Größen und Zahlen: Ein Aufbau des Zahlensystems auf der Grundlage der eudoxischen Proportionenlehre 9783486711561, 9783486596793

Faszinierender Brückenschlag zwischen Zahlentheorie und Analysis In "Größen und Zahlen" gelingt durch die Verb

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Größen und Zahlen: Ein Aufbau des Zahlensystems auf der Grundlage der eudoxischen Proportionenlehre
 9783486711561, 9783486596793

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Größen und Zahlen Ein Aufbau des Zahlensystems auf der Grundlage der eudoxischen Proportionenlehre Von Prof. Dr. Heinz Lüneburg (1935-2009)

Aus dem Nachlass des Autors herausgegeben von Prof. Dr.Theo Grundhöfer apl. Prof. Dr. Huberta Lausch Prof. Dr. Karl Strambach

Oldenbourg Verlag München

Prof. Dr. Heinz Lüneburg (1935–2009) lehrte von 1970 bis zu seiner Emeritierung 2003 als Professor an der Universität Kaiserslautern; Rufe nach Bayreuth bzw. Hamburg lehnte er ab. Seine Forschungsinteressen waren v.a. das Gebiet der endlichen Geometrie, wo sein Einfluss bis heute spürbar ist; später widmete er sich vermehrt auch der Untersuchung algorithmischer Fragen in Algebra und Kombinatorik sowie der Geschichte der Mathematik. Seine Forschung war insbesondere pädagogisch motiviert und zeichnet sich durch inhaltliche und formale Perfektion aus.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2010 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Kathrin Mönch Herstellung: Sarah Voit Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt ISBN 978-3-486-59679-3

Vorwort Als mein Enkel Florian f¨ unftehalb1 Jahre alt war, u ¨berraschte er mich eines Tages mit der Bemerkung: Opa, man kann nicht mit null ” anfangen zu z¨ ahlen“. Und f¨ uhrte dies vor, indem er z¨ ahlte: Null, ” eins, zwei, drei, vier“, wobei er mit dem Daumen der linken Hand anfangend, eben den Daumen, den Zeigefinger, den Mittelfinger, den Ringfinger und zum Schluss den kleinen Finger ausstreckte. Und seine Begr¨ undung, weshalb man nicht mit null anfangen k¨ onne zu z¨ ahlen, lautete: Denn dann z¨ ahlst du die Eins mit dem falschen ” Finger, die Zwei mit dem falschen Finger, die Drei mit dem falschen Finger und die Vier mit dem falschen Finger.“

Das Thema Aufbau des Zahlensystems“ begleitet mich nun schon seit mehr als dreißig ” Jahren und in meinen B¨ uchern und Vorlesungen bin ich immer wieder auf dieses Thema zur¨ uckgekommen. Ging es um die reellen Zahlen, so habe ich sie in meinen B¨ uchern bislang immer mithilfe der Cauchyfolgen u ¨ber dem K¨orper der rationalen Zahlen konstruiert. Dies einmal deswegen, weil diese Konstruktion weitgehender Verallgemeinerung f¨ ahig ist, und zum andern deswegen, weil ich mit den dedekindschen Schnitten meine Schwierigkeiten hatte. Es dauerte Jahre, bis ich merkte, dass es geschickter ist, die dedekindsche Konstruktion nur auf die Menge der positiven rationalen Zahlen anzuwenden, um auf diese Weise die positiven reellen Zahlen zu bekommen. Die negativen reellen Zahlen bekommt man dann auf die gleiche Weise, wie man die negativen ganzen Zahlen mittels der nat¨ urlichen erh¨ alt. Die Konstruktion der reellen Zahlen mittels der dedekindschen Schnitte nun hat ihren besonderen Reiz, wie ich in diesem Buch zeigen m¨ochte. Man erh¨alt n¨amlich gleichzeitig mit den reellen Zahlen alle Logarithmenfunktionen und die Exponentialfunktionen als ihre Umkehrfunktionen. Mit ihrer Hilfe kann man dann wieder die Wurzelfunktionen einf¨ uhren. Dieses liegt an dem schon von Bettazzi bewiesenen Satz, dass sich jeder archimedisch angeordnete Gr¨ oßenbereich monomorph in den Gr¨oßenbereich der positiven reellen Zahlen einbetten l¨ asst. Dieser Satz hat als Konsequenz auch den Satz, dass 1 Sie werden vielleicht fragen, lieber Leser, was f¨ unftehalb bedeutet. Ich fand diese alte Zahlbezeichnung in Goethes Das r¨ omische Carneval“, Frankfurt am Main und Leipzig 1995, auf den Seiten 9 ” und 13. Dort steht, dass der Corso, das ist in Rom die Straße, die vom Palazzo Venetia zur Piazza del Popolo geht, viertehalbtausend Schritte lang sei. Vom Palio, der Troph¨ ae der Pferderennen beim r¨ omischen Karneval, sagt er, sie sei drittehalb Ellen lang. Ich vermutete, dass hier von 3500 Schritt und zweieinhalb Ellen die Rede sei und diese Vermutung wurde vom grimmschen W¨ orterbuch best¨ atigt: Eine Ordinalzahl mit angeh¨ angtem halb bedeutet, dass diese Ordinalzahl nur noch zur H¨ alfte zu nehmen sei. Unter den Eintr¨ agen halb“ und viertehalb“ finden sich etliche Belege, darunter recht ” ” alte, f¨ ur diese Wortbildung. In Adam Riesens zweitem Rechenbuch (Ries 1547/1978) finden sich: Anderthalben, dritthalben, vierdthalben, f¨ unffthalben, sechsthalben, achthalben, zehenthalben. Im sp¨ aten 19. Jahrhundert findet es sich noch in Fontanes Unterm Birnbaum“, einer Erz¨ ahlung, die 1885 zum ” ersten Male erschien. Heute scheint sich nur noch das Anderthalb erhalten zu haben. Mein Enkel war also viereinhalb Jahre alt, als er obigen Ausspruch tat.

VI

Vorwort

es bis auf Isomorphie nur einen angeordneten K¨orper gibt, in dem der Satz von der oberen Grenze gilt. Um dies alles zu erreichen, muss man ein bisschen weiter ausholen und die eudoxische Gr¨ oßenlehre in die Untersuchungen einbeziehen. Auf diese bin ich — nicht ganz unvorbereitet — bei meinen j¨ ungsten historischen Studien — oder sollte ich meinem j¨ ungsten historischen Projekt“ sagen? Drittmittel sind schließlich auch ” involviert, da ich gelegentlich ein Buch aus eigener Tasche bezahle — zur K¨orpertheorie gestoßen, die ja mit der Entdeckung des Irrationalen in der Antike begann. Dies ist also die eine Quelle, n¨ amlich Buch V der Elemente des Euklid, die hier nach mehr als 2000 Jahren munter weitersprudelt, die andere Quelle ist das ebenfalls im Literaturverzeichnis aufgelistete Buch von Bettazzi aus dem Jahre 1890, wo sich die Konstruktion der Logarithmen findet, die ich hier vortrage. Auf dieses Buch bin ich durch Felschers Naive Mengen und abstrakte Zahlen“ gestoßen, der dieses weithin unbekannte Buch ” in der franz¨ osischen Ausgabe der Enzyklop¨adie der Mathematik“ zitiert fand, wie ” er mir einmal erz¨ ahlte. Die Geschichte der Gr¨oßenbereiche h¨angt hier also an einem sehr d¨ unnen Faden. Ich hoffe, dass ich zusammen mit Felscher dazu beitrage, dass die Verdienste Bettazzis nicht vergessen werden. Das Rechnen mit reellen Zahlen und ihre Konstruktion setzt das Rechnen mit rationalen Zahlen und deren Existenz voraus, so jedenfalls meine Meinung. Ihre Konstruktion und das Rechnen mit ihnen ruht wiederum auf dem Rechnen mit nat¨ urlichen Zahlen. Daher werden wir diese zun¨ achst im ersten Kapitel dieses Buches mittels Dedekindtripel einf¨ uhren und ausf¨ uhrlich diskutieren. Insbesondere auch ihre q-adischen Darstellungen, die wir unter anderem auch dazu benutzen werden, die Division mit Rest zu etablieren. Auf diese Weise haben wir sie ja alle auf der Schule gelernt, indem wir die Division mit Rest im Dezimalsystem — der genialen Erfindung der Inder — so h¨aufig durchf¨ uhrten, dass an der allgemeinen G¨ ultigkeit dieses Sachverhaltes kein Zweifel mehr bestand. Besonders hinweisen m¨ ochte ich auch auf den toeplerschen Algorithmus zur Berechnung der gr¨ oßten Ganzen aus der Quadratwurzel einer nat¨ urlichen Zahl, der hier wohl zum ersten Male in einem Buch der Mathematik erscheint. Auf diesen Algorithmus machte mich Kollege Hans-Joachim Vollrath, W¨ urzburg, aufmerksam. Mit ihm habe ich viele Fragen im Zusammenhang mit dem Aufbau des Zahlensystems diskutiert, was diesem Buch zugutekam. Im zweiten Kapitel kommen drei M¨ anner zu Wort: Eudoxos, Dedekind und Bettazzi. Die eudoxische Definition der Verh¨ altnisgleichheit von Paaren von Gr¨oßen und die sich daran anschließenden S¨ atze, so wie sie uns in Buch V der Elemente Euklids u ¨berliefert sind, sind ein Juwel, das sich nahtlos in die heutige Mathematik einpasst. Zusammen mit der dedekindschen Konstruktion der reellen Zahlen und der Strukturtheorie Bettazzis der archimedischen Gr¨ oßenbereiche, die zeigt, dass der Gr¨oßenbereich der positiven reellen Zahlen universell in dem Sinne ist, dass jeder archimedische Gr¨oßenbereich sich in ihn einbetten l¨ asst, erh¨ alt man eine sehr zufriedenstellende Theorie der reellen Zahlen. Der Satz, dass Quotientenstrukturen quasieudoxischer Gr¨oßenbereiche Positivbereiche archimedisch angeordneter K¨ orper sind, findet sich hier zum ersten Male in der Literatur. Er sch¨ alte sich heraus bei dem Studium der Frage, wieso die Quotientenstruktur der nat¨ urlichen Zahlen ein solcher Positivbereich ist, obwohl es zu drei nat¨ urlichen Zahlen in aller Regel keine vierte Proportionale gibt. Geht man der Frage nach, wie die negativen Zahlen in die Mathematik kamen, so st¨ oßt man auch auf die Gleichungen dritten Grades. Dort kommen die negativen

Vorwort

VII

Zahlen in sehr unangenehmer Weise ins Spiel, da sie an dieser Stelle unl¨oslich mit den komplexen Zahlen gepaart sind. Wir werden daher auch u ¨ber diese zu reden haben. Hat man sie aber erst — und man hat sie sehr schnell —, so wird man neugierig, was es mit den Logarithmen und den Exponentialfunktionen im Komplexen auf sich hat. Um mit den Logarithmen zu Rande zu kommen, muss man die Funktionentheorie bem¨ uhen, w¨ ahrend die Exponentialfunktionen uns zug¨anglich sein werden. Im Reellen sind die Exponentialfunktionen ja f¨ ur uns die Umkehrfunktionen der Logarithmen. Im Komplexen sind die Exponentialfunktionen aber nicht mehr injektiv. Daher r¨ uhren die Schwierigkeiten bei den Logarithmen her. Kennt man eine Exponentialfunktion, so kennt man alle. Daher ugt es, sich die Exponentialfunktion schlechthin, n¨amlich die P∞ gen¨ durch exp(x) := n:=0 xn /n! definierte Funktion exp anzusehen. Von ihr werden wir unter anderem zeigen, dass sie die Periode 2πi hat. Wie man auf diese Reihe kommt, hat Euler in seiner Introductio in analysin infinitorum gezeigt, wo er hemmungslos mit unendlich kleinen und unendlich großen Gr¨ oßen hantiert. Diese, heute Dank der NichtStandard-Analysis geb¨ andigt, sind eine Quelle der Heuristik. Davon werde ich auch ein wenig berichten. Dieses Buch mit seinen vielen historischen Bez¨ ugen hat, wie oben schon angedeutet, maßgeblich von meinen derzeitigen Studien zur Geschichte der Algebra und insbesondere der K¨ orpertheorie profitiert, die mich seit 1993 besch¨aftigen. Geht es um die L¨ osbarkeit von algebraischen Gleichungen, so spielen die Zahlenbereiche, u ¨ber denen die Gleichungen definiert sind, eine maßgebliche Rolle, wie im Laufe der Jahrhunderte langsam, aber unausweichlich klar wurde. Die Analysis stand auch lange Zeit auf t¨ onernen F¨ ußen. Die Eigenschaften der reellen Zahlen wurden geometrisch begr¨ undet, wobei genauso unklar war, was Geometrie denn eigentlich sei. Dass es viele Geometrien gibt, in denen die S¨ atze von Euklids Elementen gelten, hat wohl Dedekind als Erster gesehen. Zu all dem bedurfte es der Analyse des Zahlenbegriffs. Was die Geschichte anbelangt, so sei aber betont, dass ich hier, um mit Behnke und Sommer (Behnke & Sommer 1955, S. VI) zu reden, ganz und gar nicht philologisch“ ” arbeite. Wer also die Abschnitte 1 und 2 von Kapitel II mit Buch V von Euklid vergleicht, muss einige M¨ uhe aufwenden um zu sehen, dass hier tats¨achlich dieses Buch wiedergegeben wird. Entsprechendes gilt f¨ ur die Arbeit Bettazzis. Dedekind liegt uns viel n¨ aher. Das liegt wohl daran, dass Dedekind mit zu den Sch¨opfern der Mengen¨ lehre und damit der heutigen Mathematik z¨ ahlt. Ich kann dem Leser im Ubrigen nur empfehlen, selbst in die alten Arbeiten hineinzusehen. Das Literaturverzeichnis wird dabei helfen, habe ich doch versucht, das Wesentliche gut zu dokumentieren. Kaiserslautern, Wintersemester 2000/01

Heinz L¨ uneburg

Aus dem Nachlass des Autors herausgegeben von Theo Grundh¨ ofer, Huberta Lausch und Karl Strambach

Inhaltsverzeichnis Vorwort I. Die nat¨ urlichen Zahlen 1. Die nat¨ urlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V 1 1

2. Endliche Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3. Die indische Erfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4. Division mit Rest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 5. Teilbarkeitskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 6. Induktion und Rekursion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 7. Der bin¨are gespiegelte Gray-Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 8. Br¨ uche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 II. Gr¨ oßenbereiche

80

1. Die Proportionenlehre des Eudoxos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Eudoxische Gr¨ oßenbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3. Rationale Gr¨ oßenbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4. Dedekindsche Schnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 5. Die negativen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 6. Logarithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 7. Die komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 III. Logarithmus und Exponentialfunktion

154

1. Unendlich groß, unendlich klein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Cauchyfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Die Exponentialfunktion im Komplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4. Der Einheitskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5. Ein Satz von Ostrowski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Literatur

191

Index

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I. Die natu¨rlichen Zahlen Alles Rechnen fußt auf dem Rechnen mit nat¨ urlichen Zahlen, auch das praktische Rechnen mit reellen Zahlen, da diese ja immer nur durch rationale Zahlen approxi¨ miert gegeben sind. Rationale Zahlen aber sind Aquivalenzklassen von Paaren ganzer Zahlen, deren Addition und Multiplikation wiederum mittels der entsprechenden Operationen f¨ ur ganze Zahlen erkl¨ art sind. Und die ganzen Zahlen werden schließlich auf die nat¨ urlichen Zahlen zur¨ uckgef¨ uhrt. Daher stehen in diesem Kapitel zun¨achst die nat¨ urlichen Zahlen im Vordergrund. 1. Die nat¨ urlichen Zahlen. Das griechische Wort Arithmos heißt Haufen und auch Zahl im Sinne von Vielheit (Georges, Stichwort numerus I) 1) und 2) b)) und so definiert Euklid dann auch Zahl als die aus Einheiten zusammengesetzte Menge. Euklid steht mit dieser Definition stellvertretend f¨ ur die Antike und im Gefolge der Antike f¨ ur Generationen von Mathematikern, f¨ ur die Zahlen, wenn sie sie denn definierten, stets Ansammlungen von Einheiten — Strichlisten nach heutigem Verst¨andnis — waren, auch wenn sie auch andere Gebilde Zahlen nannten. Die Antike legte Zahlen Eigenschaften bei wie gerade und ungerade, sie sprach von Primzahlen und zusammengesetzten Zahlen, die bei Boethius im 6. Jahrhundert folgerichtig auch Sekundzahlen heißen (Boethius 1867/1966), sie sprach von vollkommenen Zahlen und befreundeten Zahlen, usw. Doch Axiome, wie mit Zahlen umzugehen sei, formulierte sie nicht. Dies mag daran liegen, dass Zahlen als etwas Geistiges angesehen wurden, die sich nicht an den Realit¨aten stießen, im Gegensatz zur Geometrie, wo die zenonischen Paradoxa Kopfzerbrechen bereiteten, sodass die Geometrie sehr wohl axiomatisch begr¨ undet wurde, wie man in Euklids Elementen nachlesen kann. Es ist ja gerade kennzeichnend f¨ ur die griechische Mathematik, dass sie von wenigen Grunds¨ atzen ausgehend — auch wenn diese nicht immer ausdr¨ ucklich formuliert werden — versucht, das Geb¨aude der Mathematik mit dem Werkzeug Logik aufzubauen. Von all dem, was wir heute Zahlen nennen, haben die komplexen Zahlen seit ihrem Auftreten im Zusammenhang mit den L¨ osungen kubischer Gleichungen im 16. Jahrhundert das meiste Kopfzerbrechen bereitet. Woran man sich vor allem stieß, war, dass sie sich nicht anordnen ließen, und Gr¨ oßen, die sich nicht der Gr¨oße nach vergleichen lassen, konnte man sich nicht vorstellen. Ihre R¨ uckf¨ uhrung durch Cauchy 1821 und Hamilton 1837 auf die reellen Zahlen l¨ oste schließlich das Problem ihrer Begr¨ undung. Richard Dedekind f¨ uhrte mit den dedekindschen Schnitten in seinem B¨ uchlein Stetigkeit und ” irrationale Zahlen“ die reellen Zahlen auf die rationalen Zahlen zur¨ uck (Dedekind 1872). In dieser Schrift wie auch in dem B¨ uchlein Was sind und was sollen die Zahlen“ ”

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

(Dedekind 1888) beginnt er damit, den Umgang mit Mengen zu erl¨autern, bevor er auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen kommt. Dies erinnert daran, dass Dedekind neben Georg Cantor zu den Sch¨ opfern der Mengenlehre geh¨ort. Die positiven rationalen Zahlen haben ihrem Verst¨andnis offenbar nie Schwierigkeiten bereitet. Ihre explizite Konstruktion mittels der nat¨ urlichen Zahlen findet sich zum ersten Male in der gleich zu besprechenden Schrift von Peano. Es blieben die nat¨ urlichen Zahlen zu begr¨ unden. Dies gelang Dedekind als Erstem in einer f¨ ur Mathematiker befriedigenden Weise (Dedekind 1888). Ihm folgte ein Jahr sp¨ ater Peano. Beide Begr¨ undungen, die sich nur wenig und dennoch signifikant unterscheiden, wollen wir nun vorstellen und miteinander vergleichen. Die dedekindsche Begr¨ undung ist ganz und gar in der Mengenlehre verwurzelt. Ihr werden wir uns zun¨achst zuwenden. Es sei N eine Menge. Ferner sei 1 ∈ N und 0 sei eine Abbildung von N in sich. Wir nennen (N, 1, 0 ) Dedekindtripel , falls gilt a) Es ist 1 6∈ N 0 . b) Die Abbildung 0 ist injektiv. c) Ist T eine Teilmenge von N , ist 1 ∈ T und gilt T 0 ⊆ T , so ist T = N . Fasst man die Abbildung 0 als Nachfolgerfunktion auf, so besagt also a), dass 1 keinen Vorg¨ anger hat, w¨ ahrend b) besagt, dass kein n ∈ N zwei Vorg¨anger hat. Diese beiden Eigenschaften beschreiben also das Minimum dessen, was man beim Z¨ahlen erwartet. Die Eigenschaft c) ist nat¨ urlich das Induktionsprinzip. Hinter ihm verbirgt sich die ganze Macht der Mengenlehre, wird bei ihm doch u ¨ber alle Teilmengen von N quantifiziert. Derjenige Leser, der noch am Anfang seiner Mathematikstudien steht, wird vielleicht nicht sofort sehen, dass Eigenschaft c) das Induktionsprinzip ist, auch wenn er schon viele Induktionsbeweise gesehen hat. Diese laufen so ab, dass man eine Eigenschaft P hat, die von n ∈ N abh¨ angt, von der man dann nachweist, dass P (1) gilt und dass die G¨ ultigkeit von P (n) die von P (n + 1) nach sich zieht. Daraus schließt man, dass P (n) f¨ ur alle n ∈ N gilt. Das l¨ asst sich nun sofort auf c) zur¨ uckf¨ uhren. Man setzt  T := n n ∈ N, P (n) gilt . Dann ist 1 ∈ T . Ist n ∈ T , so gilt P (n) und damit P (n + 1). Folglich ist n + 1 ∈ T . Wie wir sp¨ ater sehen werden, ist n0 = n + 1. Daher gilt T 0 ⊆ T . Mit c) folgt also T = N. Dies besagt dann wiederum, dass P (n) f¨ ur alle n ∈ N gilt. Bevor wir die Folgerung schlechthin aus dem dedekindschen Axiomensystem herausholen, den dedekindschen Rekursionssatz n¨amlich, stellen wir erst das peanosche Axiomensystem vor (Peano 1889). Es leistet das Gleiche wie das dedekindsche, doch ist in ihm ein Stilbruch zu bemerken, der, wenn u ¨berwunden, in eine neue Richtung weist, die wir in diesem Buch allerdings nicht verfolgen werden. Peano beginnt n¨amlich seine kleine Schrift wie folgt: Quaestiones, quae ad mathematicae fundamenta pertinent, ” etsi hisce temporibus a multis tractatae, satisfacienti et adhuc carent. Hic difficultas maxime ex sermonis ambiguitate oritur.“ Das heißt: Fragen, die die Grundlagen der ” Mathematik betreffen, sind, obgleich von vielen bis in die heutige Zeit angegangen, bislang ohne befriedigende L¨ osung geblieben. Die wirklich große Schwierigkeit hier beruht auf der Zweideutigkeit der Sprache.“ Um also Sprache mit ihrer Zweideutigkeit zu vermeiden, formalisiert er das, was er zu sagen hat.

1. Die nat¨ urlichen Zahlen

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Nach der Einleitung schreibt er zun¨ achst eine Reihe von Propositionen der Logik auf beginnend mit 1. a ⇒ a 2. ((a ⇒ b) ∧ (b ⇒ c)) ⇒ (a ⇒ c) 3. (a = b) = ((a ⇒ b) ∧ (b ⇒ a)) 4. a = a 5. (a = b) = (b = a) usw. Nur selten kommt ein Wort der Erl¨ auterung. Es gibt auch Propositionen u ¨ber Mengen, die bei ihm Klassen heißen. Die Aussage k ist Klasse“ beschreibt er durch ” k  K und a  k liest er als a ist ein k“. Es folgen die Grundlagen der Arithmetik. Dies ” liest sich dann so: Explicationes Signo 00 00 00

N significatur 00 1 00 a+1 00 =

numerus (integer positivus) unitas sequens a sive a plus 1 est aequalis

Das Gleichheitszeichen sieht er in diesem Zusammenhang als neues Zeichen an. Es kam schon in den Propositionen aus der Logik vor in der Bedeutung, dass etwas gleichwertig sei — gleichg¨ ultig, wie Germain Kreweras mit der Logik, aber nicht der Sprachgewohnheit auf seiner Seite bei einem Vortrag bei dem S´eminaire lotharingien de combinatoire am 18. 9. 1990 in Salzburg sagte, den er auf Deutsch hielt. — Peanos Kommentar steht im Original noch in der Liste der Explicationes. Es geht dann weiter. Axiomata 1. 1  N . 2. a  N. ⇒ .a = a. 3. a, b  N. ⇒: a = b. = .b = a. 4. a, b, c  N. ⇒ . . . a = b. b = c :⇒ .a = c. 5. a = b. b  N :⇒ .a  N . 6. a  N. ⇒ .a + 1  N. 7. a, b  N. ⇒: a = b. = .a + 1 = b + 1. 8. a  N. ⇒ .a + 1 ¬ = 1. Dabei bezeichne ¬ die Verneinung non. 9. k  K . . . 1  k . . . x  N.x  k :⇒x x + 1  k ::⇒ N ⊆ k. Notieren wir das in der Umgangssprache. 1. 1 ist Zahl. 2. Ist a Zahl, so ist a = a. 3. Sind a und b Zahlen, so ist a = b gleichbedeutend mit b = a. 4. Sind a, b und c Zahlen, ist a = b und b = c, so ist a = c. 5. Ist a = b und ist b Zahl, so ist a Zahl. 6. Ist a Zahl, so ist a + 1 Zahl. 7. Sind a und b Zahlen, so ist a = b gleichbedeutend mit a + 1 = b + 1. 8. Ist a Zahl, so ist a + 1 verschieden von 1.

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Bislang ist das Wort Menge“ noch nicht gefallen. In 9. heißt es jedoch: ” 9. Ist k Menge, ist 1 ein k und folgt aus ist x Zahl und ist x ein k“, dass auch x + 1 ” ein k ist, so ist jede Zahl ein k. In 9. wird also u ¨ber alle Mengen quantifiziert, w¨ahrend in den Axiomen 2 bis 8 nur u ¨ber Zahlen quantifiziert wird. Das ist ein Stilbruch. Ich weiß nicht, ob dies Peano bewusst war. Es ist aber anderen aufgefallen und man fing an, die Bedingung 9 im Rahmen der Modelltheorie abzuschw¨ achen. Daraus entstand dann, was heute Peano-Arithmetik genannt wird. Ein kurzes Wort hierzu. Ich hatte oben den Zusammenhang zwischen der Bedingung c) der dedekindschen Postulate und den Erfahrungen des Lesers dadurch hergestellt, dass ich von Eigenschaften P , die von n abhingen, und deren G¨ ultigkeit sprach. Dabei blieb v¨ollig offen, wie solche Eigenschaften P denn aussehen. Hier setzen nun die formalen Sprachen ein und es sei kurz geschildert, wie eine formale Sprache f¨ ur die Nachfolgertheorie aussehen kann. Dabei lasse ich mich aber nicht auf Feinheiten ein wie die, dass man nicht wirklich alle die Zeichen ben¨ otigt, von denen gleich die Rede sein wird. Wie bei jeder formalen Sprache ben¨ otigt man die Zeichen =, ¬, ∨, ∧, →, ⇐⇒ , ∀, ∃ sowie eine ¨ offnende und eine schließende Klammer. Man ben¨otigt ferner abz¨ahlbar viele Variable n1 , n2 , etc. f¨ ur nat¨ urliche Zahlen, das Operationssymbol 0 und das Konstantensymbol 0. Alle diese Symbole bilden das Alphabet A, welches der Sprache zugrundeliegt, die uns interessiert. Die Menge A∗ der W¨ orter u ¨ber A ist die Menge der endlichen Folgen aus Buchstaben des Alphabets A. Aus A∗ sondern wir nun zun¨achst die Menge der Terme aus. 1) 0 ist ein Term. 2) Die nj sind Terme. 3) Ist t ein Term, so ist auch t0 ein Term. Die Menge der Terme bezeichnen wir mit T . Die Terme dieser formalen Sprache haben alle eine sehr einfache Form. Es sind n¨ amlich die ni mit endlich vielen Strichen rechts oben wie zum Beispiel n0000 . i Die Variable nj kommt in der Zeichenreihe Z ∈ A∗ vollfrei vor, wenn nj in Z vorkommt, wenn in Z aber keine Zeichenreihe der Form ∃nj oder ∀nj vorkommt, wenn nj also nirgendwo in Z durch Quantoren gebunden ist. Kommt nj in Z vollfrei vor, so deuten wir das auch durch Z(nj ) an. Die hierzu geh¨ orende formale Sprache S ist nun wie folgt definiert: a) Sind t1 , t2 ∈ T , so ist t1 = t2 ∈ S. b) Ist H ∈ S, so ist ¬H ∈ S. c) Sind H1 , H2 ∈ S, so ist (H1 ∧ H2 ) ∈ S, (H1 ∨ H2 ) ∈ S, (H1 → H2 ) ∈ S und (H1 ⇐⇒ H2 ) ∈ S. d) Ist H(nj ) ∈ S und kommt nj in H(nj ) vollfrei vor, so ist ∀nj H(nj ) ∈ S und ∃nj H(nj ) ∈ S. e) Nur solche W¨ orter aus A∗ geh¨ oren zu S, die sich durch endlich viele Anwendungen der vorstehenden vier Regeln erzeugen lassen.

1. Die nat¨ urlichen Zahlen

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Nun kann man Axiome angeben, die unter anderem die Situation in N beschreiben. Die Axiome 1 bis 5 von Peano verstehen sich aufgrund der von uns getroffenen Verabredungen von selbst. Die Axiome 6 bis 8 lesen sich wie folgt: 60 . ∀n1 ∃n2 (n01 = n2 )  70 . ∀n1 ∀n2 (n1 = n2 ) ⇐⇒ (n01 = n02 ) 80 . ∀n1 ¬(n01 = 1) Das letzte, aus der Reihe fallende Axiom wird nun ersetzt durch 90 . In diesem Axiom ist H ein Ausdruck von S, welcher eine Variable vollfrei enth¨alt.   90 . H(0) ∧ ∀n1 H(n1 ) → H(n01 ) → ∀n2 H(n2 ) Hier werden also nur noch Ausdr¨ ucke betrachtet, die der formalisierten Sprache S angeh¨ oren, und quantifiziert wird nur u ¨ber die Variablen n1 und n2 , wobei in dem Ausdruck ∀n2 H(n2 ) die Variable n2 der besseren Lesbarkeit halber gew¨ahlt wurde. Man kann eine gebundene Variable ja stets durch eine andere ersetzen. Diese Abschw¨achung des Axiomensystems hat zur Folge, dass es viel mehr Modelle gibt, die dieses Axiomensystem erf¨ ullen, als nur die nat¨ urlichen Zahlen. Dieses Ergebnis scheint zuerst von Skolem 1934 publiziert worden zu sein. Dass es viel mehr Modelle gibt als nur die nat¨ urlichen Zahlen, hat zur Folge, dass der Rekursionssatz in einer so axiomatisierten Theorie nicht gelten kann, da er zur Folge hat, dass es bis auf Isomorphie nur ein Modell gibt, wie wir gleich sehen werden. Diese modelltheoretischen Fragen werden wir, wie gesagt, nicht weiter verfolgen. Der interessierte Leser sei f¨ ur den allgemeinen Hintergrund an Schreiber 1984 und f¨ ur die Peanoarithmetik insbesondere an Kaye 1991 verwiesen. Erw¨ahnt werden soll jedoch noch, dass Peano in seiner Schrift die dedekindsche Schrift Was sind und was sollen ” die Zahlen“ lobend erw¨ ahnt. Wir bleiben also auf dem Boden der Mengenlehre und folgen weiterhin Dedekind. Grundlegend f¨ ur alles Kommende ist der Rekursionssatz von Dedekind. Er macht eine Aussage dar¨ uber, dass man unter gewissen Bedingungen eine Abbildung der Menge der nat¨ urlichen Zahlen in eine andere findet, die wiederum gewissen vorgegebenen Eigenschaften gen¨ ugt. Bei seinem Beweis wird wiederum u ¨ber alle Teilmengen einer gewissen Menge quantifiziert. Rekursionssatz. Es sei (N, 1, 0 ) ein Dedekindtripel, A sei eine Menge und R sei eine Abbildung von A in sich, die sogenannte Rekursionsregel. Ist dann a ∈ A, so gibt es genau eine Abbildung f von N in A mit f (1) = a und  f (n0 ) = R f (n) f¨ ur alle n ∈ N . Beweis. Es sei Φ die Menge aller bin¨ aren Relationen g auf N × A mit den Eigenschaften a) Es ist (1, a) ∈ g. b) Ist n ∈ N , b ∈ A und (n, b) ∈ g, so ist (n0 , R(b)) ∈ g. Setze \ f := g. g∈Φ

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Dann leistet f das Verlangte, wie wir nun zeigen werden. Zun¨achst ist klar, dass f ∈ Φ gilt. Wir m¨ ussen zeigen, dass f eine Abbildung ist. Dazu m¨ ussen wir zeigen, dass es zu n ∈ N genau ein b ∈ A gibt mit (n, b) ∈ f . Um dieses zu zeigen, sei T die Menge der n ∈ N , f¨ ur die es genau ein b ∈ A gibt mit (n, b) ∈ f . Wir zeigen zun¨achst, dass 1 ∈ T gilt. Das einzige, was wir ja wirklich zur Verf¨ ugung haben, ist das Induktionsprinzip, sodass wir auf seine Anwendung hinsteuern. Es gilt (1, a) ∈ f . Es sei a 6= w ∈ A und (1, w) ∈ f . Wir setzen f ∗ := f − {(1, w)}. Wegen w 6= a ist dann (1, a) ∈ f ∗ , sodass a) gilt. Es sei weiter (n, b) ∈ f ∗ . Dann ist (n, b) ∈ f und folglich (n0 , R(b)) ∈ f . Nun ist 1 6∈ N 0 und daher (n0 , R(b)) 6= (1, w), sodass sogar (n0 , R(b)) ∈ f ∗ gilt. Folglich ist f ∗ ∈ Φ und daher f ⊆ f ∗ . Wegen (1, w) ∈ f folgt der Widerspruch (1, w) ∈ f ∗ . Dieser Widerspruch zeigt, dass 1 ∈ T gilt. Es gelte n ∈ T . Es gibt dann genau ein b ∈ A mit (n, b) ∈ f . Es folgt (n0 , R(b)) ∈ f . Es sei R(b) 6= w ∈ A und es gelte (n0 , w) ∈ f . Wir setzen wieder f ∗ := f − {(n0 , w)}. Wegen n0 6= 1 ist dann (1, a) ∈ f ∗ . Es sei m ∈ N und es gebe ein x ∈ A mit (m, x) ∈ f ∗ . Ist m 6= n, so folgt aus der Injektivit¨ at von 0 , dass auch m0 6= n0 ist. Dies hat wiederum 0 0 (m , R(x)) 6= (n , w) zur Folge, sodass (m0 , R(x)) ∈ f ∗ ist, da ja (m, x) ∈ f gilt. Ist m = n so folgt x = b und damit (n0 , R(b)) ∈ f ∗ . Es folgt wieder der Widerspruch f ⊆ f ∗ . Also gilt auch n0 ∈ T . Aufgrund des Induktionsprinzips ist daher T = N , sodass f in der Tat eine Abbildung ist. Schreibt man nun f (n) = b an Stelle von (n, b) ∈ f , so gilt also f (1) = a. Ist f (n) = b, so bedeutet das in der urspr¨ unglichen Schreibweise (n, b) ∈ f . Es folgt (n0 , R(b)) ∈ f , d.h. f (n0 ) = R(f (n)). Damit ist die Existenzaussage des Satzes bewiesen. Um die Einzigkeitsaussage zu beweisen, sei g eine Abbildung von A in sich und es gelte g(1) = a und g(n0 ) = R(g(n)) f¨ ur alle n ∈ N . Es sei T die Menge aller n ∈ N mit f (n) = g(n). Dann ist 1 ∈ T . Ist n ∈ T , so folgt   f (n0 ) = R f (n) = R g(n) = g(n0 ) und damit n0 ∈ T . Mittels des Induktionsprinzips folgt T = N und weiter f = g. Damit ist alles bewiesen. Korollar. Sind (N, 1N , 0 ) und (M, 1M , 0 ) Dedekindtripel, so gibt es einen Isomorphismus von (N, 1N , 0 ) auf (M, 1M , 0 ). Beweis. Definiere die Abbildung RM von M in sich durch RM (x) := x0 . Aufgrund des Rekursionssatzes gibt es dann genau eine Abbildung σ von N in M mit σ(1N ) = 1M und  σ(n0 ) = RM σ(n) = σ(n)0 . Dies zeigt, dass σ ein Homomorphismus ist. Ebenso gibt es einen Homomorphismus τ von (M, 1M , 0 ) in (N, 1N , 0 ), d.h. eine Abbildung τ von M in N mit τ (1M ) = 1N und τ (m0 ) = τ (m)0 . Es folgt τ σ(1N ) = τ (1M ) = 1N . Es sei n ∈ N und τ σ(n) = n. Dann ist  0 τ σ(n0 ) = τ σ(n)0 = τ σ(n) = n0 .

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Das Induktionsprinzip besagt daher, dass τ σ = idN ist. Analog folgt auch στ = idM . Folglich ist σ bijektiv und τ ist die zu σ inverse Abbildung. Somit ist σ ein Isomorphismus. Es gibt also bis auf Isomorphie nur ein Dedekindtripel, falls es u ¨berhaupt eins gibt. Ein solches nennen wir in Zukunft N und sprechen von ihm als der Menge der nat¨ urlichen Zahlen. Auf N wollen wir nun Addition und Multiplikation definieren. Beginnen wir mit der Addition. Ich lernte rechnen lange vor New Math, noch auf der Schiefertafel. Da war das Addieren noch erkl¨ art durch das Weiterz¨ ahlen m, m + 1, m + 1 + 1, etc., bis man den n-ten Nachfolger m+n von m erreichte. Dieses Verfahren kann man in dem hier vorgegebenen Rahmen imitieren. Dabei hilft der Rekursionssatz. So wie dieser formuliert ist, werden wir m + n so interpretieren, dass wir f¨ ur jedes m eine Abbildung m + von N in sich definieren, sodass m + n alle gew¨ unschten Eigenschaften hat. Wir definieren R durch R(m) := m0 f¨ ur m ∈ N. Es gibt dann genau eine Abbildung πm von N in sich mit πm (1) = m0 und  πm (n0 ) = R πm (n) = πm (n)0 . Hier haben wir πm geschrieben, um den Anschluss an das Vorige zu erhalten. Um das gewohnte Bild zu bekommen, schreiben wir statt πm nun m + und lassen die Klammern um das Argument der Abbildung weg. Dann gilt also a) Es ist m + 1 = m0 f¨ ur alle m ∈ N. b) Es ist m + n0 = (m + n)0 f¨ ur alle m, n ∈ N. Man ist gewohnt, + als bin¨ are Operation auf N aufzufassen. So wie die Addition hier definiert ist, ist aber zu jedem m ∈ N eine un¨are Operation m + definiert. Da diese un¨ aren Operationen aber auf ganz N operieren und f¨ ur jedes m ∈ N eine solche Operation erkl¨ art ist, kann man + dann wieder als bin¨are Operation auf N auffassen, der Ausdruck m + n ist ja stets erkl¨ art. Es ist nun zu zeigen, dass die so definierte Addition den gewohnten Rechenregeln gehorcht. Satz 1. Es ist m0 + n = m + n0 = (m + n)0 f¨ ur alle m, n ∈ N. Beweis. Die zweite Aussage des Satzes ist nur eine Wiederholung von b). Um die erste zu beweisen, machen wir Induktion u ¨ber n. Es gilt m0 + 1 = m00 = (m + 1)0 = m + 10 . Es sei n ∈ N und es gelte m0 + n = m + n0 . Dann folgt m0 + n0 = (m0 + n)0 = (m + n0 )0 = m + n00 , sodass die Aussage auch f¨ ur n0 gilt. Damit ist der Satz bewiesen. Satz 2. Es ist m + n = n + m f¨ ur alle m, n ∈ N. Beweis. Wir zeigen zun¨ achst, dass 1 + n = n + 1 ist f¨ ur alle n ∈ N. Dies gilt sicherlich f¨ ur n = 1. Es sei n ∈ N und es gelte 1 + n = n + 1. Dann ist nach b) und Satz 1 1 + n0 = (1 + n)0 = (n + 1)0 = n0 + 1, sodass in der Tat 1 + n = n + 1 f¨ ur alle n ∈ N gilt.

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Um die allgemeine Aussage zu beweisen, machen wir nun Induktion nach m. F¨ ur m = 1 ist die Aussage richtig, wie gerade gesehen. Sie gelte f¨ ur m. Dann ist m0 + n = m + n0 = (m + n)0 = (n + m)0 = n + m0 . Damit ist Satz 2 bewiesen. Die Addition ist also kommutativ. Sie ist auch assoziativ. Satz 3. Es ist (m + n) + p = m + (n + p) f¨ ur alle m, n, p ∈ N. Beweis. Wir machen Induktion nach p. Es ist (m + n) + 1 = (m + n)0 = m + n0 = m + (n + 1). Also gilt die Aussage f¨ ur p = 1. Sie gelte f¨ ur p. Dann ist  0 0 (m + n) + p0 = (m + n) + p = m + (n + p) = m + (n + p)0 = m + (n + p0 ), sodass sie auch f¨ ur p0 gilt. Damit ist Satz 3 bewiesen. F¨ ur die Addition gilt die K¨ urzungsregel. Satz 4. Sind m, n, p ∈ N und gilt m + p = n + p, so ist m = n. Beweis. Wir machen Induktion nach p. Ist p = 1, so folgt m 0 = m + 1 = n + 1 = n0 . Weil 0 injektiv ist, folgt weiter m = n. Aus m + p = n + p folge m = n und es sei m + p0 = n + p0 . Dann ist (m + p)0 = m + p0 = n + p0 = (n + p)0 . Hieraus folgt weiter m + p = n + p und dann auch m = n. Ist n ∈ N, so setzen wir En := {n + x | x ∈ N}. Der Buchstabe E steht f¨ ur Ende, da En , wie bald klar werden wird, aus allen nat¨ urlichen Zahlen besteht, die gr¨ oßer als n sind. Satz 5. Es ist E1 = N − {1}. Beweis. Es sei T := E1 ∪ {1}. Dann ist 1 ∈ T . Es sei n ∈ T . Dann ist n0 = n + 1 = 1 + n ∈ E1 ⊆ T . Also ist T = N. W¨ are 1 ∈ E1 , so g¨abe es ein w ∈ N mit 1 = w + 1 = w0 0 im Widerspruch zu 1 6∈ N . Also ist E1 = N − {1}. Satz 6. Ist n ∈ N, so gilt a) Es ist n0 ∈ En . b) Ist x0 ∈ En , so ist Ex ⊆ En . c) Es ist n 6∈ En . d) Es ist En = En0 ∪ {n0 }.

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Beweis. a) Es ist n0 = n + 1 ∈ En . b) Es sei x0 ∈ En . Ferner sei y ∈ Ex . Es gibt dann a, b ∈ N mit x0 = n + a und y = x + b. Mit Satz 1 folgt y 0 = x0 + b = n + a + b. Nun ist a + b 6= 1 (Beweis!). Nach Satz 5 gibt es daher ein c ∈ N mit c0 = c + 1 = a + b. Also ist y 0 = n + c0 = (n + c)0 und damit y = n + c ∈ En . c) W¨ are n ∈ En , so g¨ abe es ein w ∈ N mit n = n + w. Es folgte n + 1 = n0 = (n + w)0 = n + w0 . Hieraus folgte mit Satz 4 der Widerspruch 1 = w0 . d) Nach a) ist n0 ∈ En . Ferner ist n00 = n + 10 ∈ En . Mit x = n0 folgt mit b) daher En0 ⊆ En . Also gilt En0 ∪ {n0 } ⊆ En . Es sei umgekehrt x ∈ En . Es gibt dann ein y ∈ N mit x = n + y. Ist y = 1, so ist x = n + 1 = n0 ∈ En0 ∪ {n0 }. Ist y 6= 1, so folgt mit Satz 5, dass es ein z ∈ N gibt mit y = 1 + z. Es folgt x = n + 1 + z = n0 + z ∈ En0 ∪ {n0 }. Damit ist alles bewiesen. Satz 7. Sind m, n ∈ N, so ist Em ⊆ En oder En ⊆ Em . Beweis. Es sei T die Menge der n ∈ N, f¨ ur die En ⊆ Em oder Em ⊆ En gilt. Wegen m0 = m + 1 = 1 + m ∈ E1 ist Em ⊆ E1 nach Satz 6 b) und daher 1 ∈ T . Es sei n ∈ T . Ist n00 ∈ Em , so folgt mit Satz 6 b), dass En0 ⊆ Em ist, sodass n0 ∈ T gilt. Es sei also n00 6∈ Em . Nach Satz 6 a) ist n0 ∈ En . Ferner ist n00 = (n + 1)0 = n + 10 ∈ En . Folglich ist En 6⊆ Em . Wegen n ∈ T folgt Em ⊆ En . Wegen n0 ∈ En ist dann auch n0 6∈ Em . Nach Satz 6 d) ist En = En0 ∪ {n0 }. Hieraus folgt zusammen mit n0 6∈ Em , dass  Em = Em ∩ En = Em ∩ En0 ∪ {n0 } = Em ∩ En0 ist. Also ist Em ⊆ En0 und damit n0 ∈ T , sodass T = N ist. Damit ist Satz 7 bewiesen. Eine fast unmittelbare Folgerung aus Satz 7 ist Satz 8. Sind m, n ∈ N, so gibt es ein c ∈ N mit m + c = n oder n + c = m, es sei denn, es ist m = n.

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Beweis. Wegen Satz 7 d¨ urfen wir o.B.d.A. annehmen, dass En ⊆ Em ist. Wegen n0 ∈ En ist dann n0 ∈ Em , sodass es ein d ∈ N gibt mit n0 = m + d. Ist d = 1, so folgt n0 = m + 1 = m0 und damit n = m. Ist d 6= 1, so folgt mit Satz 5, dass es ein c ∈ N gibt mit d = c + 1 = c0 . Es folgt n0 = m + c0 = (m + c)0 und weiter n = m + c. Es seien m, n ∈ N; wir setzen m < n, falls es ein c ∈ N gibt mit m + c = n. Wir setzen m ≤ n, falls entweder m = n oder m < n ist. Nach dieser Definition ist En = {x | x ∈ N, n < x}. Dies sagt zun¨ achst noch nichts. Die Bedeutung dieses Sachverhalts wird aber durch den n¨ achsten Satz sofort klar. Satz 9. Die soeben definierte Relation ≤ ist eine lineare Ordnung von N, d.h. es gilt a) Es ist m ≤ m f¨ ur alle m ∈ N. b) Sind m, n ∈ N und gilt m ≤ n sowie n ≤ m, so ist m = n. c) Sind m, n, p ∈ N und ist m ≤ n und n ≤ p, so ist m ≤ p. d) Sind m, n ∈ N, so ist m ≤ n oder n ≤ m. Beweis. a) ist Teil der Definition. b) Es sei m 6= n. Dann ist m < n und n < m. Es gibt also c, d ∈ N mit m + c = n und n + d = m. Es folgt m + c + d = m und weiter m + (c + d)0 = (m + c + d)0 = m0 = m + 1, was wiederum den Widerspruch 1 = (c + d)0 ergibt. Also ist doch m = n. c) Ist m = n oder n = p, so ist nichts zu beweisen. Wir d¨ urfen daher annehmen, dass m + c = n und n + d = p ist mit c, d ∈ N. Es folgt m + c + d = p und damit m ≤ p. d) Dies ist nur eine Umformulierung von Satz 8. Die Definition von < besagt, dass stets m < m + n gilt, und mit Satz 9 folgt, dass niemals m + n ≤ m ist. Die auf N etablierte Anordnung ist sogar eine Wohlordnung. Dies besagt der n¨ achste Satz. Satz 10. Ist X eine nicht-leere Teilmenge von N, so gibt es ein kleinstes Element in X, d.h. es gibt ein Element k ∈ X mit k ≤ x f¨ ur alle x ∈ X. Beweis. F¨ ur n ∈ N setzen wir An := {a | a ∈ N, a ≤ n}. Dann ist An+1 = An ∪ {n + 1}, da es zwischen n und n + 1 keine weitere nat¨ urliche Zahl gibt. Wir zeigen zun¨ achst, dass f¨ ur alle n ∈ N gilt, dass X ein kleinstes Element enth¨ alt, falls nur An ∩ X 6= ∅ ist. Es sei T die Menge der nat¨ urlichen Zahlen, f¨ ur die diese Aussage gilt. Dann ist 1 ∈ T . Ist n¨ amlich A1 ∩ X nicht leer, so ist A1 ∩ X = {1}

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und 1 ist als kleinstes Element von N kleinstes Element von X. Es sei n ∈ T und es gelte An+1 ∩ X 6= ∅. Dann ist  ∅= 6 An+1 ∩ X = (An ∩ X) ∪ {n + 1} ∩ X . Ist An ∩ X 6= ∅, so enth¨ alt X ein kleinstes Element, sodass in diesem Falle n + 1 ∈ T gilt. Ist An ∩ X = ∅, so ist  ∅= 6 An+1 ∩ X = {n + 1} ∩ X . Hieraus folgt n + 1 ∈ X. Ist nun y ∈ N und y < n + 1, so ist y ∈ An und daher y 6∈ X. Es folgt, dass n + 1 das kleinste Element von X ist. Also ist auch hier n + 1 ∈ T , sodass T = N ist. Weil wir vorausgesetzt haben, dass X nicht leer ist, gibt es ein n ∈ X. Es folgt n ∈ An ∩ X, sodass X nach dem Bewiesenen ein kleinstes Element enth¨alt. Damit ist der Satz bewiesen. Der n¨ achste Satz besagt, dass die auf N definierte Anordnung mit der Addition vertr¨ aglich ist. Satz 11. Sind m, n, p ∈ N, so gilt genau dann m ≤ n, wenn m + p ≤ n + p ist. Beweis. Es sei m = n. Dann ist m + p ≤ n + p f¨ ur alle p ∈ N. Es sei also m < n. Dann gibt es ein c ∈ N mit m + c = n. Es folgt m + p + c = m + c + p = n + p, sodass m + p < n + p ist. Es sei umgekehrt m + p ≤ n + p. W¨ are n < m, so folgte nach dem bereits Bewiesenen der Widerspruch n + p < m + p ≤ n + p. Sind a, b ∈ N und ist a < b, so gibt es genau ein d ∈ N mit a + d = b. F¨ ur dieses d schreiben wir auch b − a. Die G¨ ultigkeit der Rechenregeln c − (a − b) = (c + b) − a und c − (a + b) = (c − a) − b m¨ oge der Leser selbst nachweisen. Dabei sind die Beweise so zu f¨ uhren, dass die Operationen niemals aus N herausf¨ uhren. Die hier definierte Subtraktion ist ja nur definiert, wenn a < b ist, nur dann wissen wir, was b − a bedeutet. Addition und partielle Subtraktion sind mittels der Nachfolgerfunktion 0 definiert, die man auch Z¨ ahlfunktion nennt. Macht man das explizit, so erh¨alt man folgende, nicht sehr effektive Rekursion, Summe und Differenz zu berechnen. Sind m, n ∈ N, so ist m + n = m + 1 = m0 , falls n = 1 ist, andernfalls ist m + n = (m + 1) + (n − 1). Entsprechend gilt m − n = (m − 1) − (n − 1), falls nur m > n > 1 ist. Und nun zur Multiplikation. Sie wird hier nach Pr¨a-New-Math-Manier aufgefasst als des Weiterz¨ ahlen in Schritten der Weite a. Sie wird also aufgefasst als eine verk¨ urzte Addition. F¨ ur a ∈ N definieren wir die Rekursionsregel Ra durch Ra (m) := a + m.

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Aufgrund des Rekursionssatzes gibt es dann eine Abbildung µa von N in sich mit µa (1) = a und µa (m0 ) = a + µa (m). Setzt man nun am := µa (m), so gilt also a1 = a und a(m + 1) = a + am f¨ ur alle a, m ∈ N. Satz 12. Die soeben definierte Multiplikation auf N gen¨ ugt den folgenden Rechenregeln: a) Es ist a1 = 1a = a f¨ ur alle a ∈ N. b) Es ist a(b + c) = ab + ac f¨ ur alle a, b, c ∈ N. c) Es ist (a + b)c = ac + bc f¨ ur alle a, b, c ∈ N. d) Es ist a(bc) = (ab)c f¨ ur alle a, b, c ∈ N. Beweis. a) Die G¨ ultigkeit der Gleichung a1 = a folgt aus der Konstruktion der Multiplikation. Um die G¨ ultigkeit der Gleichung 1a = a zu etablieren, machen wir Induktion nach a. F¨ ur a = 1 gilt diese Gleichung. Sie gelte f¨ ur a. Dann ist 1a0 = 1 + 1a = 1 + a = a0 , sodass sie auch f¨ ur a0 gilt. Also gilt sie f¨ ur alle a ∈ N. b) Hier machen wir Induktion nach c. F¨ ur c = 1 folgt ab + a1 = a1 + ab = a + ab = ab0 = a(b + 1). Die Gleichung gelte f¨ ur c. Dann folgt ab + ac0 = ab + a(c + 1) = ab + ac + a = a(b + c) + a = a(b + c)0 = a(b + c0 ). Damit ist b) bewiesen. c) Wir machen wieder Induktion nach c. F¨ ur c = 1 ist wieder alles klar. Die Gleichung gelte f¨ ur c. Dann ist (a + b)c0 = a + b + (a + b)c = a + b + ac + bc. Weil die Addition in N kommutativ ist, folgt weiter (a + b)c0 = a + ac + b + bc = ac0 + bc0 , sodass auch c) bewiesen ist. d) Induktion nach c. F¨ ur c = 1 gilt die Gleichung. Sie gelte f¨ ur c. Dann ist a(bc0 ) = a(b + bc) = ab + a(bc) = ab + (ab)c = (ab)c0 . Damit ist alles bewiesen. Auch die Multiplikation ist mit der Anordnung vertr¨aglich. Satz 13. Es seien a, b, c ∈ N. Ist a < b, so ist ac < bc und ca < cb. Ist ac < bc oder ca < cb, so ist a < b. Beweis. Es sei a < b. Es gibt dann ein d ∈ N mit a + d = b. Es folgt ac + dc = bc, bzw. ca + cd = cb und damit ac < bc und ca < cb. Es sei ac < bc. Aus a ≥ b folgte dann der Widerspruch ac ≥ bc > ac. Ebenso zeigt man, dass aus ca < cb die Ungleichung a < b folgt.

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Korollar. Sind a, b, c ∈ N und gilt ac = bc oder ca = cb, so ist a = b. Beweis. W¨ are a 6= b, so w¨ are o.B.d.A. a < b und daher ac < bc und ca < cb. Mit Satz 12 kann man wiederum beweisen, dass a(b−c) = ab−ac und dass (a−b)c = ac − bc ist. Genauso wie man das Multiplizieren definiert, das ja gem¨aß der Definition ein Vervielfachen ist, kann man auch das Potenzieren definieren, indem man die Rekursionsformel Ra definiert durch Ra (x) := ax. Dann erh¨ alt man zu a, n ∈ N also ein Element an ∈ N und es gilt a) Es ist a1 = a f¨ ur alle a ∈ N. b) Es ist an+1 = aan f¨ ur alle a, n ∈ N. Entsprechend wie die Aussage b) von Satz 12 beweist man die Potenzregel : Es ist am+n = am an f¨ ur alle a, m, n ∈ N. Es fehlt noch der Nachweis, dass die in N definierte Multiplikation kommutativ ist. Satz 14. Es ist ab = ba f¨ ur alle a, b ∈ N. Beweis. Dies ist nach Satz 12 richtig f¨ ur a = 1. Es gelte ab = ba. Dann ist a0 b = (a + 1)b = ab + b = b + ba = b(1 + a) = ba0 . Damit ist auch Satz 14 bewiesen. Mit diesem Satz folgt dann schließlich, dass (ab)n = an bn ist f¨ ur alle a, b, n ∈ N. Dies beweist sich wie Satz 12 c).

Aufgaben 1. Sind a, b ∈ N, so ist a + b 6= 1. 2. Es seien a1 , . . . , an ∈ Z. Beweisen Sie mittels vollst¨andiger Induktion, dass die Gleichung n−1 X (ai+1 − ai ) = an − a1 i:=1

gilt. Bei dieser Aufgabe geht es wirklich darum, die Induktion sauber zu formulieren. 3. Es sei 1 < q ∈ N. Beweisen Sie mittels vollst¨ andiger Induktion, dass die geometrische Summenformel n X q n+1 − 1 qi = q−1 i:=0 gilt.

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4. Sind a, b ∈ N und ist b < a, so gibt es, wie wir wissen, ein c ∈ N mit a = b + c. Dieses c bezeichnen wir auch mit a − b. (Man beachte, dass im Augenblick a − b nur definiert ist, wenn b < a ist.) Es seien a, b, c ∈ N. Ist c < b und b − c < a, so ist b < a + c und a − (b − c) = a + c − b. 5. Es seien a, b, p ∈ N. Ist b < a, so ist pb < pa und es gilt pa − pb = p(a − b). 6. Es sei A eine nicht-leere Menge und R sei eine Abbildung von N × A in A und a sei ein Element von A. Es gibt dann genau eine Abbildung f von N in A mit f (1) = a und f (n + 1) = R(n, f (n)). (Diese Version des dedekindschen Rekursionssatzes ist immer wieder einmal n¨ utzlich. Sie beweist sich analog dem fr¨ uheren Rekursionssatz.)

2. Endliche Mengen. Eng verkn¨ upft mit den nat¨ urlichen Zahlen sind die endlichen Mengen. New Math, der Schlag ins Wasser der sechziger und siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, fasste die nat¨ urlichen Zahlen auf als die Kardinalzahlen endlicher Mengen, ohne jedoch zu sagen, was eine endliche Menge denn sei. Dedekind gab eine solche Definition, die von den nat¨ urlichen Zahlen unabh¨angig ist (Dedekind 1888). Er nennt zun¨ achst eine Menge unendlich, wenn sie eine injektive Abbildung in sich besitzt, die nicht surjektiv ist. Endlich nennt er Mengen, die nicht unendlich sind. In der zweiten, von 1893 stammenden Auflage seines B¨ uchleins Was sind und was ” sollen die Zahlen“ gibt Dedekind eine weitere Definition der Endlichkeit einer Menge, n¨ amlich die folgende: Genau dann heiße M endlich, wenn es eine Abbildung σ von M in sich gibt, sodass f¨ ur alle nicht-leeren Teilmengen X von M aus σ(X) ⊆ X folgt, dass X = M ist. Hat man eine solche Abbildung von M in sich, so vertauscht sie die Elemente von M zyklisch. Eine andere, zauberhaft sch¨ one Definition, die ebenfalls von N unabh¨angig ist, gab Tarski (Tarski 1924). Um sie zu formulieren, ben¨otigen wir noch eine andere Definition. Ist M eine Menge, so bezeichne P (M ) die Menge aller Teilmengen von M . Diese Menge nennt man auch Potenzmenge von M . Dieser Name r¨ uhrt daher, dass P (M ) genau 2n Elemente enth¨ alt, falls M genau n Elemente besitzt. Ist Φ eine Teilmenge von P (M ), so heiße X ∈ Φ minimal in Φ, falls f¨ ur Y ∈ Φ und Y ⊆ X folgt, dass Y = X ist. Man sagt nun, dass P (M ) der Minimalbedingung gen¨ uge, wenn jede nicht-leere Teilmenge von P (M ) ein minimales Element besitzt. Tarskis Definition der Endlichkeit einer Menge lautet nun: Die Menge M heiße endlich, wenn P (M ) der Minimalbedingung gen¨ ugt. Hier noch eine weitere Definition, die von Kuratowski stammt (Kuratowski 1920). Es sei M eine Menge. Genau dann heiße M endlich, wenn f¨ ur alle Teilmengen Q von P (M ), die die Bedingungen 1) Es ist ∅ ∈ Q, 2) Es ist {a} ∈ Q f¨ ur alle a ∈ M , 3) Sind B, C ∈ Q, so ist B ∪ C ∈ Q erf¨ ullen, gilt, dass Q = P (M ) ist. Es gibt weitere Charakterisierungen endlicher Mengen, die alle von ¨ahnlichem Kaliber sind. Welche hat New Math zu ihrer Grundlage gemacht? Mehr an Literatur in L¨ uneburg 1989, S. 484.

2. Endliche Mengen

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Mein ganz pers¨ onliches Erlebnis mit New Math war das folgende. Meine Tochter Barbara lernte Addieren, Zu-Hauf-tun, wie man in alten Zeiten sagte. In ihrer Rechenfibel fand sich eine Seite mit insgesamt zw¨ olf Lassos, sogenannten Venndiagrammen. Im ersten Lasso befanden sich f¨ unf verschiedene Gegenst¨ande, im zweiten drei weitere, dazwischen ein ∪. Das Ganze ward gefolgt von einem = und einem weiteren Lasso, worin ¨ die acht Gegenst¨ ande alle eingefangen waren. Uber den Lassos befanden sich Quadrate mit den Zahlen 5, 3 und 8. Zwischen dem ersten und dem zweiten Quadrat stand ein + und zwischen dem zweiten und dem dritten wieder ein =. Das wiederholte sich zweimal mit jeweils anderen Gegenst¨ anden in den Lassos, aber immer den gleiche Zahlen 5, 3 und 8 in den Quadraten. Das z¨ ahlt f¨ ur neun Lassos. Die restlichen drei befanden sich unter einem Strich, wiederum gef¨ ullt mit f¨ unf, drei und acht Gegenst¨anden. In den ersten beiden Quadraten standen wie zuvor die Zahlen 5 und 3, das dritte Quadrat war leer. Die Kinder sollten es f¨ ullen und meine Tochter schrieb auch eine 8 hinein. Ich fragte sie — es war gemein —, warum sie die Acht hineingeschrieben habe. Zwei Antworten w¨ aren im Sinne damaligen Unterrichtens korrekt gewesen, die eine, die des normal begabten Kindes, weil es da oben so stehe, die andere, die des besonders begabten Kindes, weil es Bijektionen der Ergebnislassos aufeinander g¨abe. Die fr¨ohliche Antwort meiner Tochter: Ach Papa, das ist ganz einfach. Ich hab’ gez¨ahlt, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8.“ Was f¨ ur ” ein Flop. Die Lehrerin hat es nicht gemerkt, wie sollte sie auch, unvorbereitet wie die Lehrer in das Abenteuer New Math gest¨ urzt wurden. Halten wir es mit meiner Tochter und definieren Endlichkeit, indem wir N zum Maßstab nehmen, ein Maßstab, von dem die Kinder schon ein gutes St¨ uck in H¨ anden halten, wenn sie in die Schule kommen. F¨ ur n ∈ N setzen wir An := {a | a ∈ N, a ≤ n} und ferner A0 := ∅. Der Buchstabe A soll an Anfang erinnern. Wir setzen ferner N0 := N∪{0}. Die Menge M heiße genau dann endlich, wenn es ein n ∈ N0 und eine Bijektion von M auf An gibt. Wir werden im Folgenden nicht umhin kommen, in Formeln auch die Null als Summanden und als Faktor zuzulassen. Wir setzen daher a + 0 := a, 0 + a := a, a0 := 0 und 0a := 0 sowie 0 ≤ a f¨ ur alle a ∈ N0 . F¨ ur Elemente a und b von N sollen a + b, ab und a ≤ b die bisherige Bedeutung behalten. Es ist ein Kinderspiel, die u ¨blichen Rechenregeln zu verifizieren. Hat man eine Verabredung getroffen, wann eine Menge endlich heißen soll, so muss man nachweisen, dass diese Verabredung das trifft, was man sich unter endlichen Mengen vorstellt, dass Teilmengen endlicher Mengen endlich sind, dass injektive Abbildungen endlicher Mengen in sich surjektiv und surjektive injektiv sind, usw. Daran werden wir uns nun begeben. Zuvor aber eine weitere Definition. Ist M endlich und gibt es eine Bijektion von M auf An , so heiße n L¨ ange von M . Das Erste, was wir nun feststellen m¨ ussen, ist, dass die L¨ ange nicht vom Z¨ ahlmechanismus abh¨ angt. Satz 1. Ist M eine endliche Menge der L¨ angen m und n, so ist m = n. Beweis. Ist m = 0 oder n = 0, so ist M leer. Dann sind aber auch Am und An leer, sodass m = n = 0 ist.

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Es sei also m ≥ 1 und n ≥ 1. Es sei ρ eine Bijektion von M auf Am und σ eine Bijektion von M auf An . Dann ist σρ−1 eine Bijektion von Am auf An . Es sei a := σρ−1 (m). Wir definieren τ durch τ (a) := n, τ (n) := a und τ (i) := i f¨ ur alle von a und n verschiedenen i ∈ An . Dann ist α := τ σρ−1 eine Bijektion von Am auf An mit α(m) = n. Folglich induziert α eine Bijektion von Am−1 auf An−1 . Nach Induktionsannahme ist daher m − 1 = n − 1 und folglich m = n. Damit ist der Satz bewiesen. Die eindeutig bestimmte L¨ ange der endlichen Menge M bezeichnen wir mit |M |. Satz 2. Ist M eine endliche Menge und ist T eine Teilmenge von M , so ist auch T endlich und es gilt |T | ≤ |M |. Genau dann ist |T | = |M |, wenn T = M ist. Beweis. Setze n := |M |. Ist n = 0, so ist M = ∅ und daher T = ∅, sodass der Satz in diesem Falle gilt. Es sei n > 0. Ist M = T , so ist nichts zu beweisen. Es sei T 6= M . Es gibt dann ein a ∈ M − T . Wie beim Beweise von Satz 1 gesehen, gibt es eine Bijektion σ von M auf An mit σ(a) = n. Dann induziert σ eine Bijektion von M − {a} auf An−1 , sodass M − {a} die L¨ ange n − 1 hat. Wegen T ⊆ M − {a} ist nach Induktionsannahme auch T endlich und es gilt |T | ≤ n − 1 < |M |. Damit ist alles bewiesen. Verteilt man m Hemden auf n Schubladen und ist m > n, so liegen am Ende in wenigstens einer Schublade wenigstens zwei Hemden. Dies ist das dirichletsche Schubfachprinzip. Spricht man in diesem Zusammenhang von Tauben und Taubenschl¨agen, so erh¨ alt man den Namen Taubenschlagprinzip f¨ ur den gleichen Sachverhalt. Da von Hemden und Schubladen zu reden maskuline Sprache ist, werde ich den hier diskutierten Sachverhalt im Folgenden stets Taubenschlagprinzip nennen. Taubenschlagprinzip. Sind M und M 0 Mengen und ist σ eine injektive Abbildung von M in M 0 , so gilt: Ist M 0 endlich, so ist auch M endlich und es gilt |M | ≤ |M 0 |. Ist |M | = |M 0 |, so ist σ bijektiv. Beweis. Setze Y := {σ(x) | x ∈ M }. Weil M 0 endlich ist, ist nach Satz 2 auch Y endlich und es gilt |Y | ≤ |M 0 |. Es sei τ eine Bijektion von Y auf Ak . Dann ist τ σ eine Bijektion von M auf Ak , sodass auch M endlich der L¨ange k ist. Ist schließlich k = |M 0 |, so ist Y = M 0 , sodass σ bijektiv ist. Es sei M eine Menge und π sei eine Menge von Teilmengen von M . Wir nennen π Partition von M , falls die folgenden beiden Bedingungen erf¨ ullt sind: S a) Es ist M = X∈π X. b) Sind X, Y ∈ π und ist X 6= Y , so ist X ∩ Y = ∅. Ist M leer, so besitzt M nur eine Partition, n¨amlich π = {∅}. Ist M nicht leer, so heißt die Partition π von M sparsam, falls ∅ 6∈ π gilt. Die einzige Partition von ∅ nennen wir ebenfalls sparsam. Satz 3. Ist M eine nicht-leere endliche Menge und ist π eine sparsame Partition von M , so gibt es eine Teilmenge T von M mit |T ∩ X| = 1 f¨ ur alle X ∈ π. Insbesondere ist auch π eine endliche Menge und es gilt |π| = |T |.

2. Endliche Mengen

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Beweis. Da M endlich ist, gibt es ein n ∈ N und eine Bijektion σ von M auf An . Ist dann X ∈ π, so ist X 6= ∅, sodass auch σ(X) nicht leer ist. Folglich enth¨alt σ(X) ein kleinstes Element a. Wir setzen aX := σ −1 (a) und T := {aX | X ∈ π}. Es folgt aX ∈ T ∩ X. Ist Y ∈ π und gilt auch aY ∈ T ∩ X, so ist aY ∈ X ∩ Y und folglich X = Y . Also ist T ∩ X = {aX }. Dies beweist die erste Aussage des Satzes. Die Abbildung X → aX ist eine Bijektion von π auf T . Damit ist auch die zweite Aussage des Satzes bewiesen. Man nennt die Menge T auch Transversale von π. Satz 3 gestattet uns, das Gegenst¨ uck f¨ ur surjektive Abbildungen zum Taubenschlagprinzip zu beweisen. Satz 4. Es seien M und M 0 Mengen und σ sei eine surjektive Abbildung von M auf M 0 . Ist M endlich, so ist auch M 0 endlich und es gilt |M | ≥ |M 0 |. Ist |M | = |M 0 |, so ist σ bijektiv. Beweis. F¨ ur y ∈ M 0 setzen wir  yσ := x | x ∈ M, σ(x) = y . Aus der Surjektivit¨ at von σ folgt, dass π := {yσ | y ∈ M 0 } eine sparsame Partition von M ist. Nach Satz 3 gibt es, M nun als endlich vorausgesetzt, eine Transversale T von π. Ist τ die Einschr¨ ankung von σ auf T , so ist τ eine Bijektion von T auf M 0 . Damit ist M 0 als endlich erkannt, da T als Teilmenge von M ja endlich ist. Ferner gilt |M | ≥ |T | = |M 0 |. Gleichheit gilt genau dann, wenn T = M ist. Dann ist aber σ = τ , sodass σ in diesem Falle eine Bijektion ist. Die Grundlage allen Z¨ ahlens ist der folgende Satz. Satz 5. Sind M und N endliche Mengen, so ist auch M ∪ N endlich. Sind M und N disjunkt, so gilt |M ∪ N | = |M | + |N |. Beweis. Setze m := |M | und n := |N |. Es gibt dann eine Bijektion σ von M auf Am und eine Bijektion τ von N auf An . F¨ ur u ∈ M ∪ N definieren wir α(u) durch ( σ(u), falls u ∈ M , α(u) := m + τ (u), falls u 6∈ M . Dann ist α(u) ≤ m + n, sodass α eine Abbildung von M ∪ N in Am+n ist. Die Abbildung α ist injektiv. Sind n¨ amlich u, v ∈ M ∪ N und gilt α(u) = α(v), so folgt aus u ∈ M , dass α(v) = α(u) = σ(u) ≤ m ist. Dann folgt aber auch v ∈ M , da andernfalls α(v) > m w¨are. Also ist σ(v) = σ(u) und damit v = u. Ist u 6∈ M , so folgt entsprechend m + τ (u) = α(u) = α(v) = m + τ (v) und damit u = v. Mit dem Taubenschlagprinzip folgt nun, dass M ∪ N endlich ist.

