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Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung herausgegeben von der
Gesellschaft für Rechtsvergleichung e.V.
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Robert Leo Bergmann
Der ungerechte Austauschvertrag Die Rechtsfolgen anfänglicher Äquivalenzstörungen am Beispiel des Grundstückskaufvertrages: Ein Korrekturversuch auf rechtsvergleichender Grundlage
Mohr Siebeck
Robert Leo Bergmann, geboren 1990 in Berlin; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Konstanz; wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Konstanz; 2019 Promotion; Referendariat am Landgericht Heidelberg; derzeit Rechtsanwalt in einer internationalen Anwaltskanzlei.
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT. ISBN 978-3-16-157704-8 / eISBN 978-3-16-157705-5 DOI 10.1628/978-3-16-157705-5 ISSN 1861-5449 / eISSN 2569-426X (Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen aus der Times gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Meinem Großvater
Vorwort Mein Interesse am Umgang mit Äquivalenzstörungen in gegenseitigen Verträgen und der rechtsvergleichenden Herangehensweise an juristische Probleme entstand während meines Schwerpunktstudiums an der Universität Konstanz. Aus diesem umfangreichen Gebiet, das nicht nur Juristen, sondern auch Philosophen, Theologen und Ökonomen seit mehr als zwei Jahrtausenden beschäftigt, habe ich schließlich die Rechtsfolgen anfänglicher Äquivalenzstörungen als Gegenstand der vorliegenden Arbeit gewählt. Ausschlaggebend für diese Wahl war, dass die im deutschen Recht von der Rechtsprechung, gestützt von der herrschenden Meinung in der Literatur, seit der Zeit des Reichsgerichts favorisierte Rechtsfolge der zwingenden Gesamtnichtigkeit nicht nur wenig interessengerecht erscheint, sondern auch, wie ein rechtsvergleichender Blick zeigt, im Widerspruch zu nahezu allen größeren Rechtsordnungen in Europa s teht. Im Wintersemes ter 2018/2019 wurde diese Arbeit vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sind auf dem Stand von Frühjahr 2020 gebracht worden. Mein besonderer Dank gilt meiner Doktormutter, Frau Prof. Dr. Astrid Stadler, die mein Interesse für Rechtsvergleichung geweckt und damit maßgeblichen Anteil am Entstehen dieser Arbeit hat. Sie war für fachliche Fragen stets ansprechbar und ließ mir gleichzeitig die Freiheit, die Arbeit nach eigenen Vorstellungen zu entwickeln. Gleichfalls zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Prof. Dr. Michael Stürner, M. Jur. (Oxford), dem Zweitgutachter dieser Arbeit, der die Entwicklung der Arbeit als konstruktiver und immer freundlicher Ansprechpartner gefördert hat. Für die Aufnahme in die vorliegende Schriftenreihe danke ich Herrn Prof. Dr. Martin Schmidt-Kessel. Für die großzügige finanzielle Unterstützung des Drucks bin ich der VG Wort zu Dank verpflichtet. Abschließend möchte ich mich bei Herrn Felix Mayer bedanken, der sich bereit erklärt hat, die Arbeit vor ihrer Einreichung Korrektur zu lesen. Besonders genossen habe ich während meiner Promotion die Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Frau Prof. Dr. Stadler und an der gesamten Universität Konstanz. Die netten Kollegen, die gute Stimmung und den fachlichen Austausch werde ich immer in bester Erinnerung behalten. Gewidmet ist diese Arbeit schließlich meinem Großvater, der als einziger Jurist der Familie sich immer „juristischen Nachwuchs“ gewünscht hat, leider
VIII
Vorwort
jedoch zu früh verstorben ist, um die Verwirklichung dieses Wunsches noch zu erleben. Heidelberg, Sommer 2020
Dr. Robert Leo Bergmann
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 § 1
Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
A. B. C.
Das Konzept des gerechten Preises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Spannungsfeld zwischen Vertragsgerechtigkeit und Privatautonomie . . . . 4 Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
§ 2
Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
A. Begriff der Äquivalenzstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 B. Der notwendige Vergleichsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 C. Untersuchungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
§ 3 Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Kapitel 1: Problematik und Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 § 4 Mögliche Regelungsansätze und deren Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 A. Herangehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Probleme bei der Entwicklung einer angemessenen Regelung . . . . . . . . . 14
§ 5
Historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Laesio enormis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Jüdisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Entwicklung im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Glossatoren und Kommentatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Christliche Einflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Naturrecht und Kodifikationen um 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das 19. Jahrhundert und die Entstehung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 17 17 17 19 20 21 22 22 22 23 24 26 26
X
Inhaltsverzeichnis
II. Die Folgen für die Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zeitraum bis zur Schaffung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entstehung von § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einordung von § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28 28 28 29 31 31
§ 6
Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
A.
34 34 34 35 36 37 38 38 40 40 40 41 42 42 43 43 44 45
Interessen des Käufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das primäre Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Vertragsschluss als Indiz für das Behaltensinteresse . . . . . . . . 2. Investitionen in den Kaufgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fälle des Wuchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Befriedigung durch Ersatzbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Möglichkeit der Ersetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Probleme bei Ersatzbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zwischenzeitliche Preissteigerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Integration des Gegenstands in das Vermögen des Käufers . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Interessen des Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Interesse am Behaltendürfen des Kaufpreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Interesse am „Verlust“ der Kaufsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Interessen der Rechtsordnung/der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kapitel 2: Darstellung der Rechtslage in Deutschland de lege lata und deren Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 § 7 Wucher und wucherähnliches Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 A. B.
C.
D.
Die einschlägigen Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines zu § 138 Abs. 2 BGB und § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . I. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Wuchertatbestand, § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das wucherähnliche Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . II. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufung auf die Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wucher, § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wucherähnliches Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Teilnichtigkeit nach § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47 49 49 49 50 53 55 55 56 56 58 59 59
E.
Inhaltsverzeichnis
II. Umdeutung nach § 140 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bestätigung nach § 141 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Käufer als benachteiligte Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problematische Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstand der Herausgabe nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB . . a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einschränkung der Herausgabepflicht bei extremer Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit von § 817 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkrete Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . 1. Gegenstand der Herausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . 3. Ersatz von Verwendungen und Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . a) Reichweite des Verwendungsersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ersatz für frustrierte Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vertragskosten und Kosten des Erwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. (Mehr-)Kosten eines Deckungskaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Belastung des Bereicherungsgegenstands durch den Käufer . . . . . a) Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Lösung des BGH und deren Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Probleme und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herausgabe mit Belastung oder Pflicht zur Beseitigung . . bb) Kritik der Befürworter einer Herausgabe mit Belastung . . d) Eigene Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendung der Saldotheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Angemessene Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Dingliche Sicherung des Anspruchs auf restliche Kaufpreisrückzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Herausgabe von Nutzungen gemäß § 818 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . 8. Beschädigungen oder Untergang der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit der Saldotheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkrete Rechtsfolgen für den benachteiligten Käufer . . . . . . 9. Verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendung auf den Benachteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
60 61 63 63 63 64 64 64 66 66 68 70 70 71 71 72 72 72 72 73 75 76 77 78 78 80 80 80 82 83 84 86 86 87 87 89 89 90 91 92 93 93
XII
F.
§ 8 A.
Inhaltsverzeichnis
b) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 10. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Der Verkäufer als benachteiligte Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Der Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Herausgabe des Grundstücks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Ansprüche bei Weiterveräußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Ansprüche bei Wirksamkeit der Übereignung an Dritten . . . . . 99 b) Ansprüche bei Unwirksamkeit der Verfügung an Dritte . . . . . . 100 3. Beschädigung der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Nutzungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5. Belastung der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Situation bei Bösgläubigkeit des Käufers . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Sonstige Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 6. Ansprüche des Wucherers – insbesondere auf Verwendungsersatz 104 a) Verwendungsersatz allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Bebauung des Grundstücks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Rechtsprechung zu bestandsverändernden Verwendungen 105 bb) Gegenvorschläge in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 cc) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Sonstige Vermögensnachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . 109 1. Gegenstand der Herausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Nutzungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3. Beschädigung oder Untergang des Kaufgegenstandes . . . . . . . . . . 111 4. Verwendungs- und Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Verschärfte Haftung des Begünstigten nach § 819 Abs. 1 BGB 112 b) Übertragung der Vermutung aus § 138 BGB auf § 819 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Auswirkungen auf § 819 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 d) Auswirkungen auf § 818 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 5. Sonstige Ersatzverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Gegenstand der Herausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Verwendungen und Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3. Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4. Nutzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 5. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Irrtümer und culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Anfechtung – insbesondere §§ 119 Abs. 2, 123 Abs. 1 Var. 1 BGB . . . . . . 119 I. Anfechtung nach § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
B.
C.
Inhaltsverzeichnis
XIII
1. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Verkäufer als Getäuschter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Käufer als Getäuschter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rückabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schadensersatz nach § 122 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschluss nach § 122 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Behandlung des gemeinsamen Irrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Neuverhandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ablehnung einer Neuverhandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Befürwortung einer Neuverhandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhaltliche Anforderungen an eine Neuverhandlungspflicht . . . . . 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Inhalt der Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragsanpassung durch die Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsanpassung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ansprüche des Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Herausgabe der erbrachten Leistung, § 346 Abs. 1 BGB . . . . . b) Ausnahme nach § 346 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansprüche des Käufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gerichtliche Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung nach culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tatbestand der culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorvertragliche Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtverletzung beim Wucher und wucherähnlichen Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wucher, § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wucherähnliches Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . aa) Übertragung der Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorgehen aus sittenwidrigem Vertrag als Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolgen der culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragsauflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problematik der haftungsausfüllenden Kausalität . . . . . . . . . . . b) Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Echte“ Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Praktische“ Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120 122 122 123 123 124 124 124 125 127 128 128 129 130 132 132 133 133 134 135 135 135 136 137 138 139 139 140 140 142 142 143 143 144 145 146 147 147 149 150 150 151
XIV
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aa) Dogmatische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Reaktionen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übertragung der Grundsätze auf die Fälle des § 138 BGB . . . . . . .
152 153 154 155 156
§ 9 Probleme der deutschen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 A.
B.
Interessen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Interessen des benachteiligten Käufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interesse am Bestand des Leistungsaustauschs . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wucher, § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wucherähnliches Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . aa) Nicht beweisbare Wucherfälle und vergleichbare Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eingreifen von § 138 Abs. 1 BGB ohne Schwächelage . . . c) Anfechtung, gemeinsamer Irrtum und culpa in contrahendo . . d) Ungleichbehandlung von Wucher und culpa in contrahendo . . aa) Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eingriff in die Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interesse auf Ersatz der getätigten Investitionen und sonstiger Mehrkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ersatzfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchsetzbarkeit der Ersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Interessen des benachteiligten Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interesse am Bestand des Leistungsaustauschs . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwendungsersatzansprüche gegenüber dem Verkäufer . . . . . . . . a) Belastung durch die Ersatzverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wucher, § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wucherähnliches Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB . . . . b) Der veränderte Gegenstand als Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gefahrtragung und Insolvenzrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefahrtragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Interessen des Wucherers/Begünstigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Wucherer i. S. v. § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Begünstigte i. R. v. § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefahrtragung und Entreicherungsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die intendierte Präventionswirkung des § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . .
158 158 158 158 159 160 163 163 164 165 166 167 168 168 169 169 170 170 171 171 171 172 174 175 175 175 176 176 176 177 178 179 180 181 181
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1. Abschreckung des Wucherers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aushöhlung der Prävention durch die Vermutungsregelung . . b) Fehlende Geltendmachung durch den Benachteiligten . . . . . . . c) Die präventive Wirkung einer Anpassungslösung . . . . . . . . . . d) Kriminologischer Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Prävention“ gegenüber dem Bewucherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Richterlicher Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Konkurrenz zwischen § 138 und § 123 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestehende Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rolle des § 817 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 817 S. 2 BGB beim Sachwucher nach § 138 Abs. 2 BGB . . . . . . a) Kritik am Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Missbrauchspotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Nichtanwendung auf Kaufverträge beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterschiedliche Behandlung verschiedener Wucherarten . . . . . . . . . . 1. Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mietwucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kreditwucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lohnwucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Werk- und Dienstverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutzbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 134 und § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widersprüche in der Anwendung von § 817 S. 2 BGB auf wucherische Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonstige Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV
181 182 183 184 185 186 187 189 189 189 189 190 194 194 194 196 196 198 198 198 198 199 201 203 204 204 204 206 207 207 209 211 211 213
Kapitel 3: Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 § 10 Länderberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 A. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tatbestand des Art. 21 OR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
215 216 216 217
XVI
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II. Rechtsfolgen von Art. 21 OR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einseitige Unverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 1674 ff. CC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erweiterung von violence und dol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 388 KC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reformüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Economic duress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Undue influence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unconscionability . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Sonstige Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
218 219 220 221 221 223 224 224 226 227 227 229 230 232 232 233 234 235 236
§ 11 Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 A.
Wuchertatbestand des § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tatbestand des Wuchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Nichtigkeitsbegriff in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Absolute Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Relative Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art der Nichtigkeit beim Wucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Teil- oder Gesamtnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung auf den Wucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wuchergesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vergleich zu Deutschland und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Laesio enormis, § 934 ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tatbestand und Hintergrund der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hintergrund der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfechtungsrecht des Übervorteilten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ersetzungsbefugnis des Bevorteilten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art und Weise der Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergleich zur Rechtslage in Deutschland und Bewertung . . . . . . . . . . C. Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
239 239 241 241 242 244 244 244 246 247 248 250 250 250 252 253 253 254 255 256 257 258 258
D.
E.
Inhaltsverzeichnis
XVII
1. § 871 ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art des Irrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zurechnung gegenüber dem Anfechtungsgegner . . . . . . . . . . . 2. § 870 ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geltendmachung des Anfechtungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wesentlicher Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unwesentlicher Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anpassung, § 872 ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderheiten bei Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schadensersatzansprüche des Anfechtungsgegners . . . . . . . . . b) Schadensersatzansprüche des Getäuschten . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergleich zu Deutschland und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung im österreichischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigenständiger Anwendungsbereich der Vertragsaufhebung über c. i. c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreis der erfassten Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterschiedliche Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit der Vertragsaufhebung neben der Anfechtung . . . . . . III. Vergleich zu Deutschland und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit zum österreichischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
258 258 259 261 262 263 264 265 265 266 267 267 268 269 271 271 272 273 273 274 274 275 276
§ 12 PECL/DCFR/CESL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 A.
B.
Contracts infringing fundamental principles/mandatory rules . . . . . . . . . . I. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. II.-7:301 DCFR (Art. 15:101 PECL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. II.-7:302 DCFR (Art. 15:102 PECL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. II.-7:301 DCFR (Art. 15:101 PECL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. II.-7:302 DCFR (Art. 15:102 PECL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schadensersatzanspruch, Art. II.-7:304 DCFR (Art. 15:105 PECL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergleich zur Rechtslage in Deutschland und Bewertung . . . . . . . . . . Unfair Exploitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfechtungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltendmachung der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Wirkung der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Möglichkeit der Teilanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
279 280 280 281 281 281 282 283 284 285 286 288 288 288 290 290
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bb) Zulässigkeit der Teilanfechtung bei Unfairer Ausnutzung nach Art. 51 CESL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Berechtigung zur Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vornahme der Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Maß und Art der Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergleich zur Rechtslage in Deutschland und Bewertung . . . . . . . . . . C. Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Hintergrund und Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wesentlicher Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zurechenbarkeit gegenüber dem Anfechtungsgegner . . . . . . . . c) Kein Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfechtungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anpassungsrecht des Anfechtungsgegners beim Irrtum . . . . . . . . . III. Vergleich zur Rechtslage in Deutschland und Bewertung . . . . . . . . . . D. Culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 55 CESL (Art. II.-7:214 DCFR, Art. 4:117 Abs. 2 PECL) . . . . . . . 1. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestehen eines Anfechtungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kenntnis oder Kennenmüssen der maßgebenden Umstände . . 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konkret ersatzfähiger Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertragsaufhebung im Wege der Naturalrestitution . . . . . . . . . II. Vergleich zur Rechtslage in Deutschland und Bewertung . . . . . . . . . . E. Fazit zu PECL/DCFR und CESL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
291 292 293 294 295 295 297 297 297 298 299 300 301 301 301 302 303 304 305 306 306 307 308 308 310 311 312
Kapitel 4: Neukonzeption und ihre Integration in das geltende deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 § 13 (Neu-)Bestimmung der Rechtsfolgen von anfänglichen Äquivalenzstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 A. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Differenzierung zwischen Wucher und Läsion . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermutung des Ausnutzens bei extremer Äquivalenzstörung . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ipso iure Nichtigkeit oder Anfechtungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ipso iure Nichtigkeit als besserer Schutz für den Benachteiligten . . . . 1. Das Interesse des Benachteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Effektivität des Schutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
313 313 313 314 315 315 317 317 317 318
C.
D.
E.
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XIX
II. Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aspekt der Verkehrssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umlauffähigkeit von Gütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhinderung eines Schwebezustandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das öffentliche Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anpassung oder Gesamtnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die angeblich mangelnde Prävention einer Anpassungslösung . . . . . . II. Privatautonomie und Bedenken bezüglich richterlicher Moderation . . 1. Inhalt und Umfang der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedenken in Bezug auf die Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unzulässiger Eingriff in die Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . aa) Wucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Läsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unvorhersehbarkeit des Ergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Absenkung der Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Interessenlage der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anpassungsrecht des Benachteiligten oder Wahlrecht des Bevorteilten . . I. Vor- und Nachteile der jeweiligen Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Differenzierung zwischen Wucher und Läsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anpassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusätzliche Anfechtungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Läsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhaber des Anpassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtstechnische Ausgestaltung der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gestaltungsrecht oder Gestaltungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vor- und Nachteile der Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Gestaltungsrecht als vorzugswürdige Lösung . . . . . . . . . . . . . II. Zeitliche Begrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Befristung überhaupt sinnvoll? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Vor- und Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung auf Wucher und Läsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beginn und Dauer der Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Länge der Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
320 322 322 323 325 326 327 328 328 329 330 332 332 333 334 334 335 336 337 338 338 338 340 340 340 340 342 342 342 343 343 344 345 345 347 348 348 348 350 350 351 351 352
XX
F.
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Maß der Anpassung: „Große“ oder „kleine“ Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anpassung auf das gerade noch zulässige Maß . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Argumente für die „kleine“ Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anpassung auf das angemessene Maß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sonstige Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Läsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Art und Weise der Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
352 353 353 354 355 358 359 359 359 360 362
§ 14 Integration der Lösung ins aktuelle deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . 363 A.
B.
Abkehr von der zwingenden Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 I. Nichtigkeit im 19. Jahrhundert und bei Schaffung des BGB . . . . . . . . 364 1. Die Zeit bis zur Reichsgründung 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 a) Nichtigkeitsbegriff in der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . 365 b) Kodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 2. Entstehung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 b) Erster Teilentwurf zum BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 c) Die Änderungen der 1. Kommission und der 1. Entwurf . . . . . 371 d) Weiteres Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 II. Anerkannte Ausnahmen von der zwingenden Nichtigkeit . . . . . . . . . . 372 1. Fälle überlanger zeitlicher Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 aa) Aspekt der Teilbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 bb) Aspekt der Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 2. Rechtsprechung zu (Höchst-)Preisvorschriften i. R. v. § 134 BGB . 376 3. Sittenwidrige testamentarische Zuwendung – Das „Geliebtentestament“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 4. Abweichung von der zwingenden Nichtigkeit bei Formverstößen . 381 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Konzepte zur Umgehung der Gesamtnichtigkeit in der Literatur . . . . . . . . 384 I. Canaris: Die halbseitige Teilnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 2. Dogmatische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 3. Inhaltliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 II. Einschränkung von § 817 S. 2 BGB und Ersatz nach §§ 812, 818 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 a) Medicus Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 b) Flumes und Zimmermanns Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
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2. Dogmatische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhaltliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ansatz von Pawlowski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhaltliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Beckmanns personalistisch orientierte Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhaltliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Quantitative Teilnichtigkeit gemäß § 139 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ansicht der h. M. zur Teilbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 139 BGB als nur zweite Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhaltliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nichtigkeit aufgrund einseitig pflichtwidrigen Vorverhaltens . b) Nichtigkeit ohne pflichtwidriges Vorverhalten . . . . . . . . . . . . . aa) Wille des pflichtwidrig handelnden Begünstigten . . . . . . . bb) Wille des Benachteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Der Normzweckvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Normzwecke von § 134 BGB und § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . aa) Normzweck von § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Normzweck von § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtshistorisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhaltliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abkehr von der absoluten Nichtigkeit in § 138 BGB . . . . . . . . . . . 2. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einschränkung als Ausdruck des Funktionswandels von § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
389 389 390 390 391 392 393 393 394 395 395 395 396 396 396 397 397 398 399 399 399 401 401 401 402 402 402 403 404 405 406 407 408 408 410 411 411 412 412 413 413 414
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§ 15 Dogmatische Umsetzung der entwickelten Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . 416 A. Abkehr von der Nichtigkeit ipso iure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problematik der zu geringen Geldleistungsverpflichtung . . . . . . . . 2. Anhebung des Kaufpreises über § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Vertragsauflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Läsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit von § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßgeblichkeit allein des Willens des Begünstigten . . . . . . . . . . . 3. Anwendung von § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Begünstigte als Verkäufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Begünstigte als Käufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausnahme bei Willensänderung hin zur Teilnichtigkeit . . . . . . . . . 5. Lösung über § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Eintritt der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Analoge Anwendung der §§ 121, 124 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Differenzierung zwischen der Situation vor und nach Leistungsaustausch beim Wucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
417 419 419 419 419 420 421 422 422 423 424 424 426 426 427 427 428 429 431 432 434 434 434 435 436 437
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481
Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort ABGB Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis ADHGB Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (von 1861) a. F. alte Fassung AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen allg. allgemein(e) ALR Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (von 1794) AMPreisV Arzneimittelpreisverordnung AP Arbeitsrechtliche Praxis ArchBürgR Archiv für Bürgerliches Recht ARSP Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Art. Artikel Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BAG Bundesarbeitsgericht BauGB Baugesetzbuch BB Betriebsberater Bd. Band BeckRS Beck-Rechtsprechung BG Bundesgericht BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGE Bundesgerichtsentscheidungen BGH Bundesgerichtshof BKleingG Bundeskleingartengesetz BLJ Bucerius Law Journal B. L. R. Business Law Reports BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung BT‑Drs. Bundestagsdrucksache Bull. cass. Bulletin des arrêts de la Cour de cassation, chambres civiles BW Burgerlijk Wetboek (Niederlande) BVerfGE Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzgl. bezüglich CC Code civil (Frankreich) CCIt Codice civile (Italien) CCPort. Código Civil Português
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
CESL Common European Sales Law Cmt. Comments zu den PECL/ zum DCFR c. i. c. culpa in contrahendo c. p. Codice penale (Italienisches Strafgesetzbuch) DB Der Betrieb DCFR Draft Common Frame of Reference DDR Deutsche Demokratische Republik ders. derselbe d. h. das heißt dies. dieselben DNotZ Deutsche Notar-Zeitschrift DRiZ Deutsche Richterzeitung DtZ Deutsch-deutsche Rechtszeitschrift EBV Eigentümer-Besitzer-Verhältnis Einl. Einleitung EMRK Europäische Menschenrechtskonvention ERCL European Review of Contract Law EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof Eur.Rev. P. L. European Review of Private Law EVBl Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen f./ff. folgende FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FG Festgabe Fn. Fußnote(n) FS Festschrift GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GmbHG Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GoA Geschäftsführung ohne Auftrag GPR Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union grdl. grundlegend grds. grundsätzlich GS Gedächtnisschrift; Gedenkschrift GZ Allgemeine Österreichische Gerichtszeitung h. A. herrschende Ansicht HansOLG Hanseatisches Oberlandesgericht HGB Handelsgesetzbuch h. M. herrschende Meinung HOAI Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieur leistungen Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz i. d. R. in der Regel i. E. im Ergebnis insb. insbesondere inkl. inklusive InsO Insolvenzordnung i. R. v. im Rahmen von
Abkürzungsverzeichnis
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i. V. m. in Verbindung mit i. S. v. im Sinne von i. w. S. im weiteren Sinne JA Juristische Arbeitsblätter JBl Juristische Blätter JfR Journal für Rechtspolitik Jher.Jahrb. Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts JR Juristische Rundschau JuS Juristische Schulung Jura Juristische Ausbildung JurJB Juristen-Jahrbuch JW Juristische Wochenschrift JZ Juristen Zeitung Kap. Kapitel KC Kodeks cywilny (Zivilgesetzbuch Polens) KG Kammergericht krit. kritisch KSchG Kündigungsschutzgesetz KTS KTS‑Schriften zum Insolvenzrecht LAG Landesarbeitsgericht LG Landgericht Lit. Literatur Ls. Leitsatz LZ Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht MDR Monatsschrift für Deutsches Recht m. w. N. mit weiteren Nachweisen NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW‑RR NJW‑Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nr. Nummer NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZM Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht ÖBA Österreichisches Bankarchiv ÖRdW (österr.) Recht der Wirtschaft ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung OG Oberstes Gericht (DDR) OGH Oberster Gerichtshof (Österreich) OHG Offene Handelsgesellschaft OGHZ Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Zivilsachen OLG Oberlandesgericht OR Obligationenrecht (Schweiz) OZ Obligacijski zakonik (Obligationenrecht Slowenien) p. page(s) PECL Principles of European Contract Law PICC Principles for international commercial contracts RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht
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Abkürzungsverzeichnis
RdA Recht der Arbeit RG Reichsgericht RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RIDA Révue Internationale des Droits de l‘Antiquité Rn. Randnummer(n) Rspr. Rechtsprechung RVG Rechtsanwaltsvergütungsgesetz s. siehe S. Seite(n) sog. sogenannt StGB Strafgesetzbuch st. Rspr. ständige Rechtsprechung SZ Entscheidungen des Österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivilsachen tlw. teilweise u. und u. a. unter anderem Überbl. Überblick UGB Unternehmensgesetzbuch (Österreich) Urt. Urteil u. U. unter Umständen v. vom/von Var. Variante vgl. vergleiche Vorb. Vorbemerkungen WiStG Wirtschaftsstrafgesetz WM Wertpapier-Mitteilungen WoBindG Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen wrp Wettbewerb in Recht und Praxis WucherG Wuchergesetz (Österreich) Z. Ziffer z. B. zum Beispiel ZBJV Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins ZBl Österreichisches Zentralblatt für die juristische Praxis ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZfA Zeitschrift für Arbeitsrecht ZfPW Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft ZFR Zeitschrift für Finanzmarktrecht ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZGS Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht ZHR Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZJS Zeitschrift für das juristische Studium ZMR Zeitschrift für Miet- und Raumrecht ZPO Zivilprozessordnung ZRG Rom./KA Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung / Kanonistische Abteilung ZSR Zeitschrift für Schweizerisches Recht ZVR Zeitschrift für Verkehrsrecht
Einleitung Eine der wesentlichen Funktionen von Verträgen liegt in der Regelung und Organisation des für eine moderne Gesellschaft unerlässlichen Güteraustausches.1 Menschen schließen Verträge, um ihre ganz unterschiedlichen Bedürfnisse befriedigen zu können. Bei gegenseitigen Verträgen gibt die eine Partei einen Teil ihres Vermögens (oder ihrer Arbeitskraft) weg, um im Ausgleich dafür von der anderen Partei eine Leistung zu erhalten. In der Regel stehen sich dabei eine Geldleistung und eine Sach- oder Dienstleistung gegenüber. Bei der Vereinbarung des Umfangs der jeweiligen Leistungspflichten kann es zu Äquivalenzstörungen kommen. Eine solche liegt vor, wenn sich bei einem synallagmatischen Vertrag Leistung und Gegenleistung im Wert nicht entsprechen, das heißt, wenn zwischen ihnen ein Missverhältnis besteht. Grundsätzlich sind die Parteien völlig frei darin, die Höhe der auszutauschenden Leistungen festzulegen.2 Nur in seltenen Fällen schreibt das Recht den Parteien vor, zu welchem Preis oder bis zu welchem Preis sie ihre Leistung zu erbringen haben. Dies geschieht zum einen dadurch, dass punktuell, bezogen auf eine konkrete Leistung, eine objektive Grenze festgelegt wird, deren Höhe die Gegenleistung nicht überschreiten darf, oder sogar (seltener) ein bestimmter Preis festgelegt wird.3 Daneben werden Äquivalenzstörungen unabhängig vom Leistungsgegenstand häufig, und in den modernen europäischen Rechtsordnungen typischerweise, dann rechtlich beanstandet, wenn sie das Resultat der Ausnutzung einer Schwächelage der anderen Vertragspartei sind.4 In diesem Fall spricht man von Wucher. Darüber hinaus existieren – deutlich seltener – auch Bestimmungen, die allein objektiv, ohne weitere Voraussetzungen an eine bestimmte Äquivalenzstörung anknüpfen, die sogenannte Läsion. Dieses 1
Stocker, Wucher und Läsion, S. 1 N. 1; M. Köhler in: FS Köndgen, 353, 353 f. Rspr., vgl. jeweils m. w. N.: BGH WM 2017, 2212, 2212 Rn. 15; NJW 2015, 328, 331; NJW 2011, 1726, 1726; NJW 2002, 2386, 2386; NJW 1998, 383, 383; Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 171; Flume, AT II, S. 7 f.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 205; Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 232; M. Köhler in: FS Köndgen, 353, 359; Basedow in: Bitburger Gespräche 2008/I, 85, 89; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG‑Vertrages, S. 392; van den Daele, Probleme des gegenseitigen Vertrages, S. 3 f.; v. Tuhr/Peter, OR AT, S. 342 f. (für die Schweiz); Roppo, Il contratto, S. 884 f. (für Italien). 3 Man spricht dabei von Höchstpreisvorschriften. Solche finden sich z. B. in der AMPreisV für Fertigarzneimittel, der HOAI für Honorare von Architekten und Ingenieuren, § 5 BKleingG, § 8 WoBindG, §§ 4–5 WiStG. 4 Vgl. für einen Überblick unten: § 10 Länderberichte, S. 215 ff. 2 St.
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Einleitung
Rechtsinstitut, das seinen Höhepunkt im gemeinen Recht hatte,5 existiert als allgemeine Bestimmung für alle Verträge heute nur noch in Österreich6. Thema der vorliegenden Arbeit ist aber nicht die Frage, ab wann und unter welchen Voraussetzungen Äquivalenzstörungen rechtlich zu beanstanden sind und einen Eingriff in den Vertrag erfordern. Sie setzt vielmehr an dem Punkt an, an dem das Recht bereits die Notwendigkeit eines Eingriffs festgestellt hat und widmet sich der Frage, wie mit der rechtlich unzulässigen Äquivalenzstörung im Vertrag umzugehen ist.
§ 1 Ausgangslage A. Das Konzept des gerechten Preises Der richtige Umgang mit Verträgen, die eine schwere Äquivalenzstörung beinhalten, hat Juristen schon immer beschäftigt. Dies liegt daran, dass die Thematik unmittelbar die Frage berührt, wann ein Vertrag gerecht ist beziehungsweise als gerecht empfunden wird.7 In diesem Sinn ist die Problematik der Äquivalenzstörungen eng mit der Frage nach dem gerechten Preis verknüpft. Mit dieser setzen sich nicht nur Juristen, sondern insbesondere auch Philosophen, Wirtschaftswissenschaftler und Theologen auseinander. Dabei kann die Lehre von der Tauschgerechtigkeit auf eine lange Tradition zurückblicken. Nach der von Aristoteles in der Nikomachischen Ethik entwickelten Lehre von der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa) sind Verträge dann gerecht, wenn der Anteil jedes Vertragspartners an den Gesamtressourcen der Gesellschaft durch den Vertragsschluss nicht beeinflusst wird.8 Das ist immer, beziehungsweise nur der Fall, wenn sich die auszutauschenden Leistungen im Wert entsprechen. Ansonsten vergrößert sich nämlich der Anteil des einen Teils an den Gesamtressourcen, während sich umgekehrt der Anteil des anderen Teils entsprechend verringert. Was das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden angeht, nimmt die Tauschgerechtigkeit auch heute noch eine zentrale Stellung ein.9 So bezeichnet etwa Larenz den Gedanken eines zumindest ungefähren Gleichgewichts zwischen 5
Vgl. zur Geschichte unten: § 5 Historischer Überblick, S. 16 ff. zwar in § 934 ABGB, vgl. dazu ausführlich unten: § 11 B. Laesio enormis, § 934 ABGB, S. 250 ff. 7 Vgl. auch Jung, der das Problem des angemessenen Preises als „Urproblem der Gerechtigkeitstheorien“ beschreibt, Jung, Das wucherähnliche Rechtsgeschäft, S. 31; ähnlich Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 40; Stocker, Wucher und Läsion, S. 8 ff. N. 17 ff.; van den Daele, Probleme des gegenseitigen Vertrages, S. 5 ff. 8 Ab: V 7. 1131 b 25 = Nikomachische Ethik (Gigon, Hrsg.), S. 161 ff. 9 So auch: Stocker, Wucher und Läsion, S. 8; Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 40; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 26; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 162; F. Bydlinski, Privatautonomie, S. 122 ff. u. 173 f.; ders., AcP 180 (1980), 1, 8; van den Daele, Proble6 Und
§ 1 Ausgangslage
3
Leistung und Gegenleistung als dem gegenseitigen Vertrag als Typus immanent, denn das Vertragsrecht werde von dem Gerechtigkeitsprinzip des ausgewogenen Verhältnisses mitbestimmt.10 Krückmann bezeichnete die Einhaltung der Grenzen der Äquivalenz als „Logik des gegenseitigen Vertrages“.11 Dieser Gedanke, dass sich bei einem Austauschgeschäft die Leistungen im Wert zumindest ungefähr zu entsprechen haben, ist beim Menschen tief verankert und auch und gerade der juristisch nicht Vorgebildete wird dies als gerecht bezeichnen, grobe Missverhältnisse dagegen als ungerecht.12 Dies zeigt sich auch daran, dass schon die Bibel sowohl im alten13 als auch im neuen Testament14 das Gebot enthält, dass beim Handel niemand den anderen übervorteilen dürfe. Die Ursache dafür, dass beim Tausch Äquivalenz mit Gerechtigkeit gleichgesetzt wird, ist nicht ohne Weiteres zu finden. Sie liegt wahrscheinlich darin, dass niemand ohne speziellen Grund bereit ist, für eine Leistung mehr herzugeben, als diese wert ist.15 Insofern wird der Wert, um den die eigene Leistung die Gegenleistung überschreitet, als ein für den anderen Teil ungerechtfertigter Vorteil angesehen. So sieht Wieacker den einzig gemeinschaftlichen Zweck, den die Parteien bei einem gegenseitigen Vertrag verfolgen, darin, dass „die eigene Leistung […] nur als Gegenopfer für eine materiell gleichwertige Gegenleistung“ eingesetzt wird.16 Grundsätzlich kann nicht erwartet werden, für eine Leistung mehr als den Verkehrswert als Gegenleistung zu erhalten. Dem entspricht es, wenn Larenz sagt, „dass jedem […] dabei klar [sei], dass auch der andere ‚auf seine Kosten kommen‘ will und dass er ihm daher etwas bieten muss, das dieser als einen hinreichenden Gegenwert betrachtet“.17 Dabei nimmt auch der deutsche Gesetzgeber an, dass die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung zur Grundlage eines Vertrages gehört.18 Dieser Gedanke kommt im heutigen BGB noch an einigen Stellen zum Ausdruck, wie etwa §§ 315 Abs. 1, Abs. 3, 612, 632 BGB, wenn das Gesetz normiert, dass für den Fall, dass keine Absprache über die Vergütung getroffen wurde, die übliche me des gegenseitigen Vertrages, S. 3 ff.; Jhering, Der Zweck im Recht I, S. 103; Krückmann, AcP 128 (1928), 157, 181 f. 10 Larenz, Richtiges Recht, S. 66 und S. 79. 11 Krückmann, AcP 128 (1928), 157, 181. 12 Ebenso: Stocker, Wucher und Läsion, S. 8 N. 17; Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, S. 11; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 55; Trusen in: FS Küchenhoff, 247, 247; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 162; Wieacker sieht darin eine „dauernde und sehr alte sozialethische Tradition“, in: FS Wilburg, 229, 249. 13 3. Buch Mose, Kap. 25, Vers 14–16. 14 1. Thessalonicher, Kap. 4, Vers 6. 15 Vgl. insofern auch den vom BGH zur Begründung der Vermutung einer verwerflichen Gesinnung i. R. v. § 138 Abs. 1 BGB herangezogenen Erfahrungssatz, der sich darauf stützt, „dass niemand besondere Zugeständnisse bei der Gegenleistung ohne Not oder sonstige ihn hemmende Umstände mache […]“, für Nachweise vgl. Kapitel 2 Fn. 23. 16 Wieacker in: FS Wilburg, 229, 249. 17 Larenz, Richtiges Recht, S. 66; so bereits: Krückmann, AcP 128 (1928), 157, 181. 18 Vgl. Gesetzesbegründung zu § 313 BGB, BT‑Drs. 14/6040, S. 174.
