie ζ. B. nach § 833 BGB — der „Halter" der Sache verantwortlich sei. — Diese allgemeinen Obersätze werden dann gewöhnlich konkretisiert durch Benennung der sachenrechtlichen oder schuldrechtlichen Beziehung, die die Sicherungspflichtigen an der gefahrbringenden Sache einnehmen, sowie durch Bezeichnung ihrer tatsächlichen, etwa beruflichen oder familiären Stellung. Es heißt, haftbar könne der Eigentümer 44 , Besitzer 45 , Vermieter 46 , Mieter 4 7 , Pächter 45 , Haushaltungsvorstand 49 , Gastwirt 50 , Kaufmann 5 1 , Betriebs- 52 oder Geschäftsinhaber 53 sein. Diese näheren Beschreibungen dienen der h. L. als Anschauung, sie sollen also exemplarisch belegen, wer im konkreten Fall die Voraussetzungen der Gefahrbeherrschung erfüllt. Entsprechend dieser Beurteilung des Haftungsgrundes stellt v. Bar fest, die Verkehrssicherungspflichten unterschieden sich „ i n der Breite des Haftungsgrundes" von der Konzeption des § 836 s4 . Demgegenüber wird — umgekehrt — § 836 selten zum Ausgangspunkt der Haftungsfrage gemacht. A n manchen Stellen wird aber auf die Vorschrift hingewiesen, ohne daß die Lehre der Verkehrssicherungspflicht sich der grundsätzlichen Frage annimmt, welche Konsequenzen eine Anwendung des § 836 für die Voraussetzungen der Verkehrssicherungspflicht hätte. Mertens verweist zur Ermittlung des allgemein Verkehrssicherungspflichtigen auf die §§ 836ff. 55 . Für Grundstücke und Gebäude lasse sich diesen Vorschriften entnehmen, wer Träger der Verkehrssicherungspflicht sei 56 . Dementsprechend nimmt Mertens an, daß die „Zustandsverantwortlichkeit" „in erster Linie" den Eigenbesitzer treffe oder denjenigen, „der sonst die Unterhaltung der Sache übernommen" habe 57 ; mit diesem letzteren Hinweis ist offenbar die Haftung des intern Unterhaltungspflichtigen gem. § 838 gemeint. — Auch Medicus meint, daß die §§ 836 ff. Rückschlüsse darauf erlaubten, wem in anderen als den in 43
Ebd. v. Bar S. 123 1. Absatz aE; Larenz I I § 72 Id; Erman-Drees § 823 Rdnr. 54,100,101, 102; Palandt-Thomas § 823 Anm. 8 b. 45 v. Bar S. 123 1. Absatz zu Beginn; Larenz ebd. 46 Palandt-Thomas § 823 Anm. 8 b. 47 v. Bar S. 123 1. Absatz; Larenz ebd.; Soergel-Zeuner § 823 Rdnr. 104; Erman-Drees § 823 Rdnr. 101, 103. 48 v. Bar S. 122 letzter Absatz; Larenz ebd. 49 Erman-Drees § 823 Rdnr. 55, 66. 50 Erman-Drees § 823 Rdnr. 103, 105; Palandt-Thomas § 823 Anm. 8 b. 51 Erman-Drees § 823 Rdnr. 103; Thomas ebd. 52 Erman-Drees § 823 Rdnr. 55, 103. 53 Erman-Drees § 823 Rdnr. 103, 104. 54 v. Bar S. 124 2. Absatz zu Beginn. 55 MK-Mertens § 823 Rdnr. 185, 192. 56 Ebd. Rdnr. 185. 57 Ebd. Rdnr. 192. 44
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diesen Bestimmungen geregelten Fällen die Verkehrssicherungspflicht obliege 58 . Und Esser stellt fest, daß in den Fällen der Sachbeherrschung eine Vorsorgepflicht denjenigen treffe, der „über eine Sache tatsächlich verfügen" könne, wobei Medicus auf § 836 und den dort für verantwortlich erklärten Eigenbesitzer hinweist. Wer die „tatsächliche Sachherrschaft" innehabe, sei Träger dieser aus dem Rechtsgedanken des § 836 abgeleiteten Rechtspflicht zur Erfolgsverhinderung 59 . (33) Ergebnis für die Brauchbarkeit der Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht die Frage der Haftung des mittelbaren Besitzers nach § 836 [oben (11), (22) ]
Dieser Überblick ergibt, daß die zur allgemeinen Verkehrssicherungspflicht entwickelten Grundsätze nicht die Frage beantworten können, ob der mittelbare Besitzer haftbar ist. Nach überwiegender Ansicht kommt es auf ein rechtlich qualifizierbares Verhältnis zur Sache und damit auf die dingliche Position, etwa als Besitzer, nicht an, entscheidend ist danach lediglich die tatsächliche Beziehung. Im Widerspruch dazu stehen die Ansichten, die für die verantwortliche Person auf § 836 verweisen und damit annehmen, daß der (Eigen-)Besitzer hafte. Diese bisher offenbar nicht beachteten kontroversen Standpunkte sind im Bereiche des § 823 I auszutragen. Jedenfalls aber stellt auch diese zuletzt genannte Auffassung, nach der der Besitzer entsprechend der Vorschrift des § 836 verantwortlich sei, für das hier zu klärende Problem keine Hilfe dar. Denn es wird allgemein angenommen, daß § 836 der Besitzbegriff des BGB zugrunde liege und daß somit auch der mittelbare Besitzer unter die Vorschrift falle (oben a). Dies ist aber wegen des in § 836 verankerten, sich von den besitzrechtlichen Anschauungen des BGB unterscheidenden gemeinrechtlichen Besitzverständnisses gerade zweifelhaft. Es läßt sich somit nur so viel feststellen: Nach dieser zuletzt behandelten Anschauung, die den Besitzer entsprechend der Regelung des § 836 für verantwortlich hält, ist auch der mittelbare Besitzer haftbar. Die überdies von dieser Ansicht generell geforderte Sachherrschaft wird demnach beim mittelbaren Besitzer als gegeben angesehen, ohne daß dies begründet wird. Ob das Ergebnis — Sachherrschaft durch mittelbaren Besitz — den Vorstellungen der Verfasser des § 836 entspricht, bleibt also zu überprüfen. — Nach der h.L., die eine rechtlich qualifizierbare Beziehung zur Sache nicht verlangt, sondern ausschließlich die tatsächliche Beherrschbarkeit, kann der mittelbare Besitzer haftbar sein, seine Haftung ist aber nicht zwingend, eben weil nach dieser Ansicht die Besitzposition als solche die Haftung nicht auslöst. Die danach nur mögliche Verantwortlichkeit des Vermieters, der häufig als Haftender angeführt wird und der mittelbarer Besitzer ist, oder auch — ausdrücklich — des Besitzers, wird, wie die Untersuchung gezeigt hat, nur beispielhaft genannt. Der Mangel 58 59
Medicus, Bürgerliches Recht Rdnr. 649. Esser I I § 108 I I 2.
für
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dieser Anschauung besteht darin, daß sie nicht begründet, auf Grund welcher Kriterien sie im Falle des mittelbaren Besitzes die Sachherrschaft als gegeben ansieht oder — umgekehrt — warum unter Umständen die notwendige Sachherrschaft fehlen kann; die Voraussetzungen des Besitzes variieren nicht — etwa je nach Sachverhalt —, sondern sind konstant (§§ 8541, 868). Auch diese Ansicht beantwortet also die Frage nicht, aus welchen Gründen der mittelbare Besitzer haftet. Demnach enthalten die allgemeinen zur Verkehrssicherungspflicht entwickelten Grundsätze keine Kriterien, auf die hier für das Problem der Haftung des mittelbaren Besitzers zurückgegriffen werden könnte. Diese zuletzt besprochene Auffassung, für die es auf die Rechtsqualität der Sachbeziehung und damit auch auf den Besitz grundsätzlich nicht ankommt, wirft für die Behandlung des § 836 jedoch folgende Frage auf: Wenn es richtig ist, daß die Rechtsqualität der Sachbeziehung nicht ausschlaggebend ist, sondern nur die tatsächliche Beziehung, ist auch für § 836 zu erwägen, ob das begriffliche Vorliegen des mittelbaren Besitzes überhaupt entscheidend ist. Diese Frage ist mit der oben [(1)] angesprochenen Frage, ob man für § 836 unter Verzicht auf den Besitzbegriff die vom Gesetzgeber vorgestellte Sachverhaltsgestaltung fordern solle, nicht identisch. Dort wurde zwar ebenfalls erwogen, ob für § 836 der Begriff des Besitzes aufgegeben werden solle, doch wurde an der vom Gesetzgeber für maßgeblich befundenen Fallage festgehalten. Anders gesagt wurde überlegt, ob das alte Besitzverständnis zugrunde zu legen ist, ohne daß der Begriff des Besitzes anzuwenden ist, da er nach BGB in der von § 836 gemeinten Form nicht mehr existiert. Der an dieser Stelle erwogene Gedanke hingegen geht noch einen Schritt weiter. Er besteht in der Frage, ob die zur Verkehrssicherungspflicht bestehende h. L. zu übernehmen ist. Es käme dann nur noch — gemäß dieser Lehre — auf die beschriebenen Kriterien an, etwa die „wahre Sachherrschaft" oder die „Verfügungsgewalt". Eine solche Interpretation aber ist aus folgenden Gründen abzulehnen. Die Gesetzesverfasser hielten zwar die tatsächlichen Gegebenheiten bei der Bestimmung des Verantwortlichen für entscheidend, sie haben aber andererseits nicht darauf verzichtet, die Haftung an eine fest umrissene, rechtlich bewertbare Position zu knüpfen. Man kann dem nicht engegenhalten, daß der Gesetzgeber die „Sachbeherrschung", wie dies die Lehre zur Verkehrssicherungspflicht tut, etwa nur deshalb nicht zum Haftungskriterium erhoben habe, weil der entscheidende Haftungsaspekt des § 836 als Prinzip noch nicht erkannt gewesen sei. Dies trifft nur insoweit zu, als der Gesetzgeber die Verantwortlichkeit auf Gefahren beschränkt hat, die von Gebäuden und anderen Werken ausgehen. Inzwischen ist das Bedürfnis erkannt worden, eine Verantwortung auch für Sachgefahren anderer Art zu statuieren. Daß aber die Loslösung von jeder rechtlichen Qualifizierung einen Fortschritt gegenüber der Anbindung der Verantwortung an den Besitz, wie dies in § 836 geschieht, bedeute, kann nicht angenommen werden. „Sachbeherrschung" oder „Verfügungsgewalt" stellen vage Kriterien dar. Sie allein können keine Handhabe bieten, um den
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Verantwortlichen zu ermitteln. So kommt auch die h. L. ohne Rückgriff auf rechtliche Kriterien nicht aus. Die Positionen schuldrechtlicher oder dinglicher Art werden bei der Entscheidung über den Verpflichteten gewissermaßen im Blick behalten; die Konkretisierung der Fallage, die zur Verkehrssicherungspflicht führt, belegt dies. Ob jemand Eigentümer, Besitzer, Vermieter oder Mieter ist, muß schon deshalb in die Beurteilung einfließen, weil sicher niemand annehmen wollte, daß allein die Sachherrschaft verpflichtende Kraft habe. So „beherrschen" beispielsweise die mehreren Mieter eines Mietshauses die Zustände im gemeinsamen Hausflur. Sie können die schadhafte Treppe reparieren lassen oder den im Wege liegenden Unrat beseitigen, sie sind aber gleichwohl dazu nicht verpflichtet. Diese Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Auch das teilweise angeführte Kriterium der „Verfügungsgewalt" zeigt, daß die theoretisch auf die rein tatsächlichen Verhältnisse fixierte h.L. ohne rechtliche Komponenten nicht auskommen kann, sieht man davon ab, daß im einzelnen unklar ist, wann die Verfügungsgewalt rechtlicher (statt tatsächlicher) Art sein muß. Ferner vermag der Vergleich mit der Haltereigenschaft (v. Bar) keine Hilfe zu bieten, denn dieser Begriff bedürfte seinerseits einer Definition. Der Begriff des Tier- und Fahrzeughalters (§§ 833 BGB, 7 StVG) oder die obige Untersuchung der Voraussetzungen des Haltens einer Anlage gem. § 907 (§ 5 C III) belegen, wie komplex und zweifelhaft der Halterbegriff ist. Die Sachherrschaft ist ein unpräzises und Unsicherheit stiftendes Kriterium. Dafür legen die unterschiedlichen, von Fall zu Fall wechselnden Lösungen der h.L. ein beredtes Zeugnis ab. Je nach Sachverhaltslage sollen Eigentümer, Vermieter, Besitzer, Gastwirt oder Betriebsinhaber allein oder neben anderen, mit der Sache in Beziehung stehenden Personen (ζ. B. der Vermieter neben dem Mieter) haften oder aber auch von der Verantwortung frei sein. Die in der Literatur bei Darstellung der Lehre von der Verkehrssicherungspflicht zu vermissende Mitteilung fester Obersätze, das teilweise offene Eingeständnis, daß man zur Nennung einheitlicher Prinzipien außerstande sei [oben (11) bei Fn. 14], und die Verlegenheitslösung der Bildung von in den Konturen unscharfen, lediglich einen Anhalt bietenden Fallrubriken müssen beinahe als ein Zeichen des Versagens der Rechtsordnung gewertet werden. Die h. L. bleibt jedenfalls die Antwort auf die Frage schuldig, welche Voraussetzungen an das Vorliegen der „Sachherrschaft" zu stellen sind, etwa eine gewisse Dauer des physischen Kontakts oder die rechtliche Befugnis (ζ. B. Eigentum), Veränderungen an der Sache zwecks Gefahrbehebung vorzunehmen („Verfügungsgewalt"). Demgegenüber verläuft der Weg, den der Gesetzgeber beschritten hat, in festen Bahnen: Die tatsächliche Beziehung zur Sache ist einerseits ein überzeugender Haftungsaspekt. Seine Einbindung in einen feststehenden Rechtsbegriff (Besitz) andererseits dient der Klarheit. Sie schafft sichere Voraussetzungen und ermöglicht berechenbare Entscheidungen. Sie trägt der eigentlichen Aufgabe der Jurisprudenz Rechnung, reale Verhältnisse rechtlich zu bewerten und damit überschaubar zu machen.
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(3) Fortsetzung: Vergleich der Position des mittelbaren Besitzers mit derjenigen des gemeinrechtlichen Besitzers (II)
Einleitung
Da die allgemein zur Verkehrssicherungspflicht entwickelten Grundsätze keine Hilfe für die Beantwortung der vorliegenden Frage, der Haftung des mittelbaren Besitzers, bieten, muß die Lösung des Problems hier eigenständig erarbeitet werden. Es bleibt also bei der Aufgabe [oben (1)], die Positionen des gemeinrechtlichen Besitzers, der die tatsächliche Gewalt nicht unmittelbar dauernd ausübt, und des mittelbaren Besitzers im Sinne des § 868 BGB zu vergleichen und festzustellen, ob der gesetzgeberische Haftungsaspekt der Zugriffsmöglichkeit im Falle des mittelbaren Besitzes in ausreichender Weise gegeben ist. Dafür müssen, wie bereits dargelegt [oben (1)], die Fälle des wirksamen und unwirksamen Besitzkonstituts (§ 868) unterschieden werden [unten (22) und (33)]. (22) Wirksames
Rechtsverhältnis
iSd § 868 BGB
( I I I ) Voraussetzungen. Die beiden Positionen des Besitzers nach altem und nach BGB-Recht wurden im Kern bereits gegenübergestellt [oben (1)]. Während der Besitzer gemeinen Rechts die Gewalt über die Sache trotz ihrer Überlassung an einen anderen in tatsächlicher Hinsicht innehatte, indem ihm der direkte Zugang zur Sache verblieb, ist der mittelbare Besitzer über das zugrunde liegende Rechtsverhältnis mit der Sache verbunden. Dieses Rechtsverhältnis, für das das Gesetz beispielhaft unter anderem Nießbrauch, Pacht oder Miete nennt, ist nun zwar nach § 868 Grundlage des mittelbaren Besitzes. Er erschöpft sich jedoch nicht in diesem Rechtsverhältnis. Vielmehr lassen sich aus diesem selbst, seiner näheren Kennzeichnung in § 868 als Berechtigung oder Verpflichtung zum Besitz „auf Zeit" sowie aus der gesetzlichen Bewertung der Position des nicht die direkte Gewalt Ausübenden als „Besitzer" weitere Kriterien ableiten. Diese Kriterien sind im folgenden kurz darzustellen, um ein vollständiges Bild des mittelbaren Besitzes zu erhalten und somit eine Basis, auf der der genannte Vergleich vorgenommen werden kann. Besitz bedeutet Herrschaft über eine Sache60. Da im Falle der Überlassung der Sache an einen anderen nach BGB beide Beteiligte Besitzer sind, kommt diese Herrschaft auch beiden zu, doch in unterschiedlichem Maße 6 1 . Der 60 Vgl. auch Windscheid-Kipp I § 148, S. 735 („Macht"), § 151, S. 755 („tatsächliche Sachherrschaft"); Westermann § 8,1; treffend die Kennzeichnung bei Windscheid-Kipp I § 149, S. 749 Fn. 5 (freilich auf der Grundlage des gemeinrechtlichen Besitzverständnisses, wozu der Wille gehörte, die Sache als eigene zu haben): „Der Besitz ist das tatsächliche Abbild des Eigentums". 61 Für Herrschaft des mittelbaren Besitzers auch Windscheid-Kipp I §§ 148-155, S. 795; Wolff-Raiser § 8 I 1, III; Westermann § 8, 1, § 17, 4d, f.
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unmittelbare Besitzer nimmt gegenüber dem mittelbaren Besitzer eine untergeordnete Stellung ein. Er leitet, wie man allgemein sagt, sein Besitzrecht aus der Rechtsstellung des mittelbaren Besitzers ab 6 2 , beispielsweise der Pächter seine Rechtsstellung aus der Position des Verpächters. Diese globale und etwas verschwommene Kennzeichnung des Besitzverhältnisses als „Besitzrechtsableitung" läßt sich rechtlich präzisieren: Zu dem Subordinationsverhältnis gehört, daß der unmittelbare Besitzer die Sache als fremde besitzt. In diesem Besitzwillen kommt seine subjektive Anerkennung der übergeordneten Stellung des anderen zum Ausdruck. Ferner gehört zu dem abgestuften Herrschaftsverhältnis die vom Gesetz ausdrücklich geforderte zeitliche Begrenzung des Besitzrechtes. Aus dieser Begrenzung resultiert die Notwendigkeit eines Anspruchs auf Rückgabe der Sache für den mittelbaren Besitzer. Diese bisher genannten Kriterien stellen allgemein anerkannte Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes dar 6 3 . Notwendig ist aber ferner, daß auch der mittelbare Besitzer sich seiner Position als einer gegenüber derjenigen des unmittelbaren Besitzers umfassenderen Herrschaft bewußt ist. Es muß also eine Übereinkunft über die Überlassung der Sache stattfinden. Dies bringen die beispielhaft genannten Rechtsverhältnisse des § 868, die — wie Miete, Pacht, Nießbrauch oder Pfandrecht — eine Einigung der Beteiligten fordern, auch zum Ausdruck. Das Erfordernis einer einverständlichen Übertragung des unmittelbaren Besitzes auf einen anderen folgt aber ferner daraus, daß das Besitzmittlungsverhältnis ein abgestuftes Herrschaftsverhältnis darstellt. Herrschaft fordert an sich schon einen entsprechenden Willen. Demgemäß muß ein Besitzwille nicht nur auf Seiten des unmittelbaren, sondern auch auf Seiten des mittelbaren Besitzers vorliegen. Da die Herrschaftsstellung an ein und derselben Sache außerdem graduell verschieden ist, kommt es nicht lediglich darauf an, daß der unmittelbare Besitzer durch seinen Fremdbesitzwillen die übergeordnete Stellung des mittelbaren Besitzers respektiert, sondern auch darauf, daß der mittelbare Besitzer den entsprechenden Willen zu einer umfassenderen Herrschaft hat. Diese graduelle Abstufung der Herrschaftsverhältnisse ist nur durch eine entsprechende Einigung der Beteiligten zu erzielen. Der Tatbestand des mittelbaren Besitzes setzt sich also zusammen aus einem tatsächlich-subjektiven Element, das in der Anerkennung der umfassenderen Rechtsstellung des mittelbaren Besitzers durch den unmittelbaren Besitzer besteht, und aus einem rechtlich-objektiven Element, das in der temporären Beschränkung der Position des unmittelbaren Besitzers und dem entsprechenden Rückgabeanspruch liegt 64 . Zusammenfassend ergeben sich also für den 62
Baur § 7 Β I I I 1 a, 1 b bb; Westermann § 17, 4 b, § 18, 4. Vgl. etwa Baur § 7 Β III, l a , b; praktische Bedeutung erlangt die im Text angesprochene Frage bei Rechtsverhältnissen, die kraft Gesetzes oder kraft staatlicher Anordnung entstehen, dazu unten γ 6. 64 Vgl. Windscheid-Kipp I §§ 148-155, S. 796 3. Absatz: Das Besitzrecht habe immer auf einem „Gemisch" tatsächlicher und juristischer Voraussetzungen beruht. 63
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mittelbaren Besitz folgende Voraussetzungen: Unmittelbarer Besitz einer Person, ein Rechtsverhältnis dieser Person zu einer anderen, auf Grund dessen der unmittelbare Besitzer zum Besitz auf Zeit berechtigt ist, so daß sich gegen ihn ein Rückgabeanspruch ergibt; schließlich eine willentliche Übertragung der Sache auf den unmittelbaren Besitzer (Einigung) sowie dessen Wille, die Sache als fremde innezuhalten. Aus diesen Erfordernissen des mittelbaren Besitzes ergibt sich, daß mittelbarer Besitz nicht identisch ist mit dem Vorliegen eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 868. Die Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes gehen vielmehr über die bloße Existenz eines schuld- oder sachenrechtlichen Vertrages hinaus 65 . Folgendes Beispiel mag diese Rechtslage verdeutlichen: Wenn der Pächter sich emanzipiert und fortan das Grundstück erkennbar mit dem Willen besitzt, es als das seinige zu haben, so endet das Subordinationsverhältnis und damit auch der mittelbare Besitz des Verpächters 66. Der Pachtvertrag dagegen bleibt bestehen; schuldrechtlich liegt, wenn der Pächter in Realisierung seines Eigenbesitzwillens das Haus umbaut oder veräußert, eine Vertragsverletzung vor. (222) Die Zugriffsmöglichkeit auf die Sache, a) Einleitung. Aus dieser hier dargelegten Kennzeichnung des Besitzes als „Herrschaftsverhältnis" und den daraus deduzierbaren Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes im einzelnen ergibt sich, daß es auf diese Einzelvoraussetzungen für die hier anstehende Frage [oben (1), (3) (11)], ob der mittelbare Besitzer in vergleichbarer Weise wie der gemeinrechtliche Besitzer zum Zugriff auf das Gebäude in der Lage ist, nicht ankommt. Zwar sind die genannten einzelnen Erfordernisse Ausdruck der Sachherrschaft. Allgemein verbindet man mit dem Begriff der Herrschaft die Vorstellung, nach Belieben disponieren zu können; somit könnte man mit der Besitzposition auch die Idee der beliebigen Zugriffsmöglichkeit verbinden. Doch die Herrschaft im Sinne des mittelbaren Besitzes des BGB ist nicht allgemeiner Art, sondern sie ist, wie die obigen Darlegungen gezeigt haben, an bestimmte Kriterien gebunden: Sie realisiert sich in der Anerkennung des Oberbesitzes durch den Unterbesitzer (Fremdbesitzerwille), im Beherrschungswillen des Oberbesitzers und im Anspruch auf Rückgabe der Sache. Diese Elemente geben dem mittelbaren Besitzer jedoch keine Handhabe, um den Zugang zum Bauwerk während des Bestehens des Rechtsverhältnisses — Miete, Nießbrauch — zu erhalten. Dies gilt auch hinsichtlich des Rückgabeanspruchs. Er entsteht mit der Beendigung des Rechtsverhältnisses, entscheidend ist aber die Zugriffsmöglichkeit während der Existenz des Besitzmittlungsverhältnisses. Diese Zugriffsmöglichkeit besteht nur auf Grund der aus dem jeweiligen 65
So auch Westermann § 17, 5 vor Fällen a und b, § 17, 5 a, d; Lent-Schwab § 7 I I 2. Umwandlung der Besitzart bei Gesinnungswandel, allg. Meinung, s. etwa Baur § 7 Β I I I 3 b; Westermann § 12 I I 3. Entsprechend dem sachenrechtlichen Publizitätsgrundsatz (s. Baur § 4 II) muß die Willensrichtung äußerlich hervortreten, ihre Änderung muß im vorliegenden Fall aber nicht gerade dem mittelbaren Besitzer erkennbar sein, s. Westermann ebd. 66
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Rechtsverhältnis sich ergebenden Ansprüche auf Zugang zur Sache. Welche Ansprüche das Gesetz dem mittelbaren Besitzer jeweils gewährt, ist daher im folgenden näher zu betrachten. Zu diesem Zweck müssen einzelne mögliche Besitzmittlungsverhältnisse nach § 868 untersucht werden. Sinn dieser Darstellung ist es, eine konkrete Anschauung von den Rechten des mittelbaren Besitzers und damit von seiner Zugriffsmöglichkeit zu erhalten. Zunächst werden die ausdrücklich in § 868 aufgeführten Besitzmittlungsverhältnisse analysiert (unten ß), sodann die diesen Besitzmittlungsverhältnissen „ähnlichen" Rechtsverhältnisse (unten γ). Eine erschöpfende Behandlung aller unter diese letztere Rubrik fallenden Rechtsverhältnisse ist dabei weder möglich noch erforderlich. Herausgegriffen werden lediglich die wichtigsten Fälle. Die ausdrücklich im Gesetz genannten Rechtsverhältnisse begründen bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen [oben (111)] zweifellos ein Besitzkonstitut. Es kommt daher hier nur darauf an, den Zugriffsanspruch des mittelbaren Besitzers festzustellen. Demgegenüber entsteht bei den „ähnlichen" Rechtsverhältnissen notwendig die Vorfrage, welche Voraussetzungen an diese zu stellen sind. Während sich diese Frage in einigen Fällen ohne weiteres beantworten läßt, weil die „Ähnlichkeit" offenkundig ist, entstehen in manchen Fällen Schwierigkeiten. Vor Klärung der Frage, welche konkrete Zugriffsmöglichkeit dem Betreffenden zukommt, wird daher hier die umfassendere Frage zu klären sein, ob das betreffende Rechtsverhältnis überhaupt unter § 868 fallt. ß) Ausdrücklich in §868 genannte Rechtsverhältnisse. 1. Im Falle eines Mietvertrages ist der Vermieter gem. § 536 BGB dazu verpflichtet, die Mietsache während der Mietzeit in einem zum vertragsmäßigen Gebrauch geeigneten Zustand zu erhalten, die Sache also zu unterhalten. Demgemäß gewährt ihm § 541 a BGB einen Anspruch gegen den Mieter, entsprechende Maßnahmen zu dulden. Die Unterhaltungspflicht des Vermieters setzt darüber hinaus aber voraus, daß der Vermieter sich von Zeit zu Zeit ein Bild vom Zustand des Gebäudes verschaffen kann, um festzustellen, ob und welche Unterhaltungsmaßnahmen notwendig sind 67 . M i t der Unterhaltungspflicht ist also notwendigerweise das Recht zum Zutritt des Gebäudes verbunden. Inhaltlich ist es beschränkt durch seinen Zweck. Generelle Aussagen über die Häufigkeit der Besichtigungen lassen sich nicht machen. Die Frage hängt von den Einzelumständen, ζ. B. dem Alter des Hauses, ab. Das Zutrittsrecht des Vermieters besteht trotz der Verpflichtung des Mieters gem. § 545 I 1 BGB, bei hervortretenden Mängeln dem Vermieter Anzeige zu machen. Da der Mieter gegen diese Pflicht verstoßen kann, muß der Vermieter sich selbst vom Zustand des Gebäudes überzeugen können. 2. Für den Fall der Pacht gilt nach § 581 I I BGB, der auf das Mietrecht und damit auch auf § 536 BGB verweist, Entsprechendes. Der Verpächter hat also das Recht auf Zugang zum verpachteten Grundstück. Ist Gegenstand der Pacht 67
Vgl. auch z.B. Larenz I I § 48 I I b ; MK-Voelskow §§ 535, 536 Rdnr. 100-102.
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ein landwirtschaftliches Grundstück, so ist der Pächter, abweichend von den §§581 II, 536 BGB, zur Vornahme gewöhnlicher Ausbesserungen verpflichtet (§ 586 I 2 BGB). Damit hat der Verpächter die außergewöhnlichen Unterhaltungsmaßnahmen vorzunehmen 68 . Auch hier besteht für ihn trotz der Anzeigepflicht des Pächters (§§ 581 II, 545 I 1 BGB) ein Besichtigungsrecht 69, da er andernfalls die Erforderlichkeit von Maßnahmen nicht beurteilen kann. Da außergewöhnliche Unterhaltungsmaßnahmen seltener als die gewöhnlichen notwendig werden, also nur bei besonderen Ereignissen, beispielsweise dann, wenn der Sturm Dachschäden verursacht hat oder wenn durch Blitzschlag die Scheune abgebrannt ist, besteht auch das Zutrittsrecht des Verpächters in größeren Abständen als im Falle der Pflicht zur gewöhnlichen, regelmäßig anfallenden Instandsetzung. Hier entsteht die Frage, ob dem Verpächter nicht das Recht zugestanden werden muß, sich darüber hinaus in kleineren Zeitabständen vom Zustand der Sache zu unterrichten. Wegen des Dauercharakters der Pacht ist ein solches Recht anzunehmen. Dauerverhältnisse unterliegen generell dem Gebot von Treu und Glauben in besonderem Maße ( 242 BGB) 7 0 . Der Verpächter, der seine Sache auf längere Zeit in fremde Hände gibt, muß sich von der Behandlung der Sache durch den Berechtigten überzeugen können, davon also, ob er sich vertragsgemäß verhält, ob er beispielsweise den ihm zustehenden Gebrauch von der Sache macht oder seinen Unterhaltungspflichten nachkommt. Allgemeine Regeln lassen sich jedoch auch insoweit nicht aufstellen. Wenn sich etwa erwiesen hat, daß der Pächter zur Verletzung seiner Vertragspflichten neigt, ist dem Verpächter das Zutrittsrecht öfter zuzubilligen als bei einem sich im allgemeinen als zuverlässig erweisenden Pächter. 3. Bei Überlassung auf Grund Nießbrauchs ergibt sich folgende Regelung: Zur gewöhnlichen Unterhaltung der Sache ist der Nießbraucher verpflichtet (§ 1041 BGB). Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so bestimmt § 1044 BGB, daß der Nießbraucher dem Eigentümer die Vornahme der Ausbesserung oder Erneuerung der Sache zu gestatten hat. Da dem Eigentümer dieses Recht zusteht, ist der Nießbraucher auch als verpflichtet anzusehen, den Zutritt des Eigentümers in angemessenen Abständen zu dulden, damit dieser sich davon unterrichten kann, ob sein Eingriff notwendig ist 7 1 . Infolge der dem Nießbraucher obliegenden gewöhnlichen Unterhaltungsmaßnahmen verbleibt die außergewöhnliche Unterhaltung beim Eigentümer. Selbst wenn man annimmt, daß der Eigentümer gegenüber dem Nießbraucher 68
Larenz I I § 49 I I 4. MK-Voelskow § 582 Rdnr. 4 (§ 582 entspricht § 58612 in der ab 1. 7.1986 geltenden Fassung). 69
70 Vgl. auch Larenz Fn. 67 zur Miete, ferner zu den besonderen Regeln bei Dauerschuldverhältnissen generell Larenz I § 2 VI. 71 Entsprechend dem wissenschaftlich ζ. T. wenig durchgebildeten Stand der mit den dinglichen Rechten verbundenen gesetzlichen Schuldverhältnisse finden sich im Schrifttum zu diesen Fragen, soweit ersichtlich, keine Äußerungen.
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zu deren Durchführung nicht verpflichtet sei 72 , so kann ihm jedoch das Recht dazu nicht verwehrt werden, weil er als Eigentümer ein berechtigtes Interesse daran hat, seine Sache in Ordnung zu halten. Demgemäß muß ihm auch ein Anspruch auf Zutritt zum Grundstück eingeräumt werden. Wegen der Häufigkeit seiner Inspektion gilt das zur Pacht eines landwirtschaftlichen Grundstücks Ausgeführte (oben 2). — Unabhängig von diesem Grund des Zutrittsrechts, der Unterhaltung, besteht wegen des Dauercharakters des Nießbrauchs das Recht, sich vom Zustand der eigenen Sache in angemessenen Zeiträumen einen Eindruck zu verschaffen (s. oben 2). Wie das Miet- und Pachtrecht statuiert auch das Nießbrauchsrecht eine Anzeigepflicht. Gem. § 1042 S. 1 BGB muß der Nießbraucher bei Beschädigung oder Zerstörung der Sache oder dann, wenn eine außergewöhnliche Ausbesserung erforderlich wird, den Eigentümer hiervon in Kenntnis setzen. Das genannte Zutrittsrecht des Eigentümers besteht aus den schon zu Miete und Pacht genannten Gründen dennoch (oben 1, 2), weil nicht gewiß ist, daß der Nießbraucher seine Anzeigepflicht erfüllt. 4. Die außer den eben behandelten, in § 868 BGB aufgeführten Rechtsverhältnisse auf Grund Pfandrechts und Verwahrung kommen für den Besitz nach § 836 BGB nicht in Betracht, da Pfandrecht und Verwahrung nur an beweglichen Sachen begründet werden (s. §§ 688, 1204 I BGB). y) „Ähnliche" Rechtsverhältnisse iSd §868 BGB. Damit kann sich die Darstellung den Rechtsverhältnissen zuwenden, die den in § 868 BGB aufgeführten „ähnlich" sind. In Betracht kommen — entsprechend dem Vorbild der gesetzlichen Beispiele — weitere schuldrechtliche und dingliche Abreden. Nach h. L. fallen unter § 868 auch Rechtsverhältnisse, die kraft Gesetzes, staatlichen Hoheitsakts oder durch Anordnung Dritter (Testator, §§ 2197 ff. BGB) entstehen. Die Bewertung der unter die erste Gruppe fallenden Rechtsgeschäfte (schuldrechtliche, dingliche Verträge) als Rechtsverhältnisse im Sinne des § 868 ist ohne Schwierigkeiten möglich. Dagegen entstehen bei der zweiten Fallgruppe prinzipielle Zweifel, weil es hier an einer von § 868 in den Beispielen vorausgesetzten Vereinbarung der Beteiligten fehlt. Zunächst werden die Fälle der schuldrechtlichen und dinglichen Rechtsgeschäfte behandelt (unten 1 - 5), im Anschluß daran die problematischen Fälle (unten 6). 1. Zu den ähnlichen Rechtsverhältnissen im Sinne des § 868 rechnet einmal die Leihe (§§ 598 ff. BGB) 7 3 . Sie unterscheidet sich dem Vertragstyp nach von der exemplarisch in § 868 genannten Miete lediglich dadurch, daß die Gebrauchsüberlassung unentgeltlich erfolgt (§ 598 BGB). Dem Entleiher obliegen — anders als bei der Miete dem Mieter (§ 536 BGB) und (im Grundsatz) bei der Pacht dem Pächter (§ 586) — die gewöhnlichen 72 73
So MK-Petzold § 1041 Rdnr. 2. Ebenso Wolff-Raiser § 8 I l c ; Staudinger-Seufert 11 § 868 Rdnr. 15.
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. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Erhaltungskosten (§ 601 I BGB). Damit hat der Verleiher die Pflicht zur Vornahme außergewöhnlicher Unterhaltungsmaßnahmen. Ein Recht zum Zutritt zum Gebäude muß ihm also gewährt werden und darüber hinaus ein allgemeines Recht, sich einen Eindruck vom Gebäudezustand zu verschaffen (s. oben β 2) 7 4 . In dem vielleicht weniger praktischen, aber immerhin möglichen Fall, daß für die Leihe weder eine Zeit bestimmt ist noch sich eine Leihdauer aus dem Zweck der Leihe ergibt, besteht ein jederzeitiges Rückforderungsrecht (§ 604 I I I BGB). Hier besteht also unabhängig von Unterhaltungspflichten des Verleihers außerdem eine Zugriffsmöglichkeit auf Grund des Herausgabeanspruches. 2. Die Frage, ob die Dienstbarkeit ein Rechtsverhältnis nach § 868 darstellt, hängt von ihrem jeweiligen Inhalt ab. Danach ist zu beurteilen, ob der Dienstbarkeitsberechtigte als unmittelbarer Besitzer des von ihm in einzelnen Beziehungen benutzten Grundstücks anzusehen ist. Die Frage kann also nicht generell, sondern nur im konkreten Fall entschieden werden. Unmittelbarer Besitz setzt tatsächliche Gewalt voraus (s. § 854 BGB). Diese richtet sich nach der allgemeinen Lebensanschauung75. Beispielsweise wird bei einem Wegerecht, das zur Überquerung des fremden Grundstücks berechtigt, gewöhnlich kein unmittelbarer Besitz gegeben sein. Doch gerade in dem hier in Betracht kommenden Fall der Benutzung eines Bauwerks auf fremdem Grund und Boden ist ein Besitzmittlungsverhältnis zwischen Berechtigtem und Grundstückseigentümer möglich, und zwar dann, wenn nur der Berechtigte und nicht der Eigentümer zur Benutzung des Bauwerks befugt ist. Das Gesetz sieht solche Fälle der Benutzung eines Gebäudes, Gebäudeteils oder einer Anlage vor und trifft hierüber Regelungen hinsichtlich einiger Aspekte. So bestimmt § 1093 1 1 BGB, daß als beschränkte persönliche Dienstbarkeit das Recht bestellt werden kann, ein Gebäude oder einen Teil eines Gebäudes unter Ausschluß des Eigentümers als Wohnung zu benutzen. Wegen der Unterhaltung des Gebäudes verweist § 1093 I 2 BGB auf die Nießbrauchsbestimmungen der §§ 1041, 1042 und 1044 BGB, so daß das Zutrittsrecht des Eigentümers wie dort zu beurteilen ist (oben β 3). Schon um sich über die bei ihm verbleibenden notwendigen außergewöhnlichen Unterhaltungsmaßnahmen unterrichten zu können, aber auch, um sich von Zeit zu Zeit ein Bild vom Zustand seines Gebäudes zu machen (s. oben β 2), muß dem Eigentümer ein Recht auf Zugang zugebilligt werden. Die §§ 1020 S. 2 und 102111 BGB regeln Fälle, in denen zur Ausübung einer Grunddienstbarkeit eine Anlage gehört 76 . Mittelbarer Besitz des Grundstücks74
So für die Miete Larenz I I § 48 I I b (Anspruch auf Duldung der Besichtigung gem. § 242 BGB). 75 Vgl. Wolff-Raiser § 5 III; Baur § 7 Β I I 1 a; Westermann § 914, auch 1 ; der Begriff der tatsächlichen Gewalt läßt sich nicht exakt definieren, s. Raiser, Westermann ebd. 76 In § 1022 BGB, der den Fall betrifft, daß der Berechtigte auf einer Anlage eine Anlage haben darf, geht es um die Unterhaltung der Anlage des Eigentümers; an dieser besteht also kein unmittelbarer Besitz des Berechtigten.
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eigentümers kommt dann in Betracht, wenn die Anlage in seinem Eigentum steht. Errichtet der Dienstbarkeitsberechtigte die Anlage zu nur vorübergehendem Zweck oder in Ausübung seines Rechts (§ 951 BGB), verbleibt sie in seinem Eigentum. Es ist sodann nicht ein Fall des § 836 BGB, sondern des hier nicht zu beurteilenden § 837 BGB gegeben. — Im Falle des § 1021 I 1 BGB können die Parteien vereinbaren, daß der Grundstückseigentümer die Anlage zu unterhalten hat. Damit muß ein Zutrittsrecht verbunden sein. Aber auch, wenn im Falle des § 1021 11 BGB oder auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen des § 1020 S. 2 BGB der Dienstbarkeitsberechtigte zur Unterhaltung verpflichtet ist, ist dem Eigentümer nach den dargelegten allgemeinen Grundsätzen ein Zutrittsrecht einzuräumen (oben β 2). 3. Übernimmt jemand auf Grund Auftrags (§ 662 BGB), Geschäftsbesorgungsvertrages (§ 675 BGB) oder Dienstvertrages (§ 611 BGB) ein Grundstück mit Gebäude, so kann ebenfalls ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 868 BGB gegeben sein 77 , wenn der Betreffende selbständig tätig ist, das Vertragsverhältnis also nicht den Voraussetzungen entspricht, die gem. § 855 BGB Besitzdienerschaft begründen (Weisungsunterworfenheit) 78. Denkbar sind derartige Verträge, wenn jemand sein Grundstück einem anderen etwa zur Verwaltung überläßt. Die rechtliche Einordnung derartiger Abreden in die genannten Vertragsarten läßt sich nur anhand des konkreten Falles beurteilen; auf sie kommt es hier nicht an. Beim Auftrag ergeben sich Ansprüche auf Herausgabe aus § 667 BGB, beim Geschäftsbesorgungs- und Dienstvertrag entstehen derartige Ansprüche gem. § 675 BGB ebenfalls aus § 667 BGB 7 9 . Im Falle der Inbesitznahme eines Gebäudes durch den Beauftragten oder Dienstnehmer kann die Rechtsfolge des § 667 BGB nicht nur auf endgültige Überlassung des Besitzes an den Geschäftsherrn gehen, sondern auch auf vorübergehende Herausgabe, also auf Gewährung des Zutritts. Damit steht dem Geschäftsherrn und mittelbaren Besitzer der Zugang zum Gebäude jederzeit zu. 4. Wird ein Grundstück samt Gebäude zur Sicherheit übereignet , ζ. B. an eine Bank wegen eines gewährten Kredits 8 0 , ist für die Vereinbarung eines Besitzkonstituts, das dem Übereignenden den unmittelbaren Besitz beläßt, eine inhaltlich fest umrissene Abrede darüber nötig, auf Grund welchen Rechtsverhältnisses der Sicherungsgeber das Grundstück für den Sicherungsnehmer besitzt (sog.
77 Für Besitzmittlungsverhältnis im Falle eines Auftrags: Wolff-Raiser § 8 I 1 c; Soergel-Mühl § 868 Rdnr. 14; Erman-Werner § 868 Rdnr. 13; im Falle eines Geschäftsbesorgungsvertrages: MK-Haase § 868 Rdnr. 44; eines Dienstvertrages: Wolff-Raiser § 6 I I I Fn. 10. 78 Dazu unten ddd. 79 Zur generellen Anwendbarkeit des § 675 BGB bei Dienstverträgen MK-Seiler § 675 Rdnr. 2; ders. § 662 Rdnr. 13. 80 Zu beachten ist, daß eine durch die vollständige Begleichung der Schuld bedingte Übereignung bei Grundstücken nicht möglich ist (§ 925 I I BGB).
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konkretes im Gegensatz zum abstrakten Besitzkonstitut) 81 . Dies ergibt sich aus den in § 868 BGB aufgeführten Beispielen. Die umstrittene Frage, ob diesem Bestimmtheitsgrundsatz die Sicherungsabrede genügt, sie also das Rechtsverhältnis nach § 868 darstellen kann, oder ob es des Abschlusses eines der gesetzlich vorgesehenen Verträge bedarf, braucht hier nicht entschieden zu werden 82 . Nimmt man letzteres an, so kommt bei Grundstücken eine Leihe in Betracht, so daß wegen des Zugriffsrechtes auf das dazu bereits Ausgeführte verwiesen werden kann (oben 1). Doch werden die gesetzlichen Bestimmungen über die Unterhaltung (§ 6011 BGB), aus denen das Zutrittsrecht des Verleihers (Sicherungsnehmers) abzuleiten war, wegen des besonderen Zweckes der Leihe, die lediglich Bestandteil des gesamten Sicherungsgeschäftes ist, vertraglich abgeändert sein. Die Unterhaltung der Sache wird dem Entleiher und Sicherungsgeber überlassen werden, weil er wirtschaftlich als der weiterhin „Zuständige" angesehen wird. Auch die gesetzlichen Herausgabeansprüche des § 604 BGB gelten hier nicht, da ein Anspruch auf Überlassung des sicherheitshalber übereigneten Grundstücks nach der Sicherungsabrede nur in dem Falle entsteht, daß der Sicherungsgeber seinen Zahlungspflichten nicht nachkommen kann. Das für das Besitzmittlungsverhältnis nach § 868 BGB notwendige zeitlich begrenzte Rechtsverhältnis und ein, wenn auch bedingter (§ 158 BGB), Herausgabeanspruch bestehen aber jedenfalls. Auf Grund der oben dargelegten prinzipiellen Überlegungen (ß 2) muß aber auch der Sicherungsnehmer einen Zutritt haben, um feststellen zu können, ob das Sicherungsgut ordnungsgemäß erhalten wird. Dies gilt auch dann, wenn man den Sicherungsvertrag selbst als ausreichendes Rechtsverhältnis im Sinne des § 868 BGB wertet. 5. Als Besitzmittlungsverhältnis wird überwiegend auch der Kauf unter Eigentumsvorbehalt angesehen (§§ 455, 433 BGB) 8 3 . Da hier eine durch die vollständige Kaufpreiszahlung aufschiebend oder auslösend bedingte Übertragung des Eigentums stattfindet (§ 158 BGB) und diese sich nach § 925 I I BGB bei Grundstücken verbietet, entfallt für den vorliegenden Fall diese Art der Besitzbegründung. 6. Für die kraft Gesetzes, staatlichen Hoheitsakts oder Anordnung Dritter (Testator) entstehenden Rechtsverhältnisse wird, wie bereits erwähnt (oben vor 1), allgemein angenommen, daß sie unter § 868 BGB fielen und zwischen den Beteiligten ein Besitzmittlungsverhältnis begründeten. Hinsichtlich der durch Gesetz entstehenden Rechtsverhältnisse wird dieses allerdings, abgesehen von 81
Allg. Meinung s. Baur § 7 Β I I I l c ; Westermann § 18,3. Dazu Baur § 51 V 2 mit Rechtsprechungsnachw. ebd. Fn. 2, § 57 I I I 1 a; Westermann ebd.; Wolf §2 Β I I b 7; Wolff-Raiser §8 I l c bezeichnet die Sicherungsübereignung allgemein als Fall eines Besitzmittlungsverhältnisses. 83 Vgl. etwa Soergel-Mühl § 868 Rdnr. 16; Erman-Werner § 868 Rdnr. 12; StaudingerSeufert 11 § 868 Rdnr. 22 jeweils mit Rechtsprechungsnachw.; für Eigenbesitz des Vorbehaltskäufers und daher ein Besitzmittlungsverhältnis verneinend MK-Haase § 872 Rdnr. 8-10 im Anschluß an (u.a.) Raiser, weit. Nachw. ebd. 82
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dem Fall der Vermögensverwaltung auf Grund elterlichen Sorgerechts (§§ 1626 ff. BGB), nur in genereller Form vertreten 84 . Für die konkreten Einzelfalle der Erlangung einer Sache durch Fund und Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 965 ff., 677ff. BGB) ist die Frage, ob hier ein Besitzmittlungsverhältnis gegeben ist, umstritten. Doch für die weitere Fallgruppe der Erlangung einer Sache durch einseitige Anordnung bestehen in Literatur und Rechtsprechung keine Zweifel am Vorliegen eines Besitzkonstituts. Zu Sachbeziehungen, die auf diese Weise entstehen, gehören Rechtsverhältnisse zwischen Eltern, Vormündern und Pflegern einerseits und Kindern, Mündeln und Pflegebefohlenen andererseits, ferner zwischen Erbe und Testamentvollstrecker und schließlich zwischen Konkurs-, Vergleichs- und Zwangsverwaltern einerseits und Schuldner andererseits. Wer in diesen Fällen unmittelbarer, wer mittelbarer Besitzer sein soll, ist nicht immer deutlich 85 , doch wenn man das Vorliegen eines Besitzmittlungsverhältnisses annimmt, müssen mittelbare Besitzer die anvertrauten Personen und der Schuldner sein, unmittelbare Besitzer die Betreuenden und Amtswalter, da letztere die Sache kraft Gesetzes oder kraft Amtes in Obhut nehmen und verwalten (näher unten b). Es besteht in diesen Fällen jedoch das grundsätzliche Bedenken, daß es hier an einer Vereinbarung zwischen den Beteiligten fehlt [oben (111)]. Zwar mögen die unmittelbaren Besitzer, etwa der Vormund, der Testamentsvollstrecker und der Konkursverwalter den Willen haben, die Sache als fremde zu übernehmen, es fehlt aber an einer willentlichen Übertragung des Besitzes durch den anderen Beteiligten, also in den Beispielen durch das Mündel, den Erben und den Schuldner. Dieses Problem ist bisher nur im Falle der durch Gesetz entstehenden Rechtsverhältnisse wie Fund und Geschäftsführung ohne Auftrag beachtet worden. Dagegen wird für die übrigen Fälle gewöhnlich ohne weitere Begründung ein Besitzmittlungsverhältnis angenommen, also auf eine Übereinkunft über ein Besitzkonstitut durch die Betreffenden verzichtet. Zwar stellt Westermann den allgemeinen Satz auf, daß es gleichgültig sei, wie das Besitzmittlungsverhältnis entstehe, und daß es insbesondere auch ohne Vereinbarung kraft Gesetzes möglich sei 86 . Seine ausdrücklich ausgesprochene Einschränkung hinsichtlich des Willens der als mittelbare Besitzer in Betracht kommenden Personen 87 führt er jedoch nur für die Fälle des gesetzlich entstehenden Rechtsverhältnisses durch Fund oder Geschäftsführung ohne Auftrag durch 8 8 . Für die Fälle, in denen ein Amtswalter die Sache in Verwahrung nimmt, bejaht er das Vorliegen eines Besitzkonstituts dagegen ohne weiteres 89. 84
Vgl. Baur § 7 Β I I I 1 c; Westermann §18,2; Lent-Schwab § 7 I I 1 ; Soergel-Mühl § 868 Rdnr. 20. 85 Vgl. Wolff-Raiser § 8,1 c; Baur § 7 Β I I I 1 c cc; Westermann § 18,2; Lent-Schwab § 7 I I 1; Staudinger-Seufert 11 §868 Rdnr. 20 (Konkursverwalter); Soergel-Mühl §868 Rdnr. 20; Erman-Werner § 868 Rdnr. 18. 86 Westermann § 18, 2. 87 Ebd. 88 Westermann § 19 I 2. 17 Herrmann
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Die Darlegungen zu den Voraussetzungen eines Besitzmittlungsverhältnisses hatten jedoch ergeben, daß eine Übereinkunft zwischen den Beteiligten für die Entstehung eines solchen Verhältnisses notwendig ist [oben (111)]. Einen Hinweis dafür gibt, wie festgestellt wurde, schon die beispielhafte Aufzählung einiger Rechtsverhältnisse durch § 868 BGB. Ein Fall, in dem durch einseitigen A k t eine Sache erlangt wird, kommt dort nicht vor. Nun mag diese Tatsache allein nicht schon dazu führen, anzunehmen, daß derartige Fälle kein Besitzkonstitut begründen können, sofern im übrigen die aus § 868 ablesbaren Voraussetzungen gegeben sind. Dies letztere ist jedoch nicht der Fall. Daran, daß ein Besitzkonstitut ein abgestuftes Herrschaftsverhältnis erfordert, bestehen in theoretischer Form nirgendwo Zweifel. Ein solches Herrschaftsverhältnis ist jedoch nur möglich auf Grund des entsprechenden Willens beider Parteien, also sowohl durch den Willen des unmittelbaren Besitzers, die Sache als fremde zu übernehmen, als auch durch den Willen des mittelbaren Besitzers, die Sache dem anderen zu überlassen und sich den Besitz durch ihn vermitteln zu lassen. Ob generell für Erwerb und Vorliegen des Besitzes Besitzwille nötig ist 9 0 , ist eine andere Frage, jedenfalls das zwischen den Beteiligten bestehende Band nach § 868 BGB, das in der abgestuften Herrschaftsbeziehung zur Sache, dem Verhältnis von Ober- und Unterbesitz (Fremdbesitzwille) zum Ausdruck kommt, fordert eine Übereinkunft. Aus diesem Grunde ist in den betreffenden Fällen ein Besitzmittlungsverhältnis grundsätzlich zu verneinen. In Betracht kommt allenfalls eine analoge Anwendung des § 868 BGB, doch das dafür notwendige Bedürfnis ist bisher nicht nachgewiesen worden. Die Interessenlage müßte es gebieten, daß etwa dem Geschäftsherrn im Falle der Geschäftsführung ohne Auftrag, dem Mündel, Pflegebefohlenen, Erben oder dem Schuldner die Stellung als mittelbarer Besitzer zukommt. Warum nicht der Geschäftsführer (§ 677 BGB) und die entsprechenden Betreuer und Amtswalter den unmittelbaren Besitz einnehmen können und es an einer Besitzrechtsposition der anderen Seite fehlen kann, ist nicht erkennbar. Besitzschutzansprüche gem. den §§ 869, 861, 862 BGB könnten die Betreffenden ohnehin nicht geltend machen: der Geschäftsherr (§ 677 BGB) nicht, weil er von seinem Besitz nichts weiß, Kind, Mündel, Erbe oder Schuldner insoweit nicht, als sie diese Ansprüche nicht selbständig geltend machen dürfen; dies können nur die für sie eingesetzten Vertreter, diesen aber steht der Besitzschutz ohnehin zu (§§ 861, 862 BGB). Da die Fälle des Rechtsverhältnisses kraft Fundes und Geschäftsführung ohne Auftrag einerseits und kraft elterlichen Sorgerechts und kraft Amtes 89
Westermann § 18, 2. Für die Definition des Besitzes wird gewöhnlich darauf verzichtet und Besitz entsprechend § 854 I BGB gleichgesetzt mit tatsächlicher Gewalt, s. etwa Wolff-Raiser § 5; Baur § 7 A (m. E. zweifelhaft, da „Gewalt" Willen voraussetzt); Westermann § 9. Für den Besitzerwerb ist umstr., ob Besitzbegründungswille erforderlich ist (so h.M., s. WolffRaiser § 10 I I mit Nachw. in Fn. 1) oder ob die Einfügung in den „Organisationsbereich" ausreicht (so Westermann § 13 I 2). 90
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andererseits im Schrifttum unterschiedlich beurteilt werden, werden sie im folgenden getrennt behandelt (unten a, b). Dabei wird die Erlangung der Sache durch Fund 9 1 hier übergangen, weil sie für den nur infrage stehenden Fall des Besitzes an einem Gebäude kaum praktisch wird. a) Die unterschiedlich beurteilte Frage, ob unter §868 BGB auch die Erlangung einer Sache auf Grund einer Geschäftsführung ohne Auftrag fallt (§ 677 BGB), stellt sich folgendermaßen dar: Nach überwiegender Meinung ist ein Besitzkonstitut zu bejahen, wenn der Geschäftsführer den Besitzmittlungswillen habe 92 . Nach anderer Ansicht liegt ein Rechtsverhältnis nach § 868 BGB nur im Falle der „Genehmigung" der Geschäftsführung durch den Geschäftsherrn vor (§ 684 S. 2 BGB) 9 3 . Beiden Auffassungen kann nicht zugestimmt werden. Hinsichtlich der h. M. ergibt sich der hier vertretene Standpunkt bereits aus den obigen Ausführungen (6 vor a). Er soll für den besonderen Fall der Geschäftsführung ohne Auftrag näher erläutert werden: Übernimmt der Geschäftsführer eine sich bereits im Besitz des Geschäftsherrn befindliche Sache, bewacht er etwa für einige Zeit das Haus des verreisten Nachbarn, weil dort ein Wasserrohrbruch entstanden ist und er den Schaden behebt, so fehlt es an einer willentlichen Übertragung des Besitzes auf den Geschäftsführer; das Schuldverhältnis der §§ 677 ff BGB entsteht gerade ohne Abrede. Unmittelbarer Besitzer bleibt vielmehr der Geschäftsherr. Darüber hinaus wird es aber gewöhnlich auch am Willen des Geschäftsführers fehlen, den Besitz für den Geschäftsherrn zu übernehmen. Nicht anders verhält es sich, wenn der Geschäftsführer bei seiner Tätigkeit eine Sache erlangt hat, die der Geschäftsherr noch nicht in Besitz hatte. Auch hier kann mangels Abrede ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 868 BGB nicht entstehen. Aber auch das Vorliegen des von der h.M. verlangten Fremdbesitzwillens des Geschäftsführers ist zu bezweifeln. Der von der Literatur angeführte Fall der Genehmigung, für den ein Besitzmittlungsverhältnis bejaht wird, ist folgendermaßen zu beurteilen: Zum einen bezieht sich die Genehmigung nach § 684 S. 2 auf die Geschäftsführung. Durch die Genehmigung wird eine Geschäftsführung, die dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Geschäftsherrn nicht entspricht und die daher nicht gerechtfertigt ist (§§ 683 S. 1, 684 S. 1 BGB), zu einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 684 S. 2 BGB). Die Genehmigung bedeutet ein Einverständnis mit der Geschäftsführung, also damit, daß sie als für den Geschäftsherrn getätigt gilt (Fremdcharakter, s. § 677 BGB). Bedeutung hat die 91
Nach h. M. entsteht zwischen Verlierer und Finder kein Besitzmittlungsverhältnis, s. Westermann § 19 I 2 mwN. 92 MK-Haase § 868 Rdnr. 45 (dort ausdrücklicher Verzicht auf den Willen des Oberbesitzers); Staudinger-Seufert 11 § 868 Rdnr. 15. 93 Westermann § 19 I 2. 17*
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Frage der berechtigten und unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag für die Rechtsfolgen (s. §§ 683 S. 1, 684 S. 2, 1 BGB). Es ist aber bereits mehr als zweifelhaft, ob in dieser Genehmigung der Wille gesehen werden kann, ein Besitzmittlungsverhältnis zu begründen. Der Betreffende erklärt sich lediglich damit einverstanden, daß die Tätigkeit seinem Rechtskreis zugerechnet wird mit der Folge, daß er gem. den §§ 681 S. 2,667 BGB das durch die Geschäftsführung Erlangte herausverlangen kann. Deutet man aber den Tatbestand der Genehmigung als eine Übereinkunft der Beteiligten über ein Besitzmittlungsverhältnis, handelt es sich nicht um ein Rechtsverhältnis auf Grund Geschäftsführung ohne Auftrag, sondern es liegt der gewöhnliche Fall der Übereinkunft über ein Besitzmittlungsverhältnis vor. Zusammenfassend ist also festzustellen, daß die Erlangung einer Sache im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag ein Besitzkonstitut mangels Vereinbarung nicht begründet. Der Fall scheidet also für eine Beurteilung der Frage, auf welche Weise der mittelbare Besitzer auf die Sache zugreifen kann, aus. Nimmt man jedoch mit der h. L. ein Besitzmittlungsverhältnis an, so besteht die Zugriffsmöglichkeit im Falle der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag nach §667 BGB (§681 S. 2 BGB). — Legt man im Falle der unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag die vom Geschäftsherrn erteilte Genehmigung (§ 684 S. 2 BGB) als Begründung eines Besitzmittlungsverhältnisses aus, so ist der Entstehungsgrund ohnehin nicht gesetzlicher, wie angenommen wird, sondern vertraglicher Art. Insoweit ist die Übereinkunft als Auftrag zu deuten (§ 662 BGB). Auch hier besteht der Zugriff des Geschäftsherrn und mittelbaren Besitzers über § 667 BGB. b) Die besitzrechtliche Beurteilung im Fall der Inbesitznahme durch Eltern oder Amtswalter ergibt sich wiederum aus den obigen Darlegungen (6 vor a). Ein Besitzmittlungsverhältnis ist hier abzulehnen, so daß sich die Frage, inwieweit der mittelbare Besitzer (Kind, Mündel, Schuldner) auf die Sache Zugriff nehmen kann, an sich erübrigt. Doch wegen der üblichen und seit langem vertretenen Ansicht, daß in diesen Fällen ein Besitzmittlungsverhältnis gegeben sei, soll einmal mit der h.L. angenommen werden, daß es auf eine willentliche und einverständliche Besitzübertragung nicht ankomme. Auf die Prüfung der übrigen Voraussetzungen eines Besitzmittlungsverhältnisses wird jedoch nicht verzichtet. Dabei wird sich erweisen, daß ein Besitzkonstitut in einigen der hier infrage stehenden Fälle auch aus anderen Gründen nicht gegeben ist. Bei der Vermögensverwaltung durch Eltern, Vormünder und Pfleger entsteht die Frage, inwieweit die anvertrauten Personen einen Herausgabeanspruch gegen den gesetzlichen oder amtlich bestellten Vertreter haben, da letztere das anvertraute Gut in Vertretung des Vermögensinhabers in Obhut nehmen und verwalten (§§ 1626 I 2, 1629 I, 1638ff., 1793ff., 1909 BGB).
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Im Falle des Eltern-Kind-Verhältnisses entsteht ein Herausgabeanspruch gem. den §§ 985, 812 BGB mit Erlangung der Volljährigkeit (§ 2 BGB). Da der Herausgabeanspruch nicht gerade aus dem das Besitzkonstitut begründenden Rechtsverhältnis folgen muß 9 4 , ist — vom Standpunkt der h. L. aus — hier ein Besitzmittlungsverhältnis zu bejahen. Während seines Bestehens ist ein generelles Recht zum Kontakt mit der Sache anzunehmen, und zwar nicht zum Zwecke vermögenssorgender Maßnahmen, z.B. Reparaturen am Haus, da die Vermögenssorge gerade durch die Eltern als Stellvertreter des Kindes erfolgen soll, wohl aber im Rahmen der zu berücksichtigenden Bedürfnisse des Kindes (§ 1626 I I BGB). Als mittelbarem Besitzer eines Hauses etwa steht dem Kind insoweit ein Anspruch auf Zutritt zu dem Haus zu. Daß es hier an der Deliktsfähigkeit für einen Anspruch aus § 836 BGB fehlen kann (§ 828 BGB), ist eine andere Frage. Im Falle der Vormundschaft und Pflegschaft entsteht ein Herausgabeanspruch nach den §§ 985, 812 BGB mit Beendigung des Betreuungsverhältnisses (§§ 1882ff., 19151,19181, III, 1919,1921 BGB). Das Betreuungsverhältnis endet aber nicht notwendigerweise. In den meisten Fällen wird dies nicht vorhersehbar sein, oft wird das Verhältnis für die Lebensdauer des Betreffenden bestehen (ζ. B. bei unheilbarer Geisteskrankheit). Somit entsteht nicht in jedem Falle ein Besitzmittlungsverhältnis. Soweit es aber gegeben ist, ist die Frage, ob während der Dauer der Vormundschaft oder Pflegschaft ein Zugriffsrecht des Anvertrauten existiert, nach denselben Gesichtspunkten zu beurteilen, die soeben für das Eltern-Kind-Verhältnis dargelegt wurden (s. §§ 1793 S. 2,1915 1,1626 I I BGB). Ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 868 wird schließlich im Verhältnis von Erbe und Testamentsvollstrecker angenommen 95 . Wird der Erbe gem. § 857 BGB zunächst unmittelbarer Besitzer (fingierter Besitz), rückt er bei Einsatz eines Testamentsvollstreckers in die Stellung des mittelbaren Besitzers ein. Herausgabeansprüche bestehen für ihn gem. den §§ 2218, 667 BGB sowie nach Beendigung des Amtes des Testamentsvollstreckers (§§ 2225 ff. BGB) gem. den §§ 985 (1922), 812 BGB. Ein Besitzmittlungsverhältnis liegt also insoweit vor. Während der Testamentvollstreckung stehen ihm Verfügungsrechte nicht zu (§ 2211 I BGB), wohl aber Rechte zur Vornahme tatsächlicher Maßnahmen 96 . Damit hat der Erbe ein Recht auf Zutritt zu dem zum Nachlaß gehörenden Gebäude. Warum im Falle des Konkurses, des Vergleichs und der Zwangsvollstreckung (§ 6 KO, §§ 146 ff. ZVG, § 8661 ZPO, VerglO) sowie der Nachlaßverwaltung, des Nachlaßkonkurses und -Vergleichs (§§ 1975ff., 1985, 1988 I BGB, §§ 113ff., 38 ff. VerglO) angenommen wird, daß der Schuldner (Erbe) mittelbarer Besitzer werde (oben 6 vor a), ist schon deshalb nicht verständlich, weil ein Anspruch auf Herausgabe der in amtliche Verwahrung genommenen Sachen nicht besteht. Sie 94 95 96
Baur § 7 Β I I I 1 b dd. Oben Fn. 85; ferner Erman-Hense § 2205 Rdnr. 2. Erman-Hense §2211 Rdnr. 2.
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sollen gerade zur Befriedigung des Gläubigers bereitgehalten werden. Ein Besitzmittlungsverhältnis scheidet demnach auch aus diesem Grunde aus. Verfügungs- und Verwaltungsbefugnisse sind dem Schuldner im Falle des Konkurses verwehrt (§6 KO; § 1984 BGB iVm §§7, 8 KO), im Falle des Vergleichs und der Zwangsverwaltung eingeschränkt (§§ 56 ff. VerglO, §§ 23 f. Z V G ) 9 7 . Nimmt man mit der h.L. ein Besitzmittlungsverhältnis an, so ist das Zutrittsrecht zum Gebäude und damit das Zugriffsrecht darauf nur in diesen letzteren Fällen, bei Vergleich und Zwangsverwaltung, nicht dagegen im Falle des Konkurses gegeben. 7. Damit liegen folgende Ergebnisse vor: Zu den „ähnlichen" Rechtsverhältnissen im Sinne des § 868 BGB zählen einmal vertragliche Abreden über die Überlassung der Sache (oben 1), die Dienstbarkeit, wenn sie dem Berechtigten ein Besitzrecht gibt (oben 2), ferner Auftrag, Geschäftsbesorgung und Dienstvertrag (oben 3) sowie schuldrechtliche Übereinkünfte über die Übereignung der Sache zu Sicherungszwecken (oben 4); der Kaufvertrag unter Eigentumsvorbehalt kommt im vorliegenden Fall praktisch nicht in Betracht, da die bedingte Übereignung eines Grundstücks nicht möglich ist (§ 925 I I BGB; oben 5). Nach h. L. fallen unter § 868 Rechtsverhältnisse kraft Gesetzes, kraft Amtes und kraft Anordnung des Testators, so daß danach einmal als mittelbarer Besitzer anzusehen ist der Geschäftsherr im Falle der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB), wenn der Geschäftsführer den Besitzmittlungswillen hat (oben 6 a), ferner Kinder, Mündel und Pflegebefohlene im Verhältnis zu den Betreuenden (Eltern, Vormünder, Pfleger), der Erbe im Verhältnis zum Testamentsvollstrecker und der Schuldner im Verhältnis zum Konkurs-, Vergleichs- und ΖwangsVerwalter (oben 6 b). Nach hier vertretener Ansicht dagegen besteht zwischen den genannten Personen kein Besitzkonstitut (oben 6), da ein einverständlich begründetes, abgestuftes Herrschaftsverhältnis hinsichtlich der Sache nicht gegeben ist. Darüber hinaus aber fehlt es teilweise an dem für ein Besitzmittlungsverhältnis nötigen Herausgabeanspruch, und zwar unter Umständen im Falle von Vormundschaft und Pflegschaft durch den Pflegebefohlenen, in den Fällen des Konkurses, Vergleichs und der Zwangsverwaltung generell; lediglich im Verhältnis des Kindes zu den Eltern und des Erben zum Testamentsvollstrecker ist ein solcher Anspruch gegeben. Somit besteht nach dieser hier für richtig befundenen Auffassung in den genannten Fällen kein mittelbarer Besitz, so daß sich die Frage, inwieweit die von der h.L. als mittelbare Besitzer angesehenen Personen die Zugriffsmöglichkeit auf das Bauwerk haben, erübrigt. Nimmt man aber mit der h. L. ein Besitzmittlungsverhältnis an, so besteht ein Zutrittsrecht zu dem Gebäude und somit ein Zugriffsrecht für den Geschäftsherrn im Falle der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff.) sowie für Kinder, Mündel, Pflegebefohlene und den Erben, 97
Im Falle der Zwangsverwaltung eines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Grundstücks ist der Schuldner selbst als Verwalter zu bestellen (§§ 150 b ff. ZVG); er bleibt also unmittelbarer Besitzer.
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ferner für den Schuldner bei Vergleich und Zwangsverwaltung, nicht aber bei Konkurs. δ) Ergebnis für die Zugriffsmöglichkeit (oben a-y). Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß dem mittelbaren Besitzer nach § 868 BGB ein Anspruch auf Zugang zur Sache zusteht. Einmal ergibt sich dieser schon aus der ihm auf Grund des jeweiligen Rechtsverhältnisses obliegenden Unterhaltungspflicht. Diese Pflicht kann nur dann erfüllt werden, wenn der mittelbare Besitzer Gelegenheit hat, festzustellen, ob Unterhaltungsmaßnahmen notwendig sind (oben β 1 - 4, γ 1 - 4). Der nähere Inhalt der Unterhaltungspflicht (gewöhnliche, außerordentliche Maßnahmen) hängen von der Art des Rechtsverhältnisses ab (Miete, Pacht etc.). Nach diesem Inhalt wiederum richtet sich der Inhalt des Anspruchs auf Zugang zum Gebäude hinsichtlich des Anlasses und der Häufigkeit. Der mittelbare Besitzer kann den Zutritt so oft verlangen, wie es notwendig ist, sich ein Bild vom Gebäudezustand zu machen, um über die Notwendigkeit von Unterhaltungsmaßnahmen entscheiden zu können. Ist der mittelbare Besitzer verpflichtet, für die gewöhnliche Unterhaltung zu sorgen, so steht ihm ein Recht auf regelmäßigen Zugang zu (Miete, Pacht; oben β 1, 2). Über die Häufigkeit des Zutrittsrechtes läßt sich eine allgemeine Aussage nicht machen. Sie hängt vom jeweiligen Gebäude, seiner Bauart und seinem Alter ab. Ist der mittelbare Besitzer nur zur außergewöhnlichen Unterhaltung verpflichtet (Miete, teilweise Pacht, Nießbrauch, Leihe, Dienstbarkeit; oben β 1,2,3; γ 1,2), so hat er das Zugangsrecht weniger oft als bei der Pflicht zur gewöhnlichen Unterhaltung. Da derartige Maßnahmen nur bei besonderen Ereignissen nötig sind (ζ. B. Brand, Sturm), kann er sich nur hin und wieder davon überzeugen, ob diese eingetreten sind; berechtigt zum Zutritt ist er hier ferner dann, wenn Anlaß besteht anzunehmen, daß ungewöhnliche Maßnahmen nötig sind, beispielsweise bei besonderen Witterungsverhältnissen (etwa Hagelschlag). Auch in diesen Fällen lassen sich generelle Regeln nicht aufstellen. Unabhängig von diesem Entstehungsgrund des Zutrittsrechtes ist dem mittelbaren Besitzer aber generell das Recht gegeben, sich in angemessenen Zeitabständen vom ordnungsgemäßen Zustand seiner Sache zu überzeugen (oben β 2). Dieses Recht folgt aus dem Dauercharakter der Rechtsverhältnisse, auf denen der mittelbare Besitz basiert (§ 242 BGB). Da der mittelbare Besitzer seine Sache auf längere Zeit einem anderen überläßt, muß ihm das Recht zukommen, sich einen Eindruck vom Zustand der Sache zu verschaffen. Hinsichtlich von Gebäuden und Anlagen, die bewohnt oder sonst benutzt werden, gilt dies in besonderem Maße. Nicht nur geht es darum, daß der mittelbare Besitzer sich über die Behandlung der Sache durch den Rechtsinhaber (Mieter, Nießbraucher) unterrichten können muß, sondern auch darum, daß Bauwerke einem natürlichen Verfall unterliegen; von diesen durch den Verfall bedingten baulichen Änderungen muß der mittelbare Besitzer sich Kenntnis verschaffen können.
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Im Falle der „ähnlichen" Rechtsverhältnisse nach § 868 gilt folgendes: Auf Grund Auftrags, Geschäftsbesorgungs- und Dienstvertrages besteht ein Zugriffsrecht infolge des Herausgabeanspruches jederzeit (§§ 667,675 BGB; oben γ 3). — Der Sicherungsnehmer im Falle des zur Sicherheit übereigneten Bauwerks hat ein Zugriffsrecht auf Grund des ihm einzuräumenden Rechts, sich einen Eindruck von seinem Sicherungsgut zu verschaffen (oben γ 4). — Rechtsverhältnisse, die kraft Gesetzes, kraft Amtes oder kraft Anordnung des Testators entstehen, fallen nach h. L. unter § 868 BGB, nach hier vertretener Ansicht dagegen nicht (oben γ 6), weil es an einer Übereinkunft über ein abgestuftes Herrschaftsverhältnis an der Sache fehlt und ferner teilweise an dem nach § 868 erforderlichen Herausgabeanspruch; insbesondere dem Schuldner in den Fällen des Konkurses, der Zwangsverwaltung und des Vergleichs steht ein solcher Anspruch nicht zu. Folgt man aber der h.L., so ist das im vorliegenden Zusammenhang fragliche Zugriffsrecht in diesen Fällen teilweise gegeben, nämlich für den Geschäftsführer im Falle der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB), weiter für Kinder, Mündel, Pflegebefohlene und den Erben, nicht jedoch für den Schuldner im Falle des Konkurses (oben γ 6a, b). (33) Unwirksames Rechtsverhältnis
iSd § 868 BGB
( I I I ) Vorliegen eines Besitzmittlungsverhältnisses. Ist das Rechtsverhältnis im Sinne des § 868 unwirksam, etwa auf Grund fehlender oder beschränkter Geschäftsfähigkeit eines Vertragspartners (§§ 104 ff. BGB), wegen eines Willensmangels (§§ 116 ff. BGB) oder auf Grund Gesetzesverstoßes (§ 134 BGB), so stellt sich die Frage, ob in diesem Fall ein Besitzmittlungsverhältnis gegeben ist. Während ältere Ansichten das Vorliegen eines Besitzmittlungsverhältnisses verneinten 98 oder nach dem Unwirksamkeitsgrund differenzierten 99, wird heute angenommen, daß ein vermeintliches Rechtsverhältnis ausreiche 100 . Entscheidend ist danach, daß die Beteiligten das Besitzmittlungsverhältnis ernstlich wollen und daß ein Herausgabeanspruch irgendeiner Art bestehe. Bei Ungültigkeit des Rechtsverhältnisses kann sich der Anspruch aus dem Rechtsverhältnis nicht ergeben, dies ist aber nach heute h.M. auch nicht notwendig. Die in solchen Fällen in Betracht kommenden Ansprüche aus §§ 81211 oder 985 BGB sind danach ausreichend. 98
Vgl. die Nachw. bei Westermann § 17, 5 a, b. Eichler, Institutionen I I 1, S. 18 (kein Besitzmittlungsverhältnis bei Geschäftsunfähigkeit oder im Falle des § 134, wohl aber bei Simulation, Formmangel); weitere Nachw. bei Westermann § 17, 5 b. 100 Windscheid-Kipp I §§ 148-155, S. 797 1. Absatz; Schönfeld JZ 1959, 301, 302, 303 (unter I I 2); Wolff-Raiser § 812; Baur § 7 Β I I I 1 b dd; Westermann § 17, 5 c; Lent-Schwab § 7 I I 2; Wolf § 2 Β I I b 3; Staudinger-Seufert 11 § 868 Rdnr. 11; Erman-Werner § 868 Rdnr. 10. Der häufige Hinweis auf Mot. I I I S. 99 = Mot. Mugdan I I I S. 54 2. Absatz aE, der diese Ansicht stützen soll, betrifft den Besitzerwerb durch constitutum possessorium. Der Besitz folgte im 1. Entwurf noch dem gemeinrechtlichen Besitzverständnis, der eben nicht wie § 868 ein Rechtsverhältnis voraussetzte (oben f)· 99
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Es hat Versuche gegeben, diese zuletzt genannte Ansicht mit dem Wortlaut des § 868 zu begründen 101 . Die Vorschrift spricht nicht davon, daß der Mittler Besitzer „ist", sondern daß er die Sache „als" Nießbraucher, Pfandgläubiger etc. besitzt. Es kann indessen kein Zweifel bestehen, daß das Gesetz von dem normalen Fall ausging, in dem das zugrunde liegende Rechtsverhältnis intakt ist. U m dies zu belegen, bedarf es auch nicht der Heranziehung des weiteren Wortlauts 1 0 2 , wonach erforderlich ist, daß der Besitzmittler vermöge des Rechtsverhältnisses einem anderen gegenüber zum Besitze berechtigt oder verpflichtet „ist", wonach § 868 also von einem wirksamen Rechtsverhältnis ausgeht. Die betreffende Wendung „als" Nießbraucher etc. bezeichnet nur den Grund der Besitzerlangung. Die Richtigkeit der heute h. M . ergibt sich aus anderen Überlegungen. Bei der obigen Analyse hatte sich gezeigt 103 , daß das Besitzkonstitut nicht gleichzusetzen ist mit dem von § 868 geforderten Rechtsverhältnis, sondern daß sich aus diesem Rechtsverhältnis zusammen mit dessen zeitlicher Beschränkung und der Qualifizierung des Überlassenden als Besitzer Elemente deduzieren lassen, die den Tatbestand eines Subordinationsverhältnisses ergeben. Dieser Tatbestand setzt sich aus faktischen und rechtlichen Kriterien zusammen: Die faktischen Momente liegen in der willentlichen Überlassung des mittelbaren Besitzes mit dem Ziel, die Sache einmal zurückzuerhalten, sowie in der Anerkennung der umfassenderen Stellung des Oberbesitzers durch den Besitzmittler. Das rechtliche Moment verhilft diesem im Subjektiven liegenden Herrschaftsverhältnis zur Verwirklichung; es liegt im Herausgabeanspruch. Dieser Tatbestand ist an ein wirksames Rechtsverhältnis nicht gebunden, er kann vielmehr auch dann gegeben sein, wenn beispielsweise der Nießbrauch auf Grund der Geschäftsunfähigkeit des Bestellers (§ 105 I BGB) nichtig ist. Daß der Rückgabeanspruch sich gerade aus dem Rechtsverhältnis ergibt, beispielsweise aus einem gültigen Mietvertrag (§ 556 I BGB), ist deshalb nicht notwendig, weil der Sinn des Rückgabeanspruches nur darin liegt, dem Oberbesitzer seine ursprüngliche Stellung zurückzuverschaffen. — Die weitere Rechtfertigung der Anerkennung mittelbaren Besitzes auch bei Ungültigkeit des Besitzkonstituts ergibt sich aus den mit dem mittelbaren Besitz verbundenen Rechtsfolgen. Der mittelbare Besitzer genießt den Besitzschutz der §§ 861, 862 (§ 869) 104 . Dieser kann ihm nicht deshalb genommen werden, weil das Rechtsverhältnis zum unmittelbaren Besitzer unwirksam ist 1 0 5 . (222) Die Zugriffsmöglichkeit auf die Sache. Das Zugriffsrecht des mittelbaren Besitzers nun, um das es hier geht, gestaltet sich im Falle eines 101 102 103 10φ 105
Vgl. Wolff-Raiser § 8 I I 2. Vgl. Westermann § 17, 5d. Oben (22) (111). Vgl. dazu die ausführlichen Beratungen Prot. Mugdan I I I S. 512ff., 514-517 oben. Ebenso Baur § 7 Β I I I 1 b dd.
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ungültigen Rechtsverhältnisses einfacher und direkter als bei einem gültigen Rechtsverhältnis. Hier ist sein Anspruch auf Zugang zur Sache nicht mehr inhaltlich begrenzt durch das jeweilige vertragliche oder — bei dinglichen Rechten — gesetzliche Schuldverhältnis [oben (22) (222) β, γ 1 - 4), sondern er hat ein jederzeitiges Recht auf Herausgabe nach § 812 I 1 und, falls er Eigentümer ist, aus § 985; denkbar ist ferner ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag gem. den §§ 667,681 S. 2, wenn man die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag im Falle eines nichtigen Rechtsverhältnisses für anwendbar hält 1 0 6 . Gegenrechte des unmittelbaren Besitzers wegen eigener Ansprüche, ζ. B. auf Rückzahlung des Miet- und Pachtzinses (§ 812) 107 oder wegen Verwendungen (§§ 994 I, 996) sind zwar grundsätzlich möglich (Saldotheorie 108 , §§ 273, 1000 BGB), doch kann der mittelbare Besitzer die Durchsetzung seiner Herausgabeansprüche durch Erfüllung dieser Gegenrechte erreichen. Damit steht ihm ein jederzeitiges Zugriffsrecht auf die Sache zu. (4) Zusammenfassung zu (l)-(3) und Ergebnis für die Anwendbarkeit des mittelbaren Besitzes auf § 836 BGB
(11) M i t diesem Überblick über einzelne Besitzmittlungsverhältnisse und daraus folgende Ansprüche auf den Kontakt mit der Sache ist die Grundlage für die Entscheidung der Frage erarbeitet, ob derartige Ansprüche der Besitzbeziehung des dem § 836 zugrunde liegenden gemeinrechtlichen Besitzes gleich zu erachten sind. Der Überblick zeigt, wie sich die Zugriffsmöglichkeit des mittelbaren Besitzers im einzelnen gestaltet [oben (3) (22) (222), (33) (222)]. Sie ist möglich in Form von Ansprüchen. (22) Im Falle eines wirksamen Rechtverhältnisses nach § 868 hatte sich gezeigt, daß sich das Recht auf Zutritt zum Gebäude aus der dem mittelbaren Besitzer auf Grund des jeweiligen Rechtsverhältnisses (Miete, Pacht, Nießbrauch etc.) obliegenden Pflicht zur Unterhaltung des Gebäudes sowie aus dem ihm einzuräumenden Recht ergibt, sich in angemessenen Zeitabständen vom Zustand seiner Sache einen Eindruck zu verschaffen (Dauercharakter des Rechtsverhältnisses, § 242 BGB). Der früher schon vorgenommene generelle Vergleich der Positionen des Besitzers gemeinen Rechts und des mittelbaren Besitzers nach BGB [oben (1)] ist hier noch einmal als Ausgangspunkt aufzugreifen und sodann zu präzisieren: Die Sachbeziehungen gleichen sich, insofern es beiden Besitzern am unmittelbaren Sachkontakt fehlt, also eine örtliche Entfernung zum Gebäude gegeben ist; dies gilt auch dann, wenn der Überlassende im eigenen Haus weiterwohnt, denn mit der etwa vermieteten 106
Umstr., dazu MK-Seiler § 677 Rdnr. 37f. Beschränkt durch den Anspruch auf Wertersatz wegen Gebrauchs der Sache in der Vergangenheit gem. § 818 I I BGB; dazu etwa Larenz I I § 70 I; Erman-H. P. Westermann §818 Rdnr. 26. 107
108
Analogie zu § 818 I I I BGB, dazu etwa Larenz I I § 70 III.
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Wohnung steht er nicht in direktem Kontakt. Der Unterschied liegt in der Art der Zugriffsmöglichkeit: Der „juristische" Besitzer alten Besitzverständnisses hat sie in rein tatsächlicher Hinsicht, der mittelbare Besitzer nach § 868 ist insoweit auf das Rechtsverhältnis zu dem Übernehmenden angewiesen, seine Zugriffsmöglichkeit ist in einen Anspruch gekleidet. Dieser ist inhaltlich begrenzt, er kann ihn nur so oft und in der Art geltend machen, wie dies seinen berechtigten Interessen aus dem Rechtsverhältnis—der Miete, des Nießbrauchs — entspricht, also entweder zur Realisierung ihm daraus erwachsender Unterhaltungspflichten oder um sich generell ein Bild vom Zustand seiner Sache zu machen. Dagegen hat der Besitzer alten Rechts auf Grund seines tatsächlichen Verhältnisses zu jeder Zeit und in beliebiger Form Zugang zur Sache. Diese nach BGB rechtlich formalisierte Stellung des mittelbaren Besitzers kann der Position des gemeinrechtlichen Besitzers gleichgestellt werden, und zwar nicht deshalb, weil auch das beliebige Zugriffsrecht des Besitzers gemeinrechtlichen Verständnisses zumindest teilweise theoretisch gewesen sein wird. Auch dieser Besitzer hatte seine Sache regelmäßig auf Grund eines Schuld Vertrages oder eines dinglichen Rechts, auf Grund Vermietung, Verpachtung, Dienstbarkeit oder Nießbrauch, in andere Hände gegeben, und der Vertragspartner wird beliebige Zugriffe auf die von ihm übernommene Sache praktisch nicht widerspruchslos hingenommen haben. Dem Besitzer stand, wenn ζ. B. der Mieter sich gegen Dispositionen des Vermieters auf dem Grundstück zur Wehr setzte, der Interdiktenschutz z u 1 0 9 , während das Verhalten des Besitzers auf obligatorischer oder dinglicher Ebene eine Rechtsverletzung darstellen konnte 1 1 0 . Mögen also Besitz und das mit dem Inhaber bestehende Rechtsverhältnis rechtlich-theoretisch voneinander unabhängig gewesen sein, so waren sie dieses praktisch gesehen nicht. Die faktischen Schwierigkeiten, die sich dem Besitzer bei Realisierung seiner besitzrechtlichen Stellung in den Weg stellen konnten, ändern indessen nichts am juristischen Gehalt des Besitzbegriffes und daran, daß dieser dem § 836 vom Gesetzgeber zugrunde gelegt wurde. Die Gleichstellung der Position des mittelbaren Besitzers mit der des Besitzers gemeinen Rechts ist deshalb gerechtfertigt, weil die Zugriffsmöglichkeit zwar nicht zur beliebigen Disposition des mittelbaren Besitzers steht, sondern inhaltlich begrenzt ist, aber als durchsetzbares Recht ausgestaltet ist. Es handelt sich also um eine juristisch in gesicherte Bahnen gelenkte Ausübung der Sachherrschaft, 109 Vgl. Windscheid-Kipp I § 159, S. 812, 813, 813 Fn. 1: Beispiel, daß der Mieter den Besitzer hindert, auf dem Grundstück zu bauen, das auf dem Grundstück stehende Haus zu reparieren oder über die dort wachsenden Pflanzen zu verfügen. Ferner ders. ebd. § 160, S. 823 mit Fn. 1. Demgegenüber steht dem mittelbaren Besitzer der Besitzschutz nur gegenüber Dritten (s. §§ 869, 861,862 BGB) zu, dagegen nicht gegenüber dem unmittelbaren Besitzer; gegenüber diesem ist er auf das zwischen beiden bestehende Rechtsverhältnis angewiesen, s. Baur § 9 I I I 2; Westermann § 26 I I 1; Erman-Werner § 869 Rdnr. 5; für Besitzschutz des mittelbaren Besitzers bei „Exzeßhandlungen" des unmittelbaren Besitzers gem. § 227 BGB Heck, Sachenrecht, S. 32 (Beispiele), 48 (unter 5). 110
Der Detentor begeht „formales Unrecht", s. Windscheid-Kipp I § 148, 1 a, S. 743.
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um einen tatsächlich umsetzbaren Ausschnitt aus der gesamten Herrschaftsstellung, die sich im übrigen im Subjektiven erschöpft (Subordinationsverhältnis durch den Willen der Beteiligten). (33) Entsprechendes gilt für den Fall des unwirksamen Rechtsverhältnisses nach § 868. Da aber der Zugriff auf die Sache hier auf Grund der Herausgabeansprüche aus §§ 812, 985 jederzeit und inhaltlich unbeschränkt besteht, kommt die Stellung des mittelbaren Besitzers derjenigen des gemeinrechtlichen Besitzers näher. Der Unterschied liegt hier nur noch darin, daß die unbegrenzte Zugriffsmöglichkeit des mittelbaren Besitzers in Ansprüche gekleidet ist. (44) Damit läßt sich insgesamt feststellen, daß der mittelbare Besitzer dem Besitzer im Sinne des § 836 BGB gleichgestellt werden kann. ddd) Besitz nach § 855 BGB (1) Voraussetzungen
Eine andere Form des Besitzes ohne unmittelbare Sachbeziehung liegt im Falle der Besitzdienerschaft 1 nach § 855 BGB vor. Übt jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis aus, vermöge dessen er den sich auf die Sache bezogenen Weisungen des anderen Folge zu leisten hat, so ist nur der andere Besitzer. Anders also als im Fall des § 868 kommt lediglich einem der Beteiligten eine Besitzstellung zu, nämlich dem Weisungsbefugten, und zwar ohne daß er den direkten Kontakt mit der Sache haben muß, während der Weisungsunterworfene, der Inhaber der unmittelbaren Sachbeziehung ist, nicht Besitzer ist. Diese Bewertung beruht auf den Anschauungen des täglichen Lebens2. Daher läßt sich die Besitzdienerschaft am besten durch praktische Beispiele kennzeichnen: Die Stellung eines Besitzers kommt nicht dem Kassierer der Bank hinsichtlich des Geldes zu, ebensowenig dem Arbeiter, der die Maschinen bedient und mit den Gerätschaften hantiert, dem Verkäufer im Laden hinsichtlich der Ware, der Haushilfe, die Möbel und Küchengeräte in ihrer Gewalt hat, dem Beamten hinsichtlich der Büroausstattung oder dem Reisenden, der mit dem Auto des Arbeitgebers Kundenbesuche macht 3 . Nach üblicher Auffassung ist in diesen Fällen der Arbeitgeber der eigentliche Herr der Sache unabhängig von seiner physischen Sachnähe. Diese Betrachtungsweise ist erklärbar aus den mit dem Besitz verknüpften Rechtsfolgen; Besitzschutzansprüche sollen dem die tatsächliche Gewalt Ausübenden gegen den Überlassenden nicht zustehen (§§ 861, 862 BGB) 4 .
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Zu den verschiedenen Bezeichnungen Heck, Sachenrecht, § 7, 1. Vgl. auch Heck, Sachenrecht, § 7, 3; Baur § 7 C I 1. 3 Beispiele aus der Rspr. etwa bei Erman-Werner § 855 Rdnr. 12; MK-Haase § 868 Rdnr. 16. 2
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Entscheidendes Merkmal der Besitzdienerschaft ist also das Abhängigkeitsverhältnis, das das Gesetz durch das Erfordernis der Weisungsgebundenheit zum Ausdruck bringt. Diese Subordination wird gewöhnlich folgendermaßen charakterisiert: als totale Abhängigkeit 5 , als sozialrechtliches Über- und Unterordnungsverhältnis, dessen Anschauungsform Befehl und Gehorsam seien6, als Weisungsunterworfenheit 7 oder als soziales Abhängigkeitsverhältnis 8 . Zwar ist also wie im Falle des mittelbaren Besitzes eine Herrschaftsbeziehung gegeben, diese unterscheidet sich aber wesentlich von derjenigen des Besitzmittlungsverhältnisses. Ihren Inhalt bestimmt § 855 in folgender Weise: Es muß sich um ein Verhältnis handeln, kraft dessen der Besitzdiener den „sich auf die Sache beziehenden" Weisungen Folge zu leisten hat. Während die Herrschaftsstellung des Oberbesitzers im Falle des mittelbaren Besitzes nur den Rahmen für die Stellung des unmittelbaren Besitzers hinsichtlich der Sache bildet, befindet sich der Besitzdiener auch innerhalb des Rechtsverhältnisses wegen der Sache in vollständiger Abhängigkeit 9 . Damit lassen sich die Voraussetzungen der Besitzdienerschaft im einzelnen wie folgt festlegen: Es muß jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache ausüben, und zwar entweder allein oder neben dem Überlassenden 10. Basis dieser Sachherrschaft muß ein Verhältnis sein, kraft dessen Weisungen hinsichtlich der Sache zu befolgen sind. Die Art dieses Verhältnisses ist gleichgültig, es kann auf Vertrag (z.B. Dienst-, Arbeitsvertrag) oder Gesetz (z.B. Soldatengesetz) beruhen 11 . Allgemein wird angenommen, daß es auf die rechtliche Wirksamkeit und die rechtliche Qualität (Gefälligkeit) nicht ankomme, entscheidend sei die tatsächliche Unterordnung 12 . Demnach sollen Angestellte auch bei ungültigen Dienstverträgen Besitzdiener sein. Hier entstehen Probleme, da ungeklärt ist, inwieweit das Über-Unterordnungsverhältnis noch gegeben ist. Der Betreffende ist bei unwirksamem Vertrag zur Weisungsbefolgung nicht verpflichtet. Entscheidend könnte aber, wie im Falle des Besitzmittlungsverhältnisses, die tatsächliche Unterwerfung sein. Doch inwieweit der 4 Vgl. Baur ebd., der den Nicht-Besitz des Besitzdieners von den Ergebnissen her begründet; ferner ders. § 7 C II. Dagegen ist das Selbsthilferecht (§ 859 BGB) Dritten gegenüber gerechtfertigt (§ 860 BGB). 5 Heck, Sachenrecht, § 7, 3. 6 Wolff-Raiser § 6 III. 7
Baur § 7 C I 2. Westermann § 10 I I 1, IV; dieses hält nicht für notwendig Heck, Sachenrecht, § 7, 6. 9 Ähnlich Baur § 7 C I 2; Westermann § 10 I I 1 sieht den Unterschied darin, daß das Lebensverhältnis des mittelbaren Besitzers auf „persönlicher Gleichberechtigung" beruhe, während sich bei § 855 eine „persönliche Unterordnung" des Gewaltsausübenden auf die Sachbeziehung übertrage. 8
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Wolff-Raiser § 6 I I I 1; Westermann § 10 I I vor 1. Wolff-Raiser § 6 III; Baur § 7 C I 3; Lent-Schwab § 6 I 2. 12 Wolff-Raiser § 6 I I I 2 (Gefälligkeit oder Recht); Westermann § 10 I I 3; Lent-Schwab § 6 1 2 („soziale Unterordnung" entscheidend). 11
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Wille des Betreffenden für den Tatbestand der Besitzdienerschaft maßgebend ist, ist nicht geklärt. Einerseits soll es nach heute h.L. auf den Willen, die Sachgewalt für den anderen auszuüben, nicht ankommen 13 . Es wird also angenommen, daß das entsprechende Merkmal des § 855, die Ausübung der tatsächlichen Gewalt „für einen anderen" nur das objektive Verhältnis kennzeichne. Andererseits soll nach teilweise vertretener Ansicht der Besitzdiener zum Besitzer werden und der Geschäftsherr seinen Besitz verlieren, wenn der Besitzdiener fortan die Sachen an sich nimmt und sie für sich oder einen anderen besitzen will 1 4 . Begründen ließe sich die genannte Meinung, wonach es auf die Rechtsqualität (Wirksamkeit) des Subordinationsverhältnisses nicht ankommt, wenigstens im Falle eines Dienst- oder Arbeitsvertrages mit den Grundsätzen, die zum faktischen Arbeitsverhältnis entwickelt wurden und nach denen der Vertrag wegen seiner tatsächlichen Durchführung als jedenfalls partiell gültig behandelt wird. Bei dem vorliegenden Problem zeigen sich die besonderen Schwierigkeiten des Besitzrechtes, die darin liegen, daß der Besitz nicht rein begrifflich bestimmt werden kann, sondern daß er von den erwünschten Rechtsfolgen und den Lebensanschauungen her mitgeprägt ist. So erscheint es im vorliegenden Fall als notwendig, daß der Geschäftsherr trotz der Unwirksamkeit des Rechtsverhältnisses Besitzer bleibt und daß nicht etwa der die tatsächliche Gewalt Ausübende Besitzer ist. Mißt man den vorliegenden Tatbestand strikt an den Voraussetzungen — Weisungsabhängigkeit —, besteht keine Besitzdienerschaft, und soweit der Geschäftsherr keinerlei tatsächliche Gewalt ausübt, ist nicht er, sondern der andere Besitzer. Üben die Sachherrschaft beide nebeneinander aus, besteht Mitbesitz (§ 866 BGB); damit wäre der Geschäftsherr auf Herausgabeansprüche gem. §§ 985, 812 I angewiesen. Wegen dieses nicht billigenswerten Ergebnisses wird trotz Ungültigkeit des Abhängigkeitsverhältnisses Besitzdienerschaft angenommen, also die Weisungsgebundenheit bejaht, obwohl diese gerade zweifelhaft ist. Eine überzeugende Begründung ist daher hier noch nicht gefunden worden. Die beiden in § 855 BGB genannten Beispiele — Haushalt oder Erwerbsgeschäft — setzen voraus, daß der Besitzdiener seine Tätigkeit im Bereiche des Besitzers vornimmt. Doch da entscheidendes Merkmal die Weisungsabhängigkeit ist und diese auch außerhalb des lokalen Bereiches des Besitzers möglich ist, sind die gesetzlichen Beispiele lediglich als typische Fälle eines Abhängigkeitsverhältnisses aufzufassen. Notwendig ist eine derartige Eingliederung in einen örtlich umgrenzten Organisationsbereich jedoch nicht 1 5 .
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Vgl. etwa Westermann § 10 I I 2, IV; Lent-Schwab § 6 I 2. Lent-Schwab § 7 V; nach Baur § 7 C I I 3 ist der Wille nicht maßgebend, sondern die Beendigung der Weisungsunterworfenheit; nach Westermann § 10 I I 2 das Ausscheiden der Sache aus der Organisation. 15 Vgl. auch Heck, Sachenrecht, §7, 6; ferner Westermann §10 I I 1: die soziale Abhängigkeit äußere sich „am sinnfälligsten" bei einer entsprechenden Eingliederung. 14
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(2) Anwendbarkeit auf § 836 BGB
Folge der besitzrechtlichen Bewertung des § 855 ist, daß der Geschäftsherr als der alleinige Besitzer die unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf die Sache hat. Auf Ansprüche, wie der mittelbare Besitzer, ist er nicht angewiesen. Damit kommt seine Stellung der des juristischen Besitzers gemeinen Rechts gleich. Entsprechend ähnelt auch die Position des Besitzdieners der des Detentors. Der Unterschied liegt in den rechtlichen Voraussetzungen, denn für den Besitzer gemeinrechtlicher Anschauung war lediglich der Wille notwendig, die Sache wie ein Eigentümer innezuhaben, sowie die tatsächliche Gewalt, deren Ausübung die Einschaltung eines anderen (Mieter, Pächter) nicht entgegenstand; ein Verhältnis, kraft dessen der Besitzer dem Vermittler Weisungen erteilen konnte, war nicht erforderlich. Dennoch sind die Positionen des Besitzers gemeinen Rechts und des Besitzers im Falle der Besitzdienerschaft miteinander vergleichbar. Daraus folgt, daß der Besitzer des § 855 ohne weiteres dem § 836 unterfällt. eee) Besitz nach § 857 BGB (1) Voraussetzungen
Gem. § 857 BGB geht der Besitz auf den Erben 1 über. Dies bedeutet, daß der Erbe in die Besitzposition einrückt, wie sie beim Erblasser bestand, er wird also unmittelbarer oder mittelbarer, Eigen- oder Fremdbesitzer. Somit wird der Erbe Besitzer unabhängig davon, ob er selbst die Voraussetzungen der jeweiligen Besitzart erfüllt, und unabhängig ferner von seiner Kenntnis des Erbfalls 2 . So wird er unmittelbarer Besitzer selbst dann, wenn er die tatsächliche Gewalt am Nachlaß noch nicht ergriffen hat. Dies gilt auch für den Nacherben (§§ 2100 ff. BGB) 3 und den Ersatzerben (§§ 2096 ff. BGB). Bei Ausschlagung der Erbschaft (§§ 1942 I, 1944ff. BGB), nicht erfolger Annahme wegen Irrtums über den Berufungsgrund (§§ 1948, 1949 BGB), Anfechtung der Annahme (§§ 1954 ff. BGB), des Testaments (§§ 2078 ff. BGB) oder Anfechtung wegen Erbunwürdigkeit (§§2339, 2340ff. BGB) entfällt der Besitz rückwirkend 4 . Besitzer wird ebenfalls mit ex tunc-Wirkung der als Erbe Einrückende. 1
Nicht auf den Scheinerben, s. Wolff-Raiser § 12 I 2, 4, 5. Sinn des § 857 ist es, dem Erben den Besitzschutz zu geben (§§ 861 f., 869 BGB) sowie ihm sein Eigentum zu erhalten (Abhandenkommen gem. § 935 BGB bei Wegnahme von Sachen aus dem Nachlaß durch andere), s. Baur § 8 I 1; Westermann § 15 I 5. 3 Vgl. Wolff-Raiser § 12 I I 1; Baur § 8 I 3; Westermann § 15 II. Die von Baur und Westermann jeweils ebd. angenommene Analogie ist m.E. nicht notwendig, da der Nacherbe echter Erbe ist. Eine andere Frage ist, wann der Besitz auf den Nacherben übergeht. Dies ist mit Eintritt des Erbfalls gem. § 2106 BGB anzunehmen, nicht schon mit Anfall der Vorerbschaft, so aber Westermann ebd. u. a. für den Fall, daß der Vorerbe den Besitz noch nicht ergriffen hat. 2
4 A u f Grund Ausschlagung gem. § 1953 I, Nicht-Annahme wegen Irrtums über den Berufungsgrund gem. § 19491 BGB, Anfechtung der Annahme gem. §§ 1957,19531 BGB,
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Ergreift der Erbe den Besitz am Nachlaß, wird er auf Grund der Erlangung der tatsächlichen Gewalt unmittelbarer Besitzer unabhängig vom Erbrecht 5 . Auch der Fortbestand seines Besitzes richtet sich nach allgemeinen Regeln. So bleibt er Besitzer auch dann, wenn er die Erbschaft etwa ausschlägt und auf Grund des § 857 BGB der Nächstberufene Besitzer wird 6 . (2) Anwendbarkeit auf § 836 BGB
(11) Im folgenden ist die Frage zu untersuchen, ob der Erbbesitzer des § 857 nach § 836 verantwortlich ist. Es geht dabei um eine eigene Verantwortlichkeit des Erben nach § 836, nicht um eine auf den Erben übergegangene Verpflichtung des Erblassers (Erblasserschuld, § 1967 BGB). Diese Unterscheidung ist deutlich in dem Fall, daß bereits vor dem Erbfall ein Schaden entstanden war. Hier geht die gem. § 836 I entstehende Verpflichtung auf den Erben über. Fragen der Besitzstellung des Erben erübrigen sich. Dagegen kann die Haftung des Erben ihren Grund nicht darin haben, daß die mit dem Besitz des Erblassers verbundene Unterhaltungspflicht des Erblassers auf den Erben übergeht, so daß bei Eintritt eines Schadens nach dem Erbfall die Schadensersatzpflicht gem. § 836 als Erblasserschuld, also nicht eigene Schuld des Erben entsteht. Die Unterhaltungspflicht ist an den Besitz gebunden, weil sie die faktische Möglichkeit zur Wahrnehmung der Pflicht voraussetzt. Die Unterhaltungspflicht des Erblassers kann daher auf den Erben nicht übergehen, sie entsteht vielmehr mit dem Erbfall als eigene Unterhaltungspflicht des Erben unter der Voraussetzung, daß er selbst Besitzer wird, und zwar Besitzer gerade im Sinne der Vorstellungen der Gesetzesverfasser des § 836. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, worauf die Besitzerlangung beruht, auf einer Ergreifung der tatsächlichen Gewalt an den zum Nachlaß gehörenden Gegenständen oder auf der gesetzlichen Anordnung des § 857. Allerdings wird in der erbrechtlichen Literatur angenommen, daß bei unerlaubten Handlungen (§§ 823 ff. BGB) durch Unterlassen für die Frage, ob es sich um eine Erblasserschuld oder eine eigene Schuld des Erben handelt, danach zu unterscheiden sei, ob das Verhalten vorwiegend dem Erblasser oder dem Erben zuzurechnen sei. Dabei soll es auf den Grad der Vollendung der unerlaubten Handlung vor dem Erbfall ankommen und dementsprechend auf den Beitrag durch das eigene Handeln des Erben. Daß hier Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen, wird im Schrifttum eingeräumt 7. IndesAnfechtung des Testaments gem. § 142 I BGB (s. Brox, Erbrecht, Rdnr. 238), bei Erbunwürdigkeit gem. § 2344 I BGB. 5
Vgl. Westermann § 15 I 7. § 857 wird analog auch auf andere Fälle der Gesamtrechtsnachfolge angewendet, so bei Anfall des Vereinsvermögens an den Fiskus (§ 46 BGB) oder bei Verschmelzung von Aktiengesellschaften (§§ 339 ff. AktG), s. etwa Wolff-Raiser §12 II; Baur § 8 1 3 ; Westermann § 15 II. Zu den besonderen, im Falle der Vereinbarung der ehelichen Gütergemeinschaft (§ 1416 I I BGB) wegen des u. U. schon vorhandenen Besitzes (§§ 8541, 868 BGB) entstehenden Fragen Westermann ebd. 6
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sen ist auf diese erbrechtlichen, wohl weitgehend noch ungeklärten Fragen nicht einzugehen. Für den vorliegenden Themenbereich interessiert nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Erbe in die Stellung des Erblassers einrückt, sondern nur die Frage, inwieweit er selbst und originär nach § 836 auf Grund der ihm zufallenden Besitzpositionen nach § 857 haftet. (22) Für das daher zu klärende Problem, ob der Besitz im Sinne des § 857 nach § 836 verpflichtend wirkt, ist zunächst festzustellen, daß es auf die gem. § 857 eintretende Besitzwirkung nicht ankommt, wenn der Erbe die tatsächliche Gewalt am Nachlaß ergreift. Er wird dann unmittelbarer Besitzer unabhängig von der Anordnung des § 857 und haftet insoweit gem. § 836 (oben bbb). Bedeutung erlangt § 857 für § 836 nur dann, wenn der Erbe die tatsächliche Gewalt nicht übernimmt. U m die Frage, ob der Besitzer des § 857 nach § 836 verantwortlich ist, beurteilen zu können, ist die bei Erbfall bestehende und auf den Erben übergehende Besitzlage zu analysieren, und zwar für den Fall, daß der Erblasser unmittelbarer Besitzer war, mittelbarer Besitzer (§ 868) oder Besitzer infolge Besitzdienerschaft (§ 855). War der Erblasser unmittelbarer Besitzer, so wird es nach der gesetzlichen Anordnung des § 857 auch der Erbe. Er hat aber die tatsächliche Gewalt nicht inne, so daß ihm die unmittelbare Sachbeziehung fehlt. Nimmt er jedoch Kenntnis von seinem Erbe und dem dazugehörigen Besitz, besteht die jederzeitige Möglichkeit, die tatsächliche Gewalt daran zu ergreifen. Damit hat der Erbe auch die uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit. Die Frage, ob hierfür nur die Kenntnis von der Erbschaft reicht, ohne daß der Erbe auch um den Nachlaß im einzelnen und damit um den Besitz an Gebäuden weiß, ist gesondert zu untersuchen (sogleich). Ferner rückt der Erbe in die ehemalige Position des Erblassers als mittelbarer Besitzer ein (§ 868). Damit stehen ihm Ansprüche auf den Zugang zu dem zum Nachlaß gehörenden Gebäude zu, entweder unmittelbar aus dem bestehenden Rechtsverhältnis [s. oben ccc (3) (22) (222)] oder, wenn dieses unwirksam ist, aus den §§ 985 und 812 [s. oben ccc (3) (33) (222)] 8 . Zur Geltendmachung dieser Ansprüche ist er in der Lage, wenn er von Erbschaft und Besitz weiß. In Form dieser Ansprüche hat er dann die praktische Zugriffsmöglichkeit. 7 Vgl. zu diesem Fragenkreis etwa Erman-Schlüter § 1967 Rdnr. 3 (auch zu § 836); ferner die nicht ohne weiteres verständlichen Differenzierungen bei Brox, Erbrecht, Rdnr. 625 gerade für den Fall der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht. 8 Wegen der Bestimmung des § 857 gehen das Rechtsverhältnis (ζ. B. Miete) und die daraus folgenden Herausgabeansprüche sowie die Herausgabeansprüche bei unwirksamem Rechtsverhältnis (§§ 985, 812) offenbar ohne weiteres auf den Erben über, ohne daß es deswegen noch des § 1922 bedürfte. A u f die Frage, ob die Voraussetzungen eines Besitzmittlungsverhältnisses im übrigen vorliegen, kommt es nicht an, da § 857 dem Erben die Stellung des mittelbaren Besitzers zuschreibt. Bei fehlender Kenntnis von Erbe und Besitz hat der Erbe den Sachherrschaftswillen nicht [oben ccc (3) (22) (111)]. Dagegen muß der Unterbesitzer den Besitz nicht gerade für den Erben mittein wollen, von dem er vielleicht nichts weiß; es reicht genereller Fremdbesitzwille.
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War der Erblasser Besitzer auf Grund Besitzdienerschaft (§ 855), übernimmt der Erbe diese Position, kann aber wiederum nur bei Kenntnis von Erbschaft und Besitz die ihm offenstehende Zugriffsmöglichkeit ohne weiteres realisieren. Damit ist festzustellen, daß der Erbe die Möglichkeit hat, Kontakt mit der Sache aufzunehmen, wenn er vom Erbfall und dem zur Erbmasse gehörigen Besitz erfährt. Somit kann der Besitz nach § 857 unter der zusätzlichen Voraussetzung der Kenntnis vom Erbfall dem gemeinrechtlichen Besitzbegriff (oben a, b-g) gleicherachtet werden. Der Grundgedanke, der zur Verantwortlichkeit des Besitzers geführt hat (oben h bb), ist gewahrt.Damit haftet der Erbbesitzer gem. § 836 BGB. Fraglich aber ist, ob er auch dann haftet, wenn er zwar weiß, daß er Erbe geworden ist, er sich aber über den Gegenstand der Erbschaft nicht informiert. Der Fall, daß ein Erbe sich vom Nachlaß im einzelnen keine Kenntnis verschafft oder aber über lange Zeit hinweg nicht, mag selten vorkommen. Häufig informieren sich Erben alsbald auch deshalb über den Nachlaß, um darüber entscheiden zu können, ob sie das Erbe annehmen; bei Überschreitung der Frist besteht das Ausschlagungsrecht nicht mehr, die Erbschaft gilt als angenommen (§§ 1943,1944 BGB). Jedenfalls aber ist denkbar, daß der Erbe über einige Zeit keine Kenntnis von den einzelnen Nachlaßgegenständen hat. Zum Teil wird lediglich Kenntnis des Erbfalls vorausgesetzt und die Auffassung vertreten, daß der Erbe sich über die Erbmasse unterrichten müsse, um seinen Pflichten aus § 836 nachkommen zu können. Zum Teil auch wird die Haftung für den Fall bejaht, daß der Erbe die Nichtkenntnis vom Besitz des Erblassers „zu vertreten" habe 9 . — Diese Ansicht geht davon aus, daß die Verpflichtung zur Gebäudeunterhaltung gem. § 836 für den Erben besteht. Dies ist aber gerade die Frage, eben weil die Verpflichtung an den Besitz gebunden ist, der Erbenbesitz aber als solcher nicht unter § 836 fällt. Die Pflicht zur Information über den Nachlaß im einzelnen kann daher mit einer Unterhaltungspflicht des Erben nach § 836 nicht begründet werden. Insoweit kann auch kein Verschulden wegen Nichtkenntnis des Erbenbesitzes bestehen, denn ein Verschulden setzt eine Verpflichtung voraus. Allenfalls kann eine Pflicht des Erben zur Information über den Nachlaß deshalb angenommen werden, weil er für (wirklich bestehende) Verpflichtungen des Erblassers aufzukommen hat (§ 1967 BGB) und sie nur erfüllen kann, wenn er sie kennt. Denkbar wäre eine solche Informationspflicht als eine gesetzliche, aus § 1967 BGB abzuleitende Pflicht gegenüber den Nachlaßgläubigern. Da der Erbe sich bei dieser Betrachtungsweise Kenntnis über die Nachlaßgegenstände verschaffen müßte, würde er auch vom Besitz des Erblassers und damit von seinem eigenen Besitz (§ 857) erfahren. Die Zugriffsmöglichkeit auf die Sache besteht hier nach den soeben 9 Im ersteren Sinne MK-Mertens § 836 Rdnr. 31; Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 59, auch 60; nicht deutlich Soergel-Zeuner § 836 Rdnr. 18; im zweiten Sinne RGRK-Kreft § 836 Rdnr. 32 aE; a. A. Baur, s. folgende Fn.
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dargelegten Grundsätzen. Verschafft er sich keine Kenntnis vom Nachlaß, käme es nach dieser Konstruktion auf ein Verschulden an. Bei Verschulden müßte eine Haftung gem. § 836 bejaht werden, bei Nicht-Verschulden fehlte es an der erforderlichen tatsächlichen Möglichkeit, die für § 836 erforderliche Sachbeziehung herzustellen. Die Frage, ob eine derartige generelle Pflicht des Erben, sich einen Überblick über den Nachlaß zu verschaffen, besteht, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn erlangt der Erbe Kenntnis von seinem Erbe, muß er damit rechnen, daß er auch Besitzer wird, unter Umständen von Gebäuden und anderen Bauwerken. Da er sich hierüber Gewißheit verschaffen kann, hat er auch die potentielle Möglichkeit, auf die Sache Zugriff zu nehmen. Voraussetzung ist allerdings, daß der Erbe die zum Nachlaß gehörigen Gegenstände ermitteln kann. Ist der Nachlaß unübersichtlich oder bleiben aus anderen Gründen einzelne Gegenstände verborgen, so fehlt es ihm auch an der Zugriffsmöglichkeit. Im Ergebnis ist daher die Ansicht zutreffend, die für eine Haftung nach § 836 neben dem Erbenbesitz gem. § 857 nur Kenntnis vom Erbe verlangt, dagegen keine Kenntnis vom Besitz. Demgegenüber erweist sich die Meinung, die die Haftung an den bloßen Besitz im Sinne des § 857 knüpft 1 0 , als unrichtig. Dieser Besitz ist mit dem dem § 836 zugrunde liegenden gemeinrechtlichen Besitzbegriff (oben a, b-g) nicht vergleichbar, da bei fehlender Kenntnis von der Erbschaft jede Zugriffsmöglichkeit fehlt. Entfällt der Besitz des § 857 rückwirkend aus den oben dargelegten Gründen (1), beispielsweise weil der Erbe die Erbschaft ausschlägt (s. § 1953 I BGB), entfallt von da an auch die Haftung. Die Frage, ob der Erbe für Schäden aufzukommen hat, die ihre Ursache in einer mangelhaften Unterhaltung während seiner Besitzzeit hat, richtet sich nach § 836 I I BGB. Diese Vorschrift ist an späterer Stelle zu behandeln (unten 6). (33) Somit läßt sich folgendermaßen resümieren: Der Besitz gem. §857 führt zur Verantwortung gem. § 836 nur dann, wenn der Erbe von seiner Erbschaft Kenntnis hat. Nicht notwendig ist, daß er auch von dem zum Nachlaß gehörigen Besitz an Gebäuden und Bauwerken weiß. Das Wissen um sein Erbe führt dazu, daß er den Zugriff auf die Sache nehmen kann, und zwar bei Erlangung des unmittelbaren Besitzes und des Besitzes auf Grund Besitzdienerschaft (§ 855) unbeschränkt, d.h. rein tatsächlich und zu jeder Zeit, bei Erlangung des mittelbaren Besitzes infolge der Ansprüche aus dem Besitzmittlungsverhältnis [§ 868; oben ccc (3) (22) (222), (33) (222)]. Diese Möglichkeiten sind mit der Stellung des gemeinrechtlichen Besitzers (oben a, b - g) vergleichbar.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB fff) Mitbesitz nach § 866 BGB
(1) Voraussetzungen
Mitbesitz ist Besitz mehrerer Personen an einer Sache, wobei jedem die Sachherrschaft an der ganzen Sache zukommt. Diese Besitzart unterscheidet sich vom Alleinbesitz also dadurch, daß dort ein Besitzer allein die Sachherrschaft an der Gesamtsache ausübt, vom Teilbesitz (§ 865 BGB; dazu unten ggg) dadurch, daß dieser sich, wie der Begriff sagt, auf einen Teil der Sache bezieht. Zu differenzieren ist zwischen schlichtem und gesamthänderischem oder qualifiziertem Mitbesitz 1 . Schlichter Mitbesitz ist gegeben, wenn jedem der Mitbesitzer die Sachherrschaft zusteht, lediglich beschränkt durch die Sachherrschaft der anderen, so wenn jeder der Grundstücksbesitzer das gesamte Grundstück benutzen kann, ohne daß den jeweiligen Besitzern eine bestimmte Fläche zugewiesen ist. Qualifizierter Mitbesitz dagegen liegt vor, wenn der Besitz nur von allen gemeinschaftlich ausgeübt werden kann, wenn also in dem genannten Beispiel nur alle Besitzer gemeinsam (gleichzeitig) das Grundstück nutzen dürfen 2 . § 866 trifft eine Regelung im Hinblick auf das Verhältnis der Besitzer zueinander. Er bestimmt, daß ein Besitzschutz nicht stattfindet, wenn es sich um die Grenzen des den einzelnen zustehenden Gebrauchs handelt. Daraus ist zu folgern, daß die Mitbesitzer untereinander den Besitzschutz der §§ 861 f., 859 BGB geltend machen können, wenn ein Besitzer den anderen völlig ausschließt. Geht es nur um die Grenzen des Gebrauchs, so ist ein Rückgriff auf das dem Mitbesitz zugrunde liegende Rechtsverhältnis notwendig. (2) Anwendbarkeit auf § 836 BGB
Der Mitbesitz ist eine Besitzart, die für die Anwendbarkeit auf § 836 keine Schwierigkeiten bietet, weil sein Inhalt nicht durch die Sachbeziehung bestimmt wird. Gemeinschaftlicher Besitz mehrerer kann stattfinden in Form des unmittelbaren oder mittelbaren Besitzes (§ 868), auf Grund Besitzdienerschaft (§ 855) und Erbbesitz (§ 857) 3 . Liegt Mitbesitz vor, so ist daher die Frage der ausreichenden Zugriffsmöglichkeit nur auf Grund dieser den Grad der Sachbeziehung bestimmenden Besitzarten möglich. Zwar wird bei Mitbesitz der jeweilige Besitz durch den Besitz der anderen eingeschränkt, beim schlichten Mitbesitz durch die mögliche Sachherrschaftausübung der anderen Mitbesitzer, bei qualifiziertem Mitbesitz durch die Notwendigkeit, den Mitbesitz gleichzeitig mit den übrigen Mitbesitzern auszuüben. Die Sachherrschaft des Mitbesitzes 1
Dazu etwa Baur § 7 D I I 1. Da nur der tatsächliche Tatbestand entscheidet, ist nicht etwa rechtlich ein Gesamthandsverhältnis notwendig (Miteigentum); dazu Baur § 7 D I I l b . 3 Zu den verschiedenen Kombinationen Baur ebd. 2
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spielt sich jedoch in den Formen ab, die das Gesetz für die unterschiedliche Sachbeziehung vorgesehen hat. Beispielsweise besteht im Falle des unmittelbaren Besitzes die tatsächliche Gewalt und die damit verbundene Zugriffsmöglichkeit, im Falle der Besitzdienerschaft das Weisungsrecht und damit eine unmittelbare Dispositionsbefugnis über die Sache. Es gelten daher die zu diesen Besitzarten gemachten Ausführungen (oben bbb-eee). Praktisch wird der Mitbesitz im Falle des Miteigentums an Grundstück und Teilen des Gebäudes von Wohnungseigentümern (s. § 1 II, III, V WEG). Demnach sind die mehreren Wohnungseigentümer als Mitbesitzer gem. § 836 verantwortlich. ggg) Teilbesitz nach § 865 BGB (1) Voraussetzungen
Teilbesitz ist Besitz an den Teilen einer Sache. Gleichgültig ist dabei die rechtliche Einordnung dieses Teils, also die Frage, ob er wesentlicher Bestandteil der Sache ist. Während Rechte an wesentlichen Bestandteilen einer Sache nicht möglich sind (§ 93 BGB), kann Besitz an derartigen Sachbestandteilen ausgeübt werden. Ferner kommt es nicht darauf an, ob der Teil tatsächliche (wirtschaftliche) Selbständigkeit besitzt. Ausreichend ist ein abgrenzbarer, faktisch beherrschbarer Bereich. (2) Anwendbarkeit auf § 836 BGB
Ebensowenig wie der Mitbesitz (oben fff) bestimmt der Teilbesitz also den Grad der Sachbeziehung. Er ist möglich als unmittelbarer oder mittelbarer Besitz, auf Grund Besitzdienerschaft oder als Erbbesitz. Spezifische Probleme der Zugriffsmöglichkeit wirft der Teilbesitz daher nicht auf. Die Frage ist nur, ob Teilbesitz für den in § 836 geregelten Fall überhaupt denkbar ist. Praktisch kommt der Fall des Wohnungseigentums in Betracht. Dort besteht Teilbesitz an der einzelnen Wohnung, da die Wohnung zwar rechtlich selbständig (Sondereigentum, § 1 I WEG, anders §§ 93, 94 BGB), jedoch tatsächlich Teil einer einheitlichen Sache (Gebäude) ist. A n Grundstück sowie Teilen, Anlagen und Einrichtungen des Gebäudes außerhalb der Wohnung besteht Miteigentum (§ 1 II, V WEG). Insoweit muß Mitbesitz angenommen werden (§ 866 BGB, s. oben fff). Damit besteht Besitz an Gebäude und Grundstück, wenn auch unterschiedlicher Art, so daß insoweit § 836 anwendbar ist. Auf weitere Einzelheiten ist nicht einzugehen1, da Thema dieses Abschnitts die nach § 836 mögliche Besitzart ist. Prinzipiell kommt dafür also Teilbesitz in Betracht. 1 § 837 ist nicht gegeben, da der Teilbesitz im Falle des Wohnungseigentums nicht auf fremdem Grundstück ausgeübt wird (§ 1 II, V WEG); es fehlt auch an dem von § 837 vorausgesetzten Besitz am Gesamtgebäude. Man wird § 836 anwenden können. Im Verhältnis zu den übrigen Wohnungseigentümern statuiert § 14 WEG eine spezielle Unterhaltungspflicht.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB hhh) Die Willenskomponente (§ 836 I I I BGB)
Zu klären bleibt, ob für die vorstehend untersuchten und dem Besitz im Sinne des § 836 gleichzustellenden Besitzarten des BGB der von § 836 I I I geforderte Eigenbesitzwille gegeben sein muß oder ob auch Fremdbesitzwille möglich ist. Zwar ist § 836 I I I ein Relikt des gemeinrechtlichen Besitzverständnisses, das der Gesetzgeber dem § 836 zugrunde legte und das er durch Aufnahme des Abs. I I I festschreiben wollte (oben c cc, g). Als eine damit lediglich historisch erklärbare Vorschrift, die heute ihren Sinn wegen des sich vom gemeinrechtlichen Besitzbegriff unterscheidenden Begriffs des BGB verloren hat, könnte man auf § 836 I I I verzichten und auch den Fremdbesitz als mögliche Besitzart nach § 836 behandeln. Dafür spricht auch, daß für die vom Gesetzgeber als maßgebend erachtete Sachbeziehung (oben h bb) der Wille, die Sache als eigene oder fremde innezuhaben, unbeachtlich ist. Dennoch muß an § 836 I I I festgehalten werden. Zum einen deshalb, weil die klar ausgesprochene Absicht des Gesetzgebers grundsätzlich zu respektieren ist. Darüber könnte der Gesetzesanwender sich nur dann hinwegsetzen, wenn zwingende Gründe dieses gebieten würden, so etwa, weil anderenfalls eine Regelungslücke entstände, also der Fremdbesitzer nicht haften würde, ohne daß dieses sachlich gerechtfertigt wäre. Ein solcher Grund liegt aber nicht vor. Fälle des Fremdbesitzes behandelt § 838. Zwar ist dort von Besitz nicht die Rede. Es hatte sich aber gezeigt (oben a, d cc bbb), daß diese Tatsache mit der alten Besitzanschauung erklärbar-ist, wonach Personen, die die tatsächliche Gewalt für andere ausüben, nicht als Besitzer angesehen wurden. Nach heutiger Besitzlehre sind die nach § 838 Haftenden jedoch Besitzer. Der Ort für die Frage der Haftung von Fremdbesitzern, möglicherweise über die eng begrenzten Fälle des § 838 hinaus, ist also diese Bestimmung (unten VI). § 836 I I I muß somit unangetastet bleiben. Dies vermeidet auch eine unnötige Komplizierung der Auslegung des § 836. Die Vorschrift bietet wegen des Besitzbegriffes ohnehin schon Schwierigkeiten. Wenigstens was die Willensrichtung des Besitzers anlangt, kann die Bestimmung wörtlich genommen werden.
i) Zusammenfassung zu a-h und Ergebnis für die Anwendbarkeit der Besitzarten des BGB auf § 836
aa) Da der dem § 836 zugrunde liegende gemeinrechtliche Besitzbegriff (oben a, b-g) keine Geltung mehr hat, kam es darauf an, den mit diesem Besitzbegriff verknüpften Haftungsgrundgedanken zu ermitteln. Die Untersuchung hat ergeben, daß dieser in der Art der Sachbeziehung und der damit verbundenen Zugriffsmöglichkeit auf die Sache liegt (oben h bb). Dieser Gedanke wird in vergleichbarer Weise verkörpert im unmittelbaren Besitz (oben bbb) und im Besitz auf Grund Besitzdienerschaft (§ 855; oben ddd). Ferner ist es
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gerechtfertigt, den mittelbaren Besitz (§ 868 BGB) dem alten Besitzbegriff hinsichtlich der erforderlichen Zugriffsmöglichkeit gleichzuerachten (oben ccc). Der wesentliche Unterschied liegt darin, daß der mittelbare Besitzer anders als der Besitzer gemeinen Rechts seinen Zugriff in Form von Ansprüchen realisieren muß; ein bloß tatsächlicher Zugriff ist ihm verwehrt [oben ccc (3) (22) (222), (33) (222)]. Zwar nimmt er im Rahmen des zwischen ihm und dem Besitzmittler bestehenden Herrschaftsverhältnisses die umfassendere Rechtsposition ein [oben ccc (3) (22) (111)], doch diese existiert lediglich im subjektiven Bereich auf Grund entsprechender Willensrichtung der Beteiligten, eine praktische Handhabe, um den Zugriff auf die Sache zu nehmen, bietet sie nicht [oben ccc (3) (22) (222) α]. Ein Überblick über die ausdrücklich in § 868 angeführten Rechtsverhältnisse und über einige der wichtigsten „ähnlichen" Rechtsverhältnisse im Sinne dieser Vorschrift vermittelt eine Anschauung von den konkreten Möglichkeiten des mittelbaren Besitzers, sich Zugang zu der Sache zu verschaffen [oben ccc (3) (22) (222)]. Des weiteren ist der Erbbesitzer des § 857 nach § 836 verantwortlich (oben eee). Er übernimmt die besitzrechtliche Stellung des Erblassers, so daß insoweit das zu den übrigen möglichen BGB-Besitzarten Dargelegte gilt (oben bbb, ccc, fff, ggg). Die Besonderheit liegt aber darin, daß der Erbbesitzer mit Einrücken in die ererbte Besitzposition nicht automatisch auch tatsächlich die mit diesen Positionen an sich verbundene Stellung einnimmt. Er wird von § 857 lediglich so behandelt, als sei dieses der Fall. Da es nach dem Grundgedanken der Gesetzesverfasser auf die faktische Beziehung zur Sache ankommt, ist daher weiteres Erfordernis, daß der Erbe seine ererbte Besitzposition realisiert. Tut er dies, hat er die Zugriffsmöglichkeiten, die an die verschiedenen Besitzarten geknüpft sind. Dafür ist aber Voraussetzung, daß der Erbe Kenntnis von seinem Erbe hat sowie ferner die Möglichkeit, Kenntnis von seinem Besitzrecht an Gebäuden und anderen Werken zu nehmen. In diesem Fall sind ihm die mit dem Besitz verbundenen Zugriffsmöglichkeiten eröffnet [oben eee (2)]. Mitbesitz und Teilbesitz (§§ 866,865) bestimmen den Grad der Sachbeziehung nicht, sie befassen sich mit dem Besitz mehrerer an einer Sache und dem Gegenstand des Besitzes. Beide Besitzarten sind ohne weiteres Besitzformen im Sinne des § 836 [oben fff (2), ggg (2)]. bb) Während ein Vergleich des gemeinrechtlichen Besitzes mit dem unmittelbaren Besitz und dem Besitz auf Grund Besitzdienerschaft nach BGB wegen der dargelegten Ähnlichkeiten keine Schwierigkeiten bietet und sich für den Vergleich mit dem Erbenbesitz (§ 857) lediglich Besonderheiten deswegen ergeben, weil die ererbte Position nicht der tatsächlichen Position des Erben an der Sache entsprechen muß, bietet der Vergleich des gemeinrechtlichen Besitzes mit dem mittelbaren Besitz (§ 868) größere Probleme (oben ccc). Dies liegt an dem wesentlichen Unterschied beider Besitzarten. Der naheliegende Rückgriff auf die allgemeinen zur Verkehrssicherungspflicht oder Verkehrspflicht ent-
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
wickelten Prinzipien bieten für die Frage der Haftung des mittelbaren Besitzers keine Hilfe [oben ccc (2)]. Diese Prinzipien arbeiten mit dem unsicheren Kriterium der tatsächlichen Sach- und Gefahrbeherrschung, im konkreten Fall, wenn auch im Widerspruch zu den theoretischen Grundsätzen, angelehnt an rechtliche Komponenten. Der in dieser Lehre für maßgebend befundene Aspekt der Sach- und Gefahrbeherrschung ist in § 836 zwar verankert, er ist aber eingebunden in einen Rechtsbegriff. Wenn der Besitz auch ein Gemisch aus rechtlichen und tatsächlichen Elementen darstellt, der geprägt ist durch die Lebensanschauung und der teilweise der begrifflich-scharfen Konturen mangelt, so haben sich doch feste Komponenten herausgebildet. Damit bietet der Besitz als Haftungsvoraussetzung gegenüber den unbestimmten Erfordernissen der Verkehrssicherungspflicht den Vorzug der Rechtsklarheit und -Sicherheit. Hier hat man im Bereiche der Verkehrssicherungspflicht sicher ohne Not einen in § 836 zur Verfügung gestellten Haftungsmaßstab aufgegeben oder gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Für den über § 836 zu untersuchenden § 908 ist daher am Besitz als tragendem Haftungsaspekt festzuhalten. cc) Die verbreitete Auffassung, daß unmittelbarer und mittelbarer Besitz sowie der Besitz im Sinne des § 857 nach § 836 zu behandeln seien (oben a), steht mit dem hier ermittelten Ergebnis zwar in Einklang. Doch muß die Beurteilung der h.L. als nur zufallig richtig bewertet werden, denn sie beruht auf der selbstverständlichen Annahme, daß zur näheren Klärung des Besitzbegriffes des § 836 auf die BGB-Besitzlehre zurückgegriffen werden kann; daß den § 836 ff. der gemeinrechtliche Besitzbegriff zugrunde liegt, ist nicht bekannt. Selbst wenn § 836 aber auf der Besitzlehre des BGB basierte, müßten die einzelnen Besitzarten daraufhin untersucht werden, ob sie dem Haftungsgrundgedanken des § 836 entsprechen. Dieser Grundgedanke, die nahe Sachbeziehung, die den Verantwortlichen in die Lage versetzt, der ihm von § 836 auferlegten Unterhaltungspflicht nachzukommen, wird nicht durch alle Besitzformen ohne weiteres verwirklicht. Die Untersuchung hat gezeigt, daß die verschiedenen Besitzarten des BGB dem Besitzer ganz unterschiedliche Möglichkeiten des Sachkontaktes eröffnen. So kann die Verantwortung des mittelbaren Besitzers und des Erbbesitzers (§ 857) nicht mit Selbstverständlichkeit bejaht werden. Insbesondere war bisher ungeklärt, inwieweit der erforderliche ausreichende Kontakt zum Gebäude (Zugriffsmöglichkeit) im Falle des mittelbaren Besitzes gegeben ist. dd) Hinsichtlich der Willensrichtung der Besitzer des § 836 muß es bei der Anordnung des § 836 I I I bleiben. Die Frage, inwieweit Fremdbesitzer im Sinne der BGB-Lehre haftbar sind, ist im Rahmen des § 838 zu klären (s. oben hhh, ferner unten IV). ee) Die hier vorgenommene Anpassung des § 836 BGB an das geltende Recht wird man methodisch als eine Analogie ansehen müssen, da es darum geht, in § 836 nicht geregelte Besitzarten nach dieser Vorschrift zu behandeln.
§ 6 Untersuchung des § 908 BGB
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3. Unterhaltungspflichtverletzung a) Grundsätzliches Erfordernis der Unterhaltungspflichtverletzung
aa) Der Wortlaut des § 836 I erweckt zunächst den Eindruck, als wenn die Besitzposition als solche das haftungsauslösende Moment ist. Schon bei den Untersuchungen der gesetzgeberischen Gründe für die Haftbarmachung des Besitzers hatte sich jedoch gezeigt, daß § 836 nach der Absicht seiner Verfasser eine Pflicht zur Unterhaltung des Gebäudes für den Besitzer begründen soll und daß ein Schadensersatzanspruch unter der Voraussetzung entsteht, daß eine Verletzung dieser Pflicht vorliegt (oben 2 h bb bbb). § 836 stellt also einen gesetzlich normierten Fall einer Unterlassungshaftung dar. Damit kommt dem Besitz die Bedeutung einer „Garantenstellung" zu; die Rechtspflicht zur Unterhaltung des Gebäudes ist an den Besitz gebunden. bb) Dieser neben der Besitzstellung tragende Haftungsaspekt der Unterhaltungspflicht tritt jedoch in der Fassung des § 836 nicht klar hervor. Denn zwar heißt es, der Besitzer müsse den Schaden ersetzen, „sofern der Einsturz oder die Ablösung die Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung" sei. Doch ergibt sich aus diesem Zusatz nicht zweifelsfrei, daß die mangelhafte Unterhaltung gerade von dem Besitzer stammen muß. Der „Sofern"-Satz sagt dies jedenfalls nicht ausdrücklich, er ist allgemein gehalten und klingt so, als wenn § 836 mit der Voraussetzung der mangelhaften Unterhaltung, ebenso wie mit dem Erfordernis der fehlerhaften Errichtung, einen besonderen Kausalfaktor verlangt. Demnach ist die Vorschrift dahin zu verstehen, daß sie die Haftung auf die beiden Ursachen der fehlerhaften Errichtung und der mangelhaften Unterhaltung begrenzen will, der Besitzer also dann nicht haften soll, wenn Ursache des Schadens andere Ereignisse, z.B. von außen wirkende Eingriffe Dritter, sind. Somit aber brauchen die fehlerhafte Errichtung und — worum es hier geht — die mangelhafte Unterhaltung nicht gerade vom Besitzer herzurühren. Eine Bestätigung dieser Interpretation findet sich darin, daß in der Literatur § 836 zwar zunächst meist allgemein als Fall einer gesetzlich normierten Verkehrssicherungspflicht charakterisiert wird 1 , daß aber der entscheidende Haftungsaspekt der Unterhaltungspflichtverletzung in den Kommentierungen nicht deutlich wird 2 . Auch die beiden Ursachenfaktoren der fehlerhaften Errichtung und der mangelhaften Unterhaltung werden teilweise als haftungseingrenzende Merkmale gewertet, insoweit also nicht notwendig gefordert, daß gerade der Besitzer das Gebäude mangelhaft unterhält. Mit dieser Beurteilung der beiden genannten Voraussetzungen wird sich die Untersuchung noch beschäftigen müssen3. 1 2 3
Oben § 4 Β II. Ebd. und unten 4b. Unten 4.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Die von § 836 angeordnete Unterhaltungspflicht und das Erfordernis der Verletzung dieser Pflicht ergeben sich aber dennoch zweifelsfrei aus der Vorschrift, wenn auch mittelbar auf Grund einer logischen Ableitung: § 8361 1 knüpft an den durch Einsturz oder Ablösung von Teilen hervorgerufenen Schaden eine Ersatzpflicht. Daraus folgt, daß der Besitzer diese schadensstiftenden Ereignisse zu verhindern hat, daß er also — anders gesagt — unterhaltungspflichtig ist. Dasselbe Ergebnis folgt aus dem das Verschulden regelnden § 8361 2 4 : Die Vorschrift besagt, daß die Schadensersatzpflicht nicht besteht, wenn der Besitzer „zum Zwecke der Abwendung der Gefahr" die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. Der Besitzer haftet also nicht, wenn er tätig geworden ist, um den Einsturz des Gebäudes oder die Ablösung von Teilen zu unterbinden („Abwendung der Gefahr"). Daraus folgt, daß er haftet, wenn er derartige Aktivitäten unterläßt. Aus dieser an ein Nichtstun geknüpften Sanktion ist weiter zu folgern, daß der Besitzer gehalten ist, Vorkehrungen zu treffen, um schädigende Ereignisse zu verhindern. cc) Gegenüber dieser Fassung des § 836 1 BGB waren sein Vorläufer, die hier bei früheren Untersuchungen bereits vorgestellt wurden 5 , klarer. Sie brachten das Erfordernis der Unterhaltungspflichtverletzung zwar auf unterschiedliche Weise, aber sachlich übereinstimmend unmittelbar zum Ausdruck. Der auf den Dresdner Entwurf zurückgehende Vorentwurf, der Grundlage, der Beratungen der 1. Kommission war 6 , setzte seinem Wortlaut nach voraus, daß den Betreffenden eine Schadensersatzpflicht bei (eigener) mangelhafter Unterhaltung traf. Es heißt dort, daß der Eigentümer den Schaden ersetzen müsse, „wenn der Einsturz die Folge einer von dem Eigenthümer verschuldeten fehlerhaften Errichtung oder einer mangelhaften Unterhaltung des Gebäudes oder Werkes ist". Der Satzteil: „von dem Eigenthümer verschuldeten" bezieht sich an sich unmittelbar auf die fehlerhafte Errichtung, es kann aber kein Zweifel bestehen, daß er sich auch auf die weiter geforderte mangelhafte Unterhaltung bezieht7. Der zu dieser Vorentwurfsvorschrift in die Beratungen der 1. Kommission eingebrachte und später in § 735 I des 1. Entwurfs eingegangene Antrag 4
§ 836 I 2 enthält eine Beweislastumkehr; sie folgt, wie üblich, aus der negativen Fassung. Dazu auch Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse III, S. 990/991 (Vorkommission des Reichsjustizamtes); Prot. Mugdan I I S. 1151 1. Absatz; Denkschrift Mugdan ebd. S. 1269 unten, 1270 oben. 5 Vgl. die Zitate oben 2 h bb bbb: Vorentwurf = Art. 1028 Dresdner Entwurf ebd. nach Fn. 3; Antrag von Kurlbaum in 1. Kommission ebd. vor Fn. 4; § 735 I E I ebd. vor Fn. 9. 6 Oben h bb bbb nach Fn. 3. 7 Sprachlich ist die Vorschrift insofern aber nicht geglückt, als der unbestimmte Artikel („einer") vor der Nennung des Merkmals „mangelhafte Unterhaltung" wiederholt wird. Grammatikalisch bezieht sich der Satzteil „von dem Eigenthümer verschuldeten" nur dann auch auf „mangelhafte Unterhaltung", wenn der Artikel wegfallt. Vgl. die Wiedergabe der Vorentwurfsvorschrift oben 2h bb bbb nach Fn. 3.
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(Kurlbaum) 8 regelte in einem ersten Absatz ausdrücklich eine Pflicht zur Unterhaltung, die er auch noch näher mit der unter Umständen entstehenden Pflicht erläuterte, das Gebäude „nötigenfalls" abzuändern oder abzubrechen. In einem zweiten Absatz war die Pflicht zum Schadensersatz für den Fall der Verletzung der Unterhaltungspflicht festgelegt. Der dann beschlossene § 735 I des 1. Entwurfs 9 entspricht diesem Antrag, er nahm zusätzlich jedoch die im Vorentwurf enthaltenen Voraussetzungen der fehlerhaften Errichtung und der mangelhaften Unterhaltung auf 1 0 . Dies zwang zu einer gegenüber dem Antrag geänderten Fassung auch im übrigen. Die beiden Erfordernisse des Antrags, die Unterhaltungspflicht und die Verletzung dieser Pflicht, sind aber für § 735 I übernommen worden, wenn sie auch äußerlich teilweise verändert zum Ausdruck gebracht wurden. Es heißt nicht mehr, daß der Besitzer verpflichtet sei, das Gebäude zu unterhalten, sondern daß er verpflichtet sei, dafür zu sorgen, daß ein auf dem Grundstück befindliches Gebäude nicht einstürze. Aus der „Unterhaltspflicht" ist also eine „Sorgepflicht" geworden. Sachlich lag darin keine Änderung. Bei der Voraussetzung der Pflichtverletzung, die den Schadensersatz auslöst, war es in § 735 I entsprechend dem Antrag geblieben. Dieser hinsichtlich der Statuierung einer Unterhaltspflicht des Besitzers und der Voraussetzung dieser Pflicht klare Wortlaut des Vorentwurfs, des dazu vorliegenden Antrags und des 1. Entwurfs ist in der Vorschrift des 2. Entwurfs (§ 759) 11 verloren gegangen. Die Fassung dieser Vorschrift, die Gesetz wurde, geht auf Beschlüsse der Vorkommission des Reichsjustizamtes zurück. Diese Kommission beschäftigte sich mit zwei Fragen: der Beweislastumkehr für das Verschulden, die der 1. Entwurf noch nicht vorsah, und der Weiterhaftung des Besitzers nach Aufgabe des Besitzes12. Beide Fragen hat sie dann durch eine entsprechende Fassung des § 735 des 1. Entwurfs beantwortet 13 . Offenbar ist es auf diese Eingriffe zurückzuführen, daß die Merkmale der Unterhaltungspflicht und der Pflichtverletzung aus der Bestimmung verschwunden sind. Inhaltlich war damit aber keine Änderung beabsichtigt. In den Protokollen findet sich die ausdrückliche Feststellung, daß die Entwurfsvorschrift im übrigen unangetastet bleiben solle 14 . — Die 2. Kommission hat diese von der Vorkommission 8
Oben h bb bbb vor Fn. 4. Ebd. vor Fn. 9. 10 Vgl. die Empfehlung dieser Fassung durch die 1. Kommission bei Jakobs / Schubert ebd. S. 987 3., 4. Absatz, den Wortlaut der beschlossenen Vorschrift in der Redaktionsvorlage ebd. S. 989 (unter II, III) und den Wortlaut des § 735 I E I ebd. S. 989/990. Auch der Antrag 3 (Derscheid) entsprach dem Vorentwurf insoweit, s. ebd. S. 986; dieser Antrag wurde im übrigen aber nicht angenommen, s. ebd. S. 987 2. Absatz, 988 2., 3. Absatz, 989 1. Absatz. 9
11 12 13
Abgedruckt bei Mugdan I I S. CXXX. Vgl. Jakobs/Schubert ebd. S. 990, 991. Vgl. Jakobs/Schubert ebd. S. 991: § 735 I 1.
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. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
beschlossene Vorschrift im wesentlichen für den 2. Entwurf übernommen 15 . Dieser ist als § 836 I BGB endgültig festgeschrieben worden. Damit ist festzustellen, daß die in § 836 I nur indirekt enthaltene Voraussetzung der Verletzung der Unterhaltungspflicht des Besitzers in den dazu vorliegenden Entwürfen ursprünglich enthalten war. Der auf Eingriffen der Vorkommission des Reichsjustizamtes beruhende § 836 I BGB stellt insoweit einen Rückschritt dar. Was nun das ausdrücklich in § 8361 aufgeführte Erfordernis der mangelhaften Unterhaltung anlangt, so ist dieses ein Relikt des 1. Entwurfs (§ 735 I). Dieser hat, wie erwähnt 16 , Vorentwurf ( = Art. 1028 Dresdner Entwurf) und den dazu vorgelegenen Antrag (Kurlbaum) 17 miteinander verbunden. Auf diese Weise sind die im Vorentwurf nebeneinander genannten Voraussetzungen der fehlerhaften Errichtung und der mangelhaften Unterhaltung und die im Antrag aufgeführte Unterhaltungspflicht in den 1. Entwurf gelangt. Vergleicht man beide Gesetzesvorschläge, so zeigt sich die Synthese. Ihr Ergebnis, § 735 I, muß hier zur Verdeutlichung noch einmal 1 8 zitiert werden: Der Besitzer eines Grundstückes ist verpflichtet, unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters dafür zu sorgen (zurückgehend auf den Antrag Kurlbaums), daß ein auf dem Grundstücke befindliches Gebäude oder sonstiges Werk in Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung (zurückgehend auf den Vorentwurf) nicht einstürzt...