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Sind M und N disjunkt, so sieht man ebenso rasch, dass α surjektiv und damit bijektiv ist. Also gilt auch die letzte Aussage des Satzes. Dieser Satz hat einige wichtige Konsequenzen. Satz 6. Sind X1 , . . . , Xn endliche Mengen, so ist auch paarweise disjunkt, so ist S P n n i:=1 Xi = i:=1 |Xi |.

Sn

i:=1

Xi endlich. Sind die Xi

Sn Sn−1 Beweis. Es ist i:=1 Xi = ( i:=1 Xi ) ∪ Xn . Hieraus folgen beide Aussagen mittels Induktion nach n, wenn man nur bedenkt, dass die Voraussetzung der paarweisen DisSn−1 junktheit der Xi impliziert, dass ( i:=1 Xi ) ∩ Xn = ∅ ist. Satz 7. Sind M und N endliche Mengen, so ist auch M × N endlich und es gilt |M × N | = |M ||N |. Beweis. Ist M oder N leer, so ist auch M × N leer, sodass die Aussage des Satzes in diesem Falle gilt. Es seien M und N nicht-leer. F¨ ur b ∈ N setzen wir  Xb := (a, b) | a ∈ M . Dann ist Xb eine Teilmenge von M × N mit |Xb | = |M |. Ferner gilt S M × N = b∈N Xb P und Xb ∩ Xc = ∅, falls b 6= c ist. Nach Satz 6 ist daher |M × N | = b∈N |Xb | = |M ||N |. Damit ist der Satz bewiesen. Der Beweis von Satz 7 verlief so, dass wir die Elemente von M × N sozusagen faserweise abz¨ ahlten, und dann die gefundenen Anzahlen addierten. Dabei haben wir die Fasern parallel zur M -Achse benutzt. Man h¨atte nat¨ urlich genauso gut die Fasern parallel zur N -Achse benutzen k¨ onnen. Dann h¨atte man die Gleichung X |M × N | = |Ya | a∈M

und weiter die Gleichungen X b∈N

|Xb | = |M × N | =

X

|Ya |

a∈M

erhalten. Das erscheint nicht sehr aufregend, ist es aber doch, denn diese Situation l¨asst sich auf Teilmengen von M × N verallgemeinern und f¨ uhrt dann zu dem m¨achtigen Werkzeug der zweifachen Abz¨ ahlung. Prinzip der zweifachen Abz¨ ahlung. Es seien M und N zwei endliche Mengen und I eine Teilmenge von M × N . F¨ ur a ∈ M sei  Xa := b | b ∈ N, (a, b) ∈ I

2. Endliche Mengen

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und ra := |Xa |. F¨ ur b ∈ N sei entsprechend  Yb := a | a ∈ M, (a, b) ∈ I und kb := |Yb |. Dann ist X

ra = |I| =

a∈M

X

kb .

b∈N

Beweis. Der Beweis von Satz 7 und der Kommentar zu ihm betrafen den Fall I = M ×N . Man adaptiere Beweis und Kommentar auf den vorliegenden Fall einer beliebigen Teilmenge I von M × N . Zeigen wir, dass die Potenzmenge ihren Namen zu Recht tr¨agt. Satz 8. Ist M eine endliche Menge der L¨ ange n, so ist P (M ) endlich und es gilt |P (M )| = 2n . Beweis. Ist M leer, so ist P (M ) = {∅} und daher |P (M )| = 20 . Es sei n ≥ 1 und der Satz gelte f¨ ur n − 1. Es sei a ∈ M . Wir zerlegen P (M ) in die beiden Mengen   X1 := S | S ∈ P (M ), a ∈ S und X2 := T | T ∈ P (M ), a 6∈ T . Dann ist X1 , X2 eine Partition von P (M ). Offenbar ist X1 = P (M − {a}) und folglich |X1 | = 2n−1 . Andererseits ist S → S ∪ {a} eine Bijektion von X1 auf X2 . Also sind X1 und X2 endlich und von gleicher L¨ ange. Folglich ist P (M ) = X1 ∪ X2 endlich und es gilt P (M ) = 2 · 2n−1 = 2n . Damit ist der Satz bewiesen. Wichtige Teilmengen von P (M ) sind die Mengen Pk (M ) der Teilmengen der L¨ange k von M , kurz k-Teilmengen genannt. Als Teilmengen einer endlichen Menge sind sie  selbst endlich. Ihre L¨ ange bezeichnen wir mit nk , falls M eine Menge der L¨ange n ist. Ist M 0 eine zweite Menge der L¨ ange n, so gibt es eine Bijektion von M auf M 0 , die dann wiederum eine Bijektion von Pk (M ) auf Pk (M 0 ) induziert. Daher ist nk nur von n und k abh¨ angig und nicht von der speziellen Menge M . Man nennt die nk Binomialkoeffizienten, da sie die Koeffizienten der binomischen Formel sind, wie wir gleich sehen werden. Satz 9. Sind n, k ∈ N0 , so gilt:  a) Ist n < k, so ist nk = 0.  b) Ist k ≤ n, so ist nk ≥ 1.   n c) Ist k ≤ n, so ist nk = n−k .   n n d) Es ist 0 = n = 1.   n e) Ist n > 0, so ist n1 = n = n−1 .    n+1 n n f ) Es ist k+1 = k+1 + k .  Pn g) Es ist 2n = k:=0 nk .

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Beweis. a) folgt mit Satz 2. b) Wegen k ≤ n ist Ak ⊆ An . Folglich ist Pk (An ) nicht leer. c) Es sei M eine Menge der L¨ ange n. F¨ ur X ∈ P (M ) setzen wir f (X) := M − X. Dann ist n = |M | = |X ∪ f (X)| = |X| + |f (X)| und folglich |f (X)| = n − |X|. Ferner ist f 2 (X) = M − (M − X) = X, sodass f eine Bijektion ist. Folglich induziert f eine Bijektion von Pk (M ) auf Pn−k (M ). Hieraus folgt die Behauptung.  d) Es gibt nur eine leere Teilmenge von M . Daher ist n0 = 1. Mit c) folgt dann, dass auch nn = 1 ist.  e) Es ist P1 (M ) = {{x} | x ∈ M }. Folglich ist n1 = n. Mit c) folgt dann auch die zweite Behauptung. f) Es sei M eine Menge der L¨ ange n + 1. Ferner sei a ∈ M . Es sei  A := X | X ∈ Pk+1 (M ), a 6∈ X und  B := X | X ∈ Pk+1 (M ), a ∈ X . Dann ist Pk+1 (M ) = A ∪ B und A ∩ B = ∅ sowie A = Pk+1 (M − {a}). Ferner ist X → X − {a} eine Bijektion von B auf Pk (M − {a}). Also gilt in der Tat       n+1 n n = Pk+1 (M ) = |A| + |B| = + . k+1 k+1 k g) ist trivial. Wir wollen nun noch das Prinzip der zweifachen Abz¨ahlung erproben und mit seiner Hilfe den folgenden Satz beweisen. Satz 10. Es seien n, k und l nicht-negative ganze Zahlen mit k ≤ l ≤ n. Dann ist       l n n−k n = . k l l−k k Beweis. Wir betrachten eine n-Menge M und die Menge I der Paare (X, Y ) mit X ∈ Pk(M ), Y ∈ Pl (M ) und X ⊆ Y . Ist dann Y eine l-Teilmenge von M , so ist kY = kl , sodass die kY alle gleich sind. Es folgt    X l n |I| = kY = . k l Y

Ist andererseits X eine k-Teilmenge von M , so ist rX offenbar gleich der Anzahl der (l − k)-Teilmengen von M − X. Also ist rX = n−k l−k . Somit gilt auch    X n−k n |I| = rX = . l−k k X

Damit ist Satz 10 bewiesen.

2. Endliche Mengen

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Korollar. Sind n und l nicht-negative ganze Zahlen mit l ≤ n, so ist   n n! = . l l!(n − l)! Beweis. Dies ist richtig, falls l = 0 ist. Es sei also l ≥ 1. Mit k = 1 ergibt sich dann       l n n−1 n = . 1 l l−1 1     n n n−1 Mit Satz 9 e) folgt hieraus = , sodass Induktion zum Ziele f¨ uhrt. l l l−1 Die Aussagen c) und f) des Satzes 9 zeigen, dass die von uns Binomialkoeffizienten genannten Zahlen das pascalsche Dreieck ausf¨ ullen und daher den Namen Binomial” koeffizienten“ zu Recht tragen. Wie kommt man nun auf die Idee, die n-te Potenz eines Binoms a + b nach Potenzen von ai bn−i zu entwickeln, d.h. die binomische Formel n

(a + b) =

n   X n i:=0

i

ai bn−i

zu betrachten und ihre Koeffizienten zu berechnen? Nun, diese Formel ergibt sich zwangsl¨ aufig, wenn man versucht, n-te Wurzeln zu approximieren. Hat man n¨amlich schon eine Approximation a an die n-te Wurzel aus k, so sucht man ein b, sodass a + b eine bessere Approximation wird. Geht man zun¨achst davon aus, dass (a + b)n = k ist (a und b beide positiv), so ist an + nan−1 b ≤ k. Man nimmt nun ein b, das diese Ungleichung erf¨ ullt, etwa b :=

k − an , nan−1

und erh¨ alt in a + b eine in aller Regel bessere Approximation der n-ten Wurzel von k. Iteriert man dies, so muss man im n¨ achsten Schritt k − (a + b)n berechnen. Dabei hilft dann die binomische Formel. Die Italiener nennen das pascalsche Dreieck tartagliasches Dreieck und in der Tat erscheint dieses Zahlenschema schon lange vor Pascals einschl¨agiger Arbeit bei Tartaglia (Tartaglia 1556, Blatt 69recto ). Gedruckt erschien das pascal-tartagliasche Dreieck zum ersten Mal aber schon im Jahre 1527 auf der Titelseite von Apians Eyn Newe Vnnd ” wolgegr¨ undte vnderweysung aller Kauffmannß Rechnung“ (Apianus 1527/1995). Pascal nannte das Dreieck aus den Binomialkoeffizienten triangulus arithmeticus, arithmetisches Dreieck also (Pascal 1998, S. 174 und an vielen anderen Stellen. Pascals Schriften zum triangulo arithmetico erschienen erst postum im Jahre 1665). Dank des Internets lernte ich, dass man in Uruguay die Relation       n+1 n n = + k+1 k+1 k

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

relacion de Stifel , stifelsche Relation also, nennt und dass die Chilenen vom Lema de Stifel sprechen. Das ist nicht unbegr¨ undet. Bei Stifel findet sich n¨amlich, ebenfalls noch vor Tartaglia (Stifel 1544, S. 44verso und 45recto ): De inuentione numerorum, qui peculiariter pertinent ad suas species extractionum. REstat iam ut tradam modum inueniendi numeros, qui peculiariter pertinent ad quamlibet speciem extractionum, quatenus perfecta habeatur & absoluta huius negotij consumatio. Tradam autem huiusmodi inuentionem, per tabulam sequentem, quæ ut in infinitum extendatur tuipse facile uidebis, quam primum uideris rationem qua construitur. Sic autem constructam uides. 1 2 3 3 4 6 5 10 10 6 15 20 7 21 35 35 8 28 56 70 9 36 84 126 10 45 120 210 11 55 165 330 12 66 220 495 13 78 286 715 14 91 364 1001 15 105 455 1365 16 120 560 1820 17 136 630 2380

126 252 462 462 792 924 1287 1716 1716 2002 3003 3432 3003 5005 6435 6435 4368 8008 11440 12870 6188 12376 19448 24310

Primo, ` a latere sinistro descendit naturalis numerorum progressio, quam extendere poteris quant˜ u volueris. Et illa radix est sequentium laterum omnium. Nam secundum latus, quod continet numeros trigonales, sic oritur ex primo latere. Duobus cellulis, de primo latere, obmissis, repetitur numerus cellulæ tertiæ in primo latere, atque ab eodem numero incipit latus secundum, uidelicet circa tertiam cellulam primi lateris. Deinde ex additione amborum illorum (id est, ex tertio primi lateris, & primo termino secundi lateris) fit numerus secundus secundi lateris. Sic ex secundo numero secundi lateris & ex suo collaterali, fit tertius numerus secundi lateralis: & ex tertio & suo collaterali, fit quartus. Es sic deinceps in infinitum poterit fieri descensus. Quemadmodum autem nascitur secundum latus ex latere primo, ita nascitur latus tertium ex latere secundo. Et eodem modo nascitur latus quartum ex latere tertio, & quintum ex quarto: & sic deinceps, ut in tabula omnia hæc exemplariter uides. Certe admodum mirandum est talia contineri sub numerorum uicibus. Dies heißt:

2. Endliche Mengen

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Von der Berechnung der Zahlen, die ihrer jeweils eigenen Art der Wurzelausziehung dienen. Es bleibt noch, dass ich von dem Verfahren handele, die Zahlen zu berechnen, die einer jeglichen Art der Wurzelausziehung eigen sind, bis wie weit man auch die Vollendung dieser Aufgabe treiben m¨ ochte. Ich handle aber von der Berechnung mittels folgender Tabelle in der Art, dass du selbst leicht sehen wirst, dass sie sich bis ins Unendliche erstreckt, wenn du nur erst das Rechenverfahren gesehen hast, mittels dessen sie konstruiert ist. So aber siehst du dieses Konstrukt — und dann folgt obige Tabelle. Zuerst steigt in der linken Spalte die nat¨ urliche Folge der Zahlen hinab, die du ausdehnen kannst, so weit du willst. Und jenes ist die Wurzel aller folgenden Spalten. Die zweite Spalte, die die Dreieckszahlen enth¨alt, entsteht aus der ersten Spalte auf folgende Weise. Nachdem zwei Zahlen der ersten Spalte ausgelassen sind, wird die Zahl in der dritten Zelle wiederholt, und bei dieser Zahl f¨angt die zweite Spalte an, d.h. bei der dritten Zelle der ersten Spalte. Darauf entsteht durch Addition jener beiden (das ist, aus dem dritten Term der ersten und dem ersten der zweiten Spalte) die zweite Zahl der zweiten Spalte. Aus der zweiten Zahl der zweiten Spalte und ihrer Nachbarin entsteht die dritte Zahl der zweiten Spalte; & aus der dritten & ihrer Nachbarin entsteht die vierte. Und so wird man weiter in infinitum absteigen k¨ onnen. Wie aber die zweite Spalte aus der ersten geboren wird, so wird die dritte Spalte aus der zweiten geboren. Und auf die gleiche Weise wird die vierte Spalte aus der dritten geboren: & so weiter, wie du dies in der Tabelle beispielhaft siehst. Bestimmt ist es recht verwunderlich, dass Derartiges in der Reihe der Zahlen enthalten ist.2 Es geht dann weiter, wie diese Tafel beim Wurzelziehen zu benutzen sei. Interessant ist, dass das arithmetische Dreieck bei Tartaglia noch ein zweites Mal vorkommt, ohne dass Tartaglia auf den Zusammenhang aufmerksam macht. Er fragt n¨ amlich danach, wieviele W¨ urfe man mit n W¨ urfeln machen k¨onne. Er verfeinert die Frage und macht sie auf diese Weise beantwortbar: Wieviele W¨ urfe kann man mit n W¨ urfeln machen, sodass die h¨ ochste Ziffer k ist? Nun, soviele, wie man mit n−1 W¨ urfeln machen kann, sodass die h¨ ochste Ziffer h¨ ochstens k ist. Ist s(n, k) die fragliche Anzahl, so ist also s(1, k) = 1 und k X s(n + 1, k) = s(n, i). i:=1

Hieraus folgt weiter, dass s(n + 1, k) = s(n + 1, k − 1) + s(n, k) ist. Es folgt s(n, k) =

n+k−2 k−1



. Dies ist richtig f¨ ur n = 1. Der Rest folgt mit Induktion,

2 Anmerkung der Herausgeber: Der Autor hat den letzten Satz etwas anders ubersetzt und Unbe¨ ¨ hagen mit seiner Ubersetzung ausgedr¨ uckt.

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

da ja s(n + 1, k) =

      n+1+k−1−2 n+k−2 n+1+k−2 + = k−2 k−1 k−1

ist. Die Antwort auf Tartaglias Frage lautet also, dass 6 X

  n+5 s(n, i) = s(n + 1, 6) = 5 i:=1 ist (Tartaglia 1556, Blatt 17recto . Siehe hierzu auch L¨ uneburg 1993a, S. 208 ff. und L¨ uneburg 1996). Man kann Tartaglias Problem auch so interpretieren, dass die Anzahl der n-Tupel x1 , . . . , xn von nat¨ urlichen Zahlen gesucht ist, f¨ ur die x1 ≤ x2 ≤ · · · ≤ xn ≤ k gilt, wobei in Tartaglias Fall k = 6 ist. Definiert man nun y(x) durch y(x)i := xi + i − 1 f¨ ur i := 1, . . . , n, so ist y(x)1 < y(x)2 < · · · < y(x)n ≤ n + k − 1. Man sieht unmittelbar, dass y eine Abbildung der Menge der fraglichen n-Tupel auf die Menge der n-Teilmengen von {1, . . . , n + k − 1} ist. Daher ist die Anzahl dieser n-Tupel gleich     n+k−1 n+k−1 = . n k−1 Diesen Beweis fand ich in der Literatur Euler zugeschrieben, allerdings mit einem Fragezeichen. Bei Euler fand ich ihn nicht, was jedoch nicht viel besagt bei der Masse seiner Arbeiten. Aufgaben 1. Sind M und N endliche Mengen, so ist |M | + |N | = |M ∪ N | + |M ∩ N |. 2. Die Menge M heiße Tarski-endlich, wenn P (M ) die Minimalbedingung erf¨ ullt. Dann gelten die folgenden Aussagen: a) Die Menge M ist genau dann Tarski-endlich, wenn P (M ) die Maximalbedingung erf¨ ullt. (Die Maximalbedingung wird entsprechend der Minimalbedingung definiert.) b) Ist X Teilmenge der Tarski-endlichen Menge M , so ist X Tarski-endlich. c) Sind M und N Tarski-endlich, so ist auch M ∪ N Tarski-endlich. (Ist Φ eine nicht-leere Teilmenge von P (M ∪ N ), so sei ΦM := {M ∩ X | X ∈ Φ}.

3. Die indische Erfindung

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Diese Menge ist nicht leer, hat also ein minimales Element U . Es sei Ψ := {Y | Y ∈ Φ, M ∩ Y = U } und ΦN := {N ∩ Y | Y ∈ Ψ}. Dann enth¨ alt auch ΦN ein minimales Element V . W¨ahle W ∈ Ψ mit W ∩ N = V . Dann ist W minimal in Φ.) d) Ist M Tarski-endlich, ist N eine Menge und gibt es eine Bijektion von M auf N , so ist N Tarski-endlich. e) Ist M Tarski-endlich, so ist auch P (M ) Tarski-endlich. (Es sei Φ die Menge der X ∈ P (M ), f¨ ur die P (X) Tarski-endlich ist. Dann ist Φ nicht leer und enth¨ alt folglich ein maximales Element M 0 . Dann ist M 0 = M .) 3. Ist M Tarski-endlich, so gibt es ein n ∈ N0 und eine Bijektion von M auf An . 4. Es sei M eine Menge. Genau dann ist M endlich, wenn M eine Abbildung σ in sich besitzt, sodass f¨ ur alle X ∈ P (M ) aus X 6= ∅ und σ(X) ⊆ X folgt, dass X = M ist. (Mengen der Art {σ n (y) | n ∈ N0 } mit y ∈ M helfen.)

3. Die indische Erfindung. Zahlen sind f¨ ur uns bislang Strichlisten. Um die Zahl eine Milliarde systemgerecht zu schreiben, m¨ usste man also ebenso viele Striche machen, was ein wenig m¨ uhsam w¨ are. Ich m¨ ochte nun nicht die Geschichte erz¨ahlen, was sich der Mensch alles einfallen ließ, um auch große Zahlen mit m¨aßigem Aufwand schreiben zu k¨ onnen, sodass man die Zahlen auch manipulieren kann. Das erg¨abe ein eigenes Buch. Ich m¨ ochte vielmehr direkt auf die Erfindung der Inder zusteuern, Zahlen mit den zehn Ziffern 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 darzustellen. Die indische Art, Zahlen zu schreiben, ist u ¨ber die Araber zu uns gekommen. Ihre mathematischen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und philosphischen Schriften wurden seit dem 12. Jahrhundert insbesondere in Spanien, wo die Reconquista in Gange war, die zu engen — nicht immer t¨odlich endenden — Kontakten zwischen Moslems, Christen und Juden f¨ uhrte, ins Lateinische u ¨bersetzt, sodass sie dem Abendland zug¨anglich wurden. Dabei ist zu beachten, ¨ dass die Schriften der Araber ihrerseits Ubersetzungen und Bearbeitungen griechischer Texte waren, wobei indisches Gedankengut mit einfloss, das u ¨ber die Handelsstraßen nach Westen drang. Zu beachten ist ferner, dass etliche der griechischen Texte u ¨ber das Syrische, das einige Zeit die f¨ uhrende Sprache des Morgenlandes war, zu den Arabern kam. Man nannte die dezimal geschriebenen Zahlen auch Kaufmannszahlen, da sie vor allem durch die Kaufleute popul¨ ar gemacht wurden. Einen Beleg daf¨ ur fand ich bei Boncompagni, der aus einem Brief des Senesen Uberto Benvogliente vom 25. Juli 1711 an Pater Gregorio Farulli, Borgo San Sepolcro, zitiert, wo es u. a. heißt: i numeri che noi chiamiamo non Romani ma mercantili , das ist, die Zahlen, die wir nicht r¨ omische Zahlen, sondern Kaufmannszahlen nennen (Boncompagni 1852, S. 214). Zahlen treten uns von Kindesbeinen an als Dezimalzahlen entgegen. Ihre Namen im Deutschen sind ja dezimal strukturiert, wie es auch unser Maß- und M¨ unzwesen weitgehend ist. Wenn wir dann daran gehen, sie mit indischen Ziffern zu schreiben,

26

I. Die nat¨ urlichen Zahlen

denken wir uns nichts weiter dabei. Zeigen wir, dass sich die hier formal eingef¨ uhrten nat¨ urlichen Zahlen ebenso darstellen lassen, damit um so klarer wird, dass sie wirklich die Zahlen beschreiben, die wir aus unserem Alltag kennen. Satz 1. Es sei 1 6= q ∈ N. Ist a ∈ N0 , so gibt es genau eine Abbildung r von N0 in sich mit den folgenden Eigenschaften: a) Es ist ri < q f¨ ur alle i ∈ N0 . b) Es gibt ein N ∈ N0 mit rk = 0 f¨ ur alle k > N . PN i c) Es ist a = i:=0 ri q . Beweis. Dieser Beweis ist nicht der k¨ urzeste. Ich habe ihn deswegen gew¨ahlt, weil er offenlegt, was die Sprache uns suggeriert, dass man n¨amlich jede nat¨ urliche Zahl genau einmal beim Namen nennt, wenn man die Namen der Zahlen den Regeln entsprechend bildet. Wir zeigen zun¨ achst, dass es zu jedem a ∈ N0 h¨ochstens eine Folge der verlangten Art gibt. Es gelte also N M X X ri q i = a = si q i i:=0

i:=0

mit den entsprechenden Nebenbedingungen. Weil alle Summanden nicht-negativ sind, folgt ri = 0 = si f¨ ur alle i, wenn a = 0 ist. Es sei also a > 0. Dann d¨ urfen wir annehmen, dass rN 6= 0 6= sM ist und dass u ¨berdies r0 ≥ s0 gilt. Es folgt r0 − s0 +

X N

ri q

i−1

 q=

i:=1

X M

si q

i−1

 q.

i:=1

Wegen 0 ≤ r0 − s0 ≤ r0 < q folgt weiter X N

ri q

i−1

 X    M N X i−1 i−1 q≤ si q q < 1+ ri q q

i:=1

i:=1

i:=1

und damit N X

ri q

i−1



i:=1

M X

si q

i−1

N , so hat man zu a ein r der verlangten Art gefunden. Damit ist alles bewiesen. Pn Korollar. F¨ ur die in Satz 1 beschriebene Folge r gilt i:=0 ri q i < q n+1 f¨ ur alle n. Beweis. Es ist ja n X i:=0

i

ri q ≤ (q − 1)

n X

q i = q n+1 − 1.

i:=0

Es ist hier zu erw¨ ahnen, dass schon Euklid die geometrische Reihe zu summieren wusste (Elemente VIIII, 35). W¨ ahlt man q = 2, so erh¨alt man den folgenden verbl¨ uffenden Satz. Satz 2. Ist X eine endliche Teilmenge von N0 und ist χ ihre charakteristische Funktion, so ist die durch ∞ X f (X) := χi 2 i i:=0

definierte Abbildung f eine Bijektion der Menge der endlichen Teilmengen von N0 auf N0 . Beweis. Injektivit¨ at wie Surjektivit¨ at dieser Abbildung folgen aus Satz 1. Der Satz ist deswegen so verbl¨ uffend, weil es scheinbar viel, viel mehr endliche Teilmengen als Elemente von N0 gibt. Die einelementigen Teilmengen von N0 sch¨opfen ja die Menge der endlichen Teilmengen von N0 bei weitem nicht aus.

28

I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Zur Dyadik ließe sich sehr viel sagen. Hier nur ein paar Anmerkungen, die ich in Werken zur Geschichte der Mathematik vergeblich suche. Schon im 13. Jahrhundert gab es in Frankreich Gewichtss¨atze, die sogenannten poids de ville, die wie w, 2w, 22 w, 23 w, 24 w, . . . gest¨ uckelt waren (Houben 1990, S. 60 f.). Die St¨ ucke des l¨ angsten bekannten Gewichtssatzes aus dieser Zeit haben die Gewichte 1 1 1 ¨lteste bekannte Gewichtssatz 8 , 4 , 2 , 1, 2, 4, 8 Unzen, 1 Pfund und 2 Pfund. Der a ist vom Jahre 1229 datiert. Es war den Menschen der damaligen Zeit also klar, dass man jede nat¨ urliche Zahl als Summe von Zweierpotenzen darstellen kann. Das hat aber nur indirekt etwas mit Positionssystemen zu tun, da die Zweierpotenzen real vorhanden waren, n¨ amlich in Form der Gewichtsst¨ ucke. In der mathematischen Literatur finden sich Aufgaben zu derartigen Gewichtss¨ atzen im liber abbaci Fibonaccis aus dem Jahre 1228 wie auch im General trattato Tartaglias von 1556, der u ¨berdies auch von realen Waagen spricht, bei denen dieser Art Gewichte benutzt w¨ urden (siehe L¨ uneburg 1993a, S. 203 ff.). Auch Leibniz erw¨ ahnt solche Gewichtss¨atze (Zacher 1973, S. 246, 252, 297, 354). Neper publizierte 1617 in einem Anhang zu seiner Rhabdologie, das ist die St¨abchenrechnung von griechisch Rhabdos der Stab, seine Arithmetica localis, in der er rein mechanisch ablaufende Verfahren f¨ ur die vier arithmetischen Grundoperationen sowie f¨ ur das Quadratwurzelziehen f¨ ur dyadisch dargestellte Zahlen angibt, wobei wie bei den Gewichtss¨ atzen zu beachten ist, dass bei seiner dyadischen Darstellung der nat¨ urlichen Zahlen die Zweierpotenzen explizit auftauchen. Es steht a, b, c, . . . f¨ ur 1, 2, 22 , . . . Die Grundregeln lauten: aa = b, bb = c, cc = d, usw. Hierauf baut sich alles weitere auf. Nepers Rhabdologie ist nach wie vor leicht zug¨anglich (Neper 1617/1966). Zur¨ uck zur Mathematik. Die Folge 1, q, q 2 , q 3 , . . . werden wir q-adische Basis der nat¨ urlichen Zahlen nennen, falls sich die Notwendigkeit ergibt, einen Namen f¨ ur dieses Konstrukt zu gebrauchen. Die entsprechende Darstellung der nat¨ urlichen Zahlen heiße q-adisch. Im Falle q = 10 sprechen wir nat¨ urlich von Dezimalzahlen, dezimaler Darstellung, dezimaler Basis und im Falle q = 2 von dualer Basis, dyadischer Darstellung, usw. Was die Geschichte der q-adischen Darstellung der nat¨ urlichen Zahlen anbelangt konsultiere man Zacher 1973. Hat man es mit nur einer q-adischen Basis zu tun, so schreibt man der K¨ urze halber a = rN rN −1 . . . r0 , wobei man nat¨ urlich auch die ri hinschreibt, die null sind. Das klingt so harmlos, ist aber die großartige Erfindung der Inder, die das Schreiben von Zahlen revolutionierte und nicht nur das Schreiben, auch das schriftliche Rechnen mit auf diese Art dargestellten Zahlen wurde u ¨bersichtlich und effizient. Schriftlich“ muss ” man hier hinzuf¨ ugen, da die Verfahren f¨ ur das Rechnen auf dem Rechenbrett nichts zu w¨ unschen u ¨brig ließen: In Rom floss viel Geld, ¨offentliches wie privates. Man musste in der Lage sein und war es auch, mit großen Summen zu rechnen. Zahlschrift und Rechnen klafften aber damals noch auseinander. Bei Fibonacci treten die indischen Ziffern ins Rampenlicht, womit das Rechnen zum schriftlichen Manipulieren der mit diesen Ziffern schriftlich dargestellten Zahlen wurde, auch wenn das Rechenbrett sich noch bis ins 18. Jahrhundert hielt. Schreiben wir Zahlen mit ihren Ziffern rN rN −1 . . . r0 , so heißt bei uns rN die h¨ochste oder auch erste Stelle und r0 die letzte. Bei Adam Ries und Fibonacci ist dies umgekehrt. Jener nennt r0 die erste und rN die letzte Stelle (Ries 1547/78), w¨ahrend dieser r0 die Stelle ersten und rn die Stelle n-ten Grades nennt. Ich nehme an, dass der Grund der

3. Die indische Erfindung

29

ist, dass wir die Ziffernschreibweise von den Arabern u ¨bernahmen, die ja von rechts nach links schreiben, wenn sie auch die Zahlen von links nach rechts lesen. Ich weiß nicht, seit wann unser Sprachgebrauch u ¨blich ist. Bei Michael Stifel liest man Decimumoctauum exemplum capitis huius. Et est Adami Gigantis, d.h. Achtzehntes Beispiel dieses Kapitels. Und es ist Adam Riesens.“ Klingt ” gewaltig (Stifel 1544, S. 263recto ). Man muss die Null also als Zahl anerkennen. Das ist um so aufregender, als die Alten die Eins nicht als Zahl anerkannten, sie vielmehr als den Ursprung aller Zahl ansahen. Auch das war nicht mehr zu halten. Es ist also nicht verwunderlich, wenn Fibonacci Null und Eins Zahl nannte und auch mit ihnen wie mit den u ¨brigen Zahlen umging, ohne jedoch u uneburg ¨ber den Zahlbegriff zu reflektieren. Mehr zu diesem Thema in L¨ 1993a und 1994. Ist a 6= 0, so d¨ urfen wir rN 6= 0 annehmen. In diesem Falle nennen wir N + 1 die L¨ ange der Darstellung von a bez¨ uglich der gegebenen Basis und schreiben daf¨ ur auch lq (a). Ferner setzen wir lq (0) := 0. Dann ist 0 die einzige Zahl mit der L¨ange 0. Ist a ∈ N, so folgt mit dem Korollar zu Satz 1, dass q lq (a)−1 ≤ a < q lq (a) ist. Weil die Potenzmenge einer Menge der L¨ ange a ebenso viele Mengen gerader L¨ange wie ungerader L¨ ange enth¨ alt und da die einpunktigen Mengen alle die L¨ange 1 haben, ist also a ≤ 2a−1 und Gleichheit gilt genau dann, wenn es keine Teilmenge der L¨ange 3 gibt, wenn also a ≤ 2 ist. Es gilt also a < 2a−1 , wenn a ≥ 3 ist. Wegen 2 ≤ q ist also auch a < q a−1 f¨ ur a ≥ 3. Daher gilt lq (a) ≤ a − 1 < a. Diese Absch¨ atzung ist sehr grob. Bezeichnet man — im Vorgriff auf Sp¨ateres — mit logq den Logarithmus zur Basis q, so ist   lq (a) = logq (a) + 1. Dabei bezeichne bxc f¨ ur reelle Zahlen x die gr¨ oßte Ganze unterhalb x. Es ist also bxc ∈ Z und bxc ≤ x < bxc + 1. Diese Beschreibung von lq (a) zeigt, dass die q-adische Beschreibung von a sehr viel k¨ urzer ist als die Beschreibung von a mittels einer Strichliste, da, wie der Leser wohl weiß, gilt, dass logq (a) lim =0 a→∞ a ist. Sind nun u, v ∈ N0 und gilt bez¨ uglich der durch q gegebenen Basis, dass u = rM . . . r0 und v = sN . . . s0 ist, so ist sehr einfach zu entscheiden, welche der beiden Zahlen die gr¨ oßere ist. Zun¨ achst einmal d¨ urfen wir annehmen, dass rM , sN 6= 0 ist. Ist dann M 6= N , so ist genau dann u < v, wenn M < N ist. Dies h¨atte nat¨ urlich nichts zu

30

I. Die nat¨ urlichen Zahlen

bedeuten, wenn nicht lq (a) < a f¨ ur 2 < a ∈ N w¨are. Ist M = N , so suche man das gr¨ oßte i ≤ M mit ri 6= si . Dann ist u < v genau dann, wenn ri < si ist. Um dies zu entscheiden, ben¨ otigt man die Anordnung der Ziffernmenge {0, . . . , q − 1}. F¨ ur die Addition und die partielle Subtraktion gilt, wie wir in Abschnitt 1 gesehen haben, u + v = (u + 1) + (v − 1) u − v = (u − 1) − (v − 1), falls nur v > 1 ist. Summe und Differenz nach dieser Vorschrift zu berechnen, ist bei großem v wieder nicht durchf¨ uhrbar. Sind die Zahlen dagegen q-adisch dargestellt, so sind Addition und Subtraktion auch bei großen Zahlen mit m¨aßigem Aufwand durchzuf¨ uhren. Vom Ergebnis wird eine Stelle nach der anderen berechnet, wozu es jedoch n¨ otig ist, das kleine Eins-und-eins zu beherrschen, bzw. es als Tabelle vorliegen zu haben. Beginnen wir mit der Addition. Ist wieder u = rM . . . r0 und v = sN . . . s0 , so d¨ urfen wir, indem wir gegebenenfalls mit f¨ uhrenden Nullen auff¨ ullen, M = N annehmen. Dann ist zun¨ achst u + v = rM + sM . . . r0 + s0 . Doch dies ist meist noch nicht die Standardform von u + v, die wir ja suchen. Man muss ¨ ggf. noch Ubertr¨ age ber¨ ucksichtigen. Hier ist das Fragment eines Additionsalgorithmus, der das tut. u ¨0 := 0; for i := 0 to M do ti := ri + si + u ¨i ; if q ≤ ti then ti := ti − q; u ¨i+1 := 1 else u ¨i+1 := 0 endif endfor; Dann ist u + v = u ¨M +1 tM . . . t0 . Um zu sehen, dass der Algorithmus wirklich das Verlangte leistet, muss man sich im ¨ Wesentlichen u nie gr¨oßer als 1 ist. Dies ist wegen u ¨0 = 0 ¨berlegen, dass der Ubertrag richtig f¨ ur i = 0. Die Behauptung gelte f¨ ur i. Mit Satz 1 folgt die Existenz von x, y ∈ N0 mit y ≤ q − 1 und xq + y = ri + si + u ¨i ≤ 2(q − 1) + 1 = q + (q − 1). Hieraus folgt x ≤ 1 und wegen u ¨i+1 q + ti+1 = ri + si + u ¨i dann x = u ¨i+1 und y = ti+1 . ¨ Dies zeigt, dass u ¨i+1 wirklich der n¨ achste Ubertrag ist, der also immer kleiner oder gleich 1 ist. ¨ So wie bei der Addition Ubertr¨ age auftreten, so muss man bei der partiellen Subtraktion gelegentlich borgen. Das n¨ achste Fragment eines Algorithmus zeigt, wie man das einrichten kann. Dabei sei a = rM . . . r0 und b = sM . . . s0 .

3. Die indische Erfindung

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u ¨0 := 0; for i := 0 to M do si := si + u ¨i ; % a − b = (rM . . . ri − sM . . . si )q i + ti−1 . . . t0 if si > ri then u ¨i+1 := 1 else u ¨i+1 := 0 endif; % a − b = (rM . . . ri+1 − (sM . . . si+1 + u ¨i+1 ))q i+1 + (ri + u ¨i+1 q − si )q i + ti−1 . . . t0 ri := u ¨i+1 q + ri ; ti := ri − si endfor; Die beiden Kommentare des Algorithmus muss man mit vollst¨andiger Induktion verifizieren. Ferner muss man auch zeigen, dass f¨ ur alle i die Ungleichungen 0 ≤ ti < q ¨ gelten. Dies alles sei dem Leser als Ubungsaufgabe u ¨berlassen. Auf eines sei jedoch hingewiesen. Es kommt durchaus vor, dass u ¨M +1 = 1 ist. Dies ist genau dann der Fall, wenn a < b ist. Treibt man den Algorithmus weiter, so erh¨alt man tM +i = q − 1 f¨ ur alle i ∈ N. Dies erlebt man bei den noch gelegentlich auf Flohm¨arkten angebotenen Sprossenradmaschinen, das sind mechanische Vier-Spezies-Maschinen, die sich vor der Ankunft der elektronischen Rechner großer Beliebtheit erfreuten. Subtrahierte man auf diesen Maschinen eine gr¨ oßere Zahl von einer kleineren, so erschien das Ergebnis mit f¨ uhrenden Neunen im Register und ein Glockenzeichen ert¨onte. Gehen wir an die Beschreibung dessen, was man mit diesen Maschinen machen kann. Es ist die Beschreibung des theoretischen Hintergrundes einer Maschine vom Typ WSR 160 der Firma Walther B¨ uromaschinen GmbH, Niederstotzingen/Wttbg. Die Maschine hat drei Register A, B und C, die unterschiedlich lang sind, doch das soll uns hier nicht weiter interessieren, wie wir u ¨berhaupt auf die technische Realisierung nur beil¨ aufig eingehen. Wir stellen uns vor, dass beliebig lange Zahlen in sie passen. Damit erhalten wir im Folgenden Allgemeing¨ ultigkeit. Man kann die Register einzeln l¨ oschen, B und C aber auch simultan, wobei Letzteres die Voreinstellung ist. Dabei bedeutet l¨ oschen“ mit 0 zu initialisieren. Den Zustand undefiniert“ gibt es nicht. ” ” Das Register A kann u ur Stelle initialisiert werden. Das Glei¨ber Hebelchen Stelle f¨ che gilt f¨ ur Register C, nur dass hier die Hebelchen durch R¨andelscheiben ersetzt sind. Register B, das als Z¨ ahlwerk fungiert, erh¨ alt einen von null verschiedenen Inhalt indirekt durch Schiften und Kurbeln. Will man dies erreichen, so muss A mit 0 besetzt sein, da sonst der Inhalt von A bei jedem Kurbeln den Inhalt von C ver¨andert. Die Register B und C sind auf einem Schlitten angebracht, der aus der Grundstellung heraus nach rechts geschiftet werden kann. Ein i-facher Schift nach rechts bedeutet f¨ ur B und C eine Zerlegung in B = B 0 q i +B 00 und C = C 0 q i +C 00 und f¨ ur A eine Multiplikation mit q i . Dabei gilt B 00 < q i und C 00 < q i . Es bedeutet weiterhin, dass beim Kurbeln B 00 und C 00 nicht angetastet werden. Ist der Schlitten nicht in der Grundstellung, so kann man nat¨ urlich auch nach links schiften. Jede Kurbelumdrehung ver¨andert B und C simultan, l¨ asst aber A unangetastet. Ist C = C 0 q i + C 00 , wobei wieder 0 ≤ C 00 < q i ist, so ist auch die Zuordnung A := C 0 ausf¨ uhrbar. Bei dieser Zuordnung wird gleichzeitig C auf 0 gesetzt, sodass C 00 verloren ist wie auch das, was urspr¨ unglich in A stand. Bei dieser Operation hat man, was B

32

I. Die nat¨ urlichen Zahlen

anbelangt, wieder zwei Optionen, dass n¨ amlich B gleichzeitig gel¨oscht wird oder dass der Inhalt von B unver¨ andert bleibt, wobei auch hier das gleichzeitige L¨oschen von B und C voreingestellt ist. Eine typische Anwendung ist die Berechnung eines Produktes aus mehreren Faktoren. Will man etwa das Produkt abb1 ausrechnen, so setzt man A := a, B := 0 und C := 0. Dann ist C = AB. Bei dem gleich zu besprechenden Multiplikationsalgorithmus wird in B die Zahl b aufgebaut und C dabei so manipuliert, dass stets die Gleichung C = AB gilt. H¨ alt B dann b, so steht in C das Produkt ab. Dann setzt man A := C, was man mit Schift 0 erreicht. Dabei l¨ oscht man gleichzeitig B und C und wendet das gleiche Verfahren nun auf A und b1 an. Dies kann man nat¨ urlich iterieren. Es ist noch zu beschreiben, was eine Kurbelumdrehung bewirkt. Man kann die Kurbel vorw¨ arts und r¨ uckw¨ arts drehen. Dabei hat man bei jeder solchen Umdrehung noch die M¨ oglichkeit, ihre Wirkung auf B zu beeinflussen. In jedem Falle werden B und C simultan ver¨ andert, C aber nur, wenn A 6= 0 ist. Dreht man die Kurbel bei Schift i vorw¨ arts, so erh¨ alt man C := (C 0 + A)q i + C 00 = C + Aq i B := (B 0 + 1)q i + B 00 = B + q i oder

C := (C 0 + A)q i + C 00 = C + Aq i B := (B 0 − 1)q i + B 00 = B − q i ,

je nachdem, welche Option man f¨ ur B gew¨ ahlt hat. Kurbelt man r¨ uckw¨arts, so erh¨alt man C := (C 0 − A)q i + C 00 = C − Aq i B := (B 0 + 1)q i + B 00 = B + q i oder

C := (C 0 − A)q i + C 00 = C − Aq i B := (B 0 − 1)q i + B 00 = B − q i .

Der mittlere Ausdruck beschreibt, was auf der Maschine geschieht, w¨ahrend der rechte f¨ ur die folgenden theoretischen Ausf¨ uhrungen bequemer zu handhaben ist. Man darf sich vorstellen, dass die Operationen C0 C0 B0 B0

:= C 0 + A := C 0 − A := B 0 + 1 := B 0 − 1,

wie oben erl¨ autert, auf der Maschine implementiert sind. Das heißt, dass diese Operationen auch sequentiell ablaufen, Stelle um Stelle von B 0 und C 0 bestimmend, das alles aber bei einer Kurbelumdrehung. Sehen wir, wie man diese vier Gruppen von Operationen ausnutzen kann, um Multiplikation, Division mit Rest und das Quadratwurzelziehen mit m¨aßigem Aufwand

3. Die indische Erfindung

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auszuf¨ uhren. Insbesondere werden wir auf diese Weise lernen, dass Division mit Rest in N m¨ oglich ist. Wir f¨ uhren sie hier im Wesentlichen also so ein, wie wir sie auf der Schule gelernt haben. Das war ein weiterer Grund, f¨ ur Satz 1 den Beweis zu w¨ahlen, der vom Taubenschlagprinzip Gebrauch macht. Um zwei Zahlen auf der Maschine zu multiplizieren, gibt es zwei M¨oglichkeiten. Die erste, die ich hier vorf¨ uhren werde, ist die, die u uhrt ¨blicherweise auf der Maschine ausgef¨ wurde. Die zweite hat ihren besonderen Charme, den ich aber erst sp¨ater verraten werde. Erste M¨ oglichkeit. Es seien a und b gegeben, wobei die q-adische Darstellung von b gleich rN . . . r0 sei. Die Darstellung von a ben¨ otigen wir nicht explizit. A := a; C := 0; B := 0; for i := 0 to N do % Calt := C, Balt := B, Calt = ABalt for j := 1 to ri do C := C + Aq i ; B := B + q i ; % C = Calt + jAq i , B = Balt + jq i , C = AB endfor % C = AB, j = ri , B = ri . . . r0 endfor; % i = N , C = AB, A = a, B = b Eine einfache Induktion, die f¨ ur die zweite for-Schleife eine weitere Induktion in sich birgt, zeigt die Korrektheit des Algorithmus. ¨ Bei dem Aufbau von B fallen keine Ubertr¨ age an, da die ri ja alle kleiner als q sind. i Bei der Zuweisung C := C + Aq ist aufgrund des Schiftens C in C 0 q i + C 00 zerlegt und die Maschine f¨ uhrt die Addition C 0 := C 0 + A aus. Wie das geschieht, wurde oben erl¨ autert, erscheint also nicht mehr explizit in unserem Algorithmus. Wenn wir schriftlich multiplizieren, ersetzen wir die innere for-Schleife durch die Multiplikation von a mit einer jeweils einstelligen Zahl. Dazu haben wir auf der Schule das kleine Einmaleins gelernt. Außerdem addieren wir erst, wenn wir alle Zwischenprodukte ausgerechnet haben. Als Algorithmus aufgeschrieben, sieht das dann so aus, wenn wieder b = rN . . . r0 ist. Die Korrektheit des Algorithmus beruht auf dem Distributivgesetz. for i := 0 to N do Zi := ari q i endfor ; C :=

N X

Zi

i:=0

Dieses Verfahren lehrt Adam Ries, nat¨ urlich nur f¨ ur q = 10 (Ries 1574/1978). Ries nutzt beim Multiplizieren von Ziffern auch die durch die Kongruenz (a + b)q + (q − a)(q − b) ≡ ab mod q 2

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

gegebene M¨ oglichkeit. Sie gilt nat¨ urlich f¨ ur beliebige a und b und nicht nur f¨ ur Ziffern. Dabei gilt per definitionem u ≡ v mod n genau dann, wenn u − v durch n teilbar ist. Sind a und b Ziffern, so ist 0 ≤ ab < q 2 , sodass ab der kleinste nicht-negative Rest in ¨ der Aquivalenzklasse von ab mod q 2 ist. Es ist also 6 · 7 ≡ (6 + 7) · 10 + 4 · 3 ≡ 30 + 12 = 42

mod 100

und folglich 6 · 7 = 42. Das sieht umst¨ andlich aus, ist es aber nicht, wenn man daran gew¨ ohnt ist. Soweit ich weiß, ist diese Bemerkung insbesondere n¨ utzlich beim Rechnen auf dem Rechenbrett und vor allem auf dem r¨omischen Abacus, dem japanischen Soroban, dem chinesischen Suanpan und dem russischen Stschoty, bei denen man pro Stelle nur eine feste Zahl von Marken zur Verf¨ ugung hat, n¨amlich 5, 7, bzw. 10, die bei dem japanischen Ger¨ at noch in 4 + 1 und bei dem chinesischen in 5 + 2 unterteilt sind. Das Rechnen auf dem Rechenbrett war zu Riesens Zeiten noch u ¨blich und so erkl¨art er in seinem Rechenbuch auch zuerst dieses, wobei mir nicht klar ist, ob dies nicht nur der Didaktik halber geschieht. Fibonacci lehrt in seinem liber abbaci von 1228 ebenfalls das noch heute gebr¨auchliche Verfahren und betont, dass es sich vor allemPf¨ ur große Zahlen P eigne. Er selbst ∞ ∞ bevorzugt ein anderes Verfahren. Gilt n¨ amlich a = i:=0 ri q i und b = i:=0 si q i , so ist ja ∞ X n X ab = ri sn−i q n . n:=0 i:=0

Dies ist zun¨ achst die Faltung, wie sie auch bei Polynomen auftritt. Fibonacci rechnet nun ¨ der Reihe nach r0 s0 , r0 s1 +r1 s0 , r0 s2 +r1 s1 +r2 s0 , etc., wobei nat¨ urlich noch Ubertr¨ age zu ber¨ ucksichtigen sind. Die werden, so scheint es, rasch sehr groß, sodass es schwierig ¨ wird, den Ubertrag im Sinn“ zu behalten. Doch da kommt Fibonacci zugute, dass ” es im Mittelmeerraum mit seinen weitl¨ aufigen Handelsbeziehungen die allen gel¨aufigen Fingerzahlen gab. Mit Gesten der linken Hand war es m¨oglich, alle Zahlen von 1 bis 99 darzustellen, und die gleichen Gesten mit der rechten Hand ausgef¨ uhrt bedeuteten das jeweils Hundertfache, sodass man mit beiden H¨anden die Zahlen von 1 bis 9999 ¨ darstellen konnte. So heißt es bei Fibonacci dann immer, dass man den Ubertrag in ¨ der Hand behalten solle. Wie groß d¨ urfen also Faktoren sein, damit die Ubertr¨ age nicht mehr als zweistellig werden? Dazu betrachten wir das Quadrat der Zahl 10n+1 − 1, die aus n+1 Neunen besteht. Die Dezimaldarstellung dieses Quadrates ist schnell gefunden. Es ist ja X  n (10n+1 − 1)2 = 9 · 10i + 8 · 10n+1 + 1. i:=1

Verfolgen wir dies im Einzelnen. Wir setzen U−1 := 0, Ul := 8 + l · 9 f¨ ur l := 0, . . . , n und Un+1+l := (n − l) · 9 f¨ ur l := 0, . . . , l − 1. Schließlich definieren wir Vl durch Vl :=

l X i:=0

ri rl−i + Ul−1

3. Die indische Erfindung

35

f¨ ur l := 0, . . . , 2n. Dabei ist ri = 9 f¨ ur i ≤ n und ri = 0 f¨ ur i > n. Dann ist ¨ V0 = 81 = U0 · 10 + 1, sodass U0 der erste Ubertrag ist. Es sei 1 ≤ l ≤ n und Ul−1 sei ¨ der l-te Ubertrag. Dann ist Vl = (l + 1) · 81 + 8 + (l − 1) · 9 = (l − 1) · 9 · 10 + 170 = Ul · 10. ¨ Dies zeigt, dass Ul der n¨ achste Ubertrag ist. Also sind U0 , . . . , Un die ersten n + 1 ¨ Ubertr¨ age. Die entsprechenden Ziffern des Produktes sind t0 = 1, t1 = · · · = tn = 0. Es ist n+1 X Vn+1 = ri rn−i + Un = n · 81 + 8 + n · 9 = Un+1 · 10 + 8. i:=0

¨ ¨ Also ist Un+1 der n¨ achste Ubertrag und tn+1 = 8. Es sei Un+1+l als Ubertrag erkannt. Dann ist Vn+2+l =

n+2+l X

ri rn+2+l−i + Un+1+l = (n − l − 1) · 81 + (n − l) · 9 = Un+1+l+1 · 10 + 9.

i:=0

¨ Damit sind auch die Un+1 , . . . , U2n als Ubertr¨ age erkannt. Ferner kommt heraus, dass die restlichen Ziffern alle gleich neun sind, was wir aber schon wussten. ¨ Der gr¨ oßte Ubertrag, der vorkommt, ist Un = 8 + n · 9. Nun folgt aus 8 + n · 9 ≥ 100, dass n > 10, d.h. dass n ≥ 11 ist. Wenn Fibonacci also sagt, dass das Verfahren, das wir heute beim schriftlichen Rechnen benutzen, sich besonders f¨ ur große Zahlen eignet, so meint er wirklich große Zahlen. N¨ aheres zu den Fingerzahlen nebst einem Bild dieser Zahlen findet der Leser in L¨ uneburg 1993a. Zweite M¨ oglichkeit. Ich sprach von einer zweiten M¨oglichkeit, die Multiplikation auf der Maschine durchzuf¨ uhren. Diese besteht grob gesagt darin, dass man A und B mit den Zahlen a und b l¨ adt, und dann B abarbeitet und darauf achtet, dass stets die Gleichung AB + C = ab erf¨ ullt ist. Wir definieren die Funktion russ durch russ(A, B, C) := AB + C. Dann gilt a) Es ist russ(A, B, 0) = AB. b) Es ist russ(A, 0, C) = C c) Es ist russ(A, B + 1, C) = russ(A, B, A + C) d) Es ist russ(A, kB, C) = russ(Ak, B, C). e) Es ist russ(A, B, C) = russ(B, A, C). Die letzte Eigenschaft ist nur der Vollst¨ andigkeit halber aufgef¨ uhrt. Wir werden sie nicht benutzen. Bei dem nun folgenden Algorithmus benutzen wir nicht die Zifferndarstellung von b. Dies hat seinen Grund, wie wir gleich sehen werden. Input: Nat¨ urliche Zahlen a und b. Output: Die nat¨ urliche Zahl P mit P = ab.

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

begin A := a; B := b; C := 0; % russ(A, B, C) = ab while B 6= 0 do while not B ≡ 0 mod q do B := B − 1; C := C + A; % Bneu < Balt % russ(A, B, C) = ab endwhile; % B ist durch q teilbar A := qA; B := B/q; % Bneu < Balt oder Bneu = Balt = 0 % russ(A, B, C) = ab endwhile; % russ(A, B, C) = ab %B=0 P := C % P = ab end; Operiert man bei diesem Algorithmus mit q-adisch dargestellten Zahlen, so ist die Frage nach der G¨ ultigkeit der Bedingung B ≡ 0 mod q eine Frage an die letzte Ziffer von B. Ist sie null, so ist B durch q teilbar, andernfalls nicht. Ferner sind die beiden Zuweisungen A := qA und B := B/q nichts als Schifte. Denkt man aber an dezimal dargestellte Zahlen und nimmt q = 2, so ist es ebenfalls einfach zu entscheiden, ob B durch 2 teilbar ist oder nicht. Auch dies entscheidet sich ja an der letzten Ziffer. Das Verdoppeln und Halbieren ist auch kein Problem. Diese beiden Operationen wurden fr¨ uher h¨aufig als eigene Operationen gelehrt, so auch bei Adam Ries. Wenn Sie dies bei ihm nachlesen, so denken Sie daran, dass er die letzte Ziffer die erste nennt. Der Multiplikationsalgorithmus f¨ ur q = 2 durchgef¨ uhrt heißt russische Bauernmultiplikation, die wir ihrer Sch¨ onheit wegen als eigenen Algorithmus notieren. Dieser Multiplikationsalgorithmus ist unabh¨ angig von der Darstellung der Zahlen. Er war schon im ¨ alten Agypten bekannt. Dies zeigt, wie absurd es ist, sie auf die dyadische Darstellung der nat¨ urlichen Zahlen zur¨ uckzuf¨ uhren. Das ist zwar m¨oglich, aber h¨asslich. Input: Nat¨ urliche Zahlen a und b. Output: Die nat¨ urliche Zahl P mit P = ab. begin A := a; B := b; C := 0; % russ(A, B, C) = ab while B 6= 0 do if odd(B) then B := B − 1; C := C + A;

3. Die indische Erfindung

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% Bneu < Balt % russ(A, B, C) = ab endif; % B ist gerade A := 2A; B := B/2; % Bneu < Balt oder Bneu = Balt = 0 % russ(A, B, C) = ab endwhile; % russ(A, B, C) = ab %B=0 P := C % P = ab end;

Aufgaben 1. Es sei 1 < q ∈ N und F sei die Menge der Folgen r auf N0 mit Werten in {0, . . . , q−1} sodass es zu r ein N gibt mit ri = 0 f¨ ur alle i > N . Es gibt dann eine Bijektion von F auf N0 . 2. Es sei q eine nat¨ urliche Zahl mit q > 1. Ferner sei n ∈ N0 . Bestimmen Sie die qadische Darstellung von (q n+1 − 1)2 . (Beachten Sie die Besonderheit bei q = 2. Beim Rechnen spielt sie keine Rolle.) 3. Es sei rN rN −1 . . . r0 die q-adische Darstellung von a ∈ N. Zeigen Sie, dass a genau PN dann durch q − 1 teilbar ist, wenn die Quersumme i:=0 ri durch q − 1 teilbar ist (Kriterium f¨ ur die Teilbarkeit durch 9 und 11, wenn q = 10 bzw. q = 12. Siehe auch Abschnitt 5) 4. Rekapitulieren Sie die Teilbarkeitskriterien f¨ ur die Zahlen 3, 4, 5 und 6, die Sie auf der Schule f¨ ur dezimal dargestellte nat¨ urliche Zahlen gelernt haben. 5. Es gibt f¨ ur dezimal dargestellte Zahlen auch ein Teilbarkeitskriterium f¨ ur die Zahlen 7, 11 und 13. Es beruht darauf, dass 1001 = 7 · 11 · 13 ist. Dieses wird auf der Schule ¨ wohl nicht gelehrt. Uberlegen Sie sich, wie es lautet. 6. Entwerfen Sie einen Algorithmus, der f¨ ur q-adisch dargestellte Zahlen die Multiplikation einer einstelligen mit einer beliebigstelligen Zahl unter Ber¨ ucksichtigung ¨ von Ubertr¨ agen bewerkstelligt. Dabei werde die Kenntnis des kleinen Einmaleins bis ¨ ¨ (q −1)·(q −1) vorausgesetzt. Uberlegen Sie sich dabei, wie groß die Ubertr¨ age h¨ochstens werden k¨ onnen. 7. Bei den beiden oben diskutierten Algorithmen f¨ ur die Multiplikation q-adisch darPN gestellter Zahlen ist die Anzahl der n¨ otigen Kurbelumdrehungen gleich i:=0 ri und die Anzahl der Schifte gleich N . Die Anzahl der Kurbelumdrehungen ist also durch (q − 1)(N + 1) beschr¨ ankt. Um die Kosten einer Multiplikation abzusch¨atzen, muss man

38

I. Die nat¨ urlichen Zahlen

die Anzahl der Kurbelumdrehungen noch mit den Kosten einer Addition einer (N + 1)stelligen Zahl zu einer (M + 1)-stelligen Zahl multiplizieren. Diese Kosten sind linear in max(M, N ). Ist ohne Beschr¨ ankung der Allgemeinheit N ≤ M , so sind die Kosten also durch CM N beschr¨ ankt, wobei C eine Konstante ist. Die Kosten der N Schifte sind durch Vergr¨ obern der Absch¨ atzung in C mit untergebracht, ebenso die Schranke q − 1 f¨ ur die Ziffern. 8. Es sei n ∈ N. Ist n2 dezimal dargestellt, so endet n2 mit einer der folgenden Ziffernfolgen 01 21 41 61 81 04 24 44 64 84 025 225 625 16 36 56 76 96 09 29 49 69 89 oder aber mit einer geraden Anzahl von Nullen (Bombelli 1572/1966, S. 40). Alle diese Ziffernfolgen kommen auch vor. (Bombelli schließt die Ziffernfolgen 425 und 825 nicht aus.) 9. Ist n ∈ N, so ist der Neunerrest von n2 gleich 0, 1, 4, 7 (Bombelli 1572/1966, S. 40). 4. Division mit Rest. Mein Interesse an Sprossenradmaschinen r¨ uhrte daher, dass auf ihnen die Division mit Rest genauso durchgef¨ uhrt wird, wie Adam Ries sie lehrt. Im Gegensatz zu ihm lehrt Fibonacci gut dreihundert Jahre vor ihm die Division mit Rest so, wie wir sie auf der Schule gelernt haben: Man sch¨atze die erste Ziffer des Quotienten, multipliziere den Divisor mit ihr, schreibe das Produkt unter die ersten Ziffern des Dividenden und subtrahiere. Verfahre ebenso mit dem Rest als neuem Dividenden und dem alten Quotienten. War die erste Sch¨ atzung korrekt, so liefert dies die zweite Ziffer des Quotienten. Iteriere! War die Sch¨ atzung nicht korrekt, so wird der Leser wissen, wie er zu korrigieren hat. Bei Ries dagegen wird klar, dass die Division mit Rest eine verk¨ urzte mehrfache Subtraktion ist, so wie die Multiplikation eine verk¨ urzte mehrfache Addition ist, was bei Ries nicht herauskommt, aber beim Rechnen mit der Sprossenradmaschine klar zu erkennen ist, wie wir im letzten Abschnitt gesehen haben. Auch Clavius weist ausdr¨ ucklich daraufhin, dass die Verfahren der Division mit Rest und der Multiplikation verk¨ urzte mehrfache Subtraktionen und Additionen sind (Clavius 1607, S. 101). Hier nun ein Algorithmus, der die Division mit Rest etabliert und gleichzeitig zeigt, wie sie durchzuf¨ uhren ist. Dem Leser wird die repeat-Schleife in diesem Algorithmus sicher ungeschickt vorkommen. Sie steht hier, weil der Algorithmus das wiedergeben soll, was auf der Sprossenradmaschine passiert. Auf das Erf¨ ulltsein der Abbruchbedingung C < 0 macht die Maschine durch ein Klingelzeichen und f¨ uhrende Neunen im Register aufmerksam. Eine Kurbeldrehung vorw¨ arts stellt den vorletzten Zustand dann wieder her. Input. Nat¨ urliche Zahlen n und a. Output. Nicht-negative ganze Zahlen Q und r mit n = Qa + r und r < a. Bemerkung. Die nat¨ urliche Zahl q > 1 ist bekannt. Die Zahlen sind nicht notwendig q-adisch dargestellt.

4. Division mit Rest

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begin Bestimme e ∈ N0 minimal mit n < aq e+1 ; i := e; Q := 0; r := n; % russ(Q, a, r) = n % r < aq i+1 while i ≥ 0 do repeat r := r − aq i ; Q := Q + q i ; % russ(Q, a, r) = n until r < 0; r := r + aq i ; % 0 ≤ r < aq i Q := Q − q i ; i := i − 1; % russ(Q, a, r) = n % r < aq i+1 endwhile; % russ(Q, a, r) = n % i = −1 %r 0 genau dann Teiler von a ist, wenn die Division mit Rest von a durch b den Rest 0 ergibt. Die Division mit Rest gibt uns also ein Verfahren in die Hand, Teilbarkeit von nat¨ urlichen Zahlen zu testen und im Falle der Teilbarkeit den Kofaktor c von b zu bestimmen. Man kann mit der Division mit Rest aber noch mehr anfangen. Es seien a, b, t ∈ N0 . Wir nennen t gemeinsamen Teiler von a und b, falls t Teiler von a und auch von b ist. Wir nennen t gr¨ oßten gemeinsamen Teiler von a und b, wenn t gemeinsamer Teiler von a und b ist und jeder gemeinsame Teiler von a und b Teiler

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

von t ist. Wir zeigen zun¨ achst, dass a und b h¨ ochstens einen gr¨oßten gemeinsamen Teiler haben. Sind n¨ amlich t und t0 gr¨ oßte gemeinsame Teiler von a und b, so ist t Teiler von t0 und t0 Teiler von t. Ist t oder t0 gleich null, so sind t und t0 beide null. Sind beide verschieden von null, so folgt t ≤ t0 ≤ t und damit auch hier t = t0 . Ist a oder b null, so ist die jeweils andere Zahl der gr¨ oßte gemeinsame Teiler von a und b. Dies gilt auch, wenn a und b beide null sind. Die Zahlen a und b haben also einen gr¨oßten gemeinsamen Teiler, wenn ab = 0 ist. Es sei ab > 0 und alle Paare c, d mit cd < ab haben einen gr¨oßten gemeinsamen Teiler. Wir nehmen zun¨ achst an, dass a ≥ b ist. Dann ist (a − b)b < ab, sodass t := ggT(a − b, b) existiert. Dann ist t ein gemeinsamer Teiler von a − b + b = a und b. Ist andererseits s gemeinsamer Teiler von a und b, so ist s auch gemeinsamer Teiler von a − b und b und damit Teiler von t. Also ist t gr¨oßter gemeinsamer Teiler von a und b. Ist a < b, so haben b und a nach dem gerade Bewiesenen einen gr¨oßten gemeinsamen Teiler, der dann aber auch gr¨ oßter gemeinsamer Teiler von a und b ist. Damit ist die Existenzaussage bewiesen. Dieser Existenzbeweis liefert gleichzeitig ein Verfahren, den ggT zweier nicht-negativer ganzer Zahlen zu bestimmen. Es ist dies das Verfahren, das sich bei Euklid findet, der die Division mit Rest noch nicht kennt, sie zumindest in seinen B¨ uchern nicht propagiert. (Wir haben zwar bei der Division mit Rest q-adisch argumentiert, man kann die Existenz von Quotient und Rest aber auch auf andere Weise beweisen, sodass man nicht argumentieren kann, dass Euklid ja auch noch nicht die q-adische Darstellung nat¨ urlicher Zahlen kannte. Siehe Aufgabe 1.) Zahlen, deren gr¨ oßter gemeinsamer Teiler 1 ist, heißen teilerfremd . Was wir heute als euklidischen Algorithmus bezeichnen, beruht auf der Beziehung ggT(a, b) = ggT(b, a MOD b). Dies iteriere man, bis das zweite Argument null ist. Dann ist das erste Argument der gr¨ oßte gemeinsame Teiler der beiden Ausgangszahlen. Dieser Algorithmus findet sich (zum ersten Male?) bei Luca Pacioli, der in seiner Summa ausf¨ uhrlich auf verschiedene Methoden der Bestimmung des gr¨ oßten gemeinsamen Teilers eingeht (Pacioli 1494, Fol. 49r ff.). Er braucht ihn zum K¨ urzen von Br¨ uchen, wie auch schon Euklid den gr¨oßten gemeinsamen Teiler zweier nat¨ urlicher Zahlen benutzte, um den Standardvertreter f¨ ur das Verh¨ altnis zweier nat¨ urlicher Zahlen zu bestimmen. Der fr¨ uheste mir bekannte Beleg f¨ ur die Verwendung der Division mit Rest bei der Bestimmung des gr¨ oßten gemeinsamen Teilers zweier Zahlen findet sich in Fibonaccis liber abbaci aus dem Jahre 1228. Er benutzt in der Handschrift, die Boncompagni 1857 zugrunde liegt, eine Mischung aus euklidischem und einem anderen Algorithmus, den man gelegentlich den binetschen Algorithmus nennt und den man nie benutzt. Fibonaccis Formulierung seines Algorithmus ist nicht besonders klar, sodass nicht herauskommt, dass er im ersten Durchlauf, wie auch der binetsche, nicht immer den ggT wirklich berechnet. (Boncompagni 1857, S. 51). Fibonacci ben¨otigt den gr¨oßten gemeinsamen Teiler ebenfalls zum K¨ urzen von Br¨ uchen. F¨ ur den binetschen Algorithmus sehe man Binet 1841 oder auch Bachmann 1902, S. 118 ff. Man m¨ usste die von Boncompagni nicht benutzten Handschriften des liber abbaci zu Rate ziehen um zu sehen, ob die Bestimmung des gr¨oßten gemeinsamen Teilers zweier Zahlen in ihnen allen auf die gleiche Weise geschieht oder ob den Kopisten hier Fehler unterlaufen sind.