4
Einleitung
Vergütung als stillschweigend vereinbart gilt. Das Gesetz geht also davon aus, dass ein Vertrag im Normalfall aus zwei sich im Wert entsprechenden Leistungen besteht. Ebenso wird in der Literatur das Prinzip der Äquivalenz häufig als eines der Grundprinzipien des Privatrechts bezeichnet.19
B. Spannungsfeld zwischen Vertragsgerechtigkeit und Privatautonomie Eine feste Umgrenzung des Begriffs der Vertragsgerechtigkeit existiert dabei nicht, sie umfasst zahlreiche Formen, die sich teilweise überschneiden, teilweise auch widersprechen. Die gerade dargestellten, an den Inhalt anknüpfenden Vorstellungen darüber, wann ein Vertrag gerecht ist, werden mit dem Begriff der materiellen Vertragsgerechtigkeit beschrieben. Daneben gibt es aber auch noch die formale Vertragsgerechtigkeit, welche (verkürzt) darauf abstellt, ob die Parteien in freier, unbeeinflusster Selbstbestimmung den Vertrag schließen konnten, also das Verfahren, das zum Vertragsschluss führte, in den Blick nimmt, den daraus entstandenen Vertrag inhaltlich aber nicht weiter bewertet.20 Diese steht in engem Zusammenhang mit der Privatautonomie. Ein Vertrag ist danach gerecht (oder richtig), wenn er bei freier Selbstbestimmung beider Parteien geschlossen wurde.21 Die Entscheidung darüber, wann in einen Vertrag aufgrund einer Äquivalenzstörung eingegriffen werden darf, bewegt sich immer zwischen diesen beiden Polen. Dabei besteht Einigkeit darüber, dass weder der Gedanke der Äquivalenz noch der Privatautonomie absolut gesetzt werden darf und auch nicht kann. So ist heute allgemein anerkannt, dass für eine gerechte Lösung nicht allein der Maßstab der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung gelten kann.22 Genauso wenig wird jedoch von einer unbegrenzten Vertragsfreiheit ausgegangen, da dies letztlich dazu führt, dass sich die Vertragsfreiheit selbst aufhebt.23 Die Problematik ist zu komplex, um allein an eines der beiden Kriterien anzuknüpfen. Grundsätzlich wird aber von einem Vorrang der Privatautonomie ausgegangen und Eingriffe in eine privatautonom getroffene Regelung bedürfen einer besonderen Rechtfertigung, sodass heutzutage letztlich ein formaler Gerechtigkeitsbegriff im Vordergrund steht.24 So sind in der deutschen und auch den üb19 Vgl. insb. F. Bydlinski, Privatautonomie, S. 122 ff. u. 173 f.; ders., AcP 180 (1980), 1, 8; ihm folgend etwa: Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 478. 20 Vgl. etwa Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 118 ff.; Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 233 ff.; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 25 f. u. 33 ff. 21 Flume in: FS DJT (1960), 135, 142 f.; Weller, Vertragstreue, S. 283. 22 Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 478; F. Bydlinski, Privatautonomie, S. 124 f. u. 173 ff.; Busz, Die Äquivalenz im freifinanzierten Wohnraummietrecht, S. 60 ff. 23 Vgl. Nachweise in Kapitel 1 Fn. 92. 24 Ebenso: Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 25 f.; Fastrich,
§ 1 Ausgangslage
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rigen europäischen Rechtsordnungen Äquivalenzstörungen grundsätzlich nur in Ausnahmefällen beachtlich, denn die freie Vereinbarung des Preises wird als zentraler Bereich der Privatautonomie angesehen.25 Zudem ist man sich spätestens seit den Arbeiten der Naturrechtler auch in der Rechtswissenschaft bewusst, dass es einen wahren, im Sinne von allein objektiv bestehenden Wert einer Sache oder Leistung gar nicht gibt.26 Bereits aus diesem Umstand folgt, dass nicht schon kleinste Äquivalenzstörungen rechtlich beachtlich seien können, da sonst die Rechtssicherheit nicht mehr zu gewährleisten wäre. Genauso ist es auch gesellschaftlich und ökonomisch zweckwidrig, Äquivalenzstörungen völlig beseitigen zu wollen.27 Dies würde nämlich insbesondere dazu führen, dass ein etwaiger Wissens- oder Informationsvorsprung nicht mehr adäquat verwertet werden könnte, sobald dadurch ein großes Missverhältnis eintritt. Wenn in diesem Fall der Vertrag in seiner konkreten Form unzulässig ist, wird der Ersatz von Kosten für die Produktion von Informationen verhindert.28 Dies kann wiederum den Anreiz zur Gewinnung wertvoller Informationen vermindern, die zu einer Steigerung der sozialen Wohlfahrt notwendig sind, da solche Kosten nicht mehr aufgewandt werden.29 Nur bei ganz erheblichen Störungen des Äquivalenzverhältnisses und meist unter jedenfalls einer zusätzlichen Voraussetzung wird deshalb ein Eingriff in den Vertrag für gerechtfertigt gehalten. Häufig treffen Äquivalenzstörungen dabei mit der Ausbeutung einer Schwäche des anderen Vertragsteils zusammen, genannt Wucher. Zwar gilt als Kehrseite der Vertragsfreiheit der Grundsatz der Vertragsbindung (pacta sunt servanda).30 Da die Privatautonomie aber nicht grenzenlos gewährt wird,31 kann aufgrund der Vertragsgerechtigkeit ein Eingriff notwendig werden. Im Bereich von Äquivalenzstörungen wird der Aspekt des gerechten Preises (iustum pretium) als Ausschnitt der Vertragsgerechtigkeit relevant. Aufgabe der Tatbestandsseite ist es daher, einen Ausgleich zwischen den Grundsätzen der Privatautonomie und der (materiellen) Vertragsgerechtigkeit zu finden. In den letzten Richterliche Inhaltskontrolle, S. 43.; ähnlich Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 22 ff.; dass diese Gerechtigkeitskonzeption auch dem Unionsprivatrecht zugrundeliegt: Lüttringhaus, Vertragsfreiheit und ihre Materialisierung im Europäischen Binnenmarkt, S. 576 ff. 25 Vgl. Nachweise in Einleitung Fn. 2. 26 F. Bydlinski, Privatautonomie, S. 151 f.; M. Köhler in: FS Köndgen, 353, 356; Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit, S. 142 f. 27 Vgl. für eine ökonomische Analyse: Grechenig, JfR 2006, 14 ff. 28 Grechenig, JfR 2006, 14, 14; ähnlich Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht, S. 21 f.; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG‑Vertrages, S. 399. 29 Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 148; Grechenig, JfR 2006, 14, 14. 30 Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 5; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 1 ff.; Bruns, JZ 2007, 385, 386; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 140; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 13; MüKoBGB/Schubert, 8. Aufl., § 242 Rn. 527; Weller, Vertragstreue, S. 37 f. u. 184; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., Vorb. § 145 Rn. 8; Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 50 ff.; Möllers, ERCL 2018, 101, 114. 31 Vgl. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 80.
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Einleitung
Jahrzehnten schlägt das Pendel wieder eher in die Richtung der Vertragsgerechtigkeit, nachdem man vor allem gegen Ende der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland und auch den meisten anderen europäischen Staaten davon ausging, auf Inhalts- und Äquivalenzkontrolle von Verträgen weitgehend verzichten zu können32. Dies geht soweit, dass teilweise schon – etwas übertrieben – über das Ende der Privatautonomie diskutiert wird.33
C. Ziel der Arbeit Eine gerechte Lösung beschränkt sich aber nicht nur auf die häufig ins Auge gefasste Tatbestandsseite, auch die jeweiligen Rechtsfolgen müssen sich am Maßstab der Gerechtigkeit messen lassen. Während sich auf Tatbestandsseite die Frage stellt, inwieweit man ein Missverhältnis folgenlos akzeptieren will, lautet auf Rechtsfolgenseite die Frage, wie mit einer als unzulässig angesehenen Äquivalenzstörung umzugehen ist. Dafür gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten: Ein entsprechender Vertrag kann von vornherein unwirksam sein. Er kann aber zunächst auch wirksam sein, jedoch (vom Benachteiligten) vernichtbar. Ebenso kommt eine Anpassung des Vertrages in Betracht. Dabei kann die Frage, was mit einem Vertrag, der unter einer Äquivalenzstörung leidet, auf Rechtsfolgenseite geschieht, genauso wichtig sein wie die Festlegung der Eingriffsschwelle. Denn hierbei muss ebenfalls vielfältigen, sich teils widersprechenden Parteiinteressen Rechnung getragen werden.34 Um genau diese Problematik, den Umgang mit Äquivalenzstörungen auf Rechtsfolgenseite, geht es in dieser Arbeit. Dabei sind auch auf Rechtsfolgenseite ähnliche Gesichtspunkte wie auf Tatbestandsebene, also insbesondere die Vertragsgerechtigkeit und Privatautonomie, zu beachten und zu gewichten.35 Auf die mindestens genauso spannende Frage nach der Eingriffsschwelle auf Tatbestandsseite soll in dieser Arbeit hingegen nicht eingegangen werden. Völlig ausschließen lässt sie sich jedoch nicht, denn jede Rechtsfolge steht in einer Wechselbeziehung zum jeweiligen Tatbestand.36 Rechtsfolgen dienen nämlich dazu, den auf Tatbestandsseite beschriebenen Sachverhalt und Konflikt einer sinnvollen und gerechten Lösung zuzuführen. Gerade wenn daher eine besondere Verknüpfung zwischen Rechtsfolge und Tatbestand besteht, kann auf eine jedenfalls kurze Darstellung der Tatbestandsseite nicht verzichtet werden. 32
Vgl. dazu unten § 5 D. Das 19. Jahrhundert und die Entstehung des BGB, S. 26 ff. etwa: Medicus, Abschied von der Privatautonomie?; Majer, Das Ende der Privatautonomie, JR 2015, 107; Koppenfels, Das Ende der Vertragsfreiheit, WM 2002, 1489; Baer, „Ende der Privatautonomie“ oder grundrechtlich fundierte Rechtssetzung, ZRP 2002, 290. 34 Vgl. dazu unten: § 6 Interessenlage, S. 33 ff. 35 Vgl. dazu auch sogleich: § 4 B. Probleme bei der Entwicklung einer angemessenen Regelung, S. 14 ff. 36 Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 3 N. 6; Lüke/Zawar, JuS 1970, 205, 205. 33 So
§ 2 Methodik
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Der Grund für die Beschäftigung mit dieser Thematik liegt darin, dass insbesondere die Rechtsfolgen des Wuchertatbestands und des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts im deutschen Recht zu Problemen führen.37 Die Totalnichtigkeit ipso iure, wie sie in Deutschland seit Inkrafttreten des BGB auf diese Fälle angewandt wird, sorgt nicht nur dafür, dass Deutschland mit diesem Ansatz in Europa weitgehend isoliert dasteht,38 sondern auch für zahlreiche (praktische) Probleme. Nicht nur führt sie zu einer im Detail komplizierten und umfangreichen Rückabwicklung.39 Sie widerspricht auch regelmäßig den Interessen der benachteiligten Partei.40 Außerdem hat die Rechtsprechung zu verschiedenen Vertragstypen Ausnahmen vom Grundsatz der zwingenden Gesamtnichtigkeit zugelassen, die sich weder dogmatisch noch wertungsmäßig überzeugend erklären lassen und zu widersprüchlichen Ergebnissen führen.41 Ziel dieser Arbeit ist es daher, auch und gerade mit Blick auf das ausländische Recht, eine alternative Lösung für den Umgang mit Äquivalenzstörungen auf Rechtsfolgenseite zu entwickeln und zu überprüfen, ob sich die gefundene Lösung in das geltende deutsche Recht integrieren lässt. Die Suche nach passenderen Rechtsfolgen besitzt nicht zuletzt deshalb Relevanz, weil der BGH in den letzten Jahrzehnten die Äquivalenzkontrolle auf der Tatbestandsseite verschärft hat, indem er deren Voraussetzungen sukzessive abgesenkt hat, ohne aber gleichzeitig Korrekturen auf der Seite der Rechtsfolgen vorzunehmen. Es findet deshalb heute in viel größerem Ausmaß eine inhaltliche Kontrolle des Wertes von Leistung und Gegenleistung statt, als der Gesetzgeber es bei Schaffung des BGB intendiert hatte.42 Das hat zur Konsequenz, dass auch die Rechtsfolge der zwingenden Gesamtnichtigkeit in weitaus mehr Fällen Anwendung findet, als wohl zunächst vom Gesetzgeber angenommen. Umso stärker stellt sich daher die Frage, inwiefern die bisher angewandten Rechtsfolgen noch überzeugen können.
§ 2 Methodik A. Begriff der Äquivalenzstörung Der Begriff der Äquivalenzstörung erfasst im weitesten Sinn jedes wertmäßige Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung. Man kann bei Äquivalenzstörungen sowohl hinsichtlich ihrer Ursache als auch dem Zeitpunkt 37
Vgl. dazu unten: § 9 Probleme der deutschen Rechtslage, S. 157 ff. Vgl. dazu unten: Kapitel 3: Rechtsvergleich, S. 215 ff. Vgl. unten: § 7 Wucher und wucherähnliches Rechtsgeschäft, S. 47 ff. 40 Vgl. unten: § 6 Interessenlage, S. 33 ff. 41 Vgl. dazu unten: § 9 C. III. Unterschiedliche Behandlung verschiedener Wucherarten, S. 198 ff. 42 Vgl. dazu unten: § 5 D. Das 19. Jahrhundert und die Entstehung des BGB, S. 26 ff. 38 39
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Einleitung
ihres Auftretens differenzieren. So lassen sich zum einen freiwillige und unfreiwillige, zum anderen anfängliche und nachträgliche Äquivalenzstörungen unterscheiden. Diese Arbeit behandelt allein die anfänglichen, unfreiwilligen Äquivalenzstörungen. In diesem Sinn ist der Begriff der Äquivalenzstörung deshalb im Folgenden zu verstehen. Wenn sich jemand bewusst und bei voller Entscheidungsfreiheit bereit erklärt, eine Leistung unter ihrem Wert zu erbringen, ist dies nämlich ohnehin rechtlich in der Regel ohne Weiteres zulässig. Diese Freiheit gewährt ihm die Privatautonomie.43 In diesen Konstellationen bereitet die Rechtsfolgenseite daher keine größeren Probleme. Entsprechende Verträge sind wirksam und führen die von den Parteien vereinbarten Rechtsfolgen herbei. Anders ist dies bei unfreiwilligen Äquivalenzstörungen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie gerade nicht in bewusster und freier Entscheidung vom Betroffenen akzeptiert wurden. Anfängliche unfreiwillige Äquivalenzstörungen resultieren dabei typischerweise aus einem Machtungleichgewicht zwischen den Parteien, dem Ausnutzen einer Schwächelage oder Irrtümern und Fehleinschätzungen der benachteiligten Partei. Weil hier die benachteiligte Partei beziehungsweise ihre Zustimmung zum Vertrag im weiteren Sinne an einem „Defekt“ leidet, stellt sich die Frage, wie das Recht darauf zu reagieren hat. Wie bereits eingangs erwähnt, existieren in den europäischen Rechtsordnungen im Wesentlichen zwei Grundkonzeptionen, bei denen anfängliche, unfreiwillige Äquivalenzstörungen für rechtlich unzulässig gehalten werden: der Wucher, der neben dem Missverhältnis das Ausnutzen einer Schwächelage des Benachteiligten erfordert, und die Läsion, bei der allein an das Vorliegen eines objektiven Missverhältnisses angeknüpft wird. Beide unterscheiden sich bezüglich des erforderlichen Missverhältnisses insofern, als dass dieses bei der Läsion grundsätzlich besonders schwer sein muss. Typischerweise muss die Gegenleistung mindestens doppelt so viel wert sein wie die vom Benachteiligten erbrachte Leistung. Beim Wucher hingegen reichen regelmäßig schon deutlich geringere Missverhältnisse aus. Dies wird dadurch kompensiert, dass zusätzlich die Ausnutzung einer Schwächelage erforderlich ist. Abzugrenzen ist der Untersuchungsgegenstand zum Gewährleistungsrecht, bei dem die erbrachte Leistung hinter der vertraglich vereinbarten zurückbleibt und dadurch ebenfalls ein Wertungleichgewicht auftreten kann. Auch wenn dies im weiteren Sinn eine Äquivalenzstörung bewirkt, werden unter dem Begriff der Äquivalenzstörung klassischerweise – und auch hier – nur die Fälle verstanden, in denen das Missverhältnis zwischen den Leistungen bereits in ihrer vertraglich vereinbarten Form vorliegt. Mangelbedingte Äquivalenzstörungen sind allein über das Gewährleistungsrecht zu lösen. Ebenso wer43 Diese umfasst nämlich insbesondere auch die Freiheit, aus wirtschaftlicher Sicht unvorteilhafte oder sogar unvernünftige Verträge zu schließen, vgl. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 203.
§ 2 Methodik
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den nachträgliche Äquivalenzstörungen – also solche, die erst nach Vertragsschluss entstehen – vorliegend nicht behandelt. Diese entstehen meist durch eine unvorhergesehene Veränderung der äußeren Umstände, wie in Fällen eines erheblichen Währungsverfalles,44 des Ausbruchs eines Krieges oder bei Umweltkatastrophen. Sie werden über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gelöst.45
B. Der notwendige Vergleichsmaßstab Zur Bestimmung, ob eine Äquivalenzstörung vorliegt, ist ein Vergleichsmaßstab notwendig. Nur so kann festgestellt werden, dass eine Leistung unter ihrem Wert erbracht wurde, denn der Wert einer Leistung haftet dieser nicht unmittelbar an, sondern lässt sich nur durch Heranziehung vergleichbarer Leistungen bestimmen. Als Vergleichsmaßstab wird dabei allgemein der Verkehrswert der Leistungen herangezogen, womit der Marktpreis gemeint ist.46 Dieser spiegelt wider, was andere Marktteilnehmer, die frei entschieden haben, als Gegenleistung vereinbart haben47 und richtet sich in seiner Höhe nach der Größe des Angebots und der Stärke der Nachfrage48. Er lässt sich also nicht absolut bestimmen, sondern ändert sich stetig, je nach der konkreten Situation am Markt. So führt eine Verknappung des Angebotes, und spiegelbildlich ein Anstieg der Nachfrage, allgemein zu steigenden Preisen und damit auch zu einer Erhöhung des Marktpreises. Das allein ist weder verwerflich noch problematisch, weil der dem steigenden Preis zugrundeliegende Wechsel der Marktsituation für alle Beteiligten sowohl Chancen als auch Risiken mit sich bringt.49 Sofern der Markt also funktioniert und Verträge zu Preisen geschlossen werden, die dem Marktpreis jedenfalls nicht extrem zuwiderlaufen, sind diese nicht zu beanstanden.
C. Untersuchungsobjekt Die Rechtsfolgen von Äquivalenzstörungen sollen primär anhand des Grundstückskaufvertrages dargestellt werden. Dieser bildet nämlich neben dem Kreditvertrag das Hauptgebiet auf dem Äquivalenzstörungen problematisiert wer44 Vgl. etwa BGH NJW 1989, 289 (ablehnend); BGH NJW 1984, 2212 (stattgebend). 45 Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 313 Rn. 16; BeckOK BGB/Lorenz, 53. Ed. 01.02.2020,
§ 313 Rn. 23; vgl. insofern auch die Gesetzesbegründung zu § 313 BGB: BT‑Drs. 14/6040, S. 174. 46 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 7 u. Kapitel 3 Fn. 389. 47 Naumann, Sittenverstoß und Privatautonomie, S. 27; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 288; M. Köhler in: FS Köndgen, 353, 367. 48 Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 76 ff.; vgl. auch: Larenz, Richtiges Recht, S. 71; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 211. 49 So zu Recht: Larenz, Richtiges Recht, S. 71.
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den und auch praktisch tatsächlich öfter auftreten.50 Beiden Fällen ist gemein, dass massive Äquivalenzstörungen existenzgefährdend für die benachteiligte Partei sein können. Grundstücke bilden bei den meisten Personen den wesentlichen Teil ihres Vermögens. Daher sind Äquivalenzstörungen bei Grundstücksveräußerungen besonders gefährlich, weil sie potentiell ruinös sind, zumindest aber die ökonomische Bewegungsfreiheit lebenslang einschränken (können). Aus diesem Grund sind die Grundstückskaufverträge auch einer der Bereiche, in denen deutsche Gerichte eine relativ ausgeprägte Äquivalenzkontrolle von Verträgen vornehmen. Zudem stellt der Kaufvertrag den Prototyp des Austauschvertrages dar und ist schon deshalb als Untersuchungsgegenstand besonders geeignet.
§ 3 Gang der Darstellung Die Darstellung beginnt mit einem Überblick – losgelöst von jedweder konkreten Rechtsordnung, den Blick nur auf die Regelungsproblematik beschränkt – über die theoretisch bestehenden Lösungsansätze inklusive der dabei bestehenden Problematik (§ 4), gefolgt von einem historischen Überblick (§ 5) und einer Analyse der Interessen der beteiligten Personen und der Allgemeinheit (§ 6). Es wird dann eine Bestandsaufnahme der Rechtslage in Deutschland (§ 7 und § 8) durchgeführt, woran sich eine kritische Analyse des deutschen Rechts anschließt (§ 9). Hierbei sollen die unterschiedlichen Interessenlagen der Beteiligten herausgearbeitet werden sowie systematische Defizite wie insbesondere die widersprüchliche Behandlung der verschiedenen Wucherarten aufgedeckt werden. Danach folgt der Blick über die Grenzen hinaus, um zu untersuchen, wie andere Länder mit dieser Problematik umgehen (§ 10 ff.). Dabei werden zum einen die Vorschläge zur europäischen Rechtsvereinheitlichung, die PECL, der DCFR und das CESL, und zum anderen das österreichische Recht im Fokus stehen. Dieses enthält trotz ähnlicher Strukturen wie das BGB für den hier interessierenden Untersuchungsgegenstand andere und überraschende Lösungen parat. Vor allem aber enthält es mit der laesio enormis die umfassenste Regelung zur Erfassung anfänglicher Äquivalenzstörungen im heutigen europäischen Recht. Zudem werden weitere europäische Rechtsordnungen überblicksartig dargestellt. Interessant sind dabei vor allem die Schweiz, Polen und auch Frankreich. Letzteres nicht nur wegen seiner politischen Bedeutung, sondern vor allem deshalb, weil das französische Recht durch den Code Napoleon als Vorbild für zahlreiche andere Rechtsordnungen diente. Außerdem enthält es eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für Äquivalenzstörungen bei Grund50 Die dritte große Gruppe, die auch praktisch und theoretisch häufiger vorkommt, bilden die Fälle des Lohnwuchers, vgl. dazu unten: § 9 C. III. 1. c) Lohnwucher, S. 201 f.
§ 3 Gang der Darstellung
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stückskaufverträgen. Auf der Grundlage der so gewonnenen historischen und rechtsvergleichenden Erkenntnisse soll – zunächst unabhängig von einer konkreten Rechtsordnung – nach einer möglichst interessengerechten Lösung gesucht werden (§ 13). In einem letzten Schritt wird danach gefragt, ob und wie sich die gefundene Lösung in das bestehende deutsche Rechtssystem einfügen lässt, wobei dabei auch die bereits bestehenden Korrekturvorschläge aus Rechtsprechung und Literatur betrachtet und einer kritischen Würdigung unterzogen werden (§ 14 f.).
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Problematik und Historie § 4 Mögliche Regelungsansätze und deren Probleme Bevor im weiteren Verlauf der Arbeit auf konkrete Regelungen im Detail eingegangen wird, sollen an dieser Stelle zunächst in groben Zügen die grundsätzlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erläutert werden, wie einer von Rechts wegen nicht mehr zulässigen Äquivalenzstörung auf Rechtsfolgenseite begegnet werden kann.
A. Herangehensweise Ziel jeder möglichen Lösung ist es, die als unzulässig angesehene Äquivalenzstörung zu beheben. Die hierzu existierenden Möglichkeiten sind im Detail mannigfaltig, lassen sich jedoch im Kern auf zwei verschiedene Ansätze beschränken: Die Rückabwicklung des Vertrages und damit die Herstellung der Vermögensverhältnisse vor Vertragsschluss oder die Aufrechterhaltung bei gleichzeitiger Anpassung des Vertrages. Auf beiden Wegen lässt sich die Äquivalenzstörung beseitigen und der materiellen Gerechtigkeit wird Genüge getan. Dennoch erzeugt nicht jede Lösung gleichermaßen befriedigende Ergebnisse und jede Lösung führt auch rein tatsächlich zu völlig unterschiedlichen Situationen. Einmal kommt es zur Rückgängigmachung des Leistungsaustausches, das andere Mal bleibt der Leistungsaustausch bestehen. Für die Beteiligten macht dies oft einen entscheidenden Unterschied.1 Im Anschluss an diese erste große Weichenstellung stellen sich bei beiden Varianten zahlreiche Folgefragen. Soweit man sich dafür entscheidet, den Vertrag anzupassen und damit die nicht mehr erträgliche Äquivalenzstörung zu beheben, stellt sich auf zweiter Stufe die Frage, auf welches Maß die Anpassung vorgenommen werden soll. Hierzu bieten sich erneut mehrere Möglichkeiten an, wobei sich die Diskussion klassischerweise auf folgende zwei konzentriert: In einem Fall wird die unzulässig überhöhte Leistung auf das gerade noch zulässige Maß, also das bevor es die Schwelle zum Eingriff überschreitet, reduziert. Im anderen Fall erfolgt die Anpassung auf den Marktpreis, also das übliche Entgelt. Während also bei der Rückabwicklung stets die völlige Aus1
Vgl. dazu unten: § 6 Interessenlage, S. 33 ff.
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Kapitel 1: Problematik und Historie
geglichenheit wieder hergestellt wird, ist dies bei der Anpassung nicht zwangsläufig der Fall. Hier behält unter Umständen die begünstigte Partei ihren Vorteil teilweise, sofern die Anpassung nicht auf den Marktpreis erfolgt. Bei der Rückabwicklung stellt sich die Frage, ob diese zwingend – durch die ipso iure-Nichtigkeit des Vertrages – eintreten soll oder erst durch Erklärung einer der Vertragsparteien und weiter, ob beide Parteien oder nur die benachteiligte Partei die Rückabwicklung verlangen kann. Schließlich muss auch die Reichweite der Nichtigkeit geklärt werden. Gemeint ist damit die Unterscheidung zwischen Gesamt- und Teilnichtigkeit, wobei letztere streng genommen in die Kategorie der Vertragsanpassung fällt, da der Vertrag als solcher dabei bestehen bleibt, nur mit anderem – nämlich angepassten – Inhalt. Sofern man sich für die Nichtigkeit und Rückabwicklung entscheidet, ist speziell im deutschen Recht eine Auseinandersetzung mit § 817 S. 2 BGB nötig, der unter Umständen einer Rückforderung der Leistung des Begünstigten entgegenstehen kann.2 Ähnliche Fragen stellen sich auch bei der Vertragsanpassung. Auch diese kann automatisch kraft Gesetzes eintreten oder der Benachteiligte hat einen Anspruch auf Anpassung. Ebenso gibt es die Variante, dass der Begünstigte die Möglichkeit hat, mittels Nachzahlung eine ansonsten eintretende Nichtigkeit zu verhindern. So verhält es sich klassischerweise bei den Läsionstatbeständen. Dort ist es der Begünstigte, der über die Anpassung entscheidet.
B. Probleme bei der Entwicklung einer angemessenen Regelung Bevor die Schwierigkeiten bei der Bestimmung einer konkreten Rechtsfolge im Verlauf der Arbeit ausführlich thematisiert werden, soll hier bereits ein kurzer Überblick über die zu beachtenden Gesichtspunkte und Probleme gegeben werden, um bei der Darstellung der Rechtsfolgen für die verschiedenen Punkte sensibilisiert zu sein. Dass sich die Suche nach einer gelungenen Lösung so schwierig gestaltet, liegt zum einen daran, dass sowohl die zwingende Nichtigkeit oder Anfechtung, als deren Folge jeweils der Vertrag rückabgewickelt wird, als auch die Vertragsanpassung Nachteile aufweisen. Zum anderen stehen sich verschiedene, oft entgegengesetzte Interessen gegenüber, die schwer in Einklang zu bringen sind. Beide Lösungen beinhalten zunächst einen nicht unerheblichen Eingriff in die Privatautonomie, wenn auch gemeinhin dieser Punkt nur bei der Thematik der Vertragsanpassung problematisiert wird.3 Entscheidet man sich für eine Vertragsanpassung als Lösung – wie auch immer sie im Einzelnen aussehen 2 Vgl. dazu unten: § 7 E. I. 3. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 70 f. und § 9 C. II. Rolle des § 817 S. 2 BGB, S. 194 ff. sowie C. III. 2. c) bb) Widersprüche in der Anwendung von § 817 S. 2 BGB auf wucherische Verträge, S. 209 f. 3 Vgl. dazu unten: § 13 C. II. Privatautonomie und Bedenken bezüglich richterlicher Moderation, S. 328 ff.
§ 4 Mögliche Regelungsansätze und deren Probleme
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mag – so wird den Parteien ein Vertrag auferlegt, den sie so nicht geschlossen haben, der also nicht von ihrer Einigung und ihrem geäußerten Willen gedeckt ist.4 Problematisch ist dies weniger für den Benachteiligten. Dieser wird mit einem Vertrag zu für ihn günstigeren Bedingungen in aller Regel einverstanden sein, denn er profitiert von der Anpassung – auch wenn der Hinweis, dass niemand sich etwas gegen seinen Willen aufdrängen lassen muss5, natürlich richtig ist. Theoretisch oder auch praktisch, wenn sich das Geschäft nachträglich als schlechtes herausstellt, bliebe natürlich auch der Wille, sich vom Vertrag zu lösen. Dies scheint aber auf ein Reuerecht des Benachteiligten hinauszulaufen, was nicht akzeptiert werden darf. Anders stellt sich die Lage mit Blick auf den Begünstigten dar, denn dieser hätte den Vertrag zu angepassten Konditionen vielleicht überhaupt nicht geschlossen. Für ihn bedeutet die Anpassung im Vergleich zum tatsächlichen Vertrag nämlich keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung seiner Situation. Durch die Anpassung wird ihm ein Vertrag aufgedrängt, den er unter Umständen gar nicht will und zu dessen Bedingungen er von vornherein Abstand vom Vertragsschluss genommen hätte. Denn vielleicht wollte er nur zum überhöhten Preis abschließen. Dann stellt sich die Frage nach der Beachtlichkeit eines solchen Willens.6 Zudem hat der Benachteiligte grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass der Vertrag zu angemessenen Bedingungen geschlossen wird.7 Wählt man stattdessen die komplette Nichtigkeit, so bleibt vom Parteiwillen gar nichts mehr übrig. Anders als bei der Anpassung findet er nicht einmal zumindest teilweise Beachtung. Das heißt jedoch nicht, dass diese Lösung, wie es zunächst scheint, automatisch einen schwereren Eingriff in die Privatautonomie darstellt. Sie kann eher dem Willen des Begünstigten entsprechen, weil er so die Chance hat, seine Leistung erneut anzubieten und dieses Mal zu einem zwar über dem üblichen, aber gerade noch nicht unangemessen hohen Preis. Genauso hat er die Möglichkeit, stattdessen ganz vom Vertragsschluss Abstand zu nehmen. Dem Willen des Benachteiligten entspricht die Nichtigkeit gewöhnlich nicht. Indem er dem Vertrag selbst zu wucherischen Bedingungen zustimmt, bringt er nämlich zum Ausdruck, dass er an der Leistung ein besonders großes Interesse hat.8 Für ihn stellt die zwingende Nichtigkeit daher in der Regel den schwereren Eingriff dar. Das spricht dafür, die Frage der Wirksamkeit des Vertrages in seine Hand zu legen. 4 A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 25. 5 Vgl. A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 25. 6 Dazu unten: § 14 B. V. 3. Inhaltliche Kritik, S. 399 ff. 7 St. Rspr. vgl. etwa BGH, Urt. v. 05.06.2012, XI ZR
149/11, Rn. 22 = BeckRS 2012, 15374; BGH NJW‑RR 2011, 270, 272; NJW 2004, 1732, 1734; NJW 2003, 1811, 1812, jeweils m. w. N.; A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 51. 8 Vgl. ausführlich zu dieser Problematik unten: § 6 A. I. Das primäre Interesse, S. 34 ff. und § 6 B. I. Interesse am Behaltendürfen des Kaufpreises, S. 42 f.
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Kapitel 1: Problematik und Historie
Gleichzeitig ist die Privatautonomie nicht der einzige Gesichtspunkt, der Berücksichtigung finden muss. Wie bereits angeklungen, spielt vor allem die (materielle) Vertragsgerechtigkeit bei der Thematik der Äquivalenzstörungen eine große Rolle, ist sie es doch, deretwegen Äquivalenzstörungen überhaupt als problematisch und unter bestimmten Voraussetzungen als unzulässig angesehen werden. Die materielle Vertragsgerechtigkeit spricht eher für eine Vertragsanpassung und ist damit der Privatautonomie in diesem Punkt diametral entgegengesetzt. Je nach Blickwinkel und verfolgtem Ziel liegt die eine oder andere Lösung näher. Dabei sind es vor allem die Gesichtspunkte der Prävention, der materiellen Gerechtigkeit und der Privatautonomie, aber auch der Rechtssicherheit, die im Fokus stehen und, da sie sich teilweise widersprechen, in Einklang miteinander gebracht werden müssen. Angesichts der Vielzahl an zu berücksichtigenden Faktoren verwundert es nicht, dass in den verschiedenen Rechtsordnungen so gut wie jede Regelung jedenfalls im Detail unterschiedlich ist. Man muss bei der Frage nach der passenden Rechtsfolge schließlich berücksichtigen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zum Tatbestand steht. Dabei gilt es zu beachten, dass Äquivalenzstörungen ganz unterschiedliche Ursachen haben können. Diese können in der Ausnutzung einer Partei durch die andere liegen, in einer Fehlvorstellung über den Wert durch eine Partei oder durch beide Parteien. Nicht immer müssen die Rechtsfolgen dann die gleichen sein. Im Gegenteil spricht Einiges dafür, dass sich diese dann ebenso unterscheiden. Schon eine kurze Betrachtung des Problems macht deutlich, wie schwer es ist, eine gelungene Lösung zu finden. Besonders weil sich die Interessen des Benachteiligten und Begünstigten in der Regel widersprechen und der erforderliche Ausgleich sich im Spannungsfeld zwischen Privatautonomie und (materieller) Vertragsgerechtigkeit bewegt.
§ 5 Historischer Überblick Bevor sich der heutigen Rechtslage in Deutschland gewidmet wird, soll zunächst ein Überblick über die historische Entwicklung im Bereich der Äquivalenzstörungen unter Berücksichtigung der wichtigsten Regelungen erfolgen. Dass sich die verschiedenen Rechtsfolgen im Detail im Laufe der Zeit teils sehr unterschieden, versteht sich von selbst. Dennoch herrschte über lange Zeit, was die grundsätzlichen Richtungsentscheidungen angeht, eine verblüffende Einigkeit. Diese betrifft vor allem die Frage nach der Berechtigung richterlicher Eingriffe in den Vertrag, die erst mit dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts einen bis heute fortwirkenden Wandel erfuhr. Letztlich gilt aber wie auch für den Umgang von Äquivalenzstörungen auf Tatbestandsseite, dass die Frage nach der
§ 5 Historischer Überblick
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richtigen Behandlung auf Rechtsfolgenseite stark von den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und moralischen Vorstellungen der jeweiligen Zeit abhängig ist und insofern den konkreten Rechtsfolgen ein gewisser Wandel immanent ist.
A. Ursprung I. Römisches Recht Wohl schon immer beschäftigte die Menschen das Problem der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung und die Frage des Umgangs mit unangemessenen Verträgen. Auch wenn sie nicht die erste Regelung zu Äquivalenzstörungen war,9 soll hier als Ausgangspunkt die berühmt gewordene laesio enormis10 aus der römischen Kaiserzeit dienen, die mutmaßlich auf zwei Konstitutionen des römischen Kaisers Diokletian aus den Jahren 285 (C 4.44.2) und 293 n. Chr. (C 4.44.8) zurückgeht.11 Das römische Recht prägte nämlich über Jahrhunderte und bis heute noch das europäische Recht in großem Maße. Erwähnung finden diese beiden berühmt gewordenen Konstitutionen erstmals im Codex Iustinianus des oströmischen Kaisers Justinian aus dem Jahr 534, der die wichtigsten Kaisergesetze mit dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung im (ost-)römischen Reich zusammenfasste.