Die Verbindung der beiden Gesetzesvorschläge war überflüssig. Um die vom Gesetzgeber beabsichtigte Unterhaltungspflicht für den Besitzer zum Ausdruck zu bringen, hätte der Gesetzgeber dem zum Vorentwurf eingebrachten Antrag Kurlbaums folgen sollen. Dieser enthielt das Erfordernis in aller Klarheit 1 9 . Auch die Fassung des Vorentwurfs hätte der Absicht des Gesetzgebers entsprochen 20 , allerdings hätte man die Voraussetzung der fehlerhaften Errichtung streichen müssen, denn diese war, wie die 1. Kommission selbst erkannte (oben 2 h bb bbb), überflüssig, da im Falle einer fehlerhaften Errichtung bereits
14
Vgl. ebd. S. 990 den ersten Satz der Protokolle. § 759 E II, abgedruckt bei Mugdan I I S. C X X X , C X X X I . Vgl. zu der positiven Abstimmung über diese Fassung Jakobs/Schubert ebd. S. 994 = Prot. Mugdan I I S. 1149 jeweils unter A: Annahme der Anträge 1 und 8; Anträge abgedruckt bei Mugdan ebd. S. 1148,1149; Jakobs/ Schubert ebd. S. 993,994. — § 759 I I E I I enthält gegenüber § 7351 1 in der von der Vorkommission des Reichsjustizamtes beschlossenen Fassung (s. oben Fn. 11) nur sprachliche Änderungen. 15
16
Soeben und oben 2 h bb bbb. Oben Fn. 5. 18 Vgl. schon oben 2 h bb bbb vor Fn. 9; Hervorhebungen und Klammerzusätze im folgenden Zitat von Verf. 19 Ebd. vor Fn. 4. 20 Ebd. nach Fn. 3. 17
§ 6 Untersuchung des § 908 BGB
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eine unerlaubte Handlung durch positives Tun nach den allgemeinen Deliktsvorschriften vorlag. Die Frage, warum die 1. Kommission den entsprechenden Teil der Vorentwurfsbestimmung (fehlerhafte Errichtung und mangelhafte Unterhaltung) in den 1. Entwurf zusätzlich aufnahm, ist wohl folgendermaßen erklärbar: Bei der Untersuchung der Gründe für die Haftbarmachung des Besitzers hatte sich gezeigt, daß die 1. Kommission den Vorentwurf hinsichtlich des Merkmals der fehlerhaften Errichtung behandelte (oben 2 h bb bbb). Sie machte sich Gedanken über die Notwendigkeit dieses Merkmals. Nun war die Kommission zwar zu dem Ergebnis gekommen, daß das Merkmal überflüssig sei, doch „rettete" sie es gewissermaßen mit Hilfe der Überlegung, daß der Fall der fehlerhaften Errichtung einen besonderen Fall der Verletzung der Unterhaltungspflicht darstellt, und zwar wenn der Besitzer das Bauwerk nicht selbst errichtet hat. Auch insoweit, so war die Kommission zu verstehen, greift seine Unterhaltspflicht ein, indem er, wenn der Fehler erkennbar wird, für dessen Beseitigung sorgen muß. So hat die Kommission die Voraussetzung der fehlerhaften Errichtung als einen speziellen, für die Unterhaltspflicht bedeutsamen Fall beibehalten. Da diese Voraussetzung im Vorentwurf aber in einem Zuge mit der Voraussetzung der mangelhaften Unterhaltung genannt wurde, hat sie darüber hinaus auch dieses Erfordernis übernommen. Vermutlich, um eine sprachliche Wiederholung zu vermeiden („Unterhaltung"), hat sie die im Antrag enthaltene Wendung: „ . . . ist verpflichtet, die . . . Gebäude . . . zu unterhalten" geändert in: „ . . . ist verpflichtet, . . . dafür zu sorgen...". — Darlegungen über die von der 1. Kommission vorgenommene Verbindung von Vorentwurf und Antrag finden sich in den Materialien nicht. Kann man auf Grund der äußeren Fassung des 1. Entwurfs, wie bei § 836 I BGB selbst, bereits Zweifel haben, ob die mangelhafte Unterhaltung vom Besitzer stammen muß oder ob es genügt, daß sie von einem Vorgänger herrührt, so ist die Frage jedenfalls ohne praktische Bedeutung. Denn da der Besitzer dafür „zu sorgen" hat, daß das Gebäude nicht einstürzt, obliegt ihm zweifelsfrei eine Unterhaltungspflicht. Abgesehen von der wörtlichen Fassung der Vorentwurfsvorschrift 21 war die mangelhafte Unterhaltung im Vorentwurf auch als vom Schadensersatzpflichtigen herrührend gemeint (soeben), und auch die 1. Kommission wird die mangelhafte Unterhaltung in § 7351 des 1. Entwurfs so verstanden haben. Die im Anschluß an die 1. Kommission tätig werdende Vorkommission des Reichsjustizamtes strich nun Sorgepflicht und Pflichtverletzung aus der Vorschrift 22 und übrig blieben lediglich die beiden Merkmale der fehlerhaften Errichtung und der mangelhaften Unterhaltung. Nunmehr heißt es nur noch, daß der Besitzer zum Schadensersatz verpflichtet sei, sofern Einsturz oder Ablösung von Teilen auf einer fehlerhaften Errichtung oder einer 21 22
Ebd. Soeben bei Fn. 11.
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mangelhaften Unterhaltung beruhen (s. § 759 Ε I I = § 8361 BGB). Selbst wenn also ursprünglich die mangelhafte Unterhaltung als ein Verhalten des Besitzers gedacht war, bringt die Vorschrift dies nicht mehr deutlich zum Ausdruck. Dieser Verlauf der Gesetzesarbeiten ist für die Interpretation der §§ 836 ff. und damit auch für die Deutung des § 908 folgenreich gewesen. Denn von nun an war der eigentlich leitende Haftungsaspekt verdeckt. Die Auswirkungen im einzelnen werden sich noch zeigen 23 . dd) Für den vorliegenden Abschnitt ist festzuhalten, daß § 836 I für den Besitzer eine Pflicht zur Unterhaltung des Gebäudes normiert und daß Haftungsvoraussetzung eine Verletzung dieser Pflicht ist. Dies ergibt sich indirekt aus dem Wortlaut der Vorschrift (oben bb), aber auch aus ihrer Entstehungsgeschichte (oben cc). b) Entstehung der Unterhaltungspflicht
Die Unterhaltungspflicht entsteht grundsätzlich mit der Erlangung des Besitzes. Wie bei jeder Haftung auf Grund Unterlassens greift die Verantwortlichkeit aber nur dann ein, wenn Gelegenheit besteht, das Gebot zu erfüllen. Dies wiederum setzt voraus, daß der Besitzer von der Notwendigkeit seiner Maßnahmen Kenntnis nehmen kann, daß ihm ferner ausreichend Zeit zur Verfügung steht, die Gefahr abzuwehren, und daß auch im übrigen die erforderliche Handlung durchföhrbar ist 2 4 . Hindernisse für die Durchführbarkeit können sich aus praktischen Gründen ergeben, so wenn eine Reparatur technisch unmöglich ist. Damit entfällt die Unterhaltungspflicht aber nicht, sondern sie besteht in der Form, wie sie realisiert werden kann, unter Umständen also nur in Gestalt der Pflicht, etwa Absperrungen vorzunehmen, um vor Gefahren zu schützen. — Ein weiterer Grund für die Nichtrealisierbarkeit der Unterhaltung kann ferner darin liegen, daß zwar theoretisch Maßnahmen möglich sind, diese aber dem Besitzer nicht zugemutet werden können (§ 242 BGB). Ein Beispiel bietet der Fall, daß Witterungsverhältnisse in der Nacht zu Gebäudeschäden führen. Hier kann nicht erwartet werden, daß der Besitzer noch in der Nacht Handwerker kommen läßt. Es gilt jedoch das soeben Ausgeführte: Der Besitzer muß zur rechten Zeit (z.B. am anderen Morgen) wenigstens vorläufige Maßnahmen ergreifen, um Gefahren zu beseitigen. Besteht einmal im Einzelfall eine objektive Unmöglichkeit, Unterhaltungsmaßnahmen durchzuführen, so entfallt die Pflicht aus logischen Gründen (impossibilium est nulla obligatio). Doch wird dieser Fall wenig praktisch sein, da normalerweise die Möglichkeit besteht, wenigstens prophylaktisch tätig zu werden (Warnung, Absperrung; s. aber unten c cc bbb). Im Falle der 23
Unten 4. Die Möglichkeit zur Gefahrenabwehr wird allgemein als Voraussetzung der Haftung aus einer Verkehrssicherungspflicht angesehen, s. etwa Larenz I I § 72 Id, § 71 la; ders. I § 27 IIIc. Unklar ist die dogmatische Einordnung des Erfordernisses. 24
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§ 6 Untersuchung des § 908 BGB
Unzumutbarkeit (§ 242 BGB) wird man nicht so weit gehen dürfen, das Bestehen der Unterhaltungspflicht zu verneinen. Die Nichtwahrnehmung stellt lediglich keine Pflichtverletzung dar, vergleichbar etwa der fehlenden Fälligkeit bei vertraglichen Pflichten. Denkbar ist auch, in den Fällen fehlender Möglichkeit zur Durchführung von Unterhaltungsmaßnahmen die Kausalität (dazu unten 5) zu verneinen. Wenn beispielsweise durch einen Erdrutsch das Haus einstürzt und dadurch Passanten zu Schaden kommen, besteht keine Kausalität zwischen einer Unterhaltungspflichtverletzung einerseits und Einsturz und Schaden andererseits. Die der Kausalität vorrangige Frage ist aber die nach dem Vorliegen des Bestehens und der Verletzung der Unterhaltungspflicht. c) Inhalt der Unterhaltungspflicht aa) Grundsätze
Der Inhalt der Unterhaltungspflicht läßt sich aus der Bedeutung dieser Pflicht ableiten. Er besteht allgemein darin, das Gebäude auf seinen Zustand hin zu beobachten und hervortretende Mängel zu beseitigen 25. Zu dieser Beobachtung gehört außer der visuellen Wahrnehmung unter Umständen ein physisches Zugreifen, etwa um die Festigkeit des Treppengeländers zu prüfen, ferner gehört dazu eine gesteigerte Aufmerksamkeit bei Benutzung des Gebäudes, um die gewöhnliche Belastbarkeit des betreffenden Gebäudeteils feststellen zu können. Allgemeine Regeln lassen sich nicht aufstellen; es kommt auf Art, Alter und Benutzungsweise des Bauwerks an. Ob die Pflicht auch die Verhinderung noch nicht eingetretener, aber zu erwartender Mängel umfaßt, ob der Besitzer also auch vorbeugend tätig werden muß, läßt sich generell nicht sagen. Jedenfalls muß das Ergebnis seiner Beobachtung und seiner Maßnahmen die Beseitigung der Gefahr sein, daß das Gebäude einstürzt oder sich Teile davon lösen. Droht die Gefahr, daß die latenten Mängel sogleich bei ihrer Realisierung zu den betreffenden Ereignissen führen, gehört zur Unterhaltung auch die Verhinderung von Mängeln. Im Einzelfall können bloße Schutzvorkehrungen wie Absperrungen oder warnende Hinweise nötig sein, wenn eine Behebung der Gefahr durch Reparatur, bauliche Veränderungen oder Abbruch nicht sogleich möglich ist 2 6 . bb) Beschränkung des Inhalts der Unterhaltungspflicht
durch § 836 11
§ 836 beschränkt die Unterhaltungspflicht inhaltlich. Da Ursache des Schadens der Einsturz des Gebäudes oder die Ablösung von Teilen des Gebäudes27
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Vgl. auch Larenz I I § 73 I I I (zu §§ 836 ff. BGB). Vgl. auch etwa Larenz I I § 72 I d zur allgemeinen Verkehrssicherungspflicht.
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sein muß, ist der Besitzer auch nur hinsichtlich solcher Mängel zur Unterhaltung verpflichtet, die zu diesen schadenstiftenden Vorgängen führen. Ist beispielsweise ein Loch im Treppenabsatz, so ist der Besitzer nach § 836 zur Ausbesserung der Treppe nicht verpflichtet. cc) Bedeutung der Ursachen der Gebäudemängel aaa) Grundsätze
Die Ursache der Mängel ist grundsätzlich gleichgültig. Sie können auf einem Fehler bei der Errichtung beruhen, auf dem natürlichen, durch den Zeitablauf bedingten Verfall, auf der Benutzung des Gebäudes, auf höherer Gewalt, wie Witterungseinflüssen, oder auf Eingriffen Dritter. Ob sich aus den beiden in § 836 I 1 genannten Ursachenfaktoren der fehlerhaften Errichtung und der mangelhaften Unterhaltung ergibt, daß die Vorschrift den Besitzer von der Verantwortung für die letzteren beiden Ereignisse freistellen will, wie teilweise angenommen wird, ist später zu klären 28 . Hier kommt es zunächst auf die Grundprinzipien an. Aus der aus § 836 I ableitbaren generellen Pflicht, das Gebäude so instand zu halten, daß keine Schäden durch den Einsturz oder die Ablösung von Teilen entstehen, folgt, daß es grundsätzlich nicht darauf ankommt, wie die Mängel entstanden sind. Der Besitzer muß, wenn sie hervortreten, Abhilfe schaffen. bbb) Besondere Fälle
(1) Diese prinzipielle Pflicht zum Eingreifen unabhängig von der Ursache des Baumangels (oben aaa) ist jedoch unter dem Aspekt, daß der Besitzer zur Erfüllung des Handlungsgebotes in der Lage sein muß (oben b), zu präzisieren und zu ergänzen. Bei versteckten Baumängeln, höherer Gewalt und Eingriffen Dritter erlangt das Erfordernis, daß Gelegenheit zur Wahrnehmung der Unterhaltungspflicht gegeben sein muß, Bedeutung. (2) Versteckte Baumängel können vorliegen bei einem Bauwerk, das nicht nach den Regeln der Baukunst errichtet wurde, das z.B. statische Fehler aufweist; sie können ferner auf Eingriffen Dritter beruhen, von denen der Besitzer nichts weiß und die ohne weiteres nicht erkennbar sind. Für die NichtErkennbarkeit, die der Entstehung der Unterhaltungsverpflichtung entgegen27 Die Vorläufer des § 836 I BGB, Art. 1028 Dresdner Entwurf ( = Vorentwurf), der in die 1. Kommission dazu eingebrachte und angenommene Antrag 2 (Kurlbaum) sowie § 735 E I sahen nur eine Haftung für den Einsturz des Gebäudes oder Werkes vor (s. Zitate und Nachw. oben 2 h bb bbb). Die Haftung für die Ablösung von Teilen ist durch die 2. Kommission eingefügt worden, s. § 759 E I I (abgedruckt bei Mugdan I I S. CXXX) und Beratungen Prot. ebd. S. 1149 = Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse III, S. 994 jeweils unter A 2. Absatz. 28 Unten 4.
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steht, kommt es nicht darauf an, daß ein Fachmann (Architekt, Statiker) den Fehler entdecken könnte. Dies wäre eine zu hohe Anforderung an die Pflicht des § 836. Vielmehr ist entscheidend, ob ein mit normalem, durchschnittlichem Verstand begabter Besitzer in der Lage wäre, den Mangel bei einer Inspektion des Gebäudes wahrzunehmen. Ein Fachmann ist dann hinzuzuziehen, wenn Anlaß besteht anzunehmen, daß sich das Gebäude nicht in gefahrlosem Zustand befindet. Von einer Unerkennbarkeit läßt sich nicht sprechen, wenn der Besitzer Zweifel am Gebäudezustand hat, ihre Berechtigung aber letztlich auf Grund mangelnder Fachkenntnisse nicht beurteilen kann. Bei diesen Anforderungen an die Erkennbarkeit kommt es auf die objektiv gegebene Möglichkeit zur Wahrnehmung an. Im Rahmen des Verschuldens ist dagegen zur prüfen, ob es dem Besitzer subjektiv unter Zugrundelegung der verkehrsüblichen Sorgfalt (§ 276 I 2 BGB) möglich war, den Baufehler zu erkennen 29 . (3) Für die Frage, ob der Besitzer für Schäden auf Grund höherer Gewalt und Eingriffen Dritter einzustehen hat, ist entsprechend dem Erfordernis der Gelegenheit zum Tätigwerden (oben b) zu differenzieren. Die den Schaden herbeiführenden Vorgänge des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen können sich in unmittelbarem zeitlichen Anschluß an die von außen wirkenden Kräfte ereignen, ohne daß Gelegenheit besteht, sie zu verhindern. Ober aber sie können erst nach einem gewissen Zeitablauf eintreten, so daß die Möglichkeit gegeben ist, Vorkehrungen gegen die drohenden schadenstiftenden Ereignisse zu schaffen. (11) Im ersten Fall ist eine weitere Unterscheidung vorzunehmen. Handelt es sich um Kräfte, gegen die auch bauliche Vorkehrungen nichts ausrichten können, so haftet der Besitzer nicht. Hierher gehören Schäden durch Naturkatastrophen, also Schäden etwa durch einen Erdrutsch, durch Blitzeinschlag oder ungewöhnliche Wassermassen entlassende Wolkenbrüche. Ferner rechnen dazu durch Menschen veranlaßte, auf das Gebäude von außen einwirkende Handlungen, wie ζ. B. Explosionen oder unmittelbare Eingriffe in den Bau. In diesen Fällen besteht für den Besitzer keinerlei Gelegenheit, die Gefahr abzuwenden, und demgemäß kann er dazu auch nicht verpflichtet sein. Handelt es sich dagegen um Einflüsse, denen ein ordnungsgemäß errichtetes und unterhaltenes Bauwerk standhalten muß, selbst wenn diese Einflüsse heftiger und seltener Art sind, jedoch damit gerechnet werden muß, daß sie gelegentlich auftreten, so hat der Besitzer für die Folgen einzustehen. Zwar besteht zwischen schadenverursachendem Ereignis und Schadenseintritt keine Möglichkeit, die Beschädigung zu verhindern, so etwa wenn der Sturm die nicht 29
Die Literatur beschäftigt sich hauptsächlich mit den subjektiven Sorgfaltsanforderungen (Verschulden), s. etwa MK-Mertens § 836 Rdnr. 19ff.; Soergel-Zeuner §836 Rdnr. 22 ff.; Erman-Drees § 836 Rdnr. 11 jeweils mit Nachw. aus der Rspr. 19 Herrmann
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sachgemäß befestigten Dachziegel löst und jemand dadurch verletzt wird. Vor dem schadenstiftenden Vorgang jedoch hatte der Besitzer Gelegenheit, das Gebäude in gefahrlosem Zustand zu erhalten. Damit oblag ihm die Pflicht, entsprechende Unterhaltungsmaßnahmen vorzunehmen. Das dann eintretende schädigende Ereignis ist nur Folge seines Untätigseins. (22) In dem oben genannten weiteren Fall, in dem durch Witterungseinflüsse oder Handlungen Dritter zunächst nur eine Gefahrensituation entsteht, ohne daß in unmittelbarem zeitlichen Anschluß an diese Vorgänge und Handlungen der Schaden eintritt, besteht die für das Entstehen der Unterhaltungsverpflichtung vorausgesetzte Gelegenheit zum Tätigwerden. Verstreicht also einige Zeit, bevor das Bauwerk infolge eines heftigen Sturmes einstürzt oder bevor sich Gebäudeteile lösen, so haftet der Besitzer, wenn er nach Aufhören des Sturmes zur Instandsetzung des Gebäudes nichts unternimmt. Dieser Fall ist in der Beurteilung der Unterhaltungsverpflichtung mit dem soeben [(11)] erörterten Fall vergleichbar, daß zwar zwischen schadensstiftendem Ereignis und Eintritt des Schadens keine zeitliche Distanz liegt, der Schaden aber möglich war infolge des nicht ordnungsgemäßen Zustandes des Gebäudes. Da der Besitzer generell unterhaltungspflichtig ist, muß er tätig werden, gleichgültig, auf welchen Ursachen die Gefahrensituation beruht. — Hinsichtlich der Frage, von welchem Zeitpunkt an der Besitzer eingreifen muß, wie lange ihm Gelegenheit zum Eingreifen zu geben ist und ob er vorläufige Maßnahmen wahrzunehmen hat, ist auf die Darlegungen zur Entstehung der Unterhaltungspflicht (oben b) und zu deren grundsätzlichem Inhalt (oben c aa) zu verweisen. (33) Die vorstehende Beurteilung der Verantwortlichkeit für Schäden durch höhere Gewalt und durch Dritte weicht von den allgemein vertretenen Ansichten ab. Diesen Ansichten hat sich der folgende Abschnitt zu widmen, der sich mit der Bedeutung der in § 836 I vorausgesetzten fehlerhaften Errichtung und mangelhaften Unterhaltung beschäftigt (s. schon oben aaa; unten 4). d) Rechtsqualität der Unterhaltungspflicht
Die von § 836 I dem Besitzer auferlegte Unterhaltungspflicht ist allgemeiner und nicht einklagbarer Art. Sie gleicht der Rechtsqualität nach den Handlungspflichten im Rahmen des Unterlassens allgemein, etwa nach § 823 I BGB oder im Falle vertraglicher Pflichten, deren Verletzung zu Ansprüchen aus positiver Forderungsverletzung führt. Diese dogmatische Bewertung folgt unmittelbar aus § 836, der erst bei Nichteinhaltung der Pflicht und bei darauf beruhenden Schadensfolgen Sanktionen anordnet.
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4. Bedeutung der Merkmale der „fehlerhaften Errichtung" und „mangelhaften Unterhaltung" (§ 836 I 1 BGB) a) Einleitung Nach den obigen Untersuchungen steht fest, daß haftungsauslösendes Moment eine Unterhaltungspflichtverletzung des Besitzers ist (oben 3 a). Wie es zur Aufnahme der beiden Merkmale der fehlerhaften Errichtung und der mangelhaften Unterhaltung gekommen ist und welche Bedeutung ihnen zukommt, hat sich aus der Entstehungsgeschichte ergeben (oben 3 a cc). Daraus folgt, daß es nicht darauf ankommt, ob man die ausdrücklich in § 836 I 1 geforderte mangelhafte Unterhaltung als Verhalten des Besitzers oder eines anderen (Vorgänger) interpretiert, denn da der Besitzer selbst zur Unterhaltung verpflichtet ist, ist eine von einem anderen stammende mangelhafte Unterhaltung bedeutungslos. Sicher ist ferner, daß die in der Vorschrift aufgeführte fehlerhafte Errichtung als nicht vom Besitzer herrührend gedacht war, sondern daß der Gesetzgeber dieses Merkmal als einen besonderen Fall aufgenommen hat, in dem die Unterhaltungspflicht des Besitzers praktisch wird (oben 3 a cc). — Nach allem brauchte auf die beiden Merkmale nicht mehr eingegangen zu werden. Eine gesonderte Behandlung der beiden fraglichen Merkmale muß dennoch erfolgen, denn das Schrifttum ordnet diese Merkmale anders, als hier geschehen, ein. Zum einen entscheidet es sich nicht klar, ob beide Merkmale vom gegenwärtigen Besitzer erfüllt sein müssen, von dessen Vorgänger oder von beiden (dazu unten b aa). Des weiteren leitet sie aus den Merkmalen eine Begrenzung der Haftung auf „gebäudeimmanente Mängel" ab; der Besitzer soll danach für höhere Gewalt oder Eingriffe Dritter grundsätzlich nicht einzustehen haben (dazu unten b bb). Die zunächst genannte unklare Beurteilung der betreffenden Voraussetzungen führt nicht nur zu Verwirrungen hinsichtlich der Haftungserfordernisse, sondern auch zu falschen Deutungen des § 836 (unten b aa bbb). Daß die den Voraussetzungen zugesprochene Funktion der Haftungseingrenzung nicht zutreffend ist, wird sich im einzelnen zeigen (unten b bb bbb). Diese hier zu besprechende Position des Schrifttums hat zweifellos ihre Ursachen in einer mangelhaften Durchdringung des § 836 I, seiner noch nicht erforschten Geschichte, aber auch darin, daß in den Bearbeitungen der Vorschrift das Erfordernis der Untprhaltspflichtverletzung wenigstens nicht klar ausgesprochen wird 1 .
1 Deutlich aber Larenz I I § 73 III: Die Bedeutung der §§ 836 ff. liege in der Rechtspflicht zur Unterhaltung der Gebäude und Bauwerke.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB b) Beurteilung der beiden Merkmale durch die Wissenschaft und Kritik aa) Beurteilung der Frage, ob der gegenwärtige Besitzer oder dessen Vorgänger die beiden Merkmale zu erfüllen haben
aaa) Das undurchsichtige Bild, das die Literatur hinsichtlich der beiden in § 836 I 1 genannten Schadensursachen der fehlerhaften Errichtung und mangelhaften Unterhaltung bietet, sieht im einzelnen folgendermaßen aus: Wie bereits angedeutet, vermag das Schrifttum sich nicht zu entscheiden, ob die ausdrücklich in § 8361 1 genannte „mangelhafte Unterhaltung" ausschließlich eine durch den gegenwärtigen Besitzer zu erfüllende Voraussetzung ist, ob dieses Merkmal also identisch ist mit der grundsätzlich notwendigen Unterhaltungspflichtverletzung, oder ob die mangelhafte Unterhaltung auch von einem anderen (Vorgänger) stammen kann 2 . Entsprechendes gilt für die Voraussetzung der „fehlerhaften Errichtung": Hinsichtlich dieses Merkmals wird allgemein angenommen, daß die fehlerhafte Errichtung jedenfalls vom Besitzer herrühren könne, daß er also in diesem Falle nach § 8361 hafte 3 . Ungeklärt aber bleibt, ob der Besitzer verantwortlich ist, wenn er das Bauwerk nicht selbst errichtet hat. In den Kommentierungen finden sich — offenbar für das Verschulden — ausführliche Richtlinien für die vom Besitzer zu beobachtende Sorgfalt bei Errichtung und Unterhaltung des Gebäudes4. Insoweit demnach anscheinend vorausgesetzt wird, daß der gegenwärtige Besitzer selbst diese Merkmale verwirklicht haben muß, ergibt sich folgende Lage: Da damit eine mangelhafte Unterhaltung durch den Besitzer gefordert wird, stimmt diese Auffassung mit dem hier vertretenen Standpunkt überein (oben 3 a). Im Falle der „fehlerhaften Errichtung" durch den Besitzer bleibt aber unklar, ob daneben eine Unterhaltungspflichtverletzung gegeben sein muß. — Soweit die mangelhafte Unterhaltung oder fehlerhafte Errichtung als vom Vorgänger herrührend verstanden wird, bleibt offen, ob Haftungsvoraussetzung außerdem ein eigenes Verhalten des Besitzers ist, also eine eigene mangelhafte Unterhaltung. 2 Im ersteren Sinne MK-Mertens §836 Rdnr. 19 ff.; Erman-Drees §836 Rdnr. 6; Palandt-Thomas § 836 Anm. 5; nicht deutlich: Larenz I I § 73 I I I ; Mertens ebd. im übrigen; Erman-Drees § 836 Rdnr. 10; Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 39,44f., 75, 80ff.; RGRKKreft § 836 Rdnr. 22f., 39, 44ff.; Jauernig-Teichmann § 836 Anm. 3, 4a, c. 3 Vgl. MK-Mertens § 836 Rdnr. 15, der annimmt, daß § 836 die Rechtspflicht des Grundstücksbesitzers begründe, dafür Sorge zu tragen, daß ein Gebäude oder Werk so errichtet werde, daß keine Einsturzgefahr bestehe; ders. ebd. Rdnr. 16, wo Verpflichtungen des Besitzers aufgestellt werden für den Fall, daß er das Gebäude oder Werk selbst errichte; ähnlich Erman-Drees § 836 Rdnr. 10; offenbar auch Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 73 (etwaige Errichtung), 75,77 zu Beginn; RGRK-Kreft § 836 Rdnr. 22f., 39,42 2. Absatz (Sorgfalt bei Errichtung); Larenz I I § 73 III; Soergel-Zeuner § 836 Rdnr. 15 (Frage des Verschuldens sei erst für Entlastungsbeweis von Bedeutung), 22 (Sorgfaltsanforderungen). 4 Vgl. MK-Mertens § 836 Rdnr. 16ff.; Erman-Drees § 836 Rdnr. 11; Soergel-Zeuner § 836 Rdnr. 22; Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 77 ff.; RGRK-Kreft § 836 Rdnr. 42 ff.
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Diese Unklarheiten wiederholen sich i m Bereiche der Kausalität. D e n n nunmehr müßte entsprechend der den beiden M e r k m a l e n zugemessenen Bedeutung festgestellt werden, zwischen welchen — objektiv gegebenen u n d i n der Person des gegenwärtigen Besitzers vorliegenden — Faktoren Kausalität notwendig ist. W i r d angenommen, daß die „mangelhafte U n t e r h a l t u n g " v o m Besitzer herrühren muß, braucht lediglich Kausalität festgestellt zu werden zwischen diesem Verhalten, dem Einsturz des Bauwerks oder der A b l ö s u n g v o n Teilen u n d dem Schaden (s. näher unten 5). Soll die „fehlerhafte E r r i c h t u n g " v o m Besitzer stammen, müßte an sich eine doppelte Kausalitätsprüfung stattfinden, da § 836 I zweifellos ein pflichtwidriges Unterlassen der Unterhaltung voraussetzt u n d somit außerdem diese Unterhaltungspflichtverletzung kausal geworden sein m u ß für die schadenstiftenden Vorgänge (Einsturz, Ablösung). Dies bleibt jedoch i m Unklaren. — Werden die beiden M e r k m a l e als nicht notwendig v o m gegenwärtigen Besitzer herrührend aufgefaßt, ist ebenfalls eine zweistufige Kausalitätsprüfung nötig, weil i n der Person des Besitzers eine Unterhaltungspflichtverletzung gegeben sein muß. D a m i t müßten die schädigenden Ereignisse (Einsturz, Ablösung) einmal beruhen auf einer „mangelhaften U n t e r h a l t u n g oder fehlerhaften Errichtung" u n d z u m anderen auf einer Unterhaltungspflichtverletzung gerade des gegenwärtigen Besitzers. Diese Konsequenzen werden aber nicht gezogen 5 . D i e Frage, zwischen welchen Faktoren Kausalität vorliegen muß, läßt sich natürlich nur klären, wenn die 5 Enneccerus-Lehmann § 239 I 2 (Kausalität zwischen fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung und Einsturz oder Ablösung), I 3 (Kausalität zwischen Einsturz oder Ablösung und Rechts- oder Rechtsgutverletzung); Larenz I I § 73 I I I (Kausalität zwischen fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung und „schuldhaftem Verhalten des Verantwortlichen"); Esser I I § 110 I I 2 a (Kausalität zwischen Einsturz oder Ablösung und Schaden sowie zwischen fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung und den „Verletzungstatsachen"); MK-Mertens § 836 Rdnr. 25 (Kausalzusammenhang zwischen mangelhafter Errichtung oder Unterhaltung und dem Einsturz oder der Ablösung von Teilen), Rdnr. 27 (Kausalzusammenhang zwischen Einsturz oder der Ablösung von Teilen und Rechtsgutverletzung); SoergelZeuner § 836 Rdnr. 13 (Kausalität zwischen fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung einerseits und Einsturz und Ablösung von Teilen andererseits), Rdnr. 16 (Kausalität zwischen Einsturz oder Ablösung von Teilen einerseits und Schaden andererseits); Erman-Drees § 836 Rdnr. 7 (Kausalität zwischen Einsturz und Ablösung von Teilen und Rechtsgutverletzung sowie zwischen fehlerhafter Errichtung und Einsturz); Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 38 (fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte Unterhaltung müßten ursächlich sein für Einsturz oder Ablösung), Rdnr. 46 (Kausalzusammenhang zwischen Einsturz oder Ablösung und Schaden); Jauernig-Teichmann § 836 Anm. 3 (Unterscheidung von zwei Kausalabschnitten: die fehlerhafte Errichtung oder Unterhaltung müsse zu Einsturz oder Ablösung führen, ebd. Anm. 3 a cc, ein zweiter Kausalabschnitt müsse Einsturz und Ablösung und die Rechtsgutsverletzung verbinden, ebd. Anm. 3 b); Palandt-Thomas § 836 Anm. 5 (Kausalität zwischen fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung und Einsturz oder Ablösung), Anm. 6 (Kausalität zwischen Ablösung und Schaden); RGRK-Kreft § 836 Rdnr. 21 (fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte Unterhaltung müßten kausal sein für Einsturz oder Ablösung), Rdnr. 26 (Ursachenzusammenhang erforderlich zwischen Einsturz oder der Ablösung von Teilen und Rechtsgutverletzung). — Verlangt wird adäquate Kausalität, s. Soergel-
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Notwendigkeit der einzelnen Faktoren feststeht, und da es hierüber in der Literatur an deutlichen Aussagen fehlt, bleiben auch die Kausalitätszusammenhänge im Unklaren. bbb) Dem Wortlaut nach ist zwar nicht eindeutig, um wessen mangelhafte Unterhaltung es sich handeln muß, um die des Besitzers oder die eines seiner Vorgänger, doch auf Grund der Genesis des § 836 ist gewiß, daß der Gesetzgeber mit dem Merkmal ein Verhalten des gegenwärtigen Besitzers bezeichnen wollte; dieser Sinn ist, wie wir sahen, lediglich durch die auf die 2. Kommission zurückgehende Fassung der Vorschrift verloren gegangen (oben 3 a cc). Im übrigen kommt es auf diesen historischen Hintergrund nicht an. Denn sicher ist auch nach der äußeren Fassung des § 8361, daß den Besitzer eine Unterhaltungspflicht trifft (oben 3 a bb). Wenn daneben eine mangelhafte Unterhaltung des Vorgängers gegeben sein muß, wie der mit historischen Kenntnissen nicht ausgestattete Interpret annehmen könnte, so müßte er zu dem Schluß kommen, daß es sich insoweit um eine überflüssige und dogmatisch nicht durchdachte Voraussetzung handelt. Denn ob der Vorgänger das Gebäude mangelhaft unterhalten hat, ist für die Haftung des gegenwärtigen Besitzers ohne Belang. Da ihn eine eigene Unterhaltungspflicht trifft, muß er die durch die unzulängliche Gebäudebetreuung des Vorgängers verursachten Mängel beheben. Die in der Literatur verbreitete Bewertung des Merkmals der „fehlerhaften Errichtung" ist ebenfalls unzutreffend. Weder kommt es nach § 8361 darauf an, daß der Besitzer selbst das Gebäude fehlerhaft errichtet hat, noch besteht in diesem Fall überhaupt eine Haftung nach § 836 I. Dies ließe sich einmal schon daraus folgern, daß der Besitzer bei fehlerhafter Errichtung auf Grund positiven Tuns nach § 823 I BGB haftet. § 836 I wäre insoweit also überflüssig. Nun kommen Wiederholungen im Gesetz zwar vor, aber die genannte Interpretation müßte auch deshalb Zweifel erwecken, weil die §§ 836 ff. von ihrer Grundkonzeption her eine Haftung für Unterlassen begründen, das Merkmal daher eine systematische Unstimmigkeit in die Vorschrift tragen würde. Das Studium der Entstehung des § 836 hat aber zweifelsfrei ergeben, daß eine fehlerhafte Errichtung durch den Besitzer selbst nicht gemeint war. Gedacht war an eine solche Errichtung durch einen anderen. Der Gesetzgeber nahm an, daß den Besitzer in diesem Fall die Pflicht treffe, für die Beseitigung des Fehlers zu sorgen; als einen für die Unterhaltungspflicht relevanten Fall wurde das Merkmal dann, wie sich gezeigt hat, in die Vorschrift aufgenommen (oben 3 a cc).
Zeuner § 836 Rdnr. 16; Erman-Drees § 836 Rdnr. 7; Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 38; RGRK-Kreft § 836 Rdnr. 21; MK-Mertens § 836 Rdnr. 25 verlangt „juristische Kausalität" (Verweis auf Kommentierung zu § 823 Rdnr. 15, 19).
§ 6 Untersuchung des § 908 BGB bb) Die von der Wissenschaft
angenommene haftungsbegrenzende Merkmale
2 Funktion der beiden
aaa) Manche Äußerungen in der Wissenschaft deuten darauf hin, daß die Bedeutung der beiden Merkmale in einer Eingrenzung der Haftung auf „gebäudeimmanente" Gefahren gesehen wird, daß sie also die Haftung für höhere Gewalt oder Einwirkungen Dritter ausschließen sollen. Allgemein wird für die Haftung in diesen Fällen danach differenziert, ob das Gebäude bei fehlerhafter Errichtung und mangelhafter Unterhaltung derartigen Einflüssen standhalten muß. Ist dieses nicht der Fall, etwa weil auch ein in ordnungsgemäßem Zustand befindliches Bauwerk den Witterungseinflüssen nicht gewachsen sein muß, wird die Haftung verneint 6 . Damit wird der Besitzer also generell als nicht verantwortlich für Gebäudeeinstürze oder die Ablösung von Gebäudeteilen angesehen, die ausschließlich auf derartige Natureinflüsse oder sonstige Einwirkungen von außen (Eingriffe Dritter) zurückzuführen sind. bbb) Daß dieses Ergebnis in dieser allgemeinen Form nicht richtig ist, ergeben die obigen Untersuchungen zum Inhalt der Unterhaltungspflicht (3 c). Die im Schrifttum vorgenommene Differenzierung ist zutreffend in dem Fall, in dem der Schaden in unmittelbarem zeitlichen Anschluß an die schadenstiftenden Ereignisse eintritt [oben 3 c cc bbb (3) (11)]. Hier ist zu fragen, ob es sich um Einflüsse handelt, denen ein ordnungsgemäß instand gehaltenes Gebäude widerstehen muß. Haben diese Einflüsse aber nur einen Gefahrenzustand herbeigeführt und bestand Gelegenheit, diesen zu beseitigen, dann haftet der Besitzer [ebd. (22)]. Die Unterhaltungspflicht umfaßt auch die Pflicht, drohende Schäden, deren Ursache in „gebäudefremden", von außen kommenden Einwirkungen liegt, zu verhüten. Der Besitzer kann diese Gebäudeschäden und die damit verbundenen Gefahren nicht auf sich beruhen lassen und sich bei Eintritt eines Schadens darauf berufen, daß Ursache der Schäden Witterungseinflüsse oder Handlungen Dritter sind. Eine Rechtfertigung dafür, daß der Besitzer bei Gebäudemängelri, die auf äußeren Ereignissen beruhen, nicht unterhaltungspflichtig ist, läßt sich nicht finden. Eine derartige Beschränkung seiner Unterhaltungspflicht steht auch nicht mit den zu § 8231 entwickelten Prinzipien der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht in Einklang. Dort wird nicht etwa angenommen, daß der Besitzer eines Grundstücks, wenn sich durch ein Unwetter auf dem zum Haus führenden Weg Befestigungssteine gelöst oder Löcher gebildet haben, die Verhältnisse so belassen könnte und, wenn beispielsweise der Postbote zu Schaden kommt, nicht ersatzpflichtig wäre 7 . Esser verneint geradezu in dem Fall, in dem Schäden ihre Ursache in höherer Gewalt 6
Vgl. Soergel-Zeuner § 836 Rdnr. 14; Erman-Drees § 836 Rdnr. 6; Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 41; Palandt-Thomas § 836 Anm. 5; RGRK-Kreft § 836 Rdnr. 24; Esser I I § 110 I I 2; letzterer ebd. nimmt an, daß nach § 836 I nur für die „innere Betriebsgefahr" gehaftet werde, während Einflüsse durch höhere Gewalt wie Blitzschlag, Bergrutsch oder Hochwasser außer Betracht blieben. 7 Vgl. etwa Larenz I I § 72 Id; MK-Mertens § 823 Rdnr. 185ff. (Kasuistik).
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wie Blitzschlag, Bergrutsch oder Hochwasser haben und in dem die Schadensfolge durch mangelnde Sorgfalt des Gebäudebesitzers „gefördert" wurde, eine Haftung nach § 836 und bejaht sie auf Grund der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht. Damit wird m.E. das Haftungsprinzip des § 836 verkannt 8 . Zwar finden sich Ausführungen zu diesen Fällen im Bereiche der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nicht in grundsätzlicher dogmatischer Form, doch gilt die Verantwortung für Sachgefahren, die ihre Ursache in Einwirkungen durch höhere Gewalt oder Eingriffen Dritter haben, offenbar als selbstverständlich. Die Entwicklung der Verkehrssicherungspflicht hatte ihren Ausgang unter anderem gerade von einem Fall des RG ausgenommen, in dem es um Schäden durch einen umgefallenen morschen Baum ging 9 . Es ist der Sinn der Verkehrssicherungspflicht, aber auch der Gedanke des § 836 I, daß derjenige, der auf Grund der Sachbeziehung (Besitz) die von der Sache ausgehenden Gefahren zu beherrschen vermag, für den ordnungsgemäßen Zustand der Sache zu sorgen hat. Dafür ist es gleichgültig, worin die vorhandenen Mängel ihre Ursache haben. Schließlich finden sich auch in den Gesetzesmaterialien keinerlei Hinweise für eine Haftungsbeschränkung der genannten Art. Die beiden Merkmale, auf die diese Begrenzung der Verantwortlichkeit — mehr oder weniger deutlich — gestützt wird, sind, wie gewiß ist, aus anderen Gründen in § 8361 aufgenommen worden 10 . c) Zusammenfassung zu a und b und Ergebnis
Es bleibt damit bei dem oben (3) gewonnenen Ergebnis. Voraussetzung des § 836 I ist eine Verletzung der Unterhaltungspflicht des Besitzers. Das in der Vorschrift enthaltene Merkmal der „fehlerhaften Errichtung" ist ohne Bedeutung; gedanklich kann es gestrichen werden. Die fehlerhafte Errichtung des Gebäudes durch den Besitzer fallt nicht unter § 836, sondern unter § 823 I. Ferner haben die beiden Merkmale des § 836 der fehlerhaften Errichtung oder der mangelhaften Unterhaltung nicht die Aufgabe, die Verantwortung des Besitzers für Schäden auszuschließen, die auf höherer Gewalt oder Eingriffen Dritter beruhen. Die Frage, ob der Besitzer für derartige Ereignisse einzustehen hat, beurteilt sich danach, ob er Gelegenheit hatte, tätig zu werden, um derartige Schäden zu verhindern [oben 3 b, c cc bbb (3)]; entscheidend für die Haftungsfrage in diesen Fällen ist also nur ein allgemeines Kriterium der Unterlassungshaftung. Eine Verantwortung für unmittelbar infolge derartiger Ereignisse eintretende Schäden, ohne daß der Besitzer die Möglichkeit hatte, sie durch entsprechende Betreuung des Gebäudes zu verhüten, ist schon auf Grund 8
Esser I I § 110 I I 2 aE. RGZ 52, 373; dazu schon oben 2h cc ccc (2) (11) Fn. 4; 3. Kap. § 3 Β III. 10 Oben 3 a cc.
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des Erfordernisses der Verletzung der Unterhaltungspflicht ausgeschlossen [oben 3 c cc bbb (3) (11)]. Dagegen haftet der Besitzer, wenn die von außen einwirkenden Vorgänge Gebäudemängel hervorrufen und er Gelegenheit hatte, das Gebäude instand zu halten, indem er vor Schadensereignis erforderliche Unterhaltungsmaßnahmen vornahm oder indem er nach dem Schadensereignis tätig wurde [ebd. (22)]. Die manchen Kommentierungen zugrunde liegende Anschauung, daß der Besitzer für höhere Gewalt oder Eingriffe Dritter schlechthin nicht aufzukommen habe, wenn das Gebäude vor dem Eintritt dieser Ereignisse in ordnungsgemäßem Zustand war, ist somit unrichtig. Die in den Gesetzgebungsarbeiten erfolgte, ohnehin nicht geglückte Verbindung zweier Gesetzes Vorschläge 11 erweist sich also als folgenreich. Die Haftungsvoraussetzungen des § 836 wären klarer, wenn die Vorschrift die beiden Merkmale, die auf den Vorentwurf zurückgehen, nicht enthielte. Dann ergäbe sich ohne weiteres, daß alleiniges Erfordernis die Verletzung einer dem Besitzer auferlegten Unterhaltungspflicht ist. Die vorliegende Fassung kann den Eindruck erwecken, als seien besondere, haftungsbeschränkende Kausalfaktoren notwendig. Zwar hatte sich erwiesen, daß auch auf der Grundlage der vorliegenden Fassung eine zutreffende Deutung möglich ist, sie kompliziert allerdings die Interpretationsarbeit. Letzte Klarheit verschafft nur ein Einblick in die Entstehungsgeschichte der Bestimmung. Dennoch wäre die Erwartung berechtigt gewesen, daß der heutige, mit der Verkehrssicherungspflicht vertraute Gesetzesanwender auch ohne historische Hintergründe zu einer zutreffenden Auslegung gelangt. 5. Kausalität a) Die Haftung nach § 836 I setzt des weiteren Kausalität zwischen der Verletzung der Unterhaltungspflicht des Besitzers einerseits und dem Einsturz des Gebäudes oder der Ablösung von Teilen des Gebäudes andererseits voraus, ferner Kausalität zwischen den schadenstiftenden Ereignissen und der Rechtsoder Rechtsgutverletzung (Tötung, Körper- oder Gesundheitsverletzung eines Menschen oder Sachbeschädigung) sowie zwischen diesen Verletzungen und dem (weiteren) Schaden. Während die Notwendigkeit dieser letzteren beiden Kausalzusammenhänge dem Wortlaut des § 836 I unmittelbar zu entnehmen ist 1 , ergibt sich das Erfordernis der Kausalität zwischen der Unterhaltungspflichtverletzung des Besitzers und dem Einsturz oder der Ablösung von Teilen lediglich mittelbar aus der Vorschrift. Dies ist damit erklärbar, daß die Unterhaltungspflichtverletzung gerade durch den Besitzer in § 836 I ausdrück11 Vorentwurf = Art. 1028 Dresdner Entwurf und der der 1. Kommission vorgelegene Antrag 2 von Kurlbaum, dazu oben 3 a cc. 1 § 8361 1 BGB: „Wird durch den Einsturz . . . oder durch die Ablösung von Teilen . . . ein Mensch getötet..., so ist der Besitzer . . . verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen."
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lieh nicht oder jedenfalls nicht zweifelsfrei enthalten ist, sondern daß die Vorschrift dem Wortlaut nach nur verlangt, daß die betreffenden schädigenden Ereignisse überhaupt auf eine mangelhafte Unterhaltung zurückzuführen sind 2 . Da sich jedoch ergeben hat, daß die Unterhaltungspflichtverletzung durch den gegenwärtigen Besitzer Voraussetzung der Haftung ist (oben 2 h bb bbb und 3), muß ein derartiger Kausalzusammenhang bestehen. Die schädigenden Ereignisse (Einsturz, Ablösung), Rechts- oder Rechtsgutverletzung sowie der Schaden können dem Betreffenden nur dann zugerechnet werden, wenn diese Faktoren Folge seines Verhaltens sind. Die Kausalität schafft die Verbindung zwischen der Pflichtverletzung und diesen Faktoren. — Auch hinsichtlich des Kausalitätserfordernisses waren die zu § 836 vorhandenen Entwürfe der Gesetz gewordenen Vorschrift an Klarheit überlegen. Da sie, wie die Untersuchung ergeben hat, die Notwendigkeit der Verletzung der Unterhaltungspflicht ausdrücklich aussprachen 3 , nannten sie auch das Kausalerfordernis: In dem in die Beratungen der 1. Kommission eingebrachten Antrag, auf den die Vorschrift zurückgeht, hieß es, der Besitzer hafte, wenn bei Erfüllung der Pflicht der Schaden nicht entstanden sein würde. Allgemeiner formulierte § 735 I des 1. Entwurfs, der Besitzer sei zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Dritten aus dem durch die Pflichtverletzung verursachten Einsturz entstanden sei4. Diese klaren Regelungen der Gesetzesvorschläge sind dann den geschilderten weiteren Gesetzesarbeiten zum Opfer gefallen 5. b) Auf eine Untersuchung der Kausalitätsprobleme des § 836 im einzelnen ist hier zu verzichten. Die Vorschrift ist nur insoweit zu analysieren, als sie Bedeutung für § 908 hat. Diese Bestimmung aber setzt den Einsturz des Gebäudes oder Werkes oder die Ablösung von Teilen des Gebäudes oder Werkes, eine dadurch bewirkte Rechts- oder Rechtsgutverletzung und einen Schaden nicht voraus. Vielmehr verlangt § 908 nur entsprechende Gefahren und diese auch nur für ein bestimmtes Objekt, nämlich für das benachbarte Grundeigentum. Die Vorschrift fordert die Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen und eine dadurch hervorgerufene Gefahr des Schadens für das Nachbargrundstück. Die einzelnen Faktoren, zwischen denen der jeweilige Kausalzusammenhang zu ermitteln ist, sind also im Falle des § 908 andere als bei § 836. Gemeinsam ist beiden Vorschriften nur, daß für die jeweiligen Ereignisse eine Unterhaltungspflichtverletzung ursächlich sein muß. Kausalitätsfragen im Rahmen des § 836 sind bisher unzulänglich behandelt worden 6 . Dies ist erklärbar mit der hier festgestellten unklaren Erfassung des Tatbestandes im übrigen, insbesondere, wie sich gezeigt hat, durch die unrichtige 2 3 4 5 6
Oben 3 a, 4. Oben 2 h bb bbb, 3 a. Vgl. die Wiedergabe der Entwürfe zu § 836 BGB oben 2 h bb bbb. Vgl. oben 3 a. Vgl. oben 4 b.
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Bewertung des Merkmals der fehlerhaften Errichtung 7 und die mangelnde deutliche Aussage, daß § 836 eine Unterhaltungspflicht für den Besitzer statuiert und daß demgemäß die Verletzung dieser Pflicht Voraussetzung der Haftung ist 8 . Eine Kausalitätsprüfung müßte also mit der Frage beginnen, wann ein Unterlassen als kausal anzusehen ist 9 , sie müßte sich ferner fragen, ob und hinsichtlich welcher Kausalereignisse die zur Haftungsbegrenzung im Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätze der Adäquanz- und Normzwecktheorie 10 heranzuziehen sind. 6. Inhalt und Bedeutung des § 836 I I BGB a) Einleitung
§ 836 I I enthält eine Regelung der Haftung für die Zeit nach Beendigung des Besitzes. In diesem Fall besteht die Haftung noch ein Jahr lang, wenn nach dem Besitzende das Bauwerk einstürzt oder sich Teile davon lösen und deshalb Schäden entstehen, es sei denn, daß ein späterer Besitzer die Gefahr hätte abwenden können. § 908 enthält einen Verweis auf diese Vorschrift nicht. Die Bedeutung dieses Negativums läßt sich erst beurteilen, wenn die Bedeutung des § 836 I I feststeht. Es ist nicht ohne weiteres deutlich, ob die Vorschrift die Haftung des ehemaligen Besitzers begründet oder ob sie eine ohnehin nach § 836 I bestehende Haftung begrenzt. Voraussetzungen und dogmatischer Aufbau der Bestimmung sind daher im folgenden zu ermitteln. b) Inhalt des § 836 I I BGB nach äußerer Fassung aa) Überblick
Der Vorschrift lassen sich entnehmen die Voraussetzungen der Haftung und die die Haftung begrenzenden Faktoren der Jahresfrist und des Verhaltens des Besitznachfolgers. Beide Elemente sind in der Tatbestandsfassung äußerlich nicht voneinander abgesetzt. Die Vorschrift führt die Voraussetzung des Verschuldens des ehemaligen Besitzers und den die Haftung ausschließenden
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Vgl. oben 4 b aa.
Vgl. oben 3 a, 4; ferner oben § 4 Β II. 9 Dazu unten zu § 908 V 5 a, c. 10 Näher zu den genannten Kausaltheorien unten V 5 c cc bbb; für adäquate Kausalität die oben 4 Fn. 5 aE Genannten.
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Umstand des Verhaltens des Besitznachfolgers in einem zusammenfassenden zweiten Halbsatz („es sei denn") auf, offenbar, weil sie für beide Faktoren die Beweislast umkehren will. Dieses Verfahren macht die Vorschrift unübersichtlich. bb) Voraussetzungen der Haftung
Die sprachliche Fassung des Absatzes I I des § 836 bringt zum Ausdruck, daß hier die in Absatz I getroffene Regelung für eine spezielle Fallvariante, eben den Fall der Beendigung des Besitzes, fortgeführt werden soll. Daraus ergibt sich, daß im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes I gegeben sein müssen. Die Vorschrift verzichtet auf eine genaue Umschreibung des Tatbestandes: Sie benennt nicht mehr das Objekt des Einsturzes (Gebäude oder anderes mit dem Grundstück verbundenes Werk) oder der Ablösung (Teile des Gebäudes oder Werkes), sondern verwendet nur den bestimmten Artikel, indem sie von „dem" Einsturz und „der" Ablösung spricht. Sie gibt ferner nicht die von Absatz I geforderte Ursache der fehlerhaften Errichtung oder mangelhaften Unterhaltung wieder, und sie beschreibt nicht die verletzten Schadensobjekte (Mensch, Körper, Gesundheit, Sache). Aus dieser verkürzten Ausdrucksweise geht hervor, daß die Erfordernisse des Absatzes I gegeben sein müssen1, in der Person des Haftenden als (ehemaliger) unmittelbarer oder mittelbarer Eigenbesitz und eine Unterhaltungspflichtverletzung während der Besitzzeit, die für den Schaden kausal geworden ist. cc) Beschränkung der Haftung
Die prinzipiell bestehende Weiterhaftung des Besitzers entfallt nach Ablauf eines Jahres nach Besitzbeendigung (§ 836 I I 1. Halbs.) oder wenn der Nachfolger im Besitz die Gefahr, wie das Gesetz sagt, durch Beobachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte abwenden können. Anders ausgedrückt entfallt die Haftung also dann, wenn der Besitznachfolger seiner eigenen Unterhaltungspflicht (§ 8361) nicht nachgekommen ist. § 836 I I 2. Halbs, bringt die Notwendigkeit der Unterhaltungspflichtverletzung indirekt durch das Verschuldenserfordernis zum Ausdruck („Sorgfalt"). — Kurz gesagt haftet der ehemalige Besitzer also nicht, wenn sein Nachfolger haftet (§ 836 I). dd) Gesetzgeberische Gründe der Haftungsbeschränkung
Die Gründe für die nur beschränkte Haftung liegen darin, daß der Nachweis der Haftungsvoraussetzungen in der Person des ehemaligen Besitzers durch den 1 Der Antrag, auf den § 836 I I BGB zurückgeht, bezeichnet die Geltung der Voraussetzungen des Abs. I für Abs. I I des § 836 ausdrücklich, indem er formulierte, der frühere Besitzer hafte „in gleicher Weise", s. Prot. Mugdan I I S. 1148, Antrag 1 (Jacubezky, s. Jakobs/ Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse I I I , S. 993).
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Zeitablauf und das Hinzutreten eines anderen Unterhaltspflichtigen erschwert wird. Die Vorkommission des Reichsjustizamtes, auf deren Initiative § 836 I I BGB zurückgeht 2 , stand auf dem Standpunkt, daß die Haftungspflicht des Besitzvorgängers „nicht ins Unbestimmte" währen könne, da mit der Länge der Zeit die Feststellung des kausalen Zusammenhangs immer schwieriger werde 3 . Und ähnlich war die 2. Kommission gegen eine unbeschränkte Haftung. Sie hielt eine gewisse zeitliche Begrenzung im Interesse der Rechtssicherheit für wünschenswert. Die unbefriedigende Jahresfrist, in der die Kommission „eine gewisse Willkür" erblickte, hielt sie für tragbar, weil sie meinte, die Vorschrift werde kaum von großer praktischer Bedeutung sein, da nach längerer Zeit die Wahrscheinlichkeit regelmäßig dafür sprechen werde, daß ein späterer Besitzer für einen Unfall verantwortlich gemacht werden könne 4 . Mit anderen Worten: der Besitznachfolger wird nach Meinung der Kommission, je länger er im Besitz des Bauwerks ist, ohnehin haften, weil der Schaden auf seine Unterhaltungspflichtverletzung zurückführbar sein wird, so daß es auf die Jahresfrist in der Regel nicht ankommt. c) Bedeutung des § 836 I I BGB: Dogmatischer Aufbau der Vorschrift aa) Allgemeine Fragen
Der Wortlaut des § 836 I I erweckt den Eindruck, als wolle die Vorschrift die Haftung des früheren Besitzers begründen: Der „Wenn"-Halbsatz der Bestimmung, der die Jahresfrist enthält, klingt so, als solle nicht eine ohnehin bestehende Haftung zeitlich begrenzt werden, sondern als bestehe die Haftung unter der Voraussetzung („wenn"), daß innerhalb eines Jahres die schadenstiftenden Ereignisse eintreten. Außerdem entsteht der Eindruck auf Grund des im zweiten Halbsatz („es sei denn") der Vorschrift erneut aufgenommenen Verschuldenserfordernisses, das bei Haftung des ehemaligen Besitzers nach § 836 I selbstverständlich wäre. Die moderne Kommentar- und Lehrbuchliteratur scheint diesem durch § 836 I I vermittelten äußeren Eindruck zu folgen. Gewöhnlich werden die Haftung des gegenwärtigen und des früheren Besitzers nach § 8361 und I I gegenübergestellt oder es wird konstatiert, daß nach § 836 I I auch der frühere Besitzer hafte 5 . 2 Vgl. Jakobs/Schubert ebd. S. 990/991; § 73512 des Entwurfs des Reichsjustizamtes, abgedruckt ebd. S. 991. 3 Jakobs/Schubert ebd. S. 991 1. Absatz. 4 Prot. Mugdan I I S. 1151 letzter Absatz, 1152 1. Absatz. 5 Als haftungsbegründend wird § 836 I I BGB bei Staudinger-Schäfer § 836 Rdnr. 63 aufgefaßt, denn dort wird der Sinn der Vorschrift darin gesehen, daß der Besitzer sich nicht durch Besitzaufgabe der Haftung entziehe. Auch v. Bar S. 220 2. Absatz nimmt offenbar eine Haftungsbegründung gem. § 836 I I an. Vgl. ferner Enneccerus-Lehmann § 23914 a, b; Heck, Schuldrecht, §149, 6b; Fikentscher §106 I I I 2; MK-Mertens §836 Rdnr. 34; Erman-Drees § 836 Rdnr. 8; RGRK-Kreft § 836 Rdnr. 34; auch Larenz I I § 73 III, wo
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Indessen ergibt sich das Fortwirken der Haftung nach allgemeinen Grundsätzen auch ohne ausdrückliche Bestimmung. Steht fest, daß eine kausal gewordene Unterhaltungspflichtverletzung vorliegt 6 , greift die Haftung ein unabhängig davon, ob die schädigenden Vorgänge erst nach Aufgabe des Besitzes eintreten. Dies gilt auch für den von § 836 I I vorgesehenen Fall, daß der nachfolgende Besitzer die Gefahr hätte abwenden können, er also ebenfalls seine Unterhaltungspflicht verletzt hat. Die Kausalität im Falle des Unterlassens ist auf Grund einer Hypothese festzustellen; es ist zu ermitteln, ob das pflichtgemäße Handeln den eingetreten Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte 7 . Hätte der Erstbesitzer seine Pflichten erfüllt, wären die schadenstiftenden Ereignisse im Sinne des § 836 I und damit auch der Schaden ausgeblieben. Daß der Schaden abgewendet worden wäre, wenn der Zweitbesitzer eingegriffen hätte, ändert nichts daran, daß das Nicht-Handeln des Vorgängers ursächlich geworden ist 8 . In dem von § 836 I I vorgesehenen Fall ist also das Unterlassen sowohl des Erst- als auch des Zweitbesitzers kausal für den Schaden. Eine solche „doppelte" Kausalität gibt es zwar im naturwissenschaftlichen Sinne nicht. Nach diesem Kausalverständnis aber ist schon das Unterlassen nicht ursächlich, weil durch Untätigsein keine Veränderungen herbeigeführt werden können, sondern der Geschehensablauf sich selbst überlassen bleibt 9 . Juristisch aber wird ein Unterlassen zugerechnet, wenn eine Handlungspflicht besteht und deren Erfüllung den Erfolg abgewendet hätte. Auf dieser Grundlage steht fest, daß beide Besitzer und damit auch der Erstbesitzer, um dessen Haftung es hier geht, verantwortlich sind. Zwar erinnert die Fallkonstellation an die Sachverhalte der sog. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs, in denen das eigenständige Dazwischentreten eines Dritten (Besitznachfolger) dazu führt, daß die Haftung des Ersthandelnden (ehemaliger Besitzer) auf Grund wertender Betrachtung entfallt 10 . Ob dies aber der Gedanke des § 836 I I ist, der den Erstbesitzer von seiner Verantwortlichkeit entlasten will, ist hier nicht entscheidend. Es geht im vorliegenden Zusammenhang nicht um die Frage, wie die Haftungsbefreiung des § 836 I I dogmatisch erklärbar ist, sondern um die Frage, ob die Vorschrift haftungskonstituierende Bedeutung hat. Dies aber ist aus den genannten Gründen nicht der Fall. Vielmehr liegt die Bedeutung der Bestimmung in einer Haftungsbefreiung.
festgestellt wird, der frühere Besitzer könne sich nach § 836 I I durch den Nachweis befreien, daß er während seines Besitzes die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet habe; diese Möglichkeit folgt indessen schon aus § 836 I. 6 Dazu oben 5. 7 Näher dazu unten V 5. 8 Unrichtig daher die Vorkommission des Reichsjustizamtes, Jakobs/Schubert ebd. S. 991 1. Absatz aE; dazu sogleich bb. 9 Näher dazu unten V 5 c cc aaa. 10 Vgl. etwa Larenz I § 27 I I I b 4; Fikentscher § 51 V 1.
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bb) Dogmatische Einordnung durch den Gesetzgeber
aaa) Fragt man, was der Gesetzgeber sich bei Schaffung des § 836 I I in dieser letzteren Hinsicht gedacht hat, so ist festzustellen, daß die Beurteilung der Haftung des Besitzers nach Besitzbeendigung durch die Materialien zwiespältig und daher unklar ist. Beide Betrachtungsweisen, die der bloßen Haftungseingrenzung und die der Haftungsbegründung, kommen in den Beratungen vor. bbb) Die Vorkommission des Reichsjustizamtes, auf die, wie erwähnt (oben b dd), § 836 I I zurückgeht, bewertete eine Regelung über die Zeit des Besitzes hinaus als eine Haftungserweiterung 11 und damit als Haftungsbegründung. Eine Minderheit war deshalb gegen die Vorschrift; sie meinte, daß eine derartige „Erweiterung der Haftpflicht" mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Billigkeit nicht vereinbar sei. Die Haftung des vormaligen Besitzers müsse mit dem Besitzwechsel aufhören. Einmal sei er danach nicht mehr in der Lage, die Mängel des seiner Verfügungsmacht entzogenen Grundstücks zu beseitigen; zum anderen müsse ihm das Recht eingeräumt werden, sich durch Preisgabe des Grundstücks von aller Verantwortlichkeit freizumachen 12. — Demgegenüber meinten diejenigen Mitglieder, die die in § 836 I I BGB enthaltene Regelung durchsetzten, daß es nicht gerechtfertigt sei, die Haftung früherer Grundstücksbesitzer wegen der „in der Zeit ihres Besitzes vorgekommenen Pflichtverletzungen" unbedingt abzulehnen. Erachte man den Besitzer für verpflichtet, die auf seinem Grundstück befindlichen Baulichkeiten zu erhalten oder abzubrechen, so gehe es nicht an, ihm das Recht zu geben, sich durch Entledigung des Besitzes von seiner Haftung zu befreien. Der Gedanke der Haftungsbefreiung durch Dereliktion hänge mit der dem römischen Recht eigentümlichen beschränkten Haftung des Besitzers zusammen, die aber für den modernen Verkehr nicht passe13. Damit ergeben die Beratungen der Vorkommission folgenden Eindruck: Die Gegner der Weiterhaftung des ehemaligen Besitzers argumentierten zwar — undogmatisch — lediglich vom Ergebnis her und auf Grund dessen, was sie als gerecht empfanden. Doch war ihr Urteil nur möglich unter Außerachtlassung der Tatsache, daß der Besitzer infolge seiner Pflichtverletzung für den Schaden grundsätzlich verantwortlich ist und daß er sich von dieser Verantwortlichkeit nicht durch Besitzaufgabe befreien kann. Daß er zur Mängelbeseitigung nach Besitzbeendigung nicht mehr in der Lage sei, ist ein weiterer Gesichtspunkt, der von der Frage der grundsätzlichen Haftung auf Grund der Kausalität zu trennen ist. — Bei der Mehrheit der Kommissionsmitglieder klingt dagegen der Gedanke zumindest an, daß die Haftung für eine einmal begangene Pflichtverletzung von der späteren Besitzaufgabe unabhängig ist. Der Kausalitätsgedanke taucht immerhin auch ausdrücklich auf. Die Protokolle schließen mit der—wenn auch 11 12 13
Vgl. Jakobs/Schubert ebd. S. 990: „Erweiterung der Haftpflicht". Ebd. Ebd. S. 990 unten, 991 1. Absatz.
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unrichtigen (soeben aa) — Bemerkung, daß die Ursache des Einsturzes auf das Verhalten des früheren Besitzers nicht zurückzuführen sei, wenn der Besitznachfolger die Gefahr des Einsturzes hätte abwenden können 14 . ccc) Ähnlich zwiespältig sehen die Begründungen der 2. Kommission aus, die es bei der von der Vorkommission vorgeschlagenen Vorschrift beließ 15 und die sie lediglich durch die Jahresfrist ergänzte 16. Einerseits heißt es in den Protokollen, nach dem Entwurf — der eine dem § 836 I I BGB entsprechende Regelung nicht vorsah (§ 735 E I ) 1 7 — sei auch derjenige, der seinen Besitz aufgegeben habe, für einen etwaigen späteren Einsturz des Gebäudes verantwortlich, wenn dieser sich auf einen Mangel an Sorgfalt während der Zeit seines Besitzes zurückführen lasse. Diese Haftung des früheren Besitzers ergebe sich aus der Fassung des Entwurfs „stillschweigend" und sei in dem Antrag, der die fragliche Bestimmung vorschlug, „besonders geregelt" 18 . — Diesen Überlegungen liegt die zutreffende Vorstellung zugrunde, daß der ehemalige Besitzer bereits auf Grund der Vorschrift des § 735 I des 1. Entwurfs, die dem § 836 I BGB entspricht, haftet, wenn er während der Besitzzeit das Bauwerk mangelhaft unterhalten hatte. Doch dann wird an späterer Stelle ausgeführt, es sei erforderlich, in gewissen Grenzen auch den früheren Besitzer für einen nach Aufgabe seines Besitzes eingetretenen Unfall haftbar zu machen, damit er sich nicht durch Aufgabe des Besitzes der ihm drohenden Verantwortlichkeit entziehen könne 19 . Hier geht es der Kommission also um eine Haftungsbegründung. Dies belegen auch die Überlegungen zu einem weiteren Antrag, der — anders als der 1. Entwurf — nicht den Besitzer, sondern den Eigentümer für haftbar erklärte 20 . Die Kommission meinte dazu, diese dem römischen Recht entnommene Regelung gestatte es dem Eigentümer, sich durch Aufgabe seines Eigentums von der weiteren Haftung zu befreien. Ein Schutz des Eigentümers werde dadurch aber nur unvollkommen erreicht, da die Aufgabe des Eigentums den Eigentümer immer nur für die Zukunft befreien könne, während er für einen einmal entstandenen Schaden ersatzpflichtig bleibe. Dadurch, daß man den Besitzer für haftbar erklärt habe, erledige sich die Frage 21 . — Die Kommission sieht hier 14
Ebd. S. 991 1. Absatz aE. In Gestalt des § 7591 E II, abgedruckt bei Mugdan I I S. C X X X I ; s. ferner den in die 2. Kommission eingebrachten Antrag 1, Prot. ebd. S. 1148, der dem § 735 I des Entwurfs des Reichsjustizamtes entsprach (oben Fn. 2), und die Beschlüsse der Kommission Prot. Mugdan I I S. 1149 unter A 1. Absatz ( = Jakobs/Schubert ebd. S. 994), S. 1151 letzter Absatz, 1152 1. Absatz. 15
16 Vgl. § 759 I I E I I (oben Fn. 15); Antrag 8, abgedruckt bei Mugdan I I S. 1149, Jakobs/Schubert ebd. S. 994 sowie die Beratungen an den in Fn. 15 angegebenen Stellen. 17 Vgl. Mugdan I I S. C X X X , C X X X I . 18 Prot. I I S. 1150 3. Absatz. 19 Ebd. S. 1151 3. Absatz. 20 Antrag 2, abgedruckt bei Mugdan ebd. S. 1148, Jakobs/Schubert ebd. S. 993.
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also die Unvollkommenheit der beantragten Regelung dadurch überwunden, daß nach dem Entwurf der Besitzer anstelle des Eigentümers hafte. Die Unvollkommenheit erblickte die Kommission darin, daß nach der im Antrag enthaltenen Bestimmung eine Haftungsbefreiung durch Aufgabe des Eigentums für bereits entstandene Schäden nicht mögich war. Mithin scheint sie den Standpunkt zu vertreten, daß durch Aufgabe des Besitzes eine Befreiung von der Haftung eintrete. Demnach ginge es auch an dieser Stelle um eine Haftungsbegründung durch § 836 II. Die Protokolle fahren dementsprechend fort: Die Haftung des früheren Besitzers könne „nun aber nicht ganz unbeschränkt ausgesprochen werden" 22 . Sodann jedoch folgen Ausführungen, denen die Vorstellung zugrunde liegt, daß Voraussetzung der Haftung nicht allein die Besitzposition ist, sondern die kausal gewordene Unterhaltungspflichtverletzung. Es heißt, der Antrag (der die begrenzte Weiterhaftung aufnahm 23 ) wolle in der Weise helfen, daß der frühere Besitzer, auch wenn ein Unfall nach den Grundsätzen des Kausalzusammenhangs auf einen Mangel des Gebäudes zurückzuführen sei, der bereits während der Besitzzeit vorhanden gewesen sei und den er habe beseitigen können, von der Haftung frei sein solle, wenn ein späterer Besitzer seinerseits durch Beobachtung der erforderlichen Sorgfalt den Unfall hätte verhüten können 24 . ddd) Diese aus dogmatischer Sicht schwankenden Äußerungen lassen eine klare Vorstellung des Gesetzgebers vom tragenden Haftungselement nicht erkennen. Offenbar war dieses auch nicht Gegenstand seiner Bemühungen. Hätte er sein Augenmerk auf diese Frage gerichtet, hätten ihm die einander widersprechenden Aussagen auffallen müssen. Es scheint sich um Äußerungen zu handeln, die anläßlich der mehr praktisch verstandenen Frage fielen, ob der ehemalige Besitzer haften solle oder nicht. Das uneinheitliche Bild, das die Materialien insgesamt vermitteln, deutet eher daraufhin, daß das Problem nicht im Blickfeld lag. d) Ergebnis zu a-c
Wie der Gesetzgeber zu § 836 I I BGB auch gestanden haben mag: Auf Grund der Haftungsstruktur des § 8361 steht fest, daß der Besitzer grundsätzlich auch nach Beendigung des Besitzes haftet, wenn der Schaden auf eine von ihm begangene Unterhaltungspflichtverletzung zurückzuführen ist. Damit erschöpft sich die Bedeutung der Vorschrift in der darin bestimmten Eingrenzung der Haftung. In der oben erwähnten (c aa) unzutreffenden Einordnung des § 836 I I durch die Kommentare und Lehrbücher zeigt sich erneut, daß die moderne Literatur 21 22 23 24
Prot. Mugdan I I S. 1151 3. Absatz. Ebd. 4. Absatz. Antrag 1, s. Fn. 15. Prot. Mugdan I I S. 1151 4. Absatz.
20 Herrmann
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den dogmatischen Gehalt des § 836 ausreichend nicht erarbeitet hat, obwohl die Vorschrift in globaler Form als Grundlage der heutigen Verkehrssicherungspflicht bewertet wird. Für die Haftung nach den Grundsätzen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht wird auf diese Weise die Frage übersehen, ob nicht bei Schäden auf Grund anderer als der in § 836 normierten Sachgefahren eine generelle Begrenzung der Haftung entsprechend dem Gedanken des § 836 I I gerechtfertigt ist; diese Frage gehört indessen nicht zum vorliegenden Thema. Doch die Konsequenzen der verbreiteten unrichtigen Beurteilung des § 836 I I für § 908 werden die Untersuchung noch beschäftigen (unten V 6). III. Der nach § 837 BGB Verpflichtete 1. Einleitung § 837 ist nur verständlich, wenn zunächst der in der Vorschrift geregelte Sachverhalt ermittelt wird (unten 2). Da die Bestimmung die Haftung an den Besitz knüpft, der in Ausübung eines Rechts wahrgenommen wird, stellt sich die Frage, ob dieses Recht wirksam sein muß (unten 3). Die Art des Besitzes richtet sich nach den zu § 836 ermittelten Grundsätzen (unten 4). Die übrigen Voraussetzungen des § 837 sowie die Haftungsbegrenzung (§ 836 II) entsprechen der Regelung des § 836 I (unten 5). 2. Der in § 837 geregelte Fall a) Der Grundfall
Schon früher wurde dargestellt, daß § 837 gegenüber § 836 einen Sonderfall regelt 1 . Während § 836 von dem gewöhnlichen Fall ausgeht, daß Besitz an Grundstück und Gebäude in einer Hand liegen, regelt § 837 den Fall, daß Besitz an Grundstück und Gebäude auseinanderfallen, daß er also verschiedenen Personen zusteht2. Verantwortlich ist nach § 837 der Besitzer des Gebäudes, der dieses in Ausübung eines Rechts besitzt. Dieses Recht soll die Grundlage seines Besitzes sein. Auch die in Betracht kommenden Arten des Rechts sowie die rechtliche Einordnung des Gebäudes als wesentlicher (§ 94 BGB) oder nicht wesentlicher Bestandteil (§ 95 BGB) des Grundstücks wurden bereits dargelegt 3: Basis des Besitzes können dingliche und obligatorische Rechte sein, also Erbbaurecht 4 , Dienstbarkeit, Miete, Leihe oder Pacht. Ergänzend ist festzustel1
Oben I I 2d aa, cc aaa. Vgl. auch Erman-Drees § 837 Rdnr. 1; Palandt-Thomas § 837 Anm. 1; RGRK-Kreft § 837 Rdnr. 1. 3 Oben I I 2d cc aaa. 4 Liegt ein Erbbaurecht zugrunde, wird das Bauwerk Bestandteil dieses Rechts gem. § 1211 ErbbauRVO, so daß eine Durchbrechung des Grundsatzes der §§ 93,94,946 BGB auf diesem Wege stattfindet. 2
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len, daß der Nießbrauch (§§ 1030ff. BGB) nicht unter § 837 fallen kann,da dieser das Recht verleiht, Nutzungen der Sache insgesamt zu ziehen (§ 1030 I BGB). Im Falle des § 837 handelt es sich jedoch wegen der Beschränkung des Besitzes auf das Bauwerk um eine Nutzung nur in bestimmter Beziehung (s. § 1018 BGB) 5 . Daß § 837 nur den Fall erfaßt, in dem das Besitzrecht an einem nicht zum wesentlichen Bestandteil des Grundstücks gewordenen Gebäude besteht, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut, wohl aber aus den Materialien 6 . Der Gebäudebesitzer muß das Gebäude also in Ausübung eines Rechts oder zu vorübergehendem Zweck errichtet haben. § 837 betrifft — kurz gesagt — den Fall des § 95 I BGB 7 . Denkbar ist danach auch, daß der Gebäudebesitzer ein von einem anderen errichtetes, nach § 95 I BGB rechtlich selbständiges Gebäude erwirbt (§ 929 BGB). Nicht unter § 837 fallt dagegen der Besitz an einem Bauwerk, das wesentlicher Bestandteil des Grundstücks ist (§ 94 BGB). Die Beschränkung der Vorschrift auf den Fall des rechtlich eigenständigen Bauwerks ist erklärbar, wie sich gezeigt hat, aus dem gemeinrechtlichen Besitzverständnis, das Eigenbesitzwillen forderte 8 . Wer ein Gebäude in Ausübung eines Rechts (Dienstbarkeit, Miete) besitzt, auf das sich das Eigentum am Grundstück erstreckt, hat es als fremdes, nicht als eigenes inne 9 . b) Einzelfragen
Da § 837 einerseits ein Recht voraussetzt, das den Besitzer zum Besitz des Gebäudes auf fremdem Grundstück berechtigt, andererseits der Fall (u.a.) gegeben sein muß, daß der Besitzer das Gebäude in Ausübung eines Rechts errichtet hat, ist der Fall des § 837 so zu denken, daß das Recht zum Besitz und das Recht zur Errichtung identisch sind. Praktisch also läßt der Betreffende sich beispielsweise eine Dienstbarkeit am Grundstück bestellen mit dem Inhalt, dort ein Gebäude errichten und besitzen zu dürfen. Rechtsgrundlage für beide Befugnisse kann aber auch ein obligatorisches Recht sein, etwa ein Mietvertrag. 5
Zwar kann der Nießbrauch durch den Ausschluß einzelner Nutzungen nach § 1030 I I BGB beschränkt werden, nicht aber kann der Nießbrauch für eine einzelne Nutzungsart bestellt werden; dazu MK-Petzold § 1030 Rdnr. 30. Daher nicht richtig StaudingerSchäfer § 837 Rdnr. 6; RGRK-Kreft § 837 Rdnr. 5; Jauernig-Teichmann § 837 Anm. 2; Palandt-Thomas § 837 Anm. 1. 6 Oben Fn. 3. 7 Allgemein wird § 837 als Fall des § 951 BGB verstanden, allerdings ohne Begründung, s. Heck, Schuldrecht, § 149, 6b; Enneccerus-Lehmann §239 I 4c; Larenz I I §73 III; Fikentscher § 106 I I I 2; MK-Mertens § 837 Rdnr. 5. 8
Oben I I 2a und Fn. 3. Für Eigenbesitz ohne Begründung Heck, Schuldrecht, § 149, 6 b; EnneccerusLehmann § 239 I 4c; MK-Mertens § 837 Rdnr. 1, 3; Staudinger-Schäfer § 837 Rdnr. 3; RGRK-Kreft § 837 Rdnr. 1; Jauernig-Teichmann § 837 Anm. 1; Palandt-Thomas § 837 Anm. 1. 9
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Zwar werden in der Literatur unter den Rechten im Sinne des § 9512 BGB nur dingliche Rechte verstanden 10 , unter das Recht zur Besitzausübung nach § 837 fallen aber, wie die Untersuchung der Materialien gezeigt hat, auch persönliche Rechte; die 1. Kommission führte als Beispiel neben dem Erbbaurecht (superficies) die Pacht an 1 1 . Auf Grund der genannten Deutung des § 95 BGB besteht eine Diskrepanz zwischen dieser Vorschrift und § 837. Zwar ist es theoretisch möglich, daß jemand in Ausübung eines dinglichen Rechts ein Gebäude errichtet und auf Grund eines sich auf das Grundstück beziehenden obligatorischen Rechts, z.B. aus Mietvertrag, zum Besitz des Gebäudes auf dem Grundstück befugt ist. Doch ist der Fall wenig praktisch. Die Interpretation des § 95 I BGB ist auch keinesfalls zweifelsfrei 12. Es ist schon praktisch nicht einsehbar, warum nicht jemand auf Grund eines obligatorischen Rechts ein Gebäude mit der Folge der rechtlichen Selbständigkeit des Gebäudes errichten können soll. Auch die Erläuterung des Rechts im Sinne des § 837 in den Materialien 13 zeigt, daß der Gesetzgeber sich einen solchen Fall vorstellen konnte. Diese Fragen entstehen dann nicht, wenn der Gebäudebesitzer ein schon von einem anderen errichtetes, rechtlich selbständiges Gebäude (§ 95 I) erwirbt. Es kommt dann nur noch auf das Recht zum Besitz im Sinne des § 837 an. Denkbar ist etwa, daß der Betreffende den Besitz an dem ihm gehörigen Gebäude auf Grund einer Pacht am Grundstück ausübt. Das obligatorische Recht, wie im Beispiel die Pacht, kann sich nach altem Besitzdenken auf das gesamte Grundstück beziehen, denn danach war der Verpächter, nicht der Pächter Besitzer. Die von § 837 geforderte Lage, daß der Besitz am Grundstück in anderen Händen liegen muß als der Besitz am Gebäude, ist erfüllt. Dagegen wäre nach BGB auch der Pächter Besitzer. Da § 837 von einem Auseinanderfallen von Besitz an Bauwerk und Grundstück ausgeht, kommt dieser Fall nach geltendem Recht nicht in Betracht. Möglich ist danach nur, daß Gegenstand des obligatorischen Rechts gerade der Teil des Grundstücks ist, auf dem sich das Gebäude befindet, so wenn der Gebäudebesitzer diesen Grundstücksteil mietet oder pachtet 14 . Doch mag dieser Fall geringe praktische Relevanz haben. Damit zeigt sich, daß die oben besprochene Divergenz zwischen § 95 und § 837 wenig bedeutsam ist. Der Fall der Besitzrechtsausübung auf Grund 10
Vgl. etwa Larenz AT § 16 I I d. Oben Fn. 3. 12 Die Mot. zu § 95 BGB geben keine eindeutige Auskunft, doch sieht es nach den dortigen Ausführungen zum sächs. BGB (§ 284) so aus, als wenn der Gesetzgeber auch an obligatorische Rechte gedacht hat, s. Mugdan I I I S. 26 3. Absatz (Mieter und Pächter). Zum römischen Recht Mot. ebd. 4. Absatz, S. 27 1. Absatz (dingliche Rechte). 13 Oben Fn. 3. 14 Dazu, daß sich Miete oder Pacht nicht auf das ganze Grundstück beziehen dürfen, auch Enneccerus-Lehmann § 239 I 4c; MK-Mertens § 837 Rdnr. 5; Erman-Drees § 837 Rdnr. 3; Palandt-Thomas § 837 Anm. 1. Dagegen offenbar für obligatorisches Recht ohne 11
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obligatorischen Rechts nach § 837 kommt nach BGB-Besitzlehre kaum mehr in Betracht. Von Bedeutung snd vor allem dingliche Rechte, also Dienstbarkeit und Erbbaurecht. 3. Die Frage der Wirksamkeit des Rechts iSd § 837 Fraglich ist, ob das Recht, in dessen Ausübung der Besitz wahrgenommen wird, wirksam sein muß. Dies wird allgemein verneint, ohne daß nähere Auseinandersetzungen mit dem Problem stattfinden 15 . Ausgangspunkt der Beurteilung dieser Frage ist einmal die Tatsache, daß nach den grundsätzlichen Überlegungen des Gesetzgebers zur Person des Haftenden tragendes Element der Besitz sein sollte. Der Grund seiner Verantwortlichkeit wurde in der Sachbeziehung und der damit verbundenen praktischen Möglichkeit gesehen, das Gebäude zu unterhalten 16 . Da der Besitz unabhängig von dem Recht ist, auf Grund dessen er ausgeübt wird, kann es auf die Wirksamkeit des Rechts nicht ankommen. Der Haftungsgrundgedanke ist auch bei ungültigem Recht gewahrt 17 . Eine weitere Überlegung bestätigt dieses Ergebnis. Liegt der nach heutigem Besitzrecht weniger praktische, aber nach altem Besitzverständnis ohne weiteres mögliche Fall vor 1 8 , daß der Berechtigte das Gebäude in Ausübung eines obligatorischen Rechts besitzt, etwa auf Grund Miete oder Pacht, ist dieses Recht für die Haftung im Außenverhältnis, um die es bei § 837 geht, bedeutungslos. Die Stellung des Besitzers als obligatorisch Berechtigter führt nicht zur deliktischen Verantwortung gegenüber Dritten. Oder anders gesagt: Dafür, daß dieses obligatorische Recht etwa Voraussetzung der deliktischen Einschränkung auf den Gegenstand des Rechts Esser I I § 110 I I 2 b; Fikentscher § 106 I I I 2; Erman-Drees § 837 Rdnr. 3; RGRK-Kreft § 837 Rdnr. 2, 5, unklar 6; StaudingerSchäfer § 837 Rdnr. 4 lehnt Miete als Recht iSd § 837 mit der Begründung ab, daß der „Mietbesitz" grundsätzlich nicht so „geartet" sei, daß die Haftung für fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte Unterhaltung dem Mieter des Hauses zufalle. Dagegen ist zu sagen, daß die Haftung nicht Voraussetzung des § 837 ist, sondern daß die Vorschrift — umgekehrt — die Haftung für den Besitzer begründet. — Ist dem Käufer der Besitz, aber noch nicht das Eigentum verschafft, so ist er nicht Eigenbesitzer, daher liegt § 837 nicht vor; anders Enneccerus-Lehmann ebd. 15 Vgl. Enneccerus-Lehmann § 239 I 4c; MK-Mertens § 837 Rdnr. 3; Erman-Drees § 837 Rdnr. 2; RGRK-Kreft § 837 Rdnr. 2 aE; Jauernig-Teichmann § 837 Anm. 2; Palandt-Thomas § 837 Anm. 1. 16 Oben I I 2 h bb bbb, ccc. 17 Vgl. auch Staudinger-Schäfer § 837 Rdnr. 1; Erman-Drees § 837 Rdnr. 1 2. Absatz; RGRK-Kreft § 837 Rdnr. 1 aE, die den Grundgedanken des § 837 in der Möglichkeit des Besitzers sehen, Maßnahmen zur Gefahrenabwendung zu ergreifen. Die einschränkenden Zusätze, wonach der Besitzer dazu nur „in der Regel" (Drees ebd.), „in erster Linie" (Kreft ebd.) oder „vorzugsweise" (Schäfer ebd.) in der Lage sei, stiften unnötig Verwirrung, weil sie den Eindruck erwecken, als wenn es noch andere Verpflichtete gäbe. 18
Oben Fn. 3.
3 1 2 .
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Haftung nach § 837 ist, gäbe es keine dogmatische Erklärung 19 . Denkbar ist allerdings, daß die Stellung als dinglich Berechtigter, z.B. als Erbbau- oder Dienstbarkeitsberechtigter, zu einer Verantwortung Dritten gegenüber führt, so wie die Stellung als Eigentümer von manchen als haftungsbegründender Faktor angesehen wird 2 0 . Darauf, ob diese Betrachtung generell zutreffend ist, kommt es hier nicht an. Der Gesetzgeber wendet sich gerade gegen eine Haftung kraft Rechtes. Die Gesetzesmaterialien belegen, daß eine Verantwortung des Eigentümers in Anlehnung an andere damals geltende Rechte abgelehnt wurde 21 . Dies führt zu dem dargelegten, gesetzgeberischen Grundgedanken der Verpflichtung infolge Besitzes (soeben). Damit stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber ein Recht als Basis des Gebäudebesitzes in § 837 aufgenommen hat. Die Antwort liegt auf der Hand: Besitz an einem Gebäude auf fremdem Grundstück kommt gewöhnlich nur vor, wenn dem Besitzer ein Recht dazu, etwa ein Erbbaurecht, eine Dienstbarkeit oder ein Pachtrecht, eingeräumt wurde. Die von § 837 vorausgesetzte Rechtsausübung dient damit lediglich der Beschreibung eines Falles, in dem der spezielle zu regelnde Sachverhalt des Gebäudebesitzes auf fremdem Grund und Boden gegeben ist. Damit steht fest, daß das die Basis des Besitzes bildende Recht nicht wirksam sein muß, um die Haftung nach § 837 auszulösen22. 4. Besitzart Nicht anders als § 836 liegt auch § 837 der gemeinrechtliche Besitzbegriff zugrunde 23 . Das zu § 836 gewonnene Ergebnis für die Frage der Anwendbarkeit der Besitzarten des BGB gilt für § 837 gleichermaßen 24. Der Unterschied beider Vorschriften liegt lediglich im Objekt des Besitzes, das sich in § 836 auf das Grundstück erstreckt und das in § 837 auf das Gebäude beschränkt ist. Es haften also gemäß § 837 der unmittelbare und der mittelbare Besitzer (§ 868), ferner der Besitzer auf Grund Besitzdienerschaft (§ 855) und der Erbbesitzer (§ 857), sofern dieser Kenntnis von der Erbschaft hat. Auch Mitbesitz und Teilbesitz sind denkbar (§§ 866,865). So etwa ist der mittelbare Gebäudebesitzer haftbar, wenn er das Gebäude auf Grund Miete, Pacht oder Nießbrauch einem anderen überläßt 25 . 19
Möglicherweise aber in der Richtung Staudinger-Schäfer § 837 Rdnr. 4. Oben 7. Kap. § 3 Β II, § 4 C I I I (Pleyer, Kübler). 21 Oben I I 2 b. 22 § 838 BGB wirft ähnliche Probleme auf, s. unten IV 2e. 23 Oben I I 2d. 24 Oben I I 2 h bb cc, i. 25 Da der mittelbare Besitzer nach § 837 Eigenbesitzer sein muß, handelt es sich nicht um den Fall der Unterverpachtung oder -Vermietung. Die hier entstehende Frage, wonach 20
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5. Übrige Haftungsvoraussetzungen und Haftungsbegrenzung gem. § 836 I I BGB Die weiteren Haftungsvoraussetzungen des § 837 entsprechen denjenigen des § 836. § 837 umreißt nur den darin speziell geregelten Fall und nimmt im übrigen Tatbestand und Rechtsfolge des § 836 in sich auf. Dies folgt unmittelbar aus der Fassung der Vorschrift, in der es heißt, daß den Gebäudebesitzer „an Stelle des Besitzers des Grundstücks die im § 836 bestimmte Verantwortlichkeit" treffe. Notwendig sind demgemäß die Verletzung einer Unterhaltungspflicht sowie deren Kausalität für den Einsturz des Gebäudes oder die Ablösung von Teilen 26 . Ferner gilt auf Grund der Bezugnahme auf § 836 die Haftungsbegrenzung des Absatzes II. Die Haftung des Gebäudebesitzers entfallt also, wenn sein Nachfolger selbst gem. § 836 I oder § 837 haftet oder wenn ein Jahr nach dem Besitzende verstrichen ist 2 7 . IV. Der nach § 838 BGB Verpflichtete 1. Einleitung Anders als die vorhergehenden §§ 836, 837 knüpft § 838 die Haftung nicht an die Besitzstellung, sondern an die Übernahme der Unterhaltung für den Besitzer (§ 838 1. Alt.) oder an die mit einem Nutzungsrecht verbundene Unterhaltungspflicht (§ 838 2. Alt). Die Vorschrift ist nur scheinbar ohne weiteres verständlich. Zwar wirft ihre 1. Alt. Probleme wegen der näheren rechtlichen Qualität der Übernahme der Unterhaltung des Bauwerks auf; teilweise wird bezweifelt, daß § 838 einen bindenden Übernahmevertrag voraussetzt, weil die Bestimmung dies ausdrücklich nicht verlangt, sondern nur die Übernahme der Unterhaltung selbst. Doch abgesehen von dieser Interpretationsschwierigkeit scheint der Inhalt der Vorschrift deutlich zu sein: Nach ihrer 1. Alt. handelt es sich um eine Übernahme der Unterhaltung durch Übereinkunft der Parteien im Gegensatz zu der gesetzlich entstehenden Unterhaltungspflicht kraft Nutzungsrecht nach der 2. Alt., ζ. B. auf Grund Nießbrauchs (§ 1041 S. 2 BGB). — Doch stellt § 838 vor gewichtige dogmatische Grundfragen, und zwar gerade deshalb, weil er die Verantwortlichkeit gegenüber Dritten an eine interne Übernahme der Unterhaltung bindet. Dieser Standpunkt des Gesetzes ist nicht verständlich, denn es widerspricht zivilrechtlichen Grundvorstellungen, daß — vertragliche oder gesetzliche — Schuldverhältnisse Verpflichtungen gegenüber Außenstehenden begründen. Es entsteht damit die Frage, warum der Gesetzgeber die deliktische in diesen Fällen der unmittelbare Besitzer haftet, gehört nicht zum vorliegenden Thema des § 837. Da er Fremdbesitzer ist, kommt § 837 nicht in Betracht, § 836 nicht, weil der Besitz nur am Grundstück besteht. Denkbar ist eine Haftung nach § 838, die aber beschränkt ist auf bestimmte Fremdbesitzer; im einzelnen unten IV. 26 27
Dazu oben I I 3, 5. Im einzelnen oben I I 6.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Haftung hier von einem internen Rechtsverhältnis abhängig macht. Hierin liegt zugleich die Frage nach dem eigentlichen Haftungsgrund der Vorschrift. Wenn es nicht richtig ist, daß Voraussetzung der Haftung des § 838 das zwischen dem Übernehmenden und dem Überlassenden bestehende Innenverhältnis ist, müssen die Haftungserfordernisse anderer Art sein. Dieses den Kern der Bestimmung treffende Problem ist bisher nicht untersucht worden. Seine Behandlung wird ergeben, daß § 838 eine wenig geglückte Regelung enthält, daß ihr aber dennoch bedeutsame Erkenntnisse für das vorliegende Thema der negatorischen Haftung zu entnehmen sind. Die Untersuchung wendet sich zunächst der Interpretation der Vorschrift zu, wie sie sich auf Grund ihres Wortlauts ergibt (unten 2). Sodann versucht sie, das genannte dogmatische Problem des Haftungsgrundes zu klären (unten 3); aus dieser Analyse werden sich die eigentlichen Haftungsvoraussetzungen des § 838 ergeben (unten 3 c bb, 4, 5). Weiter werden sich wegen einer in § 838 enthaltenen Regelungslücke Probleme einer Analogie ergeben (unten 6). Schließlich stellt sich auch für § 838 die Frage der Haftungsbegrenzung gem. § 836 I I (unten 7).
2. Unmittelbar in § 838 enthaltene Voraussetzungen a) Übernahme der Unterhaltung (§ 838 1. Fall) aa) Einleitung
Nach § 838 1. Alt. haftet, wer die Unterhaltung eines Gebäudes oder anderen Werkes für den Besitzer übernimmt. Zunächst ist festzustellen, welche rechtliche Qualität das Gesetz für diese Übernahme verlangt, ob es sich also um einen obligatorischen Vertrag, eine Übereinkunft der Parteien ohne bindenden Charakter oder ein einseitiges An-sich-Nehmen durch den Betreffenden handelt (unten bb). Die Untersuchung wird ergeben, daß Voraussetzung ein verpflichtender Schuldvertrag ist (unten bb bbb, ccc). Dessen näherer Inhalt wird in einem darauffolgenden Abschnitt dargestellt (unten cc). bb) Rechtliche Qualität der Unterhaltungsübernahme aaa) Wortlaut des § 838 und übliche Interpretation der Vorschrift in Literatur und Rechtsprechung
Man kann die Wendung des § 838: „Übernahme der Unterhaltung" aus juristischer Sicht als verkürzte Ausdrucksweise verstehen, die besagen will: „Übernahme der Unterhaltung durch Vertrag". So aufgefaßt würde sie bedeuten: „Übernahme der Unterhaltung auf Grund vertraglicher Verpflichtung" oder auch „Übernahme der Verpflichtung zur Unterhaltung". In jedem Falle würde diese so verstandene Wendung bedeuten, daß Grundlage der Unterhaltungsübernahme ein verpflichtender Vertrag ist. Wörtlich genommen
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allerdings bedeutet der Ausdruck lediglich, daß der Betreffende den Unterhalt tatsächlich durchführt, ohne daß damit über dessen Rechtsgrundlage etwas ausgesagt ist 1 . Wegen dieser nicht eindeutigen Position des § 838 ist die Frage, ob die Vorschrift einen Vertrag voraussetzt, umstritten. Überwiegend wird — ohne Rechtfertigung — angenommen, daß ein Vertrag Haftungserfordernis sei 2 , während ein Teil des Schrifttums einen Vertrag nicht für notwendig hält mit der Begründung, daß die Vorschrift dies nicht verlange 3. Dabei wird auch auf die §§831 II, 832 II, 834 BGB verwiesen. Dort ist die Haftung desjenigen festgelegt, der die Pflicht zur Aufsicht gegenüber Personen übernimmt, die ihrerseits (gesetzlich) zur Aufsicht verpflichtet sind (s. §§831 I, 832 I, 833); im einzelnen handelt es sich um die Übernahme der Aufsicht über Verrichtungsgehilfen (§ 831 II), aufsichtsbedürftige Personen wie Minderjährige (§ 832 II) und über Tiere (§ 834). Die Vorschriften enthalten also eine ähnliche Regelung wie § 838, setzen aber eine Übernahme „durch Vertrag" ausdrücklich voraus. Aus diesem Fehlen einer derartigen Bestimmung in § 838 wird gefolgert, daß diese Vorschrift einen Vertrag nicht fordere 4 . bbb) Untersuchung
Auf Grund des richtig verstandenen Wortlauts der Vorschrift und ihrer Entstehungsgeschichte steht es außer Zweifel, daß § 838 eine Übernahme der Unterhaltung auf der Grundlage eines rechtlich bindenden Schuldvertrages voraussetzt. Was den Wortlaut angeht, so muß die 1. Alt. der Vorschrift unter Einbeziehung der 2. Alt. gedeutet werden. Aus dieser Gesamtbetrachtung der Bestimmung ergibt sich, daß der Gesetzgeber demjenigen die Verantwortung auferlegen wollte, der zur Unterhaltung des Gebäudes gegenüber dem Besitzer 1 Zwischen Verpflichtungsgeschäft und dessen Vollzug durch „Übernahme" unterscheidet Ulmer JZ 1969,163,164 r. Sp. letzter Absatz, 1651. Sp. 1. Absatz im Anschluß an Dietz [Anspruchskonkurrenz bei Vertragsverletzung und Delikt (1934), S. 319ff., zitiert bei Ulmer ebd. Fn. 18] für die dem § 838 parallelen Vorschriften der §§ 831 II, 832 II, 834 BGB. Zu diesen Bestimmungen sogleich unten 2 a bb bbb. 2
Enneccerus-Lehmann § 2391 d; Larenz I I § 73 III; Esser I I § 110 I I 2 d; Soergel-Zeuner § 838 Rdnr. 2; Erman-Drees § 838 Rdnr. 2; Jauernig-Teichmann § 838 Anm. 1; PalandtThomas § 838 Anm. 1 ; im Grundsatz auch BGHZ 6,315,317; 21,285,2912. Absatz, 2921. Absatz (Gleichstellung gesetzlichen Schuldverhältnisses mit vertraglicher Übernahme). 3 Ulmer JZ 1969, 163, 165 l.Sp. 2. Absatz mit Fn. 19; MK-Mertens § 838 Rdnr. 2; Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 3; ohne Begründung RGRK-Kreft § 838 Rdnr. 3; Staudinger-Schäfer Rdnr. 4-6 und Kreft ebd. schließen sich BGHZ 21,285,291 2. Absatz an, wonach ein gesetzliches Schuldverhältnis ausreichend ist, wenn die Unterhaltungsübernahme auf freiem Willensentschluß des Übernehmenden beruhe; in dem genannten Fall handelte es sich um eine Gebäudeverwaltung durch einen Treuhänder der alliierten Militärregierung gem. MilRegG Nr. 52. Für einseitige, lediglich tatsächliche Übernahme RGRK-Kreft § 838 Rdnr. 3 aE; dagegen Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 7 zu Beginn. 4 MK-Mertens § 838 Rdnr. 2; Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 3; wohl auch Ulmer JZ 1969, 165 l.Sp. 2. Absatz mit Fn. 19.
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verpflichtet ist. Zwei Wege schwebten ihm vor, auf denen die Unterhaltungspflicht entsteht: ein vertraglicher und ein gesetzlicher. Die Notwendigkeit einer Verpflichtung zur Unterhaltung folgt bei der 2. Alt. des § 838 bereits aus dem Wortlaut, der besagt, daß die Haftung eingreift für den, der das Gebäude „vermöge eines ihm zustehenden Nutzungsrechts zu unterhalten hat". Gedacht ist hier also an den Fall, daß die Unterhaltungspflicht gesetzlich an das Nutzungsrecht gebunden ist, etwa wie im Falle eines Nießbrauchs (s. § 1041 S. 2 BGB). Da hier also eine Verpflichtung zur Unterhaltung Voraussetzung ist und der Entstehungsgrund dieser Verpflichtung als weitere Möglichkeit der Haftungsbegründung neben das Erfordernis der Unterhaltungsübernahme (1.-Alt.) gestellt ist, muß auch dieses Erfordernis als für den Übernehmer verpflichtend verstanden werden. Anderenfalls wäre Voraussetzung der Haftung einmal eine Verpflichtung zur Unterhaltung, einmal eine unverbindliche Übernahme der Unterhaltung. Daß statt dessen inhaltlich parallele Tatbestandsmerkmale geschaffen werden sollten, belegen auch die Protokolle. Die Unterhaltungspflicht kraft Nutzungsrechts ist durch die 2. Kommission in die Vorschrift eingefügt worden 5 , um, wie es dort heißt, damit zu verdeutlichen, daß „auch derjenige, welcher kraft eines Nießbrauches, Wohnungsrechtes usw. das Gebäude benutzt, nicht nur gegenüber dem Eigenthümer, sondern auch gegenüber dem Dritten zur Instandhaltung des Gebäudes verpflichtet ist" 6 . Damit ist klar gesagt, daß die Unterhaltungsübernahme (ebenfalls) auf einer Verpflichtung basieren sollte. Weitere Belege für den Vertragscharakter der Unterhaltungsübernahme bieten die Gesetzesmaterialien zu den dem § 838 ähnlichen Vorschriften der §§831 II, 832 II, 834 (s. soeben aaa). Sie zeigen, daß der Gesetzgeber bei Schaffung aller vier Bestimmungen deren parallele Gestaltung im Auge gehabt hat und einheitlich bei allen Vorschriften an eine Übernahme auf Grund Vertrages gedacht hat. Für § 832 II, der — worauf sogleich noch zurückzukommen ist — zunächst ebensowenig wie der heutige § 838 den ausdrücklichen Zusatz der Übernahme „durch Vertrag" enthielt, wird in den Protokollen auf die rechtliche Grundlage der Übernahme näher eingegangen. Ein Kommissionsmitglied (Jacubezky)7 war der Auffassung, daß nicht nur demjenigen die Verantwortlichkeit gegenüber Dritten aufzuerlegen sei, der gesetzlich zur Übernahme der Aufsicht verpflichtet sei oder der vertragsmäßig von dem kraft Gesetzes dazu Verpflichteten die Führung der Aufsicht übernommen habe. Vielmehr müsse jeder, der eine 5
Vgl. die § 838 BGB entsprechenden Vorschriften § 735 I I I E I, § 761 E II, beide abgedruckt bei Mugdan I I S. C X X X I . 6 Prot. Mugdan I I S. 1152 (unter C), dort ist mit dem „Zusatzantrag", auf den die Einfügung der 2. Alt. zurückgeht, der Antrag 11 gemeint, abgedruckt bei Mugdan I I S. 1149. Er stammt von Jacubezky, s. Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse III, S. 994. — Hervorhebungen oben im Text von Verf. 7 Vgl. Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse III, S. 943.
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aufsichtsbedürftige Person unter Obhut halte, z.B. derjenige, der sich eines verlassenen Kindes angenommen habe, Dritten gegenüber haftbar sein 8 . Demgegenüber vertrat die Mehrheit der Kommissionsmitglieder die Ansicht, daß derjenige, der einen Schutzbedürftigen tatsächlich in seine Obhut nehme, noch nicht die Verpflichtung zur Beaufsichtigung übernehme. Eine solche „freiwillige Übernahme" der Obhut, die häufig nur in der Vornahme einer Handlung oder einzelner vorübergehender Handlungen bestehe, lege dem Aufsichtsführenden Dritten gegenüber keine Verpflichtung auf. Eine solche Verpflichtung sei dem Verkehr vollständig fremd 9 . Aus diesen Erörterungen geht zweifelsfrei hervor, daß die Verfasser des § 832 I I BGB die Haftung Dritten gegenüber an eine vertragliche Verpflichtung knüpfen wollten. Daß aber die §§ 838, 834 und 832 I I BGB einander entsprechende Vorschriften sein sollten, ergeben die Protokolle der Beratungen der 1. Kommission zu § 838 BGB, die sich für die Schaffung des § 838 auf § 834 berufen 10 . Die hierzu vorliegenden Protokolle verweisen wiederum auf die Beratungen zu § 832 I I 1 1 . Hier wird also ein Gesamtkonzept sichtbar. Abgesehen von der erwähnten Diskussion, die durch den Antrag eines Mitgliedes angeregt wurde, war dem Gesetzgeber der Vertragscharakter der Übernahme aber so wenig zweifelhaft, daß er sich der Frage sonst nicht widmete. Dementsprechend waren auch die §§ 832 I I und 834 ursprünglich, und zwar übereinstimmend im 1. und 2. Entwurf, wie der heutige § 838 gefaßt; sie enthielten den Zusatz „durch Vertrag" nicht 1 2 . Ebenso war § 831 II, der durch die 2. Kommission geschaffen wurde 1 3 , zunächst gefaßt wie § 838 14 . Der in den geltenden Fassungen enthaltene Zusatz, wonach die Übernahme durch Vertrag erfolgen müsse, ist erst durch die Reichstagskommission eingefügt worden. Die Entwurfsvorschrift über die Haftung desjenigen, der die Aufsicht über eine 8
Prot. Mugdan I I S. 1090 3. Absatz.
9
Prot. ebd. 4. Absatz. Jakobs/Schubert ebd. S. 989 1. Absatz (Verweis auf „vorhergehenden Artikel") = Mot. Mugdan I I S. 457 letzter Absatz, Verweis für § 735 I I I E I = § 838 BGB (abgedruckt bei Mugdan I I S. C X X X I ) auf § 734 I I E I = § 834 BGB (abgedruckt bei Mugdan I I S. CXXX). Dazu auch unten 3 c aa. 11 Die Mot. zu § 834 BGB Mugdan IIS. 454 2. Absatz verweisen auf die Mot. zu § 710 I I E I = § 832 I I BGB (abgedruckt bei Mugdan I I S. CXXV) Mugdan I I S. 411 2. Absatz. Die Mot. geben allerdings über die Gründe wenig her. Die Kommission beruft sich für § 834 BGB auf das Interesse des Geschädigten (ebd. S. 454 2. Absatz), für § 832 I I BGB wiederholen sie nur den Inhalt der Vorschrift (ebd. S. 411 2. Absatz). Dazu auch unten 3 c aa. 10
12 Vgl. § 832 I I = § 710 I I E I = § 755 I I E I I (abgedruckt bei Mugdan I I S. CXXV); § 834 BGB = § 734 I I E I = § 756 E I I (abgedruckt bei Mugdan I I S. CXXX); § 838 BGB = § 735 I I I E I = § 761 E I I (abgedruckt bei Mugdan I I S. CXXXI). 13 Vgl. den 1. Entwurf für die Haftung für Verrichtungsgehilfen in §§711, 712, abgedruckt bei Mugdan I I S. CXXV. 14 Vgl. § 754 I I E II, abgedruckt bei Mugdan ebd.
3 1 2 .
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Person übernimmt, lag ihr in der durch die 1. und 2. Kommission geschaffenen folgenden Fassung vor: Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher die Führung der Aufsicht für den kraft Gesetzes Verpflichteten übernommen hat. 1 5
Die Reichstagskommission beschloß, die Worte „für den kraft Gesetzes Verpflichteten" zu streichen und dafür die Worte „durch Vertrag" einzufügen. Damit solle klargestellt werden, daß, während Absatz I des § 832 BGB von den gesetzlich zur Beaufsichtigung Verpflichteten spricht, Absatz I I diejenigen treffen wolle, welche die Verpflichtung vertragsmäßig übernommen hätten, nicht dagegen solche Personen, die „etwa nur thatsächlich sich der Beaufsichtigung unterzogen haben" 16 . Damit hatte die Reichstagskommission dem Willen des Gesetzgebers auch äußerlich Geltung verschafft. Für die entsprechenden Änderungen der §§831 und 834 verweisen die Protokolle zu den Beschlüssen der Reichstagskommission nur auf die Ausführungen zu § 832 17 . — Eine entsprechende Ergänzung des § 838 ist offenkundig versehentlich versäumt worden. Die Erklärung kann darin liegen, daß zu § 838 Beratungen nicht mehr stattfanden 18 . Der fehlende Zusatz beruht also auf einer äußeren Zufälligkeit, so daß die aus der Gegenüberstellung dieser Vorschrift mit den §§ 831 II, 832 II, 834 BGB in der Literatur gezogenen Schlußfolgerungen nicht zulässig sind 19 . ccc) Ergebnis zu aaa und bbb
Angesichts dieses entstehungsgeschichtlichen Hintergrundes darf als gesichert gelten, daß Grundlage der Haftung des § 838 ein Vertrag ist. cc) Gegenstand des Vertrages
iSd § 838 1. Fall
Der Inhalt der nach § 838 1. Fall erforderlichen Abrede muß gerade die Unterhaltung des Gebäudes sein. Der Betreffende muß sich also verpflichten, den Zustand des Bauwerks zu überwachen und Mängel zu beseitigen (Vertrag nach § 675 BGB). Verträge, auf Grund derer jemand die Verwaltung eines Hauses übernimmt, gehören hierher 20 . Doch braucht diese Pflicht nicht der 15
Vgl. §§710 II, 755 I I E I und II, Mugdan I I S. CXXV. Mugdan I I S. 1300 letzter Absatz, 1301 1. Absatz (unter V I I I ; der dort zitierte § 816 entspricht § 832 BGB). 17 Mugdan I I S. 1300 vorletzter Absatz (unter V I I wird § 815 besprochen, der § 831 BGB entspricht), S. 1301 3. Absatz (unter X wird § 818 zitiert, der § 834 BGB entspricht; zu dem dort zitierten § 816 s. Fn. 16). 18 Vgl. Mugdan I I S. 1304 (unter I), wo nur noch einmal die Haftung des Gebäudebesitzers nach §§ 836, 837 BGB aufgegriffen wird ( = § 820, 822 a Reichstagsvorlage). 19 Wenn Ulmer JZ 1969, 165 Fn. 19 meint, daß der Grund für den in § 838 BGB fehlenden Zusatz („durch Vertrag") sich aus den Gesetzesmaterialien nicht erkennen lasse, so ist dies nur insofern zutreffend, als der Grund den Materialien zu § 838 BGB allein nicht zu entnehmen ist. 16
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alleinige Gegenstand des Vertrages zu sein. So fallen unter § 838 1. A l t . M i e t oder Pachtverträge, die dem Übernehmer des Bauwerks, über die gesetzliche Regelung hinausgehend (s. §§ 536, 581 I I , 582, 586 I B G B ) , die Pflicht zur Unterhaltung auferlegen 2 1 . b) Unterhaltungspflicht vermöge eines Nutzungsrechtes (§ 838 2. Fall) N a c h der 2. A l t . des § 8 3 8 2 2 haften diejenigen, die das Gebäude oder Werk vermöge eines Nutzungsrechtes zu unterhalten haben. Anders als nach der 1. A l t . der Vorschrift entsteht die H a f t u n g hier also nicht auf G r u n d eines die Unterhaltungspflicht begründenden Vertrages, sondern auf G r u n d eines dem Verpflichteten eingeräumten Nutzungsrechtes, das das Gesetz m i t einer Unterhaltungspflicht verbindet. I n Betracht k o m m e n sowohl dingliche als auch obligatorische Nutzungsrechte 2 3 . Nießbrauch, Dienstbarkeit u n d Erbbaurecht verpflichten den Berechtigten zur U n t e r h a l t u n g des Gebäudes (§§ 1041 S. 2, 1020 S. 2 B G B , § 2 N r . 1 E r b a u R V O ) 2 4 , ferner die Pacht, wenn Gegenstand des Vertrages ein landwirtschaftliches Grundstück ist oder ein (anderes) G r u n d stück m i t Inventar (§§ 582, 586 I B G B ) , schließlich auch — i m Gegensatz zur Miete (§ 536 B G B ) — die Leihe (§ 6011 B G B ) . D a das Erbbaurecht gerade darin besteht, ein Bauwerk a u f fremdem Grundstück zu haben, Besitz an Grundstück u n d Bauwerk also auseinanderfallen, ist bei diesem Recht der F a l l des § 837 gegeben. Z w a r greift nach dem W o r t l a u t („Nutzungsrecht") daneben auch § 838
20 Beispiel BGHZ 6, 315: Beklagter war der Verwalter eines einer Bank gehörigen Lichtspieltheaters; die Decke des Gebäudes war zusammengebrochen. 21 Vgl. auch Fikentscher § 106 I I I 2; MK-Mertens § 838 Rdnr. 5; Erman-Drees § 838 Rdnr. 3. Die Frage, ob Vertragspartner gerade der Besitzer sein muß oder ob dies auch eine andere Person sein kann, kann hier offen bleiben. Der Wortlaut des § 838 (Unterhaltungsübernahme „für den Besitzer") deutet auf erstere Möglichkeit hin. ErmanDrees § 838 Rdnr. 2 aE hält auch die letztere Lösung für möglich. Entsprechendes äußert die Reichstagskommission zu § 832 I I BGB, wonach die vertragsmäßig zur Aufsichtsführung Verpflichteten auch dann haften, wenn es an einem gesetzlich Verpflichteten fehle, s. Mugdan I I S. 1301 oben. 22
Eingefügt durch die 2. Kommission s. oben a bb bbb Fn. 6. Die Ausdrucksweise der Prot. (s. das Zitat oben ebd. vor Fn. 6), wonach diese Alternative „verdeutlichen" solle, daß auch derjenige, der kraft eines Nießbrauchs oder Wohnungsrechtes das Gebäude benutze, nicht nur gegenüber dem Eigentümer, sondern auch gegenüber Dritten zur Instandhaltung des Gebäudes verpflichtet sei, ist mißverständlich, denn diese Verpflichtung schafft § 838 erst; mißverständlich insoweit auch Palandt-Thomas § 838 Anm. 1. 23 Vgl. die Definition der Nutzungen in § 100 BGB; die Nennung des Nießbrauchs und Wohnungsrechts in den Prot. Mugdan I I S. 1152 (unter C) hat beispielhaften Charakter. Demgegenüber scheint die Literatur § 838 nur auf dingliche Rechte anzuwenden, s. die Beispiele bei Esser I I § 110 I I 2d; MK-Mertens § 838 Rdnr. 6; Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 13; Palandt-Thomas § 838 Anm. 1 aE; zur Frage der in der Literatur (jeweils ebd.) befürworteten Anwendbarkeit des § 838 auf § 1649 I I BGB sogleich. 24 Vereinbarungen im Rahmen der §§ 1021 12,1022 S. 2 iVm § 102112 BGB wird man der 1. Alt. des § 838 zurechnen müssen; praktisch ist die Frage bedeutungslos.
3 1 2 .
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ein, doch ergibt sich aus der 1. Alt. der Vorschrift, der Unterhaltungsübernahme, und den in den Protokollen für ein Nutzungsrecht genannten Beispielen des Nießbrauchs und Wohnungsrechtes 25, daß § 838 nur Fälle erfassen soll, in denen der Betreffende das Bauwerk nicht als eigenes, sondern fremdes innehat 26 . Damit fallt das Erbbaurecht nicht unter § 838. Notwendig ist ferner, daß es sich um ein vertraglich begründetes, nicht kraft Gesetzes entstehendes Nutzungsrecht handelt 27 . Auch dies folgt aus der Gleichstellung dieser 2. Alt. des § 838 mit der 1. Alt. der Bestimmung sowie aus den für das Nutzungsrecht in den Protokollen aufgeführten Beispielen28. Im Schrifttum wird allgemein angenommen, daß das Nutzungsrecht, das den Eltern gem. § 1649 I I BGB im Falle der Verwaltung des Kindesvermögens zustehen kann (Vermögenssorge, §§ 1626 I 2, 1638, 1639 I 1 BGB), nach § 838 zu behandeln sei 29 . Dies kann schon deshalb nicht zutreffen, weil die mit der Pflicht zur Vermögensverwaltung verbundene Unterhaltungspflicht unabhängig von dem nach § 1649 I I BGB gegebenen Nutzungsrecht entsteht, diese also nicht Folge des Nutzungsrechtes ist. In Betracht kommt also allenfalls eine Analogie, die an anderer Stelle zu klären ist 3 0 . c) Zusammenfassung zu a und b: Zwischenergebnis zu den Voraussetzungen des § 838
Damit steht die ausdrücklich von § 838 verlangte Haftungsvoraussetzung fest. Sie liegt im Bestehen einer Unterhaltungsverpflichtung gegenüber dem überlassenden Besitzer, die entweder auf einem unmittelbar diese Verpflichtung begründenden Vertrag basiert oder auf einem Nutzungsrecht, das gesetzlich mit Unterhaltungspflichten verbunden ist. d) Verletzung der internen Unterhaltungspflicht
Unausgesprochen setzt § 838 außerdem voraus, daß diese gegenüber dem Überlassenden bestehende Pflicht verletzt wurde, denn anders kann es zu Schäden nicht kommen.
25 Prot. Mugdan I I S. 1152 (unter C); mit „Wohnungsrecht" ist die beschränkte persönliche Dienstbarkeit gem. § 1093 BGB ( = § 1050 E I = § 1002 E II, abgedruckt bei Mugdan I I I S. LVII) gemeint. 26 Näher zu dem in § 838 geregelten Fremdbesitz unten 3 c aa, bb. 27 A A Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 13. 28 Vgl. Fn. 25. 29 Esser I I § 110 I I 2d; MK-Mertens § 838 Rdnr. 6; Palandt-Thomas § 838 Anm. 1 aE; Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 13 (im Widerspruch aber dazu Schäfer ebd. Rdnr. 8, wo Schäfer sich gegen eine Anwendung des § 838 auf gesetzliche Unterhaltungspflichtcn wendet). 30 Dazu unten 6.
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e) Die Frage der Wirksamkeit der Unterhaltungspflicht iSd § 838
An diesen Befund schließt sich die Frage an, ob Voraussetzung der Haftung des nach § 838 Verantwortlichen eine wirksam entstehende Unterhaltungspflicht ist, ob also deren Grundlage, Übernahmevertrag oder Nutzungsrecht, gültig sein müssen. Eine ähnliche Frage war im Rahmen des § 837 für die rechtliche Basis des Gebäudebesitzes aufgetaucht (oben I I I 3). Dort konnte sie ohne Schwierigkeiten aus dem Haftungsgrund des § 837, dem Besitz, beantwortet werden. Für § 838 läßt sich das Problem der Wirksamkeit der dort verlangten Rechtsgeschäfte nicht ohne weiteres klären, da die Vorschrift Besitz nicht voraussetzt und der Haftungsgrund der Verantwortlichkeit (s. oben 1) erst mit Hilfe einer Exegese zu ermitteln ist. Dieser widmet sich der folgende Abschnitt (unten 3).
3. Dogmatische Bewertung des § 838: Die Bedeutung der Unterhaltungspflicht und der Haftungsgrund der Vorschrift a) Einleitung: Das Problem
Nach dem bisherigen Befund entsteht mit Verletzung der — vertraglichen oder gesetzlichen — Unterhaltungspflicht des Übernehmenden gegenüber dem Überlassenden die Haftung nach § 838 Dritten gegenüber. Demnach ist Fundament der Haftung die gegenüber dem Überlassenden bestehende interne Unterhaltungspflicht. M i t diesem Ergebnis kann sich die Untersuchung nicht zufriedengeben. Wenn § 838 tatsächlich, wie es nach der äußeren Fassung den Anschein hat, den Grund der Haftung in dem internen Schuldverhältnis sieht, steht die Vorschrift, wie bereits erwähnt (oben 1), mit zivilrechtlichen Grundprinzipien nicht in Einklang. Schuldverhältnisse begründen grundsätzlich lediglich Pflichten zwischen den an dem Verhältnis Beteiligten, nicht gegenüber Außenstehenden. Grund der Haftung des § 838 kann, wie im Falle der §§ 836, 837, nur eine (allgemeine) gegenüber Dritten bestehende Unterhaltungspflicht sein. Damit enthielte § 838 zwei Unterhaltungsverpflichtungen. Bei mangelhafter Unterhaltung des Bauwerks fällt die gegenüber dem Überlassenden begangene Plichtverletzung mit der Unterhaltungspflichtverletzung im Außenverhältnis in tatsächlicher Hinsicht zusammen, da das Substrat der Verpflichtungen dasselbe ist (Bauwerk). Rechtlich jedoch handelt es sich um die Verletzung verschiedener Pflichten. A n einer Grundlage aber für die Statuierung einer allgemeinen, Dritten gegenüber bestehenden Unterhaltungsverpflichtung scheint es zu fehlen, denn das Erfordernis des Besitzes ist in der Bestimmung, anders als in den §§ 836, 837, nicht enthalten. Die Vorschrift wendet sich daher offenbar vom Haftungsprinzip der §§ 836 und 837 ab und setzt an die Stelle des Besitzes ein Schuld Verhältnis. Da diese Position dogmatisch zweifelhaft ist, ist den schon aufgeworfenen (oben 1) Fragen nachzugehen, warum der Gesetzgeber die deliktische Haftung des § 838 an ein für den schadensersatzberechtigten
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Dritten fremdes Schuldverhältnis knüpft und ob dieses tatsächlich als Haftungsgrund der Vorschrift anzusehen ist. Diese Fragen führen zu den eigentlichen dogmatischen Schwierigkeiten der Bestimmung. Es handelt sich um ein Problem, das auch hinsichtlich der vertraglich übernommenen Aufsichtspflicht der dem § 838 parallel gestalteten Vorschriften der §§ 831 II, 832 II, 834 existiert. Dort stellt sich ebenfalls die Frage, warum das Gesetz die Haftung gegenüber Dritten von einer internen Vertragspflicht abhängig macht, obwohl diese Pflicht im Verhältnis zu Dritten grundsätzlich bedeutungslos ist. Schließlich spielt das Problem im Rahmen des § 823 I eine Rolle, wenn jemand, den nach allgemeinen Grundsätzen eine Verkehrssicherungspflicht trifft, die Wahrnehmung dieser Pflicht einem anderen überträgt, etwa indem er den Mieter dafür Sorge tragen läßt, daß im Winter der zum Haus führende Weg gestreut ist. Gewöhnlich wird die Voraussetzung des Vertrages in den §§ 831 II, 832 II, 834 ohne Kritik akzeptiert 1 , wenngleich es, insbesondere im Bereiche der Übernahme der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, Versuche gegeben hat, die Haftung im Außenverhältnis aus der internen Vertragsbindung zu erklären 2 . Zu einer endgültigen Klärung des Problems ist es bisher nicht gekommen. — Im Bereiche des § 838 fehlt es fast gänzlich an Untersuchungen. Lediglich bei Mertens finden sich Äußerungen zu der Frage der Qualität des Verhältnisses von überlassendem Besitzer und Übernehmendem 3 . Mertens gründet sie auf Ausführungen Ulmers, der sich des entsprechenden Problems bei der Übernahme der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht angenommen hat 4 . Ulmer weist auf die in den deliktischen Sondertatbeständen gleichliegende Problematik hin, beschränkt seine Untersuchung jedoch sodann auf allgemeine Deliktsgrundsätze 5. Hier zeigt sich erneut, daß der den §§ 836ff. entnommene Haftungsgedanke in § 823 fortgeführt und ausgebaut wird, bevor die §§ 836 ff. selbst ausgeschöpft sind. Abgesehen davon, daß der in § 838 geregelte Fall der Übernahme der Gebäudeunterhaltung Aufschluß über die dogmatische Einordnung der Übernahme allgemeiner Verkehrssicherungspflichten geben kann, mag die praktische Bedeutung des § 838 im Bereiche des 1
Zu§ 831 BGB: Enneccerus-Lehmann § 241IV; MK-Mertens § 831 Rdnr. 69; ErmanDrees § 831 Rdnr. 47; Palandt-Thomas § 831 Anm. 7. — Zu § 832 BGB: MK-Mertens § 832 Rdnr. 13; Erman-Drees § 832 Rdnr. 9; Palandt-Thomas § 832 Anm. 3 b. — Zu § 834: Enneccerus-Lehmann § 254,1; MK-Mertens § 834 Rdnr. 2; Erman-Drees § 834 Rdnr. 2; Palandt-Thomas §834 Anm. 1. A n diesen Stellen wird jeweils das Vorliegen eines wirksamen Vertrages verlangt. 2 Etwa v. Tuhr I I 2, S. 465/466 zu §§831 II, 832 II, 834, 838: Entstehung einer allgemeinen Sorgfaltspflicht aus einer durch Vertrag einem bestimmten Gläubiger gegenüber übernommenen Verpflichtung; Einzelheiten bei Ulmer JZ 1969,163,166 (unter III) mwN. 3 MK-Mertens § 838 Rdnr. 2 mit Verweis auf seine Kommentierung zu § 823 Rdnr. 198. 4 Ulmer JZ 1969, 165flf. 5 Ebd. S. 164 r.Sp. unter I I l a , S. 165 l.Sp. unter I I l b .
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Schadensersatzrechtes gegenüber der Verkehrssicherungspflicht geringer sein; für den negatorischen Anspruch des § 908 sind die Haftungsvoraussetzungen des § 838 aber von unmittelbar praktischer Relevanz. Im folgenden soll zunächst die auf Untersuchungen Ulmers basierende Ansicht Mertens geschildert werden, die sich mit der rechtlichen Qualität der Unterhaltungsübernahme nach § 838 befaßt und damit auch mit der hier aufgeworfenen Frage des Haftungsgrundes (unten b). I m Anschluß daran wendet sich die vorliegende Arbeit einer eigenen Analyse des § 838 zu (unten c). Diese wird dann auch eine kritische Würdigung der Ansicht Mertens ermöglichen (unten d). b) Qualität und Bedeutung der Unterhaltungspflicht iSd § 838 nach Ansicht Mertens
Ausgehend von seiner Auffassung, daß § 838 ohnehin einen Vertrag nicht verlange 1, will Mertens eine Haftung nach dieser Vorschrift dann annehmen, wenn der Eigenbesitzer aus Erklärungen oder aus dem Verhalten des Übernehmers berechtigterweise den Schluß ziehen dürfe, daß dieser an seiner Stelle die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht übernehmen werde 2 . Diese Anschauung gründet Mertens im einzelnen auf seine Ausführungen zum Fall der Übernahme der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht 3, die ihrerseits, wie erwähnt, auf Darlegungen Ulmers zurückgehen. Nach Ulmer basiert die Haftung des Übernehmenden zwar nicht auf Verletzung des Vertrages mit dem sog. Erstgaranten, weil sich vertragliche und deliktische Haftung grundsätzlich unterschieden 4; die Verletzung vertraglicher Pflichten als solche, so Ulmer und Mertens, könnten nicht zu Deliktsansprüchen dritter Personen gegen den Verletzer führen 5 . Andererseits habe sie ihre Grundlage auch nicht in der Erlangung der tatsächlichen Herrschaftsgewalt; diese reiche zur Begründung deliktsrechtlicher Handlungspflichten nicht aus 6 . Denn dann würde, so meint Ulmer, ungerechtfertigterweise auch der Hilfsbereite haften, der den streunenden Hund zur nächsten Polizeiwache bringe, oder die Frau, die ein entlaufenes Kind in Obhut nehme7. Auch die §§83Iff. begnügten sich nicht mit der tatsächlichen Herrschaftsgewalt, sondern forderten eine konkrete Beziehung, ein eigenes Interesse an der gefahrlichen Person oder Sache, etwa die Haltung des Tieres oder den Eigenbesitz am Gebäude, ebenso wie für die Verkehrssiche1
Oben 2 a bb aaa Fn. 3. MK-Mertens § 838 Rdnr. 2. 3 Vgl. MK-Mertens ebd. mit Verweis auf seine Kommentierung zu § 823 Rdnr. 198. 4 Ulmer ebd. S. 166 r.Sp. unten, 167 l.Sp. 1., 2. Absatz. 5 Ulmer ebd. S. 167 2. Absatz; MK-Mertens § 823 Rdnr. 198 2. Satz, ferner etwa Mitte und gegen Ende, wo es heißt, daß es auf die Wirksamkeit des Vertrages nicht ankomme. Nachw. aus der Rspr. bei Ulmer ebd. Fn. 46. 6 Ulmer ebd. S. 168 (unter 2), 169 l.Sp. 1., 2. Absatz. 7 Ulmer ebd. S. 168 r.Sp. 2. Absatz. 2
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rungspflicht nach § 8231 eine besondere Beziehung des Handlungspflichtigen zu der Sache bestehen müsse8. Mertens sieht im Anschluß an Ulmer den Grund für die Haftung des Übernehmers im Vertrauen des Verkehrs auf dessen Tätigkeit 9 . Dieser schalte sich in das zwischen dem Erstgaranten und dem Verkehr bestehende Vertrauensverhältnis ein und binde sich dadurch, daß er den Erstgaranten durch seine Zusage von eigenen schadensabwendenden Maßnahmen abhalte 10 . Verpflichtend wirke der Umstand, daß der Rechtsverkehr es dem Erstgaranten freistelle, die Erfüllung der Obliegenheiten einem anderen zu übertragen, und daß er ihn in diesem Fall nur zu sorgfaltiger Auswahl und Überwachung verpflichte. Dieser Entlastungsmöglichkeit des Erstgaranten müsse aber die Ausdehnung der deliktsrechtlichen Handlungspflichten auf denjenigen entsprechen, auf den sich der Erstgarant berechtigterweise habe verlassen dürfen, wenn nicht eine Lücke im deliktischen Rechtsschutz entstehen solle 11 . Auf das Bestehen eines Übernahme Vertrages komme es daher nicht an, es könne ein fehlerhafter Vertrag oder eine reine Gefälligkeit vorliegen 12 , es müsse aber ein Mindestmaß an Übereinkunft zwischen dem Erstgaranten und dem Übernehmer gegeben sein, das diesen an die Stelle des Erstgaranten treten lasse13. c) Untersuchung aa) Das gesetzgeberische Motiv för die Schaffung des § 838
Für denjenigen, der die §§ 836 bis 838 insgesamt aus der Sicht der BGBBesitzlehre überschaut, muß es verwunderlich erscheinen (s. schon oben I I 2 a), daß § 838 von dem in den §§ 836, 837 niedergelegten Prinzip abweicht und die Haftung hier nicht an den Besitz bindet. Nach dem Besitzverständnis des BGB sind die nach § 838 haftenden Personen ebenso wie die nach den §§ 836, 837 Verantwortlichen Besitzer, und zwar, anders als jene, nicht Eigen-, sondern Fremdbesitzer. Der Grundgedanke der §§ 836, 837, der in der mit dem Besitz verknüpften Sachbeziehung liegt, ist aber unabhängig von dem Willen, die Sache als eigene oder fremde zu besitzen; folglich greift dieser Gedanke auch im Falle des Fremdbesitzes ein. Von daher muß es unverständlich erscheinen, daß § 838 die Haftungsvoraussetzung des Besitzes nicht enthält. A n diesem System-
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Ulmer ebd. S. 169 l.Sp. 1. Absatz. Ulmer ebd. S. 1711. Sp. 3. - 5. Absatz, 172 r. Sp. 1. Absatz; allgemein ebd. S. 1701. Sp.; MK-Mertens § 823 Rdnr. 198 („legitime Verkehrserwartungen", „Vertrauensposition" des Übernehmers). 10 Ulmer ebd. S. 171 l.Sp. 3. Absatz gegen Ende. 11 Ulmer ebd. S. 171 1. Sp. 3. Absatz, 174 r. Sp. unter V I I 1; ihm folgend MK-Mertens § 823 Rdnr. 198. 12 Ulmer ebd. S. 174 r.Sp. unter V I I 2. 13 Ulmer ebd. S. 172 r.Sp. 9
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bruch, den die Vorschrift, wie es scheint, enthält, ist jedoch in Wissenschaft und Rechtsprechung bisher kein Anstoß genommen worden. Daß der Gesetzgeber in § 838 von seinem Prinzip abzurücken scheint, ist nur aus dem hier schon dargelegten Besitzverständnis des Gesetzgebers erklärbar 1 : Die nach § 838 haftenden Personen, wie beispielsweise der zum Unterhalt verpflichtete Nießbraucher oder Pächter, haben die Sache nicht als eigene, sondern fremde inne, sie waren also nach damaliger, römisch-gemeinrechtlicher Vorstellung, an der der Gesetzgeber der §§ 836 ff. BGB festhalten wollte, keine Besitzer. Somit konnten die nach § 838 Verpflichteten auch nicht als Besitzer bezeichnet werden. Damit ist aber nur ein Negativum erklärt. Es stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber diejenigen, die seiner Auffassung nach nicht Besitzer, sondern nur Detentoren oder Inhaber waren, für haftbar erklärte. Da er sich in längeren Beratungen für die Verantwortlichkeit des Besitzers aussprach, steht die Haftung von Nicht-Besitzern mit diesen Überlegungen in Widerspruch. In den Protokollen hatte es ausdrücklich geheißen, daß unter § 735 ( = §§ 836-838 BGB) nur der „juristische Besitzer" zu verstehen sei, „so daß der Pächter, Miether usw. nicht darunter falle" 2 . Daß § 838 daher aus dem Rahmen fiel, klingt in den Beratungen an, denn die Materialien berichten, daß man es in der 2. Kommission für „formell bedenklich" hielt, „den Nießbraucher usw. ohne Weiteres kraft seines Rechtes für verpflichtet zu erklären, während der Eigenthümer... nur verhaftet sei, soweit er den Besitz des Gebäudes habe. Demgegenüber wurde daraufhingewiesen (sc. in den Beratungen), daß auch im letzteren Falle der Nießbraucher usw. nur hafte, wenn er dem Eigenthümer gegenüber zur Instandhaltung des Gebäudes verpflichtet sei und die ihm obliegende Sorgfalt nicht beobachtet habe" 3 . Was hier beanstandet wird, ist die nach dem Wortlaut des § 838 eintretende Haftung auf Grund des Rechtes, die schon im Falle des § 836 hinsichtlich des Eigentums für nicht sachgerecht gehalten wurde, weil man erkannt hatte, daß das Recht allein keine verpflichtende Kraft hat, sondern nur die faktische Zugriffsmöglichkeit 4 . Das gegen dieses Bedenken vorgebrachte Argument ist freilich unklar. Die Berufung auf die Verpflichtung dem Besitzer gegenüber klingt wie eine Vertröstung in dem Sinne, daß den Betreffenden „ohnehin" eine Unterhaltungspflicht treffe. Immerhin aber scheint hier der vom Grundkonzept des Gesetzgebers her als tragend angesehene Haftungsgedanke wieder aufzutauchen, wenn auch Konsequenzen daraus nicht gezogen werden.
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Oben I I 2b-g. Prot. Mugdan I I S. 1149 vorletzter Absatz. Prot. Mugdan I I S. 1152 (unter C). Oben I I 2 h bb bbb, ccc, ddd.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Nach ausdrücklichen Begründungen für die Loslösung vom Besitzprinzip und für die Haftung des Detentors sucht man in den Materialien vergeblich. Den Antrag, auf den der heutige § 838 zurückgeht 5 , billigte die 1. Kommission mit der Bemerkung, die „Ausdehnung" der Verantwortlichkeit auf denjenigen, der die Unterhaltspflicht übernommen habe, stehe im Einklang mit der zu dem vorhergehenden Artikel beschlossenen entsprechenden Vorschrift 6 . M i t dieser Vorschrift, auf die die Beratungen hier Bezug nehmen, ist die zu § 834 BGB vorgelegene Entwurfsbestimmung gemeint. Sie enthält, wie an anderer Stelle schon dargelegt wurde 7 , eine dem § 838 entsprechende Regelung, indem sie die Haftung desjenigen anordnet, der die Aufsicht über ein Tier für den Tierhalter (§ 833 BGB) übernommen hat. Die Beratungen zu dieser Vorschrift (§ 834 BGB) geben aber ihrerseits in dogmatischer Hinsicht keinen Aufschluß. Dort heißt es nur, die „Ausdehnung" habe man nicht für selbstverständlich, aber in sachlicher Hinsicht für unbedenklich und wegen des Regresses für unerläßlich gehalten8. Es waren also praktische Gründe, die zu der Bestimmung geführt haben. Ähnlich lautet die kurze Bemerkung in den Protokollen der mit § 832 I I BGB befaßten 1. Kommission. Auf diese Vorschrift verweisen die Beratungen zu § 838 zwar nicht, doch da auch sie § 838 und § 834 entspricht, könnten die dortigen Erwägungen des Gesetzgebers Hinweise für die dogmatische Beurteilung des Haftungsgrundes geben. § 832 I I BGB regelt die Haftung von Personen, die die Aufsicht über eine betreuungsbedürftige Person für den gesetzlich Aufsichtspflichtigen (§ 8321 BGB) übernommen haben. Auch hier heißt es nur lapidar, man habe die Ergänzung der Haftung „zur Erreichung des Zweckes des Gesetzes für unerläßlich" gehalten9. Die Motive zu § 838 weisen ebenfalls auf die Übereinstimmung dieser Vorschrift mit § 834 BGB hin; sie stellen fest, § 838 BGB beruhe auf „ähnlichen Gründen" wie die, die zur Vorschrift über die Haftung des Tieraufsehers (§ 734 I I E I) geführt hätten 10 . Die zu § 834 BGB nachzulesenden Gründe werden in den Motiven fast gleichlautend wie in den Protokollen bei Jakobs/Schubert wiedergegeben (soeben)11. Ferner findet sich für §834 BGB wiederum ein Verweis auf die Motive zu § 832 I I BGB ( = § 710 I I ) 1 2 . Dort aber wird nur der Inhalt der Vorschrift wiederholt 13 . 5
Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse I I I , S. 986 Antrag 2 (Kurlbaum). Ebd. S. 989 1. Absatz; ebd. S. 987 2. Absatz wird nur der Gesetzesvorschlag wiederholt. 6
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Oben 2 a bb bbb. Jakobs /Schubert ebd. S. 958 oben unter 1. 9 Ebd. S. 936 oben. 10 Mot. Mugdan I I S. 457 letzter Absatz; wegen der Paragraphenzählungen im 1. Entwurf zu §§ 834,832 BGB und dessen Abdruck im einzelnen oben 2 a bb bbb Fn. 10,11. 11 Vgl. Mot. ebd. S. 454 2. Absatz. 12 Ebd. 13 Ebd. S. 411 2. Absatz. 8
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Ausschlaggebend für die Schaffung der §§ 838, 834 und 832 I I BGB waren demnach praktische Gründe, über den dogmatischen Gehalt hat der Gesetzgeber sich keine Gedanken gemacht. Dennoch bleibt es für den hier interessierenden § 838 bei der Frage, warum der Gesetzgeber von seinem Postulat abwich und in dieser Vorschrift den Detentor für haftbar erklärte. Die Erklärung läßt sich in zwei Aspekten finden: Der Gesetzgeber hatte in § 836 BGB seine Grundgedanken niedergelegt. Darüber hinaus aber kam es ihm offenkundig darauf an, die Haftungsfrage in einzelnen, praktisch möglichen Fällen zu lösen, und dabei hat er sein Besitzprinzip gelockert. Zweitens jedoch war für die Schaffung des § 838 die Essenz seines Grundgedankens gewahrt, wenn er sich auch dort von Begrifflichem („Besitz") trennen mußte. Zunächst zu dem ersten Gesichtspunkt. Die genannte Absicht des Gesetzgebers, konkrete Einzelfalle in sein Haftungskonzept einzubeziehen, belegt die Abfolge der §§ 836 bis 838 deutlich: § 836 I enthält die Grundregel. Hier wurde das Novum und die Errungenschaft festgeschrieben, statt, wie bisher den Eigentümer, den Besitzer haftbar zu machen, und zwar für den gewöhnlichen Fall, daß Grundstück und Gebäude in einer Hand liegen. Schon in Absatz I I des § 836 wendet der Gesetzgeber sich einem speziellen Fall zu, dem, daß der Besitz endet, doch auch hier ist der Grundsatz der Besitzerhaftung noch unangetastet. In § 837 greift der Gesetzgeber einen zweiten besonderen Fall auf, in dem der Besitz am Gebäude abgesondert vom Besitz am Grundstück ausgeübt wird. Hier tritt das Besitzprinzip schon ein wenig mehr zurück, insofern daneben Voraussetzung ein Recht als Grundlage des Besitzes ist. Doch ist dieses Recht für die Haftung bedeutungslos, es dient nur der Beschreibung des geregelten Falles, da auf andere Weise als durch Einräumung eines Rechts gewöhnlich niemandem gestattet wird, auf dem Grundstück ein Bauwerk zu haben 14 . Allerdings verlangt diese Beurteilung der Bedeutung des Rechts im Sinne des § 837 bereits eine Interpretation. — In § 838 nimmt der Gesetzgeber sich dann eines weiteren Falles an, eben des Falles, daß ein Besitzer sein Gebäude einem anderen überläßt, entweder zu dem Zweck, diesen zur eigenen Entlastung mit der Unterhaltung zu betreuen, oder um ihm ein Nutzungsrecht zu gewähren. Und hier greift die oben an zweiter Stelle genannte Überlegung ein: Der Gesetzgeber verläßt hier sein Konzept vermutlich deshalb, weil er die Haftung für einen Fall regeln wollte, in dem zwar nach seinem Verständnis Besitz nicht gegeben war, aber ein Sachverhalt, in dem der Betreffende gleichfalls die tatsächliche Gewalt innehatte, wenn auch nicht mit dem den Besitz kennzeichnenden Willen, die Sache als eigene zu haben. Fraglich aber ist, warum der Gesetzgeber gerade denjenigen für verantwortlich ansieht, den eine Unterhaltungspflicht gegenüber dem Besitzer trifft. Es gibt Fälle, in denen es an einer Unterhaltungspflicht fehlt, in denen der Betreffende aber gleichwohl die tatsächliche Gewalt über die Sache erlangt. So liegt es 14
Oben I I I 3.
