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German Pages 250 Year 2010
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 214
Die Strafbarkeit privater Sportwettenanbieter gemäß § 284 StGB Zugleich eine Untersuchung zu den Grenzen der Verwaltungsakzessorietät
Von
Moritz Feldmann
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
MORITZ FELDMANN
Die Strafbarkeit privater Sportwettenanbieter gemäß § 284 StGB
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (y) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 214
Die Strafbarkeit privater Sportwettenanbieter gemäß § 284 StGB Zugleich eine Untersuchung zu den Grenzen der Verwaltungsakzessorietät
Von
Moritz Feldmann
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Roland Hefendehl, Freiburg Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-13214-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2009 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung erfolgte am 20. Mai 2009. Rechtsprechung und Literatur sind auf dem Stand von August 2009; noch berücksichtigt werden konnte das Urteil des EuGH vom 8. September 2009 – Rs. C-42/07 (Liga Portuguesa). Tiefer Dank gilt in allererster Linie meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Roland Hefendehl, nicht nur für die intensive Betreuung der vorliegenden Arbeit, sondern auch für seine gesamte, äußerst wohlwollende Unterstützung und Förderung während meiner langjährigen Mitarbeit an seinem Lehrstuhl in Freiburg. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Sieber gebührt besonderer Dank für die Übernahme des Zweitgutachtens. Sehr verbunden bin ich Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich-Christian Schroeder für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Strafrechtliche Abhandlungen – Neue Folge“ sowie der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg für die großzügige Gewährung eines Promotionsstipendiums und eines Druckkostenzuschusses. Weiterhin möchte ich allen Weggefährten und Freunden danken, die mir sowohl während der Examens- als auch der Promotionsphase mit Rat und Tat zur Seite standen. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern, die mir meine Ausbildung ermöglicht haben und auf deren Unterstützung und Fürsorge ich in jeder denkbaren Hinsicht stets vertrauen konnte und kann. Berlin, im September 2009
Moritz Feldmann
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einleitung: Problemstellung, Ziele und Aufbau der Untersuchung
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2. Teil Die Anwendung des § 284 StGB auf die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten § 1 Kriminalgeschichtlicher Überblick und Erscheinungsformen der Sportwette heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kriminalgeschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichtliche Entwicklung der Sportwette im Glücksspielstrafrecht bis zum Jahre 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklung des Sportwettenstrafrechts seit 1871 und Entstehung des heutigen § 284 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erscheinungsformen der Sportwette heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der sog. Toto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die sog. Oddset-Wette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konzentration auf die Oddset-Wette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Sportwette und § 284 StGB – neue Herausforderungen im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Rechtsgut und Tatbestandsmerkmale des § 284 StGB im Hinblick auf die Sportwette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestimmung des Rechtsguts des § 284 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentliche Sittlichkeit und Wirtschaftsmoral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentliche Sicherheit und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vermögen des Spielteilnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Staatliche Kontrolle des Glücksspiels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatobjekt: die Sportwette als Glücksspiel i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB . . . . 1. Abgrenzung zwischen Spiel und Wette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zwischen Glücksspiel und Geschicklichkeitsspiel . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis a) Sportwette als Geschicklichkeitsspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sportwette als Glücksspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Maßstab des Durchschnittsspielers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestimmung der „überwiegenden“ Zufallsabhängigkeit . . . . . . (1) Abzugsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Methode der Trefferverdopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) 50%-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung zwischen Glücksspiel und Unterhaltungsspiel . . . . . . . . . a) Vermögenswerter Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vermögenswerter Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abgrenzung zwischen Glücksspiel und Lotterie i. S. d. § 287 StGB . . III. Tathandlungen des § 284 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Veranstalten eines Glücksspiels gemäß § 284 Abs. 1 Alt. 1 StGB . . . a) Unselbstständiges Vermitteln durch den Veranstalter . . . . . . . . . . . . b) Selbstständiges Vermitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Halten eines Glücksspiels gemäß § 284 Abs. 1 Alt. 2 StGB . . . . . . . . 3. Bereitstellen von Einrichtungen für das Veranstalten eines Glücksspiels gemäß § 284 Abs. 1 Alt. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Werbung für ein Glücksspiel gemäß § 284 Abs. 4 StGB . . . . . . . . . . . 5. Öffentlichkeit gemäß § 284 Abs. 1 StGB und gewerbsmäßige Begehung gemäß § 284 Abs. 3 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Behördliche Erlaubnis i. S. v. § 284 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundstrukturen der Verwaltungsakzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prinzipielle Ausrichtung des derzeitigen Verwaltungsrechts zur Genehmigung von Sportwetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Teil Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots § 3 Inländischer Handlungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Angebot von Sportwetten im terrestrischen Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Angebot von Sportwetten im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erweiternde Auslegung des Tathandlungsbegriffs durch das KG . . . . 2. Erweiternde Auslegung des Tathandlungsbegriffs durch Cornils . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 3. Annahme eines inländischen Handlungsortes in der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die kammergerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Ansatz von Cornils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Technische Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dogmatische Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4 Inländischer Erfolgsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Deliktsnatur des § 284 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verletzungs- und Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfolgsdelikte und schlichte Tätigkeitsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einordnung des § 284 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auslegung des „zum Tatbestand gehörenden Erfolgs“ i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Restriktive Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Extensive Auslegung des „zum Tatbestand gehörenden Erfolgs“ i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einschränkung der extensiven Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Konzeption von Sieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Urteil des BGH zur Volksverhetzung im Internet (sog. TöbenUrteil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ungeeignetheit der Orientierung an den Deliktskategorien i. S. d. allgemeinen Tatbestandslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigenständige Bestimmung des zum Tatbestand gehörenden Erfolgs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gegenargument der teleologischen Reduktion bei § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gegenargument der Parallelität der materiellen Vorverlagerung und der räumlichen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Objektive Bedingung der Strafbarkeit als Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB – Entwicklung der Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kritik an dem „Tathandlungserfolg“ Siebers . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 4. Teil Die Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
§ 5 Darstellung des öffentlichen Sportwettenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bundesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rennwett- und Lotteriegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewerberecht (§§ 33c–33i GewO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtslage zum Zeitpunkt der Einführung der staatlichen Sportwette ODDSET im Jahre 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Genehmigungsvorbehalt nur für staatliche Anbieter . . . . . . . . . . . . b) Genehmigungsvorbehalt auch für Private . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehlen expliziter landesrechtlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inkrafttreten des Lotteriestaatsvertrages der Länder am 1.7.2004 . . . . 3. Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages der Länder am 1.1.2008 – Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. EU-Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sonderproblem: Die sog. DDR-Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgrundlage für die Erteilung und Wirksamkeit der Erlaubnisse nach DDR-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) GewG DDR i.V. m. DVO-GewG DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusätzliches Genehmigungserfordernis nach der SlgLottVO DDR? c) Wirksamkeit für Sportwetten mit festen Gewinnquoten . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fortgeltung nach der Wiedervereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Räumlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Regelungswirkung gemäß Art. 19 S. 1 EV . . . . . . . . . aa) Ausgangspunkt: Grundsatzurteil des Siebten Senats des BVerwG vom 15.10.1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fortgeltungsanordnung nur nach Maßgabe bundesstaatlicher Ordnung – die Auffassung Dietleins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beschluss des Sechsten Senats des BVerwG vom 20.10.2005 dd) Urteil des Sechsten Senats des BVerwG vom 21.6.2006 . . . . . ee) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenständliche Erstreckung der Sportwettengenehmigungen . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 6 Verfassungs- und europarechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. Manipulations- und Suchtanfälligkeit von Sportwetten . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Inhaltsverzeichnis
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1. Manipulationsanfälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Suchtanfälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Diagnose (Glücks-)Spielsucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefährdungspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Prävalenzschätzungen aufgrund epidemiologischer Studien und Therapienachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Analyse der strukturellen und situationalen Merkmale . . . . . . (1) Ereignisfrequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausmaß der persönlichen Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Flexible Einsatzhöhe und Gewinnmöglichkeit . . . . . . . . . . . (4) Psychologie der Fast-Gewinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Verfügbarkeit und Griffnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsmäßigkeit eines Sportwettenmonopols der Länder . . . . . . . . . . 1. Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eröffnung des Schutzbereichs und Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dogmatische Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das staatliche Sportwettenmonopol als objektive Berufszulassungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Absenkung der Rechtfertigungsanforderungen aufgrund „atypischer Besonderheiten“ des Buchmacherberufs? . . . . (2) Anhebung der Rechtfertigungsanforderungen aufgrund einer Zulassungssperre durch das staatliche Monopol? . . . cc) Verhältnismäßigkeit des staatlichen Sportwettenmonopols . . . (1) Verfassungslegitimer Zweck nach Maßgabe der Drei-Stufen-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Überragend wichtiges Gemeinschaftsgut . . . . . . . . . . . . (b) Nachweisbare bzw. höchstwahrscheinliche schwere Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Europarechtskonformität eines staatlichen Wettmonopols . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarkeit mit der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschränkung der Niederlassungs- und Dienstfreiheit . . . . . . . . . . . b) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131 133 133 134 134 138 138 139 139 140 140 141 141 142 142 144 144 145 145 146 146 148 149 149 149 151 154 156 160 165 167 167 168 170
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Inhaltsverzeichnis aa) Ausdrücklich vorgesehene Ausnahmeregelungen in Art. 45 und 46 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ungeschriebener Rechtfertigungsgrund: zwingende Gründe des Allgemeininteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Konkretisierende Rechtsprechung des EuGH zum Sportwettenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gambelli-Urteil vom 6.11.2003 und Placanica-Urteil vom 6.3.2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Liga Portuguesa-Urteil vom 8.9.2009 . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Rechtslage in Deutschland gemessen an den Maßstäben des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Zwingende Gründe des Allgemeininteresses als Regelungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Kohärente und systematische Begrenzung . . . . . . . . . . (d) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarkeit mit Art. 86 Abs. 1 i.V. m. Art. 82 EG . . . . . . . . . . . . . . . a) Wettbewerbsbeschränkung i. S. v. Art. 86 Abs. 1 i.V. m. Art. 82 EG durch das staatliche Sportwettenmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahme von der Anwendung der Wettbewerbsregeln nach Art. 86 Abs. 2 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die akzessorische Strafnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fehlen verwaltungsrechtlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzlich erlaubtes oder verbotenes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einordnung des § 284 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Glücksspiel als generell sozialschädliches Verhalten . . . . . . . . . . . . b) Glücksspiel als grundsätzlich sozialadäquates bzw. wertneutrales Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungswidriges Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungswidrigkeit der Strafnorm selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Neutralität der verwaltungsakzessorischen Strafnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfassungswidrigkeit der Anwendung der Strafnorm i.V. m. dem zugrunde liegenden Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Struktur und Funktion der Verwaltungsakzessorietät . . . . . . . . . . . .
170 170 171 171 173 174 175 175 176 179 180 181 181 182 183 186 186 187 188 189 190 190 191 192 194 195 196 197 198
Inhaltsverzeichnis b) Rechtswidrige Erteilung und Versagung von Genehmigungen, etwa im Umweltstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfassungsrechtliche Gründe für die Straflosigkeit im Fall verfassungswidrigen Erlaubnisrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsstaatsprinzip und § 79 Abs. 1 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . bb) Intensivierung der ursprünglichen und Hervorrufen weiterer Grundrechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Präventives Verbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besonderheiten durch Tenorierung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unvereinbarkeitserklärung mit Weitergeltungsanordnung allgemein und am Beispiel des Sportwettenurteils des BVerfG vom 28.3.2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkung auf die Anwendung akzessorischer Strafnormen . . . . aa) Parallele zum Steuerstrafrecht – Entscheidung des BGH zur Vermögensteuer (BGHSt 47, 138) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Divergenz zwischen BGHSt 47, 138 und BGH NJW 2007, 3078 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik an der Argumentation in BGHSt 47, 138 . . . . . . . . . . . . dd) Straflosigkeit im Zeitraum vor der Entscheidung des BVerfG ee) Straflosigkeit während des Übergangszeitraums . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Europarechtswidriges Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Europarechtliche Neutralität des § 284 StGB – BGH (Z) „Schöner Wetten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kollision des Straftatbestands mit Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolge auf nationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Suspendierung des Anwendungsvorrangs für die Übergangszeit? . . b) Europarechtskonforme Auslegung vor Nichtanwendung . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 199 201 202 205 206 207 207
207 209 210 211 212 214 215 216 217 218 218 220 220 222 223
5. Teil Resümee
224
§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 § 9 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Staatliches Sportwettenmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Verwaltungsakzessorische Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. a. E. a. F. Abs. ÄndG allg. Alt. amtl. Anm. AO Art. AT Aufl. BayObLG BayVBl. Beschl. BFH BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BKA BKartA BPatG BRD BT BT-Drucks. BtmG BVerfG BVerfGE BVerwG
andere(r) Ansicht am angegebenen Ort am Ende alte Fassung Absatz Änderungsgesetz allgemein Alternative amtlich Anmerkung Abgabenordnung Artikel Allgemeiner Teil Auflage Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Beschluss Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeskriminalamt Bundeskartellamt Bundespatentgericht Bundesrepublik Deutschland Besonderer Teil Bundestagsdrucksache (zitiert nach Wahlperiode und Nummer) Betäubungsmittelgesetz i. d. F. v. 1.3.1994 (BGBl. I 358), letztes ÄndG v. 18.2.2008 (BGBl. I 246) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht
Abkürzungsverzeichnis BVerwGE BW bzw. ca. CR d. h. DDR ders./dies. DJZ DÖV DStR DVBl. EG EGStGB etc. EU EuGH EuR EuZW EWS f. ff. Fn. FS GA GBl. GewArch GG GRUR GRUR-RR GS GVBl. h. L. h. M. Hrsg. i. d. F. i. E. i. S. d. i. S. e.
17
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (amtliche Sammlung) Baden-Württemberg beziehungsweise circa Computer und Recht (Zeitschrift) das heißt Deutsche Demokratische Republik derselbe/dieselbe Deutsche Juristen-Zeitung Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Europäische Gemeinschaft bzw. Vertrag zur Gründung der europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch v. 2.3.1974 (BGBl. I 469), letztes ÄndG v. 23.11.2007 (BGBl. I 2614) et cetera (= und so weiter) Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europarecht (Zeitschrift) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) folgende fortfolgende Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (Zeitschrift) Gesetzesblatt Gewerbearchiv (Zeitschrift) Grundgesetz Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht-RechtsprechungsReport Gedächtnisschrift Gesetz- und Verordnungsblatt herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber in der Fassung im Ergebnis im Sinne der/s im Sinne einer/s
18 i. S. v. i.V. m. JA JR jurisPR-StR JuS JZ K&R Kap. KG KrWaffKontrG LG m. E. m.w. N. MMR MschrKrim n. F. NJ NJW NJW-RR Nr. NRW NStZ NStZ-RR NVwZ NVwZ-RR NWVBl. OGH OLG OVG RG RGBl. RGSt. Rn. Rs. Rspr. s. S. s. o. s. u. scil.
Abkürzungsverzeichnis im Sinne von in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Juristische Rundschau (Zeitschrift) juris PraxisReport Strafrecht (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung Kommunikation und Recht (Zeitschrift) Kapitel Kammergericht Berlin Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen i. d. F. v. 22.11.1990 (BGBl. I 2506), letztes ÄndG v. 31.10.2006 (BGBl. I 2407) Landgericht meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Multimedia und Recht (Zeitschrift) Monatsschrift für Kriminologie (Zeitschrift) neue Fassung Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechungs-Report Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer(n) Rechtssache Rechtsprechung siehe Seite/Satz siehe oben siehe unten scilicet (= nämlich)
Abkürzungsverzeichnis Slg. sog. SpuRt StGB StIGH StPO StRÄndG StraFo StRG st. Rspr. StV TDG TMG u. a. u. ä. Urt. usw. UWG v. VerwArchiv VG VGH vgl. Vor/Vorb./Vorbem. VStG VVDStRL wistra WiVerw wrp z. B. ZBl. ZfWG ZIS zit.
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Sammlung so genannt(e, r, s) Sport und Recht (Zeitschrift) Strafgesetzbuch i. d. F. v. 13.11.1998 (BGBl. I 3322), letztes ÄndG v. 31.10.2008 (BGBl. I 2149) Ständiger Internationaler Gerichtshof, seit 1946 Internationaler Gerichtshof (IGH) Strafprozessordnung i. d. F. v. 7.4.1987 (BGBl. I 1074), letztes ÄndG v. 31.10.2008 (BGBl. I 2149) Strafrechtsänderungsgesetz Strafverteidiger-Forum (Zeitschrift) Strafrechtsreformgesetz ständige Rechtsprechung Strafverteidiger (Zeitschrift) Teledienstegesetz i. d. F. v. 22.7.1997 (BGBl. I 1870), zum 1.3. 2007 ersetzt durch das TMG Telemediengesetz i. d. F. v. 26.2.2007 (BGBl. I 179), letztes ÄndG v. 25.12.2008 (BGBl. I 3083) unter anderem und ähnliches Urteil und so weiter Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb i. d. F. v. 3.7.2004 (BGBl. I 1414), letztes ÄndG v. 22.12.2008 (BGBl. I 2949) von/vom Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vorbemerkung Vermögensteuergesetz i. d. F. v. 14.11.1990 (BGBl. I S. 2467), letztes ÄndG v. 29. 20.2001 (BGBl. I S. 2785) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) zum Beispiel Zentralblatt für das deutsche Reich (bis 1922, danach Reichsministerialblatt) Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht Zeitschrift für Internationale Strafechtsdogmatik zitiert
20 ZRP ZStW ZUM zust.
Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht zustimmend
1. Teil
Einleitung: Problemstellung, Ziele und Aufbau der Untersuchung I. Dem gesamten Rechtsgebiet rund um die Sportwette kommt heute eine bisher ungekannte, auf eine gewisse Relevanz hindeutende Aktualität zu. Bei dem Gedanken an Sportwetten und Strafrecht mag dem Leser in erster Linie der Fall „Hoyzer“ in den Sinn kommen. Dort ging es um einen Wettbetrug in mehreren Fällen, indem ein Wettteilnehmer die den Wetten zugrunde liegenden Fußballspiele manipulierte. Die vorliegende Arbeit befasst sich jedoch mit der möglichen Strafbarkeit bereits der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten als solcher gemäß § 284 StGB, ohne Betrug. So ist dem interessierten Beobachter nicht entgangen, dass vielfach private Wettbüros, in denen mit festen Gewinnquoten auf den Ausgang aller möglichen sportlichen Ereignisse gewettet werden konnte, eröffneten, um anschließend zu einem großen Teil und oftmals zwangsweise wieder zu schließen. Die Ursache für dieses Phänomen liegt vor allem in der drohenden Strafbarkeit gemäß § 284 StGB. Denn sowohl setzen ordnungsrechtliche Untersagungsverfügungen gegen Sportwettenanbieter häufig das Eingreifen von § 284 StGB voraus1 (z. B. Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 Landesstrafund Verordnungsgesetz Bayern, § 3 Hamburger Sicherheits- und Ordnungsgesetz) als auch stützen sich wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklagen, initiiert von den staatlichen Lotteriegesellschaften der Länder, gemäß §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG (§ 1 UWG a. F.) auf § 284 StGB.2 Die Strafbarkeit gemäß § 284 StGB ist also über das Strafrecht hinaus von zentraler Bedeutung. Hieraus erklärt sich auch die kaum mehr zu überblickende und nicht abreißende Flut von unter- und oberinstanzlicher Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sowie der ordentlichen Gerichte in Wettbewerbssachen, die sich mit der Anwendung und Auslegung des § 284 StGB beschäftigen und dabei teilweise zu gegenläufigeren Ergebnissen kommen.3
1
s. z. B. VGH München NVwZ 2006, 1430; OVG Hamburg NVwZ 2007, 725. s. z. B. BGH (Z) NJW 2002, 2175; OLG Celle (Z) ZUM 2007, 540; OLG Köln (Z) MMR 2006, 230. 3 s. neben den Nachw. in Fn. 1 und 2 etwa diejenigen bei Bahr, Glücks- und Gewinnspielrecht, Rn. 705j ff. 2
22
1. Teil: Einleitung
II. 1. Sportwetten treten heute grundsätzlich in zwei Formen auf.4 Zum einen gibt es den herkömmlichen sog. Toto bzw. Fußballtoto, bei dem auf den Ausgang einer bestimmten Anzahl von Fußballspielen aus einem festgelegten Plan getippt wird. Da der Wettanbieter hierbei von vornherein nur einen bestimmten Teil der Wetteinsätze als Gewinn ausschüttet, steht die Gewinnquote und damit die Höhe eines eventuellen Gewinns vor Abschluss der Wette nicht fest, sondern hängt von der Anzahl und den Tippergebnissen der übrigen Wettteilnehmer ab. Zum anderen gibt es die sog. Oddset- bzw. Buchmacherwette. Hier kann bei einem Buchmacher sowohl auf den Ausgang als auch auf sonstige Ereignisse im Rahmen eines Sportereignisses gewettet werden. Die Gewinnausschüttung ist im Gegensatz zum Toto nicht auf einen bestimmten Teil der Wetteinsätze beschränkt, vielmehr ist die Gewinnquote vor Abschluss der Wette vom Wettanbieter nach Erfahrungssätzen festgelegt. So kann ein eventueller Gewinn unabhängig von der Anzahl und den Tippergebnissen der übrigen Wettteilnehmer bereits vor dem Abschluss der Wette errechnet werden. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf derartige Sportwetten mit festen Gewinnquoten, da diese Form in der Praxis die weitaus größere Relevanz aufweist und bei der rechtlichen Bewertung zu einer Vielzahl von Problemen führt.5 2. Der Markt für Sportwetten hat mittlerweile eine wirtschaftliche Dimension erreicht, die ihresgleichen sucht. Er stellt national wie international einen der am stärksten wachsenden Märkte überhaupt dar. Allein in Deutschland wetten zurzeit nach Schätzungen etwa sieben Millionen Menschen aktiv und regelmäßig auf den Ausgang von Sportereignissen.6 Der deutsche Sportwettenmarkt inklusive privater und ausländischer (Internet-)Angebote hatte im Jahr 2007 ein geschätztes Wetteinsatzvolumen zwischen 1,8 und 3,7 Milliarden Euro; mit deutlich steigender Tendenz.7 Insbesondere Sportwetten zu festen Gewinnquoten erfreuen sich mittlerweile großer Beliebtheit. III. 1. Während die Strafbarkeit nach § 284 StGB, wie gezeigt, Voraussetzung für Maßnahmen des Ordnungsrechts sein kann, hängen die Strafbarkeitsvoraussetzungen selbst wiederum vom öffentlichen Recht ab: Strafbar ist gemäß § 284 Abs. 1 StGB nur das Veranstalten eines Glücksspiels „ohne behördliche Erlaubnis“. Ob, wann und vor allem wem eine solche behördliche Erlaubnis erteilt wird, regeln Vorschriften des Verwaltungsrechts. Bei dieser, hier zunächst nur angedeuteten, Verzahnung zwischen einem Straftatbestand und öffentlichrechtlichen Vorschriften handelt es sich um die sog. Verwaltungsakzessorietät, welche vorwiegend aus dem Umweltstrafrecht der §§ 324 ff. StGB bekannt ist.8 4
s. dazu ausführlich u. S. 33 ff. s. im Einzelnen u. S. 35 f. 6 Vgl. Fackler K & R 2006, 313 (313) m.w. N. 7 s. Albers in: Gebhardt/Grüsser-Sinopoli (Hrsg.), Glücksspiel, S. 56 (70); Becker in: Becker/Baumann (Hrsg.), Glücksspiel, S. 1 (7) m.w. N. 8 s. dazu u. S. 68 ff.; 187 ff. 5
1. Teil: Einleitung
23
2. Obgleich die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten in manchen Ländern, darunter Mitgliedstaaten der EU, auch privaten Anbietern offen steht, ist in Deutschland die Erteilung einer Erlaubnis zur Veranstaltung oder Vermittlung von Sportwetten nur an staatliche oder staatlich kontrollierte Anbieter vorgesehen. Die einschlägigen verwaltungsrechtlichen Vorschriften in Deutschland konstituieren also ein öffentlich-rechtliches Monopol.9 Privaten Anbietern ist es unmöglich, von deutschen Behörden eine behördliche Erlaubnis zur Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten zu erlangen. IV. Diese Konstellation eines öffentlich-rechtlich fixierten Monopols mit akzessorischer Strafbarkeit wirft eine ganze Reihe von Rechtsfragen auf. 1. Zu konstatieren ist, dass das staatliche Monopol in der Praxis in bedeutendem Maße unterlaufen wird. So werden nach Schätzungen lediglich 22% der geschilderten Umsätze auf dem deutschen Sportwettenmarkt durch das staatliche Angebot ODDSET der im Deutschen Lotto- und Totoblock zusammengeschlossenen Landeslotteriegesellschaften erzielt. Der überwiegende Umsatzanteil geht also auf private Anbieter aus dem In- und Ausland zurück.10 Der Grund hierfür liegt in erster Linie in der Nutzung des Internets zur Abwicklung der Sportwettenveranstaltung durch die privaten Anbieter. Zum einen sind hier die Inhaber sog. DDR-Lizenzen zu nennen. Dabei handelt es sich um Genehmigungen, die einigen privaten Anbietern im Jahre 1990 noch vor Abschluss der Wiedervereinigung von DDR-Behörden nach dem Gewerbegesetz der DDR erteilt wurden und die das Anbieten von Sportwetten ausdrücklich erlauben. Eine solche Genehmigung erhielt unter anderem der in Deutschland bekannteste private Sportwettenanbieter bwin (vormals betandwin), der seine Wetten nahezu ausschließlich über das Internet abwickelt und mittlerweile zudem in Österreich lizenziert ist. Ob die Genehmigungen auch nach der Wiedervereinigung und für ein Angebot im gesamten Bundesgebiet eine taugliche behördliche Erlaubnis i. S. v. § 284 Abs. 1 StGB darstellen, ist nach wie vor unklar. Zum anderen gibt es zahlreiche private Anbieter, die im Besitz einer Genehmigung eines EU-Mitgliedstaates sind und auf dem deutschen Markt entweder über das Internet oder über in Deutschland eröffnete Vermittlungsbüros aktiv werden. Dies wirft neben Fragen des Strafanwendungsrechts (§§ 3 ff. StGB) solche des Europarechts auf. 2. Fraglich ist, ob ein staatliches Monopol, das private Anbieter gänzlich ausschließt, einerseits mit dem Grundgesetz und andererseits mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrages in Einklang zu bringen ist. So erklärte das BVerfG im
9 Ausgenommen ist der Bereich des Pferdesports. Hier besteht nach dem Rennwettund Lotteriegesetz (RWG) v. 8.4.1922 (RGBl. I 1922 S. 393) auch für private Buchmacher die Möglichkeit, eine Genehmigung zur Veranstaltung von Pferderennwetten zu erlangen. Ausführlich zum Ganzen u. S. 106 ff. 10 s. Becker in: Becker/Baumann (Hrsg.), Glücksspiel, S. 1 (7); Scheidler/Büttner GewArch 2006, 401 (404).
24
1. Teil: Einleitung
Jahre 2006 ein staatliches Sportwettenmonopol zwar nicht generell, aber doch in der damaligen Ausgestaltung wegen Verstoßes gegen die Berufsfreiheit potenzieller privater Wettanbieter aus Art. 12 Abs. 1 GG für verfassungswidrig.11 Parallel entschied der EuGH in den Jahren 2004 und 2007, dass eine Beschränkung des Sammelns, der Annahme, der Bestellung und der Übertragung von Sportwetten einen Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nach Art. 43 und 49 EG darstellen kann.12 Wie bereits erwähnt, ist die Vorschrift des § 284 StGB aufgrund ihres verwaltungsakzessorischen Merkmals der behördlichen Erlaubnis unmittelbar mit den monopolbegründenden Bestimmungen des Verwaltungsrechts verknüpft. Von besonderem Interesse wird daher sein, ob und inwiefern sich eine etwaige Verfassungs- oder auch Europarechtswidrigkeit des Verwaltungsrechts auf die Strafbarkeit auswirkt. V. Dem vorangestellt sind originär-strafrechtliche Probleme etwa im Hinblick auf das von § 284 StGB geschützte Rechtsgut oder die Subsumierbarkeit der Sportwette unter das Tatbestandsmerkmal des Glücksspiels. VI. All dies hat zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit bei der Anwendung des im Kern seit dem Jahre 1919 unveränderten § 284 StGB geführt. Ziel der Arbeit ist es, die – angesichts der bestehenden innerstrafrechtlichen Unklarheiten sowie der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung und gesetzgeberischen Tätigkeit im Schnittbereich der Sportwette zwischen Strafrecht und öffentlichem Recht erschwerte – Handhabung des § 284 StGB auch für die Zukunft sicher zu konturieren. Nochmals zusammengefasst geht es dabei im Einzelnen um: 1. Den Streit um das Rechtsgut, welches hinter dem Verbot des § 284 Abs. 1 StGB steht und folglich von diesem zu schützen ist.13 Geht es noch um die Sicherung der „öffentlichen Sittlichkeit und Moral“? Oder dient das strafbewehrte Verbot heute der Absicherung staatlicher Kontrolle und Zügelung der wirtschaftlichen Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft, bzw. dem Schutz des Vermögens der Spieler, mit anderen Worten dem Schutz der Spieler bzw. Wettenden vor sich selbst? Ob ein solcher strafrechtlicher Paternalismus oder die Absicherung eines Staatsmonopols mit strafrechtlichen Mitteln ihre Berechtigung finden, darf bezweifelt werden. 2. Den Streit um die Subsumierbarkeit der Sportwette unter das Tatbestandsmerkmal des Glücksspiels i. S. v. § 284 Abs. 1 StGB.14 Handelt es sich bei einer Wette auf den Ausgang eines Sportereignisses überhaupt um ein Spiel und falls ja, ist sie nicht vielleicht nur ein Geschicklichkeits- und kein 11 12 13 14
BVerfGE 115, 276 – Sportwette. EuGH Slg. 2003 I-13076 – Gambelli; Slg. 2007 I-1932 – Placanica. s. dazu u. S. 37 ff. s. dazu u. S. 47 ff.
1. Teil: Einleitung
25
Glücksspiel, da die Gewinnchance maßgeblich durch die Kenntnisse und Erfahrungen des jeweiligen Spielers und nicht durch den Zufall bestimmt wird? 3. Das Problem der Vermittlung von Sportwetten.15 Welcher Tathandlung des § 284 Abs. 1 StGB unterfällt das Vermitteln des Abschlusses einer Sportwette, etwa per Telefon oder Internet? Stellt dies bereits ein Veranstalten oder Halten eines Glücksspiels i. S. v. § 284 Abs. 1 StGB dar oder werden Einrichtungen für die Veranstaltung eines Glücksspiels bereitgestellt? 4. Die Frage nach der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts bei einem Wettangebot mit Auslandsbezug.16 Ist deutsches Strafrecht überhaupt anwendbar, wenn ausländische Anbieter – insbesondere über das Internet – den Abschluss von Sportwetten in Deutschland anbieten bzw. wenn Wettbüros in Deutschland Wetten an ausländische Veranstalter lediglich vermitteln? 5. Die Verwaltungsakzessorietät des § 284 StGB. Nur das Glücksspiel „ohne behördliche Erlaubnis“ ist erfasst. Sind nun aber verwaltungsrechtliche Regelungen, die die Erteilung einer solchen Erlaubnis für die Sportwettenveranstaltung und -vermittlung nur an staatliche Anbieter vorsehen und private Anbieter durch ein derartiges Staatsmonopol vollständig ausschließen, mit deutschem Verfassungsrecht und europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar?17 Und welche Konsequenzen hat ein Verstoß gegen Verfassungs- bzw. Europarecht für die Anwendbarkeit einer verwaltungsakzessorischen Strafnorm wie § 284 StGB?18 Lassen sich Grundsätze, die hierzu gegebenenfalls im Umweltstrafrecht als typischer Materie der Verwaltungsakzessorietät entwickelt wurden, auf § 284 StGB übertragen? 6. Die DDR-Lizenzen und ihre Legitimationswirkung im Rahmen des § 284 StGB.19 Stellen diese ausdrücklichen Genehmigungen für die Veranstaltung von Sportwetten auch nach der Wiedervereinigung taugliche behördliche Erlaubnisse i. S. v. § 284 Abs. 1 StGB dar und gelten sie für das gesamte Bundesgebiet? 7. Die Behandlung von Anbietern insbesondere aus dem EU-Ausland, die in ihrem Heimatstaat eine Genehmigung erhalten haben.20 Entfaltet eine solche Genehmigung Legalisierungswirkung im Rahmen des § 284 StGB, d. h. ist die Genehmigung des Heimatlandes taugliche behördliche Erlaubnis i. S. v. § 284 StGB? 15 16 17 18 19 20
s. s. s. s. s. s.
dazu dazu dazu dazu dazu dazu
u. u. u. u. u. u.
S. S. S. S. S. S.
65 ff. 71 ff. 131 ff. 187 ff. 113 ff. 112 und S. 217 ff.
26
1. Teil: Einleitung
VII. Aus dieser Problemstellung und Zielsetzung ergibt sich der Aufbau der Arbeit in fünf Teilen. Der auf die Einleitung folgende zweite Teil behandelt nach einer geschichtlichen Einführung und einer Darstellung der heutigen Erscheinungsformen der Sportwette die Probleme bei der Bestimmung des Rechtsguts und der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 284 StGB im Hinblick auf Sportwetten. Im dritten Teil wird die Frage nach der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts in den häufig auftretenden Fällen eines grenzüberschreitenden Sportwettenangebots beantwortet, während sich der vierte Teil als Schwerpunkt der Arbeit den Problemen widmet, die aufgrund der Entwicklungen im Bereich des öffentlichen Rechts der Sportwette im Zusammenhang mit der Verwaltungsakzessorietät des § 284 StGB entstanden sind. Den Schluss bildet der fünfte Teil mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen und einem Ausblick auf die weitere Entwicklung der Materie.
2. Teil
Die Anwendung des § 284 StGB auf die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten § 1 Kriminalgeschichtlicher Überblick und Erscheinungsformen der Sportwette heute I. Kriminalgeschichtlicher Überblick Zunächst soll der Leser einen für die heutigen Verhältnisse vorgreifenden Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Sportwette im Glücksspielstrafrecht1 sowie die Entstehung des heutigen § 284 StGB erhalten. Die historische Betrachtung zeigt zum einen, welchen Schwankungen Zweck und Ausgestaltung einer strafrechtlichen bzw. strafrechtsähnlichen Norm gegen das Glücksspiel im Laufe der Zeit ausgesetzt waren. Zum anderen sind die Umstände der Entstehung des seit knapp 90 Jahren unveränderten § 284 Abs. 1 StGB sowie die Behandlung der Pferderennwette von Relevanz für die weitere Untersuchung der Strafbarkeit der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten heute. 1. Geschichtliche Entwicklung der Sportwette im Glücksspielstrafrecht bis zum Jahre 1871 a) Römisches Recht Die Geschichte des allgemeinen Glücksspielsstrafrechts reicht weit zurück. Spuren einer Pönalisierung des Glücksspiels – etwa in Form des Würfelspiels – lassen sich bis in das republikanische Recht Roms verfolgen. Hier war grundsätzlich jedes Spiel um Geld bei Strafe verboten.2 Ähnlich wie durch den heutigen § 284 StGB wurde zudem versucht, das Spiel durch Maßnahmen gegen den Veranstalter des Spiels, etwa den Inhaber eines Versammlungslokals für Spieler, einzuschränken. Diesem wurde der Schutz vor Eigentums- und Körperverletzun1 Zum Verhältnis und der Unterscheidung von Glücksspiel und Wette im Rahmen des heutigen § 284 StGB s. u. S. 46. 2 Digesten 11, 5, 1 und 2.
28
2. Teil: Die Anwendung des § 284 StGB
gen, die während der Ausübung des Glücksspiels auftraten, versagt.3 Von dem allgemeinen Glücksspielverbot ausgenommen waren bemerkenswerterweise Geldeinsätze bei Kampfspielen, wie etwa dem Speerwerfen, Laufen, Springen oder Boxen, die um der Ehre und körperlichen Ertüchtigung Willen („virtutis causa“) veranstaltet wurden.4 Das galt nach der lex Titia, Publica et Cornelia ausdrücklich auch für den Abschluss von Wetten bei solchen Sportwettkämpfen („sponsionem facere licet“).5 Sportwetten im damaligen Sinne waren im Gegensatz zu sonstigem Glücksspiel also ausdrücklich erlaubt. Auch als in der Kaiserzeit der Kampf gegen das Glücksspiel auf zivilrechtlichem Wege geführt wurde, indem der Spielschuld die Klagbarkeit entzogen wurde (vgl. den heutigen § 762 Abs. 1 S. 1 BGB) und der Verlierer sogar einen Anspruch auf Rückforderung einer bereits geleisteten Spielschuld erhielt,6 war davon wiederum ausgenommen der Geldeinsatz bei fünf Wettkampfspielen: dem Springen mit Stange, dem Springen ohne Stange, dem Speerwerfen ohne Schwungriemen, dem Kämpfen und Ringen sowie dem Pferderennen, wenn der Einsatz eine bestimmte Höhe nicht überschritt.7 b) Deutsches Recht In Deutschland wird bereits bei den Germanen von Glücksspielen insbesondere in Gestalt des Würfelspiels berichtet, bei dem neben Wertgegenständen auch um die persönliche Freiheit gespielt wurde.8 Während derartiges Würfeloder dann auch Kartenspiel ab dem 12. Jahrhundert in immer mehr Städten und Territorien verboten und unter Strafe gestellt wurde, was wiederum in Parallele zum heutigen § 284 StGB auch die Haus- oder Gastwirte traf, die das verbotene Spiel veranstalteten oder duldeten, ist über Wetten im Zusammenhang mit Sportereignissen oder -wettkämpfen zu dieser Zeit nichts bekannt.9 Die allgemeinen Glücksspielbestimmungen wichen entsprechend der unterschiedlichen Herrschaftsgebiete in Art, Ziel und Umfang in hohem Maße voneinander ab. Teils war das Spielen um Geld gänzlich, teils nur gewisse Spiele oder das Spiel über einen bestimmten Betrag hinaus verboten.10 Manche Städte ließen als willkommene Einnahmequelle sogar öffentliche Spielhäuser zu, die Vorläufer der heutigen Spielbanken. 3
Digesten 11, 5, 1. Digesten 11, 5, 2. 5 Digesten 11, 5, 4. 6 Codex Iustinianus 3, 43, 1; Übersetzung bei Härtel/Kaufmann, Codex Iustinianus, S. 83 f. 7 Codex Iustinianus 3, 43, 1 a. E.; Geiger, Glücksspiel, S. 16. 8 Tacitus, Germania, Cap. 24. 9 His, Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, 2. Teil S. 326 ff. 10 His, Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, 2. Teil S. 327. 4
§ 1 Überblick und Erscheinungsformen der Sportwette heute
29
Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 179411 (ALR) enthielt in den Strafvorschriften des 20. Titels des zweiten Teils mit den §§ 1298 bis 1306 erstmals ein allgemeines Glücksspielverbot. Gemäß § 1298 ALR waren unter Androhung einer Geldstrafe „Hazardspiele“ verboten, „sobald aus der Beschaffenheit der spielenden Personen, des Einsatzes und der übrigen Umstände hervorgeht, dass selbige aus Gewinnsucht gespielt werden.“ Nach §§ 1304, 1305 ALR wurde die Strafandrohung auf diejenigen ausgeweitet, die verbotene Spiele bei sich duldeten. Mit § 1302 ALR findet sich zum ersten Mal eine ausdrückliche Vorschrift im Hinblick auf den Abschluss von Wetten. Danach war „das Wetten, auch wenn es bei erlaubten Spielen geschieht, dem Hazardspiel gleichgestellt“ und somit im Falle der „Gewinnsucht“ verboten. Über Wetten im Zusammenhang mit Sportereignissen oder -wettkämpfen ist wiederum nichts bekannt, wohl schlicht deshalb, weil sie faktisch noch keine Bedeutung hatten. 2. Entwicklung des Sportwettenstrafrechts seit 1871 und Entstehung des heutigen § 284 StGB Die erste Norm eines einheitlichen deutschen Glücksspielstrafrechts war § 284 des Reichsstrafgesetzbuchs (RStGB) aus dem Jahre 1871.12 Dieser lautete: „Wer aus dem Glücksspiel ein Gewerbe macht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft, neben welchem auf Geldstrafe von 300 bis 6000 Mark sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann.“
Strafbar war also zunächst nur das gewerbliche, d. h. zum Zweck des fortgesetzten Erwerbs betriebene, Glücksspiel. Hier beginnt nun auch die Geschichte der Sportwette im deutschen Strafrecht, die unmittelbar mit der besonderen Form der Pferderennwette verknüpft ist. Seit den 1830er Jahren wurden in Deutschland öffentliche Pferderennen veranstaltet. In diesem Zusammenhang entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die aus England stammende Pferdewette zur ersten, in nennenswertem Umfang praktisch relevanten Form der Sportwette in Deutschland.13 Zu dieser Zeit hielt die sog. „Totalisator-Wette“ in Deutschland Einzug. Dabei wurden – zunächst per Hand und später mechanisch – die Einsätze aller Wettteilnehmer in einem Topf addiert und die Summe abzüglich einer gewissen Provision entsprechend dem Ausgang des Rennens auf den oder die Gewinner verteilt. Betrieben wurden Totalisatoren von den Rennvereinen, die sich auf diese Weise 11 Abgedruckt z. B. bei Hattenhauer/Bernert, Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von 1794. 12 RGBl. I 1871 S. 182. 13 s. Deselaers in: Pfister (Hrsg.), Rechtsprobleme der Sportwette, S. 15 (18); Orth, Spiel und Wette im Strafrecht, S. 108.
30
2. Teil: Die Anwendung des § 284 StGB
erhebliche Zusatzeinnahmen sicherten. Entsprechend dem heutigen Toto, auch sprachlich lediglich eine Abkürzung des Begriffs Totalisator, stand die Gewinnquote bei Abschluss der Wette nicht fest und ein etwaiger Gewinn hing von der Anzahl und den Wettergebnissen der übrigen Teilnehmer ab. Daneben kam allmählich auch der Freiberuf des Wettunternehmers bzw. Buchmachers auf, der wie bei den heutigen Buchmacherwetten den Abschluss von Wetten zu festen Gewinnquoten anbot. Im Jahre 1882 urteilte das Reichsgericht in zwei bis heute wegweisenden Entscheidungen14, dass sowohl Totalisator- als auch Buchmacherwette ein gewerbliches Glücksspiel i. S. d. § 284 RStGB darstellen. Befolgt wurden diese Entscheidungen allerdings nur von den Rennvereinen, bei den Buchmachern wurde unvermindert (illegal) weiter gewettet.15 Aufgrund sinkender Besucherzahlen und Preisgelder bei den Pferderennen wurde der Totalisatorbetrieb in Preußen bereits 1886 wieder zugelassen. Im Jahre 1905 erging ein besonderes Totalisatorgesetz, das die Rechtsgrundlage für die Aufstellung eines staatlich genehmigten Totalisators schuf und gleichzeitig die als „Winkelbuchmacher“ bezeichneten privaten Wettunternehmen der Buchmacher verbot. Jedoch konnte auch dieses Gesetz wegen fehlender Praktikabilität und entsprechender Überforderung der Behörden die nunmehr eindeutig illegale Tätigkeit der privaten Buchmacher nicht verhindern.16 Durch das Gesetz gegen das Glücksspiel vom 23.12.191917 wurde dann die strafrechtliche Regelung des § 284 RStGB geändert. Die Beschränkung der Strafbarkeit auf das gewerbliche Glücksspiel wurde aufgehoben und § 284 (R)StGB erhielt in Abs. 1 und 2 eine deutlich verschärfte Fassung, die bis heute gilt. Gemäß Abs. 1 wird derjenige bestraft, der „ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet oder hält oder die Einrichtungen hierzu bereitstellt.“ Gemäß Abs. 2 „gelten als öffentlich veranstaltet auch Glücksspiele in Vereinen oder geschlossenen Gesellschaften, in denen Glücksspiele gewohnheitsmäßig veranstaltet werden.“ Die gewerbsmäßige Begehung wurde in § 285 RStGB gesondert und mit erhöhter Strafandrohung aufgeführt. Bezeichnend für die Motivation des damaligen Gesetzgebers zu dieser nicht unwesentlichen Verschärfung im Vergleich zu der ursprünglichen Fassung von 1871 sind die Ausführungen des damaligen Reichsjustizministers während der Beratung zum Entwurf des Gesetzes gegen das Glücksspiel in der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung am 18.12.1919:18 14 15 16 17 18
fügt.
RGSt 6, 172 (175 f.) und 421 (425 f.); s. dazu im Einzelnen u. S. 47 ff. s. Behrens, Vermögensstraftaten, S. 2. Vgl. Deselaers in: Pfister (Hrsg.), Rechtsprobleme der Sportwette, S. 15 (19). RGBl. I 1919 S. 2145. Zitiert nach Astl/Rathleff, Das Glücksspiel, S. 11 f., Hervorhebungen hinzuge-
§ 1 Überblick und Erscheinungsformen der Sportwette heute
31
„Wenn ich Sie bitten muß, noch im gegenwärtigen Augenblick diesen Gesetzesentwurf zu verabschieden, so liegt der Grund dafür in einem Umstand, der unmittelbar mit dem Gegenstand des Gesetzes gar nichts zu tun hat. Ich muß diese Bitte an Sie richten mit Rücksicht auf die Aufhebung des Belagerungszustandes. Es ist allgemein bekannt, welchen Umfang und welche überaus bedauerlichen Formen das Glücksspiel in der letzten Zeit angenommen hat; Erscheinungen, die nicht bloß zu dem Rechts- und Anstandsgefühl unseres Volkes in krassem Widerspruch stehen, sondern angesichts der schweren, drückenden Lage, in der wir uns befinden, geradezu einen Hohn auf die Zustände darstellen, in denen sich der größte Teil unserer Volksgenossen befindet. Diesen Erscheinungen muß mit allem Nachdruck entgegengetreten werden. Das Mittel dazu bot das Gesetz über den Belagerungszustand, und auf der Grundlage dieses Gesetzes sind dann auch Verordnungen ergangen, die gegen das Überwuchern des Glücksspiels zur Anwendung gebracht worden sind. Mit der Aufhebung des Belagerungszustandes mußten auch diese Verordnungen in Wegfall kommen. Es wäre geradezu unerträglich gewesen, hier eine Lücke eintreten zu lassen, und in der Tat zeigt sich bereits, daß die Kreise, die dem Glücksspiel frönten, aufatmen, weil sie glauben, daß für sie jetzt wieder gute Zeiten gekommen seien. Dem muß die Regierung entgegentreten. Deshalb hat sie diesen Gesetzesentwurf mit all seiner Schärfe und all seiner Nachdrücklichkeit Ihnen vorgelegt und hat auch die Bedenken zurückgestellt, daß sie damit der Gesamtrevision des Strafgesetzbuchs vorgreift. Die Not des Augenblicks erheischt ein schnelles und kräftiges Zugreifen.“
Demzufolge muss man sich als Triebfeder des Entwurfs und der anschließenden Verabschiedung des Gesetzes die Situation schwerster Not von Bevölkerung und Staat in Deutschland nach dem verlorenen ersten Weltkrieg vor Augen führen:19 Im Innern herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände, der Staat war bankrott, Millionen Menschen litten ein heute unvorstellbares Elend und waren zutiefst verunsichert hinsichtlich ihrer Zukunft.20 Zu diesem allgemeinen, existenzbedrohenden Elend musste es in hohnschreiendem Widerspruch stehen, wenn einige Wenige21, wie damals üblich, in geschlossenen Clubs um Geld spielten.22 Gerade § 284 Abs. 2 (R)StGB, der auch die meisten nicht öffentlichen Glücksspiele zu öffentlichen macht,23 diente dazu, diesen Spielclubs zu Leibe zu rücken. Eine entscheidende Rolle spielte also die Erwägung, die allgemein instabile staatliche Ordnung der jungen Weimarer Republik zu festigen. Für die Totalisatoren und privaten Buchmacher der Pferdewette als einzig bekannter Sportwette zu diesem Zeitpunkt wurde allerdings mit dem Rennwett19
Vgl. auch Lange in: FS Dreher, S. 573 (574 f.); Belz, Glücksspiel im Strafrecht,
S. 4. 20
Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 15. s. Hund NStZ 1993, 571 (571); Lange in: FS Dreher, S. 573 (574 f.) [„Neureiche, Schieber und Raffkes“]. 22 s. Schmidt ZStW (41) 1920, 609 (609); Weiß DJZ 1919, 593 (595); ders. Deutsche Strafrechtszeitung 1920, 28 (30); beide unter Hinweis auf die Drucksachen und Berichte der Nationalversammlung. 23 So schon Schmidt ZStW (41) 1920, 609 (612). 21
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2. Teil: Die Anwendung des § 284 StGB
und Lotteriegesetz vom 8.4.192224 (RWG), das noch heute i. d. F. vom 16.12. 198625 gilt, die Möglichkeit geschaffen, für ihre Tätigkeit eine strafbarkeitsausschließende behördliche Erlaubnis i. S. v. § 284 (R)StGB zu erlangen. Wie unsicher sich die damalige Reichsregierung mit dem RWG war, zeigt sich daran, dass sie – wohl einmalig in der demokratischen Gesetzgebung – dem Parlament zwei verschiedene Entwürfe zur Auswahl vorlegte. Während der erste Entwurf das generelle Verbot der Buchmacher aufrechterhielt, sah der zweite ein Lizenzierungsmodell für die Buchmacher neben den Totalisatoren vor.26 Der Reichstag entschied sich für den zweiten Entwurf, die Genehmigungserteilung für die Buchmacher wurde zum Schutz der Wettteilnehmer vor Manipulationen durch die Buchmacher jedoch an strenge Vorgaben geknüpft.27 Durch das EGStGB vom 2.3.197428 wurde die gewerbsmäßige Begehung nach § 285 StGB mit der Begründung ersatzlos gestrichen, dass der Strafrahmen der Grundtatbestände ausreichend sei.29 Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15.7.199230 (OrgKG) wurde sie im heutigen Abs. 3 des § 284 StGB strafschärfend wieder aufgenommen. Lapidare Begründung hierfür war, dass die Veranstaltung illegalen Glücksspiels einen typischen Deliktsbereich der Organisierten Kriminalität darstelle und die Höchststrafe des § 284 Abs. 1 StGB mit zwei Jahren für eine gewerbs- oder bandenmäßige Begehung nicht schuldangemessen sei.31 Durch das 6. StRG vom 26.1.1998 wurde mit dem neuen Abs. 4 die Strafbarkeit auf die Werbung für unerlaubtes Glücksspiel ausgedehnt. Den Grund hierfür sah der Gesetzgeber insbesondere in der Bekämpfung ausländischer Glücksspielanbieter, die ihr Angebot vor allem über moderne Telekommunikationsmedien wie Telefon, Fax und Internet auch in Deutschland vertreiben, ohne physisch anwesend zu sein. Da es deshalb in der Praxis schwierig sei, die Vorschrift des § 284 Abs. 1 StGB gegenüber den ausländischen Anbietern durchzusetzen, sollten so wenigstens deren Werbeaktivitäten in Deutschland unterbunden werden.32 § 284 StGB hat damit folgende, derzeit geltende Fassung erlangt: „(1) Wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet oder hält oder die Einrichtungen hierzu bereitstellt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 24 25 26 27 28 29 30 31 32
RGBl. I 1922 S. 393. BGBl. I 1986 S. 2441, zuletzt geändert am 31.10.2006 (BGBl. I 2006 S. 2407). Vgl. Behrens, Vermögensstraftaten, S. 3. s. Deselaers in: Pfister (Hrsg.), Rechtsprobleme der Sportwette, S. 15 (19 f.). BGBl. I 1974 S. 469; BGBl. I 1975 S. 1916; BGBl. I 1976 S. 507. BT-Drucks. 7/550 S. 263. BGBl. I 1992 S. 1302. BT-Drucks. 12/989 S. 28 f. BT-Drucks. 13/8587 S. 67 f.
§ 1 Überblick und Erscheinungsformen der Sportwette heute
33
(2) Als öffentlich veranstaltet gelten auch Glücksspiele in Vereinen oder geschlossenen Gesellschaften, in denen Glücksspiele gewohnheitsmäßig veranstaltet werden. (3) Wer in den Fällen des Absatzes 1 1. gewerbsmäßig oder 2. als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (4) Wer für ein öffentliches Glücksspiel (Absätze 1 und 2) wirbt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
II. Erscheinungsformen der Sportwette heute Wie bereits eingangs erwähnt, sind bei der Sportwette im weiteren Sinne heute grundsätzlich zwei Formen zu unterscheiden, der sog. Toto und die sog. Oddset-Wette. Auch wenn sich die vorliegende Untersuchung auf die OddsetWette konzentriert,33 sollen hier beide Formen dargestellt werden, um das Verständnis der Funktionsweise der Oddset-Wette zu erleichtern und die Gründe für die Beschränkung auf diese zu veranschaulichen. 1. Der sog. Toto Zum einen gibt es den sog. Toto, der sprachlich eine Abkürzung des erwähnten Totalisators bei Pferderennen ist.34 Der Toto ist nahezu ausschließlich im Rahmen von Fußballspielen als sog. Fußball-Toto bekannt, obwohl er grundsätzlich auch bei anderen Sportereignissen denkbar ist. Der Fußball-Toto umfasst heute zwei Spielarten, die Ergebnis- und Auswahlwette. Bei der Ergebniswette wird auf den Ausgang einer bestimmten Anzahl von Fußballspielen gewettet (beim staatlichen Deutschen Lotto- und Totoblock derzeit 13 Spiele), die der Wettanbieter in einem Spielplan zuvor festgelegt hat.35 Der Spielteilnehmer kann jeweils zwischen Sieg des erstgenannten Vereins, Unentschieden oder Sieg des zweitgenannten Vereins wählen. Gegenstand der Auswahlwette ist die Voraussage des unentschiedenen Ausgangs einer bestimmten Anzahl von Fußballspielen (beim staatlichen Deutschen Lotto- und Totoblock derzeit sechs Spiele).36 Diese Spiele kann der Wettteilnehmer aus einem vom Wettanbieter
33
Zu den Gründen s. u. S. 35 f. Roth, Das grosse Los, S. 108 f. 35 s. http://www.lotto.de/toto_ergebnis_spielregeln.html [zuletzt abgerufen am 30.8. 2009]. 36 s. http://www.lotto.de/toto_auswahl_spielregeln.html [zuletzt abgerufen am 30.8. 2009]. 34
34
2. Teil: Die Anwendung des § 284 StGB
festgelegten Spielplan auswählen, der ein Vielfaches an Spielen enthält (beim staatlichen Deutschen Lotto- und Totoblock derzeit 45). Sowohl bei der Ergebnis- als auch bei der Auswahlwette ist die Höhe des Einsatzes festgelegt und kann nicht variiert werden. Die Höhe des eventuellen Gewinns ergibt sich aus der Gesamtsumme der Einsätze abzüglich eines bestimmten, feststehenden Gewinnanteils des Veranstalters (beim staatlichen Deutschen Lotto- und Totoblock derzeit 50%)37 und steht damit vor Abschluss der Wette nicht fest, sondern hängt sowohl von der Anzahl als auch den Tippergebnissen der sonstigen Spielteilnehmer ab.38 Selbst ein richtiges Tippergebnis bringt beispielsweise nur dann einen hohen Gewinn, wenn viele Wettteilnehmer mitgetippt, aber nur wenige ebenfalls richtig getippt haben; Faktoren, die von dem einzelnen Wettteilnehmer nicht prognostiziert, geschweige denn beeinflusst werden können. Daneben ist es für den Wettveranstalter unbedeutend, ob nur wenige oder zahlreiche Wetter das Ergebnis richtig vorausgesagt haben, da stets nur ein bestimmter Teil der Einsätze als Gewinn ausgeschüttet wird. Insoweit gleicht der Toto dem herkömmlichen Zahlenlotto. Es handelt sich bei dem Toto also stets um eine Wette ohne zuvor feststehende Gewinnquote. 2. Die sog. Oddset-Wette Zum anderen gibt es die sog. Oddset-Wette39 bzw. Buchmacherwette. Im Unterschied zum Toto wird die Oddset-Wette – vor allem von privaten Anbietern – im Rahmen einer ganzen Reihe von Sportereignissen angeboten (Fußballspiele, Pferderennen, Ski-Rennen, Boxkämpfe etc.). Wiederum existieren grundsätzlich zwei Wettformen, die sog. Kombinations- und Einzelwette.40 Bei der Kombinationswette wählt der Spielteilnehmer aus einem vom Anbieter erstellten Spielplan eine bestimmte Anzahl von Sportereignissen aus (bei der Sportwette ODDSET des staatlichen Deutschen Lotto- und Totoblocks derzeit mindestens zwei und höchstens zehn aus einem bis zu 90 Sportereignisse umfassenden Spielplan) und trifft eine kombinierte Voraussage der jeweiligen Ausgänge der Sportereignisse. Ein Gewinn wird nur erzielt, wenn sich alle Tipps der Kombinationswette als richtig erweisen. Bei der Einzelwette hingegen kann auf einzelne Sportwettkämpfe gewettet werden. Hier gibt es mittlerweile ein breites Spektrum an verschiedenen Wettmöglichkeiten. Neben der sog. Tendenzwette auf den Ausgang eines Sportereignisses (Sieg, Niederlage, Unentschieden) werden 37 s. http://www.lotto.de/lexikon.html#totalisatorprinzip [zuletzt abgerufen am 30.8. 2009]. 38 s. z. B. VGH Kassel NVwZ 2005, 99 (101 a. E.). 39 Engl. „fixed odds“ bedeutet feste Gewinnquote; der Begriff „Oddset-Wette“ ist nach einer Entscheidung des BPatG, Beschl. v. 27.2.2002 – 32 W (pat) 209/01, in den allg. Sprachgebrauch eingegangen. 40 s. zum Folgenden Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 19 ff.
§ 1 Überblick und Erscheinungsformen der Sportwette heute
35
auch spezifische Wetten auf das genaue Endresultat, bestimmte Platzierungen, die Anzahl oder den Zeitpunkt von Toren u. ä. angeboten.41 In Form sog. LiveWetten ist dies teilweise sogar noch nach dem Beginn des Sportereignisses, d. h. während des Wettkampfs möglich. Im Gegensatz zum Toto kann der Spielteilnehmer bei der Oddset-Wette die Wetten, deren Anzahl sowie die Höhe des Einsatzes bis zu einem gewissen Limit (bei der Sportwette ODDSET des staatlichen Deutschen Lotto- und Totoblocks derzeit 500 Euro) selbst auswählen. Die Gewinnquoten sind vor Abschluss der Wette vom Buchmacher nach Erfahrungssätzen festgelegt.42 Da der vom Wettanbieter insgesamt ausgeschüttete Gewinn nicht wie beim Toto von vornherein auf einen bestimmten Teil der Einsätze beschränkt ist, kann jeder Wettteilnehmer seinen potenziellen Gewinn vor Abschluss der Wette unabhängig von der Anzahl und dem Ergebnis der übrigen Wettteilnehmer anhand der festen Gewinnquote exakt berechnen. Im Gegensatz zum Toto tritt der Buchmacher bei der Wette also gegen den Wettteilnehmer an und erleidet bei einem richtigen Tipp des Wetters einen finanziellen Verlust. Man spricht von einer Wette mit zuvor feststehender Gewinnquote. 3. Konzentration auf die Oddset-Wette Wie bereits eingangs erwähnt, konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf die mögliche Strafbarkeit der Veranstaltung und Vermittlung der Oddset-Wetten, d. h. Sportwetten mit festen Gewinnquoten. Erstens weisen diese eine ungleich höhere praktische Relevanz auf als der Toto, da sie bei nahezu allen denkbaren Sportereignissen und in vielfältiger Form angeboten werden. D. h. es kann nicht nur auf den Ausgang eines Sportereignisses gewettet werden, sondern z. B. auch darauf, welche Mannschaft das erste Tor erzielt, wie viele Fahrer ein Formel 1-Rennen beenden usw. Dementsprechend haben Sportwetten mit festen Gewinnquoten dem in der Spielergunst immer mehr sinkenden Toto eindeutig den Rang abgelaufen.43 Das mag zum einen daran liegen, dass die Spiele frei ausgewählt werden können, ohne an einen Spielplan gebunden zu sein,44 zum anderen daran, dass der mögliche Gewinn exakt vorhergesagt werden kann.45 Dieses Übergewicht an praktischer Relevanz und Attraktivität schlägt sich auch in den Marktzahlen nieder: Aus dem Gesamteinsatzvolumen des deutschen Sportwettenmarkts 2007 von geschätzten 1,8 bis 3,7 Milliarden Euro entfielen lediglich 93 Millionen Euro auf 41 42 43 44 45
s. dazu auch Janz NJW 2003, 1694 (1695). Bahr, Glücks- und Gewinnspielrecht, Rn. 16 ff. Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 19 f., 23. Hornuf/Britschkat/Lechner/Nerb, Auswirkungen, S. 7. So Janz NJW 2003, 1694 (1695).
36
2. Teil: Die Anwendung des § 284 StGB
den (staatlichen) Toto, während sich die restlichen Umsätze auf Sportwetten mit festen Gewinnquoten verteilten.46 Zweitens bieten private Wettanbieter, um deren potenzielle Strafbarkeit es in der vorliegenden Untersuchung geht, fast ausschließlich Buchmacherwetten zu festen Gewinnquoten an, sodass sich die beschriebenen Probleme im Zusammenhang mit der Verwaltungsakzessorietät des § 284 StGB und der staatlichen Monopolposition nur in dieser Konstellation stellen. Drittens entstehen aufgrund der festen Gewinnquoten und damit der Unabhängigkeit von nicht beeinflussbaren sowie nicht prognostizierbaren Faktoren wie der Anzahl und dem Wettergebnis der übrigen Wettteilnehmer besondere Probleme bei der Subsumtion der Wette unter das Merkmal des Glücksspiels i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB.47 Im Folgenden sind daher mit dem Begriff der Sportwette stets solche zu festen Gewinnquoten gemeint.
III. Die Sportwette und § 284 StGB – neue Herausforderungen im Wandel der Zeit Ohne Frage haben sich die Verhältnisse im Vergleich zu denen bei der Schaffung des § 284 Abs. 1 und 2 StGB in seiner noch heute geltenden Form vollständig gewandelt. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Realität ist eine völlig andere. Gerade § 284 Abs. 2 StGB mit seiner Öffentlichkeitsfiktion erscheint unter dem freiheitlichen Einfluss des Grundgesetzes und des strafrechtlichen ultima ratio Grundsatzes heute als bedenkliche Strafbarkeitsausweitung. Auch wenn es hierum in der vorliegenden Untersuchung letztlich nicht geht, da die behandelte Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten durch private Anbieter – soviel sei vorweggenommen – allemal eine öffentliche, jedem Volljährigen zugängliche ist;48 so gibt dies doch begründeten Anlass, zu hinterfragen, ob der gesamte § 284 StGB den heutigen Anforderungen noch gerecht werden kann. Zwar sind die Formen der Sportwette weitestgehend gleich geblieben, jedoch hat sich das Umfeld, innerhalb dessen die Wetten abgewickelt werden, deutlich verändert. Insbesondere durch die Wettangebote über das Internet besteht nun die Möglichkeit, von jedem Ort und zu jeder Zeit ohne großen Aufwand sowie scheinbar ohne die bestehenden Beschränkungen zu wetten.49 Demgegenüber beruhen die Urteile, die sich mit der Auslegung des § 284 StGB befassen, in ihren wesentlichen Punkten immer noch auf Entscheidungen des RG, so beispielsweise die Definition des Glücksspiels, die der BGH von den er46 Meyer Jahrbuch Sucht 2007, 99 (100); Hornuf/Britschkat/Lechner/Nerb, Auswirkungen, S. 4; SES Research, Sportwetten, S. 17. 47 s. u. S. 47 ff. 48 s. stattdessen Lange in: FS Dreher, S. 573 (581 ff.). 49 Volk, Glücksspiel im Internet, S. 8 f.
§ 2 Rechtsgut und Tatbestandsmerkmale des § 284 StGB
37
wähnten Entscheidungen des RG50 übernommen hat.51 Infolgedessen sind Forderungen aus der Literatur nach einer Reform des seit knapp 90 Jahren unveränderten § 284 Abs. 1 und 2 nicht neu. Sie reichen von dessen Streichung bzw. Herabstufung zu bloßem Ordnungswidrigkeitenrecht52 bis hin zu einer großzügigeren, aber staatlich kontrollierten Erteilung strafbarkeitssausschließender Genehmigungen an private Anbieter,53 wie es im Rahmen des RWG der Fall ist. Trotz dieser Forderungen hat sich der Gesetzgeber bis heute nicht zu einer Neufassung oder Änderung entschlossen. Ob § 284 StGB dem Schutz eines legitimen Rechtsguts dient und auch ohne Reform geeignet ist, den gewandelten Anforderungen gerecht zu werden, wird im Folgenden zu untersuchen sein.
§ 2 Rechtsgut und Tatbestandsmerkmale des § 284 StGB im Hinblick auf die Sportwette In diesem Abschnitt wird zuvorderst das von § 284 StGB geschützte Rechtsgut eruiert. Dieses stellt die Weichen ebenso für die anschließend behandelte Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 284 StGB wie auch für die darauf folgenden Teile der Untersuchung. Das Rechtsgut sowie die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 284 StGB werden deshalb in ausführlicherer Form behandelt, weil die Subsumtion der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten unter den Tatbestand des § 284 StGB bei nahezu jedem Merkmal Probleme bereitet.
I. Bestimmung des Rechtsguts des § 284 StGB Trotz mancher Unstimmigkeit im Detail besteht heute ein weitgehender Konsens, dass das deutsche Strafrecht als ein Rechtsgüter schützendes Strafrecht ausgerichtet ist.54 Das Rechtsgut als „sozialwichtiges Etwas“, das von einer Strafnorm geschützt wird, bzw. die Sozialschädlichkeit als negatives Resultat der Rechtsgutbeeinträchtigung enthalten inhaltliche Vorgaben für die Auslegung der betreffenden Strafnorm und können als vergleichsfähiges Substrat der Aufdeckung von systemimmanenten Widersprüchen dienen.55 Für die Ermittlung 50
RGSt 6, 172 (175 f.); 421 (425 f.). BGHSt 2, 274 (276). 52 Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 24 Rn. 38; Otto, Strafrecht BT, § 53 Rn. 2; Belz, Glücksspiel im Strafrecht, S. 123; Göhler NJW 1974, 825 (833 Fn. 127); Lange GA 1953, 3 (8 ff.); ders. in: FS Dreher, S. 573 (578); Weber in: Pfister (Hrsg.), Rechtsprobleme der Sportwette, S. 39 (44). 53 Sieber/Bögel, Logistik, S. 323. 54 s. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 5 ff.; ders. in: Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 119 (3 ff.); Roxin, Strafrecht AT/1, § 2 Rn. 1 ff. 55 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 5 ff. 51
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dieses „sozialwichtigen Etwas“ kann auf die allgemeinen Regeln der Gesetzesinterpretation zurückgegriffen werden, allerdings mit der Modifikation, dass nur solche Auslegungsgrundsätze heranzuziehen sind, für die das Rechtsgut selbst nicht benötigt wird.56 Anderenfalls bestünde die Gefahr von Zirkelschlüssen. Die Begriffe des geschützten bzw. zu schützenden Rechtsguts und des Schutzguts werden dabei synonym verwendet. Wie bereits erwähnt, bestehen hinsichtlich der Bestimmung des Rechtsguts, das hinter § 284 StGB steht, Schwierigkeiten und somit keine Einigkeit. 1. Öffentliche Sittlichkeit und Wirtschaftsmoral Ein vor allem im älteren Schrifttum vertretener Ansatz bemüht als geschütztes Gut des § 284 StGB die öffentliche Sittlichkeit und Wirtschafts- bzw. Arbeitsmoral. Die Vertreter dieser Ansicht gehen davon aus, dass jeder Einzelne seinen Lebensunterhalt durch „ehrliche“ Arbeit verdienen müsse. Gesamtgesellschaftlich gesehen werde diese Wirtschafts- bzw. Arbeitsmoral bei einer um sich greifenden und hemmungslos verfolgten Spielsucht gefährdet.57 Durch ein Überhandnehmen des Glücksspiels mit der Möglichkeit eines Vermögenserwerbs ohne wirtschaftliche Gegenleistung werde die Bevölkerung der Arbeit entfremdet. Das Glücksspiel verursache antisoziale Konsequenzen, die auf den Gegensatz von Spiel und Arbeit zurückzuführen seien.58 Dieser Ansatz ist strikt abzulehnen. Zum einen ist in keiner Weise nachgewiesen, ob durch Glücksspiel tatsächlich die öffentliche „Sittlichkeit“ und „Arbeits- oder Wirtschaftsmoral“ – was auch immer im Einzelnen darunter zu verstehen wäre – gefährdet wird.59 Zum anderen ist mit Hefendehl davon auszugehen, dass Unmoral, Unsittlichkeit oder sonstige Verwerflichkeit eines Verhaltens generell keine tauglichen Rechtsgüter sind und deren Schutz keinesfalls Aufgabe des Strafrechts sein kann.60 Auch ist es schlicht lebensfremd und anachronistisch, Glücksspiel von vornherein als anstößig oder verwerflich und aus diesem Grund als sozialschädlich zu betrachten. Vielmehr unterfällt die Veranstaltung von Glücksspielen laut BVerfG heute als erlaubte Tätigkeit ohne Einschränkung dem Schutzbereich der Berufsfreiheit des Art. 12 GG.61 56
Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 25. Goldmann, Genehmigung, S. 200 ff.; Kriegsmann in: Birkmeyer (Hrsg.), Vergleichende Darstellung, S. 375 (378 f.); Sauer, Kriminalsoziologie, S. 554; Weiser, Begriff, S. 83. 58 Goldmann, Genehmigung, S. 200. 59 MüKo/Groeschke/Hohmann § 284 Rn. 1; Dahs/Dierlamm GewArch 1996, 272 (275). 60 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 52; s. auch Roxin, Strafrecht AT/1, § 2 Rn. 17 ff.; SK/Hoyer § 284 Rn. 2 (Stand: August 1999). 61 BVerfGE 115, 276 (301) – Sportwette, s. dazu auch u. S. 144. 57
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2. Öffentliche Sicherheit und Ordnung Teilweise ist man der Ansicht, dass § 284 StGB dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu dienen bestimmt sei, da das illegale Glücksspiel aufgrund der damit zusammenhängenden Begleit- und Folgekriminalität einen typischen Deliktsbereich der Organisierten Kriminalität verkörpere.62 Dem scheinen auch das BVerwG und der Erste Zivilsenat des BGH zuzuneigen, wenn sie im Zusammenhang mit dem Strafzweck des § 284 StGB ausführen, „dass das Glücksspiel grundsätzlich wegen seiner Eignung, Kriminalität namentlich im Bereich der Geldwäsche zu befördern, unerwünscht und schädlich ist.“63 Diese Ansicht ist abzulehnen, da der Schutz vor Begleit- und Folgekriminalität ebenfalls kein taugliches Rechtsgut darstellen kann. Dies wurde am Beispiel des Betäubungsmittelstrafrechts, bei dem zum Teil in derselben Weise argumentiert wird, überzeugend herausgearbeitet. Eine Begleit- und Folgedelinquenz ist stets durch entsprechende eigene Straftatbestände abgedeckt.64 Zudem steht das Prinzip der Eigenverantwortung der zwangsläufigen Verknüpfung eines bestimmten deliktischen Verhaltens mit einem anderen entgegen.65 In diesem Kontext hilft auch der schlagwortartige Gebrauch des Begriffs der Organisierten Kriminalität66 nicht weiter. Um Kriminalität handelt es sich stets nur deshalb, weil das jeweilige Verhalten – hier Veranstaltung eines Glücksspiels ohne Genehmigung – kriminalisiert ist. Ein Abstellen hierauf ist also zirkulär.67 Zudem ist die Einschätzung, die Veranstaltung eines Glücksspiels ohne Genehmigung sei ein typischer Deliktsbereich der Organisierten Kriminalität, insbesondere für die Gegenwart in keinster Weise belegt.68 Vielmehr muss § 284 StGB, selbst wenn das unerlaubte Glücksspiel im Zusammenhang mit Delikten auftauchen sollte, die der sog. Organisierten Kriminalität zugeordnet werden, für sich dem Schutz eines eigenen „sozialwichtigen Etwas“ dienen. Davon befreit der Aspekt der Organisierten Kriminalität keinesfalls, dieser ist – wenn überhaupt – nur im Rahmen der Strafschärfung des § 284 Abs. 3 StGB zu berücksichtigen.
62 OLG Hamm JR 2004, 478 (479); Füllkrug Kriminalistik 1990, 101 (101); Meyer Kriminalistik 1986, 212 (213); s. auch LK/Krehl Vor § 284 Rn. 6. 63 BVerwGE 114, 92 (96); BGH (Z) NJW-RR 2002, 395 (396). 64 Vgl. Wohlers, Deliktstypen, S. 197. 65 Ausdrücklich auch für § 284 StGB Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 2b; für das BtmG Nestler in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 697 (744 f., 793 ff.). 66 Zur mangelnden Bestimmtheit und Tragfähigkeit des Begriffs Hefendehl StV 2005, 156 (156 f.). 67 Wohlers, Deliktstypen, S. 198; Gusy JZ 1994, 863 (863 f.); Ambos MschrKrim 1995, 47 (50). 68 Schweer/Zdun, Sportwetten, S. 29 ff., 70 ff.
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3. Vermögen des Spielteilnehmers Die heute überwiegende Ansicht in der Literatur geht davon aus, dass Schutzgut des § 284 StGB das Vermögen des Spielteilnehmers sei.69 Dabei werden zwei Differenzierungen vorgenommen. Manche sehen generell das Vermögen des Spielteilnehmers davor geschützt, es beim Glücksspiel (leichtfertig) zu verlieren.70 Die Spielteilnehmer seien vor den ruinösen Folgen zu bewahren, die durch vermögensgefährdende Spieleinsätze auftreten könnten.71 Dem Glücksspiel wohne die Gefahr der Ausbeutung des Unerfahrenen bzw. Leichtsinnigen inne und durch den potenziellen Vermögensverlust des Spielers entstünden gravierende soziale Folgen für dessen Familie und die gesamte staatliche Gemeinschaft in Gestalt der Sozialfürsorge.72 Dies rechtfertige einen Schutz des Spielers vor sich selbst. Andere betrachten das Vermögen des Spielteilnehmers allein im Hinblick auf solche Risiken als geschützt, die nicht willentlich eingegangen sind. Insbesondere gewähre § 284 StGB Schutz davor, dass die Gewinnchancen des Spielteilnehmers manipulativ entwertet werden und sichere dadurch einen ordnungsgemäßen Spielablauf.73 Ein genereller Schutz des freiwillig für ein allseits regelgerechtes Spiel eingesetzten Vermögens sei dem Vorwurf eines unzulässigen Paternalismus ausgesetzt. Die freiverantwortliche Gefährdung eigenen Vermögens durch den Spielteilnehmer könne keinen tauglichen Strafgrund für den Glücksspielanbieter begründen. 4. Staatliche Kontrolle des Glücksspiels Der BGH, das BayObLG und Stimmen aus der Literatur nehmen an, dass § 284 StGB die staatliche Kontrolle und Zügelung der wirtschaftlichen Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft der Menschen absichern soll.74 Diese De-
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Vgl. LK/Krehl, Vor § 284 Rn. 6 ff. m.w. N. Lampe JuS 1994, 737 (740); Odenthal NStZ 2002, 482 (483); LK/v. Bubnoff (11. Aufl.), Vor § 284 Rn. 9. 71 Dahs/Dierlamm GewArch 1996, 272 (275). 72 Lampe JuS 1994, 737 (740); LK/v. Bubnoff (11. Aufl.), Vor § 284 Rn. 9. 73 s. Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 1, § 44 Rn. 3 [„Schutz vor einem corriger la fortune“]; Wohlers JZ 2003, 860 (863); Heine wistra 2003, 441 (442); Petropoulos wistra 2006, 332 (335); Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 2c; so auch zu § 287 StGB BGH v. 18.1.1977 – 1 StR 643/76 Rn. 3 (zit. nach juris); OLG München (Z) OLGR München 1998, 24 (24). 74 BGHSt 11, 209 (210); BayObLG NJW 1993, 2820 (2821); Lackner/Kühl, § 284 Rn. 1; Hund NStZ 1993, 571 (571); Lesch JR 2003, 344 (346); Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 24 Rn. 38; Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 16. 70
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finition entstammt einer Entscheidung des RG aus dem Jahre 193175 und wurde aus dieser (ausdrücklich) übernommen.76 Gegen eine solche obrigkeitliche Deutung ist zunächst einzuwenden, dass die Absicherung verwaltungsrechtlicher Kontrolle als solcher, d. h. der reine Verwaltungsgehorsam, kein kriminalisierungstaugliches Schutzgut darstellt.77 Dies gilt für die ebenfalls verwaltungsakzessorischen und damit insoweit parallel zu beurteilenden Umweltstraftaten der §§ 324 ff. StGB mittlerweile als gesicherte Erkenntnis. Auch hier wird nicht die staatliche Kontrolle des Umweltschutzes um ihrer selbst willen geschützt, sondern der Gegenstand der Kontrolle, d. h. die Umwelt(-ressourcen) als Lebensgrundlage des Menschen.78 Es ist auf das „sozialwichtige Etwas“, das den Gegenstand der Kontrolle bildet, abzustellen.79 Für die Begründung der staatlichen Kontrolle und Zügelung als Rechtsgut des § 284 StGB kann eben nicht pauschal darauf verwiesen werden, dass ohne eine solche Begrenzung und Kontrolle „der Bevölkerung vielfältige Gefahren drohen.“80 Entscheidend ist, welche Gefahren für welches schützenswerte Gut hierbei auftreten. Dieses schützenswerte Gut wird durch das Vorliegen bzw. Fehlen der verwaltungsrechtlichen Genehmigung als solcher nicht tangiert. Lediglich die Form der Rechtsgutverletzung bzw. -gefährdung sieht der Gesetzgeber nach seinem Ermessen bei Fehlen der Genehmigung als strafwürdig, bei Vorliegen der Genehmigung als strafunwürdig an.81 Nachdem die verwaltungsrechtliche Kontrolle als solche eliminiert ist, bleibt als Gegenstand der Kontrolle nach der Rechtsprechung ein Schutz vor der „Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft.“ Es stellt sich die Frage, was dies beinhaltet. Eine Spielsucht i. S. e. pathologischen Sucht ist offensichtlich nicht gemeint. Leidenschaft bedeutet vielmehr eine nachhaltige Antriebsbindung an einen bestimmten sinnlichen Inhalt.82 Mit dem Zusatz der „natürlichen“ Spielleidenschaft wird der Begriff der Leidenschaft relativiert. Es ist davon auszugehen, dass allgemein der einem jedem Menschen innewohnende Spieltrieb bezeichnet ist.83 Unter „Ausbeutung“ ist in Parallele zu § 291 StGB das qualifizierte Ausnutzen einer besonderen Schwächesituation zu verstehen.84 75
RGSt 65, 194 (195). BGHSt 11, 209 (210). 77 So auch Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 2; Barton/Gercke/Janssen wistra 2004, 321 (326); s. auch die Nachw. in Fn. 52. 78 Statt Vieler LK/Steindorf (11. Aufl.), Vorb. § 324 Rn. 12 ff.; Rengier NJW 1990, 2506 (2507). 79 Wohlers JZ 2003, 860 (863). 80 So aber Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 23. 81 Vgl. zu diesem Ansatz Meurer/Bergmannn JuS 1983, 668 (671). 82 Brockhaus, 13. Band, S. 251. 83 s. Belz, Glücksspiel im Strafrecht, S. 40; Huizinga, Homo Ludens, z. B. S. 9. 84 Vgl. Schönke/Schröder/Stree/Heine, § 291 Rn. 29. 76
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Da sich das Verhalten des Glücksspielanbieters aber auf ein bloßes Angebot beschränkt, kann von einer Ausbeutung im eigentlichen Sinne keine Rede sein. Die „Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft“ reduziert sich demnach bei nüchterner Betrachtung auf das Angebot zur Hingabe eines Vermögenswertes zur Erlangung einer Gewinnchance.85 Letztlich handelt es sich um nichts anderes als einen präventiv angesetzten Schutz vor Vermögensverlust, der durch den menschlichen Spieltrieb lediglich motiviert ist. Hinter der Formel der „Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft“ verbirgt sich also in Wahrheit der bereits oben erwähnte Vermögensschutz, ein eigenständiges Schutzgut begründet sie nicht. Dies belegt auch die Tatsache, dass das Reichsgericht diese Formel ursprünglich schuf, um zu begründen, dass das Glücksspiel im strafrechtlichen Sinne ein entgeltliches sein muss, also einen vermögenswerten Einsatz voraussetzt, der verloren werden kann.86 5. Stellungnahme Kehrt man zurück zu den allgemeinen Kriterien der Ermittlung eines Rechtsguts, wird deutlich, dass diese hier nur bedingt von Nutzen sind. Eine Wortlautanalyse führt ebenso wenig weiter wie die systematische Einbettung der Norm. Die Delikte des 25. Abschnitts des StGB mit der Überschrift „strafbarer Eigennutz“ haben lediglich gemein, dass sie nicht an anderer Stelle einzuordnen sind.87 Aus der Historie lässt sich mit Blick auf die Ausnahmesituation bei der Schaffung des heutigen § 284 Abs. 1 StGB im Jahre 1919 ebenfalls nichts Belastbares ableiten. Die Rechtsgutanalyse hat jedoch auch eine negative, sprich eine Ausschlussfunktion.88 Nach dem Gesagten kann geschütztes Rechtsgut des § 284 StGB allein das Vermögen der Spielteilnehmer sein. Alle anderen genannten, vermeintlichen Schutzgüter müssen aus den bereits dargelegten Gründen ausscheiden. Jedoch darf sich der Vermögensschutz nur auf solche Verlustrisiken beziehen, die im Rahmen des Glücksspiels unbewusst und unfreiwillig eingegangen sind. Ein solcher unbewusster und unfreiwilliger Vermögensverlust liegt zum einen im Falle einer manipulativen Entwertung der Gewinnchance vor. Zum anderen ist er bei einer suchtbedingten Glücksspielteilnahme anzunehmen, da bei pathologisch Spielsüchtigen die freie Willensentschließung im Hinblick auf den Vermögensverlust erheblich eingeschränkt, wenn nicht gar vollständig ausgeschaltet ist.89
85 86 87 88 89
Vgl. Belz, Glücksspiel im Strafrecht, S. 41. RGSt 65, 194 (195). LK/v. Bubnoff (11. Aufl.), Vor § 284 Rn. 1. s. insbesondere Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 24; ders. GA 2007, 1 (4). Insoweit zutreffend Volk, Glücksspiel im Internet, S. 11.
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Zu dem Schutz vor manipulativem Vermögensverlust kommt mithin der Schutz des Vermögens vor spielsuchtbedingtem Verlust.90 Nicht geschützt ist das Vermögen der Spielteilnehmer dagegen im Hinblick auf das normale, bewusst und freiwillig eingegangene Verlustrisiko im Rahmen eines ordnungsgemäß veranstalteten Glücksspiels.91 Wie beim Betrug, der das Vermögen nicht im Hinblick auf die allgemeine Dispositionsbefugnis, sondern nur im Hinblick auf einen unfreiwilligen, täuschungsbedingten Verlust schützt, bedarf auch der Glücksspielteilnehmer, der sein Vermögen bewusst und frei von Willensmängeln selbst gefährdet, keines strafrechtlichen Schutzes. Insoweit kann die Feststellung Kriegsmanns aus dem Jahre 1907, dass es sich bei dem Vermögen um ein „verfügbares Gut“ handelt, „dessen sinnloseste Vergeudung straflos bleibt, solange sie nicht die Rechte anderer verletzt,“92 weiterhin Geltung beanspruchen. Die Beteiligung eines Dritten, hier des Glücksspielanbieters, an einer solchen eigenverantwortlichen Selbstgefährdung muss ebenso straflos bleiben. Daran ändert auch eine eventuelle Unerfahrenheit oder Leichtsinn des Spielteilnehmers nichts. Erst recht nicht verfängt der Hinweis auf die unter Umständen gravierenden sozialen Folgekosten, die ein Vermögensverlust des Spielteilnehmers für dessen Familie und die soziale Gemeinschaft haben kann. Erstens können solche Gemeinwohlinteressen, scil. die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Sozialfürsorge, im Falle eines Vermögensverlusts des Einzelnen auch bei allen möglichen anderen Delikten berührt sein. Selbst Verhaltensweisen wie z. B. die Abgabe alkoholischer Getränke an Personen, die aufgrund eines missbräuchlichen Alkoholkonsums öffentliche Fürsorgeleistungen in Anspruch nehmen, ließen sich mit dieser Begründung pönalisieren. Daher haben solche Interessen bei der Rechtsgutbestimmung eines konkreten Delikts außen vor zu bleiben.93 Zweitens wird die Verletzung einer Unterhaltspflicht bereits von § 170 StGB erfasst, während § 361 Nr. 5 StGB a. F., der Spiel, Trunk oder Müßiggang unter Strafe stellte, wenn der Täter dadurch einen unterstützungsbedürftigen Zustand herbeiführte, mit dem EGStGB vom 2.3.197494 bewusst abgeschafft wurde.95 Das Spielen um Geld für sich genommen, aus freiem Willen und ohne
90 Verfehlt dagegen Mintas, Glückspiele im Internet, S. 106 ff., die aufgrund der bloßen abstrakten Möglichkeit des Entstehens einer Spielsucht und ohne konkretes Eingehen auf die Suchtgefahr von Glücksspielen (s. dazu hier u. S. 133 ff.) „die Volksgesundheit“ als Rechtsgut des § 284 StGB annehmen will (s. zur Kritik an diesem Begriff ebenfalls u. S. 150 f.). 91 Vgl. auch Otto, Strafrecht BT, § 55 Rn. 1 f., der daraus auf mangelnde Strafwürdigkeit schließt. 92 Kriegsmann in: Birkmeyer (Hrsg.), Vergleichende Darstellung, S. 375 (377). 93 Bezüglich § 284 StGB Heine wistra 2003, 441 (442); allg. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 30 f. 94 BGBl. I 1974 S. 469. 95 Vgl. zu dieser Argumentation Lesch JR 2003, 344 (345).