1. Laesio enormis Nach den beiden Konstitutionen Diokletians war es dem Verkäufer eines Grundstücks erlaubt, sich vom Kaufvertrag zu lösen, wenn der Kaufpreis weniger als die Hälfte des wahren Grundstückswertes ( pretium verum) betrug. Gleichzeitig gewährten sie aber dem Käufer das Recht, durch Zahlung der zum wahren Wert fehlenden Differenz die Vertragsauflösung zu verhindern. Tat er dies nicht, so kam es zur Rückabwicklung des Vertrags. Der Käufer hatte das Grundstück herauszugeben und erhielt im Gegenzug vom Verkäufer den gezahlten Kaufpreis zurück. Ein subjektiver Tatbestand im Sinne einer Ausbeutungsabsicht 9
Die älteste heute bekannte Regelung findet sich in der Mischna, vgl. Forster, RIDA 2017, 21, 24. Dazu sogleich unter: II. Jüdisches Recht, S. 21. 10 Der Begriff laesio enormis stammt jedoch nicht aus der Antike, sondern aus dem Mittelalter. Geprägt wurde er wohl vom Glossator Hugolinus um 1216, vgl. Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 10; Hackl, ZGR RA 98 (1981), 147, 147; Finkenauer in: Handbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. 2, 998, 998. Da er sich gemeinhin als Begriff für schwere objektive Äquivalenzstörungen entwickelt hat, soll er aber auch für die Ausführungen zum antiken Recht schon verwendet werden. 11 Ob diese beiden Konstitutionen tatsächlich von Kaiser Diokletian stammen oder nachträglich interpoliert wurden, wie es insbesondere um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert vertreten worden ist, soll hier nicht weiter thematisiert werden. Heute geht man vermehrt wieder von der Echtheit der Reskripte aus. Vgl. zu dieser Diskussion u. a.: Forster, Ona’ah und laesio enormis, S. 183 ff.; Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 11 ff. m. w. N. und Hackl, ZGR RA 98 (1981), 147, 149 ff.
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Kapitel 1: Problematik und Historie
lässt sich als Voraussetzung nicht belegen und war nach heutiger Auffassung wohl nicht erforderlich.12 Diese Regelung stand im Widerspruch zum klassischen römischen Recht. Dort gab es keine vergleichbare Regelung, vielmehr konnte die Höhe des Preises von den Parteien frei ausgehandelt werden und es war erlaubt, sich gegenseitig zu übervorteilen (invicem se circumscribere).13 Deshalb kannte das klassische römische Recht auch keine Rückabwicklung von Verträgen, die unter einer schweren Äquivalenzstörung litten. Es gab lediglich, ähnlich wie im heutigen deutschen Recht, Regelungen, die Arglist und Zwang bei Vertragsschluss sanktionierten.14 So wird davon ausgegangen, dass die beiden Konstitutionen auch nicht die Wiedergabe eines allgemeinen Prinzips sind, sondern eine Einzelfallentscheidung darstellen.15 Was weiter auffällt, ist die zweifache Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Grundstückskaufverträge einerseits und auf den Verkäufer als allein Anfechtungsberechtigten andererseits. Die laesio enormis diente damit nicht dem Schutz beider Parteien. Wenn nämlich der Käufer mehr als das Doppelte für das erworbene Grundstück gezahlt hatte, konnte er sich nicht vom Vertrag lösen. Die genauen Umstände ihres Erlasses sind Unklar.16 Lange nahm man an, dass ihre Einführung einen politischen Hintergrund hatte. So wurde davon ausgegangen, dass mittels der laesio enormis der Verarmung der Landbevölkerung, deren Ausbeutung durch Großgrundbesitzer und der Landflucht im Rahmen einer großen Wirtschaftskrise im ausgehenden dritten Jahrhundert nach Christus begegnet werden sollte.17 Dementsprechend war die laesio enormis damit mehr ein Mittel der Wirtschaftspolitik als eine allgemeine Geltung beanspruchende Regelung für das Vertragsrecht, basierend auf der Idee der Vertragsgerechtigkeit. Dagegen wird in jüngster Zeit auch die Auffassung geäußert, 12
Forster, Ona’ah und laesio enormis, S. 159 f.; vgl. auch Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 40 f., der erörtert, ob die Ausnutzung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal nicht vielleicht doch auch der antiken laesio enormis zugrunde lag, jedoch aufgrund der spärlichen Quellenlage diese Frage für nicht beantwortbar hält. 13 Honsell, Röm. Recht, S. 125; Martin-Casals in: FS Bucher, 499, 503; Visky, Spuren der Wirtschaftskrise der Kaiserzeit in den römischen Rechtsquellen, S. 24; Zimmermann, Law of Obligations, S. 255 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, 21. Aufl., § 41 Rn. 13; Forster, RIDA 2017, 21, 21 f.; dies., Ona’ah und laesio enormis, S. 149 f. 14 Honsell, Röm. Recht, S. 45; Visky, Spuren der Wirtschaftskrise der Kaiserzeit in den römischen Rechtsquellen, S. 27; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, 21. Aufl., § 8 Rn. 30 ff. 15 Forster, Ona’ah und laesio enormis, S. 155 f.; Mayer-Maly, ZRG Rom. 108 (1991), 213, 229: „Eintagsfliege“. 16 Vgl. dazu Forster, Ona’ah und laesio enormis, S. 163 ff.; dies., RIDA 2017, 21, 30 ff. 17 Armgardt, Zur Dogmengeschichte der laesio enormis, 3, 5; Finkenauer in: FS Westermann, 183, 186; Pennitz in: FS Mayer-Maly, 575, 582 ff.; Hackl, ZGR RA 98 (1981), 147, 156 f.; Mayer-Maly in: FS Larenz, 395, 396; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, 21. Aufl., § 41 Rn. 14; dagegen ausdrücklich: Forster, RIDA 2017, 21, 30 f.; dies., Ona’ah und laesio enormis, S. 175 ff.
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dass mit der laesio enormis keine weiterreichenden sozial- oder wirtschaftspolitischen Ziele verfolgt wurden, sondern sie schlicht eine Einzelfallentscheidung ohne weitergehende Intention war.18
2. Rechtsfolgen Beim Blick auf die konkreten Rechtsfolgen fällt zunächst einmal auf, dass der Vertrag nicht ipso iure nichtig war, sondern der Verkäufer mit einer Art Anfechtungsrecht die Nichtigkeit herbeiführen konnte bzw. musste. Die laesio enormis kombinierte auf Rechtsfolgenseite die beiden zur Behebung der Äquivalenzstörung bestehenden Grundmechanismen von Rückabwicklung und Vertragsanpassung. Entweder erhielt der Verkäufer sein Grundstück zurück, nämlich wenn der Käufer die Differenz nicht bezahlte, anderenfalls aber die Differenz, die zum wahren Wert fehlte, sodass der Verkäufer dann insgesamt eine angemessene Gegenleistung für sein Grundstück erhielt. Dem übervorteilten Verkäufer schadete damit das Wahlrecht des Übervorteilenden wertmäßig nicht, da egal wie dieser sich entschied, der Vertrag zu keinen nachteiligen Veränderungen in seinem Vermögen führte. Das Recht des Käufers zur Zahlung der Differenz bedeutet aber auch, dass der übervorteilte Verkäufer sich nicht einseitig vom Vertrag lösen konnte. Eine Rückabwicklung kam nur dann in Betracht, wenn der Käufer mit dem Lösungsbegehren des Verkäufers einverstanden war, beziehungsweise er nicht bereit war, die Differenz zur Aufrechterhaltung des Vertrages zu zahlen. Gleichzeitig bedeutete die Berufung auf die laesio enormis für den Verkäufer eine gewisse Unsicherheit, da er nicht wusste, ob der Vertrag bestehen blieb oder nicht. Dennoch erscheint es nachvollziehbar, das Wahlrecht in die Hände des Begünstigten zu legen, weil die laesio enormis keine Täuschung, Zwang oder ähnliche Beeinflussung oder Ausnutzung voraussetzte und daher auch die Interessen der begünstigten Partei bei der Ausgestaltung der Rechtsfolgen Beachtung finden mussten. Vor allem sollte die laesio enormis nicht der Bestrafung oder der Prävention von verwerflichem Verhalten dienen,19 auch wenn diese Motive ihrem Erlass eventuell ebenfalls zugrunde lagen. Als Grund wird ferner aufgeführt, dass so der sich im Besitz des Grundstücks befindliche Käufer vor dem unfreiwilligen Verlust der meist zum Ackerbau und als Familienwohnort genutzten Fläche geschützt werde.20 Vorteilhaft an dieser Regelung ist, dass der Benachteiligte mit der Berufung auf die Nichtigkeit kein Risiko in vermögenstechnischer Sicht eingeht und so nicht von der Geltendmachung abgeschreckt wird, es sei denn, er will unbedingt Geld und keinesfalls sein Grundstück wiederhaben. Die laesio enormis schützte aber nur das Vermögen insgesamt, nicht 18 19
Forster, RIDA 2017, 21, 31 ff. Forster, Ona’ah und laesio enormis, S. 163. 20 Forster, Ona’ah und laesio enormis, S. 162.
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aber seine konkrete Zusammensetzung. Wenn der Verkäufer sein Grundstück in jedem Fall veräußern wollte, konnte er dies nach der Rückabwicklung erneut – zu nun angemessenen Konditionen. Das Wahlrecht des Begünstigten stellte daher für ihn nur einen geringen Nachteil dar. Bis heute nicht eindeutig geklärt ist die Frage nach der konkreten Art und Weise der Durchsetzung, nämlich ob die Umgestaltung des Vertrags durch den Richter zu erfolgen hatte oder auch allein durch die Parteien möglich war.21 Im Wortlaut der beiden Reskripte findet sich dabei in C. 4.44.2 die Passage „auctoritate iudicis intercedente“, die im Mittelpunkt der Diskussion steht und die auf Deutsch so viel heißt wie „wobei die Macht des Richters entscheidet“. Nach einer Ansicht22 soll daraus folgen, dass der Vertrag erst durch richterlichen Ausspruch aufgehoben wurde. Klagen musste danach die benachteiligte Partei auf Nichtigkeitserklärung des Vertrags durch den Richter. Erst durch die richterliche Entscheidung erfolgte demnach die Änderung der Rechtslage. Dies scheint nach dem eben zitierten Wortlaut naheliegend. Andere sind der Ansicht,23 dass die Gestaltungsmacht vollständig in der Hand der Parteien lag, sodass der Richter nur noch die Rechtsfolgen feststellte und aussprach, was die Parteien einander schuldeten. Der mutmaßlich entgegenstehende Wortlaut wird dabei als unschädlich angesehen, da dieser sich auch an anderen Stellen im römischen Recht finden lasse und dabei dennoch von einer Gestaltung durch die Vertragsparteien selbst ausgegangen werde.24
3. Wirkung Unabhängig davon, ob die laesio enormis nach Diokletian wieder verschwand oder bis zum Mittelalter bekannt blieb,25 ist sie für die langfristige Entwicklung des Umgangs mit Äquivalenzstörungen von entscheidender Bedeutung gewesen und diente als Ausgangspunkt für die ab dem Mittelalter einsetzende verstärkte Äquivalenzkontrolle bei gegenseitigen Verträgen. Bis heute kennen einige Rechtsordnungen – insbesondere die französische und österreichische – noch Regelungen in der direkten Tradition der laesio enormis. Ebenso enthalten das belgische (Art. 1674 ff. CC) und katalonische Recht (Art. 621‑46) Regelungen, die dem französischen Recht ähneln und so mittelbar auf der laesio enormis beruhen. Vor allem prägten die in den beiden Konstitutionen enthaltenen Rechtsfolgen für lange Zeit den Umgang mit unausgewogenen Verträgen insoweit, als dass diese zum einen nicht als ipso iure nichtig angesehen wurden, 21 Vgl. zu dieser Diskussion und ihren Details: Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 124 ff. m. w. N. 22 Vgl. für Nachweise Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 124 Fn. 1. 23 Für Nachweise vgl. Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 126 Fn. 29. 24 Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 127. 25 Vgl. zu dieser Frage Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 15 ff.
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zum anderen dass der Übervorteilte sich nicht einseitig von ihnen lösen konnte und dass allein dem Übervorteilenden die Wahl zwischen Reszission und Anpassung zustehe.26
II. Jüdisches Recht Zumindest kurz erwähnt werden sollte, dass sich im antiken jüdischen Recht ebenso eine Regelung fand, die eine gewisse Ähnlichkeit zur laesio enormis aufweist, auch wenn ansonsten im jüdischen Recht ebenfalls das Prinzip der Vertragsfreiheit herrschte27. So enthält die Mischna, die um 200 n. Chr. erfolgte schriftliche Fixierung des schon seit längerer Zeit existierenden, mündlich tradierten jüdischen Rechts, eine Vorschrift (4.2.4.4), die bereits bei einer Übervorteilung von einem Sechstel des Kaufpreises eingriff.28 Dann durfte der Übervorteilte entweder die Rückabwicklung oder die Anpassung des Vertrages verlangen. Dies konnte er jedoch lediglich innerhalb einer sehr kurzen Frist tun, nämlich nur, bis er die Gelegenheit hatte, die erworbene Sache einem (anderen) Händler oder Familienmitglied zu zeigen.29 Anders als im römischen Recht stand dieses Recht sowohl dem benachteiligten Käufer als auch dem benachteiligten Verkäufer zu,30 insbesondere konnte sich auch ein übervorteilter Händler darauf berufen31. Ein weiterer Unterschied bestand darin, dass das Wahlrecht in den Konstitutionen Diokletians der übervorteilenden Partei zustand, im jüdischen Recht aber allein der übervorteilten Partei. Diese Rechte galten allerdings nicht beim Kauf von Grundstücken und Sklaven (Mischna 4.2.4.9). Als mögliches Motiv für diese Ausnahme gilt, dass beim Kauf von Grundstücken und Sklaven für gewöhnlich ausgiebige Verhandlungen stattfanden, die die Notwendigkeit einer nachträglichen Angreifbarkeit des Vertrags obsolet machten.32 Diese Regelung fand sich auch im Jerusalemer Talmud und Babylonischen Talmud wieder, wobei in letzterem das Wahlrecht allein dem Übervorteilenden zustand.33 Für die weitere Entwicklung in Europa bildete aber die Regelung im römischen Recht, wie sie sich im Codex Iustinianus findet, die Grundlage.
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Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 113 f. Forster, Ona’ah und laesio enormis, S. 19. 28 Vgl. dazu Forster, RIDA 2017, 21, 24 ff. 29 Forster, Ona’ah und laesio enormis, S. 32. 30 Forster, RIDA 2017, 21, 24 f.; Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 21. 31 Forster, Ona’ah und laesio enormis, S. 33. 32 Windfuhr, Anmerkung zu Mischna 4.2.4.9, S. 54 f.; dagegen Forster, RIDA 2017, 21, 24 ff.; vgl. für einen Überblick über die möglichen Gründe für die Ausnahme: Forster, Ona’ah und laesio enormis, S. 35 ff. 33 Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 21. 27
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B. Entwicklung im Mittelalter I. Glossatoren und Kommentatoren Mit der Wiederentdeckung des Corpus Iuris Civilis im 12. Jahrhundert in Bologna erlebte auch die laesio enormis durch die Arbeit der Glossatoren und Kommentatoren eine Wiedergeburt. Während sich die Glossatoren noch zumeist darauf beschränkten, die vorgefundenen römischen Rechtssätze mit Anmerkungen und Erklärungen zu versehen, beschäftigten sich die Kommentatoren auch damit, das Recht für die Praxis anwendbar zu machen und gingen dabei über den Inhalt des römischen Rechts hinaus. Dabei wurde die laesio enormis als ein Mittel der aequitas angesehen.34 Sie gingen davon aus, dass ein sich Übervorteilen grundsätzlich erlaubt sei, dessen Grenze aber die laesio enormis bildete.35 Man versuchte die laesio enormis in das allgemeine dolusKonzept zu integrieren und verstand sie insofern als objektivierte Arglist (dolus ex re ipsa).36 Die Arglist lag danach nicht im Verhalten bei Vertragsschluss, wie etwa im Falle einer Täuschung, sondern im Ergebnis, also im Vertrag selbst, beziehungsweise dem Fordern aus dem Vertrag oder der gerichtlichen Geltendmachung in Kenntnis des Missverhältnisses. Dieser neu gefundene dolus-Tatbestand besaß keine subjektiven Elemente mehr. Mit der Zeit wurde nun der Anwendungsbereich der laesio enormis ausgedehnt und zwar sowohl in persönlicher als auch sachlicher Hinsicht.37 Nicht mehr nur der Verkäufer, sondern auch der Käufer sollte nun anfechten können und die Beschränkung auf den Kaufvertrag über Grundstücke fiel nach und nach weg, sodass die laesio enormis zunächst auf alle Kaufverträge und schließlich auf alle Verträge Anwendung fand. Dadurch wurde der Grundstein gelegt für die weitere Entwicklung und Bedeutung der laesio enormis.
II. Christliche Einflüsse Verstärkt wurde die Entwicklung der laesio enormis im Mittelalter maßgeblich durch das Christentum, vermittelt durch das kanonische Recht. Wenn sich der Gedanke auch bereits vorher bei Wilhelm von Auxerre findet,38 prägte besonders Thomas von Aquin mit seiner Lehre vom gerechten Preis die weitere Entwick34 Kalb, Laesio enormis, S. 107 f.; ders., ZRG KA 118, 281, 286; Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 64. 35 Kalb, Laesio enormis, S. 106 ff.; ders., ZRG KA 118, 281, 285; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 32; Becker, Das Problem der Austauschgerechtigkeit, 201, 210. 36 Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 32; Kalb, ZRG KA 118, 281, 286 ff.; Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 58 f. 37 Zimmermann, Law of Obligations, S. 262; Koch in: FS Kanzleiter, 237, 239 f.; Langer, Laesio enormis, S. 46 ff.; Armgardt, Zur Dogmengeschichte der laesio enormis, 3, 8; Kalb in: FS Carlen, 281, 284 ff.; Becker, Das Problem der Austauschgerechtigkeit, 201, 212. 38 Vgl. dazu Kalb, ZRG KA 118, 281, 291.
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lung in dieser Zeit.39 Dieser ging davon aus, dass zwischen den in einem gegenseitigen Vertrag vereinbarten Leistungen ein Gleichgewicht herrschen müsse und dass das Versprechen einer Gegenleistung, die unter dem Wert der eigenen Leistung lag, sündhaft sei.40 Zwar gestatte es das menschliche Recht (lex humana) eine Ware bis zur Grenze der laesio enormis zu verkaufen, das göttliche Recht (lex divina) fordere aber eine genaue Ausgewogenheit.41 Grundlage eines Vertrags sei nämlich der gemeinsame Nutzen beider Parteien, den sie aus dem Austausch zögen, woraus Thomas von Aquin das Erfordernis der Ausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung ableitete.42 Auffällig an dieser Lehre ist ihre offensichtliche Parallele zur Ansicht von Aristoteles über die iustitia commutativa, also der Frage, wann ein Vertrag gerecht sei.43 In einer Zeit, in der das Christentum großen Einfluss auf alle Bereiche des Lebens hatte, lässt sich ohne Weiteres nachvollziehen, dass diese Entwicklung auch nicht vor dem Recht Halt machte und dementsprechend Lehren wie die von Thomas von Aquin auch die laesio enormis beförderten. So standen sich das (weltliche) Zivilrecht und das kanonische Recht nicht als zwei voneinander getrennte Fremdkörper gegenüber. Vielmehr beeinflussten sie sich gegenseitig und prägten die weitere Entwicklung. Neben der laesio enormis entwickelten die Kanonisten noch eine weitere Stufe, die sogenannte laesio enormissima, die bei einem Missverhältnis von mehr als zwei Dritteln eingreifen sollte.44 Im Gegensatz zur einfachen laesio enormis waren hier entsprechende Verträge gewöhnlich ipso iure nichtig und nicht bloß anfechtbar.45
III. Rechtspraxis Angesichts der intensiven Beschäftigung der Gelehrten mit der laesio enormis verwundert es nicht, dass diese auch Eingang in zahlreiche Stadt- und Land39 Kalb, ZRG KA 118, 281, 291 f.; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 45 f.; Armgardt, Zur Dogmengeschichte der laesio enormis, 3, 9. 40 Vgl. dazu: Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 51; Kalb, ZRG KA 118, 281, 291, der darauf hinweist, dass sich dieser Gedanke so auch schon bei Wilhelm von Auxerre findet. 41 Kalb, ZRG KA 118, 281, 291; Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 51; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 32 f.; Schulze, laesio enormis, S. 19; Armgardt, Zur Dogmengeschichte der laesio enormis, 3, 9. 42 Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, S. 34 f. u. 42 f. 43 Vgl. zum Einfluss Aristoteles auf Thomas von Aquin: Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, S. 34 ff. 44 Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 24; Schulze, laesio enormis, S. 17 f.; Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 138 ff., der ausführt, dass eine genaue Grenze nicht existierte und die Grenze von 2/3 nur eine von mehreren Ansichten war. 45 Schulze, laesio enormis, S. 17 f.; A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 29.
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rechte der damaligen Zeit fand.46 So heißt es zum Beispiel im Freisinger Rechtsbuch aus dem Jahr 1328: „Wer den anderen beim Kauf hinsichtlich mehr als der Hälfte des Gutes übervorteilt, dieser Kauf soll nicht rechtsbeständig sein“.47 Auch das Münchener Stadtrechtsbuch von 1347 enthielt in Art. 330 eine Regelung zur laesio enormis48 und in einem Urteil des Lübecker Rates vom 5. September 1483 wird ein entsprechender Verkauf als „machtloeß“ bezeichnet49. Auffällig an vielen dieser Regelungen oder Entscheidungen ist, dass sie, anders als das Vorbild aus dem 3. Jahrhundert, davon auszugehen scheinen, dass der Vertrag rechtsunwirksam oder kraftlos, also offenbar nichtig ist und nicht etwa lediglich anfechtbar. Zudem fehlt häufig eine Möglichkeit der Aufrechterhaltung des Vertrags. Heute versteht man diese Formulierungen aber eher dahingehend, dass sich der Benachteiligte nicht am Vertrag festhalten lassen müsse,50 nicht aber im Sinne der modernen absoluten Nichtigkeit. Übernommen von der laesio enormis haben diese Regelungen aber, dass allein an das objektive Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung angeknüpft wurde. Im Mittelalter entwickelte sich die laesio enormis als Institut der Äquivalenzkontrolle zu einem festen Bestandteil des ius commune, auch wenn es „die eine“ laesio enormis schlechthin nicht gab. Vielmehr waren ihre Rechtsfolgen und auch ihr Anwendungsbereich teils sehr unterschiedlich ausgestaltet.
C. Naturrecht und Kodifikationen um 1800 Das Zeitalter des Naturrechts wird häufig als Wendepunkt in der Geschichte der laesio enormis betrachtet, das ihren Niedergang einläutete.51 Grundsätzlich blieb sie aber auch hier noch allgemein anerkannt. Mit dem Naturrecht änderte sich aber vor allem die Begründung für das Gebot eines gerechten Preises. Ging man zunächst davon aus, dass die Ausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung ein naturrechtliches Erfordernis sei,52 waren spätere Naturrechtler der Auffassung, dass die Ausgeglichenheit zwischen Leistung und Gegenleistung von den Parteien gewollt sei und (stillschweigend) beim Vertragsschluss miterklärt werde.53 Damit rückte man die laesio enormis in die Nähe 46 Langer, Laesio enormis, 55; vgl. für eine Übersicht über zahlreiche Regelungen dieser Zeit: Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 113 Fn. 2. 47 Freisinger Rechtsbuch, v. Claußen (Hrsg.). 48 Auer, Stadtrecht von München, S. 128. 49 Ebel, Lübecker Ratsurteile, Band 4, S. 187 f. 50 So Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 113 Fn. 2; Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 24. 51 Vgl. etwa: Armgardt, Zur Dogmengeschichte der laesio enormis, 3, 9; Koch in: FS Kanzleiter, 237, 241; Luig in FG Coing, 171, 172 ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 71 ff. u. S. 85. 52 Kalb, ZRG KA 118, 281, 300. 53 Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 34; Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, S. 48 f.
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des Irrtums. Berühmt geworden und mit ein Grund dafür, dass das Naturrecht als Beginn der Gegenbewegung angesehen wird, ist die Kritik von Christian Thomasius an der laesio enormis und der Vorstellung eines gerechten Preises. Dieser war, wie bereits Thomas Hobbes54, der Ansicht, der Wert einer Sache werde erst durch die vertragliche Einigung der Parteien geschaffen und daneben gäbe es keinen wahren Wert.55 So bezeichnete er die Vorstellung einer objektiv bestimmbaren aequitas als Hirngespinst.56 Insgesamt begann mit dem Zeitalter des Naturrechts daher der eherne Grundsatz zu wanken, dass für die Wirksamkeit eines gegenseitigen Vertrags zwischen den Leistungen Ausgeglichenheit zu herrschen habe. Der heute allgemein anerkannte Gedanke kam auf, dass der Wert einer Sache im Einzelfall von den Parteien festgelegt werde, ihr aber nicht unmittelbar anhafte. Dies hatte auch Einfluss auf die damals entstehenden Kodifikationen. So heißt es im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten (ALR) von 1794 – eine ähnliche Regelung gab es auch im französischen Code civil von 1804 (Art. 1118 CC)57 –, dass der Einwand, der Kaufpreis stehe mit dem Wert der Sache in keinem Verhältnis, für sich allein nicht ausreicht, den Vertrag zu entkräften (I. 11, § 58). Dennoch drangen insgesamt in der Rechtspraxis des 17. und 18. Jahrhunderts die Zweifel der Naturrechtler an der laesio enormis noch nicht durch. Dies zeigt sich insbesondere anhand der Aufnahme der laesio enormis in zahlreiche Stadt- und Landrechte dieser Zeit.58 So enthielt das ALR trotz eben genannter Regelung dennoch eine Vorschrift für die Preiskontrolle: wenn der Kaufpreis mehr als doppelt so hoch wie der Wert des Kaufgegenstandes war, so galt gemäß I. 11., § 59 ALR die Vermutung, dass ein Irrtum vorliege, der den Vertrag ungültig machte. Die Regelung war aber beschränkt auf den Käufer. Den umgekehrten Ursprungsfall der laesio enormis hielt man für nicht regelungsbedürftig. Da der Verkäufer die Möglichkeit hatte, den Wert seiner Sache zu kennen, benötige er kein Anfechtungsrecht.59 Ein Recht des Verkäufers wie bei der klassischen laesio enormis den Vertrag aufrechtzuerhalten, gab es hingegen 54
Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 34; Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, S. 44 f. 55 Koch in: FS Kanzleiter, 237, 241; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 77; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 34; Armgardt, Zur Dogmengeschichte der laesio enormis, 3, 9 f. 56 Bemerkenswert bei Thomasius ist, dass er trotz seiner vehementen Ablehnung der laesio enormis, als Mitglied der Spruchfakultät der Hallenser Juristenfakultät ihre Anwendung befürwortete, vgl. Ausführungen bei Luig in: GS Riederer, 167, 174 ff. 57 Die Regelung existierte bis zur Reform des Vertrags- und Schuldrechts 2016. Seitdem besteht sie zwar im Wortlaut verändert, aber offenbar ohne inhaltliche Änderung in Art. 1168 CC fort. 58 Trusen in: FS Küchenhoff, 247, 263; eine Übersicht dazu bietet Langer, Laesio enormis, S. 58 ff. 59 Langer, Laesio enormis, S. 81.
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nicht. Neben einigen anderen Ausnahmen herrschte im ALR jedoch schon weitgehende Preisfreiheit.60 Allerdings enthielten neben dem ALR auch die anderen beiden großen Naturrechtskodifikationen der Zeit, das österreichische ABGB und der französische Code civil, noch Vorschriften über Äquivalenzstörungen. So beinhalteten beide Gesetzbücher die laesio enormis, wobei diese in Frankreich lediglich für Grundstückskaufverträge und nur zugunsten des Verkäufers galt, während das ABGB in Österreich keinerlei Beschränkungen bezüglich der Vertragsart und der Vertragspartner kannte.61 Ebenso enthielt aus dem deutschsprachigen Raum der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 die laesio enormis (4. Teil 3. Kapitel, §§ 19–22).
D. Das 19. Jahrhundert und die Entstehung des BGB I. Der Liberalismus Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter des Liberalismus und dieser machte auch und gerade vor der Entwicklung des Rechts keinen Halt. Dabei wurde der seit dem Mittelalter geltende, sich mit dem Naturrecht langsam auflösende Grundsatz, dass das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung allein die Wirksamkeit eines Vertrages beeinträchtigen könne, endgültig über Bord geworfen. Als Fortsetzung der mit der Aufklärung schon im Naturrecht begonnenen Entwicklung62 rückte der Liberalismus die Selbstbestimmtheit des Einzelnen in den Mittelpunkt. Der Mensch wurde als freier und mündiger Bürger betrachtet, der fähig sei, seine Beziehungen zu anderen selbstständig und ohne staatliche Hilfe zu gestalten.63 Als vernünftiges Individuum wisse er, was das Beste für ihn sei und dieser Erkenntnis müsse auch das Recht Rechnung tragen und dem Bürger die Macht geben, den Inhalt seiner Verträge so weit wie möglich ohne staatliche Vorgaben bestimmen zu können. Aufgrund dieses Menschenbildes wurde die Bindung der Parteien an den Vertrag einzig damit begründet, dass sie diesen in freier, das heißt insbesondere frei von unzulässiger Beeinflussung, und eigenverantwortlicher Entscheidung geschlossen haben.64 Daraus folgte, dass sich das staatliche Recht nicht auf die inhaltliche Kontrolle der Verträge, sondern auf das Verfahren des Zustandekommens von Verträgen zu konzen60
Luig, AcP 194 (1994), 521, 535. zum Code civil unten: § 10 B. Frankreich, S. 224 ff.; zum ABGB: § 11 Österreich, S. 239 ff. 62 Vgl. dazu Lüttringhaus, Vertragsfreiheit und ihre Materialisierung im Europäischen Binnenmarkt, S. 37 f.; Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 30 f. 63 Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertragsrecht, S. 511; Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 23 N. 77; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 19 f.; Fischer, DRiZ 1974, 209, 210; Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit, S. 137 f.; Knobel, Wandlungen im Verständnis der Vertragsfreiheit, S. 20 f.; Geißler, JuS 2001, 617, 620. 64 Flume, AT II, S. 6 f.; Jung, Das wucherähnliche Rechtsgeschäft, S. 7 f. 61 Vgl.
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trieren hatte.65 Ein Einschreiten war danach nur dann geboten, wenn öffentliche Interessen in untragbarer Weise tangiert wurden. In der Folge verwundert es kaum, dass die Verfasser des BGB die Übernahme der laesio enormis abgelehnt haben.66 Die Aufgabe der Vertragsfreiheit wurde nach dem im 19. Jahrhundert vorherrschenden Verständnis zunächst einmal darin gesehen, den Bürgern einen Freiheitsraum gegen staatliche Eingriffe zu sichern, innerhalb dessen der Einzelne seine Beziehungen selbst frei ordnen können sollte.67 Wenn Verträge aufgrund des freien Willens der Parteien galten, musste das Recht Vorkehrungen dafür treffen, die freie Willensbildung und Äußerung zu ermöglichen und zu schützen. Freilich kann aus Gründen der Rechtssicherheit nicht jeder Willens- oder Verfahrensmangel Beachtung finden. Klassischerweise waren und sind dies Täuschung, Drohung und je nach Rechtsordnung teilweise unterschiedliche Arten des Irrtums. Der Liberalismus bewirkte also, dass nicht mehr die Sicherung eines gerechten Ergebnisses, sondern des gerechten Verfahrens als Aufgabe des Rechts angesehen wurde. Nach der Vorstellung des Liberalismus war ein Vertrag das angemessene Ergebnis zwischen den divergierenden Vorstellungen zweier gleichberechtigter Parteien, die jeweils die Macht haben, ihren eigenen Interessen mittels des Vertragsrechts zur Durchsetzung zu verhelfen. Und daraus folgte, dass das vertraglich Vereinbarte automatisch durch das Verfahren des Zustandekommens gerecht sei.68 Treffend zusammenfassen lässt sich diese Vorstellung mit dem Ausspruch des französischen Philosophen Fouillée „Qui dit contractuel, dit juste69“, was frei übersetzt so viel heißt wie: „was vertraglich vereinbart wird, ist gerecht“. Die überragende Bedeutung des Verfahrens für die Geltung des Vertrags wirkte sich auch auf die Rechtsfolgen aus. Denn entweder war der Vertrag Ausdruck des freien Willens der Parteien und als Folge in allen Teilen verbindlich oder aber ihm lag ein anerkannter Verfahrensmangel zugrunde, sodass der Vertrag nicht als Kundgabe des freien Willens der Parteien aufgefasst werden konnte und dem Vertrag deshalb insgesamt die Anerkennung verweigert wur65 Dies stellt zu Recht fest: Jung, Das wucherähnliche Rechtsgeschäft, S. 8; ähnlich Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit, S. 137 f. 66 Mugdan II, S. 178. 67 Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 9; Fischer, DRiZ 1974, 209, 210; Raiser, JZ 1958, 1, 2. 68 Fischer, DRiZ 1974, 209, 210; Merz, Privatautonomie heute, S. 6; Stocker, Wucher und Läsion, S. 20 N. 43; Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit, S. 139; eine Vorstellung, die sich noch weit ins 20. Jahrhundert hielt und als deren prominentester Vertreter wohl Schmidt-Rimpler und seine Vorstellung von der Richtigkeitsgewähr des Vertrages gelten kann (ders., AcP 147 (1941), 130, 132 ff., 181 ff.), auch wenn er diese im weiteren Verlauf seiner Karriere abschwächte und zugestand, dass der Vertrag nur die Wahrscheinlichkeit eines gerechten Ergebnisses begründe und insofern „Richtigkeitswahrscheinlichkeit“ genauer sei, vgl. ders. in: FS Raiser, 3, 5 f. u. 10 ff.; insofern Schmidt-Rimpler zustimmend: Riesenhuber, ZfPW 2018, 352, 358. 69 Fouillée, La science sociale contemporaine, 410.
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de.70 Der jeweilige Inhalt des Vertrages spielte dabei gerade keine Rolle mehr. Eine Anpassung des Vertrags als Rechtsfolge schwerer Äquivalenzstörungen passte nicht mehr ins Bild der Zeit, denn dadurch entstünde eine Verpflichtung der Parteien, die nicht aus ihrem frei geäußerten Willen resultiert.
II. Die Folgen für die Rechtspraxis 1. Zeitraum bis zur Schaffung des BGB All dies hatte große Auswirkungen auf die Praxis. So wurde die laesio enormis aus zahlreichen Gesetzbüchern entfernt, wie etwa 1861 aus dem Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, oder wurde bei Neuschöpfungen gar nicht mehr berücksichtigt, etwa beim Bürgerlichen Gesetzbuch für Sachsen (1863). Besonders deutlich zeigten sich die Auswirkungen des liberalen Denkens im Bereich der Darlehensverträge, für die die seit Jahrhunderten üblichen Beschränkungen des Zinses durch ein Zinsmaximum abgeschafft wurden.71 Völlig verschwunden war die laesio enormis aus der deutschen Rechtslandschaft aber noch nicht, weshalb man zur Rechtsvereinheitlichung bei Schaffung des ADHGB 1861 in Art. 286 die Anfechtung wegen laesio enormis ausdrücklich ausschloss.72 Indem Österreich das ADHGB 1863 ebenfalls übernahm, kam es dort zu einer Einschränkung der weiterhin im ABGB vorhandenen laesio enormis.
2. Entstehung des BGB Nach allem überrascht es im Ergebnis kaum, dass bei Schaffung des BGB die laesio enormis keine Berücksichtigung mehr fand. Man sah keinen Bedarf mehr für eine solche Regelung, im Gegenteil hielt man sie sogar für schädlich. So heißt es in den Motiven: „Es fehlt für dieses in den heutigen Verkehrsanschauungen nicht mehr begründete, für die Rechts- und Verkehrssicherheit gefährliche Kontroverse, […] wie an der Grundlage so am Bedürfnisse“.73 Für ganz und gar unbeachtlich hielt man den Inhalt des Vertrags und auch Äquivalenzstörungen bei der Schaffung des BGB dann aber doch nicht. Zwar enthielt Gebhards Entwurf des Allgemeinen Teils von 1881 noch keine Regelung, die das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung betraf. Mit zunehmender Zeit kamen aber Bedenken auf, ob die freie Preisgestaltung durch die Parteien in jedem Fall angemessen sei. Diese Zweifel resultierten vor allem aus den nega70 Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertragsrecht, S. 512; Raiser, JZ 1958, 1, 2; ähnlich Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 11. 71 Vgl. dazu und den sich daraus ergebenden Folgen: Luig in FG Coing, 171, 173 ff. 72 Nur für einen konkreten Ausnahmefall enthielt das ADHGB eine Regelung, nämlich in Art. 743 für den Vertrag über die Höhe des Berge- oder Hilflohns bei in Seenot geratenen Schiffen. Hier sah das Gesetz die Möglichkeit der Herabsetzung auf eine angemessene Vergütung vor. 73 Mugdan II, S. 178.