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beispielsweise, wenn jemand während der Reise des Nachbarn aus Gefälligkeit hin und wieder in dessen Haus nach dem Rechten schaut oder wenn zwar ein rechtlich bindender Überlassungsvertrag geschlossen wird, dieser dem Übernehmenden aber keine Unterhaltungspflicht auferlegt, wie etwa im Falle der Miete. Für die Frage, warum § 838 diese Fallgestaltungen nicht erfaßt, sind die Fälle der Gefälligkeit und der rechtlichen Bindung ohne Unterhaltungspflicht zu unterscheiden. Schon die Grundüberlegungen des Gesetzgebers zur Person des Haftenden hatten gezeigt, daß es ihm für die deliktische Verantwortlichkeit auf eine ausreichend feste Sachbeziehung ankam (oben I I 2 h bb). Diese ist bei solchen Personen gegeben, die auf Grund einer Unterhaltungspflicht, also gewissermaßen notgedrungen, den engen Kontakt mit dem Gebäude aufnehmen. Dieser Verpflichtung zur Unterhaltung werden die Gesetzesverfasser keine dogmatisch-rechtliche Bedeutung beigemessen haben; auch der Gesetzgeber hat gewußt, daß Schuldverhältnisse Wirkungen nur zwischen den an ihr Beteiligten hervorbringen können. Er kann diese Voraussetzung nur deshalb in § 838 aufgenommen haben, weil sie in tatsächlicher Hinsicht die ausreichende Intensität der Beziehung zum Bauwerk gewährleistet. Daß dies der Grund für die gesetzliche Fixierung einer bindenden Verpflichtung gewesen sein muß, belegen die Protokolle zu § 832 I I BGB für den Fall der Übernahme der Aufsicht über eine obhutsbedürftige Person. Dort wird, wie frühere Untersuchungen ergeben haben 15 , die Notwendigkeit eines Vertrages über die Obhut damit begründet, daß die Vornahme einzelner vorübergehender Handlungen eine Verpflichtung Dritten gegenüber nicht begründen könne. Es muß auch hier als selbstverständlich angesehen werden, daß die Verpflichtung im Innenverhältnis nicht etwa deshalb gefordert wurde, weil diese auch bindende Kraft im Verhältnis zu Dritten entfaltete, sondern weil die unabhängig von einem Vertrag übernommene Obhut von ihrer tatsächlichen Gestaltung her der notwendigen Festigkeit der Beziehung zu der zu behütenden Person entbehrt, die es rechtfertigen würde, den Betreffenden für Schäden Dritter aufkommen zu lassen16. Diese vom Gesetzgeber für nötig befundene Lage, im Falle des § 838 also die Sachbeziehung nicht nur vorübergehender Art, ist jedoch in allen Fällen gegeben, in denen der Betreffende, etwa als Mieter, das Bauwerk auf Grund bindenden Vertrages übernimmt, ohne es unterhalten zu müssen. Der Fall ist dennoch in § 838 offenbar deshalb nicht berücksichtigt worden, weil die nach dieser Vorschrift für verantwortlich erklärte Personengruppe ohnehin außerhalb des gerade errungenen Prinzips der Haftung infolge Besitzes lag. Dieser Ausnahmecharakter der Regelung hat den Blick vermutlich auf einige Fälle 15
Oben 2a bb bbb. Auf ähnliche Weise wird die Voraussetzung des Vertrages auch in den §§831 II, 834 BGB zu erklären sein. 16
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beschränkt, die besonders nahelagen. Eine prinzipielle Loslösung vom Erfordernis des Besitzes, wie sie nach dem Besitzverständnis des Gesetzgebers notwendig gewesen wäre, in der Erkenntnis, daß nicht die Definition des Besitzes, sondern die, wenn auch rechtlich qualifizierbare Sachbeziehung (Inhaberschaft) entscheidend ist, kann nach dem damaligen Entwicklungsstand nicht erwartet werden, weil der Gesetzgeber den Besitz als leitenden Haftungsgedanken gerade entwickelt hatte. Dagegen kann der Grund der Haftungsbeschränkung auf unterhaltungspflichtige Personen nicht darin gesehen werden, daß die zur Unterhaltung Verpflichteten dem überlassenden Besitzer gegenüber, der zugleich Eigentümer ist, zu Eingriffen in das Bauwerk befugt ist, derjenige, der nicht zur Unterhaltung verpflichtet ist, dagegen nicht; letzterem würden, wenn gefahrenträchtige Situationen auftreten und entsprechende Maßnahmen notwendig werden, Eingriffe in fremdes Eigentum abverlangt werden. Diese Situation kann aber auch im Falle des Eigenbesitzes nach § 836 BGB entstehen, da der Eigenbesitz vom Recht am Bauwerk unabhängig zu beurteilen ist, der Eigenbesitzer also nicht Eigentümer sein muß. Die hier gegebene Erklärung für die Loslösung vom Haftungsprinzip des Besitzes und die Haftbarmachung von unterhaltungspflichtigen Personen stellt eine Vermutung dar, die sich nicht regelrecht beweisen läßt. Die wenigen Äußerungen in den Materialien zeigen, daß der Gesetzgeber sich rechtlichdogmatische Gedanken nicht gemacht hat und daß er von seinem kurz zuvor entwickelten Prinzip ohne Skrupel abgewichen ist, offenkundig um eine von ihm als praktisch notwendig angesehene Haftung zu statuieren. Die hier dargelegten Überlegungen, wonach auch für § 838 leitender Grundgedanke die Sachbeziehung des Unterhaltungspflichtigen gewesen sein muß, wird daher auf dem Rechtsempfinden und nicht auf theoretisch durchdachten Vorstellungen beruht haben. Daß aber die Gesetzgebungsgeschichte so ausgesehen haben mag, wie dies angesichts der Regelung der §§ 836 bis 838 im einzelnen hier versuchsweise nachkonstruiert wurde, als eine zu § 836 führende Grundidee, sodann als eine Besinnung auf bestimmte Fälle, die in § 838 schließlich dazu führte, daß die Idee äußerlich (begrifflich) aufgegeben, inhaltlich (materiell) aber beibehalten wurde, ist jedoch wahrscheinlich. Selbst aber wenn die Gesetzgebungsarbeiten so nicht verlaufen sein sollten, kann der Unterhaltungspflicht des § 838 keine haftungskonstituierende Bedeutung beigemessen werden. Damit kommt ihr ebenso wie dem Recht im Sinne des § 837 nur die Bedeutung einer Fallbeschreibung zu. Tragendes Haftungselement ist auch hier die Sachbeziehung des Detentors, nach BGB-Besitzverständnis der Besitz. bb) Ergebnis und Folgerungen aaa) Haftungsgrund des § 838
Damit lassen sich die oben (1 und 3 a) gestellten Fragen beantworten: Daß die deliktische Haftung Außenstehenden gegenüber von einer gegenüber dem
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Überlassenden bestehenden Unterhaltungspflicht abhängig gemacht wird, das Erfordernis des Besitzes hingegen verschwindet, ist einmal aus dem Besitzverständnis der Gesetzesverfasser erklärbar: Die nach § 838 Haftenden waren nach damaligem Verständnis keine Besitzer. Die von der Vorschrift vorausgesetzte Unterhaltungspflicht ist aber nicht etwa Haftungsgrund. Dieser liegt vielmehr auch bei § 838 in der Sachbeziehung. Die hier geforderten Rechtsgeschäfte — Übernahmevertrag und Bestellung eines Nutzungsrechts — dienen lediglich der Schilderung von Fällen, in denen diese Sachbeziehung gegeben ist. Daß die Sachbeziehung in diesen Sachverhalten mit dem Willen ausgeübt wird, die Sache als fremde innezuhaben, spielt für diesen Aspekt keine Rolle. Für den Tatbestand der Sachherrschaft kommt es auf die Willensrichtung nicht an. Nach BGB-Verständnis ist tragendes Moment des § 838 also der Besitz, und zwar der Fremdbesitz. Somit mag als Eigentümlichkeit vermerkt werden, daß § 838 vom Standpunkt des Gesetzgebers aus einen Fremdkörper in den §§ 836 ff. darstellte, daß die Vorschrift sich aber auf der Grundlage der BGB-Besitzlehre in das gesetzgeberische Konzept einfügt. Geschichtlich-terminologisch ist Haftender nicht der „Besitzer". Es steht aber nichts im Wege, ihn heute als „Fremdbesitzer" zu bezeichnen, da ihm nach der besitzrechtlichen Auffassung des BGB diese Position zukommt. — Obwohl sich dieser Einordnung des nach § 838 Verantwortlichen als Besitzer aus der Sicht der heutigen Besitzlehre ohne weiteres ergibt und obwohl sie angesichts der §§ 836, 837, die Besitz voraussetzen, naheliegt, wird eine besitzrechtliche Bewertung des § 838 allgemein nicht vorgenommen. Besitz als Haftungsvoraussetzung wird nirgends verlangt 17 , es wird — im Gegenteil — die Ansicht vertreten, daß es gleichgültig sei, ob der Unterhaltungspflichtige Besitzer sei 18 . Diese Anschauung folgt rein begrifflich dem Entwicklungsstand des Gesetzgebers. Sie widerspricht aber dessen Grundgedanken, denn ohne Besitz besteht keine faktische Zugriffsmöglichkeit auf die Sache, und darauf kam es dem Gesetzgeber an; auch der bloße Detentor hatte diese Zugriffsmöglichkeit. Wahrscheinlich hat das von § 838 geforderte Rechtsverhältnis zwischen Besitzer und Übernehmendem es verhindert, die Position des letzteren in besitzrechtlicher Hinsicht zu überprüfen. Man hat sich lediglich an das abstrakte Erfordernis des Übernahmevertrages oder des Nutzungsrechts gehalten. bbb) Besitzarten nach § 838
Für die Voraussetzung des Besitzes ergibt sich, daß § 838 die Besitzformen unterfallen, die zu § 836 ermittelt wurden (II 2 h cc bbb-ggg), also unmittelbarer und mittelbarer Besitz, Besitz auf Grund Besitzdienerschaft (§ 855), Teil- und 17 Als Fremdbesitzer werden die nach § 838 Haftenden bei Fikentscher § 106 I I I 2 bezeichnet; erwähnt ist der Begriff bei Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 4 aE. 18 Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 2; RGRK-Kreft § 838 Rdnr. 1.
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§ 6 Untersuchung des § 908 BGB
Mitbesitz (§§ 865,866) sowie der Erbbesitz (§ 857) unter der weiteren Voraussetzung der Kenntnis von der Erbschaft. ccc) Die Frage der Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte iSd § 838
Aus der dargelegten Bedeutung von Übernahmevertrag und Nutzungsrecht folgt, daß es auf deren Wirksamkeit nicht ankommt. Die Haftung greift also ein, selbst wenn diese Rechtsverhältnisse und damit die auf ihnen basierenden Unterhaltungspflichten gegenüber dem Überlassenden unwirksam sind (z.B. nach den §§ 104ff., 134, 138, infolge Anfechtung gem. §§ 119ff., 142 I). Entscheidend für die Haftung gegenüber dem Dritten ist nur die Frage, ob der Betreffende den Besitz am Gebäude erlangt hat. Somit erweist sich der in den Kommentierungen vertretene Standpunkt als unrichtig, wonach die Wirksamkeit dieser Rechtsgeschäfte offenbar verlangt wird. Zwar wird die Frage, ob § 838 eine gültige Unterhaltungspflicht fordere, ausdrücklich nicht gestellt, doch soweit ohne weitere Erläuterungen Unterhaltungsvertrag oder Nutzungsrecht vorausgesetzt werden 19 , wird vermutlich davon ausgegangen, daß diese Rechtsgeschäfte wirksam sein müssen. Soweit die Ansicht vertreten wird, daß § 838 einen Vertrag nicht voraussetze 20, wird angenommen, daß § 838 von vornherein ein bindendes Rechtsverhältnis nicht verlange. Diese Auffassung stimmt mit der hier vertretenen auch im Ergebnis nicht überein, weil ein Nicht-Vertrag mit einem unwirksamen Vertrag nicht gleichzustellen ist; letzterer ist nicht, wie der nicht geschlossene Vertrag, ein Nullum 2 1 . Damit bleibt festzuhalten, daß § 838 zwar die dort genannten Rechtsgeschäfte voraussetzt, daß die Haftung jedoch auch bei deren Unwirksamkeit eintritt.
cc) Überprüfung
des Ergebnisses: Die haftungsrechtliche Übernehmendem
Lage von Überlassendem und
Die hier ermittelten Voraussetzungen des § 838 (oben bb) sollen im folgenden auf die Frage hin untersucht werden, zu welchen praktischen Ergebnissen sie für die Haftung des Übernehmenden und des Überlassenden führen; auf diese Weise soll die entwickelte Ansicht überprüft werden. Besteht ein wirksamer Übernahmevertrag (§ 838 1. Alt.) oder ein wirksames Nutzungsrecht (§ 838 2. Alt.) und hat der Übernehmende den Besitz am 19 Zum Vorliegen eines Vertrages s. die oben 2 a bb aaa Fn. 2 Genannten; zum Vorliegen eines Nutzungsrechts s. Enneccerus-Lehmann § 239 Id; Larenz I I § 73 III; Esser I I § 110 I I 2d; MK-Mertens § 838 Rdnr. 6; Soergel-Zeuner § 838 Rdnr. 4; Erman-Drees § 838 Rdnr. 4; RGRG-Kreft § 838 Rdnr. 6; Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 12 f. 20 MK-Mertens § 838 Rdnr. 2; RGRK-Kreft § 838 Rdnr. 3 aE (einseitige, nur tatsächliche Übernahme); wohl auch Ulmer JZ 1969,165 l.Sp. 2. Absatz mit Fn. 19; StaudingerSchäfer § 838 Rdnr. 3-6 hält ein gesetzliches Schuldverhältnis für ausreichend, aber nicht eine rein tatsächliche Übernahme, s. ebd. Rdnr. 7; dazu schon oben 2 a bb aaa Fn. 3. 21
Vgl. etwa Larenz AT § 23 I.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Gebäude erlangt, so ist der gewöhnliche, von § 838 vorgesehene Fall gegeben. Bei Schäden infolge des Einsturzes des Gebäudes oder der Ablösung von Teilen haftet der Übernehmende. Hat er dagegen im Fall einer wirksam entstandenen Unterhaltungspflicht den Besitz nicht erlangt, etwa weil er das vorliegende Rechtsgeschäft nicht realisiert und seine vertraglichen oder gesetzlichen (z.B. aus § 1041 S. 2) Pflichten verletzt, so haftet er nicht. Die gegenüber dem überlassenden Besitzer begangene Unterhaltungspflichtverletzung kann die Haftung gegenüber Dritten nicht auslösen. Ohne das Erfordernis des Besitzes entbehrte eine dennoch eintretende Haftung der dogmatischen Grundlage. Sind umgekehrt Übernahmevertrag oder Nutzungsrecht nicht wirksam, so haftet der Betreffende dennoch, wenn er den Besitz erworben hat, ζ. B. weil die Parteien von der Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts nichts wußten. Seine Haftung kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß eine Unterhaltungspflicht gegenüber dem Überlassenden nicht entstanden sei, denn auf diese Pflicht kommt es für die deliktische Haftung ohnehin nicht an. Seine Verantwortung basiert hier auf der Sachherrschaft. Der Betreffende haftet jedoch nicht, wenn er den Besitz nicht erworben hat. Dieses Ergebnis beruht nicht auf der Unwirksamkeit der mit dem überlassenden Besitzer geschlossenen Rechtsgeschäfte, sondern auf der fehlenden Sachbeziehung. In allen diesen Fällen haftet der überlassende Besitzer (prinzipiell) selbst gem. § 836 I unabhängig von der Wirksamkeit der Vereinbarungen mit dem Übernehmenden und unabhängig ferner davon, ob der Übernehmende den Besitz erlangt hat. Nun führt diese eigene Haftung des Überlassenden zu folgender Lage: In den Fällen, in denen der Übernehmende den Besitz nicht erlangt hat und seine Unterhaltungspflichten nicht erfüllt, haftet der Überlassende eben infolge dieser Pflichtverletzung. Der Schaden konnte eintreten, weil der Vertragspartner entgegen der Abrede oder entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung (z.B. §§ 586, 1041 S. 2) das Gebäude nicht unterhalten hat. Dagegen haftet der Übernehmende selbst — mangels Besitz — nicht. Dieses Ergebnis ist sachgerecht. Für die Haftung des Übernehmenden im Außenverhältnis besteht keine Grundlage. Die Tatsache, daß er Pflichten gegenüber dem Überlassenden verletzt hat, ist allein im Verhältnis der Vertragspartner zueinander relevant. Dem Überlassenden stehen infolge dieser Pflichtverletzung Ansprüche zu, bei wirksamem Schuldvertrag wegen Nichterfüllung (§§ 325, 280) 22 , bei wirksamem dinglichem Nutzungsrecht wegen positiver Forderungsverletzung des gesetzlichen Schuldverhältnisses (§§ 1020 S. 2,1041 S. 2), im Falle unwirksamer Rechtsgeschäfte aus culpa in contrahendo. Die eigene Haftung des 22 Im Falle eines Vertrages, dessen Gegenstand allein die Gebäudeunterhaltung ist (§ 675 BGB), besteht ein Anspruch nach § 325 BGB, im Falle von Verträgen, die die Unterhaltung neben anderen Vertragsgegenständen regeln, ζ. B. im Falle eines Mietvertrages, der den Mieter zum Unterhalt verpflichtet (abweichend von § 536 BGB), gem. § 280 BGB, da es hinsichtlich dieser Verpflichtung am Synallagma fehlt; letzteres gilt auch im Falle etwa eines Pachtvertrages nach §§ 582, 586 I BGB.
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Überlassenden gegenüber dem Dritten ist insofern gerechtfertigt, als die gem. § 8361 gegebene Unterhaltungspflicht weiterbesteht, unabhängig davon, ob der Besitzer mit der Unterhaltung andere Personen betraut. Diese gesetzliche Pflicht kann der Besitzer nicht durch Abschluß von Rechtsgeschäften aufheben, die Unterhaltungspflichten für den Vertragspartner begründen. Die Frage, wie der Besitzer seiner gesetzlichen Unterhaltungspflicht nach § 8361 nachkommt, ob er sie selbst oder unter Zuhilfenahme anderer wahrnimmt, ist lediglich eine Frage der praktischen Handhabung. Auf die Existenz seiner Verpflichtung hat sie keinen Einfluß. Betraut der Besitzer andere mit der Wahrnehmung der Gebäudeunterhaltung, so muß er, um seine eigene Pflicht zu erfüllen, dafür sorgen, daß die Betreffenden das Bauwerk ausreichend unterhalten. Er hat also den Zustand des Gebäudes in angemessenen Zeitabständen zu überprüfen, nur so kann er feststellen, ob der Vertragspartner seine Pflichten erfüllt und ob er demzufolge selbst den ihm obliegenden (gesetzlichen) Unterhaltspflichten genügt 23 . Diese Überprüfungstätigkeit ist die praktische Konsequenz der Einschaltung von Hilfspersonen. Die dem überlassenden Besitzer obliegende eigene Pflicht würde nur dann entfallen, wenn man annähme, daß sie lediglich an die Position des unmittelbaren Besitzes geknüpft sei. Die Untersuchung hatte jedoch ergeben, daß der Gesetzgeber von der Weiterhaftung des Besitzers gem. § 836 I für den Fall der Überlassung nach § 838 ausging und daß es ferner gerechtfertigt ist, auch den — nach BGB-Verständnis — mittelbaren Besitzer zur Verantwortung zu ziehen 24 . Dieses hier ermittelte Ergebnis, die Haftung des Besitzers, der das Bauwerk an eine unterhaltungspflichtige Person übergeben hat, steht in Gegensatz zur Beurteilung der entsprechenden Lage im Falle der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (§ 8231) durch Literatur und Rechtsprechung. Dort wird angenommen, daß den Verkehrssicherungspflichtigen (sog. Erstgarant), der andere Personen mit der Wahrnehmung der Gefahrenabwehr betraut, nur noch die Pflicht zu sorgfaltiger Auswahl und Überwachung treffe („Organisations- und Aufsichtshaftung") 25 . Damit ändert sich nach dieser Anschauung der Inhalt der Verkehrssicherungspflicht. Typisch für diese Auffassung ist schon die übliche 23 Zutreffend Soergel-Zeuner § 836 Rdnr. 22, wo festgestellt wird, es bleibe bei Einsatz anderer zu beachten, daß die Pflicht des Besitzers nicht „von vornherein" auf die gehörige Auswahl (u.U. in Verbindung mit einer allgemeinen Überwachung) seiner Hilfspersonen beschränkt sei, sondern sich generell auf die Abwendung von Einsturz- und Ablösungsgefahren richte. Nicht richtig dagegen MK-Mertens § 836 Rdnr. 22, wo es heißt, Hausbesitzer erfüllten ihre Überwachungspflicht im allgemeinen dadurch, daß sie zuverlässige und erfahrene Verwalter betrauten, diese sachgerecht instruierten und sie hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit im allgemeinen beaufsichtigten; in diesem Sinne auch Erman-Drees § 836 Rdnr. 11. 24 Oben I I 2e; ebd. h cc ccc (4) (mittelbarer Besitz). 25
Vgl. etwa Ulmer JZ 1969, 163, 171 l.Sp. 2. Absatz, 174 r.Sp. unter V I I 1; M K Mertens § 823 Rdnr. 195; Palandt-Thomas § 823 Anm. 8d jeweils mit Nachw. aus der Rspr.
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Bezeichnung dieser Fälle mit „Übertragung" der Verkehrssicherungspflicht; sie bringt die genannte Anschauung zum Ausdruck, wonach die Pflicht in ihrer ursprünglichen Form auf den Übernehmenden übergeht. In inhaltlich reduzierter Form verbleibt sie beim Erstgaranten 26 . Die Frage, ob diese Betrachtungsweise zu Recht besteht, kann im vorliegenden Zusammenhang offen bleiben. Sieht man die Verkehrssicherungspflicht wegen einer Analogie zu den §§ 836 ff. als gesetzliche Pflicht an, so ist eine solche inhaltliche Wandlung nicht möglich; gesetzliche Pflichten können — im Verhältnis zu Dritten — vertraglich nicht geändert werden 27 . Sie lassen sich ferner nicht übertragen; deliktisch haftet der Übernehmende gegenüber Dritten nur, wenn er selbst die Voraussetzungen der Verkehrssicherungspflicht erfüllt. — Betrachtet man die Verkehrssicherungspflicht dagegen als eine gewohnheitsrechtlich anerkannte Pflicht, die auch inhaltlich der üblichen praktischen Handhabung und den Bedürfnissen des Verkehrs angepaßt werden kann, so wäre die geschilderte Umgestaltung der Pflicht auf Grund von Verträgen denkbar. Wegen dieser letzteren möglichen Auffassung mag die haftungsrechtliche Lage des die Sache Überlassenden anders zu beurteilen sein als im unmittelbaren Bereich der § 836 ff. Für diese ist jedenfalls festzustellen, daß im Falle des § 838, also bei Überlassung des Bauwerks an einen unterhaltungspflichtigen Besitzer, der Überlassende kraft des § 836 I weiterhaftet 28 . d) Kritische Beurteilung der Ansicht Mertens (oben b)
Aus den vorstehenden Darlegungen (oben c) ergibt sich, daß in der vorliegenden Arbeit der auf Ausführungen Ulmers zurückgehenden Bewertung der Unterhaltungspflicht nach § 838 durch Mertens nicht gefolgt werden kann. Die Auffassung Mertens wird von ihrem (soeben c cc geschilderten) Ausgangs26 Von Inhalt und Existenz der Verkehrssicherungspflicht zu unterscheiden ist die Frage des Verschuldens; ob mit „Auswahl- und Überwachungspflicht" der Inhalt der Verkehrssicherungspflicht gemeint ist oder der Sorgfaltsmaßstab des Verschuldens, läßt sich oft nicht feststellen, s. etwa die Nachw. oben Fn. 25. Neuerdings wird in den vorliegenden Fällen die Anwendung des § 278 BGB erwogen, s. Larenz I I § 72 Id; Vollmer JZ 1977, 371, 372 ff. 27 Ansätze in dieser Richtung bei Larenz I I § 72 Id: Zweifelhaft sei, ob es gerechtfertigt sei, den Erstgaranten von der Haftung freizustellen, wenn er seine Überwachungspflicht nicht verletzt habe; denn es sei keineswegs ausgemacht, daß der Erstgarant durch die Beauftragung Dritter seinen Pflichten schon genüge, wenn man von der Überwachungspflicht absehe. Ferner Vollmer JZ 1977, 371, 372 l.Sp. unter 2a; ders. ebd. S. 372 (r.Sp. unter 3) ff. betrachtet das Problem hauptsächlich von der Seite des Verschuldens her. 28 Auf Fragen des Verschuldens nach § 836 braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht eingegangen zu werden; die §§ 836 ff. sind nur insoweit zu untersuchen, als sie für § 908 Bedeutung haben. Diese Vorschrift setzt Verschulden nicht voraus. Hier werden ähnliche Sorgfaltsanforderungen wie im Falle der Übertragung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht gestellt (Sorgfalt bei Auswahl und Überwachung, oben Fn. 26), s. etwa Palandt-Thomas § 836 Anm. 8.
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punkt her erklärbar sein, der allgemein üblichen Beurteilung der parallelen Lage bei der Verkehrssicherungspflicht. Insoweit Mertens im Anschluß an Ulmer annimmt, daß die Verletzung vertraglicher Pflichten durch den Übernehmer Deliktsansprüche Dritter nicht begründen könne 1 , ist ihm zuzustimmen. Trotz dieses Ansatzes knüpft Mertens für Grund und Voraussetzungen der deliktischen Haftung des Übernehmers bei dem Verhältnis zum sog. Erstgaranten an, indem er zwar keine bindende Verpflichtung des Übernehmers verlangt, aber eine bestimmte Qualität seiner ausdrücklichen oder konkludenten Erklärungen im außerrechtlichen Bereich. I m einzelnen ergibt sich folgende Kritik: Mertens nimmt, Ulmer folgend, an, daß es sich bei der Haftung des Übernehmenden um eine „Ausdehnung" deliktsrechtlicher Handlungspflichten auf den Übernehmenden handele2, die eine „Entsprechung" dafür sei, daß es dem Erstgaranten gestattet sei, die Erfüllung seiner Obliegenheiten auf einen anderen zu übertragen und sich eine „Entlastungsmöglichkeit" zu verschaffen, indem er nunmehr nur noch zu sorgfaltiger Auswahl und Überwachung verpflichtet sei3. — Diese Betrachtungsweise ist auf der Grundlage der vorliegenden Untersuchung in mehrfacher Hinsicht angreifbar. Einmal begründet sie die Haftung des Übernehmers mit der Billigkeit; die Verantwortung des Übernehmers soll der Ausgleich dafür sein, daß der Erstgarant nur noch eingeschränkt hafte. Eine Erklärung dogmatischer Art liegt hierin nicht. Zum zweiten trifft die Prämisse des Billigkeitsgesichtspunktes nicht zu, denn der Erstgarant haftet in vollem Umfang; es hatte sich gezeigt (oben c cc), daß die „Verkehrssicherungspflicht" nach § 8361 durch den Abschluß entsprechender Rechtsgeschäfte inhaltlich nicht beschränkt werden kann, weil gesetzlich auferlegte Pflichten nicht einseitig mit Wirkung für Dritte änderbar sind. Aber selbst wenn man annehmen wollte, daß die Verpflichtung des Überlassenden sich inhaltlich wandelt, handelte es sich um eine Billigkeitserwägung, die einseitig zugunsten des außenstehenden Dritten vorgenommen wird. Für diesen soll ein Ausgleich für den erlittenen Schaden geschaffen werden, entweder durch die „volle" Haftung des Überlassenden oder aber, wenn dieser nur beschränkt haftet, des Übernehmers. Diese Billigkeitserwägung fallt aber zu Lasten des Übernehmers aus, der nun anstelle des Überlassenden haften soll, und für dessen Haftung, um die es geht und die das eigentliche Thema ist, existiert eine Begründung nicht. Der Kardinaleinwand gegen die Ansicht Mertens und Ulmers aber richtet sich dagegen, daß die deliktische Haftung des Übernehmers in seinem Verhältnis zum Erstgaranten wurzeln soll. Aus diesem Grunde kann der von Ulmer entwickelten und von Mertens akzeptierten Voraussetzung der Übernehmerhaftung nicht zugestimmt werden, die den Kern seiner These darstellt und wonach 1 2 3
Oben b mit Fn. 4, 5. Ebd. mit Fn. 11. Ebd.
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der Übernehmer haftet, wenn der Erstgarant berechtigterweise glauben durfte, sich auf den Übernehmer verlassen zu können 4 . Hierin liegt das von Ulmer geforderte „Mindestmaß an Übereinkunft" 5 . Abgesehen davon, daß mit diesem Maßstab ein vages Kriterium an die Hand gegeben ist, kann darin eine Erklärung der Haftung des Übernehmers wegen der prinzipiellen Unabhängigkeit deliktischer Ansprüche Dritter von internen Abreden des Haftenden mit anderen Personen nicht gesehen werden. Voraussetzungen deliktischer Ansprüche entstehen originär in der Person des Haftenden 6 . Der Übernehmende haftet nur dann, wenn er die gesetzlichen Erfordernisse erfüllt. Diese Frage ist unabhängig von Vereinbarungen zu beurteilen, die er hinsichtlich der Wahrnehmung der dem Erstgaranten obliegenden Verkehrssicherungspflicht getroffen hat. Die weitere Begründung der Übernehmerhaftung mit dem Vertrauen des Verkehrs in das Tätigwerden des Übernehmers 7 läßt sich rechtlich kaum einordnen. Mertens meint mit Ulmer, der Übernehmende schalte sich in das zwischen dem Verkehr und dem Erstgaranten bestehende Vertrauensverhältnis ein und übernehme damit selbst die Rolle des Garanten. Offenbar wird das vom Verkehr entgegengebrachte Vertrauen als eine Voraussetzung der Verkehrssicherungspflicht angesehen. Damit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieser Voraussetzung — in der Person des Übernehmers — zu der Haftungsvoraussetzung des Vertrauens des Erstgaranten in den Übernehmer. Darüber hinaus aber läßt sich m.E. von einem Vertrauen der Verkehrsteilnehmer auf bestimmte Personen — den Überlassenden, den Übernehmenden — nicht sprechen, weil sie die Verhältnisse nicht kennen und nicht wissen, wer den Unterhalt des Gebäudes oder Weges wahrnimmt 8 . Daß die Haftung des Übernehmers ihren Grund nicht ausschließlich in der Erlangung der tatsächlichen Herrschaftsgewalt habe, also nicht in einer nur vorübergehenden Beziehung zur Sache, ist zutreffend. Doch ist generell für die Entstehung von Verkehrssicherungspflichten eine gefestigte Sachbeziehung notwendig. In Fällen, in denen es daran fehlt, scheidet eine Haftung des Übernehmenden aus diesem Grunde aus. Es scheint, daß Mertens und Ulmer bei der Frage der deliktischen Verantwortung des Übernehmers nicht, wie es an sich der gewöhnlichen Methode entspricht, die Anspruchsvoraussetzungen feststellen.
4
Ebd. mit Fn. 2, 11. Unklar MK-Mertens § 823 Rdnr. 198, der feststellt, daß es bei Vorliegen dieser Voraussetzungen „mindestens" am Verschulden des Erstgaranten fehle. 5 Oben ebd. mit Fn. 13. 6 Oben c cc. 7 Oben b mit Fn. 9, 10; s. auch Larenz I I § 72 Id, Fn. 6. 8 Vgl. Ulmer selbst ebd. S. 171 l.Sp. 4. Absatz.
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4. Unterhaltungspflichtverletzung und Kausalität Bereits bei der Frage nach dem eigentlichen Haftungsgrund des § 838 wurde festgestellt, daß die Vorschrift eine Unterhaltungspflicht Dritten gegenüber begründet (oben 3 a). Wie im Falle des § 836 I ergibt sich diese Voraussetzung aus der Schadensersatzsanktion, die das Gesetz an das Unterlassen der Unterhaltung knüpft (oben I I 3 a). Wegen der Entstehung, des Inhalts und der Rechtsqualität der Unterhaltungspflicht gilt das zu § 836 Ausgeführte (oben I I 3 b-d). Auch hinsichtlich der Kausalität des Unterlassens der Gebäudeunterhaltung kann auf die Darlegungen zu dieser Vorschrift verwiesen werden (II 5).
5. Zusammenfassung zu 1-4: Ergebnis für die Haftungsvoraussetzungen des §838 Aus allgemein-zivilrechtlichen Grundsätzen ergibt sich, daß die in § 838 geforderte Unterhaltungspflicht gegenüber dem überlassenden Besitzer, deren Quelle ein Unterhaltungsvertrag oder ein Nutzungsrecht ist, nicht Grund der Haftung ist. Vielmehr beschränkt sich ihre Bedeutung auf die Kennzeichnung einer Fallage, in der der (potentiell) Haftende die tatsächliche Gewalt über das Bauwerk erhält. Die Haftung des § 838 wurzelt also — nach der Terminologie des BGB — im Besitz (oben 3 c aa, bb aaa), nicht anders als die Haftung nach den §§ 836, 837, und zwar, da der Betreffende das Gebäude nicht als eigenes, sondern fremdes innehat, im Fremdbesitz. Die Vorschrift enthält den Begriff des Besitzes nur deshalb nicht, weil der danach Verantwortliche nach dem Verständnis des Gesetzgebers nicht Besitzer war (oben I I 2 b, d cc bbb). Aus dieser Bewertung der von § 838 vorausgesetzten Unterhaltungspflicht ergeben sich auch die eigentlichen Haftungserfordernisse der Vorschrift. Notwendig ist Fremdbesitz auf der Grundlage eines Unterhaltungsvertrages oder eines Nutzungsrechtes. Anwendbar sind die zu § 836 ermittelten Arten des Besitzes (oben 3 c bb bbb). Da die Rechtsgeschäfte für die Haftung gegenüber dem Dritten ohne dogmatisch-rechtliche Bedeutung sind, kommt es auf ihre Wirksamkeit nicht an (ebd. ccc). Darin gleicht die Bestimmung § 837, für den ebenfalls die Gültigkeit der Rechtsgrundlage des Gebäudebesitzes bedeutungslos ist (oben I I I 3). — A n die Besitzposition knüpft § 838 eine Unterhaltungspflicht Dritten gegenüber. Die Haftung greift ein bei Verletzung dieser Pflicht und bei Kausalität dieser Pflichtverletzung für die schadenstiftenden Ereignisse des § 838 und deren Verletzungsfolgen (s. § 836 I; oben 4). § 838 stellt damit, ebenso wie die §§ 836 und 837, eine Haftung kraft pflichtwidrigen Unterlassens dar.
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6. Die Haftung der in § 838 BGB nicht aufgeführten Fremdbesitzer a) Einleitung
Auf der Grundlage des vorliegenden Befundes, wonach Haftungsaspekt der Fremdbesitz ist, ist es offenkundig, daß § 838 eine Regelungslücke enthält: Nach der Vorschrift haften nur diejenigen Fremdbesitzer, die im Innenverhältnis unterhaltungspflichtig sind, dagegen nicht Fremdbesitzer, die das Gebäude zwar übernehmen, die aber von einer solchen Verpflichtung frei sind wie Mieter (§ 536 BGB) und Pächter (§§581 II, 536 BGB), wenn Gegenstand des Pachtvertrages nicht ein landwirtschaftliches Grundstück oder ein (sonstiges) Grundstück mit Inventar ist (§§ 582, 586 I BGB). Zu prüfen ist, ob § 838 auf diese Fälle analog anzuwenden ist. Ferner ist die Frage zu beantworten, ob auch solche Fremdbesitzer gem. § 838 haften, die kraft Gesetzes oder kraft Amtes in den Besitz eines Gebäudes gelangen. Dazu zählen Eltern, die das Kindesvermögen zu verwalten haben (§§ 162612,1638,16391 1 BGB), ferner Konkurs- und Zwangsverwalter (§§6 I I KO, 152 I I ZVG) sowie Vormünder und Pfleger (§§ 1803, 1909 ff. BGB) 1 . Das in allen diesen Fällen entstehende Problem der analogen Anwendung des § 838 ist im Schadensersatzrecht von eingeschränkter Bedeutung, weil sich die Haftung der von § 838 nicht erfaßten Besitzer auf Grund der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nach § 823 I beurteilen läßt, eine Haftungslücke also nicht besteht. Eine Analogie ist allerdings insoweit für das Schadensersatzrecht bedeutsam, als § 838, anders als § 823 I, eine Beweislastumkehr für das Verschulden enthält (§ 836 I 2) und weil die Haftung nach Besitzbeendigung zeitlich und sachlich begrenzt ist (§ 836 I I ) 2 . A n Überlegungen darüber, ob diese Bestimmungen nicht auch im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht anzuwenden sind, fehlt es noch. Für die negatorische Haftung nach § 908 ist eine analoge Anwendung des § 838 jedoch in vollem Umfang von praktischer Bedeutung, da es im Bereiche der actio negatoria (§ 1004) an der Möglichkeit eines Rückgriffs auf allgemeine Grundsätze fehlt. Es kommt daher für den Anspruch aus § 908 darauf an, ob auch andere Fremdbesitzer als die unmittelbar in § 838 bestimmten haften.
b) Die Haftung nicht unterhaltspflichtiger Fremdbesitzer
Nähere Auseinandersetzungen mit der Frage der Haftung von Personen, die das Gebäude nutzen, aber zu dessen Unterhalt nicht verpflichtet sind, existieren nicht. Die Haftung von Mietern und Pächtern wird im Schrifttum nur für den Fall bejaht, daß sie ausnahmsweise unterhaltungspflichtig sind, entweder auf 1 Es handelt sich um Inhaber eines privaten Amtes, die nicht nach § 839 BGB haften, s. Palandt-Thomas § 839 Anm. 3 b gegen Ende. 2 Zur Anwendung des § 836 I I auf § 838 unten 7.
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Grund vertraglicher Abrede oder in den pachtrechtlich besonders bestimmten Fällen (§§ 582, 586 I BGB) 3 . Diese Ansicht beruht auf dem hier abgelehnten Verständnis der Vorschrift als einer Haftung kraft interner Unterhaltungspflicht. Die Verneinung der Haftung von Mietern und Pächtern widerspricht zudem den zur allgemeinen Verkehrssicherungspflicht vertretenen Ansichten, denn danach sollen Mieter und Pächter generell verantwortlich sein 4 . Auf der Grundlage der vorliegenden Untersuchungen ist eine Haftung der nicht unterhaltungspflichtigen Fremdbesitzer zu bejahen. Dieses Ergebnis folgt bereits aus den dargelegten historischen Hintergründen der Vorschrift 5 . Der Gesetzgeber hatte die Haftung auf bestimmte, in § 838 festgelegte Detentoren begrenzt, weil die Verantwortung von Personen, die nach seinem Verständnis nicht Besitzer waren, Ausnahmecharakter trug. Aus dieser Sicht war er gehindert, den im Ansatz in § 838 enthaltenen Gedanken, die Haftung kraft enger Sachbeziehung, zu einem allgemeinen, außerhalb des Besitzbegriffs des Gesetzgebers liegenden Prinzip zu erheben und generell zu bestimmen, daß Detentoren ebenso haften wie Besitzer. Dieser Befund legitimiert zur Vervollständigung der Vorschrift. Ein sachlicher Grund, die nicht unterhaltspflichtigen Fremdbesitzer von der Haftung auszunehmen, besteht nicht. Die Erwägungen, die zur Haftung der unterhaltspflichtigen Fremdbesitzer geführt haben, treffen auch auf diese Besitzer zu, weil sie in gleichem Maße über die für die Haftung notwendige Sachnähe verfügen. Die Überlegungen, die den Gesetzgeber dazu bewogen haben, den Eigenbesitzer nach den §§ 836, 837 für verantwortlich zu erklären 6 und die der Sache nach auch Motiv für die Schaffung des § 838 waren 7 , gelten gleichermaßen für den nicht unterhaltungspflichtigen Fremdbesitzer. Es ist nicht gerechtfertigt, daß der Eigenbesitzer uneingeschränkt haftet (§§ 836, 837), der Fremdbesitzer hingegen nur in bestimmten Fällen (§ 838). Es ist daher geboten, den in § 838 in Anfangen verharrenden Gedanken fortzuentwickeln. Damit haften in entsprechender Anwendung des § 838® auch diejenigen Fremdbesitzer, die im Verhältnis zum Überlassenden zur Gebäudeunterhaltung nicht verpflichtet sind. 3
Fikentscher § 106 I I I 2; Esser I I § 110 I I 2d; MK-Mertens § 838 Rdnr. 5; SoergelZeuner § 838 Rdnr. 2; Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 9; RGRK-Kreft § 838 Rdnr. 4; wohl auch Enneccerus-Lehmann § 239 I 4d. 4
Allg. Α., s. etwa Larenz I I § 72 Id. Oben 3 c aa. 6 Oben I I 2 h bb ccc. 7 Oben 3 c aa. 8 Methodisch läßt sich darüber streiten, ob es sich um eine Analogie oder um eine sog. teleologische Reduktion handelt. Aus dem Gesichtspunkt des Besitzgedankens handelt es sich um eine Analogie, unter dem Gesichtspunkt der Außerachtlassung der in § 838 festgelegten Unterhaltungspflicht handelt es sich um eine teleologische Reduktion. Auf diese methodischen Fragen kommt es für das Ergebnis nicht an. Zu beiden Verfahrensarten Larenz, Methodenlehre. Kap. 5, 2. 5
22 Herrmann
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB c) Die Haftung von Fremdbesitzern kraft Gesetzes und kraft Amtes
Diejenigen Fremdbesitzer, die kraft Gesetzes oder kraft Amtes ein Gebäude übernehmen, sind zwar intern unterhaltungspflichtig, sie erlangen den Besitz aber nicht aus den in § 838 vorgesehenen Gründen, also nicht auf Grund Unterhaltungsvertrag oder Nutzungsrechtes. Es liegt hier also der umgekehrte Fall der soeben (b) behandelten Fremdbesitzer vor, die das Gebäude nutzen, es aber nicht unterhalten müssen. Die Haftung der Eltern, die das Kindesvermögen verwalten, wird im Schrifttum allgemein mit der Begründung bejaht, daß den Eltern ein Nutzungsrecht nach § 1649 I I BGB zukomme und dieses unter § 838 2. Alt. falle 9 . Es wurde bereits ausgeführt, daß das elterliche Nutzungsrecht kein Recht im Sinne des § 838 ist 1 0 . In Betracht kommt also nur eine Haftung in entsprechender Anwendung des § 838. Die Haftung eines Verwalters kraft Amtes hat der BGH in einer Entscheidung des Jahres 1956 für einen bestimmten Fall befürwortet. Dort ging es um Schäden, die durch den Einsturz einer Brandmauer eines von einem Treuhänder (custodian) der alliierten Militärregierung verwalteten Gebäudes hervorgerufen waren (MilRegG Nr. 52). Der BGH nahm an, daß der Treuhänder gem. § 838 verantwortlich sei, da ein „gesetzliches Schuldverhältnis" (Geschäftsbesorgungsverhältnis) vertragsähnlicher Natur gegeben sei, das einer vertraglichen Übernahme der Unterhaltung gleichzustellen sei 11 . Dieses Urteil hat im Schrifttum überwiegend Billigung gefunden 12 . Betont wird dort, daß ein „durch behördliche Bestellung begründetes gesetzliches Schuldverhältnis" der vertraglichen Übernahme mindestens dann gleichkomme, wenn die Übernahme der Verpflichtung auf dem freien Willensentschluß des Verwalters beruhe 13 . Die hier gegebene Begründung der Analogie mit der Ähnlichkeit von Unterhaltungsvertrag und Amtsstellung entspricht dem allgemeinen Verständnis des § 838, dessen Haftungsvoraussetzungen, anders als in der vorliegenden Arbeit, nicht im Besitz, sondern in den unmittelbar von der Vorschrift verlangten Rechtsverhältnissen gesehen werden. Von diesem Standpunkt aus ist es aber zweifelhaft, ob tatsächlich für die Haftung des Amtswalters eine 9
Vgl. oben 2 b. Ebd. 11 BGHZ 21, 285, 291 2. Absatz, 292 1. Absatz. 12 Enneccerus-Lehmann § 23914d; Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 4,5; RGRK-Kreft § 838 Rdnr. 3; Palandt-Thomas § 838 Anm. 1; wohl auch MK-Mertens § 838 Rdnr. 2 mit Fn. 2; ohne Stellungnahme Soergel-Zeuner § 838 Rdnr. 3; ablehnend Esser I I § 110 I I 2d. Die allgemein im Anschluß an den BGH ebd. für die Stellung des alliierten Treuhänders verwendete Bezeichnung „gesetzliches Schuldverhältnis" ist insofern irreführend, als unter gesetzlichen Schuldverhältnissen an sich allgemein Rechtsverhältnisse verstanden werden, die unmittelbar durch Gesetz entstehen (Beispiele: §§ 677ff., 812ff., 823 ff. BGB), während hier eine behördliche Bestellung vorliegt. 10
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Schäfer, Kreft ebd.
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Freiwilligkeit der Unterhaltungsübernahme notwendig ist, denn im Falle des Nutzungsrechtes entsteht die Unterhaltungspflicht auch nach § 838 kraft Gesetzes. Allerdings ist einzuräumen, daß sie auch hier letztlich auf dem Willen des Übernehmers beruht, der das Recht aus freiem Entschluß begründet 14 . Diese Fragen können indessen hier auf sich beruhen. Da nach dem in dieser Arbeit ermittelten Ergebnis entscheidende Haftungsvoraussetzung der Besitz ist, kommt es auf die Besitzstellung der Eltern oder des Amtsverwalters an. Die von § 838 vorausgesetzten Rechtsgeschäfte sind jedoch insofern von Bedeutung, als sie die Grundlage des Besitzes bilden. Der Besitz wird nach § 838 freiwillig durch Abschluß schuldrechtlicher oder dinglicher Verträge erworben. Eltern erlangen den Besitz dagegen kraft Gesetzes (§§ 1626 I 2, 1638, 1639 I 1 BGB), ebenso erwerben ihn manche Amtswalter auf Grund hoheitlicher Anordnung. Vormünder und Pfleger werden durch einseitige gerichtliche Bestellung mit ihrem Amt betraut 15 . Der Vormund und der mit Vermögensangelegenheiten beauftragte Pfleger sind zur Vermögenssorge verpflichtet 16 , so daß ihr Besitzerwerb nicht auf freiwilliger Übernahme beruht. Konkurs- und Zwangsverwalter dagegen erhalten ihr Amt nur mit eigenem Einverständnis 17 . Damit stellt sich die Frage, ob es für eine Analogie des § 838 darauf ankommt, daß Grundlage des Besitzes die freie Entscheidung des Besitzenden ist. Es hatte sich gezeigt, daß die beiden in § 838 genannten Fälle, die nach heutiger Anschauung zum Besitz führen, aus der dogmatischen Sicht des Gesetzgebers erklärbar sind und daß der in der Vorschrift enthaltene Grundgedanke über diese Fälle hinausweist. Dieser Grundgedanke, die Haftung infolge der tatsächlichen Sachherrschaft (Detention nach Anschauung des Gesetzgebers, Besitz nach BGB-Auffassung), rechtfertigt aber auch die Verantwortung solcher Personen, die diese Sachherrschaft nicht freiwillig übernommen haben. Demnach haften die zur Verwaltung des Kindesvermögens verpflichteten Eltern, ferner Vormünder 18 und mit Vermögensangelegenheiten betraute Pfleger. Für 14 Die bei Oertmann § 838 Anm. 2 a geäußerten Bedenken gegen die Anwendung des § 838 auf private Amtsinhaber wegen fehlenden Entgelts, die der BGH ebd. S. 292 1. Absatz aufgreift, aber beiseite legt, da der alliierte Treuhänder ein Entgelt erhalte, sind grundlos, denn § 838 verlangt keine entgeltlichen Verträge. 15 Bestellung des Vormundes durch das Vormundschaftsgericht gem. § 1789 BGB; Anordnung der Pflegschaft gem. §§ 1909 I, III, 1915 I BGB. 16 Vgl. §§ 1793 S. 1,1802 ff. (Vermögenssorge des Vormundes), 1909,1914,19151,1793 S. 1, 1802 ff. BGB (Vermögenssorge des Pflegers). 17 Vgl. § 78 K O (Ernennung des Konkursverwalters), § 150 I ZVG (Bestellung des Zwangsverwalters). § 150 I I ZVG enthält sogar eine ausdrückliche Regelung über den Besitz des Zwangsverwalters (Übergabe des Grundstücks durch das Gericht oder Ermächtigung durch das Gericht, sich selbst den Besitz zu verschaffen). 18 A A Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 8, der infolge der Ansicht, daß die Haftung nach §838 1. Alt. im Übernahmevertrag wurzele, Freiwilligkeit der Übernahme verlangt. Konsequenterweise müßte aus dieser Sicht auch die Haftung der das Kindesvermögen verwaltenden Eltern abgelehnt werden; hier wird die Haftung jedoch auf § 838 2. Alt.
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Konkurs- und Zwangsverwalter bestehen die genannten Bedenken schon deshalb nicht, weil sie ihr Amt nur auf Grund eigenen Einverständnisses bekleiden 19 . Damit erhalten sie den Besitz, wie in § 838 vorgesehen, auf der Grundlage ihres Willens. 7. Haftungsbegrenzung nach § 836 I I BGB Eine bisher in Wissenschaft und Rechtsprechung nicht untersuchte Frage besteht darin, ob die Haftungsbegrenzung des § 836 I I 1 auch für die Verantwortung nach § 838 gilt. Es heißt in § 838, daß der danach Verpflichtete „ i n gleicher Weise verantwortlich wie der Besitzer" sei. Damit ist auf die Haftung der nach den §§ 836,837 Verantwortlichen verwiesen, so daß die Vorschrift auch auf § 836 I I Bezug nimmt. Nimmt man § 838 wörtlich, so bedeutet die entsprechende Anwendung des § 836 I I folgendes: Die Haftungsbegrenzung greift ein, wenn der Betreffende nicht mehr unterhaltungspflichtig ist, also bei Beendigung der Rechtsverhältnisse im Sinne des § 838 unter der weiteren Voraussetzung, daß ein anderer Unterhaltspflichtiger (§ 838) oder Besitzer (§§ 836 I, 837) haftet oder daß ein Jahr nach dem Ende des Rechtsverhältnisses abgelaufen ist. Da jedoch tragendes Haftungselement auch des § 838 die Sachbeziehung ist 2 , bedeutet die Heranziehung des § 836 I I richtigerweise, daß für die Haftungsbefreiung — auf der Grundlage des BGB-Besitzverständnisses ausgedrückt — die Besitzbeendigung entscheidend ist unabhängig von der Frage, ob das Rechtsverhältnis nach § 838 noch fortbesteht und der Betreffende noch (intern) unterhaltungspflichtig ist 3 . Die Haftung entfallt also nach denselben zu den §§ 836 I, 837 dargelegten Grundsätzen 4. Diese Regelung leuchtet ein, denn es liegt kein Grund vor, den Fremdbesitzer unbegrenzt haften zu lassen. Die ausdrücklich vom Gesetzgeber für den Eigenbesitzer vorgenommenen Erwägungen 5 gelten für den Fremdbesitzer in derselben Weise, weil auch hier mit zunehmendem Zeitablauf und dem Übergang des Gebäudes in andere Hände Beweisschwierigkeiten entstehen6.
gestützt (Nutzungsrecht, s. § 1649 I I BGB, dazu schon oben bei Fn. 9) und festgestellt, es mache keinen Unterschied, ob das zur Unterhaltung verpflichtende Nutzungsrecht rechtsgeschäftlich begründet werde oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe, s. Schäfer ebd. Rdnr. 13. 19
Für deren Haftung im Ergebnis auch Staudinger-Schäfer § 838 Rdnr. 5 aE. Allgemein gegen die Haftung von „amtlich eingesetzten Verwaltern" Esser I I § 110 I I 2d, der aber das Bedürfnis nach einer solchen Haftung bejaht. 1 Dazu, daß § 836 I I die Haftung nicht begründet, sondern ausschließlich begrenzt, oben I I 6 c. 2 Oben 3 c aa, bb aaa. 3 Vgl. auch oben 3 c bb ccc, cc, wo dargelegt ist, daß es für die Haftung lediglich auf die Besitzübernahme, nicht die Wirksamkeit des Rechtsverhältnisses ankommt. 4 Oben I I 6, I I I 5. 5 Oben I I 6.
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V. Besondere Probleme des § 908 BGB 1. Einleitung M i t den vorstehenden Untersuchungen ( I I - I V ) sind die nach den §§ 836 bis 838 Verantwortlichen und die in ihrer Person zu erfüllenden Haftungsvorausetzungen ermittelt. Damit ist das Fundament des § 908 erarbeitet: Die zu den §§ 836ff. gewonnenen Ergebnisse gelten unmittelbar für § 908. Entsprechend den Darlegungen zum Gang der Untersuchung (oben I) gilt es nunmehr, die besonderen Fragen des § 908 zu behandeln. 2. Besitz iSd § 908 Vom Standpunkt der h.L., die für die §§ 836 und 837 ohne weiteres vom Besitzbegriff des BGB ausgeht1 und die für § 838 keinerlei Besitz verlangt 2 , bedürfte es angesichts des fehlenden Verweises des § 908 auf § 836 I I I mindestens einer kurzen Erläuterung der Frage, ob § 908 den Eigen- oder Fremdbesitzer haftbar macht. Indessen wird allgemein ohne Begründung angenommen, daß die Vorschrift nur den Eigenbesitz umfaßt 3 . Dieses Ergebnis ist hinsichtlich der nach § 908 in Verbindung mit den §§ 836 und 837 Haftenden zutreffend. Da der Gesetzgeber der §§ 836,837 Besitz überhaupt nur bei Vorliegen des Eigenbesitzwillens annahm, gilt dieser gemeinrechtliche Besitzbegriff auch für § 908 4 . Allerdings war bei Schaffung dieser Vorschrift, die erst durch die 2. Kommission eingefügt wurde 5 , das Besitzrecht vermutlich bereits bearbeitet, und zwar in der Gesetz gewordenen Form des 2. Entwurfs (§§ 854ff. BGB) 6 . Dennoch setzt sich das beschriebene alte Besitzverständnis auch unmittelbar in § 908 fort. Die Vorschrift beruht auf einem Antrag, der durch einen Zusatz den Verantwortlichen kurz als „juristischen Besitzer" charakterisierte 7. In den anschließenden Beratungen heißt es in Erläuterung des Haftenden, der Anspruch habe sich gegen den Besitzer des Gebäudes oder gegen denjenigen zu richten, welcher für den Besitzer die Unterhaltung des Gebäudes übernommen habe 8 . Hier werden Besitzer (§§ 836, 837) und Verpflichteter nach § 838, der nach pandektistischer 6
Zu § 838 selbst finden sich in den Materialien keine Äußerungen zur Haftungsbegrenzung; die Beratungen zu dieser Vorschrift waren ohnehin nur kurz, s. Prot. Mugdan I I S. 1152 (unter C). 1 Oben I I 2 a. 2 Oben IV 3 c bb aaa. 3 MK-Säcker §908 Rdnr. 7 („insbesondere" der Eigenbesitzer — ?); StaudingerBeutler § 908 Rdnr. 8; RGRK-Augustin § 908 Rdnr. 8. 4 Oben I I 2a-g (zu § 836 I), I I I 4 (zu § 837). 5 Oben § 2 Β mit Fn. 14. 6 Zur Entstehungsgeschichte des BGB-Besitzrechtes oben I I 2 f. 7 8
Prot. Mugdan I I I S. 604, Unterantrag 1. Ebd. vor III.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Doktrin kein Besitzer war, gegenübergestellt. Auch hier zeigt sich also, daß § 908 diesem Besitzverständnis ebenso verhaftet ist wie die §§ 836 ff.
3. Unterhaltungspflichtverletzung a) Allgemeine Probleme
Solange der Inhalt der §§ 836 ff. nicht bekannt ist, ergibt sich aus § 908 selbst nicht, daß die Vorschrift die Verletzung einer Unterhaltungspflicht voraussetzt. Da §908 wegen der Person des Verantwortlichen global auf die §§ 836 ff. verweist, läßt die Bestimmung sich insoweit isoliert nicht beurteilen, sondern ist zunächst zu untersuchen, wer die nach jenen Vorschriften Haftenden sind. Erst wenn diese Frage beantwortet ist, damit auch die dogmatische Struktur der §§ 836 ff. analysiert ist und feststeht, daß die Vorschriften eine Unterhaltungspflicht für den Besitzer begründen, wird die Bedeutung der §§ 836 ff. für § 908 deutlich. Denn auf den ersten Blick könnte man meinen, daß die §§ 836, 837 — § 838 stellt einen Sonderfall dar — die Haftung schlechthin an den Besitz knüpfen 1 . Wenn dieses Verständnis richtig wäre, würde es auch für § 908 gelten. In dieser Weise wird der Verweis in § 908 auch allgemein aufgefaßt: Er wird dahin gedeutet, daß Haftungsvoraussetzung des § 908 der Besitz als solcher ist 2 . Die §§ 836ff. ordnen aber eine Unterhaltungspflicht an und weisen dem Besitz die Rolle eines diese Pflicht begründenden Elements zu. Steht damit die dogmatische Struktur der §§ 836 ff. fest, so ist auch der Gehalt des § 908 erkannt. Nunmehr ist gewiß, daß § 908 ebenso aufgebaut ist wie die §§ 836 ff: Er statuiert eine Unterhaltungspflicht, für den der Besitz Entstehungsgrund ist. Auf dieser Grundlage läßt sich das Erfordernis der Unterhaltungspflichtverletzung aus § 908 sogar selbst herleiten: Es folgt daraus, daß der Besitzer zur Beseitigung der durch den Einsturz oder die Ablösung von Teilen drohenden Gefahr verpflichtet ist. Somit sieht das Gesetz den Gefahrenzustand als rechtswidrig an. Demgemäß ist der Betreffende gehalten, derartige Gefahren zu verhindern; er muß also tätig werden. Dies kann, weil es sich um Gefahren von Gebäuden handelt, nur dadurch geschehen, daß das Gebäude entsprechend unterhalten wird. Da § 908 den Eintritt der dort beschriebenen Gefahren voraussetzt, muß der Betreffende also seine Unterhaltungspflicht verletzt haben. — Diese Schlußfolgerung entspricht derjenigen, aus der sich für § 836 die Unterhaltungspflicht und deren Verletzung ergibt: Während dort aus der Schadensersatzpflicht folgt, daß der Schaden zu verhüten ist und somit eine Tätigkeitspflicht besteht, folgt hier aus der Pflicht zur Gefahrbeseitigung, daß die Gefahr verhindert werden muß. 1
Vgl. schon oben I I 3 a. Vgl. Offtermatt S. 51 3. Absatz, 53/54, 58, 60, 140; MK-Säcker §908 Rdnr. 7; Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 75, 77; Soergel-Baur § 908 Rdnr. 8; Staudinger-Beutler § 908 Rdnr. 8; RGRK-Augustin § 908 Rdnr. 7-19; Picker S. 133 2. Absatz aE spricht dagegen von einer „Sicherungspflicht" des Eigenbesitzers. 2
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Allgemeine Unterhaltungspflicht und rechtlich durchsetzbare Pflicht setzen bei § 908 nur früher ein 3 : Nach § 908 muß bereits die Gefahr verhindert werden, nach § 836 nur der Schaden. Nach § 908 besteht bereits ein Anspruch auf Beseitigung der Gefahr, nach § 836 nur auf Ersatz von Schäden. Das den Anspruch aus § 908 tragende Element der Unterhaltungspflichtverletzung ist so gut wie unbekannt. Die Frage, ob die beiden in § 908 nicht aufgeführten Merkmale des § 8361, die fehlerhafte Errichtung und mangelhafte Unterhaltung, zum Tatbestand der Vorschrift gehören, ist umstritten. Auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Voraussetzungen für § 908 ist im einzelnen noch einzugehen4. Doch läßt sich hier schon feststellen, daß heute zunehmend angenommen wird, sie seien nicht Teil des § 908 5 . Somit gelangt man jedenfalls über das ausdrücklich von § 836 I 1 aufgestellte Erfordernis der mangelhaften Unterhaltung nicht zu der Ansicht, daß § 908 eine Unterhaltungspflicht begründe. Da aus der Vorschrift diese jedoch auch im übrigen nicht herausgelesen wird, wird das Vorliegen einer Unterhaltungspflicht nach § 908 nicht verlangt. Säcker scheint die Notwendigkeit einer Unterhaltungspflichtverletzung sogar zu verneinen 6. Selbst die ältere Ansicht, die die fraglichen beiden Merkmale des § 836 I zum Tatbestand des § 908 rechnet 7, kennzeichnet § 908 nicht als gesetzlich normierten Fall eines pflichtwidrigen Unterlassens. Zwar finden sich dort Ausführungen zu den Sorgfaltspflichten bei der Gebäudeunterhaltung 8 , diese werden aber dogmatisch nicht eingeordnet oder gar als das eigentlich prägende Haftungsmoment des § 908 herausgestellt. A m Erfordernis der Unterhaltungspflichtverletzung kann aus den genannten Gründen kein Zweifel bestehen. Damit gelten die insoweit zu § 8361 gemachten Darlegungen über Einzelheiten der Unterhaltungspflicht grundsätzlich auch für § 908 (oben I I 3). Der Inhalt der Unterhaltungspflicht des § 908 weicht jedoch teilweise von demjenigen des § 836 I ab (unten b). Auch in der rechtlichen Qualität unterscheiden sich die Verpflichtungen teilweise (unten c). Diese Abweichungen erklären sich aus den divergierenden Rechtsfolgen beider Vorschriften, also daraus, daß § 908 nicht wie § 836 I auf Schadensersatz, sondern auf Beseitigung der Gefahr gerichtet ist. b) Inhalt der Unterhaltungspflicht
aa) Gegenüber dem Inhalt der Unterhaltungspflicht der §§ 836ff. ergeben sich bei § 908 einige Besonderheiten in den Fällen versteckter Mängel (unten bb) und den Fällen höherer Gewalt oder Eingriffen Dritter (unten cc). 3 4 5 6 7 8
Zur Rechtsqualität der Pflichten unten c. Unten 4. Unten 4 Fn. 2. Vgl. MK-Säcker § 908 Rdnr. 3. Unten 4 Fn. 1. Ebd.
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
bb) Der Eigentümer (Nachbar) wird bei Gefahren, die auf versteckten Mängeln beruhen, anders als im Falle des § 836 I, einen Anspruch schon aus praktischen Gründen nicht geltend machen, eben weil der Mangel und damit die Gefahr nicht erkennbar sind. Insofern besteht rein praktisch gesehen ein Unterschied zu § 836. Bei eintretenden Schäden kann sich die Frage stellen, ob der Besitzer haftbar ist, ob also ein pflichtwidriges Unterlassen vorlag, nicht aber bei Ansprüchen auf Beseitigung von Gefahren, die nicht erkennbar sind. Jedenfalls besteht aber auch rechtlich-theoretisch bei unerkennbaren Mängeln kein Anspruch auf Beseitigung der Gefahr, weil es in diesen Fällen an einer Gelegenheit zur Wahrnehmung der Unterhaltungspflicht fehlt und damit eine Pflichtverletzung nicht gegeben ist. Die Anforderungen an die Erkennbarkeit richten sich nach den zu § 836 I dargelegten Grundsätzen (oben I I 3 c cc bbb). cc) aaa) Grundsätzlich kommt es für die Gefahrenbeseitigungspflicht auch im Falle des § 908 auf die Ursache der Gefahr nicht an. Demnach kann sie ihren Ursprung in einer fehlerhaften Errichtung haben, in einem natürlichen Verfall des Gebäudes, der Gebäudebenutzung, in höherer Gewalt und Eingriffen Dritter. Für diese letzteren beiden Fälle entstehen jedoch im Unterschied zu § 836 für § 908 keine besonderen Probleme. Sie stellten sich bei § 836 unter dem Gesichtspunkt, daß die Entstehung der Unterhaltungspflicht die Möglichkeit zum Eingreifen voraussetzt (oben I I 3 b). Dort mußte danach differenziert werden, ob der Schaden in unmittelbarem zeitlichen Anschluß an die schadenstiftenden Ereignisse der höheren Gewalt oder der Eingriffe Dritter entsteht oder ob zwischen diesen den Gefahrenzustand auslösenden Ursachen und dem Schadenseintritt ein zeitlicher Abstand vorliegt [oben I I 3 c cc bbb (3)]. Im letzteren Fall war auf Grund der bestehenden Möglichkeit, Unterhaltungsmaßnahmen vorzunehmen, eine Verantwortung zu bejahen. I m ersteren Fall kam es darauf an, ob das Gebäude bei ordnungsgemäßer Unterhaltung den Ereignissen widerstehen mußte. Nur wenn dieses der Fall war, war der Besitzer als haftbar anzusehen, andernfalls (Beispiel: Naturkatastrophen) nicht. Diese Differenzierungen erübrigen sich im Falle des § 908, weil die Rechtsfolge nicht auf Schadensersatz, sondern Gefahrenabwehr geht. Treten sofort Schäden ein, ohne daß zuvor eine Gefahrensituation entsteht, greift § 908 ohnehin nicht ein, weil danach Schäden nicht zu ersetzen sind. Damit ergibt sich, anders als für den Schadensersatzanspruch nach § 8361, nicht die Frage, ob der Besitzer Gelegenheit hatte, vor Eintritt des rechtwidrigen Tatbestandes (Schaden/Gefahr) vorzubeugen und das Gebäude so instand zu halten, daß es entsprechenden Einflüssen von außen widerstehen konnte; anders gesagt erübrigt sich bei § 908 die Unterscheidung nach der Art der äußeren Einwirkung. Selbst wenn derart heftige Einwirkungen stattfinden, daß ihnen auch ein nach den Regeln der Baukunst errichtetes und ordnungsgemäß unterhaltenes Haus nicht standhalten kann, hat der Gebäudebesitzer dadurch hervorgerufene Gefahren grundsätzlich zu beseitigen. Wenn also der Sturm so heftig war, daß
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auch kunstgerecht angebrachte Dachziegel sich lockern mußten, muß er fortan für deren Befestigung sorgen. Haben dagegen etwa Witterungseinflüsse noch nicht sofort Schäden, sondern nur Gefahrenzustände zur Folge, so entsteht die Pflicht zum Tätigwerden mit Eintritt der Gefahrenlage. Von da an hat der Besitzer Gelegenheit, die Gefahr zu beseitigen. Dieser Fall ist also ebenso zu beurteilen wie nach § 836. bbb) Eine Einschränkung dieser grundsätzlich bestehenden Pflicht auch in Fällen höherer Gewalt kann sich allerdings für den Fall regelrechter Katastrophen ergeben, von denen meist ein ganzes Gebiet betroffen wird. Solche Lagen treten infolge von Naturereignissen, Krieg oder Unglücksfallen (ζ. B. Explosion) ein. Führen sie dazu, daß t in dem heimgesuchten Gebiet chaotische Zustände herrschen, ζ. B. wenn durch einen Erdrutsch mehrere Grundstücke und Häuser verschüttet werden, muß die Unterhaltungspflicht des Besitzers zeitlich beschränkt werden. Es kann ihm nicht zugemutet werden, sogleich nach Eintritt des Ereignisses die für das Nachbargrundstück bestehenden Gefahren zu beseitigen (§ 242 BGB). Es handelt sich um eine Suspendierung der Pflicht zur Wahrnehmung der Unterhaltung ähnlich wie bei fehlender Fälligkeit echter, Ansprüche verleihender Rechtspflichten (§ 271 BGB). Damit ist der Anspruch aus § 908 in der ersten Zeit nach dem Unglücksfall nicht gegeben. Der Besitzer muß jedoch tätig werden, sobald die Verhältnisse dies als zumutbar erscheinen lassen. Feste Maßstäbe hinsichtlich der Dauer der temporären Beschränkung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. — Vom Ergebnis her ist die generelle Anwendung des § 908 auch in Katastrophenlagen — unter Berücksichtigung des genannten Zumutbarkeitsgesichtspunktes — zu billigen. Im späteren Verlaufe der Maßnahmen zur Beseitigung der Unglücksfolgen erlangt der Anspruch aus § 908 seine Bedeutung. Da es auch, praktisch gesehen, angemessen ist, daß jeder Besitzer sein eigenes Gebäude instand setzt und nicht etwa der gefährdete Nachbar im fremden Bereich tätig wird (§§ 228, 229, 904 BGB), ist § 908 ein geeignetes Instrument, um die entstandenen Gefahren abzuwehren und die betroffenen Gebäude wieder in Ordnung zu bringen. — Insoweit Maßnahmen zur Gefahrenbeseitigung infolge der allgemeinen Verhältnisse praktisch nicht realisierbar sind, also etwa notwendiges Material oder Handwerkszeug nicht erreichbar ist, gelten die bereits dargestellten allgemeinen Grundsätze, wonach die Unterhaltungspflicht entsprechend den Möglichkeiten ihrer praktischen Durchführbarkeit inhaltlich reduziert sein kann (oben I I 3 b). ccc) Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß der Besitzer grundsätzlich gem. § 908 für die Beseitigung aller Gefahren unabhängig von ihrem Entstehungsgrund haftet. Einschränkungen für den Fall höherer Gewalt oder der Eingriffe Dritter ergeben sich prinzipiell nicht 9 . Lediglich im Falle von 9
Die heutige Interpretation des § 908 gelangt zu diesem Ergebnis über die NichtAnwendbarkeit der Merkmale der fehlerhaften Errichtung und mangelhaften Unterhaltung (§ 836 I), unten 4 mit Fn. 2, 3, 6.
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Katastrophen kann je nach den Umständen eine Beschränkung der Unterhaltungspflicht in zeitlicher Hinsicht geboten sein (§ 242 BGB). c) Rechtsqualität der Unterhaltungspflicht
aa) Ein Unterschied in der Unterhaltungspflicht besteht gegenüber der entsprechenden Pflicht nach den §§ 836 ff. 1 0 teilweise hinsichtlich der rechtlichen Qualität: Im Falle der §§ 836 ff. ist sie in allen Stadien des Gebäudezustandes bis zum Eintritt des Schadens allgemeiner, nicht einklagbarer Art. Dagegen wandelt sich die allgemeine Unterhaltungspflicht im Falle des § 908 bei Eintritt der Gefahr in eine Rechtspflicht um. Sie existiert als nur allgemeine Pflicht, die zu keinem Anspruch berechtigt, wenn das Gebäude sich in mangelfreiem Zustand befindet und ferner, wenn zwar Mängel entstehen, diese aber nicht zu Gefahren führen. Bis zu diesem Stadium decken sich die Unterhaltungspflichten der §§ 836 ff. und des § 908 der Rechtsqualität nach. Entsteht aber der Gefahrenzustand, kann nach §908, anders als nach den §§ 836ff., dessen Beseitigung verlangt werden. Die Unterhaltungspflicht des § 908 kann also ihren Rechtscharakter ändern. bb) Es entsteht die Frage, wie dogmatisch der Fall zu beurteilen ist, in dem jemand ein Gebäude übernimmt, das sich bereits in einem gefährdenden Zustand befindet. Gegenstand der Unterhaltungspflicht kann die Verhinderung dieses Zustandes nicht sein, dazu bestand keinerlei Gelegenheit. Es sieht demnach zunächst so aus, als wenn der Verpflichtung von vornherein der Charakter einer dem Nachbarn Ansprüche verleihenden Rechtspflicht zukommt, so daß die Unterhaltungspflicht mit der Pflicht zur Gefahrbeseitigung nach § 908 identisch ist 1 1 . Danach ist kein Raum für das herausgearbeitete, für § 908 geltende Kriterium der allgemeinen Unterhaltungspflicht. Das Untätigsein, die Nicht-Beseitigung der Gefahr stellt sich aus dieser Sicht als die Nichterfüllung des Anspruchs auf Gefahrbeseitigung gem. § 908 dar 1 2 . Diese Betrachtungsweise trifft indessen nicht zu. Da § 908 an den Besitz die generelle Verpflichtung zur Sorge für einen gefahrlosen Gebäudezustand knüpft, besteht diese Pflicht auch in Fällen, in denen bereits eine Gefahr vorliegt. Juristisch sind also die allgemeine Unterhaltungspflicht und die Pflicht zur Beseitigung der Gefahr zu unterscheiden.
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Oben I I 3d, I I I 5 mit Fn. 26, IV 4.
So der generelle Einwand Pickers S. 101 /102,139 gegen eine Unterlassungshaftung im Bereiche des § 1004. 12 So Picker ebd.
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4. Bedeutung der Merkmale der „fehlerhaften Errichtung" und „mangelhaften Unterhaltung" des § 836 I 1 für § 908 Die beiden in § 8361 besonders aufgeführten Kausalfaktoren der fehlerhaften Errichtung und der mangelhaften Unterhaltung sind in § 908 nicht enthalten. Es ist daher umstritten, ob sie zum Tatbestand des § 908 gehören. Die Frage wurde besonders früher bejaht 1 , heute aber überwiegend angenommen, daß die betreffenden Merkmale nicht Voraussetzung des § 908 sind 2 , und zwar mit der Begründung, daß § 908 lediglich wegen des Verpflichteten auf § 836 I verweise, nicht aber auf den Tatbestand im übrigen 3 . In dieser letzteren Auffassung zeigt sich eine Divergenz in den Interpretationen des § 836 I einerseits und des § 908 andererseits. Während § 836 I dahin gedeutet wird, daß die fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte Unterhaltung vom Besitzer selbst herrühren müsse oder jedenfalls könne 4 , werden die Merkmale im Rahmen des § 908 als nicht gerade vom Besitzer zu erfüllende Voraussetzungen verstanden, denn andernfalls müßte angenommen werden, daß sie auf Grund des Verweises auf die Verpflichtungsperson des § 836 I ohne weiteres auch für § 908 Geltung haben. Es ist verwunderlich, daß der im übrigen parallel zu § 836 I gebildete Tatbestand des § 908 insoweit von der Vorschrift abweicht, als er den hier behandelten Tatbestandsteil nicht enthält. Hier stellt sich zwar die Frage, ob es sich um einen bewußten Verzicht des Gesetzgebers handelt oder um eine versehentlich unvollkommene Tatbestandsfassung. Die Gesetzesmaterialien schweigen dazu. Die Gründe können jedoch im historischen Dunkel verbleiben: Da die Untersuchung ergeben hat, daß die betreffenden Voraussetzungen des § 8361 schon für die Vorschrift selbst bedeutungslos sind 5 , sind sie auch für § 908 ohne Belang. Weder haftet der Besitzer nach § 908 auf Gefahrbeseitigung deshalb, weil er das Gebäude fehlerhaft errichtet hat 6 , noch haben die beiden Merkmale die Funktion, den Besitzer von der Haftung für Gefahren durch höhere Gewalt oder Eingriffe Dritter freizustellen 7. Alleinige Voraussetzung ist eine Unterhaltungspflichtverletzung. Die eingangs geschilderte Kontroverse zu § 908 erweist sich damit als gegenstandslos. § 908 ist so zu lesen, wie er verfaßt ist, nämlich ohne die Erfordernisse der fehlerhaften Errichtung oder mangelhaf1
Planck-Strecker §908 Anm. 2 c; RGRK-Augustin §908 Rdnr. 11-13 jeweils mit Nachw. aus der Rspr. 2 Picker S. 106 Fn. 254; MK-Säcker § 908 Rdnr. 3; Soergel-Baur § 908 Rdnr. 2; Staudinger-Beutler § 908 Rdnr. 4; wohl auch Palandt-Thomas § 908 Anm. 2c (ausreichend Naturereignisse wie Überschwemmung). 3 Picker, Säcker, Baur jeweils ebd. 4 Oben I I 4 a, b. 5 Oben I I 4 b aa bbb, bb bbb, c. 6 So aber Planck-Strecker § 908 Anm. 2 c; RGRK-Augustin § 908 Rdnr. 12. 7 Vgl. oben I I 4; eine Haftung für höhere Gewalt nehmen, soweit ersichtlich, nur M K Säcker § 908 Rdnr. 3 aE und Palandt-Thomas § 908 Anm. 2 c an (Naturkräfte).
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
ten Unterhaltung. Damit ist § 908 klarer als § 8361, denn welche Schwierigkeiten die beiden Merkmale in die Vorschrift hineingetragen haben, hatte sich dort gezeigt. 5. Kausalität a) Grundsätzliche Fragen
§ 908 setzt Kausalität der Verletzung der Unterhaltungspflicht für die in der Vorschrift genannten Gefahren voraus. Die Bestimmung gleicht auch insoweit den §§ 836 ff., der Unterschied liegt nur darin, daß die verursachten Ereignisse in § 908 und §§ 836 ff. jeweils verschiedene sind. Das Erfordernis der Kausalität folgt daraus, daß § 908 eine Unterhaltungspflichtverletzung 1 voraussetzt. Für die in § 908 aufgeführten Gefahren kann der Besitzer nur dann verantwortlich gemacht werden, wenn sie Folge seiner Pflichtverletzung sind; die Kausalität stellt das verbindende Glied zwischen Pflichtverletzung und Gefahr dar 2 . b) Beurteilung des Erfordernisses der Kausalität in Literatur und Rechtsprechung
Kausalitätsfragen tauchen in Literatur und Rechtsprechung zu § 908 nicht auf. Soweit angenommen wird, daß das in § 836 I enthaltene Merkmal der mangelhaften Unterhaltung zum Tatbestand des § 908 gehöre 3, ergibt sich aus den Ausführungen nur indirekt, daß die mangelhafte Unterhaltung als Ursache der Gefahr angesehen wird 4 ; Einzelfragen werden auch an diesen Stellen nicht behandelt. Dieser Befund entspricht dem dogmatischen Erkenntnisstand des § 908: Da die Vorschrift als Fall einer Haftung kraft pflichtwidrigen Unterlassens nicht eingeordnet wird 5 , können auch Fragen der Kausalität nicht entstehen. c) Untersuchung der Kausalität im einzelnen aa) Einleitung
Da Gegenstand der vorliegenden Untersuchung die Person des nach § 908 Verantwortlichen ist und das kausale Verhalten zu den in der Person des Haftenden zu erfüllenden Voraussetzungen gehört, sind im folgenden die Kausalerfordernisse des § 908 im einzelnen zu ermitteln. Dazu bedarf es zunächst der Feststellung der notwendigen Kausalzusammenhänge der Vor1
Dazu oben 3 a. Schon oben I I 5 a. 3 Oben 4 mit Fn. 1. 4 Vgl. die oben 4 Fn. 1 Genannten; Planck-Strecker § 908 Anm. 2 c: „Die Gefahr muß eine Folge . . . mangelhafter Unterhaltung des Werkes sein." 5 Oben V 3 a. 2
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schrift (unten bb), um diese anschließend getrennt voneinander einer genaueren Untersuchung zu unterziehen (unten cc, dd). bb) Die Kausalzusammenhänge nach § 908
§ 908 setzt eine Unterhaltungspflichtverletzung voraus (oben 3) und außerdem die Gefahr, daß das Nachbargrundstück durch den Einsturz des Gebäudes oder Werkes oder durch die Ablösung von Teilen des Gebäudes oder Werkes beschädigt wird. Damit sind folgende Faktoren erforderlich: Eine Unterhaltungspflichtverletzung, die Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen und die Gefahr, daß durch Einsturz oder Ablösung von Teilen das Nachbareigentum Schaden erleiden würde. Demgemäß sind hinsichtlich der Kausalzusammenhänge notwendig: Kausalität zwischen der Verletzung der Unterhaltungspflicht und der Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen sowie Kausalität zwischen dieser Gefahr und der Gefahr für das benachbarte Grundeigentum. Dieser letztere Kausalzusammenhang erklärt sich daraus, daß nicht eine generelle Gebäudegefahr genügt, sondern, entsprechend dem Schutzzweck des § 908, gerade eine Gefahrdung des Nachbargrundstücks gegeben sein muß. I m folgenden werden, wie erwähnt, die genannten beiden Kausalabschnitte im einzelnen untersucht (unten cc, dd). cc) Kausalität zwischen Unterhaltungspflichtverletzung und der Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen aaa) Unterhaltungspflichtverletzung als condicio sine qua non
Da die von § 908 vorausgesetzte Verletzung der Unterhaltungspflicht in einem Unterlassen besteht, stellt sich die Frage, wann ein Unterlassen als kausal anzusehen ist. Dazu ist folgendes festzustellen: Geht es um die Zurechnung von Handlungen (positives Tun), die einen rechtlich mißbilligten Erfolg, z. B. eine Eigentumsverletzung (§ 8231), herbeigeführt haben, so ist die Feststellung der Ursächlichkeit mit Hilfe eines naturwissenschaftlich verstandenen Kausalbegriffs möglich. Danach ist ein Ereignis kausal, wenn es nach dem gegebenen Geschehensablauf notwendigerweise zu dem betreffenden Erfolg führen mußte. Doch läßt sich die Frage, ob die Handlung Kausalfaktor war, nicht positiv durch Betrachtung der aufeinander folgenden Geschehnisse ermitteln. Vielmehr ist eine Hypothese notwendig: Eine Bedingung ist dann kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß auch der Erfolg entfiele (condicio sine qua non, Äquivalenztheorie) 6 . Bei einem Unterlassen erfolgt die Feststellung der Kausalität auf anderem Wege. In einem naturwissenschaftlichen Sinne können durch ein Nichts-Tun 6 Zur Äquivalenztheorie etwa Larenz I § 27 l i l a ; sie wurde für die Rechtswissenschaft begründet von v. Buri (1873).
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Ereignisse nicht bewirkt werden. Zumindest wäre ein solcher Kausalbegriff naturwissenschaftlich unbrauchbar. Denn zwar ist es eine erfahrbare Tatsache des täglichen Lebens, daß sich das Geschehen durch ein Eingreifen oder NichtEingreifen beeinflussen läßt, doch würde bei dieser Betrachtung, da es in der Naturwissenschaft nicht um Verantwortung für bestimmte Erfolge geht, die Kausalität uferlos sein. Dagegen ist ein Nichts-Tun juristisch nur bedeutsam, wenn eine Pflicht zum Handeln besteht7. A u f diese Weise wird der Kreis der zurechenbaren Kausalabläufe durch Unterlassen wertend eingegrenzt. — Für die Feststellung der —juristisch bedeutsamen — Kausalität durch Unterlassen ist nun ebenfalls, wie beim positiven Tun, eine Hypothese notwendig, allerdings mit einem anderen Inhalt als dort: Zu fragen ist, was geschehen wäre, wenn der Betreffende eingegriffen, seine Handlungspflichten also erfüllt hätte 8 . Für § 908 ist demnach festzustellen, ob die Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen entstanden wäre, wenn der Besitzer seinen Pflichten nachgekommen wäre. Kausalität ist somit dann gegeben, wenn die Gefahren bei Wahrnehmung der Pflichten nicht eingetreten wären. Da es sich nun um die Ermittlung eines hypothetischen Geschehensablaufs handelt, der tatsächlich nicht eingetreten ist, ist ein Wahrscheinlichkeitsurteil notwendig. Ein Unterlassen kann nur dann als kausal angesehen werden, wenn der Eintritt des Erfolges mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch ein Handeln verhindert worden wäre 9 . Die Formel dagegen, der Erfolg müsse mit Sicherheit ausgeblieben sein 10 , ist nicht korrekt, da völlige Gewißheit nicht zu erlangen ist. — Somit ist Kausalität im Sinne des § 908 gegeben, wenn die Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen bei entsprechenden Unterhaltungsmaßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht entstanden wäre. Ist dieses feststellbar, greift die Haftung prinzipiell ein. bbb) Haftungsbegrenzungsfragen (1) Einleitung
Ist die Kausalität Kriterium der Haftung, so geraten die im Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätze ins Blickfeld, deren Aufgabe darin besteht, die Haftung zu beschränken 11. I m Schadensersatzrecht ergibt sich häufig das Problem, daß der Schädiger für weitreichende Folgen einstehen muß, deren Zurechnung als nicht gerecht empfunden wird. Diese umfassende schadenser7 Vgl. auch Esser I § 91 2 vor a: die Unterlassung sei ontologisch ein nullum, sie werde erst rechtlich relevant durch eine Bewertung des Nichtstuns. 8 Zur Kausalität durch Unterlassen etwa Larenz I § 27 IIIc; anders Fikentscher § 51 V 2: es fehle beim Unterlassen die Äquivalenz (als Grundlage der Adäquanz); ebenso Esser I § 44 IV: Äquivalenzlehre für den Bereich der Unterlassung unbrauchbar. 9 Vgl. auch Fikentscher § 51 V 2. 10 So Fikentscher ebd. 11 Dazu schon oben I I 5 b (zu § 836 BGB).
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satzrechtliche Verantwortung wird allgemein als eine Konsequenz der naturwissenschaftlich verstandenen Kausalität angesehen. Da die Kausalität im Sinne der condicio-Formel eine unbegrenzte Kette von Ereignissen auslösen kann und somit eine Haftung auch für unerwartete und entfernteste Folgen möglich ist, sieht sich das Schadensersatzrecht vor der Aufgabe, diejenigen Ursachen zu ermitteln, die eine rechtliche Verantwortung als angemessen erscheinen lassen. Im folgenden sind die hierzu entwickelten Prinzipien kurz in Erinnerung zu rufen [unten (2) (11)]; ferner hat sich die Untersuchung der zu einer ersten Eingrenzung führenden Adäquanztheorie für den vorliegenden Fall des kausalen Unterlassens näher zuzuwenden [unten (2) (22)]. Sodann ist festzustellen, ob es einer Haftungsbeschränkung im Falle des § 908 überhaupt bedarf [unten (3)]. (2) Schadensersatzrechtliche Haftungsbegrenzungskriterien (11) Überblick
Ein Mittel für eine Begrenzung der Kausalhaftung stellt die Adäquanztheorie dar. Sie will auf Grund einer wertenden Betrachtung einzelne Bedingungen ausscheiden, und zwar solche, die nur unter außergewöhnlichen und nicht vorhersehbaren Umständen zu dem Erfolg führten. Im Anschluß an diese v. Bar (1871) und dem Physiologen v. Kries (1888) zugeschriebene, sodann für die Jurisprudenz wesentlich durch Rümelin (1900) und Traeger (1902) geprägte Theorie 12 werden variierende Formeln verwendet, auf die in den Einzelheiten für die Unterlassungshaftung des § 908 sogleich näher einzugehen ist [unten (22)]. — Indessen hat sich auch diese juristische Wertungen enthaltende Kausaltheorie zum Teil als zu umfassend erwiesen. Zu einer weiteren Eingrenzung der Schadensfolgen ist inzwischen die von Rabel (1936) und v. Caemmerer (1958) begründete Lehre vom Schutzzweck der N o r m 1 3 zum anerkannten Instrument der Haftungsbegrenzung geworden. Der Grundgedanke dieser Lehre ist es, daß jede Verpflichtung bestimmten Interessen dient und daß demgemäß eine Verantwortung nur für solche Folgen besteht, vor denen die infrage kommende Vorschrift schützen will. Dieser Gedanke ist in den Gefahrdungshaftungstatbeständen verankert, bei denen eine Haftung nur für die typische Sach- oder Tiergefahr besteht (etwa § 7 StVG, § 833 BGB) 1 4 , und in § 823 I I BGB, wo die Verantwortung nur eintritt, wenn das verletzte Gesetz gerade vor entsprechenden Schäden schützen w i l l 1 5 ; ferner ist er im Vertragsrecht anerkannt, wenn sich aus dem Vertragsinhalt ergibt, vor welchen Schäden der Gläubiger zu bewahren ist. Nach dem diesen Einzelfallen entnommenen 12
Vgl. die Literaturangaben bei Larenz I § 27 vor I. Vgl. die Literaturangaben bei Larenz I § 27 I I I b 1 gegen Ende (zu Rabel), § 27 vor I (zu v. Caemmerer); zur Normschutzzwecklehre heute etwa Larenz I § 27 I l l b . 14 Z.B. Larenz I I §77 I. 15 Z.B. Larenz I I § 72 II. 13
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allgemeinen Gedanken der Normschutzzwecklehre muß auch im Falle des § 823 I der Schaden in einem inneren Zusammenhang zum Schutzbereich des verletzten Rechtsguts stehen 16 . Ein Beispiel für den Anwendungsbereich dieser Lehre bietet der bekannte, 1968 vom BGH entschiedene Arteriosklerosefall 17 , in dem ein Beamter bei einem Verkehrsunfall eine Kopfverletzung erlitt. Bei der Behandlung stellte der Arzt eine verborgene Arteriosklerose fest, die zur vorzeitigen Pensionierung führte. Der Beamte verlangte vom Verursacher des Unfalls Schadensersatz wegen der verminderten Bezüge. — Die vorzeitige Pensionierung war zwar durch die Körperverletzung verursacht worden; die Entdeckung einer Arteriosklerose bei der Behandlung dieser Verletzung liegt auch nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit (Adäquanz). Doch die mit der Entdeckung der Krankheit zusammenhängende Ruhestandsversetzung steht nach der betreffenden Lehre in keinem inneren Zusammenhang mehr mit der verursachten Körperverletzung. — Der Gedanke der Schutzzwecktheorie ist variiert und für Einzelfalle ergänzt worden 18 . So will Essers Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang den Schutzgedanken dahin fassen, daß die Schadensfolge auf der besonderen Rechtswidrigkeit der haftungsauslösenden Handlung beruhen müsse, um dem Schadensurheber zugerechnet werden zu können 19 . Weiterer Ausführungen von Einzelheiten haftungsbeschränkender Fragen bedarf es für den vorliegenden Zweck nicht. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Methode der hier skizzierten Lehren darin besteht, aus den nach naturwissenschaftlichem Verständnis gleichwertigen (äquivalenten) Bedingungen einzelne Kausalfaktoren auszuwählen, um auf diese Weise zu einer Zurechnung von Folgen zu gelangen, die gerecht erscheint. Die Wertungsgesichtspunkte bei dieser Auswahl sind unterschiedlich. Nach der Adäquanztheorie besteht eine Verantwortung nur für solche Bedingungen, die eine ihnen „adäquate" Folge hervorrufen, die, wie die Definition in etwa lautet, es mit Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, daß die Folge eintreten wird. Die Normzwecklehre fragt, ob die betreffende Norm, nach der die Verantwortung besteht, vor den verursachten Folgen schützen will. Die Essersche Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang wählt von den Ursachenfaktoren solche aus, deren besondere Rechtswidrigkeit das Schadensereignis bedingt. — Eine derartige Selektion von Kausalfaktoren führt zu unterschiedlichen Kausalbegriffen, die mit dem Kausalverständnis der Naturwissenschaft nicht mehr übereinstimmen. Die Legitimation dieses Vorgehens beruht auf den spezifisch rechtswissenschaftlichen Fragestellungen und Problemen, die sich mit rein mechanistischen Gegebenheiten nicht zufrieden geben können. Da die Jurisprudenz, um ihrer 16
Vgl. Larenz I § 27 I l l b 2; Fikentscher § 51 I I I ; Erman-Sirp § 249 Rdnr. 24 f. BGH NJW 1958, 2287. 18 Vgl. etwa die Zurechnung nach Risikobereichen (Frage nach dem „allgemeinen Lebensrisiko" des Geschädigten), Darstellung bei Larenz I § 27 I I I b 3 mwN. 19 Vgl. Esser I § 45. 17
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Aufgabe, gerechte Entscheidungen zu fallen, genügen zu können, auf Wertungen angewiesen ist, muß es ihr gestattet sein, den Kausalbegriff nach ihren Zwecken zu modifizieren. Obwohl der Begriff der „Theorie" auf naturgesetzliche Gegebenheiten (Kausalität) nicht zu passen scheint, läßt sich doch vom Standpunkt der Rechtswissenschaft aus, die diese Gegebenheiten gemäß den ihr gestellten Problemen behandeln muß, von „Kausalitätstheorien" sprechen. (22) Adäquate Kausalität im Falle des Unterlassens
Traditionsgemäß ist ein erster Prüfstein für die Frage, ob eine Person für die von ihr verursachten Folgen einzustehen hat, die Adäquanztheorie 20 . U m beurteilen zu können, ob Adäquanzüberlegungen zur Grundlage der Haftung nach § 908 gemacht werden können [unten (3)], haben sich daher die folgenden Untersuchungen mit dieser Theorie näher zu befassen. Das kausale Verhalten besteht im Falle des § 908 in einem Unterlassen. Zwar liegt das Schwergewicht der Adäquanzüberlegungen bei den Fällen des positiven Tuns, doch wird in Literatur und Rechtsprechung die Adäquanzprüfung grundsätzlich auch im Rahmen des Unterlassens vorgenommen 21 . Danach ist ein Unterlassen dann ursächlich, wenn es im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung des Erfolges geeignet war 2 2 . Maßgebend ist die nachträgliche Prognose eines mit allgemeinem Erfahrungswissen ausgestatteten Beobachters 23. Schaut man auf die Ermittlung der Kausalität im Sinne der (naturwissenschaftlichen) äquivalenten Bedingungen im Falle des Unterlassens (oben aaa), so ist festzustellen, daß auf Grund der Adäquanzformel erneut ein Wahrscheinlichkeitsurteil notwendig ist: Im Rahmen der äquivalenten Kausalbedingungen ist zu prüfen, ob der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre, im Rahmen der adäquaten Bedingungen dagegen, ob der Eintritt des Erfolges infolge Nichthandeins ganz unwahrscheinlich war. Jedoch handelt es sich nicht um identische Prüfungsgesichtspunkte. Wenn feststeht, daß 20
Sie hat trotz anderer Eingrenzungsversuche ihre Aufgabe beibehalten, eine erste Beschränkung der äquivalenten Bedingungen vorzunehmen. Zur stufenweisen Prüfung der äquivalenten und adäquaten Ursachen ausführlich BGHZ 2, 138/139 (Leitsatz), 140/141. 21
Vgl. etwa Larenz I § 27 IIIc; Palandt-Heinrichs § 249 Anm. 5d dd; BGHZ 7, 198,
204. 22 So etwa die negative Adäquanzformel, s. Enneccerus-Lehmann § 15 I I I 2; Larenz I § 27 I l l b ; RGZ 115,153,155; 152, 397,401 unten; 169, 84,91; BGHZ 7,198,204; 57,137, 141. Positive Formulierungen lauten etwa, daß das Ereignis allgemein geeignet sein müsse, einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen (so ζ. B. BGHZ 57,245,255/256), oder: Das Ereignis müsse die Möglichkeit eines Erfolges dieser Art generell nicht unerheblich erhöht haben (so BGHZ 57, 245, 255). 23 Etwa Larenz I § 27 I l l b .
23 Herrmann
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das Ereignis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei einem Handeln ausgeblieben wäre, ist damit noch nichts darüber gesagt, ob der Eintritt des Erfolgs infolge des Nichthandeins nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag. Während bei der ersten Prüfung der gesamte Geschehensablauf, wie er tatsächlich stattgefunden hat, zugrunde gelegt wird, handelt es sich bei der zweiten Prüfung um die Feststellung, als wie wahrscheinlich sich der Erfolgseintritt im Zeitpunkt des Unterlassens für einen Beobachter darstellte, der alle in dem damaligen Zeitpunkt nach der Lebenserfahrung erkennbaren Umstände berücksichtigte, der aber das wirkliche Geschehen noch nicht kannte. Dazu ein Beispiel: Wenn das Dach des Hauses eine kleine Öffnung aufweist, weil etwa ein Dachziegel schadhaft ist, und wenn bei sonnigem Wetter im Sommer ein unerwartet auftretender Sturm durch die schadhafte Stelle unter das Dach greift und dieses sich zu lösen droht, so wäre diese Gefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben, wenn der Besitzer die Stelle repariert hätte. Daß aber das Unterlassen der Reparatur zu der beschriebenen Gefahr führen würde, war auf Grund der Wetterlage ganz ungewöhnlich und unwahrscheinlich. M i t der Prüfung, ob die eingetretene Folge dem Unterlassen adäquat war, kann also erreicht werden, daß Wirkungen ausgeschieden werden, mit denen der Betreffende nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht zu rechnen brauchte. Die Feststellung der Adäquanz ist daher trotz des Wahrscheinlichkeitsurteils im Rahmen der Äquivalenz auch bei einem Unterlassen grundsätzlich berechtigt. Das eben genannte Beispiel verdeutlicht ein weiteres im Rahmen der Adäquanz auftauchendes Problem. Die Frage, für welche Folgen eine Verantwortlichkeit ausscheidet, hängt von den Kenntnissen ab, die man dem objektiven Beobachter abverlangt. Es kann sich nicht um einen „optimalen Beobachter" 24 in dem Sinne handeln, daß dieser mit allem nur erreichbaren Wissen ausgestattet ist. Ein Metereologe etwa hätte in dem Beispielsfall bei entsprechenden Messungen die ungewöhnliche Wetterlage, die zu dem unerwarteten Sturm führte, erkennen können. Der betreffende Hausbesitzer hätte sich vielleicht, wenn er sich um Wettervorhersagen gekümmert hätte, ebenfalls von dem zu erwartenden Sturm Kenntnis verschaffen können. Für ihn bestand aber gar kein Anlaß, sich um derartige Prognosen zu kümmern, da er als Laie mit Recht annehmen durfte, daß die Wetterverhältnisse einstweilen unverändert bleiben. Wollte man für die Adäquanz das Urteil eines mit allem erlangbaren Wissen ausgestatteten Beobachters verlangen, würde der Zweck der Adäquanztheorie verfehlt werden 2451 . Das Wahrscheinlichkeitsurteil kann daher nur aus der Sicht der allgemeinen Lebenserfahrung gefallt werden, wobei es sich danach von selbst versteht, daß auch außergewöhnliche Möglichkeiten in Betracht zu ziehen sind, wenn Anlaß besteht, mit ihnen zu rechnen.
24 248
Dazu Larenz I § 27 I l l b mit Nachw. aus der Rspr. So auch Larenz I ebd.
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(3) Die Frage der Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung im Falle des § 908 (11) Einleitung
Nach diesen grundsätzlichen Ausführungen kann sich die Untersuchung der Frage widmen, ob ein Bedürfnis besteht, die Verantwortlichkeit des Besitzers nach § 908 zu begrenzen. Ausgangspunkt für die Klärung dieses Problems muß die Frage sein, welche Faktoren für die Anwendung der Adäquanz im Schadensersatzrecht Anlaß geben [unten (22)]. Sodann ist festzustellen, ob sich die spezifisch schadensersatzrechtlichen Probleme auch im Falle des § 908 stellen [unten (33)]. Diese Gegenüberstellung kann Auskunft darüber geben, ob es mit Hilfe der Adäquanz einer Haftungsbegrenzung nach § 908 bedarf. (22) Die Lage im Schadensersatzrecht
Das im Schadensersatzrecht gravierende Problem der „Zurechnung" erklärt sich aus der weitreichenden Folge des Schadensersatzes. Diese bedeutet Kompensation aller durch das verletzende Verhalten hervorgerufenen negativen Folgen. Diese umfassende Haftung und die daher bestehende Notwendigkeit, sie in Einzelfallen zu begrenzen, wird im allgemeinen, wie bereits erwähnt [oben bbb (1)], lediglich mit der Kausalität erklärt, eben weil die condicio sine qua non theoretisch eine unbegrenzte Kette von Wirkungen auslösen kann. Die Kausalität allein stellt jedoch keine Erklärung für die umfassende schadensersatzrechtliche Haftung dar, vielmehr ist dafür neben der Kausalität die Weite des Schadensbegriffes verantwortlich. Es gibt allerdings Fälle, in denen allein die Entfernung von Ursache und Folge zu Zweifeln an der Angemessenheit der schadensersatzrechtlichen Verantwortung führt. Der weitaus überwiegende Teil der Fälle wirft das Zurechnungsproblem aber infolge des weitgefaßten Schadensbegriffes auf. Diese Feststellungen sind im folgenden näher darzulegen. Zunächst zu den Fällen, in denen ein Verhalten weit entfernt liegende Folgen auslöst, für die einzutreten nicht mehr als billig erscheint. So liegt es beim Herstellen oder Verbreiten gefahrlicher Gegenstände wie Kraftfahrzeuge, Elektrogeräte, Beile, Sägen oder Waffen. Entstehen auf Grund der Handhabung derartiger Gegenstände Rechts- oder Rechtsgutverletzungen, dann sind die genannten Tätigkeiten nicht hinwegdenkbare Bedingung des Verletzungserfolges. Da aber solche Handlungen üblich sind und erlaubt sein müssen, sieht sich das Deliktsrecht vor der Aufgabe, diese Handlungen als Kausalfaktoren auszuschalten25. Auf die verschiedenen rechtlichen Konstruktionen, die diese Aufgabe lösen sollen, kommt es hier im einzelnen nicht an. Die dargestellten Kausaltheorien der Adäquanz und der Normzwecklehre bewältigen das Problem nicht. Die Lösungsversuche sind unterschiedlich; sie basieren auf keinem 25 Vgl. Larenz I I § 72 Ic; ferner etwa Nipperdey NJW 1967,1985,1990f.; Fikentscher § 97 I I I 2e ß, § 103 I I I 1 c; Soergel-Zeuner § 823 Rdnr. 96.
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grundsätzlichen dogmatischen Konzept, sondern kommen vom gewünschten Ergebnis her. So wird etwa die Lösung über eine Unterscheidung in unmittelbare und mittelbare Schäden getroffen (Larenz) 26 oder das positive Tun von vornherein außer acht gelassen und an einen späteren Geschehensabschnitt angeknüpft, für den nur ein Unterlassen infrage kommt 2 7 . Die genannten Sachverhalte, die im Deliktsrecht sei jeher Schwierigkeiten bereiten und für die eine dogmatisch befriedigende Lösung bisher nicht gefunden wurde, stellen einen besonderen, extrem liegenden Fallbereich dar. In der Mehrzahl der Fälle entsteht das Problem der Zurechnungsbegrenzung nicht ausschließlich auf Grund der Kausalität, sondern durch das Zusammenwirken mit dem Schadensbegriff\ unter den alle erlittenen Nachteile fallen. § 249 S. 1 BGB schreibt die sog. Differenzhypothese fest, indem er bestimmt, daß der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen hat, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Die zum Ersatz von Schäden verpflichtenden Anspruchsgrundlagen des Deliksrechtes (§§ 823 ff. BGB) und des Vertragsrechtes (etwa §§ 280, 286, 325 f. BGB) nehmen diesen Schadensbegriff uneingeschränkt auf 2 8 . Damit umfaßt der Schaden die unmittelbar am Recht oder Rechtsgut hervorgerufene Verletzung (Körperverletzung, Sachbeschädigung; „Objektschäden") sowie alle weiteren am Vermögen entstandenen Einbußen („Folgeschäden") 29 . Ein Beispiel ist der geschilderte Arteriosklerosefall [oben (2) (22)], bei dem der Schädiger grundsätzlich auch für die verminderten Bezüge infolge der Pensionierung einstehen müßte. Zu dieser weitgehenden Rechtsfolge kann es überhaupt nur auf Grund des Schadensbegriffes kommen, der sämtliche für das Vermögen negativen Konsequenzen einschließt. Zwar setzt er seinerseits voraus, daß die Kausalität Haftungskriterium ist; sie ist das Moment, das es ermöglicht, alle im Verlaufe des Geschehens eintretenden Folgen zu erfassen. Wäre aber der Schadensbegriff enger, könnte die Kausalität nicht zur Verantwortung für alle Folgen führen, die durch das Verhalten des Schädigers ausgelöst wurden. Der Begriff des Schadens würde die Kausalhaftung begrenzen. Wenn beispielsweise Schaden lediglich Ersatz der am 26
Die Unterscheidung dient der Feststellung der Rechtswidrigkeit in Abwandlung der Lehre vom Handlungsunrecht, s. Larenz I I § 72 l c mwN; kritisch dazu Nipperdey ebd. 27 Dadurch wird eine Beschränkung der Haftung erreicht, denn für das Unterlassen ist der Betreffende nur dann verantwortlich, wenn eine Rechtspflicht zum Tun bestand; beispielsweise ist der Hersteller von Waren nur dann haftbar, wenn Waren fehlerhaft sind (Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht); s. etwa Larenz I I § 72 lc. Dieses Vorgehen, das Ausschalten der eigentlich kausalen Handlung, wird dogmatisch nicht näher begründet, etwa dadurch, daß zunächst das für die Haftung infrage kommende Handeln und Unterlassen nebeneinander gestellt werden und sodann eine Abgrenzung zwischen beiden möglichen Haftungsmomenten nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit getroffen wird. Vgl. auch Fikentscher § 103 I I I l c : „Kunstgriff 4 . 28 Das nach den §§ 122 1,179 II, 307 I, 309 BGB zu ersetzende sog. negative Interesse (Vertrauensschaden) stellt nur eine besondere Form der Schadensberechnung dar; dazu etwa Larenz I § 27 I I 4. 29
Vgl. etwa Larenz I § 27 I l l b 3; Erman-Sirp § 249 Rdnr. 9.
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Eigentum oder Körper entstandenen Verletzungen oedeuten würde, er also auf den sog. Objektschaden begrenzt wäre, blieben weitere, durch diese Verletzungen entstandenen Vermögensfolgeschäden außer Betracht; das Problem des Arteriosklerosefalles etwa könnte nicht entstehen. (33) Vergleich mit der Lage nach § 908
( I i i ) Schaut man nun auf den Sachverhalt des § 908, so ist festzustellen, daß hier eine dem Schadensersatzrecht vergleichbare Lage nicht gegeben ist. Zunächst zu den Fällen, die die Zurechnungsproblematik im Schadensersatzrecht wegen des Auseinanderliegens von Verhalten und Erfolg auslösen. Die Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen des Bauwerks kann durch ein komplexeres Kausalgeschehen hervorgerufen werden, beispielsweise durch einen Eingriff in die Gebäudesubstanz — etwa durch Lockerung einer den Balkon tragenden Säule — sowie durch gleichzeitig gegebene ungünstige Witterungsverhältnisse (Frost), zwei Faktoren, deren Zusammenwirken schließlich die Gefahr herbeiführt. Diese Vorgänge sind aber nicht das haftungsbegründende Moment des § 908. Die juristische Verantwortung wird an das Unterlassen der Unterhaltungspflicht geknüpft; haftungsauslösend wirkt die Kausalität dieses Verhaltens. Zwischen der mangelnden Unterhaltung und den Gebäudegefahren aber besteht ein unmittelbarer Zusammenhang, dazwischen liegen keine weiteren Ursachenfaktoren. Das heißt, im Falle des § 908 ist eine den genannten Schadensersatzfällen vergleichbare Lage nicht denkbar. Während in den Schadensersatzbeispielen (Herstellen oder Vertreiben gefahrlicher Sachen) der Schaden auf völlig neuen Geschehensabschnitten beruht 30 [s. oben (22)], liegen zwischen dem Unterlassen der Gebäudeunterhaltung und der Gebäudegefahr keine weiteren Ereignisse. Damit entfällt für die negatorische Haftung nach § 908 das sich im Schadensersatzrecht stellende Problem aus dem Gesichtspunkt, daß Handlung und Erfolg infolge einander bedingender Ursachenfaktoren zu weit auseinanderliegen; einer Adäquanzprüfung bedarf es also insoweit nicht. (222) Nun zu dem weiteren Grund, der im Schadensersatzrecht zu Zurechnungsproblemen führt, der Weite des Schadensbegriffes. § 908 verpflichtet nicht zum Schadensersatz, doch stellt sich die Frage, ob die Rechtsfolge der Vorschrift insofern mit derjenigen des Schadensersatzes vergleichbar ist, als sie zu einer ähnlich weitreichenden Verantwortung führt, so daß es gerechtfertigt ist, die Haftung wie im Schadensersatzrecht zu begrenzen. Zwar geht es in der vorliegenden Untersuchung um den Kausalzusammenhang zwischen Unterlassen und der Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen, nicht um den erst endgültig zur Haftung führenden Kausalzusammenhang zwischen den 30 Weshalb man diese Fälle nach den Grundsätzen der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs lösen könnte (dazu Larenz I § 27 I l l b 4).
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
genannten Gefahren und der Gefahr für das benachbarte Grundeigentum (dazu unten dd). Doch müssen in die hier vorzunehmende Untersuchung bereits die Rechtsfolgen des § 908 einbezogen werden, denn da die Kausalität zwischen Unterhaltungspflichtverletzung und Gebäudegefahr Voraussetzung der Haftung ist, muß auch die Frage der Haftungseingrenzung bereits in diesem Kausalabschnitt unter dem Blickwinkel der Rechtsfolgen des § 908 geprüft werden. Anders gesagt kann ein Bedürfnis bestehen, bereits die erste ursächliche Bedingung, die Unterhaltungspflichtverletzung, in Einzelfallen auszuscheiden, weil die Haftung nach § 908 zu zu weitgehenden Konsequenzen führen würde. Die Pflicht zum Schadensersatz und zur Gefahrenbeseitigung unterscheiden sich jedoch hinsichtlich des Umfangs. Während Schadensersatz Ausgleich aller möglichen, vorher nicht übersehbaren Einbußen bedeutet, ist die Pflicht zur Gefahrenbeseitigung inhaltlich bestimmt und begrenzt. Zwar können die zur Beseitigung der Gefahr notwendigen Einzelmaßnahmen je nach Fallage differieren, doch nur in einem vorgegebenen Rahmen: Diese Bestimmtheit der Rechtsfolge folgt einmal aus dem Substrat, an dem die notwendigen Maßnahmen vorzunehmen sind (Gebäude), sowie dem Ziel dieser Maßnahmen, das in der Beseitigung der Gefahr besteht. Das kausale Unterlassen kann nicht zu unbeschränkten Konsequenzen führen wie im Schadensersatzrecht, wo eine Verantwortung für die außer am verletzten Rechtsgut (z.B. dem Eigentum) entstandenen Schäden für sämtliche im Gefolge dieser Verletzung hervorgerufenen weiteren Schäden, etwa den entgangenen Gewinn (§ 252 BGB) oder einen Erwerbsausfall, besteht. Die Verpflichtungen sind vielmehr begrenzt, nämlich auf Vorkehrungen am Gebäude mit dem Ziel, die damit für das fremde Eigentum verbundenen Gefahren zu eliminieren. Nun können etwa notwendig werdende Reparaturen erhebliche Aufwendungen an Kosten und Arbeitsleistungen verursachen. Doch ist der Gesichtspunkt der Höhe der Vermögensopfer des Verpflichteten auch im Falle des Schadensersatzes für verantwortungsbegrenzende Überlegungen nicht ausschlaggebend. Wer eine antike Vase im Werte von mehreren hunderttausend Mark durch eine unbedachte Armbewegung beschädigt, ist zweifellos ersatzpflichtig. — Zudem ermöglicht das Ziel des § 908, die Beseitigung der Gefahr, daß es dem Störer überlassen bleibt, mit welchen Mitteln er dem Anspruch nachkommt. Der Besitzer kann sich, wenn die Sachlage dies zuläßt, ζ. B. mit provisorischen Maßnahmen behelfen und auf eine regelrechte Instandsetzung verzichten. § 908 wirft somit das spezifisch schadensersatzrechtliche Problem, die Einstandspflicht für theoretisch unbegrenzte Folgen des Verhaltens, nicht auf. Aus diesem Gesichtspunkt der Rechtsfolge ergibt sich somit für § 908 nicht die Notwendigkeit einer Haftungsbeschränkung. Auch insoweit besteht also kein Bedürfnis, die Haftung nach § 908 zu begrenzen, etwa auf die dem Unterlassen adäquaten Wirkungen des Unterlassens. (333) Zu klären bleibt, ob andere Gründe für eine Heranziehung der Adäquanztheorie existieren. Die Frage lautet also, ob der Besitzer auch für
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solche Gefahren einzustehen hat, die ganz unwahrscheinliche und außergewöhnliche Folge seines Unterlassens sind. Wenn, wie in dem schon genannten Beispiel [oben (2) (22)], ein kleines Loch im Dach nach dem regelmäßigen, zu erwartenden Verlauf der Verhältnisse nicht zu Gefahren führen würde, doch ungünstige, besondere Witterungsverhältnisse bei einem Sturm (Windrichtung u.ä.) dazu führen, daß Teile des Daches sich lockern und herunterzufallen drohen, ohne daß diese Folge auf Grund einer ex post-Prognose als wahrscheinlich gelten kann, würde der Besitzer auf Grund der Adäquanztheorie zur Gefahrenbeseitigung nicht verpflichtet sein. Für eine derartige Haftungsbeschränkung sind aber Gründe nicht erkennbar; umgekehrt würde eine Beschränkung der Haftung auf nur bestimmte Gefahren der in § 908 verankerten Unterhaltungspflicht sowie dem Sinn der Vorschrift widersprechen. § 908 erlegt dem Besitzer die Pflicht auf, für den ordnungsgemäßen Gebäudezustand zu sorgen. Für die Entstehung der Pflicht ist es grundsätzlich gleichgültig, auf welche Ursachen der mangelhafte Gebäudezustand zurückzuführen ist. So hat der Besitzer, wie sich ergeben hat, auch für Schäden aufzukommen, die durch höhere Gewalt oder Eingriffe Dritter hervorgerufen werden (oben 3 b cc aaa). Wollte man nun bestimmte Pflichtverletzungen als Kausalfaktoren ausschließen, müßte dafür ein besonderer Grund vorliegen; ein solcher ist, wie diese Untersuchungen ergeben haben, nicht gegeben. Folglich muß es bei dem allgemeinen Postulat der Unterhaltungspflicht bleiben. Damit würde es in Widerspruch stehen, wollte man die Gefahrenbeseitigungspflicht verneinen, weil der Eintritt der Gefahr unvorhersehbare und außergewöhnliche Folge unterlassener Maßnahmen ist. Man würde auf diese Weise die in § 908 festgelegte Unterhaltungspflicht wieder aufheben. Schließlich würde ein Ausschluß der Gefahrbeseitigungspflicht auf Grund fehlender Adäquanz dem Sinn und Zweck des § 908 nicht gerecht werden. Er würde dazu führen, daß die Gefahr andauert. Es ist aber der Zweck der Bestimmung, dem benachbarten Grundeigentum Schutz zu gewährleisten. Es läßt sich nicht einwenden, daß dies zu allgemein sei und daß es auch Sinn der Schadensersatzbestimmungen sei, entstandene Schäden auszugleichen. Die Ausführungen zu den Haftungsbegrenzungsproblemen im Schadensersatzrecht haben gerade gezeigt, daß dies in dieser Form nicht richtig ist. Die theoretisch unbegrenzte Verantwortlichkeit des Schädigers liegt nicht in der Absicht des Gesetzgebers; diese Folgen entsprechend der ratio der betreffenden Haftungsnorm zu begrenzen, ist gerade Gegenstand vielfaltiger Bemühungen.
(44) Zusammenfassung zu (11)-(33)
Im ganzen ergibt sich folgendes Resümee: Die im Schadensersatzrecht zu einer Haftungsbeschränkung Anlaß gebenden Faktoren sind im Falle des § 908 nicht gegeben. Das Auseinanderfallen von Ursache und Folge, das die Zurechnung dieser Folge als nicht gerecht erscheinen läßt, ist im Falle des § 908 nicht
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denkbar. Zwischen Unterlassen und Gebäudegefahr liegen keinerlei Zwischenfaktoren. Ferner besteht unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfolge kein Grund zu einer Haftungsbegrenzung. Dieser Aspekt ist spezifisch schadensersatzrechtlich; er beruht zwar auch auf der Kausalität, die Kausalität allein aber begründet nicht die umfassende Schadensersatzhaftung. Diese wird vielmehr ermöglicht durch den weiten Schadensbegriff (§ 249 S. 1 BGB), der nicht nur Objektschäden, sondern auch sämtliche Folgeschäden einschließt. Demgegenüber ist die Pflicht des § 908 inhaltlich festgelegt durch Substrat und Ziel der Gefahrenbeseitigung: Sie erfordert Maßnahmen am Gebäude und muß die Gefahrlosigkeit des Nachbargrundstücks erreichen. Die Höhe der Aufwendungen, die im Einzelfall beträchtlich sein kann, ist auch im Schadensersatzrecht nicht Grund der Zurechnungsprobleme. — Schließlich sind weitere Gründe für eine Haftungsbeschränkung auf Gefahren, die dem Unterlassen adäquat sind, nicht erkennbar. Die Ausscheidung inadäquater Unterhaltungspflichtverletzungen würde der in § 908 postulierten Handlungspflicht zuwiderlaufen. Überdies würde es mit dem Sinn und Zweck des § 908, Eigentumsschutz zu gewährleisten, nicht vereinbar sein, wenn die Gefahr andauern könnte. Auf Grund dieses Befundes erübrigt es sich, weitere im Schadensersatzrecht entwickelte Grundsätze der Haftungsbegrenzung, die Lehre vom Schutzzweck der Norm oder vom Rechtswidrigkeitszusammenhang, für § 908 heranzuziehen. dd) Kausalität zwischen der Gefahr des Einsturzes des Gebäudes oder der Ablösung von Teilen des Gebäudes und der Gefahr für das Nachbargrundstück
Für die nach § 908 erforderliche weitere Kausalität zwischen der Gefahr des Einsturzes des Gebäudes oder der Ablösung von Teilen des Gebäudes und der Gefahr für das benachbarte Grundeigentum (oben bb) bedarf es nur noch der Feststellung, ob die genannten Gebäudegefahren nicht hinwegdenkbare Bedingung der Grundstücksgefahr im Sinne der condicio-Formel sind. Ist dieses der Fall, greift die Haftung ein. Für eine Haftungsbeschränkung durch Ausscheiden inadäquater Ursachen ist hier ohnehin kein Raum, denn wenn der Eintritt der Gefahr für das Nachbargrundstück ganz unwahrscheinliche und außergewöhnliche Folge der Gebäudegefahr ist, besteht bereits keine Gefahr für das Grundstück. ee) Zusammenfassung zu aa-dd
Für die sich auf die Kausalität gründende Haftung nach § 908 ergibt sich, daß entscheidend allein die Kausalität im Sinne einer condicio sine qua non ist (Äquivalenztheorie), und zwar sowohl hinsichtlich der Kausalität zwischen der Unterhaltungspflichtverletzung und den in § 908 beschriebenen Gefahren als auch zwischen diesen Gefahren und der Gefahr für das benachbarte Grundeigentum. Diese Kausalzusammenhänge müssen gegeben sein, um Fälle auszuscheiden, in denen zwar einerseits eine Unterhaltungspflichtverletzung auf
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seiten des Besitzers vorliegt und andererseits eine Gefahr für ein Grundstück, jedoch keine Kausalität zwischen beiden Faktoren. Zwar wird es sich dabei regelmäßig um Fälle handeln, für die leicht erkennbar ist, daß eine Kausalität nicht gegeben ist und eine Haftung nach § 908 damit nicht eingreift, so wenn der Besitzer des Grundstücks X sein Gebäude vernachlässigt und das einige 100 m entfernt liegende Grundstück Y zwar gefährdet ist, aber nicht infolge des Gebäudezustandes des Grundstücks X. Es erübrigt sich jedoch festzustellen, daß es überhaupt die Aufgabe der Kausalität ist, derartige Fälle auszuscheiden oder, positiv ausgedrückt, die Verbindung zwischen Verhalten und rechtswidrigem Erfolg herzustellen, damit eine Zurechnung dieses Erfolges gerechtfertigt ist. Anlaß, die auf Grund der äquivalenten Kausalität eingreifende Haftung nach den im Schadensersatzrecht entwickelten Haftungsbegrenzungskriterien zu beschränken, besteht nicht. Die dort relevanten Zurechnungsprobleme entstehen im Falle des § 908 nicht. Dies gilt einmal für den Kausalzusammenhang zwischen der Unterhaltungspflichtverletzung und der Gefahr des Einsturzes des Gebäudes oder der Gefahr der Ablösung von Teilen des Gebäudes (oben cc). Das im Schadensersatzrecht in einigen Fällen auftauchende Problem der Entfernung von ursächlichem Verhalten und Recht- oder Rechtsgutverletzung ergibt sich für § 908 nicht, weil zwischen dem kausalen Unterlassen der Gebäudeunterhaltung und der betreffenden Gefahr keine weiteren Kausalfaktoren liegen. Ferner stellt sich hier nicht das spezifisch schadensersatzrechtliche Problem des Haftungsumfanges, das eine Konsequenz der Weite des Schadensbegriffes ist (§ 249 S. 1 BGB). — Auch andere Gründe für eine Haftungsbegrenzung sind nicht erkennbar. So ergibt sich bei einer Anwendung der Adäquanztheorie, die im Schadensersatzrecht ein erstes Mittel der Beschränkung der Verantwortlichkeit darstellt, daß es nicht gerechtfertigt ist, von der Haftung nach § 908 solche Gefahren auszunehmen, deren Eintritt ganz außergewöhnliche und unwahrscheinliche Folge des Unterlassens ist. — Haftungsbegrenzungsfragen ergeben sich ferner für den Kausalzusammenhang zwischen der Gefahr des Einsturzes des Gebäudes oder Gefahr der Ablösung von Teilen des Gebäudes einerseits und der Gefahr der Verletzung des benachbarten Grundstückes andererseits (oben dd) schon deshalb nicht, weil es bereits an einer Gefahr für das Grundstück fehlt, wenn diese ganz unwahrscheinliche Folge der Einsturz- oder Ablösungsgefahr ist (Adäquanz). Somit besteht ein Anspruch gem. § 908 auf Beseitigung der Gefahr, wenn die Verletzung der Unterhaltungspflicht condicio sine qua non der Gebäudegefahr ist und diese eine Gefahr für das Nachbargrundstück zur Folge hat. 6. Das Entfallen der Haftung nach § 908 mit Besitzende Für § 908 wird allgemein die Auffassung vertreten, daß danach die Haftung mit Besitzende entfalle, weil es an einem Verweis der Vorschrift auf Abs. I I des
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§ 836 fehle 1. Dieses Ergebnis ist, wie sogleich näher auszuführen ist, richtig, doch trifft die Begründung nur dann zu, wenn die Haftung gem. § 908 allein an die Besitzposition gebunden ist und § 836 I I haftungskonstituierende Bedeutung zukommt. Denn dann würde der Besitzer mit Besitzbeendigung ohnehin nicht haften und, da § 908 auf § 836 I I nicht verweist, bleibt es demnach, anders als im Falle der Haftung nach § 836 I unmittelbar, bei diesem Ergebnis. Die vorliegende Untersuchung hat jedoch ergeben, daß beide Prämissen nicht richtig sind; weder beruht die Haftung gem. den §§ 908, 836 ff. auf dem Besitz als solchem noch begründet § 836 I I die Verantwortlichkeit für die Zeit nach Besitzende (ein Jahr lang), vielmehr begrenzt die Vorschrift die Verantwortlichkeit 2 . Die §§ 908,836 ff. statuieren eine Kausalhaftung, somit müßte der Besitzer für die durch sein Untätigsein entstandene Gefahr auch nach seiner Besitzzeit einstehen. Die genannte übliche Begründung der Nicht-Haftung des ehemaligen Besitzers mit dem fehlenden Verweis auf § 836 I I belegt also auf andere Weise die bisher schon ermittelte Tatsache, daß die Vorschrift als Haftung kraft Unterlassens nicht erkannt wird. Sie entspricht ferner der allgemein üblichen Bewertung des § 836 I I unmittelbar, also außerhalb des § 908, als haftungskonstituierende Norm 3 . Der Gesetzgeber selbst hat in der Tat mit der Nichtaufnahme des § 836 I I in § 908 die Absicht verfolgt, den aus der Besitzstellung Ausscheidenden von der Haftung freizustellen. Er glaubte, seiner Absicht auf dem beschrittenen Wege Geltung zu verschaffen, obwohl dieser Weg angesichts der haftungsbegründenden Voraussetzungen des § 908 und der Funktion des § 836 I I als haftungsbeschränkende Vorschrift verfehlt ist. Daß offenbar die mit § 908 befaßte Sachenrechtskommission präzise dogmatische Vorstellungen von der Struktur der §§ 836 ff. nicht hatte und demgemäß auch nicht von der von ihr ins Leben gerufenen Bestimmung, zeigt der Blick in die Gesetzesberatungen. Es heißt dort, es sei ein Anspruch gem. § 759 I I (Ε II) — dieser entspricht § 836 I I BGB — zu versagen, weil der frühere Besitzer in der Regel nicht in der Lage sei, Vorkehrungen zur Abwendung der Gefahr zu treffen 4 . Wenn die Kommission die Nicht-Haftung dadurch erreichen zu können glaubte, daß sie § 836 I I von der in § 908 enthaltenen Verweisung ausnahm, so kann dies Anzeichen dafür sein, daß sie — ebenso wie teilweise die mit § 836 I I selbst beschäftigten Kommissionen 5 — § 836 I I für haftungsbegründend hielt. Ihr war in diesem Falle nicht bewußt, daß § 908 ebenso wie die §§ 836 ff. eine Unterhaltungspflicht für den 1 Planck-Strecker § 908 Anm. 2 b; MK-Säcker § 908 Rdnr. 7; Staudinger-Beutler § 908 Rdnr. 8; Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 77; RGRK-Augustin § 908 Rdnr. 8 aE; Palandt-Bassenge § 908 Anm. 3 b; ohne Begründung Soergel-Baur § 908 Rdnr. 8; ErmanDrees § 908 Rdnr. 1 etwa Mitte. 2 Oben I I 6c, d. 3 Oben I I 6c aa Fn. 5. 4 Prot. Mugdan I I I S. 604 (vor III). 5 Oben I I 6 c bb.
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Besitzer normiert und die Haftung an die kausale Pflichtverletzung knüpft. Damit gestaltete sich das Entfallen der Haftung nach Besitzbeendigung für den Gesetzgeber des § 908 BGB als unproblematisch, denn ohne besondere Bestimmung existierte aus seiner Sicht keine Haftung. Dagegen stellt sich auf der Grundlage der Kausalität, auf dem § 908 tatsächlich basiert, die Frage, auf welchem rechtlichen Wege die einmal ausgelöste Haftung enden kann. — Die Annahme, daß die Gesetzestechnik des § 908 ihre Erklärung in der Auffassung des § 836 I I als haftungsbegründende Vorschrift findet, setzt allerdings voraus, daß der Gesetzgeber sich überhaupt mit dogmatischen Vorstellungen von der Haftungsstruktur des § 908 getragen hat. Dieses ist aber angesichts des Einblicks, den die soeben besprochenen Materialien zu § 908 sowie die Gesetzgebungsarbeiten zu § 836 I I 6 in die damalige Vorstellungswelt vermitteln, zweifelhaft. § 908 kann insoweit ein Zufallsprodukt sein, das eines dogmatischen Fundaments überhaupt entbehrt. Die Gründe jedenfalls, die dazu geführt haben, daß der ehemalige Besitzer von der Haftung ausgenommen wurde, waren praktischer Art: Da, wer nicht mehr Besitzer ist, den Anspruch auf Abwendung der Gefahr nicht erfüllen kann, existiert der Anspruch nicht. A u f der Grundlage der Erkenntnis, daß § 908 eine Kausalhaftung enthält, läßt sich dieses Ergebnis dogmatisch nur mit den Gedanken der Unmöglichkeit begründen. Die vorliegenden Ausführungen sollen sich jedoch darauf beschränken, die vom Gesetzgeber getroffene Anordnung, das Entfallen der Haftung mit Besitzende, hinzunehmen; Untersuchungen darüber, wie dieses Ergebnis rechtlich näher zu erklären ist, sind für § 1004 vorzunehmen, wenn dort entsprechende Fragen auftauchen 7. VI. Zusammenfassung zu II- V 1. Einleitung M i t den vorstehenden Untersuchungen (oben I I - V ) sind die Haftungskriterien des § 908 ermittelt. Das Gesamtbild der Haftungsvoraussetzungen der Vorschrift ergibt sich aus den zu den §§ 836 bis 838 gefundenen Ergebnissen (oben I I - I V ) und einer Ergänzung durch die Ausführungen zu den speziellen Fragen des § 908 (oben V). Im folgenden soll auf die Regelung des § 908 und ihre bisherige übliche Interpretation ein zusammenfassender Rückblick getan werden (unten 2). Sodann werden die ermittelten Einzelergebnisse in einem Überblick dargelegt (unten 3). Schließlich bedarf es wegen der üblichen Bezeichnung der Pflichten der §§ 836ff. als „Verkehrssicherungspflichten" einer terminologischen Klärung (unten 4).
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Ebd. Dazu unten 13. Kap. § 3 C II.
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2. Die Regelung des § 908 und ihre bisher übliche Interpretation § 908 erweist sich als gesetzlich geregelter Fall einer negatorischen Kausalhaftung kraft Unterlassens; er statuiert eine Pflicht zur Unterhaltung von Gebäuden und anderen Werken und bindet diese Pflicht an die sachenrechtliche Position des Besitzes; der Besitz begründet also die „Garantenstellung". Die Haftung greift ein, wenn der Besitzer die ihm obliegende Unterhaltungspflicht verletzt hat und diese Pflichtverletzung für die Gefahr des benachbarten Grundeigentums durch Einsturz des Bauwerks oder Ablösung von Teilen davon kausal ist. Dieser hier aufgedeckte dogmatische Gehalt der Vorschrift ist bisher unbekannt 1 . Ursache dieses Befundes ist die Tatsache, daß dem Haftungsgegner des § 908 keine Aufmerksamkeit geschenkt wird, sondern daß man sich mit einem globalen Verweis auf die §§ 836 bis 838 begnügt. Es ist nun müßig, sich die Frage vorzulegen, ob die Verantwortung dafür den Interpretatoren der §§ 836ff. zukommt oder denjenigen des § 908. Die Bearbeiter schuldrechtlicher Vorschriften müssen Verweisungsnormen des Sachenrechts nicht unbedingt im Blickfeld haben, und umgekehrt verläßt sich der Bearbeiter des Sachenrechts vielleicht mit einigem Recht auf die Bestimmungen des Schuldrechts, die die betreffende Sachenrechtsregelung „ausfüllen" sollen. Doch da die §§ 836 ff. als gesetzlich geregelte Fälle einer „Verkehrssicherungspflicht" bekannt sind, schließt eine bloße Bezugnahme auf diese Bestimmungen an sich die Erkenntnis nicht aus, daß § 908 ebenso wie diese Vorschriften strukturiert ist und eine kausale Unterlassungshaftung begründet; im Gegenteil konnte diese Beurteilung des § 908 wenigstens in allgemeiner Form erwartet werden. Die genannte Einordnung der §§ 836 ff. erschöpft sich jedoch im Theoretisch-Allgemeinen. Die zu den §§ 836 ff. vorgefundene Rechtslage hatte gezeigt, daß auch im Bereich der Bestimmungen selbst Konsequenzen für einzelne Haftungsvoraussetzungen aus der generellen Bewertung der Vorschriften nicht gezogen werden; diese unzulängliche Interpretation war es, die Anlaß zu der vorstehenden Analyse gab (s. oben §4 Β II; §6 C). Die §§ 836ff. nennen das Erfordernis der kausalen Unterhaltungspflichtverletzung nicht ausdrücklich, und demgemäß tritt es in den Bearbeitungen der Vorschriften auch nicht mit ausreichender Deutlichkeit hervor. Damit erweist sich die oberflächliche und unzutreffende dogmatische Erfassung des § 908 als Niederschlag des zu den §§ 836 ff. gegebenen Erkenntnisstandes; die richtige Bewertung des § 908 konnte nicht weiterreichen als der Forschungsstand zu den §§ 836 ff. gediehen war. So kommt es, daß § 908 nicht, wie es denkbar gewesen wäre, als gesetzlich geregelter Fall einer „negatorischen Verkehrssicherungspflicht" bekannt geworden ist. Auf die beschriebene Behandlung des § 908 und der §§ 836 ff. selbst schließlich ist es zurückzuführen, daß die gängige Interpretation über die äußere Fassung der Vorschriften nicht hinausreicht. Sie nimmt an, daß die Besitzposition als solche das haftungsauslösende Moment sei und verkennt, daß § 908 eine Unterhaltungspflicht für den 1
Zur Erwähnung der „Sicherungspflicht" des Besitzers bei Picker s. oben V 3 Fn. 2.
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Besitzer normiert und deren für die Gefahren des § 908 kausale Verletzung als tragende Haftungsvoraussetzung ansieht. Kennzeichnend für die gegenwärtige Beurteilung des § 908 ist die Erklärung, die man für das Entfallen der Haftung mit Besitzende findet (oben V 6). Sie soll darin liegen, daß § 908 auf § 836 I I nicht verweist. Dies zeigt, daß das die Haftung begründende Element der Kausalität nicht erkannt wird. Denn da § 836 I I die Haftung begrenzt, § 908 aber auf die Bestimmung nicht verweist, müßte hieraus gefolgert werden, daß der Besitzer auch nach Besitzbeendigung haftet. Da aber angenommen wird, daß § 908 die Haftung an den Besitz bindet und § 836 I I die Verantwortlichkeit für die Zeit nach dem Besitzende begründet, ist die allgemein vertretene Schlußfolgerung aus dem in § 908 nicht enthaltenen Verweis verständlich. Das Haftungsende mit Entfallen des Besitzes hat jedoch andere Gründe: Der Anspruch nach § 908 entfällt, wenn er nicht realisierbar ist. Nur so kann die Nicht-Haftung erklärt werden und so wird sie auch in den Gesetzesmaterialien begründet (oben V 6). Unterstützt wird die unzutreffende Deutung des § 908 vielleicht durch die heute teilweise vertretene Ansicht, daß die beiden in § 836 I 1 enthaltenen Merkmale der „fehlerhaften Errichtung oder mangelhaften Unterhaltung" nicht Bestandteil des § 908 seien (oben V 4). Theoretisch zumindest hätte man auf diesem Wege zu der Auffassung gelangen können, daß § 908 eine kausale mangelhafte Unterhaltung verlangt, wenngleich allerdings die Erfahrungen mit den üblichen Deutungen der §§ 836 ff. selbst gelehrt haben, daß die Existenz dieses Merkmals im Tatbestand der Vorschrift zu der genannten Folgerung nicht führen muß (oben I I 3,4). Soweit die betreffenden beiden Merkmale des § 83611 als Teil des Tatbestandes des § 908 angesehen werden (oben V 4), liegen darin auch gerade Fehlerquellen für das Verständnis des § 908. Wir hatten gesehen, daß die Merkmale im Bereiche des § 836 falsch gedeutet werden; die schlichte Bezugnahme auf die §§ 836 ff. bei den Bearbeitungen des § 908 führt zur Übernahme dieser insoweit unrichtigen Auslegung des § 836. Als maßgeblich müßte damit, wie im Falle des § 836 I selbst (oben I I 4 b), die Errichtung des Gebäudes angesehen werden. Ebensowenig aber wie nach § 8361 die fehlerhafte Errichtung zum Schadensersatz verpflichtet, verpflichtet sie zur Gefahrenbeseitigung nach § 908. Der Gesetzgeber hat das Merkmal der fehlerhaften Errichtung lediglich als einen Fall in § 836 1 1 aufgenommen, in dem Unterhaltungsmaßnahmen des Besitzers praktisch werden (oben I I 3 a cc), denn wenn der Besitzer feststellt, daß das Bauwerk fehlerhaft errichtet wurde, muß er tätig werden, um Schäden (§ 836) und Gefahren (§ 908) zu verhindern. Zweitens aber kann, werden die betreffenden beiden Erfordernisse des § 8361 1 zum Tatbestand des § 908 gezählt, dies zu der bei § 836 vertretenen unzutreffenden Auslegung führen, daß der Gebäudebesitzer gem. § 908 für Gefahren, die auf höherer Gewalt oder Eingriffen Dritter beruhen, nicht aufzukommen habe. Zu dieser Interpretation gelangt die h.L., wie sich zeigte
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(oben I I 4 b), weil sie die beiden Ursachenfaktoren der „fehlerhaften Errichtung oder mangelhaften Unterhaltung" als Kriterien auffaßt, die die Haftung des Gebäudebesitzers auf solche Schäden begrenzen soll, deren Ursache „gebäudeimmanenter" Art ist und die nicht auf Einwirkungen von außen zurückzuführen sind. Diese Anschauung ist jedoch nicht richtig. Wegen der generellen Unterhaltungspflicht des Besitzers kommt es auf die Ursachen der Gebäudemängel nicht an. Die genannte Deutung widerspricht auch der Behandlung der Verkehrssicherungspflicht, die nach allgemeiner Ansicht auch dann eingreift, wenn die Sachgefahr auf äußeren Einwirkungen, wie ζ. B. Witterungseinflüssen, beruht. Der Blick in die Entstehungsgeschichte hatte gelehrt, daß auch der Gesetzgeber die Unterhaltungspflicht nicht etwa begrenzen wollte, sondern daß beide Merkmale durch eine nicht geglückte Zusammenfügung zweier Gesetzesvorschläge in die Vorschrift gelangt sind; diese hat zu einer unklaren Fassung des § 836 I geführt (oben I I 3 a cc). Schließlich hat die bloße Bezugnahme auf die Deutung der §§ 836 ff. eine dritte fehlerhafte Interpretation des § 908 zur Folge. Durch die betreffende Methode wird das übliche Verständnis des § 838 übernommen, wonach nicht der (Fremd-) Besitz, sondern die interne Unterhaltungspflicht gegenüber dem Überlassenden zur Verantwortung Dritten gegenüber führt (oben IV 3 c bb aaa). Richtiger Ansicht nach beruht jedoch die Verpflichtung auch des § 908 in Verbindung mit § 838 auf der Besitzposition, denn diese ist es nach dem Grundgedanken des Gesetzgebers, die zur (allgemeinen) Unterhaltungspflicht im Außenverhältnis führt; das zwischen dem das Bauwerk Überlassenden und dem Übernehmenden bestehende (vertragliche oder gesetzliche) Schuldverhältnis, das den Übernehmenden intern zur Unterhaltung verpflichtet, kann nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen keinerlei Wirkungen gegenüber Dritten entfalten (oben IV 1,3 a bb, 5). Als entscheidender Ertrag der Untersuchung des § 908 ist festzuhalten, daß der bisher für die allgemeine actio negatoria des § 1004 nicht nennenswert beachtete oder abgelehnte Gedanke der Haftung kraft Unterlassens sowie der Garantenpflicht aus einer „Verkehrssicherungspflicht" (oben 3. Kap. § 3 C) vom Gesetz selbst für einen besonderen negatorischen Fall als maßgebend angesehen wird. Die daher naheliegende Überlegung, ob dieser Haftungsaspekt auch für § 1004 Geltung hat, konnte bisher nicht aufkommen, weil der dogmatische Gehalt des § 908 nicht aufgedeckt war. Wir hatten bei früheren Untersuchungen gesehen (1. Teil), daß Offtermatt und ein Urteil des O L G Braunschweig den in § 908 enthaltenen Gedanken in den Fällen des Erwerbs eines störenden Grundstücks als für § 1004 übernehmbar hielten, doch wird auch dort angenommen, daß die Haftung des § 908 auf der Besitzposition als solcher basiere (oben 7. Kap. § 4 Β II, C II). Lediglich das RG hatte im Gesteinsfall die später von Pleyer gebilligte Rechtsidee, daß die in den § 836 ff. enthaltene Pflicht, für Verletzungen fremder Rechte und Rechtsgüter durch eigene Sachen aufzukommen, im Bereich der actio negatoria ebenfalls gelten
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müsse (oben 3. Kap. § 3 Β II, III). Doch lag darin eine Anknüpfung an die §§ 836 ff. unmittelbar, von denen es dogmatisch gesehen zu § 1004 ein weiterer Schritt ist als von § 908 aus. Der eigentliche Gehalt des § 908 ist für § 1004 bisher nicht näher herangezogen worden. Neuere Tendenzen weisen zudem in eine den Haftungskriterien des § 908 entgegengesetzte Richtung. Es kam bereits zur Sprache, daß im Anschluß an Thesen Pickers, also seit etwa einer Dekade, die Kausalität für § 1004 zunehmend auf Ablehnung stößt, da befürchtet wird, daß deren Anwendung zur „Deliktsähnlichkeit" des § 1004 führe (oben 3. Kap. § 1 B; 6. Kap. § 1 B; 11. Kap. § 3). Die vorliegende Analyse ergibt, daß § 908 auf einem anderen Standpunkt steht. Das folgende Kapitel wird den Gedanken der Vorschrift aufnehmen und sich der Frage zuwenden, ob er für § 1004 verwertbar ist. 3. Einzelergebnisse Im einzelnen enthält § 908 folgende Haftungsprinzipien: a) aa) Grundsätze für die Entstehung der Unterhaltungspflicht und deren prinzipiellen Inhalt finden sich in den Untersuchungen zu § 836 (oben I I 3 b, c); sie gelten unmittelbar für § 908: Die Unterhaltungspflicht entsteht mit Besitzerlangung. Ist ihre Durchführung einmal objektiv nicht möglich, muß sie in diesem Einzelfall entfallen. Daneben spielen Zumutbarkeitsgesichtspunkte (§ 242 BGB) eine Rolle. Kann nicht erwartet werden, daß die Gefahr im Zeitpunkt ihres Eintritts sofort beseitigt wird, so besteht die Pflicht zwar, ihre Nichterfüllung bedeutet aber keine Pflichtverletzung. Der Inhalt der Unterhaltungspflicht richtet sich nach den jeweiligen Umständen. I m Grundsatz aber gehört dazu die Beobachtung und Überprüfung des Gebäudezustandes und die Beseitigung von Mängeln. Eine gesetzliche Beschränkung des Pflichteninhalts ergibt sich aus der Art der von § 908 geforderten Gefahr: Der Besitzer braucht nur solche Maßnahmen vorzunehmen, die den Einsturz des Gebäudes oder die Ablösung von Teilen verhindern, andere nicht. bb) Die Ursache der Mängel ist gleichgültig. Sie können auf einer fehlerhaften Errichtung, dem natürlichen Verfall, der Benutzung, höherer Gewalt oder auf Eingriffen Dritter beruhen. Die zu den §§ 836 ff. bestehende Auffassung, daß der Besitzer nicht verantwortlich sei, wenn Einsturz und Ablösung von Teilen die Folge höherer Gewalt seien und das Gebäude diesen Einflüssen auch bei ordnungsgemäßem Zustand nicht standhalten konnte, ist bereits für die §§ 836 ff. in dieser allgemeinen Form nicht zutreffend. Die Verantwortung des Besitzers hängt von der Frage ab, ob er vor Schadenseintritt zeitlich Gelegenheit hatte, entstandene Mängel auszubessern. Dieses letztere Problem stellt sich für § 908 nicht, denn da die Vorschrift eine Gefahr, keinen Schaden voraussetzt, besteht die Gelegenheit, Unterhaltungsmaßnahmen vorzunehmen, uneingeschränkt. Der Besitzer hat also nach § 908 auch für Gebäudemängel aufzukommen, die auf höherer Gewalt beruhen (oben V 3 b cc).