4. Division mit Rest

41

Der heutige euklidische Algorithmus d¨ urfte dem Leser bekannt sein. Ich mache ihn daher hier nicht explizit, zitiere stattdessen zu des Lesers Erg¨otzen die Formulierung dieses Algorithmus, wie ich sie bei Simon Jacob fand (Jacob 1571, Fol. 48r ). Wie findet mann ein zal vnd die gr¨ oßt/ 27002051219739 die disen bruch 124591936076998 der vorigen Regeln nit vnderworffen ist/ zum kleinsten macht? Die allgemeyne Regel ist/ Theil des Bruchs nenner durch seinen zeler/ nim nach dem den zeler v˜ n teil durch die zal/ di vberblieben/ ferner theil weiter den theiler diser andern Division durch den rest so bliben ist/ vnd solche theilung widerhole so offt/ biß endlich ein mal nichts vberbleibt/ welche zal da˜ n in solcher arbeit der letste theyler ist/ die macht den bruch kleiner an seinen zaln/ vnd ist in dem f¨ urgebrachten Bruch / Hat solche Regel ihr Beweisung auß der  Proposition des  Buchs Euclidis/ darauß dann auch vernommen wird/ wann der letste theyler eins/ daß der Bruch kleiner zumachen vnm¨oglich were/ vnd durch solche regel findt mann alle mal ein solche zal/ die die zalen des bruchs so erkleinert/ daß sie kleinerzumachen vnm¨ oglich sein. Vnd hat obgesatzter Bruch ein wunderbarlich art in ihm/ Nemlich daß er sich  mal diuidirn leßt/ ehe mann das gemein maß oder die gr¨ oßt zal damit er auffgehaben wirdt/ findet/ mag derhalb wol ein Arithmetisch labyrint genant werden/ wird gemacht auß der vorgesatzten ordnung der zaln/ da je die zwo so nechst vff einander folgen/ souil thun als die dritt folgend/ bringen je die erst vnd dritt inn einander multiplicirt eins weniger dann das quadrat der mittleren/ darumb je weiter mann solche ordnung erstreckt/ je n¨ aher man zu der Proportz kommt/ Dauon Euclide die  Proposi. des / vnnd  des  Buch handeln/ vnnd wiewol mann jmmer jhe n¨aher kompt/ mag doch nimmermehr dieselb erreicht/ auch vbertretten werden. Die obgesatzt ordnung“ ist die Folge der Fibonaccizahlen von 1 bis 317811, die als ” Marginalie auf Blatt 48r erscheint. Statt 54 muss es 64 heißen, wohl ein Druckfehler. Bemerkenswert auch das Ende des Zitats, wo Jacob bemerkt, dass f¨ ur die Fibonaccizahlen Fn die Gleichung Fn2 = Fn+1 Fn−1 − (−1)n gilt (was er schreibt ist wohl als |Fn2 − Fn+1 Fn−1 | = 1 zu interpretieren), was lim

n→∞

Fn =τ Fn−1

zur Folge habe, wobei τ die Verh¨ altniszahl des goldenen Schnitts ist. Jacob sagt weder, wo er die Fibonaccizahlen her hat, noch, wie er auf den Grenzwert gekommen ist. Das Beispiel, das Jacob bringt, um den euklidischen Algorithmus zu erl¨autern, zeigt, dass man mithilfe der Fibonaccizahlen sich Zahlen verschaffen kann, bei denen man die Division mit Rest sehr h¨ aufig durchf¨ uhren muss, um den gr¨oßten gemeinsamen Teiler der gegebenen Zahlen zu finden. Dass diese Zahlenfolge besonders schlecht ist im Hinblick auf den euklidischen Algorithmus, zeigt Lam´es Beweis f¨ ur seine Absch¨atzung f¨ ur die Anzahl der Rechenschritte, die bei Anwendung dieses Algorithmus auszuf¨ uhren sind. Lam´e formuliert seine Absch¨ atzung folgendermaßen:

42

I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Th´ eor` eme. Le nombre des divisions ` a effectuer, pour trouver le plus grand commun diviseur entre deux entiers A, et B < A, est toujours moindre que cinq fois le nombre des chiffres de B. Der nun folgende Beweis dieses Satzes ist der von Lam´e. Wir definieren zun¨ achst die Fibonaccizahlen noch einmal explizit. Dabei indizieren wir sie so, dass die Indizierung Fibonaccis Kaninchenz¨ahlung entspricht, der am Ende des ersten Monats zwei Kaninchenpaare vorfindet (Boncompagni 1857, S. 283/284). Wir setzen F0 := 1 und F1 := 2 sowie Fn+2 := Fn+1 + Fn f¨ ur n ≥ 0. Die Fibonaccizahlen haben bei Lam´e loc. cit. keinen Namen. Wenn meine Erinnerung nicht t¨ auscht, nennt Binet sie lam´esche Zahlen und erst Lucas gibt ihnen den Namen Fibonaccizahlen. Ich finde jedoch die Belege nicht mehr. Kaiser (1929) weiß jedenfalls, dass sie lam´esche Zahlen genannt werden, nennt die Folge F aber keplersche Reihe, da Kepler sie schon vor Lam´e gekannt und benutzt habe. Als seine Quelle nennt er Sonnenburg, Programmabhandlung des Kgl. Gymnasiums zu Bonn, 1881, S. 17“. ” Diese Begr¨ undung zeigt, dass er Fibonaccis Kaninchenaufgabe nicht kannte. Bei Kepler finden sich die Fibonaccizahlen in seiner Schrift u ¨ber den sechseckigen Schnee, wo er auch darauf hinweist, dass Fn τ = lim n→∞ Fn−1 ist (Kepler 1611/1982, S. 18). Lam´e stellt und beantwortet nun die Frage nach der Anzahl der k-stelligen Fibonaccizahlen, wobei sich k-stellig auf ihre Darstellung als Dezimalzahlen bezieht. Satz 1. Es sei k ∈ N. Es gibt dann mindestens vier und h¨ ochstens f¨ unf k-stellige Fibonaccizahlen. Beweis. Die ersten sechs Fibonaccizahlen sind 1, 2, 3, 5, 8, 13, sodass es genau f¨ unf einstellige Fibonaccizahlen gibt. Es sei k ≥ 1 und der Satz gelte f¨ ur k. Es sei Fn die kleinste Fibonaccizahl mit mehr als k Stellen. Dann ist n ≥ 5, da ja F4 = 8 ist. Wegen der Minimalit¨ at von n gilt Fn−1 , Fn−2 < 10k und folglich Fn = Fn−1 + Fn−2 < 2 · 10k . Es folgt weiter Fn+1 = Fn + Fn−1 < 3 · 10k Fn+2 = Fn+1 + Fn < 5 · 10k Fn+3 = Fn+2 + Fn+1 < 8 · 10k . Die vier Fibonaccizahlen Fn , Fn+1 , Fn+2 und Fn+3 sind also (k + 1)-stellig, sodass es mindestens vier (k + 1)-stellige Fibonaccizahlen gibt. Es ist Fn−2 < Fn−1 . Also ist 10k ≤ Fn = Fn−1 + Fn−2 < 2 · Fn−1

4. Division mit Rest

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und damit Fn−1 >

1 · 10k . 2

Hiermit folgt der Reihe nach 3 · 10k 2 5 = Fn+1 + Fn > · 10k 2 8 = Fn+2 + Fn+1 > · 10k 2 13 = Fn+3 + Fn+2 > · 10k 2 21 = Fn+4 + Fn+3 > · 10k . 2

Fn+1 = Fn + Fn−1 > Fn+2 Fn+3 Fn+4 Fn+5

Also ist Fn+5 > 10k+1 , sodass Fn+5 mindestens k + 2-stellig ist. Damit ist der Satz bewiesen. Satz 2. Ist Fn die n-te Fibonaccizahl und ist k die Anzahl ihrer Dezimalstellen, so ist n < 5k. Beweis. Dies ist richtig f¨ ur k = 1. Es sei also k ≥ 1 und der Satz gelte f¨ ur k. Ist Fn nun (k +1)-stellig, so ist Fn−5 nach Satz 1 h¨ ochstens k-stellig. Nach Induktionsannahme ist daher n − 5 < 5k und folglich n < 5(k + 1). Satz 3. Es seien a, b ∈ N. Ferner seien q, r ∈ N0 und es gelte a = qb + r und r < b. Sind Fn , Fn−1 , Fn−2 drei aufeinanderfolgende Fibonaccizahlen und gilt Fn ≥ a > b ≥ Fn−1

und

r ≥ Fn−2 ,

so ist Fn = a, Fn−1 = b und Fn−2 = r. Beweis. Wegen a > b ist q ≥ 1. Also gilt Fn ≥ a = qb + r ≥ b + r ≥ Fn−1 + Fn−2 = Fn . Hieraus folgt alles weitere. Wir definieren den Algorithmus GGT durch Input: Nat¨ urliche Zahlen a und b. Output: GGT, der gr¨ oßte gemeinsame Teiler von a und b. GGT(a, b) := if b = 0 then a else GGT(b, a MOD b) endif Die Anzahl der Aufrufe von GGT innerhalb von GGT(a, b) bezeichnen wir mit w(a, b). Es gilt: Satz 4. Es seien a, b ∈ N. Sind Fn−1 und Fn aufeinanderfolgende Fibonaccizahlen und gilt Fn−1 ≤ b < Fn , so ist w(a, b) ≤ n.

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Beweis. Ist a MOD b = 0, so ist w(a, b) = 1 ≤ n. Es sei also a MOD b 6= 0. Setze r := a MOD b. Dann ist r 6= 0 und w(a, b) = w(b, r) + 1. Es gibt ein i ∈ N mit Fi−1 ≤ r < Fi . Dann ist Fi−1 ≤ r < b < Fn und folglich i ≤ n. Nach Induktionsannahme ist w(b, r) ≤ i. Ist i < n, so folgt w(a, b) = w(b, r) + 1 ≤ i + 1 ≤ n. Es sei i = n. Dann ist Fn−1 ≤ r < b < Fn . Setze s := b MOD r. Dann ist w(b, r) = w(r, s) + 1 und folglich w(a, b) = w(r, s) + 2. W¨ are nun Fn−2 ≤ s, so folgten mit Satz 3 die Gleichungen s = Fn−2 , r = Fn−1 und insbesondere b = Fn im Widerspruch zu b < Fn . Also ist s < Fn−2 und daher w(r, s) ≤ n − 2. Somit gilt w(a, b) = w(r, s) + 2 ≤ n. Damit ist alles bewiesen. Die Absch¨ atzung in Satz 4 ist bestm¨ oglich, da w(Fn , Fn−1 ) = n ist. Sie ist aber andererseits nicht sehr handlich. Handlicher ist die aus ihr von Lam´e hergeleitete Schranke, die man unmittelbar an b ablesen kann. Sie gilt es nun noch zu beweisen. Es sei Fn−1 ≤ b < Fn . Nach Satz 4 ist w(a, b) ≤ n. Nach Satz 2 ist n−1 < 5 dez(Fn−1 ) und damit n ≤ 5 dez(b). Daher ist w(a, b) ≤ n ≤ 5 dez(Fn−1 ) ≤ 5 dez(b). Damit ist die lam´esche Schranke etabliert. Claude Gaspar Bachet de Meziriac stellte in der zweiten (nicht in der ersten) Auflage seiner Problemes plaisans et delectables qui se font par les nombres auf Seite 18 die folgende Aufgabe (Bachet 1624): Deux nombres premiers entre eux estant donn´ez, treuuer le moindre multiple de chascun d’iceux, surpassant de l’vnit´e vn multiple de l’autre. Es sind also zwei teilerfremde Zahlen A und B gegeben und gesucht ist das kleinste Vielfache VA von A und das kleinste Vielfache WB von B, sodass es Vielfache VB und WA von B und A gibt mit VA = VB + 1 und WB = WA + 1. Zuvor hat Bachet schon gezeigt, dass es h¨ ochstens ein VA gibt mit VA < kgV(A, B) = AB. Das Gleiche gilt nat¨ urlich auch f¨ ur WB . Zu beachten ist, dass Zahl bei Bachet stets nat¨ urliche Zahl heißt. Und das macht seinen Algorithmus so sch¨ on, dass er keinen Gebrauch von negativen Zahlen macht, dass Subtraktion bei ihm stets partielle Subtraktion bedeutet, dass also nur kleinere Zahlen von gr¨ oßeren subtrahiert werden.

4. Division mit Rest

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Bachet beginnt seine Konstruktion, indem er sagt, man m¨oge B so oft von A subtrahieren, wie es gehe. Es bliebe noch etwas u ¨brig, da sonst B der gr¨oßte gemeinsame Teiler von A und B w¨ are. Das widerspr¨ ache aber der Teilerfremdheit. Hieraus wird klar, dass er B > 1 annimmt. Es bleibt also etwas u achst an, es bliebe 1 u ¨brig. Er nimmt zun¨ ¨brig. Es sei also A = QB + 1. Wegen B > 1 ist A < AB. Dann berechnet er E := AB + 1 − A. Es ist klar, dass E um eins gr¨ oßer ist als ein Vielfaches von A und dass dieses Vielfache kleiner ist als AB. Es folgt E = AB + 1 − QB − 1 = (A − Q)B. In diesem Falle tun also VA := A und WB := (A − Q)B das Verlangte. Ist A = QB + C mit C > 1, so geht das Spiel mit B, C weiter, bis schließlich, so sage ich Bachets Argument verk¨ urzend, irgendwann der Rest 1 auftritt. Zur Begr¨ undung zitiert er Campanus und Clavius, die dies bewiesen h¨ atten, ohne die Literaturstellen zu pr¨azisieren. Bei seinem Verfahren merkt Bachet sich die Reste, berechnet aber hier noch nicht die ¨ verlieren, gebe ich von nun an Bachets AlQuotienten. Damit wir nicht die Ubersicht gorithmus und Argumentation in unserer Sprache wieder. Wir setzen a−1 := A und a0 := B und berechnen weitere ai , qi , sodass gilt: a−1 = q−1 a0 + a1 a0 = q0 a1 + a2 .. . an−2 = qn−2 an−1 + an an−1 = qn−1 an + 1 mit ai < ai−1 f¨ ur alle fraglichen i. Weil an nicht der letzte Rest ist, ist an > 1. Wie schon erw¨ ahnt, berechnet Bachet an dieser Stelle nur die ai , indem er sagt, man solle ai−1 so oft von ai−2 subtrahieren, wie es ginge. Sp¨ ater, wenn er die qi dann doch ben¨otigt, berechnet er sie aus obigen Gleichungen. Ist n gerade, so setzen wir Rn := 1 und Rn−1 := qn−1 . Dann ist Rn < an und Rn−1 < an−1 und Rn an−1 = Rn−1 an + 1. Ist n ungerade, so setzen wir Rn := an −1 und Rn−1 := an−1 −qn−1 . Dann gilt wiederum Rn < an und Rn−1 < an−1 . Wir haben zu Beginn des Beweises schon gesehen, dass Rn−1 an = Rn an−1 + 1

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

gilt. F¨ ur i ≤ n setzen wir schließlich Ri−2 := qi−2 Ri−1 + Ri . Dann ist, falls i gerade und |i − j| = 1 ist, Ri aj = Rj ai + 1. Ferner ist Ri < ai f¨ ur alle i. Insbesondere ist R0 < B und R0 A = R−1 B + 1. Die erste Aussage gilt f¨ ur i = n und j = n−1, falls n gerade ist, und f¨ ur i = n−1 und j = n, falls n ungerade ist. Eine banale Induktion zeigt die G¨ ultigkeit der Ungleichung Ri < ai . Es gelte nun Ri aj = Rj ai + 1 mit geradem i und |i − j| = 1. Es folgt j = i + 1 oder j = i − 1. Es sei zun¨achst j = i + 1. Wir addieren auf beiden Seiten der Gleichung Ri qi−1 ai . Dann ist Ri aj−2 = Ri ai−1 = Ri (ai+1 + qi−1 ai ) = Ri aj + Ri qi−1 ai = Rj ai + Ri qi−1 ai + 1 = (Rj + Rj−1 qj−2 )ai + 1 = Rj−2 ai + 1. Ferner gilt |i − (j − 2)| = |i − (i + 1 − 2)| = 1. Es sei j = i − 1. Dann addieren wir auf beiden Seiten der Gleichung Rj qj−1 aj . Dann ist Ri−2 aj = (Ri + Rj qj−1 )aj = Rj ai + Rj qi−2 ai−1 + 1 = Rj ai−2 + 1 ¨ und |i − 2 − j| = 1. Uberdies ist i − 2 gerade, da ja i gerade ist. Damit ist die Zwischenbehauptung bewiesen. Offenbar ist R0 A das gesuchte VA . Wir sind noch nicht fertig mit der L¨ osung von Bachets Aufgabe, da wir erst VA bestimmt haben. Bevor wir aber auch noch WB bestimmen, will ich auf die Frage eingehen, wie Bachet mit dieser Induktion fertig wird. Nun, er geht nur bis n = 3, nimmt also an, dass schon beim vierten Schritt der Rest eins auftaucht, wobei er keinerlei Indizes benutzt, noch irgendwelche Formeln schreibt. Er rechnet dann jeden einzelnen der drei Schritte vor, die er zu rechnen hat, um VA zu erhalten. Seine Zahlen sind, jedenfalls im eigentlichen Text, nur mit ihren Namen A, B, C, usw. gegeben. In einem Kasten außerhalb kann man die Belegung der Variablen an dem Beispiel A = 67 und B = 60 verfolgen, wobei die Kontrolle der Rechnung dem Leser u ¨berlassen bleibt. Er diskutiert das Verfahren aber weiter. Um n¨amlich WB auszurechnen gibt es zwei M¨ oglichkeiten, die erste nutzt die Kenntnis von VA , w¨ahrend die zweite den gleichen Algorithmus benutzt wie die Berechnung von VA , nur dass in diesem Falle Rn und Rn−1 ihre Rollen tauschen, d.h. Rn−1 , so wie hier definiert, wird zu Rn und Rn zu Rn−1 . Die u ¨brigen Ri werden mit der gleichen Rekursion wie zuvor berechnet. Die Voraussetzung an i muss u ¨berdies lauten, dass i ungerade sei. Auch diese M¨oglichkeit wird von Bachet

4. Division mit Rest

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Schritt f¨ ur Schritt durchgerechnet. Schließlich sagt er noch, dass man so wie gerade bei der Berechnung von WB vorgehen solle, wenn n gerade sei. Bei seinem Beispiel ist ja n = 3, also ungerade. Dabei l¨ asst er es bewenden. Dieses Vorgehen von Bachet bei der Etablierung des Algorithmus ist typisch f¨ ur die Beweise, bei denen wir heute Induktion verwenden. Man rechnet einige wenige Beispiele vor, wobei man stets das zuletzt verifizierte Ergebnis benutzt, um das n¨achste als richtig zu erkennen. Man macht also den Induktionsschritt von 1 nach 2, von 2 nach 3, von 3 nach 4 etwa und hofft, dass der Leser auf diese Weise sieht, dass auch der allgemeine Fall gilt. Uns Heutigen f¨ allt es in aller Regel nicht schwer, anhand dieser Information einen im heutigen Sinne korrekten Induktionsbeweis zu f¨ uhren. — Wir sind noch nicht fertig mit Bachets Aufgabe. Hier Bachets erstes Verfahren, WB aus der Kenntnis von VA zu berechnen. Er setzt WB := AB + 1 − VA . Dann ist klar, dass WB um eins gr¨ oßer ist als ein Vielfaches von A, da VA ja ein Vielfaches von A ist. Außerdem ist WB < AB, da A und damit VA als Zahlen nicht eins sind. (Hier interpretiere ich wieder.) Andererseits ist WB = AB + 1 − VB − 1 = AB − VB , sodass WB ein Vielfaches von B ist. Bachet schließt die Diskussion der Aufgabe mit einem Advertissement, dass man sich n¨ amlich einen Teil der Rechnung sparen k¨ onne, indem man nur die Ri und nicht auch die Ri aj mit |i − j| = 1 berechne, wobei er die Rechnung f¨ ur den Fall n = 3 vollst¨andig durchf¨ uhrt. F¨ ur uns ist das selbstverst¨ andlich, da wir die Ri aj immer faktorisiert vor Augen haben, f¨ ur Bachet ist es dies aber nicht, da er keine Formeln schreibt. Es ist nicht relevant, dass A und B teilerfremd sind. Setzt man t := ggT(A, B) und ersetzt man im bachetschen Algorithmus die 1, so sie als ggT von A und B vorkommt, u ¨berall durch t, so liefert der Algorithmus Zahlen u und v mit uA = vB + t. Bemerkenswert finde ich an diesem Beweis, dass Bachet keine negativen Zahlen benutzt, mit denen man damals gerade anfing zu rechnen, und dass er nur sehr sparsam subtrahiert. Bemerkenswert auch die Tatsache, dass er die Produkte Ri ai+1 und Ri ai−1 absch¨ atzt und zwar durch ai ai+1 bzw. ai ai−1 . Wir, die wir das Produkt stets faktorisiert vor Augen haben, sch¨ atzen nat¨ urlich Ri durch ai nach oben ab. Bachet f¨ uhrt all diese Absch¨ atzungen durch, um VA absch¨ atzen zu k¨ onnen. Wir schließen mehr daraus, dass n¨ amlich beim Rechnen mit der Maschine alle Ri in ein Maschinenwort passen, wenn A und B in ein Maschinenwort passen. Was Bachets Analyse des Algorithmus nur noch fehlt, ist, die Anzahl der Rechenoperationen abzusch¨atzen. Die lam´esche Schranke, zeitlich lange nach dem bachetschen Algorithmus etabliert, gilt aber auch hier. Bachet berechnet also zuerst die Reihe ai der Reste, die mit eins endet, und deren Anzahl n + 1. Er ben¨ otigt die Parit¨ at von n, sowie die Quotienten qi , die er nachtr¨aglich mittels der ai berechnet, und, wenn n ungerade ist, auch noch an und an−1 zur Bestimmung der Ri . Sein Verfahren ist also das der R¨ uckw¨artssubstitution, wie man sagt. Dieses Verfahren wird auch von Euler in seiner Vollst¨andigen Anleitung zur Algebra“, ” die in erster Auflage 1770 erschien, benutzt (Euler 1942, S. 336–350). Euler wird immer

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

wieder als der Erste angegeben, der eine praktikable L¨osung f¨ ur diophantische Gleichungen ersten Grades gegeben habe. Dabei hat schon Lagrange an mindestens zwei `re Stellen auf die L¨ osung von Bachet hingewiesen (Lagrange 1770, Euler, l’an IIIe de l’e R´epublicaine, Band II, S. 376, 525). Lagrange selbst gibt eine andere L¨osung f¨ ur das gleiche Problem, die heute auch das Verfahren der Vorw¨artssubstitution heißt und die aus Lagranges Theorie der Kettenbr¨ uche fließt. Dieses Verfahren ist rechnerisch genauso aufw¨ andig wie das bachetsche, ben¨ otigt aber weniger Speicherplatz, sodass es heute allgemein verwandt wird. Es findet sich ebenfalls in den Additions zu Eulers Algebra. Siehe auch Aufgabe 6. In Betriebsanleitungen von zwei Sprossenradmaschinen fand ich ein Verfahren, die gr¨ oßte Ganze aus der Quadratwurzel einer nat¨ urlichen Zahl zu bestimmen, welches ich nun vorstellen m¨ ochte. Beide Betriebsanleitungen schrieben dieses Verfahren einem Professor Toepler, Dresden, zu. Einige Recherchen f¨ uhrten dann zu der urspr¨ unglichen Publikation dieses bemerkenswerten Verfahrens durch F. Reuleaux (Reuleaux 1866). Dieses Verfahren kommt mit Addition und Subtraktion sowie dem Schiften von Zahlen aus, sofern die Zahlen dezimal darstellt sind. Der toeplersche Algorithmus basiert auf der Formel (k + 1)2 = k 2 + 2k + 1 =

k X

(2i + 1)

i:=0

und der Darstellung der nat¨ urlichen Zahl n, deren Quadratwurzel gesucht wird, im Dezimalsystem. Man stelle sich vor, man h¨ atte ein a mit a2 · 102(f +1) ≤ n < (a + 1)2 · 102(f +1) . Dann suche man ein k mit (a · 10 + k)2 · 102f ≤ n < (a · 10 + k + 1)2 · 102f . Dabei berufe man sich auf die Formel (a · 10 + k)2 = (a · 10)2 + 2a · 10 · k + k 2 2

= (a · 10) +

k X

 2a · 10 + (2i − 1) ,

i:=1

indem man, wenn a · 10 + k in die Formel eingesetzt noch nicht die zweite Ungleichung erf¨ ullt, 2a · 10 + 2k + 1 zur rechten Seite und die√1 zu a · 10 + k addiert. Man sieht, dass k am Ende die (f + 1)-ste Dezimale von b nc ist. Es folgt hieraus, dass die Anzahl der Rechenschritte gleich O(log n) ist. Der Algorithmus ist so eingerichtet, dass man schon einmal gemachte Rechnungen nicht zu wiederholen braucht. Dazu betrachtet man jeweils die Differenz n − a2 · 102(f +1) und verkleinert sie in jedem Schritt auf geeignete Weise. Ersetzt man im folgenden Algorithmus 10 u ¨berall durch q, so sieht man, dass der Algorithmus auch q-adisch funktioniert.

4. Division mit Rest

49

Die Kommentare des folgenden Algorithmus enthalten unter anderem die Schleifeninvarianten, die man zum Verifizieren des Algorithmus ben¨otigt. Ferner auch noch Variable, die einen fr¨ uheren Zustand festhalten, damit man die Induktion, die die Schleifeninvarianten verifiziert, bequem durchf¨ uhren kann. Die repeat-Schleife wird f¨ ur jedes f h¨ ochstens zehnmal durchlaufen. Das k im Kommentar vor dem endfor“ ist die (f + 1)-ste Dezimale von A. Dies zeigen die mit %% ” bezeichneten Kommentare, die zur Verifikation des Algorithmus nicht ben¨otigt werden. Hier nun der Algorithmus. Input. Eine nat¨ urliche Zahl n. Output. Eine nat¨ urliche Zahl A und eine ganze Zahl C ≥ 0 mit n = A2 + C < (A + 1)2 . begin C := n; Bestimme e mit 102e ≤ C < 102(e+1) % Dies geschieht durch Abz¨ ahlen der Dezimalen von C. % Es ist e + 1 die Anzahl der zu bestimmenden Dezimalen von A. A := 0; B := 0; % 1) n = A2 + C % 1) B = 2A %% A ≡ 0 mod 10e+1 for f := e downto 0 do % Bestimmung der (f + 1)-sten Dezimalen von A. k := 0 % 2) b := B % 2) a := A % 2) b = 2a % 2) c := C % 2) n = a2 + c %% a ≡ 0 mod 10f +1 repeat k := k + 1; if k = 1 then B := B + 10f else B := B + 2 · 10f endif; % 3) B = b + (2k − 1) · 10f % 3) B = 2a + (2k − 1) · 10f A := A + 10f ; % 4) A = a + k · 10f %% A ≡ 0 mod 10f C := C − B · 10f % 5) C = c − bk · 10f − k 2 · 102f % 5) C = c − 2ak · 10f − k 2 · 102f % 5) n = A2 + C until C < 0; C := C + B · 10f ; B := B − 10f ; A := A − 10f

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

% 6) k := k − 1; % 6) n = A2 + C < (A + 10f )2 % 6) B = 2A %% A ≡ 0 mod 10f endfor % 7) f = 0 % 7) n = A2 + C < (A + 1)2 end; Beweis der Korrektheit. Der nicht nummerierte erste Kommentar versteht sich von selbst. Bei Kommentar 1) ist C mit n belegt und A und B mit 0. Also gilt n = A2 + C und B = 2A. Dies ist die Induktionsverankerung. Im Kommentar 2) wird den Variablen a, b, c die Werte A, B, C zugewiesen. Diese Zuweisungen dienen dem Zweck, den derzeitigen Zustand der Variablen einen Durchlauf der repeat-Schleife lang festzuhalten. Dass b = 2a und n = a2 + c ist, folgt beim ersten Betreten der for-Schleife aus der G¨ ultigkeit von 1) und ist bei weiterem Betreten der for-Schleife Induktionsannahme. Es ist dann zu beweisen, dass auch 6) gilt. Betritt man die repeat-Schleife zum ersten Male, so ist k = 1 und es wird die Anweisung B := B + 10f ausgef¨ uhrt. Hier ist also Bneu = Balt + 10f , sodass die erste Aussage von 3) gilt. Die zweite Aussage gilt dann auch, da ja b = 2a ist. Betritt man die repeat-Schleife zum wiederholten Male, so gilt Bneu = Balt + 2 · 10f = b + (2k − 3)10f + 2 · 10f = b + (2k − 1)10f . Die Aussage u ¨ber A im Kommentar 4) beweist eine noch simplere Induktion. Um 5) zu beweisen, bemerken wir zuerst, dass Cneu = Calt − B · 10f ist. Ferner gilt Calt = c − b(k − 1) · 10f − (k − 1)2 · 102f B = b + (2k − 1) · 10f . Also gilt — hier passiert die Zauberei mit der binomischen Formel — Cneu = c − b(k − 1) · 10f − (k − 1)2 · 102f − b · 10f − (2k − 1) · 102f = c − bk · 10f − k 2 · 102f . Dies zeigt die G¨ ultigkeit der ersten Aussage von 5). Die zweite gilt wegen b = 2a. Mit 4), der zweiten Zeile von 5) und 2) folgt nun A2 + C = (a + k · 10f )2 + c − 2ak · 10f − k 2 · 102f = a2 + c = n, sodass auch die letzte Aussage von 5) gilt. Da bei jedem Durchlaufen der repeat-Schleife von C eine nat¨ urliche Zahl abgezogen wird, muss einmal C < 0 sein, sodass diese Schleife nur endlich oft durchlaufen

4. Division mit Rest

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wird. Nach Verlassen der repeat-Schleife werden A, C und k auf den vorletzten Stand zur¨ uckgesetzt und von B die Zahl 10f subtrahiert, wobei k jedoch nur noch in Gedanken um 1 erniedrigt wird. Es gilt dann auch die erste Aussage der mittleren Zeile von 6), wobei dies noch zweifelhaft ist, wenn nun k = 0 sein sollte. Doch dann ist A = a und B = b und C = c, sodass diese Aussage wie auch die letzte Zeile mit 2) u ¨bereinstimmt. Die Ungleichung ist nat¨ urlich die Information, die wir durch den Abbruch der repeatSchleife erhalten. Ist k > 0, so folgt schließlich Bneu = Balt − 10f = b − (2k − 1) · 10f − 10f = 2a − 2k · 10f = 2A. Damit ist die G¨ ultigkeit von 6) nachgewiesen. Ist die for-Schleife abgearbeitet, so gilt neben 6) auch noch f = 0, also 7). Damit ist die Korrektheit des Algorithmus etabliert.

Aufgaben 1. Es seien a und b nat¨ urliche Zahlen. Zeigen Sie, dass die Menge {n | n ∈ N0 , nb ≤ a} nicht-leer ist und ein gr¨ oßtes Element q enth¨alt. Setzen Sie ferner r := a − qb und zeigen Sie, dass r < b ist. (Dies ergibt einen von jeder Q-adik freien Beweis f¨ ur die Durchf¨ uhrbarkeit der Division mit Rest.) 2. Ist a ∈ N0 und sind b, c ∈ N, so gilt a DIV (bc) = (a DIV b) DIV c und  a MOD (bc) = (a DIV b) MOD c b + a MOD b. 3. Es seien a, b ∈ N0 , es seien jedoch a und b nicht beide null. Ist dann g := ggT(a, b), so ist ggT( ag , gb ) = 1. 4. Es seien a, b, c ∈ N. Ist a Teiler von bc und sind a und b teilerfremd, so ist a Teiler von c. 5. Es seien a, b, c ∈ N. Ist a zu b und auch zu c teilerfremd, sind auch a und bc teilerfremd. 6. Der bachetsche Algorithmus, so sch¨ on wie er ist, hat den Nachteil, zuviel Speicherplatz zu verbrauchen. Der folgende Algorithmus von Lagrange, der das Gleiche leistet wie der bachetsche, geht mit dieser Ressource viel sparsamer um. Wir formulieren ihn hier gleich f¨ ur den Ring Z der ganzen Zahlen, auch wenn dieser noch nicht eingef¨ uhrt ist. Der Leser, der dies bem¨ angelt, l¨ ose diese Aufgabe, die im Verifizieren des Algorithmus besteht, nachdem er das Kapitel II gelesen hat. Input. Nicht-negative ganze Zahlen a und b. Output. Ganze Zahlen x, y und t, sodass t = ggT(a, b) = ax + by ist.

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Bemerkung. Dass in der while-Schleife zweimal das im Wesentlichen Gleiche gemacht ¨ wird, dient dazu, Umspeicherungen zu vermeiden und den Uberblick u ¨ber den Wechsel von Plus- und Minuszeichen zu wahren. var r0 , r1 , p0 , p1 , q0 , q1 , u: integer begin r0 := a; r1 := b; p0 := 0; p1 := 1; q0 := 1; q1 := 0; % % % %

1) 2) 3) 4)

p0 r1 + p1 r0 = a q0 r1 + q1 r0 = b aq0 − bp0 = r0 aq1 − bp1 = −r1

while (r0 > 0) and (r1 > 0) do u := r0 DIV r1 ; r0 := r0 MOD r1 ; p0 := up1 + p0 ; q0 := uq1 + q0 ; % % % %

10 ) 20 ) 30 ) 40 )

p0 r1 + p1 r0 = a q0 r1 + q1 r0 = b aq0 − bp0 = r0 aq1 − bp1 = −r1

if r0 > 0 then u := r1 DIV r0 ; r1 := r1 MOD r0 ; p1 := up0 + p1 ; q1 := uq0 + q1 % % % %

100 ) 200 ) 300 ) 400 )

p0 r1 + p1 r0 = a q0 r1 + q1 r0 = b aq0 − bp0 = r0 aq1 − bp1 = −r1

endif endwhile; % % % % %

p0 r1 + p1 r0 = a q0 r1 + q1 r0 = b aq0 − bp0 = r0 aq1 − bp1 = −r1 (r0 = 0) oder (r1 = 0)

if r0 = 0 then % p0 r1 = a % q0 r1 = b % aq1 − bp1 = −r1 t := r0 ; x := −q1 ; y := p1

5. Teilbarkeitskriterien

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else % p1 r0 = a % q1 r0 = b % aq0 − bp0 = r0 t := r1 ; x := q0 ; y := −p0 endif end; 5. Teilbarkeitskriterien. Weshalb interessiert man sich eigentlich f¨ ur den gr¨oßten gemeinsamen Teiler zweier Zahlen? Weshalb interessierte sich Euklid f¨ ur ihn? Ich habe in Abschnitt 4 schon erw¨ ahnt, dass Fibonacci und auch Luca Pacioli ihn benutzen, um Br¨ uche zu k¨ urzen. Euklid benutzte ihn im Grunde f¨ ur das Gleiche, indem er die Aufgabe stellte, zu a, b ∈ N die kleinsten nat¨ urlichen Zahlen m und n zu bestimmen, f¨ ur die a : b = m : n gilt. Er bewies, dass es genau ein solches Paar m, n gibt, n¨amlich a b m = ggT(a,b) und n = ggT(a,b) (Elemente, Buch VII). Euklid benutzte diesen Standard¨ vertreter von Aquivalenzklassen von Paaren nat¨ urlicher Zahlen gleichen Verh¨altnisses nur zu theoretischen Zwecken, w¨ ahrend es Fibonacci und Pacioli darum ging, die Zahlen beim Rechnen mit Br¨ uchen klein zu halten. Hier hatte der gr¨oßte gemeinsame Teiler also einen sehr handfesten Zweck. Bemerkenswert ist, dass die Mathematik von Beginn ¨ ¨ an Verkn¨ upfungen von Aquivalenzklassen betrachtete und f¨ ur diese Aquivalenzklassen nach Standardvertretern suchte. Wenn Sie sich, lieber Leser, an Ihre Schulzeit erinnern, so suchte man damals zun¨achst auf andere Weise gemeinsame Teiler von Z¨ ahler und Nenner zu finden und sie herauszuk¨ urzen. Diese gemeinsamen Teiler zu erkennen, dienten die Teilbarkeitsregeln f¨ ur die Zahlen 2, 4, 8, 3, 5, 6 und 9, die alle auf dem Dezimalsystem beruhen. Sucht man nach diesen Teilbarkeitskriterien in der abendl¨ andischen Literatur, so braucht man erst mit den lateinischen Nachdichtungen der Arithmetik Al-Hwarizmis zu beginnen, da erst in ihnen das Rechnen mit den indischen Ziffern erkl¨art ist. Dort finde ich nichts u ¨ber Teilbarkeitsregeln und ggT (Al-Hwarizmi 1992). In Fibonaccis liber abbaci aber, der Quelle der n¨achsten Generation, wird man f¨ undig. Dort finden sich Teilbarkeitskriterien f¨ ur die Zahlen 2, 3, 4, 5, 6, 8 und 9. Das Interessante ist aber, dass sie sich nicht im Umkreis des K¨ urzens von Br¨ uchen finden, sondern im Zusammenhang mit der Faktorisierung nat¨ urlicher Zahlen. Dabei geht es Fibonacci um ganz praktische Dinge. F¨ ur uns zun¨ achst unverst¨andlich faktorisiert er n¨amlich beim Dividieren den Divisor mit der Begr¨ undung, dass es sich durch kleinere Zahlen leichter und sicherer dividieren ließe. Dies ist sicherlich richtig, doch das Faktorisieren ist, wie wir wissen, bei großen Zahlen ein schwieriges Unterfangen, sodass wir sogar unsere Datensicherheit auf Zahlen bauen, die Produkte großer Primzahlen sind. Leonardos Divisoren liegen aber h¨ aufig schon faktorisiert vor, sodass er bei seinen Aufgaben aus der Praxis meist nicht zu faktorisieren braucht. Dass die Divisoren bei Fibonacci faktorisiert sind, wird von ihm insbesondere dazu ausgenutzt, seine Ergebnisse gleich im richtigen Maß- und M¨ unzsystem zu erhalten. Diesen Hauptvorteil sieht er aber offensichtlich nicht als feiernswert an. Er nutzt ihn ganz einfach. N¨aheres hierzu findet der Leser in meinem Lesevergn¨ ugen“. ”

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen Ob eine Zahl gerade oder ungerade ist, sieht man an der letzten Ziffer. Es ist ja n = a · 10 + b

mit 0 ≤ b ≤ 9. Weil a · 10 gerade ist, ist n genau dann gerade, wenn b gerade ist. Weil a · 10 durch 5 und auch durch 10 teilbar ist, ist n genau dann durch 5 teilbar, wenn b = 0 oder b = 5 ist, und genau dann durch 10 teilbar, wenn b = 0 ist. Es ist n X 10n+1 − 1 = 9 · 10i . i:=0

Hieraus folgt f¨ ur a =

Pn

i

i:=0

ai 10 , dass

a = a0 +

n X

ai 10i =

i:=1

ist mit einem F ∈ N0 . Setzt man Q(a) :=

n X

ai + 9 · F

i:=0

Pn

a ≡ Q(a)

i:=0

ai , so gilt also

mod 9.

Hieraus folgt nat¨ urlich sofort, dass a genau dann durch 3 bzw. 9 teilbar ist, wenn die Quersumme von a — nichts anderes ist ja Q(a) — durch 3 bzw. 9 teilbar ist. Kombiniert liefert das, dass a genau dann durch 6 teilbar ist, wenn a gerade und die Quersumme von a durch 3 teilbar ist. Fibonaccis Teilbarkeitskriterium f¨ ur die 8 sieht etwas anders aus als unseres. Er nimmt von vorneherein an, dass die zu testende Zahl gerade ist. Dies sieht man ja auf den ersten Blick. Ist die Zahl aus den letzten beiden Ziffern durch 8 teilbar und ist die drittletzte Ziffer gleich 2, 4, 6, 8 oder 0, so ist die gegebene Zahl durch 8 teilbar. Ist der Achterrest gleich 4 und die dritte Ziffer gleich 1, 3, 5, 7 oder 9, so ist die gegebene Zahl ebenfalls durch 8 teilbar. In beiden F¨ allen ist die gegebene Zahl durch 4 teilbar, gleichg¨ ultig wie die dritte Ziffer aussieht. Ist der Achterrest der Zahl aus den letzten beiden Ziffern 2 oder 6, so ist die Zahl durch 2 aber nicht durch 4 teilbar. All dies liest man an der Zerlegung a = a3 · 1000 + a2 · 100 + a1 · 10 + a0 ab. Wir sagen nat¨ urlich, dass a genau dann durch 4 teilbar ist, wenn a1 a0 durch 4 teilbar ist, und dass a genau dann durch 8 teilbar ist, wenn a2 a1 a0 durch 8 teilbar ist. Dies ist weniger umst¨ andlich als die fibonaccische Formulierung. Man beachte, dass sich hier wie auch bei der damals schon bekannten Neunerprobe und den Proben mit anderen Zahlen die Anf¨ ange des Rechnens mit Kongruenzen finden. Fibonacci benutzt die Teilbarkeitskriterien beim Faktorisieren von Zahlen. Wenn diese Kriterien keine Teiler mehr br¨ achten, so probiere man, ob 7 und dann 11, usw., d.h. die Primzahlen der Tabelle 11, 13, 17, 19, 23, 29, 31, 37, 41, 43, 47, 53, 59, 61, 67, 71, 73, 79, 83, 89, 97 teilten, bis man entweder einen Teiler f¨ande oder die Wurzel der Ausgangszahl erreicht sei. Im letzteren Falle sei die gegebene Zahl eine Primzahl. Es ist Fibonacci klar, dass er mit diesem Verfahren alle Zahlen unterhalb 10000 faktorisieren kann.

5. Teilbarkeitskriterien

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Bei Luca Pacioli fand ich im Zusammenhang mit dem K¨ urzen keine Teilbarkeitskriterien, was nicht besagt, dass sie sich nicht vielleicht doch an anderer Stelle in dem umfangreichen Buch verbergen. InPder Anmerkung zu Aufgabe 3 von Abschnitt 3 wurde Pn festgestellt, dass die Zahl n a = i:=0 ai 12i genau dann durch 11 teilbar ist, wenn i:=0 ai durch 11 teilbar ist. In diesem Zusammenhang wird immer auf Pascal verwiesen. Dies aber vor allem deswegen, weil er in der fraglichen Note, die erst postum publiziert wurde (1665), darauf hinweist, das sich seine Teilbarkeitskriterien auf beliebige q-adische Darstellungen von nat¨ urlichen Zahlen u ucklich erw¨ahnt. Der ¨bertragen ließen, wobei er das 12-adische System ausdr¨ Nachdruck liegt bei den Historikern dabei immer auf q-adisch. Was sind aber nun seine Teilbarkeitskriterien? Ist zu testen, ob an an−1 . . . a0 durch b teilbar ist, so setzt er p0 := 1 und berechnet rekursiv pi+1 := (10pi ) MOD b. Dann sagt er, dass a genau dann durch b teilbar sei, wenn n X Q(a, b) := ai pi i:=0

es sei. Hiermit erh¨ alt er auf einheitliche Weise alle von uns schon erw¨ahnten Teilbarkeitskriterien (Pascal 1998, S. 267 ff.). ¨ Schm¨ okern in alten B¨ uchern liefert auch hier wieder eine Uberraschung. Pascals Verfahren liefert nat¨ urlich auch ein Teilbarkeitskriterium f¨ ur die 7. Hier ist p0 = 1, p1 = 3, p3 = 2, p4 = 6, p5 = 4, p6 = 5 und p7 = 1, womit das Spiel von vorne beginnt. Dies findet sich aber nun schon neben den u ¨blichen Teilbarkeitskriterien bei Simon Jacob (Jacob 1571, Blatt 46verso ). Hier, was er rund hundert Jahre vor Pascal schreibt: Wie erkennt mann/ob ein zal in  getheilt weggeht? Die geschwindest Regel/ solchs zu erkennen/ ist/ theil oder vberschlahe im Sinn/ ob die zal in  sich theylen l¨ aßt/ nach gemeiner art/ Oder merck dise ordnung/...... Setz die erst/ als / vnder die erst Figur bei der rechten hand/  / vnder die ander/  / vnder die dritt &c. Auch ob eine Figur derselben Zahl  vbertrette/ so wirff 7 hinweg/ den Rest laß stehen/ multiplicir als dann ein jede vndergeschriebne zal/ inn die so ob jhr stehet/ erwechst ein zal vber , so wirff  hinweg/ das vbrig setz gerade darunder/ gib alsda˜ n alle gefundenen Rest (vnangesehen der stet bedeutung) zusamen/ geht dann solch Collect in / so geht auch die gantze zal in . Obgesatzte ordnung magstu auch von anfang repetirn/ so offt du bedarffst. Nim das folgend exempel:       6 6  6 6               0  

Darunter steht dann:  geht nit auff.“ Es muss nat¨ urlich 7 heißen. In der Tabelle sind ” auch die ersten beiden Ziffern 1 und 0 zu vertauschen. Es folgt die Frage:

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen Woher kompt solcher weg?

K¨ urtzlich ist solche arbeit nichts anders/ dann wann du ein jede Figur in jhrer statt durch  getheylet hettest/ biß zu der ersten statt/ als bei / so theylt ich erstlich / darnach / nach dem / letzlich . So ich dann weiß/ was ein tausent/ hundert/ oder zehen/ &c durch  getheylet vberleßt/ schleuß bald durchs multiplicirn/ was derselben vil thun. Auch hier heißt Ziffer noch Figur und die letzte Ziffer ist die erst Figur“. In der ” Tat, Rechnen mit Kongruenzen.

Aufgaben 1. Ist√1 6= n ∈ N und ist n keine Primzahl, so gibt es eine n teilende Primzahl p mit p ≤ n. Pn 2. Es sei a = i:=0 ai 103i . Zeigen Sie, dass a genau dann durch 7, 11 oder 13 teilbar ist, wenn n X (−1)i ai i:=0

durch 7, 11, oder 13 teilbar ist (siehe Aufgabe 5 von Abschnitt 3).

6. Induktion und Rekursion. Dedekind bemerkte in seiner Schrift Was sind und ” was sollen die Zahlen“, dass Induktion und Rekursion nicht dasselbe seien. Er betrachtete die Menge G aus den Zahlen 1 und 2 und er sagte, dass die 1 der 2 folge und die 2 der 1. Hat man dann eine Teilmenge T von G, ist 1 ∈ T und ist T 0 ⊆ T , so ist nat¨ urlich T = G. Das Tripel (G, 1,0 ) gestattet also Induktion, aber gewiss keine Rekursion, da man bei einer Rekursion den Wert von 1 nicht unabh¨angig von dem Wert, den 2 annimmt, vorschreiben kann, da dieser Wert ja wieder den Wert von 1 ¨ beeinflusst. Wir wollen nun einen Uberblick u ur die ¨ber alle Tripel (G, 1,0 ) gewinnen, f¨ 0 eine Abbildung von G in sich ist und f¨ ur die weiterhin gilt, dass aus 1 ∈ T ⊆ G und T 0 ⊆ T stets T = G folgt. Diese Gebilde gestatten immer Induktion, sodass wir sie Indukte nennen. Es sei f eine Abbildung der Menge M in eine weitere Menge. Sind x, y ∈ M , so setzen wir x Kern(f ) y genau dann, wenn f (x) = f (y) ist. Dann ist Kern(f ) eine ¨ Aquivalenzrelation auf M , genannt Kern von f . Mit M/ Kern(f ) bezeichen wir wie ¨ ¨ u dieser Aquivalenzrelation. ¨blich die Menge der Aquivalenzklassen Satz 1. Es sei (G, 1,0 ) ein Indukt. Es gibt dann genau einen Epimorphismus f von (N, 1,0 ) auf (G, 1,0 ). Ist f injektiv, so ist (G, 1,0 ) ein Dedekindtripel. Ist f nicht injektiv, so gibt es ein a ∈ N0 und ein b ∈ N mit  N/ Kern(f ) = {i} | 1 ≤ i < a ∪ {a + i + bN | 0 ≤ i < b}. In diesem Falle sind N/ Kern(f ) und damit G endlich.

6. Induktion und Rekursion

57

Beweis. Die Rekursionsregel R sei die durch R(x) := x0 erkl¨arte Abbildung von G in sich. Es gibt dann nach dem Rekursionssatz genau eine Abbildung σ von N in G mit σ(1) = 1 und σ(n0 ) = σ(n)0 . Dann ist 1 ∈ σ(N) und σ(N)0 ⊆ σ(N). Daher ist σ(N) = G, sodass σ surjektiv ist. Ist σ injektiv, so folgt, dass (G, 1,0 ) ein Dedekindtripel ist. Es sei also σ nicht injektiv. Wir beachten zun¨ achst, dass aus σ(x) = σ(y) folgt, dass σ(x + t) = σ(y + t) gilt f¨ ur alle t ∈ N. Es ist ja σ(x + 1) = σ(x0 ) = σ(x)0 = σ(y)0 = σ(y 0 ) = σ(y + 1), sodass der Satz f¨ ur t = 1 gilt; gilt er f¨ ur t, so folgt  σ(x + t0 ) = σ (x + t)0 = σ(x + t)0 = σ(y + t)0 = σ(y + t0 ). Daher gilt er auch f¨ ur t0 und damit f¨ ur alle t. Es sei L die Menge aller x ∈ N, f¨ ur die es ein y ∈ N gibt mit x 6= y und σ(x) = σ(y). Weil σ nicht injektiv ist, ist L nicht leer, enth¨alt also ein kleinstes Element a. Es bezeichne Kx die Menge der y mit x Kern(σ) y. Dann ist Ka − {a} nicht leer, sodass es ein kleinstes c in Ka − {a} gibt. Es folgt a < c, sodass es ein b ∈ N gibt mit a + b = c. Es ist σ(a) = σ(a + b). Es sei a ≤ x und es gelte σ(x) = σ(x + b). Dann ist  σ(x0 ) = σ(x)0 = σ(x + b)0 = σ (x + b)0 = σ(x0 + b). Also gilt σ(x) = σ(x + b) f¨ ur alle x ≥ a. Eine weitere Induktion zeigt, dass auch σ(x) = σ(x + bq) gilt f¨ ur alle x ≥ a und alle q ∈ N0 . Es sei y ∈ N. Ist y < a, so ist Ky = {y}. Es sei also a ≤ y und r sei das kleinste Element in Ky . Dann ist auch a ≤ r und nach der Vorbemerkung ist {r + bq | q ∈ N0 } ⊆ Kr = Ky . Es sei z ∈ Ky . Dann ist a ≤ z. Es gibt daher ein v ∈ N0 mit z = a+v. Division mit Rest liefert q und i mit 0 ≤ i < b und v = qb + i. Setzt man s := a + i, so ist z = s + qb und a ≤ s < a + b = c — man erinnere sich an die Definition von c und b. Es ist σ(z) = σ(s) und daher s ∈ Kz = Ky = Kr und somit r ≤ s. Es gibt ein x ∈ N0 mit s + x = c. Es folgt a < r + x ≤ s + x = c. Wegen σ(s) = σ(z) = σ(r) ist σ(r + x) = σ(s + x) = σ(c) = σ(a) nach unserer Vorbemerkung. Aus der Definition von c folgt r + x = c = s + x und weiter r = s. Also ist z = r + qb. Dies zeigt, dass Ky = {r + bq | q ∈ N0 } = {a + i + bq | q ∈ N0 } ist. Ist schließlich i < b, so ist {a + i + bq | q ∈ N0 } ⊆ Ka+i . Daher ist Ka+i = {a + i + bq | q ∈ N0 }, womit der Satz bewiesen ist.

58

I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Satz 2. Es sei a ∈ N0 und b ∈ N. Auf N definieren wir die Relation ∼ durch x ∼ y genau dann, wenn x = y oder wenn a ≤ x, y und (x − a) MOD b = (y − a) MOD b ist. ¨ Dann ist ∼ eine Aquivalenzrelation und aus x ∼ y folgt stets x0 ∼ y 0 . Beweis. Es ist klar, dass ∼ reflexiv und symmetrisch ist. Es gelte x ∼ y und y ∼ z. Ist x = y oder y = z, so ist nat¨ urlich x ∼ z. Es sei also x 6= y und y 6= z. Dann ist a ≤ x, y und folglich (x − a) MOD b = (y − a) MOD b und (y − a) MOD b = (z − a) MOD b. Es folgt (x − a) MOD b = (z − a) MOD b und folglich x ∼ z. Damit ist gezeigt, dass ∼ ¨ eine Aquivalenzrelation ist. Es gelte x ∼ y. Ist x = y, so ist x0 = y 0 und folglich x0 ∼ y 0 . Es sei x 6= y. Dann ist a ≤ x, y und (x − a) MOD b = (y − a) MOD b. Setze r := (x − a) MOD b. Es gibt dann u, v ∈ N0 mit x − a = ub + r und y − a = vb + r. Es ist a + (x − a) = x und daher a + (x − a)0 = a + (x − a)

0

= x0 .

Dies impliziert (x − a)0 = x0 − a. Daher ist x0 − a = (ub + r)0 = ub + r0 . Ebenso folgt y 0 − a = vb + r0 . Wegen r < b ist r0 ≤ b. Ist r0 < b, so ist also (x0 − a) MOD b = r0 = (y 0 − a) MOD b und folglich x0 ∼ y 0 . Es sei r0 = b. Dann ist x0 − a = ub + b = u0 b und y 0 − a = vb + b = v 0 b. Es folgt (x0 − a) MOD b = 0 = (y 0 − a) MOD b. Also gilt auch in diesem Falle x0 ∼ y 0 . Damit ist Satz 2 bewiesen. Wir behalten die Bezeichnungen von Satz 2 bei. Ist x ∈ N, so bezeichnen wir mit ¨ Kx die Aquivalenzklasse von x bei der Relation ∼. Dann ist also N/∼ = {Kx | x ∈ N}. Wir definieren eine Abbildung σ von N/∼ in sich, von der sich herausstellen wird, dass sie die Nachfolgerfunktion ist, durch σ(Kx ) := Kx0 .

7. Der bin¨ are gespiegelte Gray-Code

59

Diese Abbildung ist nach Satz 2 wohldefiniert. Es sei T Teilmenge von N/∼ und es gelte K1 ∈ T und σ(T ) ⊆ T . Wir haben zu zeigen, dass T = N/∼ ist. Dazu sei W := {x | x ∈ N, Kx 6∈ T }. W¨ are W nicht-leer, so enthielte W ein kleinstes Element w. Wegen K1 ∈ T w¨are w > 1. Es g¨ abe also ein u ∈ N mit u0 = w. Es folgte Ku ∈ T und aufgrund der Voraussetzung u ¨ber T dann auch Kx = Ku0 = σ(Ku ) ∈ T. Dieser Widerspruch zeigt, dass doch T = N/∼ ist. Damit ist der folgende Satz bewiesen. ¨ Satz 3. Ist a ∈ N0 und b ∈ N und ist ∼ die in Satz 2 definierte Aquivalenzrelation, so ist (N/∼, K1 , σ) ein Indukt. ¨ Damit haben wir einen Uberblick u ¨ber alle Indukte gewonnen.

Aufgaben ¨ 1. Jede Aquivalenzrelation ist Kern einer Abbildung. 2. Man zeige, dass die endlichen Indukte allesamt keine Rekursion gestatten.

7. Der bin¨ are gespiegelte Gray-Code. Satz 2 von Abschnitt 3 zeigte, dass man die dyadische Entwicklung der nicht-negativen ganzen Zahlen auffassen kann als eine Bijektion der Menge der endlichen Teilmengen von N0 auf N0 . Hier wollen wir eine andere solche Bijektion studieren, die sehr bemerkenswert ist. Sie liefert eine Darstellung ¨ von N0 , bei der das Addieren keinen Ubertrag erfordert. Es sei zun¨ achst M eine Menge. Wir definieren eine bin¨are Operation ⊕ auf P (M ) durch X ⊕ Y := (X ∪ Y ) − (X ∩ Y ) f¨ ur alle X, Y ∈ P (M ). Diese Verkn¨ upfung heißt auch symmetrische Differenz von X und Y . Satz 1. Ist M eine Menge, so ist (P (M ), ⊕) eine elementar-abelsche 2-Gruppe, d.h. eine abelsche Gruppe mit X ⊕ X = ∅ f¨ ur alle X ∈ P (M ). Beweis. Aus der Definition folgt unmittelbar, dass X ⊕X = ∅ und dass X ⊕Y = Y ⊕X ist. Ferner ist X ⊕ ∅ = X f¨ ur alle X. Es ist also nur noch die Assoziativit¨at von ⊕ zu zeigen. Es seien X, Y , Z ∈ P (M ). Ferner sei w ∈ X ⊕ (Y ⊕ Z). 1. Fall: Es ist w ∈ X. Dann ist w 6∈ Y ⊕ Z. Das ergibt zwei Unterf¨alle. 1.1: w ∈ Y und w ∈ Z. 1.2: w 6∈ Y und w 6∈ Z. Im Falle 1.1 haben wir w 6∈ X ⊕ Y und w ∈ Z und folglich w ∈ (X ⊕ Y ) ⊕ Z. Im Falle 1.2 haben wir w ∈ X ⊕ Y und w 6∈ Z und folglich w ∈ (X ⊕ Y ) ⊕ Z. 2. Fall: Es ist w 6∈ X. Dann ist w ∈ Y ⊕ Z. Auch hier haben wir zwei Unterf¨alle.

60

I. Die nat¨ urlichen Zahlen 2.1: w 6∈ Y und w ∈ Z. 2.2: w ∈ Y und w 6∈ Z.

Im Falle 2.1 haben wir w 6∈ X ⊕ Y und w ∈ Z und folglich w ∈ (X ⊕ Y ) ⊕ Z. Im Falle 2.2 haben wir w ∈ X ⊕ Y und w 6∈ Z und folglich w ∈ (X ⊕ Y ) ⊕ Z. Insgesamt erhalten wir also X ⊕ (Y ⊕ Z) ⊆ (X ⊕ Y ) ⊕ Z f¨ ur alle X, Y , Z ∈ P (M ), insbesondere also auch f¨ ur Z, Y und X. Mittels der Kommutativit¨at von ⊕ erhalten wir daher (X ⊕ Y ) ⊕ Z = Z ⊕ (Y ⊕ X) ⊆ (Z ⊕ Y ) ⊕ X = X ⊕ (Y ⊕ Z) und damit X ⊕ (Y ⊕ Z) = (X ⊕ Y ) ⊕ Z, wie behauptet. Wir ben¨ otigen eine weitere Variante des dedekindschen Rekursionssatzes. Dazu bezeichnen wir mit An die Menge aller (n + 1)-Tupel (a0 , . . . , an ) von Elementen aus A. S∞ Satz 2. Es sei A eine Menge. Wir setzen B := n:=0 An . Es sei ferner R eine Abbildung von B in A und a ∈ An . Es gibt dann genau eine Abbildung f von N0 in A mit f (i) = ai f¨ ur i := 0, . . . , n und  f (m + 1) = R f (0), . . . , f (m) . f¨ ur alle m ≥ n.  Beweis. F¨ ur g ∈ An setzen wir S(g) := g, R(g) . Dann ist S eine Abbildung von B in sich. Nach dem dedekindschen Rekursionssatz gibt es also genau eine Abbildung F von N0 in B mit F (0) = (a0 , . . . , an ) und   F (m + 1) = S F (m) = F (m), R(F (m)) f¨ ur alle m ∈ N0 . Dann ist F (m) ein (n + m + 1)-Tupel. Wir definieren nun f durch f (i) := ai f¨ ur i := 0, . . . , n und f (n + i) := F (i)n+i f¨ ur alle i ∈ N. Dann erf¨ ullt f die Anfangsbedingungen. Ferner gilt, wie wir nun zeigen werden, f (k) = F (i)k f¨ ur alle i und alle k := 0, . . . , n + i. Dies ist sicherlich richtig f¨ ur i = 0. Es sei i ≥ 0 und die Aussage gelte f¨ ur i. Dann ist  F (i + 1) = F (i), R(F (i)) . Hieraus folgt f (k) = F (i)k = F (i + 1)k f¨ ur k := 0, . . . , n + i. Schließlich ist f (n + i + 1) = F (i + 1)n+i+1 . Damit ist die Zwischenbehauptung bewiesen.

7. Der bin¨ are gespiegelte Gray-Code

61

Ist nun m ≥ n, so ist m = n + i. Daher ist   f (m + 1) = f (n + i + 1) = F (i + 1)n+i+1 = R F (i) = R f (0), . . . , f (n + i)  = R f (0), . . . , f (m) . Damit ist der Satz bewiesen. Die in Satz 2 beschriebene Art der Rekursion nennt man auch Verlaufsrekursion. Als n¨ achstes etablieren wir ein Rekursionsschema, das uns viele M¨oglichkeiten an die Hand gibt, die Menge E(N0 ) der endlichen Teilmengen von N0 aufzulisten. Rekursionsschema. Es sei f¨ ur jedes n ∈ N0 eine Bijektion gn von {2n , . . . , 2n+1 − 1} n auf {0, . . . , 2 − 1} gegeben. Es gibt dann genau eine Abbildung F von N0 auf E(N0 ) mit den folgenden Eigenschaften: a) Es ist F (0) = ∅. b) Ist n ∈ N0 und a ∈ {2n , . . . , 2n+1 − 1}, so ist F (a) = {n} ∪ F (gn (a)). Die Abbildung F ist eine Bijektion und die Einschr¨ ankung von F auf {0, . . . , 2n+1 − 1} ist eine Bijektion dieser Menge auf P ({0, . . . , n}). Beweis. Es sei a ∈ N und (X(0), . . . , X(a − 1)) sei ein a-Tupel endlicher Teilmengen von N0 . Wir definieren R(X(0), . . . , X(a − 1)) wie folgt. Es gibt ein n ∈ N0 mit 2n ≤ a ≤ 2n+1 − 1. Es folgt gn (a) ≤ 2n − 1 ≤ a − 1, sodass X(gn (a)) definiert ist. Wir setzen   R X(0), . . . , X(a − 1) := {n} ∪ X gn (a) . Die Existenz und Eindeutigkeit von F folgt nun aus Satz 2. Wir m¨ ussen zeigen, dass F auch die restlichen Eigenschaften hat. Wir zeigen, dass die Einschr¨ ankung von F auf {0, . . . , 2n − 1} diese Menge auf P ({0, . . . , n − 1}) abbildet. Dies ist richtig f¨ ur n = 0. Es sei also n ≥ 0 und die Aussage richtig f¨ ur n. Es sei nun X ⊆ {0, . . . , n}. Ist n 6∈ X, so gibt es nach Induktionsannahme ein a ≤ 2n − 1 mit F (a) = X. Es sei also n ∈ X. Dann ist X = {n} ∪ Y mit Y ⊆ {0, . . . , n − 1}. Es gibt folglich ein b ≤ 2n − 1 mit F (b) = Y . Setze a := gn−1 (b). Dann ist  X = {n} ∪ F (b) = {n} ∪ F gn (a) = F (a). Dies zeigt, dass   P {0, . . . , n} ⊆ F {0, . . . , 2n+1 − 1} ist. Da die involvierten Mengen gleiche L¨ ange haben, folgt   P {0, . . . , n} = F {0, . . . , 2n+1 − 1} und die Bijektivit¨ at der Einschr¨ ankung von F auf {0, . . . , 2n+1 }. Da dies f¨ ur alle n gilt, folgt die Bijektivit¨ at von F . Definiert man gn (a) f¨ ur 2n ≤ a ≤ 2n+1 − 1 durch gn (a) := a − 2n , so erh¨alt man eine Schar von Abbildungen gn , wie sie f¨ ur das Rekursionsschema gebraucht werden. Die Abz¨ ahlung von E(N0 ), die man so erh¨alt, ist gerade die, die wir durch die Bin¨ arentwicklung der nicht-negativen ganzen Zahlen erhielten.

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen Wir betrachten hier eine andere Schar von Abbildungen gn , n¨amlich die, die durch gn (a) := 2n+1 − 1 − a

gegeben werden. Statt F werden wir nun G schreiben, um Frank Gray zu ehren, auf den diese Auflistung von E(N0 ) zur¨ uckgeht. Er publizierte den bin¨ aren gespiegelten Gray-Code in einer Patentschrift, mit der er sich ein Ger¨at f¨ ur die Umwandlung von analogen Signalen in digitale patentieren ließ (Gray 1953). Dass sich der Gray-Code f¨ ur diese Umwandlung besonders gut eignet, liegt daran, dass G(a) und G(a + 1) sich nur um ein Element unterscheiden. Bleibt also der Zeiger eines Messger¨ates zwischen den charakteristischen Funktionen von G(a) und G(a + 1) stehen und liest die Maschine dann wahllos ein Bit rechts und ein Bit links, so ist das Ergebnis a oder a + 1. Der Lesefehler ist also nicht groß. Bei der dyadischen Darstellung von a und a + 1 kann der Fehler betr¨ achtlich sein. Bevor wir diese Eigenschaft des Gray-Codes nachweisen, k¨ ummern wir uns zun¨ achst um das Adjektiv gespiegelt“. Dazu sei a = 2n + b und ” n n+1 b ≤ 2 − 1. Dann ist 2 − 1 − a = 2n − 1 − b und G(2n + b) = G(a) = {n} ∪ G(2n − 1 − b). Dies zeigt, dass G(a) und das Komplement von {n} in G(a) spiegelbildlich zu einer zwischen 2n − 1 und 2n gedachten Linie liegen. Interpretiert man G(a) durch seine charakteristische Funktion, wobei im Folgenden, von der charakteristischen Funktion von G(0) abgesehen, f¨ uhrende Nullen unterdr¨ uckt werden, so entsteht die Liste dieser Funktionen wie folgt. Die ersten beiden charakteristischen Funktionen sind 0 1 Dann wird diese Liste gespiegelt und den Zeilen des zweiten Teils der Liste jeweils eine 1 angef¨ ugt: 0 1 1 1 0 1 Dann wird wieder gespiegelt und den Zeilen des zweiten Teils eine 1 angef¨ ugt, wobei Platz haltende Nullen jetzt aber zu erg¨ anzen sind, ganz im Sinne der Inder. 0 1 1 0 0 1 1 0

1 1 1 1 0 0

1 1 1 1

7. Der bin¨ are gespiegelte Gray-Code

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Es ist klar, wie es weiter geht. — Dies ist die typische vordedekindsche Induktion, wie sie unsere Anf¨ anger immer noch lieben. Wenn wir sie ihnen ausgetrieben haben, d¨ urfen sie wieder auf sie zur¨ uckgreifen. Diese Erzeugung macht auch klar, dass sich der Nachfolger von dem Vorg¨anger nur in einer Ziffer unterscheidet. Gilt dies n¨ amlich im Block der ersten 2n Zeilen, so gilt es auch im Block der nachfolgenden 2n Zeilen. An der Nahtstelle gilt es aber auch. Dies wollen wir genauer verfolgen. Man beachte, dass der bin¨ are gespiegelte Gray-Code durch die Potenzen von 2 strukturiert ist. Dies trifft nat¨ urlich auf alle Abz¨ ahlungen von E(N0 ) zu, die mittels des Rekursionsschemas gewonnen werden. Satz 3. Es sei G der bin¨ are gespiegelte Gray-Code. Ist n ∈ N0 , so gilt: a) Es ist G(2n) ⊕ G(2n + 1) = {0}. b) Ist b das kleinste Element in G(2n + 1), so ist G(2n + 1) ⊕ G(2n + 2) = {b + 1}. c) Es ist |G(n) ⊕ G(n + 1)| = 1. Beweis. a) Es ist G(0) = ∅ und G(1) = {0}. Folglich gilt a) f¨ ur n = 0. Es sei n > 0. Ferner sei 2a ≤ 2n < 2a+1 . Weil 2n + 1 ungerade ist, ist auch 2n + 1 < 2a+1 . Also ist G(2n) = {a} ⊕ G(2a+1 − 2n − 1) und G(2n + 1) = {a} ⊕ G(2a+1 − 2n − 2). Mit Satz 1 und der nicht explizit formulierten Induktionsannahme folgt hieraus G(2n) ⊕ G(2n + 1) = G(2a+1 − 2n − 2) ⊕ G(2a+1 − 2n − 1) = {0}. Damit ist a) bewiesen. b) Es ist G(1) = {0} und folglich b = 0. Ferner ist G(2) = {0, 1}. Folglich ist G(1) ⊕ G(2) = {b + 1}. Es sei n > 0 und es gelte 2a ≤ 2n + 1 < 2a+1 . Nehmen wir zun¨ achst an, dass 2n + 2 < 2a+1 ist. Dann ist G(2n + 1) = {a} ⊕ G(2a+1 − 2n − 2) und G(2n + 2) = {a} ⊕ G(2a+1 − 2n − 3). Hieraus folgt G(2n + 1) ⊕ G(2n + 2) = G(2a+1 − 2n − 2) ⊕ G(2a+1 − 2n − 3) = {b0 + 1}, wobei b0 das kleinste Element in G(2a+1 −2n−3) ist. Wir m¨ ussen zeigen, dass b0 = b ist. Weil b0 in einem der Summanden vorkommt, aber kein Element der Summe ist, ist b0 auch Element des zweiten Summanden, d.h. von G(2a+1 −2n−2). Dann ist b0 aber auch Element von G(2n + 1). Folglich ist b ≤ b0 . Weil a das gr¨oßte Element von G(2n + 1) ist und weil G(2a+1 − 2n − 2) nicht-leer ist, ist b ∈ G(2a+1 − 2n − 2). Wegen b ≤ b0 < b0 + 1 ist dann aber auch b ∈ G(2a+1 − 2n − 3). Dann ist aber b0 ≤ b und folglich b = b0 . Es sei schließlich 2n + 1 = 2a+1 − 1. Dann ist G(2n + 1) = {a} ⊕ G(0) = {a}.

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Es folgt G(2n + 2) = {a + 1} ⊕ G(2n + 1) = {a, a + 1}. Es ist also b = a und G(2n + 1) ⊕ G(2n + 2) = {b + 1}. Damit ist auch b) bewiesen. c) folgt unmittelbar aus a) und b). Korollar. Es ist G(2a+1 − 1) = {a} und G(2a+1 ) = {a, a + 1}. Der Kenner sieht an Satz 3, dass der Gray-Code einen Hamilton-Pfad auf dem ndimensionalen W¨ urfel liefert. Will man die Nachfolgerfunktion auf der Menge der zugeh¨origen Ziffernfolgen beschreiben, so muss man nach Satz 3 wissen, ob die Ziffernfolge eine Teilmenge mit gerader oder ungerader Hausnummer darstellt. Bei der dyadischen Darstellung entscheidet dar¨ uber die letzte Ziffer. Beim Gray-Code ist die Situation anders. Hier gilt Satz 4. Es ist |G(n)| ≡ n mod 2 f¨ ur alle n ∈ N0 . Beweis. Dies ist richtig f¨ ur n = 0. Nach Satz 3 und Aufgabe 1 ist 1 = G(n) ⊕ G(n + 1) ≡ G(n) + G(n + 1) mod 2, sodass Induktion die Behauptung liefert. Dieser Satz zeigt einen wesentlichen Unterschied des Gray-Codes G gegen¨ uber dem Code D, den die dyadische Darstellung der nat¨ urlichen Zahlen f¨ ur die endlichen Teilmengen von N0 liefert. Hier gilt, dass n genau dann gerade ist, wenn 0 6∈ D(n) ist, w¨ ahrend dort gilt, dass n genau dann gerade ist, wenn |G(n)| es ist. Um die Parit¨at von |G(n)| zu bestimmen, empfielt sich Werimbolds Test, der schon im Mittelalter bekannt war: In der Kirche des heiligen Martyrers Gereon zu K¨oln lebte noch zu unseren Zeiten ein gewisser Kanonikus, Werimbold mit Namen, von Herkunft adlig, sehr reich an kirchlichen Eink¨ unften. Er war von solcher Einfalt, dass er von nichts etwas kapierte, außer dass er die Parit¨ at einer Zahl feststellen konnte. Als er zuzeiten viele Schinken in seiner K¨ uche h¨angen hatte, betrat er sie und z¨ahlte die Schinken auf folgende Weise, damit ihm nichts weggenommen werden k¨onne: Da ist ein Schinken und sein Genosse, da ist ein Schinken und sein Genosse, und so mit den u ¨brigen. Einer von diesen war ihm durch die Nichtsnutzigkeit seiner Diener weggekommen, als er wiederum eintrat und seine Schinken auf besagte Weise z¨ ahlte. Als eine ungerade Zahl herauskam, rief er: Ich habe einen Schinken verloren! Seine Diener antworteten ihm l¨ achelnd: Gut gez¨ahlt, Herr!, und schmeichelten ihn aus der K¨ uche hinaus. Sie nahmen einen weiteren weg, um die Anzahl wieder gerade zu machen. Und so hineingef¨ uhrt z¨ahlte er sie ein zweites Mal, und, als Gerades herauskam, sagte er ihnen sehr heiter (und dunkel, Anmerkung H. L.): Eia ihr Herren, allzu lange konnte ich schweigen. (Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum, Kapitel VII, 6. Distinktion, Caesarius/Strange 1851. Diese Passage wurde von mir eingedeutscht.) Die Zeitangabe zu unseren Zeiten“ meint die Zeit um den Wechsel vom 12. zum 13. ” Jahrhundert.