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tiven Erfahrungen, die mit der Abschaffung des Zinsmaximums einhergingen (im Norddeutschen Bund, der den größten Teil des späteren Deutschen Reichs ausmachte, geschah dies 1867). Denn entgegen der Annahme der Abschaffungsbefürworter74 sorgte die Abschaffung nicht für ein breiteres Angebot an Kapital und damit sinkende Zinsen, sondern im Gegenteil für massiv steigende Zinsen.75
a) Entstehung von § 138 Abs. 2 BGB Die stark steigenden Zinsen waren insbesondere der Grund dafür, dass schon bald nach der Reichsgründung im Jahr 1880 mit § 302a StGB eine Vorschrift erlassen wurde, die den Kreditwucher unter Strafe stellte. Ergänzt wurde dieser 1893 durch § 302e StGB, der den gewerbs- und gewohnheitsmäßigen sonstigen Wucher für strafbar erklärte. Dieser sah gleichzeitig auch die zivilrechtliche Nichtigkeit entsprechender Rechtsgeschäfte vor. Der strafrechtliche Wuchertatbestand bildete dann die Grundlage für die zivilrechtliche Wucherbestimmung in § 138 Abs. 2 BGB, der kurz vor Ende des Gesetzgebungsverfahrens im Februar 1896 durch die Reichstagskommission ins BGB gelangte. Allerdings enthielt er nicht die Voraussetzung der Gewerbs- oder Gewohnheitsmäßigkeit des § 302e StGB, enstprach diesem ansonsten aber und übernahm insbesondere die Rechtsfolge der Nichtigkeit wucherischer Verträge. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass man bei der Einführung der Wuchertatbestände am Ende des 19. Jahrhunderts davon ausging, dass von wucherischen Verträgen eine große Gefahr für das Allgemeinwohl auszugehen drohte. Dies wird besonders deutlich an den Berichten der Reichstagskommission, die sich mit dem (strafrechtlichen) Kreditwucher auseinandersetzte, und nach der Auffassung ihrer Mitglieder beim Wucher „eine schwere Gefährdung des Gemeinwesens selbst und seiner wirtschaftlichen Grundlagen zu Tage tritt“ und es sich „um ein gemeingefährliches Gebahren der Wucherer [handelt], durch welches der Wohlstand vieler Personen und selbst einzelner Berufsklassen untergraben wird.“76 Aufgrund dieser Gefährdung für das Allgemeinwohl sollte der Strafschutz des Wuchers nicht zugunsten des Einzelnen geleistet werden und wurde der strafrechtliche Wuchertatbestand bewusst nicht als Antragsdelikt ausgestaltet.77 Gleichzeitig wurde das Verhalten des Wucherers als moralisch und sittlich verwerflich angesehen, womit der Weg für die spätere Einordnung des zivil74 Vgl. dafür auf dem sechsten Deutschen Juristentag insb. Goldschmidt, Über die Aufhebung der Wuchergesetze, 227, 242 f., 261 f. 75 Schmidt, Die Lehre von der Sittenwidrigkeit der Rechtsgeschäfte in historischer Sicht, S. 138. 76 Kommissionsbericht (zum 1. Wuchergesetz), Sten. Berichte, Verh. d. RT, 4. Leg.‑Periode, 2. Sess., Anlagen, Nr. 265, S. 1602. 77 Kommissionsbericht (zum 1. Wuchergesetz), Sten. Berichte, Verh. d. RT, 4. Leg.‑Periode, 2. Sess., Anlagen, Nr. 265, S. 1602 u. 1608.
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rechtlichen Wuchertatbestands zur Sittenwidrigkeit bereits angelegt ist. Man empörte sich über die „sittliche Verwerflichkeit der Handlung“78 und bezeichnete den Wucher als „unsittlich, und zwar im höheren Grade, wie es der Diebstahl ist“79. Es handele sich bei ihm um „Ausschreitungen, die gegen das sittliche Bewusstsein des Volkes verstoßen, die allgemein als verwerflich erachtet werden“80. Der Wucher sei ein strafbarer und verwerflicher Akt und diejenigen, die diesen begingen seien „sittlich verworfene Menschen“81. Mehr als deutlich wird in den Beiträgen der Reichstagsabgeordneten die Vorstellung, dass mit der Qualifizierung eines Verhaltens als wucherisch gleichzeitig ein schweres moralisches Unwerturteil verbunden war, das nicht nur auf das Verhalten an sich, sondern ebenso auf die Person des Wucherers bezogen wurde. Diese beiden Aspekte lassen es konsequent erscheinen, als zivilrechtliche Rechtsfolge des Wuchers die Gesamtnichtigkeit ipso iure anzuordnen. Wenn nämlich tatsächlich vom Wucher eine starke Gefährdung des Allgemeinwohls ausging, durfte dessen Schutz nicht vom Verhalten des Einzelnen abhängen, wie es etwa bei der Anfechtung der Fall ist.82 Gleiches gilt für die schweren sittlich moralischen Vorwürfe, die dem Wucherer gemacht werden. Insofern dient die zivilrechtliche Nichtigkeit auch als eine Form (zusätzlicher) Bestrafung und Prävention neben dem Strafrecht. Der Auffassung, dass angesichts der Strafbarkeit des Wuchers die Nichtigkeit entsprechender Rechtsgeschäfte im Zivilrecht „geradezu zwingend“ sei,83 ist dagegen nicht zu folgen. Dies zeigt sich schon daran, dass das BGB für Fälle des Betrugs (§ 263 StGB) und der Erpressung (§ 253 StGB) bloß die Anfechtbarkeit des Vertrags vorsieht.84 Die straf- und zivilrechtlichen Folgen einer Handlung können und müssen sich teilweise sogar unterscheiden, da jeweils andere Faktoren zu berücksichtigen sind.85 Eine echte Diskussion über die zivilrechtliche Bedeutung des Wuchers, und ob dessen Voraussetzungen einfach aus dem Strafrecht zu übernehmen seien, wurde bei dessen Aufnahme ins BGB nicht geführt.86 Stattdessen ergibt sich aus den Äu78 Begründung zum 1. Wuchergesetz, Sten. Berichte, Verh. d. RT, 4. Leg.‑Periode, 3. Sess., Anlagen, Nr. 58, S. 375. 79 Von Kleist-Retzow, Sten. Berichte, Verh. d. RT, 4. Leg.‑Periode, 2.Sess., 30. Sitzung, 31.03.1879, S. 750. 80 Freund, Sten. Berichte, Verh. d. RT, 4. Leg.‑Periode, 2. Sess., 30. Sitzung, 31.03.1879, S. 755. 81 Schulze-Delitzsch, Sten. Berichte, Verh. d. RT, 4. Leg.‑Periode, 3. Sess., 25. Sitzung, 08.04.1880, S. 570. 82 Vgl. dazu noch unten: § 14 B. VII. 1. Abkehr von der absoluten Nichtigkeit in § 138 BGB, S. 412. 83 So Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 170. 84 Vgl. zum Verhältnis von § 138 BGB und § 123 Abs. 1 BGB noch ausführlich unten: § 9 C. I. Konkurrenz zwischen § 138 und § 123 BGB, S. 189 ff. 85 Ähnlich Benöhr in: GS Mayer-Maly, 83, 94. 86 Ebenso: Benöhr in: GS Mayer-Maly, 83, 94.
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ßerungen der Reichstagsabgeordneten im Gesetzgebungsverfahren, dass man bewusst den strafrechtlichen Wuchertatbestand aus dem StGB übernahm.87
b) Einordung von § 138 Abs. 2 BGB Der moderne Wuchertatbestand nimmt damit eine gewisse Zwitterstellung zwischen laesio enormis einerseits und den Tatbeständen der Willensmängel andererseits ein, indem er verfahrensmäßige mit inhaltlichen Aspekten verbindet. Er ist heute in fast allen europäischen Rechtsordnungen anerkannt.88 Damit können zum einen Willensmängel Beachtung finden, die nicht von solchem Gewicht sind, dass sie alleine die Wirksamkeit des Vertrags beeinträchtigen könnten. Gleichzeitig findet in einem gewissen Maß doch noch eine Äquivalenzkontrolle statt, die durch die Kombination mit den Willensmängeln aber restriktiver ist als bei der klassischen Läsion. Die Rolle, die das Missverhältnis einnimmt, hat sich damit gewandelt. Es fungierte fortan nicht mehr als (alleiniger) Grund für die Unwirksamkeit des Vertrags, sondern mehr als Beweis oder Indiz für die Ausnutzung einer Schwächelage als der tragende Grund für die Unwirksamkeit. Besonders am deutschen § 138 Abs. 2 BGB lässt sich der Einfluss des Liberalismus in der Rechtsfolge erkennen. Der Vertrag ist nichtig, weil er nicht Ausdruck des freien Willens des Bewucherten ist und er deshalb zur effektiven Wahrung seiner Interessen bei Vertragsschluss nicht in der Lage war.89
E. Gegenwart Der mit dem Liberalismus entstandene Grundsatz der freien Willensübereinstimmung der Parteien als (alleiniger) Geltungsgrund des Vertrags und die daraus resultierende Zurückhaltung bezüglich der inhaltlichen Kontrolle von Verträgen gilt grundsätzlich bis heute fort. So halten auch die PECL in Art. 2:101 fest, dass ein wirksamer Vertrag bis auf die ausreichende Willensübereinstimmung keiner weiteren Voraussetzungen bedarf. Art. 1:102 PECL (Art. II.1:102 DCFR) gewährt den Parteien das Recht, den Inhalt ihrer Verträge frei zu 87 Vgl. in den Sten. Berichten, Verh. d. RT, 9. Leg.‑Periode, 4. Sess., 110. Sitzung, 20.06.1896, etwa Gröber: es sei „ganz wörtlich die Wucherbestimmung des Strafgesetzbuchs hier aufgenommen mit der einzigen Abweichung, daß kein Unterschied gemacht ist zwischen Kreditwucher und Sachwucher […]“ (S. 2770) oder Enneccerus: „muß ich darauf hinweisen, daß der § 134 Abs. 2 [= der endgültige § 138 Abs. 2 BGB] verbotenus in jeder Bezeihung mit dem Wuchergesetz übereinstimmt mit der einzigen Ausnahme, daß das Erfordernis der Gewohnheits- und Gewerbsmäßigkeit wegfällt.“ (S. 2772). 88 § 138 Abs. 2 BGB, Art. 21 OR (Schweiz), § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB (Österreich), Art. 1448 CCIt (Italien), Art. 388 KC (Polen), Art. 179 ZGB (Griechenland), vgl. dazu unten: § 10 Länderberichte, S. 215 ff. 89 Inwiefern darin eine Systemwidrigkeit im Vergleich zur Rechtsfolge der Anfechtbarkeit bei Willensmängeln besteht, vgl. unten: § 9 C. I. Konkurrenz zwischen § 138 und § 123 BGB, S. 189 ff.
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bestimmen, wobei als Grenzen ausdrücklich Treu und Glaube und die zwingenden Grundsätze der PECL genannt werden. In der Tradition des Liberalismus beschränken sich auch heute die meisten Rechtsordnungen darauf, ein Verfahren sicherzustellen, dass es dem Einzelnen ermöglicht, frei und selbstbestimmt seinen Willen zu bilden und zum Ausdruck beziehungsweise zur Durchsetzung zu bringen. Dennoch setzte ab der Mitte des 20. Jahrhunderts in Europa eine Entwicklung ein, die häufig mit dem Begriff der Materialisierung des Vertragsrechts umschrieben wird.90 Gemeint sind damit die verstärkte inhaltliche Kontrolle von Verträgen durch die Gerichte und die inhaltlichen Vorgaben, die, von Seiten des Gesetzgebers eingeführt, bei Abschluss von Verträgen von den Parteien berücksichtigt werden müssen. Diese Entwicklung zeigt sich vor allem auf den Gebieten des Arbeits-, Verbraucher- und Mietrechts und bei der Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Wobei beim Verbraucherschutzrecht weniger durch inhaltliche Vorgaben als durch bestimmte Verfahrensrechte, z. B. dem Widerrufsrecht, und Informationspflichten versucht wurde, den Verbraucher zu schützen. Hintergrund war die im 20. Jahrhundert einsetzende, bereits durch Otto von Gierke91 geäußerte Erkenntis, dass eine unbegrenzte Vertragsfreiheit sich letztlich selbst aufhebt.92 Denn man merkte, dass sich – noch begünstigt durch den Wandel der Wirtschaftswelt im 20. Jahrhundert – im Rechtsverkehr keineswegs gleichstarke Individuen gegenüberstehen, sondern die Vertragsfreiheit aufgrund wirtschaftlicher Macht und intellektueller Überlegenheit anfällig für Missbrauch ist.93 Die sogenannte Materialisierung des (Vertrags-)Rechts zeigte sich aber nicht nur in dem in Teilrechtsgebieten existierenden Erlass neuer Bestimmungen, sondern auch in einer Neuentdeckung und einem Funktionswandel besonders der Sittenwidrigkeits- und Wuchertatbestände durch die Rechtsprechung. Schon das Reichsgericht hatte, nachdem es zu Beginn Äquivalenzstörungen noch al90 Vgl. Canaris, Wandlungen im Schuldvertragsrecht – Tendenzen zu seiner „Materialisierung“, AcP 200 (2000), 273; Papanikolaou/Karampatzos in: FS Stürner II, 1121, 1224 u. 1130; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 520; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 7; Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 236 ff.; ebenso das Schweizer Bundesgericht: BGE 123 III 292, 297 f.; ohne den Begriff zu verwenden, aber in der Sache gleich: Stocker, Wucher und Läsion, S. 15 N. 33; Larenz, Richtiges Recht, S. 70; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 47; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 23 ff. 91 v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 23: „Schrankenlose Vertragsfreiheit zerstört sich selbst“. 92 Fischer, DRiZ 1974, 209, 209; Raiser, JZ 1958, 1, 3; Geißler, JuS 1991, 617, 620; Paulus/Zenker, JuS 2001, 1, 1; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 8 f.; ähnlich Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 6; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 12 ff. 93 Fischer, DRiZ 1974, 209, 211; Raiser, JZ 1958, 1, 3; Paulus/Zenker, JuS 2001, 1, 2; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 6; Möllers, ERCL 2018, 101, 120; ebenfalls bereits v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 22 f.
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lein nach § 138 Abs. 2 BGB beurteilte, relativ schnell begonnen, Fälle objektiver Äquivalenzstörungen über § 138 Abs. 1 BGB zu lösen. Diese Rechtsprechung griff der BGH nach 1945 auf.94 Im Zuge des aufkommenden Verbraucherschutzes entwickelte sich die Rechtsprechung zu § 138 Abs. 1 BGB ab Ende der 1970er Jahre weiter, was im Ergebnis zu einer Annäherung an die laesio enormis geführt hat.95 Während der BGH nämlich bisher noch zusätzliche Kriterien bemühte, insbesondere benachteiligende AGB, um den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung zu rechtfertigen, schloss er nunmehr allein aufgrund des objektiven Missverhältnisses auf die verwerfliche Gesinnung. Diese Rechtsprechung festigte er in den 1980er Jahren und bestimmte, dass die Vermutung ab einem Verhältnis von 2:1 eingreife.96 Diese Grundsätze wurden zunächst für den Konsumentenkredit entwickelt und mit der Zeit auf weitere Vertragstypen ausgedehnt.97
§ 6 Interessenlage Bevor eine detaillierte Beschreibung der konkreten Rechtslage in Deutschland erfolgt, sollen an dieser Stelle zunächst abstrakt die Interessen untersucht werden, die bei der Frage nach dem Umgang mit äquivalenzgestörten Verträgen bestehen.98 Bei allem Streit um die angemessenen Rechtsfolgen in Fällen schwerer Äquivalenzstörungen in der deutschen Literatur verwundert es, dass eine eingehendere Auseinandersetzung der dieser Problematik zugrundeliegenden Interessen bislang – soweit ersichtlich – unterblieben ist. Stattdessen wird sich regelmäßig mit mehr oder weniger floskelhaften Feststellungen begnügt, ohne diese näher zu begründen oder zu untersuchen. Deshalb sollen die verschiedenen Interessen, insbesondere der am Rechtsgeschäft beteiligten Personen, hier zunächst einmal herausgearbeitet werden. Nach den sich daran anschließenden Ausführungen zu den Rechtsfolgen im deutschen Recht erfolgt eine Analyse, inwiefern diese Rechtsfolgen den im Folgenden herausgearbeiteten Interessen entsprechen.99 Bei der Erörterung der im Raum stehenden Interessen stellt sich auch die Frage, inwiefern die konkrete Ursache einer Äquivalenzstörung Auswirkungen auf diese hat. 94
BGH NJW 1951, 397, der hier direkt an RGZ 150, 1 anknüpft. auf Gesetzgebungsebene setzte man sich mit dem Thema auseinander. So kam es auf Initiative des Bundesrats 1983 zu einem Gesetzesentwurf für einen neuen Absatz 3 in § 138 BGB, der Darlehensverträge allein aufgrund eines auffälligen Missverhältnisses für nichtig erklären sollte, vgl. BT‑Drs. 10/307, 1 ff. 96 BGH NJW 1988, 1659, 1660 f.; in NJW 1979, 758 hatte der BGH den Schluss bei einer Überschreitung von 150 % (= 2,5:1) noch verneint. 97 Vgl. im Detail unten: § 7 B. Allgemeines zu § 138 Abs. 2 BGB und § 138 Abs. 1 BGB, S. 49 ff. 98 Zur vergleichbaren Situation bei der Frage der Rechtsfolgen der c. i. c.: Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 34 ff. 99 Vgl. unten: § 9 A. Interessen der Beteiligten, S. 158 ff. 95 Auch
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Naturgemäß existieren auch beim Umgang mit Äquivalenzstörungen vielfältige Interessen. Bei der folgenden Darstellung wird deshalb eine Auswahl getroffen, die sich auf diejenigen des Käufers, des Verkäufers und der Allgemeinheit konzentriert. Darüber hinaus hat jeweils eine Unterscheidung dahingehend zu erfolgen, ob es sich um die von der Äquivalenzstörung begünstigte oder benachteiligte Partei handelt. Das Interesse der Parteien kann sich jeweils entweder darauf richten, dass es beim vereinbarten Leistungsaustausch bleibt oder dass die Lage vor dem Vertragsschluss wieder hergestellt wird. Vorab klarzustellen gilt es, dass das Interesse der begünstigten Partei am Erhalt des Leistungsaustauschs unter Beibehaltung der Äquivalenzstörung keinesfalls beachtet werden darf. Zwar hat die begünstigte Partei ein tatsächliches Interesse an der Durchführung des Leistungsaustauschs unter Beibehaltung der vereinbarten Gegenleistung, denn der Vertrag ist übermäßig günstig für sie. Die Frage, inwiefern dies zu beachten ist, gehört jedoch zur Tatbestandsseite und kann hier außer Acht gelassen werden. Denn Ausgangspunkt der folgenden Untersuchung ist, dass die Rechtsordnung das konkret vereinbarte Äquivalenzverhältnis nicht akzeptiert, sodass die Aufrechterhaltung des status quo keine Option darstellt. Es geht deshalb von vornherein nur um die Frage, wie, nicht ob, ein Eingriff in den unzulässigen Vertrag zu erfolgen hat, der die unzulässige Äquivalenzstörung beseitigt.
A. Interessen des Käufers I. Das primäre Interesse 1. Der Vertragsschluss als Indiz für das Behaltensinteresse Das Interesse eines Käufers oder allgemein des Empfängers einer Leistung ist grundsätzlich darauf gerichtet, diese zu behalten, denn sonst hätte er den Vertrag nicht geschlossen.100 Prinzipiell entstehen durch den Vertragsschluss beim Gläubiger die Erwartung und das Vertrauen auf den Erhalt der Leistung durch den Schuldner.101 Denn Menschen schließen Verträge, weil diese grundsätzlich die Gewähr bieten, die vereinbarte Leistung, im Zweifel mit staatlicher Hilfe, vom Vertragspartner zu erlangen.102 Diese Erwartung zu schützen, ist eine der Aufgaben des (Privat-)Rechts. Deshalb ist davon auszugehen, dass der Käufer ein Interesse daran hat, den Kaufgegenstand zu behalten und zwar auch dann, wenn er für diesen zunächst viel mehr gezahlt hat, als dieser Wert ist.103 Das In100 Ebenso bzgl. des Interesses des Geschädigten im Rahmen der c. i. c.: Kreutz, Hypothetische Verträge im Rahmen des Schadensausgleichs, S. 105. 101 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 41; Esser/ Schmidt, I/1, § 1 III. 1., S. 15; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 194. 102 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 41; Esser/ Schmidt, I/1, § 1 III. 1., S. 15; Koller, Risikozurechnung, S. 2. 103 Ebenso: Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 34 ff.; Kreutz, Hypothetische Verträge im Rahmen des Schadensausgleichs, S. 105; Grigo-
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teresse am Erhalt des Gegenstandes selbst wird durch den dafür zu entrichtenden Kaufpreis nämlich nicht unmittelbar berührt. Nur mittelbar beeinträchtigt der Preis das Interesse, indem der Käufer den zur Befriedigung seines Interesses zu erbringenden Aufwand in Relation zu seinen übrigen Bedürfnissen setzt und dementsprechend das Interesse an der Leistung entweder sinkt (bei einem relativ betrachtet [zu] hohen Preis) oder steigt (bei einem niedrigen Preis). Zwar mag das Interesse am Behaltenkönnen der Leistung unter Umständen durch eine nachträgliche Änderung seiner Präferenzen in einigen Fällen anders sein. Eine solche Änderung fällt jedoch in seinen eigenen Risikobereich und kann daher nicht beachtet werden, denn das Verwendungsrisiko trägt grundsätzlich der Käufer, beziehungsweise allgemein der Empfänger der Leistung104. Insofern ist es allein Angelegenheit des Käufers, wenn er im Nachhinein den Vertrag nicht mehr abschließen würde, sei es, dass er die Sache selbst nicht wie geplant nutzen kann oder dass sich die äußeren Umstände ändern, aufgrund derer er nunmehr die Sache nicht mehr benötigt. Dies muss er nämlich auch dann, wenn keine Äquivalenzstörung vorliegt. Der Eingriff aufgrund einer Äquivalenzstörung soll den Benachteiligten aber nicht davor schützen, dass er im Nachhinein bemerkt, dass er die Leistung nicht benötigt oder er sie nicht wie geplant gebrauchen kann. Dem entspricht es, wenn der BGH ausführt, dass der Wucher „weder vor einer unrichtigen Einschätzung der Wirtschaftlichkeit eines Rechtsgeschäfts noch vor enttäuschten Spekulationen schützen [soll]“105. Nichts anderes gilt, wenn der Käufer sich deshalb vom Vertrag lösen möchte, weil er bemerkt hat, dass er für den konkret entrichteten (zu hohen) Kaufpreis ein anderes Grundstück erwerben könnte, das seinem Interesse noch besser entspricht, oder wenn sich die Marktsituation in der Zwischenzeit für ihn positiv entwickelt und er sich dadurch ein besseres Grundstück leisten kann. Auch dann würde der Käufer nämlich durch die Äquivalenzstörung besser stehen, als er ohne sie stünde. An dem Willen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, den Kaufgegenstand dem eigenen Vermögen hinzufügen zu wollen, muss der Käufer sich also grundsätzlich festhalten lassen.
2. Investitionen in den Kaufgegenstand Das bereits aufgrund der Kaufentscheidung bestehende Interesse am Fortbestand des Leistungsaustauschs kann durch in der Zwischenzeit vom Käufer leit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 181; Tiedtke, JZ 1989, 569, 570; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 96; Stark, Die Übervorteilung, 377, 395; für den Fall des Kreditwuchers: Honsell in: FS Giger, 287, 288; Bodenbenner, JuS 2001, 1172, 1174. 104 Koller, Risikozurechnung, S. 2; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 41 ff.; Lieb in: FS Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 251, 251 f.; Kötz, JuS 2018, 1, 3; aus der Rspr.: BGH NJW 2004, 2301, 2302; NJW 1985, 2693, 2694; NJW 1979, 1818, 1819. 105 BGH NJW 2006, 3054, 3056 Rn. 28.
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vorgenommene Verwendungen auf den Kaufgegenstand noch erhöht werden.106 Diese möchte der Käufer nicht verlieren beziehungsweise umsonst gemacht haben, sodass sie einem Interesse an der Rückabwicklung entgegenstehen. Man denke etwa an die Renovierung und Neugestaltung eines auf dem Grundstück gebauten Hauses oder einzelner Zimmer wie Küche oder Bad. Im – gar nicht seltenen – Extremfall hat der Erwerber sogar das zuvor unbebaute Grundstück in der Zwischenzeit bebaut. Solche Investitionen sorgen zum einen dafür, dass das Interesse des Käufers am Behaltendürfen des Gegenstandes steigt, da diese Veränderungen regelmäßig mit hohen Kosten einhergehen, die der Käufer nicht umsonst aufgewendet haben will.107 Außerdem richtet er die Investitionen an seinen persönlichen Bedürfnissen und Vorlieben aus, die sein Interesse am Behaltendürfen steigern. Gerade wenn die Veränderungen einen erheblichen (Zeit-)Aufwand erfordert haben, ist der Verlust besonders schmerzlich, weil eine reine Ersatzbeschaffung des Ursprungsgegenstandes allein nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken. Dieser muss nämlich erst erneut be- oder verarbeitet werden, um in einen entsprechenden Zustand versetzt zu werden, und ein Ersatz in der konkret veränderten Form ist entweder kostspieliger und meistens ohnehin auch gar nicht vorhanden. Ebenso ist es möglich, dass der Käufer weitere umfangreiche Aufwendungen getätigt hat, die zur Nutzbarkeit des Kaufgegenstands beitragen beziehungsweise diese ermöglichen sollen, ohne dass es sich dabei um Verwendungen im Sinne des BGB handelt. Auch solche Aufwendungen können sich im Falle der Rückgabe als (teilweise) nutzlos erweisen. Wenn das Grundstück betrieblich genutzt wird, können dies etwa speziell dafür angeschaffte Maschinen sein, die anderweitig nicht oder nur schlechter genutzt werden können. Bei privat genutzten Immobilien kommen Möbel oder andere Einrichtungsgegenstände in Betracht. Zwar lassen sich diese häufig in einem anderen Haus oder einer anderen Wohnung entsprechend nutzen. Dies muss aber nicht immer der Fall sein.
3. Weitere Umstände Neben getätigten Investitionen kann das Interesse an der Aufrechterhaltung des Leistungsaustauschs noch aus anderen Gründen gesteigert sein. Zum Beispiel weil der Käufer die erhaltene Leistung schon zum Gegenstand weiterer Dispositionen gemacht hat, er etwa das Grundstück oder die Wohnung weiterverkauft oder vermietet hat. Um seinen dadurch eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen, ist er darauf angewiesen, dass der Leistungsaustausch aufrecht 106
Ebenso zur c. i. c. Kreutz, Hypothetische Verträge im Rahmen des Schadensausgleichs, S. 107 f. 107 Vgl. zur Möglichkeit der Anschaffung eines Ersatzes sogleich: II. Befriedigung durch Ersatzbeschaffung, S. 38 ff.
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erhalten bleibt. Ebenfalls ist es möglich, dass sich der Wert des Kaufgegenstands zwischenzeitlich positiv entwickelt, sodass aus einem ehemals schlechten Geschäft ein gutes geworden ist.108 Dies kann gerade im Immobilienbereich passieren, da Immobilien anders als die meisten beweglichen Sachen durch die Nutzung nicht nachhaltig an Wert verlieren, sondern in der Tendenz eher im Wert steigen als fallen. Da mit dem Vertragsschluss nicht nur das Verwendungsrisiko, sondern auch das Risiko der künftigen Wertentwicklung auf den Käufer übergeht, erscheint es unbillig, es ihm zu verwehren, von der Preissteigerung zu profitieren. Im Falle der betrieblichen Nutzung wird es regelmäßig so sein, dass er den Gegenstand in sein Unternehmen integriert hat und deshalb auf ihn angewiesen ist, zum Beispiel wenn das Grundstück als Betriebsgrundstück genutzt wird und zu diesem Zweck Änderungen an ihm vorgenommen worden sind oder der Käufer Maschinen in seinen Produktionsablauf integriert hat.
4. Fälle des Wuchers Beim klassischen Wucher ist das Interesse des Käufers, den Kaufgegenstand behalten zu können, besonders hoch. Hier muss man sehen, dass in Fällen der Notlage der Erwerb der Kaufsache dem Käufer dazu dient, eben diese Notlage zu beheben. Eine Notlage kennzeichnet sich nämlich gerade dadurch, dass der Abschluss des nachteiligen Vertrages gewissermaßen das kleinere Übel im Vergleich zum Nichtabschluss darstellt.109 Dann besteht für den bewucherten Käufer nahezu ein Zwang, die Kaufsache zu behalten und gegebenenfalls das Missverhältnis zu akzeptieren. Selbst wenn Ersatz beschafft werden kann,110 kann dies kurzfristig schwierig und mit Problemen verbunden sein, gerade wenn es sich um den Erwerb eines Grundstücks oder einer Wohnung handelt.111 Häufig ist eine Ersatzbeschaffung aber auch gar nicht möglich oder zumindest schwierig, da bei einer einfachen Ausweichmöglichkeit fraglich ist, ob überhaupt eine Notlage vorliegt. Noch offensichtlicher wird das Bedürfnis nach der Aufrechterhaltung des Vertrags freilich bei bestimmten Vertragstypen, wie dem Miet- oder Arbeitsvertrag. Dem Mieter ist unbedingt daran gelegen, seine Wohnung behalten zu können, genauso wie dem Arbeitnehmer daran gelegen ist, seinen Arbeitsplatz nicht zu verlieren. Denn sowohl beim Wohnen als auch beim Arbeiten handelt es sich um für die Lebensführung existenzielle Bereiche. Daher ist hier das Bedürfnis, die Leistung behalten zu dürfen, besonders ausgeprägt und offensicht108 Ebenso
Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 181. 8. Aufl., § 138 Rn. 149; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46
109 MüKoBGB/Armbrüster,
Rn. 54. 110 Vgl. dazu sogleich: II. Befriedigung durch Ersatzbeschaffung, S. 38 ff. 111 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 38.
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lich.112 Doch auch wenn das Interesse am Erhalt der Leistung in diesen Fällen besonders deutlich wird, besteht es letztlich unabhängig vom konkreten Vertragstyp. Unterschiede bestehen lediglich in der Dringlichkeit mit der der Empfänger einer Leistung auf diese angewiesen ist.
II. Befriedigung durch Ersatzbeschaffung All diese genannten Beispiele, die das Interesse des Benachteiligten am Behalten des Kaufgegenstands hervorrufen oder steigern, setzen voraus, dass eine Ersatzsache, die den Interessen des Käufers ebenso entspricht, nicht zur Verfügung steht. Denn anderenfalls kann der Käufer ohne Weiteres den Kaufgegenstand herausgeben und sich anderweitig zu angemessenen Preisen eindecken und dadurch sein Bedürfnis nach der Leistung befriedigen.
1. Möglichkeit der Ersetzbarkeit Die Befriedigung durch eine Ersatzsache wird vor allem bei Gegenständen der Massen- und Serienproduktion möglich sein, bei denen nicht die individuellen, sondern allgemeine Merkmale der Kaufsache das Motiv für die Kaufentscheidung bilden. Hier kann der Käufer häufig ohne größere Probleme die Kaufsache zurückgeben und sich mit dem zurückerhaltenen Kaufpreis Ersatz beschaffen, gerade weil Produkte, die in Serie hergestellt werden, mit zunehmender Zeit gewöhnlich im Preis fallen, statt steigen. Doch auch wenn dies auf den ersten Blick scheinbar ohne Weiteres möglich ist, erweist sich der Austausch als nicht unproblematisch. So führt insbesondere die Frage, wer für den in der Zwischenzeit durch die Nutzung eingetretenen Wertverlust haftet, zu Problemen. Ist dies der Käufer, mindert dies sein Interesse an einer Rückabwicklung. Bei Gegenständen, für die ein Gebrauchtmarkt besteht, könnte er allerdings vom (um den Nutzungswert geminderten) zurückerhaltenen Kaufpreis immerhin vergleichbaren Ersatz erlangen. In diesem Fall würde er dann aber lieber gleich seine selbst benutzte Sache behalten, statt auf die von einem Dritten genutzte zurückgreifen zu müssen. Bei den hier im Fokus stehenden Grundstückskaufverträgen wird die beliebige Ersetzbarkeit jedoch die absolute Ausnahme darstellen. Denn in der Regel gehen dem Kauf eines Grundstücks umfangreiche Überlegungen über dessen Beschaffenheit, Größe und Lage voraus, sodass bei der Entscheidung für ein bestimmtes Grundstück dieses nicht einfach durch ein anderes ersetzt werden kann. Dies gilt vor allem, wenn das Grundstück vom Käufer selbst genutzt werden soll, weil er die Auswahl hier in besonderem Maße an seinen persönli112 Dies wird von der Rspr. in Deutschland in diesen Bereichen auch anerkannt, indem hier bloße Teilnichtigkeit eingreift, vgl. dazu unten: § 9 C. III. Unterschiedliche Behandlung verschiedener Wucherarten, S. 198 ff.
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chen Vorlieben ausrichtet. Der Erwerb eines Grundstückes stellt für die meisten Menschen einen einmaligen Vorgang in ihrem Leben dar, mit der Konsequenz, dass gerade die Eigenarten des konkreten Grundstückes kaufentscheidend sind. Aber auch wenn der Grundstückserwerb nur der Kapitalanlage dient, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Ersatz ohne Weiteres möglich ist. Zudem muss man sehen, dass in Fällen von Grundstücksverkäufen neben der schwierigen Ersetzbarkeit aufgrund der mangelnden Vergleichbarkeit noch hinzukommt, dass Ersatz schon aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit von Grundstücken schwer zu beschaffen ist. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass sobald die Kaufentscheidung durch bestimmte spezielle Merkmale des Kaufgegenstands (mit-)bestimmt wurde, selten davon ausgegangen werden kann, dass der Käufer zur Rückgabe mit sich anschließendem Austausch der Leistung, gegebenenfalls bei einem Dritten als Verkäufer, bereit ist. Die erste Wahl des Käufers wird es stattdessen regelmäßig sein, den Gegenstand selbst zu behalten. Dieses Ergebnis bezüglich der Problematik der Ersetzbarkeit des Kaufgegestandes findet seine Bestätigung in der Diskussion über die Möglichkeit der Nachlieferung beim Stückkauf im kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht. Auch hier stellt sich die Frage der Vereinbarkeit einer Ersetzung des Kaufgegenstandes mit den Interessen des Käufers, da dieser sich die konkrete Sache in der Regel aufgrund ihrer spezifischen individuellen Beschaffenheit ausgesucht hat. Die h. M. nimmt deshalb die Möglichkeit der Nachlieferung, und damit einer Ersetzbarkeit, nur an, wenn nach dem (mutmaßlichen) Willen des Käufers die Sache durch eine gleichartige und gleichwertige ersetzt werden kann.113 Die Problematik stellt sich allerdings insofern etwas anders dar, als dass in Fällen des Gewährleistungsrechts der Käufer mit dem Zustand der erworbenen Sache unzufrieden ist, weil diese nicht vertragsgemäß ist, während in Fällen der Äquivalenzstörungen der Käufer gewöhnlich mit dem Zustand der Sache durchaus einverstanden ist und sich vielmehr daran stört, dass seine eigene Leistung nicht dem Wert des Kaufgegenstands entspricht. In der Regel wird daher sein Wille, anders als beim Gewährleistungsrecht, nicht auf die Verbesserung des Zustands oder der Menge der Kaufsache gerichtet sein. Die Diskussion verläuft jedoch insofern parallel, als dass auch bei der Frage der Nachlieferung beim Stückkauf im Zweifel davon ausgegangen wird, dass diese nicht möglich ist, weil das Interesse des Käufers, genau die von ihm ausgewählte Sache zu erhalten, eine Ersetzbarkeit ausschließt. Legt man dann den strengen Maßstab an, der vom BGH und der h. M. an die Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit gestellt wird, kommt bei Grundstücken grundsätzlich keine Ersetzbarkeit in Betracht. 113 BGH NJW 2006, 2839, 2841; MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl., § 439 Rn. 15; Staudinger/Matusche-Beckmann, (2013), § 439 Rn. 69; Palandt/Weidenkaff, 79. Aufl., § 439 Rn. 15; Jauernig/Berger, 17. Aufl., § 439 Rn. 23 f.; Erman/Grunewald, 15. Aufl., § 439 Rn. 5.