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In den Fällen von Katastrophen besteht die Unterhaltungspflicht in der Zeit unmittelbar nach dem Ereignis nicht, weil es dem Besitzer nicht zugemutet werden kann, in derartigen außergewöhnlichen Situationen sofort für die Gefahrlosigkeit des Nachbareigentums zu sorgen (§ 242 BGB); die allgemeine Pflicht des § 908 ist hier ähnlich der fehlenden Fälligkeit einklagbarer Pflichten zeitweilig suspendiert. Damit ist der Anspruch des § 908 zunächst nicht gegeben. Der Besitzer muß jedoch, sobald die Verhältnisse entsprechende Maßnahmen als zumutbar erscheinen lassen, tätig werden. Feste zeitliche Maßstäbe lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. — Ferner ist in Katastrophenfallen der allgemeine Gesichtspunkt besonders zu beachten, daß die Unterhaltungspflicht nur insoweit besteht, als sie praktisch erfüllbar ist (oben V 3 b cc bbb). cc) Das im Falle des § 836 bei versteckten Mängeln auftretende Problem, ob der Besitzer (objektiv) Gelegenheit zur Wahrnehmung der Unterhaltungspflicht hatte, erlangt für § 908 keine praktische Bedeutung, da hier die Gefahr nicht sichtbar wird; der Grundstückseigentümer macht dann den Anspruch nicht geltend (V 3 b bb). dd) Der Rechtsqualität nach (oben V 3 c) ist die Unterhaltungspflicht des § 908 eine allgemeine, nicht einklagbare Pflicht. Sie wandelt sich um in eine echte Rechtspflicht, wenn der Gebäudemangel zu einer Gefahr für das benachbarte Grundstück wird. Diese Qualität erlangt die entsprechende Pflicht der §§ 836 ff. nicht, da ihre Rechtsfolge nicht auf Gefahrbeseitigung, sondern Schadensersatz geht. Die im Falle der Gefahr bestehende Unterhaltungspflicht der §§ 836 ff. hat also im Unterschied zu derjenigen des § 908 nur allgemeinen Charakter. Übernimmt jemand ein Bauwerk, das sich bereits in gefährdendem Zustand befindet, trifft ihn unverändert die allgemeine Unterhaltungspflicht, entsprechende Maßnahmen vorzunehmen, unabhängig von der Tatsache, daß diese Pflicht zugleich eine echte, einen Anspruch verleihende Pflicht darstellt. In diesem Fall liegen also zwei juristisch zu unterscheidende Rechtspflichten vor. b) Die Haftung des § 908 greift auf Grund der Kausalität im Sinne einer condicio sine qua non ein (oben V 5 c cc bbb, dd, ee). Wäre die Gefahr also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben, wenn der Besitzer gehandelt hätte, ist er verantwortlich. Einer Begrenzung der Haftung mit Hilfe der im Schadensersatzrecht entwickelten Kriterien bedarf es nicht; der Besitzer haftet also auch dann, wenn sein Untätigsein für den Gefahreneintritt nicht adäquat kausal war. Die im Schadensersatzrecht zur Haftungsbegrenzung führenden Probleme bestehen im Falle des § 908 nicht. Der dort relevante Gesichtspunkt der Entfernung von ursächlichem Verhalten und Rechts- oder Rechtsgutverletzung entfallt bei § 908, weil zwischen der kausalen Unterhaltungspflichtverletzung und den Gebäudegefahren des § 908 keinerlei Zwischenfaktoren liegen. Der ferner im Schadensersatzrecht bedeutsame Aspekt des Umfanges der Haftung greift für § 908 ebenfalls nicht ein. Die weitgehende Rechtsfolge des Schadensersatzes beruht auf dem Schadensbegriff (§ 249 S. 1
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BGB); demgegenüber ist die Verpflichtung zur Gefahrbeseitung nach § 908 inhaltlich begrenzt. Zudem würde eine Beschränkung der Verantwortlichkeit auf nur adäquate Ursachen der in § 908 statuierten Unterhaltungspflicht widersprechen; da diese Pflicht besteht, kommt es nicht darauf an, ob der Eintritt der Gefahr — nach der Adäquanzformel — auf Grund einer ex postPrognose eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung ganz ungewöhnliche und unwahrscheinliche Folge war. Die Nicht-Anwendbarkeit der Adäquanz folgt ferner aus dem Zweck des § 908, Gefahren für benachbartes Grundeigentum zu verhindern. c) aa) Die Unterhaltungspflicht trifft den Besitzer. Da den §§ 908,836 ff. der römisch-gemeinrechtliche Besitzbegriff zugrunde liegt, bedurfte es der Herausarbeitung des haftungsauslösenden Elements des alten Besitzverständnisses. Dieser lag in der Sachbeziehung und der damit verbundenen Zugriffsmöglichkeit auf die Sache. Dieses Moment konnte aber nicht isoliert der Haftung nach den §§ 908, 836 ff. zugrunde gelegt werden, da der Gesetzgeber diesen die Haftung tragenden Gedanken in einen festen Rechtsbegriff, den Besitz, gekleidet wissen wollte. Insofern erwiesen sich auch die zur Verkehrssicherungspflicht entwickelten Haftungsvoraussetzungen als unbrauchbar, die die Haftung lediglich an die tatsächliche Komponente der Sach- und Gefahrbeherrschung binden, auf rechtliche Bewertungen aber ausdrücklich verzichten [oben I I 2 h cc ccc (2)]. Hierin zeigte sich nach den vorliegenden Untersuchungen aber gerade die Schwäche dieser Lehre, denn daß nicht jeder, der die genannten Voraussetzungen erfüllt, haftbar ist, ist gewiß. Das Urteil über die Frage der Haftung auf Grund der Verkehrssicherungspflicht orientiert sich denn auch entgegen den theoretischen Grundsätzen an Rechtspositionen der für die Haftung in Betracht kommenden Person, ohne daß dieser Gesichtspunkt aber systematisiert ist und feste Maßstäbe hierfür entwickelt wurden. — Es mußte deshalb für die §§ 908, 836ff. bei der Anbindung der Haftung an den Besitz bleiben. Die Aufgabe bestand daher darin, eine Anpassung der §§ 908, 836 ff. an die Besitzlehre des BGB vorzunehmen. Die einzelnen Besitzarten des BGB mußten somit daraufhin untersucht werden, ob sie den Haftungsgrundgedanken, wie er nach Auffassung des Gesetzgebers im gemeinrechtlichen Besitzbegriff verkörpert war, enthielten (oben I I 2 h cc). Unmittelbarer Besitz und Besitz auf Grund Besitzdienerschaft waren mit dem alten Besitzverständnis ohne weiteres vergleichbar, dagegen nicht der mittelbare und der Erbbesitz (§§ 868, 857 BGB). — Das Relikt des Eigenbesitzwillens, das der Gesetzgeber für die §§ 836, 837 fordert, weil nach seiner Auffassung Besitzer nur war, wer die Sache als eigene innehatte, muß auch auf der Grundlage des BGB aufrechterhalten werden (ebd. hhh). Zwar macht es für die Sachbeziehung und Zugriffsmöglichkeit nach BGBBesitzrecht keinen Unterschied, ob der Betreffende die Sache als eigene oder fremde besitzt. Doch würde mit der Zulassung des Fremdbesitzes für die §§ 836, 837 das zwar nur historisch erklärbare, aber nun einmal in § 836 I I I enthaltene 24 Herrmann
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Postulat mißachtet werden, ohne daß dafür eine Notwendigkeit besteht. Nach heutigem Besitzverständnis sind die nach § 838 Haftenden Fremdbesitzer, so daß diese nach dieser Vorschrift behandelt werden können. Das Ergebnis zu den Untersuchungen der Besitzarten des BGB, die nach den §§ 836 ff. behandelt werden können, ist unmittelbar auf § 908 zu übertragen (oben I I 2). Somit haften nach §§ 908, 836, 837 die mit Eigenbesitzwillen ausgestatteten unmittelbaren und mittelbaren Besitzer, ferner Besitzer auf Grund Besitzdienerschaft und — bei Kenntnis von ihrem Erbe — Erbbesitzer. Teil- und Mitbesitzer fallen ebenfalls darunter; besondere Probleme bieten diese beiden Besitzarten hinsichtlich der erforderlichen Zugrififsmöglichkeit nicht, da sie nur die Frage des Besitzumfangs und des Besitzes mehrerer an derselben Sache betreffen. — Haftbar sind des weiteren nach § 908 in Verbindung mit § 838 diejenigen Fremdbesitzer des Grundstücks einschließlich Gebäude (§ 836) oder nur des Gebäudes (§ 837), die gegenüber dem Überlassenden auf Grund schuldrechtlicher Abrede oder auf Grund dinglichen Nutzungsrechts unterhaltungspflichtig sind. Die Haftungslücke, die § 838 enthält, weil danach die nicht intern unterhaltungspflichtigen Fremdbesitzer nicht haften, ist durch eine Analogie abzugleichen (oben IV 6). Diese Lücke ist wiederum aus dem alten Besitzverständnis erklärbar; der Gesetzgeber war aus seiner Sicht mit der Regelung des § 838 von seinem Haftungsprinzip (Besitz) abgewichen, hatte also insoweit eine Ausnahmevorschrift geschaffen und hat deshalb in § 838 lediglich die Fälle aufgenommen, die ihm am naheliegendsten erschienen. Da das entscheidende Haftungskriterium auch bei solchen (nach heutiger Terminologie) Fremdbesitzern gegeben ist, die nicht intern unterhaltungspflichtig sind, wie z.B. Mieter oder Pächter (§§ 536, 581 II), ist es gerechtfertigt, diese in entsprechender Anwendung der §§ 908, 838 haften zu lassen. bb) Das nach § 837 geforderte Recht, in dessen Rahmen der Besitz ausgeübt wird (ζ. B. Dienstbarkeit, Erbbaurecht), sowie die von § 838 vorausgesetzten Rechtsgeschäfte zwischen Überlassendem und Fremdbesitzer müssen nicht wirksam sein. Da tragendes Haftungselement der Besitz ist, kommt es auf dessen rechtliche Grundlage nicht an; die Aufnahme der rechtlichen Basis des Besitzes in die §§ 837, 838 ist lediglich als Beschreibung des besonderen Falles zu werten, der in diesen Bestimmungen geregelt ist. d) Für die Haftung nach § 908 ist nicht entscheidend, daß der Besitzer das Gebäude fehlerhaft errichtet hat (oben I I 4, V 4). Das Merkmal der fehlerhaften Errichtung ist in § 836, nicht aber in § 908 selbst enthalten. Doch teilweise wird — ohne Begründung — angenommen, daß es dennoch zum Tatbestand der Vorschrift gehöre. Zu dieser Ansicht kann man auf Grund des Verweises in § 908 auf den nach § 8361 Verantwortlichen gelangen, da das Errichten eine Handlung ist und somit der Errichtungsakt haftungsbegründend wirken kann. Die Auffassung, daß die fehlerhafte Errichtung zur Verantwortung führe, wird für § 836 I auch ausdrücklich vertreten. Sie hat sich jedoch als unrichtig erwiesen.
§ 6 Untersuchung des § 908 BGB
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Der Gesetzgeber hatte das Merkmal als einen Fall verstanden, in dem die Unterhaltungspflicht Bedeutung erlangen kann, weil der Besitzer auf derartige Fehler zu achten hat, gleichgültig von wem sie stammen. Demgemäß ist das Merkmal der fehlerhaften Errichtung für § 908 ebenfalls bedeutungslos. e) Die Haftung gem. § 908 entfällt mit dem Ende des Besitzes (oben I I 6, V 6). Diese Rechtsfolge ergibt sich daraus, daß der Nicht-Besitzer tatsächlich und rechtlich zur Beseitigung der Gefahr nicht in der Lage ist. Der Gesetzgeber hat die Beendigung der Haftung nach Besitzaufgabe dadurch zum Ausdruck bringen wollen, daß er auf Absatz I I des § 836 nicht verwiesen hat. Aus diesem Nicht-Verweis wird allgemein auch die genannte Rechtsfolge hergeleitet. Diese Schlußfolgerung ist unzutreffend, denn da § 908 eine Kausalhaftung begründet und § 836 I I andererseits eine haftungsbegrenzende Funktion hat, müßte die Haftung über die Besitzzeit hinausreichen. Die Gesetzestechnik beruht darauf, daß der Gesetzgeber des § 908 selbst klare Vorstellungen von der dogmatischen Struktur nicht gehabt hat; ebenso ist die beschriebene übliche Deutung des Nicht-Verweises damit erklärbar, daß auch die heutige Interpretation der Vorschrift deren rechtlichen Gehalt verkennt. f) M i t den dargelegten Haftungsgrundsätzen klärt § 908 zwei Probleme, die im Bereich der allgemeinen actio negatoria ungelöst sind: die Frage der Haftung für Naturwirken und der Haftung im Falle der Veräußerung eines Grundstücks, das sich in einem störenden Zustand befindet (oben 7. Kap. §§ 3, 4). aa) Da den Besitzer eine generelle Unterhaltungspflicht trifft, muß er auch für Gefahren aufkommen, deren Ursache auf Natureinflüsse zurückzuführen ist. Damit hat er für ein bloßes Naturwirken einzustehen, an deren Entstehung er nicht, was nach Literatur und Rechtsprechung zu § 1004 als entscheidend angesehen wird, „wenigstens mitursächlich" war; denn er haftet selbst dann, wenn er das Bauwerk nicht errichtet hat; nach § 908 kommt es auf die Errichtung nicht an. Die des öfteren allgemein und besonders von Baur (oben 5. Kap.) geforderte Voraussetzung des „menschlichen Handelns", das bei einer Haftung für Naturvorgänge vorliegen müsse, ist nach § 908 bedeutungslos. Zwar liegt, da die Haftung für Gebäudegefahren besteht, ein solches „menschliches Handeln" vor, doch ist dieses juristisch als Haftungsmoment ohne Belang; das „menschliche Handeln" kommt als Haftungskriterium nur als kausales Verhalten (positives Tun) in Betracht. Daran kann es bei § 908 jedoch fehlen. Für den Besitzer des § 908, der das Haus, das zu Gefahrdungen des Nachbareigentums auf Grund von Wettereinflüssen führt, nicht gebaut hat, stellt sich die Haftung als Verantwortung für ein reines Naturwirken dar. bb) Ferner löst § 908 den Fall des Erwerbs eines Bauwerks im störenden Zustand. Positive Handlungen, der für den Zustand kausale Akt der Errichtung oder die Herbeiführung der Gebäudegefahr selbst, sind nach § 908 nicht entscheidend. Damit kann das bei § 1004 vorhandene Problem nicht entstehen, daß im Fall der Grundstücksveräußerung der Verursacher zur Beseitigung der 24*
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12. Kap. Negatorische Haftung für Anlagen gemäß §§ 907, 908 BGB
Störung nicht in der Lage ist und der Erwerber die Störung nicht verursacht hat, daß somit danach niemand verantwortlich ist. Entscheidend nach § 908 ist lediglich das für den Störungszustand (Gebäudegefahr) kausale Unterlassen der Unterhaltungspflicht. M i t Besitzwechsel aber endet die Haftung des ehemaligen Besitzers, weil er, so der Gedanke des Gesetzgebers, zur Gefahrbeseitigung außerstande ist. Es haftet der Besitznachfolger kraft der ihm eigenen Unterhaltungspflicht. 4. Terminologische Fragen Wegen der allgemein üblichen Bewertung der für § 908 bedeutsamen §§ 836 ff. als Fälle einer gesetzlich geregelten „Verkehrssicherungspflicht" ist auf terminologische Fragen einzugehen. Der Begriff der Verkehrssicherungspflicht oder — moderner — der Verkehrspflicht ist ohnehin farblos, weil damit sehr unterschiedliche Sachverhalte und Voraussetzungen erfaßt werden [s. oben I I 2 h cc ccc (33)]. Da Begriffe mit Sachfragen verbunden sind, bedarf es einiger Klarstellungen. Der Ausdruck der Verkehrssicherungspflicht paßt schon für die §§ 836 ff. nicht uneingeschränkt, für § 908 aber ist er gar nicht geeignet2. Bisher hat man § 908 nicht als gesetzlich geregelten Fall einer Verkehrssicherungspflicht bezeichnet, weil der dogmatische Zusammenhang dieser Vorschrift mit den §§ 836 ff. nicht ausreichend beachtet wurde. Nachdem dieser Zusammenhang jedoch aufgedeckt ist, könnte der Ausdruck „Verkehrssicherungspflicht" künftig auch für den Fall des § 908 Verwendung finden, da man mit dem Begriff „Verkehr" großzügig verfahrt. Diese Bezeichnung wäre jedoch unpassend. Zunächst zu den §§ 836 ff. Daß alle von der Vorschrift geschützten Personen Teilnehmer eines „Verkehrs" sein müssen, verlangt die Vorschrift nicht 3 . Von einem „Verkehr" im eigentlichen Sinne läßt sich nur dort sprechen, wo der Kreis der mit der Sache in Berührung kommenden Personen offen ist. Wenn auch der private Weg zum Haus nicht der Allgemeinheit (Öffentlichkeit) zugänglich ist, so jedenfalls aber einem wechselnden Personenkreis, also denjenigen, die als Gäste, Hauslieferanten, Postboten oder Handwerker Anlaß haben, das Haus aufzusuchen. Insoweit ist der Ausdruck „Verkehr" noch angebracht. § 836 I spricht jedoch hinsichtlich der geschützten Personen allgemein von „Menschen". Diese sollen vor den in der Vorschrift beschriebenen schädigenden Ereignissen bewahrt werden. Geschützt ist somit nicht nur der eben genannte Personenkreis, der einem privaten „Verkehr" zugerechnet werden kann, sondern geschützt sind auch Personen, die im Hause leben, also Familienmitglieder ebenso wie etwa Verwandte oder Freunde, die den Hausbesitzer gelegentlich 2
(22). 3
Vgl. schon oben 3. Kap. § 3 Β I V , C II; 12. Kap. § 4 Β II, § 6 C I I 2h cc ccc (2) (11) und Vgl. auch v. Bar S. 20 2. Absatz: § 836 setze keine . Verkehrseröffnung" voraus.
§ 6 Untersuchung des § 908 BGB
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besuchen oder die vielleicht nur zu einem einmaligen Besuch das Haus betreten. Insoweit von einem „Verkehr" zu sprechen oder die Betreffenden als „Verkehrsteilnehmer" zu bezeichnen, ist nicht passend. — Ferner eignet sich der Begriff der Verkehrssicherungspflicht für die von § 8361 geschützten Sachen nur dann, wenn man sie als mitgeführte Objekte der Personen ansieht, die als Teilnehmer eines „Verkehrs" zu werten sind. In diesem Sinne kann von einer Pflicht gegenüber dem „Verkehr" gesprochen werden, wenn etwa der Handwerker, der das Haus zum Zwecke der Reparatur aufsucht, sein Fahrzeug neben dem Haus abstellt und dieses dort zu Schaden kommt. Genaugenommen aber paßt der Begriff des Verkehrs für diesen Fall nicht. — „Unterhaltungspflicht" oder auch nur „Sicherungspflicht" sind allgemeinere und daher für die §§ 836 ff. treffendere Ausdrücke. Bei § 908 jedoch versagt der Begriff der Verkehrssicherungspflicht ganz. Geschützt ist das Eigentum an Grundstücken. Der bisher hier verwendete Begriff der Unterhaltungspflicht trifft die Sachlage; auch der für die §§ 836 ff. soeben vorgeschlagene Ausdruck der Sicherungspflicht ist geeignet.
13. Kapitel: Folgerungen aus § 908: Der Störer nach § 1004 BGB bei störenden Grundstiickszuständen § 1 Einleitung A. Das vorliegende Kapitel nimmt sich des bereits geäußerten Gedankens (oben 9. Kap.; 10. Kap. I I I 2a; 12. Kap. § 6 C V I 2) näher an, daß sich die Haftungsgrundsätze des § 908 möglicherweise auf die allgemeine actio negatoria des § 1004 übertragen lassen. Bei der Suche nach den maßgebenden Störerkriterien des § 1004 ist die Frage der Übertragbarkeit in Literatur und Judikatur—in grundsätzlicher und nennenswerter Form — bisher nicht aufgetaucht 1. Darüber hinaus war es bislang nicht möglich, die Transponierbarkeit der Prinzipien des § 908 auf § 1004 zu überprüfen, da der dogmatische Gehalt des § 908 nicht erarbeitet war. Der genannte Gedanke ist aus folgenden Gründen gerechtfertigt: § 908 richtet sich wie § 1004 I 2 gegen eine bevorstehende Beeinträchtigung fremden Eigentums. Die Vorschrift erfaßt damit einen Tatbestand, der auch in § 1004 geregelt ist. Schon die frühere Gegenüberstellung der beiden Bestimmungen hatte gezeigt, daß § 908 einen Anwendungsfall des allgemeinen negatorischen Präventivschutzes des § 100412 darstellt (oben 12. Kap. § 3 B). Während § 1004 I 2 sich aber gegen jede drohende Beeinträchtigung richtet, gleich, aus welcher Quelle sie kommt, hat der Gesetzgeber in § 908 den besonderen Fall im Auge gehabt, daß Ursache der bevorstehenden Beeinträchtigung ein Gebäude oder anderes Werk ist. § 908 enthält also für den von § 100412 ebenfalls erfaßten Störungstatbestand, die bevorstehende Beeinträchtigung fremden Eigentums, präzise Haftungskriterien. Damit gibt § 908 für den Fall, daß Ursache der Gefahr ein Bauwerk ist, Auskunft über die maßgebenden Haftungskomponenten. — Hier liegt die Überlegung nahe, ob dieselben Komponenten auch herangezogen werden können, wenn sich die in § 908 beschriebene Gefahr verwirklicht, das Bauwerk einstürzt oder sich Teile davon lösen und eine Beeinträchtigung des Nachbareigentums eintritt. In diesem Fall liegt eine Beeinträchtigung nach § 100411 vor, da aber die Störungsquelle dieselbe wie die in § 908 geregelte ist, müßten auch dieselben in der Vorschrift fixierten Haftungsregeln gelten (oben 10. Kap. I 1, 2 b, 3). Und ferner bietet sich die Überlegung an, ob Fälle existieren, die dem direkt in der Vorschrift erfaßten Fall vergleichbar sind. Nach dem allgemeinen Grundsatz, daß gleiche Sachverhalte auch einer gleichen rechtlichen Bewertung unterliegen, müßten die Haftungsprinzipien des § 908 für derartige Fälle ebenfalls Geltung beanspruchen können. 1
Bis auf die oben 7. Kap. § 4 Β II, C I I dargelegten Ansätze im Urteil des OLG Braunschweig und bei Offtermatt; s. ferner zu Picker unten § 2 Β I I I 2.
§ 2 Grundlagen der Übertragbarkeit
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In Betracht kommen Fälle, in denen die Gefahr, die vom Bauwerk ausgeht, nicht gerade in der von § 908 beschriebenen Art ist, also nicht im Einsturz des Bauwerks oder der Ablösung von Teilen davon besteht, sondern in anderen Gefahren des Bauwerks. Kennzeichen der Gefahrenquelle des § 908 ist, daß sie von einer mit dem Grundstück verbundenen Sache ausgeht; daher sind dem in § 908 geregelten Fall ferner Sachverhalte ähnlich, in denen die Gefahr nicht von einem Gebäude oder Werk ausgeht, sondern von der sonstigen Beschaffenheit des Grundstücks. B. M i t diesen Ausführungen sind die Überlegungen dargelegt, die zu dem Gedanken berechtigten, daß die Haftungsprinzipien des § 908 für § 1004 Geltung haben. Ob eine Übertragung tatsächlich gerechtfertigt ist, kann nur eine Überprüfung im einzelnen ergeben; dieser Frage widmet sich die folgende Analyse. Insgesamt ist das vorliegende Kapitel folgendermaßen aufgebaut: In einem ersten Schritt erarbeitet die Untersuchung die Grundlagen einer Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004 (unten § 2). Sie prüft zunächst, ob § 908 allgemeine theoretische Bedeutung zukommt (unten § 2 B). Sodann ermittelt sie im einzelnen die Fallbereiche, die für eine Anwendung der Grundsätze des § 908 in Betracht kommen (unten § 2 C). Diese Grundlagenuntersuchung wird ergeben, daß die Haftungsaspekte des § 908 auf § 1004 transponierbar sind (unten § 2 D). In einem zweiten Schritt wird daher eine Übertragung jener Grundsätze auf § 1004 vorgenommen; Aufgabe dieses Abschnittes ist es, die Prinzipien des § 908 für den Anwendungsbereich des § 1004 zu konkretisieren (unten § 3).
§ 2 Die Grundlagen der Übertragbarkeit der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004 A. Einleitung I. U m festellen zu können, ob die Haftungsgrundsätze des § 908 für § 1004 übernommen werden können, ist zunächst zu ermitteln, ob ihnen allgemeine, über den Fall des § 908 hinausweisende Bedeutung beigemessen werden kann. Diese Frage läßt sich einmal mit Hilfe einer Heranziehung der früher erarbeiteten Grundlagen der Störerermittlung (oben 10. Kap. I) beantworten. Es wird sich zeigen, daß diese Grundlagen mit den Prinzipien des § 908 übereinstimmen (unten Β I ) . Dieser Befund belegt die generelle Bedeutung des § 908; umgekehrt bestätigt sich damit die Richtigkeit jener allgemeinen, von § 908 losgelösten Überlegungen. Ferner zeigt sich die für § 1004 anzunehmende Gültigkeit der Grundsätze des § 908 darin, daß die Störerbestimmung der Motive zu § 1004 Leitlinien enthält, die sich in präzisierter Form in § 908 wiederfinden (unten Β II). Schließlich wird zu untersuchen sein, ob § 908 einen Ausnahmetatbestand regelt; dies würde einer Transponierung seiner Haftungsgrundsätze auf die allgemeine actio negatoria entgegenstehen (unten Β III). Anlaß für eine
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
derartige Prüfung gibt die Einschätzung Pickers des § 908 als „Sondervorschrift" (unten Β I I I 2); auch Erörterungen des Gesetzgebers der §§ 836 ff. zu der Frage, ob die Verantwortlichkeit für eigene Sachen auf die in § 836 I beschriebenen Gebäudegefahren zu beschränken ist (unten Β I I I 3), zwingen zur Behandlung des genannten Problems. Das Ergebnis dieser Untersuchung wird lauten, daß § 908 ein Allgemeingültigkeit ausschließender Sondercharakter nicht zukommt. II. Die Übertragbarkeit der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004 setzt ferner voraus, daß Sachverhalte existieren, die dem in der Vorschrift geregelten Sachverhalt vergleichbar sind. Ist dieses der Fall, können die Kriterien des § 908 herangezogen werden nach dem generellen Grundsatz, daß gleiche Sachverhalte auch rechtlich gleich bewertet werden müssen. Somit besteht die Aufgabe, Fälle zu ermitteln, die dem in § 908 erfaßten derart ähnlich sind, daß eine Anwendbarkeit der Grundsätze des § 908 gerechtfertigt ist (unten C). III. Nach Untersuchung der beiden dargelegten Fragen (soeben I, II) ist das Fundament für eine Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf die beiden Ansprüche des § 1004 geschaffen. B. Allgemeingültigkeit der Haftungsgrundsätze des § 908 I. Übereinstimmung der Haftungsgrundsätze des § 908 mit den Grundlagen der Störerermittlung (oben 10. Kapitel) 1. Die drohende Beeinträchtigung des § 908 stellt einen Fall dar, der nach der im Kapitel über die Grundlagen der Störerermittlung (oben 10. Kap. I 2 b) getroffenen Einteilung den Sachverhalten zuzuordnen ist, in denen die Störung durch das Zusammenwirken von Sachen und Handlungen entsteht; Quelle der bevorstehenden Eigentumsverletzung nach § 908 ist einmal das Bauwerk selbst, das auf Grund seines Zustandes einzustürzen droht oder von dem sich Teile zu lösen drohen, daneben aber auch der A k t der Errichtung. Da Haftungsvoraussetzung nach § 908 der Besitz ist, bestätigt die Vorschrift für den in ihr geregelten besonderen Fall den auf Grund allgemeiner Überlegungen (ebd.) ermittelten Gedanken, daß in der genannten Fallart die dingliche Position als Anknüpfungspunkt der Verantwortlichkeit in Betracht kommt. Die früher (ebd.) gestellte Frage, ob diese das entscheidende Haftungskriterium ist oder die kausale Handlung der Errichtung des Bauwerks, entscheidet § 908 im ersteren Sinne. Die Untersuchungen haben ergeben, daß der Akt der fehlerhaften Errichtung nicht haftungsauslösend wirkt 1 und daß es, da allein die kausale Unterhaltungspflichtverletzung des Besitzers zur Verantwortung führt 2 , darüber hinaus auf die positive Handlung der Errichtung, selbst wenn sie fehlerfrei ist, nicht ankommt. 1 2
Oben 12. Kap. § 6 C I I 4; V 4; V I 3d. Ebd. I I 3, 4; V 3, 4; V I 2, 3 a.
§ 2 Grundlagen der Übertragbarkeit
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Es wurde bereits festgestellt, daß dieser Standpunkt des Gesetzes für den Fall des § 908 das bei § 1004 bestehende Problem in den Fällen des Erwerbs eines Grundstücks löst, das sich in störendem Zustand befindet 3 . Da die negatorische Verpflichtung an den kausalen Errichtungsakt nicht gebunden wird, kann für § 908 die gem. § 1004 schwierige Lage nicht entstehen, daß der Veräußerer zwar für die Beeinträchtigung kausal geworden ist, aber zu deren Beseitigung mangels Eigentum nicht mehr in der Lage ist, der Erwerber dagegen die Störung nicht verursacht hat, gleichwohl jedoch zu ihrer Behebung imstande wäre 4 . Die Entscheidung des Gesetzgebers des § 908, den für die Gefahr ursächlichen Errichtungsakt als Haftungsaspekt auszuscheiden, ist daher überzeugend. Dieser erweist sich bei Bauwerken, die eine lange Lebensdauer haben und von Hand zu Hand gehen, als unbrauchbar. Zwar wirft die nach § 908 maßgebliche Kausalität der Verletzung der Unterhaltungspflicht im Fall eines Besitzwechsels das gleiche Problem auf, dieses wird von der Vorschrift aber gelöst (oben 12. Kap. § 6 C V 6) 5 . — Somit gilt es hinsichtlich der im Rahmen der Grundüberlegungen gestellten Frage, ob in den Fällen des Zusammenwirkens von Handlungen und Sachen die Handlung oder die dingliche Position ausschlaggebend ist, festzuhalten, daß § 908 den Aspekt der Handlung ausscheidet und daß es sich hierbei um eine einleuchtende Entscheidung handelt. 2. Die in jenen allgemeinen Darlegungen weiter gestellte Frage, welcher Qualität die dingliche Position zu sein hat, entscheidet § 908 dahin, daß nicht das Eigentum oder ein dingliches Teilrecht (Dienstbarkeit, Nießbrauch) verpflichtend wirkt, sondern der Besitz. Damit kommt es weder auf das Recht an der Sache an, wie nach der sog. Eigentumstheorie 6, noch auf eine bloß tatsächliche Beziehung, wie (grundsätzlich) nach den im Schadensersatzrecht entwickelten Prinzipien der Verkehrssicherungspflicht 7. Daß der Besitz ein überzeugender Anknüpfungsaspekt der Haftung ist, wurde bereits dargelegt 8; der nach § 908 Verpflichtete bedarf wegen der ihm auferlegten Verantwortlichkeit für den Zustand des Bauwerks einer ausreichenden Sachbeziehung, und diese gewährt ihm die Besitzstellung. Dagegen muß das Eigentum — oder ein beschränktes dingliches Recht — nicht notwendig mit einer solchen Sachbeziehung verbunden sein; hier gelten die Erwägungen, die den Gesetzgeber selbst dazu geführt haben, anstelle des Eigentums den Besitz als den haftungsbegründenden Faktor anzusehen9. Gegenüber der rein faktischen Beziehung, die die Verkehrssiche3
Ebd. V I 3f bb. Oben 7. Kap. § 4. 5 Ferner oben 12. Kap. § 6 C I I 6; V I 3 e, f. 6 Oben 7. Kap. § 3 Β I I 1; § 4 C III; auch nach Picker (oben 6. Kap.) löst die dingliche Position an einer störenden Sache die Haftung aus, aber aus dem Gedanken der „Rechtsüberlagerung"; insoweit m.E. mißverstehend Staudinger-Gursky §1004 Rdnr. 74ff. 4
7 8
Oben 12. Kap. § 6 C I I 2h cc ccc (2). Ebd. ccc (2) (33).
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
rungspflicht begründet, sowie dem teilweise nach der Lehre der Verkehrssicherungspflicht systemlos herangezogenen Gedanken der rechtlichen Zuständigkeit verschiedener Art (dingliche, schuldrechtliche Stellungen), hat die Besitzposition den Vorzug, daß sie feste Voraussetzungen bietet 10 . 3. Es hatte sich ferner die Frage gestellt, ob die dingliche Position unmittelbar oder im Rahmen eines Unterlassens als Garantenstellung zur Haftung führt 1 1 . § 908 bestätigt insoweit den hier gegenüber der Eigentumstheorie Pleyers vertretenen Standpunkt, daß der dinglichen Position als solcher nicht Ansprüche erwachsen können 12 . Dort wurde dargelegt, daß das Eigentum die Beziehung zwischen Person und Sache bestimmt, daß es jedoch keinerlei Pflichten gegenüber anderen Rechtsgenossen hervorbringen kann. Entsprechendes gilt für den Besitz, der sich darin erschöpft, ein bestimmtes tatsächliches Verhältnis zur Sache festzulegen. Ist insoweit also festzustellen, daß § 908 diesen Grundvorstellungen der sachenrechtlichen Einrichtung Besitz folgt, muß andererseits konstatiert werden, daß die Vorschrift dennoch an den Besitz eine Pflicht bindet, eben die Pflicht zur Unterhaltung des Bauwerks. U m prüfen zu können, wie diese pflichtenbegründende Wirkung mit allgemeinen sachenrechtlichen Vorstellungen zu vereinbaren ist, ist zunächst der Unterschied zwischen der Auffassung, daß die dingliche Position als solche Pflichten schaffe, wie dies nach Pleyer hinsichtlich des Eigentums 13 und nach der gängigen Deutung des § 908 hinsichtlich des Besitzes14 der Fall sein soll, und der Anschauung, daß die sachenrechtliche Stellung im Rahmen des Unterlassens zu Rechtspflichten führt, herauszustellen 15. Nach der zunächst genannten Betrachtungsweise erzeugt die dingliche Position unmittelbar Ansprüche, wenn die Sache, an der diese Position besteht, zu Gefahren (§§ 908, 1004 I 2) oder Beeinträchtigungen (§ 1004 I 1) geführt hat. Nach der an zweiter Stelle dargelegten Ansicht folgen aus der dinglichen Position keine Ansprüche, sondern nur Pflichten allgemeiner A r t 1 6 ; erst wenn diese nicht erfüllt werden und die Pflichtverletzung (Unterlassen) für den rechtlich mißbilligten Erfolg kausal wird, entstehen Ansprüche. Nun läßt sich einwenden, daß es auf die rechtliche Qualität der Pflicht nicht ankommen könne und daß die Herleitung von Pflichten aus dem Besitz jedenfalls mit seiner Natur nicht in Einklang stehe. Dieser Einwand läßt sich in der Tat in streng dogmatischer Hinsicht nicht völlig ausräumen: Zunächst ist 9
Oben 12. Kap. § 6 C I I 2h bb ccc. Vgl. Fn. 8. 11 Oben 10. Kap. I 3. 12 Oben 7. Kap. § 3 Β I I 2; s. auch oben 4. Kap. § 3 Β (zur sog. Zustandshaftung). 13 Oben 7. Kap. § 3 Β I I 1, § 4 C III. 14 Oben 12. Kap. § 6 C V 3a, Fn. 2; V I 2. 10
15 16
Vgl. schon oben 4. Kap. § 3 B. Zur Rechtsqualität der Unterhaltungspflicht nach § 908 s. oben 12. Kap. § 6 C V 3c.
§ 2 Grundlagen der Übertragbarkeit
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ihm entgegenzuhalten, daß eine unmittelbar Ansprüche hervorbringende Eigentums· oder Besitzposition dem Inhalt dieser sachenrechtlichen Einrichtungen widerspricht. Dies kann auch der Grund dafür sein, daß die Vertreter der sog. Eigentumstheorie, Pleyer und Kübler, den Verfassungssatz des Art. 14 I I GG heranziehen, der besagt, daß Eigentum verpflichte; auf diese Weise wird das obligierende Moment zum Inhalt des privatrechtlichen Eigentums gemacht 17 . Demgegenüber begnügt sich die h. L. im Rahmen des § 908 mit der bloßen Besitzposition und bleibt die Erklärung schuldig, wie diese zu einem Anspruch führen könne 18 . — Dagegen, um den Ausgangsgedanken wiederaufzunehmen, läßt sich eine Pflicht nur allgemeiner Art, die erst über einen für den rechtswidrigen Erfolg kausalen Verstoß zu Sanktionen führt, zumindest eher mit dem Grundsatz vereinbaren, daß der Besitz nur die Beziehung von Person und Sache festlegt. Hier wird ein mit dem Besitz verknüpftes Moment, die Sachherrschaft und die damit verbundene Zugriffsmöglichkeit, herangezogen und rechtlich selbständig bewertet. Doch ist einzuräumen, daß sich die pflichtenauslösende Wirkung aus der sachenrechtlichen Institution selbst nicht begründen läßt. Sie beruht allein auf einer Wertung der Rechtsordnung, die in der Sachbeziehung eine Verantwortung gegenüber Außenstehenden erkennt. Diese nicht näher zu rechtfertigende Wertung ist Grundlage aller „Garantenstellungen" 19 . Daß etwa das vorangegangene Tun, ein Vertrag, ein Gesetz oder die Verkehrssicherungspflicht ein Gebot enthält, tätig zu werden, um andere vor Verletzungen zu schützen, ist die Folge einer juristischen Wertung; diese ist apriorischer Natur. Die rechtliche Beurteilung der genannten Garantenstellungen und des Besitzes nach § 908 sind Beispiele dafür, daß die Rechtsordnung im Bereiche von Grundaussagen auf prinzipielle Wertentscheidungen angewiesen ist und insoweit mit Axiomen arbeiten muß. 4. Es ist somit festzuhalten, daß das in § 908 enthaltene Haftungsfundament, die dingliche Position, bereits auf Grund allgemeiner Überlegungen unabhängig von § 908 als maßgebend herausgearbeitet wurde (oben 10. Kap. I) und daß ferner die dogmatischen Einzelbewertungen des § 908, die vom Gesetz für entscheidend gehaltene Besitzposition und deren Einordnung als pflichtenbegründende Stellung im Rahmen eines kausalen Unterlassens, ebenfalls in Einklang steht mit Grundüberlegungen. Dieser Gesamtbefund spricht dafür, den Haftungskriterien des § 908 Allgemeingültigkeit zuzuschreiben.
17 Bei Pleyer ist nicht eindeutig, ob er zum verpflichtenden Gehalt des Eigentums ausschließlich über Art. 14 I I GG gelangt oder ob er meint, daß auch das private Eigentum diese Wirkung habe, s. oben 7. Kap. § 3 B I I 1 , § 4 C III. Anders aber Kübler, der sich auf Art. 14 I I GG stützt, s. oben 7. Kap. § 4 C III. 18 Vgl. Fn. 14. 19 Das Zivilrecht verfährt hierin wie das Strafrecht, s. Schmidhäuser AT 12/18: „besonders nahe Beziehung" des Täters zu der Gefahrenlage, aus der die besonders dringliche Pflicht für den Täter erwachse.
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
II. Übereinstimmung der Haftungsgrundsätze mit den Motiven zu § 1004
des § 908
1. Die Haftungsprinzipien des § 908 weisen ferner eine Übereinstimmung mit den in den Motiven zu § 1004 enthaltenen Äußerungen zur Person des nach dieser Vorschrift Verpflichteten auf 1 . Der Gesetzgeber des § 1004 hat sich, anders als der Gesetzgeber des § 908, mit Einzelheiten des negatorischen Gegners nicht beschäftigt, sondern hat lediglich haftungsrechtliche Grundlinien gezeichnet; in diese aber lassen sich die Haftungskriterien des § 908 ohne weiteres einordnen. Der Gesetzgeber des § 1004 befaßt sich mit derselben Störungsquelle wie § 908, nämlich mit Beeinträchtigungen durch Anlagen; dies erklärt sich damit, daß er diesen Fall offenbar als den wichtigsten ansah2. Wie § 908 erkennen die Gesetzesverfasser der allgemeinen actio negatoria als entscheidende Komponenten der Verantwortlichkeit ein Unterlassen und die dingliche Position an der Anlage an, und wie § 908 sehen sie den Akt der Errichtung der Anlage als nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie maßgebend an. 2. Frühere Deutungen (oben 2. Kap. § 2) hatten ergeben, daß die sog. Aufrechterhaltungsformel der Motive außer als ein positives Tun als ein Unterlassen zu interpretieren ist. Der Gesetzgeber hatte offenkundig die Vorstellung, daß derjenige für — bevorstehende oder eingetretene — Beeinträchtigungen einstehen muß, der entweder die Anlage betätigt oder der sie, ohne einzugreifen, arbeiten oder existieren (Überbau) läßt. Die Fälle des Betätigens oder Arbeitenlassens der Anlage kommen für § 908 nicht in Betracht, da es dort um den speziellen Fall der drohenden Beeinträchtigung durch den Verfall von Bauwerken geht (Einsturz oder Ablösung von Teilen). Doch den Fall, in dem die Anlage durch ihr bloßes Vorhandensein Störungen hervorruft, ohne in „Tätigkeit" zu sein, beurteilt der Gesetzgeber des § 1004 ebenso wie der des § 908: das „Aufrechterhalten" der Störung, also das Untätigsein, ist es, was die negatorische Verpflichtung hervorruft 3 . Das in den Motiven zu § 1004 ausdrücklich genannte Beispiel des Hinüberreichens eines Gebäudes über die Grenze 4 ist dem Fall des § 908 insofern vergleichbar, als in beiden Sachverhalten die Existenz der Anlage als solche Störungen bewirkt. 3. Ferner sollen nach den Motiven beseitigungspflichtig der Eigentümer der Anlage und unter besonderen Umständen auch der besitzende Nichteigentümer oder der Inhaber der Anlage sein. Die Gesetzesverfasser des § 1004 ziehen den Kreis der Verpflichteten also weiter als die Verfasser des § 908. Dies entspricht 1 Vgl. Mot. Mugdan I I I S. 237 oben (unter 4a), S. 237 unten, 238 oben, ferner S. 238 1. Absatz etwa Mitte; s. die Interpretation oben 2. Kap. § 2. 2 3 4
Oben 2. Kap. § 2. Ebd. Mot. Mugdan I I I S. 237 oben (unter 4a).
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der Grundhaltung der Motive zu § 1004, die erkennbar nicht die Absicht verfolgen, eine rechtlich präzise Auskunft über den negatorisch Verantwortlichen zu geben (oben 2. Kap. § 2). I m Gegensatz zur Auffassung der mit den §§ 836 ff. befaßten Gesetzesschöpfer bezeichnet der Gesetzgeber des § 1004 den Eigentümer als den an erster Stelle Haftenden, während Besitzer und Inhaber nur unter besonderen Umständen verpflichtet sein sollen. Demgegenüber haben die mit den §§ 836 ff. (908) befaßten Kommissionen eine Abwägung zwischen der Verantwortlichkeit von Eigentümer und Besitzer getroffen und sich für den Besitzer entschieden5. Anders als nach den grundsätzlichen gesetzgeberischen Erwägungen der Verfasser der §§ 836 ff. (908) wird für § 1004 auch der Inhaber 6 als verantwortlich in Betracht gezogen. Insoweit besteht aber mit § 908 ebenfalls Übereinstimmug, denn, abweichend von den Grundentscheidungen des Gesetzgebers der §§ 836ff., 908, ist nach § 838 — auf der Grundlage der damaligen Lehre 7 — der Inhaber zur Gefahrbeseitigung verpflichtet. 4. Wenn schließlich die Motive zu § 1004 das haftungsbegründende Störerverhalten der „Aufrechterhaltung" der Störung und die Verantwortlichkeit kraft dinglicher Stellung an der Anlage dogmatisch nicht miteinander in Beziehung setzen, so äußert der Gesetzgeber der §§ 836 ff. (908) auch insoweit detaillierte rechtliche Vorstellungen: Er ordnet die dingliche Position, den Besitz, als das zum Handeln (Gebäudeunterhaltung) verpflichtende Moment im Rahmen des Unterlassens ein. Können also die Motive angesichts der dogmatischen Zurückhaltung des Gesetzgebers des § 1004 nur mit Vorsicht in diesem Sinne interpretiert werden 8 , so bestätigt § 908, daß eine solche Deutung der Vorstellungswelt des damaligen Gesetzesverfassers nicht fremd ist; das Studium der Entstehungsgeschichte der §§ 836 ff. hatte gezeigt, daß die an die dingliche Stellung gebundene Pflicht zur Gebäudeunterhaltung und der kausale Pflichtverstoß in den Vorläufern des § 836 ausdrücklich enthalten waren 9 . 5. Endlich stehen die Verfasser des § 1004 wie diejenigen der §§ 908, 836 ff. 1 0 auf dem Standpunkt, daß der Akt der Errichtung der Anlage für die Haftung bedeutungslos sei. Allerdings verfahrt der Gesetzgeber des § 1004 auch insoweit vorsichtig; während er an einer Stelle entschieden meint, daß es auf eine der Vergangenheit angehörende einzelne Handlung des Beklagten nicht ankomme 1 1 , hält er die Frage an weiterer Stelle lieber offen und erklärt, daß es besser dahingestellt bleibe, ob die bloße Handlung der Errichtung verpflichten 5
Oben 12. Kap. § 6 C I I 2h bb ccc. Zu diesem Begriff ebd. 2 b. 7 Vgl. ebd.; nach heutigem Besitzverständnis haftet nach §§ 908,838 der Fremdbesitzer, s. oben 12. Kap. § 6 C IV, V 2; V I 3 c aa. 8 Vgl. oben 2. Kap. § 2. 9 Vgl. 12. Kap. § 6 C I I 2h bb bbb, 3a. 10 Dazu ebd. I I 4, V 4, V I 3d. 11 Mot. Mugdan I I I S. 237 oben (unter 4a). 6
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
könne 12 . Der Gesetzgeber der §§ 908,836ff. ist auch in diesem Punkt entschlossener gewesen. 6. Dieser Befund, wonach sich die detaillierten Haftungskomponenten des § 908 in den vom Gesetzgeber des § 1004 vorgegebenen Haftungsrahmen fügen, spricht ebenfalls dafür, die Kriterien des § 908 als Grundsätze zu werten, die der Verallgemeinerung fähig sind. III. Ist § 908 eine Verallgemeinerungen
ausschließende Ausnahmevorschrift?
1. Einleitung Da die Anwendung der in § 908 festgelegten Haftungsgrundsätze für Fälle in Betracht kommt, die den in der Vorschrift geregelten Gebäudegefahren vergleichbar sind, also für Sachverhalte, in denen Beeinträchtigungen von Grundstücken ausgehen sowie von Gebäuden, jedoch in anderer als gerade in § 908 geregelter Art (Einsturz, Ablösung von Teilen), so würde eine Übernahme der Haftungskriterien des § 908 für § 1004 gegenstandslos sein, wenn sich aus § 908 ergeben sollte, daß eine Verantwortung für derartige vergleichbare Gefahren und Beeinträchtigungen nicht bestehen soll. Wenn schon keine Abwehransprüche gegen Grundstücks- und Bauwerksstörungen außerhalb der in § 908 erfaßten Art bestehen sollen, kommt es für § 1004 auch auf die theoretischen Haftungsgrundsätze des § 908 nicht an. Picker schreibt § 908 einen Verallgemeinerungen verbietenden Ausnahmecharakter zu, und zwar eben wegen des in der Vorschrift geregelten Sachverhaltes, aber auch aus gesetzessystematischen Gründen (§§ 907,909) (unten 2 a). Schließlich hat der Gesetzgeber der §§ 836 ff. sich mit der Frage beschäftigt, ob eine nach Delikts- und Sachenrecht zu regelnde Verantwortung für Beeinträchtigungen anzuerkennen ist, die ihre Ursache in der Beschaffenheit von Grundstücken oder Anlagen haben, die jedoch anderer als der in den §§ 836 ff. geregelten Art sind (unten 3). 2. Die Auffassung Pickers a) Picker, dessen Auffassung Gursky sich angeschlossen hat 1 , beurteilt § 908 als „Sonderregelung", aus der er eine Nicht-Verwertbarkeit der dort 12
Mot. ebd. S. 238 oben. Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 75. Die Auffassung Offtermatts, der für den Fall des Erwerbs eines sich in einem störenden Zustand befindlichen Grundstücks den Gedanken des § 908 heranziehen will (falschlich hält Offtermatt den Besitz für das haftungsbegründende Moment; s. oben 7. Kap. § 4 C II), ist im übrigen unklar, denn an anderer Stelle lehnt er einerseits eine über die §§ 908, 836 ff. hinausgehende Verpflichtung des Eigenbesitzers für alle Gefahren, die nicht nur von seinem Gebäude, sondern von anderen Sachen drohen, ab, s. Offtermatt S. 57 2. Absatz, 58 oben, 59 2. Absatz. Andererseits heißt es, dem Eigenbesitzer sei eine Beseitigung von Beeinträchtigungen dann zuzumuten, wenn dies eine „billige Rücksichtnahme" auf den Nachbarn fordere, s. ebd. S. 58 1., 2. Absatz, 59 1. 1
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enthaltenen Grundsätze für § 1004 ableitet 2 . Für diese Beurteilung stützt er sich auf zwei Argumente: Einmal sei § 908 wegen des darin erfaßten Sachverhaltes eine Sondervorschrift 3. In dem in der Bestimmung normierten Fall, der die Abwehr einer „einmaligen, anomalen Auswirkung des schädigenden Eigentums" betreffe und der in der Regel „schnelle Maßnahmen" verlange, möge es angehen, den Besitzer und nicht den nicht besitzenden Eigentümer, dem es häufig an Einwirkungsmöglichkeiten fehle, heranzuziehen 4. Zweitens sei eine gesetzliche Interpretation des Störerbegriffs in § 908 deshalb nicht zu sehen, weil in den unmittelbar benachbarten, ebenfalls negatorische Tatbestände betreffenden Vorschriften der §§ 907, 909 eine ähnliche Umschreibung des Haftenden oder gar, was nahegelegen habe, eine Bezugnahme auf § 908 nicht enthalten sei. Dies sei keine Zufälligkeit. § 908 sei erst durch die 2. Kommission als Sondervorschrift eingefügt worden, und indem dem Besitzer anstelle des Eigentümers eine Sicherungspflicht auferlegt worden sei, sei die Person verpflichtet worden, die infolge ihrer Beziehung zur Sache jederzeit in der Lage sei, die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu ergreifen 5. b) Dem Argument der „Anomalie" des in §908 geregelten Falles, der Gefahr des Einsturzes des Gebäudes oder der Ablösung von Teilen des Gebäudes, muß entgegnet werden, daß derartige Gefahren für Gebäude typisch sind. Die Fälle sind derart bedeutungsvoll, daß sie seit jeher eine Rolle spielten. § 908 steht, ebenso wie die §§ 836 ff., in der Tradition der römischen cautio damni infecti; danach konnte der Grundeigentümer vom Nachbarn eine Sicherheitsleistung verlangen, wenn Schäden durch den Einsturz von benachbarten Gebäuden oder Anlagen drohten 6 ; hieran anknüpfend hat der BGB-Gesetzgeber für den Fall tatsächlich eingetretener Schäden die §§ 836 ff. geschaffen, für den Fall bloßer Gefahren § 908. Eine dem § 908 entsprechende Bestimmung war schon bei der Beratung der §§ 836 ff. ins Auge gefaßt worden; man hat das Vorhaben dann im Verlaufe dieser Gesetzgebungsarbeiten einstweilen fallengelassen 7 und erst später wieder aufgenommen 8. Daß nun „erst" die 2. Kommission § 908 geschaffen hat, sagt über die Bedeutung des darin geregelten Falles nichts aus. Absatz. — Die Position Wetzeis S. 114 /115 ist nicht deutlich; sie nimmt zwar an, daß die §§ 907, 908 spezielle Fälle eines Präventivschutzes seien, zieht hieraus aber wohl keine weiteren Schlüsse. — Bei Schmidt S. 34ff. wird zwar § 908 iVm §§ 836 ff. behandelt, aber ohne den Gedanken der Übertragbarkeit von Störergrundsätzen auf § 1004. 2 Picker S. 132 3. Absatz, 133 1. Absatz. 3 Picker S. 132 3. Absatz unten, 133 3. Absatz zu Beginn. 4 Ebd. S. 133 3. Absatz. 5 Ebd. S. 133 2. Absatz. Die Erörterungen Pickers S. 971. Absatz zu den §§ 907,908, die den Gedanken Baurs („Anlagentheorie", s. oben 5. Kap.) billigen, enthalten keine Darlegungen zum Störerkriterium. 6 Oben 12. Kap. § 2 Β Fn. 11. 7 Ebd. mit Fn. 14. 8 Ebd. mit Fn. 14.
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
Die Zweifel über die Notwendigkeit der Vorschrift bestanden, wie ihre Geschichte gezeigt hat, deshalb, weil es bereits § 907 gab und man nicht genau wußte, ob dieser den in § 908 aufgenommenen Fall nicht schon regele. Man hat sich dann sicherheitshalber für die Normierung des § 908 entschieden9. Ferner war die „Schnelligkeit" des im Falle des § 908 gebotenen Handelns nicht der Grund der Bestimmung des Besitzers als Haftenden, sondern seine praktische Möglichkeit, Maßnahmen überhaupt zu ergreifen 10. Abgesehen davon ist nicht in allen Fällen schnelles Handeln notwendig, den Besitzer trifft die Pflicht, das Gebäude generell in Ordnung zu halten und demgemäß vorzubeugen. Hat er sich rechtswidrig verhalten und tritt die Gefahr ein, hängt es vom jeweiligen Fall ab, ob Eile geboten ist oder nicht. Das weitere Argument Pickers, daß die §§ 907 und 909 auf eine ähnliche, „naheliegende" Umschreibung des Haftenden verzichtet hätten und somit schon das Gesetz selbst § 908 nicht als allgemeingültig ansehe, ist deshalb nicht richtig, weil, wie sich gezeigt hat 1 1 , für § 907 wegen des dort geregelten Tatbestandes der Besitzer als Verantwortlicher nicht in Betracht kommt. § 907 verbietet nicht die Gefahr selbst, sondern das Herstellen und Halten von Anlagen; dementsprechend haften der Halter der Anlage und derjenige, der die Herstellung einer Anlage plant. § 909 schließlich enthält keinen Anspruch, sondern regelt nur die Rechtmäßigkeit einer Bodenvertiefung. Damit kann den von Picker vorgebrachten Argumenten gegen eine Verwertbarkeit des § 908 nicht gefolgt werden. 3. Die gesetzgeberische Bewertung der Verantwortung für andere als die in § 908 geregelten Sachgefahren Die sich bisher schon in vielerlei Hinsicht als aufschlußreich erwiesene Entstehungsgeschichte der §§ 836 ff. gibt eine weitere, im vorliegenden Zusammenhang beachtenswerte Auskunft. Der Gesetzgeber dieser Vorschriften hat die Verantwortlichkeit bewußt auf bestimmte, von Gebäuden ausgehende Gefahren beschränkt und wollte eine Haftung für andere Grundstücksgefahren ausschließen. v. Bar hat darauf für die allgemeine Verkehrssicherungspflicht aufmerksam gemacht; er hält wegen dieses gesetzgeberischen Willens eine Herleitung der Verkehrssicherungspflicht aus den §§ 836ff. nicht für gerechtfertigt 12 . Der betreffende Standpunkt des Gesetzgebers könnte zu der Überlegung führen, daß auch § 908, der auf den §§ 836 ff. basiert, die Verantwortung auf bestimmte, in 9
Oben 12. Kap. § 6 Β III. Oben 12. Kap. § 6 C I I 2h bb ccc. 11 Oben 12. Kap. § 5 C I I - I V , V. 10
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v. Bar, S. 19 f. Die von v. Bar S. 20 2. Absatz aE befürwortete ersatzlose Streichung der §§ 836 ff. berücksichtigt nicht, daß die Vorschriften für § 908 Bedeutung haben; dazu schon oben 12. Kap. § 4 Β II.
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der Vorschrift beschriebene Gebäudegefahren begrenzt wissen will. Von daher wäre es zweifelhaft, ob § 908 allgemeine Haftungskriterien zu entnehmen sind, die auf andere, vergleichbare Gefahren des Grundstücks für § 1004 übertragbar sind. Denn soll eine Verantwortung für andere als in § 908 festgelegte Grundstücksstörungen nicht bestehen, sind auch die Haftungskriterien der Vorschrift außerhalb ihres Anwendungsbereiches bedeutungslos. Nun folgt an sich bereits aus § 1004, daß diese Bestimmung jegliche Beeinträchtigung erfaßt und somit auch Gefahren anderer als in § 908 geregelter Art. Aber auch die Beratungen zu den §§ 836 ff. zeigen, daß der Gesetzgeber die Haftung nur im Bereiche des Schadensersatzes eingrenzen wollte, nicht dagegen die im sachenrechtlichen Nachbarrecht mögliche Verantwortung. Die Motive zu den §§ 836 ff. geben zunächst einen Überblick über das bisher geltende Recht im Falle von Schäden durch Sachen. Danach wollte der Gesetzgeber sich dem Grundsatz des römischen Rechts und der naturrechtlichen Kodifikationen und Kodifikationsentwürfe anschließen, wonach niemand für Schäden verantwortlich ist, die seine Sachen anrichten, ohne daß ein Handeln des Betreffenden mitgewirkt hat 1 3 . Die genannten Rechtsordnungen machten aber eine Ausnahme für den Fall, daß die Schäden ihre Ursache in einer fehlerhaften Beschaffenheit des Grundstücks oder der darauf befindlichen Anlagen haben 14 ; hier griffen — in teilweise abgewandelter Form — die Grundsätze der römischen cautio damni infecti ein 1 5 . Anläßlich eines Antrags nun, der entgegen diesen damals geltenden Rechtsregeln bestimmte, daß der Besitzer für Schäden aufzukommen habe, die durch seine Sachen anderen zugefügt wurden, sofern er den Schaden hätte verhüten können 16 , befaßte sich die 1. Kommission mit der Frage der Verantwortlichkeit für Schäden durch bewegliche Sachen und durch Grundstücke. Die Protokolle (Jakobs/Schubert) berichten 17 , daß die 1. Kommission sich gegen den genannten Antrag wandte, und zwar einmal wegen der in der generellen Verantwortlichkeit für Sachen liegenden Einschränkung des Eigentums, die als zu weitreichend empfunden wurde. Außerdem meinte die Kommission, daß bei Schäden durch bewegliche Sachen bereits ein Handeln vorausgegangen sei, das den Betreffenden schon nach allgemeinen Grundsätzen verpflichte 18 . Sie meinte, daß es sich nur bei Grundstücken, bei denen ein Handeln „nach der Natur der Dinge in vielen und überaus wichtigen Fällen" nicht angenommen werden könne, anders verhalte 19 .
13 14 15
Vgl. Motive Mugdan I I S. 455. Vgl. oben 12. Kap. § 6 C I I 2h bb Fn. 1 und Mot. ebd. S. 455 2. Absatz. Vgl. Mot. ebd. S. 455 1. Absatz; dazu oben § 2 Β Fn. 11.
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Jakobs/Schubert, Beratung, Schuldverhältnisse III, S. 985/986 (Antrag 1 von Johow). 17 Jakobs / Schubert ebd. S. 987 letzter Absatz = Mot. Mugdan I I S. 455 letzter Absatz. 18 Culpa ex lege Aquilia, später die den §§ 823 ff. BGB entsprechenden Entwürfe, s. Jakobs/Schubert ebd. 25 Herrmann
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
Es heißt dann weiter: Indessen auch hinsichtlich der Grundstücke habe das Gesetz nur wegen des Einsturzes der darauf befindlichen Gebäude und sonstigen Werke besondere Vorsorge zu treffen. Durch den Einsturz der auf Grundstücken befindlichen Gebäude und ähnlicher Werke könnten zahlreiche Dritte in erheblichstem Maße geschädigt werden. Der Gesetzgeber habe den dringendsten Anlaß, zur thunlichsten Verhütung solcher Schäden durch positive Bestimmungen einzugreifen, durch welche in der einen oder anderen Weise der Eigenthümer oder Besitzer für die an den Einsturz sich knüpfenden Schäden verantwortlich gemacht werde. Die sogenannten vitia loci und die Bäume könnten dabei außer Betracht bleiben. In dieser Hinsicht genügten die dem Sachenrechte angehörenden, bei dessen Berathung festzustellenden Vorschriften des Nachbarrechts . . . Die vitia loci in das vorliegende Gesetz mit hineinzuziehen, sei außerdem deshalb bedenklich, weil die Beseitigung derselben dem Eigenthümer oder Besitzer oft ohne die größten Unbilligkeiten nicht angesonnen werden könne. 20
Die Motive benennen dann die sachenrechtlichen Vorschriften, die für die Erfassung der vitia loci und Bäume in Betracht kamen; es waren dies die Entwürfe zu den §§ 923, 907 und 909 sowie eine nicht aufgenommene Bestimmung, die vorsah, daß die das Eigentum einschränkenden Landesgesetze unberührt bleiben 21 . Für Schadensersatzansprüche, um die es in diesen Beratungen ging, sollte also nur eine Verantwortlichkeit für Grundstücke bestehen, da bei beweglichen Sachen regelmäßig eine Handlung gegeben sei und damit schon das allgemeine Deliktsrecht eingreife. Von den durch Grundstücke hervorgerufenen Schäden wiederum sollte die Verantwortung beschränkt werden auf Gebäudemängel, nicht sollte sie auch für sonstige Mängel des Grundstücks (vitia loci und Bäume) begründet werden. Damit hob der BGB-Gesetzgeber sich teilweise etwa von der römisch-rechtlichen Auffassung und dem österreichischen Recht ab, wie er selbst darlegt 22 . Gründe werden nicht genannt, sie interessieren hier jedoch auch nicht. Für das vorliegende Thema ist festzuhalten, daß der Gesetzgeber die genannte Beschränkung auf Gebäudemängel für das Schadensersatzrecht ausgesprochen hat. Wegen anderer Grundstücksgefahren hält er sachenrechtliche Nachbarbestimmungen für ausreichend. Damit wird verwiesen auf die typischen Regelungen des Sachenrechts, die die Befugnisse der Grundstücksnachbarn festlegen, die also bestimmen, welche Verhaltensweisen erlaubt sind und welche Ansprüche bei Grenzüberschreitungen gegeben sind (s. §§ 903 ff., 1004). Da das Sachenrecht noch nicht geschaffen war, konnte die mit den §§ 836 ff. bschäftigte 1. Kommission Einzelregelungen nicht kennen. Die in den 19
Jakobs/Schubert ebd. S. 987 letzter Absatz = Mugdan ebd. Jakobs/Schubert ebd. S. 987/988 = Mot. Mugdan I I S. 455 letzter Absatz/456. 21 Mot. Mugdan I I S. 456 1. Absatz (§§ 855, 864-866 E I, abgedruckt bei Mugdan I I I S. X V I und X V I I I . 20
22 Die Mot. Mugdan I I S. 456 1. Absatz zitieren § 343 österr. ABGB, D. 39,2, 24, 2-5 (betreffend vitia loci) und D. eod. 24, 9 (Bäume).
§ 2 Grundlagen der Übertragbarkeit
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Motiven zitierten Vorläufer der §§ 923, 907 und 909 BGB sind nach Abschluß der Beratungen der 1. Kommission von den Verfassern der Motive eingefügt worden 23 ; diese haben, vielleicht ein wenig willkürlich, Vorschriften herausgegriffen, die gerade die vom Schadensersatz auszunehmenden Gefahren enthalten, also Bestimmungen über Bäume auf der Grenze (§ 923 BGB), über Anlagen (§ 907 BGB) und Bodenvertiefungen (§ 909 BGB). Doch steht auf Grund der Erwägungen des Gesetzgebers fest, daß Beeinträchtigungen der nicht in den §§ 836 ff. geregelten Art vom Sachenrecht erfaßt werden sollten; zu entsprechenden sachenrechtlichen Bestimmungen des Nachbarrechts gehört traditionell und vornehmlich die actio negatoria, so daß anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber auch an Abwehransprüche gedacht haben wird. Jedenfalls aber wird generell hinsichtlich der von den §§ 836 ff. ausgenommenen Grundstücksgefahren auf das Sachenrecht verwiesen, welcher Art die Regelungen dort im einzelnen auch sein mochten. Somit war für das Sachenrecht, anders als für das Deliktsrecht, an eine Beschränkung auf Gebäudegefahren nicht gedacht. Zwar begrenzt § 908 selbst die Verantwortlichkeit auf bestimmte Gefahren, eben weil diese Vorschrift sich inhaltlich an die §§ 836 ff. anlehnt. Damit ist aber nicht gesagt, daß Beschränkungen im Rahmen der allgemeinen actio negatoria (§ 1004) geboten wären. Zudem ist die nachbarrechtliche Regelung der §§ 903 ff., insbesondere die negatorische Bestimmung des § 907, ein greifbarer Niederschlag der beschriebenen Auffassung des Gesetzgebers der §§ 836ff., daß Gefahren anderer als der in § 908 erfaßten Art dem Sachenrecht unterliegen 24 . Wenn daher v. Bar die Auffassung vertritt, daß den §§ 836 ff. singuläre Bedeutung zukomme und daß sie nicht dazu berechtigten, allgemeine Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht zu entwickeln, also eine Verantwortung für Gefahren, die nach dem Willen des Gesetzgebers eben keine Schadensersatzpflicht auslösen sollten, so mag dieses für das Schadensersatzrecht richtig sein. Die sachenrechtliche Bestimmung des § 908, wenn sie auch auf den §§ 836 ff. beruht, läßt einen vergleichbaren Schluß für § 1004jedoch nicht zu. Damit steht auch einer Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004 nichts im Wege. 4. Ergebnis Damit ergibt sich, daß § 908 nicht etwa eine Ausnahmeregelung enthält; die Vorschrift schließt nicht die Abwehr von Gefahren und Beeinträchtigungen durch den Grundstückszustand aus, deren Ursache außerhalb der Gefahrenquellen des § 908 liegt. Die Auffassung Pickers, wonach § 908 einen Sondertat23
Zur Entstehung der Mot. oben 12. Kap. § 6 C I I 2 b. Vgl. auch O L G Braunschweig SeuffArch. 56 Nr. 200, S. 356, 358 = O L G Rspr. 4, S. 62, das den Anspruch auf Beseitigung einer durch eine Vertiefung drohenden Gefahr des Einsturzes eines Wegegrundes gegen den gegenwärtigen Besitzer des Grundstücks als gegeben ansah, da § 909, auf den es den Anspruch stützte, entstehungsgeschichtlich eine Ergänzung des § 908 darstelle; dazu oben 7. Kap. § 4 Β II. 24
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
bestand darstelle, aus dem heraus sich auch die Haftbarmachung des Besitzers erkläre und der Verallgemeinerungen der Haftungsgrundsätze des § 908 verbiete, kann nicht akzeptiert werden (oben 2). Der Gesetzgeber der §§ 836 ff. wollte die Haftung für Schäden durch Sachen auf Ursachen der in den Vorschriften aufgenommenen Art beschränkt wissen, jedoch nur im Bereiche der deliktischen Verantwortung; hinsichtlich von Gefahren durch Mängel des sonstigen Grundstücksbereichs verwies er gerade auf sachenrechtliche Nachbarbestimmungen (oben 3).
IV. Zusammenfassung zu /- III Nach diesen Untersuchungen ergibt sich folgendes Resümee: 1. Die Haftungsgrundsätze des § 908 weisen Übereinstimmungen mit allgemeinen Überlegungen zu den negatorischen Haftungsprinzipien des § 1004 auf (oben I). Die Vorschrift bestätigt den im Kapitel über die Grundlagen der Störerermittlung erarbeiteten Gedanken, daß in Fällen, in denen Störungsquelle das Zusammenwirken von Handlungen und Sachen ist, die dingliche Position — neben der Handlung — Haftungsaspekt ist (oben 10. Kap. I 2 b, 3). Darüber hinaus beantwortet § 908 für den Fall der Gebäudegefahren die bisher im einzelnen noch offen gebliebenen Fragen (oben I): Die Frage, welcher der genannten Haftungsgesichtspunkte maßgebend ist, entscheidet § 908 dahin, daß es lediglich auf die dingliche Position, nicht auf die Handlung der Errichtung des Bauwerks ankomme. Ferner erklärt die Vorschrift von den infrage kommenden dinglichen Zuständigkeiten den Besitz für haftungsbegründend. Die weitere Frage schließlich, ob der Besitz unmittelbar zu Ansprüchen führe oder erst als pflichtenauslösende Garantenstellung im Rahmen eines Unterlassens, beantwortet die Bestimmung im letzteren Sinne. Diese dogmatischen Einzelheiten des § 908 hatten sich als überzeugende Haftungskriterien herausgestellt (oben I). Indem die Vorschrift die Errichtungshandlung außer acht läßt, wird sie dem bei § 1004 ungelösten Problem gerecht, daß Bauwerke eine lange Lebensdauer haben und den Besitzer wechseln können. Die Anknüpfung an den kausalen Errichtungsakt würde dazu führen, daß der ehemalige Besitzer zwar grundsätzlich verantwortlich ist, aber zur Gefahrenbeseitigung außerstande ist, der Nachfolger dagegen grundsätzlich nicht haftet, wohl aber dem Anspruch aus § 908 nachkommen könnte. — Ferner beruht die Anbindung der Haftung an den Besitz statt an das Recht Eigentum auf einem einleuchtenden Gedanken; der Besitzer ist infolge seiner nahen Sachbeziehung ohne weiteres in der Lage, die Verantwortung für den Gebäudezustand zu tragen, während das Recht am Gebäude mit einem derartigen Kontakt nicht notwendig verknüpft ist. — Schließlich hatte sich gezeigt, daß der Entscheidung des § 908 auch darin zuzustimmen ist, daß die Haftung nicht unmittelbar aus der Besitzposition folgt, da der Besitz als solcher Ansprüche auslösende Pflichten nicht zu begründen vermag. Die dennoch an den Besitz gebundene Pflicht zur Unterhaltung des
§ 2 Grundlagen der Übertragbarkeit
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Gebäudes ist nur allgemeiner Art, sie führt erst über ein kausales Unterlassen zur Verantwortung nach § 908. Diese Verknüpfung von Besitz und allgemeiner Unterhaltungspflicht ist als eine wertende, dogmatisch nicht weiter erklärbare Entscheidung des Gesetzgebers zu akzeptieren (oben I 3). Somit finden die allgemeinen Überlegungen zu negatorischen Haftungsprinzipien (oben 10. Kap. I) zum einen eine Bestätigung in den Haftungskriterien des § 908; dieser Befund spricht dafür, daß die Haftungskomponenten der Vorschrift generelle Bedeutung haben und für § 1004 übernommen werden können. Zum anderen präzisiert § 908 den allgemeinen, unabhängig von der Bestimmung erkannten Haftungsgedanken; die Vorschrift hat daher die bisher noch anstehende Aufgabe gelöst, detaillierte Haftungsvoraussetzungen zu ermitteln. 2. Weiter besteht eine Übereinstimmung der Haftungsgrundsätze des § 908 mit dem vom Gesetzgeber des § 1004 vorgegebenen Rahmen der Störerkriterien (oben II). Die in § 908 enthaltenen Haftungskomponenten des Besitzes und des Unterlassens sind in den Motiven zu § 1004 enthalten, insofern der Gesetzgeber denjenigen für verantwortlich hielt, der die Störung „aufrechterhält" und der an der Anlage als Eigentümer, Besitzer oder Inhaber dinglich zuständig ist. Der sich in § 908 wiederfindende Gehalt der Störerbestimmung des Gesetzgebers des § 1004 zeigt daher, daß die gegenüber dieser Störerbeschreibung genaueren Haftungsentscheidungen des § 908 auch für § 1004 Geltung haben können. 3. Das wegen der Anschauung Pickers und wegen Erörterungen in den Gesetzgebungsarbeiten zu den §§ 836 ff. aufkommende Bedenken, daß § 908 eine Sondervorschrift sei, die Verallgemeinerungen der darin enthaltenen Haftungsgrundsätze verbiete, hat sich bei näherem Zusehen als grundlos erwiesen (oben III). Genauer gesagt bestand das Bedenken darin, daß § 908 eine Verantwortung für andere als in der Vorschrift geregelte Grundstücksgefahren ausschließen will; in diesem Fall bedürfte es der Haftungskriterien des § 908 nicht. Picker (oben I I I 2) Schloß einen solchen Ausnahmecharakter aus dem in § 908 geregelten Sachverhalt. Dieser stellt jedoch gerade typische und häufig vorkommende Gefahren dar; dies zeigt auch die alte Rechtstradition der in den §§ 908, 836 ff. enthaltenen Regelung. Das weitere Argument Pickers, daß der Gesetzgeber, handelte es sich nicht um Statuierung einer nur ausnahmsweise angeordneten Verantwortung des Besitzers, auch in den §§ 907 und 909 den Besitzer verpflichtet hätte, ist nicht schlüssig. § 909 bedarf der Bestimmung des Gegners nicht, weil er keinen Anspruch enthält. § 907 richtet sich nicht gegen Gefahrdungen des Eigentums selbst, sondern gegen das Herstellen und Halten von Anlagen; aus diesem Tatbestand ergibt sich auch der Anspruchsgegner, der nicht der Besitzer ist. Der Gesetzgeber der §§ 836 ff. hat sich zwar ausdrücklich gegen eine über die §§ 836ff. hinausgehende Verantwortung ausgesprochen, doch lediglich in deliktsrechtlicher Hinsicht. Wegen Grundstücksgefahren anderer Art hat er sogar auf nachbarrechtliche Bestimmungen des Sachenrechts verwiesen (oben I I I 3).
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
4. Damit besteht folgendes Gesamtergebnis: Die festgestellten Übereinstimmungen der Haftungskriterien des § 908 mit generellen, von dieser Vorschrift unabhängigen Überlegungen und mit einem in den Motiven zu § 1004 niedergelegten Haftungsrahmen legitimieren zu einer Verwendung dieser Grundsätze für die allgemeine actio negatoria. Diesem Verfahren steht nicht etwa ein „Sondercharakter" des § 908 entgegen. Darüber hinaus bietet § 908 gegenüber den allgemeinen Überlegungen präzisierte Haftungsvoraussetzungen, die im einzelnen eine einleuchtende Grundlage der Haftung darstellen. C. Ermittlung der nach den Haftungsgrundsätzen des § 908 zu behandelnden Fälle I. Einleitung Die in § 908 enthaltenen Haftungsgrundsätze sind nur dann für § 1004 verwendbar, wenn die danach zu behandelnden Fälle den unmittelbar in § 908 geregelten Fällen vergleichbar sind. Eine Parallelität in tatsächlicher Hinsicht erlaubt — und fordert — eine auch gleiche rechtliche Bewertung (oben 10. Kap. 13). Die Aufgabe besteht daher im folgenden darin, diejenigen Störungssachverhalte zu ermitteln, die den in § 908 erfaßten gleichen. Dies bedeutet, genauer gesagt, daß Fälle zu ermitteln sind, die der Störungsquelle des § 908, dem Einsturz des Bauwerks oder der Ablösung von Teilen des Bauwerks, gleichen. Da § 10041 einen Beseitigungsanspruch und einen vorbeugenden Anspruch auf Verhinderung der Beeinträchtigung verleiht, ist danach zu unterscheiden, ob diese vergleichbare Störungsquelle nur erst eine Gefahr für das fremde Eigentum darstellt (§ 1004 I 2) oder ob die Gefahr sich schon verwirklicht und zu einer Beeinträchtigung geführt hat (§ 1004 I 1). Zunächst bieten sich für eine Erfassung nach § 1004 Sachverhalte an, die dieselbe Störungsquelle wie § 908 aufweisen, nämlich den Einsturz von Bauwerken oder die Ablösung von Teilen des Bauwerks (unten II). Handelt es sich um den identischen in § 908 geregelten Fall, so liegt die bloße Gefahr vor, daß diese Ereignisse eintreten werden; dieser Fall ist nach § 100412 zu behandeln (unten I I 1). Die Lösung dieses Falles auf der Grundlage der allgemeinen actio negatoria hat zwar keine praktische Bedeutung, weil er bereits von § 908 erfaßt ist, doch kann die Behandlung nach § 1004 wegen der Anwendbarkeit der Haftungsgrundsätze des § 908 theoretisch-dogmatische Einsichten vermitteln. — Sodann ist denkbar, daß sich die in § 908 beschriebene Gefahr verwirklicht und durch den Einsturz oder die Ablösung von Teilen Beeinträchtigungen tatsächlich eintreten; hier ist ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 möglich (unten I I 2). Die Behandlung dieser selben in § 908 geregelten Störungsquelle nach § 1004 für den Fall der Beeinträchtigung ist auch von praktischer Bedeutung. Der zweite Fallbereich betrifft Störungsquellen, die nicht gerade der in § 908 beschriebenen Art sind, die aber mit diesen Fällen vergleichbar sind, weil sie
§ 2 Grundlagen der Übertragbarkeit
391
ebenfalls von der Beschaffenheit des Bauwerks oder des übrigen Grundstücksbereiches ausgehen (unten III). Wiederum ist möglich, daß die bloße Gefahr der Beeinträchtigung besteht, so daß ein Anspruch nach § 1004 I 2 in Betracht kommt. Hat die Gefahr zu tatsächlichen Beeinträchtigungen geführt, ist § 10041 1 heranzuziehen. Die Untersuchung wendet sich zunächst der unmittelbar in § 908 geregelten Störungsquelle zu. Für diese Fälle ist gewiß, daß sie sich auch im Rahmen des § 1004 nach den Haftungsgrundsätzen des § 908 richten müssen, weil es sich um den identischen Sachverhalt handelt. Der folgende Abschnitt hat lediglich die Aufgabe, die Anwendbarkeit des § 1004 näher dazulegen (unten II). Dagegen müssen die den § 908 nur ähnlichen Fälle erst ermittelt werden. Dieser Aufgabe nimmt sich der dann folgende Abschnitt an (unten III). II. Der unmittelbar in § 908 geregelte Fall 1. Der unmittelbar in § 908 geregelte Fall bei bloßer Gefahr (§ 1004 I 2) Schon ein früherer Vergleich der §§ 908 und 1004 hatte ergeben, daß sich § 908 und der Unterlassungsanspruch des § 1004 I 2 prinzipiell gleichen (oben 12. Kap. § 3 B, D). § 908 ist nach Tatbestand und Rechtsfolge lediglich die gegenüber § 1004 I 2 speziellere Vorschrift, so daß regelmäßig neben einem Anspruch aus § 908 auch ein Anspruch aus § 1004 I 2 gegeben ist. § 908 regelt einen Ausschnitt aus den nach § 1004 I 2 möglichen Gefahren, indem er zur Abwendung von Gefahren verpflichtet, die dem Nachbargrundstück gerade durch den Einsturz des Gebäudes oder die Ablösung von Gebäudeteilen drohen. In diesem Störungsbereich decken sich die Vorschriften nach Tatbestand und Rechtsfolge. Während aber nach § 1004 I 2 nur feststeht, daß eine Verantwortung für einen derartigen Tatbestand mit der in der Vorschrift genannten Konsequenz möglich ist, der Vorschrift aber nicht zu entnehmen ist, welche Kriterien die Haftung auslösen, enthält § 908 präzise Angaben über die Voraussetzungen der Verantwortlichkeit. Aus der Tatsache, daß sich § 10041 2 und § 908 in Tatbestand und Rechtsfolge decken, § 908 aber Aussagen über die Haftungskriterien macht, folgt, daß die Haftungsgrundsätze bei Vorliegen des betreffenden, in § 908 speziell geregelten Tatbestandes auch im Falle des § 10041 2 gelten. Diese Erkenntnis ist von entscheidender theoretisch-dogmatischer Bedeutung, da damit die Störergrundsätze des § 1004 I 2 für einen Teilbereich von Störungen feststehen. Sie wirkt sich lediglich in praktischer Hinsicht nicht aus, eben weil der betreffende Fall bereits von § 908 erfaßt ist. 2. Der unmittelbar in § 908 geregelte Fall bei eingetretener Beeinträchtigung (§ 1004 I 1) Der weitere, noch eng mit § 908 verknüpfte Sachverhalt ist der, daß sich die in der Vorschrift beschriebene Gefahr realisiert und zu einer Beeinträchtigung
392
13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
führt: Es ist denkbar, daß Beeinträchtigungen dadurch hervorgerufen werden, daß sich die von § 908 vorausgesetzte Gefahr verwirklicht, das Gebäude einstürzt oder sich Teile davon lösen und dadurch das benachbarte Grundeigentum beeinträchtigt wird. Wenn beispielsweise die Trümmer des heruntergefallenen Balkons oder einzelne Dachziegel, die sich gelöst haben, auf dem Nachbargrundstück liegen, stellt dieser Tatbestand eine Eigentumsbeeinträchtigung dar. Ob in den im bepflasterten Weg etwa entstandenen Löchern eine Beeinträchtigung oder ein Schaden (§§ 836 ff.) zu sehen ist, ist eine Abgrenzungsfrage, die im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle spielt (dazu oben 10. Kap. I 2 a). Feststeht, daß prinzipiell durch Realisierung der durch § 908 beschriebenen Gefahr eine Beeinträchtigung im Sinne des § 10041 1 entstehen kann. Der Unterschied zwischen § 908 und § 1004 besteht lediglich darin, daß nach § 908 die Beeinträchtigung bevorsteht (Gefahr) und daß sie im Falle des § 1004 I 1 tatsächlich eingetreten ist. Die Ursache der Störungstatbestände (Gefahr — Beeinträchtigung) ist aber dieselbe, da sie eben im Einsturz des Gebäudes und in der Ablösung von Teilen des Gebäudes liegt. Frühere Darlegungen hatten ergeben, daß der genannte Unterschied prinzipiell nicht zu differenzierten Haftungsgrundsätzen führt (oben 10. Kap. I 4). Möglich ist allerdings, daß die Haftungsgrundsätze des § 908 für den Beseitigungsanspruch des § 10041 1 zu modifizieren sind: Während § 908 nur eine Beeinträchtigungsgefahr voraussetzt, fordert § 100411 eine bereits eingetretene Beeinträchtigung. Dieser von § 908 verschiedene Tatbestand des § 1004 1 1 kann unterschiedliche Beurteilungen von Inhalt und Rechtsqualität der Sicherungspflicht, aber auch von Fragen der Haftungsbegrenzung im Bereiche der Kausalität zur Folge haben. Diese sich bei Anwendung des Haftungsprinzips des § 908 auf § 1004 ergebenden Einzelfragen sind Gegenstand eines besonderen Abschnittes (unten
§3).
III. Fälle, die den in § 908 geregelten Fällen vergleichbar
sind
1. Einleitung Es verbleibt die Aufgabe, diejenigen Fälle zu ermitteln, die der in § 908 geregelten Störungsquelle, dem Einsturz des Bauwerks oder der Ablösung von Teilen des Bauwerks, vergleichbar sind (unten 3 a). U m diese Aufgabe lösen zu können, ist zunächst das die Fälle des § 908 kennzeichnende Merkmal herauszuarbeiten (unten 2). Anschließend ist das vorhandene Fallmaterial auf konkrete Fälle hin zu sichten, die dieses Merkmal aufweisen, um auf diese Weise eine praktische Anschauung von den nach den Grundsätzen des § 908 zu behandelnden Fällen zu erlangen (unten 3 b).
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2. Das den Fall des § 908 kennzeichnende Merkmal Das Merkmal des von §9.08 geregelten Falles besteht darin, daß die beeinträchtigende Wirkung von der Anlage selbst ausgeht, ohne daß am Gefahrentatbestand, der Gefahr des Einsturzes des Bauwerks oder der Ablösung von Teilen des Bauwerks, Handlungen beteiligt sind. Demnach ist Störungsquelle die Beschaffenheit der Anlage oder — mit einem gängigen Ausdruck (oben 4. Kap.) — deren „Zustand". Wie es zu diesem Zustand gekommen ist, ist unerheblich. Er kann auf Handlungen beruhen, etwa der fehlerhaften Errichtung des Bauwerks, seiner Benutzung oder Eingriffen in die Bausubstanz (Beschädigungen); er kann ferner auf Naturkräfte zurückführbar sein, z.B. auf Witterungseinflüsse wie Wind, Regen, Sonne oder auf sonstige Natureinflüsse wie niedergehende Lawinen oder einen Erdrutsch. Möglich ist auch das bloße Wirken physikalischer Kräfte beim natürlichen Verfall des Gebäudes, bei dem beispielsweise die Schwerkraft dazu führt, daß sich im Laufe der Zeit Teile lösen. Da Störungsquelle des § 908 ein Bauwerk ist, ist weiter feststellbar, daß Störungsursache der Zustand einer Sache sein muß, die mit einem Grundstück verbunden ist; Ort der Störungsursache muß also ein Grundstück sein. Allgemeiner läßt sich daher auch sagen, daß Störungsquelle des § 908 der Zustand des Grundstücks ist. § 908 knüpft die Verantwortung jedoch nicht an den Zustand des Grundstücks in seiner Gesamtheit, sondern beschränkt die vom Grundstück ausgehenden Störungsquellen in zweierlei Hinsicht: Der Zustand muß dem Bauwerk anhaften und nicht den sonstigen Bereichen des Grundstücks. Zweitens muß er gerade die Gefahr des Einsturzes des Bauwerks oder der Ablösung von Teilen bewirken, nicht kann die Gefahr in anderen mangelhaften Zuständen ihre Ursache haben. Die Beschränkung der Störungsquelle bezieht sich also auf das Grundstiickssubstrat (Bauwerk) und auf die Art des gefährdenden Zustandes (Einsturz, Ablösung von Teilen).
3. Dieses Merkmal aufweisende Fälle außerhalb des § 908 a) Allgemeine Kennzeichnung der Fälle
Das genannte Merkmal des nach § 908 verbotenen Tatbestandes, die im Zustand der Sache (Bauwerk) selbst liegende Beeinträchtigungswirkung unabhängig von deren Ursache, weisen auch Fälle auf, die nicht von § 908 erfaßt sind. Gefahren und Beeinträchtigungen von Gebäuden und anderen Werken (Anlagen) können einmal auf andere Art als gerade durch den Einsturz des Bauwerks oder die Ablösung von Teilen entstehen. Ferner sind Gefahrenzustände eines Grundstücks außerhalb von Bauwerken denkbar, also Störungen, die von einem anderen Grundstücksöi/e&i (Substrat) ausgehen.
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
Zu den Störungen durch Anlagen, die nicht gerade in der Gefahr des Einsturzes des Gebäudes oder der Ablösung von Teilen des Gebäudes bestehen, zählen einmal Störungen durch sonstige Mängel der Anlage (Beispiele unten b aa), ferner Eigenschaften der Anlage, die keinen Mangel darstellen, sondern die sich auf andere Weise negativ auf fremde Grundstücke auswirken; zu dieser letzteren Störungsursache rechnen durch selbstwirkende Anlagen hervorgerufene Immissionen sowie in den fremden Bereich ragende Anlagen (Beispiel: Überbau). — Zu den genannten Störungen durch den Grundstückszustand außerhalb von Anlagen gehört die Bodenbeschaffenheit des Grundstücks sowie seine Vegetation; darauf, ob Bodengestaltung und Pflanzen natürlichen oder künstlichen Ursprungs sind, kommt es nicht an. Wie dargelegt, hat auch der Besitzer des § 908 für bloßes Naturwirken einzustehen, wenn er das Gebäude nicht errichtet hat und der Gebäudemangel auf Witterungseinflüsse zurückzuführen ist (oben 12. Kap. § 6 C V 3 b cc; V I 3f aa). Schließlich ist das Merkmal der Fälle des § 908, die Störung durch die Beschaffenheit der Sache selbst, für einen dritten Fall zu bejahen, nämlich für die auf dem Grundstück lagernden Sachen und Stoffe, von denen Störungen auf benachbarte Gebiete ausgehen, etwa indem sie das Grundwasser verseuchen. Nun weisen lediglich auf dem Grundstück ruhende Stoffe keine feste Verbindung mit dem Grund und Boden auf; insofern ist dieser Fall mit dem von § 908 vorausgesetzten Sachverhalt nicht vergleichbar. Gebäude und andere Werke sind mit dem Grundstück verbunden (zum Begriff der Anlage oben 12. Kap. § 5 B IV); die Gefahr im Sinne des § 908 kann zwar auch von sich zu lösen drohenden Teilen des Gebäudes ausgehen, die nicht wesentlicher Bestandteil des Gebäudes sind (§ 94 I I BGB), doch muß eine, wenn auch nur lose, Verbindung bestehen (Beispiel: Blumenkästen)1. Dennoch lassen sich auf dem Grundstück lagernde Stoffe zu dem Zustand oder der Beschaffenheit des Grundstücks rechnen, einmal weil Störungsursache die auf dem Grundstück befindliche Sache an sich ist, ebenso wie in dem Fall, daß Störungsquelle ein Gebäude ist; insoweit ist eine Ähnlichkeit dieses Falles mit dem in § 908 geregelten Sachverhalt gegeben. Überdies ist der Grund und Boden der Ort, von dem die Störung ausgeht; auch insoweit liegt eine Vergleichbarkeit vor. Es kann nun für die rechtliche Behandlung keinen Unterschied machen, ob die auf dem Grundstück ruhenden Sachen eine Verbindung mit dem Boden aufweisen oder nicht. b) Einzelfalle aa) Einleitung
I m folgenden werden für die soeben (a) in allgemeiner Form gekennzeichneten Sachverhalte einzelne praktische Beispiele angeführt. Es handelt sich also um Fälle, die das Merkmal der Fälle des § 908 aufweisen, bei denen die 1
Vgl. MK-Mertens § 836 Rdnr. 10-13.
§ 2 Grundlagen der Übertragbarkeit
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Störungsquelle aber außerhalb der von § 908 vorausgesetzten Art ist: Soweit die Störungsquelle ein Gebäude oder eine sonstige Anlage ist, besteht die Störung bei diesen Fällen nicht im Einsturz oder der Ablösung von Teilen (unten bb). Ferner handelt es sich um Fälle, bei denen Störungsquelle keine Anlage ist, sondern der übrige Grundstücksbereich (unten cc). Die Zusammenstellung dieser Fälle soll eine praktische Anschauung von den Fällen vermitteln, die den in § 908 geregelten Sachverhalten vergleichbar sind. Die Judikatur bietet hierfür eine Vielzahl von Beispielen. Bei der Darstellung wird nicht danach unterschieden, ob die betreffende Störungsquelle lediglich zu einer Gefahr für das benachbarte Grundeigentum führt oder ob schon eine Beeinträchtigung vorliegt, da es für die grundsätzliche Anwendbarkeit der Haftungsgrundsätze auf diese Differenzierung nicht ankommt (oben 10. Kap. I 4; ferner oben I I 2). bb) Von einem Gebäude oder einer sonstigen Anlage ausgehende Beeinträchtigungen anderer als in § 908 geregelter Art
Zunächst sollen Fälle herangezogen werden, bei denen die Störung, wie in § 908 vorgesehen, zwar von einem Gebäude oder anderen Werk (Anlage) ausgeht, diese sich jedoch der Art nach von der Störung des § 908 unterscheidet; es geht also um Fälle, bei denen die beeinträchtigende Wirkung nicht gerade in der Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen liegt. Hier lassen sich beispielhaft nennen Störungen durch den ungeregelten Abfluß der Dachtraufe, z.B. das durch Verstopfung des Abflusses bewirkte Überlaufen der Dachrinnen, so daß das Regenwasser auf das Nachbargrundstück gelangt 2 . Der bekannte Froschteichfall stellt ebenfalls eine Störung dar, die von einer Anlage ausgeht3. Ferner gehören zu den vorliegenden Sachverhalten die seit alters her das Nachbarrecht beschäftigenden Fälle der Ausbauchung einer Mauer, die keine regelrechten Gefahren mit sich bringt, sondern die durch Hineinragen in den fremden Nachbarraum störend wirkt 4 . Ähnlich liegen die Fälle, in denen der Nachbar an eine Giebelmauer des Klägers anbaut, so daß Wasser aus dem Anbau in die Giebelwand dringen kann 5 , oder aber in denen eine gemeinsame Giebelmauer für einen Neubau verwendet und damit überlastet wird, so daß Setzungserscheinungen und Risse im Putz entstehen6. Bauten können Wege- und Durchfahrtsrechte beeinträchtigen, so wenn die Durchfahrt 2 Vgl. § 113 des Vorentwurfs zu nachbarrechtlichen Vorschriften, der eine Sonderregelung über die Dachtraufe enthielt, oben 12. Kap. § 5 Β I I I 3; ferner Bestimmungen des preuß. A L R über Dachtraufen und Dachrinnen I 8 §§ 123, 80. 3 RG JW 1910 Nr. 13, S. 654; s. auch oben 2. Kap. § 3 Fn. 3. 4 D. 8, 5,14,1; D. eod. 1,17; RGZ 88, 39; zu Störungen durch Mauern s. auch BGHZ 28, 110 (Hohlraum zwischen Mauern); 29, 372 (Erhöhung einer Grenzmauer); 68, 350 (gemeinsame Benutzung einer Giebelmauer). 5 6
RGZ 11, 341 (Urt. v. 13. 12. 1883; Rheinisches Recht). BGHZ 42, 374 (Klage auf Schadensersatz).
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
zu niedrig 7 oder zu eng 8 ist (§§ 1027,1004). Verwandt sind diesen Störungsarten durch Baulichkeiten die zahlreichen Fälle des Überbaus über eine Grenze 9 sowie andere Inanspruchnahmen des fremden Grundstücksbereiches, etwa durch einen Lichtreklamekasten (§ 905 BGB) 1 0 , einen Warenautomaten 11 oder durch ein Schutzdach über der Straße 12 . — Weiter rechnen zu den dem § 908 verwandten Störungsarten Beeinträchtigungen, die von Erdkegeln oder Gesteinshalden ausgehen, die anläßlich von Bauarbeiten sowie Bergwerks- oder Tagebauarbeiten aufgeschüttet werden und die infolge eigenen Druckes 13 oder infolge von Regengüssen14 abrutschen, so daß Erd- oder Gesteinsmassen auf benachbartes Gebiet gelangen. So wurden beim Bau des Kaiser-WilhelmKanals in Schleswig-Holstein um die Jahrhundertwende Sandkippen aufgehäuft, von denen Sandmengen auf die Grundstücke der Kläger getragen wurden 15 . — Sich selbst entzündende Abraumhalden von Fabriken haben dazu geführt, daß das Feuer auf Nachbargrundstücke übergriff 16 . Auch Erdaufschüttungen an die Nachbarmauer haben durch Eindringen von Feuchtigkeit Beeinträchtigungen verursacht 17 . — Weitere Störungen durch den Zustand einer Anlage sind gegeben, wenn Lehm- und Tongruben zum Absacken des Nachbargrundstückes führen 18 , zu hoch liegende Bahndämme zur Folge haben, daß das Hochwasser des Flusses (Rhein) sich auf das Gelände des Eigentümers ergießt 19 , oder wenn vermehrter Wasserzufluß durch die Existenz einer Auto7
BGHZ 39, 5 (Klage gem. §§ 1027, 1004). BGHZ 42, 63 (wahrscheinlich Beseitigungsklage gem. §§ 1027,1004); s. ferner RGZ 63, 98, wo der Bau die Wahrnehmung der Dienstbarkeit hinderte (§§ 1027, 1004 BGB); Einzelheiten der Störung sind nicht mitgeteilt, da es um prozessuale Fragen ging. Zur Beeinträchtigung eines Wegerechts durch Vernachlässigung der Wegeunterhaltungspflicht s. RGZ 131,158 (Klage des Eigentümers eines Rittergutes gegen den preuß. Domänenfiskus auf Einhaltung der Unterhaltungspflicht; Anwendung des preuß. A L R und der §§ 1108 I, 1021 I I BGB). 8
9
RGZ 46,143 (Urt. v. 16.6.1900); preuß. A L R 19 §§ 340 ff.; § 912 BGB); 52,15; 92,46 (Überdeckung eines Mühlengrabens); BGHZ 27, 204; 62, 388; §912 BGB regelt die Rechtmäßigkeit des Überbaus. 10
§7).
RGZ 123,181 (Berlin, Leipziger Straße; § 905 BGB; preuß. A L R I 8 §§ 78 ff., I I 15
11
BGHZ 60, 365 (Baden-Baden). RGZ 132, 398 (Berlin; §§ 1004, 905 BGB; preuß. A L R I 8 § 80). 13 OLG Dresden JW 1921 Nr. 8, S. 252 mit Anm. von Silberschmidt ebd. (Abraum eines Bergwerks). 12
14 RG GruchBeitr. 54 Nr. 9, S. 156 (Abraumhalden eines Kalksandsteinbruches am Jakobsberg in Westfalen); SeuffArch. 60 Nr. 55, S. 103 (vier hohe Erdkegel eines Eisenbahnbaues des preuß. Eisenbahnfiskus). 15 RGZ 60, 138 (Klage auf Schadensersatz nach § 836 BGB). 16 RGZ 127,29 = RG JW 1930 Nr. 18, S. 1208; Fortsetzung des Prozesses in RGZ 138, 327. 17 RGZ 15, 205 (Urt. v. 28. 6. 1884; gemeines Recht). 18 RGZ 103, 174 (Beeinträchtigung eines Nießbrauchs, § 1065 BGB).
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bahnanlage stattfindet 20 . Vom bloßen Zustand einer Sache gehen elektrische Ströme aus, so wenn elektrische Bahnlinien durch die von ihr ausgehende Elektrizität die Herstellung magnetischer Instrumente stört 2 1 oder Gasröhren durch sog. vagabundierende elektrische Ströme einer Kleinbahn beschädigt werden 22 . Schließlich sind Störungen durch den Zustand des Grundstücks in allen Fällen möglich, in denen die Beeinträchtigung durch selbstwirkende Anlagen hervorgerufen wird, so bei Geräuschen und Gerüchen der Pumpstation einer Kanalisationsanlage23 oder wenn eine Drainage zu Überschwemmungen der angrenzenden Ländereien führt 2 4 . cc) Vom Grundstückszustand außerhalb von Gebäuden und sonstigen Anlagen ausgehende Beeinträchtigungen
Diejenigen Gefahren und Störungen, die von einem Grundstück ausgehen, jedoch nicht gerade, wie in § 908 vorgesehen, von den darauf befindlichen Anlagen, sind zu einem großen Teil bedingt durch Naturvorgänge, wobei entweder ein reines Naturwirken Ursache der Störung ist oder aber Handlungen mitwirken. Es handelt sich also um Fälle, die unter dem Stichwort des „Naturwirkens" oder der „höheren Gewalt" zu bisher ungelösten Fragen der negatorischen Verantwortung geführt haben 25 . Zu der ersten Kategorie des reinen Naturwirkens zählen etwa die bekannten beiden vom RG in den dreißiger Jahren entschiedenen Fälle, in denen sich Felsgestein löste und auf die darunter liegenden Bahngleise fiel 26. Es rechnen hierher ferner die dem ländlichen Bereich angehörenden Beeinträchtigungen etwa durch natürlich entstandene und nicht gepflanzte Bäume, wie etwa in einem dem BGH vorgelegenen Fall, in dem der Kläger Beseitigung einer siebzig bis achtzig Jahr alten Birke verlangte, die durch Blätter- und Kätzchenfall, Schattenwurf und herüberragende Äste störte 27 . Der Fall des umgefallenen 19
RGZ 30,114 (Urt. v. 11.10.1892; gemeines Recht, Klage auf Leistung einer cautio damni infecti). 20 BGHZ 29, 314. 21 RGZ 133, 342 (Vorortbahn Berlin-Potsdam, Klage auf Schadensersatz). 22 RGZ 81, 216. 23 RGZ 70, 311 (Villengebiet des Grunewaldes; Unterlassungsklage nach § 1004 I 2). 24 RGZ 40, 333 (Drainagewasser aus Oder-Spree-Kanal); 92, 22. 25 Oben 7. Kap. § 3. 26 RGZ 134, 231 (Urt. v. 4. 11.1931); 149, 205 (Urt. v. 13.11.1935); im letzteren sog. Aussichtstempelfall war ungeklärt, ob der Druck des Gebäudes auf den Felsenuntergrund bei den Gesteinslockerungen mitwirkte. 27 BGHZ 60, 235/236 (die Birke störte ferner, weil sie einen Rastplatz für Tauben bot; diese Art Störung ist nicht Teil des Grundstückszustandes); s. ferner L G Wiesbaden NJW 1979, 2617 (Blütenteile und Samen) mit Bespr. von Spieß JuS 1980, 100; L G Stuttgart NJW 1980,2087 (Laub, Blütenteile und Samen); O L G Karlsruhe NJW 1983,2886 (Laub, Nadeln, Blütenstaub und Zapfen durch mehrere Birken und eine Kiefer).
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
morschen Baumes, der vom RG 1902 behandelt wurde, gehört zu den Anfangen der Verkehrssicherungspflicht, denn das RG hatte, von § 836 ausgehend, einen Schadensersatzanspruch gem. § 823 I bejaht 28 ; da ein morscher Baum eine Gefahr für das Nachbargrundstück darstellt, ist auch ein negatorischer Anspruch denkbar. Auf das Nachbargrundstück hinüberwehender Unkrautsamen und hinüberwachsende Pflanzenteile sind ebenfalls Beeinträchtigungen durch den Grundstückszustand 29 . Ebenso das störende überlaute Froschquaken im schon genannten Froschteichfall 30 , wenn man sich den Teich als einen natürlichen denkt, so daß er keine Anlage darstellt 31 . Aber auch in allen Fällen, in denen die künstliche Grundstücksgestaltung das Naturwirken bedingt, also bei Bodenveränderungen, die keine Anlage darstellen, wie bei der Aufschüttung des Deichvorlandes, das zur Veränderung des Grundwasserspiegels und zum Eindringen von Feuchtigkeit ins Haus führt 3 2 , rühren die Störungen vom Zustand des Grundstücks her. Überhaupt alle von künstlich geschaffenen oder natürlichen Bodenverhältnissen ausgehende Beeinträchtigungen, die z.B. zum Wasserabfluß auf benachbartes Gebiet führen, stellen derartige Zustandsfalle dar. Schließlich rühren Feuchtigkeitseinwirkungen durch ein Trümmerhaus vom Grundstückszustand her 3 3 . — Beispiele endlich für Stoffe, die sich auf dem Grundstück befinden und die die Grundstücksbeschaffenheit mitbestimmen (oben a), stellen etwa die Lagerung eines Pulvers dar, das zur Fabrikation sog. englischer Sicherheitszünder verwendet wird und Explosionsgefahren birgt 3 4 , ferner die Lagerung von Petroleum eines Petroleumhandels, die zu Gerüchen in den benachbarten Gastwirtsräumen und zu Feuersgefahr führt 3 5 , oder aber auf einem Industriegelände lagernde Raseneisenerze, deren Sulfatgehalt das Grundwasser verunreinigt 36 .
28
RGZ 52, 373; dazu v. Bar S. 3; ders. JZ 1979^ 332. L G Stuttgart M D R 1965, 990. 30 Oben Fn. 3. 31 Zum Begriff der Anlage oben 12. Kap. § 5 Β I V (zu § 907 BGB), ebd. § 6 Β I I (zu § 908 BGB). 32 RGZ 155, 154. 33 L G Hagen NJW 1953, 266 (durch Bomben des 2. Weltkrieges entstandene Trümmer); Trümmer sind keine Anlagen, oben 12. Kap. § 5 Β IV. 34 RGZ 41, 29 (Urt. v. 14. 2. 1898; § 321 sächs. BGB). 35 RGZ 59, 326 (der Kläger betrieb eine Gastwirtschaft, es ging aber um Schadensersatz); ähnlich BGHZ 51, 396: Lagerung von Baumaterial, Geräten und Baubuden eines Baugeschäfts, wodurch Beeinträchtigungen ästhetischer Art hervorgerufen wurden (umstr., ob diese Beeinträchtigung iSd § 1004 sind, dazu oben 10. Kap. Fn. 2). Anders dagegen RGZ 37,172, insofern dort die Gerüche verursachenden Fäkalien auf den dem Kläger gehörenden Grundstücke gelagert wurden. 29
36
BGH NJW 1966, 1360 (Klage auf Kostenersatz gem. §§ 670, 683 S. 1 BGB).
§ 2 Grundlagen der Übertragbarkeit
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4. Zusammenfassung zu 1-3 Die beschriebenen praktischen Fälle (oben 3 bb, cc) weisen die den Fall des § 908 kennzeichnenden Merkmale (oben 2) auf: Es handelt sich um Gefahren und Beeinträchtigungen, die vom Zustand des Grundstücks insgesamt ausgehen, und zwar entweder von den darauf befindlichen Anlagen oder vom übrigen Grundstücksbereich. Der Unterschied liegt lediglich darin, daß die Art der Störungsquelle nicht gerade in dem Einsturz des Bauwerks oder der Ablösung von Teilen des Bauwerks liegt, sondern in anderen Störungsursachen. Ferner sind die Störungsquellen nicht, wie im Falle des § 908, auf Anlagen beschränkt, sondern sie nehmen ihren Ausgang vom Grundstück im übrigen. Gemeinsam aber ist den außerhalb des § 908 liegenden Fällen mit dem Fall des § 908, daß Störungsquelle eine sich für das Nachbargrundstück negativ auswirkende Beschaffenheit des Grundstücks ist. Damit gleichen die aufgeführten Fälle dem Sachverhalt des § 908. Die für eine Übernahme der Haftungsgrundsätze dieser Vorschrift notwendige Vergleichbarkeit der Fälle (oben § 1 A; § 2 A II, C I) ist däher in den geschilderten Sachverhalten gegeben. IV. Zusammenfassung zu
I-III
Damit sind die Fälle ermittelt, die für eine Behandlung nach den Grundsätzen des § 908 in Betracht kommen. Es ist dies einmal der unmittelbar in § 908 geregelte Fall (oben II). Ist der Tatbestand identisch und besteht nur die Gefahr, daß das Bauwerk einstürzt oder sich Teile lösen, sind die Grundsätze des § 908 unverändert anzuwenden (oben I I 1). Zwar ist die Heranziehung des § 10041 2 für diesen Fall ohne praktische Bedeutung; doch während § 1004 offen läßt, nach welchen Kriterien der Störer zu bestimmen ist, gibt § 908 präzise Voraussetzungen an die Hand. Damit ist an einem einleuchtenden Beispiel demonstriert, daß die Haftungsgrundsätze des § 908 für § 1004 verwendbar sind. Eine Anwendung der allgemeinen actio negatoria auf den unmittelbar in § 908 geregelten Sachverhalt erlangt jedoch auch praktische Bedeutung, wenn die in § 908 beschriebene Gefahr zu einer Beeinträchtigung führt (oben I I 2). In diesem Falle ist die Gültigkeit der Haftungsgrundsätze des § 908 ebenso gewiß, nur bedürfen Einzelheiten der Transponierung dieser Grundsätze einer näheren Befassung (unten § 3), denn da § 908 vor Gefahren schützen will, § 100411 aber die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangt, erfahren die Haftungsprinzipien des § 908 unter Umständen Modifizierungen (Inhalt der Sicherungspflicht, Haftungsbegrenzungsprobleme, oben I I 2). Zweitens kommen Fälle in Betracht, die dem von § 908 erfaßten Sachverhalt ähnlich sind. Das dem § 908 deduzierte kennzeichnende Merkmal ergibt (oben I I I 2), daß dies solche Fälle sind, in denen Störungsquelle ein Grundstückszustand ist. Ursache der Störung kann demnach einmal der Zustand eines Gebäudes oder anderen Werkes (Anlage) sein, wobei die Störungsursache in anderen Vorgängen als dem Einsturz oder der Ablösung von Teilen besteht (Art
400
13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
der Beeinträchtigung). Ursache der Störung kann ferner der Grundstückszustand außerhalb von Anlagen sein (Objekt der Störung; oben I I I 3 a). Das oben zusammengestellte praktische Fallmaterial bietet Beispiele für beide Störungsquellen ( I I I 3 b).
D. Zusammenfassung zu Α-C: Ergebnis für die Übertragbarkeit der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004 /. Die vorstehenden Untersuchungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß die Haftungsgrundsätze des § 908 für § 1004 zu übernehmen sind. Dies ergibt sich daraus, daß diesen Grundsätzen allgemeingültige Bedeutung zukommt (oben B). Zum anderen folgt die genannte Legitimation aus der Tatsache, daß außerhalb des § 908 Fälle denkbar sind, die dieselben Merkmale wie der dort geregelte Fall aufweisen, daß aber andererseits der Grundsatz gilt, daß gleiche Sachverhalte auch rechtlich gleich bewertet werden müssen. Damit sind für einen Bereich von Störungen die tragenden Haftungskriterien des § 1004 gefunden. II. I. Es hat sich gezeigt, daß die Haftungskriterien des § 908 mit den Haftungsprinzipien übereinstimmen, die auf Grund allgemeiner Überlegungen ermittelt wurden (oben Β I; 10. Kap. I 3). § 908 bestätigt damit die Richtigkeit dieser Prinzipien. Zugleich präzisiert die Vorschrift jene Haftungsgrundsätze, indem sie den Gedanken, daß bei Störungen, die durch das Zusammenwirken von Handlungen (Errichtung des Baues) und Sachen (Gebäude, andere Werke) entstehen, entweder die Handlung oder die dingliche Position maßgebend ist, im einzelnen näher bestimmt. Sie legt fest, daß die Handlung der Errichtung des Bauwerkes als Anknüpfungspunkt der Haftung ausscheidet und die dingliche Position ausschlaggebend ist. Von den infrage kommenden dinglichen Zuständigkeiten bestimmt sie den Besitz als das maßgebende Kriterium und ordnet ihn als eine eine Unterhaltungspflicht begründende „Garantenstellung" ein; damit ist die kausale Verletzung dieser Pflicht haftungsauslösend. 2. Die allgemeine, für § 1004 gültige Bedeutung des § 908 ergibt sich ferner daraus, daß sich die Haftungskriterien dieser Bestimmung in den Rahmen fügen, den der Gesetzgeber für die Haftung nach § 1004 abgesteckt hat (oben Β II). 3. Und schließlich stellt § 908 keine Ausnahmevorschrift dar, die die Allgemeingültigkeit seiner Haftungsgrundsätze ausschlösse. Die von Picker vertretene Ansicht erwies sich als nicht haltbar (oben Β I I I 2). Der Gesetzgeber der §§ 836 ff. hat zwar die Verantwortung für Verletzungen, die durch Sachen hervorgerufen werden, bewußt auf den Fall beschränkt, daß Ursache der Einsturz eines Bauwerks oder die Ablösung von Teilen davon ist. Nicht aber sollte die Verantwortlichkeit im sachenrechtlichen Bereich begrenzt werden (oben Β I I I 3). Nicht nur hat der Gesetzgeber der §§ 836 ff. wegen anderer
§ 2 Grundlagen der Übertragbarkeit
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Grundstücksgefahren (vitia loci, Bäume) ausdrücklich auf das sachenrechtliche Nachbarrecht verwiesen, die tatsächlich dann geschaffenen Regelungen wie die spezielle actio negatoria des § 907 über gefahrdrohende Anlagen oder wie die Festlegung der Rechtmäßigkeit von Grundstückseinwirkungen durch Vertiefungen (§ 909 BGB), die Bestimmung über den Überbau (§ 912 BGB) oder über Immissionen, die von Grundstücken ausgehen (§ 906 BGB), belegen, daß der Gesetzgeber vor Grundstücksstörungen anderer als in den §§ 908, 836 ff. geregelter Art schützen wollte. Daß die allgemeine actio negatoria des § 1004 schließlich Abwehransprüche gegen Beeinträchtigungen des Eigentums jeglicher Art verleihen sollte, besagt die Vorschrift selbst, die jede Störung erfassen will, die „in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes" stattfindet. III. Da die Haftungskriterien des § 908 nur auf Fälle anwendbar sind, die dem in der Vorschrift geregelten Sachverhalt gleichen, mußten entsprechende Fälle ermittelt werden (oben C). Der unmittelbar in § 908 geregelte Fall richtet sich, will man ihn nach § 1004 behandeln, unzweifelhaft nach den Grundsätzen des § 908 (oben C II). Allerdings können sich dann, wenn sich die Gefahr des Einsturzes des Bauwerks oder der Ablösung von Teilen verwirklicht und Beeinträchtigungen eintreten (§ 1004 I 1; oben C I I 2), Modifizierungen dieser Grundsätze ergeben. Da § 908 auf Verhinderung der Gefahr gerichtet ist, § 1004 I 1 aber auf Beseitigung der Beeinträchtigung, wandelt sich der Inhalt der Sicherungspflicht; auch Fragen der Haftungsbegrenzung im Bereiche der Kausalität können wegen des gegenüber § 908 anderen Beeinträchtigungstatbestandes (Beeinträchtigung statt Gefahr) zu einer von § 908 verschiedenen Beurteilung führen (oben 12. Kap. § 6 C V 5). Dies sind Einzelheiten, die im Rahmen der Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 zu klären sind (unten § 3). Ferner waren Fälle zu ermitteln, die dem in § 908 geregelten Sachverhalt vergleichbar sind (oben C III). Auch diese Fälle müssen sich nach den Prinzipien des § 908 richten entsprechend dem allgemeinen Grundsatz, daß gleiche Sachverhalte einer gleichen rechtlichen Beurteilung unterliegen (oben 10. Kap. I 3). Für die genannte Aufgabe mußte das den Fall des § 908 kennzeichnende Merkmal erarbeitet werden (oben C I I I 2). Da die Vorschrift vor Gefahren schützen will, die durch den Einsturz eines Bauwerks oder die Ablösung von Teilen des Bauwerks entstehen, ist der Sachverhalt des § 908 dadurch gekennzeichnet, daß Störungsursache die Anlage selbst ist, ohne daß am Störungsvorgang Handlungen beteiligt sind. Damit ist Kennzeichen der von § 908 geregelten Fälle die störende Beschaffenheit oder der störende Zustand der Anlage. Dieser Störungsquelle gleichzuerachten sind Störungen durch den übrigen Grundstücksbereich, also Störungen, die der Art (Einsturz, Teileablösung) und dem Substrat (Anlage) nach nicht von §908 erfaßt sind (oben C I I I 3 a). Dazu gehören folgende Sachverhalte: Fälle, in denen Störungsursache eine Anlage ist, die Störung aber nicht gerade in der Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung 26 Herrmann
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
von Teilen des Gebäudes besteht, sondern in sonstigen Mängeln (Beispiel: zum Überlaufen führende verstopfte Dachrinne) oder in Eigenschaften der Anlage, die keine Mängel darstellen, die aber zu Beeinträchtigungen führen (Beispiele: Überbau, Immissionen selbstwirkender Anlagen). Ferner sind mit den Fällen des § 908 vergleichbar Störungen, die vom übrigen Grund und Boden außerhalb von Anlagen ausgehen, also von der Bodenbeschaffenheit und den Pflanzen des Grundstücks; ob Bodengestaltung und Vegetation künstlichen oder natürlichen Ursprungs sind, ist gleichgültig. Zum Grundstückszustand außerhalb von Anlagen zählen des weiteren die auf dem Grundstück lagernden Stoffe. — Es waren schließlich einzelne Fälle zu beschreiben, die dieses Merkmal aufweisen, um so eine konkrete Anschauung des infrage kommenden Fallmaterials zu erhalten (oben C I I I 3 b). IV. M i t der Herausarbeitung der Allgemeingültigkeit der Haftungsgrundsätze des § 908 (oben B) und der Ermittlung der nach den Grundsätzen des § 908 zu behandelnden Fälle (oben C) ist das Fundament für die weitere Aufgabe gelegt, eine Übertragung der Haftungsprinzipien des § 908 auf § 1004 im einzelnen vorzunehmen (unten § 3).
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004 A. Einleitung Im folgenden stellt sich die Aufgabe, die Haftungskriterien des § 908 auf die beiden Ansprüche des § 1004 zu übertragen. Diese Übertragung fordert eine Konkretisierung der Haftungsvoraussetzungen des § 908 für den Anwendungsbereich der allgemeinen actio negatoria. Im Grundsatz bedeutet die Transponierung, daß auf die zu § 908 erarbeiteten Ergebnisse zurückzugreifen ist (oben 12. Kap. § 6 C VI). Zum Teil aber führt deren Anwendung zu Modifizierungen. Diese ergeben sich zum einen daraus, daß infolge der Übertragung eine Bindung an Einzelheiten der §§ 908, 836ff. und die damit verbundenen Probleme entfallt und die Möglichkeit besteht, sogleich das zu § 908 ermittelte Ergebnis heranzuziehen. So liegt es bei dem Erfordernis des Besitzes hinsichtlich der Geltung des Besitzbegriffes des BGB und der (schuldrechtlichen oder dinglichen) Grundlagen des Besitzes (s. §§ 837, 838; dazu unten Β II). — Zum anderen sind Modifizierungen darauf zurückzuführen, daß § 10041 nicht nur einen dem § 908 parallelen Anspruch auf Beseitigung der Gefahr enthält (§ 1004 I 2), sondern auch einen Anspruch auf Beseitigung einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung (§ 1004 I I ) . Inhalt und Rechtsqualität der Sicherungspflicht des Beseitigungsanspruches weichen teilweise von Inhalt und Rechtsqualität der Sicherungspflicht des Gefahrbeseitigungsanspruchs ab (unten Β I I I 3 c, 4 b). Ferner stellen sich für das Problem der Begrenzung der Haftung mit Hilfe der im Schadensersatzrecht entwickelten Kausaltheorien im Falle des Beseitigungsanspruches des § 100411 andere Fragen als für den Anspruch auf Beseitigung der
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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bloßen Gefahr (unten Β IV 2 c cc). — Darüber hinaus bedarf es der genaueren Behandlung der Frage des Entfallens der Haftung infolge Besitzbeendigung: Einmal ist die für § 908 offen gelassene Frage (oben 12. Kap. § 6 C V 6) zu untersuchen, wie sich diese Rechtsfolge dogmatisch erklärt (unten C I I 3 d); hinsichtlich des Beseitigungsanspruches des § 1004 I 1 ergeben sich zudem Abweichungen von dem Grundsatz des § 908, wonach die Haftung mit Besitzaufgabe entfallt (ebd. 3 c, e). Schließlich ist zu klären, ob der zur Erfüllung der Ansprüche aus § 1004 I notwendige Eingriff des Besitzers in das ihm unter Umständen nicht gehörige Grundstück (§ 823 BGB) zur Unmöglichkeit der allgemeinen Sicherungspflicht und der Ansprüche des § 10041 führt (unten Β I I I 5, C III). Zunächst werden die Voraussetzungen der Haftung nach § 1004 behandelt (unten B), sodann Probleme des Entfallens der Haftung (unten C).
B. Haftungsvoraussetzungen /. Einleitung Die Voraussetzungen der Haftung nach § 1004 sind in den vorliegenden Fällen der Störungen durch einen Grundstückszustand im Prinzip die gleichen bereits zu § 908 erarbeiteten Erfordernisse (oben 12. Kap. § 6 C V I 3). Der dort gewonnene Obersatz (ebd. V I 2) ist daher auf § 1004 zu übertragen und den folgenden Einzeluntersuchungen als Ausgangspunkt voranzustellen. Dieser Obersatz, auf die dem § 908 vergleichbaren (oben § 2 C I I I 3) und nach § 1004 zu lösenden Fälle angewandt, lautet folgendermaßen: Den Besitzer trifft die Pflicht, sein Grundstück einschließlich der darauf befindlichen Anlagen in einem solchen Zustand zu halten, daß Gefahren (§ 1004 I 2: „zu besorgende" Beeinträchtigungen) und Beeinträchtigungen (§ 1004 I 1) für umliegende Grundstücke vermieden werden. Verletzt der Besitzer diese Pflicht, und ist diese Pflichtverletzung für Gefahren und Beeinträchtigungen fremden Grund und Bodens kausal, entstehen Ansprüche auf Beseitigung der Gefahr oder der Beeinträchtigung (§ 1004 I 2, 1). Erforderlich sind demgemäß: Besitz, Sicherungspflichtverletzung sowie Kausalität. Diese Voraussetzungen werden in den folgenden Abschnitten (unten I I - I V ) im einzelnen behandelt.
II. Besitz i . Die Verantwortlichkeit für den Zustand des Grundstücks ist an den Besitz gebunden. Hinsichtlich der Art des Besitzes sind die zu den §§908, 836 ff. erarbeiteten Grundsätze heranzuziehen. Es haften also Eigen- und Fremdbesitzer (§ 872), der unmittelbare und der mittelbare Besitzer (§ 868), der Besitzer auf Grund Besitzdienerschaft (§ 855) sowie der Erbbesitzer (§ 857) unter der 26*
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
Voraussetzung, daß er von seinem Erbe Kenntnis hat, und schließlich Teil- und Mitbesitzer (§§ 865, 866) 1 . Die Rechtfertigung für die Heranziehung des Besitzers als Verantwortlichen liegt in demselben, dem § 908 zugrunde liegenden Kerngedanken, wonach der Besitzer kraft seiner Herrschaftsgewalt über eine Sachbeziehung verfügt, die ihn praktisch in die Lage versetzt, auf die Sache Zugriff zu nehmen und für ihren ordnungsgemäßen Zustand zu sorgen 2. Wie sich diese Zugriffsmöglichkeit bei den einzelnen Besitzarten gestaltet, ist im einzelnen dargelegt worden 3 . 2. Da es sich lediglich um eine Übernahme der zu § 908 gefundenen Haftungsergebnisse handelt, besteht für § 1004 keine Bindung an die gesetzlich geregelten Einzelheiten der §§908, 836ff.; verwendet werden kann vielmehr sogleich die in den Untersuchungen zu diesen Bestimmungen gewonnene Essenz. Dies bedeutet im einzelnen: a) Im Unterschied zur Anwendung der genannten BGB-Besitzarten auf die §§ 908, 836 ff. handelt es sich bei der Heranziehung dieser Besitzarten für § 1004 nicht um eine Analogie, also um eine Anwendung des Besitzbegriffes des BGB auf eine Regelung, der an sich das gemeinrechtliche Besitzverständnis zugrunde liegt 4 . Bei den §§ 908, 836ff. bestand die Aufgabe darin, den zur Haftung des gemeinrechtlichen Besitzers führenden Grundgedanken herauszuarbeiten, um zu ermitteln, inwieweit dieser Gedanke im Besitzbegriff des BGB verkörpert ist 5 . Demgegenüber kann § 1004 der Besitzbegriff des BGB unmittelbar zugrunde gelegt werden. Dies folgt daraus, daß es sich bei der Übernahme der Haftungsgrundsätze des § 908 um eine Verselbständigung der in der Bestimmung enthaltenen Haftungsaspekte handelt; diese ist auf Grund der Verallgemeinerungsfahigkeit dieser Aspekte erlaubt. Die Ausführungen zu den Voraussetzungen der verschiedenen Besitzarten und zu der von diesen Voraussetzungen abhängigen Zugriffsmöglichkeit des Besitzers haben für § 1004 insofern Bedeutung, als festzustellen ist, inwieweit die jeweilige Besitzart dem Haftungsgrundgedanken Rechnung trägt, wonach der Haftende eine ausreichend nahe Sachbeziehung haben muß, um seinen Sicherungspflichten nachkommen zu können. Es wurde schon dargelegt 6, daß selbst dann, wenn die §§ 908, 836ff. den Besitzbegriff des BGB enthielten, Untersuchungen über die Zugriffsmöglichkeit bei der jeweiligen Besitzart nötig wären. b) Aus dieser unmittelbaren Geltung des Besitzes — nach BGB — für § 1004 folgt weiter, daß die Vorschrift auf die einzelnen in den §§ 836 ff. 1 Oben 12. Kap. § 6 C I I 2 h cc bbb-ggg (zu § 836), ebd. I I 2i (Ergebnis), V 2 (zu § 908), V I 3c (Ergebnis zu §§ 908, 836ff.). 2 Oben 12. Kap. § 6 C I I 2h bb ccc. 3 Ebd. C I I 2h cc bbb-ggg. 4 5 6
Dazu ebd., ferner ebd. i (zur Analogie). Ebd. C I I 2h cc. Ebd. C I I 2i.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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geregelten Voraussetzungen nicht angewiesen ist. Es ist also nicht, wie nach § 908, danach zu differenzieren, ob Eigenbesitz am Grundstück samt Gebäude besteht (§ 836) oder nur am Gebäude (§ 837). Ferner kommt es auf die diffizilen Probleme des § 838 nicht an, also nicht darauf, ob die darin geforderte interne Unterhaltungspflicht Voraussetzung der Haftung ist oder vielmehr der Besitz (Haftungsgrund) 7 und ob auch der gegenüber dem Überlassenden nicht unterhaltungspflichtige Besitzer haftet 8 . Das zu § 838 ermittelte Ergebnis 9, wonach der Haftungsgrund der Vorschrift — im Gegensatz zu ihrem Wortlaut — im Besitz liegt, nicht anders als in den Fällen der §§ 836, 837, ist unmittelbar auf § 1004 übertragbar aus dem schon genannten Grunde, daß die Haftungsprinzipien der §§ 908,836 ff. allgemeingültigen Charakter besitzen. Damit haftet gem. § 1004 der Fremdbesitzer, ohne daß sich wie im Falle der §§ 908, 838 Fragen der Analogie stellen. Diese Unabhängigkeit des § 1004 von den in den §§ 908, 836 ff. vorgesehenen Einzelvoraussetzungen hat nichts mit der Tatsache zu tun, daß praktisch bei jedem Besitz besondere Sachverhalte zugrunde liegen, die zur Erlangung des Besitzes führen, daß also etwa der Fremdbesitzer den Besitz nur auf Grund eines mit einem anderen geschlossenen Rechtsgeschäftes, eines Pachtvertrages oder einer Dienstbarkeit, erlangt. Damit ist zwar gewöhnlich die Fallage gegeben, die die §§ 836 bis 838 vorsehen, doch kommt es für § 1004 auf die dort festgeschriebenen Einzelheiten der Sachverhaltsgestaltung und die damit verbundenen rechtlichen Fragen nicht an. Ob eine Rechtsgrundlage des Besitzes vorhanden ist, ist unerheblich; entscheidend ist allein die Besitzposition. Beruht diese auf entsprechenden Rechtsgeschäften, so ist deren Wirksamkeit nicht erforderlich; hier gilt das zu den §§ 908, 837 und 838 Dargelegte 10 . III. Sicherungspflichtverletzung 1. Allgemeine Fragen Wegen grundsätzlicher Fragen zur Sicherungspflicht kann an das zu § 908 Erarbeitete angeknüpft werden (oben 12. Kap. § 6 C V I 3 a). So bedarf es der Darlegung von Gründen für die den Besitzer treffende Sicherungspflicht an dieser Stelle nicht mehr 1 . Für § 908 wurden sie im einzelnen ausgeführt; wenn der Besitzer gehalten ist, von seiner Sache ausgehende Gefahren zu beseitigen, bedeutet dies, daß er diese Gefahren zu verhindern hat. Entsprechendes gilt für § 1004. Danach ist der Verantwortliche nicht nur zur Beseitigung der Gefahr (§ 1004 I 2), sondern auch zur Beseitigung einer bereits eingetretenen Beein7
12. Kap. § 6 C IV 3. Ebd. IV 6. 9 Ebd. IV 5. 10 Ebd. I I I 3 (zu § 837), IV 2e, 3c bb ccc, 5 (zu § 838); V I 3c bb (Zusammenfassung zu §§908-836 ff.). 1 Oben 12. Kap. § 6 C I I 3a (zu § 836), V 3a (zu § 908). 8
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
trächtigung (§ 1004 I I ) verpflichtet; somit muß er dafür sorgen, daß diese Folgen nicht eintreten. — Auch die Haftungsvoraussetzung der Verletzung der Sicherungspflicht ergibt sich aus den Darlegungen zu § 908 2 . Übertragen auf § 1004 bedeuten sie folgendes: Die Vorschrift setzt voraus, daß für das fremde Eigentum eine Gefahr oder eine Beeinträchtigung entstanden ist. Diese rechtswidrigen Folgen sind nur möglich, wenn der Besitzer seine Pflicht mißachtet hat. Des weiteren kann für § 1004 auf die grundsätzlichen Erörterungen zu Entstehung und Inhalt der Sicherungspflicht 3 zurückgegriffen werden. Im folgenden werden zur näheren Konkretisierung der Voraussetzungen des § 1004 Entstehung und Inhalt der Sicherungspflicht noch einmal in den Grundzügen dargelegt (unten 2, 3). Ferner werden Besonderheiten des Inhalts der Pflicht und ihrer Rechtsqualität im Falle des § 10041 erläutert (unten 3, 4). Schließlich sind terminologische Fragen zu klären (unten 5). 2. Entstehung der Sicherungspflicht Die Pflicht des Besitzers entsteht mit Besitzerwerb 4. Wie grundsätzlich im Falle von Rechtspflichten zum Tun besteht eine Verantwortlichkeit kraft Unterlassens jedoch nur dann, wenn der Betreffende die Möglichkeit hat, das Gebot zu erfüllen 5 . Zu dieser Möglichkeit, die geforderte Handlung vorzunehmen, gehört einmal die Gelegenheit, von dem notwendigen Eingriff Kenntnis zu nehmen, und ferner die praktische Durchföhrbarkeit der Handlung. Besteht schon keine Möglichkeit zur Kenntnisnahme der störungsträchtigen Lage, ist die Sicherungspflicht zwar gegeben, ihre Nichterfüllung stellt aber keine Pflichtverletzung dar. Für die im einzelnen zu stellenden Anforderungen an die Erkennbarkeit der Lage ist nicht der Beurteilungsmaßstab eines Fachmannes entscheidend, sondern derjenige des mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestatteten Laien. Besteht Anlaß zu Zweifeln an der Sicherheit der Grundstücksverhältnisse, ist ζ. B. nicht ohne weiteres zu beurteilen, ob der vorspringende Fels sich demnächst lösen wird, so ist ein Fachmann hinzuzuziehen. Entscheidend ist die objektiv gegebene Möglichkeit zur Wahrnehmung der Verhältnisse. Subjektive, nur dem betreffenden Besitzer gegebene Möglichkeiten betreffen Verschuldensfragen, auf die es für § 1004 nicht ankommt. Das Problem der notwendigen Erkennbarkeit ist bedeutsam, wenn Grundstücksverhältnisse vorliegen, die zu Beeinträchtigungen führen können, dies aber nicht wahrnehmbar ist. Ein Beispiel bietet der an der Grenze stehende morsche Baum, der umzufallen droht. Derartige unerkennbare Verhältnisse sind zu beurteilen wie versteckte Gebäudemängel im Falle des § 908 6 . Sie spielen für 2
Ebd. Ebd. C (Entstehung 4 Ebd. C 5 Ebd. C 3
I I 3b (Entstehung), c (Inhalt; zu § 836), V 3b (Inhalt; zu § 908), V I 3a aa und Inhalt; Zusammenfassung zu §§ 908, 836ff.). I I 3 b (zu § 836); V I 3 a aa (Zusammenfassung zu §§ 908, 836 ff.). I I 3 b (zu § 836); V I 3 a aa (Zusammenfassung zu §§ 908, 836 ff.).
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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den Anspruch aus § 100412 praktisch keine Rolle, weil der Nachbar infolge der Unerkennbarkeit der Gefahr keinen vorbeugenden Anspruch geltend machen wird. Realisiert sich die Gefahr, fallt also im Beispiel der Baum auf das Nachbargrundstück, kommt nur noch ein Beseitigungsanspruch gem. § 100411 in Betracht, der aber nicht gegeben ist, weil der Gefahrenzustand nicht erkennbar war und somit eine Sicherungspflicht nicht bestand. Ist die erforderliche Sicherungsmaßnahme objektiv nicht durchführbar, entfallt die Sicherungspflicht. Eine nur inhaltliche Beschränkung dagegen ist anzunehmen, wenn die Sicherung des Grundstücks zwar theoretisch möglich, aber im Augenblick nicht zumutbar ist (§ 242 BGB). Ein Beispiel bietet der Fall, in dem die infolge des nächtlichen Sturms eingetretenen Gefahren nicht noch in derselben Nacht beseitigt werden können. 3. Inhalt der Sicherungspflicht a) Einleitung
Der für § 908 festgestellte Inhalt der Sicherungspflicht 7 soll im folgenden für § 1004 konkretisiert werden. Dafür ist nach den beiden Ansprüchen der allgemeinen actio negatoria zu unterscheiden (unten b, c), da sie dem Besitzer teilweise verschiedene Verhaltensweisen abverlangen. b) Inhalt der Sicherungspflicht gem. § 1004 I 2
aa) Entsprechend der Pflicht des Besitzers im Falle des § 908, das Bauwerk (Anlage) so zu unterhalten, daß der Einsturz oder die Ablösung von Teilen verhindert wird, muß der Besitzer in den dem § 908 ähnlichen Fällen (oben § 2 C III) dafür sorgen, daß andere vom Bauwerk ausgehende Gefahren oder Gefahren des Grundstücks außerhalb des Bauwerks vermieden werden. Den Besitzer trifft also die Pflicht, das Grundstück insgesamt in einem für das Nachbareigentum gefahrlosen Zustand zu halten. Wie im Falle des § 9088 ist die Ursache des störungsträchtigen Zustandes gleichgültig. Er kann auf einem Baufehler der Anlage beruhen, auf deren Benutzung oder dem natürlichen Verfall, ferner auf Natureinflüssen oder Eingriffen Dritter. Machen sich diese Faktoren negativ bemerkbar, muß der Grundstücks- oder Anlagenbesitzer tätig werden. Ebenfalls wie bei § 908 richtet sich der Inhalt der Sicherungspflicht im einzelnen nach den Umständen des Falles 9 . Generell aber gehört dazu die Beobachtung des Grundstücks und ein entsprechender Eingriff, wenn absehbar 6
Ebd. C I I 3c cc bbb (2) (zu § 836); V 3b bb (zu §908); ebd. V I 3a cc (Zusammenfassung zu §§ 908, 836 ff.). 7 Oben Fn. 3. 8 Ebd. C I I 3c cc, 4 (zu § 836); V 3b cc (zu § 908); V I 3a bb. 9 Ebd. C I I 3c aa (zu § 836); V 3b (zu § 908); V I 3a (Zusammenfassung zu §§ 908836 ff.).
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
ist, daß der gegenwärtige Zustand zu Störungen des benachbarten Grundstücks führen kann. Im Einzelfall kann der Besitzer durch vorläufige Maßnahmen, wie Warnschilder und Absperrungen, seiner Pflicht genügen. bb) aaa) Da sich der Gegenstand der Sicherungspflicht des § 1004 vom Gegenstand der Sicherungspflicht des § 908 infolge der Ausdehnung des Pflichtenbereiches auf außerhalb des § 908 liegende Störungsquellen (oben § 2 C I I I 3) unterscheidet, ist der nach § 1004 bestehende Inhalt der Sicherungspflicht näher zu erläutern. Im einzelnen richtet sich der Inhalt der Sicherungspflicht — entsprechend dem ermittelten Anwendungsbereich des § 1004 (oben § 2 C I I I 3) — nach dem Objekt (Substrat) des Grundstücks, von dem die Störung auszugehen droht, und der Art der Störung (ebd. 3 a). Mängel der Anlage, die Folgen für das Nachbargrundstück haben können, sind durch entsprechende Maßnahmen zu verhindern und, wenn sie bereits eingetreten sind, zu beseitigen. Für den Gegenstand der Tätigkeit des Besitzers bietet das früher (ebd. 3 b) zusammengestellte Fallmaterial Beispiele. So ist in dem eben genannten Fall etwa durch regelmäßige Säuberung der Dachrinnen für einen ordnungsgemäßen Abfluß der Dachtraufe zu sorgen, um zu verhüten, daß sich auf dem Nachbargebiet Rinnsäle bilden. — Bei drohenden Störungen durch Anlagen, die nicht gerade auf Mängeln, sondern auf der sonstigen Beschaffenheit der Anlage beruhen, hat der Besitzer ebenfalls für einen störungsfreien Zustand zu sorgen. Wenn die zur Entnahme von Bodenbestandteilen angelegte Grube zum Absacken des umliegenden fremden Erdreichs führen wird, sind Bodenstützen anzubringen. Die Drainage ist so zu gestalten, daß das Wasser ausreichend abgeleitet wird und keine Überschwemmungen fremder Gebiete eintreten. Die durch den Abbau überlastete Giebelmauer, die negative Einwirkungen auf das Nachbarhaus auszuüben droht, ist durch entsprechende bauliche Eingriffe zu entlasten. Die Sandkippen, von denen auf fremde Grundstücke Sandmassen hinüberwehen, sind abzudecken oder abzutragen. Wenn die Pumpstation einer Kanalisationsanlage überlaut arbeitet, sind Schalldämpfungsvorrichtungen einzubauen oder es ist die Anlage abzustellen. Des weiteren hat der Besitzer dafür einzustehen, daß vom übrigen Grundstücksbereich keine Gefahren und Immissionen auf fremde Gebiete ausgehen. Gegenstand seiner Sorgepflicht ist insoweit also die Bodengestaltung des Grundstückes und seine Vegetation, ferner sind es Stoffe, die sich auf dem Grundstück (im Freien oder im Gebäude) befinden (oben § 2 C I I I 3 a). Da die Ursache des die Störung hervorrufenden Zustandes gleichgültig ist (oben aa), hat der Besitzer auch dafür aufzukommen, daß von seinem Grundstück keine Störungen ausgehen, die durch Natureinflüsse hervorgerufen werden. Das bisher ungeklärte Problem, ob und unter welchen Voraussetzungen eine negatorische Verantwortung für höhere Gewalt besteht 10 , darf damit als gelöst 1
Oben
. Kap. § 3.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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angesehen werden. — Wenn der Besitzer etwa feststellen muß, daß der Felsabhang seines Grundstücks Gesteinslockerungen aufweist, hat er Vorrichtungen zu schaffen, die das Hinunterfallen der Gesteine verhindern. Ferner hat er dafür zu sorgen, daß der morsche oder durch den Sturm entwurzelte Baum nicht auf das Nachbargrundstück fallt. Die generelle Pflicht, durch Naturwirken bedingte Störungen zu verhüten, geht jedoch nicht dahin, Vorsorge für alle denkbaren Naturereignisse zu treffen. Hier ist einmal der allgemeine Grundsatz zu berücksichtigen, daß die Sicherungspflicht nur insoweit besteht, als deren Durchführung praktisch möglich ist (oben 2). Zum anderen spielt in den vorliegenden Fällen die allgemeine Auffassung über die Maßnahmen eine Rolle, die zu einer ordnungsgemäßen Instandhaltung eines Grundstücks gehören. So muß der Besitzer nicht etwa den an der Grenze stehenden gesunden Baum befestigen, damit dieser beim Sturm nicht entwurzelt wird und auf das Nachbargebiet fallt; er muß nicht den Abhang gegen mögliche Wolkenbrüche dahin sichern, daß Sandmassen nicht auf das benachbarte Grundstück gespült werden. Teilweise entstehen derartige Sicherungspflichten schon deshalb nicht, weil entsprechende Maßnahmen gar nicht praktikabel sind. Hier gelten die gleichen Grundsätze, die für die Sicherungspflicht hinsichtlich von Gebäuden und Anlagen bestehen11. Zwar müssen Bauwerke so instand gehalten werden, daß sie auch heftigeren Einwirkungen widerstehen, doch lassen sie sich gegen außergewöhnliche Einflüsse nicht in jeder Hinsicht sichern. So kann ein starker Sturm auch ordnungsgemäß angebrachte Dachziegel abheben. Ebenso verhält es sich hinsichtlich der Bodenbeschaffenheit und des Baumbestandes; deren Sicherung gegen ungewöhnliche Wettereinwirkungen ist nicht durchführbar. Möglich wäre es zwar, etwa den an der Grenze stehenden Baum zu beseitigen, um Störungen für den denkbaren Fall außergewöhnlicher Wetterverhältnisse zu verhindern. Diese Konsequenz hat die Sicherungspflicht jedoch nicht, ebensowenig wie der Besitzer sein Haus abbrechen muß, um davon möglicherweise ausgehende Gefahren, die nicht zu verhüten sind, überhaupt zu verhindern; insoweit greift der erwähnte Gesichtspunkt ein, wonach der Inhalt der Sicherungspflicht durch die allgemeine Anschauung über die Maßnahmen mitbestimmt wird, die als notwendig angesehen werden, um ein Grundstück in Ordnung zu halten. Entstehen allerdings durch Natureinflüsse Gefahrenzustände, so muß der Besitzer eingreifen; ist der Baum also entwurzelt, so hat er ihn gegen ein Hinüberfallen zu sichern. Von der Sicherungspflicht des Besitzers auch hinsichtlich von Störungen, die durch Naturwirken entstehen, ist die Frage, ob die möglichen störenden Wirkungen rechtwidrig sind (§ 1004 II), zu unterscheiden. Diese Frage kann bei naturbedingten Störungen besonders zu prüfen sein, beispielsweise bei Störungen durch Bäume, die durch Blätter-, Blüten- und Samenfall das Nachbargrundstück beeinträchtigen 12. Grundsätzlich ist der Besitzer infolge seiner allgemei11 12
Oben 12. Kap. § 6 I I 3c cc bbb (3) (11). Vgl. oben § 2 C I I I 3 b cc Fn. 27.
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
nen Sicherungspflicht gehalten, den an der Grenze stehenden Baum zu beseitigen, um derartige Einwirkungen zu verhindern. Dieser Fall ist auf Grund der Störungsart anders zu beurteilen als der Fall, daß der Baum möglicherweise durch einen heftigen Sturm umgeweht werden wird; bei Störungen durch herabfallende Pflanzenteile läßt sich nicht sagen, daß es nach üblicher Auffassung nicht zur ordentlichen Instandhaltung eines Grundstücks gehöre, die genannten Störungen zu verhüten. Doch kann die Einwirkung rechtmäßig sein, wenn sie entweder unwesentlich (§ 906 I) oder aber im Sinne des § 906 I I 1 „ortsüblich" ist; letzteres ist der Fall, wenn die betreffende Gegend allgemein Baumbestand aufweist 13 . Die Gefahr der Beeinträchtigung durch Naturwirken muß also unter Umständen, nicht anders als bei Beeinträchtigungen künstlichen Ursprungs, aus dem Gesichtspunkt der fehlenden Rechtswidrigkeit hingenommen werden (§ 1004 II); die sich insoweit ergebenden Probleme sind jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Themas. bbb) I m Falle von Katastrophen gilt für § 10041 2 das zu § 908 Ausgeführte 1 4 . Auch hier besteht die Sicherungspflicht des Besitzers grundsätzlich, sie wird aber in der ersten Zeit nach Eintritt des Ereignisses nicht „fallig", da es dem Besitzer nicht zugemutet werden kann, unter den allgemein herrschenden ungeordneten Umständen sofort tätig zu werden (§ 242 BGB). Feste zeitliche Maßstäbe lassen sich nicht aufstellen, hier müssen die Verhältnisse des Einzelfalls entscheiden. c) Inhalt der Sicherungspflicht gem. § 1004 I 1
Für die Sicherungspflicht des Besitzers nach § 100411 gilt das soeben (oben b) zu § 1004 I 2 Ausgeführte, es ergeben sich aber Abweichungen in zweierlei Hinsicht. Einmal geht die Sicherungspflicht des Besitzers gem. § 100411 weniger weit als diejenige nach § 10041 2. Während der Besitzer nach § 10041 2 die „zu besorgende" Beeinträchtigung, also bereits die Gefahr von Beeinträchtigungen zu verhindern hat, muß er nach § 1004 1 1 nur darauf achten, daß tatsächliche Beeinträchtigungen vermieden werden. Der Besitzer darf also später eingreifen: Die Gefahrenlage kann er eintreten lassen, er hat lediglich dafür zu sorgen, daß sie nicht zu einer Beeinträchtigung wird. Ferner spielt der Gesichtspunkt, daß die Sicherungspflicht im Einzelfall nur gegeben ist, wenn Gelegenheit zu deren Wahrnehmung besteht, eine besondere Rolle. Der Besitzer hat im Falle des § 1004 I 2 generell die Gelegenheit zur Wahrnehmung seiner Sicherungspflichten, weil die Vorschrift nur eine bevorstehende Beeinträchtigung voraussetzt 13 So auch O L G Karlsruhe NJW 1983, 2886; es kann sich nur um eine analoge Anwendung des § 906 handeln, da die Vorschrift für Immissionen durch Anlagen und sonstige künstliche Einrichtungen (ζ. B. Maschinen) geschaffen ist; dies ergibt sich schon aus den Beispielen des § 9061, ferner aus § 906 I I 1 („Üblichkeit", „Benutzung"), aber auch aus den Gesetzesvorarbeiten, s. Mugdan I I I , S. 146 ff. (Mot.), 580 ff. (Prot.) („Entwickelung der Industrie", s. ebd. S. 147 1. Absatz). 14 Oben 12. Kap. § 6 C V 3b cc bbb; V I 3a bb.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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und die Sicherungspflicht auch dann eingreift, wenn die (nach § 1004 I 2 zu beseitigende) Gefahr eingetreten ist 1 5 . Eine Beeinträchtigung kann dagegen entstehen, ohne daß zuvor Gelegenheit bestand, sie zu verhüten. Die Lage nach § 1004 I 1 ist insoweit mit derjenigen nach § 836 I vergleichbar: Wie dort der Besitzer für Schäden nicht aufzukommen hat, die sofort in zeitlichem Anschluß an das verletzende Ereignis entstanden sind, weil es an einer Möglichkeit zur Abwendung des Schadens fehlte und somit auch die Sicherungspflicht nicht gegeben ist 1 6 , ist auch der Besitzer gem. § 1004 I 1 zur Beseitigung der Beeinträchtigung nicht verpflichtet, wenn diese eingetreten ist, ohne daß er zuvor tätig werden konnte. Es ist also — ebenfalls wie im Falle des § 836 17 — zu differenzieren: Konnte die Beeinträchtigung nur deshalb eintreten, weil der Besitzer bereits vor deren Realisierung sein Grundstück nicht ordnungsgemäß instand gehalten hatte, haftet er. Er ist dagegen gem. § 1004 I 1 nicht verantwortlich, wenn die Beeinträchtigung unabhängig von einer derartigen mangelhaften Sicherung entstanden ist; hier ist die Sicherungspflicht nicht gegeben, weil zu ihrer Erfüllung gar keine Gelegenheit bestand. Hatte der Besitzer beispielsweise die Bodenausschachtung nicht abgestützt und führen nun wolkenbruchartige Regengüsse zum Absacken des Nachbargrundstücks, so muß er dieses wieder herrichten. Hatte er hingegen die Ausschachtung ausreichend abgestützt und konnte auch diese Stütze das Absacken des benachbarten Bodens unter dem Einfluß der Regengüsse nicht verhindern, so ist der Besitzer nach § 1004 I 1 nicht beseitigungspflichtig. In Fällen von Katastrophen wird der Anspruch auf Beseitigung von Beeinträchtigungen gem. § 1004 I 1, anders als der Anspruch auf Beseitigung von Gefahren gem. § 100412 (oben b bb bbb), gewöhnlich nicht eingreifen, weil die allgemeine Sicherungspflicht wegen fehlender Gelegenheit zur Durchführung entsprechender Maßnahmen nicht entstanden ist.
4. Rechtsqualität der Sicherungspflicht a) Rechtsqualität der Sicherungspflicht gem. § 1004 I 2
Die Rechtsqualität der Verpflichtung gem. § 1004 I 2, das Grundstück in einem für das Nachbargebiet gefahrlosen Zustand zu halten, ist zu beurteilen wie die entsprechende Pflicht des § 908, die Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen des Gebäudes zu verhindern 18 . Sie ist, wie alle Handlungspflichten im Rahmen einer Unterlassungshaftung, allgemeiner und nicht einklagbarer Art. Diese Qualität kommt ihr zu, solange Gefahren für das benachbarte Grundeigentum nicht entstanden sind, die Beeinträchtigung also nicht, wie § 1004 I 2 15 16 17 18
Ebd. V 3c bb (zu § 908). Ebd. I I 3 c cc bbb (3). Ebd. Oben 12. Kap. § 6 C V 3c; V I 3a dd.