7. Der bin¨ are gespiegelte Gray-Code

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Die hier erz¨ ahlte Episode diente Caesarius als Beleg f¨ ur Werimbolds christliche Einfalt. Sein Buch war Lehrbuch f¨ ur die Novizen seines Klosters, das Beispiel also ernst gemeint. Ich nehme aber an, dass auch schon Werimbolds Diener u ¨ber soviel Einfalt sich ins F¨ austchen lachten und sich die H¨ ande rieben und dass es auch den Novizen des Klosters Heisterbach (Siebengebirge bei Bonn, heute nur noch Ruine) in den Mundwinkeln zuckte, wenn sie diese Geschichte vernahmen. Man beachte, dass Werimbolds Test unterstellt, dass nat¨ urliche Zahlen Ansammlungen von Einheiten (Schinken) sind. Wir betrachten S∞ die Menge Vn aller (n + 1)-Tupel (r0 , . . . , rn ) mit ri ∈ {0, 1} und setzen V := n:=0 Vn . Wir betrachten ferner die Teilmenge W der r ∈ V mit n = 0 oder rn = 1. Wir schreiben in diesem Zusammenhang r0 r1 . . . rn , lesen die (n + 1)-Tupel also von links nach rechts. Ist r ∈ V , so definieren wir die charakteristische Funktion f (r) durch ( f (r)i :=

ri 0

falls i ≤ n falls i > n.

Der Zusammenhang zwischen r und der durch r dargestellten Zahl m ist dann der, dass f (r) die charakteristische Funktion von G(m) ist. Jedes s ∈ V mit f (s) = f (r) heißt relevanter Teil von f (r) oder auch von m. Wir nennen ferner n + 1 die L¨ ange des (n + 1)-Tupels r ∈ W , es sei denn, es ist n = 0 und r0 = 0. In diesem Falle setzen wir l(r) = 0. F¨ ur r ∈ V gibt es genau ein s ∈ W mit f (r) = f (s). Hier setzen wir l(r) := l(s). Wir betrachten hier also auch Ausdr¨ ucke der Form r0 . . . rn , bei denen wir f¨ uhrende Nullen zulassen. Von dieser M¨ oglichkeit machte auch schon Fibonacci Gebrauch. Wie wir in Abschnitt 3 erl¨ auterten, lehrt Fibonacci zwei Verfahren f¨ ur die Multiplikation von nat¨ urlichen Zahlen, das heute noch u ¨bliche und das Verfahren, welches wir bei der Polynommultiplikation verwenden. Dabei lehrt er letzteres Verfahren mit typisch vordedekindscher Induktion f¨ ur zwei je k-stellige Zahlen f¨ ur k := 2, 3, 4, 5 und 8. Nach dem die Multiplikation zweier achtstelliger Zahlen erkl¨art ist, rechnet Fibonaccci das Beispiel 345 mal 698541. Diese Zahlen sind aber nicht gleich lang. Um sie gleich lang zu machen, f¨ ugt er der Zahl 345 drei f¨ uhrende Nullen hinzu, er rechnet also 000345 mal 698541. Dann sagt er: Verum quod de positione zephirorum post figuras dictum est, non nisi rudibus necessarium fore arbitrior, quia subtiles non indigent tali positione zephirorum. Das heißt: Was aber von der Positionierung der Nullen vor (er schreibt post, da er, wie schon erw¨ ahnt, so tut, als l¨ ase er Zahlen wie ein Araber von rechts nach links) die Ziffern gesagt wurde, erscheint mir nur f¨ ur Unerfahrene n¨ otig zu sein, da die Feinsinnigen solcher Positionierung von Nullen nicht bed¨ urfen (Boncompagni 1857, S. 17). An diese Stelle muss ich immer denken, wenn ich sehe, dass unsere Softwareingenieure und Informatiker ihre Maschinen so programmieren, dass sie Datumsangaben als 01. 04. 2000 ausgeben: rudes! ¨ Dem, der versucht, meine Ubersetzung nachzuvollziehen, sei gesagt, dass die Null bei Fibonacci zephirum heißt. Dies ist seine Transskription des arabischen al-sifr, wo unser Wort Ziffer herkommt. Ziffer heißt bei Fibonacci figura.

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Da wir, um die Parit¨ at von m festzustellen, das Wort r Werimbolds Test unterziehen m¨ ussen, ist es naheliegend, um Arbeit zu sparen, die Parit¨at in einer eigenen Ziffer r−1 mitzuf¨ uhren. Wir setzen also r−1 := 0, falls die Anzahl der Einsen in r gerade ist, andernfalls setzen wir r−1 := 1. Die Nachfolgerfunktion ist dann aufgrund von Satz 4 beschrieben durch r+ := if r−1 = 0 then r0 := 1 − r0 else i := 0; while ri = 0 do i := i + 1 endwhile; if i = n then rn+1 := 1 else ri+1 := 1 − ri+1 endif endif; r−1 := 1 − r−1 ; Dabei haben wir die Nachfolgerfunktion hier mit + bezeichnet. Ist die durch r dargestellte Zahl ungerade, so gibt es wenigstens ein i mit ri 6= 0, sodass die while-Schleife terminiert. Es kann dann aber sein, dass i = n ist. Dann ist die Ziffer rn+1 noch nicht vorhanden und folglich einzuf¨ uhren. Bei dieser Art der Implementierung geht das urspr¨ ungliche r verloren. Die Vorg¨ angerfunktion l¨ asst sich f¨ ur r 6= 0 wie folgt beschreiben. r− := if r−1 = 1 then r0 := 1 − r0 else i := 0; while ri = 0 do i := i + 1 endwhile; if i + 1 = n then n := n − 1 else ri+1 := 1 − ri+1 endif endif; r−1 := 1 − r−1 ; Ist r 6= 0 und ist r−1 = 0, so gibt es wenigstens zwei Indizes j mit j ≥ 0 und rj = 1. In diesem Falle ist i < n beim Verlassen der while-Schleife. Ist i + 1 = n, so ist rn abzu¨ andern. Da rn dann aber die zweite Ziffer von r ist, die gleich 1 ist, m¨ usste rn auf 0 gesetzt werden. F¨ uhrende Nullen wollen wir aber unterdr¨ ucken. Also wird rn aufgegeben und n um eins erniedrigt. Eine M¨ oglichkeit, dies technisch zu bewerkstelligen, um nicht am Ende die Maschine mit M¨ ull vollgestopft zu haben, findet man in L¨ uneburg 1989. Auch hier geht das urspr¨ ungliche r verloren. Als N¨ achstes zeigen wir, wie man Elemente des Gray-Codes der Gr¨oße nach vergleicht. Die Bedingungen a) und b) des folgenden Satzes schließen sich nicht gegenseitig aus. Satz 5. Es seien m, n ∈ N0 . Ferner seien r und s relevante Teile von m und n. ¨ Uberdies seien m und n verschieden. Dann gilt: a) Sind l(r) und l(s) verschieden, so ist m < n, d.h. r < s, genau dann, wenn l(r) < l(s) ist.

7. Der bin¨ are gespiegelte Gray-Code

67

b) Ist r = r0 r1 . . . rk rk+1 . . . ra und s = s0 s1 . . . sk rk+1 . . . ra mit rk + sk = 1, so ist m < n, d.h. r < s, genau dann, wenn a X

rk ≡

rj

mod 2.

j:=k+1

Beweis. a) folgt unmittelbar aus der Strukturierung des Gray-Codes durch die Zweierpotenzen. b) ist richtig f¨ ur a = 0, da dann k = 0 und {m, n} = {0, 1} ist. Es sei nun a > 0. Ist k = a, so folgt die Behauptung aus a). Es sei also k < a. Wir d¨ urfen annehmen, dass ra = 1 ist, da andernfalls Induktion sofort zum Ziele f¨ uhrte. Dann ist G(m) = {a} ∪ G(2a+1 − m − 1)

und G(n) = {a} ∪ G(2a+1 − n − 1).

Relevante Teile von 2a+1 − n − 1 und 2a+1 − m − 1 sind s0 . . . sk rk+1 . . . ra−1

bzw.

r0 . . . rk rk+1 . . . ra−1 .

Nun ist genau dann m < n, wenn 2a+1 − n − 1 < 2a+1 − m − 1 ist. Dies ist nach Induktionsannahme genau dann der Fall, wenn sk ≡

a−1 X

rj

mod 2

j:=k+1

ist. Dies ist gleichbedeutend mit a X

ra + sk ≡

rj

mod 2.

j:=k+1

Nun ist aber ra = 1 = rk + sk . Daher ist ra + sk = rk + 2sk ≡ rk

mod 2.

Damit ist alles bewiesen. Der n¨ achste Satz und sein Korollar geben uns das Verdoppeln und Halbieren in die Hand. Satz 6. F¨ ur n ∈ N0 gilt a) Ist n gerade, so ist G(2n) = {x + 1 | x ∈ G(n)}. b) Ist n ungerade, so ist G(2n) = {0} ∪ {x + 1 | x ∈ G(n)}. Beweis. Dies ist richtig f¨ ur n = 0. Es ist G(1) = {0} und G(2) = {0, 1}, sodass der Satz auch f¨ ur n = 1 gilt. Es sei n > 1 und es gelte 2a ≤ n < 2a+1 . Dann ist G(n) = {a} ∪ G(2a+1 − 1 − n) und 2a+1 ≤ 2n < 2a+2 . Hieraus folgt G(2n) = {a + 1} ∪ G(2a+2 − 1 − 2n).

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Setze m := 2a+1 − 1 − n. Dann ist also G(n) = {a} ∪ G(m)

und G(2n) = {a + 1} ∪ G(2m + 1).

Ist n gerade, so ist m ungerade. Nach Induktionsannahme ist daher  G(2m) = {0} ∪ x + 1 | x ∈ G(m) . Nach Satz 3 ist folglich  G(2m + 1) = x + 1 | x ∈ G(m) und daher  G(2n) = x + 1 | x ∈ G(n) . Ist n ungerade, so ist m gerade. Nach Induktionsannahme ist daher  G(2m) = x + 1 | x ∈ G(m) . Mit Satz 3 folgt weiter  G(2m + 1) = {0} ∪ x + 1 | x ∈ G(m) und folglich  G(2n) = {0} ∪ x + 1 | x ∈ G(n) . Korollar. Sind k, n ∈ N, so ist  inf G(2k n) ≥ k − 1 und Gleichheit gilt genau dann, wenn n ungerade ist. Insbesondere ist genau dann 0 ∈ G(2n), wenn n ungerade ist. Beweis. Dies folgt mittels Induktion unmittelbar aus Satz 6. Wir sind nun in der Lage zu verdoppeln und zu halbieren. Zun¨achst das Verdoppeln. 2r := for i := n downto 0 do ri+1 := ri endfor; n := n + 1; if r−1 = 1 then r0 := 1 else r0 := 0 endif; r−1 := 0; Und hier das Halbieren von geraden Zahlen. r/2 := for i := 0 to n do ri−1 := ri endfor; n := n − 1; Dies halbiert in der Tat Zahlen 2n, da n genau dann ungerade ist, wenn in der Darstellung r0 . . . rk von 2n die Ziffer r0 gleich 1 ist.

7. Der bin¨ are gespiegelte Gray-Code

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Damit l¨ asst sich dann die Operation DIV 2 wie folgt erkl¨aren: r DIV 2 := if r−1 = 1 then r− /2 else r/2 endif; So wie die beiden Operationen des Verdoppelns und Halbierens hier beschrieben sind, muss man das ganze Wort r0 r1 . . . rn durchlaufen. Ist dieses Wort aber als Liste gegeben, so h¨ angen die Ziffern mittels Zeiger aneinander, und man braucht nur den Anfang der Liste zu manipulieren. Arbeitet man mit W¨ ortern fester L¨ange, so kann man die ri parallel verarbeiten. Man kann also stets annehmen, dass das Verdoppeln und Halbieren nur eine feste Anzahl von Takten ben¨ otigt, die von der L¨ange des Wortes unabh¨angig ist. Wir k¨ onnen verdoppeln und halbieren. Damit k¨onnen wir fast schon addieren. Um die Addition wirklich zu etablieren, ben¨ otigen wir den folgenden Satz. Satz 7. Sind k, m, n ∈ N0 und ist m < 2k , so ist G(m + 2k n) = G(m) ⊕ G(2k n). Beweis. Ist n = 0, so ist nichts zu beweisen. Es sei also n > 0. Ist m = 0, so gilt die Aussage des Satzes ebenfalls. Es sei also auch m > 0. Dann ist k > 0. 1. Fall: m ist ungerade. Dann ist auch m + 2k n ungerade, da ja k > 0 ist. Mit Satz 3a folgt G(m − 1 + 2k n) ⊕ G(m + 2k n) = {0}, was nach Satz 1 die Gleichung G(m + 2k n) = {0} ⊕ G(m − 1 + 2k n) zur Folge hat. Mittels der Induktionsannahme folgt unter nochmaliger Verwendung von Satz 3a, dass G(m + 2k n) = {0} ⊕ G(m − 1) ⊕ G(2k n) = G(m) ⊕ G(2k n) ist. 2. Fall: m ist gerade. Dann ist auch m + 2k n gerade. Es sei b das kleinste Element in G(m − 1 + 2k n). Nach Satz 3b und Induktionsannahme ist dann G(m + 2k n) = {b + 1} ⊕ G(m − 1 + 2k n) = {b + 1} ⊕ G(m − 1) ⊕ G(2k n). Es ist zu zeigen, dass b auch das kleinste Element von G(m − 1) ist. Es sei c das kleinste Element in G(m − 1). Ferner sei 2a ≤ m < 2a+1 . Wegen m < 2k ist dann a + 1 ≤ k. Wegen Satz 3b folgt, dass c auch das kleinste Element in G(m) ist. Weil m gerade ist, enth¨ alt G(m) mindestens zwei Elemente. Weil a das gr¨oßte Element in G(m) ist, folgt c < a ≤ k − 1. Nach dem Korollar zu Satz 6 ist daher c 6∈ G(2k n). Folglich ist c ∈ G(m − 1) ⊕ G(2k n) = G(m − 1 + 2k n).

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

Hieraus folgt b ≤ c. Dies impliziert b 6∈ G(2k n). Andererseits ist b ∈ G(m − 1 + 2k n) = G(m − 1) ⊕ G(2k n) und folglich b ∈ G(m − 1). Also ist c ≤ b und folglich b = c, d.h. {b + 1} ⊕ G(m − 1) = G(m). Somit gilt auch in diesem Falle G(m + 2k n) = G(m) ⊕ G(2k n). Damit ist alles bewiesen. Wie spiegelt sich dieser Satz im Rechnen mit den relevanten Teilen wider? Nun, es sei r ein relevanter Teil von m und s ein relevanter Teil von 2k n. Dann ist l(r) ≤ k, sodass wir annehmen d¨ urfen, dass r = r0 . . . rk−1 ist. Ferner ist s0 = 0 = · · · = sk−2 aufgrund des Korollars zu Satz 6. Daher ist r + s = r0 . . . rk−2 (rk−1 + sk−1 − 2rk−1 sk−1 )sk . . . sN . Ist insbesondere n = 1, so ist r + s = r0 . . . rk−2 (1 − rk−1 )sk mit sk = 1. Hat man die Nachfolger- und Vorg¨ angerfunktion in der Hand, so kann man nat¨ urlich addieren und subtrahieren, wie auch multiplizieren und dividieren. Doch die ausschließlich auf diesen beiden Funktionen beruhenden Verfahren sind zu teuer. In Positionssystemen kann man dies sehr verbessern, wenn man nur das kleine Eins-und-eins beherrscht. Noch etwas, wenn auch nur unwesentlich besser wird die Situation, wenn wir auch noch das kleine Ein-mal-eins beherrschen. Hier in der Gray-Codesituation beherrschen wir die Nachfolger- und Vorg¨ angerfunktion, das Halbieren und Verdoppeln und das Addieren von Vielfachen von 2k zu Zahlen m, die kleiner als 2k sind. Damit haben wir nun alles in der Hand, um zumindest Addition, Subtraktion und Multiplikation ausf¨ uhren zu k¨onnen zu Kosten, die nicht h¨ oher sind als die Kosten der entsprechenden Rechenverfahren im Dualsystem. Unabh¨ angig vom Gray-Code definieren wir eine Funktion add durch add(a, b, k, c) := (a + b)2k + c. Dann gilt, wie man sofort sieht: a) Es ist add(a, b, 0, 0) = a + b. b) Es ist add(a, b, k, c) = add(b, a, k, c). c) Es ist add(a, 0, k, c) = a2k + c. c0 ) Es ist add(0, b, k, c) = b2k + c. d) Ist a ungerade und b gerade, so ist  add(a, b, k, c) = add (a − 1)/2, b/2, k + 1, 2k + c . d0 ) Ist a gerade und b ungerade, so ist  add(a, b, k, c) = add a/2, (b − 1)/2, k + 1, 2k + c .

7. Der bin¨ are gespiegelte Gray-Code

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e) Sind a und b beide gerade, so ist  add(a, b, k, c) = add a/2, b/2, k + 1, c . f) Sind a und b beide ungerade, so ist  add(a, b, k, c) = add (a − 1)/2, (b + 1)/2, k + 1, c . f0 ) Sind a und b beide ungerade, so ist  add(a, b, k, c) = add (a + 1)/2, (b − 1)/2, k + 1, c . Mit diesen Algorithmen sind wir nun in der Lage, eine Addition auf W durchzuf¨ uhren, die ¨ ahnlich viel kostet wie der Additionsalgorithmus bei den dyadisch dargestellten Zahlen. Der Algorithmus, so wie er hier formuliert ist, ist unabh¨angig von der Darstellung der nat¨ urlichen Zahlen. Input: Nicht-negative ganze Zahlen A und B. Output: Nicht-negative ganze Zahl c mit c = A + B. Bemerkung: Die Berechnung der Parit¨ at von c ist im folgenden Algorithmus nicht ber¨ ucksichtigt. Es gilt par(c) = par(A) + par(B) − 2 par(A) par(B). begin a := A; b := B; c := 0; k := 0; % add(a, b, k, c) = A + B % c < 2k while a > 0 do % add(a, b, k, c) = A + B % c < 2k if par(a) 6= par(b) then a := a DIV 2; b := b DIV 2; c := 2k + c % add(a, b, k + 1, c) = A + B % c < 2k+1 else a := a DIV 2; if par(b) = 0 then b := b DIV 2 else b := (b + 1) DIV 2 % add(a, b, k + 1, c) = A + B % c < 2k+1 endif endif k := k + 1 % add(a, b, k, c) = A + B % c < 2k

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen endwhile; % add(a, b, k, c) = A + B % c < 2k %a=0 c := 2k b + c; % c=A+B

end; Der Algorithmus berechnet die Ziffern von A + B solange, bis a abgearbeitet ist. Dann h¨ angt er 2k b noch vorne an, wobei die f¨ uhrende Ziffer von c m¨oglicherweise noch einmal ge¨ andert wird. Bei all diesen Operationen werden h¨ochstens zwei Ziffern bearbeitet, so¨ dass das Addieren keinen Ubertrag erfordert. Da alle diese Operationen sich auch im Du¨ alsystem ausf¨ uhren lassen, stellt sich die Frage, wo dort sich Ubertr¨ age m¨oglicherweise einstellen. Diese geschehen gelegentlich bei der Zuweisung b := (b + 1) DIV 2, d.h. beim Berechnen von b + 1. Wenn b aus einer Million Einsen besteht, fallen eine ganze Menge Dominosteine bei der Addition von 1. Wiederum unabh¨ angig vom Gray-Code definieren wir eine Funktion sub durch sub(a, b, k, c) := (a − b)2k + c. Dann gilt, wie man sofort sieht: a) Es ist sub(a, b, 0, 0) = a − b. b) Es ist sub(a, 0, k, c) = a2k + c. c) Ist a ungerade und b gerade, so ist  sub(a, b, k, c) = sub (a − 1)/2, b/2, k + 1, 2k + c . d) Ist a gerade und b ungerade, so ist  sub(a, b, k, c) = sub (a − 2)/2, (b − 1)/2, k + 1, 2k + c . e) Sind a und b beide gerade, so ist  sub(a, b, k, c) = sub a/2, b/2, k + 1, c . f) Sind a und b beide ungerade, so ist  sub(a, b, k, c) = sub (a − 1)/2, (b − 1)/2, k + 1, c . Der Leser sollte damit in der Lage sein, einen Algorithmus f¨ ur die partielle Subtraktion zu entwerfen. Da wir addieren, verdoppeln und halbieren k¨onnen, k¨onnen wir auch die Multiplikation in W systemgerecht durchf¨ uhren, indem wir den Algorithmus der russischen Bauernmultiplikation verwenden. Um auch dividieren zu k¨onnen, m¨ ussen wir in der Lage sein, Division mit Rest modulo 2k durchzuf¨ uhren. Diese beruht auf dem folgenden Satz.

7. Der bin¨ are gespiegelte Gray-Code

73

Satz 8. Es sei r0 . . . rk relevanter Teil von m. F¨ ur i := 0, . . . , k definieren wir Ri durch Ri := (ri + · · · + rk ) MOD 2. F¨ ur i := 1, . . . , k ist dann r0 . . . ri−2 Ri−1 relevanter Teil von m MOD 2i und ri . . . rk relevanter Teil von m DIV 2i und Ri ist die Parit¨ at von m DIV 2i . Beweis. Nach Satz 7 ist  G(m) = G(m MOD 2i ) ⊕ G 2i (m DIV 2i ) . Es folgt, dass es si−1 und ti−1 gibt, sodass r0 . . . ri−2 si−1 relevanter Teil von m MOD 2i und 0 . . . 0ti−1 ri . . . rk relevanter Teil von 2i (m DIV 2n ) ist. Mittels Satz 6 folgt weiter, dass ri . . . rk relevanter Teil von m DIV 2i ist. Ri ist dann nat¨ urlich die Parit¨at von m DIV 2i Weil i > 0 ist, ist 2i (m DIV 2i ) gerade. Daher ist r0 + . . . ri−2 + si−1 ≡ par(m MOD 2i ) ≡ par(m) ≡ r0 + . . . ri−2 + Ri−1

mod 2.

Es folgt si−1 = Ri−1 , sodass der Satz bewiesen ist. Korollar 1. Ist r0 . . . rk relevanter Teil von m und ist Ri := (ri + · · · + rk ) MOD 2 f¨ ur i := 0, . . . , k, so ist k X m= Ri 2i . i:=0

Beweis. Dies ist richtig f¨ ur k = 0. Ist k > 0, so ist m = r0 . . . rk−2 Rk−1 + Rk 2k , sodass Induktion zum Ziele f¨ uhrt. Korollar 2. Ist R0 . . . Rk die Bin¨ arentwicklung von m und setzt man ri := (Ri + Ri+1 ) MOD 2 f¨ ur i := 0, . . . , k − 1 und rk := Rk , so ist r0 . . . rk die Gray-Code-Entwicklung von m. Beweis. Ist s0 . . . sk die Gray-Code-Entwicklung von m, so folgt mit Korollar 1, dass f¨ ur alle i die Gleichung Ri := (si + · · · + sk ) MOD 2 gilt. Hieraus folgt dann ri = si f¨ ur alle i. Diese beiden Korollare zeigen, dass man die Gray-Code-Entwicklung von m direkt in die Bin¨ arentwicklung umwandeln kann und umgekehrt. Die Umwandlung der GrayCode-Entwicklung in die Bin¨ arentwicklung hat aber den Nachteil, dass man die Liste der Ziffern erst invertieren muss, wenn man die Ziffernfolgen in Listen speichert. Hat man aber die Parit¨ at in r−1 notiert, so ist das nicht n¨otig. Dann ist n¨amlich R0 = r−1 , sodass man die Ri durch die folgende Rekursion erh¨alt: R0 := r−1 ; for i := 0 to k − 1 do Ri+1 := if ri 6= Ri then 1 else 0 endif; Diese Bemerkung kann man sich auch bei der Division mit Rest von m durch 2i zunutze machen, die wir, wie wir jetzt sehen werden, bei der Division als Teilverfahren ben¨otigen

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

werden. Ist n¨ amlich m = r−1 r0 . . . rk und ist i > 0 und ist m DIV 2i = s−1 s0 . . . sl , so ist m MOD 2i = r−1 r0 . . . ri−2 Ri−1 und s−1 = Ri sowie sj = ri+j f¨ ur j := 0, . . . k − i. Den Algorithmus f¨ ur die Division formulieren wir wieder so, dass er von der Darstellung der nat¨ urlichen Zahlen unabh¨ angig ist. Input: Eine nicht-negative ganze Zahlen a und eine nat¨ urliche Zahl b. Output: Nicht-negative ganze Zahlen q und r mit a = qb + r und r < b. Bemerkungen. Auch im Gray-Fall ist die Entwicklung des Vorzeichens von Quotient und Rest nach dem bislang Gesagten leicht zu verfolgen. begin Bestimme k mit b < 2k ≤ 2b; R := 2k − b; % 2k = b + R und R ≤ 2k−1 . q := 0; A := a; r := 0; while A > 0 do % a = bq + A + r und 0 ≤ r < b. s := A MOD 2k ; A := A DIV 2k ; % a = b(q + A) + RA + s + r % RA ≤ Aalt /2 % 0 ≤ s + r ≤ 3b − 2 q := q + A; A := RA; r := s + r; % a = bq + A + r % r < 3b % Die folgende while-Schleife wird % daher h¨ ochstens zweimal durchlaufen. while r > b do q := q + 1; r := r − b endwhile; % a = bq + A + r und 0 ≤ r < b endwhile; % a = bq + r und 0 ≤ r < b end; Damit sind die grundlegenden Algorithmen auch f¨ ur den Gray-Code etabliert. Wer mehr u ochte, wie man etwa eine im Gray-Code dargestellte ¨ber den Gray-Code wissen m¨ Zahl direkt in eine Dezimalzahl verwandelt und umgekehrt und anderes mehr, der konsultiere L¨ uneburg 1989.

8. Br¨ uche

75 Aufgaben

1. Sind X und Y endliche Mengen, so ist |X ⊕ Y | = |X| + |Y | − 2|X ∩ Y |. (Siehe Aufgabe 1 von Abschnitt 2.) 2. Ist M eine Menge, so ist E(M ) eine Untergruppe von (P (M ), ⊕) und die Menge Eg (M ) der endlichen Teilmengen gerader L¨ ange von M ist eine Untergruppe von E(M ). Der Index von Eg (M ) in E(M ) ist 2. 3. Ist M eine Menge, so ist R = (P (M ), ⊕, ∩) ein Ring. Die Menge K := {M, ∅} ist ein Teilk¨ orper von R, sodass (P (M ), ⊕) ein Vektorraum u ¨ber K ist. Was ist die Dimension dieses Vektorraumes, wenn M endlich ist? 4. Es sei X ∈ E(N0 ) und X = {a1 , . . . , ak } mit a1 < · · · < ak . Dann ist G−1 (X) = − par(k) +

k X

(−1)k−i 2ai +1 .

i:=1

8. Br¨ uche. Fibonacci stellt nicht infrage, dass man Br¨ uche addieren kann. Daf¨ ur, wie man sie addiert, gibt er zwei Verfahren, die er beide an dem Beispiel 13 + 14 erl¨autert (Boncompagni 1857, S. 63 f.). Das eine ist das, das auch ich auf der Schule gelernt habe. Bei diesem Verfahren wird der erste Bruch mit 4 und der zweite mit 3 erweitert, also wie folgt gerechnet: 1 1 4 3 7 + = + = . 3 4 12 12 12 Hier wird also kein Wort dar¨ uber verloren, dass man Br¨ uche addieren kann und dass das Ergebnis der Addition nicht vom Vertreter der Br¨ uche abh¨angt. Beim Subtrahieren sind die Br¨ uche ebenfalls gleichnamig zu machen. Hierauf werden wir in Abschnitt 2 von Kapitel II zur¨ uckkommen. Das andere Verfahren, das er das volkst¨ umliche nennt, verl¨auft folgendermaßen. Er rechnet mit 12 als der Zahl, die durch 3 und durch 4 teilbar ist,   1 1 12 12 + · 12 = + =4+3=7 3 4 3 4 7 und schließt hieraus, dass die Summme gleich 12 ist. Die Idee, die hier dahinter steckt, fand ich im modernen Gewande bei Lambek explizit gemacht (Lambek 1966). Sie ist einmal mathematisch sehr reizvoll und hat zum andern in der didaktischen Diskussion der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts sowie im Schulunterricht eine Rolle gespielt. Die Diskutierenden der damaligen Zeit scheinen Lambeks Buch nicht gekannt zu haben. Es wird jedenfalls nicht zitiert und was ich zu diesem Gegenstand gesehen habe, ist alles nicht so sorgf¨ altig formuliert wie bei Lambek. Die lambekschen Ideen — so sie denn von ihm stammen, was ich nicht weiß — seien hier f¨ ur den Fall N wiedergegeben. Eine nicht-leere Teilmenge I von N heiße Ideal von N, wenn I unter Addition und partieller Subtraktion abgeschlossen ist. Ist I ein Ideal, ist a ∈ I und n ∈ N, so ist auch na ∈ I, wie eine einfache Induktion zeigt. Ist I ein Ideal von N, so ist I = aN, wie man

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

mithilfe der Division mit Rest sofort sieht, und umgekehrt ist aN stets auch ein Ideal von N. Ferner gilt aN ∩ bN = kgV(a, b)N, wobei kgV(a, b) das kleinste gemeinsame Vielfache von a und b bezeichne. Bezeichnet man mit aN + bN das kleinste Ideal von N, welches sowohl aN als auch bN enth¨ alt, so ist aN + bN = ggT(a, b)N. Die Definition von aN + bN ist w¨ ortlich zu nehmen. Diese Menge ist also nicht mit der Menge {au + bv | u, v ∈ N} zu verwechseln! Ist I ein Ideal von N, so bezeichnen wir mit Hom(I, N) die Menge aller Homomorphismen von I in N, d.h. die Menge aller Abbildungen f von I in N mit f (i+j) = f (i)+f (j) f¨ ur alle i, j ∈ I. Ist f ∈ Hom(I, N), so ist f sogar ein Monomorphismus. Es ist ja I = aN mit einem a ∈ I. Ist nun i ∈ I, so gibt es genau ein n ∈ N mit i = an. Es folgt f (i) = f (an) = f (a)n. Hieraus folgt die Behauptung. Man sieht gleichzeitig, dass f ∈ Hom(I, N) durch die beiden Zahlen a und f (a) eindeutig festgelegt wird. Die Zahl a gibt den Definitionsbereich aN und f (a) gibt durch f (an) = f (a)n das Bild von an unter f . Ist andererseits a, m ∈ N, so wird durch f (an) := mn ein f ∈ Hom(aN, N) definiert mit f (a) = m. Der Homomorphismus f wird also letztlich durch den Bruch f (a) a realisiert, ist doch f (a) f (an) = an = f (a)n. a Doch soweit sind wir noch nicht. Satz 1. Es seien I und J Ideale von N. Ist f ∈ Hom(J, N), so ist  f −1 (I) := x | x ∈ J, f (x) ∈ I ein Ideal von N. Beweis. Es sei x ∈ J und y ∈ I. Dann ist xy ∈ J und f (xy) = f (x)y ∈ I, sodass xy ∈ f −1 (I) ist. Folglich ist f −1 (I) nicht leer. Sind x, y ∈ f −1 (I), so sind x, y ∈ J. Es folgt x + y ∈ J und weiter f (x + y) = f (x) + f (y) ∈ I. Also ist x + y ∈ f −1 (I). Ist schließlich x > y, so ist x − y ∈ J. Wegen f (x) = f (y + x − y) = f (y) + f (x − y) ist f (y) < f (x) und f (x − y) = f (x) − f (y) ∈ I. Also ist auch x − y ∈ f −1 (I). Damit ist I als Ideal erkannt. Es sei ∆ die Menge der Ideale von N. Wir setzen [ Φ := Hom(I, N). I∈∆

8. Br¨ uche

77

Die Elemente von Φ nennen wir Br¨ uche u ¨ber N. Den Bruch e ∈ Hom(N, N) definieren wir durch e(n) := n f¨ ur alle n ∈ N. Sind f , g ∈ Φ, so definieren wir f + g und f g wie folgt. Es gibt Ideale I und J mit f ∈ Hom(I, N) und g ∈ Hom(J, N). Dann ist I ∩ J ∈ ∆. Wir setzen (f + g)(x) := f (x) + g(x) f¨ ur alle x ∈ I ∩ J. Dann ist f + g ∈ Hom(I ∩ J, N), sodass f + g ein Bruch ist. Ferner setzen wir (f g)(x) = f (g(x)) f¨ ur alle x ∈ g −1 (I). Dann ist f g ∈ Hom(f −1 (I), N), sodass auch f g ein Bruch ist. Addition und Multiplikation sind assoziativ. Die Addition ist auch kommutativ. Bez¨ uglich der Multiplikation ist e Einselement. Satz 2. Ist f ∈ Hom(I, N) und g ∈ Hom(J, N), so setzen wir f ∼ g genau dann, wenn f (x) = g(x) ist f¨ ur alle x ∈ I ∩ J. Dann ist genau dann f ∼ g, wenn es ein Ideal ¨ K von N gibt mit K ⊆ I ∩ J und f (x) = g(x) f¨ ur alle x ∈ K. Uberdies ist ∼ eine Kongruenzrelation auf (Φ, +, ·, e), d.h. ∼ ist eine mit der Addition, Multiplikation und ¨ der Konstanten e vertr¨ agliche Aquivalenzrelation auf Φ. Beweis. Ist f ∼ g, so tut’s K = I ∩ J. Es sei also K ein Ideal von N, das in I ∩ J enthalten ist. Es sei d ∈ I ∩ J und d0 ∈ K. Dann ist dd0 ∈ K. Es folgt f (d)d0 = f (dd0 ) = g(dd0 ) = g(d)d0 und daher f (d) = g(d). Also ist f ∼ g. Es ist klar, dass ∼ reflexiv und symmetrisch ist. Es seien nun fk ∈ Hom(Ik , N) und es gelte f1 ∼ f2 und f2 ∼ f3 . Dann stimmen f1 und f2 auf I1 ∩ I2 u ¨berein und f2 und f3 auf I2 ∩ I3 . Dann stimmen f1 und f3 auf I1 ∩ I2 ∩ I3 u ¨berein, sodass nach dem bereits Bewiesenen f1 ∼ f3 gilt. Es sei f ∈ Hom(I, N), f 0 ∈ Hom(I 0 , N), g ∈ Hom(J, N) und g 0 ∈ Hom(J 0 , N). Ferner gelte f ∼ f 0 und g ∼ g 0 . Dann stimmen f und f 0 auf I ∩ I 0 u ¨berein und g und g 0 auf J ∩ J 0 . Die Summe f + g ist definiert auf I ∩ J und die Summe f 0 + g 0 auf I 0 ∩ J 0 . Es folgt, dass f + g und f 0 + g 0 auf I ∩ J ∩ I 0 ∩ J 0 u ¨bereinstimmen, sodass f + g ∼ f 0 + g 0 gilt. Es ist f g auf g −1 (I) und f 0 g 0 auf g 0−1 (I 0 ) definiert. Es sei x ∈ g −1 (I) ∩ g 0−1 (I 0 ). Dann ist g(x) ∈ I und g 0 (x) ∈ I 0 . Ferner ist x ∈ J ∩ J 0 . Also ist g(x) = g 0 (x) und daher f (g(x)) = f 0 (g 0 (x)). Somit ist f g ∼ f 0 g 0 . Mit g 0 = e und f = f 0 folgt f g ∼ f e, d.h. f g ∼ f und entsprechend gf ∼ f . Damit ist alles bewiesen. Satz 3. Es sei Φ die Menge der Br¨ uche u ¨ber N und ∼ sei die in Satz 2 definierte Kongruenzrelation auf (Φ, +, ·, e). Ist dann Q(N) := Φ/∼ und bezeichnen wir mit + und · auch die von den entsprechenden Operationen auf Φ induzierten Operationen auf ¨ Q(N) und ist schließlich E die Aquivalenzklasse von e, so gelten f¨ ur (Q(N), +, ·, E) die folgenden Aussagen: a) (Q(N), ·, E) ist eine abelsche Gruppe.

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I. Die nat¨ urlichen Zahlen

b) Die Addition ist assoziativ und kommutativ. Ferner gilt: Sind A, B ∈ Q(N) und ist A 6= B, so gibt es ein C ∈ Q(N) mit A + C = B oder es gibt ein D ∈ Q(N) mit B + D = A. Diese beiden Gleichungen sind nicht gleichzeitig erf¨ ullbar. C bzw. D sind u ¨berdies einzig. c) Es gelten beide Distributivgesetze. d) F¨ ur n ∈ N sei fn der durch fn (x) := nx definierte Homomorphismus von N ¨ von fn unter der Relation ∼, so ist σ ein in sich. Ist dann σ(n) die Aquivalenzklasse Monomorphismus von N in Q(N). Beweis. Bei der Definition der Addition und Multiplikation von Br¨ uchen vor Satz 2 haben wir schon bemerkt, dass diese beiden Verkn¨ upfungen assoziativ sind und dass die Addition auch kommutativ ist. Weil ∼ eine Kongruenzrelation ist, sind daher auch die auf Q(N) definierten entsprechenden Verkn¨ upfungen assoziativ und die Addition u ¨berdies kommutativ. a) Es sei f ∈ Hom(I, N). Es gibt ein a ∈ I mit I = aN. Setze b := f (a) und J := bN. Wir definieren g ∈ Hom(J, N) durch g(bn) := an. Dann ist f g(abn) = f g(ban) = f (aan) = ban = abn = e(abn). Also ist f g ∼ e. Ebenso folgt gf ∼ e. Folglich hat jedes Element in (Q(N), ·, E) ein Inverses, sodass Q(N) bez¨ uglich der Multiplikation eine Gruppe ist. Es sei f ∈ Hom(I, N) und g ∈ Hom(J, N). Es gibt a ∈ I und b ∈ J mit I = aN und J = bN. Es folgt  f g(abn) = f g(ban) = f g(b)an  = f ag(b)n = f (a)g(b)n  = g(b)f (a)n = g bf (a)n  = g f (a)bn = gf (abn). Hieraus folgt f g ∼ gf , sodass die Gruppe Q(N) abelsch ist. b) Es sei f ∈ A und g ∈ B. Es gibt a, b ∈ N mit f ∈ Hom(aN, N) und g ∈ Hom(bN, N). Ist f 0 die Einschr¨ ankung von f auf abN, so ist f 0 (abn) = f (a)bn. Entsprechend gilt f¨ ur die Einschr¨ ankung g 0 von g auf abN, dass g 0 (abn) = ag(b)n ist. Es ist f 0 ∼ f und g 0 ∼ g. Weil A und B verschieden sind, sind f 0 und g 0 verschieden. Daher ist f (a)b 6= ag(b). Wir d¨ urfen annehmen, dass f (a)b < ag(b) ist. Wir setzen c := ag(b) − f (a)b und definieren h ∈ Hom(abN, N) durch h(abn) := cn. Dann ist (f 0 + h)(abn) = f 0 (abn) + h(abn) = f (a)bn + cn = ag(b)n = g 0 (abn). ¨ Es folgt f 0 + h ∼ g 0 und damit A + C = B, wenn C die Aquivalenzklasse von h ist. Die restlichen Aussagen von b) sind ebenso einfach zu beweisen. ¨ c) Es seien A, B, C ∈ Q(N). Es seien ferner f ∈ A, g ∈ B und h ∈ C. Ubergang zu aquivalenten Homomorphismen zeigt, dass wir annehmen d¨ urfen, dass f , g und h auf ¨

8. Br¨ uche

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dem gleichen Ideal I = aN leben. Dann ist   f (g + h) (a2 n) = f g(a2 n) + h(a2 n)   = f g(a)an + f h(a)an = f (a)g(a)n + f (a)h(a)n = (f g)(a2 n) + (f h)(a2 n) = (f g + f h)(a2 n). Also ist f (g + h) ∼ f g + f h, sodass zumindest eines der Distributivgesetze gilt. Die G¨ ultigkeit des anderen folgt aus der Kommutativit¨at der Multiplikation. d) Es seien m, n ∈ N. Dann ist (fm + fn )(v) = fm (v) + fn (v) = mv + nv = (m + n)v = fm+n (v) und folglich fm + fn = fm+n . Hieraus folgt σ(m + n) = σ(m) + σ(n). Ferner ist  (fm fn )(v) = fm fn (v) = m(nv) = (mn)v = fmn (v) und daher fm fn = fmn . Also gilt auch σ(mn) = σ(m)σ(n). Es sei schließlich σ(m) = σ(n). Es gibt dann ein Ideal I von N, sodass mi = fm (i) = fn (i) = ni gilt f¨ ur alle i ∈ I. Hieraus folgt m = n und damit die Injektivit¨ at von σ. Damit ist alles bewiesen. Nimmt man statt N einen Integrit¨ atsbereich R mit Eins und statt der in N definierten Ideale die von {0} verschiedenen Ideale von R, so erh¨alt man auf die gleiche Weise den Quotientenk¨ orper von R. Nimmt man f¨ ur R einen beliebigen kommutativen Ring mit 1 und statt aller Ideale nur diejenigen Ideale, deren Annihilatorideal null ist, so erh¨ alt man immer noch einen Ring, den vollen Quotientenring von R. F¨ ur Einzelheiten sei der Leser auf Lambek 1966 verwiesen. Aufgaben ¨ 1. Es sei ∼ wieder die auf der Menge der Br¨ uche definierte Aquivalenzrelation. Ist dann f ∈ Hom(aN, N) und g ∈ Hom(bN, N), so ist genau dann f ∼ g, wenn f (a)b = g(b)a ist. 2. Es seien A, B ∈ Q(N). Wir setzen A ≤ B genau dann, wenn A = B ist oder es ein C ∈ Q(N) gibt mit A + C = B. Zeigen Sie, dass ≤ eine Anordnung von Q(N) ist, die mit der Addition und der Multiplikation vertr¨ aglich ist. 3. Es seien I und J Ideale von N. Ferner gelte I = aN und J = bN. Ist dann f ∈ Hom(J, N), so ist ab  N. f −1 (I) = ggT a, f (b)

II. Gr¨oßenbereiche Zahlen waren den Griechen Haufen, arithmoi, wie wir gesehen haben, und daran hielten sie sich. Dennoch waren sie in der Lage, etwa Geometrie zu betreiben. Sie mussten also andere Werkzeuge haben, wo wir uns der reellen Zahlen bedienen. Sie fanden sie in den Gr¨ oßenbereichen und der zwischen Gr¨ oßen definierten Gleichheit von Proportionen. Dabei sagten sie nirgendwo, was eine Gr¨oße denn sei, und auch Gr¨oßenbereiche wurden nicht definiert. Man muss also, was nicht schwer ist, aus dem Zusammenhang erschließen, was sie gemeint haben k¨ onnten. Tut man dies, so ersteht vor den Augen des Betrachters ein St¨ uck Mathematik, sch¨ on und frisch wie am ersten Tag. Welch andere Wissenschaft denn die Mathematik kann sich r¨ uhmen, dass ihre Ergebnisse auch nach mehr als zweitausend Jahren noch g¨ ultig sind? Dieses St¨ uck Mathematik soll hier nun entwickelt und weitergef¨ uhrt werden, um dann am Ende in den dedekindschen Schnitten in der Menge der positiven rationalen Zahlen einen universellen Gr¨oßenbereich zu finden, der alle Gr¨ oßenbereiche in sich birgt. Die M¨anner, die hier neben Euklid und Eudoxos zu nennen sind, sind Rodolfo Bettazzi und einmal mehr Richard Dedekind. 1. Die Proportionenlehre des Eudoxos. In diesem Abschnitt tragen wir die Proportionenlehre des Eudoxos in moderner Fassung vor, wie sie uns in Buch V der Elemente des Euklid u oßen gleicher Art, wie etwa Strecken, lassen sich ¨berliefert ist. Gr¨ der Gr¨ oße nach vergleichen, addieren und die kleinere von der gr¨oßeren subtrahieren. Bei Gewichten kann man das auch, wobei das Subtrahieren dadurch geschieht, dass man die Gewichte auf verschiedene Waagschalen legt. Hierauf beruht die L¨osung des bachetschen W¨ ageproblems, die schon Fibonacci und Tartaglia bekannt war. Bei diesem Problem geht es um die Frage, welches Gewicht vier Gewichte haben m¨ ussen, um alle ganzzahligen Gewichte von 1 bis 40 zu wiegen. Die Antwort lautet 1, 3, 9, 27, d.h. 1, 3, 32 , 33 . Nehme man noch 81 hinzu, so Fibonacci, so k¨onne man alles bis 121 wiegen und so ginge es fort in infinitum (Boncompagni 1857, S. 297. Tartaglia 1556, Fol. 14recto . Bachet 1624, S. 215–219, und wohl auch schon in der ersten Auflage. Siehe auch L¨ uneburg 1993a, S. 203 ff.). Gr¨ oßenbereiche gilt es nun zu axiomatisieren. Es sei P eine Menge und ≤ sei eine bin¨ are Relation auf P . Ist ≤ reflexiv , antisymmetrisch und transitiv , d.h. gilt a) Es ist a ≤ a f¨ ur alle a ∈ P , b) Sind a, b ∈ P , ist a ≤ b und b ≤ a, so ist a = b, c) Sind a, b, c ∈ P , ist a ≤ b und b ≤ c, so ist a ≤ c,

1. Die Proportionenlehre des Eudoxos

81

so heißt ≤ Anordnung oder auch Ordnung von P . Ist ≤ eine Anordnung von P , so heißt ≤ linear , falls zwei Elemente von P stets vergleichbar sind, wenn also aus a, b ∈ P stets a ≤ b oder b ≤ a folgt. Wir werden auch die Zeichen und ≥ benutzen, deren Interpretation dem Leser wohl keine Schwierigkeiten machen wird. Ist P eine nicht-leere Menge mit einer auf ihr definierten bin¨aren Operation +, Addition genannt, die assoziativ und kommutativ ist, f¨ ur die also a + (b + c) = (a + b) + c und a + b = b + a f¨ ur alle a, b, c ∈ P gilt, so definieren wir f¨ ur n ∈ N und a ∈ P das Element na ∈ P rekursiv durch 1a := a und (n + 1)a := na + a. Es gilt dann n(a + b) = na + nb und (m + n)a = ma + na, sowie (mn)a = m(na). Dies beweist sich genauso wie die Aussagen b), c) und d) von Satz 12 des Abschnitts 1 von Kapitel I. Dieses Vervielfachen von Elementen von P ben¨ otigen wir zur Definition der Gr¨oßenbereiche. Ein Gr¨ oßenbereich ist eine nicht-leere Menge P versehen mit einer bin¨aren Operation + und einer linearen Anordnung ≤, sodass gilt: a) Die Addition + ist assoziativ und kommutativ . b) Es ist a < a + b f¨ ur alle a, b ∈ P . c) Sind a, b ∈ P und ist b < a, so gibt es genau ein c ∈ P mit a = b + c. Dieses Element c bezeichnen wir auch mit a − b. d) Sind a, b ∈ P , so gibt es ein n ∈ N mit na > b. Aufgrund der Eigenschaft d) nennt man die Anordnung archimedisch. Diese Eigenschaft spielte n¨ amlich bei Untersuchungen Archimedes’ eine Rolle. Eudoxos jedoch, der schon lange tot war, als Archimedes geboren wurde, hat diese Eigenschaft ebenfalls schon postuliert. Anordnungen mit der Eigenschaft d) archimedisch zu nennen verf¨ alscht also den historischen Tatbestand. Wir belassen es aber dabei, da wir den Namen eudoxisch f¨ ur andere Gr¨ oßenbereiche reservieren wollen. Wegen b) ist (n + 1)b = nb + b > nb, sodass nb = mb die Gleichheit von m und n nach sich zieht. Hat der Gr¨ oßenbereich auch noch die Eigenschaft e) Ist a ∈ P und n ∈ N, so gibt es ein b ∈ P mit a = nb, so heißt P dividierbar . F¨ ur die partielle Subtraktion a − b, die ja nur f¨ ur b < a definiert ist, sind einige Rechenregeln herzuleiten. Wie das geschieht, sei hier an folgendem Beispiel vorgef¨ uhrt. F¨ ur die restlichen Rechenregeln sei auf die Aufgaben 2 und 3 verwiesen. Ist a > b und ist m ∈ N, so ist ma > mb und es gilt m(a − b) = ma − mb. Es ist ja a = (a − b) + b. Hieraus folgt, wie oben bemerkt, ma = m(a − b) + mb. Aufgrund der Definition der partiellen Subtraktion ist andererseits ma = (ma − mb) + mb. Mit c) folgt hieraus die Behauptung.

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II. Gr¨oßenbereiche

N mit der u ¨blichen Anordnung und Addition ist ein Gr¨oßenbereich, der nicht dividierbar ist. Es ist dies der einzige Gr¨ oßenbereich, den wir bislang kennen. Und nun Eudoxos’ ber¨ uhmte Definition der Verh¨ altnisgleichheit. Es seien P und Q Gr¨ oßenbereiche. Die Addition in P und die Addition in Q werden jeweils mit + bezeichnet. Ebenso benutzen wir in beiden Gr¨oßenbereichen das gleiche Symbol ≤ f¨ ur die Anordnung. Sind a, b ∈ P und c, d ∈ Q, so stehen a und b im gleichen Verh¨ altnis wie c und d, wenn f¨ ur alle m, n ∈ N gilt: 1) Ist ma < nb, so ist mc < nd. 2) Ist ma = nb, so ist mc = nd. 3) Ist ma > nb, so ist mc > nd. Stehen a und b im gleichen Verh¨ altnis wie c und d, so schreiben wir daf¨ ur a : b = c : d. Das griechische Wort f¨ ur Verh¨ altnis ist logos“ und f¨ ur im gleichen Verh¨altnis ” ” stehen“ benutzten die Griechen das Wort analogon“. Hier kommen unsere W¨orter ” analog“ und Analogie“ her. Dies ist ein seltener, wenn nicht einmaliger Vorgang, dass ” ” ein Terminus technicus der Mathematik in die Umgangssprache Eingang gefunden hat. Jahrhundertelang haben Mathematiker sich daran gestoßen, dass Eudoxos nicht sagt, was ein Verh¨ altnis sei, und auch daran, dass bei der Definition u urlichen ¨ber alle nat¨ Zahlen quantifiziert wird. Als Zeuge sei Borelli zitiert (Borelli 1679, S. 5 ff.). Es wurde immer wieder versucht, die eudoxische Definition anders zu fassen, doch es ist niemandem gelungen, eine bessere Definition zu finden. Eudoxos sagt nicht, was unter einem Verh¨ altnis zu verstehen ist, er sagt nur, wann zwei Paare von Gr¨oßen im gleichen Verh¨ altnis stehen. Dazu braucht man nicht zu wissen, was ein Verh¨altnis ist. Nach heutigem Verst¨ andnis ist Eudoxos’ Definition vollkommen, sodass es nicht verwundert, dass niemand eine bessere fand. Die Verh¨ altnisgleichheit ist eine bin¨are Relation auf der Menge der Paare (A, B), wobei A ∈ P × P und B ∈ Q × Q ist. Man kann die Verh¨ altnisgleichheit auch als quatern¨ are Relation auf P × P × Q × Q auffassen. Es ist wichtig, dass man bei der Definition der Verh¨altnisgleichheit verschiedene Gr¨ oßenbereiche zul¨ aßt. Das sieht man zum Beispiel beim Beweise der ber¨ uhmten Proposition X.115a: Man zeige, dass in jedem Quadrat die Seite zur Diagonale linear inkommensurabel ist. W¨ are dies n¨ amlich nicht der Fall, so g¨abe es ein gemeinsames Maß von s und d, etwa g. Weil g ein gemeinsames Maß ist, g¨abe es nat¨ urliche Zahlen m und n mit s = mg und d = ng. Es folgte, dass die Quadrate Q(s) und Q(d) u ¨ber s und d sich wie m2 zu n2 verhielten (das muss man nat¨ urlich beweisen), d.h. dass Q(s) : Q(d) = m2 : n2 w¨ are. Hier also h¨ atte man zwei verschiedene Gr¨oßenbereiche in Betracht zu ziehen. Mit dem Satz von Pythagoras folgt andererseits, dass Q(s) : Q(d) = 1 : 2 ist. Auch hier sind wieder zwei Gr¨ oßenbereiche betroffen. Hieraus folgte dann m2 : n2 = 1 : 2. Wie geht es dann weiter? Nun, mit dem n¨ achsten Satz. Es ist ja (N, +, ≤) ein Gr¨oßenbereich und der n¨ achste Satz zeigt, wie man entscheiden kann, ob f¨ ur nat¨ urliche Zahlen a, b, c, d gilt, dass a : b = c : d ist. Satz 1. Es seien a, b, c, d ∈ N. Genau dann gilt a : b = c : d, wenn ad = bc ist. Beweis. Es sei a : b = c : d. W¨ are ad 6= bc, so w¨are ad > bc oder ad < bc. W¨are ad > bc, so g¨ alte wegen a : b = c : d auch die Ungleichung cd > dc. Dies ist aber unm¨ oglich, da ja dc = cd ist. W¨ are ad < bc, so folgte cd < dc, was ebenfalls unm¨oglich ist. Also ist doch ad = bc.

1. Die Proportionenlehre des Eudoxos

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Es sei ad = bc. Ferner sei ma > nb. Es folgt mbc = mad > nbd und damit mc > nd. Ist ma = nb, so folgt mbc = mad = nbd und weiter mc = nd. Schließlich folgt mit ma < nb, dass mbc = mad < nbd und damit, dass mc < nd ist. Also ist a : b = c : d. Euklid definiert die Verh¨ altnisgleichheit f¨ ur Paare von Paaren nat¨ urlicher Zahlen auf andere Weise als f¨ ur allgemeine Gr¨ oßenbereiche. Auf Einzelheiten m¨ochte ich jedoch nicht eingehen. Gesagt sei nur, dass Satz 1 auch f¨ ur die andere Definition gilt, wie bei Euklid nachzulesen ist. Damit ist der Zusammenhang zwischen den beiden verschiedenen Definitionen hergestellt, worauf Euklid jedoch nicht verweist. Wir sammeln nun Eigenschaften der Verh¨ altnisgleichheit. Satz 2. Es seien P , Q und R Gr¨ oßenbereiche. Dann gilt: a) Es ist a : b = a : b f¨ ur alle a, b ∈ P . b) Sind a, b ∈ P und c, d ∈ Q und ist a : b = c : d, so ist c : d = a : b. c) Sind a, b ∈ P , c, d ∈ Q und e, f ∈ R und ist a : b = c : d und c : d = e : f , so ist a : b = e : f. Beweis. a) ist banal. b) Es sei a : b = c : d. Ferner seien m, n ∈ N. Ist mc > nd, so kann nicht ma ≤ nb sein, da wegen a : b = c : d sonst mc ≤ nd w¨ are. Also ist ma > nb, da ≤ ja linear ist, zwei Elemente also stets vergleichbar sind. Ist mc = nd, so kann wegen a : b = c : d und der Linearit¨at von ≤ nicht ma 6= nb sein. Ist schließlich mc < nd, so folgt entsprechend ma < nb. Folglich ist c : d = a : b. c) Es sei a : b = c : d und c : d = e : f . Ferner seien m, n ∈ N. Ist ma > nb, so ist mc > nd und folglich me > nf , usw. Also ist a : b = e : f . Damit ist alles bewiesen. Setzt man P = Q = R in Satz 2, so besagt dieser Satz, dass die Verh¨altnisgleichheit ¨ auf P × P eine Aquivalenzrelation definiert. Satz 3. Es seien P und Q Gr¨ oßenbereiche. Sind a, b ∈ P und c, d ∈ Q und gilt a : b = c : d, so gilt auch b : a = d : c. Beweis. Es seien m, n ∈ N. Gilt mb > na, so ist na < mb und folglich nc < md, d.h. md > nc, usw. Satz 4. Es seien P und Q Gr¨ oßenbereiche. Ferner seien a, b ∈ P und c, d ∈ Q sowie k, l ∈ N. Ist a : b = c : d, so ist auch ka : lb = kc : ld. Beweis. Es sei a : b = c : d. Ferner seien m, n ∈ N. Es gelte m(ka) > n(lb). Dann ist (mk)a = m(ka) > n(lb) = (nl)b

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II. Gr¨oßenbereiche

und folglich m(kc) = (mk)c > (nl)d = n(ld). Ist m(ka) = n(lb), so folgt (mk)a = m(ka) = n(lb) = (nl)b und daher m(kc) = (mk)c = (nl)d = n(ld). Ist m(ka) < n(lb), so folgt (mk)a = m(ka) < n(lb) = (nl)b und damit m(kc) = (mk)c < (nl)d = n(ld). Also ist ka : lb = kc : ld. Satz 5. Es seien P und Q Gr¨ oßenbereiche. Ferner seien a1 , . . . , at , b1 , . . . , bt ∈ P und α, β ∈ Q. Gilt α : β = ai : bi f¨ ur alle i := 1, . . . , t, so ist α:β=

t X

ai :

i:=1

t X

bi .

i:=1

Beweis. Es seien m, n ∈ N. Ist mα > nβ, so ist mai > nbi f¨ ur alle i. Es folgt m

t X

ai =

i:=1

t X

mai >

i:=1

t X

nbi = n

i:=1

t X

bi .

i:=1

Ebenso folgt aus mα = nβ, dass m

t X

ai = n

i:=1

t X

bi

i:=1

ist, und aus mα < nβ folgt die Ungleichung m

t X i:=1

ai < n

t X

bi .

i:=1

Damit ist Satz 5 bewiesen. Korollar. Ist P ein Gr¨ oßenbereich und sind a, b ∈ P , so ist a : b = ka : kb f¨ ur alle k ∈ N. Beweis. Dies folgt mit t = k und ai = a = α, bzw. bi = b = β f¨ ur i := 1, . . . , k aus Satz 5. Es seien P und Q Gr¨ oßenbereiche. Ferner seien a, b ∈ P und c, d ∈ Q. Per definitionem sei a : b > c : d genau dann, wenn es m, n ∈ N gibt mit ma > nb und mc ≤ nd.

1. Die Proportionenlehre des Eudoxos

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Diese Relation ist wohldefiniert. Um dies einzusehen, sei a : b > c : d und a0 : b0 = a : b sowie c : d = c0 : d0 . Es gibt dann m, n ∈ N mit ma > nb und mc ≤ nd. Wegen a : b = a0 : b0 ist ma0 > nb0 und wegen c : d = c0 : d0 ist mc0 ≤ nd0 . Also ist a0 : b0 > c0 : d0 . Die Definition der Relation > ist unsymmetrisch. Diese Unsymmetrie wird behoben durch den folgenden Satz. Satz 6. Es seien P und Q Gr¨ oßenbereiche. Ferner seien a, b ∈ P und c, d ∈ Q. Sind m, n ∈ N, gilt ma = nb und mc < nd, so ist a : b > c : d. Beweis. Wegen mc < nd ist nd − mc definiert. Es gibt daher eine Zahl k ∈ N mit k(nd − mc) > c. Es folgt knd > (km + 1)c, d.h. (km + 1)c < knd. Trivialerweise gilt (km + 1)a = kma + a > kma = knb. Also ist in der Tat a : b > c : d. Wir haben mehr bewiesen, als im Satz formuliert wurde, n¨amlich Korollar. Sind P und Q Gr¨ oßenbereiche, sind a, b ∈ P und c, d ∈ Q, sind ferner m, n ∈ N und gilt ma = nb und mc < nd, so gibt es ein k ∈ N mit (km + 1)a > knb und (km + 1)c < knd. Als n¨ achstes beweisen wir Satz 7. Es seien P , Q und R Gr¨ oßenbereiche. Dann gilt: a) Sind a, b ∈ P und c, d ∈ Q, so gilt genau eine der Relationen a : b > c : d, a : b = c : d oder c : d > a : b. b) Sind a, b ∈ P , c, d ∈ Q und e, f ∈ R und gilt a : b > c : d und c : d > e : f , so ist a : b > e : f. Beweis. Wir beweisen zun¨ achst b). Es gibt m, n, x, y ∈ N mit ma > nb und mc ≤ nd sowie xc > yd und xe ≤ yf . Es folgt (nx)d = x(nd) ≥ x(mc) = m(xc) > m(yd) = (my)d. Dies hat nx > my zur Folge. Es folgt weiter mxa > nxb > myb und damit xa > yb. Andererseits ist xe ≤ yf und folglich a : b > e : f . a) Es ist klar, dass nicht gleichzeitig a : b > c : d und a : b = c : d, bzw. c : d > a : b und a : b = c : d gelten k¨ onnen. Es sei a : b > c : d und c : d > a : b. Nach b) ist dann a : b > a : b, was nicht der Fall ist. Also gilt h¨ ochstens eine der drei Aussagen. Es gelte nicht a : b ≥ c : d. Weil dann insbesondere nicht a : b > c : d ist, folgt aus ma > nb stets mc > nd. Gibt es m, n ∈ N mit ma ≤ nb und mc > nd, so ist c : d > a : b. Wir d¨ urfen daher annehmen, dass aus ma ≤ nb stets mc ≤ nd folgt. Wegen a : b 6= c : d ist wenigstens eine der Bedingungen 1. ma > nb impliziert mc > nd, 2. ma = nb impliziert mc = nd, 3. ma < nb impliziert mc < nd

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II. Gr¨oßenbereiche

verletzt. Die erste Bedingung gilt aber, wie wir gesehen haben, sodass die zweite oder dritte Bedingung verletzt ist. W¨ are die zweite verletzt, so g¨abe es m, n ∈ N mit ma = nb und mc 6= nd. Wegen mc ≤ nd w¨ are mc < nd, woraus mit Satz 6 der Widerspruch a : b > c : d folgte. Also ist die dritte Bedingung verletzt. Es gibt folglich m, n ∈ N mit ma < nb und mc ≥ nd. Nun ist aber mc ≤ nd und folglich mc = nd. Mittels Satz 6 folgt hieraus c : d > a : b. Damit ist alles bewiesen. Satz 8. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich. Sind a, b, d ∈ P , so sind ¨ aquivalent: a) Es ist a > b. b) Es ist a : d > b : d. c) Es ist d : b > d : a. Beweis. Es sei a > b. Es gibt dann ein c ∈ P mit a = b + c. Es gibt ferner ein k ∈ N mit kb > d und kc > d. Wegen 1d = d < kb gibt es ein n ∈ N mit nd ≤ kb < (n + 1)d. Es folgt (n + 1)d = nd + d ≤ kb + d < kb + kc = ka. Wegen ka > (n + 1)d und kb < (n + 1)d ist also a : d > b : d und auch d : b > d : a. Aus a) folgen also b) und c). Es gelte b). Dann ist a 6= b. W¨ are b > a, so folgte b : d > a : d und daher b : d > b : d, was Satz 7 widerspr¨ ache. Also ist a < b. Ebenso zeigt man, dass a) aus c) folgt. Korollar. Sind a, b, d Elemente des Gr¨ oßenbereiches P , so ist a = b, falls a : d = b : d oder d : a = d : b ist. Dies folgt aus Satz 8, wenn man nur beachtet, dass zwei Gr¨oßen eines Gr¨oßenbereiches stets vergleichbar sind. Satz 9. Es seien a, b, c, d Elemente des Gr¨ oßenbereiches P . Ferner sei a : b = c : d. Ist a > c, so ist b > d. Ist a = c, so ist b = d. Ist a < c, so ist b < d. Beweis. Es sei a > c. Nach Satz 8 ist dann a : b > c : b. Nun ist a : b = c : d. Also ist c : d > c : b. Nach Satz 8 ist daher b > d. Ist a = c, so ist a : d = a : b. Mit dem Korollar zu Satz 8 folgt d = b. Ist schließlich a < c, so folgt mit Satz 8 die Ungleichung a : b < c : b, d.h. c : d < c : b und weiter b < d. Satz 10. Es seien a, b, c, d Gr¨ oßen des Gr¨ oßenbereiches P . Ist a : b = c : d, so ist auch a : c = b : d. Beweis. Es seien m, n ∈ N. Dann ist nach Fr¨ uherem ma : mb = a : b = c : d = nc : nd. Mit Satz 9 folgt 1. Ist ma > nc, so ist mb > nd.

1. Die Proportionenlehre des Eudoxos

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2. Ist ma = nc, so ist mb = nd. 3. Ist ma < nc, so ist mb < nd. Also ist a : c = b : d. Der n¨ achste Satz imitiert das Hinzuf¨ ugen von eins auf beiden Seiten einer Verh¨altnisgleichheit. Satz 11. Es seien P und Q Gr¨ oßenbereiche. Ferner seien a, b ∈ P und c, d ∈ Q. Genau dann gilt (a + b) : b = (c + d) : d, wenn a : b = c : d gilt. Beweis. Es gelte (a + b) : b = (c + d) : d. Es seien m, n ∈ N. Ist ma > nb, so folgt m(a + b) = ma + mb > nb + mb = (n + m)b. Wegen (a + b) : b = (c + d) : d folgt weiter mc + md = m(c + d) > (n + m)d = nd + md und daher mc > nd. Ebenso zeigt man, dass aus ma = nb die Gleichung mc = nd und aus ma < nb die Ungleichung mc < nd folgt. Also ist a : b = c : d. Es gelte umgekehrt a : b = c : d. Angenommen es w¨are (a + b) : b 6= (c + d) : d. Dann d¨ urfen wir o.B.d.A. annehmen, dass (a + b) : b < (c + d) : d w¨are. Es g¨abe dann m, n ∈ N mit m(a + b) ≤ nb und m(c + d) > nd. Es folgte ma + mb ≤ nb und damit mb < nb. Hieraus folgte n − m ∈ N und ma ≤ (n − m)b. Wegen a : b = c : d folgte mc ≤ (n − m)d. Dies erg¨abe den Widerspruch m(c + d) = mc + md ≤ (n − m)d + md = nd < m(c + d). Satz 12. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich. Ferner seien a, b, c, d ∈ P . Ist (a + b) : (c + d) = a : c, so ist auch (a + b) : (c + d) = b : d. Beweis. Nach Satz 10 gilt (a + b) : a = (c + d) : c. Mit Satz 11 folgt b : a = d : c. Mit Satz 10 folgt a : c = b : d. Hieraus folgt die Behauptung. Korollar. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich. Ferner seien a, b, c, d ∈ P . Ist (a + b) : b = (c + d) : d, so ist auch (a + b) : a = (c + d) : c. Beweis. Nach Satz 10 gilt (a + b) : (c + d) = b : d. Mit Satz 12 folgt (a + b) : (c + d) = a : c und mit Satz 10 dann wieder (a + b) : a = (c + d) : c. Satz 13. Es seien P und Q Gr¨ oßenbereiche. Ferner seien a, b, c ∈ P und d, e, f ∈ Q. Ist dann a : b = d : e und b : c = e : f , so gilt: α) Ist a > c, so ist d > f . β) Ist a = c, so ist d = f . γ) Ist a < c, so ist d < f . Beweis. α) Es sei a > c. Nach Satz 8 ist dann a : b > c : b. Nun ist b : c = e : f und daher c : b = f : e. Also ist d : e = a : b > c : b = f : e. Mit Satz 8 folgt hieraus d > f .

