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German Pages 241 Year 1981
EGON LORENZ
Immaterieller Schaden und "billige Entschädigung in Geld"
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 65
Immaterieller Schaden und "billige Entschädigung in Geld" Eine Untersuchung auf der Grundlage des § 847 BGB
Von
Dr. Egon Lorenz o. Professor an der Universitlt Mannhelm
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Alle Rechte vorbehalten 1981 Duncker & Humblot, BerUn 41 Gedruckt 1981 bei Buchdruckerei Bruno Luck, BerUn 65 Printed in Germany
10
ISBN 3 428 04913 6
Franz Gamillscheg in dankbarer Verbundenheit
Vorwort Die folgende Abhandlung gilt nicht der jahrelang von vielen aufwendig diskutierten Frage, unter welchen Voraussetzungen der immaterielle Schaden zu ersetzen ist. Untersucht werden vielmehr die erst nach der Haftungsbegründung auftretenden Fragen, was in den sogenannten Schmerzensgeldfällen mit dem immateriellen Schaden gemeint ist und welche Geldentschädigung ihm entspricht. Wer nach Antworten sucht, stößt dabei auf drei ziemlich feste Grundauffassungen: Zu ihnen gehört zunächst die Annahme, daß der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden auch und sogar hauptsächlich in dem Gefühlsschaden bestehe, obwohl sich daraus die zweifelhaftesten Konsequenzen ergeben können. Zu ihnen gehört ferner die bei diesem Ansatz beinahe zwangsläufige Folgerung, daß die Geldentschädigung neben einer unklar modifizierten Ausgleichsfunktion auch eine Genugtuungsfunktion haben müsse, obwohl damit ein erster, allerdings noch unverdächtiger Schritt zur Repönalisierung des Schadensersatzrechts unternommen wird. Zu ihnen gehört schließlich der ständig betonte Grundsatz, daß die Entschädigung durch alle (alle wesentlichen usw.) Umstände des Einzelfalles bestimmt werde, obwohl die Fälle des § 847 BGB seit Jahrzehnten zu Massenfällen geworden sind und zu einem typisierten Bemessungstatbestand drängen. Die Auseinandersetzung mit der vorgefundenen Konzeption hat eine in wesentlichen Punkten abweichende Gegenkonzeption hervorgebracht. Sie enthält den Versuch, die Struktur, die Funktion und die durch sie bestimmte Leistungsfähigkeit des privatrechtlichen Deliktsrechts streng einzuhalten und die Rechtsanwendung ohne Gerechtigkeitsverlust spürbar zu vereinfachen. Sie kann damit vielleicht auch belegen, daß alle Bemühungen, die auf eine notwendige Beschleunigung der Schadensersatzprozesse zielen, zunächst im materiellen Recht ansetzen müssen. Die schon vor mehreren Jahren begonnene, immer wieder für längere Zeit unterbrochene Arbeit ist durch viele Gesprächspartner gefördert worden. Ihnen allen danke ich nochmals. Zu danken habe ich ferner dem Inhaber des Verlags, Professor Dr. J. Broermann, der wiederum eine meiner Arbeiten bereitwillig in das Verlagsprogramm übernommen hat. Egon LOTenz
Inhaltsübersicht § 1: Einleitung ........................................................
21
A. Die Entschädigungsfälle des § 847 BGB ...... . . . ...............
21
B. Die übereinstimmende Problematik der Anwendungsfälle des § 847 BGB ...........................................................
31
§ 2: Die Grundlinien der Entschädigungskonzeptionen zu § 847 BGB ....
32
A. Die Struktur und der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens .......................................... 32 B. Die Funktion und das Ausmaß der "billigen Entschädigung in Geld" .......................................................... 36 C. Zusammenfassung .............................................
48
D. Der Ansatz zur Würdigung der
49
Entschädigungskon~ptionen
....
§ 3: Die Struktur und der Umfang des entschädigungspftichtigen imma-
teriellen Schadens ................................................
51
A. Die Würdigung der Deutungsmöglichkeiten des § 847 BGB ......
51
B. Die Umrisse des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens in den einzelnen Entschädigungsfällen ....
67
C. Die den Umfang des immateriellen Schadens bestimmenden Umstände ......................................................... 72 D. Zusammenfassung ..............................................
91
§ 4: Die Funktion der "billigen Entschädigung in Geld" ................
93
A. Die Fragestellung ..............................................
93
B. Die Beurteilung der erwägenswerten Funktionen ................
95
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 120
10
Inhaltsübersicht
§ 5: Die bei der Festsetzung der "billigen Entschädigung in Geld" zu be-
rfidtsichtigenden Umstände ........................................ 122 A. Der Ausgangspunkt: Die Berücksichtigung des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens und die Nichtberücksichtigung des Gefühlsschadens .......................... 122 B. Die Grundlagen für die Berücksichtigung weiterer Umstände des zu beurteilenden Schadensfalles ................................ 122 C. Die Berücksichtigung des Verschuldensgrads des Schädigers und der Vermögensverhältnisse der Parteien ........................ 134 D. Zusammenfassung .... . ........ . ................................ 166
§ 6: Die Festsetzung der Geldentschidigung ........ . .................. 168
A. Der durch die Untersuchungsergebnisse bestimmte Ansatz ...... 168 B. Die Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld .................................................. 169 C. Die Geldentschädigung für "Bagatellschäden" .................. 178 D. Die Form der Geldentschädigung ............................... 186 E. Zusammenfassung ..................... . ....................... 213 § 7: Die Ergebnisse und die Folgerungen .............................. 216
A. Die Ergebnisse ................................................ 216 B. Die Folgerungen für die Rechtsanwendung ..................... 218 C. Schlußbemerkung zur Rechtsfortbildung ........................ 225 Literaturverzeichnis ................................................... 232
Inhaltsverzeichnis § 1: Einleitung
A. Die Entschädigungsfälle des § 847 BGB ............................
I. Die Wortlautfälle
21 21
H. Die Fälle der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 22 1. Der Meinungsstand ........................................ 22 2. Die Würdigung ........................................... 25 IH. Die Tendenzen zur Erweiterung des Anspruchs auf Geldersatz wegen immaterieller Schäden ................................ 30 B. Die übereinstimmende Problematik der Anwendungsfälle des § 847 BGB
31
§ 2: Die Grundlinien der Entsdlädigungskonzeptionen zu § 847 BGB
A. Die Struktur und der Umfang des entschädigungspjlichtigen immateriellen Schadens ...................................................
32
I. Die Beeinträchtigung der inneren Lebenslage des Geschädigten als entschädigungspftichtiger immaterieller Schaden .......... 32 H. Die Beeinträchtigung der äußeren Lebenslage des Geschädigten als entschädigungspftichtiger immaterieller Schaden .......... 34 B. Die Funktion und das Ausmaß der "billigen Entschädigung in Geld" ..
36
I. Die von dem BGH entwickelten Grundsätze ........... . ......
36
H. Die Handhabung der Grundsätze .. '.' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
39
HI. Die Korrekturen und Verfeinerungen der von dem Großen Senat des BGH für Zivilsachen entwickelten Grundsätze. . ... . .. 1. Die Fortentwicklung der Geldentschädigung zur Abschrekkungssanktion und zur Privatstrafe ........................ 2. Die Aufspaltung der Entschädigung in eine Ausgleichs- und eine Genugtuungsentschädigung .......................... 3. Die Zuruckdrängung der Genugtuungsfunktion und die Lokkerung des Funktionsverbunds ............................
40 41 42 42
IV. Die Rückkehr zur Ausgleichsfunktion .........................
44
V. Die überwindungstheorie ....................................
46
Inhaltsverzeichnis
12
C. Zusammenfassung
48
D. Der Ansatz zur Würdigung der Entschädigungskonzeptionen ........
49
§ 3: Die Struktur und der Umfang des entschädigungspßichtigen
immateriellen Schadens
A. Die Würdigung der Deutungsmöglichkeiten des § 847 BGB
51
1. Die Einbeziehung des Gefühlsschadens in den entschädigungspftichtigen immateriellen Schaden ............................ 51 1. Die Schwieriglkeiten bei der Bestimmung des Gefühlsscha-
dens ......................................................
51
2. Die Konsequenzen der Einbeziehung des Gefühlsschadens in den entschädigungspftichtigen immateriellen Schaden. . .. 56 3. Die Kommerzialisierung der Gefühle ......................
56
4. Die Einbeziehung des Gefühlsschadens in den entschädigungspftichtigen immateriellen Schaden als gedanklicher Ballast ................................................... 58 5. Zusammenfassun:g ........................................
59
11. Die Materialisierung des immateriellen Schadens i. S. des § 847 BGB ........................................................ 60 IH. Die Beeinträchtigung der äußeren Lebenslage des Geschädigten als entschädigungspftichtiger immaterieller Schaden ...... 62 1. Die allglemeine Abgrenzung ..............................
62
2. Die Abgrenzung des äußeren immateriellen Verletzungsschadens ...................................................... 62 a) Die Regelfälle ......................................... 62 b) Die problematischen Fälle .............................. 63 3. Die Abgrenzung des äußeren immateriellen Verletzungs>folgeschadens ............................................. a) Die verletzungsbedingte Einbuße an Entfaltungsfreiheit b) Die Zurechenbarkeit der verletzungsbedingten Einbuße an Entfaltungsfreiheit .................................. c) Die Sonderfälle der "verletzungsbedingten Wesensänderungen" ................................................ B. Die Umrisse des äußeren immaterieHen Verletzungs- und Verlet-
64 64 65 66
zungsfolgeschadens in den einzelnen EntschädigungsfäHen ..........
67
1. Die Wortlautfälle des § 847 BGB ..............................
67
1. Der äußere immaterielle Verletzungsschaden ..............
67
2. Der äußere immaterielle Verlietzungsfolgeschaden ..........
67
3. Die Zusammensetzung des entschädigungspftichtigen immateriellen Gesamtschadens .................................. 68
Inhaltsverzeichnis
13
II. Die Fälle der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 69 1. Der äußere immaterielle Verletzungsschaden .............. 69 2. Der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden .......... 71 3. Die Zusammensetzung des entschädigungspftichtigen immateriellen Gesamtschadens .................................. 71 C. Die den Umfang des immateriellen Schadens bestimmenden Umstände
72
I. Der Verschuldensgrad des Schädigers ........................
72
11. Der Anlaß der Verletzungshandlung des Schädigers ..........
73
III. Die Vermögensverhältnisse des Schädigers ............ . . . .....
74
IV. Die Vermögensverhältnisse des Geschädigten. . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Vermögensverhältnisse des Geschädigten und sein äußerer immaterieller Verletzungsschaden ..................... 2. Die Vermögensverhältnisse des Geschädigten und sein immaterieller Verletzungsfolgeschaden .......................... 3. Ergebnis .................................................
74
V. Die Bestrafung des Schädigers ................................
76
VI. Die Verzeihung durch den Geschädigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
77
VII. Die nicht öffentliche Entschuldigung durch den Schädiger ......
77
75 75 76
VIII. Die Herstellung in Natur ..................................... 78 1. Die Rechtslage bei dem äußeren immateriellen Verletzungsschaden ................................................... 79 2. Die Rechtslage bei dem äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschaden .............................................. 79 3. Ergebnis .................................................. 80 IX. Das Verhalten des Haftpftichtversicherers bei der Schadensregulierung .................................................... 80 X. Die Intensität der Verletzung der persönlichen Integrität. .. . .. 1. Die für den Umfang des äußeren immateriellen Verletzungsschadens maßgebenden Intensitätsfaktoren ................ a) Die Wortlautfälle des § 847 BGB ........................ b) Die Fälle der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ................................................. c) Die Folgerung aus der Abgrenzung der für den Umfang des äußeren immateriellen Verletzungsschadens erheblichen Umstände ....................................... 2. Die für den Umfang des entschädigungspftichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens maßgeblichen Intensitätsfaktoren .................................................. a) Die Wortlautfälle des § 847 BGB ........................ b) Die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ... D. Zusammenfassung
.................................................
82 83 83 84 86 86 86 90 91
14
Inhaltsverzeichnis § 4: Die Funktion der "billigen Entschädigung in Geld"
A. Die Fragestellung ..................................................
93
B. Die Beurteilung der erwägenswerten Funktionen ..................
95
I. Der Ausgangspunkt: Die Anerkennung der Ausgleichsfunktion
95
H. Die Beurteilung der besonderen Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" ................................ 95 1. Die strukturellen Wirkungen der besonderen Genugtuungs-
funktion ..................................................
95
a) Die Pönalisierungstendenzen in der Rechtsprechung des BGH .................................................. 96 b) Die Pönalisierungstendenzen im Schrifttum ............
9'1
2. Die Begründung der Anerkennung einer besonderen Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" und die Konsequenzen für die Handhabung des § 847 BGB ........ 100 a) Die Begründung ...................................... 100 b) Die Konsequenzen für dLe Handhabung des § 847 BGB .. 101 3. Die Einwände gegen die Anerkennung eiIller besonderen Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" .. 102 a) Das fehlende Bedürfnis für die Anel'kennung einer besonderen Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" ........................................ 103 b) Die Unvereinbarkeit der besonderen Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" mit der gesetzlichen Regelung des Ersatzes immateriellen Schadens 106 c) Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die besondere Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" .................................................. 109 d) Die rechtsethischen Bedenken gegen die besondere Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" 111 4. Ergebnis .......... . ....................................... 111 IH. Die Beurteilung der überwindungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" .......................................... 112 1. Die Qualifikation und die Folgen der überwindungsfunktion 112 2. Die Einwände gegen die Anerkennung einer überwindungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" ............ 113 a) Das fehlende Bedürfnis für die Anerkennung .......... 113 b) Die immanenten Einwände' gegen die Überwindungsfunktion ............................................... 113 3. Ergebnis .................................................. 115
Inhaltsverzeichnis IV. Der Inhalt der allein maßgebenden Ausgleichsfunktion
15 115
1. Die herrschende Meinung ................................. 115
2. Die Würdigurrg der herrschenden Meinung ................. 116 a) Die immanenten Schwächen ............................ 116 b) Der zusätzliche Einwand ......................... . .... 117 3. Die Folgerungen .......................................... 118 a) Die Ablehnung naturalrestitutiver Wirkungen der Ausgleichsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 118 b) Die Ausgleichsfunktion als Gebot der Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld .. 119 C. Zusammenfassung ................................................. 120 § 5: Die bei der Festsetzung der "billigen Entsdlädigung in Geld"
zu berücksichtigenden Umstände
A. Der Ausgangspunkt: Die Berücksichtigung des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens und die Nichtberücksichtigung des Gefühlsschadens ........................................ 122
B. Die Grundlagen für die Berücksichtigung weiterer Umstände des zu
beurteilenden Schadensfalles ....................................... 122
I. Der Meinungsstand .......................................... 122 1. Die allein an dem entschädigungspflichtigen Schaden orien-
tierte Konzeption ........................................ 122
2. Die durch entschädigungsmindernde Berücksichtigung einzelner Umstände bestimmte Konzeption .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 123 3. Die KOIlQ:eption der herrschenden Meinung ................ 123 4. Die durch den Meinungsstand indizierten Fragen zur Deutung der in § 847 BGB erwähnten Billi~eit ....... . . . . . . . .. 124 II. Die Billigkeit als Grundlage für die Verneinung einer "an sich gebotenen" (allein schadensbezogenen) Geldentschädigung ...... 125 III. Die Billigkeit als Grundlage für die Erhöhung der "an sich gebotenen" (allein schadensbezogenen) Geldentschädigung ...... 126 IV. Die Billigkeit als Grundlage für die entschädigungsmindernde Berücksichtigung weiterer Umstände des Einzelfalles .......... 127 1. Die Billigkeit als Öffnungsklausel für den Bemessungstat-
bestand ................................................... 128
2. Die Billigkeit als "Begründungs klausel" .................. 128 V. Die Auswahl der auf ihre Eignung als entschädigungsmindernde Faktoren zu untersuchenden Umstände ................ 129 1. Die Beurteilung der Einzelfallmethode .................... 129
Inhaltsverzeichnis
16
2. Die Notwendigkeit eines generell zu befolgenden Untersuchungsprogramms für die Bemessung der Geldentschädigung ...................................................... 131 3. Die als Merkmale eines generellen Untersuchungsprogramms in Betracht zu ziehenden Umstände ........................ 132 VI. Der Ansatz zu der weiteren Untersuchung .................... 133 C. Die Berücksichtigung des Verschuldensgrads des Schädigers und der
Vermögensverhältnisse der Parteien . ............................... 134
I. Die Bedeutung des Verschuldensgrads des Schädigers für die Bemessung der "billigen Entschädigung in Geld" ............ 1. Der Hinweis auf das Strafrecht ............................ 2. Der Hinweis auf die zivilrechtlichen Haftungsbeschränkungen: Das Erfordernis eines Belastungsgrunds für den Geschädigten als Voraussetzung für die Haftungsbeschränkung wegen gJeringen Verschuldens ............................ 3. Die geringere Entschädigungsbedürftigkeit des immateriellen Schadens als Belastungsgrund für den Geschädigten .... 4. Ergebnis .................................................. 11. Die Bedeutung der Vermögensverhältnisse der Parteien für die Bemessung der "billigen Entschädigung in Geld" .............. 1. Die Bedeutung der Vermögensverhältnisse des Geschädigten a) Das Eigenvermögen des Geschädigten .................. b) Der Versicherungsschutz des Geschädigten .............. 2. Die Bedeutung der Vermögensverhältnisse des Schädigers .. a) Der Ausgangspunkt .................................... b) Die immanente Kritik der herrschenden Meinung ...... c) Die Beurteilung der Gründe für die herrschende Meinung .................................................. d) Die Würdigung der versicherungsrechtlichJen Bezüge .... 3. Ergebnis ..................................................
134 135
136 143 145 145 146 146 150 151 151 153 155 158 164
II!. Die sowohl gegen die Berücksichtigung des Verschuldensgrads des Schädigers als auch gegen die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse der Parteien gerichteten Einwände .......... 164 1. Die Gefahr der überschreitung des Opferrisikos für den Geschädigten ................................................ 164 2. Die "praktischen" Schwierigkeiten ......................... 165 D. Zusammenfassung
................................................. 166
§ 6: Die Festsetzung der Geldentschädigung
A. Der durch die Untersuchungsergebnisse bestimmte Ansatz
168
B. Die Bewertung des entschädigungspjlichtigen immateriellen Schadens in Geld ............................................................ 169
I. Die Billigkeit als Bewertungsmaßstab ........................ 169
Inhaltsverzeichnis 11. Die Konkretisierung .......................................... 1. Die abzulehnenden Konkretisierungsvorschläge ............ 2. Die Billigkeit als Gebot der Bewertung nach den allgemeinen sozialen, ökonomischJen und organisatorischen Gegebenheiten ....................................................... 3. Die Bedeutung der Schmerzensgeldtabellen ................ a) Die grundsätzliche Eignung der Schmerzensgeldtabellen als Entscheidungshilfe .................................. b) Die Voraussetzungen der Entscheidungshilfe durch Schmerzensgeldtabellen ................................ c) Die Grenzen der Entscheidungshilfe durch Schmerzensgeldtabellen ............................................ d) Ergebnis ............................................ " 4. Das besondere Problem des Wandels der Bewertungsgrundlagen ..................................................... a) Die Möglichkeiten des Wandels ........................ b) Die Grenzen der Anerkiennung des Wandels ............
17 169 169 170 171 171 172 174 176 176 176 177
C. Die GeZdentschädigung für "Bagatellschäden" ...................... 178
I. Der Meinungsstand .......................................... 178
11. Die Würdigung .............................................. 180 1. Die Rechtslage nach geltendem Recht ...................... 180
a) Die Abgrenzung der Körper- und Gesundheitsverletzungen i. S. des § 847 BGB ................................ b) Die Folgerung ......................................... c) Die Beurteilung der Gegenargumente .................. d) Er~bnis .............................................. 2. Die überlegungen zur Änderung des § 847 BGB
180 181 182 184 184
D. Die Form der GeZdentschädigung .................................. 186 I. Die überwiegend anerkannten Grundsätze .................... 186
1. Die Möglichkeit einer Entschädigung durch eine Rente .... " 186
2. 3. 4. 5. 6.
Die Voraussetzungen der Gewährung einer Rente .......... Das Nebeneinander von Kapital- und Rentenentschädigung Die selbständige Festsetzung der Rente .................. Die Abänderung und Dynamisierung der Rente ............ Die Bedeutung des Klageantrags für die Form der Entschädigung ....................................................
187 188 189 189 190
11. Die Einwände gegen eine Entschädigung durch Rente ........ " 191 111. Die Würdigung des Meinungsstandes .......................... 1. Die Möglichkeit einer Entschädigung durch Rente ........ a) Die Würdigung der Einwände ........................ b) Ergebnis .............................................. 2 Lorenz
192 192 192 194
18
Inhaltsverzeichnis 2. Die Voraussetzungen der Entschädigung in Rentenform a) Der Ausgangspunkt .................................... b) Die Voraussetzung eines DaUierschadens ................ c) Die durch die Funktion der Rente bestimmte weitere Voraussetzung ......................................... d) Ergebnis .............................................. 3. Das Nebeneinander von Kapital- und Rentenentschädigung 4. Die selbständige Festsetzung der Rente .............. , ..... 5. Die Abänderung und die Dynamisrerung .................. a) Die Abänderung ....................................... b) Die Dynamisierung .................................... 6. Die Bedeutung des Klageantrags für die Form der Entschädigung ................................................... a) Der alleinige Antrag auf Kapitalabfl.ndung .............. b) Der alleinige Antrag auf Rente und seine sachdienliche Form .................................................. c) Der Antrag auf eine Entschädigung nach dem Ermessen des Gerichts ...........................................
194 194 196 196 197 198 199 202 202 203 209 210 211 212
E. Zusammenfassung ................................................. 213 § 7: Die Ergebnisse und die Folgerungen
A. Die Ergebnisse .................................................... 216
B. Die Folgerungen für die Rechtsanwendung .......................... 218 1. Die Fälle einer haftungsbegrundenden Verletzung durch einen
Schädiger ohne haftungsmindernde Mitwirkung des Geschädigten .......................................................... 1. Die gebotenen Untersuchungen ............................ a) Die Feststellung des entschädigungspfiichtigen immateriellen Schadens ....................................... b) Die Bewertung des festgestellten entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens ............................ 2. Die erreichten Vereinfachungen ...........................
218 218 219 220 220
H. Die Fälle einer haftungsbegründenden Verletzung durch das Zusammenwirken mehrerer Schädiger ohne haftungsmindernde Beteiligung des Geschädigten ................................ 221 1. Die gebotenen Untersuchungen ............................ 221 2. Die erreichten Vereinfachungen ........................... 222 IH. Die Fälle einer haftungsbegrundenden Verletzung durch das Zusammenwirken mehrerer Schädiger unter haftungsmindernder Beteiligung des Geschädigten ................................ 222 1. Die gebotenen Untersuchungen ............................ 222 2. Die erreichten Vereinfachungen ............................ 224 C. Schlußbemerkung zur Rechtsfortbildung ............................ 225
Literaturverzeicl1nis ................................................... 232
Abkürzungsverzeichnis a.A. ABGB Abs. AcP AfP AG AKB Anm. Art.
anderer Ansicht (österr.) Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Absatz Archiv für die civilistische Praxis Archiv für Presserecht Amtsgericht Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung Anmerkung Artikel
BB Bd. Bem. Betr. BewG BGB BGH BGHZ BVerfG BVerfGE
Der Betriebs-Berater Band Bemerkung Der Betrieb Bewertungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
Cmnd.
Command Paper (Paper represented by command of Her Majesty)
DAR DB Diss. DJT
Deutsches Autorecht Der Betrieb Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Richterzeitung
EntschädigungsG EStG
Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Einkommensteuergesetz
FS Fußn.
Festschrift Fußnote
GG GRUR GS
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Großer Senat
h.M.
herrschende Meinung
i. S.
im Sinne
JBl JhJB
Juristische Blätter Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts
mHZ
20
Abkürzungsverzeichnis
JR JuS JW JZ
Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
KartellG KG
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Kammergericht
LG LS LuftVG
Landgericht Leitsatz Luftverkehrsgesetz
MDR Mot.
Monatsschrift für Deutsches Recht Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
OLG
Oberlandesgericht
RabelsZ
RGZ
Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel Randziffer Reichsgericht Kommentar herausgegeben von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
SAE SeemannsG StvG
Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Seemannsgesetz Straßenverkehrsgesetz
UrhG
Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz)
VerBAV
Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamts für Privatversicherung Verhandlungen Verkehrsrechtliche Mitteilungen Versicherungsrecht Deutscher Verkehrsgerichtstag Verordnung Verkehrsrechts-Sammlung Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Gesetz über den Versicherungsvertrag
Rdz RG RGRK
Verh. VerkMitt VersR VGT VO VRS VVaG VVdStRL VVG ZfA
zm
ZGB ZHR
ZPO ZZP
Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Binnenschiffahrt und Wasserstraßen Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Zivilprozeß
§ 1: Einleitung Nach § 253 BGB kann ein Geschädigter "wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist", nur ausnahmsweise, nämlich "nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen" eine Geldentschädigung verlangen. Von den gesetzlichen Bestimmungen dieser Art! ist § 847 BGB der wichtigste. Er soll deshalb auch im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen. Er hat in der neuesten Zivilrechtsgeschichte unter verschiedenen Aspekten große Aufmerksamkeit erlangt; die größte im Zusammenhang mit der Frage nach dem zivilrechtlichen Schutz des sogenannten "allgemeinen Persönlichkeitsrechts" . Die Diskussion uni diese Frage ist in der letzten Zeit etwas abgeflaut 2 • Sie soll hier auch nicht erneut aufgenommen werden. Die Untersuchung gilt vielmehr den Fragen, die erst nach der Haftungsbegründung, also erst dann auftauchen, wenn dem Grunde nach feststeht, daß ein Schädiger einem Geschädigten auch zum Ersatz des immateriellen Schadens verpflichtet ist. Die folgende, nur skizzenhafte Beschreibung der Entschädigungsfälle des § 847 BGB bildet also nur den Ausgangspunkt für die weiteren überlegungen.
A. Die Entschädigungsfälle des § 847 BGB I. Die Wortlautfälle
In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts bestand kein sehr ernst zu nehmender Streit darüber, daß eine Geldentschädigung nach § 847 BGB nur in den Fällen zu gewähren ist, die im Wortlaut des Gesetzes aus! Weitere gesetzliche Bestimmungen dieser Art enthalten: § 1300 BGB, § 53 Abs. 3 LuftverkehrsG, § 97 Abs. 2 UrhG sowie § 35 Abs. 1 KartellG und § 7 EntschädigungsG v. 1971 (BGBl. I 157), der allerdings eine leicht zu be-
stimmende, weil pauschalierte Entschädigung vorsieht. Wiese, Immaterieller Schaden, 9 f., erwähnt ferner § 40 Abs.3 SeemannsG, wonach der Seemann bei notbedingten Kürzungen der Speiserolle durch den Kapitän eine den Abweichungen entsprechende Vergütung verlangen kann, die nicht nur den ersparten Aufwendungen entsprechen soll. 2 Es sind allerdings in den vergangenen Jahren zwei Monographien erschienen, nämlich die Habilitationsschrift von Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht in der deutschen Zivilrechtsordnung, 1977, und die als Buch veröffentlichte Dissertation von Ehlers, Der Geldersatz für immaterielle Schäden bei deliktischer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, 1977, mit besonders gründlicher Dokumentation der Rechtsprechung und des Schrifttums.
22
§ 1: Einleitung
drücklich genannt werden3 • Es sind zunächst die Fälle, in denen der Schädiger dem Geschädigten durch ein Verhalten, das nach den Vorschriften des BGB über die unerlaubten Handlungen haftungsbegründend ist, eine Körper- oder Gesundheitsverletzung beigebracht oder die Freiheit entzogen hat. Hinzu kommen die Fälle des Abs. 2, die - kurz gesagt - die Verletzung des geschlechtlichen Selbstbestimmungsrechts der Frau betreffen. Die im einzelnen sehr unterschiedlichen "Wortlautfälle" lassen sich leicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Es geht bei der Verletzung dieser Lebensgüter um Verletzungen besonderer Persönlichkeitsrechte4 des Geschädigten. Die in diesem Sinne verstandene ratio des § 847 BGB indiziert eine analoge Anwendung der Vorschrift auf andere Persönlichkeitsrechtsverletzungen und verdeutlicht zugleich die Funktion des § 253 BGB als Analogieverbot. Für dieses Analogieverbot gab es auch verständliche Gründe. Einer von ihnen liegt in der Unsicherheit des Gesetzgebers: er konnte den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden in § 847 BGB nur negativ umschreiben, nämlich als "Schaden, der nicht Vermögensschaden ist". Und zur Höhe der Entschädigung konnte er nur sagen, daß sie "billig" sein soll. Die gleiche Unsicherheit beherrschte ihn bei der Formulierung des § 1300 BGB, der zweiten BGB-Vorschrift über die Geldentschädigung wegen immaterieller Schäden. Sein im übrigen erkennbares Bestreben nach genauer Tatbestandsbeschreibung ließ es deshalb nicht zu, den immateriellen Schaden in allen Fällen einer Verletzung der persönlichen Integrität durch eine "billige Entschädigung in Geld" zu sanktionieren; denn dadurch hätte er der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft auch die Abgrenzung der Entschädigungsfälle in die Hand geben müssen, und dazu war er nicht bereit. ß. Die Fälle der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
1. Der Meinungsstand
Die Gerichte haben sich nach einem halben Jahrhundert aber doch die Freiheit genommen, die ihnen das BGB nicht gewähren sollte. Den entscheidenden Vorstoß enthält das berühmt gewordene "HerrenreiterUrteil" des BGH5. Es markiert den Anfang einer zunächst vorsichtig und gegen einen starken Widerstand im rechtswissenschaftlichen 3 Es gab jedoch von Anfang an kritische Stimmen im Schrifttum, die eine Ausdehnung der Fälle einer Geldentschädigung für immaterielle Schäden forderten. Vgl. dazu die umfassenden Nachweise bei Wiese, Immaterieller Schaden, 12 Fußn. 30. " Vgl. dazu aber Mot. H, 728, wo ausgeführt wird, daß "mit Grund bezweifelt werden kann, ob diese höheren Güter (Körper, Gesundheit, Freiheit) als Rechte bezeichnet werden können". 11 BGHZ 26, 349 ff.
A. Entschädigungsfälle des § 847 BGB
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Schrifttum8 betriebenen Entwicklung, die bald wegen der unbeirrbaren Haltung des BGH nur noch von wenigen angegriffen7 und vereinzelt sogar als eine der großen Leistungen in der modernen Zivilrechtsgeschichte gefeiert worden ist8 • Als Ergebnis dieser Entwicklung sind zwei überwiegend anerkannte Grundsätze zu nennen: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird in der Form der bereits durch die Rechtsordnung konkretisierten oder noch zu konkretisierenden besonderen Persönlichkeitsrechte als ein "sonstiges Recht" i. S. des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt9 • Der Geschädigte kann wegen des durch die Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts entstandenen immateriellen Schadens eine Geldentschädigung verlangen 10. Stärker umstritten sind die Voraussetzungen des Anspruchs. Nach der Rechtsprechung des BGH gelten diese im Schrifttum teilweise abgelehnten Grundsätze: Der Anspruch ist nur begründet, wenn eine "erhebliche" Beeinträchtigung des Geschädigten oder "schweres" Verschulden des Schädigers gegeben sind11 • Einige Entscheidungen deuten sogar darauf hin, daß die beiden qualifizierten Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen l2 • 8 Zu der anfänglichen Kritik aus zivilrechtlicher Sicht vgl. die Übersicht bei Wiese, Immaterieller Schaden, 44 mit Nachw. in Fußn.147. Vgl. ferner die Zusammenstellung aller Einwände bei Ehlers, Geldersatz, 22. 7 Neueste umfassende Übersicht über den Meinungsstand bei Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 249 mit Nachw. in Fußn. 1 (Rechtsprechung) und Fußn.2 (Schrifttum), und bei Ehlers, Geldersatz, 1. 8 Vgl. Maunz I Dürig I Herzog I Scholz (Dürig), Art. 1 GG Bem. 38: "fraglos der kühnste und gelungenste Wurf des Privatrechts". Vgl. auch Wiese, FS für Duden, 719. 9 Vgl. z. B. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 2. Auti., 349; Wiese, zuletzt FS für Duden, 719 ff., 723 ff. unter 111., Schwerdtner, JuS 1978, 292, unter 3., v. Gamm, NJW 1979, 513, jeweils mit weiteren Nachweisen. Ebenso auch Neufassung des § 823 Abs.1 BGB im Referentenentwurf 1967. Dagegen Bußmann, Gutachten, 15, anders aber 63; Giesen, NJW 1971, 801; Medicus, Bürgerliches Recht, § 24 11. 2. d, Rdz.615; ihm folgend Ehlers, Geldersatz, 4 f. 10 H. M., zu den Nachweisen s. oben Fußn. 7. Dagegen aber immer noch: Giesen und Medicus, wie vorige Fußn.; Larenz, SchuldR 11, § 72 111. a; MünchKomm - Grunsky § 253 BGB Rdz.6; MünchKomm - Schwerdtner, § 12 BGB Rdz. 250 f.; Palandt I Heinrichs, § 253 BGB Anm.1. Kritisch zu der Rechtsentwicklung auch Roellecke, VVdStRL 34 (1975) 7 ff. 11 So zuerst in BGHZ 35, 363 ff., 369. Dagegen die überwiegende Ansicht im Schrifttum vgl. etwa Stoll, Gutachten 144: Persönlichkeitsschutz wird zu stark eingeengt; er fordert aber in den Fällen, in denen es nicht um Körper- und Gesundheitsverletzungen geht, "schwere nachhaltige Schäden"; ferner Lieberwirth, Schmerzensgeld, 47; Wiese, Immaterieller Schaden, 49, mit weiteren Nachweisen; Schlechtriem, DRiZ 1975, 69; Köndgen, Haftptiichtfunktionen, 71; Schwerdtner, Persönlichkeits recht, 293; ders., JuS 1978, 297; Deutsch, Haftungsrecht I, 469 ("Kuriosum"), der allenfalls Alternativität der Voraussetzungen anerkennen will; Ehlers, Geldersatz, 256 ff. unter 3. und
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Der Anspruch kann nur geltend gemacht werden, wenn eine Naturalrestitution "nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist" (§ 251 Abs. 1 BGB). Er ist also in diesem Sinne "subsidiär"13. Umstritten wie die Voraussetzungen ist die rechtliche Einordnung des Anspruchs. Im Schrifttum wird er überwiegend der entsprechenden Anwendung des § 847 BGB unterstellt 14 und nur vereinzelt als ein von § 847 BGB abzusetzender, in Tatbestand und Rechtsfolge besonders ausgestalteter Anspruch qualifiziert15 • Der BGH hat im Laufe seiner Rechtsprechung beide Ansichten vertreten: In dem Herrenreiter-Urteill6 befürwortet er eine Analogie zu § 847 BGB, die er allerdings wenig überzeugend mit der Annahme einer "Freiheitsberaubung im Geistigen"17 begründet. In den folgenden Urteilen, in denen er die bereits genannten besonderen Haftungsvoraussetzungen aufstellt, erwähnt er § 847 BGB nicht mehr l8. In den jüngeren Entscheidungen19 finden sich dann aber doch wieder Hinweise auf § 847 BGB. 4. mit weiteren Nachweisen. Für Anerkennung dieser Voraussetzungen
Nipperdey, Referat in Verh. des 42. DJT, 1957, Bd. H, D 3 - 23; Bydlinski, JBl. 1965, 191 und 243; v. Gamm, Persönlichkeitsverletzungen, Rdz.76. Helle, Schutz der Persönlichkeit, 2. Aufl., 89; Erman I Drees, § 847 BGB Rdnr.5. 12 Vgl. BGHZ 39, 124 ff., 134 f.; ferner z. B. BGH GRUR 1972, 383 ff., 385
(betr. Bundesbahn-Amtmann) und die dort genannten Nachweise. Für Kumulierung auch BVerfGE 34, 286, obwohl die dort angeführte Entscheidung des BGH (BGHZ 35, 363 ff.) von der Alternativität ausgeht. Deutsch, Haftungsrecht I, 470, vermutet deshalb Mißverständnisse. 13 Vgl. BGH NJW 1970, 1077 ff. Vgl. ferner BGH NJW 1971, 698 ff. und NJW 1974, 1371. Ebenso schon Stoll, Gutachten, 142 und 163 (Leitsatz IV.2.) sowie Bötticher, Referat, C 25. Vgl. ferner zum Ganzen Schramm, GRUR 1972, 348 ff., 352 mit Hinweisen auf weitere Rechtsprechung, sowie Schlechtriem, DRiZ 1975, 69 mit Nachweisen. Weitere Übersicht über den Meinungsstand bei Ehlers, Geldersatz, 252 - 255. Gegen die Subsidiarität Neumann-Duesberg, FS f. Roeber, 403 ff., 409. Mit dem vorrangigen Anspruch auf Naturalrestitution konkurriert der (aus den §§ 12, 862, 1004 BGB abgeleitete) Beseitigungsanspruch. Vgl. nur Weitnauer, Betr.1976, 1413 ff., 1416 r. Sp., und Schwerdtner, JuS 1978, 298, im Anschluß an BGHZ 10, 104 ff., 105. 14 Nipperdey, Grundrechte Bd. H, 46, und Bd. IV, 2. Teil-Bd., 855; Coing, JZ 1958, 560, und Staudinger I Coing, vor § 1 BGB Rdz.22 u. 28; Koebel, JZ 1960, 573; Mertens, JuS 1962, 266; Rötelmann, NJW 1964, 1458; Wiese, Immaterieller Schaden, 42 ff.; v. Caemmerer, FS für F. v. Hippel, 1967, 38; Schlechtriem, DRiZ 1975, 69; Weitnauer, Betr.1976, 1417 f.; Deutsch, Haftungsrecht I, 468 f.; Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 94 f., 251, 291 und passim, sowie JuS 1978, 292 u. 295: Ehlers, Geldersatz, 276 (Zusammenfassung). 15 So neuestens F. Ebel, VersR 1978, 204 ff., 209. 16 BGHZ 26, 349 ff. 17 Kritisch dazu Larenz, NJW 1958, 827 ff.; Ehlers, Geldersatz, 25 f. (der darin eine "unmittelbare Anwendung des § 847 BGB" sieht); Deutsch, FS für Hauß, 43 ff., 56, beide mit weiteren Nachweisen, sowie Schwerdtner, JuS 1978,295. 18 Vgl. z. B. BGHZ 35, 363 ff. (Ginseng), wo er den Anspruch allein auf § 823 BGB stützt.
A. Entschädigungsfälle des § 847 BGB
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2. Die Würdigung
Weder die Annahme eines Geldentschädigungsanspruchs eigener Art noch die entsprechende Anwendung des § 847 BGB sind mit § 253 BGB zu vereinbaren. Für die über § 253 BGB hinweggegangene Rechtsentwicklung gab es allerdings viele unterschiedlich bedeutsame Gründe: allen voran die Grundrechte, die mehr und mehr in die zivilrechtliche Diskussion einbezogen wurden. Von ihnen drängten insbesondere die auch immer wieder angeführten Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG20 zu einem über das BGB hinausgehenden Schutz der Persönlichkeit. Mit dem Vordrängen der Grundrechte verloren die Gerichte allmählich auch ihre traditionelle Scheu vor weitgefaßten und in breiten Randbereichen ungenauen Normen. Weitere Gründe kamen hinzu: Die Tendenzen zur Kommerzialisierung immateriellen Schadens wuchsen und die öffentlichrechtlichen, insbesondere die strafrechtlichen Sanktionen der Persönlichkeitsrechtsverletzungen fielen - rechtspolitisch in Zweifel gezogen - so aus, daß nach einer verbreiteten Meinung eine Sanktionslücke entstanden war. Das dadurch entstandene Begründungsdefizit ist aber durch das BVerfG ausgeglichen worden. Es hat die Rechtsprechung des BGH als verfassungskonform bezeichnet21 . Daraus kann nach zutreffender Ansicht der verbliebenen Kritiker des BGH zwar nicht gefolgert werden, daß die Verfassung die Anwendung der von dem BGH aufgestellten Grundsätze auch gebietet22 . Dennoch ist es nicht mehr vertretbar, einem Geschädigten einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen eines durch Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entstandenen immateriellen Schadens schlechthin zu versagen. Das gilt um so mehr, als auch die Kritiker einen zusätzlichen Schutz der persönlichen Integrität für wünschenswert halten23• Ihre Kritik verwandelt sich damit in ein "ceterum censeo", das ständig an die Grenzen der Rechtsprechung erinnert und den Gesetzgeber auffordert, eine seinen Vorstellungen ent19 Vgl. BGH NJW 1969, 1110 f.; GRUR 1972, 383 ff., 385; und wohl auch NJW 1976, 1447 ff., 1448. Vgl. auch die Hinweise auf andere Gerichte bei Ehlers, Geldersatz, 32 Fußn. 243. 20 Näheres dazu D. Nörr, AcP 158 (1959/60) 1 ff.; Wiese, Immaterieller Schaden, 37 ff. mit vielen Nachweisen; Bydlinski, JBl. 1965, 173 ff., 186 - 194; v. Caemmerer, FS für F. v. Hippel, 27 ff., und neuestens Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 249 ff. sowie Ehlers, Geldersatz, 57, 98 ff., 150 ff. (zur Problematik des Art. 5 GG) und v. Gamm, NJW 1979, 513 ff. 21 BVerfGE 34, 269 ff. = JZ 1973, 662 mit Anm. von Kübler, = DVBl. 1973, 784 mit Anm. von Schwabe. Vgl. dazu auch Ridder, AfP 1973, 453 ff.; Knieper, ZRP 1974, 137 ff.; Schlechtriem, DRiZ, 1975, 69; Weitnauer, Betr. 1976, 1365 ff., 1412 ff.; Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 75 ff., 251 ff., und JuS 1978, 291. 22 So mit Recht MünchKomm - Grunsky § 253 BGB Rdz. 6. 23 Vgl. etwa Palandt / Heinrichs, § 253 BGB Anm. 1; Grunsky, wie vorige Fußn.; Medicus, Bürgerliches Recht, § 24 11. 2. d, Rdz.615.
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sprechende gesetzliche Regelung zu schaffen. Solange das nicht geschehen ist, besteht die Aufgabe der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung darin, die vom BVerfG24 - verfassungsrechtlich - für unbedenklich gehaltenen Haftungsgrundsätze mit dem geltenden Schadensersatzrecht zu harmonisieren. Dieses Ziel wird am besten erreicht, wenn der "Schmerzensgeldanspruch" so strukturiert wird, daß er dem Leitbild der bereits im Gesetz, nämlich im § 847 BGB geregelten "Schmerzensgeldansprüche" entspricht. Eine solche Strukturierung kann jedoch nur unter zwei Voraussetzungen vollzogen werden: Sie muß nach der vom BVerfG (zu Recht) ausdrücklich ausgeklammerten "zivilrechtlichen Dogmatik"25 geboten und außerdem - wie die vom BGH vertretene Konzeption - nach den von dem BVerfG angelegten Maßstäben verfassungsrechtlich unbedenklich sein. Daraus ergibt sich dieser Untersuchungsgang: Es ist zunächst herauszuarbeiten, in welchen Punkten die Konzeption des BGH von dem strukturellen Leitbild der in § 847 BGB geregelten Ansprüche abweicht; danach ist dann zu fragen, ob die Abweichungen - zivilrechtlich - begründet sind. Falls das zu verneinen ist, muß schließlich die Frage gestellt werden, ob der "Schmerzensgeldanspruch" wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach den von dem BVerfG zugrunde gelegten Kriterien auch - verfassungsrechtlich - unbedenklich ist. Über die Struktur der in § 847 BGB geregelten "Schmerzensgeldansprüche" ist dies zu sagen: Sie erfordern eine gegen die in § 847 BGB aufgezählten Rechtsgüter gerichtete unerlaubte Handlung i. S. der §§ 823 ff. BGB, und sie können nur unter den Voraussetzungen der §§ 249 ff. BGB26 geltend gemacht werden. Das heißt im einzelnen: Der Geschädigte, der etwa durch eine haftungsbegründende Körper- oder Gesundheitsverletzung einen immateriellen Schaden erlitten hat, kann als Entschädigung zunächst nur Herstellung in Natur (§ 249 S.1 BGB) oder den dafür (also für die mögliche Herstellung) erforderlichen Geldbetrag (§ 249 S. 2 BGB) verlangen. Nur soweit "die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist" (§ 251 Abs. 1 BGB), was bei dem Ersatz immaterieller Schäden allerdings oft der Fall ist27 , kann er gem. § 253 BGB eine - von den Kosten der (möglichen) Naturalrestitution wesentlich verschiedene - Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB fordern. Der Anspruch gem. § 847 BGB ist also in diesem Sinne subsidiär. 24 BVerfGE 34, 287. 25 Vgl. BVerfGE 34,281 und 284. 26 Vgl. dazu nur Wiese, Immaterieller Schaden, 5 mit bis 1964 vollständigen
Nachweisen in Fußn.l; Helle, Schutz der Persönlichkeit, 2. Aufl., 47 f.; Ehlers, Geldersatz, 254; Palandt I Heinrichs, BGB, Anm.3 vor § 249 BGB. 27 Eine Naturalrestitution halten bei immateriellen Schäden für unmöglich: Strasser, Der immaterielle Schaden, 15, sowie Schwerdtner, Persönlichkeits-
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Die Regelung ist auch rechtspolitisch nicht in Frage zu stellen; denn sie verhilft dem Geschädigten zu einem angemessenen Ausgleich und bewahrt den Schädiger vor einer Überforderung 28 . Sie verhindert ferner alle Versuche des Geschädigten, die Verletzung seiner persönlichen Integrität als Einkommensquelle auszunutzen. Zusammen mit § 254 BGB enthält sie außerdem eine ausgewogene Risikoverteilung für die Fälle, in denen es erst später als möglich zu einer Naturalrestitution kommt: Wenn die Verzögerung auf ein i. S. des § 254 BGB schuldhaftes Verhalten des Geschädigten zurückzuführen ist, hat der Geschädigte und sonst der Schädiger den vermeidbaren Schaden zu tragen. Mit dem soeben skizzierten strukturellen Leitbild der in § 847 BGB geregelten Ansprüche, die - kurz gesagt - eine nach den allgemeinen deliktsrechtlichen Vorschriften haftungsbegründende Verletzung eines der in § 847 BGB aufgezählten Rechtsgüter voraussetzen und nur subsidiär (§ 251 BGB) geltend gemacht werden können, stimmt der von dem BGH geschaffene "Schmerzensgeldanspruch" wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in zwei Punkten überein: Er erfordert ebenfalls eine haftungsbegründende unerlaubte Handlung und er kann auch nur subsidiär geltend gemacht werden. Er unterscheidet sich von den gesetzlichen "Schmerzensgeldansprüchen" also nur dadurch, daß die haftungsbegründende Beeinträchtigung des Geschädigten "erheblich" und (oder)29 das Verschulden des Schädigers "schwer" sein muß. Nach dem vorgezeichneten Untersuchungsgang ist damit die Frage zu stellen, ob die Qualifizierungen der Haftungsvoraussetzungen - aus zivilrechtlicher Sicht - begründet oder ob sie wegen ihres Widerspruchs zu dem aus § 847 BGB entnommenen strukturellen Leitbild aufzugeben sind. Die Entscheidung muß zugunsten der zuletzt genannten Möglichkeit ausfallen, weil das allgemeine Persönlichkeits recht in Form der bereits erarbeiteten oder noch zu erarbeitenden Konkretisierungen nach ganz überwiegender Ansicht als ein "sonstiges Recht" i. S. des § 823 Abs. 1 BGB anzusehen ist, und weil die persönlichkeitsrechtlichen Rechtspositionen, deren haftungsbegründende Verletzung durch das Gesetz, nämlich durch § 847 BGB, mit einem "Schmerzensgeldanspruch" sanktioniert worden ist, als Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind; denn diese Zusammenhänge recht, 295, der ihm folgt, aber nicht von der gleichen Vorstellung über den Inhalt des immateriellen Schadens ausgeht. Ähnlich ders. in MünchKomm § 12 BGB Rdz. 262. Anders aber wohl Schwerdtner, JuS 1978, 298, und eindeutig anders Schlechtriem, DRiZ 1975, 69. Differenzierend: Ehlers, Geldersatz, 103 ff. und 254 f. Vgl. auch Kreuzer, FS f. Geiger, 61 ff., 97. 28 Vgl. dazu etwa Helle, Schutz der Persönlichkeit, 2. Aufl., 47. 29 Vgl. dazu oben Text bei Fußn. 12.
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gestatten es nicht, die einzelnen persönlichkeitsrechtlichen Rechtspositionen unterschiedlich stark zu schützen3o. Die Haftungsvoraussetzungen müssen daher in allen Fällen die gleiche Struktur aufweisen. Dafür spricht auch die Erwägung, daß der Gesetzgeber den "Schmerzensgeldanspruch" wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeits rechts nicht deshalb versagt hat, weil er die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht zusammengefaßten persönlichkeits rechtlichen Rechtspositionen für weniger schutzwürdig hielt als die in § 847 BGB "konzeptionslos"31 benannten Rechtsgüter. Ihn bestimmte vielmehr hauptsächlich die den modernen Gesetzgeber kaum noch schreckende und auch von dem BVerfG32 überwundene Furcht vor einer Haftungsnorm, in der das geschützte Rechtsgut als "allgemeines Persönlichkeitsrecht" oder als "Persönlichkeit" beschrieben wird. Die zivilrechtlich gebotene strukturelle Anpassung des "Schmerzensgeld anspruchs" wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an das aus § 847 BGB zu entnehmende Leitbild ist auch zu vollziehen, wenn sie - verfassungsrechtlich - ebenso unbedenklich ist wie die Rechtsprechung des BGH. Den Ansatz zu dieser Untersuchung liefert das BVerfG. Es hat die Verfassungsmäßigkeit der von dem BGH aufgestellten Haftungsgrundsätze mit der Frage geprüft, ob sie einen angemessenen Kompromiß zwischen der durch Art. 5 GG geschützten Pressefreiheit auf der einen und dem von Art. 1 und 2 GG getragenen Schutz der Persönlichkeit auf der anderen Seite enthalten33 . Das hat es bejaht, weil der Anspruch auf "Schmerzensgeld" eine "erhebliche" Beeinträchtigung und " schweres " Verschulden voraussetze 34. Das heißt aber nur, daß der Anspruch jedenfalls verfassungskonform ist, wenn er von den qualifizierten Voraussetzungen abhängt. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß er auch ohne die Qualifizierungen mit der Verfassung zu vereinbaren ist. Diese Möglichkeit setzt nach dem Gedankengang des BVerfG voraus, daß die Pressefreiheit auch dann in angemessenem Umfang erhalten bleibt, wenn der "Schmerzensgeldanspruch" wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen an die allgemeinen Zurechnungsvoraussetzungen des Deliktsrechts gebunden wird. Bei der Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu bedenken, daß die Voraussetzungen des Anspruchs nach Ansicht des BVerfG "klar definiert"35 sein müssen. Diesem Erfordernis wird eher genügt, wenn der Anspruch nicht von qualifizierten, dem Gesetz unbekannten, son30
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Vgl. dazu auch Wiese, Immaterieller Schaden, 49 mit Nachweisen. So im Anschluß an Stoll, Gutachten, 124: BVerfGE 34,290. Vgl. insbesondere BVerfGE 34, 291. BVerfGE 34, 282. BVerfGE 34, 286. BVerfGE 34, 285.
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dern von den allgemeinen Zurechnungsvoraussetzungen abhängig gemacht wird. Das zeigt sich auch daran, daß es den Gerichten bislang nicht gelungen ist, die von ihnen geforderten Qualifizierungen handhabbar zu konkretisieren38• Es ist ferner auch nicht zu befürchten, daß der Handlungsspielraum der Presse übermäßig eingeschränkt wird, wenn die Qualifizierungen aufgegeben werden. Die Haftung erfordert dann zunächst die Verletzung einer durch Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewonnenen, schutzwürdigen persönlichkeitsrechtlichen Rechtsposition. Sie ist gegeben, wenn der Geschädigte in einer - unter Würdigung der Freiheitsrechte des Schädigers37 - als schutzwürdig anzuerkennenden persönlichkeitsrechtlichen Rechtsposition beeinträchtigt worden ist und wenn die Verletzung von dem Schutzzweck des Deliktsrechts erfaßt wird, also nicht lediglich als eine von jedermann hinzunehmende Verwirklichung des "allgemeinen Lebensrisikos" zu qualifizieren ist38• Hinzukommen muß ferner die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens, deren Feststellung wiederum verlangt, daß auch die Belange des Schädigers, nämlich seine "berechtigten Interessen", berücksichtigt werden. Erforderlich ist schließlich Verschulden i. S. des § 276 BGB, das selbst in der leichtesten Form der einfachen Fahrlässigkeit mindestens voraussetzt, daß der Schädiger die sozialtypische, also seinem Berufsstand entsprechende Sorgfaltspfticht verletzt hat. Das bedeutet insgesamt: Der Presse bleibt auch dann die zur verantwortlichen Wahrnehmung ihrer Aufgabe erforderliche Handlungsfreiheit, wenn die Haftung der handelnden Personen lediglich von den allgemeinen (nicht zusätzlich qualifizierten) Zurechnungsvoraussetzungen abhängig ist. Nach den von dem BVerfG zugrunde gelegten Kriterien muß daher auch ein unter diesen Voraussetzungen gegebener "Schmerzensgeldanspruch " als verfassungskonform angesehen werden. Zusammengefaßt läßt sich damit feststellen: Die von dem BGH durchgesetzte und von dem BVerfG als verfassungskonform angesehene, über § 253 BGB hinweggehende Fortentwicklung des Scha36 So zuletzt MünchKomm Schwerdtner § 12 BGB Rdz.266. Vgl. dazu auch Mertens, JuS 1962, 262 ff., 263. 37 Vgl. dazu etwa Wiese, Immaterieller Schaden, 49, und zuletzt LG Berlin GRUR 1980, 187. 38 Vgl. dazu als Beleg für die allgemeine Abgrenzung der "Verletzung" i. S. des § 823 BGB nur BGHZ 56, 163 ff. (Schockschaden eines nahen Angehörigen) und zu dem im Text behandelten Problem: Hartmann, NJW 1962, 15; Ehlers, Geldersatz, 257, der - wie andere auch: vgl. Wiese, Immaterieller Schaden, 49 mit Nachweisen - mit der in mehrfacher Hinsicht unklaren "Sozialadäquanz" arbeitet. Der Sache nach auf der gleichen Linie argumentiert auch das BVerfG NJW 1976, 1677 ff., 1678, wenn es meint, herabsetzende Äußerungen, die spontan erfolgt sind, dürften von den Gerichten nur zurückhaltend sanktioniert werden.
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densersatzrechts für immaterielle Schäden kann - entgegen einer stetigen Mindermeinung - nicht mehr völlig abgelehnt werden. Auf dem Boden dieser Einstellung ist es jedoch zivilrechtlich geboten, den "Schmerzensgeldanspruch" wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dem strukturellen Leitbild der in § 847 BGB geregelten Ansprüche anzupassen. Nach den von dem BVerfG angelegten Maßstäben ist die Anpassung auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist deshalb zu vollziehen. Der Anspruch unterliegt also der entsprechenden Anwendung des § 847 BGB. Das heißt im einzelnen: Er setzt eine die deliktsrechtliche Haftung begründende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus, und er kann - wie alle Ansprüche gern. § 847 BGB - nur subsidiär, also nur unter den Voraussetzungen des § 251 BGB, geltend gemacht werden. 111. Die Tendenzen zur Erweiterung des Anspruchs auf Geldersatz wegen immaterieller Sdläden
Die soeben geschilderte Entwicklung hat dazu angeregt, die gesamte Regelung des Geldersatzes wegen immaterieller Schäden zu überdenken. Im Zuge der Diskussion um einen besseren Schutz der Persönlichkeit sind deshalb zahlreiche auf andere Ergänzungen zielende Reformvorschläge eingebracht und diskutiert worden30• Bislang ist jedoch keiner von ihnen Gesetz geworden, und auch der BGH hat - soweit ersichtlich - nicht dazu angesetzt, einen dieser Vorschläge anstelle des Gesetzgebers durch "schöpferische Rechtsfindung" (BVerfG) durchzusetzen. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion ist insbesondere gefordert worden, dem Geschädigten auch dann einen Anspruch gern. § 847 BGB zu gewähren, wenn der Schädiger nur aufgrund einer Gefährdungs- oder aufgrund einer Vertragshaftung für eine Verletzung i. S. des § 847 BGB einzustehen hat. Die in einigen gesetzlich geregelten Fällen40 schon vorgesehene Ausdehnung des § 847 BGB auf alle Fälle der Gefährdungshaftung ist immer wieder als lex ferenda gefordert 41 und vor einiger Zeit von Köndgen 42 eingehend begründet wor30 über sie und die Gesetzentwürfe, die bislang nicht Gesetz geworden sind, unterrichten Wiese, Immaterieller Schaden, 16 f., 51 ff., 58 ff., sowie Kötz, FS f. v. Caemmerer, 389 ff. 40 Vgl. § 833 S.1 BGB (Haftung für Luxustiere, die von § 847 BGB erfaßt wird), § 53 Abs.3 LuftVG und dazu Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 17, der diese Vorschriften zu Recht für nicht ausdehnungsfähige Ausnahmebestimmungen hält. 41 Vgl. die lange Liste der Befürworter bei Kötz, FS f. v. Caemmerer, 391 Fußn.7, sowie Cramer I Kindermann, DAR 1980, 33 ff., 39. Weitere Nachweise auf älteres Schrifttum bei Wiese, Immaterieller Schaden, 61, Fußn.216. 42 Vgl. Köndgen, Haftpflichtfunktionen. Sein Ausgangspunkt ist der Referentenentwurf 1967, der den § 847 BGB ebenfalls auf alle Fälle der Gefährdungshaftung ausdehnt.
B. übereinstimmende Problematik
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den. Nicht ganz so geschlossen sind die Bestrebungen bei der Vertra~s haftung 43 ; denn die Befürworter einer solchen Reform sind sich über den Inhalt der zu schaffenden Regelung nicht einig 44 • Die Würdigung all dieser Vorschläge zur Erweiterung des Haftungsbegründungstatbestands ist nicht Thema der folgenden Untersuchung. Sie gilt zwei in den einleitenden Bemerkungen bereits angedeuteten Fragen, die in allen Anwendungsfällen des § 847 BGB auftreten: also in den Wortlautfällen, den Fällen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und den Anwendungsfällen, die im Laufe der weiteren Rechtsentwicklung noch anerkannt werden können. B. Die übereinstimmende Problematik der Anwendungsfälle des § 847 BGB Die erste dieser beiden Fragen betrifft die Abgrenzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens, der in § 847 BGB (wie in § 253 BGB) lediglich als Schaden bezeichnet wird, "der nicht Vermögensschaden ist". Im Gesetz fehlen damit ausreichende Hinweise über die Beschaffenheit des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens, und weil diese Hinweise fehlen, ist auch nicht erkennbar, von welchen Faktoren der Umfang des Schadens abhängen soll. Diese Unklarheiten erschweren die Beantwortung der ohnehin schon schwierigen zweiten Frage zur Anwendung des § 847 BGB, die mit der ersten eng zusammenhängt. Es ist die Frage, was mit der "billigen Entschädigung" gemeint ist, welche Funktion sie hat und von welchen Faktoren ihre Höhe bestimmt wird.
43 Umfassende übersicht über Entwicklungsgeschichte und Meinungsstand bei Braschos, Der Ersatz immaterieller Schäden im Vertragsrecht, 39 ff. (§ 2). 44 Vgl. etwa Wiese, Immaterieller Schaden, 60, wo er (mit Nachweisen) eine Geldentschädigung nur für erwägenswert hält, wenn der vertraglich haftende Schädiger vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat.. Anders Braschos, wie vorige Fußn., der außerdem § 847 BGB schon de lege lata auf die Fälle der vertraglichen Haftung des Schädigers entsprechend anwenden will (166 ff.). Im Ergebnis weitgehend ebenso: Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 261 ("Konsequenz der Anerkennung der positiven Forderungsverletzung"). Dagegen Wiese, ZfA 2 (1971) 273 ff., 315, sowie Stoll, Begriff und Grenzen des Vermögensschadens, 1973,38. Vgl. auch Wiese, Betr. 1975, 2309 ff., sowie neuestens Schiemann, Jus 1980, 709 ff., 713.
§ 2: Die Grundlinien der Entschädigungskonzeptionen zu § 847 BGB A. Die Struktur und der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens Von den beiden soeben genannten Grundfragen zu § 847 BGB hat die Frage, worin der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden besteht und von welchen Faktoren sein Umfang abhängt, keine besondere Aufmerksamkeit erregt. Das ist erstaunlich, weil der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden Bezugsgröße für die "billige Entschädigung in Geld" ist1• In den einschlägigen Arbeiten zur Problematik der Geldentschädigung für immaterielle Schäden findet man allerdings ausführliche Untersuchungen über die Abgrenzung materieller (vermögenswerter) und immaterieller Schäden2• Sie sind auch nützlich, aber nicht ausreichend. Mit ihrer Hilfe läßt sich zwar feststellen, ob überhaupt ein immaterieller Schaden vorliegt. Sie enthalten aber keine Antwort auf die Fragen, wie der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden im einzelnen strukturiert und wie sein Umfang zu bestimmen ist. I. Die Beeinträchtigung der inneren Lebenslage des Geschidigten als entschidigungspflichtiger immaterieller Schaden
Die Diskussionslücke läßt sich auf drei Gründe zurückführen. Der erste ergibt sich aus dem Wortlaut des § 847 BGB. Danach soll die Geldentschädigung "billig" sein. Diese Formulierung hat alsbald die Vorstellung aufkommen lassen, daß eine nähere Beschreibung der Tatbestandsmerkmale des § 847 BGB kaum möglich und deshalb auch nicht anzustreben sei. Man hat also nicht nur bei der Bestimmung der Höhe der Geldentschädigung, sondern auch bei der davon zu trennenden und vorab zu erledigenden Abgrenzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens stillschweigend einen großzügigen Spielraum in Anspruch genommen. Diese Einstellung ist durch einen zweiten Grund, nämlich durch die in § 287 ZPO vorgesehene Schadensfeststellung "unter Würdigung aller Umstände nach freier Uberzeu1 So ausdrücklich BGHZ 7, 223 ff., 226. Vgl. ferner Geiget, Der Haftpflichtprozeß, 209 (Kap. 7 Rz. 3). 2 Vgl. etwa Wiese, Immaterieller Schaden, 17 ff. unter H.
A. Struktur und Umfang des Schadens
33
gung", gefördert worden. Hinzu kommt schließlich als dritter Grund für die Diskussionslücke, daß der überkommene Begriff "Schmerzensgeld" den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden als "Schmerzen" jedenfalls im Kern brauchbar zu umreißen schien. Der Begriff ist zwar nie als das erlösende Wort empfunden, sondern vereinzelt sogar als "irreführender Ausdruck" bezeichnet worden3 , und der BGH hat demzufolge gelegentlich von dem "sog. Schmerzensgeld" gesprochen4 • Dennoch hat die Vorstellung von der "billigen Entschädigung in Geld" als Schmerzensgeld die Diskussion weiterhin beherrscht und die beinahe einhellige Auffassung begründet, daß der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden i. S. des § 847 BGB auch und zwar hauptsächlich in der Beeinträchtigung der inneren Lebenslage des Geschädigten bestehe. Diese Deutung des § 847 BGB ist dann durch mehr oder weniger üppige Vokabeln erläutert worden. So findet man als entschädigungspflichtigen immateriellen Schadensposten immer wieder: die körperlichen (physischen) und seelischen (psychischen) Schmerzen des Geschädigten, die ihm dadurch entstandene Einbuße an Lebensfreude, das gekränkte Ehr- oder Selbstgefühl, das seelische Leid, die seelische Unbill, die seelischen Unlustgefühle, das gestörte Gleichgewicht des Subjekts usw.5. Man kann deshalb zusammenfassend sagen: Als "Schaden, der nicht Vermögensschaden ist" (§ 847 BGB) wird neben den "physischen Schmerzen" hauptsächlich der Gefühlsschaden angesehen. Er bildet mit den physischen Schmerzen sogar eine untrennbare Einheit, wenn man annimmt, bei den Schmerzen handele es sich um ein psychosomatisches Phänomen, das sich nicht in psychische und physische Bestandteile aufspalten lasse'. Vgl. Knöpfel, AcP 155 (1956) 135 ff., 143, mit Nachweis. So BGHZ 7, 223 ff., 226. 5 Vgl. zu den vielen Umschreibungen des immateriellen Schadens nur BGHZ (GS) 18, 149 ff.; Knöpfel, AcP 155 (1956) 135 ff., 143 f.; Stoll, Gutachten, 127 ff.; Wiese, Immaterieller Schaden, 56; Lieberwirth, Schmerzensgeld, 54 ff. mit einer bis Anfang 1965 vollständigen Dokumentation; Bydlinski, JBl. 1965, 237 ff. unter VIII. und 254; Stoll, DAR 1968, 303; Henke, Schmerzensgeldtabelle, 4 und 8; Honsell, VersR 1974, 205 ff., 206; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 76 ff.; Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 219 f. (Kap. 7 Rz. 34); Deutsch, HaftungsR I, 462 ff.; Hermann Lange, Schadensersatz, § 7 IV (S.267), sowie die Kommentierungen zu § 847 BGB. 8 So Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 80, unter Hinweis auf Bloemertz, Die Schmerzensgeldbegutachtung, 3. Aufl., 1971, 27 ff. und Langen, Schmerz und Schmerztherapie aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht In: Schmerz und Schmerztherapie, herausgeg. von Gross und Langen, 1971, 139 f. Ebenso schon Günther, Schmerzensgeld, 1964, 21 ff. Vgl. aber auch Greeske, Die Haftung für neurotische Störungen als Schädigungsfolge, insbesondere hinsichtlich des zivilrechtlichen Schädigers, Diss. iur. Würzburg 1974, 8, der berichtet, daß nach der überwiegenden Lehrmeinung in der medizinischen Psychiatrie und Psychologie von einer Trennung leiblicher und seelischer Erscheinungen auszugehen sei. 3
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3 Lorenz
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§ 2: Grundlinien der Entschädigungskonzeptionen
11. Die Beeinträclltigung der äußeren Lebenslage des Geschädigten als entschädigungspflichtiger immaterieller Sdladen
Die Anerkennung des Gefühlsschadens als entschädigungspfiichtigen immateriellen Schaden bringt Probleme mit sich, die BydlinskF besonders deutlich beschrieben hat. Er meint: "Wer für reinen Gefühlsschaden Ersatz zuspricht, kann kaum je mit wirklicher Sicherheit sagen, ob überhaupt, also dem Grunde nach, ein Schaden wirklich vorliegt"; und an anderen Stellen bemerkt er, Ersatz des immateriellen Schadens in weiten Grenzen sei "glatte Willkür". Dadurch werde es zu "Rentenneurosen größten Ausmaßes" kommen. Es sei daher nichts bedenklicher als "wohlfahrtsstaatliche Tendenzen" auf die menschliche Psyche auszudehnen. Diese evidenten Gefahren haben Vorschläge zur Objektivierung des entschädigungspfiichtigen immateriellen Schadens hervorgebracht. Aus dem neueren Schrifttum ist zunächst der Vorschlag von Strasser8 zu nennen. Danach soll nur der Gefühlsschaden durch Geld ausgeglichen werden, den "ein vernünftiger Mensch mit normaltypischem Gefühlsleben, also von gleichem kulturellen und sozialen Rang" wie der Verletzte, erleidet. Strasser fordert damit der Sache nach eine objektiv-typisierte, abstrakte Gefühlsschadensberechnung. Daneben gibt es in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem nachdrückliche Bemühungen, die Relevanz des Gefühlsschadens zurückzudrängen und statt dessen stärker an die zwar stets beachteteS, aber mehr in den Hintergrund gerückte Beeinträchtigung der äußeren Lebenslage des Geschädigten anzuknüpfen. So wendet sich Stoll lO im Anschluß an die deutsche, französische und englische Rechtsprechung entschieden gegen die vor allem im schweizerischen Schrifttum vertretene Auffassung, "daß sich der Begriff des immateriellen Schadens in den seelischen Unlustgefühlen" erschöpfe. Die" Unhaltbarkeit dieser Auffassung" sei schon beim Schmerzensgeld wegen Körperverletzung zu erkennen; denn in diesen Fällen sei ohne Rücksicht auf etwaige "physische oder psychische Schmerzen" schon allein aufgrund einer "Beeinträchtigung der körperlichen Funktionen" oder eines "Verlustes an körperlicher Substanz" ein Schaden zu bejahen. Deshalb sei zu Recht auch dann eine Geldentschädigung gewährt worden, wenn der Geschädigte durch die Verletzung jedes "Empfinden für seine Lage" verloren habe. Stoll 11 hält aber gleichwohl daran fest, daß "die seelische Erregung ... Bestandteil des ideellen Gesamtschadens" ist. Wer sich speziell auf einen GefühlsschaBydlinski, JBl. 1965, 242. Vgl. Strasser, Der immaterielle Schaden, 23. 9 Vgl. KnöpfeI, AcP 155 (1956) 143, mit vielen Nachweisen. 10 Stoll, Gutachten, 128. 11 Stall, Gutachten, 129.
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8
A. Struktur und Umfang des Schadens
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den beruft, soll aber "natürlich" nachweisen müssen, "daß ihm seelische Unbill tatsächlich zugefügt worden ist". Auf der gleichen Linie liegt die Argumentation von Henke, der aufgrund seiner kritischen Stellungnahme zu dem Gefühlsschaden12 schließlich meint13 : "Prinzipieller Maßstab für die Höhe des Schmerzensgeldes ist die objektiv feststellbare Schwere der Verletzung. Das kaum greifbare, bisweilen sogar über jedes Maß hinausgehende seelische Leid und die ebenso schwer fixierbare Erbitterung des Verletzten über das ihm zugefügte Unrecht können nur Bemessungsfaktoren zweiten Ranges sein14." Besonders hervorzuheben ist schließlich die von Schwerdtner abgegebene Stellungnahme zur allgemeinen Anerkennung des Gefühlsschadens als entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB15. Schwerdtner teilt das allgemeine Unbehagen16. Er begnügt sich aber nicht damit, die Relevanz des Gefühlsschadens zurückzudrängen. Er verneint sie; denn nach einer sehr eingehenden Würdigung der Gesetzesgeschichte und des bei der Gesetzesanwendung angefallenen Materials meint er, die "billige" Geldentschädigung für immateriellen Schaden sei als "Fortsetzung des Vermögensschadensrechts mit anderen Mitteln (freies richterliches Ermessen)" zu verstehen17 ; und an anderen Stellen heißt es: "Der Ersatz des immateriellen Schadens gleicht insoweit die Unzulänglichkeiten des materiellen Schadensrechts aus"18, und: "Der potentielle Vermögensschaden aus einer Verletzung des Substrats kann nur im Wege des § 847 BGB liquidiert werden18 ". Schwerdtner 12 Vgl. Henke, Schmerzensgeldtabelle, 7 ff. und 74 ff. 13 Henke, wie vorige Fußn., 133 unter 3. 14 Vgl. ferner die Bedenken gegen die Anerkennung des Gefühlsschadens
als entschädigungspfiichtigen immateriellen Schaden: OLG Hamburg Verk. Mitt.1975, 5; Hacks, Schmerzensgeldbeträge, 8. Aufi., 1976, 9; Hupfer, NJW 1976, 1792; ders., JZ 1977, 781 ff., 783 und Kötz, FS f. v. Caemmerer, 389 ff., 407, wo er die Umsetzung "seelischer Unbill" in einen "korrespondierenden Geldbetrag" nur dann für möglich hält, wenn sie sich "in hinreichendem Maße an realen, in der Wirklichkeit feststellbaren, einer Beweiserhebung zugänglichen Anhaltspunkten orientieren kann". Vgl. zur Beschreibung des Schadens bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch den interessanten Vorschlag von Mincke, JZ 1980, 86 ff., der durch Wiederbelebung des rbmischrechtlichen Injurientatbestands versucht, den "Begriff der Genugtuung" entbehrlich zu machen. Er meint im Ergebnis (91), der Schaden solle "nicht in der Persönlichkeit", sondern "im Bereich des sozialen Kontakts" des Geschädigten gesucht werden. 15 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, Teil G, und ders., JuS 1978, 289 ff. 16 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 263 f. und 275 ff. 17 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 264 und 289, wo er sie auch als Fortsetzung des Vermögensschadensrechts mit anderen Mitteln bezeichnet, sowie 287 und JuS 1978, 297, wo er meint, sie habe "ausschließlich" oder "exklusiv" diese Funktion. 18 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 284. 19 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 307.
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§ 2:
Grundlinien der Entschädigungskonzeptionen
fordert also der Sache nach eine Materialisierung des immateriellen Schadens. Dadurch gerät er in einen Widerspruch zu dem Wortlaut des Gesetzes; denn die §§ 253 und 847 BGB beziehen sich auf den "Schaden, der nicht Vermögensschaden ist" und in § 252 BGB wird die zukünftige Vermögensentwicklung besonders geregelt. Diesem Einwand begegnet er mit der aus den Gesetzesmaterialien entnommenen, etwas überraschenden Feststellung, "daß bereits der Gesetzgeber eine klare Grenzziehung zwischen materiellem und immateriellem Schaden für unmöglich hielt und den Ersatz des immateriellen Schadens auch angeordnet hat", um über diesen Anspruch nicht hinreichend zu beweisenden, potentiellen Vermögensschaden "mit abzuwickeln"20. B. Die Funktion und das Ausmaß der "billigen Entschädigung in Geld" I. Die von dem BGB entwickelten Grundsätze
Die soeben beschriebenen Auffassungen über die Struktur des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens bilden das Fundament für die Beantwortung der zweiten zu behandelnden Grundfrage zu § 847 BGB, also der Frage nach der Funktion und dem Ausmaß der "billigen Entschädigung in Geld". Die Antwort wurde in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts nahezu unbestritten durch den Ausgleichsgedanken (Kompensationsgedanken) bestimmt. Die Ausgleichstheorie (Kompensationstheorie) entsprach vollkommen der gesetzlichen Ausgestaltung des Entschädigungsanspruchs nach § 847 BGB als eines deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruchs. Die auf diese Weise erreichte Harmonie zwischen dem § 847 BGB und den allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts wurde jedoch zweifelhaft, als § 847 BGB wegen der ständig wachsenden Zahl von Körperverletzungen durch Straßenverkehrsunfälle und wegen seiner Ausdehnung auf die Fälle der Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu einem breiten Arbeitsfeld der Gerichte wurde; denn die ständige Beschäftigung mit § 847 BGB offenbarte eine Unstimmigkeit zwischen zwei schon verfestigten interpretativen Grundannahmen: zwischen der Annahme, daß zu dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden auch, wenn nicht gar hauptsächlich, der Gefühlsschaden gehört, und der Ausgleichsfunktion (Kompensationsfunktion) der Geldentschädigung. Diese beiden Grundannahmen sind nicht miteinander zu vereinbaren, weil eine Geldentschädigung, der lediglich eine im herkömmlichen Sinn verstandene Ausgleichsfunk20 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 264 und 263, wo die Belegstelle aus den Motiven zu § 729 des I. Entwurfs abgedruckt ist. Ähnlich pessimistisch zur Abgrenzung von materiellem und immateriellem Schaden Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 74 ff., 78.
B. Funktion und Ausmaß der Entschädigung
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tion zugemessen wird, nicht auf den Ausgleich von Gefühlsschäden zugeschnitten ist. Sie knüpft an die äußere Beeinträchtigung des Geschädigten an und zielt nicht in erster Linie auf eine Veränderung der Bewußtseinslage des Geschädigten. Das heißt im einzelnen: Sie erfüllt ihren Zweck, nämlich den Ausgleich, auch dann, wenn der Geschädigte sie - aus welchen Gründen auch immer - nicht als Ausgleich anerkennt. Die Beseitigung der durch die Verletzung eingetretenen Gefühlsstörungen des Geschädigten ist für sie also nur eine - stets wünschenswerte - aber für ihre rechtliche Struktur und Bewertung unerhebliche Reflexwirkung. Sie kann deshalb dem § 847 BGB nicht gerecht werden, wenn man aus ihm entnimmt, daß auch der Gefühlsschaden entschädigungspflichtig sein soll; denn das Ausmaß einer Entschädigung, deren selbständiger Zweck auch darin besteht, die Gefühlsstörungen des Geschädigten durch Genugtuung zu beseitigen, kann nicht allein von dem Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens abhängen. Es rücken vielmehr auch solche Umstände ins Blickfeld, die, wie etwa die Vermögensverhältnisse des Schädigers, nichts mit dem Umfang des immateriellen Schadens zu tun haben. Die aufgezeigte Unstimmigkeit bei der Handhabung des § 847 BGB läßt sich nur ausräumen, wenn man eine der beiden genannten Grundannahmen korrigiert. Es ergibt sich somit die Frage, ob der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden i. S. des § 847 BGB neu abzugrenzen und dadurch der Gefühlsschaden zu eliminieren ist, oder ob an der Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens festzuhalten und die Funktion der Geldentschädigung so zu strukturieren ist, daß sieden besonderen Anforderungen des Ausgleichs von Gefühlsschäden so weit wie möglich gerecht wird. Die für die weitere Rechtsentwicklung bedeutsamste Antwort auf diese Frage hat der Große Senat des BGH für Zivilsachen in seinem Beschluß vom 6.7.1955 21 gegeben. Er hatte sich vordergründig nur mit der Frage zu befassen, "ob bei der Bemessung der Höhe einer billigen Entschädigung in Geld nach § 847 BGB alle Umstände, also auch die Vermögensverhältnisse und der" Grad des Verschuldens des Verpflichteten zu berücksichtigen sind". Die Gründe der Entscheidung zeigen jedoch, daß er der Sache nach zu dem Konflikt zwischen der Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens und der Ausgleichsfunktion der Geldentschädigung Stellung genommen hat. Seine Entscheidung wäre vielleicht anders ausgefallen, wenn ihm dieser Konflikt - nach näherer Aufbereitung in Rechtsprechung und Schrifttum - in voller Breite präsentiert worden wäre. Weil das unterblieben ist, stellt er - in Übereinstimmung mit der Diskussion vor und nach seinem Beschluß 21
BGHZ (GS) 18, 149 ff.