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
sagt, „zu besorgen" ist. Tritt die Gefahr ein, wandelt sich die Sicherungspflicht des § 1004 I 2 in eine echte Rechtspflicht um. Übernimmt der Besitzer ein Grundstück, das sich bereits in gefährdendem Zustand befand, so hatte er keine Gelegenheit, diesen Zustand zu verhindern (oben 2); mit Besitzerlangung entsteht die Sicherungspflicht jedoch unabhängig davon, daß sie, da der Gefahrentatbestand vorliegt, zu einer einklagbaren (§ 1004 I 2) Rechtspflicht erstarkt. Juristisch sind beide Pflichten zu unterscheiden 19. b) Rechtsqualität der Sicherungspflicht gem. § 1004 1 1
Anders als die Pflicht nach § 1004 I 2 ist die Sicherungspflicht des § 10041 1 auch im Falle der Gefahr nur eine Pflicht allgemeiner Art, da nach dieser Vorschrift die Beseitigung der Gefahrenlage nicht verlangt werden kann. Die Phase des nicht einklagbaren Verhaltens des Besitzers dauert im Falle des Beseitigungsanspruches also länger an, sie umfaßt den mangelfreien Zustand des Grundstücks, den mangelhaften, aber für das Nachbargebiet gefahrlosen Zustand und den Zustand der Gefahr. Die Rechtsqualität der Sicherungspflicht des § 10041 1 bei Übernahme eines Grundstücks, das bereits zu Beeinträchtigungen geführt hat, ist wie in dem entsprechenden Fall nach § 1004 I 2 zu beurteilen (soeben a). Die Pflicht allgemeiner Art entsteht und ist zu unterscheiden von der einen Anspruch verleihenden Rechtspflicht. Zu beachten aber ist, daß der Besitznachfolger nur für solche Beeinträchtigungen sicherungs- und (damit) beseitigungspflichtig ist, die im Zustand des Grundstücks selbst liegen, die also eine physische Verbindung mit seinem Grundstück aufweisen. Die genannten Pflichten bestehen also etwa im Falle eines störenden Mauerüberhangs, nicht aber, wenn sich beispielsweise Felsgestein gelöst hatte und dieses schon vor Besitzerlangung des gegenwärtigen Besitzers auf das unter dem Felsabhang liegende Grundstück gefallen war; in diesem letzteren Falle hatte der Besitznachfolger keine Gelegenheit zur Wahrnehmung der allgemeinen Sicherungspflicht, so daß diese nicht entstanden war 2 0 . 5. Das Problem der Unmöglichkeit der Erfüllung der Sicherungspflicht aus dem Gesichtspunkt des Eingriffs des Besitzers in fremdes Eigentum a) Problemstellung
Indem der Gesetzgeber des § 908 dem Besitzer eine Unterhaltungspflicht auferlegt, verpflichtet er ihn, unter Umständen Eingriffe in das Bauwerk, etwa durch Reparaturen oder Anbringung von Vorrichtungen, vorzunehmen, die dazu dienen, die Gefahr zu verhindern. Da der Besitzer, auch der Eigenbesitzer (§§ 908, 836, 837), nicht zugleich Eigentümer des Bauwerks sein muß, ist er 19 20
Ebd. Zur Frage, ob der Besitzvorgänger haftet, s. unten C.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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demnach in manchen Fällen gehalten, in fremdes Eigentum einzugreifen. Ebenso verhält es sich bei der hier vorgenommenen Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004. Immer dann, wenn der Besitzer nicht zugleich Eigentümer ist und die Gefahr der Beeinträchtigung oder die Beeinträchtigung selbst (§ 100412,1) nur dadurch zu verhüten ist, daß der Besitzer Eingriffe in die Anlage oder das Grundstück vornimmt, verletzt er fremdes Eigentum. Da ein solches Verhalten grundsätzlich rechtswidrig ist (§§ 823, 989 f.), entsteht eine Kollisionslage: Einerseits ist der Besitzer nach § 1004 verpflichtet, Störungen des Nachbargrundstücks zu verhindern, andererseits verletzt er mit entsprechenden Maßnahmen das ihm überlassene fremde Eigentum. Der Gesetzgeber des § 908 hat die Haftung des Besitzers statuiert, ohne sich mit diesem Problem zu beschäftigen. Es ist auch in der vorliegenden Arbeit für § 908 nicht behandelt worden, weil es lediglich darauf ankam, die Haftungsvoraussetzungen dieser Vorschrift zu ermitteln. Für das eigentliche Thema des § 1004 dagegen ist das Problem zu klären. Der beschriebenen Kollisionslage hat Picker sich angenommen. Nach dem Konzept Pickers kann der Besitzer ebenfalls verantwortlich sein, wenn auch, anders als nach der hier vertretenen Auffassung, aus dem Gedanken, daß der Besitzer der störenden Sache das fremde Recht „usurpiere"; danach ist der Betreffende also im Rahmen des rechtsusurpierenden Tatbestandes unmittelbar kraft Besitzes gem. § 1004 verpflichtet 21 . Ungeachtet dieser theoretisch-dogmatischen Abweichungen von dem vorliegenden Konzept stellt sich aber für Picker das gleiche, hier dargestellte Problem. Picker will es mit Hilfe der §§ 77, 76 ZPO lösen, die dem Besitzer im Prozeß das Recht geben, durch Streitverkündung und Beantragung der Ladung des mittelbaren Besitzers (Eigentümers) einen Parteiwechsel herbeizuführen und sich so letztlich der Verantwortung zu entziehen (s. §§ 77, 76 I I I ZPO) 2 2 . Diese Lösung kann nicht als ausreichend angesehen werden, denn der prozessuale Rechtsbehelf beantwortet die materiell-rechtliche Frage nicht, ob die negatorische Haftung des Besitzers diesen tatsächlich zu einem rechtswidrigen Verhalten zwingt. Die genannte Kollisionslage ist vielmehr unter dem Gesichtspunkt der Unmöglichkeit zu beurteilen 23 : Es besteht das Problem, ob die allgemeine Sicherungspflicht des § 1004 deshalb entfallt, weil deren Erfüllung aus rechtlichen Gründen (§§ 823, 989) unmöglich ist; diese Beurteilung hätte die Konsequenz, daß Ansprüche aus § 1004 gegen den Besitzer nicht entstehen, wenn er nicht zugleich Eigentümer des Grundstücks oder Bauwerks ist. U m diese Frage der Unmöglichkeit beantworten zu können, ist zunächst zu klären, inwieweit rechtliche Hindernisse überhaupt zur Unmöglichkeit führen 21
Oben 6. Kap. § 2 Β I I 2. Picker S. 145 1. Absatz. 23 So auch Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 80, der, Picker folgend, (u. a.) Haftung aus Besitz annimmt. 22
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
mit der Folge, daß die Pflicht erlischt (unten b). Denkbar aber ist, daß der Eingriff des Besitzers in das fremde Eigentum zu Zwecken der Sicherung gegen Störungen nicht rechtswidrig ist, ζ. B. weil er auf Grund des zwischen ihm und dem überlassenden Eigentümer bestehenden Rechtsverhältnisses dazu berechtigt ist oder weil die gesetzliche Pflicht gem. § 1004 selbst einen Rechtfertigungsgrund darstellt; in diesem Falle wäre dem Besitzer die Erfüllung der Sicherungspflicht nicht unmöglich (unten c). Beide Fragenkreise sind im folgenden zu untersuchen. b) Allgemeine Voraussetzungen der rechtlichen Unmöglichkeit
Bei der hier zunächst anstehenden Frage, inwieweit ein Verstoß gegen rechtliche Bindungen überhaupt zur Unmöglichkeit führen kann mit der Folge, daß die Pflicht erlischt, können die im BGB für den Fall der Unmöglichkeit vorgesehenen Rechtsgrundlagen (§§ 275, 306 BGB) außer acht gelassen werden 2 4 . Für das genannte Problem ist zu differenzieren. Muß der Betreffende, um seine Pflicht zu erfüllen, gegen vertraglich begründete Pflichten verstoßen, so hat diese Lage keine Unmöglichkeit zur Folge 25 . Wer etwa mehrere Kaufverträge hinsichtlich ein und derselben Sache abschließt, bleibt aus allen Kaufverträgen zur Übereignung verpflichtet. Eine andere Frage ist, daß dann, wenn der Schuldner einen der Verträge erfüllt, er nunmehr zur Erfüllung der anderen Verträge außerstande ist und die kaufvertraglichen Ansprüche aus diesem Grunde wegen Unmöglichkeit untergehen. — Anders sind Verstöße gegen gesetzlich auferlegte Pflichten zu beurteilen. Würde der Verpflichtete, wenn er einer—gesetzlichen oder vertraglichen—Pflicht nachkommen will, etwa gegen das allgemeine Gebot, Rechte und Rechtsgüter anderer nicht zu verletzen (§ 823 BGB), verstoßen, so muß damit die Pflicht wegen Unmöglichkeit aus Rechtsgründen entfallen 26 . Diese unterschiedliche Beurteilung vertraglicher und gesetzlicher Pflichten beruht darauf, daß die vertragliche Bindung aus freien Stücken eingegangen wird, gesetzliche Verpflichtungen dagegen unabhängig von dem Willen des Betreffenden bestehen. Geht jemand also eine vertragliche Verpflichtung ein und würde die Erfüllung der negatorischen Verpflichtung aus § 1004 zu einer Verletzung dieser Vertragspflichten führen, so hätte diese Verletzung nicht zur Folge, daß die Erfüllung der negatorischen Verpflichtung unmöglich wird. Würde dagegen die Wahrnehmung der negatorischen Verpflichtung zu einem Gesetzesverstoß zwingen, etwa nach § 823, so muß Unmöglichkeit angenommen werden. Hier ist es der Gesetzgeber, der den Rechtsgenossen in eine Kollisionslage versetzt, in der der Betreffende die eine gesetzliche Pflicht nur unter Verstoß gegen die andere gesetzliche Pflicht einhalten kann. 24
Zu diesen Fragen näher unten C I I 3d. So auch Esser I § 33 I 1; für den Fall der Kollision von § 1004 mit vertraglichen Pflichten Medicus, Bürgerliches Recht Rdnr. 447; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 47. 26 So offenbar auch Esser ebd. 25
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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Insoweit ist festzustellen, daß in den vorliegenden Fällen grundsätzlich ein Fall der Unmöglichkeit aus rechtlichen Gründen gegeben ist, wenn der Besitzer, um seiner allgemeinen negatorischen Sicherungspflicht zu genügen, Eingriffe in das fremde Grundstückseigentum vornehmen würde (§ 823 BGB). c) Die Frage der Rechtswidrigkeit des Eingriffs zur Erfüllung der Sicherungspflicht aa) Einleitung
Es ist allerdings zweifelhaft, ob Eingriffe in das Eigentum zur Wahrnehmung der Sicherungspflicht rechtswidrig wären. Zunächst ist daran zu denken, daß die Rechtswidrigkeit wegen eines zwischen dem Eigentümer und dem Besitzer bestehenden Rechtsverhältnisses entfallt (unten bb). Möglich ist aber auch, daß generell keine Rechtswidrigkeit gegeben ist, weil Eingriffe in das fremde Eigentum kraft des § 1004 gerechtfertigt sind (unten cc); in diesem Fall stellt sich das Problem der Unmöglichkeit nicht (s. oben a). bb) Rechtfertigungsgründe
aus dem Rechtsverhältnis
zwischen Besitzer und Eigentümer
aaa) Wenn der Besitzer gegenüber dem überlassenden Eigentümer zur Unterhaltung der Sache verpflichtet ist, wie etwa der Pächter oder Nießbraucher (§§ 582a II, 586 I, 1041 S. 2) 2 7 , können Eingriffe zur Erfüllung negatorischer Pflichten insoweit nicht rechtswidrig sein, als sie gleichzeitig der Unterhaltung der Sache dienen, also ihrer Erhaltung und Instandhaltung zugute kommen. Neigen sich also beispielsweise schon brüchig gewordene Betonpfeiler des Zaunes auf das Nachbargebiet, so würde eine Reparatur, die dazu dient, die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks zu verhindern, zugleich der pachtrechtlichen Unterhaltungspflicht (§ 586 BGB) dienen. In diesem Fall sind die Maßnahmen am fremden Eigentum nicht rechtswidrig (§ 823 BGB), so daß eine rechtliche Unmöglichkeit der negatorischen Sicherungspflicht nicht vorliegt. bbb) Der Eingriff kann ferner aus dem Gesichtspunkt gerechtfertigt sein, daß zwischen Besitzer und Eigentümer ein Gesamtschuldverhältnis besteht (§§ 421 ff. BGB). Dieses würde den Eigentümer verpflichten, dem Besitzer die ihm zur Erfüllung seiner negatorischen Verpflichtung notwendigen Maßnahmen zu gestatten 28 . Ist der Eigentümer selbst Besitzer, etwa mittelbarer Besitzer, weil er sein Grundstück vermietet oder verpachtet hat, oder aber unmittelbarer Besitzer (Teil- oder Mitbesitzer, §§ 865,866 BGB), weil er das Grundstück neben dem Besitzer (z.B. dem Mieter) benutzt, so trifft auch ihn die allgemeine negatorische Sicherungspflicht. Es ist daher möglich, daß Eigentümer und Besitzer Gesamtschuldner sind (§§ 421 ff. BGB) und aus diesem Grunde die 27 Einzelheiten zur Unterhaltungspflicht bei Überlassung einer Sache oben 12. Kap. § 6 C I I 2h cc ccc (3) (22) (222). 28 Vgl. etwa Enneccerus-Lehmann §95 I I 1; Larenz I § 37 I I I zur Pflicht des Mitschuldners gegenüber den übrigen Mitschuldnern, an der Tilgung der Quote mitzuwirken; ferner BGHZ 23, 361, 363.
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
soeben genannte Mitwirkungspflicht besteht. Ob Gesamtschuldnerschaft anzunehmen ist, müßte genauer untersucht werden, denn zum einen betrifft die Regelung der §§421 ff. BGB echte Rechtspflichten, nicht die hier vorliegende nur allgemeine und nicht einklagbare Pflicht 29 , zum anderen fehlt es an einer gesetzlichen Bestimmung darüber, ob mehrere negatorisch Verpflichtete gesamtschuldnerisch haften 30 . Besteht aber eine solche Gesamtschuldnerschaft, würde die genannte Pflicht des Eigentümers bestehen, sich konstruktiv zu verhalten und dafür zu sorgen, daß der Besitzer die ihm obliegenden Pflichten durchführen kann 3 1 . Diese Verpflichtung schlösse es aus, daß das Verhalten des Besitzers als gem. § 823 rechtswidrig anzusehen ist. — Die Frage der Gesamtschuldnerschaft soll an dieser Stelle jedoch offen gelassen werden, weil sich die Frage der Rechtswidrigkeit möglicherweise auf andere Art klären läßt 3 2 . ccc) Schließlich ist denkbar, daß die Rechtswidrigkeit entfallt, weil der Eigentümer mit entsprechenden Sicherungsmaßnahmen des Besitzers einverstanden ist, da er sie — als (mittelbarer) Besitzer — ohnehin selbst vornehmen müßte. Praktisch kann dieser Aspekt werden, wenn der Besitzer, der das fremde Eigentum übernommen hat, zu Unterhaltungsmaßnahmen gegenüber dem überlassenden Eigentümer nicht verpflichtet ist, wie etwa der Mieter (s. § 536 BGB), oder wenn die Sicherungspflicht Maßnahmen erfordert, die über die internen Befugnisse des Besitzers hinausgehen. Beispielsweise ist der Pächter eines landwirtschaftlichen Grundstücks nicht verpflichtet, außergewöhnliche Unterhaltungsmaßnahmen vorzunehmen (s. § 586 BGB). Insoweit eine Pflicht zur Unterhaltung nicht besteht, ist davon auszugehen, daß auch kein Recht dazu gegeben ist (anders aber im Falle des Nießbrauchs, s. §§ 1041 S. 2,1043 BGB), weil über die Pflicht hinausreichende Eingriffe offenbar dem Vertragspartner, beispielsweise dem Verpächter, vorbehalten bleiben sollen. Soweit die erforderlich werdenden Sicherungsmaßnahmen nicht einer Unterhaltungsmaßnahme gleichkommen, zu der der Besitzer schon auf Grund des Schuldverhältnisses mit dem Überlassenden berechtigt ist, kann der Eingriff des Besitzers also auf Grund einer Einwilligung des Eigentümers gerechtfertigt sein. Unmöglichkeit läge dann nicht vor; Ansprüche aus § 1004 wären somit gegeben. cc) Rechtfertigung
aus § 1004
Da Wurzel der genannten Rechtfertigungsgründe (soeben bb) ein besonderes zwischen Eigentümer und Besitzer bestehendes Rechtsverhältnis ist, wären Sicherungsmaßnahmen immer dann rechtswidrig, wenn es an einem solchen Verhältnis fehlt. Das Verhalten des Besitzers wäre also rechtswidrig, wenn der 29
Zur Rechtsqualität oben 4. Die §§ 421 ff. bestimmen nicht, wann eine Gesamtschuldnerschaft gegeben ist, aus ihnen lassen sich jedoch die Voraussetzungen ablesen, dazu etwa Larenz I § 37 I. 31 Oben Fn. 28. 32 Dazu noch unten 15. Kap. § 3. 30
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Eigentümer für Maßnahmen, zu denen der Besitzer auf Grund des zwischen ihm und dem Eigentümer bestehenden Rechtsverhältnisses (ζ. B. Pacht, Nießbrauch) nicht befugt ist, seine Einwilligung nicht erteilt; ferner dann, wenn der Eigentümer ausnahmsweise nicht zugleich auch (mittelbarer) Besitzer ist, etwa weil der unmittelbare Besitzer Buchberechtigter ist (s. § 894 BGB); hier entfallt der Gedanke der gesamtschuldnerischen Mitwirkungspflicht, weil der Eigentümer mangels Besitz zur Sicherung des Grundstücks selbst nicht verpflichtet ist. Die Frage der Rechtswidrigkeit hinge also vom Einzelfall ab. Doch sind die vorliegenden Fälle, wie die vergleichbaren Fälle des § 907 BGB, in denen der beseitigungspflichtige Halter der Anlage nicht zugleich Eigentümer ist 3 3 , dahin zu beurteilen, daß der betreffende Eingriff des Besitzers generell nicht rechtswidrig ist. In den unmittelbar dem § 908 unterfallenden Fällen folgt diese Wertung aus der Vorschrift selbst; wenn sie den Besitzer verpflichtet, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, so ist daraus zu ersehen, daß das Gesetz diese als rechtmäßig erachtet. Nun sind zwar die Pflichten des § 1004 gesetzlicher Art, sie entstehen aber nur, wenn die allgemeine Sicherungspflicht gegeben ist, und um diese Frage geht es im vorliegenden Zusammenhang. Die Sicherungspflicht aber kann als gesetzliche Pflicht nicht bezeichnet werden, denn sie ist in § 1004 selbst nicht enthalten. Sie beruht vielmehr auf allgemeinen Grundsätzen, deren Einzelheiten § 908 entnommen sind (oben 10. Kap. 1,13. Kap. § 2). Es handelt sich also um eine gesetzesähnliche Pflicht, vergleichbar etwa der Verkehrssicherungspflicht 34 . Eine derartige Pflicht aber muß hinsichtlich der hier zu beurteilenden Frage einer gesetzlichen Pflicht gleicherachtet werden. Daraus folgt, daß Vorkehrungen, die der Erfüllung dieser Pflicht dienen, nicht rechtswidrig sind. § 1004 stellt also einen Rechtfertigungsgrund für den Eingriff des Besitzers in ihm nicht gehörige Sachen dar 3 5 . dd) Zusammenfassung zu aa-cc
Somit ist insgesamt festzustellen, daß der Eingriff des Besitzers in Einzelfallen schon auf Grund interner Befugnisse des Besitzers gegenüber dem Eigentümer gerechtfertigt sein kann (oben bb). Dieser Fall ist gegeben, wenn der Eingriff einer dem Besitzer gegenüber dem Eigentümer ohnehin obliegenden Unterhaltungspflicht gleichkommt, wie dies z.B. in Fällen der Pacht oder des Nießbrauchs denkbar ist (§§ 586 I 2, 582 a II, 1041 S. 2 BGB); ferner, wenn der Eingriff über die erlaubte Unterhaltungsmaßnahme hinausgeht oder aber der 33
Oben 12. Kap. § 5 C I I I 3 c cc ccc (2). Hinsichtlich der Rechtsqualität der Verkehrssicherungspflicht gelten die Ausführungen oben 12. Kap. §6 C IV 3 c cc; ähnlich auch die Rechtsqualität von culpa in contrahendo und positiver Forderungsverletzung, die zwar auf einer Analogie beruhen (culpa in contrahendo: §§ 122, 307, 179 I I BGB; positive Forderungsverletzung: §§ 280, 286, 325, 326 BGB), denen aber inzwischen gewohnheitsrechtlicher und damit gesetzesgleicher Rang zukommt. 35 Zur Frage, inwieweit zwischen Eigentümer und Besitzer Ausgleichsansprüche entstehen, s. unten 15. Kap. § 3 C I I 2 b bb. 34
27 Herrmann
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
Besitzer zu solchen Maßnahmen gar nicht befugt ist (Beispiel: Mieter, s. § 536 BGB), der Eigentümer aber seine Einwilligung erteilt, da er selbst ebenfalls als Besitzer zu derselben Maßnahme gezwungen wäre. Denkbar ist weiter eine Rechtfertigung auch aus dem Gedanken der gesamtschuldnerischen Mitwirkungspflicht des Eigentümers. Doch kann die Frage, ob zwischen mehreren, nach § 1004 verpflichteten Besitzern eine Gesamtschuld besteht, an dieser Stelle offen bleiben. Denn jedenfalls entfallt die Rechtswidrigkeit generell deshalb, weil der Besitzer gem. § 1004 zu entsprechenden Maßnahmen gehalten ist (oben cc). § 908 entscheidet die Kollision zwischen der allgemeinen Pflicht, fremde Rechte unangetastet zu lassen (§ 823 BGB) und der Pflicht, Gefahren für benachbartes Eigentum zu verhindern, dahin, daß der letzteren Pflicht der Vorrang einzuräumen ist. Da die Haftungsgrundsätze des § 908 nach dem hier erarbeiteten Konzept für § 1004 zu übernehmen sind, muß für die allgemeine actio negatoria ebenso entschieden werden. Eingriffe des Besitzers zur Wahrnehmung seiner Sicherungspflichten sind daher generell nicht rechtswidrig. d) Ergebnis
Damit besteht in den vorliegenden Fällen keine Unmöglichkeit aus rechtlichen Gründen. Die Sicherungspflicht ist also selbst dann gegeben, wenn der Besitzer nicht zugleich Eigentümer ist. 6. Terminologische Fragen Eine Übersicht über das für § 1004 in Betracht kommende Fallmaterial (oben § 2 C I I I 3) sowie über den dargestellten Inhalt der Pflicht des Besitzers (soeben 3) zeigen, daß der für § 908 verwendete Begriff der Unterhaltungspflicht nicht in allen hier zu behandelnden Fällen paßt. Es bedarf daher einer Begriffsklärung. Der Ausdruck „Unterhaltung" betrifft Maßnahmen der Wartung oder Instandhaltung einer Sache. Er bezeichnet ein Verhalten, das dem normalen Verfall, der Abnutzung der Sache, Einflüssen von außen oder — im Falle von Anlagen — architektonischen Fehlern entgegen wirken soll, also eine Tätigkeit, die die Verhinderung oder Beseitigung von Mängeln bezweckt. Wenn etwa die Dachtraufe nicht ordnungsgemäß abgeleitet wird, weil die Regenrinne mit Laub verstopft ist, so daß sich bildende Rinnsäle auf dem Nachbargrundstück die Gartenanlagen zerstören, paßt der Ausdruck „Unterhaltung". Aber nicht alle hier behandelten Fälle stellen Störungsgefahren dar, die auf Mängeln der Sache beruhen. Dies gilt einmal zum Teil für Störungen, die ihren Ursprung in Anlagen haben. Wenn etwa die Gefahr besteht 36 , daß die Lehm- und Tongrube zum Absacken des benachbarten Grundstücks führt, daß Sandmassen aufgehäufter Erdkegel auf das Nachbargebiet rutschen oder hinüberwehen, daß die ordnungsgemäße Arbeit einer Drainage Überschwemmungen oder eine Pumpsta36
Für das folgende Beispielsmaterial s. oben § 2 C I I I 3 b.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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tion lästige Geräusche bewirkt, dann handelt es sich nicht um Gefahren, die auf einem unzureichenden Sachzustand, z.B. infolge Verfalls, beruhen und für dessen Behebung der Ausdruck „Unterhaltung" paßt. Ebenso verhält es sich bei Störungen, die vom Grundstück selbst außerhalb von Anlagen ausgehen. Die Gefahr, daß sich infolge von Erosionen Felsgestein löst und auf das darunter liegende Grundstück fallt, daß der Baum störende Schatten auf das Nachbargebiet wirft oder daß er, weil er morsch ist, umfallen wird, ist nicht auf „Mängel" des Grundstücks zurückzuführen, sondern ist die Folge der Beschaffenheit des Grund und Bodens und seiner Vegetation. Da der Besitzer gehalten ist, generell dafür zu sorgen, daß sein Grundstück keine Beeinträchtigungsgefahren für das benachbarte Grundeigentum mit sich bringt, wird seine Pflicht passend mit dem Begriff der „Sicherung" bezeichnet. Er ist andererseits allgemein genug, um auch Tätigkeiten zu umfassen, die der „Unterhaltung" der Sache dienen. Die Bezeichnung „Sicherungspflicht", die vorstehend schon verwendet wurde, trifft daher den Gegenstand der Pflicht. Sie ist bereits in dem bekannten und geläufigen Begriff der „Verkehrssicherungspflicht" oder auch — neuerdings — der „Verkehrspflicht" enthalten, muß aber, wie in den Fällen der §§ 836ff. und 908, auf den Begriff des „Verkehrs" verzichten, da es nicht um die Sicherung eines „Verkehrs" oder um die Pflichtenbegründung infolge einer „Verkehrseröffnung" geht (oben 12. Kap. § 6 C V I 4) 3 7 ; Schutzobjekt des § 1004 ist, wie im Falle des § 908, das Eigentum. IV. Kausalität 1. Grundsätzliche Fragen Die zu besorgende oder eingetretene Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 I ist dem Besitzer nur dann zuzurechnen, wenn die Verletzung seiner Sicherungspflicht für die genannten Störungen kausal geworden ist. Die Ursächlichkeit seines Verhaltens schafft auch hier die Verbindung zwischen verantwortlicher Person und dem gesetzlich untersagten Tatbestand1. Der erforderliche Kausalzusammenhang beschränkt sich im Falle des § 1004 auf diese beiden Faktoren, die Pflichtverletzung und die drohende oder vorhandene Beeinträchtigung. Insoweit unterscheidet sich § 1004 von § 908; dort mußte Kausalität bestehen zwischen der Pflichtverletzung und der Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen und dieser Gefahr und der Gefahr der Eigentumsbeschädigung2. Da § 908 die Unterhaltungspflicht inhaltlich beschränkt, indem der Besitzer nur dafür Sorge zu tragen braucht, daß bestimmte Gefahren nicht entstehen, nämlich die Gefahr des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen, bedarf es dort 37 Zu den Unklarheiten der Bedeutung des „Verkehrs" nach den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht oben 12. Kap. § 6 C I I 2 h cc ccc (2); ferner oben 3. Kap. § 3 Β IV, C II; 12. Kap. § 4 Β II. 1 Oben 10. Kap. I 2b, 3; 12. Kap. § 6 C I I 5 (zu § 836); V 5 (zu § 908). 2 12. Kap. §6 C V 5c.
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zunächst der gesonderten Feststellung, daß die Pflichtverletzung gerade die genannten Gefahren herbeigeführt hat und daß außerdem diese Gefahren die Gefahr der Eigentumsverletzung verursachen. Demgegenüber ist es für § 10041 gleichgültig, durch welchen konkreten Grundstückszustand das fremde Eigentum bedroht oder beeinträchtigt wird, es genügt die Feststellung des Kausalzusammenhangs zwischen Pflichtverletzung einerseits und Gefahr oder Beeinträchtigung andererseits. Anders ausgedrückt haftet der Besitzer gem. § 908 nicht, wenn seine Unterhaltungspflichtverletzung zu Gefahren des Grundstücks führt, die nicht im Einsturz oder der Teileablösung liegen, selbst wenn durch diese Gefahren das Nachbareigentum bedroht ist. Da § 1004 I eine derartige Beschränkung auf bestimmte Gefahrenfaktoren nicht verlangt, entfallt die Notwendigkeit der Feststellung besonderer Gefahrenzustände. 2. Einzelheiten a) Einleitung
Im folgenden gilt es, die Kausalität der unterlassenen Sicherungspflicht für §§ 10041 im einzelnen zu untersuchen. Dafür kann auf die im Rahmen des § 908 dargelegten grundsätzlichen Ausführungen über die Kausalitätstheorien zurückgegriffen werden, die der Ermittlung der Kausalität im Sinne einer condicio sine qua non sowie der Aufklärung von Fragen der Haftungsbegrenzung dienen 3 . b) Sicherungspflichtverletzung als condicio sine qua non aa) Einleitung
Eine Verantwortung des Besitzers kommt überhaupt nur dann in Betracht, wenn sein Verhalten nicht hinwegdenkbare Bedingung der nach § 1004 bereits eingetretenen oder zu besorgenden Beeinträchtigungen ist (Äquivalenztheorie). Dieser Satz ist für die beiden Fälle des § 1004 I zu konkretisieren, und zwar wegen der Ähnlichkeit des § 1004 I 2 mit § 908 zunächst für diesen Anspruch, sodann für den Beseitigungsanspruch des § 1004 I 1. bb) Sicherungspflichtverletzung
als condicio sine qua non im Falle des § 1004 12
Im Falle „zu besorgender" Beeinträchtigungen nach § 100412 ist Kausalität gegeben, wenn die Störungsgefahr durch ein Tätigwerden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert werden würde 4 . Einige Beispiele aus dem früher zusammengestellten Fallmaterial (oben § 2 C I I I 3 b bb, cc) mögen dies verdeutlichen. Die Pflichtverletzung ist ursächlich, wenn der Besitzer etwa die sich selbst entzündenden Abraumhalden durch feuerfeste Vorrichtungen abschirmen würde, so daß keine Feuersgefahr mehr für das benachbarte 3 4
Ebd. 5 c. Ebd. 5 c cc aaa.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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Grundstück besteht; ferner wenn ein Abtragen des Erdreiches zur Senkung des Grundwasserspiegels führen würde und daher die Gefahr von Feuchtigkeitseinwirkungen auf das betroffene Haus vermieden würde; wenn er das Petroleumlager baulich so herrichten würde, daß der Stoff nicht durch die Wand zum Nachbarn zu dringen droht; Ursächlichkeit wäre beispielsweise ferner dann gegeben, wenn der Besitzer seinen Felsabhang sichern würde, um die Gefahr des Sich-Lösens und Herunterfallens des Gesteins auf das darunter liegende Gebiet zu bannen, oder wenn er den Teich, dessen dort lebende Frösche durch ihr Quaken die Nachbarschaft zu belästigen drohen, zuschütten würde. cc) Sicherungspflichtverletzung
als condicio sine qua non im Falle des § 1004 11
Im Falle bereits eingetretener Beeinträchtigungen liegt Kausalität vor, wenn diese durch Wahrnehmung entsprechender Sicherungsmaßnahmen vermieden worden wären. Auch hier seien zur näheren Anschauung einige Beispiele angeführt (s. wiederum oben § 2 C I I I 3 b bb, cc). Die Ursächlichkeit ist zu bejahen, wenn der Besitzer entsprechende bauliche Maßnahmen ergriffen hätte, um das Hinüberragen der Mauer zu verhindern, wenn er den Anbau an die gemeinsame Giebelmauer architektonisch so verändert hätte, daß die Überbelastung nicht zu Rissen im Putz geführt hätte, wenn er die Lehm- und Tongrube abgestützt hätte und dadurch der Nachbarboden nicht abgesackt wäre oder wenn er die Tordurchfahrt so erweitert hätte, daß das Wegerecht des Berechtigten ungehindert hätte wahrgenommen werden können (§§ 1027, 1004). — In allen Fällen, in denen das hypothetische Urteil dazu führt, daß Störungen nicht entstanden wären, wenn der Besitzer eingegriffen hätte, sind die Ansprüche aus § 1004 I 1 grundsätzlich gegeben. c) Haftungsbegrenzungsfragen aa) Einleitung
Mit der prinzipiell eingreifenden Haftung infolge der äquivalenten Kausalität taucht wie für die besondere actio negatoria des § 908 auch für § 1004 die Frage auf, ob die negatorische Verantwortlichkeit entsprechend den im Schadensersatzrecht entwickelten Kausaltheorien zu begrenzen ist. Die Untersuchung der Rechtslage (oben 1. Teil) hatte ergeben, daß dort, wo die Kausalität als ein taugliches Mittel zur Störerbestimmung angesehen wird, häufig die Ansicht geäußert wird, daß die Haftung auf adäquate Ursachen zu beschränken sei 5 ; doch handelt es sich bei dieser Anschauung um eine globale Annahme, die bisher im einzelnen nicht überprüft wurde. Die folgenden Untersuchungen nehmen sich der Frage an, ob es der Adäquanz für § 1004 bedarf. Das Problem läßt sich nicht einheitlich für beide Ansprüche der actio negatoria entscheiden; es wird daher einer differenzierten Beurteilung unterzogen (unten bb, cc). Oben . Kap. §
.
422
13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
bb) Die Frage der Notwendigkeit
einer Haftungsbegrenzung
im Falle des § Î004 12
Da es sich im Falle des Anspruches auf Verhinderung von Grundstücks- und Gebäudegefahren nach § 1004 I 2 um einen dem § 908 prinzipiell gleichenden Fall handelt 6 , ist die Frage der Haftungsbegrenzung hier ebenso zu beurteilen wie für § 908 7 . Anlaß für eine Beschränkung der Haftung, etwa mit Hilfe der Adäquanz, besteht nicht. Zum einen fehlt es an der parallelen Lage, die im Schadensersatzrecht zu Zurechnungsbegrenzungen führt. Es gelten hier dieselben zu § 908 dargelegten Argumente 8 : Der Gefahrentatbestand kann auch im Falle des § 100412 nicht entfernteste Folge des ursächlichen Verhaltens sein, da zwischen der Verletzung der Sicherungspflicht und den fraglichen Gefahren keinerlei weitere Ereignisse liegen, sondern ein unmittelbarer Zusammenhang gegeben ist. Das sich im Schadensersatzrecht stellende Problem der umfassenden Rechtsfolge, die zur Verantwortlichkeit für unübersehbare Nachteile des Geschädigten führen kann, entsteht im Falle des § 100412 ebenso wenig wie für § 908. Die Rechtsfolge des § 10041 2 ist inhaltlich bestimmt. Sie verpflichtet zu Maßnahmen an einem feststehenden Objekt, Grundstück, Gebäude und sonstigen Anlagen, und sie hat ein nicht variables Ziel zum Gegenstand, das darin besteht, das fremde Eigentum von Beeinträchtigungen freizuhalten. Die zur Anwendung der haftungseingrenzenden Kausalitätstheorien führenden Überlegungen beruhen auf der Weite des Schadensbegriffes (§ 249 S. 1 BGB); sie haben sich insoweit als spezifisch schadensersatzrechtliche Probleme erwiesen. — Im einzelnen können die Maßnahmen, die der Störer zur Gefahrenabwendung ergreifen muß, zu erheblichen eigenen Vermögensopfern führen, doch wurde bereits festgestellt 9, daß dieser Gesichtspunkt für sich genommen auch im Schadensersatzrecht nicht Grund einer Zurechnungsbegrenzung ist. Infolge der Parallelität der Fälle der §§ 908 und 1004 I 2 ergibt sich die Notwendigkeit einer Haftungsbeschränkung auch für § 10041 2 nicht etwa auf Grund anderer, außerhalb schadensersatzrechtlicher Fragestellungen liegender Überlegungen 10 . Diese sind ebenso wenig wie bei § 908 erkennbar. Damit ist es nicht gerechtfertigt, eine Selektion und Bewertung einzelner kausaler Verhaltensweisen vorzunehmen und die negatorische Verantwortlichkeit im Sinne der Adäquanztheorie auf solche Gefahren zu beschränken, deren Eintritt nur inadäquate Folge des Unterlassens ist. Der Besitzer haftet gem. § 100412 auch dann, wenn auf Grund einer ex post-Prognose eines objektiven Beobachters das Entstehen der Gefahrenlage nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine ganz unwahrscheinliche und ungewöhnliche Folge des Unterlassens war. Würde man anders entscheiden, stünde das Ergebnis in Widerspruch zur Sicherungspflicht 6
Oben § 2 C II; ferner 12. Kap. § 3 B. Oben 12. Kap. § 6 C V 5c cc bbb (3). 8 Ebd. 9 Ebd. 10 Ebd. 7
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
423
des Besitzers, die ein generelles Postulat ist. Wie im Falle des ausdrücklich geregelten Gefahrentatbestandes des § 908 würde es ferner mit dem Sinn und Zweck des § 1004 nicht in Einklang stehen, wollte man den Besitzer von der Pflicht zur Gefahrenbeseitigung befreien, wenn die Gefahr unerwartete Folge des Unterlassens ist. Die das Nachbargebiet bedrohende Lage würde dann andauern und unter Umständen zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung führen. Nach allem bleibt es bei dem Ergebnis, daß der Besitzer haftet, wenn sein Unterlassen condicio sine qua non des Gefahrentatbestandes ist (oben b bb).
cc) Die Frage der Notwendigkeit
einer Haftungsbegrenzung
im Falle des § 1004 11
aaa) Einleitung
Zunächst hat es den Anschein, als wenn die Rechtsfolge des § 1004 I 1 weiterreicht als die des § 1004 I 2. Die Beseitigung einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung scheint dem Störer mehr an Aufwand abzuverlangen als die bloße Verhinderung bevorstehender Beeinträchtigungen. Daher kann die Vermutung aufkommen, daß die Frage der Haftungsbegrenzung für den Beseitigungsanspruch anders zu beurteilen ist als für den Anspruch nach § 10041 2. Zur Klärung der Zurechnungsfrage bedarf es wiederum eines Rückgriffs auf die Probleme, die im Schadensersatzrecht zu Zweifelsfragen der Haftung Anlaß geben 11 . Sodann ist festzustellen, ob ähnliche Lagen auch im Falle des negatorischen Beseitigungsanspruches möglich sind. (Unten bbb-ddd).
bbb) Der Gesichtspunkt der Entfernung von Ursache und Folge (1) Einleitung
Es hatte sich gezeigt, daß die Haftungsbegrenzung im Schadensersatzrecht einmal auf der möglichen Verantwortung für weit entfernt liegende Wirkungen basiert 12 . Unter diesem Aspekt ergab sich für die §§ 908 13 und 10041 2 (soeben bb) kein Grund für eine Beschränkung der Zurechnung, weil dort zwischen ursächlichem Unterlassen und der von Gebäude und Grundstück ausgehenden Gefahr keine weiteren Ereignisse liegen. Die Lage nach § 1004 I 1 ist teilweise deshalb anders, weil die rechtswidrige Folge hier nicht nur im Gefahrenzustand des Gebäudes oder Grundstücks besteht, sondern in einer tatsächlichen Beeinträchtigung des fremden Eigentums. Es existieren Fälle, in denen zwischen Unterlassen und Beeinträchtigung Zwischenereignisse liegen, aber auch Fälle, in denen dieses nicht der Fall ist. Sie sind jeweils gesondert zu beurteilen [unten (2),
(3)]. 11 12 13
Ebd. V 5c cc bbb (2). Ebd. bbb (3) (11), (22). Ebd. (33) (zu § 908).
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
(2) Fälle ohne Zwischenfaktoren
Die soeben (1) genannte zweite Möglichkeit des Fehlens von Zwischenfaktoren ist nur in wenigen Fällen denkbar, und zwar immer dann, wenn die Beeinträchtigung in dem Zustand des Grundstücks oder der Gebäude und Anlagen an sich besteht (zu den folgenden Beispielen oben § 2 C I I I 3 b bb, cc): In allen Fällen, in denen Bauteile in den fremden Grundstücksbereich ragen (Projektionen), wie etwa Überbauten oder Schutzdächer, sind Faktoren zwischen dem Unterlassen der Sicherungspflicht und der Beeinträchtigung nicht denkbar. Ebenso behindert die zu enge oder zu niedrige Tordurchfahrt das Wegerecht (§ 1027 BGB) auf Grund des Unterlassens des Grundstücksbesitzers, ohne daß weitere Kausalfaktoren beteiligt sind. Die Fälle sind zu beurteilen wie die Präventivansprüche der §§ 908, 1004 I 2 auf Grund eines Gefahrenzustandes 14 . Zurechnungsprobleme unter dem Gesichtspunkt der Entfernung von Ursache und Folge können hier also nicht aufkommen. Ein Wahrscheinlichkeitsurteil nach der Adäquanztheorie ist gegenstandslos. Auch Überlegungen des Normschutzzweckes sind überflüssig; daß § 1004 1 1 gerade vor derartigen Störungen schützen will, ist zweifelsfrei. Für die Haftung ist es demnach ausreichend festzustellen, daß ein Tätigwerden des Störers die Beeinträchtigung beseitigen würde. Es handelt sich hier um die Fälle, in denen die Sicherungspflicht, da die Beeinträchtigung bereits besteht, sogleich die Qualität einer einklagbaren Rechtspflicht erlangt 15 . (3) Fälle mit Zwischenfaktoren (11) Fallbeschreibung
In der Mehrzahl der Fälle jedoch liegen zwischen Sicherungspflichtverletzung und Beeinträchtigung naturgesetzliche Geschehensabläufe. Die Beeinträchtigung wird hier durch Immissionen hervorgerufen, die von dem durch die mangelnde Sicherungspflicht entstandenen Anlagen- oder Grundstückszustand ausgehen (für die folgenden Beispiele s. oben §2 C I I I 3b bb, cc). Wehen Sandmengen von Sandkippen herüber, rutschen durch den eigenen Druck und unter dem Einfluß von Regenfällen Gesteinsmassen von Gesteinshalden auf den fremden Bereich, springt Feuer von sich selbst entzündenden Abraumhalden über oder sackt das Erdreich infolge von Grundstücksvertiefungen ab, die nicht ausreichend befestigt sind, dann wirken bei der Entstehung der Beeinträchtigung physikalische Kräfte mit. Weitere Beispiele sind das langsame Hinüberneigen einer Grenzmauer, Überschwemmungen durch das Flußhochwasser infolge zu hoch liegender Bahndämme, das Gelangen der Dachtraufe auf das Nachbargrundstück wegen verstopfter Regenleitungen am Haus, das Hinunterfallen von sich lockerndem Gestein des Grundstücks des Oberliegers, der Blätterfall des
14 15
Oben 12. Kap. § 6 C V 5c cc bbb (3) (33) (zu § 908); soeben bb (zu § 1004 I 2). Vgl. oben I I I 4 b.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
425
Grenzbaumes oder das Umfallen des morschen Baumes; die Beeinträchtigung ist hier bedingt durch naturgesetzliche Vorgänge. (22) Anwendung der Adäquanz- und Normzwecktheorie
Ob für eine Haftungsbeschränkung mit Hilfe der Kausalitätstheorie ein Bedürfnis besteht, ist noch zu überprüfen [unten (33)]. Selbst wenn man dies aber annehmen wollte, ist praktisch nicht denkbar, daß die entstandenen Beeinträchtigungen inadäquate Folge der unzureichenden Erfüllung der Sicherungspflicht sind. Der durch das Unterlassen herbeigeführte Grundstücks- oder Anlagenzustand führt mit Wahrscheinlichkeit zu Störungen des Nachbarbereiches. Zumindest weist das verfügbare Fallmaterial keine Sachverhalte auf, in denen die Störung ganz außergewöhnliche Folge im Sinne der Adäquanztheorie ist. Demgemäß besteht bei diesen Sachverhalten auch die notwendige innere Beziehung von verletzter Sicherungspflicht und rechtswidriger Beeinträchtigung; derartige Folgen sind vom Schutzzweck des § 1004 also zweifellos erfaßt. (33) Entscheidung der Frage der Haftungsbegrenzung
Darüber hinaus aber ist eine Haftungsbegrenzung allein auf Grund Dazwischentretens der geschilderten Geschehnisse, anders als in den insoweit problematischen Schadensersatzfällen, nicht berechtigt. Die vorliegenden Fälle sind mit den schadensersatzrechtlichen Fällen nicht zu vergleichen. Es sind hier nicht neue Geschehensabläufe, die zwischen Ursache und Folge treten und die bei wertender Betrachtung zu dem Urteil führen, daß ein Einstehenmüssen für die betreffenden Folgen nicht mehr gerecht ist. Das naturgesetzliche Wirken „unterbricht" den Kausalzusammenhang nicht wie etwa in dem Fall des Herstellens von Kraftfahrzeugen, deren Benutzung dann zu Schäden führen kann. Vielmehr ist eine enge Beziehung zwischen Sicherungspflichtverletzung und Beeinträchtigung trotz des Mitwirkens physikalischer Abläufe gewahrt, weil diese Abläufe unabänderliche Tatsache der Umwelt sind, in der sich Grundstück und Anlage befinden. Allein wegen der Entfernung von Ursache und Folge ist also eine Haftungsbeschränkung nicht gerechtfertigt. (4) Ergebnis zu (l)-(3)
Nach den bisherigen Untersuchungen genügt es für beide Fallarten — die Fälle, in denen zwischen Sicherungspflichtverletzung und Beeinträchtigung keine Kausalfaktoren liegen [oben (2)], sowie die Fälle, in denen Kausalfaktoren feststellbar sind [oben (3)] —, daß die unterlassenen Sicherungsmaßnahmen condicio sine qua non der Beeinträchtigung sind. Der Beseitigungsanspruch ist dann gegeben. ccc) Der Gesichtspunkt des Haftungsumfanges (Rechtsfolge)
Der weitere Grund der schadensersatzrechtlichen Haftungsbeschränkung liegt, wie sich herausgestellt hatte, in der Weite des Schadensbegriffes (§ 249 S. 1
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
BGB) 1 6 . Demgegenüber hatten sich die Rechtsfolgen der §§ 908 17 und 10041 2 (dazu soeben bb) als inhaltlich begrenzt herausgestellt. Hier nun entsteht die eingangs (oben cc aaa) aufgeworfene Frage, ob für § 1004 I 1 deshalb etwas anderes gilt, weil die Bestimmung nicht nur dazu verpflichtet, präventiv tätig zu werden, sondern dazu, eingetretene Eigentumsbeeinträchtigungen zu beseitigen. Diese nur globale Vermutung erweist sich bei genauer Betrachtung jedoch als unzutreffend. Die Rechtsfolge des § 100411 unterscheidet sich zwar von der Rechtsfolge der §§ 908, 1004 I 2, doch ihr Inhalt ist ebenso beschränkt wie im Falle der Präventivansprüche. Diese Beschränkung ergibt sich wie dort 1 8 aus dem Objekt (Substrat) sowie dem Ziel der Maßnahmen, die erforderlich sind, um den negatorischen Anspruch zu erfüllen. Es gibt Beeinträchtigungen, deren Beseitigung Maßnahmen auf dem störenden Grundstück selbst verlangt, und zwar dann, wenn die Störungsquelle eine physische Verbindung mit dem störenden Grundstück aufweist wie beispielsweise bei einer überhängenden Mauer, einem Überbau oder einem Störungen verursachenden Giebelanbau. Diese Fälle sind nicht anders als die der bloßen Gefahr nach § 10041 2 zu beurteilen (oben bb): Der Pflichteninhalt des § 100411 ist begrenzt; der Störer muß Vorkehrungen am eigenen Grundstück vornehmen (Maßnahmeobjekt) mit dem Ziel, das fremde Eigentum von der Beeinträchtigung zu befreien. — In vielen Fällen aber findet infolge der tatsächlich eingetretenen Beeinträchtigung gegenüber den Ansprüchen aus den §§ 908, 1004 I 2 gewissermaßen eine Verschiebung statt: Im Unterschied zu jenen Bestimmungen sind im Falle des Beseitigungsanspruches Maßnahmen nicht am eigenen Grundstück des Störers, sondern am fremden Grundstück (Eigentum) notwendig. Ferner besteht das Ziel auch nicht darin, Beeinträchtigungen zu verhindern, sondern bereits entstandene Einwirkungen rückgängig zu machen. Diese Verschiebung wirft zwar grundsätzlich die Frage auf, was unter einer Beeinträchtigung im Sinne des § 100411 zu verstehen ist und was von dem Störer demgemäß an Beseitigungsmaßnahmen verlangt werden kann; es taucht also das umstrittene Problem der Abgrenzung von Beeinträchtigung und Schaden und negatorischer Beseitigung und Schadensersatz auf 1 9 . Das Problem der Haftungsbeschränkung ist jedoch unabhängig von dieser Zweifelsfrage zu beurteilen: Selbst wenn man den Beeinträchtigungsbegriff weiter fassen würde und dementsprechend auch Reparaturen von Substanzverletzungen zur Beseitigungspflicht zählen wollte, handelte es sich um eine inhaltlich feststehende Rechtsfolge. Auf Grund der weiten Auffassung müßte der Störer beispielsweise20 nicht nur das heruntergefallene Gestein von den Bahngleisen entfernen, er müßte auch Schäden am Bahnkörper ausbessern. 16 17 18 19 20
Vgl. Fn. 12. Oben 12. Kap. § 6 C V 5c cc bbb (3) (33) (zu § 908). 12. Kap. § 6 C V 5c cc bbb (3) (33) (zu § 908); soeben bb (zu § 1004 I 2). Vgl. oben 10. Kap. I 2 a; auch 1. Kap. I I 1. Zu den Beispielen s. oben § 2 C I I I 3 b bb, cc.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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Nicht nur müßte, um weitere Beispiele anzuführen, der auf das Grundstück gewehte Sand der Sandkippen entfernt, sondern es müßten auch die zerstörten Pflanzen ersetzt werden. Die Beseitigungspflicht beschränkte sich nicht auf das weitere Hinübergelangen der Dachtraufe, sondern der Störer hätte auch den vielleicht unterhöhlten Weg wiederherzustellen. Er hätte nicht nur das von den Halden überspringende Feuer zu löschen, sondern auch Brandeinwirkungen auszubessern. Diese Konsequenzen sind aber mit den schadensersatzrechtlichen Folgen nicht vergleichbar. Die Beseitigungspflicht bleibt beschränkt auf die Wiederherstellung des Eigentums. Folgeschäden am weiteren Vermögen sind nicht zu ersetzen. Die mit der Kompensation von Schäden verbundene theoretisch unübersehbare Verantwortlichkeit ist im Falle des Beseitigungsanspruches selbst bei einem weiten Beeinträchtigungs- und Beseitigungsbegriff nicht gegeben. Der negatorische Beseitigungsanspruch ist, anders als der Anspruch auf Schadensersatz, inhaltlich prinzipiell begrenzt. Damit ist die Frage der Zurechnungsbeschränkung im Falle des Beseitigungsanspruches des § 1004 I 1 nicht anders als im Falle der negatorischen Präventivansprüche der §§ 908 und 1004 I 2 zu beurteilen 21 : Anlaß für eine Haftungsbegrenzung besteht nicht. Es bedarf daher nicht der Aussonderung einzelner Kausalfaktoren, etwa unter dem Gesichtspunkt der Adäquanz.
ddd) Überprüfung des Ergebnisses durch Gegenüberstellung der Rechtsfolgen der §§ 1004 I 1 und 1004 I 2
Obwohl auf Grund der vorstehenden Untersuchungen feststeht, daß die Beseitigungspflicht des § 100411 mit der Schadensersatzpflicht nicht vergleichbar ist und daher die schadensersatzrechtlichen Zurechnungsprobleme für die actio negatoria gegenstandslos sind, soll der eingangs (oben cc aaa) mehr global angestellte Vergleich der Rechtsfolge des § 1004 I 1 mit derjenigen des Präventivanspruches des § 1004 I 2 noch einmal aufgegriffen werden. Eine Überprüfung der jeweiligen Rechtsfolgen im einzelnen zeigt, daß sich die beiden Ansprüche des § 1004 I hinsichtlich der zu ihrer Erfüllung notwendigen Maßnahmen prinzipiell nicht unterscheiden. Das heißt, der Eindruck, daß der Beseitigungsanspruch des § 1004 I 1 dem Störer an Aufwand weitergehende Maßnahmen abverlangt als der vorbeugende Anspruch des § 1004 I 2, ist unrichtig. M i t Hilfe dieser Erkenntnis läßt sich das oben auf Grund prinzipieller Überlegungen gewonnene Ergebnis (bbb, ccc) bestätigen. Denn wenn es plausibel ist, daß Maßnahmen zur Gefahrenbeseitigung (§ 1004 I 2) mit schadensersatzrechtlichen Folgen nicht vergleichbar sind und eine Haftungsbeschränkung nicht fordern, daneben aber feststeht, daß die zur Beseitigung von Beeinträchtigungen (§ 1004 I I ) notwendigen Maßnahmen sich von den nach § 1004 I 2 erforderlichen Maßnahmen nicht unterscheiden, leuchtet der zum 21
12. Kap. § 6 C V 5c cc bbb (3) (33) und (44) (zu § 908); soeben bb (zu § 1004 I 2).
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
Beseitigungsanspruch (§ 10041 1) ermittelte Befund (oben bbb, ccc) auch vom Ergebnis her ein. U m sich ein Bild von den Konsequenzen der beiden Ansprüche machen zu können, sollen die verschiedenen Rechtsfolgen anhand von Beispielen (dazu s. oben § 2 C I I I 3 b bb, cc) gegenübergestellt werden. Dabei kommt es wiederum auf die Frage der Abgrenzung zwischen negatorischer Beseitigung und Schadensersatz nicht an (soeben ccc); der Klarheit halber werden aber Beispiele für die umstrittenen Grenzfälle nicht gewählt, sondern nur solche Beispiele, die unzweifelhaft unter die „Beseitigung" im Sinne des § 1004 I 1 fallen. Nach § 1004 1 1 hat der Besitzer nicht die bei den Bauarbeiten entstandenen Sandkippen abzudecken, um das Hinüberwehen des Sandes zu verhindern (§ 100412), sondern er muß den auf fremdes Gebiet gelangten Sand entfernen. Die sich selbst entzündenden Abraumhalden von Fabriken sind nicht abzuschirmen, damit das Feuer nicht überspringt (§ 1004 I 2), sondern das auf dem Nachbargebiet entstandene Feuer ist zu löschen. Im Falle des sich lösenden Felsgesteins reicht es nicht, daß das Gestein befestigt wird oder daß Fangvorrichtungen angebracht werden, die das Hinunterfallen verhindern (§ 1004 I 2), vielmehr muß das hinuntergefallene Gestein beseitigt werden. Die Lehm- und Tongrube ist nicht abzustützen, um das Absacken des Nachbargrundstückes zu verhüten (§ 1004 I 2), stattdessen muß der Besitzer den bereits abgesackten Boden wieder richten. Im Falle der Überschwemmung durch das Arbeiten einer Drainage hat der Besitzer nicht den Wasser aufnehmenden Graben zu erweitern oder eine leistungsstärkere Wasserpumpe einzubauen (§ 1004 I 2), sondern er muß Grund und Boden vom Wasser befreien. — Bei Störungen, die sich nicht körperlich auswirken, besteht in den zu ergreifenden Maßnahmen des Störers nach § 1004 I 1 einerseits und § 1004 I 2 andererseits keinerlei Unterschied. In Betracht kommen hier praktisch nur Geräusche. I m Falle einer insoweit ζ. B. störenden Pumpstation einer Kanalisationsanlage ist das Gerät abzustellen oder sind Schalldämpfer einzubauen. Macht der Nachbar den Beseitigungsanspruch geltend (§ 1004 I I ) , hat der Störer den gegenwärtig andauernden Lärm zu unterbinden, macht er den Unterlassungsanspruch geltend (§ 100412), muß der Störer dafür sorgen, daß künftig der Lärm unterbleibt 22 ; beides ist nur möglich durch dieselben Maßnahmen. Ebenso verhält es sich etwa im Froschteichfall. Das störende Quaken ist sowohl im Falle des Beseitigungsanspruches als auch im Falle des Unterlassungsanspruches nur dadurch zu beseitigen oder für die Zukunft zu verhindern (§ 10041 1,2), daß der Besitzer das Wasser abläßt oder den Teich zuschüttet. Sieht man einmal davon ab, daß die Höhe des zur Erfüllung des negatorischen Anspruches aufzubringenden Vermögensopfers für sich genommen ohnehin kein für die Haftungsbeschränkung ausschlaggebender Gesichtspunkt ist 2 3 , so 22 23
Zum Unterschied von § 1004 I 1 und 2 schon oben 1. Kap. Fn. 29. Vgl. schon oben 12. Kap. § 6 C V 5c cc bbb (3), soeben bb.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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ist aber festzustellen, daß, anders als auf den ersten Blick zu vermuten, der Beseitigungsanspruch des § 100411 keine größeren Aufwendungen erfordert als der Präventivanspruch des § 100412. Welche Maßnahmen notwendig sind, um dem jeweiligen Anspruch nachzukommen, hängt vom Einzelfall ab. Ein prinzipieller Unterschied in der Art der erforderlichen Maßnahmen besteht nicht. Demgemäß läßt sich auch nicht sagen, daß der Beseitigungsanspruch des § 1004 I 1 umfangreichere Aufwendungen nötig macht als der Anspruch aus § 1004 I 2. Das Verhüten von Störungen kann mehr Kosten verursachen und einen größeren Arbeitsaufwand fordern als das Beseitigen von Störungen. Es kann billiger und einfacher sein, das Feuer zu löschen (§ 1004 I 1), als Vorrichtungen gegen das Überspringen des Feuers zu schaffen (§ 100412), den Unterlieger vom heruntergefallenen Felsgestein zu befreien (§ 1004 1 1) als das Gestein zu befestigen oder Abfangvorrichtungen anzubringen (§ 1004 I 2). In den Fällen störender Geräusche sind sogar dieselben Maßnahmen notwendig. Damit ist festzustellen, daß zwar die Rechtsfolgen beider Ansprüche unterschiedlich sind, daß sich aber die für die Erfüllung des Beseitigungsanspruches erforderlichen praktischen Maßnahmen der Art nach nicht von denjenigen Maßnahmen unterscheiden, die nötig sind, um dem Anspruch aus § 1004 I 2 nachzukommen. Eine Regel hinsichtlich des jeweils erforderlichen Aufwandes läßt sich nicht aufstellen. Mag es auf den ersten Blick eher einleuchten, daß der „nur" Präventivmaßnahmen verlangende § 1004 I 2 mit der Rechtsfolge des Schadensersatzes nicht vergleichbar ist, so belegen die Beispiele, daß sich der Beseitigung der Beeinträchtigung verlangende § 1004 I 1 hinsichtlich der praktischen Maßnahmen von § 100412 im Prinzip nicht unterscheidet. Es bleibt daher bei dem oben [bbb (4), ccc] gewonnenen Ergebnis: Gründe für eine Zurechnungsbegrenzung bestehen nicht. eee) Zusammenfassung zu aaa-ddd
Insgesamt lautet der Befund also, daß die im Schadensersatzrecht entwickelten, der Haftungsbeschränkung dienenden Kausalitätstheorien für den Beseitigungsanspruch des § 1004 I 1 im Falle zustandsbedingter Störungen nicht anwendbar sind. Weder bedarf es derer unter dem Gesichtspunkt der Entfernung von Ursache und Folge (oben bbb) noch unter dem Anspekt des Haftungsumfangs (Rechtsfolge; oben ccc). Die Beeinträchtigung steht auch im Falle des Dazwischentretens naturgesetzlicher Kausalabläufe in engem Zusammenhang mit dem pflichtwidrigen Unterlassen. Die Rechtsfolge der negatorischen Beseitigung ist mit derjenigen des Schadensersatzes nicht vergleichbar. Im Gegensatz zum Schadensersatzanspruch ist der negatorische Beseitigungsanspruch durch das Schutzobjekt des § 1004 (Eigentum) und das Ziel des Anspruches (Befreiung des Eigentums von Einwirkungen) inhaltlich begrenzt. Damit erübrigt sich auch eine Adäquanzprüfung, mit deren Hilfe im Schadensersatzrecht üblicherweise eine erste Haftungsbegrenzung vorgenommen wird. Sofern inadäquate Beeinträchtigungen in diesem Fallbereich überhaupt prak-
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
tisch infrage kommen [oben bbb (3) (22)], hat der Besitzer auch solche Beeinträchtigungen zu beseitigen, mit denen nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen war [oben bbb (3) (33), ccc]. Würde man Pflichtverletzungen, die im Sinne der Adäquanzformel ganz ungewöhnliche und nicht wahrscheinliche Beeinträchtigungen zur Folge haben, von der Haftung ausnehmen, könnte es bei der Eigentumsbeeinträchtigung bleiben. Dies aber widerspräche, ebenso wie im Falle der prophylaktischen Ansprüche der §§ 908 24 und 1004 I 2 (soeben bb), dem Grundsatz der Sicherungspflicht kraft Besitzes sowie der ratio der actio negatoria. Des weiteren kann auch unter Normschutzzwecküberlegungen keine Haftungsbegrenzung erfolgen; die erforderliche innere Beziehung zwischen rechtswidrigem Tatbestand (Beeinträchtigung) und ursächlichem Verhalten ist gegeben, so daß die vorliegenden Störungen in den Schutzbereich des § 100411 fallen. dd) Zusammenfassung zu aa-cc
Damit ist als Ergebnis der Untersuchungen festzuhalten, daß in den vorliegenden Fällen der Haftung kraft pflichtwidrigen Unterlassens die actio negatoria in beiden Anspruchsvarianten ausgelöst ist, wenn die Kausalität im Sinne einer condicio sine qua non gegeben ist. Anlaß, das jeweilige kausale Unterlassen zu bewerten und unter Umständen als Haftungskriterium auszuscheiden, wie dies im Schadensersatzrecht mit Hilfe der Kausalitätstheorien notwendig ist, besteht weder unter dem dort teilweise relevanten Gesichtspunkt der zu großen Entfernung von Ursache und rechtswidriger Folge (Rechts- oder Rechtsgutverletzung) noch unter dem Aspekt des Haftungsumfangs. Im Falle des § 1004 I 2 ist die von Grundstück oder Anlage ausgehende Gefahr immer unmittelbare Folge der unterlassenen Sicherungspflicht (oben bb), im Falle des § 1004 I 1 besteht zwischen dieser und der Beeinträchtigung ein hinreichend enger Zusammenhang (oben cc bbb). Anders als die Schadensersatzpflicht belasten die beiden Anspruchs Varianten des § 1004 I den Störer mit inhaltlich begrenzten und von vornherein überschaubaren Rechtsfolgen (oben bb, cc ccc). Dies gilt auch bei einem weiten Verständnis des Beeinträchtigungs- und Beseitigungsbegriffs, also selbst dann, wenn man den Störer für verpflichtet hält, Substanzverletzungen durch Reparaturen an der fremden Sache abzugleichen (§ 1004 I 1; oben cc ccc). Die in Literatur und Rechtsprechung des öfteren geäußerte Ansicht, nur adäquate Ursachen lösten die Haftung aus 25 , erweist sich somit nach den vorliegenden Untersuchungen als nicht berechtigt.
24 25
Dazu oben 12. Kap. ebd. bbb (3) (33). Vgl. oben Fn. 5.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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C. Das Entfallen der Haftung aus § 1004 BGB /. Einleitung Fragen des Entfallens der Haftung des Besitzers aus § 1004 entstehen in zwei Fällen: Einmal dann, wenn der Besitz endet; die hier auftauchenden Fragen sind teilweise schon auf Grund der gleichen Lage bei § 908 bekannt (dazu unten II). Zum zweiten entsteht das Problem, ob Ansprüche aus § 1004 erlöschen, wenn der Besitzer nicht zugleich Eigentümer ist und er bei Erfüllung seiner negatorischen Pflichten gehalten ist, in das ihm überlassene fremde Eigentum einzugreifen; hier kann der Gesichtspunkt der Unmöglichkeit gegeben sein (dazu unten III). II. Das Entfallen
der Haftung aus dem Gesichtspunkt der Besitzbeendigung 1. Einleitung
Da die Verantwortung bei einem störenden Grundstückszustand an den Besitz gebunden ist, entfällt die Haftung mit Besitzbeendigung. Die Frage, ob auch nach der Besitzzeit eine negatorische Verantwortlichkeit besteht, stellt sich dann, wenn der Besitzer während seines Besitzes seine Sicherungspflichten verletzt hat und dadurch nach Besitzbeendigung Gefahren oder Beeinträchtigungen entstehen. Da der Besitzer hier für die störenden Folgen kausal geworden ist, ist die actio negatoria grundsätzlich ausgelöst. Nach § 908 nun ist der Besitzer dennoch nicht mehr haftbar aus der Erwägung heraus, daß der Nicht-Besitzer zur Gefahrenbeseitigung mangels Sachherrschaft nicht mehr in der Lage ist 1 . Ob diese Rechtsfolge auch in den vergleichbaren Fällen des § 1004 gilt, ist im folgenden zu ermitteln. Dazu sind die zur Beendigung der Haftung nach § 1004 in Literatur und Rechtsprechung vorhandenen Meinungen zu berücksichtigen (unten 2). Im Rahmen der eigenen Prüfung der Frage (unten 3) wird sich herausstellen, daß die Haftungsbeendigung nach § 1004 differenziert zu beurteilen ist (unten 3 b, c). Soweit der Besitzer danach auch noch nach seiner Besitzzeit haftet, stellt sich die Frage, ob die Haftungsbegrenzung des § 836 I I analog heranzuziehen ist (unten 3e). Hinsichtlich der Beendigung der Haftung auf Grund des Gedankens des § 908 ist zu untersuchen, wie dieses Ergebnis dogmatisch erklärbar ist (unten 3d). 2. Beurteilung durch Schrifttum und Judikatur a) Einleitung
Das Problem des Entfallens der Haftung aus § 1004 stellt sich auf Grund des hier vertretenen Haftungskonzepts aus dem Gesichtspunkt der Besitzbeendigung (s. oben 1). Unter diesem Aspekt kann die Frage in Literatur und Rechtsprechung jedenfalls nicht in grundsätzlicher Form auftauchen, da das 1
Oben 12. Kap. § 6 C V 6.
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
vorliegende Konzept nicht allgemeines Gedankengut darstellt. Doch finden sich dort für die Frage des Ausscheidens aus der Haftung Überlegungen, die mit dem vorliegenden Ausgangspunkt Ähnlichkeit haben, und zwar für die unter dem Stichwort der „Rechtsnachfolge" bekannten Fälle der Veräußerung eines Grundstücks im störenden Zustand. b) Dem Gedanken des § 908 ähnliche Beurteilungen
Frühere Untersuchungen zur gegenwärtigen Rechtslage der negatorischen Verantwortlichkeit (oben 1. Teil) in Fällen der Veräußerung eines Beeinträchtigungen hervorrufenden Grundstücks hatten ergeben, daß Offtermatt hier den Gedanken des § 908 heranzieht 2. Er ist der Ansicht, daß ein Ausscheiden des früheren Besitzers aus der Haftung in allen Fällen in Betracht komme, in denen eine „durch die Sache vermittelte Beeinträchtigung" bestehe3. Diesen Grundsatz variiert Offtermatt aber durch Interessenbewertungen, die er vom jeweiligen Fall abhängig macht. So soll die Haftung dann nicht entfallen, wenn der Besitzer die Sache derelinquiert, aber ein Besitznachfolger nicht vorhanden ist. Dagegen sei das Interesse des ehemaligen Besitzers schutzwürdig, wenn ein Nachfolger beseitigungspflichtig sei 4 . Hier wird also, wenn auch eingeschränkt durch außerhalb des § 908 liegende Erwägungen, der in der Vorschrift enthaltene Gedanke der Haftungsbeendigung für § 1004 herangezogen. — In ähnlicher Weise berief sich das O L G Braunschweig auf § 908 5 . Zwar leitete es den Anspruch gegen den Besitzer unmittelbar aus § 909 her, nicht aus § 1004. Doch kommt es auf die Anspruchsgrundlage nicht an, da das Gericht § 909 offenbar nur als besonders geregelten Fall der allgemeinen actio negatoria bewertete, nach § 1004 also zu demselben Ergebnis gelangt wäre. Das Urteil stellt fest, daß nicht derjenige verantwortlich sei, der gehandelt habe, weil dieser bei einem Besitzwechsel nicht mehr in der Lage sei, die gefährdende Vertiefung zu beseitigen, sondern daß der Besitznachfolger hafte 6 ; diese Anschauung stützt das Gericht auf §908 7 . Die Untersuchung des übrigen Rechtsprechungsmaterials zu den Fällen der Rechtsnachfolge hatte ergeben, daß dort die Nicht-Haftung des Rechtsvorgängers eines störenden Grundstücks damit erklärt wird, daß er zur Erfüllung des negatorischen Anspruchs nicht in der Lage sei8. Während die Rechtsprechung also die Haftung des Rechtsvorgängers generell mit diesem Argument ablehnt, 2
Vgl. oben 7. Kap. § 4 C II. Offtermatt S. 56 2. Absatz. 4 Ebd. 5 O L G Braunschweig SeuffArch. 56 Nr. 200, S. 356,358 = OLG Rspr. 4, S. 62, s. schon oben 7. Kap. § 4 Β II. 3
6 7 8
SeuffArch. ebd. S. 357. Ebd. S. 358; dazu schon oben 7. Kap. § 4 Β II. Vgl. oben 7. Kap. § 4 Β I.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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machen Teile des Schrifttums eine Verantwortlichkeit von der Möglichkeit der Störungsbeseitigung abhängig, eine insofern nicht deutliche Einschätzung, als nicht mitgeteilt wird, unter welchen Voraussetzungen der Rechtsvorgänger die genannte Möglichkeit haben kann 9 . Dieser an diesen Stellen aber enthaltene Gedanke der Beseitigungsmöglichkeit liegt auch § 908 zugrunde 10 , wenn zur Begründung der Haftungsbeendigung die Vorschrift selbst auch nicht herangezogen wird. c) Allgemeine Äußerungen zum Entfallen der Haftung
Äußerungen zum Ausscheiden aus der Haftung wegen der Unerfüllbarkeit des negatorischen Anspruchs existieren im übrigen auch in genereller Form, also unabhängig von der besonderen Fallgestaltung der Grundstücksveräußerung. Regelrechte Grundsätze zu dieser Frage sind nicht entwickelt worden, doch in Literatur und Rechtsprechung taucht wiederholt die Äußerung auf, daß Ansprüche aus § 1004 nicht gegeben seien, wenn Beseitigung oder Unterlassung unmöglich sind 11 . Der BGH hat anläßlich einer Klage aus § 1004 den Satz aufgestellt, daß zu einer unmöglichen Leistung niemand verurteilt werden dürfe 12 . Meist wird angenommen, daß der Anspruch ohne weiteres entfalle, aber auch § 275 BGB oder dessen Rechtsgedanke werden genannt 13 . 3. Eigene Untersuchung a) Einleitung
Das Ausscheiden aus der Haftung des § 908 mit Besitzende ist eine notwendige Konsequenz der dort geregelten Fallage: Die Gefahrenbeseitigung gem. § 908 fordert Maßnahmen am Gebäude selbst. Wenn sich etwa Teile des Gebäudes zu lösen und auf das Nachbargebiet zu fallen drohen, kann diese Gefahr nur durch 9
Ebd. C I. Oben 12. Kap. § 6 C V 6. 11 Offtermatt S. 125; Münzberg S. 384 1. Absatz, 390 2. Absatz aE; Baur AcP 160 (1961), 465,490 2. Absatz; ders. § 12 I I I 2, IV 1 a; Lutter/Overath JZ 1968, 345, 353 r. Sp. (für Vermieterfalle); MK-Medicus § 1004 Rdnr. 47; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 44; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 24; Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 34; RG JW 1910 Nr. 15, S. 754; RGZ 99, 172, 179 oben (bei technischer Unausführbarkeit, der die wirtschaftliche nach Ansicht des RG gleichzustellen ist; gem. § 148 ABG keine actio negatoria, sondern nur Entschädigungsanspruch); 127, 29, 33 (Unmöglichkeit der Löschung eines von Abraumhalden ausgehenden Brandes); BGHZ 62, 388, 393 2. Absatz = BGH NJW 1974, 1552 (störende AutoStellplätze); auch Memelsdorff S. 12; Planck-Brodmann § 1004 Anm. 4 a. 10
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BGHZ 62, 388, 393 2. Absatz = BGH NJW 1974, 1552. Für § 275 BGB Offtermatt S. 125; Baur § 12 I I I 2 beruft sich auf den „Rechtsgedanken" des § 275 BGB; gegen Anwendung der Unmöglichkeitsbestimmungen Picker S. 160 2. Absatz, 161 1. Absatz. Die übrigen hier in Fn. 11 Genannten begründen das Entfallen der Haftung mit der fehlenden Beseitigungsmöglichkeit. — Zur dogmatischen Erklärbarkeit des Entfallens der Haftung unten 3 d. 13
2
Herrmann
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
entsprechende Vorkehrungen am Gebäude gebannt werden. Aus diesem Grunde muß der Anspruch aus § 908 notwendig entfallen, wenn der Besitz am Gebäude nicht mehr gegeben ist. Da auch in den hier nach § 1004 zu behandelnden Fällen Gefahren und Beeinträchtigungen vom Gebäude- oder Grundstückszustand ausgehen, kommt der in § 908 enthaltene Gedanke der Haftungsbeendigung grundsätzlich in Betracht. Er kann aber für § 1004 nicht undifferenziert übernommen werden, da danach Fälle denkbar sind, in denen der Betreffende trotz fehlenden Besitzes die Möglichkeit zur Beseitigung hat. Der Grundsatz des § 908 greift also nur dann ein, wenn die Sachverhaltslage nach § 1004 die gleiche ist; im folgenden ist im einzelnen zu prüfen, wann dieses der Fall ist (unten b, c). Im Anschluß an diese Untersuchungen werden die bereits genannten (oben 1) Probleme der dogmatischen Erklärbarkeit des Entfallens der Haftung (unten d) sowie der analogen Anwendung des § 836 I I BGB (unten e) erörtert. b) Entfallen der Haftung nach § 1004 I 2
Eine dem § 908 vergleichbare Lage ergibt sich für den Fall des § 10041 2: Zu besorgende Beeinträchtigungen durch den Zustand von Gebäude oder Grundstück anderer als in § 908 geregelter Art lassen sich ebenfalls nur durch Maßnahmen an der Sache selbst beheben. Besteht etwa die Gefahr, daß die Dachtraufe sich auf das Nachbargrundstück ergießt, daß lagernde chemische Stoffe (Petroleum, Sulfate) durch die Nachbarwände dringen oder das Grundwasser verseuchen oder daß Bodenaushebungen zum Absacken des benachbarten Grundstücks führen, sind diese Störungsgefahren nur durch Vorkehrungen am Gebäude oder auf dem störenden Grundstück zu beseitigen. Wer nicht mehr Besitzer ist, ist zu derartigen Maßnahmen nicht in der Lage. Somit gilt auch für den Anspruch aus § 1004 I 2, daß mit Besitzaufgabe die Haftung entfällt. c) Entfallen der Haftung nach § 1004 I 1
Im Falle des Beseitigungsanspruches gem. § 100411 dagegen kommt es für die Erfüllbarkeit des negatorischen Verlangens auf die Art der Beeinträchtigung an. In allen Fällen, in denen der beeinträchtigende Zustand an das Grundstück gebunden ist, ist die Lage nicht anders als eben beschrieben (oben b): Störungen durch einen Überbau, eine überhängende Mauer, durch Grundstücksvertiefungen, die zum Absacken des benachbarten Grund und Bodens geführt haben, durch hinübergewachsene Pflanzenwurzeln, durch ein Feuchtigkeit vermittelndes zusammengefallenes Haus oder durch eine zu enge Tordurchfahrt (§§ 1027, 1004) lassen sich nur durch Eingriffe auf dem störenden Grundstück selbst beseitigen. Da diese mangels Besitz nicht möglich sind, greift der Gedanke des § 908 ein. Bestehen die Beeinträchtigungen aber unabhängig vom Grundstück, hat auch der Nicht-Besitzer die Beseitigungsmöglichkeit. Wenn etwa die Störung darin besteht, daß Felsgestein, das sich gelöst hat, auf dem unter dem Felshang
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
435
befindlichen Bereich liegt, daß der umgefallene morsche Baum das Nachbargrundstück stört, daß das von den Abraumhalden der Fabrik übergesprungene Feuer sich auf dem Nachbargebiet ausbreitet oder der von den Sandkippen hinübergewehte Sand fremde Ländereien bedeckt, vermag der ehemalige Besitzer einzugreifen und die Beeinträchtigung zu beseitigen. In diesen Fällen besteht die actio negatoria also auch unabhängig von seinem Besitz. d) Dogmatische Begründung des Entfallens der Haftung
Bei Bearbeitung des § 908 wurde das Entfallen der Haftung bei Besitzende als gesetzliche Anordnung hingenommen, ohne daß die Frage nach der rechtlichen Erklärbarkeit behandelt wurde (oben 12. Kap. § 6 C V 6). Für den Anspruch aus § 1004 aber (oben b, c) ist zu ermitteln, wie die genannte Konsequenz dogmatisch einzuordnen ist. Das Ausscheiden aus der Haftung bei praktischer Unerfüllbarkeit des Anspruchs folgt aus der allgemeinen Überlegung, daß eine Verpflichtung zu etwas Unmöglichem sinnlos ist. Diese Erkenntnis entspricht altem Gedankengut, das in vielerlei Sentenzen überliefert ist. Die in den römischen Digesten enthaltene, von Celsus stammende Feststellung: impossibilium nulla obligatio est 14 ist eine der Jurisprudenz geläufige Parömie. Es heißt aber auch: nemo potest ad impossibile obligari (Bonifaz VIII.), ferner ultra posse (oder vires) nemo obligatur, oder impotentia excusat legem (Gothofredus) 15 . — Da die Unmöglichkeit jedoch ein fester Begriff des kodifizierten Schuldrechts ist, entsteht die Frage, ob hier anstelle allgemeiner Prinzipien die die Unmöglichkeit regelnden §§ 275 und 306 BGB anzuwenden sind (s. auch oben 2 c aE). § 275 BGB bestimmt das Freiwerden des Schuldners von der Leistung, wenn sie unmöglich wird, § 306 BGB ordnet an, daß ein auf eine unmögliche Leistung gerichteter Vertrag nichtig ist. M i t der Frage der Geltung dieser Bestimmungen ist zugleich das allgemeine Problem der Anwendbarkeit von schuldrechtlichen Regelungen auf sachenrechtliche Ansprüche aufgeworfen 16 . Eine Auseinandersetzung mit dem zuletzt genannten Problem erübrigt sich jedoch. Die §§ 275, 306 BGB sind nur ein Niederschlag des übergeordneten Gedankens, daß niemand zu einer unmöglichen Leistung verpflichtet werden kann 1 7 . Es bedarf dieser Vorschriften für § 1004 also nicht. Überdies läßt sich auch ohne nähere Befassung mit der generellen Frage der Geltung von 14
Vgl. D. 50, 17, 185. Nachw. bei Liebs unter Ν 64, J 23. 16 Dazu etwa Wolff-Raiser § 1 III; Westermann § 1 I I 3 („Fragen, die zum großen Teil durch endlose Streitigkeiten und Unklarheiten bis zur Hoffnungslosigkeit verwirrt sind".), § 2 I I I 3 aE, IV; Baur § 5 I I 2; grundlegend Horstmann, Untersuchungen über die Anwendbarkeit schuldrechtlicher Normen auf dingliche Ansprüche, 1938. Bekannt ist das Problem der Anwendbarkeit des § 281 BGB auf § 985 BGB, dazu etwa Westermann § 31 IV 4 mwN. 15
17
2*
Vgl. auch Wollschläger, Entstehung der Unmöglichkeitslehre (s. Literaturverz.).
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
Schuldrechtsvorschriften im Sachenrecht feststellen, daß die Bestimmungen nicht passen, da sie auf vertragliche Probleme zugeschnitten sind. Sie enthalten zeitliche Differenzierungen hinsichtlich des Eintritts der Unmöglichkeit; § 275 BGB setzt eine nach Abschluß des Rechtsgeschäfts entstehende Unmöglichkeit voraus, § 306 BGB eine bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende Unmöglichkeit. Rechtsgeschäfte aber spielen für § 1004 keine Rolle. Ferner macht § 275 BGB das Erlöschen des Anspruches vom Nicht-Verschulden des Schuldners abhängig; für die für den Fall des Verschuldens entstehende Frage, ob danach der Anspruch fortbesteht, ist § 280 BGB heranzuziehen, der zeigt, daß auch hier der Anspruch untergeht, sich aber in einen Schadensersatzanspruch verwandelt. Verschuldens- und Schadensersatzfragen liegen ebenfalls außerhalb der actio negatoria 18 . Rechtlich erklärt sich das Entfallen der Haftung nach allem nicht etwa mit den spezielle Unmöglichkeitsfragen regelnden Vorschriften der §§ 275 und 306, sondern mit dem dargelegten allgemeinen Grundsatz. Die Feststellung der mit § 908 befaßten 2. Kommission, die das Ausscheiden aus der Verantwortlichkeit schlicht damit erklärte, daß der Nicht-Besitzer zur Gefahrenbeseitigung nicht in der Lage sei 19 , ist also nicht nur rein praktischer Art, sondern kann zugleich als juristische Begründung der betreffenden Rechtsfolge verstanden werden.
e) Begrenzung der nach Besitzbeendigung andauernden Haftung gem. § 836 I I BGB analog
aa) Für den Fall des Beseitigungsanspruches des § 1004 I 1, in dem die Haftung trotz Besitzende weiterbesteht (oben c), liegt die Frage nahe, ob eine entsprechende Heranziehung des § 836 I I gerechtfertigt ist, wonach die Haftung ein Jahr nach Besitzbeendigung entfällt, aber auch innerhalb dieses Jahres dann, wenn der Besitznachfolger den Schaden hätte verhüten können. Sinn dieser Regelung ist, wie wir sahen, eine Beweiserleichterung, da es mit zunehmendem Zeitablauf immer schwieriger wird, das Verhalten des ehemaligen Besitzers festzustellen 20. Nun erschwert die zeitliche Distanz zu den die Haftung auslösenden Tatsachen im allgemeinen die Beweislage. Die Besonderheit im vorliegenden Fall aber liegt darin, daß die Haftung des § 836 an den Besitz geknüpft ist und dieser wechseln kann. Damit besteht die Möglichkeit, daß die Sache zeitlich nacheinander in den Händen mehrerer Besitzer liegt. Der ehemalige Besitzer ist verantwortlich, wenn er eine für den Schaden kausale Unterhaltungspflichtverletzung begangen hat und ihn ein Verschulden trifft (§ 836 I). Ob aber diese Voraussetzungen vorliegen, läßt sich um so schwerer feststellen, je mehr Zeit verstrichen ist oder je öfter das Gebäude den Besitzer 18 Ähnlich Wollschläger, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 171 /172 für die Anwendbarkeit der §§ 280, 286 f. BGB auf § 1004 BGB. 19 Oben 12. Kap. § 6 C V 6. 20 Oben 12. Kap. § 6 C I I 6b dd.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004
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gewechselt hat, im letzteren Falle deshalb, weil auch die nachfolgenden Besitzer unterhaltungspflichtig sind und daher der Schaden auch auf deren Verhalten zurückführbar sein kann. Dieser Gedanke greift für den Anspruch auf Beseitigung einer Beeinträchtigung gem. § 100411 in gleichem Maße ein, wenn, wie in den vorliegenden Fällen, Quelle der Beeinträchtigung der Zustand einer Anlage oder eines Grundstücks ist. Ob der Anspruch auf Schadensersatz oder lediglich Beseitigung einer Beeinträchtigung gerichtet ist, macht für den Gesichtspunkt der Aufklärbarkeit des Sachverhaltes keinen Unterschied. Die Beweislage ist im Falle der §§ 836ff. allerdings insofern schwieriger als im Falle des § 1004, als dort außer der Kausalität der Unterhaltungspflichtverletzung Verschulden festzustellen ist 2 1 , während dieser Aspekt für die actio negatoria keine Rolle spielt. Dennoch bleibt es bei der Schwierigkeit der Ermittlung der Pflichtverletzung, und diese ist für sich genommen, da sie die Haftung begründet, derart gewichtig, daß sie die Begrenzung der Haftung rechtfertigt. Für die spezielle actio negatoria des § 908 ist § 836 I I nur deshalb nicht bedeutsam, weil dort eine Haftung über die Besitzzeit hinaus ohnehin entfällt, ebenso wie in den vergleichbaren Fällen des § 1004 (soeben b, c). Besteht die Haftung aber, wie hier teilweise im Falle des § 1004 I 1 (oben c), greift der Gedanke des § 836 I I ein. bb) Insoweit ist grundsätzlich eine Haftungsbegrenzung auch für § 100411 in entsprechender Anwendung des § 836 I I anzunehmen. Dies gilt uneingeschränkt für die Jahresfrist. Um die Bedeutung des § 836 I I für § 1004 aber auch hinsichtlich des weiteren Grundes des Haftungsausschlusses, die Möglichkeit der Gefahrenabwendung durch den Besitznachfolger, beurteilen zu können, muß ermittelt werden, ob es für diese Folge des § 836 I I bedarf oder ob die Haftung in dem betreffenden Fall nicht schon nach allgemeinen materiellrechtlichen Grundsätzen entfallen würde. Hinter dieser Überlegung steckt folgender Gedankengang: Bereits bei Untersuchung des § 836 I I selbst wurde festgestellt, daß die Unterhaltungspflichtverletzung des Erstbesitzers auch in dem hier fraglichen Fall der Möglichkeit der Gefahrenabwendung durch den Zweitbesitzer kausal ist, also unabhängig davon, daß die Gefahr entfallen wäre, wenn der Zweitbesitzer eingegriffen hätte 22 . Wenn der Erstbesitzer es beispielsweise unterlassen hatte, seinen Felshang zu sichern und nunmehr, nachdem er nicht mehr Besitzer ist, Felsbrocken auf das darunter liegende Gebiet fallen, ist sein Verhalten für diese Folge ursächlich geworden, selbst wenn eine Sicherung des Hanges durch den Besitznachfolger das Herunterfallen des Gesteins verhindert hätte. Es wurde bei Bearbeitung des § 836 I I ferner erwähnt, daß der in der Vorschrift geregelte Sachverhalt an die Fälle der sog. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs erinnert 23 . Damit sind die Fälle gemeint, in denen 21
Verschuldensvermutung (Beweislastumkehr), s. die negative Formulierung des § 836
12. 22 23
12. Kap. § 6 C I I 6 c aa. Ebd.
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
jemand für ein Ereignis zwar im Sinne der condicio-Formel ursächlich wird, seine Haftung aber deshalb zweifelhaft ist, weil sich ein Dritter in den Kausalablauf eingeschaltet hat und schädigende Folgen herbeiführt. Ein Beispiel ist der Fall, daß ein Arzt bei einer auf Grund eines Unfalls notwendig gewordenen Operation gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstößt und der Geschädigte dadurch einen weiteren Gesundheitsschaden erleidet. Hier ist die Haftung des Erstschädigers zu verneinen, wenn ihm bei wertender Betrachtung nicht zugemutet werden kann, auch für Folgen einzustehen, die auf Grund selbständigen Eingreifens eines anderen verursacht wurden. Auch im vorliegenden Fall sind hintereinander ursächliche Verhaltensweisen zweier Beteiligter gegeben, so daß die Frage entstehen kann, ob die Haftung des Erstbesitzers wegen des nachfolgenden Verhaltens des Zweitbesitzers entfallt. Wenn diese Beurteilung zuträfe, wäre das Ergebnis des § 836 II, der Haftungsausschluß, nur teilweise eine Besonderheit. Der Unterschied zwischen § 836 I I und den dargelegten allgemeinen Grundsätzen bestünde darin, daß ohne § 836 I I im jeweiligen individuellen Fall zu prüfen wäre, ob eine Haftungsbefreiung des Erstbesitzers gerechtfertigt ist 2 4 . Bei Anwendung des § 836 I I dagegen entfiele die Notwendigkeit einer solchen Individualprüfung, die Haftung würde pauschal in allen derartigen Fällen entfallen. Somit müßte entschieden werden, ob dieser generelle Weg des § 836 I I aus Gründen der Beweiserleichterung zu akzeptieren ist oder ob nicht vielmehr eine Differenzierung geboten ist. Indessen weist der vorliegende Fall zweier (oder mehrerer) Unterhaltungspflichtverletzungen mit den Fällen der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs nur eine äußere Ähnlichkeit auf, materiell ist er mit ihnen nicht vergleichbar. Bei der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs geht es um das Problem, ob der Erstverursacher verantwortlich gemacht werden soll für das Eingreifen Dritter, das er zwar hervorgerufen hat (condicio sine qua non), das ihm aber unter Billigkeitsgesichtspunkten unter Umständen nicht mehr zugerechnet werden kann. Im vorliegenden Fall besteht dieses Problem nicht, weil das Verhalten des Erstbesitzers nicht kausal geworden ist für das Verhalten des Zweitbesitzers. Es geht also nicht um die Frage, ob dem Erstbesitzer das Verhalten des Zweitbesitzers zugerechnet werden kann. Für den konkreten Fall ausgedrückt bedeutet dies, daß die mangelhafte Unterhaltung des Besitznachfolgers nicht durch die mangelhafte Unterhaltung des Besitzvorgängers verursacht wurde. Dies liegt daran, daß es sich hier um ein Unterlassen handelt. Beide Besitzer haben sich nur passiv verhalten und sind voneinander unabhängig für die Beeinträchtigung kausal geworden. Eine den Fällen der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs vergleichbare Kausalkette ist nicht möglich, wenn beide Beteiligte auf Grund Unterlassens haftbar sind.
24 Einzelheiten der Grundsätze der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs sind umstr., s. etwa Larenz I § 27b 4 mwN.
§ 3 Übertragung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1 0 0 4 4 3 9
Damit ergibt sich, daß der Besitzvorgänger nicht etwa unabhängig von § 836 I I infolge allgemeiner Grundsätze von seiner Haftung befreit werden könnte, vielmehr hat er auf Grund seines Kausalwerdens für die Beeinträchtigung uneingeschränkt einzustehen. § 836 I I ist also für den vorliegenden Fall von Bedeutung. Für die Frage seiner Anwendbarkeit ist somit lediglich entscheidend, ob sein Eingreifen unter dem Gesichtspunkt der Beweiserleichterung gerechtfertigt ist. Damit ist auf das bereits Ausgeführte zurückzukommen (oben aa): Da eine Sicherungspflichtverletzung des gegenwärtigen Besitzers leichter ermittelbar ist als eine Sicherungspflichtverletzung des früheren Besitzers, ist gem. § 836 I I zunächst dessen Verhalten festzustellen; sind die Störungen auf seine Untätigkeit zurückzuführen, ist der Erstbesitzer frei. Das Ergebnis ist auch vom Standpunkt der Billigkeit aus zu akzeptieren. Der Nachfolger müßte ohnehin haften. Daß der Vorgänger trotz seines unter Umständen rechtswidrigen Verhaltens befreit wird, ist eine Folge des Gebotes der Rechtssicherheit und -klarheit, das hier wegen der Besonderheit des Falles — hintereinander liegende Sicherungspflichten — höher zu veranschlagen ist als die — eventuell materiellrechtlich gebotene — Beseitigungspflicht des Vorbesitzers. 4. Zusammenfassung zu 1-3 Zusammenfassend ist folgendes Ergebnis festzuhalten: Das nach § 908 angeordnete ausnahmslose Entfallen der Haftung ist daraus erklärbar, daß die Vorschrift zur Beseitigung von Gefahren, nicht zur Beseitigung tatsächlich eingetretener Beeinträchtigungen verpflichtet. Wenn die Gefahr vom Gebäudezustand selbst ausgeht, kann sie auch nur durch Maßnahmen am Gebäude beseitigt werden. Da § 1004 I 2 einen parallelen Anspruch für vergleichbare Gefahren gibt, also auch dort der Gefahrenzustand an Gebäude oder Grundstück gebunden ist, entfallt hier die Haftung wie im Fall des §908 mit Besitzbeendigung (oben 3 b). Die Beseitigung tatsächlich eingetretener Beeinträchtigungen (§ 1004 I I ) aber fordert nicht notwendig Handlungen auf dem Grundstück, von dem die Störung ausgegangen ist. Hier entfallt die Haftung also dann nicht, wenn die Entstörung unabhängig von der Vornahme von Maßnahmen auf dem störenden Grundstück möglich ist (oben 3 c). — Die Haftungsbeendigung mit Besitzaufgabe ist dogmatisch mit der Unmöglichkeit des Nicht-Besitzers erklärbar, den Anspruch zu erfüllen (oben 3d). Der Satz etwa: impossibilium nulla obligatio est ist apriorischer Natur; weder bedarf es der §§ 275, 306 BGB, noch passen sie infolge ihres Zuschnitts auf vertragliche Probleme für den Anspruch aus § 1004. Soweit die Haftung nach der Besitzzeit andauert, unterliegt sie unter analoger Anwendung des § 836 I I der dort bestimmten Haftungsbegrenzung (oben 3e).
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III. Die Frage der Unmöglichkeit aus dem Gesichtspunkt des Eingriffs Besitzers in fremdes Eigentum Schon früher wurde dargelegt, daß der Besitzer, der nicht gleichzeitig Eigentümer ist, auf Grund seiner negatorischen Verpflichtungen nach § 1004 dazu gehalten sein kann, in das ihm überlassene fremde Eigentum einzugreifen. Diese Rechtslage wurde hinsichtlich der den Besitzer treffenden allgemeinen Sicherungspflicht behandelt (oben Β I I I 5). Es ergab sich, daß der genannte Eingriff gem. § 1004 gerechtfertigt ist und daß die Sicherungspflicht daher nicht wegen Unmöglichkeit ihrer Erfüllung aus Rechtsgründen entfallt. Bei einem entgegengesetzten Ergebnis brauchte dieselbe Frage für die Ansprüche verleihenden (echten) Rechtspflichten des § 1004 nicht mehr gestellt zu werden, da diese Pflichten nicht entstehen können, wenn schon keine allgemeine Sicherungspflicht gegeben ist. Da aber das Bestehen der Sicherungspflicht zu bejahen war, stellt sich das Problem erneut hinsichtlich der einklagbaren negatorischen Verpflichtungen des § 1004, also dann, wenn der Besitzer seine Sicherungspflichten verletzt hat und nunmehr gegen ihn die Ansprüche aus § 1004 auf Beseitigung der Gefahr oder der Beeinträchtigung geltend gemacht werden. Kann der Besitzer diesen Ansprüchen nur dadurch nachkommen, daß er Maßnahmen an dem ihm vom Eigentümer überlassenen Grundstück vornimmt, so liegt wiederum ein Eingriff in fremdes Eigentum vor (§§ 823, 989 BGB). Die hier entstehende Kollisionslage ist ebenso zu beurteilen wie hinsichtlich der Eingriffe auf Grund der allgemeinen Sicherungspflichten (s. oben Β I I I 5). Das Problem ist unter dem Gesichtspunkt der Unmöglichkeit aus rechtlichen Gründen zu beurteilen (ebd. 5 a). Zu fragen ist also, ob dem Besitzer die Erfüllung der Ansprüche unmöglich ist, weil sie ihn zu rechtswidrigen Eingriffen in fremdes Eigentum zwingen würde. Grundsätzlich führt ein Vertoß gegen gesetzliche Verhaltensgebote (z.B. nach § 823 BGB) zur Unmöglichkeit (ebd. 5 b). Doch liegt hier ein solcher Verstoß nicht vor. Einmal kann der Eingriff des Besitzers in einzelnen Fällen schon auf Grund des Rechtsverhältnisses zwischen ihm und dem Eigentümer gerechtfertigt sein, so wenn die Maßnahme einer dem Besitzer gegenüber dem Eigentümer obliegenden Unterhaltungsmaßnahme gleichkommt (z.B. auf Grund §§ 582a, 586,1021,1022,1041 S. 2 BGB) oder wenn der Eigentümer, weil ihn als (unmittelbaren oder mittelbaren) Besitzer dieselbe Pflicht nach § 1004 trifft, sein Einverständnis erteilt (ebd. 5 c bb aaa, ccc). Denkbar ist ferner, daß Besitzer und Eigentümer Gesamtschuldner sind (§§ 421 ff. BGB) und der Eigentümer deshalb gehalten ist, dem Besitzer die Vornahme der Maßnahmen zu gestatten (ebd. bbb). Doch abgesehen von diesen besonderen Rechtfertigungsgründen, die dann nicht eingreifen, wenn der nach § 1004 vorzunehmende Eingriff über die internen Befugnisse des Besitzers hinausgeht, der Eigentümer seine Einwilligung nicht erteilt oder ein Gesamtschuldverhältnis schon deshalb nicht infrage kommt, weil der Eigentümer nicht auch Besitzer ist, ist das Verhalten des Besitzers auf Grund seiner negatorischen Verpflichtung nach § 1004 gerechtfertigt (ebd. 5 c cc). Damit liegt Unmöglich-
des
§ 4 Zusammenfassung zu §§ 1 - 3
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keit wegen rechtlicher Hindernisse nicht vor. Ansprüche aus § 1004 bestehen. IV. Zusammenfassung zu /-/// Als Ergebnis ist festzuhalten, daß der Präventivanspruch des § 1004 I 2 regelmäßig mit Besitzbeendigung entfallt, da der Besitzer nach der Besitzzeit zur Gefahrenbeseitigung nicht mehr imstande ist (oben I I 3 b); diese Lage gleicht der in § 908 unmittelbar geregelten (oben 12. Kap. § 6 C V 6). I m Falle des Beseitigungsanspruches nach § 1004 I 1 kommt es darauf an, ob dem Besitzer auch nach Besitzende die Erfüllung des Anspruchs möglich ist (oben I I 3 c). Kann die Beeinträchtigung nur durch Maßnahmen auf dem störenden Grundstück beseitigt werden, erlischt der Anspruch wegen Unmöglichkeit (Beispiel: Mauerüberhang); bedarf es dagegen derartiger Maßnahmen nicht, sondern muß der Besitzer Beseitigungshandlungen auf dem gestörten Grundstück vornehmen, so besteht keine Unmöglichkeit (Beispiel: Wegräumen von Felsgestein). Dogmatisch erklärbar ist das Entfallen der Haftung aus dem allgemeinen Gedanken, daß niemand zu einer unmöglichen Leistung verpflichtet sein kann (impossibilium nulla obligatio est; oben I I 3 d). — Haftet der Besitzer noch nach seiner Besitzzeit, ist in entsprechender Anwendung des § 836 I I aus Gründen der Beweiserleichterung eine Haftungsbegrenzung gerechtfertigt; demnach entfällt die Haftung ein Jahr nach Besitzbeendigung oder aber schon vor Ablauf dieses Jahres, wenn der gegenwärtige Besitzer die Beeinträchtigung hätte verhindern können (oben I I 3e). Soweit der Besitzer, der nicht zugleich Eigentümer ist, zur Erfüllung der actio negatoria in das ihm überlassene fremde Eigentum eingreifen muß (Reparaturen), liegt keine Unmöglichkeit aus rechtlichen Gründen vor, da der Eingriff infolge der negatorischen Verpflichtung gerechtfertigt ist; möglich sind ferner Rechtfertigungsgründe im Einzelfall auf Grund eines zwischen dem Eigentümer und dem Besitzer bestehenden Rechtsverhältnisses (Beispiele: Unterhaltungspflicht gegenüber dem Eigentümer bei Pacht, Dienstbarkeit oder Nießbrauch; Einwilligung des Eigentümers; dazu oben III).
§ 4 Zusammenfassung zu §§ 1 - 3 A. Auf Grund der vorstehenden Untersuchungen sind die Haftungsvoraussetzungen für einen Teil der Störungsfalle geklärt. Es sind dies die Störungen, die von einem Grundstückszustand ausgehen, also von der natürlichen oder künstlich geschaffenen Bodenbeschaffenheit sowie den mit dem Grund und Boden verbundenen Anlagen, seiner natürlichen Vegetation sowie darauf lagernden Stoffen. Den Besitzer des Grundstücks trifft die Pflicht, dafür zu sorgen, daß von seinem Grundstück nicht Störungen fremden Eigentums ausgehen. Er hat sich also entsprechend den beiden Ansprüchen des § 10041 zu verhalten: Da § 1004 I 2 auf Verhinderung drohender Beeinträchtigungen gerichtet ist, muß der Besitzer schon die Gefahr der Beeinträchtigung verhüten;
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da nach § 10041 1 verlangt werden kann, daß eingetretene Beeinträchtigungen beseitigt werden, hat er Beeinträchtigungen vorzubeugen. Diese Pflichten sind allgemeiner und nicht einklagbarer Art, vergleichbar anderen Handlungspflichten im Rahmen von Unterlassungshaftungen, etwa der Verkehrssicherungspflicht. Verletzt der Besitzer seine Sicherungspflichten und ist diese Pflichtverletzung (Unterlassen) für die rechtswidrige Folge kausal, greift die negatorische Haftung ein. B. I. Grundlage der ermittelten Haftungsvoraussetzungen sind allgemeine Prinzipien der negatorischen Veranwortung (oben 10. Kap. I) sowie die Haftungsgrundsätze des § 908 (oben 12. Kap. § 6 C V, VI). Diesen Grundsätzen kommt allgemeingültige Bedeutung zu (oben § 2 B). Dies ergibt sich einmal daraus, daß sie mit den auf Grund allgemeiner Überlegungen ermittelten generellen Prinzipien übereinstimmen (ebd. I), ferner aber auch mit den Haftungskriterien, die der Gesetzgeber des § 1004 in den Motiven beschrieben hat (ebd. II; 2. Kap. § 2). Außerdem folgt die Allgemeingültigkeit daraus, daß außerhalb des § 908 Fälle denkbar sind, die dem in der Bestimmung geregelten Fall vergleichbar sind (oben § 2 C III, IV). Gleiche Sachverhalte aber bedürfen auch einer rechtlich gleichen Bewertung (oben § 1 A, § 2 C I, D III). Diese Übereinstimmung der Haftungsprinzipien des § 908 mit den dargelegten generellen Grundsätzen (oben 10. Kap. I) belegt zum einen die Richtigkeit dieser Grundsätze. Zum zweiten präzisiert § 908 diese Grundsätze sowie die in den Motiven niedergelegte Störerbestimmung des Gesetzgebers des § 1004. Während die genannten, auf Grund allgemeiner Überlegungen ermittelten Haftungsgrundsätze und die Motive nur einen Haftungsrahmen vorgeben, enthält § 908 detaillierte Haftungsvoraussetzungen; die insoweit von § 908 getroffenen Entscheidungen stellen einleuchtende Haftungsaspekte dar (oben § 2 Β I). IL Daß bei Störungen, deren Quelle eine Sache ist, die dingliche Position Anknüpfungspunkt der Haftung sein muß, ergab sich auf Grund allgemeiner Prinzipien. Insoweit daneben an der Störung eine Handlung beteiligt ist, kam als Haftungskriterium die Kausalität in Betracht. Beide Komponenten sind auch in den Motiven zu § 1004 für den Fall der Störungen durch Anlagen aufgeführt (oben § 2 Β II). In § 908 findet sich für den Fall der das Nachbareigentum bedrohenden, von einem Gebäude oder anderen Werk ausgehenden Gefahren der Aspekt der dinglichen Position wieder, während die Vorschrift den Akt der Errichtungshandlung für unmaßgeblich hält. Diese Wertung überzeugt, denn die Bindung der Verantwortlichkeit an den kausalen Errichtungsakt stellt wegen der langen Lebensdauer von Gebäuden und Anlagen und wegen des möglichen Wechsels des dinglich Zuständigen kein taugliches Störerkriterium dar; der Erbauer, der demnach verantwortlich wäre, ist zur Gefahrenbeseitigung nicht in der Lage, der gegenwärtige Besitzer oder Eigentümer ist auf Grund des Kausalkriteriums nicht haftbar, könnte die Gefahr aber beheben. Die Anknüpfung an die Schaffung des störenden Grundstückszustandes hatte zu dem bisher
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für § 1004 ungelösten Problem geführt, das unter dem Stichwort der „Rechtsnachfolge" bekannt ist (oben 7. Kap. § 4; 13. Kap. § 2 Β I 1). Die Entscheidung des § 908, den Besitzer für haftbar zu erklären, stellt eine ebenfalls einleuchtende Bewertung dar. Bei den Gesetzgebungsarbeiten zu den §§ 836ff., die die Grundlage des §908 bilden, standen als Verantwortliche Eigentümer und Besitzer zur Debatte. Da dem Verpflichteten die Verantwortung auferlegt werden sollte, für den gefahrlosen Zustand des Bauwerks Sorge zu tragen, entschieden die Gesetzesverfasser sich für den Besitzer, weil dieser über die notwendige nahe Sachbeziehung verfügt (oben 12. Kap. § 6 C I I 2h bb). Dieser Gedanke überzeugt (oben § 2 Β I 2). Auch die weitere Entscheidung des § 908, die negatorische Haftung nicht etwa unmittelbar an den Besitz zu knüpfen, sondern ihm die Rolle einer „Garantenstellung" zuzuschreiben, die lediglich die allgemeine und nicht schon die die actio negatoria auslösende Pflicht begründet, das Bauwerk zu unterhalten, leuchtet ebenfalls ein; es widerspräche dem Inhalt des Besitzes, wollte man aus ihm Ansprüche herleiten. Dagegen ist die an den Besitz gebundene allgemeine Pflicht als eine nicht weiter dogmatisch begründbare Wertentscheidung der Rechtsordnung hinzunehmen (oben § 2 Β I 3). III. § 908 enthält die genannten Kriterien für einen speziellen Fall. Das diesen Fall kennzeichende Merkmal weisen jedoch auch andere Sachverhalte auf (oben § 2 C I I I 3). Das Merkmal des in § 908 geregelten Sachverhaltes besteht darin, daß die beeinträchtigende Wirkung vom Zustand eines Grundstücks ausgeht (ebd. 2); § 908 beschränkt die Verantwortung für diesen Zustand nach Objekt (Substrat) und Art: Der Zustand muß einem Gebäude oder anderem Werk (Anlage) anhaften und gerade darin bestehen, daß der Einsturz der Anlage oder die Ablösung von Teilen der Anlage droht. Diese Beschränkung ist historisch erklärbar; die genannten Gefahren haben, da sie typisch für Anlagen sind, seit alters eine besondere Regelung erfahren; § 908 geht—neben den §§ 836 ff. — auf die römische cautio damni infecti zurück, die dem Eigentümer bei der Gefahr des Einsturzes von Anlagen auf dem Nachbargrundstück einen Anspruch auf Leistung einer Sicherheit gab (oben § 2 Β I I I 2 b). Der Gesetzgeber der §§ 836 ff. hat die Verantwortung für Schäden, deren Ursache eine Sache ist, zwar bewußt auf die in diesen Bestimmungen geregelten Fälle begrenzt; für nachbarrechtliche sachenrechtliche Regelungen hat er aber eine weiterreichende Verantwortung für möglich gehalten (ebd. 3). Die nachbarrechtlichen Bestimmungen der §§903 ff. BGB sowie die allgemeine actio negatoria des § 1004 sind ein Niederschlag dieser Bewertung. Es ist daher gerechtfertigt, für § 1004 auf die Beschränkungen des § 908 zu verzichten und die actio negatoria auf Fälle anzuwenden, die darüber hinausgehen. Das den Fall des § 908 charakterisierende Merkmal enthalten auch Sachverhalte, in denen die Gefahr von der Anlage in anderer Form als gerade durch den Einsturz oder die Ablösung von Teilen ausgeht (Beispiele: verstopfte Regenrin-
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nen, hinüberwehende Sandmengen von Erdkegeln) oder in denen Ursache keine Anlage, sondern der Grund und Boden mit seiner natürlichen Vegetation und darauflagernden Stoffen ist (Beispiele: herabfallendes Felsgestein, umgewehter Baum, Lagerung von Petroleum; praktisches Fallmaterial oben § 2 C I I I 3 b). Schließlich kommt es für das betreffende Merkmal nicht darauf an, ob lediglich eine Gefahr besteht, wie von § 908 vorgesehen, oder ob bereits eine Beeinträchtigung gegeben ist, wie § 1004 I 1 dies voraussetzt (oben § 2 C I I I 3 b aa; 10. Kap. I 4), Damit ist der Fallbereich abgesteckt, der dem Fall des § 908 vergleichbar ist. Da der Grundsatz gilt, daß gleiche Sachverhalte einer auch rechtlich gleichen Bewertung unterliegen (oben 13. Kap. §1 A, §2 C I, D III), besteht die Berechtigung, aber auch das Gebot, die Haftungsvoraussetzungen des § 908 auf diese vergleichbaren Fälle anzuwenden. C. Auf Grund der Übertragung der Haftungsprinzipien des § 908 auf § 1004 gelten grundsätzlich die zu dieser Vorschrift ermittelten Haftungskriterien (oben 12. Kap. § 6 C V, VI). Dieses bedeutet im einzelnen: /. 1. Hinsichtlich von Entstehung, Inhalt und Rechtsqualität der Sicherungspflicht gilt prinzipiell das zu § 908 Ausgeführte (oben 12. Kap. § 6 C V 3; V I 3a; 13. Kap. §3 Β III). Allerdings weichen Inhalt und Rechtsqualität der Sicherungspflicht im Falle des Beseitigungsanspruches des § 100411 von Inhalt und Rechtsqualität der Sicherungspflicht des § 908 ab, insofern der Besitzer hier nicht schon die Gefahr einer Beeinträchtigung, sondern erst die Beeinträchtigung selbst verhindern muß; er kann also später eingreifen (oben § 3 Β I I I 3 c). Demgemäß ist die Rechtsqualität der Verpflichtung noch im Stadium der Gefahr nur unverbindlicher Art, während sie im Falle der Präventivansprüche der §§908, 1004 I 2 bei vorliegender Gefahr zu einer echten, Ansprüche verleihenden Rechtspflicht wird (ebd. 4). Nach Inhalt und Qualität gleicht die Sicherungspflicht des § 1004 I 1 der Unterhaltungspflicht der §§ 836 ff. (oben 13. Kap. § 3 Β I I I 3 c, 4b mit 12. Kap. § 6 C I I 3 d); der Unterschied liegt lediglich darin, daß nach den §§ 836 ff. ein Schaden zu verhüten ist, nach § 1004 I 1 eine Beeinträchtigung. Wegen der für die Sicherungspflicht vorauszusetzenden Gelegenheit, tätig zu werden, gilt also das zu § 836 Dargelegte; bei Einwirkungen von außen (Wetter, Eingriffe Dritter), die unmittelbar zu Beeinträchtigungen führen, ohne daß zuvor die Möglichkeit bestand, die Beeinträchtigung zu verhindern, besteht keine Verantwortlichkeit (oben § 3 Β I I I 2). 2. Terminologisch eignet sich für die allgemeinen Pflichten des § 1004 der Begriff der „Sicherungspflicht"; der für die Pflichten des § 908 passende Ausdruck der „Unterhaltungspflicht" (oben 12. Kap. § 6 C V I 4) ist in den Fällen des § 1004 zu eng, da es hier nicht immer um die „Unterhaltung" der Sache geht, sondern teilweise lediglich um die Absicherung gegen Beeinträchtigungen, ohne daß die Maßnahme gerade der Ausbesserung von Mängeln der Sache dient (oben 13. Kap. § 3 Β I I I 6).
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II. Die Haftung nach § 1004 setzt voraus, daß das Unterlassen der Sicherungspflicht für Gefahr oder Beeinträchtigung kausal geworden ist (zu § 908: oben 12. Kap. § 6 C V 5; zu § 1004: 13. Kap. § 3 Β IV). Es reicht die Feststellung der condicio sine qua non (zu § 908: 12. Kap. ebd. c cc aaa; zu § 1004: 13. Kap. ebd. 2b). Der Begrenzung der Haftung mit Hilfe der im Schadensersatzrecht entwickelten Kausaltheorien bedarf es nicht. Für § 100412 gilt insoweit das zu § 908 Ausgeführte (oben 12. Kap. ebd. bbb; zu § 1004 I 2: oben 13. Kap. ebd. 2c). Für § 100411 greifen aber keine anderen Grundsätze ein (oben 13. Kap. ebd. 2c cc). Auf den ersten Blick kann die Vermutung aufkommen, daß der Beseitigungsanspruch des § 1004 I 1 gegenüber dem präventiven Anspruch des § 10041 2 weiterreichende Rechtsfolgen enthält und hier daher Zurechnungsprobleme entstehen. Dies ist jedoch nur ein globaler Eindruck, der bei einer genauen Prüfung nicht bestätigt wird. Der Beseitigungsanspruch verlangt vom Störer nicht mehr Aufwand als der Unterlassungsanspruch; der Unterschied liegt nur im Substrat der erforderlichen Maßnahmen. Bei bloßer Gefahr muß der Störer auf dem eigenen Grundstück tätig werden, bei eingetretener Beeinträchtigung meist auf dem fremden Grundstück. Vorbeugende Maßnahmen können jedoch ebenso aufwendig an Kosten und Arbeitsleistung sein wie beseitigende Maßnahmen; umgekehrt können letztere weniger Aufwand erfordern als vorbeugende Vorkehrungen. Welche Maßnahmen der Störer jeweils ergreifen muß, hängt vom Einzelfall ab; generelle Regeln lassen sich nicht aufstellen. (Dazu 13. Kap. ebd. 2c cc ddd). Für beide Ansprüche gilt, daß die im Schadensersatzrecht auftretenden Probleme der Haftungsbeschränkung nicht entstehen [zu § 908: oben 12. Kap. § 6 G V 5c cc bbb (3); zu § 1004: oben 13. Kap. § 3 Β IV 2c bb, cc]. Dort treten Haftungsbegrenzungsfragen unter zwei Aspekten auf: in einigen wenigen, allerdings typischen Fällen wegen der Entfernung von Ursache und Rechtsoder Rechtsgutverletzung (Beispiel: Herstellung gefährlichen Werzeugs), in den meisten Fällen aber wegen der Weite des Schadensbegriffes (§ 249 S. 1 BGB). Der zunächst genannte Gesichtspunkt spielt im Falle des § 100412 keine Rolle, weil die Gefahr immer unmittelbar auf der unterlassenen Sicherungspflicht beruht; ein Dazwischentreten von Kausalfaktoren ist nicht denkbar. Im Falle der Beeinträchtigung nach § 1004 I 1 können zwischen der Unterlassung der Sicherungspflicht und der Beeinträchtigungsfolge Kausalfaktoren liegen. Wenn etwa die sich selbst entzündenden Abraumhalden nicht ausreichend gesichert sind, ist das Überspringen und Sich-Ausbreiten des Feuers nur auf Grund naturgesetzlicher Abläufe denkbar; diese treten zwischen die kausale Unterlassung und die Beeinträchtigungsfolge (Brennen des Feuers). Diese derart ausgelöste Kausalreihe ist aber noch so eng mit dem ursächlichen Verhalten verbunden, daß allein aus dem Gesichtspunkt der Entfernung von Ursache und Folge eine Haftungsbegrenzung nicht gerechtfertigt ist. Aber auch der im Schadensersatzrecht bedeutsame Gesichtspunkt des Umfangs der Verpflichtung ist im Falle der actio negatoria gegenstandslos. Die
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unter Umständen sehr weitreichende schadensersatzrechtliche Haftung beruht auf dem weiten Schadensbegriff (§ 249 S. 1 BGB), unter den sowohl der Objektschaden (Rechts-, Rechtsgutverletzung) als auch alle Folgeschäden fallen. Diese weitgehende Haftung hat zwar das Kausalkriterium zur Voraussetzung, da die Verantwortung auf Grund der durch das ursächliche Verhalten entstandenen sämtlichen Folgen des weiteren Ablaufs eintritt. Doch die Haftung wäre auch auf der Grundlage der Kausalität begrenzt, wenn der Schadensbegriff enger wäre, wenn er z.B. nur den Objektschaden umfassen würde. Diese im Schadensersatzrecht denkbare Lage ist bei der actio negatoria gegeben: Die Haftung ist beschränkt durch das Objekt der Wiederherstellung und das Ziel des Anspruches: Zu beseitigen sind Gefahrdungen und Beeinträchtigungen fremden Eigentums, nicht sind wie im Schadensersatzrecht alle im Gefolge der Rechts- oder Rechtsgutverletzung, etwa der Eigentumsverletzung, entstandenen weiteren Folgen zu kompensieren. Selbst wenn man einen weiten Beeinträchtigungs- und Beseitigungsbegriff zugrunde legt und in den zweifelhaften Grenzfallen (dazu oben 10. Kap. I 2 b) annimmt, daß nach § 10041 1 auch Substanzverletzungen rückgängig zu machen sind und demgemäß Reparaturen an der fremden Sache vorzunehmen sind, bleibt die Verantwortlichkeit beschränkt auf eben diese Maßnahmen. Die Überlegung zeigt überdies, daß es Aufgabe der Interpretation des Beeinträchtigungs- und Beseitigungsbegriffes wäre, etwa noch als notwendig empfundene Beschränkungen der Haftung herbeizuführen. III. Die Sicherungspflicht trifft den Besitzer des Grundstücks. Hinsichtlich der Art des Besitzes gelten grundsätzlich die zu § 908 ermittelten Ergebnisse (oben 12. Kap. § 6 C V I 3 c). Haftbar sind also Eigen- und Fremdbesitzer (§ 872), unmittelbarer und mittelbarer Besitzer (§ 868), der Erbbesitzer (§ 857) bei Kenntnis der Erbschaft, Besitzer auf Grund Besitzdienerschaft (§ 855) sowie Teil- und Mitbesitzer (§§ 865, 866). Inwieweit diese einzelnen Besitzarten dem Grundgedanken gerecht werden, denjenigen verantwortlich zu machen, der über eine ausreichend nahe Sachbeziehung verfügt (Zugriffsmöglichkeit), ergibt sich aus den Untersuchungen zu § 836 (oben 12. Kap. § 6 C I I 2h cc bbb-ggg). Obwohl die besitzrechtlichen Ausführungen zu den §§ 908, 836ff. für § 1004 heranzuziehen sind, besteht ein dogmatischer Unterschied: Anders als im Falle des § 908 können die Besitzformen des BGB § 1004 unmittelbar zugrunde gelegt werden, nicht etwa ist eine Analogie geboten. § 908 liegt der römischgemeinrechtliche Besitzbegriff zugrunde, so daß die Besitzarten des BGB auf die Vorschrift nur entsprechend anwendbar sind. Diese Bindung des § 908 an das alte Besitzverständnis besteht für § 1004 nicht, da es sich bei der Anwendung der Haftungsgrundsätze des § 908 auf § 1004 um eine Konkretisierung allgemeiner, von § 908 unabhängiger Prinzipien handelt (oben § 3 Β I I 2 a). Ferner kommt es für die Ermittlung des Verantwortlichen nicht, wie bei § 908, auf die Voraussetzungen der §§ 836 bis 838 im einzelnen an, vielmehr können sogleich die insoweit gewonnenen Ergebnisse für § 1004 verwendet werden (ebd. 2b). Die Haftung
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nach § 1004 ist also ohne weiteres an die Besitzposition zu knüpfen, ohne daß die besonderen Probleme der §§ 837 und 838 (§ 908) wiederaufzugreifen sind. Demnach ist für § 1004 unmittelbar nicht die Frage zu erörtern, ob der Fremdbesitzer (§ 838) kraft interner Unterhaltungspflicht oder kraft seines Besitzes haftet und ferner, ob auch nicht unterhaltungspflichtige Fremdbesitzer verantwortlich sind (oben 12. Kap. § 6 C I V 3,6; V I 3c). Auch das Problem, ob die dem Besitz zugrunde liegenden Rechtsgeschäfte wirksam sein müssen (s. §§ 837, 838; dazu ebd. I I I 3; IV 3 c bb ccc; V I 3 c bb), ist für § 1004 nicht zu behandeln. IV. 1. In Fällen, in denen der Besitzer nicht zugleich Eigentümer ist und in denen er zur Erfüllung seiner negatorischen Pflichten Maßnahmen am störenden Grundstück vornehmen muß, ist er zu Eingriffen in das fremde, ihm überlassene Grundstück gehalten. Derartige Eingriffe sind jedoch nicht rechtswidrig (§§ 823, 989 BGB); dies gilt sowohl hinsichtlich von Eingriffen zur Wahrnehmung der allgemeinen Sicherungspflicht als auch hinsichtlich von Eingriffen zur Erfüllung der einklagbaren Pflichten des § 1004 (oben § 3 Β I I I 5 c; ebd. C III). Damit erlöschen die genannten Pflichten nicht etwa aus dem Gesichtspunkt der rechtlichen Unmöglichkeit. Rechtfertigungsgründe können sich einmal schon aus dem zwischen dem überlassenden Eigentümer und dem Besitzer bestehenden Rechtsverhältnis ergeben (oben § 3 Β I I I 5 c). Dieses ist der Fall, wenn der Besitzer gegenüber dem Eigentümer zur Unterhaltung des Grundstücks oder Gebäudes verpflichtet ist (Beispiel: Pacht, § 58612 BGB) und die Maßnahme zur Erfüllung der negatorischen Pflichten einer Unterhaltungsmaßnahme gleichkommt. Ferner kann der Eigentümer mit dem Eingriff einverstanden sein, weil er selbst — als Besitzer — aus § 1004 verpflichtet ist. Darüber hinaus aber sind Maßnahmen zur Wahrnehmung der allgemeinen Sicherungspflicht oder zur Erfüllung der Ansprüche aus § 1004 generell gem. § 1004 gerechtfertigt (ebd.). Die Rechtmäßigkeit von Eingriffen in das fremde Eigentum belegt § 908 für den dort geregelten Fall unmittelbar: Wenn die Vorschrift von dem Besitzer Eingriffe in fremdes Eigentum verlangt, folgt daraus, daß dieses Verhalten nicht rechtswidrig sein kann; andernfalls beständen zwei widerstreitende gesetzliche Pflichten. Da die Haftungsgrundsätze des § 908 für § 1004 zu übernehmen sind, muß der beschriebene Standpunkt des § 908 auch für § 1004 gelten. 2. Die Haftung gem. § 100412 entfällt regelmäßig mit Besitzbeendigung, da der Besitzer — wie im Falle des § 908 — dann zur Beseitigung der Gefahr nicht mehr in der Lage ist (Unmöglichkeit; oben § 3 C I I 3 b). Die Haftung gem. § 1004 11 endet dagegen nur, wenn die Erfüllung der Beseitigungspflicht Maßnahmen am störenden Grundstück erfordert (Beispiel: Mauerüberhang), nicht aber, wenn Maßnahmen am gestörten Eigentum nötig werden (Beispiel: hinübergewehte Sandmassen), da der Besitzer in diesem Falle zur Beseitigung imstande ist (ebd. 3 c). Das Entfallen der Haftung auf Grund Unerfüllbarkeit der Ansprüche ist in § 908 verankert (oben 12. Kap. § 6 C V 6). Diese Folge beruht auf dem
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allgemeinen Gedanken, daß niemand zu einer unmöglichen Leistung verpflichtet sein kann (impossibilium nulla obligatio est); die §§ 275,306 BGB sind weder notwendig noch passend (oben 13. Kap. § 3 C I I 3 d). — Soweit die Haftung auch noch nach Besitzende besteht, ist sie analog § 836 I I zu begrenzen (ebd. 3e). Der in der Vorschrift enthaltene Gedanke, daß der Nachweis der Sicherungspflichtverletzung mit Zeitablauf und Übergang der Sache in andere Hände immer schwieriger wird, gilt unabhängig von der Art der Ansprüche (Schadensersatz, negatorische Beseitigung). Er hat für § 908 nur deshalb keine Bedeutung, weil dort die Haftung, ebenso wie im Falle des § 1004 I 2, mit Besitzbeendigung notwendigerweise entfallt (Unmöglichkeit). D. M i t den hier ermittelten Haftungsgrundsätzen sind die bisher ungelösten Probleme der negatorischen Haftung im Falle der höheren Gewalt und der Veräußerung eines Grundstücks im störenden Zustand geklärt 1 . I. Da die Haftung in den Fällen der Gefahren und Beeinträchtigungen durch den Grundstückszustand an den Besitz gebunden ist, bereiten die Fälle der Veräußerung des Grundstücks 2 keine Schwierigkeiten. Gibt der Veräußerer — wie gewöhnlich — mit Übertragung des Grundstücks auch den Besitz auf, endet seine negatorische Verantwortlichkeit aus dem Gesichtspunkt der Unmöglichkeit, wenn er zur Beseitigung der Gefahr oder der Beeinträchtigung infolge seiner Besitzaufgabe nicht mehr in der Lage ist. Verantwortlich ist der den Besitz erlangende Erwerber. Dieses bisher auf Grund praktischer Überlegungen überwiegend vertretene Ergebnis (Haftung des „Erwerbers", oben 7. Kap. § 4) hat mit den vorstehenden Untersuchungen ein rechtliches Fundament erhalten. Dem Veräußerer ist die Beseitigung der Beeinträchtigung jedoch nicht in allen Fällen unmöglich; wenn er zur Störungsbeseitigung Maßnahmen auf dem gestörten Grundstück ergreifen muß, steht der Erfüllung des negatorischen Anspuchs nichts im Wege. — In Fällen, in denen der Veräußerer im Besitz des Grundstücks bleibt, haftet er trotz Veräußerung weiter. Da bislang der Besitz nicht als der maßgebende Haftungsaspekt betrachtet wurde, wurde die Problematik der Fälle lediglich unter dem Gesichtspunkt des Eigentumswechsels betrachtet. II. Beantwortet ist ferner die bislang ungelöste Frage, ob eine negatorische Verantwortung für höhere Gewalt, insbesondere für die Folgen von Naturvorgängen besteht3. Diese Frage ist prinzipiell zu bejahen. Da der Besitzer sicherungspflichtig ist, kommt es nicht darauf an, ob Ursache des störenden Zustandes Naturgewalten oder andere Einwirkungen von außen (Krieg, Unglücksfalle) sind. Diese Bewertung stimmt mit der Beurteilung der Verkehrssicherungspflicht überein 4 , die auf dem gleichen rechtlichen Fundament wie die 1 2 3 4
Oben 7. Kap. §§ 3, 4. Dazu oben 7. Kap. § 4. Dazu ebd. § 3. Vgl. oben 12. Kap. § 6 C I I 4, V 4.
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hier für maßgebend erkannten Grundsätze beruhen (§§ 836 ff.). Allerdings setzt die negatorische Sicherungspflicht, wie alle Verhaltensgebote, voraus, daß Gelegenheit zu ihrer Wahrnehmung besteht (oben 12. Kap. § 6 C I I 3 b; V 3 b; 13. Kap. § 3 Β I I I 2). Führen daher etwa Wettereinflüsse zu einer Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks, ohne daß der Besitzer die Möglichkeit hatte, diese zu verhindern, ist er gem. § 1004 I 1 nicht verantwortlich. Trägt z.B. ein ungewöhnlicher Sturm Teile des Daches auf das Nachbargebiet und brauchte das Dach den betreffenden Wettereinwirkungen nicht standzuhalten, so entsteht der Beseitigungsanspruch nicht. Dagegen ist im Falle des Präventivanspruches des § 1004 I 2, wie im Parallelfall des § 908, regelmäßig Gelegenheit zur Erfüllung der Sicherungspflicht gegeben (obenl2. Kap.§ 6C V 3b; 13. Kap.§ 3 Β I I I 3 b); wenn die Gefahr eingetreten ist, beispielsweise der an der Grenze stehende Baum durch den Sturm entwurzelt ist, so daß er umzufallen droht, besteht die Möglichkeit zur Gefahrenbeseitigung. Wenn hier die Sicherungspflicht auch die Rechtsqualität einer echten, einen Anspruch nach § 1004 I 2 verleihenden Pflicht erlangt hat, so besteht die allgemeine Sicherungspflicht rechtlich dennoch (oben 12. Kap. § 6 C V 3c; 13. Kap. § 3 Β I I I 4a). Dieser Bewertung kann nicht entgegen gehalten werden, daß der unmittelbar in § 908 geregelte Fall insofern anders zu beurteilen ist, als dort an dem die Gefahr herbeiführenden Vorgang ein „von Menschenhand geschaffenes Werk" beteiligt ist. Da der Besitzer das Werk nicht errichtet haben muß, spielt es für ihn keine Rolle, ob die Gefahrenquelle natürlichen oder künstlichen Ursprungs ist. Dieser in Literatur und Rechtsprechung öfter auftauchende Gedanke5 wäre nur unter dem Gesichtspunkt der Kausalität gerade des Haftenden relevant. Da es darauf aber nach dem genannten Gedanken nicht ankommen soll („Menschenhand"), ist er rechtlich nicht brauchbar. In den Fällen von Katastrophen (Unwetter, Unglücksfalle wie Explosionen, Krieg) hat die Sicherungspflicht folgende Konsequenz: Der Anspruch auf Beseitigung von Gefahren gem. § 100412 besteht; seine Geltendmachung kann aber nach § 242 BGB zeitlich beschränkt sein, da es in solchen Lagen meist nicht möglich ist, sofort Maßnahmen zu ergreifen (12. Kap. § 6 C V 3b cc bbb; 13. Kap. § 3 Β I I I 3 b). Auch in solchen Situationen bewährt sich der — auf § 908 zurückzuführende — Grundsatz des § 1004 I 2, daß jeder seine Sachen in Ordnung zu bringen hat, um auf diese Weise wieder normale Verhältnisse zu schaffen. — Dagegen besteht ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 I 1 bei Katastrophen nicht, denn da die Beeinträchtigung eintritt, ohne daß Gelegenheit zu deren Verhinderung bestand, liegt eine Sicherungspflichtverletzung nicht vor. Auch dieses Ergebnis ist unter praktischen Gesichtspunkten zu billigen; wiederum hat jeder selbst dafür zu sorgen, daß auf seinem Grundstück wieder normale Verhältnisse eintreten, hier aus dem Gesichtspunkt, daß der Nachbar für Beeinträchtigungen fremden Eigentums nicht verantwortlich ist (oben 13. Kap. ebd. 3 c). 5
Vgl. oben 5. Kap. § 1 B; 7. Kap. § 3 Β I 1 b.
29 Herrmann
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13. Kap. Der Störer bei störenden Grundstückszuständen
§ 5 Kausalität und „Deliktsähnlichkeit": Beurteilung neuerer Entwicklungen in der Wissenschaft auf der Grundlage dieses Kapitels Die Untersuchung des vorliegenden Kapitels hat ergeben, daß der seit der Arbeit Pickers (1972) zunehmend vorgetragene Einwand, das Kausalkriterium führe zur „Deliktsähnlichkeit" der actio negatoria 6 , nicht berechtigt ist. Die genannte Befürchtung ist rechtlich nicht präzise; sie teilt nicht mit, zu welchen nicht billigenswerten Konsequenzen die Kausalität bei § 1004 im einzelnen führte und aus welchen Gründen die Kausalität diese Wirkungen haben könne. Gemeint ist offenbar, daß der Anspruch aus § 1004 einem Schadensersatzanspruch gleichkomme, daß also die Kausalität zu einer derart weitgehenden Haftung führe, daß diese dem Schadensersatz vergleichbar sei. Hier liegt dasselbe Bedenken, das zur Problematik der Abgrenzung von Beeinträchtigung und Schaden oder negatorischer Beseitigung und Schadensersatz Anlaß gibt: § 1004 darf nicht auf Schadensersatz hinauslaufen, da dann das Verschuldensprinzip des § 823 umgangen würde 7 . Ob die Kausalität indessen tatsächlich zur Rechtsfolge des Schadensersatzes führt, ist bisher nicht überprüft worden. Die vorliegenden Untersuchungen zeigen, daß die Befürchtung zu Unrecht besteht: Die Heranziehung des Kausalkriteriums hat nicht die Konsequenz, daß nach § 1004 Schadensersatz zu leisten ist. Die auf Grund der Kausalität eintretende Pflicht, Gefahren und eingetretene Beeinträchtigungen zu beseitigen (§ 100412, 1), beschränkt sich darauf, das Eigentum von den genannten Wirkungen zu befreien. Darin liegt keine dem Schadensersatz ähnliche Haftung; während danach grundsätzlich eine Verantwortung für alle im Gefolge der Rechts- oder Rechtsgutverletzung (Objektschaden) entstehenden negativen Folgen am weiteren Vermögen (Folgeschaden) besteht, ist die Verantwortung der actio negatoria auf die genannten Pflichten, die Beseitigung der Gefährdung und die Befreiung von der Einwirkung, begrenzt 8. Dies gilt selbst dann, wenn man den Beeinträchtigungsbegriff weit auslegt und darunter auch Substanzverletzungen versteht, so daß der Störer gehalten wäre, Reparaturen am verletzten Eigentum vorzunehmen 9 . Der im Schrifttum bestehende Verdacht beruht vermutlich auf der verbreiteten Annahme, daß der theoretisch unbeschränkte und nicht voraussehbare Haftungsumfang im Schadensersatzrecht eine Konsequenz der Kausalität sei. Die Ausführungen haben jedoch gezeigt, daß dieses nicht der Fall ist. Die umfangreiche schadensersatzrechtliche Haftung beruht vielmehr auf der Weite des Schadensbegriffes (s. § 249 S. 1 BGB) 1 0 . Wäre der Schaden inhaltlich begrenzt, ζ. B. auf den sog. Objektschaden, etwa auf den in der Eigentumsverletzung selbst liegenden Schaden, wäre auch der Umfang der Haftung beschränkt. 6 Vgl. oben 3. Kap. § 1 Β mit Fn. 26; 6. Kap. § 1 Β mit Fn. 14; ferner 11. Kap. mit Fn. 23 (Ablehnung einer negatorischen „Handlungshaftung", dazu noch unten 14. Kap. § 5). 7 Vgl. oben 10. Kap. I 2a, 1. Kap. I I 1. 8
Oben § 3 Β IV 2c bb (zu § 1004 I 2), ebd. cc (zu § 1004 1 1); ferner soeben § 4 C II. Oben § 3 Β IV 2c cc ccc (zu § 1004 I 1); ferner soeben § 4 C II. 10 Vgl. oben 12. Kap. § 6 C V 5c cc bbb (3); 13. Kap. § 3 Β IV 2c bb, cc ccc.
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§ 5 Kausalität und „Deliktsähnlichkeit"
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Möglich auf Grund des Kausalkriteriums ist allerdings, daß Ursache und Folge weit voneinander entfernt liegen, da zwischen beiden Faktoren eine Kette von Kausalabläufen entstehen kann 1 1 ; es kann also beispielsweise die Eigentumsverletzung nach § 8231 oder die Eigentumsbeeinträchtigung nach § 1004 auf Grund eines Verhaltens eintreten, das durch eine Reihe mehrerer Kausalfaktoren von den genannten Ereignissen getrennt ist. Diese Tatsache aber hat mit dem Umfang der Haftung nichts zu tun. So kann die etwa durch die Herstellung eines gefährlichen Werkzeugs beim späteren Gebrauch verursachte Körperverletzung (§ 823 I) einen geringen Schaden darstellen; der mögliche weitreichende Haftungsumfang entsteht erst dadurch, daß die infolge dieser Rechtsgutverletzung (Objektschaden) hervorgerufenen Folgeschäden, z.B. der entgangene Gewinn (§ 252 BGB), zu ersetzen sind. Dagegen ist das Ziel der Wiederherstellung des § 1004 begrenzt. Eine andere Frage ist, ob es gerechtfertigt ist, die Zurechnung von Folgen allein deshalb zu beschränken, weil die durch das ursächliche Verhalten ausgelösten Ereignisse weit vom Verhalten entfernt liegen. Dies hatte sich im Falle des § 1004 als nicht notwendig erwiesen 12. — Die actio negatoria kann vom Störer allerdings mit hohen Kosten verbundene Maßnahmen verlangen; die Höhe der vom Pflichtigen zu erbringenden Vermögensopfer ist aber auch im Schadensersatzrecht für eine Haftungsbegrenzung nicht ausschlaggebend13. Die neueren wissenschaftlichen Tendenzen beruhen auf einem vorschnellen, im einzelnen nicht belegten Urteil; bei näherer Prüfung erweist es sich als gegenstandslos.
11 12 13
29*
Vgl. oben 12. Kap. ebd.; 13. Kap. ebd. IV 2c bb, cc bbb. Vgl. oben 12. Kap. ebd. V 5c bbb (3); 13. Kap. ebd. Vgl. oben § 3 Β I V 2c bb mit Fn. 9.
14. Kapitel: Der Störer nach § 1004 BGB bei handlungsbedingten Störungen § 1 Einleitung A. Im folgenden besteht die Aufgabe darin, die Haftungsvoraussetzungen für die verbleibenden Störungsfälle, also für andere Fälle als Störungen durch den Grundstückszustand (oben 13. Kap.) zu ermitteln. Dafür ist der in dem früheren grundlegenden Kapitel (10. Kap. I) ausgeführte Gedanke erneut aufzunehmen, wonach das Haftungskriterium von der Störungsquelle abhängt. Dieser Grundgedanke bestimmt auch die folgende Untersuchung: Es ist zunächst festzustellen, für welche Störungsquellen die Haftungsgrundsätze noch nicht erarbeitet sind. Dazu bedarf es eines Überblicks über diejenigen Störungsquellen, die auf Grund der Untersuchungen des vorigen Kapitels behandelt sind; aus einem Vergleich mit den überhaupt in Betracht kommenden Störungsquellen (oben 10. Kap. I 2 b) ergeben sich die noch verbleibenden Störungsquellen. Sodann ist dieses verbleibende Fallmaterial einer rechtlichen Bewertung zu unterziehen. B. Von den möglichen Störungsquellen negatorischer (bevorstehender oder eingetretener) Beeinträchtigungen sind durch die Untersuchung der Haftungsgrundsätze in Fällen störender Grundstückszustände (oben 13. Kap.) folgende Fälle geklärt: Einmal Beeinträchtigungen, deren Störungsquelle eine Sache ist, ohne daß Handlungen zugrunde liegen. Dies sind die Fälle, in denen der störende Grundstückszustand auf Naturvorgänge zurückzuführen ist. Ferner sind geklärt Beeinträchtigungen, die durch das Zusammenwirken von Handlungen und Sachen hervorgerufen werden, und zwar von dieser Fallart jene Fälle, in denen Störungsquelle eine durch ihr selbsttätiges Wirken (Drainage) oder ihre bloße Existenz (Mauerüberhang) störende Anlage sowie ein auf dem Grundstück lagernder Stoff (Petroleum, Sulfate) ist. Bei diesen inzwischen geklärten Fällen des Zusammenwirkens von Handlung und Sache handelt es sich um Sachverhalte, in denen die mitverursachende Handlung in einem einmaligen Akt besteht (Errichtung der Anlage, Lagerung des Stoffes). Damit ist das Haftungskriterium noch nicht ermittelt für folgende Störungsquellen: Von den Fällen des Zusammenwirkens von Sachen und Handlungen Sachverhalte, in denen die Störung darin besteht, daß sich Sachen unmittelbar im gestörten Eigentumsbereich befinden wie etwa dort abgeladener Unrat oder ein dort errichteter Bau. Die Handlung liegt hier in einem einmaligen Tätigwerden, also beispielsweise dem Abladen der störenden Sachen. Ferner verbleiben von den Fällen des Zusammenwirkens von Handlungen und Sachen die Fälle,
§2 Fallmaterial
453
bei denen die mitverursachende Handlung in einem wiederholten Tätigwerden liegt; es handelt sich hier um Fälle, in denen zu Störungen führende Anlagen bedient werden oder in denen Werkzeuge und Geräte benutzt werden. Diese Sachverhalte lassen sich wiederum nach der Bedeutung der beiden Faktoren „Handeln" und „Sache" für das Hervorrufen der Störung in zwei Fallbereiche aufgliedern: In Fälle, in denen die Sache als Mittel zur Durchführung einer Tätigkeit dient, und in Fälle, in denen die Sache selbst Störungsgegenstand ist und die Handlung sich darin erschöpft, die Sache in den fremden Bereich gelangen zu lassen, ohne am Störungsvorgang selbst beteiligt zu sein. Schließlich sind Haftungsgrundsätze noch für die Fälle zu ermitteln, in denen Störungsquelle ein bloßes Handeln ist, also ζ. B. die Fälle der Störungen durch lärmendes Verhalten oder Gebrauchen fremden Eigentums. C. Das für die anstehende rechtliche Bewertung der soeben festgestellten, noch nicht untersuchten Störungsquellen hat in der Weise zu geschehen, wie dies im Kapitel über die Grundlagen der Störerermittlung dargelegt wurde (oben 10. Kap. 13). Anknüpfungspunkt der juristischen Beurteilung ist — in tatsächlicher Hinsicht — die Störungsursache, also in den Fällen des reinen Handelns das Handeln, in den Mischfallen sowohl das Handeln als auch die störende Sache. Diese Faktoren sind rechtlich einzuordnen: In den Fällen des Handelns ist die Kausalität des maßgebende Kriterium, in den Fällen störender Sachen die dingliche Position, da diese die Verbindung zwischen der Person und der Störungsquelle der Sache herstellt (oben 10. Kap. 11,3). Darüber hinaus ist in den Fällen, in denen Störungsquelle sowohl ein Handeln als auch eine Sache ist, zu entscheiden, welche der Komponenten als die für die negatorische Verantwortlichkeit maßgebende anzusehen ist. Ist der entscheidende Haftungsaspekt festgestellt, ist also ermittelt, ob Kausalität (Handeln) oder dingliche Position (Sache) ausschlaggebend sind, ist dieser Aspekt einer Untersuchung im einzelnen zu unterziehen. D. U m eine konkrete Anschauung von den hier zu untersuchenden Sachverhalten zu erhalten, werden in einem ersten Schritt praktische Fälle zusammengestellt (unten § 2). Dieses Fallmaterial bildet die Grundlage der anschließenden rechtlichen Bewertung (unten § 3).