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Manipulation, vermag kein strafrechtlich zu schützendes Rechtsgut zu beeinträchtigen. Aufgrund der bereits angeklungenen Besonderheiten der Rechtsgutbestimmung eines verwaltungsakzessorischen Tatbestands sei hier Folgendes hervorgehoben: Eine manipulative oder auch suchtbedingte Gefährdung des Vermögens des Spielteilnehmers ist nach zutreffender gesetzgeberischer Einschätzungsprärogative bei einem gänzlich unkontrollierten Glücksspielangebot eher möglich als bei einem staatlich kontrollierten. Durch das Erfordernis einer verwaltungsrechtlichen Genehmigung werden die Risiken einer Vermögensgefährdung im obigen Sinne eingedämmt. Das betrifft nicht den Inhalt, sondern die Art und Weise des Rechtsgüterschutzes.96 Es wird nicht der bloße Verwaltungsungehorsam bestraft, der Schutz des Rechtsguts Vermögen vor manipulativer bzw. suchtbedingter Entwertung dennoch erst durch das Fehlen der behördlichen Erlaubnis aktiviert. Zu beachten ist, dass das Rechtsgut nicht an der Frage nach der Rechtfertigung eines staatlichen Monopols zu messen ist, sondern es hier zunächst allein um das Erfordernis einer Genehmigung geht, unabhängig davon, wem sie erteilt wird – staatlichen oder privaten Anbietern. Letzteres ist allein Regelungsgegenstand des das Merkmal der behördlichen Erlaubnis ausfüllenden Verwaltungsrechts. So mag es zutreffen, dass gerade die staatlichen Anbieter durch eine breite Palette von Glücksspielangeboten aller Art die „natürliche Spielleidenschaft“ nicht zügeln, sondern eher fördern und ausnutzen.97 Ebenso mag richtig sein, dass die Gefahr eines manipulativen Vermögensverlusts bei privaten Glücksspielanbietern nicht größer ist als bei staatlichen, während erstere vom Angebot ausgeschlossen sind.98 Am obigen Rechtsgutbefund ändert dies indes nichts. Das strafrechtlich geschützte Rechtsgut kann nicht jeweils von der (verwaltungsrechtlichen) Genehmigungspraxis der Behörden und dem Verhalten der genehmigten Glücksspielanbieter bestimmt werden, selbst wenn es sich dabei um staatliche oder staatlich kontrollierte Anbieter handelt. Ebenso wenig kann das Rechtsgut von der variablen Antwort auf die empirische Frage abhängen, ob die Gefahr eines manipulativen Vermögensverlusts bei privaten Glücksspielanbietern tatsächlich größer ist als bei staatlichen. Sofern sie vorliegen, können derlei Unstimmigkeiten freilich die Funktion des Rechtsguts aktivieren, systemimmanente Widersprüche – hier zu dem ausfüllenden Verwaltungsrecht – aufzudecken, und so zu einer teleologischen Reduktion des § 284 StGB führen.99
96 s. o. S. 40 f.; anders offenbar Heghmanns, Grundzüge, S. 172 f., der die Funktionsfähigkeit der verwaltungsrechtlichen Kontrolle allg. zu einem selbstständigen (überindividuellen) Rechtsgut erhebt; dagegen auch LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 275. 97 So Heine wistra 2003, 441 (442 f.); Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 24 Rn. 38. 98 So Wohlers JZ 2003, 860 (863); Petropoulos wistra 2006, 332 (335). 99 s. dazu u. im letzten Teil S. 187 ff.
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Jenes Rechtsgut des § 284 StGB als für sich sozialwichtiges Gut, das in der Art und Weise seines Schutzes, nicht aber seinem Inhalt nach von der verwaltungsrechtlichen Kontrolle abhängt, macht in besonderem Maße deutlich, dass Ziele und Motive des Gesetzgebers nicht immer deckungsgleich sind mit dem zu schützenden Rechtsgut einer Strafnorm.100 Die Gesetzesbegründung zum 6. StRG, in dessen Zuge § 284 Abs. 4 StGB eingeführt wurde, nennt als Ziele des Glücksspielverbots, eine übermäßige Anregung der Nachfrage nach Glücksspielen zu verhindern (1.), durch staatliche Kontrolle einen ordnungsgemäßen Spielbetrieb zu gewährleisten (2.), eine Ausnutzung des natürlichen Spieltriebs zu privaten oder gewerblichen Zwecken zu verhindern (3.) und einen nicht unerheblichen Teil der Einnahmen aus Glücksspielen (mindestens 25%) zur Finanzierung gemeinnütziger oder öffentlicher Zwecke heranzuziehen (4.).101 Die Verhinderung einer übermäßigen Nachfrage nach Glücksspielen mithilfe staatlicher Kontrolle (1.)102 – quasi i. S. e. Ventil- oder Kanalisierungsfunktion – zu einem strafrechtlichen Rechtsgut zu machen, wäre jedoch nichts anderes als die unnötige und unzulässige Zwischenschaltung eines kollektiven Rechtsguts als Scheinrechtsgut.103 Denn fragt man richtigerweise, welches eben jenes Gut ist, das mithilfe der „Verhinderung einer übermäßigen Nachfrage“ geschützt werden soll, bleibt – mit den dargelegten Einschränkungen – allein das Vermögen des Spielers als Individualrechtsgut bestehen. Zudem widerspräche es dem Selbstverständnis eines liberalen Staates,104 über das gesunde Maß („übermäßig“) an Vermögensausgaben seiner Bürger zu befinden. Gleiches gilt für die wirtschaftliche Ausnutzung des natürlichen Spieltriebs (3.), dahinter steht als messbare Beeinträchtigung allein ein Vermögensverlust. Öffentliche Finanzinteressen (4.) können höchstens im Rahmen der Steuerstraftaten (§§ 369 ff. AO) ein taugliches Rechtsgut sein, nicht aber bei § 284 StGB.105 Lediglich die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Spielbetriebs (2.), verstanden als Schutz des Vermögens vor unfreiwilligem Verlust im obigen Sinne, beschreibt das Rechtsgut des § 284 StGB. Da ein tatsächliches Falschspiel nicht erforderlich ist und eine entgangene Gewinnchance bei einem Glücksspiel noch keinen Vermögenswert darstellt,106 100 Allg. Roxin, Strafrecht AT/1§ 2, Rn. 16; zu § 284 StGB Heine wistra 2003, 441 (442); Wohlers JZ 2003, 860 (863); zu Unrecht auf die Ziele des Gesetzgebers abstellend Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 16 f. 101 BT-Drucks. 13/8587, S. 67. 102 Darauf abstellend Lesch JR 2003, 344 (346); dieses Ziel des Gesetzgebers und das Rechtsgut des § 284 StGB vermischen auch BVerwGE 114, 92 (95) und BayObLG NJW 2004, 1057 (1058). 103 Zur Unzulässigkeit einer solchen Zwischenschaltung allg. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 27, 82 f.; Roxin, Strafrecht AT/1, § 2 Rn. 10, 79. 104 Schmitt in: FS Maurach, S. 113 (113). 105 Vgl. Wrage ZRP 1998, 426 (428). 106 Vgl. MüKo/Hefendehl, § 263 Rn. 392.
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handelt es sich bei § 284 StGB um ein abstraktes (Vermögens-)Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betruges.107 De lege ferenda wird die Berechtigung eines solchen vorverlagerten Strafrechtsschutzes freilich bestritten, insbesondere im Hinblick auf die Versuchsstrafbarkeit in § 263 Abs. 2 StGB und den Verweis auf den an sich präventiv-polizeilichen Charakter eines solchen Vorfeldschutzes.108 In der Tat ließe sich bezweifeln, ob ein derart umfassendes strafbewehrtes Verbot auf den gleichsam schmalen Fuß des Schutzes vor Manipulation und dem Spielsüchtiger gestützt werden kann. Ganz ähnlich verläuft die Argumentation bezüglich des Rechtsgüterschutzes im Betäubungsmittelstrafrecht, wo die Strafbarkeit der Abgabe und des Besitzes von Betäubungsmitteln durch den Schutz Süchtiger und Jugendlicher gerechtfertigt wird.109 Dies kann und soll jedoch nicht Thema der vorliegenden Arbeit sein, die die Strafbarkeit des Angebots von Sportwetten de lege lata behandelt.110 Festzuhalten bleibt, dass die weitere Auslegung des § 284 StGB im Hinblick auf Sportwetten sich an den bezeichneten Manipulationsrisiken und der Gefährdung Spielsüchtiger zu messen hat.
II. Tatobjekt: die Sportwette als Glücksspiel i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB Tatobjekt des § 284 StGB ist das Glücksspiel; gemeinhin definiert als ein Spiel, bei dem die Entscheidung über Gewinn oder Verlust eines nicht unerheblichen Vermögenswerts nicht wesentlich von den Fähigkeiten und Kenntnissen und dem Grad der Aufmerksamkeit der Spielteilnehmer, sondern allein oder zumindest überwiegend vom Zufall abhängt.111 Dahinter steht der Gedanke, dass das Glücksspiel, weil und soweit der Zufall entscheidet, manipulationsund suchtanfällig und damit gefahrenträchtig ist.112 Im Hinblick auf die Sportwette ist zu untersuchen, ob es sich überhaupt um ein Spiel (s. u. 1.), und wenn
107 Über die Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt herrscht trotz der Kontroversen um das Rechtsgut überraschender Weise Einigkeit, vgl. SK/Hoyer, § 284 Rn. 4 (Stand: August 1999); MüKo/Groeschke/Hohmann, § 284 Rn. 2; Schönke/Schröder/ Eser/Heine, § 284 Rn. 2c. Freilich passt zu der Deliktsstruktur des abstrakten Gefährdungsdelikts allein ein Schutz des Individualrechtsguts Vermögen. 108 Vgl. Lesch JR 2003, 344 (345) sowie die in Fn. 52 Genannten. 109 Vgl. BVerfGE 90, 145 (174) mit Hinweis auf die Begründung des Gesetzgebers; s. dazu ausführlich und kritisch Nestler in: Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 697 (751 ff., 786 ff.). 110 s. stattdessen etwa Belz, Glücksspiel im Strafrecht, S. 37 ff., 101 ff.; für eine Rechtfertigung aufgrund der Unbeherrschbarkeit der Manipulationsgefahr mit Beginn des Glücksspiels NK/Wohlers, § 284 Rn. 5 a. E. 111 BGHSt 2, 274 (276); 29, 152 (157); 36, 74 (80); NStZ 2003, 372 (373); dem folgend die Literatur vgl. NK/Wohlers, § 284 Rn. 1 m.w. N. 112 Bargmann-Huber BayVBl. 1996, 165 (166).
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ja um ein Glücksspiel in Abgrenzung zu einem Geschicklichkeits- (s. u. 2.) bzw. Unterhaltungsspiel (s. u. 3.) handelt. 1. Abgrenzung zwischen Spiel und Wette Das Glücksspiel ist eine Unterart des Spiels. Bei der Sportwette müsste es sich also zunächst um ein Spiel handeln. Spiel und Wette haben als Schuldverträge gemeinsam, dass Gewinn und Verlust von streitigen oder ungewissen Ereignissen abhängig gemacht werden. Sie unterscheiden sich jedoch darin, dass die gewöhnliche Wette nach ihrem subjektiven Vertragszweck der Erledigung eines Meinungsstreits dient.113 Eine solche reine Wette ist stets straflos.114 Demgegenüber ist Zweck des Spiels die Unterhaltung und/oder die Erzielung eines Gewinns.115 Die einer breiten Masse angebotenen Sportwetten in der oben beschriebenen Form werden ihrer Bestimmung nach zur Unterhaltung oder Gewinnerzielung und nicht zur Bekräftigung eines Meinungsstreits abgeschlossen, sodass sie entgegen ihrer Bezeichnung ein Spiel im dargelegten rechtlichen Sinne darstellen.116 2. Abgrenzung zwischen Glücksspiel und Geschicklichkeitsspiel Mit der Einordnung als Spiel ist noch nichts über die Qualifikation der Sportwette als Glücksspiel i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB gesagt. Nach der eingangs erwähnten Definition, hinsichtlich derer weitgehende Einigkeit besteht,117 muss die Entscheidung über Gewinn oder Verlust bei einem Glücksspiel allein oder zumindest überwiegend vom Zufall, d. h. dem Wirken einer unberechenbaren, der entscheidenden Mitwirkung der Beteiligten entzogenen Ursächlichkeit,118 abhängen. Sie darf nicht überwiegend durch den Einfluss der Spielteilnehmer, sprich deren Aufmerksamkeit, Fähigkeiten und Kenntnisse, bestimmt sein. Ist letzteres der Fall, handelt es sich, auch wenn Vermögenswerte eingesetzt werden, um ein von § 284 StGB nicht erfasstes Geschicklichkeitsspiel.
113 Zurückgehend auf die bereits oben erwähnten Entscheidungen des Reichsgerichts aus dem Jahre 1881 RGSt 6, 172 (175); 421 (426). 114 Statt aller Fischer, § 284 Rn. 9. 115 RGSt 6, 172 (176); 421 (426); s. heute z. B. Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 4. 116 s. nur Weber in: Pfister (Hrsg.), Rechtsprobleme der Sportwette, S. 39 (44). 117 Anders nur SK/Hoyer, § 284 Rn. 9 ff. (Stand: August 1999), der entsprechend dem Schutzgut nach dem Grad der abstrakten Gefahr einer möglichen Manipulation abgrenzen will. Ein Glücksspiel hält er danach für gegeben, wenn sich das Gewinnund Verlustrisiko der Spielteilnehmer besonders leicht und unauffällig manipulieren lasse und der Verlierer seinen Verlust daher subjektiv noch als Zufall abtun könne. 118 BGHSt 9, 39 (41).
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a) Sportwette als Geschicklichkeitsspiel Ausgehend von dieser Definition wird von Einigen geltend gemacht, bei der Sportwette handele es sich nicht um ein Glücks- sondern ein Geschicklichkeitsspiel, da die Entscheidung über Gewinn und Verlust – jedenfalls von einem gut informierten und geschickten Wettteilnehmer – so beeinflusst werden könne, dass sie nicht mehr allein oder überwiegend vom Zufall abhinge, sondern wesentlich von dessen Fähigkeiten und Kenntnissen.119 Heutzutage gebe es mit Radio, Fernsehen, Internet und zahlreichen Printmedien derart vielfältige Informationsmöglichkeiten über das jeweilige Sportereignis, welches der Teilnehmer für seine Wette zudem frei auswählen kann, dass die Erfolgsaussichten bei einer Wette auf den Ausgang eines solchen Ereignisses nicht mehr überwiegend vom Zufall, sondern überwiegend von den Fähigkeiten und Kenntnissen des Wettenden abhingen.120 Diesbezüglich sei auf den Durchschnitt der Teilnehmer des jeweiligen Spiels abzustellen, wobei überwiegend solche Spieler Sportwetten abschlössen, die entsprechendes sportliches Fachwissen besäßen.121 Die Platzierung der Wette sei demzufolge eine sachgerechte Prognoseentscheidung. Es liege die gleiche Situation vor wie z. B. bei spekulativen Anlage- und Börsengeschäften, die ebenfalls aufgrund ökonomischer Kriterien und Kenntnisse getätigt und trotz einer nicht zu bezweifelnden Ungewissheit hinsichtlich Gewinn oder Verlust von niemandem als Glücksspiel qualifiziert würden.122 b) Sportwette als Glücksspiel Teilweise wird eine etwaige Eigenschaft der Sportwette als Geschicklichkeitsspiel bereits mit der Begründung verneint, dass die Ergebnisvorhersage bei einem Sportereignis nicht mit einem Anspruch auf objektive Richtigkeit möglich sei.123 Dies ist jedoch schon im Ansatz unzutreffend, da für das Vorliegen eines Geschicklichkeitsspiels nicht erforderlich. Es muss nur der Einfluss des Wetten-
119 LG Bochum NStZ-RR 2002, 170 (170 f.); AG Karlsruhe-Durlach NStZ 2001, 254 (255) m. zust. Anm. Wrage; LG Köln v. 14.7.2005 – 105 Qs 80/05 Rn. 11 (zit. nach juris); OLG Hamm (Z) NJW-RR 1997, 1007 (1008 a. E.); Kühne in: FS F.-C. Schroeder, S. 545 (553); Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 24 f.; Lesch GewArch 2003, 321 (322 f.); Wrage JR 2001, 405 (256). Diese Ansicht teilt(e) auch die bei der Einführung der staatlichen Sportwette ODDSET federführende bayerische Staatsregierung in ihrem amtl. Bericht der Kabinettssitzung vom 19.1.1999 [„. . . Wettform, bei der der Gewinn nicht vom Zufall abhängt, sondern bei dem fundierte Kenntnisse im Bereich des Sports die Gewinnchance verbessern“.]. 120 AG Karlsruhe-Durlach NStZ 2001, 254 (255) m. zust. Anm. Wrage. 121 LG Bochum NStZ-RR 2002, 170 (170 f.). 122 So argumentieren v. a. das AG Karlsruhe-Durlach NStZ 2001, 254 (255) und Kühne in: FS F.-C. Schroeder, S. 545 (552). 123 So Volk, Glücksspiel im Internet, S. 33.
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den so erheblich sein, dass bei der Entscheidung über Gewinn oder Verlust der Zufall nicht mehr überwiegt.124 Die h. M. geht davon aus, dass eine Sportwette, die unmittelbar mit dem jeweiligen Sportereignis verknüpft ist, aufgrund der Vielzahl der vom Wettteilnehmer weder beeinflussbaren noch vorausberechenbaren Faktoren, wie Tagesform oder Verletzungen der Sportler, Beschaffenheit der Wettkampfstätte und Witterungsverhältnisse, überwiegend vom Zufall abhängt.125 Maßstab für diese Beurteilung sei nicht der Durchschnitt der üblichen Spielteilnehmer, sondern der Durchschnitt derjenigen Personen, für die das Spielangebot eröffnet ist.126 Bei diesen komme dem Zufallsmoment im Verhältnis zu individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten jedenfalls das Übergewicht zu. Die Ergebnisoffenheit und prinzipielle Unkalkulierbarkeit mache für den Durchschnittsspieler gerade den Sinn des Sportgeschehens und für den Wettanbieter die Grundlage seiner Gewinnerwartung aus. Teilweise wird auch argumentiert, der Wert der mannigfaltigen Informationen bezüglich des Sportereignisses verflüchtige sich aufgrund ihrer allgemeinen Zugänglichkeit und sei durch die – für Favoriten niedrige und Außenseiter hohe – Wettquote relativiert.127 Die zugesagten Gewinnquoten und damit der Anreiz für den Spieler seien gerade umso höher, je unwahrscheinlicher der Spielausgang ist, auf den der Spieler setzt.128 Das Überwiegen des Zufalls zeige sich nicht zuletzt an den Ermittlungen im Fall „Hoyzer“, bei dem in einigen Fußballbegegnungen nicht einmal durch vorsätzliche Manipulationen des Schiedsrichters das anvisierte Ergebnis hergestellt werden konnte.129 Gegen einen Vergleich mit Spekulationsgeschäften an der Börse wird vor dem Hintergrund des Rechtsguts des § 284 StGB eingewendet, dass dort andere, spezifische Sicherungsmechanismen zur Verhinderung von Manipulatio124
Eigentlich auch der Ausgangspunkt von Volk, Glücksspiel im Internet, S. 14 ff. BayObLG NJW 2004, 1057 (1057); MüKo/Groeschke/Hohmann, § 284 Rn. 10; Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 76 f.; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 32; Petropoulos wistra 2006, 332 (335); Mosbacher NJW 2006, 3529 (3530); Wohlers JZ 2003, 860 (860 f.); Heine wistra 2003, 441 (443); während der Vierte Senat des BGH in NStZ 2003, 372 (373 f.) zwar zum Glücksspiel tendierte, die Frage aber letztlich offen ließ (s. u. S. 53), geht er in NJW 2007, 3078 (3078 f.) offenbar ohne Weiteres von einem Glücksspiel aus [„Der Angekl. hat objektiv und subjektiv die Voraussetzungen des § 284 StGB erfüllt.“]; ebenso BGHSt 51, 165 (171 f.) – Hoyzer; Glücksspiel bejahend auch die Verwaltungs- und Zivilgerichtsbarkeit, s. BVerwGE 114, 92 (94 f.) und BGH (Z) NJW 2002, 2175 (2175); auch SK/Hoyer § 284 Rn. 14 (Stand: August 1999) kommt nach seiner oben in Fn. 117 erwähnten Abgrenzung zum Ergebnis, dass Sportwetten für den Wettenden ein Glücksspiel i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB darstellen, da dieser das Ergebnis noch als unvorhersehbare Überraschung abtun könne [„Der Ball ist rund!“]. 126 BGH NStZ 2003, 372 (373); Wohlers JZ 2003, 860 (861); vgl. auch BGHSt 2, 274 (276). 127 Beckemper NStZ 2004, 39 (40); Kretschmer ZfWG 2006, 52 (53). 128 BGH NStZ 2003, 372 (373). 129 Mosbacher NJW 2006, 3529 (3530); Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 77. 125
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nen zulasten der Marktteilnehmer existierten.130 Dem wird von Vertretern der erstgenannten Ansicht wiederum entgegengehalten, dass ein solches Sicherungsmittel im Rahmen des § 284 StGB mit dem Merkmal der behördlichen Erlaubnis ebenfalls vorhanden sei.131 c) Eigener Lösungsvorschlag Weder der h. M., die die Glücksspieleigenschaft von Sportwetten damit begründet, dass der Ausgang von Sportereignissen ungewiss sei, noch der Gegenmeinung, wonach aufgrund des Überwiegens der Kenntnisse und Fähigkeiten des Wettenden ein bloßes Geschicklichkeitsspiel vorliege, kann in dieser Pauschalität zugestimmt werden. Denn ausgehend von derselben Definition vermag keine der Positionen das jeweils subjektiv für richtig gehaltene Ergebnis anhand klarer, objektiv nachprüfbarer Kriterien zu begründen. Zwar kann eine solche intuitive Beurteilung für gewisse Erscheinungsformen der Sportwette ausreichen; etwa wenn auf bestimmte Vorkommnisse innerhalb eines Sportereignisses gewettet wird, wie beispielsweise darauf, dass bei einer Bundesligapartie Spieler X in einer bestimmten Spielminute das 3. Tor der Spielbegegnung schießt, oder bei einem Formel 1 Rennen Fahrer Y in einer bestimmten Rennrunde ausscheidet. Hier kann durchaus von einem absoluten Glücksspiel mit jedenfalls überwiegender Zufallsabhängigkeit ausgegangen werden.132 Ähnliches gilt für bestimmte Kombinationswetten, bei denen für einen Gewinn der Ausgang mehrerer vorgegebener Sportereignisse richtig vorausgesagt werden muss. Bei einer Sportwette klassischer Prägung, also einer einzelnen Tendenzwette etwa auf Sieg, Unentschieden oder Niederlage einer Mannschaft bei einer Bundesligapartie, handelt es sich jedoch um ein sog. gemischtes Spiel, bei dem sowohl die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Wettenden als auch Zufallselemente das Wettergebnis beeinflussen. Hier kann allein anhand der obigen Definition kein überzeugendes Ergebnis gewonnen werden, sondern es bedarf klarer objektiver Abgrenzungskriterien, die nicht zuletzt dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG gerecht werden. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, speziell im Hinblick auf die Sportwetten solche Kriterien herauszuarbeiten. aa) Maßstab des Durchschnittsspielers Damit bei der Sportwette der Charakter als Glücks- oder Geschicklichkeitsspiel einheitlich bestimmt werden kann und nicht jeweils mit den Fähigkeiten 130
Heine wistra 2003, 441 (443). Horn NJW 2004, 2047 (2048). 132 Wohlers JZ 2003, 860 (861); Wrage NStZ 2001, 256 (256); VGH Kassel NVwZ 2005, 99 (103). 131
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und Kenntnissen der konkret beteiligten Personen wechselt, ist, wie bei der Beurteilung eines jeden Spiels, ein Durchschnitt der Teilnehmer zu bilden. Es gilt der Grundsatz der einheitlichen Betrachtungsweise.133 Der erstgenannten Ansicht, die bezüglich der Fähigkeiten und Kenntnisse auf den Durchschnitt der jeweils üblicherweise an einem bestimmten Spiel beteiligten Personen abstellt, kann nicht gefolgt werden. Bereits die Tatsache, dass sich ein solcher Durchschnitt kaum verlässlich ermitteln lassen wird und zugleich starken Schwankungen ausgesetzt sein kann, führt zu einem erheblichen Mangel sowohl an Praktikabilität als auch an Rechtssicherheit. Beizupflichten ist der h. M. in ihrem Ansatz, grundsätzlich auf den Durchschnitt der Spieler abzustellen, für die das Spiel unter den jeweiligen Verhältnissen eröffnet ist. Unzutreffend ist dann jedoch der zweite Schritt, bei der Sportwette einen Durchschnitt der Gesamtbevölkerung in Relation bestehend aus vielen gar nicht oder gering informierten und wenigen gut informierten Personen zu bilden.134 Nach der allgemein anerkannten Glücksspieldefinition kommt es darauf an, ob das Spiel durch die Aufmerksamkeit und Kenntnisse des Spielers beeinflusst werden kann. Diejenigen, die die Möglichkeit, sich aus allgemein zugängigen Quellen zu informieren, nicht oder nur in geringem Maße nutzen, schränken ihre Aufmerksamkeit und Kenntnisse und damit das Geschicklichkeitsmoment vorsätzlich ein. Sie müssen bei der Betrachtung außen vor bleiben. Für die Beurteilung potenzieller Glücksspiele darf nicht auf Spieler abgestellt werden, die bewusst ihre Erfolgschancen verringern, sondern maßgebend muss der Durchschnitt der bestmöglich eingesetzten Fähigkeiten sein. Dementsprechend wird bei anderen Spielen grundsätzlich ein spielinteressierter und eingespielter (!) Spieler als Orientierungsmaßstab des Durchschnittsspielers herangezogen.135 Das muss auch für Sportwetten gelten. Insofern ist der oben erstgenannten Ansicht, wenn auch nicht im Ausgangspunkt, so doch im Ergebnis zuzustimmen. Maßgeblich müssen die Kenntnisse und Fähigkeiten des sportlich informierten Durchschnittsspielers sein. In der Praxis mag es durchaus zutreffen, dass ein solcher Durchschnittsspieler seine Entscheidung beim Abschluss einer Sportwette nicht rein rationell nach der bestmöglichen Erfolgschance trifft, sondern sich von persönlichen, irrationellen Motiven leiten lässt, wie etwa der emotionalen Verbundenheit zu einem Verein oder bestimmten Sportlern oder auch der zwar geringeren Chance auf einen dann jedoch höheren Gewinn bei einem Tipp auf den Außenseiter.136 133
BGHSt 2, 274 (276 f.); BGH NStZ 2003, 372 (373); LK/Krehl, § 284 Rn. 8. Vorgegeben durch BGH NStZ 2003, 372 (373) [„gerade der eher unbedarfte Spieler bedarf des Schutzes . . .“], herausgestellt insbesondere von Wohlers JZ 2003, 860 (861). 135 BVerwG GewArch 2002, 76 (78); GewArch 1985, 59 (60 f.); LK/v. Bubnoff (11. Aufl.), § 284 Rn. 8; im Ansatz zutreffend ebenso Heine wistra 2003, 441 (443) [„aufgeklärter Durchschnittspieler“]. 136 Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 46 m.w. N. 134
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Viele Teilnehmer scheinen den Abschluss von Sportwetten insofern als eine Form des Zeitvertreibs und der Unterhaltung anzusehen,137 bei der es – jedenfalls in erster Linie – nicht auf eine bestmögliche Gewinnerzielung ankommt. Allerdings handelt es sich hierbei um eine bewusste Entscheidung, betreffend einen durch den Wettenden beeinflussbaren Faktor. Das Wissen des Durchschnittsspielers im Hinblick auf das jeweilige Sportereignis, auch wenn es durch die allgemeine Zugänglichkeit und eine entsprechende Quotengestaltung des Anbieters relativiert sein sollte,138 verliert nicht an Gültigkeit. Ein „besonderer Anreiz“, aufgrund der höheren Gewinnquoten für einen Außenseiter informationskonträr zu handeln, kann daher entgegen dem BGH und dessen Anhängern139 nicht als Argument dafür verwendet werden, dass die Sportwette für den Durchschnittsspieler überwiegend zufallsabhängig ist, wenn sich dieser frei und bewusst gegen den Einsatz dieses Wissens entscheidet. Damit wird zugleich deutlich, dass der finanzielle Erfolg der Sportwettenanbieter nicht als Beweis für die Unkalkulierbarkeit und damit Zufallsabhängigkeit der Sportwette herangezogen werden kann.140 Was die Sportwettenveranstaltung rentabel macht, ist nämlich vielmehr die Tatsache, dass viele der Wettenden ihren Tipp eben nicht emotionslos nach rein rationellen Gesichtspunkten abgeben.141 Eine prinzipielle Unkalkulierbarkeit und Zufallsabhängigkeit lässt sich daraus nicht ableiten. bb) Bestimmung der „überwiegenden“ Zufallsabhängigkeit Von entscheidender Bedeutung für eine objektivierte Auslegung des Glücksspielbegriffs im Hinblick auf Sportwetten ist nun die Bestimmung des Merkmals der „überwiegenden“ Zufallsabhängigkeit des Spielergebnisses.142 Oftmals synonym als „wesentliche“,143 „hauptsächliche“ 144 oder „vorwiegende“145 Zufallsabhängigkeit bezeichnet, bleibt in der Sache unklar, was genau gemeint und vor allem wann eine solche überwiegende Abhängigkeit gegeben ist. Eine überwiegende Bedingung für die Herbeiführung des Spielerfolges kann nicht gemeint sein, da die Bedingungstheorie bekanntlich besagt, dass alle Teilursachen für einen Erfolg gleichwertig sind.146 Es bedeutet vielmehr, mit welchem Grad 137
Hayer/Meyer Sucht 2003, 212 (218 f.). So Beckemper NStZ 2004, 39 (40); Kretschmer ZfWG 2006, 52 (53). 139 BGH NStZ 2003, 372 (373); Wohlers JZ 2003, 860 (861); Beckemper NStZ 2004, 39 (40). 140 So aber LG München I NJW 2002, 2656 (2656); Meyer JR 2004, 447 (448). 141 Vgl. Teschner, ODDSET Buchmacherwetten, S. 8, 30. 142 So auch Belz, Glücksspiel im Strafrecht, S. 58 ff. 143 RGSt 6, 70 (74); Epple, Das strafbare Glücksspiel, S. 10. 144 BGH NJW 1989, 919 (920). 145 Seelig, Das Glücksspielstrafrecht, S. 46. 146 Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 7. 138
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von Wahrscheinlichkeit die beiden Verursachungsbeiträge Zufall und Geschicklichkeit jeweils zur Herbeiführung des Spielerfolges geeignet waren. Damit ein Glücksspiel vorliegt, muss der Zufall den Erfolg in höherem Maße wahrscheinlich machen als die Geschicklichkeit.147 Wie genau der Weg zur tatsächlichtechnischen Bestimmung dieses Wahrscheinlichkeitsanteils von Geschicklichkeit und Zufall bei einem Sportwettenergebnis aussehen soll, ist bisher vollkommen ungeklärt. Dies erkennt auch der BGH, wenn er zwar Zweifel an einer Qualifikation der Sportwette als Geschicklichkeitsspiel äußert, die Entscheidung und genaue Abgrenzung in diesem Punkt aber offen lässt:148 „Darüber hinaus bleibt offen, ob und in welchem Maße auch der kenntnisreiche Durchschnittsspieler die Entscheidung über Gewinn und Verlust beeinflussen kann, mit der Folge, dass bei einem entsprechenden Zurücktreten des Zufallsmoments ein Geschicklichkeitsspiel und kein Glücksspiel anzunehmen wäre. Hierbei handelt es sich um eine Frage tatsächlicher Art, die einer tatrichterlichen einzelfallorientierten Abgrenzung – gegebenenfalls mithilfe eines Sachverständigen – unter Berücksichtigung der einzelnen in Betracht kommenden Spielvorgänge bedarf.“
Es verwundert nicht, dass diese Maßgabe vielfach unberücksichtigt bleibt149 oder für nicht ausschlaggebend erachtet wird,150 wenn sich der BGH in der Folge selbst nicht daran gehalten hat.151 Erwähnenswert ist die Vorgehensweise des BVerwG, das sich aus der Affäre zieht, indem es entgegen der Vorgabe einer richterlichen Abgrenzung durch den BGH und trotz des verwaltungsgerichtlichen Amtsermittlungsgrundsatzes die Klärung der Frage, ob bei OddsetWetten nun der Zufalls- oder Geschicklichkeitsanteil überwiegt, auf den Sportwettenanbieter abwälzt: Dieser habe die Tatsachen aufzuzeigen, ob und in welchem Maße der kenntnisreiche Durchschnittsspieler die Entscheidung über Gewinn und Verlust beeinflussen kann.152 Einer solchen Beweislastverteilung ist 147 Dickersbach GewArch 1998, 265 (267); insoweit zutreffend geht das LG Bochum NStZ-RR 2002, 170 (170) von einem Geschicklichkeitsspiel aus, wenn der durchschnittliche Teilnehmer mit zumindest „hälftiger Wahrscheinlichkeit“ den Ausgang des Spiels bestimmen kann. 148 BGH NStZ 2003, 372 (373). 149 Z. B. bei Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 32; Petropoulos wistra 2006, 332 (334 f.); Mosbacher NJW 2006, 3529 (3530). 150 Z. B. bei VGH München GewArch 2005, 241 (242). 151 BGHSt 51, 165 (171 f.) – Hoyzer [„Bei der Sportwette, einer Unterform des wesentlich durch Zufall bestimmten Glücksspiels, ist Gegenstand des Vertrages das in der Zukunft stattfindende und von den Sportwettenteilnehmern nicht beeinflussbare Sportereignis.“]; BGH NJW 2007, 3078 (3078 f.) [„Der Angekl. hat objektiv und subjektiv die Voraussetzungen des § 284 StGB erfüllt.“]. 152 BVerwG Urt. v. 21.6.2006 – 6 C 19/06, der in Bezug genommene Teil der Urteilsgründe ist abgedruckt in NVwZ 2006, 1175 (1175), bezeichnenderweise wurde er bei der Aufnahme des Urteils in die amtl. Sammlung BVerwGE 126, 149 (151) weggelassen. Das Urteil wurde durch BVerfG NVwZ 2008, 301 wegen Unvereinbarkeit der streitgegenständlichen Untersagungsverfügung mit Art. 12 GG aufgehoben, s. dazu u. S. 144 ff.
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entschieden entgegenzutreten. Insbesondere muss im Rahmen der Frage nach der Strafbarkeit gemäß § 284 StGB die Staatsanwaltschaft, aber auch im Rahmen einer ordnungsrechtlichen Untersagungsverfügung die zuständige Polizeibehörde, gegebenenfalls mithilfe eines Sachverständigen, das Vorliegen eines Glücksspiels aufgrund des Überwiegens des Zufallsmomentes darlegen; und nicht umgekehrt der Sportwettenanbieter das Vorliegen eines Geschicklichkeitsspiels aufgrund des Überwiegens des Geschicklichkeitsmoments. Zum Teil ist man der Ansicht, bei den sog. gemischten Spielen wie der Sportwette sei eine quantitative Bestimmung des Geschicklichkeits- und Zufallseinflusses generell nicht mit der nötigen Sicherheit zu leisten. Man müsse entweder jedes Spiel mit – noch so geringem – Zufallseinfluss als Glücksspiel ansehen (sog. weiter Glücksspielbegriff) oder jedes Spiel mit – noch so geringem – Geschicklichkeitseinfluss als Geschicklichkeitsspiel (sog. enger Glücksspielbegriff).153 Eine derart schematische und unflexible Lösung ist indes auch für die Gruppe der gemischten Spiele wenig befriedigend und kaum überzeugend. De facto existieren hier im Wesentlichen drei Methoden zur Bestimmung des Geschicklichkeits- bzw. Zufallseinflusses, die allesamt dem Bereich der Spielautomaten entstammen und m. E. für die empirische Ermittlung des überwiegenden Zufallsanteils bei Sportwetten fruchtbar gemacht werden könnten. Die erste wurde vom Reichsgericht unmittelbar bei der Anwendung des § 284 StGB verwendet. Die beiden anderen wurden im gewerblichen Spielrecht entwickelt.154 Dort ist es für die Genehmigungsfähigkeit eines sog. anderen Spiels mit Gewinnmöglichkeit gemäß §§ 33d, 33h Nr. 3 GewO ausdrückliche Voraussetzung, dass kein Glücksspiel i. S. d. § 284 StGB vorliegt. Obwohl sich in Anbetracht des Verweises auf § 284 StGB exakt dieselben Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Glücks- und Geschicklichkeitsspiel ergeben wie originär im Rahmen des § 284 StGB,155 haben sich im Verwaltungsrecht ungleich schärfere Kriterien der Abgrenzung entwickelt, was wohl darauf beruht, dass bei § 33d GewO bislang häufiger Grenzfälle zu beurteilen waren als unmittelbar bei § 284 StGB. (1) Abzugsmethode Zunächst hat das Reichsgericht bei der Frage, ob ein sog. „Bajazzo-Automat“ ein Glücksspiel i. S. d. § 284 StGB darstellt, eine Art Abzugsmethode angewendet.156 Danach wurde durch entsprechende Versuche die Wahrscheinlichkeit er-
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Kühne in: FS F.-C. Schroeder, S. 545 (553); Wolf, Problematik, S. 76 f. Allein Odenthal NStZ 2002, 482 (483) spricht die Möglichkeit an, diese beiden Methoden auf § 284 StGB zu übertragen. 155 Friauf/Hahn, GewO § 33d Rn. 1 (Stand: Februar 2008). 156 RGSt 62, 163 (167 ff.). 154
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rechnet bzw. zumindest verlässlich geschätzt, aufgrund eigenen Geschicks das Spiel zu gewinnen; und zwar indem von der durchschnittlichen Trefferquote die Zufallstreffer abgezogen und die so ermittelte Geschicklichkeitsquote mit der Gesamttrefferquote ins Verhältnis gesetzt wurde.157 Eine Übertragung dieser Abzugsmethode auf den Bereich der Sportwette scheint jedoch nicht praktikabel zu sein, da die Ermittlung von Gesamttreffer-, Zufallstreffer- und Geschicklichkeitsquote als absolute, jeweils für sich zu berechnende Größen kaum zuverlässig möglich sein wird. (2) Methode der Trefferverdopplung Nach einer zweiten Methode wird bei § 33d GewO von einem Überwiegen des Geschicklichkeitselements ausgegangen, wenn die dem Spiel immanente Zufallstrefferquote durch die Geschicklichkeit eines Durchschnittsspielers wesentlich gesteigert, d. h. mehr als verdoppelt, und die Trefferquote im Verhältnis zur Nichttrefferquote insgesamt noch als wesentlich angesehen werden kann.158 Ohne einen Hinweis auf die Herkunft aus dem gewerblichen Spielrecht, scheint sich Fischer an dieser Formel zu orientieren.159 Bezogen auf die Sportwette müsste demzufolge überprüft werden, ob diejenigen Wettteilnehmer, die ihren Tipp aufgrund einer Prognoseentscheidung mit der nach ihrem Wissen besten Erfolgschance abgeben, im Durchschnitt die Anzahl der richtigen Ergebnisse gegenüber rein zufällig abgegebenen Tipps mehr als verdoppeln können.160 Jedenfalls für die klassische Tendenzwette auf Sieg, Unentschieden oder Niederlage einer Mannschaft oder eines einzelnen Sportlers scheint eine längere Testreihe nach diesen Maßgaben in der Lage, brauchbare Ergebnisse zu liefern. (3) 50%-Methode Eine dritte Methode, die auch das BVerwG verwendet hat, nimmt im Rahmen des § 33d GewO ein Glücksspiel an, wenn ein Durchschnittsspieler statistisch 157 s. zu dem Verfahren der Berechnung im Einzelnen RGSt 67, 163 (167 ff.); Schilling GewArch 1995, 318 (321); im konkreten Fall betrug diese Wahrscheinlichkeit nur 27%, sodass von einem Überwiegen des Zufalls ausgegangen werden konnte. 158 Der VGH Kassel GewArch 2001, 200 (200 f.) sah demnach das zu beurteilende Krangreiferspiel „Good Luck II (neu)“ als Geschicklichkeitsspiel an, da die Spielprüfung des BKA ergeben hatte, dass die Blindspieltrefferquote von 16% durch Geschicklichkeit durchschnittlich auf eine Trefferquote von 33,9% erhöht und damit mehr als verdoppelt werden konnte; s. zu dem rechnerischen Verfahren im Einzelnen Schilling GewArch 1995, 318 (322 ff.); zust. Odenthal GewArch 2001, 276 (279). 159 Fischer, § 284 Rn. 4 [„Ein Glücksspiel liegt vor, wenn die zufallsbedingte, nur mathematisch berechenbare Wahrscheinlichkeit des Gewinns sich durch individuelle Anstrengung nicht wesentlich steigern lässt.“]. 160 Vgl. auch Odenthal NStZ 2002, 482 (483).
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mehr als 50% der Spiele verliert.161 Dies beruht auf der Prämisse, dass jedes für den Spieler gewonnene Spiel auf dem Wirksamwerden von Geschicklichkeitseinflüssen und jedes verlorene Spiel auf dem Einwirken des Zufalls oder einer Überforderung des durchschnittlichen Geschicklichkeitsniveaus beruhen soll. Dass damit ein für den Durchschnittsspieler lediglich zu schwieriges Geschicklichkeitsspiel im mathematischen Sinne zum Glücksspiel im Rechtssinne werden kann, wird von den Vertretern dieser Ansicht hingenommen.162 Das Fehlen der spielsteuernden und dadurch zufallsüberwindenden Geschicklichkeit führe in diesem Fall zu einem korrelierenden Ansteigen des Zufalls. Bei der Sportwette wäre folglich entscheidend, ob aus allgemein zugänglichen Quellen informierte Durchschnittsteilnehmer, die ihren Tipp rein rationell mit der nach ihrem Wissen besten Erfolgschance abgeben, statistisch mehr als 50% der Wetten gewinnen können. Diese simple Methode scheint sich ohne größere Schwierigkeiten auf Sportwetten anwenden zu lassen; dies sogar auf die verschiedenen Varianten der Sportwette mit jeweils gesonderten Ergebnissen. Eine solche Untersuchung nach der 50%-Methode hat offensichtlich Dannecker im Rahmen eines Gutachtens für einen privaten Wettanbieter, die Bet 3000 AG,163 durchgeführt, allerdings ohne dieses zu veröffentlichen.164 Dabei kommt er offenbar zu dem Ergebnis, dass im Durchschnitt 52,14% der Tipps bei Einzelwetten auf den Ausgang eines Sportereignisses erfolgreich waren.165 Als Basis der Untersuchung dienten wohl sämtliche in einem Zeitraum von drei Monaten bei der Bet 3000 AG platzierten Wetten. Nach diesem Ergebnis wäre zumindest bei der einzelnen Tendenzwette von einem Geschicklichkeits- und nicht von einem Glücksspiel auszugehen. cc) Zusammenfassung Lediglich bei der Sonderform der Wette auf bestimmte Vorkommnisse innerhalb eines Sportereignisses kann ohne Weiteres von einem Überwiegen des Zufalls damit von einem Glücksspiel ausgegangen werden.166 Gleiches mag für bestimmte Kombinationswetten gelten. Für die klassische Sportwette, also eine einzelne Tendenzwette z. B. auf Sieg, Unentschieden oder Niederlage einer Fußballmannschaft bei einer Bundesligapartie, verbietet sich eine Pauschalbeurtei161
BVerwG GewArch 2002, 76 (78); Dickersbach GewArch 1998, 265 (268). VG Wiesbaden GewArch 1996, 68 (69); s. auch bereits RGSt 25, 192 (193). 163 s. https://www.bet3000.com/ [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]. 164 Dannecker, Gutachterliche Stellungnahme zu der Frage, ob Oddset-Wetten Glücksspiele i. S. d. § 284 StGB sind (nicht veröffentlicht), zitiert nach Steegmann ZfWG 2007, 410 ff. 165 Vgl. Steegmann ZfWG 2007, 410 (411), der jedoch kritisiert, dass Dannecker sein Ergebnis auf alle Sportwetten, also auch auf Kombinationswetten beziehe. 166 Wohlers JZ 2003, 860 (861); Wrage NStZ 2001, 256 (256); VGH Kassel NVwZ 2005, 99 (103). 162
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lung allein mittels der wachsweichen Formel vom Überwiegen des Zufalls- oder Geschicklichkeitsanteils.167 Für eine nachvollziehbare Einordnung einer solchen Sportwette als Glücksspiel i. S. d. § 284 StGB muss, wie es der BGH in offenbar sogar für ihn selbst nicht ausreichender Beachtung ausdrücklich gefordert hat,168 im Rahmen einer tatrichterlichen einzelfallorientierten Prüfung, gegebenenfalls mithilfe eines Sachverständigen und unter Berücksichtigung der im Einzelnen in Betracht kommenden Spielvorgänge, ein Überwiegen des Zufallsmoments dargelegt werden. Mithilfe der aufgezeigten Methoden aus dem Bereich des gewerblichen Spielrechts, die jedenfalls auf den ersten Blick auf Sportwetten übertragbar zu sein scheinen, besteht eine realistische Möglichkeit, diese Abgrenzung transparent durchzuführen oder zumindest zu erleichtern. Bis auf das unveröffentlichte Gutachten von Dannecker fehlen bis dato empirische Untersuchungen auf dieser Grundlage.169 Eigene Analysen können aufgrund der nötigen Laufzeit im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht vorgenommen werden. Auch Spekulationen über ein eventuelles Ergebnis unterbleiben an dieser Stelle. 3. Abgrenzung zwischen Glücksspiel und Unterhaltungsspiel Wie bereits erwähnt, werden Sportwetten oftmals zum Zweck bloßer Unterhaltung abgeschlossen. Ein Unterhaltungsspiel im Rechtssinne ist jedoch kein Glücksspiel i. S. d. § 284 StGB. Ein solches Unterhaltungsspiel im Rechtssinne liegt vor, wenn nur um geringfügige Vermögenswerte gespielt wird. In Abgrenzung hierzu sind Glücksspiele i. S. d. § 284 StGB solche Spiele, bei denen sowohl der potenzielle Einsatz170 der Spielteilnehmer als auch entsprechend der erzielbare Gewinn171 einen nicht ganz unerheblichen Vermögenswert aufweisen.172 a) Vermögenswerter Einsatz Damit § 284 StGB entsprechend seinem Schutzzweck, von den Glücksspielteilnehmern eingesetztes Vermögen vor manipulativer bzw. suchtbedingter Entwertung zu schützen, überhaupt einschlägig ist, muss das Glücksspiel die Ge167
So schon Wrage JR 2001, 405 (406). BGH NStZ 2003, 372 (373), s. o. S. 53. 169 Darauf weist auch VGH Kassel NVwZ 2005, 99 (102) hin; ebenfalls empirische Untersuchungen fordernd Beckemper NStZ 2004, 39 (40). 170 Vgl. BGHSt 34, 171 (176 f.); MüKo/Groeschke/Hohmann, § 284 Rn. 8 m.w. N.; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 42. 171 Vgl. BayObLG JR 2003, 386 (387); Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 6; Füllkrug/Wahl Kriminalistik 1984, 533 (534). 172 Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 1, § 44 Rn. 7. 168
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fahr des Verlustes eines vermögenswerten Einsatzes mit sich bringen. Wann ein Einsatz mit „nicht ganz unerheblichem Vermögenswert“ vorliegen soll, bleibt vielfach unklar. Zu beachten ist zunächst, dass es nicht auf den jeweiligen tatsächlichen Einsatz der Spielteilnehmer ankommen kann, sondern der potenzielle Einsatz über einen bestimmten Zeitraum, der zum Vermögensverlust werden kann, maßgeblich sein muss.173 Ansonsten entfiele der Glücksspielcharakter zahlreicher Casino- oder Automatenspiele, an denen man sich bereits mit einem Mindesteinsatz von unerheblichem Wert beteiligen kann. Der Glücksspielcharakter hinge gegenüber den einzelnen Teilnehmern jeweils von der Höhe ihrer Einsätze und der Dauer ihrer Spielteilnahme ab. Ein Spiel kann jedoch nicht gleichzeitig für manche Teilnehmer Glücksspiel sein und für andere nicht, es gilt der bereits genannte Grundsatz der einheitlichen Betrachtungsweise.174 Daher ist Petropoulous, der den Glücksspielcharakter von Sportwetten jeweils davon abhängig machen will, ob der einzelne Wettteilnehmer einen Einsatzbetrag von 50 Euro pro Wochenende überschreitet,175 hinsichtlich der Einbeziehung eines bestimmten Zeitraums recht zu geben, in Bezug auf die Wahl des Einsatzwertes aber zu widersprechen. Niemand würde bestreiten, dass es sich für jemanden, der an einem Wochenende mit einem tatsächlichen Einsatz von weniger als 50 Euro an einem Roulettespiel teilgenommen hat, um ein Glücksspiel gehandelt hat. Selbst wenn der tatsächliche Einsatz gering war, sagt dies nichts über den potenziell möglichen Verlust, der viel höher sein kann. Dementsprechend ist der Maßstab für die Bestimmung des Vermögenswertes solcher potenzieller Einsätze festzulegen. Bei einem Spiel, das wie die Sportwette in der vorliegend untersuchten Form jedermann offen steht, kann aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit nur ein absoluter Maßstab gelten;176 d. h. es sind nicht relativ die durchschnittlichen Vermögensverhältnisse der jeweils beteiligten Spieler, beispielsweise eine Gruppe von Millionären, maßgebend, sondern ein absoluter, gemäß den allgemeingültigen gesellschaftlichen Anschauungen gebildeter Wert. Zur konkreten Bestimmung dieses Werts gibt es verschiedene Ansätze. Es wird vorgeschlagen, auf die Erheblichkeitsgrenze des Unfallschadens i. S. d. § 142 StGB abzustellen177 (derzeit etwa 20 Euro)178, auf 173 Brandl Spielleidenschaft und Strafrecht S. 42; Belz, Glücksspiel im Strafrecht, S. 77 [Summe, die „am Abend verspielt sein kann“]; Wohlers JR 2003, 388 (388) [Einsatz, der „verspielt sein kann“]; Füllkrug/Wahl Kriminalistik 1984, 533 (534) [„möglicher Verlust“]; insoweit missverständlich dagegen BGHSt 34, 171 (176 f.) und dem folgend Teile der Literatur, etwa MüKo/Groeschke/Hohmann, § 284 Rn. 8. m.w. N. 174 s. die Nachw. in Fn. 133. 175 Petropoulos wistra 2006, 332 (335). 176 NK/Wohlers, § 284 Rn. 13; Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 6; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 43. 177 So SK/Hoyer, § 284 Rn. 6 (Stand: August 1999). 178 MüKo/Zopf, § 142 Rn. 26.
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die Grenze der Geringwertigkeit i. S. d. § 248a StGB179 (zurzeit nach der Rechtsprechung ca. 50 Euro)180, auf ein durchschnittliches Einkommen in der entsprechenden Zeit181 oder auf die Kosten anderer, in der entsprechenden Zeit alternativ in Betracht kommender Unterhaltungsmöglichkeiten.182 Der potenzielle Einsatz bei dem Abschluss bereits einer Sportwette beträgt bei der staatlichen Sportwette ODDSET derzeit bis zu 500 Euro183 und übersteigt damit jeden dieser Werte. Ein nicht ganz unerheblicher Vermögenswert des potenziellen Einsatzes liegt in jedem Fall vor. Unter den genannten Vorschlägen ist letzterer einleuchtend, der die Kosten anderer Unterhaltungsmöglichkeiten in entsprechender Zeit als Vergleichsmaßstab heranzieht; geht es doch um die Abgrenzung zur bloßen, straflosen Unterhaltung. Einen gemeinsamen Nenner der Unterhaltungsmöglichkeiten bildet aufgrund des weitgehend einheitlichen Preises ein Kinobesuch und damit ein Wert von etwa fünf Euro pro Stunde eine taugliche Erheblichkeitsgrenze.184 b) Vermögenswerter Gewinn Auch der bei dem Spiel erzielbare Gewinn muss einen nicht ganz unerheblichen Vermögenswert aufweisen, damit von einem Glücksspiel i. S. d. § 284 StGB ausgegangen werden kann.185 Entsprechend dem potenziellen Einsatz im Rahmen von Sportwetten handelt es sich bei den erzielbaren Gewinnen selbst bei einer äußerst niedrigen Gewinnquote um nicht ganz unbedeutende Vermögenswerte. Nicht entscheidend ist, ob der Wettende im Einzelfall subjektiv einen Gewinn anstrebt oder den Einsatz lediglich als Entgelt für einen Zeitvertreib ansieht. Es kommt allein auf die objektive Möglichkeit der Gewinnerzielung an.186 c) Ergebnis Bei der Sportwette handelt es sich nach dem Dargelegten nicht um ein bloßes Unterhaltungsspiel.
179 180 181 182 183 184 185 186
Petropoulos wistra 2006, 332 (335). MüKo/Hohmann, § 248a Rn. 6. OLG Köln NJW 1957, 721 (721); Füllkrug Kriminalistik 1990, 101 (102). So MüKo/Groeschke/Hohmann, § 284 Rn. 8; NK/Wohlers, § 284 Rn. 13. s. o. S. 34. So bereits Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 46. s. die Nachw. in Fn. 171. Fischer, § 284 Rn. 7.
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4. Abgrenzung zwischen Glücksspiel und Lotterie i. S. d. § 287 StGB Gelegentlich wird die Auffassung vertreten, Sportwetten seien generell als Lotterien i. S. d. § 287 StGB zu qualifizieren.187 Eine Lotterie ist eine Sonderform des Glücksspiels, deren wesentlicher Unterschied zum einfachen Glücksspiel i. S. d. § 284 StGB darin besteht, dass ein vom Veranstalter einseitig festgesetzter Spielplan existiert, der den Spielbetrieb im allgemeinen und die konkreten Bedingungen der Beteiligung, die ausgesetzten Gewinne, das System der Gewinnermittlung sowie die Höhe der Einsätze regelt.188 Ein Spielplan in diesem Sinne liegt nur bei Wetten nach dem Totalisatorprinzip189 (z. B. Fußball-Toto) vor. Bei der behandelten Festquotenwette ist dies nicht der Fall. Hier werden die Wettbedingungen, insbesondere der Einsatz und die Gewinnquote zwischen den Vertragsparteien individuell und für jede Wette neu vereinbart.190 Einschlägig ist daher allein § 284 StGB.
III. Tathandlungen des § 284 StGB Im Rahmen des Abschlusses von Sportwetten werden zwei Handlungsweisen relevant, das Veranstalten von (eigenen) Sportwetten und das Vermitteln von (fremdveranstalteten) Sportwetten. Als mögliche Tathandlungen nennt § 284 StGB hierfür in Abs. 1 das Veranstalten oder Halten eines Glücksspiels und die Bereitstellung von Einrichtungen hierzu. Ebenfalls erfasst ist gemäß Abs. 4 das Werben für ein Glücksspiel. Ob sich diese Alternativen überschneiden und nicht exakt zu unterscheiden191 oder vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots voneinander abzugrenzen sind,192 wird unterschiedlich beurteilt. Zuzustimmen ist der Forderung nach einer klaren Abgrenzung, da sich auch § 284 StGB an Art. 103 Abs. 2 GG messen lassen muss und gerade in Bezug auf die Vermittlung von Sportwetten erhebliche Unklarheit bei der Zuordnung zu den einzelnen Tatvarianten besteht. Bei dem Bereitstellen von Einrichtungen und dem Werben nach Abs. 4 handelt es sich im Gegensatz zu dem Veranstalten und Halten um typische Vorbereitungs- und Unterstützungshand187
LK/Krehl, § 284 Rn. 5; Klam, Problematik von Glücksspielen, S. 110. RGSt 55, 270 (271); 62, 393 (394); NK/Wohlers, § 287 Rn. 3; Schönke/Schröder/Heine, § 287 Rn. 3. 189 s. o. S. 33. 190 Vgl. auch OLG Köln (Z) GRUR 2000, 533 (535); Lesch wistra 2005, 241 (2005); Wrage JR 2001, 405 (401). 191 So OLG Düsseldorf JMBl NW 1991, 19 (20); Fischer, § 284 Rn. 17. 192 So BayObLG NJW 1993, 2820 (2821) m. insoweit zust. Anm. Lampe JuS 1994, 737 (739); MüKo/Groeschke/Hohmann, § 284 Rn. 14; Belz, Glücksspiel im Strafrecht, S. 92 f. 188
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lungen, die vom Gesetzgeber tatbestandlich verselbstständigt wurden. Dementsprechend bietet sich eine an Tatherrschaftsgesichtpunkten orientierte Abgrenzung an.193 Bei allen Tathandlungen kann die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts gemäß § 9 StGB problematisch sein, sofern es sich um ein Sportwettenangebot mit Auslandsbezug handelt. Dies wird später in einem eigenen Kapitel behandelt.194 1. Veranstalten eines Glücksspiels gemäß § 284 Abs. 1 Alt. 1 StGB Entgegen der Ansicht mancher195 bedeutet das Veranstalten eines Glücksspiels mehr als die bloße Eröffnung einer Gelegenheit zur Beteiligung an einem Glücksspiel. Dem Wortsinne nach bedeutet „Veranstalten“: als Verantwortlicher und Organisator stattfinden lassen, durchführen oder durchführen lassen.196 Bereits der Gesetzeswortlaut – im Strafrecht bekanntlich nicht nur Anfang, sondern auch Grenze der Auslegung – zeigt also, dass der Gesetzgeber nicht jede Schaffung einer bloßen Beteiligungsmöglichkeit erfassen wollte. Anderenfalls wäre zudem eine Abgrenzung zu den restlichen Tathandlungen, insbesondere dem Bereitstellen von Einrichtungen, kaum möglich. Nach zutreffender Definition ist daher Veranstalter eines Glücksspiels i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB, wer tatherrschaftlich-verantwortlich die maßgebenden rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die Abhaltung des Glücksspiels schafft, wodurch dem Publikum der Abschluss von Spielverträgen unmittelbar ermöglicht wird.197 Des tatsächlichen Abschlusses von Spielverträgen mit Teilnehmern bedarf es nicht.198 Eindeutig Veranstalter in diesem Sinne ist derjenige, der als Unternehmer, sei es durch den Betrieb eines lokalen Wettbüros oder auch einer entsprechenden Internetseite, selbst den Abschluss von Sportwetten anbietet, sprich ohne Einschaltung von Zwischenpersonen die Wettverträge direkt mit den Wettteilnehmern abschließt.199 In der Praxis wird in deutschen Wettbüros oder auf Internetseiten allerdings häufig nur der Abschluss von Sportwetten mit dem eigentlichen Anbieter, der oftmals im Ausland sitzt, vermittelt. Da § 284 StGB den Begriff des Vermit193
LK/Krehl, § 284 Rn.17. s. u. S. 71 ff. 195 Füllkrug Kriminalistik 1990, 101 (103); Volk, Glücksspiel im Internet, S. 62, 68. 196 Duden, Das große Wörterbuch, S. 4178, diesen heranziehend auch BayObLG NJW 1993, 2820 (2821). 197 Heine wistra 2003, 441 (445); Horn NJW 2004, 2047 (2053); Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 12; vgl. auch BGH NStZ 2003, 372 (373); BayObLG NJW 1993, 2820 (2821). 198 BayObLG NJW 1993, 2820 (2821); Fischer, § 284 Rn. 18. 199 Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 12; vgl. z. B. den Sachverhalt bei LG München I NJW 2002, 2656 (2656). 194
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telns nicht kennt,200 ist fraglich, ob und inwieweit eine solche Vermittlung als Veranstaltung im dargelegten Sinne von § 284 Abs. 1 Alt. 1 StGB erfasst ist. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollen hier zwei Formen der Vermittlung unterschieden werden. a) Unselbstständiges Vermitteln durch den Veranstalter Es gibt Fälle, in denen der Anbieter von Sportwetten diese selbst, sei es durch eigenes Personal, gesonderte Internetseiten, in das Gesamtunternehmen integrierte Agenturen oder auch Strohmänner, „vermittelt“.201 Wenn in solchen oder ähnlichen Personalunionen bzw. abhängigen Wirkungseinheiten der Abschluss von Sportwetten angeboten wird, liegt darin ein – gegebenenfalls gemeinschaftliches – Veranstalten i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB.202 b) Selbstständiges Vermitteln Der klassische Begriff des Vermittlers meint hingegen eine selbstständige Handlung und impliziert eine zweite, von der Person des eigentlichen Wettveranstalters unabhängige, selbstständige (Rechts-)Person. Ein solcher „echter“ Vermittler schließt mit dem Wettveranstalter einen Vermittlungsvertrag, wonach er das Zustandekommen von Wettverträgen zwischen dem Veranstalter und den Wettteilnehmern vermittelt. Der Vermittler stellt die hierfür nötigen Mittel, sei es ein lokales Wettbüro oder eine Internetseite, selbst zur Verfügung. Der Veranstalter wählt die Sportereignisse aus, auf die gewettet werden kann und legt die Quoten fest. Diese Daten übersendet er dem Vermittler, der sie den Wettinteressenten zugänglich macht. Je nach Ausgestaltung handelt es sich dabei bereits um ein bindendes Angebot zum Abschluss eines Wettvertrages oder lediglich um eine invitatio ad offerendum. Dementsprechend leitet der Vermittler die Annahme durch den Wettteilnehmer bzw. dessen vom Veranstalter noch anzunehmendes Angebot an selbigen zurück. Der Vermittler nimmt auch die Einsätze der Wettteilnehmer entgegen und zahlt einen eventuellen Gewinn an die Wettteilnehmer aus. Für die Vermittlung erhält er eine monatliche Vergütung vom Veranstalter, außerdem kann er von den Wettteilnehmern eine eigenständige Bearbeitungsgebühr für die Annahme der Wetten erheben. Den Überschuss, also die Einnahmen durch die Wetteinsätze abzüglich der Gewinne und
200 Bestenfalls missverständlich daher die Aussage des BVerwG in NJW 2001, 2648 (2648) [„Veranstaltung und Vermittlung eines nicht genehmigten Glücksspiels sind nach § 284 I StGB verboten.“]. 201 s. z. B. die Sachverhalte von BGH (Z) NJW 2002, 2175 (2175) oder OLG Hamburg (Z) MMR 2002, 471 (471 f.). 202 Horn NJW 2004, 2047 (2052); Heine wistra 2003, 441 (445).
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der festen Vergütung, überweist der Vermittler am Ende des Monats an den Veranstalter.203 Unter Hinweis auf die Vornahme von Handlungen wie der Anmietung von Räumlichkeiten unter eigener Firmenbezeichnung, dem Bereitstellen der erforderlichen Ausstattung, dem Auslegen von Wettprogrammen sowie der Entgegennahme von Einsätzen und dem Auszahlen von Gewinnen hat der BGH im Falle eines solchen selbstständigen Vermittlers die These aufgestellt, dass dieser ein Veranstalter i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB sein kann.204 Dementsprechend sehen Manche den Vermittler generell als (mittäterschaftlichen) Veranstalter i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB an.205 Teilweise scheint dabei jedoch nicht zwischen der unselbstständigen bzw. selbstständigen Vermittlung differenziert zu werden.206 Aufgrund der aufgezeigten, erheblichen Unterschiede dieser beiden Konstellationen ist dies jedoch angezeigt. Mit dem Auslegen des Wettprogramms und der Weiterleitung der Wettangebote mag der Vermittler als derjenige, der allein mit den Wettteilnehmern in Kontakt tritt, den äußeren Rahmen für den Abschluss der Sportwetten aufstellen. Zu eng wäre auch die Auffassung, Veranstalter i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB könne nur derjenige sein, der auch tatsächlich Vertragspartner der Spielteilnehmer ist.207 Für eine tatherrschaftlich-verantwortliche Schaffung der maßgebenden rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen i. S. d. obigen Definition ist es gleichwohl erforderlich, dass der Täter Einfluss auf die Regeln oder den Ablauf des Spiels hat, d. h. bei der Sportwette insbesondere auf die Auswahl der Sportereignisse und die Gestaltung der Wettquoten.208 Das deckt sich auch mit der ursprünglichen Definition des Reichsgerichts, wonach Veranstalter 203 Vgl. zur Ausgestaltung solcher Vermittlungsverträge z. B. den Sachverhalt bei BGH NStZ 2003, 372 (372). 204 BGH NStZ 2003, 372 (373), ob tatsächlich ein Veranstalten vorlag, ließ der BGH mit Hinweis auf die „jedenfalls“ erfüllte Alternative des Bereitstellens von Einrichtungen gemäß § 284 I Alt. 3 StGB offen; ebenso OLG München NJW 2006, 3588 (3589); trotz ausführlicher Auseinandersetzung mit der Thematik ist sich auch der VGH München in BayVBl. 2005, 241 (244) uneins: Die Vermittlung sei eine „Teilhandlung beim Veranstalten“, jedenfalls aber „Beihilfe zum Veranstalten“. 205 Fischer, § 284 Rn. 18a; Wohlers JZ 2003, 860 (862); Kretschmer ZfWG 2006, 52 (54); BVerwG NVwZ 2006, 1175 (1178) [„das Urteil des BGH muss dahin verstanden werden, dass die umschriebenen Betätigungen auch den in Deutschland tätigen Betriebsinhaber zum ,Veranstalter‘ machen.“]. 206 s. Wohlers JZ 2003, 860 (862) und Kretschmer ZfWG 2006, 52 (54), die sich auf die Urteile des BGH (Z) in NJW 2002, 2175 (2175), des OLG Hamburg (Z) in MMR 2002, 471 (472 f.) und des OLG Köln (Z) in GRUR 2000, 438 (439) stützen, obwohl es in den zu entscheidenden Sachverhalten stets um österreichische Veranstalter ging, die ihre eigenen Wetten auch in Deutschland angeboten hatten. 207 Petropoulos wistra 2006, 332 (335); vgl. auch OLG Köln (Z) GRUR-RR 2005, 92 (92 f.) und BayObLG NJW 1979, 2258 (2258 a. E.). 208 So auch Beckemper NStZ 2004, 39 (40); Horn NJW 2004, 2047 (2053); Meyer JR 2004, 447 (449).
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war, wer den Spielplan aufstellt und damit eine Spielbeteiligung eröffnet oder nahe legt.209 Ein reiner Vermittler erfüllt diese Voraussetzungen nicht, worüber auch eine mögliche Zurechnung nach § 25 Abs. 2 StGB nicht hinwegzuhelfen vermag. Wie bereits erwähnt, wollte der Gesetzgeber eben nicht jede Mitwirkung, die wie das Anmieten von Räumlichkeiten oder die Weiterleitung der Wettprogramme eine Spielteilnahme ermöglicht, als Veranstalten erfassen.210 Der Veranstalter zeichnet organisatorisch, rechtlich und finanziell für die Durchführung der Wette verantwortlich, ohne dass der Vermittler hierauf Einfluss nehmen kann. Eine Gleichsetzung von Veranstalten und (selbstständigem) Vermitteln würde die wesenstypischen Unterschiede der jeweiligen Funktions- und Verantwortungsbereiche negieren.211 Dies lässt sich auch anhand der Neufassung des § 287 Abs. 1 StGB belegen, wonach Veranstalter nunmehr derjenige ist, der „namentlich den Abschluss von Spielverträgen [. . .] anbietet oder auf den Abschluss solcher Spielverträge gerichtete Angebote annimmt“.212 In der Gesetzesbegründung heißt es dazu:213 „Im Unterschied zum Vorschlag des Bundesrates wird von einer Pönalisierung [. . .] der Entgegennahme von Angeboten zur Vermittlung solcher Spielverträge abgesehen, da es sich hierbei um Vorgänge handelt, die lediglich dem organisatorischen Innenbereich des anbietenden Unternehmens und damit [. . .] dem straflosen Vorfeld des ,Veranstaltens‘ zuzurechnen sind.“
c) Ergebnis Ein (selbstständiges) Vermitteln ist kein Veranstalten i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB und kann es entgegen dem BGH214 auch nicht sein. 2. Halten eines Glücksspiels gemäß § 284 Abs. 1 Alt. 2 StGB Das Halten eines Glücksspiels gemäß § 284 Abs. 1 Alt. 2 StGB bemisst sich ebenfalls nach Tatherrschaftsgesichtspunkten. Halter ist, wer sich zur Ermöglichung des Spiels in qualifizierter Form am Spiel selbst beteiligt bzw. das Spiel leitet, indem er den äußeren Spielverlauf eigenverantwortlich überwacht.215 Gemeint sind vor allem Bankhalter216, Croupiers217 oder Personen mit vergleich209
RGSt 61, 12 (15). Vgl. auch Heine wistra 2003, 441 (445). 211 So zutreffend Janz NJW 2003, 1694 (1696); Horn NJW 2004, 2047 (2053). 212 s. dazu Janz NJW 2003, 1694 (1696); Lüderssen, Strafdrohungen, S. 15 f. 213 BT-Drucks. 13/9064 S. 21. 214 s. Fn. 204. 215 BayObLG NJW 1993, 2820 (2821 f.); NK/Wohlers, § 284 Rn. 19; Belz, Glücksspiel im Strafrecht, S. 95. 216 BayObLG NJW 1993, 2820 (2821 a. E.); Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 1, § 44 Rn. 10. 210
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barer Stellung. Für den Bereich der Sportwette besitzt die Alternative des Haltens kaum Anwendungsbereich; anders als bei den casinotypischen Spielen ist ein, unter Umständen sogar qualifizierter, Mitspieler ebenso wenig erforderlich wie jemand, der den Spielablauf gesondert überwacht. Der Sportwettenvermittler jedenfalls ist nicht Halter eines Glücksspiels.218 3. Bereitstellen von Einrichtungen für das Veranstalten eines Glücksspiels gemäß § 284 Abs. 1 Alt. 3 StGB Für eine Subsumtion der Sportwettenvermittlung unter die Tathandlungen des § 284 Abs. 1 StGB kommt die Vorbereitungshandlung des Bereitstellens von Einrichtungen in Betracht, die gemäß § 284 Abs. 1 Alt. 3 StGB mit der Begründung zur Tatvariante hochgestuft wurde, dass sich der Nachweis, ob ein unerlaubtes Glücksspiel tatsächlich stattgefunden hat, oftmals nicht sicher erbringen lasse.219 Spieleinrichtungen i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB sind zunächst alle Gegenstände, die ihrer Natur nach allein der Verwendung im Rahmen von Glücksspielen dienen, wie beispielsweise ein Roulettetisch oder Spielautomat (sog. eigentliche Spieleinrichtungen).220 Im Rahmen der Vermittlung von Sportwetten werden jedoch regelmäßig neutrale Gegenstände wie Tische, Stühle, Übermittlungs- (Telefon, Telefax oder PC mit Internetanschluss) und Fernsehgeräte oder für den Fall der reinen Online-Vermittlung eine bloße Internetseite eingesetzt. Hierbei handelt es sich um sog. uneigentliche Spieleinrichtungen. Da solche Gegenstände nicht bauartbedingt zur Verwendung bei einem Glücksspiel geeignet oder bestimmt sind, soll ein Vermitteln von Sportwetten mit solchen Einrichtungen nach gelegentlich vertretener Auffassung auch nicht § 284 Abs. 1 Alt. 3 StGB unterfallen.221 Nach herrschender Meinung hingegen sind Glücksspieleinrichtungen i. S. d. § 284 Abs. 1 Alt. 3 StGB auch uneigentliche Spieleinrichtungen, sobald und soweit sie im Einzelfall zur Verwendung für Glücksspiele bestimmt sind.222 Für eine Beschränkung auf eigentliche Spieleinrichtungen könnte man bei penibler Wortlautanalyse des § 284 Abs. 1 StGB anbringen, dass „die“ Einrichtungen „hierzu“, d. h. speziell für ein Glücksspiel, bereitgestellt werden müssen und es nicht lediglich heißt, „Einrichtungen“ für „ein“ Glücksspiel. Bei genauerem Hinsehen erweist sich die Differenzierung allein
217
LK/Krehl, § 284 Rn. 19. Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 13; Horn NJW 2004, 2047 (2053); Janz NJW 2003, 1694 (1697). 219 Heine wistra 2003, 441 (447) m.w. N. 220 s. BayObLG NJW 1993, 2820 (2822); LK/Krehl, § 284 Rn. 20. 221 Petropoulos wistra 2006, 332 (335); Heine wistra 2003, 441 (447); Janz NJW 2003, 1694 (1697). 222 BGH NStZ 2003, 372 (374) m. insoweit zust. Anm. Beckemper NStZ 2004, 39 (40); Heine wistra 2003, 441 (447); NK/Wohlers, § 284 Rn. 20. 218
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nach der naturgegebenen, bauartbedingten Eignung und Zwecksetzung jedoch als zu starr und nicht sachgerecht. Dient das Bereitstellen neutraler Gegenstände ausschließlich und gerade dem Zweck, dass ein Glücksspiel stattfinden kann, führt dies dazu, dass es sich um „die“ Einrichtungen handelt, die „hierzu“ verwendet werden. Der Gefahr einer zu weitgehenden Erfassung aller möglichen neutralen Gegenstände als Glücksspieleinrichtungen lässt sich mit der Forderung begegnen, dass die Widmung zu Glücksspieleinrichtungen im Einzelfall anhand konkreter objektiver Umstände festzustellen ist. Im Falle des Betriebs einer öffentlichen und gewerbsmäßigen Sportwettenvermittlung dient das Bereitstellen der genannten Einrichtungen dem objektiven Zweck nach allein dem Zustandekommen von Sportwettverträgen. Dem wird die Argumentation von Janz, wonach der Vermittler eine reine Kuriertätigkeit ausübe und die Wette völlig unabhängig von diesem an einem entfernten Ort stattfinde,223 nicht gerecht. Der Vermittler bezweckt mit seiner Kuriertätigkeit gerade den Abschluss von Sportwetten, der ohne seine Tätigkeit nicht ohne Weiteres stattgefunden hätte.224 Bei einer reinen Online-Vermittlung via Internethomepage ist zwar ein körperlicher Gegenstand nicht vorhanden; ein Grund, warum allein aufgrund der Digitalisierung keine „Einrichtung“ mehr gegeben sein sollte, ist allerdings nicht ersichtlich. Auch Räume gelten als Einrichtungen i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB.225 Ohne die Wortlautgrenze des Art. 103 Abs. 2 GG zu überschreiten, lässt sich der Begriff der Einrichtung insofern weit auslegen. Eine Internetseite als unkörperlicher Gegenstand ist ebenfalls erfasst.226 Bereitgestellt sind Spieleinrichtungen, wenn sie den Spielern zur Benutzung zur Verfügung stehen.227 Dies ist bei der Vermittlung von Sportwetten der Fall. Der tatsächliche Beginn des Spiels, d. h. der Abschluss der Wette, ist nicht erforderlich. Im Ergebnis stellt die (selbstständige) Vermittlung von Sportwetten also ein Bereitstellen von Einrichtungen i. S. d. § 284 Abs. 1 Alt. 3 StGB dar. 4. Werbung für ein Glücksspiel gemäß § 284 Abs. 4 StGB Seit dem 6. StRG werden mit dem strafbewehrten Werbeverbot des § 284 Abs. 4 StGB Verhaltensweisen zu einer eigenständigen Straftat erhoben, die sich nochmals im Vorfeld des (Vorfeld-)Tatbestandes des § 284 Abs. 1 StGB bewegen. Werbung für Sportwetten erfolgt vornehmlich durch Werbespots in Funk und Fernsehen, Zeitschriftenanzeigen sowie Trikot- und Bandenwerbung. 223 224 225 226 227
Janz NJW 2003, 1694 (1697). So auch Meyer JR 2004, 447 (449 Fn. 39). SK/Hoyer, § 284 Rn. 20 (Stand: August 1999); LK/Krehl, § 284 Rn. 20. So auch Hecker/Schmitt ZfWG 2006, 59 (62). Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 16; NK/Wohlers, § 284 Rn. 20.
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Dazu kommen die vielfältigen Formen der Werbung im Internet, etwa durch Werbebanner, E-Mails oder unter Umständen auch durch das Setzen bloßer (Hyper-)Links. In der Praxis relevant sind insbesondere auch wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche gegen Werbung für die Sportwettenveranstaltung, die sich über §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG auf einen Verstoß gegen § 284 Abs. 4 StGB stützen.228 Fraglich ist, was unter dem Begriff des Werbens zu verstehen ist. Zum Teil wird eine weite Auslegung vorgenommen, wonach ein Anpreisen des Glücksspiels nicht erforderlich sein, sondern jede wertungsfreie, bloß informative Ankündigung der Gelegenheit zur Spielteilnahme ausreichen soll.229 Das daraus folgende Ergebnis, dass auch rein informatorische und redaktionelle Beiträge zum Thema Sportwetten, die Anbieter von Sportwetten namentlich erwähnen, Werbung i. S. d. § 284 StGB darstellen würden, kann nicht richtig sein. Selbst wenn ein solcher Beitrag eine Internetadresse enthält, über die online direkt Sportwetten abgeschlossen werden können, ist das Tatbestandsmerkmal der Werbung nicht ohne Weiteres erfüllt.230 Eine Werbung setzt bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch voraus, dass das zu „bewerbende“ Produkt in irgendeiner Form empfohlen, angepriesen oder unterstützt wird.231 Als finales Element muss die Absicht vorliegen, das wohlwollende Interesse des Publikums an einer Glücksspielteilnahme zu wecken oder zu fördern. Dass eine Handlung dies möglicherweise als bloßen Nebeneffekt bewirkt, genügt nicht.232 Folgerichtig haben das KG und der BGH entschieden, dass das bloße Setzen eines Hyperlinks zu einem Sportwettenanbieter im Zusammenhang mit einem redaktionellen Beitrag keine Werbung i. S. d. § 284 Abs. 4 StGB verkörpert, selbst wenn es sich um eine positive Berichterstattung handelt und der Link eine weitere Information über die Veranstaltung von Sportwetten ermöglichen soll.233 Wird 228 s. z. B. OLG Celle (Z) ZUM 2007, 540; OLG Köln (Z) ZUM 2006, 648; OLG München (Z) GRUR-RR 2006, 137. 229 SK/Hoyer, § 284 Rn. 26 (Stand: August 1999); für das bloße Setzten eines Hyperlinks OLG Hamburg (Z) MMR 2002, 471 (473) [„schon der Link ist als Werbung erkennbar.“]; zust. Fritzemeyer/Rinderle CR 2003, 599 (603); s. auch Leupold/ Bachmann/Pelz MMR 2000, 648 (655). 230 So generell für Glücksspiele auch Volk, Glücksspiel im Internet, S. 69. 231 NK/Wohlers, § 284 Rn. 25 [„propagandistische, Gewinn versprechende Ankündigung“]. 232 Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 25a mit Verweis auf Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben, § 129 Rn. 14b; s. auch BGHSt 34, 218 (220) zu § 5 Abs. 2 GjS a. F., vgl. jetzt § 15 Abs. 1 Nr. 6 JuSchG. 233 KG (Z) MMR 2002, 119 (120); bestätigt durch BGHZ 158, 343 (347 f.) – Schöner Wetten; anders dagegen der Sachverhalt bei OLG Hamburg (Z) MMR 2002, 471 (471 f.): Hier hatte eine Konzernmutter in ihrem Internetauftritt mehrfach auf das Sportwettenangebot des Tochterunternehmens hingewiesen und entsprechende Links zum direkten Angebot gesetzt; aufgrund dieser besonderen Umstände ist der Entscheidung daher mit Bahr MMR 2002, 474 (475) zwar i. E., nicht aber in der Begründung (s. o. Fn. 229) zuzustimmen.
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2. Teil: Die Anwendung des § 284 StGB
der Hyperlink dagegen mit einem sog. Banner, d. h. einer in die Webseite integrierten, graphischen Fläche mit erhebendem Charakter, verknüpft, liegt eine Werbung i. S. d. § 284 Abs. 4 StGB vor.234 Freilich können die Begleitumstände dazu führen, dass auch einer reinen Firmenbezeichnung Werbecharakter zukommt; so z. B. bei der erwähnten Trikot- oder Bandenwerbung, die zwar für sich betrachtet auch nur den Namen des Sportwettenanbieters nennt, der aber in dem betreffenden Kontext offensichtlich ein anpreisendes Element innewohnt. 5. Öffentlichkeit gemäß § 284 Abs. 1 StGB und gewerbsmäßige Begehung gemäß § 284 Abs. 3 Nr. 1 StGB Die gewerbliche Sportwettenveranstaltung und -vermittlung in der hier behandelten Form oder die diesbezügliche Werbung richten sich an einen unbegrenzten Personenkreis. Sie sind daher öffentlich i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB.235 Auf § 284 Abs. 2 StGB und die Probleme, die dieser dadurch hervorruft, dass er an sich nicht öffentliche Glücksspiele qua Fiktion zu öffentlichen macht, wird daher nicht näher eingegangen.236 Da als Einnahmequelle von einiger Dauer und Erheblichkeit angelegt,237 stellt die gewerbliche Sportwettenveranstaltung und -vermittlung in aller Regel ein gewerbsmäßiges Handeln i. S. d. § 284 Abs. 3 Nr. 1 StGB dar, was eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten bedeutet.
IV. Behördliche Erlaubnis i. S. v. § 284 Abs. 1 StGB In allen Fällen der Veranstaltung, Vermittlung oder Bewerbung von Sportwetten ist Voraussetzung für eine Strafbarkeit das Fehlen einer behördlichen Erlaubnis. Da sich die Voraussetzungen für die Erteilung oder Versagung der Erlaubnis nicht aus dem Strafrecht, sondern dem Verwaltungsrecht ergeben, begründet dieses Merkmal die bereits erwähnte sog. Verwaltungsakzessorietät des § 284 StGB. Speziell bei § 284 wirft die Verwaltungsakzessorietät einige schwierige Fragen auf, die den Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung bilden und im vierten Teil der Arbeit ausführlich behandelt werden.238 Hier werden daher zunächst nur die Grundstrukturen der Verwaltungsakzessorietät skizziert (s. u. 1.). Daran schließt sich eine knappe Schilderung der prinzipiellen
234 KG (Z) MMR 2002, 119 (120); Bsp. bei OLG Hamburg (Z) NJW-RR 2003, 760 (760 a. E.). 235 Vgl. NK/Wohlers, § 284 Rn. 15. 236 Dazu MüKo/Groeschke/Hohmann, § 284 Rn. 12 m.w. N.; s. auch o. S. 36. 237 s. z. B. MüKo/Groeschke/Hohmann, § 284 Rn. 19. 238 s. u. S. 187 ff.
§ 2 Rechtsgut und Tatbestandsmerkmale des § 284 StGB
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Ausrichtung des verwaltungsrechtlichen Sportwettenrechts als Rechtsgrundlage einer behördlichen Erlaubnis an (s. u. 2.). 1. Grundstrukturen der Verwaltungsakzessorietät § 284 StGB trifft selbst keine Entscheidung darüber, ob, von wem und unter welchen Bedingungen Glücksspiele im Allgemeinen und Sportwetten im Besonderen veranstaltet werden können. Dies geben die Normen des besonderen Verwaltungsrechts vor, auf deren Grundlage die behördliche Erlaubnis i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB erteilt wird. Das Verwaltungsrecht wirkt also auf die strafrechtliche Regelung ein, indem es Maßstäbe für deren inhaltliche Bestimmung setzt. Da die Erlaubnis hier per (begünstigendem) Verwaltungsakt i. S. d. § 35 VwVfG gewährt wird, lässt sich die Verwaltungsakzessorietät i. S. e. Verwaltungsaktsakzessorietät präzisieren. Strafrechtlich maßgebend ist nach dem vorherrschenden Verständnis der Verwaltungsaktsakzessorietät aus Gründen der Rechtssicherheit und der Einheit der Rechtsordnung allein die formelle Bestandskraft des Verwaltungsakts, d. h. eine – unter Umständen rechtswidrig erteilte – Erlaubnis ist beachtlich, solange sie nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist. Vice versa ist grundsätzlich unbeachtlich, ob die Erlaubnis rechtswidrig versagt wurde.239 Ob dies auch gelten kann, wenn Regelungen, auf deren Grundlage die Erlaubnis erteilt wird, entweder gar nicht existieren oder gegen höherrangiges Recht verstoßen, wird im letzten Teil der Arbeit behandelt.240 2. Prinzipielle Ausrichtung des derzeitigen Verwaltungsrechts zur Genehmigung von Sportwetten Bei dem verwaltungsrechtlichen Regime, auf dessen Grundlage eine behördliche Erlaubnis i. S. d. § 284 StGB zur Veranstaltung oder Vermittlung von Sportwetten erteilt wird, handelt es sich um eine äußerst komplexe Materie auf Bundes- und Landesebene, die bis in die jüngste Vergangenheit vielfachen Änderungen unterworfen war und deren Verfassungs- sowie Europarechtskonformität unsicher ist. Wie bereits erwähnt, führt dies gerade in dem verwaltungsakzessorischen Zusammenspiel mit der Strafnorm des § 284 StGB zu einer Reihe diffiziler Probleme. Deren Darstellung und Lösung erfolgt daher in einem eigenen Kapitel, in dem zweckmäßigerweise auch die verwaltungsrechtlichen Vorschriften genau dargelegt und gewürdigt werden.241 Als grundsätzliche Ausrichtung seien daher an dieser Stelle nur folgende Tatsachen vorweggenommen: Wetten bei Pferderennen sind nach dem RWG auch 239 240 241
Vgl. zum Ganzen etwa MüKo/Schlehofer, Vor §§ 32 ff. Rn. 151 ff. s. u. S. 187 ff. s. u. S. 104 ff.