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§ 2: Grundlinien der Entschädigungskonzeptionen
die Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens überhaupt nicht in Frage, sondern richtet sein Augenmerk von vornherein hauptsächlich auf die Ausgleichsfunktion der Geldentschädigung. Das Ergebnis seiner Überlegungen war deshalb von Anfang an vorgezeichnet: Er mußte die herkömmlichen Vorstellungen über die Funktion der Geldentschädigung korrigieren, und das hat er auch getan. Er meint: "Das Schmerzensgeld hat rechtlich eine doppelte Funktion. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, für diejenige Lebenshemmung, die nicht vermögensrechtlich sind. Er soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, daß der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet22 ." Das sogenannte Schmerzensgeld hat also nach Ansicht des Großen Senats nicht nur eine Ausgleichs-, sondern auch eine Genugtuungsfunktion, die in der späteren Rechtsprechung des BGH bei Verletzungen des allgemeinen PersönIichkeitsrechts sogar "durchaus in den Vordergrund rückt"23. Aufgrund der in § 847 BGB erwähnten "Billigkeit" und insbesondere aufgrund der von ihm angenommenen Genugtuungsfunktion gelangt der Große Senat dann auch zu einer weiten Antwort auf die ihm vorgelegte Frage nach den Bemessungsfaktoren für die Geldentschädigung: Es soll zwar in erster Linie auf Höhe und Maß der Lebensbeeinträchtigung ankommen. Daneben dürfen aber auch alle übrigen Umstände des Falles, insbesondere der Verschuldensgrad des Verpflichteten, der Anlaß seines verletzenden Verhaltens und die Vermögensverhältnisse der Parteien berücksichtigt werden 24 . Zu den Vermögensverhältnissen des Geschädigten heißt es in diesem Zusammenhang, "daß im Einzelfall der gewohnte höhere Lebensstandard des Verletzten auch einmal zur Erhöhung des Schmerzensgelds führen kann"!5. Die von der Doppelfunktionstheorie bestimmte Entschädigungskonzeption des Großen Senats weicht damit erheblich von den herkömmlichen Vorstellungen ab. Im einzelnen ist dies hervorzuheben: Solange die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB nur eine Ausgleichsfunktion hatte, zielte sie unmittelbar darauf ab, den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden auszugleichen. Ihre Höhe war folglich nur an dem Ausmaß dieses Schadens zu orientieren. Daneben wurde zwar auch eine Genugtuung des Geschädigten angestrebt, aber nur als Reflexwirkung. Das heißt: Die Genugtuung wurde - wie bei jeder Sanktion - lediglich als wünschenswerte Zusatzwirkung der Ausgleichsentschädigung angesehen. Man erhoffte, daß sie eintreten möge, leitete aus dieser (mit) angestrebten Reflexwirkung der Geldentschädigung aber 22 Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 154. 23 So BGHZ 35, 363 ff. (Ginseng) im Anschluß an Larenz, NJW 1958, 829. 24 Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 152, 157 ff. und 2. LS, gegen BGHZ 7, 223 H. 25 BGHZ (GS) 18, 149 ff., 159.
B. Funktion und Ausmaß der Entschädigung
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keine strukturellen Folgerungen für die Entschädigungskonzeption ab. Die Genugtuung rangierte mithin als unselbständiger Nebenzweck hinter dem Ausgleichszweck. Dieses Bild ist durch die Doppelfunktionstheorie des Großen Senats wesentlich verändert worden. Durch sie hat die Genugtuungsfunktion einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren. Sie ist nicht mehr länger nur Reflexfunktion einer an der Ausgleichsfunktion orientierten und deshalb allein durch das Ausmaß des immateriellen Schadens bestimmten Geldentschädigung, sondern eine der Ausgleichsfunktion gleichgestellte Zielfunktion. Das bedeutet: Die Genugtuung des Geschädigten, die bisher als eine zwar wünschenswerte, aber unselbständige (sekundäre) Reflexwirkung der in erster Linie auf Schadensausgleich zielenden Geldentschädigung angesehen wurde, ist zu einem selbständigen, dem Ausgleich gleichgestellten Hauptzweck der Geldentschädigung geworden. Mit dieser Neuordnung der Zwecke ist notwendigerweise eine Erweiterung der Bemessungsfaktoren für die Geldentschädigung vollzogen worden; denn eine Geldentschädigung, für welche die Genugtuung des Geschädigten nicht nur eine unselbständige Reflexwirkung, sondern eine selbständige (primäre) Zielwirkung darstellt, kann nicht allein an dem Ausmaß des immateriellen Schadens orientiert werden. Sie erfordert zusätzlich die Berücksichtigung weiterer Umstände des jeweils zu beurteilenden Schadensfalles. Der Große Senat argumentiert also durchaus folgerichtig, wenn er fordert, daß insbesondere der Verschuldensgrad des Schädigers und die Vermögensverhältnisse der Parteien bei der Bemessung der Geldentschädigung zu berücksichtigen sind. ll. Die Handhabung der Grundsätze
Mit seiner Anerkennung der Doppelfunktionstheorie erweckt der Große Senat die Erwartung, daß er in seiner weiteren Argumentation unterschiedliche Kriterien für die Festsetzung von Ausgleichsentschädigung einerseits und Genugtuungsentschädigung andererseits entwikkeIn und die Verpflichtung zu einer Genugtuungsentschädigung als eine von dem Schädiger selbst zu erfüllende Verpflichtung ausweisen werde, um sie der Ausgleichung durch Dritte, insbesondere durch den Haftpflichtversicherer, zu entziehen. Diese Erwartungen werden jedoch enttäuscht. Der Große Senat hält die Trennung zwischen Ausgleichsund Genugtuungsentschädigung für undurchführbar 26 • Folgerichtig meint er dann, daß die als undifferenzierter Gesamtbetrag verlangte Geldentschädigung von einem etwaigen Haftpflichtversicherer voll abgedeckt werden kann. Aufgrund seiner Annahme, daß bei der Bemessung der Entschädigung auch die Vermögensverhältnisse des Schädi26 Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 154, und BGH VersR 1961, 164 sowie NJW 1976, 1147 ff., 1148.
§ 2: Grundlinien der Entschädigungskonzeptionen
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gers zu berücksichtigen seien, meint er sogar, die (gleichermaßen auf Ausgleich und Genugtuung zielende) Entschädigung erhöhe sich, wenn der Schädiger haftpflichtversichert sei27 • Diese Konsequenzen erhalten der Sache nach eine nahezu vollständige Zurücknahme des zunächst mit Nachdruck betonten Genugtuungsgedankens; denn eine Entschädigung, die nicht von dem Schädiger selbst, sondern von dem Haftpflichtversicherer, also von der Versichertengemeinschaft, aufgebracht wird, kann nicht die "gewisse durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck" bringen, die der Große Senat28 von der Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung erwartet29 • 111. Die Korrekturen und Verfeinerungen der von dem Großen Senat des BGB für Zivilsachen entwickelten Grundsätze
Die von dem Großen Senat entwickelten Grundsätze haben im Schrifttum überwiegend Zustimmung gefundenSO. Auf der Grundlage dieser Konzeption ist es allerdings zu Vorbehalten gegen einzelne Punkte, insbesondere gegen die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Geschädigten bei der Feststellung der Höhe der Entschädigung gekommen31 • Außerdem ist die von dem Großen Senat erarbeitete Entschädigungsregelung von den Befürwortern im Schrifttum konVgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 165 ff. und BGH NJW 1976, 1147 ff., 1149. Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 157. 29 Bereits kritisiert von Hartung, NJW 1957, 125 ff., 127; Großfeld, Privatstrafe, 114; Stoll, Gutachten, 155; Hanau, VersR 1969, 291 ff., 295 f.; Honsell, VersR 1974, 205 ff., 206; Deutsch, zuletzt HaftungsR I, 474; Schiverdtner, Persönlichkeitsrecht, 290 f.; Kötz, FS für v. Caemmerer, 389 ff., 392 f.; Köndgen, JZ 1979, 246 ff., 249. 30 Vgl. nur Knöpfel, AcP 155 (1956) 141 mit Nachw. ("Schmerzensgeld ist schadensersatzähnlicher Genugtuungsanspruch"); Deutsch, HaftungsR I, 473 mit Nachw. Weitere Nachweise bei Honsell, VersR 1974, 206 Fußn. 7 und 19, der dem Großen Senat selbst nicht folgt. Vgl. auch Baumgärtel, JZ 1961, 55. Ablehnend: Bötticher, Referat, C 15 - C 22 und Diskussionsbeitrag C 114 ff. Ferner Niemeyer, Genugtuung, 88 ff.; Honsell, VersR 1974, 205 ff., der die Genugtuungsfunktion, nicht aber die Berücksichtigung des Verschuldensgrads des Schädigers und der Vermögensverhältnisse der Parteien verwirft. Ferner besonders eindringlich Köndgen, Haftpftichtfunktionen, 68 ff., 84 ff. und 117 ff., der zumindest für die Wortlautfälle des § 847 BGB, aber nicht für die Fälle der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Genugtuungsfunktion ablehnt, um de lege ferenda auch bei der Gefährdungshaftung eine Geldentschädigung für immateriellen Schaden zu eröffnen. Uneingeschränkt gegen die Genugtuungsfunktion weiterhin: Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 278, sowie 287 (gegen Honsells Einschränkungen) und ders., JuS 1978, 297 (gegen Köndgens Einschränkungen); ferner Ebel, VersR 197a, 27
28
207.
31 Vgl. dazu Knöpfel, AcP 155 (1956) 145; Henke, Schmerzensgeldtabelle, 11 f. und 52 ff. (§ 5); Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 287. Umfassende
übersicht über die in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Ansichten zu den Bemessungsfaktoren bei Ehlers, Geldersatz, 260 - 273.
B. Funktion und Ausmaß der Entschädigung
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zeptionell fortentwickelt worden. Gegenstand der Bearbeitung war einmal das undurchsichtige Nebeneinnander der Ausgleichs- und der Genugtuungsfunktion32 • Ferner ist die Aufmerksamkeit auf den Umstand gerichtet worden, daß die Genugtuungsfunktion durch die aus ihr abgeleitete Berücksichtigung des Verschuldensgrads und der Vermögensverhältnisse des Schädigers deutlich erkennbare Züge einer Sühne funktion annimmt, während die gleichzeitig anerkannte versicherungsrechtliche Deckungsfähigkeit auch der (unabgeteilten) Genugtuungsentschädigung eine gegenläufige Tendenz belegt. 1. Die FortentwickZung der GeZdentschädigung zur Abschreckungssanktion und zur Privatstrafe Die Anerkennung einer Genugtuungsfunktion als selbständige Funktion (und nicht nur als Reflexfunktion) hat einzelne Gerichte später dazu bewogen, die Geldentschädigung zu einer Abschreckungssanktion für Versicherer fortzuentwickeln: Sie soll erhöht werden können, wenn der Versicherer die Zahlung hinauszögert33• Diese Entwicklung trägt zwar kaum dazu bei, die von dem Großen Senat entwickelte Entschädigungskonzeption zu glätten, weil sie die Spannungen zwischen Genugtuungsgedanken und Entschädigungszahlung durch den Haftpflichtversicherer nicht ausräumt. Sie verstärkt aber - wie der Genugtuungsgedanke - die Tendenz, die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGBmit pönalen Elementen aufzuladen. Es ist deshalb nur allzu verständlich, daß die von dem Großen Senat geschaffene Entschädigungskonzeption als ein Schritt zur Qualifikation der Geldentschädigung als Privatstrafe gedeutet worden ist. Diese in der modernen Diskussion - soweit ersichtlich - zuerst von Großfeld vertretene, stets stark beachtete Deutung ist aber dennoch ganz überwiegend abgelehnt worden34, obwohl sie nur eine konsequente, Unstimmigkeiten vermeidende Fortentwick32 Vgl. dazu insbesondere Bötticher, Referat, C 17, Donaldson, AcP 166 (1966) 462 ff., 467; Friedrich, Referat, 67 ff.; Niemeyer, Genugtuung, 93 ff. Optimistischer: Scheld und Weitnauer, Verh. des 45. Dt. Juristentags, 1964, Bd. H, Sitzungsberichte, C 92 und C 95 f. 33 Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1973, 851, und dazu scharf ablehnend Honsell, VersR 1974, 205 ff., 207. Die Abschreckung betonen auch BGHZ 35, 363 (Ginseng) und BGHZ 39, 124 (Fernsehansagerin). 34 Für die Lehre von der Privatstrafe: Großfeld, Privatstrafe, 102 ff., wo er ausführt, daß die Konzeption des Großen Senats - folgerichtig fortentwickelt - zur Privatstrafe führen muß. Wie Großfeld neuerdings Hübner, AcP 178 (1978) 422 ff., 423; vgl. auch die Nachweise bei Köndgen, JZ 1979, 249. Zum ausländischen Recht vgl. Stoll, Remedies, 8 - 103, und ders., FS für Rheinstein, Bd. H, 569 ff., 579 (französisches Recht). Dagegen W. Lorenz, JZ 1962, 687 (Besprechung von Großfeld, Privatstrafe), und zurückhaltender Stoll, Gutachten, 139 f. und 156 f., Bötticher, Referat, C 18; Deutsch, RabelsZ 42 (1978) 577 ff., 578 (Besprechung von Stoll, Remedies); Ehlers, Geldersatz, 194 ff.; Schwerdtner, JuS 1978, 298 f.
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§ 2: Grundlinien der Entschädigungskonzeptionen
lung der wesentlich auf einer besonderen (selbständigen) Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung beruhenden Konzeption des Großen Senats darstellt; denn sie begründet die von dem Großen Senat geforderte "persönliche Beziehung" zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger und vermeidet die Unstimmigkeit zwischen Genugtuungsgedanken und Haftpflichtversicherungsrecht, weil die als Privatstrafe verstandene Geldentschädigung es ihrer Funktion nach eindeutig nicht verträgt, durch eine Haftpflichtversicherung abgedeckt zu werden. 2. Die Aufspaltung der Entschädigung in eine Ausgleichs- und eine Genugtuungsentschädigung Einen im Vergleich zu der Lehre von der Privatstrafe weniger radikalen, aber letztlich ebenfalls nicht angenommenen Vorschlag zur Fortentwicklung der von dem Großen Senat durchgesetzten Doppelfunktionstheorie enthält die von Sto1l35, insbesondere de lege ferenda erhobene Forderung, die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB in eine Ausgleichsentschädigung (Entschädigung, für die der Ausgleich Hauptzweck und die Genugtuung nur Reflexwirkung ist) und eine Genugtuungsentschädigung (Entschädigung, die primär die Genugtuung bewirken soll) aufzuspalten. Diese Forderung, die darauf abzielt, die von dem Großen Senat entwickelte Entschädigungskonzeption sachlich-differenziert fortzubilden und dadurch einsichtiger zu machen, ist jedoch selbst von ihrem Befürworter wegen verfassungsrechtlicher Bedenken in Frage gestellt worden36• Außerdem hat man auf die mit ihr verbundenen praktischen Schwierigkeiten37 verwiesen. Im weiteren Verlauf der Diskussion ist deshalb nicht nur die Aufspaltung der Entschädigung, sondern sogar die getrennte Würdigung der Funktionen der Geldentschädigung überwiegend abgelehnt worden38 • 3. Die Zurückdrängung der Genugtuungsfunktion und die Lockerung des Funktionsverbunds
Es ist außerdem noch zu Bearbeitungen der Entschädigungskonzeption des Großen Senats gekommen, die zwischen der Annahme eines 35 Vgl. Stoll, Gutachten, 155 f., und ders., Verh. des 45. Dt. Juristentags, 1964, Bd. II, C 118 f. 36 Vgl. Stoll, Gutachten, 155 f. 37 So insbesondere Scheld und Weitnauer, wie Fußn. 32. 38 Vgl. BGH VersR 1961, 165; Krüger-Nieland, Verh. des 45. Dt. Juristentags, 1964, Bd. II, C 31 ff., C 40; Larenz, SchuldR BT, 11. Aufl., 603; Soergell Siebert I Zeuner, § 847 BGB Bem. 11. Vgl. auch Wiese, Immaterieller Schaden, 56, der die Genugtuungsfunktion als "eine besondere Funktion der Ausgleichsfunktion für immaterielle Schäden" sieht; ferner Bydlinski, FS für v. Caemmerer, 785 ff., 787, Fußn.7, wo er berichtet, daß sich in der Österreichischen Judikatur und Lehre keine Trennung der Funktionen entwickelt hat.
B. Funktion und Ausmaß der Entschädigung
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untrennbaren Verbunds der Funktionen und der daraus folgenden Forderung nach einer Einheitsentschädigung einerseits und der Aufspaltung der Funktionen und der Entschädigung andererseits vermitteln. Zu ihnen gehört zunächst der Vorschlag von Stoll, den Relevanzbereich der Genugtuungsfunktion auf die Fälle vorsätzlicher und rücksichtsloser Rechtsverletzungen zu beschränken39 und der Genugtuungsfunktion damit für die Unzahl der Straßenverkehrsunfälle den Boden zu entziehen 40 . Hervorzuheben ist ferner als jüngste Präzisierung der Lehre von der Doppelfunktion der Geldentschädigung gern. § 847 BGB die Konzeption von Deutsch41 • In dieser Konzeption behält die Genugtuungsfunktion einen großen Relevanzbereich. Der Verbund der Funktionen wird aber stärker gelockert als es der BGH für möglich hält'2. Deutsch begrüßt zunächst den von dem BGH eingeführten Ausdruck "Genugtuung", den er für geeigneter hält als die Begriffe "Buße" oder "Privatstrafe" . Inhaltlich charakterisiert er die Genugtuung dann als "schadensfern und sanktionsnah". In ihr komme mithin der "eigentlich nachgeordnete Präventionszweck" vorab zum Durchbruch43 . Aus dieser "vom Ausgleichsdenken abweichenden Staffelung der Zwecke" folgert Deutsch dann, daß die Genugtuung an besondere Voraussetzungen gebunden sei. Sie erfordere "eine rechtswidrige und vorwerfbare Tat", also ein schädigendes Verhalten, das der Schädiger nach seinen Fähigkeiten vermeiden konnte. Das bedeutet: Es kann keine Genugtuungs-, sondern nur eine Ausgleichsentschädigung in Betracht kommen, wenn dem Schädiger nur ein "objektiv-typisiertes" und damit von seinen individuellen Fähigkeiten unabhängiges Verschulden zur Last zu legen ist, oder wenn sein Verschulden - wie etwa in § 831 BGB - nur vermutet wird, aber nicht nachzuweisen ist. Deutsch fügt schließlich noch hinzu, daß man sich "grundsätzlich nicht gegen Genugtuung versichern" könne, weil sonst "Präventions- und Satisfaktionsfunktion" ins Leere gingen 44 . Aufgrund dieser scharfen Gegenüberstellung der Funk39 So schon Stoll, Gutachten, 163, unter V.5. (Zusammenfassung). Ebenso neuestens Kötz, FS für v. Caemmerer, 389 ff., 393. Vgl. auch Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 120: einzige Domäne der Genugtuung sei der zivilrechtliche Persönlichkeitsrechtsschutz. 40 So ausdrücklich Stoll, DAR 1968, 303 ff., 305: "Die Genugtuungsfunktion kann bei Verkehrsunfällen vernachlässigt werden." Ebenso z. B. Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 118 ff., 138 und 150; sowie Kötz, wie vorige Fußn. 41 Deutsch, HaftungsR I, 473 ff. 42 Vgl. Deutsch, HaftungsR I, 474, wo er sich ausdrücklich gegen die von dem BGH (VersR 1961, 165) angenommene Untrennbarkeit der Funktionen wendet. 43 Ebenso bereits Deutsch, JZ 1971, 244 ff., 246, und Großfeld, Privatstrafe, 100 ff. 44 Vgl. Deutsch, HaftungsR I, 474 und 281 mit Nachweisen zur Maßgeblichkeit der individuellen Fähigkeiten des Schädigers bei "Schmerzensgeld in der Genugtuungsfunktion". Vgl. ferner ders., RabelsZ 42 (1978) 577 ff., 578.
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§ 2:
Grundlinien der Entschädigungskonzeptionen
tionen gelangt Deutsch zu der Annahme, daß insbesondere in den Fällen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, etwa durch Massenmedien, allein eine Genugtuungsentschädigung in Betracht komme und demzufolge ein Haftpflichtversicherungsschutz nicht gegeben sei. Diese isolierte Durchsetzung der Genugtuungsfunktion will er aber für die allermeisten anderen Fälle nicht anerkennen. Er meint vielmehr: Regelmäßig vermischten sich Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion, so daß "ungetrennt Versicherungsschutz gewährt werden" müsse45 • Er nimmt damit die Unebenheit in Kauf, daß die Genugtuungsentschädigung als vermischter Bestandteil der Gesamtentschädigung durch die Haftpflichtversicherung gedeckt wird, als alleinige Entschädigung aber nicht. Da Deutsch in den allermeisten Fällen zu einer Einheitsentschädigung gelangt, verzichtet er auch darauf, bei der Darstellung der Faktoren für die Höhe der "billigen Entschädigung in Geld" zwischen ausgleichender und genugtuender Entschädigung zu differenzieren. Er wendet sich zwar gegen die von dem BGH geforderte Berücksichtigung "aller in Betracht kommenden Umstände des Falles", indem er diese Anweisung als "mystagogische Leerformel" bezeichnet 46 • Aber auch er hält viele Umstände für erheblich, nämlich auf der Seite des Geschädigten: lebensgefährliche Verletzungen, langes Siechtum, Schmerzen, geistige oder seelische Veränderungen und die Ranghöhe des verletzten Rechtsguts; und auf der Seite des Schädigers: das Verschulden und dessen Grad sowie die Vermögensverhältnisse und hier - außer bei der ihrer Funktion nach nicht versicherungsfähigen Genugtuungsentschädigung 47 - die Haftpflichtversicherung, die er als "ein erkauftes Stück Vermögen" sieht. IV. Die Rückkehr zur Ausgleichsfunktion
Der bisherige Bericht zeigt, daß die Lehre von der Doppelfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" gern. § 847 BGB insbesondere deshalb zu Schwierigkeiten führt, weil sich die Genugtuungsfunktion mit dem geltenden Haftpflichtversicherungsrecht nicht reibungslos harmonisieren läßt. Nicht zuletzt wegen dieser Schwierigkeiten und aufgrund der schon früher von Bötticher48 eindringlich vorgebrachten Einwände hat Honsell 49 erneut gefordert, auf die von dem Großen Senat durch45
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Deutsch, wie vorige Fußn. Deutsch, HaftungsR I, 476. Was Deutsch, wie vorige Fußn., zwar nicht ausdrücklich hervorhebt,
aber nach den vorhergehenden Ausführungen jedenfalls für die Fälle meinen muß, in denen lediglich eine Genugtuungsentschädigung zu verhängen ist. Zur Bedeutung der Haftpflichtversicherung auch ders., RabelsZ 42 (1978) 577 ff., 579, sowie JB!. 1980, 298 ff., 300. 48 Bötticher, Referat, C 15 - 22, und ders., Diskussionbeitrag, C 114 ff. 49 Honsell, VersR 1974, 205 ff.
B. Funktion und Ausmaß der Entschädigung
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gesetzte Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung zu verzichten und zur alleinigen Maßgeblichkeit der Ausgleichsfunktion zurückzukehren. Er meint im einzelnen: Der Große Senat habe sich mit dem Bekenntnis zur Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung lediglich die Möglichkeit erschließen wollen, bei der Festsetzung der Geldentschädigung den Grad des Verschuldens des Schädigers und die Vermögensverhältnisse der Parteien berücksichtigen zu können. Diese Möglichkeit sei aber aufgrund des in § 847 BGB vorgesehenen Billigkeitsspielraums auch ohne den Umweg über die Genugtuungsfunktion durchzusetzen und geboten50. Honsell wendet sich schließlich besonders eindringlich gegen die mit der Anerkennung der Genugtuungsfunktion aufgekommene Abschreckungsfunktion der Geldentschädigung. Am Ende dieser Ausführungen heißt es: "Soweit heute für die Jurisprudenz Evidenzen überhaupt noch in Anspruch genommen werden dürfen, erscheint es evident, daß das Schmerzensgeld keine Abschreckungsfunktion haben kann"51. Die von Honsell erhobene Forderung nach Aufgabe der Genugtuungsfunktion und Rückkehr zur Ausgleichsfunktion hat Köndgen in einer umfassenden, auch rechtsvergleichend angelegten Untersuchung jedenfalls für die Wortlautfälle des § 847 BGB bestätigt52 . Im Bereich der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sieht er dagegen weiterhin eine "Domäne" der Genugtuungsfunktion63 • Gerade auch für diesen Bereich ist die Genugtuungsfunktion dagegen von Schwerdtner54 verworfen worden. Seine Einstellung beruht hauptsächlich auf der von ihm vertretenen Materialisierung des immateriellen Schadens55 . Da er annimmt, daß es bei dem Ersatz des immateriellen Schadens um "die Fortsetzung des Vermögensschadens mit anderen Mitteln" geht und somit "potentieller Vermögensschaden" auszugleichen ist, sieht er keinen Grund für eine strukturelle Sonderstellung des auf § 847 BGB gestützten Entschädigungsanspruchs. Nach seiner Ansicht sind deshalb sowohl die Genugtuungsfunktion als auch die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse der Parteien und des von dem Schädiger erreichten Verschuldensgrads abzulehnen. 50 Ebenso schon Bötticher, MDR 1963, 353 ff., 356 f., und ders., Referat, und e 10 ff., sowie Diskussionsbeitrag, e 115. Ferner Köndgen, Haftpfiichtfunktionen, 63. 51 Honsell, VersR 1974, 207 letzter Absatz. 52 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, insbesondere 84 ff. 53 Wie vorige Fußn., 120. 54 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 287 und passim, sowie JuS 1978, 297. Gegen ihn Laufs, ZHR 141 (1977) 277 ff., 279, weil sonst erhebliche Eingriffe ohne Sanktion blieben. 55 Vgl. dazu oben A. 11. am Ende (Text bei den Fußn. 17 ff.).
e 7 ff.
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§ 2: Grundlinien der Entschädigungskonzeptionen
v. Die tlberwindungstheorie Der Beschluß des Großen Senats56 hat aber nicht nur die dargelegten Präzisierungen der Doppelfunktionstheorie und starke Einwände gegen die Genugtuungsfunktion hervorgebracht. Schon bald nachdem die Diskussion wieder heftig in Gang gekommen war, ist auch eine Lehre entstanden, die sich in anderer Weise von den Vorstellungen des Großen Senats abhebt. Sie ist inzwischen als "Überwindungstheorie"57 bekannt geworden. Der innere Grund für ihre Entwicklung liegt ebenfalls in dem geschilderten58 Konflikt zwischen den beiden interpretativen Grundannahmen zu § 847 BGB: der Entschädigungspflichtigkeit auch des Gefühlsschadens und der Ausgleichsfunktion der Geldentschädigung. Diesen Konflikt gehen die Anhänger der Überwindungstheorie ebenso an wie der Große Senat und die sonstigen Vertreter der herrschenden Doppelfunktionstheorie. Das heißt: Sie rütteln kaum an der Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens, den sie in der (durch die Verletzung entstandenen) "subjektiven Lebenshemmung des Geschädigten"59 sehen, sondern stellen hauptsächlich die Ausgleichsfunktion der Geldentschädigung in Frage. Ihre Bedenken gegen die Ausgleichsfunktion gewinnen sie aufgrund des insbesondere von Eickhoff60 herangezogenen medizinisch-psychologischen Materials, das in der bisherigen rechtswissenschaftlichen Diskussion kaum näher gewürdigt worden ist. Sie meinen: Im Lichte der medizinisch-psychologischen Erkenntnisse erweise sich die Vorstellung einer Kompensation der Unlustgefühle durch die mit Geldentschädigung erreichbaren Lustgefühle als "lebensfremder Hedonismus"61. Selbst wenn dem Geschädigten ein höherer Lebensstandard finanziert werde, müsse er nach einer Gewöhnungszeit das ihm zugefügte Leid erneut spüren; denn er könne es nur überwinden, wenn er selbst dazu bereit sei. Der Zweck der Geldentschädigung dürfe deshalb allein darin bestehen, dem Geschädigten durch Gewährung eines finanziellen Spielraums neue Lebensmöglichkeiten zu erschließen und ihn dadurch bei der Überwindung seiner verletzungsbedingten Lebenshemmungen zu unterstützen 62. Die in diesem Sinne verstandene Überwindungsfunktion soll die Kompensations56 BGHZ (GS) 18, 149 ff. 57 Als ihr Urheber wird Eickhoff, Die Bemessung des Schmerzensgeldan-
spruchs, genannt. Vgl. ders., insbesondere 62 - 82. Grundsätzlich zustimmend: Reme, Aufgaben des Schmerzensgeldes, 52 - 60, sowie Esser, SchuldR H, 4. Aufl., § 103 I. 3. b. 58 S. dazu oben B. I. 59 Reme, Aufgaben des Schmerzensgeldes, 52 und 87. 60 Eickhoff, Die Bemessung des Schmerzensgeldes, 62 ff. 61 Vgl. dazu Eickhoff, wie vorige Fußn., 66 Fußn. 1 und 74 Fußn. 1. 62 Vgl. zur Charakterisierung der überwindungstheorie auch Henke, Schmerzensgeldtabelle, 4 f., und Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 82.
B. Funktion und Ausmaß der Entschädigung
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und die Genugtuungsfunktion allerdings nicht in allen Fällen verdrängen 63 . Nach der besonders differenzierten Konzeption, die Reme 64 entwickelt hat, soll der ,;Oberwindungsgedanke vornehmlich" in den Fällen anzuwenden sein, in denen Verletzungen der "Persönlichkeitssphäre so stark in das Schicksal des Geschädigten eingreifen, daß er alle Kräfte aufbieten muß, um sie zu überwinden". Der "Kompensationsgedanke" soll dagegen bei leichten Persönlichkeitsbeeinträchtigungen, namentlich bei leichten Körperverletzungen, zum Zuge kommen, und der "Genugtuungsgedanke" soll die "billige Entschädigung in Geld" insbesondere bei "Ehr- und Rufschädigungen" und im übrigen nur dann bestimmen, "wenn überwindungs- und Kompensationsgedanke keine angemessene Wiedergutmachung bieten"65. Die nähere Abgrenzung soll der Rechtsprechung überlassen bleiben, jedoch mit der Anweisung, die Prinzipien nicht untereinander zu vermengen, weil jedes eine verschiedenartige Bemessung der Geldentschädigung nach sich ziehe66 . Soweit die Geldentschädigung eine Überwindungsfunktion wahrnimmt, ist ihre Höhe nicht nach der "objektiven Schwere der Verletzung" zu bestimmen, sondern "nach dem objektiven Schwierigkeits·· grad" der durch die Verletzung eingetretenen "subjektiven Lebenshemmung des Geschädigten"67. Nicht zu berücksichtigen sind demnach die immateriellen Einbußen, die der Geschädigte über den objektiven Schwierigkeitsgrad der subjektiven Lebenshemmung hinaus erleidet. Das sind im einzelnen: Die "Wehleidigkeit" des Verletzten, die übertriebene "Schmerzempfänglichkeit", mit der die geringe seelische Widerstandskraft gegen körperliche Leiden, aber nicht die "Schmerzempfindlichkeit" gemeint ist, weil sie (anders als die Schmerzempfänglichkeit) nicht auf der seelischen Grundlage des Menschen beruhe, sondern das Ausmaß der Gesundheitsstörung bestimme68 . Nicht zu berücksichtigen sind ferner Reaktionen des Geschädigten, die den objektiven Schwierigkeitsgrad der subjektiven Lebenshemmung aufgrund "abartiger Neigungen, unwertiger Charaktereigenschaften oder geringen gei63 Vgl. insbesondere Reme, Aufgaben des Schmerzensgeldes, 40 ff., 59 ff., 94 ff. und passim; Zusammenfassung: 153; Esser, SchuldR II, 4. Aufl., § 103 1. 3. b.: kumulative Berücksichtigung der Funktionen je nach Art des imma-
teriellen Schadens und der Schädigung. 64 Reme, wie vorige Fußn. 65 Reme, Aufgaben des Schmerzensgeldes, 153. 66 Reme, Aufgaben des Schmerzensgeldes, 154. 67 So Reme, Aufgaben des Schmerzensgeldes, 87 und 91, mit Erläuterungen auf den S. 35 ff. und 59 ff. Ebenso bereits vor ihm Eickhoff, Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs, 97 ff. und 110 f. 68 Vgl. dazu insbesondere Eickhoff, wie vorige Fußn., 110 f. und Reme, Aufgaben des Schmerzensgeldes, 87.
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§ 2:
Grundlinien der Entschädigungskonzeptionen
stigen Niveaus übersteigen"", weil selbst eine reichlich bemessene Geldentschädigung über solche "Reaktionsweisen" nicht hinweghelfen könne. C. Zusammenfassung Der Überblick über die vorhandenen Entschädigungskonzeptionen läßt sich durch diese Sätze zusammenfassen: Nach fast einhelliger Ansicht gehört auch der Gefühlsschaden (die Beeinträchtigung der inneren Lebenslage des Geschädigten) zu dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden. Er wird überwiegend sogar als dessen wichtigster Bestandteil angesehen. Die Erläuterungen des Gefühlsschadens weichen im einzelnen voneinander ab. Es wird aber übereinstimmend eine "Objektivierung des Schadens" gefordert. An die Substantiierung und den Nachweis des Gefühlsschadens werden keine hohen Anforderungen gestellt. Aus § 287 ZPO und der in § 847 BGB erwähnten Billigkeit wird ein großer Spielraum für Schätzungen entnommen. Obwohl über die Struktur des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens i. S. des § 847 BGB weitgehend Einigkeit besteht, gehen die Ansichten über die Funktion der Entschädigung erheblich auseinander. Vorherrschend ist die von dem Großen Senat des BGH in Zivilsachen geprägte Doppelfunktionstheorie. Danach hat die Entschädigung neben der Ausgleichs- (Kompensations-) auch eine Genugtuungsfunktion. Die beiden Funktionen und die ihnen entsprechende Entschädigung werden von den Anhängern der Doppelfunktion überwiegend für untrennbar gehalten. In den neueren Untersuchungen sind jedoch stärkere Tendenzen zur Trennung erkennbar. Aber auch sie enden mit der Feststellung, daß in den meisten Fällen eine Vermischung der Funktionen anzunehmen und deshalb auf eine Einheitsentschädigung zu erkennen sei. Nach der Anerkennung der Genugtuungsfunktion als selbständige Funktion und nicht nur als Reflexfunktion einer auf Ausgleich zielenden Geldentschädigung ist die Lehre von der Privatstrafe entwickelt worden. Sie hat als konsequente Weiterführung des Genugtuungsgedankens bis heute ein beachtliches Echo gefunden, ist aber ganz überwiegend abgelehnt worden. In der weiteren Auseinandersetzung um die Doppelfunktionstheorie ist mit dem wachsenden Unbehagen an der Genugtuungsfunktion außerdem die Auffassung wieder stark aufgekommen, nach der die Geldentschädigung lediglich eine Ausgleichsfunktion zu erfüllen hat. 69 So Reme, wie vorige Fußn. Ähnliche, wenn auch bei weitem nicht so scharfe überlegungen finden sich auch in der Rechtsprechung des BGH. Vgl. z. B. BGHZ 20, 137 ff. = NJW 1956, 1108; VRS 19 (1960) 161; VersR 1970,
281.
D. Ansatz zur Würdigung
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Daneben ist die Überwindungstheorie entstanden. Sie beruht auf der medizinisch-psychologischen Erkenntnis, daß der Geschädigte das ihm zugefügte seelische Leid, nämlich die subjektive Lebenshemmung, nur überwinden kann, wenn er selbst dazu bereit ist. Deshalb soll die Geldentschädigung insbesondere bei schweren Verletzungen der Persönlichkeitssphäre allein dazu dienen, den Geschädigten bei der überwindung seines Leids zu unterstützen und somit weder eine Ausgleichsnoch eine Genugtuungsfunktion, sondern lediglich eine Überwindungsfunktion wahrnehmen. In anderen, in der Rechtsprechung noch näher zu bestimmenden Fällen soll dagegen entweder die Ausgleichs- oder die Genugtuungsfunktion maßgebend sein. Keine Einigkeit besteht ferner über die Abgrenzung der Umstände, von denen die Bemessung der "billigen Entschädigung in Geld" abhängen soll. Die Anhänger der herrschenden Doppelfunktionstheorie fordern überwiegend die Berücksichtigung "aller Umstände des Einzelfalles". Sie benennen besonders den in erster Linie zu berücksichtigenden Umfang des immateriellen Schadens und daneben den Verschuldensgrad des Schädigers sowie die Vermögensverhältnisse der Parteien. Die Berücksichtigung der besonders benannten Umstände wird teilweise auch von denen gefordert, die der Geldentschädigung lediglich eine Ausgleichsfunktion zumessen. Die Anhänger der Überwindungstheorie wollen in den Fällen, in denen die überwindungsfunktion zum Zuge kommt, lediglich auf den "objektiven Schwierigkeitsgrad der subjektiven Lebenshemmung" abstellen. D. Der Ansatz zur Würdigung der Entschädigungskonzeptionen Die Skizze über den Meinungsstand fordert dazu heraus, die Würdigung der einzelnen Entschädigungskonzeptionen mit einer Stellungnahme zur Funktion der Geldentschädigung zu eröffnen; denn mit der Entscheidung über die Funktion wird weitgehend vorbestimmt, welche Umstände bei der Bemessung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB zu berücksichtigen sind. Dennoch soll die weitere Untersuchung nicht mit der Erörterung der Funktionsproblematik beginnen. Angesetzt werden soll vielmehr mit der in der bisherigen Diskussion kaum näher behandelten Frage nach dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB. Sie gilt insbesondere der Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens und bildet damit die Vorfrage für die Beurteilung der Funktionsproblematik; denn der Bericht über die bisher vertretenen Entschädigungskonzeptionen hat gezeigt, daß die von dem Vermögensschadensrecht abweichenden, besonderen Funktionstheorien zur "billigen Entschädigung in Geld" hauptsächlich wegen der Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens entwickelt 4 Lorenz
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§ 2: Grundlinien der Entschädigungskonzeptionen
worden sind. Diesen Theorien wird also der Boden entzogen, wenn dem § 847 BGB eine Abgrenzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens zu entnehmen ist, die den Gefühlsschaden nicht umfaßt und zugleich eine Entschädigungskonzeption zuläßt, die dem Geschädigten i. S. des § 847 BGB einen angemessenen Schutz gewährt, den herkömmlichen Prinzipien des Schadensersatzrechts entspricht und von den Parteien und Richtern leichter und damit gleichförmiger zu handhaben ist als die bisher vertretenen Konzeptionen.
§ 3: Die Struktur und der Umfang des entschädigungspßichtigen immateriellen Schadcns A. Die Würdigung der Deutungsmöglichkeiten des § 847 BGB I. Die EInbeziehung des GefühIssdladens in den entsdlidlgungspflldltigen immateriellen Sdladen
Obwohl der Gefühlsschaden ganz überwiegend als wichtigster Teil des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens angesehen wird, bestehen gegen diese interpretative Grundannahme zu § 847 BGB doch erhebliche Bedenken, die in der bisherigen Diskussion auch mehr oder weniger deutlich ausgesprochen worden sind. Es erscheint zweifelhaft, ob der Gefühlsschaden hinreichend genau bestimmt werden kann, ob er - falls eine Aufklärung möglich ist - auch aufgeklärt werden darf und ob es hinnehmbar ist, daß Gefühlsstörungen durch Geldentschädigung sanktioniert werden. Obwohl diese Zweifel auf der Hand liegen, sind sie kaum näher verfolgt worden; wahrscheinlich deshalb nicht, weil man befürchtete, mit dem Gefühlsschaden in vielen Fällen, insbesondere in den Fällen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, den einzigen immateriellen Schaden und damit den einzigen Anknüpfungspunkt für eine Entschädigung zu verlieren. Dieser Gesichtspunkt ist in der folgenden Untersuchung in der Tat zu berücksichtigen. Er entbindet aber nicht von der Verpflichtung, zunächst den Bedenken gegen die Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens nachzugehen und - falls sie sich als begründet erweisen - nach einer neuen Beschreibung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens zu suchen und deren Konsequenzen für Funktion und Ausmaß der Geldentschädigung aufzuzeigen.
1. Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Gefühlsschadens Erste Bedenken gegen die Einbeziehung des Gefühlsschadens, also der seelischen Unbill, der Störung des inneren Gleichgewichts oder Selbstbewußtseins usw. in den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden ergeben sich aus dieser Überlegung: Der immaterielle Schaden i. S. des § 847 BGB ist - wenn nicht der einzige, so aber doch - der wichtigstel Bezugspunkt der Geldentschädigung. Er muß deshalb we1
So auch die durch BGHZ (GS) 18, 149 ff., 157 begründete h. M.
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§ 3: Struktur und Umfang des Schadens
nigstens einigermaßen genau bestimmt sein, und das ist der Gefühlsschaden nicht. Diese Feststellung wird auch immer wieder eindrucksvoll belegt: etwa dadurch, daß man den Gefühlsschaden als "kaum definierbare Größe"2 bezeichnet und immer wieder eine "Objektivierung" der Entschädigungsfaktoren, also insbesondere des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens, fordert 3 • Die Schwierigkeiten sind in der Tat kaum zu überschätzen. Sie beginnen bereits bei den - in der rechtswissenschaftlichen Diskussion überwiegend von dem Gefühlsschaden unterschiedenen "körperlichen Schmerzen", wenn man diese für ein psychosomatisches Phänomen hält. Bei der Beurteilung des Umfangs der körperlichen Schmerzen besteht aber immerhin noch die Möglichkeit, sachverständige medizinische Auskunft darüber einzuholen, ob die eindeutig diagnostizierten, haftungsbegründenden Verletzungen des Körpers zu den jedenfalls schmerzlosen, schmerzhaften oder besonders schmerzhaften Beeinträchtigungen gehören und ob der Geschädigte die regelmäßig auftretenden Schmerzen empfunden hat. Wesentlich anders verhält es sich dagegen bei dem Gefühlsschaden. Sein Umfang läßt sich nicht gleichermaßen aus Art und Ausmaß der äußeren Verletzungen des Geschädigten entnehmen. Das gleiche gilt für die von dem Geschädigten gezeigten Äußerungen innerer Reaktionen, die kaum überprüfbar sind und in keinem Verhältnis zu der erlittenen Verletzung stehen müssen. Die Geschädigten können vielmehr je nach ihrer Persönlichkeitsstruktur, ihrer Lebensphilosophie, ihrer Erziehung usw. bei kleinen und kleinsten Verletzungen unverständlich starke und bei großen und größten Verletzungen ebenso unverständlich geringe oder gar keine Reaktionen zeigen. Nähere Aufschlüsse über das wirkliche Ausmaß des Gefühlsschadens können deshalb - wenn sie überhaupt möglich sind - nur durch eine umfassende Persönlichkeits- oder gar durch eine Lebensanalyse gewonnen werden. Von alledem ist in den unzähligen Entscheidungen jedoch - soweit ersichtlich - nicht die Rede. Der Gefühlsschaden wird zwar durchweg als entschädigungspflichtiger immaterieller Schadensposten i. S. des § 847 BGB angesehen, aber nicht aufgeklärt. Dieses Vorgehen hat den Gerichten den Vorwurf des Dilettantismus" bei der Entschädigungs- und der für sie vorgreiflichen Schadensfeststellung und der Unwissenschaftlichkeit6 2 Vgl. Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 85 und 139 ff. mit weiteren Hinweisen. 3 Vgl. nur Stoll, Gutachten, 128 f.; Bydlinski, wie oben § 2 Fußn. 5; Henke, Schmerzensgeldtabelle, 8 f. und 175 ff.; Donaldson, AcP 166 (1966) 462 ff., 469 und 478; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 74 f. und 141; Kötz, FS f. v. Caemmerer, 407. " Vgl. Henke, Schmerzensgeldtabelle, 111 mit vielen Nachweisen. 5 Vgl. Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 84 ff. (unter B.).
A. Würdigung der Deutungsmöglichkeiten des § 847 BGB
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eingetragen. Die Gerichte haben sich aber gleichwohl nicht dazu bestimmen lassen, den aufgezeigten Mängeln ihrer Arbeitsweise durch die von Sachverständigen anzuwendenden, möglicherweise schon erforschten medizinisch-psychologischen Methoden der Persönlichkeitserforschung abzuhelfen; denn eine solche Reaktion wäre falsch. Sie wäre falsch, weil sie unzulässig wäre. Das zeigt sich etwa in einem Fall, in dem der beklagte Schädiger jegliche Entschädigungszahlung ablehnt und behauptet, der Geschädigte sei eine stumpfe und unentwickelte Persönlichkeit, in der durch die haftungsbegründende Verletzung keinerlei seelische Unbill oder Störung des inneren Gleichgewichts usw., sondern nur Geldgier hervorgerufen worden sei. Wenn das Gericht in einem solchen Fall die Begutachtung des Geschädigten durch einen Sachverständigen anordnen sollte, handelte es selbst dann pflichtwidrig, wenn die Aufklärung der Persönlichkeitslage nach dem Forschungsstand in Medizin und Psychologie möglich wäre; denn die nähere Aufklärung durch eine Persönlichkeitsanalyse würde möglicherweise weitaus tiefer in die persönliche Integrität des Geschädigten eingreifen als die von dem Schädiger verursachte haftungsbegründende Verletzung. Dieser Einwand läßt sich auch nicht mit der überlegung ausräumen, daß der Geschädigte, der eine solche Aufklärung scheue, jederzeit den erhobenen Schadensersatzanspruch fallen lassen könne; schon deshalb nicht, weil der Geschädigte die Klage nicht ohne weiteres zurücknehmen kann (§ 269 ZPO) und weil die Klagerücknahme zumindest außerhalb des Gerichtssaals als Eingeständnis gedeutet werden könnte. Außerdem würden die Geschädigten, die nicht bereit sind, aus Anlaß eines Schadensersatzprozesses ihre Persönlichkeits- und Lebensverhältnisse zu offenbaren, in unvertretbarer Weise gegenüber offenbarungsfreudigen Geschädigten benachteiligt. Die bisherigen Überlegungen lassen sich damit so zusammenfassen: Wenn man den Gefühlsschaden in den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden einbezieht, so wird er ein entscheidender Bezugspunkt der Geldentschädigung. Diese Funktion kann er aber nicht wahrnehmen, weil seine Aufklärung aus tatsächlichen Gründen kaum möglich und aus rechtlichen Gründen jedenfalls auch nicht zulässig wäre, weil die Persönlichkeitsstruktur des Geschädigten in einem Schadensersatzprozeß nicht ausgeforscht werden darf. Die Auslegung des § 847 BGB, nach der auch der Gefühlsschaden zum entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden gehört, ist daher schon aus diesen Gründen abzulehnen. Diese - gebotene - Konsequenz haben die Vertreter der herrschenden Meinung aber bislang ebensowenig gezogen, wie die nicht gebotene, den Gefühlsschaden näher aufzuklären. Der übereinstimmende
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§ 3: Struktur und Umfang des Schadens
Grund für diese Einstellung ergibt sich aus § 287 ZPO, der die Schätzung des Schadens gestattet. Die Auslegung des §.847 BGB, nach der auch der Gefühlsschaden zum entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden gehört, läßt sich jedoch auch durch den Rückgriff auf § 287 ZPO nicht retten. Die Einwände sind allerdings bislang nicht aufgedeckt worden, wahrscheinlich deshalb nicht, weil bei der Anwendung des § 287 ZPO nicht deutlich genug zwischen der Schadensschätzung und der erst danach vorzunehmenden Festsetzung der Geldentschädigung unterschieden wird. Es wird vielmehr ohne nähere Ausführungen zum Umfang des Gefühlsschadens sogleich die Entschädigung festgesetzt. Bedenklich ist der Versuch, die nach der herrschenden Meinung gebotene Auslegung des § 847 BGB mit Hilfe des § 287 ZPO zu verteidigen, schon deshalb, weil die Schätzung nicht nur gelegentliche, sondern generelle und nicht nur tatsächliche, sondern auch rechtliche, nämlich die in der Unzulässigkeit einer näheren Aufklärung des Gefühlsschadens bestehenden Hindernisse überwinden soll. Die Bedenken wiegen sogar besonders schwer, wenn man - was nahe liegt - den § 287 ZPO nicht als materiellrechtliche, sondern als verfahrensrechtliche6 Vorschrift qualifiziert. Außerdem ist die Schätzung des Gefühlsschadens stets mit evidenten Geburtsfehlern behaftet, weil die Anhaltspunkte, an denen sie sich orientieren kann, durchweg sehr unzuverlässig sind: Wenn sie an den äußeren Verletzungen des Geschädigten ausgerichtet sind, kommt es zu Schadensfestsetzungen nach dem Prinzip: schwere Verletzung - großer Gefühlsschaden, leichte Verletzung - kleiner Gefühlsschaden. Gegen sie spricht zunächst, daß die innere Reaktion des Geschädigten, also sein Gefühlsschaden, niemals allein von dem Ausmaß der äußeren Verletzung abhängt, sondern auch und sogar hauptsächlich von der Persönlichkeitsstruktur des Geschädigten, und die darf in einem Schadensersatzprozeß weder aufgedeckt noch (ab-)geschätzt werden. Die Schätzung des Gefühlsschadens nach dem Ausmaß der äußeren Verletzungen ist zusätzlich deshalb abzulehnen, weil sie allenfalls abstrakte Erfahrungswerte hervorbringt, also "Gliedertaxen", gegen die sich die Anhänger der herrschenden Meinung so nachdrücklich zur Wehr setzen7 und die auch nicht dem § 847 BGB entsprechen; denn nach dieser Vorschrift soll nicht der abstrakte, sondern der individuell entstandene Schaden durch eine Geldentschädigung sanktioniert werden. 6 In diesem Sinne insbesondere ATens, ZZP 88 (1975) 1 ff., 37 mit weiteren Nachweisen. 7 Vgl. nur BGHZ (GS) 18, 149 ff., 163.
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Ähnliche Einwände richten sich gegen die Schätzungen des Gefühlsschadens, die an die Gefühlsäußerungen des Geschädigten anknüpfen. Sie begünstigen hemmungslose und benachteiligen beherrschte Geschädigte, weil die Gefühlsäußerungen nicht näher aufgeklärt werden können und dürfen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß auch den Geschädigten ein hoher Gefühlsschaden zugeschätzt und damit eine hohe Entschädigung zugestanden wird, deren Störung der Gemütslage auf Rachegelüsten, Wut oder Aggression, also auf gesellschaftlich mißbilligten Reaktionen8 oder auf einer hysterischen und damit nicht sanktionsfähigen Veranlagung beruht. Zur Bewältigung dieses der herrschenden Meinung immanenten Konflikts findet man der Sache nach kaum mehr als die von Oertmann formulierte forsche Formel: Das BGB ist kein Sonderrecht für Neurasthenikero• Diese Antwort paßt jedoch schlecht zu einer Schadensbestimmung durch Schätzung; denn die Entscheidung darüber, ob der Geschädigte ein Neurastheniker ist oder nicht, darf nicht durch Abschätzung getroffen werden. Die berechtigten Bemühungen um die Begrenzung des Entschädigungsanspruchs neurasthenisch veranlagter Geschädigter stößt sich außerdem mit der nahezu unbestrittenen Ansicht, daß im Vermögensschadensrecht auch eine außergewöhnliche Veranlagung des Geschädigten, etwa eine Bluterkrankheit, keine Einschränkung des Schadensersatzanspruchs zuläßt. Die Problematik ist also auf dem Boden der allgemein anerkannten Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens nicht überzeugend zu bewältigen. Zusammenfassend kann man somit sagen: Weil der Gefühlsschaden in der Rechtsprechung durchweg nicht näher aufgeklärt wird, auch kaum aufgeklärt werden kann und jedenfalls nicht aufgeklärt werden darf, weil es unzulässig ist, die Persönlichkeitsstruktur des Geschädigten in einem Schadensersatzprozeß zu durchleuchten und weil die Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Gefühlsschadens auch durch eine Schätzung gern. § 287 ZPO nicht überzeugend zu überwinden sind, kann der Gefühlsschaden nicht als entschädigungspflichtiger immaterieller Schaden und Bezugspunkt der Geldentschädigung angesehen werden. Die nach der herrschenden Meinung gebotene Auslegung des § 847 BGB ist also abzulehnen.
8
Vgl. dazu Köndgen, Haftpftichtfunktionen, 100.
o Vgl. Oertmann, Das Recht der Schuldverhältnisse, 5. Auft., 1929, § 847
BGB Bem. 3. Aus dem neueren Schrifttum vgl. nur Stoll, Gutachten, 20 mit weiteren auch rechtsvergleichenden Nachweisen, und 129. Ferner: Henke, Schmerzensgeldtabelle, 8; Köndgen, Haftpftichtfunktionen, 81 und 139 ff.
§ 3:
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Struktur und Umfang des Schadens
2. Die Konsequenzen der Einbeziehung des Gefühlsschadens in den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden Das soeben erzielte Ergebnis wird durch einige besonders auffällige, aber letztlich um den Preis einer widersprüchlichen Argumentation nicht hingenommene Konsequenzen der herrschenden Meinung zusätzlich bestätigt. Die Problematik entsteht in den Fällen, in denen der Geschädigte durch die haftungsbegründende Verletzung für längere Zeit oder gar bis an sein Lebensende bewußt- und empfindungslos geworden ist. Wenn man bei der Beurteilung dieser Fälle davon ausgeht, daß der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden i. S. des § 847 BGB auch und sogar hauptsächlich in dem Gefühlsschaden besteht, kann man für die Zeit, in welcher der Geschädigte bewußt- und empfindungslos war, kaum zu einer Geldentschädigung gelangen: Wenn man die Geldentschädigung als Ausgleichsentschädigung versteht, schon deshalb nicht, weil der Geschädigte wegen seiner Gefühllosigkeit keinen Gefühlsschaden erlitten hat und somit auch nichts auszugleichen ist. Und wenn man die Geldentschädigung als Genugtuungsentschädigung ansieht, ebenfalls nicht; denn die Genugtuungsentschädigung erfordert nicht nur, daß der Schädiger durch die Geldzahlung Genugtuung leistet. Sie setzt außerdem voraus, daß der Geschädigte die Leistung auch als Genugtuung empfindet, und das ist nicht möglich, wenn er völlig empfindungslos ist. In einem schließlich von dem BGH entschiedenen Fall der genannten Art hat der neben dem Schädiger verklagte Versicherer deshalb auch vorgetragen, der Schädiger schulde keine Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB. Der BGH hat darauf mit eindrucksvoller Souveränität reagiert. Er hat dem Beklagten zwar eine konsequente Argumentation bescheinigt, ihn dann aber doch zur Zahlung einer beträchtlichen Geldentschädigung verurteilt10• In diesem besonders bemerkenswerten Urteil fehlt nur die Feststellung, daß der mögliche Gefühlsschaden nicht zum entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB gehören und deshalb auch die Geldentschädigung nicht beeinflussen kann.
3. Die Kommerzialisierung der Gefühle In diese Richtung deuten auch die immer wieder vorgebrachten rechtsethischen Bedenken, die als Vorwurf einer "Kommerzialisierung der Gefühle" ihren rhetorischen Ausdruck gefunden haben. Aus diesen Bedenken sind ganz unterschiedliche Konsequenzen gezogen worden. Sie haben in ausländischen Rechtsordnungen - wie etwa in dem Recht 10
Vgl. BGH NJW 1976, 1147 ff. Näher dazu unten § 4 B. 11. 2. b).
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der UdSSR - zur völligen Ablehnung eines Anspruchs auf Geldentschädigung für immaterielle Schäden geführt. Zur Begründung heißt es im sowjetischen Schrifttum der Sache nach, eine Bezahlung für Verletzungen der Menschenwürde, der Ehre und der Gefühle sei "unmoralisch" und Ausfluß der bürgerlichen Ideologie, nach der alles in Geld bewertet werde und verkäuflich sei11 • In der inländischen Kritik an der herrschenden Meinung wird dagegen bestritten, daß die bürgerliche Rechtsordnung eine Kommerzialisierung der Gefühle zulasse. Darin wird im Gegenteil ein Verstoß gegen die maßgebenden Rechtsvorstellungen gesehen. So meint Großfeld l2 , man verletze die "Rangordnung der Werte" und würdige die "verletzten idealen Rechtsgüter" herab, wenn man die Geldzahlung nach § 847 BGB als Entschädigung verstehe. Die "billige Entschädigung in Geld" sei deshalb als Privatstrafe zu qualifizieren. Die Anhänger der herrschenden Meinung 13 halten den Vorwurf einer Kommerzialisierung der Gefühle für unbegründet. Sie sehen deshalb auch keinen Anlaß, die Geldzahlung nach § 847 BGB rechtspolitisch völlig in Frage zu stellen oder als Privatstrafe umzuqualifizieren. Sie meinen, durch die Anerkennung einer schadensersatzrechtlichen Sanktion von Verletzungen der Persönlichkeitssphäre werde deren hoher Rang nicht abgebaut, sondern im Gegenteil besonders unterstrichen. Außerdem verweisen sie auf vergleichbare Regelungen in den "Rechtsordnungen unseres Kulturkreises". Bei der Beurteilung dieser Diskussion ist der herrschenden Meinung in einem Punkt ohne weiteres zuzustimmen: Es ist nach unserer Rechtsordnung nicht nur gerechtfertigt, sondern de lega lata und de lege ferenda geboten, einem Geschädigten bei Verletzung seiner persönlichen Integrität in den Grenzen unserer Rechtsordnung auch wegen des immateriellen Schadens eine Entschädigung in Geld zuzusprechen. Andererseits läßt sich der Vorwurf einer Kommerzialisierung der Gefühle jedenfalls dann nicht gänzlich ausräumen, wenn man auch die Erschütterung der Gefühlslage des Geschädigten als entschädigungspflichtigen Schadensposten anerkennt; denn diese Annahme führt letztlich zu der Frage, welcher Geldbetrag dem Geschädigten zu gewähren ist, da11 Zum Recht der UdSSR vgl. StaU, zuletzt Remedies, 8 - 36, S.38, wo er gleichzeitig darlegt, daß die Frage innerhalb der sozialistischen Staaten nicht einheitlich beurteilt wird. Zum Recht der UdSSR ferner KaraUus, Die zivilrechtliche Abwicklung von Straßenverkehrsunfällen nach dem Recht der UdSSR, Diss. iur. Mannheim, 1976, 130 f. mit Hinweisen auf das sowjetische Schrifttum in Fußn. 396. 12 Großfeld, Privatstrafe, 96. Vgl. ferner H. Reinecke, Schaden und Interesseneinbuße, 1968, 219 ff. 13 Vgl. dazu die Übersicht über den Streitstand bei Ehlers, Geldersatz, 226 - 232, sowie Strasser, Der immaterielle Schaden, 55 f.
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§ 3: Struktur und Umfang des Schadens
mit seine Gefühlsstörungen wieder ausgeglichen werden, und diese Frage ist rechtsethisch bedenklich. Diese Bedenken sind zwar immer wieder mit Schärfe und meist großem rhetorischem Aufwand zurückgewiesen und kürzlich sogar in die "Mottenkiste pessimistischer Kulturkritik" verbannt worden14• Die kräftigen Formulierungen deuten aber hier - wie meist - auf eigenes Unbehagen. Das läßt sich nur ausräumen, wenn man die Auslegung des § 847 BGB korrigiert und den Gefühlsschaden nicht als entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden ansieht. Dieser nicht nur die Symptome, sondern die Ursache der Schwierigkeiten bei der Handhabung des § 847 BGB beseitigende Schritt entspricht nicht nur den ständigen Bemühungen um die Objektivierung des immateriellen Schadens; er zwingt auch dazu, den immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB so abzugrenzen, daß er in einem Schadensersatzprozeß aufgeklärt werden kann, ohne daß es zu weiteren Verletzungen der Persönlichkeit des Geschädigten kommt. 4. Die Einbeziehung des Gefühlsschadens in den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden als gedanklicher Ballast Mit dem soeben noch einmal geforderten Verzicht auf die Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens wird von den Vertretern der herrschenden Meinung auch nur verlangt, daß sie das, was sie der Sache nach bereits tun, gedanklich klarstellen; denn die Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens erweist sich seit langem als ein gedanklicher Ballast, der nur deshalb nicht abgeworfen worden ist, weil die Struktur des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens i. S. des § 847 BGB kaum näher untersucht worden ist. Die Begründung für diese Beurteilung ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen Ansatz und Durchführung der herrschenden Meinung. Der Ansatz besteht in der unerschütterten Ansicht, daß der Gefühlsschaden zum entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB gehört und damit wichtigster Bezugspunkt der Geldentschädigung ist. Auf diesen Ansatz folgte - wegen der durch ihn ausgelösten Schwierigkeiten - sehr schnell die in Wissenschaft und Praxis längst verfestigte Annahme, daß der Gefühlsschaden nicht näher dargelegt oder aufgeklärt zu werden brauche15 • Diese Annahme wurde 14 So (allerdings in einer Fußn.) Kötz, FS für v. Caemmerer, 389 ff., 407. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Strasser, Der immaterielle Schaden, 56, wo er eine Reihe erlauchter Namen aus aller Welt aufzählt und dann fragt: "Sollten (sie) nicht zu den Menschen mit feinerem ethischen Empfinden zu zählen sein?" 16 Vgl. Gelhaar, DAR 1954, 2 ff.; Knöpfel, AcP 155 (1956) 135 ff., 143 mit Hinweisen auf die ältere Rechtsprechung des RG; Schmalzl, VersR 1966, 793; Frosini, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1967, 179 ff., 193; Soergell Siebert I Zeuner, § 847 BGB Rz. 19 mit weiteren Nachw.; BGH VersR
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mit der nach § 287 ZPO möglichen Schätzung des Schadens begründet. Bei der Handhabung des § 287 ZPO ist dann aber nicht zwischen der Schätzung des Schadens und der durch Bewertung des Schadens vorzunehmenden Festsetzung der Geldentschädigung unterschieden worden. Diese Ungenauigkeit hat wiederum dazu geführt, daß der Gefühlsschaden in den vielen Entscheidungen kaum als Bezugspunkt der Geldentschädigung herausgestellt wird. Angeknüpft wird vielmehr an die äußeren Verletzungen des Geschädigten, an den Verschuldensgrad des Schädigers und an die Vermögensverhältnisse der Parteien, also an Umstände, die keine hinreichenden Aufschlüsse über das Ausmaß des Gefühlsschadens vermitteln. Sie passen eher zu der Vorstellung, daß der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden i. S. des § 847 BGB nur in dem äußeren immateriellen Verletzungsschaden zu sehen ist, also in der Störung der persönlichen Integrität, die in dem äußeren Einbruch durch die haftungsbegründende Verletzung und in der vorübergehenden oder dauernden äußeren Behinderung des Geschädigten durch das Fortwirken der Verletzung besteht 18 • Man darf deshalb davon ausgehen, daß die in den zahlreichen Urteilen festgesetzten Entschädigungen auch dann nicht anders ausgefallen wären, wenn die Gerichte den von ihnen kaum erwähnten Gefühlsschaden nicht für entschädigungspflichtig gehalten hätten. 5. Zusammenfassung
Die Kritik an dem vorherrschenden Verständnis des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens läßt sich damit so zusammenfassen: Die Beeinträchtigung der inneren Lebenslage des Geschädigten, also seine gefühlsmäßige Reaktion auf eine ihm zugefügte Verletzung an einem der in § 847 BGB aufgezählten Rechtsgüter oder an seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kann nicht als entschädigungspflichtiger immaterieller Schaden angesehen werden. Die Verbitterung, das seelische Leid, die Störung des inneren Gleichgewichts, kurz: die Gefühlsschäden können und dürfen nicht hinreichend genau ermittelt werden. Diese Schwierigkeiten lassen sich auch nicht überzeugend durch eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO überwinden. Die Anerkennung des 1967, 256 ff., 257. Vgl. demgegenüber aber auch Henke, Schmerzensgeldtabelle, 117, sowie Kötz, wie vorige Fußn., 407. 16 Ähnlich Bydlinski, JBl. 1965, 244, der diese Erkenntnis aber nicht durchhält. Er meint schließlich (254 im Anschluß an Wiese): Die Geldentschädigung bringe dem Geschädigten "nicht nur eine Kompensation für beeinträchtigte Lebensfreude", sondern nehme "ihm als Genugtuung auch das Gefühl der Verletzung" und stelle damit "das gestörte Gleichgewicht in seiner Persönlichkeit" wieder her. - Das alles kann sein, ist sogar wünschenswert, muß aber nicht sein und ist für die rechtliche Beurteilung jedenfalls unerheblich. Vgl. dazu auch Reinelt, JR 1971, 177 ff., 182. - Vgl. ferner Mincke, wie § 2 Fußn. 14.
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Gefühlsschadens als entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden ist ferner rechtsethisch bedenklich. Außerdem erweist sich der Gefühlsschaden als ein Schadensposten, der zwar ständig erwähnt wird, aber in den vielen Entscheidungen kaum als näher bestimmte, nachprüfbare Grundlage der Geldentschädigung erscheint und deshalb als überflüssiger gedanklicher Ballast zu qualifizieren ist. Mit dem in § 847 BGB als entschädigungspflichtig bezeichneten "Schaden, der nicht Vermögensschaden ist", kann also der Gefühlsschaden nicht gemeint sein.
n.
Die Materialislerung des immateriellen Schadens l. S. des § 847 BGB
Der soeben gewonnenen Einsicht folgt auch Schwerdtner, wenn er in einem bereits erwähnten Auslegungsvorschlag unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien meint, § 847 BGB bezwecke den Ausgleich "potentieller Vermögensschäden" und erweise sich damit als die "Fortsetzung des Vermögensschadensrechts mit anderen Mitteln"17. Auch gegen diese Deutung des § 847 BGB bestehen erhebliche Bedenken. Der auf der Hand liegende, ebenfalls bereits erwähnte Einwand ergibt sich aus dem Wortlaut des § 847 BGB. Danach gilt die Entschädigung dem "Schaden, der nicht Vermögensschaden ist". Diese klare Regelung läßt sich mit den Gesetzesmaterialien nicht beiseite schieben: zunächst deshalb nicht, weil die Materialien in den vergangenen acht Jahrzehnten ihre die Gesetzesauslegung mitbestimmende Kraft weitgehend verloren haben. Außerdem heißt es in den von Schwerdtner zitierten Motiven keineswegs, daß die Geldentschädigung für immaterielle Schäden hauptsächlich oder gar ausschließlich dem Ausgleich potentieller Vermögensschäden diene. Dieser Zweck läßt sich auch nicht mit der Erwägung begründen, daß die Abgrenzung von materiellem und immateriellem Schaden unmöglich sei; denn diese Befürchtung ist übertrieben18. Einzuräumen ist lediglich, daß es Fälle gibt, in denen sich nur schwer feststellen läßt, ob ein Vermögensschaden oder nur ein immaterieller Schaden entstanden ist. Mit diesen (Sonder-)Fällen läßt sich die im Wortlaut des Gesetzes verankerte und in den meisten Fällen auch mögliche Unterscheidung zwischen materiellem und immateriellem Schaden jedoch nicht aufheben. 17 Zum Inhalt und zur Begründung der Ansicht Schwerdtners vgl. den Bericht oben § 2 A. 11. am Ende (Text nach Fußn. 14). 18 Vgl. zu den Möglichkeiten der Abgrenzung nur Wiese, Immaterieller Schaden, 17 ff. unter IH., Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 1967, 151 ff., Stoll, Begriff und Grenzen des Vermögensschadens, 1973; Hermann Lange, Schadensersatz, § 2 I. (S. 34 ff.). Vgl. auch Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 12. Aufl., 624 Rdz.1175, der unter Berufung auf BGH VersR 1952, 288, eine scharfe Trennung von materiellem und immateriellem Schaden fordert und den Ausgleich von "Unzulänglichkeiten" des Vermögensschadensrechts bei der Bemessung der Entschädigung für immateriellen Schaden ablehnt.
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Abzulehnen ist die von Schwerdtner entwickelte Deutung des § 847 BGB zusätzlich deshalb, weil sie der (nicht nur im Gesetzeswortlaut erkennbaren) Struktur des Schadensersatzrechts widerspricht. Danach ist immaterieller Schaden nur in bestimmten Fällen zu ersetzen (§ 253 BGB). An dieser Konzeption ist durch die Entwicklung im Bereich der Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - im Prinzip nichts geändert worden. Sie hat nur für weitere Einzelfälle, nämlich für die Persönlichkeitsrechtsverletzungen, einen Anspruch auf Geldentschädigung für immateriellen Schaden begründet. Wenn man dagegen die Geldentschädigung für immateriellen Schaden generell als Geldentschädigung für potentiellen Vermögensschaden versteht, läßt sich eine Beschränkung der Ansprüche gern. § 847 BGB auf bestimmte Fälle nicht mehr halten; denn potentieller Vermögensschaden müßteebenso wie der entgangene Gewinn gern. § 252 BGB - in allen Fällen haftungsbegründender Schädigungen ersetzt werden. Eine solche Konsequenz hat aber in der lex lata keine Stütze, auch nicht in dem von Schwerdtner19 angeführten § 287 ZPO, der die materiell rechtlichen Zurechnungsvoraussetzungen nicht erweitert, sondern nur die Schadensermittlung vereinfacht. Aus den soeben vorgetragenen Überlegungen ergibt sich zugleich, daß Schwerdtner die Bemühungen um eine Geldentschädigung für potentielle Vermögensschäden in eine unrichtige, nämlich zu enge Bahn lenkt, wenn er ste über die nur an wenige Haftungstatbestände anknüpfende Regelung des § 847 BGB zu verwirklichen sucht. Die Würdigung des von Schwerdtner unterbreiteten, originellen Vorschlags zur Auslegung des § 847 BGB führt damit zu diesem Ergebnis: Schwerdtner beschäftigt sich der Sache nach nicht mit dem Problem der Geldentschädigung für immateriellen Schaden. Ihm geht es vielmehr darum, die nach seiner Ansicht bestehende "Unzulänglichkeit des materiellen Schadensrechts"20 zu beseitigen. Seine Überlegungen haben ihren dogmatischen Ort also in dem Bereich, der durch die allgemeinen Vorschriften des Schadensersatzrechts für Vermögensschäden, insbesondere durch § 252 BGB, gestaltet wird. Der Regelung des § 847 BGB werden sie aber nicht gerecht, weil die Entschädigung immaterieller Schäden und die anders geartete Problematik der Entschädigung nicht bezifferbarer, künftiger oder potentieller, materieller Schäden auseinander zu halten sind21 .
Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 261. 20 Vgl. Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 284. 21 Im Ergebnis ebenso schon Stoll, Gutachten, 131; Laufs, ZHR 141 (1977) 277 ff., 281 f.; v. Bar, NJW 1980, 1724 ff., 1728. 19
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III. Die Beeinträchtigung der äußeren Lebenslage des Geschädigten als entschädigungspflichtiger immaterieller Schaden
1. Die allgemeine Abgrenzung Da der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden i. S. des § 847 BGB nach der bisherigen Untersuchung nicht in dem Gefühlsschaden und auch nicht in dem potentiellen Vermögensschaden bestehen kann, bleibt nur die Möglichkeit, ihn als immaterielle Beeinträchtigung der äußeren Lebenslage des Geschädigten zu verstehen. Mit dieser weitläufigen und deshalb konkretisierungsbedürftigen Beschreibung soll zunächst nur betont werden, daß der Gefühlsschaden und der potentielle Vermögensschaden bei der Anwendung des § 847 BGB auszuscheiden und die dem Geschädigten haftungsbegründend zugefügten äußeren Verletzungen (Verletzungserfolge) i. S. des § 847 BGB bestimmend in den Vordergrund zu rücken sind. Bei diesen äußeren Verletzungserfolgen handelt es sich um die in den zurechenbaren Eingriffen liegenden Beeinträchtigungen eines der durch § 847 BGB geschützten Lebensgüter, also um Eingriffe in den äußeren oder inneren Körper, in die Gesundheit, die Freiheit, die geschlechtliche Selbstbestimmung einer Frau oder in einen durch Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewonnenen Bestandteil der Persönlichkeit. Diese Eingriffe sind nicht identisch mit dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden, sie begründen ihn aber. Er zerfällt in zwei voneinander zu unterscheidende immaterielle Schadensposten: in den äußeren immateriellen Verletzungsschaden und den äußeren immateriellen Verletzungsfolge-
schaden2!.
2. Die Abgrenzung des äußeren immateriellen Verletzungsschadens a) Die Regelfälle Bei dem äußeren immateriellen Verletzungsschaden handelt es sich um den immateriellen Nachteil, den der Geschädigte allein dadurch erleidet, daß er durch die Verletzung der von § 847 BGB erfaßten (und soeben aufgezählten) Lebensgüter in seiner äußeren persönlichen Integrität gestört worden ist. Der äußere immaterielle Verletzungsschaden besteht also allein in dem äußeren Betroffensein von einer Verletzung des durch Art. 1 GG positivrechtlich an die Spitze der Rechtsordnung gestellten Rechts auf Achtung der Menschenwürde. Für die Feststellung dieses Verletzungsschadens ist daher der Eintritt eines Gefühlsschadens oder eines aktuellen oder eines potentiellen Vermögensschadens weder erforderlich noch erheblich. 22 In diesem Sinne unterscheidet bereits das RG in seiner alten Rechtsprechung. Vgl. RG JW 1913, 543; 1915, 89 f. Zustimmend: Soergell Siebert I Zeuner, § 847 BGB Rz. 19.
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b) Die problematischen Fälle Die soeben beschriebenen Grundsätze lassen sich in der Regel auch einfach handhaben. So ist bei einer Körperverletzung allein auf die Schwere der Beeinträchtigung des äußeren oder inneren Körpers und bei einer ehrverletzenden Äußerung allein auf das Ausmaß der Ehrverletzung und nicht auf die als Reaktion auf die Körper- oder Ehrverletzung (möglicherweise) entstandenen Gefühlsschäden oder potentiellen Vermögensschäden abzustellen. Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich aber, wenn der Schädiger dem Geschädigten lediglich eine psychische Gesundheitsverletzung zugefügt hat, Demonstrationsbeispiele liefern die Fälle, in denen jemand (im folgenden der Zweitverletzte) mitansehen muß, wie ein anderer, etwa ein naher Verwandter (im folgenden der Erstverletzte) auf grausame Weise verletzt wird23• In diesen Fällen entsteht dem Zweitverletzten nicht schon dann ein entschädigungspflichtiger immaterieller Verletzungsschaden, wenn er einen Gefühlsschaden (seelische Unbill, Störung des inneren Gleichgewichts usw.) erleidet, weil dieser immaterielle Schaden - wie dargelegt von § 847 BGB nicht erfaßt wird. Ein Anspruch auf "billige Entschädigung in Geld" kann dem Zweitverletzten jedoch unter zwei Voraussetzungen erwachsen: wenn sich die psychischen Schmerzen zu einer psychischen Krankheit und damit zu einer Gesundheitsverletzung i. S. des § 847 BGB verdichtet haben und wenn dem Schädiger nicht nur die Verletzung des Erstverletzten, sondern auch die Gesundheitsverletzung des Zweitverletzten zuzurechnen ist. Bei der Feststellung der ersten Voraussetzung geht es um die schwierige Abgrenzungsfrage, ob sich die psychischen Schmerzen in tatsächlicher Hinsicht so verdichtet haben, daß sie (von Sachverständigen) als psychische Krankheit zu diagnostizieren und in rechtlicher Hinsicht als Gesundheitsverletzung i. S. des § 847 BGB zu qualifizieren sind. Mindestens ebenso schwierig ist die Feststellung der zweiten Voraussetzung, also die Beantwortung der Frage, ob die Gesundheitsverletzung des Zweitverletzten dem Schädiger zuzurechnen ist. Zweifelhaft ist zunächst, ob auch dieser Erfolg von dem Schutzzweck der durch den Schädiger verletzten Norm umfaßt wird. Insoweit kann eine uferlose und deshalb nicht mehr gerechtfertigte Haftung des Schädigers nur vermieden werden, wenn der Zurechnungsbereich auf nahe Angehörige des Erstverletzten beschränkt wird. Dabei kann der den §§ 844 23 Neueste Übersicht über den Streitstand bei Kötz, FS für v. Caemmerer, 406. Für eine weitgehende Anerkennung von Ansprüchen Zweitverletzter, die nahe Angehörige sind: Hacks, NJW 1975, 1450 ff. und DAR 1977, 181 ff.
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und 845 BGB zugrunde liegende Rechtsgedanke herangezogen werden. Außerdem ist in diesen Fällen - wie stets - die Frage zu stellen, ob der Zweitverletzte die psychische Erkrankung (Gesundheitsverletzung) bei gehöriger Anstrengung vermeiden konnte. Falls das zu bejahen ist, wird der Zweitverletzte den in dem Erduldenmüssen der Gesundheitsverletzung liegenden immateriellen Verletzungsschaden gern. § 254 Abs. 1 BGB in der Regel schon deshalb allein zu tragen haben, weil die ihm zugefügte Gesundheitsverletzung für den Schädiger lediglich einen entfernten, ihn allenfalls am Rande zu einem ordnungsgemäßen Verhalten stimulierenden Erfolg darstellt, während sie sich für den Zweitverletzten selbst als der erste (unmittelbare) Erfolg seines schonungswidrigen Verhaltens erweist.