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Kapitel 1: Problematik und Historie
2. Probleme bei Ersatzbeschaffung Es wird aber durchaus auch Fälle geben, in denen dem Interesse des Käufers durch eine Ersatzsache gleichermaßen entsprochen werden kann. Doch auch wenn dies der Fall ist, kann die Ersatzbeschaffung mit Problemen verbunden sein.
a) Zwischenzeitliche Preissteigerungen Insbesondere dann, wenn, wie bei Immobilien häufig, in der Zwischenzeit die Preise gestiegen sind, erhöht sich das Interesse des Käufers, den Gegenstand zu behalten, weil Ersatz nur noch zu einem höheren Preis zu erhalten ist. Anders ist dies aus seiner Sicht, wenn er die höheren Neuanschaffungskosten von der anderen Partei ersetzt bekommt. Dann bleibt aber immer noch der nicht unerhebliche Mehraufwand, der für die Beschaffung des Ersatzes betrieben werden muss und der eine Belastung darstellt, die nicht mit einem entsprechenden Nutzen verbunden ist. Zudem wird dann der Vertragspartner mit der Preissteigerung belastet, was aus dessen Sicht gegen die Rückabwicklung spricht. Ferner wird zwischen den Parteien mit der Frage über den Umfang der zwischenzeitlichen Preissteigerungen ein weiterer Streitpunkt eröffnet und damit das Konfliktpotential weiter erhöht.
b) Integration des Gegenstands in das Vermögen des Käufers Besondere Probleme ergeben sich immer dann, wenn der Käufer den Gegenstand so in sein Vermögen integriert hat, dass er ihn nur schwer herausgeben kann, etwa wenn er ihn für sein Unternehmen erworben hat und ihn in die betrieblichen Strukturen eingefügt hat. Muss er diesen dann doch herausgeben, wird dies oft zu erheblichen Störungen des betrieblichen Ablaufs führen, selbst wenn sich eine Ersatzsache beschaffen lässt, zum Beispiel falls er für seine Produktion oder sein Unternehmen auf den Gegenstand angewiesen ist, entweder weil er diesen verarbeitet oder ihn zur Verarbeitung oder Erledigung der Arbeit benötigt. Neben dem für den Austausch notwendigen Aufwand kann dieser unter Umständen aber auch eine gewisse Zeit dauern, Zeit, die der Käufer nicht hat oder die er teuer bezahlen muss. All dies gilt es aus Sicht des Käufers, aber auch aus Sicht der Allgemeinheit zu vermeiden. Häufig ist der Käufer zur Neuanschaffung auf die Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises durch den Verkäufer angewiesen, so dass er den Ersatz nicht immer im Voraus wird besorgen können. Den Kaufpreis wird er regelmäßig aber nur Zug-um-Zug gegen Herausgabe der Sache zurückerhalten (§§ 348, 273 BGB). Auch kann der gesamte Vorgang der Ersatzbeschaffung einschließlich der dafür aufgewendeten Mühen am Ende teurer sein als die Differenz zwischen gezahltem Preis und tatsächlichem Wert der Kaufsache. So ist es etwa, wenn es um zu teuer erworbene Ma-
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schinen oder sonstige Betriebsmittel oder Grundstücke geht, bei deren Rückgabe oder Austausch eine Fortführung des Unternehmens in der Zwischenzeit nicht möglich ist. Selbst wenn dies möglich ist, ist eine Anpassung von Strukturen und Arbeitsabläufen grundsätzlich mit großem Aufwand und anfänglichen Effektivitätsverlusten verbunden, die der Käufer naturgemäß vermeiden möchte.114 Weil sich die daraus resultierenden Nachteile schwer (genau) beziffern lassen, stellen auch gegebenenfalls bestehende Schadensersatzansprüche oft keinen effektiven Ausgleich für den Käufer dar. Aber auch ohne eine wirtschaftliche Verwendung des Kaufgegenstands kann der Erwerber sein Vermögen unter Einbeziehung des neuen Gegenstandes umstrukturiert oder darauf ausgerichtet haben, sodass ihn eine Rückgabe dazu zwingt, die geschaffenen Strukturen zu zerschlagen.115 Hat der Käufer das erhaltene Grundstück in der Zwischenzeit bebaut oder an der vorhandenen Bebauung Veränderungen oder Verbesserungen vorgenommen, muss er diese gewöhnlich an der Ersatzsache erneut vornehmen oder aber bereits ein entsprechend bebautes Grundstück als Ersatz erwerben, das meist nicht genau seinen Vorlieben entsprechen wird. Die vorgenommenen Veränderungen lassen sich regelmäßig nicht entsprechend an einem Ersatzgrundstück vornehmen. Jeweils können die daraus resultierenden Nachteile und Verluste größer sein, als der Nachteil, der durch das Zuvielbezahlen für die Kaufsache entstanden ist. Dies führt dazu, dass das Interesse des Käufers steigt, den Gegenstand behalten zu können, da er die Veränderungen an seinen persönlichen Bedürfnissen und Vorlieben ausgerichtet hat. In diesen Fällen wird der Benachteiligte häufig nur dann seine Rechte wegen der Äquivalenzstörung geltend machen, wenn er den Gegenstand behalten darf.
III. Zwischenergebnis Es lässt sich also grundsätzlich sagen, dass der Käufer ein Interesse daran hat, den gekauften Gegenstand zu behalten. Besonders deutlich wird dies in Fällen des Wuchers, wenn die Leistung dazu dienen soll, eine Zwangslage abzuwenden. Aber auch wenn dies nicht der primäre Zweck des Vertragsschlusses ist, gilt im Ergebnis nichts anderes. Dann wird es sich in aller Regel um eine zumindest für den Benachteiligten unbewusste Äquivalenzstörung handeln. Auch hier vertraut dieser darauf, die Leistung behalten zu dürfen und richtet seine übrigen Dispositionen danach aus. Soweit sich dieses Interesse im Nachhinein ändert, darf es grundsätzlich keine Beachtung finden. Dies wäre nämlich mit dem von den Vorschriften gegen Äquivalenzstörungen verfolgten Zweck nicht vereinbar. 114 115
Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 36. Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 36; Hiddemann, ZGR 1982, 435, 448.
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Kapitel 1: Problematik und Historie
B. Interessen des Verkäufers I. Interesse am Behaltendürfen des Kaufpreises Die Interessen des Verkäufers sind primär vermögenstechnischer Natur. Da er sich entschlossen hat, den Gegenstand aus seinem Vermögen zu entfernen, geht es ihm darum, dass er den Wert des Gegenstands in Geld erhält. Am Gegenstand selbst besteht sein Interesse grundsätzlich nicht mehr, denn sonst hätte er ihn nicht verkauft. Dies mag anders sein, wenn der Gegenstand in der Zwischenzeit unerwartet an Wert gewonnen hat oder der Verkäufer eine günstige Gelegenheit gefunden hat, den Gegenstand selbst zu nutzen oder zu besseren Bedingungen zu veräußern, sodass bei ihm ein Bedarf am Gegenstand entstanden ist.116 Will er jedoch die Rückforderung auf diese Umstände stützen, ist sie ihm zu verwehren. Insofern verdient er nämlich keinen Schutz, weil der Verkäufer bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vertrags nicht damit rechnen kann, den Kaufgegenstand zurückzuerhalten.117 Vielmehr muss er damit rechnen, und tut dies in der Regel auch, dass der Gegenstand sein Vermögen dauerhaft verlassen hat. Am Erhalt der Gegenleistung, des Kaufpreises, hat der Verkäufer aber ein Interesse. Denn der Umstand, durch den Verkauf der Sache an Geld zu gelangen, ist der Hauptbeweggrund für den Verkäufer zum Abschluss des Kaufvertrags, unabhängig davon, weshalb der Verkäufer lieber Geld als den Gegenstand in seinem Vermögen hat. Bezogen auf den Vertrag als Ganzes bedeutet dies ein Interesse am Bestand des Vertrags, weil er nur bei dessen Wirksamkeit auch den Kaufpreis erhalten kann. Nicht zu Unrecht wird allerdings eingewandt, dass es in der Regel für den Verkäufer zahlreiche andere Möglichkeiten gibt, an Geld zu gelangen.118 Insbesondere kann er den Gegenstand erneut verkaufen. Das Interesse des Verkäufers an der Aufrechterhaltung des Leistungsaustausches ist also nicht vergleichbar hoch wie das des Käufers.119 Auch wenn der Verkäufer bei einer Rückabwicklung des Vertrags in die Lage versetzt wird, den Gegenstand erneut zu verkaufen, kann dies aber für ihn zu Problemen führen. Zunächt einmal ist der erneute Verkauf des Gegenstands stets mit Kosten verbunden, denen kein entsprechender Nutzen gegenübersteht. Vor allem aber kann der Gegenstand in der Zwischenzeit an Wert verloren haben, entweder durch die allgemeine Preisentwicklung oder durch seine Benutzung durch den Käufer. Dies spricht aus Sicht des Verkäufers dafür, den Leistungsaustausch beizubehalten. 116 Dieses Beispiel stammt aus: Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 51. 117 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 51; Kreutz, Hypothetische Verträge im Rahmen des Schadensausgleichs, S. 109. 118 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 53. 119 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 53.
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II. Interesse am „Verlust“ der Kaufsache Analog zum Interesse des Käufers am Behaltendürfen des Kaufgegenstands könnte man umgekehrt ein Interesse des Verkäufers am Verlust des Gegenstands annehmen. Auch wenn der Verkäufer sich freiwillig zum Verkauf entschieden hat, wird der primäre Zweck seines Handelns in der Regel darin bestehen, Geld zu beschaffen und nicht den Kaufgegenstand aus dem eigenen Vermögen zu entfernen. Insofern ist der Verlust der Kaufsache nur „Mittel zum Zweck“. Dass es dem Verkäufer konkret darauf ankommt, den Gegenstand loszuwerden, wird ein Ausnahmefall bleiben und kann bei einer typisierenden Betrachtung außer Acht bleiben.120 Zumal man beachten muss, dass der Verkäufer selbst im Falle der Rückabwicklung – bei Grundstücken wohl immer, bei anderen Gegenständen zumindest in der Regel – die Möglichkeit hat, die Sache erneut zu veräußern.
III. Sonstiges Auch kann das Interesse auf den Erhalt des Vertrags gerichtet sein, wenn etwa eine Rückabwicklung mit hohen Ersatzverpflichtungen für Aufwendungen einhergeht. Gleichzeitig kann das Interesse aufgrund von Wertverlusten bestehen, die durch die Nutzung des Gegenstands durch den Käufer eingetreten sind. Sind diese vom Käufer zu tragen, beeinträchtigen sie das Interesse des Verkäufers nicht bzw. weniger. Muss er sie aber selbst tragen, weil er keinen Ersatz verlangen kann, wird dies sein Interesse an der Aufrechterhaltung des Vertrags steigern. So wie für den Käufer bei Rückgabe der Sache ein Verlust von Arbeit an oder mit dem Gegenstand oder den darauf gemachten Verwendungen einhergehen kann, gilt dies gewissermaßen spiegelbildlich auch für den Verkäufer.121 Vom Käufer vorgenommene Veränderungen am Gegenstand können den Verkäufer vor Probleme stellen, wenn diese nicht ebenso seinem Interesse entsprechen. Das wird aber wohl selten der Fall sein.122 Unter Umständen muss er die Veränderungen sogar (auf eigene Kosten) rückgängig machen. Sollte es dann dennoch zu einer Rückabwicklung kommen, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob der Verkäufer den Käufer für seine getätigten Aufwendungen entschädigen muss, auch wenn er an diesen unter Umständen selbst gar kein Interesse hat. Ist das der Fall, so führt die Ersatzpflicht zu enormen Belastungen, durch die der Verkäufer gegebenenfalls sogar schlechter steht als er ohne Vertragsschluss beziehungsweise Rückabwicklung stünde. Häufig wird also das Interesse des Ver120 So
zu Recht auch: Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 53. 121 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 52. 122 Ebenso: Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 52.
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käufers darauf gerichtet sein, dass der Leistungsaustausch bestehen bleibt, weil eine Rückabwicklung mit zahlreichen Nachteilen verbunden ist. Es besteht aber noch die Möglichkeit, dass der Verkäufer nur bereit war, den Gegenstand extrem über dessen Wert zu verkaufen und er anderenfalls überhaupt nicht zum Verkauf bereit gewesen wäre. Dann ist sein Interesse darauf gerichtet, den Gegenstand wiederzuerhalten.123
C. Interessen der Rechtsordnung/der Allgemeinheit Die Allgemeinheit hat grundsätzlich ein Interesse daran, dass geschaffene wirtschaftliche Werte nicht zerschlagen werden. Dies ist nämlich volkswirtschaftlich von Nachteil. Ein solcher Nachteil droht aber, wenn der Käufer nach getätigten Investitionen die Sache zurückgeben muss, da sich das Interesse von Dritten beziehungsweise des Verkäufers an den getätigten Investitionen häufig nicht mit denen des Käufers deckt. Das widerspricht dem volkswirtschaftlichen Ziel einer optimalen Allokation von Ressourcen.124 Muss dann der Verkäufer dennoch die vom Käufer getätigten Verwendungen ersetzen, zahlt er aus seiner Sicht und aus der Sicht der Allgemeinheit dafür einen zu hohen Preis, weil diesen Kosten kein entsprechender Nutzen für ihn oder die Allgemeinheit gegenübersteht. Aus Sicht der Allgemeinheit sollten daher die Investitionen weiter in den Händen des Käufers verbleiben oder zumindest bei einem Dritten, der tatsächlich freiwillig bereit ist, den Gegenstand inklusive vorgenommener Veränderungen zu erwerben, weil diese seinen Bedürfnissen entsprechen. Ansonsten kann es im Extremfall dazu kommen, dass die Veränderungen wieder rückgängig gemacht werden müssen und deren wirtschaflicher Wert damit vernichtet wird. Muss andersherum der Käufer, ohne dass er Ersatz erhält, die Sache herausgeben, wird er gleich doppelt belastet: nicht nur verliert er den Kaufgegenstand, auch seine darauf gerichteten Investitionen waren umsonst. Ganz allgemein ist die Rückabwicklung eines Vertrags schließlich mit hohen Transaktionskosten (Kosten für den Vertragsschluss selbst, die Vertragsdurchführung und dessen Rückgängigmachung) verbunden.125 Sofern die Rückabwicklung von außen angeordnet wird und nicht auch dem Willen der Parteien entspricht, steht den für den Vertragsschluss aufgewendeten Kosten, aber auch 123 Dazu inwiefern dieser Wille legitim ist bzw. beachtenswert, vgl. unten: § 13 C. II. 3. a) Unzulässiger Eingriff in die Privatautonomie, S. 332 ff. sowie § 14 B. V. 3. Inhaltliche Kritik, S. 399 ff. 124 Vgl. dazu u. a.: Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 132 ff. und insb. das von ihnen gebrauchte Beispiel für eine ineffiziente Allokation von Ressourcen: „Ein anderes Beispiel für Ineffizienz liegt dann vor, wenn ein Gut nicht von den Käufern mit der höchsten Wertschätzung […] konsumiert wird.“ 125 Dedual, Geltungserhaltende Reduktion, S. 238.
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den übrigen Kosten, kein entsprechender Nutzen gegenüber.126 Aus Sicht der Allgemeinheit wie aus Sicht der Parteien gilt es deshalb, ein solches Ergebnis zu verhindern, wenn es nicht aus anderen Gründen geboten ist. Solche Gründe werden – insbesondere in Deutschland – in einer Präventionswirkung gesehen. Sofern die Äquivalenzstörung auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Bevorteilten beruht, besteht tatsächlich ein Interesse an einer gewissen Sanktion, um solches Verhalten einzudämmen. Zum einen darf allerdings bezweifelt werden, dass die zwingende Rückabwicklung tatsächlich aus präventiver Sicht die optimale Sanktion darstellt.127 Zum anderen stehen zur Prävention vielfältige Instrumente zur Verfügung. Keinesfalls darf diese aber bei einem einseitigen Verstoß zulasten der Interessen des Vertragspartners erfolgen. Dies ist auch gar nicht notwendig, da genug Möglichkeiten zur Prävention existieren, die allein den Wucherer treffen (insbesondere Schadensersatzansprüche, Straftats- oder Ordnungswidrigkeitentatbestände).
D. Zusammenfassung Die Untersuchung der Interessen hat gezeigt, dass die Aufrechterhaltung des Leistungsaustauschs regelmäßig die vorzugswürdige Lösung darstellt. So sind die Interessen des Käufers in der Regel auf das Behaltendürfen der Leistung und damit auf den Fortbestand des Leistungsaustauschs gerichtet. Schon der Abschluss des Vertrags an sich spricht dafür, ebenso wie der Umstand, dass die Ersatzbeschaffung, wenn sie denn möglich ist, in der Regel mit zahlreichen Nachteilen und zusätzlichem Aufwand verbunden ist. Schließlich kann er auch ohne speziellen Grund den Gegenstand behalten wollen, schließlich hat er ihn sich ausgesucht und gekauft. Auch dieser bloße Wille ist rechtlich beachtlich. Der Empfänger einer Leistung braucht keinen rechtfertigenden Grund dafür, die erhaltene Leistung behalten zu wollen. Für den Verkäufer gilt Entsprechendes, wenn auch in abgeschwächter Form. Zwar wird er häufig den Gegenstand erneut verkaufen können, sodass für ihn die Frage nach der Aufrechterhaltung des Leistungsaustauschs nicht die gleiche Bedeutung hat wie für den Käufer. Da er durch einen erneuten Verkauf aber nichts gewinnt, beziehungsweise nichts gewinnen darf,128 und dieser damit einen unnötigen Mehraufwand für ihn bedeutet, wird er in der Tendenz auch die Aufrechterhaltung des Leistungsaustauschs bevorzugen. Eindeutig der Fall ist dies, wenn der Gegenstand mittlerweile verändert wurde und dies einem Weiterverkauf behindert oder der Verkäufer dafür Ersatz leisten müsste. 126 Dedual, Geltungserhaltende Reduktion, S. 239. 127 Vgl. dazu ausführlich unten: § 9 B. I. Die
intendierte Präventionswirkung des § 138 BGB, S. 181 ff. 128 Vgl. oben: § 6 B. I. Interesse am Behaltendürfen des Kaufpreises, S. 42 f.
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Kapitel 1: Problematik und Historie
Auch aus Sicht der Allgemeinheit spricht Vieles für die Aufrechterhaltung des Vertrages. So werden unnötige Transaktionskosten für die Rückabwicklung vermieden und es bleibt in der Regel bei einer besseren Verteilung der Ressourcen, gerade wenn der Käufer den Kaufgegenstand verändert hat oder anderweitig auf ihn angewiesen ist.
Kapitel 2
Darstellung der Rechtslage in Deutschland de lege lata und deren Problematik Im heutigen deutschen Recht werden an anfängliche Äquivalenzstörungen, abhängig von ihrer konkreten Ursache, unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft. Bei der folgenden Darstellung der Rechtsfolgen von Verträgen mit Äquivalenzstörungen ist deshalb zwischen solchen Normen zu differenzieren, deren Zweck gerade darin besteht, Äquivalenzstörungen zu korrigieren, und solchen, die ein anderes Problem regeln, das aber häufig zusammen mit Äquivalenzstörungen auftritt. In die erste Gruppe gehören der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB, das von der Rechtsprechung zu § 138 Abs. 1 BGB entwickelte wucherähnliche Rechtsgeschäft, sowie, soweit ein konkretes Verbotsgesetz existiert, § 134 BGB. Als Verbotsgesetz kommt insbesondere der strafrechtliche Wuchertatbestand (§ 291 StGB) in Betracht, der gemäß Abs. 1 Nr. 3 grundsätzlich für alle Arten von Leistungen gilt. In allen drei Fällen ist die Äquivalenzstörung Tatbestandsmerkmal der jeweiligen Norm. Diese Gruppe steht deshalb bei der folgenden Betrachtung im Vordergrund. In die zweite Gruppe gehören vor allem Irrtümer (sowohl der benachteiligten Partei als auch der gemeinsame Irrtum beider Parteien) und vorvertragliche Pflichtverletzungen seitens der begünstigten Partei. Aus Gründen der Vollständigkeit wird deshalb auch auf die Rechtsfolgen der Anfechtung, relevant sind hier die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums und Täuschung, die Rechtsfolgen eines gemeinsamen Irrtums über die Grundsätze des Fehlens der Geschäftsgrundlage sowie die Haftung aus culpa in contrahendo eingegangen.
§ 7 Wucher und wucherähnliches Rechtsgeschäft A. Die einschlägigen Tatbestände Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei den wichtigsten Normen für den Umgang mit anfänglichen Äquivalenzstörungen um § 138 Abs. 2 BGB, § 138 Abs. 1 BGB und § 134 BGB i. V. m. § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Bevor die Rechtsfolgen detailliert dargestellt werden, soll zunächst das Verhältnis dieser Tatbestände zueinander untersucht werden, das bis heute nicht abschließend ge-
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Kapitel 2: Darstellung der Rechtslage in Deutschland
klärt ist. Die Frage ist dabei nicht bloß von akademischem Interesse, sondern kann zu praktisch unterschiedlichen Ergebnissen führen.1 Allgemein wird § 134 BGB als lex specialis zu § 138 BGB angesehen.2 Soweit demnach ein Geschäft sowohl gegen ein gesetzliches Verbot als auch gegen die guten Sitten verstößt, fällt es nur unter § 134 BGB. Da mit § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB ein Verbotsgesetz existiert, das auch den Sachwucher erfasst, müsste hier dementsprechend § 134 BGB im Verhältnis zu § 138 Abs. 2 BGB und § 138 Abs. 1 BGB vorrangig sein. Der grundsätzlich bestehende Vorrang des § 134 BGB soll allerdings nach h. M. nicht für § 138 Abs. 2 BGB im Verhältnis zu § 134 BGB i. V. m. § 291 StGB als Verbotsgesetz gelten, da ansonsten § 138 Abs. 2 BGB keinen Anwendungsbereich hätte und der Gesetzgeber die Rechtsfolgen des Wuchers im BGB regeln wollte.3 Die Rechtsprechung hat – soweit ersichtlich – zu dieser Frage nie ausdrücklich Stellung genommen. Praktisch geht jedoch auch sie von einem Vorrang von § 138 Abs. 2 BGB beziehungsweise § 138 Abs. 1 BGB aus, wenn sie einschlägige Sachverhalte allein anhand dieser Normen überprüft und § 134 BGB i. V. m. § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB gar nicht erwähnt. Faktisch gibt es im Bereich äquivalenzgestörter Verträge damit nicht nur einen Vorrang von § 138 Abs. 2 BGB zu § 134 BGB, sondern auch von § 138 Abs. 1 BGB zu § 134 BGB.4 Unbestritten ist diese Auffassung allerdings nicht. So wird zu Recht – allerdings eher vereinzelnd – angenommen, dass § 134 BGB i. V. m. § 291 StGB den § 138 BGB insgesamt verdrängt.5 Im Ergebnis kann der Streit an dieser Stelle dahinstehen, weil sich die Darstellung an der tatsächlichen Rechtslage in Deutschland orientiert. Und hier er1
Vgl. dazu unten: § 9 C. III. 2. c) aa) § 134 und § 138 BGB, S. 207 ff. NJW 1993, 2701, 2703; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 138 Rn. 13; Staudinger/ Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 17 ff.; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 4; Roth, JZ 1989, 411, 416; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 6; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 5; jurisPK‑BGB/Nassall, 8. Aufl., § 138 Rn. 79; Erman/Schmidt-Ränsch, 15. Aufl., § 138 Rn. 10; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 63; v. Olshausen, ZHR 146 (1982), 259, 290; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 6; BGB‑RGRK/Krüger-Nieland/ Zöller, 12. Aufl., § 138 Rn. 9. 3 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 238; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 5 u. 52; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 140; NK‑BGB/Looschelders, 3. Aufl., § 138 Rn. 357; AnwK‑BGB/Looschelders, 2005, § 138 Rn. 357; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 6; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 37; Palandt/ Ellenberger, 79. Aufl., § 138 Rn. 65; BeckOGK/Vossler, 01.09.2017, BGB § 134 Rn. 22; für parallele Anwendung: Erman/Schmidt-Ränsch, 15. Aufl., § 138 Rn. 10. 4 Sinnbildlich dafür KG, Urt. v. 22.01.2001, Az. 12 U 5939/99, das zur Frage des Wuchers bei einem gewerblichen Mietvertrag erst eine Prüfung von § 138 Abs. 2 BGB vornimmt, um im Anschluss festzustellen, dass sich aus § 134 BGB i. V. m. § 302a Abs. 1 Nr. StGB a. F. nichts anderes ergibt. 5 BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 6; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 138 Rn. 19; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 26 Rn. 47; dies., JA 2007, 294, 294; Roth, ZHR 153 (1989), 423, 434 ff.; wohl auch: Weyer in: FS Baur, 681, 688. 2 BGH
§ 7 Wucher und wucherähnliches Rechtsgeschäft
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folgt die Behandlung in der Praxis nicht nach § 134 BGB i. V. m. § 291 StGB, sondern vor allem anhand von § 138 Abs. 1 BGB, in Ausnahmefällen auch gemäß § 138 Abs. 2 BGB. Die nachfolgende Darstellung orientiert sich daran und behandelt deshalb nur die Rechtsfolgen von § 138 Abs. 2 BGB und § 138 Abs. 1 BGB.
B. Allgemeines zu § 138 Abs. 2 BGB und § 138 Abs. 1 BGB I. Tatbestand 1. Der Wuchertatbestand, § 138 Abs. 2 BGB Auf Tatbestandsseite setzt § 138 Abs. 2 BGB zunächst ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus. Auch wenn es dafür keine festen Grenzen gibt, ist nach der Rechtsprechung des BGH ein solches jedenfalls dann gegeben, wenn die Leistung weniger als ca. 60 Prozent des objektiven Werts der Gegenleistung beträgt.6 Maßgeblich ist dabei jeweils der Verkehrswert der Leistungen.7 Weiter muss auf Seiten des Bewucherten eine der im Gesetz genannten Schwächelagen, das heißt eine Zwangslage, Unerfahrenheit, ein Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche vorliegen.8 Schließlich muss der Wucherer den Bewucherten ausgebeutet haben, was bedeutet, dass er sich in Kenntnis des auffälligen Missverhältnisses die Schwächelage des Bewucherten bewusst zu Nutze gemacht hat.9 Viel klarer wird der Begriff des Ausnutzens durch diese Definition freilich nicht. Jedenfalls soll keine Absicht erforderlich sein, sondern schon die Kenntnis der objektiven Umstände zusammen mit einer verwerflichen Vorgehensweise genügen,10 wobei sich daran natürlich wieder die Frage anschließt, welches Vorgehen genau als verwerflich zu bezeichnen ist. Letztlich scheint das Wissen um 6
BGH NJW 2004, 2671, 2673, hier betrug das Missverhältnis 62,37 % bzw. 57,59 %. NJW 2018, 2261, 2263 Rn. 22; NJW 2001, 1127, 1128; NJW 1999, 3187, 3190; NJW‑RR 1990, 950, 950; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 54; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 113; Busz, Die Äquivalenzstörung im freifinanzierten Wohnraummietrecht, S. 47 ff. 8 Es ist umstritten, ob die in § 138 Abs. 2 BGB genannten Schwächelagen abschließend sind oder nicht. Dies kann an dieser Stelle aber offen bleiben. Für nicht abschließend: MüKo BGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 153, der § 138 Abs. 2 BGB nach allgemeinen Grundsätzen für analogiefähig hält. Dafür, dass § 138 Abs. 2 BGB abschließend ist: PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 57; NK‑BGB/Looschelders, 3. Aufl., § 138 Rn. 365, die für andere Schwächelagen aber den Rückgriff auf § 138 Abs. 1 BGB zulassen wollen. 9 BGH NJW 2017, 2403, 2404; NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW 1992, 2767, 2768; NJW‑RR 1990, 1199, 1199; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 138 Rn. 23; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 154; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 62; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 82; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 63. 10 BGH NJW‑RR 1990, 1199, 1199; NJW 1994, 1275, 1276; NJW‑RR 2011, 880, 881; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 154. 7 BGH
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die Unausgeglichenheit und den Umstand, dass sich der andere Teil nur deshalb auf das Geschäft einlässt, weil er sich in einer der im Gesetz genannten Schwächelagen befindet, ein Ausnutzen im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB zu begründen.11 Dabei betont der BGH, dass an das Vorliegen des Ausnutzens strenge Anforderungen gestellt werden müssen.12 Genau an dieser Voraussetzung scheitert die Nichtigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB in der Praxis häufig, da sie kaum zu beweisen ist. Im Bereich des Kreditwuchers wurde das Ausnutzen von der Rechtsprechung vermutet, wenn es sich nicht nur um ein auffälliges, sondern um ein besonders grobes (auffälliges oder krasses – die Terminologie ist hier nicht einheitlich) Missverhältnis handelt, welches bei knapp dem Doppelten des objektiven Wertes erreicht sein soll.13 Bei Kaufverträgen über Grundstücke findet die Vermutung beim Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB nach der Rechtsprechung des BGH aber keine Anwendung, weil allein aus dem Missverhältnis in § 138 Abs. 2 BGB – anders als i. R. v. § 138 Abs. 1 BGB14 – nicht auf das vorsätzliche Ausbeuten der Schwächelage geschlossen werden könne.15 Dies gilt erst recht, wenn dem Begünstigten das Missverhältnis nicht einmal bekannt war.16 Erforderlich ist daher der Nachweis, dass der Wucherer sowohl Kenntnis vom Missverhältnis als auch der Schwächelage hatte.
2. Das wucherähnliche Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB Trotz der Existenz des § 138 Abs. 2 BGB hat die Rechtsprechung – in systematischer Hinsicht bedenklich17 – auf § 138 Abs. 1 BGB zurückgegriffen und mit dem wucherähnlichen Rechtsgeschäft ein Rechtsinstitut mit einem quasi identischen Anwendungsbereich aber geringeren Eingriffsvoraussetzungen geschaffen.18 Zum einen sind die Voraussetzungen an das subjektive Moment des 11 Aufgrund dessen hat der BGH ein Ausnutzen angenommen, vgl. BGH NJW 1982, 2767, 2768; mangels dieser Voraussetzungen hat er es abgelehnt, vgl. BGH NJW 1985, 3006, 3007. 12 BGH NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW 2006, 3054, 3056; NJW 1994, 1275, 1275. 13 Diese Vermutung gilt ausdrücklich auch für § 138 Abs. 2 BGB, vgl. etwa: BGH NJW 1994, 1275, 1275; NJW‑RR 1990, 1199, 1199; NJW 1982, 2767, 2768. 14 Vgl. dazu sogleich: 2. Das wucherähnliche Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB, S. 50 ff. 15 BGH NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW 1985, 3006, 3007. 16 BGH NJW‑RR 2011, 880, 881 Rn. 11. 17 Vgl. dazu unter anderem: Papanikolaou/Karampatzos in: FS Stürner II, 1121, 1136 ff.; Schünemann, JZ 2005, 271, 277; Bedenken äußert ebenfalls Jung, der aber u. a. aufgrund des Wortes „insbesondere“ zu Beginn in § 138 Abs. 2 BGB in diesem keine abschließende Regelung sieht und daher einem Ausweichen auf § 138 Abs. 1 BGB zustimmt: Jung, Das wucherähnliche Rechtsgeschäft, S. 91; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2017, Rn. 605; v. Olshausen, ZHR 146 (1982), 259, 286 f., mit guter Kritik, am Ende aber dennoch dem BGH folgend. Das Reichsgericht sah daher zu Beginn einen Rückgriff auf § 138 Abs. 1 BGB in Fällen eines auffälligen Missverhältnisses als unzulässig an, RGZ 64, 181. 18 Trotz der Bedenken trifft der Rückgriff auf § 138 Abs. 1 BGB zumeist auf Zustimmung in der Literatur, vgl. u. a. Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S. 19; PWW/Ahrens,
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Begünstigten reduziert, zum anderen fällt das Erfordernis der Schwächelage auf Seiten des Benachteiligten praktisch weg. So genügt bereits ein auffälliges Missverhältnis zusammen mit einer verwerflichen Gesinnung des Bevorteilten, damit der Vertrag nichtig ist.19 Bei Vorliegen eines besonders groben Missverhältnisses vermutet die Rechtsprechung die verwerfliche Gesinnung und zwar im Gegensatz zu § 138 Abs. 2 BGB auch und gerade bei Grundstückskaufverträgen.20 Ein solches wurde allgemein bei einer Verkehrswertüber- oder Unterschreitung von knapp 100 % angenommen.21 In einem Urteil aus jüngerer Zeit hat der BGH sich nach langer Zeit auf eine Grenze von grundsätzlich 90 % bei Grundstücksgeschäften festgelegt.22 Anknüpfungspunkt für die Vermutung ist für den BGH die allgemeine Erfahrung, dass niemand besondere Zugeständnisse bei der Gegenleistung ohne Not oder sonstige ihn hemmende Umstände mache und der Begünstigte diese Erfahrung teile.23 Daher dränge es sich in diesen Fällen dem Bevorteilten auf oder müsse sich ihm aufdrängen, dass der andere Teil nur wegen einer besonderen Schwächelage den Vertrag abschließt.24 Schließt der Bevorteilte dann dennoch einen Vertrag ab, so handelt er verwerflich. Anders als im Rahmen von § 138 Abs. 2 BGB findet die Vermutung auch dann Anwendung, wenn der begünstigten Partei das Missverhältnis gar nicht bekannt war.25 Die Vermutung kann allerdings vom Begünstigten erschüttert werden, wenn dieser besondere Umstände darlegt, weshalb im konkreten Fall trotz eines groben Missverhältnisses nicht von einem verwerflichen Verhalten auszugehen ist.26 Als solche wurden von der Rechtsprechung anerkannt: besondere Bewer14. Aufl., § 138 Rn. 51; i. E. auch MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 117; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 207 ff. 19 St. Rspr., vgl. etwa BGH NJW 2014, 1652, 1652; NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW 2010, 363, 363; NJOZ 2009, 367, 369; NJW 2006, 3054, 3056; NJW 2001, 1127, 1127; NJW 1996, 1204, 1204. 20 Zuletzt BGH NJW‑RR 2016, 692; st. Rspr., vgl. ansonsten BGH NJW 2012, 1570 f.; NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW‑RR 2009, 1236, 1237; NJW 2001, 1127, jeweils m. w. N.; „eingeführt“ wurde die Vermutung von RGZ 150, 1, 2. Bereits vor dem Inkrafttreten des BGB schloss das Reichsgericht bei der Anwendung des Wuchergesetzes vom 24.05.1880 aber schon von einem auffälligen Missverhältnis auf das Ausbeuten, vgl. RGZ 25, 177, 179 (= Urt. v. 14.02.1890 – III 26/90). 21 Dies war st. Rspr., vgl. etwa BGH NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW 2006, 3054, 3056; NJW 2001, 1127, 1128; aus der Literatur: MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 114; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 28; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 26 Rn. 41a. 22 BGH NJW 2014, 1652, 1652; bestätigt durch BGH NJW‑RR 2016, 692, 693. 23 St. Rspr., vgl. etwa BGH NJW 2012, 2723, 2723; NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW 2010, 363, 364; NJW 2007, 2841, 2842; NJW 2004, 2671, 2673; NJW 2001, 1127, 1228; NJW 1992, 899, 900; Kritik, dass ein solcher Erfahrungssatz nicht bestehe: Osterloh in: FS Bub, 517, 828; Jung, ZGS 2005, 95, 99 f. 24 BGH NJW 2002, 55, 57; NJW 2007, 2841, 2841, wo jeweils vom leichtfertigen Verkennen gesprochen wird, das in der Sache aber nichts Anderes bedeutet. 25 BGH NJW 2001, 1127, 1128; NJW 2002, 429, 432; NJW‑RR 2003, 558, 558 f. 26 St. Rspr., vgl. etwa BGH NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW 2007, 2841, 2842; NJW 2006, 3054, 3056; NJW‑RR 2003, 558, 558; NJW 2001, 1127, 1128 f., jeweils m. w. N.
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tungsschwierigkeiten,27 ein (fehlerhaftes) Wertgutachten, das zur Grundlage der Preisbestimmung gemacht wurde,28 oder ein besonderes Affektionsinteresse des Benachteiligten, weshalb ihm das Äquivalenzinteresse gleichgültig war29. Die Vermutung ist allerdings nicht schon allein deswegen widerlegt, weil der Benachteiligte das Missverhältnis kannte.30 Neben dieser weiten Vermutungsregelung erfolgt zudem beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft keine genaue Feststellung, ob eine Schwächelage der benachteiligten Partei auch tatsächlich vorlag.31 Die Rechtsprechung begnügt sich regelmäßig mit eher formelhaften Ausführungen, indem sie ganz allgemein auf eine „(wirtschaftlich) schwächere Lage“32, den „Zwang der Verhältnisse“33 oder „Not oder andere hindernde Umstände“34 auf Seiten des Benachteiligten hinweist, ohne aber einen Bezug zum konkreten Fall herzustellen. Dabei ist das wucherähnliche Rechtsgeschäft, wie auch der Wucher, nicht auf Grundstückskaufverträge beschränkt. Die Rechtsprechung wendet die Vermutungsregel jedoch nur auf Gegenstände mit einem sehr hohen Wert an, sodass Alltagsgeschäfte grundsätzlich nicht erfasst werden. Daran zeigt sich, dass der BGH mit dem wucherähnlichen Rechtsgeschäft keine reine Äquivalenzkontrolle bezweckt, sondern den Benachteiligten vor allem von einem Rechtsgeschäft befreien will, das im Zweifel dessen ökonomische Bewegungsfreiheit dauerhaft einschränkt.35 Insofern hat das wucherähnliche Rechtsgeschäft auch freiheitsschützenden Charakter. Der niedrigste Wert, bei dem der BGH die Vermutung angewandt hat, liegt – soweit ersichtlich – bei 25.000 Euro für eine Wohnung, die für 54.000 Euro verkauft wurde.36 Wegen dieser Einschränkung bei der Anwendung der Vermutung bilden die Grundstückskaufverträge beziehungsweise Verträge über den Kauf von Eigentumswohnungen allerdings den Hauptanwendungsfall des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts. Ebenfalls angewendet hat der BGH die Vermutung aber u. a. auch auf den Kaufvertrag über ein Reitpferd.37 Aufgrund seiner geringeren Voraussetzungen hat das wucherähn27 BGH WM 1997, 1155, 1156, hier ging es um einen Grundstückskauf in der Nachwendezeit in den neuen Bundesländern. 28 BGH WM 1997, 1155, 1156; NJW 2001, 1127, 1129; NJW 2002, 3165, 3166. 29 BGH NJW 2007, 2841, 2842; NJW 2001, 1127, 1129. 30 BGH NJW 2007, 2841, 2842. 31 Vgl. dazu noch unten: § 7 F. II. 4. b) Übertragung der Vermutung aus § 138 BGB auf § 819 Abs. 1 BGB, S. 112 ff. 32 BGH NJW 2007, 2841, 2841; NJW 2002, 55, 57. 33 BGH NJW 2010, 363, 364; NJW 2007, 2841, 2841; NJW‑RR 2003, 558, 558; OLG Köln BeckRS 2017 146298 Rn. 14. 34 BGH NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW 2010, 363, 364; NJW 2004, 2671, 2673; NJW 1992, 899, 900. 35 Zu Recht darauf hinweisend: M. Köhler in: FS Köndgen, 353, 358 f. u. 373 ff. 36 BGH NJW 2012, 1570. 37 BGH NJW‑RR 2003, 558; so jüngst auch OLG Frankfurt, Urt. v. 26.01.2018 – 13 U 214/15 = BeckRS 2018, 3299.