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2. Teil: Die Anwendung des § 284 StGB
für private Anbieter genehmigungsfähig und -pflichtig. Wetten bei allen sonstigen Sportereignissen sind in Deutschland nach Landesrecht bis dato nur für juristische Personen des öffentlichen Rechts oder für private Gesellschaften mit überwiegender öffentlicher Beteiligung genehmigungsfähig und -pflichtig. Entsprechende Genehmigungen wurden bislang nur den im Deutschen Lotto- und Totoblock zusammengeschlossenen Lotterieunternehmen der Länder erteilt, die aufgrund dessen die Sportwette ODDSET anbieten. Es herrscht folglich ein Staatsmonopol.
3. Teil
Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots Wie bereits erwähnt, weisen die Sachverhalte in vielen Fällen des Sportwettenangebots einen Auslandsbezug auf. Noch bevor thematisiert wird, ob etwa eine EU-rechtliche Genehmigung für das Anbieten von Sportwetten eine taugliche behördliche Erlaubnis i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB darstellt, erscheint es sinnvoll, festzustellen, ob deutsches Strafrecht in solchen Fällen mit Auslandsbezug überhaupt Anwendung findet. Diese Frage stellt sich insbesondere im Hinblick auf ausländische Anbieter, die den Abschluss von Sportwetten direkt über das Internet anbieten. Die Überschreitung nationaler Grenzen ist für das Medium Internet geradezu wesenstypisch, sowohl die Eingabe als auch der Abruf von Daten kann mittels eines internetfähigen Computers an jedem beliebigen Ort der Welt vorgenommen werden. Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts sind die Regelungen des Internationalen Strafrechts in den §§ 3–7 und 9 StGB. Im Unterschied zu den Regelungen des Internationalen Privatrechts handelt es sich bei den Normen des Internationalen Strafrechts nur in sehr beschränktem Umfang um Kollisionsrecht, welches der Ermittlung des anwendbaren inländischen oder ausländischen Rechts dienen soll. Der Geltungsbereich der nationalen Strafhoheit wird vielmehr von jedem Staat autonom und ohne Rücksicht auf Überschneidungen mit anderen Strafrechtsordnungen festgelegt. Abgesehen von den Spezialfällen der §§ 4–7 StGB, die für die vorliegende Untersuchung nicht einschlägig sind, gilt deutsches Strafrecht gemäß § 3 StGB und dem darin enthaltenen sog. Territorialprinzip für Taten, die im Inland begangen werden. § 9 Abs. 1 StGB konkretisiert dies entsprechend dem sog. Ubiquitätsprinzip wie folgt: Ort der Tat ist entweder der Ort, an dem der Täter „gehandelt hat“ (§ 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB), oder der Ort, an dem der „zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist“ (§ 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB). Liegt einer dieser Orte in Deutschland, ist deutsches Strafrecht anwendbar. Die Problematik der Anwendung deutschen Strafrechts auf Straftaten im Internet rückte erstmals Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Äußerung und Verbreitung rassistischer oder nationalsozialistischer Inhalte in den Fokus sowohl der Lehre als auch der Rechtsprechung.1 Daneben wurde man im Umweltstrafrecht anläss1
s. nur BGHSt 46, 212 ff. – Töben; Cornils JZ 1999, 394 ff.; Sieber NJW 1999, 2065 ff.
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3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
lich grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen auf die Problematik aufmerksam;2 in beiden Fällen jedoch ohne eine befriedigende Lösung zu finden.3 Folglich ist die Diskussion heute im Hinblick auf das Glücksspieldelikt des § 284 StGB speziell bei einem ausländischen Online-Sportwettenangebot wieder virulent geworden.4 Es wird kontrovers diskutiert, ob Handlungs- (s. u. § 3) oder Erfolgsort (s. u. § 4) im Inland liegen, sodass die deutsche Strafgewalt gegeben ist.5
§ 3 Inländischer Handlungsort Zunächst ist zu untersuchen, in welchen Fällen der Sportwettenveranstaltung, -vermittlung oder -bewerbung ein inländischer Handlungsort gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB in Betracht kommt. Handlungsort i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB ist jeder Ort, an dem der Täter eine auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete Handlung vornimmt oder versucht.6 Daraus folgt, dass der Handlungsort vorwiegend durch den physischen Aufenthaltsort des Täters bestimmt wird.7 Im Folgenden wird zwischen den einzelnen Vertriebswegen der Sportwette, nämlich dem elektronischen und dem terrestrischen Vertrieb, unterschieden.
I. Angebot von Sportwetten im terrestrischen Vertrieb Betreibt ein Anbieter in Deutschland ein lokales Wettbüro, in dem er als Niederlassung eines ausländischen Veranstalters den Abschluss eigener Sportwetten anbietet oder den Abschluss fremder Wetten eines Veranstalters im Ausland vermittelt, oder schaltet er in Deutschland Werbung in Radio, Fernsehen, Printmedien, auf Stadionbanden oder Trikots, nimmt er die entsprechende, auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete Handlung i. S. d. § 284 Abs. 1 Alt. 1, Alt. 3 oder Abs. 4 StGB im Inland vor. Unabhängig von der Nationalität des Anbieters 2
s. etwa Martin ZRP 1992, 19 ff.; Hecker ZStW (115) 2003, 880 (884 ff.). s. u. S. 94 ff. 4 s. etwa Volk, Glücksspiel im Internet, S. 136 ff.; Hecker/Schmitt ZfWG 2006, 301 (305 f.); Barton/Gercke/Janssen wistra 2004, 321 (322 ff.). 5 Nicht behandelt wird in der vorliegenden Untersuchung eine zivilrechtliche Haftung des Online-Wettveranstalters nach dem Herkunftslandprinzip des § 3 TMG, da zum einen Glücksspiele und Wetten gemäß § 3 Abs. 4 TMG ausdrücklich von dessen Geltungsbereich ausgenommen sind und zum anderen § 7 Abs. 1 TMG für eigene Inhalte lediglich eine Verantwortlichkeit des Dienstanbieters nach den allgemeinen Gesetzen vorschreibt; s. zum dazu etwa Hoeren NJW 2007, 801 (805) sowie Klam, Problematik von Glücksspielen, S. 73 ff. zu den inhaltsgleichen Vorgängernormen des TDG. 6 RGSt 30, 98 (99 f.); BGHSt 34, 101 (106); LK/Werle/Jeßberger, § 9 Rn. 10. 7 MüKo/Ambos/Ruegenberg, § 9 Rn. 8; Fischer, § 9 Rn. 3; Sieber NJW 1999, 2065 (2067). 3
§ 3 Inländischer Handlungsort
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oder dem (Haupt-)Sitz des Unternehmens liegt gemäß § 9 Abs. 1 Alt. 1 i.V. m. § 3 StGB der Handlungsort in Deutschland, sodass in diesen Fällen deutsches Strafrecht Anwendung findet.
II. Angebot von Sportwetten im Internet Durch die Form der Teilnahme an Sportwetten über das Internet ist es für einen ausländischen Anbieter heute nicht mehr erforderlich, im Inland eine Annahmestelle, Agentur oder ähnliches zu unterhalten. Es besteht stattdessen die Möglichkeit, Abschluss und Abwicklung der Wetten direkt online vorzunehmen. Hierzu loggt sich der Teilnehmer auf der Homepage des Veranstalters oder Vermittlers unter Angabe eines Benutzernamens sowie eines Passworts ein und tätigt den Wetteinsatz mittels Kreditkarte oder eines zuvor eingerichteten Wettkontos.8 Insbesondere der bekannteste private Sportwettenanbieter bwin (vormals betandwin) betreibt sein Geschäft nahezu ausschließlich via Internet.9 Fraglich ist, ob bei derartigen, unter anderem von Deutschland aus abrufbaren Angeboten der Handlungsort i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB in Deutschland liegt. Die vom Täter vorgenommene Handlung, die sich gemäß § 284 Abs. 1 Alt. 1, 3 StGB auf die Verwirklichung des Tatbestands des Veranstaltens eines Glücksspiels oder des Bereitstellens von Einrichtungen hierfür richtet, besteht hier darin, die entsprechenden Daten für die Internetseite in einen Computer einzugeben. Nach obiger Definition handelt also im Inland und begeht eine Inlandstat gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB, wer diese Dateneingabe in Deutschland vornimmt; unabhängig davon, ob die Daten auf einem deutschen oder ausländischen Server gespeichert werden.10 Geschieht die Einspeisung der Daten jedoch außerhalb Deutschlands, wird nach überwiegender Auffassung ein Handlungsort in Deutschland nicht begründet und der Weg in das StGB über §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB ist versperrt.11 Allerdings gibt es sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur Versuche, auch bei der Dateneingabe vom Ausland aus einen inländischen Ort der Tathandlung i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB zu begründen.
8
Leupold/Bachmann/Pelz MMR 2000, 648 (648 a. E.). s. http://www.bwin.de bzw. http://www.bwin.com [zuletzt abgerufen am 30.8. 2009]; eine Liste deutschsprachiger Wettangebote im Internet findet sich unter http:// www.leinert.com/branchenbuch/sportwette/index.htm [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]. 10 Conradi/Schlömer NStZ 1996, 366 (368). 11 LK/Werle/Jeßberger, § 9 Rn. 79; MüKo/Ambos/Ruegenberg, § 9 Rn. 29; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 93 f.; Sieber NJW 1999, 2065 (2070); Leupold/ Bachmann/Pelz MMR 2000, 648 (652); Kudlich StV 2001, 397 (398); deutlich in diese Richtung tendierend, obwohl letztlich offen gelassen BGHSt 46, 212 (224 f.) – Töben. 9
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3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
1. Erweiternde Auslegung des Tathandlungsbegriffs durch das KG Eine erweiternde Auslegung des Tathandlungsbegriffs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB hat zunächst das KG in einer Entscheidung aus dem Jahre 1999 herangezogen.12 Es ging um das Zeigen des „Hitlergrußes“ durch deutsche Fans während eines Fußballländerspiels der deutschen Nationalmannschaft in Polen, welches als öffentliches Verwenden eines Kennzeichens verfassungswidriger Organisationen den Tatbestand des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. Da dieses Geschehen durch eine Fernsehübertragung sowohl live als auch in späteren Nachrichtensendungen in Deutschland zu sehen war, nahm das Gericht ausdrücklich einen inländischen Handlungsort i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB an. Eine teilweise Verwirklichung der tatbestandsmäßigen Handlung im Inland liege auch vor, so das Gericht, wenn „Wirkungen“ des Verhaltens dort einträten.13 Die Kundgabehandlung sei daher nicht auf den physischen Standort des Handelnden beschränkt, sondern beziehe den Bereich ein, innerhalb dessen mithilfe moderner Übertragungstechniken eine Wahrnehmung ermöglicht werde. Überträgt man diese Überlegung auf das Veranstalten eines Glücksspiels oder das Bereitstellen von Einrichtungen hierzu im Internet, wäre auch bei Eingabe der relevanten Daten vom Ausland aus stets ein inländischer Handlungsort i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB gegeben, da das betreffende Online-Sportwettenangebot (auch) von Deutschland aus abrufbar ist und so mittels moderner Übertragungstechnik (auch) in Deutschland „Wirkungen“ entfaltet. Eine unterschiedliche Behandlung der Medien Fernsehen und Internet leuchtete an dieser Stelle nicht ein. 2. Erweiternde Auslegung des Tathandlungsbegriffs durch Cornils Ebenfalls eine erweiternde Auslegung des Tathandlungsbegriffs im Hinblick auf Internetdelikte nimmt Cornils vor.14 Sie geht dabei zunächst von der Überlegung aus, dass aufgrund der räumlich ungebundenen Struktur des Internets derjenige, der Daten in das Netz einspeist nicht nur körperlich am Ort der Eingabe, sondern „virtuell“ an jedem Ort, an dem seine Daten abgerufen werden können, anwesend sei. Zwar führe dies angesichts der Folge einer weltweiten Kollision der Strafansprüche zu unvertretbaren Ergebnissen, richtig sei aber der Aspekt, dass derjenige, der Daten in das Internet einstellt, nicht nur an dem Ort 12
KG NJW 1999, 3500 ff. KG NJW 1999, 3500 (3502); so auch Werle/Jeßberger JuS 2001, 35 (39) für Äußerungsdelikte im Internet. 14 Cornils JZ 1999, 394 ff.; dies. in: Hohloch (Hrsg.), Recht und Internet, S. 71 ff. 13
§ 3 Inländischer Handlungsort
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der Eingabe, sondern auch an anderer Stelle im Netzwerk tätig werde, nämlich an dem Standort des Servers, auf dem die eingegebenen Daten gespeichert werden.15 Befindet sich dieser Server in Deutschland, liege unabhängig von dem Ort der Dateneingabe ein inländischer Handlungsort gemäß § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB vor. Cornils begründet dies damit, dass durch das Betätigen des Eingabegeräts gleichzeitig auf den Speicher des Zielgeräts zugegriffen werde, sodass die Handlung räumlich auseinander falle und somit am jeweiligen Standort beider Rechner vorgenommen werde.16 Dass eine Handlung im strafrechtlichen Sinne als eine Einheit betrachtet und dennoch an verschiedenen Orten begangen werden kann, sei im Hinblick auf die mehraktigen Delikte allgemein anerkannt.17 Bei diesen genüge für die Begründung der inländischen Strafgewalt ebenfalls die Verwirklichung einer Teilhandlung im Inland.18 Einschränkend will Cornils jedoch nur den Standort desjenigen Servers in Betracht ziehen, auf dem der Täter gezielt und kontrolliert seine Daten speichere. Sämtliche automatischen Vorgänge, wie etwa das Weiterleiten der Daten durch Verbindungsrechner oder die zusätzliche Zwischenspeicherung auf einem Proxy-Cache-Server, die nicht mehr der Kontrolle oder dem Einfluss des Täters unterliegen, seien diesem nicht als Handlung zuzurechnen.19 Bezogen auf die vorliegende Untersuchung wäre also § 284 StGB auf einen Online-Sportwettenanbieter gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB auch dann anwendbar, wenn dieser die Daten seiner Internetseite vom Ausland aus auf einem deutschen Server ablegt. Zwar exemplifiziert Cornils ihren Ansatz anhand der Äußerungsdelikte (insbesondere der Volksverhetzung), jedoch betrifft er allgemein die Auslegung des Merkmals des Handlungsorts i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB im Hinblick auf Internetdelikte und lässt sich daher auf die Glücksspieldelikte übertragen. 3. Annahme eines inländischen Handlungsortes in der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung Wie bereits erwähnt, stützt die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung Unterlassungsansprüche gegen private Sportwettenanbieter ohne deutsche Genehmigung wegen sittenwidrigen Verhaltens gemäß §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG (§ 1 UWG a. F.) auf § 284 StGB. Dies geschieht auch gegen ausländische Online-Anbieter, die ihre Internetseite (unter anderem) in deutscher Sprache unter15 Cornils JZ 1999, 394 (396 f.); ihr zust. Schönke/Schröder/Eser, § 9 Rn. 4; Klam, Problematik von Glücksspielen, S. 51 f. 16 Cornils JZ 1999, 394 (396). 17 Cornils JZ 1999, 394 (397). 18 s. dazu etwa MüKo/Ambos/Ruegenberg, § 9 Rn. 8. 19 Cornils JZ 1999, 394 (397).
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3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
halten.20 Die Anwendbarkeit des § 284 StGB wird dabei mit der schlichten Begründung angenommen, eine solche Veranstaltung von Internetsportwetten vom Ausland aus sei auf den bestimmungsgemäßen Abruf durch deutsche Nutzer ausgelegt und begründe damit „einen Handlungsort“ in Deutschland, was gemäß § 3 StGB zu einer Anwendbarkeit deutschen Strafrechts führe.21 Auf die Frage, ob dies auch der Fall sei bei einem nicht gezielt an Deutsche gerichteten Angebot, komme es ebenso wenig an wie auf den Standort des Servers, auf dem die Internetseite gespeichert ist. Zwar wird § 9 StGB, der, wie bereits erwähnt, § 3 StGB konkretisiert, in keiner der Entscheidungen auch nur erwähnt; teilweise fehlt selbst eine Benennung, geschweige denn Prüfung des § 3 StGB.22 Aufgrund der gewählten Terminologie des „Handlungsortes“ ist jedoch anzunehmen, dass der Ort der Tathandlung i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB gemeint sein muss. Die Gerichte stützen sich ferner auf eine vom Gesetzgeber angeblich bezweckte „weite Auslegung“ des Veranstaltungsbegriffs i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB, wonach das Anbieten von Glücksspielen für potenzielle Spielteilnehmer in Deutschland dazu führe, dass diese (auch) in Deutschland veranstaltet seien.23 Sich dieser Begründung anschießend nimmt Lesch sogar unabhängig von der Sprache für jedes ausländische Angebot von Sportwetten via Internet ausdrücklich einen inländischen Handlungsort gemäß § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB an.24 Nach dieser Auffassung eröffnet also ein vom Ausland aus betriebenes Online-Sportwettenangebot, jedenfalls sofern es in deutscher Sprache gehalten ist, einen inländischen Ort der Tathandlung gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB. 4. Kritik Die dargelegten Ansätze sind allesamt Kritik ausgesetzt. Sie zeigen, dass der dort verwendete Handlungsbegriff dringend einiger klarstellender Korrekturen bedarf.
20 BGHZ 158, 343 – Schöner Wetten; OLG Hamburg (Z) MMR 2002, 471; MMR 2004, 752. 21 OLG Hamburg (Z) MMR 2002, 471 (472 a. E.); MMR 2004, 752 (753). 22 BGHZ 158, 343 (350 f.) – Schöner Wetten; OLG Köln (Z) GRUR 2000, 538 (539 f.); OLG Hamburg K & R 2000, 138 (140) für das Internetcasino „goldenjackpot.com“; dem folgend ebenfalls ohne jedwede Berücksichtigung der §§ 3, 9 StGB Meyer JR 2004, 447 (450); Pelz/Stempfle K & R 2004, 570 (573). 23 OLG Hamburg (Z) MMR 2002, 471 (472 f.); s. auch OLG Köln (Z) GRUR 2000, 538 (539 f.), bestätigt durch BGH (Z) NJW 2002, 2175 (2175). 24 Lesch wistra 2005, 241 (242).
§ 3 Inländischer Handlungsort
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a) Die kammergerichtliche Rechtsprechung Gleichsam eine Steilvorlage für diese Korrekturen liefert der Handlungsbegriff des KG, wonach auch die Wirkungen eines Verhaltens zu der tatbestandsmäßigen Handlung zählen sollen25. Bezogen auf Online-Sportwettenangebote, die vom Ausland aus in das Internet eingestellt werden, wird nach dieser Interpretation jeder Ort, an dem das Angebot abrufbar ist, zum Handlungsort, da das Angebot hier seine Wirkung entfaltet. Um die Frage zu beantworten, ob Wirkungen einer Handlung tatsächlich deren begrifflicher Bestandteil sind, ist zunächst zu klären, was unter einer Handlung im strafrechtlichen Sinne zu verstehen ist. Gemeinhin wird diese definiert als willensgetragenes menschliches Verhalten bzw. vom Menschen beherrschbare Körperbewegung.26 Unabhängig von allen Meinungsverschiedenheiten über ein finales, soziales oder personales Element des Handlungsbegriffs herrscht Einvernehmen darüber, dass das äußere Resultat des Verhaltens kein Bestandteil der Handlung ist und ein Erfolg der Handlung, sei er auch als Erfolg in einem weiteren Sinne verstanden, scharf von der Handlung selbst zu trennen ist.27 Wirkungen einer Handlung sind nun aber nichts anderes als deren Erfolg(e), jedenfalls in einem weiteren Sinne. Die Ausweitung auf Wirkungen der Handlung würde die beschriebene, für die Logik des allgemeinen strafrechtlichen Handlungsbegriffs durchaus elementare Separation zwischen Handlung und Erfolg also zumindest stark verwässern. Ein triftiger Grund, dies ausgerechnet im Rahmen des Handlungsbegriffs des § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB zu tun, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil, da § 9 Abs. 1 StGB expressis verbis zwischen Handlung (Alt. 1 und 2) und Erfolg (Alt. 3 und 4) differenziert und diese einander alternativ gegenüberstellt,28 ist an der strikten Trennung selbiger unbedingt festzuhalten. Durch die Einbeziehung von Wirkungen der Handlung verlöre der Handlungsbegriff des § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB gerade in Gegenüberstellung zum Erfolg des § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB jegliche Konturen.29 Darüber hinaus bestünde die Gefahr, durch einen um allgemeine Tatwirkungen erweiterten Handlungsbegriff die Begrenzung des § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB auf den „zum Tatbestand gehörenden“ Erfolg zu umgehen.30
25
KG NJW 1999, 3500 (3502), zust. Werle/Jeßberger JuS 2001, 35 (39). Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 13 Rn. 11; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 219. 27 s. etwa Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 13 Rn. 36. 28 Zur Entstehungsgeschichte des § 9 Abs. 1 StGB Heinrich in: FS Weber, S. 91 (100 ff.). 29 So auch Hörnle NStZ 2001, 309 (310); Leupold/Bachmann/Pelz MMR 2000, 648 (652). 30 Sieber NJW 1999, 2065 (2070). 26
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3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
Wie Heinrich zutreffend herausgearbeitet hat, offenbart der Ansatz des KG seine Schwächen schließlich selbst, wenn es um die – mit der räumlichen zwangsläufig einhergehende – zeitliche Ausdehnung der Handlung über deren Wirkungen geht.31 Für den Fall des per Fernsehen aus dem Ausland übertragenen Hitlergrußes sei eine Handlung nur bei einer Wiedergabe in „unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang“ anzunehmen, so das KG.32 Dieser Zusammenhang entfiele bei einer Wiedergabe „mit deutlichem Zeitabstand“, etwa bei einer entsprechend zeitversetzten Berichterstattung in einer Nachrichtensendung. Die Grenze läge bei einem Tag. Dass diese vage und beliebige Abgrenzung nicht überzeugen kann, liegt auf der Hand. Ferner ist nicht einzusehen, warum es bei der Wirkung einer Handlung überhaupt auf die zeitliche Komponente ankommen soll. Die Wirkung einer sofortigen im Vergleich zu einer gegebenenfalls um Monate zeitversetzten, aber immer noch erstmaligen Wahrnehmung kann durchaus jeweils die gleiche sein. Selbst ein bereits Verstorbener könnte über die anhaltenden Wirkungen seines Verhaltens, etwa mittels moderner Übertragungstechniken wie Fernsehen oder Internet, trotz fehlender Handlungsfähigkeit weiterhandeln. Die Handlung könnte auf diese Weise in zeitlicher Hinsicht also nahezu ins Unendliche ausgedehnt werden.33 Ein konsequentes Weiterdenken des Ansatzes des KG führt folglich zu unauflösbaren Widersprüchen und zeigt damit, dass er nicht richtig sein kann. Festzuhalten ist, dass mögliche Wirkungen der (Tat-)Handlung, seien es Zwischenwirkungen, Rechtsgutgefährdungen oder sonstige Auswirkungen, nicht zu der Handlung i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB selbst gerechnet werden können, sondern allein insofern zu berücksichtigen sind, als sie möglicherweise einen Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB konstituieren.34 Bei einem ausländischen Online-Sportwettenangebot führt dessen Wirkung, sprich die Abrufbarkeit in Deutschland, nicht zu einem Vorliegen des § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB. b) Der Ansatz von Cornils Auch der – um Einiges differenziertere – Ansatz von Cornils zur Ausweitung des Handlungsorts bei Internetdelikten auf den Belegenheitsort des Servers, auf dem die eingegebenen Daten gespeichert werden, begegnet sowohl technischen (s. u. lit. aa) als auch dogmatischen (s. u. lit. bb) Bedenken.
31 s. zum Folgenden daher Heinrich NStZ 2000, 533 (534); ders. in: FS Weber, S. 91 (105 f.); ebenso Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 131 f., 159. 32 KG NJW 1999, 3500 (3502). 33 So auch Sieber NJW 1999, 2065 (2070). 34 s. dazu u. S. 85 ff.
§ 3 Inländischer Handlungsort
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aa) Technische Seite In technischer Hinsicht will Cornils zwar selbst nur den Standort solcher Server als Handlungsort in Betracht ziehen, auf denen der Täter gezielt und kontrolliert seine Daten speichere, während sämtliche automatischen Vorgänge, wie etwa das Weiterleiten der Daten durch Verbindungsrechner oder die zusätzliche Zwischenspeicherung auf einem Proxy-Cache-Server, die nicht mehr der Kontrolle oder dem Einfluss des Täters unterliegen, diesem nicht mehr als Handlung zuzurechnen seien.35 Doch liegt genau hier das Problem. Tatsächlich werden die Daten nur in Ausnahmefällen zielgerichtet auf einem bestimmten Server abgelegt. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle weiß der Nutzer gar nicht, wo sich der Server befindet, auf dem die Daten (erstmals) abgespeichert werden, und ist folglich nicht in der Lage, den Ort der Speicherung zu bestimmen oder zu kontrollieren.36 Der Ort der Handlung würde aufgrund der fehlenden Steuerbarkeit zufällig werden, was Cornils selbst gerade ausschließen wollte. Zu Recht wird daher auch der praktische Anwendungsbereich von Cornils Lösung für äußerst gering erachtet, da in den wenigen Fällen, in denen der Täter den Standort des (ersten) Zielservers kennt und bewusst aussuchen kann, er einen im Ausland belegenen Server wählen wird.37 bb) Dogmatische Seite In dogmatischer Hinsicht ist das Zusammenziehen der Dateneingabe am Ausgangsrechner mit der Speicherung auf dem Zielrechner als eine gleichzeitig an beiden Orten vorgenommene Handlung zu beanstanden. Zwar zählt der Befehl zur Speicherung der zuvor eingegebenen Daten sicherlich zu der Handlung bzw. lässt sich als eigene Teilhandlung ansehen, jedoch geschieht dies ebenfalls am Ort der Eingabe. Die zeitlich in unmittelbarem Anschluss erfolgende tatsächliche Speicherung auf dem unter Umständen in Deutschland belegenen Server als Zielrechner ist wiederum nur ein äußeres Resultat, d. h. eine (Außen-)Wirkung dieser Handlung.38 Dass eine solche Einbeziehung der Wirkung einer Handlung in die Handlung selbst nicht überzeugen kann, wurde bereits dargelegt. Auch Cornils Vergleich mit der Figur der mehraktigen Delikte hinkt, da die einzelnen Tathandlungen bei mehraktigen Delikten jeweils nur an einem Ort und nicht 35 Cornils JZ 1999, 394 (397); nochmals betont dies. in: Hohloch (Hrsg.), Recht und Internet, S. 71 (80 f.). 36 LK/Werle/Jeßberger, § 9 Rn. 80; Schwarzenegger Zeitschrift für Immaterialgüter-, Informations- und Wettbewerbsrecht 2001, 240 (247); Hilgendorf ZStW (113) 2001, 651 (666). 37 So Berberich, Internet-Glücksspiel, S. 165; Klengel/Heckler CR 2001, 243 (244 Fn. 13). 38 Ebenso Volk, Glücksspiel im Internet, S. 203; Leupold/Bachmann/Pelz MMR 2000, 648 (652).
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3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
gleichzeitig an verschiedenen Orten vorgenommen werden, während jeder Einzelhandlung für sich Handlungsqualität zukommen muss. Wie bereits erwähnt, hat Cornils ihren Ansatz ursprünglich für Äußerungsdelikte im Internet entwickelt, bei denen es in aller Regel um eine einmalige Speicherung volksverhetzender oder pornographischer Inhalte ging, die dann von Dritten lediglich abgerufen werden. Im Hinblick auf Sportwettenangebote im Internet ließe sich nun argumentieren, dass bei diesen durch das auf dem Zielserver abgelegte Programm eine komplexe Dienstleistung erbracht wird, bei der ein interaktiver und individueller Informationsaustausch mit dem jeweiligen Wettteilnehmer stattfindet.39 Da sich also ein Großteil des strafrechtlich relevanten Sachverhalts – Abschluss und Durchführung der Wette, Abwicklung der Gewinn- und Verlustberechnungen etc. – auf dem Zielserver abspielt, könnte man anders als bei einer einmaligen Speicherung zum bloßen Abruf doch einen weiteren Handlungsort an dem Standort des Zielservers annehmen. Jedoch ließe eine solche Argumentation außer Betracht, dass es sich bei der Interaktion zwischen dem Wettteilnehmer und dem entsprechenden, auf dem Server gespeicherten Programm um einen vollständig automatisierten Vorgang handelt. Eine Handlung als willensgetragenes Verhalten erfordert aber ein menschliches Tätigwerden,40 welches hier ausschließlich in der körperlichen Eingabe und Speicherung der für das Computerprogramm relevanten Daten am Ausgangsrechner liegt. Dies wird umso deutlicher, bezieht man in die Überlegung die technische Gegebenheit mit ein, dass der Kontakt zu dem Wettteilnehmer in den allermeisten Fällen über einen oder sogar mehrere zwischengeschaltete Verbindungsserver erfolgt, auf dem die Daten zwecks Verkürzung von Ladezeiten „gespiegelt“ werden. Will man demzufolge aus den genannten Gründen den Handlungsbegriff nicht aufweichen oder gar aufgeben, ist mit der überwiegenden Ansicht41 daran festzuhalten, dass auch im Fall der Datenübertragung im Internet als Ort der Handlung i. S. d. § 9 Abs. 1 StGB allein der Aufenthaltsort des Täters am Ort der Dateneingabe in Betracht kommt. c) Die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung Die knappe Begründung der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung für die Annahme eines inländischen Handlungsortes krankt bereits erheblich daran, dass, wie erwähnt, jegliche Nennung, geschweige denn genaue Prüfung des § 9 Abs. 1 StGB und teilweise sogar des § 3 StGB, um deren Auslegung es gerade 39
Angedeutet von Dietlein/Woesler K & R 2003, 458 (460 Fn. 14). Volk, Glücksspiel im Internet, S. 203; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 94. 41 s. die Nachw. o. in Fn. 7 und 11. 40
§ 3 Inländischer Handlungsort
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geht, fehlt. Auch in der Sache vermag die Schlussfolgerung, dass bei einem vom Ausland in das Internet eingestellten Sportwettenangebot der Täter gerade dann in Deutschland gehandelt haben soll, wenn die Internetseite (auch) in deutscher Sprache gehalten ist, nicht zu überzeugen. Die bloße abstrakte Teilnahmemöglichkeit von Deutschland aus, die durch eine deutschsprachige Internetseite erleichtert sein mag, begründet keine Handlung des Anbieters in Deutschland. Irreführend ist überdies der Weg, durch eine – vermeintlich vom Gesetzgeber bezweckte – „weite Auslegung“ des Veranstaltungsbegriffs des § 284 Abs. 1 StGB die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts herzuleiten: Weil von Deutschland aus über das Internet direkt an den Sportwetten teilgenommen werden könne, seien diese (auch) in Deutschland veranstaltet i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB.42 Zum einen ist eine solche weite Auslegung des Veranstaltungsbegriffs, wie bereits oben erörtert,43 nicht zutreffend. Vielmehr ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass ein ausländisches Glücksspielangebot, sei es auch durch moderne Kommunikationssysteme in Deutschland abrufbar, nicht dem Begriff des Veranstaltens i. S. d. § 284 Abs. 1 StGB unterfällt und führte aus diesem Grund im Zuge des 6. StRG die vorverlagerte Strafbarkeit der Werbung in Deutschland gemäß § 284 Abs. 4 StGB ein:44 „Bei den jetzt gegebenen technischen Möglichkeiten (insbesondere Telefon, Telefax, Zahlung per Kreditkarte) ist es für einen ausländischen Anbieter nicht mehr erforderlich, im Inland Einrichtungen wie z. B. eine Annahmestelle, Agentur o. ä. zu schaffen, um Einsätze von Spielteilnehmern aus Deutschland entgegenzunehmen. Von daher kann es fraglich sein, ob das Verhalten der Anbieter mit dem Begriff ,veranstalten‘ noch richtig erfasst wird. [. . .] Wer diese Handlungen in Deutschland vornimmt, soll [aber] strafbar sein, weil er damit sein Vertriebsgebiet ohne behördliche Erlaubnis nach Deutschland ausweitet.“
In dem Bericht des Rechtsausschusses heißt es daraufhin:45 „Diese Vorschläge des Bundesrates [. . .] werden mit der [. . .] vorgelegten Fassung des § 284 Abs. 4 [. . .] neu aufgegriffen.“
Zum anderen trennt die Argumentation mit einem „weiten Veranstaltungsbegriff“ des § 284 Abs. 1 StGB nicht sauber zwischen der Auslegung des Straf42 s. die Nachw. o. in Fn. 23; offenbar auch SK/Hoyer, § 284 Rn. 27 (Stand: August 1999). 43 s. o. S. 61 f. 44 BT-Drucks. 13/8587, S. 67, eckiger Klammerzusatz durch Verfasser. 45 BT-Drucks. 13/9064, S. 21; s. auch Barton/Gercke/Janssen wistra 2004, 321 (322); verfehlt ist dagegen das Abstellen von Lesch wistra 2005, 241 (242) auf die Neufassung des § 287 Abs. 1 StGB ebenfalls im Zuge des 6. StrRG, da auf eine entsprechende Neufassung des nach wie vor gleichlautenden § 284 Abs. 1 StGB gerade verzichtet wurde.
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3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
tatbestands und der vorgelagerten Tatortfrage der §§ 3, 9 StGB. Auch wenn der Begriff des „Veranstaltens“ eine örtliche Komponente aufweist, muss vor der Betrachtung des konkreten Tatumfangs eruiert werden, inwieweit deutsches Strafrecht nach den §§ 3, 9 StGB überhaupt anwendbar ist. Eine hiernach fehlende Handlung in Deutschland kann nicht über das Tatbestandsmerkmal des Veranstaltens normativ konstruiert und die §§ 3, 9 StGB auf diese Weise umgangen werden.46 Selbst wenn das Veranstalten i. S. d. § 284 Abs. 1 weit auszulegen wäre, führte dies daher nicht zu einem Vorliegen des § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB.47 d) Ergebnis Keinem der vorgestellten Ansätze zur Erweiterung des Handlungsbegriffs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB ist zuzustimmen. Nach der geltenden Fassung des § 9 Abs. 1 StGB müssen jegliche „Wirkungen“ eines Sportwettenangebots via Internet für die Tathandlung ebenso unberücksichtigt bleiben wie die bloße Teilnahmemöglichkeit von Deutschland aus. Eine Handlung, richtigerweise verstanden i. S. e. körperlichen Tätigwerdens, findet nur am physischen Aufenthaltsort des Täters statt. Das bedeutet, bei einem Online-Sportwettenangebot ist Handlungsort der Ort, an dem die für das entsprechende Programm benötigten Daten eingegeben werden. Geschieht dies im Ausland, liegen die Voraussetzungen der §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB nicht vor, unabhängig von der sprachlichen Gestaltung der Internetseite oder dem Standort eines Servers, auf dem die Daten gespeichert werden.
46 Heinrich in: FS Weber, S. 91 (103); s. auch Dietlein/Woesler K & R 2003, 458 (460 Fn. 15); mangels Gesetzgebungskompetenz keine Relevanz für die Auslegung des § 9 StGB kann an dieser Stelle der landesrechtliche § 3 Abs. 4 GlüStV (Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland, s. z. B. GBl. BW 2007 S. 571) entfalten, wonach ein Glücksspiel dort veranstaltet oder vermittelt werde, wo dem Spieler die Möglichkeit zur Teilnahme eröffnet wird; s. dazu unten S. 142 ff. 47 Auch Lesch wistra 2005, 241 (242 f.) revidiert sein Ergebnis der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf alle Sportwettenangebote im Internet durch ein eigens initiiertes „Regressverbot“, das bei ausländischen Internetanbietern die objektive Zurechnung ausschließe, wenn deren Internetseite nicht in deutscher bzw. englischer Sprache gehalten ist oder diese bei Verwendung der deutschen bzw. englischen Sprache „durch objektiv wirksame Sicherungsmechanismen die ernst gemeinte Absicht dokumentieren, ausschließlich Nutzer außerhalb Deutschlands erreichen zu wollen.“ Dieses Zurückrudern mutet als Versuch an, die (irrige) Annahme des inländischen Handlungsorts in ihren Konsequenzen abzufedern. Es bleibt zudem im Dunkeln, worin solche „objektiv wirksamen Sicherungsmechanismen zur Dokumentation der ernst gemeinten Absicht“ bestehen sollen.
§ 4 Inländischer Erfolgsort
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§ 4 Inländischer Erfolgsort Es bleibt die Möglichkeit, dass bei den von §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB nicht erfassten Fällen des vom Ausland aus betriebenen Online-Sportwettenangebots gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB ein Ort innerhalb der Bundesrepublik Deutschland gegeben ist, „an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist.“ Dass aufgrund der Abrufbarkeit und direkten Teilnahmefähigkeit unter anderem von Deutschland aus die Online-Angebote tatsächliche Auswirkungen (auch) in Deutschland bewirken, ist nicht zu bestreiten. Ob hierin allerdings ein zum Tatbestand des § 284 StGB gehörender Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB liegt, ist ungleich schwieriger zu beurteilen. Zu diesem Zweck wird zunächst vor dem Hintergrund der herkömmlichen Einteilung auf die Deliktsnatur des § 284 StGB eingegangen (s. u. I.). Daraufhin wird der eigentlichen Frage nachgegangen, worin ein zum Tatbestand gehörender Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB besteht und ob § 284 StGB einen solchen Erfolg aufweist (s. u. II.).
I. Deliktsnatur des § 284 StGB Zumindest auf den ersten Blick liegt es nahe, bei der Frage danach, ob ein Delikt einem „zum Tatbestand gehörenden Erfolg“ aufweist, auf dessen Deliktsnatur i. S. d. allgemeinen Tatbestandslehre einzugehen.48 Dabei ist die Dichotomie von Verletzungs- und Gefährdungsdelikten einerseits sowie von Erfolgsdelikten und schlichten Tätigkeitsdelikten andererseits zu beachten. 1. Verletzungs- und Gefährdungsdelikte Zum einen lässt sich je nach Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung unterscheiden zwischen Verletzungs- und Gefährdungsdelikten. Bei Verletzungsdelikten muss eine Schädigung des geschützten Rechtsguts eingetreten sein. So verhält es sich etwa bei den Tötungsdelikten (§§ 211 ff. StGB). Bei den Gefährdungsdelikten muss es nicht zu einer realen Werteinbuße gekommen sein, sondern es wird bereits die Herbeiführung einer Gefahrensituation für das geschützte Objekt bestraft. Innerhalb dieser Kategorie wird zwischen konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikten unterschieden. Bei den konkreten Gefährdungsdelikten setzt der Tatbestand voraus, dass das Handlungsobjekt sich im jeweiligen Fall tatsächlich in konkreter Gefahr befunden hat, ein Ausbleiben der Schädigung also nur zufällig war.49 Bekanntestes Beispiel ist die Straßenver48 Im Rahmen des hiesigen Exkurses wird dazu lediglich die grundsätzliche Deliktseinteilung nach herkömmlicher Terminologie und überwiegender Auffassung der strafrechtlichen Wissenschaft dargestellt, zu den zahlreichen Abweichungen und Unterkategorisierungen s. etwa Roxin, Strafrecht AT/1, § 11 Rn. 146 ff. m.w. N. 49 Roxin, Strafrecht AT/1, § 10 Rn. 124.
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kehrsgefährdung (§ 315c StGB). Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten hingegen ist die typische, abstrakte Gefährlichkeit einer Handlung mit Strafe bedroht, ohne dass es konkret zu einer tatsächlichen Gefährdung gekommen sein muss. Dies ist etwa der Fall bei der schweren Brandstiftung (§ 306a Abs. 1 StGB) oder der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB). Eine Untergruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte bilden die sog. abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikte,50 auch potenzielle Gefährdungsdelikte oder Eignungsdelikte51 genannt. Bei diesen ist ebenfalls keine konkrete Gefährdung nötig, zum gesetzlichen Tatbestand gehört aber das Merkmal einer generellen Eignung der Tathandlung zur Rechtsgutverletzung. Beispiele hierfür sind etwa § 186 oder § 311 StGB. 2. Erfolgsdelikte und schlichte Tätigkeitsdelikte Zum anderen lassen sich nach der jeweiligen Tatbestandsstruktur Erfolgsdelikte sowie schlichte Tätigkeitsdelikte gegenüberstellen. Erfolgsdelikte sind danach solche Delikte, in deren Tatbestand eine von der Tathandlung räumlich und zeitlich trennbare Verletzungs- oder Gefährdungswirkung beschrieben ist. Als Beispiel hierfür mögen wiederum die §§ 211 ff. StGB und auch § 315c StGB dienen. Bei der Gruppe der schlichten Tätigkeitsdelikte hingegen wird der Tatbestand allein durch die Vornahme der Handlung erfüllt,52 wie es etwa bei § 316 oder den §§ 153 ff. StGB der Fall ist. 3. Einordnung des § 284 StGB Wie bereits oben im Rahmen der Rechtsgutbestimmung dargelegt, handelt es sich bei § 284 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt zum Schutze des Vermögens der Spielteilnehmer vor manipulativer oder suchtbedingter Entwertung.53 Über diese Einordnung des § 284 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt herrscht – unabhängig von der bekanntlich kontrovers diskutierten Frage nach dem geschützten Rechtsgut – allgemeiner Konsens.54 Da ferner neben der Vornahme der jeweiligen Tathandlung des § 284 Abs. 1, 4 StGB kein Erfolg im Sinne irgendeiner im Tatbestand beschriebenen Verletzungs- oder Gefährdungswirkung enthalten ist, handelt es sich zugleich um ein schlichtes Tätigkeitsdelikt.55
50 51 52 53 54 55
Erstmals eingeführt wurde der Begriff von Schröder JZ 1967, 522 (522 ff.). Hoyer, Eignungsdelikte, S. 16 ff. Roxin, Strafrecht AT/1, § 10 Rn. 102 f. s. o. S. 42 ff. s. nur Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 2c m.w. N. MüKo/Groeschke/Hohmann, § 284 Rn. 2.
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II. Auslegung des „zum Tatbestand gehörenden Erfolgs“ i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB An dieser Deliktsnatur als abstraktes Gefährdungs- bzw. schlichtes Tätigkeitsdelikt entzündet sich nun der Streit, ob bei einem Delikt wie § 284 StGB, das eigentlich „erfolglos“ i. S. d. allgemeinen Tatbestandslehre ist, ein zum Tatbestand gehörender Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB überhaupt existiert und worin dieser besteht. Es werden zunächst die diesbezüglich vorhandenen Auffassungen in Literatur und Rechtsprechung dargestellt. In einem zweiten Schritt erfolgen eine Bewertung und eine differenzierte Annäherung an das Problem. 1. Restriktive Auffassung Die – wohl noch – überwiegende Auffassung in der Literatur sowie einige Gerichte vertreten den Standpunkt, dass abstrakte Gefährdungsdelikte im Gegensatz zu Verletzungs- und konkreten Gefährdungsdelikten mangels eines Erfolgs i. S. d. allgemeinen Tatbestandslehre generell auch keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB aufweisen können.56 Die abstrakte Gefahr als solche könne kein tatbestandsmäßiger Erfolg sein. Und der Ort, an dem die abstrakte Gefahr sich zu einer konkreten Gefahr verdichte, komme als Erfolgsort i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB nicht in Betracht, da das Umschlagen in die konkrete Gefahr nicht mehr tatbestandsrelevant und der betreffende Ort daher nicht mehr als „zum Tatbestand gehörend“ angesehen werden könne.57 Ein inländischer Tatort abstrakter Gefährdungsdelikte wäre demnach nur über die Vornahme einer Tathandlung in Deutschland gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB begründbar. Auf der Grundlage dieser Auffassung kann sich ein Anbieter von Online-Sportwetten, der sein Angebot vom Ausland aus in das Internet stellt, nicht nach deutschem Recht strafbar machen.
56 Allg. Hilgendorf NJW 1997, 1873 (1875); Satzger NStZ 1998, 112 (115 f.); Koch GA 2002, 703 (707 ff.); Kienle, Straftaten im Internet, S. 46 ff.; Römer, Verbreitungs- und Äußerungsdelikte, S. 125 ff.; LK/Gribbohm (11. Aufl.), § 9 Rn. 20; OLG Saarbrücken NJW 1975, 506 (507); ausdrücklich auch das KG in der angesprochenen Entscheidung in NJW 1999, 3500 (3501 f.), dann jedoch einen inländischen Handlungsort gemäß § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB bejahend (s. o. S. 74); ebenso Cornils JZ 1999, 394 (395 f.) und Schönke/Schröder/Eser, § 9 Rn. 6, 7a; speziell zu § 284 StGB Barton/Gercke/Janssen wistra 2004, 321 (322); Leupold/Bachmann/Pelz MMR 2000, 648 (653 f.); Mankowski MMR 2002, 552 (552); Lackner/Kühl, § 284 Rn. 2. 57 OLG Saarbrücken NJW 1975, 506 (507); Schönke/Schröder/Eser, § 9 Rn. 6.
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2. Extensive Auslegung des „zum Tatbestand gehörenden Erfolgs“ i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB Eine in der Literatur im Vordringen befindliche Ansicht will demgegenüber den Begriff des Erfolgs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB weiter verstehen als denjenigen i. S. d. allgemeinen Tatbestandslehre, sodass ein solcher auch bei abstrakten Gefährdungsdelikten möglich ist.58 Hinsichtlich der Frage, worin genau dieser zum Tatbestand gehörende Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB bei abstrakten Gefährdungsdelikten liegen soll, fächert sich die Ansicht auf. Manche stellen auf das Umschlagen der abstrakten in eine konkrete Gefahr ab.59 Größtenteils wird der Erfolg jedoch in dem Eintritt der abstrakten Gefahr selbst gesehen,60 Erfolgsort sei der „gesamte Gefahrenkreis um die Gefahrenquelle“.61 Diese Auslegung sei vom Gesetzeswortlaut des § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB gedeckt. Genüge dem Gesetzgeber nämlich die abstrakte Gefährdung eines Rechtsguts zur Tatbestandserfüllung, so liege in dieser abstrakten Gefährdung die vom jeweiligen Tatbestand als ausreichend angesehene Wirkung und somit der zum Tatbestand gehörende Erfolg.62 Der Eintritt der abstrakten Gefahr sei als „Erfolg“ von dem bloßen Vollzug der Tathandlung zumindest logisch trennbar. Dies zeige die von der herrschenden Meinung im Rahmen des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgenommene teleologische Reduktion im Fall des erwiesenen Fehlens einer Gefahr für Leib oder Leben eines Menschen bzw. die entsprechende gesetzliche Regelung in § 326 Abs. 6 StGB.63 Die Vertreter einer extensiven Auslegung des Erfolgsbegriffs stützten ihr Ergebnis zudem auf systematische Argumente. So könne nach überwiegender Ansicht ein abstraktes Gefährdungsdelikt auch durch Unterlassen begangen werden, obwohl es nach dem Wortlaut des § 13 StGB Voraussetzung ist, dass es der Täter „unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Straf-
58 Allg. Heinrich GA 1999, 72 (79); Martin ZRP 1992, 19 (19 f.); Hecker ZStW (115) 2003, 880 (886 ff.); Walter JuS 2006, 870 (872); Schwarzenegger Zeitschrift für Immaterialgüter-, Informations- und Wettbewerbsrecht 2001, 240 (246 f.); Lehle, Der Erfolgsbegriff, S. 101 ff., 134 f.; LK/Werle/Jeßberger, § 9 Rn. 32 ff., 89; speziell zu § 284 StGB LK/Krehl, § 284 Rn. 20a; Hecker/Schmitt ZfWG 2006, 301 (305 f.); Dietlein/Woesler K & R 2003, 458 (461 f.); Stögmüller K & R 2002, 27 (32); s. auch Voßkuhle VerwArch (87) 1996, 395 (430). 59 Beisel/Heinrich JR 1996, 95 (96); Gercke, Rechtswidrige Inhalte, S. 22 f. 60 Heinrich GA 1999, 72 (79); Martin ZRP 1992, 19 (19 f.); Hecker ZStW (115) 2003, 880 (886 f.); Lehle, Der Erfolgsbegriff, S. 101 ff., 134; LK/Werle/Jeßberger, § 9 Rn. 32 ff.; jüngst auch Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 154 f. 61 Martin ZRP 1992, 19 (20). 62 Heinrich GA 1999, 72 (79); Walter JuS 2006, 870 (872). 63 Die teleologische Reduktion im Rahmen des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB ziehen nahezu alle Befürworter der extensiven Auslegung des Erfolgsbegriffs heran, s. statt Vieler Hecker ZStW (115) 2003, 880 (887); Heinrich GA 1999, 72 (79) m.w. N.
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gesetztes gehört“.64 Würde den abstrakten Gefährdungsdelikten also im Rahmen des § 13 StGB ein zum Tatbestand eines Strafgesetztes gehörender Erfolg zugesprochen, könne für § 9 StGB nichts anderes gelten.65 Ferner wird § 78a S. 2 StGB herangezogen, wonach die Verjährung mit dem Eintritt eines zum Tatbestand gehörenden Erfolgs beginnt. Der BGH führte dazu aus, dass bei abstrakten Gefährdungsdelikten mit der Begehung zugleich der Erfolg der Tat eintrete, der in der Gefährdung liege.66 Schließlich sei es widersprüchlich, wenn bei abstrakten Gefährdungsdelikten die Strafbarkeit zum Zwecke eines erhöhten Rechtsgüterschutzes im Vergleich zu den Verletzungsdelikten bewusst nach vorne verlagert, dann aber die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts aufgrund des mit dieser Vorverlagerung einhergehenden Fehlens eines tatbestandlichen Erfolgs im Gegensatz zu den Verletzungsdelikten verneint werde.67 Insoweit müssten materielle Vorverlagerung und ein örtlich weit gefasster Anwendungsbereich parallel verlaufen.68 Nach dieser Auffassung ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB also im Inland begangen, wenn die abstrakte Gefahr für das jeweils geschützte Rechtsgut auch in Deutschland bestand bzw. sich in Deutschland zu einer konkreten Gefahr verdichtet hat. Da ein Online-Sportwettenangebot, auch wenn es vom Ausland aus in das Internet eingestellt wird, stets auch von Deutschland aus abrufbar ist, besteht auch hier die abstrakte Gefahr einer manipulativen bzw. suchtbedingten Vermögensschädigung. Jedenfalls nach dem überwiegenden Teil der extensiven Auffassung unterliegt der Online-Sportwettenanbieter damit grundsätzlich deutschem Strafrecht. a) Einschränkung der extensiven Auslegung Da die extensive Auslegung des Erfolgsbegriffs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB in ihrer Reinform jedoch zu der ebenso wenig völkerrechtlich haltbaren69 wie praktisch durchführbaren70 Konsequenz führt, dass sämtliche Internet-Inhalte aufgrund ihrer Wahrnehmbarkeit und Abrufbarkeit in Deutschland deutschem 64 BGHSt 46, 212 (222) – Töben; Schönke/Schröder/Stree, § 13 Rn. 3 m.w. N.; a. A. LK/Weigend, § 13 Rn. 14 ff.; SK/Rudolphi, § 13 Rn. 14 (Stand: September 2000). 65 Etwa Lehle, Der Erfolgsbegriff, S. 78 ff.; Sieber NJW 1999, 2065 (2068). 66 BGHSt 36, 255 (257) bezüglich § 326 Abs. 1 StGB. 67 Volk, Glücksspiel im Internet, S. 215; Hecker ZStW (115) 2003, 880 (888). 68 Martin ZRP 1992, 19 (20 f.). 69 Nach der sog. „Lotus-Entscheidung“ des StIGH aus dem Jahre 1927 (StIGHE 5, 71 S. 90) ist für die Anwendung einzelstaatlichen Strafrechts auf außerhalb des jeweiligen Territoriums begangene Tathandlungen ein „sinnvoller Anknüpfungspunkt“ im Inland erforderlich. 70 Deutsche Staatsanwaltschaften müssten aufgrund des Legalitätsprinzips (§ 152 Abs. 2 StPO) grundsätzlich wegen jedweder im Internet verwirklichten abstrakten Gefährdungsdelikte ermitteln, neben sämtlichen Online-Glücksspielangeboten nach
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3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
(Gefährdungs-)Strafrecht unterworfen sind,71 bemühen sich nahezu alle Vertreter der extensiven Auslegung um eine sinnvolle Einschränkung dieses weiten Anwendungsbereichs. Dazu werden im Wege einer teleologischen bzw. völkerrechtskonformen Reduktion des § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB sowohl subjektive als auch objektive Begrenzungsmerkmale ins Spiel gebracht. In subjektiver Hinsicht wird gefordert, der Täter müsse mit direktem Vorsatz gerade in Deutschland wirken wollen.72 Als objektiver Anknüpfungspunkt dient eine sog. territoriale Spezifizierung, die die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts gemäß § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB auf solche Taten beschränken soll, die objektiv einen besonderen Bezug zu dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufweisen.73 Da für den Nachweis des Vorsatzes, gerade in Deutschland wirken zu wollen, letztlich auf objektive Indizien zurückgegriffen werden muss, überschneiden sich vielfach die Kriterien, an denen die subjektive oder objektive Begrenzung tatsächlich festgemacht wird. Dies sind insbesondere die Verwendung der deutschen Sprache, die Bezugnahme auf deutsche Sachverhalte oder Personen74 oder ein Geschäftssitz in Deutschland.75 Teilweise wird auch eine Kombination aus subjektiven und objektiven Komponenten vertreten.76 Speziell für das Online-Angebot von Glücksspielen wird in einer Verknüpfung subjektiver und objektiver Elemente der Inlandsbezug angenommen, wenn sich das Angebot bewusst und zielgerichtet an Spielinteressenten in Deutschland
§§ 284, 287 StGB insbesondere Verbreitungs- und Aussagedelikte nach §§ 86, 86a, 130, 131, 184 ff. StGB. 71 Von manchen Autoren deshalb als neue Version eines „Am deutschen (Rechts-) Wesen soll die Welt genesen“ bezeichnet, so Roggan KJ 2001, 337 (337 ff.) und Hilgendorf NJW 1997, 1873 (1874); umgekehrt müsste man auch fremden Staaten das Recht zugestehen, den Anwendungsbereich ihres Strafrechts auf Straftaten im Internet in gleicher Weise zu definieren, sodass etwa deutsche Menschenrechtsaktivisten sich wegen diverser Staatsschutzdelikte z. B. in China oder deutsche Erotikanbieter sich wegen Sittlichkeitsverbrechen z. B. im Iran strafbar machen würden; s. auch Schünemann GA 2003, 299 (303 f.), der deshalb für Internet-Inhalte die Schaffung globalen und den Rückzug nationalstaatlichen Rechts auf die innerhalb des eigenen Territoriums stattfindenden Handlungen fordert. 72 So Collardin CR 1995, 618 (621); Conradi/Schlömer NStZ 1996, 366 (369); s. auch Heinrich GA 1999, 72 (82 f.). 73 s. Schulte KJ 2001, 341 (342); Hilgendorf NJW 1997, 1873 (1876 f.), allerdings in Bezug auf Erfolgsdelikte, da § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB seiner Ansicht nach auf abstrakte Gefährdungsdelikte nicht anwendbar ist (s. o. Fn. 56); ebenso Breuer MMR 1998, 141 (144), die auf die Voraussetzungen des § 7 StGB abstellen will; s. auch BGHSt 46, 212 (224) – Töben – bezüglich § 130 Abs. 1, 3 StGB als abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt, zust. Hörnle NStZ 2001, 309 (311), zu diesem Urteil ausführlich u. S. 92 ff. 74 Vgl. Gercke, Rechtswidrige Inhalte, S. 25; Hilgendorf NJW 1997, 1873 (1876 f.). 75 So Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 179 f. 76 s. Lehle, Der Erfolgsbegriff, S. 171, 174 ff.; Jeßberger JR 2001, 432 (435); i. E. auch Volk, Glücksspiel im Internet, S. 235 f.
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richtet.77 Konkrete Kriterien hierfür sind die Gestaltung der Internetseite in deutscher Sprache, die Verwendung der Topleveldomain „.de“, die Möglichkeit der Voreinstellung auf das Herkunftsland „Deutschland“ oder die Abwicklung der Zahlungen über ein deutsches Konto.78 b) Die Konzeption von Sieber Eine eigene Konzeption zur Auslegung des zum Tatbestand gehörenden Erfolgs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB in Bezug auf Internetdelikte hat Sieber entwickelt.79 Seiner Auffassung nach ist keine der erwähnten Ansichten in der Lage, die vorstehende Problematik befriedigend zu lösen. Die restriktive Auslegung des Erfolgsbegriffs sei zu eng, da sie ohne zwingende Gründe den Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB mit dem Erfolg i. S. d. allgemeinen Tatbestandslehre gleichsetze.80 Der systematische Vergleich mit §§ 13 und 78a StGB zeige, dass der Begriff des Erfolgs auch bei § 9 StGB weiter ausgelegt werden könne als bei der Kategorie des Erfolgsdelikts i. S. d. allgemeinen Tatbestandslehre. Insoweit stimmt er also mit der zweitgenannten, extensiven Theorie überein. Indem diese jedoch bei abstrakten Gefährdungsdelikten den Erfolgsort überall dort annimmt, wo sich die abstrakte Gefahr realisieren kann, lasse sie sich, so Sieber, mit dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB nicht mehr vereinbaren, da abstrakte Gefährdungsdelikte nun mal keinen „zum Tatbestand gehörenden Erfolg“ aufwiesen.81 Hinzu komme, dass mit einer solch weiten Interpretation eine genaue Bestimmung des bzw. der Erfolgsorte nicht möglich sei. In vielen Fällen bliebe unklar, wo es zu einer abstrakten Gefahr kommen kann. Auch die genannten Einschränkungen in subjektiver bzw. objektiver Hinsicht könnten die Theorie nicht mehr retten, da sie selbst, wie die Vielfalt der genannten Kriterien bereits zeige, nicht dogmatisch begründet, sondern, orientiert am rechtspolitisch gewünschten Ergebnis, fast willkürlich gewählt seien.82 Aufbauend auf diesen Prämissen erkennt Sieber einen – von ihm so benannten – „Tathandlungserfolg“ als Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB an, wenn der Täter zwar im Ausland handele, die vom Tatbestand beschriebene Handlung 77 s. Dietlein/Woesler K & R 2003, 458 (462); Stögmüller K & R 2002, 27 (32); Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 95 f., 97 f. 78 So Hecker/Schmitt ZfWG 2006, 301 (306); Horn/Fischer GewArch 2005, 217 (220), beide mit Verweis auf die wettbewerbsrechtliche Rspr., die mit diesen Kriterien jedoch einen inländischen Handlungsort begründet (s. o. S. 75 f.); allein für die Verwendung der deutschen Sprache als erfolgsortbegründend Hecker/Schmitt ZfWG 2006, 301 (306). 79 Sieber NJW 1999, 2065 (2068 ff.); Hoeren/Sieber/Sieber, Multimedia-Recht, Teil 19 Rn. 399 ff. (Stand: Februar 2000). 80 Sieber NJW 1999, 2065 (2068). 81 Hoeren/Sieber/Sieber, Multimedia-Recht, Teil 19 Rn. 404 (Stand: Februar 2000). 82 Sieber NJW 1999, 2065 (2068).
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3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
sich jedoch im Inland realisiere.83 Umfasst sei demnach jede vom Täter verursachte, ihm zurechenbare und im einschlägigen Tatbestand genannte Folge seiner Handlung.84 Wie es § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB durch das „zum Tatbestand gehörend“ vorgebe, müsse eine Auslegung ausgerichtet am jeweils einschlägigen Tatbestand maßgeblich sein. Bei dem von Sieber der Untersuchung zugrunde gelegten Zugänglichmachen von Schriften via Internet sei ein Erfolgsort in Deutschland gegeben, wenn der Täter die Daten vom Ausland aus gezielt auf einen sich in Deutschland befindlichen Rechner übermittle, d. h. etwa per E-Mail nach Deutschland versende oder auf einem in Deutschland befindlichen Server ablege (sog. „Push-Technologien“). Würde die inkriminierte Schrift dagegen nur auf einem ausländischen Server gespeichert und von einem deutschen Nutzer selbstverantwortlich abgerufen, d. h. „abgeholt“ (sog. „Pull-Technologien“), liege ein inländischer Erfolgsort des Zugänglichmachens nicht vor.85 Diese Differenzierung werde vor allem auch der Tatsache gerecht, dass rechtswidrige Internetinhalte jeweils nur in dem Land effektiv bekämpft werden könnten, in dem die betreffenden Server stehen. Die Grundlage für diese eigenständige Auslegung des Erfolgsbegriffs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB sieht Sieber vor allem in den historischen Wurzeln des heutigen § 9 StGB. Bei Inkrafttreten des RStGB im Jahre 1871 existierte insoweit lediglich § 3 RStGB, wonach deutsches Strafrecht für alle im Gebiet des deutschen Reiches begangenen strafbaren Handlungen Anwendung finden sollte.86 Die Rechtsprechung des RG kombinierte bei der Auslegung dieses – zu dieser Zeit allein im Gesetz enthaltenen – Begriffs der Handlung die in der Literatur vertretene „Tätigkeitstheorie“ sowie die „Erfolgstheorie“ zu einer sog. „Einheitstheorie“. Danach wurde nicht nur die „persönliche Thätigkeit“, sondern auch „eine durch die Thätigkeit erzielte und beabsichtigte Wirkung zum Thatbestande der strafbaren Handlung gerechnet und in den Begriff derselben hineingezogen“.87 Das dem heute geltenden Ubiquitätsprinzip zugrunde liegende Begriffspaar von Handlung und Erfolg sei also vom RG im Wege einer naturalistischen Betrachtungsweise i. S. v. „Thätigkeit und Wirkung“ begründet worden, nicht jedoch i. S. v. „Tätigkeit und Erfolgsbegriff der allgemeinen Verbrechenslehre“.88 Genau in diesem Sinne habe die Differenzierung des RG im Jahre 1940 Eingang in den damaligen § 3 Abs. 3 StGB gefunden, wonach eine 83 Sieber NJW 1999, 2065 (2068); Hoeren/Sieber/Sieber, Multimedia-Recht, Teil 19 Rn. 406 (Stand: Februar 2000); aufgegriffen von Hörnle NStZ 2001, 309 (310); Vec NJW 2002, 1535 (1538); Fischer, § 9 Rn. 7a a. E. 84 Sieber NJW 1999, 2065 (2070). 85 Sieber NJW 1999, 2065 (2071); Hoeren/Sieber/Sieber, Multimedia-Recht, Teil 19 Rn. 411 (Stand: Februar 2000). 86 RGBl. I 1871 S. 127 ff. 87 RGSt 1, 274 (276). 88 Sieber NJW 1999, 2065 (2069).
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Tat an jedem Ort begangen war, „an dem der Täter gehandelt hat [. . .] oder an dem der Erfolg eingetreten ist [. . .]“. Durch die Übernahme dieser Formulierung in § 9 Abs. 1 StGB im Zuge der Bekanntgabe der Neufassung des StGB im Jahre 196989 habe der Gesetzgeber hieran ebenso wenig etwas ändern wollen wie durch die Begrenzung auf den „zum Tatbestand gehörenden“ Erfolg durch das 2. StrRG, das im Jahre 1975 in Kraft trat.90 Mit letzterer sollte nur klargestellt werden, dass der Eintritt des Erfolgs in einer engen Beziehung zum jeweiligen Straftatbestand zu sehen sei.91 Wie bereits erwähnt, hat Sieber seinen Ansatz in erster Linie für die zu diesem Zeitpunkt besonders in der Diskussion stehenden Verbreitungs- und Äußerungsdelikte im Internet entwickelt, bei denen es auf das „Zugänglichmachen“ der betreffenden Inhalte ankommt. Mit Volk ist jedoch davon auszugehen, dass die erarbeiteten Grundsätze auf § 284 StGB übertragbar sind.92 Denn beim Veranstalten eines Online-Glücksspiels geht es ebenfalls um ein „Zugänglichmachen“ bestimmter Webinhalte für Dritte, denen dadurch die direkte Teilnahme an dem Glücksspiel ermöglicht wird. Erfolgt eine solche Teilnahme, wird aus dem einseitigen Zugänglichmachen eine wechselseitige Interaktion zwischen Teilnehmer und Veranstalter des Glücksspiels. Wie oben dargelegt,93 ist ein Glücksspiel jedoch bereits dann veranstaltet i. S. v. § 284 Abs. 1 StGB, wenn dem Publikum der Abschluss von Spielverträgen unmittelbar ermöglicht wird; die tatsächliche Teilnahme eines Spielers ist nicht Voraussetzung, es genügt das „Zugänglichmachen“ 94 eines Spielangebots. Nach der Lösung Siebers unterläge demnach das Veranstalten von Sportwetten im Internet durch im Ausland ansässige Anbieter deutschem Strafrecht, wenn der Server, auf dem die für die Nutzung des Wettangebots benötigten Daten gespeichert sind, in Deutschland installiert ist. Ausgehend von einer erweiternden Auslegung des Erfolgsbegriffs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB kommt Sieber mit dem Abstellen auf den Belegenheitsort des Servers letztendlich also zu dem gleichen Resultat wie Cornils, die dieses durch eine erweiternde Auslegung des Tathandlungsbegriffs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB erreicht.95
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BGBl. I 1969 S. 1445 f. 2. StrRG v. 4.7.1969, BGBl. I 1969 S. 718, in Kraft getreten am 1.1.1975. 91 Sieber NJW 1999, 2065 (2069) unter Verweis auf die Ausführungen von Kielwein in den Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 4 AT, 38.–52. Sitzung, S. 20. 92 Volk, Glücksspiel im Internet, S. 207 f.; die Ansicht von Klam, Problematik von Glücksspielen, S. 63, eine Übertragung scheitere an der „anderen Struktur“ des Glücksspielstrafrechts, vermag bereits angesichts der Absenz einer weiterführenden Begründung nicht zu überzeugen. 93 s. o. S. 61. 94 Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 12 a. E. 95 Vgl. o. S. 74 f. 90
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3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
c) Das Urteil des BGH zur Volksverhetzung im Internet (sog. Töben-Urteil) Eine einschlägige Entscheidung des BGH bezüglich der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf ein im Internet begangenes Gefährdungsdelikt erging im Jahre 2000.96 Dem Urteil liegt der Fall des in Deutschland geborenen australischen Staatsbürgers Dr. Fredrick Töben zugrunde, der zwischen 1997 und 1999 mehrfach englischsprachige Artikel im Internet veröffentlichte, in denen er den Holocaust leugnete und dadurch unstreitig den Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 sowie Abs. 3 StGB erfüllte. Hierbei handelte der Angeklagte von Australien aus und speicherte die Artikel auch auf einem australischen Server. Dabei konnte weder festgestellt werden, dass der Angeklagte von sich aus Internetnutzer in Deutschland kontaktiert hatte, um ihnen die betreffenden Inhalte zu übermitteln, noch dass – außer den ermittelnden Polizeibeamten – Internetnutzer in Deutschland die Homepage des Angeklagten angewählt hatten. Der BGH bejahte die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB, da der zum Tatbestand gehörende Erfolg in der Bundesrepublik eingetreten sei.97 Unter Berufung auf BGHSt 42, 235 (242 f.) führte er zu § 9 StGB Folgendes aus:98 „Nach dem Grundgedanken der Vorschrift soll deutsches Strafrecht – auch bei Vornahme der Tathandlung im Ausland – Anwendung finden, sofern es im Inland zu der Schädigung von Rechtsgütern oder zu Gefährdungen kommt, deren Vermeidung Zweck der jeweiligen Strafvorschrift ist. Daraus folgt, dass das Merkmal „zum Tatbestand gehörender Erfolg“ im Sinne des § 9 StGB nicht ausgehend von der Begriffsbildung der allgemeinen Tatbestandslehre ermittelt werden kann.“
Bei abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten sei ein Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB dort eingetreten, wo die Tat ihre Gefährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut entfalten kann. Bei der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1, 3 StGB sei dies die konkrete Eignung zur Friedensstörung in der Bundesrepublik Deutschland.99 Diese ebenfalls weite Auslegung des Erfolgsbegriffs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB stützt der BGH auf den bereits erwähnten systematischen Vergleich mit den §§ 13 und 78a StGB sowie im Anschluss an Sieber auf die Intention des Gesetzgebers, der mit der Aufnahme des Zusatzes „zum Tatbestand gehörend“ den Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB nicht auf Erfolgsdelikte habe begrenzen, sondern lediglich klarstellen wollen, dass der Eintritt des Erfolgs in enger Beziehung zum Straftatbestand zu sehen sei. Einen – offensichtlich für erforderlich gehaltenen – völkerrechtlich legitimierenden Anknüpfungspunkt sieht der BGH darin, dass die Tat ein 96 97 98 99
BGHSt BGHSt BGHSt BGHSt
46, 46, 46, 46,
212 212 212 212
ff. – Töben. (220 ff.) – Töben. (220) – Töben. (221) – Töben.
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gewichtiges inländisches Rechtsgut betreffe, das zudem objektiv einen besonderen Bezug auf das Gebiet der Bundesrepublik aufweise.100 Dies sei bei § 130 Abs. 1, 3 StGB aufgrund der Einzigartigkeit der Verbrechen unter nationalsozialistischer Herrschaft der Fall. Eine klare Position für die vorliegende Problematik vermag das Urteil hingegen nicht zu liefern. Der BGH begründet seine Entscheidung ausdrücklich mit der Differenzierung zwischen abstrakt-konkreten und (rein) abstrakten Gefährdungsdelikten.101 Ob bei letzteren ein inländischer Erfolgsort jedenfalls dann anzunehmen wäre, wenn die Gefahr sich realisiert hat, brauche nicht entschieden zu werden, so der BGH.102 Den Weg für diese Differenzierung ebnet der BGH folgendermaßen: Einerseits werden die abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikte allgemein als Untergruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte eingeordnet.103 Andererseits seien die abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikte unter den Gesichtspunkten des Erfolgsorts aber mit konkreten Gefährdungsdelikten, denen als Untergruppe der Erfolgsdelikte nach ganz herrschender Meinung am Ort der konkreten Gefahr ein Erfolgsort zukommt, vergleichbar, weil der Gesetzgeber auch hier eine zu vermeidende Gefährdung – den Erfolg – im Tatbestand der Norm ausdrücklich bezeichnet habe.104 Derartige Aussagen mit kontradiktorischen Ansatzpunkten bilden freilich einen geradezu idealen Nährboden für Interpretationen sowohl i. S. e. Übertragbarkeit105 als auch i. S. e. Unübertragbarkeit106 der Entscheidung auf rein abstrakte Gefährdungsdelikte. Einer unmittelbaren Übertragung unter anderem auf § 284 StGB stünde jedoch bereits entgegen, dass es an einem besonderen Bezug des geschützten Rechtsguts zum Gebiet der Bundesrepublik i. S. d. vom BGH geforderten völkerrechtlich legitimierenden Grundlage mangelt.107
100
BGHSt 46, 212 (224) – Töben. BGHSt 46, 212 (222 f.) – Töben. 102 BGHSt 46, 212 (221) – Töben. 103 BGHSt 46, 212 (218) – Töben. 104 BGHSt 46, 212 (220 f.) – Töben. 105 So allg. Schwarzenegger Zeitschrift für Immaterialgüter-, Informations- und Wettbewerbsrecht 2001, 240 (249); speziell bezüglich § 284 StGB Hecker/Schmitt ZfWG 2006, 301 (306). 106 So allg. Clauß MMR 2001, 232 (232); speziell bezüglich § 284 StGB Klengel/ Heckler CR 2001, 243 (246 f.); Barton/Gercke/Janssen wistra 2004, 321 (323). 107 Hierauf ebenfalls hinweisend Barton/Gercke/Janssen wistra 2004, 321 (323). 101
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3. Lösung a) Ungeeignetheit der Orientierung an den Deliktskategorien i. S. d. allgemeinen Tatbestandslehre Mir scheint die Orientierung an den Deliktskategorien i. S. d. allgemeinen Tatbestandslehre, wie sie vor allem die restriktive Auffassung vornimmt, in die aber auch der BGH und Teile der extensiven Auffassung immer wieder zurückverfallen, als Ausgangspunkt für die Lösung des vorliegenden Auslegungsproblems innerhalb des § 9 StGB weitgehend ungeeignet zu sein. Gewiss wird der Begriff des (tatbestandlichen) Erfolgs in erster Linie mit der Deliktseinteilung nach der allgemeinen Tatbestandslehre assoziiert und unbestreitbar liegt es im Sinne von Rechtsklarheit und -sicherheit, wenn die Bedeutung eines Begriffes einheitlich bestimmt wird. Allerdings ist dies wiederum dadurch zu relativieren, dass Strafnormen stets im Rahmen ihrer Funktion und des Zusammenhangs, in dem sie sich befinden, auszulegen sind und aus diesem Grund eine differenzierende Auslegung gleicher Begriffe sogar geboten sein kann.108 Zum einen dient die Unterteilung in Erfolgs- und schlichte Tätigkeitsdelikte im Rahmen der allgemeinen Tatbestandslehre allein der Begründung eines besonderen Zurechnungszusammenhangs bei den Erfolgsdelikten,109 was mit der Funktion zur Tatortbestimmung bei §§ 3, 9 Abs. 1 Alt.3 StGB ersichtlich nichts gemein hat. Zum anderen erscheint die Einordnung als Verletzungs-, konkretes oder abstraktes Gefährdungsdelikt teilweise austauschbar und davon abhängig, wie abstrakt oder konkret man das geschützte Rechtsgut interpretiert.110 Dementsprechend wird die traditionelle Abstufung gerade der unterschiedlichen Arten von Gefährdungsdelikten von einigen Untersuchungen in Frage gestellt.111 Außerdem wären schlichte Tätigkeitsdelikte mangels eines im Tatbestand beschriebenen Verletzungs- oder (konkreten) Gefährdungserfolgs stets abstrakte Gefährdungsdelikte.112 Es gibt jedoch Tatbestände, die in die Kategorie der schlichten Tätigkeitsdelikte einzuordnen sind und bei denen aufgrund des bloßen Tätigwerdens bereits eine Verletzung des geschützten Rechtsguts eintritt. Als Beispiel hierfür lässt sich der Hausfriedensbruch gemäß § 123 StGB anführen, bei dem mit der bloßen Handlung gegen den Willen des Hausherrn dessen Hausrecht verletzt wird. Ebenso werden vielfach abstrakte Gefährdungsdelikte zu Erfolgsdelikten gemacht, indem ihnen ein sog. „Zwischen108
Volk, Glücksspiel im Internet, S. 212. Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 130. 110 Darauf weist zutreffend Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 155 hin; s. auch Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 346 ff. 111 Etwa Wohlers, Deliktstypen, S. 281 ff., 296 ff.; Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 346 ff. 112 So ausdrücklich auch Kudlich StV 2001, 397 (398 Fn. 19). 109
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erfolg“ in Form einer „stabilen Veränderung in der Außenwelt“ attestiert wird; dazu sollen etwa das Inbrandsetzen bzw. Zerstören in § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie das Vergiften in § 314 StGB zählen.113 Keinesfalls soll hier der nachweisliche Nutzen des grundlegenden Systems der Deliktseinteilung nach der Deliktsstruktur etwa für Fragen im Zusammenhang mit der Ermittlung des geschützten Rechtsguts oder der Strafwürdigkeit bestimmter Delikte in Zweifel gezogen werden. Dort fallen die beschriebenen Ungereimtheiten nicht weiter ins Gewicht und lassen sich zugunsten der Aufrechterhaltung des Systems hinnehmen. Bei § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB führen sie jedoch dazu, dass die daraus resultierenden Unterschiede im Subsumtionsergebnis nicht plausibel sind und demzufolge beliebig erscheinen. Dies zeigt sich bereits daran, dass im Rahmen der Behandlung des Problems die oben erläuterte114 Dichotomisierung der Deliktsgruppen vermischt wird, wenn durchweg dem Erfolgsdelikt das abstrakte Gefährdungsdelikt gegenübergestellt und gefragt wird, ob letzteres einen Erfolg aufweist. Komplementär des Erfolgsdelikts ist das schlichte Tätigkeitsdelikt.115 Dass aber schlichte Tätigkeitsdelikte einen Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB hätten, behauptet ausdrücklich keiner der Vertreter der oben sog. extensiven Auffassung. Im gegenteiligen Sinne haben vielmehr das KG und das OLG Stuttgart in expliziter Abgrenzung zum TöbenUrteil des BGH und des dort betroffenen abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikts entschieden, dass bei einem schlichten Tätigkeitsdelikt, bei dem im Ausland gehandelt wird, ein inländischer Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB nicht eingetreten sein könne.116 Nicht einzusehen ist ferner, warum etwa eine Luftverunreinigung bzw. Schadstofffreisetzung i. S. v. § 325 StGB oder das Behandeln, (Ab-)Lagern, Ablassen bzw. sonstige Beseitigen von Abfällen i. S. v. § 326 Abs. 1 StGB im Gegensatz zu dem oben angeführten Inbrandsetzen des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB oder dem Vergiften des § 314 StGB keinen „Zwischenerfolg“ bewirken sollte,117 der bei entsprechenden grenzüberschreitenden Sachverhalten gemäß § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB einen Tatort im Inland begründet. Das Beispiel ließe sich anhand zahlreicher weiterer abstrakter Gefährdungsdelikte fortführen. Gerade auch auf dem Gebiet der Äußerungsdelikte kann – nicht zuletzt anhand des Töben-Urteils des BGH – die mangelnde Tauglichkeit der Deliktskategorisierung als Anknüpfungspunkt der Tatortbestimmung im Rahmen
113 Satzger, Internationales und europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 24; Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 130. 114 s. o. S. 83 f. 115 Diese methodisch falsche Gegenüberstellung erkennt auch Kudlich StV 2001, 397 (398). 116 KG NJW 2006, 3016 (3016 f.); OLG Stuttgart NStZ 2004, 402 (403); beide bezüglich § 259 StGB; allg. auch LK/Werle/Jeßberger, § 9 Rn. 35. 117 Davon geht aber Satzger, Internationales und europäisches Strafrecht, § 5 Rn. 21 f. aus; kritisiert auch von Walter JuS 2006, 870 (872).
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3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
des § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB exemplifiziert werden. So existiert bei § 130 Abs. 2 StGB die Eignungsklausel, die für den BGH maßgeblich war, nicht. Warum aber sollte auf eine vom Ausland aus getätigte Äußerung § 130 Abs. 1, 3 StGB anwendbar sein, nicht aber § 130 Abs. 2 StGB, etwa wenn die verbreitende Person nicht selbst Urheber ist?118 Schlussendlich liefern auch der systematische Vergleich zu den §§ 13 und 78a StGB119 und die historische Analyse120 durchaus überzeugende Argumente für eine autonome Auslegung des zum Tatbestand gehörenden Erfolgs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB. Daher ist m. E. dem BGH und insbesondere auch Sieber insoweit zuzustimmen, als sie den Begriff des zum Tatbestand gehörenden Erfolgs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB von demjenigen der allgemeinen Tatbestandslehre abkoppeln und eigenständig interpretieren wollen. D. h. entgegen der obigen restriktiven Auffassung schließt allein eine Qualifizierung als (abstraktes) Gefährdungsdelikt oder schlichtes Tätigkeitsdelikt die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB auf das entsprechende Delikt nicht a priori aus. Viel gewonnen ist damit freilich noch nicht, da die eigentliche Frage, worin nun ein zum Tatbestand gehörenden Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB liegen kann und ob insbesondere eine abstrakte Gefahr tatsächlich einen solchen darstellt, nicht beantwortet ist. Dem soll im Folgenden nachgegangen werden. b) Eigenständige Bestimmung des zum Tatbestand gehörenden Erfolgs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB Wie oben erläutert, definieren die Vertreter der sog. extensiven Auffassung den zum Tatbestand gehörenden Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB abgekoppelt von der allgemeinen Tatbestandslehre und ausgehend von der rechtsgüterschützenden Funktion des Strafrechts überwiegend als den Eintritt einer – wenn auch nur abstrakten – Gefahr für das jeweils geschützte Rechtsgut oder gleichbedeutend als Eignung des inkriminierten Verhaltens, das jeweils geschützte Rechtsgut zu beeinträchtigen.121 Teilweise wird dies auch der oben wörtlich zitierten, allgemeinen Aussage des BGH im Töben-Urteil122 entnommen.123 Um die Richtigkeit dieser Annahme zu überprüfen, scheint es hilfreich, auf den allgemeinen Wortsinn des Begriffs „Erfolg“ Bezug zu nehmen: Was bedeutet Erfolg im vorliegenden Zusammenhang? Sogleich wird man fragen: Erfolg 118
s. auch Hörnle NStZ 2001, 309 (310). s. o. S. 86. 120 Insbesondere belegt auch durch die Ausführungen Jeschecks und Kielweins in den Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 4 AT, 38.–52. Sitzung, S. 18, 20. 121 s. die Nachw. o. in Fn. 58, 60. 122 s. o. S. 92. 123 So etwa Vassilaki CR 2001, 262 (263). 119
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von was? Denn bereits begriffslogisch ist Erfolg immer die Folge von irgendetwas. § 9 Abs. 1 StGB beantwortet diese Frage ganz eindeutig: Der Erfolg muss die Folge der (Tat-)Handlung sein. Will man diese, von § 9 Abs. 1 StGB unbestreitbar vorgegebene Korrelation zwischen Handlung und Erfolg nicht ignorieren, muss der Erfolg als Minimum etwas sein, das sich jedenfalls gedanklich von der (Tat-)Handlung trennen lässt;124 und zwar als deren Folge. Ein jeder Handlung innewohnender Erfolg, der lediglich das nach außen tretende Verhalten des Menschen, also letztlich nichts anderes als den Vollzug der Handlung meint,125 scheidet aus, da dies kein zusätzliches, nach der Konzeption des § 9 Abs. 1 StGB alternativ zur Begründung eines inländischen Begehungsorts führendes Kriterium wäre. Konkretisiert wird der Erfolg in § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB ferner dadurch, dass er „zum Tatbestand gehören“ muss. Dies ist dahingehend zu verstehen, dass der Erfolg im jeweiligen gesetzlichen Tatbestand in irgendeiner Form enthalten oder zumindest angedeutet sein muss.126 Sofern gegen die Relevanz dieses Passus anführt wird, dass nach den Materialien zu dessen Einführung (lediglich) die „enge Beziehung zum Straftatbestand“ betont werden sollte,127 ist dem dreierlei zu entgegnen: Erstens lässt sich eine derartige Deutung aus den in Bezug genommenen Quellen nicht zwingend ableiten.128 Zweitens ist der Bezug zu dem jeweils einschlägigen Tatbestand in Abgrenzung etwa zu sonstigen, weiteren Tatbeständen eine Selbstverständlichkeit, die keiner gesetzesändernden Klarstellung bedurft hätte. Drittens kommt dem (vermeintlichen) Willen des Gesetzgebers ohnehin nur eine untergeordnete Bedeutung zu und die Gesetzesformulierung ist vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 2 GG letztlich an ihrem Wortlaut zu messen. Und schließlich wird durch das hiesige Verständnis ja gerade die „enge Beziehung zum jeweiligen Tatbestand“ akzentuiert. Unabhängig von der Einteilung nach der Deliktsstruktur kann daher m. E. bei Delikten, die – meist aufgrund einer Vorverlagerung der Strafbarkeit – einen 124 Auf eine räumlich und/oder zeitlich abtrennbare Veränderung in der Außenwelt abzustellen, so etwa Hilgendorf NJW 1997, 1873 (1876); Kudlich StV 2001, 397 (398), scheint mir dagegen zu eng, da sich dies zu sehr an der hier als Maßstab ungeeigneten Abgrenzung zwischen Erfolgs- und schlichten Tätigkeitsdelikten orientiert, vgl. dazu nur Wessels/Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, Rn. 22. 125 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 13 Rn. 56. 126 So auch Kudlich StV 2001, 397 (389); Kienle, Straftaten im Internet, S. 47. 127 So insbesondere Sieber NJW 1999, 2065 (2069) unter Verweis auf die Ausführungen Kielweins in den Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission Bd. 4 AT, 38.–52. Sitzung, S. 20. 128 Die diesbezüglichen Ausführungen Kielweins in den Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission Bd. 4 AT, 38.–52. Sitzung, S. 20 lauten: „Eine weitere Klarstellung liegt darin, daß der Eintritt des Erfolgs in eine enge Beziehung zum Tatbestand gebracht wird. Es soll zum Ausdruck kommen, daß nur ein tatbestandlicher und nicht ein darüber hinausgehender möglicher weiterer Erfolg für die Bestimmung des Tatorts Bedeutung hat.“
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3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
von der Handlung abgrenzbaren „Minimums-Erfolg“ im obigen Sinne nicht enthalten, sondern sich mit dem bloßen Vollzug einer bestimmten Handlung begnügen, ein zum Tatbestand gehörender Erfolg nicht einleuchtend dargelegt werden.129 Insbesondere eine abstrakte Gefahr verkörpert – unabhängig von den Detailfragen zu der Begrifflichkeit – keine solche Folge der (Tat-)Handlung. Sie ist vielmehr ein Attribut der Handlung, da der Gesetzgeber bereits die Tätigkeit an sich als generell gefährlich eingestuft hat und der Nachweis des Eintritts einer tatsächlichen Gefahr durch die Handlung im Einzelfall gar nicht mehr nötig ist.130 Der Tätigkeit bzw. dem Handlungsvollzug als solchem ist bereits eine bestimmte Gefährlichkeit immanent, einen Effekt der Handlung bedeutet die abstrakte Gefahr nicht. Dies muss auch für Delikte gelten, die im Internet begangen werden. Das Ergebnis lässt sich durch ein systematisches Argument aus § 5 Nr. 10 StGB untermauern. Danach gilt für die §§ 153 ff. StGB, die mit dem Leisten einer falschen Aussage bzw. Versicherung an Eides statt lediglich die Vornahme einer Handlung sanktionieren, „unabhängig vom Recht des Tatorts“ deutsches Strafrecht, wenn die Aussage im Ausland erfolgt, das Verfahren, innerhalb dessen die Aussage gemacht wird, aber in Deutschland anhängig ist. Hätten die §§ 153 ff. StGB, gemeinhin klassifiziert als abstrakte Gefährdungsdelikte,131 einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB, wäre die Sonderregelung des § 5 Nr. 10 StGB überflüssig. Denn stets würde aufgrund des im Inland anhängigen Verfahrens die abstrakte Gefahr für die staatliche Rechtspflege im Inland eintreten und gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB tatortbegründend wirken. § 5 Nr. 10 StGB geht sichtlich davon aus, dass der Tatort allein im Ausland liegt.132 Gleiches muss – entgegen dem BGH – auch für die Gefährdungseignung eines als abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt kategorisierten Delikts gelten. Eine „Eignung“ beschreibt keine Folge einer Handlung, sondern eine Eigenschaft derselben,133 ist also Teil der Handlung i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB und nicht des Erfolgs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB. In Übereinstimmung mit der obigen restriktiven Auffassung kann auch die Verdichtung der abstrakten Gefahr zu einer konkreten bzw. der tatsächliche Eintritt einer Gefahr134 bei einem abstrakten Gefährdungsdelikt nicht als zum Tat129 Innerhalb des § 9 Abs. 1 StGB systemwidrig und abzulehnen ist daher die Ansicht von Walter JuS 2006, 870 (872), wonach ein Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB stets dort verwirklicht werde, wo die zur Tatbestandsvollendung erforderlichen Umstände eintreten. 130 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 264; Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 35 Rn. 44; Hilgendorf NJW 1997, 1873 (1876). 131 MüKo/Müller, Vor § 153 ff. Rn. 18 m.w. N. 132 Satzger NStZ 1998, 112 (116). 133 So auch Heghmanns JA 2001, 276 (279); Kudlich StV 2001, 397 (399). 134 So deuten etwa LK/Werle/Jeßberger, § 9 Rn. 33 das Töben-Urteil in BGHSt 46, 212 (220) [„. . . sofern es zu Gefährdungen kommt . . .“].