3. Die Abgrenzung des äußeren immateriellen Verletzungsjolgeschadens Der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden umfaßt den Teil des entschädigungspflichtigen immateriellen Gesamtschadens i. S. des § 847 BGB, der sich in einer dem Schädiger zurechenbaren Weise aus der Verletzung der persönlichen Integrität des Geschädigten entwikkelt. Er erweist sich damit - in der üblichen, grundrechtlichen Erhöhung - als die durch die Verletzung der menschlichen Würde (Art. 1 GG) entstandene Einbuße an Entfaltungsfreiheit, die ihre grundlegende positivrechtliche Ausformung in Art. 2 GG gefunden hat. Aus dieser allgemeinen Umschreibung ergeben sich diese Merkmale eines entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens: Es muß eine verletzungsbedingte Einbuße an Entfaltungsfreiheit vorliegen, und diese Einbuße muß dem Schädiger zurechenbar sein. Beide Merkmale bedürfen der Erläuterung. a) Die verletzungsbedingte Einbuße an Entfaltungsfreiheit Ausgangspunkt für die Abgrenzung der verletzungsbedingten Einbuße an Entfaltungsfreiheit ist die Einsicht, daß der haftungsbegründende Eingriff i. S. des § 847 BGB nur deshalb einen Anspruch auf Geldentschädigung auslöst, weil der Geschädigte in seiner persönlichen Integrität verletzt worden ist. Demzufolge kann der immaterielle Verletzungsfolgeschaden nicht darin gesehen werden, daß das Vermögen oder einzelne Vermögensbestandteile durch die Verletzung des Geschädigten als Vermögensinhaber an Wert verloren haben; denn solche Schädigungen werden durch das Vermögensschadensrecht sanktioniert. § 847 BGB erfaßt vielmehr lediglich die Beeinträchtigung der Fähigkeit des Geschädigten, die ihm aufgrund seiner ideellen und materiellen Lebenslage gegebenen Entfaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Als
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immaterieller Verletzungsfolgeschaden ergibt sich damit die durch den haftungsbegründenden Eingriff i. S. des § 847 BGB entstandene, vorübergehende oder dauernde Beeinträchtigung (Einbuße) der Entfaltungsfreiheit des Geschädigten. Bei der Feststellung des immateriellen Verletzungsfolgeschadens ist also zu ermitteln, in welchem Umfang der Geschädigte durch den haftungsbegründenden Eingriff seine Fähigkeit verloren hat, die ihm aufgrund seiner ideellen und materiellen Lebenslage gegebenen Entfaltungsmöglichkeiten zu nutzen. b) Die Zurechenbarkeit der verletzungsbedingten Einbuße an Entfaltungsfreiheit Der soeben beschriebene gesamte immaterielle Verletzungsfolgeschaden ist dem Schädiger aber ebensowenig zuzurechnen wie der gesamte materielle Verletzungsfolgeschaden im Vermögensschadensrecht. Die erste Einschränkung der Folgenzurechnung ergibt sich aus der in dieser Untersuchung gewonnenen Erkenntnis, daß nur der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden und nicht auch der Gefühlsschaden entschädigungspflichtig ist. Im einzelnen ergeben sich daraus diese Grundsätze: Als entschädigungspflichtiger immaterieller Verletzungsfolgeschaden ist zunächst die Einbuße an Entfaltungsfähigkeit und damit an Entfaltungsfreiheit anzusehen, die der Geschädigte dadurch erleidet, daß er - vorübergehend oder dauernd - mit äußeren Verletzungen der durch § 847 BGB geschützten Rechtsgüter behaftet ist, die entweder schon durch den haftungsbegründenden Vorgang entstanden sind oder sich nachträglich aus der haftungsbegründenden Verletzung entwickelt haben und dem Schädiger nach den Grundsätzen der Folgenzurechnung zuzurechnen sind. Das heißt in negativer Formulierung: nicht entschädigungspflichtig ist der (mögliche) immaterielle Verletzungsfolgeschaden, der durch die innere Reaktion des Geschädigten auf die dem Schädiger zurechenbaren äußeren Verletzungen als Gefühlsschaden (seelische Unbill, Störung des inneren Gleichgewichts usw.) entstanden ist. Das gleiche gilt für die Einbuße an Entfaltungsfreiheit, die der Geschädigte dadurch erleidet, daß er die ihm gegebenen Entfaltungsmöglichkeiten wegen des Gefühlsschadens nicht oder nicht voll nutzt; denn diese Folgen sind dem Schädiger ebensowenig zurechenbar wie der Gefühlsschaden selbst. Anders verhält es sich dagegen, wenn sich der Gefühlsschaden zu einer psychischen Erkrankung entwickelt und damit zu einer Gesundheitsverletzung i. S. des § 847 Abs.l BGB verdichtet hat. So liegt es beispielsweise, wenn eine Frau nach einem Eingriff in ihr geschlechtliches Selbstbestimmungsrecht (§ 847 Abs.2 BGB) psychisch erkrankt ist. In diesen Fällen stellt sich zunächst die Frage, ob die Geschädigte eine 5 Lorenz
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zweite haftungsbegründene Verletzung i. S. des § 847 BGB erlitten hat. Das ist der Fall, wenn der Schädiger auch im Hinblick auf diese Verletzung alle deliktsrechtlichen Zurechnungsvoraussetzungen erfüllt, also auch insoweit schuldhaft gehandelt hat. Ist das zu bejahen, so hat die Geschädigte zwei Verletzungsschäden erlitten, nämlich den, welcher in dem Erduldenmüssen der Verletzung ihres geschlechtlichen Selbstbestimmungsrechts besteht (§ 847 Abs.2 BGB) und den, der als das Erduldenmüssen der zwar aus der ersten Verletzung hervorgegangenen, aber selbständig zurechenbaren Gesundheitsverletzung (§ 847 Abs. 1 BGB) hinzugekommen ist. Außerdem entsteht ihr durch das Fortwirken der Gesundheitsverletzung ein entschädigungspflichtiger immaterieller Verletzungsfolgeschaden. Das soeben erzielte Ergebnis (zwei Verletzungsschäden und Verletzungsfolgeschaden auch wegen der zweiten Verletzung) ist auch dann zu fordern, wenn die zweite Verletzung, in dem Beispielfall also die Gesundheitsverletzung, dem Schädiger nicht selbständig zurechenbar ist, etwa weil sich sein Verschulden auf diese Verletzung nicht erstreckt; denn in diesem Fall ist die Zurechnung jedenfalls nach den Grundsätzen über die Folgenzurechnung zu bejahen. Der Umstand, daß sich die Gesundheitsverletzung aus dem infolge der ersten Verletzung entstandenen Gefühlsschaden entwickelt hat, ist also ebenso unerheblich wie in dem Fall, in dem die Gesundheitsverletzung selbständig zurechenbar ist. Die Schwierigkeit der Beurteilung dieser Fälle besteht somit allein in der Beantwortung der Frage, ob bei dem Geschädigten infolge der haftungsbegründenden Verletzung - möglicherweise aus einem zunächst eingetretenen Gefühlsschaden - eine eindeutig zu diagnostizierende Verletzung der (psychischen) Gesundheit entstanden ist. c) Die Sonderfälle der "verletzungsbedingten Wesensänderungen" In diesen Zusammenhang gehören auch die Fälle, in denen der Geschädigte durch Körper- und insbesondere durch Hirnverletzungen eine Wesensänderung durchgemacht und etwa seine "emotionalen und Antriebsstrukturen"U oder sein intellektuelles Leistungsvermögen und seine Abwehrkräfte gegen die Begehung von Straftaten25 ganz oder teilweise eingebüßt hat. In diesen Fällen haben die Gerichte den Geschädigten zu Recht eine Geldentschädigung zuerkannt. Es geht hier jedoch nicht um die Sanktion eines stets unbeachtlichen Gefühlsschadens (seelische Unbill, Störung des inneren Gleichgewichts usw.); schon Vgl. OLG Zweibrücken VersR 1976, 74 ff., 76. Vgl. BGH NJW 1979, 1654 f. = VersR 1979, 739 ff. und dazu OLG Karlsruhe VersR 1979, 164. 24
25
B. Umrisse des Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens
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deshalb nicht, weil der Geschädigte in seiner neuen Wesenslage oft keinerlei Gefühlsschäden empfindet. Entscheidend ist vielmehr allein, daß der Geschädigte eine dem Schädiger zurechenbare Persönlichkeitsverletzung erlitten hat, aus der ihm für die Dauer der Wesensveränderung ein äußerer immaterieller Verletzungsfolgeschaden entstanden ist; denn er kann sich für diese Zeit nicht so entfalten, wie es ihm ohne die Verletzung aufgrund seiner ideellen und materiellen Lebenslage möglich gewesen wäre. Er hat also - ohne Rücksicht auf seine Gefühlslage - eine Störung seiner Entfaltungs- und Gestaltungsfreiheit erlitten.
B. Die Umrisse des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens in den einzelnen Entschädigungsfällen I. Die WortlautflUle des § 847 BGB
1. Der äußere immaterielle Verletzungsschaden In den im Wortlaut des § 847 BGB genannten Entschädigungsfällen besteht der äußere immaterielle Verletzungsschaden allein darin, daß der Geschädigte durch die Verletzung seines Körpers, seiner Gesundheit, seiner Freiheit (§ 847 Abs.1 BGB) oder als Frau durch die Verletzung des geschlechtlichen Selbstbestimmungsrechts in seiner persönlichen Integrität betroffen worden ist, also eine der genannten Verletzungen zu erdulden hatte. Die innere Reaktion des Geschädigten, seine etwaigen Gefühlsschäden, sein seelisches Leid usw. sind also - über die auf dem Boden der herrschenden Meinung verbreitet vertretene Auffassung26 hinaus - nicht nur nicht besonders festzustellen, sondern aus der Untersuchung völlig auszuscheiden.
2. Der äußere immaterielle Verletzungsjolgeschaden Der in den Wortlautfällen als entschädigungspftichtig anzuerkennende äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden erweist sich nach den bisherigen Untersuchungen als der Verlust an Entfaltungsfähigkeit, den der Geschädigte dadurch erleidet, daß er vorübergehend oder dauernd mit äußeren Verletzungen der in § 847 BGB genannten Rechtsgüter oder mit den (dem Schädiger zurechenbaren) äußeren Folgen dieser Verletzung behaftet ist. Dieser Schaden ist bei Körper- und Gesundheitsverletzungen meist ohne größere Schwierigkeiten festzustellen. Die äußere Beeinträchtigung der Entfaltungsfähigkeit und -freiheit des Geschädigten ist hier etwa aus der Dauer des Krankenhausaufenthalts, der vorübergehenden oder dauernden Körperbehinderung usw. zu entnehmen. 28
Vgl. dazu oben A. I. 1. und Fußn. 9.
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§ 3: Struktur und Umfang des Schadens
Schwierigkeiten ergeben sich dagegen in den sonstigen Wortlautfällen, also bei der Freiheitsentziehung (§ 847 Abs. 1 BGB) und bei dem Eingriff in das geschlechtliche Selbstbestimmungsrecht der Frau (Abs. 2). Da auch in diesen Fällen (aus den in der vorangegangenen Untersuchung dargelegten Gründen) der Gefühlsschaden außer Betracht bleiben muß, solange er sich nicht zu einer dem Schädiger zurechenbaren Gesundheitsverletzung verdichtet hat und damit zu einem selbständigen Anwendungsfall des § 847 Abs.l BGB geworden ist, können als äußerer immaterieller Verletzungsfolgeschaden nur die Beeinträchtigungen berücksichtigt werden, welche der Geschädigte wegen der Freiheitsentziehung und wegen einer Verletzung i. S. des § 847 Abs.2 BGB durch seine Umwelt, also im sozialen Leben erleidet. Solche beeinträchtigenden Umweltreaktionen, die insbesondere bei Eingriffen in das geschlechtliche Selbstbestimmungsrecht einer Frau auftreten können, werden sich in der Regel nur mit Hilfe des § 287 ZPO feststellen lassen.
3. Die Zusammensetzung des entschädigungspjlichtigen immateriellen Gesamtschadens Aus den vorgetragenen überlegungen ergibt sich für die Wortlautfälle des§ 847 BGB diese Feststellung über die Zusammensetzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Gesamtschadens: Durch jede in dem Wortlaut des § 847 BGB genannte haftungsbegründende Verletzung erleidet der Geschädigte einen entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsschaden. Dieser allein von dem Eingriff abhängige Schadensposten ist also stets anzusetzen und durch eine "billige Entschädigung in Geld" zu entschädigen. Hinzukommen kann und wird meistens, aber muß nicht, ein entschädigungspflichtiger immaterieller Verletzungsfolgeschaden. Er wird bei schweren Körperverletzungen mit Dauerfolgen in der Regel höher sein als der Verletzungsschaden. Er kann aber auch erheblich geringer sein oder völlig fehlen. So wird etwa bei Verletzungen des geschlechtlichen Selbstbestimmungsrechts einer Frau stets ein hoher immaterieller Verletzungsschaden, aber möglicherweise ein geringer immaterieller Verletzungsfolgeschaden festzustellen sein. Die einzelnen Schadensposten sind stets gesondert festzustellen, weil sie bei der Bemessung der "billigen Entschädigung in Geld" (§ 847 BGB) gesondert zu würdigen sind und sowohl Schadensfeststellungsals auch Bemessungserwägungen im Rechtsmittelzuge nachprüfbar sein müssen.
B. Umrisse des Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens
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ß. Die Fälle der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
In den Fällen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bereitet die Feststellung des Verletzungs- und des Verletzungsfolgeschadens besondere Schwierigkeiten. Sie ergeben sich allerdings nicht aus der auch für diese Fälle geltenden Annahme, daß der Gefühlsschaden des Geschädigten auf die Verletzung seiner Persönlichkeit, also sein (mögliches) seelisches Leid, die Störung seines inneren Gleichgewichts usw. außer Betracht zu bleiben hat. Die bisherigen überlegungen widerlegen auch die hinter der herrschenden Meinung verborgene und die Einstellung ihrer Anhänger zur Struktur des immateriellen Schadens insgeheim bestimmende Befürchtung, daß kein entschädigungspflichtiger immaterieller Schaden übrigbleibe, wenn man den Gefühlsschaden nicht für entschädigungspflichtig. halte; denn in allen Fällen der Persönlichkeitsrechtsverletzung ist jedenfalls ein äußerer immaterieller Verletzungsschaden (in dem hier verstandenen Sinne) und meist auch ein äußerer immaterieller Verletzungsfolgeschaden festzustellen. Besondere Schwierigkeiten bereitet die Feststellung dieser beiden Schadensposten vielmehr deshalb, weil das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Eingriffsgegenstand konkretisierungsbedürftig ist.
1. Der äußere immaterielle Verletzungsschaden Ohne die notwendige Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts läßt sich der äußere immaterielle Verletzungsschaden als die Beeinträchtigung beschreiben, die der Geschädigte allein dadurch erleidet, daß er einen in der haftungsbegründenden Verletzung liegenden Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht erdulden mußte. Was er dabei empfindet, ist auch in diesen Fällen nicht nur nicht aufzuklären27 , sondern völlig außer Betracht zu lassen. Für den Umfang des entschädigungspflichtigen äußeren immateriellen Verletzungsschadens ist es also gleichgültig, ob der Geschädigte mit seelischem Leid und Störungen des inneren Gleichgewichts, mit Gelassenheit, mit\ Hohn oder mit Freude reagiert, weil er in der Verletzung eine Möglichkeit sieht, öffentliche Aufmerksamkeit zu erringen. Das in der zunächst nur sehr allgemeinen Beschreibung als Eingriffsgegenstand genannte allgemeine Persönlichkeitsrecht ist identisch mit dem Recht auf Achtung der menschlichen Würde, das seine positivrechtliche Grundlage in Art. 1 GG hat28• Man kann es deshalb mit LaWie vorige Fußn. Daneben wird auch mit Art. 2 Abs. 1 GG argumentiert (vgl, Übersicht bei Wiese, Immaterieller Schaden, 44 f.), der naeh· der hier vertretenen Ansieht (s. oben unter A. III. 3.) als Grundlage des Verletzungsfolgeschadens heranzuziehen ist. 27
28
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§ 3: Struktur und Umfang des Schadens
renz2D als "Quellrecht" oder "Rahmenrecht" charakterisieren. Das bedeutet: es ist durch die Erarbeitung besonderer Persönlichkeitsrechte auszuformen3o und dadurch in Form von Einzeltatbeständen für die Rechtsprechung hantierbar zu machen. Diese Arbeit ist zu einem erheblichen Teil bereits durch den Gesetzgeber geleistet worden. Als besondere Persönlichkeitsrechte, die sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückführen lassen, sind aus der Sicht des § 847 BGB zunächst die in seinem Wortlaut erwähnten besonderen Persönlichkeitsrechte zu nennen, also das Recht auf Unversehrtheit des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit (i. S. des § 847 Abs.l BGB) und das Recht der Frau auf geschlechtliche Selbstbestimmung (Abs. 2). Hinzukommen alle anderen in der Rechtsordnung bereits in Einzeltatbestände gefaßten besonderen Persönlichkeitsrechte wie das Recht am eigenen Bild usw. Darüber hinaus sind weitere besondere Persönlichkeitsrechte durch Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entwickelt worden und weiter zu entwickeln. Genannt sei als Beispiel nur das Recht am eigenen Charakterbild31 • Bei der Anwendung des § 847 BGB bedeutet die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts also die Verletzung der anerkannten besonderen Persönlichkeitsrechte, die im Wortlaut des § 847 BGB nicht genannt werden, deren Verletzung aber nach der neueren Rechtsentwicklung ebenso sanktioniert wird wie die Verletzung der ausdrücklich benannten Rechte. In den Fällen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besteht der äußere immaterielle Verletzungsschaden nach den bisherigen Untersuchungen somit in der Beeinträchtigung, die der Geschädigte allein dadurch erlitten hat, daß er die Verletzung eines oder mehrerer nicht in § 847 BGB erwähnter, aber anerkannter besonderer Persönlichkeitsrechte erdulden mußte. Der Umfang des äußeren immateriellen Verletzungsschadens muß folglich wie in den Wortlautfällen des § 847 BGB - davon abhängen, ob nur ein besonderes Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist, oder ob mehrere besondere Persönlichkeitsrechte betroffen worden sind.
29 LaTenz, SchuldR BT, 11. Aufi., § 72 III. und schon NJW 1955, 521. Ihm folgend BGHZ 24, 72 ff., 78, Wiese, FS f. Duden, 719 ff., 724 und Deutsch, JZ 1979, 353. 30 Vgl. dazu GeTnhubeT, Bürgerliches Recht, 81; Wiese, FS für Duden, 719 ff., 724 und neuestens Deutsch, JZ 1979, 352 f. (Anm. zu BGH JZ 1979, 349 f. und 351 f.) wo er zu Recht kritisiert, daß der BGH nicht die Entwicklung von Einzeltatbeständen betreibt, sondern "in jedem Einzelfall erneut eine Abwägung fordert". 31 Dazu zuletzt Wiese, wie vorige Fußn. 726 ff. Zu weiteren Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Wiese, ebenda, 733 und deTs., ZfA 1971, 273 ff., 284 ff., insbes. 317.
B. Umrisse des Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens
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2. Der äußere immaterielle Verletzungsjolgeschaden Der entschädigungspflichtige immaterielle Verletzungsfolgeschaden, der in den Fällen der Persönlichkeitsrechtsverletzungen entstehen kann, ist aufgrund der bisherigen Untersuchungen 32 zu beschreiben als die Einbuße an Entfaltungsfähigkeit, die der Geschädigte dadurch erleidet, daß er vorübergehend oder dauernd mit einer haftungsbegründenden Persönlichkeitsrechtsverletzung, etwa mit einer haftungsbegründenden Verletzung seiner Ehre, behaftet ist. Bei der Ermittlung dieses, in dem Fortwirken der haftungsbegründenden Verletzung bestehenden, äußeren immateriellen Verletzungsschadens hat wiederum der durch die Verletzung entstandene Gefühlsschaden außer Betracht zu bleiben. Es ist also für den Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens unerheblich, ob sich der Geschädigte über die Verletzung gegrämt hat, ob er sie gelassen hingenommen hat, ob sie ihm als willkommener Anlaß zur öffentlichkeitswirksamen Selbstdarstellung gedient hat usw. Falls die innere Reaktion des Geschädigten auf seine Persönlichkeitsrechtsverletzung jedoch zu einer psychischen Erkrankung führt und diese dem Schädiger zuzurechnen ist, entsteht ein zweiter, selbständig zu beurteilender Schadensfall gern. § 847 Abs.l BGB (Gesundheitsverletzung). Von diesem Sonderfall abgesehen, ergibt sich der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen wie in einigen Wortlautfällen des § 847 BGB33 - hauptsächlich aus der Reaktion der sozialen Umwelt des Geschädigten auf dessen Behaftung mit der dem Schädiger zurechenbaren Verletzung, etwa mit der Verunglimpfung als Mörder. In solchen Fällen stößt der Geschädigte vor und nach dem Widerruf gewöhnlich auf Vorbehalte und Abwehrreaktionen, die seine Entfaltungsmöglichkeiten erheblich einschränken.
3. Die Zusammensetzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Gesamtschadens Die Zusammensetzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Gesamtschadens bietet in den Fällen der Persönlichkeitsrechtsverletzungen strukturell das gleiche Bild wie in den zuvor betrachteten Wortlautfällen des § 847 BGB. Das bedeutet: Jede haftungsbegründende Verletzung eines Persönlichkeitsrechts des Geschädigten begründet einen entschädigungspflichtigen äußeren immateriellen Verletzungsschaden, der allein darin besteht, daß der Geschädigte den Eingriff in seine persönliche Integrität dulden mußte. Dieser Schadensposten ist also stets und ohne Rücksicht auf die innere Reaktion des Geschädigten festzustellen. 32 Vgl. dazu insbesondere oben A. III. 3. a) und b) sowie B. I. 2. 33 Dazu oben B. I. 2.
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§ 3:
Struktur und Umfang des Schadens
~
Außerdem kann und wird meistens als zweiter Schadensposten ein entschädigungspflichtiger äußerer immaterieller Verletzungsfolgeschaden hinzukommen. Sein Umfang wird durch die Gefühlsreaktion des Geschädigten (durch sein seelisches Leid usw., seine Gelassenheit oder seine Absicht, den Eingriff öffentlichkeitswirksam auszunutzen) ebensowenig beeinflußt wie der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsschadens. C. Die den Umfang des immateriellen Schadens bestimmenden Umstände Die nach der allgemeinen Charakterisierung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens nunmehr gebotene nähere Beschreibung der Umstände, von denen der Umfang des Schadens im einzelnen abhängt, stößt bei der Würdigung der hierzu vertretenen Ansichten auf eine grundsätzliche Schwierigkeit: Es wird meist nicht hinreichend deutlich zwischen der Feststellung des immateriellen Schadens auf der einen und der Feststellung der Entschädigung auf der anderen Seite unterschieden. Die als maßgebend angesehenen Faktoren werden daher nicht selten ohne Unterscheidung der heiden Bezugspunkte erörtert. Sie sollen hier zunächst nur im Hinblick auf den Umfang des Schadens betrachtet werden. I. Der Verschuldensgrad des Schidigers
Zu den am häufigsten genannten Bemessungsfaktoren gehört der Verschuldensgrad des Schädigers34. Er ist nicht nur für die Entschädigung, sondern auch für den Schaden erheblich, wenn man mit der herrschenden Meinung annimmt, daß der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden auch und sogar hauptsächlich in der Beeinträchtigung der inneren Lebenslage des Geschädigten bestehe, also in seiner seelischen Unbill, der Störung des inneren Gleichgewichts, den Einbußen an Lebensfreude usw.; denn die subjektive Einstellung des Schädigers, etwa sein Vorsatz, kann auf den Geschädigten im Einzelfall durchaus besonders "verbitternd wirken"36 und somit das Ausmaß der inneren Erschütterung erhöhen. Da sich die Anerkennung des Gefühlsschadens als entschädigungspflichtiger immaterieller Schaden in den vorangegangenen Untersuchungen jedoch als unbegründet erwiesen hat, und deshalb der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden (i. S. des § 847 BGB) allein in dem 34 Vgl. dazu oben § 2 B. I. am Ende (GS des BGH) und § 2 B. IV. (Bötticher, HonselZ) sowie die dort angegebenen weiteren Nachw. 35 Vgl. etwa RGZ 136, 62, und dazu Knöpfel, AcP 155 (1956) 154 mit weite-
ren Nachw.
c. Den Umfang des Schadens bestimmende Umstände
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äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden zu
sehen ist, kann es bei der Feststellung des Schadensumfangs nicht auf den Verschuldensgrad des Schädigers ankommen. An einem Beispielsfall verdeutlicht heißt das: Der Umfang des von dem Gefühlsschaden bereinigten, also nur äußeren immateriellen Schadens hängt nicht davon ab, ob dem Schädiger, der dem Geschädigten eine rechtswidrige Körperverletzung beigebracht oder zu Unrecht als Mörder oder Landesverräter bezeichnet hat, Vorsatz oder nur Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist; denn in diesen Fällen ist nicht der äußere immaterielle Schaden, sondern lediglich das Handlungsunrecht unterschiedlich hoch. Eine unterschiedlich hohe Geldentschädigung kann folglich nur dann in Betracht kommen, wenn die Bemessung dieser Entschädigung nicht nur an dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden, sondern zusätzlich an anderen Faktoren (Umständen) auszurichten ist. Diese Einsicht wird unbewußt auch durch die Handhabung der herrschenden Meinung unterstützt: Zunächst dadurch, daß die innere Erschütterung des Geschädigten zu Recht gar nicht aufgedeckt und dem Geschädigten auch dann eine Geldentschädigung gewährt wird, wenn er aufgrund seiner charakterlichen Konstitution innerlich gar nicht erschüttert worden ist38 . Außerdem wird der Verschuldensgrad des Schädigers in der jüngeren, durch den Großen Senat des BGH37 in Gang gebrachten Diskussion nur als Bemessungsfaktor für die Genugtuungsentschädigung herangezogen, und die soll nicht nur an dem Umfang des eingetretenen immateriellen Schadens, also an erfolgsbezogenen Umständen, orientiert werden, sondern - wie die Geldstrafe - an der verwerflichen Einstellung des Schädigers, also an handlungs- und schädigerbezogenen Umständen. 11. Der Anlaß der Verletzungshandlung des Schidigers
Aus den gleichen Gründen wie der von dem Schädiger erreichte Verschuldensgrad kann auch sein Anlaß zu der Verletzungshandlung nicht als ein den Umfang des immateriellen Schadens beeinflussender Faktor anerkannt werden; denn auch dieser Umstand kann allenfalls die innere Lebenslage des Geschädigten, also den Gefühlsschaden, beeinflussen. Er verliert somit seine Relevanz, wenn man den Gefühlsschaden nicht als entschädigungsfähig und -pflichtig ansieht. Auch er kann daher allenfalls für die Höhe der Entschädigung bedeutsam sein, nämlich dann, wenn die weitere Untersuchung ergibt, daß die Entschädigung nicht allein an dem Umfang des entschädigungspflichtigen Vgl. dazu oben A. I. 4. 37 BGHZ (GS) 18, 149 ff., 157.
36
74
§ 3: Struktur und Umfang des Schadens
immateriellen Schadens, sondern auch an anderen Umständen des Falles auszurichten ist.
m. Die
Verm6gensverhJiltnlsse des Sdlädlgers
Keine Bedeutung für den Umfang des Schadens haben ferner die bei der Bemessung der Geldentschädigung überwiegend38 als erheblich angesehenen Vermögensverhältnisse des Schädigers. Bei ihnen handelt es sich um einen bei der Erörterung der Entschädigungsproblematik zu würdigenden reinen "Genugtuungsfaktor". Sie beeinflussen die Schadenshöhe nicht einmal dann, wenn man mit der herrschenden Meinung auch die Beeinträchtigung der inneren Lebenslage des Geschädigten (den Gefühlsschaden) als entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden ansieht. Sie sind also erst recht unerheblich, wenn man - wie es geboten ist - allein auf die Beeinträchtigung der äußeren Lebenslage des Geschädigten abstellt. IV. Die Verm6gensverhältnisse des Gesdlldlgten
Wenn man (in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung) auch und sogar hauptsächlich den Gefühlsschaden und die dadurch zerstörte Möglichkeit des Lebensgenusses als entschädigungspflichtigen Schaden ansieht, kann man nicht umhin, die Vermögensverhältnisse des Geschädigten als schadensbestimmenden Faktor anzuerkennen; denn bei diesem Ansatz muß man feststellen, daß der wohlhabende Geschädigte, der die Möglichkeiten eines aufwendigen Lebensgenusses verliert, vielleicht innerlich mehr erschüttert wird als ein Geschädigter, welcher in bescheidenen Verhältnissen gelebt hat und sich ohnehin nicht viel leisten konnte. Die Geldentschädigung, die. nach herrschender Meinung das gestörte Gleichgewicht des Geschädigten wieder herstellen, seine innere Erschütterung kompensieren und ihm Genugtuung verschaffen soll, kann also bei einem vermögenden Geschädigten höher ausfallen als bei einem unvermögenden: bei einem lebenslustigen jungen Millionär, der die Möglichkeiten seines Reichtums in vollen Zügen genießt, werden 10000,- DM nichts kompensieren, während sich ein Kleinrentner wahrscheinlich zumindest für einige Zeit über diesen Betrag freuen wird. Wegen dieser Konsequenzen ist den Gerichten, insbesondere in bezug auf die Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrechtsschutz gelegentlich vorgeworfen worden, sie betrieben "Klassenjustiz" oder "Prominentenschutz"s9. Die gleichen Konsequenzen ergeben sich - allerdings aus anderen Gründen - wenn man den Ersatz des .immateriellen Schadens i. S. des § 847 BGB mit SchwerdtZu den Belegen s. den Hinweis in Fußn. 32. Vgl. dazu den Bericht bei Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 295 ff. unter 9., der diese Vorwürfe nicht teilt, sondern die teilweise "lustig" gehaltene Polemik "schneidig" zurückweist. 38
88
c.
Den Umfang des Schadens bestimmende Umstände
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ner40 als Ersatz des potentiellen Vermögensschadens versteht; denn der potentielle Vermögensschaden wird bei reichen Geschädigten größer sein als bei Geschädigten, die in mittleren oder dürftigen Verhältnissen leben. Die genannten Konsequenzen und die auf sie bezogene, teilweise polemische Kritik werden vermieden, wenn als entschädigungspflichtiger immaterieller Schaden nur die immaterielle Beeinträchtigung der äußeren Lebenslage des Geschädigten angesehen wird; denn bei diesem Ansatz sind die Vermögensverhältnisse des Geschädigten für den Umfang sowohl des äußeren immateriellen Verletzungs- als auch des äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschadens unerheblich.
1. Die Vermögensverhältnisse des Geschädigten und sein äußerer immaterieller Verletzungsschaden Die Begründung ergibt sich für den äußeren immateriellen Verletzungsschaden bereits aus der allgemeinen Charakterisierung dieses Schadenspostens. Danach erweist sich dieser Schaden als die Beeinträchtigung der äußeren Lebenslage, welche der Geschädigte allein dadurch erleidet, daß er die Verletzung eines seiner in § 847 BGB aufgezählten Rechte oder eines sonstigen Persönlichkeitsrechts erleiden muß41. Die wie auch immer gelagerten Vermögensverhältnisse des Geschädigten sind also kein haftungsbegründender Eingriffsgegenstand i. S. der § 847 BGB. Sie sind deshalb auch kein Faktor, von dem der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens abhängt.
2. Die Vermögensverhältnisse des Geschädigten und sein immaterieller Verletzungsfolgeschaden Im Ergebnis ebenso verhält es sich bei dem entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschaden. Er besteht nach der hier vertretenen Ansicht42 in der verletzungsbedingten und dem Schädiger zurechenbaren Einbuße an Entfaltungsfreiheit des Geschädigten, also in dem gänzlichen oder teilweisen, dauernden oder vorübergehenden Verlust der Fähigkeit, seine wie auch immer gearteten Lebensmöglichkeiten zu nutzen. Der Umfang dieses Verlustes ist damit unabhängig von der materiellen Lebensgrundlage des jeweiligen Geschädigten. An einem Beispiel verdeutlicht heißt das: Wenn zwei Geschädigte infolge einer für den Schädiger haftungsbegründenden Körperverletzung eine Querschnittslähmung erleiden, ist ihre Einbuße an Entfaltungsfreiheit 40 Vgl. Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 264, 287 und 289 sowie ders., JuS 1978,297. Vgl. dazu auch oben § 2 A. H. arn Ende. 41 Vgl. dazu oben B. I. 1. und B. H. 2. 42 Vgl. dazu oben A. IH. 3. a) und b) sowie B. I. 2.
76
§ 3:
Struktur und Umfang des Schadens
und damit der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens nicht schon deshalb unterschiedlich hoch, weil sie in unterschiedlichen Vermögensverhältnissen gelebt haben und ihr Leben deshalb unterschiedlich gestaltet hätten, wenn sie nicht verletzt worden wären; denn beide haben in gleichem Umfang die Fähigkeit eingebüßt, sich auf ihre Weise zu entfalten. Die Einbuße an Entfaltungsfähigkeit und -freiheit hat also bei unterschiedlichen Vermögensverhältnissen des Geschädigten zwar eine unterschiedliche Bezugsgröße, aber keine unterschiedliche Dimension. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn die beiden Geschädigten durch die haftungsbegründende Verletzung bewußtlos geworden sind. In diesen Fällen hat der Geschädigte, der in der Zeit der Bewußtlosigkeit aufgrund seiner Vermögensverhältnisse ein hohes Einkommen erzielt hätte, zwar einen erheblich höheren materiellen Verletzungsfolgeschaden erlitten als der Geschädigte, der nur wenig verdient hätte. Der (äußere) immaterielle yerletzungsfolgeschaden ist dagegen in bei den Fällen gleich hoch, weil beide ihre gesamte Entfaltungsfreiheit verloren haben. 3. Ergebnis Die Vermögensverhältnisse des Geschädigten sind damit für keinen der beiden nach § 847 BGB entschädigungspflichtigen immateriellen Schadensposten als ein für den Umfang des Schadens erheblicher Umstand anzuerkennen. V. Die Bestrafung des Schidigers
Wenn man mit der herrschenden Meinung auch den Gefühlsschaden des Geschädigten als entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden ansieht, muß sich die Bestrafung des Schädigers jedenfalls dann als ein den Umfang des Schadens mitbestimmender, nämlich mindernder Umstand auswirken, wenn sich die gestörte Gemütslage des Geschädigten deshalb wieder beruhigt hat. Die "billige Entschädigung in Geld" (§ 847 BGB) muß somit schon aus diesem Grunde 43 geringer ausfallen. Die in diesem Sinne urteilenden Gerichte44 entscheiden also folgerichtig; denn viele Geschädigte werden auf verletzende. Eingriffe mit (verständlichen) Rachegefühlen reagieren und je nach Veranlagung ihren Seelenfrieden jedenfalls teilweise wiedererlangen, wenn der Schädiger bestraft worden ist. Wenn man dagegen - wie es aufgrund der vorher43 Und nicht erst wegen der von der h. M. geforderten Genugtuungsfunktion (vgl. dazu oben § 2 B. I. - III.) oder wegen der von einer Mindermeinung geforderten Überwindungsfunktion der Geldentschädigung (vgl. dazu oben § 2 B. V.). 44 Vgl. dazu Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 301 f. mit Hinweisen auf OLG Celle JZ 1970, 548 li. Sp.; AG Flensburg MDR 1973, 948; OLG Düsseldorf NJW 1974, 1289, und OLG Hamm, MDR 1974, 1018.
C. Den Umfang des Schadens bestimmende Umstände
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gegangenen Untersuchungen geboten ist - den Gefühlsschaden nicht als entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden anerkennt, ist auch die Bestrafung des Schädigers für den (von dem Umfang der Entschädigung zu unterscheidenden) Umfang des Schadens völlig unerheblich. Das bedeutet im einzelnen: Der Geschädigte, der auch nach hoher Bestrafung des Schädigers seinen Seelenfrieden nicht wiedererlangt hat, erleidet keinen größeren entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden als der, welcher durch die Verletzung entweder zu keinem Zeitpunkt in seinem Seelenfrieden gestört worden ist oder sich nach der Bestrafung völlig beruhigt oder wegen der vielleicht als zu hoch empfundenen Bestrafung Mitleid mit dem Schädiger empfunden hat. Demzufolge muß bei im übrigen annähernd gleichen Umständen die "billige Entschädigung in Geld" jedenfalls dann gleichhoch ausfallen, wenn sie (was noch zu untersuchen ist) allein an dem Schadensumfang zu orientieren ist und ihr nicht etwa die von der herrschenden Meinung geforderte besondere Genugtuungsfunktion oder eine überwindungsfunktion beizulegen ist45 • VI. Die Verzeihung durdl den Gesdlidigten
Keine Bedeutung für den Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens hat ferner eine von dem Geschädigten gegenüber dem Schädiger ausgesprochene Verzeihung; denn sie kann allenfalls ausdrücken, daß der Geschädigte seinen Gefühlsschaden überwunden hat, und der liegt nach der hier vertretenen Ansicht außerhalb der rechtlichen Relevanz. Nur wenn der Geschädigte mit der Verzeihung einen Erlaß der Verpflichtung des Schädigers gem. § 847 BGB anbieten will, ist sie erheblich. Im Zweüel ist aber anzunehmen, daß der Geschädigte, der dem Schädiger verzeiht, auf seinen Anspruch gem. § 847 BGB ebensowenig "verzichten" will wie auf seine etwaigen Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens. VII. Die nidlt öffentIidle Entsdluldigung durch den Sdlädiger
Wenn man mit der herrschenden Meinung auch den Gefühlsschaden als entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden anerkennt, ist selbst die nicht öffentliche Entschuldigung durch den Schädiger ein schadensmindernder Faktor48 • Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen der Geschädigte die Entschuldigung annimmt. Dann müssen die Anhänger der herrschenden Meinung in konsequenter Fortsetzung Vgl. dazu oben § 2 B. I. und V. Vgl. dazu Bötticher, Referat, C 26, wo er meint, die Entschuldigung sei "gerade das natürliche Mittel, um den seelischen Schaden wieder gutzumachen, der durch Ehrenkränkung hervorgerufen" werde. 45 48
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§ 3: Struktur und Umfang des Schadens
ihrer (nach der hier vertretenen Ansicht) weitgehend spekulativen Argumentation mit dem Gefühlsschaden feststellen, daß das seelische Leid, die Störung des inneren Gleichgewichts usw. zumindest herabgesetzt, wenn nicht gar ganz ausgeschlossen wird. Sie können dem Geschädigten demzufolge allenfalls eine geringe Geldentschädigung zusprechen. Noch zweifelhafter sind die Konsequenzen der herrschenden Meinung, wenn der Geschädigte die Entschuldigung des zumindest äußerlich reumütigen Schädigers nicht annimmt, also wenn er durch Worte nicht zu besänftigen ist. In diesen Fällen führt die herrschende Meinung zu der schwierigen Frage, ob der Geschädigte nicht zumindest einen Teil seines Entschädigungsanspruchs einbüßt, weil er einen von ihm gem. § 254 BGB zu fordernden Beitrag zur Verminderung seines Gefühlsschadens verweigert hat. Diese Frage wird in der etwas diffusen, meist nicht zwischen immateriellem Schaden und Entschädigung unterscheidenden Diskussion kaum erörtert. Ihre Beantwortung muß nach der Gesamtkonzepiton der herrschenden Meinung auf eine Argumentation mit den "Umständen des Einzelfalles" und der "Zumutbarkeit" hinauslaufen. Sie kann deshalb kaum vorhergesehen, eingesehen und nachgeprüft werden. Alle diese bedenklichen Auswirkungen der herrschenden Meinung werden vermieden, wenn man den entschädigungspftichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB auf den äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden i. S. der hier vertretenen Ansicht begrenzt. Dann ist jedenfalls die nicht öffentliche Entschuldigung für den Umfang des entschädigungspftichtigen immateriellen Schadens ebenso unerheblich wie der Gefühlsschaden, dessen Verminderung sie allein dienen kann. Sie gehört - wie dieser - zum außerrechtlichen Bereich, so wichtig und wünschenswert sie für die Wiederherstellung des Rechtsfriedens auch sein kann.
vm.
Die Herstellung in Natur
Auch aus der Sicht der hier vertretenen Ansicht nicht gleichermaßen einfach zu beantworten ist die Frage, wie sich naturalrestitutive Maßnahmen, etwa die Heilung bei Körper- und Gesundheitsverletzungen oder der Widerruf, die Gegendarstellung und die Unterlassung bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, auf den Umfang des entschädigungspftichtigen immateriellen Schadens i. S. des § 847 BGB auswirken. Die Antwort ergibt sich aus zwei bereits gewonnenen Erkenntnissen: Aus der Zerlegung des entschädigungspftichtigen immateriellen Schadens in zwei Schadensposten, nämlich den äußeren immateriellen Verletzungs- und den äußeren immateriellen Verletzungsfolge-
C. Den Umfang des Schadens bestimmende Umstände
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schaden, und aus der Subsidiarität der Ansprüche gern. § 847 BGB, also daraus, daß die Ansprüche nur unter den Voraussetzungen des § 251 BGB geltend gemacht werden können47 •
1. Die Rechtslage bei dem äußeren immateriellen Verletzungsschaden Bei dem entschädigungspflichtigen (äußeren) immateriellen Verletzungsschaden, der allein darin besteht, daß der Geschädigte durch die Verletzung eines seiner in §847 BGB aufgezählten Rechtsgüter oder seines Persönlichkeitsrechts in seiner persönlichen Integrität gestört wurde, ist eine Wiederherstellung in Natur nicht möglich; denn der in dem Erduldenmüssen der Verletzung liegende und mit ihr abgeschlossene immaterielle Schaden läßt sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Alle nach dem Eintritt der Verletzung unternommenen naturalrestitutiven Maßnahmen, wie etwa Heilung, Widerruf, Unterlassung usw., berühren seinen Umfang also nicht. Der gern. § 847 BGB begründete Anspruch auf "billige Entschädigung in Geld" erweist sich damit bei diesem immateriellen Schadensposten stets als ein Anwendungsfall des § 251 Abs.1 BGB, der die Unmöglichkeit der Naturalrestitution voraussetzt. 2. Die Rechtslage bei dem äußeren immateriellen Verletzungsjolgeschaden Anders verhält es sich dagegen bei dem entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschaden, der durch das äußere Fortwirken des Verletzungserfolgs als Einbuße an Entfaltungsfähigkeit und -freiheit entsteht; denn bei ihm ist die Naturalherstellung nicht von vornherein unmöglich. So kann etwa die Heilung des. Geschädigten bei Körper- und Gesundheitsverletzungen bewirken, daß die Behinderung des Geschädigten ganz oder teilweise entfällt. Ähnliche Wirkungen lassen sich auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen erzielen, etwa dadurch, daß der Schädiger eine herabsetzende Äußerung widerruft und auf diese Weise weitere nachteilige Wirkungen für den Geschädigten verhindert. Es ist allerdings in solchen Fällen nicht ohne weiteres davon auszugehen, daß der Geschädigte in seiner sozialen Umwelt nicht mehr auf Vorbehalte stößt, wenn der Schädiger widerrufen hat. Zusammengefaßt heißt das: Bei der Feststellung des entschädigungspflichtigen äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschadens ist stets zu untersuchen, inwieweit der Schadensumfang durch naturalrestitutive Maßnahmen vermindert worden ist. Nicht um den Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens, sondern um die Schadenszurechnung geht es 47
Vgl. dazu oben § 1 A. H. 2. (Text bei Fußn. 26).
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§ 3: Struktur und Umfang des Schadens
dagegen, wenn die Naturalrestitution zwar möglich war oder noch möglich ist, aber nicht betrieben worden ist. Dann gelten diese Grundsätze: Wenn die Naturalrestitution immer noch möglich und zur Entschädigung auch genügend ist (§ 251 BGB), kann der Verletzte nur sie und nicht auch Geldentschädigung gem. § 847 BGB verlangen48 • Wenn sie dagegen nicht mehr möglich ist, aber möglich und zur Entschädigung auch genügend war, ergibt sich die Entscheidung aus § 254 BGB. Das heißt: Der Geschädigte kann wegen dieses immateriellen Schadens nur dann keine Geldentschädigung gem. § 847 BGB verlangen, wenn er die Naturalrestitution schuldhaft i. S. des § 254 BGB verhindert hat49 • 3. Ergebnis
Zusammengefaßt ist damit festzustellen: Der entschädigungspflichtige äußere immaterielle Verletzungsschaden kann nicht durch Naturalrestitution ausgeglichen werden. Sein Umfang wird also durch naturalrestitutive Maßnahmen nicht berührt. Er begründet vielmehr stets einen Anspruch auf Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB. Bei dem entschädigungspflichtigen immateriellen. Verletzungsfolgeschaden ist eine Naturalrestitution dagegen nicht schlechthin unmöglich. Sie kann in der Regel allerdings keinen völligen Ausgleich bewirken, sondern allenfalls den Schadensumfang herabsetzen. Soweit sie noch möglich ist, entfällt zwar nicht der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden, wohl aber der nur subsidiär (§ 251 BGB) durchsetzbare Anspruch auf Geldentschädigung. Soweit sie möglich war, aber nicht mehr möglich ist, berührt sie ebenfalls nicht den Umfang des Schadens; unter den Voraussetzungen des § 254 BGB ist aber eine Kürzung des Entschädigungsanspruchs geboten. IX. Das Verhalten des Haftpflichtversicherers bei der Schadensregulierung
Auf ein weiteres Problem bei der Feststellung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens weist u. a. ein Urteil des OLG Karlsruhe (Freiburger Senat), in dem das "Schmerzensgeld" erhöht worden ist, weil die beklagten Haftpflichtversicherer nach Ansicht des Gerichts die Schadensregulierung nicht zügig genug betrieben haben50• Wie vorige Fußn. (Text bei Fußn. 27). Wie Fußn.47 (Text nach Fußn.28). 50 Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1973, 851 ff. mit zust. Anm. von Roth-Stielow, NJW 1973, 1503. Ebenso schon BGH VersR 1964, 1113, sowie VersR 1967, 256 f.; OLG Celle NJW 1968, 1677 ff., 1678; OLG Koblenz VersR 1970, 551; KG NJW 1970, 515; sowie Hupfer, JZ 1977, 781 ff., 782 unter V. Mit Einschränkungen zustimmend auch Hermann Lange, Schadensersatzrecht, 268 f. (§ 7 IV. 3.), sowie MünchKomm-Mertens, § 847 BGB Rdz.34 . 48
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C. Den Umfang des Schadens bestimmende Umstände
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Die Stellungnahme zu dieser Rechtsprechung ergibt sich bereits aus der Struktur des möglicherweise entstehenden immateriellen Schadens: Er besteht in der (verständlichen) Erregung des Geschädigten darüber, daß er nicht rascher zu der ihm nach seiner Ansicht zustehenden Geldentschädigung kommt. Es handelt sich also um Gefühlsschaden und damit um einen immateriellen Schadensposten, der nach der hier vertretenen Ansicht aus den dargelegten Gründen nicht zum entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB gehört. Die Entscheidung könnte zumindest im Ergebnis nicht einmal dann anders ausfallen, wenn der durch eine verzögerte Schadensregulierung bei manchen Geschädigten entstehende - wie stets - kaum näher aufzuklärende Gefühlsschaden als entschädigungspflichtiger immaterieller Schaden anzuerkennen wäre; denn ein solcher Schaden wäre den Beklagten nicht zuzurechnen51 : Dem (auch von dem OLG Karlsruhe ungeschoren gelassenen) Schädiger nicht, weil er auf seiner Tatsachenbehauptung bestehen darf, und den Versicherern ebenfalls nicht, weil das ihnen vorgeworfene Fehlverhalten, nämlich das Verzögern der Schadensregulierung und die Nichteinhaltung der eigenen Leistungszusagen, nicht die Voraussetzungen einer haftungsbegründenden Verletzung i. S. des § 847 BGB erfüllt. Das wäre nur dann anzunehmen, wenn dieses Verhalten die eingetretenen Gesundheitsschäden nachweisbar vergrößert hätte52• Eine solche Intensivierung der haftungsbegründenden Verletzung wird sich jedoch meist nicht feststellen lassen. Deshalb arbeitet das OLG Karlsruhe auch gar nicht mit den Haftungsbegründungsvoraussetzungen des § 847 BGB. Es entwickelt vielmehr rechtsschöpferisch einen neuen Haftungstatbestand, der den Haftpflichtversicherern eine "objektive Förderungspflicht" auferlegt und bei schuldhafter Verletzung dieser Pflicht einen Anspruch auf erhöhte Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB begründet. Gestützt wird diese Rechtsschöpfung auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), auf das ausdrücklich mit dem Sozialstaatsprinzip begründete Bedürfnis, den wirtschaftlich schwächeren Geschädigten gegenüber den wirtschaftlich übermächtigen Versicherern in Schutz zu nehmen, und auf das Bestreben, den Versicherern die Möglichkeit abzuschneiden, das "Zinsgefälle zwischen den derzeit hohen Zinsen im Bereich der privaten Wirtschaft und den niedrigeren Sätzen der gesetzlichen Verzugs- und Prozeßzinsen" auszunutzen. Diese Rechtsprechung ist schon deshalb abzulehnen, weil sie die Grenzen der allenfalls zulässigen Rechtsfortbildung durch Gerichte 51 So bereits Hansell, VersR 1974, 205 ff., 207, sowie Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 59 f. 52 So mit Recht Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 60, im Anschluß an RGZ 75, 19 ff., 21.
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eindeutig überschreitet53 • Außerdem ist sie auch sachlich nicht begründet und daher nicht einmal als geeigneter Reformvorschlag anzusehen. Im einzelnen ist zu sagen: Weder die Verletzung von Schuldnerpflichten noch die wirtschaftliche überlegenheit der Schuldner noch die Ausnutzung eines Zinsgefälles werden durch ein zusätzliches "Schmerzensgeld" angemessen und wünschenswert sanktioniert. Geboten ist statt dessen die Beschleunigung der Prozesse, die allerdings auch bei bester Prozeßleitung nicht erreicht werden kann, wenn es bei der Festsetzung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB "auf alle (oder alle wesentlichen) Umstände des Einzelfalles" ankommen soll; denn diese Deutung des § 847 BGB eröffnet beinahe alle Möglichkeiten der Prozeßverschleppung. Es ist daher dringend erforderlich, die Voraussetzungen für eine Geldentschädigung handhabbar einzugrenzen. Zu erwägen ist außerdem der Vorschlag, die gesetzliche Regelung der Verzugs- und Prozeßzinsen an die jeweilige Marktlage anzupassen54 •
x. Die Intensität der Verletzung der persönlichen Integrität Die Durchmusterung der Umstände (Faktoren), die in der bisherigen Diskussion wegen der meist nicht hinreichenden Trennung zwischen Schadens- und Entschädigungsfeststellung nicht nur als Schadensfaktoren erörtert worden sind, eröffnet die Einsicht, daß der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens durch zweierlei bestimmt wird: durch die Intensität der haftungsbegründenden Verletzung der persönlichen Integrität des Geschädigten und durch die Intensität, mit welcher die haftungsbegründende Verletzung im Zeitpunkt der Entscheidung bereits äußerlich fortgewirkt hat und in Zukunft weiter fortwirken wird. Diese Einsicht zwingt dazu, die Umstände zu beschreiben, die in den Anwendungsfällen des § 847 BGB die Intensität der Verletzung (Verletzungsschaden) und die Fortwirkung der Verletzung (Verletzungsfolgeschaden) bestimmen.
53 In diesem Sinne wohl auch Honsell, VersR 1974, 207, sowie Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 60 f., der die Rechtsprechung aber hauptsächlich deshalb ablehnt, weil die Versichertengemeinschaft nicht mit den Folgen eines unternehmerischen Fehlverhaltens der Versicherer belastet werden dürfe. Das ist selbst dann nicht überzeugend, wenn man bedenkt, daß die "Aktionäre" und "nicht die Versicherungsnehmer" die Träger des Unternehmens sind; denn einmal trifft diese Begründung auf kleinere VVaG nicht zu und außerdem müßte sie stets dazu führen, daß die Versicherungsunternehmen für das Fehlverhalten ihrer Repräsentanten nicht einzustehen hätten. 5f Der Vorschlag stammt von Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 81, der jedoch nicht berücksichtigt, daß diese gegen die Haftpflichtversicherer gerichtete Maßnahme als generelle Lösung für das Heer der unbemittelten Schuldner schwere Nachteile mit sich bringt.
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1. Die für den Umfang des äußeren immateriellen Verletzungsschadens maßgebenden Intensitätsfaktoren a) Die Wortlautfälle des § 847 BGB aa) Die Umstände, aus denen sich die Intensität der haftungsbegründenden Verletzung und damit der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsschadens ergibt, sind am einfachsten bei den Körper- und Gesundheitsverletzungen zu bestimmen. Es sind die Umstände, von denen die "Schwere" der Körper- oder Gesundheitsverletzung abhängt. Wer nur leicht am Körper oder an seiner Gesundheit verletzt wird, erleidet also nur einen geringen entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsschaden, und wer schwer verletzt wird, etwa weil er einen komplizierten "Splitterbruch" oder gar eine Querschnittsverletzung erleidet, kann allein deshalb einen großen immateriellen Verletzungsschaden geltend machen. Der entschädigungspflichtige immaterielle Verletzungsschaden ist am größten, wenn der Geschädigte durch den Angriff sofort getötet wird. Dieser Schaden läßt sich de lege lata aber nicht liquidieren, weil der diesem Schaden entsprechende Entschädigungsanspruch gem. § 847 Abs. 1 S. 2 BGB nur vererblich ist, wenn er anerkannt oder rechtshängig geworden ist. Spekulationen über die innere Reaktion des Geschädigten sind - im Gegensatz zur herrschenden Meinung - weder erforderlich noch erheblich, weil nur der äußere immaterielle Verletzungsschaden, also das Betroffensein (oder Erduldenmüssen) der Verletzung entschädigungspflichtig ist. Die hier vertretene Ansicht beseitigt also die schon in den Gesetzesmaterialien15 erkannte Gefahr, daß derjenige, welcher eine schwere Körperverletzung, aber keine Schmerzen erleidet, etwa weil er sofort bewußtlos wird, kaum einen entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden davonträgt. Sie vermeidet ferner die aus der herrschenden Meinung resultierende Konsequenz, daß nichts mehr durch "Schmerzensgeld" zu entschädigen sei, wenn der Geschädigte erst lange nach Überwindung der Körper- oder Gesundheitsverletzung entschädigt werde58• Diese Konsequenz wird zwar auch von den auf dem Boden der herrschenden Meinung argumentierenden Gerichten vermieden. überzeugend abwenden läßt sie sich aber nur, wenn man den Gefühlsschaden bei der Anwendung des § 847 BGB nicht berücksichtigt. Der äußere immaterielle Verletzungsschaden ändert seinen Umfang schließlich auch nicht deshalb, weil die Körper- oder Gesundheitsver65 Vgl. Motive zu § 729 des 1. Entwurfs eines BGB bei Mugdan, Bd. II, 447 f. und dazu Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 264. 68 So in konsequenter Durchführung der (unzutreffenden) Annahme der herrschenden Meinung, daß auch der Gefühlsschaden entschädigungspftichtig sei: Köndgen, Haftpftichtfunktionen, 79, und Kötz, FS für v. Caemmerer, 403, Fußn. 38.
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letzung folgenlos verheilt ist; denn er besteht in dem Betroffensein (dem Erduldenmüssen) des Eingriffs in die persönliche Integrität des Geschädigten und ist folglich mit dem Eintritt der Verletzung entstanden und nicht mehr aus der Welt zu schaffen57 • bb) Bei Freiheitsverletzungen i. S. des § 823 BGB und damit des § 847 BGB, die zuletzt von Deutsch58 ausführlich erläutert worden sind, hängt der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens davon ab, in welchem Ausmaß der Geschädigte seine körperliche Bewegungsfreiheit verloren hat. Maßgebend ist also neben der Dauer auch die Intensität des Entzugs der Bewegungsfreiheit. ce) Schwieriger sind die Umstände abzugrenzen, von denen die Intensität der äußeren Verletzung und damit der entschädigungspflichtige immaterielle Verletzungsschaden bei einer Verletzung des geschlechtlichen Selbstbestimmungsrechts einer Frau (§ 847 Abs.2 BGB) abhängt. Ein wichtiger, wenn auch unsicherer Anhaltspunkt ergibt sich in diesen Fällen aus dem Widerstand der betroffenen Frau. Er zeigt sich jedoch nicht allein in ihren äußeren Verteidigungsanstrengungen, die bei dem "Erschleichen des Beischlafs" sogar völlig fehlen. Es ist außerdem zu berücksichtigen, daß ein starker Widerstand wegen der befürchteten Gefahr für Leben und Gesundheit unterblieben sein kann. Ein weiterer, allerdings wiederum keine sicheren Schlüsse zulassender Anhaltspunkt ergibt sich aus dem Ausmaß der Aufwendungen, mit denen der Schädiger den Eingriff -erzwungen oder erschlichen hat. Zusammenfassend kann man sagen: Maßgebend sind die Umstände bei dem Eingriff. Es dürfen also keinesfalls die "gesamten Lebensumstände" der Geschädigten aufgedeckt werden, etwa ihr Vorleben, ihre sexuelle Veranlagung usw.; denn ein solches Vorgehen erwiese sich als ein jedenfalls zu vermeidender neuer Eingriff in die persönliche Integrität der Geschädigten. b) Die Fälle der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts In den nicht in § 847 BGB erwähnten Fällen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ist zunächst jeweils festzustellen, ob nur ein durch Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewonnenes besonderes Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist oder ob der SchädiVgl. dazu oben B. 11. 2. Vgl. Deutsch, FS für Hauß, 42 ff. Außerdem lehnt Deutsch, 59 ff., es überzeugend ab, mit Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl., 1967, 178, den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit i. S. des Haftungsrechts aus dem Schutz des Persönlichkeitsrechts und - wie Leinemann, Der Begriff der Freiheit nach § 823 Abs. 1 BGB, 1969, 97 - auch die Entschließungsfreiheit zur Freiheit i. S. des § 823 Abs. 1 BGB zu schlagen. Wie Deutsch auch Nüßgens, FS für Hauß, 287 ff., 291. 57
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ger in mehrere bereits anerkannte oder anzuerkennende besondere Persönlichkeitsrechte eingegriffen hat59• Der Umfang des dadurch entstandenen entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsschadens ergibt sich dann aus der äußerlich erkennbaren Schwere des jeweils betroffenen Persönlichkeitsrechts, die wiederum aus den Umständen bei der Verletzung abzulesen ist. So ist die Verletzung schwerer, wenn sie vor anderen oder in der Öffentlichkeit vorgenommen worden ist. Bei Verletzungen vor anderen oder in der Öffentlichkeit ist auch der Bekanntheitsgrad des Geschädigten erheblich, ohne daß es darauf ankommt, aus welchen Gründen er entstanden ist. Diese Beurteilung beruht nicht auf der gern kritisch vermerkten Erwägung, daß die persönliche Integrität des "einfachen Bürgers" weniger geschützt werde. Sie ist vielmehr geboten, weil der vor der "Öffentlichkeit" verletzte bekannte Geschädigte auch von der "Öffentlichkeit" identifiziert und deshalb stärker geschädigt wird. Falls der Geschädigte einer Straftat bezichtigt worden ist, hängt der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsschadens davon ab, ob nur ein Verdacht geäußert oder ob die Straftat als erwiesen dargestellt worden ist, ob die Darstellung glaubhaft oder weniger glaubhaft erscheint. Außerdem kommt es darauf an, welcher Art die Straftat ist. Die Intensität der Verletzung ist also um so größer, je schwerwiegender die Straftat ist, mit welcher der Geschädigte in Verbindung gebracht worden ist. Für den Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsschadens unerheblich ist dagegen auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen die innere Reaktion des Geschädigten (sein Gefühlsschaden); es sei denn, der Gefühlsschaden verdichtet sich zu einer dem Schädiger zurechenbaren Gesundheitsverletzung und damit zu einem (zweiten) selbständigen Entschädigungsfall. Ebenfalls unerheblich ist ferner ein freiwilliger oder erzwungener Widerruf durch den Schädiger, weil der Verletzungsschaden allein darin besteht, daß der Geschädigte die haftungsbegründende Verletzung erdulden mußte. Der entschädigungspflichtige immaterielle Verletzungsschaden ist also mit der haftungsbegründenden Verletzung60 abgeschlossen und - anders als der Verletzungsfolgeschaden- durch den Widerruf nicht einmal teilweise zu beseitigen.
Vgl. dazu oben B. H. 1. Die wie oben (§ 1 A. 11. 2.) dargelegt, keine erhebliche Beeinträchtigung und kein schweres Verschulden voraussetzt. 59
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c) Die Folgerung aus der Abgrenzung der für den Umfang des äußeren immateriellen Verletzungsschadens erheblichen Umstände Aus der vorgetragenen Abgrenzung der für den Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsschadens erheblichen Umstände ergibt sich, daß dieser Schaden bei gleichartiger Verletzung verschiedener Geschädigter etwa gleich groß ist. Diese Abweichung von der herrschenden Meinung, die allerdings nicht immer deutlich zwischen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden unterscheidet, ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß die innere Reaktion des Geschädigten auf die Verletzung (der Gefühlsschaden) - im Gegensatz zu den herkömmlichen Vorstellungen - nicht als entschädigungspflichtig anerkannt wird. Dadurch mußte es auch zu einer abweichenden Abgrenzung der für den Umfang des immateriellen Verletzungsschadens erheblichen Umstände kommen. Die Feststellung, daß durch gleichartige Verletzungen bei den einzelnen Geschädigten etwa gleich große entschädigungspflichtige immaterielle Verletzungsschäden entstehen, muß auch zu einer etwa gleich hohen "billigen Entschädigung in Geld" führen, wenn die Entschädigung - wiederum im Gegensatz zu der insoweit noch zu würdigenden herrschenden Meinung - nicht an "allen Umständen des Einzelfalles", sondern nur an dem Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsschadens zu orientieren ist. Auch wenn das der Fall ist, wird es dennoch nicht zu einem einheitlichen entschädigungspflichtigen immateriellen Gesamtschaden und damit auch nicht zu einer einheitlichen Gesamtentschädigung kommen, weil der Verletzungsfolgeschaden in der Regel bei den einzelnen Geschädigten auch dann nicht gleich groß ist, wenn sie eine gleichartige Verletzung erlitten haben. 2. Die für den Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens maßgeblichen Intensitätsfaktoren
a) Die Wortlautfälle des § 847 BGB Da der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens von der Intensität der äußeren Fortwirkung der haftungsbegründenden Verletzung abhängt, sind im folgenden die Umstände zu beschreiben, aus denen sich das Ausmaß der äußeren Fortwirkung der haftungsbegründenden Verletzung ergibt. aa) Diese Beschreibung ist wiederum nur in den Fällen der Körperund Gesundheitsverletzungen ohne größere Schwierigkeiten möglich. Der Verletzungsfolgeschaden ergibt sich - allgemein gesagt - aus der Intensität und der Dauer des Verlustes der Entfaltungsfähigkeit und
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-freiheit, die der Geschädigte durch das Fortwirken der haftungsbegründenden Verletzung des äußeren und inneren Körpers erleidet. Es kommt also darauf an, in welchem Ausmaß die Gestaltung seines weiteren Lebens durch die fortwirkende haftungsbegründende Verletzung und nicht durch seine freie Entscheidung bestimmt wird. Erhebliche Schadensfaktoren61 sind somit die Dauer der stationären oder ambulanten Behandlung, die Zahl und Art der verletzungsbedingten Operationen und sonstigen Heilbehandlungen. Weitere Faktoren für das Ausmaß des entschädigungspfiichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens ergeben sich aus den sozialen Wirkungen fortdauernder Körperverletzungen. Auch erhebliche immaterielle Schadensposten entstehen daher insbesondere dann, wenn der Geschädigte seinen Beruf gar nicht mehr oder nur noch in einer anderen Laufbahn ausüben kann, wenn er sein Berufsziel später erreicht, wenn er seinen Arbeitsplatz verliert und längere Zeit nach einem anderen Arbeitsplatz suchen muß62, oder wenn er arbeitsunfähig wird 63 • Im privaten Bereich wird der immaterielle Verletzungsfolgeschaden erhöht, wenn der Geschädigte durch die haftungsbegründende Verletzung Heiratschancen einbüßt, weil ihm für längere Zeit die Möglichkeit genommen wird, Beziehungen zu heiratsfähigen Personen anzuknüpfen64 , wenn er die Fähigkeit verloren hat, Sport oder bestimmte Sportarten zu betreiben, oder wenn seine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben eingeschränkt oder gar ausgeschlossen worden ist. Bei lebenslang andauernden immateriellen Verletzungs folgeschäden ist außerdem die Lebenserwartung des Geschädigten zu berücksichtigen; denn die Einbuße an Entfaltungsfähigkeit und -freiheit ist um so größer, je länger der Geschädigte sie als Lebender zu ertragen hat. Der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden ist also bei jüngeren Geschädigten besonders hoch65 • 61 Vgl. dazu auch Hupfer, NJW 1977,781 ff., 782, der allerdings nicht in dem hier vertretenen Sinne zwischen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden unterscheidet und auch Umstände berücksichtigen will, die hier zum Bereich des nicht entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens, also des Gefühlsschadens, gerechnet werden. Andererseits wendet er sich später (783) zu Recht dagegen, daß der BGH (NJW 1976, 1147) den Gefühlsschaden als "Bemessungsgrundlage" für die Geldentschädigung ansieht. Dagegen schon Hupfer in seiner Anm. zu dieser Entscheidung NJW 1976,1792. 62 So bereits OLG Celle NJW 1968, 1677 f., 1678. 63 Die dauernde Arbeitsunfähigkeit muß allerdings durch eine Körperoder Gesundheitsverletzung begründet sein. Der möglicherweise eingetretene Gefühlsschaden ist dagegen - wie oben A. UI. 3. dargelegt - nur zu berücksichtigen, wenn er sich zu einer dem Schädiger zurechenbaren Krankheit (Gesundheitsverletzung) des Geschädigten verdichtet hat. Großzügiger wohl BGH VersR 1967, 256 f., 257, der mit der h. M. von der Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens ausgeht. 64 Vgl. OLG Celle, wie Fußn. 62. 65 Vgl. dazu Staudinger I Schäfer, § 847 BGB, Rdz. 71 mit Nachweisen.
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§
3: Struktur und Umfang des Schadens
Umstritten ist die Beurteilung des Schadensumfangs in den Fällen, in denen die seinem Lebensalter entsprechende durchschnittliche Lebenserwartung des Geschädigten durch die haftungsbegründende Verletzung verkürzt worden ist: Nach der von dem BGH und auch im Schrifttum überwiegend vertretenen Ansicht soll in diesen Fällen die verkürzte Lebenserwartung zugrundegelegt und damit schadens- und entschädigungsmindernd berücksichtigt werden66. Begründet wird diese Ansicht mit der Erwägung, daß die Geschädigten, die durch die haftungsbegründende Verletzung sofort getötet werden, also die einschneidendste Lebensverkürzung erleiden, nach der geltenden Fassung des § 847 BGB keinen vererblichen Anspruch auf Geldentschädigung erlangen. Nach der Gegenansicht, die sich bislang nicht durchgesetzt hat, soll die verletzungsbedingte Verkürzung der Lebenserwartung dagegen entschädigungserhöhend berücksichtigt werden 67. Zur Begründung dieser Ansicht wird ausgeführt, ihr stehe der gesetzliche Ausschluß jeglicher Ansprüche des sofort getöteten Geschädigten ebensowenig entgegen wie die Schwierigkeit, eine Mindestlebensdauer des Geschädigten festzusetzen. Es sei "praktisch ausreichend", daß der Verletzte vor seinem Tode noch in der Lage gewesen sei, seinen Entschluß zur Geltendmachung eines Anspruchs zu "dokumentieren"68. Der Streit geht um ein Scheinproblem, das auf die herkömmlichen, also zweifelhaften, unklaren und unstrukturierten Vorstellungen über die Abgrenzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens zurückzuführen ist. Keine der beiden Ansichten kann deshalb voll überzeugen. Das berechtigte Anliegen beider Ansichten läßt sich aber ohne besonderen Aufwand verwirklichen, wenn man nur den äußeren immateriellen Schaden als entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden ansieht und ihn gleichzeitig in zwei Schadensposten, nämlich in den äußeren immateriellen Verletzungs- und den äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschaden, unterteilt. Im einzelnen ist dann zu sagen: In den Fällen, in denen das Leben des Geschädigten durch die haftungsbegründende Verletzung verkürzt worden ist, braucht der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens nur bestimmt zu werden, wenn der Geschädigte den Entschädigungsanspruch noch selbst geltend machen kann oder wenn der Anspruch unter den Voraussetzungen des § 847 BGB (Anerkennung oder Rechtshängigkeit) vererblich geworden ist. Auch in diesen Fällen wird der Umfang des äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschadens durch die zu erwartende oder erreichte Lebensdauer des Geschädigten mitbestimmt. Das 66 Vgl. BGH NJW 1976, 1147 ff., 1149, mit weiteren Nachweisen. 67 So WeimaT, MDR 1966, 296 ff., sowie MünchKomm-MeTtens, § 847 BGB Rdz. 7 und 28. 68 In diesem Sinne MeTtens, Rdz.7.
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heißt: Dieser Schadensposten und die ihm entsprechende Entschädigung sind um so geringer, je kürzer die - wie auch immer beeinträchtigteLebensdauer des Geschädigten sein wird oder war. Insoweit ist also der herrschenden Meinung zuzustimmen. Dennoch wird auch dem Anliegen der Mindermeinung entsprochen, allerdings nicht durch einen Sonderzuschlag zu der Geldentschädigung, die der verkürzten Lebenserwartung des Geschädigten entspricht, sondern durch die in den üblichen Bahnen verlaufende Bestimmung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens und der ihm entsprechenden Entschädigung; denn eine verletzungsbedingte Verkürzung der Lebenserwartung des Geschädigten entsteht immer nur durch einen besonders schweren Eingriff mit besonders schweren, nämlich lebenszeitverkürzenden Folgen. Wegen der besonderen Intensität des Eingriffs ist also stets ein besonders hoher äußerer immaterieller Verletzungsschaden gegeben, und wegen der besonders intensiven Verletzungsfolgen ist für die dem Geschädigten verbleibende Lebenszeit auch ein - im Verhältnis zu gleich langen Leidenszeiten wegen geringerer Verletzungen - höherer äußerer immaterieller Verletzungsfolgeschaden festzustellen und dementsprechend eine höhere Entschädigung anzusetzen. Hervorzuheben ist schließlich, daß nach dem in dieser Abhandlung verfolgten Gedankengang der als Reaktion auf die Körper- und Gesundheitsverletzung und deren Folgen eintretende Gefühlsschaden (das seelische Leid, die Störung des inneren Gleichgewichts usw.) den Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens nicht beeinflußt, also weder erhöht noch herabsetzt. Deshalb erreicht dieser Schaden auch dann ein besonders großes Ausmaß, wenn der Geschädigte infolge einer haftungsbegründenden Hirnverletzung die letzten Jahre seines Lebens in bewußtlosem Siechtum verbringen muß, also jeglicher Entfaltungsfähigkeit und -freiheit beraubt ist. Einem solchen Geschädigten muß daher jedenfalls dann eine hohe Geldentschädigung zugesprochen werden, wenn sich im weiteren Verlauf dieser Abhandlung ergibt, daß es auch in den Fällen des § 847 BGB lediglich um den Ausgleich (die Kompensation) des (entschädigungspflichtigen) Schadens geht89 • bb) Bei Freiheitsverletzungen i. S. des § 847 Abs.l BGB hängt der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens davon ab, ob und in welchem Ausmaß der Geschädigte nach Beendigung des Freiheitsentzugs bei der Wiederaufnahme seines frü-
89 Vgl, auch dazu BGH NJW 1976, 1147 ff. und die Würdigung dieses auf der Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens und der Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung beruhenden Urteils unten § 4 B. H. 3.
§ 3:
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Struktur und Umfang des Schadens
heren Lebens in seiner sozialen Umwelt7° äußere immaterielle Schwierigkeiten zu überwinden hat. ce) Derartige Behinderungen in der sozialen Umwelt bestimmen auch den Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens, den eine Frau infolge eines Eingriffs in ihr geschlechtliches Selbstbestimmungsrecht (§ 847 Abs.2 BGB) erleidet. Der Versuchung, auch den Gefühlsschaden als entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschaden zu berücksichtigen, ist hier jedoch ebenso zu widerstehen wie in allen Fällen, in denen es um den Ersatz des immateriellen Schadens geht. b) Die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Als Umstände, aus denen sich die Intensität der Fortwirkung des Verletzungserfolgs und damit der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens bei Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (in Form der Verletzung besonderer Persönlichkeitsrechte) ergibt, sind zunächst die äußeren immateriellen Behinderungen zu nennen, denen der Geschädigte in seiner sozialen Umwelt ausgesetzt war und weiter ausgesetzt sein wird. Zu den erheblichen, nämlich den Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens erweiternden Umständen gehört ferner - wie schon bei dem Verletzungsschaden - der Bekanntheitsgrad, den der Geschädigte bereits vor der Verletzung hatte oder infolge der Verletzung erlangt hat; denn je bekannter der Geschädigte war oder geworden ist, desto häufiger wird er als Verletzter identifiziert und mit den schädlichen Wirkungen der Verletzung konfrontiert. Die Einbuße an ungestörter äußerer Entfaltungsfreiheit wird also durch den Bekanntheitsgrad des Geschädigten mitbestimmt. Aus den erwähnten Gründen kommt es auch darauf an, ob die Verletzung nur wenig oder weit verbreitet worden ist. Erheblich für den Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschadens bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist schließlich der freiwillige oder erzwungene Widerruf des Schädigers. Er beseitigt nicht den bis zu seiner Veröffentlichung entstandenen immateriellen Verletzungsfolgeschaden, kann aber zukünftige Schäden dieser Art völlig ausschließen. Der Geschädigte kann im Einzelfall jedoch auch nach dem Widerruf noch eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Entfaltungsfreiheit und damit einen entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschaden erleiden71. 70
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Zu diesen Umständen auch oben B. H. 2. Vgl. dazu oben C. VII.
D. Zusammenfassung
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D. Zusammenfassung Die Ausführungen zur Struktur des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens lassen sich damit so zusammenfassen: Die als Gefühlsschaden benannte Beeinträchtigung der inneren Lebenslage des Geschädigten wird durch das Schadensersatzrecht nicht erfaßt, weil sie nicht hinreichend aufgeklärt werden kann und auch nicht aufgeklärt und sanktioniert werden darf. Die Vertreter der gegenteiligen herrschenden Meinung erkennen diese Grenzen der Rechtsordnung zwar nicht an, überschreiten sie der Sache nach aber dennoch nicht: Sie verzichten bei der Anwendung des § 847 BGB zu Recht darauf, die individuelle psychische Betroffenheit eines Geschädigten soweit wie möglich auszuleuchten. Sie begnügen sich statt dessen damit, auf der Grundlage der aufklärbaren und aufzuklärenden äußeren immateriellen Beeinträchtigungen des Geschädigten den Umfang seines Gefühlsschadens durch Spekulationen und Schätzungen pauschal zu bestimmen und dann bei der Festsetzung der Geldentschädigung zu berücksichtigen. Die Argumentation mit dem spekulativ ermittelten Gefühlsschaden erweist sich damit als ein Umweg, der überdies zu zweifelhaften Konsequenzen führt. Zu dem in § 847 BGB genannten "Schaden, der nicht Vermögensschaden ist", gehört auch nicht der "potentielle Vermögensschaden" des Geschädigten. Er könnte allenfalls durch eine (erwägenswerte, aber nicht sehr aussichtsreiche) Reform des Vermögensschadensrechts entschädigungspflichtig werden. Gem. § 847 BGB entschädigungspflichtig ist vielmehr allein der Schaden, den der Geschädigte durch die immaterielle Beeinträchtigung seiner äußeren Lebenslage erleidet. Dieser Schaden zerfällt in zwei Schadensposten: in den äußeren immateriellen Verletzungsschaden und in den äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschaden. Der äußere immaterielle Verletzungsschaden besteht allein darin, daß der Geschädigte eine haftungsbegründende Verletzung eines seiner in § 847 BGB genannten Rechtsgüter oder eines sonstigen Persönlichkeitsrechts und damit eine äußere Störung seiner persönlichen Integrität hinnehmen muß. Seine innere Reaktion auf diese Verletzung (der Gefühlsschaden) ist nicht nur nicht aufzudecken, sondern völlig unerheblich. Falls er sich zu einer dem Schädiger zurechenbaren Gesundheitsverletzung verdichtet, entsteht ein (zweiter) selbständiger Entschädigungsfall gem. § 847 Abs.l BGB (Gesundheitsverletzung). Der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden besteht in der Einbuße an äußerer Entfaltungsfähigkeit und -freiheit, die der Geschädigte durch das Fortwirken der haftungsbegründenden Verletzung seiner
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§ 3: Struktur und Umfang des Schadens
persönlichen Integrität vorübergehend oder dauernd erleidet. Auf eine vorübergehende oder dauernde Gefühlsstörung des Geschädigten kommt es nicht an. Es ist deshalb unerheblich, ob der Geschädigte nach der Verletzung zu Gefühlsreaktionen fähig ist oder nicht. Da der Gefühlsschaden nicht entschädigungspflichtig ist, wird der Umfang des entschädigungspflichtigen Schadens auch nicht durch Umstände bestimmt, die sich auf den Umfang des Gefühlsschadens beziehen. Zu berücksichtigen sind allein die Umstände, die etwas über die äußere Intensität der haftungsbegründenden Verletzung und über die äußere Intensität des Fortwirkens dieser Verletzung aussagen. Der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens wird also allein durch die bei dem Geschädigten eingetretenen äußeren Erfolge bestimmt. In den Fällen, in denen mehrere Schädiger beteiligt sind, ist der Schaden somit auch dann einheitlich festzustellen, wenn ein Schädiger reich und der andere arm ist, oder wenn dem einen grobe und dem anderen nur leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Bei der Abwicklung solcher Fälle ist deshalb nicht die Frage zu stellen, welcher Schaden im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und einem von ihm in Anspruch genommenen Schädiger anzusetzen ist. Es ist vielmehr zu fragen, welchen Teil des einheitlich festgestellten entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens die einzelnen Schädiger im Verhältnis zu dem Geschädigten und untereinander zu tragen haben.
§ 4: Die Funktion der "billigen Entschädigung in Geld" A. Die Fragestellung Wenn man - der Struktur des Schadensersatzrechts und den äußeren Anhaltspunkten im Gesetz folgend - den Anspruch gem. § 847 BGB als Schadensersatzanspruch qualifiziert, ergeben sich diese Feststellungen über die Geldentschädigung: Sie bildet das Äquivalent in Geld für den als entschädigungspflichtig erkannten immateriellen Schaden. Das bedeutet im einzelnen: Sie hat nur eine Ausgleichsfunktion und ihre Festsetzung erfordert lediglich eine "billige" Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld, die im Streitfall von dem Richter nach seinem - allein auf den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden bezogenen - Bewertungsermessen vorzunehmen ist!. Nach dem Ergebnis dieser Untersuchung über die Struktur und das Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens hat der Richter also lediglich den äußeren immateriellen Verletzungs- und den äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschaden zu bestimmen und nach seinem Ermessen in Geld zu bewerten. Er hat damit im Grunde ebenso vorzugehen wie bei der Geldentschädigung für Vermögensschäden, die nicht durch Naturalrestitution ausgeglichen werden können2 • Der Vorgang ist auch im Bereich des § 847 BGB in keiner Weise anstößig, wenn man als entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden nur den äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden anerkennt. Die .soeben skizzierte, verhältnismäßig einfache Handhabung des § 847 BGB ist nun - wie in dem Bericht über den Meinungsstand ausführlich dargelegt3 - in doppelter Hinsicht kompliziert worden. Danach soll die "billige Entschädigung in Geld" nicht nur eine Ausgleichsfunktion (Kompensationsfunktion), sondern zusätzlich eine besondere Genugtuungsfunktion4 und nach einer Mindermeinung auch eine überwindungsfunktion5 erfüllen. Außerdem soll ihre Höhe nicht nur an dem Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens, 1 2
3 4 5
In diesem Sinne vorbildlich klar BGHZ 7, 223 ff. Vgl. dazu Wiese, Immaterieller Schaden, 14. Vgl. oben § 2 dieser Untersuchung. Vgl. oben § 2 B. I. (Text bei den Fußn. 22 und 23). Vgl. dazu oben § 2 B. V.
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§ 4: Funktion der Entschädigung
sondern an "allen Umständen des Einzelfalles", insbesondere an dem Verschuldensgrad des Schädigers, dem Anlaß für die Verletzungshandlung und den Vermögensverhältnissen der Parteien orientiert werden dürfen'. Die Analyse dieser Entwicklung hat ergeben, daß die genannten Komplizierungen hauptsächlich auf die Anerkennung des Gefühlsschadens als entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden zurückzuführen sind7• Diese Abgrenzung des immateriellen Schadens hat sich auf die Dauer nicht mit der (herkömmlichen) Annahme vereinbaren lassen, daß der Geldentschädigung lediglich eine Ausgleichsfunktion (Kompensationsfunktion) zukomme. Diesem Konflikt ist fast ausnahmslos8 nicht mit der Frage begegnet worden, ob sich aus § 847 BGB in der Tat entnehmen läßt, daß auch der Gefühlsschaden des Geschädigten zum entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB gehört. Es sind vielmehr zusätzliche Funktionen der Geldentschädigung ersonnen worden; und diese Erweiterung der funktionen, insbesondere die von der Autorität des Großen Senats des BGH für Zivilsachen9 getragene Anerkennung der Genugtuungsfunktion hat wiederum dazu geführt, daß die Geldentschädigung nicht mehr allein an dem Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens, sondern auch an allen anderen Umständen des jeweils zu beurteilenden Schadensfalles orientiert werden darf. Obwohl sich diese - zu keiner Zeit völlig unbestritten gewesenen - Entwicklungsergebnisse inzwischen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft stark verfestigt haben, sind sie dennoch erneut in Frage zu stellen, weil sich in dieser Untersuchung herausgestellt hat, daß der Gefühlsschaden nicht zum entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB gehört. Damit ist eine wesentliche Prämisse der modernen Entwicklung entfallen. Das durch diese Erkenntnis indizierte Untersuchungsprogramm besteht damit in der Beantwortung der Fragen, ob der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB neben der Ausgleichsfunktion auch andere Funktionen zukommen und ob bei der Festsetzung der Höhe der Geldentschädigung neben dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden auch andere Umstände des jeweils zu beurteilenden Schadensfalles zu berücksichtigen sind.
, Als maßgebender Beleg sei nur BGHZ (GS) 18, 149 ff., 157 genannt. 7 Näher dazu oben § 2 B. I. 8 Auszunehmen ist Schwerdtner, dessen Annahme, daß der immaterielle Schaden i. S. des § 847 BGB als "potentieller Vermögensschaden" zu verstehen sei, jedoch nicht überzeugt. Vgl. dazu oben § 3 A. II. D BGHZ (GS) 18, 149 ff.