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liche Rechtsgeschäft den Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB praktisch völlig verdrängt. Urteile, die sich auf § 138 Abs. 2 BGB stützen, gibt es so gut wie nicht, da grundsätzlich auf § 138 Abs. 1 BGB zurückgegriffen wird. Entscheidungen zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft beschäftigen dagegen die höchstrichterliche Rechtsprechung des Öfteren.38
II. Rechtsfolgen Der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB und das zu § 138 Abs. 1 BGB entwickelte wucherähnliche Rechtsgeschäft unterscheiden sich bei den Rechtsfolgen teilweise, obwohl der Wortlaut beider Normen jeweils die Nichtigkeit anordnet. Gemeinsam ist beiden, dass jeweils das Verpflichtungsgeschäft als Ganzes ipso iure nichtig ist, was bedeutet, dass die Rechtsfolgen, die die Parteien mit dem Vertrag herbeizuführen beabsichtigten, nicht eintreten.39 Die Nichtigkeit nach § 138 BGB wirkt absolut, d. h. sie kann von jedem geltend gemacht werden, sowohl von den Vertragspartnern selbst als auch von Dritten, am Geschäft Unbeteiligten.40 Die Nichtigkeit ist bereits vom Gericht selbst von Amts wegen zu beachten, sodass es im Verfahren vor Gericht nicht nötig ist, dass sich eine Partei ausdrücklich auf die Nichtigkeit beruft.41 Es genügt der bloße Vortrag einer Partei über die Tatsachen, aus denen sich die Nichtigkeit ergibt, damit das Gericht den Vertrag als nichtig zu behandeln hat. Die Beweislast für die die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände trägt nach allgemeinen Grundsätzen die Partei, die sich auf die Nichtigkeit im Prozess beruft.42 Das wird in der Regel der Benachteiligte sein, kann aber theoretisch, da sich beide Vertragsparteien auf die Nichtigkeit berufen dürfen, auch der Wucherer oder ein Dritter sein. Sofern Dritte die Nichtigkeit geltend machen wollen, geschieht dies in der Regel 38 So gibt es allein seit 1990 zu Kaufverträgen über Immobilien 16 Urteile des BGH, in denen er sich mit dem wucherähnlichen Rechtsgeschäft auseinandergesetzt hat. 39 Für den Wucher: BGH NJW‑RR 2011, 880, 880; NJW 2006, 3054, 3056; für das wucherähnliche Rechtsgeschäft: BGH NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW‑RR 2009, 1236, 1237; NJW 2001, 1127, 1129; NJW 1985, 3006, 3007. 40 BGH NJW 1958, 989, 992; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 154 f.; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 138 Rn. 21; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 30; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 155; Köhler, JuS 2010, 665, 665; von Tuhr, BGB AT II/2, S. 42 f.; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 40; BGB‑RGRK/Krüger-Nieland/ Zöller, 12. Aufl., § 138 Rn. 40. 41 BGH NJW 1981, 1439, 1440; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 138 Rn. 21; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 30; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138, Rn. 155; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 154 f.; PWW/Ahrens, 14. Aufl. § 138 Rn. 40; von Tuhr, BGB AT II/2, S. 42 f. 42 BGH NJW 1995, 1425, 1429; jurisPK‑BGB/Nassall, 8. Aufl., § 138 Rn. 72 f.; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 138 Rn. 23; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 156; HK‑BGB/Dörner, 10. Aufl., § 138 Rn. 18; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 66.
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mit der Feststellungsklage und sie benötigen ein besonderes Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit.43 Zur Geltendmachung der Nichtigkeit gibt es keine Frist, die absolute Nichtigkeit ist vom Gericht stets zu beachten. Verjähren können nur die sich aus der Nichtigkeit ergebenden Rückabwicklungsansprüche. Auf sie finden die allgemeinen Regeln der §§ 194 ff. BGB Anwendung.44 Ansprüche verjähren somit grundsätzlich nach § 195 BGB innerhalb von drei Jahren, wobei der Fristbeginn nach § 199 Abs. 1 BGB mit Ende des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte Kenntnis erlangen müssen. Soweit ein Grundstückskaufvertrag rückabgewickelt werden muss, ist § 196 BGB zu beachten, der auch für bereicherungsrechtliche Ansprüche gilt und wonach die Verjährungsfrist zehn Jahre beträgt.45 Sind die Voraussetzungen von § 138 Abs. 2 BGB erfüllt, wird allgemein davon ausgegangen, dass die Nichtigkeitsanordnung des § 138 Abs. 2 BGB neben dem Verpflichtungs- auch das Verfügungsgeschäft des Bewucherten, nicht aber das des Wucherers46, erfasst, was gemeinhin aus dem Wortlaut des § 138 Abs. 2 BGB „gewähren lässt“ geschlossen wird.47 Je nachdem wer im konkreten Fall die bewucherte Partei ist, ob Käufer oder Verkäufer, kommt es so zu Unterschieden bei der Rückabwicklung.48 Ist der Verkäufer der Bewucherte, finden die Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses Anwendung. Ist der Käufer bewuchert worden, richtet sich die Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht. Im Gegensatz zum eigentlichen Wucher erfasst die Nichtigkeit des § 138 Abs. 1 BGB nur das Verpflichtungsgeschäft, während beide Verfügungsgeschäf43 Dabei ist grds. auch ein Rechtsverhältnis zwischen Dritten feststellungsfähig, vgl. BGH NJW 1990, 2627, 2628; NJW 1982, 1703, 1704; allg. dazu: Musielak/Voit/Foerste, 17. Aufl., § 256 Rn. 5; MüKoZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl., § 256 Rn. 35 f. 44 BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 812 Rn. 286; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 812 Rn. 528 f.; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 812 Rn. 108; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 812 Rn. 69. 45 BGH NJW‑RR 2008, 824, 825 ff.; BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 812 Rn. 287; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 812 Rn. 108; a. A. noch LG Rottweil NJW‑RR 2007, 452, 453. 46 Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 57; Stadler, JA 2007, 294, 294 f.; Medicus/ Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 712; Flume, BGB AT II, S. 382; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 65; dafür, dass auch das Verfügungsgeschäft des Wucherers nichtig ist Enneccerus/Nipperdey, BGB AT II, § 192 III 1, S. 1177, diese Auffassung hat sich aber zu Recht nicht durchgesetzt. 47 BGH NJW 2018, 2261, 2262 f.; NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW 1982, 2767, 2768; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 138 Rn. 25; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 57; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 164; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 69; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 65; NK‑BGB/Looschelders, 3. Aufl., § 138 Rn. 374; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 138 Rn. 75; Brox/Walker, BGB AT, 43. Aufl., § 14 Rn. 31. 48 Vgl. dazu sogleich ausführlich: E. Der Käufer als benachteiligte Partei, S. 63 ff. und F. Der Verkäufer als benachteiligte Partei, S. 97 ff.
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te wirksam bleiben, denn – so wird argumentiert – das Äquivalenzmissverhältnis betreffe allein das Verpflichtungsgeschäft,49 das zur Erfüllung vorgenommene Verfügungsgeschäft dagegen sei sittlich neutral. Letztlich trifft diese Argumentation genauso auf den Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB zu. Ob allein aus dem Passus „oder sich gewähren lässt“ eine unterschiedliche Behandlung folgen sollte, darf trotz des Anhaltspunkts im Wortlaut vom Ergebnis her bezweifelt werden, soll hier aber nicht weiter vertieft werden. Rechtfertigen lässt sich die Ungleichbehandlung damit, dass das Verhalten des Wucherers in § 138 Abs. 2 BGB – nachweislich – schlimmer als das des Begünstigten nach § 138 Abs. 1 BGB ist. Die Nichtigkeit nur des Verpflichtungsgeschäfts hat zur Folge, dass es beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft in jedem Fall zu einer Rückabwicklung allein über das Bereicherungsrecht kommt, unabhängig davon, ob Käufer oder Verkäufer die benachteiligte Partei sind.
C. Berufung auf die Nichtigkeit I. Rechtslage Wie bereits erwähnt, kann sich i. R. v. § 138 BGB nach allgemeiner Ansicht jede Vertragspartei auf die Nichtigkeit des Vertrags berufen, sogar diejenige, die selbst sittenwidrig gehandelt hat, hier also den anderen Vertragsteil ausgebeutet hat, um sich selbst zu bereichern.50 Begründet wird dies damit, dass ansonsten eine Verpflichtung zur Fortsetzung des sittenwidrigen Vertragsverhältnisses bestünde.51 Diese Ansicht hat eine lange Tradition. Schon das Reichsgericht ging davon aus, dass sich auch der Vertragsteil, der selbst gegen die guten Sitten verstoßen hatte, auf die Nichtigkeit nach § 138 BGB berufen könne.52 Dieser allgemeine Grundsatz gilt ausdrücklich auch für Fälle des Wuchers.53 Nur in besonderen Ausnahmefällen soll eine Berufung auf die Nichtigkeit ausgeschlossen sein. Bei einseitigen Sittenverstößen hat der BGH eine solche Ausnahme angenommen, wenn derjenige, der sittenwidrig gehandelt hat, durch die Nichtigkeit des Vertrags einen nicht gerechtfertigten Vorteil zulasten des anderen Vertragspartners erlangen würde.54 Dies sei vor allem dann der Fall, wenn 49 BGH NJW 2001, 1127, 1129; NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW 1985, 3006, 3007; jurisPK‑BGB/Nassall, 8. Aufl., § 138 Rn. 330; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 712; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 138 Rn. 25; Bork, JZ 2001, 1138, 1139. 50 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 40. 51 BGH NJW 1986, 2944, 2945; NJW 1958, 989, 992; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 155; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 155; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 30 f. 52 RGZ 160, 52, 56: „Geltend gemacht werden kann die Nichtigkeit daher auch von dem Theile, der sich selbst eines Verstoßes gegen die guten Sitten schuldig gemacht hat […]. Auch kann dem Vertragsteile, der unter Berufung auf die Nichtigkeit die Erfüllung verweigert, nicht die Einrede der Arglist entgegengehalten werden.“ 53 BGH WM 1972, 486, 488; von Tuhr, BGB AT II/2, S. 42. 54 BGH WM 1957, 1118, 1121; WM 1957, 1155, 1158; WM 1972, 486, 488, wobei
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die Nichtigkeit zu unerträglichen Nachteilen für den anderen Teil zugunsten des Begünstigten führen würde, vergleichbar mit der Anwendung von § 242 BGB auf nach § 125 BGB formnichtige Verträge55. Die Fälle, in denen der BGH dem sittenwidrig Handelnden die Berufung auf die Nichtigkeit verwehrte, waren solche, in denen dieser gerade von der in § 138 BGB angeordneten Nichtigkeit (erneut) zulasten des anderen Teils profitieren würde. Nicht ausreichend sind dagegen die „allgemeinen“ Nachteile, die die Nichtigkeit grundsätzlich für den Benachteiligten haben kann. Es muss sich also gewissermaßen um solche Beeinträchtigungen handeln, die über die im Gesetz angelegte gewöhnliche Rückabwicklung des Vertrags hinausgehen. Dass der Benachteiligte unter Umständen ein großes Interesse am Bestand des Leistungsaustauschs hat, reicht also allein nicht aus. Die vom BGH entschiedenen Fälle betrafen dann auch eine explizite Sonderkonstellation. In beiden Fällen56 ging es um Darlehen, die Juden während der Zeit des Nationalsozialismus unter ausbeuterischen Bedingungen gegeben hatten. Die ihnen bei strenger Anwendung von § 138 BGB zustehenden bereicherungsrechtlichen Ansprüche waren nach dem Londoner Schuldabkommen von 1953 aber nicht durchsetzbar, weshalb der BGH die Berufung auf die Sittenwidrigkeit seitens der Beklagten als treuwidrig zurückwies und den Klägern einen vertraglichen Rückzahlungsanspruch gewährte.
II. Würdigung 1. Wucher, § 138 Abs. 2 BGB Es überzeugt nicht, dass sich auch der Wucherer auf die Nichtigkeit berufen kann. Dies sollte ihm nicht nur in Ausnahmefällen, sondern prinzipiell verwehrt sein. Die Sittenwidrigkeit liegt beim Wucher nämlich nicht ausschließlich im Vertragsinhalt, denn anders als das österreichische oder französische Recht kennt das deutsche Recht keine Regelung, die allein objektiv an eine Äquivalenzstörung anknüpft. Die Sittenwidrigkeit setzt sich vielmehr aus dem pflichtwidrigen Verhalten gegenüber dem Vertragspartner (dem Ausnutzen der Schwächelage) und dem auffälligen Missverhältnis zusammen. Der Wucherer beutet den Bewucherten zu seinen eigenen Gunsten aus. Dann verhält der Wucherer, der ja gerade vom Vertrag profitiert, sich widersprüchlich, wenn er sich später auf die selbst herbeigeführte Nichtigkeit des Vertrags beruft. Würde man auch hier ausdrücklich die Besonderheit des Einzelfalles als Ausnahme benannt wird; vgl. aus der Lit.: Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 138 Rn. 21; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 31; im Ergebnis auch: Staudinger/Looschelders/Olzen, (2019), § 242 Rn. 495, die aber eine teleologische Reduktion von § 138 BGB in diesem Fall als vorrangig ansehen und das Ergebnis nicht mit § 242 begründen wollen. Dagegen selbst in Ausnahmefällen eine Abweichung von diesem Grundsatz zuzulassen: MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 155. 55 Diese Parallele zieht ausdrücklich: BGH WM 1957, 1118, 1121. 56 BGH WM 1957, 1118; WM 1957, 1155.
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ihm dies gestatten, würde man ihm im Ergebnis ein Reuerecht zugestehen. Der einzig sinnvoll denkbare Grund für den Wucherer, sich auf die Nichtigkeit zu berufen, liegt nämlich darin, dass er das getätigte Geschäft im Nachhinein bereut, weil es zu unerwarteten Nachteilen kam: sei es, dass er die Situation falsch eingeschätzt hat oder der Wert des weggegebenen Gegenstandes in der Zwischenzeit eine unerwartete Steigerung erfuhr. Ein solches Interesse des Wucherers ist aber nicht schutzwürdig. Zudem muss man sehen, dass jedenfalls in den Fällen, in denen sich der Bewucherte in einer Notlage befindet, die er mit der Leistung des Wucherers zu beheben versucht, jener wieder in seine Notlage zurückfällt, wenn der Wucherer die Nichtigkeit geltend machen dürfte. Dies läuft dem von § 138 Abs. 2 BGB intendierten Schutz zuwider.57 Deshalb darf der Wucherer sich nicht auf die Nichtigkeit des Vertrags berufen. Dogmatisch lässt sich dies über § 242 BGB und den Grundsatz nemo auditur propriam turpitudinem allegans begründen.58 Der Wucherer müsste sich nämlich zur Geltendmachung der Nichtigkeit auf sein eigenes sittenwidriges Verhalten berufen, indem er vortragen müsste, dass er den anderen Vertragsteil ausgebeutet hat, um sich selbst zu bereichern. Hintergrund der strengen Ansicht der h. M., grundsätzlich auch dem sittenwidrig Handelnden die Berufung auf die Nichtigkeit zu gestatten, ist vermutlich ein zu undifferenzierter Blick auf den Sittenwidrigkeitstatbestand. Sie scheint davon auszugehen, dass die Sittenwidrigkeit und speziell der Wucher – insofern auf einer Linie mit dem historischen Gesetzgeber59 – allein oder jedenfalls primär dem Schutz des öffentlichen Interesses dient. Dies trifft zusammen mit einem überholten Verständnis von Vertragsfreiheit, das, noch mit der im 19. Jahrhundert vorherrschenden Auffassung,60 davon ausgeht, staatliche Eingriffe in vertragliche Regelungen bedürften der Gefährdung öffentlicher Interessen. In der Folge ist die Ansicht, dass sich jeder, auch der sittenwidrig Handelnde auf die Nichtigkeit berufen kann, tatsächlich konsequent und in sich schlüssig. Dabei wird jedoch verkannt, dass es auch Fälle der Sittenwidrigkeit gibt, die primär dem Individualschutz dienen und in denen der Aspekt des Schutzes von öffentlichen Interessen in den Hintergrund tritt.61 Diese beiden 57 Vgl. auch Kramer für das Schweizer Recht, der die Möglichkeit einer Berufung auf die Nichtigkeit des Wucherers als krassen Widerspruch zum Schutzzweck der Übervorteilung bezeichnet, was eine Ineffektivität vorprogrammiere, vgl. Berner Kommentar/Kramer, Art. 21 OR Rn. 53; ebenso Piotet, ZSR 76 (1957), 97, 128, der dies als schockierendes Ergebnis bezeichnet; allgemein für Fälle, in denen Vertragspartner für Nichtigkeit verantwortlich ist: Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 276 ff. und S. 401. 58 Ebenso Stampe, AcP 108 (1912), 42, 80 f.; die Möglichkeit erwähnend, aber ohne Ergebnis: Honsell in: FS Giger, 287, 288; vgl. zu Österreich auch Gschnitzer in: Klang IV/1, S. 172 u. S. 207. 59 Vgl. oben: § 5 D II. 2. a) Entstehung von § 138 Abs. 2 BGB, S. 29 ff. 60 Vgl. dazu oben: § 5 D. Das 19. Jahrhundert und die Entstehung des BGB, S. 26 ff. 61 Vgl. dazu noch unten: § 14 C. VII. 1. Abkehr von der absoluten Nichtigkeit in § 138 BGB, S. 412 f.
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unterschiedlichen Konstellationen dürfen bei der Frage, wer sich auf die Nichtigkeit berufen darf, nicht gleich behandelt werden. Liegt die Sittenwidrigkeit also gerade im Verhalten gegenüber dem Vertragspartner oder dient sie allein dessen Schutz, scheidet eine Berufung der anderen Partei auf die Nichtigkeit aus. Um genau einen solchen Fall handelt es sich freilich beim Wucher,62 weshalb nur der Bewucherte das Recht haben sollte, sich auf die Nichtigkeit des Vertrags zu berufen.
2. Wucherähnliches Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB Problematischer als beim Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB ist es, dieses Ergebnis im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB zu begründen. Sofern eine Ausbeutungsabsicht nicht bewiesen werden kann und das subjektive Element nur vermutet wird,63 es sich also lediglich um ein wucherähnliches Geschäft handelt, kann die Berufung auf die Nichtigkeit nicht mit exakt der eben ausgeführten Argumentation abgelehnt werden, denn es steht nicht immer fest, dass der Bevorteilte Kenntnis von der Äquivalenzstörung hatte und den anderen Teil absichtlich benachteiligt hat. Der Grundsatz des nemo auditur propriam turpitudinem allegans greift hier also nicht ein. Dennoch sollte auch in diesen Fällen der bevorteilten Partei die Berufung auf die Nichtigkeit nicht gestattet werden. Dies lässt sich über den Gedanken des Reuerechts begründen. Es gibt auch hier kein schutzwürdiges Interesse der bevorteilten Partei, das die Berufung auf die Nichtigkeit rechtfertigt. Der Vertrag ist übermäßig günstig für sie und es bestand kein Mangel bei der Willensbildung auf ihrer Seite oder bei der Umsetzung ihres Willens, sodass sie sich an ihrer Erklärung festhalten lassen muss. Die Berufung auf die Nichtigkeit wäre daher als treuwidrig anzusehen und damit gemäß § 242 BGB und dem Grundsatz des venire contra factum proprium augeschlossen.64 Zwar kennt das deutsche Recht anders als andere Rechtsordnungen nur die absolute, also gegenüber jedermann wirkende Nichtigkeit, doch wäre hier – wie auch in anderen Fällen – eine Korrektur über § 242 BGB möglich und auch notwendig. Sie sollte aber nicht nur auf besondere Ausnahmefälle erstreckt werden, sondern zu einer allgemeinen Regel bei einseitigen Verstößen gegenüber dem Vertragspartner wer62 Vgl. zum Normzweck und der Schutzrichtung von § 138 BGB unten: § 14 VI. 2. b) aa) Normzweck von § 138 BGB, S. 406. 63 Dazu oben: B. Allgemeines zu § 138 Abs. 2 BGB und § 138 Abs. 1 BGB, S. 49 ff. 64 Diese Auffassung vertritt auch Honsell, wenn er – eher beiläufig – erwähnt, dass es einer Partei nicht gestattet werden dürfe, die eigene Leistung unter Berufung auf den selbst gesetzten Nichtigkeitsgrund zurückzufordern: Honsell, JZ 1975, 439, 440; dafür, dass es jedenfalls im Einzelfall möglich sein kann, dem Wucherer gemäß § 242 BGB die Berufung auf die Nichtigkeit zu verwehren: Enneccerus/Nipperdey, BGB AT II, § 192, S. 1179. Diese Schwäche erkennt auch Bender, vgl. § 138c in seinem Vorschlag für die Neufassung des Wuchertatbestandes im BGB: Bender, NJW 1980, 1129, 1134.
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den, sofern die verletzte (Sitten-)Norm gerade und zuvorderst dessen Schutz dient und öffentliche Interessen nicht zwingend die Rückabwicklung des Vertrags erfordern.
D. Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Vertrages Wenn also § 138 Abs. 1 BGB und auch § 138 Abs. 2 BGB die absolute Nichtigkeit anordnen, stellt sich daran anschließend die Frage, ob es Mittel und Wege zur teilweisen Aufrechterhaltung des nichtigen Vertrags gibt. Der durch das sittenwidrige Rechtsgeschäft Benachteiligte kann das Geschäft zwar nicht heilen, indem er sich etwa im Nachhinein damit einverstanden erklärt, denn die Sittenwidrigkeit steht nicht zur Disposition der Parteien.65 Es gibt aber auch im deutschen Recht Möglichkeiten, einem nichtigen Vertrag zur (teilweisen) Geltung zu verhelfen. Dazu hält das BGB insbesondere die Teilnichtigkeit nach § 139 BGB, die Umdeutung nach § 140 BGB und die Bestätigung nach § 141 BGB bereit.
I. Teilnichtigkeit nach § 139 BGB Die auf den ersten Blick naheliegendste Lösung zur Aufrechterhaltung des Vertrages ist die der Teilnichtigkeit nach § 139 BGB. Dieser erlaubt die teilweise Aufrechterhaltung eines Rechtsgeschäfts, wenn nicht das gesamte Rechtsgeschäft, sondern nur ein Teil davon nichtig ist. In den Fällen von Äquivalenzstörungen könnte man die Nichtigkeit nur auf das unzulässige Übermaß der überhöhten Leistung beziehen. Im Fall des überhöhten Kaufpreises müsste die Entgeltabrede also in zwei Teile zerlegt werden, einen in Höhe des zulässigen oder angemessenen Entgelts und einen in Höhe des überhöhten Entgelts. Nichtig wäre dann nur der überhöhte Teil und im Übrigen könnte der Vertrag aufrechterhalten werden, sofern dies dem Parteiwillen entspricht, denn dieser Vertrag wäre rechtlich unbedenklich und § 138 BGB würde der Wirksamkeit nicht mehr entgegenstehen. Das setzt allerdings voraus, dass § 139 BGB auf die Fälle der quantitativen Teilnichtigkeit anwendbar ist. Darunter versteht man Fälle, in denen sich das Rechtsgeschäft beziehungsweise eine vereinbarte Leistung zeitlich, räumlich oder umfangmäßig aufteilen lässt.66 In der Rechtsprechung wird dieser Weg jedoch als unzulässig abgelehnt.67 Begründet wird dies damit, dass das sittenwidrig überhöhte Entgelt sich nicht 65 BGH NJW 2012, 1570, 1571; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 157; PWW/ Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 40. 66 BGH NJW 2009, 1135, 1136; Petersen, Jura 2010, 419, 420; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 176 ff.; Uffmann, Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 19; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 139 Rn. 29; von Esch, Teilnichtige Rechtsgeschäfte, S. 56. 67 BGH NJW 2009, 1135, 1136 f.; NJW 2001, 815, 817; NJW 1965, 2147, 2148; NJW 1958, 1772.
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in einen noch angemessenen und einen nicht mehr angemessenen Teil zerlegen lasse, sondern die Entgeltabrede vielmehr eine einheitliche Regelung darstelle, die nur ganz oder gar nicht bestehen könne.68 Unterstützt wird dieses Argument von der rechtspolitischen Erwägung, dass bei einer Anerkennung der Teilnichtigkeit das sittenwidrige Geschäft sein Risiko verlöre, weil der Begünstigte sich darauf verlassen könne, dass schlimmstenfalls durch Gericht das festgesetzt werde, was rechtlich noch vertretbar sei.69 Auch zahlreiche Stimmen in der Literatur gehen davon aus, dass eine Herabsetzung einer unangemessen hohen Leistung aufgrund der fehlenden Teilbarkeit nicht möglich ist.70 § 139 BGB setze voraus, dass noch ein Teil des Rechtsgeschäfts übrig sei, gewissermaßen als eine Art Basis.71 Dies sei aber bei einem nach § 138 BGB sittenwidrigen Geschäft wegen Übermaßes einer Leistungsverpflichtung nicht der Fall, da der Vertrag und damit die Entgeltabrede insgesamt nichtig seien. Nach der aktuellen Rechtslage scheidet daher die Aufrechterhaltung über § 139 BGB aus.72
II. Umdeutung nach § 140 BGB Eine weitere Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des Vertrags ist die Umdeutung nach § 140 BGB. Dazu müsste das nichtige, also das wucherische, Geschäft den Anforderungen eines anderen Rechtsgeschäfts entsprechen und angenommen werden können, dass dieses Rechtsgeschäft von den Parteien für den Fall der Nichtigkeit des eigentlichen Rechtsgeschäfts gewollt sein würde. Liegen die Voraussetzungen vor, so gilt das andere, in diesem Fall also angepasste, Rechtsgeschäft. Die Umdeutung wirkt dabei ex tunc, tritt kraft Gesetzes ein und ist vom Gericht von Amts wegen zu beachten.73 Die Argumentation dafür müsste dann lauten, dass ein wucherisches Geschäft gleichzeitig ein Geschäft zu angemessenen Bedingungen beinhaltet. Das „Mehr“ der Leistung, das vom Bewucherten erbracht wird, würde dann bei der Umdeutung in der Folge wegfallen. 68
BGH NJW 2001, 815, 817; NJW 1965, 2147, 2148; NJW 1958, 1772. NJW 2009, 1135, 1136; NJW 2001, 815, 817; Leipold, BGB AT, 9. Aufl., § 20 Rn. 35. 70 Krampe, JZ 1975, 574, 575; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 32; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 76 f.; ders., JR 1982, 96, 96 f.; Reifner, JZ 1984, 637, 639; Petersen, Jura 2010, 419, 420; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 46 u. § 139 Rn. 33; Leipold, BGB AT, 9. Aufl., § 21 Rn. 4; Tiedtke, ZIP 1987, 1089, 1092; Bucher, AcP 186 (1986), 1, 35 f.; so schon Eckstein, ArchBürgR 41 (1915), 178, 228. 71 HK‑BGB/Dörner, 10. Aufl., § 139 Rn. 5; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 505; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 76 u. S. 83; Soergel/ Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 46. 72 Vgl. zur Kritik an der von der h. M. angenommenen fehlenden Teilbarkeit unten: § 14 B. V. 2. b) Bewertung, S. 396 ff. 73 PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 140 Rn. 22; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 140 Rn. 14; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 140 Rn. 1; BeckOGK/Beurskens, 15.10.2017, BGB § 140 Rn. 3; jurisPK‑BGB/Nassall, 8. Aufl., § 140 Rn. 23; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 140 Rn. 17; vgl. auch BAG NJW 2002, 2972, 2973. 69 BGH
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Auch eine Umdeutung wucherischer Verträge nach § 140 BGB in ein Geschäft mit einem angemessenen Inhalt wird jedoch allgemein abgelehnt.74 Die Umdeutung setzt nämlich voraus, dass nicht der von den Parteien erstrebte Erfolg, insbesondere das wirtschaftliche Ziel, sondern nur das von ihnen gewählte Mittel von der Rechtsordnung missbilligt wird.75 Die Sittenwidrigkeit erstreckt sich bei § 138 BGB nach Ansicht des BGH aber nicht nur auf die gewählte Form, sondern auf das gesamte Rechtsgeschäft.76 Erneut stützt der BGH sich zusätzlich auf das rechtspolitische Argument, dass ansonsten sittenwidrige Geschäfte ihr Risiko verlören, weil der sittenwidrig Handelnde damit rechnen könne, dass im Falle eines Verstoßes vom Gericht das gerade noch sittenkonforme Maß festgelegt werde.77 Diese Argumentation ist auch in weiten Teilen des Schriftums auf Zustimmung gestoßen.78
III. Bestätigung nach § 141 BGB Es bleibt schließlich noch zu klären, ob eine Bestätigung des wucherischen Vertrags nach § 141 BGB in Betracht kommt. Da die einmal eingetretene Nichtigkeit, sofern weder § 139 BGB noch § 140 BGB eingreifen, endgültig ist, muss das nichtige Rechtsgeschäft, soll es seine Wirkungen dennoch entfalten, grundsätzlich erneut, ohne den zur Nichtigkeit führenden Fehler, abgeschlossen werden. Dies will § 141 BGB erleichtern, indem er der bloßen Bestätigung die Wirkung einer Neuvornahme zuweist.79 Liegen die Voraussetzungen einer Bestätigung vor, erlangt das Rechtsgeschäft Wirkung für die Zukunft, nicht aber rückwirkend auch für die Vergangenheit.80 Anders als die Umdeutung wird die Bestätigung beim Wucher und wucherähnlichen Rechtsgeschäft vom BGH grundsätzlich für zulässig gehalten.81 74
BGH NJW 1977, 1233, 1234; bestätigt durch BGH NJW 1986, 2944, 2945; NJW 2001, 815, 817; aus der Literatur: BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 34 u. § 140 Rn. 8; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 140 Rn. 7; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 387; Tiedtke, ZIP 1987, 1089, 1092. 75 BGH NJW 2008, 1070, 1072; NJW 1977, 1233, 1234; Staudinger/Roth, (2015), § 140 Rn. 1; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 140 Rn. 1; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 34; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 140 Rn. 1; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 387. 76 BGH NJW 1986, 2944, 2945; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 140 Rn. 7. 77 BGH NJW 2001, 815, 817; NJW 1986, 2944, 2945; NJW 1977, 1233, 1234. 78 Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 523; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 140 Rn. 7; Tiedtke, ZIP 1987, 1089, 1094; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 57 Rn. 11. 79 BGH NJW 1999, 3704, 3705; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 141 Rn. 1; MüKoBGB/Busche, 8. Aufl., § 141 Rn. 1; Staudinger/Roth, (2015), § 141 Rn. 1; PWW/ Ahrens, 14. Aufl., § 141 Rn. 1; NK‑BGB/Faust, 3. Aufl., § 141 Rn. 1. 80 BGH NJW 1999, 3704, 3705; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl, § 58 Rn. 10; Staudinger/ Roth, (2015), § 141 Rn. 25; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 141 Rn. 9; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 27 Rn. 15; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 141 Rn. 6; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 141 Rn. 5. 81 BGH NJW 1982, 1981, 1982.
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Eine Bestätigung setzt zunächst einen nach außen artikulierten und übereinstimmenden Bestätigungswillen beider Parteien voraus.82 Die Bestätigung kann auch konkludent, insbesondere durch die Vornahme der Erfüllungshandlung, vorgenommen werden.83 Sie liegt aber nicht automatisch in der Weiterbenutzung der erworbenen Sache in Kenntnis der Nichtigkeit des Kaufvertrags.84 Im Bereich der Grundstückskaufverträge gilt es zu berücksichtigen, dass auch die Bestätigung formbedürftig ist und zwar auch dann, wenn die notwendige Form beim ursprünglichen Vertragsschluss eingehalten wurde.85 Es ist deshalb auch für die Bestätigung die notarielle Beurkundung nach § 311b Abs. 1 S. 1 BGB erforderlich. Allein dies erhöht die Komplexität enorm, sodass eine Bestätigung praktisch von wenig Bedeutung für die vorliegenden Fälle ist. Problematisch erscheint daneben vor allem, dass für die Neuvornahme der alte Nichtigkeitsgrund nicht mehr vorliegen darf.86 Dies scheint insofern überwindbar, wenn man die Rechtsprechung beim Wort nimmt und den die Nichtigkeit herbeiführenden Umstand in der Ausnutzung des Bewucherten, nicht aber in der Äquivalenzstörung sieht. Voraussetzung wäre damit, dass der benachteiligte Teil sich bei der Neuvornahme nicht mehr in einer Schwächelage befindet.87 Speziell beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft könnte eine Neuvornahme dennoch schwierig sein, da hier eine Gesamtwürdigung vorgenommen wird und selbst beim Wegfall eines Umstands der betreffende Vertrag immer noch als wucherähnliches Rechtsgeschäft unwirksam sein kann.88 Eine Neuvornahme kann aber auch dadurch geschehen, dass die Parteien sich auf eine Änderung der Leistungspflichten einigen, sodass dann kein besonders grobes Missverhältnis mehr besteht. Auch in einer Änderungsvereinbarung selbst kann nämlich eine Bestätigung liegen.89 Erforderlich ist aber stets ein Bestätigungswille, das heißt die Kenntnis der Nichtigkeit oder zumindest Zweifel 82 BGH NJW 1982, 1981; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 141 Rn. 7 f.; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 141 Rn. 7 f.; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 27 Rn. 14. 83 Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 141 Rn. 7; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 141 Rn. 9; MüKoBGB/Busche, 8. Aufl., § 141 Rn. 13; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 141 Rn. 7. 84 So richtigerweise: MüKoBGB/Busche, 8. Aufl., § 141 Rn. 13; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 530. Zu § 144 BGB ebenso: BGH NJW 1973, 1795, 1800. 85 BGH NJW 1985, 2579, 2580; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 141 Rn. 9; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 141 Rn. 4.; MüKoBGB/Busche, 8. Aufl., § 141 Rn. 15; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 141 Rn. 8; NK‑BGB/Faust, 3. Aufl., § 141 Rn. 15; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 27 Rn. 14. 86 BGH NJW 1982, 1981, 1982; NJW 1973, 465, 466; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 141 Rn. 3; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 141 Rn. 10; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 58 Rn. 7; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 27 Rn. 14. 87 BGH NJW 1982, 1981, 1982. 88 BGH NJW 1982, 1981, 1982. 89 BGH NJW 2012, 1570, 1572; NJW 2007, 2841, 2841; NJW 1982, 1981, 1981; PWW/ Ahrens, 14. Aufl., § 141 Rn. 7.
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an der Wirksamkeit des Vertrages.90 Dies ist gerade im Fall des wucherähnlichen Rechtsgeschäftes sinnvoll, da dadurch die benachteiligte Partei geschützt wird,91 die bei Kenntnis der Nichtigkeit im Zweifel gar keine Bestätigung mehr vornehmen wollen wird, beziehungsweise nur eine, die sich nicht in der bloßen Reduktion ihrer Leistungspflicht erschöpft, sondern in einer Anpassung an den Wert der Gegenleistung besteht. Häufig, aber nicht immer, gilt Entsprechendes auch in den Fällen des Wuchers.
IV. Zwischenergebnis Insgesamt steht das deutsche Recht einer Aufrechterhaltung äquivalenzgestörter Verträge, insbesondere über den Weg der Reduktion der übermäßigen Leistungsverpflichtung, ablehnend gegenüber. Vor allem ist stets die Mitwirkung oder der Wille der begünstigten Partei erforderlich, was gerade eine Aufrechterhaltung im Wege der Anpassung behindert. Die zwingende Gesamtnichtigkeit stellt daher den Regelfall dar.