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bestand gehörender Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB gelten. Zwar wäre nach hiesigem Verständnis ein gedanklich abtrennbarer Erfolg der Handlung vorhanden, es könnte die Handlung vollzogen werden, auch ohne dass die Folge der (konkreten) Gefahr eintritt. Dieser Erfolg kann aber schlechterdings nicht als „zum Tatbestand gehörend“ i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB qualifiziert werden, wenn er für die Strafbarkeit nach dem betreffenden Delikt nicht bzw. nicht mehr relevant ist.135 Ist das Erfordernis des Eintritts einer (konkreten) Gefahr im gesetzlichen Tatbestand enthalten, ist eine Anwendung deutschen Strafrechts über § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB natürlich möglich.136 aa) Gegenargument der teleologischen Reduktion bei § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB Das Gegenargument der extensiven Auslegung, die von der h. M. insbesondere bei § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgenommene teleologische Reduktion im Fall des erwiesenen Fehlens einer Gefahr für Leib oder Leben eines Menschen zeige, dass auch bei den abstrakten Gefährdungsdelikten etwas bestraft werde, das über den bloßen Handlungsvollzug hinausgehe und somit als Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB angesehen werden könne,137 schlägt nicht durch. Der Tatbestand eines abstrakten Gefährdungsdelikts, etwa des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, ist voll verwirklicht, wenn der Täter die dort umschriebene Handlung begeht, es entsteht grundsätzlich der Strafanspruch des Staates. Denn der Gesetzgeber hat dem Verhalten als regelmäßiges und typisches Attribut eine gewisse Gefährlichkeit zugesprochen, der Nachweis einer Gefahr im Einzelfall muss daher nicht geführt werden. Entspricht das Verhalten des Täters in extremen Ausnahmefällen einmal nicht dem gesetzlich vorausgesehenen Typus, kann eine täterfreundliche teleologische Reduktion des Tatbestands geboten sein. Wer dies jedoch zum Anlass nimmt, die abstrakte Gefahr generell als von der Handlung losgelöste Folge zu sehen und zum tatbestandlichen Erfolg des jeweiligen Verhaltens zu erheben, stellt das bezeichnete Regel-Ausnahme-Verhältnis auf den Kopf und missachtet die gesetzgeberische Konzeption.138 Eine abstrakte Gefahr ist nicht Erfolg der Handlung.
135 s. nur die ausdrückliche Begründung bei der Einführung dieses Passus in Fn. 128. 136 So auch die einhellige Meinung in Rspr. und Lit., s. BGH NJW 1991, 2498 (2498); MüKo/Ambos/Ruegenberg, § 9 Rn. 19 m.w. N. 137 s. o. S. 86 sowie die Nachw. in Fn. 63. 138 s. auch Satzger NStZ 1998, 112 (115).
100 3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
bb) Gegenargument der Parallelität der materiellen Vorverlagerung und der räumlichen Anwendung Auch die These, bei abstrakten Gefährdungsdelikten müsse mit der materiellen Vorverlagerung der Strafbarkeit zwecks Vermeidung von Widersprüchen ein örtlich weit gefasster Anwendungsbereich einhergehen,139 kann keine Geltung beanspruchen. Sie verknüpft zwei Umstände, die ganz unterschiedliche Funktionen aufweisen. Einmal geht es um die Frage, ab welcher Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung – Verletzung oder Gefährdung – der strafrechtliche Schutz einsetzt, das andere Mal um die Frage, ob deutsches Strafrecht in räumlicher Hinsicht auf im Ausland begangene Handlungen anwendbar ist. Stellt man dennoch eine solche Verknüpfung her, ließe sich sogar in umgekehrter Richtung argumentieren: Wenn der Gesetzgeber schon den Strafrechtsschutz weit in den Gefährdungsbereich hinein ausdehnt, muss jedenfalls bei der Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs restriktiv vorgegangen werden.140 cc) Objektive Bedingung der Strafbarkeit als Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB – Entwicklung der Rechtsprechung des BGH Anhand des hiesigen Verständnisses lässt sich beispielsweise der Eintritt einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit, wie etwa der Rauschtat in § 323a StGB, unter den Erfolgsbergriff des § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB subsumieren. Es handelt sich zwar bei § 323a StGB nach ganz h. M. um ein abstraktes Gefährdungsdelikt141 und bei der objektiven Strafbarkeitsbedingung der Rauschtat nicht um einen tatbestandlichen Erfolg i. S. d. allgemeinen Tatbestandslehre, gleichwohl tritt eine Folge der Tathandlung ein, die zum einen gedanklich von dieser abgrenzbar ist und zum anderen im gesetzlichen Tatbestand Ausdruck findet, mithin „zum Tatbestand gehört“. Gleiches gilt etwa für den Eintritt einer besonders schweren Folge nach § 18 StGB. In der Rauschtat des § 323a StGB als objektive Bedingung der Strafbarkeit hat auch der BGH einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB gesehen.142 Der Blick auf diese Entscheidung erweist sich vor allem auch deshalb als lohnenswert, weil der BGH hier, also anlässlich der objektiven Bedingung der Strafbarkeit, exakt die Formel entwickelt hat, die später im Töben-Urteil unverändert für die
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s. o. S. 87 sowie die Nachw. in Fn. 67, 68. So Kudlich StV 2001, 397 (398). 141 MüKo/Geißler, § 323a Rn. 2 m.w. N. 142 BGHSt 42, 235 (242 f.), es handelt sich um den v. a. im Rahmen der actio libera in causa bekannten Fall eines dänischen Autofahrers, der sich in den Niederlanden in einen Rausch versetzt hatte und dann auf deutschem Territorium mit seinem Wagen zwei Grenzbeamte tödlich verletzte. 140
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Gefährdungseignung des abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikts übernommen wurde:143 „Was im Sinne des § 9 StGB unter dem Merkmal „zum Tatbestand gehörender Erfolg“ zu verstehen ist, kann aber nicht ausgehend von der Begrifflichkeit der allgemeinen Tatbestandslehre ermittelt werden. Diese Vorschrift will nicht die dogmatische Unterscheidung zwischen Tatbestand und objektiver Bedingung der Strafbarkeit aufgreifen. Nach ihrem Grundgedanken soll deutsches Strafrecht – auch bei Vornahme der Tathandlung im Ausland – Anwendung finden, sofern es im Inland zu der Schädigung von Rechtsgütern oder zu Gefährdungen kommt, deren Vermeidung Zweck der jeweiligen Strafvorschrift ist.“
Es wird deutlich, dass diese Aussagen allein darauf gerichtet waren, die Einbeziehung der objektiven Bedingung der Strafbarkeit als zum Tatbestand gehörenden Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB zu begründen. Der BGH hätte die Ausführungen deshalb im Töben-Urteil nicht unbesehen dieses Zusammenhangs für den gänzlich anders gelagerten Fall der Gefährdungseignung eines abstraktkonkreten Gefährdungsdelikts übernehmen dürfen. Aufgrund dessen erhärtet sich der Verdacht, dass es sich bei der Anwendung deutschen Strafrechts im Fall Töben zuvorderst um ein rechtspolitisch gewünschtes Ergebnis handelte.144 Jedenfalls verliert das Urteil an verallgemeinerungsfähiger Aussagekraft. dd) Kritik an dem „Tathandlungserfolg“ Siebers Der elaborierte Ansatz von Sieber, den Erfolgsort im Internet über einen sog. Tathandlungserfolg zu bestimmen,145 ist zwar, wie oben festgestellt, auf § 284 StGB übertragbar, aber zu Recht auf Kritik gestoßen. So weckt bereits der Begriff eines „Tathandlungserfolgs“ vor dem Hintergrund der alternativen Gegenüberstellung von Handlung und Erfolg durch § 9 Abs. 1 StGB Bedenken. Der Sache nach handelt es sich denn auch eher um eine Ausweitung der Handlung als des Erfolgs,146 wenn nach „push“ oder „pull“ – also verschiedenen Handlungsformen – differenziert wird. Infolgedessen kommt Sieber auch zu dem gleichen Resultat wie Cornils, die ausdrücklich eine Erweiterung des Handlungsbegriffs vornimmt, nämlich dass der Belegenheitsort des Servers, auf dem der Täter die relevanten Daten speichert, der entscheidende Anknüpfungspunkt 143 BGHSt 42, 235 (242 f.), exakt übernommen durch BGHSt 46, 212 (220) – Töben, vgl. das wörtliche Zitat o. auf S. 92. 144 Der Angeklagte befand sich auf seiner von ihm sog. „zweiten revisionistischen Reise durch Europa“. Dabei wurde er von der Mannheimer Staatsanwaltschaft festgenommen, nachdem er diese von sich aus aufgesucht hatte, um seine „Forschungsergebnisse“ bezüglich der Nichtexistenz des Holocausts zu präsentieren, s. Koch GA 2002, 703 (706 Fn. 20). Im folgenden Verfahren ging es dann auch um die Äußerungen im Internet, die zu der Revision vor dem BGH führten. 145 s. o. S. 89 ff. 146 So auch LK/Werle/Jeßberger, § 9 Rn. 85; Schönke/Schröder/Eser, § 9 Rn. 7c.
102 3. Teil: Anwendbarkeit des StGB bei Auslandsbezug des Sportwettenangebots
sei. Zum einen lassen sich dem in technischer Hinsicht mit der Zufälligkeit und mangelnden Steuerungsfähigkeit des Speicherorts von Daten im Internet dieselben Einwände entgegenhalten, die auch gegen den Ansatz von Cornils sprechen.147 Zum anderen ist nicht ersichtlich, was es für einen möglichen Erfolg in Deutschland (als Wirkung der Handlung) für einen Unterschied macht, ob die strafbaren Inhalte vom Täter auf einem inländischen oder ausländischen Server gespeichert werden. Einen quasi internetspezifischen Erfolg könnte man höchstens in der Abrufbarkeit bzw. Zugänglichmachung der Daten in Deutschland sehen, im World Wide Web hat der Standort des Servers für diese grenzüberschreitende Abrufbarkeit jedoch keinerlei Relevanz. Sieber sieht diesen Einwand voraus und bringt vor, dass mit einer solchen Betrachtungsweise der physikalische Speicherort der Inhalte vernachlässigt würde.148 Eine Begründung, warum nun aber gerade der physikalische Speicherort entscheidend sein soll, bleibt dies jedoch ebenso schuldig. Auch die Beanstandungen in technischer Hinsicht werden hierdurch nicht entkräftet. Überdies finden sich für die Differenzierung nach „Push“- und „Pull“-Technologien im Wortlaut des § 9 Abs. 1 StGB keinerlei Anhaltspunkte.149 Demzufolge ist die Konzeption Siebers abzulehnen. c) Ergebnis Bei einer vom Ausland aus erfolgenden Veranstaltung, Vermittlung oder Bewerbung von Sportwetten im Internet ist eine Anwendung deutschen Strafrechts über einen inländischen Erfolgsort gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 StGB nicht zu begründen. Eine teleologische oder völkerrechtskonforme Einschränkung des § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB ist somit gar nicht erforderlich. Bestraft wird bei § 284 StGB nur der Vollzug der jeweiligen Tathandlung des Veranstaltens, Haltens, Bereitstellens von Einrichtungen oder des Werbens. Ein „Minimums-Erfolg“ im dargelegten Sinne einer Folge der Handlung, der als Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB dienen könnte, ist nicht auszumachen. Ein ausreichender, tatbestandlich angelegter Erfolg kann auch nicht in den Veranstaltungsbegriff hineininterpretiert und so die Anwendung des § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB gleichsam unterminiert werden.150 Zwar wird dem Publikum eine konkrete Spielmöglichkeit eröffnet, sodass dem Handeln des Veranstalters eine gewisse „Außenwirkung“ zukommt. Jedoch stellt dies keinen von dem Vollzug der Tathandlung des Veranstaltens lösbaren Erfolg selbiger dar.151 Die Möglichkeit der Spielteilnahme 147 Hilgendorf ZStW (113) 2001, 651 (667 f.); Koch GA 2002, 703 (711); Heinrich in: FS Weber, S. 91 (100). 148 Hoeren/Sieber/Sieber, Multimedia-Recht, Teil 19 Rn. 411 (Stand: Februar 2000). 149 Hilgendorf ZStW (113) 2001, 651 (668). 150 s. dazu bereits o. S. 81 f. 151 Berberich, Internet-Glücksspiel, S. 169.
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ist logisch notwendiger Bestandteil eines jeden Veranstaltens eines Glücksspiels. Für manche mag es ein rechtspolitisch unbefriedigendes Ergebnis sein, dass ausländische Sportwettenangebote im Internet nicht der deutschen Strafgewalt unterfallen, obwohl sie unter Umständen gezielt (auch) an deutsche Teilnehmer gerichtet sind. Das hier im Rahmen der selbstständigen Auslegung des Erfolgsbegriffs i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB erarbeitete enge Verständnis desselben ist indes durch den Wortlaut und die Systematik der Gegenüberstellung von Handlung und Erfolg in § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB vorgegeben. Will man an der Trennung von Rechtsanwendung und Rechtspolitik und insbesondere an dem Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 103 Abs. 2 GG, dem als materielle Strafbarkeitsvoraussetzung auch das Strafanwendungsrecht der §§ 3 ff. StGB unterliegt,152 festhalten, ist dieses Ergebnis hinzunehmen. Abhilfe kann hier nur der Gesetzgeber schaffen, etwa indem er § 284 StGB in den Katalog des § 5 bzw. § 6 StGB aufnimmt oder in Anbetracht der Tatsache, dass die §§ 3, 9 StGB erweislich nicht für Internetdelikte geschaffen wurden, eine spezifische Regelung in Bezug auf im Internet begangene Taten konzipiert.153 Dahingestellt sei an dieser Stelle, ob derartige nationale Vorschriften angesichts einer allgemeinen Deterritorialisierung des Rechts durch das Internet prinzipiell ungeeignet sind und eine sinngemäße Lösung letztlich nur über internationale Reglementarien erfolgen kann,154 die zudem i. S. e. Cyberlaw keine territorialen Anknüpfungspunkte mehr zugrunde legen.155
152 Heghmanns JA 2001, 276 (280); Kienle, Straftaten im Internet, S. 130 ff.; s. auch Sieber NJW 1999, 2065 (2068 Fn. 28). 153 Dafür etwa Leupold/Bachmann/Pelz MMR 2000, 648 (664); Klengel/Heckler CR 2001, 243 (249). 154 So Heghmanns JA 2001, 276 (280); Sieber NJW 1999, 2065 (2071); s. auch Schünemann GA 2003, 299 (303 f.). 155 s. dazu Hoeren NJW 2007, 801 (2850 f.).
4. Teil
Die Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht Im folgenden Teil wird der eigentliche Schwerpunkt der Arbeit behandelt: die Verzahnung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Recht durch das Merkmal der behördlichen Erlaubnis und die daraus folgenden Probleme. Nachdem oben bereits die Grundstruktur einer solchen Verwaltungsakzessorietät und in verkürzter Form die grundsätzliche Ausgestaltung des derzeitigen deutschen Verwaltungsrechts in Bezug auf Sportwetten skizziert wurde,1 erfolgt hier zunächst eine genaue Darstellung dieser verästelten und in jüngster Vergangenheit stetigen Änderungen unterworfenen Materie des Verwaltungsrechts (s. u. § 5), um im Anschluss eine angemessene verfassungs- und europarechtliche Würdigung vornehmen zu können (s. u. § 6). Die Überprüfung der Verfassungs- und Europarechtskonformität dient vor allem dazu, einen eventuellen Verstoß des öffentlichen Sportwettenrechts gegen höherrangiges Rechts auf mögliche Konsequenzen für die verwaltungsakzessorische Strafbarkeit nach § 284 StGB hin abzuklopfen (s. u. § 7).
§ 5 Darstellung des öffentlichen Sportwettenrechts In diesem Bereich gilt es einmal, gesetzliche Regelungen des Bundes (s. u. I.) und der Länder (s. u. II.) zu unterscheiden. Innerhalb des Landesrechts wird wiederum nach bestimmten Zeiträumen und teilweise nach einzelnen Bundesländern untergliedert und die Entwicklung bis zum status quo geschildert, da der Gesetzgeber insbesondere in der jüngeren Vergangenheit mehrfach Änderungen vorgenommen hat. Zudem wird auf die Wirksamkeit EU-ausländischer Genehmigungen nach deutschem Verwaltungsrecht eingegangen (s. u. III.) und ausführlich das in der Praxis hochrelevante Sonderproblem der sog. DDR-Lizenzen behandelt (s. u. IV.).
1
s. o. S. 68 ff.
§ 5 Darstellung des öffentlichen Sportwettenrechts
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I. Bundesrecht 1. Rennwett- und Lotteriegesetz Auf Bundesebene ist zunächst das Rennwett- und Lotteriegesetz (RWG)2 aus dem Jahre 1922 zu nennen, das als Bundesrecht fortgilt.3 Entgegen seiner irreführenden Bezeichnung finden sich darin und in den dazugehörigen Ausführungsbestimmungen (AB RWG)4 nur Regelungen zu einem Teilbereich der Sportwette, dem des Pferderennsports. Zudem enthält das Gesetz allgemeine Bestimmungen zur Besteuerung sämtlicher Sportwetten, Lotterien und Ausspielungen. Gemäß § 2 Abs. 1 RWG bedürfen Buchmacher für die gewerbsmäßige Veranstaltung oder Vermittlung von Wetten auf Pferderennen einer Erlaubnis der zuständigen Landesbehörde. Sind bestimmte Voraussetzungen nach den AB RWG erfüllt, wie etwa die persönliche Zuverlässigkeit nachgewiesen (§ 3 Abs. 1), eine finanzielle Sicherheit für sich und etwaige Gehilfen hinterlegt (§ 3 Abs. 2) etc., ist die Erlaubnis – insbesondere auch an private Buchmacher – zu erteilen, d. h. es besteht auch für Private ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung.5 In den §§ 5, 6 RWG finden sich eigene Straftatbestände unter anderem für die ungenehmigte Veranstaltung und Vermittlung von Buchmacherwetten, die in Anbetracht des § 284 StGB dann von Bedeutung sein können, wenn man die Glücksspieleigenschaft der Pferderennwette ablehnt. Ansonsten treten die §§ 5, 6 RWG hinter § 284 StGB zurück.6 2. Gewerberecht (§§ 33c–33i GewO) Gewerberechtliche Vorschriften, die ausdrücklich die Genehmigung der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten zum Gegenstand haben, bestehen nicht. Die GewO regelt in den §§ 33c–33i drei verschiedene Spielformen, für die Private bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die erforderliche behördliche Erlaubnis erhalten: Unterhaltungsspiele ohne Gewinnmöglichkeit (§ 33i Abs. 1 S. 1 3. Alt. GewO), Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeit (§§ 33c Abs. 1 S. 1 GewO) sowie sog. andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit (§ 33d Abs. 1 S. 1 GewO). Sportwetten könnten danach sog. andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit i. S. d. § 33d Abs. 1 S. 1 GewO sein. Jedoch findet § 33d Abs. 1 S. 1 GewO nach § 33h Nr. 3 GewO keine Anwendung auf Glücksspiele 2
v. 8.4.1922 (RGBl. I 1922 S. 393) i. d. F. v. 16.12.1986 (BGBl. I 1986 S. 2441). BVerwGE 97, 12 (13). 4 v. 16.6.1922 (ZBl. 1922 S. 351) i. d. F. v. 16.12.1986 (BGBl. III 1986, Gliederungsnr. 611-14-1). 5 So ausdrücklich die Begründung zu dem Gesetzesentwurf des 2. Rechtsbereinigungsgesetzes, BT-Drucks. 10/5532 S. 25; Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 26, 31; implizit auch BVerwGE 97, 12 (19). 6 Weber in: Pfister (Hrsg.), Rechtsprobleme der Sportwette, S. 39 (45). 3
106 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
i. S. d. § 284 StGB. Aufgrund der Annahme der Glücksspieleigenschaft der Sportwette wird dementsprechend regelmäßig die Anwendbarkeit des § 33d Abs. 1 S. 1 GewO gemäß § 33h Nr. 3 GewO verneint.7 Die Qualifikation der Sportwette als Glücksspiel i. S. d. § 284 StGB8 scheint hier also erneut weichenstellend zu sein; abgesehen davon, dass im Rahmen des § 284 StGB eine Erörterung des Merkmals der behördlichen Erlaubnis hinfällig würde, wenn schon kein Glücksspiel vorläge. Sollten die geforderten empirischen Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen, dass Sportwetten keine Glücksspiele i. S. d. § 284 StGB sind, wäre § 33d Abs. 1 S. 1 GewO in der Tat auf Sportwetten als nicht automatisierte Geschicklichkeitsspiele anwendbar.9 Jedoch führt dies nicht dazu, dass gemäß § 33d GewO eine Erlaubnis zur Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten erteilt werden kann. Nach § 33d Abs. 2 GewO nämlich setzt die Erteilung einer Erlaubnis den Besitz einer vom Bundeskriminalamt erteilten Unbedenklichkeitsbescheinigung voraus. Diese wiederum ist gemäß § 33e Abs. 1 S. 1 GewO zwingend zu versagen, wenn die Gefahr besteht, dass der Spieler unangemessen hohe Verluste in kurzer Zeit erleidet. Diese Gefahr besteht bei Sportwetten.10 Eine Genehmigungspflicht der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten nach der GewO, die Privaten zugleich die Möglichkeit der Erlangung einer Genehmigung eröffnet hätte, besteht somit nicht.
II. Landesrecht Der ganz überwiegende Teil der Sportwetten (alle bis auf die Pferderennwette) ist auf Länderebene geregelt. Hier finden sich ausdrückliche Regelungen in Bezug auf Sportwetten. Wie eingangs erläutert, werden chronologisch die in dem jeweiligen Zeitraum geltenden Vorschriften dargestellt. Soweit nötig, wird zwischen den einzelnen Bundesländern differenziert. Begonnen wird mit dem Zeitpunkt der Einführung der staatlichen Sportwette ODDSET durch die im Deutschen Lotto- und Totoblock zusammengeschlossenen Lotteriegesellschaften der Länder im Jahre 1999. 1. Rechtslage zum Zeitpunkt der Einführung der staatlichen Sportwette ODDSET im Jahre 1999 Bis zum Jahre 2004 unterschieden sich die landesrechtlichen Regelungen zu Sportwetten zum Teil erheblich voneinander. Zum Zeitpunkt der Einführung der 7
Pars pro toto BVerwGE 96, 293 (295 f.). s. dazu o. S. 47 ff. 9 VG Stuttgart NVwZ 2004, 1519 (1521). 10 s. o. S. 57 f. 8
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107
staatlichen Sportwette ODDSET im Jahre 1999 konnten drei Fälle unterschieden werden (s. u. lit. a, b und c).11 a) Genehmigungsvorbehalt nur für staatliche Anbieter Mit Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen statuierten die meisten Bundesländer ein staatliches Monopol für die Veranstaltung von Sportwetten. Nach den einschlägigen Verwaltungsgesetzen konnte eine Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten lediglich dem Land oder einer juristischen Person, deren Anteile ganz oder überwiegend dem Land gehörten, erteilt werden. Für private Anbieter bestand ein ausdrückliches Verbot, Sportwetten anzubieten.12 b) Genehmigungsvorbehalt auch für Private In den Ländern Rheinland-Pfalz, Bremen, Brandenburg und Schleswig-Holstein enthielten die verwaltungsrechtlichen Regelungen bezüglich der Veranstaltung von Sportwetten einen Genehmigungsvorbehalt, nach dem neben staatlichen auch private Anbieter eine entsprechende Genehmigung erhalten konnten.13 Jedoch hatte ein privater Anbieter nach Auffassung des BVerwG keinen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung, sondern lediglich auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Zulassung.14 Dies führte dazu, dass in keinem dieser Bundesländer eine Genehmigung zur Veranstaltung oder Vermittlung von Sportwetten an private Anbieter erteilt wurde. Dem BVerwG zufolge war die Ablehnung einer solchen Genehmigung aufgrund des bereits vorhandenen staatlichen Angebots und des Ziels der Eindämmung des Glücksspiels nicht ermessensfehlerhaft.15
11 Vgl. dazu Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 27 ff.; Janz NJW 2003, 1694 (1698) auch m.w. N. zu den einzelnen Landesgesetzen. 12 Vgl. beispielsweise § 1 Abs. 1 Sportwettengesetz NRW (v. 3.5.1955, GBl. NRW S. 672): „ Die Landesregierung kann Wettunternehmen für sportliche Wettkämpfe zulassen. Träger des Wettunternehmens kann nur eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder eine juristische Person des privaten Rechts sein, deren Anteile überwiegend juristischen Personen des öffentlichen Rechts gehören.“ 13 Vgl. beispielhaft § 1 RhPfSportWettG (Landesgesetz über Sportwetten v. 11.8. 1949, GVBl. S. 337): „(1) In Rheinland-Pfalz können Wetten für öffentliche Sportwettspiele und für öffentliche Sportrennen durch das Land oder durch Wettunternehmen, die der Minister der Finanzen im Einvernehmen mit dem Minister des Innern zugelassen hat, veranstaltet werden. (2) Die Zulassung von Wettunternehmen kann unter Bedingungen und Auflagen erteilt und jederzeit beschränkt oder widerrufen werden.“ 14 BVerwGE 96, 293 (300) bezüglich § 1 RhPfSportWettG. 15 BVerwGE a. a. O.
108 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
c) Fehlen expliziter landesrechtlicher Regelungen Die dritte Gruppe bildet das Fehlen landesgesetzlicher Regelungen. Innerhalb dieser ist noch einmal zu differenzieren. In Hamburg und Berlin fehlten gesetzliche Regelungen bezüglich der Veranstaltung von Sportwetten gänzlich.16 Da Sportwetten mit festen Gewinnquoten keine Lotterien darstellen,17 waren auch die allgemeinen Lotteriegesetze nicht anwendbar. In den Bundesländern BadenWürttemberg, Bayern, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern waren die Länder zwar ermächtigt, selbst Sportwetten zu veranstalten. Jedoch waren private Anbieter nicht ausdrücklich ausgeschlossen.18 Eine solche Regelung, die zwar das Land ermächtigt, selbst bestimmte Sportwetten zu veranstalten, sonst aber keinerlei Aussagen im Hinblick auf eine Erlaubniserteilung für Private enthält, diese also auch nicht ausdrücklich ausschließt, führt nicht im Umkehrschluss zu einem grundsätzlichen Verbot der Veranstaltung von Sportwetten für Private.19 Ein generelles Verbot leitete die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung aber aus § 284 Abs. 1 StGB ab. Das in § 284 StGB enthaltene sozialethische Unwerturteil führe dazu, dass auch dann von einem generellen Verbot auszugehen sei, wenn eine Erteilung der dort angesprochenen behördlichen Erlaubnis in verwaltungsrechtlichen Vorschriften des Bundes- oder der Länder nicht geregelt ist.20 Mithilfe dieser Argumentation blieb es also auch in den Bundesländern mit fehlender gesetzlicher Regelung dabei, dass keinem Privaten eine Erlaubnis zur Veranstaltung oder Vermittlung von Sportwetten erteilt wurde. 2. Inkrafttreten des Lotteriestaatsvertrages der Länder am 1.7.2004 Das Inkrafttreten des Staatsvertrages zum Lotteriewesen in Deutschland (Lotteriestaatsvertrag – LottStV) am 1.7.200421 und die entsprechenden Umsetzungsgesetze der Länder beendeten die bis dato existierende Rechtszersplitte16
s. Bahr, Glücks- und Gewinnspielrecht, Rn. 226. s. o. S. 60. 18 Vgl. beispielsweise § 1 Gesetz über eine Sportwette mit festen Gewinnquoten (Oddset-Wette) in Baden-Württemberg (v. 21.6.1999, GBl. BW 1999 S. 253): „(1) Das Land Baden-Württemberg kann eine Oddset-Wette veranstalten. (2) Die Entscheidung über die Veranstaltung der Oddset-Wette sowie über deren Durchführung obliegt dem Finanzministerium. Das Finanzministerium kann die staatliche Toto-Lotto GmbH, Stuttgart, mit der Durchführung der Oddset-Wette beauftragen.“ 19 VGH München GewArch 2001, 65 (67); VG Gera ThürVBl. 2000, 66 (67). 20 VGH München GewArch 2001, 65 (67 f.), bestätigt durch BVerwGE 114, 92, aufgehoben durch BVerfGE 115, 276 – Sportwette, allerdings aus anderen Gründen (s. dazu u. S. 144 ff.). 21 Z. B. GBl. BW 2004 S. 274; abrufbar ist der Vertragstext z. B. auch unter http:// www.stmi.bayern.de/imperia/md/content/stmi/service/gesetzeundvorschriften/lotterie staatsvertrag.pdf [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]. 17
§ 5 Darstellung des öffentlichen Sportwettenrechts
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rung auf dem Gebiet der Sportwette. Entgegen seiner Bezeichnung betraf der LottStV nicht nur Lotterien (und Ausspielungen), sondern gemäß § 2 allgemein die Veranstaltung und Vermittlung von öffentlichen Glücksspielen. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 LottStV sollte ein Glücksspiel vorliegen, wenn im Rahmen eines Spiels für die Erlangung einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und – entsprechend der Abgrenzung bei § 284 StGB22 – die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. § 3 Abs. 1 S. 2 LottStV statuierte, dass die Entscheidung über den Gewinn in jedem Fall zufallsabhängig ist, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist. Demzufolge wurden entsprechend der h. M. zu § 284 StGB auch Sportwetten erfasst.23 Zweck des Staatsvertrages war es gemäß § 1, den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken, insbesondere ein Ausweichen auf nicht erlaubte Glücksspiele zu verhindern (Nr. 1), übermäßige Spielanreize zu verhindern (Nr. 2), eine Ausnutzung des Spieltriebs zu privaten oder gewerblichen Gewinnzwecken auszuschließen (Nr. 3), zu gewährleisten, dass Glücksspiele ordnungsgemäß und nachvollziehbar durchgeführt werden (Nr. 4) und sicherzustellen, dass ein erheblicher Teil der Einnahmen aus Glücksspielen zur Förderung öffentlicher oder steuerbegünstigter Zwecke im Sinne der Abgabenordnung verwendet wird (Nr. 5). Hierfür installierte § 5 Abs. 2, 4 LottStV ein allgemeines Glücksspielmonopol der Länder, indem die Veranstaltung von Glücksspielen den Ländern selbst, juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder privatrechtlichen Gesellschaften, an denen juristische Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar maßgeblich beteiligt sind, übertragen wurde. Lediglich für die Veranstaltung bestimmter Lotterien und Ausspielungen sah § 5 Abs. 4 i.V. m. §§ 6 ff. LottStV unter bestimmten Voraussetzungen die Erteilung einer Genehmigung an Private vor. Für die gewerbliche Spielvermittlung, im vorliegenden Fall also die Vermittlung von Sportwetten der staatlichen Anbieter an Spielinteressenten, war nach § 14 LottStV bei Einhaltung bestimmter Voraussetzungen vorgesehen, dass sie ohne Einholung einer gesonderten Erlaubnis auch durch Private möglich sein sollte. Jedoch überließ es § 14 Abs. 2 S. 1 LottStV den Ländern, hier weitergehende Regelungen zu schaffen bzw. beizubehalten, nach denen auch die Vermittlung von Sportwetten genehmigungspflichtig und den staatlichen Anbietern vorbehalten sein sollte.24
22
s. o. S. 47 ff. Statt Vieler Bahr, Glücks- und Gewinnspielrecht, Rn. 227; Hecker DÖV 2005, 943 (947). 24 Vgl. etwa § 1 Abs. 5 Gesetz über staatliche Sportwetten, Zahlenlotterien und Zusatzlotterien in Hessen v. 3.11.1998, GBl. Hessen I 1998 S. 406. 23
110 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
Die Bundesländer, die bis dahin – formal – auch Genehmigungsvorbehalte für Private bzw. keine entsprechenden Regelungen vorgesehen hatten, überarbeiteten entsprechend ihre Gesetze, sodass nun auch ausdrücklich per Gesetz – und nicht mehr nur de facto – Private in allen Bundesländern von der Veranstaltung von Sportwetten ausgeschlossen waren. Dementsprechend wurden auch seit 2004 in keinem Bundesland Genehmigungen zur Veranstaltung von Sportwetten an Private erteilt. Sofern hinsichtlich der Vermittlung (weiterhin) keine einschlägigen Normen bestanden und es bei der transformierten Norm des § 14 Abs. 2 S. 1 LottStV blieb, wurden auch diesbezüglich keine Genehmigungen an Private erteilt. 3. Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages der Länder am 1.1.2008 – Aktuelle Rechtslage Aktuell gilt ein neuer Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag – GlüStV),25 der am 1.1.2008 in Kraft getreten ist und gemäß § 29 Abs. 2 S. 1 den LottStV aus dem Jahre 2004 ersetzt. Zu diesem neuen GlüStV kam es deshalb, weil das BVerfG am 28.3.2006 das staatliche Wettmonopol in seiner konkreten Ausgestaltung durch den LottStV wegen Verstoßes gegen Art. 12 GG für verfassungswidrig erklärt, dem Gesetzgeber jedoch für die Zukunft die Wahl zwischen einem nach Auffassung des Gerichts angemessen ausgestalteten Monopol und einer Liberalisierung gelassen hatte.26 Zunächst fällt auf, dass die Bezeichnung dem Regelungsbereich angepasst wurde, denn wie in dem LottStV geht es um die Veranstaltung und Vermittlung von Glücksspielen allgemein (§ 2 GlüStV). Im Rahmen der Begriffsbestimmungen legt § 3 Abs. 1 S. 3 GlüStV nunmehr ausdrücklich fest, dass auch Wetten gegen Entgelt auf den Eintritt oder Ausgang eines zukünftigen Ereignisses Glücksspiele sind. Ferner legt § 3 Abs. 4 GlüStV fest, dass ein Glücksspiel dort veranstaltet und vermittelt wird, wo dem Spieler die Möglichkeit der Teilnahme eröffnet ist. Die Ziele und dementsprechend auch die Bestimmungen des GlüStV wurden dahingehend angepasst, dass die Bekämpfung der Spielsucht in den Vordergrund gerückt und ausdrückliche fiskalische Zwecke gestrichen wurden. Gemäß § 1 GlüStV soll es Ziel des Staatsvertrages sein, das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen (Nr. 1), das Glücksspielangebot zu be25 Z. B. GBl. BW 2007 S. 571; abrufbar z. B. auch unter http://www.blja.bayern.de/ imperia/md/content/blvf/bayerlandesjugendamt/gesetze_verordnungen/staatsvertrag_zum _gl_cksspielwesen_in_deutschland.pdf [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]. 26 BVerfGE 115, 276 – Sportwette, konkret bezüglich der Rechtslage in Bayern; ausdrücklich übertragen auf Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen durch BVerfG WM 2006, 1644 (1645) und 1646 (1646); inhaltlich zu diesen Entscheidungen s. u. S. 142 ff.
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grenzen und den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken, insbesondere ein Ausweichen auf nicht erlaubte Glücksspiele zu verhindern (Nr. 2), den Jugend- und den Spielerschutz zu gewährleisten (Nr. 3) sowie sicherzustellen, dass Glücksspiele ordnungsgemäß durchgeführt, die Spieler vor betrügerischen Machenschaften geschützt und die mit Glücksspielen verbundene Folge- und Begleitkriminalität abgewehrt werden (Nr. 4). § 4 Abs. 1 GlüStV bestimmt, dass öffentliche Glücksspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet und – im Gegensatz zu dem LottStV – vermittelt werden dürfen. Diesbezüglich legt § 10 Abs. 2 GlüStV – wie bereits § 5 Abs. 2, 4 LottStV – fest, dass die nötige behördliche Erlaubnis zur Veranstaltung von Glücksspielen nur den Ländern selbst, juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder privatrechtlichen Gesellschaften, an denen juristische Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar maßgeblich beteiligt sind, erteilt werden kann. Wie im LottStV ist die gewerbliche Spielvermittlung gemäß § 19 GlüStV nicht auf staatliche Anbieter beschränkt und grundsätzlich auch Privaten möglich; allerdings wiederum mit der Möglichkeit für die Länder, weitergehende Regelungen zu schaffen bzw. beizubehalten. Das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet wird nach § 4 Abs. 4 GlüStV gänzlich verboten. Ebenso ist gemäß § 5 Abs. 3 GlüStV die Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen und im Internet verboten und in den übrigen Fällen gemäß § 5 Abs. 1, 2 GlüStV diversen Einschränkungen unterworfen. Zur Vorbeugung der Entstehung von Glücksspielsucht werden die Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen verpflichtet, ein „Sozialkonzept“ zu entwickeln (§ 6 GlüStV), über die Gewinn- und Verlustwahrscheinlichkeiten sowie Suchtrisiken aufzuklären (§ 7 GlüStV) und ein System zur Spielersperre zu unterhalten (§ 8 GlüStV). Gemäß § 11 GlüStV werden die Länder verpflichtet, die wissenschaftliche Forschung zur Vermeidung und Abwehr von Suchtgefahren sicherzustellen. In § 21 GlüStV finden sich zudem besondere Vorschriften für Sportwetten. Nach § 21 Abs. 1 GlüStV kann den staatlichen Anbietern nur der Abschluss von Wetten auf den Ausgang von Sportereignissen (Sportwetten) erlaubt werden. Dem ist im Umkehrschluss zu entnehmen, dass sonstige Wetten auf bestimmte Begebenheiten innerhalb eines Sportereignisses, etwa die Anzahl der Tore oder ähnliches,27 nicht zugelassen sind. Dazu passt das Verbot des Abschlusses von Wetten während des laufenden Sportereignisses (sog. Live-Wetten) sowie über Telekommunikationsanlagen in § 21 Abs. 2 S. 3 GlüStV. Auch die Verknüpfung der Übertragung von Sportereignissen in Rundfunk und Telemedien mit der Sportwettenveranstaltung oder -vermittlung sowie die Trikot- und Bandenwerbung für Sportwetten sind gemäß § 21 Abs. 2 S. 2 GlüStV nicht zulässig. Schließlich sind die Bundesländer ge27
s. o. S. 34 f.
112 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
mäß § 24 GlüStV ermächtigt, noch weitergehende Anforderungen insbesondere zu den Voraussetzungen des Veranstaltens und Vermittelns von Glücksspielen festzulegen und in ihren Ausführungsgesetzen sogar Straf- und Bußgeldvorschriften zur Ahndung von Verstößen gegen den Staatsvertrag zu erlassen. Klar ist, dass auch auf der Grundlage des seit 1.1.2008 geltenden GlüStV bzw. der Umsetzungsgesetze der Länder bis dato keine Genehmigungen für die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten durch private Anbieter erteilt wurden und auch zukünftig nicht erteilt werden. Legalisiert ist hiernach allein das staatliche Sportwettenangebot ODDSET, das von den im Deutschen Lottound Totoblock zusammengeschlossenen Landeslotteriegesellschaften veranstaltet wird. Vertrieben werden die Wetten mithilfe der bundesweit ca. 26000 (Lotto-) Annahmestellen des Deutschen Lotto- und Totoblocks, die in Zeitschriften-, Schreibwaren- und Tabakhandlungen, Supermärkten und Tankstellen eingerichtet sind.28 Entgegen den Empfehlungen einer im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses eigens eingesetzten Expertenkommission29 haben die Länder durch den GlüStV ihre Monopolstellung also erneut bekräftigt.
III. EU-Lizenzen Wie bereits erwähnt, werden in einigen Ländern der EU, darunter z. B. Österreich, Großbritannien oder Malta, auch private Anbieter zur Sportwettenveranstaltung zugelassen. Zu fragen ist, ob solche EU-ausländischen Lizenzen nach dem derzeit geltenden deutschen Verwaltungsrecht wirksame Genehmigungen darstellen. Der GlüStV trifft insoweit eine eindeutige Regelung: Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 GlüStV dürfen öffentliche Glücksspiele nur mit der Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen (deutschen Bundes-)Landes veranstaltet oder vermittelt werden. Das Veranstalten und das Vermitteln ohne diese Erlaubnis ist verboten, § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV. In EU-ausländischen Staaten erteilte Genehmigungen entfalten somit nach dem deutschen Verwaltungsrecht des GlüStV grundsätzlich keine Wirkung.30 Auch sonst ist eine Übertragung oder Anerkennung etwaiger EU-ausländischer Genehmigungen im deutschen Recht nicht vorgesehen und mangels gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierung des Sportwettenbereichs auch nicht unmittelbar geboten.31
28
s. Bahr, Glücks- und Gewinnspielrecht, Rn. 85. Zitiert nach Scholz/Weidemann, Rechtsgutachten, S. 39 f., 51. 30 So auch die gefestigte Rspr. der Verwaltungsgerichte, s. etwa VGH Mannheim v. 17.3.2008 – 6 S 3069/07 Rn. 7 (zit. nach juris); VGH München NVwZ 2006, 1430 (1431) VGH Koblenz NVwZ 2006, 1426 (1427 f.). 31 s. dazu auch Haltern, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte, S. 44 ff.; Volk, Glücksspiel im Internet, S. 117. 29
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Allerdings wird zu untersuchen sein, ob ein möglicher Verstoß des GlüStV gegen europäisches Primärrecht, sprich den EG-Vertrag, insoweit zu einem anderen Ergebnis führt. Zur europarechtlich gebotenen Beseitigung eines solchen Verstoßes wäre insbesondere im Rahmen der Strafbarkeit gemäß § 284 StGB eine europarechtskonforme Auslegung dergestalt denkbar, dass Erlaubnisse aus EU-Mitgliedstaaten als behördliche Erlaubnis i. S. d. Vorschrift zu gelten haben. Solche Rechtsfolgen eines möglichen Verstoßes gegen Europarecht für § 284 StGB werden im letzten Kapitel der Arbeit behandelt.32
IV. Sonderproblem: Die sog. DDR-Lizenzen Eine Sonderstellung nehmen im vorliegenden Zusammenhang die sog. DDRLizenzen ein. Da diese in der Praxis immer noch hochrelevant und Gegenstand heftiger, jedoch selten in die nötige Tiefe gehender Diskussionen sind, soll ihnen hier ein eigener Abschnitt gewidmet werden. Ausgerechnet die Behörden der DDR-Planwirtschaft erteilten in ihren letzten Tagen vor dem rechtlichen Abschluss der Wiedervereinigung mit dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3.10.1990 Genehmigungen für die Veranstaltung und teilweise die Vermittlung von Sportwetten an Privatpersonen. Die Grundlage hierfür bildete das Gewerbegesetz der DDR vom 6.3.199033 (GewG DDR) i.V. m. dessen DurchführungsVO vom 8.3.199034 (DVO-GewG DDR). Derzeit sind unter Berufung auf solche Genehmigungen nach dem GewG DDR insgesamt vier Sportwettenveranstalter bzw. -vermittler aktiv:35 Betandwin e. K. bzw. Bwin e. K. in Neueggersdorf/Sachsen, mittlerweile zusätzlich in Österreich lizenziert,36 die Firma Sportwetten Gera in Gera, die zusätzlich Wetten an eine Tochtergesellschaft mit maltesischer Lizenz vermittelt,37 die Firma Digibet Wetten in Berlin, die zudem eine Lizenz aus Gibraltar besitzt,38 und die Firma Interwetten in Dresden, ehemals Deutsche Sportwettgesellschaft Dresden,39 die im Internet auch Wetten an eine maltesische Tochtergesellschaft vermittelt.40 32
s. u. S. 217 ff. GBl. DDR I 1990 S. 138. 34 GBl. DDR I 1990 S. 140. 35 s. zu dem Angebot dieser vier auch Koopmann, Sportwetten, S. 23 ff.; Voßkuhle/ Baußmann GewArch 2006, 395 (395). 36 s. https://www.bwin.de/page.aspx?view=aboutus [zuletzt abgerufen am 30.8. 2009]. 37 s. http://www1.sportwetten-gera.de/corporate?cat=about [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]. 38 s. http://www.firmenpresse.de/pressinfo19386.html [zuletzt abgerufen am 30.8. 2009]. 39 Vgl. http://www.isa-guide.de/pdf/10941.pdf [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]. 40 s. https://www.interwetten.de [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]. 33
114 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
Während diese Anbieter ihrer Tätigkeit zunächst vollkommen unbehelligt nachgehen konnten,41 wird die Legitimationswirkung der DDR-Genehmigungen seit der Einführung der staatlichen Sportwette ODDSET im Jahre 1999 immer wieder und in mehrfacher Hinsicht bestritten. Gegenstand heftiger Diskussion ist vor allem die Frage nach der Fortgeltung der Erlaubnisse und deren räumlichen Geltungsbereich in der vereinigten Bundesrepublik (s. u. 2. und 3.). Dem vorgelagert ist zu überprüfen, ob die in Rede stehenden Erlaubnisse bereits nach DDR-Recht für die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten ausreichend und damit wirksam waren (s. u. 1.). Nur falls dies zu bejahen ist, ist es sinnvoll, eine Weitergeltung nach der Wiedervereinigung zu untersuchen. 1. Rechtsgrundlage für die Erteilung und Wirksamkeit der Erlaubnisse nach DDR-Recht a) GewG DDR i.V. m. DVO-GewG DDR Sämtliche der vier dargestellten Erlaubnisse wurden auf der Grundlage des GewG DDR i.V. m. der DVO-GewG DDR erteilt. Das GewG DDR statuierte in § 1 den Grundsatz der Gewerbefreiheit, wonach die Gewerbeausübung grundsätzlich genehmigungsfrei war. Nur für bestimmte Gewerbe, an deren Ausübung im Interesse des Gemeinwohls spezielle Anforderungen gestellt werden mussten oder aus denen sich für die Allgemeinheit oder die im Betrieb Beschäftigten Gefährdungen und Beeinträchtigungen ergeben konnten, sah § 3 Abs. 1 GewG DDR eine Erlaubnispflicht vor. Gemäß § 3 Abs. 2 GewG wurden diese Gewerbe durch Rechtsvorschrift festgelegt. Dementsprechend listete die DVOGewG DDR in ihrer Anlage erlaubnispflichtige Gewerbe i. S. d. § 3 GewG auf, darunter die Kategorie „Spielautomaten, Spielcasinos, Glücksspiele gegen Geld“. Da Sportwetten zu dieser Zeit wie auch heute nach h. M. als Glücksspiele angesehen wurden,42 war ihre Veranstaltung und Vermittlung somit genehmigungspflichtig, aber eben auch genehmigungsfähig nach dem GewG DDR. b) Zusätzliches Genehmigungserfordernis nach der SlgLottVO DDR? Der Sechste Zivilsenat des OLG Köln macht geltend, dass für die Sportwettenveranstaltung und -vermittlung zusätzlich eine Genehmigung nach der Sammlungs- und Lotterieverordnung der DDR vom 18.2.196543 (SlgLottVO
41 42 43
Vgl. Reeckmann, Staatsvertrag zum Lotteriewesen, S. 31. Vgl. etwa Voßkuhle/Baußmann GewArch 2006, 395 (396). GBl. DDR II 1965 S. 238.
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DDR) erforderlich, die Gewerbeerlaubnis nach dem GewG DDR alleine also nicht ausreichend gewesen sei.44 Aus §§ 16, 17 GewG DDR ergab sich, dass die Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 GewG DDR nicht die Prüfung eventueller Genehmigungsvoraussetzungen nach der SlgLottVO DDR mit einschloss, sondern diese, falls nötig, kumulativ vorliegen mussten. Gemäß § 3 Abs. 1 SlgLottVO waren öffentliche Sammlungen und Lotterien genehmigungspflichtig. Nach der Legaldefinition in § 1 Abs. IV S. 1 SlgLottVO DDR waren öffentliche Lotterien „Veranstaltungen zur Ausspielung von Geld- und Sachwertgewinnen, bei denen die Beteiligung vom Einsatz eines Geldbetrages abhängig ist und ein nicht begrenzter Personenkreis teilnehmen kann.“ Aufgrund dieses offenen Wortlauts erkennt das OLG Köln (Z) in § 1 Abs. IV SlgLottVO DDR einen eigenständigen, im Verhältnis zu dem klassischen Lotterieverständnis „weiten“ Lotteriebegriff, unter den es auch die Sportwetten zu festen Gewinnquoten fasst.45 Wie bereits oben im Rahmen der Abgrenzung zwischen Glücksspiel (§ 284 StGB) und Lotterie (§ 287 StGB) erörtert, ist eine Lotterie nach klassischem Begriffsverständnis eine Sonderform des Glücksspiels, für die ein vom Veranstalter einseitig festgesetzter Spielplan erforderlich ist, der insbesondere die Höhe der Einsätze genau bestimmt. Hierunter fallen die Sportwetten zu festen Gewinnquoten nicht, da die einzelnen Wetten und die Höhe des Einsatzes von dem Wettteilnehmer ausgewählt werden.46 Dafür, dass nun § 1 Abs. IV SlgLottVO DDR tatsächlich in Abkehr von der klassischen – auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts47 zurückgehenden – Definition einen eigenständigen, weitgefassten Lotteriebegriff begründen sollte, finden sich Hinweise weder in den Vorschriften der SlgLottVO DDR, die insgesamt ersichtlich nicht auf die Regelung von Sportwetten zugeschnitten sind,48 noch an anderer Stelle. Gegen die Schaffung eines neuen, weiten Lotteriebegriffs per Verordnung spricht vielmehr, dass die zur Zeit des Inkrafttretens der SlgLottVO DDR in der DDR noch fortgeltenden Bestimmungen sowohl der §§ 284 ff. RStGB als auch des RWG vom 8.4.1922 den klassischen Lotteriebegriff i. S. d. reichsgerichtlichen Rechtsprechung zugrunde legten.49 Dass die Subsumtion von Sportwetten mit festen Gewinnquoten unter § 1 Abs. IV SlgLottVO DDR nicht richtig sein kann, zeigt schließlich der systematische Bezug zwischen § 1 Abs. IV und § 2 lit. h und i SlgLottVO DDR. 44 OLG Köln (Z) GRUR 2000, 533 (535), aufgehoben (aus anderen Gründen) durch BGH (Z) GRUR 2002, 269; dem OLG Köln folgend Schmidt wrp 2004, 1145 (1150); Postel ZfWG 2007, 181 (191 ff.). 45 OLG Köln (Z) GRUR 2000, 533 (535). 46 s. o. S. 60. 47 RGSt 55, 270 (271); 62, 393 (394). 48 Vgl. etwa § 13 Abs. 1 SlgLottVO DDR: „Der kleinste Gewinn muß mindestens das Doppelte des Lospreises betragen.“ 49 So das OLG Köln (Z) GRUR 2000, 533 (535 f.) selbst.
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Danach waren öffentliche Lotterien nur zulässig durch Verkauf von Losbriefen, nummerngesicherten Spielausweisen oder Pappröllchenlosen (h) oder im Zusammenhang mit einem Preisausschreiben, wenn das Recht zur Beteiligung durch Geld- oder Sachspenden erworben wurde (i). Diese abschließende Nennung wirkt in dem Sinne auf § 1 Abs. IV SlgLottVO DDR zurück, dass andere denkbare Glücksspielvarianten wie Sportwetten vom Regelungsbereich der SlgLottVO DDR nicht erfasst werden.50 Eine zusätzliche Genehmigungspflicht nach § 3 Abs. 1 SlgLottVO DDR bestand mithin nicht.51 c) Wirksamkeit für Sportwetten mit festen Gewinnquoten Des Weiteren wird vertreten, dass die erteilten Genehmigungen gar nicht die Veranstaltung von Sportwetten mit festen Gewinnquoten, sondern nur von solchen ohne feste Gewinnquoten nach dem Toto-Prinzip52 umfassten.53 Zur Begründung wird angeführt, zum Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnisse seien Sportwetten zu festen Gewinnquoten in der DDR nicht bekannt gewesen und auch in der Bundesrepublik seien die rechtlichen Voraussetzungen für deren Durchführung erst 1999 mit der Einführung des staatlichen Wettangebots ODDSET geschaffen worden.54 Berücksichtigt man jedoch, dass Wetten mit festen Gewinnquoten bei Pferderennen ausdrücklich im RWG vom 8.4.1922, das auch in der DDR fortgalt,55 geregelt waren und auch praktiziert wurden, kann von einer Unbekanntheit dieser Wettform schlichtweg nicht ausgegangen werden.56 Dem Wortlaut nach sind die Genehmigungen offen gefasst und geben insoweit ebenfalls keinerlei Anlass für eine Beschränkung auf Wetten nach dem Toto-Prinzip. Erlaubnisgegenstand ist jeweils „die Eröffnung eines Wettbüros für Sportwetten“, „der Abschluss von Sportwetten (Buchmacher)“, „die Annahme von Wetten für Sportveranstaltungen bzw. Pferderennen“ und „der Abschluss sowie die Vermittlung von Wetten, 50 OVG Bautzen GewArch 2008, 118 (119); Voßkuhle/Baußmann GewArch 2006, 395 (397). 51 So auch OVG Bautzen a. a. O.; OVG Weimar LKV 2000, 309 (311 f.) sowie v. 20.5.2005 – 3 KO 705/03 S. 21 ff. des Umdrucks (abrufbar unter http://www. thovg.thueringen.de [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]); Voßkuhle/Baußmann GewArch 2006, 395 (397). 52 Zur Unterscheidung s. o. S. 33 ff. 53 So Dietlein/Hecker wrp 2003, 1175 (1175); Hecker/Schmitt ZfWG 2006, 59 (66). 54 So Dietlein/Hecker wrp 2003, 1175 (1175); Hecker/Schmitt ZfWG 2006, 59 (66). 55 s. OVG Weimar LKV 2000, 309 (311) sowie v. 20.5.2005 – 3 KO 705/03 S. 23 des Umdrucks (abrufbar unter http://www.thovg.thueringen.de [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]). 56 OVG Weimar a. a. O.; OVG Bautzen GewArch 2008, 118 (119).
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insbesondere aus Anlass sportlicher Veranstaltungen“.57 Im Besonderen deutet die Verwendung des Begriffs des Buchmachers explizit auf die Einbeziehung von Sportwetten mit festen Gewinnquoten hin.58 Selbst wenn es zutrifft, dass Wetten zu festen Gewinnquoten außerhalb des Pferderennsports in der öffentlichen Wahrnehmung erst gegen Ende der neunziger Jahre verstärkt eine Rolle spielten, sind nach dem Grundsatz der Gewerbefreiheit, der gemäß § 1 auch das GewG DDR leitet, moderne Formen eines altbekannten Gewerbes trotz ihrer Entwicklung nach Erlass der Gewerbeordnung unter die Norm zu dem herkömmlichen Gewerbe gefasst.59 Die Genehmigungen erfassten demzufolge die Veranstaltung von Sportwetten mit festen Gewinnquoten und beschränkten sich nicht auf Wetten nach dem Toto-Prinzip.60 d) Ergebnis Die aufgrund § 3 GewG DDR i.V. m. der DVO-GewG DDR erteilten Genehmigungen zur Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten waren nach DDR-Recht wirksam und ausreichend, entsprechende Betätigungen zu legitimieren.61 2. Fortgeltung nach der Wiedervereinigung Es stellt sich die Frage, ob die nach DDR-Recht wirksam erteilten Erlaubnisse auch nach dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und der damit verbundenen Auflösung der DDR am 3.10.1990 noch Geltung beanspruchen können. Diesbezüglich trifft Art. 19 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.199062 (Einigungsvertrag – EV) folgende Regelung: „Vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der DDR bleiben wirksam (S. 1). Sie können aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen dieses Vertrages unvereinbar sind (S. 2). Im
57
Schmidt wrp 2004, 1145 (1146); Postel ZfWG 2007, 181 (188) m.w. N. s. o. S. 34. 59 OVG Bautzen GewArch 2008, 118 (119). 60 So auch OVG Bautzen a. a. O.; OVG Weimar LKV 2000, 309 (311); Voßkuhle/ Baußmann GewArch 2006, 395 (400); Horn NJW 2004, 2047 (2051). 61 Insbesondere waren die Genehmigungen auch nicht nichtig, s. etwa OVG Weimar LKV 2000, 309 (310); Heine wistra 2003, 441 (443); zu verwerfen ist die rechtlich unbegründete These von MüKo/Groeschke/Hohmann, § 284 Rn. 23, die Genehmigungen seien „von Anfang an unwirksam, weil anderenfalls ein unzulässiges privates Glücksspielmonopol entstehen würde“. 62 BGBl. II 1990 S. 889. 58
118 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht Übrigen bleiben die Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten unberührt (S. 3).“
Zwar kannte das DDR-Verwaltungsrecht den Begriff des Verwaltungsakts nicht, sondern verwendete für vergleichbare Fälle denjenigen der Einzelentscheidung in Ausübung vollziehend-verfügender Tätigkeit. Jedoch stimmen die beiden Begriffe in allen wesentlichen Aspekten überein, sodass eine Einzelentscheidung als Verwaltungsakt i. S. d. Art. 19 S. 1 EV anzusehen ist.63 Die von den Gewerbebehörden nach § 3 GewG DDR wirksam erteilten Genehmigungen sind solche Einzelentscheidungen und daher gemäß Art. 19 S. 1 EV nach der Wiedervereinigung wirksam geblieben. Eine Aufhebung der Genehmigungen nach Art. 19 S. 2 EV wurde bis dato weder unternommen noch kommt sie ernsthaft in Betracht.64 Möglich bliebe gemäß Art. 19 S. 3 EV eine Aufhebung nach den allgemeinen Vorschriften, sie ist bislang ebenfalls nicht erfolgt.65 Insbesondere die oben dargestellte Normierung staatlicher Sportwettmonopole durch die Landesgesetzgeber berührt die Wirksamkeit der DDR-Genehmigungen nicht. Dass die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten nach diesen Gesetzen (von nun an) ausschließlich durch landeseigene oder von den Ländern kontrollierte Gesellschaften erlaubt werden kann, führt nicht zu einer automatischen Aufhebung oder einem Wirksamkeitsverlust der DDR-Genehmigungen.66 Die Übergangsregelung des § 25 Abs. 1 GlüStV, wonach die Genehmigungen von Veranstaltern i. S. d. § 10 Abs. 2 GlüStV bis zum 31.1.2.2008 fortgelten und zum 1.1.2009 eine neue Genehmigung beantragt werden muss, gilt ausweislich des klaren Wortlauts ausschließlich für die staatlichen bzw. stattlich kontrollierten Veranstalter, wie sie in § 10 Abs. 2 GlüStV bezeichnet sind.67 In einer (frühen) Entwurfsfassung des GlüStV war in § 25 Abs. 4 eine ausdrückliche Regelung enthalten, wonach die Länder Berlin, Thüringen und Sachsen die in ihrem heutigen Gebiet erlassenen DDRGenehmigungen binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Vertrages aufheben
63
BVerwG NVwZ 2006, 1423 (1424). OVG Weimar v. 20.5.2005 – 3 KO 705/03 S. 26 f. des Umdrucks (abrufbar unter http://www.thovg.thueringen.de [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]); Bethge BayVBl. 2008, 97 (99); Rossen-Stadtfeld ZUM 2006, 793 (800). 65 Zwar hat das Regierungspräsidium Chemnitz am 10.8.2006 mit sofort vollziehbarer Anordnung der Firma bwin die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten untersagt. Es wurde jedoch nicht die Genehmigung entzogen, sondern vielmehr argumentiert, diese umfasse nicht das Angebot von Sportwetten mit festen Gewinnquoten (s. dazu o. S. 116 f.) und den Vertrieb über das Internet (s. dazu u. S. 127 ff.), unpräzise daher Bahr, Glücks- und Gewinnspielrecht, Rn. 693a. Das VG Dresden stellte mit Beschluss v. 16.10.2006 – 14 K 1711/06 (zit. nach juris) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs von bwin gegen die Untersagung wieder her, bestätigt durch Beschluss des OVG Bautzen in GewArch 2008, 118. 66 Voßkuhle/Baußmann GewArch 2006, 395 (398); Postel ZfWG 2007, 328 (342). 67 Scholz/Weidemann, Rechtsgutachten, S. 58 f. 64
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119
sollten. Diese Bestimmung wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren ersatzlos gestrichen. Für eine eventuelle zukünftige Aufhebung der DDR-Erlaubnisse ist auf Folgendes hinzuweisen: Eine Aufhebung per Verwaltungsakt müsste sich, da es um rechtmäßig erlassene begünstigende Verwaltungsakte geht, nach § 49 Abs. 2 (L)VwVfG richten. Das Vorliegen eines Widerrufsgrundes aus dem Katalog des § 49 Abs. 2 S. 1 (L)VwVfG ist jedoch nicht ersichtlich.68 Eine Aufhebung unmittelbar durch Landesgesetz wäre wohl prinzipiell möglich,69 dürfte hingegen in der vorliegenden Konstellation – abgesehen von eigentumsgrundrechtlichen Einwänden70 – schon aus kompetenzrechtlichen Gründen ausscheiden. Bei Art. 19 S. 1 EV, auf dem die weitere Wirksamkeit der DDR-Genehmigungen fußt, handelt es sich gemäß Art. 45 Abs. 2 EV um eine bundesgesetzliche Regelung. Ein entsprechendes Aufhebungsgesetz könnte demnach nur durch den Bundesgesetzgeber erfolgen, wollte man nicht zu dem eigentümlichen Ergebnis kommen, dass Landesrecht hier Bundesrecht bricht.71 3. Räumlicher Geltungsbereich Intensiver Streit entzündet sich, wie erwähnt, vor allem an der räumlichen Reichweite der DDR-Sportwettengenehmigungen im wiedervereinigten Deutschland. Hierbei sind zwei Problemkreise zu unterscheiden. Zunächst stellt sich die Frage, ob die Genehmigungen nach der Maßgabe des Art. 19 S. 1 EV grundsätzlich im gesamten Bundesgebiet oder nur in der ehemaligen DDR, sprich den neuen Bundesländern, fortgelten (s. u. lit. a). Hierauf richtet sich das Hauptaugenmerk der Diskussion in Rechtsprechung und Literatur. Weitaus weniger Beachtung, obwohl in der Sache kaum weniger entscheidend, findet die Folgefrage, welche konkreten Tätigkeiten in räumlicher Hinsicht durch die einzelnen Genehmigungen gestattet werden. Berechtigen diese zur Eröffnung weiterer Wettannahmestellen bzw. Vermittlungsbüros? Ist ein bundesweites Angebot via Telefon und Internet zulässig? (s. u. lit. b). a) Allgemeine Regelungswirkung gemäß Art. 19 S. 1 EV Zunächst soll also analysiert werden, mit welcher räumlichen Wirkung Art. 19 S. 1 EV Verwaltungsakte der DDR-Behörden generell in bundesdeutsches Recht 68 So auch Scholz/Weidemann, Rechtsgutachten, S. 152; vgl. auch Mertens DVBl. 2006, 1564 (1569). 69 Beaucamp DVBl. 2006, 1401 (1402 ff.). 70 Scholz/Weidemann, Rechtsgutachten, S. 141 ff.; s. aber auch Postel ZfWG 2007, 328 (344 ff.). 71 Eingehend dazu Rixen NVwZ 2004, 1410 (1414); Scholz/Weidemann, Rechtsgutachten, S. 150 f.
120 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
überleitet. Da der Wortlaut des Art. 19 EV hierzu keine unmittelbare Aussage trifft, ist die räumliche Ausdehnung des Wirksamkeitserhalts durch eine weiterführende Auslegung der Vorschrift zu ermitteln. Beachtenswert ist in dieser Hinsicht die Entwicklung der Rechtsprechung von einer zunächst unbeschränkten Geltung im gesamten vereinigten Bundesgebiet hin zu einer Geltung je nach Reichweite eines vergleichbaren Verwaltungsakts, würde er hypothetisch von der Behörde eines alten Bundeslandes erlassen. Letzteres führt unter anderem für die DDR-Sportwettengenehmigungen zu einem auf die neuen Bundesländer beschränkten Geltungsbereich. Diese Entwicklung sowie die entsprechenden Stellungnahmen in der Literatur sollen im Folgenden dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen werden. aa) Ausgangspunkt: Grundsatzurteil des Siebten Senats des BVerwG vom 15.10.1997 Den Ausgangspunkt bildet ohne Zweifel das Grundsatzurteil des Siebten Senats des BVerwG vom 15.10.1997 mit dem zunächst klaren und eindeutigen Leitsatz: Verwaltungsakte der DDR gelten nach Art. 19 S. 1 EV grundsätzlich im gesamten (erweiterten) Bundesgebiet fort.72 In der Begründung heißt es, eine Begrenzung dergestalt, dass Verwaltungsakte der DDR nur in deren ehemaligem Hoheitsgebiet, nicht aber in dem der alten Bundesländer fortgelten, sei Art. 19 S. 1 EV nicht zu entnehmen. Solch eine Beschränkung würde die mit dem Einigungsvertrag angestrebte Rechtseinheit gefährden. Verwaltungsakten der DDR komme nach Art. 19 S. 1 EV grundsätzlich ebenso Geltung im gesamten Bundesgebiet zu, wie dies auch für Verwaltungsakte zutreffe, die bis zum 3.10.1990 von der Behörde eines alten Bundeslandes erlassen worden sind.73 Im Anschluss hieran urteilten das OVG Weimar im Jahre 199974, das OLG Köln (Z) im Jahre 200075 sowie der BGH (Z) im Jahre 200176, dass die nach § 3 GewG DDR erteilten Sportwettengenehmigungen gemäß Art. 19 S. 1 EV im gesamten erweiterten Bundesgebiet fortgelten.
72 BVerwGE 105, 255, in der Sache ging es um eine Regelung der DDR-Regierung betreffend den Rechtsstatus einer Religionsgemeinschaft. 73 BVerwGE 105, 255 (260 f.). 74 OVG Weimar LKV 2000, 309 (310). 75 OLG Köln (Z) VIZ 2000, 165 (168). 76 BGH (Z) GRUR 2002, 269 (270 a. E.).
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bb) Fortgeltungsanordnung nur nach Maßgabe bundesstaatlicher Ordnung – die Auffassung Dietleins Beginnend mit einem vom Land Nordrhein-Westfalen gegen die Firma Sportwetten Gera initiierten wettbewerbsrechtlichen Verfahren wurde die Auffassung vertreten, die bundesweite Wirkung von DDR-Verwaltungsakten gemäß Art. 19 S. 1 EV sei von der hypothetischen Prüfung abhängig zu machen, ob ein solcher Verwaltungsakt oder eine vergleichbare Regelung durch Behörden eines alten Bundeslandes bundes- oder nur landesweite Wirkung entfalten würde.77 Danach wären die DDR-Sportwettengenehmigungen nicht bundesweit gültig, da entsprechende Genehmigungen nach bundesdeutschem Recht, wie gezeigt, nur durch und für den Bereich des jeweiligen Bundeslandes erteilt werden. Das OLG Köln (Z) wies diese Argumentation in dem angesprochenen Verfahren klar zurück. Eine derartige Parallelwertung widerspreche dem Sinn des Art. 19 EV, der unter anderem im Interesse des Vertrauensschutzes eine Rechtseinheit dergestalt herbeiführen wolle, dass nicht lediglich einseitig Verwaltungsakte der DDR an die Rechtsverhältnisse der Bundesrepublik angepasst werden sollten. Daraus folgende Divergenzen stellten eine Situation dar, die der Regelung des Art. 19 EV erkennbar zugrunde liege und danach grundsätzlich hinzunehmen sei.78 Gleichwohl griff Dietlein aus der Befürchtung heraus, „Art. 19 EV könnte im Bereich der Sportwetten zum ,Trojanischen Pferd‘ für das staatliche Glücksspiel werden“, diese Argumentation wieder auf.79 Die bundesweite Geltung der DDRGenehmigungen führt seiner Ansicht nach dazu, dass deren Inhabern unversehens ein Mehr an Rechten gegeben werde, als diese ursprünglich in der Hand gehabt hätten. Dies sei mit Sinn und Zweck des Art. 19 EV nicht in Einklang zu bringen. Zur Wahrung der Rechtseinheit bedürfe es einer vergleichenden Betrachtung, ob und inwieweit ein entsprechender, in den alten Ländern ergangener Verwaltungsakt bundesweit gelten würde oder nicht. Gelte er wie im Bereich der Sportwette nur in dem jeweiligen Land, in dem er erlassen wurde, könne Art. 19 EV nicht im Sinne einer – die Rechtseinheit spaltenden – privilegierenden Erweiterung des räumlichen Geltungsbereichs auf das gesamte Bundesgebiet gedeutet werden.80 Parallel zum Aufbau des staatlichen Sportwettenangebots ODDSET seit 1999 schlossen sich dieser Argumentation unter ausdrücklicher Berufung auf Dietlein in Eilentscheidungen das OVG Münster Ende des Jahres 200281, das OVG 77
s. OLG Köln (Z) VIZ 2000, 165 (168). OLG Köln (Z) VIZ 2000, 165 (168). 79 Dietlein BayVBl. 2002, 161 (166 f.). 80 Dietlein BayVBl. 2002, 161 (167); s. auch Dietlein/Hecker wrp 2003, 1175 (1176). 81 OVG Münster NWVBl. 2003, 220 (221). 78
122 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
Lüneburg Anfang des Jahres 200382 und der VGH München Ende des Jahres 200483 an und beschränkten den Geltungsbereich der DDR-Sportwettengenehmigungen auf das Gebiet der ehemaligen DDR. Unter Berufung auf die beiden erstgenannten Entscheidungen und ohne weitere Begründung nahm auch das BayObLG im Jahre 200384, soweit ersichtlich als diesbezüglich einziges (veröffentlichtes) strafrechtliches Urteil, eine auf die neuen Bundesländer beschränkte Geltung der DDR-Sportwettengenehmigungen an. cc) Beschluss des Sechsten Senats des BVerwG vom 20.10.2005 In einem Beschluss vom 20.10.2005 wendet sich der Sechste Senat des BVerwG im Hinblick auf die DDR-Sportwetten gegen die Argumentation des Vergleichs mit einer hypothetischen Genehmigung nach bundesdeutschem Recht, indem er ausführt:85 „Weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vertragsbestimmung lassen erkennen, dass einem nach Art. 19 EV weitergeltenden Verwaltungsakt nur noch der Inhalt zukommen soll, der ,strukturell‘ einer vergleichbaren Erlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland zukommt, wie die Beschwerde meint. Verhielte es sich so, wäre es unnötig gewesen, die Regelungen in Art. 19 S. 2 und 3 EV vertraglich zu vereinbaren. [. . .] Wollte man die Fortgeltung der Verwaltungsakte von deren ,struktureller‘ Übereinstimmung mit der Rechts- und Verwaltungsordnung der Bundesrepublik Deutschland abhängig machen, führte dies zu einer weitgehenden Aushöhlung des Art. 19 EV und ferner zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit.“
dd) Urteil des Sechsten Senats des BVerwG vom 21.6.2006 Als durchaus überraschend muss es daher angesehen werden, dass wiederum der Sechste Senat des BVerwG in seinem Urteil vom 21.6.2006 eben jener Argumentation einer hypothetischen Prüfung folgt und den räumlichen Geltungsbereich der DDR-Sportwettengenehmigungen nach Art. 19 S. 1 EV auf die neuen Bundesländer beschränkt.86
82
OVG Lüneburg NordÖR 2003, 203 (204). VGH München BayVbl. 2005, 241 (245). 84 BayObLG v. 28.8.2003 – 5 St RR 98/33 Rn. 19 (zit. nach juris). 85 BVerwG NVwZ 2006, 1423 (1425). 86 BVerwG NVwZ 2006, 1175 (1178 f.), Streitgegenstand war eine Untersagungsverfügung gegen ein Vermittlungsbüro in Bayern, das Wetten an die Firma Sportwetten Gera vermittelte. Das Urteil wurde hier bereits in anderer Hinsicht kritisiert (s. o. S. 53). Es wurde durch BVerfG NVwZ 2008, 301 wegen Unvereinbarkeit der streitgegenständlichen Untersagungsverfügung mit Art. 12 GG aufgehoben (s. dazu u. S. 144 ff.), die Frage nach der Reichweite der DDR-Erlaubnisse konnte für das BVerfG deshalb dahinstehen, NVwZ 2008, 301 (303 a. E.). 83
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Zunächst begründet das Gericht anhand des GewG DDR ausführlich, dass diesem Gesetz und den danach erteilten Sportwettengenehmigungen zum Zeitpunkt ihres Erlasses keine über das seinerzeitige Staatsgebiet der DDR hinausgehende Wirkung zukommen sollte und konnte.87 Sodann beruft sich der Sechste Senat auf die Aussage des Siebten Senats in dessen Urteil vom 15.10.1997, wonach Verwaltungsakten der DDR nach Art. 19 S. 1 EV grundsätzlich ebenso Geltung im gesamten Bundesgebiet zukomme, wie dies auch für Verwaltungsakte zutreffe, die bis zum 3.10.1990 von der Behörde eines alten Bundeslandes erlassen worden sind.88 Hier fügt der Sechste Senat nun jedoch ein, Verwaltungsakten der DDR komme „je nach ihrer regelnden Wirkung“ diese Geltung zu.89 Daraus folgert er unmittelbar, dass die nach Art. 19 EV fortgeltenden Verwaltungsakte der DDR im Blick auf die Frage nach ihrer bundesweiten Geltung eine hypothetische Prüfung erforderten: Komme einem inhaltlich entsprechenden Verwaltungsakt der Behörde eines alten Bundeslandes bundesweite Geltung zu, so sei dasselbe für den nach Art. 19 EV fortgeltenden Verwaltungsakt anzunehmen; anderenfalls sei eine solche Geltung zu verneinen, weil die für die angestrebte Rechtseinheit maßgebliche Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch deren föderale Struktur mitgeprägt sei. Da in den alten Bundesländern eine Erlaubnis zur Veranstaltung oder Vermittlung von Sportwetten nur nach dem jeweiligen Landesrecht und nur mit Wirkung im Gebiet des betreffenden Bundeslandes erteilt werde könne, sei die Wirkung der DDRSportwettenerlaubnisse jedenfalls auf das Gebiet der neuen Bundesländer beschränkt.90 Dass diesem Urteil diverse Oberverwaltungsgerichte91 und Literaturstimmen92 gefolgt sind, vermag wiederum nicht zu verwundern. ee) Kritik Das Urteil des BVerwG vom 21.6.2006 und die Argumentation einer hypothetischen Überprüfung der Rechtslage nach bundesdeutschem Sportwettenrecht sind in mehrfacher Hinsicht Bedenken ausgesetzt. Gänzlich ungeeignet ist zunächst der mit viel Aufwand begründete Hinweis des Gerichts, dass den Sportwettengenehmigungen bereits aufgrund der auf das Staatsgebiet der DDR beschränkten Hoheitsmacht der DDR-Gewerbebehörden keine darüber hinausreichende Wirkung zukommen sollte und konnte. Dass ein 87
BVerwG NVwZ 2006, 1175 (1179). BVerwGE 105, 255 (260 f.). 89 BVerwG NVwZ 2006, 1175 (1179). 90 BVerwG a. a. O. 91 So etwa OVG Bremen NordÖR 2006, 398 (399); OVG Bautzen GewArch 2008, 118 (120 f.); OVG Hamburg v. 25.3.2008 – 4 BS 5/08 Rn. 15 (zit. nach juris). 92 Pischel wrp 2006, 1413 (1415); Postel ZfWG 2007, 328 (334); Bethge BayVBl. 2008, 97 (99). 88
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nationaler Gesetzgeber seine Gesetze so formuliert und anwendet, dass dadurch nur der räumliche Bereich des eigenen Staates betroffen ist, versteht sich von selbst und kann zu der in Rede stehenden Auslegung des Art. 19 EV nichts beitragen. Sicherlich wäre es von dem DDR-Gesetzgeber zuviel verlangt gewesen, seine Gesetzestexte bereits mit Rücksicht auf eine mögliche Wiedervereinigung so zu fassen, dass auch das Gebiet der Bundesrepublik berücksichtigt wird.93 Keinesfalls kann auf diese Weise eine beschränkende Wirkung in Art. 19 S. 1 EV hineininterpretiert werden. Bei genauerem Hinsehen kann eine räumliche Beschränkung auch nicht mithilfe eines „Hineinlesens“ der föderalen Ordnung des Grundgesetzes in Art. 19 EV durch einen hypothetischen Vergleich mit der jeweils entsprechenden bundesdeutschen Rechtslage begründet werden. Im Wortlaut des Art. 19 S. 1 EV findet sich hierfür keinerlei Stütze.94 In systematischer Hinsicht spricht die Existenz der S. 2 und 3 vielmehr gegen eine derartige Parallelwertung, da selbige sonst an Bedeutung verlören.95 Zwar schreibt der Wortlaut des Art. 19 EV auch eine räumlich unbeschränkte Geltungserstreckung nicht ausdrücklich vor, die Systematik des Einigungsvertrages, der ein detailliertes System von Übergangsregelungen enthält, steht einem Hineinlesen eines hypothetischen Vergleichs mit der bundesdeutschen Rechtslage in Art. 19 EV jedoch klar entgegen.96 So wurde z. B. für die Fortgeltung von Bildungsabschlüssen in Art. 37 EV eine differenzierte Spezialregelung auch hinsichtlich deren (beschränkten) räumlichen Geltungsbereichs getroffen. Hinsichtlich der allgemein Verwaltungsakte betreffenden Norm des Art. 19 EV, bei der eine ausdrückliche Regelung gerade fehlt, ist daher davon auszugehen, dass die Verwaltungsakte grundsätzlich unbeschränkt fortgelten sollen. Dies entspricht nicht zuletzt dem Sinn und Zweck des Art. 19 EV. Dieser ist unmittelbarer Ausdruck des Ziels des Einigungsvertrages, der Wiedervereinigung als einem Akt der freien Selbstbestimmung der Völker in Ost und West gerecht zu werden. Unbeschadet der prinzipiellen Entscheidung für die westdeutsche Rechtsordnung sollte keine einseitige Angleichung der Regelungen des DDR-Rechts an bundesdeutsche Standards erfolgen, indem den DDR-rechtlich geregelten Sachverhalten die Rechtsordnung der Bundesrepublik einfach „übergestülpt“ wird.97 Erkennbar liegt die ratio des Art. 19 S. 1 EV nicht darin, eine starre Rechtseinheit oder Gleichbehandlung zu schaffen, sondern vielmehr die Verwaltungsrechtswirklichkeit der DDR zu akzeptieren und mögliche inhaltliche Divergenzen zwischen den danach fortgeltenden 93
Siara ZfWG 2007, 1 (9); s. auch Voßkuhle/Baußmann GewArch 2006, 395 (399). Auch aus dem – generell unergiebigen – Vertragsprotokoll zu Art. 19 (BTDrucks. 11/7760 S. 364) lässt sich Derartiges nicht ableiten. 95 So auch bereits BVerwG NVwZ 2006, 1423 (1425); Bornemann ZUM 2006, 726 (728). 96 Horn NJW 2004, 2047 (2050); s. auch Rossen-Stadtfeld ZUM 2006, 793 (801). 97 Voßkuhle/Baußmann GewArch 2006, 395 (399); Horn NJW 2004, 2047 (2050). 94
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DDR-Verwaltungsakten und der bundesdeutschen Rechtslage – gerade auch vor dem Hintergrund der S. 2 und 3 des Art. 19 EV – hinzunehmen. So gesehen nimmt Art. 19 S. 1 EV durchaus ein gewisses Maß an fehlender Rechtseinheit und -gleichheit in Kauf; die durch den Einigungsvertrag angestrebte Rechtseinheit ist eben keine starre, sondern eine in sich differenzierte.98 Der Einwand Dietleins und des BVerwG in dem Urteil vom 21.6.2006, die vergleichende Betrachtung sei i. S. d. Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, geht folglich ins Leere. Das GewG DDR galt im gesamten Hoheitsgebiet der DDR, den auf der Grundlage dieses Gesetzes erteilten Genehmigungen kam daher Rechtswirkung im gesamten Hoheitsgebiet der DDR zu.99 Dem wird im Lichte des Art. 19 S. 1 EV nur eine bundesweite Fortgeltung gerecht.100 Die Maßstabsvergrößerung in räumlicher Hinsicht als quantitatives Mehr an räumlicher Geltung ist die logische Folge der Wiedervereinigung. Sie findet in umgekehrter Richtung bei einer vor der Wiedervereinigung in der gesamten Bundesrepublik geltenden Genehmigung, die nunmehr auch in den neuen Ländern gilt, genauso statt. In diesem Sinne ist auch die Aussage des Siebten Senats des BVerwG in dem Grundsatzurteil vom 15.10.1997 zu verstehen, Verwaltungsakten der DDR komme nach Art. 19 S. 1 EV grundsätzlich ebenso Geltung im gesamten Bundesgebiet zu, wie dies auch für Verwaltungsakte zutreffe, die bis zum 3.10.1990 von der Behörde eines alten Bundeslandes erlassen worden sind: Nicht wenn101, sondern weil dies bei vergleichbaren und d. h. auf der Grundlage von Bundesrecht ergangenen Verwaltungsakten der alten Bundesländern ebenso der Fall ist, kommt den DDR-Verwaltungsakten nach Art. 19 S. 1 EV bundesweite Geltung zu.102 Von einer einseitigen Privilegierung der DDR-Genehmigungsinhaber kann also entgegen Dietlein keine Rede sein. Indem geprüft wird, ob einem inhaltlich entsprechenden Verwaltungsakt in der Bundesrepublik bundesweite Geltung zukäme, beschränkt sich der „Vergleich“ darauf, die Reichweite der DDR-Verwaltungsakte unmittelbar an der bundesrepublikanischen Föderativordnung abzumessen, die der DDR völlig fremd war.103 Dies führt zu einer Überformung des Art. 19 S. 1 EV durch die Strukturvorgaben des bundesdeutschen Föderalismus, die der aufgezeigten Regelungslogik der Vertragsregelung diametral entgegenläuft. Eine hypothetische Prüfung im Rahmen des Art. 19 S. 1 EV, die die 98
Rixen NVwZ 2004, 1410 (1413). Eine andere Frage ist es, welche konkreten Tätigkeiten in räumlicher Hinsicht jeweils erlaubt wurden, s. dazu u. S. 127 ff. 100 Vgl. Beckemper NStZ 2004, 39 (41). 101 So aber der Sechste Senat des BVerwG in NVwZ 2006, 1175 (1179). Aufgrund dieses Fehlverständnisses sieht der Sechste Senat die hypothetische Prüfung nicht im Widerspruch zu dem Grundsatzurteil des Siebten Senats in BVerwGE 105, 255 (260 f.). 102 So zutreffend Horn NJW 2004, 2047 (2050). 103 Rossen-Stadtfeld ZUM 2006, 793 (800). 99
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Reichweite von DDR-Verwaltungsakten von der gegenständlich entsprechenden bundesrepublikanischen Rechtslage abhängig macht, ist demnach abzulehnen. Darüber hinaus sind die hier in Rede stehenden DDR-Sportwettenerlaubnisse auf der Grundlage des GewG DDR strukturell auch gar nicht mit den oben beschriebenen104 landesgesetzlichen Regelungen in der Bundesrepublik bezüglich der Sportwetten, die eine Erlaubniserteilung an Private von vorneherein ausschließen, vergleichbar.105 Bei den DDR-Sportwettenerlaubnissen nach dem GewG DDR handelt es sich um Gewerbeerlaubnisse für die Wirtschaftstätigkeit von Privaten; nach § 1 GewG DDR galt der Grundsatz der Gewerbefreiheit. Insofern können sie den ordnungsrechtlichen Regelungen der alten Bundesländer nicht auf einer Vergleichsstufe gegenübergestellt werden. Wenn überhaupt, entsprechen ihnen gewerberechtliche Erlaubnisse in der Bundesrepublik, wie nach der GewO oder auch dem RWG, die als Bundesgesetze die erlaubte Tätigkeit – vorbehaltlich ausdrücklicher räumlicher Beschränkung im Einzelfall – mit bundesweiter Wirkung gestatten.106 Selbst wenn man also – trotz der gegenläufigen Regelungslogik des Einigungsvertrags – zur Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs der DDR-Verwaltungsakte im Rahmen des Art. 19 EV einen (hypothetischen) Vergleich mit tatsächlich vergleichbaren Verwaltungsakten der Bundesrepublik anstellte, müsste man als Vergleichssubstrat diese Bundeserlaubnisse nach der GewO oder dem RWG heranziehen und käme folglich zu dem Ergebnis der bundesweiten Fortgeltung. ff) Zwischenergebnis Dem Gesagten zufolge führt Art. 19 S. 1 EV nach zutreffendem Verständnis und entgegen dem BVerwG nicht zu einer räumlichen Beschränkung der Geltung der DDR-Sportwettengenehmigungen auf das Gebiet der neuen Bundesländer. Wie bei allen Verwaltungsakten, die in Vollzug eines für das gesamte Hoheitsgebiet der DDR geltenden Gesetzes ergingen, erstreckt sich ihre Geltungswirkung gemäß Art. 19 S. 1 EV nunmehr auf das gesamte Bundesgebiet.107 Diese Konsequenz mag man für das Glücksspielrecht übersehen haben und für unerwünscht halten. Sie entspricht der geltenden Rechtslage. 104
s. o. 110 ff. So auch Scholz/Weidemann ZfWG 2007, 83 (90 f.). 106 Für die GewO s. Landmann/Rohmer/Marcks, GewO § 34 Rn. 14 (Stand: Januar 2002), § 34a Rn. 20 (Stand: Februar 2003), § 34c Rn. 72 (Stand: Oktober 2004); Friauf/ Höfling, GewO § 34 Rn. 23 (Stand: Februar 2006); s. auch BT-Drucks. 10/1232 S. 75 [„Das in der GewO enthaltene Prinzip der räumlich nicht beschränkten Erlaubnis bedarf keiner besonderen gesetzlichen Regelung.“]; für das RWG s. OVG Hamburg NordÖR 2004, 297 (298 f.). 107 So auch Voßkuhle/Baußmann GewArch 2006, 395 (399); Rixen NVwZ 2004, 1410 (1413); Horn NJW 2004, 2047 (2050); Lörler NJ 2008, 217 (218); Jessberger NJ 2007, 247 (250); Scholz/Weidemann ZfWG 2007, 83 (91 f.); Rossen-Stadtfeld ZUM 2006, 793 (800). 105
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b) Gegenständliche Erstreckung der Sportwettengenehmigungen Die bloße (Fort-)Geltung der Genehmigungen im gesamten Bundesgebiet sagt allerdings noch nichts darüber aus, welche konkreten Tätigkeiten in räumlicher Hinsicht nun durch die Genehmigungen gestattet sind.108 Insbesondere ist zu untersuchen, ob die Genehmigungen nach ihrem Inhalt zur Eröffnung weiterer Wettannahmestellen bzw. Vermittlungsbüros im gesamten Bundesgebiet und zum bundesweiten Angebot über Telefon oder Internet berechtigen. Berechtigten die Genehmigungen bei Erlass lediglich zum Betrieb eines Wettbüros an einer bestimmten Örtlichkeit, sind sie auch lediglich mit diesem beschränkten Inhalt gemäß Art. 19 S. 1 EV in bundesdeutsches Recht übergegangen. Dass durch Art. 19 S. 1 EV keine inhaltliche Änderung von Verwaltungsakten der DDR eingetreten ist, ist allgemeiner Konsens.109 Im Folgenden ist also die räumlich-gestaltende Wirkung der vier eingangs erwähnten Genehmigungen anhand von deren Inhalt zu bestimmen. Maßstab ist dabei gemäß der auch im öffentlichen Recht geltenden Auslegungsregel der §§ 133, 157 BGB der erklärte Wille der Behörde, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte.110 – Die am 11.4.1990 vom Gewerbeamt in Löbbau in Sachsen der heutigen Firma bwin erteilte Gewerbegenehmigung lautet:111 „Auf ihren Antrag vom 9.4.1990 erteilen wir Ihnen auf Grund des Gewerbegesetzes der DDR [. . .] die Genehmigung zur Eröffnung eines Wettbüros für Sportwetten ab 1.5.1990 in 8706 Neueggersdorf, Am Rennplatz 11.“ – Die am 19.9.1990 durch den Rat des Stadtbezirks Berlin-Mitte der heutigen Firma Digibet Wetten erteilte Genehmigung wurde „zur Annahme von Wetten für Sportveranstaltungen bzw. Pferderennen in der Brunnenstraße 22, 1054 (Ost-)Berlin“ erteilt.112 – Die am 28.8.1990 durch das Gewerbeamt der Stadt Dresden der heutigen Firma Interwetten erteilte Erlaubnis lautet:113 „Auf Ihren Antrag [. . .] erteilen wir Ihnen [. . .] die Erlaubnis zum Abschluss und Vermittlung von Wetten, insbeson-
108 Vgl. OVG Weimar v. 20.5.2005 – 3 KO 705/03 S. 25 des Umdrucks (abrufbar unter http://www.thovg.thueringen.de [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]) und nachfolgend BVerwG NVwZ 2006, 1423 (1424 f.), beide Entscheidungen gehen jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit nicht weiter auf den Inhalt der Genehmigungen ein. 109 s. nur BVerwG NVwZ 2006, 1175 (1179); Horn NJW 2004, 2047 (2050). 110 Vgl. nur BVerwG NVwZ 2006, 1175 (1179); 1423 (1425). 111 s. OVG Bremen NordÖR 2006, 398 (398); Abdruck der Genehmigung auch bei Schmidt wrp 2004, 1145 (1146). 112 Vgl. Postel ZfWG 2007, 181 (188). 113 s. VG Dresden v. 6.12.2003 – 1 K 2609/02 (abrufbar unter http://www. aufrecht.de/index.php?id=3394 [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]); VGH München v. 5.8.2003 – 24 CS 03/1605 Rn. 14 (zit. nach juris).