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II. Gr¨oßenbereiche

β) Ist a = c, so ist a : b = c : b und daher d : e = f : e. Mittels des Korollares zu Satz 8 folgt hieraus d = f . γ) Ist a < c, so folgt mit Satz 8, dass a : b < c : b ist. Dann folgt wieder d : e < f : e und folglich d < f . Beim n¨ achsten Satz sind die Rollen von d : e und e : f gegen¨ uber Satz 13 vertauscht. Satz 14. Es seien P und Q Gr¨ oßenbereiche. Ferner seien a, b, c ∈ P und d, e, f ∈ Q. Ist a : b = e : f und b : c = d : e, so gilt: α) Ist a > c, so ist d > f . β) Ist a = c, so ist d = f . γ) Ist a < c, so ist d < f . Beweis. Es sei a > c. Dann ist a : b > c : b. Wegen b : c = d : e ist c : b = e : d und damit d > f . Die andern beiden Aussagen beweisen sich analog. Satz 15. P und Q seien Gr¨ oßenbereiche. Ferner seien a1 , . . . , at ∈ P und b1 , . . . , bt ∈ Q. Ist dann ai : ai+1 = bi : bi+1 f¨ ur i := 1, . . . , t − 1, so ist a1 : at = b1 : bt . Beweis. Dies ist richtig f¨ ur t = 2. Es sei t > 2 und der Satz gelte f¨ ur t − 1. Dann ist also a1 : at−1 = b1 : bt−1 . Ferner ist at−1 : at = bt−1 : bt . Setze a := a1 , b := at−1 , c := at und d := b1 , e := bt−1 , f := bt . Dann ist also a : b = d : e und b : c = e : f . Es ist zu zeigen, dass a : c = d : f ist. Es seien m, n ∈ N. Nach Satz 13 ist dann ma : nb = md : ne. Nach dem Korollar zu Satz 5 ist ferner nb : nc = b : c = e : f = ne : nf . Nach Satz 13 gilt daher α) Ist ma > nc, so ist md > nf . β) Ist ma = nc, so ist md = nf . γ) Ist ma < nc, so ist md < nf . Also ist a : c = d : f . Satz 16. Es seien P und Q Gr¨ oßenbereiche. Ferner seien a, b, c ∈ P und d, e, f ∈ Q. Ist dann a : b = e : f und b : c = d : e, so ist a : c = d : f . Beweis. Es seien m, n ∈ N. Dann ist ma : mb = ne : nf und mb : nc = md : ne. Mit Satz 14 folgt: α) Ist ma > nc, so ist md > nf . β) Ist ma = nc, so ist md = nf . γ) Ist ma < nc, so ist md < nf . Also ist a : c = d : f . Satz 17. Es seien P und Q Gr¨ oßenbereiche. Ferner seien a, b, c ∈ P und u, v, w ∈ Q. Ist a : c = u : w und b : c = v : w, so ist (a + b) : c = (u + v) : w. Beweis. Es ist b : c = v : w und daher c : b = w : v. Ferner ist a : c = u : w. Nach Satz 15 ist daher a : b = u : v. Mit Satz 11 folgt (a + b) : b = (u + v) : v.

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Wegen b : c = v : w folgt mit Satz 15 schließlich (a + b) : c = (u + v) : w. Der letzte Satz dieses Abschnitts wird uns sp¨ater noch gute Dienste leisten. Bei Euklid steht er, ohne noch einmal benutzt zu werden. Satz 18. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich und a, b, c, d seien Elemente von P . Ferner sei a 6= b, c. Ist a : b = c : d, so ist die Summe aus Maximum und Minimum der Elemente a, b, c, d gr¨ oßer als die Summe aus den beiden anderen Elementen. Beweis. Wegen c : d = a : b d¨ urfen wir annehmen, dass a oder b das gr¨oßte der vier Elemente ist. Wegen b : a = d : c d¨ urfen wir dann auch noch annehmen, dass a das gr¨ oßte Element ist. Wegen a 6= b, c ist dann a > b und a > c. Ferner folgt mit Satz 9 aus a : b = c : d und 1 · a = a > b = 1 · b, dass c = 1 · c > 1 · d = d ist. Also ist d das kleinste Element. Es ist folglich zu zeigen, dass a+d>b+c ist. Wegen a > c gibt es ein u mit a = c + u und wegen b > d gibt es ein v mit b = d + v. Es ist daher (c + u) : (d + v) = a : b = c : d. Nach Satz 12 ist somit a : b = (c + u) : (d + v) = u : v. Wegen a > b ist dann u > v. Also ist a + d = u + c + d > v + c + d = b + c. Damit ist der Satz bewiesen. Wohldefiniertheitsfragen werden in Buch V der Elemente nicht diskutiert und Satz 1 findet sich erst in Buch VII. Alles was ich sonst hier vorgetragen habe, findet sich aber in Buch V. Es ist ein Juwel und wie gut es auch in heutige Mathematik passt, werden wir schon bald sehen. Aufgaben 1. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich. Ferner sei a ∈ P . Sind m, n ∈ N, so gilt genau dann ma < na, wenn m < n ist. Insbesondere gilt ma = na genau dann, wenn m = n ist. 2. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich und es sei a ∈ P . Sind m, n ∈ N und ist n < m, so sind ma − na und (m − n)a definiert und es gilt ma − na = (m − n)a. 3. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich und es seien a, b, c ∈ P . Ist c < b und b − c < a, so ist b < a + c und es gilt a − (b − c) = (a + c) − b.

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II. Gr¨oßenbereiche

4. Es seien P und Q Gr¨ oßenbereiche. Ferner seien a, b ∈ P und c, d ∈ Q sowie m, n ∈ N. Ist dann ma = nb und mc < nd, so gibt es ein k ∈ N mit (km + 1)a > knb (km + 1)c < knd. (Die erste Ungleichung gilt nat¨ urlich f¨ ur alle k ∈ N. Um die zweite zu beweisen, muss man sich auf die Archimedizit¨ at berufen.) 5. Es seien a, b ∈ N. Es gibt dann u, v ∈ N mit a = u ggT(a, b) und b = v ggT(a, b). Zeigen Sie, dass Folgendes gilt: 1. Es ist u : v = a : b. 2. Sind a0 , b0 ∈ N und gilt a0 : b0 = a : b, so gibt es ein k ∈ N mit a0 = uk und 0 b = vk. 6. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich. Ferner seien a, b ∈ P . Genau dann heißen a und b kommensurabel , wenn es ein d ∈ P gibt und nat¨ urliche Zahlen m, n, sodass a = nd und b = md ist. Man nennt d auch gemeinsames Maß von a und b. Es seien a, b ∈ P . Dann sind die folgenden Aussagen ¨aquivalent: a) Die Gr¨ oßen a und b sind kommensurabel. b) Es gibt nat¨ urliche Zahlen m und n mit ma = nb. (Anleitung: Hier ist zu zeigen, dass b) eine Folge von a) und dass a) eine Folge von b) ist. Dass b) eine Folge von a) ist, ist nicht sonderlich schwer zu beweisen. Es ist die Umkehrung, die Kopfzerbrechen bereitet. Dazu nehme man an, dass ma = nb sei. Zeigen Sie, dass man annehmen darf, dass m und n teilerfremd sind. Dann gibt es nach dem Satz von Bachet i, j ∈ N mit mi = nj + 1. Folgern Sie, dass nib = mia = nja + a ist. Schließen Sie weiter, dass ib > ja gilt und dass ib − ja ein gemeinsames Maß von a und b ist. Von dem in dieser Aufgabe geschilderten Sachverhalt lebt Buch X der Elemente. In ihm werden quadratische und biquadratische Irrationalit¨aten untersucht. Euklids Beweis f¨ ur diesen Satz ist l¨ uckenhaft. Das schm¨alert jedoch nicht die Leistung, die er mit Buch X erbracht hat.) 7. Es seien P und Q zwei Mengen, die beide mit einer bin¨aren Verkn¨ upfung + versehen seien. Ist f eine Abbildung von P in Q, so heißt f Isomorphismus von (P, +) auf (Q, +), wenn f¨ ur alle a, b ∈ P die Gleichung f (a + b) = f (a) + f (b) gilt und f u ¨berdies bijektiv ist. Zeigen Sie, dass die Umkehrabbildung f −1 ein Isomorphismus von (Q, +) auf (P, +) ist, falls f ein Isomorphismus von (P, +) auf (Q, +) ist. 8. Es seien a, b, c und d Elemente eines Gr¨ oßenbereichs. Ist dann a : b < c : d, so ist d : c < b : a. 2 9. Zeigen Sie, dass man mit Gewichtsst¨ ucken der Form 1, 3, 3P , . . . , 3n auf einer Waage n mit zwei Waagschalen alle ganzzahligen Gewichte von 1 bis i:=0 3i wiegen kann. (Dies ist das eingangs erw¨ ahnte bachetsche W¨ageproblem, das schon Fibonacci und Tartaglia l¨ osten. Sie sollten bei der L¨ osung dieser Aufgabe sich nur der partiellen Subtraktion bedienen.)

2. Eudoxische Gr¨ oßenbereiche

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2. Eudoxische Gr¨ oßenbereiche. Es sei P ein Gr¨oßenbereich. Sind a, b, c, d ∈ P und gilt a : b = c : d, so heißt d die vierte Proportionale zu a, b, c. Sind a, b, c gegeben, so gibt es h¨ ochstens eine vierte Proportionale zu a, b, c, da aus c : d = c : d0 ja d = d0 folgt. Der Gr¨ oßenbereich P heißt eudoxisch, falls es zu drei Elementen von P stets eine vierte Proportionale gibt. Dieser Name scheint in diesem Zusammenhang erstmals von Krull vergeben worden zu sein (Krull 1960). Euklid beweist mittels des Strahlensatzes, dass es zu drei Strecken stets die vierte Proportionale gibt (Proposition VI.12) und auch die Dividierbarkeit von Strecken findet sich bei ihm bewiesen (Proposition VI.9). Es sei P ein eudoxischer Gr¨ oßenbereich. Ferner seien a, b, c, d ∈ P . Ist u ∈ P gegeben, so gibt es ein v ∈ P mit a : b = u : v und dann auch ein w ∈ P mit c : d = v : w. Diese Eigenschaft nehmen wir zum Anlass f¨ ur die folgende Definition: Der Gr¨oßenbereich P heißt quasieudoxisch, falls es zu a, b, c, d ∈ P stets u, v, w ∈ P gibt mit a : b = u : v und c : d = v : w. N ist als Gr¨ oßenbereich nicht eudoxisch. W¨ are etwa v ∈ N die vierte Proportionale zu 2, 3, 5, w¨ are also 2 : 3 = 5 : v, so g¨ alte nach Satz 1 von Abschnitt 1 die Gleichung 2v = 3 · 5 = 2 · 7 + 1, ein Widerspruch. Es gilt aber Satz 1. N ist quasieudoxisch. Sind n¨ amlich a, b, c, d ∈ N, so ist a : b = ac : bc und c : d = bc : bd nach Satz 1 von Abschnitt 1. Satz 2. Ist P ein quasieudoxischer Gr¨ oßenbereich und sind a, b, c, d ∈ P , so gibt es u, v, w ∈ P mit a : b = u : w und c : d = v : w. Beweis. Da P quasieudoxisch ist, gibt es u, v, w ∈ P mit a : b = u : w und d : c = w : v. Nach Satz 3 von Abschnitt 1 ist dann c : d = v : w. Bislang tauchten Symbole wie a : b nur als rechte oder linke Seiten von Gleichungen ¨ auf. Da das Im-gleichen-Verh¨ altnis-Stehen auf P × P eine Aquivalenzrelation definiert, ¨ werden wir von nun an mit a : b auch die Aquivalenzklasse bezeichnen, zu der das Paar (a, b) geh¨ ort. Das Gleichheitszeichen in a : b = c : d hat dann zwei verschiedene Bedeutungen: 1. Gleichheit von Verh¨ altnissen. ¨ 2. Gleichheit von Aquivalenzklassen, falls a, b, c und d aus dem gleichen Gr¨oßenbereich stammen. ¨ ¨ Da Aquivalenzrelationen und ihre Aquivalenzklassen sich gegenseitig auf eindeutige Weise bedingen, f¨ uhrt die unterschiedliche Interpretation des Gleichheitszeichens aber nicht zur Konfusion. ¨ Ist P ein Gr¨ oßenbereich, so bezeichnen wir mit Q(P ) die Menge der Aquivalenzklassen a : b mit a, b ∈ P . Es sei P ein quasieudoxischer Gr¨ oßenbereich. Wir definieren auf Q(P ) eine Addition und eine Multiplikation wie folgt: Addition. Sind a : b, c : d ∈ Q(P ), so gibt es u, v, w ∈ P mit a : b = u : w und c : d = v : w. Wir setzen a : b + c : d := (u + v) : w.

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II. Gr¨oßenbereiche

Multiplikation. Sind a : b, c : d ∈ Q(P ), so gibt es u, v, w ∈ P mit a : b = u : v und c : d = v : w. Wir setzen (a : b)(c : d) := u : w. Die Addition von Verh¨ altnissen, so wie sie hier definiert wurde, kommt im Altertum und bei den Arabern nicht vor. Was wir Multiplikation genannt haben, kommt bei Euklid ganz nebenbei vor, wird von ihm aber nicht zum Gegenstand eigener Untersuchungen gemacht. Die sp¨ ateren Griechen und die Araber jedoch haben diese Verkn¨ upfung in ihre Untersuchungen einbezogen. Sie nannten sie das Zusammensetzen von Verh¨altnissen, wobei ihr Wort f¨ ur Zusammensetzen auch f¨ ur die Addition benutzt wurde. Dies ist nicht so absurd, wie es uns heute vielleicht erscheint. Interpretiert man dieses Zusammensetzen n¨ amlich mittels Strecken, etwa am Monochord, wie die Pythagoreer es taten, so addieren sich Strecken, wo wir zu multiplizieren glauben. Wir m¨ ussen zun¨ achst zeigen, dass die so definierte Addition und Multiplikation nicht ¨ von der Auswahl der Vertreter der verschiedenen Aquivalenzklassen abh¨angen, dass Addition und Multiplikation also wohldefiniert sind. Es sei zun¨ achst a0 : b0 = a : b, c0 : d0 = c : d und a0 : b0 = u0 : w0 und c0 : d0 = v 0 : w0 . Dann ist u : w = a : b = a0 : b0 = u0 : w0 und v : w = c : d = c0 : d0 = v 0 : w0 . Nach Satz 17 von Abschnitt 1 ist dann a0 : b0 + c0 : d0 = (u0 + v 0 ) : w0 = (u + v) : w = a : b + c : d. Also ist die Addition wohldefiniert. Nun sei a0 : b0 = a : b und c0 : d0 = c : d sowie a0 : b0 = u0 : v 0 und c0 : d0 = v 0 : w0 . Nach Satz 15 von Abschnitt 1 ist dann (a0 : b0 )(c0 : d0 ) = u0 : w0 = u : w = (a : b)(c : d). Also ist auch die Multiplikation wohldefiniert. Satz 3. Ist P ein quasieudoxischer Gr¨ oßenbereich, so gilt: a) Die auf Q(P ) definierten Verkn¨ upfungen der Addition und Multiplikation sind kommutativ. b) Sind X, Y ∈ Q(P ), so ist X < X + Y . c) Sind X, Y ∈ Q(P ) und ist X < Y , so gibt es genau ein Z ∈ Q(P ) mit X +Z = Y . d) Sind X, Y ∈ Q(P ), so gibt es ein n ∈ N mit nX > Y . e) Es ist (a : a)X = X f¨ ur alle a ∈ P und alle X ∈ Q(P ). f ) Es sei a ∈ P . Zu jedem X ∈ Q(P ) gibt es ein Y ∈ Q(P ) mit XY = a : a = Y X. Ist XY 0 = a : a oder Y 0 X = a : a, so ist Y 0 = Y . Beweis. a) Es sei X, Y ∈ Q(P ). Es gibt dann u, v, w ∈ P mit X = u : w und Y = v : w. Es folgt X + Y = (u + v) : w = (v + u) : w = Y + X.

2. Eudoxische Gr¨ oßenbereiche

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Es gibt auch x, y, z ∈ P mit X = x : y und Y = y : z. Dann ist XY = x : z. Es gibt andererseits x0 , y 0 , z 0 ∈ P mit Y = x0 : y 0 und X = y 0 : z 0 . Es folgt Y X = x0 : z 0 . Nun ist x : y = y 0 : z 0 und y : z = x0 : y 0 . Nach Satz 16 von Abschnitt 1 gilt daher x : z = x0 : z 0 und damit XY = Y X. b) Es gibt u, v, w ∈ P mit X = u : w und Y = v : w. Es folgt u < u + v. Mit Satz 8 von Abschnitt 1 folgt weiter X = u : w < (u + v) : w = X + Y. c) Es gibt u, v, w ∈ P mit X = u : w und Y = v : w. Wegen X < Y ist u < v nach Satz 8 von Abschnitt 1. Es gibt also ein z ∈ P mit v = u + z. Setze Z := z : w. Dann ist X + Z = (u + z) : w = v : w = Y. Es sei X + Z = X + Z 0 . Wir m¨ ussen zeigen, dass Z = Z 0 ist. (Der naheliegende Widerspruchsbeweis: O.b.d.A. Z < Z 0 , dann Z 0 = Z+W , etc. versagt, da nicht bewiesen ist, dass die Addition assoziativ ist.) Es gibt u0 , w0 , z 0 ∈ P mit X = u0 : w0 , Z 0 = z 0 : w0 . Es folgt (u + z) : w = (u0 + z 0 ) : w0 . Aus u : w = X = u0 : w0 folgt w : u = w0 : u0 . Mit Satz 15 von Abschnitt 1 folgt (u + z) : u = (u0 + z 0 ) : u0 . Mit Satz 11 von Abschnitt 1 folgt weiter z : u = z 0 : u0 . Nochmalige Anwendung von Satz 15 von Abschnitt 1 liefert unter Beachtung von u : w = u0 : w0 die Gleichung z : w = z 0 : w0 . Also ist Z = Z 0 . d) Es gibt x, y, w ∈ P mit X = x : w und Y = y : w. Es gibt ein n ∈ N mit nx > y. Dann ist aufgrund von Satz 8 von Abschnitt 1 nX = nx : w > y : w = Y. Wir wissen nicht, ob die Addition in Q(P ) assoziativ ist. Dennoch kann man nX definieren, so wie wir es fr¨ uher getan haben. Dann ist also (n + 1)X = nX + X. Wegen nX = nx : w und der in P g¨ ultigen Assoziativit¨at von + gilt dann immer noch (m + n)X = mX + nX. Ist die Verkn¨ upfung multiplikativ geschrieben, so nennt man diese Eigenschaft Potenzassoziativit¨ at. In unserem Falle m¨ usste man von Vielfachenassoziativit¨ at reden. Man spricht aber auch in diesem Falle von Potenzassoziativit¨at. e) Es sei X = u : v. Es ist a : a = u : u und daher (a : a)X = (u : u)(u : v) = u : v = X. f) Es sei X = u : v. Setze Y := v : u. Dann ist XY = (u : v)(v : u) = u : u = a : a = v : v = (v : u)(u : v) = Y X.

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II. Gr¨oßenbereiche

Es gelte XY 0 = a : a. Es gibt dann l, m, n ∈ P mit X = l : m und Y 0 = m : n. Es folgt l : n = a : a und damit l = n. Es ist u : v = X = l : m und damit Y = v : u = m : l = m : n = Y 0. Damit ist auch die Einzigkeit von Y nachgewiesen. F¨ ur das unter f) gefundene Element Y schreiben wir im Folgenden X −1 . Es ist das multiplikative Inverse von X. Es erhebt sich die Frage, ob die auf Q(P ) definierten Verkn¨ upfungen der Addition und Multiplikation assoziativ sind und ob beide Distributivgesetze gelten. Die Antwort lautet ja“, wie wir sp¨ ater sehen werden. Um diese Anwort zu erhalten, werden wir ” die ganze Kraft der reellen Zahlen einsetzen. Hier begn¨ ugen wir uns zun¨achst mit zwei Spezialf¨ allen. Wir werden zuerst den Fall eines eudoxischen Gr¨oßenbereichs P betrachten und dann den Fall P = N. Satz 4. Es sei P ein eudoxischer Gr¨ oßenbereich. Ferner sei 1 ∈ P . Wir setzen ϕ(x) := x : 1 f¨ ur alle x ∈ P . Dann ist ϕ eine Bijektion von P auf Q(P ) und es gilt ϕ(x + y) = ϕ(x) + ϕ(y) f¨ ur alle x, y ∈ P . Ferner gilt f¨ ur x, y ∈ P genau dann x < y, wenn ϕ(x) < ϕ(y) ist. Beweis. Das Element 1 ∈ P ist irgendein beliebiges Element. Es k¨onnte auch b oder y oder α genannt werden. Dass es 1 genannt wurde, hat seinen Grund darin, dass es ¨ sp¨ ater als Eins fungieren wird, wie wir noch sehen werden. Es fungierte im Ubrigen auch dann als Eins, wenn es b, y oder α hieße. Genau dann ist ϕ(x) = ϕ(y), wenn x : 1 = y : 1 ist. Nach dem Korollar zu Satz 8 von Abschnitt 1 ist dies genau dann der Fall, wenn x = y ist. Also ist ϕ injektiv. Es sei a : b ∈ Q(P ). Weil P eudoxisch ist, gibt es ein x ∈ P mit b : a = 1 : x. Es folgt ϕ(x) = x : 1 = a : b, sodass ϕ auch surjektiv ist. Damit ist gezeigt, dass ϕ bijektiv ist. Es seien x, y ∈ P . Dann ist ϕ(x + y) = (x + y) : 1 = x : 1 + y : 1 = ϕ(x) + ϕ(y). Nach Satz 8 von Abschnitt 1 gilt genau dann x < y, wenn x : 1 < y : 1, d.h. genau dann, wenn ϕ(x) < ϕ(y) ist. Damit ist alles bewiesen. Die Abbildung ϕ ist, was man Isomorphismus von (P, +, ≤) auf (Q(P ), +, ≤) nennt. Satz 5. Ist P ein eudoxischer Gr¨ oßenbereich, so gilt: a) Addition und Multiplikation in Q(P ) sind assoziativ. b) In Q(P ) gelten beide Distributivgesetze.

2. Eudoxische Gr¨ oßenbereiche

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Beweis. a) Es sei ϕ der in Satz 4 definierte Isomorphismus von (P, +) auf (Q(P ), +). Sind dann X, Y , Z ∈ Q(P ), so gibt es a, b, c ∈ P mit ϕ(a) = X, ϕ(b) = Y und ϕ(c) = Z. Es folgt   (X + Y ) + Z = ϕ(a) + ϕ(b) + ϕ(c) = ϕ(a + b) + ϕ(c) = ϕ (a + b) + c  = ϕ a + (b + c) = ϕ(a) + ϕ(b + c) = X + (Y + Z). Also ist die Addition assoziativ. Weil es in P zu drei Elementen stets die vierte Proportionale gibt, gibt es Elemente u, v, w, x ∈ P mit X = u : v, Y = v : w, Z = w : x. Es folgt  (XY )Z = (u : v)(v : w) (w : x) = (u : w)(w : x) = u : x und  X(Y Z) = (u : v) (v : w)(w : x) = (u : v)(v : x) = u : x. Also ist auch die Multiplikation assoziativ. b) Weil die Multiplikation kommutativ ist, gen¨ ugt es, eines der Distributivgesetze zu beweisen. Dazu seien a, b, c ∈ P . Ferner sei d die vierte Proportionale zu 1, a, b + c. Dann ist a : 1 = d : (b + c) und folglich    (a : 1)(b : 1 + c : 1) = (a : 1) (b + c) : 1 = d : (b + c) (b + c) : 1 = d : 1. Ferner seien d0 und d00 die vierten Proportionalen zu 1, a, b, bzw. 1, a, c. Dann ist a : 1 = d0 : b und a : 1 = d00 : c. Es folgt (a : 1)(b : 1) + (a : 1)(c : 1) = d0 : 1 + d00 : 1 = (d0 + d00 ) : 1. Mit Satz 5 von Abschnitt 1 folgt nun d : (b + c) = a : 1 = (d0 + d00 ) : (b + c). Hieraus folgt mit dem Korollar zu Satz 8, dass d = d0 + d00 ist. Also ist (a : 1)(b : 1 + c : 1) = (a : 1)(b : 1) + (a : 1)(c : 1). Damit ist alles bewiesen. Soweit die eudoxischen Gr¨ oßenbereiche. Und nun zum Spezialfall, von dem alles Weitere abh¨ angt. Wir setzen Q+ := Q(N). Der n¨ achste Satz macht die Definition der Addition und Multiplikation im Falle Q+ explizit. Die in diesem Satz aufgelisteten Eigenschaften werden u ¨blicherweise zur ¨ Definition verwandt. Das Rechnen in Q+ scheint im Ubrigen nie Kopfzerbrechen bereitet zu haben. Erst Peano gab eine formale Definition der positiven rationalen Zahlen und ihrer Addition und Multiplikation (Peano 1889/1958, S. 46–49).

96

II. Gr¨oßenbereiche

Satz 6. In Q+ gilt: a) Sind a : b, c : d ∈ Q+ , so ist a : b+c : d = (ad+bc) : bd und (a : b)(c : d) = ac : bd. b) Addition und Multiplikation sind assoziativ. c) Es gelten beide Distributivgesetze, d.h. sind r, s, t ∈ Q+ , so ist r(s + t) = rs + rt und (s + t)r = sr + tr. d) Sind r, s, t ∈ Q+ und ist r < s, so ist r + t < s + t und rt < st. Insbesondere ist (Q+ , +, ≤) ein Gr¨ oßenbereich. Beweis. a) Es ist a : b = ad : bd und c : d = bc : bd. Also ist a : b + c : d = (ad + bc) : bd. Es ist auch a : b = ac : bc und c : d = bc : bd. Daher ist (a : b)(c : d) = ac : bd. b) und c) folgen mittels a) durch einfaches Nachrechnen. Wegen der Kommutativit¨at der Multiplikation braucht man nur ein Distributivgesetz nachzurechnen. d) Nach Satz 3 gibt es ein g ∈ Q+ mit s = r + g. Es folgt (r + t) + g = (r + g) + t = s + t und rt + gt = (r + g)t = st. Mit Satz 3 folgt hieraus r + t < s + t und rt < st. Die Archimedizit¨ at gilt nach Satz 3 d). Beim Beweise von d) haben wir von der Assoziativit¨at und der Kommutativit¨at der Addition und dem Distributivgesetz Gebrauch gemacht. Satz 7. Sind a : b, c : d ∈ Q+ , so gilt genau dann a : b < c : d, wenn ad < bc ist. Beweis. Es sei a : b < c : d. Es gibt dann m, n ∈ N mit mc > nd und ma ≤ nb. Es folgt mnad ≤ n2 bd < mncb und hieraus ad < cb. Ist umgekehrt ad < bc, so folgt aus Satz 6 von Abschnitt 1, da ja auch cd = dc gilt, dass a : b < c : d ist. Es seien R und S Mengen, die beide eine mit + bezeichnete bin¨are Verkn¨ upfung tragen. Eine Abbildung f von R in S heißt Homomorphismus von (R, +) in (S, +), wenn gilt: Es ist f (a + b) = f (a) + f (b) f¨ ur alle a, b ∈ R. Ist die Verkn¨ upfung als Multiplikation geschrieben, so ist diese Bedingung entsprechend als f (ab) = f (a)f (b) zu lesen. Haben R und S zwei verschiedene Verkn¨ upfungen + und ·, so heißt f ein Homomorphismus von (R, +, ·) in (S, +, ·), wenn f ein Homomorphismus von (R, +) in (S, +) wie auch von (R, ·) in (S, ·) ist. Injektive Homomorphismen heißen Monomorphismen und surjektive Epimorphismen. Bijektive Homomorphismen heißen Isomorphismen und im Falle R = S Automorphismen. Schließlich heißen Homomorphismen im Falle R = S Endomorphismen.

2. Eudoxische Gr¨ oßenbereiche

97

Satz 8. Definiere die Abbildung ψ von N in Q+ durch ψ(n) := n : 1. Dann ist ψ ein Monomorphismus von (N, +, ·) in (Q+ , +, ·), der auch mit < vertr¨ aglich ist. Beweis. Genau dann ist ψ(m) = ψ(n), wenn m : 1 = n : 1 ist. Dies ist nach dem Korollar zu Satz 8 von Abschnitt 1 gleichbedeutend mit m = n. Also ist ψ injektiv. Es ist ψ(m) + ψ(n) = m : 1 + n : 1 = (m + n) : 1 = ψ(m + n). Ferner ist ψ(m)ψ(n) = (m : 1)(n : 1) = (mn) : 1 = ψ(mn). Ist m = n + p, so ist ψ(m) = ψ(n) + ψ(p). Somit folgt aus n < m die Ungleichung ψ(n) < ψ(m). Umgekehrt folgt aus ψ(n) < ψ(m) auch die Ungleichung n < m, da aus n ≥ m, wie bereits gesehen, die Ungleichung ψ(n) ≥ ψ(m) folgte. Satz 9. Ist a : b ∈ Q+ und n ∈ N, so gilt n(a : b) = na : b = (n : 1)(a : b). Beweis. Aufgrund der Definition von n(a : b) und der Definition der Addition in Q+ folgt die erste Gleichung mittels Induktion. Die zweite folgt aus Satz 6 a). Satz 8 und Satz 9 zusammen besagen u.a., dass n(a : b) = ψ(n)(a : b) ist. Daher k¨ onnen wir von nun an n mit ψ(n) identifizieren. Die beiden m¨oglichen Interpretationen von n(a : b) liefern ja das gleiche Ergebnis. Wir wissen, dass (Q+ , +, ≤) ein Gr¨ oßenbereich ist. Daher k¨onnen wir fragen, ob sich zwei positive rationale Zahlen stets wie zwei nat¨ urliche Zahlen verhalten, wie wir es erwarten. Dies ist in der Tat so, wie der n¨ achste Satz zeigt. In der in diesem Satz ¨ formulierten Formel sind a : b und c : d als Aquivalenzklassen, also als positive rationale Zahlen zu interpretieren, w¨ ahrend die beiden anderen Doppelpunkte zusammen mit dem Gleichheitszeichen die Verh¨ altnisgleichheit ausdr¨ ucken. Es ist also auch f¨ ur uns noch wichtig, dass man Verh¨ altnisgleichheit auch zwischen Paaren unterschiedlicher Gr¨ oßenbereiche feststellen kann. Satz 10. F¨ ur a, b, c, d ∈ N gilt (a : b) : (c : d) = ad : bc. Beweis. Es seien m, n ∈ N. Gilt m(a : b) > n(c : d), so ist nach Satz 9 dann ma : b > nc : d. Mit Satz 7 folgt weiter mad > nbc. Gilt m(a : b) = n(c : d), so ist ma : b = nc : d und nach Satz 1 von Abschnitt 1 dann mad = nbc. Ist m(a : b) < n(c : d), so folgt wiederum mit Satz 9 und Satz 7, dass mad < nbc ist. Also ist in der Tat (a : b) : (c : d) = ad : bc. Satz 10 zeigt, dass man Verh¨ altnisse rationaler Zahlen als rationale Zahlen auffassen darf und dass man andererseits auch jede rationale Zahl als Verh¨altnis auffassen kann, da ja a : b = (a : b) : (1 : 1) oder auch a : b = (a : 1) : (b : 1)

98

II. Gr¨oßenbereiche

ist. Satz 10 zeigt weiter, wenn man n¨ amlich ad : bc als rationale Zahl interpretiert, dass (a : b) : (c : d) = ist. Dabei ist f¨ ur rationale Zahlen r, s der Bruch

a:b c:d r s

durch

r := rs−1 s definiert. Wegen der Kommutativit¨ at der Multiplikation ist auch rs = s−1 r. Man darf den mittleren Doppelpunkt in (a : b) : (c : d) also als Zeichen f¨ ur die Division auffassen. Mit unserer Konvention a : 1 mit a zu identifizieren erh¨alt man schließlich a:b=

a:1 a = . b:1 b

Aus all dem folgt schließlich, dass auch f¨ ur rationale Zahlen u, v, x, y genau dann u : v = x : y gilt, wenn uy = xv ist. Die hier beschriebenen positiven rationalen Zahlen verhalten sich also so wie die von der Schule her intuitiv bekannten positiven rationalen Zahlen. Ab sofort d¨ urfen wir daher mit ihnen wie gewohnt umgehen. Insbesondere d¨ urfen wir Verh¨ altnisse als Br¨ uche auffassen. Satz 11. Der Gr¨ oßenbereich (Q+ , +, ≤) ist eudoxisch. Beweis. Es seien u, v, x ∈ Q+ . Setze y := xv u . Dann ist uy = u

xv = xv u

und daher u : v = x : y. Weil (N, +, ≤) nicht eudoxisch ist, k¨ onnen (Q+ , +, ≤) und (N, +, ≤) nicht isomorph sein. Auch die Anordnungen unterscheiden sich. Es gilt n¨amlich Satz 12. Ist  ∈ Q+ , so gibt es ein n ∈ N mit n1 < . Es gibt somit kein kleinstes Element in Q+ . Beweis. Weil (Q+ , +, ≤) ein Gr¨ oßenbereich ist, gibt es ein n ∈ N mit n > 1 . Nach Aufgabe 8 von Abschnitt 1 ist dann n1 < . Aufgaben 1. Es sei P ein eudoxischer Gr¨ oßenbereich. Ferner sei 1 ∈ P und ϕ sei die durch ϕ(x) := x : 1 f¨ ur x ∈ P definierte Abbildung von P auf Q(P ). F¨ ur a, b ∈ P definieren wir ab ∈ P durch  ab := ϕ−1 ϕ(a)ϕ(b) . Zeigen Sie, dass die so auf P definierte Multiplikation assoziativ und kommutativ ist und dass f¨ ur sie und die bereits vorhandene Addition die beiden Distributivgesetze gelten. Zeigen Sie ferner, dass f¨ ur alle a ∈ P die Gleichungen a1 = a = 1a gelten. 2. Es sei P ein eudoxischer Gr¨ oßenbereich. Ist m ∈ N und sind a, b ∈ P , so ist m(ab) = (ma)b. Dabei ist ab bzw. (ma)b das in Aufgabe 1 definierte Produkt von a und b bzw. von ma und b. (Induktion nach m unter Benutzung von Aufgabe 1.)

3. Rationale Gr¨ oßenbereiche

99

3. Es sei P ein eudoxischer Gr¨ oßenbereich. Dann gilt f¨ ur die in Aufgabe 1 definierte Multiplikation in P die Relation ab : a = b : 1 f¨ ur alle a, b ∈ P . (Um dies zu beweisen, gehe man auf die eudoxische Definition der Verh¨altnisgleichheit zur¨ uck und benutze Aufgabe 2. Diese Relation hat Descartes benutzt, um eine Multiplikation von Strecken zu definieren, deren Ergebnis keine Fl¨ ache, sondern wieder eine Strecke war. Er definierte also das Produkt ab der Strecken a und b als die Strecke, f¨ ur die die Gleichung ab : a = b : 1 gilt. Dieses ab kann man sich mithilfe des Strahlensatzes konstruieren, wenn man vorher eine Strecke als Einheitsstrecke auszeichnet.) 4. Es sei P ein eudoxischer Gr¨ oßenbereich. Ferner seien 1 und e zwei Elemente von P . Wir bezeichnen mit · die mittels 1 und mit ∗ die mittels e definierte Multiplikation auf P . Dann sind (P, +, ·) und (P, +, ∗) isomorph, d.h. es gibt eine bijektive Abbildung f von P auf sich mit f (a + b) = f (a) + f (b) und f (ab) = f (a) ∗ f (b) f¨ ur alle a, b ∈ P . (Die Abbildungen ϕ und ψ, die durch ϕ(a) := a : 1 bzw. ψ(a) := a : e definiert sind, helfen. Beachten Sie auch Aufgabe 7 von Abschnitt 1.) 5. Zeigen Sie, dass Q(N) und Q+ isomorph sind. (Siehe Kapitel I, Abschnitt 8.) 3. Rationale Gr¨ oßenbereiche. In diesem Abschnitt gehen wir einer Frage nach, die den Alten nicht in den Sinn gekommen w¨ are. Um sie zu stellen, musste zuvor der Wandel der Mathematik hin zur Strukturmathematik vollzogen sein. Dieser Wandel vollzog sich ¨ erst im 19. Jahrhundert. Die Frage, die wir stellen, ist die nach einem Uberblick u ¨ber alle Gr¨ oßenbereiche, in denen zwei Elemente stets kommensurabel sind. Diese Frage wird hier eine befriedigende Antwort finden. Der Gr¨ oßenbereich P heiße rational , wenn je zwei Gr¨oßen aus P kommensurabel sind. Der Name rational“ w¨ are schlecht gew¨ ahlt, wenn Q+ nicht rational w¨are. Beeilen wir ” uns also zu zeigen, dass Q+ rational ist. Dazu seien x, y ∈ Q+ . Es gibt dann nat¨ urliche Zahlen m, n, u, v mit x = m : n und y = u : v. Es folgt x = mv : nv = mv(1 : nv), y = nu : nv = nu(1 : nv), sodass 1 : nv ein gemeinsames Maß von x und y ist. Satz 1. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich und x, y ∈ P . Genau dann sind x und y kommensurabel, wenn es m, n ∈ N gibt mit mx = ny. Ist mx = ny, so ist x : y = n : m. Beweis. Es seien x und y kommensurabel. Es gibt dann ein e ∈ P und m, n ∈ N mit x = ne und y = me. Es folgt mx = mne = nme = ny. Es seien umgekehrt m, n ∈ N und es gelte mx = ny. Wir d¨ urfen annehmen, dass ggT(m, n) = 1 ist. Nach dem Satz von Bachet (Kapitel I, Abschnitt 4) gibt es i, j ∈ N mit i < n und j < m sowie mi = nj + 1. Es folgt niy = mix = njx + x

100

II. Gr¨oßenbereiche

und daher einmal iy > jx und dann x = n(iy − jx) mit iy − jx ∈ P . Ferner ist m(n − i) + 1 = mn − mi + 1 = mn − nj − 1 + 1 = n(m − j). Es folgt m(m − j)x = n(m − j)y = m(n − i)y + y und weiter y = m(mx − jx − ny + iy) = m(iy − jx). Also ist iy − jx ein gemeinsames Maß von x und y, sodass x und y kommensurabel sind. Es sei mx = ny. Ferner seien a, b ∈ N. Ist ax > by, so folgt any = amx > bmy und daher an > bm. Ebenso folgt aus ax = by, dass an = bm, und aus ax < by, dass an < bm ist. Also ist in der Tat x : y = n : m. Damit ist Aufgabe 6 von Abschnitt 1 bewiesen. Wir haben aber noch mehr gezeigt, n¨ amlich: Korollar. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich. Ferner seien x, y ∈ P und m, n ∈ N und m und n seien teilerfremd. Es gibt dann i, j ∈ N mit mi = nj + 1. Ist dann mx = ny, so ist x = n(iy − jx), y = m(iy − jx). Insbesondere ist iy − jx ein gemeinsames Maß von x und y. Es sei P eine nicht-leere Teilmenge von Q+ . Gilt f¨ ur x, y ∈ P stets x + y ∈ P und im Falle x > y auch x − y ∈ P , so ist P mit der von Q+ ererbten Addition, partiellen Subtraktion und Anordnung ein Gr¨ oßenbereich. Um diesen Sachverhalt zu beschreiben, sagen wir, P sei ein in Q+ enthaltener Gr¨ oßenbereich. Satz 2. Ist P ein in Q+ enthaltener Gr¨ oßenbereich, so sind je zwei Elemente aus P kommensurabel. Beweis. Sind x, y ∈ P , so gibt es wegen P ⊆ Q+ und der Rationalit¨at von Q+ nach Satz 1 nat¨ urliche Zahlen m und n mit mx = ny, sodass Satz 1 die Behauptung liefert. Der n¨ achste Satz sagt, dass es zu jedem rationalen Gr¨oßenbereich eine isomorphe Kopie in Q+ gibt. Satz 3. Es sei P ein rationaler Gr¨ oßenbereich. Ferner sei e ∈ P . F¨ ur a ∈ P gibt es dann m, n ∈ N mit na = me. Setzt man f (a) := m : n, ¨ so ist f ein Monomorphismus von P in Q+ . Uberdies gilt f (e) = 1. Genau dann ist f surjektiv, wenn P eudoxisch ist.

3. Rationale Gr¨ oßenbereiche

101

Beweis. Die Existenz von m und n folgt aus Satz 1. Ist u ¨berdies n0 a = m0 e, so ist ebenfalls nach Satz 1 m0 : n0 = a : e = m : n, sodass f wohldefiniert ist. Ist f (a) = f (b), so ist a : e = b : e und daher a = b, sodass f injektiv ist. Um die Additivit¨ at von f zu beweisen, seien a, b ∈ P . Es gibt m, m0 , n, n0 ∈ N mit 0 na = me und n b = m0 e. Es folgt nn0 (a + b) = (mn0 + m0 n)e und damit f (a + b) = (mn0 + m0 n) : nn0 = (m : n) + (m0 : n0 ) = f (a) + f (b). Aus der Additivit¨ at folgt, wie wir schon verschiedentlich bemerkt haben, die Ordnungstreue. Damit ist f als Monomorphismus erkannt. Schließlich ist f (e) = 1 : 1 = 1. Ist f surjektiv, so ist f −1 ein Isomorphismus von Q+ auf P , sodass P mit Q+ eudoxisch ist. Es sei P eudoxisch. Ferner sei x ∈ Q+ . Es gibt dann nat¨ urliche Zahlen m und n mit x = m : n. Es folgt m : n = me : ne. Weil es in P zu drei Elementen stets die vierte Proportionale gibt, gibt es ein a ∈ P mit ne : me = e : a, d.h. mit me : ne = a : e; es folgt m : n = a : e und damit f (a) = x, sodass f surjektiv ist. Damit ist alles bewiesen. Wenn es darum geht, die Isomorphietypen von rationalen Gr¨oßenbereichen zu bestimmen, so gen¨ ugt es nach diesem Satz und Satz 2, die in Q+ enthaltenen Gr¨oßenbereiche zu studieren, die die Eins enthalten. Satz 4. Es sei P ein in Q+ enthaltener Gr¨ oßenbereich mit 1 ∈ P . Ist dann ggT(m, n) = 1, so ist n1 ∈ P .

m n

∈ P und

Beweis. Nach dem Satz von Bachet gibt es i, j ∈ N mit in = jm + 1. Es folgt i > j m n und damit 1 in − jm m = = i · 1 − j ∈ P. n n n Sind a, b ∈ N, so bezeichnen wir mit r(a, b) den gr¨oßten zu b teilerfremden Teiler von a. Dieses Konzept wurde von O. Helmer (1943) bei seinen Untersuchungen u ¨ber die smithsche Normalform u uhrt und von mir dem alge¨ber B´ezout-Bereichen eingef¨ braischen Rechnen zug¨ anglich gemacht (L¨ uneburg 1986, 1987a, 1989a, 1993). Es ist ein außerst n¨ utzliches Konzept, das wir jedoch nur im Zusammenhang mit N untersuchen ¨ werden. Satz 5. Sind a, b ∈ N und ist g := ggT(a, b), so ist r(a, b) = r(ag −1 , g). Ist g = 1, so ist r(a, b) = r(a, 1) = a. Ist v ein zu b teilerfremder Teiler von a, so ist v Teiler von r(a, b).

102

II. Gr¨oßenbereiche

Beweis. Es ist a = cg mit c ∈ N. Setze s := r(a, b). Dann sind s und g teilerfremd, da g Teiler von b ist. Weil s Teiler von a ist, ist s folglich ein zu b und damit zu g teilerfremder Teiler von c = ag −1 . Es sei t ein zu g teilerfremder Teiler von c = ag −1 . Ferner sei b = dg. Weil c zu d teilerfremd ist, ist auch t zu d teilerfremd, sodass t zu d und g und damit nach Aufgabe 5 von Kapitel I, Abschnitt 4 zu dg = b teilerfremd ist. Daher ist t ≤ s, sodass s = r(ag −1 , g) ist. Die zweite Aussage ist banal. Es ist kgV(v, r(a, b)) Teiler von a und auch von vr(a, b). Nach Aufgabe 5 von Kapitel I, Abschnitt 4 ist vr(a, b) zu b teilerfremd. Folglich ist auch kgV(v, r(a, b)) zu b teilerfremd. Also ist kgV(v, r(a, b)) ≤ r(a, b) und damit  kgV v, r(a, b) = r(a, b). Dies hat zur Folge, dass v Teiler von r(a, b) ist. Der gerade bewiesene Satz bietet die M¨ oglichkeit, r(a, b) zu berechnen, ohne die Primfaktorzerlegung von a und b zu benutzen. Darin liegt seine Bedeutung, die er an den n¨ achsten Satz weiterreicht, der es seinerseits gestattet, kgV(a, b) als Produkt AB 0 darzustellen mit teilerfremden A und B 0 , wobei A Teiler von a und B 0 Teiler von b ist, ohne die Primfaktorzerlegung der beiden Zahlen a und b zu benutzen. b a Satz 6. F¨ ur a, b ∈ N setzen wir A := r(a, ggT(a,b) ) und B := r(b, ggT(a,b) ). Dann gilt B A a) ggT(A, ggT(A,B) ) = 1 = ggT(B, ggT(A,B) ).

b) kgV(a, b) = kgV(A, B). a b a c) ggT( A , B ggT(A, B)) = 1 = ggT( Bb , A ggT(A, B)).

Beweis. Es ist  ggT

a b , ggT(a, b) ggT(a, b)

a Außerdem ist ggT(a,b) Teiler von a. Daher ist dr¨ ucken wir dadurch aus, dass wir

A ≡ 0 mod

 = 1.

a ggT(a,b)

nach Satz 5 Teiler von A. Dies

a ggT(a, b)

a schreiben. Nun ist ggT(B, ggT(a,b) ) = 1. Also ist auch ggT(A, B) zu Somit gilt nach Satz 8 A a ≡ 0 mod . ggT(A, B) ggT(a, b)

Es folgt ggT(a, b)

A ≡0 ggT(A, B)

mod a.

ggT(a, b)

B ≡0 ggT(A, B)

mod b.

Analog erh¨ alt man

a ggT(a,b)

teilerfremd.

3. Rationale Gr¨ oßenbereiche

103

Nun zeigen wir, dass  ggT

a b , A B

 =1

a ist. Dazu sei p ein Primteiler von A . Einen solchen gibt es, wenn A < a ist, da der kleinste nichttriviale Teiler einer von 1 verschiedenen nat¨ urlichen Zahl offenbar stets eine Primzahl ist. Nur in diesem Falle ist aber etwas zu beweisen. Es ist pA > A, sodass b b pA nicht zu ggT(a,b) teilerfremd ist. Weil aber A zu ggT(a,b) teilerfremd ist, ist p Teiler b b a von ggT(a,b) . W¨ are p auch Teiler von B , so folgte genauso, dass p auch Teiler von ggT(a,b) w¨ are. Folglich w¨ are p Teiler von   b a ggT , = 1. ggT(a, b) ggT(a, b)

Dieser Widerspruch zeigt, dass  ggT

a b , A B

 =1

ist. Aufgrund des gerade Bewiesenen gibt es nach dem Satz von Bachet Zahlen i, j ∈ N mit a b 1 = i − j. A B Es folgt, dass kgV(A, B) =

AB B A =a i−b j ggT(A, B) ggT(A, B) ggT(A, B)

ist. Wie schon gezeigt, ist ggT(a, b) Also ist erst recht

A ≡0 ggT(A, B)

mod a.

A ≡0 ggT(A, B)

mod a.

kgV(A, B) ≡ 0

mod a.

kgV(A, B) ≡ 0

mod b.

b Also ist Ebenso folgt

Nach der Definition des kgV ist folglich kgV(A, B) ≡ 0 mod kgV(a, b). Andererseits ist A Teiler von a und damit von kgV(a, b). Ebenso ist B Teiler von kgV(a, b). Aufgrund der Definition des kleinsten gemeinsamen Vielfachen ist folglich kgV(A, B) Teiler von kgV(a, b). Also ist kgV(A, B) = kgV(a, b). Damit ist b) bewiesen.

104

II. Gr¨oßenbereiche

a Wie oben bemerkt, ist jeder Primteiler von A Teiler von Teiler von A. Folglich ist   a ggT , ggT(A, B) = 1. A

b ggT(a,b)

und damit kein

Ferner gilt a b ggT( , ) = 1, A B wie wir schon gesehen haben. Nach der Aufgabe 5 von Kapitel I, Abschnitt 4 ist also   a b ggT , ggT(A, B) = 1. A B a Ebenso folgt ggT( Bb , A ggT(A, B)) = 1, sodass auch c) gilt. Es bleibt a) zu beweisen. Nach b) ist

AB ab = . ggT(A, B) ggT(a, b) Daher ist

 ggT A,

Nun ist aber

B ggT(A, B)

 ggT A,



b ggT(a, b)

 = ggT A, 

 ab . A ggT(a, b)

  a = 1 = ggT A, , A

ab sodass nach dem Korollar zu Satz 7 gilt, dass ggT(A, A ggT(a,b) ) = 1 und folglich auch

 ggT A,

B ggT(A, B)

 =1

A ist. Ebenso folgt ggT(B, ggT(A,B) ) = 1. Damit ist alles bewiesen.

Es sei P ein in Q+ enthaltener Gr¨ oßenbereich. Wir setzen  m N (P ) := n | n ∈ N, es gibt ein m ∈ N mit ggT(m, n) = 1 und ∈P . n Satz 7. Ist P ein in Q+ enthaltener Gr¨ oßenbereich, so gilt: a) Es ist 1 ∈ N (P ). b) Ist n ∈ N (P ) und ist t Teiler von n, so ist t ∈ N (P ). c) Sind n, s ∈ N (P ), so ist kgV(n, s) ∈ N (P ). Beweis. a) Es ist N (P ) 6= ∅, sodass es ein n ∈ N (P ) gibt. Weil 1 Teiler von n ist, folgt a) aus b), was wir jetzt beweisen werden. b) Es gibt ein zu n teilerfremdes m mit m n ∈ P . Es sei n = st. Dann ist m m = s ∈ P. t n

3. Rationale Gr¨ oßenbereiche

105

Weil t Teiler von n und weil n zu m teilerfremd ist, ist auch t zu m teilerfremd. Also ist t ∈ N (P ). Damit ist b) und dann auch a) bewiesen. c) Nach Satz 6 gibt es einen Teiler A von n und einen Teiler B von s mit ggT(A, B) = B 1 — es spielt B hier die Rolle, die ggT(A,B) in Satz 6 spielte — und AB = kgV(n, s). Nach b) gilt A, B ∈ N (P ). Es gibt also u, v ∈ N mit ggT(u, A) = 1 = ggT(v, B) und u v A , B ∈ P . Es folgt uB + vA u v = + ∈ P. AB A B Es sei p ein Primteiler von AB. Dann ist p Teiler von A oder von B. Wir d¨ urfen annehmen, dass p Teiler von A ist. Dann ist p kein Teiler von u und auch kein Teiler von B. Also ist p kein Teiler von uB. Weil p andererseits Teiler von vA ist, ist p kein Teiler von uB + vA, da p sonst uB teilte. Also ist AB zu uB + vA teilerfremd und daher AB ∈ N (P ). Satz 8. Es sei M eine Menge von nat¨ urlichen Zahlen und es gelte: a) M ist nicht leer. b) Ist n ∈ M und ist t Teiler von n, so ist t ∈ M . c) Sind n, s ∈ M , so ist kgV(n, s) ∈ M . Ist dann P die Menge aller m n mit m ∈ N und n ∈ M , so ist P ein in Q+ enthaltener Gr¨ oßenbereich mit 1 ∈ P und es gilt N (P ) = M . Beweis. Banal. Beispiele solcher Mengen M sind: die Menge N aller nat¨ urlichen Zahlen die Menge aller Teiler einer gegebenen nat¨ urlichen Zahl die Menge aller quadratfreien Zahlen die Menge aller Potenzen einer Primzahl. Diese vier Beispiele definieren nicht-isomorphe rationale Gr¨oßenbereiche, wie Satz 12 zeigen wird. Satz 9. Es seien P und Q in Q+ enthaltene Gr¨ oßenbereiche und es gelte 1 ∈ P . Ist σ ein Homomorphismus von P in Q, so ist σ(x) = xσ(1) f¨ ur alle x ∈ P . Beweis. Setze a := σ(1). Es sei n ∈ N (P ). Nach Satz 8 ist n1 ∈ P . Es folgt     n 1 a = σ(1) = σ = nσ n n und damit σ( n1 ) = x= m n . Es folgt

1 n a.

Ist nun x ∈ P , so gibt es ein m ∈ N und ein n ∈ N (P ) mit  σ(x) = σ

   m 1 m = mσ = a = xa. n n n

Satz 10. Es seien P und Q in Q+ enthaltene Gr¨ oßenbereiche und es gelte 1 ∈ P , Q. Ferner sei σ ein Isomorphismus von P auf Q mit σ(1) = α β und ggT(α, β) = 1. Dann ist   n N (Q) = γ γ teilt β und n ∈ N (P ) . ggT(n, α)

106

II. Gr¨oßenbereiche

Beweis. Es sei n ∈ N (P ) und β = δγ. Mit Satz 4 folgt

δ n

∈ P und weiter

α   ggT(n, α) δ δα δ α σ = = = . n n nβ n δγ γ ggT(α, n) Weil Nenner und Z¨ ahler des letzten Bruches teilerfremd sind, gilt n γ ∈ N (Q). ggT(α, n) Es sei umgekehrt v ∈ N (Q). Nach Satz 4 ist v1 ∈ Q. Es gibt ein m ∈ N und ein 1 n ∈ N (P ) mit ggT(m, n) = 1 und σ( m n ) = v . Es folgt m α   ggT(m, β) ggT(α, n) 1 m mα =σ = = . v n nβ n β ggT(α, n) ggT(m, β) Zweimalige Anwendung der Aufgabe 5 von Kapitel I, Abschnitt 4 zeigt, dass Z¨ahler und Nenner des letzten Bruches teilerfremd sind. Andererseits folgt, dass m α n β v =1· ggT(m, β) ggT(α, n) ggT(α, n) ggT(m, β) ist. Mit Aufgabe 4 von Abschnitt 4 des Kapitel I folgt daher 1=

m α ggT(m, β) ggT(α, n)

v=

n β . ggT(α, n) ggT(m, β)

und

Aus der ersten Gleichung folgt unter anderem m = ggT(m, β), sodass β = mγ ist mit einem γ ∈ N. Also ist n v= γ. ggT(α, n) Damit ist Satz 10 bewiesen. Es sei P ein rationaler Gr¨ oßenbereich. Ist p eine Primzahl, so setzen wir E(p) := {n | n ∈ N0 , pn ∈ N (P )}. Nach Satz 7 a) ist 1 ∈ N (P ) und daher 0 ∈ E(p) f¨ ur alle Primzahlen p. Wir definieren nun fP wie folgt: Ist E(p) nicht beschr¨ ankt, so setzen wir fP (p) := ∞.

3. Rationale Gr¨ oßenbereiche

107

Ist E(p) beschr¨ ankt, so setzen wir  fP (p) := max E(p) . Ist N (P ) = N, so ist fP (p) = ∞ f¨ ur alle Primzahlen p. Ist N (P ) die Menge der quadratfreien Zahlen, so ist fP (p) = 1 f¨ ur alle Primzahlen p. Ist N (P ) die Menge der Teiler von n, so ist Y n= pfP (p) . p

Ist N (P ) die Menge der Potenzen der Primzahl p, so ist fP (p) = ∞ und fP (q) = 0 f¨ ur alle von p verschiedenen Primzahlen q. Funktion fP beschreibt ihrerseits die Menge N (P ) vollst¨andig. Ist n¨amlich n = Q Die e(p) p , wobei e(p) nur f¨ ur endlich viele Primzahlen von Null verschieden ist, so ist p genau dann n ∈ N (P ), wenn e(p) ≤ fP (p) ist f¨ ur alle p. Ist a ∈ N und ist p eine Primzahl, so sei fa (p) dadurch definiert, dass pfa (p) die h¨ ochste Potenz von p ist, die a teilt. Dann ist also fa (p) ∈ N0 f¨ ur alle Primzahlen p. Satz 11. Es seien P und Q in Q+ enthaltene Gr¨ oßenbereiche und es gelte 1 ∈ P , Q. Ferner sei σ ein Isomorphismus von P auf Q. Ist σ(1) = α β mit teilerfremden α und β, so ist fQ (p) = fP (p) − fα (p) + fβ (p) f¨ ur alle Primzahlen p. Dabei ist fP (p) − fα (p) + fβ (p) als ∞ zu interpretieren, falls fP (p) = ∞ ist. Ist fα (p) 6= 0, so ist fβ (p) = 0, und ist fβ (p) 6= 0, so ist fα (p) = 0. Beweis. Die letzte Aussage folgt aus der Teilerfremdheit von α und β. β −1 Wegen σ(1) = α (y) = y α f¨ ur alle y ∈ Q. Mit β ist β ∈ N (Q). Mit Satz 9 folgt σ y = 1 folgt daher α ∈ N (P ). Insbesondere ist fα (p) ≤ fP (p) f¨ ur alle Primzahlen p. Es sei p eine Primzahl und es sei n eine nat¨ urliche Zahl mit n ≤ fQ (p). Ferner teile p weder α noch β. Es gibt dann nach Satz 10 ein m ∈ N (P ) und einen Teiler γ von β mit m pn = γ. ggT(m, α) Weil p kein Teiler von β ist, folgt γ = 1, sodass pn als Teiler von m nach Satz 7 b) β in N (P ) liegt. Also ist fQ (p) ≤ fP (p). Weil σ −1 durch α vermittelt wird, gilt auch fP (p) ≤ fQ (p) und damit fQ (p) = fP (p) = fP (p) − fα (p) + fβ (p). Es sei p Teiler von α. Ferner sei n ∈ N0 und n ≤ fP (p) − fα (p). Dann ist m := pn+fα (p) ∈ N (P ) und folglich pn =

m ∈ N (Q). ggT(m, α)

108

II. Gr¨oßenbereiche

Somit ist fP (p) − fα (p) ≤ fQ (p). Es sei umgekehrt n ≤ fQ (p). Weil p kein Teiler von β ist, gibt es ein m ∈ N mit m pn = . ggT(m, α) Es folgt, dass m durch pn+k teilbar ist, wobei k dadurch definiert sei, dass dies die h¨ ochste Potenz von p ist, die m teilt. Dann muss, wenn n > 0 ist, was wir annehmen d¨ urfen, k = fα (p) sein, da andernfalls ggT(m, α) durch pk+1 teilbar w¨are, was nicht geht. Also ist fQ (p) ≤ fP (p) − fα (p). Es folgt fQ (p) = fP (p) − fα (p) = fP (p) − fα (p) + fβ (p). Ist schließlich p Teiler von β, so erh¨ alt man, indem man die Rollen von P und Q vertauscht, fP (p) = fQ (p) − fβ (p) und damit fQ (p) = fP (p) + fβ (p) = fP (p) − fα (p) + fβ (p). Satz 12. Es seien P und Q in Q+ enthaltene Gr¨ oßenbereiche und es gelte 1 ∈ P , Q. Ferner sei IP,Q die Menge der Primzahlen p, f¨ ur die fP (p), fQ (p) 6= ∞ und fP (p) 6= fQ (p) gelten, und VP,Q sei die Menge der Primzahlen p mit fP (p) 6= fQ (p). Genau dann sind P und Q isomorph, wenn IP,Q endlich ist und VP,Q = IP,Q gilt. Beweis. Es sei σ ein Isomorphismus von P auf Q. Ferner sei σ(1) = 1. Nach Satz 11 ist dann

α β

mit ggT(α, β) =

fQ (p) = fP (p) − fα (p) + fβ (p) f¨ ur alle Primzahlen p. Weil α und β nur endliche viele Primteiler haben, folgt, dass IP,Q endlich ist. Außerdem kann fQ (p) 6= fP (p) nur dann gelten, wenn beide Werte in N liegen. Also ist VP,Q = IP,Q . Es sei IP,Q endlich und es gelte VP,Q = IP,Q . Wir definieren a(p) f¨ ur die Primzahl p wie folgt: Ist p ∈ IP,Q und ist fQ (p) < fP (p), so setzen wir a(p) := fP (p) − fQ (p). In allen andern F¨ allen setzen wir a(p) := 0. Ferner definieren wir b(p) auf folgende Weise: Ist p ∈ IP,Q und ist fP (p) < fQ (p), so setzen wir b(p) := fQ (p) − fP (p). In allen anderen F¨ allen setzen wir b(p) := 0. Mittels a und b definieren wir α und β verm¨ oge Y α := pa(p) p

und β :=

Y p

pb(p) ,

4. Dedekindsche Schnitte

109

wobei die Produkte u ¨ber alle Primzahlen zu erstrecken sind. Weil IP,Q endlich ist, sind α und β nat¨ urliche Zahlen, die aufgrund ihrer Definition teilerfremd sind. Wir definieren einen Monomorphismus σ von P in Q+ durch α σ(x) := x . β Setze Q0 := σ(P ). Es ist a(p) ≤ fP (p) f¨ ur alle p. Daher ist α ∈ N (P ). Nach Satz 4 ist folglich α1 β und damit α ∈ P . Also ist 1 ∈ Q0 . Nach Satz 11 und aufgrund der Voraussetzung VP,Q = IP,Q ist dann fQ0 (p) = fP (p) − fα (p) + fβ (p) = fQ (p) f¨ ur alle Primzahlen p. Es folgt N (Q0 ) = N (Q). Wegen 1 ∈ Q0 gilt nach Satz 10, dass 1 0 ur alle n ∈ N (Q). Also ist n ∈ Q ist f¨   m 0 Q = m ∈ N und n ∈ N (Q) = Q, n sodass σ ein Isomorphismus von P auf Q ist. Damit ist Satz 12 bewiesen. Jeder Automorphismus eines in Q+ enthaltenen Gr¨oßenbereichs P , der die Eins enth¨ alt, wird ebenfalls durch Multiplikation mit einer rationalen Zahl α ur β realisiert. Daf¨ gilt dann fP (p) = fP (p) − fα (p) + fβ (p) f¨ ur alle Primzahlen p. Dies zeigt, dass α und β nur durch solche Primzahlen p teilbar sind, f¨ ur die fP (p) = ∞ ist. Sind umgekehrt α und β teilerfremde Zahlen, die nur durch Primzahlen p teilbar sind, f¨ ur die fP (p) = ∞ ist, so ist die durch σ(x) := x α β definierte Abbildung σ ein Automorphismus von P . Eine torsionsfreie abelsche Gruppe G heißt Rang-1-Gruppe, wenn es zu a, b ∈ G−{0} stets m, n ∈ Z − {0} gibt mit ma + nb = 0. W¨ ahlt man e ∈ G − {0}, so gibt es zu jedem a ∈ G Zahlen m, n ∈ Z mit n 6= 0 und na = me. Definiert man σ(a) durch σ(a) := m n (siehe Satz 3), so wird σ zu einem Monomorphismus von G in die additive Gruppe von Q. Es folgt, dass G archimedisch ist, und mit Satz 2 folgt weiter, dass G lokal ¨ zyklisch ist. Satz 12 gibt daher auch einen Uberblick u ¨ber alle Isomorphietypen von torsionsfreien abelschen Rang-1-Gruppen. Die entsprechende Aussage findet sich bei Baer 1937, Theorem 2.8. Der Monomorphismus σ findet sich ebenfalls in der baerschen Arbeit. Dass die additive Gruppe der rationalen Zahlen lokal zyklisch ist, steht schon in dem von Dedekind stammenden Supplementum XI von Dirichlet 1893, §172, S. 515. 4. Dedekindsche Schnitte. Wir geben nun eine von Dedekind (Dedekind 1872) stammende Konstruktion der reellen Zahlen. Sie geht nach Dedekinds Zeugnis zur¨ uck in das Jahr 1858 und ist somit die fr¨ uheste Konstruktion f¨ ur sie, die je gegeben wurde. Vor Dedekind hat man sich stets auf die geometrische Anschauung berufen, was Dedekind missfiel, zumal die L¨ uckenlosigkeit der Geraden in der euklidischen Geometrie, wie er

110

II. Gr¨oßenbereiche

feststellte, nicht denknotwendig ist: F¨ ur die euklidische Geometrie gibt es viele nicht isomorphe Modelle, aber nur eines dieser Modelle hat l¨ uckenlose Geraden. Dass es diese Vielzahl an Modellen gibt, kann man, wie es scheint, nur mit algebraischen Methoden beweisen. Ich werde daher die Geometrie, auch wenn sie auf der Schule so sehr hilft, Eigenschaften der reellen Zahlen plausibel zu machen, v¨ollig aus dem Spiel lassen und sie auch nicht zum Motivieren benutzen. Ein wenig werde ich aber doch versuchen, das Folgende zu motivieren. Dazu sei r ∈ Q+ . Setzt man dann A := {x | x ∈ Q+ , x ≤ r}

und B := {x | x ∈ Q+ , r < x},

so hat das Paar (A, B) die folgenden Eigenschaften: a) Es ist A ∪ B = Q+ . b) Es ist A ∩ B = ∅. c) Es ist a < b f¨ ur alle a ∈ A und alle b ∈ B. Die gleichen Eigenschaften hat aber auch das durch A0 := {x | x ∈ Q+ , x < r}

und B 0 := {x | x ∈ Q+ , r ≤ x}

definierte Paar (A0 , B 0 ). Im ersten Fall enth¨alt A ein gr¨oßtes, B aber kein kleinstes Element und im zweiten Fall enth¨ alt B 0 ein kleinstes, A0 aber kein gr¨oßtes Element. In beiden F¨ allen haben A und A0 ein Supremum und B und B 0 ein Infimum, n¨amlich r. Setzt man schließlich A00 := {x | x ∈ Q+ , x2 ≤ 2}

und B 00 := {x | x ∈ Q+ , 2 < x2 },

so erf¨ ullt das Paar (A00 , B 00 ) ebenfalls die Eigenschaften a), b) und c), aber A00 hat kein gr¨ oßtes und B 00 kein kleinstes Element, da es, wie man seit alters weiß, keine rationale Zahl gibt, deren Quadrat 2 ist. So wird in Buch VI der Elemente bewiesen — ohne dass von der eindeutigen Primfaktorzerlegung nat¨ urlicher Zahlen Gebrauch gemacht wird —, dass f¨ ur nat¨ urliche Zahlen a, b, n genau dann an Teiler von bn ist, wenn a Teiler von b ist. Dann folgt — und das ist nun mein Argument —, aus a2 : b2 = 2 : 1, dass b Teiler von a ist. Setzt man c := a/b, so ist c2 : 1 = 2 : 1 und damit c2 = 2, was offenbar nicht der Fall ist. Hat man nun zwei Teilmengen A und B von Q+ und erf¨ ullen diese Teilmengen die Bedingungen a), b) und c), so nennt man (A, B) einen dedekindschen Schnitt. Hat A ein Supremum r, so ist r Infimum von B, und es gibt zwei sich gegenseitig ausschließende M¨ oglichkeiten, n¨ amlich r ist gr¨ oßtes Element von A oder r ist kleinstes Element von B. In beiden F¨ allen bestimmt der Schnitt (A, B) die rationale Zahl r. Hat A kein Supremum, so hat auch B kein Infimum und dem Schnitt (A, B) entspricht keine rationale Zahl. In diesem Falle erschafft“ Dedekind eine neue Zahl — im obigen Beispiel (A00 , B 00 ) √ ” die Zahl 2 —, worauf er sehr viel Wert legt. Definiert man dann in geeigneter Weise Addition und Multiplikation auf der Menge der rationalen und der neu geschaffenen Zahlen, so erh¨ alt man den Halbk¨ orper der positiven reellen Zahlen. Dedekind operiert ¨ hier im Ubrigen mit ganz Q, was bei diesem Vorgehen wenig geschickt ist. Bei allen drei Beispielen ist klar, dass A bereits den Schnitt v¨ollig festlegt. Die Zweideutigkeit im Falle, dass der Schnitt durch eine rationale Zahl definiert wird, kann man

4. Dedekindsche Schnitte

111

dadurch beheben, dass man sich daf¨ ur entscheidet, dass sup(A) ∈ A gilt, falls sup(A) existiert. Wie das alles technisch durchzuf¨ uhren ist, wird nun gezeigt. Es sei (M, ≤) eine angeordnete Menge. Ist X ⊆ M und s ∈ M , so heißt s obere Schranke von X, falls y ≤ s f¨ ur alle y ∈ X gilt. Entsprechend heißt s untere Schranke von X, falls s ≤ y f¨ ur alle y ∈ X gilt. Mit Ma(X) bezeichnen wir die Menge der oberen und mit Mi(X) die Menge der unteren Schranken von X. Dabei erinnere Ma an Majorante und Mi an Minorante. Enth¨ alt Ma(X) ein kleinstes Element, so heißt dieses Supremum von X und enth¨ alt Mi(X) ein gr¨ oßtes Element, so heißt dieses Infimum von X. Wir schreiben sup(X) und inf(X). Satz 1. Es sei (M, ≤) eine angeordnete Menge. Dann gilt: 1) Sind X, Y ⊆ M und ist X ⊆ Y , so ist Mi(Y ) ⊆ Mi(X) und Ma(Y ) ⊆ Ma(X). 2) Ist X ⊆ M , so ist X ⊆ Ma Mi(X) und X ⊆ Mi Ma(X). 3) Es ist Ma Mi Ma = Ma und Mi Ma Mi = Mi. Beweis. 1) und 2) sind trivial. 3) Wegen X ⊆ Mi Ma(X) ist Ma(X) ⊇ Ma Mi Ma(X). Andererseits ist Y ⊆ Ma Mi(Y ) f¨ ur alle Y ⊆ M . Mit Y := Ma(X) folgt Ma(X) ⊆ Ma Mi Ma(X). Also ist Ma Mi Ma = Ma. Ebenso beweist man, dass Mi Ma Mi = Mi ist. Es sei (M, ≤) eine angeordnete Menge. Ist A ⊆ M , so heißt A ein Anfang von M , falls aus x ∈ A, y ∈ M und y ≤ x stets folgt, dass y ∈ A ist. Satz 2. Es sei (M, ≤) eine angeordnete Menge. Setze τ := Mi Ma. Dann hat τ die folgenden Eigenschaften: 1) Es ist X ⊆ τ (X) f¨ ur alle X ⊆ M . 2 2) Es ist τ = τ . 3) Ist X ⊆ Y ⊆ M , so ist τ (X) ⊆ τ (Y ). 4) F¨ ur alle X ⊆ M ist τ (X) ein Anfang von M . Beweis. Die erste und dritte Aussage sind nur Umformulierungen von Aussagen des Satzes 1. Die vierte Aussage ist banal. Schließlich folgt die zweite Aussage unter Benutzung von Satz 1, 3) aus τ 2 = Mi Ma Mi Ma = Mi Ma = τ. Ist (M, ≤) eine angeordnete Menge und Y ⊆ M , so heißt Y normaler Anfang von M , falls τ (Y ) = Y ist. Normale Anf¨ ange sind nach Satz 2, 4) immer auch Anf¨ange. Satz 3. Es sei (M, ≤) eine linear geordnete Menge und Y sei ein Anfang von M . Ist s ∈ τ (Y ) − Y , so ist s = sup(Y ). Insbesondere enth¨ alt τ (Y ) − Y h¨ ochstens ein Element. Beweis. Es sei s ∈ τ (Y )−Y . Ist y ∈ Y , so ist s 6≤ y, da Y ein Anfang ist. Weil M linear geordnet ist, ist also y < s. Es folgt s ∈ Ma(Y ). Andererseits ist s ∈ τ (Y ) = Mi Ma(Y ),

112

II. Gr¨oßenbereiche

sodass in der Tat s = sup(Y ) ist. Damit ist alles bewiesen, da eine Teilmenge einer geordneten Menge h¨ ochstens ein Supremum hat. Satz 4. Es sei (M, ≤) eine linear geordnete Menge und Y sei ein Anfang von M . Genau dann ist Y normal, wenn gilt: Ist s = sup(Y ), so ist s ∈ Y . Beweis. Es sei Y normal. Ist s = sup(Y ), so ist s das kleinste Element von Ma(Y ). Also ist s ∈ Mi Ma(Y ) = τ (Y ) = Y . Es gelte umgekehrt: Ist s = sup(Y ), so ist s ∈ Y . Satz 3 zeigt, dass dann τ (Y ) = Y ist. Also ist Y normal. Korollar. Es sei (M, ≤) eine linear geordnete Menge und Y sei ein Anfang von M . Ist Y nicht normal, so hat Y ein Supremum s und es gilt s 6∈ Y . Mit R+ bezeichnen wir im Folgenden die Menge der von ∅ und Q+ verschiedenen normalen Anf¨ ange von Q+ . Die Elemente von R+ werden wir positive reelle Zahlen nennen. Die normalen Anf¨ ange ersetzen uns die dedekindschen Schnitte, wie zu Beginn dieses Abschnitts erl¨ autert. Sind X, Y ∈ R+ , so schreiben wir X ≤ Y , falls X ⊆ Y gilt. Satz 5. Die Relation ≤ ist eine lineare Ordnung von R+ . F¨ ur sie gilt der Satz von der oberen Grenze, d.h.: Ist Ξ eine nicht-leere, nach oben beschr¨ ankte Teilmenge von (R+ , ≤), so hat Ξ ein Supremum. Beweis. Da ⊆ eine Ordnungsrelation ist, gen¨ ugt es zu zeigen, dass je zwei Elemente X und Y von R+ vergleichbar sind. Es sei daher y ∈ Y − X. Es gibt dann kein x ∈ X mit y ≤ x, da X ja ein Anfang ist. Es ist also, da Q+ linear geordnet ist, x < y f¨ ur alle x ∈ X und folglich X ≤ Y . Es sei Ξ eine nach oben beschr¨ ankte, nicht-leere Teilmenge von R+ . Setze [  S := τ X . X∈Ξ

Dann ist S nicht leer, da Ξ nicht leer ist und die Elemente von R+ nicht leer sind. Es sei M ∈ R+ eine obere Schranke von Ξ. Dann ist X ⊆ M f¨ ur alle X ∈ Ξ. Es folgt [  S=τ X ⊆ τ (M ) = M. X∈Ξ

Weil Ξ nach Voraussetzung wenigstens eine obere Schranke T hat, folgt S ⊆ T 6= Q+ und damit S ∈ R+ . Es sei wieder M eine beliebige Schranke von Ξ. Dann ist, wie gerade gesehen, S ⊆ M , sodass M auch obere Schranke von S ist. Wegen X ⊆ S f¨ ur alle X ∈ Ξ ist auch S eine obere Schranke von Ξ und damit die kleinste obere Schranke von Ξ. Also gilt S = sup(Ξ). Damit ist alles bewiesen. Der n¨ achste Satz gibt die dyadische Entwicklung f¨ ur X ∈ R+ . Zun¨achst jedoch noch eine Definition. Es sei (N, ≤) eine bez¨ uglich ≤ linear geordnete Menge. Ferner sei M irgendeine Menge. Ist dann f eine Abbildung von N in M , so nennen wir f Folge auf M . Typische Beispiele f¨ ur (N, ≤) sind N0 , N und {1, 2, . . . , n} mit der u ¨blichen Anordnung.