E. Der Käufer als benachteiligte Partei I. Der Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB Ist der Käufer der Bewucherte, hat er also für den Kaufgegenstand zu viel bezahlt, stellen sich die Rechtsfolgen nach § 138 Abs. 2 BGB im Ausgangspunkt wie folgt dar: Der Kaufvertrag als Verpflichtungsgeschäft ist nichtig, ebenso wie das Erfüllungsgeschäft des Bewucherten (des Käufers) also die Zahlung des Kaufpreises. Im Falle einer Barzahlung – und gesetzt den Fall, dass es zu keiner Vermischung gemäß §§ 948 Abs. 1, 947 BGB gekommen ist – kann der Käufer den gezahlten Kaufpreis über § 985 BGB herausverlangen. Ansonsten – und dies stellt den Regelfall dar – muss er diesen über §§ 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1, 818 Abs. 2 BGB (ggf. auch nach §§ 951 Abs. 1, 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB) herausverlangen. Für gewöhnlich erfolgt die Kaufpreiszahlung mittels Banküberweisung, dann hat der Verkäufer rechtsgrundlos eine Gutschrift auf seinem Konto beziehungsweise einen Auszahlungsanspruch gegen seine Bank erlangt.92 Dem Verkäufer als Wucherer steht in diesen Fällen nur die Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB zu, um den Kaufgegenstand heraus 90 BGH NJW 2012, 1570, 1572; NJW 1995, 2290, 2291; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 141 Rn. 7; NK‑BGB/Faust, 3. Aufl., § 141 Rn. 13; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 58 Rn. 8; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 27 Rn. 14; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 141 Rn. 3. 91 So richtig: Stadler, JA 2012, 786, 788. 92 Zur Frage, worin im Falle der Überweisung das Erlangte i. S. v. § 812 Abs. 1 BGB besteht: MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 812 Rn. 11; ausführlich: Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 185 ff.
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zu verlangen, denn sein Erfüllungsgeschäft, die Übereignung der Kaufsache, ist wirksam, sodass ein Anspruch aus § 985 BGB ausscheidet.93
1. Problematische Konstellationen Sofern sich beide Leistungen noch unverändert im Vermögen der jeweiligen Empfänger befinden, bereitet die Rückabwicklung selbst wenig Schwierigkeiten, denn die empfangenen Leistungen können einfach zurückgegeben werden. Allerdings kommt es häufig vor, dass sich der Kaufgegenstand nicht mehr in dem Zustand befindet wie zum Zeitpunkt seines Empfangs. Gerade beim Kauf eines Grundstücks nimmt der Käufer an diesem in der Folge oft Veränderungen vor, sei es, dass er es bebaut, an der bestehenden Bebauung Veränderungen vornimmt oder nur Reparaturen tätigt. Dazu können sonstige Aufwendungen oder Investitionen im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag treten. In diesen Fällen hat der Käufer häufig ein großes Interesse daran, den Gegenstand zu behalten. Gleichzeitig kann es sein, dass der Bereicherungsschuldner (Verkäufer) mit den Veränderungen gar nicht einverstanden ist und den Gegenstand in seiner ursprünglichen Form zurückerhalten möchte. Sofern sich der Wert der Kaufsache nicht mehr im Vermögen des Käufers befindet, wie etwa im Falle ihrer Zerstörung, stellt sich die Frage, ob der Käufer sich auf Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB berufen kann und somit von der Wertersatzpflicht befreit ist.94 Allgemein stellen sich folgende Fragen: Was genau muss herausgegeben werden? Kann unter Umständen statt der Herausgabe des Grundstücks auch Wertersatz in entsprechender Höhe geleistet werden? Kann der Käufer Ersatz für die getätigten Aufwendungen verlangen oder muss eine etwaige Umgestaltung von ihm vielleicht sogar rückgängig gemacht werden? Kann der Bereicherungsgläubiger gegen mögliche Ersatzansprüche einwenden, dass die vorgenommenen Veränderungen für ihn nutzlos sind oder gar seinem Interesse widersprechen? Findet schließlich in Fällen der Verschlechterung des Grundstücks die Saldotheorie Anwendung oder liegen sogar die Voraussetzungen der verschärften Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB vor?
2. Gegenstand der Herausgabe nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB a) Ausgangslage Grundsätzlich muss der Bereicherungsschuldner nach heute vorherrschender Auffassung das konkret Erlangte in der Form, in der es ihm zugeflossen ist, und nicht bloß die vermögensmäßige Bereicherung herausgeben.95 Heraus93 Dazu
inwiefern dieser ggf. nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen ist: 3. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 70 f. 94 Vgl. dazu unten: II. 8. Beschädigungen oder Untergang der Sache, S. 90. 95 BGH NJW 2006, 2847, 2849 f.; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 812 Rn. 1 u. § 818
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zugeben ist danach der Gegenstand, den der Bereicherungsschuldner rechtsgrundlos erlangt hat. Diesen muss er so zurückgeben, wie er sich zur Zeit der Rückforderung in seinem Vermögen befindet.96 Zur Wiederherstellung des Zustands wie er im Zeitpunkt des Empfangs war, ist der Bereicherungsschuldner grundsätzlich nicht verpflichtet.97 Anders ist dies, falls er verschärft nach § 819 Abs. 1 BGB haftet. Daraus folgt auch, dass er im Falle der Weiterveräußerung der Kaufsache nicht zu deren Wiederbeschaffung verpflichtet ist.98 An die Stelle der Herausgabe der veräußerten Sache tritt dann nach § 818 Abs. 2 BGB die Verpflichtung zum Wertersatz. Hat der Käufer das Grundstück in der Zwischenzeit bebaut, muss er das Grundstück inklusive Bebauung herausgeben, da und soweit diese gemäß den §§ 946, 94 BGB wesentlicher Bestandteil des Grundstücks geworden ist. Gleiches gilt, wenn der Empfänger bauliche Veränderungen vornimmt und zu diesem Zweck Materialien einfügt, sofern diese gemäß § 94 Abs. 2 BGB wesentliche Bestandteile des Gebäudes und darüber wiederum des Grundstücks werden. Dies kann für den Bereicherungsgläubiger vorteilhaft sein, wenn sich dadurch der Wert des Gegenstands erhöht oder er sich sonst wie verbessert und die vorgenommenen Veränderungen nicht seinen Interessen widersprechen. Denn dann erhält er einen wertvolleren Gegenstand zurück als er ursprünglich weggegeben hat.99 Sofern die eingefügten Materialien nicht wesentliche Bestandteile des Grundstücks werden, sie also teilrechtsfähig bleiben oder nur Zubehör im Sinne von § 97 BGB darstellen, kann der Bereicherungsschuldner sie vor der Rückgabe entfernen. Das gleiche gilt, wenn ausnahmsweise die Bebauung selbst nicht wesentlicher Bestandteil des Grundstücks geworden ist.100
Rn. 127 ff.; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 313; Rengier, AcP 177 (1977), 418, 431; Musielak, JA 2017, 1, 1; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 254; BGB‑RGRK/Heimann-Trosien, 12. Aufl., § 818 Rn. 2; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 2; Staudinger/Lorenz, (2007), § 812 Rn. 65 ff.; grdl.: v. Caemmerer in: FS Rabel (1954), 333, 368. 96 BGH NJW 1980, 1789, 1790; NJW‑RR 1988, 584, 585; NJW 2002, 1340 1341; NJW 2006, 2847, 2849 f.; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 254 f.; Soergel/Hadding, 13. Aufl., § 818 Rn. 5 f.; HK‑BGB/Wiese, 10. Aufl., § 818 Rn. 2; jurisPK‑BGB/Martinek, 9. Aufl., § 818 Rn. 20; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 186 u. 189. 97 Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 21; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 58; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 9; NK‑BGB/Linke, 3. Aufl., § 818 Rn. 25; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 313; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 274. 98 BGH NJW 2006, 2847, 2850; NJW 1991, 917, 918; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 49; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 9; jurisPK‑BGB/Martinek, 9. Aufl., § 818 Rn. 51; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 15; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 274. 99 Vgl. zur Verpflichtung zum Ersatz der vom Bereicherungsschuldner getätigten Verwendungen und Aufwendungen sogleich: 3. Ersatz von Verwendungen und Aufwendungen, S. 72 ff. 100 Etwa weil sie nur ein Scheinbestandteil nach § 95 BGB ist und damit sonderrechtsfähig bleibt.
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Andererseits muss der Bereicherungsschuldner, auch wenn durch die getätigten Verwendungen bei wirtschaftlicher Betrachtung aus dem erlangten Gegenstand etwas ganz anderes geworden ist, die Umgestaltung nicht rückgängig machen.101 Da der Bereicherungsschuldner den Gegenstand nur so herauszugeben hat, wie er ihn empfangen hat, wird man ihm umgekehrt aber das Recht zugestehen müssen, Verbindungen und Verbesserungen rückgängig zu machen, selbst wenn sie wesentlicher Bestandteil des Grundstücks geworden sind.102 Theoretisch könnte der Bereicherungsschuldner also das auf dem Grundstück gebaute Haus abreißen. Weil dies für ihn aber mit zusätzlichen Kosten verbunden ist, wird er dies in der Regel jedoch nicht tun. Der Bereicherungsgläubiger kann aber nicht die Herausgabe in ursprünglicher Form verlangen. Dies ist nur über einen Schadensersatzanspruch im Wege der verschärften Haftung möglich.103
b) Einschränkung der Herausgabepflicht bei extremer Umwandlung Dass grundsätzlich das Grundstück herausgegeben werden muss, läuft häufig den Interessen des bewucherten Käufers entgegen, gerade wenn er das Grundstück bebaut hat.104 Auch wenn er unter Umständen Ersatz seiner für die Bebauung getätigten Aufwendungen erhält,105 kann ihn dies von der Geltendmachung der Nichtigkeit abhalten. Es stellt sich daher die Frage, ob in extremen Fällen, wie gerade der Bebauung eines unbebauten Grundstücks oder eines vollständigen Funktionswandels durch Umbau eines bereits zuvor bebauten Grundstücks, die Herausgabepflicht nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB eingeschränkt ist und an ihre Stelle die Pflicht oder zumindest die Möglichkeit tritt, Wertersatz zu leisten.
aa) Rechtsprechung Im Grundsatz ändert auch eine Bebauung des betreffenden Grundstücks nichts an der Pflicht zu dessen Herausgabe, auch wenn das Grundstück zum Zeitpunkt des Eigentumsübergangs noch unbebaut war.106 Dies gilt selbst dann, wenn es aufgrund einer Bebauung mit einem Wohnhaus mittlerweile als Lebensgrundlage des Empfängers dient.107
101 Vgl. Kapitel 2 Fn. 97. 102 So zu Recht auch: Reuter/Martinek,
Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 313. 103 Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 274 f. 104 Vgl. dazu oben: § 6 A I. Das primäre Interesse, S. 34 ff. 105 Vgl. dazu sogleich: 3. Ersatz von Verwendungen und Aufwendungen, S. 72 ff. 106 BGH NJW‑RR 1988, 584, 585; NJW 1980, 1789, 1790. 107 BGH NJW‑RR 1988, 584, 585.
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Das Reichsgericht108 und in einem Urteil auch der BGH109 haben allerdings bei der Bebauung eines rechtsgrundlos erlangten Grundstücks die Herausgabepflicht wegen Unmöglichkeit verneint und den Bereicherungsgläubiger auf Wertersatz gemäß § 818 Abs. 2 BGB verwiesen, wenn das Grundstück bebaut wurde und die Herausgabe des Grundstücks in Folge der Bebauung nicht mehr zumutbar sei, auch wenn sie noch jeweils praktisch möglich war.110 In beiden Fällen wurde das Grundstück, dessen Herausgabe verlangt wurde, zusammen mit benachbarten Grundstücken einheitlich überbaut. In RGZ 133, 293 wurden zwei Grundstücke verkauft, von denen jedoch irrtümlicherweise nur eines übereignet wurde. Beide Grundstücke wurden dann vom Empfänger mit einem zusammenhängenden Fabrikgebäude bebaut und darein wertvolle Maschinen eingefügt, die mit bis zu vier Meter tiefen Fundamenten mit dem Erdboden verbunden wurden, sodass sie nicht mehr herausgenommen werden konnten. Das Reichsgericht stützte seine Argumentation maßgeblich darauf, dass das Grundstück durch die Errichtung der Fabrik wirtschaftlich „etwas ganz anderes geworden sei“ und nahm daher in diesem Fall eine Unmöglichkeit der Herausgabe nach § 818 Abs. 2 BGB an.111 In der Entscheidung des BGH112 übertrug ein Vater ein Grundstück an seinen Sohn, das zusammen mit weiteren Grundstücken das Betriebsgelände des von Vater und Sohn gemeinsam betriebenen Unternehmens bildete. In Folge des Widerrufs der schenkungsbedingten Übertragung kam es zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung. Das übereignete Grundstück war allerdings in der Zwischenzeit zusammen mit einem benachbarten Grundstück mit Fabrikgebäuden bebaut worden. Der BGH stimmte dabei der Rechtsprechung des Reichsgerichts zu, dass in Fällen des vollständigen Funktionswandels eine gegenständliche Herausgabe ausgeschlossen sein könne.113 An einem solchen Funktionswandel fehlte es im konkreten Fall jedoch gerade, denn das übereignete Grundstück diente vor und nach der Übertragung an den Sohn als Betriebsgrundstück. Daraus ließe sich aber nicht im Umkehrschluss schließen, dass die Aufrechterhaltung der Funktion stets zu einer Herausgabepflicht in Bezug auf das Grundstück führe.114 Diesbezüglich führt der BGH aus, dass die Rückgabe 108 RGZ 133, 293; bestätigt durch obiter dictum in RGZ 169, 65, 75 f. 109 BGH NJW 1981, 2687, der BGH konnte dabei den Fall allerdings
nicht selbst entscheiden, sondern verwies an das Berufungsgericht zurück, damit dieses weitere Feststellungen treffen konnte. 110 BGH NJW 1981, 2687, 2688. 111 RGZ 133, 293, 295; vgl. auch RGZ 117, 112, 113, in der das RG den Empfänger, der ein Grundstück mit einer einfachen Gastwirtschaft zu einem Logierhaus erweiterte, zur Herausgabe verpflichtete, weil es sich trotz Veränderungen und Vergrößerung weiterhin um einen Gastwirtschaftsbetrieb handelte. Diese Formulierung findet sich eher en passant auch in BGH NJW 1991, 917, 918. 112 BGH NJW 1981, 2687. 113 BGH NJW 1981, 2687, 2689. 114 BGH NJW 1981, 2687, 2688.
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nicht schon deshalb möglich sei, weil das Grundstück vor und nach der Übertragung und Bebauung als Betriebsgrundstück fungierte.115 Entscheidend seien vielmehr wirtschaftliche Gesichtspunkte, nämlich ob angesichts des Wertverhältnisses zwischen Grundstück und dem vom Empfänger errichteten Gebäude, diesem eine Herausgabe noch zumutbar sei.116 Sofern eine Herausgabe danach nicht mehr zumutbar sei, trete die Pflicht zum Wertersatz an die Stelle der Herausgabeverpflichtung. Eine konkrete Grenze oder jedenfalls grobe Richtlinie, ab wann von einer solchen Unzumutbarkeit ausgegangen werden kann, hat der BGH dabei aber nicht gesetzt.117 Es ist somit nach der Rechtsprechung nicht völlig ausgeschlossen, dass der bewucherte Käufer die empfangene Leistung behalten und stattdessen Wertersatz leisten kann. Das Interesse am Behaltendürfen des Grundstücks wird in Ausnahmefällen also geschützt.
bb) Literatur Die Rechtsprechung, die in Ausnahmefällen eine Herausgabepflicht des Grundstücks verneint, wird auch von Teilen der Literatur gestützt,118 wobei versucht wird, allgemeine Kriterien dafür zu entwickeln, wann die Herausgabepflicht durch die Pflicht zum Wertersatz ersetzt wird. Letztlich stimmen alle Vorschläge insofern mit der Rechtsprechung überein, als dass sie die Rückgabe von Zumutbarkeitskriterien abhängig machen wollen. Teils wird ein Wechsel zur Wertersatzpflicht dann befürwortet, wenn die Vorteile des Bereicherungsgläubigers zu den Nachteilen des Bereicherungsschuldners völlig außer Verhältnis stehen.119 Dogmatisch wird dies mit einer analogen Anwendung von § 251 Abs. 2 BGB120 oder dem Grundsatz der wirtschaftlichen Unmöglichkeit begründet121. Andere stellen, im Einklang mit dem Reichsgericht, darauf ab, ob bei wirtschaftlicher Betrachtung das Grundstück durch die neue Bebauung ein anderer Gegenstand geworden sei, wobei es für die Beantwortung dieser Frage nicht entscheidend darauf ankomme, ob eine Funktionsänderung vorliege, sondern diese Frage von Zumutbarkeitserwägungen abhängig gemacht wird.122 Die Frage der Zumutbarkeit soll sich wiederum durch einen Wertvergleich des 115
BGH NJW 1981, 2687, 2688. BGH NJW 1981, 2687, 2688; NJW‑RR 1988, 584, 585. 117 Auch aus dem Urteil (BGH NJW 1981, 2687) ergeben sich nicht die Wertverhältnisse im konkreten Fall, da das Berufungsgericht dazu keine Feststellungen getroffen hatte und der BGH den Fall deshalb an dieses zurückverwies. 118 Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 21; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 15; BGB‑RGRK/Heimann-Trosien, 12. Aufl., § 818 Rn. 17. 119 Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 274. 120 Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 274. 121 Linke, JR 1982, 91, 93 f. 122 jurisPK‑BGB/Martinek, 9. Aufl., § 818 Rn. 60; Sachenrecht/Erbrecht/Kahlert, § 7 Rn. 725. 116
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Grundstücks im unbebauten und bebauten Zustand beurteilen.123 Beide Ansichten entsprechen damit quasi der Auffassung der Rechtsprechung, auch wenn hier wiederum die genaue Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze offen bleibt. Die Rechtsprechung zur Unmöglichkeit der Herausgabe in Fällen der Bebauung ist jedoch auch auf Kritik gestoßen. So wird auch eine uneingeschränkte Herausgabepflicht des bebauten Grundstücks angenommen und zwar selbst dann, wenn die Nachteile für den Schuldner so gravierend sind, dass sie außer Verhältnis zu den Vorteilen für den Gläubiger stehen.124 Dabei wird auf den Wortlaut des § 818 Abs. 2 BGB abgestellt, der die Unmöglichkeit der Herausgabe voraussetzt, und argumentiert, eine Unzumutbarkeit der Herausgabe begründe noch keine Unmöglichkeit.125 Weil das Gebäude gemäß §§ 946, 94 BGB wesentlicher Bestandteil des Grundstücks werde, sei es zusammen mit diesem herauszugeben.126 Zudem bestehe grundsätzlich ein Interesse des Gläubigers daran, das Grundstück selbst zurückzuerhalten, sodass auch im Falle sehr hoher wertsteigernder Aufwendungen von einer Rückgabepflicht in natura auszugehen sei.127 Schließlich habe auch der Bereicherungsschuldner ein schutzwürdiges Interesse daran, durch Herausgabe des erlangten Gegenstands seine Herausgabepflicht zu erfüllen.128 Dies ist zwar nicht falsch, lässt aber außer Acht, dass der Bereicherungsschuldner häufig ein großes Interesse daran hat, das Grundstück gar nicht mehr herauszugeben. Und zwar nicht nur in den hier interessierenden Fällen des Wuchers. Dies ist letztlich auch der Grund für die eben geschilderte Rechtsprechung von Reichsgericht und BGH. Was den Einwand angeht, die Rechtsprechung des BGH sei mit dem Wortlaut des § 818 Abs. 2 BGB nicht mehr zu vereinbaren, denn die Unzumutbarkeit der Herausgabe begründe gerade keine Unmöglichkeit, gilt es zu beachten, dass der BGH in seinem Urteil lediglich von einer „Gleichstellung“ mit den Fällen des § 818 Abs. 2 BGB spricht129. Nicht zu Unrecht wird zudem vorgebracht, dass die wirtschaftliche Unmöglichkeit auf § 818 Abs. 2 BGB nicht übertragbar sei, da dieser ein anderes Ziel verfolge als § 275 BGB.130 § 275 BGB regelt die Frage, wann der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit werde, während § 818 Abs. 2 BGB regele, wann 123 jurisPK‑BGB/Martinek, 9. Aufl., § 818 Rn. 60. 124 MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 60 f.;
Reimer, Die aufgedrängte Bereicherung, S. 102 ff.; kritisch bzgl. der BGH‑Rechtsprechung ebenfalls: BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 818 Rn. 25. 125 Reimer, Die aufgedrängte Bereicherung, S. 104; vgl. aber auch Linke, JR 1982, 91, 93, der im Begriff des „Außerstandeseins“ in § 818 Abs. 2 BGB einen Ansatzpunkt für den möglichen Wertersatzanspruch in diesen Fällen sieht. 126 MüKoBGB/Lieb, 4. Aufl., § 818 Rn. 36; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 60. 127 Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 274; BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 818 Rn. 25; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 60. 128 MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 60. 129 BGH NJW 1981, 2687, 2688. 130 Linke, JR 1982, 91, 93 f.; Reimer, Die aufgedrängte Bereicherung, S. 104.
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der Anspruch auf gegenständliche Herausgabe sich in einen Anspruch auf Wertersatz wandelt.131
3. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB a) Anwendbarkeit von § 817 S. 2 BGB Auch wenn größere Umgestaltungen des Bereicherungsgegenstands die Rückforderung prinzipiell nicht ausschließen, kann diese bei wucherischen Verträgen dennoch nach § 817 S. 2 BGB generell ausgeschlossen sein. Nach dieser Vorschrift ist die Kondiktion desjenigen ausgeschlossen, der mit seiner Leistung gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstößt. Dabei ist allgemein anerkannt, dass § 817 S. 2 BGB trotz des Wortes „gleichfalls“ nicht nur auf § 817 S. 1 BGB, sondern auf alle Fälle der Leistungskondiktion Anwendung findet.132 § 817 S. 2 BGB stellt eine Einwendung dar und ist von Amts wegen zu beachten.133 § 817 S. 2 BGB setzt die positive Kenntnis des Gesetzesverstoßes voraus, beziehungsweise das Bewusstsein sittenwidrig zu handeln, wobei ein leichtfertiges Sich-Verschließen vorsätzlichem Handeln gleich gestellt wird.134 Nicht notwendig ist hingegen, dass der Betroffene um die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts weiß.135 Nach überwiegender Ansicht in der Literatur – wobei diese Frage auffällig selten angesprochen wird – steht § 817 S. 2 BGB damit dem Rückforderungsanspruch des Wucherers aus Bereicherungsrecht entgegen.136 Die Leistung des Wucherers sei deshalb als sittenwidrig anzusehen, weil sie zumindest auch der Erlangung des wucherischen Vorteils diene.137 131 Reimer, Die aufgedrängte Bereicherung, S. 104; Flume, NJW 1970, 1161, 1162; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1. Aufl., S. 564; Linke, JR 1982, 91, 93 f. 132 Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 817 Rn. 8 f.; BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 817 Rn. 11; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 817 Rn. 12; Flume, AT II, S. 389; Bork, BGB AT, § 27 Rn. 1175; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 817 Rn. 11; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 817 Rn. 7; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 817 Rn. 11; Klöhn, AcP 210 (2010), 804, 806; dagegen aber Wazlawik, ZGS 2007, 336, 344; Neumann, Geltungserhaltende Reduktion, S. 51. 133 BGH NJW 2019, 2923 Rn. 95; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 817 Rn. 19; jurisPK‑BGB/ Martinek, 9. Aufl., § 817 Rn. 4. 134 BGH NJW 1993, 2108, 2109; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 817 Rn. 11; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 817 Rn. 8; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 817 Rn. 10; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 54. 135 BGH NJW 1993, 2108, 2109; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 817 Rn. 8. 136 MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 817 Rn. 58; Medicus in: GS Dietz, 61, 73, der damit jedoch unzufrieden ist; Cahn, JZ 1997, 8, 13; Köhler, BGB AT, 42. Aufl., § 14 Rn. 40; Rühle, Das Wucherverbot, S. 69; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 713; Canaris, WM 1981, 978, 985; Flume, AT II, S. 391, der jedoch davon ausgeht, dass der Bewucherte die Herausgabe seiner Leistung nur gegen Rückgabe der empfangenen Leistung verlangen kann; Wazlawik, ZGS 2007, 336, 337; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 84; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT II, § 192 III 1, S. 1178; Bork, BGB AT, § 27 Rn. 1175; gegen einen Ausschluss: von Tuhr, BGB AT II/2, S. 47. 137 Medicus in: GS Dietz, 61, 69 f.; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder To-
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b) Konkrete Auswirkungen Solange der Wucherer seine Leistung noch nicht erbracht hat, spielt § 817 S. 2 BGB keine Rolle. Aufgrund der Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts kann er die Gegenleistung nicht verlangen, ist aber auch selbst nicht zur Erbringung der Leistung verpflichtet. Sofern er jedoch seine Leistung schon erbracht hat, steht seinem Anspruch aus der Leistungskondiktion § 817 S. 2 BGB entgegen.138 Auf den Rückforderungsanspruch des Bewucherten findet der Ausschlusstatbestand des § 817 S. 2 BGB dagegen keine Anwendung, denn dieser handelt nicht verbots- oder sittenwidrig. In der Konsequenz führt dies dazu, dass der Bewucherte die Leistung des Wucherers unentgeltlich erhält. Der Bewucherte profitiert damit letztendlich vom wucherischen Geschäft. Die Verhältnisse haben sich gewissermaßen umgedreht: Der Bevorteilte wird zum Benachteiligten und umgekehrt.139
4. Zwischenergebnis In den Fällen des Wuchers nach § 138 Abs. 2 BGB stellen sich die Rechtsfolgen folgendermaßen dar: Der Kaufvertrag als Verpflichtungsgeschäft ist nichtig, es entstehen keine Leistungspflichten. Der bewucherte Käufer kann also nicht die Erfüllung des Vertrages verlangen und auf die (dringend benötigte) Leistung klagen. Regelmäßig wird es dennoch zum vom Gesetz nicht vorgesehenen Leistungsaustausch kommen, denn auch der Wucherer hat ein großes Interesse an der Durchführung des Vertrags, da er gewöhnlich nur so in den Genuss der Gegenleistung gelangt. Deshalb wird sich üblicherweise zunächst keine Partei auf die Nichtigkeit berufen, falls sie zum Zeitpunkt der Erfüllung überhaupt bekannt ist. Nach dem Leistungsaustausch kann der bewucherte Käufer den Kaufpreis zurückverlangen und muss wegen § 817 S. 2 BGB das Grundstück nicht herausgeben. Grund dafür ist aber nicht, dass damit das Interesse des Bewucherten am Behaltendürfen der Leistung geschützt werden soll, sondern eine Prävention bzw. Sanktionierung des Verhaltens des Wucherers. Da der bewucherte Käufer das Grundstück behalten kann, stellt sich in dieser Konstellation nicht die Frage nach etwaigen Ansprüchen auf Verwendungs- oder Aufwendungsersatz.
talnichtigkeit, S. 158 Fn. 13; ebenso auch das Reichsgericht: RGZ 151, 70, 71; 161, 52, 55 f.; diese Begründung erfährt allerdings auch Kritik, vgl. u. a.: A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 44 ff.; von Tuhr, BGB AT II/2, S. 47. 138 Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 84; jurisPK‑BGB/Nassall, 8. Aufl., § 138 Rn. 63 f. 139 Zur Kritik daran im Speziellen und zur Kritik allgemein in Bezug auf § 817 S. 2 BGB in Fällen des Wuchers und wucherähnlichen Rechtsgeschäfts, vgl. unten: § 9 C. II. Rolle des § 817 S. 2 BGB, S. 194 ff.
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II. Das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB 1. Gegenstand der Herausgabe Aufgrund der Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts kommt es auch bei Vorliegen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung. Der benachteiligte Käufer kann daher nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB Herausgabe des gezahlten Kaufpreises verlangen, der begünstigte Verkäufer die Herausgabe des Grundstücks. Bezüglich des Inhalts des Anspruchs auf Herausgabe des Grundstücks und der Auswirkungen von Veränderungen des Bereicherungsgegenstands ergeben sich keine Unterschiede zum Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB.140
2. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB In Fällen des § 138 Abs. 2 BGB ist der Anspruch des wucherischen Verkäufers auf Herausgabe der Sache nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen. Ebenso findet § 817 S. 2 BGB Anwendung auf nach § 138 Abs. 1 BGB nichtige wucherische Kreditverträge.141 Das lässt es auf den ersten Blick naheliegend erscheinen, dass auch die Ansprüche des begünstigten Verkäufers auf Rückgabe des Grundstücks in Fällen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen sind. Der BGH wendet aber § 817 S. 2 BGB auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung bei Kaufverträgen, die nach den Grundsätzen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sind, nicht an, ohne dies jedoch zu begründen. Er geht vielmehr wie selbstverständlich davon aus, dass die erbrachten Leistungen Zug-um-Zug zurückzugewähren sind, ohne dabei § 817 S. 2 BGB in seinen Urteilen überhaupt zu erwähnen und sich mit dessen Anwendbarkeit auseinanderzusetzen.142 Anders als der Bewucherte muss der Benachteiligte im Falle eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts den Kaufgegenstand daher herausgeben.143
3. Ersatz von Verwendungen und Aufwendungen Wenn der Benachteiligte den Gegenstand im Regelfall herausgeben muss, ist es für ihn von entscheidender Bedeutung, ob er die auf den Gegenstand gemachten Aufwendungen sowie sonstige für dessen effektive Nutzbarkeit aufgewendete Kosten ersetzt verlangen kann. Eine konkrete Regelung, die den 140 Vgl. daher dazu oben: I. 2. Gegenstand der Herausgabe nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB, S. 64 ff. 141 Vgl. dazu unten: § 9 C. III. 1. b) Kreditwucher, S. 199 ff. 142 Vgl. z. B. BGH NJW‑RR 2011, 880, 881; NJW‑RR 2003, 558; NJW 2001, 1127; NJW‑RR 1993, 198; NJW‑RR 1990, 950; NJW 1985, 3006. 143 Vgl. zur Kritik daran unten: § 9 A. I. 1. Interesse am Bestand des Leistungsaustauschs, S. 158 ff.
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Ersatz für Verwendungen und allgemein Aufwendungen ausdrücklich regelt, existiert im Bereicherungsrecht nicht.144 Die Rechtsprechung145 und auch die Literatur146 gehen – im Einklang mit dem historischen Gesetzgeber147 – aber davon aus, dass der Bereicherungsschuldner die gemachten Aufwendungen bei einem gegenseitigen Vertrag als Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB gegenüber dem Anspruch des Bereicherungsgläubigers geltend machen kann. Danach kann der Bereicherungsgläubiger die Herausgabe des Gegenstands nur Zug um Zug gegen Ersatz der vom Empfänger auf diesen getätigten Verwendungen verlangen.148 Bezüglich der Höhe kommt es auf den Zeitpunkt der Vornahme der jeweiligen Aufwendung an, da der Bereicherungsschuldner in dieser Höhe eine Vermögenseinbuße erlitten hat. Umstritten ist nur, in welchem Umfang der Bereicherungsschuldner getätigte Aufwendungen mindernd geltend machen kann.149 Für den Verkäufer führt die Lösung über § 818 Abs. 3 BGB zu der (misslichen) Konsequenz, dass er sich beim Ersatz dieser Verwendungen nicht auf Entreicherung berufen kann. Daneben kann der Käufer seine Verwendungen mittels eigenständiger Verwendungskondiktion über § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB geltend machen. Hier kann der Verkäufer sich auf Entreicherung berufen. Zudem ist die Kondiktion beschränkt auf die bei Rückgabe noch bestehende Wertsteigerung.150 Nach der soeben geschilderten Möglichkeit über § 818 Abs. 3 BGB Ersatz für die getätigten Aufwendungen zu verlangen, ist es jedoch kaum denkbar, dass der Käufer einen eigenständigen Anspruch auf Verwendungsersatz geltend macht.
a) Reichweite des Verwendungsersatzes Nach Auffassung der Rechtsprechung kann der Bereicherungsschuldner sämtliche Nachteile als Entreicherung geltend machen, die in einem adäquat-kausalen Zusammenhang mit dem rechtsgrundlosen Erwerb stehen.151 Ein reiner Kausal144 Vgl. aber noch § 740 Abs. 3 des ersten Entwurfs zum BGB, der eine solche Regelung vorsah, der aber schon von der zweiten Kommission wieder gestrichen wurde. 145 BGH NJW‑RR 1988, 584, 585; NJW 1980, 1789, 1790. 146 Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 365 ff.; Palandt/ Sprau, 79. Aufl., § 818 Rn. 35 ff.; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 32 u. 39a; PWW/ Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 24; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 818 Rn. 27 ff.; MüKoBGB/ Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 159 f. 147 Mugdan II, S. 1186: zur Streichung von § 740 Abs. 3 (vgl. Kapitel 2 Fn. 144): „den Anspruch über die Vergütung von Verwendungen, hielt man für entbehrlich, da sich […] das Recht des Kondiktionsbeklagten auf Erlaß derselben schon aus der Beschränkung seiner Haftung auf die Bereicherung [ergebe] …“. 148 BGH NJW 1980, 1789, 1790; NJW‑RR 1988, 584, 585. 149 Vgl. dazu sogleich: a) Reichweite des Verwendungsersatzes, S. 73 f. und b) Ersatz für frustrierte Aufwendungen, S. 75 f. 150 BGH NJW 1999, 1626, 1630. 151 St. Rspr., vgl. u. a. BGH NJW 2016, 1388, 1390; NJW 2015, 3098, 3100; NJW 1981, 277, 278; NJW 1951, 270, 271; vgl. auch bereits RGZ 106, 4, 7; 141, 310, 312.
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zusammenhang zwischen (rechtsgrundlosem) Erwerb und getätigter Aufwendung scheint danach zu genügen. Diese Ansicht würde den Schuldner extrem begünstigen. Sie geht aber zu weit, denn ein reiner Kausalzusammenhang ließe die Berufung auf Entreicherung ausufern. In neuerer Zeit beschränkt die Rechtsprechung daher die reine Kausalitätsbetrachtung durch eine Einzelfallprüfung, bei der anhand der Vorschriften des fehlgeschlagenen Geschäfts oder dem Willen der Vertragsparteien untersucht wird, wem das Risiko der Entreicherung zuzurechnen sei.152 Dagegen muss nach Ansicht der h. M. in der Literatur der Empfänger die Aufwendungen im Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit des Erwerbs getätigt haben, um sich auf Entreicherung berufen zu können.153 Es muss also ein innerer Zusammenhang zwischen Entreicherung und Rechtsgrundlosigkeit bestehen. Als Orientierung kann dabei die Frage dienen, wie der Bereicherungsschuldner bei (rechtzeitiger) Kenntnis von der Rechtsgrundlosigkeit seines Erwerbs stünde.154 Hätte er die Aufwendungen dann nicht getätigt, kann er diese nach § 818 Abs. 3 BGB als Entreicherung geltend machen und die Herausgabe des Bereicherungsgegenstands vom Ersatz der Aufwendungen abhängig machen. Falls er sie dennoch getätigt hätte, sind sie nicht ersatzfähig. Diese Formel ist relativ leicht anzuwenden. Danach sind die Aufwendungen des Empfängers auf das Grundstück in aller Regel über § 818 Abs. 3 BGB ersetzbar, denn dieser würde das Grundstück nicht bebauen oder eine vorhandene Bebauung umgestalten oder ausbessern, wenn er wüsste, dass er es wieder zurückgeben muss. Gleiches gilt für sonstige im Zusammenhang mit der Bereicherung getätigte Aufwendungen, die sich nicht oder nur schlecht anders nutzen lassen. Dies entschärft die schlechte Position des Bereicherungsschuldners und kann ihn bei der Geltendmachung seiner Rechte bestärken beziehungsweise schreckt ihn nicht von der Geltendmachung ab. Er kann damit sowohl die Kosten für das verwendete Material als auch die eingesetzten Arbeitskräfte verlangen. Er kann aber nicht den – unter Umständen höheren – Wert der veränderten oder, im Falle der Bebauung eines Grundstücks, bebauten Sache herausverlangen. Der Bereicherungsgläubiger profitiert also von der Wertsteigerung, die die Höhe der gemachten Aufwendungen übersteigt, sofern sie nicht seinem Interesse zuwider laufen.
152 Vgl. u. a.: BGH NJW 2016, 1388, 1390; NJW 2015, 3098, 3100; NJW 1992, 1037; NJW 1990, 314, 315; zur Kritik daran vgl. MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 143 ff. 153 Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 365 ff.; MüKoBGB/ Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 138 u. 150; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 296; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 818 Rn. 35; Soergel/Hadding, 13. Aufl., § 818 Rn. 40 ff.; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 818 Rn. 33; Musielak, JA 2017, 1, 3. 154 MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 138; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 297.