128 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
dere aus Anlass sportlicher Veranstaltungen und den damit in Zusammenhang stehenden Nebengeschäften, in 8019 Dresden, Pöbelmannstraße 1.“ – Das Gewerbeamt der Stadt Gera erteilte am 14.9.1990 der Firma Sportwetten Gera „in Vollzug des Gewerbegesetzes die Erlaubnis zum Abschluss von Sportwetten – Buchmacher“ für die Betriebsstätte R. in Gera. Die Genehmigung enthält zudem die Bestimmung: „Diese Erlaubnis gilt gleichzeitig für die Agentur S.-Straße 16, Gera-Lusan 6502, Inh. Herr [. . .], zur Annahme von Sportwetten im Auftrag der Sportwetten Gera GmbH. Die Betreibung weiterer Agenturen ist bei der örtlich zuständigen Gewerbebehörde zu beantragen.“114 Bezüglich der letztgenannten Genehmigung der Sportwetten Gera stellte das BVerwG in seinem bereits oben kritisierten Urteil vom 21.6.2006 lapidar fest, die Erlaubnis enthalte keine Regelung über ihren räumlichen Geltungsbereich.115 Das ist gerade bei dieser Genehmigung mitnichten der Fall. Ausdrücklich wird in der Genehmigung die Veranstaltung bzw. Vermittlung von Sportwetten an zwei Orten gestattet, während die Eröffnung weiterer Agenturen gesonderter Genehmigungen der örtlich zuständigen Gewerbebehörden bedarf. Die Erlaubnis berechtigt demnach eindeutig nicht zur Eröffnung weiterer Annahmestellen oder Vermittlungsbüros. Daran vermag auch die Handelsregistereintragung der Sportwetten Gera GmbH, auf die in diesem Zusammenhang Bezug genommen116 bzw. die teilweise sogar mit der Genehmigung gleichgestellt117 wird, nichts zu ändern. Laut der Eintragung ist Geschäftsgegenstand der Sportwetten Gera GmbH „der Abschluss und die Vermittlung von Wetten aus Anlass sportlicher Veranstaltungen einschließlich mobiler Wetten, sowie [. . .] die Errichtung von Zweigniederlassungen im In- und Ausland“. Auf den Inhalt und die Auslegung der öffentlich-rechtlichen Genehmigung kann die zivilrechtliche Eintragung ins Handelsregister jedoch keine Auswirkungen haben. Auch die restlichen drei Erlaubnisse liefern keine Anhaltspunkte dafür, dass sie es gestatteten, an weiteren Standorten in der gesamten DDR gewerbliche Niederlassungen zu betreiben.118 Sie beziehen sich im Hinblick auf den Betrieb lokaler Annahmestellen ausdrücklich auf die genannten Adressen. Einen solchen örtlichen Bezug sah § 3 Abs. 4 GewG DDR eigens vor. Danach hatte die Erlaubnis i. S. d. § 3 Abs. 1 GewG DDR gegebenenfalls bestimmte Räume, die
114 Vgl. OVG Weimar v. 20.5.2005 – 3 KO 705/03 S. 3 des Umdrucks (abrufbar unter http://www.thovg.thueringen.de [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]); Postel ZfWG 2007, 181 (188). 115 BVerwG NVwZ 2006, 1175 (1179). 116 s. Voßkuhle/Baußmann GewArch 2006, 395 (400). 117 So Heine wistra 2003, 441 (444). 118 Insoweit zutreffend Postel ZfWG 2007, 181 (188, 190); Scholz/Weidemann ZfWG 2007, 83 (88).
§ 5 Darstellung des öffentlichen Sportwettenrechts
129
Art und den Sitz des Unternehmens bzw. den Ort der Niederlassungen zu bezeichnen. Von dieser Ermächtigung wurde in den vier Genehmigungen Gebrauch gemacht. Man darf nicht vergessen, dass in der DDR zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigungen eine Aufteilung in Gebietskörperschaften, wie sie etwa den Bundesländern vergleichbar sind und auf die sich die Genehmigungen in örtlicher Hinsicht sonst hätten beziehen können, nicht existierte. Die Eröffnung weiterer Wettannahmestellen oder Vermittlungsbüros war somit bei Erlass der vier Genehmigungen im Gebiet der ehemaligen DDR nicht möglich und sie ist es daher auch heute im vereinigten Bundesgebiet nicht. Art. 19 S. 1 EV führt nicht zu einer Änderung des konkreten Genehmigungsinhalts. Wettunternehmen generell die Eigenschaft als ortsungebundene Unternehmen beizumessen und so die Eröffnung weiterer Wettannahmestellen durch die DDR-Genehmigungen als erlaubt anzusehen, erscheint daher nicht überzeugend.119 Nicht ausgeschlossen ist jedoch die Nutzung sonstiger Vertriebswege für die erlaubte Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten, wie etwa Internet, Telefon und Postweg.120 Insoweit enthalten weder die Genehmigungen selbst noch das GewG DDR bzw. die DVO-GewG DDR irgendwelche Einschränkungen. Vielmehr gilt im Gewerberecht der Grundsatz, dass sich die erlaubten Gewerbe in der Art und Weise ihrer Ausübung neuen technischen Entwicklungen wie der des Internets öffnen können und dürfen.121 Da die Genehmigungen als solche, wie oben gezeigt122, zunächst im gesamten Gebiet der DDR wirksam waren und nach der Wiedervereinigung gemäß Art. 19 S. 1 EV im gesamten Bundesgebiet fortgelten, dürfen die Wetten von den bezeichneten Lokalitäten aus auch Interessenten im gesamten Bundesgebiet angeboten werden; und nicht etwa nur solchen, die sich körperlich in dem jeweiligen Wettbüro aufhalten.123 Die Genehmigungsempfänger nutzen insoweit lediglich die ihnen an dem bezeichneten Ort zur Verfügung stehenden technischen Optionen. Da eine hierauf bezogene 119 So aber Rixen NVwZ 2004, 1410 (1412); Scholz/Weidemann, Rechtsgutachten, S. 34; ähnlich Voßkuhle/Baußmann GewArch 2006, 395 (400), in Fn. 43 allerdings mit dem Vorbehalt der Beschränkung nach § 3 Abs. 4 GewG DDR. 120 So auch OVG Bautzen GewArch 2008, 118 (119); Siara ZfWG 2007, 1 (10); Scholz/Weidemann ZfWG 2007, 83 (88, 92); v. Frentz/Masch ZUM 2006, 189 (196); auch das BVerwG hat in seiner bereits mehrfach erwähnten Entscheidung in NVwZ 2006, 1175 ausdrücklich nur über den Betrieb eines Vermittlungsbüros für die Firma Sportwetten Gera in Bayern entschieden. 121 OVG Bautzen GewArch 2008, 118 (119); vorgehend ebenso VG Dresden v. 16.10.2006 – 14 K 1711/06 Rn. 24 (zit. nach juris); VGH München v. 22.11.2006 – 24 CS 06/2501 Rn. 28 (zit. nach juris). 122 s. o. S. 123 ff. 123 Anders bezüglich dieses Punktes das OVG Bautzen GewArch 2008, 118 (120 f.), da es der oben dargelegten (s. o. S. 122 f.) einschränkenden Auslegung des Art. 19 S. 1 EV durch das BVerwG in NVwZ 2006, 1175 (1179) folgt; ebenso VGH München v. 22.11.2006 – 24 CS 06/2501 Rn. 29 (zit. nach juris); wie hier Bornemann ZUM 2006, 726 (728 f.); Voßkuhle/Baußmann GewArch 2006, 395 (400).
130 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
Werbung kein unerlaubtes Veranstalten oder Vermitteln zum Gegenstand hat, ist sie ebenfalls zulässig.124 Diese Gestattungswirkung wird mangels ausdrücklicher Bezugnahme auch nicht durch das nachträgliche Verbot des Abschlusses von Sportwetten über Telekommunikationsanlagen in § 21 Abs. 2 S. 3 GlüStV berührt.125 Verwaltungsakte bleiben gemäß § 43 Abs. 2 (L)VwVfG mit ihrem spezifischen Regelungsinhalt wirksam, solange und soweit sie nicht aufgehoben sind. Eine entsprechende Aufhebung bzw. inhaltliche Beschränkung per Verwaltungsakt ist aber bislang nicht erfolgt. Für eine Aufhebung bzw. inhaltliche Beschränkung unmittelbar durch Gesetz bedürfte es einer ausdrücklichen Regelung,126 die der GlüStV nicht enthält.127 Ohnehin fehlt dem Landesgesetzgeber, wie dargelegt,128 im Fall der DDR-Genehmigungen die Kompetenz zu deren Aufhebung bzw. inhaltlicher Beschränkung. 4. Ergebnis Die vier behandelten DDR-Sportwettengenehmigungen berechtigen nach ihrer gestaltenden Wirkung nicht zur Eröffnung weiterer Wettannahmestellen oder Vermittlungsbüros. Aufgrund ihrer bundesweiten Wirksamkeit gemäß Art. 19 S. 1 EV und ihres insoweit offenen Inhalts erlauben sie jedoch die bundesweite Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten über Internet, Telefon oder den Postweg. Eine hierauf bezogene Werbung hat kein unerlaubtes Veranstalten oder Vermitteln zum Gegenstand und ist daher ebenfalls zulässig.
V. Zusammenfassung Festzuhalten ist, dass bis dato in keinem Land der Bundesrepublik Deutschland einem Privaten eine behördliche Erlaubnis i. S. d. § 284 StGB zur Veranstaltung oder Vermittlung von Sportwetten (außer Pferderennwetten) erteilt wurde. Genehmigungen aus dem EU-Ausland werden nicht anerkannt. Die verwaltungsrechtlichen Regelungen im Bereich der Sportwette begründen ein staatliches Monopol. Allein die von den Behörden der ehemaligen DDR nach dem GewG DDR i.V. m. der DVO-GewG DDR erlassenen Genehmigungen bilden insoweit eine Ausnahme, als sie in dem bezeichneten Umfang weiterhin fortgelten.129 124
Bornemann ZUM 2006, 726 (729). s. dazu o. S. 117 f. 126 Beaucamp DVBl. 2006, 1401 (1401 f.). 127 s. auch Scholz/Weidemann, Rechtsgutachten, S. 60 f. 128 s. o. S. 119. 129 Auch BVerfGE 115, 276 (278) – Sportwette – hat bezüglich der DDR-Genehmigungen festgestellt, dass seit deren Erlass 1990 „ein gewerbliches Sportwettenangebot auch in Deutschland existiert“. Horn JZ 2006, 789 (789 f.) spricht daher von einem Oligopol statt von einem Monopol. Die Existenz der alten DDR-Genehmigungen än125
§ 6 Verfassungs- und europarechtliche Würdigung
131
§ 6 Verfassungs- und europarechtliche Würdigung In diesem Abschnitt wird ermittelt, ob der vollständige Ausschluss privater Sportwettenveranstalter und -vermittler, wie er derzeit durch das staatliche Monopol implementiert wird, mit dem deutschen Verfassungsrecht (s. u. II.) und dem europäischen Gemeinschaftsrecht (s. u. III.) vereinbar ist. Da zur Rechtfertigung des Monopols vor allem auf Manipulations- und Suchtgefahren der Sportwette abgestellt wird, wird der verfassungs- und europarechtlichen Würdigung eine ausführliche Analyse dieser Gefahren vorangestellt (s. u. I). Wie bereits erwähnt, legt § 6 den Grundstein dafür, mögliche Auswirkungen eines Verstoßes gegen Verfassungs- bzw. Europarecht auf die verwaltungsakzessorische Strafbarkeit zu untersuchen (s. u. § 7).
I. Manipulations- und Suchtanfälligkeit von Sportwetten 1. Manipulationsanfälligkeit Zunächst ist zu klären, was unter der Manipulation eines Glücksspiels im Allgemeinen und der Sportwette im Besonderen zu verstehen ist. Eine glücksspielbezogene Manipulation bedeutet die Entwertung der durch den Einsatz erkauften Gewinnchance durch Veränderung des ordnungsgemäßen Spielablaufs.130 Teilweise wird im Zuge der vorstellbaren Manipulationen bei Sportwetten auch die Möglichkeit genannt, dass der Anbieter schlicht die Einsätze für sich behält oder einen fälligen Gewinn nicht auszahlt.131 Das ist jedoch unzutreffend. Es handelt sich gerade nicht um eine manipulative Entwertung der Gewinnchance bei einem Glücksspiel, sondern um ein allgemeines Vermögensverlustrisiko. Dieses besteht in jedem erdenklichen Fall, in dem einer anderen Person Geld anvertraut oder vorgeleistet wird. Es muss daher bei der glücksspielspezifischen Manipulationsanfälligkeit außen vor bleiben.132 Um einen Gradmesser zu haben, soll die Gefahr von Manipulationen für die Sportwette mit fester Gewinnquote zunächst vergleichsweise untersucht werden, und zwar sowohl in Gegenüberstellung zu der zweiten Sportwettenform des Toto als auch allgemein zu anderen Glücksspielen. Beim Toto bietet der Bereich der nachträglichen Gewinnquotenberechnung anhand der Einsätze und der dert jedoch nichts daran, dass die derzeitigen landesgesetzlichen Regelungen ein (staatliches) Monopol statuieren. 130 Vgl. Deselaers in: Pfister (Hrsg.), Rechtsprobleme der Sportwette, S. 15 (19 f.); Behrens, Vermögensstraftaten, S. 6. 131 BayObLG NJW 2004, 1057 (1058); Weber in: Pfister (Hrsg.), Rechtsprobleme der Sportwette, S. 39 (62 f.); s. auch BVerfGE 115, 276 (306) – Sportwette. 132 Vgl. Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 12a.
132 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
Anzahl der Gewinner133 eine Möglichkeit für Manipulationen. So lässt sich anhand nachträglich mit dem richtigen Ergebnis ausgefüllter Tippscheine eine künstlich erhöhte Anzahl von vermeintlichen Gewinnern erzielen, wodurch die Quote der an die „echten“ Gewinner auszuschüttenden Gewinne geschmälert wird;134 mangels Kenntnis des einzelnen Wettteilnehmers von der Anzahl der Gesamtteilnehmer, der Gesamthöhe der Einsätze und der Anzahl der Gewinner ein nicht ganz fernliegender Eingriff. Bei der Festquotenwette hingegen sind nachträgliche Manipulationen rund um den Gewinn so gut wie ausgeschlossen, da dieser vor Abschluss der Wette feststeht und jeder Wettteilnehmer ihn ohne Weiteres selbst im Voraus errechnen kann. Die Anzahl der sonstigen Teilnehmer, die Höhe von deren Einsätzen oder die Anzahl der Gewinner sind dabei irrelevant.135 Im Vergleich zum Toto ist die Sportwette in der Sphäre des Anbieters demzufolge deutlich weniger manipulationsgeeignet und damit manipulationsanfällig. Dieses Ergebnis bestätigt sich, zieht man eine Parallele zu sonstigen, typischen Glücksspielen, wie etwa dem Roulette, bestimmten Kartenspielen oder auch dem Spiel an einem Automaten. Während derartige Spiele allein vom jeweiligen Anbieter betrieben werden und dieser folglich die alleinige Herrschaftsgewalt über den Ablauf und die Einhaltung der Regeln hat, ist die Sportwette letztlich ein bloßes Derivat eines externen Vorgangs in Form des zugrunde liegenden Sportereignisses, an dem der Anbieter der Sportwette nicht beteiligt ist und auf dessen Verlauf und Ausgang er keinerlei Einfluss hat.136 Möglich wäre nun, dass der Wettanbieter oder einzelne Wettteilnehmer eben jenes externe Sportereignis zu ihren Gunsten manipulieren, indem sie – etwa durch Geldzahlungen – auf Sportler oder Kampfrichter Einfluss nehmen. Prominentes Beispiel für eine solche Manipulation, allerdings nur durch einzelne Wettteilnehmer und nicht durch einen Wettanbieter, ist der Fall „Hoyzer“. Auch wenn er in Deutschland ein Einzelfall geblieben ist, hat er gezeigt, dass die Möglichkeit der Manipulation von Sportereignissen im Hinblick auf einen Wettbetrug grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen ist. Allerdings ist auch hier zwischen den verschiedenen Varianten der Festquotenwette zu differenzieren. Insbesondere Wetten auf bestimmte Begebenheiten innerhalb eines Sportereignisses, beispielsweise welche Mannschaft das nächste Tor erzielt, welcher Sportler aus dem Wettkampf ausscheidet oder ähnliches, lassen sich leichter türken als Tendenzwetten auf den Ausgang eines Sportereignisses.
133
s. dazu o. S. 33. So wiederholt vorgekommen in den 1970er Jahren, s. LG Essen, Urt. v. 21.11. 1980 – Az. 25/183/79; LG Düsseldorf, Urt. v. 7.5.1980 – Az. KLS 21/42 Js 236/76; Behrens, Vermögensstraftaten, S. 110 f.; Weber in: Pfister (Hrsg.), Rechtsprobleme der Sportwette, S. 39 (64). 135 s. dazu o. S. 34. 136 So auch BVerfGE 115, 276 (306) – Sportwette. 134
§ 6 Verfassungs- und europarechtliche Würdigung
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2. Suchtanfälligkeit Für die Evaluation der Suchtanfälligkeit wird zunächst der Begriff der (Glücks-)Spielsucht näher präzisiert und daran orientiert das Gefährdungspotenzial speziell von Sportwetten beleuchtet. a) Diagnose (Glücks-)Spielsucht Die Spielsucht als stoffungebundene Sucht ist heute als klinisch relevante und diagnostizierbare psychische Störung anerkannt.137 Nach dem aktuellen Klassifikationssystem ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) der Weltgesundheitsorganisation WHO besteht die Störung in einem häufig wiederholten episodenhaften Glücksspiel, das die Lebensführung der betroffenen Person beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen führt.138 Als weiteres Klassifikationssystem ist das aktuelle DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) der American Psychiatric Association (APA) anerkannt, die das pathologische Glücksspiel bereits vor der WHO in den Diagnoseschlüssel aufgenommen hatte. Die derzeit gültige Version des DSM-IV definiert pathologisches Glücksspiel als andauerndes und wiederkehrendes, fehlangepasstes Spielverhalten, welches vorliegt, wenn mindestens fünf der folgenden zehn Kriterien erfüllt sind:139 starke Vereinnahmung durch das Glücksspiel, z. B. starkes Beschäftigtsein mit dem gedanklichen Nacherleben vergangener Spielerfahrungen oder dem Planen neuer Spielunternehmungen (1.), Toleranzentwicklung durch Steigern der Spieleinsätze, um die gewünschte Erregung zu erreichen (2.), Abstinenzunfähigkeit ausgedrückt durch wiederholte erfolglose Versuche, das Spiel zu kontrollieren, einzuschränken oder aufzugeben (3.), Entzugserscheinungen ausgedrückt durch Unruhe und Gereiztheit beim Versuch das Spielen einzuschränken oder aufzugeben (4.), Spielen, um Problemen zu entkommen oder Gefühle von Schuld, Hilflosigkeit, Angst oder Depression zu erleichtern (5.), „Hinterherjagen“ von Verlusten, indem oft am nächsten Tag zurückgekehrt wird, um die Verluste des Vortages auszugleichen (6.), Verheimlichung des Ausmaßes der Verstrickung durch Belügen von Familienmitgliedern, Therapeuten oder anderen Vertrauenspersonen (7.), Beschaffungsdelinquenz, d. h. Begehung von Fälschungen, Betrug oder Eigentumsdelikten, um das 137 Vgl. etwa Grüsser-Sinopoli/Albrecht in: Gebhardt/Grüsser-Sinopoli (Hrsg.), Glücksspiel, S. 538 (542 ff.); Petry, Glücksspielsucht, S. 13 f. 138 ICD-10 der WHO, deutsche Version abrufbar unter http://www.dimdi.de/static/ de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2005/fr-icd.htm [zuletzt abgerufen am 30.8.2009], dort Kap. V F.63.0. 139 DSM-IV der American Psychiatric Association, deutsche Übersetzung bei Saß/ Wittchen/Zaudig/Houben, Manual, S. 735, 738 f.; s. auch Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 28.
134 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
Spiel zu finanzieren (8.), Gefährdung oder Verlust einer wichtigen Beziehung, des Arbeitsplatzes, von Ausbildungs- oder Aufstiegschancen durch das Spielen (9.), Verlass darauf, dass andere Geld bereitstellen, um die durch das Spielen verursachte hoffnungslose finanzielle Situation zu überwinden (10.). Trotz des aktuellen Status des pathologischen Spielens als anerkannte Suchtkrankheit bleibt zu beachten, dass die Grenzen zwischen Verhaltensauffälligkeit und Sucht fließend sind und zudem von Wertentscheidungen abhängen, die ihrerseits an Ordnungsprinzipien und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ausgerichtet sein können.140 b) Gefährdungspotenzial Beim Spielen sowie beim Wetten gilt wie bei jedem anderen Konsum die Regel: Die Entwicklung einer krankhaften Abhängigkeit ist möglich, aber nicht zwangsläufig. Grundsätzlich kann jede Neigung zu einer Sucht werden. Im Allgemeinen lässt sich das Gefährdungspotenzial eines Suchtmittels oder einer Tätigkeit anhand des Anteils der süchtig gewordenen Konsumenten im Verhältnis zu der Gesamtgruppe der Konsumenten bzw. der Gesamtbevölkerung beurteilen (sog. Prävalenz).141 Bei dem Phänomen der Glücksspielsucht können zudem situationale und strukturelle Merkmale der einzelnen Glücksspiele analysiert werden, um das Gefährdungspotenzial der verschiedenen Glücksspielformen in Relation zueinander weiter abzuschätzen.142 Zu bemerken ist, dass die empirische Forschung im Bereich der Spielsucht im Vergleich etwa zu Alkohol- oder Drogensucht noch am Anfang steht.143 aa) Prävalenzschätzungen aufgrund epidemiologischer Studien und Therapienachfrage Die vorliegenden Prävalenzschätzungen lassen sich in zwei Berechnungsmethoden einteilen. Einmal werden umfragenbasierte Studien in der entsprechenden Spielergruppe bzw. der Gesamtbevölkerung durchgeführt und einmal wer140 Saß/Wiegand Der Nervenarzt (61) 1990, 435 (436); Reeckmann, Bedeutung der Spielsucht, S. 10; ein solcher Zweckmäßigkeitsgesichtspunkt kann übrigens auch in dem Interesse an der Etablierung eines Krankheitsbildes und der damit verknüpften Finanzierung von Forschung und Therapie liegen. 141 Vgl. auch Becker/Dittmann in: Ennuschat/Badura (Hrsg.), Aktuelle Probleme, S. 113 (115). 142 s. dazu Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 34 m.w. N. 143 So die Forscher selbst, z. B. Schmidt/Hurlemann Sucht (51) 2005, 70 (74); verfehlt daher Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 107 f., die auf der Grundlage einer einzigen, kleinen Studie unter Jugendlichen von einer „unbestrittenen“ und offenbar derart erheblichen Suchtgefahr der Sportwette ausgeht, dass sie „die Volkgesundheit“ als Schutzgut gar des § 284 StGB ausmacht.
§ 6 Verfassungs- und europarechtliche Würdigung
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den Daten von Personen, die entsprechende Beratungs- und Therapieangebote in Anspruch nehmen, auf die Gesamtgruppe der Spieler bzw. die Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Erst seit kurzem existieren zwei, nach eigenen Angaben repräsentative, epidemiologische Studien unter zufällig ausgewählten, in Deutschland lebenden erwachsenen Personen. In der ersten Studie aus dem Jahre 2006 befragte das Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest Sozialforschung GmbH im Auftrag des Bremer Instituts für Drogenforschung per Telefon und Computer 8000 in Deutschland lebende Personen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren nach ihrem Glücksspielverhalten.144 Personen, die mindestens wöchentlich spielen oder mehr als 50 Euro monatlich für Glücksspiele ausgeben, wurden weiterführend nach den DSM-IV Kriterien auf eine pathologische Spielsucht hin getestet. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung erfüllen nach dieser Studie 0,5% die Kriterien einer Spielsucht nach DSM-IV (bezüglich aller Glücksspielformen).145 Aufgeschlüsselt nach einzelnen Glücksspielformen betrug der Anteil pathologischer Spieler an den Befragten, welche die jeweilige Glücksspielart spielen, bei Spielautomaten 8%, bei Casinospielen 6%, bei Sportwetten 4% und bei Lotterien 1% (Mehrfachnennungen waren möglich). Zu anderen Ergebnissen kommt die zweite Studie des Epidemiologischen Suchtsurveys ESA ebenfalls aus dem Jahre 2006, der schriftliche oder telefonische Angaben von 7800 in Deutschland lebenden Personen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren zugrunde liegen.146 Auch hier wurden Personen, die mehr als 50 Euro monatlich für Glücksspiele ausgeben, weiterführend nach den DSM-IV Kriterien auf eine pathologische Spielsucht hin getestet. Dabei wurde eine Prävalenzrate an pathologisch Spielsüchtigen in der deutschen Bevölkerung hinsichtlich aller Glücksspielformen von 0,2% errechnet.147 Bezogen auf die einzelnen Glücksspielformen betrug der Anteil pathologischer Spieler an den Befragten, welche die jeweilige Glücksspielart als Präferenz angegeben hatten, bei Spielautomaten 5,1%, bei Casinospielen 2,8%, bei Sportwetten 1,7% und bei Lotterien gar 0,0%.148 In einer Studie von Schmidt et al. aus dem Jahre 2002, die speziell auf das Glücksspielverhalten von Heranwachsenden abzielte, wurden anhand von Fragebögen 5100 Schüler im Alter von 13 bis 19 Jahren befragt.149 Danach hatten 62% der Jugendlichen in ihrem Leben bereits mindestens einmal an einem der 144
Stöver, Glücksspiele in Deutschland, S. 2. Stöver, Glücksspiele in Deutschland, S. 9. 146 s. Bühringer/Kraus/Sonntag/Pfeiffer-Gerschel/Steiner Sucht (53) 2007, 296 (298). 147 Bühringer/Kraus/Sonntag/Pfeiffer-Gerschel/Steiner Sucht (53) 2007, 296 (301). 148 Bühringer/Kraus/Sonntag/Pfeiffer-Gerschel/Steiner Sucht (53) 2007, 296 (301). 149 Schmidt/Kähnert/Hurrelmann, Konsum von Glücksspielen, S. 68; zusammengefasst in Schmidt/Hurlemann Sucht (51) 2005, 70 (71 ff.). 145
136 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
erfragten Spiele teilgenommen, davon wiederum 18,1% an Sportwetten (sog. Lebenszeitprävalenz); übertroffen noch durch Rubbellose von Lotto (36,2%) sowie Kartenspielen um Geld (29,2%) und gefolgt von dem Spielen an Geldspielautomaten (16,9%).150 Im Rahmen der Spielhäufigkeit kam man zu dem Ergebnis, dass die Sportwette unter den kommerziellen (Glücks-)Spielformen den höchsten Anteil an wöchentlichen bis täglichen Teilnehmern aufwies (38,1%). Dies trägt den Schluss, dass die Sportwette gerade bei Jugendlichen auf einige Resonanz stößt. Obwohl solche Häufigkeitsspieler unter „Problemspielern“151 erkennbar überrepräsentiert sind und eben diese für die Sportwette in besonderem Maße zu verzeichnen sind, können konkrete Aussagen über die Prävalenz nach dieser Studie kaum getroffen werden, da der festgestellte Anteil der „Problemspieler“ lediglich allgemein in Relation zu sämtlichen Glücksspielteilnehmern (9%) bzw. den Befragten insgesamt (3%) und nicht aufgeschlüsselt nach den einzelnen (Glücks-)Spielformen erfasst wurde.152 Zwei kleinere, umfragenbasierte Studien speziell in der Gruppe aktiver Sportwetter führten Plöntzke et al. im Jahre 2003 durch. Dabei wurden 108 Personen in zufällig ausgewählten Wettlokalen österreichischer Wettanbieter sowie 114 Personen in Berliner Wettlokalen während bzw. direkt im Anschluss an ihre Wetttätigkeit von geschulten Psychologen interviewt.153 In beiden Studien wurde bei einer beachtlichen Zahl der Befragten – über ein Drittel – ein pathologisches Spielverhalten i. S. d. DSM-IV bzw. ICD-10 Kriterien diagnostiziert.154 Daraus schlussfolgern Plöntzke et al., dass Sportwetten in Analogie zur Abhängigkeit von psychotropen Substanzen, ein Suchtpotenzial bergen.155 Aufgrund des Rekrutierungsortes (im Wettlokal während bzw. direkt nach dem aktiven Wetten) und der geringen Zahl der Befragten muss jedoch von einer sehr eingeschränkten Stichprobenauswahl ausgegangen werden. Da es sich also nicht um eine repräsentative Stichprobe handelt, geben die Autoren selbst zu bedenken, dass eine allgemeingültige Aussage bezüglich der Prävalenz, auch im Vergleich zu anderen Glücksspielformen, nicht möglich ist.156
150
Schmidt/Kähnert/Hurrelmann, Konsum von Glücksspielen, S. 72. Unter „Problemspielern“ verstehen die Autoren pathologische Spieler i. S. adaptierter DSM-IV Kriterien, Schmidt/Kähnert/Hurrelmann, Konsum von Glücksspielen, S. 88. 152 Schmidt/Hurlemann Sucht (51) 2005, 70 (72). 153 Plöntzke/Albrecht/Thalemann/Grüsser Wiener Medizinische Wochenschrift (154) 2004, 372 (372 ff.) sowie Plöntzke/Albrecht/Grüsser psychomed 2004, 142 (143 ff.). 154 Plöntzke/Albrecht/Thalemann/Grüsser Wiener Medizinische Wochenschrift (154) 2004, 372 (374 ff.). 155 Plöntzke/Albrecht/Thalemann/Grüsser Wiener Medizinische Wochenschrift (154) 2004, 372 (376). 156 Plöntzke/Albrecht/Thalemann/Grüsser Wiener Medizinische Wochenschrift (154) 2004, 372 (376); ebenso Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 51. 151
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Eine Prävalenzschätzung auf der Basis der Gesamtzahl an Therapienachfragen durch Spieler in ambulanten Suchtberatungsstellen in den Jahren 2005 und 2006 nimmt Meyer vor.157 Bei der Hochrechnung auf die Gesamtbevölkerung geht er davon aus, dass 3 bis 5% aller pathologischen Spieler sich tatsächlich an eine Suchtberatungsstelle wenden und orientiert sich damit an dem entsprechenden Prozentsatz der Therapienachfrage bei Alkoholabhängigen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass zwischen 0,1 und 0,2% der deutschen Bevölkerung zu der Gruppe der beratungs- und behandlungsbedürftigen Spieler gehören (bezogen auf alle Glücksspielformen).158 Ferner erhoben Hayer/Meyer in einer Studie während der Jahre 2002–2004 mithilfe von Fragebögen und Leitfaden-Interviews Daten von 489 Personen, die sie über ambulante oder stationäre Hilfeeinrichtungen und Spieler-Selbsthilfegruppen in Nordrhein-Westfalen rekrutierten, und spezifizierten die folgende Befragung im Hinblick auf einzelne Glücksspielformen.159 19,6% der Probanden erlebten die Beteiligung an Sportwetten (inklusive Pferderennwetten) als „problembehaftet“160, im Vergleich zu 79,3% bei Geldspielautomaten, 32,4% bei Glücksspielautomaten, 16,8% bei den Casinospielen Roulette und Black Jack und 2,2% beim Toto.161 Hier waren Mehrfachnennungen möglich, im Schnitt berichteten die Probanden von 1,78 problembehafteten Glücksspielformen. In einer Rangliste wurden Sportwetten lediglich in 2,8% der Fälle als Spielform angegeben, die am ehesten Probleme verursacht (im Vergleich zu 77% bei Geld- und Glücksspielautomaten).162 In einer Substichprobe wurden 20 Personen aus der Gruppe der Sportwetten-„Problemspieler“ ausgewählt und weiter befragt; mit dem Ergebnis, dass 18 dieser 20 Personen als pathologische Spieler i. S. d. DSM-IV Kriterien klassifiziert wurden.163 Die Befunde dieser Studie sind vor dem Hintergrund der Spezifität der Stichprobe – ausschließlich Personen, die aufgrund glücksspielbezogener Probleme Versorgungsangebote in Anspruch nahmen – zu interpretieren. Die problemhierarchische Rangliste der Glücksspielformen legt die Vermutung nahe, dass die Sportwette vielfach ein (weiteres) Betätigungsfeld von Spielern ist, die allgemein spielsuchtgefährdet sind. Die Autoren selbst weisen darauf hin, dass eine Übertragung der gewon-
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Meyer Jahrbuch Sucht 2007, 99 (113); ders. Jahrbuch Sucht 2008, 120 (134). Meyer Jahrbuch Sucht 2007, 99 (113); ders. Jahrbuch Sucht 2008, 120 (134). 159 Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 64 f., 81. 160 Der Begriff des „Problemspielers“ wird von den Autoren als „Überbegriff“ verwendet, der „die verschiedenen Dimensionen glücksspielbezogener normabweichender Verhaltens- und Erlebensweisen umfassen kann“, Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 27. 161 Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 82. 162 Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 87 f. 163 Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 101 f. 158
138 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
nenen Erkenntnisse auf alle Personen mit problematischem Glücksspielverhalten genauso wenig angemessen ist wie auf die Gesamtheit der Bevölkerung.164 Abschließend sei der offizielle Suchtbericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung aus dem Jahre 2008 erwähnt. Hierin wird davon ausgegangen, dass der Anteil aller pathologischen Glücksspieler in der deutschen Bevölkerung bei knapp 0,2% liegt.165 Eine Bestimmung oder verlässliche Schätzung der Prävalenz speziell im Hinblick auf Sportwetten, d. h. des Anteils der süchtig gewordenen Sportwetter im Verhältnis zur Gesamtgruppe der Sportwetter in Deutschland, ist anhand der existierenden Studien nicht möglich. Weitere, ausführlichere Untersuchungen wären hierfür von Nöten.166 Als gesichert kann immerhin die Erkenntnis gelten, dass einerseits ein gewisses Suchtpotenzial der Festquotenwette messbar ist, andererseits im Vergleich zu anderen Glücksspielformen das Suchtpotenzial weitaus geringer ist. Die mit Abstand größte Gruppe unter den Spielsüchtigen stellen die Geld- und Glücksspielautomaten, gefolgt von casinotypischen Würfel-, Karten- oder Roulettespielen. Erst danach rangiert die Sportwette.167 bb) Analyse der strukturellen und situationalen Merkmale Wie bereits erwähnt, wird zusätzlich zu der empirischen Untersuchung der Suchtanfälligkeit bei Glücksspielen oftmals eine Analyse der strukturellen und situationalen Merkmale vorgenommen. Dies ermöglicht eine Differenzierung der verschiedenen Glücksspielformen im Hinblick auf den Spielanreiz, der jeweils von ihnen ausgeht.168 (1) Ereignisfrequenz Spiele mit hoher Ereignisfrequenz, d. h. mit rascher Spielabfolge und kurzem Auszahlungsintervall, erzeugen einen höheren Aktivierungsgrad, wodurch die angestrebte Wirkung über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden kann. Verlusterlebnisse können über ein zeitnahes Weiterspielen wieder ausgeblendet und Gewinne umgehend in das Spiel reinvestiert werden. Gerade die extrem rasche Spielabfolge mit kurzem Auszahlungsintervall bei Glücks- oder
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Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 147. Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Drogen- und Suchtbericht, S. 96. 166 Vielfach gefordert, s. nur Schmidt/Hurlemann Sucht (51) 2005, 70 (74). 167 s. auch Becker/Dittmann in: Ennuschat/Badura (Hrsg.), Aktuelle Probleme, S. 113 (124); Meyer/Bachmann, Spielsucht, S. 53 m.w. N. 168 s. daher zu den folgenden Merkmalen Meyer/Bachmann, Spielsucht, S. 67 ff.; Diegmann ZRP 2007, 126 (127); Wissenschaftliches Forum Glücksspiel ZfWG 2008, 1 (2 ff.). 165
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Geldspielautomaten wird für deren hohes Suchtpotenzial verantwortlich gemacht, während beim Zahlenlotto höchstens zwei Spielereignisse pro Woche möglich sind, bei denen die Gewinne die Spieler erst nach Tagen erreichen.169 Auch der herkömmliche Fußball-Toto findet mit langem Auszahlungsintervall nur einmal wöchentlich statt. Das derzeitige umfassende Angebot an Festquotenwetten ermöglicht es dagegen, auf Sportereignisse zu wetten, die nahezu über die ganze Woche verstreut stattfinden; bei den sog. Live-Wetten kann sogar während ein und desselben Sportereignisses noch mehrfach gewettet werden. Die Zeitspanne zwischen Einsatz und Spielergebnis bzw. Gewinnauszahlung ist ebenfalls verhältnismäßig kurz. (2) Ausmaß der persönlichen Beteiligung Eine aktive Einbeziehung des Spielers in den Spielablauf, beispielsweise über die Betätigung von Start-, Stopp- und Risikotasten an Automaten, fördert Erwartungen, das Spielergebnis beeinflussen zu können, und erhöht auf diese Weise die Attraktivität eines Spiels. Sportwetten zeichnen sich in nicht unerheblichem Umfang durch persönliche Beteiligung aus, angefangen mit der Auswahl der Wette bis hin zur Nutzung des eigenen Sportwissens, das die Gewinnchancen verbessert. Bei der Sportwette kommt hinzu, dass die Verknüpfung von Sportbegeisterung und dem Einsatz von Geld die Spannung und den Nervenkitzel erhöht, wenn zusätzlich zum fanorientierten Mitfiebern nunmehr wahrhaftig Geld auf dem Spiel steht. Gerade bei knappen Spielausgängen wird das Erleben von Ungewissheit und (An-)Spannung über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten. (3) Flexible Einsatzhöhe und Gewinnmöglichkeit Ein breites Spektrum an Einsätzen und Gewinnchancen, d. h. das quotenmäßige Verhältnis zwischen Einsatz und Gewinn, steigert den Spielanreiz, indem es gewährleistet, dass durch höhere Einsätze oder Gewinnmöglichkeiten in einem Spiel erlittene Verluste wieder ausgeglichen oder erzielte Gewinne vervielfacht werden können. Bei den Automatenspielen wird dies durch die Risikotaste realisiert. Zudem ist es der Automatenindustrie durch eine Verknüpfung von Spielabläufen gelungen, einschränkende Bestimmungen bezüglich Höchsteinsatz, Höchstgewinn und Mindestlaufzeit zu umgehen, sodass mittlerweile beträchtliche Gewinne und Verluste möglich sind.170 Im Gegensatz zum Toto ist bei den Angeboten der Festquotenwette die Höhe des Einsatzes grundsätzlich nicht vorgegeben. Zwar ist der Höchsteinsatz pro Wette begrenzt (beim staat169 Vgl. Schmidt/Hurlemann Sucht (51) 2005, 70 (73); Meyer/Bachmann, Spielsucht, S. 67. 170 v. Hippel ZRP 2001, 558 (560).
140 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
lichen Anbieter ODDSET auf derzeit 500 Euro), es steht dem Teilnehmer jedoch frei, beliebig viele Wetten – gegebenenfalls auch bei unterschiedlichen Anbietern – abzuschließen. (4) Psychologie der Fast-Gewinne Häufige Fast-Gewinne fördern die Spielintensität, da aus der Perspektive des Spielers trotz faktischer Verluste die Erwartung erzeugt wird, auf dem besten Weg zu einem Gewinn zu sein, was eine optimistische Erwartungshaltung in Bezug auf zukünftige Spielteilnahmen induziert. Geradezu typisch hierfür ist eine größere Anzahl von Gewinnsymbolen auf den zuerst einlaufenden Walzen/ Scheiben von Automaten und das letztendliche Fehlen lediglich eines Gewinnsymbols. Bezogen auf Sportwetten stellen die richtige Prognose von drei anstatt vier Ausgängen von Sportereignissen im Rahmen einer Kombinationswette oder der Verlust des Einsatzes quasi in letzter Minute durch einen knappen Ausgang des Sportereignisses Beispiele für derartige Fast-Gewinne dar. (5) Verfügbarkeit und Griffnähe Die leichte Verfügbarkeit und Griffnähe eines Spielangebots steht in direkter Verbindung mit einer vermehrten Nachfrage und einem erhöhten Auftreten problematischen Spielverhaltens bei entsprechend anfälligen Personen. Insbesondere die leichte Zugänglichkeit der Geldspielautomaten nicht nur in Spielhallen, sondern auch einer Vielzahl von Kneipen oder Gaststätten gilt als wesentlicher Faktor für deren hohe Suchtanfälligkeit.171 Bei den Sportwetten operiert ein Großteil der Anbieter (auch) über das Internet, wo der Kunde zu jeder Tagesund Nachtzeit schnell, unkompliziert und über ein bargeldloses Zahlungs- und Inkassosystem wetten kann. Mittels des Internets zeichnet sich die Sportwette also durch eine leichte Verfügbarkeit und Griffnähe aus. Zum Teil wird den genannten Kriterien vorgeworfen, es handele sich um bloße allgemeine Bedingungen für menschliches Handeln schlechthin.172 In der Tat liefern diese Wirkmechanismen zwar einleuchtende Gründe dafür, dass überwiegend Automaten- und Casinospieler unter den Spielsüchtigen auftauchen, beispielsweise aber kaum Lottospieler, obwohl das Zahlenlotto in der Bevölkerung mit Abstand am weitesten verbreitet ist. Allerdings darf nicht, wie es leider vielfach geschieht,173 von der Betrachtung allein nach diesem Schema 171
v. Hippel ZRP 2001, 558 (559 f.). Kühne in: FS F.-C. Schroeder, S. 545 (549). 173 Etwa Thaysen, Sportwetten, S. 61 f.; Diegmann ZRP 2007, 126 (127) oder auch Wissenschaftliches Forum Glücksspiel ZfWG 2008, 1 (2 ff.), die das Suchtpotenzial allein anhand dieser Strukturmerkmale bestimmen. 172
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der Strukturmerkmale auf ein (erhebliches) Suchtpotenzial der Sportwette geschlossen werden.174 Es handelt sich lediglich um die Beurteilung von Anreizsituationen, die nur einen von vielen Faktoren bei der Entstehung einer Spielsucht darstellen. c) Ergebnis Nach alldem ist davon auszugehen, dass die Sportwette objektiv sowie im Vergleich zu anderen Glücksspielformen, wie etwa dem Lotto, ein gewisses Suchtpotenzial entfaltet, dieses jedoch in keiner Weise an dasjenige von Geldund Glücksspielautomaten oder auch casinotypischer Karten- und Würfelspiele heranreicht.175 Berücksichtigt man mit der gebotenen Vorsicht zudem die oben dargestellten Ergebnisse der bis dato existierenden Studien in Bezug auf die Anzahl pathologischer Sportwetter unter den Spielsüchtigen sowie die Anreize durch die strukturellen und situationalen Merkmale der Sportwette, ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte für eine durchaus vorhandene Suchtanfälligkeit bestimmter Spielergruppen.176 Für die große Mehrheit der Wettteilnehmer freilich haben Sportwetten reinen Erholungs- und Unterhaltungscharakter.177 Zu beachten ist auch, dass die jeweilige Ausgestaltung des Sportwettenangebots im Einzelfall erheblichen Einfluss auf die dargestellten strukturellen und situationalen Merkmale hat. 3. Zusammenfassung Es ergibt sich ein differenziertes Bild. Die Manipulationsanfälligkeit von Sportwetten ist zwar deutlich niedriger als die des Toto oder anderer Glücksspiele, aber, wie die Ermittlungen im Fall „Hoyzer“ gezeigt haben, im Rahmen einer (aufwendigen) Manipulation des zugrunde liegenden Sportereignisses grundsätzlich gegeben. Die Suchtanfälligkeit ist nach derzeitigem Erkenntnisstand ebenfalls in einem gewissen, jedenfalls messbaren Maß vorhanden, wenn auch deutlich geringer ausgeprägt als bei den klassischen Glücksspielen.
174
So zutreffend Reeckmann, Staatsvertrag zum Lotteriewesen, S. 35. Meyer/Bachmann, Spielsucht, S. 67 f.; Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 157 f.; Becker/Dittmann in: Ennuschat/Badura (Hrsg.), Aktuelle Probleme, S. 113 (124). 176 So auch BVerfGE 115, 276 (305) – Sportwette; Hayer/Meyer, Gefährdungspotenzial, S. 51; Dietlein K & R 2006, 307 (310). 177 So ausdrücklich auch BVerfGE 115, 276 (305) – Sportwette, unter Verweis auf Hayer/Meyer Sucht 2003, 212 (218); Schmidt/Kähnert/Hurrelmann, Konsum von Glücksspielen, S. 166. 175
142 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
II. Verfassungsmäßigkeit eines Sportwettenmonopols der Länder Zunächst wird erläutert, inwiefern die Bundesländer nach dem Grundgesetz überhaupt zuständig sind für die Regelung des Sportwettenrechts (s. u. 1.). Darauf folgend wird die materielle Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Sportwettenmonopols untersucht (s. u. 2.). Das betrifft vor allem die Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit privater Wettanbieter gemäß Art. 12 Abs. 1 GG, verknüpft mit Elementen des allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Hierbei wird insbesondere auf das einschlägige Sportwetten-Urteil des BVerfG vom 28.3.2006178 Bezug genommen. 1. Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer Wie dargestellt, ist die Zulassung zur Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten derzeit – ebenso wie das Recht der Lotterien und Spielbanken – landesgesetzlich geregelt. Oftmals ist von einer allgemeinen „Glücksspielhoheit der Länder“ die Rede und die Gesetzgebungskompetenz für das Sportwettenrecht wird aus der Zuständigkeit der Länder für das Polizei- bzw. Sicherheitsund Ordnungsrecht gemäß Art. 30, 70 Abs. 1 GG hergeleitet.179 Schließlich gehe es um die Abwehr von Gefahren des Glücksspiels, insbesondere der Suchtgefahr.180 Das BVerfG geht hinsichtlich des Sportwettenrechts jedoch ausdrücklich von einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft) aus, von der der Bund bis auf den Bereich der Pferderennwetten (RWG) keinen Gebrauch gemacht hat und die die Länder deshalb gemäß Art. 72 Abs. 1 GG wahrnehmen können.181 Insbesondere scheitert die Einordnung unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG nicht an dem ordnungsrechtlichen Aspekt der Regelungsmaterie.182 Nur solche Regelungen, bei denen die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung den alleinigen und unmittelbaren Gesetzeszweck bildet, können dem allgemeinen Polizeirecht und da178
BVerfGE 115, 276 – Sportwette. Etwa Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 70; Dietlein GewArch 2005, 89 (89); Janz NJW 2003, 1694 (1699), stets unter Berufung auf BVerfGE 28, 119 (146 ff.) – Spielbank I, wo das Spielbankenrecht aufgrund eines antiquierten Wirtschaftsbegriffs zum Polizeirecht der Länder gezählt wurde: Der Betrieb einer Spielbank befasse sich nicht mit der Erzeugung, Herstellung oder Verteilung von Gütern und sei daher keine wirtschaftliche Betätigung. 180 Vgl. Pestalozza NJW 2006, 1711 (1713). 181 BVerfGE 115, 276 (304, 318 f.) – Sportwette, zust. u. a. Pieroth in: Pieroth (Hrsg.), Der Glücksspielstaatsvertrag, S. 1 (10 ff.); Bethge DVBl. 2007, 917 (922); zuvor schon Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 49 ff.; Pieroth/Störmer GewArch 1998, 177 (179). 182 So auch ausdrücklich BVerfGE 115, 276 (318 f.) – Sportwette. 179
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mit dem Zuständigkeitsbereich der Länder zugerechnet werden.183 Zwar werden in § 1 des geltenden GlüStV ausschließlich ordnungsrechtliche Ziele statuiert. Das vermag hingegen nichts daran zu ändern, dass de facto die wirtschaftliche Betätigung von (staatlichen und privaten) Sportwettenanbietern sowie deren Zugang zum Markt geregelt werden. Die Gefahrenabwehr stellt also jedenfalls nicht den alleinigen und unmittelbaren Gesetzeszweck dar. Auch für das bundesgesetzliche RWG, das bekanntlich die Veranstaltung und Vermittlung von Pferderennwetten regelt, ist anerkannt, dass sich die diesbezügliche Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ergibt. Nach dem BVerwG ist der Betrieb eines Buchmachers bei Pferderennen eine wirtschaftliche Betätigung; der Buchmacher will nämlich einen Gewinn erzielen, welcher – anders als bei einer Spielbank – auch nicht allein Zufallsprodukt eines wechselnden Spielverlaufs ist, sondern durch den Buchmacher jedenfalls bei Wetten mit festen Gewinnquoten auch mit der Festlegung der Wettquoten gesteuert wird.184 Nicht anders verhält es sich bei den Buchmachern sonstiger Sportarten, diese betreiben ebenso eine wirtschaftliche Betätigung.185 Die Gesetzgebungskompetenz liegt gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG beim Bund. Da dieser davon aber nicht abschließend Gebrauch gemacht hat, konnten die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG mit dem GlüStV das Sportwettenrecht regeln. Formell verfassungswidrig aufgrund mangelnder Zuständigkeit und damit nichtig ist dagegen die Ermächtigung der Länder in § 24 GlüStV zum Erlass eigener Strafvorschriften für den Fall eines Verstoßes gegen Bestimmungen des Vertrages. Das Glücksspiel betreffend hat der Bund mit den §§ 284 ff. StGB von seiner Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 StGB abschließend Gebrauch gemacht, vergleiche auch Art. 4 Abs. 2 EGStGB. Für weitere Strafvorschriften fehlt den Ländern in diesem Bereich die Gesetzgebungskompetenz.186 Ebenfalls kompetenzwidrig sind die Begriffsbestimmungen in § 3 GlüStV, soweit sie die entsprechenden Begriffe in den Strafnormen des § 284 StGB bzw. der §§ 3, 9 StGB definieren wollen. Dass zumindest § 3 Abs. 1, 2 (Definition des Glücksspielbegriffs) und Abs. 4 GlüStV (Ort des Veranstaltens) einen solchen Anspruch verfolgen, ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschriften selbst als auch insbesondere aus der amtlichen Begründung des Vertrags.187 Die 183 So grdl. BVerfGE 8, 143 (149 f.) zur Abgrenzung zwischen dem Recht der Wirtschaft und dem allgemeinen Polizeirecht. 184 BVerwGE 97, 12 (14 f.). 185 Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 50. 186 So auch Lüderssen, Strafdrohungen, S. 30 ff.; Korte GewArch 2004, 188 (189 f.); Wrage JR 2001, 405 (407); Ministerium der Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz, zitiert nach VG Koblenz GewArch 2004, 210 (211). 187 s. die amtl. Begründung zum GlüStV S. 11, wiedergegeben z. B. in bayerische LT-Drs. 15/8486 S. 9 ff., bezüglich § 3 Abs. 1 S. 3 GlüStV: „Eine weitergehende Klar-
144 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
Länder besitzen bis auf das Merkmal der behördlichen Erlaubnis keinerlei Kompetenz zur bestimmenden Auslegung oder Konkretisierung der bundesrechtlichen Strafvorschrift des § 284 StGB.188 Insoweit entfaltet § 3 GlüStV jedenfalls keinerlei Relevanz oder gar Bindungswirkung für die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 284 StGB bzw. der §§ 3, 9 StGB.189 2. Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG In materieller Hinsicht muss sich das staatliche Sportwettenmonopol, das die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten den Ländern vorbehält und simultan potenzielle private Anbieter vom Markt ausschließt, an Art. 12 Abs. 1 GG messen lassen. Methodisch sind die folgenden Ausführungen an einer klassischen Grundrechtsprüfung ausgerichtet. a) Eröffnung des Schutzbereichs und Eingriff Die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten unterfällt als berufliche Tätigkeit ohne Einschränkungen dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG.190 Es handelt sich nach zutreffender Einschätzung des BVerfG um eine grundsätzlich erlaubte Tätigkeit. Eine Beschränkung des Schutzbereichs, wie sie allenfalls bei „ihrem Wesen nach schlechthin gemeinschaftsschädlichen Tätigkeiten“ diskutiert wird, kommt nicht in Betracht.191 Insbesondere können die landesgesetzlichen Regelungen, selbst wenn man diesen ein einfachgesetzliches Verbot der Tätigkeit für Private entnehmen wollte, und auch die Strafvorschrift des § 284 StGB keine solche Beschränkung des Schutzbereichs i. S. d. Art. 12 Abs. 1 GG begründen.192 Auch handelt es sich weder um eine Tätigkeit, die von vornherein stellung erscheint geboten, weil es zu dieser Frage in Literatur und Rechtsprechung [. . .] nach wie vor vereinzelte Stimmen gibt, die Wetten unter die Geschicklichkeitsspiele subsumieren [. . .]“, das bezieht sich eindeutig auf die oben dargestellte strafrechtliche Diskussion (s. o. S. 47 ff.); sowie S. 12 bezüglich § 3 Abs. 4 GlüStV: „Dies gilt auch für Angebote, die vom Ausland aus in das Internet eingestellt werden, da auch hier eine Teilnahme am Glücksspiel von Deutschland aus ermöglicht wird“, das bezieht ganz offensichtlich auf die Frage der Anwendung deutschen Strafrechts auf ebensolche Angebote (s. o. S. 71 ff.). 188 So auch Kim/Dübbers ZfWG 2006, 220 (221); Leupold MR-Int 2005, 55 (57). 189 Ebenfalls für formell verfassungswidrig und damit nichtig wird das allgemeine Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV gehalten, da es gegen das bundesrechtliche in §§ 2 Abs. 2 Nr. 5, 5 TDG bzw. jetzt §§ 1, 4 TMG verankerte Prinzip der Zugangsfreiheit verstoße, s. dazu Thaysen, Sportwetten, S. 39 ff. 190 BVerfGE 115, 276 (300 ff.) – Sportwette; ebenso BVerwGE 114, 92 (97 f.). 191 So ausdrücklich BVerfGE 115, 276 (300 f.) – Sportwette, betonend, dass das Anbieten von Sportwetten auch i. S. d. Gemeinschaftsrechts als wirtschaftliche Tätigkeit anerkannt sei; vgl. auch EuGH Slg. 2003 I-13076 Rn. 44 ff. – Gambelli. 192 So bereits BVerwGE 96, 293 (296 f.); v. Münch/Kunig/Gubelt, GG Art. 12 Rn. 9.
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nur der öffentlichen Hand vorbehalten ist, noch folgt ein solcher Vorbehalt aus der einfachgesetzlichen Monopolisierung.193 Indem der GlüStV die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten unter einen behördlichen Erlaubnisvorbehalt stellt (§ 4 GlüStV) und gleichzeitig statuiert, dass lediglich staatlichen oder staatlich kontrollierten, nicht aber privaten Anbietern eine solche Erlaubnis erteilt werden kann (§ 10 GlüStV), stellt er einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Berufsfreiheit potenzieller privater Anbieter dar. Er weist insoweit auch die nötige berufsregelnde Tendenz auf. b) Rechtfertigung des Eingriffs aa) Dogmatische Ausgangslage Die Rechtfertigung von Eingriffen in die Berufsfreiheit wird ermöglicht durch den Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG, der sich nach herrschender Meinung entgegen seinem Wortlaut sowohl auf die Freiheit der Berufsausübung als auch auf die der Berufswahl erstreckt.194 Jedoch unterliegt die Rechtfertigung nach der klassischen sog. Drei-Stufen-Lehre, die das BVerfG bereits 1958 im Apothekenurteil entwickelte,195 umso höheren Anforderungen insbesondere an die mit dem Eingriff verfolgten Zwecke, je intensiver der jeweilige Eingriff ist: Auf unterster Stufe stehen Beschränkungen der Berufsausübung, die sich lediglich auf die Art und Weise der Berufsausübung beziehen. Sie sind zur Verfolgung legitimer Gemeinwohlinteressen zulässig. Auf der zweiten Stufe wird die Berufswahl durch subjektive Zulassungsvoraussetzungen beschränkt. Sie machen den Zugang zu dem Beruf von persönlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten des Bewerbers abhängig, welche dieser beeinflussen kann. Subjektive Zulassungsvoraussetzungen müssen dem Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter dienen. Die dritte Stufe und schwerste Beeinträchtigung bilden Beschränkungen der Berufswahl bzw. Zulassungsvoraussetzungen anhand objektiver Kriterien, wie etwa eine zahlenmäßige Beschränkung, auf deren Erfüllung der Bewerber keinerlei Einfluss hat. Solche objektiven Zulassungsvoraussetzungen sind nur zulässig, wenn sie zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher, schwerer Gefahren für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter zwingend geboten sind.
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BVerfGE 115, 276 (301 f.) – Sportwette. St. Rspr. seit BVerfGE 7, 377 (402 f.) – Apotheke; s. Maunz/Dürig/Scholz, GG Art. 12 Rn. 312 m.w. N. (Stand: Juni 2006); ausdrücklich auch BVerfGE 102, 197 (213) – Spielbank II und BVerfGE 115, 276 (303 f.) – Sportwette. 195 BVerfGE 7, 377 (401, 403, 405 ff.) – Apotheke; vgl. im Folgenden etwa BVerfGE 28, 364 (375); 58, 283 (290); 95, 173 (183). 194
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Trotz mancher Kritik aus der Literatur196 beansprucht die Drei-Stufen-Lehre noch heute Gültigkeit und bildet nach wie vor die Eckpfeiler für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Berufsfreiheit. Ihre begrifflichen Vorgaben verbindet das BVerfG nunmehr mit einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung.197 bb) Das staatliche Sportwettenmonopol als objektive Berufszulassungsbeschränkung Für potenzielle private Sportwettenanbieter ist es unabhängig von subjektiven Voraussetzungen unmöglich, eben diese Tätigkeit als Beruf zu wählen. Mit dem staatlichen Sportwettenmonopol geht ein entsprechendes Veranstaltungs- und Vermittlungsverbot für Private unmittelbar einher. Es handelt sich somit um eine objektive Zulassungsbeschränkung,198 deren Ziel entsprechend der DreiStufen-Lehre die Abwehr „nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ sein muss. Zwar erwähnt das BVerfG in der Sportwetten-Entscheidung vom 28.3.2006 die DreiStufen-Lehre bzw. die Klassifizierung des Eingriffs als objektive Zulassungsschranke nicht ausdrücklich, fordert im Rahmen der verfassungslegitimen Ziele gleichwohl „überragend wichtige Gemeinwohlziele“, für die eine „höchstwahrscheinliche Gefahr“ bestehen muss.199 In Anbetracht dieser einschlägigen und unverwechselbaren Terminologie und mangels gegenteiliger Äußerungen ist davon auszugehen, dass das Gericht de facto die Drei-Stufen-Lehre und deren Anforderungen an eine objektive Zulassungsbeschränkung bedient. Dennoch wird für die vorliegende Konstellation eine Verschiebung des Prüfungsmaßstabes in beide Richtungen, d. h. sowohl i. S. e. Absenkung als auch i. S. e. Anhebung der Rechtfertigungsanforderungen ins Spiel gebracht. (1) Absenkung der Rechtfertigungsanforderungen aufgrund „atypischer Besonderheiten“ des Buchmacherberufs? Im Jahre 2000 judizierte das BVerfG bezüglich des Betriebs einer Spielbank, dass der weitreichende Grundrechtsschutz gegen objektive Zulassungsbeschrän196
Dreier/Wieland, GG Art. 12 Rn. 112 ff. m.w. N. BVerfGE 86, 28 (40 ff.); 87, 287 (321 f.); 106, 216 (218); 111, 10 (32); Sachs/ Tettinger/Mann, GG Art. 12 Rn. 109, 114. 198 So ausdrücklich BVerwGE 114, 92 (99); Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, § 30 Rn. 38; Korte, Glücksspielwesen, S. 239, 241; Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 44. 199 BVerfGE 115, 276 (305) – Sportwette; die ausdrückliche Erwähnung mag auch deshalb fehlen, weil sie bereits in der vorgehenden Entscheidung des BVerwG erfolgte, BVerwGE 114, 92 (99), und das BVerfG hierauf Bezug nimmt, BVerfGE 115, 276 (284) – Sportwette. Eine Abweichung hätte das BVerfG sicherlich erwähnt und begründet. 197
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kungen nur für Berufe gelte, die ihrer Art nach sowie hinsichtlich der Möglichkeiten, den jeweiligen Beruf auch tatsächlich zu ergreifen, nicht durch „atypische Besonderheiten“ gekennzeichnet seien.200 Der Betrieb einer Spielbank weise solche atypischen Besonderheiten auf, da es sich um eine an sich unerwünschte Tätigkeit handele und die Zahl der Spielbanken herkömmlich in erheblichem Maße beschränkt sei. Ausreichend sei es deshalb, wenn mit der objektiven Zulassungsbeschränkung „wichtige Gemeinwohlbelange verfolgt würden“.201 Teilweise wird unterstellt, das BVerfG habe auch in der SportwettenEntscheidung vom 28.3.2006 einen derart abgesenkten Prüfungsmaßstab angelegt.202 Diese Annahme entbehrt jedoch jeglicher Grundlage. Von „atypischen Besonderheiten“ des Buchmacherberufs sowie einer Reduzierung der Rechtfertigungsanforderungen ist in der Entscheidung an keiner Stelle die Rede. Insbesondere angesichts der klaren Äußerungen zum uneingeschränkten Schutz des Buchmacherberufs durch Art. 12 Abs. 1 GG203 muss davon ausgegangen werden, dass das Gericht im Falle einer Absenkung des Prüfungsmaßstabs zur Eingriffsrechtfertigung dies auch erwähnt (und begründet) hätte. Wie soeben ausgeführt, kann sich daraus, dass das Gericht die Eingriffsstufe nicht explizit benennt, nichts anderes ergeben, da es ausdrücklich auf die einschlägigen terminologischen Anforderungen an die Rechtfertigung eines Engriffs auf der dritten Stufe abstellt.204 Ohnehin vermag eine Absenkung des Rechtfertigungsmaßstabes aufgrund „atypischer Besonderheiten“ des Berufs in Form von dessen „Unerwünschtheit“, wie es das BVerfG in der Spielbankentscheidung getan hat, dogmatisch nicht einmal ansatzweise zu überzeugen.205 Ein derart subjektives Kriterium wie die Er- oder Unerwünschtheit eines Verhaltens kann für die – stets angezeigte – rechtliche und damit objektive Beurteilung eines Sachverhalts keine Relevanz 200 BVerfGE 102, 197 (215) – Spielbank II; s. zum bayerischen Spielbankenmonopol neuerdings auch den Nichtannahmebeschluss des BVerfG in NVwZ-RR 2008, 1 (2). 201 BVerfGE 102, 197 (215) – Spielbank II. 202 So Pieroth in: Pieroth (Hrsg.), Der Glücksspielstaatsvertrag, S. 1 (30); Pestalozza NJW 2006, 1711 (1712); Kment NVwZ 2006, 617 (619); ausdrücklich offen gelassen wurde die Frage, ob der reduzierte Maßstab auch für das Anbieten von Sportwetten gilt, in der vorgehenden Entscheidung BVerwGE 114, 92 (99), bereits insoweit unzutreffend Kment NVwZ 2006, 617 (619). 203 BVerfGE 115, 276 (300 ff.) – Sportwette. 204 BVerfGE 115, 276 (305) – Sportwette; s. auch Horn JZ 2006, 789 (790). 205 Kritisiert auch von v. Mangoldt/Klein/Starck/Manssen, GG Art. 12 Rn. 258; Lerche in: FS Canaris, S. 1193 (1194); Kolb, Veranstaltung von Glücksspielen, S. 97 f.; Brüning JZ 2009, 29 (29); und sogar von ausdrücklichen Befürwortern eines staatlichen Glücksspielmonopols, Dietlein BayVBl. 2002, 161 (163); Thiel GewArch 2001, 96 (99). Widersprüchlich und unzutreffend dann jedoch der gemeinsame Beitrag Dietlein/Thiel NWVBl. 2001, 170 (173), in dem ohne Begründung von einer Ausdehnung des abgesenkten Prüfungsmaßstabs auf den Sportwettenbereich ausgegangen wird.
148 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
entfalten. Wollte man die „Unerwünschtheit“ dagegen im Sinne einer Schädlichkeit oder Erlaubtheit objektiv aufladen, bedeutete dies nichts anderes, als die Schutzbereichsbegrenzung i. S. e. Erlaubtheit der Tätigkeit, welche das BVerfG im Sportwettenurteil für den Buchmacher zu Recht verworfen hat, durch die Hintertür und noch dazu in abgeschwächter Form wieder einzuführen. Jedoch kann die Frage, ob ein Handeln erwünscht oder unerwünscht bzw. schädlich oder unschädlich ist, richtigerweise nur das Ergebnis einer Abwägung mit anderen Schutzpositionen Dritter sein.206 Selbst wenn man dem Absenken der Anforderungen im Hinblick auf den Betrieb einer Spielbank zustimmen sollte, lässt sich dies nicht auf das Anbieten von Sportwetten übertragen. Bundesweit existieren ca. 26.000 (Lotto-)Annahmestellen des Deutschen Lotto- und Totoblocks, über die die staatliche Sportwette ODDSET vertrieben wird. Diese Zahl übersteigt z. B. die der Apotheken (derzeit ca. 21.000)207 oder Postfilialen (derzeit ca. 12.500, inklusive Partneragenturen)208 bei Weitem. Dadurch werden Sportwetten nolens volens zu einem allerorts verfügbaren Gut des täglichen Lebens. Berücksichtigt man die damit einhergehende allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz, kann man schlechterdings nicht von einer „unerwünschten“ Tätigkeit ausgehen.209 Eine Absenkung der Rechtfertigungsanforderungen aufgrund „atypischer Besonderheiten“ des Berufs als Buchmacher scheidet aus. (2) Anhebung der Rechtfertigungsanforderungen aufgrund einer Zulassungssperre durch das staatliche Monopol? Näher als eine Absenkung des Prüfungsmaßstabes läge vielmehr eine Anhebung desselben. Streng genommen verkörpert das staatliche Monopol nämlich nicht nur eine objektive Zulassungsbeschränkung etwa i. S. einer zahlenmäßigen Begrenzung der zu vergebenden Genehmigungen, die es zumindest einigen Privaten noch ermöglichte, den Beruf des Buchmachers zu wählen. Es bedeutet vielmehr eine absolute Zulassungssperre i. S. e. Berufsverbots, das es Privaten gänzlich verwehrt, den Beruf zu wählen, und stellt damit einen eigentlich noch schärferen Eingriff dar.210 Dies muss angesichts der ohnehin denkbar hohen Anforderungen an die Rechtfertigung einer objektiven Zulassungsschranke nicht 206
Dietlein BayVBl. 2002, 161 (163). s. http://www.abda.de/zahlen_daten_fakten.html [zuletzt abgerufen am 30.8. 2009]. 208 s. http://www.deutschepost.de [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]. 209 So ausdrücklich auch BVerwGE 97, 12 (22); Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 53; Korte, Glücksspielwesen, S. 243. 210 Vgl. Sachs/Tettinger/Mann, GG Art. 12 Rn. 113; v. Münch/Kunig/Gubelt, GG Art. 12 Rn. 72; Breuer in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 148 Rn. 62, 64; Papier in: FS Stern, S. 543 (554). 207
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notwendigerweise zum Entstehen einer vierten Eingriffsstufe führen.211 Allerdings entspricht es gerade dem Grundprinzip der Drei-Stufen-Lehre, die Rechtfertigungsanforderungen je nach spezifischer Eingriffschwere zu gewichten, sodass dem Vorliegen eines absoluten Berufsverbots bei der Prüfung der Rechtfertigungsanforderungen und der Abwägung zusätzlich Rechnung zu tragen ist.212 cc) Verhältnismäßigkeit des staatlichen Sportwettenmonopols (1) Verfassungslegitimer Zweck nach Maßgabe der Drei-Stufen-Lehre Der Zweck des staatlichen Sportwettenmonopols gemäß dem GlüStV müsste nach den Vorgaben der Drei-Stufen-Lehre darin liegen, ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut vor nachweislichen bzw. höchstwahrscheinlichen schweren Gefahren zu schützen. (a) Überragend wichtiges Gemeinschaftsgut Zunächst ist danach zu fragen, welches überragend wichtige Gemeinschaftsgut mit dem staatlichen Wettmonopol geschützt werden soll. Die mit dem Monopol verfolgten Ziele sind in § 1 GlüStV aufgelistet und wurden oben bereits aufgezählt.213 Hauptzweck der Monopolisierung und der damit einhergehenden Angebotsverknappung ist die Vermeidung und Eindämmung der Spiel- bzw. Wettsucht, § 1 Nr. 1 GlüStV.214 Wie bereits erwähnt, ist die pathologische Spielsucht als krankhafte, psychische Störung anerkannt.215 Das zu schützende Gut ist also zunächst die menschliche Gesundheit. Diese ist im GG in Art. 2 Abs. 2 S. 1 verankert und kann daher als überragend wichtiges Gut bezeichnet werden.216 Genau betrachtet handelt es sich jedoch um ein Gut, das direkt an einzelne Personen gekoppelt ist, sprich um ein klassisches Individualgut. Ein echtes Gemeinschaftsgut müsste ein Gut sein, das der Inanspruchnahme durch Jedermann offen steht, ohne an einzelne Personen geknüpft zu sein und ohne lediglich die Summe der Individualgüter dieser einzelnen Personen zu bilden.217 Das hindert 211
Vgl. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 149. So i. E. auch Breuer in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 148 Rn. 64, 68. 213 s. o. S. 110 f. 214 Vgl. die amtl. Begründung zum GlüStV S. 10, wiedergegeben z. B. in bayerische LT-Drs. 15/8486 S. 9 ff. 215 s. o. S. 133. 216 Oftmals wird die Verankerung im GG als notwendiges Kriterium überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter gesehen, v. Münch/Kunig/Gubelt, GG Art. 12 Rn. 67; Breuer in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 148 Rn. 51; Korte, Glücksspielwesen, S. 241. 217 Vgl. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 111 ff.; Wohlers, Deliktstypen, S. 191. 212
150 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
das BVerfG nicht daran, unter Zustimmung der Literatur die „Gesundheit der Bevölkerung“ bzw. die „Volksgesundheit“ in zahlreichen Entscheidungen als (überragend wichtiges) Gemeinschaftsgut zu bemühen.218 Nimmt man den Begriff des Gemeinschaftsguts ernst, vermag dies nicht restlos zu überzeugen. In der Sportwetten-Entscheidung stellt das Gericht kurz und knapp fest, dass „die Vermeidung und Abwehr von Suchtgefahren jedenfalls ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel [ist], da Spielsucht zu schwerwiegenden Folgen nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für ihre Familien und die Gemeinschaft führen kann.“219 Leider sind die zu schützenden Güter damit lediglich angedeutet. Mit den „schwerwiegenden Folgen für die Familien Spielsüchtiger und die Gemeinschaft“ sind offensichtlich finanzielle Belastungen für die Familien Spielsüchtiger sowie für die Gemeinschaft in Gestalt von Suchttherapien und Belastung der Sozialversicherungskassen gemeint. In diesem Sinne formuliert es auch die Begründung des GlüStV.220 Damit wird klar, dass auch das BVerfG nicht allein auf die (individuelle) Gesundheit der Wettteilnehmer, sondern auch auf die (kollektive) Leistungsfähigkeit der Sozialkassen als zu schützendes Gemeinschaftsgut abstellt. Hiergegen ist einzuwenden, dass es sich dabei lediglich um ein nachgelagertes, von dem Primärgut der Spielergesundheit losgelöstes Gut handelt, das stets dann beansprucht wird, wenn eine Person – egal aus welchen Gründen – nicht mehr für den eigenen Lebensunterhalt sorgen kann.221 Das staatliche Wettmonopol hingegen hat primär nicht den Schutz der öffentlichen Sozialkassen zum Ziel. Den Schutz der Wettteilnehmer vor betrügerischen Machenschaften des Veranstalters, die Sicherung von dessen finanzieller Leistungsfähigkeit sowie den Schutz vor Begleit- und Folgekriminalität, sprich Sportwettbetrug im Wege der Manipulation der zugrunde liegenden Sportereignisse durch Wettteilnehmer und Anschlussdelikte zur Finanzierung der Spielsucht, bezeichnet das BVerfG als „legitime“ Ziele eines staatlichen Wettmonopols.222 Diese Ziele sind demzufolge auch in § 1 Nr. 4 GlüStV genannt. Da sich derartige Zielsetzungen bzw. die dahinter stehenden Güter jedoch nicht unmittelbar aus dem Grundgesetz ableiten lassen und auch vom BVerfG lediglich als „legitime“ Ziele bezeichnet wurden, ist davon auszugehen, dass sie allenfalls unterstützend herangezogen werden können; für sich das Level überragend wichtiger Gemeinwohlziele aber
218 BVerfGE 7, 377 (414) – Apotheke; 9, 39 (52); 19, 330 (346); 20, 283 (295); 25, 236 (247); 107, 186 (190); Maunz/Dürig/Scholz, GG Art. 12 Rn. 352 (Stand: Juni 2006). 219 BVerfGE 115, 276 (305) – Sportwette. 220 Amtl. Begründung zum GlüStV S. 1, wiedergegeben z. B. in bayerische LT-Drs. 15/8486 S. 9 ff. 221 Vgl. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 143; Wohlers, Deliktstypen, S. 197 ff.; Haffke ZStW (107) 1995, 761 (779 f.). 222 BVerfGE 115, 276 (306) – Sportwette.
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nicht erreichen.223 Schließlich sind in § 1 Nr. 2 und 3 GlüStV die „Begrenzung des Glücksspielangebots und die Lenkung des natürlichen Spieltriebs der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen“ sowie der „Jugend- und Spielerschutz“ als Ziele formuliert. Zusätzliche, eigenständige Ziele des staatlichen Wettmonopols, die über die bereits genannten Ziele der Sucht- und Manipulationsvorbeugung hinausgehen, sind hierin allerdings nicht auszumachen.224 Dies gilt auch für den Jugendschutz, der keine neue Schutzrichtung vorgibt, sondern allenfalls eine erhöhte Schutzintensität im Hinblick auf die Spielsucht bedeuten kann. In § 1 Nr. 5 LottStV, dem Vorgänger des GlüStV aus dem Jahre 2004, waren zudem fiskalische Interessen des Staates i. S. e. Gewinnabschöpfung für gemeinnützige oder öffentliche Zwecke als Ziel des staatlichen Wettmonopols angegeben. Dem hat das BVerfG eine klare Absage erteilt.225 Fällt eine berufliche Tätigkeit unter den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG, kann es nicht legitimes Ziel für deren Beschränkung sein, die erzielbaren Gewinne gemeinnützigen, staatlichen Zwecken vorzubehalten.226 Die Einführung eines staatlichen Finanzmonopols ist in diesem Fall nicht möglich.227 (b) Nachweisbare bzw. höchstwahrscheinliche schwere Gefahr Des Weiteren müsste der (Volks-)Gesundheit der Wettteilnehmer eine nachweisbare bzw. höchstwahrscheinliche schwere Gefahr in Gestalt einer möglichen Spielsucht drohen. Die Suchtanfälligkeit von Sportwetten mit festen Gewinnquoten nach dem derzeitigen Erkenntnisstand wurde vorab umfassend eruiert.228 Eine Suchtgefahr ist danach zwar in gewissem Maße feststellbar, entfaltet jedoch ein weitaus geringeres Gefährdungspotenzial als bei sog. „harten“ Glücksspielen wie den Geld- und Glücksspielautomaten sowie Casino-Spielen in den Spielbanken. Darauf weist auch das BVerfG in der Sportwetten-Entscheidung ausdrücklich hin, um unmittelbar im Anschluss dennoch festzustellen:229
223 So i. E. auch OVG Saarlouis NVwZ 2007, 717 (722); Horn JZ 2006, 789 (790); anders Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 54, die auch diese ohne Weiteres als überragend wichtige Gemeinschaftsgüter i. S. d. dritten Stufe ansehen. 224 So auch Pieroth in: Pieroth (Hrsg.), Der Glücksspielstaatsvertrag, S. 1 (24 f.); Horn in: Pieroth (Hrsg.), Der Glücksspielstaatsvertrag, S. 91 (116 f.); Haltern, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte, S. 39; vgl. auch die amtl. Begründung zum GlüStV S. 10, wiedergegeben z. B. in bayerische LT-Drs. 15/8486 S. 9 ff. 225 BVerfGE 115, 276 (307) – Sportwette. 226 So auch BVerwGE 96, 302 (315). 227 Maunz/Dürig/Scholz, GG Art. 12 Rn. 114 (Stand: Juni 2006); Papier in: FS Stern, S. 543 (555); Rausch GewArch 2001, 102 (109). 228 s. o. S. 133 ff. 229 BVerfGE 115, 276 (305) – Sportwette.