B. Beurteilung der erwägenswerten Funktionen
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B. Die Beurteilung der erwägenswerten Funktionen I. Der Ausgangspunkt: Die Anerkennung der Ausgleichsfunktion
In der ersten Frage des soeben umrissenen Untersuchungsprogramms ist stillschweigend unterstellt worden, daß die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB jedenfalls eine Ausgleichsfunktion (Kompensationsfunktion) habe und deshalb nur zu untersuchen sei, ob ihr auch eine besondere Genugtuungsfunktion und eine überwindungsfunktion zuzumessen sei. Dieser Ausgangspunkt ist jedoch nicht völlig unbestritten, weil die Anhänger der Lehre von der Privatstrafe auch die Ausgleichsfunktion der Geldentschädigung in Zweifel ziehen. Dennoch kann die weitere Untersuchung mit der Würdigung der Genugtuungsfunktion fortgesetzt werden; denn die Lehre von der Privatstrafe erweist sich - wie bereits dargelegt10 - lediglich als eine Fortentwicklung des nach der herrschenden Meinung maßgebenden Genugtuungsgedankens. Sie ist also nicht weiterzuverfolgen, wenn sich herausstellt, daß der Geldentschädigung keine besondere Genugtuungsfunktion zugewiesen werden kann. ß. Die Beurteilung der besonderen Genugtuungsfunktion der "billigen Entschidigung in Geld"
1. Die strukturellen Wirkungen der besonderen Genugtuungsfunktion Die Anerkennung einer besonderen Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" i. S. des § 847 BGB hat die herkömmlichen Grundsätze über den Ersatz des immateriellen Schadens in zwei in den vorangegangenen Ausführungen bereits angedeuteten Punkten modifiziert. Die erste Veränderung, die in dem Bericht über den Meinungsstand bereits ausführlich erläutert worden ist, läßt sich in Kürze so beschreiben: Solange der Geldentschädigung allein eine Ausgleichsfunktion zugewiesen wurde, fehlte ihr zwar nicht jede Genugtuungsfunktion, weil jede Entschädigung auch genugtuende Wirkungen auslösen kann, wenn der Geschädigte nach seiner psychischen Veranlagung ein Genugtuungsbedürfnis verspürt und die Entschädigung auch als Genugtuung empfindet. Die Genugtuungsfunktion war aber jedenfalls nur Reflexfunktion der Ausgleichsfunktion und damit für das Ausmaß der Geldentschädigung unerheblich. Durch die von der herrschenden Mei10
VgI. dazu oben § 2 B. III. 1.
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§ 4: Funktion der Entschädigung
nung vollzogene Funktionskorrektur ist sie dagegen zu einer die Geldentschädigung mitbestimmenden Zieljunktion gewordenl l . Die zweite Veränderung ist eine Folge der ersten. Sie bildet den Anlaß zu der geschilderten, intensiven Diskussion um die Funktion der Geldentschädigung. Die Kritiker der Genugtuungsfunktion beschreiben diese Veränderung als den ersten Schritt zur Pönalisierung des Schadensersatzrechts. Diese Beurteilung ist im Kern zutreffend: Mit der Forderung nach einer besonderen, als Zielfunktion und nicht nur als Reflexfunktion der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB verstandenen Genugtuungsfunktion wird tendenziell der Weg zu einer dem herkömmlichen Schadensersatzrecht fremden, an dem Sühnegedanken ausgerichteten Pönalisierung beschritten. a) Die Pönalisierungstendenzen in der Rechtsprechung des BGH Solche Pönalisierungstendenzen zeigt der Große Senat des BGH für Zivilsachen in seiner Grundentscheidung vor allem dadurch, daß er insbesondere aufgrund seiner Annnahme einer besonderen Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung auch den Verschuldensgrad und die Vermögensverhältnisse des Schädigers als bedeutende Bemessungsfaktoren der Geldentschädigung herausstellt 12 ; denn wegen dieses Begründungszusammenhangs können die nach § 46 StGB auch die Höhe einer Geldstrafe mitbestimmenden, schädiger- und nicht schadensbezogenen Kriterien nur als sühnebetonende und damit zumindest in der Tendenz pönalisierende Faktoren verstanden werden18 • In der späteren Rechtsprechung des BGH ist dann auch offen von dem die Geldentschädigung tragenden "verfeinerten Sühnegedanken" und der Sühne des Schädigers die Rede14• Der BGH unternimmt an dieser Stelle jedoch gleichzeitig den (untauglichen) Versuch, die sühneorientierte Geldentschädigung von der Strafe abzurücken, indem er den "verfeinerten Sühnegedanken" als "nicht notwendig pönal" bezeichnet. Mit den Pönalisierungstendenzen kaum zu vereinbaren ist allerdings die Ansicht des Großen Senats, daß die auch von einer besonderen Genugtuungsfunktion getragene Geld,entschädigung ohne Einschränkungen durch eine Haftpflichtversicherung abgedeckt werden kann15 • Diese Einzelheiten dazu oben § 2 B. I. Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 157 f. (Verschuldensgrad) und 159 (Vermögensverhältnisse). 13 Vgl. dazu auch BGHZ (GS) 18, 155, wo der GS die Bezüge der Entschädigung zum Strafrecht darlegt. 14 Vgl. BGH NJW 1976, 1147 ff., 1148 f. und dazu oben unter 1. 15 Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 165 ff. und BGH NJW 1976, 1147 ff., 1149. Zur Kritik vgl. die Nachweise oben § 2 Fußn.29. 11
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Einstellung ist jedoch nicht als gezielte Abkehr von den Pönalisierungstendenzen zu deuten. Sie erweist sich vielmehr als eine weitere unvermeidbare Inkonsequenz der herrschenden Entschädigungskonzeption zu § 847 BGB; denn dem Großen Senat blieb aus doppeltem Grunde keine andere Wahl: weil er es aus praktischen Gründen für unvertretbar hält, die "billige Entschädigung in Geld" in eine Ausgleichsund in eine Genugtuungsentschädigung aufzuspalten18, und weil der Versicherer nach geltendem Haftpflichtversicherungsrecht und nach den Erwartungen aller Beteiligten die gesamte Entschädigung i. S. des § 847 BGB abzudecken hat. b) Die Pönalisierungstendenzen im Schrifttum aal Deutliche Pönalisierungstendenzen als Folgen der Anerkennung einer besonderen Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB lassen sich auch im Schrifttum erkennen. Als Beleg seien zunächst die Ausführungen von Stoll genannt. Stoll ist zwar bestrebt, die Genugtuungsfunktion zurückzudrängen, insbesondere indem er sie nur bei vorsätzlichem und rücksichtslosem Verhalten des Schädigers für gegeben hält und damit die allermeisten Straßenverkehrsunfälle aus ihrem Relevanzbereich herausnimmt. Gerade diese Beschränkung zeigt aber deutlich, was Stoll auch betont: daß die Genugtuungsfunktion auch nach seiner Ansicht von dem Sühnegedanken getragen wird und damit die durch sie bestimmte Entschädigung der Geldstrafe tendenziell annähert17• bb) Diese Tendenz findet sich ferner und noch deutlicher bei Deutsch18• In seinen Ausführungen zeigt die auf der Genugtuungsfunktion beruhende Entschädigung sowohl in ihren Voraussetzungen als auch bei der Festsetzung ihrer Höhe und ihrer Vollstreckung eine starke Ähnlichkeit zu der Geldstrafe: bei den Voraussetzungen ergibt sich die Ähnlichkeit durch die von Deutsch erhobene Forderung nach einem am subjektiven (und nicht nur am objektiv-typisierten) Maßstab orientierten Verschulden. Bei der Fesetsetzung der Höhe zeigt sie sich in der Abgrenzung der maßgebenden Umstände, zu denen Deutsch den Verschuldensgrad, die Vermögensverhältnisse des Schädigers sowie die sonstigen Tatumstände und damit im wesentlichen die Kriterien zählt, die nach § 46 StGB auch bei der Zumessung der Geldstrafe zu berücksichtigen sind; und bei der Vollstreckung (Durchsetzung) ist sie daraus Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff. und dazu oben § 2 B. 11. und dort Fußn. 27. Vgl. dazu oben § 2 B. 111. 3. und die dort (in Fußn.35 und 36) angegebenen Fundstellen der Arbeiten von Stoll. Zum Sühnegedanken: StoU, Gutachten, 152 ff. 18 Vgl. auch dazu oben § 2 B. III. 3. und die dort angegebenen Hinweise auf die Arbeiten von Deutsch. 18
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zu entnehmen, daß Deutsch - konsequenter als der BGH - eine Versicherbarkeit der "reinen" Genugtuungsentschädigung 19 ablehnt. ce) Am deutlichsten werden die Pönalisierungstendenzen im Schrifttum schließlich von denen zum Ausdruck gebracht, welche die in § 847 BGB vorgesehene "billige Entschädigung in Geld" klar als Privatstrafe qualifizieren2o, damit den Genugtuungsgedanken am konsequentesten verwirklichen und auch eine terminologische Angleichung an die Geldstrafe vornehmen. dd) Daneben gibt es auch Anhänger der herrschenden Doppelfunktionstheorie, welche die Genugtuungsfunktion von dem Sühnegedanken trennen und das deliktsrechtliche Schadensersatzrecht auf diese Weise von Pönalisierungstendenzen freihalten wollen. Besonders nachdrücklich finden sich diese Bestrebungen bei Wiese21 • Er meint, durch die Berücksichtigung des Genugtuungsgedankens werde "die Grenze zur Strafe" nicht verwischt. Es solle "dem Schädiger kein übel im Sinne einer Sühne für den Bruch der Rechtsordnung auferlegt werden, sondern der entstandene Schaden wieder gutgemacht werden"; denn die Genugtuung nehme dem Geschädigten das Gefühl der Verletzung und stelle so das gestörte Gleichgewicht in seiner Persönlichkeit wieder her. Wie alle bisher betrachteten Ausführungen beruhen auch diese überlegungen auf der (in dieser Untersuchung als unbegründet erkannten) Annahme, daß auch der Gefühlsschaden zum entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden gehört. Bei diesem Ansatz erweist sich die mit der Geldentschädigung angestrebte Genugtuung in der Tat als ein Mittel, das dem Schadensausgleich, nämlich dem Ausgleich des Gefühlsschadens dienen solL Daraus folgt aber noch nicht, daß die 19 Zu der Deutsch aber meist nicht vordringt, weil er meint, regelmäßig vermischten sich Ausgleichs- und Genugtuungsentschädigung, so daß eine einheitliche Entschädigung festzusetzen sei. Vgl. Deutsch, HaftungsR I, 474. Diese Argumentation führt dazu, daß die Genugtuungsfunktion als allein maßgebende Funktion völlig andere Wirkungen entfaltet als bei Vermischung mit der Ausgleichsfunktion. Sie steht in dem zuletzt genannnten Fall insbesondere der Versicherbarkeit nicht entgegen, obwohl sie sich als allein maßgebende Funktion - was Deutsch zu Recht hervorhebt - mit der Versicherbarkeit nicht verträgt. 20 So insbesondere Großfeld, Privatstrafe. Vgl. ferner die Hinweise oben in § 2 B. IH. 1. Fußn. 34. Der Unterschied zwischen Deutsch (wie vorige Fußn.) und Großfeld scheint auf den ersten Blick nur terminologischer Natur zu sein, weil Deutsch bemerkt, daß er den "Begriff" Genugtuung den Begriffen Buße und Privatstrafe vorziehe (s. dazu oben § 2 B. IH. 3.). Eindeutig gegen die Privatstrafe aber Deutsch, RabelsZ 42 (1978) 578: "Gedanke der Privatstrafe paßt nicht in die moderne Entwicklung des Haftungsrechts." 21 Vgl. Wiese, Immaterieller Schaden, 55 ff. Eine übersicht über früher und später geäußerte Vorstellungen dieser Art bieten Köndgen, Haftpflichtfunktionen; 78 und 100 (wo er sie ablehnt) und Ehlers, Geldersatz, 190, der Wiese zustimmt.
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Geldentschädigung, die eine Genugtuung bewirken soll, nicht von dem Sühnegedanken getragen wird. Es ist im Gegenteil anzunehmen, daß sich bei dem Geschädigten eine Genugtuung überhaupt nur dann einstellen und ihre Ausgleichswirkungen nur dann entfalten kann, wenn die Geldentschädigung nicht als sühnefreie finanzielle Belastung des Schädigers verstanden, sondern dem Schädiger als Sühne auferlegt wird. Dementsprechend heißt es auch bei Wiese: Durch den "Genugtuungsgedanken" wird bei dem Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens ,,- anders als beim gewöhnlichen Schadensersatzanspruch - eine gewisse persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem hergestellt, so daß auch der Grad des Verschuldens des Verpflichteten und dessen wirtschaftliche Verhältnisse berücksichtigt werden dürfen"2!. Wiese sieht die an dem Genugtuungsgedanken orientierte Geldentschädigung der Sache nach also nicht als eine erfolgsbezogene, sühnefreie Ausgleichsleistung, die für jeden Schädiger gleich hoch sein müßte, sondern als eine an schädigerbezogenen Faktoren ausgerichtete und damit dem Sühnegedanken verpflichtete Sanktion; denn er begründet die Relevanz der schädigerbezogenen Faktoren nicht mit allgemeinen schadensersatzrechtlichen überlegungen23, sondern mit dem Genugtuungsgedanken. Er bestätigt damit im Ergebnis die Auffassung von StolI, der zu Recht erklärt: Das Genugtuungsprinzip ist ohne Sühnegedanken nicht lebensfähig!4. Die von dem Genugtuungsprinzip getragene "billige Entschädigung in Geld" i. S. des § 847 BGB wird damit sicher noch nicht zu einer strafrechtlichen Sanktion: selbst dann nicht, wenn man sie in konsequenter Durchführung des Genugtuungsgedankens als Privatstrafe qualifiziert. Sie läßt sich aber ebenso sicher auch nicht mehr als eine schadensersatzrechtliche Sanktion der entwicklungsgeschichtlich gewachsenen, von der Strafsanktion abgesetzten, herkömmlichen Struktur qualifizieren; denn mit dem Genugtuungsprinzip wird entgegen allen Beteuerungen der Sühnegedanke in das schadensersatzrechtliche Sanktionsrecht eingeführt und mit ihm werden Pönalisierungstendenzen begründet. Das bedeutet im Ergebnis: Wer sich zur Genugtuungsfunktion bekennt, muß eine "Repönalisierung" des Schadensersatzrechts in Kauf nehmen. Wer dazu nicht bereit ist, muß die Genugtuungsfunktion aufgeben; denn eine Genugtuungsfunktion ohne pönalisierende Wirkungen gibt es nicht. 22 Vgl. Wiese, Immaterieller Schaden, 55 im Anschluß an BGHZ (GS) 18, 149 ff. 23 Vgl. zu diesen auf Herabsetzung der Schadensersatzansprüche zielenden überlegungen allgemein Stoll, Remedies, 8 -161 f., und zuletzt in bezug auf § 847 BGB Honsell, VersR 1974, 205 ff. und dazu oben § 2 B. IV. 24 So Stoll, Gutachten, 152. Vgl. ferner Köndgen, Haftpfiichtfunktionen, 95.
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2. Die Begründung der Anerkennung einer besonderen Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" und die Konsequenzen für die Handhabung des § 847 BGB a) Die Begründung Die für die Anerkennung einer besonderen Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB maßgebenden überlegungen, die bis heute die herrschende Meinung zur Handhabung des § 847 BGB tragen, finden sich in dem bereits mehrfach erwähnten Beschluß des Großen Senats des BGH für Zivilsachen. Es heißt dort2s : Die Unzulänglichkeit einer lediglich an der Ausgleichsfunktion orientierten Geldentschädigung trete ganz besonders stark in Erscheinung, wenn "ein Ausgleich nach der Art des immateriellen Schadens überhaupt nicht möglich ist, wie z. B. häufig bei psychischen Störungen. Es ist aber allgemein anerkannt, daß eine Entschädigung wegen immaterieller Schäden auch dann zu gewähren ist, wenn Körperverletzung, Freiheitsentziehung, Eingriffe in die sittliche Integrität nicht physische, sondern psychische Störungen zur Folge haben. Gerade bei seelischen Störungen wird aber ein Ausgleich der Unlustgefühle häufig deshalb nicht möglich sein, weil der Verletzte subjektiv das Bewußtsein der Schädigung nicht besitzt. Trotzdem ist auch hier die Berechtigung einer Entschädigung eines immateriellen Schadens mit Recht anerkannt worden... Ein ähnlicher Fall würde sich übrigens auch ergeben, wenn der Verletzte wirtschaftlich so gestellt ist, daß bei ihm durch keinerlei Geldbeträge ein Lustgefühl zum Ausgleich für die erlittenen immateriellen Schäden hervorgerufen werden könnte. Gerade für diese Gruppen von immateriellen Schäden gewinnt die Genugtuungsfunktion, die aus der Regelung für immaterielle Schäden nicht wegzudenken ist, ihre besondere Bedeutung. Die Genugtuungsfunktion bringt eine gewisse durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck, die aus der Natur der Sache heraus bei der Bestimmung der Leistung die Berücksichtigung aller Umstände des Falles gebietet." Diese Ausführungen lassen die Schwierigkeiten und Spannungen der von dem Großen Senat entwickelten Entschädigungskonzeption zu § 847 BGB deutlich erkennen. In der Sache belegen sie in aller Klarheit die in dieser Untersuchung bereits mehrfach herausgestellte Erkenntnis, daß der Große Senat sich deshalb zu einer besonderen Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB bekannt hat, weil er von der Annahme ausgegangen ist, daß auch der Gefühlsschaden des Geschädigten zu dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden gehört; denn dieser Gefühlsschaden wird nicht angemessen sanktioniert, wenn der Geldentschädigung lediglich eine Ausgleichsfunktion (Kompensationsfunktion) zugemessen wird. Der gleiche Begründungszusammenhang ist auch den überlegungen der Anhänger des Großen Senats zu entnehmen28 • 25 26
BGHZ (GS) 18, 149 ff., 156 f. Vgl. dazu nur oben 1. b) dd) (Text nach Fußn. 21).
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Außerdem offenbaren die überlegungen des Großen Senats eine auffällige Inkonsequenz bei der Durchführung der Ansicht, daß die Geldentschädigung auch eine besondere Genugtuungsfunktion hat. Diese Ansicht muß bei folgerichtiger Anwendung dazu führen, daß der Geschädigte, der empfindungslos ist oder durch die haftungsbegründende Verletzung geworden ist, aus doppeltem Grunde keine Geldentschädigung verlangen kann: weil er weder eine Störung seines Gefühlslebens noch die mit der Geldentschädigung bezweckte Genugtuung empfinden kann27 . Dennoch meint der Große Senat, daß die Genugtuungsfunktion auch in diesen Fällen zum Zuge komme und dem Geschädigten eine Genugtuungsentschädigung zu gewähren sei. b) Die Konsequenzen für die Handhabung des § 847 BGB Die Konsequenzen der soeben beschriebenen Inkonsequenz in der Argumentation des Großen Senats zeigen sich in einer vor wenigen Jahren ergangenen Entscheidung des VI. Senats des BGH28. Es ging um einen Fall, in dem ein betrunkener Pkw-Fahrer mit seinem Fahrzeug auf den Bürgersteig geraten war und dort ein vierzehn Monate altes Kind auf dem Arm seiner durch den Unfall getöteten Mutter schwer verletzt hatte. Das Kind erlitt Hirnschädigungen, wurde dadurch völlig gelähmt und verlor nach kurzer Zeit jede Fähigkeit zur Sinneswahrnehmung. In der Schadensersatzklage wurde ein "Schmerzensgeld" in Form eines Kapitalbetrages von 100 000,- DM und eine Rente von monatlich etwa 200,- DM beantragt. Die Beklagten argumentierten auf dem Boden der herrschenden Doppelfunktionstheorie und hielten lediglich eine geringfügige Entschädigung für begründet. Sie meinten im einzelnen: Für die Ausgleichsfunktion fehle jeder Ansatz, weil der Geschädigte weder Schmerzen, Unlustgefühle usw. empfinde noch in der Lage sei, die mit einer Geldentschädigung finanzierbaren Annehmlichkeiten wahrzunehmen; und auf die Genugtuungsfunktion sei allenfalls für den Zeitraum abzustellen, in dem der Geschädigte noch empfindungsfähig gewesen sei. Denn - so muß man ergänzen - die Genugtuung erfordere nicht nur eine auch dem Sühnegedanken verbundene Leistung des Schädigers, sondern setze zusätzlich voraus, daß der Geschädigte sie auch empfinden. könne. Über die Verteidigung der Beklagten hinaus könnte man aus der Sicht der herrschenden Meinung sogar sagen: Der Geschädigte könne selbst für die Zeit seiner Empfindungsfähigkeit nichts verlangen, weil die Geldentschädigung ihm als damals vierzehn Monate altem Kind nichts bedeutet hätte und weil sie jedenfalls zu spät komme. 27 Diese Konsequenz zieht im Anschluß an Wiese, Immaterieller Schaden,
57, zuletzt EhleTs, Geldersatz, 194. Vgl. ferner oben § 3 A. I. 4. 28 BGH NJW 1976, 1147 ff.
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Die Stellungnahme des VI. Senats offenbart schon in der Diktion die Schwierigkeiten, die der Rechtsprechung durch die Entschädigungskonzeption des Großen Senats beschert worden sind. Die entscheidenden Stellen der Argumentation sollen deshalb ebenfalls wörtlich wiedergegeben werden. Es heißt dort29 : "Es liegt nicht fern, daß sich die beiden Zweckrichtungen des Schmerzensgeldes in derartigen besonderen Fällen in einem beiden gemeinsamen Bereich überschneiden (vgl. auch Deutsch, JuS 1969, S. 202), in dem ein nicht notwendig pönaler, verfeinerter Sühnegedanke i. S. der gesetzlichen Regelung fordert, daß die schwere Beeinträchtigung des Menschseins nicht ohne eine wenigstens zeichenhafte Wiedergutmachung bleibe. Diese Wiedergutmachung kann hier allerdings nicht auf die konkret oder abstrakt für den Betroffenen fühlbare Korrektur einer empfundenen Verletzung bezogen sein, sondern nur in synibolhafter Weise die Beeinträchtigung der in der Rechtsordnung bedingungslos geschützten Person sühnen. Dieser sich aufdrängende Gedanke dürfte der Grund dafür sein, daß sich die Rechtsprechung bisher, soweit ersichtlich, nicht entschließen konnte, wenigstens in solchen Fällen ein Schmerzensgeld überhaupt zu versagen, in denen der Verletzte mit Wahrscheinlichkeit keine Schmerzen und mit Sicherheit keine Genugtuung empfinden konnte ... Deshalb sieht sich der erkennende Senat ungeachtet der Folgerichtigkeit, die der von den Bekl. mit ihrer Revision vertretenen Auffassung nicht abgesprochen werden kann, nicht veranlaßt, in einem Fall der vorliegenden Art nunmehr ein Schmerzensgeld grundsätzlich zu versagen, zumal auch die Bekl. sich nicht dagegen wehren, einen Betrag von 20 000,- DM zahlen zu müssen." Der Senat hielt schließlich den vom Berufungsgericht festgesetzten Betrag von 30000,- DM nicht für "rechtsfehlerhaft". 3. Die Einwände gegen die Anerkennung einer besonderen Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld"
Das soeben erwähnte Urteil des BGH ist scharf kritisiert worden30 • Die Begründung kann in der Tat nicht überzeugen, wenn man die Entschädigungskonzeption der herrschenden Meinung konsequent durchführt. Dem Senat ist auch kaum zu folgen, wenn er einerseits nur eine "symbolhafte" Sühne fordert und andererseits einen Betrag von 30 000,- DM für angemessen hält. Dennoch verdient das Urteil aus zwei Gründen mehr Anerkennung als Ablehnung: weil es - entgegen der Ansicht der Kritiker - doch zu einer einigermaßen ansehnlichen Geldentschädigung gelangt ist, und weil es schonungslos aufgedeckt hat, daß dieses Ergebnis nur durch inkonsequente Handhabung der von den Beklagten konsequent befolgten Auffassung über die besondere Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB zu erreichen war. 2~
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BGH NJW 1976, 1147 ff., 1148 f. Vgl. die Anm. zu dem Urteil von Niemeyer und Hupfer, NJW 1976, 1792.
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Der in dem Urteil in mutiger Offenheit herausgestellte Zwang zur Inkonsequenz nährt den Verdacht, daß der Große Senat mit der aus § 847 BGB entnommenen Entschädigungskonzeption, insbesondere mit der Anerkennung einer besonderen Genugtuungsfunktion den richtigen Weg verfehlt hat. Dieser Verdacht wird durch mehrere im folgenden darzulegende Einwände erhärtet. a) Das fehlende Bedürfnis für die Anerkennung einer besonderen Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" Der erste Einwand zeigt sich, wenn man den Anlaß und die Entwicklung der modernen Diskussion um das Verständnis des § 847 BGB den Ergebnissen der in § 3 dieser Abhandlung durchgeführten Untersuchung über die Struktur des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens i. S. des § 847 BGB gegenüberstellt. Anlaß für die Diskussion war der Konflikt zwischen der Annahme der Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens einerseits und der herkömmlichen und lange Zeit kaum bestrittenen Ansicht, daß der Geldentschädigung gem. § 847 BGB lediglich eine Ausgleichsfunktion (Kompensationsfunktion) zukomme. Die Einsicht, daß eine Geldentschädigung, die auch die Zufügung von Gefühlsschäden sanktionieren soll, nicht allein an der Ausgleichsfunktion orientiert werden kann, bestimmte den Großen Senat des BGH für Zivilsachen dann dazu, der Geldentschädigung zusätzlich eine besondere Genugtuungsfunktion zuzumessen31 • Da der Große Senat und seine die herrschende Meinung vertretenden Anhänger den Auslegungskonflikt zu § 847 BGB somit ohne nähere Problematisierung der Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens durch eine Korrektur der Funktion der Geldentschädigung bereinigt und dadurch nicht unerhebliche Folgeprobleme heraufbeschworen haben, ist in dieser Abhandlung die .zu Unrecht unterbliebene Untersuchung der Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens nachgeholt worden. Sie hat ergeben, daß der Gefühlsschaden nicht zu dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB gehört. Als entschädigungspflichtig haben sich vielmehr lediglich zwei äußere immaterielle Schadensposten erwiesen: Den ersten bildet der äußere immaterielle Verletzungsschaden, der allein darin besteht, daß der Geschädigte durch eine Verletzung seiner persönlichen Integrität in Form einer haftungsbegründenden Verletzung der in § 847 BGB aufgezählten Rechtsgüter oder eines durch Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeits rechts gewonnenen sonstigen Persönlichkeitsrechts 31
Vgl. dazu oben § 2 B. 1.
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betroffen worden ist. Hinzu kommt als zweiter Schadensposten der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden. Er ergibt sich aus der immateriellen Einbuße an äußerer Entfaltungsfähigkeit und -freiheit, die der Geschädigte durch das äußere Fortwirken der haftungsbegründenden Verletzung erlitten hat. Mit dieser Abgrenzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens i. S. des § 847 BGB entfällt der von dem Großen Senat und seinen Anhängern angenommene Zwang zur Anerkennung einer besonderen (nicht nur als Reflexfunktion der Ausgleichsfunktion verstandenen) Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld". Das bedeutet: für die besondere Genugtuungsfunktion besteht kein Bedürfnis. Die hier erzielte Abgrenzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens und der dadurch ermöglichte Verzicht auf eine besondere Genugtuungsfunktion erschließen zugleich eine gradlinige Abwicklung der Fälle, in denen der Geschädigte - wie in dem vom VI. Senat des BGH beurteilten Fa1l8! - keinen Gefühlsschaden erleiden konnte; denn das Ausbleiben eines Gefühlsschadens und der Verlust der Fähigkeit, Genugtuung zu empfinden, beeinflussen die Höhe der Geldentschädigung ebensowenig wie der Eintritt eines Gefühlsschadens und die Fähigkeit zu einem Genugtuungsgefühl. Es ist statt dessen in allen Fällen gleichermaßen an den (in dem dargelegten Sinne verstandenen) äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden anzuknüpfen, und der ist bei Geschädigten, die durch die haftungsbegründende Verletzung wahrnehmungsunfähig geworden sind, jedenfalls beträchtlich. Im Gegensatz zu dieser Auffassung hat die 1971 eingesetzte PearsonCommission in einem im März 1978 vorgelegten Bericht über die Reform des britischen Unfallrechts 33 vorgeschlagen, daß dauernd bewußtlosen Geschädigten wegen des Nichtvermögensschadens keine Geldentschädigung zu gewähren sei. Wörtlich heißt es insoweit: "We think the approach should be to award non-pecuniary damages only where they can serve some useful purpose, for example, by providing the plaintiff with an alternative source of satisfaction to replace one that he has lost. Non-pecuniary damages cannot do this for a permanently unconscious plaintiff34." Diese Ansicht der interdisziplinär zusammengesetzten Kommission 35 ist nach Kötz 88 "in der Tat konsequent, sofern BGH NJW 1976, 1147 f. Report of the Royal Commission on Civil Liability and Compensation for Personal Injury, London: Her Majesty's Stationery Office 1978 (Cmnd. 7054) 3 Vol. Ausführlich dazu Kötz, VersR 1979, 585 ff. 34 Bereits zitiert bei Kötz, VersR 1979, 587. 35 Einzelheiten über die aus 16 Mitgliedern bestehende Kommission bei Kötz, VersR 1979, 586. 82
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man dem Schmerzensgeld die sogenannte Genugtuungsfunktion abspricht". Nach den vorangegangenen Untersuchungen ergibt sich demgegenüber diese Stellungnahme: Die Ansicht der Pearson-Commission ist selbst dann konsequent, wenn man der Geldentschädigung für immateriellen Schaden eine besondere Genugtuungsfunktion zuweist; denn eine an der Genugtuungsfunktion orientierte Geldentschädigung sollbei konsequenter Verfolgung des Genugtuungsgedankens - nicht nur auf den Schädiger einwirken. Sie soll vielmehr zusätzlich in dem Geschädigten das Gefühl der Genugtuung hervorrufen, und das kann sie nicht, wenn der Geschädigte durch die Verletzung dauernd bewußtlos geworden ist. Dennoch ist der Ansicht der Kommission nicht zu folgen: Zunächst schon aus den Gründen nicht, die den BGH dazu bestimmt haben, eher inkonsequent zu argumentieren als dem bewußtlosen Geschädigten jede Entschädigung zu versagen. Die Einstellung des BGH beruht auf der überzeugung, daß es nicht gerecht sein kann, gerade den Geschädigten keinen Entschädigungsanspruch zu gewähren, deren persönliche Integrität durch die Verletzung am stärksten betroffen worden ist. Diese einfache Gerechtigkeitsüberlegung kann auch nicht mit dem Hinweis entkräftet werden, daß der bewußtlose Geschädigte die Entschädigung selbst nicht nutzen könne; denn dieser Umstand kann auch dann gegeben sein, wenn der Geschädigte durch die Verletzung nicht bewußtlos geworden ist, aber gleichwohl nicht fähig oder nicht bereit ist, auch nur einen einzigen Gedanken auf die Entschädigung zu verwenden. Allgemein heißt das: Die Beantwortung der Frage, ob ein Mensch, der eine Verletzung seiner persönlichen Integrität erlitten hat, durch Geld zu entschädigen ist, darf nicht davon abhängen, ob er selbst sinnvoll und zum eigenen Nutzen entscheiden kann oder will. Gegen die Ansicht der Pearson-Commission ist außerdem vorzubringen, daß sie - wie die von dem Großen Senat des BGH für Zivilsachen begründete herrschende Meinung - auf der nicht begründeten Annahme beruht, daß als entschädigungspflichtiger immaterieller Schaden hauptsächlich der Gefühlsschaden des Geschädigten anzusehen sei. Da dieser Ansatz durchschlagenden Bedenken ausgesetzt und deshalb als entschädigungspflichtiger immaterieller Schaden nur der äußere immaterielle Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden anzuerkennen ist, entfällt nicht nur das Bedürfnis für die von dem Großen Senat durchgesetzte besondere Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB, sondern auch die Grundlage für die von der Pearson-Commission gefundene Entscheidung, daß Geschädigte, die infolge 36
VersR 1979, 587.
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der Verletzung ihrer persönlichen Integrität das Bewußtsein verloren haben, wegen ihres immateriellen Schadens keine Geldentschädigung verlangen können. b) Die Unvereinbarkeit der besonderen Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" mit der gesetzlichen Regelung des Ersatzes immateriellen Schadens Da für eine besondere Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" kein Bedürfnis besteht, wenn der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden in der gebotenen Weise als äußerer immaterieller Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden abgegrenzt wird, sind sie und ihre weitreichenden Konsequenzen, insbesondere die durch sie bewirkten Pönalisierungstendenzen allenfalls dann zu verteidigen, wenn sie sich wenigstens als eine mit dem Gesetz zu harmonisierende Konzeption erweisen. Auch insoweit bestehen durchschlagende Bedenken. aa) Anhaltspunkte für diese Bedenken ergeben sich bereits aus den Gesetzesmaterialien. Sie richten sich ausdrücklich gegen eine "Pönalisierung und Moralisierung" des zivilrechtlichen Deliktsrechts37 • Dieser Widerstand könnte heute weitgehend vernachlässigt werden, wenn er sich lediglich als Bestandteil des in seinem Argumentationswert nach und nach abgeschwächten Gesetzesmaterials erwiese. Das ist aber nicht der Fall. Er hat vielmehr in der gesetzlichen Regelung des deliktsrechtlichen Schadensersatzrechts einen deutlichen Niederschlag gefunden, etwa in den §§ 831, 833 (soweit es um die Gefährdungshaftung für Luxustiere geht) und § 840 BGB. Sie sind nach der Konzeption des Gesetzes auch auf die Fälle des § 847 BGB anzuwenden, vertragen sich aber eindeutig nicht mit einer "billigen Entschädigung in Geld", die von einer als Zielfunktion gedachten besonderen Genugtuungsfunktion (mit-)bestimmt wird und deshalb als auch tendenziell pönalisierende (sühnebetonende) Sanktion an schädigerbezogenen Umständen, insbesondere an dem von ihm erreichten Verschuldensgrad und an seinen Vermögensverhältnissen, auszurichten ist38• bb) Einen weiteren gesetzlichen Anhaltspunkt gegen die Genugtuungsfunktion und ihre tendenziell pönalisierenden Wirkungen enthält § 53 Abs.3 LuftVG, der dem Geschädigten, der durch ein militärisches Flugzeug verletzt worden ist, einen Gefährdungshaftungsanspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens gewährt und damit die Vgl. Mot. H, 17 f. Vgl. dazu auch BGHZ 7, 223 ff., 224 f., wo überzeugend dargelegt wird, daß der "Gesetzgeber" keine Pönalisierung wollte; ferner BGHZ 10, 104: "Genugtuung und Sühne" sind nicht "Aufgabe des Zivilrichters, sondern des Strafverfahrens". Vgl. auch Stall, Gutachten, 155. 37
38
B. Beurteilung der erwägenswerten Funktionen
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Berücksichtigung schädigerbezogener Umstände nicht zuläßt. Das Gewicht dieses Einwands ist allerdings nicht allzu hoch anzuschlagen, weil § 53 Abs. 3 LuftVG einen in mehrfacher Hinsicht besonders gelagerten Fall betrifft und deshalb als eine Ausnahmevorschrift ohne prinzipielle Wirkungen anzusehen ist 39 • ce) Wichtigere Bedenken ergeben sich dagegen aus den praktischen Konsequenzen des Versuchs, das zivilrechtliche Deliktsrecht für immaterielle Schäden durch die Annahme einer als Zielfunktion verstandenen Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung zu einem sühnebetonenden und damit in der Tendenz pönalisierenden Sanktionsinstrument zu verwandeln. Die Konsequenzen bestehen in der - von den Anhängern der herrschenden Meinung auch erkannten - Notwendigkeit, daß eine "verhängte oder verwirkte" Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB die nach dem Strafrecht zu verhängende (Kriminal-)Strafe herabsetzen muß40 und umgekehrt. Diese gegenseitige Anrechenbarkeit belegt nicht nur die starke Ähnlichkeit zwischen der auch von der Genugtuungsfunktion (als Zielfunktion) getragenen Geldentschädigung gern. § 847 BGB und der Kriminalstrafe 41 . Sie begründet auch die Gefahr, daß das Verhalten des Schädigers (und Straftäters) übermäßig sanktioniert wird: Den Täter trifft auch dann eine - jedenfalls für ihn - in ihrer Wirkung der Strafe stark ähnelnde Sanktion, wenn er durch sein Verhalten keinen Straftatbestand, sondern lediglich die Voraussetzungen des § 847 BGB erfüllt hat, und sein Verhalten wird jedenfalls teilweise doppelt sanktioniert, wenn es ihm nicht gelingt, die eine Sanktion bei der Verhängung der anderen erfolgreich geltend zu machen 4!, oder wenn der Zivilrichter die strafrechtliche Sanktion anders bewertet als der Strafrichter und umgekehrt. Zur Vermeidung dieser Gefahr ist gefordert worden, daß der Strafrichter die Geldentschädigung gern. § 847 BGB bei der strafrechtlichen Sanktion nicht zu berücksichtigen habe. Es sei vielmehr allein dem Zivilrichter überlassen, ob und in welcher Weise die strafrechtliche Sanktion zu würdigen So bereits zu Recht Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 17 f. 40 Vgl. Stoll, Gutachten, 155 und 152; sowie ders., Remedies, 8 - 151, S.133; Meyer, JuS 1975, 87 ff., 90; Deutsch, HaftungsR. I, 474 f., sowie ders., RabelsZ 42 (1978) 577 ff., 579. Aus der Rechtsprechung: OLG Celle JZ 1970, 548 mit Anm. v. Deutsch; OLG Düsseldorf NJW 1974, 1289 (bei Bestrafung entfällt regelmäßig Genugtuungsinteresse). A. A. OLG Hamm MDR 1974, 1018. Selbstverständlich für Anrechnung Großfeld, Privatstrafe, 122 f. 41 Vgl. dazu Hirsch, FS für Engisch, 304 ff., 325 f., wo er "aus der ,Anrechenbarkeit' das ,Eingeständnis' entnimmt, daß man sich bei der Festsetzung der Geldentschädigung gern. § 847 BGB ,eben doch mit denselben Aspekten befaßt wie im Strafverfahren"'. Vgl. zur Kritik der h. M. auch Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 301 - 303. 42 Zu den Schwierigkeiten vgl. Meyer, wie Fußn.40, und Deutsch, HaftungsR. I, 475. 39
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sei43 • Dieser Vorschlag bringt jedoch nur begrenzte Abhilfe. Er versagt, wenn der Zivilrichter zuerst entscheidet und noch nicht weiß, wie der Strafrichter entscheiden wird. Außerdem ist nicht sichergestellt, daß sich Zivil- und Strafrichter auch an diesen Vorschlag halten. dd) Die bisherigen überlegungen deuten bereits darauf hin, daß die Entpönalisierung des zivilrechtlichen Deliktsrechts und damit die Trennung von zivilrechtlichem und strafrechtlichem Deliktsrecht keineswegs nur eine dogmatisch-systematische Flurbereinigung darstellt. Ihre Wirkungen sind vielmehr hauptsächlich inhaltlicher Natur; denn sie zwingen zu einer differenzierten Abgrenzung und Begründung der verselbständigten Teilsanktionen und bewirken dadurch zugleich, daß Opfer und Schädiger die Reaktion der Rechtsordnung auf Unrecht besser durchschauen und eher einsehen können. Man kann daher ohne übertreibung sagen: Durch die in jeder Hinsicht fragwürdigen Tendenzen zur Pönalisierung des zivilrechtlichen Deliktsrechts wird eine der wichtigsten Errungenschaften der Rechtsentwicklung ohne Not preisgegeben: die Trennung von zivilrechtlichem und strafrechtlichem Deliktsrecht44 • Selbst diejenigen, welche im Gegensatz zu der hier vertretenen Einschätzung Sanktionslücken diagnostizieren, sollten deshalb eine Lückenfüllung mit strafrechtlichen Mitteln anstreben45 • Die nach den bisherigen Überlegungen eindeutig zu belegende Ausrichtung des deutschen Schadensersatzrechts gegen pönalisierende Tendenzen läßt sich auch nicht mit den insbesondere von Stoll48 vorgebrachten rechtshistorischen und rechtsvergleichenden Hinweisen abschwächen. Das angeführte Material enthält allerdings klare Beispiele für pönalisierende (sühne betonende) Entschädigungsregelungen; und die rechtshistorischen Belege ließen sich sogar noch vermehren, wenn man die Rechtsgeschichte bis zur völligen Verschmelzung der zivil- und strafrechtlichen Sanktionen für Delikte zurückverfolgte. Gerade diese Materiallage zeigt aber, daß das deutsche Recht entwicklungsgeschichtlich auf eine scharfe Trennung des zivil- und des straf43 So OLG Celle, wie Fußn.40; Stoll, Remedies, 8 -151, S.133; Deutsch, zuletzt RabelsZ 42 (1978) 577 ff., 579. 44 Vgl. dazu Bötticher, Referat C 7 ff.; und ders., Diskussionsbeitrag, C 115. Ferner Hirsch, FS f. Engisch, 304 ff., 318 f. und 327; Pecher, AcP 171 (1971) 44 ff., 63 f., 77 ff. und passim; Weyers, Unfallschäden, 350 ff., 575 ff.; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 120, mit dem Hinweis auf die Zurückdrängung der Privatstrafe im englischen Recht; Schulte, Schadensersatz in Geld für Entbehrungen, 30 ff. 45 Vgl. dazu auch Demuth, JZ 1978, 323 ff., 324, wo er mitteilt, daß auch auf der Strafrechtslehrertagung 1977 mehrheitlich die Ansicht vertreten wurde, die zivilrechtliche Schmerzensgeldrechtsprechung (im Sinne der h. M.) sei eine bloße Ersatzinstitution für fehlende strafrechtliche Regelungen. 48 FS f. Rheinstein, Bd. 11, 569 ff., 570 - 583.
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rechtlichen Deliktsrechts zugelaufen ist47. Dabei ist es insbesondere im Bereich des Schadensersatzrechts für immaterielle Schäden weiter vorangeschritten als vergleichbare Rechtsordnungen mit ähnlicher Rechtsgeschichte. Daraus folgt aber nicht, daß es nunmehr aufgrund der besonderen Diskussion um die Entschädigung immaterieller Schäden auf einen früheren Entwicklungsstand zurückzubilden sei; denn die in der bisherigen Diskussion eher vernachlässigten Bemühungen um eine Abgrenzung des entschädigungsfähigen und damit entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens und die daraus erwachsene Ablehnung des Gefühlsschadens als entschädigungspflichtigen Schadensposten ermöglichen es, auch ohne Einführung einer besonderen Genugtuungsfunktion und der mit ihr verbundenen Pönalisierungstendenzen eine angemessene Sanktion für den immateriellen Schaden zu erreichen. Es muß deshalb gewagt werden, die nicht zuletzt durch Rechtsvergleichung geforderten (Re-)Pönalisierungstendenzen für das deutsche Schadensersatzrecht zurückzuweisen. c) Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die besondere Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" Weitere Einwände gegen die besondere Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung und die durch sie bewirkten Pönalisierungstendenzen sind aus den verfassungsrechtlichen Grundsätzen "nulla poena sine lege" (Art. 103 Abs.2 GG)48 und "ne bis in idem" (Art. 103 Abs. 3 GG)19 hergeleitet worden. Von diesen beiden Grundsätzen kann der erste jedoch selbst dann keinen dauernden Einwand liefern, wenn ein Verstoß gegen ihn vorliegt; denn der Gesetzgeber könnte die fehlende lex schaffen. De lege lata hängt die Anwendbarkeit des Art. 103 GG davon ab, ob die in den einzelnen Bearbeitungen der herrschenden Meinung 50 unterschiedlich bedeutsame besondere Genugtuungsfunktion die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB strukturell derart verändert, nämlich pönalisiert, daß sie einer Geldstrafe ähnlicher ist als einer scha47 Vgl. dazu Jhering, Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, 1867 (auch in Vermischte Schriften, 1879); Pecher, AcP 171 (1971) 44 ff., 58 ff.; Meyer, JuS 1975, 87 ff., 88 und die weiteren Nachweise oben in Fußn.44. Vgl. auch Ehlers, Geldersatz, 194 f. Zur Einstellung Jherings neuerdings anders: Braschos, Der Ersatz immaterieller Schäden im Vertragsrecht, 1979, 22. 48 Einen Verstoß gegen diesen Grundsatz nehmen insbesondere an: Bötticher, MDR 1963, 353 ff., 359; ders., AcP 158 (1959/60) 385 ff., 396 ff.; ders., Referat, C 17 ff.; Hirsch, FS f. Engisch, 304 ff., 314 ff., 326 f.; wohl auch Pecher, AcP 171 (1971) 44 ff., 65 und 77. Dagegen Großfeld, Privatstrafe, 120 ff. Vgl. auch Stoll, Gutachten, 155 f. 49 Vgl. Hirsch, wie vorige Fußn., 325. Dagegen wiederum Großfeld, Privatstrafe, 123, und jedenfalls für die Entziehung unrechtmäßig erzielter Gewinne Stoll, Gutachten, 157. 50 Vgl. dazu oben § 2 B. IIr.
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§ 4:
Funktion der Entschädigung
densersatzrechtlichen Entschädigung51 . Für eine solche Neigung zur Geldstrafe spricht die von den Befürwortern einer besonderen Genugtuungsfunktion vertretene, bereits erwähnte Auffassung, daß die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB als Genugtuungsentschädigung bei der Festsetzung einer gleichfalls verwirkten Geldstrafe zu berücksichtigen ist und umgekehrt. Andererseits haben die Vertreter dieser Ansicht aber immer wieder vorgebracht, die Anerkennung der Genugtuungsfunktion und des sie tragenden Sühnegedankens könne keinen Verstoß gegen Art. 103 GG begründen, weil die Geldentschädigung gem. § 847 BGB zivilrechtlich ausgestaltet sei62 ; denn sie fließe dem Geschädigten zu, diene seiner "Besänftigung" und bewirke allenfalls als (wenn auch erwünschte) Nebenfolge eine Abschreckung, während die Geldstrafe an die Staatskasse zu entrichten sei, die Allgemeinheit besänftigen solle und die eine Strafe kennzeichnende Abschreckungswirkung entfalte53 . Diese Unterscheidung kann den aus Art. 103 GG abgeleiteten Einwand gegen die Anerkennung einer besonderen Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB aber kaum entkräften; denn sie ist weder für die Allgemeinheit noch für die Parteien einsichtig; am wenigsten für den Schädiger, dem es gleichgültig ist, an wen er das zweite Mal zu zahlen hat64 • Er wird nur die "doppelte Sühne"55 spüren. Es bleibt also jedenfalls eine wesentliche Teilidentität zwischen der Geldstrafe und der auch von einer besonderen Genugtuungsfunktion getragenen und damit sühnebetonenden Geldentschädigung i. s. des § 847 BGB. Die aus Art. 103 GG hergeleiteten Bedenken sind also nicht von der Hand zu weisen. Ihre Beurteilung kann jedoch letztlich dahinstehen, denn die Frage, ob eine besondere Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung anzuerkennen ist, kann aufgrund der bisherigen Untersuchungen bereits eindeutig verneint werden.
51 Vgl. zur "Zwischenlage" der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB bei Anerkennung einer besonderen Genugtuungsfunktion: oben B. lI.l. b) a. E. 52 So insbesondere Großfeld, Privatstrafe, 122 f.; StoU, Gutachten, 152; Wiese, Immaterieller Schaden, 55; sowie ohne Begründung BVerfGE 34, 269 ff., 293. Vgl. aber auch BGHZ (GS) 18, 156, wo es heißt: "Der Schmerzensgeldanspruch des § 847 ist zwar formal vom Gesetzgeber als bürgerlichrechtlicher Schadensersatzanspruch konstruiert. Seinem Inhalt nach ist er aber jedenfalls nicht ein solcher der üblichen, d. h. der auf Ersatz von Vermögensschäden zugeschnittenen Art." 53 So Stoll, Gutachten, 152. 5' Vgl. dazu auch Bötticher und Pecher, wie oben Fußn. 48. 55 Zur Relevanz dieses Kriteriums für die Anwendung des Art. 103 GG vgl. Maunz I Düng I Herzog I Scholz, Art. 103 GG Bem. 128.
B. Beurteilung der erwägenswerten Funktionen
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d) Dierechtsethischen Bedenken gegen die besondere Genugtuungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" Wenigstens am Rande ist schließlich die Frage aufzuwerfen, ob es sich bei der von der herrschenden Meinung als Hauptzweck der Entschädigung angestrebten Genugtuung um einen rechtsethisch vertretbaren Sanktionszweck handelt. Anlaß zu dieser Fragestellung gibt die seit langem in der strafrechtlichen Literatur geführte Diskussion zu diesem Thema. Besonders hervorzuheben ist die eindeutige Stellungnahme von Eberhard Schmidt58 • Er meint: "Es wäre völlig abwegig, für jede einzelne Strafe den Genugtuungszweck als Art und Maß der Strafe bestimmend anzusehen." Diese vernichtende Beurteilung begründet er ~inmal mit der überlegung, daß eine solche Orientierung der Strafe zu exorbitanten Konsequenzen führen müsse, weil das Genugtuungsbedürfnis bei vielen Verletzten nur mit den allerschärfsten Sanktionen befriedigt werden könne. Außerdem sieht er im Anschluß an Hermann Nohl 57 einen der wenigen "großen Fortschritte der Rechtsentwicklung" in der Trennung der Strafe von dem "persönlichen Affekt", der sich in Rache, Vergeltung und Genugtuung manifestiere und letztlich immer aus der Triebschicht des Menschen stamme. Es wäre deshalb nach seiner Ansicht "ein Rückfall in die primitivsten Strafauffassungen, wenn dem Genugtuungsbedürfnis auf die richterliche Strafzumessung irgendein Einfluß zugebilligt werden sollte". Die Ausführungen richten sich zwar in erster Linie gegen die Eignung des Genugtuungszwecks als Strafzweck. Die von Schmidt angeführten Gründe sind aber so beschaffen, daß sie den Genugtuungszweck auch als Zweck einer schadensersatzrechtlichen Sanktion in Frage stellen, und zwar sowohl als Maßstab für die Höhe als auch als rechtsethischen Grund für die Sanktion. 4. Ergebnis
Die vorgetragenen überlegungen führen damit zu diesem Ergebnis: Eine Genugtuungsfunktion, die nicht nur als Reflexfunktion der Ausgleichsfunktion, sondern als selbständige Zielfunktion angesehen wird58, ist abzulehnen59• Vgl. Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. I, 1954, 16. Jugendwohlfahrt 1927, 94. 58 Vgl. dazu oben B. H. 1. 59 Es ist also im Ergebnis a11 denen zuzustimmen, welche die Genugtuungsfunktion bisher sogar auf dem Boden der h. M. über die Abgrenzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens abgelehnt haben. Vgl. die Nachweise oben § 2 Fußn. 30, sowie die Ausführungen zu der Ansicht Schwerdtners, oben § 2 B. IV. und § 3 B. II. 58
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§ 4: Funktion der Entschädigung
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m.
Die Beurteilung der Uberwindungsfunktion der .. billigen Entschädigung In Geld"
1. Die Qualifikation und die Folgen der überwindungsjunktion
Im Gegensatz zu der soeben abgelehnten Genugtuungsfunktion hat die in dem Bericht über den Meinungsstand60 ausführlich dargestellte überwindungsfunktion in Rechtsprechung und Schrifttum kein besonders starkes Echo hervorgerufen, wahrscheinlich deshalb nicht, weil sie - im Gegensatz zu den Vorstellungen ihrer Urheber - überwiegend nicht als eine besondere (selbständige) Funktion anerkannt, sondern lediglich als eine modifizierte Ausgleichsfunktion (Kompensationsfunktion) angesehen worden ist61 • Dieser Qualifikation ist zuzustimmen; denn die durch die überwindungsfunktion bestimmte Geldentschädigung unterscheidet sich von der herkömmlichen Ausgleichsentschädigung allein durch eine modifizierte Zielsetzung, die in der Regel zu geringeren Geldbeträgen führt. Die Korrektur beruht auf der nach dem medizinisch-psychologischen Erkenntnisstand allein möglichen Einsicht, daß der Geschädigte das ihm zugefügte Leid auf die Dauer nur überwinden kann, wenn es gelingt, seine überwindungskräfte zu mobilisieren. Deshalb muß die Geldentschädigung gerade so bemessen sein, daß sie diese Wirkung erfüllt. Die Forderung nach einer durch diese Zweckbestimmung dosierten Geldentschädigung hat allerdings sehr weitreichende Folgen: Nachdem der Richter aufgrund schwieriger Untersuchungen festgestellt hat, daß ein Fall vorliegt, in dem die überwindungsfunktion (und nicht die daneben anerkannte Ausgleichs- oder Genugtuungsfunktion62 ) zum Zuge kommt, muß er die Geldentschädigung nach dem "objektiven Schwierigkeitsgrad der subjektiven Lebenshemmung"83 dosieren. Bei der Feststellung dieses Maßstabs hat er sich zunächst ein klares Bild über die bei dem jeweiligen Geschädigten wirksam gewordenen Faktoren zu verschaffen; denn er hat viele von ihnen auszuscheiden, nämlich die Wehleidigkeit des Geschädigten, seine "übertriebene Schmerzempfänglichkeit" , seine geringe seelische Widerstandskraft gegen körperliche Schmerzen, "abartige Neigungen" sowie "unwertige Charaktereigenschaften" und "geringes geistiges Niveau"64. Die Handhabung der überwindungsfunktion erfordert also, kurz gesagt, eine nahezu vollständige Analyse der Persönlichkeitsstruktur des Geschädigten. Vgl. dazu oben § 2 B. V. In diesem Sinne: Bötticher, Referat, C 12; Henke, Schmerzensgeldtabelle, 10 Fußn.5; Niemeyer, Genugtuung, 77; Köndgen, Haftpftichtfunktionen, 82. 82 Vgl. dazu oben § 2 B. V. und die Nachweise dort in den Fußn.63 und 64. 83 Vgl. Reme, Aufgaben des Schmerzensgeldes, 87, 91 und 35 ff. S( Vgl. Reme, wie vorige Fußn., 87. 80
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2. Die Einwände gegen die Anerkennung einer Vberwindungsjunktion der "billigen Entschädigung in Geld" a) Das fehlende Bedürfnis für die Anerkennung Wie die Forderung nach einer besonderen Genugtuungsfunktion erweist sich die Forderung nach der überwindungsfunktion als eine Reaktion auf die beinahe zum Dogma gewordene Annahme, daß auch und gerade der Gefühlsschaden zum entschädigungspflichtigen Schaden i. S. des § 847 BGB gehört. Wie das Bedürfnis nach einer besonderen Genugtuungsfunktion entfällt also auch das Bedürfnis nach einer überwindungsfunktion der "billigen Entschädigung in Geld", wenn der Gefühlsschaden aus dem Bereich des entschädigungspflichtigen immateriellenSchadens eliminiert und nur der äußere immaterielle Verletzungsund Verletzungsfolgeschaden als entschädigungspflichtig anerkannt werden. Wie die Genugtuungsfunktion ist die überwindungsfunktion damit nur Reflexfunktion 85 der allein an der Ausgleichsfunktion orientierten Geldentschädigung. Das bedeutet im einzelnen: Es ist zwar stets wünschenswert, daß der Geschädigte aufgrund der ihm gewährten Ausgleichsentschädigung auch etwaige Störungen seiner inneren Lebenslage überwindet. Da die innere Lebenslage des Geschädigten aber weder hinreichend aufgeklärt werden kann noch aufgeklärt werden darf, kann die überwindung nur Reflexwirkung der Geldentschädigung sein und weder deren Struktur noch deren Höhe bestimmen. b) Die immanenten Einwände gegen die überwindungsfunktion Als Zielfunktion der "billigen Entschädigung in Geld" ist die Überwindungsfunktion aber nicht nur dann abzulehnen, wenn man der hier vertretenen Abgrenzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens folgt. Die Entschädigungskonzeptionen, in denen die Überwindungsfunktion einen strukturbestimmenden Platz hat, sind vielmehr auch deshalb zu verwerfen, weil sie durchschlagender immanenter Kritik ausgesetzt sind. Zugunsten der überwindungsfunktion ist allerdings zunächst dies festzustellen: Wenn man den Gefühlsschaden des Geschädigten - entgegen der hier vertretenen Ansicht - für entschädigungspflichtig hält und gleichzeitig versucht, die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB als eine eindeutig zivilrechtliche (schadensersatzrechtliche) Sanktion zu erhalten, dann muß man zu der überwindungsfunktion gelangen, weil sie die Schwächen der anderen Funktionen vermeidet: die Schwäche der (reinen) Ausgleichsfunktion, weil sie den medizinisch-psycholo85
Zur Unterscheidung von Ziel- und Reflexfunktion vgl. oben B. Ir. 1.
8 Lorenz
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gischen Erkenntnisstand berücksichtigt und dadurch die Einsicht vermittelt, daß die Geldentschädigung den Gefühlsschaden nicht allein kompensieren kann, sondern nur geeignet ist, die überwindungskräfte des Geschädigten zu mobilisieren; und die Schwächen der Genugtuungsfunktion, weil sie keine Pönalisierungstendenzen in das zivilrechtliche Deliktsrecht einschleust. Die Anhänger der überwindungstheorie nutzen jedoch nicht einmal diese Vorzüge; denn sie wollen die Überwindungsfunktion nicht stets und ausschließlich, sondern nur in besonderen Fällen zum Zuge kommen lassen und die Geldentschädigung in anderen Fällen entweder an der Ausgleichs- oder der Genugtuungsfunktion orientieren66 •. Sie belasten sich also mit der außerordentlich schwierigen Aufgabe, den Wirkungsbereich der einzelnen Funktionen gegeneinander abzugrenzen. Das besondere Ausmaß der Schwierigkeiten offenbaren die Ausführungen Remes, eines wichtigen Vertreters der Überwindungstheorie. Reme 67 flüchtet sich in die Auffangformel, daß die Entscheidung über die in den einzelnen Fällen maßgebende Funktion der Rechtsprechung überlassen bleiben müsse. Gleichzeitig warnt er die Gerichte davor, die Funktionen miteinander zu vermengen, weil jede eine ihr eigentümliche besondere Bemessung der Geldentschädigung nach sich ziehe68 • Die Warnung erscheint utopisch, wenn man bedenkt, daß sich die Gerichte nicht einmal die Aufteilung der Geldentschädigung in eine Ausgleichs- und eine Genugtuungsentschädigung zutrauen69 • Die überwindungstheorie ist aber nicht allein und nicht einmal hauptsächlich deshalb immanent zu kritisieren, weil sie zu großen Abgrenzungsschwierigkeiten führt. Wichtiger ist ein anderer Einwand. Er zeigt sich in den Fällen, in denen die Geldentschädigung an der Überwindungsfunktion auszurichten ist, weil der Geschädigte eine "intensive, subjektive Lebenshemmung" erlitten hat. In diesen Fällen soll die Geldentschädigung von dem objektiven Schwierigkeitsgrad der subjektiven Lebenshemmung "abhängen". Um diesen Maßstab einhalten zu können, hätten die Gerichte zu erforschen, ob die Lebenshemmung des Geschädigten auf anerkennungsfähigen oder minderwertigen Charaktereigenschaften des Geschädigten beruht70• Erforderlich wären also eine vollständige Ausleuchtung und Bewertung der PersönlichNäher dazu oben § 2 B. V. Vgl. Reme, Aufgaben des Schmerzensgeldes, 154. 68 Deshalb kritisiert Reme, ebenda, 60, beispielsweise das Herrenreiter-Urteil (BGHZ 26, 349 ff.), weil nicht erörtert worden sei, nach welchem "Wiedergutmachungsprinzip" die Entschädigung zu erfolgen habe. 69 Vgl. dazu oben § 2 B. IH. 2. 70 Vgl. dazu oben IH. 1. (Text bei Fußn. 64). 66
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B. Beurteilung der erwägenswerten Funktionen
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keitsstruktur des Geschädigten, also Maßnahmen, die von den Gerichten weder durchgeführt werden können noch durchgeführt werden dürfen71 und die den Geschädigten, der nur als Opfer in den Rechtsstreit verwickelt worden ist, in vielen Fällen härter träfen als die (haftungsbegründende) Verletzung, um deren Wiedergutmachung es geht.
3. Ergebnis Der "billigen Entschädigung in Geld" i. S. des § 847 BGB kann also eindeutig auch keine überwindungsfunktion der vorgeschlagenen Art zugewiesen werden. IV. Der Inhalt der allein maßgebenden Ausgleidlsfunktion
1. Die herrschende Meinung Die bisherigen Untersuchungen zur Funktion der Geldentschädigung
i. S. des § 847 BGB führen damit zu der dem Schadensersatzrecht ge-
mäßen Einsicht, daß allein die Ausgleichsfunktion anzuerkennen ist. Das bedeutet eine "Halbierung" der herrschenden Doppelfunktionstheorie. Dieses Ergebnis beruht zu einem wesentlichen Teil auf der Erkenntnis, daß der Gefühlsschaden nicht zum entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB gehört; denn mit dieser Erkenntnis ist das Bedürfnis für eine Genugtuungsfunktion der Geld-· entschädigung entfallen. Die zu Unrecht angenommene Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens hat aber nicht nur die Genugtuungsfunktion hervorgebracht, sondern auch die herrschende Vorstellung über den Inhalt der Ausgleichsfunktion geprägt: Da der Geschädigte nach der herrschenden Meinung auch wegen seines Gefühlsschadens, also wegen der seelischen Unbill, der Störung des inneren Gleichgewichts, des Selbstbewußtseins, der Lebensfreude usw., in Geld zu entschädigen ist, wird die Geldentschädigung auch als ein Mittel zur Wiederherstellung in Natur (Naturalrestitution) gesehen7!. Diese Sicht beruht auf der Annahme, die Geldentschädigung könne in dem Geschädigten auch auf Dauer Lustgefühle und Lebensfreude begründen und ihn deshalb in die Lebenslage versetzen, die ohne die Verletzung bestanden hätte. Auf der gleichen Linie liegt die insbesondere durch rechtsvergleichende Betrachtungen gewonnene Erkenntnis, die naturalrestitutive Wirkung könne bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Verurteilung des Schädigers zu einem "niedrigen 71 In diesem Sinne wohl auch MünchKomm-MeTtens, § 847 BGB Rdz. 16 und 20. 72 Neuestens dazu v. Bar, NJW 1980, 1724 H., 1728.
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Funktion der Entschädigung
symbolischen Betrag" und durch ein Unwerturteil über die Verletzung erreicht werden 73 • 2. Die Würdigung der herrschenden Meinung
a) Die immanenten Schwächen Die herrschenden Vorstellungen über die Ausgleichsfunktion der Geldentschädigung sind selbst dann bedenklich, wenn man unterstellt, daß der Gefühlsschaden entschädigungspflichtig sei. Bei diesem Ansatz kann der Geschädigte zunächst gern. § 249 BGB, der auch auf eine Schadensersatzforderung wegen immateriellen Schadens anzuwenden ist7 4 , Herstellung der Seelenlage verlangen, die im Zeitpunkt der Entscheidung in ihm bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Diese Konkretisierung des Anspruchs deckt jedoch von vornherein nicht den Zeitraum ab, in dem der Geschädigte den Gefühlsschaden bislang getragen hat. Für diesen Zeitraum läßt sich auch jedenfalls keine Herstellung in Natur erreichen. Für ihn behielte der Geschädigte also gern. § 251 BGB i. Verb. mit § 847 BGB einen Anspruch auf Geldentschädigung, die - wegen Unmöglichkeit der Naturalrestitution - nicht der Wiederherstellung in Natur dienen könnte. Eine Naturalrestitution i. S. des § 249 BGB könnte somit allenfalls für die Zukunft wirken. Die ihr dienende Herstellungshandlung bestünde in der Zahlung von Geld. Dabei wäre das Geld einmal Mittel zur Herstellung, also Werkzeug des die Herstellung betreibenden Schädigers, und zugleich der zur Herstellung "erforderliche Geldbetrag" i. S. des § 249 BGB. Beides könnte es aber nur sein, wenn die Herstellung in Natur zulässig und möglich wäre. Sie ist aber jedenfalls unzulässig, weil sie rechtsethisch nicht zu halten ist; denn aus § 249 BGB darf nicht entnommen werden, daß der Schädiger verpflichtet ist, mit Geld in dem Geschädigten eine bestimmte Gefühlslage zu erzeugen. Außerdem ist die Herstellung in Natur in den allermeisten Fällen auch unmöglich, weil sich ein bestimmter Gefühlszustand (der Zustand, "der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre") nicht ebenso herstellen läßt wie - bei heilbaren Verletzungen - ein bestimmter Zustand des Körpers oder der Gesundheit oder ein bestimmter Zustand einer Sache oder einer Vermögens73 Vgl. dazu inSbesondere Wiese, Immaterieller Schaden, 51, mit ausführlichen Nachweisen. Vgl. auch BGH NJW 1977, 626 ff., 628. Dagegen MünchKomm-Schwerdtner, § 12 BGB Rdz.277, der aber von einem "materialisierten" Begriff des immateriellen Schadens ausgeht: näher dazu oben § 3 A. II. Vgl. auch v. Bar, NJW 1980, 1724 ff., 1729 unter V., wo er - mit Nachweisen - de lege ferenda bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen Zahlungen an "Wohltätigkeitseinrichtungen u. ä." anregt. 74 Vgl. dazu oben § 1 A. II. 2. (Text nach Fußn. 26).
B. Beurteilung der erwägenswerten Funktionen
117
lage. Zu diesen allgemeinen Einwänden kommen für die einzelnen Fälle noch besondere hinzu. So werden Geschädigte, die lediglich völlig heilbare äußere Verletzungen davongetragen haben, den Gefühlsschaden meist schon ohne Geldausgabe überwunden haben, wenn ihnen das sog. Schmerzensgeld ausgezahlt wird. Das heißt: in ihnen besteht dann schon der Gefühlszustand, der mit dem Geld hergestellt werden soll. In anderen Fällen dieser Art wird sich mit einer Geldentschädigung schon deshalb nicht einmal eine Beruhigung der Gefühlslage des Geschädigten erreichen lassen, weil die in ihm entstandenen Sanktionsbedürfnisse auch nicht annähernd befriedigt werden. Ganz aussichtslos ist die Herstellung in Natur schließlich auch bei den Geschädigten, denen nicht zu beseitigende Dauerschäden zugefügt worden sind. Zu denken ist etwa an den Verlust der geistigen Fähigkeiten, der Sehkraft, eines Körperteils usw.; denn durch solche Verletzungen sind die Geschädigten zu anderen Menschen geworden. In diesen Fällen ist es daher geradezu abwegig, von der durch ein Gericht zugesprochenen Geldentschädigung zu erwarten, daß sie in dem Geschädigten den Gefühlszustand herstelle, "der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre" (§ 249 BGB). Die aufgezeigten immanenten Schwächen der herrschenden Meinung bestätigen also die heftige und teilweise ironische Kritik75 an der laienpsychologischen Vorstellung, daß eine Geldentschädigung in dem Geschädigten dauerhaft Lustgefühle und Lebensfreude hervorrufen und ihn dadurch in die Seelenlage versetzen könne, die ohne die Verletzung bestehen würde. b) Der zusätzliche Einwand Auf die immanenten Schwächen der herrschenden Meinung über den Inhalt der Ausgleichsfunktion einer Geldentschädigung gern. § 847 BGB kommt es jedoch nicht einmal an; denn die h. M. ist schon deshalb abzulehnen, weil der Gefühlsschaden der Geschädigten nach dem im vorigen Untersuchungsabschnitt dieser Abhandlung76 erzielten Ergebnis nicht zu dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. 75 Vgl. insbesondere Donaldson, AcP 166 (1966) 462 ff., 468 - 478, und die von ihm zitierten 1n- und ausländischen Kritiker. Gegen die allerdings nicht zwingenden Konsequenzen der h. M. auch v. Bar, NJW 1980, 1724 ff., 1728, der allerdings weder die Entschädigungspftichtigkeit des Gefühlsschadens noch die sühnebetonende Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung problematisiert, ferner nicht differenziert zwischen Umständen, die den Schaden bestimmen und Umständen, die bei der Bemessung der Entschädigung zu berücksichtigen sind, und deshalb auch die Bedeutung der "gesellschaftlichen Stellung des Opfers" (vgl. dazu auch oben § 3 C. X. 1. b) und 2. b» nur pauschal beurteilen kann. 76 Im einzelnen dazu oben § 3 A. 1. 5. (Zusammenfassung).
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§ 4: Funktion der Entschädigung
des § 847 BGB gehört. Die Geldentschädigung kann also bereits aus diesem Grunde nicht auf den Gefühlsschaden und seine naturalrestitutive überwindung bezogen werden. 3. Die Folgerungen
a) Die Ablehnung naturalrestitutiver Wirkungen der Ausgleichsfunktion Wenn man den Gefühlsschaden des Geschädigten nicht als entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB anerkennt, sondern nur den äußeren immateriellen Verletzungsschaden und den äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschaden für entschädigungspflichtig hält, gelangt man zunächst ohne größeren Argumentationsaufwand zu der Einsicht, daß aus der Ausgleichsfunktion keine naturalrestitutiven Zielsetzungen hergeleitet werden können. Diese Einsicht ergibt sich für die Geldentschädigung, die den äußeren immateriellen Verletzungsschaden ausgleichen soll, bereits aus der Struktur dieses Schadenspostens: Er besteht in der (äußeren) Störung der persönlichen Integrität des Geschädigten, die allein in seiner Verletzung liegt77. Er ist also mit der Verletzung abgeschlossen und ebenso wie diese naturaliter nicht aus der Welt zu schaffen78 . Die zu seinem Ausgleich angesetzte Geldentschädigung kann folglich nicht der Naturalrestitution dienen. Es handelt sich vielmehr um eine Entschädigung in Geld, die der Geschädigte wegen Unmöglichkeit der Naturalrestitution gern. § 251 Abs. 1 BGB i. Verb. mit den §§ 253 und 847 BGB verlangen kann. Im Ergebnis nicht anders verhält es sich bei dem zweiten entschädigungspflichtigen immateriellen Schadensposten, nämlich dem äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschaden. Er erweist sich als die Einbuße an äußerer Entfaltungsfähigkeit und -freiheit, die der Geschädigte dadurch erleidet, daß die haftungsbegründende Verletzung seiner persönlichen Integrität vorübergehend oder dauernd fortwirkt 79. Bei ihm ist die Naturalrestitution zwar nicht von vornherein unmöglich80. Der Anspruch gern. § 847 BGB auf Geldentschädigung ist aber erst dann gegeben, wenn die Naturalrestitution "nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist" oder unverhältnismäßige Aufwendungen erfordert (§ 251 BGB)81. Die Geldentschädigung i. S. des 77 Vgl. dazu die Zusammenfassung der Untersuchung über den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB oben § 3 D. 78 Vgl. dazu auch oben § 3 C. VIII. 79 Wie Fußn. 76. 80 Vgl. dazu oben § 1 A. 11. 2. (Text bei Fußn.26) und § 3 C. VIII. l. 81 Wie vorige Fußn.
B. Beurteilung der erwägenswerten Funktionen
119
§ 847 BGB kann also niemals der Naturalrestitution dienen 82, und sie ist auch niemals der Geldbetrag i. S. des § 249 S. 2 BGB, der für die Naturalrestitution "erforderlich" ist. Dazu ein Beispiel: Wenn ein Geschädigter eine gern. § 823 Abs.l BGB haftungsbegründende, fortwirkende, aber heilbare Körperverletzung erlitten hat, besteht sein äußerer immaterieller (und damit entschädigungspflichtiger) Verletzungsfolgeschaden in der äußeren immateriellen Behinderung, die infolge der Verletzung eingetreten ist. Soweit dieser Schaden durch Heilung beseitigt werden kann, hat der Geschädigte lediglich einen Anspruch gern. §§ 823, 249 BGB. Das heißt: Er kann nur Herstellung in Natur, also Heilung (§ 249 S. 1) oder den dafür erforderlichen Geldbetrag, also die Heilungskosten (§ 249 S. 2) verlangen. Dagegen ist der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden, der bis zur möglichen Heilung entstanden ist oder entstehen wird, naturaliter nicht aus der Welt zu schaffen. Wegen dieses Schadens gebührt dem Geschädigten also gern. §§ 251,253 BGB die in § 847 BGB vorgesehene "billige Entschädigung in Geld". Da somit auch die Entschädigung i. S. des § 847 BGB, die einen entschädigungspflichtigen immateriellen Verletzungsfolgeschaden ausgleichen soll, niemals der Herstellung in Natur (Naturalrestitution) dienen kann, lassen sich auch in diesen Fällen aus der Ausgleichsfunktion keine naturalrestitutiven Zielsetzungen herleiten. Bei der Festsetzung der Geldentschädigung darf also nicht gefragt werden, durch welchen Geldbetrag der Zustand des Geschädigten hergestellt wird, "der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre". b) Die Ausgleichsfunktion als Gebot der Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld Aufgrund des erarbeiteten Befundes kann die Ausgleichsfunktion der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB vielmehr nur die Frage auslösen, wie der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden in Geld zu bewerten ist. Die der Ausgleichsfunktion entsprechende Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB erweist sich damit als das in Geld ausgedrückte Ergebnis der Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens, der naturaliter nicht oder nicht genügend beseitigt werden kann (§ 251 Abs. 1 BGB) oder nicht beseitigt werden muß, weil er unverhältnismäßige Aufwendungen erfordert (§ 251 Abs. 2 BGB). 82 Das meint wohl auch DonaIdson, AcP 166 (1966) 462 ff., 468, wo er mißverständlich bemerkt, daß "die §§ 249 ff. BGB keine Anwendung auf § 847 BGB finden".
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§ 4: Funktion der Entschädigung
c.
Zusammenfassung
Die Untersuchung zur Funktion der in § 847 BGB für immaterielle Schäden vorgesehenen "billigen Entschädigung in Geld" führt damit zu diesem Ergebnis: Die neben der schadensersatzrechtlichen Ausgleichsfunktion (Kompensationsfunktion) aufgekommenen weiteren Funktionen, nämlich die überwiegend befürwortete Genugtuungsfunktion und die überwindungsfunktion, sind abzulehnen. Sie erweisen sich der Sache nach als notwendige Reaktionen auf die ganz überwiegend vertretene Annahme, daß auch der Gefühlsschaden des Geschädigten zu dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB gehört. Diese Annahme ist jedoch aus den (in § 3 dieser Untersuchung) dargelegten Überlegungen nicht begründet. Mit ihr entfällt das Bedürfnis für die Genugtuungs- und die Überwindungsfunktion der in § 847 BGB vorgesehenen "billigen Entschädigung in Geld". Die Genugtuungsfunktion widerspricht zusätzlich der Entwicklungsgeschichte und den begründeten Strukturprinzipien des geltenden Schadensersatzrechts: sie ist ohne den Sühnegedanken nicht lebensfähig (Stoll) und führt deshalb als Funktion der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB tendenziell zu einer (Re-)Pönalisierung des Schadensersatzrechts. Sie richtet sich damit gegen eine der bedeutendsten und in jeder Hinsicht begründeten Errungenschaften in der Geschichte des Schadensersatzrechts: gegen die Trennung strafrechtlichen und schadensersatzrechtlichen Deliktsrechts, die nicht zurückzunehmen, sondern zu festigen ist. Die in dieser Hinsicht abweichende Einstellung vergleichbarer ausländischer Rechtsordnungen kann diese Forderung nicht beeinträchtigen: sie ist in der Entwicklungsgeschichte des deutschen Schadensersatzrechts mit guten Gründen überwunden worden. Die Überwindungsfunktion enthält keinen vergleichbaren Verstoß gegen die gewachsenen und inhaltlich begründeten Strukturprinzipien des Schadensersatzrechts; denn sie zielt darauf ab, den Gefühlsschaden schadensersatzrechtskonform auszugleichen. Gerade in diesem Bestreben gelangen ihre Anhänger jedoch - konsequent - zu Ausforschungen und Bewertungen der inneren Reaktion des Geschädigten, die dessen persönliche Integrität meist stärker beeinträchtigen werden als das verletzende Verhalten des Schädigers. Diese zwingenden Konsequenzen liefern zugleich einen zusätzlichen Beleg dafür, daß der Gefühlsschaden nicht entschädigungspflichtig sein kann und somit für die auf seinen Ausgleich zugeschnittene Überwindungsfunktion kein Bedürfnis besteht. Die Ausgleichsfunktion bleibt damit die einzige Funktion der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB. Aus ihr lassen sich - entgegen der herrschenden Meinung jedoch keinerlei naturalrestitutive Ziel-
c. Zusammenfassung
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setzungen herleiten, weil die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB niemals der Herstellung in Natur dient. Sie kann nur verlangt werden, wenn der Anspruch auf Naturalrestitution (gem. § 251 BGB) nicht gegeben ist. Die Ausgleichsfunktion erweist sich damit als das Gebot, den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden, der naturaliter nicht beseitigt werden kann oder muß (§ 251 BGB), in Geld zu bewerten.
§ 5: Die bei der Festsetzung der "billigen Entschädigung in Geld" zu berücksichtigenden Umstände A. Der Ausgangspunkt: Die Berücksichtigung des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens und die Nichtberücksichtigung des Gefühlsschadens
Die weitere grundsätzliche Fraget, welche Umstände bei der Festsetzung der Geldentschädigung zu berücksichtigen sind, ist in einem Punkt unbestritten: Zu beachten ist jedenfalls und hauptsächlich das Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens. Dieser dem Schadensersatzrecht gemäße Satz ist auch nicht in Frage zu stellen. Seine Anerkennung bedeutet aber noch keine inhaltliche übereinstimmung mit der herrschenden Meinung. Die Unterschiede ergeben sich aus der vorangegangenen Untersuchung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens i. S. des § 847 BGB. Danach ist nur der äußere immaterielle Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden zu berücksichtigen, während der Gefühlsschaden, also die seelische Unbill, die Störung des inneren Gleichgewichts oder des Rechtsgefühls usw., aus verschiedenen Gründen durch das Schadensersatzrecht nicht erfaßt werden kann 2• Der Gefühlsschaden muß demnach selbst dann unbeachtlich sein, wenn die weiteren Überlegungen ergeben sollten, daß bei der Festsetzung der Geldentschädigung neben dem Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens auch noch andere Umstände des jeweils zu beurteilenden Schadensfalles zu berücksichtigen sind. B. Die Grundlagen für die Berücksichtigung weiterer Umstände des zu beurteilenden Schadensfalles I. Der Meinungsstand 1. Die allein an dem entschädigungspjlichtigen Schaden orientierte Konzeption In der Diskussion um die Berücksichtigung weiterer Umstände des zu beurteilenden Falles stehen sich drei unterschiedliche Konzeptionen gegenüber. Nach der ersten ist das Ausmaß des entschädigungspflich1 2
Vgl. zu der Fragestellung oben § 4 A. am Ende. Vgl. dazu die Ausführungen in § 3 dieser Abhandlung.