4. Dedekindsche Schnitte

113

Ist f eine Folge mit der Indexmenge {1, 2, . . . , n}, so ist f nichts anderes als das n-Tupel (f1 , f2 , . . . , fn ), dessen Werte fi in M liegen. Wenn wir von Folgen reden, so bezeichnen wir das Bild von i unter f meist mit fi . Es sei (N, ≤) eine linear geordnete Menge. Ferner sei auch (M, ≤) linear geordnet. Ist dann f eine Folge auf M mit Indizes in N , so nennen wir f monoton steigend , wenn aus i, j ∈ N und i ≤ j stets fi ≤ fj folgt. Die Folge f heißt monoton fallend , falls aus i, j ∈ N und i ≤ j stets fi ≥ fj folgt. Satz 6. Es sei X ∈ R+ . Es gibt dann ein N ∈ N0 und eine Folge xN , xN +1 , . . . auf X mit den Eigenschaften: 1) Es ist ( 1 xn , falls xn + 2n+1 6∈ X, xn+1 = 1 1 xn + 2n+1 , falls xn + 2n+1 ∈ X. 2) Die Folge x steigt monoton. 3) Definiert man die Folge y durch yn := xn + 21n f¨ ur alle n ≥ N , so ist y monoton fallend und es gilt yn 6∈ X f¨ ur alle n ≥ N . Beweis. Hier haben wir Gelegenheit, den dedekindschen Rekursionssatz in der Form zu benutzen, wie er in Aufgabe 6 von Abschnitt 1 des Kapitels I formuliert ist. Weil X nicht leer ist, gibt es ein r ∈ X. Es gibt ferner ein m ∈ N mit 21m ≤ r. Es folgt 21m ∈ X, da X ein Anfang ist. Unter all den ms, f¨ ur die 21m ∈ X ist, gibt es eine 1 kleinste Zahl k. Ist k > 1, so ist 2k−1 6∈ X. In diesem Falle setzen wir N := k und aN := 21N . Ist k = 1, so sind zwei F¨ alle zu unterscheiden, n¨amlich die F¨alle 1 6∈ X und 1 ∈ X. Im Falle 1 6∈ X setzen wir wie zuvor N := k und aN := 21N . Ist 1 ∈ X, so setzen wir N := 0 und bezeichnen mit aN die gr¨ oßte nat¨ urliche Zahl, die in X enthalten ist. Da X beschr¨ ankt ist, gibt es ein solches aN . Wir definieren nun eine Rekursionsregel R auf N × X durch ( 1 s, falls s + 2n+1 6∈ X, R(n, s) := 1 1 s + 2n+1 , falls s + 2n+1 ∈ X. Nach dem dedekindschen Rekursionssatz (Aufgabe 6 in Kapitel I, Abschnitt 1) gibt es eine Folge x auf X mit xN = aN und ( 1 xn , falls xn + 2n+1 6∈ X, xn+1 = R(n, xn ) = 1 1 xn + 2n+1 , falls xn + 2n+1 ∈ X. Die Folge x erf¨ ullt also 1) und damit auch 2). Es ist xN = aN ∈ X. Ist N = 0, so ist yN = aN +

1 = aN + 1. 2N

Weil aN die gr¨ oßte nat¨ urliche Zahl ist, die in X vorkommt, ist yN 6∈ X. Ist N > 0, so ist N = k und 1 6∈ X. Es folgt yN =

1 1 1 + k = k−1 2k 2 2

114

II. Gr¨oßenbereiche

und weiter yN 6∈ X. Es sei n ≥ N und es gelte yn 6∈ X. Dann ist yn+1 = xn+1 + Es sei xn + gilt

1 2n+1

1 2n+1

.

6∈ X. Dann ist xn+1 = xn und folglich yn+1 = xn + yn+1 = xn +

Es sei xn +

1 2n+1

1 2n+1

6∈ X. Weiter

1 1 < xn + n = yn . 2n+1 2

∈ X. Dann ist xn+1 = xn + yn+1 = xn+1 +

1 2n+1 .

Es folgt

1 1 = xn + n = yn . 2n+1 2

Also ist auch hier yn+1 6∈ X und in beiden F¨allen gilt yn+1 ≤ yn . Damit ist alles bewiesen. Satz 7. Auf R+ definieren wir eine bin¨ are Verkn¨ upfung ⊕ durch X ⊕ Y := τ (X + Y ) f¨ ur alle X, Y ∈ R+ , wobei X + Y wiederum erkl¨ art ist durch X + Y := {x + y | x ∈ X, y ∈ Y }. Dann gilt: a) Die Verkn¨ upfung ⊕ ist assoziativ und kommutativ. b) Sind X, Y , Z ∈ R+ und gilt X ⊕ Z = Y ⊕ Z, so ist X = Y . c) Sind X, Y , Z ∈ R+ und ist X ≤ Y , so ist X ⊕ Z ≤ Y ⊕ Z. d) Sind X, Y ∈ R+ und ist X < Y , so gibt es ein Z ∈ R+ mit X ⊕ Z = Y . e) Sind X, Y , Z ∈ R+ und ist X ⊕ Z = Y , so ist X < Y . f ) Definiert man die Abbildung α von Q+ in R+ durch α(r) := {x | x ∈ Q+ , x ≤ r}, so ist α ein Monomorphismus von Q+ in R+ , d.h. dass α injektiv ist und die Addition wie auch die Anordnung respektiert. g) Es sei Y ∈ R+ und n ∈ N. Definiere nY rekursiv durch 1Y := Y und (n + 1)Y := nY ⊕ Y . Dann ist nY = {ny | y ∈ Y }.

4. Dedekindsche Schnitte

115

h) Ist X ∈ R+ und n ∈ N, so gibt es ein Y ∈ R+ mit nY = X. i) Sind X, Y ∈ R+ , so gibt es ein n ∈ N mit nY > X. Beweis. Wegen X, Y 6= ∅ ist X + Y 6= ∅ und dann auch X ⊕ Y 6= ∅. Wegen X, Y 6= Q+ gibt es Elemente s ∈ Q+ − X und t ∈ Q+ − Y . Weil X und Y Anf¨ange sind, ist s ∈ Ma(X) und t ∈ Ma(Y ). Es folgt s + t ∈ Ma(X + Y ) und damit X ⊕ Y ⊆ α(s + t). Wegen s + t < s + t + 1 ist α(s + t) 6= Q+ und damit X ⊕ Y 6= Q+ . Wegen τ (X ⊕ Y ) = τ τ (X + Y ) = τ (X + Y ) = X ⊕ Y ist X ⊕ Y schließlich normaler Anfang, sodass X ⊕ Y ∈ R+ ist. a) Es ist X ⊕ Y = τ (X + Y ) = τ (Y + X) = Y ⊕ X. Also ist ⊕ kommutativ. Es seien X, Y , Z ∈ R+ . Wir setzen L := X ⊕ (Y ⊕ Z), und R := (X ⊕ Y ) ⊕ Z und M := τ (X + Y + Z). Nun ist Y + Z ⊆ Y ⊕ Z. Hieraus folgt X + Y + Z ⊆ X + (Y ⊕ Z) und daher  M = τ (X + Y + Z) ⊆ τ X + (Y ⊕ Z) = X ⊕ (Y ⊕ Z) = L. Wir zeigen nun, dass  Ma(X + Y + Z) ⊆ Ma X + (Y ⊕ Z) ist. Dazu sei t ∈ Ma(X + Y + Z). Dann gilt t ≥ x + y + z f¨ ur alle x ∈ X, y ∈ Y und z ∈ Z. Es folgt −x + t ≥ y + z und somit −x + t ∈ Ma(Y + Z) f¨ ur alle x ∈ X. (Beachte, dass t−x > 0, also t−x ∈ Q+ ist.) Ist v ∈ Y ⊕Z = Mi Ma(Y +Z), so ist also v ≤ −x+t und daher x + v ≤ t, sodass  t ∈ Ma X + (Y ⊕ Z) ist. Damit ist die fragliche Inklusion bewiesen. Mit Satz 1, 1) folgt nun  M = Mi Ma(X + Y + Z) ⊇ Mi Ma X + (Y ⊕ Z) = L. Also ist M = L. Die Aussage τ (X + Y + Z) = X ⊕ (Y ⊕ Z) gilt f¨ ur alle X, Y und Z. Also ist M = τ (X + Y + Z) = τ (Z + X + Y ) = Z ⊕ (X ⊕ Y ) = (X ⊕ Y ) ⊕ Z = R Also ist L = M = R, sodass a) bewiesen ist.

116

II. Gr¨oßenbereiche

b) Weil R+ linear geordnet ist, d¨ urfen wir X ≤ Y annehmen. Angenommen, es w¨are X < Y . Es gibt dann ein y ∈ Y − X. Es ist y 6= sup(X), da andernfalls y ∈ X w¨are, weil X ja normaler Anfang ist. Es gibt also eine nat¨ urliche Zahl a mit y − a1 6∈ X. Nach 1 Satz 6 gibt es eine nat¨ urliche Zahl b und ein zb ∈ Z mit zb + 21b 6∈ Z und 21b ≤ 4a . Wegen 1 1 y− a 6∈ X ist y− a eine obere Schranke von X. Ist nun x die in Satz 6 beschriebene Folge 1 auf X, so ist also xm ≤ y − a1 f¨ ur alle m. Es sei m so beschaffen, dass xm + 21m ≥ y − 2a ist. Dann ist 1 1 1 = xm + m − xm ≥ y − − xm 2m 2 2a 1 1 1 ≥y− −y+ = . 2a a 2a 1 Also gibt es h¨ ochstens endlich viele solcher ms, sodass es ein n gibt mit xn + 21n < y − 2a . Es sei nun u ∈ X und v ∈ Z. Dann ist 1 1 1 1 1 1 + zb + b < y − + zb + b ≤ y − + zb + 2n 2 2a 2 2a 4a 1 = y + zb − . 4a

u + v < xn +

Hieraus folgt 1 < y + zb 4a f¨ ur alle w ∈ X ⊕ Z. Wegen y + zb ∈ Y ⊕ Z = X ⊕ Z folgt der Widerspruch w ≤ y + zb −

y + zb < y + zb . Also ist doch X = Y . c) ist banal. d) Setze Z := {z | z ∈ Q+ , es ist x + z ∈ Y f¨ ur alle x ∈ X}. Wegen X < Y gibt es ein y ∈ Y − X. Weil sup(X), so es existiert, zu X geh¨ort, gibt es ein n ∈ N mit y − n1 > x f¨ ur alle x ∈ X, sodass n1 ∈ Z ist. Somit ist Z nicht leer. Ist x ∈ X, so ist z < x + z ∈ Y f¨ ur alle z ∈ Z und daher Z ⊆ Y , sodass Z 6= Q+ ist. Es ist noch zu zeigen, dass Z normaler Anfang ist. Es sei w ≤ z ∈ Z. Dann ist x+w ≤x+z ∈Y f¨ ur alle x ∈ X und folglich x + w ∈ Y f¨ ur alle x ∈ X. Somit ist w ∈ Z, sodass Z ein Anfang ist. Es existiere s := sup(Z), aber es gelte s 6∈ Z. Dann gibt es ein x ∈ X mit x + s 6∈ Y . Es gibt dann ein n ∈ N mit x + s − n1 6∈ Y . Es folgt s − n1 6∈ Z und damit s 6= sup(Z). Damit ist gezeigt, dass Z normaler Anfang ist. Schließlich m¨ ussen wir noch zeigen, dass X ⊕ Z = Y ist. Nat¨ urlich ist X ⊕ Z ≤ Y . Es sei y ∈ Y und y 6∈ X ⊕ Z. Wie schon verschiedentlich gesehen, gibt es ein n ∈ N mit y − n1 6∈ X ⊕ Z. Nach Satz 6 gibt es ein z ∈ Z mit z + 21n 6∈ Z. Es folgt x+z ≤y−

1 n

4. Dedekindsche Schnitte

117

und weiter

1 1 1 ≤y− + n h. Es folgt u − n1 h < u und folglich u − n1 h ∈ α(g). Ferner ist auch n1 h ∈ α(h). Daher ist 1 1 u = u − h + h ∈ α(g) + α(h). n n Ist g < u, so ist u − g ≤ g + h − g = h. Daher ist u − g ∈ α(h) und folglich u = g + u − g ∈ α(g) + α(h). Insgesamt erhalten wir daher, dass α(g) ⊕ α(h) ⊆ α(g + h) ⊆ α(g) + α(h) ⊆ α(g) ⊕ α(h) ist. Dass α ordnungstreu und injektiv ist, ist banal. Also gilt auch f). g) Wir zeigen zun¨ achst, dass nt obere Schranke von nY ist, wenn t obere Schranke von Y ist. Dies ist richtig f¨ ur n = 1. Es sei richtig f¨ ur n ≥ 1. Dann ist (n + 1)t = nt + t obere Schranke von nY + Y und dann auch von nY ⊕ Y = (n + 1)Y . Als n¨ achstes zeigen wir, dass nY ⊕ Y = nY + Y ist. Es ist nY + Y ⊆ nY ⊕ Y . Es sei s Supremum von nY ⊕ Y . Ferner sei y ∈ Y . Dann ist (n + 1)y ∈ nY ⊕ Y und folglich (n + 1)y ≤ s. Es folgt s y≤ , n+1 s sodass n+1 obere Schranke von Y ist. s Es sei t eine obere Schranke von Y und es gelte t ≤ n+1 . Nach der eingangs gemachten Bemerkung ist (n + 1)t obere Schranke von (n + 1)Y . Es folgt, dass s ≤ (n + 1)t ist. Also ist s = (n + 1)t, d.h. s t= , n+1

118

II. Gr¨oßenbereiche

sodass t Supremum von Y ist. Weil Y normaler Anfang ist, folgt t ∈ Y . Es folgt s = (n + 1)t ∈ nY + Y, sodass auch nY + Y normaler Anfang ist. Also ist (n + 1)Y = nY ⊕ Y = nY + Y . Es ist {ny | y ∈ Y } ⊆ nY . Es sei x ∈PnY . Nach dem, was wir gerade bewiesen n haben, i:=1 xi . Setze z := max{x1 , . . . , xn } und Pngibt 1es x1 , . . . , xn ∈ Y1 mit x = y := i:=1 n xi . Dann ist y ≤ n nz = z. Es folgt y ∈ Y und x = ny ∈ {nw | w ∈ Y }. Damit ist g) bewiesen. h) Setze Y := {y | y ∈ Q+ , ny ∈ X}. Dann ist Y ∈ R+ . Ist n¨amlich z ≤ y ∈ Y , so ist nz ≤ ny ∈ X und folglich nz ∈ X, was wiederum z ∈ Y impliziert. Also ist Y ein Anfang. Weil X nicht leer ist, gibt es ein x ∈ X. Es folgt, dass nx ∈ Y ist. Folglich ist Y nicht leer. Weil X von Q+ verschieden ist, ist auch Y von Q+ verschieden. Um schließlich die Normalit¨ at von Y zu zeigen, sei s ∈ Q+ , aber s 6∈ Y . Dann ist ns 6∈ X. Weil X normaler Anfang ist, ist ns nicht Supremum von X. Es gibt also ein k ∈ N mit 1 1 ns − k1 6∈ X. Es folgt n(s − nk ) 6∈ X und damit s − nk 6∈ Y . Also ist s 6= sup(Y ). Dies zeigt, dass Y normaler Anfang ist. Somit ist Y ∈ R+ . Da man jedes Element von X durch n dividieren kann, ist {ny | y ∈ Y } = X. Mit g) folgt schließlich nY = X. i) Es gibt ein y ∈ Y und ein z 6∈ X. Es gibt ferner ein n ∈ N mit ny > z. Es folgt ny 6∈ X. Daher ist nY 6≤ X und folglich nY > X. Damit ist alles bewiesen. Das Element Y aus h) ist eindeutig bestimmt. Sind n¨amlich U , V ∈ R+ und ist U > V , so gibt es ein W ∈ R+ mit U = V ⊕ W . Es folgt nU = nV ⊕ nW > nV , sodass die Abbildung U → nU injektiv ist. Satz 8. In R+ gibt es zu drei Elementen stets die vierte Proportionale. Beweis. Es seien a, b, c ∈ R+ . Setze M := {x | x ∈ R+ , a : b ≤ c : x}. Die Archimedizit¨ at von R+ liefert die Existenz eines n ∈ N mit a ≤ nb. Setze y := was nach Satz 7 h) m¨ oglich ist. Dann ist c>c−

c n+1 ,

c nc = = ny n+1 n+1

und a ≤ nb. Also ist c : y > a : b und daher y ∈ M , sodass M nicht leer ist. Es gibt ferner ein m ∈ N mit ma > b. Setze z := mc. Dann ist ma > b und mc ≤ z. Also ist c : z < a : b und folglich z 6∈ M und somit M 6= R+ . Ist u ≤ x ∈ M , so gilt nach Satz 8 c) von Abschnitt 1 die Ungleichung c : x ≤ c : u. Folglich ist a : b ≤ c : u und daher u ∈ M . Somit ist M ein nicht-leerer Anfang von R+ , der von R+ verschieden ist. Folglich ist M nicht-leer und beschr¨ankt, sodass d := sup(M ) nach Satz 5 existiert. Um zu zeigen, dass a : b = c : d ist, nehmen wir an, dies sei nicht der Fall. Dann ist a : b < c : d oder a : b > c : d. Es sei a : b < c : d. Es gibt dann m, n ∈ N mit

4. Dedekindsche Schnitte

119

mc > nd und ma ≤ nb. Nach Satz 6 gibt es ein N und eine monoton wachsende Folge x auf Q+ mit xi ∈ d und xi + 21i 6∈ d f¨ ur alle i ≥ N . Bezeichnet α(r) wieder die Menge der positiven rationalen Zahlen kleiner oder gleich r, so ist   1 α(xi ) ≤ d < α xi + i . 2 Es gibt ein γ ∈ c mit mγ 6∈ nd, da ja mc > nd ist. Wegen mγ 6∈ nd ist nxi < mγ f¨ ur alle i. Es sei mγ = sup{nxi | i ≥ N }. Weil nd normaler Anfang ist und nxi ∈ nd gilt, folgte der Widerspruch mγ ∈ nd. Andererseits hat die Menge {α(nxi ) | i ≥ N } als durch α(mγ) beschr¨ankte Menge ein Supremum s in R+ . Es folgt α(mγ) > s. Wegen         n n n n α nxi + i − s ≤ α nxi + i − α(nxi ) = α i < α 2 2 2 i gibt es, da i →

n i

nach Satz 12 von Abschnitt 2 eine Nullfolge ist, ein i ∈ N mit     n n α nxi + i − s < α < α(mγ) − s. 2 i

Es folgt α(nxi +

n 2i )

< α(mγ) und damit, da ja γ ∈ c ist,   1 mc ≥ mα(γ) > nα xi + i . 2

Andererseits ist ma ≤ nb und folglich   1 a : b < c : α xi + i . 2 Hieraus folgt α(xi + 21i ) ∈ M und wegen d < α(xi + 21i ) dann der Widerspruch d < sup(M ) = d. Somit ist c : d ≤ a : b und damit c : d < a : b. Nach Satz 6 gibt es ein N ∈ N0 und eine Folge x auf d mit xn + 21n 6∈ d f¨ ur alle n ≥ N . Es folgt   1 d < α xn + n 2 und nach Satz 8 c) von Abschnitt 1 daher   1 c : α xn + n < c : d < a : b. 2 Wir nehmen an, x werde nicht konstant. Dann gibt es zu jedem n ≥ N ein j > n mit xn < xj . Es folgt α(xn ) < α(xj ) ≤ d.

120

II. Gr¨oßenbereiche

Also ist α(xn ) < d f¨ ur alle n ≥ N . Somit ist α(xn ) ∈ M f¨ ur alle n ≥ N , da d = sup(M ). Da also d < α(xn + 21n ) und xn ∈ M gilt, ist 

1 c : α xn + n 2

 < c : d < a : b ≤ c : α(xn )

f¨ ur alle n ≥ N . Wegen c : d < a : b gibt es k, l ∈ N mit ka > lb und kc ≤ ld. Es gibt ferner ein n ∈ N mit n(ka − lb) > a. Es folgt (nk − 1)a > nlb. Andererseits ist (nk − 1)c < nkc ≤ nld. Indem wir k durch nk − 1 und l durch nl ersetzen, sehen wir, dass wir von vorneherein kc < ld annehmen d¨ urfen. Wegen   1 c : α xn + n < c : d 2 ist dann auch

  1 kc ≤ lα xn + n 2

und wegen a : b ≤ c : α(xn ) auch kc > lα(xn ). Es ist also — man erinnere sich an die Definition von < auf R+ —   1 lα(xn ) ⊆ kc ⊆ lα xn + n 2 f¨ ur alle n ≥ N . Es folgt [

lα(xn ) = kc =

n≥N

\ n≥N



 1 lα xn + n . 2

Banalerweise gilt aber auch 

1 lα(xn ) ⊆ ld ⊆ lα xn + n 2 und daher [ n≥N

lα(xn ) = ld =

\ n≥N



  1 lα xn + n . 2

4. Dedekindsche Schnitte

121

Damit erhalten wir den Widerspruch kc = ld. Somit wird x doch konstant. Es gibt also ein M ≥ N mit xM = xM +i f¨ ur alle i. Definiere die Folge y durch yn := xn − 21n f¨ ur alle n > M . Dann ist y ebenfalls eine Folge auf d, da ja d ein Anfang ist und 1 1 1 < M ≤ N ≤ xn n 2 2 2 f¨ ur alle n > M gilt. Wie eben folgt, da y nicht konstant wird,   [ \ 1 lα(yn ) = kc = lα xn + n 2 n>M

n>M

und [ n>M

lα(yn ) = ld =

\ n>M

  1 lα xn + n . 2

Hiermit erhalten wir den den Satz beweisenden, endg¨ ultigen Widerspruch kc = ld. Da (R+ , +, ≤) ein eudoxischer Gr¨ oßenbereich ist, wie wir nun wissen, k¨onnen wir auf Q(R+ ) eine Addition und Multiplikation so einf¨ uhren, dass (Q(R+ ), +, ≤) ein zu (R+ , +, ≤) isomorpher Gr¨ oßenbereich, dass (Q(R+ ), ·) eine abelsche Gruppe und dass ≤ mit der Multiplikation vertr¨ aglich ist. Außerdem gelten beide Distributivgesetze. Wie wir wissen, wird durch ϕ(x) := x : α(1) ein ordnungstreuer Isomorphismus ϕ von (R+ , +) auf (Q(R+ ), +) definiert. Definiert man dann eine Multiplikation auf R+ durch  ab = ϕ−1 ϕ(a)ϕ(b) , so ist ϕ−1 eine Isomorphismus von (Q(R+ ), +, ·, ≤) auf (R+ , +, ·, ≤). Ferner ist α(1) das Einselement von (R+ , ·). Außerdem gilt ab : a = b : α(1) f¨ ur alle a, b ∈ R+ . Wir wissen bereits, dass α ein Monomorphismus von (Q+ , +, ≤) in (R+ , +, ≤) ist. Es gilt sogar Satz 9. Die Abbildung α ist ein Monomorphismus von (Q+ , +, ·, ≤) in (R+ , +, ·, ≤). Beweis. Es ist nur noch zu zeigen, dass α auch mit der Multiplikation vertr¨aglich ist. Um dies zu zeigen, seien r, s ∈ Q+ . Es gibt dann ein n ∈ N mit nr ∈ N. Es folgt α(rs) : α(r) = nα(rs) : nα(r) = α(nrs) : α(nr) = nrα(s) : nrα(1) = α(s) : α(1) = α(r)α(s) : α(r) und damit α(rs) = α(r)α(s). Damit ist alles bewiesen. Aufgrund dieses Satzes d¨ urfen und werden wir im Folgenden r und α(r) miteinander identifizieren.

122

II. Gr¨oßenbereiche Aufgaben

1. Es sei p eine Primzahl. Setze Ap := {x | x ∈ Q+ , x2 < p}. Zeigen Sie, dass Ap ∈ R+ gilt. (Diese Aufgabe hat es in sich.) 2. Cantorscher Algorithmus. Gegeben ist eine Folge p von nat¨ urlichen Zahlen mit pν > 1 f¨ ur alle ν ∈ N. Ausgehend von einer positiven reellen Zahl γ0 wird eine Folge c nicht negativer ganzer Zahlen und eine Folge γ reeller Zahlen konstruiert mit γν = cν +

γν+1 pν+1

und cν < γν ≤ cν + 1. Es sind also γ und c durch die Rekursion γν+1 := pν+1 (γν − cν ) und cν+1 := dγν+1 e − 1 mit den Anfangswerten γ0 und c0 = dγ0 e − 1 definiert. Dabei ist dxe f¨ ur reelle Zahlen x die kleinste ganze Zahl, die nicht kleiner ist als x. Es ist also dxe ∈ Z und dxe − 1 < x ≤ dxe. Bei dem cantorschen Algorithmus (Cantor 1869) hat man am Ende γ0 = c0 +

∞ X

cν . p p · · · pν ν=1 1 2

Ist insbesondere γ0 = aq mit nat¨ urlichen Zahlen a und q und gibt es ein n ∈ N, sodass Qn das Produkt i:=1 pi durch q teilbar ist, so ist ci = pi − 1 f¨ ur alle i > n. 3. Die durch e= definierte eulersche Zahl e ist irrational.

∞ X 1 n! n:=0

5. Die negativen Zahlen

123

5. Die negativen Zahlen. Wie kamen die negativen Zahlen in die Mathematik? Wir sind so stark darauf fixiert, dass quadratische Gleichungen zwei L¨osungen haben, dass die landl¨ aufige Meinung die ist, dass sich die negativen Zahlen bei der Untersuchung dieser Gleichungen aufdr¨ angten. Dem ist nicht so. Schauen wir uns an, wie sich quadratische Gleichungen seit den Tagen Al-Hwarizmis den Mathematikern darboten (Rosen 1986). Immer, wenn der Begriff Zahl definiert wurde, wurde Zahl als Ansammlung von Einheiten definiert. Alles andere, was wir mit dem Namen Zahl versehen, war Gr¨oße, wobei dieser Begriff nie definiert wurde. Im Laufe der Zeit wurden dann auch Gr¨oßen Zahlen genannt, ohne dass man den Begriff der Zahl erweiterte. Gr¨oße aber war etwas, was vorhanden war, was man eben der Gr¨ oße nach vergleichen konnte, war jedenfalls nichts — was f¨ ur eine absurde Idee! —, was jenseits von Nichts lag. Gr¨oße war, um in unserem Jargon zu reden, stets etwas Positives. Daher auch die Schwierigkeiten mit den komplexen Zahlen, die sich als K¨ orper ja nicht anordnen lassen. Von hierher erkl¨ art sich nun, dass man fr¨ uher sechs Typen von quadratischen Gleichungen unterschied. Hier sind sie, aufgeschrieben in heutiger Notation. x2 = px x2 = q x=p x2 + px = q x2 = px + q x2 + q = px Dabei sind unter p und q nach heutigem Verst¨ andnis positive reelle Zahlen zu verstehen. Die ersten f¨ unf Gleichungen haben dann immer genau eine positive L¨osung. Die L¨osung 0 der ersten Gleichung wird nicht ber¨ ucksichtigt. Die letzte Gleichung ist besonders interessant, da sie entweder zwei positive L¨ osungen oder aber keine hat. Wie gesagt, es wurden nur Gr¨ oßen als L¨ osungen akzeptiert. Die Frage nach negativen Zahlen stellte sich hier nicht. In diesem Zusammenhang ist es interessant, auf die Beweistechniken der Alten einzugehen. Ich fand bislang in keinem Buch zur Geschichte der Mathematik erw¨ahnt, dass in fr¨ uheren Zeiten immer nur unter der Voraussetzung der Existenz einer L¨osung bewiesen wurde, dass die L¨ osung so aussieht, wie wir es erwarten. Es wurden bei diesen Beweisen n¨ amlich immer Quadrate betrachtet, deren Seiten die als existierend angenommenen L¨ osungen waren. Wurde im konkreten Fall eine L¨osung anhand der Bildungsvorschrift — Formeln gab es keine — gefunden, so wurde immer noch nachgewiesen, wie es sich geh¨ ort, dass die potentielle L¨ osung wirklich auch L¨osung ist. Erst Pedro Nu˜ nez zeigte, dass die notwendigen Bedingungen auch hinreichend sind (Nu˜ nez 1567). Es waren Systeme von linearen Gleichungen, wo man vor die Frage gestellt wurde, ob es so etwas wie negative Zahlen gab. Diese traten zuerst in Form von Schulden auf oder in Form von Geld, das der Finanzbeamte — man stelle sich das vor — dem vermeintlichen Steuerschuldner zur¨ uckzahlen musste. Fibonacci stellte u. a. eine Aufgabe, die nach

124

II. Gr¨oßenbereiche

einigen Umformungen das Gleichungssystem D1 + B = D2 + B = D3 + B = D4 + B = D5 + B =

5 T 7 10 T 13 17 T 21 26 T 31 37 T 43

ergibt. Dabei ist T = D1 + D2 + D3 + D4 + D5 + B und B ist ein freier Parameter, n¨ amlich eine Geldb¨orse, die von einer Gruppe von f¨ unf Leuten gefunden wird, die ihrerseits je Di Denare besitzen. Von dieser Aufgabe sagt Fibonacci nun, dass sie unl¨ osbar sei, es sei denn der erste Mann habe Schulden. Der Leser pr¨ ufe nach, dass in der Tat immer D1 + B < B ist, falls nur T > 0 ist. F¨ ur Einzelheiten sei der Leser auf L¨ uneburg 1993a, S. 151 ff. oder Boncompagni 1857, S. 215 f. verwiesen. Es gibt noch weitere Systeme von linearen Gleichungen in Fibonaccis liber abbaci , die nur dann l¨ osbar sind, wenn wenigstens einer der Beteiligten Schulden hat. Bei Nicolas Chuquet gibt es dann in der zweiten H¨ alfte des 15. Jahrhunderts ein lineares Gleichungssystem, bei dem nach Zahlen gefragt ist und das negative Zahlen als L¨osungen hat. Chuquets Buch wurde aber erst im 19. Jahrhundert publiziert (Chuquet 1880). Er wirkte jedoch durch seine Sch¨ uler schon zu seiner Zeit weiter. Es gibt bei Fibonacci eine Stelle, die von Historikern bislang u ¨bersehen scheint, an der eine echte negative Zahl vorkommt. Dies geschieht anl¨asslich der Approximation von √ 3 900. Ausgehend von der ersten N¨ aherung 9 berechnet er als zweite N¨aherung 9 + 171 271 . 171 Damit rechnet er aber nicht weiter. Er sagt vielmehr, dass 271 nur wenig kleiner als 23 sei und nimmt statt dessen 9 + 23 als zweite N¨aherung. Nun hatte er 93 schon zuvor von 8 900 subtrahiert mit dem Ergebnis 171. Von diesen 171 muss er jetzt 27 , 3 · 92 · 23 = 162  2 und 3 · 23 · 9 = 12 abziehen (entwickle (9 + 23 )3 ). Das gibt der Reihe nach 170 + 19 27 19 19 und 8 + 19 27 und 8 + 27 − 12. Da dies nicht geht, rechnet er 12 − 8 − 27 und sagt, es 8 verblieben 3 + 27 diminuta. Damit rechnet er dann korrekt weiter (L¨ uneburg 1993a, S. 276 f., Boncompagni 1857, S. 381). An dieser Stelle zeigt sich, dass negative Zahlen beim Rechnen bequem sein k¨ onnen. Kommt man zu kubischen Gleichungen, so kommt man an negativen und auch komplexen Zahlen nicht vorbei. Ich will hier nicht die Geschichte der Entdeckung der L¨osungsformel f¨ ur die kubische Gleichung erz¨ ahlen. Das soll an anderer Stelle geschehen. Was ich hier wiedergebe, ist das Gedicht, welches Tartaglia nach seinem Zeugnis Cardano bei einem Gespr¨ach u uhrten. Dem Leser wird ¨berließ, das sie in dessen Haus in Mailand am 25. M¨arz 1539 f¨ ¨ selbst die deutsche Ubersetzung wie ein Kryptogramm vorkommen, doch die Sprache ist

5. Die negativen Zahlen

125

die, in der Mathematik damals aufgeschrieben wurde. Cardano wird keine Schwierigkeiten mit ihr gehabt haben. Darauf deutet auch hin, dass Tartaglia dieses Gedicht, wie er sagt, f¨ ur sich als Ged¨ achtnisst¨ utze verfasste. Das Gedicht hat er uns in den Quesiti u ¨berliefert (Tartaglia 1554/1959. Libro nono, quesito XXXIIII). Es lautet: Quando chel cubo con le cose appresso Se agguaglia ` a qualche numero discreto Trouan dui altri differenti in esso. Da poi terrai questo per consueto Che’llor produtto sempre sia eguale Al terzo cubo delle cose neto, El residuo poi suo generale Delli lor lati cubi ben sottratti Varra la tua cosa principale. In el secondo de cotesti atti Quando che’l cubo restasse lui solo Tu osseruarai quest’altri contratti, Del numer farai due tal part’` a uolo Che l’una in l’altra si produca schietto El terzo cubo delle cose in stolo Delle qual poi, per commun precetto Torrai li lati cubi insieme gionti Et cotal somma sara il tuo concetto. El terzo poi de questi nostri conti Se solue col secondo se ben guardi Che per natura son quasi congionti. Questi trouai, & non con paßi tardi Nel mille cinquecent´e, quatroe trenta Con fondamenti ben sald’`e gagliardi Nella Citta dal mar’intorno centa. Man beachte zun¨ achst, dass in diesem italienischen Text ein ß vorkommt. Dieser Buchstabe ist eine Ligatur aus dem langen S, das in heutigen Zeichens¨atzen nicht mehr vorhanden ist, und dem kurzen Schluss-s und kommt demzufolge auch in italienischen und franz¨ osischen Druckwerken vor. Man beachte ferner, dass in der drittletzten Zeile quatroe trenta steht vier und dreißig“ also. Dies zeigt, dass diese Inversion, die im ” Deutschen u ¨blich ist, nicht nur im Deutschen vorkommt. Sie findet sich u ¨berdies auch im Englischen. ¨ Hier meine Ubersetzung dieses Gedichtes. Dies ist die erste Interpretation. In dieser ¨ Ubersetzung taucht das Wort Coß auf, das den meisten Lesern wohl nicht gel¨aufig ist. Es ist die Eindeutschung des italienischen Wortes cosa f¨ ur die Unbekannte und war im 16. Jahrhundert im Deutschen in Gebrauch. Es hatte zudem noch die Bedeutung unseres Wortes Algebra angenommen. Adam Ries hat auch eine Coß geschrieben, die allerdings erst im 20. Jahrhundert publiziert worden ist (Ries 1992). Die zweite Interpretation wird dann darin bestehen, die L¨osungsformeln in moderne Notation zu u ¨bertragen. Dabei werden wir gleichzeitig zeigen, dass sie wirklich zu

126

II. Gr¨oßenbereiche

L¨ osungen f¨ uhren. F¨ ur uns von Interesse ist vor allem der zweite Typ kubischer Gleichungen, doch um den Leser nicht zu sehr auf die Folter zu spannen, sei das Gedicht komplett interpretiert. Wenn der Kubus mit den Coßen daneben gleich ist einer diskreten Zahl, finden sich als Differenz zwei andere in dieser. Dann halte es wie gew¨ ohnlich, dass n¨ amlich ihr Produkt gleich sei dem Kubus des Drittels der Coßen, Und der Rest dann, so die Regel, ihrer Kubusseiten wohl subtrahiert wird sein deine Hauptcoß. In dem zweiten von diesen F¨allen, wenn der Kubus allein steht und du betrachtest die anderen zusammengezogen, Von der Zahl mache wieder zwei solche Teile, dass der eine in den anderen multipliziert den Kubus des Drittels der Coßen ergibt. Von jenen dann, so die gemeine Vorschrift, nimm die Kubusseiten zusammen vereint und diese Summe wird dein Konzept sein. Die dritte nun von diesen unseren Rechnungen l¨ ost sich wie die zweite, wenn du wohl beachtest, dass sie von Natur aus gleichsam verwandt sind. Dieses fand ich, nicht schwerf¨alligen Schritts, im Jahre tausendf¨ unfhundertvierunddreißig mit Begr¨ undungen triftig und fest In der Stadt vom Meer rings umg¨ urtet. Die Stadt vom Meer rings umg¨ urtet ist Venedig. Und hier die Interpretation. Zuerst wird die L¨osungsformel f¨ ur den Fall gegeben, dass der Kubus zusammen mit den dritten Wurzeln aus ihm eine Zahl ergibt. Es heißt le cose. Dies ist ein Plural, sodass wir, wenn x la cosa ist, dies in unseren Formeln mit px wiederzugeben haben. Es handelt sich hier also um Gleichungen dritten Grades der Form x3 + px = q, wobei p und q positive Zahlen sind. Die Zahl q ist als Differenz zweier weiterer Zahlen u und v darzustellen, also q = u − v, sodass  3 p uv = 3

5. Die negativen Zahlen ist. Setzt man dann y :=

127 √ 3

u und z :=

√ 3

v, das sind die Kubusseiten, so ist

x := y − z eine L¨ osung der obigen Gleichung. Soweit Tartaglia. Wir verifizieren dies, indem wir bemerken: Es ist 3yz = p und daher x3 + px = (y − z)3 + 3yz(y − z)  = (y − z)2 + 3yz (y − z) = (y 2 − 2yz + z 2 + 3yz)(y − z) = (y 2 + yz + z 2 )(y − z) = y 3 − z 3 = u − v = q. Die Zahlen u und v erh¨ alt man aufgrund von  3  2 p q q2 = u(u − q) = u − − 3 2 4 als q u= + 2 Somit ist

s  3 p q2 + 3 4

q v=− + 2

und

v s  u 3 u 3 q p q2 t x= + + − 2 3 4

s  3 p q2 + . 3 4

v s  u 3 u 3 q p q2 t − + + . 2 3 4

Man beachte, dass der Radikand unter der zweiten Kubikwurzel stets nicht-negativ ist. Beim zweiten Fall steht x3 alleine. Hier handelt es sich um Gleichungen der Form x3 = px + q. Es sind u und v zu bestimmen mit q =u+v und uv =

 3 p . 3

√ √ Setzt man wieder y := 3 u und z := 3 v, so ist x := y + z eine L¨osung. Soweit wiederum Tartaglia. Wir stellen zun¨ achst fest, dass 3yz = p ist. Hiermit folgt x3 = y 3 + z 3 + 3yz(y + z) = u + v + px = q + px. Also ist x tats¨ achlich eine L¨ osung. Die Zahlen u und v berechnen sich aus  3  2 p q q2 = u(q − u) = − u − + 3 2 4

128

II. Gr¨oßenbereiche

zu q u= ± 2 Also ist

s  3 p q2 − − + 3 4

und

q v= ∓ 2

s  3 p q2 − − + . 3 4

v v s   s   u u 3 3 u u 2 3 3 p q p q2 tq tq x= ± − + + ∓ − + . 2 3 4 2 3 4

Hier gibt es nat¨ urlich Probleme, wenn  3 p q2 > 3 4 ist. Wir sehen zwar auch dann eine reelle L¨ osung, da x beim Konjugieren fest bleibt, also reell ist, doch komplexe Zahlen kannte man damals noch nicht. Vielmehr zwangen die kubischen Gleichungen erst dazu, sich auch mit diesen merkw¨ urdigen Gebilden zu befassen. In dem, was Tartaglia zu seinen Auseinandersetzungen mit Cardano schreibt, berichtet er auch, dass Cardano ihm zu dem Problem der negativen Radikanden Fragen stellte. Er geht auf diese Fragen aber nicht ein. Cardano in seiner ars magna dr¨ uckt sich auch m¨ oglichst, indem er die reelle L¨ osung gleich angibt, ohne den Umweg u ¨ber das Komplexe zu gehen. Was Tartaglia zum dritten Fall, n¨ amlich dem Fall der Gleichungen vom Typ x3 + q = px sagt, gibt Anlass zu Spekulationen. Diese Gleichung gilt n¨amlich genau dann, wenn (−x)3 = p(−x) + q ist. Somit ist x L¨ osung einer Gleichung des dritten Typs, wenn −x L¨osung der kon” jugierten“ Gleichung vom zweiten Typ ist. Dies gilt auch f¨ ur eventuelle komplexe L¨ osungen. Hat Tartaglia etwas derartiges gemeint, wenn er sagt, dass sich die Gleichungen des dritten Typs mit den Gleichungen des zweiten Typs l¨osen lassen? Dann h¨ atte er zumindest negative reelle Zahlen als Zahlen anerkennen und mit ihnen rechnen m¨ ussen. Ich weiß dazu nichts zu sagen. Da man in einer kubischen Gleichung ein eventuell vorhandenes quadratisches Glied durch eine lineare Transformation, die sogenannte Tschirnhausentransformation, eliminieren kann, hat Tartaglia die allgemeine L¨ osung der kubischen Gleichungen. Er war sich dessen aber nicht bewusst. Er sagt in dem langen Brief vom 18. Februar 1539 an Cardano, dass er keine Formel zur L¨ osung von Gleichungen des Typs x3 + q = px2 habe (Tartaglia 1554/1959, Libro nono, quesito XXXII). Es gab noch eine Situation, wo sich negative Zahlen aufdr¨angten, und die war f¨ ur mich sehr u nez darauf stieß (N˜ unez ¨berraschend, als ich in einer Schrift von Pedro Nu˜ 1567).

5. Die negativen Zahlen

129

Bei Nu˜ nez findet sich die Division mit Rest f¨ ur Polynome erl¨autert. Nach einigen Vorbemerkungen, die die Division von Monomen durch Monome erkl¨aren, geht es weiter mit der Aufgabe, ein Polynom f durch ein Polynom g mit Rest zu dividieren. Ist m der Grad von f und n der von g, ist ferner fm der Leitkoeffizient von f und gn der von g, so ist der erste Schritt der Division mit Rest der, das Polynom f − fm gn−1 xm−n g zu berechnen. Iteration f¨ uhrt dann zum Ziele. Von Nu˜ nez wird dies ganz ausf¨ uhrlich, Schritt f¨ ur Schritt, anhand des Beispiels .cu.˜ p..ce.˜ p..co.˜ p..numero geteilt durch .4.co.˜ p.3. erl¨ autert. Hier ist einiges zu erl¨ autern. Die Abk¨ urzungen cu, ce, co stehen f¨ ur cubus, census und cosa, d.h. f¨ ur x3 , x2 und x. Das K¨ urzel p ˜ steht f¨ ur plus und numero heißt, dass der Koeffizient eine blanke Zahl ist. Es ist also das Polynom 12x3 + 18x2 + 27x + 17 durch 4x + 3 zu teilen. Nachdem er also die Division mit Rest anhand dieser Polynome erl¨ autert hat, schreibt er noch das folgende Schema hin, in dem wir die auch noch von uns praktizierte Division mit Rest eines Polynoms durch ein anderes wiedererkennen. Partidor ..co.˜ p.. .cu.˜ p. .ce.˜ p..co.˜ p . .cu.˜ p. .ce. .ce.˜ p. .co. p ˜ . .ce.˜ p. .co. 14 . .co. 14 .˜ p.. 3 .co. 14 .˜ p. 16 .  13 16 . .ce.˜ p .co. 14 .˜ p.

1 p 16 .˜

 13 16

par..co.˜ p. Der Divisor steht also links vom Dividenden, das Ergebnis unten, wobei der Rest als  13 p., also als Bruch angegeben wird, wobei par. f¨ ur partidor steht. 16 par..co.˜ ¨ Und nun kommt eine Uberraschung, die uns etwas ins Ged¨achtnis zur¨ uckruft, was beim Tradieren lange vergessen ward, dass man die Division mit Rest nicht so wie bei nat¨ urlichen Zahlen immer ohne Schwierigkeiten durchf¨ uhren kann. Dies bemerkt Nu˜ nez ausdr¨ ucklich und bringt folgendes Beispiel als Beleg. Es sei 20x3 + 8 durch 4x2 + 2x zu teilen. Dann hat man im ersten Schritt 4x2 + 2x mit 5x zu multiplizieren und dann das Ergebnis 20x3 + 10x2 von 20x3 + 8 zu subtrahieren. Das aber geht nicht, es sei denn, man geht den Weg von plus und minus, wie Nu˜ nez sagt. In dem zu dividierenden Ausdruck findet sich n¨ amlich nichts, was dem 10x2 im Minuenden entspricht. Hier muss man also — welch ein Schreck — etwas von nichts subtrahieren, will man zum Ziele gelangen. Wir halten hier als Ergebnis fest, dass die Division mit Rest f¨ ur nat¨ urliche Zahlen nicht aus dem Bereich der nicht-negativen ganzen Zahlen herausf¨ uhrt. Dies ist in scharfem Kontrast zu der Division mit Rest im Bereich der Polynome mit nicht-negativen Koeffizienten. Hier ist sie nicht immer durchzuf¨ uhren, wie Nu˜ nez feststellt. Division mit Rest: Sie bedarf der negativen Zahlen! Es sind also nicht nur die linearen Gleichungssysteme und die kubischen Gleichungen, die die Einf¨ uhrung der negativen Zahlen erzwingen! Auch die Division mit Rest bei Polynomen bedarf ihrer. Auch diesen Hinweis suche ich vergeblich bei Historikern.

130

II. Gr¨oßenbereiche

Nu˜ nez lehrt in seinem Buche die Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division von Quotienten von Polynomen, wobei er die Quotienten als fg schreibt. Dies alles anhand von Beispielen. Nach heutigem Verst¨andnis hat er also den Funktionenk¨orper in einer Unbestimmten u ¨ber Q, insbesondere hat er auch Q selbst als Teilk¨orper. Ob ihm aber bewusst war — in seinen Beispielen kommt die Unbestimmte immer vor —, dass man auch mit negativen Br¨ uchen als solchen rechnen kann, ist ungewiss. In den betrachteten historischen Beispielen entstanden die negativen Zahlen dadurch, dass man Differenzen a − b betrachtete, bei denen sich herausstellte, dass auch a < b sein kann. Von der partiellen Subtraktion her weiß man schon, dass (a + m) − (b + m) = a − b ist. Will man also negative Zahlen einf¨ uhren, und wir wollen das, so wird man zweckm¨aßiger Weise mit Paaren (a, b) von Zahlen anfangen und auf der Menge dieser Zahlenpaare ¨ eine Aquivalenzrelation einf¨ uhren, die ebenfalls von dieser Gleichung inspiriert ist, da sie ja mit der Gleichung a+m+b=a+b+m ¨ gleichbedeutend ist. Dann muss man auf der Menge der Aquivalenzklassen eine Addition und Multiplikation einf¨ uhren, sodass man am Ende alles das hat, was man sich erhofft. Hier die Details, die wir in solcher Allgemeinheit formulieren, dass wir sie auf N, Q+ und R+ anwenden k¨ onnen. Es sei P eine nicht-leere Menge mit zwei bin¨aren Verkn¨ upfungen + und ·, die wir nat¨ urlich Addition und Multiplikation nennen. Wir nennen (P, +, ·) einen Halbring, falls gilt: a) Addition und Multiplikation sind assoziativ und kommutativ. b) Es gelten die Distributivgesetze. c) Sind a, b, c ∈ P und gilt a + b = a + c, so ist b = c, d.h. es gilt die K¨ urzungsregel bez¨ uglich der Addition. Satz 1. Es sei P ein Halbring. Wir definieren auf dem cartesischen Produkt P × P von P mit sich selbst eine Addition + und eine Multiplikation · durch (a, b) + (c, d) := (a + c, b + d) und (a, b)(c, d) := (ac + bd, ad + bc). Dann sind + und · assoziativ und kommutativ und es gelten beide Distributivgesetze. Wir definieren ferner auf P × P eine Relation ∼ durch (a, b) ∼ (c, d) genau dann, wenn a+d = c+b ist. Dann ist ∼ eine Kongruenzrelation auf (P ×P, +, ·), ¨ d.h. ∼ ist eine Aquivalenzrelation und es gilt a) Ist (a, b) ∼ (c, d), so ist (a, b) + (e, f ) ∼ (c, d) + (e, f ) f¨ ur alle e, f ∈ N, sowie b) Ist (a, b) ∼ (c, d), so ist (a, b)(e, f ) ∼ (c, d)(e, f ) f¨ ur alle e, f ∈ N.

5. Die negativen Zahlen

131

Die zum Nachweis dieser Aussagen n¨ otigen Rechnungen sind einfach, aber langweilig. Wer diesen Satz nicht kennt, oder seiner G¨ ultigkeit misstraut, muss sie selber ausf¨ uhren. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass man zum Nachweis der Transitivit¨at von ∼ die K¨ urzungsregel bez¨ uglich der Addition ben¨ otigt. ¨ Ist M eine Menge und ist ∼ eine Aquivalenzrelation auf M , so bezeichne M/∼, ¨ wie schon fr¨ uher, die Menge der Aquivalenzklassen von ∼. Ist x ∈ M , so bezeichne ¨ ferner κ(x) die Aquivalenzklasse von ∼, zu der x geh¨ort. Man nennt κ den kanonischen Epimorphismus von M auf M/∼. Satz 2. Es sei P ein Halbring. Ferner seien + und · die in Satz 1 definierte Addition bzw. Multiplikation auf P × P . Ferner sei ∼ die in Satz 1 auf P × P definierte Kongruenzrelation. Setze Z(P ) := (P × P )/ ∼ . Sind X, Y ∈ Z(P ), so definieren wir X + Y und XY wie folgt: Sind A ∈ X und B ∈ Y , so sei X + Y := κ(A + B) und XY := κ(AB). Dann ist (Z(P ), +, ·) ein kommutativer Ring. Ist b ∈ P und setzt man σ(a) := κ(a + b, b) f¨ ur alle a ∈ P , so ist σ ein Monomorphismus von P in Z(P ), der von der Wahl von b unabh¨ angig ist. Beweis. Es seien A, A0 ∈ X und B, B 0 ∈ Y . Dann ist also A ∼ A0 und B ∼ B 0 . Da ∼ nach Satz 1 eine Kongruenzrelation ist, folgt A + B ∼ A0 + B ∼ A0 + B 0

und AB ∼ A0 B ∼ A0 B 0

und damit κ(A + B) = κ(A0 + B 0 ) bzw. κ(AB) = κ(A0 B 0 ). Dies zeigt, dass die auf Z(P ) definierte Addition und Multiplikation wohldefiniert ist. Wegen A ∈ κ(A) und B ∈ κ(B) folgt weiter κ(A + B) = κ(A) + κ(B)

und κ(AB) = κ(A)κ(B),

sodass κ ein Epimorphismus von (P × P, +, ·) auf (Z(P ), +, ·) ist. Hieraus folgt nun sofort die Assoziativit¨ at von +. Sind n¨amlich X, Y , Z ∈ Z(P ) und ist A ∈ X, B ∈ Y und C ∈ Z, so ist   X + (Y + Z) = κ(A) + κ(B) + κ(C) = κ A + (B + C)  = κ (A + B) + C = (X + Y ) + Z. Auf die gleiche Art beweist man ferner die Assoziativit¨at der Multiplikation, die Kommutativit¨ at von Addition und Multiplikation und die beiden Distributivgesetze. Sind a, b ∈ P , so ist a + b = b + a und daher κ(a, a) = κ(b, b). Ferner folgt mit a, b, c ∈ P , dass κ(a, a) + κ(b, c) = κ(a + b, a + c) = κ(b, c) ist. Also ist κ(a, a) die Null in Z(P ). Schließlich ist κ(a, b) + κ(b, a) = κ(a + b, b + a), sodass jedes Element in Z(P ) ein additives Inverses hat. Damit ist gezeigt, dass Z(P ) ein Ring ist.

132

II. Gr¨oßenbereiche

Es ist κ(a + b, b) = κ(a + c, c). Sind nun u, v ∈ P , so folgt σ(u + v) = κ(u + v + b, b) = κ(u + v + b + b, b + b) = κ(u + b, b) + κ(v + b, b) = σ(u) + σ(v). Weiter folgt  σ(u)σ(v) = κ(u + b, b)κ(v + b, b) = κ (u + b, b)(v + b, b) = κ(uv + ub + vb + b2 + b2 , ub + b2 + vb + b2 ) = σ(uv). Schließlich sei σ(u) = σ(v). Dann ist (u + b, b) ∼ (v + b, b) und daher u + 2b = v + 2b, was u = v zur Folge hat. Damit ist alles bewiesen. Wir setzen Z := Z(N), Q := Z(Q+ ) und R := Z(R+ ) und nennen Z den Ring der ganzen Zahlen, Q den K¨ orper der rationalen Zahlen und R den K¨ orper der reellen ¨ Zahlen. Nachzuweisen, dass Q und R wirklich K¨orper sind, sei dem Leser als Ubungsaufgabe u ¨berlassen. Aufgaben 1. Zeigen Sie, dass Q und R K¨ orper sind. 2. Es sei P = N, Q+ oder R+ . Sind a, b ∈ Z(P ), so setzen wir a < b genau dann, wenn b − a ∈ P ist. Zeigen Sie, dass < eine lineare Ordnung von Z(P ) ist, f¨ ur die gilt: a) Sind a, b, c ∈ Z(P ), so ist genau dann a < b, wenn a + c < b + c ist. b) Sind a, b ∈ Z(P ) und ist c ∈ P , so ist genau dann a < b, wenn ac < bc ist. 3. In R gilt der Satz von der oberen Grenze. (Es sei X eine nicht-leere, nach oben beschr¨ ankte Menge von R. Ist X ∩ R+ 6= ∅, so hat diese Menge und damit X ein Supremum. Beweis! Ist der Schnitt aber leer, so suche man ein k ∈ R mit (X + k) ∩ R+ 6= ∅, usw.)

6. Logarithmen. In Abschnitt 2 haben wir gesehen, dass man Verh¨altnisse rationaler Zahlen mit rationalen Zahlen kodieren kann. Hier werden wir sehen, dass man auch Verh¨ altnisse reeller Zahlen mittels reeller Zahlen kodieren kann, ja, dass dies sogar f¨ ur Verh¨ altnisse von Gr¨ oßen aus beliebigen Gr¨oßenbereichen m¨oglich ist. Letzteres liegt daran, dass man jeden Gr¨ oßenbereich in R+ wiederfindet. Das klingt alles sehr abstrakt und ist es wohl auch, am Ende aber werden uns sehr konkret die Logarithmenfunktionen als reife Frucht in den Schoß fallen. Satz 1. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich. Sind a, b ∈ P , so definieren wir ϕP (a, b) durch   m ϕP (a, b) := m, n ∈ N, mb ≤ na . n Dann ist ϕP (a, b) ∈ R+ . Sind c und d Gr¨ oßen eines zweiten Gr¨ oßenbereiches Q, so gilt genau dann a : b = c : d, wenn ϕP (a, b) = ϕQ (c, d) ist.

6. Logarithmen

133

Beweis. Es sei uv ≤ m n ∈ ϕP (a, b). Nach Satz 7 von Abschnitt 2 ist dann un ≤ vm. Aufgrund der Definition von ϕP ist andererseits mb ≤ na. Es folgt unb ≤ vmb ≤ vna und damit ub ≤ va, sodass uv ∈ ϕP (a, b) ist. Dies zeigt, dass ϕP (a, b) ein Anfang ist. Es gibt k, l ∈ N mit kb > a und b < la. Es folgt k 6∈ ϕP (a, b) und 1l ∈ ϕP (a, b). Dies zeigt schließlich, dass ϕP (a, b) nicht leer und auch von Q+ verschieden ist. Es sei m oßenberein 6∈ ϕP (a, b). Dann ist mb > na, sodass mb − na ∈ P gilt, da in Gr¨ chen partielle Subtraktion ja m¨ oglich ist. Es gibt folglich ein k ∈ N mit k(mb − na) > nb. Es folgt (km − n)b > kna und damit

m 1 mk − n − = 6∈ ϕP (a, b). n k kn

Daher ist m n nicht Supremum von ϕP (a, b), sodass der Anfang ϕP (a, b) nach Satz 4 von Abschnitt 4 normal ist. Somit ist ϕP (a, b) ∈ R+ . Es sei a : b = c : d. Dann ist auch b : a = d : c. Ist nun m n ∈ ϕP (a, b), so ist mb ≤ na. Wegen b : a = d : c folgt md ≤ nc und damit m ∈ ϕ (c, d). Also ist ϕP (a, b) ⊆ ϕQ (c, d). Q n Wegen c : d = a : b gilt dann auch ϕQ (c, d) ⊆ ϕP (a, b) und folglich ϕP (a, b) = ϕQ (c, d). Um die Umkehrung zu beweisen, m¨ ussen wir sup(ϕP (a, b)) charakterisieren. Genau dann ist m = sup(ϕ (a, b)), wenn mb = na ist. P n Es sei mb = na und ub = va. Dann ist mva = mub = una u und daher mv = un bzw. m ochstens ein Element in ϕP (a, b) mit n = v . Es gibt also h¨ mb = na. u Es seien m n , v zwei verschiedene Elemente in ϕP (a, b) und es gelte mb = na. Nach dem gerade Bewiesenen ist dann ub < va. Es folgt

una = umb < mva m und daher un < mv, bzw. uv < m n . Damit ist gezeigt, dass n das Supremum von ϕP (a, b) ist, falls mb = na ist. Es sei umgekehrt m n ∈ ϕP (a, b). Ferner sei mb < na. Dann ist na − mb ∈ P . Es gibt also ein k ∈ N mit k(na − mb) > b. Es folgt (km + 1)b < kna und weiter

m m 1 km + 1 < + = ∈ ϕP (a, b). n n kn kn Also ist wiesen.

m n

nicht das Supremum von ϕP (a, b). Damit ist die Zwischenbehauptung be-

134

II. Gr¨oßenbereiche

Es gelte nun umgekehrt ϕP (a, b) = ϕQ (c, d). Es seien m, n ∈ N. Ist mb > na, so m ist m n 6∈ ϕP (a, b) und daher n 6∈ ϕQ (c, d), sodass md > nc gilt. Ist mb = na, so ist nach der gerade bewiesenen Bemerkung m n das Supremum von ϕP (a, b) und damit das Supremum von ϕQ (c, d), sodass auch md = nc gilt. Ist schließlich mb < na, so ist zun¨ achst md ≤ nc. Weil m n aber nicht das Supremum von ϕP (a, b) und damit auch nicht das von ϕQ (c, d) ist, ist md < nc. Also ist b : a = d : c und damit a : b = c : d. Damit ist Satz 1 bewiesen. Wir notieren noch, was zwischendurch bewiesen wurde. Satz 2. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich. Ferner sei ϕP die in Satz 1 definierte Abbildung. Sind a, b ∈ P und m, n ∈ N, so gilt genau dann mb = na, wenn m n = sup(ϕP (a, b)) ist. Der n¨ achste Satz findet sich bei Bettazzi 1890, allerdings auf mehrere S¨atze verteilt. Um ihn zu beweisen, formulieren und beweisen wir zun¨achst einen Hilfssatz, bei dessen Beweis wir von der Archimedizit¨ at eines Gr¨ oßenbereichs keinen Gebrauch machen. Hilfssatz. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich, der kein kleinstes Element enth¨ alt. Sind dann x ∈ P und n ∈ N, so gibt es ein y ∈ P mit ny ≤ x. Beweis. Weil P kein kleinstes Element enth¨alt, gibt es ein y ∈ P mit y < x. Es sei 2y > x. Dann ist 2(x − y) = x − y + x − y < 2y − y + x − y = x. Ersetzt man nun y durch x − y, so gilt y < x und 2y < x. Es sei n ∈ N und es gebe ein z ∈ P mit z < x und 2n z < x. Nach dem gerade Bewiesenen gibt es ein y < z mit 2y < z. Es folgt y < x und 2n+1 y < 2n z < x. Dies zeigt, dass es zu jedem n ∈ N ein y < x gibt mit 2n y < x. Wegen n < 2n folgt schließlich, dass auch ny < x ist. Damit ist der Hilfssatz bewiesen. Satz 3. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich. Ferner sei e ∈ P . Definiere die Abbildung fP,e von P in R+ durch fP,e (a) := ϕP (a, e), wobei ϕP die in Satz 1 definierte Abbildung sei. Dann ist fP,e ein Monomorphismus von P in R+ mit fP,e (e) = α(1) = {r | r ∈ Q+ , r ≤ 1}. Sind a, b ∈ P und ist a < b, so ist fP,e (a) < fP,e (b). Gilt in P der Satz von der oberen Grenze, so gibt es entweder ein Element u in P mit P = {nu | n ∈ N} oder fP,e ist bijektiv. Ist g ein weiterer ordnungstreuer Monomorphismus von P in R+ und gilt g(e) = 1, so ist g = fP,e . Beweis. Wir schreiben der K¨ urze halber f statt fP,e . Nach Satz 1 ist klar, dass f eine Abbildung von P in R+ ist. Ist f (a) = f (b), so gilt ebenfalls nach Satz 1 die Gleichung a : e = b : e. Nach dem Korollar zu Satz 8 von Abschnitt 1 ist dann a = b, sodass f injektiv ist. Es bleibt zu zeigen, dass f additiv ist.

6. Logarithmen

135

u Es sei m n ∈ f (a) und v ∈ f (b). Dann ist me ≤ na und ue ≤ vb. Es folgt vme ≤ vna und nue ≤ nvb. Dies impliziert

(vm + nu)e ≤ vn(a + b), sodass

vm+nu vn

∈ f (a + b) gilt. Also ist f (a) + f (b) ⊆ f (a + b).

Weil f (a + b) normaler Anfang ist, folgt weiter f (a) ⊕ f (b) ⊆ f (a + b). Um zu zeigen, dass auch f (a + b) ⊆ f (a) ⊕ f (b) gilt, zeigen wir zun¨achst, dass f (a), f (b) ⊆ f (a) + f (b) ist. Wegen der Kommutativit¨at der Addition gen¨ ugt es, dies f¨ ur f (a) zu beweisen. Dazu sei xy ∈ f (a). Da f (b) ein Anfang und da Q+ archimedisch ist, gibt x es ein n ∈ N mit ny ∈ f (b). Wir d¨ urfen annehmen, dass n ≥ 2 ist. Dann ist (n − 1)x x < ny y und folglich

(n−1)x ny

∈ f (a), da f (a) ein Anfang ist. Es folgt x (n − 1)x x = + ∈ f (a) + f (b). y ny ny

Damit ist die Zwischenbehauptung bewiesen. Es sei xy ∈ f (a + b). Wir nehmen an, dass xy nicht Supremum von f (a + b) sei. Nach Satz 2 ist dann xe < y(a + b). Ist xy ∈ f (a) oder xy ∈ f (b), so ist xy ∈ f (a) + f (b) nach unserer Vorbemerkung. Wir d¨ urfen daher annehmen, dass xy 6∈ f (a) und xy 6∈ f (b) gilt. Dann ist xe > ya und xe > yb. Es gibt ein k ∈ N mit  k y(a + b) − xe > e. Es gibt ferner ein u ∈ N mit (u − 1)e < k(xe − yb) ≤ ue. Ist u = 1, so ist dies als k(xe − yb) ≤ e zu lesen. W¨are nun ue ≥ kya, so folgte der Widerspruch e = ue − (u − 1)e > kya − k(xe − yb) = k(y(a + b) − xe) > e. Also gilt doch ue < kya.

136 Es folgt

II. Gr¨oßenbereiche u ky

∈ f (a). Wegen

x y

6∈ f (a) und weil f (a) ein Anfang ist, folgt weiter u x kx < = ky y ky

und damit u < kx. W¨ are (kx − u)e > kyb, so folgte aufgrund der Herkunft von u der Widerspruch kyb < kxe − ue ≤ kxe − (kxe − kyb) = kyb. Dieser Widerspruch zeigt die G¨ ultigkeit der Ungleichung (kx − u)e ≤ kyb. Also ist

kx−u ky

∈ f (b) und damit kx u kx − u x = = + ∈ f (a) + f (b). y ky ky ky

Mit Satz 4 von Abschnitt 4 folgt daher f (a + b) ⊆ f (a) ⊕ f (b). Also ist f (a + b) = f (a) ⊕ f (b). Es ist



f (e) = ϕP (e, e) =

m n

 m, n ∈ N, me ≤ ne = α(1).