§ 2 Fallmaterial A. Einleitung Das in der folgenden Übersicht über das, wo möglich, der Judikatur entnommene praktische Fallmaterial wird nach Störungsquellen geordnet (oben § 1 B) dargestellt; zunächst werden die Fälle des Zusammenwirkens von Handlungen und Sachen geschildert (unten B), und zwar ihrerseits unterschieden nach Fällen, in denen die Sache als Mittel zur Durchführung einer Tätigkeit dient (unten Β I), und nach Fällen, in denen fremde Sachen in den gestörten
454
14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
Bereich gelangen (unten Β II). Sodann folgen Fälle der Beeinträchtigungen durch bloßes Handeln (unten C). Da es für das Haftungskriterium im Prinzip keinen Unterschied macht, ob die Beeinträchtigung erst bevorsteht (§ 10041 2) oder ob sie schon eingetreten ist (§ 1004 I 1; s. oben 10. Kap. I 4), wird das Fallmaterial unabhängig von dieser Differenzierung dargeboten. B. Störungen durch das Zusammenwirken von Handlungen und Sachen I. Die Sache als Mittel zur Durchführung
einer Tätigkeit
Ein Großteil bevorstehender oder schon eingetretener Beeinträchtigungen wird dadurch verursacht, daß der Handelnde sich der Sache als eines Mittels bedient, um damit Tätigkeiten zu verrichten. Derartige Störungen entstammen dem für die actio negatoria bedeutsamen Bereich der Industrie, des Handwerks und der Landwirtschaft. Hier werden Störungen dadurch hervorgerufen, daß Anlagen und Maschinen bedient oder Handwerkszeug oder sonstige Geräte benutzt werden mit der Folge, daß für die Nachbarschaft Immissionen verschiedener Art entstehen. Das BGB selbst nennt in § 906 beispielhaft derartige Immissionen: Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusche oder Erschütterungen. Hierher gehören die heute so bedeutsamen Immissionen der Industrie, die die sog. Umweltschäden verursachen. Dazu zählen das „Waldsterben", Wachstumsstörungen der übrigen Vegetation im natürlichen und kultivierten Bereich sowie Verunreinigungen der Luft und Verseuchungen des Grundwassers. Die Ursache dieser Störungen sind wegen der vielfaltigen und Wechselwirkungen hervorrufenden Kausalabläufe noch nicht geklärt, doch scheint es gewiß zu sein, daß die von Fabriken und Kraftwerken in Luftraum und Gewässer entlassenen chemischen Stoffe (Schwefeldioxyde, Nitrate, Kohlenmonoxyde) an den schädigenden Vorgängen zumindest mitbeteiligt sind. So entsteht offenbar die Beeinträchtigung der Wälder durch den sog. sauren Regen, der durch Anreicherung der Niederschläge mit schädlichen Chemikalien hervorgerufen wird. Doch sind der durch Immissionen bewirkte „saure Regen" und das dadurch verursachte „Waldsterben" Erscheinungen neuerer Zeit. Die Judikatur weist seit langem ein reiches Fallmaterial zu Einwirkungen durch Gewerbebetriebe auf. Schon die römischen Juristen berichten von Rauchbelästigungen einer Käserei und einer Badeanstalt1. M i t dem Aufkommen des Industriezeitalters im vorigen Jahrhundert nehmen die Fälle immitierter Einwirkungen stetig zu 2 . Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute beschäftigen sich die Judikate mit den typischen Störungen des Gewerbes und der Industrie. Es geht um Immissionen von Rauch, Ruß, Qualm, Dämpfen, Abgasen und Gerüchen einer Ziegelei 3 ,
1
D. 8, 5, 8, 5 (Käserei); D. 8, 5, 8, 7; s. auch D. 8, 5, 8, 6 (Rauch eines Herdes). Vgl. dazu Ogorek, Wissenschaft und Kodifikation IV S. 40ff.; zu Immissionen s. ferner Westermann, FS Larenz, S. 1003 ff. 2
§2 Fallmaterial
455
einer Gasbereitungsanstalt 4, einer Seifen-, Lichter 5 -, Brikett- 6 und Spanplattenfabrik 7 , einer Zellwolle und Kunstseide herstellenden Fabrik 8 , einer Brauerei 9 , Kokerei 1 0 , Zuckerrohrraffinerie 11 , einer Wollwäscherei und -kämmerei 12 , ferner um Immissionen von Schmelzöfen 13, einer Spateisengrube 14 oder von Lokomotiven 15 . Von einem Gipssteinbruch wurden Steine auf das Grundstück eines feinmechanische Geräte herstellenden Betriebes geschleudert 16. Eine Dampfsägerei 17 und die Eisenbahn 18 riefen Erschütterungen hervor. Fünf Urteile beschäftigen sich mit dem Funkenflug der Eisenbahn, der zu ständiger Feuersgefahr führte 19 . Mehreren Urteilen liegt die Klage wegen unerträglichen Lärms eines Flugplatzes 20 zugrunde oder gewerblicher oder industrieller Einrichtungen wie einer Bäckerei 21 , Druckerei 22 , einer Dampfsägerei 23 und
3 OAG Celle SeuffArch. 8 Nr. 346, S. 452 (Urt. v. 1848; gemeines Recht; Beschädigung von Bäumen durch Dampf). 4 A G und OAG Dresden SeuffArch. 3 Nr. 8, S. 8 (Urt. des A G v. 17.12.1843, bestätigt durch das OAG am 11. 5.1844; gemeines Recht; Überströmen des Steinkohlenrauchs und ammoniakhaltiger Dämpfe, Infizierung der Brunnen u. a.); preuß. Obertribunal, Entscheidungen Bd. 23, S. 253 (Giftdämpfe). 5 O A G Celle SeuffArch. 11 Nr. 14, S. 18 (Urt. v. 22. 6. 1837; gemeines Recht; Qualm und Rauch). 6 RGZ 66, 126 = RG JW 1907 Nr. 4, S. 387 (Gas, Kohlenstaub). 7 BGHZ 46, 35 (Staub). 8
OGHZ 2, 181 (Gerüche und Abgase). RGZ 64, 363 (Rauch, Ruß). 10 RGZ 98, 79 (Dämpfe, Gase, Gerüche, Rauch, Ruß). 11 RGZ 40, 182 (Urt. v. 19. 11. 1837; gemeines Recht; Flugasche, Ruß). 12 RGZ 105, 213 (Ruß, schwefelige Säure, Beeinträchtigungen der Pflanzen einer Gärtnerei). 13 BGHZ 15, 146 (Beeinträchtigungen einer Gärtnerei). 14 BGHZ 30, 273 (Abgase, Staub). 15 RG JW 1910 Nr. 5, S. 580 (Qualm der Westerwaldbahn). 16 BGHZ 28,225; ferner BGHZ 66,70 (Muschelkalksteinbruch; Klage auf Entschädigung gem. § 906 I I 2 BGB). 17 RGZ 26, 352 (Urt. v. 29. 4. 1890; Rheinisches Recht). 18 RGZ 7, 265 (Urt. v. 20. 9. 1882; Entschädigungsklage; ohne Quellenangabe, im übrigen preuß. Recht); 70, 150 (Schadensersatzklage). 19 RGZ 7, 265 (s. vorige Fn.); 17, 103 (Urt. v. 7. 12. 1886; gemeines Recht; offenbar Schadensersatzklage); 58, 130 (Rheinpreußische Eisenbahn; Schadensersatzklage); 97, 290 (Entschädigungsklage; Lokomotive eines Arbeitszuges in Ostpreußen); RG JW 1910 Nr. 13, S. 619 (Schadensersatzklage). 20 BGHZ 69, 105; 69, 118. 21 RGZ 60, 120. 22 RGZ 6, 217 (Urt. v. 29. 3. 1882; gemeines Recht). 23 RGZ 26, 352 (Urt. v. 29. 4. 1890; Rheinisches Recht; Schadensersatzklage). 9
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
-Wäscherei24, einer Spanplattenfabrik 25 , eines Maschinenbetriebes einer Artilleriewerkstatt 26 , der Berliner Hochbahn 27 , der Westerwaldbahn 28 oder der Betriebsanlage der Münchener Straßenbahn 29 . Von einer Dynamitfabrik 30 und einem Granatzünder zerlegenden Betrieb 31 können Explosionsgefahren ausgehen. Bergbau 32 , Stauanlagen33 und sonstige Anlagen für Wasserregulierungen 34 entziehen Mühlen das notwendige Wasser. Eine Schweinemästerei belästigt die Nachbarschaft durch Gerüche 35 . Zur vorliegenden Fallkategorie gehören ferner Störungen, die durch die Handhabung von Geräten auch außerhalb von Fabriken und Gewerbe- und Landwirtschaftsbetrieben verursacht werden, so die Störung einer Fischereigerechtigkeit am Memelstrom durch Aufstellen von sog. Holztriften, Plieten und Ladebrücken 36 , das Anbringen von Fangvorrichtungen, so daß der Fischzug des Kläger- und Beklagtengrundstück durchfließenden Gewässers (Obra in Posen) behindert wird 3 7 . Es rechnen dazu durch Bauarbeiten hervorgerufene Erschütterungen 38 oder dadurch bewirkte Staubentwicklungen 39 , Erschütterungen einer Omnibuslinie 40 oder der Lärm durch das Überfliegen von Flugzeugen 41 . Schließlich zählen Fälle des Musizierens mit
24 RGZ 45, 297 (Urt. v. 28. 2. 1900; preuß. A L R , gemeines Recht, § 1004 BGB erwähnt). 25 BGHZ 46, 35. 26 RGZ 44,225 (Urt. v. 6. 6.1899; ohne Quellenangabe; Rechtswegfragen, § 13 GVG). 27 RGZ 59, 70. 28 RG JW 1910 Nr. 15, S. 580. 29 RGZ 57, 224. 30 RGZ 101, 102 (Schadensersatzklage wegen eingetretener Explosion). 31 RGZ 104, 81 (Schadensersatzklage wegen eingetretener Explosion). 32 RGZ 26, 224 (Urt. v. 8. 2. 1890; §148 ABG, preuß. A L R I 8 §§ 26, 130; Schadensersatzklage; Entzug von Brunnenwasser). 33 RGZ 13, 52 (Urt. v. 20. 5.1885; preuß. A L R I I 15 § 246); 26,294 (Urt. v. 21. 6.1880; preuß. A L R I I 15 § 246; Stauanlage zur Wasserregulierung im Interesse der Fischzucht und der Wiesenkultur des Beklagten); 90, 47 (Schadensersatzklage); 90, 52 (Schadensersatzklage); 93, 100 (Nichteinhaltung vertraglich festgelegter Stauhöhe). 34 RGZ 36,233 (Urt. v. 19.10.1895; ohne Quellenangabe: „actio negatoria"; Flußlauf regulierende Anlagen); s. auch 122, 196: nicht ausreichende Anlage auf dem Beklagtengrundstück zur Abnahme und Weiterleitung der Vorflut der Koppel des Klägers mit der Folge der Wasseraufstauung. 35 BGHZ 67, 252. 36 RGZ 75, 397 (Anwendung des § 1004 BGB; im übrigen Rechtswegfragen). 37 RGZ 51, 244 (Privatflüsse, an denen den Eigentümern des Grund und Bodens ein Fischereirecht zustand; preuß. A L R I 9 § 187). 38 BGHZ 72, 289. 39 BGHZ 48, 98. 40 RGZ 133, 152 (Berlin-Dahlem). 41 BGHZ 59, 378 (Militärflugzeuge).
§ 2 Fallmaterial
457
Instrumenten zur vorliegenden Fallart 4 2 oder das Überqueren fremden Gebietes mit Fahrzeugen (Strand der Insel Norderney) 43 . II. Störende Sachen im fremden Eigentumsbereich Zur Fallrubrik des Zusammenwirkens von Handlungen und Sachen gehören die erwähnten (oben § 1 B) Sachverhalte, in denen Sachen durch eine Handlung in den fremden Eigentumsbereich gelangen. Beispiele sind das Schuttabladen auf fremdem Grundstück 1 , die Verlegung von Versorgungsleitungen unter oder über der Erdoberfläche (s. § 905 BGB) 2 , die Errichtung von Schiffsanlagen in einem fremden Fluß (Trave) 3 , der Bau auf fremdem Boden 4 , schließlich die Fälle des Einleitens von Fabrik 5 - und Grubenwässern 6 oder sonstiger Abwässer 7 in fremde Gewässer, so daß sie für landwirtschaftliche Zwecke8 oder als Trinkwasser 9 nicht mehr brauchbar sind oder zur Vernichtung des Fischbestandes10 führen. Aus dem 2. Weltkriege stammen die bekannten Fälle des Schiffswracks im fremden Hafen 11 , der Flakstellung auf dem Dach eines Hauses12 und von Brückentrümmern in der Weser 13 . Auch das Benutzen eines Flusses (Trave) als Liegeplatz für Schiffe rechnet zur vorliegenden Fallart 1 4 . 42
Vgl. RG JW 1927 Nr. 8, S. 45; 1931 Nr. 10a, S. 1191 (nächtliche Musik im Berliner „Lunapark"). 43 BGHZ 44, 27. 1 BGHZ 18, 223. 2 RG JW 1928 Nr. 35, S. 502 (Überspannung eines Mühlgrabens mit elektrischen Leitungen); RGZ 59, 116 (Kabel über Hotel „Zum Kronprinzen" am Hamburger Jungfernstieg); RGZ 42,205 (Urt. v. 21.9.1898; preuß. A L R 18 §§ 80,123,189; Telegrafenund Fernsprechdrähte über Straßen und Plätze des Reichspostfiskus); BGHZ 66, 37 (Klage auf Beseitigung eines Mastes und von Fernleitungen); 37, 353 (Versorgungsleitungen unter dem Ruhrschnellweg; Klage auf Kostenerstattung). 3
BGHZ 49, 68.
4
RGZ 131, 335 = RG JW 1931, S. 1552; BGHZ 23, 61; 59, 205 (Überschreitung des Rahmens eines Erbbaurechtes); 41, 393 (Hausruinenfall, s. auch oben 2. Kap. § 3 Fn. 3). 5 RGZ 46,248 (Urt. v. 11.4.1900; § 43 Fischereigesetz v. 30. 5.1874, preuß. A L R 115 § 3; Klage eines Fischereiberechtigten gegen eine Zuckerfabrik); 86, 232 (Ammoniakfabrik); 99, 172 (Ableitung einer kali- und schieferbauenden Gewerkschaft und der dazugehörigen Kali- und Sodafabrik). 6 RGZ 21, 298 (Urt. v. 4. 4. 1888; ohne Quellenangabe; Abwässer aus Steinkohleschächten in den Fluß Emscher); 99, 172 (s. vorige Fn.). 7 BGHZ 65, 221 (Gemeindeabwässer; Schadensersatzklage). 8 9 10
RGZ 86, 232 (s. Fn. 5). RGZ 99, 172 (s. Fn. 5; Wasser für die Stadt Magdeburg).
BGHZ 65, 221. OGHZ 2, 170. 12 BGHZ 18, 253. 13 BGHZ 1, 57 = BGH NJW 1951, 269 = L M § 1004 Nr. 1 (Zahlungsklage aus Geschäftsführung ohne Auftrag). 14 BGHZ 49, 68 (Unterlassungsklage). 11
458
14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
C. Störungen durch reines Handeln Die Fälle, in denen Quelle der Störung eine reine Handlung ist, sind überschaubarer als die zuvor geschilderten; sie beschränken sich auf drei Bereiche: das Gebrauchen fremder Sachen, meist fremder Grundstücke, das Verursachen von Lärm und schließlich das Hervorrufen störender Handlungen anderer. Die zunächst genannte Fallart gehört gewissermaßen zu den klassischen Störungsfallen, da die störenden Handlungen, wären sie rechtmäßig, die Ausübung eines dinglichen Rechts, einer Dienstbarkeit oder eines Nießbrauchs, darstellten 1 oder ihr wenigstens ähnlich sind. Unter dem Stichwort des „angemaßten Rechts" sind sie bekannt 2 . Schulbeispiele sind das regelmäßige Überqueren eines fremden Grundstücks oder die Kirschernte in Nachbars Garten 3 . Derartige Fälle weist auch die Judikatur auf. So hat sich das RG mit dem Fischen in fremden Gewässern befaßt 4 , dem Ernten von Schilf und Rohr am fremden Flußufer 5 oder damit, daß der Beklagte auf fremdem Grund und Boden eine Birke fällte und offenbar von ihm noch weitere derart das fremde Eigentum nutzende Handlungen zu befürchten waren 6 . Im Zuge eines Streits um ein Bergeigentum wurde auf Unterlassung des Abbaus in einem bestimmten Grubenfelde geklagt 7 . Das Abholen von Tieren und Tierkadavern zu eigenen Abdeckereizwecken stellt einen Eingriff in die Abdeckereigerechtigkeit dar 8 . RG und BGH beschäftigten sich des öfteren mit dem unbefugten Betreten eines fremden Grundstücks oder Gebäudes, so mit dem Betreten eines Rathauses durch einen Fotografen 9 , eines Betriebes durch ein Betriebsratsmitglied 10 (Hausverbot), eines Friedhofes durch einen Leichenbestatter 11, ferner mit der 1
M i t der ursprünglichen römischen actio negatoria wehrte der Kläger die Anmaßung eines Rechts (servitus, ususfructus) durch den Beklagten ab, s. Käser I § 103 II, S. 437f.; dazu Picker S. 62 ff. 2 Vgl. auch Endemann S. 590 (heute stellen sie nicht mehr den „Hauptfair der actio negatoria dar). 3 Beispiele bei Crome I I I S. 424 Fn. 4: Gehen über ein Grundstück, Abernten eines Ackers. 4 RGZ 51,244,245 (Urt. v. 29.4.1902; preuß. A L R 19§ 187, Fischereigesetz vom 30. 5. 1874 §§20, 22); 8, 181 (Urt. v. 16. 3. 1883; gemeines Recht; Fischen in der über der fremden, am Elbufer liegenden Wiese stehenden Wasserfläche). 5
RGZ 3, 232 (Urt. v. 23. 9. 1880; preuß. A L R , gemeines Recht; Flußufer der Obra). RGZ 73, 157. 7 RGZ 110, 1 (preuß. ABG, § 1004 BGB). 8 RGZ 86, 272; die Klägerin stützte ihr Abdeckereiprivileg auf Verleihungen der preußischen Könige Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. 1790 und 1799 (s. ebd. S. 272/273). 9 BGHZ 33, 230. 6
10
RGZ 108, 167. RGZ 42, 51 (Urt. v. 13.10.1898; ohne Quellenangabe; Klage auf Duldung); BGHZ 14, 294. 11
§ 2 Fallmaterial
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Vornahme gärtnerischer Arbeiten auf einem Friedhof 12 . Auch der Eingriff in eine Fischereigerechtigkeit am Memel- und Gilgestrom durch Verpachtung der Fischerei durch den beklagten preußischen Staat gehört zu diesen Fällen 13 ; schon die Existenz pachtrechtlicher Ansprüche wirkt beeinträchtigend. Neben diesen einer Rechtsausübung ähnlichen Fällen sind die eingangs erwähnten Geräuschimmissionen zu nennen. Die Rechtsprechung hat sich mit Störungen durch lärmende Gäste einer Gastwirtschaft 14 und eines Freibades 15 befaßt, mit dem geräuschvollen Verhalten von Sportlern eines Ruderclubs 16 , störenden Geräuschen von Tennisspielern 168 und dem Lärm von Kindern einer Schule 17 . Aber auch, wer störende Tiere hält, verursacht durch sein Handeln Beeinträchtigungen. Zu diesen Fällen zählt das Betreiben einer Imkerei, deren Bienen die Nachbarschaft belästigen 18 , das Halten (Füttern, Obhutgewähren, Pflegen) laut schnatternder Gänse 19 oder das freie Herumlaufenlassen von Tieren wie Katzen und Hunden, so daß diese sich auf fremdem Grundstück aufhalten 20 . Die schließlich verbleibenden Fälle des Hervorrufens von störenden Handlungen anderer durch eigene Handlungen kommen hauptsächlich durch den Abschluß von Verträgen vor, auf deren Grundlage der Vertragspartner dann die beeinträchtigenden Tätigkeiten vornimmt. Dazu gehören die bekannten und problematischen Fälle, in denen der Mieter sich in einer für die Nachbarschaft störenden Weise verhält 21 . Ferner können Arbeitnehmer, selbständig tätige Dienstnehmer, Werkunternehmer, Beauftragte und Geschäftsbesorger (§ 675 BGB) 2 2 auf Grund der ihnen aufgetragenen Tätigkeiten Störungen fremden Eigentums bewirken. Die entsprechende Vertragserklärung ist eine Handlung, die die Störungsquelle des späteren störenden Verhaltens des Vertragspartners darstellt. Andere zu störendem Verhalten Dritter führende Handlungen sind 12
BGHZ 19, 130. RGZ 105,186; Rechtsgrundlage des Fischereirechts war eine Erbverschreibung der königlichen Preußischen-Lithauischen Kriegs- und Domänenkammer in Gumbinnen von 1784 und 1785 (Klage aus §§ 1027, 1004 BGB, s. ebd. S. 191 unten). 14 RGZ 47, 162 = RG JW 1901 S. 51 (Urt. v. 27. 12. 1900; erstes Urteil nach § 1004 BGB). 15 RGZ 76, 130 = RG JW 1911 Nr. 33, S. 587. 16 BGHZ 48, 46. 16a BGH NJW 1983, 751 (Klage auf Unterlassung des Tennisspiels). 17 BGHZ 38, 61. 18 Vgl. RGZ 12, 173 (Urt. v. 23. 9. 1884; gemeines Recht); BGHZ 16, 366; O L G Stuttgart SeuffArch. 47 Nr. 97, S. 140; auch RGZ 76, 130, 132. 19 RG WarnR 1917 Nr. 244, S. 385. 20 Vgl. A G Passau NJW 1983, 2885 (Herumlaufen eines Katers auf fremdem Grundstück). 21 Vgl. oben 7. Kap. § 2 Β mit Nachw. aus der Rspr. Fn. 2 ff. 22 Zu diesen Fällen unten § 3 C III. 13
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
selten. Ein Beispiel bildet ein Urteil des RG, in dem Eigentum und Fischereirecht des klagenden preußischen und oldenburgischen Staates an Teilen der Unterweser dadurch gestört wurden, daß das Bremer Fischeramt Fischkarten an NichtInhaber des Fischregals ausgab 23 . Sieht man nicht schon in der Ausgabe der Fischkarten eine Beeinträchtigung der genannten Rechte, so findet eine Beeinträchtigung durch das Fischen der Fischkarteninhaber statt 24 . Vor dem BGH klagte ferner ein Eigentümer gegen ein Verkehrsunternehmen; dieses hatte vor seinem Haus eine Omnibushaltestelle eingerichtet, von der aus die wartenden Fahrgäste Haus und Bewohner auf allerlei Weise belästigten; die Wartenden betraten besonders bei Regenwetter das Haus des Klägers, störten durch laute Unterhaltung, warfen Abfälle in den Hausflur und lehnten sich an die Klingelknöpfe am Hauseingang 25 . Die Errichtung der Haltestelle und der Betrieb der Omnisbuslinie sind Handlungen, die das störende Verhalten der Fahrgäste hervorrufen.
§ 3 Rechtliche Bewertung A. Einleitung Dieses soeben beschriebene, nach Störungsquellen geordnete Fallmaterial ist im folgenden auf die maßgebende Haftungskomponente hin zu untersuchen (unten B). Es wird sich herausstellen, daß in allen noch zu klärenden Fällen die Kausalität das entscheidende Kriterium ist; dieses Kriterium ist in einem anschließenden Abschnitt im einzelnen durch Anwendung auf die vorliegenden Sachverhalte zu analysieren (unten C). In einem letzten Punkt sind Fragen der Befreiung von der negatorischen Haftung zu erörtern (unten D).
B. Ermittlung des maßgebenden Haftungskriteriums /. Störungen durch das Zusammenwirken von Handlungen und Sachen 1. Die Sache als Mittel zur Durchführung einer Tätigkeit Benutzt jemand eine Sache als Mittel, um eine Tätigkeit auszuführen, etwa um mit Hilfe von Werkzeugen, Geräten, Anlagen oder Maschinen Immissionen verursachende Arbeiten durchzuführen, um ein Instrument zu spielen oder um mit einem Fahrzeug über fremden Grund und Boden oder durch fremde Gewässer zu fahren (s. das Fallmaterial oben § 2 Β I ) , kann die Störung zwar nur unter Mitwirkung der Sache entstehen. Da die Störung aber ohne die Handlung 23
RGZ 94, 33; der Beklagte berief sich für ein eigenes Fischereirecht auf eine Verleihung Kaiser Karls V. (s. Art. 69 EGBGB) (ebd. S. 36). 24 Der Klagantrag ging auf Unterlassung der Ausgabe der Fischkarten, s. ebd. S. 33/34; ferner s. die Urteilsgründe ebd. S. 34 vorletzter Absatz aE. 25 BGH JZ 1961, 498 mit Anm. von Pleyer ebd. S. 499.
§ 3 Rechtliche Bewertung
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nicht bewirkt werden könnte, stellt allein das Handeln die Verbindung zwischen Störung und Person her, nicht kann die Sache selbst das verbindende Moment sein, denn die Sache als solche ruft, anders als in den Fällen des störenden Zustands eines Grundstücks (oben 13. Kap.), Störungen nicht hervor. Die Richtigkeit dieses Ergebnisses verdeutlicht auch die „Gegenprobe": Würde man die Sache selbst als Anknüpfungspunkt der Haftung wählen, würde der an der Sache dinglich Zuständige haften, also — greift man den Gedanken des § 908 auf und hielte man den Besitz (nicht das Eigentum) für haftungsauslösend — der Besitzer der Anlage, der Kreissäge, der Steinbruchwerkzeuge oder des Klaviers. Ordnet man den Besitz als pflichtenauslösende Position im Rahmen eines Unterlassens ein, so ist zu unterscheiden: Benutzt der Besitzer selbst die Anlage oder das Werkzeug, so müßte er auf Grund Unterlassens haftbar sein, wobei ihm als Besitzer die Pflicht zukäme, dafür zu sorgen, daß von der Sache keine Beeinträchtigungen ausgehen. Diese rechtliche Betrachtungsweise würde dem vorliegenden Sachverhalt nicht gerecht; der Fall weist ein Unterlassen nicht auf, sondern ein positives Tun. — Benutzt ein anderer als der Besitzer das Gerät, so liegt zwar ein Unterlassen des Besitzers vor. Wollte man dieses aber zur Grundlage der rechtlichen Bewertung machen, so würde diese Beurteilung dem Sachverhalt ebensowenig Rechnung tragen. Man würde den Besitzer haften lassen, den Handelnden aber nicht. Damit würde die eigentliche Quelle der Störung ignoriert werden; diese liegt im Handeln, nicht in der Sache selbst. Auch folgende Überlegung bestätigt dieses Ergebnis: Für die in manchen Fällen schwierige Frage, ob das Tun oder das Unterlassen einer Person der rechtlichen Bewertung zugrunde zu legen ist, kann der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit entscheiden1. Dieser Gedanke läßt sich auch hier heranziehen, so daß zu fragen ist, ob der Vorwurf darin liegt, daß jemand (Handelnder) etwas tut, oder darin, daß jemand (Besitzer) etwas unterläßt. Die Frage ist im ersteren Sinne zu beantworten. In dieser Überlegung — unter dem Aspekt der Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen—steckt derselbe zuvor dargelegte Gedanke, daß eigentliche, für die rechtliche Bewertung ausschlaggebende Störungsquelle das Handeln ist. Nähme man schließlich an, daß die dingliche Position unmittelbar haftungsauslösend wirkt, so würde wiederum das die Störung hervorrufende Handeln unbeachtet bleiben und damit auch die juristische Beurteilung den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht werden. Die Anknüpfung an die dingliche Position, gleichgültig wie man diese im einzelnen juristisch einordnet, könnte also nicht erklären, warum der Betreffen1 Das Problem der Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen entsteht im allgemeinen hinsichtlich des Verhaltens ein und derselben Person. Offenbar gegen das oben genannte Kriterium MK-Mertens § 823 Rdnr. 18; Mertens hält aber eine Unterscheidung in Tun und Unterlassen für ohnehin nicht möglich oder nötig. — Das Abgrenzungsproblem erfahrt im Zivilrecht eine unzulängliche, im Strafrecht dagegen eine eingehende Behandlung, s. etwa Schmidhäuser AT, 12/50ff. mwN.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
de (etwa der Besitzer) für die Beeinträchtigung einstehen muß. Ein Bindeglied zwischen Beeinträchtigung und Person stellt die Sache nicht dar, weil sie allein die Beeinträchtigung nicht bewirkt. Somit ist in den Fällen, in denen eine Sache lediglich ein Hilfsmittel ist, um Handlungen durchzuführen, die störende Wirkungen mit sich bringen, die Handlung das Element, bei dem die rechtliche Bewertung ansetzen muß. Folglich ist die Kausalität das die Haftung begründende Kriterium; wer durch Handeln fremdes Eigentum stört, wird für die Störung ursächlich (oben 10. Kap. I 3). 2. Störende Sachen im fremden Eigentumsbereich In den Fällen, in denen Sachen in den gestörten Eigentumsbereich verbracht werden oder in denen dort ein Bauwerk errichtet wird (s. das Fallmaterial oben § 2 Β II), ist die Beteiligung der Komponenten „Handlung" und „Sache" am Störungsvorgang folgendermaßen zu bewerten: Die Störung würde ohne die Handlung nicht entstehen. M i t Beendigung der Handlung jedoch ist Störungsquelle die Sache selbst. Als Verbindungsglied kommt auf den ersten Blick, anders als in den vorhergehenden Fällen, in denen die Sache Mittel der Durchführung einer Tätigkeit ist (oben 1), gleichgewichtig neben der Handlung die dingliche Position in Betracht. Eine genauere Untersuchung zeigt jedoch, daß die Sachbeziehung als Anknüpfungspunkt der Haftung ausscheidet. Zunächst ist in vielen der vorliegenden Fälle eine dingliche Position an der Sache mit Beendigung der Handlung nicht mehr gegeben. Wer Unrat auf fremdem Grund und Boden ablädt oder Abwässer in fremde Gewässer entläßt, ist nicht mehr Besitzer oder Eigentümer (§§ 8561,959 BGB). Damit scheidet die Sachbeziehung als Anknüpfungspunkt der rechtlichen Bewertung aus. Ist Störungsquelle eine Sache, so entsteht die erforderliche Verbindung von Sache und Person durch die dingliche Position, die diese Person an der Sache einnimmt (oben 10. Kap. I 3); mit dem Entfallen der dinglichen Position entfallt auch die Verbindung. Als Anknüpfungspunkt der Haftung verbleibt nur das Handeln. Die Fälle, in denen auch wärend der beeinträchtigenden Lage dingliche Positionen an der Sache bestehen, sind wie folgt zu beurteilen: Die Haftung unmittelbar kraft dinglicher Position ist, wie bereits früher dargelegt wurde, schon aus dogmatischen Gründen abzulehnen2; Besitz oder Eigentum können keine Ansprüche, etwa wie hier nach § 1004, auslösen. Daneben aber will es nicht einleuchten, daß das Handeln als Verbindungsglied zwischen Person und Beeinträchtigung zu ignorieren ist. Wenn beispielsweise der Handelnde selbst nicht Besitzer oder Eigentümer der Sache ist, würde ihn bei Anbindung der Verantwortung an die dingliche Stellung die negatorische Verantwortung nicht treffen, obwohl ohne sein Tun die Sache nicht störend wirken würde.
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Oben 13. Kap. § 2 Β I 3, IV, § 4 Β II.
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Aber auch gegen die Einordnung der dinglichen Position als Garantenstellung im Rahmen eines Unterlassens erheben sich Einwände. Handelt der an der Sache dinglich Zuständige selbst, schafft er also den Unrat auf das fremde Grundstück, ist ein Handeln und kein Unterlassen gegeben. Ein Unterlassen liegt allenfalls in der seinem Handeln nachfolgenden Phase; dies ist bei jedem Handeln der Fall, das Folgen durch einen einmaligen Akt schafft. Aber selbst wenn man das Handeln außer acht lassen und an das Unterlassen anknüpfen wollte, so ist dem Betreffenden nicht vorzuwerfen, daß er es unterläßt, die Sache wieder fortzuschaffen, sondern daß er sie in den fremden Bereich verbracht hat.—Wird an Stelle des dinglich Berechtigten ein anderer tätig, ist ein Handeln des dinglich Berechtigten zwar gar nicht gegeben, der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt aber auch hier nicht darin, daß der sachenrechtlich Zuständige es unterlassen hat zu verhindern, daß die Sachen in den fremden Grundstücksbereich gelangt sind, daß also z.B. Versorgungsleitungen dort verlegt, Baumaterialien abgeladen wurden oder ein Bau errichtet wurde, vielmehr richtet sich der Vorwurf gegen den Handelnden. — Der Sache nach handelt es sich in beiden Fällen um denselben Gedanken, der gegen eine Anknüpfung der Haftung unmittelbar an die dingliche Position spricht: Da die Sache ohne die Handlung nicht zu Störungen führen würde, ist tragendes Element der vorliegenden Störungsquellen nicht die Sache, sondern die Handlung. Da somit das Handeln maßgebend ist, etwa das Abladen des Schutts, die Errichtung des Bauwerks auf fremdem Gebiet 3 oder das Einfließenlassen von Abwässern in fremde Gewässer, ist rechtlich auch in diesen Sachverhalten des Zusammenwirkens von Handlungen und Sachen die Kausalität der die Haftung auslösende Aspekt. II. Störungen durch reines Handeln Keine Schwierigkeiten bereitet die Ermittlung des Haftungskriteriums in den Fällen, in denen die Störung auf einem reinen Handeln beruht, also auf lärmendem Verhalten, auf dem Gebrauch fremden Eigentums (Gehen, Ernten etc.), dem freien Herumlaufen- oder Fliegenlassen von Tieren (Katze, Bienen) und schließlich auf einem durch eigene Handlungen verursachten fremden störenden Handeln, etwa auf dem Abschluß von Verträgen, auf deren Grundlage der Vertragspartner (ζ. B. Mieter, Arbeitnehmer) sich sodann störend verhält (s. das Fallmaterial oben § 2 C). Hier kommt als Anknüpfungspunkt für die Haftung nur das Handeln in Betracht. Sie ist das verbindende Glied zwischen Beeinträchtigung und Person, ein anderer Faktor ist nicht erkennbar. Damit besteht auch für die rechtliche Bewertung kein Spielraum: Wer durch Handeln 3 Ob für die Frage der Rechtmäßigkeit des Baues auf fremdem Boden nicht § 912 BGB analog heranzuziehen ist, da auch hier der Gedanke maßgebend sein kann, wirtschaftliche Werte nicht zu zerstören (s. Mot. zu § 912 BGB Mugdan I I I S. 156 letzter Absatz), ist eine andere Frage.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
Wirkungen hervorruft, wird ursächlich und haftet sonach aus dem Gesichtspunkt der Kausalität (s. schon oben 10. Kap. I 3).
III. Zusammenfassung zu I und II Damit ergibt sich, daß in den für die vorliegende Untersuchung verbleibenden Fällen, den Störungsquellen außerhalb störender Grundstückszustände (oben 13. Kap.), das Handeln der maßgebende Anknüpfungspunkt der rechtlichen Bewertung ist und daß mithin Haftungskriterium die Kausalität durch positives Tun ist. Entsprechend den dargelegten allgemeinen Grundsätzen zur Ermittlung des negatorisch Verantwortlichen (oben 10. Kap. I 1, 2 b, 3) war zunächst die Störungsquelle — Handeln, Sache—festzustellen, sodann war in den Fällen des Zusammenwirkens von Handlung und Sache zu entscheiden, welche der beiden Ursachen für eine rechtliche Bewertung maßgebend ist, und schließlich war diese als entscheidend erkannte Störungsquelle rechtlich einzuordnen (s. oben I, II). Die Ermittlung des Haftungskriteriums in Fällen, in denen die Störung auf einem reinen Handeln beruht (oben § 2 C; § 3 Β II), bereitet keine Schwierigkeiten. Hier ist das Handeln der einzig mögliche Anknüpfungspunkt der rechtlichen Bewertung. Damit ist die Kausalität der maßgebende Haftungsaspekt. Aber auch in den Fällen des Zusammenwirkens von Handlungen und Sachen (oben § 2 B; § 3 Β I) erweist sich das Handeln als entscheidendes Element der Haftung. In den Fällen, in denen die Sache als Mittel zur Durchführung einer Tätigkeit verwendet wird (oben I I ) , ist das Handeln ausschlaggebend, da zwar die Beeinträchtigung nur mit Hilfe der Sache möglich ist (Musikinstrument), aber ohne die Handlung die Störung — durch die Sache selbst — nicht entstünde. — In den Sachverhalten, in denen das Vorhandensein der Sache stört (Schiffsanlagen im fremden Gewässer; oben 12), entfällt in einem Teil der Fälle die dingliche Position als Anknüpfungspunkt der Haftung schon deshalb, weil derartige Positionen nicht mehr bestehen; wer Abwässer in fremde Gewässer entläßt oder Unrat auf fremdem Grundstück ablädt, hat daran weder Besitz noch Eigentum. Das Beeinträchtigung und Person verbindende Glied aber ist die Handlung. — In den übrigen Fällen, in denen eine dingliche Position gegeben ist, ist eine Verpflichtung unmittelbar kraft dieser dinglichen Position bereits aus dogmatischen Gründen abzulehnen. Die Sachverhalte, in denen eine solche Position des Handelnden nicht besteht, weil nicht er, sondern ein anderer Besitzer oder Eigentümer ist, zeigen jedoch auch, daß, ebenso wie in den Fällen, in denen niemand sachenrechtlich zuständig ist, das Handeln nicht ignoriert werden kann; denn ohne dieses würde die Beeinträchtigung nicht gegeben sein. Ferner aber kann die dingliche Position nicht als Garantenstellung im Rahmen eines Unterlassens fungieren. Handelt der dinglich Zuständige selbst, ist kein
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Unterlassen, sondern ein positives Tun gegeben. Die Berücksichtigung nur der dem Tun nachfolgenden Phase des Unterlassens leuchtet nicht ein; was dem Betreffenden zum Vorwurf gereicht, ist sein Handeln, nicht sein „Nichts-Tun". Ebenso verhält es sich, wenn zwar nicht der dinglich Berechtigte, sondern ein anderer handelt. Auch hier richtet sich bei wertender Betrachtung der Vorwurf nicht dagegen, daß der dinglich Berechtigte es nicht verhindert hat, daß seine Sachen auf fremdes Gebiet gelangen, sondern dagegen, daß diese Handlungen vorgenommen werden. Insgesamt lautet daher das Ergebnis, daß außerhalb der Störungen durch einen Grundstückszustand (oben 13. Kap.) das Handeln der Anknüpfungspunkt der Haftung ist und daß damit die negatorische Verantwortlichkeit denjenigen trifft, der für die Störung kausal wird.
C. Anwendung des ermittelten Kausalkriteriums /. Problemstellung Das in den vorhergehenden Untersuchungen (oben B) als maßgebend erkannte Kausalkriterium bedarf einer Konkretisierung für die beiden Anspruchsvarianten der actio negatoria. Zunächst ist festzustellen, wann eine Handlung im einzelnen als für die — künftige oder eingetretene — Beeinträchtigung kausal anzusehen ist. Darüber hinaus ist auch für die vorliegenden Fälle zu ermitteln, ob die auf Grund der äquivalenten Kausalität (condicio sine qua non) eingreifende Haftung mit Hilfe der im Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätze zu beschränken ist. Hinsichtlich dieses zuletzt genannten Problems rücken bei den vorliegenden handlungsbedingen Störungen zwei Fallbereiche ins Blickfeld, für die die genannte Frage unterschiedlich zu beurteilen ist. Es sind dies die beiden Fälle des eigenen störenden Handelns und des verursachten störenden Handelns eines anderen. Dieser Unterschied ergab sich bereits bei Darlegung der Beeinträchtigungsfälle, die auf einem reinen Handeln beruhen (s. oben § 2 C, § 3 Β II). Bei den eigenen störenden Handlungen entsteht die Beeinträchtigung ohne das Dazwischentreten einer weiteren menschlichen Handlung; zwischen ursächlicher Handlung und rechtswidriger Folge (Beeinträchtigung) liegen entweder keinerlei Kausalfaktoren oder aber lediglich naturgesetzliche Kausalabläufe. Der erstere Fall des Fehlens von Kausalfaktoren ist gegeben bei Störungen, die in der Handlung selbst liegen, also im Gebrauchen des fremden Eigentums, etwa durch Überqueren des Grundstücks, Fischen im fremden Gewässer oder Ernten auf fremdem Felde; hier stört das Tun an sich, ohne daß zwischen der betreffenden Handlung und dem Störungstatbestand Ereignisse liegen1. Der zweite genannte Fall, in dem Naturgesetze beteiligt sind, ist bei allen Immissionen gegeben. Da sie von außen auf das gestörte Eigentum einwirken, wirken 1
Fallmaterial oben § 2 C.
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physikalische und chemische Faktoren bei der Entstehung der Störung mit. Dies ist der Fall bei Immissionen von Geräuschen, Gerüchen, Erschütterungen, thermischen Einflüssen, ferner bei körperhaften Immissionen wie Rauch, Ruß oder hinüberfliegenden Steinbrocken. Soweit die auf das fremde Grundstück gelangten Stoffe, beispielsweise Schädlingsbekämpfungsmittel oder der durch Chemikalien angereicherte „saure Regen", schädliche Wirkungen entfalten, sind chemische Prozesse beteiligt 2 . Zu dieser letzteren Fallart des Mitwirkens von Naturgesetzen sind — jedenfalls naturwissenschaftlich gesehen (s. aber unten I I 3 c bb) — ferner die Sachverhalte zu rechnen, in denen eine Sache durch ihr Vorhandensein im fremden Bereich stört, also z.B. der dort abgeladene Unrat, der dort errichtete Bau oder die in fremde Gewässer entlassenen Abwässer 3. Bei einem verursachten fremden Handeln liegt im Geschehensablauf zwischen dem ersten kausalen Tun und dem rechtswidrigen Erfolg das Verhalten einer weiteren Person. Das Ersthandeln für sich genommen hätte die Beeinträchtigung noch nicht hervorgerufen, sondern erst das durch dieses Ersthandeln verursachte weitere Tun. Beispiele sind der Abschluß eines Mietvertrages mit einem Mieter, der sich bei Gebrauch der Wohnung störend verhält, oder der Abschluß eines Arbeitsvertrages, in dessen Rahmen der Arbeitnehmer für Dritte störende Tätigkeiten verrichtet. Die beschriebenen beiden Fallrubriken lassen sich auch kurz als unmittelbar und mittelbar 4 verursachte Beeinträchtigungen kennzeichnen. Die Mittelbarkeit der verursachenden Ersthandlung liegt eben in dem Dazwischentreten einer weiteren menschlichen Handlung. Die juristische Frage, inwieweit einem Verursacher beeinträchtigende Folgen seines Tuns zuzurechnen sind, stellt sich in beiden Fallarten auf unterschiedliche Weise. Während sie in den Fällen des eigenen störenden Handelns unter den schon bekannten Aspekten des Auseinanderliegens von Handlung (Ursache) 2
Fallmaterial oben § 2 Β I, C. Fallmaterial oben § 2 Β II. 4 Es handelt sich um eine häufig im Recht gebrauchte Unterscheidung, die jedoch ohne genaue Definition wenig aussagekräftig ist; sie begegnete bereits für die actio negatoria bei Anwendung der Kausalität durch Judikatur und Schrifttum, s. oben 3. Kap. § 1 Fn. 29. Sie ist ferner gebräuchlich im Schadensersatzrecht hinsichtlich des Verletzungsobjektes; danach werden als unmittelbar diejenigen Schäden eingeordnet, die am verletzten Recht oder Rechtsgut selbst eintreten (Objektschaden), dagegen als mittelbare die am weiteren Vermögen entstandenen Einbußen (Folgeschäden), dazu etwa Larenz I §27 I l l b 3; Erman-Sirp § 249 Rdnr. 9. Eine ähnliche Differenzierung liegt der im Werkvertrag (§ 635 BGB) üblichen Abgrenzung zwischen Mangel- und Mangelfolgeschaden zugrunde, dazu etwa Erman-Seiler § 635 Rdnr. 19ff. Larenz I I § 72 l c verwendet das Begriffspaar in Abwandlung der Lehre vom Handlungsunrecht zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer unerlaubten Handlung (kritisch dazu Nipperdey NJW 1967,1985,1990,1991). Die Unterscheidung in Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit tritt ferner in anderen Rechtsbereichen auf, so im Enteignungsrecht, s. Wolff-Bachof I § 60 l c 4, im Polizeirecht, s. ders. ebd. I I I § 127 I b 2 jeweils mit mwN, im Strafrecht, s. § 25 I StGB (mittelbare Täterschaft). 3
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und Beeinträchtigung sowie des Umfangs der Haftung entsteht 5 , stellt sich das Zurechnungsproblem in den Fällen des verursachten fremden Handelns unter dem Gesichtspunkt, ob der Ersthandelnde für das Verhalten des Zweithandelnden verantwortlich gemacht werden kann. Es entsteht hier das bekannte rechtliche Problem, ob durch das eigenständige Dazwischentreten einer Person der Kausalablauf „unterbrochen" wird, so daß es dem Erstverursacher — bei wertender Beurteilung — nicht mehr angelastet werden kann 6 . Man mag dieses Problem ebenfalls unter der allgemeinen Fragestellung der für die Zurechnung zu großen Entfernung von Ursache und Folge einordnen 7 ; jedenfalls stellt sich die Frage der Verantwortung in den vorliegenden Fällen unter dem genannten speziellen Aspekt. Wegen der geschilderten unterschiedlichen Problemstellung sind die Fälle des eigenen und des verursachten fremden störenden Handelns gesondert zu beurteilen. Die Untersuchung wendet sich zunächst der ersten Fallart zu (unten II), im Anschluß daran der letzteren Fallrubrik (unten III). II. Haftung für eigenes störendes Handeln (unmittelbare
Verursachung)
1. Einleitung Im folgenden ist das Kausalkriterium für die Fälle des eigenen Handelns auf die beiden Ansprüche des § 10041 anzuwenden. Dafür ist die Frage zu prüfen, wann eine Handlung für eine drohende oder eingetretene Beeinträchtigung als kausal anzusehen ist (unten 2), und ferner, ob die auf Grund der Kausalität eingreifende Haftung unter wertenden Aspekten zu beschränken ist (unten 3). Zur Klärung dieser Probleme kann auf frühere grundsätzliche Darlegungen zu den juristischen Kausaltheorien (Äquivalenz-, Adäquanz- und Normschutzzwecktheorie) 1 zurückgegriffen werden. 2. Das Handeln als condicio sine qua non a) Einleitung
Die condicio-Formel 2 fällt unterschiedlich aus, je nachdem es sich um einen Anspruch auf Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung handelt oder um das Unterlassen einer zu besorgenden Störung (§ 100411,2). Dementsprechend muß differenziert werden: 5 Oben 12. Kap. § 6 C V 5c cc bbb (3) (22) (zu § 908 BGB); 13. Kap. § 3 Β I V 2c bb (zu § 1004 I 2 BGB), cc bbb, ccc (zu § 1004 I 1 BGB). 6 Vgl. schon oben 13. Kap. § 3 C I I 3 e bb. 7 Vgl. ebd. Β IV 2c bb, cc bbb, dd. 1 Oben 12. Kap. § 6 C V 5 c cc aaa (Äquivalenztheorie), bbb (2) (weitere Kausaltheorien). 2 Oben 12. Kap. § 6 C V 5c cc aaa.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen b) Das Handeln als condicio sine qua non im Falle des § 1004 1 1
In den Fällen einer bereits verwirklichten Eigentumseinwirkung greift die negatorische Haftung grundsätzlich ein, wenn das Handeln nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß die Beeinträchtigung entfiele. Diese Hypothese ist bei Störungen, die im Handeln selbst liegen, ohne weiteres überprüfbar. Die Beeinträchtigung läge nicht vor, wenn der Betreffende sich nicht auf dem fremden Grundstück oder im fremden Gewässer bewegte. Aber auch in den Fällen des Lärmens durch menschliches Verhalten (Singen) oder durch Benutzen von Handwerksgeräten, Musikinstrumenten oder Tonträgern (z.B. Radio) ist leicht feststellbar, daß die Geräuschimmissionen ohne die entsprechenden Verhaltensweisen entfallen würden. Liegen Immissionen durch das Betätigen von Anlagen vor, kann die Kausalitätsfeststellung weniger einfach sein. In der Regel ist die Kausalität in den Fällen sinnlich wahrnehmbarer Einwirkungen wie Gerüchen, Dämpfen, Rauch, Ruß, Wärme oder Erschütterungen offenkundig. Doch in den heute aktuellen Fällen der Störungen durch den sog. sauren Regen bereitet die Kausalitätsermittlung wegen der Vielfalt der mitwirkenden Ursachen den Fachleuten Schwierigkeiten. Bisher sind die Kausalzusammenhänge nicht völlig geklärt. Hier ist die Jurisprudenz auf naturwissenschaftliche Untersuchungen angewiesen. Steht aber fest, daß ökologische Schäden etwa eines Forstes auf Immissionen bestimmter Anlagen zurückführbar sind, greift der Beseitigungsanspruch des § 1004 I 1 ein. Die hier entstehenden weiteren Haftungsfragen wegen des Zusammenwirkens mehrerer Anlagen verschiedener Unternehmer sind in anderem Zusammenhang zu behandeln3. c) Das Handeln als condicio sine qua non im Falle des § 1004 I 2
Im Falle des Unterlassungsanspruches des § 1004 I 2 ist Störer derjenige, dessen Handeln zu einer Beeinträchtigung führen würde. Diese Prüfung der Kausalität gleicht somit der Kausalitätsfeststellung bei der Haftung kraft Unterlassens nach den Grundsätzen des § 908 4 . Wie dort die Kausalität nur durch das Hinzudenken der Sicherungspflicht feststellbar ist (Entfallen der Beeinträchtigung oder der Gefahr der Beeinträchtigung), muß auch hier das Handeln hinzugedacht werden, damit ermittelt werden kann, ob dieses Handeln zu einer Beeinträchtigung führen würde 5 .
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Unten 15. Kap. § 2. Oben 12. Kap. § 6 C V 5c cc aaa (zu § 908); 13. Kap. § 3 Β IV 2b bb (zu § 10041 2). 5 Die Kausalitätsprüfung des negatorischen Unterlassungsanspruches weist außerdem Ähnlichkeit auf mit derjenigen des § 907 I I I . Fall: Gegner des Anspruches auf Unterlassen der Herstellung einer Anlage ist, wer die Errichtung der Anlage plant, dessen Handeln also, würde er es vornehmen, zu dem verbotenen Erfolg führen würde, dazu oben 12. Kap. § 5 C II. 4
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3. Haftungsbegrenzungsfragen a) Einleitung
Die nunmehr anstehende Frage, ob die infolge der äquivalenten Kausalität grundsätzlich gegebene Haftung nach den früher schon behandelten juristischen Kausaltheorien 6 zu begrenzen ist, ist für die beiden negatorischen Ansprüche des § 1004 I unterschiedlich zu beantworten (unten b, c). b) Die Frage der Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung im Falle des § 1004 I 2
Im Rahmen des Unterlassungsanspruchs des § 1004 I 2 ist für eine Anwendung der die Haftung begrenzenden Kausaltheorien kein Raum. Es kann weder zu einer Adäquanzprüfung noch zur Prüfung der Frage kommen, ob die bevorstehende Beeinträchtigung nach der Normschutzzwecklehre im inneren Zusammenhang mit dem verletzten Recht (Eigentum) steht. Der Anspruch nach § 10041 2 ist nur gegeben, wenn die Beeinträchtigung „zu besorgen" ist. Ist sie aber im Sinne der Adäquanztheorie nicht wahrscheinlich oder liegt nach der Normschutzzwecklehre der innere Zusammenhang nicht vor, dann besteht auch keine Besorgnis, daß die Beeinträchtigung stattfinden wird. Das Gesagte mag anhand der Adäquanzformel näher ausgeführt werden. Schon früher hatte sich ergeben 7, daß das Merkmal der „Besorgnis" im Sinne des § 1004 I 2 im einzelnen nicht geklärt ist. Es kommt jedoch im vorliegenden Zusammenhang auf den zu fordernden Grad der Wahrscheinlichkeit nicht an; jedenfalls muß die Beeinträchtigung drohen, also — kurz gesagt — eine Gefahr vorliegen. Besteht diese nicht, entfällt der Anspruch. Ein Wahrscheinlichkeitsurteil im Sinne der Adäquanztheorie erübrigt sich. Die Frage der Adäquanz gestaltet sich also bei der vorbeugenden negatorischen Haftung im Falle eines (bevorstehenden) positiven Tuns anders als im Falle der negatorischen Haftung kraft Unterlassens nach den Grundsätzen des § 908 8 . Auch dort muß die Beeinträchtigung zwar drohen, d.h. es muß die Gefahr einer Beeinträchtigung durch den Grundstücks- oder Gebäudezustand bestehen. Dieses kann aber auch dann der Fall sein, wenn im Sinne der Adäquanz nicht damit zu rechnen war, daß die Gefahr Folge des Unterlassens sein würde. Die Aufgabe der Adäquanzprüfung besteht dort nur darin festzustellen, ob der Unterlassende dennoch die Gefahr beseitigen muß. Die ex post-Prognose ist möglich, weil im Falle der Unterlassungshaftung gem. §§ 908 und 100412—im juristischen Sinne — schon Geschehnisse vorliegen, nämlich das rechtswidrige Unterlassen der Sicherungspflicht. Im Falle der Haftung nach § 1004 I 2 auf Grund (hypothetischen) positiven Tuns liegen Geschehnisse noch nicht vor, die Handlung ist erst zu erwarten. Da der Anspruch, ein Störungen verursachendes Handeln zu 6 7 8
Oben 12. Kap. § 6 C V 5c cc bbb (2) (zu § 908). Oben 12. Kap. § 3 Β I. Dazu oben 12. Kap. § 6 C V 5c cc (zu § 908); 13. Kap. § 3 Β I V 2b bb (zu § 100412).
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
unterlassen, sich nicht gegen jeden richten kann, der möglicherweise die Handlung vornimmt, ist Voraussetzung des Anspruchs ein Wahrscheinlichkeitsurteil. Damit erübrigt sich die Adäquanzfrage. — Das Dargelegte gilt entsprechend auch für die Fragestellung der Lehre vom Schutzzweck der Norm: Ist die Gefahr einer Beeinträchtigung nicht gegeben, ist kein Raum für die Frage, ob § 100412 vor der Beeinträchtigung schützen will, eben weil eine solche gar nicht zu erwarten ist. c) Die Frage der Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung im Falle des § 1004 I 1 aa) Einleitung
Das Problem der Haftungsbegrenzung für den Fall einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung wurde schon einmal für die Fälle zustandsbedingter Störungen untersucht 9 . Die Kausalität liegt jedoch in diesen schon analysierten Fällen in einem pflichtwidrigen Unterlassen; die Beurteilung der vorliegenden Fälle des positiven Tuns weicht von der Bewertung der Unterlassungsfalle teilweise ab; das Verhältnis von Ursache und Folge gestaltet sich hier anders (unten bb). Dagegen wird sich zeigen, daß die Frage der Haftungsbeschränkung unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfolge (Haftungsumfang) in Unterlassungs- und Handlungsfallen gleich zu bewerten ist (unten cc). bb) Der Gesichtspunkt der Entfernung
von Ursache und Folge
aaa) Einleitung
Zunächst ist der bereits entwickelte Gedanke 10 aufzugreifen, daß ein Bedürfnis nach einer Haftungseingrenzung nur dann entstehen kann, wenn zwischen ursächlichem Verhalten und Erfolg ein komplexer Geschehensablauf liegt, der eine Reihe einander bedingender Kausalfaktoren enthält. Infolge des Dazwischentretens mehrerer kausaler Ereignisse kann der rechtswidrige Erfolg derart weit von der Handlung entfernt liegen, daß aus Gerechtigkeitserwägungen Zweifel entstehen, ob der Betreffende für den Erfolg noch verantwortlich gemacht werden kann. Die hier in Betracht kommenden Fälle sind insoweit unterschiedlich gestaltet; ein Teil der Sachverhalte weist zwischen Handlung und Erfolg liegende Faktoren auf (unten ccc), ein weiterer Teil dagegen nicht (unten bbb). bbb) Fälle ohne Zwischenfaktoren
Es existiert ein für die actio negatoria bedeutender Bereich von Fällen, in denen zwischen Handlung und Erfolg keinerlei Zwischenfaktoren liegen. Dies sind die Fälle des Benutzens fremden Eigentums („Rechtsanmaßung") 11 . Bei 9 10 11
13. Kap. § 3 Β I V 2c cc. 12. Kap. § 6 C V 5c cc bbb (3) (zu § 908); 13. Kap. § 3 Β IV 2c bb, cc bbb. Fallmaterial oben § 2 C.
§ 3 Rechtliche Bewertung
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ihnen liegt die Störung in der Handlung selbst. Wer über ein fremdes Grundstück geht, sich unerlaubt in einem fremden Gebäude aufhält, durch fremde Gewässer fahrt oder dort fischt, stört durch eben dieses Handeln; Ereignisse zwischen Handlung und beeinträchtigendem Erfolg sind nicht vorhanden. — Ähnlich verhält es sich beim Abladen von Sachen (Unrat) oder dem Errichten eines Bauwerks auf fremdem Grundstück 12 . Zwischen Handlung und Beeinträchtigung liegt nur die physische Existenz der Sache; die die Störung verursachende Handlung hat keine weiteren Ereignisse zur Folge als das Vorhandensein der Sache im fremden Bereich. M i t Vornahme der Handlung ist die Beeinträchtigung eingetreten. In den vorliegenden Fällen entsteht das Problem der Haftungsbegrenzung unter dem Aspekt des Auseinanderfallens von Ursache und Wirkung also nicht. Fragen der Adäquanz oder des Normschutzzweckes können sich nicht stellen: Da die mißbilligte Wirkung des Tuns im Tun selbst liegt (Überqueren fremden Grundstücks) oder das Tun diese Wirkung unmittelbar ohne weitere Kausalfaktoren nach sich zieht (Abladen von Sachen), Ursache und Folge also zusammenfallen, kann die Frage nicht aufkommen, ob die im Handeln liegende Beeinträchtigung als völlig unwahrscheinlich erscheinen konnte (Adäquanz). Ferner erübrigt sich die Prüfung, ob die vorliegende Beeinträchtigung in den von § 1004 geschützten Bereich fallt, ob also eine innere Beziehung dieser Beeinträchtigung zu dem von § 1004 geschützten Eigentumsbereich besteht (Normschutzzweck). Es genügt somit die Feststellung, daß der Betreffende die Handlung vorgenommen und damit eine condicio sine qua non der Beeinträchtigung gesetzt hat. ccc) Fälle mit Zwischenfaktoren (1) Fallbeschreibung
Hinsichtlich des Verhältnisses von Ursache und Wirkung liegen die Fälle der Immissionen 13 anders, also die Fälle etwa des lärmenden Verhaltens einer Person (Singen, Sprechen), des Einleitens von Abwässern in fremde Gewässer und alle Fälle, in denen die Störung durch das Benutzen von Maschinen, Werkzeugen, Musikinstrumenten oder Tonträgern hervorgerufen wird. Die in das fremde Gewässer gelangenden Stoffe, die emittierten Geräusche, Gerüche, Erschütterungen und thermischen Einflüsse, ferner Imponderabilien wie Gase, Dämpfe, Rauch oder Ruß (s. § 906 BGB) gelangen in den fremden Eigentumsbereich nur mit Hilfe physikalischer Vorgänge; teilweise wirken auch chemische Reaktionen mit, so wenn die emittierten Stoffe mit Luft- oder Bodenbestandteilen chemische Verbindungen eingehen und sie in chemisch veränderter Form die Beeinträchtigung herbeiführen. In diesen Sachverhalten ist die Beeinträchtigung ohne das Mitwirken von Naturgesetzen und der in der Umwelt vorhandenen 12 13
Fallmaterial oben § 2 Β II. Fallmaterial oben § 2 Β I, teilweise auch C.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
Stoffe wie chemischer Elemente und Verbindungen, Luft, Pflanzen, Wasser und Wetterverhältnisse nicht denkbar. — Werden zudem Geräte und Anlagen benutzt, die am Entstehen der Störung beteiligt sind, so liegt zwischen Handlung und Störungserfolg außerdem das Funktionieren dieser Hilfsmittel. Dadurch, daß in den vorliegenden Fällen naturgesetzliche und technische Abläufe die Beeinträchtigung bedingen, rücken kausale Handlung und rechtswidriger Erfolg auseinander. Anders also als in den zuvor besprochenen Fällen (oben bbb) decken sich kausale Handlung und Beeinträchtigung nicht. Vielmehr liegt die Beeinträchtigung in der weiteren Wirkung dieser Handlung. Damit ist die Ausgangslage, die Anlaß für die Frage der Haftungsbegrenzung gibt, grundsätzlich gegeben. (2) Anwendung der Adäquanz- und Normzwecktheorie
Bevor wegen des obigen Befundes [(1)] unter wertender Betrachtung der Fälle untersucht wird, ob allein wegen des Auseinanderliegens von Ursache und Folge eine Haftungsbeschränkung gerechtfertigt ist, soll zunächst eine Adäquanz- und Normschutzzweckprüfung vorgenommen werden. Im vorliegenden Fallbereich ist eine dem Handeln inadäquate Immission bereits praktisch jedenfalls dann kaum vorstellbar, wenn die Immission Störungen des Nachbarbereiches hervorruft. Der Begriff der „Nachbarschaft" ist exakt nicht zu definieren, er bestimmt sich nach der allgemeinen Lebensanschauung. Zur Nachbarschaft 14 zählen nicht nur die unmittelbar angrenzenden Grundstücke, sondern auch entfernter liegende Gebiete, sofern die dortigen Lebensvorgänge vom eigenen Grundstück aus noch wahrnehmbar sind. — Werden nun die hier in Betracht kommenden Handlungen vorgenommen, die Immissionen zur Folge haben, werden Geräusche durch eigenes lärmendes Verhalten verursacht, Maschinen und Anlagen bedient, Geräte und Werkzeuge benutzt und Abwässer in den angrenzenden Graben entlassen, so führen diese Handlungen zu Beeinträchtigungen der Nachbargrundstücke. Da diese Handlungen emittierende Wirkungen haben, ist es regelmäßig auch nicht außergewöhnlich, daß diese Wirkungen Beeinträchtigungen des Nachbargebietes zur Folge haben. Beruhen die entstehenden Dämpfe, Abgase oder Geräusche auf einem Defekt der Anlage und sind diese Folgen daher nicht „planmäßig", so sind sie noch nicht inadäquat. Dagegen ist denkbar, daß die die Immissionen verursachende Handlung, etwa das Betätigen von Abgase produzierenden Anlagen, zu Störungen führt, mit denen nach der Lebenserfahrung einmal deshalb nicht zu rechnen war, weil sie in weit von der Störungsquelle entfernt liegenden Gebieten eintreten. Zum anderen kann das Eintreten der Störung unerwartet im Sinne der Adäquanzformel sein, weil die emittierten Stoffe in der Umwelt chemischen Veränderungen unterliegen und sie erst in dieser veränderten Form die Beeinträchtigung hervorrufen. Mitursächlich können, drittens, man14
Dazu etwa MK-Säcker § 907 Rdnr. 6 mit Nachw. aus der Rspr.
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cherlei Umsetzungsprozesse in der Natur sein, deren verschiedene Wechselwirkungen erst die Störungen bewirken. Wenn auch endgültige Kausalzusammenhänge bisher nicht erforscht sind, so sind es aber diese Komponenten, die bei den sog. Umweltschäden, etwa dem „Waldsterben", eine Rolle spielen. Inzwischen ist jedoch bekannt, daß Emissionen mancher Stoffe die geschilderten Wirkungen zur Folge haben können, so daß man auch in diesen Fällen kaum von einer Inadäquanz sprechen kann. Den inzwischen erlangten Erfahrungen und Kenntnissen verdankt das von 1974 stammende Bundesimmissionsschutzgesetz seine Existenz, wonach Anlagen, die umweltschädliche Immissionen herbeiführen, bestimmten technischen Anforderungen entsprechen müssen und behördlicher Genehmigung bedürfen 15 . Mögen also die beschriebenen Fernwirkungen und Umsetzungsprozesse nach dem Erfahrungswissen von vor etwa zwei Dekaden im Sinne der Adäquanzformel außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit gelegen haben, so sind sie aber jedenfalls nach dem heutigen Wissensstand auch für den Nicht-Fachmann nicht mehr völlig unwahrscheinlich. Somit ist festzustellen, daß selbst solche Immissionen, deren Folgen wegen der Entfernung des Wirkungsortes und der Art der Wirkung (Umsetzungsprozesse) nicht unmittelbar wahrnehmbar sind, nicht als inadäquat anzusehen sind. Aus diesen Ausführungen ergibt sich bereits, daß die vorliegenden Störungsfalle auch in den Schutzbereich des § 1004 fallen. Es entstehen hier Beeinträchtigungen, vor denen die Vorschrift das fremde Eigentum gerade bewahren will. Der nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm notwendige innere Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg ist somit gegeben. (3) Entscheidung der Frage der Haftungsbegrenzung
Das in den vorliegenden Fällen zwischen Handlung und Beeinträchtigung liegende Dazwischentreten von naturgesetzlichen und technischen Vorgängen rechtfertigt es allein nicht, daß die Haftung entfällt. Das gilt selbst dann, wenn im Einzelfall Störungen auftreten sollten, die nach der Adäquanztheorie unwahrscheinliche und außergewöhnliche Folge des Handelns sind. Die vorliegenden Fälle sind mit den Fällen, die im Schadensersatzrecht wegen weit von der Ursache entfernt liegender Folgen (Rechts- oder Rechtsgutverletzung) vor das Problem der Zurechnung stellen, nicht vergleichbar. Dort geht es um Handlungen — Herstellen und Vertreiben gefahrlicher Gegenstände wie Kraftfahrzeuge—, die erst durch völlig neue Ereignisse zu dem rechtswidrigen Erfolg fuhren 16 . So etwa gelangt das Elektrogerät über mehrere Händler zu dem endgültigen Käufer; dieser muß das Gerät benutzen. Diese Geschehensabläufe lassen sich mit den Vorgängen, die zwischen Handlung und Beeinträchigung in den hier 15 Vgl. BImSchG §§ 4ff. (genehmigungsbedürftige Anlagen), §§ 32 ff. (u. a. Beschaffenheit von Anlagen). 16 Oben 12. Kap. § 6 C V 5 c cc bbb (3).
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
behandelten Fällen liegen, insofern nicht vergleichen, als der enge Zusammenhang gewahrt bleibt. Daß Abgase oder Rauch nur bei entsprechender Windrichtung und -stärke zu den benachbarten oder entfernteren Gebieten gelangen können, beruht auf naturgesetzlichen, physikalischen Vorgängen. Es kann, bei wertender Anschauung, kein Zweifel bestehen, daß § 1004 vor den Folgen dieser Vorgänge schützen will (Normzwecktheorie). Unmittelbar ergibt sich dies auch aus § 906, der sich der Störungen durch Immissionen eigens annimmt, indem er die Grenze zwischen deren Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit festlegt. Insoweit lautet das Ergebnis, daß der Störer, der durch eigenes Handeln beeinträchtigende Immissionen mit Hilfe von Geräten, Handwerkszeug und Anlagen hervorruft, allein auf Grund der Kausalität im Sinne der Äquivalenztheorie haftet. ddd) Zusammenfassung zu aaa-ccc
Nach den bisherigen Untersuchungen steht fest, daß die negatorische Verantwortung in den Fällen eigenen Handelns auf Grund der Kausalität uneingeschränkt eingreift, sei es nun, daß die Handlung selbst die Beeinträchtigung darstellt und Zwischenfaktoren nicht gegeben sind (oben bbb), sei es, daß zwischen Handlung und Erfolg weitere (naturgesetzliche oder technische) Ereignisse liegen (oben ccc). cc) Der Gesichtspunkt des Haftungsumf anges (Rechtsfolge) aaa) Einleitung
Nach dem vorliegenden Ergebnis (oben bb ddd) kann sich eine Haftungsbeschränkung nur noch aus dem Gesichtspunkt ergeben, daß die Beseitigungsfolge eine zu weitreichende Haftung darstellt. Hier müssen zwei Fallbereiche unterschieden werden: Fälle, in denen die Beeinträchtigung in der Handlung selbst liegt und in denen Sachen in den fremden Bereich gelangen (unten bbb), sowie Fälle, in denen die Störung durch Immissionen entsteht (ccc). bbb) Beeinträchtigungen durch das Handeln selbst und durch die Existenz von Sachen im fremden Eigentumsbereich
In den Fällen, in denen die Störung in der Handlung selbst liegt (Gehen über fremdes Grundstück) oder in denen der Störer Sachen in einen fremden Bereich verbringt 17 , würden die Kausalitätstheorien schon kein taugliches Eingrenzungskriterium darstellen. Es hatte sich gezeigt (oben bb bbb), daß für ein Wahrscheinlichkeitsurteil kein Raum ist (Adäquanz), ferner, daß die actio negatoria zweifelsfrei vor derartigen Eingriffen schützen will (Normschutzzweckgedanke). Aber abgesehen davon entfällt die Notwendigkeit einer Haftungsbeschränkung aus dem Aspekt der Rechtsfolge, der im Schadensersatz17
Fallmaterial oben § 2 C, Β II.
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recht zu Zurechnungsbegrenzungen Anlaß gibt, in diesen Fällen ohne weiteres. Es handelt sich hier um inhaltlich begrenzte und von vornherein feststehende Verpflichtungen, die mit der Schadensersatzfolge nicht vergleichbar sind. Der Betreffende hat lediglich sein störendes Tun, soweit es andauert (§ 1004 I I ) , abzubrechen; er hat das fremde Gewässer, den fremden Grund und Boden zu verlassen. Hat er seine Sachen auf dem fremden Grundstück lagern, muß er sie beiseite schaffen; so ist der dort abgeladene Schutt zu entfernen oder das im fremden Hafen liegengelassene Schiffswrack abzuholen. Ferner ist das auf fremdem Boden errichtete Bauwerk oder die in fremdem Gewässer erbaute Schiffsanlage abzubrechen. Die zur Erfüllung des § 1004 I 1 notwendigen Maßnahmen richten sich also nach der Art der Beeinträchtigung. Sie sind inhaltlich bestimmt und beschränkt; unbegrenzte und unüberschaubare Verpflichtungen wie im Schadensersatzrecht können nicht entstehen. Daß die Maßnahme hohe Kosten verursachen kann, ist auch im Schadensersatzrecht kein Gesichtspunkt, der zur Verantwortungsbegrenzung führt 1 8 . ccc) Immissionsfalle (1) Einleitung
Die störende Wirkung von Immissionen 19 kann in verschiedenen Momenten liegen. Einmal besteht die Beeinträchtigung hier in der Immission selbst, also darin, daß Abgase, Rauch, Ruß, Abwässer oder feste Körper wie Steine auf das Grundstück dringen und seine Benutzbarkeit daher beschränken. Die Beeinträchtigung kann darüber hinaus aber auch in den weiteren Folgen dieser Immissionen liegen, die entweder darin bestehen, daß sich die immitierten Stoffe auf dem Grundstück ablagern (Steine) oder daß sie zu Substanzverletzungen führen. Da sich die Frage der Haftungsbeschränkung nach den vom Störer zu ergreifenden Maßnahmen beurteilt, ist zunächst festzustellen, welche Maßnahmen zur Erfüllung des Beseitigungsanspruches erforderlich sind. Diese Frage wiederum richtet sich nach der Art der Beeinträchtigung. Somit ist im einzelnen festzustellen, welche Maßnahmen bei den verschiedenen Beeinträchtigungsarten in Betracht kommen [unten (2), (3)]. (2) Die in der Immission selbst liegende Beeinträchtigung ( 11) Erfüllung
des Beseitigungsanspruches durch Unterlassen der Handlung
Der Anspruch auf Beseitigung der in der Immission als solcher liegenden Beeinträchtigung kann in einem Teil der Fälle erfüllt werden durch bloßes Unterlassen der Handlung, die die beeinträchtigende Immission zur Folge hat. Der Störer unterläßt sein lärmendes Verhalten (Singen), er stellt seine Arbeiten
18 19
Vgl. schon oben 13. Kap. § 3 Β IV 2c cc ccc. Fallmaterial oben § 2 Β I, teilweise auch C.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
mit Werkzeugen, Geräten und Maschinen ein oder er leitet seine Abwässer nicht mehr in den fremden Bereich. Hier gilt das soeben (bbb) Festgestellte: Der Störer wird in diesen Fällen mit inhaltlich begrenzten Pflichten belastet, so daß sich Fragen der Haftungsbeschränkung nicht stellen. (22) Erfüllung
des Beseitigungsanspruches durch Schaffung von Vorrichtungen
In vielen Fällen sind dagegen an der eigenen Sache Vorrichtungen nötig, um die Immission zu verhindern. Zumindest wird der Störer in seinem eigenen Interesse oft diesen Weg wählen, um seine Tätigkeiten fortsetzen zu können. U m Immissionen zu vermeiden oder auf ein solches Maß zu reduzieren, daß sie zu dulden sind (s. §§ 906, 1004 I I BGB), setzt das Bundesimmissionsschutzgesetz technische Anforderungen genehmigungsbedürftiger Anlagen fest 20 ; die dazugehörige erste Verordnung, die Feuerungsanlagen betrifft, enthält Angaben über unzulässige Immissionswerte 21 . Sind die Bestimmungen dieser Vorschrift eingehalten, ist die verbleibende Immission nicht rechtswidrig, so daß ein Anspruch auf Beseitigung gem. § 1004 I 1 entfallt. Doch bieten die genannten Gesetze Beispiele für Fälle, in denen technische Vorrichtungen eingebaut werden müssen, um Immissionen zu verhindern oder auf ein zulässiges Maß herabzusetzen. Die hier zur Erfüllung des Beseitigungsanspruches erforderlichen Maßnahmen gleichen den Vorkehrungen, die notwendig sind, um den Ansprüchen auf Beseitigung der von einem Grundstück ausgehenden Gefahr nach den §§ 908, 1004 I 2 nachzukommen. Auch dort muß der Störer, um die Gefahr der Beeinträchtigung für das Nachbargrundstück zu bannen, am eigenen Grundstück oder Gebäude Vorkehrungen treffen. Wegen des Vergleichs mit schadensersatzrechtlichen Folgen kann daher auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden 22 : Der Inhalt des Anspruches ist infolge des Substrats, an dem die Maßnahme vorzunehmen ist (eigene Sache), und des Ziels, das sie erreichen soll, begrenzt. Die theoretisch unbeschränkte Einstandspflicht, wie sie auf Grund des weiten Schadensbegriffes (§ 249 S. 1 BGB) im Schadensersatzrecht möglich ist, besteht im Falle des negatorischen Beseitigungsanspruches nicht. Allerdings können die erforderlichen Vorrichtungen erhebliche Kosten verursachen. Auch insoweit gilt das bereits Ausgeführte, daß die Höhe der eigenen Vermögensopfer generell kein Anlaß für Zurechnungsfragen ist, auch nicht im Schadensersatzrecht 23 .
20
Vgl. BImSchG §§ 32 ff. Erste VO zum BImSchG v. 5. 2. 1979 (BGBl. I S. 165). 22 12. Kap. § 6 C V 5c cc bbb (3) (33), (44), ee (zu § 908); 13. Kap. § 3 Β IV 2b bb (zu § 1004 I 2). 23 Zu §§ 908, 1004 I 2 jeweils ebd. 21
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(3) Beeinträchtigungen durch Immissionsfolgen
Weitergehende Beeinträchtigungen als die, die in der Immission selbst liegen, sind bei unkörperhaften Immissionen wie Geräuschen und Gerüchen seltener, obwohl negative Einflüsse etwa auf den Tierbestand eines landwirtschaftlichen Betriebes vorstellbar sind. In erster Linie aber kommen derartige Folgen bei größeren körperhaften Immissionen wie Flüssigkeiten (z.B. Wasser) oder Steinen (Steinbruch) in Betracht, bei Imponderabilien wie Abgasen, Dämpfen, Rauch oder Ruß, aber auch bei thermischen Einflüssen (Wärme, Kälte) oder bei Erschütterungen (s. § 906). Was der Störer zur Erfüllung des Beseitigungsanspruches tun muß, hängt von der Art der Beeinträchtigung und der Interpretation des Beeinträchtigungsbegriffes ab. Handelt es sich um einfache Ablagerungen auf dem Grundstück, etwa um das vom Steinbruch herübergelangte Gestein, bedarf es nur der Wegschaffung der störenden Stoffe; der Fall ist nicht anders zu beurteilen, als wenn jemand seine Sachen auf das fremde Grundstück bringt (oben bbb): Haftungsbeschränkungen vom Umfang der dem Störer auferlegten Pflicht her sind nicht berechtigt, weil es sich um inhaltlich begrenzte und festliegende Rechtsfolgen handelt. Derartige Immissionen beschränken sich aber auf wenige Fälle. Viele Immissionen führen zu Substanzeingriffen, ohne daß der bloße „actus contrarius" (Baur) für deren Beseitigung genügt. So liegt es etwa in Fällen des verseuchten Wassers durch Zuleitung von Schadstoffen. Die im Wasser enthaltenen diffundierten Stoffe können nur durch Filterung und chemische Bearbeitung des Wassers entfernt werden. Erschütterungen können zu Rissen im Mauerwerk führen, die nur durch Verputzen wieder zu beseitigen sind. Wärmeeinflüsse oder die im Wasser enthaltenen Schadstoffe haben schädigende Einflüsse auf Tiere und Pflanzen. Imponderabilien können sich auf dem Grundstück ablagern, Gebäudeschäden, ζ. B. Veränderungen am Putz, verursachen oder dazu führen, daß Pflanzen und Tiere erkranken und eingehen. Ein wichtiges Beispiel für derartige Folgen von Immissionen ist das durch den sog. sauren Regen hervorgerufene „Waldsterben". Sie können nur durch Maßnahmen beseitigt werden, die man im Schadensersatzrecht als Naturalrestitution bezeichnet (s. § 249 S. 1 BGB), also durch Aufwendungen auf die geschädigte Sache selbst, beispielsweise durch Ausbesserung des Putzes oder durch Behandlung oder Ersatz der erkrankten Tiere und Pflanzen. Hier taucht das bekannte Problem auf: Ob derartige Immissionswirkungen noch als Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 zu verstehen sind und ob demgemäß der Beseitigungsanspruch auch die Wiederherstellung substanzverletzender Eingriffe umfaßt, ist ungeklärt 24 . Die Frage stellte sich schon bei Untersuchung des Problems der Haftungsbeschränkung im Falle zustandsbedingter Immissionen. Hinsichtlich der Frage, ob der Beseitigungsanspruch des § 1004 I 1 den im Schadensersatzrecht entwickelten Haftungsbegrenzungen 24
Oben 10. Kap. I 2 a, auch 1. Kap. I I 1.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
unterliegt, ist wie dort zu entscheiden25: Selbst wenn man den Beeinträchtigungs- und Beseitigungsbegriff weiter faßt und annimmt, daß der Störer nicht nur die störenden Immissionen einzustellen hat, sondern auch für dadurch bewirkte Substanzverletzungen aufkommen muß, ist die Rechtsfolge des § 1004 11 begrenzt: Es gilt auch hier die schon wiederholt angeführte Begründung, daß die Haftung nach § 1004 I 1 durch Objekt (Substrat) und Ziel der Maßnahme inhaltlich beschränkt und überschaubar ist. Eine theoretisch uferlose Verantwortlichkeit wie im Schadensersatzrecht ist nicht denkbar. Wenn der Eigentümer infolge der Eigentumsbeeinträchtigungen Einbußen an seinem übrigen Vermögen erleidet, so ist die Kompensation derartiger Folgen nicht Gegenstand des § 1004, der ausschließlich den Schutz des Eigentums zum Ziel hat. Somit besteht, nicht anders als in den bisher überprüften Fällen des § 1004, kein Bedürfnis, mit Hilfe der Kausaltheorien die Haftung zu beschränken. d) Zusammenfassung zu a-c
Nach diesen Untersuchungen steht fest, daß der Störer auch im Falle von Beeinträchtigungen, die durch ein Handeln hervorgerufen werden, haftet, wenn dieses Handeln nicht hinwegdenkbare Bedingung der Beeinträchtigung ist (Äquivalenztheorie). Ebenso wie bei zustandsbedingten Beeinträchtigungen (oben 13. Kap.) besteht weder für den Beseitigungs- noch den Unterlassungsanspruch des § 10041 ein Bedürfnis für eine wertende Auswahl unter den kausalen Handlungen, wie dies im Schadensersatzrecht erforderlich ist. Im Falle des Unterlassungsanspruches nach § 1004 I 2 besteht schon aus Gründen der Logik kein Raum für die Anwendung der Kausaltheorien (oben b). Dort ist die Frage vorrangig, ob eine Beeinträchtigung bevorsteht („zu besorgen") ist. Diese Voraussetzung fordert bereits ein Wahrscheinlichkeitsurteil. Besteht aber die Gefahr einer Beeinträchtigung nicht, entfallt der Anspruch. Weitere Wahrscheinlichkeitsprognosen im Sinne der Adäquanztheorie sowie Normzwecküberlegungen sind gegenstandslos. I m Falle des Beseitigungsanspruches nach § 1004 I 1 erweist sich eine Haftungsbegrenzung unter den im Schadensersatzrecht bedeutsamen Aspekten der Entfernung von Ursache und Folge sowie des Haftungsumfanges als nicht berechtigt (oben c). Bei einem Teil der Fälle sind kausale Handlung und Beeinträchtigung identisch (Rechtsanmaßung) oder aber tritt die Beeinträchtigung mit Vornahme der Handlung ohne weitere Kausalereignisse ein (Abladen von Sachen im fremden Bereich; oben c bb bbb). In einem weiteren Teil der Fälle (Immissionen) ist ein enger Zusammenhang zwischen Handeln und Beeinträchtigungsfolge trotz dazwischenliegender Ereignisse gegeben (oben c bb ccc); die vorliegenden Fälle lassen sich insoweit den im Schadensersatzrecht problematischen Fällen nicht gleichstellen. — Unter dem Gesichtpunkt des Haftungsumfanges (Rechtsfolge; oben c cc) kommt eine Haftungsbeschränkung ebenfalls 25
13. Kap. § 3 Β IV 2c cc ccc.
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nicht in Betracht. Je nach Art der Beeinträchtigung erfüllt der Störer den Beseitigungsanspruch durch bloßes Unterlassen der Handlung, durch Wegräumen der in den fremden Bereich gelangten Sachen [dorthin verbrachter Schutt, Steine eines Steinbruches; oben c cc bbb, ccc (2) (11)] oder durch Schaffung von Vorkehrungen, die die störende Folge (Immissionen) verhindern [ebd. ccc (2) (22)]. Diese Rechtsfolgen sind inhaltlich bestimmt, sie lassen einen Vergleich mit der schadensersatzrechtlichen Verantwortlichkeit, die alle Folgeschäden umfaßt, nicht zu. Aber selbst, wenn man annimmt, daß der Störer auch für die durch die Immissionen hervorgerufenen Substanzverletzungen aufkommen muß [ beschädigte Pflanzen; ebd. ccc (3)], besteht eine durch das Schutzobjekt (Eigentum) und das Ziel der Maßnahmen inhaltlich feststehende Verantwortlichkeit. Haftungsbegrenzungen durch wertende Auswahl einzelner Kausalfaktoren sind daher nicht notwendig. — Damit erweist sich auch für diesen Fallbereich, daß die in Literatur und Judikatur geäußerte Notwendigkeit einer Haftungsbeschränkung auf nur adäquate Kausalfaktoren 26 nicht zutreffend ist. III. Haftung für verursachtes fremdes störendes Handeln (mittelbare Verursachung) 1. Einleitung Für die nunmehr anstehende Untersuchung der Frage, inwieweit jemand für ein von ihm verursachtes fremdes störendes Handeln nach § 1004 einzustehen hat (s. oben I), ist zunächst ein Blick in Literatur und Rechtsprechung zu tun (unten 2), um das Problem sodann einer eigenen Untersuchung zu unterziehen (unten 3). 2. Beurteilung durch Schrifttum und Rechtsprechung a) Während die Frage, ob der Vermieter oder Verpächter für Störungen des Mieters oder Pächters einzustehen hat, in Schrifttum und Judikatur, wie sich früher zeigte1, eingehend besprochen wird, ist das Problem des durch eigene Handlungen hervorgerufenen fremden Verhaltens in anderen entsprechenden Fällen noch nicht in den Mittelpunkt des § 1004 gerückt. b) Gelegentlich wird festgestellt, daß Werkbesteller oder Auftraggeber auf Grund der Kausalität hafteten 2 . Medicus macht die Verantwortung davon 26
Oben 3. Kap. § 2 B. Oben 7. Kap. § 2. 2 Zur Haftung des Werkbestellers: RGZ 167,14, 28 (Klage gegen den Bauherrn eines Störungen verursachenden Tiefbaus); in RGZ 97,290 dagegen ging es um die Haftung des Werkunternehmers (Funkenflüge eines Eisenbahnarbeitszuges); zur Haftung des Auftraggebers: Crome I I I S. 425 Fn. 19; Memelsdorff S. 23; Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 24; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 52; RGZ 97, 25, 26 (im übrigen richtete sich die Klage hier gegen den Inhaber einer Fliegerschule); gegen die Haftung des Auftraggebers kraft Kausalität Pleyer AcP 161 (1962), 500, 502 2. Absatz; ders. JZ 1961, 499ff. 1
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
abhängig, ob der Auftraggeber (Werkbesteller) gerade die störende Tätigkeit bestellt hat und diese nicht lediglich aus Anlaß der Bestellung stattfindet; wer etwa lärmende Bauarbeiten in Auftrag gegeben hat, sei hinsichtlich des Maschinenlärms Störer, nicht aber hinsichtlich des Radiolärms aus dem Bauwagen3. c) Der BGH hat einen Sportverein, der einen Tennisplatz betrieb, für verpflichtet gehalten, die von den Tennisspielern ausgehenden Lärmbelästigungen zu unterbinden; er hat dieses Ergebnis damit begründet, daß die Immissionen auf die Willensbetätigung des Beklagten zurückgingen 4. Somit hat der BGH die Kausalität als haftungsbegründend angesehen; Einzelheiten der von ihm angenommenen ursächlichen Handlungen teilt das Urteil nicht mit; solche Handlungen liegen aber zweifellos in dem Abschluß entsprechender Verträge (Beitritt; Miete, § 535 BGB) des Sportvereins mit den Tennisspielern. d) Pleyer hat sich der Frage der Haftung des Arbeitgebers für Störungen durch seine Arbeitnehmer angenommen. Er ist der Auffassung, daß der Arbeitgeber bei einzelnen Weisungen zu störenden Tätigkeiten auf Grund der Kausalität hafte 5 , lehnt aber eine Haftung auf Grund des kausalen Anstellungsvertrages ab 6 . Da auch die adäquate Kausalität zu einer Verantwortung für jedes Fehlverhalten der angestellten Hilfsperson führe, hält er dieses Kriterium für ungeeignet7. Eine Heranziehung des § 831 BGB ist nach Ansicht Pleyers ebenfalls nicht richtig, offenbar deshalb, weil auch danach Anknüpfungspunkt der Haftung die kausale Bestellung der Hilfsperson sei8. Stattdessen stützt Pleyer die Verantwortung des Unternehmers auf das ihm zustehende umfassende Dispositions- und Nutzungsrecht, dem gem. Art. 14 I I GG auch eine Verantwortung entsprechen müsse9. Es müsse aber ein innerer Zusammenhang der Störung mit dem „Dispositions- und Nutzungsbereich" des Unternehmens bestehen, so daß der Unternehmer, ähnlich den §§ 278, 831 BGB, nicht für Störungen aufzukommen habe, die lediglich „bei Gelegenheit" des Dienstes vorgenommen würden 10 . 3
MK-Medicus § 1004 Rdnr. 37. BGH NJW 1983, 751 r. Sp., 752; RGZ 76,130,131 hielt den Inhaber eines Freibades für den von den Badegästen ausgehenden Lärm für verantwortlich, Gründe sind jedoch nicht veröffentlicht; in RGZ 47,162 = RG JW 1001. S. 51 (Lärm einer Gastwirtschaft) ist der Verpächter der Beklagte; in BGHZ 48, 46 (Lärm eines Ruderclubs) geht es um Fragen des § 906 BGB, ebenso in BGHZ 38, 61 (Lärm einer Schule). 5 Pleyer AcP 161 (1962), 500, 501 unten. 4
6
Pleyer ebd. S. 502 3. Absatz, 503. Pleyer ebd. S. 502 3. Absatz. 8 Pleyer ebd. 503, 504. 9 Pleyer ebd. S. 506 letzter Absatz, 507-510, 512ff; auch ders. JZ 1961, 499, 500; dagegen Picker S. 153; zustimmend Westermann § 36 I I 1, aber unter Zurechnung der Störung des Gehilfen an den Eigentümer der Sache. 10 Pleyer ebd. S. 512 oben, 514 unten, 513 (zu §§ 278, 831). 7
§ 3 Rechtliche Bewertung
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Picker versucht, die Haftung des Unternehmers von seinem Ausgangspunkt her, der „Rechtsusurpation", zu erklären (dazu oben 6. Kap.). Bei der Frage der Haftung des Unternehmers gehe es um die Pflicht, den Betrieb nach seinen Ausstrahlungen innerhalb der eigenen Rechtsgrenzen zu halten. Der Unternehmer hafte, wenn durch das Betreiben des Unternehmens fremdes Recht in Anspruch genommen werde. Sei das Verhalten seiner Leute „Bestandteil der Betriebstätigkeit", so seien die Störungen Ausstrahlungen des Betriebes, der Unternehmer hafte infolge der Inkongruenz von Unternehmen und Eigentumsraum 1 1 . e) Schließlich hatte sich der BGH mit dem schon geschilderten Fall zu beschäftigen, in dem die wartenden Fahrgäste einer Bushaltestelle das angrenzende Grundstück störten 12 . Der BGH hielt den beklagten Verkehrsunternehmer für den Störer, da die Einrichtung der Haltestelle adäquat kausale Ursache der beeinträchtigenden Handlungen der Fahrgäste sei 13 . Der BGH erkennt hier also eine Verantwortlichkeit desjenigen an, der ein fremdes störendes Handeln verursacht. Es handelt sich um einen der wenigen Fälle, in denen das störende kausale Tun des Verpflichteten nicht in einem Vertragsschluß besteht.
3. Eigene Untersuchung a) Problemstellung
Literatur und Rechtsprechung fehlt es, soweit sie die vorliegenden Fälle behandeln, an einem Fundament, von dem aus das Problem einheitlich gelöst werden könnte. Die für dessen Lösung entscheidende Fragestellung wurde bereits skizziert (oben I). I m folgenden ist sie näher in Augenschein zu nehmen. Die vorliegende Fallrubrik zeichnet sich, wie dargestellt, dadurch aus, daß das Ersthandeln einer Person für sich genommen die Störung nicht hervorgerufen hätte, sondern daß diese erst durch das weitere Handeln eines anderen entstanden ist. Da der Ersthandelnde dieses weitere Tun aber verursacht hat, geht auch die Störung auf ihn zurück. Allein auf Grund des Kausalkriteriums müßte er also haften. Derartige Sachverhalte, die aus dem Schadensersatzrecht unter dem Stichwort der „Unterbrechung" des Kausalzusammenhangs bekannt sind und die sogleich noch näher zu schildern sind (unten b), treten im Bereich der actio negatoria in typischen Fallgestaltungen auf; außerhalb dieser Fallge11 Picker S. 154; nach denselben Grundsätzen behandelt Picker Störungen durch das Verhalten anderer Personen (als Angestellter) auf dem Betriebsgrundstück (Schüler einer Fliegerschule, Benutzer der Autobahn, Besucher einer Gaststätte oder Tennisanlage, wartende Fahrgäste an Omnibushaltestelle, s. ebd. S. 154, 155). — Ballerstedt JZ 1953, 389,390 r. Sp. unten begründet, warum der Arbeitnehmer für seine Störungen nicht haftet (dazu unten D IV 2 a), dagegen nicht, warum der Arbeitgeber haftet. 12 13
3
Vgl. oben § 2 C Fn. 25. BGH JZ 1961, 498 r.Sp. unter a und b; dagegen Pleyer ebd. S. 499f.
Herrmann
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
staltungen liegende Fälle, dies hatte sich bereits gezeigt (oben § 2 C; soeben 2 e), sind selten. Die Fälle, in denen sich das Problem unter dem umrissenen Aspekt stellt, sind fast durchweg Sachverhalte, in denen das Ersthandeln im Abschluß eines Vertrages besteht; in dessen Rahmen nimmt der Zweithandelnde dann die störenden Tätigkeiten vor. Ein typisches Beispiel stellt der bekannte und bisher ungelöste Fall des störenden Mieters oder Pächters dar 1 4 . Mieter oder Pächter stören die Nachbarschaft, etwa weil sie einen mit Störungen verbundenen Betrieb vom Vermieter oder Verpächter übernommen haben, weil sie ihn selbst auf dem übernommenen Grundstück eingerichtet haben oder schließlich weil sie es an gebührender Rücksicht gegenüber der Nachbarschaft fehlen lassen. Es sind aber auch weitere Fälle denkbar: Störende Tätigkeiten des Werkunternehmers, Beauftragten, Geschäftsbesorgers (§ 675 BGB), Dienst- oder Arbeitnehmers gehen auf den Vertragsschluß des jeweiligen Vertragspartners zurück, so daß dieser nach Kausalgrundsätzen gem. § 1004 haften müßte. — Außerhalb dieser typischen Sachverhaltslagen sind nur die schon beschriebenen (oben § 2 C 1 5 ) beiden Fälle bekannt. Es handelt sich einmal um den Fall, in dem das Bremer Fischeramt sog. Fischkarten ausgab und damit in Eigentum und Fischregal der preußischen und oldenburgischen Staaten an Teilen der Unterweser eingriff; sieht man nicht in der mit der Ausgabe der Karten verliehenen Berechtigung (gegenüber dem Fischeramt) schon eine Beeinträchtigung, so liegt der Eingriff erst im Fischen der Fischkarteninhaber; für diese störende Tätigkeit wird das Fischeramt kausal. Der weitere Fall war der vom BGH entschiedene Fall, in dem die störenden Handlungen der wartenden Fahrgäste darauf zurückzuführen waren, daß das beklagte Verkehrsunternehmen die Haltestelle vor dem Haus des Klägers eingerichtet hatte und die Omnibuslinie betrieb. Diese beiden Handlungen für sich genommen rufen die Störungen nicht hervor, sondern erst das Verhalten der wartenden Fahrgäste. In allen hier geschilderten Fällen ist die grundsätzlich nach § 1004 gegebene Verpflichtung des Ersthandelnden, anders als in den bisher untersuchten Störungsfallen des eigenen störenden Handelns (oben II), zweifelhaft. Es ist fraglich, ob es gerechtfertigt ist, den Vermieter dafür aufkommen zu lassen, daß sein Mieter etwa täglich mehrere Stunden Klavier spielt, ferner, ob der Werkbesteller, der sein Fahrzeug in eine Reparaturwerkstatt gegeben hat, nach § 1004 haftet, weil der Werkstattinhaber oder dessen Leute lärmende Reparaturarbeiten ausführen. Desgleichen ist es problematisch, ob der Auftraggeber dafür einzustehen hat, daß der Beauftragte bei Ausführung des Auftrags fremdes Eigentum beeinträchtigt. Anhand dieser Beispiele sind aber nur einige Zweifelsfragen herausgegriffen und in globaler Form gestellt. Bei Störungen durch den Mieter, Pächter, Werkunternehmer, Beauftragten, Geschäftsbesorger (§ 675 BGB) und den (selbständigen) Dienstnehmer läßt sich die Frage der Haftung des jeweiligen Vertragspartners nicht eindeutig beantworten; entscheidend sind die 14 15
Vgl. Fn. 1. Ebd. Fn. 23, 25.
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näheren Umstände des Falles. So etwa kann es bei Störungen durch den Pächter darauf ankommen, ob ihm das Grundstück gerade zu dem Zweck überlassen wurde, einen mit Störungen verbundenen Betrieb zu eröffnen, oder ob er unabhängig vom Vertragsinhalt störende Handlungen vornimmt. Bei Störungen durch den Arbeitnehmer dagegen spricht das Rechtsempfinden ein einheitliches Urteil; danach müßte der Arbeitgeber für Störungen seines Arbeitnehmers grundsätzlich haften, soweit die Störungen im Zusammenhang mit der aufgetragenen Tätigkeit erfolgen. — Wegen der sich so je nach Fallage unterschiedlich stellenden Problematik ist die Frage der Zurechnung für die jeweiligen Fälle gesondert zu untersuchen (unten c bb-gg). Da die vorliegenden Sachverhalte jedoch — unabhängig von Einzelfragen — ein einheitliches Merkmal, das Dazwischentreten eines Dritten, aufweisen, das in einem anderen Rechtsbereich, dem Schadensersatzrecht, bereits eine rechtliche Behandlung erfahren hat, soll zunächst das in dieser Sachverhaltsgestaltung liegende Problem in grundsätzlicher Form untersucht werden (unten b). Diese Darstellung wird als Grundlage der jeweiligen Einzelbehandlung der Fälle dienen (unten c); dabei kann es nur darum gehen, die vorliegende Problematik für die wichtigsten bekannten Fälle zu lösen. b) Die Grundsätze der sog. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs
Die Fälle, in denen die Zurechnung einer rechtswidrigen Folge wegen des Eingreifens eines Dritten fraglich ist, werden nur im Schadensersatzrecht, nicht für § 1004 behandelt 16 . Im folgenden soll ein Überblick über die dort als maßgebend befundenen Kriterien gegeben werden. Die Judikatur weist eine Vielzahl unterschiedlicher Fälle auf, in denen der Schaden des Verletzten durch das Eingreifen eines Dritten vergrößert wird oder in denen der Dritte infolge seines — durch den Erstschädiger verursachten — Verhaltens eigene Schäden erleidet. Eine Fallgruppe bilden Sachverhalte, in denen weitere Verletzungen durch die unfallbedingte ärztliche Behandlung entstehen, etwa weil der behandelnde Arzt einen Kunstfehler begeht oder anläßlich der Verletzung Eingriffe vornimmt, die zu weiteren Gesundheitsverletzungen führen 17 ; ein Beispiel ist eine sich negativ auswirkende Tetanusimpfung, die der Arzt vorgenommen hatte, um gegen Tetanusgefahren künftiger, nicht der vorliegenden Verletzungen zu schützen 18 . Zurechnungsprobleme entstehen ferner in den Fällen, in denen Dritte bei einem Unfall Hilfe leisten und dabei eigene Schäden erleiden. Wenn beispielsweise jemand bei einem Kraftfahrzeug16 Den Gedanken streifen — mit ablehnendem Ergebnis — für die Vermieterfalle Lutter/Overath JZ 1968, 345, 347 l.Sp.; Schmidt S. 30 2. Absatz; RGZ 134, 231, 234 1. Absatz. 17 Vgl. RGZ 102,230 (Kunstfehler); BGHZ 25,86 (bei unfallbedingter Operation wird Krankheit entdeckt, die gleich mitbehandelt wird). 18 BGH NJW 1963, 1671.
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brand oder Hauseinsturz Rettungshandlungen vornimmt, entsteht die Frage, ob die dem Hilfeleistenden entstandenen Schäden durch den Erstverursacher zu ersetzen sind 19 . Ähnlich liegt die Problematik der „Grünstreifenfalle", in denen Autofahrer, die wegen eines Unfalls an der Weiterfahrt behindert werden, über den Grünstreifen der Autobahn fahren und diesen beschädigen20. Oder aber es werden während der Zeit der Reparatur, die infolge eines Unfalls notwendig geworden war, Sachen aus dem Fahrzeug gestohlen 21 . Da der Erstverursacher in allen diesen Fällen eine nicht hinwegdenkbare Bedingung für die Zweitursache gesetzt hat, haftet er grundsätzlich auch für die durch das Handeln des Dritten hervorgerufenen Folgen. Eine Begrenzung der Haftung mit Hilfe der Adäquanz ist gewöhnlich nicht möglich, da die geschilderten Eingriffe nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegen 22 . Trotz der vorhandenen Kasuistik und des Fehlens feststehender Maßstäbe fällt die Beurteilung dieser Fälle in Literatur und Rechtsprechung jedenfalls im Kern einheitlich aus. I m wesentlichen stellt sie sich wie folgt dar: Die infolge des Eingreifens des Dritten entstandenen Schäden werden dem Erstverursacher dann nicht zugerechnet, wenn eine innere Beziehung zwischen dem Erstereignis und dem Dazwischentreten des Dritten nicht gegeben ist, wenn dieses vielmehr nur eine äußere Gelegenheit für das weitere Verhalten des Dritten bot 2 3 . Bei dieser Sachlage wiegt die Verantwortung des Dritten gegenüber derjenigen des Erstverursachers schwerer, so daß dieser für die durch den Dritten hervorgerufenen Schäden nicht aufzukommen hat. Die Frage der inneren Beziehung läßt sich je nach Fallage etwa folgendermaßen beantworten: Sie ist gegeben, wenn das Verhalten des Dritten zwar auf freier Entschließung beruht, sein Verhalten aber eine verständliche und berechtigte Reaktion darstellt oder der Betreffende zu seinem Verhalten „herausgefordert" wurde. So liegt es beispielsweise in den Hilfeleistungsfallen. Ein Gegenbeispiel bietet der Fall des Diebstahls aus dem zur Reparatur gegebenen Auto. — In den Fällen, in denen die Schäden des Verletzten auf einem ärztlichen Kunstfehler beruhen, wird der Kausalzusammenhang dann als „unterbrochen" angesehen, wenn der Arzt die Regeln der ärztlichen Kunst in grobem Maße außer acht gelassen hat 2 4 ; hier überwiegt der Verantwortungsbeitrag des Arztes. Ein innerer Zusammenhang fehlt auch dann, wenn die Verletzung des Geschädigten nur äußerer Anlaß für den ärztlichen 19 RGZ 164,125 (Kfz-Brand); O L G Bamberg OLGZ 71,349 (Hauseinsturz); RGZ 50, 223; OLG Celle NJW 1979, 949 (Anhalten und Einfangen durchgegangener Pferde). 20 BGHZ 58, 162; BGH NJW 1972, 904; L G Düsseldorf NJW 1955, 1031. 21 OLG München VersR 1980, 828. 22 Fikentscher § 51 V 1, § 55 I I I 2d (Stichwort: Schadenskette) zieht Wahrscheinlichkeitsurteil heran. 23 Vgl. Larenz I § 27 I I I b 4 mit weiteren Literaturnachw.; Erman-Sirp § 249 Rdnr. 32; s. ferner die Angaben Fn. 17-21; Palandt-Heinrichs Vorbem. vor § 249 Anm. 5e aa, bb mwN aus der Rspr. 24 Vgl. RGZ 102, 230, 231.
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Eingriff war, wie z.B. im Fall der Tetanusimpfung, da die durch den Erstschädiger verursachte Wunde keine Tetanusgefahren barg. Mit anderen Worten, die auf den Eingriff des Dritten zurückzuführenden Folgen werden dem Ersthandelnden nicht zugerechnet, wenn das Zweitereignis bei wertender Betrachtung einen neuen und selbständigen Geschehensablauf darstellt, so daß das Kausalverhalten des Erstschädigers gegenüber dem kausalen Tun des Dritten als unbeachtlich zurücktritt und die Verantwortung des Zweithandelnden deshalb schwerer wiegt. c) Lösung einzelner Fälle aa) Einleitung
Die Problematik der vorliegenden Fälle nach § 1004 ist die gleiche wie die der Schadensersatzfalle; für die rechtliche Bewertung kann es nicht darauf ankommen, ob die herbeigeführten Folgen in einer negatorischen Beeinträchtigung oder in einem Schaden liegen. Die im Schadensersatzrecht entwickelten Kriterien (oben b) sind daher für die Lösung des hier anstehenden Problems heranzuziehen. Im folgenden werden einige wichtige Einzelfalle, in denen die Beeinträchtigung zwar auf den Ersthandelnden zurückzuführen ist, sie aber erst durch das störende Tun einer anderen Person entsteht, auf der Grundlage dieser Kriterien behandelt (unten bb-gg). Außerdem werden die praktischen Konsequenzen für den Fall der Bejahung der Haftung dargestellt (unten hh).
bb) Haftung des Vermieters!
Verpächters für Störungen des MietersI Pächters
Unter Heranziehung der dargelegten Bewertungsaspekte muß für die Vermieter· und Verpächterfalle (§§ 535 ff, 581 ff. BGB) danach unterschieden werden, ob der Vertrag einen Gebrauch der überlassenen Sache zum Gegenstand hat, der mit Störungen verbunden ist, oder ob der vereinbarte Gebrauchszweck Störungen nicht notwendig mit sich bringt, sondern diese lediglich auf selbständige Handlungen des Mieters oder Pächters, ζ. B. dessen unordentlichem Verhalten, beruhen. Verpachtet also jemand eine Gaststätte 25 oder einen Gewerbebetrieb oder überläßt er sein Grundstück dem Pächter oder Mieter unter der Abrede, daß der Vertragspartner auf dem Grundstück einen störenden Betrieb oder eine störende Anlage einrichtet, so läßt sich nicht sagen, daß die dann folgenden störenden Handlungen des Vertragspartners einen selbständigen Geschehensabschnitt darstellen, der in keinerlei Beziehung zu dem Verhalten (Vertragsschluß) des Vermieters oder Verpächters stehen. Anders ausgedrückt fällt die Verursachung des Vermieters oder Verpächters neben dem Verhalten des Mieters oder Pächters ins Gewicht; seine Verantwortung steht 25
Zu Fällen aus der Rspr. s. oben 7. Kap. § 2 B.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
gleichrangig neben der des Vertragspartners, da er das Grundstück zu einem mit Störungen verbundenen Gebrauch überlassen hat. Es ist daher gerechtfertigt, ihn an der grundsätzlich eingreifenden Haftung festzuhalten. Wenn dagegen Mieter oder Pächter einen störenden Gebrauch von der ihnen übergebenen Sache machen, ohne daß dieses vertraglich vereinbart war, so stellt sich das Handeln des Mieters oder Pächters als neues und selbständiges Verhalten dar, gegenüber dem der Verursachungsbeitrag des Vermieters oder Verpächters als geringfügig zurücktritt. Stellt sich etwa heraus, daß sich Mieter oder Pächter gegenüber der Nachbarschaft rücksichtslos verhalten, so überwiegt ihre Verantwortung derart, daß der Kausalablauf „unterbrochen" ist. Dem Vermieter oder Verpächter ist dann das Tun seines Vertragspartners nicht zuzurechnen, so daß die negatorische Haftung entfällt 26 . cc) Haftung des Werkbestellers
für Störungen des Werkunternehmers
In allen Fällen, in denen der Werkunternehmer das Werk nur unter störenden Tätigkeiten erstellen kann, wird der Werkbesteller für die Störungen durch den Vertragsschluß (§§ 631 ff. BGB) kausal. Daher müßte der Besteller etwa haften, wenn bei der Reparatur seines Autos, der Anfertigung seiner bei einem Tischler in Auftrag gegebenen Fensterrahmen oder beim Bau seines Hauses Störungen entstehen. Auch hier ist zu unterscheiden. Wird das Werk im Betrieb des Werkunternehmers hergestellt, so bestimmt er den Ablauf des Herstellungsvorgangs im einzelnen; er legt fest, wann und auf welche Weise, unter Zuhilfenahme welcher Werkzeuge, Geräte und Personen die Arbeit durchgeführt wird; an ihm liegt es auch, ob beispielsweise Vorrichtungen gegen Geräuschimmissionen in seinem Betrieb installiert sind. Selbst wenn also die Herstellung des Werkes notwendigerweise mit störenden Immissionen verbunden ist, entzieht sich der Arbeitshergang im einzelnen dem Einflußbereich des Bestellers. Sein ursächliches Handeln durch Abschluß des Werkvertrages fallt gegenüber dem Ursachenbeitrag des Unternehmers nicht ins Gewicht. Der Störungen bewirkende Arbeitsvorgang ist als ein neuer und selbständiger Geschehensablauf zu werten, der dem Besteller nicht anzulasten ist. Anders dagegen, wenn der Besteller störende Arbeiten auf seinem Grundstück oder in seiner Wohnung verrichten läßt. Wenn er auch als Nichtfachmann nicht bestimmen kann, auf welche Weise das Werk zu erstellen ist, beispielsweise bei Montagearbeiten des Klempners in seinem Haus oder bei der Errichtung eines Hauses auf seinem Grundstück, so hat er doch Einfluß darauf, ob und wann die die Störungen hervorrufenden Arbeiten im einzelnen vorgenommen werden. Hier kann der Kausalverlauf nicht als eigenständiger, für sich stehender Geschehensabschnitt beurteilt werden wie in dem Fall, daß der Arbeitshergang im Herrschaftsbereich des Unternehmers abläuft. Der Besteller haftet gem. 26 Generell gegen eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs, wenn auch ohne weitere Befassung mit dem Gedanken, die oben Fn. 16 Genannten.
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§ 1004 27 . Wenn hingegen die Arbeiter störende Tätigkeiten vornehmen, die nicht zum Vertragsinhalt gehören, sie also Zigarettenkippen und Bierdosen in den benachbarten Garten werfen oder das mitgebrachte Radio anstellen, so stehen diese Handlungen in keinem inneren Zusammenhang mit dem Vertragsschluß mehr 2 8 . dd) Haftung des Dienstherrn, Auftraggebers und Geschäftsherrn Störungen des Vertragspartners
(§ 675 BGB) für
Nach dem dargelegten Kriterium des inneren Zusammenhangs von kausalem Tun und dem Handeln des Dritten kommt es in Fällen von Störungen durch den Beauftragten (§§ 662 ff. BGB), Geschäftsbesorger (§ 675 BGB) und den selbständig tätigen und nicht als Arbeitnehmer zu qualifizierenden Dienstverpflichteten (§§ 611 ff. BGB) 2 9 wie im Falle des Werkvertrages (oben cc) zunächst darauf an, ob die Art und Weise der Arbeitsdurchführung im einzelnen dem Geschäftsbesorger überlassen bleibt. Dies wird in der Regel so sein, da der Geschäftsherr gewöhnlich Verträge der vorliegenden Art schließt, um sich der betreffenden Tätigkeit zu entledigen und es einem anderen zu überlassen, sich um die notwendigen Mittel und Wege der Durchführung der Tätigkeit zu kümmern. In diesen Fällen ist das Handeln des Beauftragten, Geschäftsführers oder Dienstnehmers als eigenständiger Geschehensabschnitt einzuordnen. Wer ein Schreibbüro beauftragt, Schreibarbeiten durchzuführen, hat daher für das den Nachbarn störende Schreibmaschinengeräusch nicht einzustehen. Wenn er dagegen jemanden auf seinem Grundstück Arbeiten mit einer Kreissäge durchführen läßt, so bleibt der Kausalzusammenhang auch bei wertender Betrachtung gewahrt; hier gelten die gleichen Erwägungen wie im Fall des Abschlusses eines Werkvertrages (oben cc). Daneben ist der Vertragsinhalt entscheidend; der Ursachenbeitrag durch Vertragsschluß fallt nicht in Gewicht, wenn der Geschäftsbesorger Störungen vornimmt, die nicht Teil der aufgetragenen Tätigkeit sind. ee) Haftung des Arbeitgebers für Störungen des Arbeitnehmers
Auf der Grundlage der Kausalität haftet auch der Arbeitgeber grundsätzlich für störende Tätigkeiten des Arbeitnehmers. Er wird durch den Abschluß des Arbeitsvertrages sowie die Erteilung einzelner Weisungen (§§ 665,675 BGB) für das den Tatbestand des § 1004 erfüllende Verhalten seines Arbeitnehmers ursächlich. In dieser Fallgruppe geraten allerdings die Vorschriften der §§ 831 und 278 BGB ins Blickfeld, die der Gesetzgeber eigens für die Zurechnung fremder Handlungen geschaffen hat. Daher ist vor Untersuchung der Prinzipien 27 28
So im Ergebnis auch MK-Medicus § 1004 Rdnr. 37; RGZ 167, 14, 30ff., 39. So im Ergebnis auch Medicus ebd.
29 Zur Abgrenzung zwischen Dienst- und Arbeitsvertrag, der eine Unterart des Dienstvertrages ist (§§ 611 ff. BGB), etwa Larenz I I § 52 I.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs zu prüfen, ob diese Bestimmungen auf Grund ihrer speziellen Regelung heranzuziehen sind. Nach § 278 ist der Schuldner für schädigende Handlungen eines Gehilfen, dessen er sich zur Erfüllung einer Verbindlichkeit bedient, verantwortlich, wenn diesen ein Verschulden trifft (§ 276 BGB). Nach § 831 muß der Geschäftsherr für rechtswidrige unerlaubte Handlungen seines Verrichtungsgehilfen einstehen, wenn ihn bei der Auswahl oder Überwachung des Verrichtungsgehilfen oder bei der Beschaffung von Vorrichtungen und Gerätschaften ein eigenes Verschulden trifft. Der gemeinsame Grundgedanke beider Bestimmungen liegt darin, daß der Geschäftsherr, der seinen Geschäftskreis durch Einschaltung von Hilfspersonen erweitert, auch für deren Verhalten aufzukommen hat 3 0 . Dieser Grundgedanke greift auch in den vorliegenden Fällen ein, in denen der Betreffende sich bei Verrichtung der ihm aufgetragenen Arbeit zwar nicht schuldhaft, aber objektiv rechtswidrig durch Beeinträchtigungen fremden Eigentums verhält (§ 1004). Die Einzelheiten der beiden Bestimmungen aber passen auf den hier fraglichen Fall nicht: § 278 setzt voraus, daß zwischen dem Geschäftsherrn (Arbeitgeber) und dem Dritten (gestörter Eigentümer) ein Schuldverhältnis oder zumindest eine Sonderverbindung (ζ. B. aus vorvertraglichem Kontakt) 3 1 besteht; daran fehlt es gewöhnlich; außerdem muß den Handelnden (Arbeitnehmer) ein Verschulden treffen, was § 1004 gerade nicht verlangt. Die Erfodernisse des § 831 dagegen sind im vorliegenden Fall insofern erfüllt, als die Vorschrift weder ein Schuldverhältnis zwischen Geschäftsherrn und Drittem noch ein Verschulden des Verrichtungsgehilfen voraussetzt, sondern lediglich dessen rechtswidrige verletzende Handlung. Wenn die Vorschrift auch für ein von dem Gehilfen begangenes Delikt (Schadenszufügung) gedacht ist, so könnte sie trotzdem für eine negatorische Beeinträchtigung herangezogen werden, denn es kann für die Einstandspflicht des Geschäftsherrn nicht darauf ankommen, ob das rechtswidrige Verhalten zu einem Schaden oder einer negatorischen Beeinträchtigung geführt hat; der Haftungsumfang ist in letzterem Fall sogar geringer 313 . Dennoch ist eine Zuordnung der negatorischen Haftung über § 831 abzulehnen; die Vorschrift setzt, wie beschrieben, Verschulden des Geschäftsherrn voraus. Eine Anwendung der Vorschrift würde zu folgender Situation führen: Der Arbeitnehmer erfüllt den Tatbestand des § 1004 I, indem er fremdes Eigentum beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Für dieses Verhalten würde der Arbeitgeber gem. § 831 nur dann aufzukommen haben, wenn ihn bei der Auswahl des Arbeitnehmers, bei dessen Beaufsichtigung oder bei der Beschaffung von Geräten ein Verschulden trifft. Dieses wäre zwar eine insoweit rechtsdogmatisch denkbare Lage, als sich das Verschulden des Arbeitgebers bei Anwendung des § 831 nicht auf die beeinträchtigende Handlung selbst, sondern 30
Vgl. zu § 278 BGB etwa Larenz I § 20 V I I I ; zu § 831 BGB Fikentscher § 107 I 1 b. Vgl. etwa Larenz ebd. 31a Vgl. oben I I 3c, d. 31
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auf die anderen genannten Faktoren zu beziehen hätte. Dennoch entstünde ein Widerspruch zu § 1004, dem das Verschuldenselement fremd ist. Dieses würde aber durch Heranziehung des § 831 in die actio negatoria hineingetragen; die negatorische Haftung des Arbeitgebers würde durch sein Verschulden hinsichtlich der in § 831 aufgeführten Komponenten eingeschränkt werden. Angesichts der umfangreichen deliktischen Verpflichtungen ist eine derartige Haftungsbeschränkung gerechtfertigt 32 ; sie beruht auf dem allgemeinen Prinzip, daß eine Verantwortung für unerlaubte Handlungen nur bei Verschulden eingreift. § 1004 aber enthält diese Voraussetzung nicht. Da die Rechtsfolge der actio negatoria auch weniger weit reicht als die des Schadensersatzes, bedarf es des Verschuldenserfordernisses auch dann nicht, wenn der Betreffende die Störung nicht selbst hervorgerufen hat, wohl aber seine Gehilfen, derer er sich zur Ausführung von Arbeitsverrichtungen bedient. Damit ist zum Ausgangsgedanken zurückzukehren: Der Arbeitgeber ist auf Grund des mit dem Arbeitnehmer geschlossenen Vertrages sowie auf Grund einzelner erteilter Weisungen für die durch diesen hervorgerufenen Beeinträchtigungen fremden Eigentums kausal geworden. Er haftet somit grundsätzlich gem. § 1004. Unter Heranziehung der oben (b) dargelegten Grundsätze der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs entfällt die Haftung aber dann, wenn das Handeln des Arbeitnehmers keinen Zusammenhang mit dem kausalen Tun des Arbeitgebers aufweist. Dies ist der Fall, wenn das störende Handeln keine Beziehung zu der dem Arbeitnehmer obliegenden Aufgabe aufweist. Stört also der Arbeitnehmer, indem er beispielsweise bei seinen Verrichtungen Zigarettenkippen auf das dem Betriebsgelände benachbarte Grundstück wirft, laut Radio hört oder auf seinem Gang zum Arbeitsplatz ständig zur Abkürzung des Weges ein fremdes Grundstück überquert 33 , so ist der innere Zusammenhang mit dem Vertragsschluß oder der im Rahmen des Vertrages erteilten Weisung nicht gegeben; diese Kausalfaktoren fallen gegenüber dem Verhalten des Arbeitnehmers nicht ins Gewicht; der Arbeitgeber haftet somit gem. § 1004 nicht. — Hier liegt derselbe Gedanke, auf dem auch die Zurechnungsbestimmungen der §§ 278 und 831 basieren. § 278 setzt für die Haftung des Geschäftsherrn voraus, daß der Gehilfe dem Dritten den Schaden bei Erfüllung der Verbindlichkeit zufügt, § 831 fordert, daß dies in Ausführung der Verrichtung geschieht; der Geschäftsherr ist dagegen nicht verantwortlich, wenn der Gehilfe die verletzende Handlung nur gelegentlich des ihm Aufgetragenen begeht. Es bietet sich daher an, auf die zu diesen Vorschriften insoweit entwickelten Grundsätze 34 zurückzugreifen.
32 Die Berechtigung der Exkulpationsmöglichkeit nach § 831 12 BGB dagegen wird heute meist in Zweifel gezogen, s. etwa Fikentscher § 107 I 2d. 33 Das letztere Beispiel stammt von Pleyer AcP 161 (1962), 500, 515. 34 Zu § 278 BGB etwa Larenz I § 20 V I I I ; zu § 831 BGB ders. I I § 73 V I jeweils mwN.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen ff)
Haftung für sonstige Vertragspartner
Wer anderen eine Einrichtung zur Verfügung stellt, deren Benutzung mit Geräuschimmissionen verbunden ist, ist grundsätzlich negatorisch verantwortlich. So haftet der Inhaber einer Gaststätte oder eines Freibades für das lärmende Verhalten seiner Gäste, ferner der Inhaber einer privaten Sportanlage oder Schule für die durch die Sportler oder Schüler verursachten Lärmbelästigungen des benachbarten Eigentums 35 . Der Zusammenhang der störenden Handlungen mit den Vertragsschlüssen 36 ist insoweit gewahrt, als die Zurverfügungstellung der genannten Einrichtungen notgedrungen, selbst bei angemessenem Verhalten des einzelnen, zu Geräuschimmissionen führt. Die betreffenden Rechtsgeschäfte bilden daher mit dem Verhalten der Benutzer einen einheitlichen Geschehensablauf. Es läßt sich nicht sagen, daß das geräuschvolle Verhalten des einzelnen Benutzers ein derart eigenständiges Tun darstellt, daß es dem Inhaber der betreffenden Einrichtung nicht zugerechnet werden könnte 37 . Letzterer haftet also nach § 1004 I BGB. gg) Haftung für fremdes Handeln ohne Vertragsschluß
Es verbleiben schließlich die Fälle, in denen das ursächliche Handeln des mittelbaren Störers nicht im Vertragsschluß, sondern in anderen Verhaltensweisen liegt. Beispiele bieten der früher dargelegte Fischkartenfall des R G und der vom BGH entschiedene Haltestellenfall 38 . In dem Fischkartenfall, in dem das Bremer Fischeramt Fischkarten ausgab, die die Fischkarteninhaber dazu berechtigten, an der den preußischen und oldenburgischen Staaten gehörenden Unterweser zufischen, liegt eine Beeinträchtigung zwar schon in der Vergabe der Karten 3 9 . Doch auch das spätere Fischen selbst stellt eine Beeinträchtigung des Eigentums und des Fischereirechtes der genannten Kläger dar. A n der auf Grund der dafür kausalen Ausgabe der Fischkarten ist das Bremer Fischeramt festzuhalten, denn das Fischen steht in Zusammenhang mit der Vergabe der Karten; eine wertende Beurteilung führt trotz des eigenständigen Handelns des Fischens nicht dazu, daß dem Fischeramt die Verantwortung abzusprechen ist. — In dem Haltestellenfall störten die wartenden Fahrgäste das an die Haltestelle angrenzende Grundstück des Klägers durch Betreten des Hausflurs, lautes Sprechen und Werfen von Unrat in Flur, Treppenhaus und Kellerfenster. 35
Vgl. den Tennisspielfall des BGH oben 2c; zu übrigen Fällen der Rspr. s. dort Fn. 4. Es handelt sich bei dem Vertrag mit den Gästen einer Gaststätte um einen gemischten Vertrag (§§ 535 ff., 433,611 ff. BGB), bei dem Vertrag mit den Benutzern einer Sportanlage um einen Mietvertrag (§§ 535 ff. BGB), mit den Schülern einer Privatschule um einen Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB). Nehmen die Mitglieder eines Vereins (§§ 21 ff. BGB) eine Einrichtung (z.B. Sportanlage) des Vereins in Anspruch, so liegt ein einen Vertrag erfordernder Beitritt vor. 37 So auch der BGH, s. oben 2c Fn. 4. 38 Oben § 2 C Fn. 23 und 25. 39 Vgl. ebd. mit Fn. 24. 36
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Nach den Grundsätzen der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs ist zu fragen, ob diese störenden Handlungen noch in einer inneren Beziehung zur (kausalen) Einrichtung der Haltestelle und zu dem Betreiben der Omnisbuslinie stehen. Bei dem Beschmutzen des Hauses mit allerlei Unrat handelt es sich um ungebührliche Verhaltensweisen, von denen man nicht sagen kann, daß sie in einer Verbindung zu dem kausalen Ersthandeln stehen; vielmehr ist dieses Handeln nur äußerer Anlaß. Doch das Betreten des Hausflures bei Regenwetter sowie das störende Sprechen vor dem Haus weisen einen Zusammenhang mit den Handlungen des Verkehrsunternehmers auf. Dieses Verhalten der Fahrgäste stellt eine nicht ungewöhnliche und völlig unverständliche Reaktion auf das die Haftung auslösende Erstereignis dar, so daß es nicht als neuer Geschehensabschnitt zu bewerten ist. Für diese Störungen hat der Unternehmer somit gem. § 1004 einzustehen40. hh) Praktische Folgen im Falle der Haftung
Liegt das kausale Ersthandeln, wie im Falle des § 1004 meist, in dem Abschluß eines Vertrages mit dem die Störung später hervorrufenden Vertragspartner, so kann die Erfüllung der Ansprüche aus § 1004 den Haftenden vor Schwierigkeiten stellen, da die Störungen auf der Grundlage des Vertrages erfolgen und der Verantwortliche daher teilweise auf die Mitwirkung des Vertragspartners angewiesen ist 4 1 . Sind Beeinträchtigungen erfolgt (§ 10041 1), deren Beseitigung Maßnahmen am gestörten Eigentum erfordern, so ist der Haftende unabhängig von dem Vertragspartner in der Lage, dem Beseitigungsanspruch nachzukommen. Sind etwa bei Sprengungen im Steinbruch Steinbrocken auf benachbarte Gebiete gelangt, so haben ζ. B. Verpächter (oben bb) oder Arbeitgeber (oben ee) dafür zu sorgen, daß die Steinbrocken entfernt werden. Dagegen bedarf es bei drohenden Beeinträchtigungen (§ 10041 2) und dann, wenn die gegenwärtige Beeinträchtigung nicht (nur) in einem körperlichen Eingriff in das fremde Eigentum besteht, wie bei Immissionen (§ 1004 I I ) , stets der Mitwirkung des Vertragspartners. Der Haftende kann den negatorischen Anspruch nur erfüllen, wenn der unmittelbar Handelnde seine Aktivitäten einstellt. Er muß also auf diesen einwirken, um ihn an seinen störenden Handlungen zu hindern. Da im Fall der Vermietung und Verpachtung Vermieter und Verpächter nur dann gem. § 1004 verantwortlich sind, wenn sie die Sache zu störendem Gebrauch überlassen haben (oben bb), sind Mieter und Pächter im Verhältnis zum Vertragspartner zur Vornahme der störenden Handlungen befugt. Vermie40
BGH JZ 1961, 498 r.Sp. rechnete dem Beklagten beide Verhaltensweisen zu; gegen das Urteil Pleyer ebd. S. 499 f. 41 Zu den im Haltestellenfall (s. vorige Fn.) möglichen Maßnahmen des Verkehrsunternehmers s. BGH ebd. S. 499 1. Sp. (Aufhebung oder Verlegung der Haltestelle).
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
ter und Verpächter müssen also auf eine Vertragsänderung hinwirken oder aber den Vertrag aufheben. Eine Kündigung (s. §§ 565, 584, 594 a,b BGB) ist nicht möglich, wenn Miet- und Pachtverhältnis für bestimmte Zeit eingegangen sind und diese Zeit noch nicht abgelaufen ist (§§ 5641,581 II, 59411 BGB) oder wenn im Falle der Vermietung von Wohnraum ein Kündigungsgrund nicht besteht (s. § 564 b BGB). Möglich ist, daß Mieter oder Pächter mit einer Vertragsänderung oder Vertragsaufhebung ohnehin einverstanden sind, da sie sich als Störer auf Grund eigenen störenden Handelns (s. oben II) ebenfalls den Ansprüchen aus § 1004 ausgesetzt sehen. Wollen sie aber am Vertrag in der alten Form festhalten, steht dem Vermieter oder Verpächter eine rechtliche Handhabe gegen den Vertragspartner nicht zu. Hier entstehen Fragen der Unmöglichkeit, die an anderer Stelle zu behandeln sind 42 . In den übrigen Fällen sieht sich der negatorische Gegner vor derartigen Schwierigkeiten nicht. Der Werkbesteller (oben cc) kann den Werkvertrag jederzeit kündigen (s. § 649 BGB). Gelingt es dem Bauherrn beispielsweise nicht, den Werkunternehmer zu störungsfreien Arbeiten zu bewegen, z.B. indem dieser seine Arbeitsweise ändert oder Vorrichtungen anbringt (etwa zur Lärmdämmung), so muß er sich vom Vertrag lösen. — Dienstherr, Auftraggeber, ferner der Geschäftsherr nach § 675 BGB sowie der Arbeitgeber (oben dd, ee) haben ihren Vertragspartnern entsprechende Weisungen zu erteilen (§ 665 BGB), damit diese ihre mit Störungen verbundenen Handlungen einstellen. Leisten sie den Weisungen nicht Folge, kann der Vertrag durch Widerruf (§ 6711 BGB) und Kündigung aufgehoben werden (§§620, 621, 624, 626 BGB). Denkbar ist, daß der Haftende infolge seiner negatorischen Verpflichtung vertraglichen Pflichten nicht nachkommen kann, so etwa, wenn der Bauunternehmer, der wegen störender Arbeiten seiner Leute nach § 1004 in Anspruch genommen wird (oben ee), den mit dem Bauherrn geschlossenen Werkvertrag nicht erfüllen kann, weil er seine Immissionen verursachenden Arbeiten nicht fortsetzen darf. Ob darin eine Unmöglichkeit der Erfüllung der negatorischen Haftung aus Rechtsgründen liegt, ist ebenfalls im Zusammenhang mit Unmöglichkeitsproblemen zu erörtern 43 . D. Probleme der Haftungsbefreiung /. Einleitung Fragen der Befreiung von der Haftung nach § 1004 stellen sich in den vorliegenden Fällen handlungsbedingter Störungen einmal, entsprechend der Fallsituation, aus dem allgemeinen Gesichtspunkt der Unmöglichkeit, daneben in einigen besonderen, aber typischen Fällen aus dem speziellen Aspekt des aus 42 43
Unten D III. Unten D IV 3 a.
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dem Arbeitsrecht bekannten sog. internen Freistellungsanspruches nach den dort entwickelten Grundsätzen zur gefahrgeneigten Arbeit. Anders als in den Fällen, in denen Störungen durch den Grundstückszustand verursacht werden (oben 13. Kap.), entsteht das Problem der Unmöglichkeit in den hier zu behandelnden Fällen der Störungen durch Handeln nicht in genereller Form. In den Fällen zustandsbedingter Störungen stellt sich das Problem, wie wir sahen1, notwendigerweise, weil die Haftung an den Besitz geknüpft ist und die Verhinderung einer Beeinträchtigung (§ 1004 I 2), aber in vielen Fällen auch die Beseitigung einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung (§ 1004 I I ) nur dadurch möglich ist, daß der Störer Maßnahmen an der störenden Sache vornimmt. Da er dazu bei fehlendem Besitz nicht in der Lage ist, endet die Haftung mit Besitzverlust 2. Bei handlungsbedingten Störungen dagegen besteht eine solche Abhängigkeit von der sachenrechtlichen Position nicht. Es handelt sich daher bei der Frage der Unmöglichkeit in den vorliegenden Sachverhalten nicht um ein aus dem Haftungsgrund folgendes und somit typischerweise entstehendes Problem. Vielmehr kommt der Fall der Unmöglichkeit nur in besonderen Fallagen in Betracht. Bei eigenen störenden Handlungen (oben C II) stellt sich das Problem der Unmöglichkeit gewöhnlich nicht. Es entsteht hier nur dann, wenn die störende Handlung zur Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung vorgenommen wird. Wenn sich Werkunternehmer, Beauftragte, Geschäftsbesorger, selbständige Dienstnehmer oder Arbeitnehmer Ansprüchen Dritter nach § 1004 ausgesetzt sehen, weil sie bei Erfüllung ihrer Vertragspflichten störende Handlungen ausführen, müssen sie diese Handlungen unter Umständen, um dem negatorischen Begehren nachkommen zu können, unterlassen; damit können sie ihren vertraglichen Pflichten nicht entsprechen. — Fragen der Unmöglichkeit entstehen ferner in den Fällen, in denen der Haftende auf Grund störender fremder Handlungen nach § 1004 verantwortlich ist. Es kann ihm, wie sich bereits zeigte (oben C I I I 3 c hh), an einer rechtlichen Handhabe fehlen, um den Vertragspartner an den störenden Handlungen zu hindern; damit kann er seine eigenen Pflichten aus § 1004 nicht erfüllen. Der genannte weitere Gesichtspunkt der Haftungsbefreiung aus dem Aspekt eines internen Freistellungsanspruches nach den arbeitsrechtlichen Grundsätzen gefahrgeneigter Tätigkeit ergibt sich, wenn der Arbeitnehmer nach § 1004 in Anspruch genommen wird, weil er störende Handlungen im Rahmen des Arbeitsvertrages verrichtet; aber auch für fremdbestimmte Tätigkeiten außerhalb von Arbeitsverträgen (Dienstvertrag, Auftrag, Geschäftsbesorgungs- und Werkvertrag) ist die Frage zu klären, ob die genannten arbeitsrechtlichen Grundsätze zu einer Freistellung von der Haftung führen.
1
Oben 12. Kap. § 6 C V 6 (zu § 908); 13. Kap. § 3 C I I 3b, c (zu § 1004).
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Ebd.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
Diese zuletzt genannten Probleme der Befreiung von der negatorischen Haftung in Fällen fremdbestimmter Tätigkeiten, insbesondere in Fällen des Arbeitsvertrages, sind in einem gesonderten Abschnitt zu untersuchen, unabhängig davon, ob eine Haftungsbefreiung aus dem Gesichtspunkt der Unmöglichkeit (Verletzung von Vertragspflichten) oder aus dem Gesichtspunkt eines Freistellungsanspruches nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen in Betracht kommt (unten IV). Die hier liegenden Fragen stellen wegen der tatsächlichen Sachverhaltslage einen eigenständigen Problemkomplex dar. Daneben werden Fragen der Unmöglichkeit bei eigenem (unten II) und bei fremdem (unten III) störenden Handeln untersucht. II. Fragen der Unmöglichkeit bei eigenem störenden Handeln (unmittelbare Verursachung) 1. Einleitung Ist der Störer nicht in der Lage, dem Anspruch aus § 1004 nachzukommen, etwa aus technischen Gründen, dann sind die oben bereits entwickelten Grundsätze 3 anzuwenden, wonach der Anspruch gem. § 1004 aus der allgemeinen Erwägung entfallt, daß Pflichten, die nicht erfüllt werden können, nicht existieren (impossibilium nulla obligatio est); schuldrechtliche Vorschriften wie die der §§ 275 und 306 BGB sind dagegen aus den dargelegten Gründen unanwendbar. Inwieweit in den Fällen eigenen störenden Handelns der Gedanke der Unmöglichkeit praktisch werden kann, soll im folgenden näher untersucht werden. Dabei kann es nur darum gehen, typische, nach § 1004 mögliche Situationen zu untersuchen. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Frage der Unmöglichkeit hat die jeweils zur Erfüllung der Ansprüche aus § 1004 notwendige Maßnahme zu sein. Sie gibt Auskunft darüber, wozu der Störer im allgemeinen in der Lage ist. 2. Erfüllung der Ansprüche aus § 1004 bei Störungen, die in der Handlung selbst liegen, bei Verbringen von Sachen auf fremdes Grundstück, bei Bau auf fremdem Boden In den Fällen, in denen die Beeinträchtigung in der Handlung selbst liegt (Überquerung fremden Grundstücks), kommt der Störer dem Unterlassungsoder Beseitigungsanspruch dadurch nach, daß er die Handlung entweder nicht vornimmt (§ 1004 I 2) oder daß er sie abbricht (§ 1004 1 1). Hat er Sachen auf fremdem Grundstück abgeladen, muß er diese entfernen 4; einen dort errichteten Bau hat er zu beseitigen. Da der Störer seine eigenen Handlungen gewöhnlich 3 4
Oben 13. Kap. § 3 C I I 3d. Vgl. schon oben C I I 3 c cc bbb (zu § 1004 I 1).
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lenken kann, ist es ihm auch möglich, dem Begehren des Eigentümers nachzukommen. Ist er etwa zur Wegschaffung der Sache vorübergehend nicht imstande, weil er erkrankt ist oder sich auf Reisen befindet, liegt wegen des nur zeitweiligen Hindernisses Unmöglichkeit ohnehin nicht vor. Ist er dauernd außerstande, ζ. B. auf Grund einer chronischen Erkrankung, muß er dafür sorgen, daß andere für ihn tätig werden. Unmöglichkeitsgründe sind auch insoweit nicht gegeben, denn grundsätzlich ist es gleichgültig, mit welchen Mitteln der Störer dem Eigentumsfreiheitsanspruch nachkommt; persönlich muß er ihn nicht erfüllen (s. auch § 887 ZPO). 3. Erfüllung der Ansprüche aus § 1004 bei Immissionen a) Einleitung
Bei Immissionen ist nach der Art der Beeinträchtigung zu unterscheiden, die einmal in der Immission selbst liegt, die zum anderen aber auch in weiteren Folgen der Immission bestehen kann 5 . b) Erfüllungshandlungen bei Immissionsfolgen
Zunächst zu dem letzteren, weniger problematischen Fall der Immissionsfolgen. Haben die Immissionen zu Ablagerungen geführt, die dadurch beseitigt werden können, daß der Störer das Grundstück durch einfache Wegnahmehandlungen davon befreit, indem er etwa die vom Steinbruch herübergelangten Steinbrocken entfernt, ist der Fall ebenso zu beurteilen wie der soeben (oben 2) behandelte: Dem Störer ist regelmäßig die Erfüllung des Anspruchs aus § 10041 1 möglich. Haben die Immissionen zu Substanzverletzungen geführt, ist es eine Frage des Beeinträchtigungs- und Beseitigungsbegriffes 6, inwieweit man den Störer für verpflichtet hält, derartige Eingriffe rückgängig zu machen. Besondere, typische Unmöglichkeitsgründe sind hier nicht ersichtlich.
c) Erfiillungshandlungen zur Unterlassung oder Beseitigung der Immission selbst
Soweit die Beeinträchtigung in der Immission selbst besteht, werden Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch dadurch erfüllt, daß der Störer seine Handlungen einstellt. Auch dies ist ein regelmäßig mögliches Verhalten. Die Frage der Unmöglichkeit kann aber aus einem anderen Grunde entstehen. Meist liegt es im Interesse des Störers, seine störenden Tätigkeiten fortzuführen. Er kann dann dem negatorischen Anspruch nur dadurch nachkommen, daß er Vorrichtungen einbaut, die die Immissionen verhindern oder auf ein zulässiges Maß herabsetzen (§§ 1004 II, 906 BGB). Möglich aber ist, daß 5 6
Vgl. schon oben C I I 3 c cc ccc (2), (3). Dazu oben 10. Kap. I 2 a.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
derartige Vorrichtungen technisch nicht durchführbar sind. Darin liegt jedoch keine Unmöglichkeit, weil der Störer in der Lage ist, seine Störungen hervorrufenden Handlungen zu unterlassen. Die damit unter Umständen verbundene Konsequenz, daß er seine Anlage stillegen muß, hat er grundsätzlich hinzunehmen; sie ist die Folge der durch ihn bewirkten rechtswidrigen Beeinträchtigungen. — Weiter ist möglich, daß die die Störungen verhindernde Vorrichtung zwar erstellt werden kann, daß sie aber mit großem technischen Aufwand und entsprechend hohen Kosten verbunden ist. Sind die notwendigen Anstrengungen einmal im Einzelfall so groß, daß die Existenzfahigkeit des Betriebes bedroht wäre, taucht der Gedanke an die aus dem allgemeinen Schuldrecht bekannte sog. wirtschaftliche Unmöglichkeit auf, bei der die Leistungspflicht erlöschen soll, wenn die Erbringung der Leistung nur mit größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbunden ist, die dem Schuldner nicht zugemutet werden können („Opfergrenze") 7 . Doch kommt unter diesem Gesichtspunkt eine Unmöglichkeit hier schon deshalb nicht in Betracht, weil der Störer, ebenso wie im Falle der technisch nicht durchführbaren Vorrichtung, zur Unterlassung oder Beseitigung der Beeinträchtigung in der Lage wäre, da er nur die störenden Handlungen einzustellen braucht. Er kann dem negatorischen Begehren lediglich nicht in der von ihm gewünschten Weise nachkommen, ohne zu größeren Vermögensopfern gezwungen zu sein. Die für ihn negativen Konsequenzen eines rechtswidrige Störungen hervorrufenden Verhaltens hat er aber zu tragen. Grundsätzlich besteht der Anspruch aus § 1004 also. Diese an sich gegebene Folge, daß der Störer auf Grund der gegen ihn gerichteten Ansprüche aus § 1004 in den Fällen, in denen die Vorrichtung technisch nicht möglich ist oder in denen sie mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist, zur Einstellung seiner Anlage gezwungen ist, korrigiert das Gesetz jedoch zugunsten des Störers verschiedentlich. Einmal kommt ihm § 906 I I BGB zu Hilfe. Danach ist § 1004 im Falle einer zwar wesentlichen und damit an sich gem. § 906 I BGB rechtswidrigen Beeinträchtigung, die aber durch eine ortsübliche Benutzung des Störergrundstücks herbeigeführt wird, nicht gegeben, wenn die Beeinträchtigung nur durch Maßnahmen verhindert werden kann, die wirtschaftlich unzumutbar sind. A n die Stelle des negatorischen Anspruchs tritt gem. § 906 I I 2 BGB dann ein Anspruch auf Ausgleich in Geld. Zu den wirtschaftlich unzumutbaren Maßnahmen zählen die Einstellung des Betriebes sowie Vorkehrungen, die hohe Aufwendungen verlangen. Dies bedeutet, daß § 1004 nur gegeben ist, wenn die Immissionen durch wirtschaftlich tragbare Vorrichtungen verhindert werden oder auf ein zulässiges Maß (§ 906 I BGB) zurückgeführt werden können. Im übrigen wird die nach den obigen Darlegungen an sich gegebene actio negatoria bei ortsüblichen Immissionen gesetzlich aufgehoben. 7 Dazu etwa Larenz I § 211 e mwN; ob es sich um einen Fall der Unmöglichkeit (§ 275 BGB) oder der Unzumutbarkeit (§ 242 BGB) handelt, ist umstr.
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Zu demselben Ergebnis führen § 14 BImSchG 8 und die auf ihn verweisenden Bestimmungen des Atom- und Luftverkehrsgesetzes 9 für den Fall, daß für den Betrieb der Anlage eine unanfechtbare Genehmigung vorliegt. Danach ist § 1004 ebenfalls gegeben, wenn die Einwirkungen durch entsprechende wirtschaftlich zumutbare Vorkehrungen verhütet werden können. Sind aber solche Vorkehrungen nach dem Stand der Technik nicht durchführbar oder wirtschaftlich nicht vertretbar, ist § 1004 ausgeschlossen; der Eigentümer kann dann nur noch Schadensersatz verlangen (s. § 14 BImSchG), nicht aber kann die actio negatoria dazu führen, daß der Betrieb der Anlage eingestellt wird. 4. Der Gesichtspunkt des § 251 I I BGB Von dem soeben erörterten Gesichtspunkt der Unmöglichkeit wegen hoher wirtschaftlicher Einbußen ist die in Literatur und Rechtsprechung aufgeworfene Frage der Anwendbarkeit des § 251 I I BGB auf § 1004 10 zu trennen. Die Vorschrift verleiht dem Schädiger das Recht, anstelle der Naturalrestitution (§ 249 S. 1 BGB) Geldersatz zu leisten, wenn die Herstellung nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich ist. Diese Voraussetzung des § 251 I I BGB stellt keinen Fall der Unmöglichkeit dar. Die Vorschrift basiert auf der Regelung des Schadensersatzes, wonach Schäden grundsätzlich — nach Wahl des Gläubigers — auf beiderlei Weise, durch Naturalherstellung (§ 249 S. 1) und durch Geldersatz (§ 249 S. 2), kompensiert werden können. Demnach ist es vernünftig, wenn der Schädiger bei Aufwendungen, die in grobem Mißverhältnis zum Schaden stehen, den Geschädigten von vornherein durch Geldersatz befriedigen kann. Wendet man jedoch § 251 I I auf § 1004 an, entfällt der nicht auf Geldersatz gerichtete Anspruch aus § 1004; an seine Stelle tritt dann der Anspruch auf 8
Ersetzt § 26 GewO. § 7 V AtomG (s. § 69 BImSchG); § 11 LuftVG. 10 Für Anwendbarkeit des § 251 I I BGB: v. Tuhr JherJb 46 (1904), 39, 48ff., 54ff, 56/57 (für Fall des Überbaus); Schmidt S. 74, 103; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 26; Soergel-Mühl § 1004 Rdnr. 43; BGHZ 62, 388, 390, 391 (für Fall des Überbaus); Westermann § 36 I I I 1 (es spreche viel für eine Anwendung des § 251 I, I I BGB); nicht deutlich Picker S. 163 (grundsätzlich gegen die Anwendung der Vorschrift, aber für Analogie zu §§ 906 II, 912 II, 917 I I BGB, § 26 GewO); s. auch Picker AcP 176 (1976), 28, 52ff., 55, 56 passim. Gegen Anwendbarkeit: Goldmann-Lilienthal-Sternberg S. 373 Fn. 8; Endemann S. 474,475 Fn. 54; Baur § 12IV1 a [ders. AcP 160 (1961), 465,489 Fn. 91 nur allgemein für „vorsichtige Analogie" der §§ 249 ff. BGB]; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 65,67; StaudingerSeufert §§ 861, 862 Rdnr. 30 (zu §§ 862, 1004 BGB); Heck, Sachenrecht, § 66, 6; WolffRaiser § 8714; Planck-Brodmann § 1004 Anm. 4 a; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 102; RGZ 51,408,412; O L G Dresden JW 1921 Nr. 8, S. 252, 253 mit Anm. von Silberschmidt ebd. S. 253; RGZ 93, 100, 106; RG JW 1929 Nr. 15, S. 744 (generell gegen Anwendung der §§249 ff. BGB); zu §862 BGB: Erman-Werner §862 Rdnr. 3; RGRK-Kregel §862 Rdnr. 4. 9
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Herrmann
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
Geldleistung. Somit bewirkt die analoge Anwendung des § 251 I I den Untergang des negatorischen Anspruchs 11 . Dieses kann nicht richtig sein; zum einen ist dogmatisch nicht erklärbar, warum bei hohen Aufwendungen der Anspruch erlischt 12 ; die weitere Frage, was im Falle des § 1004 „Unverhältnismäßigkeit" im Sinne des §251 I I bedeuten kann, ist zweifelhaft und kann hier offen bleiben 13 . Zum anderen kann § 251 I I deshalb nicht auf § 1004 angewendet werden, weil der negatorische Anspruch nicht wie der Anspruch auf Schadensersatz von vornherein auch in Geld erfüllbar ist. Es fehlt also im Falle des § 1004 an dem Fundament, auf dem § 251 I I beruht. III. Fragen der Unmöglichkeit bei fremdem störenden Handeln (mittelbare Verursachung) Bei der Untersuchung der Frage, inwieweit die negatorische Haftung bei verursachten fremden störenden Handlungen eingreift, wurden die praktischen Maßnahmen dargelegt, die der Störer ergreifen muß, um dem Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch des § 1004 nachzukommen (oben C I I I 3 c hh). Hier zeigte sich, daß der Störer zur Erfüllung der Ansprüche ohne weiteres in der Lage ist, wenn zur Beseitigung der Beeinträchtigung (§ 1004 I I ) Maßnahmen am gestörten Eigentum notwendig werden. Ferner ist es ihm in Fällen, in denen der unmittelbare Störer (Vertragspartner) seine störenden Handlungen auf der Grundlage eines Werk-, Arbeits-, Dienst- oder Geschäftsbesorgungsvertrages oder eines Auftrages vornimmt, möglich, gegen den Vertragspartner vorzugehen, um ihn an seinen störenden Handlungen zu hindern und damit die gegen ihn gerichteten Ansprüche aus § 1004 zu erfüllen. Fragen der Unmöglichkeit entstehen hier also nicht. Schwierigkeiten kann dem Störer aber die Erfüllung seiner negatorischen Pflichten bereiten, wenn die Störungen vom Mieter oder Pächter ausgehen. Hier fehlt es ihm in manchen Fällen an einem rechtlichen Mittel, um die Einstellung der störenden Handlungen vom Vertragspartner zu erreichen. Es hatte sich gezeigt, daß der Vermieter oder Verpächter nur dann für die Störungen von Mieter oder Pächter einzustehen hat, wenn der störende Gebrauch Gegenstand des Vertrages ist (oben C I I I 3 c bb). Vermieter oder Verpächter können also auf der Grundlage des Vertrages von Mieter oder Pächter nicht verlangen, daß sie die störenden Tätigkeiten unterlassen. Sie müssen sich somit, um das negatorische Begehren des gestörten Eigentümers erfüllen zu können, vom Vertrag lösen. 11
Vgl. die entsprechende Erwägung in RGZ 93, 100, 105 2. Absatz/106. Dazu, daß § 1004 unabhängig von der Höhe der zur Erfüllung des Anspruchs notwendigen Kosten besteht, Endemann S. 474/475 Fn. 54; Goldmann-Lilienthal-Sternberg S. 373 Fn. 8; O L G Dresden JW 1921 Nr. 8, S. 252, 253; OGHZ 2, 170, 173. 13 Es kann sich um das Verhältnis von Aufwendungen und Wert des Grundstücks handeln oder um das Verhältnis von Aufwendungen und — in Geld zu veranschlagender — Minderung des Eigentums, die durch die drohende oder eingetretene Beeinträchtigung entsteht. 12
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Auch dies ist nicht möglich, wenn die vertraglich bestimmte Zeit der Miete oder Pacht noch andauert (§§ 564 I, 581 II, 594 I 1) oder aber wenn es sich um die Vermietung von Wohnraum handelt, für den das Mietverhältnis nicht kündbar ist (s. § 564b). Nun ist es praktisch denkbar, daß Mieter oder Pächter ihre Störungen deshalb nicht fortsetzen, weil sie selbst gem. § 1004 zur Unterlassung oder Beseitigung der Störung verpflichtet sind (oben C II). Kommen sie daher dem Anspruch des gestörten Eigentümers nach, so ist danach auch der gegen den Vermieter oder Verpächter gerichtete Anspruch aus § 1004 erfüllt. In vielen Fällen wird sich daher das Problem, daß Vermieter oder Verpächter der actio negatoria nicht entsprechen können, daher auf diese Weise lösen. Soweit aber Mieter oder Pächter ihre störenden Handlungen nicht einstellen und Vermieter oder Verpächter den Vertrag nicht beenden können, entfallt der Anspruch gegen Vermieter oder Verpächter aus dem allgemeinen Gedanken der Unmöglichkeit (dazu oben 13. Kap. § 3 C I I 3 d).