B. Berücksichtigung weiterer Umstände
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tigen immateriellen Schadens nicht nur ein unverzichtbarer, sondern der einzige Umstand, an dem die Geldentschädigung zu orientieren ist. Diese Konzeption beruht auf der Annahme, daß der Schadensersatzanspruch gem. § 847 BGB wie jeder andere Schadensersatzanspruch lediglich an dem eingetretenen schädlichen Erfolg auszurichten ist. Daraus ergibt sich zugleich, daß die Entschädigung schon dann "billig" ist, wenn sie - wie es der BGH früher einmal formuliert hat - "der durch eine angemessene Rücksichtnahme auf den entstandenen immateriellen Schaden gebotenen Höhe entspricht"3. Das Erfordernis der "Billigkeit" enthält also für den letztlich entscheidenden Richter die Verpflichtung, für die jeweiligen Verletzungen i. S. des § 847 BGB Geldbeträge festzusetzen, welche das zur Zeit der Entscheidung in der Gesellschaft herrschende ökonomische Wertgefüge so umsetzen, daß die durch § 847 BGB geschützte persönliche Integrität jeweils auch eine ökonomisch bedeutsame Bewertung erfährt. 2. Die durch entschädigungsmindernde Berücksichtigung einzelner Umstände bestimmte Konzeption Die zweite aus der allgemeinen Diskussion zu entnehmende Konzeption deckt sich weitgehend mit der ersten: für sie ist die allein an dem Ausmaß des entschädigungspfiichtigen immateriellen Schadens ausgerichtete Entschädigung die "an sich gebotene Entschädigung". Die Entschädigung soll aber aufgrund der in § 847 BGB vorgesehenen Billigkeit durch die Berücksichtigung des von dem Schädiger bei der Verletzungshandlung erreichten Verschuldensgrades und der Vermögensverhältnisse der Parteien herabgesetzt werden können". Die Anhänger dieser Konzeption sehen also in der in § 847 BGB erwähnten Billigkeit eine Grundlage für die Durchbrechung des im deutschen Schadensersatzrecht verankerten Prinzips, daß der Schädiger, dessen Verhalten die Voraussetzung eines Haftungstatbestands erfüllt, den ganzen Schaden zu ersetzen hat. 3. Die Konzeption der herrschenden Meinung Die dritte der zu unterscheidenden Konzeptionen ist die von dem Großen Senat für Zivilsachen begründete und zur herrschenden Meinung gewordene Konzeption. Danach gibt es keine "an sich gebotene Entschädigung". Der Große Senat wendet sich also bereits gegen die 3 So BGHZ 7, 223 ff., 229. Der Sache nach ebenso neuerdings Ehters, 260 ff., 274 (Ergebnis). Ähnlich auch Hupfer, JZ 1977, 781 ff., 784 unter II!. Vgl. auch Schwerdtner, zuletzt MünchKomm § 12 BGB Rdz. 259 - 271, wo er auf-
grund seiner besonderen Vorstellung über den Inhalt des immateriellen Schadens (s. dazu oben § 3 A. II.) zu den gleichen Ergebnissen gelangt. " In diesem Sinne zuletzt HonselZ, VersR 1974, 205 ff. Näher dazu oben § 2B. IV.
124
§ 5: Bei der Entschädigung zu berücksichtigende Umstände
gedankliche Vorstellung einer allein an dem Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens orientierten Entschädigung. Er meint statt dessen: "In Wirklichkeit ergibt sich der Betrag des Schmerzensgeldes ... erst aus der Abwägung aller Umstände des Einzelfalles"5, die - was in dem Beschluß durchgängig betont wird8 der Richter zwar nicht stets berücksiChtigen muß, aber stets berücksichtigen kann. Die in § 847 BGB erwähnte Billigkeit erscheint in dieser Konzeption mithin als die rechtliche Grundlage für einen sehr weiten "richterlichen Ermessensspielraum". Der Große Senat hält es deshalb durchaus für möglich, daß zwei Schädiger, selbst wenn sie als Mittäter i. S. des § 830 Abs.l BGB in gleicher Weise gehandelt und den gleichen immateriellen Schaden verursacht haben, zu unterschiedlich hohen Entschädigungen verurteilt werden, weil sie in unterschiedlichen Vermögensverhältnissen leben 7.
4. Die durch den Meinungsstand indizierten Fragen zur Deutung der in § 847 BGB erwähnten Billigkeit Der Bericht über den Meinungsstand indiziert eine Reihe von Fragen zur Deutung der in § 847 BGB erwähnten Billigkeit. Die meisten werden durch die von dem Großen Senat begründete herrschende Meinung hervorgerufen, weil durch sie mit Hilfe der Billigkeit eine Reihe allgemeiner Grundsätze des Schadensersatzrechts aus den Angeln gehoben werden. Die erste sich aufdrängende Frage dieser Art ist die, ob es wegen der im Gesetz erwähnten Billigkeit in der Tat keine "an sich gebotene", nämlich allein an dem Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens orientierte, Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB gibt. Falls die Untersuchung dieser Frage ergeben sollte, daß - entgegen der herrschenden Meinung - an der allein schadensorientierten Entschädigung als "an sich gebotene" Entschädigung festzuhalten ist, muß gefragt werden, ob die Entschädigung aufgrund der Berücksichtigung weiterer Umstände des Schadensfalles, insbesondere aufgrund der Berücksichtigung besonders guter wirtschaftlicher Verhältnisse des Schädigers oder des Geschädigten8 , erhöht werden kann. Falls auch diese Frage nicht i. S. der herrschenden Meinung zu beantworten, sondern zu verneinen ist, ergibt sich die Frage, ob die Berück5 6 7
8
Vgl. Vgl. Wie Vgl.
BGHZ (GS) 18, 149 ff., 160 f. BGHZ (GS) 18, 149 (2. LS), 150, 168. vorige Fußn., 161 f. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 159 (Geschädigter) und 160 (Schädiger).
B. Berücksichtigung weiterer Umstände
125
sichtigung weiterer Umstände wenigstens zu einer Herabsetzung der allein schadensorientierten und damit "an sich gebotenen" Entschädigung führen kann. 11. Die Billigkeit als Grundlage ftlr die Vemelnung einer "an sich gebotenen" (allein schadensbezogenen) Geldentschidigung
Wenn man die von dem Großen Senat begründete herrschende Meinung ganz ernst nimmt, hat man schon die Frage nach der "an sich gebotenen", also der allein schadensorientierten Entschädigung zu unterlassen. Man hat vielmehr - wie bei der Festsetzung einer Strafe - sogleich alle Umstände des Falles in den Blick zu nehmen. Dieser Ansatz könnte jedoch allenfalls dann gebilligt werden, wenn die Geldentschädigung als pönales Sanktionsinstrument oder gar als echte Privatstrafe zu qualifizieren wäre. Er erweist sich dagegen geradezu als lebensfremd, wenn man die Entschädigung :....- wie es geboten ist - als Schadensersatz versteht, denn wer über die Höhe eines Schadensersatzanspruchs zu befinden hat, orientiert sich zunächst (selbstverständlich) an dem bei dem Geschädigten eingetretenen Schaden. Die schadensorientierte Entschädigung erweist sich für ihn mithin als die "natürliche" Einsatz- oder Maßstabsentschädigung. Es ist deshalb nicht überraschend, daß auch der Große Senat - trotz seiner gegenteiligen Beteuerung - mit der "an sich gebotenen" Entschädigung argumentiert, etwa in der Feststellung, "daß im Einzelfall der gewohnte höhere Lebensstandard des Verletzten auch einmal zu einer Erhöhung des Schmerzensgelds führen kann"9; denn von einer Erhöhung läßt sich nur reden, wenn eine "an sich gebotene" Entschädigung als Maßstab zugrunde gelegt wird. In die gleiche Richtung deuten zwei weitere Erklärungen des Großen Senats. Die eine besagt, daß die "Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigungen" des Geschädigten bei der Festsetzung der Geldentschädigung "in erster Linie" und "ausschlaggebend" zu berücksichtigen sepo; und in der anderen heißt es, daß die weiteren Umstände nicht "in jedem Einzelfall berücksichtigt werden müssen, sondern nach dessen Lage berücksichtigt werden kÖnnen"l1. Aus den vorgetragenen überlegungen ergibt sich damit zunächst diese Aussage zur Deutung der in § 847 BGB erwähnten Billigkeit: Bei der Festsetzung der Geldentschädigung gibt es eine "an sich gebotene" EntWie vorige Fußn. 149 ff., 159. Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 157 und 167. 11 Hervorhebung durch den GS, wie vorige Fußn., 168. Deshalb fordert Donaldson, AcP 166 (1966) 462 ff., 472, auch zu Recht, daß man bei der Bemessung der Geldentschädigung von einem "an sich angemessenen" Betrag auszugehen habe. 9
10
126
§ 5:
Bei der Entschädigung zu berücksichtigende Umstände
schädigung. Es ist die allein an dem Ausmaß des entschädigungspftichtigen immateriellen Schadens orientierte Entschädigung. Die Billigkeit kann - als Grundlage für die Einbeziehung weiterer Umstände des Schadensfalles in den Bemessungstatbestand - somit nur dazu dienen, die Erhöhung oder Herabsetzung der allein schadensbezogenen (Einsatz-)Entschädigung zu bewirken.
m. Die Billigkeit als Grundlage für die Erhöhung der "an sich gebotenen" (allein schadensbezogenen) Geldentschädigung Von den beiden soeben aufgezeigten Wirkungsmöglichkeiten ist zunächst die von der herrschenden Meinung anerkannte Möglichkeit einer Erhöhung der allein schadensbezogenen Geldentschädigung näher zu untersuchen, weil sie einem allgemeinen Grundsatz des Schadensersatzrechts widerspricht: dem Gewinnabwehrprinzip 12. Dieses im allgemeinen Schadensersatzrecht durch die §§ 249 und 255 BGB und durch die Grundsätze über die Vorteilsausgleichung verankerte und die Ausgleichsfunktion der Entschädigung bestimmende Prinzip enthält die Zusammenfassung der evident plausiblen Grundentscheidung, daß die Verletzung für den Geschädigten keinen über den Schaden hinausgehenden Ersatz, also keinen zusätzlichen Erwerb rechtfertigen kann und deshalb den Schädiger allenfalls in Höhe des Schadens belasten darf. Die mit diesem Prinzip brechende Ansicht des Großen Senats beruht auf den bereits näher gewürdigten Grundannahmen, daß auch der Gefühlsschaden zum entschädigungspftichtigen immateriellen Schaden gehöre und daß die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB neben der Ausgleichsfunktion auch eine - von dem Sühnegedanken getragene ~ Genugtuungsfunktion habe. Bei diesem Ansatz kann die Geldentschädigung nicht mehr allein als das Ergebnis der Bewertung des immateriellen Schadens in Geld verstanden werden. Das heißt im einzelnen: Sie kann - wenn man von der (unzutreffenden) herrschenden Meinung über die Abgrenzung des entschädigungspftichtigen immateriellen Schadens ausgeht - nicht mehr allein in dem in Geld ausgedrückten Äquivalent für den erlittenen Gefühlsschaden bestehen; denn sie soll nicht nur den Schaden ausgleichen, sondern zusätzlich auf das Innere des Geschädigten einwirken, nämlich in ihm ein Genugtuungsgefühl auslösen und das erreicht sie nicht immer schon dann, wenn sie lediglich das in Geld bestehende Äquivalent des Schadens darstellt. Die Erzeugung des Genugtuungsgefühls des Geschädigten, das auf seiten des Schädigers ein Sühnegefühl voraussetzt, erfordert vielmehr in vielen Fällen eine Erhöhung der allein durch Bewertung des immateriellen Schadens fest12 Allgemein dazu Deutsch, HaftungsR I, 452. Vgl. auch dessen Hinweis auf Heck, Grundriß des Schuldrechts, 50, sowie BaUT, Entwicklung und Reform des Schadensersatzrechts, 1935, 65.
B. Berücksichtigung weiterer Umstände
127
gesetzten Geldentschädigung. Eine solche Erhöhung kann außerdem deshalb erforderlich werden, weil die Geldentschädigung nach der herrschenden Meinung auch den Zweck hat, in dem Geschädigten Lebensfreude zu erzeugen und dadurch den erlittenen Gefühlsschaden (die seelische Unbill, die Störung des inneren Gleichgewichts usw.) auszugleichen; denn auch Lebensfreude wird sicher nicht in allen Fällen durch eine allein durch Bewertung des immateriellen Schadens bestimmte Geldentschädigung erzeugt werden. Nach dem von dem Großen Senat aufgestellten psychologischen Grundsatz soll das insbesondere dann der Fall sein, wenn der Geschädigte in außergewöhnlich guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt. Die Erzeugung von Lebensfreude soll also bei reichen Geschädigten teurer sein als bei armen. Diesen allgemeinen Grundsatz des Großen Senats hat Hermann Lange bereits konkretisiert. Er meint: "Dem Großverdiener bereitet ein Betrag von 1000,- DM keine zusätzliche Lebensfreude, sondern nur Buchungssch wierigkei ten13. " Die Stellungnahme zu dem in sich geschlossenen Argumentationskonzept des Großen Senats und der ihm folgenden herrschenden Meinung ergibt sich aus den vorangegangenen Untersuchungen zur Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens und zur Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung. Diese beiden Grundannahmen der herrschenden Meinung sind abzulehnenl4 • Mit ihnen entfällt die Grundlage für den Versuch, die durch Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens bestimmte Geldentschädigung durch die Berücksichtigung weiterer Umstände des Falles zu erhöhen. Die mit dieser Erhöhung verbundenen rechtsethisch bedenklichen und zumindest peinlichen Konsequenzen sind also nicht zu ziehen. Für die Bemühungen um das Verständnis der in § 847 BGB erwähnten Billigkeit bedeutet das: Wenn es aufgrund der Billigkeit gerechtfertigt oder gar geboten sein sollte, bei der Bemessung der Geldentschädigung nicht nur den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden, sondern auch andere Umstände zu berücksichtigen, so kann diese Erweiterung des Bemessungstatbestands keinesfalls zu einer Erhöhung, sondern allenfalls zu einer Herabsetzung der ("an sich gebotenen") allein schadensorientierten Entschädigung führen. IV. Die Billigkeit als Grundlage fOr die entschidigungsmindernde Berücksichtigung weiterer Umstände des Einzelfalles
Die nächste der zu behandelnden Fragen ist die, ob die in § 847 BGB erwähnte Billigkeit die entschädigungsmindernde Berücksichtigung Vgl. HeTmann Lange, Schadensersatz, § 7 IV. (S.268). Begründung oben § 3 A. (Gefühlsschaden) und § 4 B. 11. (Genugtuungsfunktion). 13
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128
§
5: Bei der Entschädigung zu berücksidltigende Umstände
weiterer Umstände des jeweils zu beurteilenden Falles auch selbst begründet (rechtfertigt) und sogar gebietet, oder ob der Richter gehalten ist, für eine solche Berücksichtigung weiterer Umstände eine in der Billigkeitsklausel nicht enthaltene, zusätzliche Begründung zu liefern. 1. Die Billigkeit als Öffnungsklausel für den Bemessungstatbestand Die zuerst genannte Möglichkeit kann nur dann in Betracht kommen, wenn die Billigkeit zumindest als Öffnungsklausel für den Bemessungstatbestand zu verstehen ist, also als eine Klausel, welche die Möglichkeit erschließt, die allein schadensbezogene Entschädigung durch die Berücksichtigung weiterer Umstände des einzelnen Schadensfalles herabzusetzen. Selbst diese Deutung, die noch offen läßt, ob alle Umstände des einzelnen Falles ohne zusätzliche Begründung "allein" aufgrund der Billigkeit berücksichtigt werden können, hat der BGH in seiner bereits erwähnten, früheren Rechtsprechung abgelehnt. Er hat statt dessen gemeint, daß die Billigkeit den Richter lediglich ermächtige, den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden nach seinem Ermessen in Geld zu bewerten 15 • Dieser Ansicht ist jedoch nicht zu folgen. Aufgrund der Gesetzesmaterialien ist vielmehr mit dem Großen Senat anzunehmen, "daß der Richter nach der Auffassung des Gesetzgebers bei der Ausmessung der Entschädigung für immateriellen Schaden nicht gebunden sein sollte, bestimmte Umstände nicht zu berücksichtigen"18. Der in § 847 BGB erwähnten "Billigkeit" ist damit jedenfalls die Wirkung einer in dem oben genannten Sinne verstandenen Öffnungsklausel beizulegen. 2. Die Billigkeit als "Begründungsklausel"
Zweifelhaft ist dagegen, ob die Billigkeit auch als Begründungsklausel zu verstehen ist. Das ist der Fall, wenn sie nicht nur gestattet, bei der Bemessung der Geldentschädigung neben dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden weitere Umstände des jeweils zu beurteilenden Falles entschädigungsmindernd zu berücksichtigen, sondern wenn sie die Berücksichtigung der weiteren Umstände auch begründet und dem Richter damit jede weitere Begründung erspart. Die zuletzt genannte Auffassung scheint die herrschende Meinung zu sein; denn die Billigkeit wird ganz überwiegend als (konkrete) Einzelfallgerechtigkeit 17 verstanden und enthält somit zugleich den Grund 15 Vgl. BGHZ 7, 223 ff., 229, und dazu oben 1. 1. (Text bei Fußn.3). 18 Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 154. 17 In diesem Sinne zuletzt v. Hoyningen-Huene, Die Billigkeit im Arbeitsrecht, 18, mit vielen Nachweisen in seiner Fußn.18.
B. Berücksichtigung weiterer Umstände
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für die Berücksichtigung "aller" oder "aller wesentlichen" oder "aller Umstände, die dem Fall das besondere Gepräge geben" (Großer Senat). Die Deutung der Billigkeit auch als Begründungsklausel ist jedoch schon deshalb bedenklich, weil der Gesetzgeber durch das Erfordernis der "billigen Entschädigung in Geld" gerade ausdrücken wollte, daß er nicht in der Lage war, die Bemessungsfaktoren näher zu bestimmen. Er hat also notgedrungen die Auswahl und die Begründung der Bemessungsfaktoren dem Richter überlassen. Nur diese Deutung fügt sich auch der in den Untersuchungen zur Billigkeit immer wieder hervor~ehobenen Feststellung, daß der Richter die Umstände des zu beurteilenden Falles nicht "willkürlich und schrankenlos", sondern nur "sinnvoll und zweckentsprechend" heranziehen darf18• Die Billigkeit kann somit lediglich als Öffnungs- und nicht auch als Begründungsklausel verstanden werden.
v. Die Auswahl der auf ihre Eignung als entschädigungsmindernde Faktoren zu untersuchenden Umstände Da die vorangegangenen Untersuchungen ergeben haben, daß die Billigkeit lediglich als Öffnungsklausel zu verstehen ist, also die Heranziehung weiterer Umstände als Bemessungsfaktoren lediglich gestattet, aber nicht begründet, hat der Richter in jedem Falle zu begründen, welche Umstände er berücksichtigt und weshalb er sie berücksichtigt. Dabei hat er, wenn er der herrschenden Meinung folgt, einen Argumentationsweg zu befolgen, den man als "Einzelfallmethode" bezeichnen kann. Danach soll sich die Abgrenzung der jeweils zu berücksichtigenden Umstände und die Begründung ihrer Relevanz für die Bemessung der Geldentschädigung aus der Würdigung aller Umstände des Falles ergeben. 1. Die Beurteilung der Einzelfallmethode
Gegen diese "Methode" bestehen durchschlagende Bedenken19• Einzuwenden ist zunächst, daß in keinem Falle "alle Umstände des Einzelfalles" aufzuklären sind. Der Richter muß vielmehr an irgendeinem Punkt abbrechen. Er muß sich also fragen, an welchem Punkt er abbrechen soll. Schon die Beantwortung dieser im Vorfeld der Entscheidung über die Abgrenzung der Bemessungsfaktoren liegenden Frage 18 Vgl. nur 'V. Hoyningen-Huene, wie vorige Fußn., 118 t. mit weiteren Nachweisen. 19 Die in der besonders eindringlichen Untersuchung von Henke, Schmerzensgeldtabelle, § 5, insbesondere zu IH., bereits weitgehend formuliert worden sind. Vgl. ferner Pecher, AcP 171 (1971) 44 ff., 78. Allgemeine Kritik zum "Abstellen auf die Umstände des Einzelfalles" bei Stampe, JhJb 72 (1922) 396: "Grab der Rechtswissenschaft."
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§ 5:
Bei der Entschädigung zu berücksichtigende Umstände
bringt ihn in die Gefahr, dem Einfluß eindeutig gerechtigkeitswidriger Umstände zu erliegen, etwa seiner notorischen Zeitnot und der Fähigkeit oder Unfähigkeit der Parteien, relevanzverdächtige Umstände in den Prozeß einzuführen. Kaum geringere Schwierigkeiten bereitet die weitere Frage, welche Umstände aufgrund der Würdigung aller aufgeklärten als entschädigungsmindernde Faktoren der Geldentschädigung auszuwählen sind. Schon aufgrund dieser Bemerkungen läßt sich somit feststellen, daß die "Einzelfallmethode" mit drei immanenten Schwächen behaftet ist: Erstens: Sie wird in der Regel dazu führen, daß die schließlich getroffene Auswahl nicht von den Umständen des Einzelfalles, sondern von dem zuständigen Richter und den Parteien abhängt. Zweitens: Der Richter, der sie ernst nimmt und nicht nur floskelhaft von der "Würdigung aller (oder aller in Betracht kommenden oder aller relevanten usw.) Umstände" spricht, ist einer Begründungslast ausgesetzt, die kaum überschätzt werden kann 20 und der er in vielen Fällen nicht nachkommen wird. Drittens: Der Beklagte, der sie zu nutzen versteht, kann die Entscheidung durch das Vorbringen immer neuer Umstände gerade des zu beurteilenden Falles hinauszögern. Die "Einzelfallmethode" steht also in krassem Gegensatz zu der bereits erwähnten21 Tendenz der Gerichte, den Beklagten zu einem "erhöhten Schmerzensgeld" zu verurteilen, wenn er nicht rasch genug zahlt. Die ganz überwiegend befolgte Einzelfallmethode zur Abgrenzung der Bemessungsfaktoren für die "billige Entschädigung in Geld" ist aber nicht nur wegen der soeben erörterten, von Anfang an vorhandenen immanenten Schwächen in Frage zu stellen. Es sind vielmehr im Laufe der Zeit weitere Bedenken hinzugekommen. Sie ergeben sich daraus, daß die Fälle, die nach § 847 BGB zu beurteilen sind, durch die in den letzten Jahrzehnten ständig gewachsene Zahl der Körperverletzungen im Straßenverkehr zu "Massenfällen" geworden sind. Ein solcher Befund drängt in jeder Rechtsmaterie22 und damit auch im Bereich des § 847 BGB aus verschiedenen Gründen zu einer generalisierenden Behandlung der Fälle. Einer dieser Gründe ist der, daß die Gerichte die Individualisierung nicht mehr bewältigen können. Dieser Grund ist sicher nicht der bedeutendste. Er läßt sich aber auch nicht allein mit der Forderung nach 20 Allgemein dazu Esser, in seinem Vorwort zu dem Sammelband: "Ermessensfreiheit und Billigkeitsspielraum des Zivilrichters", Bd.24 der Arbeiten zur Rechtsvergleichung, 17: "Die Intensivierung der Begründungspflicht ist der gerechte Preis für die Stärkung der richterlichen Freiheit." 21 S. dazu oben § 3 B. IX. 22 Vgl. dazu H. Henkel, Recht und Individualität, 75 f.
B. Berücksichtigung weiterer Umstände
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Vermehrung der RichtersteIlen ausräumen; denn es geht auch um die allgemeine Frage, an welchem Punkt die ständig wachsende Neigung zu individualisierenden normativen Entscheidungsvoraussetzungen abzubrechen ist, damit die Rechtsordnung handhabbar bleibt. Ein weiterer und wichtiger Grund ergibt sich aus dem gewachsenen Druck nach Verallgemeinerungsfähigkeit der einzelnen Entscheidungen. Er zeigt sich in den seit langem zu beobachtenden und mit wachsender Intensität vorangetriebenen Bestrebungen, durch tabellarische Beschreibungen der typischen Verletzungen23 und durch die sog. Schmerzensgeldtabellen die Durchschaubarkeit und damit die Vergleichbarkeit und Kalkulierbarkeit der Einzelentscheidungen zu fördern. Diese Bestrebungen entspringen einmal dem Bedürfnis der Rechtspraxis nach Vereinfachung ihrer Arbeit. Sie erweisen sich in der Sache aber auch als Reaktion auf die zuvor 24 hervorgehobenen immanenten Schwächen der "Einzelfallmethode" , insbesondere auf die mit ihr notwendigerweise verbundene Gefahr, daß es selbst in (im wesentlichen) gleich gelagerten Fällen zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen kann. Die "Einzelfallmethode" ist also aus vielen Gründen abzulehnen. 2. Die Notwendigkeit eines generell zu befolgenden Untersuchungsprogramms für die Bemessung der Geldentschädigung
Da die Auswahl der als entschädigungsmindernd in Betracht zu ziehenden Umstände nicht nach Lage des jeweils zu beurteilenden Falles getroffen werden kann, ist sie generell vorzunehmen. Das bedeutet: Für die Festsetzung der Geldentschädigung ist aus dem bisher vorliegenden Fallmaterial ein für alle Fälle geltendes, gleichartiges Untersuchungsprogramm zu erarbeiten, also ein Untersuchungsprogramm, von dem der Richter nur dann abweichen darf, wenn sich aus dem zukünftigen Fallmaterial Gründe für eine - generelle - Korrektur ergeben. Der erste Schritt zur Erarbeitung des generellen Untersuchungsprogramms besteht somit darin, das bereits vorliegende Fallmaterial darauf zu untersuchen, welche Umstände als typische Umstände generell zu Bemessungsfaktoren für die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB in Betracht zu ziehen sind. Diese methodische Korrektur begründet nicht die von dem Großen Senat25 befürchtete Gefahr, daß die in einigen früheren Landesrechten (etwa in den §§ 113, 118 I 6 ALR und § 1497 säch. BGB) vorgesehene 23 Vgl. dazu nur den Bericht von Moog, VersR 1978, 304 ff., über den 15. Deutschen Verkehrsgerichtstag 1977 in Goslar. 24 Vgl. oben Absatz nach Fußn. 2l. 25 BGHZ (GS) 18, 149 ff., 163.
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§ 5: Bei der Entschädigung zu berücksichtigende Umstände
Regelung von Rahmenbeträgen, also die sog. "Knochentaxen" wiederbelebt werden. Die Gefahr ist selbst dann nicht gegeben, wenn sich in der weiteren Untersuchung herausstellen sollte, daß die Geldentschädigung gern. § 847 BGB lediglich an dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden auszurichten ist, weil keiner der sogleich zu würdigenden Umstände als entschädigungsmindernder Umstand in das zu erarbeitende generelle Untersuchungsprogramm für die Bestimmung der Höhe der Geldentschädigung aufzunehmen ist; denn selbst in diesem Falle ist der nach den dargelegten Grundsätzen26 zu bestimmende entschädigungspflichtige immaterielle Schaden und demzufolge auch die ihn ausgleichende Geldentschädigung nicht schon dann gleich hoch, wenn zwei Geschädigte eine gleichartige äußere Verletzung erlitten haben. Es kann sich vielmehr aus den Verletzungsfolgen (äußerer immaterieller Verletzungsfolgeschaden) eine erhebliche Differenzierung der Entschädigung ergeben. 3. Die als Merkmale eines generellen Untersuchungsprogramms
in Betracht zu ziehenden Umstände
Bei der Beantwortung der Frage, welche Umstände aufgrund des vorliegenden Fallmaterials als entschädigungsmindernde Umstände eines generellen Untersuchungsprogramms zur Bemessung der Geldentschädigung in Betracht zu ziehen sind, stößt man auf einen ziemlich eindeutigen Befund. In den zahlreichen Urteilen werden neben dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden hauptsächlich drei Umstände als entschädigungsrelevante Faktoren erörtert: Der Verschuldensgrad des Schädigers, seine Vermögensverhältnisse und die Vermögensverhältnisse des Geschädigten. Diese Umstände hat auch der Große Senat ausdrücklich benannt und ausführlich erörtert 27 • Sie verdienen außerdem deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil sie in allen in- und ausländischen Vorschlägen und Regelungen zur Reduktion des Schadensersatzes bei Vermögensschäden als Reduktionsfaktoren erscheinen 28 und weil sie in der inländischen Diskussion um die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB schon de lege lata aufgrund der in § 847 BGB erwähnten Billigkeit auch von denen als entschädigungsmindernde Faktoren anerkannt werden, die der Geldentschädigung im Gegensatz zu der Konzeption des Großen Senats - lediglich eine Ausgleichsfunktion zugestehen29 • S. dazu oben § 3 B. X. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 157 ff. 28 Vgl. dazu die sehr informative, historische, rechtsvergleichende und rechtspolitische übersicht bei Stall, Remedies, 8 - 155 ff. (S. 136 ff.) unter II. 29 Vgl. nur Bötticher, Referat, C 10 f. (Verschuldensgrad) und Hansell, VersR 1974, 205 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 1967, 186 ff., der bei 28
27
B. Berücksichtigung weiterer Umstände
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VI. Der Ansatz zu der weiteren Untersuchung
In der Untersuchung der Frage, ob die entschädigungsmindernde Berücksichtigung der soeben genannten Umstände auch begründet ist, muß zunächst das Ergebnis der überlegungen zur Deutung der in § 847 BGB erwähnten Billigkeit beachtet werden. Danach ist die Berücksichtigung des Verschuldensgrads des Schädigers und der Vermögensverhältnisse der Parteien nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil die Entschädigung "billig" sein soll; denn die Billigkeit ist - wie sich gezeigt hat30 - nur als Öffnungsklausel zu verstehen. Das heißt: Sie legitimiert den Richter zwar zur Erweiterung des Bemessungstatbestands für die Geldentschädigung, erspart ihm aber nicht die Begründung für die Relevanz der neben dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden zusätzlich berücksichtigten Umstände.
Die Frage, ob die zusätzliche Berücksichtigung weiterer Umstände geboten ist, läßt sich ferner nicht aufgrund der Würdigung "aller Umstände" des Falles beantworten, weil die Untersuchung der "Einzelfallmethode" ergeben hat, daß nur ein genereller, also für alle Schadensfälle gleichartiger Bemessungstatbestand zu angemessenen Ergebnissen führen kann 31 • Die Erweiterung des Bemessungstatbestands kann schließlich - entgegen der Ansicht des Großen Senats32 - auch nicht mit der Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung begründet werden, denn diese Funktion ist abzulehnen33 • Der Verschuldensgrad des Schädigers und die Vermögensverhältnisse der Parteien können somit nur dann entschädigungsmindernd berücksichtigt werden, wenn sich dafür überzeugende Sachgründe aufzeigen lassen, nämlich Sachgründe, die sich mindestens mit der Rechtsnatur der Geldentschädigung als Schadensersatz und mit der daraus folgenden Ausgleichsfunktion der Geldentschädigung harmonisieren lassen und außerdem sachlich rechtfertigen können, daß der Geschädigte auch dann, wenn er nur Opfer ist, einen Teil seines Schadens selbst zu tragen hat. der Anwendung des § 254 BGB neben dem Verschuldensgrad auch die Vermögensverhältnisse der Beteiligten berücksichtigen will. Die Argumentation beruht auf seinem Verständnis des § 254 BGB als "Soziabilitätsschranke". Vgl. demgegenüber E. Lorenz, Die Lehre von den Haftungs- und Zurechnungseinheiten und die Stellung des Geschädigten in Nebentäterfällen, 1979, 31 ff. und die Untersuchungen unten zu C. I. 2. am Anfang. 30 Vgl. dazu oben IV. 1. und 2. 31 Näher dazu oben unter V. 32 Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 154 unter 3. 33 Vgl. dazu oben § 4 B. 11. 3.
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§ 5: Bei der Entschädigung zu berücksichtigende Umstände
c. Die Berücksichtigung des Verschuldensgrads des Schädigers und der Vermögensverhältnisse der Parteien I. Die Bedeutung des Verschuldensgrads des Schldlgers fUr die Bemessung der "billigen Entschädigung In Geld"
Die entschädigungsmindernde Berücksichtigung des Verschuldensgrads des Schädigers zielt darauf ab, die allein nach dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden bemessene und damit "an sich gebotene" Entschädigung nach Maßgabe des Verschuldensgrads des Schädigers herabzusetzen. Das bedeutet der Sache nach, daß der Schädiger nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit die volle Entschädigung zu leisten hat. Für eine solche Entschädigungsminderung lassen sich eine Reihe ernst zu nehmender Argumente vorbringen. Zu erwähnen ist einmal der Hinweis auf das Strafrecht mit seiner nicht erläuterungsbedürftigen Abhängigkeit des Strafmaßes von dem Grad des dem Täter vorzuwerfenden Verschuldens. Dieser Hinweis drängt dazu, auch die Sanktion Schadensersatz an dem Verschuldensgrad zu orientieren und auf diese Weise mit dem sog. "Alles-oderNichts-Prinzip" zu brechen. Es erscheint zunächst auch keineswegs einsichtig, daß der Schädiger, der nur leicht fahrlässig gehandelt hat, ebenso den ganzen Schaden zu ersetzen hat wie der Vorsatzschädiger. Zusätzlich kann darauf verwiesen werden, daß die Abstufung des Schadensersatzes nach dem Grad des Verschuldens an mehreren Stellen auch in das Zivilrecht eingedrungen ist: in § 254 BGB und den ihm vergleichbaren Vorschriften, nach denen der Umfang des von dem Schädiger zu leistenden Ersatzes - bei einem Mitverschulden des Geschädigten - von den Umständen und damit auch von dem Verschulden des Schädigers34 abhängt; in den Vorschriften, nach denen die Haftung des Schädigers Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit oder Verletzung der eigenüblichen Sorgfalt voraussetzt35 ; in den Grundsätzen zur Haftung des Arbeitnehmers bei gefahrgeneigter Arbeit, nach denen der Arbeitnehmer dem von ihm geschädigten Arbeitgeber bei leichter Fahrlässigkeit gar nicht und bei mittlerer Fahrlässigkeit nur teilweise haftet und in den Fällen der Schädigung Dritter von dem Arbeitgeber völlige oder teilweise Freistellung von der Schadensersatzpflicht gegenüber dem Dritten verlangen kann 36 ; schließlich in der Rechtsprechung des BGH zur Haftung des Kaufinteressenten bei Probefahrten mit 34 Vgl. dazu nur Palandt I Heinrichs, § 254 BGB Bem. 4 a) bb) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 35 Vgl. als Beispiele zur ersten Gruppe nur die §§ 521, 599 und 680 BGB und als Beispiele zur 2. Gruppe die §§ 708, 1359, 1664 und 2145 BGB. 36 Zu den Einzelheiten vgl. Gamillscheg I Hanau, Die Haftung des Arbeitnehmers, 2. Auf!. von Peter Hanau und die Lehrbücher zum Arbeitsrecht.
C. Verschuldensgrad und Vermögensverhältnisse
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einem Vorführ- oder einem Gebrauchtwagen, nach der ein Probefahrer "für leicht fahrlässige, aufgrund fahrtechnischen Fehlverhaltens verursachte Schäden"37 nicht haftet. 1. Der Hinweis auf das Strafrecht
Daß der Blick auf das Strafrecht jedenfalls nicht überzeugend dazu herausfordert, die zivilrechtliche Sanktion "Entschädigung" - wie die Strafe - an dem Verschuldensgrad des Täters zu orientieren, ergibt sich bereits aus dem sehr unterschiedlichen Bezugspunkt der beiden Sanktionen. Maßgebender Anknüpfungspunkt für die Strafe sind der Täter und sein Verhalten, während der schädliche Erfolg erst in zweiter Linie bedeutsam ist und - was insbesondere die Bestrafung von Versuchen zeigt - sogar fehlen kann. Beinahe umgekehrt ist es bei der Entschädigung. Für sie ist der schädliche Erfolg nicht nur unverzichtbar, sondern auch die sie maßgebend bestimmende Bezugsgröße. Der Unterschied beruht auf den verschiedenen Funktionen der beiden Sanktionen. Die Entschädigung, und zwar auch die Geldschädigung i. S. des § 847 BGB, hat - wie sich herausgestellt hat38 - lediglich eine Ausgleichsfunktion; sie ist also frei von pönalen Tendenzen und Zielsetzungen. Aus den aufgezeigten strukturellen Unterschieden zwischen Strafe und Entschädigung ergeben sich auch sehr unterschiedliche Konsequenzen: Weil die Strafe an dem Täter und seinem Verhalten orientiert ist, muß sie bei unterschiedlichen täterschaftlichen und Verhaltensmerkmalen und damit auch bei unterschiedlichem Verschulden unterschiedlich ausfallen. Vergleichsperson für den einen Täter ist also nur der andere Täter. Die aus diesen Gründen gebotene Differenzierung der Strafe nach dem Verschuldensgrad ist außerdem auch aus der Sicht der Opfers hinnehmbar, weil seine Lage kaum berührt wird, wenn der Fahrlässigkeitstäter mit einer geringeren Strafe belegt wird als der Vorsatztäter. Ganz anders verhält es sich dagegen bei der Entschädigung. Wenn man auch bei ihrer Festsetzung nach dem Verschuldensgrad differenziert und nur den grob schuldhaft handelnden Schädiger mit einer schadendeckenden Entschädigung belegt, entscheidet man zugleich auch über die Stellung des Opfers, also des Geschädigten; denn jede Herabsetzung der schadendeckenden Entschädigung bewirkt, daß der Geschädigte einen Teil seines Schadens selbst zu tragen hat. Die Frage 37 Vgl. BGH NJW 1972, 1363 ff. mit Anm. v. Batsch, NJW 1972, 1706; BGH NJW 1979, 643 ff. mit Besprechungsaufsatz von Ströfer, NJW 1979, 2553. Allgemein zu der Problematik H. Möller, FS für Hauß, 251 ff. 38 Vgl. dazu oben § 4 B. IV.
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§ 5:
Bei der Entschädigung zu berücksichtigende Umstände
nach der gerechten Entschädigung hat damit eine andere Dimension als die Frage nach der gerechten Strafe: Es ist nicht nur - wie bei der Festsetzung der Strafe - zu fragen, ob der Verschuldensgrad des einen Täters im Vergleich zu dem Verschuldensgrad des anderen Täters angemessen gewürdigt worden ist. Man hat vielmehr zusätzlich die Frage zu stellen, ob die im Verhältnis der Schädiger zueinander angezeigte Herabsetzung der Entschädigung auch im Verhältnis zu dem Geschädigten gerechtfertigt ist. Diese im strafrechtlichen Bereich nicht auftauchende Frage stellt sich in äußerster Schärfe, wenn der von einem leicht fahrlässig handelnden Schädiger verletzte Geschädigte an der Schädigung völlig unbeteiligt, also nur Opfer ist. Sie besagt dann in präziser Form, ob es vertretbar ist, den Schädiger, der den Schaden immerhin in zurechenbarer Weise herbeigeführt hat, auf Kosten des Geschädigten zu entlasten, obwohl auf dessen Seite keinerlei Belastungsgrund gegeben ist. Ein wesentlicher Hinweis zur Beantwortung dieser Frage, die in der Diskussion um die entschädigungsmindernde Berücksichtigung des Verschuldensgrads meist nicht näher untersucht wird, ergibt sich aus den Grundsätzen, die im geltenden Zivilrecht die Haftung des Schädigers beschränken oder ganz ausschließen, wenn ihn lediglich ein geringeres Verschulden trifft.
2. Der Hinweis auf die zivilrechtlichen Haftungsbeschränkungen: Das Erfordernis eines Belastungsgrunds für den Geschädigten als Voraussetzung für die Haftungsbeschränkung wegen geringen Verschuldens Der Hinweis, der sich aus den soeben genannten zivilrechtlichen Grundsätzen über die Haftungsbeschränkung bei geringem Verschulden des Schädigers ergibt, ist eindeutig: In allen Fällen beruht die Haftungsbeschränkung des Schädigers auf einem besonderen Belastungsgrund zum Nachteil des Geschädigten. Die Belastungsgründe sind verschiedenartiger Natur. Sie bewirken deshalb auch unterschiedliche Haftungsbeschränkungen. Das sei an einigen Beispielen näher erläutert. In den Fällen des § 254 BGB besteht der Belastungsgrund zum Nachteil des Geschädigten in seinem Mitverschulden: Weil der Geschädigte den Schaden mitverschuldet hat, also selbst einen "Zurechnungsgrund" gesetzt hat, muß die Schadensersatzpflicht des Schädigers notwendigerweise auch von dessen Verschuldensgrad abhängen; denn der Verschuldensgrad ist ein unverzichtbares Abwägungskriterium zwischen dem für den Schaden verantwortlichen Schädiger und dem mitverantwortlichen Geschädigten39• Aus diesen überlegungen ergibt sich zugleich der 39 Näher dazu E. Lorenz, Die Lehre von den Haftungs- und Zurechnungseinheiten und die Stellung des Geschädigten in Nebentäterfällen, 26 ff.
c.
Verschuldensgrad und Vermögensverhältnisse
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Analogiebereich für § 254 BGB: Die entsprechende Anwendung des § 254 BGB setzt voraus, daß auch auf seiten des Geschädigten ein dem (Fremd-)Haftungsrecht ähnlicher Zurechnungsgrund gegeben ist. Folgerichtig sind Rechtswissenschaft und Rechtsprechung deshalb auch schon bald nach dem Inkrafttreten des BGB zu der längst unbestrittenen Erkenntnis gelangt, daß § 254 BGB entsprechend anzuwenden ist, wenn anstelle des im Wortlaut der Vorschrift geforderten Mitverschuldens des Geschädigten eine Mitgefährdung i. S. eines Gefährdungshaftungstatbestandes gegeben ist. Ein Belastungsgrund zum Nachteil des Geschädigten findet sich ferner in all den Vorschriften, nach denen der Geschädigte lediglich für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haftet. Herausgegriffen seien nur die §§ 521 und 599 BGB einerseits und § 680 BGB andererseits. In den zuerst genannten Fällen besteht der Belastungsgrund darin, daß dem Geschädigten ein Gegenstand (§ 521 BGB) oder der Gebrauch eines Gegenstandes (§ 599 BGB) unentgeltlich zugewendet worden ist. Mit diesem Vorteil für den Geschädigten hat der Gesetzgeber - plausibel den Ausschluß der Haftung für leichte und mittlere Fahrlässigkeit des unentgeltlich leistenden Zuwenders verbunden. In dem Fall des § 680 BGB besteht der Belastungsgrund für den Geschädigten in der ihm "drohenden dringenden Gefahr". Dieser Notstand des Geschädigten rechtfertigt die gleiche Haftungsbeschränkung wie in den Fällen einer unentgeltlichen Zuwendung, wenn das Verhalten des Schädigers (Geschäftsführers) die Gefahrenabwehr bezweckt hat. Im Vergleich zu § 254 BGB ergeben sich damit zwei Unterschiede: Als Belastungsgrund zum Nachteil des Geschädigten wird nicht mehr ein den Zurechnungsgründen des (Fremd-)Haftungsrechts vergleichbarer Grund (Mitverschulden, Mitgefährdung) gefordert; es genügen vielmehr auch Belastungsgründe, die ihrer Struktur nach von den Zurechnungsgründen des Haftungsrechts wesentlich verschieden sind. Außerdem ist - folgerichtig - auch eine den andersartigen Belastungsgründen entsprechende, auf sie abgestimmte Haftungsbeschränkung vorgesehen worden. Im Grundsätzlichen ähnlich liegt es in den Fällen, in denen die Haftung des Schädigers nur eintritt, wenn er die eigenübliche Sorgfalt verletzt hat. Auch in diesen Fällen ist stets ein besonderer Belastungsgrund zum Nachteil des Geschädigten gegeben. Er besteht in den Fällen der §§ 708, 1359 und 1664 BGB in der besonderen vertraglichen (§ 708 BGB) oder gesetzlichen Verbundenheit zwischen Geschädigtem und ~~ädtger. Der Geschädigte muß - kurz gesagt - den Schädiger "so nehmen, wie er ist". Deshalb kann er von dem Schädiger auch nur die Einhaltung der (allerdings durch § 277 BGB limitierten) eigenübli-
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§ 5:
Bei der Entschädigung zu berücksichtigende Umstände
chen Sorgfal t verlangen. In diesem Sinne sollte ferner die Haftung bei Gefälligkeitsverhältnissen beurteilt werden, weil derjenige, welcher die Gefälligkeitsleistung in Anspruch nimmt, den Gefälligen ebenfalls so zu nehmen hat, wie er ist4o• Andere, jedoch gleichgewichtige und deshalb mit der gleichen Haftungsbeschränkung verknüpfte Belastungsgründe bestehen in den Fällen der §§ 690 und 2145 BGB. Im ersten Fall (§ 690 BGB) ist es die von dem Geschädigten unentgeltlich in Anspruch genommene Verwahrungspflicht des Schädigers und in dem zweiten Fall (§ 2145 BGB) die von dem Geschädigten (dem Nacherben) hinzunehmende, weil von dem Erblasser verfügte, Stellung des Vorerben als Erben auf Zeit. Wenn man die bisher betrachteten gesetzlichen Haftungsbeschränkungen nach dem Verschuldensgrad auf den sie tragenden Grundgedanken zurückführt, so ergibt sich dieser allgemeine Grundsatz: Eine von dem Verschuldensgrad des Schädigers abhängige Haftungsbeschränkung ist nur dann geboten, wenn auf seiten des Geschädigten ein Belastungsgrund gegeben ist; dieser Belastungsgrund, der nicht wie in § 254 BGB in einem dem (Fremd-)Haftungsrecht entsprechenden Zurechnungsgrund bestehen muß, bestimmt Art und Umfang der Haftungsbeschränkung. Auf diesem Grundsatz beruht auch die Lehre von der Haftung des Arbeitnehmers bei gefahrgeneigter Arbeit. Im einzelnen ist dies zu bemerken: In den Fällen, in denen ein Dritter geschädigt wird, kommt es gegenüber diesem auf den Verschuldensgrad des schädigenden Arbeitnehmers nicht an. Der Geschädigte kann - sofern kein außerhalb der arbeitsrechtlichen Haftungslehre liegender Belastungsgrund gegeben ist - auch dann volle Entschädigung verlangen, wenn der Arbeitnehmer (Schädiger) nur leicht fahrlässig gehandelt hat 41 , weil es im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Arbeitnehmer an einem Belastungsgrund zum Nachteil des Geschädigten fehlt. Anders verhält es sich dagegen, wenn der Arbeitgeber geschädigt worden ist. In diesen Fällen ist auf seiten des Geschädigten (des Arbeitgebers) ein Belastungsgrund gegeben. über dessen Inhalt besteht allerdings noch keine völlige Klarheit. Genannt werden hauptsächlich das Betriebsrisiko, die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem 40 Vgl. zum Streit über die haftungsrechtliche Beurteilung der Gefälligkeitsverhältnisse nur Strö!er, NJW 1979, 2553 und die von ihm angeführte Literatur. 41 Vgl. dazu nur Hanau I Adomeit, Arbeitsrecht, 5. Aufl., 152. Kritisch dazu E. Lorenz, ZfB 1975, 491 ff., 498 ff. = Bartlsperger I Krause I Lorenz I Wiese, Probleme des Binnenschiffahrtsrechts, 1976, 49 ff., 65 ff.: Haftung nur des Arbeitgebers, die aber nichts daran ändert, daß der Umfang der Schadensersatzpflicht nicht aufgrund des Verschuldensgrads des 8chädigers herabgesetzt werden kann.
c.
Verschuldensgrad und Vermögensverhältnisse
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Arbeitnehmer und die versichererähnliche Stellung des Arbeitgebers 42 • Diese Belastungsgründe tragen die von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung entwickelte, sehr differenzierte Haftungsbeschränkung nach dem Verschuldensgrad des Schädigers (Arbeitnehmers), der bei nur leichter Fahrlässigkeit gar nicht, bei mittlerer Fahrlässigkeit beschränkt und nur bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz in vollem Umfang haftet 43 • Man kann allerdings darüber streiten, ob diese differenzierte, nicht sehr leicht zu handhabende Haftungsbeschränkung den genannten Belastungsgründen entspricht, oder ob es nicht angemessen wäre, den Arbeitnehmer - was auch schon gefordert worden ist 44 - nur bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz haften zu lassen. Dieser Streit, der wohl auch auf die Unsicherheit bei der Durchsetzung der Haftungsgrundsätze zurückzuführen ist, ändert jedoch nichts daran, daß die Lehre von der Haftung des Arbeitnehmers bei gefahrgeneigter Arbeit einen Anwendungsfall des bereits allgemeinen Grundsatzes darstellt, nämlich des Grundsatzes, daß eine Haftungsbeschränkung nach dem Verschuldensgrad des Schädigers geboten ist, wenn auf seiten des Geschädigten ein Belastungsgrund besteht. Um die Anwendung dieses allgemeinen Grundsatzes ging es auch in der Rechtsprechung des BGH zur Haftung des Kaufinteressenten bei Probefahrten40 • Der BGH hat den allgemeinen Grundsatz allerdings nicht aufgedeckt. Ihm ist aber im Ergebnis zuzustimmen, wenn er meint, daß der Probefahrer "für leicht fahrlässige, aufgrund fahrtechnischen Fehlverhaltens verursachte Schäden"46 nicht haftet. Nicht ganz überzeugend ist dagegen die von dem BGH vorgetragene Begründung. Abzulehnen ist zunächst die Argumentation mit einer "stillschweigend vereinbarten Haftungsbeschränkung" . Sie mußte anfangs auch bei der Begründung der Lehre von der Haftung des Arbeitnehmers bei gefahrgeneigter Arbeit herhalten 47, kann aber hier wie dort nicht überzeugen, weil sich die stillschweigende Vereinbarung in den allermeisten Fällen als unbegründete Fiktion erweist. Außerdem verstellt sie den Blick auf die wahren Gründe, die sich aus der objektiven Sach- und Rechtslage ergeben. 42 Vgl. nur Hanau I Adomeit, wie vorige Fußn., mit weiteren Nachweisen; Gamillscheg I Hanau, Die Haftung des Arbeitnehmers, 2. Aufl., 46 ff. und E. LOTenz, SAE 1971, 202 ff. Vgl. ferner Koller, Die Risikozurechnung bei
Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 5. Kapitel, 383 ff., wo er die Risikoverteilung im Arbeitsverhältnis anhand mehrerer, auf den ersten Blick nicht leicht zu handhabender Prinzipien der Risikozurechnung bei Vertragsverletzungen begründet. 43 Vgl. auch dazu nur Hanau I Adomeit, wie Fußn. 41. 44 Vgl. etwa Gamillscheg, FS für Rheinstein, Bd. II, 1055 H. 45 Vgl. die Nachweise oben in Fußn. 37. 46 So zuletzt BGH NJW 1979, 643 ff., 645. 47 Vgl. Gamillscheg I Hanau, wie Fußn. 42,37 mit Nachweisen.
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§ 5: Bei der Entschädigung zu berücksichtigende Umstände
Der BGH hat sich deshalb auch zu Recht nicht allein auf den "stillschweigend vereinbarten Haftungsausschluß" verlassen, sondern zusätzlich und sogar hauptsächlich mit einem nicht rechtsgeschäftlichen Argument operiert, nämlich mit der "versicherungstechnisch orientierten Risikoverteilung". Sie soll zum Nachteil des Geschädigten, also des Halters des Probefahrzeugs, ausschlagen, weil es "praktisch" nur ihm möglich sei, eine Kaskoversicherung abzuschließen und es ihm auch zumutbar sei, durch diese Versicherung sich selbst gern. § 61 VVG und den Fahrer aufgrund des § 15 Abs. 2 AKB48 für die Fälle der leicht fahrlässigen Beschädigung des Probefahrzeugs Versicherungsschutz zu verschaffen". Auch diese Argumentation kann die von dem BGH geforderte Haftungsbeschränkung jedoch nicht tragen. Falls der Verkäufer Händler ist, kann er sich allerdings leichter versichern als der Probefahrer, und zwar nicht nur, wenn es um einen Vorführwagen geht, sondern auch dann, wenn die zum Verkauf stehenden Gebraucht- oder sogar die Neuwagen zu Probefahrten bereitgestellt werden; denn für diese Fälle steht dem Händler die Versicherung nach der "Sonderbedingung zur Haftpflicht- und Fahrzeugversicherung für Kraftfahrzeug-Handel und -Handwerk" offen50 • Die versicherungstechnische Lage begründet aber noch nicht, daß es dem Händler auch zumutbar ist, eine Kaskoversicherung abzuschließen, und aus ihr ist erst recht nicht zu entnehmen, daß der Probefahrer für leicht fahrlässig verursachte Schäden an dem Probefahrzeug nicht einzustehen hat. Eine solche Korrektur des Haftungsrechts kann selbst dann nicht ausschließlich auf versicherungsrechtliche "Ausstrahlungen" gestützt werden, wenn diese von gesetzlichen Vorschriften des Versicherungsrechts ausgehen, und sie muß ohne jede weitere Diskussion ausscheiden, wenn die Ausstrahlungen - wie in den Probefahrfällen von Versicherungsbedingungen, nämlich von der genannten "Sonderbedingung" und von § 15 Abs. 2 AKB, erzeugt werden; denn andernfalls hätte es die Versicherungswirtschaft in der Hand, durch die Gestaltung ihrer Versicherungsangebote über die Zumutbarkeit einer Versicherung und über die Korrektur des Haftungsrechts zu entscheiden. 48 Der die Durchsetzung der nach § 67 VVG auf den Versicherer übergehenden Forderung des Versicherungsnehmers gegen den berechtigten Fahrer nur zuläßt, wenn dieser vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Näher dazu BGH NJW 1972, 1363. 49 So zuletzt BGH NJW 1979, 643 ff., 644 unter IV. 1. Mit dem Argument der leichteren Versicherungsmöglichkeit arbeitet - allgemein - auch Koller, wie Fußn. 42, 91. so Abgedruckt z. B. bei Stiefel! Wussow I Hofmann, Kraftfahrtversicherung, Kommentar, 10. Aufl., 745 f. Nicht zu folgen ist deshalb Ströfer, NJW 1979, 2553 ff., 2554, der zwischen Vorführ- und Gebrauchtwagen differenziert und eine Unterscheidung zwischen gewerbsmäßigem und privatem Händler für überflüssig hält. Anders und zu Recht: BGH NJW 1979, 643 ff., 644 unter c.
C. Verschuldensgrad und Vermögensverhältnisse
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Die von dem BGH geforderte Haftungsbeschränkung für Probefahrer kann somit nur in Betracht kommen, wenn sie mit haftungsrechtlichen Gründen zu rechtfertigen ist. Es fehlt deshalb auch nicht an Versuchen, die Haftungsbeschränkung haftungsrechtlich zu begründen. Ein Versuch besteht darin, mit Hilfe des § 254 BGB zum Ausschluß der Haftung des Probefahrers für leicht fahrlässige Beschädigungen des Probefahrzeugs zu gelangen. Diesen Weg hat der BGH jedoch zu Recht nicht einmal diskutiert; denn der Verkäufer hat den an dem Probefahrzeug entstandenen Schaden selbst dann nicht überwiegend verursacht und verschuldet, wenn er dem Kaufinteressenten die Probefahrt mehr oder weniger aufgedrängt hat51 • Zu erwägen, aber gleichfalls auszuschließen ist auch eine analoge Anwendung der oben52 bereits besprochenen gesetzlichen Vorschriften und Grundsätze, nach denen die Haftung des Schädigers aufgrund besonderer Belastungsgründe zum Nachteil des Geschädigten beschränkt worden ist; denn die im einzelnen unterschiedlichen und auch eng begrenzten Voraussetzungen dieser Vorschriften und Grundsätze sind in den Probefahrfällen nicht in analogiebegründender Weise erfüllt53• Zurückzugreifen ist vielmehr auf den allgemeineren, bereits als Grundlage all der genannten Vorschriften und Grundsätze erkannten Grundsatz, daß eine Haftungsbeschränkung nach dem Verschuldensgrad des Schädigers einen Belastungsgrund zum Nachteil des Geschädigten voraussetzt und in ihrem Ausmaß durch diesen Belastungsgrund bestimmt wird54• Der nach diesem Grundsatz erforderliche Belastungsgrund zum Nachteil des Geschädigten ergibt sich zumindest bei gewerbsmäßigen Autoverkäufern in erster Linie aus der haftungsrechtlichen Risikoverteilung. Im einzelnen ist dies zu sagen: Wenn der Verkäufer bei dem Absatz seiner Kraftfahrzeuge entweder eine Probefahrt anbietet oder auf Wunsch zuläßt, um dadurch den Kaufentschluß zu fördern, dann gehört das Risiko, daß der Kaufinteressent das ihm nicht vertraute Probefahrzeug leicht fahrlässig beschädigt, ebenso zu dem Betriebsaufwand wie die Lohnkosten für das Verkaufspersonal, die Kraftstoffkosten und die durch den Gebrauch des Kraftfahrzeugs entstehenden Abnutzungen. Die leicht fahrlässig durch den Probefahrer verursachten Schäden sind also - kurz gesagt - dem Betriebsrisiko des gewerbsmäßigen Verkäufers zuzuschlagen. Er muß diese Kosten daher ebenso einkalkulieren wie die zum Betriebsrisiko gehörenden Schäden, die seine Arbeitnehmer leicht fahrlässig herbeiführen. Das 51 Anders, aber nicht überzeugend Strö!er, NJW 1979, 2553 ff., 2554 unter V; sowie Schmid, JR 1980, 138 ff., 139 unter V. 62 Vgl. den Text in den drei Absätzen nach Fußn. 39. 53 So bereits mit Recht Strö!er, NJW 1979, 2553 unter H. 54 Vgl. dazu oben unter H. am Anfang.
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§ 5:
Bei der Entschädigung zu berücksichtigende Umstände
soll nicht etwa heißen, daß die Grundsätze über die Haftung des Arbeitnehmers bei gefahrgeneigter Arbeit auf den Probefahrer entsprechend anzuwenden seien. Eine solche Argumentation wäre abwegig. Die Parallelität erschöpft sich vielmehr allein darin, daß es in beiden Fallgruppen, die ganz unterschiedliche Sachverhalte erfassen, um die mit ganz unterschiedlichen Gründen zu rechtfertigende Abgrenzung des als Belastungsgrund zum Nachteil des Geschädigten zu verstehenden Betriebsrisikos geht. Die auf diese haftungs rechtlichen überlegungen gestützte Zuordnung der leicht fahrlässigen Beschädigung des Probefahrzeugs durch den Probefahrer zum Betriebsrisiko des gewerbsmäßigen Verkäufers läßt sich ergänzend noch mit der von dem BGH in den Mittelpunkt seiner Argumentation gerückten "versicherungstechnischen Risikolage" begründen, also mit der für den gewerbsmäßigen Verkäufer bestehenden Möglichkeit, auf "technisch" einfache Weise eine Kaskoversicherung nach der bereits erwähnten "Sonderbedingung" abschließen zu können. Diese einfache Versicherungsmöglichkeit bestätigt darüber hinaus auch das Ausmaß der - hauptsächlich aus der haftungsrechtlichen Risikoverteilung gewonnenen - Haftungsbeschränkung für den Probefahrer, nämlich den Ausschluß der Haftung des Probefahrers für schlicht fahrlässige Beschädigung des Probefahrzeugs; denn in solchen Fällen und nur in solchen Fällen kann der aufgrund einer Kaskoversicherung leistungspflichtige Versicherer keinen Regreß nehmen, weil die nach § 67 VVG auf ihn übergehende Schadensersatzforderung gern. § 15 Abs. 2 AKB nicht durchsetzbar ist. Ernsthafte Bedenken gegen eine Haftungsbeschränkung zugunsten des Probefahrers bestehen dagegen in den Fällen, in denen der Geschädigte kein gewerbsmäßiger Händler ist, sondern sein eigenes Auto selbst als Gebrauchtwagen verkaufen will. In diesen Fällen kann man weder aufgrund der bei dem gewerbsmäßigen Verkäufer eingreifenden und hauptsächlich zu würdigenden haftungsrechtlichen überlegungen, noch aufgrund der ergänzend zu berücksichtigenden versicherungstechnischen Lage zu einer von den allgemeinen Vorschriften abweichenden Risikoverteilung gelangen. Es fehlt also auf seiten des Geschädigten ein Belastungsgrund, der in diesen Fällen eine Haftungsbeschränkung des Probefahrers rechtfertigen könnte. Zwischen den beiden bisher besprochenen Fallgruppen liegen die Fälle, in denen sich der nicht gewerbsmäßig handelnde Eigentümer des Gebrauchtwagens bei dem Verkauf eines Händlers bedient. Der BGH bejaht auch in diesen Fällen eine Haftungsbeschränkung55 • Da er entscheidend darauf abstellt, ob sich der geschädigte Verkäufer leicht eine günstige Kaskoversicherung verschaffen konnte, ist das nur konse55
Vgl. BGH NJW 1979, 643 ff.
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quent; denn der private Verkäufer, der einen Händler einschaltet, kann über diesen das zu verkaufende Fahrzeug nach der "Sonderbedingung" für den Kraftfahrzeughandel versichern lassen. Wenn man dagegen der hier vertretenen Ansicht folgt und nicht die "versicherungstechnische", sondern die haftungsrechtliche Risikoverteilung für maßgebend hält, ist die Entscheidung nicht so eindeutig. Dem BGH ist aber im Ergebnis mit dieser Begründung zuzustimmen: Wer sich bei einem Gebrauchtwagenverkauf eines Händlers bedient und diesem gestattet, den Absatz nach den Grundsätzen für den Händlerverkauf zu betreiben, also auch Probefahrten zuzulassen, der muß neben den Vorteilen, die der Händlerverkauf mit sich bringt, auch die Nachteile hinnehmen. Er muß sich also haftungsrechtlich so behandeln lassen wie ein Händler. Dafür spricht zusätzlich, daß der über die Zusammenhänge und über die etwaigen haftungsrechtlichen Vorbehalte des Auftraggebers (also des Eigentümers des Wagens) nicht aufgeklärte Kaufinteressent ebenso behandelt werden muß, wie wenn er von dem Händler kauft. Die überlegungen zu der Frage, ob aufgrund der zivilrechtlichen Vorschriften und Grundsätze über die Haftungsbeschränkung nach dem Verschuldensgrad des Schädigers auch die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB an dem Verschuldensgrad des Schädigers zu orientieren, nämlich nach dem Verschuldensgrad abzustufen ist, führen damit zu dieser Antwort: Bei der Festsetzung der Geldentschädigung kann ein geringerer Verschuldensgrad des Schädigers - über die erwähnten Vorschriften und Grundsätze hinaus - nur dann entschädigungsmindernd berücksichtigt werden, wenn in den Fällen des § 847 BGB auf seiten des Geschädigten ein Belastungsgrund gegeben ist, der die Entschädigungsminderung und die darin liegende Haftungsbeschränkung zugunsten des Schädigers rechtfertigt. 3. Die geringere Entschädigungsbedürftigkeit des immateriellen Schadens als Belastungsgrund für den Geschädigten Das soeben erzielte Ergebnis führt zunächst zu der Frage, ob der erforderliche Belastungsgrund für die entschädigungsmindernde Berücksichtigung des Verschuldensgrads des Schädigers in der - im Vergleich zum Vermögensschaden - geringeren Entschädigungsbedürftigkeit des immateriellen Schadens gesehen werden kanns6 • Die Fragestellung lenkt den Blick zunächst auf § 253 BGB, der nur in bestimmten gesetzlich geregelten Fällen eine Geldentschädigung für immaterielle Schäden zuläßt. Aus § 253 BGB ergibt sich andererseits 56 Für eine solche geringere Entschädigungsbedürftigkeit des immateriellen Schadens der Sache nach wohl KTÜger-Nieland, Verh. des 45. Dt. Juristentags, 1964, Bd. H, C 31 ff., 34 und 41 ("Eigenart immaterieller Schäden"). Vgl. dazu auch Ehlers, Geldersatz, 228.
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aber kein Anhaltspunkt dafür, daß der immaterielle Schaden in den Fällen, in denen er zu ersetzen ist, weniger entschädigungsbedürftig sein soll als ein Vermögensschaden. In die gleiche Richtung weisen ferner die immer nachdrücklicher erhobenen und teilweise auch schon durchgesetzten Bestrebungen nach einer Ausweitung der Ansprüche auf Geldersatz für immaterielle Schäden. Gemeint sind einmal die schon anerkannten Ansprüche auf Geldentschädigung wegen der nicht in § 847 BGB erwähnten Persönlichkeitsrechtsverletzungen und ferner die Vorschläge, den Entschädigungsbereich auch bei Gefährdungshaftungen57 und Haftungen wegen Vertragsverletzungen58 auf immaterielle Schäden zu erstrecken. Eine im Vergleich zum Vermögensschaden geringere Entschädigungsbedürftigkeit des nach § 847 BGB auszugleichenden immateriellen Schadens, die eine Abstufung der Geldentschädigung nach dem Verschuldensgrad des Schädigers rechtfertigen könnte, läßt sich auch nicht aus der "Anspruchsnorm", also aus § 847 BGB herleiten. § 847 BGB bestimmt zwar, daß die Entschädigung "billig" sein soll. Daraus darf aus den bereits vorgetragenen Gründen59 aber nicht entnommen werden, daß die Höhe der Entschädigung ohne weiteres von dem Verschuldensgrad des Schädigers abhängig zu machen ist; denn die in § 847 BGB erwähnte Billigkeit hat sich lediglich als Öffnungs- und nicht auch als Begründungsklausel erwiesen. Sie fordert also eine besondere Begründung für die Berücksichtigung des Verschuldensgrads des Schädigers. Als eine solche besondere Begründung hätte allenfalls die nach der herrschenden Meinung der Entschädigung zuzumessende Genugtuungsfunktion dienen können, denn durch die tendenziell pönale Struktur der Genugtuungsfunktion würde die Geldentschädigung von einer nur erfolgs-, nämlich schadensbezogenen, in eine auf das Verhalten des Schädigers bezogene Sanktion verwandelt. Wie sich gezeigt hat, ist die Genugtuungsfunktion aber aus verschiedenen Gründen abzulehnen 80• Gegen eine im Vergleich zum Vermögensschaden geringere Entschädigungsbedürftigkeit und eine daraus hergeleitete Abstufung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB nach dem Verschuldensgrad des Schädigers ist schließlich noch anzuführen, daß § 847 BGB in allen Anwendungsfällen einen Eingriff in die persönliche Integrität des Geschädigten voraussetzt. Mit der Annahme einer geringeren Entschädigungsbedürftigkeit des nach § 847 BGB zu ersetzenden immateriellen Scha67 Vgl. dazu insbesondere die hauptsächlich diesem Ziel dienende, schon mehrfach erwähnte Arbeit über "Haftpftichtfunktionen und Immaterialschaden" von Köndgen. 68 Vgl. zum Stand der Diskussion nur Braschos, Der Ersatz immaterieller Schäden im Vertragsrecht, 1979. 59 Dazu oben B. IV. 80 Vgl. oben § 4 B. H.
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dens würde also zugleich anerkannt, daß die persönliche Integrität des Geschädigten weniger schutzbedürftig ist als sein Vermögen; und das ist nicht zu halten61 • Zusammengefaßt ist also festzustellen, daß der immaterielle Schaden i. S. des § 847 BGB nicht weniger entschädigungsbedürftig ist als ein nach dem allgemeinen Haftpflichtrecht zu ersetzender Vermögensschaden. Der Umstand, daß es in § 847 BGB um den Ersatz des immateriellen Schadens geht, kann somit eine Abstufung der Geldentschädigung nach dem Verschuldensgrad des Schädigers nicht rechtfertigen. 4. Ergebnis Die Ausführungen zur Bedeutung des Verschuldensgrads des Schädigers für die Bemessung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB führen damit zu diesem Gesamtergebnis: Die Geldentschädigung ist nicht nach dem Verschuldensgrad des Schädigers abzustufen, weil die in dieser Abstufung liegende Haftungsbeschränkung auf seiten des Geschädigten einen Belastungsgrund voraussetzt, und der ist nicht gegeben. Das bisher erzielte Ergebnis steht jedoch unter einem Vorbehalt. Es ist zu korrigieren, wenn die folgende Untersuchung über die Bedeutung der Vermögensverhältnisse der Parteien für die Bemessung der Geldentschädigung ergibt, daß besonders gute Vermögensverhältnisse des Geschädigten oder besonders schlechte Vermögensverhältnisse des.Schädigers es gebieten, die Entschädigung zumindest bei geringem Verschulden des Schädigers herabzusetzen. 11. Die Bedeutung der Vermögensverhältnisse der Parteien für die Bemessung der "billigen Entschädigung in Geld"
In den vorangegangenen Untersuchungen ist bereits angedeutet worden, daß weder besonders günstige Vermögensverhältnisse des Geschädigten noch besonders ungünstige Verhältnisse des Schädigers für sich genommen eine Herabsetzung der dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden entsprechenden Entschädigung begründen können. Das zeigt sich insbesondere in den Fällen, in denen der Schädiger rechtswidrig und grob schuldhaft, also vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat: Er muß jedenfalls uneingeschränkt haften. Eine Haftungsbeschränkung hat ferner ohne weiteres auszuscheiden, wenn die Vermögensverhältnisse des haftpflichtigen Schädigers und des Geschädigten annähernd gleich sind oder wenn der Schaden so gering ist, daß die Entschädigung - wenn auch unter Schwierigkeiten - von dem 61
So bereits BGHZ 7, 223 ff., 227.
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Schädiger aufgebracht werden kann. Die Frage nach der Bedeutung der Vermögensverhältnisse der Parteien konzentriert sich damit auf die Fälle, in denen durch ein geringes Verschulden des Schädigers ein großer Schaden entstanden ist und die Vermögensverhältnisse des Geschädigten gut und die des Schädigers schlecht sind62 • Da bereits festgestellt worden ist, daß der geringe Verschuldensgrad des Schädigers für sich allein keine Herabsetzung der Entschädigung ,zuläßt, sondern allenfalls dann zu berücksichtigen ist, wenn auf seiten des Geschädigten ein Grund vorliegt, der die in der Haftungsbeschränkung liegende Belastung rechtfertigt, ist die Fragestellung für die weitere Untersuchung vorgezeichnet. Es geht darum, ob die guten Vermögensverhältnisse des Geschädigten bei schlechten Vermögensverhältnissen des Schädigers oder die schlechten Vermögensverhältnisse des Schädigers bei guten Vermögensverhältnissen des Geschädigten eine von der Relation der Vermögensverhältnisse und von dem Verschuldensgrad abhängige Haftungsbeschränkung rechtfertigen können.
1. Die Bedeutung der Vermögensverhältnisse des Geschädigten a) Das Eigenvermögen des Geschädigten Die Differenzierung der Schadensersatzpflicht nach den Vermögensverhältnissen des Geschädigten wird immer wieder erwogen, wenn es darum geht, die im BGB vorgesehene Haftung zu beschränken. Der Große Senat hat der modernen Diskussion über dieses Thema neuen Stoff geliefert, indem er angenommen hat, daß die besonders günstigen Vermögensverhältnisse des Geschädigten auch zu einer Erhöhung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB führen können. Diese Ansicht ist bereits abgelehnt wordenll3 • Gleichermaßen zweifelhaft ist der Versuch, die Geldentschädigung aufgrund günstiger Vermögensverhältnisse des Geschädigten herabzusetzen. Die Bedenken beginnen bereits mit den Fragen, ob die Vermögensverhältnisse des Geschädigten in einem Schadensersatzprozeß hinreichend genau aufgedeckt werden können, weil das Erkenntnisverfahren dafür nicht vorgesehen ist, und ob sie auch aufgedeckt werden dürfen. 62
Es geht also im wesentlichen um die Fälle, für die dem Richter gern.
§ 255 ades Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensrechtlicher Vorschriften von 1967 die Möglichkeit zur Einschrän-
kung der Ersatzpflicht des Schädigers eingeräumt werden sollte. Die in diesem Entwurf enthaltene Neufassung des § 847 BGB schreibt allerdings im wesentlichen die Konzeption des Großen Senats (BGHZ 18, 149 ff.) fest. -Vgl. zur Relevanz der Vermögensverhältnisse bei der Schadensverteilung und zum .. deep-pocket-Argument" auch die eingehenden Ausführungen von Weyers, Unfallschäden, 526 ff. 63 Vgl. die Ausführungen zu BGHZ (GS) 18, 149 ff., 159, oben unter B. III.
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Jedenfalls die Antwort auf die letzte Frage ist eindeutig zu verneinen: Von dem Geschädigten, dessen persönliche Integrität verletzt worden ist, kann nicht verlangt werden, daß er gerade demjenigen seine Vermögensverhältnisse offenbart, der ihn verletzt hat. Die entschädigungsmindernde Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Geschädigten ist ferner deshalb nicht überzeugend, weil sie auch den durch Sparsamkeit und Verzicht vermögend gewordenen Geschädigten trifft und auch ihn schlechter stellt als den, der seine Einkünfte und sein Vermögen verbraucht hat. Es ist weiterhin zu bedenken, daß eine entschädigungsmindernde Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse nur in Betracht kommt, wenn ein besonders großer Schaden entstanden ist. Die Geldentschädigung müßte also - wenig überzeugend - gerade bei den Geschädigten gekürzt werden, die am schwersten betroffen worden sind. Die günstigen Vermögensverhältnisse des Geschädigten, der nur als Opfer an der Schädigung beteiligt ist, können ferner auch dann nicht zu einer gegen seinen Willen durchzusetzenden Haftungsbeschränkung des Schädigers führen, wenn dieser wegen seiner schlechten Vermögensverhältnisse durch eine leicht fahrlässig begründete Schadensersatzverpflichtung in nachhaltige Bedrängnis gerät. In solchen Fällen besteht allerdings ein Bedürfnis, dem Schädiger zu helfen. Der zufällig durch die Schädigung betroffene Geschädigte ist aber sicher nicht als erster und einziger berufen, diesem Bedürfnis zu entsprechen; auch nicht aufgrund des "sozialstaatlichen Gerechtigkeitsprinzips der Solidarität"; denn nach diesem Prinzip kann ein Sonderopfer nicht von einem einzelnen, sondern nur von der Allgemeinheit gefordert werden". Alle Versuche, den Geschädigten aufgrund seiner günstigen Verniögensverhältnisse mit einer Haftungsbeschränkung zu belasten, tragen deshalb dazu bei, daß die gebotene sozialpolitische Entwicklung mit unzulänglichen und auch ungerechten Mitteln aufgehalten wird. Diese Entwicklung kann allerdings nicht darin bestehen, den durch das Schadensersatzrecht verwirklichten Kompromiß zwischen dem Rechtsgüterschutz auf der einen und dem Schutz der Handlungsfreiheit auf der anderen Seite durch höhere Anforderungen an die Haftungsbegründung, etwa durch einen generellen Ausschluß der Haftung für leicht fahrlässig herbeigeführte Schädigungen, zu korrigieren; denn eine solche Korrektur zu Lasten des Rechtsgüterschutzes führt nicht nur zu unvertretbaren Verwerfungen des ausgewogenen Zurechnungsgefüges mit seinen für bestimmte Fallgruppen aufgrund besonderer Belastungsgründe zum Nachteil des Geschädigten abgestuften Verschuldensanfor64 Vgl. Wieacker, FS f. Wilburg, 234, sowie Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 91.
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derungen. Sie kompliziert auch die Handhabung des Zurechnungsrechts, weil dann in jedem Falle das Ausmaß der Fahrlässigkeit genau bestimmt werden muß6~. Schon aus diesen Gründen ist nicht die Korrektur des Haftungsrechts, sondern der Ausbau der versicherungsrechtlichen Schutzmöglichkeiten zu betreiben. Diese Kursänderung erfordert zunächst eine uneingeschränkte Anerkennung der geltenden haftungsrechtlichen Risikoverteilung. Es ist also im einzelnen davon auszugehen: daß eine Haftungsbeschränkung über die gesetzlich geregelten und die bereits anerkannten Fälle hinaus nur in Betracht kommen kann, wenn auf seiten des Geschädigten ein die Haftungsbeschränkung tragender Belastungsgrund gegeben ist; daß die günstige Vermögenslage des Geschädigten keinen derartigen Belastungsgrund darstellt; und daß der Geschädigte in den Fällen, in denen es an einem Belastungsgrund fehlt, nach den allgemeinen Vorschriften zum vollen Schadensersatz verpflichtet ist und auch alle, selbst die ihn stark bedrängenden Konsequenzen dieser Verpflichtung zu tragen hat, wenn er aufgrund seiner freien Entscheidung darauf verzichtet hat, eine nicht nur leicht erreichbare, sondern auch billige und steuerbegünstigte Haftpflichtversicherung abzuschließen. Es ist also - kurz gesagt - klarzustellen, daß derjenige Schädiger, der aufgrund seiner freien Entscheidung keine haftpflichtversicherungsrechtliche Vorsorge getroffen hat, das durch sein haftungsbegründendes Verhalten verwirklichte Haftpflichtrisiko - grundsätzlich weder ganz noch teilweise auf den Geschädigten abwälzen kann. Die dieses Ergebnis tragende freie Entscheidung des Schädigers über die haftpflichtversicherungsrechtliche Vorsorge setzt voraus, daß der Schädiger nach seinen Fähigkeiten und Mitteln auch in der Lage war, selbst oder durch die ihm zugeordneten sorgeberechtigten Personen eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Die Voraussetzung wird in vielen und vor allem in den Fällen zu bejahen sein, in denen sich die Frage nach einer Haftungsbeschränkung besonders dringend stellt, weil der Geschädigte seinen durchschnittlichen oder gehobenen materiellen Lebensstandard verliert, wenn er den von ihm haftungsbegründend verursachten Schaden voll ausgleichen muß; denn in diesen Fällen ist er auch durchweg fähig, den erreichten Lebensstandard durch haftpflichtversicherungsrechtliche Vorsorge abzusichern. Für diejenigen, die dazu nicht in der Lage sind, ist de lege ferenda ein "Sozialanspruch" auf Prämienzahlung zu begründen. Er sollte wie bei einigen anderen Sozialleistungen - nicht auf Anspruchsberechtigte nach dem SozialhilfeG beschränkt und von dem Haftpflichtversicherer eingezogen werden, den der Anspruchsberechtigte gewählt hat. 65 Zu dieser Problematik eingehend Mayer-Maly, AcP 163 (1963) 114 ff.
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Der aus Steuermitteln zu bestreitende finanzielle Aufwand ist nicht nut' deshalb gerechtfertigt, weil er einen sozialstaatlichen Ausgleich bewirkt und zugleich das gewachsene und von im wesentlichen ausgewogenen Prinzipien beherrschte Gefüge des Haftungsrechts vor zweifelhaften Korrekturen bewahrt. Er erweist sich vielmehr darüber hinaus als eine sowohl für die sozialausgleichsberechtigten als auch für die sozialausgleichspflichtigen Bürger als eine vorteilhafte sozialpolitische Maßnahme. Die einen werden von Schadensersatzverpflichtungen freigestellt, was auch dann als Vorteil zu werten ist, wenn die gegen sie gerichteten Ansprüche niemals durchgesetzt werden könnten; und die anderen, also die sozialausgleichspflichtigen Bürger, erlangen auch bei haftungsbegründenden Schädigungen durch mittellose Schädiger die ihnen zustehende volle Entschädigung. Die haftpflichtversicherungsrechtliche Ergänzung widerspricht auch weder der Partei autonomie als allgemeiner Grundlage des Zivilrechts noch dem Verschuldensprinzip, dem bestimmenden Gesaltungsprinzip des bürgerlichrechtlichen Schadensersatzrechts. Die Parteiautonomie wird nicht berührt, weil jeder, auch der sozial schwache Bürger, selbst darüber entscheiden kann, ob er sein Haftpflichtrisiko versichern oder selbst tragen Will 66 • Und das Verschuldensprinzip wird jedenfalls dann nicht berührt, wenn man - wie es in dieser Abhandlung geschieht an der gewachsenen und begründeten scharfen Trennung zwischen schadensersatzrechtlicher und strafrechtlicher Sanktion festhält, also den Schadensersatz nicht wieder repönalisiert, sondern allein an der Ausgleichsfunktion orientiert; denn bei diesem Ansatz ist das eineSchadensersatzpflicht begründende Verschulden nicht Grund für Vergeltung und Sühne, sondern ein Kriterium, durch das der Risikobereich des Geschädigten eingeschränkt wird. Die haftpflichtversicherungsrechtliche Ergänzung beseitigt schließlich auch nicht die insbesondere mit dem Verschuldensprinzip verbundene Präventivfunktion des Haftungsrechts, weil auch der haftpflichtversicherte Schädiger Sanktionen hinzunehmen hat: Er bleibt Zurechnungssubjekt der Schadensersatzverpflichtung; sein Verschulden muß aufgeklärt werden; er ist der Versichertengemeinschaft verantwortlich und kann von ihr durch den Versicherer mit Prämiennachteilen und Kündigung belegt werden. Es ist deshalb kaum zu erwarten, daß der angestrebte Ausbau des haftpflichtversicherungsrechtlichen Schutzes auf Dauer dazu führen wird, daß die bestehenden Standards über die 68 Vgl. dazu auch v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978) 5 ff., 18, der sogar eine allgemeine Pflicht-Haftpflichtversicherung für zulässig hält und meint, daß diese nur wegen organisatorischer Schwierigkeiten noch nicht eingeführt worden sei. Allgemein zu der wenig erforschten und wohl auch weniger bedeutsamen Präventionswirkung des Haftpflichtrechts Weyers, Unfallschäden, 452 ff., 479 f.; Deutsch, HaftungsR I, 71 mit vielen Nachweisen.