Es seien a, b ∈ P und es gelte a < b. Es gibt dann ein c ∈ P mit a + c = b. Es folgt f (a) ⊕ f (c) = f (b) und damit f (a) < f (b). Es sei g ein weiterer ordnungstreuer Monomorphismus von P in R+ mit g(e) = 1. Es sei weiter m n ∈ f (a). Dann ist me ≤ na. Schreiben wir der Deutlichkeit halber wieder α(1) anstelle von 1, so folgt aus der Ordnungstreue von g, dass mα(1) = mg(e) = g(me) ≤ g(na) = ng(a) m ist. Also ist m n ∈ n α(1) ⊆ g(a), da R+ ja dividierbar ist und da die Anordnung auf R+ nichts anderes als die Inklusionsrelation ist. Somit gilt f (a) ⊆ g(a). Es sei m n 6∈ f (a). Dann ist me > na und folglich

mα(1) = mg(e) = g(me) > g(na) = ng(a). m Hieraus folgt α( m n ) > g(a) und weiter n 6∈ g(a), da g(a) ja ein Anfang ist. Also gilt auch g(a) ⊆ f (a). Folglich ist g(a) = f (a) und daher g = f . Um die noch offene Aussage zu beweisen, sei zun¨achst u ∈ P und es gelte u ≤ x f¨ ur alle x ∈ P . Ist dann x ∈ P , so gibt es, da die Anordnung von P ja archimedisch und u ≤ x ist, ein n ∈ N mit nu ≤ x < (n + 1)u. W¨are nu < x, so w¨are x − nu ∈ P sowie x − nu < u. Dies widerspr¨ ache der Minimalit¨at von u. Also ist x = nu. Folglich

6. Logarithmen

137

ist P = Nu. Wir d¨ urfen daher im Folgenden annehmen, dass P kein kleinstes Element enth¨ alt. Es sei r ∈ R+ . Ferner sei  X := u | u ∈ P, f (u) ≤ r . Weil f monoton ist, ist X ein Anfang von P . Es sei u ∈ P . Um zu zeigen, dass X nicht leer ist, nehmen wir an, es sei u 6∈ X. Dann ist r < f (u). Weil R+ archimedisch ist, gibt es ein n ∈ N mit f (u) < nr. Nach dem Hilfssatz gibt es ein w ∈ P mit nw ≤ u. Weil f ein Monomorphismus ist, folgt nf (w) = f (nw) ≤ f (u) < nr und damit f (w) < r, sodass w ∈ X gilt. Dies zeigt, dass X nicht leer ist. Es sei u ∈ X. Es gibt dann ein n ∈ N mit r < nf (u) = f (nu). Es folgt nu 6∈ X, sodass X, da X ein Anfang ist, beschr¨ ankt ist. Somit hat X ein Supremum s. Angenommen es sei f (s) < r. Es gibt dann ein n ∈ N mit  n r − f (s) > α(1) und ein y ∈ P mit ny ≤ e. Es folgt, da R+ dividierbar ist, f (s) ⊕

1 1 α(1) ≥ f (s) ⊕ f (ny) = f (s + y). n n

Weiter folgt nr > nf (s) ⊕ α(1) = n f (s) ⊕

 1 α(1) ≥ nf (s + y) n

und damit r > f (s + y). Also ist s + y ∈ X im Widerspruch zu s = sup(X). Daher ist r ≤ f (s). Angenommen es sei r < f (s). Es gibt dann ein n ∈ N mit  α(1) < n f (s) − r . Da R+ dividierbar ist, folgt

1 α(1) < f (s) − r. n Nach dem Hilfssatz gibt es ein y ∈ P mit y < e und ny ≤ e. Weil s das Supremum von X ist und weil P kein kleinstes Element enth¨ alt, gibt es ein t ∈ X mit s − t < y. Es folgt n 1 1 1 f (y) = f (ny) ≤ f (e) = α(1) n n n n < f (s) − r ≤ f (s) − f (t).

f (s) − f (t) = f (s − t) < f (y) =

Dieser Widerspruch zeigt, dass f (s) = r ist. Somit ist f bijektiv. Damit ist der Satz bewiesen.

138

II. Gr¨oßenbereiche

Wendet man die letzte Aussage von Satz 3 auf R+ an, so sieht man, dass es zu jedem e ∈ R+ einen Automorphismus von R+ gibt, der e auf α(1) abbildet. Diese Eigenschaft von R benutzte Felscher, um auf R eine Multiplikation einzuf¨ uhren, die zusammen mit der auf R schon definierten Addition R zum K¨orper der reellen Zahlen macht. F¨ ur Einzelheiten der Konstruktion sei auf Felscher 1978, Band II verwiesen. Nun zeigen wir, wie zu Beginn dieses Abschnitts versprochen, dass man Verh¨altnisse irgendwelcher Gr¨ oßen stets mit reellen Zahlen kodieren kann. Satz 4. Es sei P ein Gr¨ oßenbereich und e sei ein Element von P . Dann gilt: Sind a, b ∈ P , so ist ϕP (a, b) = fP,e (b)−1 fP,e (a). Beweis. Wir schreiben wieder f statt fP,e . Nach Satz 3 ist f ein ordnungstreuer Monomorphismus von P in R+ . Daher ist a : b = f (a) : f (b). (Hier sieht man einmal mehr, wie geschickt die Definition der Gleichheit von Verh¨altnissen getroffen ist.) Es folgt a : b = f (b)f (b)−1 f (a) : f (b) = f (b)−1 f (a) : 1. Schreibt man kurz ϕ f¨ ur ϕR+ , so folgt mit Satz 1, dass ϕP (a, b) = ϕ f (b)−1 f (a), 1



ist. Um den Satz zu beweisen, gen¨ ugt es also zu zeigen, dass f¨ ur x ∈ R+ die Gleichung ϕ(x, 1) = x gilt. Ist x ∈ R+ und n ∈ N, so gestattet nx zwei Interpretationen, einmal die, dass nx = (n − 1)x ⊕ x, und zum andern die, dass nx = {nξ | ξ ∈ x} ist. Nach Satz 7 g) von Abschnitt 4 stimmen beide Mengen aber u ¨berein. Dies ist im Folgenden zu beachten. Es sei also x ∈ R+ . Statt 1 schreiben wir hier der Deutlichkeit halber α(1), um die 1 in R+ von der in Q+ zu unterscheiden. Dann ist per definitionem    m ϕ x, α(1) = mα(1) ≤ nx . n Es sei m n ∈ ϕ(x, α(1)). Weil die Anordnungsrelation ≤ auf R+ mit der Inklusion ⊆ identisch ist, folgt, da ja 1 ∈ α(1) gilt, m = m1 ∈ mα(1) ⊆ nx und damit

m n

∈ x. Also ist  ϕ x, α(1) ⊆ x.

Es sei andererseits

r s

∈ x. Ferner sei r

u v

∈ α(1). Dann ist

u r ≤ r1 = s ∈ sx. v s

u v

≤ 1 und daher

6. Logarithmen

139

Nach Satz 7 g) von Abschnitt 4 ist also rα(1) ⊆ sx, d.h. es ist rα(1) ≤ sx. Somit ist

r s

∈ ϕ(x, α(1)), sodass in der Tat ϕ(x, 1) = x

ist. Dabei haben wir f¨ ur α(1) wieder 1 geschrieben. Nun l¨ osen wir das Versprechen ein, das wir in Abschnitt 2 gemacht haben. Satz 5. Es sei P ein quasieudoxischer Gr¨ oßenbereich. Ferner seien + und · die in Abschnitt 2 definierte Addition bzw. Multiplikation auf Q(P ). Ist X = a : b ∈ Q(P ), so definieren wir ψ(X) durch ψ(X) := ϕP (a, b). Dann ist ψ ein Monomorphismus von (Q(P ), +, ·) in (R+ , +, ·). Die auf Q(P ) definierte Addition und Multiplikation sind also assoziativ und es gelten beide Distributivgesetze. Ferner ist (Q(P ), ·) eine abelsche Gruppe. Gilt in Q(P ) der Satz von der oberen Grenze, so ist ψ surjektiv, sodass in diesem Falle ψ ein Isomorphismus von (Q(P ), +, ·) auf (R+ , +, ·) ist. Beweis. Aufgrund von Satz 1 ist ψ wohldefiniert und eine Abbildung in R+ . Außerdem besagt dieser Satz, dass ψ injektiv ist. Es seien nun X, Y ∈ Q(P ). Weil P quasieudoxisch ist, gibt es u, v, w ∈ P mit X = u : w und Y = v : w. Mit Satz 3 folgt  ψ(X + Y ) = ψ (u + v) : w = ϕP (u + v, w) = fP,w (u + v) = fP,w (u) + fP,w (v) = ϕP (u, w) + ϕP (v, w) = ψ(X) + ψ(Y ). Somit ist ψ additiv. Weil P quasieudoxisch ist, gibt es Elemente k, l, m ∈ P mit X = k : l und Y = l : m. Dann ist XY = k : m. Mit Satz 1 und Satz 4 folgt, falls e irgendein Element von P ist, ψ(X)ψ(Y ) = ϕP (k, l)ϕP (l, m) = fP,e (k)fP,e (l)−1 fP,e (l)fP,e (m)−1 = fP,e (k)fP,e (m)−1 = ϕP (k, m) = ψ(XY ), sodass ψ auch multiplikativ ist. Somit ist ψ ein Monomorphismus von (Q(P ), +, ·) in (R+ , +, ·). Es seien X, Y , Z ∈ Q(P ). Da die Addition in R assoziativ ist, folgt, dass     ψ X + (Y + Z) = ψ(X) + ψ(Y ) + ψ(Z) = ψ(X) + ψ(Y ) + ψ(Z) = ψ (X + Y ) + Z gilt. Weil ψ injektiv ist, ist daher X + (Y + Z) = (X + Y ) + Z. Also ist die Addition in Q(P ) assoziativ. Ersetzt man in diesem Argument + durch ·, so sieht man, dass auch die Multiplikation assoziativ ist. Dass auch die Distributivgesetze gelten, zeigt man entsprechend. Das Einzige, was noch fehlte, um nachzuweisen, dass (Q(P ), ·) eine abelsche Gruppe ist, war aufgrund von Satz 3 von Abschnitt 2 der Nachweis der Assoziativit¨at der Multiplikation.

140

II. Gr¨oßenbereiche

Wie beim Beweise von Satz 12 von Abschnitt 2 sieht man, dass auch Q(P ) kein kleinstes Element enth¨ alt. Gilt in Q(P ) nun der Satz von der oberen Grenze, so ist ψ aufgrund der Einzigkeitsaussage von Satz 3 surjektiv. Also ist ψ ein Isomorphismus von (Q(P ), +, ·) auf (R+ , +, ·). Ist K ein K¨ orper und ist ≤ eine lineare Ordnung von K, so heißt K als K¨orper bez¨ uglich ≤ angeordnet, wenn die folgenden beiden Bedingungen erf¨ ullt sind: a) Sind a, b, c ∈ K, so gilt genau dann a ≤ b, wenn a + c ≤ b + c ist. b) Sind a, b, c ∈ K und ist c > 0, so ist genau dann a ≤ b, wenn ac ≤ bc ist. Ist a ∈ K und ist a > 0, so nennen wir a positiv . Ist a < 0, so nennen wir a negativ . Die Menge der positiven Elemente von K nennen wir P< . Satz 6. Es sei K ein angeordneter K¨ orper und P< sei die Menge seiner positiven Elemente. Dann gilt: α) P< ist additiv und multiplikativ abgeschlossen. β) Ist 0 6= a ∈ K, so ist genau dann a ∈ P< , wenn −a 6∈ P< ist. γ) Es ist a2 ∈ P< f¨ ur alle a ∈ K − {0}. δ) Es ist 1 ∈ P< . ) Ist a ∈ P< , so ist a−1 ∈ P< . Genau dann ist 1 < a, wenn a−1 < 1 ist. ζ) Es gibt kein kleinstes Element in P< . Beweis. α) Sind a, b ∈ P< , so ist 0 < a und 0 < b. Mit a) folgt 0 < b = 0 + b < a + b, sodass a + b ∈ P< ist. Mit b) folgt 0 = 0 · b < ab und damit ab ∈ P< . β) Es sei a ∈ P< . Dann ist 0 < a und es folgt −a = 0 + (−a) < a + (−a) = 0. Ist −a < 0, so folgt 0 = −a + a < 0 + a = a und folglich a ∈ P< . γ) Ist a ∈ P< , so gilt nach α), dass auch a2 ∈ P< ist. Ist a 6∈ P< , so ist a < 0, da < ja linear ist. Nach β) ist wegen a = −(−a) dann −a ∈ P< . Mit dem bereits Bewiesenen ist dann a2 = (−a)2 ∈ P< . δ) Nach γ) ist 1 = 12 ∈ P< . ) W¨ are a−1 < 0, so folgte der Widerspruch 1 = a−1 a < 0a = 0. Ist nun 1 < a, so folgt a−1 < aa−1 = 1. Ist umgekehrt a−1 < 1, so folgt 1 = a−1 a < 1a = a.

6. Logarithmen

141

ζ) Setze z := 1 + 1. Dann ist z > 1. Nach δ) ist dann z −1 < 1. Ist nun u ∈ P< , so folgt z −1 u ∈ P und z −1 u < 1u = u, sodass es in P< kein keinstes Element gibt. Satz 7. Ist K ein angeordneter K¨ orper und gilt in K der Satz von der oberen Grenze, so ist K zu R isomorph. Beweis. Es sei P die Menge der positiven Elemente von K. Ferner seien a, b ∈ P . Gilt na ≤ b f¨ ur alle n ∈ N, so hat die Menge W := {na | n ∈ N} ein Supremum s. Dann ist s − a < s, sodass es ein m ∈ N mit s − a < ma gibt. Es folgt der Widerspruch s < ma + a = (m + 1)a ≤ s. Es gibt also doch ein n ∈ N mit b < na. Es seien a, b ∈ P und es gelte b < a. Dann ist 0 < a − b und folglich a − b ∈ P . Außerdem ist a = b + a − b. Damit ist gezeigt, dass (P, +, ≤) ein Gr¨oßenbereich ist. Da in ihm der Satz von der oberen Grenze gilt und da es in ihm kein kleinstes Element gibt, gibt es nach Satz 5 einen Isomorphismus ψ von (P, +, ·) auf (R+ , +, ·). Setzt man nun ψ auf K fort durch die Festsetzung ψ(0) := 0 und ψ(x) := −ψ(−x) f¨ ur x < 0, so wird ψ zu einem Isomorphismus des K¨ orpers K auf R. Man sieht unmittelbar, dass ψ bijektiv ist. Um zu zeigen, dass ψ additiv ist, seien x, y ∈ K. Ist eines der beiden Elemente null, so sieht man unmittelbar, dass ψ(x + y) = ψ(x) + ψ(y) ist. Sind x und y beide positiv, so gilt nat¨ urlich ebenfalls ψ(x + y) = ψ(x) + ψ(y). Sind x und y beide negativ, so ist auch x + y negativ. Daher ist   ψ(x + y) = −ψ (−x) + (−y) = −ψ(−x) + −ψ(−y) = ψ(x) + ψ(y). Es sei schließlich x < 0 und y > 0. Ist x + y ≥ 0, so folgt ψ(−x) + ψ(x + y) = ψ(−x + x + y) = ψ(y) und weiter ψ(x + y) = −ψ(−x) + ψ(y) = ψ(x) + ψ(y). Ist x + y < 0, so folgt mit dem gerade Bewiesenen, wenn man x + y die Rolle von x und −x die Rolle von y spielen l¨ asst,  ψ(x + y) + ψ(−x) = ψ x + y + (−x) = ψ(y) und damit ψ(x + y) = −ψ(−x) + ψ(y) = ψ(x) + ψ(y). Damit ist gezeigt, dass ψ additiv ist. Aufgrund der Additivit¨ at von ψ ist ψ(−x) = −ψ(x). Benutzt man dies und die Tatsache, dass f¨ ur positive x und y die Gleichung ψ(xy) = ψ(x)ψ(y) gilt, so ist die Allgemeing¨ ultigkeit dieser Gleichung rasch festgestellt. Damit ist der Satz bewiesen.

142

II. Gr¨oßenbereiche

Wir kommen nun zu einer wichtigen Ungleichung. Es ist die bernoullische Ungleichung, die wir hier in ihrer urspr¨ unglichen Formulierung und mit ihrem urspr¨ unglichen Beweis vortragen werden (Jakob Bernoulli 1689. Hier zitiert nach Bernoulli 1744/1993, Proposition IV). Zun¨ achst jedoch noch eine Definition. Es sei a eine streng monoton steigende Folge auf R+ . Wir nennen a arithmetisch, wenn f¨ ur alle n ∈ N die Gleichung an+1 − an = a2 − a1 gilt. Die Folge g auf R+ heißt geometrisch, falls f¨ ur alle n ∈ N die Gleichung gn+1 : gn = g2 : g1 gilt. Bernoullische Ungleichung. Es sei a eine streng monoton steigende arithmetische und b eine geometrische Folge auf R+ . Ist dann a1 = g1 und a2 = g2 , so ist gn > an f¨ ur alle n ≥ 3. Beweis. Da g eine geometrische Reihe ist, ist g1 : g2 = g2 : g3 . Wegen g1 = a1 < a2 = g2 folgt g2 < g3 . Somit sind die ¨ außeren Glieder der Proportion g1 : g2 = g2 : g3 die extremen. Daher gilt nach Satz 18 von Abschnitt 1, dass g1 + g3 > 2g2 ist. Nun ist aber g2 − g1 = a2 − a1 = a3 − a2 = a3 − g2 , da a eine arithmetische Reihe ist. Also ist 2g2 = g1 + a3 . Es folgt g1 + g3 > 2g2 = g1 + a3 und daher g3 > a3 . Es sei gn > an . Es ist g1 : g2 = gn : gn+1 . Hieraus folgt wieder, dass gn < gn+1 ist, sodass g1 und gn+1 die Extremen der Proportion g1 : g2 = gn : gn+1 sind. Mit Satz 18 von Abschnitt 1 und der Induktionsannahme folgt daher g1 + gn+1 > g2 + gn > a2 + an . Weil a eine arithmetische Reihe ist, ist a2 + an = a1 + an+1 . Es folgt g1 + gn+1 > a1 + an+1 und wegen g1 = a1 dann auch gn+1 > an+1 . Damit ist die Aussage des Satzes bewiesen. Der von uns zitierte Satz 18 von Abschnitt 1 steht, wie dort gesagt, bei Euklid. Es ist Proposition 25 von Buch V und Bernoulli zitiert bei seinem Beweis eben diese Stelle. Setzt man, was wir ja d¨ urfen, q := g2 : g1 , so folgt gi+1 = g1 q i und ai = a1 + (i − 1)(a2 − a1 ) = g1 + (i − 1)(g2 − g1 ). Also ist g1 q i = gi+1 > ai+1 = g1 + i(g2 − g1 ). Wegen q =

g2 g1

folgt weiter q i > 1 + i(q − 1).

Ersetzt man schließlich q durch 1 + q, so erh¨alt man die f¨ ur alle i > 1 und alle q > −1 g¨ ultige Form der bernoullische Ungleichung (1 + q)i > 1 + iq.

6. Logarithmen

143

Mittels der bernoullischen Ungleichung sind wir nun in der Lage, den folgenden bemerkenswerten Satz zu beweisen. Satz 8. Es sei P ein eudoxischer Gr¨ oßenbereich. Ferner sei 1 ∈ P und · sei die mittels 1 auf P definierte Multiplikation. Ist dann Q := {x | x ∈ P, x > 1}, so ist (Q, ·, b. Es seien a, b ∈ Q. Es gibt dann ein c ∈ P mit b = 1 + c. Es folgt ab = a + ac > a. Wegen a > 1 ist also ab > 1 und damit ab ∈ Q, sodass Q unter · abgeschlossen ist. Gleichzeitig haben wir die G¨ ultigkeit von b) nachgewiesen. Es seien a, b ∈ Q und es gelte b < a. Es gibt, weil P eine Gruppe ist, genau ein c ∈ P mit bc = a. Wegen b < a ist c 6= 1. W¨ are c < 1, so w¨are 1 = c + d mit einem d ∈ P . Es folgte der Widerspruch b = b1 = bc + bd = a + bd > a > b. Also ist doch c > 1 und damit c ∈ Q, sodass auch c) gilt. Um d) nachzuweisen, seien a, b ∈ Q. Es gibt dann ein c ∈ P mit a = 1 + c. Mittels der bernoullischen Ungleichung folgt an = (1 + c)n ≥ 1 + nc f¨ ur alle n ∈ N. Es gibt nun ein n mit nc > b − 1, sodass an > b ist. Damit ist alles bewiesen. Was besagt f¨ ur (Q, ·, 1 die Menge der reellen Zahlen, die gr¨oßer als 1 sind. Nach Satz 8 ist (R>1 , ·, 1 genau einen Isomorphismus loga von (R>1 , ·, 1, dass loga (xy) + loga (x−1 ) = loga (xyx−1 ) = loga (y) ist und damit wieder loga (xy) = − loga (x−1 ) + loga (y) = loga (x) + loga (y). In den F¨ allen, dass x oder y gleich Eins ist, gilt die fragliche Gleichung wegen loga (1) = 0 nat¨ urlich auch. Die Entdeckung der Logarithmen durch B¨ urgi und Neper um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert und ihre Weiterentwicklung durch Briggs und Kepler war ein Meilenstein in der Entwicklung der Rechentechnik. Aufgrund der Funktionalgleichung loga (xy) = loga (x) + loga (y) und umfangreicher Tabellen der Logarithmusfunktion war es nun m¨oglich, die aufwendige Multiplikation vielstelliger Zahlen auf die weniger aufw¨andige Addition zur¨ uckzuf¨ uhren. Der Name Logarithmus, der Verh¨ altniszahl bedeutet — Logos ist ja das Verh¨altnis, wie wir wissen, und Arithmos die Zahl —, wurde von Neper eingef¨ uhrt. Der nepersche ¨ Logarithmus LN ist im Ubrigen eine affine Version des nat¨ urlichen Logarithmus. F¨ ur ihn gilt LN (x) = w(ln w − ln x) mit w = 107 . Dabei bezeichne ln ferner den nat¨ urlichen Logarithmus, den wir im n¨ achsten Kapitel kennenlernen werden. F¨ ur die Funktion LN gilt genau dann LN (x) − LN (y) = LN (u) − LN (v),

6. Logarithmen

145

wenn xy −1 = uv −1 ist. Hieraus erkl¨ art sich der Name Logarithmus, d.h. Verh¨altniszahl. Briggs benutzte diese Eigenschaft zur Definition des Logarithmus. Er w¨ahlte dann eine solche Logarithmusfunktion, f¨ ur die log 1 = 0 ist, wobei die Null bei ihm cyphra, Ziffer also, heißt. (Dies kommt von dem arabischen as-sifr , welches in dieser Sprache f¨ ur null steht.) Wegen 1 : x = y : xy folgte n¨ amlich log 1 + log xy = log x + log y und damit log xy = log x + log y. Der Logarithmus, den er berechnet, ist der zur Basis 10 (Briggs 1976, Cap. I und II). Die erste Publikation Nepers zu den Logarithmen f¨allt in das Jahr 1614. Mir stand die Ausgabe 1620 zur Verf¨ ugung, die auch eine Einf¨ uhrung in die Theorie sowie die Praxis der Berechnung einer Logarithmentafel enth¨alt. Diese Beschreibung wurde erstmals 1619 publiziert. Eine gute Beschreibung der neperschen Arbeit von 1619 findet sich in Ayoub 1993. Zu B¨ urgi habe ich nichts zu sagen und auch nicht zu Kepler, da ich ihre Publikationen nicht gesehen habe. Ist 1 < a ∈ R, so haben wir in loga einen Isomorphismus von (R+ , ·, ≤) auf (R, +, ≤) gefunden, der a auf 1 abbildet. Definiert man nun noch log1 durch log1 := 0 und loga f¨ ur 0 < a < 1 durch loga := − log a1 , so gilt generell die Funktionalgleichung loga (xy) = loga (x) + loga (y) und loga ist f¨ ur alle a 6= 1 ein Isomorphismus. Wir wissen, dass es zu gegebenem a ∈ R+ mit a 6= 1 genau einen Isomorphismus von (R+ , ·) auf (R, +) gibt, der a auf 1 abbildet. Dies besagt auf der einen Seite, dass es viele, auf der andern Seite, dass es nicht zuviele Isomorphismen von (R+ , ·) auf (R, +) gibt. Wie sie miteinander zusammenh¨ angen, sagt der folgende Satz. Satz 9. Sind a, b ∈ R+ und ist b 6= 1, so ist loga (x) = loga (b) logb (x) f¨ ur alle x ∈ R+ . Beweis. Es ist loga (b) logb (xy) = loga (b) logb (x) + loga (b) logb (y). Folglich ist die Abbildung x → loga (b) logb (x) eine Logarithmusfunktion. Aufgrund der Einzigkeit von Logarithmenfunktionen gibt es daher ein c ∈ R+ mit logc (x) = loga (b) logb (x) f¨ ur alle x ∈ R+ . Ist a = 1, so ist logc (x) = 0 f¨ ur alle x ∈ R+ . Es folgt c = 1, d.h. c = a. Es sei also a 6= 1. Wegen b 6= 1 ist logb (b) = 1 und daher logc (b) = loga (b) logb (b) = loga (b). Weil es aber nur eine Logarithmusfunktion gibt, die b auf loga (b) abbildet, folgt c = a. Damit ist alles bewiesen.

146

II. Gr¨oßenbereiche

Korollar. Sind a, b ∈ R+ und gilt a, b 6= 1, so ist loga (b) logb (a) = 1. Beweis. Nach Satz 9 ist ja 1 = loga (a) = loga (b) logb (a). Ist a ∈ R+ und a 6= 1, so ist loga ein Isomorphismus von (R+ , ·) auf (R, +) mit loga (a) = 1. Nach einer unserer fr¨ uheren Aufgaben ist dann die Umkehrabbildung, die wir mit expa bezeichnen, ebenfalls ein Isomorphismus und zwar von (R, +) auf (R+ , ·). Es gilt also expa (x + y) = expa (x) expa (y) f¨ ur alle x, y ∈ R. Wegen loga (a) = 1 gilt dann expa (1) = a. Nat¨ urlich gilt auch expa (0) = 1. Ist nun expa (n) = an , so folgt expa (n + 1) = expa (n) expa (1) = an a = an+1 . Also gilt an = expa (n) f¨ ur alle n ∈ N0 . Ferner gilt 1 = expa (0) = expa (x − x) = expa (x) expa (−x) und daher expa (−x) = expa (x)−1 f¨ ur alle x ∈ R. Satz 10. Sind a, b ∈ R+ − {1}, so ist expb (x) = expa loga (b)x



f¨ ur alle x ∈ R. Beweis. Setze c := loga (b). Dann ist  expa c(x + y) = expa (cx + cy) = expa (cx) expa (cy), sodass x → expa (cx) aufgrund der Einzigkeitsaussage von Satz 3 eine Exponentialfunktion ist. Es gibt also ein d mit expd (x) = expa (cx) f¨ ur alle x ∈ R. Wegen expd (1) = expa (c) = expa (loga (b)) = b = expb (1) folgt ebenfalls aufgrund der Einzigkeitsaussage von Satz 3, dass d = b ist. Definiert man nun f¨ ur r ∈ R und k ∈ R+ die Potenz k r durch k r := 1, falls k = 1, und k r := expk (r), falls k 6= 1 ist, so ist das f¨ ur r ∈ N im Einklang mit der zuvor getroffenen Verabredung. Dass es das auch f¨ ur negative ganze Zahlen ist, folgt aus dem folgenden Satz.

7. Die komplexen Zahlen

147

Satz 11. Sind k, l ∈ R+ und r, s ∈ R, so gilt: a) Es ist k r+s = k r k s . b) Es ist (kl)r = k r lr . c) Es ist k rs = (k r )s . d) Ist k > 1, so gilt genau dann r < s, wenn k r < k s ist. Ist k < 1, so ist genau dann r < s, wenn k s < k r ist. Beweis. a) Ist k = 1, so ist nichts zu beweisen. Es sei also k 6= 1. Dann ist k r+s = expk (r + s) = expk (r) expk (s) = k r k s . b) Nach Satz 10 ist  (kl)r = expkl (r) = expk (logk (kl)r) = expk (logk (k) + logk (l))r   = expk (1 + logk (l))r = expk (r) expk logk (l)r = k r expl (r) = k r lr . c) Es ist logk (k r ) = logk (expk (r)) = (logk expk )(r) = r. Es folgt  (k r )s = expkr (s) = expk logk (k r )s = expk (rs) = k rs . d) Es sei k > 1. Ist r < s, so ist t := s − r > 0. Wegen k > 1 ist dann auch k t > 1. Mit a) folgt daher k r < k r k t = k r+t = k s . Es sei umgekehrt k r < k s . Wegen k > 1 ist dann r = logk expk (r) = logk (k r ) < logk (k s ) = logk expk (s) = s. Es sei k < 1. Ist r < s, so ist t := s − r > 0. Wegen k < 1 ist dann auch k t < 1. Mit a) folgt k r > k r k t = k r+t = k s . Es sei umgekehrt k r > k s . Wegen k < 1 ist dann r = logk expk (r) = logk (k r ) < logk (k s ) = logk expk (s) = s. Damit ist alles bewiesen. 1

1

Mit c) folgt, dass k n die n-te Wurzel aus k ist, da ja (k n )n = k ist.

7. Die komplexen Zahlen. Es zeigte sich in Abschnitt 5, dass die negativen Zahlen bei der Untersuchung von kubischen Gleichungen auf sehr unangenehme Weise ins Spiel kamen, n¨ amlich als Zwischenresultate, aus denen man die Quadratwurzel ziehen musste. Tartaglia erw¨ ahnt in seinen Schriften, dass Cardano daran Anstoß genommen h¨atte, ohne selbst auch nur den Hauch einer Erkl¨ arung zu versuchen. Das besonders Anst¨oßige

148

II. Gr¨oßenbereiche

daran ist, dass das gesuchte Ergebnis am Ende reell ist. Das Ph¨anomen trat auf bei Gleichungen vom Typ x3 = px + q, f¨ ur deren L¨ osung x laut Tartaglia v s   u 3 u 3 q p q2 t x= ± − + + 2 3 4

v s   u 3 u 3 q p q2 t ∓ − + . 2 3 4

gilt, sodass es, wie gesagt, Schwierigkeiten gibt, wenn  3 p q2 > 3 4 ist. Die Gleichungen dritten Grades und allgemeiner dann die Gleichungen n-ten Grades zwangen also dazu, auch Quadratwurzeln aus negativen Zahlen innerhalb der Mathematik zu betrachten und damit die komplexen Zahlen in die Mathematik einzuf¨ uhren. Hat man aber die komplexen Zahlen als Ausdr¨ ucke der Form √ a + b −1 mit a, b ∈ R eingef¨ uhrt, wie wir es gleich tun werden, so ist noch lange nicht klar, ob die oben angegebene L¨ osung x f¨ ur die Gleichung x3 = px + q auch eine komplexe Zahl ist, oder ob man noch allgemeinere Gebilde als weitere Zahlen einf¨ uhren muss. Nein, lautet die erstaunliche Antwort. Man rechnete schon lange mit komplexen Zahlen — Euler beherrschte sie meisterlich — ehe Cauchy und nach ihm Hamilton eine befriedigende Begr¨ undung f¨ ur diese Zahlen gaben. Dar¨ uber gleich mehr. Zuvor beweisen wir noch zwei S¨atze u ¨ber R, die wir im Folgenden ben¨ otigen. Mithilfe der auf R gegebenen Anordnung (siehe Aufgabe 2 von Abschnitt 5) definieren wir den Absolutbetrag |a| einer reellen Zahl a durch |a| := a, falls a ≥ 0, bzw. durch |a| := −a, falls a < 0 ist. Damit ist gleichzeitig auch ein Absolutbetrag auf Q definiert. Satz 1. F¨ ur den auf R definierten Absolutbetrag gilt: a) Es ist |a| ≥ 0 f¨ ur alle a ∈ R. Genau dann ist |a| = 0, wenn a = 0 ist. b) Es ist |a| = |−a| f¨ ur alle a ∈ R. c) Es ist |ab| = |a| |b| f¨ ur alle a, b ∈ R. d) Es gilt die Dreiecksungleichung, d.h. es ist |a + b| ≤ |a| + |b|

f¨ ur alle a, b ∈ R.

e) Es ist |a| − |b| ≤ |a − b| f¨ ur alle a, b ∈ R. Beweis. a) und b) folgen unmittelbar aus der Definition des Absolutbetrages. c) Hier sind vier F¨ alle zu untersuchen, die allesamt mittels der Vorzeichenregeln das gew¨ unschte Ergebnis liefern.

7. Die komplexen Zahlen

149

d) Sind a und b beide positiv oder beide negativ, so gilt |a + b| = |a| + |b|. Wir d¨ urfen daher annehmen, dass a > 0 und b < 0 ist. Wir setzen c := −b. Dann ist also a + b = a − c. Ist nun c ≤ a, so ist |a − c| = a − c < a − c + 2c = a + c = |a| + |b|. Ist schließlich c > a, so ist |a − c| = c − a < c − a + 2a = c + a = |a| + |b|. Damit ist die Dreiecksungleichung bewiesen. e) Mittels d) folgt f¨ ur alle a, b ∈ R die Ungleichung |a| = |a − b + b| ≤ |a − b| + |b|. Daher gilt die Ungleichung |a| − |b| ≤ |a − b| f¨ ur alle a, b ∈ R. Vertauschung von a und b liefert die Ungleichung |b| − |a| ≤ |b − a|. Weil nach b) nun |b − a| = |−(a − b)| = |a − b| ist, ist also in der Tat |a| − |b| ≤ |a − b|. Um auf den komplexen Zahlen einen Absolutbetrag definieren zu k¨onnen, ben¨otigen wir noch die folgende Aussage u ¨ber R, die wir unabh¨angig von Satz 11 des letzten Abschnitts beweisen. Satz 2. Zu jedem k ∈ R+ gibt es genau ein l ∈ R+ mit l2 = k, d.h. dass man aus jeder positiven reellen Zahl die Quadratwurzel ziehen kann. Beweis. Es sei zun¨ achst 1 ≤ k. Setze Q := {x | x ∈ R+ , x2 ≤ k}. Es ist 12 = 1 ≤ k und folglich 1 ∈ Q, sodass Q nicht leer ist. Ist 1 ≤ x ∈ Q, so ist x ≤ x2 ≤ k. Hieraus folgt, dass Q beschr¨ ankt ist. Daher hat Q ein Supremum l. Wir zeigen, dass l2 = k ist. Dazu zeigen wir zun¨ achst noch, dass Q ein Anfang von R+ ist. Ist n¨ amlich y ∈ R+ und x ∈ Q, gilt ferner y ≤ x, so ist y 2 ≤ x2 ≤ k und damit y ∈ Q. Nach Satz 6 von Abschnitt 4 gibt es Folgen u und v rationaler Zahlen mit un ≤ l < vn und vn − un = 21n . Setze wn := un − 21n . Dann ist wn < l < vn f¨ ur alle n 1 und vn − wn = 2n−1 . Es folgt wn ∈ Q und vn 6∈ Q. Also ist wn2 ≤ k < vn2

und

wn2 < l2 < vn2 .

150

II. Gr¨oßenbereiche

Hieraus folgt 2

|k − l | ≤
0 folgt hieraus l − m = 0, d.h. l = m. Damit ist der Satz bewiesen. √ Das Element l bezeichnen wir auch mit k. Mithilfe der Einzigkeit der Quadratwurzel folgt wegen √√ √ 2√ 2 √ 2 ( l m)2 = l m = lm = lm √√ √ die Gleichung l m = lm. Cauchy definiert die komplexen Zahlen in seinem Cours d’analyse von 1821 wie auch in seinen Exercices de math´ematiques von 1829. Dabei liegt in seinem Cours d’analyse neben der Definition der imagin¨ aren Ausdr¨ ucke (expressions imaginaires), wie er die komplexen Zahlen nennt, das Schwergewicht auf der Darstellung der komplexen Zahlen als Ausdr¨ ucke der Form √ r(cos ϕ + −1 sin ϕ) mit zahlreichen Interpretationen trigonometrischer Formeln. Ich beziehe mich hier stattdessen auf das Kapitel Sur la r´esolution des ´equations num´eriques et sur la th´eorie de l’´elimination der Exercices de math´ematiques, wo die trigonometrischen Funktionen nicht mehr die dominierende Rolle spielen. Dieses Kapitel findet sich auf den Seiten 65–128 des zitierten Lehrbuchs. Die Lehrmeinung heute ist, dass Hamilton 1835 als erster eine hieb- und stichfeste Definition der komplexen Zahlen gegeben h¨atte. Richtig ist, dass Cauchy mit seiner in seinem Cours d’Analyse de l’Ecole Royale Polytechnique von 1821 gegebenen und in seinen Exercices de math´ematiques von 1829 wiederholten Definition nicht zufrieden war, wie aus Cauchy 1847 hervorgeht. Dort entwickelt er, wie er schon im Titel sagt, eine neue Theorie der Imagin¨ aren. Er fasst dort C auf als den Restklassenring des Rings R[x] der Polynomfunktionen u ¨ber R nach dem von der Polynomfunktion x2 + 1 erzeugten Ideal, also als R[x]/(x2 + 1)R[x]. Dabei entgeht ihm nicht die Verallgemeinerungsm¨oglichkeit dieser Konstruktion. Die hamiltonsche Konstruktion von C als der Menge aller Paare (a, b) mit a, b ∈ R, auf der in geeigneter Weise eine Addition und Multiplikation definiert wird, ist allen heute gel¨ aufig. An dieser Konstruktion ist nichts auszusetzen. Bei Hamilton bleibt nur

7. Die komplexen Zahlen

151

seine Vorstellung der reellen Zahlen fragw¨ u√ rdig. Dies gilt nat¨ urlich auch f¨ ur Cauchy. Er definiert die imagin¨ aren Ausdr¨ ucke als a+b −1 mit a, b ∈ R und er definiert Gleichheit solcher Ausdr¨ ucke durch √ √ a + b −1 = c + d −1 genau dann, wenn a = c und b = d ist. Ferner definiert er Addition und Multiplikation von solchen Ausdr¨ ucken durch √ √ √ a + b −1 + c + d −1 = a + b + (c + d) −1 und

√ √ √ (a + b −1)(c + d −1) = ac − bd + (ad + bc) −1.

Er diskutiert nicht die Assoziativit¨ at und Kommutativit¨at von Addition und Multiplikation und auch nicht die Distributivgesetze. In seinem Cours d’analyse von 1821 sagt er jedoch, ohne es zu beweisen, dass man in einem Produkt von beliebig vielen Elementen die Multiplikationen in beliebiger Reihenfolge ausf¨ uhren kann. Das hat nat¨ urlich die Kommutativit¨ at und Assoziativit¨ at der Multiplikation zur Folge. Wir beeilen uns zu konstatieren: Satz 3. (C, +, ·) ist ein kommutativer K¨ orper. Dar¨ uberhinaus gilt: √ √ a) Ist 0 + 0 −1 6= a + b −1 ∈ C, so ist √ (a + b −1)−1 =

a2

a −b √ + 2 −1. 2 +b a + b2

√ b) Die Abbildung a → a + 0 −1 ist ein Monomorphismus von R in C. √ √ c) Setze i := 0 + 1 −1. Dann ist i2 = −1 + 0 −1. Beweis. Es ist wieder banal √ und langweilig nachzurechnen, dass (C, +, ·) ein kommutativer Ring und dass 1 + 0 −1 die Eins des Ringes ist. a) Weil a und b nicht beide null sind, ist a2 + b2 > 0. Daher ist die rechte Seite der Gleichung definiert. Es folgt   √ √ a −b √ a + b −1 2 + −1 = 1 + 0 −1. 2 2 2 a +b a +b Hieraus folgt, dass C sogar ein K¨ orper ist. b) und c) folgen wieder mit einfachen Rechnungen. √ Wir identifizieren im Folgenden √ √ das Element a ∈ R mit dem √ Element a + 0 2−1 und das Element b −1 mit 0 + b −1. Ferner setzen wir i := −1. Dann gilt i = −1. Weiterhin nennt man a den Real- und b den Imagin¨ arteil von a + ib. Ist z = a + ib ∈ C mit a, b ∈ R, so definiert man z¯ durch z¯ := a − ib. Man nennt mit Cauchy z¯ die zu z konjugiert komplexe Zahl . Die Abbildung z → z¯, auch das Konjugieren genannt, ist ein Automorphismus von C, d.h. es gilt a+b=a ¯ + ¯b und ab = a ¯¯b.

152

II. Gr¨oßenbereiche

Zweimal angewendet ergibt dieser Automorphismus die Identit¨at. F¨ ur den Realteil Re(z) von z gilt Re(z) = 12 (z + z¯) und f¨ ur den Imagin¨ arteil Im(z) von z gilt Im(z) =

1 2i (z

− z¯).

Ist z = a + ib, so ist z z¯ = a2 + b2 . Ist also 0 6= z ∈ C, so ist z −1 =

z¯ . z z¯

Ferner gilt z = z¯ genau dann, wenn z ∈ R ist. √ Ist √ z ∈ C, so ist z z¯ ∈ R+ ∪ {0}. Nach Satz √ 3 existiert also z z¯. Ist x ∈ R, so ist |x| = x¯ x. Somit setzt die Abbildung z → z z¯ den Absolutbetrag von R √ auf C fort. Daher definieren wir den Absolutbetrag einer komplexen Zahl z durch |z| := z z¯. Dann ist |¯ z | = |z|. Es erhebt sich die Frage, ob die Eigenschaften a) bis d) und dann nat¨ urlich auch e) des Satzes 1 f¨ ur diese Fortsetzung gelten. Satz 4. Der soeben definierte Absolutbetrag auf C besitzt ebenfalls die Eigenschaften a) bis e) von Satz 1. Beweis. Die Buchstaben a und b bezeichnen im Folgenden komplexe Zahlen. a) und b) sind trivial. c) Es ist, da das Konjugieren ja ein Automorphismus von C ist, |ab| =

p

abab =

p √ p a¯ ab¯b = a¯ a b¯b = |a| |b|.

d) Da f¨ ur den auf R definierten Absolutbetrag die Dreiecksungleichung gilt und da wegen a ¯b + a¯b = a ¯b + a¯b gilt, dass a ¯b + a¯b ein Element von R ist, gilt |a + b|2 = |a|2 + |b|2 + a ¯b + ¯ba. Es sei a = u + iv und b = x + iy. Dann ist a ¯b = ux + vy + i(uy − vx). Hieraus folgt p a ¯b + ¯ba = 2(ux + vy) ≤ 2 (ux + vy)2 + (uy − vx)2 = 2|¯ ab| = 2|¯ a||b| = 2|a||b| und damit dann 2 |a + b|2 ≤ |a|2 + |b|2 + 2|a||b| = |a| + |b| . Hieraus folgt wiederum |a + b| ≤ |a| + |b|. e) folgt wieder mittels b) und d). Bei Cauchy wie auch bei Hamilton ist jeder Bezug auf die Geometrie verschwunden.

7. Die komplexen Zahlen

153 Aufgaben

1. Es sei K = Q oder K = R. Ist 0 6= a ∈ K, so ist a2 > 0. (Beachten Sie, dass a2 = (−a)2 ist.) 2. Es seien p, q ∈ C. Zeigen Sie, dass die Gleichung x2 + px + q = 0 eine L¨osung in C hat. (Zeigen Sie zun¨ achst, dass es zu jedem a ∈ C ein b ∈ Cp gibt mit b2 = a. Dies ist der schwierige Teil. Dabei d¨ urfen Sie die triviale Ungleichung x2 + y 2 ≥ |x| benutzen, die f¨ ur alle x, y ∈ R gilt.) 3. Es seien a, b, c, d ∈ R. Wir setzen a + bi ≤ c + di genau dann, wenn a < c oder wenn a = c und b ≤ d ist. Zeigen Sie, dass ≤ eine lineare Ordnung von C ist, die mit der auf C definierten Addition vertr¨ aglich ist. 4. Zeigen Sie, dass es keine lineare Ordnung auf C gibt, die gleichzeitig mit der auf C definierten Addition und Multiplikation vertr¨ aglich ist. (Dies wird h¨aufig schlampig so ausgedr¨ uckt, dass man sagt, C ließe sich nicht anordnen.)

III. Logarithmus und Exponentialfunktion Die Logarithmen sind uns bei der Konstruktion der reellen Zahlen gleichsam in den Schoß gefallen. Sie sind Isomorphismen der multiplikativen Gruppe (R+ , ·) auf die additive Gruppe (R, +). Ihre Umkehrfunktionen, insbesondere die Umkehrfunktion der nat¨ urlichen Logarithmen, sind ebenfalls wichtige Funktionen der Analysis. Ihnen vor allem, aber auch den Logarithmen, werden wir nun noch ein wenig Aufmerksamkeit schenken. Insbesondere werden wir sie ins Komplexe fortsetzen. Dort sind sie dann nicht mehr injektiv, was zu Schwierigkeiten bei den Logarithmen f¨ uhrt, die letztlich erst in der Funktionentheorie bew¨ altigt werden. Wir beginnen damit, dass wir zur¨ uckschauen und sehen, was Euler in seiner Introductio in analysin infinitorum zu diesen Funktionen sagt. Dort wird deutlich, wie man auf die Reihen f¨ ur die Exponentialfunktionen und die Logarithmusfunktionen kommen kann. Da Eulers Umgang mit diesen Funktionen sehr großz¨ ugig ist, m¨ ussen wir danach daran gehen, die eulerschen Behauptungen mit heutiger Strenge zu beweisen. Was wir dann aber machen, ist gut motiviert. Fangen wir also an! 1. Unendlich groß, unendlich klein. Es wird immer wieder dar¨ uber geklagt, dass die Darstellung von Mathematik so glatt sei und dass sich folglich nur so wenig von ihrer Entstehung vermittle. Manchmal hat man aber Gl¨ uck und findet etwas in der Literatur, was gestattet, einen Blick in die Studierstube des Mathematikers zu werfen, auch wenn das eigentliche Finden nicht wirklich dargestellt ist. Es l¨asst sich wohl nicht einfangen. Zu den Gl¨ ucksf¨ allen nun geh¨ ort, was Euler in seiner Introductio in analysin infinitorum von 1748 u ¨ber Exponentialfunktionen, Logarithmen und trigonometrische Funktionen schreibt. Hiervon m¨ ochte ich ein wenig berichten und das, was Euler in herrlicher Unbek¨ ummertheit darstellt, anschließend mit heutiger Strenge als korrekt etablieren oder auch verwerfen. Euler beginnt zun¨ achst az zu erkl¨ aren, wobei a eine Konstante und der Exponent z eine Variable sei. Durchlaufe z die positiven ganzen Zahlen, so sei az einer der Werte a1 , a2 , a3 , a4 , a5 , a6 etc., und wenn z die negativen ganzen Zahlen durchlaufe, so sei az einer der Werte 1 1 1 1 , , , etc. a a2 a3 a4 Ferner sei a0 = 1.

1. Unendlich groß, unendlich klein

155

Ist z = m n eine rationale, aber keine ganze Zahl, so beginnen die Schwierigkeiten. Die erste Schwierigkeit entsteht dadurch, dass man Quadratwurzeln aus negativen Zahlen ziehen muss, wenn n gerade und a < 0 ist, und die zweite dadurch, dass Wurzeln mehrdeutig sind, wenn n gerade und a > 0 ist. Euler nimmt daher nun an, dass a > 0 ist und dass az die eindeutig bestimmte positive Wurzel ist, falls es mehrere gibt. Ist a < 1, so liefert die Funktion z → az wegen  −z 1 z a = a und a1 > 1 nichts Neues gegen¨ uber dem Fall, dass a > 1 ist. Wir nehmen daher mit Euler eben dies an, dass n¨ amlich a > 1 ist. Was nun irrationale z anbelangt, so sagt Euler, Bezug nehmend auf die Mehrdeutigkeit bei 2n-ten Wurzeln: Eodem modo res se habet, si exponens z valores irrationales accipiat, quibus casibus, cum difficile sit numerum valorum involutorum concipere, unicus tantum realis consideratur , d.h. In gleicher Weise verh¨alt sich die Sache, wenn ” der Exponent z irrationale Werte annimmt, in welchen F¨allen, da es schwierig ist, die Anzahl der verborgenen Werte zu bestimmen, nur der reelle Wert betrachtet wird.“ √ Zur Verdeutlichung sagt er dann, dass a 7 zwischen a2 und a3 l¨age. Mehr sagt er nicht zur Definition der Exponentialfunktionen. Er unterstellt offensichtlich, dass seine Leser Bescheid wissen. Wen stellt er sich eigentlich als Leser vor? Wer las seine B¨ ucher und in welcher Auflagenh¨ ohe wurden sie gedruckt? Euler bemerkt, dass die Exponentialfunktion monoton steigt, dass a−∞ = 0, a0 = 1 und a∞ = ∞ ist und dass jeder Wert zwischen 0 und ∞ genau einmal angenommen wird. Er macht weiter plausibel, dass ax+y = ax ay ist. Es wird nichts wirklich definiert und folglich auch nichts wirklich bewiesen. Ist az = y, so ist z eine Funktion von y. Wir schreiben z = loga y, w¨ahrend Euler z = ly schreibt und darauf hinweist, dass man die Basis a dem Zusammenhang entnehmen m¨ usse. Das Wort Basis wird auch von ihm benutzt, wie auch das Wort Logarithmus, dass ja schon Neper einf¨ uhrte. Er macht wieder umst¨andlich plausibel, dass loga (xy) = loga (x) + loga (y) ist. Insbesondere schließt er hieraus, dass √

loga (x) + loga (y) 2 ist. Hier weist er darauf hin, dass man diese Formel benutzen k¨onne — was Briggs schon getan h¨ atte —, um loga (x) zu approximieren. Der von ihm benutzte Algorithmus formuliert sich heute wie folgt: Suche f0 ∈ Z mit af0 ≤ x < af0 +1 . Setze g0 := f0 + 1, a0 := af0 und b0 := ag0 . Dann ist f0 ≤ loga (x) < g0 und g0 − f0 = ( 12 )0 . Es seien fn , gn , an und bn bereits gefunden und es gelte an = afn , bn = agn , gn − fn = ( 12 )n , fn ≤ loga (x) < gn und an ≤ x < bn . Berechne p A := an bn = a(fn +gn )/2 . loga

xy =

156

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

Ist afn ≤ x < A, so sei an+1 := an , fn+1 := fn , bn+1 := A und gn+1 := (fn + gn )/2, andernfalls sei an+1 := A, fn+1 = (fn + gn )/2, bn+1 := bn und gn+1 := gn . Dann gelten die f¨ ur n postulierten Gleichungen und Ungleichungen auch f¨ ur n + 1. Also ist gn − fn =

1 2n

und fn ≤ loga (x) < gn f¨ ur alle n ∈ N0 und folglich loga (x) = lim f = lim g. Die Folge f ist nichts Anderes als die dyadische Entwicklung von loga (x), wie Satz 6 von Abschnitt 4 des Kapitels II zeigt. Zu ihrer Berechnung gen¨ ugen die Grundrechnungsarten und das Quadratwurzelziehen, das wir sp¨atestens nach Aufgabe 1 von Abschnitt 2 dieses Kapitels beherrschen werden. Euler gibt an dieser Stelle als Beispiel die Zwischenschritte der Rechnung f¨ ur log10 (5) = 0, 6989700. Dies formuliert er noch einmal um in 69897 10 100000 = 5, wobei er ausdr¨ ucklich sagt, dass dies approximativ sei. Hieraus erh¨alt er log10 (2) = log10 ( 10 5 ) = log10 (10) − log10 (5) = 1, 0000000 − 0, 6989700 = 0, 3010300. q

Aus ap = n und bq = n folgert er a = b p und weiter, dass pq nur von a und b nicht aber von n abh¨ ange. In unserer Sprache ausgedr¨ uckt heißt das, dass logb (x) loga (x) konstant ist, wenn nur a und b fest gehalten werden. Als Beispiel f¨ uhrt Euler an, dass 0, 3010300 : 1 = log10 (2) : log2 (2) = log10 (x) : log2 (x) ist f¨ ur alle x. Die vielen Zahlenbeispiele Eulers w¨aren dem heutigen Studenten eine Freude, wenn er denn Latein lesen k¨ onnte. Es folgen einige Anwendungen des Logarithmus auf Wachstums- und Zinseszinsprobleme, die wir u ¨bergehen. Dann wird es abenteuerlich. Es ist a0 = 1 und x → ax ist monoton wachsend. Ist also ω unendlich klein, so ist aω = 1 + ψ, wobei auch ψ unendlich klein ist. Euler leitet nun aus diesem Ansatz Standards¨atze her, die wir dann sp¨ ater innerhalb der Standardanalysis rechtfertigen werden. Hier dient alles nur dem Auffinden dieser S¨ atze.

1. Unendlich groß, unendlich klein

157

Die unendlich kleinen und großen Gr¨ oßen tauchen hier ganz unvermittelt auf. Es gab vorher kein Wort der Erkl¨ arung und auch hier gibt es keins. Auch wir tun so, als wisse jeder Bescheid. Was hier behauptet wird, kann heute im Rahmen der Nicht-StandardAnalysis gerechtfertigt werden (Robinson 1966, Prestel 1992). Euler macht nun weiter den Ansatz ψ = kω und macht wiederum plausibel, dass k endlich, also eine reelle Zahl sei, die von a abh¨ ange. Aus aω = 1 + kω folgt aiω = (1 + kω)i , wobei zun¨ achst v¨ ollig offen bleibt, was i denn f¨ ur eine Zahl sei. Hieraus folgt i i(i − 1) 2 2 i(i − 1)(i − 2) 3 3 k ω + k ω + etc. aiω = 1 + kω + 1 1·2 1·2·3 Wir denken hier nat¨ urlich an den binomischen Lehrsatz, doch was hier rechts vom Gleichheitszeichen steht, bricht nicht ab, sondern ist unendlich. Euler setzt nun i := ωz , wobei z eine endliche Zahl bedeute. Weil ω unendlich klein ist, so sein Schluss, ist i unendlich groß. Ersetzt man nun ω durch zi , so erh¨alt man  i kz 1 1(i − 1) 2 2 1(i − 1)(i − 2) 3 3 a = 1+ = 1 + kz + k z + k z i 1 1 · 2i 1 · 2i · 3i 1(i − 1)(i − 2)(i − 3) 4 4 + k z + etc. 1 · 2i · 3i · 4i z

Hier sehen wir das Erste, was es zu beweisen gilt. Weil i unendlich groß ist, muss  n kz az = lim 1 + n→∞ n gelten, wenn das alles einen Pfifferling wert sein soll. Die Zahl k muss nat¨ urlich auch i−2 bestimmt werden. Nun schließt Euler, dass i−1 i = 1 sei, und ebenso folge i = 1 und i−3 alt er i = 1, usw. Daher erh¨ az = 1 +

kz k2 z 2 k3 z 3 k4 z 4 + + + + etc. 1 1·2 1·2·3 1·2·3·4

Mit z = 1 folgt hieraus der Zusammenhang von k mit a, n¨amlich die Gleichung a=

∞ X kn . n! n:=0

Besonders interessant ist der Fall, dass k = 1 ist. Wir nennen dann e :=

∞ X 1 n! n:=0

eulersche Zahl . F¨ ur diese Zahl benutzt auch Euler den Buchstaben e. Er gibt ihren Wert als e = 2, 71828 18284 59045 23536 028.

158

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

Den Logarithmus mit dieser Basis nennt er den nat¨ urlichen oder auch hyperbolischen Logarithmus. Wir bezeichnen ihn im Folgenden mit ln. Wegen ∞ X kn a= = ek n! n:=0

folgt k = ln a. Bleiben wir noch etwas beim Logarithmus. Es ist aω = 1 + kω, wobei k und a durch die Gleichung a=

∞ X kn n! n:=0

verkn¨ upft sind. Es folgt — wir rechnen hier so unbek¨ ummert, wie Euler es tat —,  ω = loga (1 + kω) und iω = loga (1 + kω)i . Ist i unendlich groß, so ist (1 + kω)i sicher gr¨oßer als 1. Man setze also (1 + kω)i = 1 + x. Dann ist loga (1 + x) = iω. 1 i

Weiter folgt 1 + kω = (1 + x) und daher 1

kω = (1 + x) i − 1. Hieraus folgt wiederum  1 i (1 + x) i − 1 . k Nun ist aber iω = loga (1 + x) und daher iω =

loga (1 + x) =

1 i i (1 + x) i − , k k

wobei i, um es noch einmal zu sagen, eine unendlich große Zahl ist. Nun entwickelt Euler wieder den ersten Summanden auf der rechten Seite und erh¨alt 1 1 1(i − 1) 2 1(i − 1)(2i − 1) 3 (1 + x) i = 1 + x − x + x i i · 2i i · 2i · 3i 1(i − 1)(2i − 1)(3i − 1) 4 − x + etc.; i · 2i · 3i · 4

Weil i unendlich groß ist, ergibt sich wieder i−1 1 = , 2i 2

2i − 1 2 = , 3i 3

3i − 1 3 = , 4i 4

etc.

1. Unendlich groß, unendlich klein

159

Hieraus folgt x x2 x3 x4 − + − + etc. 1 2 3 4

1

i(1 + x) i = i + und schließlich loga (1 + x) =

1 k



 x x2 x3 x4 − + − + etc. . 1 2 3 4

F¨ ur x = a − 1 ist loga (1 + x) = 1. Euler schließt hieraus, dass k=

a − 1 (a − 1)2 (a − 1)3 (a − 1)4 − + − + etc. 1 2 3 4

sei, was wir nicht akzeptieren k¨ onnen, da die Reihe f¨ ur a > 2 nicht konvergiert. Ersetzt man in der Reihe f¨ ur loga (1 + x) die Variable x durch −x, so erh¨alt man   1 x x2 x3 x4 loga (1 − x) = − + + + + etc. k 1 2 3 4 und weiter     1+x 2 x x3 x5 x7 loga = loga (1 + x) − loga (1 − x) = + + + + etc. . 1−x k 1 3 5 7 Setzt man x :=

a−1 , a+1

a=

x+1 x−1

so folgt

und daher

  a−1 (a − 1)3 (a − 1)5 k=2 + + + etc. . a + 1 3(a + 1)3 5(a + 1)5

F¨ ur a = 10 erhalte man die Reihe   9 93 95 97 k=2 + + + + etc. , 11 3 · 113 5 · 115 7 · 117 deren Glieder f¨ uhlbar abn¨ ahmen, sodass man schon bald eine hinreichende Ann¨aherung an k erhielte. Im Reellen bemerkt man nicht, dass Sinus und Cosinus etwas mit der Exponentialfunktion zu tun haben. Im Komplexen erst werden einem die Augen ge¨offnet. Eulers unbek¨ ummertes Rechnen mit unendlich kleinen und unendlich großen Gr¨oßen deckt auch hier wieder den Zusammenhang auf. Er definiert den Sinus und den Cosinus am Einheitskreis. F¨ ur ihn ist sin z die Ordinate des Punktes mit der Bogenl¨ange z auf der Peripherie des Einheitskreises und cos z ist die Abszisse dieses Punktes. Von wo aus die Bogenl¨ ange gemessen wird und ob es zu jeder reellen Zahl auch einen Bogen dieser L¨ ange gibt, wird von ihm nicht er¨ ortert. Das Gewissen des Mathematikers war

160

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

noch sehr robust. Es waren aber gerade die trigonometrischen Funktionen, genauer die aus ihnen gebildeten Fourierreihen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Abgr¨ unde erkennen ließen, an denen sich die Analysis entlang hangelte, was dann zum Studium der Grundlagen der Mathematik f¨ uhrte. Euler kommt dann sehr rasch zu den Formeln sin (y + z) = sin y cos z + cos y sin z cos (y + z) = cos y cos z − sin y sin z sin (y − z) = sin y cos z − cos y sin z cos (y − z) = cos y cos z + sin y sin z, die f¨ ur alle x und y gelten, ohne sie zu beweisen. Er setzt offenbar die trigonometria als bekannt voraus. Mit y = z folgt aus der letzten dieser Formeln (sin z)2 + (cos z)2 = 1, was er schon zuvor konstatierte und was ja unmittelbar aus der Definition der beiden Funktionen folgt. Aus dieser Formel folgert er die G¨ ultigkeit der Formel √ √ (cos z + −1 · sin z)(cos z − −1 · sin z) = 1. Als N¨ achstes berechnet Euler das Produkt √ √ (cos y + −1 · sin y)(cos z + −1 · sin z), wobei er nat¨ urlich obige Formeln benutzt, mit dem Ergebnis √ cos (y + z) + −1 · sin (y + z). Mit y = z erh¨ alt man (cos z +



−1 · sin z)2 = cos 2z +



−1 · sin 2z.

Mittels Induktion, die bei Euler die damals u unktcheninduktion ist, erh¨alt man ¨bliche P¨ die de moivreschen Formeln √ √ (cos z + −1 · sin z)n = cos nz + −1 · sin nz, die f¨ ur alle n ∈ N0 gelten (de Moivre 1730). Ersetzt man z durch −z, so erh¨alt man wegen cos −z = cos z und sin −z = − sin z die Formeln √ √ (cos z − −1 · sin z)n = cos nz − −1 · sin nz. Durch Addition bzw. Subtraktion erh¨ alt man hieraus weiter √ √ (cos z + −1 · sin z)n + (cos z − −1 · sin z)n cos nz = 2 und sin nz =

(cos z +



−1 · sin z)n − (cos z − √ 2 −1



−1 · sin z)n

.

2. Cauchyfolgen

161

Hieraus leitet Euler mithilfe von unendlich kleinen und großen Gr¨oßen die Reihen f¨ ur den Cosinus und den Sinus her. Wir u ¨berspringen das hier. Ist z unendlich klein, so sei cos z = 1 und sin z = z. Kein Wort der Erl¨auterung. Dass cos z = 1 ist, sehe ich ein, dass aber sin z = z sein soll, sehe ich ohne die Reihenentwicklung nicht. Doch diese benutzt dies schon. Es sei n = i eine unendlich große und z eine unendlich kleine Zahl, sodass v = iz endlich sei. Dann ist z = vi und folglich cos z = 1 und sin z = vi . Dies in die Formeln f¨ ur cos nz und sin nz eingesetzt ergibt  cos v =

√ i  √ i v −1 v −1 1+ + 1− i i 2

und  1+ sin v =

√ i  √ i v −1 v −1 − 1− i i √ . 2 −1

Zuvor haben wir schon gesehen, dass 

z 1+ i

i

= ez

√ ist. Euler setzt hierin nun z = v −1 und erh¨ alt cos v =

ev

und sin v =

ev





−1

−1

+ e−v 2

− e−v √ 2 −1





−1

−1

.

Sein Kommentar: ex quibus intelligitur, quomodo quantitates exponentiales imaginariae ad sinus et cosinus arcuum realium reducantur , d.h. hieraus ersieht man, auf welche ” Weise sich imagin¨ are Exponenten auf den Sinus und den Cosinus reeller Bogenl¨angen zur¨ uckf¨ uhren lassen.“ Wir haben ein Programm! 2. Cauchyfolgen. Wir haben ein Programm. Wir m¨ ussen verifizieren, dass die Exponentialfunktion durch die Reihe ∞ X zn n! n:=0 dargestellt wird und dass Sinus und Cosinus mit der Exponentialfunktion durch die Formeln eiz + e−iz eiz − e−iz cos z = und sin z = 2 2i

162

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

mit der Exponentialfunktion verbunden sind. Dabei wird unser Vorgehen sein, zun¨achst obige Reihe zu untersuchen, ihre Konvergenz f¨ ur alle z ∈ C festzustellen und zu sehen, dass sie im Reellen eine der von uns schon definierten Exponentialfunktionen darstellt, die dann auf diese Weise ins Komplexe fortgesetzt wird. Die Funktionen sin und cos werden wir durch die obigen Formeln definieren und dann zeigen, dass sie im Reellen die cartesischen Koordinaten der Punkte auf der Peripherie des Einheitskreises sind. Wir werden das Pferd also vom Schwanz her aufz¨aumen und die erhaltenen Ergebnisse dann im Sinne Eulers interpretieren. Wichtig ist bei all dem der Begriff der Konvergenz von Folgen und Reihen, um den wir uns zun¨ achst k¨ ummern werden. Von der Exponentialfunktion und den trigonometrischen Funktionen handeln wir dann in den n¨achsten beiden Abschnitten. Das cauchysche Konvergenzkriterium, das wir in diesem Abschnitt beweisen werden, liefert eine Beschreibung der reellen Zahlen, die man zu ihrer Konstruktion verwenden kann. Durchgef¨ uhrt wurde diese Konstruktion in Arbeiten von G. Cantor und E. Heine, die beide 1872 erschienen, und Ch. M´eray, dessen Arbeit schon 1870 gedruckt wurde (siehe Literaturverzeichnis). Die Arbeiten von Cantor und Heine veranlassten Dedekind, wie er in seinem B¨ uchlein schreibt, seine eigene Konstruktion der reellen Zahlen zu publizieren, die er ja bereits 1858 gefunden und zuvor schon mit Sch¨ ulern und Kollegen diskutiert hatte (Dedekind 1872). Einzelheiten jener Konstruktion findet der Leser etwa in meinem Analysisbuch (L¨ uneburg 1981). Satz 1. Es sei R ein Ring und X sei eine nicht-leere Menge. Mit A(X, R) bezeichnen wir die Menge aller Abbildungen von X in R. F¨ ur f , g ∈ A(X, R) definieren wir die Summe f + g und das Produkt f g punktweise verm¨ oge (f + g)y = fy + gy bzw. (f g)y = fy gy f¨ ur alle y ∈ X. Dann ist (A(X, R), +, ·) ein Ring. Definiert man die Abbildung const von R in A(X, R) durch const(r)y := r f¨ ur alle y ∈ X, so ist const ein Monomorphismus von R in (A(X, R), +, ·). Hat R eine 1, so ist const(1) eine und damit die Eins von A(X, R). Routinerechnungen zeigen die Korrektheit des Satzes. Aus diesem Satz folgt, dass A(R+ , R, +) eine abelsche Gruppe ist. Ist f ∈ A(R+ , R) und r ∈ R, und definiert man rf durch (rf )x := rfx f¨ ur alle x ∈ R+ , so wird A(R+ , R) zu einem R-Vektorraum. Satz 9 von Abschnitt 6 des Kapitels II besagt dann u. a., dass die Logarithmenfunktionen einen Unterraum der Dimension 1 dieses Vektorraumes bilden. Der Vektorraum selbst ist nicht endlichdimensional. Es sei K = Q, K = R oder K = C. Ist f ∈ A(X, K), so heißt f beschr¨ ankt, falls es ein C ∈ K, bzw., falls K = C ist, ein C ∈ R gibt mit |fy | < C f¨ ur alle y ∈ X. Mit B(X, K) bezeichnen wir die Menge aller beschr¨ankten Abbildungen von X in K. Satz 2. Es sei K = Q, K = R oder K = C. Ferner sei X eine nicht-leere Menge. Dann ist die Menge B(X, K) der beschr¨ ankten Abbildungen von X in K ein Teilring von A(X, K). Ferner gilt const(r) ∈ B(X, K) f¨ ur alle r ∈ K. Beweis. Es sei r ∈ K. Dann ist |const(r)y | = |r| f¨ ur alle y ∈ X. Also ist const(r) beschr¨ ankt. Insbesondere ist B(X, K) also nicht leer.