152 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht „Auch wenn Sportwetten für die große Mehrheit der Spieler reinen Erholungs- und Unterhaltungscharakter haben dürften, darf der Gesetzgeber auch bei Sportwetten mit festen Gewinnquoten schon aufgrund des gegenwärtigen Erkenntnisstandes mit einem nicht unerheblichen Suchtpotenzial rechnen und dies mit dem Ziel der Abwehr einer höchstwahrscheinlichen Gefahr zum Anlass für Prävention nehmen.“
Deutlich wird, dass an dieser Stelle entscheidend ist, inwieweit dem Gesetzgeber ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zukommt, d. h. ob dessen Einschätzungen nur einer Evidenz- bzw. Vertretbarkeitskontrolle oder einer strengen, inhaltlichen Kontrolle zu unterziehen sind.230 Obwohl das BVerfG zu einer inhaltlichen Kontrolle ansetzt, indem es in tatsächlicher Hinsicht eingehende Erwägungen zur Suchtgefahr der Sportwette anstellt und sogar deren – insbesondere im Vergleich zu anderen Glücksspielformen – geringes Ausmaß betont, macht es dem Gesetzgeber letzten Endes doch das gänzlich anspruchslose Zugeständnis, von einer höchstwahrscheinlichen Suchtgefahr der Sportwette auszugehen. Das ist weder konsequent noch im Ergebnis überzeugend.231 Bereits die Terminologie einer „nachweisbaren oder höchstwahrscheinlichen schweren“ Gefahr gibt strenge Anforderungen gerade auch für den empirischen Nachweis der Gefahr vor. Überdies herrscht generell Einigkeit darüber, dass im Rahmen der Drei-Stufen-Theorie oder auch der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung parallel zu den Rechtfertigungsanforderungen auch die Kontrolldichte entsprechend der Eingriffsschwere abgestuft ist: Je intensiver der Eingriff, desto stringenter sind die Anforderungen gerade auch an den Gefahrennachweis des Gesetzgebers und dessen gerichtliche Überprüfung.232 Da es sich vorliegend mit dem Berufsverbot für Private um den schärfsten denkbaren Eingriff in die Berufsfreiheit handelt, ist dem Gesetzgeber ein weiter Beurteilungsund Prognosespielraum hinsichtlich der tatsächlichen Gefährdung des zu schützenden Gutes gerade nicht einzuräumen.233 Der Gesetzgeber trägt gewissermaßen die objektive Beweislast für das Vorliegen einer nachweisbaren bzw. höchstwahrscheinlichen Gefahr.234 Wie bereits erläutert235 und auch durch das BVerfG 230 s. auch Becker/Dittmann in: Ennuschat/Badura (Hrsg.), Aktuelle Probleme, S. 113 (134 ff.). 231 Diesen Punkt der Entscheidung kritisieren zu Recht auch Horn JZ 2006, 789 (790); Fackler K & R 2006, 313 (315); Brüning JZ 2009, 29 (33). 232 Vgl. Maunz/Dürig/Scholz, GG Art. 12 Rn. 340 (Stand: Juni 2006); v. Mangoldt/ Klein/Starck/Manssen GG, Art. 12 Rn. 147, 154; Dreier/Wieland, GG Art. 12 Rn. 133; vgl. neben dem Apothekenurteil auch BVerfGE 11, 30 (45 ff.); BVerfGE 107, 186 (197) – Impfstoffversand. 233 Papier in: FS Stern, S. 543 (554 f.); Ossenbühl DVBl. 2003, 881 (885); Korte, Glücksspielwesen S. 243; Fackler K & R 2006, 313 (315); abgeschwächt bei Voßkuhle/ Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 55 f.; a. A. etwa Becker/Dittmann in: Ennuschat/Badura (Hrsg.), Aktuelle Probleme, S. 113 (144). 234 Vgl. BVerfGE 102, 197 (221) – Spielbank II. 235 s. o. S. 133 ff.
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betont,236 bergen Sportwetten zu festen Gewinnquoten nach derzeitigem Erkenntnisstand nun mal ein zwar messbares, jedoch sowohl absolut als auch im Vergleich zu anderen Glücksspielen geringfügiges Suchtpotential. Zu berücksichtigen ist, dass der Anteil aller pathologisch Glücksspielsüchtigen an der deutschen Bevölkerung – unter anderem im offiziellen Bericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung aus dem Jahre 2008 – auf gerade einmal 0,2% geschätzt wird. Noch dazu machen den ganz überwiegenden Anteil hiervon Spieler der sog. „harten“ Glücksspiele an Spielautomaten und in den Spielbanken aus.237 Angesichts dessen kann nur ein sehr geringer Anteil der Sportwetter, auch der Jungendlichen, als tatsächlich suchtgefährdet eingeschätzt werden.238 Für die große Mehrheit der Spieler haben die Wetten eben reinen Erholungsund Unterhaltungscharakter.239 Bezeichnend ist insoweit auch, dass bis zu der Sportwetten-Entscheidung des BVerfG am 28.3.2006 von einer nötigen Bekämpfung der Wettsucht nie die Rede war.240 Die Suchtgefahr der Sportwette kann folgerichtig nicht als höchstwahrscheinlich und schwer eingeordnet werden.241 Auch der GlüStV bietet in seinen Materialien keine belastbaren, anders lautenden Daten an oder nimmt sie wenigstens in Bezug. Die Gefahr einer Manipulation der Wetten oder des zugrunde liegenden Sportereignisses, die auch nach der Terminologie des BVerfG allenfalls unterstützend heranzuziehen ist, ist für sich gesehen und insbesondere im Vergleich zu anderen Glücksspielen ebenfalls gering.242 In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei dem Fall „Hoyzer“ in Deutschland bis dato um einen Einzelfall handelt, wird man auch hier kaum von einer höchstwahrscheinlichen Gefahr sprechen können. Bestehen hinsichtlich der Gesundheit einzelner Spieler bereits Zweifel an dem Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes durch das staatliche Sportwettenmonopol, kann von nachweisbaren bzw. höchstwahrscheinlichen schweren Gefahren hierfür schlechterdings nicht ausgegangen werden. Insofern verfehlt das Sportwettenmonopol des GlüStV bereits die von der Drei-StufenTheorie vorgegebenen erhöhten Anforderungen an den verfassungslegitimen Zweck einer Regelung, die als objektive Berufszulassungssperre in die Berufsfreiheit des Art. 12 GG eingreift. 236
BVerfGE 115, 276 (305) – Sportwette. s. ausführlich o. S. 134 ff. 238 Bardt, Staat und Glücksspiel, S. 22, 26. 239 Wörtlich BVerfGE 115, 276 (305) – Sportwette unter Berufung auf Hayer/ Meyer Sucht 2003, 212 (218); Schmidt/Kähnert/Hurrelmann, Konsum von Glücksspielen, S. 166. 240 Darauf hinweisend auch OVG Saarlouis NVwZ 2007, 717 (719 a. E.). 241 So i. E. auch Korte, Glücksspielwesen, S. 242; Rausch GewArch 2001, 102 (108 f.); a. A. aufgrund eigener Beurteilung der Suchtgefahr Dietlein/Thiel NWVBl. 2001, 170 (174); Diegmann/Hoffmann DÖV 2005, 45 (49). 242 s. o. S. 131 ff. 237
154 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
(2) Geeignetheit Einen auch nach den erhöhten Anforderungen vorliegenden verfassungslegitimen Zweck unterstellt, müsste das staatliche Wettmonopol als eingesetztes Mittel geeignet sein, diesen Zweck, d. h. also in erster Linie die Vermeidung und Eindämmung der Spielsucht, zu fördern. Am effektivsten würde dieser Zweck durch ein komplettes Verbot von Sportwetten und Glücksspielen allgemein erreicht. Um aber den natürlichen, nicht gänzlich zu unterdrückenden Spieltrieb der Menschen zu kanalisieren und ein Ausweichen auf illegale Spiele zu verhindern (vgl. § 1 Nr. 2 GlüStV), soll nach dem Konzept des GlüStV zumindest ein Anbieter – in Gestalt des Staates – vorhanden sein. Eine solche Begrenzung auf lediglich einen, staatlichen Anbieter verringere die Spielmöglichkeiten gegenüber der Situation vieler, miteinander konkurrierender Anbieter und soll dadurch auch zu einer Reduktion suchtbedingten Spielverhaltens führen.243 Unter dieser Prämisse wäre das staatliche Monopol wohl grundsätzlich geeignet, das verfolgte Ziel der Vermeidung und Eindämmung der Spiel- und Wettsucht zumindest zu fördern. Freilich steht eine solche Eignung unter der Bedingung, dass die Ausgestaltung des Staatsmonopols in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht konsequent an dem Suchtbekämpfungsziel ausgerichtet ist und nicht die öffentliche Hand anstelle eines privaten Unternehmers „den Spielsüchtigen“ und zugleich ihre Fiskalinteressen bedient.244 Der LottStV hatte gemäß § 1 Nr. 5 LottStV ausdrücklich auch fiskalische Interessen des Staates i. S. e. Gewinnabschöpfung für gemeinnützige oder öffentliche Zwecke zum Ziel. Zudem betrieb der staatliche Sportwettenanbieter ODDSET bis zum Urteil des BVerfG am 28.3.2006 eine expansive und gewinnorientierte Vermarktung, indem einhergehend mit einer aggressiven Bewerbung das Sportwettenangebot erheblich ausgeweitet wurde.245 Eindeutiges Ziel war es, die staatlichen Einnahmen aus dem Glücksspiel allgemein zu steigern.246 Da das Monopol des LottStV also keinesfalls konsequent an dem Ziel der Suchtbekämpfung ausgerichtet war, war es auch nicht geeignet, dieses Ziel zu fördern, und somit ungeeignet i. S. d. Verhältnismäßigkeit. Dass das BVerfG das Geset243 Amtl. Begründung zum GlüStV S. 9 unter Verweis auf „Prognosen interessierter Kreise und Feststellungen der Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung illegalen Glücksspiels“, wiedergegeben z. B. in bayerische LT-Drs. 15/8486 S. 9 ff. 244 Heine wistra 2003, 441 (442); ausdrücklich auch BVerfGE 115, 276 (310 f.) – Sportwette [„Die Einnahmeeffekte können dazu (ver)führen, dass der Staat die Zulassung von Wetten und das Eröffnen von Wettangeboten letztlich im Sinne einer Bewirtschaftung der Wettleidenschaft betreibt, . . .“]. 245 s. dazu bereits BVerwGE 114, 92 (102); Bardt, Staat und Glücksspiel, S. 32; Janz NJW 2003, 1694 (1699 f.); Horn NJW 2004, 2047 (2055). 246 Voßkuhle in: Becker/Baumann (Hrsg.), Gesellschafts- und Glücksspiel, S. 51 (63 f.); Hoeller/Bodemann NJW 2004, 122 (124); Kazemi/Leopold MMR 2004, 649 (653); anschauliche Bsp. für entsprechende Werbe- und Marketingmaßnahmen bei Leupold MR-Int 2005, 55 (58 f.).
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zeswerk aus exakt diesen Gründen nicht bereits im Rahmen der Geeignetheit, sondern erst der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne scheitern ließ,247 kann ohne Weiteres als rein ornamentales Zugeständnis an den Gesetzgeber betrachtet werden.248 In den GlüStV wurden mehrere neue Regelungen aufgenommen, die zu einer konsequenten Ausrichtung an dem Ziel der Suchtbekämpfung führen und so die Geeignetheit herstellen sollen. Beispielsweise ist gemäß § 5 GlüStV die Werbung für öffentliches Glücksspiel per Fernsehen und Internet verboten und in den übrigen Fällen nur zulässig, wenn sie allein der Information dient, nicht gezielt zur Teilnahme an Glücksspielen anreizt oder ermuntert und deutliche Hinweise auf die jeweilige Suchtgefahr und Hilfsmöglichkeiten enthält. Gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV wird sogar das – vermeintlich besonders suchtgefährdende – Veranstalten und Vermitteln von Glücksspielen im Internet komplett verboten. Gemäß § 6 GlüStV werden die (staatlichen) Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen verpflichtet, darzulegen, mit welchen Maßnahmen der Entstehung von Glücksspielsucht vorgebeugt und wie diese eingedämmt werden soll. Ferner enthält § 8 GlüStV für die Veranstalter die Vorgabe, ein übergreifendes System zur Spielersperre zu unterhalten, durch das Spieler sowohl auf eigenen Wunsch als auch bei tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Spielsuchtgefährdung durch den Veranstalter für mindestens ein Jahr gesperrt werden können. Speziell im Hinblick auf Sportwetten werden gemäß § 21 GlüStV die als besonders suchtgefährdend eingestuften Wetten während eines laufenden Sportereignisses (sog. Live-Wetten) sowie generell der Abschluss von Wetten über Telekommunikationsanlagen verboten. Unzulässig ist auch die Verknüpfung der Übertragung von Sportereignissen in Rundfunk und Telemedien mit der Veranstaltung oder Vermittlung an sich sowie der Trikot- und Bandenwerbung für Sportwetten. Im Vergleich zur Vorgängerregelung des LottStV handelt es sich auf dem Papier zunächst um durchaus beachtliche Einschränkungen. Bereits jetzt ist jedoch klar, dass das Veranstaltungs- und Vertriebsmonopol des Staates de facto nicht mit qualitativen und/oder quantitativen Beschränkungen von Gewicht verbunden wird.249 In jedem Fall behält der Staat sein erst 1999 eingeführtes und kontinuierlich ausgebautes Sportwettenangebot bei. Insoweit ist lediglich in § 10 Abs. 3 GlüStV denkbar vage formuliert, dass die Länder die Zahl der Annahmestellen des Deutschen Lotto- und Totoblocks „begrenzen“. Vom Wortsinn her und mangels genauerer Spezifizierung bedeutet dies jedoch nicht notwendigerweise eine Verringerung, sondern lässt sogar noch einen weiteren Ausbau des bereits vorhandenen, flächendeckenden Netzes von ca. 26.000 Annahmestellen eben auf 247
BVerfGE 115, 276 (309 ff.) – Sportwette. s. Pestalozza NJW 2006, 1711 (1713); ebenfalls kritisiert von Kment NVwZ 2006, 617 (620 a. E.). 249 Ebenso Hermes in: Pieroth (Hrsg.), Der Glücksspielstaatsvertrag, S. 39 (70 f.). 248
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ein „begrenztes“ Maß zu. Dazu passt, dass § 9 Abs. 5 GlüStV sogar die Einführung neuer Glücksspielangebote und die Ausweitung bestehender Vertriebswege durch die staatlichen Veranstalter ausdrücklich vorsieht. Insgesamt erscheint fraglich, wie das dichte Vertriebssystem der Annahmestellen in Zeitschriften-, Schreibwaren- und Tabakhandlungen, Supermärkten und Tankstellen zu einer allgemeinen Begrenzung des Angebots beitragen soll: Die Betreiber dieser kleinen oder mittelständischen Gewerbebetriebe erhalten aufgrund von Verträgen mit den Landeslotteriegesellschaften für die Vermittlung der Wetten eine umsatzabhängige Provision, haben also ein eigenes wirtschaftliches Interesse daran, möglichst viele Kunden sowie hohe Wetteinsätze zu akquirieren.250 Auch die Möglichkeit der Spielersperre wird so zu einem wenig wirkungsvollen Instrument. Zum einen werden die Betreiber der Annahmestellen kaum gegen ihr wirtschaftliches Interesse auffällige Spieler melden,251 zum anderen können die Spieler aufgrund des dichten Netzes der Annahmestellen ihre Wetten problemlos streuen. Schließlich zeigt die Beibehaltung des engmaschigen Netzes von Wettannahmestellen des Deutschen Lotto- und Totoblocks, dass das allgemeine Verbot der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten im Internet und über Telekommunikationsanlagen gemäß §§ 4 Abs. 4, 21 Abs. 2 GlüStV kaum als spürbare Selbstbeschränkung des staatlichen Wettangebots gedacht ist. In erster Linie dient es vielmehr der Verdrängung privater Anbieter mit DDR- oder EULizenz, die für ihr Angebot mangels eines Vertriebsnetzes von Annahmestellen nahezu ausschließlich auf das Internet angewiesen sind.252 Dies alles weckt berechtigte Zweifel an der strikten Ausrichtung des staatlichen Monopols an den tragenden Pfeilern der Begrenzung des Glücksspielangebots und der Verringerung der Spielmöglichkeit.253 Der mit dem Sportwettenurteil des BVerfG quasi über Nacht neu entdeckte Schutzzweck der Spielsuchtprävention und -bekämpfung wird nur soweit verfolgt, als er das bestehende staatliche Angebot nicht gefährdet und die daraus resultierenden Einnahmen nicht allzu sehr schrumpfen lässt. (3) Erforderlichkeit Das staatliche Wettmonopol müsste erforderlich sein, d. h. es dürften keine weniger einschneidenden Mittel vorhanden sein, die das Ziel der Sucht- und Manipulationsbekämpfung ebenso erreichen würden. Im Rahmen der Berufsfrei250 Beispielhaft für Baden-Württemberg VG Freiburg v. 16.4.2008 – 1 K 2683/07 Rn. 45 (zit. nach juris); auch das BVerfG hat das breit gefächerte Netz der ODDSETAnnahmestellen ausdrücklich kritisiert, BVerfGE 115, 276 (314 f.) – Sportwette. 251 In Baden-Württemberg beispielsweise wurde bislang keine einzige Spielersperre verhängt, VG Freiburg v. 16.4.2008 – 1 K 2683/07 Rn. 52 (zit. nach juris). 252 Vgl. hierzu auch Koenig/Ciszewski DÖV 2007, 313 (316); Scholz/Weidemann ZfWG 2007, 83 S. 121 ff. 253 Ebenso Koenig/Ciszewski DÖV 2007, 313 (320).
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heit des Art. 12 Abs. 1 GG müssen dabei vor allem Maßnahmen auf niedrigeren Eingriffsstufen in Betracht gezogen werden.254 Naheliegendes milderes Mittel im Vergleich zu einem staatlichen Wettmonopol wäre eine – besonderen Voraussetzungen unterworfene – Zulassung privater Anbieter gepaart mit diversen Regelungen zur Berufsausübung, d. h. konkreten Vorgaben für die Ausgestaltung, Vermarktung und Bewerbung des Angebots (sog. Lizenzmodell). Hiergegen wird von staatlicher Seite vorgebracht, dass die Zulassung von privaten Anbietern zwangsläufig zu einer erheblichen Angebotsausweitung und damit automatisch zu einer Ausweitung der Glücksspielsucht führen würde.255 Diese Argumentation ist in zweifacher Hinsicht zu kritisieren: Zum einen lässt sich der Automatismus zwischen Angebots- und Suchtausweitung bestreiten.256 Auch in der derzeitigen Monopolsituation gibt es mit dem breiten staatlichen sowie den unzähligen (illegalen) privaten Internetangeboten zahlreiche und ohne Weiteres nutzbare Spielgelegenheiten. Wer wetten will, kann dies bereits seit Jahren ohne Probleme bei nahezu jeder Sportart tun, ohne dass dies, wie bereits festgestellt, zu den erheblichen Gefahren geführt hat, die mit dem Monopol bekämpft werden sollen.257 Entgegen der dem GlüStV zugrunde liegenden Einschätzung ist daher ein deutlicher Anstieg problematischen Spielverhaltens im Falle einer Zulassung privater Anbieter kaum zu erwarten. Zum anderen ließe sich eine übermäßige Angebotsausweitung wirksam durch eine Kontingentierung, d. h. eine zahlenmäßige Begrenzung der an Private zu vergebenden Lizenzen, verhindern.258 Bei einer solchen Kontingentierung handelt es sich zwar ebenfalls um eine objektive Berufszulassungsbeschränkung, im Vergleich zu der absoluten Zugangssperre eines Monopols stellt sie jedoch eindeutig ein milderes Mittel dar.259 Zusätzlich könnte die Lizenzerteilung an subjektive Zulassungsvoraussetzungen, wie etwa eine an das Gaststättenrecht angelehnten Überprüfung der persönlichen Zuverlässigkeit, geknüpft werden.260 Hierdurch wäre es im Gegensatz zu dem Monopol des GlüStV, der ohne Berücksichtigung objektiver Kontrollmaßstäbe und Zulassungskriterien schlicht die 254
Statt Vieler v. Mangoldt/Klein/Starck/Manssen, GG Art. 12 Rn. 139. Amtl. Begründung zum GlüStV S. 5 f., wiedergegeben z. B. in der bayerischen LT-Drs. 15/8486 S. 9 ff. 256 Auf den fehlenden Nachweis für diesen behaupteten Automatismus hatte im Gesetzgebungsverfahren des GlüStV auch eine eigens eingesetzte Expertenkommission hingewiesen, s. Scholz/Weidemann, Rechtsgutachten, S. 110 m.w. N. 257 s. auch OVG Saarlouis NVwZ 2007, 717 (723 a. E.); Reichert/Winkelmüller, Rechtsgutachten zur Sportwettenvermittlung, S. 22; die in der Praxis erheblich eingeschränkte Durchsetzbarkeit des Staatsmonopols erkennt auch das BVerfG, s. BVerfGE 115, 276 (308) – Sportwette. 258 So auch Papier in: FS Stern, S. 543 (561); Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 58 f. 259 s. o. S. 148; Breuer in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 148 Rn. 68; Bardt, Staat und Glücksspiel, S. 31 f., 38. 260 Vgl. Papier in: FS Stern, S. 543 (561 f.). 255
158 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
Erlaubniserteilung an die landeseigenen Lotterieunternehmen vorsieht, möglich, die Bewerber anhand objektiv festgelegter Maßstäbe zu überprüfen und den am besten geeigneten Bewerber zuzulassen. Weiterhin könnte die Berufsausübung der privaten Buchmacher genau den Beschränkungen unterworfen werden, die jetzt nach dem GlüStV für den staatlichen Anbieter ODDSET gelten: bestimmte, als besonders gefährdend eingestufte Wettformen, wie Live-Wetten oder Wetten auf bestimmte Vorkommnisse während eines Sportereignisses, werden verboten, Vermarktung und Bewerbung werden eingeschränkt, die Anbieter müssen suchtpräventive Maßnahmen wie eine allgemeine Aufklärung und ein System der Spielersperre ergreifen, der wöchentliche/monatliche Einsatz pro Wettteilnehmer wird begrenzt, eine prozentuale Abgabe für Zwecke der Suchtbekämpfung wird erhoben etc.261 Abgesichert durch eine strenge staatliche Kontrolle und einen Lizenzentzug bei Nichteinhaltung der Maßnahmen ergibt sich so ein Konzept, durch das den (geringfügigen) Suchtgefahren der Sportwette ebenso begegnet werden kann.262 Ein Beleg hierfür sind nicht zuletzt auch die seit vielen Jahren vorliegenden Erfahrungen mit den privaten Buchmachern im Bereich der Pferderennwetten sowie der DDR-konzessionierten Buchmacher. Die bisherigen Beobachtungen zeigen, dass von diesen Angeboten zumindest nicht mehr Suchtgefahren ausgingen als von dem staatlichen ODDSET-Angebot.263 Auch hinsichtlich der Gefahr einer Manipulation des den Wetten jeweils zugrunde liegenden Sportereignisses durch Wettteilnehmer ist am Beispiel des Falls „Hoyzer“ zu konstatieren, dass ein staatliches Monopolunternehmen nicht besser, sondern mitunter schlechter als private Anbieter in der Lage ist, derartige Gefahren zu erkennen und ihnen zu begegnen. Während (ausländische) private Wettveranstalter Spiele des Schiedsrichters Hoyzer bereits frühzeitig aus ihrem Angebot herausgenommen hatten, geschah dies beim staatlichen Anbieter ODDSET erst, nachdem man von der ermittelnden Kriminalpolizei auf Unregelmäßigkeiten aufmerksam gemacht worden war.264 Warum sollten Private also nicht unter dieselbe Kuratel genommen werden können wie staatliche Anbieter? Die gegensätzlichen Interessen der Gewinnerzielung auf der einen und der Suchtbekämpfung auf der anderen Seite scheinen in der Hand unterschiedlicher Personen sogar besser aufgehoben, als wenn sie in 261 Vgl. Janz NWVBl. 2006, 248 (251); Jahndorf VerwArch 2004, 359 (372); Rausch GewArch 2001, 102 (109); speziell zur präventiven Wirkung einer Begrenzung des Wetteinsatzes Brenner Kriminalistik 2009, 116 (117) unter Verweis auf eine Studie der Harvard Medical School zum Wettverhalten von über 47.000 Kunden des Anbieters „bwin“ aus dem Jahre 2008. 262 Vgl. auch die von v. Hippel ZRP 2001, 558 (559 f.) vorgeschlagenen Maßnahmen zur Suchtbekämpfung, die sich allesamt ohne staatliches Monopol realisieren lassen. 263 Darauf weisen zutreffend Horn JZ 2006, 789 (791) und Lesch GewArch 2003, 321 (325) hin. 264 s. Leupold MR-Int 2005, 55 (60 f.) m.w. N.
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der Person des Staates – als alleinigem Veranstalter, der sich selbst kontrolliert, – verschmelzen.265 Nahezu in sein Gegenteil verkehrt wird das Prinzip der Erforderlichkeit, wenn für ein staatliches Monopol und den Ausschluss privater Anbieter ins Feld geführt wird, dass im Fall einer Zulassung unter den geschilderten Bedingungen und Auflagen diese ihrerseits in Grundrechte der Anbieter eingreifen würden.266 Es handelt sich ja gerade um einen weniger schwerwiegenden und damit leichter zu rechtfertigenden Eingriff. Das BVerfG267 und entsprechend die Begründung zum GlüStV268 stellen derartige Überlegungen gar nicht erst an und ziehen sich kurzerhand auf den Standpunkt zurück, der Gesetzgeber dürfe angesichts seines weiten Beurteilungsspielraums davon ausgehen, dass mithilfe eines (konsequent ausgestalteten) staatlichen Monopols die Gefahren des Sportwettenangebots effektiver beherrscht werden können als im Wege einer Kontrolle der Bedingungen und Auflagen für zugelassene private Unternehmen.269 Wie bereits im Rahmen des verfassungslegitimen Zwecks erörtert, ist dieser Verweis auf den gesetzgeberischen Beurteilungssielraum unter gleichzeitiger Vernachlässigung der rechtstatsächlichen Gegebenheiten nicht tragfähig, um ein Staatsmonopol als schärfsten denkbaren Eingriff in die Berufsfreiheit zu rechtfertigen. Die Beweislast muss hier beim Gesetzgeber liegen und darf nicht auf den Grundrechtsträger abgewälzt werden. Ansonsten könnte ein beliebiges Monopolsystem stets mit der simplen Behauptung errichtet und aufrechterhalten werden, das verfolgte Ziel könne – mangels gegenteiliger Beweise – mittels eines staatlichen Monopols besser erreicht werden als durch (kontrollierte) privatwirtschaftliche Betätigung.270 De facto trifft die Einschätzung, ein staatliches Monopolunternehmen könne grundsätzlich leichter und besser überwacht sowie instruiert werden als eine Mehrzahl von privaten Anbietern, auch nicht zu. Die bundesweit über 26.000 Annahmestellen für die staatliche Sportwette ODDSET werden allesamt von privaten, umsatzbeteiligten Inhabern von Lebensmittel-, Zeitschriften oder Tabakläden sowie Tankstellen und Supermärkten betrieben. Der Kontroll- und Überwachungsaufwand kann hier schlechterdings nicht geringer sein als bei einigen wenigen privaten Sportwettenanbietern. Dass der Verweis auf eine „noch effektivere“ Gefahrenabwehr durch ein staatliches Sportwettenmonopol im Übrigen auch in methodischer Hinsicht fehlgeht, haben Voßkuhle/Bumke anschaulich 265 In diese Richtung auch Papier in: FS Stern, S. 543 (563) und neuerdings VG Freiburg v. 16.4.2008 – 1 K 2683/07 Rn. 38, 42, 54 (zit. nach juris). 266 So aber Badura in: Ennuschat/Badura (Hrsg.), Aktuelle Probleme, S. 7 (32). 267 BVerfGE 115, 276 (309) – Sportwette. 268 Amtl. Begründung zum GlüStV S. 6, wiedergegeben z. B. in bayerische LT-Drs. 15/8486 S. 9 ff. 269 BVerfGE 115, 276 (317) – Sportwette, allerdings mit dem Hinweis, dass auch eine kontrollierte Zulassung privater Anbieter verfassungsgemäß wäre, die Entscheidung obliege dem Gesetzgeber. 270 So auch Fackler K & R 2006, 313 (315).
160 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
dargelegt.271 Ziel einer jeden glücksspielrechtlichen Regelung ist und kann höchstens eine „effektive“ Gefahrenabwehr sein. Dieses Ziel kann, wie gezeigt, auch durch eine begrenzte und entsprechend ausgestaltete Zulassung privater Sportwettenanbieter erreicht werden. Eine Steigerung i. S. e. „noch effektiveren“ Gefahrenabwehr durch ein Staatsmonopol ist insoweit weder gefordert noch tatsächlich vorhanden. In Wahrheit werden dadurch allenfalls weitere, darüber hinausgehende Ziele verfolgt, wie etwa eine universelle und extrem weit gefasste Risikovorsorge, die aber nicht legitimes Ziel eines staatlichen Sportwettenmonopols sein kann. Festzuhalten bleibt, dass ein staatliches Monopol zur Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten, wie es der GlüStV konstituiert, angesichts der Möglichkeit einer begrenzten und an objektiven, kontrollierbaren Kriterien orientierten Zulassung privater Anbieter nicht erforderlich ist, um die damit verfolgten Ziele zu erreichen.272 (4) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Soweit eine Regelung nicht erforderlich ist, kann sie auch nicht verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Allerdings können auf dieser Ebene Aspekte zu berücksichtigen sein, die das gefundene Ergebnis zusätzlich stützen. Um verhältnismäßig im engeren Sinne zu sein, müssten sich die durch den GlüStV bewirkten Beeinträchtigungen in Anbetracht des verfolgten Zwecks als zumutbar für die Betroffenen, d. h. die potenziellen privaten Sportwettenanbieter, erweisen.273 Wie bereits erwähnt, behandelt das BVerfG in seinem Sportwettenurteil im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne die mangelnde Ausrichtung des aufgrund des LottStV bestehenden Wettmonopols an dem verfolgten Ziel der Suchtbekämpfung, was richtigerweise bereits zur Ungeeignetheit führt.274 Dabei werden auch die Anforderungen an ein alternatives, konsequent ausgerichtetes Monopol herausgestellt, welches dann nach Auffassung des Gerichts verfassungsgemäß, also offenbar auch zumutbar wäre. Eine Erörterung der Frage, ob und warum ein solches – konsequent an der Suchtbekämpfung ausgerichtetes – Staatsmonopol für potenzielle private Anbieter zumutbar wäre, fehlt jedoch völlig. Dem soll hier nachgegangen werden. Als Beeinträchtigung steht auf der einen Seite das absolute Berufsverbot für potenzielle private Sportwettenanbieter. Der damit verfolgte Zweck ist in erster Linie die Abwehr von Suchtge271
Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 57 f. So neben den bereits Genannten auch Petropoulos wistra 2006, 332 (333); Pestalozza NJW 2006, 1711 (1713); Jahndorf VerwArch 2004, 359 (372); am Beispiel des Lotteriestattsvertrages von 2004 Kolb, Veranstaltung von Glücksspielen, S. 119 ff. 273 Vgl. zur Definition der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne etwa Stern, Staatsrecht III/2, S. 782 ff. 274 BVerfGE 115, 276 (309 ff.) – Sportwette. 272
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fahren, nachgeordnet auch von möglichen Manipulations- und Betrugsgefahren. Wägt man dieses absolute Berufsverbot als schwersten denkbaren Eingriff in die Berufsfreiheit mit dem Ziel der Bekämpfung von nachweislich eher geringen Suchtgefahren ab und kalkuliert mit ein, dass der behauptete Anstieg der Gefahren im Falle einer Zulassung Privater keinesfalls erwiesen ist, muss man zu dem Ergebnis gelangen, dass es sich bei dem staatlichen Sportwettenmonopol in Gestalt des GlüStV um eine unzumutbare Regelung handelt.275 Der bei der Sportwette sehr schmale Fuß der Sucht- und Manipulationsprävention vermag die enorme Last eines vollständigen objektiven Berufsverbots nicht zu tragen. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass es das vollständige Berufsverbot potenziellen Anbietern von vorneherein unmöglich macht, im Einzelfall eine Unbedenklichkeit ihres Angebots im Hinblick auf Sucht- oder auch Manipulationsgefahren unter Beweis zu stellen. Bereits bei der Untersuchung der Manipulations- und Suchtanfälligkeit wurde jedoch festgestellt, dass selbige stark von dem jeweiligen Angebot und dessen Ausgestaltung abhängen.276 Weit über das Ziel hinaus schießt daher auch das ausnahmslose Verbot der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten im Internet und über Telekommunikationsanlagen gemäß §§ 4 Abs. 4, 21 Abs. 2 GlüStV,277 welches, wie bereits erläutert, vor allem dem Ausschluss privater Anbieter mit DDR- oder EU-Lizenz dient und demgemäß lediglich die Folge deren fehlender Genehmigungsfähigkeit nach dem GlüStV darstellt. Das Fehlgehen der pauschalen Argumentation mit der Suchtgefahr bei Sportwetten mag des Weiteren ein Vergleich mit anderen Produkten, etwa alkoholischen Getränken oder Zigaretten, verdeutlichen. Dort sind die Suchtgefahr sowie die schädigenden Auswirkungen einer bestehenden Sucht ohne Zweifel um ein Vielfaches stärker und greifbarer als beim Glücksspiel. Eine Verstaatlichung der Produktion bzw. des Verkaufs oder gar ein generelles Verbot dieser Produkte läge also nach der Argumentationslinie der Suchtbekämpfung viel näher. Dennoch würden diese Maßnahmen kaum als vereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG angesehen werden.278 Wem diese Gegenüberstellung zu weiträumig erscheint, möge nur einen Blick auf die Differenzierung des Gesetzgebers innerhalb des Glücksspiels zwischen den einzelnen Glücksspielformen werfen. Wie bereits ausführlich dargestellt,279 ergeben sich aus den Ergebnissen der Suchtforschung 275 Vgl. auch Janz NJW 2003, 1694 (1700); Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 62. 276 s. o. S. 141 f. 277 So auch Grünwald/Koch MMR 2008, 711 (713 f.); auch das BVerfG hat keinesfalls ein vollständiges Internetverbot gefordert, sondern lediglich das damalige staatliche Internetangebot i.V. m. den zahlreichen stationären DLTB-Annahmestellen kritisiert, BVerfGE 115, 276 (315) – Sportwette. 278 Vgl. dazu auch Haffke ZStW (107) 1995, 761 (779 f.); Brüning JZ 2009, 29 (35). 279 s. o. S. 134 ff.
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signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Glücksspielformen im Hinblick auf deren Gefährdungspotenzial.280 Das mit Abstand größte Suchtpotenzial weisen nach gesicherter Erkenntnis die typischen Geldspielautomaten in Gaststätten und Spielhallen auf. Ein staatliches Monopol, einhergehend mit einem Ausschluss privater Betreiber, ist für diese Spielform jedoch nicht vorgesehen. Vielmehr können die Automaten nach §§ 33c und 33i GewO mit Erlaubnis der zuständigen Behörde von jedem privaten Gaststätten- und Spielhallenbetreiber aufgestellt werden.281 Die Voraussetzungen sind lediglich, dass das aufzustellende Gerät von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen ist (§ 33c Abs. 1 S. 2 GewO), der Aufstellungsort behördlich bestätigt ist (§ 33c Abs. 3 S. 1 GewO) und der Betreiber über die erforderliche Zuverlässigkeit verfügt (§ 33c Abs. 2 GewO), d. h. insbesondere keine einschlägigen Vorstrafen hat. Liegen diese Voraussetzungen vor, besteht ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis.282 In keinster Weise ist plausibel, warum nun die weitaus weniger suchtgefährdende Spielform der Sportwette ein komplettes Berufsverbot für Private erfährt, während die erwiesenermaßen gefährlichste Spielform der Geldspielautomaten von Privaten ohne Weiteres betrieben werden kann. Dieser Widerspruch wird dadurch noch intensiviert und aktualisiert, dass die nach § 33f GewO erlassene SpielVO283, die weitere Einzelheiten, wie Spieldauer, Höhe der Geldeinsätze an den Automaten etc., regelt, auf Drängen der Automatenindustrie in jüngster Zeit sogar noch weiter liberalisiert wurde:284 So wurde etwa in § 3 SpielVO die Zahl der zulässigen Automaten in Schank- und Speisewirtschaften sowie Beherbergungsbetrieben von zwei auf drei, in Spielhallen von zehn auf zwölf erhöht. Gemäß § 13 SpielVO wurde die Mindestdauer eines einzelnen Spiels von zwölf auf fünf Sekunden reduziert bei gleichzeitiger Erhöhung der Verlustgrenze von 60 auf 80 Euro pro Stunde.285
280
Darauf ausdrücklich hinweisend wiederum BVerfGE 115, 276 (305) – Sport-
wette. 281 Obwohl von der GewO als sog. Unterhaltungsspiel mit Gewinnmöglichkeit bezeichnet, handelt es sich de facto um ein Glücksspiel, da Gewinn und Verlust ausschließlich vom Zufall abhängig sind und sowohl Einsatz als auch potenzieller Gewinn bzw. Verlust die Grenze des erheblichen Vermögenswerts übersteigen, Meyer/Bachmann, Spielsucht, S. 14; Meyer Jahrbuch Sucht 2008, 120 (124). 282 Landmann/Rohmer/Marcks, GewO § 33c Rn. 31 (Stand: Januar 2007). 283 In der Fassung der Neubekanntmachung v. 27.1.2006, BGBl. I 2006, 280. 284 Fünfte Verordnung zur Änderung der Spielverordnung v. 17.12.2005, in Kraft getreten am 1.1.2006, BGBl. I 2005, 3495; Im Vergleich zum Vorjahr stieg 2006 zudem die Zahl der in Deutschland aufgestellten Geldspielautomaten um 9,3% von 183.000 auf 200.000, der damit erzielte Umsatz stieg um 17% von 5,8 Mrd. Euro auf 6,8 Mrd. Euro, Meyer Jahrbuch Sucht 2008, 120 (123). 285 Offenbar werden diese Anforderungen in der Praxis häufig durch spezielle Spielsysteme (Sonder- und Risikospiele) auch noch unterlaufen, s. dazu Meyer Jahrbuch Sucht 2008, 120 (123 f.).
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Gleiches lässt sich hinsichtlich der in Spielbanken betriebenen (echten) Glücksspielautomaten (sog. „Einarmige Banditen“) und casinotypischen Tischspiele (etwa Roulette, Baccara, Black Jack oder Poker) feststellen, die ebenfalls als deutlich suchtgefährdender einzustufen sind als die Sportwette. Im Gegensatz zur Sportwette hat das BVerfG hier ausdrücklich entschieden, dass eine gesetzliche Regelung, die die Erteilung einer Spielbankerlaubnis ausschließlich an staatliche Betreiber vorsieht, für potenzielle private Betreiber unzumutbar ist.286 Das betroffene Spielbankengesetz in Baden-Württemberg287 (SpBG BW) wurde darauf dahingehend geändert, dass auch Private eine Erlaubnis zum Betrieb einer Spielbank erhalten können (vgl. §§ 1, 2 SpBG BW). Dann aber muss ein kompletter Ausschluss Privater bei der erheblich weniger suchtgefährdenden Sportwette erst recht unzumutbar sein. Verfassungsrechtlicher Maßstab für derartige, unsachgemäße und widersprüchliche Differenzierungen des Gesetzgebers ist der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Bei festgestellten, relevanten Unterschieden ergibt sich daraus eine Pflicht des Gesetzgebers zu typisieren, d. h. er muss bei seinen Regelungen entsprechend den vorhandenen, wesentlichen Unterschieden differenzieren. Dieses Differenzierungs- und Typisierungsgebot, das es gebietet, wesentlich Ungleiches auch ungleich zu behandeln, fließt in die Prüfung der Verletzung von Freiheitsgrundrechten mit ein. Das ist namentlich im Rahmen der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG ständige Rechtsprechung des BVerfG.288 Lediglich im Sportwettenurteil erübrigte sich für das BVerfG nach eigener Aussage eine Prüfung im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 GG, da das zu überprüfende Monopol des LottStV bereits wegen Verstoßes alleine gegen Art. 12 Abs. 1 GG verfassungswidrig war.289 Schwer nachvollziehbar ist daher die unbegründete Behauptung der 3. Kammer des ersten Senats in einem Nichtannahmebeschluss aus dem Jahre 2009, das Sportwettenurteil lasse „ausreichend deutlich erkennen, dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht auf eine ,Kohärenz oder Systematik‘ des gesamten Glücksspielsektors einschließlich des gewerberechtlich zugelassenen Automatenspiels für die Vereinbarkeit eines staatlichen Wettmonopols mit Art. 12 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht ankommt.“290 Der Einbeziehung des aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Typisierungs- und Differenzierungsgebots könnte allenfalls der beschränkte Anwendungsbereich des Gleichheitsgrundsatzes im Bundesstaat entgegenstehen. Dieser gilt nämlich 286 BVerfGE 102, 197 (220 f.) – Spielbank II, für die damalige Rechtslage in BadenWürttemberg. 287 Gesetz über öffentliche Spielbanken i. d. F. v. 9.10.2001, GBl. BW 2001 S. 571. 288 Vgl. z. B. BVerfGE 34, 252 (256); Sachs/Osterloh, GG Art. 3 Rn. 18, 22 m.w. N.; ferner speziell für den Bereich des Glücksspiels Ossenbühl DVBl. 2003, 881 (885); Horn in: Pieroth (Hrsg.), Der Glücksspielstaatsvertrag, S. 91 (119). 289 BVerfGE 115, 276 (317) – Sportwette. 290 BVerfG v. 20.3.2009 – 1 BvR 2410/08 Rn. 17 (zit. nach juris).
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grundsätzlich nur für Vergleiche innerhalb der jeweiligen Rechtssetzung, d. h. nicht für einen Vergleich zwischen Bundes- und Landesregelung.291 Das Spielbankenrecht ist ebenso wie das Sportwettenrecht landesgesetzlich geregelt,292 hier greift das Typisierungs- und Differenzierungsgebot also in jedem Fall. Bezüglich der Geldspielautomaten in Gaststätten und Spielhallen stehen sich mit der GewO293 auf der einen und dem GlüStV i.V. m. ausführenden Landesgesetzen auf der anderen Seite tatsächlich Bundes- und Landesrecht gegenüber. Allerdings wäre der Gleichheitssatz hier infolge der bundesstaatlichen Beschränkung nur dann nicht anzuwenden, wenn für den Sachbereich der Sportwette eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder bestünde. Denn sowohl Bundes- als auch Landesgesetzgeber können den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht jeweils dadurch entgehen, dass im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung der Bund den einen Bereich – hier die Geldspielautomaten – selbst regelt und der andere Bereich – hier die Sportwetten – den Ländern überlassen bleibt.294 Wie bereits oben erläutert,295 ist bezüglich des Sportwettenrechts mit dem BVerfG von einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Nr. 11 GG auszugehen. In diesem Fall befreit die bundesstaatliche Ordnung den (Bundes- oder Landes-)Gesetzgeber nicht von der Pflicht, sachgerechte und willkürfreie Vorschriften zu schaffen. Vorliegend wird also nicht nur Ungleiches gleich behandelt, sondern darüber hinaus sogar diametral entgegen der Unterschiede differenziert: weniger einschränkende Regelungen für eine Spielform mit höherem Suchtpotenzial, einschränkendere Regelungen für eine Spielform mit geringerem Suchtpotenzial. Diese Auswahl der Berufseingriffe entgegengesetzt zur Suchtgefahr, deren Eindämmung gerade das Eingriffsziel sein soll, stellt eine Differenzierung dar, für die keinerlei sachliche Gründe ersichtlich sind und die damit willkürlich ist.296 Ein eindeutigerer Verstoß gegen das Willkürverbot als eine solche gegensätzliche Differenzierung ist kaum denkbar. Dies verkennt Thaysen, die zwar eine 291 Vgl. BVerwGE 96, 293 (301); Becker/Dittmann in: Ennuschat/Badura (Hrsg.), Aktuelle Probleme, S. 113 (148 f.). 292 s. nur das soeben erwähnte SpBG BW. 293 Das mit der Föderalismusreform gemäß Art. 71 Abs. 1 Nr. 11 GG aus der konkurrierenden Bundeskompetenz ausgenommene „Recht der Spielhallen“ umfasst nach eigener Aussage der Länder nur die (räumlich radizierte) Spielhallenerlaubnis in § 33i GewO, nicht dagegen das gewerbliche Spielrecht der §§ 33c bis g GewO, s. amtl. Begründung zum GlüStV S. 8, wiedergegeben z. B. in bayerische LT-Drs. 15/8486 S. 9 ff.; s. auch OVG Münster v. 22.2.2008 – 13 B 1215/07 Rn. 56 (zit. nach juris). 294 Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 66; dies verkennt Thaysen, Sportwetten, S. 85, indem sie ohne Unterscheidung zwischen ausschließlicher und konkurrierender Gesetzgebungskompetenz allein auf den Fakt der unterschiedlichen Regelung durch Bund und Länder abstellt. 295 s. o. S. 142 ff. 296 Vgl. auch den Suchtforscher Becker in ZfWG 2009, 1 (7) [„der Vernunft nicht zugänglich“].
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„Inkonsequenz“ ausmacht, eine Ungleichbehandlung aber mit der Begründung ablehnt, Sportwetten und Spielautomaten seien unter anderem aufgrund des unterschiedlichen Suchtpotentials nicht wesentlich gleich.297 Selbst innerhalb der Sportwetten findet eine gleichheitswidrige Differenzierung statt. So wird mit den Pferderennwetten, die gemäß dem RWG auch von Privaten veranstaltet werden dürfen, und den Wetten für sonstige Sportarten, deren Veranstaltung dem Staat vorbehalten ist, wesentlich Gleiches ungleich behandelt. Sachliche Gründe, die diese erhebliche Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermögen, sind nicht ersichtlich. Feststellbare Unterschiede etwa in der Suchtgefahr existieren nicht.298 Die liberalere Regelung des RWG aus dem Jahre 1922 beruht vielmehr auf rein historischen Gründen, nämlich mit der privaten Wettveranstaltung den Rennvereinen eine zusätzliche Einkommensquelle zu ermöglichen und auf diese Weise die deutsche Pferdezucht zu fördern. Dies kann heute jedenfalls nicht mehr als Sachgrund zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung herhalten.299 Wie bereits hinsichtlich des gewerblichen Spielrechts in der GewO erläutert, befreit auch hier die unterschiedliche Regelung der Pferderennwetten auf bundesgesetzlicher und der sonstigen Sportwetten auf landesgesetzlicher Ebene nicht von der Geltung der gleichheitsrechtlichen Anforderungen, da das gesamte Sportwettenrecht der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG unterfällt. Neben den bereits zuvor genannten Gründen führen diese Verstöße gegen das gleichheitsrechtliche Differenzierungs- und Typisierungsgebot zur Unzumutbarkeit des Berufsverbots für private Sportwettenanbieter beruhend auf dem GlüStV. Der Eingriff eines staatlichen Sportwettenmonopols in die Berufsfreiheit potenzieller privater Anbieter ist nicht verhältnismäßig im engeren Sinne. c) Ergebnis Das BVerfG erklärte in seiner Entscheidung vom 28.3.2006 lediglich das staatliche Wettmonopol in seiner konkreten Ausgestaltung durch den LottStV wegen dessen mangelnder Ausrichtung am Ziel der Suchtvermeidung und -bekämpfung für verfassungswidrig. Es geht ausdrücklich davon aus, dass sowohl
297
Thaysen, Sportwetten, S. 85 f. Vgl. Korte, Glücksspielwesen, S. 173 f.; Arendts ZfWG 2007, 79 (82). 299 s. auch Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 66; bezeichnend ist insoweit auch, dass sämtliche Sportwetten zu festen Gewinnquoten durch das Gesetz zur Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes vom 17.5.2000 (BGBl. I 2000 S. 571 ff.) hinsichtlich ihrer Besteuerung dem RWG unterworfen wurden. Laut Gesetzesbegründung (BT-Drs. 518/99 S. 5 f.) seien diese im Vergleich zur Pferderennwette eine neue Wettform, die es bei der Verabschiedung des RWG noch nicht gegeben habe und an die das RWG in steuerlicher Hinsicht aus Gründen der Gleichbehandlung anzupassen sei. 298
166 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
ein strikt an diesem Ziel ausgerichtetes staatliches Sportwettenmonopol als auch ein liberalisiertes Modell mit Zulassung privater Anbieter verfassungskonform ist. Die Entscheidung zwischen den beiden Alternativen obliege dem Gesetzgeber.300 Diese Auffassung wird hier nicht geteilt. Getreu den obigen Ausführungen verstößt ein jedes staatliches Sportwettenmonopol, das private Anbieter vollständig ausschließt, gegen deren Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Dies gilt somit auch für den ab 1.1.2008 geltenden GlüStV, der nach den Kriterien des BVerfG wohl verfassungskonform wäre.301 Es beginnt damit, dass der Gesetzgeber bereits konkrete Nachweise zu den behaupteten Suchtgefahren der Sportwette schuldig bleibt. Die Spielsuchtbekämpfung hier als einebnendes Totschlagsargument zu verwenden, ist nicht angezeigt. Unterstellt man entsprechend legitimierende Gefahren, ist die tatsächliche Geeignetheit eines Staatsmonopols zu deren Bekämpfung höchst zweifelhaft. So lässt sich der Antagonismus zwischen Suchtbekämpfung (§ 1 Nr. 1 GlüStV) und dementsprechend Verringerung der Wettgelegenheiten durch ein Staatsmonopol auf der einen, gleichzeitig aber Lenkung des Wettbetriebs in überwachte Bahnen durch „Sicherstellung eines ausreichenden Angebots“ (§ 10 Abs. 1 S. 2 GlüStV) auf der anderen Seite nicht befriedigend auflösen. Um sinnvolle und praktisch wirksame Maßnahmen zur Sucht- und auch Manipulationsprävention zu ergreifen, ist das staatliche Monopol nicht erforderlich. Unzumutbar für potenzielle private Anbieter wird das Berufsverbot insbesondere durch die nicht zu erklärenden Widersprüche, wenn Wetten auf bestimmte Sportarten (Pferderennsport) oder vor allem erwiesenermaßen suchtgefährdendere Glücksspiele (Geldspielautomaten) von Privaten veranstaltet werden dürfen. Der Beruf des Buchmachers darf Privatpersonen auch außerhalb des Pferderennsports nicht vollständig verboten werden.
300 BVerfGE 115, 276 (317) – Sportwette; vgl. dementsprechend den Alternativentwurf der schleswig-holsteinischen CDU für einen GlüStV, der eine begrenzte Konzessionierung privater Anbieter vorsieht, sich jedoch im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzten konnte, abrufbar unter http://www.vewu.com/downloads/Vorschlag_ CDU-SH_Neuordnung_Sportwettenmarkt.pdf [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]; i. S. e. Liberalisierung auch der Entwurf von Rausch/Pawlik, Musterentwurf, S. 11 ff. 301 So bezüglich des Sportwettenmonopols in Eilentscheidungen BVerfG v. 20.3. 2009 – 1 BvR 2410/08 Rn. 15 ff. (Nichtannahmebeschluss, zit. nach juris): der GlüStV genüge den Vorgaben des Sportwetten-Urteils des BVerfG und sei daher nach summarischer Prüfung verfassungskonform; ebenso VGH Mannheim v. 17.3.2008 – 6 S 3069/07 Rn. 8 (zit. nach juris); VGH München v. 16.6.2008 – 10 CS 08/100 Rn. 18 ff. (zit. nach juris); OVG Münster v. 22.2.2008 – 13 B 1215 Rn. 38 (zit. nach juris); vgl. auch den Nichtannahmebeschluss des BVerfG in GewArch 2009, 26, in dem das Verbot der Lotterievermittlung im Internet als vereinbar mit Art. 12 GG angesehen wird; kritische Anm. dazu von Korte NVwZ 2009, 283 ff.
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III. Europarechtskonformität eines staatlichen Wettmonopols Neben der Verfassungsmäßigkeit ist die Europarechtskonformität des staatlichen Sportwettenmonopols nach dem GlüStV zu untersuchen. Denn es betrifft insbesondere auch Anbieter aus dem EU-Ausland, die ihre Sportwetten entweder direkt über Zweigniederlassungen, Internet oder Vermittlungsagenturen in Deutschland anbieten wollen und dies in der Praxis auch tun.302 Sekundärrechtliche Regelungen zur Harmonisierung des europäischen Sportwetten- bzw. des gesamten Glücksspielrechts existieren nicht. Die Dienstleistungsrichtlinie303, die sich gemäß ihres Art. 2 Abs. 1 grundsätzlich auf alle Dienstleistungen erstreckt, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungsanbieter erbracht werden, nimmt gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. h „Glücksspiele, die einen geldwerten Einsatz verlangen, einschließlich Lotterien, Glücksspiele in Spielcasinos und Wetten“ von ihrem Anwendungsbereich aus.304. Ebenso die E-Commerce-Richtlinie gemäß Art. 1 Abs. 5 lit. d.305 Daher sind nationalstaatliche Regelungen in diesem Bereich unmittelbar an den primärrechtlichen Regelungen des EG-Vertrags zu messen. In Betracht kommt vorliegend ein Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit der Art. 43, 49 EG (s. u. 1.) sowie gegen europäisches Wettbewerbsrecht in Gestalt des Art. 86 i.V. m. Art. 82 EG (s. u. 2.). 1. Vereinbarkeit mit der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 EG Die europäischen Grundfreiheiten haben sowohl eine subjektiv-rechtliche als auch eine objektiv-rechtliche Komponente. In subjektiver Hinsicht gewähren sie jedem EU-Bürger, der in ihren Anwendungsbereich fällt, ein unmittelbar anwendbares subjektives Recht, dem die einzelnen mitgliedstaatlichen Gerichte zur Geltung verhelfen müssen.306 Objektive Wirkung entfalten sie insofern, als 302
s. etwa Krieger JZ 2005, 1021 (1023). Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12. 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. EG 2006 Nr. L 376 S. 36. 304 s. Erwägungsgrund 25 der Richtlinie [„Glücksspiele einschließlich Lotterien und Wetten sollten aufgrund der spezifischen Natur dieser Tätigkeiten, die von Seiten der Mitgliedstaaten Politikansätze zum Schutz der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der Verbraucher bedingen, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sein.“]. 305 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr), ABl. EG 2000 Nr. L 178 S. 1. 306 Frenz, Europäische Grundfreiheiten, Rn. 83 ff. 303
168 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
herausragendes Ziel der EG die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes ist, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr gekennzeichnet ist, vgl. Art. 2, 3 Abs. 1 lit. c EG. Hierbei sollen die Grundfreiheiten eine maßgebliche Rolle spielen, Art. 14 EG. Da die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit in ihren Strukturen vergleichbar sind und hinsichtlich der Rechtfertigung einer Beeinträchtigung gleichen Anforderungen unterliegen, werden sie hier zusammen begutachtet.307 Insgesamt ergeben sich einige Parallelen zu der oben untersuchten Vereinbarkeit mit Art. 12 GG, sodass insoweit auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden kann. Die Prüfung folgt dem klassischen Aufbau, zunächst wird die Beschränkung der Freiheiten (s. u. lit. a), sodann deren mögliche Rechtfertigung (s. u. lit. b) untersucht. Im Rahmen letzterer wird insbesondere auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Gambelli, Placanica und Liga Portuguesa eingegangen. a) Beschränkung der Niederlassungs- und Dienstfreiheit Allen Grundfreiheiten des EG-Vertrages ist gemein, dass sie sowohl ein Diskriminierungsverbot, d. h. ein Verbot der Schlechterstellung von EU-Ausländern gegenüber Inländern, als auch allgemeine, diskriminierungsunabhängige Beschränkungsverbote enthalten.308 Nach der Systematik der Grundfreiheiten fallen grundsätzlich nur wirtschaftsbezogene Tätigkeiten in deren Anwendungsbereich, vgl. Art. 2 EG. In ständiger Rechtsprechung geht der EuGH davon aus, dass die Veranstaltung von Glücksspielen und Sportwetten eine solche wirtschaftliche Tätigkeit darstellt und sich Anbieter von Sportwetten folglich uneingeschränkt auf die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nach dem EGVertrag berufen können.309 Die Niederlassungsfreiheit umfasst gemäß Art. 43 EG die freie Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats, worunter auch die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften fällt. Die Dienst-
307 Vgl. auch Frenz, Europäische Grundfreiheiten, Rn. 2417 ff.; Skouris DÖV 2006, 89 (94); gleichermaßen geht der EuGH in seinen einschlägigen Entscheidungen zum Sportwettenrecht vor, EuGH Slg. 2003 I-13076 Rn. 44 ff. – Gambelli; Slg. 2007 I1932 Rn. 41 ff. – Placanica. 308 Vgl. etwa Frenz, Europäische Grundfreiheiten, Rn. 428; Oppermann, Europarecht, § 19 Rn. 3. 309 Bezüglich Sportwetten EuGH Slg. 1999 I-7289 Rn. 24 – Zenatti; Slg. 2003 I13076 Rn. 44 ff. – Gambelli; Slg. 2007 I-1932 Rn. 41 ff. – Placanica; bezüglich Lotterien EuGH Slg. 1994 I-1039 Rn. 19 ff., 37 – Schindler; Slg. 2003 I-13519 Rn. 19 – Lindman; s. auch Jahndorf VerwArch 2004, 359 (374); Stein in: FS Hirsch, S. 185 (188, 196 f.), der deshalb im Glücksspielbereich für eine Bereichsausnahme von den Grundfreiheiten plädiert, s. dazu jedoch sogleich S. 170 f.
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leistungsfreiheit gemäß Art. 49 EG betrifft die Freiheit, grenzüberschreitend innerhalb der EU Dienstleistungen zu erbringen und zu empfangen. Das bedeutet zum einen die Freiheit des Leistungserbringers, Leistungsempfängern, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig sind, in dessen Gebiet sich der Leistungserbringer aufhält, Dienstleistungen anzubieten und zu erbringen. Zum anderen kann sich der Leistungsempfänger auf die korrespondierende Freiheit berufen, Dienstleistungen eines Leistungserbringers aus einem anderen Mitgliedstaat zu empfangen.310 Umfasst ist jeweils auch die Erbringung von Dienstleistungen im Wege der Korrespondenz ohne körperliche Grenzüberschreitung, z. B. über Telefon und Internet.311 Der umfassende Erlaubnisvorbehalt für die Veranstaltung und Vermittlung von Glücksspielen in § 4 Abs. 1 GlüStV und der Ausschluss sämtlicher privater Unternehmen von der Erteilung einer solchen Erlaubnis gemäß § 5 Abs. 2 GlüStV sowie das allgemeine Verbot der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten im Internet und über Telekommunikationsanlagen gemäß §§ 4 Abs. 4, 21 Abs. 2 GlüStV beinhalten zwar keine Diskriminierung, da die Regelungen nicht an die Nationalität anknüpfen, sondern ausnahmslos für ausländische wie auch für inländische Personen gelten.312 Jedoch enthalten diese Regelungen allgemeine Beschränkungen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Sie machen die Niederlassung bzw. die Gründung von Vermittlungsagenturen in Deutschland für EU-ausländische Anbieter unmöglich, was natürlich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit i. S. d. Art. 43 EG darstellt.313 Die angesprochenen Regelungen des GlüStV beschränken ferner die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 EG. Bei dem Angebot zum Abschluss von Sportwettverträgen handelt es sich um Dienstleistungen i. S. d. Art. 49, 50 EG. Die Regelungen des deutschen Monopols beeinträchtigen sowohl das grenzüberschreitende Direktangebot eines EU-ausländischen Sportwettenanbieters via Telefon oder Internet (s. § 3 Abs. 4 GlüStV) als auch das Angebot über in Deutschland eröffnete Agenturen, die den Abschluss der Wettverträge an den im EU-Ausland ansässigen Veranstalter vermitteln. Insbesondere liegt auch in diesem Fall der Vermittlungsagentur ein grenzüberschreitender Bezug vor. Denn der Vermittler führt den im EU-Ausland ansässigen Veranstalter mit den im Inland ansässigen Wettinteressenten zusammen und erbringt so seinerseits grenz-
310 EuGH Slg. 1999 I-7447 Rn. 33 f. – Eurowings; Slg. 2003 I-13076 Rn. 55 – Gambelli; Schwarze/Holoubek, EGV Art. 49 Rn. 50. 311 EuGH Slg. 1995 I-1141 Rn. 22 – Alpine Investments; Slg. 2003 I-13076 Rn. 53 f. – Gambelli; Calliess/Ruffert/Kluth, EGV Art. 49, 50 Rn. 29 f. 312 Vgl. auch Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole, S. 126 ff.; Bungenberg DVBl. 2007, 1405 (1410). 313 Vgl. EuGH Slg. 2003 I-13076 Rn. 46, 48 – Gambelli; Slg. 2007 I-1932 Rn. 43 – Placanica.
170 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
überschreitend Dienstleistungen an den im EU-Ausland ansässigen Sportwettenveranstalter.314 b) Rechtfertigung Beschränkungen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit können durch die in Art. 45 und 46 EG (i.V. m Art. 55 EG) ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmeregelungen oder nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH aus „zwingenden Gründen des Allgemeininteresses“ gerechtfertigt sein. aa) Ausdrücklich vorgesehene Ausnahmeregelungen in Art. 45 und 46 EG Gemäß Art. 45 EG (i.V. m. Art. 55 EG) sind die Vorschriften über die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nicht anwendbar, wenn die betroffene wirtschaftliche Tätigkeit mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist. Da es sich bei dem Angebot von Sportwetten nicht um Verwaltungshandeln in einem Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Bürger handelt, welches für die öffentliche Gewalt i. S. d. Art. 45 EG konstituierend ist,315 scheidet eine Anwendungsausnahme nach dieser Vorschrift aus.316 Ebenfalls nicht anwendbar sind Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 46 Abs. 1 EG (i.V. m. Art. 55 EG), wenn sie durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften beschränkt werden, die eine Sonderregelung für Ausländer vorsehen und aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. Wie bereits erwähnt, enthalten die Vorschriften des deutschen GlüStV keine Sonderregelungen für Ausländer. Daher ist auch die Ausnahmeregelung des Art. 46 EG nicht einschlägig.317 bb) Ungeschriebener Rechtfertigungsgrund: zwingende Gründe des Allgemeininteresses Eine Rechtfertigung ist also allein nach der vom EuGH für die Grundfreiheiten entwickelten und in ständiger Rechtsprechung angewandten sog. „GebhardFormel“ möglich. Danach müssen die Beschränkungen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, d. h. sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zwecks zu gewährleisten, und sie 314 So ausdrücklich EuGH Slg. 2003 I-13076 Rn. 58 – Gambelli; Slg. 2007 I-1932 Rn. 44 – Placanica; s. auch OVG Saarloius NVwZ 2007, 717 (718 a. E.); unzutreffend dagegen OVG Koblenz NVwZ 2006, 1426 (1428). 315 Frenz, Europäische Grundfreiheiten, Rn. 1980. 316 s. etwa Pischel GRUR 2006, 630 (633 a. E.); Kazemi/Leopold MMR 2004, 649 (651); der von Stein in: FS Hirsch, S. 185 (196 f.) für den Glücksspielbereich vorgeschlagene Weg einer Bereichsausnahme über Art. 45 EG ist daher nicht gangbar. 317 s. etwa auch Pischel GRUR 2006, 630 (635).
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dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. Auf jeden Fall müssen sie in nicht diskriminierender Weise angewandt werden.318 Zwar erwähnt der EuGH in dieser Formel explizit nur die Eignungs- und Erforderlichkeitsprüfung, doch verweist er in anderem Zusammenhang auch auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, indem er verlangt, dass Vorschriften zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses „in einem angemessen Verhältnis stehen“ müssen.319 Es kann der Rechtsprechung des EuGH also eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung entnommen werden.320 (1) Konkretisierende Rechtsprechung des EuGH zum Sportwettenrecht In mittlerweile drei jüngeren Entscheidungen, der Gambelli-Entscheidung vom 6.11.2003321, der Placanica-Entscheidung vom 6.3.2007322 und der Liga Portuguesa-Entscheidung vom 8.9.2009323 konkretisiert der EuGH diese Voraussetzungen explizit im Hinblick auf Beschränkungen der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten. (a) Gambelli-Urteil vom 6.11.2003 und Placanica-Urteil vom 6.3.2007 In den Gambelli- und Placanica-Entscheidungen handelt es sich in beiden Fällen um Vorabentscheidungen des EuGH nach der Vorlage italienischer Strafgerichte. Wie in Deutschland steht in Italien das Sammeln von Sportwetten ohne Erlaubnis unter Strafe. Die Angeklagten hatten in Italien mithilfe örtlicher Agenturen Sportwetten an einen in England lizenzierten Sportwettenveranstalter vermittelt. Eine italienische Erlaubnis hierfür besaßen sie nicht, da nach dem italienischen Konzessionssystem zwar eine begrenzte Zahl an Konzessionen für die Annahme von Sportwetten an Private vergeben wurde, auf reglementierten Märkten notierte Kapitalgesellschaften – wie der englische Veranstalter im konkreten Fall – von der Vergabe jedoch ausgeschlossen waren. Die italienischen 318 St. Rspr. seit EuGH Slg. 1995 I-4165 Rn. 37 – Gebhard; ausdrücklich für die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit bei Sportwetten EuGH Slg. 2003 I-13076 Rn. 65 – Gambelli; Slg. 2007 I-1932 Rn. 49 – Placanica. 319 EuGH Slg. 1997 I-3843 Rn. 54 – De Agostini. 320 Schwarze/Holoubek, EGV Art. 49 Rn. 95; Pollak, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 34 ff. 321 EuGH Slg. 2003 I-13076 Rn. 60 ff. – Gambelli. 322 EuGH Slg. 2007 I-1932 Rn. 45 ff. – Placanica. 323 EuGH v. 8.9.2009 – Rs. C-42/07 – Liga Portuguesa, abrufbar unter http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62007J0042:DE:HTML [zuletzt abgerufen am 22.9.2009].
172 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
Gerichte legten dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vor, ob das strafbewehrte Verbot der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten mit der europäischen Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit vereinbar sei.324 Beide Entscheidungen setzen sich eingehend mit den Rechtfertigungsanforderungen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 EG auseinander und sind ausführlich begründet. Als zwingende Gründe des Allgemeininteresses erkennt der Gerichtshof den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung, die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu erhöhten Ausgaben für das Spielen sowie die Verhütung von Störungen der sozialen Ordnung im Allgemeinen an.325 Fiskalische Interessen des Staates als Ziel schließt der EuGH wie das BVerfG explizit aus.326 Die Spielsuchtprävention wird durch den Verbraucherschutz und die Vermeidung von Anreizen zu erhöhten Spielausgaben verkörpert. Zu dem in diesem Zusammenhang verwendeten Mittel, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, indem die Zahl der Anbieter beschränkt wird, sagt der EuGH:327 „Beschränkungen der Anzahl der Wirtschaftsteilnehmer [können] zwar grundsätzlich gerechtfertigt sein, [müssen] jedoch in jedem Fall dem Anliegen gerecht werden, die Gelegenheiten zum Spiel wirklich zu vermindern und die Tätigkeiten in diesem Bereich kohärent und systematisch zu begrenzen.“
Für das Ziel der Betrugsvorbeugung stellt der Gerichtshof in den Gambelliund Placanica-Entscheidungen klar, dass ein vollständiger Ausschluss privater Anbieter über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Es gebe andere Mittel, um die Tätigkeiten der Wirtschaftsteilnehmer im Bereich des Glücksspiels zu kontrollieren, welche die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit weit weniger bzw. gar nicht beschränkten.328
324 Teilweise wird behauptet, die Ausführungen des EuGH bezögen sich allein auf das mit der deutschen Rechtslage nicht vergleichbare Konzessionssystem in Italien und könnten daher nicht oder lediglich beschränkt für die Beurteilung des deutschen Rechts herangezogen werden, so etwa Ruttig wrp 2007, 621 (623); Stein ZfWG 2007, 133 (134). Das verkennt jedoch die Rechtsnatur der Vorlageentscheidung des EuGH gemäß Art. 234 EGV. Der Gerichtshof trifft hierbei generelle Aussagen über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass die anschließende Entscheidung, ob die nationalen Regelungen im konkreten Fall gemeinschaftskonform sind, den nationalen Gerichten überlassen bleibt, s. dazu nur Schwarze/Schwarze, EGV Art. 234 Rn. 17; Calliess/Ruffert/Wegener, EGV Art. 234 Rn. 3. 325 EuGH Slg. 2003 I-13076 Rn. 67 – Gambelli; Slg. 2007 I-1932 Rn. 46 – Placanica; s. auch bereits Slg. 1994 I-1039 Rn. 57 ff. – Schindler; Slg. 1999 I-6067 Rn. 32 f. – Läärä; Slg. 1999 I-7289 Rn. 30 f. – Zenatti. 326 EuGH Slg. 2003 I-13076 Rn. 61 f. – Gambelli. 327 EuGH Slg. 2007 I-1932 Rn. 53 – Placanica; vgl. auch bereits Slg. 2003 I-13076 Rn. 67 – Gambelli; Hervorhebungen hinzugefügt. 328 EuGH Slg. 2007 I-1932 Rn. 62 – Placanica; vgl. auch bereits Slg. 2003 I-13076 Rn. 73 f. – Gambelli.
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Hinsichtlich des gesetzgeberischen Ermessens führt der EuGH aus:329 „In diesem Kontext können die sittlichen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten und die sittlich und finanziell schädlichen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft, die mit Spielen und Wetten einhergehen, ein ausreichendes Ermessen der staatlichen Stellen rechtfertigen, festzulegen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben. Es steht den Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht zwar frei, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet der Glücksspiele festzulegen und gegebenenfalls das angestrebte Schutzniveau genau zu bestimmen, jedoch müssen die von ihnen vorgeschriebenen Beschränkungen den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit genügen.“
(b) Liga Portuguesa-Urteil vom 8.9.2009 Dem jüngsten Urteil in der Rechtsache Liga Portuguesa vom 8.9.2009 liegt ein Vorabentscheidungersuchen eines portugisieschen Gerichts im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens gegen Ordnungswidrigkeitsgeldbußen zugrunde. Die Geldbußen waren gegen die portugiesische Fußballliga sowie gegen die „Bwin International Ltd.“ verhängt worden, nachdem diese einen Sponsorenvertrag abgeschlossen hatten, wonach die zuvor als „Super Liga“ bezeichnete erste portugiesische Fußballliga in „Bwin Liga“ umbenannt und die Firmenzeichen von Bwin auf der Ausrüstung der Spieler und in den Stadien der Erstligavereine angebracht wurde. Wie in Deutschland ist die Veranstaltung von Fußballsportwetten in Portugal ausschließlich einem staatlichen bzw. staatlich kontrollierten Anbieter vorbehalten; in diesem Fall dem „Departamento de Jogos da Santa Casa da Misericórdia de Lisboa“, welches auch über das Internet Sportwetten anbieten darf. Das portugiesiche Beschwerdegericht legte dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vor, ob die Ausschließlichkeitsregelung zugunsten von Santa Casa, wenn sie zulasten von „Bwin“, d. h. eines privaten Dienstleisters, angewandt wird, der in Portugal ausschließlich über das Internet Sportwetten anbietet, gegen Art. 43 und 49 EG verstößt.330 In auffallender Abweichung zu den dargestellten Entscheidungen in den Rechtssachen Gambelli und Placanica bejaht der EuGH – den Schlussanträgen des Generalanwalts Bot folgend331 – in wenigen Sätzen und ohne echte Begründung die Vereinbarkeit der portugiesischen Monopolregelung mit dem Gemein-
329
EuGH Slg. 2007 I-1932 Rn. 47 f. – Placanica. EuGH v. 8.9.2009 – Rs. C-42/07 Rn. 3 ff., 20 ff. – Liga Portuguesa, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62007J0042:DE: HTML [zuletzt abgerufen am 22.9.2009]. 331 Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 14.10.2008 – Rs. C-42/07 Rn. 242 ff., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62007 C0042:DE:HTML [zuletzt abgerufen am 30.8.2009]. 330
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schaftsrecht, ohne sich mit seinen zuvor selbst aufgestellten Grundsätzen auseinanderzusetzen oder diese auch nur zu berücksichtigen:332 „Die Verleihung von Ausschließlichkeitsrechten für den Betrieb von Glücksspielen über das Internet an einen einzigen, einer engen Überwachung durch die öffentliche Gewalt unterliegenden Wirtschaftsteilnehmer wie Santa Casa kann es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ermöglichen, den Betrieb dieser Spiele in kontrollierte Bahnen zu lenken, und ist geeignet, die Verbraucher vor Betrug durch die Anbieter zu schützen.“
Zur Frage der Erforderlichkeit des Staatsmonopols stellt der EuGH unter ausdrücklicher Berufung auf die Erklärungen der portugiesischen Regierung lapidar fest, dass die Behörden eines Mitgliedstaats in Bezug auf nicht gebietsansässige Wirtschaftsteilnehmer, die ihre Dienstleistungen über das Internet anbieten, nicht die gleichen Überwachungsmöglichkeiten hätten wie im Fall eines im Inland ansässigen Wirtschaftsteilnehmers wie der staatlichen „Santa Casa“.333 Insbesondere scheint der EuGH zur Rechtfertigung der portugiesischen Monopolregelung auf einen möglichen Betrug zulasten der Wettteilnehmer durch den Anbieter Bwin abzustellen, der zugleich Sponsor der Liga und einiger Vereine ist:334 „Außerdem bergen die Glücksspiele über das Internet, verglichen mit den herkömmlichen Glücksspielmärkten, wegen des fehlenden unmittelbaren Kontaktes zwischen dem Verbraucher und dem Anbieter anders geartete und größere Gefahren in sich, dass die Verbraucher eventuell von den Anbietern betrogen werden. Zudem kann die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der für manche der Sportwettbewerbe, auf die er Wetten annimmt, sowie für manche der daran beteiligten Mannschaften als Sponsor auftritt, eine Stellung innehat, die es ihm erlaubt, den Ausgang dieser Wettbewerbe unmittelbar oder mittelbar zu beeinflussen und so seine Gewinne zu erhöhen.“
(2) Die Rechtslage in Deutschland gemessen an den Maßstäben des EuGH Im Folgenden soll nun die Rechtfertigung des deutschen Staatsmonopols auf der Grundlage des GlüStV anhand der durch den EuGH in den Gambelli- und Placanica Entscheidungen entwickelten und konkretisierten Anforderungen des Europarechts untersucht werden. Wie aus der Rechtsprechung des EuGH deut332 EuGH v. 8.9.2009 – Rs. C-42/07 Rn. 67 – Liga Portuguesa, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62007J0042:DE:HTML [zuletzt abgerufen am 22.9.2009]. 333 EuGH v. 8.9.2009 – Rs. C-42/07 Rn. 68 f. – Liga Portuguesa, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62007J0042:DE:HTML [zuletzt abgerufen am 22.9.2009]. 334 EuGH v. 8.9.2009 – Rs. C-42/07 Rn. 70 f. – Liga Portuguesa, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62007J0042:DE:HTML [zuletzt abgerufen am 22.9.2009].
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lich wird, verlaufen diese Anforderungen teilweise parallel zu denen des deutschen Verfassungsrechts und der Rechtsprechung des BVerfG, sodass insoweit auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden kann. Teilweise weichen sie aber auch von diesen Anforderungen ab. (a) Zwingende Gründe des Allgemeininteresses als Regelungsziel So sind die durch den GlüStV verfolgten Ziele der Spielsuchtprävention und der Verhinderung betrügerischer Aktivitäten als zwingende Gründe des Allgemeininteresses i. S. d. Rechtsprechung des EuGH anzuerkennen.335 Von zweifelhafter Legitimität ist hier lediglich die vom EuGH genannte, äußerst diffuse Gruppe der „Störungen der sozialen Ordnung im Allgemeinen“. Sie spielt im weiteren Verlauf der Urteile zu Recht keine Rolle. Bereits im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit wurde kritisiert, dass Nachweise für eine tatsächlich vorhandene, erhebliche Sucht- und erst recht Betrugsgefahr durch Sportwetten in Deutschland nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind. Laut EuGH ist der betreffende Mitgliedstaat für solche Nachweise aber darlegungs- und beweislastpflichtig.336 Auch die Einräumung mitgliedstaatlichen Ermessens im Bereich der Glücksspielregulierung durch den EuGH erteilt hier keinen Dispens. Sie ist in erster Linie Ausdruck der Tatsache, dass der Glücksspielbereich nicht gemeinschaftsrechtlich harmonisiert ist. Auf solchen Rechtsgebieten sind die Mitgliedstaaten stets berechtigt, ihre Ziele und Schutzniveaus frei zu bestimmen. Gleichzeitig stellt der EuGH – im Gegensatz zum BVerfG337 und in aller Deutlichkeit – klar, dass ein derartiges Ermessen weder von dem Erfordernis befreit, den jeweiligen Eingriff anhand der durch den Gerichtshof entwickelten Voraussetzungen zu rechtfertigen, noch die diesbezüglichen Anforderungen herabsetzt. Auf das Fehlen von belastbaren Gefahrennachweisen weist auch die Europäische Kommission in ihrem ergänzenden Aufforderungsschreiben hin, welches sie im Rahmen des gegen Deutschland nach Art. 226 EG eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens an die Bundesregierung gerichtet hat.338 (b) Geeignetheit Bezüglich der Geeignetheit einer auf die Suchtprävention gestützten Regelung, die Spiel- und Wetttätigkeiten generell beschränken will, stellt der EuGH zunächst fest, dass dieses Ziel durch die Regelung auch tatsächlich verfolgt 335
s. auch Haltern, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte, S. 24. EuGH Slg. 2003 I-13519 Rn. 25 f. – Lindman. 337 s. o. S. 151 f., 159. 338 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Ergänzendes Aufforderungsschreiben v. 21.3.2007, S. 18 f.; ebenso Horn in: Pieroth (Hrsg.), Der Glücksspielstaatsvertrag, S. 91 (137). 336
176 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
werden muss. Ein an der Suchtprävention und dementsprechend der Begrenzung der Wetttätigkeiten ausgerichtetes Regelungswerk darf also nicht in Wahrheit zu einer Ausweitung des Angebots oder des Vertriebs, etwa durch aggressive Bewerbung, führen. So hat es auch das BVerfG gefordert.339 Insoweit besteht also ein Gleichlauf mit den Anforderungen deutschen Verfassungsrechts nach Maßgabe des BVerfG. Dass der LottStV aus dem Jahre 2004 diesen Anforderungen nicht gerecht wird, wurde bereits im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit festgestellt.340 Er verstieß somit nicht nur gegen Art. 12 GG, sondern auch gegen Art. 43 und 49 EG, was mittlerweile kaum noch bestritten wird.341 Aber auch bezüglich des GlüStV aus dem Jahre 2008 wurde in diesem Zusammenhang kritisiert, dass berechtigte Zweifel bezüglich der strikten Ausrichtung des staatlichen Monopols an der Begrenzung des Glücksspielangebots und der Verringerung der Spielmöglichkeit bestehen.342 Eine Entflechtung des engmaschigen Netzes der bundesweit über 26000 Annahmestellen des Deutschen Lotto- und Totoblocks für die staatliche Sportwette ODDSET, die zudem von umsatzbeteiligten Privatpersonen betrieben werden, ist nicht vorgesehen. Vielmehr erlaubt der GlüStV in § 9 Abs. 5 sogar die Einführung neuer Glücksspielangebote und die Ausweitung bestehender Vertriebswege. Exakt aus diesen Überlegungen heraus hat das VG Freiburg in zwei ausführlich begründeten Hauptsacheentscheidungen vom 16.4.2008 und 9.7.2008 beispielhaft für das Land Baden-Württemberg geurteilt, dass das staatliche Sportwettenmonopol in Deutschland nicht konsequent an einer Begrenzung der Wetttätigkeiten ausgerichtet und daher mit der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 EG unvereinbar ist.343 (c) Kohärente und systematische Begrenzung Darüber hinaus fordert der EuGH als Rechtfertigungsvoraussetzung, dass die Tätigkeiten kohärent und systematisch begrenzt werden. Es geht also nicht nur um die Vermeidung eines rein inneren Widerspruchs der Regelung zu ihren eigenen Zielen, wie es das BVerfG im Sportwettenurteil gefordert hat, sondern überdies um eine zusammenhängende, vergleichende Betrachtung. In Deutsch339
BVerfGE 115, 276 (310 f.) – Sportwette. s. o. S. 154 f. 341 Statt Vieler OVG Saarlouis NVwZ 2007, 717 (719); Korte, Glücksspielwesen, S. 168; Kolb, Veranstaltung von Glücksspielen, S. 189 ff.; Pischel wrp 2006, 1413 (1417). 342 s. o. S. 154 f. 343 VG Freiburg v. 16.4.2008 – 1 K 2683/07 Rn. 34 ff. (zit. nach juris) und v. 9.7.2008 – 1 K 547/07 Rn. 30 ff. (zit. nach juris); dagegen VGH Mannheim v. 16.10.2008 – 6 S 1288/08 Rn. 13 (zit. nach juris) mit der Begründung, dass bei einer Reduzierung der Annahmestellen der „Versorgungsauftrag (§ 10 GlüStV)“, also die Versorgung der Bevölkerung mit Sportwetten, gefährdet sei. 340
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land gehen nun insbesondere in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung die Meinungen darüber auseinander, worauf sich diese vergleichende Betrachtung zu beziehen hat. Teilweise wird eine vergleichende Betrachtung bezüglich des gesamten Glücksspielbereichs,344 teilweise nur bezüglich des jeweils betroffenen Glücksspielsektors, hier also des Sportwettensektors,345 gefordert. Trifft ersteres zu, liegt in Deutschland sicherlich kein kohärentes und systematischschlüssiges Modell vor: Erwiesenermaßen suchtgefährdendere Spielformen, wie vor allem die weit verbreiteten Geldspielautomaten, dürfen von Privaten ohne größere Einschränkungen angeboten werden, während das weniger suchtgefährdende Angebot von Sportwetten aus Gründen der Suchtprävention allein dem Staat vorbehalten sein soll.346 Von Kohärenz oder auch nur von Widerspruchsfreiheit kann also, wie bereits im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit ausführlich dargelegt,347 keine Rede sein. Für eine Bewertung des Glücksspielbereichs als Ganzes spricht neben der oben zitierten, allgemeinen Formulierung des EuGH („Gelegenheit zum Spiel [. . .] und Tätigkeiten in diesem Bereich“) die Gemeinsamkeit der Ziele in Gestalt von Sucht- und Betrugsprävention.348 Verfehlt ist es jedenfalls, eine Einzelbetrachtung des Sportwettensektors damit zu begründen, dass die Glücksspielsektoren ein unterschiedliches Suchtpotenzial aufweisen.349 Gerade die Tatsache, dass ein nicht monopolisierter und weniger stark reglementierter Bereich wie der der Spielautomaten ein erheblich höheres Sucht344 So OVG Münster v. 22.2.2008 – 13 B 1215/07 Rn. 96 ff. (zit. nach juris); EFTA-Gerichtshof v. 30.5.2007 – E-3/06 – Ladbrokes Rn. 45, abrufbar auf Englisch unter http://www.eftacourt.int/images/uploads/E-3-06_Judgment_EN.pdf [zuletzt abgerufen am 30.8.2009], der EFTA-Gerichtshof (European Free Trade Association) überwacht die Einhaltung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages, die aufgrund des EWRAbkommens auch in den drei EFTA-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein gelten; ebenso VG Stuttgart v. 24.7.2007 – 4 K 4435/06 Rn. 28 f.; VG Gießen v. 7.5. 2007 – 10 E 13/07 Rn. 46 ff. (zit. nach juris); VG Schleswig ZfWG 2008, 69 (70); allesamt zudem mit einem Beschluss zur Vorlage dieser Frage an den EuGH. 345 So im Rahmen eines Beschlusses zur Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde eines Sportwettenvermittlers im Eilverfahren BVerfG v. 20.3.2009 – 1 BvR 2410/08 Rn. 17 (zit. nach juris); OVG Hamburg NVwZ 2007, 725 (726); VGH München v. 2.10.2007 – 24 CS 07/1986 Rn. 39 (zit. nach juris); VGH Kassel v. 30.8.2007 – 7 TG 616/07 Rn. 18 (zit. nach juris); VGH Mannheim v. 11.2.2009 – 6 S 3328/08 Rn. 12 (zit. nach juris); offen gelassen noch von VGH Mannheim v. 17.3.2008 – 6 S 3069/07 Rn. 16 (zit. nach juris); OVG Bremen v. 15.5.2007 – 1 B 447/06 Rn. 45 (zit. nach juris). 346 Wie das OVG Münster mit Beschluss v. 22.2.2008 – 13 B 1215/07 Rn. 116 f. (zit. nach juris) trotz einer Gesamtbetrachtung und der diesbezüglich eigens formulierten Voraussetzung, die einzelnen sektoralen Regelungen dürften nicht in einem Missverhältnis zueinander stehen, zu einer Vereinbarkeit des deutschen Rechts mit dem Kohärenzgebot kommt, bleibt schleierhaft. 347 s. o. S. 161 ff. 348 OVG Saarlouis NVwZ 2007, 717 (719); OVG Münster v. 22.2.2008 – 13 B 1215/07 Rn. 96 ff. (zit. nach juris). 349 So aber OVG Hamburg NVwZ 2007, 725 (726); VGH Kassel v. 30.8.2007 – 7 TG 616/07 Rn. 18 (zit. nach juris); OVG Koblenz v. 2.5.2007 – 6 B 10118/07 Rn. 18 (zit. nach juris); sich anschließend Thaysen, Sportwetten, S. 101.