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Rücksichtnahme auf die Rechte anderer absinken. Die historischen Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Haftpflichtversicherung mit dem Verschuldensprinzip sollten deshalb nicht wieder aufgewärmt werden, wenn es darum geht, möglichst allen Bürgern eine Haftpflichtversicherung zu verschaffen 87 • Die überlegungen zu der Frage, ob die besonders günstigen Vermögensverhältnisse des Geschädigten eine Haftungsbeschränkung zugunsten des Schädigers, insbesondere eine von dessen Verschuldensgrad abhängige Haftungsbeschränkung, tragen können, und damit auch als entschädigungsmindernder Umstand bei der Festsetzung der Geldentschädigung zu berücksichtigen sind, lassen sich damit so zusammenfassen: Die Vermögensverhältnisse des Geschädigten können schon deshalb keine entschädigungsmindernden Wirkungen entfalten, weil von dem Geschädigten nicht verlangt werden kann, daß er sie dem Schädiger offenbart. Sie sind aus den zusätzlich dargelegten Gründen außerdem auch dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie dem Richter auf rechtmäßige Weise bekanntgemacht worden sind. b) Der Versicherungsschutz des Geschädigten In diesem Sinne sind auch die Fälle zu entscheiden, in denen die günstigen Vermögensverhältnisse des Geschädigten darauf beruhen, daß er eine Versicherung genommen und deshalb wegen der erlittenen Verletzungen Ansprüche gegen seinen Versicherer erworben hat. Die Berücksichtigung des Versicherungsschutzes kann allerdings nicht schon deshalb verneint werden, weil die Vermögensverhältnisse des Geschädigten bei der Bemessung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB nicht zu berücksichtigen sind. Der Versicherungsschutz ist vielmehr selbst dann besonders zu würdigen, wenn man ihn mit Deutsche8 als "ein erkauftes Stück Vermögen" ansieht; denn es ist - anders als bei den sonstigen Vermögensverhältnissen des Geschädigten - stets die Frage aufzuwerfen, ob die Verlagerung des Vermögensnachteils von dem Geschädigten auf die Versichertengemeinschaft und die darin liegende "begrenzte Sozialisierung" des Schadens auch dem Schädiger zugute kommt". 67 Aus den genannten Gründen ebenso v. Caemmerer, wie vorige Fußn., der auch zu Recht annimmt, daß selbst eine sog. Kanalisierung der Haftung, also eine haftungsrechtliche Regelung, die nach außen nur den "eigentlichen Risikoträger" zum Schadensersatz verpflichtet, in besonderen Fällen als die gebotene Gestaltung des Haftpflichtrechts anzusehen ist. Vgl. dazu für den Fall der Haftung des Arbeitnehmers bei gefahrgeneigter Arbeit auch E. Lorenz, ZfB 1975, 491 ff., 498 ff. = Bartlsperger I Krause I Lorenz I Wiese, Probleme des Binnenschiffahrtsrechts, 1977,49 ff., 65 ff. 08 HaftungsR I, 476, und RabelsZ 42 (1978) 577 ff., 579. tD Vgl. dazu die für die Fälle des § 847 BGB allerdings nicht einschlägige
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Soweit es um den hier zu erörternden Schadensersatzanspruch gern. § 847 BGB geht, ist ein etwaiger Versicherungsschutz des Geschädigten jedoch schon deshalb unbeachtlich, weil die in Betracht kommenden Versicherungen, nämlich die Kranken- und die Unfallversicherung, den immateriellen Schaden nicht decken. Soweit die Versicherungen als Schadensversicherungen gestaltet sind, ergibt sich das bereits aus § 1 VVG, der den Versicherer nur zum Ersatz des Vermögensschadens verpflichtet. Außerdem ist aus § 67 VVG und dem Fehlen einer dem § 15 Abs.2 AKB entsprechenden Regreßsperre zu entnehmen, daß der Anspruch des Geschädigten dem Schädiger selbst dann nicht zugute käme, wenn auch der immaterielle Schaden durch eine von dem Geschädigten abgeschlossene Kranken- oder Unfallversicherung gedeckt wäre. Im Ergebnis nicht anders zu entscheiden ist dann, wenn es um die Unfallversicherung als Summenversicherung geht; denn auch die Summenversicherung begründet keine Ausdehnung des Deckungsbereichs auf immateriellen Schaden. Die sie kennzeichnende abstrakte Festlegung des Deckungsbedarfs soll lediglich die bei einer Schadensversicherung erforderliche Ermittlung des konkreten Vermögensschadens ersparen.
2. Die Bedeutung der Vermögensverhältnisse des Schädigers a) Der Ausgangspunkt Bei der Beantwortung der Frage nach der Bedeutung der Vermögensverhältnisse des Schädigers für die Bemessung der "billigen Entschädigung in Geld" nach § 847 BGB ist aufgrund der bisherigen Untersuchung von diesen Feststellungen auszugehen: Nach § 847 BGB ist wie im Bereich des Schadensersatzrechts für Vermögensschäden - "an sich" die Entschädigung zu leisten, die dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden entspricht. Diese Einsatzentschädigung kann durch die Berücksichtigung weiterer Umstände des zu beurteilenden Falles nicht erhöht, sondern allenfalls herabgesetzt werden. Die Untersuchung über die Relevanz der Vermögensverhältnisse des (haftpflichtigen) Schädigers für die von ihm zu leistende Entschädigung mündet daher in die Frage, ob die Entschädigung herabgesetzt werden muß, wenn der Schädiger in schlechten Vermögensverhältnissen lebt, auch nicht haftpflichtversichert ist und deshalb in Bedrängnis gerät, wenn er die "an sich gebotene", also die allein an dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden ausgerichtete Entschädigung in voller Höhe zu leisten hat. Regelung des § 15 Abs. 2 AKB, die in den dort genannten Fällen zwar nicht den Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger, wohl aber die Durchsetzung dieses Anspruchs ausschließt. Näher dazu oben unter H. (Text nach Fußn.53; Probefahrfälle).
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Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Untersuchung über die Bedeutung der Vermögensverhältnisse des Geschädigten für die Bemessung der Geldentschädigung. Sie hat aus verschiedenen Gründen zu der Einsicht geführt, daß der Geschädigte selbst dann die (allein an dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden orientierte) Einsatzentschädigung, aber auch nur diese Einsatzentschädigung verlangen kann, wenn er selbst in besonders günstigen und der Schädiger in ungünstigen Vermögensverhältnissen lebt und den Schaden nur leicht fahrlässig herbeigeführt hat. Damit ist zugleich über die Bedeutung der Vermögensverhältnisse des Schädigers entschieden worden: Die Einsatzentschädigung kann weder wegen besonders guter Vermögensverhältnisse des Schädigers erhöht noch wegen seiner besonders schlechten Vermögensverhältnisse gesenkt werden. Für diese Ansicht spricht außerdem die schon mehrfach hervorgehobene überlegung, daß die Vermögensverhältnisse des Geldschuldners, also auch des zum Geldersatz verpflichteten Schädigers i. S. des § 847 BGB nicht schon bei der materiellrechtlichen Begründung, sondern erst bei der zwangsvollstreckungsrechtlichen Durchsetzung des Anspruchs erheblich sind, weil nur das Vollstreckungsrecht das Instrumentarium für ihre hinreichend genaue Aufklärung enthä1t7°. Dennoch sollen die Vermögensverhältnisse des Schädigers nach der von dem Großen Senat für Zivilsachen des BGH71 begründeten herrschenden Meinung auch schon bei der Festsetzung der Geldentschädigung berücksichtigt werden, und zwar je nach den Umständen des zu beurteilenden Falles mal mehr und mal weniger. Dieser Ansicht haben sich auch diejenigen angeschlossen, die - im Gegensatz zu dem Großen Senat - eine Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung ablehnen 72 • Der Große Senat hat auch bereits zwei das richterliche Ermessen konkretisierende Leitlinien herausgestellt. Danach soll einerseits möglichst verhindert werden, daß der SchädigeT in "schwere und nachhaltige Not" gerät; und andererseits soll die Entschädigungspflicht gem. § 847 BGB niemals verneint werden, weil die Vermögensverhältnisse des Schädigers "nur ein Moment, und keinesfalls das wichtigste, unter zahlreichen anderen sind, die Berücksichtigung verlangen". Diese Ansicht ist nicht nur aufgrund der bereits vorgetragenen überlegungen abzu70 In diesem Sinne eindrucksvoll Michaelis, FS f. Siber, Bd. II, 254 f.: Objektive Kriterien für die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse der Parteien schwer zu finden. Außerdem keine Angelegenheit des materiellen Rechts, sondern des Vollstreckungs- und Vergleichsrechts. Ebenso BGHZ 7, 223 ff., 228; Ehlers, Geldersatz, 272. Vgl. dazu auch Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, 352 ff. unter 3. 71 Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 159 f. 72 Vgl. dazu oben § 2 B. IV. und dort die Hinweise auf Bötticher und HonseIl in den Fußn. 48 und 49.
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lehnen. Ihr ist vielmehr auch deshalb nicht zu folgen, weil sie erheblicher immanenter Kritik ausgesetzt ist und weil die sie tragenden Gründe nicht überzeugen können. b) Die immanente Kritik der herrschenden Meinung Immanente Kritik verdient die herrschenden Meinung auch in diesem Zusammenhang zunächst wiederum deshalb, weil sie die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers in die Würdigung "aller Umstände des Einzelfalles" einbettet. Dieser Ansatz ist hier wie stets73 zu verwerfen, weil er - wie bereits in anderem Zusammenhang dargelegt7 4 - auf eine unsachgemäße und damit letztlich willkürliche Auswahl der maßgebenden Umstände hinauslaufen muß und weil die zu erwartenden Entscheidungen für die Parteien nicht nur nicht vorhersehbar, sondern auch nicht einsehbar sein werden und deshalb auch keinen Rechtsfrieden und kein Vertrauen in die Rechtsordnung und in die Gerichte begründen können. Es ist daher auch nicht richtig, solche Entscheidungen durchweg als "billige" Entscheidungen zu bezeichnen; denn die Berufung auf die Billigkeit dient hier oft nur dazu, Mängel der Rechtsfindung zu verdecken, die bei dem gewählten Ansatz nicht ausbleiben können. Noch deutlicher kann man sagen: Eine Judikatur nach den Umständen des Einzelfalles und den Verhältnissen der Parteien paßt nur zu einer Rechtsordnung, in der Richter in einer überschaubaren Gemeinschaft, etwa einer Dorfgemeinschaft oder einer anderen, nach geographischen oder sonstigen Merkmalen begrenzten Gemeinschaft, über Rechtsstreitigkeiten der Mitglieder zu entscheiden haben; denn nur unter solchen Voraussetzungen können die Richter die inneren und äußeren Verhältnisse der Parteien kennen oder aufdecken und nach ihnen entscheiden, und nur solche Gemeinschaften sind Lebensgemeinschaften, die - weil einer auf den anderen angewiesen bleibt - auch etwaige Fehlurteile mildern können, weil der durch Fehlurteil Begünstigte es nicht wagen darf, das Fehlurteil voll auszunutzen. Ganz anders verhält es sich dagegen, wenn die Rechtsordnung - wie die gegenwärtige - selbst den überkommenen Bestand überschaubarer Gerichtssprengel durch Zentralisierung beseitigt hat; denn Zentralisierung erfordert generelle Rechtsfolgevoraussetzungen, also abstrakte Tatbestände, weil allenfalls sie Voraussehbarkeit, Durchschaubarkeit und auf ihrer Grundlage Gleichbehandlung garantieren können. 73 Vgl. etwa zu Bestrebungen, die Problematik des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen: Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, 3. Aufl., 88 ff. und 118 ff., sowie Braun, JuS 1979, 692 ff., 696. 74 Vgl. oben B. V. 1.
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§ 5: Bei der Entschädigung zu berücksichtigende Umstände
Nicht zu folgen ist ferner der in dem Ansatz der herrschenden Meinung enthaltenen Vorstellung, daß stets ein ausgewogener Komprorniß zwischen dem Ausgleichsbedürfnis des Geschädigten und dem Schonungsbedürfnis des Schädigers erreichbar sei; denn die Fälle, in denen das Schonungs bedürfnis des Schädigers ernsthaft zu erwägen ist, sind die, in denen der Geschädigte besonders schwer getroffen worden ist und der Schädiger durch eine besonders hohe Entschädigungsforderung bedroht wird. Es sind also "Entweder-oder-Fälle", in denen spürbare Herabsetzungen der Entschädigung dem Geschädigten nicht zuzumuten sind und leichtere Kürzungen dem Schädiger nicht viel nützen. Nicht unbedenklich ist die Differenzierung der Entschädigungspflicht nach den Vermögensverhältnissen des Schädigers schließlich auch deshalb, weil sie zu Ungleichbehandlungen führt. Diese Konsequenz hat der Große Senat (selbstverständlich) gesehen, aber für unschädlich gehalten. Er meint, die Ungleichbehandlung sei sachlich gerechtfertigt, weil es sich nicht um "gleichgelagerte Sachverhalte" handele, "wenn demselben Verletzten von zwei Schädigern, die in verschiedenen wirtschaftlichen Verhältnissen leben, der gleiche immaterielle Schaden zugefügt wird"75. Die undifferenzierte Anerkennung der Vermögensverhältnisse des Schädigers als ein die Ungleichbehandlung tragendes Differenzierungskriterium kann jedoch nicht überzeugen. Die Bedenken zeigen sich bei näherer Betrachtung des von dem Großen Senat erwähnten Falles, daß dem Geschädigten nacheinander von zwei Schädigern, nämlich von einem wohlhabenden und einem völlig vermögenslosen, unter gleichen Umständen der gleiche erhebliche immaterielle Schaden zugefügt worden ist. Wenn man bei der Beurteilung dieses Falles davon ausgeht und entgegen der herrschenden Meinung - auch davon ausgehen muß78, daß der Geschädigte "an sich" die Entschädigung verlangen kann, die dem Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens entspricht, und wenn diese Entschädigung mit 100 000,- DM anzusetzen ist, dann wäre nach der herrschenden Meinung der vermögende Schädiger zur vollen Entschädigung und der vermögenslose Schädiger vielleicht zur Zahlung von 50 000,- oder 60 000,- DM zu verurteilen. Man kann jedoch mit einiger Sicherheit voraussagen, daß sich kein Richter zu dieser Differenzierung hinreißen lassen würde. Er würde dem Geschädigten vielmehr in beiden Fällen einen Anspruch in Höhe von 100000,- DM zugestehen; schon deshalb, weil die nach der herrschenden Meinung gebotene Differenzierung keinem Geschädigten plausibel zu machen wäre. Auch nicht mit der Begründung, bei dem 75 Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 162. 76
Näher dazu oben B. II.
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vermögenslosen Schädiger sei ohnehin nichts zu holen; denn der Geschädigte würde darauf zu Recht erwidern, das wolle er selbst in dem für die Vermögensermittlung besser geeigneten Zwangsvollstreckungsverfahren nachprüfen lassen77 , und außerdem sei keineswegs ausgeschlossen, daß der Schädiger nicht eines Tages doch zu pfändbarem Vermögen gelange78• Überträgt man diese Grundsätze auf die Fälle, in denen zwei oder mehrere Geschädigte von verschiedenen Schädigern ein etwa gleich hoher Schaden zugefügt worden ist, so ergibt sich diese Feststellung: Auch wenn die Schädiger in verschiedenen Vermögensverhältnissen leben, ist den Geschädigten die gleiche Entschädigung zuzusprechen, weil die unterschiedliche Vermögenslage der Schädiger keinen überzeugenden Grund für die Differenzierung zwischen den Geschädigten darstellt und eine auf diesen Grund gestützte Differenzierung deshalb gleichheitssatzwidrig wäre. Hinzunehmen ist lediglich der schon schwer genug wiegende, aber unabwendbare Unterschied, daß der Geschädigte, der von einem vermögenslosen Schädiger geschädigt worden ist, seinen Anspruch im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht in gleicher Weise durchsetzen kann wie der Geschädigte, der einen wohlhabenden Gegner hat. Abzulehnen ist die nach der herrschenden Meinung gebotene Differenzierung nach den Vermögensverhältnissen der Schädiger außerdem auch deshalb, weil neben den Geschädigten auch die Schädiger in unbegründeter Weise ungleich behandelt werden. Den unter diesem Aspekt treffenden Einwand hat Michaelis vor fast vierzig Jahren in einem anderen Zusammenhang so formuliert: Man benachteiligt "den, der etwa von seinem Gehalt 5000,- RM gespart hat, gegenüber dem Leichtlebigen "79. c) Die Beurteilung der Gründe für die herrschende Meinung Die Einwände gegen die Gründe, auf denen die Anerkennung der Vermögensverhältnisse des Schädigers als Bemessungsfaktor der Geldentschädigung beruht, ergeben sich teilweise aus den bereits in den vorangegangenen Untersuchungen erzielten Ergebnissen, die hier nur anzuwenden sind. Das gilt zunächst in bezug auf die als wichtiger Grund für die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers genannte 77 78
Vgl. zu diesem Argument die Nachweise oben in Fußn. 70. In diesem Sinne BGH NJW 1979, 2096 f., 2097 = JR 1980, 18 f. mit Anm.
v. Knütel.
79 Michaelis, FS f. Siber, Bd. II, 316, der allerdings in dem besonders gelagerten Fall der Haftung des Arbeitnehmers dessen Einkünfte berücksichtigen will.
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Billigkeit: Sie eröffnet zwar die Möglichkeit, die Entschädigung entgegen dem allgemeinen Gestaltungsprinzip des Schadensersatzrechts - nicht allein an dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden zu orientieren. Sie enthält aber nicht auch schon die Begründung dafür, daß auch die Vermögensverhältnisse des Schädigers zu berücksichtigen sind; denn sie ist nur Öffnungs- und nicht auch Begründungsklausel80. Folgerichtig hat deshalb der Große Senat auch einen zusätzlichen Grund nachgeliefert, nämlich die Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung. Sie kann die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers aber ebenfalls nicht tragen, weil sie aufgrund der in § 4 dieser Arbeit vorgetragenen Überlegungen abzulehnen ist. Der Große Senat81 stützt seine Ansicht weiterhin auf mehrere außerhalb des Deliktsrechts zu findende Vorschriften, nach denen die Leistung des Schuldners "nach billigem Ermessen" bestimmt oder eine Handlung nach "billigem Ermessen" vorgenommen werden soll. Er nennt als Beispiele für die erste Gruppe die §§ 315 und 317 BGB und als Beispiele für die zweite Gruppe die §§ 1246, 2048 und 2156 BGB. Er meint, die in all diesen Vorschriften vorgesehene Entscheidung nach Billigkeit gebiete es, nicht nur die wirtschaftlichen Verhältnisse des Gläubigers, sondern auch die des Schuldners zu berücksichtigen. Aus diesem Befund, der hier ohne Stellungnahme zugrunde gelegt werden soll, folgt jedoch keineswegs, daß auch bei der Bemessung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB die Vermögensverhältnisse des Schädigers zu berücksichtigen sind; denn die genannten Vorschriften regeln Fälle, die sich ausnahmslos so wesentlich von den deliktsrechtlichen Schadensersatzfällen des § 847 BGB unterscheiden, daß eine "parallele Argumentation" ohne eingehendere Diskussion ausscheiden muß82. Im einzelnen heißt das: Die Argumentation des Großen Senats ist deshalb abzulehnen, weil sie auch an dieser Stelle auf die Gleichung: "Billigkeit bedeutet Berücksichtigung aller Umstände" abzielt und damit der Billigkeit die Qualität einer Begründungsklausel zulegt, obwohl ihr diese Qualität - wie mehrfach dargelegt - nicht zukommen kann; denn weil niemals "alle" Umstände berücksichtigt werden können, muß stets eine zu begründende Auswahl getroffen werden und die hängt wiederum davon ab, welche Fälle durch die anzuwendende Billigkeitsvorschrift geregelt werden sollen. So kann also die Deutung der von dem Großen Senat herangezogenen Vorschriften zur Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse der Parteien führen, während eine solche 80 Vgl. dazu oben B. IV. 2. 81 BGHZ (GS) 18, 149 ff., 152 f. 82 Ebenso schon Ehlers, Geldersatz, 269.
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Auslegung des § 847 BGB aus den schon vorgetragenen Gründen abzulehnen ist. Aus den gleichen Gründen läßt sich die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers i. S. des § 847 BGB auch nicht damit begründen, daß es in den Fällen des § 1300 BGB auf die Vermögensverhältnisse des Bräutigams ankomme83 • Es ist zunächst schon sehr zweifelhaft, ob die von dem Großen Senat unterstellte Auslegung des § 1300 BGB zutrifft; denn sie zwingt zu beinahe peinlichen Feststellungen, wenn man die Rechtslage aus der Sicht der geschädigten Braut betrachtet. Man muß dann sagen: Je reicher der Bräutigam, desto größer die Entschädigung für die Verletzung des durch Gewährung des Beischlafs bestätigten Vertrauens der Braut. Aber darauf kommt es nicht einmal an, weil es sich bei dem Bruch des Vertrauens der Braut und der deliktsrechtlichen Verletzung irgendeines anderen um wesentlich verschiedene Verletzungstatbestände handelt und weil deshalb auch die Entscheidung über die Bemessungsgrundlagen der Entschädigung wesentlich anders ausfallen kann. Nicht stichhaltig ist auch das "Trumpfargument" des Großen Senats, nämlich der Hinweis darauf, daß es bei der Anwendung der deliktsrechtlichen Vorschrift des § 829 BGB ebenfalls auf die Vermögensverhältnisse des Schädigers ankomme 84• Der Große Senat sieht in dieser Vorschrift eine weitere Bestätigung seiner - nach den bisherigen Untersuchungen nicht begründeten - Ansicht, daß bei der Entscheidung über das Ausmaß einer "Billigkeitshaftung" stets auch die Vermögensverhältnisse des Schuldners zu berücksichtigen sind. Er meint deshalb, aus § 829 BGB entnehmen zu müssen, daß die Vermögensverhältnisse des Schädigers bei der Bemessung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB auch dann zu berücksichtigen sind, wenn der Schadensersatzanspruch nicht auf § 829 BGB, sondern auf einer anderen deliktsrechtlichen Vorschrift beruht. Bei der Würdigung dieser Ansicht ist dem Großen Senat zunächst zuzugeben, daß die Vermögensverhältnisse des Schädigers in den Fällen des § 829 BGB auch für die Bemessung des Schadensersatzes bedeutsam sind85 • Seine Argumentation läßt sich also nicht schon mit der Begründung zurückweisen, daß die Vermögensverhältnisse des Schädigers bei der Anwendung des § 829 BGB nur für die Haftungsbegründung bedeutsam seien. Aus diesem Zugeständnis erwachsen jedoch sogleich erhebliche Bedenken gegen die Reichweite der Argumentation So aber BGHZ (GS) 18, 149 ff., 152 f. Fundstelle wie vorige Fußn. 85 Zu der besonderen Frage, ob auch der Haftpflichtversicherungsschutz des Schädigers i. S. des § 829 BGB den Grund und die Höhe der Billigkeitshaftung beeinflußt, vgl. E. LOTenz, VersR 1980, 697 ff. 83
84
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mit § 829 BGB; denn es provoziert den Verdacht, daß die Vermögensverhältnisse des Schädigers bei der Bemessung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB zwar immer dann, aber auch nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sich die Schadensersatzpflicht allein aus § 829 BGB ergibt. Der Verdacht ist auch begründet, weil die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers in den Fällen, in denen die Haftung auf einem allgemeinen Haftungstatbestand beruht, eine im Vergleich zu den Fällen des § 829 BGB wesentlich verschiedene Funktion hätte. In § 829 BGB dient sie dazu, dem Geschädigten, der nach den allgemeinen Grundsätzen des Haftpflichtrechts nichts verlangen kann, einen Schadensersatzanspruch zu verschaffen, der - wenn auch nicht immer auf vollen Schadensausgleich - wenigstens auf eine den Verhältnissen des Schädigers angemessene Entschädigung zielt. Bei der Anwendung des § 829 BGB führt die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers also dazu, daß der Geschädigte mehr erhält als ihm nach den allgemeinen Grundsätzen zusteht. Gerade umgekehrt ist es, wenn der Schädiger nach den allgemeinen Vorschriften schadensersatzpflichtig ist. Dann schuldet er von vornherein die Entschädigung, die dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden entspricht, so daß es nur darum gehen kann, ob diese Entschädigung wegen schlechter Vermögensverhältnisse des Schädigers herabzusetzen ist. Das heißt: Die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers kann hier nur dazu führen, daß der Geschädigte in einigen Fällen weniger erhält, als ihm "an sich" zusteht. Diese Gegenüberstellung zeigt, daß es nicht angeht, die in den Ausnahmefällen des § 829 BGB vorgesehene Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers auch auf die Fälle des § 847 BGB zu übertragen, in denen die Schadensersatzpflicht auf anderen Haftpflichttatbeständen beruht; denn diese - abzulehnende - Argumentation liefe darauf hinaus, aus einer allein dem Schutz des Geschädigten dienenden Vorschrift einen generellen Nachteil des Geschädigten herzuleiten. Der Versuch des Großen Senats, die generelle Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers mit dem Hinweis auf § 829 BGB zu begründen, ist also ebenso abzulehnen wie alle anderen bisher erörterten Begründungsversuche. d) Die Würdigung der versicherungs rechtlichen Bezüge Die Würdigung der herrschenden Meinung führt aber außerdem noch zu der Frage, ob die schlechten Vermögensverhältnisse eines nicht versicherten Schädigers nicht jedenfalls deshalb zu einer Herabsetzung der "an sich gebotenen", also allein an dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden ausgerichteten Entschädigung führen müssen,
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weil die Entschädigungen ohne die Existenz der Haftpflichtversicherung - gemeint ist insbesondere die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung - "allgemein niedriger" wären 86• Auch diese Argumentation kann jedoch nicht überzeugen, und zwar schon deshalb nicht, weil die von den deutschen Gerichten zugesprochenen Entschädigungsbeträge jedenfalls in den Fällen, in denen es nicht um die Verletzung des sog. allgemeinen Persönlichkeitsrechts geht, nach verbreiteter Ansicht so niedrig sind, daß noch niedrigere Beträge als eine Mißachtung des Geschädigten angesehen werden müßten. Weitere Einwände gegen die Argumentation ergeben sich aus der näheren Würdigung der einzelnen Fallgruppen. Die erste Fallgruppe bilden die Fälle, in denen der Schädiger nicht zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung verpflichtet war und auch freiwillig keine Haftpflichtversicherung genommen hat. In diesen Fällen steht der entschädigungsmindernden Berücksichtigung der schlechten Vermögensverhältnisse eines nach den allgemeinen Vorschriften des Deliktsrechts haftpflichtigen Schädigers neben den bereits erwähnten Einwänden diese weitere Überlegung entgegen: Die jedermann eingeräumte Freiheit, den erreichten Lebensstandard durch eine nicht sehr prämienaufwendige Haftpflichtversicherung zu sichern oder nicht zu sichern, kann nicht auf Kosten des Geschädigten genutzt werden, weil das Haftpflichtrisiko eindeutig der Sphäre des Schädigers zuzuordnen ist. Das zeigt sich haftungsrechtlich darin, daß dem Geschädigten ein Schadensersatzanspruch zusteht. In dem gleichen Sinne muß auch die versicherungsrechtliche Risikoverteilung ausfallen, weil nur der Schädiger die von ihm ausgehende Gefahr haftungsbegründender Schädigungen beurteilen und beherrschen kann und weil ihm in der Haftpflichtversicherung mit ihren niedrigen und steuerbegünstigten Prämien eine leichte Versicherungsmöglichkeit offen steht. In den hier zu beurteilenden Fällen des § 847 BGB kommt sogar hinzu, daß nur der Schädiger versicherungsrechtliche Vorsorge für den immateriellen Schaden des Geschädigten treffen kann; weil die Haftpflichtversicherung auch die Geldentschädigung für immaterielle Schäden deckt, während dem Geschädigten keine auf die Deckung seines immateriellen Schadens zugeschnittene Versicherungsmöglichkeit gegeben ist. Zu der zweiten Fallgruppe gehören die Fälle, in denen der Schädiger einer Versicherungspflicht schuldhaft nicht nachgekommen ist und deshalb den von der Rechtsordnung vorgesehenen Schutz entweder nicht erlangt oder später verloren hat. Die bekanntesten Beispiele für Konfliktslagen dieser Art spielen im Bereich der Kraftfahrzeugpflichtver86 So Weyers, Unfallschäden, 29 (Friedrich und Sanden).
126, mit weiteren Nachweisen in seiner Fußn.
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sicherung nach dem PflVG. In diesen Fällen soll aber selbst nach der herrschenden Meinung eine Herabsetzung der Geldentschädigung wegen schlechter Vermögensverhältnisse des Schädigers ausgeschlossen sein, weil das PflVG dem Schutz des Geschädigten dient und dieser deshalb durch eine von dem Schädiger begangene vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung seiner Versicherungspflicht keinen Nachteil erleiden darf87 • Als dritte Fallgruppe sind schließlich die Fälle eines schuldlosen Verlustes des Versicherungsschutzes durch eine Pflichtversicherung zu nennen. Sie können nur eintreten, wenn der versicherungspflichtige Schädiger eine Rechtspflicht verletzt hat; denn die schuldlose Verletzung ein~r Obliegenheit führt gern. § 6 VVG nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Aus dem soeben erzielten Grundsatz (keine Berücksichtigung der schlechten Vermögensverhältnisse, wenn der Schädiger schuldhaft den Schutz durch den Pflichtversicherer verloren hat) scheint sich der Schluß zu ergeben, daß die Vermögensverhältnisse des Schädigers bei schuldlosem Verlust des Deckungsschutzes durch einen Pflichtversicherer entschädigungsmindernd zu berücksichtigen sind. Die nähere Untersuchung der möglichen Fallkonstellationen zeigt jedoch, daß dieser Schluß unbegründet ist. Es geht zunächst um die Pflichtversicherungsfälle, in denen der Geschädigte nur Ansprüche gegen den versicherungspflichtigen Schädiger hat, weil dieser schuldlos nicht einmal die Voraussetzungen für die Haftung des Pflichtversicherers gern. § 158 c VVG oder gern. § 3 PflVG begründet hat. Diese Fälle werden selten vorkommen, weil es kaum denkbar ist, daß der Schädiger zwar durch ein versicherungspflichtiges Verhalten eine Schadensersatzverpflichtung gegen sich begründet, aber schuldlos keinerlei Beziehungen zu einem Pflichtversicherer aufgenommen hat. Wenn sie vorkommen, dürfen sie jedenfalls nicht zu Lasten des Geschädigten, nämlich durch eine entschädigungsmindernde Berücksichtigung der (schlechten) Vermögensverhältnisse des Schädigers, gelöst werden, weil der Schädiger "an sich" durch eine Pflichtversicherung entlastet wird; denn die Pflichtversicherung soll hauptsächlich den Geschädigten schützen. Sie darf also nicht zu dessen Nachteil gewendet werden. Die Härten, die sich für den schuldlos nicht pflichtversicherten Schädiger ergeben können, müssen vielmehr durch versicherungs rechtliche Maßnahmen bewältigt werden, etwa durch die Schaffung einer mit der Aufnahme der pflichtversicherten Tätigkeit eintretenden, vorläufigen Pflichtversicherung.
87
Vgl. nur BGH VersR 1961, 727 und 1967, 607.
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Zu betrachten sind ferner die Pflichtversicherungsfälle, in denen der Geschädigte von dem Schädiger und gem. § 158 c VVG oder gem. § 3 PflVG außerdem von dem Pflichtversicherer in den Grenzen der Mindestversicherungssummen Schadensersatz verlangen kann, obwohl der Schädiger durch eine schuldlose Rechtspflichtverletzung seinen (Pflicht-)Versicherungsschutz niemals erlangt oder verloren hat. Fälle \fieser Art sind gegeben, wenn ein Versicherungsnehmer die rechtzeitige Zahlung der Erstprämie schuldlos versäumt hat 88 • Für eine "mitversicherte Person" tritt der schuldlose Verlust des (Pflicht-)Versicherungsschutzes ferner auch dann ein, wenn sie von der schuldhaften Verletzung der versicherungsvertraglichen Pflichten durch den Versicherungsnehmer nichts wußte und wissen konnte 8t • Auch in diesen Fällen ist es nicht vertretbar, den Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den Schädiger (Versicherungsnehmer oder Mitversicherten) wegen dessen schlechter Vermögenslage zu kürzen; denn eine solche Kürzung hätte zur Folge, daß der Geschädigte auch die nach § 158 c VVG oder § 3 PflVG ihm gegenüber leistungspflichtigen Versicherer nicht einmal dann in voller Höhe in Anspruch nehmen könnte, wenn der Schaden innerhalb der Pflichtversicherungssummen (Mindestversicherungssummen) liegt. Das heißt in anderen Worten: Dem Geschädigten würde die Möglichkeit genommen, die gerade zu seinem Schutz geschaffene Haftung der Pflichtversicherer auch bei "krankem" Versicherungsverhältnis voll auszunutzen; und das kann nicht richtig sein. Das soeben erzielte Ergebnis hat auf den ersten Blick harte Konsequenzen für die Schädiger: Sie haben dem Geschädigten den ganzen Schaden zu ersetzen und sind - wenn der Geschädigte gem. § 158 c VVG oder gem. § 3 PflVG vorgeht - dem Pflichtversicherer in Höhe der von ihm erbrachten Leistungen regreßpflichtig. Aus den Gründen, die das erzielte Ergebnis tragen, wäre es jedoch verfehlt, den Schädigern (Versicherungsnehmern und Mitversicherten) auf Kosten des Geschädigten Entlastung zu verschaffen. Geboten ist vielmehr - wie schon in den zuvor besprochenen Fällen - versicherungsrechtliche Abhilfe, die auch bereits in erheblichem Umfang vorhanden ist. Im einzelnen ist dies zu sagen: Wenn der Schädiger selbst Versicherungsnehmer ist und durch schuldlose Rechtspflichtverletzung den (Pflicht-)Versicherungsschutz verloren hat, bleibt es bei den aufgezeigten harten Konsequenzen: Der Schädiger ist dem Geschädigten uneingeschränkt schadensersatzpflich88 Zu der rigiden Rechtsfolge, daß auch bei schuldloser Verletzung der Pflicht zur Zahlung der Erstprämie die Leistungsfreiheit des Versicherers eintritt vgl. PTölss I MaTtin, VVG, § 38 VVG Bem. 4. 89 Vgl. dazu PTölss I MaTtin, VVG, § 158 i VVG Bem. 5.
11 Lorenz
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tig, und der Versicherer, der gem. § 158 c VVG oder gern. § 3 PflVG an den Geschädigten geleistet hat, kann bei ihm in vollem Umfang Regreß nehmen. Fälle dieser Art, also Konstellationen, in denen der Versicherungsnehmer einen Schadensersatzanspruch gegen sich ausgelöst und zugleich - ohne jedes Verschulden - den Versicherungsschutz verloren hat, sind jedoch außerordentlich selten; und falls sie vorkommen, drängen sie nicht dazu, den Schädiger auf Kosten des Geschädigten zu schonen. Sie provozieren vielmehr die rechtspolitische Frage, ob es dabei bleiben darf, daß ein Versicherungsnehmer ohne jedes Verschulden seinen Anspruch auf (Pflicht-)Versicherungsschutz verlieren kann oder ob nicht wenigstens die Regreßansprüche einzuschränken sind9l). Zumindest die letzte Frage ist zu bejahen. Eine versicherungsrechtliche Schonung dieser Art gibt es schon jetzt für Schädiger, die als "mitversicherte Person" (und nicht als Versicherungsnehmer) ohne eigenes Verschulden ihren (Pflicht-)Versicherungsschutz nicht erlangt oder verloren haben, weil der Versicherungsnehmer seine Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag schuldlos oder schuldhaft nicht erfüllt hat. Die Ausgangslage ist hier die gleiche wie in den zuvor behandelten Fällen: Der Schädiger hat dem Geschädigten den Schaden zu ersetzen, und er ist dem - gegenüber dem Geschädigten gern. § 158 c VVG oder gern. § 3 PflVG leistungspflichtigen - Versicherer regreßpflichtig. Diese Ausgangslage ist jedoch auf verschiedene Weise zugunsten des Schädigers korrigiert worden: Soweit die Leistungsfreiheit des Versicherers gegenüber der mitversicherten Person auf einer Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers beruht, greift § 158 i VVG unmittelbar oder in Verb. mit § 3 Nr. 6 PflVG ein. Danach kann der (gern. § 158 c VVG oder gern. § 3 Nr. 1 PflVG leistungspflichtige) Versicherer bei dem schuldlosen Mitversicherten nicht Regreß nehmen. Aus diesem Regreßverbot ist zwar nicht zu entnehmen, daß der Mitversicherte bei Inanspruchnahme durch den Geschädigten von dem Versicherer Befreiung von der Schadensersatzpflicht verlangen kann 81 • Ihm muß aber wegen des Regreßverbots die Möglichkeit eingeräumt· werden, den Geschädigten mit seinen Ansprüchen zunächst auf den Pflichtversicherer zu verweisen9!. 90 Etwa nach dem Muster der "Geschäftsplanmäßigen Erklärung der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer" in der Fassung von 1975, VerBAV 1975, 157, nach der bei Obliegenheitsverletzungen und Gefahrerhöhungen vor Eintritt des Versicherungsfalls auch der Regreßanspruch gegen den Versicherungsnehmer den Betrag von 5000,- DM nicht überschreiten kann. 91 Vgl. dazu Prölss I Martin, VVG, § 158 i VVG Bem.5 mit Nachweisen. 9Z So mit Recht Prölss I Martin, wie vorige Fußn. unter Hinweis auf § 226 BGB, der hier dazu dient, die von dem Gesetzgeber nicht voll durchdachten Konsequenzen des § 158 i VVG zu steuern.
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Im Ergebnis ebenso ist in den Fällen zu entscheiden, in denen die Leistungsfreiheit des Versicherers gegenüber einer mitversicherten. Person nicht auf einer Obliegenheitsverletzung, sondern auf einer Verletzung der Prämienzahlungspfiicht durch den Versicherungsnehmer beruht; denn auch in diesen Fällen genießt der Mitversicherte vollen Regreßschutz: Die nach § 3 Nr.l PfiVG gegenüber dem Geschädigten leistungspfiichtigen Kraftfahrzeughaftpfiichtversicherer können ihn schon deshalb nicht in Regreß nehmen, weil sie für diese Fälle durch die "Geschäftsplanmäßige Erklärung 1973" (VerBAV 1973, 103 unter Nr.2) auf ihre Regreßansprüche verzichtet haben. Die sonstigen Pfiichtversicherer, die gem. § 158 c VVG auch bei "krankem" (Pfiicht-)Versicherungsvertrag an den Geschädigten leisten müssen, erlangen ebenfalls keine durchsetzbaren Regreßansprüche gegen den Mitversicherten, der schuldlos nicht über die Rechtspfiichtverletzung des Versicherungsnehmers informiert war; denn gegen sie ergibt sich die Verteidigung des Mitversicherten aus § 158 i VVG in entsprechender Anwendung93 • Diese Analogie wird zwar überwiegend abgelehnt"; die gegen sie vorgebrachten von Anfang an nicht überzeugenden Einwände sind aber inzwischen noch schwächer geworden: Zunächst durch die erwähnte Geschäftsplanmäßige Erklärung der Kraftfahrzeughaftpfiichtversicherer, die sich - aus welchen Gründen auch immer - dem durch die entsprechende Anwendung des § 158 i VVG erzielten Ergebnis auf die Dauer nicht verschließen konnten. Ein weiterer Hinweis auf die Notwendigkeit der Analogie zeigt sich bei der Beurteilung der Fälle, in denen die Leistungspfiicht eines Sozialversicherungsträgers die Deckungspfiicht der Individualversicherer gem. § 158 c VVG oder § 3 PflVG ausschließt. In solchen Fällen muß der durch den Forderungsübergang nach § 1542 RVO begründete Regreß des Sozialversicherungsträgers gegen den Mitversicherten ebenso ausgeschlossen sein, wie der Regreß der Kraftfahrzeughaftpfiichtversicherer aufgrund der Geschäftsplanmäßigen Erklärung ausgeschlossen ist. Diese Erklärung kann den Sozialversicherungsträgern aber nicht entgegengehalten werden, weil sie daran nicht gebunden sind95 • Das wünschenswerte Regreßverbot läßt sich vielmehr nur dann erreichen, wenn man schon das Regreßverbot für die Haftpfiichtversicherer auf das Gesetz, nämlich auf die analoge Anwendung des § 158 i VVG stützt; 93 Vgl. E. LOTenz, NJW 1971, 2145 H.; deTs., NJW 1972, 2281 ff.; LG Frankenthal NJW 1973, 711. " Vgl. BGHZ 55, 281 ff. und PTölss I MaTtin, VVG, § 158 i VVG Bem.3 mit weiteren Nachweisen. 95 Anders mit sehr aufwendiger, aber letztlich nur im Ergebnis überzeugender Begründung: LG Bad Kreuznach VersR 1979, 715, für den Fall der Nr.l der "Geschäftsplanmäßigen Erklärung". Dazu und zu der hier nicht näher zu behandelnden Gesamtproblematik eingehend und mit eigenständiger Lösung HüffeT, VersR 1980, 785 ff. 11·
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denn dieses gesetzliche Regreßverbot kann auch auf die Sozialversicherungsträger erstreckt werden u6 • Die Vorbehalte gegen die entsprechende Anwendung des § 158 i VVG auf die Fälle der Rechtspflichtverletzungen des Versicherungsnehmers sollten deshalb auch im Interesse einer überzeugenden Beurteilung der Regreßfrage bei Leistungen durch Sozialversicherungsträger aufgegeben werden. Dadurch wird zugleich erreicht, daß der (Mit-)Versicherte in allen Fällen einer Pflichtversicherung (also nicht nur in den Fällen der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung) vor Regreßansprüchen bewahrt bleibt, wenn er schuldlos nicht wußte, daß der Pflichtversicherer wegen einer Verletzung der Prämienzahlungspflicht durch den Versicherungsnehmer leistungsfrei geworden ist. Aufgrund der Betrachtung der wichtigsten Fallkonstellationen zur haftpflichtversicherungsrechtlichen Lage des Schädigers kann man somit zusammenfassend dies sagen: Auch das Fehlen eines Versicherungsschutzes des Schädigers berechtigt nicht dazu, seine schlechten Vermögensverhältnisse entschädigungsmindernd zu berücksichtigen. Die für den Schädiger entstehenden Härten sind nicht im Haftungsrecht, sondern im Versicherungsrecht zu mildern. Das ist in den wichtigsten Fällen auch bereits geschehen. 3. Ergebnis Die gesamte Untersuchung zur Relevanz der Vermögensverhältnisse der Parteien führt damit zu diesem Ergebnis: Bei der Bemessung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB sind weder die Vermögensverhältnisse des Geschädigten noch die Vermögensverhältnisse des Schädigers zu berücksichtigen. Es ist ferner unerheblich, ob die Parteien versichert sind oder nicht. 111. Die sowohl gegen die Berücksichtigung des Verschuldensgrads des Schädigers als auch gegen die BerOcksimtigung der Vermögensverhältnisse der Parteien gerichteten Einwände
1. Die Gefahr der Oberschreitung des Opferrisikos für den Geschädigten Die bisher vorgebrachten Einwände gegen den Versuch, die allein an dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden ausgerichtete Entschädigung durch entschädigungsmindernde Berücksichtigung weiterer Umstände herabzusetzen, eröffnen zusammengenommen die Einsicht, daß das Opferrisiko des Geschädigten nicht erhöht werden darf. Es umfaßt bereits das allgemeine Lebensrisiko, das Unglücksrisiko, zu dem auch die Gefahr der Schädigung durch nicht deliktsfähige Perso96
So BGH VersR 1976, 870 ff.
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Verschuldensgrad und Vermögensverhältnisse
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nen gehört, und das Risiko der Insolvenz eines haftpflichtigen Schädigers. Die Gerichte haben es in den letzten Jahren zusätzlich dadurch erhöht, daß sie das allgemeine Lebensrisiko stärker betont und mehr und mehr ausgedehnt haben97 • Sie haben dadurch der Tendenz entgegengewirkt, durch die weite Ausdehnung des Schutzzwecks der Haftungsnormen, durch die Schöpfung weitreichender allgemeiner Verhaltensnormen (Verkehrspflichten) und durch großzügige Bejahung eines Verschuldens zu Schadensersatzansprüchen zu gelangen. Diese die Haftungsbegründung erschwerende Tendenzwende verbietet es, das Opferrisiko des Geschädigten auch noch in den Fällen zu erhöhen, in denen die Haftungsvoraussetzungen eindeutig vorliegen. Sie unterstützt also die bereits genannten Einwände gegen alle Bestrebungen, die allein an dem entschädigigungspflichtigen immateriellen Schaden ausgerichtete Entschädigung durch entschädigungsmindernde Berücksichtigung des Verschuldensgrads des Schädigers und der Vermögensverhältnisse der Parteien zu kürzen. 2. Die "praktischen" Schwierigkeiten Gegen die entschädigungsmindernde Berücksichtigung der genannten Umstände ist schließlich noch ein Einwand vorzutragen, der in der vorangegangenen Untersuchung bereits an verschiedenen Stellen berührt worden ist. Er besteht in dem Hinweis auf die praktischen Schwierigkeiten, die mit einer solchen Bemessung verbunden sind. Der Einwand ist sicher nur am Rande bedeutsam. Man kann aber immerhin sagen: Der von dem Schädiger verwirklichte Fahrlässigkeitsgrad wird sich in kaum einem Fall unbestreitbar feststellen lassen 98 und das Erkenntnisverfahren ist - anders als das Vollstreckungsverfahren - auch kaum dazu geeignet, ein hinreichend genaues Bild über die Vermögensverhältnisse der Parteien zu vermitteln. Außerdem führt die - abzulehnende - Ermittlung der Vermögensverhältnisse zu einer unvertretbaren Ausforschung des Geschädigten, zu einer ebenfalls nicht wünschenswerten Verlängerung der Prozesse und zu Entscheidungsgründen, die in vielen Fällen angreifbar sein werden und deshalb ihre Befriedungsfunktion nicht erfüllen können. Darüber hinaus ist zu befürchten, daß die bei der gebotenen Anwendung des § 847 BGB vermeidbaren und deshalb von den Gerichten und nicht von den Parteien zu verantwortenden Schwierigkeiten unhaltbare Reaktionen auslösen werden: Etwa die, daß die Entschädigung erhöht wird, weil der 97 Vgl. aus der Rechtsprechung des BGH zu allen Bereichen des Schadensersatzrechts nur: BGHZ 27, 138 ff., 141; BGHZ 46, 327; BGH NJW 1968, 2287; BGHZ 56, 163; BGHZ 58, 162; BGH NJW 1971, 1982 ff., 1983. Vgl. ferner zum Ganzen: Hermann Lange, Schadensersatzrecht, 100 f. (§ 3 XI. 4.), sowie Mädrich, Das allgemeine Lebensrisiko, 1980. 98 Vgl. dazu Mayer-Maly, AcP 163 (1963) 114 ff.
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§ 5: Bei der Entschädigung zu berücksichtigende Umstände
Schädiger oder sein Versicherer nicht sofort zahlen", sondern nach Aufklärung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens außerdem die genaue und zeitaufwendige Aufklärung der weiteren Umstände des Falles verlangen. Man kann schließlich ohne große übertreibung behaupten, daß die in den unzähligen Urteilen festgesetzten Entschädigungen kaum anders ausgefallen wären, wenn die Gerichte sie lediglich nach dem Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens bemessen hätten.
D. Zusammenfassung Die in diesem Untersuchungsabschnitt behandelte Frage nach den bei der Festsetzung der Geldentschädigung zu berücksichtigenden Umständen läßt sich damit aufgrund der erzielten Einzelergebnisse so beantworten: Zu berücksichtigen ist jedenfalls das Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens. Auch in den Entschädigungsfällen des § 847 BGB gibt es eine "an sich gebotene Entschädigung". Es ist die Entschädigung, die dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden entspricht (Einsatzentschädigung). Die Einsatzentschädigung bezeichnet den Geldbetrag, den der Geschädigte höchstens verlangen kann. Die in § 847 BGB erwähnte Billigkeit ermächtigt die Gerichte - entgegen der früheren Rechtsprechung des BGH (BGHZ 7, 223 ff.) - nicht nur zu einer angemessenen Umsetzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld. Sie eröffnet vielmehr zusätzlich die Möglichkeit, neben dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden auch andere Umstände des zu beurteilenden Falles in den Bemessungstatbestand für die Geldentschädigung einzubeziehen. Sie ist jedoch nur Öffnungs- und nicht auch Begründungsklausel. Sie erspart den Gerichten also nicht die Begründung für die Ausweitung des Bemessungstatbestands. Die Frage, welche Umstände neben dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden zu berücksichtigen sind, läßt sich nicht von Fall zu Fall beantworten. Der Bemessungstatbestand kann allenfalls generell, also für alle Fälle, erweitert werden. Als generell zu berücksichtigende Bemessungsfaktoren waren aufgrund des vorliegenden Fallmaterials der Verschuldensgrad des Schädigers und die Vermögensverhältnisse einschließlich der etwaigen Versicherungen der Parteien in Betracht zu ziehen. Es war also die Frage 911
Vgl. dazu oben § 3 B. IX.
D. Zusammenfassung
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aufzuwerfen, ob die allein an dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden ausgerichtete Geldentschädigung wenigstens dann herabzusetzen ist, wenn eine leicht fahrlässige Schädigung vorliegt und der Geschädigte in besonders günstigen und der Schädiger in besonders ungünstigen Vermögensverhältnissen lebt. Die entschädigungsmindernde Berücksichtigung der genannten Umstände ist jedoch abzulehnen, weil sie die haftungsrechtliche und die versicherungsrechtliche Risikoverteilung ohne überzeugende Begründung zum Nachteil des Geschädigten korrigiert und deshalb das Opferrisiko des Geschädigten ungerechtfertigt erhöht, weil sie das Erkenntnisverfahren überfordert und weil sie deshalb - wenn sie überhaupt versucht worden ist - die Verfahrensdauer verlängert und dazu geführt hat, daß die Qualität und die Durchschaubarkeit der Urteilsgründe kritisiert werden konnten. Im Ergebnis bestätigt die Untersuchung damit die frühere Ansicht des BGH (BGHZ 7, 223 ff.), nach der die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB allein an dem Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens auszurichten ist. Die Begründung ist allerdings wesentlich verschieden: Der BGH ist in seiner früheren Rechtsprechung von einem restriktiven Verständnis der in § 847 BGB erwähnten Billigkeit ausgegangen. Er hat in ihr von vornherein nur die Ermächtigung zu einer angemessenen Umsetzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld gesehen. Mit der Billigkeit sollte nach den Vorstellungen des Gesetzgebers jedoch zusätzlich die Möglichkeit eröffnet werden, den Bemessungstatbestand für die Geldentschädigung zu erweitern. Diese heuristische Option kann jedoch nicht genutzt werden, weil sich die Erweiterung des Bemessungstatbestands nicht überzeugend begründen läßt.
§ 6: Die Festsetzung der Geldentschädigung A. Der durch die Untersuchungsergebnisse bestimmte Ansatz Der Ansatz für die Beantwortung der schließlich noch zu behandelnden Frage, wie die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB festzusetzen ist, ergibt sich aus den bereits erzielten Ergebnissen. Dazu gehört zunächst der in § 3 dieser Untersuchung gewonnene Befund über den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB. Danach sind nur der äußere immaterielle Verletzungsschaden und der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden in Geld zu entschädigen. Im einzelnen heißt das: Zu entschädigen ist als äußerer immaterieller Verletzungsschaden der immaterielle Schaden, der allein darin besteht, daß der Geschädigte eine haftungsbegründende Verletzung eines seiner in § 847 BGB genannten Rechtsgüter oder eines sonstigen (aus dem sog. allgemeinen Persönlichkeitsrecht gewonnenen) Persönlichkeitsrechts und damit eine äußere Störung seiner persönlichen Integrität hinnehmen mußte. Seine innere Reaktion auf diese Verletzung, also der Gefühlsschaden, ist dagegen nicht nur nicht aufzudecken, sondern völlig unerheblich. Zu entschädigen ist ferner als zweiter Schadensposten, nämlich als äußerer immaterieller Verletzungsfolgeschaden, der immaterielle Schaden, den der Geschädigte durch das Fortwirken der haftungsbegründenden Verletzung seiner persönlichen Integrität als Einbuße an äußerer Entfaltungsfähigkeit und -freiheit vorübergehend oder dauernd erleidet. Auf eine vorübergehende oder dauernde Gefühlsstörung des Geschädigten kommt es wiederum nicht an. Es ist deshalb auch unerheblich, ob der Geschädigte nach der Verletzung noch zu Gefühlsreaktionen fähig ist oder nicht. Zu den Ergebnissen, die den Ausgangspunkt für die weiteren überlegungen bestimmen, gehört ferner die in § 4 dieser Untersuchung gewonnene Erkenntnis über die Funktion der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB. Danach ist allein eine Ausgleichsfunktion anzunehmen, und auch sie besagt nicht, daß mit der Geldentschädigung eine Naturalrestitution zu erstreben, also (gern. § 249 BGB) der Zustand herzustellen sei, "der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre"; denn die Geldentschädigung kann nur unter der Voraussetzung des § 251 BGB, also nur als Ersatz oder Ergänzung der Naturalrestitution verlangt werden. In den Fällen des
B. Bewertung des Schadens in Geld
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§ 847 BGB erfordert die Ausgleichsfunktion demnach einen Ausgleich durch Geldzahlung, deren Höhe durch die Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld zu bestimmen ist.
Zu beachten ist schließlich das in § 5 dieser Abhandlung enthaltene Ergebnis der Untersuchung über die bei der Festsetzung der Geldentschädigung zu berücksichtigenden Umstände des jeweils zu beurteilenden Schadensfalles. Danach kommt es einzig und allein auf das Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens an. Insgesamt ergibt sich damit für die weiteren überlegungen dieser Ausgangspunkt: Bei der Festsetzung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB geht es um die Bewertung des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens in Geld. B. Die Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld I. Die Billigkeit als Bewertungsma8stab
Der soeben gewonnene Ansatz offenbart zunächst ohne weiteres die Funktion der in § 847 (in der "billigen Entschädigung in Geld") erwähnten Billigkeit: Sie ist nur Maßstab für die Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld, hat also nur diesen Schaden als Bewertungsgegenstand, und sie ist der einzige Maßstab, den das Gesetz bietet. Sie erfordert hier - wie stets - eine Konkretisierung. Es fehlt deshalb nicht an Konkretisierungsvorschlägen: an eindeutig abzulehnenden und an erwägenswerten. D. Die Konkretisierung
1. Die abzulehnenden Konkretisierungsvorschläge Vorherrschend sind solche Vorschläge, die auf der Entschädigungspflichtigkeit des Gefühlsschadens, der Genugtuungsfunktion, auf naturalrestitutiven Zielsetzungen oder auf der Vorstellung beruhen, daß "alle" (oder alle erheblichen, in Betracht kommenden usw.) Umstände des zu beurteilenden Falles bei der Festsetzung der Geldentschädigung zu berücksichtigen seien. Entschädigungen i. S. des § 847 BGB werden danach etwa als billig angesehen, wenn sie das gestörte Gleichgewicht des Geschädigten wieder herstellen oder seine seelische Unbill durch Lustgefühle ausgleichen oder ihm Genugtuung verschaffen. Alle diese Vorschläge zur Konkretisierung der Billigkeit sind nach den in der vorangegangenen Untersuchung erzielten Ergebnissen abzulehnen, weil der Gefühlsschaden nicht entschädigungspflichtig ist, weil die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB keine Genugtuungsfunktion hat und
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§ 6:
Festsetzung der Entschädigung
keine Naturalrestitution bewirken kann und weil es nicht auf alle Umstände des Einzelfalles ankommt, sondern nur auf das Ausmaß des entschädigungspflichtigen Schadens. Die Beruhigung der Gefühlslage des Geschädigten und seine Bereitschaft, die Entschädigung als angemessen oder als Genugtuung zu akzeptieren, sind damit lediglich wünschenswerte Reflexwirkungen, die zwar stets zu erhoffen sind, aber keine die Höhe der Entschädigung bestimmenden Ziele sein können1 • Abzulehnen ist ferner der Versuch, den Bewertungsmaßstab "Billigkeit" mit der gelegentlich erwähnten Frage zu konkretisieren, für wieviel Geld ein Durchschnittsbürger den eingetretenen entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden auf sich nehmen würde; denn eine solche Methode zur Bestimmung eines "Marktpreises" für diesen Schaden ist sittenwidrig und zumindest in den Fällen einer schweren Verletzung zusätzlich mit dem Satz zu verwerfen, den Lord Denning so formuliert hat: "No one would suffer (this loss) for all the Gold in the Bank of England2 ." Nur der Vollständigkeit halber ist schließlich noch zu erwähnen, daß mit der billigen Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens selbstverständlich auch nicht eine Bewertung nach der Willkür des jeweils zuständigen Richters gemeint ist3 •
2. Die Billigkeit als Gebot der Bewertung nach den allgemeinen sozialen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten Weiterführend ist dagegen die Annahme, mit der "billigen" Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld werde von den Gerichten eine "soziale Wertentscheidung" gefordert. Diese der Sache nach im in- und ausländischen Schrifttum4 auftauchende Richtlinie ist allerdings nicht sehr glücklich formuliert. Gemeint ist eine Bewertung nach den allgemeinen, also von den individuellen Verhältnissen der Parteien losgelösten, sozialen, ökonomischen und 1 Im Ergebnis ebenso schon Eickhoff, Die Bemessung des Schmerzensgeldes als Sonderform des Anspruchs auf Wiedergutmachung, Diss. jur. Hamburg 1957, 83 ff.; Donaldson, AcP 166 (1966) 462 ff., 470 f. mit weiteren Nachweisen. Zur rechtsethischen Problematik vgl. auch oben § 4 A. II. 3. d) (Text bei Fußn. 56). 2 Zitiert nach Donaldson, AcP 166 (1966) 462 ff., 472. 3 Vgl. BGH VersR 1976, 967 ff., 968. 4 Vgl. z. B. Henke, Schmerzensgeldtabelle, 133 unter Nr.5 ("Soziale Bewertung"); Donaldson, AcP 166 (1966) 462 ff., 472, zum deutschen und englischen Recht ("soziale Wertentscheidung"); ebenso Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 81 f.; vgl. ferner Ciupka, VersR 1976, 226 ff., 227 ("allgemeine Anschauung der Bevölkerung"); und Lammich, VersR 1979, 798 ff., 801, zum polnischen Recht.
B. Bewertung des Schadens in Geld
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organisatorischen Gegebenheiten des Rechtsgebiets, nach dessen Recht die Entschädigung festzusetzen ist. Diese Konkretisierung der Billigkeit wirft sofort die Frage auf, wie denn eine diesen Anforderungen genügende Bewertung im einzelnen vorzunehmen ist. Die allgemeine Antwort muß lauten: Zu würdigen sind die bereits in vergleichbaren Fällen ergangenen Entscheidungen und außerdem der Wandel der allgemeinen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten in der Gesellschaft, der - wie etwa der Wandel der ökonomischen Gegebenheiten - in amtlichen Statistiken und im übrigen in allgemeinen Bewertungsströmungen, in der Kritik an der bisherigen Rechtsprechung und in den sie aufgreifenden Anträgen der Parteien zum Ausdruck kommt.
3. Die Bedeutung der Schmerzensgeldtabellen a) Die grundsätzliche Eignung der Schmerzensgeldtabellen als Entscheidungshilfe Die ständig in großer Zahl ergehenden und veröffentlichten Urteile sind deshalb als Entscheidungshilfe besonders geeignet, weil sie verschiedenartige, nicht nur durch die individuellen Verhältnisse der Prozeßparteien, sondern auch durch allgemeine Gegebenheiten bestimmte Vorstellungen zur Bewertung immaterieller Schäden in sich vereinigen: Es sind einmal die Vorstellungen der Bürger in der Geschädigtenund der Schädigerposition, die durch die Kläger und die Beklagten repräsentiert werden; ferner die Vorstellungen der Versicherer, die zumindest bei Schädigungen durch Straßenverkehrsunfälle an den Verfahren beteiligt sind, und schließlich die Vorstellungen der Richter, die den Vortrag der Parteien und das in der rechtswissenschaftlichen und sonstigen Literatur zu findende Material zu würdigen hatten. Man kann die Urteile deshalb geradezu als das Produkt der in der Gesellschaft relevanten Bewertungsvorstellungen ansehen. Sie erfüllen damit als Datum für die Bewertung immaterieller Schäden weitgehend die Funktion, die bei Sachschäden den Daten zukommt, aus denen sich die Marktpreise ergeben. Es ist daher geradezu geboten, die laufend ergehenden Entscheidungen zu sammeln und den Gerichten als Hilfe für ihre Arbeit gegliedert an die Hand zu geben. Die in rascher Auflagenfolge erscheinenden sog. "Schmerzensgeldtabellen"5, in denen 5 Vgl. nur Hacks, Schmerzensgeldbeträge, 8. Aufl., und die dort genannten weiteren Übersichten (Lieberwirth, Schmerzensgeld, 3. Aufl., 1965, 189 ff., der seiner leider inzwischen veralteten Tabelle eine besonders eindrucksvolle "systematische Darstellung" vorangestellt hat; und Schunack); ferner Muhsal, Schmerzensgeld und Schadensersatz, 1969, 101 ff. Zusammenstellungen neuer Entscheidungen bieten außerdem Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 17. Aufl., Kap.7 Rdz.41, sowie Hellwig, Der Schaden, Anhang I (Loseblattsammlung).
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§ 6: Festsetzung der Entschädigung
hauptsächlich Urteile über die Bewertung immaterieller Schäden bei Körper- und Gesundheitsverletzungen zusammengestellt werden, erweisen sich damit als ein notwendiges Hilfsmittel für die Bewertung immaterieller Schäden. b) Die Voraussetzungen der Entscheidungshilfe durch Schmerzensgeldtabellen Diese Bedeutung haben sich die Schmerzensgeldtabellen in der Rechtsprechung und insbesondere in der Regelungspraxis der Haftpflichtversicherer auch bereits erobert: Sie liefern in den Fällen der Körper- und Gesundheitsverletzungen den prägenden Ausgangspunkt für die Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld. Diese Entwicklung ist jedoch mit den Grundsätzen der von dem Großen Senat des BGH für Zivilsachen begründeten herrschenden Meinung nicht zu vereinbaren. Nach diesen Grundsätzen soll die Geldentschädigung hauptsächlich den Gefühlsschaden ausgleichen6 • Sie soll deshalb nicht nur eine Ausgleichs-, sondern auch eine Genugtuungsfunktion 7 haben. Außerdem sollen bei der Festsetzung ihrer Höhe neben dem in erster Linie bedeutsamen Schadensumfang auch alle anderen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden 8 • Folgt man dem, so wird sich kaum jemals feststellen lassen, daß ein Fall annähernd so liegt wie ein anderer: schon deshalb nicht, weil der Gefühlsschaden selbst bei gleicher äußerer Verletzung völlig verschieden sein kann. Außerdem hätte der Bemessungstatbestand, der "alle Umstände des Einzelfalls" umfassen soll, mindestens elf9 weitere Variable, von denen der Verschuldensgrad des Schädigers, die Vermögensverhältnisse der Parteien, der Anlaß der Verletzung und das Mitverschulden die wichtigsten sind. Von all diesen Bemessungsfaktoren ist jedoch in den vorhandenen Schmerzensgeldtabellen nicht die Rede. Sie beschränken ihren Bericht über die gesammelten Entscheidungen im wesentlichen auf Mitteilungen über den von den Gerichten festgestellten Umfang der äußeren Verletzungen und Verletzungsfolgen und über die Höhe der Entschädigung. Mehr können sie auch nicht leisten, weil die nach der herrschenden Meinung außerdem noch zu berücksichtigenden Bemessungsfaktoren in den Entscheidungen kaum erörtert werden und weil ein deDazu oben § 2 A. I. Vgl. dazu oben § 2 B. I. 8 Vgl. dazu oben § 2 B. U. D So im Anschluß an SprengeT, DAR 1977, 42, der sie einzeln aufzählt, mit Recht BeTgeT, VersR 1977, 877 ff., 878. 6
7
B. Bewertung des Schadens in Geld
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taillierter Bericht über alle diese Umstände nur zeitigen könnte, daß die Fälle und damit auch die Entscheidungen nicht vergleichbar sind. Aus der Sicht der herrschenden Meinung ist es deshalb auch bedenklich, wenn der BGH die Instanzgerichte nach wie vor anweist, bei der Bemessung der Geldentschädigung einerseits alle Umstände des zu beurteilenden Falles zu würdigen, den Fall also völlig zu individualisieren, und andererseits die nach den Schmerzensgeldtabellen "in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Beträge" nicht ohne Grund zu überschreiten 10 ; denn diese Anweisungen schließen sich gegenseitig aus. Im einzelnen heißt das: wenn es auf alle Umstände des jeweils zu beurteilenden Falles ankommt, können die in den einzelnen Fällen festgesetzten Entschädigungen nicht miteinander verglichen werden, weil kaum ein Fall in "allen Umständen" mit einem anderen übereinstimmen wird. Für die Arbeit mit Schmerzensgeldtabellen, die den Fallvergleich erleichtern sollen, ist also bei diesem Ansatz kein Raum. Ein Fallvergleich wird erst möglich, wenn es nicht auf die jeden Fall individualisierenden, sondern auf die in allen Fällen vergleichbar auftretenden, typisierenden Umstände ankommt und ein Fall dem anderen schon dann gleichzustellen und wie jener zu beurteilen ist, wenn er mit ihm in den typischen Umständen übereinstimmt. Deshalb werden die in den Schmerzensgeldtabellen gesammelten Entscheidungen nach typisierenden Umständen unterschieden, nämlich nach den äußeren Verletzungen und Behinderungen, die der Geschädigte in dem entschiedenen Fall erlitten hat. Die Orientierung an Schmerzensgeldtabellen kann den Gerichten also nur anheim gegeben werden, wenn bei der Bemessung der Geldentschädigung nicht "alle Umstände" des zu beurteilenden Falles zu berücksichtigen sind. Das soeben geschilderte Dilemma hat auch Henke in seiner im Jahre 1969 erschienenen, sehr eindringlichen Untersuchung über die Schmerzensgeldtabellen gesehen 11 • Er hat jedoch angenommen, daß es unter bestimmten V öraussetzungen doch möglich sei, auf der Grundlage der herrschenden Meinung über die zu berücksichtigenden Bemessungsfaktoren mit den Schmerzensgeldtabellen zu arbeiten. Im einzelnen hat er gemeint: die Gerichte müßten ausführlicher als bis dahin auf die nach der herrschenden Meinung zu berücksichtigenden vielfältigen Bemessungsfaktoren eingehen und damit die Erarbeitung detaillierter Schmerzensgeldtabellen ermöglichen. Außerdem müßten sie bei der Vgl. BGH VersR 1976, 967 ff., 968 sowie 969, wo er auf die Tabellen von und die Übersicht von Hetlwig verweist und von "vergleichbaren Fällen" spricht. Vgl. dazu auch Henke, Schmerzensgeld tabelle, 134 unter Nr. 9: Überschreitung des aus den Schmerzensgeldtabellen zu entnehmenden Bemessungsspielraums ist revisibler Rechtsfehler. 11 Vgl. Henke, Schmerzensgeldtabelle, 134 f. unter Nr.15 und 16 sowie die dort genannten Nachweise. 10
Hacks
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§
6: Festsetzung der Entschädigung
Bemessung der Geldentschädigung einen - vom Großen Senat als unrichtig12 bezeichneten - zweistufigen Gedankengang befolgen und zunächst die allein an der "Schwere der Verletzung" ausgerichteten und "an sich angemessenen" Entschädigung festsetzen und dann in einem zweiten Schritt die sonstigen Bemessungsfaktoren würdigen und die Entschädigung entweder erhöhen oder herabsetzen. Die Gerichte haben aber - soweit ersichtlich - ihre Arbeitsweise nicht geändert und die Schmerzensgeldtabellen sind auch nicht detaillierter geworden; sie werden aber nach wie vor verwendet. Das geschilderte Dilemma der herrschenden Meinung wird also dadurch bereinigt, daß im wesentlichen nur die in den Schmerzensgeldtabellen erwähnten Umstände berücksichtigt werden, also die äußeren Verletzungen und Behinderungen des Geschädigten. Das heißt: Die Fälle werden schon dann als gleichartig angesehen und gleichartig beurteilt, wenn der Geschädigte gleichartige äußere Verletzungen und Behinderungen erlitten hat. Die Praxis bestätigt damit der Sache nach die in dieser Abhandlung entwickelte, von der herrschenden Meinung abweichende Ansicht, daß die Festsetzung der Geldentschädigung lediglich eine Bewertung des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens in Geld erfordert; denn nur unter dieser Voraussetzung ist die Heranziehung der üblichen Schmerzensgeldtabellen überhaupt vertretbar. Diese überlegungen bekräftigen zugleich die weitere in dieser Untersuchung13 erarbeitete Einsicht, daß der ohnehin nur durch Mutmaßungen, Spekulationen und unzuverlässige Schätzungen faßbare Gefühlsschaden, also die seelische Unbill, die Störung des inneren Gleichgewichts usw., völlig unerheblich ist. c) Die Grenzen der Entscheidungshilfe
durch Schmerzensgeldtabellen
Auch wenn die Festsetzung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB nach der hier vertretenen Ansicht lediglich eine Bewertung des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens in Geld erfordert, können die Schmerzensgeldtabellen doch nur eine begrenzte Entscheidungshilfe bieten. Zu bedenken ist zunächst, daß die in ihnen zusammengestellten Präjudizien nach deutschem Recht nur unverbindliche Quellen der Rechtserkenntnis darstellen l4 , und somit nur dazu dienen, dem Richter einen Eindruck von den in der Gesellschaft vorherrschenden Bewertungs12
13
BGHZ (GS) 18, 149 ff., 164. Vgl. oben § 3 A. I. 5. (Zusammenfassung).
14 Vgl. dazu die eindringlichen Ausführungen von Henke, Schmerzensgeldtabelle, 106 ff. und 134 unter Nr. 12 (Zusammenfassung).
B. Bewertung des Schadens in Geld
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vorstellungen16 zu vermitteln. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß der durch sie gewonnene Eindruck stets mit Vorbehalt zu versehen ist. Solche Vorbehalte sind einmal dann angebracht, wenn die das Niveau der Bemessung prägenden Urteile aufgrund einer besonderen Diskussionslage mit nUr vorübergehender Wirkung ergangen sind. So liegt es bei den Geldentschädigungen wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die im Vergleich zu den Entschädigungen in anderen Fällen des § 847 BGB nach Ansicht vieler 16 zu hoch angesetzt werden. Ein Grund für diese Fehlentwicklung liegt darin, daß der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ohne den Gesetzgeber und gegen § 253 BGB durchgesetzt werden sollte und deshalb mit großem publizistischem Aufwand betrieben und eher überbetont worden ist. Schon aus diesem Grunde mußte es - im Verhältnis zu den im Wortlaut des § 847 BGB genannten Fällen - zu überhöhten Entschädigungen kommen. Diese Tendenz wurde dadurch verstärkt, daß die Schädiger häufig Repräsentanten zahlungskräftiger Unternehmen waren und die Verletzungen zur Förderung der Geschäfte eingesetzt hatten17 ; denn in solchen Fällen verlockt vieles dazu, das Schadensersatzrecht mit einer Straffunktion zu überlasten und bei der Bemessung der Entschädigung nicht - wie es geboten ist - an den Schaden, sondern - strafrechtlich - vor allem an die Art und Weise der Verletzungshandlung anzuknüpfen. Der unbefriedigende Zustand wurde deutlich, als der Anspruch "fest etabliert" war und der Persönlichkeitsrechtsschutz nicht mehr "dynamisch" betrieben werden mußte. Das zunehmende Unbehagen hat sich auch sehr bald in der Rechtsprechung niedergeschlagen: die Gerichte haben die Voraussetzungen für den Anspruch auf Geldentschädigung erhöht und eine "erhebliche" Beeinträchtigung und (oder) "schweres" Verschulden des Schädigers gefordert. Diese Reaktion ist aus den bereits am Anfang dieser Untersuchung vorgetragenen Gründen18 abzulehnen. Die Gerichte müssen statt dessen den Schritt tun, der sachlich geboten ist: sie müssen das Niveau der Geldentschädigungen für Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts senken. Gegen die Schmerzensgeldtabellen besteht weiterhin der Vorbehalt, daß sie nur sehr knapp und grobschlächtig über den Inhalt der in ihnen zusammengestellten Entscheidungen berichten können. Sie erleichtern 15 Vgl. dazu oben a). 18 Vgl. etwa: Schneider, JZ 1962, 277; Wiese, Immaterieller Schaden, 43; Lieberwirth, Schmerzensgeld, 3. Aufl., 53, mit eindrucksvollem Fallvergleich; TepZitzky, NJW 1966, 388 und NJW 1968, 1315; Berger, VersR 1977, 877; Hupfer, JZ 1977, 781 ff., 783 mit eklatanten Belegen und weiteren Nachweisen. 17 Vgl. dazu Staudinger I Schäfer, § 847 BGB Rdz. 162. 18 Vgl. oben § 1 A. II. 2. (Text nach Fußn. 29).
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§ 6:
Festsetzung der Entschädigung
also nur die Suche der einschlägigen Entscheidungen, ersparen aber nicht das nähere Studium der Entscheidungsgründe. Es ist schließlich dies zu bedenken: Der entschädigungspfiichtige immaterielle Schaden i. S. des § 847 BGB wird bei der notwendigen genauen Aufklärung selbst dann in jedem Falle eine besondere Dimension haben, wenn man - wie es geboten ist - nur den äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden für entschädigungspflichtig hält. d) Ergebnis Im Ergebnis kann man deshalb sagen: Die Schmerzensgeldtabellen vermitteln einen Eindruck darüber, wie der durch Körper- und Gesundheitsverletzungen entstehende äußere immaterielle Verletzungsund Verletzungsfolgeschaden allgemein in Geld bewertet wird und zu bewerten ist. Sie dienen also der Konkretisierung des Bewertungsmaßstabs "Billigkeit". Der durch sie vermittelte Eindruck ist aber aus verschiedenen Gründen nur begrenzt zuverlässig. Solange die Gerichte das sehen und ernst nehmen, werden die Schmerzensgeldtabellen entgegen der Befürchtung des Großen Senats 19 auch dann nicht zu "Knochen-" oder "Gliedertaxen" denaturiert werden, wenn - wie es geboten ist lediglich der äußere immaterielle Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden als entschädigungspfiichtig angesehen wird.
4. Das besondere Problem des Wandels der Bewertungsgrundlagen a) Die Möglichkeiten des Wandels Ein besonderes Problem der Bewertung des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens in Geld anhand des Bewertungsmaßstabs "Billigkeit", also anhand der allgemeinen sozialen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten in der Gesellschaft20 , bildet die Berücksichtigung des Wandels der Faktoren. Sobald sich ein solcher Wandel abzeichnet, dürfen die Gerichte nicht mehr dem Eindruck folgen, den sie aus den Schmerzensgeldtabellen gewonnen haben21 ; denn dieser ohnehin nur bedingt zuverlässige Eindruck beruht auf den Bewertungsgrundlagen von "gestern". Den wichtigsten Wandlungsfaktor bildet die ökonomische Entwicklung. Es wird deshalb der Sache nach auch überwiegend anerkannt, daß 19
20 21
BGHZ (GS) 18, 149 ff., 163. Vgl. dazu oben unter 2. In diesem Sinne auch BGH VersR 1976, 967 ff., 968.
B. Bewertung des Schadens in Geld
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sich etwa allgemeine Einkommensverbesserungen und auch ein etwaiger Geldwertschwund22 auf die Bewertung des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens in Geld auswirken und zu höheren Entschädigungen führen müssen. Möglich ist aber auch, daß sich unabhängig von der ökonomischen Entwicklung ein Bewertungswandel ergibt, etwa weil sich die Einstellung der Gesellschaft zu den immateriellen Schäden insbesondere der schwer und dauerhaft Verletzten ändert. Bewertungsströmungen dieser Art zeigen sich in einer an den Bundestag gerichteten Petition der "Aktionsgemeinschaft der deutschen Rechtsanwälte", in der auch eine entsprechende Änderung des § 847 BGB gefordert worden ist 23 • b) Die Grenzen der Anerkennung des Wandels Insbesondere die Bemühungen um höhere Geldentschädigungen haben die Frage aufgebracht, ob bei der Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld auch die Folgen für die Prämienentwicklung der Haftpflichtversicherung, insbesondere der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, zu berücksichtigen sind. Die Frage ist in Rechtsprechung und Schrifttum vereinzelt mit der Begründung bejaht worden, daß ein großer Teil der Bevölkerung auf die Benutzung eines Pkw's verzichten müsse, wenn die Entschädigungen erhöht werden und deshalb eine erhebliche Anhebung der Versicherungsprämien geboten ist24 • Der BGH hat sich dieser Ansicht tendenziell angeschlossen, indem er meint, der Tatrichter habe dafür zu sorgen, daß eine der Versichertengemeinschaft nicht zumutbare "Aufblähung des allgemeinen Schmerzensgeldgefüges" unterbleibe 25 • Diese Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht bedenklich. Im einzelnen ist dies zu sagen: Die Geldentschädigungen gern. § 847 BGB dürfen allerdings nicht "aufgebläht" werden. Von einer Aufblähung kann aber nur gesprochen werden, wenn die Entschädigungen die durch das inländische Sozial- und Wirtschaftsgefüge begründeten Vorstellungen 22 Vgl. neben dem in der vorigen Fußn. genannten Urteil des BGH aus der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte: OLG Köln VersR 1973, 641; OLG Karlsruhe NJW 1973, 851 und DAR 1975, 158; KG DAR 1974, 124; OLG Saarbrücken NJW 1975, 1467. 23 Vgl. FAZ v. 23.4.1976, S.8, zit. nach Kötz, FS f. v. Caemmerer, 389 ff., 390 Fußn.5. Ebenso schon wiederholt Gelhaar, z. B. BB 1966, 1317; Teplitzky, NJW 1966, 388; Hacks, NJW 1975, 1450 ff., 1451 und dies., DAR 1977, 181 ff.; 183. 24 So insbesondere OLG Hamburg JZ 1974, 417 ff., 418. Zustimmend: Himer, JZ 1974, 639 f. - Gegen die Berücksichtigung der Prämienentwicklung: Struck, Anm. zu OLG Hamburg JZ 1974, 419; OLG Saarbrücken NJW 1975, 1467 f.; Sprenger, DAR 1977,42 ff., 44. 25 Vgl. BGH VersR 1976, 967 ff., 968.