2. Cauchyfolgen

163

Es seien f , g ∈ B(X, K). Es gibt dann C, D ∈ K bzw. in R, falls K = C ist, mit |fy | < C und |gy | < D f¨ ur alle y ∈ X. Dann ist (f − g)y = |fy − gy | ≤ |fy | + |gy | ≤ C + D und (f g)y = |fy gy | = |fy ||gy | ≤ CD. Also ist f − g, f g ∈ B(X, K). Damit ist gezeigt, dass B(X, K) ein Teilring von A(X, K) ist. Diesen Satz kann man viel allgemeiner formulieren. Dies zeigt eine Analyse des Beweises. Bei ihm haben wir n¨ amlich nur benutzt, dass der Betrag eine Abbildung von K in einen angeordneten K¨ orper ist, der die Bedingungen a) bis d) des Satzes 1 von Abschnitt 7 des letzten Kapitels erf¨ ullt. Bei der n¨ achsten Definition ist X nicht mehr beliebig, vielmehr muss X die Ordnungsstruktur von N tragen. Es sei weiterhin K der K¨orper der rationalen, der reellen oder der komplexen Zahlen. Wir nennen f ∈ A(N, K) eine Cauchyfolge u ¨ber K, falls es zu jedem  ∈ Q+ bzw. R+ ein N ∈ N gibt mit |fn − fm | <  f¨ ur alle m, n ≥ N . Die Menge der Cauchyfolgen u ¨ber K bezeichnen wir mit C(K). Satz 3. Es sei K der K¨ orper der rationalen, der reellen oder der komplexen Zahlen. Dann ist C(K) ein Teilring von B(N, K). Ferner gilt const(k) ∈ C(K) f¨ ur alle k ∈ K. Beweis. Es ist const(k)n − const(k)m = 0 f¨ ur alle m und n. Daher ist const(k) eine Cauchyfolge. Es sei f ∈ C(K). Es gibt dann ein N ∈ N mit |fn − fm | < 1 f¨ ur alle m, n ≥ N . Es folgt |fn | = |fn − fN + fN | ≤ |fn − fN | + |fN | ≤ 1 + |fN | f¨ ur alle n ≥ N . Setzt man  C := max |f1 |, . . . , |fN −1 |, |fN | + 1 , so ist |fn | ≤ C f¨ ur alle n ∈ N. Also ist C(K) ⊆ B(N, K). Es seien f , g ∈ C(K). Ferner sei  > 0. Dann ist auch 2 > 0. Es gibt also nat¨ urliche Zahlen M und N mit |fm − fn | < 2 f¨ ur alle m, n ≥ M bzw. |gn − gm | < 2 f¨ ur alle m, n ≥ N . Es folgt (f − g)m − (f − g)n = |fm − fn + gn − gm | ≤ |fm − fn | + |gn − gm | <  f¨ ur alle m, n ≥ max(M, N ). Also ist f − g ∈ C(K). Es seien f , g ∈ C(K). Ferner sei  > 0. Als Cauchyfolgen sind f und g beschr¨ankt, wie wir bereits wissen. Es gibt also ein positives C mit |fn | < C und |gn | < C f¨ ur alle  n ∈ N. Weil f und g Cauchyfolgen sind und 2C > 0 ist, gibt es eine nat¨ urliche Zahl N mit   |fm − fn | < und |gm − gn | < 2C 2C

164

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

f¨ ur alle m, n ≥ N . Es folgt die G¨ ultigkeit von (f g)m − (f g)n = |fm gm − fn gm + fn gm − fn gn | ≤ |fm − fn ||gm | + |fn ||gm − gn |   < C +C = 2C 2C f¨ ur alle m, n ≥ N . Also ist auch f g eine Cauchyfolge, sodass C(K) in der Tat ein Teilring von B(N, K) ist. Es sei K der K¨ orper der rationalen, der reellen oder der komplexen Zahlen. Es sei ferner f ∈ A(N, K) eine Folge u ¨ber K und es sei k ∈ K. Man nennt f konvergent mit dem Limes bzw. dem Grenzwert k, falls es zu jedem positiven  ein N ∈ N gibt, sodass |fn − k| <  ist f¨ ur alle n ≥ N . Man setzt in diesem Falle lim f := k. Hat f den Grenzwert k und den Grenzwert l, so folgt mit  > 0, dass es ein N ∈ N gibt mit |k − fn |
0. Es gibt dann ein N ∈ N mit |fn − k| < 2 f¨ ur alle n ≥ N . Dann ist aber |fn − fm | = |fn − k + k − fm | < |fn − k| + |k − fm | <  f¨ ur alle n, m ≥ N . Somit sind konvergente Folgen stets auch Cauchyfolgen. Es seien f und g konvergente Folgen mit den Grenzwerten k und l. Ferner sei  > 0. Es gibt dann eine nat¨ urliche Zahl N mit |fn − k| < 2 und |gn − l| < 2 f¨ ur alle n ≥ N . Es folgt einmal (f − g)n − (k − l) ≤ |fn − k| + |gn − l| < 

2. Cauchyfolgen

165

f¨ ur alle i ≥ N , also f − g ∈ L(K) und zum anderen (f + g)n − (k + l) ≤ |fn − k| + |gn − l| <  f¨ ur alle n und damit lim(f + g) = lim f + lim g. Als Cauchyfolge ist g beschr¨ ankt. Es gibt also eine Schranke C > |k| von g. Es gibt   weiter eine nat¨ urliche Zahl M mit |fn − k| < 2C und |gn − l| < 2C f¨ ur alle n ≥ M . Es folgt (f g)n − kl = |fn gn − kgn + kgn − kl| ≤ |fn − k||gn | + |k||gn − l| <  f¨ ur alle n ≥ M . Also ist auch f g konvergent und es gilt lim(f g) = lim f · lim g. Damit ist alles bewiesen. Wir setzen N (K) := Kern(lim). Dann ist N (K) ein Ideal von L(K), das Ideal der Nullfolgen. Der erste Isomorphiesatz besagt dann, dass es einen Isomorphismus σ von L(K)/N (K) auf K gibt mit σ(f + N (K)) = lim f f¨ ur alle f ∈ L(K). Weil K ein K¨orper ist, ist N (K) ein maximales Ideal. Konvergente Folgen sind Cauchyfolgen. Sind Cauchyfolgen stets konvergent? Das h¨ angt vom K¨ orper ab. Es gilt Satz 5. F¨ ur K = R und K = C gilt C(K) = L(K). Beweis. Wir beweisen dies zun¨ achst f¨ ur K = R. Es sei f eine Cauchyfolge u ¨ber R. Wir definieren die Menge X durch X := {y | y ∈ R, es gibt nur endlich viele nat¨ urliche Zahlen n mit fn ≤ y}. Weil f als Cauchyfolge beschr¨ ankt ist, gibt es ein C ∈ R mit −C < fn < C f¨ ur alle n. Daher ist −C ∈ X und C 6∈ X. Ist C ≤ D, so ist auch D 6∈ X, sodass C eine obere Schranke von X ist. Als nicht-leere, beschr¨ ankte Menge hat X ein Supremum s. Es sei nun  > 0. Es gibt dann eine nat¨ urliche Zahl N mit −

  < fm − fn < 2 2

f¨ ur alle m, n ≥ N . Es folgt

  < fm < fn + 2 2 f¨ ur alle m, n ≥ N . Es gibt also h¨ ochstens endlich viele v mit fv ≤ fn − 2 . Also ist fn − 2 ∈ X. Andererseits ist fn + 2 eine obere Schranke f¨ ur X, da unterhalb von fn + 2 unendlich viele fm liegen. Somit gilt, da s kleinste obere Schranke ist, fn −

fn −

  ≤ s ≤ fn + , 2 2

also

|s − fn | ≤

f¨ ur alle n ≥ N . Somit ist f konvergent und es gilt lim f = s.

 0, so gibt es nach Satz 6 von Abschnitt 4 des Kapitels II eine Folge f auf Q mit fn ≤ x < fn + 21n f¨ ur alle n ∈ N. Es folgt 1 0 ≤ x − fn < n , 2 sodass lim f = x ist. Ist x < 0, so gibt es eine Folge f mit lim f = −x. Dann ist lim −f = x. Schließlich ist lim const(0) = 0. Damit ist lim als surjektiv erkannt. Da R ein K¨ orper ist, ist bekanntlich der Kern von lim ein maximales Ideal, das Ideal der Nullfolgen. Nach dem ersten Isomorphiesatz ist C(Q)/N (Q) also zu R isomorph. Um R zu konstruieren, kann man nun auch so vorgehen, dass man zun¨achst nachweist, dass N (Q) ein maximales Ideal von C(Q) ist. Dann ist C(Q)/N (Q) ein K¨orper. Auf diesem

2. Cauchyfolgen

167

K¨ orper muss man nun eine Anordnung finden, sodass C(Q)/N (Q) zu einem angeordneten K¨ orper wird, f¨ ur den der Satz von der oberen Grenze gilt. Das zeigt dann, dass der Faktorring in der Tat R ist. F¨ ur Einzelheiten sei nochmals auf mein Analysisbuch verwiesen. Der Leser dieses Buches wird sicherlich schon eine Analysisvorlesung geh¨ort haben, sodass die folgenden Aufgaben ihm eine willkommene Wiederholung sein werden. Aufgaben 1. Es sei p ∈ N. Setze a1 := 1 und an+1 :=

  1 p an + . 2 an

Dann gelten f¨ ur alle n ∈ N0 die Ungleichungen p < a2n+2 ≤ p +

(p − 1)2 22(n+1)

und an+3 ≤ an+2 .

Folgern Sie, dass a eine Cauchyfolge ist und dass lim a =



p gilt.

√ 2. Es ist C(Q) 6= L(Q). (Zum Beweise d¨ urfen Sie benutzen, dass p 6∈ Q gilt f¨ ur alle ¨ Primzahlen p. Es gen¨ ugt im Ubrigen, dies f¨ ur eine Primzahl zu wissen.) 3. Es sei f eine Cauchyfolge u ¨ber C, aber keine Nullfolge. Dann gibt es ein  > 0 und eine nat¨ urliche Zahl N , sodass |fn | >  ist f¨ ur alle n ≥ N . (Sie sollten versuchen, diese Aufgabe zu l¨ osen, ohne den Grenzwert von f zu benutzen. Mit Grenzwert ist man schneller und leichter am Ziel. Es geht aber auch ohne. Hat man die Aufgabe auf diese Weise gel¨ ost, so kann man aufs Neue zeigen, dass die Nullfolgen ein maximales Ideal bilden, sodass C(C)/N (C) ein K¨ orper ist.) 4. Es sei f eine Cauchyfolge u ¨ber R, aber keine Nullfolge. Dann gibt es ein  > 0 und eine nat¨ urliche Zahl N , sodass entweder fn >  gilt f¨ ur alle n ≥ N oder fn < − f¨ ur alle n ≥ N . (Beherzigen Sie auch hier die Anmerkung zu Aufgabe 3. Sie haben dann den ersten Schritt zu einer anderen Konstruktion von R getan.) 5. Ist f eine monoton steigende, beschr¨ ankte Folge auf R, so ist f konvergent. P∞ 6. Es sei a eine Folge ¨ber Q, R oder C. Dann bezeichnen Pn u P∞ wir mit i:=0 ai die Folge der Partialsummen ur n ∈ N0 undP nennen i:=0 ai unendliche Reihe. Ist diese i:=0 ai f¨ ∞ Reihe konvergent, so bezeichnen wir mit i:=0 ai auch den Grenzwert dieser P∞ P∞ Reihe. Es sei i:=0 ai eine Reihe u ¨ber R oder C. Genau dann konvergiert i:=0 ai , wenn es zu jedem  > 0 eine nat¨ urliche Zahl N gibt mit X n ai <  i:=m

f¨ ur allePm, n ≥ N . ∞ Ist i:=0 ai konvergent, so ist a eine Nullfolge.

168

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

(Dies ist, wie schon erw¨ ahnt, das urspr¨ ungliche cauchysche Konvergenzkriterium. Das heute cauchysches Konvergenzkriterium genannte Kriterium l¨asst sich nat¨ urlich auf das originale zur¨ uckf¨ uhren. Ist n¨ amlich s eine zu testende Folge, so definiere man die Folge a durch ur n > 0. Dann ist sn die n-te Partialsumme der 0 := s0 und an := sn − sn−1 f¨ Pa∞ Reihe n:=0 an , usw.) 7. Zeigen Sie, dass die Reihe

∞ X



n:=1

n+

1 √

n+1

divergiert. (Dass a Nullfolge ist, ist also nicht hinreichend f¨ ur die Konvergenz der Reihe P∞ a .) n n:=0 8. Es sei a eine monoton fallende Nullfolge auf R. Dann ist 2n+1 X

(−1)i ai ≤

i:=0

i:=0

(−1)i ai ≤

i:=0

f¨ ur alle n, k ∈ N0 . Insbesondere ist 2n+1 X

2n+k X

P∞

∞ X

(−1)i ai

i:=0

i:=0 (−1)

(−1)i ai ≤

2n X

i

ai konvergent und es gilt

(−1)i ai ≤

i:=0

2n X

(−1)i ai

i:=0

f¨ ur alle n ∈ N0 . Beispiel f¨ ur die hier beschriebene Situation ist die ber¨ uhmte Leibnizreihe ∞ X (−1)n−1 . n n:=1

Sie konvergiert also, wenn auch nur langsam. Ihr Grenzwert ist log 2. 1 9. Die Folgen n → n1 , n → n! , n → 21n sind Nullfolgen. P∞ 10. Es sei i:=0 ai eine unendliche ¨ber R oder C. Man nennt diese Reihe absolut P∞ Reihe u konvergent, wenn die Reihe i:=0 |ai | konvergiert. Zeigen Sie, dass absolut konvergente Reihen stets auch konvergent sind. P∞ 11. Es sei ai eine Folge auf R und es gelte ai ≥ 0 f¨ ur alle i. Ferner sei i:=0 ai konvergent. Ist dann b eineP Folge auf C und gilt |bi | ≤ ai f¨ ur alle i ≥ N , wobei N eine nat¨ urliche ∞ Zahl ist, so ist i:=0 bi absolut konvergent. Dies ist das Majorantenkriterium.

12. Es sei q ∈ C. Genau dann ist n → q n eine Nullfolge, wenn |q| < 1 ist. (Um zu zeigen, dass diese Folge f¨ ur |q| < 1 eine Nullfolge ist, betrachte man zu  > 0 die beiden Werte 1 1 1 und und beachte, dass |q| > 1 und dass (R>1 , ·) ein Gr¨oßenbereich ist.) |q|  P∞ 13. Es sei q ∈ C. Zeigen Sie, dass i:=0 q i genau dann konvergiert, wenn |q| < 1 ist. Zeigen Sie, dass in diesem Falle ∞ X 1 qi = 1 − q i:=0

3. Die Exponentialfunktion im Komplexen

169

gilt. Diese Reihe, die geometrische Reihe, wird mit reellem q zwischen 0 und 1 h¨aufig als Majorante beim Majorantenkriterium benutzt. 14. Wir definieren n! verm¨ oge 0! := 1 und (n + 1)! := (n + 1)n!. Zeigen Sie, dass die folgenden Reihen alle konvergieren: ∞ X

1 , i(i + 1) i:=1

∞ X

i , (i + 1)! i:=1

∞ X i , 2i i:=1

∞ X 1 . i2 i:=1

Bestimmen Sie f¨ ur die ersten drei Reihen auch ihre Limites. Der Limes der letzten Reihe ist 16 π 2 . 15. Es sei K ∈ {Q, R, C}. Zeigen Sie, dass die Menge N (K) der Nullfolgen u ¨ber K ein Ideal in B(N, K) ist. (Wir wissen bereits, dass N (K) ein Ideal im Ring der Cauchyfolgen ist. Dies besagt u. a., dass N (K) nicht-leer und additiv abgeschlossen ist. Dies brauchen Sie daher nicht mehr nachzuweisen. Es ist also nur noch eine Bedingung zu verifizieren.) 16. Es sei K ∈ {Q, R, C}. Zeigen Sie, dass die Menge N (K) der Nullfolgen in A(N, K) kein Ideal mehr bildet. 17. Es sei K ∈ {Q, R, C} und f sei eine konvergente Folge u ¨ber K. Ferner sei lim f 6= 0. a) Es sei g die durch ( gn :=

1, falls fn = 0 ist, fn , falls fn 6= 0 ist,

definierte Folge. Zeigen Sie, dass g konvergiert und dass lim g = lim f gilt. b) Man definiere ferner die Folge h durch hn := gn−1 . Zeigen Sie, dass auch h konvergiert und dass lim h = lim1 f gilt.

3. Die Exponentialfunktion im Komplexen. Nun k¨onnen wir daran gehen, einen Teil unseres Programms zu erf¨ ullen. Einen Teil nur deswegen, weil die G¨ ultigkeit der 1+x Reihenentwicklungen f¨ ur ln(1 + x) und ln( 1−x ) zu ihrem Beweise Hilfsmittel u ¨ber das Differenzieren und Integrieren von Potenzreihen erfordert, die u ¨ber den Rahmen dieses ¨ Buches hinausgehen. Uber die Exponentialfunktion aber k¨onnen wir mit unseren Hilfsmitteln schon einiges herausfinden. Wir zeigen zun¨ achst, dass die Reihe ∞ X xn n! n:=0

f¨ ur alle x ∈ C konvergiert und dass f¨ ur reelle x die Gleichung ex =

∞ X xn n! n:=0

170

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

gilt. Nehmen wir f¨ ur komplexe x diese Gleichung dann als Definition f¨ ur ex , so haben wir die Exponentialfunktion ins Komplexe hinein fortgesetzt. Wichtig ist hierbei, dass auch dann immer noch die Funktionalgleichung ex+y = ex ey erf¨ ullt ist. ¨ In den Ubungen zu Abschnitt 2 wurde schon der Begriff der Reihe eingef¨ uhrt und verschiedene S¨ atze u ¨ber Reihen formuliert. Von diesen S¨atzen werden wir nun Gebrauch machen. Satz 1. Die Reihe f (x) :=

∞ X xn n! n:=0

konvergiert f¨ ur alle x ∈ C absolut. Beweis. Es sei n ≥ N > 2|x|. Dann ist n+1 x |x| (n + 1)! = n + 1

n x 1 xn · < . n! 2 n!

Mittels Induktion folgt n+1  n+1−N N x x 1 (n + 1)! < 2 N ! . Damit haben wir in

∞  n+1−N N X x 1 N! 2

n:=N xn n:=N +1 n!

P∞

eine Majorante von gangsreihe absolut konvergiert.

gefunden, sodass diese und damit auch die Aus-

Der Kenner wird bemerkt haben, dass wir implizit das Quotientenkriterium benutzten. Wir setzen, wie schon zuvor, jetzt aber mit der Gewissheit, dass die Reihe konvergiert, ∞ X 1 e := . n! n:=0

Dann ist e also die eulersche Zahl. Ist e0 := 2,71828 18284 59045 23536 02, so gilt e0 < e < e0 + 6 · 10−22 . Einen schnellen Algorithmus, der diese und bessere N¨aherungen f¨ ur e berechnet, findet der Leser z. B. in L¨ uneburg 1978. Der dort wiedergegebene Algorithmus stammt meines Wissens von Euler.

3. Die Exponentialfunktion im Komplexen

171

Es seien a und b zwei Folgen u ¨ber C. Wir definieren die Folge a◦b durch die Vorschrift n X

(a ◦ b)n :=

ai bn−i .

i:=0

Die Operation ◦ heißt Faltung. P∞ P∞ Satz ¨ber C, so ist auch P∞ 2. Sind i:=0 ai und i:=0 bi zwei absolut konvergente Reihen u (a ◦ b) absolut konvergent und es gilt i i:=0 ∞ X

(a ◦ b)n =

n:=0

∞ X i:=0

ai

∞ X

bk .

k:=0

Beweis. Es ist X X N N r N X N X X X N N X = (a ◦ b) − a b a b − a b r i k i r−i i k r:=0

i:=0

r:=0 i:=0

k:=0

i:=0 k:=0

X N X N X = ai bk − ai bk i:=0 k:=0 i+k≤N X = ai bk i+k>N, i,k≤N

X



|ai bk | =: RN .

i+k>N, i,k≤N

Ist i + k > N , so ist i > N2 oder k > N2 . Setze m := b N2 c. Dabei ist bxc f¨ ur x ∈ R die gr¨ oßte ganze Zahl, die kleiner oder gleich x ist. Damit folgt X

RN = P∞

i:=0

|ai | und

P∞

k:=0

|ai |

i:=m+1

i+k>N, i,k≤N

Weil

N X

|ai bk | ≤

N X

|bk | +

N X

|ai |

i:=0

k:=0

 X N i:=m+1

N X

|ai | +

 |bk | C.

k:=m+1

Hieraus folgt, daß N → RN eine Nullfolge ist. Somit ist es gilt ∞ ∞ ∞ X X X (a ◦ b)r = ai bi . r:=0

i:=0

P∞

r:=0 (a

k:=0

Wendet man dieses Ergebnis nun auf |a| ◦ |b| an, so folgt wegen |(a ◦ b)n | ≤ (|a| ◦ |b|)n , dass

r:=0 (a

|bk |.

k:=m+1

|bk | konvergieren, gibt es ein C ∈ R+ mit

RN ≤

P∞

N X

◦ b)r absolut konvergiert. Damit ist alles bewiesen.

◦ b)r konvergent und

172

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

P∞ Satz 3. Setze E(x) := n:=0 C∗ := C − {0} und es gilt

xn n!

f¨ ur x ∈ C. Dann ist E eine Abbildung von C in

E(x + y) = E(x)E(y) f¨ ur alle x, y ∈ C. Beweis. Nach Satz 1 konvergiert die fragliche Reihe f¨ ur alle x absolut. Daher ist nach Satz 2 ∞ ∞ ∞ X r X X xi X y k 1 = xi y r−i i! k! i!(r − i)! r:=0 i:=0 i:=0 k:=0 ∞ r ∞ r   X X 1 X r! 1 X r i r−i xy = xi y r−i = r! i:=0 i!(r − i)! r! i:=0 i r:=0 r:=0

E(x)E(y) =

=

∞ X 1 (x + y)r = E(x + y). r! r:=0

Offenbar ist 1 = E(0) und daher 1 = E(x − x) = E(x)E(−x). Somit ist E(x) 6= 0 und E(−x) = E(x)−1 . Insbesondere ist E also eine Abbildung von C in C∗ . Es sei hier schon gesagt, dass die Abbildung E nicht injektiv ist. Sie ist aber surjektiv. Dar¨ uber mehr im n¨ achsten Abschnitt. Satz 4. F¨ ur die Einschr¨ ankung E|R von E auf R gilt E|R = expe , wobei e die eulersche Zahl ist. Beweis. Ist x ∈ R, so ist E(x) = R in R∗ . Es sei x ∈ R+ . Dann ist

xn n:=0 n!

P∞

E(x) =

∈ R. Somit ist E|R eine Abbildung von

∞ X xn ≥ 1 + x > 1. n! n:=0

Wegen E(−x) = E(x)−1 folgt, dass E|R eine Abbildung von R in R+ ist. Es seien x, y ∈ R und es gelte x < y. Dann ist y = x + d mit d ∈ R+ . Es folgt E(d) > 1 und daher E(y) = E(x + d) = E(x)E(d) > E(x). Mit unseren Einzigkeitss¨ atzen folgt, dass es ein a ∈ R+ gibt mit E(x) = expa (x) f¨ ur alle x ∈ R. Wegen e = E(1) = expa (1) = a folgt a = e.

3. Die Exponentialfunktion im Komplexen

173

Wir haben mit diesem Satz gezeigt, dass sich die Abbildung exp auf C fortsetzen l¨ asst. Die Abbildung loge heißt nat¨ urlicher Logarithmus bzw. logarithmus naturalis. Sie wird h¨ aufig mit ln bezeichnet. Der nat¨ urliche Logarithmus ist die Logarithmusfunktion, die in mathematischen Kontexten am h¨ aufigsten auftritt. Warum er nat¨ urlich heißt, weiß ich nicht. Ebenso ist expe die am h¨ aufigsten auftretende Exponentialfunktion. Daher schreiben wir im Folgenden stets exp f¨ ur sie. Es ist exp die Exponentialfunktion. Da die Exponentialfunktion auf C nicht injektiv ist, hat sie dort keine Umkehrabbildung. Es ist daher schwierig, ln und generell loga auf C fortzusetzen. Hier hilft die Funktionentheorie weiter. Wir werden darauf am Ende von Abschnitt 4 noch einmal kurz zur¨ uckkommen. Wir haben in Satz 8 von Abschnitt 6 des Kapitels II gesehen, dass expb (x) = expa (loga (b)x) gilt f¨ ur alle a, b ∈ R+ − {1} und alle x ∈ R. Insbesondere ist also expb (x) = exp(ln(b)x) f¨ ur alle x ∈ R und alle b ∈ R+ − {1}. Daher k¨onnen wir auch expb auf C fortsetzen, indem wir festsetzen expb (x) := exp(ln(b)x) f¨ ur alle x ∈ C − R. Wir werden uns auch hier wieder der Notation bx bedienen. Es ist also bx = expb (x) = exp(ln(b)x) = eln(b)x f¨ ur alle x ∈ C. Satz 5. Es seien k, l ∈ R+ . Dann gilt: a) Es ist k x+y = k x k y f¨ ur alle x, y ∈ C. b) Es ist (kl)x = k x lx f¨ ur alle x ∈ C. c) Es ist k rs = (k r )s f¨ ur alle r ∈ R und alle s ∈ C. Beweis. Dies beweist man wie die entsprechenden Aussagen von Satz 9 von Abschnitt 6 des Kapitels II. Bei der letzten Aussage ist zu beachten, dass (k r )s nur definiert ist, wenn k r ∈ R+ gilt. Daher die Einschr¨ ankung an r. Um die Abbildung x → xa von R+ in C, wobei a ∈ C ist, auf C fortzusetzen, bedarf es der Methoden der Funktionentheorie. Es ist ex+iy = ex eiy f¨ ur alle x, y ∈ R. Von der Abbildung x → ex wissen wir, dass sie monoton steigt und R bijektiv auf R+ abbildet. Von der Abbildung x → eix wissen wir noch nichts. F¨ ur sie gilt Satz 6. Es ist |eix | = 1 f¨ ur alle x ∈ R. Beweis. Die Reihendarstellung f¨ ur die Exponentialfunktion zeigt, dass ex = ex¯ ist f¨ ur alle x ∈ C. Ist x ∈ R, so ist also |eix |2 = eix e−ix = eix−ix = 1. Es folgt, dass |eix | = 1 ist f¨ ur alle x ∈ R.

174

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

Die Abbildung x → eix bildet nach Satz 6 die Menge der reellen Zahlen in den Einheitskreis ab. Im n¨ achsten Abschnitt werden wir sehen, dass sie surjektiv ist. Im ersten Abschnitt fanden wir die Formel  n x ex = lim 1 + , n→∞ n deren Korrektheit noch zu verifizieren ist. Satz 7. Es ist ex = lim



n→∞

1+

x n

n

f¨ ur alle x ∈ C. P∞ Beweis. Es sei  > 0. Es gibt dann ein N ∈ N mit n:=N +1 (1 + nx )n . Dann ist f¨ ur n ≥ 2 xn =

n   i X n x i:=0

xn n!


N gilt: |ex − xn | ≤

  N i  ∞ X Y X 1 k−1 |x|i 1− 1− |x|i + i! n i! i:=2 i:=N +1

k:=1


0 und setzt man δ := min(1, e−1 ), so folgt aus |x − a| < δ, dass |ex − ea | <  ist. Folglich ist die Funktion exp bei a stetig. Da a beliebig war, ist exp auf ganz C stetig.

Wir sind nun in der Lage, alle offenen Intervalle als zusammenh¨angend zu erkennen. Es seien a, b ∈ R und es gelte a < b. Offene Intervalle sind dann genau die folgenden Punktmengen: (a, b) := {x | x ∈ R, a < x < b}, (a, ∞) := {x | x ∈ R, a < x}, (−∞, a) := {x | x ∈ R, x < a} und R. Satz 4. Ist I ein offenes Intervall von R, so ist I zusammenh¨ angend. Beweis. Es ist exp eine stetige Abbildung von R auf R+ = (0, ∞). Nach Satz 2 ist (0, ∞) also zusammenh¨ angend. Die Abbildung x → −x ist ebenfalls stetig, also ist auch (−∞, 0) zusammenh¨ angend. Die durch f (x) :=

x x+1

f¨ ur x > 0 und f (x) := 0 f¨ ur x ≤ 0 definierte Abbildung f von R in sich ist stetig. Sie bildet (0, ∞) auf (0, 1) ab, sodass auch (0, 1) zusammenh¨angend ist. Die Abbildung x → (b − a)x + a ist stetig und bildet (0, 1) auf (a, b) ab, sodass auch dieses Intervall zusammenh¨ angend ist. Die Abbildung x → x + a ist stetig und bildet (0, ∞) auf (a, ∞) und (−∞, 0 auf (−∞, a) ab. Also sind auch diese Intervalle zusammenh¨ angend. Damit ist Satz 4 beweisen. Nimmt man nun noch die halboffenen Intervalle [a, b) := {x | x ∈ R, a ≤ x < b} (a, b] := {x | x ∈ R, a < x ≤ b} und die abgeschlossenen Intervalle [a, b] := {x | x ∈ R, a ≤ x ≤ b} [a, ∞) := {x | x ∈ R, a ≤ x} (−∞, a] := {x | x ∈ R, x ≤ a} hinzu und f¨ uhrt alle diese Mengen unter dem Oberbegriff Intervalle, so gilt Satz 5. Ist I ein Intervall von R, so ist I zusammenh¨ angend.

178

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

Beweis. Wir zeigen dies f¨ ur ein Intervall vom Typ [a, b]. Es seien X und Y zwei offene Teilmengen von R mit [a, b] ⊆ X ∪ Y und X ∩ Y ∩ [a, b] = ∅. Dann gilt a ∈ X oder a ∈ Y . Wir d¨ urfen annehmen, dass a ∈ X ist. Weil X offen ist, gibt es ein  > 0 mit (a − , a + ) = U (a) ⊆ X. Wir d¨ urfen weiterhin annehmen, dass  < b − a ist. Es folgt (a, a + ) ⊆ X ∩ (a, b). Weil (a, b) ⊆ X ∪ Y und (a, b) ∩ X ∩ Y = ∅ gilt, folgt weiter, dass (a, b) ⊆ X und damit [a, b) ⊆ X ist. W¨ are nun b ∈ Y , so folgte entsprechend (a, b] ⊆ Y und damit der Widerspruch (a, b) ⊆ X ∩ Y ∩ [a, b] = ∅. Die Beweise f¨ ur die anderen Typen von Intervallen laufen entsprechend. Hiermit ist man nun in der Lage, den Zwischenwertsatz zu beweisen. Zwischenwertsatz. Ist I ein Intervall von R und ist f eine stetige Abbildung von I in R, sind ferner a, b ∈ I und gilt f (a) < r < f (b), so gibt es, falls a < b ist, ein c ∈ (a, b), andernfalls ein c ∈ (b, a), mit f (c) = r. Beweis. Wir betrachten die Mengen X := f − (−∞, r) und Y := f − (r, ∞). Diese beiden Mengen sind offen, da f stetig ist. Ferner ist a ∈ X und b ∈ Y . Es sei {u, v} = {a, b} und u < v. Es ist X ∩ Y = ∅ und folglich erst recht X ∩ Y ∩ [u, v] = ∅. Weil [u, v] nach Satz 5 zusammenh¨ angend ist, kann daher nicht [u, v] ⊆ X ∪ Y gelten. Es gibt also ein c ∈ [u, v] mit c 6∈ X ∪ Y . Wegen c 6∈ X ist f (c) ≥ r und wegen c 6∈ Y ist f (c) ≤ r. Also ist f (c) = r. Wegen f (a) < r < f (b) ist dann sogar c ∈ (u, v). Damit ist alles bewiesen. Ich habe den Begriff der Stetigkeit nur f¨ ur Abbildungen von K in R bzw. C definiert. Der Leser wird, so hoffe ich, u ¨ber die nicht definierte Stetigkeit von Abbildungen, die nur auf einem Intervall leben, nicht ins Stolpern kommen. Gestolpert ist er wahrscheinlich u ur die dort ¨ber die Definition der Abbildung f im Beweise von Satz 4. Der Grund f¨ getroffene Definition ist genau dieser, dass ich bei der Definition der Stetigkeit nicht allgemein genug war. Wir benutzen nun den von Euler beschriebenen Zusammenhang von Sinus- und Cosinusfunktion mit der Exponentialfunktion zur Definition dieser beiden Funktionen. Diese Definitionen, die in geschichtslosen B¨ uchern — mein Analysisbuch eingeschlossen — vom Himmel fallen, sind hier also motiviert. Wir setzen cos x := 12 (eix + e−ix )

und

sin x :=

1 ix 2i (e

− e−ix )

f¨ ur alle x ∈ C. Dann ist eix = cos x + i sin x f¨ ur alle x ∈ C. Ferner gilt cos x =

∞ X (−1)k x2k (2k)!

k:=0

und

sin x =

∞ X (−1)k x2k+1 (2k + 1)!

k:=0

f¨ ur alle x ∈ C. Ist x reell, so ist cos x der Realteil und sin x der Imagin¨arteil von eix .

4. Der Einheitskreis

179

Weil Summe und Differenz stetiger Funktionen und auch das Produkt einer stetigen Funktion mit einem Skalar stetig sind, sind sin und cos stetige Funktionen. Wichtig f¨ ur das Folgende sind die Funktionalgleichungen f¨ ur die Sinus- und Cosinusfunktion. Satz 6. Es ist sin(x + y) = sin x cos y + cos x sin y und cos(x − y) = cos x cos y − sin x sin y f¨ ur alle x, y ∈ C. ¨ Dies zu beweisen, sei dem Leser als Ubungsaufgabe u ¨berlassen. Ist x Element des offenen Intervalls (0, 1), so sind die Reihen f¨ ur cos x und sin x alternierend und die Absolutbetr¨ age der Koeffizienten sind streng monoton fallend. Daher gilt: Hilfssatz 1. Ist t ∈ (0, 1), so gilt: a) Es ist 0 < 1 −

t2 2

b) Es ist 0 < t(1 −

< cos t. t2 6)

< sin t < t.

Es folgt r   4 4 16 4 8 1024 sin > 1− = · = 5 5 5 · 25 5 9 2025 r 1024 1 1 > = √ > sin √ . 2048 2 2 Weil sin stetig ist, gibt es nach dem Zwischenwertsatz ein π ∈ R mit sin Es ist

1+i √ . 2

∈ ( √12 , 45 ) und

π 1 =√ . 4 2

πi 2 π π 1 π 1 = e 4 = sin2 + cos2 = + cos2 . 4 4 2 4

Hieraus folgt mit Teil a) des Hilfssatzes, dass cos π4 = z=

π 4

√1 2



ist. Setze z := e 4 . Dann ist

Hiermit folgt z 2 = i,

z3 =

−1 + i √ , 2

z 4 = −1,

Es gilt also Satz 7. Es ist e

iπ 2

= i, eiπ = −1 und e2πi = 1.

Aus diesem Satz folgt wegen ex+2πi = ex e2πi = ex ,

z 8 = 1.

180

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

dass 2πi eine Periode der Exponentialfunktion ist. Es folgt weiter, dass 2π Periode von sin und cos ist. Dass alle anderen Perioden der Exponentialfunktion und von sin und cos Vielfache dieser Periode sind, werden wir gleich sehen. Bis hierher bin ich Blatter gefolgt. Satz 8. Die Abbildung x → eix bildet R auf die Peripherie S1 des Einheitskreises ab. Beweis. R ist zusammenh¨ angend und die Abbildung x → eix ist stetig. Folglich ist das Bild B von R unter dieser Abbildung zusammenh¨angend. Nach Satz 7 ist 1, −1 ∈ B. W¨ are nun B 6= S1 , so g¨ abe es ein z ∈ S1 − B. Es folgte z 6= 1, −1 und daher z¯ 6= z. Es folgte weiter z¯ ∈ S1 − B. Es sei α der Realteil von z. Wegen z 6= 1, −1 ist −1 < α < 1. Wir setzen   X := z z ∈ C, Re(z) > α und Y := z z ∈ C, Re(z) < α . Dann sind X und Y offene Teilmengen von C. Ferner gilt B ⊆ S1 − {z, z¯} ⊆ X ∪ Y und B ∩ X ∩ Y = ∅. Weil B zusammenh¨ angend ist, folgt B ∩ X = ∅ oder B ∩ Y = ∅ im Widerspruch zu −1 ∈ B ∩ Y und 1 ∈ X ∩ B. Also ist doch B = S1 . Aufgrund der Formel eix = cos x + i sin x sind cos x und sin x die cartesischen Koordinaten des Punktes eix des Einheitskreises. Unterstellt man, das x die Bogenl¨ ange des Kreisbogens von 1 bis eix ist, wobei man ggf. die Peripherie des Einheitskreises mehrfach durchlaufen muss, so sieht man, dass cos und sin tats¨ achlich die Funktionen sind, die wir gewohnt sind, und dass π das richtige π ist. Das x tats¨ achlich diese Bogenl¨ ange ist, zeigt die Differential- und Integralrechnung. Satz 9. Die Exponentialfunktion bildet C surjektiv auf C∗ ab. Beweis. Es sei 0 6= x ∈ C. Es gibt dann ein a ∈ R mit ea = |x|, da die Einschr¨ ankung der Exponentialfunktion auf R diese Menge auf R+ abbildet. Ferner gilt x = 1. |x| Folglich gibt es ein b ∈ R mit eib =

x . |x|

Es folgt ea+ib = ea eib = |x|

x = x, |x|

sodass exp in der Tat surjektiv ist. Korollar. Ist n ∈ N und x ∈ C, so gibt es ein v ∈ C mit v n = x.

4. Der Einheitskreis

181

Beweis. Ist x = 0, so tut’s v = 0. Es sei also x 6= 0. Dann gibt es nach Korollar 2 ein w ∈ C mit ew = x. Setze v := ew/n . Dann ist w

v n = e n n = ew = x. Damit ist nun auch die Frage beantwortet, ob jede komplexe Zahl n-te Potenz ist. Wir wissen schon, dass 2πi eine Periode von exp ist. Wir wollen nun noch zeigen, dass alle u ¨brigen Perioden von exp ganzzahlige Vielfache von 2πi sind. Hilfssatz 2. Die Funktion sin ist auf (−1, 1) streng monoton wachsend. Beweis. Es seien u, v ∈ (−1, 1). Dann ist sin u − sin v = (u − v)

∞ X k:=0

2k  (−1)k X 2k−i i u v = (u − v) 1 + R(u, v) . (2k + 1)! i:=0

F¨ ur k ≥ 1 ist 2k 2k X X 1 1 1 1 2k−i i u v ≤ 1= ≤ 2k−1 (2k + 1)! (2k + 1)! (2k)! 2 i:=0 i:=0 Es folgt

∞ X R(u, v) ≤ k:=1

1 2 = 22k−1 3

und damit

1 . 3 Daher gilt f¨ ur u, v ∈ (−1, 1) genau dann sin u < sin v, wenn u < v ist. 1 + R(u, v) ≥

Satz 10. Ist 0 < p ≤ 2π, so sind die folgenden Aussagen ¨ aquivalent: a) Es ist p = 2π. b) Es ist sin(x + p) = sin x f¨ ur alle x ∈ C. c) Es ist sin(x + p) = sin x f¨ ur alle x ∈ R. Beweis. a) impliziert b): Wir wissen bereits, dass 2πi eine Periode von exp ist, woraus unmittelbar folgt, dass 2π eine Periode von sin ist. b) impliziert c): Klar. c) impliziert a): Es ist sin p = sin 0 = 0. Nach Hilfssatz 2 ist daher p ≥ 1 > π4 . Es sei k ∈ N0 und π π > p − k ≥ 0. 4 4 Dann ist kπ 2π ≥ p ≥ . 4 Folglich ist k ≤ 8. Wegen p > π4 ist andererseits k ≥ 1. Mit Hilfssatz 2 folgt     kπ π 1 0 ≤ sin p − < sin =√ . 4 4 2

182

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

Wegen sin x = sin(x + p) = sin x cos p + cos x sin p = sin x cos p ist cos p = 1. Hieraus folgt cos(x + p) = cos x cos p − sin x sin p = cos x. Folglich ist ei(x+p) = eix . Daher gilt ei(p−kπ/4) = e−i(π/4)k = Nun folgt f¨ ur k := 1, . . . , 8 der Reihe nach   π −1 −1 sin − k = √ , −1, √ , 4 2 2

0,



1−i √ 2

1 √ , 2

k .

1,

1 √ , 2

0.

Wegen   π 1 0 ≤ sin p − k 0 f¨ ur alle k ∈ K − {0}. 2) Es ist α(kl) = α(k)α(l) f¨ ur alle k, l ∈ K. 3) Es ist α(k + l) ≤ α(k) + α(l) f¨ ur alle k, l ∈ K. 4) Es gibt ein k ∈ K − {0} mit α(k) 6= 1. Die Ungleichung 3) heißt Dreiecksungleichung und 4) dient dazu, Ausartungsf¨alle zu vermeiden. Mit 2) folgt α(1) = α(1)α(1) und mit 1) dann α(1) = 1. Weiter folgt 1 = α(1) = α(−1)2 , sodass 1) ergibt, dass α(−1) = 1 ist. Hieraus folgt α(−k) = α(−1)α(k) = α(k). L tr¨ agt als angeordneter K¨ orper ebenfalls einen Absolutbetrag mit Werten in L, n¨ amlich den durch |l| := l f¨ ur l ≥ 0 und |l| := −l f¨ ur l < 0 definierten Absolutbetrag. Dass dies wirklich einen Absolutbetrag definiert, zeigt man wie bei R.

5. Ein Satz von Ostrowski

185

5) Ist α ein Absolutbetrag auf K mit Werten in L, so gilt α(k) − α(l) ≤ α(k − l) f¨ ur alle k, l ∈ K. Es ist ja α(k) = α(k − l + l) ≤ α(k − l) + α(l) und damit α(k) − α(l) ≤ α(k − l). Da dies f¨ ur alle k und l gilt, gilt es auch f¨ ur l und k, sodass α(l) − α(k) ≤ α(l − k) = α(k − l) ist. Damit ist 5) bewiesen. Es sei p eine Primzahl. Ferner sei r ∈ Q. Ist r = 0, so setzen wir αp (r) := 0. Ist r 6= 0, so gibt es ein a ∈ Z − {0}, ein b ∈ N und ein n ∈ Z, sodass p weder a noch b teilt und a r = pn b gilt. Aufgrund des Satzes von der eindeutigen Primfaktorzerlegung — den wir nirgends bewiesen haben — ist n eindeutig bestimmt. Wir setzen dann  n 1 αp (r) := . 2 Es gilt dann: Satz 1. Ist p eine Primzahl und ist αp die soeben auf Q definierte Abbildung, so hat αp die folgenden Eigenschaften: 1) Es ist αp (0) = 0 und αp (r) > 0 f¨ ur alle r ∈ Q − {0}. 2) Es ist αp (rs) = αp (r)αp (s) f¨ ur alle r, s ∈ Q.  3) Es ist αp (r + s) ≤ max αp (r), αp (s) f¨ ur alle r, s ∈ Q. 4) Es ist αp (p) =

1 2

6= 1.

Insbesondere ist αp ein Absolutbetrag auf Q mit Werten in Q. Beweis. 1) ist trivial. 2) Ist r = 0 oder s = 0, so ist rs = 0 und daher αp (rs) = 0 und αp (r) = 0 oder αp (s) = 0, sodass die Gleichung in diesem Falle gilt. Es seien also r und s beide von null verschieden. Es gibt dann m, n, a, b, c, d ∈ Z mit r = pm ab und s = pn dc , sodass p kein Teiler von a, b, c oder d ist. Es folgt rs = pm+n ac bd . Da p auch kein Teiler von ac und bd ist, folgt αp (rs) = 2−m−n = 2−m · 2−n = αp (r)αp (s). Damit ist 2) bewiesen.

186

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

3) gilt sicherlich, falls r = 0 oder s = 0 ist. Es seien also r und s von null verschieden. Ferner seien r = pm ab und s = pn dc . Wir d¨ urfen annehmen, dass m ≤ n ist. Dann ist   ad + pn−m cb m a n−m c r+s=p +p = pm . b d bd Ist r + s = 0, so ist nichts zu beweisen. Es sei also r + s 6= 0. Es gibt dann eine nicht A durch p teilbare ganze Zahl A und ein l ∈ Z mit r + s = pl bd . Wegen pm

ad + pn−m cb A = pl bd bd

folgt m ≤ l. Weil p kein Teiler von bd ist, ist daher αp (r + s) = 2−l ≤ 2−m = αp (r). Aus m ≤ n folgt αp (s) = 2−n ≤ 2−m = αp (r), d.h. αp (r) = max(αp (r), αp (s)). Somit gilt 3) allgemein. 4) ist trivial. Es ist max(αp (r), αp (s)) ≤ αp (r) + αp (s), sodass auch die Dreiecksungleichung von αp erf¨ ullt wird. Folglich ist αp ein Absolutbetrag. Die Ungleichung unter 3) in Satz 1 heißt versch¨ arfte Dreiecksungleichung oder auch ultrametrische Ungleichung. Hilfssatz. Sind α, β, γ ∈ R+ und gilt f¨ ur alle n ∈ N die Ungleichung γ n ≤ αn + β, so ist γ ≤ 1. Beweis. W¨ are γ = 1 + δ mit δ > 0, so folgte f¨ ur n ≥ 2, dass γ n = 1 + nδ + 12 n(n − 1)δ 2 + · · · > nδ + 12 n(n − 1)δ 2 w¨ are. Weil R archimedisch ist, g¨ abe es ein N ∈ N mit N δ > β und Es folgte γN > β + N α ≥ γN ,

1 2 (N

− 1)δ 2 > α.

ein Widerspruch. Sind α und β Absolutbetr¨ age auf K mit Werten in R, so definieren α und β Metriken auf K und damit Topologien Oα und Oβ auf K. Wir nennen α und β ¨ aquivalent, wenn Oα = Oβ ist. Hier nun der Satz von Ostrowski u ¨ber die Absolutbetr¨age auf Q. Satz 2. Ist α ein Absolutbetrag auf Q mit Werten in R, so ist α zum gew¨ ohnlichen Absolutbetrag von Q oder zu einem der Absolutbetr¨ age αp ¨ aquivalent. Beweis. Es ist α(1) = 1. Ist α(n) ≤ n, so folgt α(n + 1) ≤ α(n) + 1 ≤ n + 1. Wegen α(z) = α(−z) ist daher α(z) ≤ |z| f¨ ur alle z ∈ Z.

5. Ein Satz von Ostrowski

187

Es seien a, b ∈ N − {1}. Ferner sei ν ∈ N. Entwickelt man bν auf a-adische Weise, so erh¨ alt man c0 , . . . , cn ∈ N0 mit ci < a f¨ ur alle i und an 6= 0 sowie bν = c0 + c1 a + · · · + cn an . Dass an 6= 0 angenommen werden darf, folgt aus b 6= 0. Es ist n ≥ 0 und an ≤ bν und folglich n ln a ≤ ν ln b. Wegen a > 1 ist ln a > 0. Folglich ist n≤

ν ln b . ln a

Setze M := max(1, α(a)). Dann ist α(b)ν = α(bν ) ≤ α(c0 ) + α(c1 )α(a) + · · · + α(cn )α(a)n ≤ c0 + c1 α(a) + . . . cn α(a)n  < a 1 + α(a) + · · · + α(a)n ≤ a(n + 1)M n . Mit der bereits etablierten Absch¨ atzung f¨ ur n folgt   ν ln b α(b)ν < a + 1 M ν ln b/ ln a ln a und weiter



α(b) M ln b/ ln a

ν 1 f¨ ur alle a > 1. Daher gilt auch, wie man sieht, wenn man die Rollen von a und b vertauscht, α(a) ≤ α(b)ln a/ ln(b) . folglich gilt α(a) = α(b)ln b/ ln a f¨ ur alle a ∈ N − {0}.

188

III. Logarithmus und Exponentialfunktion

Da α(b) > 1 ist, gibt es ein ρ ∈ R+ mit α(b) = bρ . Daher ist α(a) = bρ ln a/ ln b = eρ ln b ln a/ ln b = eρ ln a = aρ f¨ ur alle a ∈ N − {1}. Wegen α(1) = 1 und α(0) = 0 gilt α(a) = aρ f¨ ur alle a ∈ N0 . Es folgt weiter α(z) = |z|ρ f¨ ur alle z ∈ Z. Schließlich ist ρ   u u α(u) |u|ρ α = = ρ = v α(v) |v| v und daher α(r) = |r|ρ f¨ ur alle r ∈ Q. Hieraus folgt, dass α und der gew¨ohnliche Absolutbetrag auf Q die gleiche Topologie induzieren, da ja jede -Umgebung bzg. des gew¨ ohnlichen Absolutbetrages eine ρ -Umgebung bez¨ uglich α ist. 2. Fall: Es ist α(a) ≤ 1 f¨ ur alle a ∈ N. Sind u, v ∈ Q und ist  M := max α(u), α(v) , so folgt X  n    n n−i i α(u + v)n = α (u + v)n = α u v i i:=0   n X n ≤ α α(u)n−i α(v)i ≤ (n + 1)M n , i i:=0 da ja α(

n i



) ≤ 1 ist. Also ist 

α(u + v) M

n ≤ n + 1,

sodass nach dem Hilfssatz α(u + v) ≤ M = max α(u), α(v)



 ist. Somit erf¨ ullt α die ultrametrische Ungleichung. Setze I := z | z ∈ Z, α(z) < 1}. Dann ist 0 ∈ I, sodass I nicht leer ist. Sind i, j ∈ I, so ist  α(i + j) ≤ max α(i), α(j) < 1 und folglich i + j ∈ I. Ist i ∈ I und z ∈ Z, so folgt α(iz) = α(i)α(z) ≤ α(i) < 1, sodass auch iz ∈ I gilt. Folglich ist I ein Ideal von Z. Weil Z ein Hauptidealbereich ist, gibt es ein p ∈ N0 mit I = pZ. Wegen α(1) = 1 ist 1 6∈ I und daher p 6= 1. W¨are p = 0, so folgte 1 ≤ α(z) und damit α(z) = 1 f¨ ur alle z ∈ Z − {0}, da ja α(z) ≤ 1 ist f¨ ur alle diese z. Hieraus folgte aber α(r) = 1 f¨ ur alle r ∈ Q − {0} im Widerspruch zur Definition des Absolutbetrages. Also ist p ≥ 2. Sind a, b ∈ Z und ist p Teiler von ab, so ist ab ∈ I und folglich α(ab) < 1. Andererseits ist α(a) ≤ 1 und α(b) ≤ 1. Folglich ist

5. Ein Satz von Ostrowski

189

α(a) < 1 oder α(b) < 1, d.h. es ist a ∈ I oder b ∈ I. Daher ist p Teiler von a oder von b. Dies impliziert, dass p eine Primzahl ist. Es sei nun 0 6= r ∈ Q. Es gibt dann ein i ∈ Z und a, b ∈ Z − I mit r = pi ab . Wegen a, b 6∈ I ist α(a) = α(b) = 1. Es folgt α(r) = α(p)i . Wegen α(p) 6= 1 gibt es ein σ ∈ R mit α(p)σ = 12 . Es folgt  i 1 σ α(r) = = αp (r), 2 sodass α zu αp ¨ aquivalent ist. Aufgaben 1. Es sei 1 6= p ∈ N. Genau dann ist p eine Primzahl, wenn f¨ ur alle a, b ∈ Z aus der Teilbarkeit von ab durch p die Teilbarkeit von a oder die von b durch p folgt. 2. Es sei K ein K¨ orper und L sei ein angeordneter K¨orper. Ferner sei α ein Absolutbetrag auf K mit Werten in L. Erf¨ ullt α die ultrametrische Ungleichung, so ist die Menge  Rα := x x ∈ K, α(x) ≤ 1 ein Teilring von K und  P := x x ∈ K, α(x) < 1 ist ein maximales Ideal von R. 3. Im Falle des K¨ orpers Q und des Absolutbetrages αp gilt Rαp /P ∼ = Z/pZ.

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Literatur

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Leonhard Euler, Introductio in analysin infinitorum. Tomus primus. Lausanne 1748. Opera omnia, 1. Serie Band 8. Herausgegeben von Adolf Krazer und Ferdinand Rudio. Leipzig und Berlin 1922. Ich weiß, ich weiß, dieses Werk wurde ins Deutsche und auch ins Englische u ¨bersetzt. ´ emens d’algebra. I & II. Lyon, L’an IIIe de l’e ´re R´epublicaine. — El´ — Vollst¨ andige Anleitung zur Algebra. Neue Ausgabe mit den Korrekturen der Opera ” omnia“ Leonhard Eulers. 1. Serie Band 1, herausgegeben von Andreas Speiser. Leipzig 1942 Walter Felscher, Naive Mengen und abstrakte Zahlen. Band II: Algebraische und reelle Zahlen. Mannheim 1978 Karl Ernst Georges, Ausf¨ uhrliches lateinisch-deutsches Handw¨ orterbuch. Unver¨anderter Nachdruck der achten verbesserten und vermehrten Auflage von Heinrich Georges. Zwei B¨ ande. Darmstadt 1983 Siegfried Gottwald, Hans-Joachim Ilgauds, Karl-Heinz Schlote (Hrsg.), Lexikon bedeutender Mathematiker. Bibl. Institut Leipzig 1990 Frank Gray, US Patent Office 2 632 058, March 17, 1953 William Rowan Hamilton, Theory of Conjugate Functions, or Algebraic Couples, with a Preliminary and Elementary Essay on Algebra as the Science of Pure Time. Trans. R. Irish Acad. 17, 293–422, 1837 Heinrich Eduard Heine, Die Elemente der Functionenlehre. J. Reine Angew. Mathematik 74, 172–188, 1872 Olaf Helmer, The Elementary Divisor Theorem for Certain Rings without Chain Conditions. Bull. Amer. Math. Soc. 49, 225–236, 1943 G. M. M. Houben, 5000 Years of Weights. Zwolle/Niederlande 1990. ISBN 90-7053306-5 Simon Jacob, Rechenb¨ uchlin auf den Linien und mit Ziffern. Vierte von seinem Bruder Pangratz Jacob herausgegebene Auflage. Frankfurt am Main 1571 ¨ Ludwig Kaiser, Uber die Verh¨ altniszahl des goldenen Schnitts. Leipzig und Berlin 1929 Richard Kaye, Models of Peano Arithmetic. Oxford 1991 Johannes Kepler, Strena seu de nive sexangula. Frankfurt am Main 1611. Vom sechseckigen Schnee. Unter Mitwirkung von M. Caspar und F. Neuhart u ¨bertragen von Fritz Rossmann. Berlin 1943. Nachdruck Bremen 1982 ¨ Wolfgang Krull, Uber die Endomorphismen von total geordneten Archimedischen Abelschen Gruppen. Math. Zeitschr. 74, 81–90, 1960 C. Kuratowski. Sur la notion d’ensemble fini. Fund. Math. 1, 129–131, 1920 Joseph Louis Lagrange, Nouvelle M´ethode pour r´esoudre les probl`emes ind´etermin´es en nombres entiers. M´emoires de l’Acad´emie royale des Sciences et Belles-Lettres de Berlin, XXIV, 1770. Werke, Band 1, 655–726

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Literatur

Joachim Lambek, Lectures on Rings and Modules. Waltham, Mass., 1966 Gabriel Lam´e, Note sur la limite du nombre des divisions dans la recherche du plus grand commun diviseur entre deuz nombres entiers. Compte rendu des s´eances de l’Acad´emie des Sciences XIX, 865–870, 1844 Edmund Landau, Grundlagen der Analysis. Leipzig 1930 D. H. Lehmer, Euclid’s Algorithm for Large Numbers. Amer. Math. Monthly 45, 227– 233, 1938 Heinz L¨ uneburg, Vorlesungen u ¨ber Zahlentheorie. Basel und Stuttgart 1978 — Vorlesungen u ¨ber Analysis. Mannheim 1981 — On a Little but Useful Algorithm. In: Algebraic Algorithms and Error Correcting Codes. Herausgegeben von Jacques Calmet. Springer LNCS 229, 296–301, 1986 — Kleine Fibel der Arithmetik. Mannheim 1987 — On the Rational Normal Form of Endomorphisms. Mannheim, etc. 1987a — Tools and Fundamental Constructions of Combinatorial Mathematics. Mannheim 1989 — Intorno ad una questione aritmetica in un dominio di Pr¨ ufer. Ricerche di Matematica 28,249–259, 1989a — Vorlesungen u ¨ber Lineare Algebra. Mannheim 1993 — Leonardi Pisani Liber Abbaci oder Lesevergn¨ ugen eines Mathematikers. 2. Auflage. Mannheim 1993a — On the notion of numbers in Leonardo Pisano’s Liber Abbaci. In: Leonardo Fibonacci. Il tempo, le opere, l’eredit` a scientifica. Herausgegeben von Marcello Morelli und Marco Tangheroni. Ospedaletto (Pisa) 1994, 97–108 — Was machte Nicolo Tartaglia in der Nacht zum Aschermittwoch des Jahres 1523 in Verona? Der Mathematikunterricht 42, 43–48, 1996 Charles M´eray, Remarques sur la nature des quantit´es d´efinies par la condition de servir de limites ` a des variables donn´ees. Revue des Soci´et´es Savantes IV, 280–289, Paris 1870 Abraham de Moivre. Miscellanea analytica de seriebus et quadraturis. London 1730. Zitiert nach Euler, Opera omnia, 1. Serie Band 8. John Neper, Logarithmorum canonis descriptio, arithmeticarum supputationum mirabilis abbreviatio. Lugduni, Apud Barth. Vencentium 1620 — Rabdologiæ sev nvmerationis per virgulas libri dvo: Cum Appendice de expeditissimo Mvltiplicationes promptvario. Quibus accessit & Arithmeticæ Liber vnvs. Edinburg 1617. Facsimilenachdruck Osnabr¨ uck 1966 Pedro Nu˜ nez, Libro de Algebra en Arithmetica y Geometria. Antwerpen 1567 Luca Pacioli, Summa de Arithmetica Geometria et Proportionalita. Venedig 1494 ´ Blaise Pascal, Œuvres compl`etes. Vol. I. Edition pr´esent´ee, ´etablie et annot´ee par Michel ´ le Guern. Editions Gallimard 1998 Giuseppe Peano, Arithmetices Principia nova methodo exposita. Torino 1889. Wieder abgedruckt in: Opere scelte, Band 2, 20–55. Roma 1958

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Erg¨ anzung der Herausgeber: Friedhelm Beckmann, Neue Gesichtspunkte zum 5. Buch Euklids. Arch. History Exact Sci. 4, 1–144, 1967 Wolfgang Krull, Zahlen und Gr¨ oßen – Dedekind und Eudoxos. Mitt. Math. Sem. Gießen 90, 29–47, 1971 Howard Stein, Eudoxos and Dedekind: On the ancient Greek theory of ratios and its relation to modern mathematics. Synthese 84, 163–211, 1990

Index Abacus, 34 absolut konvergent, 168 Absolutbetrag, 148, 152, 184 Addition, 30, 91 Addition komplexer Zahlen, 151 Addition nat¨ urlicher Zahlen, 7, 8 Addition von Br¨ uchen, 75, 77 Additionsalgorithmus, 30 ¨ Agypten, 36 Al-Hwarizmi, 53, 123 Algebra, 125 Algorithmus r, 101 Analogie, 82 Anfang, 111 Anf¨ anger, 63 angeordneter K¨ orper, 140 Anordnung, 81, 98, 148 Anordnung von N, 10 Apian, P., 21 aquivalente Absolutbetr¨ age, 186 ¨ Araber, 25, 65, 92 Archimedes, 81 archimedisch, 81 arithmetica localis, 28 arithmetische Reihe, 142 Arithmos, 1 as-sifr, 145 Assoziativit¨ at der Addition, 8 Automorphismus, 96 Axiomatik, 1 Bachet, C. G., 44, 47, 80 bachetscher Algorithmus, 44, 45, 47 Barbara, 15 Basis, 155 Benvogliente, U., 25 bernoullische Ungleichung, 142 beschr¨ ankte Folge, 162 Bettazzi, R., VI, 80

Beweistechnik, 123 Bin¨arsystem, 28, 72, 73 Binet, J., 40, 42 Binomialkoeffizient, 19, 21–23 binomische Formel, 21 Blatter, Chr., 175 Boethius, A., 1 Borelli, G. A., 82 Briggs, H., 144, 155 Bruch, 77, 98 Buch X von Euklid, 90 B¨ urgi, J., 144 Caesarius von Heisterbach, 64 Cantor, G., 2, 122, 162 cantorscher Algorithmus, 122 Cardano, H., 124, 128 Cauchy, A.-L., 1, 148, 150, 151, 175 Cauchyfolge, 163 cauchysches Konvergenzkriterium, 166 Chile, 22 Chuquet, N., 124 Clavius, Ch., 38 Cosinus, 159, 178, 180 Darstellung von Mathematik, 154 Datensicherheit, 53 de moivresche Formeln, 160 Dedekind, R., VI, 1, 2, 5, 14, 80, 109, 110, 162 dedekindscher Schnitt, 1, 110 Dedekindtripel, 2, 6 Descartes, R., 99 dezimal, 28 dirichletsches Schubfachprinzip, 16 DIV, 39 dividierbar, 81, 91 Division mit Rest, 38, 40, 74, 129 Dreiecksungleichung, 184

198 Dreieckszahlen, 23 dritte Potenz, 175 Dualsystem, 28, 72, 73 dyadische Entwicklung, 28, 112, 156 Einheiten, 1 Einheitskreis, 175, 180 Eins, 2, 29 Einselement, 77 elementar-abelsche Gruppe, 59 endliche Menge, 14–17 Endomorphismus, 96 Epimorphismus, 96 eudoxisch, 81, 82, 91 Eudoxos, VI, 80–82 Euklid, 1, 40, 41, 80, 83, 90, 92 euklidischer Algorithmus, 40, 43 Euler, L., 24, 47, 154 Eulers Algorithmus, 155 eulersche Zahl, 122, 157, 170 Exponentialfunktion, 146, 154 Faktorisieren, 53, 54 Faltung, 34, 171 Farulli, G., 25 Felscher, W., 138 Fibonacci, 28, 29, 34, 35, 38, 40, 53, 54, 65, 75, 80, 124 Fibonaccizahlen, 41–43 Figur, 56 Fingerzahlen, 34 Flohmarkt, 31 Folge, 112 formale Sprache, 4 Frankreich, 28 f¨ uhrende Neunen, 31, 38 f¨ uhrende Nullen, 65 Funktionalgleichung, 144, 170, 179 gebundene Variable, 4 gemeinsamer Teiler, 39 gemeinsames Maß, 90 Geometrie, 152 geometrische Reihe, 142 gespiegelter Gray-Code, 62 Gewichte, 28

Index gleichg¨ ultig, 3 Gleichheit, 151 goldener Schnitt, 41 Gray, F., 62 Gray-Code, 62 Grenzwert, 164, 167 Griechen, 80 Gr¨oßen, 123 Gr¨oßenbereich, 80, 81 gr¨oßter gemeinsamer Teiler, 39, 51, 53, 76 halbieren, 36, 67, 68 Halbring, 130 Hamilton, W. R., 1, 148, 150 Hamiltonpfad, 64 hamiltonsche Konstruktion, 150 Heine, E., 162 Heisterbach, 65 Helmer, O., 101 Homomorphismus, 6, 96 Ideal, 75 imagin¨are Ausdr¨ ucke, 150, 151 Imagin¨arteil, 151 Inder, 25 Indien, 28 Indukt, 56 Induktion, 46, 63, 65 Induktionsprinzip, 2 Infimum, 111 inkommensurabel, 82 Internet, 21 Intervall, 177 irrational, 166 Irrationalit¨at von e, 122 Isomorphismus, 6, 90, 94, 96 Jacob, S., 41, 55 Kaiser, L., 42 kanonischer Epimorphismus, 131 Kaufmannszahlen, 25 Kepler, J., 42, 144 keplersche Reihe, 42 Kern der Exponentialfunktion, 183 Kern einer Abbildung, 56

Index Kettenbr¨ uche, 48 Klasse, 3 kleinstes Element, 10 kleinstes gemeinsames Vielfaches, 76, 102 Kofaktor, 39 kommensurabel, 90 Kommutativit¨ at der Addition, 7 Kompaktheit, 175 komplexe Zahlen, 1, 123, 128, 148, 150 komplexer Logarithmus, 183 Kongruenzrelation, 77 konjugiert komplexe Zahl, 151 konvergent, 164, 168 K¨ orper der rationalen Zahlen, 132 K¨ orper der reellen Zahlen, 132 Kreweras, G., 3 Krull, W., 91 k-Teilmengen, 19 kubische Gleichung, 1, 128 Kuratowski, C., 14 K¨ urzen von Br¨ uchen, 53 K¨ urzungsregel, 8 Lagrange, J. L., 48, 51 Lambek, J., 75 Lam´e, G., 41 lam´esche Schranke, 44 lam´esche Zahlen, 42 L¨ ange einer Darstellung, 29 L¨ ange einer endlichen Menge, 15 Lehrmeinung, 150 Leibniz, G. W., 28 Leibnizreihe, 168 liber abbaci, 34 Limes, 164 Limites, Limiten, 164 lineare Gleichungen, 123 lineare Ordnung, 10, 81, 132 Logarithmus, 132, 144, 145, 155, 156, 158, 169 logos, 82 Lucas, F., 42 Majorante, 111 Majorantenkriterium, 168 Maximalbedingung, 24

199 Mengenlehre, 2 M´eray, Ch., 162 Minimalbedingung, 14 minimale Elemente, 14 Minimum, 175 Minorante, 111 Mittelalter, 64 Mittelmeerraum, 34 MOD, 39 Monochord, 92 Monomorphismus, 96 monoton fallend, 113 monoton steigend, 113 Morgenland, 25 Multiplikation, 33, 35, 92 Multiplikation komplexer Zahlen, 151 Multiplikation nat¨ urlicher Zahlen, 11 Multiplikation von Br¨ uchen, 77 multiplikatives Inverses, 94 Nachfolgerfunktion, 2, 11, 66 nat¨ urliche Zahlen, 1, 2, 7, 82, 83 nat¨ urlicher Logarithmus, 144, 158 negativ, 140 negative Zahlen, 47, 123, 128, 129, 147 Neper, J., 28, 144, 155 Neunerprobe, 54 New Math, 7, 11, 14 Nicht-Standard-Analysis, 157 normaler Anfang, 111 n-te Potenz, 175 Nu˜ nez, P., 123, 128 null, 28, 29 Nullfolge, 165–167 obere Schranke, 111 offene Teilmenge, 175 Ordnung, 81 Ostrowski, A., 186 Pacioli, L., 40, 55 Parit¨at, 64, 66 Partialsummen, 167 partielle Subtraktion, 11, 30, 81 Partition, 16 Pascal, B., 21, 55

200 pascalsches Dreieck, 21 Peano, G., 2–4, 95 Peano-Arithmetik, 4 Periode, 180 π, 179 poids de ville, 28 Polynom, 34, 129 Positionssystem, 28 positiv, 140 positive reelle Zahlen, 112 potenzassoziativ, 93 Potenzmenge, 14, 19 Potenzregel, 13 Primfaktorzerlegung, 110 primitive Einheitswurzel, 184 Prinzip der zweifachen Abz¨ ahlung, 18 Proposition X.115a, 82 Pythagoreer, 92 q-adisch, 28, 48, 55 Q(P ), 91 quadratische Gleichungen, 123 Quadratwurzel, 28, 48, 149 Quadratzahlen, 38 quantifizieren, 4, 5, 82 Quantoren, 4 quasieudoxisch, 91, 92, 139 Quersumme, 37, 54 radizierbar, 143 rationale Zahlen, 95, 98 rationaler Gr¨ oßenbereich, 99–101, 106 Realteil, 151 Rechenbrett, 28, 34 Rechenregeln, 12, 81, 151 Rechnen, 28, 95 Rechnen mit Kongruenzen, 54, 56 Rechnen mit null, 15 Reconquista, 25 reelle Zahlen, 80, 138, 151 Rekursionsregel, 5 Rekursionssatz, 5–7, 60 relevanter Teil, 65 Restklassenring, 150 Reuleaux, F., 48 Rhabdologie, 28

Index riemannsche Fl¨ache, 183 Ries, A., 28, 33, 34, 36, 38 Ring der ganzen Zahlen, 132 Rom, 28 russ, 35 russische Bauernmultiplikation, 36, 72 Satz u ¨ber lokale Umkehrbarkeit, 183 Satz von der oberen Grenze, 112, 132, 141 Schiefertafel, 7 schriftliches Rechnen, 28 Schulunterricht, 75 Sinus, 159, 178, 180 Skolem, Th., 5 smithsche Normalform, 101 Soroban, 34 Spanien, 25 sparsame Partition, 16 Sprossenradmaschine, 31, 48 Standardvertreter, 53 Stelle, 28 stetige Abbildung, 176 Stifel, M., 22, 29 stifelsche Relation, 22 Strahlensatz, 91 Strichlisten, 1, 25, 65 Stschoty, 34 Suanpan, 34 Subtraktion, 72 Subtraktionsalgorithmus, 30, 72 Supremum, 111 symmetrische Differenz, 59 Syrien, 25 Tarski, A., 14 Tarski-endlich, 24 Tartaglia, N., 21, 22, 28, 80, 124, 128 tartagliasches Dreieck, 21 Taubenschlagprinzip, 16, 33 Teilbarkeit, 110 Teilbarkeitskriterien, 37, 53–55 Teiler, 39, 101 teilerfremd, 40 Term, 4 Toepler, A. J., 48

Index toeplerscher Algorithmus, 48 Topologie, 175 topologischer Raum, 175 total unzusammenh¨ angend, 184 Transversale, 17 trigonometrische Funktionen, 150 Tschirnhausentransformation, 128 ¨ Ubertrag, 30, 34, 72 ultrametrische Ungleichung, 186 Umgangssprache, 82 Umgebung, 175 unendlich klein, 156 unendliche Reihe, 167 untere Schranke, 111 Ursprung der Zahlen, 29 Uruguay, 21 Vektorraum, 75, 162 verdoppeln, 36, 67, 68 vergleichbar, 81 Verh¨ altnisgleichheit, 82, 83 Verh¨ altnisse und reelle Zahlen, 138 Verkn¨ upfung, 53 verk¨ urzte mehrfache Addition, 38 verk¨ urzte mehrfache Subtraktion, 38 Verlaufsrekursion, 61 versch¨ arfte Dreiecksungleichung, 186 Vervielfachen, 81 vielfachenassoziativ, 93 vierte Proportionale, 91 volkst¨ umlich, 75 vollfreie Variable, 4 Vorg¨ anger, 2 Vorg¨ angerfunktion, 66 W¨ ageproblem, 80 Walthermaschine, 31 Weiterz¨ ahlen, 7, 11 Werimbold, 64 Werimbolds Test, 64, 66 Winkelbegriff, 175 Wohlordnung, 10 Zahlbegriff, 29, 123 Zahlen, 80 Z¨ ahlen, 17

201 Z¨ahlfunktion, 11 Zenon von Elea, 1 Ziffer, 25, 28, 36, 56, 145 Zifferndarstellung, 35 zusammenh¨angend, 175 Zusammensetzen, 92 Zwischenwertsatz, 178

Chinesen sind keine Japaner Neue und überraschende Einblicke Heinz Lüneburg Zahlentheorie 2010. VIII | 151 S. | br. € 39,80 | ISBN 978-3-486-59680-9 Neue Sichtweisen und Erkenntnisse zur Zahlentheorie und zu quadratischen Erweiterungen bietet dieses Lehrwerk aus dem Nachlass des begnadeten Pädagogen Heinz Lüneburg. Es eignet sich vor allem für fortgeschrittene Leser, die einen tieferen Einblick in die Zahlentheorie erhalten möchten, und ist daher allen, die diese Theorie einmal unter einem anderen Gesichtspunkt betrachten möchten, wärmstens zu empfehlen.

Oldenbourg

Die Zahlentheorie aus den Büchern des Euklid wird in moderner Sprache dargestellt und mit der dedekindschen Konstruktion der natürlichen Zahlen verbunden. Dadurch können wesentliche Ergebnisse ohne den Satz von der eindeutigen Primfaktorzerlegung bewiesen werden. Die Theorie der Kettenbrüche wird verwendet, um tiefere Kenntnisse der Struktur der Ringe der ganzen algebraischen Zahlen in quadratischen Erweiterungen der rationalen Zahlen zu gewinnen. Auch damit beschäftigt sich das Buch eingehend. Unter anderem widmet sich Lüneburg der Division mit Rest – einem Thema, das in anderen Büchern kaum aufgegriffen wird. „Zahlentheorie“ wird herausgegeben von Prof. Dr. Theo Grundhöfer, apl. Prof. Dr. Huberta Lausch sowie Prof. Dr. Karl Strambach. Das Buch richtet sich an Absolventen und Studierende höherer Semester der Mathematik.