IV. Probleme der Haftungsbefreiung des Arbeitnehmers, Dienstnehmers, Beauftragten, Geschäftsbesorgers und Werkunternehmers 1. Einleitung Die hier erarbeiteten Grundsätze (oben B, C II) haben ergeben, daß derjenige, der handelt, als Störer nach § 1004 in Anspruch zu nehmen ist. Dieses Ergebnis ist fragwürdig, wenn der Betreffende seine störenden Handlungen im Rahmen eines Vertrages vornimmt, zu dessen Inhalt gerade die Vornahme dieser Handlungen gehört. Zweifel an der Haftung des Handelnden kommen in erster Linie auf, wenn er Arbeitnehmer ist und auf der Grundlage des Arbeitsvertrages und einzelner ihm erteilter Weisungen störende Arbeiten verrichtet, wenn er also Maschinen und Anlagen bedient und mit Geräten und Werkzeugen hantiert, um die ihm aufgetragenen Aufgaben durchzuführen, sei es nun im Betrieb selbst oder außerhalb des Betriebes, beispielsweise auf einer Baustelle. Hier entstehen folgende Probleme: Wird der betreffende Arbeitnehmer aus § 1004 in Anspruch genommen, so gerät er in Konflikt mit seinen Vertragspflichten; da die Immissionen hervorrufende Bedienung der Maschine und der Anlage oder die störende manuelle Arbeit zu seinen Arbeitnehmerpflichten gehört, würde er bei Erfüllung des Anspruches aus § 1004 eine Vertragsverletzung begehen. Kann die Immission nur durch Schaffung von Vorrichtungen verhindert werden, wie etwa im Falle genehmigter Anlagen (§14 BImSchG), so wäre der Arbeitnehmer wegen des gegen ihn gerichteten Anspruches aus § 1004 gehalten, entsprechende Vorrichtungen im Betrieb des Arbeitgebers anzubringen; dieses wäre ein nicht billigenswertes Ergebnis. Hat er, um dem Beseitigungsanspruch nachzukommen, Maßnahmen am gestörten Eigentum vorzunehmen, muß er also die hinübergeflogenen Steine abtragen oder — bei weit verstandenem Beeinträchtigungsbegriff 133 — das überschwemmte Land trockenlegen, wird er 3*
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
mit Tätigkeiten und Aufwendungen belastet, die Folge einer Handlung sind, die er nicht für sich, sondern den Arbeitnehmer vorgenommen hat.—Wegen dieser Interessenlage entsteht die Frage, ob der Arbeitnehmer von seiner negatorischen Haftung entlastet werden kann. Auch auf der Grundlage anderer Vertragsarten, deren Gegenstand die Vornahme von störenden Tätigkeiten für einen anderen ist, kann die Frage entstehen, ob es bei der nach allgemeinen Grundsätzen eingreifenden negatorischen Verantwortung des Handelnden bleibt; in Betracht kommen hier fremdbestimmte Tätigkeiten auf Grund Dienst-, Geschäftsbesorgungs- und Werkvertrages sowie Auftrages (§§ 611 f f , 675, 631 f f , 662ff. BGB). Die folgende Untersuchung wendet sich zunächst der Frage der Haftung des Arbeitnehmers zu (unten 2), sodann dem fraglichen Problem in den übrigen genannten Fällen (unten 3).
2. Probleme der Haftungsbefreiung des Arbeitnehmers a) Beurteilung durch Literatur und Rechtsprechung
Das Problem der Haftung des Arbeitnehmers für eigene störende Handlungen im Rahmen des Arbeitsvertrages taucht ebenso wie die Frage der Verantwortung des Unternehmers für Störungen durch seine Arbeitnehmer 14 nur gelegentlich und ohne breiter angelegte Behandlung auf 1 5 . Im Ergebnis spricht man sich überwiegend gegen eine Haftung des Arbeitnehmers aus 16 , ohne daß dafür eine plausible dogmatische Erklärung bereitstünde. Soweit Begründungen gegeben werden, stützt man sich auf die fehlende Entschlußfreiheit des Arbeitnehmers 17 . Wetzel versucht, die Nicht-Haftung aus § 855 BGB herzuleiten, bei dem die mangelnde eigene Herrschaft dazu führe, daß es am Besitz des Besitzdieners fehle 18 . Ballerstedt meint, daß Arbeitnehmer deshalb nicht Störer seien, weil die in der Arbeit vollzogene Willensbetätigung den Betriebsangehörigen nicht als 13a
Vgl. oben 10. Kap. I 2a. Oben C I I I 2 (Pleyer, Picker). 15 Die Bemerkung in BGH DB 1979, 544, in der Literatur werde „zunehmend" die Frage gestellt, ob weisungsgebundene Arbeitnehmer auf Unterlassung von Störungen in Anspruch genommen werden können, erweckt einen nicht zutreffenden Eindruck. 16 Wetzel S. 135 f.; Heinze S. 133 (anders, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich oder „bei Gelegenheit" handelt, ebd. S. 133 unten, 134 1. Absatz); Ballerstedt JZ 1953, 389ff., insbes. S. 390 r.Sp./391 l.Sp. 1. Absatz (anders bei Verstoß gegen betriebliche Pflichten, ebd. S. 390/391); Erman-Hefermehl §1004 Rdnr. 16; Soergel-Mühl §1004 Rdnr. 31; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 59; nicht deutlich Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 87. 14
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Wetzel S. 135, 136; Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 16; RGRK-Pikart §1004 Rdnr. 59; für Haftung des Dienstgebers wegen der von ihm gegebenen Anordnung auch Planck-Brodmann § 1004 Anm. 3, S. 614. 18 Wetzel ebd.
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Handlung zuzurechnen sei; sie seien in den Betrieb nicht als Personen, sondern als „Kräfte" eingegliedert 19. Eine ähnliche Anschauung vertritt Heinze, der der Ansicht ist, daß der Arbeitnehmer der Störungsquelle des Unternehmens als „Person-Sach-Gesamtheit" eingegliedert und daher dessen unselbständiger Teil sei; seine Handlungen seien daher dem Unternehmen zuzurechnen. Nur wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich oder „bei Gelegenheit" der Arbeit handele, werde er zu einer selbständigen Störungsquelle „Person" 20 . — Medicus vertritt die Auffassung, daß gegen den Arbeitnehmer der Unterlassungsanspruch geltend gemacht werden könne, nicht dagegen der Beseitigungsanspruch; bei letzterem sei „weniger Eile geboten", so daß man es dem Gestörten eher zumuten könne, gleich „den letztlich Zuständigen" in Anspruch zu nehmen 21 . Die Rechtsprechung hat, soweit ersichtlich, kaum Gelegenheit gehabt, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Es existiert ein Urteil des RG von 1939, durch das das Gericht einem Geschäftsführer einer GmbH untersagte, Plakate auf die Anschlagsäulen der Klägerin zu kleben 22 . Es begründete die Passivlegitimation damit, daß Störer jedenfalls sei, wer die beeinträchtigende Handlung begangen habe, und daß es nicht darauf ankomme, ob die Beeinträchtigung in Erfüllung eines Auftrags, Dienst- oder Werkvertrages vorgenommen worden sei 23 . Der BGH deutete in einer Entscheidung von 1978 an, daß es für die negatorische Haftung des Arbeitnehmers auf dessen Weisungsgebundenheit, den eigenen Entschließungsspielraum und den entsprechenden Verantwortungsbereich ankommen könne 2 4 , eine Frage, die nach Meinung des BGH von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung ist, die er aber unbeantwortet ließ, da die beklagten beiden Sprengmeister eine hinreichend selbständige und eigenverantwortliche Stellung innehätten und daher als Störer anzusehen seien 25 .
19 Ballerstedt JZ 1953,390 r. Sp. unten; dagegen Picker S. 153 /154. Ballerstedt gründet seine Überlegungen auf Lehren E. Rosenstock-Hüssys in dessen Arbeit: Vom Industrierecht, s. Ballerstedt ebd. S. 389 Fn. 3. 20
Heinze S. 126ff., 133/134. MK-Medicus § 1004 Rdnr. 36; Schmidt S. 32/33, 33 Fn. 1 hält den Angestellten neben dem Geschäftsherrn generell für haftbar; nicht deutlich Planck-Brodmann § 1004 Anm. 3, S. 614. 22 RG HRR 1940 Nr. 214, s. 2. Seite des abgedruckten Urteils l.Sp./r.Sp. (keine Seitenangaben vorhanden). 23 Ebd. gegen Ende des Urteils (Hinweis auf § 77 ZPO). 24 BGH DB 1979, 544, 545; der ebd. S. 545 vorhandene und auch in der Literatur anzutreffende Hinweis auf BGH JZ 1976, 595 ist in diesem Zusammenhang nicht berechtigt, denn dort ging es nicht um die Haftung eines Arbeitnehmers, sondern eines selbständigen Zeitungsim- und Exporteurs; ferner gehört BGH NJW 1983, 751 nicht hierher, wo es um eine Klage gegen einen Sportverein auf Unterlassung des Tennisspiels ging. 25 Ebd. S. 545. 21
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen b) Eigene Untersuchung aa) Einleitung
Daß das vorliegende Problem eine tiefergehende Behandlung bisher nicht erfahren hat, mag damit erklärbar sein, daß dessen praktische Bedeutung vielleicht nicht groß ist. Wer sich durch den Betrieb eines Unternehmers gestört fühlt, wird sich regelmäßig sogleich an den Inhaber wenden aus dem auch in der Literatur zum Ausdruck kommenden Empfinden, daß dieser es ist, der dafür einzustehen hat. Aber das Billigkeitsgefühl erweist sich hier andererseits nicht als zuverlässig, denn immerhin existieren, wie der Überblick gezeigt hat (oben a), auch andere Ansichten, die den Arbeitnehmer zum Teil mit negatorischen Pflichten belasten wollen. Was nun die praktische Seite anlangt, so mag es bei Großbetrieben, bei denen die Arbeit auf geschlossenem Gelände stattfindet (Fabriken) in der Tat weniger vorkommen, daß Eigentümer einzelne Arbeitnehmer in Anspruch nehmen. Doch bei kleineren Handwerksbetrieben, deren Mitarbeiter häufig persönlichen Kontakt mit der Nachbarschaft haben, oder dann, wenn einzelne Arbeitnehmer außerhalb des Betriebes tätig sind — etwa auf einer Baustelle oder, in der Land- und Fortwirtschaft, in Feld- und Waldgebieten —, ist es denkbar, daß sich der Eigentümer an den jeweils die Störung Verursachenden selbst richtet. Ob die Anzahl der Judikate, die hier gering ist, immer ein sicherer Gradmesser für die praktische Bedeutung einer Rechtsfrage ist, mag fraglich sein. Überdies aber bedarf das vorliegende Problem einer theoretischen Klärung, weil es nach dem Stand von Wissenschaft und Rechtsprechung ungelöst ist und der Wissenschaft die Aufgabe zukommt, den Boden für den Bedarfsfall der Praxis zu bereiten. Der Überblick über Schrifttum und Rechtsprechung verdeutlicht, daß die vorhandenen Begründungen ein Fundament nicht bieten. Die fehlende Entschluß- und Verantwortungsfreiheit des Arbeitnehmers, die Beurteilung der Tätigkeiten als Nicht-Handlung und die Anschauung, daß die Betriebsangehörigen dem Unternehmen nicht als Personen, sondern als „Kräfte" oder „Teile" eingegliedert seien, können die Haftungsfrage nicht lösen. Es handelt sich um Begründungen ohne rechtlich-dogmatischen Charakter. Auch eine unterschiedliche Beurteilung der Haftung nach der Art des Anspruches (§ 10041 1 oder 2) läßt sich juristisch nicht rechtfertigen. Sie scheint außerdem zu übersehen, daß auch der Unterlassungsanspruch nicht immer durch einfache Einstellung der störenden Handlung erfüllt werden kann. Zudem löst sie das Problem nicht, daß der Arbeitnehmer sich infolge der gegen ihn gerichteten negatorischen Ansprüche zu Vertragsverletzungen gezwungen sieht.
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bb) Lösung aaa) Allgemeine Grundsätze der Haftung des Arbeitnehmers
Zunächst bedarf es der Klärung der Ausgangslage. Der Arbeitnehmer, der störende Handlungen vornimmt, ist grundsätzlich gem. § 1004 I haftbar. Eine rechtliche Handhabe, sein Verhalten dem Arbeitgeber „zuzurechnen" in der Weise, daß der Arbeitnehmer von vornherein negatorisch nicht verantwortlich ist, ihm die Haftung also „aberkannt" wird und an seine Stelle der Arbeitgeber tritt, gibt es nicht. Aus diesem Grunde müssen Versuche der „Zurechnung" oder „Übertragung", wie sie bei Ballerstedt (Eingliederung als „Kraft"), Heinze (Eingliederung als unselbständiger Teil) und Wetzel (§ 855 BGB analog) 26 vorgenommen werden, scheitern. Diesen Versuchen haftet überdies der Mangel an, daß sie auch die Entstehung der Verantwortung in der Person des Arbeitgebers nicht erklären können, denn es bleibt ungeklärt, wie es möglich ist, daß der Arbeitgeber für die Handlungen des Arbeitnehmers einzustehen hat. Diese „Konstruktionen" kommen vom Ergebnis her, da ihnen die genannte Haftungsverteilung angemessen erscheint. Da der Arbeitnehmer in seiner Person den haftungsauslösenden Tatbestand gesetzt hat, indem er durch seine Handlung für die bevorstehende oder eingetretene Beeinträchtigung kausal wird, richtet sich der Anspruch aus § 1004 gegen ihn. Die Lage ist nicht anders zu beurteilen als bei anderen gesetzlichen Schuldverhältnissen. Eine der vorliegenden parallele Problematik taucht für unerlaubte Handlungen auf, die der Arbeitnehmer im Rahmen des Arbeitsverhältnisses begeht. Auch hier besteht seine Verantwortlichkeit nach § 823 BGB; die Frage, ob er den Schaden letztlich tragen muß, kann nur intern auf der Grundlage des Arbeitsvertrages gelöst werden. Auf die insoweit entwickelten Grundsätze der gefahr- oder schadensgeneigten Arbeit wird noch zurückzukommen sein. — Die Rechtsordnung kennt nur den umgekehrten Fall, daß eine Person für fremdes Verhalten verantwortlich gemacht wird, und zwar, sofern dieses Verhalten im Rahmen eines mit dem Dritten bestehenden Schuldverhältnisses erfolgt, über § 278, sofern es an einem solchen Schuldverhältnis fehlt, über §831; nicht aber kennt sie Möglichkeiten, jemandem seine grundsätzlich eingreifende Haftung (genuin) „abzuerkennen". Auf die Frage, wie der beschriebene umgekehrte Fall erklärbar ist—seine Wurzeln liegen im Kausalwerden des Geschäftsherrn (s. auch oben C I I I 3 c ee) —, kommt es hier nicht an. Jedenfalls ist aus logisch-dogmatischen Gründen eine Nicht-Haftung trotz Erfüllung des Tatbestandes nicht möglich. Lösungsmöglichkeiten für eine vollständige Beurteilung der negatorischen Haftung des Arbeitnehmers unter Einbeziehung seiner arbeitsrechtlichen Lage und seiner Möglichkeiten, dem negatorischen Begehren nachzukommen, lassen sich nur anhand konkreter Fallgestaltungen erkennen und entwickeln, weil die 26
Oben Fn. 18-20.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
Situation des Arbeitnehmers je nach den Maßnahmen, die er vornehmen muß, um dem Anspruch aus § 1004 zu genügen, unterschiedlich ausfallt. Zu unterscheiden sind Fälle, in denen der Arbeitnehmer, um Störungen zu verhindern oder zu beseitigen, an den zum Betrieb gehörigen Sachen Vorrichtungen schaffen müßte, zweitens Fälle, in denen das bloße Unterlassen seiner Handlungen zur Erfüllung des Anspruches genügt, und schließlich Fälle, die zur Beseitigung der Störung Maßnahmen am Eigentum des Gestörten erfordern. Dagegen kommt es auf eine Differenzierung nach Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nicht an. Schon vorherige Untersuchungen haben gezeigt, daß die beiden Ansprüche prinzipielle Unterschiede in den zur Erfüllung notwendigen Maßnahmen nicht aufweisen 26 a . Entscheidend ist vielmehr die Art der — drohenden oder eingetretenen — Beeinträchtigung. Der Beseitigungsanspruch nach § 1004 I 1 kann ein Unterlassen erfordern, wie bei Immissionen verursachenden Handlungen, oder aber ein Tätigwerden, wenn Eingriffe in das fremde Eigentum rückgängig zu machen sind (Wegschaffen von störenden Sachen). Der Unterlassungsanspruch nach § 1004 I 2 kann ebenfalls positive Tätigkeiten notwendig machen (Vorrichtungen an der Sache des Störers selbst zur Verhinderung von Immissionen), ferner kann er ebenso wie der Beseitigungsanspruch eine bloße Aufgabe der störenden Handlung fordern. Der Unterschied beider Ansprüche besteht nur darin, daß § 1004 I 1 sich gegen gegenwärtige Störungen richtet, § 1004 I 2 gegen künftige. Die folgende Analyse versucht, die haftungsrechtliche Lage des Arbeitnehmers anhand der genannten möglichen Fälle zu klären (unten bbb, ccc). bbb) Fälle, in denen zur Erfüllung des Anspruches aus § 1004 Vorrichtungen nötig sind
Fälle, in denen Ansprüche aus § 1004 nur dadurch erfüllbar sind, daß Vorrichtungen an den zum Betriebe gehörigen Maschinen und Anlagen angebracht werden, also z.B. Immissionen verhindernde Schalldämpfungsvorrichtungen oder Filterungsanlagen, kommen bei genehmigten Anlagen nach § 14 BImSchG (§ 7 V I AtomG, § 11 LuftVG) in Betracht. Hier entfällt der Anspruch gegen den Arbeitnehmer gewöhnlich aus dem allgemeinen Gedanken der Unmöglichkeit. Es handelt sich um den Fall einer Unmöglichkeit aus tatsächlichen Gründen. Aus Rechtsgründen wäre der Arbeitnehmer an den betreffenden Maßnahmen, die einen Eingriff in fremdes Eigentum fordern (§ 823 BGB), zwar nicht gehindert, weil sie auf Grund des Anspruches gem. § 1004 gerechtfertigt wären (oben 13. Kap. § 3 Β I I I 5, C III). Der Unternehmer würde den Arbeitnehmer, der derartige Maßnahmen tatsächlich durchführen wollte, jedoch daran hindern, denn selbst wenn sie ihm zugute kommen würden, weil er sich dem gleichen Anspruch ausgesetzt sieht (oben C I I I 3 c ee), ist es mit einem ordnungsgemäßen Betriebsablauf nicht vereinbar, daß Arbeitnehmer 26a
Vgl. oben § 3 C I I 3c bb, cc; 13. Kap. § 3 Β IV 2 c cc ddd; ferner 1. Kap. Fn. 29.
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Eingriffe an den zum Unternehmen gehörenden Einrichtungen vornehmen. Ein mit Vollmachten ausgestatteter Arbeitnehmer, etwa ein Prokurist oder Geschäftsführer (leitender Angestellter), kommt als Gegner der actio negatoria schon aus praktischen Gründen selten in Betracht, weil diese Art Arbeitnehmer im allgemeinen die zu Störungen führenden manuellen und sonstigen körperlichen Arbeiten nicht selbst verrichten. Aber auch ihnen fehlt es an der Möglichkeit, entsprechende Maßnahmen zu treffen. Sie sind lediglich berechtigt, Rechtsgeschäfte und sonstige Tätigkeitenför den Arbeitgeber auszuführen, also beispielsweise einen zum Erwerb der entsprechenden Vorrichtungen notwendigen Kaufvertrag im Namen des Arbeitgebers abzuschließen (§§ 164 ff. BGB, 48 ff. HGB). Sie könnten also die zur Erfüllung des § 1004 notwendigen Maßnahmen ergreifen, wenn sich der Anspruch gegen den Arbeitgeber richtet. Hier aber geht es um einen Anspruch, der sich gegen den Arbeitnehmer selbst richtet. Diesen kann er nicht mit Mitteln des Arbeitgebers erfüllen. Wenn er beispielsweise eine unerlaubte Handlung bei Ausführung der ihm obliegenden Aufgaben einem Dritten gegenüber begangen hat, haftet er selbst gem. § 823 BGB. Er könnte nun nicht zur Befriedigung des Schadensersatzanspruches Sachmittel (Werkstatt) oder Gelder des Unternehmers verwenden. Es bleibt also bei dem eingangs dargelegten Ergebnis, daß die Haftung aus § 1004 gegen den Arbeitnehmer bei der vorliegenden Fallgestaltung aus Unmöglichkeitsgründen entfallt.
ccc) Fälle, in denen zur Erfüllung des Anspruches aus § 1004 die Unterlassung der störenden Handlung oder Maßnahmen am gestörten Eigentum nötig sind (1) Haftungsbefreiung aus dem Gesichtspunkt der Unmöglichkeit
Ist, um dem negatorischen Begehren des Gestörten nachzukommen, lediglich das Unterlassen der störenden Handlung notwendig, so ist der Arbeitnehmer zu diesem Verhalten in der Lage. Dazu lassen sich folgende Beispiele anführen: Der Kranführer eines Bauunternehmers kann dadurch Beeinträchtigungen hervorrufen, daß er den Kranarm regelmäßig über das der Baustelle benachbarte Grundstück beim Transportieren der Lasten führt. Die Arbeiter in einem Steinbruch bewirken durch das Behauen des Gesteins das Hinübergelangen von Steinteilen und Steinstaub auf ein fremdes Grundstück. Oder die Gesellen und Lehrlinge eines Tischlereibetriebes verursachen durch das Betätigen von Sägemaschinen rechtswidrige Lärmimmissionen, weil sie im Sommer die Fenster offen halten. Der Angestellte eines landwirtschaftlichen Betriebes spritzt die Obstbäume oder Weinreben, so daß Giftstoffe auf das benachbarte Privatgrundstück gelangen; er wässert die Felder derart, daß ein Grundstück überschwemmt wird, oder er düngt die Äcker, was zu unangenehmen Gerüchen in den umliegenden Gebieten führt. Der Forstarbeiter eines Forstbetriebes stört die Nachbarschaft durch Arbeiten mit der Kreissäge.
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In derartigen Fällen werden Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche durch das Einstellen der störenden Tätigkeit erfüllt. Der Arbeitnehmer würde aber, wenn er dem Anspruch aus § 1004 nachkommen würde, eine Vertragsverletzung begehen; kraft des Arbeitsverhältnisses ist er zur Vornahme der betreffenden Handlungen verpflichtet. Doch hatten bereits frühere Untersuchungen ergeben, daß eine Kollision mit Vertragspflichten nicht zur Unmöglichkeit führt 2 7 . Damit entfallt der Anspruch aus § 1004 trotz der diesem Anspruch widersprechenden arbeitsvertraglichen Verpflichtung nicht. Ob es freilich mit dieser Lösung sein Bewenden hat oder ob Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses dazu führen müssen, daß der Arbeitnehmer von seiner negatorischen Verpflichtung durch den Arbeitgeber entbunden wird, wird sogleich geklärt werden müssen [unten (2)]. Zuvor jedoch ist der weitere denkbare Fall zu erörtern, wonach der Arbeitnehmer wegen eines Beseitigungsanspruches nach § 10041 1 verpflichtet ist, Tätigkeiten auf dem gestörten Grundstück vorzunehmen, also beispielsweise die hinübergelangten Gesteine zu entfernen, das bei Schweißarbeiten übergesprungene Feuer zu löschen oder — bei weitem Verständnis des Beeinträchtigungsbegriffes (s. oben 10. Kap. 12 a) — den hinweggeschwemmten Humus zu ersetzen. Auch zur Erfüllung dieser Ansprüche ist der Arbeitnehmer in der Lage. Es bleibt also — dem Grundsatz nach — bei seiner negatorischen Verantwortlichkeit. (2) Haftungsbefreiung aus dem arbeitsrechtlichen Gesichtspunkt gefahrgeneigter Tätigkeit (11) Einleitung
Das Ergebnis, daß der Arbeitnehmer in den beiden soeben [(1)] geschilderten Fällen haftet, ist unbefriedigend. Denn zwar ist es folgerichtig, weil der Arbeitnehmer den gesetzlichen Tatbestand des § 1004 erfüllt hat. Daneben aber rücken Interessengesichtspunkte ins Blickfeld (s. auch oben 1): Zum einen handelt es sich bei den Störungen nach § 1004 um die Konsequenzen einer fremdbestimmten Tätigkeit; der Arbeitnehmer handelt nicht für eigene Zwecke, sondern sein Handeln soll dem Unternehmer zugute kommen. Außerdem kann er sein Verhalten nicht selbst bestimmen. Er hat den Arbeitsvertrag zwar aus freien Stücken geschlossen, doch hinsichtlich einzelner Verrichtungen ist er weisungsgebunden (§§ 665,675 BGB). Es stellt sich die Frage, ob sich diese mehr globalen und wertenden Gesichtspunkte rechtlich einordnen lassen. Hier liegt es nahe, die im Arbeitsrecht zur sog. gefahrgeneigten Arbeit entwickelten Grundsätze heranzuziehen, bei denen eine ähnliche Problematik gegeben ist, und sie daraufhin zu überprüfen, ob sie auf den vorliegenden Fall anwendbar sind. Zu
27
Oben 13. Kap. § 3 Β I I I 5 b mit Fußnote 25.
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diesem Zwecke bedarf es zunächst der Darlegung dieser Grundsätze in ihren wesentlichen Zügen. (22) Die arbeitsrechtlichen
Grundsätze bei gefahrgeneigter
Tätigkeit
Schädigt der Arbeitnehmer bei Erfüllung des Arbeitsvertrages den Arbeitgeber oder einen nicht zum Betrieb gehörigen Dritten, so haftet er gem. § 823 BGB. Die Rechtsprechung hat seit den dreißiger Jahren jedoch Grundsätze entwickelt, die dem Arbeitnehmer eine Haftungserleichterung verschaffen 28. Unterläuft dem Arbeitnehmer die Verletzung bei einer sog. gefahr- oder schadensgeneigten Arbeit, so wird es als nicht gerechtfertigt angesehen, ihn den Schaden uneingeschränkt tragen zu lassen. Eine gefahr- oder schadensgeneigte Arbeit ist nach einer Umschreibung des Bundesarbeitsgerichtes dann gegeben, wenn „die Eigenart der vom Arbeitnehmer zu leistenden Dienste es mit großer Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, daß auch dem sorgfaltigen Arbeitnehmer gelegentlich Fehler unterlaufen, die für sich allein betrachtet zwar jedesmal vermeidbar waren, mit denen aber angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit als mit einem typischen Abirren der Dienstleistung erfahrungsgemäß zu rechnen ist" 2 9 . Zu derartigen Tätigkeiten zählen z.B. das Führen eines Kraftfahrzeuges oder das Bedienen einer Maschine. Verursacht der Arbeitnehmer bei Ausführung einer solchen gefahrgeneigten Tätigkeit Schäden, so wird er ganz oder teilweise entsprechend dem ihm vorzuwerfenden Verschuldensgrad entlastet. Bei leichtester Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer gar nicht, bei mittlerer Fahrlässigkeit hat er einen dem Grad des Verschuldens entsprechenden Teil zu tragen („innerbetrieblicher Schadensausgleich"), bei grober Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer in der Regel und bei Vorsatz immer in voller Höhe 3 0 . Für den vorliegenden Fall negatorischer Ansprüche Dritter interessieren lediglich die Haftungsgrundsätze der gefahrgeneigten Arbeit in Fällen, in denen sich der Arbeitnehmer Dritten gegenüber schadensersatzpflichtig macht. Es steht ihm hier gegen den Arbeitnehmer ein Anspruch auf völlige oder teilweise Freistellung von seiner Verpflichtung dem Dritten gegenüber zu, oder, wenn er schon geleistet hat, ein Anspruch auf Erstattung 31 . Inzwischen zeichnet sich eine Entwicklung ab, die an der Voraussetzung der Gefahrgeneigtheit nicht mehr festhält. Danach soll für die Haftungserleichterung eine „Drucksituation" ausreichen, die z.B. gegeben ist, wenn der Arbeitnehmer sich irrtümlich in einer Notlage glaubt und zu Maßnahmen greift, die außerhalb seiner Fähigkeiten und Kenntnisse liegen 32 . Noch weitergehend wird 28
Vgl. MK-Söllner § 611 Rdnr. 422 mwN. BAGE (GS) 5,1 ff.; BAG NJW 1967, 269, 270; zu diesen Grundsätzen s. etwa M K Söllner § 611 Rdnr. 424ff., 431 f.; Larenz I I § 52 I l d . 29
30 Dazu MK-Söllner § 611 Rdnr. 424 mit Nachw. aus der Rspr.; zum Entfallen dieser Grundsätze bei Bestehen einer Haftpflichtversicherung s. Söllner ebd. Rdnr. 425. 31
Dazu Mk-Söllner § 611 Rdnr. 431 f.; Larenz ebd. gegen Ende.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
teilweise eine Haftungsbeschränkung bei jeder im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübten Tätigkeit befürwortet 33 . Diese hier skizzierten Grundsätze haben — bis auf die soeben geschilderten neueren Tendenzen — inzwischen gewohnheitsrechtlichen Rang. Die Bemühungen um eine dogmatische Rechtfertigung fallen uneinheitlich aus. Früher wurde die Haftungserleichterung vornehmlich auf das Wesen des Arbeitsvertrages und die daraus ableitbare Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gestützt 34 . Heute rückt der Gesichtspunkt der angemessenen Risikoverteilung in den Vordergrund; danach wird es als gerecht angesehen, daß dem Arbeitgeber die Betriebsrisiken aufgebürdet werden, weil die gefahrbehaftete Tätigkeit zu seinem Nutzen ausgeführt wird 3 5 . (33) Anwendung der Grundsätze der gefahrgeneigten § 1004
Tätigkeit
auf die Haftung nach
(111) Ausgangspunkt: Unterscheidung zweier Fälle. Für die Frage, ob die Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit für die Haftung des Arbeitnehmers nach § 1004 übernommen werden können, sind zwei mögliche Sachverhaltsgestaltungen zu unterscheiden. Es kann sein, daß der Arbeitnehmer bei seiner Arbeitsausführung die Wahl hat, ob er sie in einer für fremdes Eigentum störenden Weise ausübt oder nicht. Ein solcher Spielraum ist in den oben genannten [ccc (1)] Fällen teilweise denkbar, in denen der negatorische Anspruch durch Unterlassen der störenden Tätigkeit erfüllbar ist, so etwa, wenn der Kranführer es sich aussuchen kann, ob er den Kranarm über ein fremdes Grundstück führt oder über die Baustelle selbst, ferner wenn der Landarbeiter die Spritzung der Pflanzen mit schädlingsbekämpfenden Mitteln auch so verrichten kann, daß beim Arbeitsvorgang keine Stoffe auf das angrenzende Gebiet gelangen. Dagegen gibt es Arbeiten, die notwendigerweise zu Störungen führen, so im Falle des Behauens der Steine im Steinbruch oder der Forstarbeiten mit der Kreissäge. (222) Handlungen, die notwendigerweise mit Störungen verbunden sind. Die soeben genannten letzteren Fälle unterscheiden sich von den Sachverhalten, die nach den Grundsätzen der gefahrgeneigten Arbeit behandelt werden. Der Unterschied besteht darin, daß die deliktische Handlung des Arbeitnehmers nicht zum Arbeitsablauf gehört, während die Beeinträchtigungen hervorrufenden Tätigkeiten Teil des Arbeitsvorganges sind. Rechtlich handelt es sich in beiden Fällen um „pathologische" Fälle, denn die Störung nach § 1004 ist 32
Vgl. MK-Söllner § 611 Rdnr. 426 mwN. Dazu Larenz I I § 52 I l d mwN; s. auch § 637 RVO, wonach es für Ansprüche des versicherten Arbeitnehmers, dessen Angehörige und Hinterbliebene bei Arbeitsunfallen auf die Gefahrgeneigtheit der Arbeit nicht ankommt. 33
34 35
Vgl. MK-Söllner § 611 Rdnr. 423 mwN Fn. 614, 615; Larenz I I § 52 I l d . So Söllner ebd. mit Nachw. aus der Literatur Fn. 616.
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ebenso wie die unerlaubte Handlung rechtswidrig; der Unterschied liegt also in der tatsächlichen Gestaltung. Diese Tatsache, daß das die negatorische Störung bewirkende Verhalten Bestandteil der Arbeitsverrichtung ist, führt dazu, daß der Kerngedanke der genannten Grundsätze in den vorliegenden Fällen der actio negatoria sogar noch eher eingreift als in den Sachverhalten, für die diese Grundsätze ursprünglich entwickelt wurden. Wenn dem Arbeitnehmer die Konsequenzen für ein rechtswidriges Tun abgenommen werden, dessen Herbeiführung nur latent im Arbeitsvorgang angelegt ist (Gefahrgeneigtheit) oder dessen Verwirklichung — nach neuerer Auffassung — noch nicht einmal typischerweise mit dem Arbeitsvorgang verbunden sein muß, dann ist es gerechtfertigt, dem Arbeitnehmer die Folgen eines Handelns abzunehmen, die notwendigerweise oder jedenfalls nach den Plänen und Weisungen des Arbeitgebers mit der Arbeit verknüpft sind. Insoweit greifen die betreffenden Grundsätze also ein mit der Folge, daß dem Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber ein Anspruch auf Freistellung von der negatorischen Haftung zusteht. Nun kommt es für die interne Entlastung des Arbeitnehmers nach den Prinzipien der gefahrgeneigten Arbeit auf den Verschuldensgrad des Arbeitnehmers an. Ein Verschulden spielt jedoch bei § 1004 keine Rolle. Es entsteht daher die Frage, ob die arbeitsrechtlichen Grundsätze zur gefahrgeneigten Arbeit aus diesem Grunde auf die actio negatoria nicht anwendbar sind. Hier ergeben sich folgende Überlegungen: Zum einen ist in den Fällen, in denen die Störung notwendig mit der Arbeit verbunden ist, ein Verschulden des Arbeitnehmers ohnehin nicht gegeben. Verschulden bedeutet persönliche Vorwerfbarkeit; es setzt voraus, daß der Betreffende die Freiheit in der Wahl seines Verhaltens hatte, daß er sich also hätte rechtmäßig verhalten können. Würde die dem Arbeitnehmer aufgetragene Arbeit eine unerlaubte Handlung darstellen, würde ihm die Haftung nach den Grundsätzen der gefahrgeneigten Arbeit abgenommen werden. Davon abgesehen aber ist das Verschulden nur ein Maßstab für die Haftungsverteilung im Innenverhältnis, also für die Frage, ob der Arbeitnehmer ganz oder nur teilweise zu entlasten ist, nicht dagegen ist das Verschulden tragendes Moment der betreffenden Grundsätze überhaupt. Die Verschuldensfrage stellt eine eigenständige Voraussetzung des Innenverhältnisses dar; dabei wird lediglich angeknüpft an eine Haftungsvoraussetzung, die im Außenverhältnis (§ 823 BGB) gegeben sein muß; rechtlich aber handelt es sich bei den Verschuldenserfordernissen im Außen- und Innenverhältnis um verschiedene Erfordernisse. Dies zeigt sich auch daran, daß das BGB den im Innenverhältnis anzulegenden Haftungsmaßstab der leichtesten oder mittleren Fahrlässigkeit nicht kennt (s. § 276 BGB); für das Außenverhältnis ist dieser Maßstab unerheblich. Dies bedeutet, daß die Anwendbarkeit der Haftungsgrundsätze zur gefahrgeneigten Arbeit nicht vom Verschuldenselement abhängt. Der zur Haftungserleichterung führende wesentliche Gedanke liegt vielmehr darin, daß es nicht gerechtfertigt ist, den Arbeitnehmer für rechtswidrige (schädigende) Handlungen einstehen zu lassen, die potentiell mit der Arbeit verbunden sind.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
Damit ist es möglich, die Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Der Arbeitgeber hat demgemäß Sorge dafür zu tragen, daß der Arbeitnehmer für die Konsequenzen des § 1004 nicht einstehen muß. Die Rechtsfolgen des Freistellungsanspruches bei begangenem Delikt sind allerdings für den Fall des § 1004 abzuwandeln. Der Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers im Falle eines gegen ihn bestehenden Schadensersatzanspruches Dritter ist ohne weiteres durchführbar, weil Schadensersatz in Geld geleistet werden kann; auch in den Fällen der Naturalherstellung (§ 249 S. 1 BGB) ist das Mittel zur Wiederherstellung eine Geldaufwendung des Schädigers. Der Arbeitgeber hat also dem Arbeitnehmer die betreffende Summe auszuhändigen, um diesen in die Lage zu versetzen, den gegen ihn bestehenden Anspruch zu erfüllen, oder er hat als Dritter (s. § 267 BGB) die Zahlung an den Geschädigten direkt zu leisten. Hat der Arbeitnehmer schon Ersatz geleistet, so kann er von dem Arbeitgeber Erstattung verlangen. — Diese Rechtsfolgen sind für § 1004 entsprechend dem Inhalt dieses Anspruches zu modifizieren. Da der Anspruch aus § 1004 nicht durch eine Geldleistung erfüllbar ist, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht dadurch von der negatorischen Haftung entlasten, daß er ihm einen Geldbetrag für etwaig entstehende Kosten zur Verfügung stellt. Es kommt für den Inhalt des Freistellungsanspruches darauf an, welche Maßnahmen zur Erfüllung der actio negatoria nötig sind: Kann dem Beseitigungs- oder Unterlassungsverlangen dadurch nachgekommen werden, daß der Arbeitnehmer seine störende Tätigkeit unterläßt, ζ. B. indem er die lärmende Kreissäge abstellt oder indem er das Immissionen verursachende Ausbeuten des Steinbruches unterläßt, muß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von seiner arbeitsvertraglichen Pflicht zur Durchführung der Handlung befreien oder aber dafür Sorge tragen, daß er diese Handlung fortan störungsfrei durchführen kann, etwa im Beispiel durch Schaffung von Vorkehrungen, die die Steinbruchimmissionen verhindern. Liegen dagegen Eingriffe in das Eigentum vor, die es zu beseitigen gilt, so muß der Arbeitgeber den Beseitigungsanspruch nach § 1004 für den Arbeitnehmer erfüllen. Er muß also im Verhältnis zum Arbeitnehmer dafür aufkommen, daß das in den fremden Bereich gelangte Gestein entfernt wird oder daß das bei Schweißarbeiten entstandene Feuer auf dem Nachbargebiet gelöscht wird; dafür erforderliche Aufwendungen hat er zu tragen. Eine Frage des Einzelfalles ist es, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordern kann, die zur Beseitigung erforderlichen Handlungen selbst vorzunehmen. Diese Möglichkeit kann sich aus allgemeinen Zumutbarkeitsgesichtspunkten ergeben (§ 242 BGB), wenn es sich um leicht zu beseitigende Eingriffe handelt und wenn die Beseitigung ein Tun erfordert, das den dem Arbeitnehmer ohnehin obliegenden Verrichtungen der Art nach gleicht. In diesem letzteren Falle liegt es darüber hinaus im Rahmen der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer um die betreffende Maßnahme zu bitten; so könnte er den im Steinbruch tätigen Arbeitnehmer auffordern, das benachbarte Grundstück
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während der regulären Arbeitszeit von den hinübergeflogenen Steinteilen zu befreien. Diese Möglichkeit ändert jedoch nichts an den dargelegten Grundsätzen. (333) Handlungen, bei denen der Arbeitnehmer die Wahl hat. a) Einleitung. Anders beurteilt sich die Frage der Anwendbarkeit der Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit auf die Haftung nach § 1004 in Fällen, in denen der Arbeitnehmer die Tätigkeit sowohl in störender als auch in störungsfreier Weise ausführen kann [oben (111)]. Diese Fälle gleichen, anders als die zuvor behandelten (222), den Sachverhalten, für die die Prinzipien der gefahrgeneigten Arbeit entwickelt wurden. Denn dort geht es regelmäßig um ein rechtswidriges Verhalten (Delikt), das mit der Arbeitsverrichtung nicht notgedrungen einhergeht, sondern das grundsätzlich vermeidbar ist. Die Übertragung der fraglichen Grundsätze auf den Fall der negatorischen Haftung fordert aber wiederum Modifizierungen dieser Grundsätze. Die im ursprünglichen Bereich der arbeitsrechtlichen Prinzipien vorzunehmende Abstufung des internen Haftungsausgleiches, also die Teilung der Rechtsfolge (Schadensersatz), ist im Fall des § 1004 nicht immer möglich. Außerdem ist fraglich, ob der Verteilungsmaßstab des Verschuldens im Falle des § 1004 überhaupt herangezogen werden kann. Auch im Falle der actio negatoria kann die rechtswidrige Folge darauf beruhen, daß nach der Eigenart der zu verrichtenden Arbeit Störungen leicht entstehen können, so etwa, wenn Arbeiten, die mit Immissionen verbunden sind, an der Grundstücksgrenze vorgenommen werden. Im folgenden soll die Anwendbarkeit der Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit für diesen (letzteren) Fallbereich untersucht werden (unten ß). Sodann ist die Frage zu klären, wie diese Grundsätze außerhalb gefahrgeneigter Tätigkeiten zu beurteilen sind (unten y). ß) Störungen bei gefahrgeneigter Arbeit. Handelt es sich um eine Tätigkeit, bei der mit gelegentlichen Störungen fremden Eigentums zu rechnen ist, weil sie infolge ihrer Eigenart die latente Gefahr derartiger Störungen enthält, ebenso wie die Gefahr von Schäden, so ist es grundsätzlich auch hier gerechtfertigt, an eine interne Haftungsbefreiung zu denken. Die Übertragung dieser Grundsätze auf eine Haftung nach § 1004 ist allerdings nicht ohne weiteres möglich, weil sich bei Schäden der Umfang des internen Schadensausgleiches nach dem Verschuldensgrad des Arbeitnehmers richtet [oben ccc (2) (22)]. Nach § 1004 aber kommt es auf ein Verschulden nicht an. Nun steht jedoch grundsätzlich nichts entgegen, für den Ausgleich im Innenverhältnis einen Sorgfaltsmaßstab aufzustellen, denn hier geht es nicht um die Voraussetzungen des § 1004, sondern um interne Grundsätze, die sich nach eigenen Regeln richten. Die Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit betreffen ein vom Außen Verhältnis zu unterscheidendes Rechtsverhältnis. Es hatte sich soeben bereits gezeigt [oben (222)], daß bei der internen Verschuldensabstufung lediglich eine im Außenverhältnis gegebene Voraussetzung aufgegriffen wird, die aber rechtlich vom Verschulden im Rahmen des Delikts nach § 823 BGB zu trennen ist. Dogmatisch allerdings ist das Erfordernis des Verschuldens im Innenverhältnis ungesichert, weil Verschul-
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den ein rechtswidriges Verhalten voraussetzt. Im Fall der Schädigung eines Dritten liegt gegenüber dem Arbeitgeber ein rechtswidriges Verhalten nicht vor. Für den vorliegenden Fall ließe sich von einem rechtswidrigen Verhalten des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber nur dann sprechen, wenn in der unter Störungen fremden Eigentums vorgenommenen Arbeit zugleich eine Schlechterfüllung der Arbeitspflicht läge. Doch ist dieser Aspekt nicht der entscheidende Anknüpfungspunkt für die interne Haftungserleichterung; dafür genügt die rechtswidrige Störung im Außenverhältnis. Die Frage der rechtlichtheoretischen Grundlage des Verschuldenserfordernisses im Innenverhältnis berührt das grundsätzliche Problem der dogmatischen Rechtfertigung der Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit. Ihm kann hier nicht nachgegangen werden; die betreffenden Grundsätze, denen gewohnheitsrechtlicher Rang zukommt und die im Ergebnis zu billigen sind, müssen für das vorliegende Thema vielmehr als geltendes Recht hingenommen werden. Da also das interne Verhältnis von Arbeitnehmer und Arbeitgeber eigenen Regeln folgt, stellt es keinen Widerspruch zu der Verschulden nicht fordernden actio negatoria dar, wenn die Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit übernommen werden und die negatorische Haftung des Arbeitnehmers intern vom Verschuldensgrad abhängig gemacht wird. Doch ergibt sich insoweit die schon eingangs (α) erwähnte Schwierigkeit: Die verschiedenen Verschuldensgrade haben eine Haftungsabstufung zum Ziel, weil sich danach die Schadensanteile richten, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu tragen haben. Eine solche Abstufung der Rechtsfolge ist jedoch, da der Anspruch aus § 1004 nicht durch Geldleistungen erfüllbar ist, nur hinsichtlich der Kosten denkbar, die durch die zur Erfüllung notwendigen Maßnahmen entstehen [s. auch oben (222)]. Bei mittlerer Fahrlässigkeit tragen demnach Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeder einen Anteil der Aufwendungen. Bei leichter Fahrlässigkeit sind dem Arbeitnehmer die Aufwendungen vollständig abzunehmen, bei grober Fahrlässigkeit dagegen muß er sie selbst tragen. Dagegen erweist sich in Fällen, in denen die Ansprüche aus § 1004 durch bloße Änderung der Tätigkeit, beispielsweise durch ein Unterlassen erfüllbar sind, daß ein Bedürfnis nach interner Haftungsübernahme nicht besteht. In diesen Fällen braucht der Arbeitnehmer seine Tätigkeit nur so einzurichten, daß er Störungen vermeidet; er kann seine Arbeit dann in störungsfreier Weise fortsetzen. Wenn beispielsweise der Schlosser Schweißarbeiten an der Grundstücksgrenze ausführt, so daß die Gefahr des Funkenübersprungs besteht, oder wenn diese Folge nur deshalb droht, weil er die notwendigen Schutzvorrichtungen nicht verwendet, kann er sich von der Grenze entfernen oder die Vorrichtungen benutzen. Ein anderes Beispiel bietet der Tischlergeselle, der die Maschinen der Tischlerei im Sommer bei geöffneten Fenstern bedient, so daß erhebliche Lärmimmissionen auf das Nachbargrundstück dringen. Er braucht die Fenster, in die schalldichte Scheiben eingebaut sind, nur zu schließen. Beruht also die Störung nur auf ungeschickter oder nachlässiger Durchführung der
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Arbeit, die aber jederzeit korrigierbar ist, so besteht kein Anlaß, den Arbeitnehmer von der Haftung aus § 1004 zu befreien und ihn von der ihm aufgetragenen Tätigkeit zu entbinden. Anders als in den Fällen, in denen die Arbeit notwendig mit Beeinträchtigungen verbunden ist [oben (222)], begeht der Arbeitnehmer bei Erfüllung der Ansprüche aus § 1004 keine Verletzung des Arbeitsvertrages. Und anders als bei Beeinträchtigungen, die durch bloße Änderung der Art und Weise der Arbeitshandlung nicht erfüllbar sind, sondern die in körperlichen Eingriffen in das Eigentum bestehen und die deshalb Wiederherstellungsmaßnahmen erfordern, wird der Arbeitnehmer in dem soeben besprochenen Fall mit besonderen Tätigkeiten oder Aufwendungen nicht belastet. y) Störungen bei nicht gefahrgeneigter Arbeit. Es hatte sich gezeigt, daß teilweise auf die Voraussetzung der Gefahrgeneigtheit der Arbeit verzichtet und eine Haftungsbeschränkung bei jeder Tätigkeit für richtig gehalten wird [oben (22)]. Doch fehlt es hier an der inneren Rechtfertigung der Haftungsentlastung. Diese hat ihren Grund darin, daß der Arbeitnehmer Tätigkeiten verrichten muß, deren Natur die Gefahr rechtswidriger Folgen für andere mit sich bringt. Unterlaufen dem Arbeitnehmer dagegen Fehler bei Arbeitsverrichtungen, denen diese Gefahrgeneigtheit nicht anhaftet, so verwirklicht sich die Möglichkeit rechtswidriger Handlungen, wie sie auch außerhalb von Verrichtungen auf arbeitsrechtlicher Grundlage bestehen. Hier liegt kein Grund vor, dem Arbeitnehmer die Verantwortung abzunehmen. Der auch bei rechtswidrigen Störungen notwendige innere Zusammenhang mit der Arbeitsverrichtung im Gegensatz zu solchen Störungen, die nur bei Gelegenheit der Arbeitstätigkeit entstehen, ist in diesen Fällen auch kaum mehr erkennbar. Eine andere Frage ist, ob dem Arbeitnehmer die Haftung abzunehmen oder ob sie zu erleichtern ist, wenn die Störung zwar nicht wegen der der Tätigkeit immanenten Gefahr entsteht, aber wegen einer Lage, die im Arbeitsrecht als „Drucksituation" bezeichnet wird. Ein Beispiel ist für den Bereich der Schadensersatzhaftung der oben [(22)] genannte Fall, in dem der Arbeitnehmer sich irrtümlich in einer Notlage glaubt. Ob derartige Ausnahmefalle im Bereiche des § 1004 relevant werden können, muß die Praxis erweisen.
ddd) Zusammenfassung zu aaa-ccc
(1) Der durch eigene Arbeitsverrichtungen störende Arbeitnehmer haftet grundsätzlich gem. § 1004 (oben aaa). Die Verantwortlichkeit für rechtswidrige Handlungen kann ihm im Falle der actio negatoria ebensowenig abgenommen werden wie im Falle unerlaubter Handlungen (§ 823 BGB). Da jedoch bei Störungen, die im Rahmen eines Arbeitsvertrages erfolgen, prinzipiell die gleiche Lage gegeben ist wie im Falle von Schäden, die der Arbeitnehmer einem Dritten bei seiner Arbeitsverrichtung zufügt, sind hier die im Arbeitsrecht entwickelten Grundsätze der sog. gefahrgeneigten Arbeit heranzuziehen. Für deren Anwendung kann es nicht darauf ankommen, ob die rechtswidrige 33
Herrmann
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
Handlung des Arbeitnehmers zu einem Schaden oder einer negatorischen (künftigen oder eingetretenen) Beeinträchtigung führt. Im letzteren Falle ist dieselbe Interessenlage gegeben wie bei der Schadenszufügung: Beeinträchtigungen fremden Eigentums geschehen im Zusammenhang mit Tätigkeiten, die nicht dem Arbeitnehmer, sondern dem Arbeitgeber zugute kommen. Somit muß er prinzipiell auch deren negative Folgen tragen. Die Anwendung der genannten Grundsätze führt jedoch zu Modifizierungen der Voraussetzungen und Rechtsfolgen; dies ist zum einen damit erklärbar, daß es Arbeitsverrichtungen gibt, die, anders als im Fall unerlaubter Handlungen, notwendig mit rechtswidrigen Störungen fremden Eigentums verbunden sind, zum anderen damit, daß die Verpflichtungen des § 1004, im Gegensatz zu Schadensersatzverpflichtungen, nicht in Geld erfüllbar sind. Die Lage stellt sich, zusammengefaßt, im einzelnen wie folgt dar: (11) Für einen Teil der Fälle bedarf es der Heranziehung der genannten arbeitsrechtlichen Grundsätze nicht. Kann der Arbeitnehmer dem Anspruch aus § 1004 nur dadurch nachkommen, daß Vorrichtungen an den Sachen des Arbeitgebers geschaffen werden (s. §14 BImSchG), so entfallt der Anspruch gegen ihn gewöhnlich ohne weiteres aus dem Gedanken der faktischen Unmöglichkeit (oben bbb). (22) In den übrigen Fällen, in denen der Anspruch aus § 1004 auf andere Weise erföllt wird, also durch bloßes Unterlassen der Handlung, Änderung der Arbeitsweise oder durch Maßnahmen am gestörten Eigentum, ist der Arbeitnehmer zur Erfüllung der negatorischen Ansprüche in der Lage; ein Fall der Unmöglichkeit ist nicht gegeben [oben ccc (1)]. Hier kommt daher eine Anwendung der arbeitsrechtlichen Grundsätze zur Haftungserleichterung in Betracht [oben ccc (2)]. Ihrer Anwendbarkeit auf die Haftung nach § 1004 steht nicht entgegen, daß diese Grundsätze für den internen Ausgleich an den Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers anknüpfen, § 1004 aber das Verschuldenselement fremd ist. Der Kerngedanke der arbeitsrechtlichen Prinzipien der Haftungserleichterung ist vom Verschulden unabhängig. Die Verschuldensabstufung ist nur ein Mittel, um eine gerechte Verteilung des Schadens im Innenverhältnis herbeizuführen. Getragen aber werden jene Grundsätze von dem Gedanken, daß Ursache des rechtswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers eine Tätigkeit ist, der Gefahren immanent sind und deren Nutzen nicht dem Arbeitnehmer, sondern dem Arbeitgeber zufließt [oben ccc (2) (33) (222)]. Das Verschuldenselement der arbeitsrechtlichen Prinzipien des internen Haftungsausgleichs hindert also eine Anwendung auf den vorliegenden Fall der Störungen Dritter gem. § 1004 nicht. Für eine Heranziehung der einen Freistellungsanspruch ermöglichenden Grundsätze im einzelnen muß unterschieden werden: (Iii) Anders als in dem ursprünglichen Bereich der Haftungsgrundsätze, also in den Fällen der Schädigung Dritter, gibt es in den vorliegenden Fällen
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Arbeitsverrichtungen, die notwendigerweise mit Beeinträchtigungen (meist Immissionen) verbunden sind [oben ccc (2) (33) (222)]. Hier greift der Gedanke der arbeitsrechtlichen Prinzipien der Haftungserleichterung erst recht ein; die Arbeit ist nicht nur „gefahrgeneigt", sondern sie führt nach ihrer Art notgedrungen zu rechtswidrigen Eingriffen. Nach den Grundsätzen der Haftungserleichterung müßte nun bei deren Anwendung wegen einer negatorischen Haftung des Arbeitnehmers dessen Verschuldensgrad berücksichtigt werden. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, die Haftung im Innenverhältnis vom Verschulden des Arbeitnehmers abhängig zu machen, denn insoweit geht es nicht um eine Haftung nach § 1004; die interne Haftungserleichterung beruht vielmehr auf dem Arbeitsvertrag, für den wegen rechtswidrigen Verhaltens Dritten gegenüber eigene Regeln gelten [oben ccc (2) (33) (222), (333) ß]. Doch kommt im vorliegenden Fall für eine Regulierung der negatorischen Rechtsfolgen im Innenverhältnis ein Verschulden ohnehin nicht in Betracht, da die Arbeit notwendig mit Störungen verbunden ist und vom Arbeitnehmer somit in rechtswidriger Weise vorgenommen werden mußte. Selbst wenn man sich sein Verhalten als unerlaubte Handlung denkt und diese Dritten gegenüber als vorsätzlich begangen anzusehen ist, würde sie im Innenverhältnis als unverschuldet behandelt werden, da der Arbeitnehmer gezwungen war, die schädigende Handlung auszuführen. — Dem Arbeitnehmer ist die negatorische Haftung also abzunehmen. Die Rechtsfolgen der arbeitsrechtlichen Grundsätze sind jedoch zu modifizieren. Da die actio negatoria nicht durch Geldleistungen erfüllbar ist, kann auch eine Abnahme der Haftung nicht durch Geldleistung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer geschehen. Ist § 1004 durch ein Unterlassen der störenden Handlung zu erfüllen, muß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der arbeitsrechtlichen Pflicht entbinden, die Handlung vorzunehmen. Sind Maßnahmen am gestörten Eigentum nötig, hat er für die Vornahme dieser Maßnahmen zu sorgen; die dafür erforderlichen Kosten hat er zu tragen. Im Einzelfall kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordern, die Beeinträchtigung selbst in der Arbeitszeit zu beseitigen, wenn die Beseitigung eine Tätigkeit darstellt, die der Art nach zum Aufgabenbereich des Arbeitnehmers gehört (Gesichtspunkt der Zumutbarkeit, § 242 BGB). (222) Konnte dagegen die Arbeit auch ohne Störungen ausgeführt werden [oben ccc (2) (33) (333)] und kann dem Anspruch aus § 1004 dadurch nachgekommen werden, daß der Arbeitnehmer sein Verhalten künftig anders einrichtet (er schließt die Fenster gegen Lärmimmissionen) oder indem er sich geschickter oder sorgfaltiger verhält (er führt die Schweißarbeiten nicht gerade an der Grundstücksgrenze durch), besteht nach einer internen Haftungsentlastung kein Bedürfnis. Der Arbeitnehmer wird weder mit Arbeits- noch mit Vermögensaufwendungen belastet. Die actio negatoria richtet sich gegen ihn, ohne daß ihm ein Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber zusteht. 33*
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
Sind aber Maßnahmen zur Beseitigung einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung nötig (das Feuer ist zu löschen), so sind die betreffenden arbeitsrechtlichen Grundsätze heranzuziehen. Da hier eine Tätigkeit des Arbeitnehmers vorliegt, die nicht notwendigerweise mit Störungen verbunden ist, ist für den Umfang der internen Beseitigungspflicht des Arbeitgebers zu berücksichtigen, inwieweit den Arbeitnehmer ein „Verschulden" an der Störung trifft. Dogmatisch ist hier zweierlei zu beachten: Zwar kommt es nach § 1004 auf ein Verschulden nicht an. I m Innenverhältnis aber geht es nicht um einen Anspruch aus § 1004, sondern um einen gerechten Ausgleich. Der Anwendung der arbeitsrechtlichen Verschuldensabstufungen steht also nichts im Wege [oben ccc (2) (33) (333) ß). Zum zweiten liegt ein Verschulden im technischen Sinne nicht vor; Verschulden setzt eine Pflichtverletzung voraus, gegenüber dem Arbeitgeber stellt die negatorische Störung aber keine Pflichtverletzung dar. Indessen handelt es sich bei dem Verschuldenserfordernis auch im ursprünglichen Anwendungsbereich der arbeitsrechtlichen Grundsätze der Haftungserleichterung nicht um ein Verschulden im eigentlichen Sinne [ebd. (222)]. Die hier liegenden dogmatischen Fragen sind im vorliegenden Zusammenhang aber nicht zu verfolgen, vielmehr sind die betreffenden Haftungsgrundsätze als geltendes (Gewohnheits-)Recht zu übernehmen [ebd. (333) ß\. Der Freistellungsanspruch kann jedoch wiederum nicht, wie im Schadensersatzrecht, dazu führen, daß die interne Haftungserleichterung durch Geldzahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer oder den Dritten erfolgt. Die Erfüllung des negatorischen Anspruchs gem. § 1004 fordert die Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung; folglich muß der Arbeitgeber, damit es zu einer Haftungserleichterung für den Arbeitnehmer kommt, die Beeinträchtigung beseitigen. Er kann aber entstandene Kosten nach den im Arbeitsrecht entwickelten Verschuldensgraden vom Arbeitnehmer ganz oder zu einem Teil ersetzt verlangen. (33) Das Ergebnis lautet, auf seine Kerngedanken reduziert, damit folgendermaßen: Die Haftung des Arbeitnehmers entfallt bei Ansprüchen gem. § 1004, die von dem Arbeitnehmer die Anbringung von Vorrichtungen an den Sachen des Arbeitgebers erfordern (Verhinderung von Immissionen), wegen faktischer Unmöglichkeit. In allen anderen Fällen steht ihm prinzipiell ein interner Freistellungsanspruch zu. Da der Anspruch nach § 1004 nicht, wie der Schadensersatzanspruch, durch Geldersatz erfüllt werden kann, hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Pflicht zur Vornahme der störenden Tätigkeit zu entbinden oder, wenn zur Beseitigung der Störung Maßnahmen am gestörten Grundstück nötig sind, für deren Vornahme zu sorgen. — I m einzelnen ist zu unterscheiden: In Fällen, in denen die Arbeitsverrichtung notwendig mit Störungen verbunden ist, besteht ein interner Anspruch gegen den Arbeitgeber auf völlige Freistellung von der negatorischen Haftung. Handelt es sich dagegen um Tätigkeiten, die der Arbeitnehmer nach seinen eigenen Dispositionen auch störungsfrei ausführen kann, ist wiederum zu differenzieren: Kann der Arbeit-
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nehmer dem negatorischen Begehren dadurch nachkommen, daß er die Handlung in störungsfreier Weise vornimmt, besteht kein interner Freistellungsanspruch; dazu ist kein Anlaß vorhanden, weil der Arbeitnehmer den Anspruch aus § 1004 ohne eigene Belastungen erfüllen kann. Sind hingegen Maßnahmen am gestörten Grundstück nötig, hat der Arbeitgeber diese für den Arbeitnehmer zu erfüllen, er kann sich jedoch je nach „Verschulden" des Arbeitnehmers die Kosten der Beseitigung teilweise oder ganz erstatten lassen. (2) Außerhalb gefahrgeneigter Tätigkeiten ist eine Haftungsfreistellung oder -erleichterung nicht gerechtfertigt [oben ccc (2) (33) (333) γ]. 3. Probleme der Haftungsbefreiung des Dienstnehmers, Beauftragten, Geschäftsbesorgers (§ 675 BGB) und Werkunternehmers a) Haftungsbefreiung aus dem Gesichtspunkt der Unmöglichkeit
Werden Dienstnehmer, Beauftragte, Geschäftsbesorger oder Werkunternehmer infolge von Störungen bei Ausführung der von ihnen übernommenen Tätigkeit gem. § 1004 in Anspruch genommen, so kann die Erfüllung des negatorischen Anspruchs zu Vertragsverletzungen führen. Da der Betreffende die mit Störungen verbundene Handlung nicht vornehmen darf, kann er seinen Vertragspflichten nicht nachkommen. Dieser Verstoß hat jedoch keine Unmöglichkeit zur Folge. Frühere Untersuchungen hatten ergeben, daß eine Kollision negatorischer Pflichten mit vertraglich begründeten Pflichten nicht zur Unmöglichkeit der Erfüllung des Anspruches aus § 1004 führt 3 6 ; der Störer muß die Konsequenzen seines vertragsverletzenden Verhaltens vielmehr hinnehmen. Damit ist der Anspruch aus § 1004 in den vorliegenden Fällen gegeben. b) Haftungsbefreiung aus dem Gesichtspunkt gefahrgeneigter Tätigkeit aa) Auffassung des Schrifttums
in Schadensfällen
Es ist verschiedentlich erwogen worden, ob die arbeitsrechtlichen Haftungsgrundsätze auch außerhalb von Arbeitsverträgen anzuwenden sind, also dann, wenn jemand für einen anderen eine gefahrgeneigte Tätigkeit auf der Grundlage nicht-arbeitsvertraglicher Vereinbarungen übernimmt und bei der Ausführung der Tätigkeit Schäden entstehen. I m Schrifttum wird es vereinzelt für richtig befunden, die betreffenden Grundsätze auch zugunsten anderer Geschäftsbesorger heranzuziehen; diese Ansicht wird meist für den selbständig tätigen Dienstnehmer (§§ 611 ff. BGB) oder den Beauftragten (§§ 662 ff. BGB) vertreten. Für die Anwendbarkeit der arbeitsrechtlichen Prinzipien kommen darüber hinaus aber Tätigkeiten des Geschäftsführers nach § 675 BGB und des Werkunternehmers (§§631 ff. BGB) in Betracht; insoweit haben sich jedoch allgemeine Grundsätze noch nicht herausgebildet. — Die Prinzipien der arbeitsrechtlichen Haftungserleichterung sollen entweder uneingeschränkt gel-
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ten 3 7 oder aber nur unter besonderen Voraussetzungen. So etwa sollen sie lediglich dann herangezogen werden, wenn der Geschäftsbesorger eine gefahrgeneigte Tätigkeit übernimmt, ohne daß derartige Verrichtungen zu seinem Beruf oder Gewerbe gehören 38 . Ferner wird vertreten, daß die arbeitsrechtlichen Grundsätze nur gelten, wenn der Geschäftsbesorger ein erhöhtes Risiko übernimmt, dagegen nicht bei allgemeinen Risiken, beispielsweise der Teilnahme am Straßenverkehr 39. Der insoweit befürwortete Anspruch auf Haftungsminderung oder -freistellung wird unmittelbar auf den (arbeitsrechtlichen) Gedanken der Risikozurechnung 40 oder aber auf eine analoge Anwendung des § 670 BGB gestützt 41 . bb) Stellungnahme für den Fall der negatorischen Haftung
Ein Anwendung der arbeitsrechtlichen Grundsätze auf den vorliegenden Fall der negatorischen Haftung mit dem Ergebnis, daß selbständig tätige Dienstnehmer, Beauftragte, Geschäftsbesorger (§675) oder Werkunternehmer einen Anspruch gegen den jeweiligen Vertragspartner auf Freistellung von negatorischen Ansprüchen erlangen, ist nicht gerechtfertigt. Dies hätte im Falle des § 1004 folgende Konsequenzen: Wenn bei der übernommenen Tätigkeit Beeinträchtigungen fremden Eigentums drohen und deshalb gegen den betreffenden Geschäftsbesorger Ansprüche auf Unterlassung gem. § 1004 I 2 entstehen, könnte er vom Vertragspartner verlangen, insoweit von seinen vertraglichen Pflichten entbunden zu werden. Wären die Beeinträchtigungen durch Anbringung von Vorrichtungen vermeidbar, etwa durch Schalldämpfungsanlagen im Gewerbebetrieb eines Handwerkers, in dem der Werkbesteller Reparaturen durchführen läßt, so könnte der nach § 1004 in Anspruch Genommene die Kosten dafür ersetzt verlangen. Sind bereits Beeinträchtigungen entstanden, so könnte der betreffende Geschäftsbesorger vom Vertragspartner fordern, daß er deren Beseitigung (§ 1004 I I ) übernimmt. Werden, wie in den vorliegenden Fällen, hinsichtlich einzelner für einen anderen auszuführender Tätigkeiten jeweils individuelle Verträge abgeschlossen, so ist die Situation des Pflichtigen mit der des Arbeitnehmers nicht 36 37 38
Vgl. oben Fn. 27. So Fikentscher § 79 I I 2 c für den selbständigen Dienstnehmer. So Larenz I I § 52 I I d (allgemein für fremdbestimmte Tätigkeiten).
39
So Larenz I I § 56 I I I (für Auftrag); ferner mit Einschränkungen Esser I I § 82 I I I 3 b für Auftrag); Neumann-Duesberg JZ 1964, 433 (für arbeitsrechtsähnliche Verträge); Genius AcP 173 (1973), 481 f f , 525/526; gegen eine Ausweitung auf den selbständig tätigen Dienstnehmer Esser I I § 78 I I l c ; BGH NJW 1963, 1100. 40
Vgl. Larenz I I §52 I l d ; Esser I I §78 I I l c ; Genius ebd. leitet entsprechende Grundsätze aus § 110 HGB her. 41 Etwa Larenz I I § 52 I l d ; Esser I I § 82 III. 42 Vgl. zur dogmatischen Rechtfertigung der arbeitsrechtlichen Grundsätze bei gefahrgeneigter Tätigkeit oben 2 b bb ccc (2) (22) mit Fn. 34, 35.
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vergleichbar, und zwar weder aus dem Gedanken der Fürsorgepflicht noch dem der angemessenen Risikoverteilung 42 . Der Arbeitnehmer kann sich seine Tätigkeit nach Art und Durchführungsweise im einzelnen nicht aussuchen. Bei Abschluß individueller Verträge dagegen übernimmt der Betreffende bewußt bestimmte Pflichten, deren Gegenstand und weitere Konsequenzen er kennt. Der Geschäftsherr andererseits betraut einen anderen mit der Wahrnehmung der Tätigkeit (§§ 662ff., 61 Iff., 675 BGB) oder der Herstellung eines Werkes (§§ 631 ff. BGB) gerade deshalb, weil ihm selbst die Mittel dazu fehlen oder weil er sich der betreffenden Aufgabe entledigen will. Es stünde nun in Widerspruch zu Inhalt und Zweck des Vertrages, wenn dem Geschäftsbesorger die geschilderten Freistellungsansprüche zuständen. Dies zeigt sich einmal dann, wenn der Geschäftsbesorger verlangen könnte, daß er von einzelnen Vertragspflichten entbunden wird, weil er sich negatorischen Unterlassungsansprüchen Dritter ausgesetzt sieht. Diese Verpflichtungen hatte er gerade vertraglich übernommen. Ferner zeigt sich der Widerspruch zum Vertragszweck, wenn der Geschäftsbesorger fordern könnte, daß der Vertragspartner ihm eine störungsfreie Durchführung der Vertragserfüllung ermöglicht (Anbringung von Vorrichtungen) oder daß er die Folgen seiner Erfüllungshandlungen, die Beeinträchtigung fremden Eigentums, beseitigt. Die Ausführung der übernommenen Aufgabe im einzelnen ist Sache des Geschäftsbesorgers; die mit der Aufgabe verbundenen weiteren Risiken hat er zu tragen. Ob es im Einzelfall gerechtfertigt ist, die ihm infolge der Beseitigung der Beeinträchtigung entstandenen Kosten gem. § 670 zu erstatten 43 , ist eine andere Frage, die es hier nicht zu entscheiden gilt; Thema der vorliegenden Ausführungen ist die Frage, ob dem Geschäftsbesorger die negatorische Haftung abzunehmen ist.
§ 4 Zusammenfassung zu §§ 1-3 A. M i t den Untersuchungen dieses Kapitels sind alle denkbaren Störungsquellen auf das maßgebende Haftungskriterium hin untersucht (s. oben § 1; 10. Kap. 12 b). Damit darf der Störer des § 1004 insgesamt als ermittelt angesehen werden. Nachdem die Störungsquellen, die von einem Grundstück ausgehen (oben 13. Kap.), einer gesonderten Prüfung unterzogen wurden, nämlich Störungen, die von einer Sache ausgehen, ohne daß Handlungen am Störungsvorgang mitwirken, und Störungen, die durch das Zusammenwirken von Sache und Handlung gerade dadurch entstehen, daß die Handlung sich in einem einmaligen A k t erschöpft (Errichtung der Anlage, Ablagerung störender Stoffe), verblieben folgende Störungsquellen (oben § 1 B): bloße Handlungen sowie das Zusammènwirken von Handlung und Sache in der Weise, daß die Sache als Mittel zu einer Tätigkeit verwendet wird (Anlage, Werkzeug) oder daß sie 43
Zum Begriff der Aufwendung iSd § 670 s. MK-Seiler § 670 Rdnr. 6 ff.
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unmittelbar in den fremden Eigentumsbereich gelangt (Ablagerung von Sachen, Einfließenlassen von Abwässern, Errichtung eines Bauwerks). In diesen Fällen erwies sich die Handlung als das Beeinträchtigung und Person verbindende Glied (oben § 3 B). Ist Störungsursache ein bloßes Handeln, ohne daß Sachen beteiligt sind, so ist eine andere Lösung nicht denkbar (oben § 3 Β II). Aber auch in den Fällen, in denen Sachen am Störungsvorgang beteiligt sind, ist die Handlung der entscheidende Ankknüpfungsaspekt für die rechtliche Bewertung (ebd. I). Die Sache für sich genommen bewirkt die Störung nicht. Sie entsteht vielmehr, erst dadurch, daß sie entweder als Mittel zur Durchführung einer Tätigkeit benutzt wird (ebd. 11) oder daß sie in den fremden Eigentumsbereich durch ein Handeln gelangt (ebd. 2). Die Sache selbst als Grundlage der Haftung, die dazu führen würde, daß derjenige negatorisch verantwortlich ist, dem eine dingliche Position daran, als Besitzer oder Eigentümer, zukommt, würde dem Sachverhalt nicht gerecht. Dies zeigt sich, wenn man die Haftung an die dingliche Position binden würde: In Fällen, in denen die Sache als Mittel zur Durchführung einer Tätigkeit verwendet wird (ebd. I I ) , würde derjenige nicht haften, der an der Sache, etwa dem Werkzeug, der Anlage oder dem Musikinstrument, dinglich nicht zuständig ist, aber handelt. Umgekehrt würde jedoch nach § 1004 in Anspruch genommen werden können, wer Eigentümer oder Besitzer der Sache ist. Dies leuchtet nicht ein, da die Sache an sich keine Eigentumsbeeinträchtigungen hervorruft, sondern das Handeln. Demnach muß der Handelnde verantwortlich sein, nicht der dinglich Zuständige. Ebenso ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn störende Sachen auf ein fremdes Grundstück oder in fremde Gewässer gelangen (ebd. 12). In diesen Fällen kann die Sache derelinquiert sein (§§ 856 I, 959 BGB; Beispiele: Unrat auf fremdem Grundstück, Entlassen von Abwässern in fremde Gewässer). Somit fehlt das Verbindungsglied zwischen Beeinträchtigung und Person; auf Grund dinglicher Position scheidet eine Haftung also aus. Da jedoch die Störung durch das Handeln bedingt ist, stellt dieses die Verbindung zwischen Störung und Person her. Folglich muß haften, wer gehandelt hat. — Verbringt ein anderer als der dinglich Zuständige die Sache in den fremden Bereich, ist die Situation zu bewerten wie in dem Falle, in dem eine Sache als Werkzeug benutzt wird (soeben): Störungsquelle ist das Handeln, also muß die negatorische Verantwortung den treffen, der gehandelt hat. Da ohne diese Handlung die Störung nicht entstanden wäre, wäre eine Anknüpfung nur an die dingliche Position dagegen nicht gerechtfertigt. — Handelt der dinglich Zuständige selbst, ist die Rechtslage jedoch nicht anders zu beurteilen; die Sache für sich genommen hätte die , Störung nicht bewirkt, somit muß die Haftung bei der Handlung anknüpfen. Für diese Bewertung der vorliegenden Fälle sind weitere Gesichtspunkte entscheidend: Eine Anknüpfung an die sachenrechtliche Position als solche
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scheidet aus dogmatischen Gründen aus (oben 13. Kap. § 2 B I); Besitz oder dingliche Rechte können keine Ansprüche (hier aus § 1004) begründen, da sie lediglich die Beziehung zwischen Person und Sache festlegen. — Bei einer Einordnung der dinglichen Position als Garantenstellung im Rahmen einer negatorischen Unterlassungshaftung, ähnlich den Grundsätzen, die für Störungen durch den Grundstückszustand gelten (zu § 908 oben 12. Kap. § 6 C V, VI; zu § 1004 oben 13. Kap. § 3), läßt sich eine wertende Beurteilung des Sachverhaltes unter Heranziehung des Abgrenzungskriteriums vornehmen, das zu einer Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen dient: des Schwerpunktes der Vorwerfbarkeit. In Fällen, in denen der dinglich Zuständige selbst handelt, liegt ein Handeln und kein Unterlassen vor; liegt der Fall des Verbringens von Sachen in einen fremden Bereich vor, so ist allerdings denkbar, das Handeln außer acht zu lassen und an die dem Handeln nachfolgende Phase des Nicht-Tuns anzuknüpfen. Doch richtet sich der Vorwurf nicht dagegen, daß der Betreffende es unterläßt, die Sache wegzuschaffen, also etwa den Unrat zu beseitigen oder das Bauwerk abzubrechen, sondern dagegen, daß er die betreffenden Handlungen vorgenommen hat. Handelt ein anderer als der dinglich Berechtigte, so liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit ebenfalls beim Handeln; nicht gereicht es dem dinglich Zuständigen zum Vorwurf, daß er das Handeln des anderen, etwa das Betätigen der Anlage, das Benutzen der Kreissäge, nicht unterbunden hat, sondern dagegen, daß der Handelnde dieses Tun vorgenommen hat. Damit ist in allen Fällen, in denen Störungsquelle nicht ein Grundstück ist und in denen Handlungen allein oder im Zusammenwirken mit Sachen am Störungsvorgang beteiligt sind, die Handlung als der entscheidende Anknüpfungsaspekt der rechtlichen Bewertung anzusehen. Somit ist die Kausalität das die Haftung auslösende Element. B.
Im einzelnen liegen folgende Ergebnisse vor:
I. Es gibt Handlungen, die die Beeinträchtigung unmittelbar hervorrufen, und Handlungen, die die Beeinträchtigung erst mittelbar durch das störende Handeln eines anderen verursachen (oben § 3 C I). — In der ersten Fallrubrik der unmittelbar bewirkten Störungen (ebd. I, II) liegen zwischen Handeln und Beeinträchtigung entweder keinerlei Kausalfaktoren oder aber naturgesetzliche Abläufe. Die zunächst genannte Möglichkeit ist in allen Fällen gegeben (Fallmaterial oben § 2), in denen die Beeinträchtigung in der Handlung selbst liegt; hierher gehören die Fälle des angemaßten Rechts, also etwa des Benutzens eines fremden Weges. Zur zweiten Fallart gehören alle Immissionsfalle; bei Einwirkungen durch Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch, Ruß, Geräusche, Erschütterungen, thermische Wirkungen (s. § 906) sowie durch das Gelangen von körperhaften Immissionen in den fremden Bereich wie Steinbrocken oder Abwässer wirken physikalische und chemische Prozesse an der Entstehung der Beeinträchtigung mit.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
Bei den mittelbar verursachten Störungen (oben § 3 C I, III) bringt das Ersthandeln die Beeinträchtigung nicht hervor, dieses geschieht vielmehr erst auf Grund des Eingriffs eines Dritten. Diese Sachverhalte beschränken sich bei der actio negatoria im wesentlichen auf den Fall, daß der andere im Rahmen eines Vertrages die störende Handlung vornimmt. Bekannt sind die Fälle, in denen der Mieter oder Pächter benachbartes Eigentum stört; kausal hierfür ist (auch) der Vermieter oder Verpächter. Möglich sind ferner störende Handlungen auf der Grundlage von Verträgen, die den unmittelbar Störenden zu einer Tätigkeit (§§611 ff., 662ff., 675 BGB) oder der Herstellung eines Werkes (§§ 631 ff. BGB) verpflichten oder in denen er eine vom Vertragspartner zur Verfügung gestellte Einrichtung (Gaststätte, private Sportanlage oder Schule) benutzt. — Mittelbar verursachte Störungen außerhalb von Verträgen sind denkbar, aber selten; ein Beispiel bildet die Errichtung einer Haltestelle, an der die wartenden Fahrgäste das Anliegergrundstück belästigen. Die beschriebene Unterscheidung in unmittelbar und mittelbar verursachte Störungen oder, anders gesagt, in eigene und hervorgerufene fremde Störungen ist wegen der unterschiedlichen Beurteilung der Haftung auf Grund des Kausalkriteriums bedeutsam (s. oben § 3 C I): 1. Für unmittelbar verursachte Störungen ergibt die Untersuchung, daß der Handelnde auf Grund der äquivalenten Kausalität haftet (ebd. II). Begrenzungen der Haftung mit Hilfe der im Schadensersatzrecht geltenden wertenden Kausaltheorien bedarf es nicht. Für den Unterlassungsanspruch des § 10041 2 besteht für eine Adäquanz- und Normschutzzweckprüfung bereits kein Raum (ebd. 3 b). Der Anspruch setzt voraus, daß die beeinträchtigende Handlung „zu besorgen" ist; mithin ist ein Wahrscheinlichkeitsurteil nötig. Ist die Handlung aber nicht „zu besorgen", steht sie also gar nicht bevor, bedarf es auch nicht der Feststellung, ob die Handlung nach der Lebenserfahrung ganz unwahrscheinlich ist (Adäquanztheorie) oder ob die dadurch bewirkte Beeinträchtigung in den Schutzbereich des § 1004 fallt (Normschutzzwecktheorie). Bei Beseitigungsansprüchen nach § 1004 I 1 ist zu unterscheiden (ebd. 3 c). Unter dem im Schadensersatzrecht bedeutsamen Gesichtspunkt der Entfernung von Ursache und Wirkung (Rechts- oder Rechtsgutverletzung; Beispiel: Herstellung eines gefahrlichen Werkzeugs) besteht für eine Beschränkung der negatorischen Haftung kein Bedürfnis. Liegt die Störung im Handeln selbst (Gehen über ein fremdes Grundstück) oder darin, daß sich auf fremdem Boden bewegliche Sachen (Ablagerung von Unrat) oder Bauten befinden, ist der Aspekt bereits gegenstandslos. Im Falle von Immissionen liegen zwischen ursächlicher Handlung und beeinträchtigender Wirkung naturgesetzliche Kausalabläufe, doch rechtfertigt dieses Dazwischentreten von Faktoren allein eine Haftungsbeschränkung nicht. Überdies ist nach dem heutigen Erfahrungs- und Wissensstand die durch vielfaltige Kausalzusammenhänge und Wechselwirkungen hervorgerufene beeinträchtigende Wirkung emittierter Stoffe regelmäßig
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nicht unwahrscheinlich und außergewöhnlich; auf Grund der Adäquanz müßte der Handelnde also haften. Unter dem weiteren Gesichtspunkt des Haftungsumfangs ist ebenfalls kein Anlaß für eine Begrenzung der Haftung gegeben. Es handelt sich in allen Fällen der zur Beseitigung der Beeinträchtigung notwendigen Maßnahmen um von vornherein überschaubare und inhaltlich bestimmte Haftungsfolgen. Dies ergibt sich ohne weiteres, wenn die Beeinträchtigung im Handeln selbst liegt (Überqueren des fremden Grundstücks) oder im Verbringen von Sachen in den fremden Bereich. Hier hat der Störer weiter nichts zu tun, als seine Handlung abzubrechen oder die Sache wegzuschaffen. Bei Immissionen muß differenziert werden: Liegt die Störung in der Immission selbst (Rauchbelästigungen), muß der Störer lediglich die die Immissionen verursachende Handlung einstellen. Sind Vorrichtungen an den eigenen Sachen zur Verhinderung von Immissionen nötig, ζ. B. zur Filterung der in den Luftraum zu entlassenden Gase, so ist auch dies eine von vornherein absehbare und inhaltlich festliegende Maßnahme zur Erfüllung des negatorischen Anspruchs. Die Rechtslage ist daher anders als im Schadensersatzrecht, wo der Schädiger für nicht kalkulierbare und theoretisch unbegrenzte Folgen einzustehen hat. Nicht anders liegt es, wenn sich die actio negatoria gegen die Folgen der Immissionen richtet, die in der Ablagerung von Stoffen auf dem Grundstück oder Eingriffen in die Sachsubstanz (Mauerwerk, Pflanzen- und Tierbestand) bestehen können. Welche Maßnahmen hier im einzelnen von dem Störer verlangt werden können, ist eine Frage der Interpretation des Beeinträchtigungsbegriffes (oben 10. Kap. 12 a). Doch selbst wenn man diesen Begrifff weit auslegt und darunter auch Substanzverletzungen versteht mit der Konsequenz, daß der Störer Ausbesserungen am gestörten Eigentum vorzunehmen hat, handelt es sich nach Substrat und Ziel der Maßnahme um überschaubare und inhaltlich begrenzte Rechtsfolgen. Daß die Erfüllung des negatorischen Anspruchs unter Umständen hohe Kosten verursacht, also etwa bei Immissionen verhindernden Vorrichtungen, ist kein Gesichtspunkt, der zur Haftungsbeschränkung führt; dies ist selbst im Schadensersatzrecht nicht anders. 2. Anders ist die Haftung in Fällen mittelbar verursachter Störungen zu beurteilen (oben § 3 C III). Hir ist in manchen Fällen eine Haftungsbeschränkung geboten. Auf Grund der condicio sine qua non und der Adäquanztheorie ist der Handelnde grundsätzlich negatorisch verantwortlich. Die Notwendigkeit der Haftungsbeschränkung ergibt sich hier unter Billigkeitsgesichtspunkten allein deshalb, weil die Störung erst infolge des eigenständigen Handelns einer anderen Person eintritt (ebd. 3 a). Dieselbe Problematik stellt sich im Schadensersatzrecht. Sie wird dort nach den Grundsätzen der sog. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs behandelt. Diese Grundsätze sind für die actio negatoria heranzuziehen; für deren Geltung macht es keinen Unterschied, ob es sich um Schäden oder negatorische Beeinträchtigungen handelt. Demnach ist zu prüfen,
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ob zwischen Ersthandeln und rechtswidrigem Erfolg der innere Zusammenhang gewahrt ist oder ob sich das Zweithandeln als ein neuer und selbständiger Geschehensabschnitt darstellt, der dem Erstverursacher bei wertender Beurteilung nicht angelastet werden kann. Wenn beispielsweise der Vermieter dem Mieter vertraglich gestattet, auf dem Grundstück störende handwerkliche Arbeiten vorzunehmen, richten sich Ansprüche aus § 1004 auch gegen ihn. Wenn die Störungen des Mieters dagegen auf dessen rücksichtslosem Verhalten beruhen, haftet der Vermieter nicht. Da die anzuwendenen Grundsätze keine fest definierten Kriterien bieten, sondern lediglich Richtlinien für eine Wertung, lassen sich die Fälle der mittelbar verursachten Störungen nicht einheitlich lösen; es entscheidet der Einzelfall (s. oben § 3 C I I I 3 c bb-gg). II. Anders als im Falle der Grundstücksstörungen (oben 13. Kap.) stellt sich die Frage des Enfallens der Haftung nicht aus dem Haftungsgrund (Besitz) heraus. Theoretisch endet die Haftung bei handlungsbedingten Störungen nicht; das Problem entsteht lediglich in Einzelfallen; einige typische Fallkonstellationen lassen sich insoweit aber feststellen (s. oben § 3 D I I - I V ) . 1. Wenn der Störer auf Grund fremden Handelns haftet und seine verursachende eigene Handlung im Vertragsschluß liegt, kann er den Anspruch aus § 1004, wenn die Beseitigung der Beeinträchtigung nicht Maßnahmen am gestörten Eigentum erfordert, nur dadurch erfüllen, daß er den Vertragspartner an seinem Tun hindert (ebd. III). Dies ist ihm in den untersuchten Fällen dadurch möglich, daß er sich vom Vertrag löst (Kündigung, Widerruf); im Falle von Arbeits-, Dienst- und Geschäftsbesorgungsverträgen sowie des Auftrags kann er auch entsprechende Weisungen (§§ 665, 675 BGB) erteilen. Vermieter und Verpächter dagegen steht teilweise eine Handhabe gegen den störenden Vertragspartner nicht zu. Da sie nur dann verantwortlich sind, wenn sie die Sache zu störendem Gebrauch überlassen haben, stellen die Störungen keinen Kündigungsgrund dar (s. §§ 550, 581 I I BGB). Bei vertraglich festgelegter, noch nicht abgelaufener Miet- und Pachtzeit (§§ 5641,581 II) oder bei Unkündbarkeit (s. § 564 b BGB) sind Vermieter und Verpächter zur Erfüllung der Ansprüche des § 1004 außerstande; nach allgemeinen Unmöglichkeitsregeln erlöschen diese Ansprüche daher. Da sich Mieter oder Pächter allerdings denselben Ansprüchen — als unmittelbare Störer — ausgesetzt sehen, ist denkbar, daß sie zur Aufhebung oder Änderung des Vertrages bereit sind oder aber die gegen sie gerichteten Ansprüche erfüllen, indem sie ihr störendes Verhalten einstellen. In diesen Fällen ist es Vermieter oder Verpächter aus praktischen Gründen möglich, dem gegen ihn gerichteten negatorischen Anspruch nachzukommen. 2. Kein Fall der Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Handelnde, um Ansprüche aus § 1004 zu erfüllen, Vertragsverletzungen begehen muß (ebd. IV 3 a). Denkbar ist dies, wenn die störende Tätigkeit im Rahmen etwa eines Werkoder Dienstvertrages oder eines Auftrages erfolgt. Da der Betreffende seine Handlungen auf Grund der actio negatoria einstellen muß, kann er seine
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vertraglichen Pflichten nicht erfüllen. Die Kollision mit vertraglich begründeten Pflichten führt aber generell nicht zur Unmöglichkeit. 3. Fragen der Befreiung von der Haftung ergeben sich für den Arbeitnehmer, der im Rahmen des Arbeitsvertrages störende Verrichtungen vornimmt. Wenn der Arbeitnehmer, um Störungen zu verhindern, Vorrichtungen am Betrieb des Arbeitsgebers anbringen müßte, entfällt seine Haftung gewöhnlich schon aus Gründen der Unmöglichkeit (oben § 3 D I V 2 b bb bbb). Im übrigen aber kommt der Gesichtspunkt der Unmöglichkeit nicht in Betracht (ebd. ccc); der Arbeitnehmer ist also aus § 1004 verpflichtet. Eine Möglichkeit, ihm die Haftung „abzuerkennnen", besteht nicht. Wo das Problem in der Literatur behandelt wird, wird der Eindruck erweckt, als führte die — dort befürwortete — Haftung des Arbeitgebers für Störungen des Arbeitnehmers dazu, daß der Arbeitgeber an die Stelle des Arbeitnehmers tritt, infolge der Haftung des Arbeitgebers also die Haftung des Arbeitnehmers entfallt (ebd. 2a). Erfüllt der Arbeitnehmer aber die Voraussetzungen des § 1004, dann haftet er, nicht anders als würde er wegen einer unerlaubten Handlung (§ 823 BGB) verantwortlich sein. Dieses Ergebnis ist allerdings nicht billigenswert, da die Störung bei einer Tätigkeit entsteht, die dem Arbeitgeber zugute kommt. Es entsteht hier dieselbe Lage wie in Fällen der Schädigung Dritter durch den Arbeitnehmer. Die für diese Fälle im Arbeitsrecht entwickelten Grunsätze zur sog. gefahrgeneigten Arbeit sind daher auch für die negatorische Haftung heranzuziehen [ebd. IV 2 b bb ccc (2)]. Dem Arbeitnehmer steht also prinzipiell ein interner Freistellungsanspruch zu. Da Ansprüche nach § 1004 nicht in Geldleistungen erfüllbar sind, muß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer entweder die arbeitsvertragliche Verpflichtung erlassen, die störende Tätigkeit vorzunehmen, oder er muß — bei physischer Einwirkung auf das fremde Eigentum — dafür sorgen, daß die Beeinträchtigung beseitigt wird. I m letzteren Falle kann er die Kosten der Aufwendungen teilweise oder ganz vom Arbeitnehmer erstattet verlangen, wenn dieser sich unsorgfaltig oder ungeschickt verhalten hat und ihn daher ein „Verschulden" trifft. Gegen eine Übernahme der im Arbeitsrecht entwickelten Verschuldensabstufungen, die zu einem gerechten Ausgleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer führen sollen, bestehen nicht etwa deshalb Bedenken, weil § 1004 das Verschuldenselement fremd ist. Im Innenverhältnis handelt es sich nicht um eine Haftung aus § 1004, vielmehr richtet sich der interne Ausgleich nach dem zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestehenden Rechtsverhältnis (Arbeitsvertrag). — Anders als bei Verletzungshandlungen, die zu Schäden führen, können Störungen fremden Eigentums notwendigerweise mit der Arbeitsverrichtung verbunden sein. In diesen Fällen können von dem Arbeitgeber Kosten nicht ersetzt verlangt werden, da der Arbeitnehmer die Störungen — im Innenverhältnis — nicht „verschuldet" hat. Wenn dagegen der Arbeitnehmer nach seinen eigenen Dispositionen die Möglichkeit hat, die Verrichtung ohne Störungen vorzunehmen, und wenn er dem Anspruch aus
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
§ 1004 lediglich dadurch nachkommen kann, daß er seine Tätigkeit in störungsfreier Weise ausführt, besteht kein Anlaß für einen Freistellungsanspruch; der Arbeitgeber braucht den Arbeitnehmer dann also von der Pflicht zu der betreffenden Tätigkeit nicht zu entbinden. — Voraussetzungen („Verschulden") und Rechtsfolgen der arbeitsrechtlichen Grundsätze richten sich somit nach dem jeweiligen Fall. 4. Auf andere fremdbestimmte Tätigkeiten außerhalb von Arbeitsverträgen (Werk-, Dienst-, Geschäftsbesorgungsvertrag, Auftrag) sind die Grundsätze der Haftungserleichterung nicht anwendbar (oben § 3 D IV 3 b). Es widerspräche dem Inhalt der übernommenen Tätigkeitspflicht und dem Sinn des Vertrages, wenn der Geschäftsbesorger verlangen könnte, daß er von seinen Pflichten entbunden wird oder daß der Geschäftsherr für die Konsequenzen der übernommenen Tätigkeit aufkommt (Anbau von Vorrichtungen gegen Immissionen, Beseitigung von Beeinträchtigungen). Er hat sich zur Durchführung der Tätigkeit verpflichtet. Zudem schließt der Geschäftsherr den Vertrag gerade, um sich der betreffenden Aufgabe und der damit verbundenen Umstände zu entledigen.
§ 5 Abschließende Betrachtung Aufgrund der Untersuchungen dieses Kapitels steht fest, daß die sich seit den Arbeiten Stolls (1963) und Pickers (1972) abzeichnenden neueren Entwicklungen, die sich gegen eine „Handlungshaftung" und (damit) gegen die Kausalität als Haftungskriterium der actio negatoria wenden, nicht berechtigt sind. Daß es Störungen durch ein Handeln gibt, bedarf an sich keiner Hervorhebung. Dies gilt zumindest für Störungen, die durch ein bloßes Handeln hervorgerufen werden; dazu gehören gerade die „klassischen", seit alters vorkommenden Störungsfalle durch „Rechtsanmaßung", also die Störungen, die die Ausübung einer Dienstbarkeit oder eines Nießbrauchs (servitus, ususfructus) darstellen würden, wenn der Eigentümer dem Betreffenden ein entsprechendes Recht bestellt hätte (s. oben § 2 C). Aber auch außerhalb dieses engeren Bereiches sind Störungen durch Handlungen nicht nur theoretisch denkbar, sondern sie kommen praktisch vor und sind, wie das überlieferte Fallmaterial zeigt, auch vor den Richter getragen worden (s. oben § 2 B). Zu denken ist hier an die zahlreichen Fälle, in denen Störungen des Eigentums durch die in vielfaltigen Formen möglichen Immissionen stattfinden wie Geräuschen oder körperhaften Teilen, etwa Steinen oder Imponderabilien. Daß diese durch ein Handeln, beispielsweise durch lautes Verhalten des Störers oder durch das Betätigen von Werkzeugen oder Anlagen, hervorgerufen werden, läßt sich nicht leugnen. Diese faktisch vorgegebene Sachverhaltslage hat in Literatur und Rechtsprechung auch überwiegend Anerkennung gefunden. Wir hatten gesehen, daß die Kausalität ein in Einzelfallen immer wieder verwendetes Mittel
§ 5 Abschließende Betrachtung
527
der Störerbestimmung darstellt 1 . Die Begriffe der Handlungs- und Zustandshaftung, bei denen wenigstens dem Ausgangspunkt nach ein Handeln und Nicht-Handeln gegeneinander gesetzt werden, zeugen von der Anerkennung der Tatsache, daß es Störungen durch ein Handeln gibt 2 . Wo man sich speziell der Aufgabe widmet, die Probleme der Fälle der „Rechtsnachfolge" und des Naturwirkens zu klären, bei denen ein Handeln nicht gegeben ist oder bei denen es jedenfalls als Anknüpfungsaspekt der Haftung zurücktritt, werden die Störungen, die auf reinem Handeln basieren, von der Störerproblematik ausgeschieden; sie werden als unproblematisch angesehen, offenbar weil nach Ansicht der betreffenden Autoren die rechtliche Bewertung insoweit beim Handeln ansetzen muß 3 . Auch hier wird das Handeln als Grundlage der Haftung also anerkannt. Handeln und Kausalität haben dennoch bisher das Problem der negatorischen Haftungsvoraussetzungen nicht zu lösen vermocht, weil die Störungsfalle insgesamt nicht systematisch erfaßt wurden. Es war bislang nicht geklärt, welche Beeinträchtigungen als auf Handlungen beruhend anzusehen sind; davon legen die Versuche, die Haftungskriterien der sog. Zustandshaftung zu benennen, ein beredtes Zeugnis ab. Da nur die Fälle des reinen Naturwirkens das Vorliegen „menschlicher Handlungen" nicht aufweisen, wird die Kausalität auch im Bereiche der „Zustandshaftung" herangezogen 4. Die genannte Schwierigkeit, die Frage, welche Störungen als auf Handlungen basierend einzuordnen sind, ist mit der Existenz der „Mischfalle" zu erklären, in denen am Störungsvorgang neben einer Handlung auch Sachen beteiligt sind 5 . Hier fehlt es an einer Systematisierung der vorkommenden Fälle des Zusammenwirkens beider Komponenten und der Klärung der Frage, welche der beiden Komponenten für die Haftung ausschlaggebend ist. Im übrigen aber lassen Schrifttum und Judikatur erkennen, daß störende Handlungen als Faktum hingenommen werden und infolgedessen auf das Kausalprinzip nicht verzichtet werden kann. Wie es demgegenüber angesichts des vorgegebenen Fallmaterials zu der Anschauung kommen kann, daß der Handlungshaftung und damit der Kausalität im Rahmen des § 1004 keinerlei Bedeutung zukomme, ist nicht begreiflich. Wir hatten gesehen, daß Stoll, gestützt auf § 985 BGB, annimmt, der „legitime Bereich" der actio negatoria sei die „Zustandshaftung", die „Handlungshaftung" dagegen eine „fragwürdige Rechtfortbildung praeter legem" 6 , eine 1
Oben 3. Kap. § 2; s. auch Larenz, Festschrift Dölle, S. 169, 196-199; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 36 („Tätigkeitsstörer"). 2 Oben 4. Kap. 3 Dazu oben 7. Kap. §§ 3, 4, auch 5. Kap.; s. die Nachw. oben 10. Kap. Fn. 15. 4 Vgl. oben 4. Kap. § 2 A, B. 5 Vgl. oben 10. Kap. I 2 b, auch II; Fallmaterial oben § 2 B. 6 Oben 11. Kap. § 3.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
Anschauung, der etwa zehn Jahre später mehrere Autoren folgen 7 . Pinger (1972) will mit Stoll und im Anschluß an dessen Begründung mit der rei vindicatio eine „einheitliche Zustandshaftung" annehmen, weil auch bei den Fällen, die der Handlungshaftung zugeordnet würden, es nicht auf einen in der Vergangenheit liegenden, durch eine Handlung in Gang gesetzten Kausalverlauf ankomme, sondern darauf, ob im Jetzt-Zeitpunkt die Güterzuweisung gestört sei. Welcher Kausalverlauf den Gegenstand in die jetzige Lage verbracht habe, sei gleichgültig. Die Handlung sei nur „Erscheinungsform" der Beeinträchtigung, nicht aber Haftungsgrund. Die Unterscheidung in Zustands- und Handlungshaftung sei „dogmatisch" bedenklich. Es stelle sich die Haftung aus § 1004 ebenso wie diejenige aus § 985 als eine Zustandshaftung dar, die durch einen Widerspruch zur Güterzuweisung des Eigentums entstehe8. Auch die Ansicht Gurskys (1982), die sich bei ihrer Beweisführung ebenfalls auf § 985 beruft, war bereits geschildert worden 9 ; Gursky meint, die negatorische Haftung sei „immer nur Zustandshaftung", die Anerkennung der „Handlungshaftung" beruhe demgegenüber auf „schwerwiegenden dogmatischen Mißverständnissen" und sie habe eine „schlechthin systemsprengende Wirkung" 1 0 . Dieses offenbar auf Stoll zurückgehende Gedankengut findet sich, wenn auch in Einzelheiten in anderer Form, in der Lehre Pickers (1972) 11 , auch der Auffassung Wetzeis (1971) wieder 12 . Die Ablehnung des Handelns als Grundlage der Haftung und die Interpretation der Störervoraussetzungen als „Rechtsusurpation" (Picker) und „Herrschaft" (Wetzel) 13 sind Ansichten, für die die Ausführungen Stolls den geistigen Boden bereitet haben mögen. Damit ist jede Differenzierung in faktischer und rechtlicher Hinsicht aufgegeben. Nun können auch die genannten Autoren nicht übersehen, daß es Störungen gibt, die auf einem Handeln beruhen. Sie ziehen aber hieraus keine rechtlichen Konsequenzen; sie sehen in der Unterscheidung von Störungen durch Handeln und Sachzustände lediglich „äußere" Distinktionen 14 . Diese Anschauungen ignorieren die faktischen Gegebenheiten. Damit kann auch die Theorie nicht richtig sein. Die genannten Verfasser führen neben dogmatischen Argumenten den hier schon bekannten praktischen Einwand ins Feld, nämlich die „Deliktsähnlichkeit", die § 1004 bei Anwendung der Kausalität erlange 15 und womit offenbar 7
Vgl. ebd. Vgl. ebd.; Pinger S. 188, 191/192. 9 Oben 11. Kap. §3. 10 Staudinger-Gursky § 1004 Rdnr. 71. 11 Dazu oben 6. Kap. § 2. 12 Oben 11. Kap. §3. 13 Oben 6. Kap. (zu Picker), 11. Kap. § 3 (zu Wetzel). 14 Vgl. zu Pinger soeben Fn. 8; zu Picker oben 6. Kap. § 2 A I I 2, Β II. 15 Oben 3. Kap. § 1 Β mit Fn. 26; 6. Kap. § 1 Β mit Fn. 14; 13. Kap. § 5. 8
§ 5 Abschließende Betrachtung
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gemeint ist, die actio negatoria führe auf Grund der Kausalität zu einer Schadensersatzhaftung 16. Wie im Falle der Haftung für störende Grundstückszustände durch Unterlassen 17 hat sich auch bei den in diesem Kapitel untersuchten handlungsbedingten Störungen erwiesen, daß die Kausalität derartige Folgen nicht hat. Dies zeigt sich an den Maßnahmen, die der Störer ergreifen muß, um dem negatorischen Begehren zu entsprechen 18. Die Haftungsfolge der actio negatoria ist mit der Schadensersatzfolge nicht vergleichbar. Der zum Schadensersatz Verpflichtete ist für alle von ihm verursachten Folgen auch außerhalb des am verletzten Recht oder Rechtsgut entstandenen Schadens (Objektschaden) verantwortlich. Der Störer hingegen hat lediglich dafür einzustehen, daß Beeinträchtigungen des Eigentums nicht eintreten werden (§ 1004 I 2) und entstandene Beeinträchtigungen beseitigt werden (§ 10041 1). Die dazu erforderlichen Maßnahmen sind inhaltlich begrenzt und von vornherein absehbar. Hohe Kosten, etwa für Vorrichtungen, die Immissionen verhindern sollen, oder für Maßnahmen, die beispielsweise Ablagerungen auf dem fremden Grundstück beseitigen sollen, sind auch im Schadensersatzrecht nicht problematisch. A n der gegenüber dem Schadensersatz begrenzten Haftung nach § 1004 ändert sich auch nichts bei einem weiten Verständnis des Beeinträchtigungsbegriffes, der Substanzverletzungen mitumfaßt, so daß der Störer zu Reparaturen am verletzten Eigentum verpflichtet wäre 19 . Möglich ist, daß die für Störungen ursächlichen Handlungen zu entfernteren Folgen führen 20 ; dies hat sich in den Fällen der sog. Umweltschäden, insbesondere des „Waldsterbens" gezeigt. In diesen Fällen verursachen Immissionen chemischer Stoffe negative Wirkungen unter verschiedenen, im einzelnen noch nicht erforschten Kausalabläufen. Die Entfernung von Ursache und Folge (Rechtsoder Rechtsgutverletzung) bietet zwar im Schadensersatzrecht Probleme (Beispiel: Herstellung gefährlicher Werkzeuge), es handelt sich dabei aber nicht um spezifische Fragen des Schadensersatzes21. Die besonderen Probleme des Schadensersatzes liegen vielmehr im Haftungsumfang, der eine Konsequenz des weiten Schadensbegriffes (§ 249 S. 1 BGB), nicht der Kausalität ist. — Damit erweist sich das Argument, die Kausalität führe zu schadensersatzähnlichen Rechtsfolgen der actio negatoria („Deliktsähnlichkeit"), auch im Bereiche handlungsbedingter Störungen als unbegründet. Der Weg, den die neuere Wissenschaft zu beschreiten beginnt, wird den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht; er ist daher auch rechtlich-theore16
Oben 13. Kap. § 5. Ebd. 18 Dazu oben § 3 C I I 3 c cc bbb, ccc. 19 Vgl. oben 10. Kap. 12a; 14. Kap. § 3 C I I 3 c cc ccc (3); zur entsprechenden Frage bei zustandsbedingten Störungen s. oben 13. Kap. § 5 mit Verweis auf Einzeluntersuchungen des 13. Kap. in Fn. 10. 17
20 21
Oben § 3 C I I 3b, c bb. Vgl. schon oben 13. Kap. § 5.
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14. Kap. Der Störer bei handlungsbedingten Störungen
tisch nicht gangbar. Überdies schreibt die Wissenschaft der Kausalität Wirkungen zu, die sie nicht hervorruft.
15. Kapitel: Mehrere Störer § 1 Einleitung Beeinträchtigungen können durch mehrere Störer verursacht werden, sei es, daß diese durch ihr Handeln (oben 14. Kap.) oder ein pflichtwidriges Unterlassen (oben 13. Kap.) kausal werden. Hier ist zunächst zu klären, in welcher Weise mehrere eine Beeinträchtigung hervorrufen können, welchen Verursachungsbeitrag sie also zu leisten vermögen (unten § 2). Die verschiedenen Möglichkeiten des Kausalwerdens werden nur im Schadensersatzrecht, nicht für § 1004 besprochen, so daß insoweit auf die dortigen Erörterungen zurückzugreifen ist. Ferner stellt sich die Frage, ob die mehreren Störer als Gesamtschuldner verantwortlich sind, so daß die Haftung dem gestörten Eigentümer gegenüber den besonderen Regeln der §§ 421 ff. BGB unterliegt und des weiteren auch rechtliche Beziehungen der Störer untereinander entstehen (§ 426 BGB) (unten § 3). Schließlich ergeben sich Probleme des internen Ausgleichs, wenn einer von mehreren Besitzern der nach § 1004 bestehenden allgemeinen Sicherungspflicht (oben 13. Kap.) nachkommt und damit auch die Sicherungspflichten der anderen Besitzer erfüllt. In diesen Fällen liegt ein Gesamtschuldverhältnis mangels Ansprüche Dritter (§ 1004) nicht vor; gleichwohl ist zu prüfen, ob das Innenverhältnis nicht der gesamtschuldnerischen Ausgleichsregelung (§ 426 BGB) unterliegt (unten § 4).
§ 2 Verursachungsbeiträge mehrerer Störer A. Kumulative Kausalität Im Schadensersatzrecht wird der Fall erörtert, daß der Schaden durch zwei oder mehrere Ereignisse ausgelöst wird, von denen jedes Ereignis für sich genommen den Schaden nicht herbeigeführt hätte, wohl aber alle Ereignisse zusammen (kumulative Kausalität) 1 . Hier kann bei einem positiven Tun keines der Ereignisse hinweggedacht werden, ohne daß der Erfolg entfiele (condicio sine qua non); bei einem Unterlassen kann das Tätigwerden nicht hinzugedacht werden, ohne daß der Erfolg entfiele. Damit ist jeder Verursacher kausal. Das von Larenz für die Verursachung von Schäden gebildete Beispiel möge hier 1 Vgl. etwa Heck, Schuldrecht, § 14 Ia; Larenz I § 27 l i l a ; Fikentscher § 51 II; die Terminologie ist nicht einheitlich; die Begriffe der kumulativen und alternativen Kausalität werden beide sowohl für den vorliegenden als auch für den im folgenden (unten B) behandelten Fall verwendet; s. nur die hier Genannten jeweils ebd.
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15. Kap. Mehrere Störer
herangezogen werden 2 : Leiten zwei Immittenten Abwässer in einen Fluß, die zu einem Fischsterben führen, und würde die Menge eines Immittenten noch nicht diese Wirkung haben, so setzt jeder der beiden eine für das Fischsterben nicht hinwegdenkbare Bedingung. — Bei einem Zusammenwirken mehrerer Störer in der beschriebenen Weise gilt nichts anderes, so daß grundsätzlich jeder von ihnen gem. § 1004 haftet. Fälle, in denen erst das Zusammenwirken mehrerer den Eingriff hervorruft, mögen allerdings für negatorische Beeinträchtigungen eine geringere Rolle als für Schäden spielen. Dies zeigt das soeben geschilderte Beispiel: Schon das Einleiten von Abwässern eines Immittenten würde eine Beeinträchtigung darstellen; beeinträchtigend wirkt allein das Vorhandensein des fremden Stoffes, nicht erst das Fischsterben. Es kann also sein, daß bei Einwirkungen auf fremdes Eigentum bereits eine Beeinträchtigung gegeben ist, aber noch kein Schaden. In den Fällen des „Waldsterbens" liegen Immissionen mehrerer Immittenten vor (sog. summierte oder kumulierte Immissionen 3 ). Sie sind bisher lediglich unter dem Gesichtspunkt des Schadens behandelt worden 4 . Hier ist denkbar, daß erst das Zusammenwirken der mehreren zu dem Schaden führt, aber noch nicht die Immission eines einzelnen. Ginge es hingegen allein um die störende Immission unabhängig davon, ob sie schädigende Wirkungen hat, so käme es auf den Kumulierungseffekt nicht an. Doch ist es denkbar, daß Immissionen eines Verursachers derart geringfügig sind, daß sie nicht wahrnehmbar sind und daher auch keine Beeinträchtigung darstellen. So liegt es bei Immissionen von Geräuschen, Gerüchen oder etwa Erschütterungen hervorrufenden Tätigkeiten. Hier kann erst die Kumulierung der Immissionen störende Wirkungen entfalten, die einzelne Immission dagegen nicht. Damit ist jeder einzelne Verursacher negatorisch verantwortlich. B. Alternative Kausalität Das Hervorrufen von Beeinträchtigungen ist ferner denkbar in der Weise, daß jeder die Beeinträchtigung hervorrufende Vorgang für sich allein genügt, um zu einer Beeinträchtigung zu führen 5 . Beispiele bilden die soeben genannten (oben A) sog. summierten Immissionen, bei denen mehrere Immittenten das „Waldsterben" hervorrufen. Die Anwendung der condicio-Formel führt bei einem positiven Tun zu dem Ergebnis, daß der Ursachenbeitrag eines jeden Störers hinwegdenkbar ist, der Erfolg aber nicht entfällt; bei einem Unterlassen muß das 2
Ebd. Auch synergistische Immissionen genannt. 4 Vgl. RGZ 167,14,38,39 (der Pfahlrost, auf dem das Gebäude steht, gerät infolge von Tiefbauten und dadurch verursachte Grundwassersenkungen in Fäulnis; Aufopferungsanspruch); BGHZ 66, 70 (Erschütterungen durch Sprengungen zweier Steinbrüche; Entschädigungsklage, § 906 I I 2 BGB); dazu Nawrath NJW 1982, 2361 f.; s. aber BGHZ 72, 289, 298 (zur Frage der Gesamtschuld). 5 So lag es nicht in den Fn. 4 genannten Fällen, s. aber die Bemerkung des BGH in BGHZ 72, 289, 297/298 (zur Frage der Gesamtschuld). 3
§ 2 Verursachungsbeiträge mehrerer Störer
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pflichtwidrige Nichts-Tun eines jeden Störers hinzugedacht werden können, ohne daß der Erfolg ausbleibt. Demnach ist keiner der mehreren Störer kausal geworden, die Haftung träte nicht ein. Dies kann nicht richtig sein. Die Ursachenbeiträge sind nach der condicio-Formel lediglich deshalb nicht kausal, weil der Ursachenbeitrag des jeweils anderen Störers vorhanden ist. Jeder der Beteiligten ist aber für die Beeinträchtigung kausal, weil beide Ursachenbeiträge zusammengenommen nicht hinweggedacht (positives Tun) oder hinzugedacht (Unterlassen) werden können, ohne daß der Erfolg entfiele; die Haftung greift daher ein. Hier reicht die condicio-Formel in ihrer gewöhnlichen Form nicht 6 . Beispiele bieten folgende Fälle: Mehrere Besitzer eines Grundstücks vernachlässigen ihre Sicherungspflicht, so daß etwa die Dachtraufe nicht ordnungsgemäß abgeleitet wird und ständig auf das benachbarte Grundstück fließt. Der Sturm hat einen größeren Ast gelockert, der sich zu lösen und auf das Nachbargebiet zu fallen droht. In Betracht kommen beispielsweise der Pächter eines Grundstücks als unmittelbarer Besitzer und der Verpächter als mittelbarer Besitzer, ferner Wohnungseigentümer, denen Mitbesitz am gemeinschaftlichen Eigentum (s. § 1 V WEG) zusteht. Ein weiteres Beispiel bietet der Fall, daß mehrere Störer Geräuschimmissionen verursachende Handlungen mit Hilfe von Geräten, Werkzeugen und Anlagen verrichten, wobei die Tätigkeit eines jeden schon zu Störungen führt. In diesen Beispielen ist jeder der Unterlassenden oder Handelnden nach § 1004 verantwortlich. C. Hypothetische oder überholende Kausalität (sog. Reserveursache) Ebenfalls aus dem Schadensersatzrecht ist das Problem der hypothetischen oder überholenden Kausalität bekannt 7 . Ihm liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Nach einem die Verantwortung begründenden Ereignis tritt ein zweites Ereignis ein, das die gleichen Folgen hervorgerufen hätte. Dieses zweite Ereignis ist nur deshalb für die Folge nicht kausal geworden, weil diese Folge bereits auf Grund des Erstereignisses eingetreten war (daher: hypothetische Kausalität oder „Reserveursache"). Schulbeispiel ist der Fall, daß jemand eine Fensterscheibe einwirft und wenig später das Haus abbrennt. In diesen Fällen handelt es sich nicht um ein Problem der Kausalität, denn zweifellos hat der Ersthandelnde den Schaden verursacht. Im Schadensersatzrecht entsteht die Frage, ob der Betreffende von der Haftung freikommt, weil der Schaden auch ohne sein Handeln eingetreten wäre. Nach der für die Schadensermittlung notwendigen Differenzhypothese (§ 249 S. 1 BGB) besteht kein Schaden, denn 6 Vgl. auch Heck, Schuldrecht, §14, l b ; Larenz I §27 l i l a ; Fikentscher § 51 I I (Notwendigkeit der Modifizierung der Bedingungsformel). 7 Dazu etwa Heck, Schuldrecht, § 14,1 c, 5; Larenz I § 301; Fikentscher § 55 IV 1; das Gesetz enthält einzelne Fälle der hypothetischen Kausalität: §§ 252 S. 2, 287 S. 2, 848 BGB; sie werden allgemein nicht als Ausdruck eines generellen Gedankens gewertet, s. etwa Heck, Schuldrecht, § 14, 6.
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15. Kap. Mehrere Störer
die Vermögenslage wäre ohne das Ereignis dieselbe. Demnach würde der Ersthandelnde mangels Schaden nicht haften, der Zweithandelnde mangels Kausalität nicht. Da es bei diesem Ergebnis nicht bleiben kann, versucht man, es auf verschiedenerlei Weise zu korrigieren. Es handelt sich also um ein Wertungsproblem 8. Würde man dem Geschädigten den Ersatzanspruch gegen den Erstverursacher versagen, dann würde, wie Heck zu Recht feststellt, der Schaden gerade in dem Versagen des Ersatzanspruches hervortreten 9 . Bei der Lösung des Problems macht der Anspruch wegen des unmittelbar am verletzten Recht oder Rechtsgut eingetretenen Schadens geringere Schwierigkeiten; für diesen wird die Haftung überwiegend bejaht 10 . Zweifelhaft aber ist die Verantwortung hinsichtlich des Vermögensfolgeschadens, da dieser durch den weiteren Geschehensablauf, also auch durch das Zweitereignis, mitbestimmt wird 1 1 . Soweit ersichtlich, sind vergleichbare Probleme im Bereiche der actio negatoria noch nicht aufgetaucht. Parallele Situationen sollen hier nur in ihren Grundzügen geklärt werden. — Zunächst setzt die fragliche Fallsituation voraus, daß bereits Beeinträchtigungen des fremden Eigentums vorliegen (§ 1004 I I ) und diese nicht erst bevorstehen (§ 10041 2). Es müßte also der Fall gegeben sein, daß ein Störer eine Beeinträchtigung verursacht und später ein Ereignis eintritt, das dieselbe Beeinträchtigung herbeigeführt hätte, läge sie nicht schon vor. Hier mag etwa folgendes Beispiel denkbar sein: Der Besitzer des dicht an der Grenze stehenden Hauses hat sein Dach nicht in Ordnung gehalten, so daß sich deshalb Teile davon lösen und auf das Nachbargrundstück fallen. In der Nacht kommt ein ungewöhnlicher Sturm auf, dem auch ein ordnungsgemäß betreutes Dach nicht standgehalten hätte und der — wie Ereignisse in der Nachbarschaft zeigen — mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dieselben Folgen gehabt hätte. Der Grundstücksbesitzer ist infolge seiner unzureichenden Unterhaltung des Hauses zweifellos für die Beeinträchtigung kausal geworden. Er haftet daher gem. § 1004. Während der Schädiger dafür aufzukommen hat, daß das durch das schädigende Ereignis verursachte Defizit im Vermögen ausgeglichen wird, ist § 1004 darauf gerichtet, das Eigentum von der Einwirkung zu befreien; das Eigentum muß den Zustand erlangen, in dem es sich ohne die Einwirkung befand. Dieses Ziel muß der Verursachende unabhängig davon verwirklichen, ob die von ihm geschaffene Einwirkung später ohnehin eingetreten wäre. Die Feststellung der negatorischen Beeinträchtigung verlangt also keine Hypothese darüber, in welcher Lage sich das Eigentum ohne die Einwirkung befände; entscheidend ist das Vorliegen einer Eigentumsbeeinträchtigung. Die im Schadensersatzrecht entstehenden besonderen Probleme wegen 8
Vgl. Heck, Schuldrecht, § 14, l c , 5,6 (Haftung beider analog § 830 BGB); Larenz ebd. Heck, Schuldrecht, § 14, 6. 10 Vgl. Larenz I § 30 I; Erman-Sirp § 249 Rdnr. 43 mit Nachw. aus der Rspr.; Darstellung der Rechtslage bei Fikentscher § 55 IV. 11 Dazu Larenz ebd.; Fikentscher § 55 IV 4. 9
§ 2 Verursachungsbeiträge mehrerer Störer
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des weiteren Vermögensschadens entfallen bei § 1004 ohnehin, da der Störer dafür nicht einzustehen hat. Insoweit bietet der Fall der sog. hypothetischen Kausalität im Bereiche der actio negatoria keine Schwierigkeiten. In den meisten Fällen wird das Problem nicht auftauchen, weil der Hinzutritt weiterer Einwirkungen auf das Eigentum (Zweitereignis) zur Verstärkung oder Vermehrung der Beeinträchtigung führt und nicht dazu, daß das Zweitereignis eine identische Beeinträchtigung hervorruft. Wenn etwa bereits Lärm- oder Geruchsimmissionen durch Fabrikanlagen entstehen und sodann weitere Anlagen in Betrieb gesetzt werden, die zu den gleichen Immissionen führen, dann intensiviert das Zweitereignis die schon vorhandene Immissionsbelästigung, und es ist der Fall der alternativen Kausalität gegeben (oben B), bei der jeder Verursacher kausal wird und damit negatorisch verantwortlich ist. Die Frage, ob der Erstverursacher deshalb nicht haftet, weil der Zweitverursacher die gleichen Beeinträchtigungen hervorruft, stellt sich nicht, eben weil das zweite Ereignis nicht zu identischen Folgen geführt hätte, sondern weitere Folgen hervorgerufen hat. Fraglich ist, wie derjenige, der das Zweitereignis hervorgerufen hat, zu behandeln ist. In dem zuletzt genannten Beispiel stellt sich das Problem nicht, weil er hier die Beeinträchtigung vergrößert hat, Kausalität also gegeben ist; somit haftet er zweifellos. Anders liegt es, wenn er eine identische Beeinträchtigung hervorgerufen hätte, wäre nicht schon das Erstereignis gegeben. In Abwandlung des Beispiels mit dem schadhaften Dach müßte also der Fall gegeben sein, daß das Zweitereignis nicht durch einen Naturvorgang, sondern durch eine Person bewirkt wird. Wegen der erwähnten Lage, daß das Zweitereignis gewöhnlich zur Vergrößerung der Beeinträchtigung führen wird, lassen sich Beispiele schwer konstruieren. Denkbar sind derartige Fälle dann, wenn die Einwirkung zu Substanzverletzungen führt. Die Frage, ob darin noch eine Beeinträchigung zu sehen ist, wurde hier nicht näher behandelt 12 ; richtigerweise wird man aber derartige Fälle als Schäden einordnen. Vertritt man jedoch einen weiten Beeinträchtigungsbegriff, sind als hypothetische Ursache Immissionen denkbar, die z.B. dazu führen, daß Pflanzen eingehen. Verwendet also der Erstverursacher Pflanzenschutzmittel, die die benachbarten Pflanzen angreifen, und verfahrt ein ebenfalls benachbarter Zweitverursacher ebenso, so wird er nur deshalb für ein Eingehen der Pflanzen nicht kausal, weil sie infolge des Ersthandelns bereits eingegangen sind. Zweifellos eine nach § 1004 zu beseitigende Beeinträchtigung stellen Überschwemmungen dar. Führt etwa die Drainage eines Landwirts zur Überflutung des das Wasser aufnehmenden Grabens, so daß Wasser auf benachbarte Gebiete gelangt, und führt wenig später ein anderer Nachbar ebenfalls Überschwemmungen desselben Grundstücks herbei, so wird dieser zweite Nachbar für die Beeinträchtigung nicht kausal, weil sie schon vorhanden ist. — In solchen Fällen muß die negatorische 12
Oben 10. Kap. I 2 a.
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15. Kap. Mehrere Störer
Haftung des Zweitverursachers mangels Kausalität verneint werden. Für eine Teilung der Folgen—etwa nach § 830 BGB analog 1 3 —mag im Schadensersatzrecht Anlaß bestehen, weil es dort um weitreichende Pflichten gehen kann, dagegen nicht bei der actio negatoria. Das Ergebnis lautet also, daß bei sog. hypothetischen Ursachen, soweit sie bei § 1004 denkbar sind, der Erstverursacher haftet, der Zweitverursacher dagegen nicht. In Fällen erst bevorstehender Beeinträchtigungen, etwa auf Grund drohender Handlungen oder auf Grund eines von einem Grundstück ausgehenden (körperhaften) Gefahrenzustandes, die zur Geltendmachung des § 1004 I 2 berechtigen, sind hypothetische kausale Zweitereignisse nicht denkbar. Das Zweitereignis läßt Zweifel an der Verantwortung nur aufkommen, wenn bereits Geschehnisse vorliegen. Hier entfallt die Problematik also ohnehin.
D. Nicht aufklärbare Kausalität (§ 830 I 2 BGB analog) Ebenfalls weniger praktisch mag der Fall sein, daß mehrere Störer als Verursacher der Beeinträchtigung in Betracht kommen, gewiß ist, daß einer von ihnen verantwortlich ist, sich jedoch nicht aufklären läßt, von wem die Störung stammt. Dies ist eine Lage, der sich das Deliktsrecht in § 830 I 2 BGB für den Fall mehrerer potentieller Schädiger angenommen hat. Wiederum stellt sich das Problem nicht für den Präventivanspruch des § 1004 12. Steht eine beeinträchtigende Handlung bevor, muß diese „zu besorgen", also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Dies setzt voraus, daß die Handlung von einer bestimmten Person ausgehen wird. Das Gesetz will mit dem Erfordernis der „Besorgnis" gerade verhindern, daß Unterlassungsansprüche gegen beliebige Personen gerichtet werden, von denen eine Beeinträchtigung nur möglicherweise ausgeht. Handelt es sich um Gefahren physischer Art, also um gefährdende Grundstückszustände, so handelt es sich um sinnlich wahrnehmbare drohende Beeinträchtigungen, bei denen sich die beschriebene Lage der Unaufklärbarkeit ebenfalls nicht ergeben kann. Denkbar ist die betreffende Situation also nur bei bereits eingetretenen Beeinträchtigungen (§ 1004 I 1). Vorstellbar ist etwa der Fall, daß beide benachbarten Häuser ein schadhaftes Dach haben. Finden sich eines Tages Dachteile auf dem gestörten Grundstück und läßt sich an den Teilen nicht erkennen, von wessen Haus sie stammen, so ist sicher, daß die Beeinträchtigung auf einen der beiden Nachbarn zurückführbar ist, ungewiß ist lediglich, auf wen. Bei Immissionen durch Geräusche, Gerüche oder Imponderabilien wird sich der Verursacher in der Regel feststellen lassen, denn wenn mehrere Immittenten vorhanden sind, rühren die störenden Immissionen mit Gewißheit von allen 13
So Heck, Schuldrecht, § 14, 6.
§ 3 Probleme der Gesamtschuld
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Immittenten her. So ist beispielsweise bei Geräuschimmissionen sicher, daß der störende Lärm von Störern stammt, die geräuschvolle Tätigkeiten verrichten 14 . Doch braucht weiteren denkbaren Fällen nicht nachgegangen zu werden. Ist der Fall gegeben, daß die Ursächlichkeit eines von zwei oder mehreren Störern gewiß ist, sich aber der tatsächliche Verursacher nicht ermitteln läßt, so bietet sich die entsprechende Anwendung des § 830 I 2 BGB an, mit der Folge, daß jeder der in Betracht kommenden Verursacher haftet. Sinn der Regelung des § 83012 ist es, dem Verletzten den Beweisnotstand abzunehmen, in den er ohne sein Zutun geraten ist. Das Gesetz bewertet also die Interessen des Verletzten höher als die der potentiell Haftenden; die Unaufklärbarkeit des Hergangs soll zu Lasten der am Ereignis Beteiligten gehen 15 . Da die Lage im Falle einer negatorischen Beeinträchtigung die gleiche ist und die ratio des § 830 I 2 BGB nicht davon abhängt, ob ein Schaden oder eine negatorische Beeinträchtigung verursacht ist, ist die Heranziehung der Bestimmung gerechtfertigt 16 .
§ 3 Probleme der Gesamtschuld A. Problemstellung Sind mehrere gem. § 1004 verantwortlich, wie dies in den besprochenen Fällen der verschiedenen Kausalbeiträge (kumulative, alternative Kausalität) und der Unaufklärbarkeit der Kausalität (§ 83012 analog) der Fall ist (oben § 2), so stellt sich die Frage, ob ein Gesamtschuldverhältnis unter den mehreren Störern entsteht mit den in den §§ 421 ff. BGB speziell bestimmten Folgen; in diesem Falle wäre das Rechtsverhältnis zwischen gestörtem Eigentümer und Störer besonders geregelt, ferner träten die mehreren Störer untereinander in rechtliche Beziehungen. Der Eigentümer könnte also gegen jeden Störer den Anspruch aus § 1004 in vollem Umfang richten (§ 421 S. 1 BGB); kommt ein Störer dem Verlangen nach, erlischt der Anspruch gegen die übrigen Störer (§ 42211BGB). Die Störer untereinander wären ausgleichspflichtig (§ 426 I, I I BGB). Besteht dagegen kein Gesamtschuldverhältnis, greifen diese Folgen nicht ein; der Eigentümer könnte seine negatorischen Ansprüche gegen jeden geltend machen, ohne daß deren Erfüllung prinzipiell Einfluß auf die Existenz der Ansprüche gegen die übrigen Störer hätte. Er könnte ferner nicht etwa Beseitigung der gesamten Beeinträchtigung verlangen, sondern lediglich die Beseitigung des Teils, der von dem jeweiligen Störer verursacht war. Die mehreren Störer wären rechtlich voneinander unabhängig; Ausgleichsansprüche stünden ihnen jedenfalls nicht nach § 426 BGB zu. 14 In BGHZ 66, 70, 76, 77 lag die Schwierigkeit in der Feststellung der Anteile der beiden Immittenten (Steinbruch) am Schaden; dazu Nawrath NJW 1982, 2361 f. 15 Dazu etwa Larenz I I § 74 Ib. 16 Ebenso Westermann § 36 I I 2.
15. Kap. Mehrere Störer
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Es gibt Bestimmungen, die ausdrücklich festlegen, wann eine Gesamtschuld entsteht. So etwa sagt § 8401 BGB 1 , daß dann, wenn mehrere nebeneinander für einen aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Schaden verantwortlich sind, sie als Gesamtschuldner haften. Eine entsprechende Regelung kennt die actio negatoria nicht. Nun liegt zwar die Überlegung nahe, die Vorschrift für den Fall negatorischer Beeinträchtigungen durch mehrere heranzuziehen, weil § 840 BGB den auch in § 1004 gegebenen Fall einer gesetzlichen Haftung betrifft. Doch bietet die Bestimmung keine Hilfe für die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Gesamtschuld bei mehreren Störern gegeben ist, weil sie selbst diese Frage auch für den Fall unerlaubter Handlungen nicht abschließend beantwortet 2 . Gewiß ist danach nur, daß eine Gesamtschuld nur entsteht, wenn mehrere denselben Schaden verursachen, nicht etwa, wenn mehrere verschiedene Schäden desselben Rechts- oder Rechtsgutinhabers hervorrufen. Ferner ist sicher, daß dieser Fall bei Mittäterschaft gem. § 830 I 1 vorliegt, also bei bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mehrerer Täter, bei Anstiftung und Gehilfenschaft gem. § 830 I I BGB und schließlich,wenn der Fall des mittäterschaftlichen Zusammenwirkens gegeben ist oder das Tun mehrerer ohne ein solches Zusammenwirken, sich jedoch nicht ermitteln läßt, wer den Schaden verursacht hat (§ 830 I 2 BGB) 3 . Den Fall aber der sog. Nebentäterschaft, also der Verursachung eines Schadens durch mehrere ohne mittäterschaftliches Zusammenwirken regelt § 840 I BGB nicht 4 . Ob in diesen Fällen ein Gesamtschuldverhältnis anzunehmen ist, läßt sich daher nur den §§421 ff. BGB entnehmen. Zwar heißt es vielfach, diese Vorschriften enthielten keine Aussage darüber, wann eine Gesamtschuld vorliegt 5 . Dies ist jedoch nur in dem Sinne richtig, daß sie, abgesehen von den §§427, 431 BGB, keine gesetzliche Anordnung der Gesamtschuld enthalten wie § 8401 BGB. Die Voraussetzungen der Gesamtschuld lassen sich den §§ 421 ff. BGB dagegen entnehmen6; zudem ist die Anwendbarkeit der Bestimmungen ohnehin von den dort geregelten Rechtsfolgen und der Frage her zu bestimmen, ob deren Eingreifen sinnvoll ist; dies zeigen die Fälle der sog. unechten Solidarität, in denen zwar alle den §§ 421 ff. entnehmbaren Merkmale gegeben sind, aber nur wertend entschieden werden kann, ob es vom Ergebnis her wünschenswert ist, daß die Regeln dieser Vorschriften gelten (Problem der Gleichwertigkeit der Verpflichtungen; s. noch unten Β I ) 7 .
1 Vgl. ferner die §§ 427, 431 BGB selbst, des weiteren §§ 54 S. 2, 419, 769, 2058 BGB, § 25 HGB; zu weiteren Fällen s. Fikentscher § 62 I I 1 b. 2 Für Heranziehung des § 840 BGB dagegen Baur § 12 I I I 3. 3 4 5 6 7
Vgl. Larenz I I § 74 la, II. Dazu Larenz I I § 74 Ia. Vgl. etwa Larenz I § 37 I. Vgl. Larenz ebd. Dazu Larenz ebd.
§ 3 Probleme der Gesamtschuld
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Es bedarf daher für die vorliegende Frage, wann eine Gesamtschuld im Falle mehrerer Störer vorliegt, des § 8401 BGB nicht. Vielmehr sind die Voraussetzungen zu ermitteln, die die §§ 421 ff. BGB an die dort festgelegten Regeln knüpfen.
B. Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Gesamtschuld (§§ 421 ff. BGB) I. Voraussetzungen Die Gesamtschuld setzt voraus, daß mehrere zu einer Leistung verpflichtet sind, daß sie aber inhaltlich dieselbe Leistung schulden oder, anders gesagt, daß sie zur Befriedigung desselben Leistungsinteresses des Gläubigers verpflichtet sind (s. § 421 BGB) 8 . Leistet einer der mehreren, muß das Interesse des Gläubigers — trotz der mehreren Forderungen — erfüllt sein; daher bestimmt § 4221 1 BGB, daß bei Leistung durch einen der Schuldner die Schuld erlischt. Diese beiden Erfordernisse reichen für die Anwendbarkeit der §§ 421 ff. BGB jedoch nicht. Die in § 426 BGB festgelegten Ausgleichsansprüche zeigen, daß es Sinn der Regelung der Gesamtschuld ist, es nicht dem Belieben des Anspruchsinhabers zu überlassen, wer letztlich mit der Leistung belastet bleibt. Vielmehr muß es gerechtfertigt sein, daß die mehreren Verpflichteten die Verpflichtung gemeinsam tragen. Dies setzt aber voraus, daß eine solche Verteilung der Last zu billigen ist und nicht letztlich einer der Verpflichteten die Last allein tragen soll, wie etwa in dem bekannten Dombrandfall, in dem der Träger der Kirchenbaulast des in Brand geratenen Domes dem Schädiger die Schadensersatzpflicht nicht abnehmen soll 9 . Zwar ermöglicht § 426 I BGB im Innen Verhältnis eine ungleiche Verteilung der Pflichten, jedoch nicht vom Prinzip her, sondern nur dann, wenn die Interessenlage dies ausnahmsweise gebietet, beispielsweise weil unter den Gesamtschuldnern vertragliche Abreden bestehen10. M i t Larenz ist also eine „Gleichstufigkeit" oder „Gleichwertigkeit" der Verpflichtungen zu verlangen 11 , ein Erfordernis, das eine wertende Betrachtung der beteiligten Interessen notwendig macht. II. Rechtsfolgen Liegen diese Voraussetzungen, die Verpflichtung mehrerer, Leistungsidentität und Gleichwertigkeit der Verpflichtungen vor, so hat dies die schon erwähnte (oben A) Folge, daß jeder der Verpflichteten den Anspruchsinhaber vollständig 8
Vgl. etwa Larenz ebd. Dazu RGZ 82, 206; dazu Larenz ebd. 10 Vgl. auch Larenz ebd. 11 Larenz ebd.; zustimmend etwa Fikentscher § 62 I I 1 b; die Rspr. verwendet dagegen die Formel von der „Zweckgemeinschaft", die nicht brauchbar ist, wenn die mehreren Schuldner mangels vertraglicher Abrede einen gemeinsamen Zweck nicht verfolgen; s. dazu Larenz und Fikentscher ebd. (mit Nachw. aus der Rspr.). 9
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15. Kap. Mehrere Störer
befriedigen muß, er aber die Leistung nur einmal erhalten kann (§ 421 S. 1 BGB); mit Leistung durch einen der Verpflichteten erlischt der Anspruch (§ 422 I 1 BGB). Die Verpflichtung der Gesamtschuldner untereinander regelt § 426 BGB, und zwar in zweierlei Hinsicht: Die Vorschrift verleiht den Gesamtschuldnern interne Ausgleichsansprüche (§ 426 I, I I BGB), und sie bestimmt, in welcher Höhe der einzelne Beteiligte im Innenverhältnis verpflichtet ist. Befriedigt ein Gesamtschuldner den Gläubiger, so begründet § 4261 1 BGB einen selbständigen Anspruch dieses Gesamtschuldners gegen die übrigen Gesamtschuldner; § 426 I I BGB bestimmt für diesen Fall, daß der Anspruch des Gläubigers auf den betreffenden Gesamtschuldner übergeht (cessio legis). Die genannte Bestimmung der Höhe der Ausgleichsforderung ist in § 426 I 1 BGB festgelegt 12; der Regel nach ist jeder Gesamtschuldner zu gleichen Anteilen verpflichtet, wenn nicht — so §426 I I — „ein anderes bestimmt" ist. Eine solche andere Bestimmung kann aus Gesetz, aus dem zwischen den Gesamtschuldnern bestehenden Rechtsverhältnis oder einer sonstigen zwischen den Gesamtschuldnern gegebenen besonderen Sachlage folgen 13 . Somit kann sich eine ungleiche Quotenverteilung ergeben, die Ausgleichsforderung in voller Höhe bestehen oder aber ganz entfallen 14 ; der Inhalt der Ansprüche nach § 4261, I I richtet sich nach der intern geltenden Verteilung. Befriedigt ein Gesamtschuldner den Gläubiger über seinen internen Anteil hinaus, so steht ihm in dieser Höhe eine Ausgleichsforderung gegen die übrigen Schuldner gem. § 426 I, I I zu. M i t Leistung an den Gläubiger erfüllt der betreffende Gesamtschuldner zugleich die Verpflichtung der übrigen Gesamtschuldner. Aus diesem Aspekt treten neben die speziellen Ansprüche nach § 426 Ansprüche aus allgemeinen Vorschriften.· Wenn eine Vereinbarung der Gesamtschuldner über die Tilgung der Schuld nicht vorliegt (§§ 670,662), entsteht ein Anspruch auf Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§670, 683 S. 1, 677 BGB) 1 5 . Entsprach die Leistung nicht dem Willen der übrigen Gesamtschuldner, besteht ein Anspruch aus Bereicherungsrecht (§81211 2. Fall BGB). Die Höhe dieser allgemeinen Ansprüche richtet sich jedoch nach der zwischen den Gesamtschuldnern bestehenden Anteilsverteilung (§ 426 I 1 BGB) 1 6 .
12 § 426 1 1 hat also zwei Funktionen, er regelt die Verteilung der Lasten und verleiht einen Anspruch, s. auch Fikentscher § 62 I I 2 a. 13
Dazu etwa Fikentscher ebd.; Beispiele bieten die hier zu behandelnden Fälle nach § 1004, s. noch unten C I I 2 b bb ccc. 14
Vgl. Palandt-Heinrichs § 426 Anm. 3 vor a. Der Geschäftsführer kann zugleich ein eigenes und ein fremdes Geschäft führen, s. MK-Seiler § 677 Rdnr. 8. 16 Vgl. Erman-Westermann § 426 Rdnr. 5. 15
§ 3 Probleme der Gesamtschuld
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C. Anwendung der Regeln der Gesamtschuld auf die vorliegenden Fälle I. Voraussetzungen Prüft man die Fälle mehrerer negatorisch Verpflichteter auf die beschriebenen Voraussetzungen hin (oben Β I), so ergibt sich folgendes: 1.
Verpflichtungen mehrerer nach § 1004 sind gegeben (oben §§ 2, 3 A).
2. a) Bei Anwendung der Voraussetzung der Leistungsidentität erweist sich, daß das Erfordernis unscharf ist. Dies zeigt sich schon in dem Bereich, auf den die §§ 421 ff. ersichtlich zugeschnitten sind, nämlich bei Geld- und Warenleistungen. Für die Identität der Schuld oder des Interesses entscheidet teilweise der Gegenstand, der zu erbringen ist, teilweise auch dessen Entstehungsgrund. Ist beispielsweise ein Mietzins wegen der Miete einer Wohnung zu leisten, so kommt es auf den Leistungsgegenstand an. Bei der Kompensation einer Rechts- oder Rechtsgutverletzung durch Schadensersatz entscheidet die eine einheitliche Verletzung, ζ. B. der Blechschaden am Kotflügel eines Pkw oder eine Körperwunde; haben mehrere das Recht oder Rechtsgut mehrfach verletzt, wird die Identität der Schuld bereits zweifelhaft. Bestellt jemand bei zwei Lieferanten die gleiche Ware, um sicher zu gehen, sie zu erhalten 17 , so ist sein Interesse befriedigt, wenn er die Ware von einem der beiden Schuldner erhält; dennoch liegt keine Gesamtschuld vor, da Schuldgrund zwei Verträge sind. b) Nun zur Anwendung der Voraussetzung auf die vorliegenden Fälle einer drohenden oder eingetretenen Beeinträchtigung gem. § 1004, und zwar zunächst zu den Fällen, in denen die Feststellung der Pflichtenidentität keine Schwierigkeiten bereitet. Haben mehrere Besitzer eines Grundstücks es unterlassen, ihrer Sicherungspflicht nachzukommen, und gehen deshalb Gefahren von dem Grundstück aus, so besteht Identität der Verpflichtung. Ebenso liegt es, wenn sich die Gefahr verwirklicht und zu einer Beeinträchtigung führt. Dies kann z.B. dadurch geschehen, daß die mehreren Besitzer es versäumt haben, den sich lockernden Felshang zu sichern, und Steinbrocken auf das darunter liegende Grundstück fallen 18 . — Führt ein Handeln mehrerer zu einer Beeinträchtigung fremden Eigentums, so liegt ebenfalls Leistungsidentität vor, sofern das Handeln einen einheitlichen Beeinträchtigungstatbestand hervorgerufen hat. Vorstellbar ist dies in allen Fällen, in denen Sachen in den fremden Eigentumsbereich gebracht werden, mehrere also dort ihren Schutt abladen oder eine Anlage errichten. 17
Beispiel nach Larenz ebd. Vielleicht nimmt MK-Medicus § 1004 Rdnr. 63 ein Gesamtschuldverhältnis in dem Fall, daß sich die Beitragsanteile der Störer „nicht trennen lassen", an; ders. auch ebd. Rdnr. 74 (zu § 426 BGB); s. ferner L G Hagen NJW 1953,266, wo der Antrag gestellt war, die mehreren Eigentümer eines Hauses, von dem aus Feuchtigkeit durch die gemeinschaftliche Mauer der Häuser drang (Trümmergrundstück), als Gesamtschuldner zu verurteilen; dem Antrag wurde stattgegeben (ohne Ausführungen zur Gesamtschuld). 18
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15. Kap. Mehrere Störer
Führen Handlungen mehrerer jedoch zu unterscheidbaren Beeinträchtigungen, ist eine Identität nicht gegeben. Wenn etwa auf ein Grundstück von zwei benachbarten Steinbrüchen Steinteile fliegen, handelt es sich um verschiedene Beeinträchtigungen. Zweifelsfälle sind hier aber denkbar: So ist nicht klar, ob dann, wenn Entwässerungsarbeiten mehrerer zu einer Grundstücksüberschwemmung führen 19 , eine einheitliche Beeinträchtigung anzunehmen ist oder ob verschiedene Beeinträchtigungen gegeben sind. Die Frage kann von der Voraussetzung der Verpflichtungsidentität nicht abhängig gemacht werden. Entscheidend ist, ob ein Bedürfnis nach den Rechtsfolgen der §§421 ff. BGB besteht. Sind die Verursachungsbeiträge zu unterscheiden, besteht dieses im Außenverhältnis nicht. Dem Eigentümer ist damit gedient, daß jeder Störer seinen Beitrag beseitigt. Im Innenverhältnis ist ein Anlaß für einen Ausgleich nicht gegeben; jeder muß für den von ihm verursachten Anteil aufkommen. Lassen sich die Beeinträchtigungsanteile dagegen nicht auseinanderhalten (Rußablagerungen), so muß Gesamtschuld angenommen werden (s. § 431 BGB). In den Fällen, in denen zur Beseitigung oder Verhinderung von Immissionen die Störer ihre Handlung unterlassen müssen oder in denen sie Vorrichtungen an der eigenen Sache schaffen müssen, liegt eine Identität der Verpflichtung in dem Sinne vor, daß die Auswirkungen auf dem betreffenden Grundstück einheitlich ausfallen, also etwa darin bestehen, daß das Grundstück von einem einheitlich wirkenden Geräusch oder von den das Grundstück überziehenden Rauchschwaden belästigt wird. Trotzdem scheidet eine Gesamtschuld aus. Der gestörte Eigentümer kann die Unterlassung oder Beseitigung der Beeinträchtigung insgesamt nicht von jedem einzelnen Störer verlangen, da jeder Störer nur sein eigenes Verhalten zu lenken vermag. Auch ein Ausgleich unter den mehreren Störern (§ 426 BGB) ist nicht gerechtfertigt; jeder hat für den von ihm verursachten Beeinträchtigungsanteil aufzukommen. Der Eigentümer könnte sich wegen der Störung insgesamt nur dann an jeden Störer einzeln wenden, wenn das Entfallen eines Ursachenbeitrages zur Beseitigung oder Verhinderung der Störung führen würde; dies ist im Falle der kumulativen Kausalität (s. oben § 2 A) denkbar. Abgesehen davon, daß der Fall selten sein wird, besteht aber jedenfalls wiederum kein Anlaß für eine Ausgleichung etwa der entstandenen Kosten für die notwendig werdende Vorrichtung 20 .