12 Lorenz
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über die Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens überschreiten und sich etwa den auf völlig anderen sozialen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten beruhenden "amerikanischen Dimensionen" annähern 26 . Das heißt umgekehrt: Eine Aufblähung der Geldentschädigungen ist nicht anzunehmen, wenn der von den Versicherern aufzubringende Deckungsbedarf wegen einer gewandelten sozialen Einstellung zur Bewertung des immateriellen Schadens die Steigerungsrate übersteigt, die allein durch die ökonomische Entwicklung (wachsender allgemeiner Wohlstand oder Geldentwertung) begründet ist. Aus diesen überlegungen ergibt sich, daß Erhöhungen der Geldentschädigungen i. S. des § 847 BGB, die wirklich Aufblähungen sind, auch ohne den Hinweis auf die Entwicklung der Prämien für die Haftpflichtversicherung verhindert werden könnnen und verhindert werden müssen. Der Hinweis auf die Prämienentwicklung ist also überflüssig. Er ist außerdem bedenklich, weil er die Gefahr begründet, daß auch gerechtfertigte Erhöhungen der Geldentschädigungen im Interesse der Prämienentwicklung unterbleiben und somit die Prämien auf Kosten der Geschädigten, also mit falschen Mitteln gehalten werden; denn die Verletzten sind die allerletzten, die dafür zu sorgen haben, daß jedermann die Möglichkeit bleibt, ein Kraftfahrzeug zu halten und zu benutzen. Ehe von ihnen Opfer verlangt werden, sind vielmehr alle versicherungstechnischen Möglichkeiten einer stärkeren Belastung der Schädiger auszuschöpfen. Die Gerichte sollten deshalb darauf verzichten, die Prämienentwicklungen, über deren Ursachen sie sich ohnehin kein vollständiges und zuverlässiges Bild verschaffen können, zu einem zusätzlichen Maßstab für die Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld zu erheben.
c.
Die Geldentschädigung für "Bagatellschäden" I. Der Meinungsstand
Ein weiteres, besonders zu behandelndes Problem der Bewertung des nach § 847 BGB entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld bieten die sog. Bagatellschäden, womit die durch geringfügige Körper- und Gesundheitsverletzungen entstandenen immateriellen Schäden i. S. des § 847 BGB gemeint sind. Diese Schäden sind etwa seit dem Jahre 1970 Gegenstand einer sich ausweitenden Diskussion geworden. Diskutiert wurde zunächst über die Frage, ob die Geldentschädigung für solche Schäden de lege ferenda abgeschafft werden so1l27. Dann hat die Diskussion auf die lex lata übergegriffen. Seitdem 26 Vgl. zu diesem Problem Großfeld, RabelsZ 39 (1975) 5 ff., 10 ff. 27 Vgl. z. B. Weyers, Unfallschäden, 658; Kötz, FS f. v. Caemmerer, 389 ff.,
403 f.
C. Bagatellschäden
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mehren sich die Urteile, in denen eine Geldentschädigung wegen immateriellen Schadens bei geringfügigen Körper- und Gesundheitsverletzungen versagt wird 28. Die Spanne dieser Körperverletzungen reicht von Schrammen, die nicht einmal eines Pflasters bedurften29 , bis zu Prellungen, die zu einer vierzehntägigen Arbeitsunfähigkeit geführt haben 30. Die anfangs hauptsächlich von Vertretern der Versicherungswirtschaft31 gebilligte Rechtsprechung ist inzwischen insbesondere auf dem Verkehrsgerichtstag 1977 in Goslar32 unterstützt worden. über die Abgrenzung der "geringfügigen" Körper- und Gesundheitsverletzungen besteht keine Einigkeit. Gefordert wird der Verzicht auf Geldentschädigung für "ganz leichte Verletzungen" i. S. eines Verletzungskatalogs von Düben33 oder für Verletzungen, die nach der bisherigen Bemessungspraxis mit einer Entschädigung bis zu 500,- DM34, 1000,- DMs5 oder gar 2000,- DM36 sanktioniert werden müßten. Begründet wird die Forderung nach einem Verzicht auf Geldentschädigung wegen Bagatellschäden vor allem mit dem Bestreben, den Schwerverletzten höhere Beträge zuzuwenden, "ohne daß die Volkswirtschaft unzumutbar belastet wird"37. Gemeint ist damit eine nicht durch Prämienerhöhungen, sondern durch Einsparungen bei den Bagatellschäden finanzierte Erhöhung der Geldbeträge in schweren Fällen38 . 28 Vgl. z. B.: OLG Celle VersR 1973, 717; KG DAR 1974, 297 sowie VersR 1978, 569; OLG München VersR 1979, 726; LG Oldenburg VersR 1979, 581. 29 Vgl. OLG Celle VersR 1973, 717. 30 Vgl. LG Aachen VersR 1977, 1059 mit abI. Anm. v. Kaiser. 31 Nachweise bei Hacks, NJW 1975, 1450 ff., 1451, und AG Köln JZ 1980, 645. 32 Vgl. dazu die in VGT 77, 8 f. abgedruckten Beschlüsse (ausführlicher Bericht auch bei Moog, VersR 1978, 304 f.) und die Referate von Hacks, VGT 77, 144 ff., 146 = DAR 1977, 181 ff., 182, und von Hertel, VGT 77, 155 ff., 167. VgI. ferner Sprenger, DAR 1977, 41 ff.; und Berger, VersR 1977, 877 ff. S3 Vgl. Düben, VGT 77, 137 ff., 141 ff., und Moog, VersR 1978, 304 ff., 305 (Wiedergabe des Katalogs). 34 Vgl. Berger, VersR 1977, 877 ff., 880. 35 So Hertel, VGT 77,155 ff., 170. 36 DAR 1977, 181 ff., 182 f. (in Modellrechnung verbunden mit weiteren "Reduktionen"); vorsichtiger noch dies., NJW 1975, 1450 ff., 1451. Noch weiter als Hacks geht E. v. Hippel, Schadensausgleich bei Verkehrsunfällen, 78 f. und 120. Auf der Grundlage seiner Konzeption, die Verkehrsunfallschäden nicht mehr haftungsrechtlich, sondern (unfall-)versicherungsrechtlich abzuwickeln, fordert er, daß eine Geldentschädigung nur noch gewährt werden soll, wenn die Verletzung "eine Verunstaltung, eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen Integrität und ungewöhnlich starke und anhaltende Schmerzen" bewirkt hat. Vorsichtiger bei der Abgrenzung von Bagatellfällen Kötz, FS f. v. Caemmerer, 389 ff., 402 f. 37 So der Beschluß des VGT 1977 Nr.2, VGT 77, 9. Auch abgedruckt bei Moog, Vers 1978, 304, der zustimmt. 38 So schon Weyers, Unfallschäden, 658; ihm folgend: Köndgen, Haftpfiichtfunktionen, 79; Kötz, FS f. v. Caemmerer, 389 ff., 403. Ebenso Hacks, NJW 12*
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6: Festsetzung der Entschädigung
Es wird weiterhin vorgetragen: Geringfügige und nur vorübergehende Beeinträchtigungen sollten nicht gerade durch eine Geldentschädigung hervorgehoben werden39 . Die Entschädigung werde außerdem in einem Zeitpunkt gewährt, in dem sie nichts mehr ausgleichen könne, weil der Geschädigte die Beeinträchtigung längst verarbeitet und vergessen habe 40 . Bei geringfügigen Verletzungen wird ferner ein Genugtuungsbedürfnis des Geschädigten verneint 41 und gelegentlich heißt es sogar: Leichte Verletzungen gehörten zum "üblichen (also hinzunehmenden) Risiko eines Verkehrsteilnehmers"42. Die allermeisten Gerichte haben sich jedoch durch die modernen Strömungen nicht davon abbringen lassen, auch bei Bagatellverletzungen Geldentschädigungen zuzusprechen 43 . Es ist ferner gesagt worden: nur diese Rechtsprechung sei mit dem geltenden Recht vereinbar 44, und die bessere Entschädigung der Schwerverletzten lasse sich auch dadurch erreichen, daß man auf Prämienrückzahlungen verzichte und die Gewinne und die Kosten der Versicherer einschränke 45 . D. Die Würdigung
1. Die Rechtslage nach geltendem Recht Bei dem Begriff "Bagatellschäden" handelt es sich um eine jener Vokabeln, über deren Bedeutung keine Klarheit besteht und mit deren Hilfe aus ganz unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Motiven eine das geltende Recht zunächst verunklarende und dann durchbrechende Rechtspolitik betrieben wird. a) Die Abgrenzung der Körper- und Gesundheitsverletzungen i. S. des § 847 BGB Die nach geltendem Recht gebotene Beurteilung der durch den Ausdruck Bagatellschäden diffus beschriebenen Problematik der Anwen1975, 1450 ff., 1451, und DAR 1977, 181 ff., 182; Sprenger, DAR 1977, 42 ff., 44; VersR 1977, 877 ff., 880.
Berger,
39 Vgl. Weyers, wie vorige Fußn. 40 So Köndgen, wie Fußn. 38. 41 Vgl. etwa KG VersR 1978, 569. 42 So z. B. LG Aachen VersR 1977, 1059; AG Recklinghausen VersR 1979, 45; AG Diez VersR 1979, 828. 43 Vgl. Hacks, Schmerzensgeldbeträge, 8. Aufl., 1976. Danach sind in 90 Urteilen Entschädigungen unter 500,- DM und in 237 Urteilen Entschädigungen unter 2000,- DM festgesetzt worden. Für die Zeit nach 1976 vgl. z. B. OLG Stuttgart VersR 1978, 1123 f.; OLG Karlsruhe VersR 1979, 40; LG Freiburg VersR 1980, 148. 44 Vgl. Kaiser, VersR 1977, 1060 (Anm. zu LG Aachen, ebenda). Vgl. auch AG Jülich VersR 1980, 102. 45 Vgl. Hupfer, JZ 1977, 781 ff., 784.
c. Bagatellschäden
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dung des § 847 BGB bei Körper- und Gesundheitsverletzungen ergibt sich aus dem in jedem Anwendungsfall zu befolgenden Gedankengang: Es ist zunächst festzustellen, ob der Schädiger dem Geschädigten in haftungsbegründender Weise eine Körper- oder Gesundheitsverletzung zugefügt hat. Das ist nicht immer schon dann zu bejahen, wenn der Körper des Geschädigten nur berührt worden ist. Die Abgrenzung zwischen Körper- und Gesundheitsverletzungen und nicht haftungsbegründenden Berührungen des Geschädigten ist allerdings schwierig. Sie wird erleichtert, wenn man den Bezug zu den strafrechtlichen Definitionen herstellt und annimmt, daß sich Verletzung des Körpers und der Gesundheit i. S. des § 823 Abs. 1 BGB zusammengenommen mit dem strafrechtlichen Begriff der Körperverletzung (z. B. §§ 223, 230 StGB) decken 48 . Dann erfordert die Körper- und Gesundheitsverletzung i. s. des § 823 Abs.l BGB und des § 847 BGB47, daß der Schädiger den Geschädigten (i. S. des § 223 StGB und damit auch des § 230 StGB48) "körperlich mißhandelt" hat. Das heißt: Es muß eine unangemessene, üble, das körperliche Wohlbefinden des Geschädigten in mehr als nur unerheblichem Grade beeinträchtigende Behandlung vorliegen 49 • b) Die Folgerung Bei diesem Ansatz ist in manchen der sog. Bagatellschadensfällen schon deshalb ein Anspruch gem. § 847 BGB zu versagen, weil es an einer (haftungsbegründenden) Körperverletzung des Geschädigten fehlt. Wenn der Schädiger dem Geschädigten aber in haftungsbegründender Weise (also rechtswidrig und schuldhaft) eine - sogar als Grundlage einer strafrechtlichen Sanktion anzuerkennende - Beeinträchtigung der körperlichen Integrität zugefügt hat, ist allein schon deshalb ein entschädigungspflichtiger immaterieller Schaden gegeben, nämlich ein äußerer immaterieller Verletzungsschaden, der nach der hier vertretenen Ansicht allein darin besteht, daß der Geschädigte eine Verletzung seiner persönlichen Integrität hinnehmen mußte 50• Hinzukommen kann außerdem ein äußerer immaterieller Verletzungsfolgeschaden, also eine Einbuße an Entfaltungsfähigkeit und -freiheit, die der Geschädigte durch das dauernde oder vorübergehende Fortwirken 48 So zu Recht Erman I Drees, § 823 BGB Bem. 4 a (Rdz. 9). 47 Vgl. zu diesem Zusammenhang zwischen den §§ 823 und 847 BGB Deutsch, HaftungsR I, 467. 48 Vgl. dazu Schönke I Schröder I Stree, StGB, 20. Auft., § 230 StGB Rdz. 2. 49 Vgl. dazu Schönke I Schröder I Eser, wie vorige Fußn., § 223 StGB Rdz. 3, unter Hinweis auf BGHSt 25, 277, und OLG Hamm VRS 8, 133. 60 Vgl. dazu die Zusammenfassung zur Untersuchung über den entschädigungspftichtigen immateriellen Schaden oben § 3 D.
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der haftungsbegründenden Verletzung seines Körpers oder seiner Gesundheit erleidet51 • Ein (in dem genannten Sinne verstandener) entschädigungspflichtiger immaterieller Schaden muß auch - ohne Rücksicht auf seinen Umfang - in Geld bewertet werden 52 ; denn weder der Wortlaut des § 847 BGB noch der Sinn und Zweck dieser Vorschrift gestatten es, dergestalt nach dem Schadensumfang zu differenzieren, daß (wie auch immer abgegrenzte) Bagatellschäden von vornherein von der Sanktion durch eine Geldentschädigung ausgeschlossen werden. c) Die Beurteilung der Gegenargumente In der Argumentation mit dem Wortlaut des § 847 BGB wird allerdings immer wieder versucht, die Gegenansicht mit der Erwägung zu begründen, daß die Entschädigung "billig" sein solle. Die Billigkeit betrifft jedoch nicht die Frage, ob ein immaterieller Schaden in Geld entschädigt werden soll. Sie sagt nur, wie hoch die Entschädigung sein soll und enthält - wie bereits dargelegt 53 - das Gebot, den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden nach den allgemeinen (also von dem Einzelfall losgelösten) sozialen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten in der Gesellschaft zu bewerten. Um diese Bewertung zu erreichen, ist zunächst die aus den Schmerzensgeldtabellen zu entnehmende, bisherige Entscheidungspraxis zu berücksichtigen. Sie ergibt den bereits bei der Schilderung des Meinungsstandes hervorgehobenen Befund, daß die Geschädigten auch bei geringfügigen Verletzungen ihrer persönlichen Integrität i. S. des § 847 BGB in beinahe zahllosen Fällen eine Geldentschädigung gefordert haben und damit bei den Gerichten auch fast ausnahmslos durchgedrungen sind. Zu würdigen ist ferner die gegen die bisherige Entscheidungspraxis gerichtete Kritik. Ihr ist aber nicht nachzugeben, weil keines der vorgebrachten Argumente den Ausschluß der Geldentschädigung für Bagatellschäden rechtfertigen kann, wenn man das Erfordernis der Körper- und Gesundheitsverletzung in den §§ 823 und 847 BGB so abgrenzt wie die Körperverletzung in den §§ 223 und 230 StGB. Zurückzuweisen ist dann zunächst die Erwägung, daß Beeinträchtigungen dieser Art zum "üblichen Risiko"54 gehörten; denn die (auch) strafrechtlich erheblichen Körper- und Gesundheitsverletzungen zählen nicht zu den rechtlich unbeachtlichen Opfern, die jedermann im gesellschaftlichen Zusammenleben ohne zivilrechtliche Sanktion hin51
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Wie vorige Fußn. Vgl. dazu oben unter B. Vgl. dazu oben unter B. II. 2. So z. B. die oben in Fußn. 42 genannten Gerichte.
C. Bagatellschäden
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nehmen muß. Die durch sie entstehenden äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschäden werden deshalb 55 auch nicht überbetont, wenn sie in dem in § 847 BGB bezeichneten Rahmen in Geld entschädigt werden. Die Geldentschädigung für geringfügigere immaterielle Schäden kann auch nicht mit der Begründung versagt werden, daß der Geschädigte in solchen Fällen von Anfang an und jedenfalls bei Auszahlung der Geldentschädigung kein Genugtuungsbedürfnis empfinde56 ; denn dieser Argumentation ist schon deshalb nicht zu folgen, weil ein etwaiges Genugtuungsbedürfnis des Geschädigten als Gefühlsschaden ohnehin nicht entschädigungspflichtig wäre57 und weil die Geldentschädigung deshalb auch keine Genugtuungsfunktion hat58 • Auf dem Boden des geltenden Rechts ist die geforderte Beurteilung der Bagatellschäden ferner deshalb nicht zu verwirklichen, weil keine Einigkeit über die Abgrenzung der nicht in Geld zu entschädigenden immateriellen Schäden besteht und zu erzielen ist. Die Abgrenzungsvorschläge weichen zunächst in der Struktur voneinander ab: Die einen wollen die Art der äußeren Verletzung, die anderen die Höhe der "an sich" festzusetzenden Entschädigung maßgebend sein lassen. Außerdem wird der Umfang der Bagatellschäden völlig unterschiedlich abgegrenzt. Die großen Unterschiede können zwar etwas abgebaut werden, weil sich extreme Vorschläge nicht durchsetzen werden. Das gilt insbesondere für den Vorschlag, daß die - erheblichen - Verletzungen, die in der bisherigen Rechtsprechung mit einer Entschädigung von etwa 2000,- DM bedacht worden sind, nicht mehr in Geld entschädigt werden sollen59 • Die Abgrenzung der Bagatellschäden bliebe aber dennoch sehr schwierig; so schwierig, daß sich die Gerichte - und im Vorfeld der gerichtlichen Auseinandersetzung die Haftpflichtversicherer - verstärkt mit ihr zu befassen hätten. Die Arbeitslast der Gerichte und die Verwaltungskosten der Haftpflichtversicherer würden also durch eine "Bagatellschadensklausel" kaum herabgesetzt werden60• Im Gegensatz zu einer verbreiteten Ansicht, Nachweise oben in Fußn. 38. Vgl. zu dieser Argumentation die Nachweise oben in den Fußn. 40 und 41. 57 Vgl. dazu oben § 3 A. I. 5. 58 Vgl. dazu oben § 4 B. 11. 4. 59 Vgl. dazu die Nachweise oben in Fußn. 36. 60 Nicht begründet erscheint ferner die von Hacks, DAR 1977, 181 ff., 183 Fußn.2 geäußerte Erwartung, daß die Zahl der Strafanträge und Nebenklägerprozesse zurückgehe, wenn immaterielle Bagatellschäden nicht mehr in Geld zu entschädigen wären; denn es ist ebenso wahrscheinlich, daß die Geschädigten die Bestrafung des Schädigers in bisherigem Umfang betreiben werden, um den Schädiger nicht völlig sanktionslos davonkommen zu lassen. 55
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§ 6: Festsetzung der Entschädigung
Unbegründet erscheint schließlich die Erwartung, daß eine Bagatellschadensklausel den Entschädigungsaufwand der Versicherer und damit der Versichertengemeinschaft wirklich verringern und zugleich bewirken könne, daß die Geldentschädigung in "schweren" Fällen erhöht wird. Zu erwarten ist vielmehr, daß die Geschädigten versuchen werden, die unklare Bagatellschadensgrenze durch bewußte oder unbewußte übertreibung des immateriellen Schadens zu überspringen. Man hätte also mit mehr mittleren Schäden zu rechnen. Aber selbst wenn sich der Aufwand für Entschädigung i. S. des § 847 BGB spürbar verringern sollte, wäre im geltenden Recht doch nicht sichergestellt, daß die Einsparungen auch den Schwerverletzten zugute kämen: es fehlt nicht nur die notwendige Verteilungsregelung, die inhaltlich nicht leicht zu gestalten ist, sondern auch die Abgrenzung der "schweren" Fälle, die ebenso schwierig ist wie die Abgrenzung der "Bagatellschäden". d) Ergebnis Zusammengefaßt ist daher festzustellen: Eine Auslegung des § 847 BGB, nach der sog. (immaterielle) Bagatellschäden nicht in Geld zu entschädigen sind, ist in jeder Hinsicht unbegründet. In einigen der diskutierten Bagatellschadensfälle entfällt eine Geldentschädigung allerdings deshalb, weil die gebotenen Anforderungen an eine Körperoder Gesundheitsverletzung i. S. des § 847 BGB nicht erfüllt sind. 2. Die überlegungen zur Änderung des § 847 BGB
Mit erheblichen Vorbehalten zu versehen ist auch die Empfehlung an den Gesetzgeber, durch Änderung des § 847 BGB eine Bagatellschadensklausel einzuführen. Zu diesem Vorschlag ist bereits zu Recht bemerkt worden, daß er ein Teilstück einer Gesamtreform des Unfallschadensrechts darstellt. Er kann deshalb nicht isoliert, sondern allenfalls im Rahmen einer solchen Gesamtreform verwirklicht werden'1. Mit der Einordnung des Vorschlags in einen größeren Zusammenhang ist aber noch nicht gesagt, daß er auch begründet ist. Die Gesamtreform wird allerdings dazu führen müssen, daß einige Wucherungen der Entschädigungspraxis abgeschnitten werden und der Entschädigungsaufwand und damit die Haftpflichtversicherungsprämien eine für die allermeisten Bürger tragbare Höhe nicht überschreiten. In den überlegungen zu der Frage, ob kleinere immaterielle Schäden i. S. des § 847 BGB in Zukunft nicht mehr in Geld entschädigt werden sollen, ist jedoch dies zu bedenken: Die Bagatellschadensklausel hat 61
Vgl. Kötz, FS f. v. Caemmerer, 389 ff., 403.
C. Bagatellschäden
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sich in den vorangegangenen Untersuchungen 62 als sachlich unbegründet erwiesen. Es konnte darüber hinaus festgestellt werden, daß die Gerichte den immateriellen Schaden in der Vergangenheit eher unterals überbewertet haben. Deshalb erscheint eine Restriktion des Entschädigungsanspruchs wegen immaterieller Schäden de lege ferenda nicht angebracht. Zu erwägen ist allenfalls, ob Geldentschädigungen in begrenzter Höhe aus der Deckungspflicht der Pflichthaftpflichtversicherer herauszunehmen, als Selbstbehalt des Schädigers auszuweisen und somit entweder von diesem selbst zu tragen oder freiwillig zu versichern sind: Ein Kompromiß, der die Schädiger in begrenztem Umfang zusätzlich belastet, aber auch die Lage der Geschädigten etwas erschwert, weil sie sich in Höhe des Selbstbehalts der Schädiger nur an diese halten können. Anders ist die rechtspolitische Lage dagegen im Bereich der Entschädigung für Sachschäden und deren Folgen. Hier ist es zu einer fragwürdigen Ausdehnung der Entschädigungsansprüche und zu einer Kostenentwicklung gekommen, die das Gleichgewichtsverhältnis zu den Kosten für Personenschäden zerstört hat63 . Zu überdenken ist insbesondere, ob die von dem BGH aufgestellten Grundsätze über den Ersatz "entgangener Gebrauchsvorteile", der Vorsorgekosten, des "merkantilen Minderwerts" und der Kreditkosten 84 in dem bisherigen Umfang aufrechterhalten werden können. Weiterhin ist zu erwägen, ob es im zukünftigen Recht für alle Fälle bei der auf § 249 S. 2 BGB gestützten Abrechnung auf "Gutachtenbasis" bleiben kann; denn sie ist in doppelter Hinsicht besonders entschädigungsintensiv: weil sie in vielen Fällen ohne Not zu einer kostenaufwendigen Einschaltung eines Gutachters und eines Anwalts führt und weil sie dem Geschädigten fast ausnahmslos eine über den Reparaturschaden hinausgehende Geldentschädigung beschert. Diese rechts tatsächlich noch nicht voll aufgeklärte Fehlentwicklung hat auch bereits deutliche Reaktionen der Gerichte ausgelöst. Zu nennen ist vor allem die ernst zu nehmende Mahnung des BGH66, daß "fiktive Reparaturkosten immer nur dann anzuerkennen sein (werden), wenn sie in strengem Sinn wirtschaftlich erscheinen". Auf der gleichen Linie liegt die Rechtsprechung der Gerichte, die Gutachterkosten unter Berufung auf § 254 Abs.2 BGB nur unter besonderen Voraussetzungen als erstattungsfähig ansehen 86 . 62 Vgl. die Ausführungen oben unter 1. 83 Vgl. Hacks, NJW 1975, 1450 ff., 1451, wo sie berichtet, daß die Aufwendungen für Sach- und Personenschäden in dem Verhältnis 75: 25 stehen, während sie in vergleichbaren europäischen Ländern etwa gleich hoch sind. 64 Sämtliche Beispiele bereits aufgezählt von Kötz, FS f. v. Caemmerer, 389 ff., 403 f. 66 So BGHZ 66, 239 ff., 246 f. Vgl. ferner schon BGHZ 54, 83 ff. 86 Vgl. Z. B. LG Kaiserslautern VersR 1976, 178, wo es heißt: "Bei Beschä-
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§ 6: Festsetzung der Entschädigung
Es ergibt sich somit dieser Gesamtbefund: Die Reformarbeit an dem Unfallschadensrecht hat sich nicht in erster Linie auf das Schadensersatzrecht für immaterielle Schäden, sondern auf die Grundsätze über den Ersatz der Vermögensschäden zu konzentrieren. Durch die überarbeitung dieser Grundsätze müssen zwei Gefahren besser als bisher gebannt werden: Die eine Gefahr, daß ein Geschädigter, der nur Opfer einer haftungsbegründenden Verletzung ist, etwa durch übertrieben strenge Handhabung des § 254 Abs.2 BGB eine Vermögenseinbuße erleidet; und die andere Gefahr, daß der Geschädigte - letztlich auf Kosten der Versichertengemeinschaft - die Schadensregulierung ohne Not verteuert und die Verletzung durch Ausnutzung unangemessener Pauschalierungsmöglichkeiten zu einer Quelle schadensübersteigender Vermögensmehrung denaturiert. Wenn es gelingt, den Ausgleich von Vermögensschäden in diesem Sinne gesetzlich zu regeln, wird sich der Aufwand für Unfallschäden in den Grenzen halten, die durch die allgemeine ökonomische Entwicklung gesetzt werden. Damit vermindert sich auch das neuerdings stärker aufgekommene, unbegründete Bedürfnis, zur Entlastung der Versichertengemeinschaft die Ansprüche der Geschädigten gern. § 847 BGB durch eine unklare Bagatellschadensklausel zu kürzen. D. Die Form der Geldentschädigung
Die in diesem Untersuchungsabschnitt schließlich noch zu behandelnde Frage, in welcher Form die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB zu gewähren ist, hat die Gerichte zwar oft beschäftigt, aber keine umfassende Diskussion ausgelöst; wahrscheinlich deshalb nicht, weil die in der Rechtsprechung entwickelten und im rechtswissenschaftlichen Schrifttum überwiegend bestätigten Grundsätze weit gefaßt sind, also einen erheblichen Entscheidungsspielraum lassen und deshalb die im einzelnen bestehenden Meinungsverschiedenheiten verdecken. I. Die überwiegend anerkannten Grundsätze 1. Die Möglichkeit einer Entschädigung durch eine Rente
An der Spitze der in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend anerkannten Grundsätze über die Form der Geldentschädigung steht der Satz, der kaum näher belegt zu werden braucht: Die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB besteht in der Regel in einem einmaligen digung eines Kraftfahrzeugs richtet sich die Erstattungsfähigkeit von Gutachterkosten nicht in erster Linie nach der Schadenshöhe, sondern danach, ob der Geschädigte Anlaß zu der Annahme hatte, es werde bei der Schadensregulierung zu Schwierigkeiten kommen."
D. Form der Entschädigung
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Kapitalbetrag und nur ausnahmsweise in einer Rente 67 , die im Wortlaut des Gesetzes nicht ausdrücklich als Entschädigungsmöglichkeit genannt wird und auch in den Gesetzgebungsarbeiten68 kein Thema war. 2. Die Voraussetzungen der Gewährung einer Rente
Die (Ausnahme-)Bedingungen, unter denen eine Rente zugesprochen werden kann, sind bislang noch nicht näher umschrieben worden. Nach Ansicht des BGH obliegt die Entscheidung dem Tatrichter, der unter Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände darüber zu befinden hat, welche Form der Entschädigung den Funktionen der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB, also der Ausgleichs- und der (abzulehnenden) Genugtuungsfunktion am besten gerecht wird 69 • Der Tatrichter hat damit weitgehend freie Hand. Einige vorsichtig formulierte Richtlinien für die Entscheidung über die Form der Entschädigung hat der BGH aber doch aufgezeigt. So meint er: Der mit lebenslänglicher Beeinträchtigung verbundene Verlust von Gliedmaßen sei Anlaß, die Festsetzung einer Rente zu erwägen; denn in solchen Fällen könne es durchaus angemessen sein, der täglich neu empfundenen, laufenden nichtvermögensrechtlichen Beeinträchtigung als Ausgleich und Genugtuung eine laufende Entschädigung in Form einer Rente gegenüberzustellen70 • In Betracht zu ziehen sei eine Rente ferner dann, wenn die Verletzungsfolgen noch nicht zu übersehen sind71 oder wenn der Schädiger wegen seiner ungünstigen Vermögensverhältnisse eine Rente leichter aufbringen könne als ein KapitaF2. Dagegen sei die Festsetzung einer Rente jedenfalls nach den derzeitigen Verhältnissen nicht schon wegen der Besorgnis über die Wirtschafts- und Währungsentwicklung 73 geboten. 67 Vgl. aus der Rechtsprechung an dieser Stelle nur BGHZ (GS) 18, 149 ff., 167, sowie die weiteren Nachweise in den Kommentaren, die den Gerichten durchweg zustimmen. Vgl. Erman I Drees, § 847 BGB Bem. 4 (Rdz. 10); Palandt I Thomas, § 847 BGB Bem. 4 b; RGRK-Kreft, § 847 BGB Anm. 10. Soergell Zeuner, § 847 BGB Rdz. 26; Staudinger I Schäfer, § 847 BGB Rdz. 85 ff. 68 Vgl. Mugdan, H. Bd., 446 ff., 1119 ff., 1309 f. und dazu BGH NJW 1973, 1653. 69 In diesem Sinne z. B. BGH NJW 1957, 383; NJW 1959, 1031; NJW 1973, 1653; VersR 1976,967. 70 So etwa BGH NJW 1957, 383;NJW 1959, 1031; VersR 1968, 946 f., 947. Ähnlich auch OLG Celle VersR 1977, 1009, das aber in casu eine Rente ablehnt. 71 Vgl. BGH VersR 1958, 801; VersR 1966, 144. Ebenso z. B. OLG Hamm MDR 1975, 490 f., 491; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, Rdz. 1183. 72 So schon BGHZ (GS) 18, 149 ff., 167. Zustimmend z. B. Wussow, wie vorige Fußn. 73 Vgl. BGH VersR 1976, 967 f., 968, sowie VersR 1973, 1067 f., 1068. Ebenso KG VersR 1979, 624 ff., 625.
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§ 6: Festsetzung der Entschädigung
Mit diesen Kriterien ist der BGH von den in der Rechtsprechung vieler Oberlandesgerichte und im Schrifttum vertretenen strengeren Auffassungen 74 spürbar abgerückt75 • Dennoch ist auch nach seiner Ansicht nicht schon deshalb auf eine Rentenzahlung zu erkennen, weil der Geschädigte schwere Dauerschäden erlitten hat. Diese Feststellung belegt die am 24.1.1978 ergangene Entscheidung des KG über die Ansprüche einer bei Verletzung 33 Jahre alten Schauspielerin. Sie hatte außergewöhnlich schwere physische und psychische Dauerschäden erlitten und wegen bleibender Verunstaltung ihren Beruf verloren und erhebliche Störungen des Familienlebens ausgelöst. Dennoch versagte ihr das KG einen Anspruch auf Rente, den sie - nach den bestehenden Grundsätzen zu hoch - mit 10 000,- DM monatlich beziffert hatte. Ihre Revision gegen dieses Urteil wurde vom BGH nicht angenommen78• Andererseits ist es auch vorgekommen, daß ein Gericht eine Rente zugesprochen hat, obwohl der Geschädigte mehr an einer Kapitalentschädigung interessiert war. So hat das OLG Karlsruhe auch deshalb auf Zahlung einer Rente erkannt, weil die Gefahr bestehe, daß der Kläger (Geschädigte) eine Kapitalentschädigung in sein Unternehmen investiere77 • 3. Das Nebeneinander von Kapital- und Rentenentschädigung
Der Tatrichter hat nach Ansicht des BGH auch die Möglichkeit, für einen Zeitabschnitt auf eine Kapitalentschädigung und für einen anderen auf eine Rentenzahlung zu erkennen. So kann er etwa für den ersten Zeitabschnitt nach der Verletzung, in dem die Verletzungsfolgen vorübergehend besonders intensiv sind, eine Kapitalentschädigung und danach eine an die Dauer und Intensität der Verletzungsfolgen angepaßte und auch abänderbare Rente zusprechen78 • 74 Vgl. aus der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte etwa: OLG Frankfurt VersR 1972, 292, sowie VersR 1978, 874 = JZ 1978, 526 mit Anm. v. Hupfer; OLG Hamm VersR 1954, 13; OLG München VersR 1955, 553; OLG Celle VersR 1957, 579; OLG Nürnberg VersR 1964, 1179. Aus dem Schrifttum: Brenzel, MDR 1959, 629; Staudinger I Werner, § 251 BGB Rdz.16, sowie § 249 BGB Rdz. 21; Geigel, Haftpflichtprozeß, Kap. 7 Rdz. 11; Ciupka, VersR 1976, 226 H. 75 Deutlich schon BGH VersR 1957, 66. Ebenso auch Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, Rdz. 1183. 76 Zum Ganzen KG VersR 1979, 624 ff. Vgl. aber auch OLG Frankfurt JZ 1978, 526 und die Anm. von Hupfer. 77 OLG Karlsruhe NJW 1969, 1488 ff., 1490. 78 Vgl. zu dieser Möglichkeit aus der Rechtsprechung: BGH VersR 1957, 66 und 218; VersR 1959, 458; VersR 1961, 727 f., 728; VersR 1966, 144 f., 145; VersR 1973, 285; VersR 1976, 967. OLG Stuttgart VersR 1959, 938; OLG Hamburg NJW 1973, 1503 f., 1504; OLG Karlsruhe DAR 1975, 158; OLG München VersR 1978, 285 f., 286. Aus dem Schrifttum vgl. nur: Kallfelz, MDR 1959, 176; Geigel, Haftpflichtprozeß, 17. Aufl., Kap. 7 Rdz. 14.
D. Form der Entschädigung
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4. Die selbständige Festsetzung der Rente
Wenn der Tatrichter die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente für gegeben hält, darf er diese nach den in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen nicht kapitalisieren und als Einmalbetrag zusprechen 79 • Nicht ganz so deutlich werden die beiden Entschädigungsformen dagegen bei der Festsetzung der Höhe der Rente getrennt. Zwar soll der Tatrichter den Rentenbetrag selbständig bestimmen und nicht aus einem für den Rentenzeitraum ermittelten Kapitalbetrag ableiten. Er soll sich aber doch eine Vorstellung über den Gesamtwert der Rente und deren Auswirkungen auf den Versicherungsschutz des Schädigers verschaffen; und das kann er in der Regel nur dadurch, daß er für sich eine Kapitalisierung der Rente durchführt 80. Darüber hinaus wird gefordert, daß die Rente in einem ausgewogenen Verhältnis zu einer Kapitalabfindung stehen, also in gedachter Kapitalisierung zumindest annähernd der Entschädigung durch einen einmaligen Kapitalbetrag entsprechen muß81. 5. Die Abänderung und Dynamisierung der Rente
Mit der als Ausnahme anerkannten Möglichkeit, die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB in Form einer Rente zuzusprechen, sind auch die Fragen aufgekommen, ob die Rente gern. § 323 ZPO abgeändert und ob sie als "dynamische Rente" zugesprochen werden kann. Die Fragen werden mit unterschiedlichem Ergebnis beantwortet: Zu der Abänderungsklage hat schon der Große Senat für Zivilsachen des BGH in seinem grundlegenden Beschluß vom 6.7.1955 gemeint: Es "bestehen grundsätzlich keine Bedenken, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 323 ZPO, vor allem bei wesentlichen Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere des Schädigers, die Rente neu festzusetzen"82. Seitdem wird eine Abänderung zugunsten beider Parteien allgemein für zulässig gehalten83 • Dagegen hat der BGH eine an die Geldentwicklung gebundene und in diesem Sinne dynamische Rente in einem Urteil vom 3.7.1973 84 abgelehnt. Die Entscheidung wird im Schrifttum fast ausnahmslos gebil79
Vgl, dazu etwa KG VersR 1970, 515; OLG Frankfurt VersR 1978, 874
80 81 82 83
Vgl. dazu z. B. BGH VersR 1976, 967 f., 968. 50 OLG Celle VersR 1977, 1009. Vgl. BGHZ (G5) 18, 149 ff., 167. Zusammenstellung der Belege bei Heidel, VersR 1974, 927 ff., 929 Fußn.
= JZ 1978, 526 f. mit Anm. v. Hupfer.
37.
84 BGH VersR 1973, 1067
=
NJW 1973, 1653.
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§ 6: Festsetzung der Entschädigung
ligt85 • Die Begründung der damit herrschenden Meinung ist nicht ganz einheitlich: Während etwa das OLG Karlsruhe 86 den Antrag auf Dynamisierung wegen fehlender Bestimmtheit und Vollstreckbarkeit für unzulässig hält und das OLG Bremen87 entscheidend auf das Fehlen einer geeigneten Bezugsgröße (eines geeigneten Dynamisierungsfaktors) abstellt, setzt der BGH in seiner ausführlichen Argumentation einen anderen Schwerpunkt. Für ihn ist die Dynamisierung der Rente als "billige Entschädigung in Geld" für einen immateriellen Schaden hauptsächlich und jedenfalls abzulehnen, "weil Vermögenswerte einerseits, der Wert von Gesundheit und seelischem Wohlbefinden andererseits ihrer Natur nach von vornherein inkommensurabel sind"88.
6. Die Bedeutung des Klageantrags tür die Form der Entschädigung Aus dem vorangegangenen Bericht über die herrschende Meinung ergibt sich auch bereits die Antwort auf die Frage, welche Bedeutung dem Antrag des Klägers (Geschädigten) für die Entscheidung über die Form der Entschädigung zugemessen wird: Da der Richter aufgrund des (auch und hauptsächlich in dem Gefühlsschaden bestehenden) immateriellen Schadens und der sonstigen Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch aufgrund der Vermögensverhältnisse bei der Parteien über Höhe und Form der Entschädigung zu entscheiden hat und zugleich naturalrestitutive Ziele und die Genugtuungsfunktion der Entschädigung berücksichtigen muß, kann er nicht an den Antrag des Klägers gebunden sein. Er kann also nach seinem (pflichtmäßigen) Ermessen eine Kapitalentschädigung zusprechen, wenn eine Rente beantragt worden ist, und umgekehrt. Aus § 308 ZPO hergeleitete Bedenken werden mit der Erwägung ausgeräumt, daß eine Entschädigungsform gegenüber der anderen kein "aliud" sei. Zur weiteren Begründung wird ausgeführt: Wenn der Richter eine andere als die beantragte Entschädigungsform für richtig halte, könne der Richter weder gegen seine überzeugung dem Klagantrag entsprechen noch die Klage abweisen, weil dem Kläger jedenfalls eine Entschädigung zustehe89 . 85 Vgl. Medicus, DB 1974, 759 ff., 763; Erman I Drees, § 847 BGB Bem. 4 (Rdz.10); Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 12. Aufl., Rdz.1184; Geigel, Haftpflichtprozeß, 17. Aufl., 7. Kap. Rdz.11. Hermann Lange, Schadensersatz, 269 (§ 7 IV.). Eindrucksvoll gegen diese Ansicht: Heidel, VersR 1974, 927 ff. Unter der Voraussetzung, daß eine Rente nur in seltenen Ausnahmefällen zuerkannnt wird, ebenso: Ciupka, VersR 1976, 226 ff., 228. 86 VersR 1969, 1123. 87 Als Berufungsgericht in BGH VersR 1973, 1067 f. Das Urteil des OLG Bremen ist abgedruckt in VersR 1972, 942. 88 BGH VersR 1973, 1067 f., 1068. Zur weiteren Argumentation sogleich in der Würdigung der h. M. unter III. 5. b).
D. Form der Entschädigung
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11. Die Einwände gegen eine Entsmädigung durm Rente
Die seit mehr als fünf Jahrzehnten überwiegend vertretene Ansicht, daß die Geldentschädigung gern. § 847 BGB auch in Rentenform zugesprochen werden kann, ist zumindest nach 1950 immer wieder angegriffen worden: Zunächst von W. Ebel, der in einer 1951 erschienenen Untersuchung, die bald von anderen unterstützte Ansicht vertreten hat, das Schmerzensgeld könne "nur in Kapitalform zuerkannt werden"90. In der Begründung dieser Ansicht meinen Ebel und seine Anhänger: Wer Schadensersatz zu leisten habe, sei nach den §§ 249 ff. BGB grundsätzlich nur zu einer einmaligen Entschädigung verpflichtet. Nur nach den §§ 843 - 845 BGB sei ausnahmsweise eine Rente zuzusprechen. Diese Ausnahmevorschriften könnten aber auf die Fälle des § 847 BGB nicht analog angewendet werden. Eine "Schmerzensgeldrente" sei außerdem auch deshalb abzulehnen, weil sie nicht nach § 323 ZPO korrigierbar sei; denn eine "wesentliche Änderung" der für die Entscheidung maßgebenden "Verhältnisse" werde sich kaum hinreichend deutlich aufzeigen lassen. Um diesen Befund zu verdeutlichen, fragt Ebel rhetorisch, wie denn "der Rentenpflichtige dartun (solle), daß der Berechtigte eine Minderung der Lebensfreude nicht mehr oder nicht mehr so stark" empfinde. In den letzten Jahren sind insbesondere von Ciupka91 weitere Bedenken gegen eine "Schmerzensgeldrente" vorgebracht worden. Ciupka hält die Rente zwar nicht für gänzlich unzulässig. Nach seiner Ansicht muß sie aber "durch besondere Umstände des Falles als Ausnahmeregelung" geboten sein. Zur Begründung dieser sehr restriktiven Auffassung meint er im einzelnen: Eine Rente entspreche zwar dem "Zeitmoment" bei Dauerschäden. Sie lasse aber unberücksichtigt, daß der Geschädigte sich "keine durch größeren finanziellen Aufwand erreichbare Freude verschaffen" könne, sondern "über viele Jahre hinweg" durch die Rente an den Unfall und sein Leiden erinnert werde. Der Geschädigte werde ferner bei wachsendem Geldwertschwund mit dem "Verdruß und Ärger" belastet, um die Erhöhung seiner Rente kämpfen zu 89 Die Darstellung der h. M. folgt Staudinger I Schäfer, § 847 BGB Rdz. 85, wo auch die Nachweise zu finden sind. Gegen die h. M. Kallfelz, MDR 1959, 176 f. und DAR 1960, 44 f. Für die Anwendung des § 308 ZPO (Rente ist aliud gegenüber Kapital) auch RGZ 136, 373 ff., 375, sowie Thomas I Putzo, ZPO, 10. Aufl., § 308 ZPO Bem. 1 a). 90 Vgl. W. Ebel, VersR 1951, 217 f.; ihm folgend Friedrich, VersR 1952, 292 f., 293 (Anm. zu OLG Frankfurt). Ebenso ferner bis zur 9. Aufl. Geigel, Haftpflichtprozeß, 91 f., der jedoch seit der 10. Aufl. der h. M. folgt. Gegen alle Lieberwirth, Das Schmerzensgeld, 3. Aufl., 85 f. Neuestens wie die zuerst genannten: Schmidt, VersR 1975, 503. 91 VersR 1976, 226 ff., 227. Vgl. in diesem Zusammenhang ferner Brenzel, MDR 1959, 629.
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müssen. Es sei weiterhin zu befürchten, daß die Befürworter einer Entschädigung in Rentenform dem Schmerzensgeld unbewußt einen nicht begründeten "Versorgungscharakter" zulegten. Außerdem habe der Schädiger einen Anspruch darauf, von dem" Trauma des Unglücksfalles ... befreit und nicht durch jahrzehntelange Zahlungen immer wieder daran erinnert zu werden". 111. Die Würdigung des Meinung8standes
Obwohl im Wortlaut des § 847 BGB eine Geldentschädigung in Rentenform nicht ausdrücklich vorgesehen ist und obwohl die Vorschriften der §§ 843 - 845 BGB auf die Fälle des § 847 BGB eindeutig nicht entsprechend anzuwenden sind, kann man doch nicht sagen, das Gesetz habe die Gewährung einer "Schmerzensgeldrente" ausgeschlossen. Es hat die Entscheidung vielmehr den Rechtsanwendern, also insbesondere den Richtern, überlassen. Das ergibt sich aus dem Gebot, eine Entschädigung zuzusprechen, die "billig" ist; denn diese Beschreibung der Sanktion für die haftungsbegründende Herbeiführung eines immateriellen Schadens deckt sowohl eine einmalige Kapitalabfindung als auch eine Entschädigung in Form einer Rente. Es geht also auch bei der Entscheidung über die Form der Entschädigung darum, den Ermessensspielraum zu konkretisieren, den das Gesetz den Rechtsanwendern durch die in § 847 BGB erwähnte Billigkeit eingeräumt hat. Das heißt: Die Frage, ob eine Rente zuerkannt werden kann und - falls das zu bejahen ist - unter welchen Voraussetzungen sie zu gewähren ist, muß anhand von Sachgründen beantwortet werden. Bei deren Beurteilung sind die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung zu beachten. Es ist also zu berücksichtigen, daß nur der äußere immaterielle Verletzungsund Verletzungsfolgeschaden entschädigungspflichtig sind, daß die Geldentschädigung nur eine Ausgleichsfunktion hat, daß die Ausgleichsfunktion nicht auf naturalrestitutive Wirkungen abzielt, sondern lediglich eine Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld verlangt und daß die Bewertung nur von dem Ausmaß dieses Schadens und nicht von "allen Umständen des Einzelfalles" abhängt. 1. Die Möglichkeit einer Entschädigung durch Rente
a) Die Würdigung der Einwände Wenn man die genannten Ergebnisse beachtet, können die gegen eine Entschädigung in Rentenform vorgebrachten Einwände ebensowenig überzeugen wie die bereits zurückgewiesene Ansicht, daß das Gesetz die Gewährung einer Rente verbiete.
D. Form der Entschädigung
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Nicht begründet ist zunächst der aus § 323 ZPO hergeleitete Einwand, die Abänderungsklage sei bei einer Rente gern. § 847 BGB nicht hantierbar. Dieser Einwand lebt von der insbesondere von Ebel sehr deutlich ausgedrückten Vorstellung, daß mit dem immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB auch und sogar hauptsächlich der Gefühlsschaden gemeint sei. Bei diesem Ansatz müssen sich alle Bedenken gegen die Entschädigungspflichtigkeit eines Gefühlsschadens notwendigerweise bei der Beurteilung einer Abänderungsklage gern. § 323 ZPO wiederholen. All diesen Bedenken wird jedoch der Boden entzogen, wenn nicht auch der Gefühlsschaden, sondern nur der äußere immaterielle Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden als en tschädigungspflich tiger immaterieller Schaden i. S. des § 847 BGB angesehen wird; denn auf dieser Grundlage läßt sich auch die Abänderungsklage gern. § 323 ZPO ohne besondere Schwierigkeiten handhaben. Es ist dann nicht über einen kaum feststellbaren Wandel der Gefühlslage des Geschädigten zu urteilen, sondern darüber, ob sich seine äußere immaterielle Behinderung oder deren insbesondere auch von der Geldwertentwicklung abhängige allgemeine Bewertung'2 geändert haben. Zu den weiteren, insbesondere von Ciupka vorgebrachten Einwänden gegen eine Entschädigung in Rentenform ist im einzelnen dies zu bemerken: Der Einwand, daß mit einem großen Kapitalbetrag besser auf die Gefühlslage des Geschädigten eingewirkt werden könne, ist nicht überzeugend, weil der Gefühlsschaden nicht entschädigungspflichtig ist, weil die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB nicht der Naturalrestitution dient und weil diese in der vorangegangenen Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse durch die von Ciupka (i. S. der herrschenden Meinung) angestellten psychologischen Spekulationen noch einmal besonders eindrucksvoll bestätigt werden. Eine Entschädigung in Rentenforrn darf ferner nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß der Geschädigte durch die laufenden Rentenzahlungen immer wieder an sein Schicksal erinnert werde; denn in den Fällen, in denen der Geschädigte eine Rente erhält, ist es nicht sie, sondern die infolge der Verletzung entstandene, fortdauernde Behinderung, die ihn an seine Lage erinnert. Richtig ist allerdings, daß der Geschädigte bei einer Entschädigung in Rentenform damit belastet wird, die Anpassung der Rente an die nach der Entscheidung eingetretene Veränderung der Verhältnisse betreiben oder hinnehmen zu müssen. Wegen dieser Konsequenz ist die Entschädigung in Rentenform aber nicht zu versagen, sondern lediglich von einem Antrag des Geschädigten abhängig zu machen. 9!
Vgl. dazu oben B. I. 2. - 4.
13 Lorenz
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Der Geldentschädigung wird auch kein unangemessener "Versorgungscharakter" unterstellt, wenn sie in Rentenform gewährt wird. Sie erweist sich dann vielmehr als wiederkehrende Entschädigungsleistung für täglich neu entstehenden immateriellen Schaden. Sie ist also stets von dem Schaden abhängig und zielt deshalb stets auf den Ausgleich eines immateriellen Schadens und nicht auf Versorgung. Die Entschädigung in Rentenform kann schließlich nicht mit der Begründung verneint werden, daß der Schädiger einen Anspruch darauf habe, von dem "Trauma des Unglücksfalles" befreit zu werden: schon deshalb nicht, weil die in § 847 BGB vorgesehene Entschädigung ebensowenig von der Gefühlslage des Schädigers abhängig gemacht werden kann und darf wie von der Gefühlslage des Geschädigten. Außerdem ist in den noch näher zu bestimmenden Fällen, in denen auf eine Entschädigung in Rentenform zu erkennen ist, das fortlaufende Bedürfnis des Geschädigten nach Entschädigung für die von ihm zu tragende immaterielle Behinderung höher anzuschlagen als das Bedürfnis des Schädigers, die von ihm in haftungsbegründender Weise herbeigeführte Verletzung möglichst bald zu überwinden. b) Ergebnis Die Einwände gegen die in Rechtsprechung und Schrifttum herrschende Meinung, nach der eine Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB in Form einer Rente jedenfalls nicht ausgeschlossen ist, haben sich damit sämtlich als unbegründet erwiesen. Aus diesem Befund ergibt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Entschädigung in Rentenform zugesprochen werden kann. 2. Die Voraussetzungen der Entschädigung in Renten/orm a) Der Ausgangspunkt Entgegen der in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Meinung genügt es nicht, die Entscheidung über die Form der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB im wesentlichen dem "Ermessen des Tatrichters" zu überlassen oder die Entschädigung in Rentenform als Ausnahmemöglichkeit zu kennzeichnen oder von "besonderen" Umständen abhängig zu machen. Das in dem Wortlaut des § 847 BGB erwähnte Kriterium der "Billigkeit" enthält vielmehr auch in diesem Zusammenhang den Auftrag an Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, den Tatbestand für die Entscheidung zu konkretisieren, also die Voraussetzungen für die Entschädigung in Rentenform zu erarbeiten. Das ist heute sogar dringender als in den ersten Jahrzehnten nach dem Inkrafttreten des BGB, weil die Fälle des § 847 BGB - was bereits
D. Form der Entschädigung
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mehrfach hervorgehoben worden ist - zu Massenfällen geworden sind, weil die sie betreffenden Urteile deshalb stärker als früher miteinander verglichen werden und weil die Urteile folglich nur überzeugen können, wenn in den einzelnen Fällen mit dem gleichen, generell zu beachtenden und durch typische Kriterien beschriebenen Untersuchungsprogramm und nicht mit von Fall zu Fall (von Richter zu Richter) wechselnden Kriterien gearbeitet wird93 • Die zu erarbeitenden Voraussetzungen für eine Entschädigung in Rentenform müssen ferner den in dieser Untersuchung gewonnenen Erkenntnissen zur Anwendung des § 847 BGB entsprechen. Abzulehnen sind deshalb Kriterien, nach denen die Gewährung einer Rente davon abhängt, daß der Geschädigte eher durch laufende Zahlungen als durch eine einmalige Kapitalentschädigung seinen Gefühlsschaden überwindet oder Genugtuung empfindet; denn der Gefühlsschaden gehört nicht zum entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden i. S. des § 847 BGB, und die Geldentschädigung hat auch keine Genugtuungsfunktion, sondern nur eine Ausgleichsfunktion, die allein besagt, daß der nicht in Natur zu beseitigende und nur deshalb gern. § 847 BGB entschädigungspflichtige immaterielle Schaden in Geld zu bewerten ist84 • Aus den genannten Gründen und insbesondere deshalb, weil die innere Entwicklung des Geschädigten außer Betracht zu bleiben hat, ist es auch abzulehnen, bei der Entscheidung über die Entschädigungsform darauf abzustellen, was der Geschädigte voraussichtlich mit dem Geld anfangen wird. Nicht zu folgen ist deshalb dem OLG Karlsruhe9G, das einem Geschädigten eine Rente zugesprochen hat, weil er einen Kapitalbetrag in sein Unternehmen investieren werde. Ganz abgesehen davon, daß diese Argumentation auch in sich nicht überzeugend ist, weil mit der Rente ein für das Unternehmen aufgenommener Kredit "bedient" werden könnte, muß es dem Geschädigten - wie bei der Geldentschädigung für einen Vermögensschaden - völlig freistehen, wie er das Geld verwendet. Entgegen der Ansicht des BGH96 darf die Entscheidung über die Entschädigungsform auch nicht deshalb zugunsten der Rente ausfallen, weil der Schädiger sie wegen seiner ungünstigen Vermögensverhältnisse besser aufbringen kann; denn eine solche Argumentation widerspricht der in § 5 dieser Untersuchung gewonnenen Einsicht, daß es bei der Festsetzung der Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB nicht auf die Vermögensverhältnisse der Parteien oder auf sonstige Umstände des 93
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Vgl. dazu auch oben § 5 B. V. 1. und 2. Näher dazu oben § 4 B. IV.
NJW 1969, 1488 ff., 1490.
Vgl. BGHZ (GS) 18, 149 ff., 167.
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Einzelfalles, sondern allein auf das Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens ankommen kann. b) Die Voraussetzung eines Dauerschadens Der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden, der von den Umständen des jeweils zu beurteilenden Falles als einziger bei der Festsetzung der Höhe der Geldentschädigung zu berücksichtigen ist, bildet auch die Grundlage für die nähere Beschreibung der Voraussetzungen, unter denen die Geldentschädigung in Rentenform verlangt werden kann. Im einzelnen ist ohne weiteres festzustellen, daß der in jedem Fall einer nach § 847 BGB begründeten Haftung auftretende äußere immaterielle Verletzungsschaden zwar stets einen Anspruch auf Entschädigung begründet, aber niemals die Gewährung einer Rente rechtfertigen kann, weil er mit dem haftungsbegründenden Eingriff abgeschlossen ist. Für den meist neben dem äußeren immateriellen Verletzungsschaden entstehenden äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschaden gelten dagegen diese Grundsätze: Soweit der Folgeschaden nur vorübergehender Natur war oder ist, etwa weil eine Körperverletzung als seine Ursache im Zeitpunkt der Entscheidung bereits folgenlos verheilt ist oder in absehbarer Zeit folgenlos verheilen wird, kann ebenfalls nur eine Entschädigung durch ein Kapital in Betracht kommen. Falls die Entwicklung nicht abzusehen ist, kann die Kapitalentschädigung zunächst nur für einen begrenzten (überschaubaren) Zeitraum festgesetzt werden97 • Der Kläger muß dann neben der Entschädigung die Feststellung beantragen, daß der Beklagte zum Ersatz des aus der Verletzung entstehenden künftigen Schadens verpflichtet ist. Die Gewährung einer Rente setzt also jedenfalls voraus, daß der Geschädigte einen äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschaden in Form eines nicht vorübergehenden Dauerschadens erlitten hat. c) Die durch die Funktion der Rente bestimmte weitere Voraussetzung Eine Rente ist aber nicht immer schon dann zu gewähren, wenn der Geschädigte durch einen die Haftung des Schädigers begründenden Umstand einen Dauerschaden erlitten hat. Die Einschränkung ergibt sich aus der Funktion der Rente gem. § 847 BGB. Diese Rente dient anders als die Renten i. S. der §§ 843 - 845 BGB - nicht dazu, den in 87 Vgl. BGH VersR 1961, 727 f., 728; VersR 1966, 144 f., 145. Geiget, Haftpflichtprozeß, 17. Aufl., Kap. 7 Rdz. 14.
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weiterem Sinne verstandenen Lebensunterhalt des Geschädigten zu sichern: diese Aufgabe erfüllt die dem Geschädigten zustehende Rente gem. § 843 BGB. Der Zweck der Rente gem. § 847 BGB besteht ferner nicht darin, dem Geschädigten eine Entschädigung zukommen zu lassen, die höher ist als der sonst anzusetzende einmalige Betrag; denn für eine solche Besserstellung der Geschädigten, denen eine Rente zuzuerkennen ist, gibt es keinen überzeugenden Grund. Die Rente wird schließlich auch nicht von der überlegung getragen, daß der Geschädigte, der die Folgen der Verletzung täglich neu erleidet, auch eine laufende Entschädigung erhalten müsse: schon deshalb nicht, weil diese Argumentation bei jedem Dauerschaden zutrifft. Außerdem kann die laufende Entschädigung auch dann erreicht werden, wenn der Geschädigte einen einmaligen Betrag erhält; denn er oder seine gesetzlichen Vertreter haben dann die Möglichkeit, das Geld so anzulegen, daß es eine laufende Rendite abwirft. Aus dieser Überlegung ergibt sich zugleich die wirkliche Funktion der Rente gem. § 847 BGB: Sie soll dem Geschädigten einmal die Bemühungen um eine günstige Verwendung der Kapitalentschädigung abnehmen, und sie soll durch ihre Anpassungsfähigkeit zusätzlich sicherstellen, daß er in Zukunft auch dann die jeweils angemessene Entschädigung erhält, wenn sich die für die Beurteilung seines Schadens maßgebenden Umstände, insbesondere der Wert des Geldes, geändert haben. Aufgrund dieser Funktionsanalyse kann dem Geschädigten gem. § 847 BGB nur dann eine Rente gewährt werden, wenn er durch die dauernden immateriellen Verletzungsfolgen so schwer betroffen ist, daß er oder die für ihn vertretungsberechtigten Personen nicht auch noch mit der Sorge um die günstige, eine angemessene Entschädigung sichernde Verwendung einer einmaligen Geldentschädigung belastet werden dürfen. Diese Voraussetzung ist nicht nur dann gegeben, wenn der Geschädigte völlig invalid ist oder seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten in erheblichem Umfang verloren hat. Der Anspruch auf Rente kann vielmehr auch bei schweren (abstoßenden) Entstellungen begründet sein; denn auch sie können den Geschädigten - ohne Rücksicht auf den von dem Schadensersatzrecht nicht erfaßten Gefühlsschaden - mit erheblichen immateriellen Nachteilen belasten und deshalb seine nicht beeinträchtigten geistigen und körperlichen Fähigkeiten so sehr beanspruchen, daß ihm die Sorge um die dauerhaft wirksame Verwendung einer einmaligen Kapitalentschädigung abgenommen wer den muß. E
d) Ergebnis Die Entschädigung gem. § 847 BGB kann demnach nur dann in Rentenform zuerkannt werden, wenn der Geschädigte einen äußeren im-
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materiellen Verletzungsschaden in Form eines Dauerschadens erlitten hat und wenn ihn dieser Dauerschaden so sehr beeinträchtigt, daß er nicht zusätzlich mit der Sorge um die günstige, auch in Zukunft einen angemessenen Schadensausgleich sichernde Verwendung einer einmaligen Entschädigung belastet werden darf.
3. Das Nebeneinander von Kapitalund Rentenentschädigung Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich auch bereits eine erste Stellungnahme zu der Frage des Nebeneinanders von Kapital- und Rentenentschädigung: In den Fällen des § 847 BGB, in denen der Geschädigte eine Rente verlangen kann, entstehen stets zwei Schadensposten: Der äußere immaterielle Verletzungsschaden, der in dem Erduldenmüssen des haftungsbegründenden Eingriffs besteht und auSnahmslos durch einen einmaligen Kapitalbetrag entschädigt wird, und der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden, der in Form eines qualifizierten Dauerschadens einen Anspruch auf Rente begründet. Der Geschädigte erhält also in jedem der genannten Fälle ein Kapital (Verletzungsschaden) und eine Rente (qualifizierter Verletzungsfolgeschaden). Zu einem Nebeneinander von Kapital- und Rentenentschädigung kann es außerdem auch dann kommen, wenn der Geschädigte zunächst wegen des äußeren immateriellen Verletzungsschadens und auch wegen des nur vorübergehenden oder noch nicht übersehbaren äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschadens durch einen einmaligen Betrag entschädigt wird, und wenn sich der Folgeschaden dann später zu einem qualifizierten Dauerschaden entwickelt und damit einen Rentenanspruch begründet. Weitere Beispiele für das Nebeneinander bilden die Fälle, in denen der qualifizierte Dauerschaden nur vorübergehend besonders hoch ist und deshalb für die vorübergehende Zeit durch einen einmaligen Geldbetrag und im übrigen durch eine Rente zu entschädigen ist. Allgemein ist dies zu sagen: In den Fällen des § 847 BGB erhält der Geschädigte in den meisten Fällen sowohl wegen des äußeren immateriellen Verletzungs- als auch wegen des äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschadens eine einmalige Entschädigung in Geld. Nur wenn ein äußerer immaterieller Verletzungsfolgeschaden in Form eines qualifizierten Dauerschadens entstanden ist, kann der Geschädigte wegen dieses Schadens eine Rente verlangen.
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4. Die selbständige Festsetzung der Rente Die Beurteilung der Frage, ob die Rente selbständig festzusetzen oder aus dem Kapitalbetrag abzuleiten ist, der an ihrer Stelle festzusetzen wäre, ergibt sich bereits aus den bisherigen überlegungen. Danach hat die Rente nicht die Funktion, den Geschädigten höher zu entschädigen als es durch eine Kapitalabfindung geschehen dürfte. Durch die Gewährung einer Rente soll dem Geschädigten vielmehr "nur" die Sorge abgenommen werden, die einmalige Kapitalentschädigung so anzulegen, daß sie ihm in Zukunft eine angemessene Entschädigung sichert. Demnach darf die Höhe der Rente - entgegen der geschilderten herrschenden Meinung - nicht selbständig festgesetzt werden, sie muß vielmehr durch "Verrentung" der für richtig gehaltenen einmaligen Kapitalentschädigung ermittelt werden. Das heißt umgekehrt: Es muß eine Rente festgesetzt werden, deren Kapitalisierung etwa den Betrag ergibt, der als Kapitalabfindung angemessen wäre. Die Durchführung dieser Methode stößt jedoch auf Schwierigkeiten, weil es für die Festsetzung einer nach § 847 BGB begründeten Rente keine besonderen Verrentungs- und Kapitalisierungsregeln gibt. Zur Verfügung stehen nur die allgemeinen Verrentungs- und Kapitalisierungstabellen98• Sie enthalten für Zeit- und (lebenslängliche) Leibrenten die nach dem Lebensalter der Rentenberechtigten gestaffelten Abfindungsfaktoren (Kapitalisierungsfaktoren). Diese Faktoren ermöglichen nach der Formel "Kapitalwert dividiert durch Abfindungsfaktor" die Berechnung der Jahres- und damit auch der Monatsrente; und sie dienen nach der Formel "Jahresrente multipliziert mit Abfindungsfaktor" zugleich dazu, den Kapitalwert zu bestimmen99• Berechnungsgrundlagen der Faktoren sind die Allgemeinen deutschen Sterbetafeln, von denen die jüngsten für Männer und Frauen getrennt in den Jahren 1970 und 1972 erstellt worden sind10o, ferner ein bestimmter Zinsfuß für das zu verrentende oder als Abfindung zu leistende Kapital und schließlich eine bestimmte Zahlungsweise, etwa monatlich-vorschüssige oder monatlich-nachschüssige Rentenzahlung. Aus diesem Befund ergibt sich die Frage, welche "Daten" im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger bei der Verrentung von Geldentschädigungen i. S. des § 847 BGB oder bei der (kontrollweise durchzuführenden) Kapitalisierung von Renten zugrundezulegen sind. Zumindest erwägenswerte Beantwortungsmöglichkeiten bieten § 12 StVG und die zu § 155 VVG ergangenen Bestimmungen. § 12 Abs. 1 98 Vgl. dazu die Sammlung bei Schneider I Schlund I Haas, Kapitalisierungs- und Verrentungstabellen, 1977. 99 Vgl. Schneider, wie vorige Fußn., 71. 100 Vgl. BGH VersR 1980, 132 ff., 134 mit Nachweisen.
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Nr.l StVG bezeichnet die Höchstsummen für die Haftung nach dem StVG. Danach beläuft sich der Höchstbetrag der Jahresrente auf genau 6 % des Kapitalhöchstbetrages. Aus dieser Regelung ist entnommen worden, daß die Rente stets 6 Ofo des zu verrentenden Kapitals betrage101 . Das bedeutet: Kapital multipliziert mit 6 und dividiert durch 100 ergibt die Jahresrente; und umgekehrt: Jahresrente multipliziert mit 100 und dividiert durch 6 ergibt das Kapital. - § 155 VVG betrifft die Fälle, in denen zur Beurteilung der Deckungspflicht eines Versicherers der Kapitalwert einer von dem Versicherungsnehmer einem Dritten geschuldeten Rente berechnet werden muß. Für diese Fälle wird in § 3 111. Nr.2 AHB sowie in § 10 Nr.7 AKB bestimmt, welche Sterbetafeln mit welchem Zinsfuß bei der Kapitalisierung zugrundezulegen sind. Bei der Berechnung der Rente gern. § 847 BGB, die der Geschädigte von dem Schädiger fordern kann, darf die in § 12 StVG enthaltene Verrentungs- und Kapitalisierungsformel de lege lata jedoch schon deshalb nicht herangezogen werden, weil der immaterielle Schaden nach dem StVG nicht zu entschädigen istt02 • Die Entscheidung kann nicht einmal dann anders ausfallen, wenn de lege ferenda die Haftung nach dem StVG auf den immateriellen Schaden erstreckt wird; denn § 12 StVG bestimmt auch dann nicht, welche Rente der Verletzung des Geschädigten entspricht. Er besagt nur, welche Rente nach dem StVG höchstens gefordert werden kann. Aus ähnlichen Gründen sind auch die in den AHB und AKB zu § 155 VVG konkretisierten Verrentungsund Kapitalisierungsformeln nicht verwendbar; denn auch sie beziehen sich nicht auf das für den Rentenanspruch gern. § 847 BGB maßgebende Anspruchsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger. Für die Fälle des § 847 BGB sind demnach selbständige Verrentungsund Kapitalisierungsformeln zu entwickeln. Das heißt zunächst: Es ist zu bestimmen, welche Sterbetafeln, welcher Zinsfuß und welche Zahlungsweise zugrundezulegen sind. Die erste Entscheidung ist einfach. Es können nur die jeweils neuesten Sterbetafeln in Betracht kommen, also zur Zeit die, welche in den Jahren 1970 und 1972 von dem Statistischen Bundesamt erarbeitet worden sind103. Schwieriger ist die Festsetzung des Zinsfußes. Sie erfordert zwei Prognosen, die kaum ganz sicher zu treffen sind. Die erste betrifft die für die wahrscheinliche Laufzeit der Rente zu erwartende Zinsentwicklung auf dem Kapital101 So schon RGZ 156, 392 ff.; ferner BGH VersR 1958, 324. Vgl. auch BGH VersR 1980, 132 ff., 133. 102 Der BGH VersR 1980, 132 ff., 133, hat die in § 12 StVG enthaltene Formel deshalb auch zu Recht nicht auf die Fälle des § 155 VVG angewendet, die vor der Neufassung des § 10 Abs. 7 S. 2 AKB entstanden sind. 103 Vgl. zu dieser Festlegung auch BGH VersR 1980, 132 ff., 134.
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markt l04 ; und die zweite Prognose gilt der (sogleich unter 5. zu behandelnden) Frage, in welchem Maße die nach § 847 BGB festzusetzende Rente gern. § 323 ZPO an die seit der Verurteilung des Schädigers eingetretene Veränderung der entscheidungs erheblichen Verhältnisse, insbesondere an die Geldwertentwicklung, anzupassen und das heißt: zu erhöhen ist. Beide Entwicklungen werden einigermaßen vertretbar prognostiziert, wenn man einen Zinsfuß von 5 Ofo zugrunde legtlOS. Dieser Zinsfuß wird nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte zwar oft unter dem erreichbaren Kapitalmarktzins für Renten liegen und deshalb bei der Verrentung einer Kapitalabfindung i. S. des § 847 BGB zum Vorteil des Schädigers ausschlagen, weil bei der Verrentung eines Kapitals ein niedriger Zinsfuß zu einer niedrigen Rente führt l08 . Diesem Vorteil des Schädigers steht aber der bereits erwähnte Nachteil gegenüber, daß die Rente während ihrer Laufzeit gern. § 323 ZPO angepaßt, also - nach den bisherigen Erfahrungen - erhöht werden muß. Keine Schwierigkeiten bereitet die Entscheidung über die Zahlungsweise. Es ist - wie bei anderen Renten l07 - auch bei der Rente gern. § 847 BGB von der monatlich-vorschüssigen Zahlungsweise auszugehen. In den Fällen des § 847 BGB, in denen der Geschädigte eine Rente verlangen kann, ergibt sich damit dieser Entscheidungsgang: Es ist zunächst der Betrag festzusetzen, der als einmalige Kapitalabfindung geboten wäre. Dieser Betrag ist dann zu verrenten, indem er durch den Faktor zu teilen l08 ist, der in den soeben konkretisierten Verrentungsund Kapitalisierungstabellen (neueste Sterbetafeln, Zinsfuß 5 0/0, monatlich-vorschüssige Zahlungsweise) dem Lebensalter des Geschädigten entspricht. Die so ermittelte Summe bildet die Jahresrente, aus der dann die monatlich zu zahlende Rente zu berechnen ist. Die Gerichte können statt dessen auch den umgekehrten Weg einschlagen und zunächst die Rente festsetzen. In diesen Fällen müssen sie aber die Angemessenheit der Rente mit Hilfe einer gedanklich durchzuführenden Kapitalisierung kontrollieren. Das heißt: sie müssen die festgesetzte Jahresrente mit dem genannten Kapitalisierungsfaktor multiplizieren. Falls der so ermittelte Betrag etwa der Summe entspricht, die als einmalige Kapitalentschädigung festzusetzen wäre, ist die ins Auge gefaßte Rente angemessen l09 . 104 Vgl. dazu BGH VersR 1980, 817 ff., 818. 105 So auch Geigel, Haftpflichtprozeß, 17. Aufl., Anhang I, 1633. Vgl. aber auch BGH VersR 1980. 817 ff., 818, wo unter Berufung auf § 13 BewG und § 6 a EStG ein Zinsfuß von 5,5 Ofo für vertretbar gehalten wird. 106 Vgl. Schneider bei Schneider I Schlund I Haas, Kapitalisierungs- und Verrentungstabellen, 18. 107 Vgl. auch dazu Schneider, wie vorige Fußn., 35. 108 Näher dazu der Text oben bei Fußn. 99. 109 Für diese Kontrollrechnung auch BGH VersR 1976, 967 ff., 969.
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Die geschilderte Verwendung der Verrentungs- und Kapitalisierungstabellen ist jedoch mit einer Einschränkung zu versehen. Sie betrifft die Fälle, in denen bei dem Geschädigten wegen der haftungsbegründenden Verletzung nicht von der durchschnittlichen Lebenserwartung eines Deutschen oder einer Deutschen in seinem (ihrem) Alter ausgegangen werden darf. In diesen Fällen ist das Lebensalter des Geschädigten um die Zeitspanne heraufzusetzen, um die sein Leben verkürzt worden ist. Es ist also der diesem erhöhten Lebensalter entsprechende Verrentungsfaktor (Kapitalisierungsfaktor) anzuwenden 110. An einem Beispielfall verdeutlicht heißt das: Wenn bei einem vierzigjährigen Geschädigten wegen seiner schweren Verletzung nicht von der durchschnittlichen Lebenserwartung eines vierzigjährigen, sondern von der eines sechzigjährigen Deutschen auszugehen ist, und wenn als Einmalentschädigung (Kapitalabfindung) ein Betrag von 36 000,- DM festzusetzen wäre, dann ist dieser Betrag bei der Berechnung der Jahresrente nicht durch den Verrentungsfaktor (Kapitalisierungsfaktor) für Vierzigjährige (15 043), sondern durch den Faktor für Sechzigjährige (10030)111 zu dividieren. Die Jahresrente beträgt dann also nicht 36000,- : 15 = 2400,- DM, sondern 36000,- : 10 = 3600,- DM. Das heißt umgekehrt: Wenn das Gericht zunächst eine monatliche Rente von 300,- DM und eine Jahresente von 3600,- DM für angemessen hielte, dürfte es diesen Betrag bei der zur Kontrolle vorzunehmenden Kapitalisierung nicht mit dem Faktor 15 multiplizieren, was zu einem Kontrollbetrag von 54 000,- DM führte; es müßte vielmehr den Faktor 10 wählen und aufgrund dieser Multiplikation feststellen, daß die festgesetzte Rente angemessen sei. 5. Die Abänderung und die Dynamisierung
a) Die Abänderung In der weiteren Frage, ob die einmal gern. § 847 BGB festgesetzte Rente durch eine Abänderungsklage gern. § 323 ZPO abgeändert werden kann, ist in den vorangegangenen Ausführungen bereits der allgemeinen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum zugestimmt worden. Diese Ansicht entspricht der Funktion der gern. § 847 BGB begründeten Rente, die hauptsächlich sicherstellen soll, daß der Geschädigte für den zukünftigen schweren Dauerschaden die jeweils angemessene Entschädigung erhält. Zu den "Verhältnissen" i. S. des § 323 ZPO, auf deren Veränderung es ankommt, gehören - entgegen 110 In diesem Sinne wohl auch Geigel, Haftpftichtprozeß, 17. Auft., Anhang I, 1633. 111 Die Faktoren finden sich bei Schneider I Schlund I Haas, wie Fußn. 106, 318 (Tabelle 201).
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der herrschenden Meinung - aber nicht der durch das Schadensersatzrecht nicht erfaßte und auch nicht erfaßbare Gefühlsschaden und auch nicht die Vermögensverhältnisse der Parteien. "Verhältnisse", die "für die Bestimmung der Höhe der Leistungen ... maßgebend waren", sind nach den Ergebnissen der vorangegangen Untersuchung vielmehr nur das im Zeitpunkt der Entscheidung festgestellte Ausmaß des äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschadens und die allgemeinen (also von dem Einzelfall losgelösten) sozialen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten in der Gesellschaft, die den Maßstab für die Bewertung des Schadens in Geld bestimmen112. Ihre Veränderung ist bei einem unverändert gebliebenen äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschaden mit der Frage zu prüfen, ob für diesen Schaden auch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Abänderungsklage noch der gleiche Rentenbetrag festzusetzen wäre. . b) Die Dynamisierung Die schwierigere Frage, ob die Rente in dynamischer Form festgesetzt, also mit einer echten, selbständig ("automatisch") wirkenden Wertsicherungsklausel verbunden werden kann, hat drei voneinander zu trennende und getrennt zu würdigende Aspekte: einen schadensersatzrechtlichen, einen währungs rechtlichen und einen prozeß- und vollstreckungsrechtlichen Aspekt. aa) In schadensersatzrechtlicher Hinsicht ergibt sich die Frage, ob der Geschädigte einen (materiellrechtlichen) Anspruch auf eine in dem genannten Sinne verstandene "dynamische" Rente hat. Einen solchen Anspruch verneint der BGH113 zunächst schon deshalb, weil es im Ermessen des Richters stehe, ob er überhaupt eine Rente für angemessen halte. Diese die Stellungnahme des BGH einleitende Erwägung ist jedoch nicht überzeugend; schon deshalb nicht, weil der Richter die Dynamisierung nicht unter Berufung auf sein Ermessen verneinen könnte, wenn sie aus sachlichen Gründen geboten wäre. Ebenfalls nicht überzeugend ist der Einwand, die Gewährung einer dynamischen Rente führe zu einer unbegründeten Differenzierung gegenüber den Fällen, in denen der Geschädigte nur eine Einmalabfindung erhalte; denn nach den bisherigen Untersuchungen darf die Rente nur den Geschädigten zugesprochen werden, die an einem qualifizierten Dauerschaden leiden und deshalb nicht auch noch damit belastet werden dürfen, eine einmalige Kapitalentschädigung so anlegen zu 112 113
Vgl. dazu oben B. 1. 2. (Text nach Fußn. 4). Vgl. zu diesem und den folgenden Punkten BGH VersR 1973, 1067 f.
= BGH NJW 1973, 1653 f.