178 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
potenzial aufweist, entlarvt die Widersprüchlichkeit einer solchen Argumentation.350 Aber selbst wenn man das Kohärenzgebot nur auf den Sportwettensektor bezieht, bleibt die sachlich nicht begründete Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Pferderennwetten, die von Privaten veranstaltet werden können. Daher kann auch in diesem Fall nicht von einer kohärenten und systematischen Begrenzung der Wetttätigkeiten ausgegangen werden. Auf europarechtlicher Ebene spielt insoweit auch die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen im Bundesstaat keine Rolle. Es herrscht die sog. Länderblindheit351, d. h. Anforderungen an die europarechtskonforme Ausgestaltung nationalen Rechts nehmen dieses stets insgesamt in den Blick und ignorieren innerstaatliche Kompetenzverteilungen.352 Letztlich greift das Kohärenzgebot des EuGH genau die Widersprüche auf, die im Rahmen des deutschen Verfassungsrechts nach zutreffender Auffassung zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG führen.353 In jedem Fall geht es über die im Sportwettenurteil des BVerfG aufgestellten Anforderungen hinaus.354 Der gebotenen gemeinschaftlichen Kohärenz stünden die deutschen Regelungen unter Umständen dann nicht entgegen, wenn die sektoralen Regelungen im Bereich der Sportwette der erste Teil eines Gesamtkonzepts zur kohärenten Begrenzung in sämtlichen Glücksspielbereichen wären. Wäre danach zu erkennen, dass nach der Umsetzung von Teilmaßnahmen alsbald mit der Verwirklichung entsprechender Begrenzungen in anderen Sektoren zu rechnen ist, so läge dem ein zur Begrenzung der Dienstleistungsfreiheit geeignetes System zugrunde, das auch vor Art. 3 Abs. 1 GG Bestand hätte.355 Es ist jedoch in keinster Weise ersichtlich, dass in Deutschland namentlich gegen die von Privaten in Gaststätten und Spielhallen betriebenen Automatenspiele, die das mit Abstand größte Suchtpotenzial aufweisen, vorgegangen wird oder in Zukunft vorgegangen werden soll. Im Gegenteil: Wie oben ausführlich beschrieben,356 wurden diesbezüglich mit Wirkung zum 1.1.2006 verschiedene suchtrelevante Begrenzungen sogar noch weiter gelockert. Nach alledem ist festzustellen, dass der Eingriff in die Dienstleistungs- und Nieder350 Insoweit zutreffend OVG Münster v. 22.2.2008 – 13 B 1215/07 Rn. 107 ff. (zit. nach juris). 351 Der Terminus geht zurück auf Ipsen in: FS Hallstein, S. 248 (256 f.). 352 Statt Vieler Streinz, Europarecht, Rn. 179; Oppermann, Europarecht, § 7 Rn. 44; speziell im Zusammenhang mit dem Glücksspielrecht Becker/Dittmann in: Ennuschat/ Badura (Hrsg.), Aktuelle Probleme, S. 113 (149 f.). 353 s. ausführlich o. S. 161 ff. 354 Allerdings erübrigte sich für das BVerfG nach eigener Aussage ein Eingehen auf Aspekte des Art. 3 Abs. 1 GG deshalb, weil der zu beurteilende LottStV bereits wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG allein verfassungswidrig war, BVerfGE 115, 276 (317) – Sportwette. 355 s. auch VG Stuttgart v. 24.7.2007 – 4 K 4435/06 Rn. 30 (zit. nach juris). 356 s. o. S. 162 f.
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lassungsfreiheit durch den GlüStV in Deutschland mangels eines kohärenten und systematischen Begrenzungssystems – sowohl bei einer Betrachtung des gesamten Glücksspielbereichs als auch bei einer Einzelbetrachtung des Sportwettensektors – bereits nicht geeignet ist, die anvisierten Ziele wirksam zu verfolgen.357 (d) Erforderlichkeit Des Weiteren darf der GlüStV nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist. Im Hinblick auf das Ziel der Betrugsvorbeugung disqualifiziert der EuGH in den Gambelli- und Placanica-Entscheidungen den völligen Ausschluss von Privaten ausdrücklich als nicht erforderlich, da er durch andere Mittel, wie eine intensive Kontrolle und Überwachung, ebenso erreicht werden kann.358 Im Widerspruch hierzu steht das primäre Abstellen auf die Vorbeugung gegen einen Betrug durch (einen) private(n) Anbieter in der Liga Portuguesa-Entscheidung. In dieser Entscheidung geht der EuGH mit keiner Silbe auf seine gegenläufigen Grundaussagen in den vorangegangenen Gambelli- und Placanica-Entscheidungen ein. Das legt die Vermutung nahe, dass er sich in diesem Verfahren in erster Linie von der zugrunde liegenden Sonderkonstellation – Bwin zugleich Wettanbieter und Sponsor von Liga sowie Vereinen – hat leiten lassen. Fehlerhaft wird die Entscheidung spätestens dadurch, dass sie es unterlässt, als anderes Mittel der Betrugsvorbeugung i. S. d. eigenen Gambelli- und Placanica-Rechtsprechung schlicht ein entsprechendes Beteiligungs- und Sponsorenverbot für den oder die jeweiligen Wettanbieter in Betracht zu ziehen. Mit diesem naheliegenden Mittel könnte die Gefahr der Beeinflussung der den Wetten zugrunde liegenden Spiele durch einen oder mehrere Anbieter, die zugleich Sponsoren bestimmter Manschaften sind, vollständig gebannt werden. Hinzu kommt die bereits beschriebene Möglichkeit einer strengen Kontrolle und Überwachung der Anbieter als ebenso wirksames, aber weit weniger einschneidendes Mittel. Die bisherige Erfahrung hat außerdem gezeigt, dass Betrugsgefahren im Rahmen der Sportwettenverantaltung – wenn überhaupt – eher von Wettteilnehmern und nicht von Wettveranstaltern ausgehen. Und in diesem Fall ist es irrelevant, ob die Wetten von einem staatlichen oder einem bzw. mehreren privaten Anbietern veranstaltet werden. Der Fall „Hoyzer“ in Deutschland hat sogar vor Augen geführt, dass die privaten Anbieter besser und schneller in der Lage waren, den Manipulationen entgegenzuwirken.359 357
So auch Scholz/Weidemann ZfWG 2007, 83 (82). EuGH Slg. 2007 I-1932 Rn. 53 – Placanica; vgl. auch bereits Slg. 2003 I-13076 Rn. 67 – Gambelli; zust. etwa Hermes in: Pieroth (Hrsg.), Der Glücksspielstaatsvertrag, S. 39 (73). 359 s. o. S. 158 f. 358
180 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
Aber auch hinsichtlich des Ziels der Suchtprävention geht der vollständige Ausschluss privater Anbieter mit Lizenz eines anderen Mitgliedstaats über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.360 Es stehen auch hierfür mildere, ebenso wirksame Mittel zur Verfügung. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Erforderlichkeit verwiesen werden,361 die hier parallele Anwendung finden. In Betracht kommt insbesondere ein – unter Umständen zahlenmäßig beschränktes – Konzessionssystem, bei dem sowohl die Zulassung privater Anbieter als auch deren Tätigkeit strenger Kontrolle und Überwachung unterworfen werden.362 Durch dieses könnten private Buchmacher genau den berufsausübenden Beschränkungen unterworfen werden, die jetzt nach dem GlüStV für den staatlichen Anbieter ODDSET gelten, wie etwa eine strikte Beschränkung der Vermarktung und Bewerbung. Abgesichert durch eine strenge staatliche Kontrolle und einen Lizenzentzug bei Nichteinhaltung der Maßnahmen ergibt sich so ein Konzept, durch das den (geringfügigen) Suchtgefahren der Sportwette ebenso begegnet werden kann. Erst wenn der Mitgliedstaat nachweisen kann, dass dies nicht der Fall ist, könnte von einer Erforderlichkeit des Monopols ausgegangen werden.363 Diese, im Vergleich zur Rechtsprechung des BVerfG deutlich strengere Beweislastverteilung im Rahmen der Erforderlichkeit hat der EuGH neben dem LindmannUrteil364 im Glücksspielbereich jüngst auch im Fall des schwedischen Alkoholverkaufsmonopols angewendet. Hier hat der Gerichtshof ausgeführt, dass das Monopol über das hinausgeht, was zum Erreichen des angestrebten Schutzes vor den schädlichen Folgen des Alkoholkonsums erforderlich ist.365 Der Staat habe nicht nachweisen können, dass dieser Schutz nicht auch durch andere, mildere Mittel erreicht werden könne. (e) Angemessenheit Im Hinblick auf die Angemessenheit ist zu berücksichtigen, dass das deutsche Sportwettenmonopol auf der Grundlage des GlüStV die Niederlassungs360 So z. B. auch VG Freiburg v. 16.4.2008 – 1 K 2683/07 Rn. 57 ff. (zit. nach juris) und v. 9.7.2008 – 1 K 547/07 Rn. 68 ff. (zit. nach juris); Koenig/Ciszewski DÖV 2007, 313 (315); Leupold wrp 2008, 920 (921 f.). 361 s. o. S. 156 ff. 362 So auch Korte, Glücksspielwesen, S. 174; Leupold wrp 2008, 920 (921 f.); Kendziur ZUM 2007, 193 (94); verfehlt ist es wiederum, wenn für die Erforderlichkeit eines Staatsmonopols (schärferes Mittel) angeführt wird, eine zahlenmäßige Beschränkung privater Anbieter (milderes Mittel) ließe sich nicht rechtfertigen, so aber Walz EuZW 2004, 523 (525). 363 Vgl. Bungenberg DVBl. 2007, 1405 (1411). 364 EuGH Slg. 2003 I-13519 Rn. 25 f. – Lindman. 365 EuGH Slg. 2007 I-04071 Rn. 51 ff. – Systembolag; die Parallelen zum Sportwettenmonopol betonend Winkelmüller/Kessler EuZW 2007, 404 (405).
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und Dienstleistungsfreiheit nicht lediglich beschränkt, d. h. eine entsprechende Leistungserbringung nicht nur erschwert oder behindert, sondern durch eine vollständige Marktzugangssperre faktisch unmöglich macht. Wie bei der deutschen Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG handelt es sich um den schwerwiegendsten möglichen Eingriff. Dies führt auch im Europarecht dazu, dass ein strenger Maßstab anzulegen ist. Die staatlich getroffene Maßnahme muss sich bei solchen, besonders schwerwiegenden Eingriffen als unerlässliche Voraussetzung für die Erreichung des verfolgten Ziels erweisen.366 Das Staatsmonopol des GlüStV müsste also zur Erreichung des Ziels der Suchtprävention unerlässlich sein. Hiervon kann jedoch in Anbetracht des gerade im Vergleich zu anderen Glücksspielformen allenfalls geringen Suchtpotenzials der Sportwette nicht ausgegangen werden. Dem Ziel der Suchtprävention kommt bezüglich der Sportwette nicht das Gewicht zu, das nötig wäre, um die Schwere des Eingriffs einer kompletten Marktzugangssperre aufzuwiegen. Schutzgutsicherung und Beschränkung stehen, wie bereits im Rahmen des deutschen Verfassungsrechts festgestellt,367 nicht in einem angemessenen Verhältnis. Das gilt erst recht für das Ziel der Betrugsvorbeugung. c) Ergebnis Auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH insbesondere in den grundlegenden Gambelli- und Placanica-Entscheidungen erweist sich das deutsche Sportwettenmonopol, das auch EU-ausländische private Anbieter von der Erteilung einer Genehmigung ausschließt, als unvereinbar mit der Niederlassungsund Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 34 und 49 EG.368 2. Vereinbarkeit mit Art. 86 Abs. 1 i.V. m. Art. 82 EG Neben der Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten ist bei einem staatlichen Monopol stets auch die Vereinbarkeit mit dem europäischen Wettbewerbsrecht gemäß Art. 86 Abs. 1 i.V. m. Art. 82 EG zu überprüfen.369 In den erwähnten 366 Vgl. EuGH Slg. 1986, 3755 Rn. 52 – Kommission/Deutschland; Koenig EWS 2001 Beilage 1, 1 (7); s. auch Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole, S. 95, 129; in den Gambelli- und Placanica-Urteilen kam dies nicht zum Tragen, da die in Rede stehenden italienischen Regelungen kein absolutes Verbot für sämtliche Privatanbieter statuierten. 367 s. o. S. 161. 368 A. A. in Eilentscheidungen VGH Mannheim v. 11.2.2009 – 6 S 3328/08 Rn. 10 ff. (zit. nach juris) und v. 17.3.2008 – 6 S 3069/07 Rn. 9 ff. (zit. nach juris); OVG Münster v. 22.2.2008 – 13 B 1215/07 Rn. 72 ff. (zit. nach juris); OVG Hamburg v. 26.9.2008 – 4 Bs 96/08 Rn. 14 ff. (zit. nach juris); aus der Lit. Haltern, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte, S. 52; Diegmann/Hoffmann/Ohlmann, Praxishandbuch, Rn. 108; Badura in: Ennuschat/Badura (Hrsg.), Aktuelle Probleme, S. 7 (42 ff.). 369 Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole, S. 173.
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Vorabentscheidungsverfahren des EuGH zum Glücksspielrecht ist diese Frage bislang nicht behandelt worden, da die zu beantwortenden Vorlagefragen der nationalen Gerichte sich nur auf die Grundfreiheiten bezogen.370 Gemäß Art. 86 Abs. 1 EG sind Wettbewerbsbeschränkungen i. S. d. Art. 81 ff. EG grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme von der Anwendung der Wettbewerbsregeln für bestimmte Fälle enthält Art. 86 Abs. 2 EG. In einem ersten Schritt wird im Folgenden untersucht, ob das staatliche Sportwettenmonopol aufgrund des GlüStV eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 86 Abs. 1 i.V. m. Art. 81 ff. EG darstellt (s. u. lit. a). Als zweiter Schritt folgt die Prüfung eines Dispenses gemäß Art. 86 Abs. 2 EG (s. u. lit. b). a) Wettbewerbsbeschränkung i. S. v. Art. 86 Abs. 1 i.V. m. Art. 82 EG durch das staatliche Sportwettenmonopol Art. 86 Abs. 1 EG bestimmt, dass die Mitgliedstaaten in Bezug auf öffentliche Unternehmen oder Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem EG-Vertrag und insbesondere dessen Art. 12 sowie 81 bis 89 widersprechenden Maßnahmen treffen. Bei den Landeslotteriegesellschaften in Deutschland, die unabhängig von ihrer Rechtsform allesamt dem staatlichen Einfluss der Länder unterliegen, handelt es sich um öffentliche Unternehmen i. S. d. Art. 86 Abs. 1 EG.371 Als dem EG-Vertrag widersprechende Maßnahme i. S. d. Art. 86 Abs. 1 EG kommt der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß Art. 82 EG in Betracht. Der GlüStV verleiht den Landeslotteriegesellschaften in Deutschland das ausschließliche Recht zur Veranstaltung und Vermittlung der staatlichen Sportwette ODDSET. Eine solche gesetzliche Verleihung ausschließlicher Rechte begründet eine beherrschende Stellung des begünstigten Unternehmens.372 Da das ausschließliche Recht der im Deutschen Lotto- und Totoblock zusammengeschlossenen Landeslotteriegesellschaften für das gesamte Bundesgebiet gilt, haben diese die beherrschende Stellung – wie von Art. 82 Abs. 1 EG gefordert – auch auf dem Gemeinsamen Markt der EU bzw. auf einem wesentlichen Teil desselben inne.373 Fraglich ist, wann eine missbräuchliche Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung i. S. d. Art. 82 Abs. 1 EG anzunehmen ist. Art. 82 Abs. 2 EG enthält hierfür einige Regelbeispiele. Zu denken ist vorliegend an Art. 82 370 Verfehlt ist es daher, wenn der VGH Mannheim m. Beschl. v. 16.10.2008 – 6 S 1288/08 Rn. 19 (zit. nach juris) praeter legem davon ausgeht, die Nichtbehandlung durch den EuGH zeige, dass die wettbewerbsrechtlichen Regelungen der Art. 81 ff. EG auf das staatliche Sportwettenmonopol schon im Ansatz nicht anwendbar seien. 371 s. etwa VG Freiburg v. 16.4.2008 – 1 K 2683/07 Rn. 72 f. (zit. nach juris); Koenig/Fechtner EWS 2006, 529 (530); Bungenberg DVBl. 2007, 1405 (1411). 372 EuGH Slg. 1993, I-2533 Rn. 9 – Corbeau; Slg. 1998, I-3949 Rn. 39 – Corsica Ferries. 373 Fremuth EuZW 2007, 565 (565); Koenig EWS 2001 Beilage 1, 1 (11 f.).
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Abs. 2 lit. b EG. Danach besteht ein Missbrauch insbesondere in einer Beschränkung der Leistung zum Nachteil derjenigen, die die betreffende Dienstleistung in Anspruch nehmen wollen. Das hat der EuGH angenommen, wenn ein staatlicher Monopolist die bestehende Nachfrage nicht ausreichend bedient und ein Tätigwerden Privater verhindert.374 Erklärtes Ziel des GlüStV ist es, das Sportwettenangebot unter dem Ausschluss privater Anbieter insgesamt zu begrenzen. Die tatsächlich bestehende Nachfrage soll gerade nicht vollumfänglich befriedigt werden. Es wird also der Absatz von Dienstleistungen zum Nachteil derjenigen, die sie in Anspruch nehmen wollen, beschränkt. Es handelt sich insoweit um eine rein wettbewerbsorientierte Betrachtung, bei der ordnungsrechtliche Aspekte wie Sucht- und Kriminalitätsvorbeugung außer Betracht zu bleiben haben.375 Somit ist ein Missbrauch nach Art. 82 Abs. 2 lit. b EG anzunehmen.376 Die nach Art. 82 Abs. 1 EG erforderliche Eignung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten liegt ebenfalls vor, da der deutsche Markt für Sportwetten durch den GlüStV gegenüber Anbietern aus dem EG-Ausland abgeschottet wird.377 Im Ergebnis stellt das staatliche Sportwettenmonopol des GlüStV also eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 86 Abs. 1 i.V. m. Art. 82 EG dar.378 b) Ausnahme von der Anwendung der Wettbewerbsregeln nach Art. 86 Abs. 2 EG Trotz der Erfüllung des Missbrauchstatbestands verstößt die staatliche Begründung von Monopolstellungen nicht gegen Art. 86 Abs. 1 i.V. m. Art. 82 EG, wenn die Voraussetzungen des Art. 86 Abs. 2 EG vorliegen. Danach ist das EG-Wettbewerbsrecht unanwendbar, wenn es sich bei den Landeslotteriegesellschaften um Finanzmonopole oder Unternehmen handelt, die mit Dienstleistun374 EuGH Slg. 1991 I-2018 Rn. 31 – Höfner und Elser, der Fall betraf das deutsche Arbeitsvermittlungsmonopol für Führungskräfte; bestätigt durch EuGH Slg. 1997 I7119 Rn. 31 ff. – Job Centre. 375 EuGH Slg. 2001 I-8098 Rn. 43 – Ambulanz Glöckner; Fremuth EuZW 2007, 565 (566); a. A. offensichtlich Badura in: Ennuschat/Badura (Hrsg.), Aktuelle Probleme, S. 7 (50). 376 So auch VG Freiburg v. 16.4.2008 – 1 K 2683/07 Rn. 74 (zit. nach juris); Horn in: Pieroth (Hrsg.), Der Glücksspielstaatsvertrag, S. 91 (143); Fremuth EuZW 2007, 565 (566); Koenig EWS 2001 Beilage 1, 1 (13 ff.) begründet den Missbrauch anhand eines Verstoßes gegen den wettbewerbsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit (vgl. Art. 3 lit. g EG), da es bei der staatlichen Einräumung des Monopols kein transparentes, auf objektiven Kriterien beruhendes Auswahlverfahren – etwa durch Ausschreibung – gegeben habe. 377 Vgl. EuGH Slg. 2001 I-8098 Rn. 47 f. – Ambulanz Glöckner; Koenig/Fechtner EWS 2006, 529 (533). 378 So auch Kolb, Veranstaltung von Glücksspielen, S. 218 ff.
184 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
gen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, und die Anwendung des Wettbewerbsrechts deren Aufgabe verhindern würde. Das Sportwettenmonopol der Bundesländer verkörpert kein Finanzmonopol. Ein solches besteht, wenn die Monopolstellung vorrangig zum Zweck der Erzielung von Einnahmen für den Staatshaushalt eingerichtet worden ist.379 Zwar wird oft der Vorwurf erhoben, dass die Einnahmeerzielung für die Landeshaushalte der wahre Zweck des Sportwettenmonopols sei.380 Auch hier wurde bereits kritisiert, dass die offiziellen Ziele des GlüStV, gemäß § 1 GlüStV vor allem die Spielsuchtprävention, nicht mit dem nach diesem Rechtfertigungskonzept nötigen Nachdruck verfolgt werden.381 Die Annahme eines Finanzmonopols mit der Einnahmeerzielung als primär intendiertem Zweck ginge angesichts der eindeutig anders lautenden Zielsetzung in § 1 GlüStV jedoch zu weit. Selbst wenn der Verdacht nahe liegt, dass die Einnahmeerzielung für den Staat angenehmer Nebeneffekt des Monopols ist, als Primärziel kann sie dem Gesetzgeber nicht contra legem unterstellt werden. Fraglich ist, ob die Landeslotteriegesellschaften in Deutschland hinsichtlich des Sportwettenmonopols stattdessen mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse i. S. v. Art. 86 Abs. 2 EG betraut sind. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in diesem Sinne zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie im öffentlichen Interesse erbracht werden, d. h. insbesondere auch dann und dort, wo sie sich marktwirtschaftlich nicht lohnen. Erfasst sind somit alle wirtschaftlichen Leistungen zur notwendigen und flächendeckenden Sicherung von Infrastruktur und Daseinsvorsorge, wie etwa hinsichtlich der Wasser-, Gas- und Stromversorgung oder des Post-, Telekommunikations- und Personenbeförderungsverkehrs (sog. Universaldienste).382 Die Bereitstellung eines staatlichen Sportwettenangebots zum Zwecke der Bekämpfung von Spielsuchtgefahren durch den GlüStV entspricht ersichtlich nicht diesen Kriterien. Von der Konzeption her soll gerade nicht i. S. e. allgemeinen Grundbedürfnisses und unter Inkaufnahme von Rentabilitätseinbußen flächendeckend eine entsprechende Nachfrage der Verbraucher befriedigt werden.383 Die Dienstleistung des Sportwettenangebots soll durch die Existenz nur eines staatlichen Anbieters vielmehr eingedämmt und beschränkt werden. Jedoch hat der EuGH als „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ i. S. d. Art. 86 Abs. 2 EG – unter Vernachlässigung des Wortlauts – auch generelle staatliche 379
Maunz/Dürig/Maunz, GG Art. 105 Rn. 36 m.w. N. (Stand: 1979). So hinsichtlich der Sportwettengesetze der Länder vor dem LottStV von 2004 insbesondere Rausch GewArch 2001, 102 (106 f.), der ein Finanzmonopol annimmt. 381 s. dazu ausführlich oben S. 154 ff. 382 Vgl. Calliess/Ruffert/Jung, EGV Art. 86 Rn. 40; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Ehricke, KartellR Bd. 1, EGV Art. 86 Rn. 102, jeweils mit entsprechenden Nachweisen aus der Rspr. des EuGH. 383 s. Horn in: Pieroth (Hrsg.), Der Glücksspielstaatsvertrag, S. 91 (147). 380
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Gemeinwohlverpflichtungen, wie den Umweltschutz384, die Gewähr der öffentlichen Sicherheit385 und schließlich die Verfolgung allgemeiner öffentlicher Interessen386 anerkannt. Da der GlüStV mit der Sucht- und Kriminalprävention ordnungsrechtliche Ziele und somit solche der öffentlichen Sicherheit bzw. öffentliche Allgemeininteressen verfolgt, wird auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des EuGH davon ausgegangen, dass es sich bei der Sportwettenveranstaltung um eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse i. S. d. Art. 86 Abs. 2 EG handelt.387 Dem kann nicht ohne Weiteres gefolgt werden. Denn es darf nicht übersehen werden, dass es in keinem dieser Fälle des EuGH darum ging, durch das ausschließliche Recht zur Erbringung der Dienstleistung eine (künstliche) Verknappung des Angebots herbeizuführen. Wie bei den sog. Universaldiensten diente die Einräumung des ausschließlichen Rechts stets gerade auch dazu, ein umfassendes und die bestehende Nachfrage verlässlich befriedigendes Angebot an der entsprechenden Dienstleistung sicherzustellen. Dies ist bei dem GlüStV – jedenfalls nach dessen offiziellen Zielsetzungen gemäß § 1 GlüStV und der amtlichen Begründung388 – mitnichten der Fall. Ob also auch der EuGH bei dem Sportwettenangebot ODDSET der Landeslotteriegesellschaften eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse i. S. v. Art. 86 Abs. 2 EG annähme, darf bezweifelt werden. Der aufgezeigte grundlegende Unterschied durch die angebotsverknappende Ausrichtung spricht dagegen. Damit die Anwendungsausnahme des Art. 86 Abs. 2 EG greift, müsste zudem durch die Anwendung des Wettbewerbsrechts die Erfüllung der durch das ausschließliche Recht übertragenen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert werden. Dies bedeutet eine (verschärfte) Erforderlichkeitsprüfung.389 Erst wenn die Erbringung der betreffenden Dienstleistung ohne die Einräumung des ausschließlichen Rechts unmöglich wäre, suspendiert die eng auszulegende Ausnahmevorschrift des Art. 86 Abs. 2 EG die Anwendung der EG-Wettbewerbsvorschriften. Gibt es einen anderen, technisch möglichen und rechtlich wie wirtschaftlich zumutbaren Weg, um die jeweils übertragene Aufgabe zu er384 EuGH Slg. 2000 I-3743 Rn. 75 – Sydhavnens, ausschließliches Recht für das Einsammeln von Bauabfällen. 385 EuGH Slg. 1998 I-3949 Rn. 45 und 60 – Corsica Ferries, ausschließliches Recht zum Fest- und Losmachen von Schiffen in einem Hafen. 386 EuGH Slg. 1999 I-5751 Rn. 98 – Albany, ausschließliches Recht eines Betriebsrentenfonds, Zusatzrenten in einem bestimmten Wirtschaftszweig zu verwalten. 387 So VG Freiburg v. 16.4.2008 – 1 K 2683/07 Rn. 75 (zit. nach juris); Fremuth EuZW 2007, 565 (567); Koenig EWS 2001 Beilage 1, 1 (16); Koenig/Fechtner EWS 2006, 529 (534). 388 Amtl. Begründung zum GlüStV S. 6, wiedergegeben z. B. in bayerische LT-Drs. 15/8486 S. 9 ff. 389 Vgl. nur Schwarze/v. Burchard, EGV Art. 86 Rn. 71 ff.; Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole, S. 182.
186 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
füllen, liegen die Voraussetzungen des Art. 86 Abs. 2 EG nicht vor.390 Da die Erfüllung der Aufgabe „verhindert“ werden muss, genügt es nicht, wenn diese lediglich behindert oder erschwert wird.391 Bereits im Rahmen der (weniger strengen) Erforderlichkeit der Beeinträchtigung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit wurde hier ausgeführt, dass sich die Aufgaben der Sucht- und Kriminalprävention durch ein Konzessionssystem mit effektivem Wirtschaftskontrollrecht ebenso erreichen lassen.392 Mit dem Bundeskartellamt ist daher davon auszugehen, dass der Ausschluss des EG-Wettbewerbsrechts zur Erfüllung der mit dem GlüStV verfolgten Aufgaben ebenfalls nicht erforderlich ist.393 Die Erfüllung der Aufgaben wird also bei einer Anwendung des Art. 86 Abs. 1 i.V. m. Art. 82 EG, sprich ohne das wettbewerbswidrige staatliche Monopol von ODDSET, nicht verhindert. Die Anwendungsausnahme des Art. 86 Abs. 2 EG greift nicht.394 c) Ergebnis Das deutsche Sportwettenmonopol auf der Grundlage des derzeit geltenden GlüStV verstößt nicht nur gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 EG, sondern auch gegen europäisches Wettbewerbsrecht in Gestalt des Art. 86 i.V. m. Art. 82 EG.
IV. Zusammenfassung Das deutsche Staatsmonopol für die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten verstößt, auch auf der Grundlage des seit dem 1.1.2008 geltenden 390 EuGH Slg. 1997 I-5815 Rn. 52, 59, 96 101 f. – Kommission/Frankreich; Slg. 1997 I-5699 Rn. 53 – Kommission/Niederlande; Slg. 1997 I-5789 Rn. 53 f. – Kommission/Italien. 391 EuGH Slg. 1997 II-997 Rn. 138 – Air-Inter; Slg. 1998 I-3949 Rn. 42 – Corsica Ferries; Calliess/Ruffert/Jung, EGV Art. 86 Rn. 45 m.w. N.; soweit der EuGH in manchen Entscheidungen in der deutschen Urteilsfassung den Begriff „gefährden“ verwendet (vgl. EuGH Slg. 1997 I-5815 Rn. 59 – Kommission/Frankreich; Slg. 1997 I-5699 Rn. 43, 52 – Kommission/Niederlande), beruht dies wohl auf einem Übersetzungsfehler, auf Französisch (zum Teil Verfahrenssprache) „faire èchec à“, so auch Koenig EWS 2001 Beilage 1, 1 (18). 392 s. o. S. 179 f. 393 BKartA Beschl. v. 23.8.2006 – B 10 – 92713 – Kc – 148/05 Rn. 570, abrufbar unter http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Kartell/Kartell06/B10148-05.pdf [zuletzt abgerufen am 30.8.2009], die dagegen erhobene Beschwerde drang insoweit nicht durch, s. OLG Düsseldorf v. 23.10.2006 – VI-Kart 15/06 (V) Rn. 92 ff. (zit. nach juris) sowie BGH NJW-RR 2007, 1491 (1493 ff.); ebenso VG Freiburg v. 16.4.2008 – 1 K 2683/07 Rn. 76 (zit. nach juris); Korte, Glücksspielwesen, S. 175; Koenig EuZW 2007, 33; Bungenberg DVBl. 2007, 1405 (1412); a. A. Fremuth EuZW 2007, 565 (568 f.). 394 So auch Kolb, Veranstaltung von Glücksspielen, S. 224 ff.
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 187
GlüStV, sowohl gegen Verfassungs- als auch gegen Europarecht. Die Gefahren, denen vorgebeugt werden soll, reichen nicht aus, um einen generellen Ausschluss Privater vom Buchmacherberuf als schärfsten denkbaren Eingriff in die nationale Berufs- sowie die europäische Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen. Dabei unterscheidet sich das Schutzniveau auf deutscher und europäischer Ebene allenfalls in Nuancen, wenn man erkennt, dass das vom EuGH ausdrücklich judizierte Kohärenz-Gebot auf nationaler Ebene nichts anderes darstellt als die Ausprägung eines ernst genommenen Willkürverbots des Art. 3 GG. Jene offen zu Tage tretenden Mängel bei der Rechtfertigung des staatlichen Wettmonopols mögen eine Erklärung für den nicht abreißenden Strom von Verfahren vor den Verwaltungsgerichten sein, in denen private Wettanbieter gegen entsprechende Untersagungsverfügungen der Behörden vorgehen.395 Klargestellt sei an dieser Stelle, dass der Verstoß gegen Verfassungs- und Europarecht nicht in einer Erlaubnispflicht für die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten als solcher besteht,396 sondern in dem derzeit bestehenden Verbot, das Private vollständig von der Erteilung einer Erlaubnis ausschließt und den Staat als alleinigen Erlaubnisempfänger einsetzt.
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die akzessorische Strafnorm Wie verhält es sich nun mit der Anwendung einer verwaltungsakzessorischen Strafnorm, wenn das zugrunde liegende Verwaltungsrecht diverse Defizite aufweist? Die Beantwortung dieser Frage soll im Folgenden am Beispiel des § 284 StGB erfolgen, welcher sich hierfür i.V. m. dem Verwaltungsrecht der Sportwette in besonderem Maße eignet. Denn hier liefert die Rechtswirklichkeit gleich mehrere Konstellationen, anhand derer untersucht werden kann, wie sich Mängel des Verwaltungsrechts auf eine akzessorische Strafnorm auswirken. Drei Fallgruppen sind danach zu unterscheiden: zunächst das Fehlen verwaltungsrechtlicher Regelungen betreffend die Erlaubniserteilung, wie es vor Inkrafttreten des LottStV am 1.7.2004 in einigen Bundesländern der Fall war (s. u. I.), dann die Verfassungswidrigkeit der verwaltungsrechtlichen Regelungen, wie es in Gestalt des LottStV der Fall war und – nach hier vertretener Ansicht – in Gestalt des neuen GlüStV auch heute noch der Fall ist (s. u. II.), und schließlich 395 s. etwa VGH München v. 18.12.2008 – 10 BV 07/775 (zit. nach juris); OVG Lüneburg v. 29.9.2008 – 11 LC 281/06 (zit. nach juris); OVG Hamburg v. 26.9.2008 – 4 Bs 106/08 (zit. nach juris); BVerfG v. 20.3.2009 – 1 BvR 2410/08 Rn. 15 ff. (zit. nach juris). 396 Vgl. allg. zur Vereinbarkeit einer solchen Erlaubnispflicht mit Europarecht etwa EuGH Slg. 1994 I-3803 Rn. 18 – van der Elst; Slg. 1981, 3305 Rn. 17 – Webb.
188 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
die europarechtliche Dimension, die dadurch entsteht, dass das Genehmigungsrecht auch gegen den EG-Vertrag verstößt (s. u. III.). Dabei soll es mit der Untersuchung speziell im Hinblick auf § 284 StGB i.V. m. dem Verwaltungsrecht der Sportwette nicht sein Bewenden haben. § 284 StGB mag vielmehr als Aufhänger dienen, um für die drei dargestellten Fallgruppen abstrahierte, allgemeingültige Erkenntnisse zu gewinnen, die auch in Bezug auf andere verwaltungs(akts)akzessorische Strafvorschriften Geltung beanspruchen können. Im Umweltstrafrecht, quasi dem Prototyp der Verwaltungsakzessorietät, haben sich derlei Fragen noch nicht gestellt. Dort wurden in diesem Zusammenhang lediglich Probleme virulent, die den Genehmigungsakt selbst betreffen, insbesondere die rechtswidrige Erteilung bzw. Versagung der Genehmigung,397 nicht aber solche, die sich – quasi noch eine Stufe vorverlagert – um die gesamte Rechtsgrundlage für die Erteilung der Genehmigung drehen.398 Inwiefern sich bei der Lösung der Fragestellungen Gemeinsamkeiten oder Unterschiede ergeben, wird zu analysieren sein.
I. Fehlen verwaltungsrechtlicher Regelungen Wie oben im Rahmen der Darstellung des öffentlichen Sportwettenrechts erwähnt, fehlten in einigen Bundesländern vor Inkrafttreten des Lotteriestaatsvertrages am 1.7.2004 gesetzliche Regelungen für die Erteilung einer Erlaubnis zur Veranstaltung oder Vermittlung von Sportwetten an Private.399 Haben sich diese, wenn sie ohne Erlaubnis tätig wurden, nun gemäß § 284 StGB strafbar gemacht? Die Frage lässt sich verallgemeinern: Tritt Strafbarkeit nach einer verwaltungsaktsakzessorischen Norm ein, wenn im konkreten Fall Regelungen bezüglich der Erteilung einer strafbarkeitsausschließenden Erlaubnis nicht existieren? Soweit ersichtlich, ist diese Frage in vergleichbaren Fällen, etwa im Umweltstrafrecht, bislang nicht virulent geworden. Stellt man allein auf den Wortlaut des § 284 StGB oder einer vergleichbaren Norm und dementsprechend auf das formale Vorhandensein einer behördlichen Genehmigung ab, läge die Strafbarkeit vor, sobald eben „ohne behördliche Erlaubnis“ gehandelt wird. Eine 397 s. dazu etwa LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 278 ff., 290 f. m.w. N.; ferner die monographischen Untersuchungen von Heghmanns, Grundzüge, S. 141 ff., 280 ff.; Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 11 ff., 21 ff.; Fortun, Die behördliche Genehmigung, S. 48 ff.; Brauer, Genehmigungsfähiges Verhalten, S. 32 ff. 398 Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 37 f. konstatiert in seiner Untersuchung zu fehlerhaften Gesetzen als Grundlage der Erlaubniserteilung, sie seien selten und daher die Frage ihrer Auswirkung auf das Strafrecht ohne praktische Bedeutung. Diese Feststellung ist jedenfalls im Hinblick auf das § 284 StGB ausfüllende Sportwettenrecht überholt. 399 Berlin, Hamburg, Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, s. o. S. 108 f. sowie Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 33 ff. m.w. N.
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 189
solche Lesart überginge freilich das Dilemma, dass ein verwaltungsrechtlicher Genehmigungsvorbehalt und damit auch die Möglichkeit, eine Erlaubnis zu erlangen, gar nicht besteht. Der Schlüssel zur Lösung des Problems ist ein Blick auf die Zielrichtung der Strafrechtsnorm und die rechtsdogmatische Funktion des Merkmals der behördlichen Erlaubnis. 1. Grundsätzlich erlaubtes oder verbotenes Verhalten Ausschlaggebend ist, ob es sich bei dem jeweiligen Verhalten um ein grundsätzlich erlaubtes oder verbotenes handelt. Passende dogmatische Kategorien hierfür lassen sich dem Verwaltungsrecht entnehmen: das sog. präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und das sog. repressive Verbot mit Befreiungsvorbehalt.400 Bei einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ist das betreffende Verhalten grundsätzlich sozialadäquat und die Erlaubnis dient der präventiven Kontrolle im Hinblick auf möglicherweise entstehende Gefahren. Handelt es sich dagegen um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt, liegt ein für sich sozialschädliches, unerwünschtes und daher grundsätzlich verbotenes Verhalten vor, von dessen Verbot nur ausnahmsweise ein Dispens erteilt wird.401 Gleichgerichtet lässt sich danach unterscheiden, ob der Tatbestand unabhängig von dem Genehmigungsmerkmal einen ausreichenden Unrechtssachverhalt beschreibt (dann repressives Verbot) oder seinen Unwertgehalt zumindest auch aus dem Handeln ohne Genehmigung bezieht (dann präventives Verbot).402 Eine dritte Möglichkeit besteht darin, nach dem Gewicht der Rechtsgutbeeinträchtigung und entsprechend der Deliktsnatur der jeweiligen Strafnorm zu differenzieren. Rechtsgutverletzenden oder konkret gefährdenden Verhaltensweisen kann mittels des schwereren Eingriffs eines Repressivverbots begegnet werden, während lediglich abstrakt gefährdendes Verhalten einem weniger schwerwiegenden Präventivverbot unterliegt.403 Im Strafrecht werden die Kategorien des präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt und des repressiven Verbots mit Befreiungsvorbehalt bislang vor allem dafür genutzt, das Merkmal der behördlichen Erlaubnis im Deliktsaufbau einzuordnen, sprich zu bestimmen, ob es sich um ein Tatbestandsmerkmal oder einen Rechtfertigungsgrund handelt.404 Die Unterscheidung lässt sich aber auch für die vorliegende Problematik des Fehlens einschlägiger verwaltungsrechtlicher Genehmigungsregeln fruchtbar machen. Ginge man nämlich davon aus, 400
Grdl. dazu Forsthoff, Verwaltungsrecht AT, S. 267. Vgl. LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 274; Schönke/Schröder/Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 61; Roxin, Strafrecht AT/1, § 17 Rn. 60 f. 402 So Rengier ZStW (101) 1989, 874 (878 f.). 403 Vgl. dazu Brauer, Genehmigungsfähiges Verhalten, S. 51 ff. 404 LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 274; Schönke/Schröder/Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 61. 401
190 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
dass es sich bei der jeweiligen Norm, hier also § 284 StGB, um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt handelt, bestünde kein Grund für die Annahme, die Strafbarkeit setze die Möglichkeit eines legalen, d. h. nach Verwaltungsrecht überhaupt genehmigungsfähigen, Glücksspiels notwendig voraus.405 Auch wenn also keine ausfüllenden verwaltungsrechtlichen Regelungen betreffs der Erteilung einer behördlichen Erlaubnis existieren, müsste man ganz formal auf das Nichtvorhandensein der behördlichen Genehmigung abstellen; unter Umständen mit dem weiteren Hinweis, dass der Gesetzgeber mit der Nichtregelung der Erlaubnis eine bewusste Entscheidung gegen das betreffende Verhalten, hier die Glücksspiel- bzw. Sportwettenveranstaltung, getroffen hat. Das Handeln ohne Erlaubnis wäre auch bei Fehlen der Erlaubnisregeln strafbar. Umgekehrt bedingt das Verständnis als präventives Verbot für eine Zuwiderhandlung gegen den Erlaubnisvorbehalt die Existenz von Normen, die die Voraussetzungen einer Erlaubniserteilung regeln. Schließlich handelt es sich um ein grundsätzlich erlaubtes Verhalten. Verzichtet der Gesetzgeber auf derartige Normen, führt dies nicht zu einem automatischen Verbot des betreffenden Verhaltens, sondern im Gegenteil zu dessen Erlaubnisfreiheit. Die Verwaltungsakzessorietät stünde einer Strafbarkeit im Wege.406 2. Einordnung des § 284 StGB Zu fragen ist also, ob § 284 StGB ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt oder ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt konstituiert. Das Ergebnis dieser Abgrenzung wird maßgeblich durch das Verständnis des geschützten Rechtsguts oder besser gesagt der Rechtsgutverletzung bzw. -gefährdung als Unwertgehalt der Strafnorm bestimmt. a) Glücksspiel als generell sozialschädliches Verhalten Insbesondere diejenigen, die das Rechtsgut des § 284 StGB darin sehen, die natürliche Spielleidenschaft vor Ausbeutung zu schützen oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung gegen drohende Folge- und Begleitkriminalität aufrechtzuerhalten,407 stufen das Glücksspiel als grundsätzlich sozialschädliches und unerwünschtes Verhalten ein, von dem nur ausnahmsweise – quasi i. S. e. Ventilfunktion – ein Dispens erteilt werden könne.408 Diese Einschätzung liegt 405
BVerwGE 114, 92 (96). AG Karlsruhe-Durlach NStZ 2001, 254 (255) m. zust. Anm. Wrage; Voßkuhle/ Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 39; Berberich, Internet-Glücksspiel, S. 66 f.; a. A. offenbar LG München I NJW 2002, 2656, allerdings ohne auf die geschilderte Problematik einzugehen; genauer zum Ganzen sogleich auf S. 192 f. 407 s. o. S. 39 f., 40 ff. 408 Allen voran das BVerwG, s. BVerwGE 114, 92 (96) [„Das Glücksspiel ist wegen seiner Eignung, Kriminalität namentlich im Bereich der Geldwäsche zu befördern, 406
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 191
offensichtlich auch dem GlüStV der Bundesländer aus dem Jahre 2008 zugrunde.409 Anders ließe sich dessen komplettes Verbot für die Veranstaltung zahlreicher Glücksspiele durch Private, darunter Sportwetten, auch kaum begründen. § 284 StGB wird daher teilweise als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt eingestuft.410 b) Glücksspiel als grundsätzlich sozialadäquates bzw. wertneutrales Verhalten Dem ist aus folgenden Gründen zu widersprechen: Wie bereits die Erwägungen im Rahmen der Rechtsgutbestimmung ergeben haben,411 haftet dem Glücksspiel nach zutreffendem und sich immer mehr durchsetzendem Verständnis heute kein sozialethischer Unwert mehr an.412 Auf dieser Linie befindet sich nunmehr auch das BVerfG, wenn es deutlich macht, dass es sich bei dem gewerblichen Anbieten von Glücksspielen im Allgemeinen und von Sportwetten im Besonderen um eine gemäß Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte und grundsätzlich erlaubte Tätigkeit handelt.413 § 284 StGB ein abstraktes, selbstständiges Glücksspielverbot zu entnehmen, liefe dem diametral zuwider, denn es würde zu einer einfachgesetzlichen Beschränkung des beruflichen Schutzbereichs von Art. 12 Abs. 1 GG führen.414 Freiwillig Geld bei einem (Glücks-)Spiel einzusetzen, kann nach modernem Verständnis nur ein vollkommen wertneutrales Verhalten sein. Bei § 284 StGB handelt es sich um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.415 Dem entspricht es i. S. d. zweitgenannten Differenzierung, dass § 284 StGB seinen Unwertgehalt zumindest auch aus dem Handeln ohne Genehmigung bezieht. Die Strafnorm soll vor unfreiwilligem, sprich manipulativem oder suchtgrundsätzlich unerwünscht und schädlich.“]; BVerwGE 126, 149 (159), aufgehoben allerdings durch BVerfG NVwZ 2008, 301; dem BVerwG folgend BGH (Z) NJW-RR 2002, 395 (396); Tettinger/Ennuschat, Grundstrukturen, S. 11; s. für den Betrieb einer Spielbank auch BVerfGE 102, 197 (215) – Spielbank II. 409 Vgl. amtl. Begründung zum GlüStV S. 11, wiedergegeben z. B. in bayerische LT-Drs. 15/8486 S. 3 ff. 410 BVerwGE 96, 293 (298); 114, 92 (96); 126, 149 (159); Roxin, Strafrecht AT/1, § 10 Rn. 32, § 17 Rn. 62; Fortun, Die behördliche Genehmigung, S. 46; Wohlers JZ 2003, 860 (861 f.); Mosbacher NJW 2006, 3529 (3532). 411 s. o. S. 39, 42 ff. 412 s. Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 37; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 66; Belz, Glücksspiel im Strafrecht, S. 98. 413 So BVerfGE 115, 276 (301) – Sportwette [„Die Rechtsordnung kennt das Angebot von Sportwetten als erlaubte Betätigung.“]; s. auch Weidemann NVwZ 2008, 278 (280), der dies aus dem Kammerbeschluss des BVerfG in NJW 2008, 301 ableitet. 414 Rausch GewArch 2001, 102 (104). 415 So insbesondere aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht jüngst auch Heine ZfWG 2008, 305 (310 f.).
192 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
bedingtem Vermögensverlust schützen. Mit Hilfe der verwaltungsrechtlichen Kontrolle soll möglichen Manipulations- und Suchtgefahren vorgebeugt bzw. sollen diese zumindest gemindert werden. Das Genehmigungserfordernis ist somit, wenn auch nicht Inhalt, so doch wesentliches Mittel des angestrebten Rechtsgüterschutzes. Der (inhaltliche) Rechtsgüterschutz wird nach der gesetzgeberischen Konzeption erst durch das Fehlen der Erlaubnis aktiviert. Aus diesem Grund bezieht der Tatbestand des § 284 StGB seinen Unwertgehalt auch aus dem Handeln ohne Genehmigung.416 Denn das Spielen um Geld an sich beschreibt keinen ausreichenden Unrechtssachverhalt. Konsequenterweise muss es sich deshalb bei § 284 StGB um ein wertneutrales, sprich präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handeln.417 Zu diesem Ergebnis führt auch die erwähnte, dritte Differenzierung nach der Deliktsnatur. § 284 StGB schützt lediglich vor abstrakten und nicht konkreten (Vermögens-)Gefahren oder gar Verletzungen. Dem entspricht ein weniger schwerwiegendes Präventivverbot. Hervorgehoben sei an dieser Stelle noch einmal, dass es hier allein um eine Einordnung der strafrechtlichen Verbotsnorm geht, vorliegend § 284 StGB. Diese erfolgt unabhängig von der jeweiligen Ausgestaltung des Verwaltungsrechts. Das Verwaltungsrecht in der Form des derzeitigen GlüStV, der die Erteilung einer behördlichen Erlaubnis i. S. d. § 284 StGB regelt, mag ein umfassendes, repressives Glücksspielverbot statuieren. Dies führt nicht dazu, dass ein solches repressives Verbot automatisch auch der Strafnorm des § 284 StGB zu entnehmen wäre. Die verwaltungsakzessorische Strafnorm ist insoweit offen und neutral formuliert, sie knüpft allein an das Fehlen der Erlaubnis an. Die rein strafrechtliche, rechtsgutgestützte Beurteilung des Verbotscharakters der Strafvorschrift ändert sich nicht je nachdem, ob das Verwaltungsrecht ein repressives oder präventives Verbot enthält. Wenn hier dem GlüStV die Einschätzung zugrunde liegt, Glücksspiel an sich sei generell sozialschädlich, ist dies also nicht nur unzutreffend, sondern für die Einordnung des § 284 StGB auch irrelevant. 3. Rechtsfolge Wie bereits skizziert, bedeutet die Einordnung der Strafnorm als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, dass die Existenz einschlägiger verwaltungsrechtlicher Genehmigungsregeln Voraussetzung für eine akzessorische Strafbar416
s. o. S. 42 ff. Neben den bereits Genannten NK/Wohlers, § 284 Rn. 21; MüKo/Groeschke/ Hohmann, § 284 Rn. 20; implizit, indem sie das Merkmal der behördlichen Erlaubnis als negatives Tatbestandsmerkmal einstufen, LK/Krehl, § 284 Rn. 22; Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 18; SK/Hoyer, § 284 Rn. 21 (Stand: August 1999); Lackner/Kühl, § 284 Rn. 12; Otto, Strafrecht BT, § 55 Rn. 9; a. A. und konsequenterweise für den Charakter der Erlaubnis als Rechtfertigungsgrund Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 1, § 44 Rn. 9; Roxin, Strafrecht AT/1, § 10 Rn. 32; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 368. 417
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 193
keit ist.418 Verzichtet der Gesetzgeber auf entsprechende Genehmigungsregeln, wird der strafrechtliche Rechtsgüterschutz durch das übrig bleibende wertneutrale Verhalten nicht aktiviert.419 Dies entspricht im Übrigen auch dem Grundverständnis eines liberalen Staats (Art. 12 GG): Es muss erlaubt sein, was nicht ausdrücklich verboten ist. Da dies auf der Basis eines Wortlauts, der lediglich vom „Handeln ohne behördliche Erlaubnis“ spricht, nicht ohne Weiteres berücksichtigt werden kann, besteht die dogmatische Lösung in einer teleologischen Reduktion des verwaltungsaktsakzessorischen Straftatbestandes, die diese verdeckte Regelungslücke schließt.420 Anzusetzen ist bei eben jenem Merkmal der behördlichen Erlaubnis, welches die Verwaltungsaktsakzessorietät begründet und bei einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt Tatbestandsmerkmal ist.421 Wie dargelegt, muss das Erfordernis einer Genehmigung für das betreffende Handeln in einer Rechtsvorschrift enthalten sein, damit das Tatbestandsmerkmal der fehlenden behördlichen Erlaubnis erfüllt sein kann.422 Geeignet erscheint insoweit eine einfache Ergänzung des Wortlauts: Das Merkmal „ohne behördliche Erlaubnis“ ist zu lesen als „ohne erforderliche behördliche Erlaubnis“.423 Dass eine solche Lesart keinesfalls fernliegend ist, zeigen die ebenfalls verwaltungsakzessorischen § 326 Abs. 2 und § 327 Abs. 1 StGB aus dem Umweltstrafrecht, die den unerlaubten Umgang mit gefährlichen Abfällen und das unerlaubte Betreiben von Anlagen unter Strafe stellen. Sie sind als jüngere Vorschriften424 vom Wortlaut her klarer gefasst. Ausdrücklich ist ein Handeln „ohne erforderliche Genehmigung“ von Nöten.425 418 So auch Weidemann NVwZ 2008, 278 (280); Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 37, 39; Wrage NStZ 2001, 256 (257); Wrage JR 2001, 405 (407); a. A. LG München I NJW 2002, 2656; Wohlers JZ 2003, 860 (861). 419 A. A. Dehne-Niemann wistra 2008, 361 (362), allerdings indem er davon ausgeht, § 284 StGB pönalisiere reinen Verwaltungsungehorsam; gegen eine solche Schutzzweckbestimmung s. o. S. 40 ff. 420 Zu dieser Voraussetzung einer teleologischen Reduktion etwa Pawlowski, Methodenlehre, § 11 Rn. 461, 486; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 472 ff. m.w. N. 421 s. o. S. 189 sowie die Nachw. in Fn. 417. 422 s. für das insoweit parallel verlaufende Umweltstrafrecht auch Lackner/Kühl, § 325 Rn. 10; SK/Horn, § 325 Rn. 9 (Stand: Juli 2001); Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 8. 423 Vgl. auch Wrage NStZ 2001, 256 (257); Rausch GewArch 2001, 102 (104); generell für eine normative Interpretation des Fehlens einer behördlichen Erlaubnis als Fehlen einer erforderlichen Erlaubnis AKStGB/Neumann, § 17 Rn. 91; a. A. wiederum Dehne-Niemann wistra 2008, 361 (362), der insoweit am Wortlaut des § 284 StGB festhalten will. 424 § 326 Abs. 2 StGB wurde mit dem 2. UKG – 31. StRÄndG – v. 27.6.1994 eingeführt (BGBl. I 1994, 1440), § 327 StGB durch das 1. UKG – 18. StRÄndG – v. 28.3.1980 (BGBl. I 1980, 373). 425 Es handelt sich ebenfalls jeweils um ein Tatbestandsmerkmal, vgl. nur LK/Steindorf (11. Aufl.), § 326 Rn. 124; § 327 Rn. 22.
194 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
Solange also verwaltungsrechtliche Regelungen in Bezug auf die Erteilung einer Erlaubnis fehlen, scheitert eine verwaltungsakzessorische Strafbarkeit bereits im objektiven Tatbestand am Merkmal des Handelns „ohne (erforderliche) behördliche Erlaubnis“. Am Beispiel des § 284 StGB haben sich demnach private Anbieter ohne behördliche Erlaubnis in dem Zeitraum vor Verabschiedung des LottStV in den Bundesländern, in denen bis dahin Regelungen bezüglich der Erteilung einer Erlaubnis für die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten durch Private fehlten, nicht gemäß § 284 StGB strafbar gemacht.
II. Verfassungswidriges Verwaltungsrecht Was geschieht mit einer verwaltungsakzessorischen Strafnorm bzw. deren Anwendung, wenn das Genehmigungsrecht gegen das Grundgesetz verstößt? Macht sich auch in diesem Fall strafbar, wer unter Verstoß gegen das Genehmigungsrecht ohne (ausreichende) behördliche Erlaubnis handelt? Diese Frage stellt sich am Beispiel des § 284 StGB in jedem Fall für den Zeitraum der Geltung des LottStV bzw. der diesen umsetzenden Landesgesetze, die das BVerfG mit Urteil vom 28.3.2006 für verfassungswidrig erklärt hat.426 Über die Strafbarkeit gemäß § 284 StGB in diesem Zeitraum enthält das Urteil keinerlei Aussagen. Da nach hier vertretener Ansicht auch der zum 1.1.2008 in Kraft getretene GlüStV bzw. die diesen umsetzenden Landesgesetze gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstoßen,427 wird die Frage zudem bezüglich der derzeitigen Rechtslage relevant. Der weitere Aufbau der Untersuchung in diesem Abschnitt erfolgt anhand der möglichen Konsequenzen, die sich aus der Verfassungswidrigkeit des Verwaltungsrechts für eine verwaltungsakzessorische Strafnorm bzw. deren Anwendung im Allgemeinen ergeben können. Es lassen sich insoweit drei Konsequenzen unterscheiden: Als erstes ist daran zu denken, dass die Strafnorm automatisch selbst verfassungswidrig wird, indem sie aufgrund der Verwaltungsakzessorietät unweigerlich an dem Verfassungsverstoß des Verwaltungsrechts teilnimmt (s. u. 1.). Dem lässt sich als direkte Gegenposition die – hier sog. – These von der verfassungsrechtlichen Neutralität verwaltungsakzessorischer Strafnormen gegenüberstellen, wonach allein das Fehlen oder die Existenz des behördlichen Verwaltungsakts entscheidend, eine Strafbarkeit also auch bei Verfassungswidrigkeit des Verwaltungsrechts gegeben ist (s. u. 2.). An dritter Stelle und, wenn man will, als Mittelweg zwischen den beiden ersten Möglichkeiten rangiert die Überlegung, ob zumindest die Anwendung der Strafnorm in 426 BVerfGE 115, 276 (303 ff.) – Sportwette, konkret bezüglich der Rechtslage in Bayern; aufgrund der Vergleichbarkeit gilt es aber für die anderen Bundesländer entsprechend, ausdrücklich übertragen auf Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen durch BVerfG WM 2006, 1644 (1645) und 1646 (1646). 427 s. o. S. 144 ff.
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 195
Fällen verfassungswidrigen Verwaltungsrechts ausgeschlossen ist (s. u. 3.). In einem vierten Schritt werden mögliche Besonderheiten aufgrund der vom BVerfG immer häufiger verwendeten Tenorierung i. S. e. Unvereinbarkeitserklärung mit Weitergeltungsanordnung behandelt (s. u. 4.). 1. Verfassungswidrigkeit der Strafnorm selbst Denkbar ist, dass eine verwaltungsakzessorische Strafnorm infolge der gesetzlich vorgegebenen Verknüpfung mit in diesem Fall verfassungswidrigem Verwaltungsrecht automatisch selbst verfassungswidrig wird. Dies ist in drei Fällen möglich: Erstens, wenn der Verfassungsverstoß losgelöst von dem Verwaltungsrecht selbstständig in der Strafnorm weiterlebt;428 zweitens, wenn schlichtweg kein Anwendungsbereich mehr vorstellbar ist, in dem sich die Strafnorm nicht auf verfassungswidriges Verwaltungsrecht stützt; und drittens, wenn der Straftatbestand nunmehr gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. In Bezug auf § 284 StGB ist also als erstes zu überlegen, ob dieser für sich genommen einen ungerechtfertigten Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG darstellt. Das wäre dann möglich, wenn § 284 StGB selbst inhaltliche Vorgaben für die Zulassung bzw. Nichtzulassung von Glücksspielanbietern enthielte. § 284 StGB selbst ist jedoch neutral, er trifft keine Entscheidung darüber, ob, wem und unter welchen Voraussetzungen eine behördliche Erlaubnis erteilt wird. Der Genehmigungsvorbehalt als solcher, den § 284 StGB enthält, verstößt nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. § 284 StGB für sich genommen greift nicht in ungerechtfertigter Weise in die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG ein.429 Zweitens ist zu fragen, ob die verwaltungsrechtlichen Genehmigungsvorschriften für sämtliche von § 284 StGB erfassten Glücksspiele verfassungswidrig sind. Dies trifft nicht zu. Es existieren durchaus Bereiche des Glücksspiels, in denen die verwaltungsrechtlichen Genehmigungsvorschriften weiterhin verfassungskonform sind, wie z. B. das RWG oder auch gewerbliches Spielrecht der §§ 33c ff. GewO. Der Verstoß gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG liegt originär in der verwaltungsrechtlichen Ausgestaltung speziell des Sportwettenrechts als Staatsmonopol, nicht in der Vorschrift des § 284 StGB für sich genommen.430 Drittens kommt infolge der Verfassungswidrigkeit des der Erteilung einer behördlichen Erlaubnis zugrunde liegenden Verwaltungsrechts 428
Vgl. BVerfGE 115, 276 (312) – Sportwette; BVerfG NVwZ 2008, 301 (303). Vgl. BGH NJW 2007, 3078 (3080 a. E.); zu der Frage, ob die Anwendung des § 284 StGB im Einzelfall auf der Grundlage der verfassungswidrigen Sportwettengesetze der Länder Teil des Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG wird, s. sogleich S. 197 ff. 430 Vgl. auch BVerfGE 115, 276 (312) – Sportwette; BVerfG NVwZ 2008, 301 (303). 429
196 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
ein Verstoß des § 284 StGB gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG in Betracht. Nach dem Bestimmtheitsgebot müssen die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau umschrieben sein, dass Tragweite und Anwendungsbereich des Straftatbestands für den Normadressaten schon aus dem Gesetz selbst zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen.431 Diesen Anforderungen wird die Strafnorm des § 284 StGB für sich genommen trotz der Verfassungswidrigkeit des Sportwettenrechts gerecht.432 Die – noch dazu nachträglich durch das BVerfG festgestellte – Verfassungswidrigkeit des Erlaubnisrechts führt nicht zu dem Besitz einer Erlaubnis. Für den Bürger ergibt sich der Inhalt der strafbewehrten Verhaltenspflicht, nämlich das Handeln ohne Erlaubnis, aus der Norm selbst.433 Außerdem verhindert wiederum die Existenz zahlreicher Bereiche des Glücksspiels, in denen die verwaltungsrechtlichen Genehmigungsvorschriften weiterhin verfassungskonform sind, dass § 284 StGB als solcher nicht bestimmt genug i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG ist. Die Strafnorm des § 284 StGB ist für sich genommen nicht verfassungswidrig. Allgemein lässt sich formulieren: Enthält die verwaltungsakzessorische Strafnorm kein eigenständiges inhaltliches Verbot der betreffenden Tätigkeit, verstoßen nur Teile des ausfüllenden Verwaltungsrechts gegen die Verfassung und liegt kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG vor, wird die Strafnorm als solche nicht automatisch ebenfalls verfassungswidrig. 2. Verfassungsrechtliche Neutralität der verwaltungsakzessorischen Strafnorm In Fortführung der soeben angesprochenen Neutralität des § 284 StGB insoweit, als dieser keine Entscheidung darüber trifft, ob, wem und unter welchen Voraussetzungen eine Erlaubnis zur Veranstaltung oder Vermittlung von Glücksspielen erteilt wird, wird teilweise angenommen, dass eine Verfassungswidrigkeit der jeweiligen verwaltungsrechtlichen Erlaubnistatbestände für die Anwendung des § 284 StGB unbeachtlich sei.434 Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, auch eine Verfassungswidrigkeit der Erlaubnisvorschriften ändere nichts daran, dass eine Erlaubnis fehle, bei einem Handeln ohne Erlaubnis der Tatbe431 St. Rspr. des BVerfG, s. etwa BVerfGE 71, 108 (114 ff.); 73, 206 (234 f.); 75, 329 (340 ff.). 432 OLG Bamberg v. 29.7.2008 – 2 Ss 35/08 Rn. 13 (zit. nach juris); Mosbacher NJW 2006, 3529 (3532). 433 Zur Frage der Bestimmtheit während der vom BVerfG angeordneten übergangsweisen Weitergeltung des Sportwettenrechts, s. u. S. 215 f. 434 OLG Hamm JR 2004, 478 (479); BGH (Z) NJW 2002, 2175 (2176); VGH Kassel NVwZ 2005, 99 (104); Beckemper/Janz ZIS 2008, 31 (37 f.); Dehne-Niemann wistra 2008, 361 (362); Mosbacher NJW 2006, 3529 (3532); Meyer JR 2004, 447 (452); Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 294 ff.; vgl. auch für die Strafbarkeit nach § 370 AO bei verfassungswidrigem Steuerrecht BGHSt 47, 138 (139 ff.) – Vermögensteuer.
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 197
stand des § 284 StGB folglich erfüllt und eine Strafbarkeit mithin gegeben sei. Letztere sei von dem Grundgesetzverstoß durch das Verwaltungsrecht zu trennen. Es wird also wiederum auf das formale Fehlen der Erlaubnis und den Wortlaut der Strafvorschrift abgestellt. Anders als bei (reinen) Blankettgesetzen, bei denen sich das tatbestandsmäßige Verhalten erst aus einem Zusammenlesen mit der Ausfüllungsnorm ergebe,435 die Strafnorm die Ausfüllungsnorm also quasi inkorporiere, sei bei einer verwaltungsaktsakzessorischen Strafnorm wie § 284 StGB das tatbestandsmäßige Verhalten mit dem schlichten Fehlen der Erlaubnis abschließend umschrieben und daher unabhängig von der Existenz oder der Verfassungsmäßigkeit der Genehmigungsregeln.436 Weiterhin lässt sich speziell bezüglich § 284 StGB argumentieren, dass selbst bei einem liberalisierten Genehmigungsmodell, nach dem auch private Anbieter eine Erlaubnis zur Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten erlangen könnten, keine automatische Erlaubnisfreiheit herrschen würde. Solange der Erlaubnisvorbehalt, der als solcher nicht verfassungswidrig ist, nicht abgeschafft ist, dürfe allein das Fehlen bzw. Vorhandensein einer Erlaubnis ausschlaggebend sein.437 3. Verfassungswidrigkeit der Anwendung der Strafnorm i.V. m. dem zugrunde liegenden Verwaltungsrecht Entgegen dieser hier sog. These von der verfassungsrechtlichen Neutralität ist zu überlegen, ob die Anwendung verwaltungsaktsakzessorischer Strafnormen konkret in Fällen, in denen das der behördlichen Verfügung zugrunde liegende Verwaltungsrecht verfassungswidrig ist, zum einen mit Struktur und Funktion der Verwaltungsakzessorietät und zum anderen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen, sprich wiederum mit Verfassungsrecht, vereinbar ist. Gab es hinsichtlich des § 284 StGB bereits einige Stimmen in der Literatur, die in der Konstellation des verfassungswidrigen Verwaltungsrechts von einer Straflosigkeit ausgingen,438 hat jüngst auch der Vierte Strafsenat des BGH in diesem Sinne entschieden:439
435 Vgl. zu einer solchen Definition des Blankettgesetzes Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 90 f.; teilweise wird allerdings auch bei der Abhängigkeit von einer Einzelverfügung von Blankettgesetzen gesprochen, so z. B. BVerfGE 75, 329 und Rogall NStZ 1992, 561 (564) für § 327 Abs. 2 StGB. 436 Beckemper/Janz ZIS 2008, 31 (37); Dehne-Niemann wistra 2008, 361 (362). 437 In diese Richtung Petropoulos wistra 2006, 332 (334). 438 Siara ZfWG 2007, 1 (4 f.); Dübbers/Kartal ZfWG 2006, 33 (35); Lesch GewArch 2003, 321 (325); angedeutet auch bei Wohlers JZ 2003, 860 (863 a. E.). 439 BGH NJW 2007, 3078 (3081), Urteil v. 16.8.2007, zust. LK/Krehl, § 284 Rn. 6a; dem BGH folgend OLG Bamberg v. 29.7.2008 – 2 Ss 35/08 Rn. 16 (zit. nach juris).
198 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht „Dass die Frage der Strafbarkeit nicht losgelöst von der verfassungsrechtlichen Beurteilung der landesrechtlichen Gesamtregelung des Sportwettenrechts zu beantworten ist, folgt unmittelbar aus der verwaltungsakzessorischen Natur des § 284 StGB. Davon ausgehend, ist deshalb derjenige Anbieter von Sportwetten, der in der Vergangenheit – wie der Angeklagte – nicht zunächst den Verwaltungsrechtsweg beschritten hat, um eine behördliche Erlaubnis i. S. von § 284 StGB zu beantragen, nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die fehlende Erlaubnis auf einem Rechtszustand beruht, der seinerseits die Rechte des Betreibers von Glücksspielen in verfassungswidriger Weise verletzt.“
Allerdings fehlt eine dezidierte Begründung für dieses Ergebnis, das sich aus dem Wortlaut des § 284 StGB jedenfalls nicht ergibt. Auf den ersten Blick liegen alle Voraussetzungen vor, insbesondere auch das Handeln ohne behördliche Erlaubnis. Neben der „verwaltungsakzessorischen Natur des § 284 StGB“ führt der BGH lediglich noch an, dass der Staat unter Androhung von Kriminalstrafe nicht das verbieten dürfe, was er selbst betreibt, wenn ein Genehmigungsverfahren gar nicht vorgesehen ist und ein privates Sportwettenangebot somit auch bei Unbedenklichkeit von vorneherein unmöglich ist.440 Um zu untersuchen, ob und warum die Verfassungswidrigkeit verwaltungsrechtlicher Genehmigungsvorschriften für die Anwendung einer verwaltungsaktsakzessorischen Strafnorm beachtlich ist oder nicht, erscheint es ratsam, als Ausgangspunkt zunächst einige gezielte Überlegungen zu Struktur und Funktion der Verwaltungsakzessorietät, insbesondere im Hinblick auf die Behandlung rechtswidrig versagter Genehmigungen, anzustellen. Sodann sind verfassungsrechtliche Aspekte zu beachten. a) Struktur und Funktion der Verwaltungsakzessorietät Angesichts der Komplexität der zu regelnden Abläufe kommen moderne Rechtssysteme um umfangreiche vorstrafrechtliche Regelungen, deren Verletzung ausschnittsweise strafrechtlich sanktioniert ist, nicht mehr herum. In diesem Sinne und nach dem grundlegenden Funktionsverständnis der Verwaltungsakzessorietät dient das Strafrecht als Sekundärrecht der Absicherung bestimmter primärrechtlicher, in diesem Fall verwaltungsrechtlicher Normbefehle.441 Das gilt insbesondere auch für verwaltungsaktsakzessorische Straftatbestände, die an einen durch konkrete Verfügung präzisierten Normbefehl anknüpfen, d. h. entweder an das Fehlen einer behördlichen Erlaubnis442 oder an die Existenz einer
440
BGH NJW 2007, 3078 (3081). s. etwa Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 7 ff. m.w. N.; zurückgehend auf die allg. Normentheorie Bindings, s. Binding Handbuch des Strafrechts Bd. 1 S. 9; ebenso Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1 S. 133 ff.; zum Ganzen auch Heghmanns, Grundzüge, S. 114 ff. 442 Neben § 284 StGB z. B. §§ 323b, 326 Abs. 2, 327, 328 Abs. 1 StGB, § 21 StVG, § 53 Abs. 1 Nr. 1 WaffG, § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG. 441
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behördlichen Anordnung bzw. Untersagung.443 Grundsätzlich hat das Strafrecht danach die Entscheidungen des Verwaltungsrechts bzw. der dieses Recht anwendenden Behörden zu respektieren. Eine eigene Prüfungskompetenz hinsichtlich der Rechtswidrig- oder Rechtmäßigkeit der primärrechtlichen Entscheidungen soll dem insoweit strikt akzessorischen, sprich abhängigen, Strafrecht daher grundsätzlich nicht zukommen.444 Begründet wird dies im Wesentlichen mit einem Hinweis auf die Einheit der Rechtsordnung sowie auf die im öffentlichen Recht anerkannte These, dass auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt Wirkung entfalte und daher vom Strafrecht zu beachten sei.445 b) Rechtswidrige Erteilung und Versagung von Genehmigungen, etwa im Umweltstrafrecht Aus dieser Struktur der Verwaltungsakzessorietät heraus erklärt sich die (wohl noch) überwiegende Ansicht hinsichtlich der Behandlung rechtswidriger Genehmigungen sowie bloßer Genehmigungsfähigkeit eines Verhaltens, sprich rechtswidriger Versagung der Genehmigung, etwa im Umweltstrafrecht. Die überwiegende Ansicht misst weder der Rechtswidrigkeit einer Genehmigungserteilung strafbarkeitsbegründende noch umgekehrt der Rechtswidrigkeit einer Genehmigungsversagung strafbarkeitsausschließende Bedeutung bei.446 Diese Doktrin einer strikten Verwaltungsaktsakzessorietät wurde vielfach und in allerlei Hinsicht kritisiert.447 Instruktiv für die hier untersuchte Konstellation scheint vor allem die rechtswidrige Genehmigungsversagung zu sein, da die Versagung bzw. Nichterteilung einer Genehmigung aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes ebenfalls eine rechtswidrige ist. Unter Verweis auf den Gesetzeswortlaut und das formale Feh443 Z. B. §§ 326 Abs. 2, 327, 328 Abs. 1, 329 Abs. 2 StGB, jeweils in der Alternative des Handelns entgegen einer vollziehbaren Untersagung; § 92 Abs. 1 Nr. 3, 4 AuslG, § 53 Abs. 3 Nr. 3 WaffG. 444 LK/Steindorf, Vor § 324 Rn. 23; Schröder VVDStRL (50) 1991, 196 (226); vgl. auch BVerfGE 75, 329 (346). 445 Vgl. etwa Fischer, Vor § 324 Rn. 7 ff. m.w. N. 446 LK/Steindorf, Vor § 324 Rn. 23; MüKo/Schmitz, Vorb. zu den §§ 324 ff. Rn. 69, jeweils m.w. N. 447 s. insbesondere die Kritik von Schünemann wistra 1986, 235 (238 f.), der außerhalb des in § 330d Nr. 5 StGB kodifizierten Missbrauchsgedankens bei rechtswidrigen und ex tunc rücknehmbaren Genehmigungen das Recht und die Aufgabe des Strafrechts betont, i. S. e. effektiven Rechtsgüterschutzes eine eigenständige Bestimmung der Rechtswidrigkeit vorzunehmen; ders. in: FS Triffterer, S. 437 (444 ff.); s. ferner Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 57 ff.; Schmitz, Verwaltungshandeln und Strafrecht, S. 49 ff.; in der Tendenz auch BVerfGE 75, 329 (346) [„Allerdings können sich aufgrund der Eigengesetzlichkeiten und Regelungsziele des Verwaltungsrechts einerseits und des Strafrechts andererseits im Einzelfall für die Anwendung der Strafvorschrift Probleme stellen, so z. B. hinsichtlich der strafrechtlichen Auswirkungen einer erteilten, jedoch mit schweren Mängeln behafteten Genehmigung . . .“].
200 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
len der Genehmigung hält die überwiegende Ansicht hier die Rechtswidrigkeit einer Genehmigungsversagung in strafrechtlicher Hinsicht für unbeachtlich, eine Strafbarkeit bei anschließendem Handeln ohne Genehmigung wird dementsprechend bejaht.448 Gegen die rechtswidrige Versagung der Genehmigung, mit der auch eine Grundrechtsverletzung des Antragstellers jedenfalls in dessen allgemeiner Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) einhergeht, könne dieser auf dem Verwaltungsrechtsweg vorgehen, falls nötig im Wege des Eilrechtsschutzes. Jedenfalls dürfe er nicht eigenmächtig ohne Genehmigung handeln und dadurch die Kontroll-, Überwachungs- und Dispositionsbefugnis der Behörde449 missachten. Gleichzeitig soll es nicht Sache des Strafrichters sein, die verwaltungsbehördlichen Entscheidungen zu überprüfen.450 Nicht verschwiegen werden soll hier jedoch, dass dies insbesondere dann häufig anders gesehen wird, wenn dem Betroffenen ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung zustand.451 Dem scheint sich auch das BVerfG angeschlossen zu haben, jedenfalls bezüglich der Strafbarkeit gemäß des verwaltungsaktsakzessorischen § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG452, nach dem sich strafbar macht, wer sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhält und keine Duldung besitzt. Hier ist die Strafbarkeit eines Ausländers nach dem BVerfG verfassungswidrig, wenn eine behördliche Duldung zwar de facto nicht erteilt worden war, aber hätte erteilt werden müssen, weil ein Anspruch auf die Erteilung bestanden hatte.453 Ebenso hält es das BVerfG für verfassungswidrig, die Nichtentfernung von einer aufgelösten Versammlung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, wenn die Auflösung der Versammlung rechtswidrig war.454 Der Ordnungswidrigkeitstatbestand kann also nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Verwaltungsakts angewendet werden.
448 BGHSt 37, 21 (28 f.); LK/Steindorf, Vor § 324 Rn. 43; Heghmanns, Grundzüge, S. 234, jeweils m.w. N. 449 Dazu z. B. Rengier ZStW (101) 1989, 874 (875 ff.). 450 s. etwa Rogall NStZ 1992, 561 (565 f.) m.w. N. 451 So z. B. Schönke/Schröder/Lenckner, Vor §§ 32 ff. Rn. 130; Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 65; Bloy ZStW (100) 1988, 485 (505 f.); Rudolphi NStZ 1984, 193 (198); für Straffreiheit auch bei sonstiger Genehmigungsfähigkeit bzw. rechtswidriger Versagung Brauer, Genehmigungsfähiges Verhalten, S. 90 ff., 104; Perscke wistra 1996, 161 (167). 452 Das AuslG wurde mit Wirkung zum 1.1.2005 durch das AufenthaltsG ersetzt, vgl. dort die Strafvorschrift des § 95 AufenthaltsG. 453 BVerfG NStZ 2003, 488. 454 BVerfG NJW 1993, 581 (582).
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 201
c) Verfassungsrechtliche Gründe für die Straflosigkeit im Fall verfassungswidrigen Erlaubnisrechts Überträgt man diese Überlegungen einer dem Grunde nach strikt formalen Verwaltungsakzessorietät auf die vorliegende Konstellation, scheint dies die erwähnte These der verfassungsrechtlichen Neutralität verwaltungsakzessorischer Strafnormen zunächst zu stützen.455 Hier wie dort ist die Genehmigungsversagung rechtswidrig und verletzt Grundrechte des Betroffenen. Man könnte sogar meinen, die Verfassungswidrigkeit bedeute ein Weniger im Vergleich zur materiellen Genehmigungsfähigkeit im Umweltstrafrecht, da die Verfassungswidrigkeit des Verbots für Private, Sportwetten zu veranstalten oder zu vermitteln, nicht automatisch zu einer materiell-gesetzlichen Genehmigungsfähigkeit, geschweige denn zu einem Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung führt.456 Genau hier liegt jedoch bei genauerem Hinsehen der Unterschied der Konstellation des verfassungswidrigen Genehmigungsrechts gegenüber den bislang insbesondere im Umweltstrafrecht diskutierten Konstellationen: Die rechtswidrige Genehmigungsversagung geht dort mit der Genehmigungsfähigkeit des Verhaltens nach den einschlägigen umweltverwaltungsrechtlichen Bestimmungen einher. Die rechtswidrige Versagung der Genehmigung beruht darauf, dass die Behörde im Einzelfall die – verfassungskonformen – Bestimmungen falsch angewendet und eine fehlerhafte (Einzel-)Entscheidung getroffen hat. Der Betroffene soll dann nicht einfach unter Zugrundelegung seiner eigenen Rechtsauffassung und ohne Erlaubnis mit dem jeweiligen Verhalten beginnen dürfen, sondern gegen die im Einzelfall fehlerhafte Behördenentscheidung gegebenenfalls den Verwaltungsrechtsweg bestreiten.457 In der vorliegenden Konstellation des verfassungswidrigen Genehmigungsrechts verhält es sich grundlegend anders. Die Behörde hat nicht ein verfassungskonformes Gesetz im Einzelfall falsch, sondern ein verfassungswidriges Gesetz – nach dessen Inhalt – stets richtig angewendet. Die Grundrechtsverletzung liegt also nicht etwa in einer fehlerhaften Einzelfallentscheidung, sie ist stets und für jeden Fall vorprogrammiert, da von vorneherein in den verwaltungsrechtlichen Vorschriften angelegt. Eine verwaltungsakzessorische Strafbarkeit würde i. S. d. oben dargelegten Funktion der Verwaltungsakzessorietät bedeuten, das Strafrecht als Sekundärrecht systematisch zur Durchsetzung und Absicherung verfassungswidriger Normbefehle des Primärrechts einzusetzen. Es handelt sich im Vergleich zu der materiellen Genehmigungsfähigkeit nicht nur um eine quantitativ gesteigerte, sondern eine qualitativ andere, eine ganze Ebene höher anzusiedelnde Rechtsverletzung. Auf dieser Ebene vermag ein Verweis, auf dem Verwaltungsrechtsweg mittels eines 455 Angedeutet, wenn auch ohne ausdrückliche Benennung, scheint diese Parallele zum Umweltstrafrecht bei Beckemper/Janz ZIS 2008, 31 (37). 456 In diese Richtung Petropoulos wistra 2006, 332 (334). 457 s. etwa Heghmanns, Grundzüge, S. 237.
202 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
nicht existenten Genehmigungsverfahrens eine Genehmigung einzuklagen und so die Grundrechtsverletzung zu beseitigen, die Begründung der Strafbarkeit infolge eines Abstellens auf das formale Fehlen der Genehmigung nicht mehr zu tragen. Die Grundsätze zur Genehmigungsfähigkeit bzw. rechtswidrigen Genehmigungsversagung im Umweltstrafrecht wurden eindeutig nicht für die Konstellation verfassungswidrigen Genehmigungsrechts entwickelt und sind aufgrund der erläuterten gravierenden Unterschiede auch nicht auf diese übertragbar. Vielmehr ist im Falle der Verfassungswidrigkeit verwaltungsrechtlicher Genehmigungsvorschriften eine Lockerung der strikt formellen Verwaltungsakzessorietät, sollte man sie grundsätzlich in diesem Sinne verstehen, aus verfassungsrechtlichen Gründen sogar geboten. Diese Gründe sind im Folgenden das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere in seiner einfachgesetzlichen Ausprägung des § 79 Abs. 1 BVerfGG (s. u. lit. aa), die Intensivierung der primärrechtlichen und das Hervorrufen weiterer Grundrechtsverletzungen (s. u. lit. bb) sowie der Charakter einer verwaltungsaktsakzessorischen Strafnorm als präventives Verbot (s. u. lit. cc). aa) Rechtsstaatsprinzip und § 79 Abs. 1 BVerfGG Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ist die Verwaltung an die Gesetze gebunden, wenn sie gegenüber dem Bürger eingreifen will. Dieser Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bildet einen wesentlichen Bestandteil des modernen Rechtsstaats. In weiterer Ausprägung dieses Grundsatzes ist anerkannt, dass der Einzelne davor geschützt sein soll, Nachteile durch rechtswidrige Gesetze und Verwaltungsakte hinzunehmen.458 Eine Strafbarkeit, die durch die nicht nur rechtssondern sogar verfassungswidrige Nichterteilung von Erlaubnissen entsteht, stellt ohne Frage einen Nachteil dar; und zwar den gravierendsten, der dem Bürger von Seiten des Staates widerfahren kann. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Einschränkungen der Freiheitssphäre aufgrund verfassungswidrigen Verwaltungsrechts mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar sind.459 Der Staat verhielte sich willkürlich, wenn er die Erteilung einer Erlaubnis unter Berufung auf ein mit der Verfassung unvereinbares Gesetz versagt und gleichzeitig denjenigen bestraft, der ohne diese Erlaubnis einen grundrechtlich geschützten Beruf ausübt.460
458 St. Rspr. des BVerfG, z. B. BVerfGE 6, 32 (41); 19, 206 (215); 29, 402 (408); s. auch Schmitz, Verwaltungshandeln und Strafrecht, S. 78; Arnhold, Strafbewehrung, S. 144. 459 Vgl. OLG München NJW 2008, 3151 (3154) sowie OLG Bamberg v. 29.7.2008 – 2 Ss 35/08 Rn. 15 (zit. nach juris). 460 Vgl. OLG Hamburg v. 5.7.2007 – 1 Ws 61/07 Rn. 31 (zit. nach juris).
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 203
Eine einfachgesetzliche Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips in dieser Hinsicht findet sich in § 79 Abs. 1 BVerfGG. Danach ist gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom BVerfG für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist, die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozessordnung zulässig. Im Gegensatz zu sonstigen, d. h. verwaltungs- und zivilrechtlichen, Entscheidungen (§ 79 Abs. 2 BVerfGG) sollen strafrechtliche Sanktionen, die auf verfassungswidrigem Recht oder verfassungswidriger Auslegung beruhen, rückgängig gemacht werden können. Das Anliegen der Rechtssicherheit tritt gegenüber dem der Gerechtigkeit als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips zurück.461 Und wenn schon eine nachträgliche Wiederaufnahme zulässig ist, muss auch eine dahingehende Verurteilung ausgeschlossen sein, da eine Verurteilung, die von vorneherein der anschließenden Wiederaufnahme unterliegt, wenig Sinn ergibt.462 Dies entspricht dem Grundgedanken des § 79 Abs. 1 BVerfGG, wonach der Verurteilte so gestellt werden soll, als sei die Verfassungswidrigkeit der Norm vor der Verurteilung festgestellt worden.463 In der hier untersuchten Konstellation wurde nicht die Strafnorm selbst für unvereinbar mit dem Grundgesetz bzw. für nichtig erklärt, sondern das dem Tatbestandsmerkmal der behördlichen Erlaubnis zugrunde liegende (verwaltungsrechtliche) Erlaubnisrecht.464 Es ist also zunächst zu ermitteln, ob die Strafbarkeit bzw. eine dementsprechende strafgerichtliche Verurteilung auch in diesem Fall der Verwaltungsakzessorietät auf einer verfassungswidrigen Norm „beruht“ i. S. v. § 79 Abs. 1 BVerfGG. Ein solches Beruhen wird angenommen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die für nichtig oder unvereinbar erklärte Norm für das Strafbarkeitsurteil ursächlich war.465 Wenn das strafbarkeitsbegründende Fehlen einer Erlaubnis daherrührt, dass der Betreffende durch das Erlaubnisrecht in verfassungswidriger Weise von der Erlaubniserteilung ausgeschlossen wird, ist eine Ursächlichkeit dieses Erlaubnisrechts für die Strafbarkeit anzunehmen. Dennoch verneint Janz die Einschlägigkeit des § 79 Abs. 1 BVerfGG im Hinblick auf § 284 StGB mit der Begründung, dass nicht die Strafnorm selbst, son461 Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG § 79 Rn. 2 f. (Stand: Juni 2001). 462 Haass NStZ 2002, 484 (485); Kretschmer ZfWG 2006, 52 (58 f.). 463 Vgl. LG München II NStZ 2000, 93 (93 a. E.). 464 BVerfGE 115, 276 (277) – Sportwette; das Erlaubnisrecht wurde für mit dem GG unvereinbar erklärt, zu den Einzelheiten der Tenorierung, insbesondere i.V. m. der Weitergeltungsanordnung, s. u. S. 207 ff. 465 Asam, Wiederaufnahme, S. 122; Lechner/Zuck, BVerfGG § 79 Rn. 7; Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG § 79 Rn. 35 (Stand: Juni 2001), teilweise mit Verweis auf das Beruhen in § 337 StPO, bei dem ebenfalls auf eine mögliche Ursächlichkeit abgestellt wird, vgl. KK/Kuckein, StPO § 337 Rn. 33.