19
Vgl. RGZ 21, 298, 300 (Wasserzuleitung in einen privaten Fluß — Emscher in Westfalen — aus je zwei Kohleschächten). 20 Vgl. Brehm JZ 1972,225,2301. Sp. 3. Absatz, der annimmt, daß beim Unterlassungsanspruch ein Gesamtschuldverhältnis nicht denkbar sei; s. ferner Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 15, der generell annimmt, daß der Störer nur in dem Maße haftet, als er an der Eigentumsbeeinträchtigung mitgewirkt hat; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 63: bei einer Mehrheit von Störern habe jeder seinen eigenen Beitrag zu beseitigen; Gesamtschuld nur, wenn sich die Anteile nicht trennen lassen; ebenso RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 85; RGZ 167,14, 39: der Unterlassungsanspruch richte sich gegen die Beklagten insoweit, wie die schädliche Einwirkung des einzelnen reiche (§ 840 BGB wird für den Aufopferungsan-
§ 3 Probleme der Gesamtschuld
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c) Damit liegt das Ergebnis vor, das in manchen Fällen die Voraussetzung der Verpflichtungsidentität zweifelhaft ist. Doch braucht dieses Merkmal hier in theoretischer Hinsicht nicht behandelt zu werden. Das Vorliegen der Gesamtschuld ist anhand der Frage zu beurteilen, ob die Regeln der §§421 ff. BGB passen. Dies ist nur der Fall, wenn mehrere durch das Unterlassen der Sicherungspflicht eine Gefahr oder Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks herbeiführen oder wenn mehrere durch ihr Handeln eine als einheitlich zu beurteilende Beeinträchtigung bewirken (Verbringen einer Sache auf ein fremdes Grundstück). In allen anderen Fällen ist eine Gesamtschuld abzulehnen. 3. In den Fällen, in denen die Einheitlichkeit der Beeinträchtigung bejaht wurde (soeben 2 b, c), ist ferner eine Gleichwertigkeit der Verpflichtungen zu bejahen. Jeder der unterlassenden Besitzer oder der Handelnden ist gegenüber dem gestörten Eigentümer als verantwortlich anzusehen, nicht soll letztlich einer der mehreren die negatorische Verpflichtung tragen 21 . II. Rechtsfolgen 1. Außenverhältnis Soweit eine Gesamtschuld zu bejahen ist, hat dies folgende Konsequenzen im Verhältnis zum gestörten Eigentümer: Er kann von jedem Störer die Beseitigung der Gefahr oder der Beeinträchtigung verlangen (§ 421 S. 1 BGB). Der Bestimmung des § 4221 1 BGB, wonach die Erfüllung eines Gesamtschuldners auch für die übrigen wirkt, bedarf es allerdings nicht. Sind Gefahr oder Beeinträchtigung beseitigt, könnte der Eigentümer schon deshalb nicht mehr gegen die übrigen Verursacher vorgehen, weil es an den Voraussetzungen des § 1004 — Gefahr oder Beeinträchtigung — fehlt 22 . 2. Innenverhältnis a) Die Regelung des § 426 BGB
Nach der Regel des § 42611 BGB (oben Β II) sind die gesamtschuldnerischen Störer untereinander zu gleichen Anteilen verpflichtet. Dies bedeutet, daß spruch herangezogen, s. ebd. S. 38 unten, 39 2. Absatz); RGZ 21, 298, 300 (Urt. v. 4. 4. 1888, preuß. Recht ohne Quellenangabe): gegen jeden einzelnen könne vorgegangen werden. 21 Dazu, daß gem. §426 I 1 eine vom Prinzip der gleichen Anteile abweichende Regelung dem Fall „nahekommt", in dem es an der Gleichstufigkeit fehlt, Larenz I § 37 III. 22 § 424 BGB regelt die Wirkungen des Verzuges; mit einem Anspruch aus § 1004 kann der Störer in Verzug geraten; s. auch Goldmann-Lilienthal-Sternberg S. 374/375 Fn. 18; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 74 aE, Fn. 130 (über § 990 I I BGB); Erman-Hefermehl § 1004 Rdnr. 25 aE (über § 990 I I BGB).
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15. Kap. Mehrere Störer
derjenige Störer, der die drohende oder eingetretene Beeinträchtigung beseitigt und dem Kosten über seinen internen Anteil hinaus entstanden sind, eine Ausgleichsforderung gegen die anderen Störer in Höhe dieses überschießenden Anteils gem. § 42611 geltend machen kann. Haben die mehreren Störer eine Vereinbarung über die Verteilung der Kosten für den Fall getroffen, daß einer von ihnen den Anspruch aus § 1004 erfüllt, so richtet sich die interne Verpflichtung der Störer untereinander nach dieser Abrede; es ist dann im Sinne des § 426 I 1 „ein anderes" bestimmt. Dieser Fall bietet für den internen Ausgleich keine weiteren Fragen; die folgenden Untersuchungen beschäftigen sich daher nur mit Fällen, in denen es an einer besonderen Vereinbarung fehlt. Eine partielle Erfüllung des negatorischen Anspruchs ist zwar in manchen Fällen denkbar, etwa durch Wegschaffung nur eines Teils von Sachen, die im fremden Bereich stören. Doch wird der Störer im allgemeinen den gesamten negatorischen Anspruch erfüllen, so daß er regelmäßig über seine interne Quote hinaus mit Kosten 23 belastet ist und er deshalb gegen die anderen Störer vorgehen kann. Von den beiden gesamtschuldnerischen Ausgleichsansprüchen des § 426 paßt die cessio legis des § 426 I I in den vorliegenden Fällen nicht; der Störer ist — was gesamtschuldnerische Regelungen anlangt — also allein auf den Anspruch aus § 4261 1 angewiesen. Nach § 426 I I geht der Anspruch des Gläubigers auf den leistenden Gesamtschuldner über, soweit er den Anspruch über seinen Anteil hinaus erfüllt hat (s. oben Β II). Doch ist der Anspruch aus § 1004 in den Händen des Störers sinnlos; § 426 I I ist auf Leistung von Geld oder anderen vertretbaren Sachen zugeschnitten. Die Vorschrift ist in den vorliegenden Fällen also unanwendbar. Neben dem Anspruch aus der gesamtschuldnerischen Bestimmung des § 4261 1 greifen Ansprüche aus allgemeinen Vorschriften ein. Ist ein Störer zu den übrigen Störern mit der Erfüllung der actio negatoria betraut worden, so hat er einen Aufwendungsersatzanspruch aus Auftrag (§§ 670, 662). Sonst aber steht ihm ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag zu (§§ 670, 683 S. 1,677) oder, wenn die Maßnahme dem Willen der übrigen Störer nicht entsprach (s. § 683 S. 1), aus Bereicherungsrecht (§ 812 1 1 2 . Fall); diese Ansprüche greifen aus dem Gesichtspunkt ein, daß der Störer mit der Erfüllung eigener negatorischer Pflichten zugleich den gegen die anderen Störer bestehenden Anspruch aus § 1004 erfüllt hat. Diese allgemeinen Ansprüche sind jedoch der Höhe nach dem speziellen Anspruch des § 426 I anzugleichen (s. oben Β II). Diese hier geschilderten Grundsätze gilt es im folgenden für Einzelfalle zu ergänzen (unten b).
23 Entstehen ihm keine Kosten, muß ihm ein Anspruch auf Wertausgleich zugebilligt werden; zur Möglichkeit des Wertausgleiches nach § 426 I s. auch Larenz I § 37 III.
§ 3 Probleme der Gesamtschuld
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b) Anwendung des § 426 auf einzelne Fälle
aa) Mehrere Handelnde Bei mehreren Handelnden wird es gewöhnlich bei der Regel des § 426 I 1 bleiben. Da normalerweise vertragliche Abreden nicht vorliegen, scheidet eine andere Verteilung der Anteile der Kosten auf vertraglicher Grundlage aus. Haben mehrere einen Schaden verursacht, wendet die h. L. für die Bemessung der Anteile § 254 BGB analog an, so daß im Innenverhältnis jeder nach seinem Verantwortungsbeitrag verpflichtet ist 2 4 . Dies kann auch bei der Haftung aus § 1004 gelten; es entscheidet danach der Verursachungsbeitrag.
bb) Mehrere Besitzer aaa) Einleitung
Haben mehrere Besitzer eine Gefahr oder Beeinträchtigung durch Verletzung ihrer Sicherungspflicht verursacht, so können sich Abweichungen vom Prinzip des §426 I 1, anders als in den Fällen des Handelns (soeben aa), auch im Regelfall ergeben, und zwar dann, wenn die mehreren Besitzer hinsichtlich des Eigentums an der Sache nicht auf einer Stufe stehen, also der eine Eigentümer ist, der andere dagegen nicht. In der folgenden Untersuchung werden daher die Fälle, in denen die mehreren Besitzer alle zugleich Eigentümer oder alle zugleich nicht Eigentümer sind, getrennt von den soeben genannten Fällen behandelt, in denen dem einen Besitzer das Eigentum an der überlassenen Sache zusteht, dem anderen Besitzer jedoch nicht (unten bbb, ccc). bbb) Mehrere Besitzer, die hinsichtlich des dinglichen Rechts (Eigentum) auf einer Stufe stehen
Handelt es sich um mehrere Mitbesitzer, die zugleichEigentümer sind, etwa die Gesellschafter einer Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB), einer O H G oder K G , einer Miterbengemeinschaft oder um Wohnungseigentümer, denen Mitbesitz an Grundstück und Gemeinschaftseinrichtungen zukommt (s. § 1V WEG, oben § 2 B), so bleibt es—mangels anderer Vereinbarung — dabei, daß alle zu gleichen Anteilen verpflichtet sind. Ebenso liegt es, wenn es sich um mehrere Besitzer handelt, die nicht auch Eigentümer sind, etwa um mehrere Pächter, Mieter oder Nießbraucher eines Grundstücks. In beiden Fällen stehen also demjenigen Besitzer, der den Anspruch aus § 1004 erfüllt, Ausgleichsansprüche gegen die übrigen Besitzer zu, soweit er Kosten über seine interne Quote hinaus aufgewendet hat (§§ 4261; 670,683 S. 1,677 oder § 81211). 24
Vgl. Larenz I § 37 III; Fikentscher § 62 I I 2 a mit Nachw. aus der Rspr. Es handelt sich um eine Analogie, da § 254 BGB für das Verhältnis von Schädiger und Geschädigtem gilt; für § 1004 liegt eine „doppelte" Analogie vor, da es hier nicht um Schäden geht. 35 Herrmann
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15. Kap. Mehrere Störer ccc) Das Verhältnis von Eigentümer und Besitzer
(1) Einleitung
Ist einer der Besitzer Eigentümer, der andere dagegen nicht, so handelt es sich gewöhnlich um das Verhältnis von mittelbarem und unmittelbarem Besitzer (§ 868 BGB), also etwa um den Fall, daß der Eigentümer sein Grundstück verpachtet (§§ 581 ff. BGB), eine Wohnung in seinem Haus vermietet (§§ 535 ff. BGB) oder daß er einem anderen an seinem Grundstück einen Nießbrauch oder eine Dienstbarkeit bestellt (§§ 1030ff., 1018ff., 1090ff. BGB). Möglich ist aber auch, daß sowohl der Eigentümer als auch der die Sache Übernehmende unmittelbare Besitzer sind, ζ. B. hinsichtlich des von beiden benutzten Gartens. Auf die denkbaren Fallgestaltungen kommt es jedoch im vorliegenden Zusammenhang nicht an; entscheidend für die Frage des Ausgleichs im Innenverhältnis ist die unterschiedliche Berechtigung an der Sache. In diesen Fällen, in denen von den beteiligten Besitzern der eine Eigentümer ist, der andere dagegen nicht, gelten Besonderheiten. Hier ist einmal zu bedenken, daß das zwischen Eigentümer und Besitzer bestehende Rechtsverhältnis Bestimmungen darüber enthält, wer für den Zustand des Grundstücks oder Bauwerks zu sorgen hat; Miete, Pacht, Nießbrauch oder Dienstbarkeit regeln diese Frage (s. §§ 536, 5861,1041 S. 2, 1021, 1022 BGB) 2 5 . Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß dem Eigentümer die vom Besitzer zur Erfüllung negatorischer Ansprüche Dritter vorgenommenen Maßnahmen wie Reparaturen oder die Anbringung von Vorrichtungen zugute kommen. Im folgenden ist daher zu untersuchen, inwieweit sich aus den genannten Gründen Abweichungen von der Regel des § 426 1 1 ergeben. Für diese Frage ist danach zu unterscheiden, ob Eigentümer oder Besitzer, um ihren Pflichten aus § 1004 nachzukommen, Maßnahmen am störenden oder dem gestörten Grundstück vornehmen. Maßnahmen am störenden Grundstück sind notwendig, um der Pflicht zur Gefahrbeseitigung gem. § 100412 zu genügen, aber, wie sich früher schon zeigte 26 , teilweise auch, um bereits eingetretene Beeinträchtigungen zu beseitigen [§ 1004 I 1, Beispiel: Mauerüberhang; dazu unten (2)]. Im letzteren Falle einer schon vorliegenden Beeinträchtigung sind jedoch meist Maßnahmen am gestörten Grundstück erforderlich [dazu unten (3)].
25 Dazu oben 12. Kap. § 6 C I I 2h cc ccc (3) (22) (222). — Nur allgemein zur Möglichkeit, daß mehrere Störer haften: Wolff-Raiser § 87 I 3 mit Fn. 11; MK-Medicus § 1004 Rdnr. 44; Staudinger-Berg § 1004 Rdnr. 24 aE; RGRK-Pikart § 1004 Rdnr. 81-85; in den zu kumulierten Immissionen und der Gesamtschuld öfter zitierten Entscheidungen RGZ 167,14; BGHZ 66,70; 72,289 ging es um Entschädigungsansprüche wegen mehrerer Störer (§ 906 I I 2 BGB, privater Aufopferungsanspruch), hier jedoch ist die Lage wegen der anderen Rechtsfolge des § 1004 grundsätzlich anders; zu den genannten Entscheidungen Nawrath NJW 1982, 2361 mit Literaturnachw. Fn. 6, 11. 26 Oben 13. Kap. § 3 C I I 3c.
§ 3 Probleme der Gesamtschuld
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(2) Maßnahmen am störenden Grundstück
(11) Nehmen Besitzer oder Eigentümer (mittelbarer Besitzer) Maßnahmen am störenden Grundstück vor, so ist für die Frage, inwieweit den Beteiligten Ausgleichsansprüche zustehen, wiederum danach zu differenzieren, ob der Besitzer gegenüber dem überlassenden Eigentümer auf Grund des zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisses zur Unterhaltung verpflichtet ist [unten (22)] oder nicht [unten (33)]. Bei Vorliegen einer solchen Pflicht kommt es ferner darauf an, ob die vorgenommene Maßnahme dieser Pflicht entspricht [unten (22)] oder ob sie außerhalb dieser Pflicht liegt [unten (33)]. Schließlich — drittens — ist entscheidend, ob das betreffende Rechtsverhältnis nichtig ist [unten (44)]. Fehlt es dagegen ausnahmsweise überhaupt an einem Rechtsverhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer, ist also keine, wenn auch rechtlich unwirksame, Abrede getroffen worden, ist derEigentümer nicht (mittelbarer) Besitzer des Grundstücks (§ 868 BGB), so daß er Ansprüchen aus § 1004 nicht ausgesetzt ist und es daher an einem Gesamtschuldverhältnis fehlt; Ausgleichsfragen entstehen hier also nicht. (22) Zunächst zum Fall, daß der Besitzer gegenüber dem Eigentümer, der ihm das Grundstück überlassen hat, zur Unterhaltung verpflichtet ist. Nimmt der Besitzer Maßnahmen am Grundstück zur Erfüllung der gegen ihn gerichteten Ansprüche aus § 1004 vor, so erfüllt er damit gleichzeitig die gegen den Eigentümer bestehenden negatorischen Ansprüche. Entspricht die Maßnahme seinen internen Unterhaltungspflichten, droht beispielsweise der Zaun, sich auf das Nachbargrundstück zu neigen, und gehört die Instandhaltung des Zaunes zu den dem Besitzer gegenüber dem überlassenden Eigentümer obliegenden Pflichten, so kann er vom Eigentümer die entstandenen Kosten gem. § 4261 nicht ersetzt verlangen. In diesem Falle ist im Sinne des § 4261 1 „ein anderes" durch das zwischen den Beteiligten bestehende Rechtsverhältnis bestimmt. Interne Unterhaltungspflicht und die Pflicht gem. § 1004 sind zwar verschiedene Pflichten; dennoch muß die interne Unterhaltungspflicht dazu führen, daß der Besitzer im Innenverhältnis Kosten der Unterhaltung allein zu tragen hat; sie wird ihm — vertraglich oder gesetzlich (Beispiele: §§ 5861,1041 S. 2) — gerade auferlegt, gleichgültig, welchen weiteren Zwecken diese Pflicht dient, sei es nun, daß die Sache für sich genommen in Ordnung gehalten werden oder daß die Pflicht Ansprüche Dritter gem. § 1004 verhindern soll. — Da also die Regel des §426 I 1 insoweit abgewandelt ist, entfallen auch die neben §426 I 1 eingreifenden Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 670, 683 S. 1, 677) oder § 812 I 1 (s. oben Β II). Nimmt, umgekehrt, der Eigentümer Maßnahmen vor, so muß unterschieden werden: Damit erfüllt der Eigentümer einmal — neben seinen eigenen Pflichten aus § 1004 — die negatorischen Pflichten des Besitzers (oben Β II). Insoweit griffen Ansprüche auf anteilige Kostenerstattung gem. §426 I und den konkurrierenden allgemeinen Vorschriften (§§ 670, 683 S. 1; § 812 I 1) ein. — 35*
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15. Kap. Mehrere Störer
Daneben erfüllt der Eigentümer mit der betreffenden Maßnahme die dem Besitzer ihm, dem überlassenden Eigentümer, gegenüber obliegende interne Unterhaltungspflicht. Zwar kommen unter diesem Gesichtspunkt Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht (§§ 670, 683 S. 1, 677), doch stehen ihm diese nicht zu, denn Aufwendungsersatzansprüche zum Zwecke der Selbsthilfe, als die sich die Maßnahme des Eigentumers im Hinblick auf das Rechtsverhältnis mit dem Besitzer darstellt, sind durch die Vorschriften über Leistungsstörungen ausgeschlossen (hier: § 280 BGB) 2 7 . Das gleiche gilt hinsichtlich eines Anspruchs aus § 81211, der anstelle von Ansprüchen aus §§ 670, 683 S. 1 eingreifen würde, wenn die Maßnahme nicht dem Willen des Besitzers entsprach. — Demnach kann der Eigentümer Ausgleichsansprüche lediglich aus dem zunächst genannten Gesichtspunkt der Erfüllung der dem Besitzer obliegenden Pflichten nach § 1004 geltend machen. Nach der Regel des § 42611 muß er also die Hälfte der ihm entstandenen Kosten tragen. Doch kann dieses Ergebnis nicht richtig sein, denn auf Grund des internen Rechtsverhältnisses oblag es dem Besitzer, für eine Unterhaltung des Grundstücks zu sorgen. Daher ist entsprechend dem zuvor besprochenen Fall der Ergreifung von Maßnahmen durch den Besitzer zu entscheiden: Ausgleichsansprüche des Besitzers bestehen in voller Höhe; der Grundsatz der nur anteiligen Pflicht gem. § 426 I 1 wird durch das zwischen den Gesamtschuldnern bestehende besondere Rechtsverhältnis modifiziert. (33) Ist der Besitzer dagegen auf Grund des internen Rechtsverhältnisses zur Unterhaltung nicht verpflichtet (Beispiel: der Mieter, s. § 536 BGB) oder sind Maßnahmen erforderlich, die über die ihm obliegende interne Unterhaltungspflicht hinausgehen, so ist auch hier angesichts des durch das zwischen Eigentümer und Besitzer bestehenden Schuldverhältnisses vom Grundsatz des § 426 I 1 abzuweichen: Dem Besitzer stehen Kostenerstattungsansprüche in voller Höhe zu, und zwar außer gem. den §§ 4261 und 670,683 S. 1 oder 81211 auch Verwendungsersatzansprüche nach § 994 28 . Dementsprechend kann der Eigentümer, wenn er Maßnahmen zur Erfüllung seiner negatorischen Pflichten gem. § 1004 ergreift, Ansprüche gegen den Besitzer (§§ 4261; 670, 683 S. 1 oder 812 I 1) nicht geltend machen. (44) Ist das zwischen den Beteiligten bestehende Rechtsverhältnis nichtig, so fehlt es an einer im Innenverhältnis bestehenden besonderen Regelung der Unterhaltungspflicht. Dennoch gilt das Prinzip der anteiligen Belastung (§ 4261 1) nicht. Hier muß eine Abweichung von der Regel des § 42611 aus dem Aspekt eingreifen, daß einem der Gesamtschuldner keinerlei Rechte am Grundstück zukommen, der andere Gesamtschuldner dagegen Eigentümer des Grundstücks ist. Maßnahmen am störenden Grundstück, etwa Reparaturen, kommen dem 27
Vgl. MK-Seiler § 677 Rdnr. 28. Ansprüche aus §§ 994 ff. BGB stehen auch dem rechtmäßigen Besitzer zu, da er nicht schlechter stehen darf als der unrechtmäßige Besitzer, s. etwa Erman-Hefermehl Vorbem. zu §§994-1003 Rdnr. 5. 28
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Eigentümer zugute. Die beiden unterschiedlichen Positionen, die die Gesamtschuldner an der Sache einnehmen, muß dazu führen, daß das Prinzip der anteiligen Lastentragung gem. § 42611 nicht anzuwenden ist 2 9 . Somit steht dem Besitzer gegen den Eigentümer ein voller Anspruch auf Ersatz seiner Kosten gem. §426 I zu; daneben bestehen auch die Ansprüche aus allgemeinen Vorschriften auf Verwendungsersatz (§ 994) und Geschäftsführung ohne Auftrag oder §812 I l 3 0 . Demgemäß sind — umgekehrt — Ansprüche des Eigentümers aus § 426 I und Geschäftsführung ohne Auftrag oder Bereicherungsrecht (§§ 670, 683 S. 1; 812 I 1) nicht gegeben. (3) Maßnahmen am gestörten Grundstück
(11) Werden Maßnahmen am gestörten Eigentum zum Zwecke der Beseitigung einer Beeinträchtigung vorgenommen [s. oben (1)], so kommt es, wenn der Besitzer intern zur Unterhaltung verpflichtet ist, für den Ausgleich im Innenverhältnis darauf an, ob Ursache der Beeinträchtigung die Verletzung dieser internen Unterhaltungspflicht war. War dieses der Fall, so gelten die oben für den Fall von Maßnahmen am störenden Grundstück dargelegten Grundsätze [oben (2) (22)]: Dem Besitzer stehen, wenn er Beseitigungsmaßnahmen vornimmt, keinerlei Ansprüche gegen den Eigentümer, der ihm das Grundstück überlassen hat, zu, umgekehrt kann der Eigentümer im selben Fall Ersatz seiner Kosten verlangen. Ist Ursache der Beeinträchtigung aber nicht gerade die dem Besitzer obliegende interne Unterhaltungspflicht, weil sie außerhalb des ihn treffenden Pflichtenbereiches lag, so ist der Besitzer berechtigt, von dem Eigentümer Kostenersatz in voller Höhe zu verlangen, und zwar gem. § 426 I, daneben aus §§ 670, 683 S. 1 oder § 812 11 [s. oben (2) (33)]; ein Anspruch aus § 994 entfallt, da der Besitzer Maßnahmen am gestörten Grundstück vornimmt. Entsprechend dieser Lage stehen dem Eigentümer, der dem Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 nachkommt, keinerlei Ausgleichsansprüche gegen den Besitzer zu [oben (2) (33)]. — Oblagen dem Besitzer nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis keinerlei Unterhaltungspflichten (Beispiel: Miete, § 536 BGB), so ist das interne Ausgleichsverhältnis wie die zuletzt geschilderte Rechtslage zu beurteilen: der Besitzer hat Ansprüche auf Kostenersatz, nicht aber der Eigentümer. (22) Handelt es sich um ein nichtiges Rechtsverhältnis, so fehlt es an Regelungen hinsichtlich der Unterhaltungspflicht des Besitzers gegenüber dem 29 Vgl. auch Fikentscher § 62 I I 2 a, der eine anderweitige Bestimmung der Anteilshöhe annimmt, wenn der eine Gesamtschuldner mehr Nutzen aus der Gegenleistung des Gläubigers zieht; s. ferner Esser I § 59 I 2 e mit Rechtsprechungsnachw. zur Abweichung von der Regel des § 426 I 1 wegen der „Natur der Sache". 30 A n sich werden die §§ 994 ff. bei unrechtmäßigem Besitz als abgeschlossene Regelung angesehen, s. Hefermehl oben Fn. 28; dies kann hier jedoch nicht gelten, da die Ansprüche aus allgemeinen Vorschriften hier aus dem Gesichtspunkt heraus eingreifen, daß Ansprüche aus § 1004 erfüllt werden.
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15. Kap. Mehrere Störer
überlassenden Eigentümer. Hier entsteht eine andere Rechtslage als im vergleichbaren Fall, in dem Maßnahmen am störenden Grundstück vorgenommen werden [oben (2) (44)]. Es bleibt bei der Regel des § 426 I 1; Eigentümer und Besitzer können jeweils Ansprüche auf anteilige Kostenerstattung gem. § 4261, daneben aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 670, 683S. 1) oder § 812 I I — beschränkt durch § 426 I I — geltend machen. Der im Falle von Maßnahmen am störenden Grundstück bedeutsame Gesichtspunkt, daß diese Maßnahmen dem Eigentümer zugute kommen und daher eine Abweichung von der Regel des § 426 I 1 geboten ist [oben (2) (44)], greift hier nicht ein. Daß demnach der Besitzer einen Teil der Beseitigungskosten zu tragen hat, ist auch vom Ergebnis her zu billigen. Zwar ist Quelle der Beeinträchtigung ein ihm nicht gehörendes Grundstück; er hat jedoch seine allgemeinen Sicherungspflichten verletzt. Eine interne Entlastung von den Konsequenzen dieser Pflichtverletzung ist nur aus dem besonderen Verhältnis zum Eigentümer gerechtfertigt, etwa weil diesem Reparaturen am störenden Grundstück zugute kommen [oben (2) (44)].
D. Zusammenfassung zu A - C /. Für die Frage, ob mehrere für eine bevorstehende oder bereits eingetretene Beeinträchtigung § 1004 I 2, 1 kausal gewordeine Störer (oben § 2) Gesamtschuldner sind, ist die Voraussetzung der Gesamtschuld, die Verpflichtungsidentität, problematisch. Grundsätzlich entscheidet für deren Vorliegen die Einheitlichkeit der Beeinträchtigung. Doch selbst wenn diese gegeben ist, passen die Rechtsfolgen der §§ 421 ff. BGB in manchen Fällen nicht. Theoretische Auseinandersetzungen mit dem Merkmal der Leistungsidentität erübrigen sich daher. II. 1. Zweifellos liegt ein einheitlicher Störungstatbestand vor, wenn eine von einem Grundstück ausgehende Gefahr oder Beeinträchtigung gegeben ist, die auf Grund der Sicherungspflichtverletzung mehrerer Besitzer eingetreten ist (oben C I 2b). Diese haften dann gesamtschuldnerisch. Der Eigentümer kann jeden Besitzer auf das Ganze in Anspruch nehmen (§ 421 S. 1 BGB; oben C I I 1). Grundsätzlich gilt für den Ausgleich der entstandenen Kosten im Innenverhältnis das Prinzip der gleichmäßigen Lasten Verteilung des §426 I 1; liegt eine Vereinbarung über eine andere Anteilsverteilung vor, so gilt diese (s. § 426 I I ) . Derjenige Besitzer, der den Anspruch aus § 1004 erfüllt hat, kann insoweit gegen die übrigen Besitzer Ausgleichsansprüche nach § 426 I geltend machen, als er Kosten über seinen internen Anteil hinaus aufgewendet hat. Die cessio legis des § 426 I I ist in den vorliegenden Fällen jedoch unanwendbar, da ein auf den Störer übergehender Anspruch aus § 1004 ohne Sinn ist. — Konkurrierende Ansprüche aus allgemeinen Vorschriften (§§ 670, 683 S. 1, 677 oder 812 I 1 2. Fall) sind der Höhe nach dem speziellen gesamtschuldnerischen Ausgleichsanspruch des § 426 I anzugleichen.
§ 3 Probleme der Gesamtschuld
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Sind die mehreren Besitzer nicht zugleich Eigentümer oder aber gleichzeitig Eigentümer, so greift, wenn sie besondere Vereinbarungen nicht treffen, die Regel des § 426 1 1 ein (oben C I I 2b bb bbb). Handelt es sich jedoch um das Verhältnis von Besitzer und Eigentümer, etwa des Verpächters zum Pächter (§ 868 BGB), gelten Besonderheiten (ebd. ccc). Handelt es sich um Maßnahmen am störenden Grundstück, so gilt folgendes [ebd. ccc (2)]: Nimmt der Besitzer Maßnahmen vor und entsprechen diese der ihm gegenüber dem Eigentümer obliegenden Unterhaltungspflicht (Beispiel: § 586 I BGB), so stehen ihm Ausgleichsansprüche (§426 I; §§670, 683 S. 1, 677, 812 I 1) nicht zu; das zugrunde liegende Rechtsverhältnis bestimmt hier eine andere Pflichtenverteilung (§426 I 1 BGB). Umgekehrt kann sich der Eigentümer, ebenfalls in Abwandlung des Grundsatzes des § 42611, wegen seiner Kosten in voller Höhe an den Besitzer halten (§ 4261; §§ 670, 683 S. 1, 677, 8121 1). Besteht nach dem internen Rechtsverhältnis keine Unterhaltungspflicht des Besitzers (Beispiel: Miete, s. § 536 BGB) oder liegt die getroffene Maßnahme außerhalb dieser Pflicht, so stehen dem Eigentümer gegen den Besitzer Ausgleichsansprüche nicht zu, wohl aber dem Besitzer gegen den Eigentümer, und zwar hier auch gem. §994 (§§426 I; 670, 683 S. 1, 677 oder 812 I 1). Ist das Rechtsverhältnis unwirksam, so kann sich der Besitzer wegen seiner Kosten an den Eigentümer halten (§426 I; §§670, 683 S. 1, 677 oder 812 I 1, §994), umgekehrt der Eigentümer aber nicht an den Besitzer; das Prinzip des § 426 I 1 ist hier auf Grund des Gedankens abzuwandeln, daß dem Eigentümer Maßnahmen am eigenen Grundstück zugute kommen. Werden Maßnahmen am gestörten Grundstück wegen einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung vorgenommen [oben C I I 2 b bb ccc (3)], so ist für die Ausgleichsansprüche zwischen Besitzer und überlassendem Eigentümer entscheidend, ob die Ursache der Beeinträchtigung eine durch den Besitzer begangene Verletzung der ihm gegenüber dem Eigentümer obliegenden Unterhaltungspflicht ist. Ist dieses der Fall, gilt das soeben für Maßnahmen am störenden Grundstück Ausgeführte: Ansprüche des Besitzers bestehen nicht, wohl aber Ansprüche des Eigentümers. Ist die Ursache nicht auf eine interne Pflichtverletzung des Besitzers zurückzuführen, weil sie außerhalb des ihm obliegenden Pflichtenbereichs lag, oder aber trafen den Besitzer nach dem mit dem überlassenden Eigentümer bestehenden Rechtsverhältnis keinerlei Unterhaltungspflichten (Beispiel: Miete, s. § 536 BGB), stehen dem Eigentümer Ansprüche gegen den Besitzer nicht zu; die Regel des § 42611 ist hier durch das Innenverhältnis geändert. Der Besitzer dagegen kann Ansprüche geltend machen (§§ 42611 ; 670,683 S. 1,677 oder § 81211 ; § 994). — Bei einem nichtigen Rechtsverhältnis bleibt es im Falle von Maßnahmen am gestörten Grundstück, anders als bei Maßnahmen am störenden Grundstück, bei dem Grundsatz des § 42611 mit der Konsequenz von Ausgleichsansprüchen nach gleichen Anteilen. A n einem besonderen, diesen Grundsatz modifizierenden Schuldverhältnis fehlt es; der bei Maßnahmen am störenden Grundstück eingreifende Gedanke, daß
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15. Kap. Mehrere Störer
dem Eigentümer die zur Erfüllung der Ansprüche aus § 1004 getroffene Maßnahme zugute kommt, ist hier gegenstandslos, da es um Beseitigung von Beeinträchtigungen am fremden Grundstück geht. 2. Eine Gesamtschuld ist ferner gegeben, wenn durch Handlungen mehrerer eine einheitliche Beeinträchtigung entsteht (Beispiel: Abladen einer Sache auf fremdem Grundstück; oben C12b). Besonderheiten im Innenverhältnis (§ 4261 1) ergeben sich hier gewöhnlich nicht (oben C I I 2b aa). III. In Fällen, in denen die Störer ihre Handlungen einstellen müssen oder in denen jeder an seinen Sachen Vorrichtungen anbringen muß, um Immissionen zu verhindern, passen die Regeln der §§421 ff. BGB nicht (oben C I 2b). Der Eigentümer kann nicht von jedem Unterlassung oder Beseitigung der gesamten Beeinträchtigung verlangen, weil jeder Störer nur sein eigenes Verhalten lenken kann. Der Eigentümer muß daher jeden Störer wegen seines Beitrags in Anspruch nehmen. Ein Ausgleich im Innenverhältnis (§ 426 BGB) ist nicht gerechtfertigt, da jeder Störer seinen Verantwortungsbeitrag zu tragen hat. IV. Bei einer Kumulierung von Eingriffen in das Eigentum (§ 1004 I I ) kann das Vorliegen einer einheitlichen Beeinträchtigung zweifelhaft sein (oben C I 2b). So liegt es, wenn durch Immissionen mehrerer dieselbe Art der Beeinträchtigung entsteht. Beispiele sind Überschwemmungen auf Grund von Bewässerungstätigkeiten mehrerer, das Gelangen von Steinbrocken zweier benachbarter Steinbrüche auf ein Grundstück oder Rußablagerungen durch mehrere Betriebe. Auch hier muß die Praktikabilität der §§ 421 ff. BGB entscheiden. Es genügt, wenn der Eigentümer jeden für den von ihm verursachten Anteil in Anspruch nimmt; auch intern hat jeder seinen Beitrag zu tragen. Sind die Anteile allerdings nicht zu unterscheiden, so muß eine Gesamtschuld angenommen werden (§ 431 BGB). Jeder der Störer haftet in diesem Falle auf das Ganze, intern aber zu einem gleichen Anteil (§ 426 I I ) . § 4 Probleme des internen Ausgleichs außerhalb der Gesamtschuld A. Problemstellung Besitzen mehrere ein Grundstück, ein Bauwerk oder ein Bauwerksteil (Wohnung), so trifft alle Besitzer kraft der Besitzposition eine allgemeine Sicherungspflicht (oben 13. Kap. § 3 Β III). Diese Sicherungspflicht begründet aber keine Gesamtschuld gegenüber dem außenstehenden Eigentümer, denn die §§ 421 ff. BGB setzen eine echte Verpflichtung mehrerer gegenüber einem Dritten voraus, die nach § 1004 bestehende Sicherungspflicht ist aber nur allgemeiner und nicht einklagbarer A r t 1 . Führt jedoch ein Besitzer Maßnahmen durch, um seiner negatorischen Sicherungspflicht zu genügen, stellt sich die Frage, inwieweit er sich wegen der ihm entstandenen Kosten an die anderen Besitzer halten kann. Nach § 4261 kann sich der interne Ausgleich mangels einer 1
Vgl. oben 13. Kap. §3 Β I I I 4.
§ 4 Interner Ausgleich außerhalb der Gesamtschuld
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echten Verpflichtung im Außenverhältnis nicht richten. Ausgleichsansprüche greifen daher nur nach allgemeinen Vorschriften ein: Da der Besitzer, der Maßnahmen an der potentiell störenden Sache vornimmt, die allgemeinen Sicherungspflichten auch der anderen Besitzer erfüllt, stehen ihm Ansprüche auf Ersatz seiner Kosten aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 670,683 S. 1,677) oder, wenn die Maßnahme dem Willen der übrigen Besitzer nicht entspricht, aus Bereicherungsrecht (§ 812 I 1 2. Fall) zu. Im einzelnen gestaltet sich die Rechtslage unterschiedlich danach, ob die mehreren Besitzer zugleich Eigentümer sind oder aber nicht Eigentümer (s. schon oben § 3 C I I 2 b bb bbb) oder ob es sich um das Verhältnis von Eigentümer und Besitzer handelt (ebd. ccc). Stehen die mehreren Besitzer hinsichtlich des Eigentums an der Sache auf einer Stufe und wird einer von ihnen tätig, so steht ihm ein Anspruch auf Ersatz seiner Kosten in voller Höhe zu (§§ 670, 683 S. 1, 677 oder § 812 I 1). Dieses Ergebnis ist unbefriedigend; gerechtfertigt wäre eine Verteilung der Kosten nach gleichen Anteilen, so daß der betreffende Besitzer sich nur insoweit an die anderen halten dürfte, als er Aufwendungen über seinen Anteil hinaus erbracht hat. Handelt es sich um das Verhältnis von Eigentümer und Besitzer, so gilt folgendes: Ist der Besitzer zur Unterhaltung verpflichtet (Beispiele: Pacht, § 586; Nießbrauch, § 1041 S. 2) und entspricht die vorgenommene Maßnahme der internen Unterhaltungspflicht, so kann der Besitzer Ansprüche aus allgemeinen Vorschriften grundsätzlich geltend machen (§§ 670,683 S. 1,677 oder § 81211). Allerdings greifen sie im Ergebnis nicht ein. Denn zwar sind die internen Unterhaltungspflichten des Besitzers, z.B. nach § 586 im Falle der Pacht, von den Pflichten des die Sache überlassenden Eigentümers (im Beispiel des Verpächters) nach § 1004 zu unterscheiden, das heißt der Eigentümer hat einen Anspruch auf Unterhaltungsmaßnahmen auf Grund des internen Rechtsverhältnisses mit dem Besitzer, nicht aber auf Vornahme von Maßnahmen zwecks Erfüllung seiner eigenen negatorischen Pflichten durch den Besitzer. Dennoch wäre es treuwidrig, wenn der Besitzer Kosten ersetzt verlangen könnte wegen eben der Maßnahmen, die er ohnehin hätte vornehmen müssen. Ansprüche auf Kostenersatz sind ihm daher zu versagen (§ 242 BGB). — Der Eigentümer seinerseits dagegen kann sich, wenn er die Sicherungspflicht wahrnimmt, an den Besitzer in voller Höhe seiner Kosten halten. — Beide Ergebnisse sind zufriedenstellend, da der Besitzer auf Grund der internen Regelung die Kosten für die betreffende Maßnahme tragen soll. — Ebenso liegt es, wenn die vorgenommene Maßnahme außerhalb der Verpflichtung des Besitzers liegt oder ihn nach dem zugrunde liegenden Verhältnis keinerlei Unterhaltungspflichten treffen (Beispiel: Miete, s. § 536 BGB). Die für den Besitzer eingreifenden Ansprüche nach den §§ 670, 683 S. 1, 677 oder 812 I 1 sind gerechtfertigt. Die dem Eigentümer grundsätzlich ebenfalls zustehenden Ansprüche sind im Ergebnis zu verneinen aus dem soeben bei Unterhaltungspflichten des Besitzers hinsichtlich dessen Ansprüche angeführten Gedanken: Da dem Eigentümer im
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15. Kap. Mehrere Störer
Innenverhältnis die Vornahme der betreffenden Maßnahme obliegt, kann er nicht deswegen entstandene Kosten vom Besitzer ersetzt verlangen. — Auch in dieser Fallkonstellation sind die Ergebnisse gerechtfertigt. Keine befriedigende Lösung aber ergibt sich, wenn das zwischen Eigentümer und Besitzer bestehende Rechtsverhältnis unwirksam ist. Hier kann auch der Eigentümer Ansprüche wegen seiner Kosten geltend machen, obwohl er diese, da ihm die Maßnahmen am eigenen Grundstück zugute kommen, tragen müßte. Während § 426 I 1 es gestattet, diesen Billigkeitsgesichtspunkt rechtlich zu verwerten [s. oben § 3 C I I 2 b bb ccc (2) (44)], ist eine Korrektur des Ergebnisses im Rahmen allgemeiner Ansprüche nicht möglich. B. Konsequenzen /. Diese Darlegungen zeigen, daß die Anwendung allgemeiner Vorschriften teilweise zu unbefriedigenden Ergebnissen führt. Dies gilt generell, wenn die mehreren Besitzer hinsichtlich des Eigentums auf einer Stufe stehen. Es gilt ferner dann, wenn es sich um das Verhältnis von Eigentümer und Besitzer handelt und das zugrunde liegende Rechtsverhältnis nichtig ist. Es bietet sich daher an, § 426 I 1 auch in den vorliegenden Fällen der Erfüllung der allgemeinen Sicherungspflicht einheitlich auf alle Sachverhaltsgestaltungen anzuwenden. Die Vorschrift ist ein geeignetes Instrument zur Verteilung von Pflichten, von denen mehrere im Außenverhältnis (allgemeine Sicherungspflicht gem. § 1004) betroffen sind, einer der mehreren sie aber erfüllt. Die Bestimmung ermöglicht es, die Beteiligten im Normalfall mit gleichen Anteilen zu belasten, zum anderen bietet sie eine dogmatische Handhabe, um eine der besonderen Sachlage entsprechende Verteilung vorzunehmen; die vorgeführten Lösungen zeigen, daß für eine derartige Regelung in den vorliegenden Fällen ein praktisches Bedürfnis besteht. Darüber hinaus ist eine Analogie aber auch dogmatisch gerechtfertigt. Die unmittelbar von § 426 vorgesehene Lage, wonach einklagbare Pflichten gegenüber Dritten entstanden sein müssen, hier also gem. § 1004 (dazu oben § 3 C I I 2 b bb), ist der vorliegenden Situation vergleichbar. Der Unterschied liegt nur darin, daß die im Außenverhältnis bestehende allgemeine Sicherungspflicht dem Dritten keine Ansprüche verleiht; die Besitzer aber sind gleichwohl zur Erfüllung dieser Pflicht gehalten. Es ist aus diesem Grunde gerechtfertigt, daß, wenn einer der Verpflichteten dieser Pflicht nachkommt, eine Ausgleichsregelung eingreift, wie §426 I sie enthält. Die Vorschrift ist daher für die Fälle der Wahrnehmung der allgemeinen Sicherungspflicht heranzuziehen. Die cessio legis des § 426 I I ist dagegen nicht anwendbar; sie erwies sich schon bei Vorliegen einer echten Gesamtschuld als unpassend (oben § 3 C I I 2 a); sie ist es hier bereits deshalb, weil Ansprüche des Dritten, die übergehen könnten (§ 1004), nicht existieren. II. Aus der analogen Anwendbarkeit des § 426 I für den hier behandelten Fall ergibt sich folgendes: Stehen die Besitzer hinsichtlich des Eigentums auf
§ 4 Interner Ausgleich außerhalb der Gesamtschuld
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einer Stufe, so gilt das oben zur Gesamtschuld Ausgeführte (§ 3 C I I 2 b bb bbb): Es greift die Regel des § 42611 der Verpflichtung nach gleichen Anteilen ein; der tätig gewordene Besitzer kann sich an die anderen also nur insoweit halten, als er mit Kosten über seine interne Quote hinaus belastet ist. — Handelt es sich um das Verhältnis von Eigentümer und Besitzer, so gelten die Ausführungen, die zur gesamtschuldernischen Ausgleichshaftung gemacht wurden, und zwar, da es hier um Maßnahmen geht, die Gefahren und Beeinträchtigungen verhüten sollen, gerade die Darlegungen hinsichtlich von Maßnahmen am störenden Grundstück [oben § 3 C I I 2b bb ccc (2)]. Dies bedeutet: Ist der Besitzer zur Unterhaltung verpflichtet und entspricht die Maßnahme dieser Pflicht, so stehen ihm Ausgleichsansprüche gegen den Besitzer nicht zu, der Eigentümer kann sich aber an den Besitzer halten; das interne Rechtsverhältnis bestimmt hier „ein anderes" (§ 4261 1 analog). Ist der Besitzer im Innenverhältnis nicht unterhaltungspflichtig (Beispiel: Miete, s. § 536 BGB) oder liegt die getroffene Maßnahme außerhalb seines Pflichtenbereichs (s. z. B. § 1041 S. 2 BGB), so kann der Besitzer Ansprüche in voller Höhe geltend machen (§§ 670, 683 S. 1, 677 oder § 812 11; § 994), nicht jedoch der Eigentümer. — Ist das zugrunde liegende Rechtsverhältnis nichtig, hat der Besitzer, abweichend vom Prinzip des § 42611, Ansprüche in voller Höhe (§426 I, §§670, 683 S. 1, 677 oder §812 I 1; §994), da dem Eigentümer entsprechende Maßnahmen zugute kommen; dem Eigentümer dagegen stehen keinerlei Ansprüche zu (§ 426 I 1 analog).
16. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse I. Die vorliegenden Untersuchungen ergeben, daß Haftungskriterium des § 1004 I die Kausalität ist, und zwar in den Formen des Handelns und des Unterlassens. Die Unterlassungshaftung gründet sich auf den Besitz an Grundstücken; dieser verpflichtet dazu (Garantenstellung), das Grundstück in einem solchen Zustand zu halten, daß Gefahren und Beeinträchtigungen (§ 1004 12,1) fremden Eigentum vermieden werden. Diese Sicherungspflicht ähnelt der „Verkehrssicherungspflicht", die im Bereiche unerlaubter Handlungen (§ 823 I BGB) die Verantwortlichkeit für Schäden begründet, die von den eigenen Sachen ausgehen („Sach- und Gefahrbeherrschung"). II.
Im einzelnen liegen folgende Ergebnisse vor:
1.
Zunächst zur Haftung kraft Unterlassens 1:
a) Die Sicherungspflicht 2 des Besitzers von Grundstücken 3 bezieht sich auf die Beschaffenheit von Grund und Boden, die darauf befindlichen Gebäude und Anlagen sowie die dort lagernden Stoffe. Die Pflicht entsteht mit Besitzerlangung 4 . Im Falle des Präventivanspruches des § 100412 hat sie die Verhinderung drohender Gefahren zum Gegenstand, im Falle des Beseitigungsanspruches des § 1004 I 1 die Verhinderung von Beeinträchtigungen; Mängel und sonstige Zustände des Grundstücks, die zu Gefahren oder Beeinträchtigungen fremden Eigentums führen können, sind also zu verhüten 5 . Die Pflicht ist der Rechtsqualität nach allgemeiner und nicht einklagbarer Art wie alle Handlungspflichten im Rahmen einer Unterlassungshaftung 6. Die Ursache der auftretenden Mängel und Zustände ist gleichgültig. Sie kann in der Benutzung des Grundstücks, seiner Anlagen und Gebäude liegen, dem natürlichen Verfall, Eingriffen Dritter und Naturvorgängen. Die Pflicht, Gefahren und Beeinträchtigungen zu verhindern, die auf Naturvorgängen (Wetter) beruhen, geht nicht dahin, Vorsorge für alle denkbaren Naturereignisse zu treffen; der Besitzer muß den an der Grenze stehenden gesunden Baum also nicht etwa befestigen, damit dieser bei Sturm nicht entwurzelt wird und auf das Nachbargrundstück fallt. Der Inhalt der Sicherungspflicht wird insoweit 1 2 3 4 5 6
Oben 13. Kap. § 3. Ebd. Β III. Ebd. II, ferner 12. Kap. § 6 C V 2, V I 3 C (zu § 908). Oben 13. Kap. § 3 Β I I I 2. Ebd. 3. Ebd. I I I 4.
16. Kap. Zusammenfassung der Ergebnisse
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mitbestimmt durch die allgemeine Auffassung über die Maßnahmen, die zu einer ordnungsgemäßen Instandhaltung eines Grundstücks gehören. Entstehen aber durch Naturereignisse Gefahrenzustände, so hat der Besitzer entsprechende Vorkehrungen zu treffen; ist der Baum also entwurzelt, so hat er ihn gegen ein Hinüberfallen zu sichern. Wie bei allen Handlungspflichten muß eine Gelegenheit gegeben sein, dem Gebot nachzukommen. Wird beispielsweise der Baum durch den Sturm entwurzelt und fallt er sogleich auf benachbartes Gebiet, so entsteht der Beseitigungsanspruch gegen den Eigentümer nicht (§ 100411). Verwirklicht sich hingegen nur der Ge/aAre«tatbestand, ohne daß vorher Gelegenheit bestand, diesen zu verhindern, wird etwa der Baum entwurzelt und droht lediglich hinüberzufallen, so ist der vorbeugende Anspruch des § 1004 I 2 gleichwohl gegeben. Hier sind allgemeine Sicherungspflicht und echte Rechtspflicht juristisch zu unterscheiden; die allgemeine Sicherungspflicht bleibt auch bei Verwirklichung der Gefahr bestehen; es widerspräche dem Sinn des § 1004 I 2, wollte man den Anspruch verneinen, weil zur Verhinderung der Gefahr keine Gelegenheit bestand. Bei Katastrophen, also Unglücksfallen (Explosion), außergewöhnlichen Naturvorgängen und Krieg, besteht die Sicherungspflicht im Rahmen des § 10041 2, sie wird jedoch nicht, wie gewöhnlich, sofort „fallig", vielmehr ist dem Besitzer zuzubilligen, Maßnahmen dann zu ergreifen, wenn die Umstände dies zulassen (§ 242 BGB). Hingegen entfallt die Sicherungspflicht bei bereits eingetretenen Beeinträchtigungen (§ 100411), da der Besitzer nicht die Möglichkeit zu deren Verhinderung hatte. Somit ist der Präventivanspruch gem. § 100412 prinzipiell gegeben, nicht jedoch der Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung gem. § 10041 1. b) Die beschriebene Sicherungspflicht trifft der Besitzart 7 nach den Eigenund Fremdbesitzer (§ 872 BGB), den unmittelbaren und mittelbaren Besitzer (§ 868 BGB), den Besitzer auf Grund Besitzdienerschaft (§ 855 BGB), Teil- und Mitbesitzer (§§ 865, 866 BGB) sowie den Erbbesitzer (§ 857 BGB), sofern er Kenntnis von seinem Erbe hat. Der Fall der Haftung kraft Teil- und Mitbesitzes wird etwa praktisch für den Wohnungseigentümer hinsichtlich des Grundstücks und der Einrichtungen, die nicht in seinem Sondereigentum (Wohnung) stehen (s. § 1 WEG). Der Grundgedanke der Haftbarmachung des Besitzers ist § 908 BGB (§§ 836 ff. BGB) 8 entnommen; er liegt darin, daß der Besitzer über eine ausreichende Sachbeziehung verfügt, die ihn in die Lage versetzt, die Sicherungspflicht wahrzunehmen. Inwieweit die verschiedenen Besitzarten des BGB dem Besitzer die Zugriffsmöglichkeit auf Grundstück und Anlagen eröffnen, ist im einzelnen 7 8
13. Kap. §3 Β II. Oben 12. Kap. § 6 C I I 2h bb.
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16. Kap. Zusammenfassung der Ergebnisse
dargelegt 9. Die Zugriffsmöglichkeit des mittelbaren Besitzers (§ 868 BGB) hängt bei wirksamem Rechtsverhältnis von dessen jeweiliger Gestaltung ab (Vermietung, Verpachtung, Nießbrauchsbestellung etc.) 10 , bei unwirksamem Rechtsverhältnis besteht sie über Herausgabeansprüche nach den §§ 985 und 812 BGB 1 1 . c) Die negatorische Verantwortlichkeit greift ein, wenn die Vernachlässigung der Sicherungspflicht (Unterlassen) für Gefahr oder Beeinträchtigung kausal ist 1 2 . Es genügt die Feststellung der condicio sine qua non; eine Beschränkung der Haftung durch wertende Auswahl unter den Kausalfaktoren mit Hilfe der im Schadensersatzrecht entwickelten Kausaltheorien (Adäquanz-, Normzwecktheorie) erübrigt sich 13 . Im Schadensersatzrecht stellt sich das Problem der Haftungsbeschränkung wegen der Weite des Schadensbegriffes, der alle im Gefolge der Rechts- oder Rechtsgutverletzung entstehenden Vermögenseinbußen umfaßt (s. § 249 S. 1 BGB). Demgegenüber ist die negatorische Haftung inhaltlich begrenzt; die Rechtsfolge des § 1004 ist auf Beseitigung von drohenden Gefahren und von Beeinträchtigungen gerichtet, sie liegt also nach Substrat (Eigentum) und Ziel (Eigentumsfreiheit) fest. Dies gilt selbst bei einem weit verstandenen Beeinträchtigungsbegriflf, der auch Substanzverletzungen erfaßt mit der Folge, daß der Störer Reparaturen am gestörten Eigentum vornehmen muß 1 3 a . Ferner besteht hinsichtlich des Haftungsumfangs zwischen dem Präventiv- und dem Beseitigungsanspruch (§ 1004 I 2, 1) prinzipiell kein Unterschied 14 ; nicht verlangt der Beseitigungsanspruch vom Störer etwa weitergehende Maßnahmen, so daß die beiden Varianten des § 10041 wegen der Reichweite der Haftung einer differenzierten Beurteilung unterlägen. § 100412 fordert Maßnahmen am störenden Grundstück, § 1004 I 1 kann Maßnahmen sowohl am störenden (Mauerüberhang) als auch — wie meist — am gestörten Grundstück fordern; im letzteren Falle liegt der Unterschied somit nur im Substrat der Maßnahmen. Die Beseitigung der Beeinträchtigung (§ 1004 I I ) kann geringere Aufwendungen verursachen als die Beseitigung der Gefahr (§ 100412) und umgekehrt. Die Höhe der Kosten, die im Einzelfall beträchtlich sein kann, ist für sich genommen kein Grund, um Beschränkungen der Haftung herbeizuführen; dies ist auch im Schadensersatzrecht nicht der zur Begrenzung der Haftung führende Gesichtspunkt. d) aa) Die Haftung gem. § 1004 I 2 endet 15 regelmäßig mit Besitzbeendigung, da der Besitzer dann zur Gefahrenbeseitigung nicht mehr in der Lage ist 9
Ebd. 2 h cc bbb-hhh. Ebd. ccc (3) (22) (222). 11 Ebd. (3) (33) (222). 12 Oben 13. Kap. § 3 Β IV. 13 Ebd. IV 2c bb, cc, dd. 13a Vgl. oben 10. Kap. I 2a, auch 1. Kap. I I 1. 14 Ebd. cc ddd. 15 Oben 13. Kap. §3 C H 3 b. 10
16. Kap. Zusammenfassung der Ergebnisse
559
(Gedanke der Unmöglichkeit, s. § 908 BGB). Für die Haftung nach § 100411 16 kommt es darauf an, welche Maßnahmen zur Erfüllung des Beseitigungsanspruches notwendig sind. Muß der ehemalige Besitzer Eingriffe am störenden Grundstück vornehmen (Beseitigung des Mauerüberhangs), endet die Haftung wie im Falle des § 100412. Muß er aber Maßnahmen am gestörten Grundstück vornehmen, ist ihm dies auch nach Besitzaufgabe möglich; er haftet somit. Doch ist es für diesen Fall gerechtfertigt, seine Verantwortung nach § 836 I I BGB analog zu begrenzen 17; der der Vorschrift zugrunde liegende Gedanke, daß mit fortschreitender Zeit und dem Wechsel der Besitzer der Nachweis der Sicherungspflichtverletzung immer schwieriger wird, trifft auf den negatorischen Beseitigunganspruch ebenso wie auf den Schadensersatzanspruch nach § 836 I BGB zu. Der wegen Gebäudegefahren negatorische Ansprüche verleihende §908 BGB, dessen Haftungsvoraussetzungen auf den §§836 ff. basieren, verzichtet nur deshalb auf die Regelung des § 836 I I BGB, weil in seinem Falle — entsprechend der eben beschriebenen Situation nach § 1004 1 2 — eine Weiterhaftung nach Besitzverlust ohnehin ausscheidet. — Somit entfällt der Beseitigungsanspruch gem. § 100411 ein Jahr nach Besitzende oder dann, wenn der Nachfolger die Beeinträchtigung hätte verhindern können. bb) Ist der Besitzer nicht zugleich Eigentümer und sind zur Erfüllung der Ansprüche aus § 1004 Eingriffe am störenden, für den Besitzer fremden Eigentum nötig (§ 823 BGB), so erlöschen die allgemeine Sicherungspflicht und die Ansprüche verleihenden Pflichten aus § 1004 nicht etwa aus Gründen rechtlicher Unmöglichkeit 18 . Zum einen kann es sein, daß der Besitzer zu derartigen Eingriffen berechtigt ist, weil er auf Grund des zwischen ihm und dem überlassenden Eigentümer bestehenden Rechtsverhältnisses zur Unterhaltung des Grundstücks verpflichtet ist (Beispiele: Pacht, § 586 BGB; Nießbrauch, § 1041 S. 2 BGB) und die betreffende, zur Erfüllung des § 1004 erforderliche Maßnahme der Erfüllung der Unterhaltungspflicht gleichkommt. In anderen Fällen (Beispiel: Miete, s. § 536 BGB) kann der Eingriff auf Grund Einwilligung des Eigentümers, der dem Anspruch aus § 1004 als mittelbarer Besitzer ebenfalls ausgesetzt ist, rechtmäßig sein. Im übrigen aber ist der Eingriff durch § 1004 generell gerechtfertigt; andernfalls bestünden zwei einander widersprechende gesetzliche Pflichten (§§ 823, 1004 BGB). Ein Ausgleich im Innenverhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer richtet sich nach den Regeln der Gesamtschuld (§ 42611 BGB), die durch Vereinbarungen beider Beteiligter modifiziert werden (sogleich unten 5). e) Der Wortlaut des § 1004 I 2 paßt in den vorliegenden Fällen der von einem Grundstückszustand drohenden Gefahr nicht. Es geht nicht um das „Unterlassen" einer störenden Handlung, sondern um die Beseitigung der sich 16 17 18
Ebd. 3 c. Ebd. 3e. 13. Kap. § 3 Β I I I 5 (zur Sicherungspflicht), C I I I (zu Ansprüchen aus § 1004).
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16. Kap. Zusammenfassung der Ergebnisse
physisch auswirkenden Gefahr. § 1004 will jedoch vor allen Beeinträchtigungen schützen, die nicht unter § 985 fallen. Der Wortlaut ist also zu eng gefaßt; ihm kommt ohnehin keine große Bedeutung zu 1 9 . 2.
Wer durch sein Handeln stört, ist kraft Kausalität verantwortlich 20 .
a) Die — bevorstehende oder eingetretene — Beeinträchtigung kann unmittelbar oder mittelbar verursacht sein 21 . Bei unmittelbar hervorgerufenen Beeinträchtigungen liegen zwischen dem ursächlichen Handeln und dem rechtwidrigen Erfolg entweder keinerlei Kausalfaktoren (Gehen über fremdes Grundstück) oder naturgesetzliche Abläufe (Immissionen). Bei den mittelbar bewirkten Beeinträchtigungen führt die kausale Ersthandlung allein noch nicht zur Störung, diese wird vielmehr erst durch das Handeln einer anderen Person bewirkt, für das aber das Ersthandeln kausal ist. Die beiden Fälle lassen sich auch als eigenes und verursachtes fremdes störendes Handeln bezeichnen. Das verursachte fremde Handeln beruht meist auf Vertragsschlüssen. Hier gibt es einige typische Fallgestaltungen, so das störende Verhalten des Mieters oder Pächters, des Arbeitnehmers, Werkunternehmers oder Beauftragten auf der Grundlage der entsprechenden Verträge. Mittelbar hervorgerufenes fremdes Handeln außerhalb von Vertragsschlüssen ist selten (Beispiel: störendes Verhalten von Fahrgästen an einer Omnibushaltestelle). In den Fällen unmittelbarer Störungen haftet der Handelnde auf Grund der von ihm gesetzten äquivalenten Bedingung 22 . Eine Haftungsbegrenzung mit Hilfe der Kausaltheorien ist hier ebensowenig notwendig wie im Falle störender Grundstückszustände (oben 1 c) 2 3 . Es gilt das dort Ausgeführte: Anders als im Schadensersatzrecht, in dem das Zurechnungsproblem auftaucht, ist die Haftung nach § 1004 I inhaltlich begrenzt; der Störer hat lediglich dafür einzustehen, daß Beeinträchtigungen nicht entstehen werden oder daß das Eigentum von eingetretenen Beeinträchtigungen befreit wird. Dagegen stellt sich das Zurechnungsproblem in den Fällen mittelbar verursachter Störungen unter dem Gesichtspunkt, daß erst der Zweithandelnde die Störung hervorruft 2 4 . Unter wertenden Aspekten ist es hier nicht in allen Fällen gerechtfertigt, den Ersthandelnden dafür aufkommen zu lassen. Die Frage ist nach den im Schadenersatzrecht geltenden Grundsätzen der sog. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs zu beurteilen 25. Danach kommt es darauf an, ob zwischen Erst- und Zweithandeln ein innerer Zusammenhang gegeben ist; in diesem Falle 19 20 21 22 23 24 25
Vgl. oben 3. Kap. § 4 Β II. Oben 14. Kap. 14. Kap. § 3 C I. Ebd. II. Ebd. I I 3. Ebd. I I I 3 a. Ebd. 3 a und b.
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haftet der Ersthandelnde. Stellt sich das durch das Zweithandeln bewirkte Ereignis hingegen als ein neuer und selbständiger Geschehensablauf dar, ist es dem Erstverursacher nicht anzulasten. Das Problem läßt sich nur im Einzelfall lösen 26 , da die zur Unterbrechung des Kausalzusammenhangs entwickelten Kriterien keine inhaltlich fest umgrenzten Maßstäbe darstellen, sondern lediglich Richtlinien für eine wertende Beurteilung. Ein Beispiel für die Anwendung dieser Kriterien geben die bekannten Vermieter- oder Verpächterfalle 27 . Die innere Beziehung von Vertragsschluß und störendem Verhalten des Mieters oder Pächters ist gewahrt, wenn diesem die Sache zu störendem Gebrauch überlassen war (Verpachtung einer Gaststätte), dagegen nicht, wenn Mieter oder Pächter sich nur rücksichtslos verhalten (nächtlicher Radiolärm). b) Einen besonderen Problembereich bieten Störungen, die der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Arbeitsverrichtungen verursacht. aa) Der Arbeitgeber haftet für den Arbeitnehmer gem. § 1004 28 . Hier liegt nach den eben genannten Grundsätzen (oben a) eine „Unterbrechung" durch das eigene Handeln des Arbeitnehmers nicht vor, wenn die Störung einen Zusammenhang mit der dem Arbeitnehmer aufgetragenen Verrichtung aufweist; dagegen ist ein eigenständiger, dem Arbeitgeber nicht zuzurechnender Geschehensablauf gegeben, wenn der Arbeitnehmer die Störung nur aus äußerem Anlaß der Arbeit vornimmt (Bauarbeiter werfen Bierdosen auf das benachbarte Grundstück). Die §§ 278, 831 BGB können für die Beurteilung der Haftung des Arbeitgebers für das Fremdhandeln nicht analog herangezogen werden, da ihre Voraussetzungen nicht passen. § 278 BGB setzt ein Schuldverhältnis zwischen Haftendem (Arbeitgeber) und Drittem (Eigentümer) voraus, § 831 BGB verlangt Verschulden des Geschäftsherrn (Arbeitgeber); letzteres bezieht sich zwar nicht auf die Störung selbst, doch würde bei Anwendung des § 831 das Verschuldenserfordernis im Ergebnis in § 1004 hineingetragen und die negatorische Haftung auf diese Weise beschränkt werden; § 831 ist insofern auf das Verschuldensprinzip der unerlaubten Handlungen zugeschnitten. Die stattdessen heranzuziehenden Grundsätze der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs decken sich jedoch mit dem Grundgedanken der §§ 278,831 BGB insofern, als auch dort eine Verantwortung für das fremde Verhalten nur besteht, wenn der Zusammenhang zwischen aufgetragener Verrichtung und das den rechtswidrigen Erfolg herbeiführende Tun gegeben sein muß (keine Haftung für Verhalten nur „bei Gelegenheit"). bb) Der Arbeitnehmer ist für sein störendes Handeln gem. § 1004 verantwortlich 2 9 ; diese gesetzlich entstehende Verpflichtung kann ihm nach allgemeinen Prinzipien, nicht anders, als hätte er sich deliktisch verhalten, nicht 26 27 28 29
Vgl. einige typische Fälle ebd. 3 c. Ebd. 3 c bb. Ebd. 3 c ee. Ebd. § 3 D IV 2.
36 Herrmann
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16. Kap. Zusammenfassung der Ergebnisse
aberkannt werden. In manchen Fällen entfällt die Haftung aus Gründen der Unmöglichkeit; dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer zur Verhinderung der Störung Vorrichtungen im Betrieb anbringen müßte, eine Maßnahme, die ihm der Arbeitgeber gewöhnlich nicht gestattet 30 . Im übrigen aber kommt dem Arbeitnehmer ein Freistellungsanspruch nach den im Arbeitsrecht bei Schädigungen Dritter entwickelten Grundsätzen zur gefahrengeeigneten Arbeit zu 3 1 . Der Grundgedanke, daß der Arbeitnehmer von den ihn belastenden Folgen seiner Arbeitsverrichtungen zu befreien ist, weil diese dem Arbeitgeber zugute kommen, trifft ebenso auf negatorische Beeinträchtigungen zu. Wenn die Arbeit notwendigerweise mit Störungen verbunden ist, ist jener Gedanke sogar noch eher berechtigt als in seinem ursprünglichen Anwendungsbereich der Schädigungen Dritter. Der Heranziehung der Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit steht nicht etwa entgegen, daß danach der interne Ausgleich nach dem Verschuldensgrad des Arbeitnehmers zu erfolgen hat, § 1004 das Verschulden jedoch fremd ist. Bei dem Freistellungsanspruch geht es nicht um einen Anspruch nach § 1004, vielmehr ist Grundlage dieses Anspruchs das besondere, zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestehende Innenverhältnis (Arbeitsvertrag), für das eigenständige Grundsätze gelten. Voraussetzungen und Rechtsfolgen der arbeitsrechtlichen Prinzipien sind aber zu modifizieren. Da § 1004 nicht auf Geldersatz gerichtet ist, muß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer grundsätzlich entweder von der arbeitsvertraglichen Pflicht zur Vornahme der störenden Tätigkeit entbinden oder für die Beseitigung der eingetretenen Beeinträchtigung sorgen. War die Störung notwendig mit der Arbeitsverrichtung verbunden, hat der Arbeitgeber die für die Beseitigung entstandenen Kosten vollständig zu tragen. War die Beeinträchtigung dagegen vermeidbar und hat der Arbeitnehmer sich nur unsorgfaltig oder ungeschickt verhalten, kann der Arbeitgeber die Kosten ganz oder zum Teil, je nach dem im Innenverhältnis zu beurteilenden „Verschuldensgrad", vom Arbeitnehmer erstattet verlangen. Genügt es für die Beseitigung oder Unterlassung der störenden Tätigkeit, daß der Arbeitnehmer nur seine Arbeitsweise ändert, besteht kein Anlaß, ihm die Pflicht zur Vornahme der Verrichtung zu erlassen; der Arbeitnehmer braucht sich dann künftig nur störungsfrei zu verhalten. c) Die genannten arbeitsrechtlichen Grundsätze gelten für fremdbestimmte Tätigkeiten außerhalb von Arbeitsverträgen nicht 32. Es besteht kein Anlaß, dem selbständigen Dienstnehmer (§§ 611 ff. BGB), dem Werkunternehmer (§§ 631 ff. BGB), Geschäftsbesorger (§ 675 BGB) und Beauftragten (§§ 662 ff. BGB) die negatorische Haftung intern abzunehmen. Anders als der Arbeitnehmer suchen diese für einen anderen tätigen Personen die jeweilige Tätigkeit aus und 30 31 32
Ebd. 2 b bb bbb. Ebd. 2 b bb ccc. Ebd. 3 b.
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563
bestimmen die Einzelheiten ihrer Durchführung selbständig. Darüber hinaus würden interne Freistellungsansprüche Inhalt und Zweck des Vertrages widersprechen: Ein Anspruch auf Entbindung der Pflicht zur Vornahme einzelner Handlungen würde im Widerspruch zu der gerade von dem Betreffenden übernommenen Pflicht stehen. Zudem überträgt der Geschäftsherr das Geschäft gerade deshalb auf einen anderen, um sich von der Aufgabe zu entlasten; würde er nun für deren störungsfreie Wahrnehmung sorgen müssen, indem er Vorrichtungen an der Sache des Geschäftsbesorgers zur Störungsverhinderung anzubringen hätte oder eingetretene Beeinträchtigungen beseitigen müßte, so obläge ihm doch die Sorge für die Durchführung der Tätigkeit. d) aa) Anders als bei grundstrücksbedingten Störungen ist das Entfallen der Haftung kraft Handelns nicht an den Haftungsgrund (Besitz) gebunden. Theoretisch besteht die Haftung unbegrenzt. Es gibt allerdings einzelne typische Fallgestaltungen, in denen die Frage der Unmöglichkeit auftaucht. bb) Da eigene Handlungen gewöhnlich lenkbar sind, tritt der Fall der Unmöglichkeit hier in der Regel nicht ein 3 3 . Wenn der Störer Immissionen im eigenen Interesse nicht durch Einstellung seiner störenden Handlung, sondern durch Anbringung von Vorrichtungen verhüten will, so kann dies technisch und wirtschaftlich aufwendig sein; diese Tatsache führt nicht zur Unmöglichkeit, eben weil die Störung verhinderbar ist, wenn auch nicht auf die vom Störer gewünschte Weise (s. aber § 906 I I 2 BGB, § 14 BImSchG). cc) Bei mittelbar verursachten Beeinträchtigungen kann der Störer dem negatorischen Begehren nur dadurch entsprechen, daß er das Tun des anderen verhindert 34 . Gelingt ihm dies durch tatsächliche Einflußnahme auf den Vertragspartner nicht, muß er sich von dem Vertrag lösen. Steht ihm eine rechtliche Handhabe nicht zur Seite, weil die Vertragsdauer zeitlich festgelegt ist und ein Kündigungsgrund nicht besteht (s. zum Dienstvertrag: §§ 6201, II, 626; zu Miete und Pacht: §§ 564 I, II, 564b, 581 II, 584 BGB), so erlischt der Anspruch aus § 1004 aus Gründen rechtlicher Unmöglichkeit. In vielen Fällen wird der mittelbare Störer jedoch zur Erfüllung der actio negatoria imstande sein, weil sich der Vertragspartner auf Grund seines eigenen störenden Handelns ebenfalls Ansprüchen des § 1004 ausgesetzt sieht; kommt er dem negatorischen Begehren nach, so ist damit auch der gegen den mittelbaren Störer gerichtete Anspruch erfüllt. Möglich ist ferner, daß der störende Vertragspartner zur Änderung oder Aufhebung des Vertrages bereit ist. dd) Wer eine störende Tätigkeit im Rahmen entsprechender Verträge (Werk-, Dienst- und Geschäftsbesorgungsvertrag sowie Auftrag) für einen anderen ausführt und zur Erfüllung negatorischer Ansprüche Dritter die betreffende Handlung nicht mehr vornehmen kann, begeht unter Umständen eine Vertragsverletzung. Diese hat jedoch keine Unmöglichkeit der Ansprüche 33 34
36*
Ebd. D II. Ebd. D III; auch C I I I 3 c hh.
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16. Kap. Zusammenfassung der Ergebnisse
aus § 1004 zur Folge, wie generell der Verstoß gegen Vertragspflichten nicht zur Unmöglichkeit anderer Pflichten führt 3 5 . Der Betreffende muß die Konsequenzen seiner Vertragsverletzung vielmehr auf sich nehmen. 5. a) Beruht die Störung auf dem ursächlichen Verhalten (Sicherungspflicht oder Handeln) mehrerer Störer 36 , so kommt eine gesamtschuldnerische Haftung in Betracht 37 . Diese führt im Verhältnis zu dem gestörten Eigentümer dazu, daß er jeden Störer auf das Ganze in Anspruch nehmen kann (§ 421 S. 1 BGB); den Störern-untereinander stehen Ausgleichsansprüche gem. § 426 I zu, nicht aber gem. § 426 II, da ein auf den Störer übergehender Anspruch aus § 1004 ohne Sinn ist. Daneben ergeben sich Ansprüche aus allgemeinen Vorschriften, bei Beauftragung eines Störers mit der Erfüllung des § 1004 aus §§ 670, 662, sonst aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 670, 683 S. 1, 677) oder, wenn die Maßnahme dem Willen der übrigen Störer nicht entspricht, aus § 81211 2. Fall. Der Regel des § 426 1 1 nach sind alle Störer zu gleichen Anteilen verpflichtet; dem der actio negatoria entsprechenden Störer steht demgemäß ein Anspruch insoweit zu, als ihm Kosten über seinen internen Anteil hinaus entstanden sind; konkurrierende allgemeine Ansprüche sind der speziellen Regelung des § 42611 anzupassen (Höhe der Ansprüche). Haben die mehreren Störer eine Vereinbarung über die interne Verteilung der Pflichten aus § 1004 getroffen, so gilt diese (s. § 426 I 1). b) aa) Eine Gesamtschuld ist gegeben, wenn mehrere Besitzer ihrer Sicherungspflicht nicht nachkommen und daher Gefahren oder Beeinträchtigungen für fremdes Eigentum entstehen38. Stehen die mehreren Verpflichteten besitzrechtlich auf einer Stufe, handelt es sich also um mehrere Besitzer, die zugleich Eigentümer sind oder die nicht zugleich Eigentümer sind 3 9 , so gilt die Regel des § 426 I 1 BGB; sie haften im Innenverhältnis zu gleichen Anteilen; wer die Beseitigung der Gefahr oder Beeinträchtigung also vorgenommen hat, kann einen entsprechenden Anteil seiner Kosten verlangen. Praktische Beispiele bieten die Fälle mehrerer Pächter, Wohnungseigentümer hinsichtlich der Gemeinschaftseinrichtungen (s. § 1 WEG), Gesellschafter einer Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB) oder mehrerer Miterben (§§ 2032 ff. BGB). Sind die Haftenden hingegen Eigentümer und Besitzer, beispielsweise Verpächter und Pächter (§ 868 BGB), so ergeben sich gegenüber dem Grundsatz des §426 I 1 regelmäßig Besonderheiten 40, einmal weil das hier gewöhnlich zugrunde liegende Rechtsverhältnis Bestimmungen über die Pflicht zur Unterhaltung der Sache trifft (Beispiele: Miete, § 536; Pacht, § 586; Nießbrauch, 35 36 37 38 39 40
Ebd. D IV 3 a. Oben 15. Kap. § 2. Ebd. § 3. Ebd. C I 2b. Ebd. I I 2 b bb bbb. Ebd. ccc.
16. Kap. Zusammenfassung der Ergebnisse
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§ 1041 S. 2; Dienstbarkeit, §§ 1021 f.), zum anderen aus dem Gesichtspunkt, daß dem Eigentümer Maßnahmen am eigenen (störenden) Grundstück zugute kommen (s. § 42611). I m einzelnen stellt sich das Innenverhältnis folgendermaßen dar: Handelt es sich um Maßnahmen am störenden Grundstück, stehen dem Besitzer keine Ansprüche auf Kostenerstattung zu, wenn er intern zur Unterhaltung verpflichtet ist und die betreffende Maßnahme diesen Unterhaltungspflichten entspricht. Umgekehrt kann der Eigentümer, wenn er Maßnahmen zur Erfüllung seiner Pflichten aus § 1004 ergreift, Ausgleichsansprüche gegen den Besitzer in voller Höhe geltend machen (§ 4261; §§ 670,683 S. 1,677 oder § 8121 1). Liegen die Maßnahmen hingegen außerhalb der den Besitzer treffenden Pflichten oder oblag ihm nach dem internen Schuldverhältnis keine Unterhaltungspflicht (Beispiel: Miete, s. § 536), so stehen dem Besitzer Ansprüche auf Kostenerstattung in voller Höhe zu, und zwar neben Ansprüchen aus § 4261 und Geschäftsführung ohne Auftrag oder § 812 I 1 auch auf Verwendungsersatz gem. § 994. Der Eigentümer aber kann seine Kosten nicht ersetzt verlangen. Ist das zugrunde liegende Rechtsverhältnis nichtig, so stehen dem Besitzer Ansprüche auf vollen Ausgleich zu (§ 4261; §§ 670, 683 S. 1, 677 oder § 812 11; § 994), nicht aber dem Eigentümer; §426 I 1 ist hier aus dem Gedanken heraus abzuwandeln, daß dem Eigentümer Maßnahmen am eigenen Grundstück zugute kommen. Handelt es sich um Maßnahmen am gestörten Grundstück zur Beseitigung bereits eingetretener Beeinträchtigungen (§ 1004 I I ) , kommt es bei bestehender Unterhaltungspflicht des Besitzers darauf an, ob Ursache der Beeinträchtigung eine Verletzung dieser Pflicht ist; bejahendenfalls kann der Besitzer Ausgleichsansprüche gegen den Eigentümer nicht geltend machen, der Eigentümer jedoch gegen den Besitzer. Liegt die Ursache dagegen nicht in der Verletzung der internenUnterhaltungspflicht des Besitzers oder aber oblagen ihm nach dem zwischen ihm und dem Eigentümer bestehenden Rechtsverhältnis keinerlei Unterhaltungspflichten, so bestimmt dieses interne Verhältnis im Sinne des § 426 I 1 etwas anderes; dem Besitzer stehen Ansprüche aus § 426 I sowie aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 670, 683 S. 1,677) oder Bereicherungsrecht (§ 81211) zu, anders aber als bei Maßnahmen am störenden Grundstück nicht aus § 994; der Eigentümer dagegen muß seine Kosten allein tragen. — Ist das interne Rechtsverhältnis nichtig, so fehlt es an einem das Prinzip des § 426 I 1 ändernden Schuldverhältnis; der Grundsatz der anteiligen Kostenpflicht gilt also; der bei Maßnahmen am störenden Grundstück eingreifende Gedanke, daß dem Eigentümer die Maßnahme zugute kommt, entfallt hier, da es um Maßnahmen am gestörten Grundstück geht. bb) Hinsichtlich der allgemeinen Sicherungspflicht mehrerer Besitzer im Rahmen des § 1004 liegt eine Gesamtschuld nicht vor, weil diese Pflicht nur allgemeiner und nicht einklagbarer Art ist. Bei Durchführung von Sicherungsmaßnahmen zur Vermeidung von Gefahren und Beeinträchtigungen im Sinne des § 1004 greift deshalb die gesamtschuldnerische Ausgleichsbestimmung des
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16. Kap. Zusammenfassung der Ergebnisse
§ 426 grundsätzlich nicht ein. Sie muß jedoch analog gelten 41 . Denn zum einen ist der vorliegende Fall dem an sich von der Vorschrift vorausgesetzten Fall vergleichbar, daß Ansprüche Dritter (hier gem. § 1004) entstanden sind; auch die Sicherungspflicht ist eine Dritten gegenüber bestehende Pflicht, sie verleiht lediglich keine Ansprüche. Zum anderen besteht ein praktisches Bedürfnis nach einer Ausgleichsregelung, wie § 426 I sie bietet. Die Anwendung allgemeiner Vorschriften (§§ 670, 683 S. 1, 677; § 81211) führt teilweise zu unbefriedigenden Ergebnissen. Stehen die mehreren Besitzer hinsichtlich des Eigentums auf einer Stufe, sind sie also zugleich Eigentümer oder aber nicht Eigentümer, so steht dem tätig gewordenen Besitzer ein Ausgleichsanspruch in voller Höhe zu, obwohl eine Verteilung nach gleichen Quoten gerechtfertigt wäre. Handelt es sich um das Verhältnis von Eigentümer und Besitzer und ist das zugrunde liegende Rechtsverhältnis nichtig, «so besteht keine rechtliche Handhabe, dem Eigentümer den Anspruch auf Kostenerstattung zu versagen; dieses wäre aber das angemessene Ergebnis, weil ihm Maßnahmen am eigenen Grundstück zugute kommen (soeben aa). § 4261 ist daher in den vorliegenden Fällen analog heranzuziehen. Die Regelung des § 426 I I paßt dagegen wiederum nicht, und zwar hier, weil Ansprüche im Außenverhältnis (§ 1004) nicht vorliegen. • c) Sind mehrere Störer kraft Handelns verantwortlich, so ist für das Vorliegen einer Gesamtschuld zu differenzieren 42. Ist der Anspruch aus § 1004 nur dadurch erfüllbar, daß die jeweiligen Störer ihr störendes Tun unterlassen oder aber Schutzvorrichtungen an den eigenen Sachen, ζ. B. Lärmdämmungsanlagen, anbringen müssen, so liegt eine Gesamtschuld nicht vor. Die „Verpflichtungsidentität", die Voraussetzung des Entstehens einer Gesamtschuld ist, ist unscharf. Die Frage, ob es an dieser Voraussetzung fehlt, kann offenbleiben; jedenfalls passen die Regeln der Gesamtschuld hier nicht. Der gestörte Eigentümer kann nicht jeden Störer auf Verhinderung oder Beseitigung der gesamten Beeinträchtigung in Anspruch nehmen, weil diese nur bei entsprechendem Verhalten aller Störer unterbleibt, die einzelnen Störer aber keinen Einfluß auf das Verhalten der anderen haben. Außerdem ist ein Ausgleich im Innenverhältnis nicht gerechtfertigt (§ 426 BGB); jeder Störer hat für seinen Störungsanteil selbst aufzukommen. Wird dagegen durch mehrere Störer eine Beeinträchtigung hervorgerufen, die in einem einheitlichen Eingriff m das Eigentum besteht, ist eine Gesamtschuldnerschaft gegeben43. Dieser Fall ist regelmäßig bei dem Verbringen störender Sachen in den fremden Eigentumsbereich (Abladen von Unrat) oder dem Bau auf fremdem Boden gegeben. III. I. Grundlage dieser Ergebnisse ist die systematische Erfassung der möglichen Störungsquellen und deren rechtliche Bewertung 44 . Ausgangspunkt 41 42 43
Oben 15. Kap. §4. Ebd. §3 C I 2b. Ebd.
16. Kap. Zusammenfassung der Ergebnisse
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der vorliegenden Untersuchung ist die Grundüberlegung, daß die Haftung eingreift, wenn zwischen Störung und Person eine Verbindung besteht. Diese Verbindung schafft die Störungsquelle. Sie kann in einem bloßen Handeln, in Sachen und dem Zusammenwirken von Handeln und Sachen liegen. Somit sind Kausalität und dingliche Position die die Haftung auslösenden Elemente. 2. a) Für einige dieser Störungsquellen bietet §908 B G B 4 5 eine Hilfe. Danach ist für Störungen, die durch den Gebäudezustand hervorgerufen werden, der Besitz für die Haftung ausschlaggebend, unabhängig davon, ob an der Störung eine Handlung beteiligt ist (Errichtung der Anlage) oder nicht (Naturwirken). Diese dingliche Position ordnet die Vorschrift dogmatisch weiter ein: Sie knüpft daran eine Pflicht zur Sicherung des Gebäudes; der Besitzer ist verantwortlich bei einer für die eintretende Gebäudegefahr kausalen Pflichtverletzung. Da den in § 908 beschriebenen Gefahren andere von einem Grundstück ausgehende Gefahren und Beeinträchtigungen vergleichbar sind 4 6 , sind diese in §908 BGB niedergelegten Haftungsgrundsätze insoweit zu übernehmen 47 . b) Damit ist von § 908 zu § 1004 ein ähnlicher Schritt vollzogen wie von den §§ 836ff. zur allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (§ 823 I). Auch dort hat man sich von den besonderen schadenstiftenden Ereignissen der §§ 836 ff. gelöst und den Gedanken der Verantwortung für Gebäudegefahren auf andere Sachgefahren ausgedehnt. Allerdings ist die Legitimation zu dieser extensiven Deutung im Falle der Verkehrssicherungspflicht zweifelhaft, weil der Gesetzgeber der §§ 836 ff. die schadensersatzrechtliche Verantwortung bewußt auf die dort erfaßten Fälle beschränkt hat 4 8 . Eine Verantwortung nach nachbarrechtlichen Regeln des Sachenrechts dagegen hat er ausdrücklich gebilligt 49 . Die spezielle negatorische Ausgestaltung der Fälle der §§ 836 ff. als negatorische Verantwortung nach § 908 ist historisch erklärbar; § 908 steht, wie die §§ 836ff., in der Tradition der römischen cautio damni infecti, die sich der typischen Gefahren, die mit Anlagen verbunden sind (Einsturz), besonders angenommen hatte 5 0 .—§ 1004 aber will, wie die Vorschrift selbst sagt, gegen alle Beeinträchtigungen des Eingentums, die außerhalb des Besitzentzuges liegen (§ 985), Schutz bieten, somit auch gegen Grundstücksgefahren. Mag der methodische Schritt von § 908 (§§ 836 ff. BGB) zu § 1004 auch dem Verfahren bei der Entwicklung der Verkehrssicherungspflicht vergleichbar sein, so handelt es sich hier jedoch nicht um die Begründung einer „negatorischen 44 45 46 47 48 49 50
Oben 10. Kap. I. Dazu 12. Kap. § 6 V, VI; 13. Kap. § 2 B. Oben 13. Kap. § 2 C III. Ebd. § 2 B, C II, III, IV; D. Oben 13. Kap. § 2 Β I I I 3. Ebd. Ebd.
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16. Kap. Zusammenfassung der Ergebnisse
Verkehrssicherungspflicht". Die Lehre von der Verkehrssicherungspflicht oder Verkehrspflicht hat — für den den §§ 836 ff. vergleichbaren Fall von Sachgefahren — die Voraussetzungen der §§ 836 ff. verlassen. Danach ist nicht oder nicht ausschließlich der Besitz haftungsbegründend, vielmehr wird die Verantwortlichkeit dort an heterogene, von Fall zu Fall wechselnde Erfordernisse tatsächlicher oder rechtlicher Art gebunden 51 . Hier dagegen wird das Gedankengut der §§ 836ff. — über §908 — beibehalten 52 . Der Besitz ist ein einleuchtender Haftungsgrund, der zudem eine hinreichend bestimmte Voraussetzung bietet. Durch Beibehaltung des Besitzerfordernisses wird die im Bereiche der Verkehrssicherungspflicht zu verzeichnende dogmatische und hinsichtlich der praktischen Ergebnisse bestehende Rechtsunsicherheit vermieden. Auch wegen einzelner Fragen wie der Haftung für Beeinträchtigungen durch höhere Gewalt (soeben I I 1 a) und der Haftungsbegrenzung nach § 836 I I (ebd. d aa) bietet die Regelung der §§ 836 ff. eine einleuchtende Hilfe. c) Auf der anderen Seite fordern die §§ 908, 836 ff., um den Haftungsgehalt erschließen zu können, erhebliche Deutungsbemühungen53. So bedarf es etwa, unabhängig von der Tatsache, daß den Vorschriften der gemeinrechtliche Besitzbegriff zugrunde liegt 5 4 , der Untersuchung der verschiedenen Besitzarten nach BGB daraufhin, ob sie dem Haftungsgrundgedanken gerecht werden 55 . Der Gesetzgeber hat den Besitzer deshalb für verantwortlich erklärt, weil er über eine hinreichend nahe Sachbeziehung verfügt, die ihn in die Lage versetzt, den ihm auferlegten Sicherungspflichten nachzukommen 56 . Die Sachbeziehung gestaltet sich bei den einzelnen Besitzarten des BGB aber unterschiedlich 57 . Insbesondere der mittelbare Besitzer 58 und der Erbbesitzer (§§ 868, 857 59 ) verfügen über den geforderten Sachkontakt nur beschränkt. Er ist für den mittelbaren Besitzer nach allem aber noch ausreichend eng, um ihm die Verantwortung auferlegen zu können. Beim Erbbesitzer ist zusätzlich Kenntnis der Erbschaft zu verlangen 6?. Ferner gilt es für die Übernahme der Haftungsgrundsätze des § 908 hervorzuheben, daß die Haftung des § 908 in Verbindung mit § 838 nicht etwa an die in § 838 genannte interne Unterhaltungspflicht geknüpft ist 6 1 . Die Fassung der 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61
Oben 12. Kap. § 6 C I I 2 h cc ccc (2) (11), (22). Ebd. (33). Oben 12. Kap. § 6 C I - I V (zu §§ 836ff. direkt), V (zu § 908). Ebd. C I I 2a-g. Ebd. 2h cc. Ebd. 2 h bb. Ebd. 2h cc bbb-ggg. Ebd. ccc. Ebd. eee. Ebd. ccc (4), eee (2). Oben 12. Kap. § 6 C IV 3 c bb, 5, 6.
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Vorschrift erklärt sich historisch; der „Fremdbesitzer" war nach Auffassung des Gesetzgebers der §§ 908, 836ff. nicht Besitzer 62 . Auch hier beruht die Verantwortung aber — nach der Terminologie des BGB — auf der Besitzstellung63. 3. Für außerhalb von Grundstücksstörungen liegende Störungsquellen hat sich die Handlung als der maßgebende Anknüpfungsaspekt der negatorischen Verantwortung erwiesen. Damit ist auch hier die Kausalität — auf Grund positiven Tuns — entscheidend64. IV. I. Die wesentliche Hilfe, die § 908 bei der Störerbestimmung des § 1004 bietet, ist bisher bei der Suche nach den negatorischen Haftungsgrundsätzen nicht beachtet worden. Der dogmatische Gehalt der Vorschrift ist zwar unbekannt 65 , doch wäre dennoch eine generelle Anknüpfung an § 908 denkbar gewesen66. Stattdessen wird § 907 mehr Aufmerksamkeit geschenkt („Haftung für Anlagen", „Haftung des Halters der Anlage") 6 7 . Diese Bestimmung aber ist für die allgemeine actio negatoria gerade unergiebig 68 . Sie richtet sich nicht gegen die Beeinträchtigung an sich, sondern gegen deren Ursachen (Herstellen und Halten von Anlagen). Da damit der danach verbotene Tatbestand ein anderer als der des § 1004 ist, unterscheiden sich auch die Anknüpfungsaspekte der Haftung von denen des § 1004. 2. Bisher konnten die Haftungsgrundsätze des § 1004 nicht ermittelt werden, weil es an einer grundlegenden Erfassung der möglichen Störungsquellen fehlte. Es sind in der neueren Wissenschaft sogar Entwicklungen zu verzeichnen, die die Störungsquellen ignorieren wollen. Im Anschluß an Stoll (1963) und gestützt auf § 985 BGB wird die Existenz einer „Handlungshaftung" geleugnet; es soll nur eine „Zustandshaftung" geben 69 . Damit verbunden stößt das Kausalkriterium auf Ablehnung. Diese Sichtweise läßt die tatsächlichen Gegebenheiten außer acht. A n der Tatsache, daß es Störungen durch Handlungen gibt, läßt sich jedoch nicht vorbeigehen. Damit ist auch die Kausalität ein unverzichtbares Kriterium. Eine Rechtstheorie wie die Pickers und — sich Picker weitgehend anschließend — Gurskys 70 , aber auch anderer Autoren (Stoll, Wetzel, Pinger) 71 , die die durch den Sachverhalt vorgegebenen Unterschiede nicht beachtet, kann nicht richtig sein. Es entspricht allgemeinen Grundsätzen, daß die rechtliche Bewertung vom Sachverhalt abhängt. Ein 62
Ebd. I I 2b, c, insbes. d cc bbb.
63
Vgl. Fn. 61. Oben 14. Kap. §§ 2, 3. Oben 12. Kap. § 4 Β II, C, § 6 V I 1, 2. Vgl. aber oben 7. Kap. § 4 Β I I (OLG Braunschweig), C I I (Offtermatt). Oben 5. Kap. Oben 12. Kap. § 5 C I I - I V , V, VI, insbes. V I 4. Oben 11. Kap. §§ 1, 3; 6. Kap. § 1 Β (Lehre Pickers); 14. Kap. § 5. Oben 6. Kap. § 2; zu Gursky ebd. § 1 Fn. 12. Oben 11. Kap. § 3.
64 65 66 67 68 69 70 71
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16. Kap. Zusammenfassung der Ergebnisse
einheitliches Kriterium, etwa das der „Rechtsusurpation" (Picker) oder der „Herrschaft" (Stoll) ist daher nicht in der Lage, ein ausreichendes Mittel derStörerbestimmung zu bieten. Die Anwendung der Lehre Pickers im einzelnen zeigt denn auch, daß sie nicht alle Fälle zu lösen vermag 72 . Das Kausalkriterium als Instrument der Störerermittlung wird neuerdings aber auch aus einem weiteren Grunde abgelehnt. Es soll die actio negatoria der deliktischen Haftung angleichen, also dazu führen, daß § 1004 auf Schadensersatz hinauslaufe („Deliktsähnlichkeit") 73 , ein Bedenken, das im einzelnen bisher nicht überprüft wurde. Es erweist sich als unbegründet. Offenbar liegen ihm mehr globale Vorstellungen zugrunde, vor allem die Auffassung, daß die weitgehende schadensersatzrechtliche Haftung auf der Kausalität beruhe. Sie ist jedoch eine Folge des weiten Schadensbegriffes (§ 249 S. 1 BGB). Die zunehmend zu beobachtende Abkehr von der Kausalität ist daher auch aus diesem Grunde nicht gerechtfertigt. V. Für das vorliegende Konzept können die gängigen Begriffe der Handlungs- und Zustandshaftung 74 verwendet werden. Unter einer Zustandshaftung wären danach alle von Grundstücken ausgehenden Störungen zu verstehen, unter einer Handlungshaftung alle übrigen, eben auf Handlungen beruhenden Störungen. Die „alten" Begriffe wären damit durch die hier erarbeiteten Haftungsgrundsätze neu auszufüllen. Die Verwendung dieser Begriffe bietet die Möglichkeit, die jeweils gemeinten Haftungsvoraussetzungen durch eine kurzgefaßte Ausdrucksweise zu bezeichnen.
72 73 74
Oben 6. Kap. §§ 4, 5. Oben 3. Kap. § 1 Β mit Fn. 26; 6. Kap. § 1 Β mit Fn. 14; 13. Kap. § 5; 14. Kap. § 5. Oben 4. Kap.
Literatur Literatur, die in keinem direkten Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand steht, ist nur in die Fußnoten aufgenommen worden. Ballerstedt,
Kurt: Arbeitskraft und Handlungsbegriff, JZ 1953, 389.
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Stichwortverzeichnis (Die Zahlen verweisen auf die Seiten und Anmerkungen)
Abdeckereifall 193 Abdeckereigerechtigkeit 458 - Privileg 4588 Abgrenzung - Beeinträchtigung/Schaden, Beseitigung/Schadensersatz s. Beeinträchtigung, Beseitigung - Tun/Unterlassung 461, 4611, 464 f , 521 Abhängigkeit der Störung vom Willen 2221'24; s. auch Störerwille, Willenselement Abraumhalden s. Haldenfalle actio negatoria nach römischem Recht 1, l 1 , 4581 ; s. auch Geschichte der actio negatoria actus contrarius 477, 1335 actio quasi negatoria s. quasinegatorische Ansprüche Adäquanz (theorie) 34, 36 f., 102, 105 125, 351, 352, 465, 472 f , 474, 369, 522, 523, 558 - im Fall eines Unterlassens 353 f , 353 22 - im Fall positiven Tuns 469 Äquivalenz(theorie) 34, 36, 349, 352, 420 f , 560 Ästhetische Störungen IO 50 , 83 86 , 1322, 15722, 398 35 Akt, einmaliger 135, 137 Allgemeiner Teil des Sachenrechts 219 15 Allgemeingültigkeit der Hafiungsgrundsätze des §908 BGB 376 ff. Anderes Werk iSd §908 205 f , 2053 Anlage 15, 138, 151, 67 ff, 168 ff, 397, 454, 472 - Begriff 111, 151, 164, 165, 168, 169 ff, 180 f , 201 - Brachliegen 19027 37 Herrmann
- Errichten, Errichtung 377, 381 f , 388, 393, 394, 442 - Herstellen, Herstellung 181 ff, 1832, 199, 201, 204 - Nutzung 188 ff. - selbsttätige 15, 135, - nicht selbstwirkende 15, 135 Anstiftung (§830 I I BGB) 538 Arbeit - schadensgeneigte 503, 507 ff. - gefahrgeneigte 503, 507 ff, 525 f , 562 Arnold-Fall 2 Arteriosklerosefall 352, 356 Atomgesetz 497, 4979, 504 Aufrechterhalten, -ung 13 ff, 121, 126, 381, 389 Aufrechterhaltungstheorie - formel, -lehre 12 f , 14, 18 ff, 20 15 , 38, 124, 125, 380 Ausgleich in Geld nach - §906 I I 2 BGB 496, 563 - § 14 S. 2 BImSchG 497 - §26 GewO 193 - §251 I I BGB 497 f. Ausgleich unter mehreren Störern 543 ff, 552 ff, 565 f. Auslegungsmethode 129 ff, 140, 141; s. auch Methode, Methodik; Hermeneutik Ausnahmevorschrift (§908 BGB) 382 ff. Aussichtstempelfall 37 5 ' 9 , 38 18 , 42, 43, 110, 397 26 Autobahnfall 19\ 22 21 , 67 2 , 119, 396 f. Axiome 379 Bähr 15514 Bahngleise 397 Baumfall 43, 44, I I I 1 2 , 397 f. Beeinträchtigung
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Stichwortverzeichnis
- Abgrenzung zum Schaden 5, 5 3 2 , 3 3 , 99 1 1 5 , 158, 132 ff., 1335, 426 f , 477 f. - unmittelbare, mittelbare s. Kausalität, unmittelbare, mittelbare Beeinträchtigungsquelle s. Störungsquelle Beendigung der Haftung s. Entfallen der Haftung Befreiung von der Haftung s. Haftungsbefreiung Begrenzung - der Haftung im Schadensersatzrecht 350 ff, 355 ff, 421 ff, 425 f , 429, 465, 522 ff, 529 - der negatorischen Haftung 37, 357 ff, 368, 421 ff, 423 ff, 429 f , 469 ff, 522 ff, 529, 558 f. - nach §836 I I BGB 299 ff, 311, 340, 361 ff, 365 Beihilfe s. Gehilfenschaft BImSchG 1521, 473, 473 15 , 476, 497, 499, 504, 563 Bergeigentum 458 Beseitigung - Abgrenzung zum Schadensersatz 5, 5 3 2 ' 3 3 , 133 f , 1335, 426 f , 450 f , 477 f. Beseitigungsanspruch - Unterschied zum Unterlassungsanspruch s. Unterschied Beseitigungsmöglichkeit 21 f , 25, 25 34 , 434 Besitz - Begriff - des gemeinen Rechts 210,211, 224 ff, 235, 248 60 , 369, 568 - der Entwürfe zu §§ 836 ff. BGB, 211 ff, 213 ff. - der Entwürfe zum Besitzrecht 222 f. - des §836 BGB 211 ff, 224 f. - des §837 BGB 310 - des §838 BGB 328 f , 335 f. - mittelbarer 209, 235 ff, 248 ff, 279, 280, 370, 568 - unmittelbarer 209, 234, 278, 280, 370 - Pflicht aus - 378, 379, 388, 521 Besitzbegriff, -lehre des gemeinen Rechts 210, 211 ff, 215 ff, 234, 266, 369
Besitzdiener 209, 268 ff, 278 Besitzer - juristischer 214, 235, 267 - natürlicher 212 Besitzklagen, römische 14310 Besitzkonstitut 235, 255, 260, 261, 265 Besitzmittlungsverhältnis 248 ff. - wirksames 248 ff. - unwirksames 264 ff. Besitzschutzklagen, römische 14519 Besorgnis (weiterer) Beeinträchtigungen 156, 157, 159, 15925 Bewertung, rechtliche 131, 460 ff. Bonifaz VIII 435 Brandmauerfall 193, 44, 46 Brückentrümmerfall 193, 21 19 , 38 18 , 44, 46, 414, 457 Brunnen 4554 v. Caemmerer 351, 35113 cautio damni infecti 7, 155 11 , 174, 385, 397 19 Celsus 435 cessio legis (§426 I I BGB) 540, 544, 550, 554 condicio sine qua non 36, 349, 351, 355, 368, 420 f , 423, 465, 467 f , 523, 558 Deduktion 139 „Deliktsähnlichkeit" 33, 1324, 450 f , 528, 529, 570 Deliktsfähigkeit 39, 3 9 2 1 ' 2 2 Detentor 212, 2 6 7 n o , 323 Dienstbarkeit l 1 , 2, 87, 396 Dingliche Position s. Position, dingliche Domänenkammer in Gumbinnen 45913 Dombrandfall 539 Drainagefall 183 Dresdner Entwurf Art. 1028 226 f. Drittwirkung der Grundrechte 11434 Drohen von Beeinträchtigungen 157 Druckereifall 183, 42, 512, 455 Drucksituation des Arbeitnehmers 507 Dulden/Duldung 401, 596, 103,10418, 12119 Duldungsanspruch 67 3 , 12230 Eigenbesitz(er) 209, 214 f , 218, 233 17 , 369 f. Eigenbesitzwille 278 Eigentum, Pflicht aus - 41, 60, 377 ff; s. auch Eigentumstheorie
Stichwortverzeichnis Eigentumstheorie 33, 42, 44 f., 46, 112 ff. 122, 377, 378, 379 Eisenbahnfiskus, preußischer 396 14 Elbufer 4584 Emscher 4576 Entfallen der Haftung 365, 524 - nach §836 I I BGB 299 ff, 311, 340, 361 ff, 365, 436 ff. - wegen Unmöglichkeit 363, 435 ff, 439, 440 f., 441, 447 f., 517 - wegen Besitzbeendigung 299 ff, 361 ff, 371, 403, 431 ff, 441, 447 f , 558 f. - wegen Eingriffs in fremdes Eigentum 412 ff, 559 Entschädigung in Geld s. Ausgleich in Geld Entstehungsgeschichte des § 1004 BGB 13 ff, 129, 142 ff. - des §985 BGB 142 ff. - des §908 BGB 155, 15514 - des §907 BGB 171 f. - des Besitzrechtes 222 ff. Entwürfe zum Besitzrecht 210, 211, 222 ff. Erbbaurecht 4574 ErbbauRVO 2 Erbbesitzer 209 f , 271 ff, 279, 280, 369 f , 568 Erfüllungsgehilfe 487, 488, 489, 503 Errichtung 442 - der Anlage 111, 118, 151, 201, 381, 452, 567; s. auch Anlage - fehlerhafte (Merkmal in §836 1 BGB) s. fehlerhafte Errichtung - des Gebäudes oder anderen Werkes 291 ff, 344, 367, 371 - sakt 377 s. auch Anlage Fälle - Abdeckereifall 193 - Arteriosklerosefall 352, 356 - Aussichtstempelfall 37 5 ' 9 , 38 18 , 42, 43, 110, 397 26 - Autobahnfall 193, 22 21 , 67 2 , 119, 396 f. - Baumfall 43, 44, I I I 1 2 , 397 f. - Brandmauerfall 193, 44, 46 - Brückentrümmerfall 19\ 21 19 , 38 18 41, 44, 46, 457 - Drainagefall 183 - Druckereifall 18\ 42, 512, 455 - Felsenfall 113, 115, 116, 11649 - Fischkartenfall 460, 490;
s. auch Störungen durch Fischen - Froschteichfall 3, 18\ 68 4 , 115, 116, 395, 398 - Funkenflugfall 183 - Gebäudeumbaufall 193, 42 - Gesteinsfälle 38 18 , 42, 44, 46, 110, 115, 120, 127, 397 - Haldenfälle 5, 31, 31 11 , 37 5 , 38 18 , 92, 95 1 1 0 , 110, 170, 170 12 , 396, 396 14 - Haltestellenfall 460, 481, 490, 491 41 - Hausruinenfall 193, 21 20 , 51\ 4574 - Lehm- und Tongrubenfall 193, 33, 119, 1192, 175 - Restaurantfall 102 - Schleppkahnfall 30 f , 30 4 , 31 - Steinbruchfall 31 f. - Tongrubenfall s. Lehm- und Tongrubenfall - Trümmergrundstücksfall 40 \ 49, 117, 398 s. auch Störungen durch - ; Fallmaterial Fahrnis 132 Fallmaterial 183, 193, 138, 139, 394 ff, 453 ff. Fehlerhafte Errichtung, Merkmal in §8361 BGB 291 ff, 347 f.; s. auch mangelhafte Unterhaltung Felsenfall 113, 115, 116, 11649 Feuerungsanlagen 476, 476 21 Fischbestand 457 Fischerei - gerechtigkeit 30, 456, 4675, 459 - gesetzv. 30.5.1874 4575, 4584 - recht 456 37 , 459 13 , 460 - regal 460 Fischkartenfall 460, 490; s. auch Störungen durch Fischen Fischsterben 532 Flußufer, fremdes s. Störungen durch Schneiden von Schilf und Rohr Formen der Beeinträchtigung s. Störungsarten Formulierung des § 1004 I BGB 132 Fotograf s. Hausverbot Freistellungsanspruch, arbeitsrechtlicher 183, 493, 494, 507 ff, 526, 562 Fremdbesitz(er) 209, 211 - iSd §838 BGB 328, 335, 336 ff, 369 f , 569
580
Stichwortverzeichnis
Friedhof 458 Friedrich der Große 2 Friedrich-Wilhelm III, IV 4588 Froschteichfall 3, 183, 684, 115, 116, 395, 398 Funkenflugfalle 183 Gärtnerei 455 1 2 ' 1 3 Gang der Untersuchung 140 f , 375 Garantenpflicht 41 ff, 46 - Stellung 364, 378 f , 400, 521, 556 - aus Gesetz 41 4 Gebäudeumbaufall 193, 42 Gebäude und andere Werke (§908 BGB), Begriff 205 f , 205 1 ' 3 Gefahrbeherrschung 136, 233, 239, 280 GefahrschafFendes Tun 60, 61, 125 Gefahr von Beeinträchtigungen 5, 156, 159, 159 25 , 200 Gehen über fremdes Grundstück s. Überqueren fremden Grundstücks Gehilfenschaft (§830 I I BGB) 538 Geltung schuldrechtlicher Regelungen im Sachenrecht 435, 435 16 , 494 Gemeinschaftsverhältnis, nachbarliches s. nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis Genese s. Entstehungsgeschichte Gesamtschuld mehrerer Störer 194, 537 ff, 564 ff Geschäftsfähigkeit 39, 39 21 Geschichte der actio negatoria l 1 , 8 f , 73 15 , 14519, 4581 Gesetzesmaterialien zum Besitzrecht s. Entstehungsgeschichte des Besitzrechts Gestattung der Störung 102, 105, 125 Gesteinsfälle 38 18 , 42, 44, 46, 110, 115, 12018, 127, 397 Gewässer s. Verunreinigungen von Gewässern Gewerbe 3 - betriebe 454, 455, 456 - einrichtungen 135 GewO §26, 19\ 1521 Giebelmauer 395 - wand 395 Gilge 459 Gleichstufigkeit 539 - Wertigkeit 539, 543 Gothofredus 435 Granatzünder 456
Grenzanlagen 173 f. - einrichtungen 173 35 , 17436 - flächen 17335 - gesteil im Walde 173 Grenzmauer Abriß 119, 1195 Grund der Haftung - des Besitzers 226 ff. - des §838 BGB 311 f , 322 ff, 327 f , 335 Grundlagen der Störerermittlung s. Störerermittlung Grundstückszustand 140, 374 ff. Grundwasser 454; s. auch Störungen durch Grundwasserspiegel, abgesunkenen; Verunreinigungen von Grundwasser Haftung - des Arbeitgebers 487 ff, 561 ff. - des Auftraggebers 487, 562 f. - auf Grund Besitzes 209 ff, 341 f , 369 f , 377 f , 378, 379, 403 ff, 441, 443, 446 f , 556, 557 - Deliktsunfähiger 39, 39 2 1 ' 2 2 - des Dienstherrn 39, 487, 562 f. - der Eltern 260 ff, 266 ff; 336 ff. - des Erben 261, 266 ff. - von Gesamthandsgemeinschaften 10 - des Geschäftsherrn 487 - Geschäftsunfähiger 39, 39 21 - gesetzlicher Vertreter 39 21 - für Grundstückszustand 374 ff, 402 ff. 441 ff, 556 - des Halters der Anlage 67 ff, 183 ff. - auf Grund Handelns 452 ff, 464 ff, 467 ff, 479 ff, 519 ff, 526 ff, 556, 560 ff, 566, 569 - von juristischen Personen 10 - auf Grund Kausalität 297 ff, 311, 335, 348 ff, 368 f , 419 ff, 430, 445, 450 f , 460 ff, 464 f , 465 ff, 521, 522 ff, 527 ff, 556, 558, 560 - des Konkursverwalters 261 ff, 266 ff; 336 ff. - des Pflegers 260 ff, 266 ff; 336 ff. - des Rechtsvorgängers 26, 35; s. auch Rechtsnachfolge - des Testamentsvollstreckers 261, 266 ff. - des Treuhänders 338 - auf Grund Unterlassens 281 ff, 311, 335, 342 ff, 364 ff, 378, 405 ff, 445, 556, 558
Stichwortverzeichnis - des Vermieters 26, 33, 101 ff, 125 ff, 485 f. - des Verpächters 26, 33, 101 ff, 125, 127, 485 f. - des Vormunds 260 ff, 266 ff.; 336 ff. - des Werkbestellers 486 f , 562 f. - des Zwangsverwalters 261 ff, 266 ff.; 336 ff. Haftungsaspekt 5, 131 ff, 135 ff, 140, 388, 460 ff. - beendigung s. Entfallen der Haftung - befreiung 492 ff. - des Arbeitnehmers 499 ff, 525 - des Dienstnehmers, Beauftragten, Geschäftsbesorgers, Werkunternehmers 499 f , 517 ff, 526 - begrenzung s. Begrenzung - grund s. Grund der Haftung - grundsätze 131 ff, 374 f , 388 ff. - komponente s. Haftungsaspekt - kriterium s. Haftungsaspekt - Voraussetzungen 131 ff, 139, 140, 403 ff. s. auch Zurechnungskriterien Haldenfälle 5, 31, 31 11 , 375, 38 18 , 92, 9 5 n o , 110, 170, 17012, 396, 396 14 Halten der Anlage 5, 60, 67 ff, 110, 123, 164, 177 f , 183 ff, 201 f , 204 Halter der Anlage 5, 62, 164, 183 ff, 198, 203, 569 Haltestellenfall 460, 481, 490, 491 41 Handeln - eigenes störendes 467 ff, 560, 563 - fremdes störendes 479 ff, 560 - wiederholtes 135 Handlungshaftung 526 ff, 569 Handlungs- und Zustandshaftung 5 f , 58 ff, 125 f , 136, 138, 528, 570 - polizeirechtliche 9, 64 ff, 126 Handlungsunrecht, Lehre vom 105, 10526 Handwerk 4, 454 Hausruinenfall 193, 21 20 , 51 3 , 4574 Hausverbot 458 Hermeneutik 129 Hotel „Zum Kronprinzen" am Hamburger Jungfernstieg 4572 Hypothese nach § 1004 I 2 BGB 137 Immissionen 3 f , 3 2 5 , 4, 7, 93 ff, 98, 99 1 1 5 , 100, 108, 127, 135, 200, 454 ff.
4542, 459, 471 ff, 475 ff, 490, 522, 532, 560 - kumulierte 532 - summierte 532 - synergistische 5323 - umweltschädliche 473 Immissionswerte 476, 476 21 impossibilium nulla obligatio est 435, 494 impotentia excusat legem 435 Induktion 139 Industrie 3 f , 454, 455 - Zeitalter 3, 454 Ingerenz 48 47 , 125, 239; s. auch vorangegangenes Tun Inhaber 212,323 Innerbetrieblicher Schadensausgleich s. Schadensausgleich Interdiktenschutz 267 Jakobsberg in Westfalen 396 14 Johow 142, 143, 14310, 145, 146, 17120, 172, 174, 174 40 , 177, 1823 Kaiser-Wilhelm-Kanal 175, 396 Kanal, Oder-Spree-Kanal 397 24 ; s. auch Kaiser-Wilhelm-Kanal Karl V, Kaiser - 46023 Katastrophen 118, 345 f , 368, 410, 411, 449, 557 Kausalhaftung, negatorische 364 Kausalität 29 ff, 33, 34, 104, 124 f , 136, 146, 2935, 368, 569 f. - adäquate s. Adäquanz(theorie) - aequivalente s. Aequivalenz(theorie) - alternative 532 f. - Begründung 51 ff. - bei handlungsbedingten Störungen 460 ff, 465 ff - hypothetische 198, 533 ff, 5337, 469 - bei Immissionen 475 ff. - Kritik 33, 71 f , 141, 450 f , 526 ff, 570 - kumulative 531 f. - mittelbare 466, 4664, 479 ff, 521, 522, 560, 563 - nicht aufkärbare (§830 I 2 BGB) 536 f. - im Fall positiven Tuns 349, 468 - der Sicherungspflichtverletzung 419 ff. - überholende 533 ff. - unmittelbare 466, 466\ 467 ff, 521, 522 ff, 560 - der Unterhaltungspflichtverletzung
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Stichwortverzeichnis
- nach §836 BGB 297 ff. - nach §837 BGB 311 - nach §838 BGB 335 - nach §908 BGB 348 ff. - im Fall Unterlassens 349 f , 468 - durch Vertragsschluß 102, 459 f , 463, 466, 479 ff, 485 ff, 522, 524, 563 f. s. auch Haftung auf Grund Kausalität Kenntnis der Störung 18, 18 23 ; s. auch Wissen und Wollen der Störung Kodifikation, naturrechtliche s. naturrechtliche Kodifikationen Kohlenmonoxyde 454 Kollision - Besitz/Eigentum 412 ff, 440 f , 546 ff, 550, 559 - schuldrechtliche/dingliche Rechte an der Anlage 193 ff. - mit Vertragspflichten 414 f , 506 Kosten 68 3 , 122 30 , 358, 360, 422, 445, 451, 475, 529, 558 v. Kries 351 Kritik s. Kausalität, Kritik v. Kübel 226 Kurlbaum 2123, 227, 283, 297 11 , 3245 Landesgesetzliche Vorschriften iSd §907 I 2 BGB 1523, 153 f , 15410, 1811 Landesrechtliche Rechte 2 5 Landwirtschaft 454, 456 Landwirtschaftlicher Betrieb 477 Lehm- und Tongrubenfall 193, 33, 1192, 175 Leistungsidentität 539, 541; s. auch Verpflichtungsidentität Luft, Luftraum s. Verunreinigungen von Luftverkehrsgesetz 497, 4979, 504 Magdeburg 4579 Mangelhafte Unterhaltung, Merkmal in §836 I BGB 291 ff, 347 f.; s. auch fehlerhafte Errichtung Memel 456 „Menschenhand" 69 10 , 111 Menschliche(s) - Handeln 110, 170, 527 - Mitwirken 125 - Tätigkeit 111 - Verhalten s. menschliches Handeln
Methode, Methodik 27 f , 73, 73 15 , 129, 129 ff, 130, 139, 141, 567 Mischfälle 134 f , 137, 140, 460 ff. Mitbesitz 209, 276 f , 279, 370 Mittäterschaft (§830 I 1 BGB) 538 Mittel, Sache als der Störung 135, 454 ff, 460 ff. Mittelbarkeit der Verursachung 34 29 , 479 ff; s. auch Unmittelbarkeit der Verursachung Mobilien s. Fahrnis Motive 20 15 , 375, 380 ff, 385, 386, 389, 390 - Entstehung der - 212, 218 - Störerbestimmung der - 13 ff. Mühlengraben 3969, 4572 Müller Arnold 2 Nachbarbereich 3 - grundstück 3, 153, 1534, 155, 15513 - räum 3 - recht l 1 , 386 f , 3952 - schafl, Begriff 1534, 472, 472 14 - schütz im öffentlichen Recht 9 f ,
Ç49 JQ49, 50 Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis 49, 49 52 - Verhältnis 125 Nachrutschen des Grundstücks 174, 175 Namensrecht 2 Naturkräfte, -Vorgänge, -wirken s. Störungen durch Naturrechtliche Kodifikationen 1, l 2 , 8, 2261, 385 Nebentäterschaft 538 Negative Einwirkungen 2 7 , IO 50 , 132, 1323, 134, 15722 Negatorischer Schutz - anderer Rechte als des Eigentums 2, 25,6.
s. auch quasinegatorische Ansprüche - im öffentlichen Recht 9 f , 9 4 9 ,
jq49, 50, 51 £48
nemo potest ad impossibile obligari 435 Niederschläge 454 Nießbrauch l 1 , 2, 193, 33, 87 93 , 396 18 Nitrate 454 Norderney 457 Nord-Ostsee-Kanal s. Kaiser-Wilhelm-Kanal
Stichwortverzeichnis Normzwecktheorie s. Schutzzweck der Norm Nutzungrecht - iSd §837 BGB 306 ff. - iSd 838 BGB 311 f , 317 f. Ο bra in Posen 456, 4585 Öffentliche Hand s. Störungen durch Öffentliches Recht - Einbrüche ins Zivilrecht 64 - Nachbarschutz im öffentlichen Recht s. dort - Negatorischer Schutz im öffentlichen Recht s. dort - öffentlich - , polizeirechtlicher Störerbegriff s. Störerbegriff s. auch öffentlich-rechtlicher Beseitigungsund Unterlassungsanspruch, öffentliche Hand Öffentlichrechtlicher Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch 9 f , 9 4 9 , j q 4 9 , 50, 51 .
s. auch öffentliches Recht Ökologische Schäden s. Umweltschäden onus ferendum 17440 Opfergrenze 496 Pflanzen s. Störungen durch - anlagen 171, 17117 Plancksche Formel 25 33 Polizeirecht 5, 9, 41 4 , 64 ff, 125 f. Position, dingliche 136, 137, 377 ff. possessio, römische 212 10 Prävention von Störungen 4, 137, 156 ff. Puchta 143 Quasinegatorische Ansprüche 9, 9 4 8 Quelle der Störungen s. Störungsquelle Rabel 351, 351 13 Radbruch 3 1 0 Rathaus 458 Recht - angemaßtes 458, 4582 - iSd §837 BGB 307 ff. Rechtsanmaßung 6, 138, 14519, 4581, 470, 478, 526; s. auch Recht, angemaßtes Rechtsfolgen des
- §1004 1 BGB 4 2 9 , 133 f., 160, 161, 162, 199, 201, 426, 427 ff, 445, 475 ff, 523, 558; s. auch Unterschied Beseitigung/Unterlassen - des §907 BGB 153, 156, 160, 161 162, 199, 201 - des §908 BGB 160, 161 Rechtsidee 139 Rechtsnachfolge, Haftung bei - 26, 27 45 , 32 f , 35, 43, 110, 11010, 118 ff, 126, 138, 165 - in Unterlassungspflicht 1181 Rechtsursupation 6, 71 ff, 108 4 2 ' 4 3 , 122 27 , 127, 138 f , 148, 570 Rechtswidrigkeit - des Eingriffs zur Erfüllung der Sicherungspflicht 415 ff. - spätere 27 45 - der Störung 409 f , 496 Rechtswidrigkeitszusammenhang, Lehre vom - (Esser) 352 Reichspostfiskus 4572 rei vindicatio 1, 52, 53, 130, 141, 142 ff, 144, 146; s. auch Vindikation Reparaturen 134 Reserveursache 533 ff. Restaurantfall 102 Rittergut 3968 Römische Juristen s. Römisches Recht Römisches Recht l 1 * 3 , 3, 3 1 4 ' 2 4 , 75 27 , 14519, 171 17 , 212 10 , 2177, 385, 386, 4581 Rücksichtnahme, verkehrsübliche 43, 43 17 Rümelin 351 Ruhrschnellweg 4572 Sachbeherrschung 233, 246 f , 280 - beziehung 136, 234, 236, 246, 377, 443, 446, 568; s. auch Zugriffsmöglichkeit - gefahren 241 ff, 351, 384 ff. - herrschaft 245 ff, 276, 379 - position 136; s. auch Position, dingliche - verhalt(e) 135, 137, 138, 139 - sunterschiede 137, 139 - zustand 124, 138 f. Sache als Mittel der Störung s. Mittel Sachenrecht, Allgemeiner Teil s. Allgemeiner Teil Saurer Regen 454 Schadensausgleich, innerbetrieblicher 503 ff, 507
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Stichwortverzeichnis
- begriff 356, 357, 360 f , 368,422, 445 f , 529, 558 - ersatz s. Ausgleich in Geld Schäden, ökologische s. Umweltschäden Schleppkahnfall 30 f , 30\ 31 Schulbeispiele 458 Schutz dinglicher Rechte 2, 86 f , 87 93 - negatorischer s. negatorischer Schutz Schutzzweck der Norm 351 f , 424, 430, 469, 471, 472 f , 474, 522, 558 Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit 461, 4611, 463, 465, 521 servitus 4581 Servitut s. servitus Sicherungspflicht 373, 402, 405 ff, 444, 556 f , 568 - Begriff 418 f , 444 - Entstehung 406 f , 444 - Inhalt 407 ff, 410 f , 444 - Rechtsqualität 411 f , 444 Solidarität, unechte 538 Sozialbindung des Eigentums 126 Sozialpflichtigkeit des Eigentums 45, 45 28 „Statik" des Sachenrechts 2, 2 1 0 Steinbruchfall 31 f. Störerbegriff 6; s. auch Störerermittlung, Grundlagen der Haftungsaspekt, -grundsätze, -komponente, -kriterium, -Voraussetzungen - öffentlichrechtlicher 9 f , 64 ff. - polizeirechtlicher 64 ff. Störerermittlung, Grundlagen der 131 ff. - grundsätze s. Haftungsgrundsätze - wille 37 ff, 57, 60 1 4 ; s. auch Willenselement, Abhängigkeit der Störung vom Willen Störungen durch - Abbau, bergrechtlichen 458 - Abdeckerei 19\ 458, 4588 - Abgase 193, 455 14 , 474, 477; s. auch Gase - Abladen von - Sachen 471 - Schutt s. Störungen durch Schuttabladen - Unrat s. Störungen durch Unrat
- Ablagerung(en) 132, 477 - Abraumhalden s. Haldenfalle - Absacken des Grundstücks 396; s. auch Störungen durch Bodenvertiefungen, Grundstücksstütze (Verlust), Grundstücksvertiefungen - Abwässer 457, 457 5 ' 6 · 7 , 462, 463, 464, 471, 476 - Arbeitnehmer 459, 463, 487 ff, 499 ff, 561 ff. - Artilleriewerkstatt 456 - Äste, herrüberragende 397 - Aufschütten des Deichvorlandes s. Deichvorland - Aufschüttungen 396, 398 - Auftragnehmer s. Störungen durch Beauftragte, Geschäftsbesorger - Ausbauchung einer - Mauer s. Störungen durch Mauerausbauchung - Wand l 1 - Autobahnanlage s. Autobahnfall - Badeanstalt l 1 , 454; s. auch Freibad - Bäckerei 455 - Bahndämme 396 - Bauarbeiten 396, 456 - Bau auf fremdem Boden 135, 457, 463, 463 3 ; s. auch Störungen durch Bauwerk - Baubuden 398 35 - Bäume l 1 , 3, 43, 44, 115, 134, 17119, 397, 397 27 ; s. auch Baumfall - Baumaterial 132, 398 35 - Bauten s. Störungen durch Projektionen, Bauwerk - Bauwerk 135, 140; s. auch Störungen durch Bau auf fremdem Boden - Beauftragte 459, 487, 499 f , 517 ff, 562 f.; s. auch Störungen durch Geschäftsbesorger - Bergbau 456, 4575, 458; s. auch Störungen durch Bergwerk, Gewerkschaft - Bergwerk 31, 396, 4575, 458; s. auch Störungen durch Bergbau, Gewerkschaft - Betreten fremden Gebäudes, Grundstücks 458, 471; s. auch
Stichwortverzeichnis Störungen durch Überqueren fremden Grundstücks, Gebrauch fremden Eigentums Bienen 3, 37 5 , 38 18 , 110, 1106, I I I 1 8 , 459, 463 Birke 3, 397, 458; s. auch Störungen durch Blätter- und Kätzchenfall einer Birke Blätter- u. Kätzchenfall einer Birke 3, 397 Blütenteile 397 27 - staub 397 27 Bodenveränderungen 398 - Bodenvertiefungen 3, 17441, 387, 396; s. auch Störungen durch Grundstücksvertiefungen, Grundstücksstütze (Verlust) Brände 183, 133, 134; s. auch Störungen durch Feuer Brandmauer s. Störungen durch Mauern Brauerei 455 Brückentrümmer s. Brückentrümmerfall Brunnenwasser, Entzug von 456 32 Bushaltestelle s. Haltestellenfall Chemikalien 454; s. auch Störungen durch chemische Stoffe, Kohlenmonoxyd, Nitrate, Petroleum, Schwefeldioxyd, Sulfate chemische - Bearbeitung 477 - Stoffe 4 - Verbindungen 471 s. auch Chemikalien Dachtraufe 395, 395 2 ; s. auch Störungen durch Regenwasser, Wasser Dämpfe 454, 455 3 · 4 ' 1 0 , 471, 477 Dampfkämmerei 455 Dampfwäscherei 672 Deichvorland 110, 175, 398 Dienstnehmer 39 22 , 459, 487, 499 f , 517 ff, 562 f. Drainage 183, 135, 397, 452 Dritte s. Störungen durch Eingriffe Dritter Druckerei s. Druckereifall Durchfahrt, zu niedrige, zu enge 395 f.
- Dynamitfabrik 456 - Eingriffe Dritter 288 ff, 295, 297, 344, 367, 556 - Einleiten von Fabrik- u. Grubenwässern 457; s. auch Störungen durch Abwässer - Eisenbahn 396 14 , 455, 455 19 - bau 396 14 s. auch Störungen durch Lokomotive - elektrische Bahnlinien 397 - Leitungen 67 2 , 4572 - Ströme 397 - Elektrizität s. Störungen durch elektrische Bahnlinien, Leitungen, Ströme - Entzug von Fernsehempfang, Licht, Luft, Wasser, Wind 132; s. auch Störungen durch negative Einwirkungen - Erdaufschüttungen s. Störungen durch Aufschüttungen - Erdkegel 1105, 396, 396 14 - Ernten 458, 463; s. auch Störungen durch Schneiden von Schilf und Rohr - Errichten eines Bauwerks auf fremdem Grundstück 471 - Erschütterungen 4, 193, 132, 454, 455, 456, 477 - Erwerber einer Grundstücks s. Rechtsnachfolge - Erze s. Störungen durch Raseneisenerze - Explosion 456 3 0 ' 3 1 - sgefahr 398, 456 - Fabrikeinrichtungen 135 - Fabriken 455, 456, 4575 - Fabrikwässer s. Störungen durch Einleiten - Fäkalien 398 35 - Fahren - durch fremde Gewässer 471 - über fremdes Gebiet 457 - Fahrgäste s. Haltestellenfall - Fahrzeuge 457 - Felsgestein 110, 115, 116; s. auch Gesteinsfalle - Felskuppe 110; s. auch Aussichtstempelfall - Feuchtigkeit 110, 396, 398 - Feuer 110, 396, 398,455; s. auch Störungen durch Brände
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Stichwortverzeichnis
- Fischen 3, 458, 458\ 460, 471; s. auch Fischkartenfall - Fischeramt s. Fischkartenfall - Fischkarten, Ausgabe von s. Fischkartenfall - Flakstellung 457 - Flugasche 455 11 - Flugplatz 455 - zeuge 456 - Freibad 459; s. auch Störungen durch Badeanstalt - Froschquaken s. Froschteichfall - Funkenflug 18\ 455 - Gänsegeschnatter 3, 110, 459 - Gäste einer Gastwirtschaft 459 - Gasbereitungsanstalt 455 - Gase 4, 455 6 ' 1 0 , 471; s. auch Störungen durch Abgase - Gastwirtschaft 459 - Gasröhren 397 - Gebrauch fremden Eigentums 3, 463, 465; s. auch Betreten fremden Gebäudes, Grundstücks; Gehen über fremdes Grundstück; Nutzung fremden Grundstücks; Überqueren fremden Grundstücks - Gehen über fremdes Grundstück 132, 137, 463, 471, 474; s. auch Überqueren fremden Grundstücks - Geräte 454, 472, 474, 476 - Geräusche 4, 193, 102, 397, 454, 459, 471, 477; s. auch Störungen durch Lärm - Gerüche 4, 19\ 102, 132, 397, 398, 398 35 , 455 8 ' 1 0 , 456, 471,477 - Geschäftsbesorger 459, 499 f , 517, 562 f.; s. auch Störungen durch Beauftragte - Gesteinshalden 396; s. auch Haldenfälle - Gewerkschaft 457 5 ; s. auch Störungen durch Bergbau, Bergwerk - Giebelmauer 395 - Giftdämpfe s. Dämpfe - Gräben, Autobahn - 193 - Grenzmauer 3954 - Grubenwässer s. Störungen durch Einleiten - Grundstücksstütze, Verlust der - 3, 119, 1192, 136, 396; s. auch Störungen durch Grundstücks-
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vertiefungen, Bodenvertiefungen; Lehm- u. Tongrubenfall Grundstücksvertiefungen 35, 52, 136 396, 401, 424; s. auch Störungen durch Bodenvertiefungen, Grundstücksstütze (Verlust); Lehm- u. Tongrubenfall Grundstückszustand 374 ff, 397, 398, 399 f , 403, 441, 452 Grundwasserspiegel 110, 398 Halden s. Haldenfalle Handeln s. Störungen durch Handlungen Handlungen 134 ff, 136 f , 453, 454 ff, 458 ff, 463 ff, 519 ff, 526 ff, 569; s. auch Haftung auf Grund Handelns Haltestelle s. Haltestellenfall Handwerkszeug s. Störungen durch Werkzeug(e) Hausruine s. Hausruinenfall Hochbahn, Berliner 456 Hochbauten 132 Hochwasser 396; s. auch Störungen durch Wasser höhere Gewalt 26, 43, 109 ff, 288 ff, 295, 297, 344, 367, 397, 448 f. Hohlraum zwischen Mauern 3954 Holztrifte, Plieten und Ladebrücken 456 Hunde 459 Imkerei 459; s. auch Störungen durch Bienen Immissionen s. Immissionen Imponderabilien 132, 477 Kabel 4572 Käserei l 1 , 3, 4541 Kaffeetassen 132 Kanalisationsanlage 397 Katastrophen s. Katastrophen Katzen 459, 463 Kiefer 397 27 ; s. auch Störungen durch Bäume, Birke Kinder 459 Kläranlagen 9 Kleinbahn 397 Kokerei 455 Kraftfahrzeuge 4, - werke 4, 454 Kriegseinwirkungen 44, 116 f , 557 Ladebrücken s. Störungen durch Holztrifte
Stichwortverzeichnis Lärm 132, 140, 455, 456, 459, 463, 471, 475; s. auch Störungen durch Geräusche Lagerung von - Sachen 394 - Stoffen 394, 452 Lastkahn s. Schleppkahnfall Laub 397 27 Lehm- und Tongruben s. Lehm- u. Tongrubenfall Lichtreklamekasten 3 1 6 , 396 Lokomotive 455, 455 19 ; s. auch Störungen durch Eisenbahn, Funkenflug Lunapark, Berliner 457 42 Maschinen 454, 471, 476 Mauerausbauchung, -Überhang 3, 52, 92, 134, 395, 452; s. auch Störungen durch Ausbauchung einer Wand Mauern 193, 395 4 ; s. auch Störungen durch Mauerausbauchung Mieter 33, 101 ff, 459, 463, 485 f. Mistgrube l 1 morschen Baum s. Baumfall Mühlenwasser, entzogenes 2, 2 8 , 456 Mülldeponien 9 Musik 457 42 -instrumente 471 Musizieren 456 Nadeln 397 27 Naturkräfte, -Vorgänge, -wirken 31, 38 18 , 43, 672, 68, 109 ff, 124, 126 f , 134, 138, 165, 371, 393, 394, 397, 452, 556 f.; s. auch Störungen durch höhere Gewalt Negative Einwirkungen s. negative Einwirkungen Niederschläge 454 Nutzung fremden Grundstücks 3, 458; s. auch Störungen durch Gebrauch fremden Eigentums Öffentliche Hand 9 Omnibuslinie 456, 460 - haltestelle s. Haltestellenfall Pächter 21 20 , 33, 101 ff, 485 f. Petroleum 398, 452 Pflanzen 3, 3 1 7 , 398, 455 12 ; s. auch Störungen durch Bäume, Birke, Wurzeln, Zweige; Baumfall Plieten s. Holztrifte Projektionen 3, 132, 395
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Pumpstation 397 Qualm 454, 455 5 ' 1 5 Raffinerie 455 Raseneisenerze 398 Rauch 4, 454, 4541, 4555, 471, 474, 477 Rechtsanmaßung s. Rechtsanmaßung Rechtsnachfolger s. Rechtsnachfolge Rechtsusurpation s. Rechtsusurpation Regen, sauren s. Störungen durch sauren Regen Regengüsse 110, 396 Regenwasser 395 ; s. auch Störungen durch Regengüsse, Wasser Reklamekasten s. Störungen durch Lichtreklamekasten Restaurant 102, 103 Rheinpreußische Eisenbahn 455 19 ; s. auch Störungen durch Eisenbahn Risse im Mauerwerk 477 - im Putz 395 Ruderclub 459 Ruine s. Hausruinenfall Ruß 4, 454, 455 9 · 1 1 ' 1 2 , 471, 477 Sachen 132, 134 ff, 136, 452, 457, 520 Sägerei 455 Samen 397 27 ; s. auch Störungen durch Unkrautsamen Sand 396 Sandkippen 396 Sand- und Schlammassen 175 sauren Regen 454, 477 Schadstoffe 477 Schattenwurf 397 Schiff 457 -sanlagen 457, 464, 475 -wrack 457, 475 Schleppkahn s. Schleppkahnfall Schmelzöfen 455 Schneiden von Schilf und Rohr 3, 458 Schule 459 Schuttabladen 457, 463 Schutzdach 3 1 6 , 396 Schwefeldioxyde 454 Schweinemästerei 456 Sicherheitszünder, englische 398 Singen 471, 475 sonstige Vertragspartner 490 Spateisengrube 455 Sportler 459 Sprechen 471
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Stichwortverzeichnis
- Sträucher 17119 - Straßen - bahn, Münchener 456 - öffentliche 9; s. auch Autobahnfall - verkehr 4 - Stauanlagen 456 - Staub 455 6 ' 7 · 1 4 , 456 - Steinbruch 396 14 , 455, 455 16 , 477 - Steinkohlenrauch 4554 - Sulfate 119, 398,452 - Tagebau 396 - Tauben 397 27 - Teich 21 16 , 398 - Telegrafen- und Fernsprechdrähte 4572 - Tennisspieler 459, 480 - thermische Einflüsse 471, 477; s. auch Störungen durch Wärme - Tiere 459, 463, 477 - Tongrube s. Lehm- und Tongrubenfall - Tonträger 471 - Trümmer s. Brückentrümmerfall, Trümmergrundstücksfall - Trümmerhaus s. Trümmergrundstücksfälle - Überbau 3, 13, 15, 52, 134, 396, 401, 402 - Überqueren fremden Grundstücks 457, 458, 471, s. auch Störungen durch Betreten fremden Gebäudes, Grundstücks; Gebrauch fremden Eigentums, Gehen über fremdes Grundstück - Überschwemmungen 183, 193, 135, 397 - Umbauten 193, 42 - Ungeziefer 45 - Unkraut 45 -samen 3, 398 - Unrat 132, 140, 462, 463, 464, 471 - Veräußerer eines Grundstücks s. Rechtsnachfolge - Verpachtung der Fischerei 459 - Verseuchungen 454 - Versorgungsleitungen 457, 4573, 463 - Vertragsschluß 459 f., 463; s. auch Kausalität durch Vertragsschluß - Wärme 4, 454 -einflüsse 477; s. auch thermische Einflüsse - Warenautomat 396 - Wäscherei 455, 456 - Wasser 3, 45, 135, 395, 396, 471 -abfluß 398
-regulierungsanlagen 456; s. auch Stauanlage -rohrbruch l 1 - Werkunternehmer 21 20 , 33, 101 ff., 459, 485 f. - Werkzeug(e) 140, 454, 471, 474, 476 - Westerwaldbahn 455 15 , 456 - Wurzeln l 1 , 3, 17119 - Zapfen 397 27 ; s. auch Störungen durch Bäume, Birke - Ziegelei 454 - Zusammenwirken von Handeln u. Sache 134 ff., 136, 376, 452 f., 454 ff., 460 ff, 464, 519 f., 527 - Zweige 17119 Störungen - mittelbare - unmittelbare s. Kausalität, mittelbare, unmittelbare Störungsarten 132 ff. - quellen 131 ff., 134 ff., 140, 201, 202, 452 f., 464, 519 ff., 566 f., 569 - Ursache s. Störungsquellen Stoll, Hans 33, 146 f., 526, 528, 569, 570 Strand der Insel Norderney s. Norderney Struckmann 15514, 2215 „Strukturgleichheit" von actio negatoria und rei vindicatio 141, 146 ff. Substanzeingriffe 477 - Verletzungen 134, 426, 479, 558 superficies solo cedit 2177 Systematische Auslegung 130 Tätigkeitsstörer, -Störung s. Untätigkeitsstörer, -Störung Tatbestand des § 1004 I BGB 131 f., 133 f , 1335 Teilbesitz 209, 277 f., 279, 370 Teilentwürfe s. Vorentwürfe Terminologie 372 f , 418 f., 444 f. Tierbestand 477; s. auch Störungen durch Bienen, Hunde, Katzen, Tauben, Tiere Tongrubenfall s. Lehm- u. Tongrubenfall Traeger 351 Transponierbarkeit 374; s. auch Übertragbarkeit Transponierung s. Übertragung
Stichwortverzeichnis Trave 457 Trinkwasser 457 Trümmergrundstücksfälle 40 1 , 49, 117, 398 v. Tuhr 673 Übernahmevertrag nach §838 BGB - Bedeutung 319 ff, 322 ff, 328,329 ff. - Wirksamkeit 313 ff, 329, 335 Übertragbarkeit der Haftungsgrundsätze des §908 BGB 375 ff, 400 ff.; s. auch Transponierbarkeit Übertragung der Haftungsgrundsätze des §908 BGB 402 ff. ultra posse (vires) nemo obligatur 435 Umweltschäden 4, 454, 529 Unmittelbarkeit der Verursachung 34 29 , 467 ff.; s. auch Mittelbarkeit der Verursachung Unmöglichkeit 22, 363, 403, 412 ff, 435 ff, 439, 440 f , 447 f , 494 ff, 498 f , 504 ff, 517, 524 f , 559, 563 Untätigkeitsstörer, -Störung 401, 60, 61, 63 Unterbrechung des Kausalzusammenhangs 104, 125, 357 30 , 425, 467, 481, 483 ff, 523 f , 560 f. Unterhaltung - Begriff 418 f , 444 - mangelhafte s. mangelhafte Unterhaltung (Merkmal in §836 I BGB) - Übernahme der - s. Übernahme s. auch Sicherungspflicht, Unterhaltungspflicht Unterhaltungspflicht 226 ff, 230, 233, 267, 296, 373, 3968, 400, 444, 568 f. - nach §836 BGB 281 ff. - nach §837 BGB 311 - nach §838 BGB 318 ff, 335 - nach §908 BGB 342 ff, 364, 367 - Begriff 418 f , 444 - Entstehung nach § 836 BGB 286 f. - nach §908 BGB 342, 367 - Inhalt nach §836 BGB 287 ff. - nach §908 BGB 343 ff, 367 - Rechtsqualität nach §836 BGB 290 f. - nach §908 BGB 346 f , 368 Unterlassungsanspruch - Rechtsnatur 4 f , 5 3 0 - Unterschied zum Beseitigungsanspruch s. Unterschied Unterlassungshaftung, negatorische 364
Unterscheidung Beseitigung/ Unterlassen s. Unterschied Unterschied Beseitigung/ Unterlassen 4 2 9 , 136 f.; s. auch Rechtsfolgen Untersuchungsgang s. Gang der Untersuchung Ursache der Störungen s. Störungsquellen Urteil, erstes gemäß § 1004 BGB ususfructus 4581 Veräußerung störenden Grundstücks s. Rechtsnachfolge Veranlassungsprinzip 55 f. Verantwortlichkeit - auf Grund dinglicher Position 136 f , 377 ff. - auf Grund Handelns 136, 460 ff. Verbindungsglied Person/Störung (Beeinträchtigung) 131, 135 ff, 139, 453, 463 f. Verfugungsmacht s. Beseitigungsmöglichkeit Verkehr, Begriff 46 f , 125, 239, 240, 372 f , 419 Verkehrseröffnung s. Verkehr, Verkehrssicherungspflicht Verkehrspflicht s. Verkehrssicherungspflicht Verkehrsrichtiges Verhalten 105 Verkehrssicherungspflicht 8, 8 4 2 , 46 f , 47 43 , 47 ff, 125, 136, 163 2 ' 3 ' 4 , 165, 166 ff, 236 f , 237 ff, 248, 279 f , 296, 306, 331 f , 366, 372, 377 ff, 384, 387, 398, 442, 567 - negatorische 567 f. Verpflichtungsidentität 541, 542, 550, 566 Verrichtungsgehilfe 487, 488, 489, 503 Verunreinigungen von - Gewässern 4, 457, 462, 463, 464, 471 - Grundwasser 454 - Luft, Luftraum 4, 454 Vindikation 13, 129, 143, 14310, 145, 146, 148, 150; s. auch rei vindicatio vitia loci 386, 401 Vorangegangenes Tun 49 f , 56, 379 Vorangehendes gefährdendes Tun 54, 57
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Stichwortverzeichnis
Voraussehbarkeit der Störungen I I I 1 8 , 153, 159, 159 25 , 205 - Grad der - 157 s. auch Vorhersehbarkeit Vorbedingung 109 ff. Vorentwürfe 142, 2262 Vorhersehbarkeit der Störungen 153, 156, 159; s. auch Voraussehbarkeit
- iSd §838 BGB 319, 329 - des Übernahmevertrages iSd §838 BGB 319, 329 Wissen und Wollen der Störung 18 23 ; s. auch Kenntnis der Störung Wortlaut des § 1004 BGB 51 f., 129, 559 f.
Zugriffsmöglichkeit 234, 235, 250 ff, 263 f., 265 f , 267, 271, 274, 276 f., Wälder 454; s. auch Waldsterben 278 ff, 379, 446, 557 f. Waldsterben 4, 454, 473, 477, 529, 532 Zuordnung Wege- und Durchfahrtsrechte 395 f. - der Beeinträchtigung 131 Wegeunterhaltspflicht 3968 - des verbotenen Tatbestandes des Weser 457 §1004 1 131 Willensbetätigung 20, 22 21 , 26, 34, s. auch Verbindungsglied 60 14 , 97 1 1 3 Zurechnungskriterien 131 ff, 135 ff. Willenselement 14, 17 f., 18 23 , 20, 22 2 1 ' 2 4 , Zustand 50, 118, 393, 399, 401, 443; 25 33 , 34, 35, 35 36 , 36, 37 ff, 39 22 , s. auch Zustandshaftung 40, 413, 103, 103 11 , 12122, 124; s. auch Zustandshaftung 58 ff, 63, 147, 148, 149, Abhängigkeit der Störung vom Willen 527, 528, 569; s. auch Zustand, Willensherrschafl 5, 147 Handlungs- und Zustandshaftung Windscheid 143, 145, 146, 17440 Zwangsvollstreckung 16027 Wirksamkeit Zweck des §1004 BGB 129, 150 - des §908 155,207 - des Nutzungsrechts - des §907 175, 177 ff, 204, 207 - iSd §837 BGB 309 f.