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müssen, daß auch für den zukünftigen Schaden eine angemessene Entschädigung gesichert ist. Die Differenzierung zwischen den Geschädigten, die eine Rente erhalten, und denen, die durch eine einmalige Kapitalabfindung entschädigt werden, ist also sachlich begründet. Ernster zu nehmen ist die von dem BGH als wichtigster Einwand gegen eine Dynamisierung der Rente angesehene Feststellung, "daß Vermögenswerte einerseits, der Wert der Gesundheit und seelisches Wohlbefinden andererseits ihrer Natur nach von vorneherein inkommensurabel sind". Diese Feststellung bleibt auch dann richtig, wenn man die Vorstellungen des BGH über die Struktur des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens i. S. des § 847 BGB nicht teilt und insbesondere den Gefühlsschaden nicht für relevant hält. Daraus folgt aber nicht, daß die Geldentschädigung für einen immateriellen Schaden nicht von der Vermögenswertentwicklung oder von der Geldwertentwicklung abhängig sei und deshalb auch nicht an diese Entwicklung gebunden werden dürfe; denn das Schadensersatzrecht verpflichtet dazu, den immateriellen Schaden in Geld zu bewerten und damit von der Geldwertentwicklung abhängig zu machen. Deshalb ist es in den vergangenen Jahrzehnten auch wegen der Geldentwertung zu höheren Renten gern. § 847 BGB gekommen, und deshalb kann nach allgemeiner Meinung auch wegen der Geldwertentwicklung gern. § 323 ZPO eine Anpassung der Rente gefordert werden. Die Erkenntnis des BGH, daß immaterieller Schaden und Geld inkommensurabel sind, bestätigt daher nur die in dieser Untersuchung herausgearbeitete Erkenntnis, daß die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB niemals der Wiedergutmachung in Natur dient, also niemals als der "zur Herstellung erforderliche Geldbetrag" i. S. des § 249 S. 2 BGB anzusehen ist, sondern eine Geldentschädigung i. S. des § 251 BGB darstellt114• Durchschlagende Bedenken gegen die Dynamisierung der Rente gern. § 847 BGB bestehen aber deshalb, weil es an einem geeigneten Dynamisierungsfaktor fehlt. Die mehrfach befürwortete Verkoppelung der Rente mit dem Lebenshaltungskostenindex115 eines Statistischen Amtes wird allerdings nicht voll getroffen, wenn man ihr mit dem BGH entgegenhält, ein brauchbarer Maßstab für die "billige" Entschädigung in Geld ergebe sich immer erst aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem, was für den Geschädigten wünschenswert sei, und dem, was dem Schädiger "insbesondere wirtschaftlich, auch unter Berücksichtigung allgemeiner wirtschaftlicher Gesichtspunkte zugemutet werden" könne; Näher dazu insbesondere oben in § 4 B. IV. Vgl. nur das Gericht 1. Instanz zu BGH VersR 1973, 1067 f. und Heidel, VersR 1974, 927 ff., 928, mit dem Hinweis (Fußn.28) auf ein Gutachten der Deutschen Bundesbank, das diese Indices als sehr geeignete Wertsicherungsklauseln bezeichnet. 114
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denn die Entschädigung wird nicht durch eine solche Abwägung bestimmt, und sie hängt insbesondere nicht davon ab, welche Leistungen dem Schädiger individuell zuzumuten sind. Sie erfordert vielmehr lediglich eine Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld, und deren Ergebnis kann grundsätzlich auch an einen allgemeinen Index gebunden und damit dynamisiert werden. Eine solche Dynamisierung verbietet sich auch nicht deshalb, weil sie die von dem BGH beschworene Gefahr begründen kann, "daß die jeder Haftpflichtversicherung eigene Deckungshöchstsumme erreicht wird", und - so kann man ergänzen - auch der so weit wie möglich versicherte Schädiger selbst leistungspflichtig werden kann. Die Gefahr ist allerdings nicht völlig auszuschließen. Ihr müßte aber letztlich mit haftpflichtversicherungsrechtlichen Mitteln116 begegnet werden, wenn es keine weiteren Einwände gegen die Dynamisierung der Rente gern. § 847 BGB gäbe. Obwohl die Bedenken des BGH gegen die Eignung des Lebenshaltungskostenindexes als Dynamisierungsfaktor damit - für sich genommen - nicht voll überzeugen, berühren sie doch alle den entscheidenden Einwand. Er ergibt sich aus der schadensersatz rechtlichen Funktion der Dynamisierung. Sie besteht nicht darin, dem Geschädigten die Kaufkraft der einmal festgesetzten Rente auf Dauer zu erhalten. Mit der Dynamisierung soll vielmehr (nur) erreicht werden, daß der Geschädigte in Zukunft ohne erneute Entscheidung des Gerichts und auch ohne Verhandlungen der Parteien die Rente erhält, die nach der Veränderung des Dynamisierungsfaktors, also etwa nach der Erhöhung der Lebenshaltungskosten, festgesetzt werden müßte. Eine Dynamisierung kann deshalb gegen den Willen des Schädigers nur bestimmt werden, wenn es einen Dynamisierungsfaktor gibt, dessen Änderungen rechnerisch bestimmbar auf die Rente durchschlagen. Ein solcher Zusammenhang kann insbesondere zwischen Unterhaltsrenten und einem amtlichen Lebenshaltungskostenindex oder einem nach Lebensalter und Besoldungsstufe bestimmten Beamtengehalt bestehen. Zu denken ist etwa an die Bindung der Unterhaltsrente einer geschiedenen Ehefrau an den Lebenshaltungskostenindex eines Statistischen Amtes. Anders verhält es sich dagegen mit der nach § 847 BGB festzusetzenden Rente. Sie ist keine Lebensunterhaltsrente, und auf sie schlägt die Entwicklung der Lebenshaltungskosten nicht "automatisch" in voller Höhe durch; denn sie ist das in Geld ausgedrückte Ergebnis der Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens nach dem Maßstab der Billigkeit. Das heißt in der gebotenen Konkretisierung: Sie wird nicht nur von den allgemeinen ökonomischen, son116 Vgl. dazu Heidel, VersR 1974, 927 ff., 929, sowie neuestens Deinhardt, VersR 1980, 412 ff., 415.
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dern auch von den sozialen und organisatorischen Gegebenheiten in der Gesellschaft bestimmt 117• Die Geldwertentwicklung bildet also nur eines der allgemeinen Daten, von denen die Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens abhängt. Daher werden die zumindest als grob zuverlässige Bewertungsspiegel zu verstehendenll8 und zu verwendenden Schmerzensgeldtabellen auch nicht nur und jedenfalls nicht sofort und unmittelbar durch die Geldwertentwicklung verändert. Das heißt: Es steht nicht von vornherein fest, wie sich die Geldwertentwicklung auf die in Geld auszudrückende Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens auswirkt. Deshalb können die Gerichte auch nicht auf Antrag einer Partei durch echte, also selbständig ("automatisch") wirkende Wertsicherungsklauseln festlegen, wie sich die Rente in Zukunft an die Geldwertentwicklung anpassen soll. Möglich ist vielmehr nur eine Abänderung gern. § 323 ZPO, bei der festgestellt werden kann, wie sich die Geldentschädigungen seit der früheren Festsetzung der Rente entwickelt haben. Diese Ansicht kann dazu führen, daß die dem Geschädigten zunächst gewährte Rente im Laufe der Zeit einen Kaufkraftverlust erleidet, der auch durch die erneute Festsetzung nach § 323 ZPO nicht voll ausgeglichen wird. Diese Konsequenzen sind jedoch hinzunehmen, weil sich eine sachgerechte Dynamisierung nicht erreichen läßt und weil mit der Abänderungsklage nicht die Erhaltung der Kaufkraft der einmal erlangten Rente verlangt werden kann, sondern nur eine Festsetzung auf den Betrag, der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Abänderungsklage als Entschädigung für den eingetretenen Dauerschaden anzusetzen ist. Es kann also in diesem Zeitpunkt nur der Betrag verlangt werden, der in seiner Funktion dem aktuellen Marktpreis bei Schadensersatz für zerstörte Sachen entspricht. Eine selbständig ("automatisch") wirkende Dynamisierung der Rente gern. § 847 BGB, etwa eine Verkoppelung mit einem amtlichen Lebenshaltungskostenindex, ist damit schon aus schadensersatzrechtZiehen Gründen abzulehnen. bb) WährungsrechtZiehe Bestimmungen, die eine Dynamisierung schlechthin ausschließen, bestehen dagegen nicht. In der Diskussion um die Dynamisierung der Renten gern. § 847 BGB geht es um die Anwendung des § 3 WährungsG. Danach bedürfen echte, also selbständig wirkende Wertsicherungsklauseln jedenfalls dann der Genehmigung der zuständigen Landeszentralbank, wenn die mit ihnen verbundenen Geldschulden "eingegangen werden" (§ 3 S.l WährungsG). Das gleiche ist aber auch dann anzunehmen, wenn die Geldschulden und die Wertsicherungsklauseln nicht von den Parteien vereinbart, sondern - ent117 118
Vgl. dazu oben B. H. 2. Näher dazu oben B. H. 3. und 4.
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gegen der soeben vorgetragenen Ansicht - von einem Gericht festgesetzt werden; denn die Gerichte können die währungs rechtliche überwachungsfunktion der nach dem WährungsG zuständigen Stellen nicht ersetzen. Die Genehmigungsbedürftigkeit der echten Wertsicherungsklauseln wird daher auch in diesen Fällen - soweit ersichtlichallgemein angenommen119• Nach den Genehmigungsrichtlinien der Deutschen Bundesbank in der neuesten Fassung vom 9. 6. 1978 sind die Indexklauseln, die im Zusammenhang mit der Dynamisierung der Rente gem. § 847 BGB diskutiert werden, auch genehmigungsfähig, wenn die Rente lebenslänglich oder für einen längeren Zeitraum als zehn Jahre festgesetzt wird120 • ce) In der prozeßrechtlichen Diskussion über die Dynamisierung der Renten gem. § 847 BGB geht es zunächst um die Frage, ob nicht die nachträgliche Anpassung einer Zahlungsverpfiichtung an veränderte Verhältnisse - abschließend - in § 323 ZPO geregelt ist, also nur durch eine Abänderungsklage betrieben werden kann 1!1. In dieser Frage steckt der Einwand, daß Wertsicherungsklauseln wegen der Sonderregelung des § 323 ZPO zumindest nicht in den Tenor eines Leistungsurteils aufgenommen werden können. Bei der Beurteilung dieses Einwands ist die EntlastungsVO v. 22.12.1923 122 zu würdigen; denn nach § 9 dieser VO kann "die Höhe der zu zahlenden Geldsumme" auch im Tenor von Urteilen "nach Maßgabe einer amtlichen Teuerungszahl festgesetzt werden", und in § 11 wird zusätzlich bestimmt, daß die beizutreibende Geldsumme bei der Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen von dem Gerichtsvollzieher berechnet wird. Aufgrund dieser Vorschriften darf man § 323 ZPO selbst dann nicht als abschließende Ausnahmeregelung der Anpassung wiederkehrender Leistungen an die Veränderung entscheidungserheblicher Umstände ansehen, wenn man die Fortgeltung der EntlastungsVO verneint123 ; denn die VO ist jedenfalls auch weiterhin als "Material" zur sachgemäßen Auslegung des § 323 ZPO zu verwerten124. 119 Vgl. etwa Heidel, VersR 1974, 927 mit weiteren Nachweisen. Ebenso Baumbach I Lauterbach I Hartmann, ZPO, 38. Auft., § 313 ZPO Bem. 5; Stein I Jonas I Münzberg, ZPO, 20. Auft., Rdz.151 vor § 704 ZPO.
120 Vgl. zu den Fundstellen der Genehmigungsrichtlinien, zu deren Inhalt und zum Schrifttum Palandt I Heinrichs, § 244 BGB Bem. 5 a), sowie Stein I Jonas I Münzberg, wie vorige FuBn. 121 So die Fragestellung von Mes, NJW 1973, 875 ff., 878. 122 Die mehrfach geänderte VO ist in der jüngsten Fassung abgedruckt bei Stein I Jonas I Münzberg, ZPO, 19. Auft., Bd. Irr, Anhang nach § 915 ZPO. 123 So Stein I Jonas I Münzberg, ZPO, 20. Auft., Rdz. 150 vor § 704 ZPO, gegen die Vorauflage. Für Fortgeltung auch Mes, wie FuBn.121, sowie OLG Karlsruhe VersR 1969, 1123 ff., 1125. 124 So zutreffend Münzberg, wie vorige FuBn.
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Eine weitere prozessuale Schwierigkeit der Dynamisierung ergibt sich aus der Frage, wie das Erfordernis der währungsrechtlichen Genehmigung "technisch" zu bewältigen ist. Es wird einmal die Ansicht vertreten, daß eine Wertsicherungsklausel nur dann in die Urteilsformel hineingenommen werden dürfe, wenn die währungsrechtliche Genehmigung bereits erteilt sei 125 • Dagegen steht die Meinung, die Klausel könne - wie es bei devisenrechtlichen Genehmigungen in § 32 A WG vorgesehen sei - schon vor der Genehmigung mit einem Genehmigungsvorbehalt in die Urteilsformel aufgenommen werden126 . Die zuerst genannte Auffassung wird allein mit dem Hinweis auf § 3 WährungsG begründet. Diese Vorschrift wird aber nicht verletzt, wenn die Wirksamkeit der Wertsicherungsklausel durch einen Vorbehalt von der Rechtsbedingung der Genehmigung abhängig gemacht wird. Gegen die Zulässigkeit eines Vorbehalts kann ferner nicht geltend gemacht werden, daß sie - anders als im A WG - im WährungsG nicht vorgesehen sei; denn § 3 WährungsG regelt unmittelbar nur die Genehmigung von Wertsicherungsklauseln für Geldschulden, die "eingegangen", also vereinbart werden. Es fehlt deshalb folgerichtig eine Regelung über die Möglichkeit eines Genehmigungsvorbehalts in der Urteilsformel. Da außerdem unbestritten ist, daß die Vereinbarung einer Wertsicherungsklausel unter Genehmigungsvorbehalt zulässig ist, muß die Klausel auch in einer Urteilsformel mit einem Genehmigungsvorbehalt verbunden werden können. Wegen des Betrags, um den sich die zunächst festgesetzte Rente im Laufe der Zeit erhöht hat, wäre die Zwangsvollstreckung jedoch - wie nach § 32 Abs. 2 A WG - nur zulässig, wenn und soweit die Wertsicherungsklausel genehmigt worden ist. Zweifelhaft ist schließlich, ob die Dynamisierung der Rente gern. § 847 BGB durch Verkoppelung mit einer Wertsicherungsklausel dem "Grundsatz der Klarheit im Vollstreckungsrecht"127 entspricht. Nach diesem auch in § 794 Abs. 1 Nr.4 ZPO verankerten Grundsatz muß die Urteilsformel bei Verurteilungen zur Zahlung eines Geldbetrags so bestimmt sein, daß der beizutreibende Betrag jederzeit eindeutig feststeht. Das kann aber zumindest seit den Tagen der bereits erwähnten §§ 9 und 11 der EntlastungsVO von 1923 nicht bedeuten, daß die zu zahlende Geldsumme in dem Tenor genannt sein muß. Andererseits genügt 125 So wohl Stein I Jonas I Schumann I Leipold, ZPO, 19. Auft., § 313 ZPO Bem. IH. 4., da sie die Möglichkeit eines Tenors mit dem Vorbehalt der Genehmigung nicht erwähnen. 126 So Heidel, VersR 1974, 927, und ihm folgend Baumbach I Lauterbach I Hartmann, ZPO, 38. Auft., § 313 ZPO Bem. 5. Ebenso auch Stein I Jonas I Münzberg, ZPO, 20. Auft., § 704 ZPO Rdz. 152, wo die Möglichkeit von Titeln mit währungsrechtlichem Vorbehalt ohne Einschränkungen unterstellt wird. 127 Vgl. BGHZ 22, 54 ff., 58, im Anschluß an RGZ 81, 303.
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es allerdings auch nicht, daß der Betrag nur in irgendeiner Weise bestimmbar ist. Den zu Recht geforderten Einschränkungen128 wird aber durch Wertsicherungsklauseln genügt, wenn diese so bestimmt sind, daß der zu zahlende und beizutreibende Betrag aufgrund allgemein zugänglicher und nachprüfbarer Faktoren von den Vollstreckungsorganen zweifelsfrei berechnet werden kann 129. Wertsicherungsklauseln, die diesen Anforderungen entsprechen, sind u. a. die Indices der Statistischen Ämter130. Die Renten gern. § 847 BGB könnten deshalb ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Klarheit (und Bestimmtheit) im Prozeß- und Vollstreckungsrecht durch Verkoppelung mit einem amtlichen Lebenshaltungskostenindex dynamisiert werden. dd) Die Frage, ob die Renten gern. § 847 BGB von dem Gericht mit einer echten, also selbständig ("automatisch") wirkenden Wertsicherungsklausel verbunden und dadurch dynamisiert werden können, ist damit so zu beantworten: Die Dynamisierung wird zwar durch das Währungs- und Prozeßrecht nicht ausgeschlossen, sondern nur eingeschränkt. Sie ist aber aus schadensersatzrechtlichen Gründen abzulehnen, weil es keinen dem Anpassungsanspruch des Geschädigten entsprechenden echten (selbständig wirkenden) Wertsicherungs- und Dynamisierungsfaktor gibt. Es ist also der von dem BGH131 begründeten herrschenden Meinung beizutreten.
6. Die Bedeutung des Klageantrags für die Form der Entschädigung Nicht zu folgen ist dagegen der herrschenden Meinung über die Bedeutungslosigkeit des von dem Kläger gestellten Antrags. Die herrschende Meinung beruht auf ihren materiellrechtlichen Grundlagen: Wenn auch und sogar hauptsächlich der Gefühlsschaden als entschädigungspflichtig angesehen wird, wenn es nicht nur wünschenswerter, sondern bestimmender Zweck der Entschädigung ist, auf die Gefühlslage des Geschädigten einzuwirken und dem Geschädigten Genugtuung zu verschaffen, wenn schließlich bei der Festsetzung der Entschädigung nicht nur der Schaden, sondern auch alle anderen Umstände des Falles zu berücksichtigen sind, dann kann der Geschädigte als Kläger kaum einen ihn oder den Richter bindenden Klageantrag stellen; denn es ist für keinen von ihnen im voraus auch nur einigermaßen übersehbar, 128 Vgl. etwa den Bericht in BGHZ 22, 54 ff., 58 (zu § 794 Abs. 1 Nr.5 ZPO) und allgemein Stein I Jonas I Münzberg, ZPO, 20. Aufl., Rdz. 26 - 28 vor § 704 ZPO. 129 Vgl. Stein I Jonas I Münzberg, wie vorige Fußn., Rdz.153 vor § 704 ZPO. 130 Vgl. Stein I Jonas I Münzberg, wie vorige Fußn., mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum in Fußn. 284. 131 BGH VersR 1973, 1067 f. = NJW 1973, 1652 f. 14 Lorenz
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wie der Gefühlsschaden ausspekuliert wird, welche Umstände sonst noch herangezogen und wie sie bewertet werden. Dennoch kann man nicht sagen, dem Kläger werde gem. § 308 ZPO zugesprochen, was er beantragt hat, wenn sein Antrag eindeutig und allein auf eine Rente zielt und er eine Kapitalabfindung erhält oder umgekehrt: Wer eine Rente beantragt, will in regelmäßigen Raten entschädigt und - wegen der Anpassungsfähigkeit der Rente - von der Sorge um eine auch in Zukunft angemessene Entschädigung befreit werden. Wer dagegen eine Kapitalabfindung begehrt, will sofort einen größeren Betrag zur Verfügung haben und das Risiko einer angemessenen zukünftigen Entschädigung selbst tragen. Gleichermaßen evidente Unterschiede zwischen Entschädigung durch Kapitalabfindung und durch Rentenzahlung ergeben sich aus der Sicht der Schädiger. Die materiellrechtlichen Grundlagen der herrschenden Meinung zwingen damit zu einer mit § 308 ZPO kaum zu vereinbarenden Beurteilung der Anträge der Parteien. Daraus ergibt sich ein weiterer Einwand gegen diese Grundlagen und eine zusätzliche Unterstützung der - in der vorangegangenen Untersuchung - bereits vorgebrachten Kritik. Die materiellrechtlichen Ergebnisse dieser Untersuchung werden weiterhin dadurch bestätigt, daß sie die gebotene Anwendung des § 308 ZPO ermöglichen. Im einzelnen ist zu sagen: Wenn man im Gegensatz zu der herrschenden Meinung nicht den Gefühlsschaden, sondern nur den äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden für en tschädigungspflichtig hält, wenn man ferner der Geldentschädigung nur eine nicht mit naturalrestitutiven Zielsetzungen verbundenen Ausgleichsfunktion zuerkennt und ihre Festsetzung nicht von allen Umständen des Einzelfalles, sondern nur von dem Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens abhängig macht, wenn man schließlich die Bewertung dieses Schadens nur an den allgemeinen sozialen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten in der Gesellschaft orientiert und die Voraussetzungen für eine Entschädigung in Rentenform klar abgrenzt, ergibt sich für die wichtigsten Fallgruppen diese Stellungnahme: a) Der alleinige Antrag auf Kapitalabfindung Wenn der Kläger (Geschädigte) lediglich eine einmalige Kapitalabfindung beantragt, ist seinem Antrag auch dann stattzugeben, wenn der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente erfüllt. Dem steht nicht entgegen, daß die Zuerkennung einer Rente ihrer Funktion nach die mit einem schweren immateriellen Dauerschaden behafteten Geschädigten begünstigen, nämlich von der Sorge befreien soll, die angemessene Entschädigung des zukünftigen Schadens sicherzustellen; denn der Ge-
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schädigte kann auf diese Vergünstigung ebenso "verzichten" wie er auf den gesamten Anspruch gem. § 847 BGB "verzichten" kann, und diesen Verzicht bringt er dadurch zum Ausdruck, daß er von vorneherein keine Rente beantragt. Diese Einstellung darf der Richter auch dann nicht unterlaufen, wenn er aufgrund seiner laienpsychologischen Einstellung meint, eine Rente könne die Gefühlsstörungen des Geschädigten besser ausgleichen als eine Kapitalentschädigung; denn entschädigungspflichtig ist - wie soeben noch einmal betont - allein der äußere immaterielle Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden in dem in § 3 dieser Abhandlung erarbeiteten Sinne. Der Richter darf die Gefühlslage des Geschädigten deshalb weder ausforschen noch - was realistischer ist - ausspekulieren. Das bedeutet im Kern: was der Geschädigte mit der Entschädigung macht, ist seine Sache 132 • Dem allein auf eine Kapitalentschädigung gerichteten Antrag des Klägers (Geschädigten) darf ferner nicht deshalb der Erfolg versagt werden, weil die Vermögensverhältnisse des Schädigers der Belastung mit einem größeren Kapitalbetrag nicht gewachsen sind; denn der Anspruch gem. § 847 BGB ist von den Vermögensverhältnissen der Parteien unabhängig. Die Vermögensverhältnisse sind daher im Erkenntnisverfahren nicht zu berücksichtigen. Die allein beantragte Kapitalentschädigung kann schließlich auch nicht mit der Begründung verweigert werden, daß eine an sich begründete Rente - wie gem. § 843 Abs. 3 BGB in den Fällen der §§ 843 bis 845 BGB - nur aus wichtigem Grund kapitalisiert werden könne; denn die entsprechende Anwendung des § 843 Abs. 3 BGB ist eindeutig abzulehnen, weil sich die Rente gem. § 847 BGB wesentlich von den Renten i. S. der §§ 843 - 845 BGB unterscheidet: Sie ist keine den Lebensunterhalt sichernde Rente. Der Geschädigte erhält sie vielmehr neben der Unterhaltsrente. Ihre Kapitalisierung und der Verlust des Kapitalbetrags gefährden die Existenz des Geschädigten also in der Regel nicht. Sie bildet deshalb auch - anders als in den Fällen der §§ 843 - 845 BGB - nicht die regelmäßige, sondern die nur ausnahmsweise zu gewährende Entschädigungsform. b) Der alleinige Antrag auf Rente und seine sachdienliche Form Wenn der Kläger (Geschädigte) lediglich eine Rente beantragt, besteht die Vermutung, daß er die materiellrechtliche Struktur des Anspruchs gem. § 847 BGB nicht voll durchschaut hat; denn eine Rente kann nur aufgrund eines äußeren immateriellen Verletzungsjolgescha132
So bereits in anderem Zusammenhang oben 2. (Text bei Fußn. 95).
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§ 6: Festsetzung der Entschädigung
dens in Form eines qualifizierten Dauerschadens gewährt werden und der setzt einen ausnahmslos durch Kapitalabfindung 133 zu entschädigenden äußeren immateriellen Verletzungs schaden voraus. Da in der Regel nicht zu unterstellen ist, daß für den äußeren immateriellen Verletzungsschaden keine Geldentschädigung gefordert werden soll, ist also (gem. § 139 ZPO) auf einen sachdienlichen Antrag hinzuwirken. Sachdienlich ist der Antrag, wenn wegen des äußeren immateriellen Verletzungsschadens eine Kapitalentschädigung und wegen des äußeren immateriellen Verletzungsjolgeschadens eine Rente und nur hilfsweise (nämlich für den Fall, daß die Voraussetzungen einer Rente nach Ansicht des Gerichts nicht vorliegen) eine Kapitalabfindung beantragt wird. Dem (zweiten) Hauptantrag auf Gewährung einer Rente ist in diesen Fällen aber bereits dann stattzugeben, wenn der Kläger einen Dauerschaden erlitten hat, der ihn so sehr beeinträchtigt, daß ihm nicht auch noch die Sorge um die günstige Verwendung einer einmaligen Kapitalabfindung überbürdet werden darf. c) Der Antrag auf eine Entschädigung nach dem Ermessen des Gerichts Wenn der Kläger (Geschädigte) die Entscheidung in das Ermessen des Gerichts stellt, ergibt sich zunächst die Frage, ob damit dem Bestimmtheitsgrundsatz des § 253 Abs.2 Nr.2 ZPO genügt wird. Das ist nach verbreiteter Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Kläger die tatsächlichen Grundlagen für die Bezifferung und die Größenordnung des geltend gemachten Anspruchs so genau wie möglich angibt134 • Es wird aber nicht einmal für erforderlich gehalten, daß der Kläger erklärt, ob er auch eine Rente oder nur eine Kapitalabfindung haben will. Diese Ansicht beruht auf der herrschenden Meinung über die materiell rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs gem. § 847 BGB, insbesondere auf der Vorstellung, daß der Richter bei der Festsetzung der Entschädigung nicht nur den äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden, sondern auch den Gefühlsschaden und alle anderen Umstände des zu beurteilenden Falles zu würdigen hat und deshalb selbst gegen den jeweils gestellten Antrag des Klägers eine Rente oder eine Kapitalabfindung zusprechen kann. Diesen Vorstellungen ist jedoch nicht zu folgen; denn nach den in der vorangegangenen Untersuchung erzielten Ergebnissen erfordert die Festsetzung der Geldentschädigung lediglich eine Bewertung des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens in Geld, und außerdem ist dem Antrag des GeVgl. dazu oben 2. b) und 3. Vgl. dazu nur Thomas I Putzo, ZPO, 10. Aufl., § 253 ZPO Bem. 2 e) mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BGH. 133 134
E. Zusammenfassung
213
schädigten auf Kapitalabfindung auch dann stattzugeben, wenn er wegen des immateriellen Folgeschadens anstelle des Kapitalbetrags eine Rente verlangen könnte 135 • Die mit diesen Ergebnissen erarbeitete Einschränkung und Präzisierung der Anspruchsvoraussetzungen begrenzt die Vortragslast des Klägers und ermöglicht es ihm zugleich, die materiellrechtliche Rechtslage genauer einzuschätzen und deshalb seine Anträge zu präzisieren. Dazu ist er auch verpflichtet; denn er hat Grund und Ziel der Klage so weit wie möglich klarzustellen, damit dem Beklagten eine angemessene Verteidigung ermöglicht wird 136 • Der Antrag des Klägers ist also nur dann "bestimmt" i. S. des § 253 Abs.2 Nr.2 ZPO, wenn er klar erkennen läßt, ob wegen des gesamten Schadens nur eine Kapitalentschädigung oder wegen des äußeren immateriellen Folgeschadens statt dessen eine Rente und allenfalls hilfsweise eine Kapitalentschädigung verlangt wird. E. Zusammenfassung
Die Ausführungen zu der Frage, wie die Geldentschädigung gern. § 847 BGB festzusetzen ist, führen damit zu dieser zusammengefaßten Antwort: Aufgrund der Ergebnisse, die in den vorangegangenen Untersuchungsabschnitten über die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs gern. § 847 BGB erzielt worden sind, erfordert die Festsetzung der Geldentschädigung lediglich eine Bewertung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens in Geld. Das heißt: Für den äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden ist ohne Berücksichtigung weiterer Umstände des zu beurteilenden Falles eine Geldentschädigung anzusetzen. Bewertungsmaßstab ist die in § 847 BGB erwähnte "Billigkeit". Sie enthält das Gebot, eine Bewertung nach den allgemeinen (also von dem Einzelfall losgelösten) sozialen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten in der Gesellschaft vorzunehmen. Um eine solche Bewertung zu erreichen, sind die in vergleichbaren Fällen ergangenen und in sog. Schmerzensgeldtabellen gesammelten Entscheidungen und der Wandel der genannten Gegebenheiten zu würdigen. Vergleichbare Fälle gibt es jedoch nur dann, wenn es bei der Festsetzung der Geldentschädigung - entgegen der herrschenden Meinung - nicht auf alle Umstände des Einzelfalles ankommt, sondern nur auf den äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden; denn bei näherer Individualisierung der Fälle gleicht kein Fall dem anderen. 135 186
Näher dazu oben zu a). Vgl. Stein I Jonas I Schumann I Leipold, ZPO, 19. Aufl., § 253 ZPO Bem.
2. a. (S. 994).
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§ 6:
Festsetzung der Entschädigung
Der Wandel der - allgemeinen - sozialen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten zeigt sich teilweise - wie etwa bei den ökonomischen Gegebenheiten - in amtlichen statistischen Daten und im übrigen in den allgemeinen Bewertungsströmungen, in der Kritik an der bisherigen Rechtsprechung und in den sie aufgreifenden Anträgen der Parteien. Die laufend ergehenden und veröffentlichten Entscheidungen und die Umstände, die einen Wandel der allgemeinen Bewertungsgrundlagen anzeigen, erweisen sich damit als Daten, die in ihrer Funktion den Faktoren entsprechen, aus denen sich bei Sachschäden der Marktpreis ergibt. In Geld zu bewerten sind auch die sog. Bagatellschäden. Die in letzter Zeit aufgekommene Gegenmeinung ist abzulehnen. Eine Differenzierung zwischen Bagatellschäden und sonstigen Schäden ist mit dem (richtig verstandenen) Gesetz nicht vereinbar und auch sachlich jedenfalls dann nicht begründet, wenn man die zur Haftungsbegründung erforderliche Körper- und Gesundheitsverletzung i. S. der §§ 823 und 847 BGB so abgrenzt wie die Körperverletzung i. S. der §§ 230 und 223 StGB. Die geforderte Bagatellschadensklausel bietet außerdem schwerwiegende rechtstechnische Schwierigkeiten, weil sie sich nicht überzeugend abgrenzen läßt und weil ihr wichtigstes rechtspolitisches Ziel, nämlich mit den eingesparten Geldentschädigungen für Bagatellschäden eine höhere Entschädigung schwerer Schäden zu ermöglichen, organisatorisch kaum zu erreichen ist. Die regelmäßige Form der Geldentschädigung ist die einmalige Zahlung eines Kapitals (Kapitalabfindung). Unter besonderen Voraussetzungen ist aber auch eine Entschädigung in Rentenform möglich. Der Geschädigte kann eine Rente verlangen, wenn er einen äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschaden in Form eines Dauerschadens erlitten hat und wenn ihn der Dauerschaden so sehr beeinträchtigt, daß er nicht auch noch mit der Sorge belastet werden darf, die einmalige Kapitalentschädigung so anlegen zu müssen, daß er wegen der künftigen immateriellen Schäden eine angemessene Entschädigung erhält. Entscheidend ist somit allein die Intensität des Dauerschadens. Die Höhe der Rente ist in der Regel durch Verrentung des Betrages zu bestimmen, der als einmalige Kapitalabfindung festzusetzen wäre. Die Verrentung erfolgt nach Tabellen, denen die im Zeitpunkt der Entscheidung neuesten Sterbetafeln, ein Zinsfuß von 5 Ofo und monatlichvorschüssige Zahlungsweise zugrunde liegen. Es kann auch umgekehrt zunächst die Rente festgesetzt und dann durch gedanklich vorzunehmende Kapitalisierung kontrolliert werden, ob der Kapitalwert (Barwert) etwa dem Bettag entspricht, der als einmalige Abfindung zuzusprechen wäre. Die aus den Tabellen zu entnehmenden, von dem
E. Zusammenfassung
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jeweiligen Lebensalter des Rentenberechtigten abhängigen Verrentungsfaktoren (Kapitalisierungsfaktoren) bedürfen jedoch der Korrektur, wenn die Lebenserwartung des Geschädigten wegen der haftungsbegründenden Verletzung kürzer ist als die seinem Lebensalter entsprechende durchschnittliche Lebenserwartung. Dann ist das Lebensalter um die Zeitspanne zu erhöhen, um die seine Lebenserwartung verkürzt worden ist. Die einmal festgesetzte Rente kann gern. § 323 ZPO abgeändert, aber nicht durch Verkoppelung mit einer echten (selbständig oder "automatisch" wirkenden) Wertsicherungsklausel dynamisiert werden. Die Dynamisierung scheitert nicht an währungs- und prozeßrechtlichen Hindernissen. Sie ist aus schadensersatzrechtlichen Gründen abzulehnen: Anders als bei Unterhaltsrenten, gibt es für die Renten gern. § 847 BGB keinen Dynamisierungsfaktor, der ihre zukünftige Entwicklung angemessen bestimmen kann; denn der Schädiger schuldet nicht für alle Zeit die Kaufkraft der einmal festgesetzten Rente, sondern nur den (höheren oder geringeren) Betrag, der jeweils als angemessen angesehen wird und in seiner Funktion dem Marktpreis für zerstörte Sachen entspricht. Auch soweit es um die Form der Entschädigung geht, ist das Gericht an die Anträge der Parteien gebunden. Wenn der Kläger eine Kapitalentschädigung beantragt, muß sie ihm auch wegen des Schadens gewährt werden, der die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente erfüllt. Eine beantragte Rente ist ihm schon dann zuzusprechen, wenn lediglich die dargelegten Voraussetzungen gegeben sind. In seinen Anträgen hat der Kläger zumindest klarzustellen, ob er eine Rente fordert oder nicht. Alle diese Grundsätze beruhen auf den in dieser Untersuchung erzielten und von der herrschenden Meinung abweichenden Ergebnissen. Durch sie sind die Kriterien, von denen die Höhe der Geldentschädigung abhängt und die Voraussetzungen für die Entscheidung über die Form der Entschädigung eingeschränkt und präzisiert worden. Sie haben damit zugleich die bislang durch alle (alle wesentlichen, alle in Betracht kommenden usw.) Umstände des einzelnen Falles geprägte und deshalb völlig unkalkulierbare richterliche Ermessensausübung gebunden und dadurch den Prozeßstoff begrenzt und klarere Anträge ermöglicht.
§ 7: Die Ergebnisse und die Folgerungen A. Die Ergebnisse 1. Die in § 1 dieser Untersuchung beschriebenen Fälle des § 847 BGB, also die Wortlautfälle und die Fälle der Verletzung des sog. allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die der entsprechenden Anwendung des § 847 BGB unterworfen werden, führen in allen Rechtsordnungen zu zwei nach der Haftungsbegründung zu beantwortenden Fragen. Es sind die Fragen, was mit dem immateriellen Schaden gemeint ist und welche Geldentschädigung ihm entspricht. Die in § 2 dieser Untersuchung skizzierten bisherigen Antworten auf diese Fragen beruhen weitgehend auf dem am 6.7.1955 ergangenen Beschluß des Großen Senats für Zivilsachen des BGH, der die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum begründet hat. Die in der Auseinandersetzung mit diesen Antworten gewonnenen Ergebnisse sind am Ende eines jeden Untersuchungsabschnitts ausführlich zusammengestellt und als Ausgangspunkt für die weiteren Untersuchungen immer wieder aufgenommen worden. In kürzester Fassung besagen sie: 1. Zu dem entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden gehört nicht der Gefühlsschaden des Geschädigten, also seine seelische Unbill, die Störung seines inneren Gleichgewichts, seines Selbstbewußtseins, seines Rechtsgefühls usw. Dieser Schaden kann und darf durch das Schadensersatzrecht nicht erfaßt werden. Entschädigungspflichtig sind nur zwei Schadensposten: der äußere immaterielle Verletzungsschaden und der äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden (§ 3). 2. Da der Gefühlsschaden nicht entschädigungspflichtig ist, kann die Geldentschädigung auch nicht den ihre Struktur bestimmenden Zweck haben, auf die Gemütslage des Geschädigten einzuwirken und ihn zu besänftigen. Insoweit erfüllt sie - wie jede Entschädigung - lediglich eine Reflexfunktion. Aus dem gleichen Grunde kann der Geldentschädigung auch weder eine stets dem Sühnegedanken verpflichtete Genugtuungsfunktion noch eine Ausgleichsfunktion unterstellt werden, die mit naturalrestitutiven Zielen verbunden wird, etwa mit dem Ziel, für den Geschädigten einen "Lustgewinn" zu begründen. Die Geldentschädigung hat vielmehr nur eine Ausgleichsfunktion, die besagt, daß der nicht durch Naturalrestitution zu beseitigende entschädigungspflichtige immaterielle Schaden in Geld zu bewerten ist (§ 4).
A. Ergebnisse
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3. Bei der Bemessung der Geldentschädigung können und dürfen nicht "alle" oder "alle erheblichen" usw. Umstände des Einzelfalles gewürdigt werden. Von diesen Umständen ist vielmehr allein das Ausmaß des entschädigungspfiichtigen immateriellen Schadens zu berücksichtigen (§ 5). 4. Die billige Bewertung des entschädigungspfiichtigen immateriellen Schadens in Geld erweist sich damit als eine Bewertung nach den allgemeinen (also von dem Einzelfall losgelösten) sozialen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten in der Gesellschaft. Näheres zum Vollzug und zu den Folgen dieses Grundsatzes ergibt sich aus der soeben formulierten Zusammenfassung des letzten Untersuchungsabschnitts (§ 6). 11. Die soeben erzielten Ergebnisse bilden zusammengenommen eine Entschädigungskonzeption, die sich so charakterisieren läßt: 1. Die Konzeption vollzieht entwicklungsgeschichtlich die Trennung von Schadensersatzrecht und Strafrecht, die nicht nur als dogmatische Flurbereinigung oder didaktische KlarsteIlung zu fordern ist, sondern eine sachliche Notwendigkeit darstellt: Sie ermöglicht es, die schadensersatzrechtlichen und die strafrechtlichen Sanktionen ihren unterschiedlichen Funktionen entsprechend zu strukturieren und durchschaubar und deshalb für alle Beteiligten auch einsehbar zu begründen. Außerdem beseitigt sie die mit Mischsanktionen stets verbundene Gefahr einer über- oder Untersanktionierung.
2. Die Konzeption entspricht strukturell den Prinzipien des Schadensersatzrechts und weist damit der Geldentschädigung den ihr als schadensersatzrechtliche Sanktion zukommenden Wirkungsbereich zu. Das bedeutet, die Geldentschädigung wird nur auf Eingriffe und die daraus entstehenden Beeinträchtigungen der (im weiteren Sinne verstandenen) äußeren Persönlichkeit und nicht auch auf die Verletzung der meist mitbetroffenen aber durch das Schadensersatzrecht nicht erfaßbaren inneren Persönlichkeit bezogen. Sie wird nicht mit pönalisierenden Wirkungen aufgeladen und auch nicht als bloßes "symbolisches Zeichen" für die Anerkennung des Geschädigten und die Verurteilung des Schädigers mißverstanden, weil ein solches "Zeichen" keine Entschädigung in Geld darstellt. Sie wird aber auch nicht als eine dem entschädigungspfiichtigen immateriellen Schaden absolut gleichwertige Leistung überschätzt, weil sich der immaterielle Schaden nicht gleichwertig in Geld ausdrücken läßt, sondern in diesem Sinne unbezahlbar ist. Sie erweist sich vielmehr als das Ergebnis einer von den allgemeinen Gegebenheiten in der Gesellschaft abhängigen Bewertung des entschädigungspfiichtigen immateriellen Schadens in Geld; sie kann des-
218
§ 7: Ergebnisse und Folgerungen
halb in anderen Rechtsordnungen mit anderen allgemeinen sozialen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten durchaus anders ausfallen. 3. Die Konzeption erweist sich aus haftpfiichtversicherungsrechtlicher Sicht wegen ihrer entpönalisierten Struktur als die gebotene haftungsrechtliche Grundlage für die allgemein anerkannte Pflicht der Versicherer, bis zur Höhe der Versicherungssumme die gesamte Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB abzudecken. 4. Die Konzeption fördert in rechtspolitischer Hinsicht die seit langem betriebene Reform des Schadensersatzrechts: Sie ermöglicht zunächst eine schon de lege lata zu verwirklichende und sogleich (unter B.) noch näher zu erläuternde Vereinfachung der Rechtsanwendung, ohne den schadensersatzrechtlichen Schutz zu verkürzen. Sie erweist sich damit als ein sachlich gebotener Mittelweg zwischen der vorherrschenden unbegründet individualisierenden und deshalb unbegründet aufwendigen Konzeption und dem radikal-pauschalen Vorschlag, das Haftungsrecht in weiten Bereichen durch das Unfallversicherungsrecht zu ersetzen. Sie ist weiterhin deshalb reformerheblich, weil sie verdeutlicht, daß die Reform des Schadensersatzrechts nicht allein oder hauptsächlich darin bestehen darf, die in der Rechtsprechung entstandene herrschende Meinung in gesetzliche Vorschriften zu gießen. Sie ermöglicht schließlich die am Ende der Untersuchung (unter C.) aufzuzeigende Stellungnahme zu anderen Reformvorschlägen.
B. Die Folgerungen für die Rechtsanwendung Das Ausmaß der soeben angesprochenen Vereinfachungen, die sich ergeben, wenn anstelle der herrschenden Meinung die in dieser Untersuchung erarbeitete Entschädigungskonzeption zu § 847 BGB befolgt wird, ist für die einzelnen Fallkonstellationen unterschiedlich groß. Sie ist deshalb für die wichtigsten Fälle gesondert aufzuzeigen. I. Die Fille einer haftungsbegrtlndenden Verletzung durcll einen Scllidiger ohne haftungsmindernde Mitwirkung des Gescllidigten
1. Die gebotenen Untersuchungen Die einfachsten Fälle sind die, in denen nur ein Schädiger dem Geschädigten eine haftungsbegründende Verletzung i. S. des § 847 BGB zugefügt hat und eine haftungsmindernde Mitwirkung des Geschädigten, etwa ein Mitverschulden gern. § 254 BGB, nicht gegeben ist. In Fällen dieser Art sind zwei voneinander zu trennende Arbeitsgänge geboten.
B. Folgerungen für die Rechtsanwendung
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a) Die Feststellung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens Im ersten Arbeitsgang ist das Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens festzustellen. Das heißt im einzelnen: Es ist zunächst der äußere immaterielle Verletzungsschaden und dann der etwaige äußere immaterielle Verletzungsfolgeschaden zu ermitteln. Dabei sind nur die schadensbestimmenden Umstände zu berücksichtigen, die sich auf den äußeren immateriellen Schaden1 beziehen, während die, welche für die Beurteilung des Gefühlsschadens relevant sein könnten, von vornherein außer Betracht zu lassen sind, weil der Gefühlsschaden - wie dargelegt - durch die Schadensersatzrechtsordnung nicht erfaßt werden kann und darf. Bei der Ermittlung des äußeren immateriellen Verletzungsschadens ist im wesentlichen auf die Intensität des haftungsbegründenden Eingriffs abzustellen, und das Ausmaß des äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschadens ergibt sich aus der Intensität und Dauer der äußeren Behinderung, die der Geschädigte durch das Fortwirken der haftungsbegründenden Verletzung zu ertragen hat. Die nötigen Feststellungen sind oft nur durch volle Ausnutzung der Möglichkeiten des § 287 ZPO zu treffen. Das gilt insbesondere für die Schadensbestimmung bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Eine zu dieser Problematik gehörende und immer wieder kritisch aufgeworfene Frage ist die, ob die "gesellschaftliche Stellung des Opfers" die Höhe der Geldentschädigung beeinflußt2 • Die Fragestellung beruht auf der unzutreffenden, aber herrschenden Ansicht, daß bei der Bemessung der Geldentschädigung alle Umstände des zu beurteilenden Einzelfalles zu berücksichtigen seien. Außerdem verdeckt sie durch verschwommene Weitläufigkeit den Kern der Problematik. Im einzelnen ist dies zu sagen: Da von den Umständen des zu beurteilenden Einzelfalles nur der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden zu berücksichtigen ist, ergibt sich die Frage, ob die "gesellschaftliche Stellung" des Geschädigten seinen äußeren immateriellen Verletzungs- oder Verletzungsfolgeschaden beeinflußt und folglich als schadensbestimmender Faktor anzusehen ist. Das ist jedoch schon deshalb zu verneinen, weil ein derart diffuses Kriterium als Kriterium für die Schadensbestimmung völlig ungeeignet ist und somit aus der schadensersatzrechtlichen Diskussion verschwinden sollte. Das heißt aber nicht, daß alle Entscheidungen, in denen mit diesem unbrauchbaren Kriterium operiert worden ist, schon deswegen im Ergebnis unrichtig seien. Sie sind es nicht, wenn mit der "gesellschaftlichen Stellung" des Geschädigten sein - als 1 2
Vgl. dazu oben § 3 C. X. Dazu neuestens v. Bar, NJW 1980, 724 ff.
220
§ 7:
Ergebnisse und Folgerungen
Schadensfaktor anzuerkennender - Bekanntheitsgrad3 gemeint ist; sie sind es ferner nicht, wenn der Geschädigte wegen seines (aus welchen Gründen auch immer entstandenen) außergewöhnlichen Bekanntheitsgrads als ein Geschädigter mit "hoher gesellschaftlicher Stellung" angesehen worden ist; denn je bekannter ein Geschädigter ist, desto häufiger wird er als Verletzter identifiziert und mit den schädlichen, seine Entfaltungsfreiheit behindernden Wirkungen der haftungsbegründenden Verletzungen konfrontiert und desto höher ist deshalb sein entschädigungspfiichtiger immaterieller Schaden. b) Die Bewertung des festgestellten entschädigungspfiichtigen immateriellen Schadens Der zweite Arbeitsgang besteht darin, den festgestellten Schaden in Geld zu bewerten, und das heißt: Es ist der Geldbetrag festzusetzen, der sich aufgrund der Würdigung der bisherigen Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen und unter Berücksichtigung eines etwaigen Wandels der allgemeinen sozialen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten in der Gesellschaft 4 ergibt.
2. Die erreichten Vereinfachungen Schon die grobe Skizze zur Handhabung der erarbeiteten (schadensersatzrechtlichen) Entschädigungskonzeption zu § 847 BGB zeigt hinreichend deutlich, daß das bei der Beurteilung der Fälle des § 847 BGB von den Richtern abzuwickelnde Untersuchungsprogramm und die Vortragslast und die Vortragsmöglichkeiten der Parteien - im Vergleich zu den Anforderungen und Möglichkeiten der herrschenden Meinung - stark eingeschränkt und dadurch und durch ihre klare Trennung von Schadensfeststellung und Schadensbewertung auch durchschaubarer strukturiert werden. über die Wirkungen ist im einzelnen dies zu sagen: Wegen der Unerheblichkeit des Gefühlsschadens obliegt den Richtern und Parteien nicht mehr die unzulässige und zugleich peinliche Aufgabe, die Gemütslage des Geschädigten auszuforschen oder laienpsychologisch über "echte" und "unechte" Gefühlsstörungen zu spekulieren. Erspart bleibt den Beteiligten ferner die Aufklärung der gesamten Vermögensverhältnisse des Geschädigten, die von ihm als Opfer der Schädigung nicht verlangt werden kann, deren Verweigerung ihm deshalb nicht zum Nachteil gereichen darf und die folglich für die Festsetzung der Geldentschädigung völlig unerheblich sein muß. 3 4
Vgl. dazu oben § 3 C. X. 2. b). Vgl. dazu die näheren Ausführungen in § 6 B. H.
B. Folgerungen für die Rechtsanwendung
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Nicht mehr aufzuklären brauchen die Beteiligten außerdem die Vermögensverhältnisse des Schädigers, den kompliziert zu ermittelnden Verschuldensgrad und all die sonstigen Umstände, auf die es bei der Fesetzung der hauptsächlich verhaltensbezogenen Sanktionen, also bei der Festsetzung einer Strafe, Buße, Privatstrafe oder Genugtuung ankommt; denn die Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB ist als Schadensersatzleistung nichts von alledem. Rechtspolitische Pönalisierungsbestrebungen sind deshalb - wenn für sie ein Bedürfnis besteht im Nebenstrafrecht oder im Strafrecht zu verwirklichen. Erspart bleibt schließlich den Parteien der Vortrag und den Gerichten die Beurteilung weiterer Umstände des Einzelfalles, weil von diesen Umständen nur der Umfang des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens erheblich ist. 11. Die Fälle einer haftungsbegründenden Verletzung durclJ. das Zusammenwirken mehrerer 8chädiger ohne haftungsmindernde Beteiligung des GesclJ.ädigten
1. Die gebotenen Untersuchungen Wenn für die gleiche haftungsbegründende Verletzung i. S. des § 847 BGB mehrere Schädiger - gern. § 830 BGB oder als Nebentäter - verantwortlich sind und eine haftungsmindernde Mitwirkung des Geschädigten nicht vorliegt, sind zunächst, gedanklich voneinander getrennt, die beiden Arbeitsgänge durchzuführen, die auch bei der Beurteilung der zuvor besprochenen Fälle geboten sind. Es ist also zunächst das Ausmaß des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens festzustellen und dann der festgestellte Schaden in Geld zu bewerten. Die auf diese Weise bestimmte Geldentschädigung bildet zugleich den Betrag, für den jeder (für die haftungsbegründende Verletzung verantwortliche) Schädiger gesamtschuldnerisch haftet; denn nach der hier erarbeiteten schadensersatzrechtlichen Entschädigungskonzeption werden Schaden und Entschädigung nach Kriterien ermittelt, die für alle Beteiligten gleich sind. Die sowohl für Schädiger i. S. des § 830 BGB als auch für Nebentäter 5 aus § 840 BGB folgende gesamtschuldnerische Haftung muß sich daher auf die einheitlich festgestellte Entschädigung erstrecken. Die gesamtschuldnerische Abwicklung verläuft mithin ebenso wie in den Fällen, in denen mehrere für einen Vermögensschaden verantwortlich sind. 5 Was zumindest im Ergebnis unbestritten ist: vgl. E. Lorenz, Die Lehre von den Haftungs- und Zurechnungseinheiten und die Stellung des Geschädigten in Nebentäterfällen, 29 mit Nachweisen in Fußn. 60.
222
§ 7:
Ergebnisse und Folgerungen
2. Die erreichten Vereinfachungen Die Vereinfachungen, die sich in den Mehrtäterfällen ohne haftungsmindernde Beteiligung des Geschädigten ergeben, wenn man anstelle der herrschenden Meinung die hier erarbeitete Entschädigungskonzeption zugrunde legt, sind noch wesentlich größer als bei der Beurteilung der Eintäterfälle. Das größere Ausmaß der Vereinfachungen ergibt sich daraus, daß auf der Schädigerseite mehrere Personen stehen und somit bei mehreren Schädigern die - nach der herrschenden Meinung gebotene - Aufklärung der persönlichen Verhältnisse und die aus der unterschiedlichen Haftung entstehenden sachlich zweifelhaften und komplizierten Abwicklungen erspart bleiben. Im einzelnen ist dies zu sagen: Nach der herrschenden Meinung werden der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden und die ihm entsprechende Entschädigung selbst dann nicht einheitlich festgestellt, wenn die einzelnen Schädiger für die gleiche haftungsbegründende Verletzung verantwortlich sind. Wegen der (unzutreffenden) Annahme, daß auch der Gefühlsschaden des Geschädigten entschädigungspflichtig sei, und weil (ebenfalls unzutreffend) "alle Umstände des Einzelfalles" als Bemessungsfaktoren angesehen werden, bestimmt sich die Höhe der Entschädigung vielmehr "bei jedem einzelnen von mehreren Schädigern nach der besonderen Angemessenheit und kann daher unterschiedlich sein, was meist ... der Fall ist"6. Diese Konzeption erfordert also schon im Anspruchsverhältnis, also in dem Verhältnis des Geschädigten zu den Schädigern und nicht erst im Ausgleichsverhältnis zwischen den Schädigern aufwendige, die Schadensregulierung verzögernde Untersuchungen. Diese führen darüber hinaus zu dem ebenso zweifelhaften wie komplizierten Ergebnis, daß die einzelnen Schädiger nur in Höhe der niedrigsten Einzelschuld als Gesamtschuldner und im übrigen als Einzelschuldner haften. 111. Die Fälle einer haftungsbegriindenden Verletzung durch das Zusammenwirken mehrerer Schädiger unter haftungsmindernder Beteiligung des Geschädigten
1. Die gebotenen Untersuchungen Die Beurteilung der Fälle, in denen der Geschädigte (etwa gem. § 254 BGB) neben den Schädigern für die bei ihm eingetretene Verletzung einzustehen hat, hängt entscheidend davon ab, wie die Vorschriften über die haftungsmindernde Beteiligung des Geschädigten zu deuten sind. Die Antwort auf diese Frage ist bereits in einer anderen 6
So BGHZ 54, 283 ff., 287.
B. Folgerungen für die Rechtsanwendung
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Untersuchung dargelegt und begründet worden7 • Es genügt deshalb an dieser Stelle eine kurze Wiedergabe der wesentlichen Grundsätze. Danach besagt die Regelung des § 254 BGB (und entsprechendes gilt für die ihm nachgebildeten Vorschriften), daß der Geschädigte eine DoppelsteIlung erlangt: nämlich neben der Stellung als Geschädigter und Inhaber der Schadensersatzforderung die Stellung eines Mitgesamtschuldners. Die Abwicklung erfolgt dann nach dem Gesamtschuldmodell. Das heißt im einzelnen: Der Geschädigte kann zwar in seiner Eigenschaft als Verletzter und Gläubiger der Schadensersatzforderung von jedem Schädiger volle Entschädigung verlangen. Der in Anspruch genommene Schädiger kann im Gegenzuge aber von dem Geschädigten in dessen Eigenschaft als Mitschädiger (wegen seiner Stellung als Mitgesamtschuldner) zugleich gesamtschuldnerischen Ausgleich verlangen. Er hat also aufgrund der §§ 426 und 254 BGB in entsprechender Anwendung eine Gegenforderung in Höhe der Schadensersatzquote, die im Innenausgleich unter den Schädigern auf den Geschädigten als Mitschädiger entfällt. Um diese Quote wird die Schadensersatzforderung des Geschädigten gegen die einzelnen Schädiger durch § 254 BGB und die ihm nachgebildeten Vorschriften, also kraft Gesetzes, verkürzt. Der so ermittelte Betrag bildet damit zugleich die Gesamtschuld aller Schädiger. Berücksichtigt man die soeben skizzierten Grundsätze bei der Anwendung der schadensersatzrechtlichen Entschädigungskonzeption zu § 847 BGB, dann ergibt sich für die Beurteilung der Fälle, in denen der Geschädigte gem. § 254 BGB (oder aufgrund ähnlicher Vorschriften) für die von mehreren Schädigern herbeigeführte haftungsbegründende Verletzung "mitverantwortlich" ist, dieser Untersuchungsgang: Es ist zunächst - wie stets bei der Anwendung des § 847 BGB - das konkrete Ausmaß des äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschadens des Geschädigten festzustellen und in Geld zu bewerten. Der so bestimmte Betrag bezeichnet die volle Höhe der Schadensersatzforderung, die dem Geschädigten aber nur zusteht, wenn ihn - wie in den zuvor (unter 11.) behandelten Fällen - kein "Mitverschulden" trifft. Wenn dagegen die Voraussetzungen des § 254 BGB (oder einer ähnlichen Vorschrift) vorliegen, ist die Forderung um die Gesamtabwägungsquote zu kürzen, die auf den Geschädigten in seiner Stellung als Mitschädiger und Mitgesamtschuldner entfällt. Damit ist der Betrag ermittelt, der die gesamtschuldnerische Verpflichtung der Schädiger gegenüber dem Geschädigten in seiner Stellung als Gläubiger der Schadensersatzforderung ausmacht. 7 Vgl. E. LOTenz, wie Fußn. 5, 27 (3. und 4. Grundsatz), sowie 31 ff. (Begründung der Grundsätze).
224
§ 7: Ergebnisse und Folgerungen
An einem Beispielfall verdeutlicht, heißt das: Wenn der Geschädigte durch sein "Mitverschulden" und durch das schuldhafte Verhalten zweier Schädiger eine Körperverletzung erlitten hat und wenn der entschädigungspflichtige immaterielle Schaden, also der äußere immaterielle Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden, mit 9000,- DM zu bewerten ist, dann steht damit der Wert des Gesamtschadens fest. Er bezeichnet aber noch nicht den Betrag, den der Geschädigte von den Schädigern (als Gesamtschuldnern) verlangen kann; denn die Schädiger können einwenden, daß der Geschädigte für den Schaden mitverantwortlich sei, also neben seiner Stellung als Gläubiger zugleich die Stellung als Mitgesamtschuldner erlangt habe, und in dieser Eigenschaft jedem Schädiger, der auf das Ganze in Anspruch genommen werde, ausgleichspflichtig sei. Um diese Ausgleichsquote werde deshalb kraft Gesetzes (nämlich gem. § 254 BGB) die Schadensersatzforderung gekürzt. Nimmt man nun an, daß die Schädiger und der Geschädigte etwa zu gleichen Teilen an der Verletzung beteiligt waren, so beträgt die auf den Geschädigten in seiner Stellung als Mitschädiger (Mitgesamtschuldner) entfallende Gesamtabwägungs- und Ausgleichsquote ein Drittel, also 3000,- DM. Demnach beträgt die Gesamtschuld der beiden Schädiger 6000,- DM, und der Schädiger, der diese Schadensersatzforderung voll beglichen hat, hat gegen den anderen Schädiger eine Innenausgleichsforderung (§ 426 BGB) in Höhe von 3000,- DM.
2. Die erreichten Vereinfachungen Die herrschende Meinung weicht in doppelter Hinsicht, nämlich sowohl bei der Anwendung des § 847 BGB als auch bei der Anwendung des § 254 BGB, von dem soeben skizzierten Untersuchungsgang ab. Diese Abweichungen führen dazu, daß sie in Mehrtäterfällen mit haftungsmindernder Beteiligung des Geschädigten aus doppeltem Grunde nicht zu einer einheitlichen Feststellung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens und der ihm entsprechenden Entschädigung in Geld führen kann: Zunächst deshalb nicht, weil die "billige Entschädigung in Geld" i. S. des § 847 BGB auch von dem Gefühlsschaden und zusätzlich von allen Umständen des Einzelfalles abhängt und daher im Verhältnis zu den einzelnen Schädigern meist8 nicht gleich hoch ist. Außerdem nicht, weil bei einem Mitverschulden gem. § 254 BGB jedenfalls auch eine Einzelabwägung9 gegenüber jedem Schädiger und nicht nur eine Gesamtabwägung vorzunehmen ist. Der zuvor (unter 1.) skizzierte Untersuchungs gang führt also im Vergleich zur Rechtsanwendung nach der herrschenden Meinung zu ganz erheblichen Vereinfa8 9
Vgl. die bereits erwähnte Feststellung des BGH in BGHZ 54, 283 ff., 287. Vgl. auch dazu E. LOTenz, wie Fußn. 5, 33 ff.
c.
Schlußbemerkung zur Rechtsfortbildung
225
chungen: Die Gerichte und die Parteien werden einmal von der aufwendigen und inhaltlich nicht überzeugenden Verpflichtung entbunden, bei den Anspruchsverhältnissen zwischen dem Geschädigten auf der einen und den Schädige rn auf der anderen Seite mit unterschiedlich hohen Schäden und Entschädigungen arbeiten zu müssen, obwohl der Geschädigte nur eine Verletzung erlitten hat. Außerdem entfallen die Abwicklungsschwierigkeiten, die dadurch entstehen, daß die Schädiger teils als Gesamtschuldner und teils als Einzelschuldner haften. Wegen dieser vielen Schwierigkeiten ist in den Fällen des § 847 BGB, die zugleich Mehrtäter- und Mitverschuldensfälle sind, immer wieder das Unmögliche versucht worden: nämlich auf dem Boden der herrschenden Meinung zur Anwendung der §§ 847 und 254 BGB den Untersuchungsgang durchzusetzen, der sich ergibt, wenn man von der hier vertretenen Deutung der genannten Vorschriften ausgehPo.
C. Schlußbemerkung zur Rechtsfortbildung Die erzielten Ergebnisse erleichtern auch die in der Einleitung11 angesprochene Rechtsfortbildung. Das gilt zunächst für die Reformbestrebungen, dem Geschädigten bei Körper- und Gesundheitsverletzungen in allen (und nicht nur in den bereits gesetzlich geregelten12) Gefährdungshaftungsfällen einen Anspruch auf "billige Entschädigung in Geld" zu gewähren. Dieses Reformziel läßt sich selbst mit Hilfe des Gesetzgebers nicht überzeugend verwirklichen, wenn der immaterielle Schaden auch und sogar hauptsächlich als Gefühlsschaden, also als seelische Unbill, als Störung des Selbstbewußtseins, des inneren Gleichgewichts usw. begriffen wird, wenn ferner der Geldentschädigung neben der Ausgleichsfunktion auch eine Genugtuungsfunktion unterlegt wird und wenn der Umfang der Entschädigung nicht nur von dem Schaden, sondern von allen Umständen des Einzelfalles abhängig gemacht wird; denn diese Vorstellungen erfordern als Haftungsgrund eine rechtswidrige und schuldhafte unerlaubte, wenn nicht gar eine vorsätzliche, böswillige, gewissenlose oder strafbare Handlung. Anders verhält es sich dagegen, wenn nur der äußere immaterielle Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden als entschädigungspflichtig angesehen wird, wenn der Geldentschädigung keine Genugtuungsfunktion 10 Vgl. zu den genannten Bestrebungen: Reinelt, JR 1971, 177 ff., 180 ff. unter III., der den von ihm angestrebten und auch zutreffenden Untersuchungsgang zu Recht auch in BGHZ 54, 283 ff., 286 zu a), sowie in den Urteilen des OLG Bremen NJW 1966, 781, und OLG München VersR 1963, 739, erkennt. 11 Vgl. oben § 1 A. III. 12 Es sind die Fälle der Luxustierhaftung gern. § 833 S. 1 BGB und der §§ 33, 53 LuftVG.
15 Lorenz
226
§ 7: Ergebnisse und Folgerungen
zugestanden wird, sondern nur eine von naturalrestitutiven Zielsetzungen befreite Ausgleichsfunktion, und wenn bei der Bewertung des Schadens keine weiteren Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind; denn nur in der so strukturierten schadensersatzrechtIichen Entschädigungskonzeption zu § 847 BGB hat der Haftungsgrund "unerlaubte Handlung" keine die Entschädigungsregelung prägende Bedeutung. Die Konzeption ebnet also den Weg für den Reformvorschlag, nach dem der Schädiger bei Körper- und Gesundheitsverletzungen den immateriellen Schaden auch dann in Geld entschädigen soll, wenn seine Schadensersatzpflicht lediglich auf einer Gefährdungshaftung beruht. Nicht ausgeräumt werden allerdings die Bedenken gegen den Reformvorschlag, die sich aus der Struktur und Begründung der Gefährdungshaftung ergeben. Sie zeigen sich in den Fragen, ob die Gefährdungshaftung als Vollzug der distributiven Gerechtigkeit die Mehrbelastung der Gefährdungshaftpflichtigen verträgt und ob sie von den mit der Gefährdungshaftung verbundenen versicherungsrechtlichen und sonstigen Deckungssystemen angemessen bewältigt werden kann13 • Die mit diesen Fragen vergröbernd angerissenen Bedenken werden jedoch in den allermeisten Stellungnahmen nicht mehr als ernsthafte Hindernisse der angestrebten Gesetzesreform angesehen14• Die erarbeitete schadensersatzrechtIiche Entschädigungskonzeption beseitigt auch einige Hindernisse gegen den Reformvorschlag, mit dem auch bei haftungsbegründenden Vertragsverletzungen ein Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Schadens in Geld angestrebt wird. Zuzustimmen ist dem Vorschlag insoweit, als er auf die Fälle zielt, in denen eines der in § 847 BGB genannten Rechtsgüter oder das sog. allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist15 ; denn in diesen Fällen wird im Vergleich zu der geltenden Regelung des § 847 BGB nur der - weder für die Struktur des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens noch für die Funktion und die Bemessung der Geldentschädigung erhebliche - Haftungsgrund ersetzt: Der Haftungsgrund "Vertragsverletzung" tritt an die Stelle des meist mit ihm konkurrierenden Haftungsgrunds "unerlaubte Handlung". Anders verhält es sich, wenn das vertragswidrige Verhalten keines der von § 847 BGB erfaßten Rechtsgüter verletzt hat; denn diese Fälle unterscheiden sich von den bisher in § 847 BGB geregelten Fällen nicht nur durch den unterschiedlichen Haftungsgrund (Vertragsverletzung anstelle einer unerlaubten Handlung), sondern auch durch die unterschiedliche Struktur des immateriellen Schadens. Gleichartig ist bei den Fallgruppen al13 Eingehend und eindrucksvoll dazu: Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 142 ff. unter H. 14 Vgl. dazu die Liste der Befürworter in § 1 Fußn.41. 15 Vgl. zu dieser Gleichstellung oben § 1 A. H.
C. Schlußbemerkung zur Rechtsfortbildung
227
lenfalls der entstehende Gefühlsschaden, also die seelische Unbill, die Störung des inneren Gleichgewichts usw., aber dieser Schaden kann und darf durch die Rechtsordnung nicht erfaßt werden. Dagegen ist der äußere immaterielle Verletzungs- und Verletzungsfolgeschaden, der durch die Verletzung eines von § 847 BGB erfaßten Rechtsguts entsteht, wesentlich verschieden von der äußeren immateriellen Beeinträchtigung, die der Geschädigte beispielsweise dadurch erleidet, daß ihm vertragswidrig die Nutzung seiner Wohnung, seines Autos, eines Kunstwerks oder allgemein die ordnungsgemäße Erfüllung einer Verbindlichkeit vorenthalten wird. Es verläuft also eine deutliche Trennungslinie zwischen dem immateriellen Schaden, der durch die geltende Fassung des § 847 BGB umrissen und nur durch einen (unmittelbaren) Eingriff in die körperlichen oder geistigen Elemente der Persönlichkeit ausgelöst wird, und all den anderen (unter sich wieder unterschiedlichen) immateriellen Schäden, die nicht durch einen Eingriff in die Persönlichkeit entstehen, sondern auf einer Verletzung des von dem Geschädigten - etwa durch Verträge - geschaffenen Lebensbereichs bestehen. An Beispielen verdeutlicht heißt das: Der Geschädigte, der durch eine Körperverletzung oder durch den ungerechtfertigten Vorwurf eines Verbrechens eine Einbuße an Entfaltungsfreiheit erleidet, wird - wesentlich - anders geschädigt als der, welcher durch eine Vertragsverletzung des Gegners zu erheblichem immateriellen Aufwand gezwungen wird. Wegen dieser Unterschiede liefert die Erforschung der Entschädigungsgrundsätze für die bisher durch § 847 BGB erfaßten Fälle einer Verletzung der persönlichen Integrität auch kaum Anhaltspunkte für die rechtspolitisch anzustrebende Regelung der Fälle, in denen der immaterielle Schaden - wie beispielsweise bei Vertragsverletzungen - nicht auf einem Eingriff in die persönliche Integrität des Geschädigten, sondern "lediglich" auf einer (bei solchen Eingriffen als Zusatzverletzung auftretenden) Verletzung des Lebensbereichs beruht. Nur so viel kann gesagt werden: abzulehnen sind alle Reformvorschläge, die auf die Entschädigung des Gefühlsschadens (seelische Unbill, Störung des inneren Gleichgewichts usw.) abzielen. Zumindest nicht durch das Schadensersatzrecht zu vollziehen sind ferner die Reformvorschläge, in denen der Geldentschädigung eine Genugtuungsfunktion zugewiesen wird, und bei deren Festsetzung von den Umständen des Einzelfalles nicht nur das Ausmaß des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens, sondern - wie bei Strafe, Buße, Privatstrafe und ähnlichen pönal gefärbten Sanktionen - auch die persönlichen Verhältnisse des Schädigers und die Umstände seines Verhaltens oder gar "alle Umstände des Einzelfalles" zu berücksichtigen sind18 • An dieser Beurteilung können auch rechtshistorische und 18 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Stellungnahme von Köndgen, Haftpflichtfunktionen, 120, zu einem Vorschlag von Stoll, Gutachten, 153 ff.,
15*
228
§ 7:
Ergebnisse und Folgerungen
rechtsvergleichende Argumente nichts ändern, weil sie aus Rechtsordnungen entnommen werden, in denen die entwicklungsgeschichtlich gewachsene und auch sachlich gebotene17 Entpönalisierung des Schadensersatzrechts noch nicht so weit fortgeschritten war oder ist wie im deutschen Recht. Die in dieser Untersuchung erzielten Ergebnisse bereiten ferner den Weg für die Reform des § 847 Abs.l S.2 BGB, wonach der Entschädigungsanspruch nicht übertragbar und vererblich ist, solange er nicht vertraglich anerkannt oder rechtshängig geworden ist. Diese Regelung wird fast allgemein als unangemessen angesehen18. Die Kritik mündet in den Vorwurf, das Erfordernis der Rechtshängigkeit des Anspruchs führe in den Fällen einer schweren Verletzung des Geschädigten zu einem "makabren Wettlauf zwischen Tod und Zustellung der Klage"19. Wegen dieser Konsequenz und der im Gesetz enthaltenen Einschränkung der "privatautonomen Befugnis zur Veräußerung von Rechten" soll § 847 Abs.l S.2 BGB sogar mit den Art. 1, 3 und 14 GG unvereinbar sein 20. Das ist zweifelhaft; denn der Gesetzgeber konnte den Anspruch völlig ausschließen. Er muß ihn deshalb auch als einen nur beschränkt übertragbaren und vererblichen Anspruch begründen können. Diese Beschränkungen können allerdings in Grenzfällen zu harten Entscheidungen führen. Eine solche Konsequenz ist aber bei jeder Grenzziehung gegeben, weil jedes Abgrenzungskriterium in den an der Grenzlinie liegenden Fällen als unsachlich erscheint. Auch die Würde des Geschädigten wird nicht notwendig berührt; denn es liegt bei ihm und seinen Angehörigen, ob sie sich auf den makaberen Wettlauf zwischen Tod und Zustellung der Klage einlassen. Hinzu kommt schließlich, daß der Neuregelungsvorschlag die Einwände gegen die angeblich verfassungswidrige Regelung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB allenfalls abschwächt, aber nicht ausräumt. Nach diesem Vorschlag soll es darauf ankommen, "ob der Verletzte noch eine persönliche Entscheidung zugunsten der Geltendmachung des Schmerzensgeldes oder zugunsten seiner übertragung getroffen hat"21. Man braucht nicht näher auszumalen, daß diese Grenzlinie ebenfalls zu unsachlichen Differenzierunder in Anlehnung an Vorbilder des römischen, englischen und amerikanischen Rechts und unter sorgfältiger Aufdeckung aller Schwierigkeiten anregt, dem Geschädigten de lege ferenda bei rücksichtslosem Rechtsbruch und "frivolem" Vertragsbruch einen Genugtuungsanspruch zu gewähren. 17 Näher dazu oben § 4 B. 11. 3. b) dd) (Text nach Fußn. 43). 18 Aus dem neueren Schrifttum: Pecher, AcP 171 (1971) 44 ff., 48 ff.; Deutsch, HaftungsR I, 476 ff.; F. Ebel, VersR 1978, 204 ff.; MünchKommMertens, § 847 BGB Rdz. 48 ff. 111 Vgl. Deutsch, HaftungsR I, 478 sowie F. Ebel, wie vorige Fußn., 206 mit weiteren Nachweisen. 20 So Mertens, wie Fußn. 18, Rdz. 48 und 54. 21 Mertens, wie vorige Fußn.
c.
Schlußbemerkung zur Rechtsfortbildung
229
gen und zu den peinlichsten und unwürdigsten Befragungen des Verletzten führen kann. Sie ist deshalb fast ebenso ungeeignet wie § 847 Abs.l S.2 BGB. Die gegen beide Regelungen vorzubringenden Einwände werden dagegen vermieden, wenn man den Entschädigungsanspruch gern. § 847 BGB so behandelt wie jeden anderen Schadensersatzanspruch, also seine Übertragbarkeit und Vererblichkeit an keinerlei Voraussetzungen knüpft. Der Weg zu diesem Ziel ist in der bisherigen Diskussion in mehrfacher Hinsicht blockiert worden: Zunächst durch die herrschende Meinung zur Auslegung des § 847 BGB. Sie hat den Entschädigungsanspruch insbesondere durch die in ihr enthaltenen unzutreffenden Vorstellungen über den entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden und die Funktion der Geldentschädigung auch inhaltlich (strukturell) in einen höchstpersönlichen Anspruch verwandelt und von den Prinzipien des Schadensersatzrechts abgerückt. Aufgrund der unzutreffenden Abgrenzung des entschädigungspflichtigen immateriellen Schadens ist dann außerdem noch der unglückliche Verdacht angeklungen, die Geldentschädigung werde zum "Wergeld" denaturiert, wenn sie auch in den Fällen gewährt werde, in denen der Verletzte sofort getötet worden ist22 • Die Hindernisse werden ausgeräumt, wenn man in § 847 BGB die in dieser Untersuchung erarbeitete schadensersatz rechtliche Konzeption erkennt. Dann ist im einzelnen zu sagen: Die Fälle, in denen der Geschädigte durch eine i. S. des § 847 BGB haftungsbegründende Verletzung sofort getötet wird, unterscheiden sich von den anderen Fällen nur dadurch, daß lediglich ein entschädigungspflichtiger immaterieller Schadensposten entsteht, nämlich nur ein äußerer immaterieller Verletzungsschaden und nicht auch ein äußerer immaterieller Verletzungsfolgeschaden. Der äußere immaterielle Verletzungsschaden ist in den Tötungsfällen zwar besonders hoch, aber von gleicher Struktur wie in den anderen Fällen und insbesondere von der Gemütslage des Verletzten völlig unabhängig. Deshalb hat die Geldentschädigung auch nicht die ihre Struktur bestimmende Funktion, auf die Gemütslage des Geschädigten einzuwirken. Entschädigungspflichtiger immaterieller Schaden und Geldentschädigung sind damit ebenso entpsychologisiert wie der materielle Schaden und seine Entschädigung. Bedenkt man außerdem, daß sich die allgemeinen Bemühungen um einen Ausbau des Schadensersatzrechts für immaterielle Schäden und damit die Bemühungen um einen stärkeren Schutz der persönlichen Integrität in den letzten Jahrzehnten deutlich verstärkt haben, so ist die rechtspolitische Folgerung eindeutig: Es muß gefordert werden, daß der Anspruch auf Geldentschädigung wegen immaterieller Schäden in den Fällen, in denen das Gesetz ihn gewährt, 22 Vgl. BGH VersR 1976, 660 ff., 661 r. Sp., und Mertens, wie Fußn.18, Rdz.54.
230
§ 7: Ergebnisse und Folgerungen
ebenso übertragbar und vererblich ist wie ein Anspruch auf Ersatz von Vermögensschäden. Die in dieser Untersuchung erzielten Ergebnisse ermöglichen schließlich eine Stellungnahme zu dem immer wieder auftauchenden Vorschlag, dem Geschädigten bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen einen Anspruch auf Zahlung einer Geldsumme an eine "wohltätige Einrichtung" oder "neutrale Stelle" zu gewähren23 • Dieser Vorschlag enthält eine extreme Fortbildung der schon in der abzulehnenden herrschenden Meinung erkennbaren pönalisierungstendenzen. Er ist in jeder Hinsicht mit dem Schadensersatzrecht und dem schadensersatzrechtlichen Verständnis der Entschädigungsregelung des § 847 BGB unvereinbar. Er sollte deshalb von vornherein nicht als schadensersatzrechtlicher Reformvorschlag qualifiziert und keinesfalls im Schadensersatzrecht verwirklicht werden. Ebenso unrichtig ist es, ihn als eine - außerhalb des Schadensersatzrechts - zu verwirklichende privatstrafrechtliche Alternative zu der schadensersatzrechtlichen Sanktion der Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu begreifen; denn es geht nicht um ein " entweder-oder" , sondern allenfalls um ein "sowohl-als-auch". Im einzelnen heißt das: Die Geldentschädigungen für Persönlichkeitsrechtsverletzungen sind insbesondere im Verhältnis zu den Entschädigungen für Körper- und Gesundheitsverletzungen nicht zuletzt deshalb unangemessen hoch angesetzt worden, weil mit ihnen bewußt oder unbewußt auch Pönalisierungsbedürfnisse befriedigt worden sind2'. Das gilt insbesondere (aber nicht nur) für die Fälle, in denen die Schädiger aus gewinnsüchtigen Motiven gehandelt hatten. Aufgrund der vorangegangenen Untersuchungen sind die nach § 847 BGB festzusetzenden Geldentschädigungen jedoch auch in diesen Fällen ihrer pönalisierenden Funktion und Wirkungen zu entkleiden. Außerdem sind sie der Höhe nach auf die Größenordnung zu bringen, die ihnen als reinen schadensersatzrechtlichen Sanktionen zukommt. Neben diesen schadensersatzrechtlichen Sanktionen könnte aber de lege ferenda außerhalb des Schadensersatzrechts eine privatstrafrechtliche Sanktion geschaffen werden. Sie könnte darin bestehen, daß der Geschädigte von dem Schädiger in besonderen Fällen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme an eine " wohltätige " oder "neutrale" Einrichtung verlangen kann. Mit dieser Trennung der Sanktionen wäre zugleich klargestellt, daß Haftpflichtversicherer nur die von Pönalisierungstendenzen gereinigte, rein schadensersatzrechtliche Geldentschädigung i. S. des § 847 BGB abzudecken hätten. 23 Vgl. aus dem neueren Schrifttum: Kühler, JZ 1968, 542 ff., 545; Staudinger I Schäfer, § 847 BGB Rdz. 162; Behr, JZ 1976, 622 ff.; sowie neuestens v. Bar, NJW 1980, 1724 ff., 1729. 24 Vgl. dazu oben § 6 B. H. 3. c) (Text bei den Fußn. 16 und 17).
C. Schlußbemerkung zur Rechtsfortbildung
231
Die Einführung einer zusätzlichen privatstrafrechtlichen Sanktion der genannten Art setzt zunächst ein dringendes Pönalisierungsbedürfnis voraus 25 . Das kann selbst in Fällen vorsätzlicher und gewinnsüchtiger Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu verneinen sein, wenn der Gewinn mit bürgerlichrechtlichen Mitteln abzuschöpfen ist. Zu denken ist dabei an die bislang noch wenig erforschte, aber rechtspolitisch erwägenswerte bereicherungsrechtliche "Gewinnhaftung"26, die allerdings nicht mit einer tendenziell pönalisierend wirkenden Genugtuungsfunktion aufgeladen 27, also nicht in eine weder klar zu durchschauende noch durchsichtig zu handhabende Mischsanktion verwandelt werden darf. Falls sich ein dringendes Pönalisierungsbedürfnis nachweisen läßt, ist weiterhin zu fragen, ob es angemessen befriedigt wird, wenn der Verletzte die Leistung an die "wohltätige" oder "neutrale" Stelle auf sein (Prozeß-)Risiko einklagen muß und wenn dem Schädiger die sühnemindernde Erklärung ermöglicht wird, daß er gern an eine wohltätige Einrichtung zahle 28. Zu bedenken ist schließlich, daß eine solche Sanktion - wie die Einführung jeder wie auch immer strukturierten Privatstrafe "die Zweispurigkeit des Strafgedankens heraufbeschwört"29. Die Reformdiskussion ist also noch längst nicht abgeschlossen.
25 Was Behr, JZ 1976, 622 ff., 627 (Ergebnis), nicht grundlos bezweifelt. 26 Dazu im deutschen Schrifttum zuletzt König, FS für v. Caemmerer, 179 ff., 205. Vgl. ferner Schlechtriem, FS für He/ermehl, 445 ff., 458 ff., sowie Stoll, Gutachten, 156 f. mit weiteren Nachweisen. 27 So wohl Stoll, wie vorige Fußn. 28 Vgl. dazu und zu den weiteren Bedenken aus privatstrafrechtlicher Sicht Groß/eId, Privatstrafe, 107 ff. 29 So wörtlich Stoll, Gutachten, 156.
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