204 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
dern lediglich das landesgesetzliche Verbot für verfassungswidrig erklärt worden sei.466 Zudem führt er die zweite Spielbankentscheidung des BVerfG aus dem Jahre 2000 an. Dort hatte das BVerfG eine Änderung des baden-württembergischen Spielbankengesetzes dahingehend, dass Spielbanken nur noch von solchen privaten Unternehmen betrieben werden können, deren sämtliche Anteile unmittelbar oder mittelbar vom Land gehalten werden, als Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG gewertet und die Vorschriften für nichtig erklärt. Das Gericht hatte dem Gesetzgeber eine Frist zur verfassungskonformen Neuregelung eingeräumt und als Übergangsregelung nach § 35 BVerfGG angeordnet, dass die bisherigen Erlaubnisse für die privaten Spielbankbetreiber bis zum Ablauf der Frist weiter gelten sollten. Verstreiche die Frist ohne eine Neuregelung, könne „der Betrieb der Spielbanken nicht fortgeführt werden (vgl. § 284 StGB)“.467 Dem zu entnehmen, dass § 79 Abs. 1 BVerfGG im Falle verwaltungsakzessorischer Straftatbestände wie § 284 StGB, deren verwaltungsrechtliches Erlaubnisrecht verfassungswidrig ist, nicht einschlägig sein solle, geht zu weit. Weder hatte das BVerfG über § 79 Abs. 1 StGB, der gar nicht erwähnt wird, noch über eine Strafbarkeit nach § 284 StGB zu entscheiden. Der Hinweis auf § 284 StGB – „(vgl. § 284 StGB)“ – diente dem Gericht vielmehr dazu, die getroffene Übergangsregelung zeitlich zu begrenzen und sich nicht dauerhaft an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen. Hinzu kommt, dass zu dem Zeitpunkt der Entscheidung noch das Verständnis vorherrschte, § 284 StGB sei ein allgemeines (repressives) Verbot des Glücksspiels als generell unerwünschte Tätigkeit zu entnehmen.468 Der vergleichende Hinweis auf die Norm als Klammerzusatz verkörperte daher keine Entscheidung über eine Strafbarkeit nach ergebnislosem Verstreichen der Übergangsfrist, sondern sollte allenfalls den Weg für ein mögliches ordnungsrechtliches Vorgehen der Behörden offen halten, für das § 284 StGB als zentrale Verbotsnorm stets als Grundlage diente. Zutreffenderweise geht dagegen der BGH hinsichtlich des ebenfalls verwaltungsakzessorischen § 370 AO davon aus, dass § 79 Abs. 1 BVerfGG bei Verfassungswidrigkeit des zugrunde liegenden (Steuer-)Verwaltungsrechts einschlägig ist.469 Auch die Literatur nimmt überwiegend an, dass in Fällen des verfassungswidrigen Verwaltungsrechts die Strafbarkeit nach einer verwaltungs466 Janz NWVBl. 2006, 248 (251), der aber gleichwohl zur Straflosigkeit kommt, indem er einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG annimmt, s. dazu u. S. 215 f. 467 BVerfGE 102, 197 (223 f.) – Spielbank II. 468 s. zu diesem Verständnis o. S. 190 f.; deutlich macht dies auch die vom BVerfG im selben Beschluss propagierte Absenkung des Prüfungsmaßstabs im Rahmen des Art. 12 GG wegen „atypischer Besonderheiten“ des Berufs des Spielbankbetreibers als „an sich unerwünschte Tätigkeit“, BVerfGE 102, 197 (215) – Spielbank II; s. die Kritik hieran o. auf S. 146 f. 469 BGHSt 47, 138 (142 f.) – Vermögensteuer; allerdings sieht der BGH § 79 Abs. 1 BVerfGG dann durch eine Fortgeltungsanordnung des BVerfG als neueres und spezielleres Recht verdrängt, s. dazu ausführlich u. S. 210 f.
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 205
akzessorischen Strafnorm auf dem Verfassungsverstoß beruht i. S. v. § 79 Abs. 1 BVerfGG.470 Sofern der Ausschluss von der Erlaubniserteilung verfassungswidrig ist und – nach hier vertretener Ansicht – eine verfassungskonforme Regelung die Erteilung von Erlaubnissen vorsehen muss,471 beruht eine Strafbarkeit wegen des Handelns ohne Erlaubnis auf der verfassungswidrigen Regelung. In solchen Fällen eine Strafbarkeit anzunehmen, ist nach der klaren Wertung des § 79 Abs. 1 BVerfGG mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang zu bringen. bb) Intensivierung der ursprünglichen und Hervorrufen weiterer Grundrechtsverletzungen Die erläuterte These von der verfassungsrechtlichen Neutralität des § 284 StGB bzw. einer verwaltungsaktsakzessorischen Strafnorm allgemein beruht darauf, strikt zwischen dem Grundgesetzverstoß durch das Verwaltungsrecht und der Strafbarkeit zu trennen und letztere isoliert anzunehmen.472 Dem ist entgegenzutreten. Nicht nur aus der Sicht des Betroffenen wirkt sich das Zusammenspiel zwischen Verwaltungs- und Strafrecht als einheitlicher Eingriff in dessen Rechte aus. Auch rechtlich gesehen lässt sich der Verstoß gegen Verfassungsrecht, wie gezeigt, nicht von der Strafbarkeit trennen. Im Falle einer strafrechtlichen Sanktionierung würde der Eingriff, hier in die Berufsfreiheit, perpetuiert und intensiviert, und zwar mittels der schärfsten Eingriffsmaßnahme des Staates überhaupt. So hat das BVerfG im Sportwettenurteil gerade den „strafbewehrten“ Ausschluss privater Anbieter als unzumutbaren Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG angesehen.473 Noch deutlicher hat es bereits im Jahre 1959 entschieden, dass die Anwendung einer Strafnorm, die der Durchsetzung eines gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstoßenden Verbots dient, und ein auf ihr beruhendes Urteil Art. 12 Abs. 1 GG verletzen.474 Konkret ging es, wie nun bei § 284 StGB, um eine Strafvorschrift, die die Zuwiderhandlung gegen ein verwaltungsrechtliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (Verbot der Herstellung von Arzneifertig-
470 Allg. Winkelbauer, Verwaltungsakzessorietät, S. 38; Asam, Wiederaufnahme, S. 124; speziell bezüglich § 284 StGB Siara ZfWG 2007, 1 (5); Kretschmer ZfWG 2006, 52 (58); Widmaier, Rechtsgutachten, S. 14; a. A. bezüglich § 284 StGB Janz NWVBl. 2006, 248 (251) sowie bezüglich § 370 AO Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, AO 1977 § 370 Rn. 233b. 471 s. o. S. 149 ff. 472 Vgl. Dehne-Niemann wistra 2008, 361 (362). 473 BVerfGE 115, 276 (300, 309 f.) – Sportwette; so auch BGH NJW 2007, 3078 (3081) [„Das durch § 284 StGB begründete strafrechtliche Verbot der Veranstaltung unerlaubten Glücksspiels ist Teil der Gesamtregelung, die zumindest in der Vergangenheit das den verfassungswidrigen, mit Art. 12 GG unvereinbaren Eingriff in die Berufsfreiheit begründende staatliche Wettmonopol ausmachte.“]. 474 BVerfGE 9, 83 (88).
206 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
waren) sanktionierte. Das Strafrecht gäbe sich auf, wenn es Grundrechtsverstöße durch Sanktion vertiefen wollte. Die Strafbarkeit führt nicht nur zu der Vertiefung des Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG, sondern bringt weitere Grundrechtseingriffe mit sich. In erster Linie ist die Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, zu nennen.475 In der Rechtsprechung des BVerfG ist anerkannt, dass die in einer Strafvorschrift angedrohte Rechtsfolge einer Freiheitsstrafe am Maßstab des Grundrechts der Freiheit der Person gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zu messen ist.476 Im Hinblick auf die hier untersuchte Sportwettenveranstaltung und -vermittlung droht gemäß § 284 Abs. 3 Nr. 1 StGB bei einem gewerblichen Angebot, welches bei öffentlichen Glücksspielen in aller Regel gegeben ist, eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Der Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ist bei einer Strafvorschrift mit angedrohter Freiheitsstrafe stets gegeben und bei verfassungskonformen Normen unter Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 104 GG sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt.477 Wie aber soll sich die Freiheitsentziehung auf der Grundlage verfassungswidrigen Rechts rechtfertigen lassen? M. E. gar nicht, die Androhung einer Freiheitsstrafe zur Durchsetzung verfassungswidrigen Rechts kann im Hinblick auf die Freiheit der Person nicht verfassungsgemäß sein. Auch vor diesem Hintergrund ist die verwaltungsakzessorische Strafbarkeit bei Verfassungswidrigkeit des Erlaubnisrechts nicht haltbar. cc) Präventives Verbot Schließlich untermauert der Charakter einer verwaltungsaktsakzessorischen Strafnorm als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt die These von der Relevanz der Verfassungswidrigkeit des Erlaubnisrechts. Denn wenn dieses als Primärrecht verfassungswidrig ist und die Strafnorm als Präventivverbot gleichzeitig kein eigenständiges Verbot enthält, wie hier nach zutreffendem Verständnis § 284 StGB,478 bleibt kein Verbot übrig, an das die Strafbarkeit anknüpfen könnte. Bestehen bleibt ein Verwaltungsungehorsam in Reinform.479 Dass ein solcher nicht strafwürdig ist, wurde bereits dargelegt.480 Anders wäre dies unter Umständen bei einer repressiven Strafnorm, die ein bestimmtes, von sich aus schädliches Verhalten verbietet. Als Beispiel hierfür möge etwa die Strafbarkeit 475 Genannt in diesem Zusammenhang auch von OLG München NJW 2008, 3151 (3153) und Degenhard DStR 2001, 1370 (1374, 1376 f.). 476 s. nur BVerfGE 90, 145 (171 ff.) hinsichtlich der Strafnormen des BtMG. 477 Vgl. BVerfGE 90, 145 (171 ff.); Sachs/Murswiek, GG Art. 2 Rn. 237. 478 s. o. S. 190 ff. 479 OLG München NJW 2008, 3151 (3152); OLG Hamburg v. 5.7.2007 – 1 Ws 61/ 07 Rn. 27 (zit. nach juris). 480 s. o. S. 40 ff.
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 207
des Besitzes von Kriegswaffen nach §§ 19 ff. KrWaffKontrG dienen. Hier wäre die Strafbarkeit bei einem Handeln ohne (ausreichende) Erlaubnis wohl auch dann anzunehmen, wenn die betreffenden Erlaubnisvorschriften verfassungswidrig sind.481 d) Zwischenergebnis Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Bestrafung eines Handelns ohne Erlaubnis für den Fall, in dem das Fehlen der Erlaubnis auf verfassungswidrigem Recht beruht, ebenfalls verfassungswidrig ist, da sie sowohl gegen das Rechtsstaatsprinzip als auch gegen Grundrechte des Betroffenen verstößt. 4. Besonderheiten durch Tenorierung des BVerfG Das Beispiel des § 284 StGB und des Sportwettenurteils des BVerfG vom 28.3.2006 geben jedoch Anlass, zu hinterfragen, ob sich eine abweichende Beurteilung ergibt, wenn das BVerfG bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit die betreffende Norm nicht für nichtig, sondern für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt und gleichzeitig für eine bestimmte Übergangsfrist deren Weitergeltung anordnet. a) Unvereinbarkeitserklärung mit Weitergeltungsanordnung allgemein und am Beispiel des Sportwettenurteils des BVerfG vom 28.3.2006 Im Entscheidungstenor des Sportwettenurteils vom 28.3.2006 erklärte das BVerfG erstens das (bayerische) staatliche Sportwettenmonopol auf der Grundlage des seit 1.7.2004 geltenden LottStV für unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG, verpflichtete zweitens den Gesetzgeber nach Maßgabe der Gründe bis zum 31.12.2007 zu einer Neuregelung und ordnete drittens an, für diese Übergangszeit dürfe das bayerische Staatslotteriegesetz nach Maßgabe der Gründe weiter angewendet werden.482 Die Möglichkeit einer solchen Unvereinbarkeitserklärung wurde vom BVerfG entgegen der in § 78 BVerfGG an sich allein und zwingend vorgesehenen Nichtigerklärung bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit richterrechtlich entwickelt. Mittlerweile hat sie an anderer Stelle auch ihren Niederschlag im Gesetz gefunden. So stattet § 31 Abs. 2 BVerfGG die Entscheidungen des Gerichts 481 Vgl. auch Mosbacher NJW 2006, 3529 (3532), der allerdings § 284 StGB wie die Vorschriften des KrWaffKontrG als repressives Verbot einstuft. 482 BVerfGE 115, 276 (277) – Sportwette.
208 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
über die Vereinbarkeit oder die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem Grundgesetz sowie die Nichtigerklärung mit Gesetzeskraft aus. Nach § 79 Abs. 1 BVerfGG unterliegen Strafurteile, die auf einer für nichtig oder für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärten Norm beruhen, der Wiederaufnahme. Die an die Unvereinbarkeitserklärung regelmäßig anknüpfende Fortgeltungsanordnung ist eine Bestimmung des Gerichts über die Art und Weise der Vollstreckung seiner Entscheidung. Die Rechtsgrundlage dafür wird in der Vollstreckungskompetenz gemäß § 35 BVerfGG gesehen.483 Eingeführt in Fällen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG durch einen „gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss“, wie er insbesondere im Steuerrecht vorkommen kann,484 hat das BVerfG die Tenorierung i. S. e. Unvereinbarkeitserklärung mit Weitergeltungsanordnung in der Folge auch auf Verstöße gegen Freiheitsgrundrechte ausgedehnt.485 Es lassen sich zwei Begründungsansätze für diese Vorgehensweise unterscheiden: Zum einen soll die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nicht durch eine Nichtigerklärung beschnitten werden, wenn dieser mehrere Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen.486 Zum anderen soll vermieden werden, dass durch den Wegfall der Norm ein Rechtszustand entsteht, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als der bisherige, verfassungswidrige Zustand.487 Es soll kein rechtliches Vakuum entstehen. Im Sportwettenurteil beruft sich das BVerfG allein auf den ersten Begründungsansatz. Wie bereits erläutert,488 geht das Gericht davon aus, dass ein verfassungsgemäßer Zustand sowohl durch eine konsequente Ausrichtung des staatlichen Wettmonopols an den Zielen der Suchtbekämpfung als auch durch eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung privater Wettunternehmen erreicht werden könne. Daher sei es geboten, diesem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers durch die Unvereinbarkeitserklärung i.V. m. der Weitergeltungsanordnung Rechnung zu tragen.489 Einleuchtender scheint es, auf den zweiten Punkt abzustellen. Damit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung kein Vakuum 483 Etwa BVerfGE 91 186 (207); 93, 37 (85); Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Bethge, BVerfGG § 35 Rn. 45 (Stand: Oktober 2000); teilweise schafft das BVerfG auf dieser Grundlage sogar selbst normvertretendes Übergangsrecht, so z. B. in den Abtreibungsentscheidungen BVerfGE 39, 1 (2 ff.) und 88, 203 (209 ff.); zu den Bedenken im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltenteilung s. Umbach/Clemens/Dollinger/Graßhof, BVerfGG § 78 Rn. 72 m.w. N. 484 s. als Beispiel etwa BVerfGE 21, 12 bezüglich gleichheitswidriger Umsatzsteuer. 485 s. als Beispiel hierfür etwa BVerfGE 109, 190 (235 f.) zur nachträglichen Sicherungsverwahrung; zur Kritik hieran, weil es sich im Gegensatz zu Art. 3 GG nicht um relative sondern absolute Verfassungsverstöße handelt, s. Schlaich/Korioth, Das BVerfG, Rn. 412. 486 s. BVerfGE 104, 74 (91); 105, 73 (133). 487 s. BVerfGE 92, 53 (73); 109, 190 (246). 488 s. o. S. 149 ff. 489 BVerfGE 115, 276 (317) – Sportwette.
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 209
entsteht, in dem grundsätzlich jeder Private ohne gesetzliche Kontrolle Sportwetten veranstalten und vermitteln kann und so der Spielsucht noch eher Vorschub geleistet würde als durch ein inkonsequent ausgestaltetes Staatsmonopol, muss dieses für eine Übergangszeit weiter hingenommen werden. Unabhängig davon bleibt hinsichtlich der Rechtsnatur und Wirkung der Unvereinbarkeitserklärung mit Weitergeltungsanordnung festzuhalten: diese Tenorierungsmöglichkeit hat nicht die Rechtsfolge, dass die betreffende Vorschrift gewissermaßen als verfassungsgemäß zu betrachten wäre; das Verdikt der Verfassungswidrigkeit wird nicht beseitigt.490 Der Zweck liegt darin, den Übergang von der verfassungswidrigen zur verfassungsgemäßen Gesetzeslage abzufedern.491 Dafür kommt den quasi als Behelfsrecht weiter geltenden Normen über den Urteilstenor gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft zu. b) Auswirkung auf die Anwendung akzessorischer Strafnormen Keiner weiteren Erklärung bedarf es, dass im Falle einer solchen Tenorierung i. S. e. Unvereinbarkeitserklärung mit Weitergeltungsanordnung das jeweils betroffene Primärrecht trotz der Verfassungswidrigkeit weiterhin gültig ist und rechtliche Wirkung entfaltet. Aber hat dies auch Einfluss auf das akzessorische Strafrecht, d. h. ändert die Tenorierung etwas an dem bisherigen Ergebnis, dass die Bestrafung eines Verstoßes gegen verfassungswidriges Verwaltungsrecht ebenfalls verfassungswidrig ist? Die einzigen diesbezüglichen Äußerungen des BVerfG im Sportwettenurteil lauten:492 „Das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Wettunternehmen und die Vermittlung von Wetten, die nicht im Freistaat Bayern veranstaltet werden, dürfen weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden. Ob in der Übergangszeit eine Strafbarkeit nach § 284 StGB gegeben ist, unterliegt der Entscheidung der Strafgerichte.“
Für die Beantwortung der soeben gestellten Frage sind diese Aussagen nur bedingt von Nutzen. Es bietet sich stattdessen an dieser Stelle eine Parallele zu dem ebenfalls verwaltungsakzessorischen Steuerstrafrecht an. Überdies ist noch einmal der Zeitraum vor einem Urteil des BVerfG (sog. Altfälle), bezüglich dessen sich das BVerfG im Sportwettenurteil gar nicht geäußert hat, und der Zeitraum während einer eingeräumten Übergangszeit zu unterscheiden.
490 Umbach/Clemens/Dollinger/Graßhof, BVerfGG § 78 Rn. 58; Schlaich/Korioth, Das BVerfG, Rn. 394 ff. 491 Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 31 Rn. 226 ff., § 35 Rn. 45 m.w. N. (Stand: Oktober 2000); BVerfGE 87, 114 (136) [„rechtliche Zwischenlage, die erst durch die Neuregelung des Gesetzgebers beendet wird.“]. 492 BVerfGE 115, 276 (319) – Sportwette.
210 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
aa) Parallele zum Steuerstrafrecht – Entscheidung des BGH zur Vermögensteuer (BGHSt 47, 138) Die Frage nach einer strafrechtlichen Sanktion auf der Grundlage verfassungswidrigen Rechts ist im Steuerstrafrecht bereits einmal aufgetreten. Im Jahre 1995 hatte das BVerfG judiziert, dass die Erhebung der Vermögensteuer gemäß § 10 VStG wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist. Auch hier erklärte das BVerfG § 10 VStG nicht für nichtig, sondern für unvereinbar mit dem Grundgesetz und ordnete die Weitergeltung „des bisherigen Rechts“ bis zum 31.12.1996 an, um dem Gesetzgeber eine verfassungskonforme Neuregelung zu ermöglichen.493 Daraufhin nahm der Fünfte Strafsenat des BGH im Jahre 2001 an, dass die Hinterziehung der verfassungswidrigen Vermögensteuer sowohl vor dem Urteil des BVerfG als auch danach während des Übergangszeitraums gemäß § 370 AO strafbar sei.494 Ausdrücklich stützt sich der BGH dabei auf die vom BVerfG angeordnete Weitergeltung des VStG.495 Dass das BVerfG diese nicht ausdrücklich auf das Strafrecht bezogen habe, schade nicht. Laut Entscheidungsformel sei das „bisherige Recht weiterhin anwendbar“. Eine Beschränkung auf das Steuerrecht sei dem nicht zu entnehmen und vom BVerfG ersichtlich auch nicht gewollt. Ohne die Strafbarkeit fehle es an jedweder Absicherung des Gesetzesvollzugs. Die Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG stehe nicht entgegen, da die Weitergeltungsanordnung, die nach § 31 Abs. 2 BVerfGG mit Gesetzeskraft ausgestattet ist, diese Vorschrift als neuere und speziellere gesetzliche Vorschrift gleichen Rangs verdränge.496 Ähnlich war bereits der BFH vorgegangen, indem er behauptet hatte, § 79 Abs. 1 BVerfGG trage der Verbindung der Unvereinbarkeitserklärung mit einer Weitergeltungsanordnung und damit der Entscheidungspraxis des BVerfG noch nicht hinreichend Rechnung. Der Gesetzgeber habe die Vorschrift noch nicht um die Folgen einer Weitergeltungsanordnung ergänzt.497 Zudem ziehen BGH und BFH als Begründung eine Gleichheitswidrigkeit heran, die entstünde, wenn die Hinterziehung mancher Steuern straf-
493
BVerfGE 93, 121 (122). BGHSt 47, 138 (140 ff.) – Vermögensteuer; zuvor schon BFH DStR 2000, 1139 (1141 f.). 495 BGHSt 47, 138 (140 ff.) – Vermögensteuer. 496 BGHSt 47, 138 (142 f.) – Vermögensteuer; ebenso Umbach/Clemens/Dollinger/ Graßhof, BVerfGG § 79 Rn. 7, dort allerdings mit unzutreffendem Verweis auf Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG § 79 Rn. 59 (Stand: Juni 2001) und Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 183 Rn. 39 Fn. 89 (Stand: Februar 1996), die sich beide ausdrücklich nur auf die Vollstreckungssperre für nicht-strafrechtliche Entscheidungen in § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG bzw. § 183 S. 2 VwGO beziehen. 497 BFH DStR 2000, 1139 (1141). 494
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 211
rechtlich sanktioniert werde, die anderer Steuern, wie hier der Vermögensteuer, jedoch nicht.498 bb) Divergenz zwischen BGHSt 47, 138 und BGH NJW 2007, 3078 Während der Fünfte Strafsenat des BGH in BGHSt 47, 138 also davon ausgeht, dass verfassungswidriges, in concreto für unvereinbar mit dem Grundgesetz und weiter anwendbar erklärtes Recht geeignet ist, die Blankettnorm des § 370 AO auszufüllen und eine Strafbarkeit hiernach zu begründen, verneint der Vierte Strafsenat in NJW 2007, 3078, wie oben dargelegt,499 eine Strafbarkeit nach § 284 StGB auf der Grundlage solchen Rechts. Auch hier hatte das BVerfG ja die Erlaubnisvorschriften der Sportwette für unvereinbar mit dem Grundgesetz und für einen Übergangszeitraum weiter anwendbar erklärt. Dem OLG München500 folgend sieht der Vierte Senat hierin jedoch keine Abweichung von der Rechtsprechung des Fünften Senats zum Steuerstrafrecht, da es sich bei der Frage nach der Strafbarkeit gemäß § 284 StGB um eine grundlegend andere Konstellation handele. Der Unterschied liege darin, dass in der Entscheidung des BVerfG zur Vermögensteuer, die der Entscheidung des Fünften Senats zu § 370 AO zugrunde lag, die Weitergeltung ohne Einschränkung angeordnet worden sei, während laut dem Sportwettenurteil des BVerfG die weitere Anwendbarkeit „nach Maßgabe der Gründe“ zu erfolgen habe.501 So verständlich das Anliegen innerhalb des BGH sein mag, eine Rechtsprechungsdivergenz zu vermeiden, im vorliegenden Fall ist es in der Sache nicht begründet. In beiden Fällen geht es um die Sanktionierung eines Verstoßes gegen mit dem Grundgesetz unvereinbares und für weiter anwendbar erklärtes Verwaltungsrecht gemäß einer verwaltungsakzessorischen Strafnorm. Inwiefern der Zusatz im Sportwettenurteil des BVerfG, das Recht „nach Maßgabe der Gründe“ weiter anzuwenden, den Ausschlag für eine unterschiedliche Behandlung geben soll, ist nicht ersichtlich. Ausweislich der Urteilsgründe bedeutet dieser Zusatz, dass die bisherige Rechtslage mit der Maßgabe anwendbar bleibt, dass der Staat bereits während der Übergangszeit ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Bekämpfung der Wettsucht und der tatsächlichen Aus498 BGHSt 47, 138 (142) – Vermögensteuer; BFH DStR 2000, 1139 (1141); DStR 2000, 2128 (2131); s. auch OLG Hamburg NStZ-RR 2001, 147 (148); Beckemper/ Janz ZIS 2008, 31 (38) übertragen diese Argumentation der Ungleichbehandlung auf § 284 StGB; es sei gleichheitswidrig, private Veranstalter mit DDR-Genehmigung oder Lizenz aus einem EU-Mitgliedstaat solchen ohne jede Genehmigung gleichzustellen. 499 s. o. S. 197 f. 500 NJW 2006, 3588 (3592). 501 BGH NJW 2007, 3078 (3081); dem folgend LK/Krehl, § 284 Rn. 6b.
212 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
übung des Monopols herzustellen hat.502 Der Staat erhält also als Sportwettenveranstalter im Hinblick auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung des Angebots gewisse Auflagen. Es erschließt sich nicht, warum diese Auflagen im Unterschied zu der schlichten weiteren Anwendbarkeit des „bisherigen Rechts“ im Urteil des BVerfG zur Vermögensteuer zu einer Straflosigkeit führen sollen.503 Entgegen der Annahme des Vierten Strafsenats des BGH liegen zwei analoge, jedoch unterschiedlich entschiedene Konstellationen vor. Die Argumentation in BGHSt 47, 138 kann allgemein für den Fall der strafrechtlichen Sanktionierung eines Verstoßes gegen mit dem Grundgesetz unvereinbares und für weiter anwendbar erklärtes Verwaltungsrecht Geltung beanspruchen. cc) Kritik an der Argumentation in BGHSt 47, 138 Die Entscheidung des Fünften Senats in BGHSt 47, 138 ist jedoch abzulehnen. Sowohl für den Zeitraum vor der Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das BVerfG als auch für die Zeit der übergangsweisen Fortgeltung muss es aus den bereits genannten Gründen bei der Straflosigkeit bleiben. Zu kritisieren ist insbesondere die Annahme, das BVerfG habe durch die Weitergeltungsanordnung auch die Anwendung des Strafrechts sichergestellt. Gegenstand der Entscheidung des BVerfG und damit auch der Unvereinbarkeitserklärung und Weitergeltungsanordnung war allein das (primärrechtliche) Steuerrecht und nicht das (sekundärrechtliche) Strafrecht bzw. die Strafbarkeit nach § 370 AO. In den Urteilsgründen konkretisiert das Gericht die weitere Anwendung des „bisherigen Rechts“ ausdrücklich dahingehend, dass die „Regelungen zur Vermögensbesteuerung“ weiter anzuwenden seien.504 Gerechtfertigt sei dies aus Gründen der verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung sowie eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs. Dadurch wird offenbar, dass es allein um das Steuerrecht als besonderes Verwaltungsrecht geht. Dementsprechend verliert das Gericht auch kein Wort über das (Steuer-)Strafrecht oder die Strafbarkeit nach § 370 AO. Hinzu kommt die insoweit eindeutige Regelung in § 79 Abs. 1 BVerfGG, die ausweislich ihres Wortlauts auch für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärte Normen gilt. In Anbetracht dessen hätte es für eine Einbeziehung des Strafrechts expliziter Aussagen bedurft, die das BVerfG – wären sie intendiert gewesen – sicherlich auch getroffen hätte. Deshalb vermag es nicht zu überzeugen, wenn der BGH in Umkehrung der Verhältnisse formuliert, der Anordnung der Weitergeltung des „bisherigen Rechts“ im Entscheidungstenor sei eine Beschränkung auf (verwaltungsrechtliche) Steuerfestsetzungen unter
502 503 504
BVerfGE 115, 276 (319) – Sportwette. Vgl. auch Beckemper/Janz ZIS 2008, 31 (38). BVerfGE 93, 121 (148).
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 213
Ausschluss der Strafbarkeit nicht zu entnehmen und eine solche vom BVerfG ersichtlich nicht gewollt gewesen.505 Der Erklärungsversuch, die Weitergeltungsanordnung des BVerfG umfasse eine verdrängende Sonderregelung zu § 79 Abs. 1 BVerfGG bzw. mache die Vorschrift obsolet,506 ist strikt abzulehnen. Zum einen kann kaum angenommen werden, dass ein derartiger Regelungsgehalt vom BVerfG gewollt war, wenn die Vorschrift des § 79 BVerfGG in der Entscheidung nicht einmal erwähnt wird. Zum anderen ist die Weitergeltungsanordnung als Behelfsrecht, dessen Funktion es ist, den Übergang von einem verfassungswidrigen zu einem verfassungskonformen Zustand zu erleichtern, rechtlich nicht in der Lage, die gesetzliche Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG zu durchbrechen. Die Weitergeltungsanordnung tritt neben die Unvereinbarkeitserklärung. Sie ist als Vollstreckungsregelung nach § 35 BVerfGG weder notwendiger Bestandteil einer Unvereinbarkeitserklärung noch hebt sie diese auf oder ändert sie ab.507 Daher bleibt § 79 Abs. 1 GG, der allein an die Unvereinbarkeitserklärung anknüpft, insoweit von der Weitergeltungsanordnung unberührt. Dementsprechend hat das BVerfG noch nie eine Strafnorm für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt und gleichzeitig dessen unveränderte Weitergeltung angeordnet. Weder wollte noch konnte die Weitergeltungsanordnung die in § 79 Abs. 1 BVerfGG gerade auch für den Fall der Unvereinbarkeitserklärung getroffene Wertung des Gesetzgebers aushebeln.508 Ebenso wenig verfängt der Hinweis auf eine fehlende Absicherung des Gesetzesvollzugs mangels Strafbarkeit und eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen, der Strafvorschrift unterfallenden Verhaltensweisen. Die strafrechtliche Absicherung verfassungswidriger Gesetze ist nicht nur, wie bereits erläutert, rechtsstaats- und grundrechtswidrig, im Gegenzug stellt eine Straflosigkeit für den Staat, der verfassungswidrige Gesetze erlässt, eine im Hinblick auf Einbußen bei der Absicherung des primärrechtlichen Gesetzesvollzugs hinzunehmende und auch hinnehmbare Folge dar. Bezüglich einer eventuellen Ungleichbehandlung gegenüber anderen, der Strafvorschrift unterfallenden Verhaltensweisen ist schon fraglich, ob hier überhaupt zwei gleichartige Konstellationen miteinander verglichen werden. In jedem Fall ist die Verfassungswidrigkeit eines bestimmten Gesetzes ein sachlicher Grund, der eine solche Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigt. Aus diesen Gründen kann der
505 Kritisch diesbezüglich auch Kohlmann, Steuerstrafrecht, AO 1977 § 370 Rn. 1487 (Stand: Oktober 2005) [„. . . kommt einer nicht belegten Unterstellung gleich.“]; Degenhard DStR 2001, 1370 (1372) [„unverständliche Rechtsauffassung“]. 506 BGHSt 47, 138 (142 f.) – Vermögensteuer bzw. BFH DStR 2000, 1139 (1141). 507 Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG § 35 Rn. 45 f. (Stand: Oktober 2000). 508 Vgl. auch Ulsamer/Müller wistra 1998, 1 (7).
214 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
grundsätzlich verallgemeinerungsfähigen Argumentation in BGHSt 47, 138 nicht gefolgt werden. dd) Straflosigkeit im Zeitraum vor der Entscheidung des BVerfG Eine akzessorische Strafbarkeit auf der Grundlage verfassungswidrigen Rechts kommt für die Zeit vor einer Entscheidung des BVerfG, durch die dieses Recht für unvereinbar mit dem Grundgesetz, aber weiter anwendbar erklärt wird, nicht in Betracht.509 Die Unvereinbarkeitserklärung wirkt wie die Nichtigerklärung ex-tunc, d. h. auf den zeitlich zurückliegenden Zeitraum der Kollision mit dem Verfassungsrecht zurück.510 Die Rückwirkung der Unvereinbarkeit ergibt sich auch unmittelbar aus § 79 Abs. 1 GG, der ausdrücklich im Falle der Nichtigkeit oder der Unvereinbarkeit die rückwirkende Wiederaufnahme des Verfahrens vorsieht. Ebenso bezieht sich die Anordnung der weiteren Anwendbarkeit sinnvollerweise auch auf den Zeitraum vor der Gerichtsentscheidung.511 Das Ziel der Vermeidung eines – rückwirkend entstehenden – rechtlichen Vakuums greift hier genauso wie während der Übergangszeit. Wie gezeigt, kann dieses Ziel jedoch nur hinsichtlich des Primärrechts Wirkung entfalten. Für eine kriminalstrafrechtliche Sanktion ist ein zwar fortgeltendes, aber unbestritten verfassungswidriges Gesetz keine tragfähige Grundlage. Wenn sich den zitierten Äußerungen des BVerfG im Sportwettenurteil eines entnehmen lässt, dann eine Trennung zwischen Verwaltungsrecht („darf weiterhin ordnungsrechtlich unterbunden werden“) und Strafrecht („Entscheidung obliegt den Strafgerichten“). In diesem Sinne mag es für den normalen Gesetzesvollzug durch die Verwaltung und die Rechtsanwendung durch die Fachgerichte angehen, wenn auf die Fortgeltensanordnung abgestellt und ein verfassungswidriges Gesetz weiter vollzogen und angewendet wird, um ein rechtliches Vakuum zu vermeiden. Für den in ganz besonderem Maße grundrechtssensiblen Bereich des Strafrechts hingegen kann allein die Unvereinbarkeitserklärung maßgeblich sein.512 Rechtsnatur und Wirkung der Weitergeltungsanordnung werden verkannt, wenn man in ihr eine Aufhebung oder Abänderung der Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz sieht, wie es der BGH in der Vermögensteuerentscheidung getan hat.513 Die Weitergeltungsanordnung ist nach ihrem Impetus nicht dazu bestimmt, entgegen der Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG eine Strafbarkeit zu ermöglichen. 509
So auch BGH NJW 2007, 3078 (3081). Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG § 78 Rn. 31 (Stand: Oktober 1976). 511 Umbach/Clemens/Dollinger/Graßhof, BVerfGG § 78 Rn. 50. 512 OLG Hamburg v. 5.7.2007 – 1 Ws 61/07 Rn. 29 (zit. nach juris); Widmaier, Rechtsgutachten, S. 11; a. A. Bethge DVBl. 2007, 917 (923). 513 BGHSt 47, 138 (143) – Vermögensteuer. 510
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 215
Instruktiv ist insoweit auch ein jüngerer Kammerbeschluss des BVerfG. Danach ist sogar eine ordnungsrechtliche Untersagungsverfügung, die vor dem Sportwettenurteil des BVerfG gegen einen privaten Sportwettenanbieter ergangen und allein auf den (vermeintlichen) Verstoß gegen § 284 StGB gestützt ist, wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG rechtswidrig.514 Hier wird die Funktion der Unvereinbarkeitserklärung i.V. m. der Weitergeltungsanordnung nicht zuletzt darin gesehen, dem staatlichen Wettangebot nicht die Gesetzesgrundlage zu entziehen und dieses – womöglich rückwirkend – zu einer illegalen, selbst § 284 StGB unterfallenden Tätigkeit zu machen.515 ee) Straflosigkeit während des Übergangszeitraums Eine verwaltungsakzessorische Strafbarkeit ist zudem während einer vom BVerfG bezüglich des verfassungswidrigen Verwaltungsrechts angeordneten Übergangszeit bis zu einer verfassungskonformen Neuregelung nicht gegeben.516 Auch hier kann die Fortgeltungsanordnung keine taugliche Grundlage für eine strafrechtliche Sanktionierung sein. Deshalb ist für die Strafbarkeit speziell nach § 284 StGB unerheblich, ob der Staat die ihm durch das BVerfG im Rahmen der Weitergeltungsanordnung auferlegte Maßgabe, unverzüglich und bereits während der Übergangszeit ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Bekämpfung der Wettsucht und der tatsächlichen Ausübung des Monopols herzustellen, tatsächlich und ausreichend umgesetzt hat.517 Eine Strafbarkeit ist nur bei verfassungskonformer Gesetzesgrundlage im Verwaltungsrecht möglich. Selbst wenn man unterstellt, dass im Wege einer Fortgeltungsanordnung übergangsweise für weiter anwendbar erklärtes Recht taugliche Rechtsgrundlage für eine strafrechtliche Ahndung sein kann, führte dies im Fall des § 284 StGB nicht zur Strafbarkeit. Denn dann käme es darauf an, ob die staatlichen Wettveranstalter entsprechend der Maßgabe des BVerfG wirklich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Bekämpfung der Wettsucht und der tatsächlichen Ausübung des Monopols hergestellt haben. Privaten Anbietern wäre es kaum möglich, dies mit hinreichender Sicherheit zu beurteilen, sodass in den 514 BVerfG NVwZ 2008, 301 (302 f.); ebenso BGH (Z) NJW 2008, 2044 (2045 ff.) für einen allein auf den Verstoß gegen § 284 StGB gestützten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG. 515 Vgl. BVerfG NVwZ 2008, 301 (303) [„. . . das Staatslotteriegesetz als Grundlage eines i. S. von § 284 StGB legalen Wettangebots seitens des Freistaats Bayern aufrechtzuerhalten.“]. 516 So auch OLG München NJW 2008, 3151 (3152); OLG Bamberg v. 29.7.2008 – 2 Ss 35/08 Rn. 11 ff. (zit. nach juris); OLG Hamburg v. 5.7.2007 – 1 Ws 61/07 Rn. 24 ff. (zit. nach juris). 517 OLG Bamberg v. 29.7.2008 – 2 Ss 35/08 Rn. 22 (zit. nach juris); OLG Hamburg v. 5.7.2007 – 1 Ws 61/07 Rn. 30 (zit. nach juris).
216 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
Straftatbestand des § 284 StGB eine Unbestimmtheit hineinwüchse, die mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar wäre.518 Die Strafbarkeit hinge von dem weder beeinfluss- noch vorhersehbaren Verhalten der staatlichen Sportwettenveranstalter ab. Mit der Trennung zwischen Verwaltungs- und Strafrecht wird auch das Argument für eine Strafbarkeit nach § 284 StGB in der Übergangszeit entkräftet, die Verfassungswidrigkeit des Erlaubnisrechts dürfe nicht zu einer automatischen Erlaubnisfreiheit der Sportwettenveranstaltung und -vermittlung führen, da eine solche selbst bei einer Zulassung Privater, bei der immer noch die Einholung einer Erlaubnis erforderlich ist, nicht gegeben wäre.519 Zum einen existiert keine Erlaubnisfreiheit, ordnungsrechtlich kann gegen Anbieter ohne Erlaubnis weiterhin vorgegangen werden. Dies ist trotz Verfassungswidrigkeit übergangsweise hinzunehmen. Lediglich eine strafrechtliche Sanktion kann nicht verhängt werden. Zum anderen bedeutet die Straflosigkeit bei Zuwiderhandlung gegen verfassungswidrige Erlaubnisvorschriften gegenüber der Strafbarkeit bei Zuwiderhandlung gegen verfassungskonforme Vorschriften keine „Besserstellung“ des Betroffenen, sondern eine straf- und verfassungsrechtliche Notwendigkeit. 5. Ergebnis Eine formalistisch geprägte Betrachtungsweise, die auf das bloße Fehlen der Erlaubnis abstellt und deshalb die Strafbarkeit auch bei Verfassungswidrigkeit des Erlaubnisrechts annimmt, wird der Problematik nicht gerecht. Auf den Punkt gebracht muss die allgemeingültige Erkenntnis vielmehr lauten: „Verfassungswidriges Verwaltungsrecht führt zu verfassungswidriger Strafe.“ Aus dogmatischer Sicht bleibt noch zu klären, woran die Strafbarkeit konkret scheitert. Es lässt sich insoweit nahtlos an die bereits oben vorgestellte Reduktion anknüpfen, wonach der objektive Tatbestand nur bei Fehlen der erforderlichen behördlichen Erlaubnis gegeben ist. Sind die verwaltungsrechtlichen Genehmigungsvorschriften mit dem Grundgesetz unvereinbar, ist die Einholung einer Erlaubnis nach diesen Vorschriften ebenso wenig erforderlich im Sinne des Strafrechts wie bei deren Fehlen. Es handelt sich um eine teleologische Reduktion im Wege verfassungskonformer Auslegung. Einen anderen Weg geht speziell für § 284 StGB das OLG München. Es sieht wahlweise wegen „Unzumutbarkeit der Verhaltensanforderungen“ die Schuld ausgeschlossen oder ein „prozessuales Bestrafungsverbot“ vorliegen, das zwar nicht die Durchführung des Verfahrens gegen den Angeklagten hindern, aber einer Verurteilung im Wege stehen soll.520 Der Grund für diesen Weg besteht, wie das Gericht selbst 518 519 520
Vgl. auch LK/Krehl, § 284 Rn. 6b; Horn JZ 2006, 789 (793). s. etwa Bethge DVBl. 2007, 917 (924). OLG München NJW 2008, 3151 (3153).
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 217
erläutert, in der Absicht, Untersagungsverfügungen der Ordnungsbehörden, die in Bayern über Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 Landesstraf- und Verordnungsgesetz einen Verstoß gegen § 284 StGB voraussetzen, nicht rechtswidrig werden zu lassen bzw. weiterhin zu ermöglichen.521 Wie dies allerdings mit der oben angeführten Rechtsprechung des BVerfG, wonach allein auf den (vermeintlichen) Verstoß gegen § 284 StGB gestützte Untersagungsverfügungen rechtswidrig sind,522 in Einklang gebracht werden soll, bleibt unklar. Teilweise wird in der Rechtsprechung als Rettungsanker auch ein unvermeidbarer Verbotsirrtum i. S. d. § 17 StGB angenommen.523 Diese Lösungswege wirken jedoch gekünstelt und umständlich. Es erscheint lediglich konsequent, bereits bei dem Merkmal der behördlichen Erlaubnis anzusetzen, welches die Verknüpfung mit dem (verfassungswidrigen) Verwaltungsrecht herstellt. Da die Straflosigkeit aus verfassungsrechtlichen Gründen resultiert, ist überdies eine verfassungskonforme Reduktion das naheliegendste dogmatische Mittel.524
III. Europarechtswidriges Verwaltungsrecht Neu hinzu kommt die europarechtliche Dimension. Parallel zum Verfassungsrecht lautet hier die Frage, ob eine nationale Strafnorm weiter angewendet werden kann, wenn sie auf europarechtswidriges Verwaltungsrecht Bezug nimmt. Zu eruieren ist insbesondere, ob sich die Rechtsfolge eines Verstoßes hier im Vergleich zum Verfassungsrecht nach anderen Maßstäben beurteilt. Am Beispiel des § 284 StGB wird diese dritte Fallgruppe wiederum hinsichtlich des staatlichen Glücksspielmonopols sowohl auf der Grundlage des LottStV als auch des derzeit geltenden GlüStV relevant, welche beide gegen die Grundfreiheiten und das Wettbewerbrecht des EG-Vertrags verstoßen;525 und zwar in den grenzüberschreitenden Fällen, d. h. solchen, in denen ein Veranstalter mit Lizenz eines EU-Mitgliedstaats entweder direkt oder über einen Vermittler in Deutschland tätig wird. 521 OLG München NJW 2008, 3151 (3154) [„Ein ausschließlich an die Strafverfolgungsbehörden gerichtetes prozessuales Bestrafungsverbot belässt der Ordnungspolizei diese nach Art. 7 II Nr. 1 des Gesetzes über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderliche Eingriffsmöglichkeit einer Untersagungsverfügung . . .“]; ähnlich bereits VGH München v. 10.7.2006 – 22 BV 05/457 Rn. 45 (zit. nach juris) [„Auch dem Verwaltungsgerichtshof erscheint es fraglich, ob ein Verstoß gegen eine verfassungsrechtlich zu beanstandende . . . Freiheitsbeschränkung als kriminelles Unrecht geahndet werden darf; dem Verbotensein einer solchen Handlung tut dies allerdings keinen Abbruch.“]. 522 BVerfG NVwZ 2008, 301 (302 f.). 523 s. etwa OLG Stuttgart NJW 2006, 2422 (2423); Barton/Gercke/Janssen wistra 2004, 321 326); dazu ausführlich auch Dehne-Niemann wistra 2008, 361 (363 ff.). 524 Allg. gegen eine im Vergleich zum Primärrecht überschießende und damit für eine restriktive, unter Umständen verfassungskonforme, Straftatbestandsauslegung in „eher atypischen Fällen“, Kölbel GA 2002, 403 (418 f.). Hier liegt sicherlich ein „atypischer Fall“ vor. 525 s. o. S. 167 ff.
218 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
1. Europarechtliche Neutralität des § 284 StGB – BGH (Z) „Schöner Wetten“ Wie auch im Rahmen des Verfassungsrechts könnte man sich aufgrund der neutralen Formulierung des § 284 StGB oder vergleichbarer Strafvorschriften („ohne behördliche Erlaubnis“), die offen lässt, wem und wann eine Erlaubnis erteilt wird, auf den Standpunkt stellen, dass der Tatbestand losgelöst von einer Europarechtswidrigkeit des Erlaubnisrechts zu beurteilen und aufgrund des Fehlens der Erlaubnis erfüllt sei. Dies hat der Erste Zivilsenat des BGH in der sog. Schöner Wetten-Entscheidung aus dem Jahre 2004 getan.526 Die Entscheidung wurde nachfolgend von einigen Zivil- und Verwaltungsgerichten sowie von Teilen der Literatur aufgegriffen.527 Entsprechend der These von der verfassungsrechtlichen Neutralität wird strikt zwischen der Europarechtskonformität der verwaltungsrechtlichen Vorschriften des staatlichen Monopols einerseits und der Strafbarkeit nach § 284 StGB bei einem Handeln ohne (deutsche) Erlaubnis andererseits getrennt. Letztere sei auch bei einem Verstoß des Verwaltungsrechts gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit der Art. 43 und 49 EG anzunehmen. 2. Kollision des Straftatbestands mit Europarecht Dem steht freilich die insoweit eindeutige Rechtsprechung des EuGH entgegen. Wie bereits erwähnt, waren es sowohl im Gambelli- als auch im PlacanicaVerfahren italienische Strafgerichte, die den EuGH zur Vorabentscheidung über die Vereinbarkeit des strafbewehrten Ausschlusses privater Wettunternehmer528 mit der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit anriefen. In beiden Fällen hat der EuGH deutlich gemacht, dass gerade auch die an eine fehlende Erlaubnis anknüpfende Strafbarkeit einen Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit darstellt, wenn die Erlaubnis in Verletzung dieser Freiheiten versagt wurde.529 Unmissverständlich ist die Antwort auf die Vorlagefrage im Placanica-Urteil aus dem Jahre 2007:530
526 BGHZ 158, 343 (352) – Schöner Wetten; ausdrücklich aufgegeben dann aber in BGH (Z) NJW 2008, 2044 (2047), dazu sogleich. 527 OLG Hamburg (Z) MMR 2004, 752 (754 f.); OLG Köln (Z) MMR 2006, 230 (232); VGH München v. 10.7.2006 – 22 BV 05/457 Rn. 43 f. (zit. nach juris); Dietlein CR 2004, 372 (375); Meyer JR 2004, 447 (452); Schmidt wrp 2005, 721 (730); Hecker/Schmitt ZfWG 2006, 59 (65). 528 Zu der Ähnlichkeit mit der deutschen Regelung des § 284 StGB s. auch Spindler GRUR 2004, 724 (726 a. E.). 529 EuGH Slg. 2003 I-13076 Rn. 76 – Gambelli; Slg. 2007 I-1932 Rn. 71 – Placanica; ganz ähnlich der Kammerbeschluss des BVerfG in NVwZ 2005, 1303 (1304) [„erhebliche Zweifel an der gemeinschaftsrechtlichen Vereinbarkeit des § 284 StGB“]. 530 EuGH Slg. 2007 I-1932 Rn. 71 – Placanica.
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 219 „Deshalb ist festzustellen, dass die Art. 43 und 49 EG dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die für Personen wie den Beschuldigten der Ausgangsverfahren eine strafrechtliche Sanktion wegen Sammelns von Wetten ohne die nach dem nationalen Recht erforderliche Konzession oder polizeiliche Genehmigung vorsieht, dann entgegenstehen, wenn sich diese Personen diese Konzessionen oder Genehmigungen deshalb nicht beschaffen konnten, weil dieser Mitgliedstaat es unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt hat, sie ihnen zu erteilen.“
Selbst der Erste Zivilsenat des BGH hat seine Rechtsprechung der europarechtlichen Neutralität des § 284 StGB jüngst ausdrücklich aufgegeben.531 Zutreffendes Ergebnis ist, wie auch im deutschen Verfassungsrecht, dass die akzessorische strafrechtliche Sanktion nicht losgelöst von dem (europarechtswidrigen) Erlaubnisrecht, auf das sie sich stützt, beurteilt werden kann. Die Begründung hierfür fällt auf europarechtlicher Ebene noch leichter, denn hier wird bei Kollisionen von nationalem Recht mit unmittelbar anwendbarem Europarecht, wie den Grundfreiheiten, ausdrücklich zwischen direkten und indirekten Konflikten unterschieden.532 Um einen direkten Konflikt handelt es sich, wenn das nationale Recht und das Gemeinschaftsrecht unmittelbar denselben Sachverhalt regeln. Ein indirekter Konflikt liegt immer dann vor, wenn das nationale Recht die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts anderweitig beeinträchtigt.533 Die bereits mehrfach angesprochene Neutralität des § 284 StGB oder vergleichbarer Strafvorschriften dahingehend, dass sie selbst nicht regeln, ob, wem und unter welchen Voraussetzungen eine Erlaubnis erteilt wird, führt dazu, dass die jeweilige Vorschrift nicht direkt mit der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit der Art. 43 und 49 EG kollidiert. Da sie mit ihrem bloßen Erlaubnisvorbehalt die freie Niederlassung und Dienstsleistung – hier auf dem Sportwettenmarkt – nicht in unzulässiger Weise beschränkt, regelt sie insoweit nicht denselben Sachverhalt wie die Art. 43, 49 EG. Da die Anwendung der Strafvorschrift jedoch in bestimmten, grenzüberschreitenden Fällen – hier der Sportwettenveranstaltung bzw. -vermittlung – auf Regelungen aufbaut, die die Grundfreiheiten der Art. 43, 49 EG verletzen, wird deren Wirksamkeit anderweitig beeinträchtigt. Es liegt ein indirekter Konflikt vor.534 Für das Strafrecht sind zwar grundsätzlich allein die Mitgliedstaaten zuständig,535 die Grundfreiheiten als unmittelbar anwendbare Vorschriften des Gemeinschaftsrechts darf das nationale Strafrecht jedoch nicht in unzulässiger Weise beschränken.536
531
BGH (Z) NJW 2008, 2044 (2047). Vgl. Satzger, Internationales und europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 21 f.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 21 ff. 533 s. Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 21 f.; Jarass/Beljin NVwZ 2004, 1 (3 f.). 534 Vgl. auch Leupold MR-Int 2005, 55 (65); Siara ZfWG 2007, 1 (7). 535 s. dazu aus materieller Sicht auch Hefendehl ZIS 2006, 229 (231 ff.). 532
220 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
3. Rechtsfolge auf nationaler Ebene Direkte und indirekte Konflikte nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht lösen als Rechtsfolge gleichermaßen den sog. Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts aus.537 Der besagt, dass dem Gemeinschaftsrecht unmittelbare Geltung zu verschaffen ist, indem die nationalen Regelungen von keinem Organ des Mitgliedstaats mehr angewendet werden dürfen, ohne dass es einer vorherigen Beseitigung auf gesetzgeberischem Wege oder durch ein anderes verfassungsrechtliches Verfahren bedarf.538 Das gilt auch für Straftatbestände, für die aus dem Anwendungsvorrang eine „Neutralisierung“ für die Fälle folgt, in denen der Straftatbestand in Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht steht.539 a) Suspendierung des Anwendungsvorrangs für die Übergangszeit? Gegen die Rechtsfolge der Nichtanwendung nationalen Rechts hat das OVG Münster, speziell zu § 284 StGB, eine übergangsweise Suspendierung des gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrangs ins Spiel gebracht.540 Die Begründung entspricht derjenigen, mit der das BVerfG vielfach die übergangsweise Weitergeltung von (nicht-strafrechtlichen) Regelungen anordnet: Es soll kein rechtliches Vakuum entstehen, die „unerträglichen Konsequenzen einer sonst eintretenden Regelungslosigkeit“ müssten vermieden werden.541 Im Falle der Nichtanwendung des § 284 StGB und der verwaltungsrechtlichen Monopolvorschriften entstünde eine solche inakzeptable Gesetzeslücke; Private könnten unbeschränkt und unkontrolliert Sportwetten veranstalten und vermitteln, was im Hinblick auf die Spielsuchtprävention nicht hinnehmbar sei. Allgemein gegen eine Strafbarkeit auf der Grundlage übergangsweise weitergeltenden Rechts wurde bereits im Rahmen der Rechtsfolgen des Verstoßes gegen Verfassungsrecht argumentiert.542 Die dort angeführten Punkte gelten auch 536 EuGH Slg. 2007 I-1932 Rn. 68 – Placanica; Slg. 1999 I-11 Rn. 17 – Calfa; Satzger, Internationales und europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 86. 537 s. z. B. Jarass/Beljin NVwZ 2004, 1 (4). 538 s. etwa Schwarze/Hatje, EGV Art. 10 Rn. 21 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 256; grdl. EuGHE 1964, 1251 Rn. 8 ff. – Costa; EuGH Slg. 1978 I-629 Rn. 17 f. – Simmenthal; auch das BVerfG hat den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts anerkannt, s. BVerfGE 31, 145 (174 f.); 79, 339 (375 f.). 539 Allg. Satzger, Internationales und europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 86; ders., Europäisierung, S. 479 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 10; speziell auf § 284 StGB angewendet von OLG München NJW 2006, 3588 (3591). 540 OVG Münster NVwZ 2006, 1078 (1080); dem folgend VGH Kassel NVwZ 2006, 1435 (1439); Bethge ZfWG 2007, 245 (249); vgl. auch Jarass/Beljin NVwZ 2004, 1 (5). 541 OVG Münster NVwZ 2006, 1078 (1080). 542 s. o. S. 215 f.
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 221
hier. Daneben gibt es spezifisch gemeinschaftsrechtliche Aspekte, die eindeutig gegen eine übergangsweise Suspendierung des Anwendungsvorrangs sprechen. Das Primat und daraus folgend der Anwendungsvorrang des Europarechts ist eines der tragenden Prinzipien der Gemeinschaftsrechtsordnung.543 Es wurde dementsprechend durch den EuGH noch nie aufgeweicht, geschweige denn suspendiert.544. Den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts und seine Wirkung der Disposition von Gerichten oder Behörden eines Mitgliedstaats zu überlassen, noch dazu ohne dass eine entsprechende Entscheidung des EuGH vorliegt, ist nicht durch den EG-Vertrag gedeckt. Es würde vielmehr entgegen Art. 10 EG zu einer erheblichen Verringerung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts führen.545 Hierüber hilft auch ein – noch so verzweifelt anmutender – Hinweis auf sonst entstehende „inakzeptable Gesetzeslücken“ und „unerträgliche Konsequenzen einer Regelungslosigkeit“546 nicht hinweg. Zunächst ist die argumentative Durchschlagskraft des Verweises auf drohende Regelungslücken generell gering.547 Dazu kommt im vorliegenden Fall der Sportwetten, dass eine völlige Regelungslosigkeit oder inakzeptable Gesetzeslücke gar nicht vorliegt. Zum einen betrifft die europarechtliche Rechtsfolge der Nichtanwendbarkeit lediglich das grenzüberschreitende Angebot von Sportwetten durch Anbieter aus EU-Mitgliedstaaten, die in ihrem Heimatland konzessioniert sind und dort der staatlichen Kontrolle unterliegen. Die „Neutralisierung“ des § 284 StGB aufgrund des Verstoßes gegen die europäischen Grundfreiheiten findet nur in diesen Fällen statt. Zum anderen bleiben die Schranken des allgemeinen Gewerberechts nach der GewO anwendbar.548 Wie aber kann die GewO für die Sportwette eine inakzeptable Regelungslücke darstellen, wenn sie für die Erlaubnis der weitaus suchtanfälligeren Geldspielautomaten eine ausreichende Grundlage darstellt? Eine eigenmächtige Suspendierung des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts durch nationale Institutionen ist unzulässig und unbegründet. Rechtsfolge eines Konflikts von nationalem Recht mit dem Europarecht ist der Anwendungsvorrang des letzteren. 543 Vgl. auch Bungenberg DVBl. 2007, 1405 (1408 f.); Pischel wrp 2006, 1413 (1418 f.). 544 Die vermeintlich gegenläufigen Nachw. aus der Rspr. des EuGH, die das OVG Münster diesbezüglich in NVwZ 2006, 1078 (1080) anführt, gehen fehl. Selbstverständlich entfaltet die durch das BVerfG auf nationaler Ebene angeordnete übergangsweise Weitergeltung des Erlaubnisrechts auf europarechtlicher Ebene keinerlei Wirkung, so ausdrücklich auch BGH (Z) NJW 2008, 2044 (2047). 545 Vgl. EuGH Slg. I 1990, 2433 Rn. 21 – Factortame I; speziell zu § 284 StGB Leupold wrp 2008, 920 (922); Pischel wrp 2006, 1413 (1418 f.). 546 OVG Münster NVwZ 2006, 1078 (1080); Bethge ZfWG 2007, 245 (249). 547 Vgl. Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 461 f.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 472 f. 548 So selbst OVG Münster NVwZ 2006, 1078 (1080).
222 4. Teil: Verknüpfung des § 284 StGB mit dem öffentlichen Sportwettenrecht
b) Europarechtskonforme Auslegung vor Nichtanwendung Der gemeinschaftsrechtliche Anwendungsvorrang muss aber nicht zwingend zur Nicht-Anwendung bzw. „Neutralisierung“ der nationalen Strafvorschrift führen. Ausreichend ist eine europarechtskonforme Auslegung, sofern die fragliche Norm einer solchen Auslegung zugänglich ist und die Auslegung die Effektivität des Gemeinschaftsrechts wahrt.549 Vorliegend können § 284 StGB oder vergleichbarer Vorschriften, die an das Fehlen einer behördlichen Erlaubnis anknüpfen, dahingehend europarechtskonform ausgelegt werden, dass als behördliche Erlaubnis i. S. d. Vorschrift auch solche aus EU-Mitgliedstaaten gelten.550 Eine solche europarechtskonforme Auslegung gerät in diesem Fall aus Sicht des deutschen Rechts auch nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG in Konflikt, da sie nicht strafbegründend, sondern strafbefreiend wirkt.551 Angemerkt sei an dieser Stelle jedoch, dass die Frage nach der für die Erteilung der Erlaubnis zuständigen Behörde grundsätzlich an der Verwaltungsakzessorietät teilnimmt, d. h. sie wird für die Strafnorm bindend durch das ausfüllende Verwaltungsrecht geregelt. Am Beispiel des § 284 StGB und der Sportwetten ist dies § 4 Abs. 1 GlüStV, der bestimmt, dass die Erlaubnis nur von der jeweiligen deutschen (Landes-)Behörde erteilt wird.552 Nur ausnahmsweise und um einer Nicht-Anwendung aufgrund des gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrangs zuvorzukommen, findet hier eine europarechtskonforme Auslegung, besser Reduktion, statt. Eine deutsche Regelung kann auch dann europarechtskonform sein, wenn sie für Inhaber einer EU-Erlaubnis zusätzlich die Einholung einer deutschen Erlaubnis vorsieht. Dies gilt insbesondere dann, wenn der betreffende Bereich, wie hier der Glücksspielbereich, nicht EG-rechtlich harmonisiert ist.553 Wie bereits erwähnt, ist es nicht der Erlaubnisvorbehalt als solcher, der europarechtswidrig ist, sondern – am Beispiel des § 284 StGB und der Sportwetten – der vollständige Ausschluss privater Anbieter. Allein eine derartige europarechtswidrige Ausgestaltung der verwaltungsakzessorischen Strafvorschrift führt zu der europarechtskonformen Auslegung dergestalt, dass Erlaubnisse von Behörden der EU-Mitgliedstaaten als behördliche Erlaubnis i. S. d. Vorschrift anzusehen sind. Unzutreffend ist es daher, wenn bezüglich des § 284 StGB generell davon ausgegangen wird, dass EU-Lizenzen eine behördliche Erlaubnis i. S. d. Vorschrift darstellten.554 Die hierfür genannte Begrün549 Vgl. Satzger, Internationales und europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 90, 95 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 39 ff. 550 Vgl. dazu Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 22c f.; SK/Hoyer, § 284 Rn. 27; Barton/Gercke/Janssen wistra 2004, 321 (326). 551 Vgl. Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 60 m.w. N. 552 s. o. S. 112. 553 s. ebenfalls o. S. 112. 554 So Schönke/Schröder/Eser/Heine, § 284 Rn. 22c f.; Barton/Gercke/Janssen wistra 2004, 321 (326).
§ 7 Auswirkungen von Defekten im Genehmigungsrecht auf die Strafnorm 223
dung, der Behördenbegriff des StGB sei ein offener und weder Wortlaut noch Schutzzweck des § 284 StGB erforderten die Beschränkung auf Erlaubnisse inländischer Behörden, übergeht die Rechtsnatur der Verwaltungsakzessorietät, wonach das Merkmal der behördlichen Erlaubnis jeweils durch das ausfüllende Verwaltungsrecht bestimmt wird, was auch die Zuständigkeit zur Erteilung der Erlaubnis bzw. die Bestimmung der Geltungswirkung der Erlaubnis umfasst. 4. Ergebnis Parallel zu dem Befund, dass die Verfassungswidrigkeit des Erlaubnisrechts zu einer verfassungskonformen Auslegung der akzessorischen Strafvorschrift führt, gebietet die Europarechtswidrigkeit des Erlaubnisrechts eine europarechtskonforme Auslegung der akzessorischen Strafvorschrift. Bei § 284 StGB stellen aufgrund der Europarechtswidrigkeit des früheren LottStV und auch des heutigen GlüStV Genehmigungen aus EU-Mitgliedstaaten ausnahmsweise behördliche Erlaubnisse i. S. d. Vorschrift dar. Anbieter, die mit einer solchen Genehmigung in Deutschland direkt Sportwetten veranstalten, und Vermittler, die in Deutschland für einen solchen Anbieter Wetten vermitteln, machen sich nicht gemäß § 284 StGB strafbar. Aufgrund der vorliegenden behördlichen Erlaubnis ist bereits der objektive Tatbestand nicht erfüllt.555
555 Vgl. Satzger, Internationales und europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 86, 90; ders., Europäisierung, S. 225, 506 ff.; Safferling/Scholz JA 2009, 353 (358), allerdings mit der Voraussetzung, dass der Anbieter ein „Bemühen“ hinsichtlich der Erteilung einer Konzession „gezeigt“ haben muss.
5. Teil
Resümee Als direkte Antwort auf die in der Einleitung formulierten Fragen, derer sich die vorliegende Arbeit widmet, werden hier zunächst die Ergebnisse der Arbeit in Thesen zusammengefasst und anschließend ein Ausblick auf die weitere Entwicklung der Materie versucht.
§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen 1. Das Rechtsgut, welches hinter dem Verbot des § 284 Abs. 1 StGB steht und folglich von diesem zu schützen ist, kann allein das Vermögen der Glücksspielteilnehmer sein.1 Da ein paternalistischer Schutz der Teilnehmer vor sich selbst keinen tauglichen Schutzgegenstand des Strafrechts darstellt, ist der Schutz auf unfreiwillig eingegangene Vermögensrisiken zu beschränken. Dies ist der Verlust infolge einer Manipulation des Glücksspiels oder infolge suchtbedingter Teilnahme. Es handelt sich bei § 284 StGB insoweit um ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt. Sämtliche, von verschiedener Seite ins Spiel gebrachten Schutzgüter, wie die „Sicherung der öffentlichen Sittlichkeit und Moral“, die „Absicherung staatlicher Kontrolle und Zügelung der wirtschaftlichen Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft“ oder die Vermeidung von Begleit- und Folgekriminalität bzw. Folgekosten für die Gemeinschaft, entlarven sich entweder als Gebilde, die bei der strafrechtlichen Rechtsgutbestimmung von vorneherein fehl am Platze sind, oder als konstruierte (Zwischen-)Rechtsgüter, die bei genauerem Hinsehen nichts anderes als den beschriebenen Vermögensschutz bedeuten. 2. Bei der Sportwette kann nur in bestimmten Ausformungen (Ereigniswetten, bestimmte Kombinationswetten) sicher von einem Glücksspiel i. S. d. § 284 StGB ausgegangen werden.2 In dem Hauptanwendungsfall der Ergebniswette auf den Ausgang eines Sportereignisses müsste durch empirische Analysen festgestellt werden, ob nach der herkömmlichen Abgrenzung ein Glücksspiel vorliegt, weil die Gewinnchance überwiegend durch den Zufall bestimmt wird, oder ob ein strafloses Geschicklichkeitsspiel vorliegt, weil die Kennt-
1 2
s. o. S. 37 ff. s. o. S. 47 ff.
§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
225
nisse und Erfahrungen des jeweiligen Spielers ausschlaggebend sind. Hierfür lassen sich Methoden heranziehen, die im gewerblichen Spielrecht entwickelt wurden. 3. Das weit verbreitete Vermitteln von Sportwetten unterfällt zwar nicht der Handlungsalternative des Veranstaltens, jedoch stellt es ein Bereitstellen von Einrichtungen für die Veranstaltung eines Glücksspiels i. S. d. § 284 StGB dar, auch wenn an sich neutrale Mittel wie Telefon oder Computer verwendet werden.3 4. Bei der Frage nach der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts im Falle eines Wettangebots mit Auslandsbezug lautet das Ergebnis, dass ein rein vom Ausland aus, insbesondere via Internet betriebenes Sportwettenangebot nicht der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts unterfällt.4 In diesen Fällen kommt es auf die Wirksamkeit und Geltung einer eventuell im Heimatland des Veranstalters erteilten Genehmigung als behördliche Erlaubnis i. S. d. § 284 StGB gar nicht an. Es liegt keine Inlandstat vor, da weder eine inländische Tathandlung gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB gegeben ist noch gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB ein zum Tatbestand gehörender Erfolg im Inland eingetreten ist. Eine inländische Tathandlung setzt voraus, dass auch tatsächlich körperlich in Deutschland gehandelt wurde. Bei einem terrestrischen Angebot ist dies der Fall, wenn in Deutschland ein Wettbüro zur Veranstaltung oder Vermittlung der Sportwetten eröffnet wird. Bei einem Internetangebot liegt eine inländische Handlung nur vor, wenn die für die Internetseite und deren Betrieb nötigen Daten von Deutschland aus eingegeben werden. Erfolgt die Eingabe vom Ausland aus, wird nicht im Inland gehandelt. Eine Ergänzung des Handlungsbegriffs um kaum zu definierende „Wirkungen“ der Handlung überzeugt nicht. Ein inländischer Erfolgsort, d. h. gemäß § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB ein zum Tatbestand gehörender Erfolg, der im Inland eingetreten ist, setzt voraus, dass ein solcher Erfolg bei dem jeweiligen Tatbestand überhaupt auszumachen ist. Der Erfolg i. S. d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB ist nicht notwendigerweise mit dem Erfolg i. S. d. allgemeinen Tatbestandslehre gleichzusetzen. Allein der Charakter eines Straftatbestands als abstraktes Gefährdungs- bzw. schlichtes Tätigkeitsdelikt schließt das Vorliegen eines solchen Erfolgs daher nicht notwendigerweise aus. Quasi als „Minimumserfolg“ muss jedoch eine objektiv bestimm- und messbare Folge der Handlung vorhanden sein, wie z. B. der Eintritt einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit oder auch eine schwere Folge der Tat. Bei § 284 StGB, der den reinen Vollzug der einzel3 4
s. dazu u. S. 65 ff. s. dazu u. S. 71 ff.
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5. Teil: Resümee
nen Tathandlungen inkriminiert, ist Derartiges nicht auszumachen. Daran vermag weder eine Gestaltung des Internetangebots (auch) in deutscher Sprache noch die zufällige Speicherung der Daten auf einem in Deutschland belegenen Server etwas zu ändern. 5. In Bezug auf die Verwaltungsakzessorietät des § 284 StGB kommt die Untersuchung zunächst zu dem Ergebnis, dass der seit dem 1.1.2008 geltende GlüStV der Länder, welcher bestimmt, dass allein die im Deutschen Lottound Totoblock zusammengeschlossenen, landeseigenen Lotteriegesellschaften eine behördliche Erlaubnis zur Sportwettenveranstaltung erhalten können, ebenso wie sein Vorgängerwerk der LottStV sowohl gegen Verfassungsrecht5 als auch gegen Gemeinschaftsrecht6 verstößt. Die Schaffung eines staatlichen Sportwettenmonopols, mit der ein absolutes Berufsverbot für private Buchmacher einhergeht, ist als schwerster möglicher Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen. Das Spielsuchtpotenzial von Sportwetten ist nach den gegenwärtigen Erkenntnissen zu gering, um höchstwahrscheinliche schwere Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zu begründen. Dies sind jedoch die Voraussetzungen, unter denen zu dem Mittel einer objektiven Berufszulassungssperre gegriffen werden darf. Auch ist das Staatsmonopol zur Erreichung des Suchtbekämpfungsziels weder geeignet noch erforderlich noch angemessen. Stattdessen verkörpert es zusätzlich einen Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG, da andere, weitaus suchtanfälligere Spielformen, wie insbesondere die Geldspielautomaten, nicht in staatlicher Hand monopolisiert sind und in Gaststätten und Spielhallen ohne Weiteres von Privaten betrieben werden dürfen. Ebenfalls nicht zu rechtfertigen sind die Beschränkungen der europäischen Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 EG, die im Falle der grenzüberschreitenden Angebote betroffen sind, sowie des europäischen Wettbewerbsrechts gemäß Art. 86 Abs. 1 i.V. m. Art. 82 EG. Der EuGH hat in den Rechtssachen Gambelli und Placanica deutlich gemacht, dass die Beschränkung der Grundfreiheiten nur dann mit der Bekämpfung von Suchtgefahren gerechtfertigt werden kann, wenn diese kohärent und systematisch erfolgt. Weder der Sportwettenbereich für sich gesehen, in dem Pferderennwetten von Privaten veranstaltet werden können, noch der gesamte Glücksspielbereich, in dem
5 s. o. S. 131 ff.; a. A. wohl das BVerfG, indem es davon ausgeht, dass ein konsequent an der Suchtbekämpfung ausgerichtetes Monopol verfassungskonform wäre, BVerfGE 112, 276 (317 f.) – Sportwette; vgl. auch die Beschlüsse des BVerfG zur Nichtannahme der Verfassungsbeschwerden eines Sportwettenvermittlers v. 20.3.2009 – 1 BvR 2410/08 Rn. 15 ff. (zit. nach juris) sowie eines Internet-Lotterievermittlers in GewArch 2009, 26. 6 s. o. S. 167 ff.
§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
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sogar suchtanfälligere Spielformen von Privaten betrieben werden können, weisen eine solche Kohärenz auf. Die Antwort auf die sich anschließende, verallgemeinerungsfähige Frage nach der verwaltungsakzessorischen Strafbarkeit für den Fall, dass behördliche Erlaubnisse auf der Grundlage solchen verfassungs- und europarechtswidrigen Rechts versagt werden, lautet: Die Strafbarkeit entfällt.7 Eine, gegebenenfalls freiheitsentziehende, strafrechtliche Sanktion, die ihren Ursprung in der Verletzung der Grundrechte oder der Grundfreiheiten nimmt, ist mit rechtstaatlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen. Die Lösung für das formale Fehlen der Erlaubnis, welches auch die Verletzung des höherrangigen Rechts nicht beseitigt, ist eine teleologische Reduktion im Wege verfassungs- bzw. europarechtskonformer Auslegung. Das Merkmal „ohne behördliche Erlaubnis“ ist zu lesen als „ohne erforderliche behördliche Erlaubnis“. Erforderlich ist die Erlaubnis, wenn ein verwaltungsrechtliches Gebot für deren Einholung existiert und wirksam ist, sprich die Regelungen der Erlaubniserteilung verfassungskonform sind. Die europarechtskonforme Auslegung führt dazu, dass bei Anbietern aus dem EU-Ausland die Genehmigung des Heimatlandes derzeit als behördliche Erlaubnis i. S. d. § 284 StGB anzusehen ist. 6. Nach wie vor gültig und damit taugliche behördliche Erlaubnis i. S. d. § 284 StGB sind die privaten Veranstaltern im Jahre 1990 erteilten DDR-Lizenzen.8 Sie entfalten nach der Wiedervereinigung im gesamten Bundesgebiet Wirkung. Nach ihrem Inhalt berechtigen sie insoweit zwar nicht zur Eröffnung weiterer örtlicher Niederlassungen oder Vermittlungsagenturen, wohl aber zur Nutzung moderner Vertriebsmittel wie Internet und Telefon. 7. Genehmigungen aus dem EU-Ausland stellen dagegen nicht automatisch eine geeignete behördliche Erlaubnis i. S. d. § 284 StGB dar.9 Die Zuständigkeit für die Erteilung sowie die Geltungswirkung der behördlichen Erlaubnis nehmen an der Verwaltungsakzessorietät Teil und können durch die nationalen Erlaubnisvorschriften auf das jeweilige Heimatland beschränkt werden. Mangels gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierung des Glücksspielbereichs besteht keine Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der Genehmigungen. Wird eine Genehmigungserteilung im Inland allerdings unter Verstoß gegen Europarecht abgelehnt oder, wie durch den GlüStV in Deutschland, von vorneherein ausgeschlossen, darf hieran laut eindeutiger Aussage des EuGH keine strafrechtliche Sanktion anknüpfen. Das Prinzip des gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrangs bedingt in diesem Fall eine unmittelbare Beseitigung des Verstoßes, entweder durch eine Nichtanwendung oder, so7 8 9
s. o. S. 187 ff. s. o. S. 113 ff. s. o. S. 112 und S. 217 ff.
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5. Teil: Resümee
fern möglich, durch eine europarechtskonforme Auslegung der Strafvorschrift. Letzteres geschieht bei § 284 StGB, indem die EU-Erlaubnisse ausnahmsweise als behördliche Erlaubnis i. S. d. Vorschrift gewertet werden.
§ 9 Ausblick I. Staatliches Sportwettenmonopol Ein Ende der Auseinandersetzungen auf dem Gebiet des Glücksspiels und in concreto der Sportwetten ist nicht absehbar. Aufgrund der beschriebenen Relevanz als Rechtsgrundlage für Untersagungsverfügungen sowohl im öffentlichen Recht als auch im Wettbewerbsrecht wird § 284 StGB hierbei auch in Zukunft Dreh- und Angelpunkt sein. Da die Strafnorm wiederum unweigerlich mit dem öffentlichen Sportwettenrecht, sprich dem GlüStV, verknüpft ist, wird es maßgeblich auf die Beurteilung von dessen Verfassungs- und Europarechtskonformität ankommen. Es steht zu befürchten, dass sich auf nationaler Ebene infolge der allzu zurückhaltenden Aussagen des BVerfG im Sportwettenurteil zumindest in der Rechtsprechung die Ansicht einer Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Monopols in Gestalt des GlüStV etablieren wird. Auf europäischer Ebene wird letztlich nur eine Entscheidung des EuGH Klarheit bringen, entsprechende Vorlagebeschlüsse deutscher Gerichte liegen bereits vor.10 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde ausführlich dargelegt, weshalb ein staatliches Sportwettenmonopol, wie es der GlüStV implementiert, mit den verfassungs- und europarechtrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar ist. Mit der vermeintlich epidemieartig um sich greifenden Spielsucht wird eine Übergefahr heraufbeschworen, die bei Sportwetten nicht besteht; zumindest nicht in dem Maße, dass ein komplettes Berufsverbot für Private von Nöten wäre. Und selbst wenn man den Rechtfertigungsansatz, über die Angebotsverknappung automatisch eine Reduzierung der Spielsucht zu erreichen, weiterverfolgt, sieht sich das äußerst lukrative Staatsmonopol nicht zu Unrecht dem Vorwurf der Scheinheiligkeit ausgesetzt. Beschränkt es sich doch im Wesentlichen darauf, für die staatlichen Angebote etwas weniger Werbung zu machen und dabei auf die Möglichkeit der Entstehung einer Sucht hinzuweisen. Einschneidende Selbstbeschränkungen, wie etwa eine Reduzierung der allerorts zu findenden Annahmestellen, sind nicht vorgesehen. Eine kontrollierte und überwachte Zulassung privater Anbieter würde hier den „bösen Schein“ der Einnahmeerzielung als zumindest erwünschte Nebenfolge vermeiden. Hinzu kommt die Tatsache, dass das Monopol in der Praxis durch zahlreiche, oftmals vom Ausland betriebene Internetangebote un10 VG Stuttgart v. 24.7.2007 – 4 K 4435/06 Rn. 28 f.; VG Gießen v. 7.5.2007 – 10 E 13/07 Rn. 46 ff. (zit. nach juris); VG Schleswig ZfWG 2008, 69 (70).
§ 9 Ausblick
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terlaufen wird. Nicht zuletzt auch aus rechtspolitischer Sicht erscheint es weitaus sinnvoller, eine Marktöffnung für private Veranstalter, die mittels des Internets zu einem großen Teil bereits faktisch durchgesetzt wird, endlich auch rechtlich und kontrolliert zu verwirklichen. In einer solchen Konstellation wäre die Absicherung des Vermögensschutzes mit den Mitteln des Kriminalstrafrechts hinsichtlich dann immer noch illegaler Angebote sehr viel leichter zu legitimieren.
II. Verwaltungsakzessorische Strafbarkeit Bezüglich der strafrechtlichen Verwaltungsakzessorietät, um die es nach den Kontroversen um das reformierte Umweltstrafrecht still geworden war, ergibt sich ein neues Problemfeld, nämlich das des verfassungs- und/oder europarechtswidrigen Verwaltungsrechts. Es wurde hier am instruktiven Beispiel des § 284 StGB behandelt, könnte sich aber durchaus auch anhand anderer verwaltungsakzessorischer Straftatbestände stellen und ist daher in einem breiteren Kontext relevant. Auf den Punkt gebracht kommt die Arbeit insoweit zu der Erkenntnis: „Verfassungswidriges Verwaltungsrecht führt zu verfassungswidriger Strafe.“ Eine formalistisch geprägte Betrachtungsweise, die auf das bloße Fehlen der Erlaubnis abstellt und deshalb die Strafbarkeit auch bei Verfassungswidrigkeit des Erlaubnisrechts annimmt, wird der Problematik nicht gerecht. An dieser Stelle gilt es, die strikte Verwaltungsakzessorietät aufzubrechen. Derartige Forderungen nach einem bereichsweisen Aufbrechen der Verwaltungsakzessorietät sind, wenn auch in umgekehrter, strafbegründender Richtung, bereits geäußert worden. So plädieren insbesondere Hefendehl und Schünemann im Umweltstrafrecht dafür, bei einer (mit Wissen des Genehmigungsempfängers) rechtswidrig erteilten Genehmigung nicht auf deren formale Existenz abzustellen, sondern der Genehmigung die strafrechtliche Legitimationswirkung zu versagen.11 Dem folgend ist es vice versa nur konsequent, einer rechtswidrig und sogar unter Verstoß gegen die Verfassung vereitelten Genehmigung strafrechtliche Relevanz zukommen zu lassen und nicht auf das formale Fehlen der Genehmigung abzustellen.
11 s. Hefendehl ZIS 2006, 161 (166); Schünemann in: FS Triffterer, S. 437 (441 ff.); ders. wistra 1986, 235 (239).
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Sachwortverzeichnis Abstraktes Gefährdungsdelikt 84 ff. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten 29 Altfälle 209 Anwendungsvorrang des Europarechts 220 ff. Arbeits- und Wirtschaftsmoral 38 Ausspielungen 105 ff. Automatenspiele 58, 139, 163, 178 Begleit- und Folgekriminalität 39 f., 111, 150 Behördliche Erlaubnis 68 ff., 193 f. Bereitstellen von Einrichtungen zum Glücksspiel 65 ff. Berufsfreiheit 144 ff. Betäubungsmittelstrafrecht 39, 46 Buchmacherwette s. Oddset-Wette Bwin 113 Casino-Spiele 58, 135 ff., 163 Croupier 64 DDR-Lizenzen 113 ff. Deutscher Lotto- und Totoblock 23, 33 f., 70, 112 f., 148 ff. Dienstleistungsfreiheit 167 ff., 218 ff. Durchschnittsspieler 50 ff. Einigungsvertrag 117 ff. Einsatz, vermögenswerter 57 ff., 139 Ereignisfrequenz 138 f. Erfolgsdelikt 84 f., 92 ff. Erfolgsort 83 ff. EU-Lizenzen 112, 222 ff. Europäisches Wettbewerbsrecht 181 ff. Europarechtskonforme Auslegung 222 ff.
Finanzmonopol 151, 183 Fiskalische Zwecke, Interessen 110, 151, 154, 172 Fast-Gewinne 140 Fortgeltungsanordnung 121, 207 ff. Gambelli-Urteil 171 ff. Gefährdungsdelikt 83 f. Geldspielautomaten 136 ff., 162 ff., 221 ff. Gemischte Spiele 50 ff. Geschichte der Sportwette 27 ff. Geschicklichkeitsspiel 47 ff. Gesetzgebungskompetenz 142 ff. Gewerbeordnung 105 f., 162 ff. Gewinn, vermögenswerter 59, 139 Gleichheitssatz 163 f., 178 f. Glücksspielautomaten 137 ff., 163 Glücksspielbegriff 46 ff. Glücksspielstaatsvertrag 110 ff., 145 ff., 169 ff. Grundfreiheiten 167 ff., 218 ff. Halten eines Glücksspiels 64 Handlungsbegriff 74 ff. Handlungsort 72 ff. Hoyzer 21, 49, 132, 141, 153, 158 Hyperlink 67 Internationales Strafrecht 71 ff. Internetsportwetten 61 ff., 73 ff., 111, 129 ff., 155 ff. Jugendschutz 151 Kohärenzgebot 163, 176 ff.
Sachwortverzeichnis Liga Portuguesa-Urteil 173 f., 179 f. Lizenzmodell 32 f., 157 ff. Lotterie 60 f., 115 f. Lotteriestaatsvertrag 108 ff., 188 Lotus-Entscheidung 87 Manipulationsgefahr 131 ff. Niederlassungsfreiheit 167 ff., 218 ff. Objektive Bedingung der Strafbarkeit 100 f. Oddset-Wette 34 ff. Öffentliche Sicherheit und Ordnung 39 f. Öffentlichkeit des Glückspiels 68 Organisierte Kriminalität 32, 39 Pferderennwette 29, 105 f., 165 Placanica-Urteil 171 ff., 218 Prävalenzschätzungen 134 ff. Präventives Verbot 189 ff., 206 Push- und Pull-Technologie 90, 101 Rechtsgut 37 ff., 83 ff., 189 ff. Rechtsstaatsprinzip 202 ff. Repressives Verbot 189 ff. Römisches Recht 27 f. Schlichtes Tätigkeitsdelikt 84 f., 92 ff. Schöner Wetten-Urteil 218 Schutzgut s. Rechtsgut Serverstandort 75 ff., 91, 101 Spieleinrichtungen 65 ff.
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Spielsucht 42, 110, 133 ff., 149 f., 166 Sportwetten-Urteil 142 ff. Staatliche Kontrolle 40 ff. Steuerstrafrecht 210 ff. Strafanwendungsrecht 71 ff. Tatbestandsmäßiger Erfolg 85 ff., 94 ff. Tathandlungserfolg 89 f., 94 f. Töben-Urteil 92 ff., 100 Totalisatorprinzip, Toto 33 f. Übergangsrecht 207 ff. Umweltstrafrecht 71, 188 f., 199 ff. Unterhaltungsspiel 57 ff. Veranstalten eines Glücksspiels 61 ff. Verletzungsdelikt 83 ff. Vermitteln eines Glücksspiels 62 ff. Vermögensschutz 40 ff. Verwaltungsakzessorietät 69 f., 187 ff. Völkerrecht 87 f. Volksgesundheit 150 f. Volksverhetzung im Internet 92 ff. Weitergeltungsanordnung 207 ff. Werben für ein Glücksspiel 66 f. Wettbewerbsrecht 67, 75 ff., 181 ff. Wiedervereinigung 113, 117 ff. Zufall 47 ff. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses 170 ff.