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b) Ersatz für frustrierte Aufwendungen Fraglich ist, ob eben Genanntes auch für den Ersatz sogenannter frustrierter Aufwendungen gilt, also solcher, die nutzlos oder nicht werterhöhend waren oder deren ursprüngliche Werterhöhung jedenfalls zum Zeitpunkt des Rückgabeverlangens nicht mehr vorhanden ist.155 Im Anwendungsbereich des EigentümerBesitzer-Verhältnisses sind diese nur ersetzbar, sofern es sich um notwendige Verwendungen handelt, nicht aber bei nützlichen im Sinne von § 996 BGB. Nach teilweise vertretener Auffassung kann der Bereicherungsschuldner die getätigten Verwendungen und Aufwendungen im Falle ihrer Nutzlosigkeit nicht über § 818 Abs. 3 BGB als Entreicherung geltend machen.156 Anderenfalls müsste nämlich der Bereicherungsgläubiger für vermögensmindernde Aufwendungen des Bereicherungsschuldners aufkommen.157 Diesem sei aber das Risiko zuzurechnen, dass von ihm getätigte Aufwendungen wertlos sind, zumal er um deren Wertlosigkeit in der Regel auch wisse.158 Die Schmälerung seines Vermögens resultiere in diesem Falle gerade nicht aus der Rechtsgrundlosigkeit des Erwerbs, sondern auf seiner eigenen Entscheidung.159 Sonst würde der Bereicherungsschuldner von dem für ihn unerwarteten Rückforderungsanspruch – denn sonst läge ein Fall der verschärften Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB vor – profitieren, da er auf einmal Ersatz für seine Aufwendungen verlangen könnte. So käme es plötzlich zu einer Bereicherung des Bereicherungsschuldners, was dem Zweck des Bereicherungsrechts zuwiderliefe. Nach der ganz überwiegenden Ansicht, die auch der BGH vertritt, soll es aber im Rahmen von § 818 Abs. 3 BGB keine Rolle spielen, ob die Verwendungen notwendig oder nützlich waren oder ob eine Werterhöhung eingetreten und noch vorhanden ist.160 Dies sei die Konsequenz der im Rahmen von § 818 Abs. 3 BGB gebotenen Betrachtung, allein auf das Vermögen des Bereicherungsschuldners abzustellen. Zudem hätte der Empfänger die Aufwendungen nicht gemacht, wenn er von der Rechtsgrundlosigkeit des Erwerbs gewusst hätte.161 155
Vgl. zum Begriff der frustrierten Aufwendungen etwa Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 298 f.; BGH NJW 1991, 2277, 2278. 156 Kohler, Die gestörte Rückabwicklung gescheiterter Austauschverträge, S. 129 Fn. 39; Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 120. 157 Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 121. 158 Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 120. 159 Kohler, Die gestörte Rückabwicklung gescheiterter Austauschverträge, S. 129 Fn. 39; Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 120. 160 BGH NJW 1999, 1626, 1629; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 159; Jauernig/ Stadler, 17. Aufl., § 818 Rn. 33; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 24; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 298 f.; Canaris in: FS Lorenz, 19, 47; Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 37; BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 818 Rn. 71. 161 Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 367; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 298 f.
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Wendet man die oben erwähnte Kontrollfrage uneingeschränkt an, so ist tatsächlich eine Ersatzfähigkeit zu bejahen. Folgt man dieser Ansicht, so muss man sich im Klaren darüber sein, dass dies zu ganz erheblichen Belastungen für den Bereicherungsgläubiger führen kann. Soweit dieser den anderen Teil ausgebeutet hat, mag man dies unter Verweis auf seine mangelnde Schutzwürdigkeit hinnehmen.162 In Fällen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts kann aber auch die begünstigte Partei schutzwürdig sein, sodass sich dieses Ergebnis hier gewissen Zweifeln ausgesetzt sieht. Auch wenn in dieser Frage keine völlige Einigkeit herrscht, kann doch für die Rechtspraxis in Deutschland davon ausgegangen werden, dass auch frustrierte Verwendungen und Aufwendungen als Entreicherung geltend gemacht werden können.
4. Vertragskosten und Kosten des Erwerbs Weiter stellt sich die Frage, ob auch Vertragskosten und die Kosten des Erwerbs entreichernd geltend gemacht werden können. Vertragskosten sind Kosten wie Maklerhonorare, Notarkosten, oder Steuern.163 Die Kosten des Erwerbs sind vor allem Grundbuchkosten, gezahlte Mehrwertsteuer oder Frachtkosten.164 Ob sie unter den Begriff der Entreicherung fallen, ist ebenfalls streitig. Nach oben genannter Kontrollüberlegung scheint dies der Fall zu sein, denn der Bereicherungsschuldner tätigt sie im Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit des (zukünftigen) Erwerbs. Deshalb wird auch vertreten, dass Vertragskosten über § 818 Abs. 3 BGB generell als Entreicherung geltend gemacht werden können.165 Das setzt voraus, dass man bezüglich der Ersatzfähigkeit nicht differenziert, ob die Kosten vor oder nach Empfang der Leistung entstanden sind. Diese Auffassung ist allerdings nicht unbestritten. In der Tat erscheint bei genauerer Untersuchung eine Einbeziehung zweifelhaft. Der die Bereicherungshaftung auslösende Umstand ist nämlich nicht der Vertragsschluss oder dessen Anbahnung, sondern der Empfang der Leistung.166 Die Vertragskosten mindern insofern nicht die Bereicherung, da sie dieser vorgelagert sind.167 Vor allem aber würden dann im Ergebnis diese Kosten bei der Nichtigkeit des Vertrages immer von demjenigen zu tragen sein, der sie nach der vertraglichen Regelung 162 Wobei natürlich auch hier die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben muss. Die mangelnde Schutzwürdigkeit darf nicht zum Totschlagargument dafür werden, dem Wucherer jedwede neue Belastung aufzuerlegen. 163 Vgl. zum Begriff: Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 298. 164 Vgl. zum Begriff u. a.: PWW/Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 25. 165 Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 298; Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 37; PWW/ Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 25; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 365. 166 Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 114 f. 167 Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 114 f.; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 151.
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gerade nicht tragen sollte.168 Das erscheint – trotz Nichtigkeit des Vertrages – wenig überzeugend. Auch der BGH hält es für bedenklich, dass Kosten, die bei Geltung des Vertrags von einer bestimmten Partei getragen werden sollen, im Falle der Rechtsgrundlosigkeit auf die andere Partei übergewälzt werden können, sofern diese Partei nicht eine Ursache für die Rechtsgrundlosigkeit gesetzt hat.169 Er geht deshalb davon aus, dass Vertragskosten nicht pauschal im Wege der Entreicherung geltend gemacht werden können, sondern jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, inwiefern das Entreicherungsrisiko nach den gesetzlichen Vorschriften oder dem Willen der Parteien der einen oder anderen Partei zugewiesen ist.170 Auch wenn sie im Bereich des Grundstücksrechts durchaus stattliche Summen erreichen können, sind die eben beschriebenen Kosten bei den insgesamt anfallenden Kosten eher zu vernachlässigen.
5. (Mehr-)Kosten eines Deckungskaufs Sofern der Bereicherungsschuldner auf den herauszugebenden Gegenstand angewiesen ist und diesen ersetzen muss, stellt sich ferner die Frage, ob er die etwaigen Mehrkosten eines Deckungskaufs als Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB geltend machen kann. Es geht dabei um die Differenz zwischen dem für die herauszugebende Sache bezahlten Kaufpreis und dem für die als Ersatz anzuschaffende Sache gezahlten Preis. Wegen der bei Grundstücken häufigen zwischenzeitlichen Preissteigerungen kommt diesem Umstand praktische Bedeutung zu, gerade weil der Käufer, der sich zum Erwerb eines Grundstücks entschieden hat, bei Scheitern des angestrebten Geschäfts in der Regel ein Ersatzgeschäft tätigen will. Dies gilt zunächst unabhängig davon, ob der Erwerb für die eigene Nutzung oder zur Kapitalanlage gedacht war.171 Auf den ersten Blick erscheint eine Ersatzpflicht fernliegend. Wieso sollte der Bereicherungsgläubiger für diese Kosten aufkommen müssen? Allerdings ist die Frage umstritten. Teilweise wird eine Geltendmachung über § 818 Abs. 3 BGB verneint,172 denn die aus einem Deckungsgeschäft resultierenden Vermögensnachteile entstünden erst durch eine neue Disposition nach der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung. Andere wiederum wollen auch Mehr168 Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 115; ähnlich BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 818 Rn. 59. 169 BGH NJW 1992, 1037, 1038. 170 BGH NJW 1992, 1037, 1038 f.; zustimmend: Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 39; kritisch demgegenüber Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 116, der der Ansicht ist, bei einem nichtigen Vertrag könne es nicht auf die Vorschriften über den gültigen Vertrag oder den Willen der Parteien ankommen. 171 Beim Erwerb zur eigenen Nutzung ist dies klarer als beim Erwerb als Kapitalanlage. Hier kommt es auf seine Anlagestrategie an und ob in der Zwischenzeit alternative Anlageformen attraktiver geworden sind als die Anlage in Immobilien. 172 Kohler, Die gestörte Rückabwicklung gescheiterter Austauschverträge, S. 145.
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kosten eines Deckungskaufs berücksichtigen.173 Denn unter die abzugsfähigen Vertrauensschäden fielen nicht nur solche durch aktive Investitionen, sondern auch solche durch das Unterlassen von Dispositionen im Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit des Erwerbs.174 Richtig daran ist, dass es für die Ersatzfähigkeit nicht darauf ankommen kann, ob der Bereicherungsschuldner im Vertrauen auf die Beständigkeit des Erwerbs aktiv handelt oder etwas unterlässt. Insofern ist es folgerichtig, auch die Mehrkosten eines Deckungskaufs miteinzubeziehen. Gleichzeitig weckt es Zweifel, ob das Ausmaß, in dem sich der Bereicherungsschuldner auf Entreicherung berufen können soll, nicht eine übermäßige Belastung des anderen Teils darstellt. Zumal dies bei Kaufverträgen immer zulasten des Verkäufers geht, weil dieser sich nicht ebenso auf Entreicherung berufen kann und der Ersatz solcher Kosten in den anderen Rückabwicklungsregimen der §§ 346 ff. BGB und §§ 987 ff. BGB regelmäßig ein Verschulden voraussetzt.
6. Belastung des Bereicherungsgegenstands durch den Käufer a) Problematik Bei Grundstückskaufverträgen belastet der Käufer das Grundstück in der Zwischenzeit häufig, um es als Kreditsicherheit zu nutzen, denn in der Regel müssen die Käufer zur Finanzierung des Kaufpreises einen Kredit aufnehmen und sichern diesen durch eine Grundschuld oder Hypothek am neu erworbenen Grundstück ab. Ebenso kann es sein, dass sie einen Kredit aufnehmen, um am Grundstück Veränderungen vorzunehmen und diesen Kredit entsprechend besichern. Dann stellt sich die Frage, in welcher Form die Rückgabe zu erfolgen hat: Muss der Käufer als Bereicherungsschuldner die Belastung rückgängig machen oder kann er das Grundstück im belasteten Zustand herausgeben? Dem Interesse des Bereicherungsgläubigers (des Verkäufers) entspricht es, das Grundstück ohne Belastung zurückzuerhalten, so wie er es ursprünglich übertragen hat. Er trägt bei der Rückgabe im belasteten Zustand nämlich das Risiko, das Grundstück wieder zu verlieren, beziehungsweise das Insolvenzrisiko des Bereicherungsschuldners, falls er, um die Zwangsvollstreckung zu verhindern, an den Kreditgeber als Sicherungsnehmer zahlt und Rückgriff beim Bereicherungsschuldner nehmen will. Zudem mindert die Belastung jedenfalls vorübergehend den Verkehrswert des Grundstücks. Die besonderen Schwierigkeiten dieser Situation resultieren gerade daraus, dass mit dem Kreditgeber, der gleichzeitig Sicherungsnehmer ist, eine dritte 173 Rengier AcP 177 (1977), 418, 434; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 299; MüKoBGB/ Lieb 4. Aufl., § 818 Rn. 87; ebenso MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 169. 174 Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 299.
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Person in die Rückabwicklung involviert wird, deren Interessen ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Möglich ist eine Rückgabe in unbelasteter Form nämlich nur durch die Freigabe der Sicherheit durch den Sicherungsnehmer oder die (vorzeitige) Tilgung des gesicherten Kredits, in dessen Folge eine bestellte Hypothek zu einer Eigentümergrundschuld wird (§§ 1163 Abs. 1 S. 2, 1177 BGB) oder die bestellte Grundschuld zurückgefordert werden kann. Dazu ist allerdings entweder die Mitwirkung des Sicherungsnehmers notwendig oder dass der Kreditvertrag ein Kündigungsrecht zugunsten des Bereicherungsschuldners enthält. Der Sicherungsnehmer wird allerdings, wenn überhaupt, zur Freigabe der Sicherheit nur bereit sein, wenn ihm als Ersatz eine andere gleichwertige Sicherheit eingeräumt wird. Dem Bereicherungsschuldner steht eine solche jedoch häufig nicht zur Verfügung. Auch die vorzeitige Ablösung des Kredits infolge der Kündigung führt zu Problemen, denn in diesem Fall hat der Schuldner für gewöhnlich eine Vorfälligkeitsentschädigung (§§ 490 Abs. 2 S. 3, 502 BGB) an den Kreditgeber zu zahlen.175 Unabhängig davon wird der Schuldner regelmäßig gar nicht über das nötige Geld verfügen, um den Kredit sofort zurückzuzahlen, weil er den Kredit gerade aufgenommen hat, um sich die ihm fehlende Liquidität zu beschaffen. Die erhaltene Darlehenssumme hat er aber meist schon investiert. Der Bereicherungsschuldner hat also ein Interesse daran, die Belastung nicht vor der Rückgabe des Grundstücks beseitigen zu müssen, sondern seinen Kredit wie geplant bedienen zu können. Sofern die Belastung vor der Rückgabe nicht beseitigt werden muss oder kann, ist zu klären, ob und wie der Bereicherungsgläubiger einen Ausgleich verlangen kann. Die gesamte Problematik stellt sich indes nur beim gutgläubigen Bereicherungsschuldner, um den es im Folgenden gehen soll. Der bösgläubige Bereicherungsschuldner ist gemäß §§ 818 Abs. 4, 819 BGB über die Schadensersatzpflicht nach §§ 292, 989 BGB bereits im Wege der Naturalrestitution zur Beseitigung der Belastung verpflichtet.176 Ist die Beseitigung zurzeit der Rückgabe nicht möglich, muss er eine andere Sicherheit für die Nichtinanspruchnahme stellen und falls der Bereicherungsgläubiger selbst das Grundstück als Kreditsicherheit nutzen will, ein Bardepot in entsprechender Höhe einräumen.177 Dieses soll als Ausgleich dafür dienen, dass der Bereicherungsgläubiger durch die Belastung des Kondiktionsgegenstands die Möglichkeit verloren hat, jederzeit zu Liquidität zu gelangen.178 175
Zum Begriff vgl. u. a. Palandt/Weidenkaff, 79. Aufl., § 490 Rn. 8. 15. Aufl., § 818 Rn. 6a; Canaris, NJW 1991, 2513, 2517; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 77; Bodenbenner, Belastung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes, S. 23; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 308 f. 177 Canaris, NJW 1991, 2513, 2517; v. Caemmerer in: FS Lewald, 443, 451 f.; Erman/ Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 6a; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 77. 178 Canaris, NJW 1991, 2513, 2517; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 77. 176 Erman/Buck-Heeb,
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b) Lösung des BGH und deren Probleme aa) Rechtsprechung des BGH Der BGH nimmt an, dass der gutgläubige Bereicherungsschuldner (Käufer) nicht zur Beseitigung der Belastung verpflichtet ist, sondern – wie auch sonst i. R. v. § 812 Abs. 1 BGB üblich179 – nur Herausgabe des Gegenstandes in seiner konkreten Form zum Zeitpunkt der Herausgabe schuldet, also des Grundstücks inklusive Belastung.180 Er vergleicht die Situation mit den Fällen der Beschädigung, Zerstörung oder Weiterveräußerung des Bereicherungsgegenstandes, in denen ebenfalls keine Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung geschuldet sei.181 Der Bereicherungsgläubiger (Verkäufer) muss die Belastung aber nicht kompensationslos hinnehmen. Diese stelle eine Teilunmöglichkeit der Herausgabe dar, sodass der Käufer neben der Rückübereignung des weiterhin belasteten Grundstücks Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB zu leisten habe.182 Die Höhe dieses Wertersatzanspruchs entspreche dabei dem Nominalwert der bestellten Belastung, da der Wert des Grundstücks in dieser Höhe gemindert sei. Der gutgläubige Bereicherungsschuldner (Käufer) wiederum könne über § 818 Abs. 3 BGB die Zahlung des Wertersatzes davon abhängig machen, dass der Bereicherungsgläubiger (Verkäufer) ihn von der gesicherten Verbindlichkeit befreit.183
bb) Probleme und Kritik Tatsächlich erzeugt die Lösung des BGH einige Probleme praktischer Art. Zunächst kann es sein, dass es für den Bereicherungsgläubiger (den Verkäufer) gar nicht möglich ist, die Darlehensschuld zu begleichen. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Darlehensrückzahlungspflicht nicht zufälligerweise gleichzeitig wie der Anspruch auf Herausgabe des Grundstücks erfüllbar ist oder der Kredit nicht kündbar ist und der Darlehensgeber auch nicht mit der vorzeitigen Rückzahlung einverstanden ist.184 Dann steht dem Bereicherungsgläubiger zwar ein Anspruch auf Wertersatz wegen der Belastung des Grundstücks zu. Er kann diesen aber nicht durchsetzen, weil er den Bereicherungsschuldner (den Käufer) nicht von seiner Darlehensverpflichtung gegenüber dem Sicherungsneh179 Vgl. dazu bereits oben: I. 2. Gegenstand der Herausgabe nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB, S. 64 ff. 180 BGH NJW 1991, 917, 918, bestätigt durch BGH NJW 1999, 1626, 1628; offen gelassen von BGH NJW 2002, 1872, 1874. Dass das Grundstück nur in belasteter Form zurückzugeben sei, sah schon das Reichsgericht so, vgl. RG JW 1927, 1931. 181 BGH NJW 1991, 917, 918. 182 BGH NJW 1991, 917, 918. 183 BGH NJW 1991, 917, 918. 184 Wie in diesen Fällen, unter Bezugnahme auf BGH NJW 1997, 2875, dennoch ein Anspruch auf Vertragsaufhebung angenommen werden kann: Bodenbenner, Belastung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes, S. 138 ff.
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mer befreien kann.185 Denn der Dritte, d. h. der Sicherungsnehmer, ist nicht zur Mitwirkung verpflichtet.186 In diesem Fall würde der Bereicherungsschuldner den Vorteil der zeitweisen Nutzung des Grundstücks als Kreditsicherheit behalten. Kann der Bereicherungsgläubiger (Verkäufer) die Darlehensschuld nicht vorzeitig ablösen, trägt er aber das Insolvenzrisiko des Bereicherungsschuldners (Käufers), weil der Kreditgeber auf das Grundstück zugreifen wird, wenn der Bereicherungsschuldner seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Kreditgeber nicht nachkommen kann. Zwar wird in diesem Fall der Bereicherungsgläubiger wegen Eintritts der Fälligkeit die (gesamte restliche) Darlehensschuld begleichen dürfen, sodass in der Folge der Wertersatzanspruch nach § 818 Abs. 2 BGB fällig wird. Dieser Wertersatzanspruch wird aber in der Regel wertlos sein, da sonst der Bereicherungsschuldner selbst den Kreditgeber hätte befriedigen können. Doch auch wenn eine vorzeitige Ablösung des Kredits durch den Bereicherungsgläubiger möglich ist, entstehen Probleme. Auch in diesem Fall wird nämlich durch die Einschaltung des Kreditgebers in die Rückabwicklung die Zug-um-Zug-Leistung von Wertersatz und Befreiung von der Darlehensverbindlichkeit erschwert. Wenn der Bereicherungsgläubiger (Verkäufer) in Vorleistung tritt, trägt er das Risiko, dass der Bereicherungsschuldner (Käufer) keinen Wertersatz zahlt.187 Erfüllt umgekehrt zunächst der Bereicherungsschuldner seinen Anspruch auf Wertersatz, geht dieser das Risiko ein, dass der Bereicherungsgläubiger das erhaltene Geld nicht zur Befriedigung des Kreditgebers nutzt. In diesem Fall trifft dann den Bereicherungsschuldner das Risiko, doppelt zu zahlen.188 Er bleibt nämlich trotz der Zahlung des Wertersatzes an den Bereicherungsgläubiger dem Kreditgeber gegenüber zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet, denn es erfolgt gerade keine privative, sondern bloß eine kumulative Schuldübernahme, sodass der Bereicherungsschuldner im Verhältnis zum Darlehensgeber gerade nicht von seiner Verbindlichkeit befreit wird. Auf diese problematische Konsequenz der BGH‑Rechtsprechung ist in der Literatur vermehrt hingewiesen worden.189 Sofern keine Partei bereit ist, vorzu185 So
richtig: Reuter in: FS Gernhuber, 369, 370; Canaris, NJW 1991, 2513, 2514; Bodenbenner, Belastung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes, S. 20. 186 Vgl. aber Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 132 f., der es für erwägenswert hält, ob nicht der Darlehensgeber verpflichtet ist, der vorzeitigen Tilgung oder Einräumung einer Ersatzsicherheit zuzustimmen. Dem wird jedenfalls für die Fälle, in denen eine äquivalente Sicherheit gestellt werden kann oder die vorzeitige Ablösung möglich ist, zuzustimmen sein, denn der Darlehensgeber erleidet dadurch keine Nachteile. Gleichzeitig ist er aber aufgrund von § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksichtnahme auf die Interessen seines Vertragspartners (des Darlehensnehmers) verpflichtet, sodass sich daraus eine entsprechende Pflicht ableiten lässt. 187 MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 69; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 6; Canaris, NJW 1991, 2513, 2514; Reuter in: FS Gernhuber, 369, 369; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 304 f. 188 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 187. 189 Canaris, NJW 1991, 2513, 2513 f.; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 69; Reu-
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leisten und damit die eben genannten Risiken zu tragen, kommt nur eine Abwicklung über einen (kostenintensiven) Treuhänder in Betracht.190 Zudem wird der Bereicherungsschuldner vor das Problem gestellt, dass er häufig nicht das Geld hat, um den Wertersatzanspruch nach § 818 Abs. 2 BGB zu erfüllen, besonders dann, wenn er das erhaltene Geld schon investiert hat, was typischerweise der Fall ist, weil er es für die Zahlung des Kaufpreises ausgeben musste oder davon Investitionen in das Grundstück finanziert hat.191 Der Bereicherungsschuldner hat sich nämlich darauf eingerichtet, das Darlehen entsprechend dem mit dem Darlehensgeber vereinbarten Tilgungsplan zurückzuzahlen. Dann muss er erneut einen Kredit aufnehmen und für diesen zumeist ebenfalls eine Sicherheit stellen oder aber höhere Zinsen in Kauf nehmen. Gleichzeitig wird das Argument geäußert, der Bereicherungsgläubiger (Verkäufer) hätte meist ebenso wenig wie der Darlehensnehmer das nötige Geld zur Ablösung des Kredits.192 Da dieser zur Rückzahlung des Kaufpreises verpflichtet ist, wird auch dies oft der Fall sein. Schließlich muss man sehen, dass das Interesse des Bereicherungsschuldners an der Rückzahlung eines Kredites für ein Grundstück, das er entweder zurückgeben muss oder schon zurückgegeben hat, eher gering sein wird, was sich negativ auf seine Zahlungsmoral auswirken kann.
c) Ansichten in der Literatur Die Behandlung der Frage war schon vor dem Urteil des BGH sehr umstritten und die Entscheidung des BGH hat nicht dazu beitragen können, diesen Streit beizulegen. Die gesamte Diskussion kennzeichnet sich durch ihre außergewöhnliche Unübersichtlichkeit und Uneinigkeit bereits im Ausgangspunkt. So trifft schon die Annahme des BGH, der Bereicherungsschuldner sei nicht zur Beseitigung der Belastung verpflichtet, teils auf Zustimmung193, teils auf Ablehnung194. Der konkrete Weg des BGH einen Ausgleich zwischen den Inteter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 304 f.; Reuter in: FS Gernhuber, 369, 370; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 6. 190 Reuter in: FS Gernhuber, 369, 370; Canaris, NJW 1991, 2513, 2514; Bodenbenner, Belastung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes, S. 20. 191 Ebenso Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 4; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 281; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 305; Bodenbenner, Belastung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes, S. 144 f.; Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 131. 192 So Kohler, NJW 1991, 1999, 1999. 193 Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 280; Canaris, NJW 1991, 2513; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 818 Rn. 4; Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 4; Sachenrecht/Erbrecht/Kahlert, § 7 Rn. 726; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 71. 194 Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 131 ff.; Kohler, NJW 1991, 1999, 2000 f.; ders., Die gestörte Rückabwicklung, S. 651; Reuter in: FS Gernhuber, 369, 378; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 305 ff., die ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht annehmen, bis der Bereicherungsschuldner den gesicherten Kredit zurückgezahlt hat; Bodenbenner, Belastung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes, S. 116 f. u. 145; so
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ressen des Bereicherungsgläubigers und denen des Bereicherungsschuldners zu finden und die Details seiner Lösung stoßen aber durchweg auf negative Resonanz. Vor allem sieht sich die Rechtsprechung des BGH dem schwerwiegenden Vorwurf ausgesetzt, dass sie praktisch nicht überzeuge.195 So bezeichnete Canaris die Lösung des BGH abwertend, aber nicht zu Unrecht, als „Anspruchskarussell“196.
aa) Herausgabe mit Belastung oder Pflicht zur Beseitigung Weitgehende Einigkeit besteht, jedenfalls in der Kommentarliteratur, noch im Ausgangspunkt, nämlich dass der Bereicherungsschuldner die Belastung nicht rückgängig zu machen braucht, sondern seiner Herausgabepflicht durch Übertragung des belasteten Grundstücks genügt.197 Dies entspricht ohnehin dem allgemeinen Grundsatz, dass der Gegenstand vom gutgläubigen Bereicherungsschuldner nur in der Form herauszugeben ist, in der er sich zur Zeit des Herausgabeverlangens bei ihm befindet.198 Die Kritik in diesem Lager richtet sich daher auf die genaue Ausgestaltung der Rückabwicklung mit dem belasteten Grundstück.199 Andere gehen davon aus, dass der Schuldner zur Beseitigung der Belastung verpflichtet ist.200 Hintergrund ist ein streng gegenstandsorientiertes Verständnis der Bereicherungshaftung, wonach das konkret Erlangte in seiner ursprünglichen Form den Bereicherungsgegenstand bildet und die Pflicht zur Herausgabe gleichzeitig eine Beschaffungspflicht beinhaltet. Weiter wird diese Auffassung darauf gestützt, dass der Bereicherungsgläubiger (der Verkäufer) nur verlange, was der Bereicherungsschuldner dem Darlehensgläubiger ohnehin schulde, nämlich die Rückzahlung des Darlehens.201 Die eigentliche bereicherungsrechtlich veranlasste Erschwernis liege nicht darin, dass der Schuldner zur Beseitigung der Belastung verpflichtet sei, sondern dass der Zeitpunkt der Beseitigung nach vorne verlagert werde und in den daraus resultierenden Kosoffenbar auch v. Caemmerer in: FS Lewald, 443, 451 f.; ebenso auch Schwab, der aber dieses Ergebnis über eine analoge Anwendung der §§ 346 ff. BGB auf die Rückabwicklung nichtiger gegenseitiger Verträge erreichen will: MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 78. 195 MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 69; Kohler, NJW 1991, 1999; Gursky, JR 1992, 95; Reuter in: FS Gernhuber, 369; Canaris, NJW 1991, 2513, 2513 f.; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 307; Bodenbenner, Belastung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes, S. 19 ff. 196 Canaris, NJW 1991, 2513, 2513; zustimmend ebenfalls Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 4. 197 MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 71; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 818 Rn. 4. 198 Vgl. dazu bereits oben: I. 2. Gegenstand der Herausgabe nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB, S. 64 ff. 199 Vgl. dazu sogleich unter: bb) Kritik der Befürworter einer Herausgabe mit Belastung, S. 83. 200 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 194. 201 Kohler, NJW 1991, 1999, 2000; ders., Die gestörte Rückabwicklung, S. 652.
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ten. Genau diese Kosten könnten aber gemäß § 818 Abs. 3 BGB dem Bereicherungsgläubiger entgegengehalten werden.202 Sofern eine Ablösung des Kredits zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich sei, könne bei gegenseitigen Verträgen der Kaufpreis zurückbehalten werden, bis die Belastung beseitigt wurde.203 Als Ausgleich dafür soll dann der Bereicherungsschuldner für die Nutzung des Grundstücks als Kreditsicherung ein Haftungsentgelt zahlen, gleichzeitig aber auch der Verkäufer zur Verzinsung des zurückbehaltenen Kaufpreises verpflichtet sein.204 Die Ansicht, der Bereicherungsschuldner sei zur unbelasteten Rückgabe verpflichtet, vertrat auch der Oberste Gerichtshof der britischen Besatzungszone. Nach dessen Auffassung hatte der Käufer einer Gaststätte, der in der Zwischenzeit das Inventar zur Sicherung an eine Bank übereignet hatte, wegen der Nichtigkeit des Kaufvertrags sämtliches Inventar im unbelasteten Zustand zurückzugeben.205 Soweit er dies nicht konnte oder wollte, könne der Bereicherungsgläubiger den zur Ablösung erforderlichen Betrag fordern. Soweit der Bereicherungsgläubiger selbst die zur Ablösung erforderliche Summe an den Sicherungsnehmer zahle, könne er sich dies auf seine Verpflichtung zur Herausgabe des erhaltenen Kaufpreises anrechnen lassen.206 Leider blieb der Gerichtshof eine Begründung für seine Auffassung schuldig.
bb) Kritik der Befürworter einer Herausgabe mit Belastung Auch wenn die Mehrheit in der Literatur dem BGH im Ausgangspunkt folgt und eine Herausgabe des Grundstückes in belasteter Form erlaubt, findet sich dennoch kein einziger Autor, der der Auffassung des BGH im Detail zustimmt. Kritisiert wird vor allem die Bestimmung des Inhalts des vom BGH angenommenen Wertersatzanspruchs nach § 818 Abs. 2 BGB. Dieser sei nicht mit dem Nominalwert des Grundpfandrechts gleichzusetzen, da der Darlehensgeber und nicht der Bereicherungsschuldner (Käufer) als Darlehensnehmer Inhaber des Grundpfandrechts sei und der Bereicherungsschuldner lediglich die Nutzung als Kreditunterlage erlangt habe, diese aber nicht dem Nominalwert des Grundpfandrechts entspreche.207 Nach Ansicht von Canaris stellt die Verwendung des Grundstücks als Kreditsicherheit daher einen Gebrauchsvorteil 202 Kohler, NJW 1991, 1999, 2000; ders., Die gestörte Rückabwicklung, S. 653; Bodenbenner, Belastung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes, S. 146; Flume in: GS KnobbeKeuk, 111, 131. 203 Bodenbenner, Belastung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes, S. 221 ff.; Reuter/ Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 312; Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 133 f. 204 Flume in: GS Knobbe-Keuk, 111, 132 f. 205 OGHZ 1, 72, 79. 206 OGHZ 1, 72, 79. 207 Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 305; Canaris, NJW 1991, 2513, 2514 f.; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 280 f.
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dar, der analog § 818 Abs. 1 BGB herauszugeben ist.208 Weil dies nicht möglich sei, schulde der Bereicherungsschuldner dann gemäß § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz. Dessen Höhe bemesse sich daran, was der Bereicherungsschuldner einem Dritten hätte zahlen müssen, um dessen Grundstück als Kreditsicherheit einsetzen zu dürfen,209 gewissermaßen also eine Avalprovision. Zudem müsse der Kondiktionsschuldner bei abstrakten Sicherungsrechten seinen Anspruch auf Rückübertragung gegen den Sicherungsnehmer an den Bereicherungsgläubiger abtreten.210 Das Problem ist in diesem Fall für den Gläubiger des Wertersatzanspruchs, dass eine Avalprovision für ihn das Risiko des Ausfalls nicht angemessen ausgleicht, denn eine Avalprovision funktioniert ähnlich wie eine Versicherung: Sie lohnt sich nur für eine Vielzahl von Fällen, da nur so das Risiko des Einzelfalls angemessen gestreut werden kann. Für den Bereicherungsgläubiger wird aber nur ein einziger Fall vorliegen. Er kann das Risiko des Ausfalls also nicht streuen. Es bestehen daher Zweifel, ob dieser Vorschlag eine interessengerechte Lösung darstellt.211 Teilweise werden auch die Voraussetzungen des Wertersatzanspruchs überhaupt verneint, weil in Fällen der Belastung keine endgültige Unmöglichkeit vorliege, sondern zunächst nur eine vorübergehende Unmöglichkeit der unbelasteten Herausgabe und diese nicht unter § 818 Abs. 2 BGB falle.212 Auch der BGH ist grundsätzlich der Auffassung, dass die Wertersatzpflicht des § 818 Abs. 2 BGB nur dann an die Stelle des § 818 Abs. 1 BGB tritt, wenn die Unmög208
Canaris, NJW 1991, 2513, 2516; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 280 f.; ihm pflichtet Reuter bei, denn der Bereicherungsschuldner habe die Nutzung des Grundstückes als Kreditunterlage, nicht aber das Grundpfandrecht selbst erlangt, denn dieses gebühre ja gerade dem Sicherungsnehmer, vgl. Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 305 u. 307. 209 Canaris, NJW 1991, 2513, 2516; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 280 f.; ebenso: MüKo BGB/Schwab, 7. Aufl. § 818 Rn. 74; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 306; differenzierend Wendehorst, wonach ein Ausgleich in Höhe einer Avalprovision nur zu zahlen sei, wenn der Bereicherungsschuldner kein eigenes (Ersatz-)Grundstück belastet hätte, vgl. BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 818 Rn. 24. 210 Canaris, NJW 1991, 2513, 2516; die dogmatische Begründung von Canaris kritisieren: Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 307 f.; die Abtretung des Herausgabeanspruchs generell ablehnend, da der Bereicherungsgläubiger von fremden Einwendungen und dem Risiko einer etwaigen Rechtsdurchsetzung freizuhalten sei: Bodenbenner, Belastung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes, S. 49 u. 141 f. 211 Allerdings kommt es beim bereicherungsrechtlichen Ausgleich nur auf die Bereicherung des Bereicherungsschuldners an, nicht die Vermögensnachteile oder Risiken, die der Bereicherungsgläubiger erleidet beziehungsweise eingehen muss. Von daher hat Canaris Recht, wenn er die Situation des Bereicherungsgläubigers ausblendet, auch wenn die Lösung dennoch unbefriedigend ist. 212 Kohler, Die gestörte Rückabwicklung, S. 651; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 306; Bodenbenner, Belastung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes, S. 21; zweifelnd auch Canaris, NJW 1991, 2513, 2514, der jedoch im Ergebnis dennoch eine Unmöglichkeit annimmt.
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lichkeit der Herausgabe feststeht.213 Zudem betont er die Parallelität zwischen der bereicherungsrechtlichen Haftung und den durch die Schuldrechtsmodernisierung neugefassten §§ 346 ff. BGB.214 Dies mag man als Indiz dafür werten, dass der BGH an seiner Rechtsprechung in Zukunft nicht weiter festhalten wird.
d) Eigene Lösung aa) Anwendung der Saldotheorie Der Ausgangspunkt auf der Suche nach einer angemessenen Lösung der Problematik liegt in einem Punkt, den der BGH in seinem Urteil überraschenderweise weder anspricht noch, ohne ihn zu erwähnen, einfach anwendet: nämlich der Tatsache, dass es sich um einen gegenseitigen Vertrag handelt. Dies müsste eigentlich zur Anwendung der Saldotheorie führen.215 Wendet man diese unter Zugrundelegung der sonstigen Lösung des BGH an, würde das Ergebnis folgendermaßen aussehen: Der Bereicherungsschuldner (Käufer) kann das Grundstück im belasteten Zustand herausgeben und erhält den gezahlten Kaufpreis zurück. Die Saldotheorie führt allerdings dazu, dass der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zunächst um die Höhe der am Grundstück bestellten Belastung gemindert ist.216 Denn diese stellt eine Verschlechterung des Grundstücks dar, weil sie dessen Verkehrswert, zumindest vorübergehend, verringert.217 Erst wenn die Belastung aufgehoben wurde, also das Darlehen vollständig zurückgezahlt wurde, kann der Bereicherungsschuldner (Käufer) den restlichen Kaufpreis zurückverlangen, weil dann die belastungsbedingte Wertminderung entfällt.218 Dadurch, dass die belastungsbedingte Wertminderung des Grundstücks bereits über die Saldotheorie Berücksichtigung findet, hat der Bereicherungsgläubiger (Verkäufer) allerdings keinen Wertersatzanspruch nach § 818 Abs. 2 BGB mehr, der sowohl in seinen Voraussetzungen als auch seiner Höhe ohnehin zweifelhaft ist219. Das bedeutet auch, dass anders als nach der Lösung 213 214
BGH NJW 2009, 63, 65; NJW 2006, 2847, 2849 f. BGH NJW 2009, 63, 65. 215 Die fehlende Anwendung der Saldotheorie kritisieren auch: MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 78; Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 4; Canaris, NJW 1991, 2513, 2518 f. 216 Vom Ansatz her ähnlich, aber der Meinung, dass der Bereicherungsgläubiger den gesamten Kaufpreis zurückbehalten darf: Bodenbenner, Belastung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes, S. 221 ff.; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 312. 217 Anders als bei der Höhe des Wertersatzanspruchs nach § 818 Abs. 2 BGB ist hier die Höhe des vorzunehmenden Abzugs auch nicht streitig, denn es kommt nicht darauf an, was der Empfänger durch die Belastung erlangt hat, sondern inwiefern die Belastung den Grundstückswert mindert. 218 Ebenso jedenfalls im Ergebnis: Reuter in: FS Gernhuber, 369, 381; Canaris, NJW 1991, 2513, 2521. 219 Vgl. zur diesbezüglichen Kritik oben: b) bb) Kritik der Befürworter einer Herausgabe mit Belastung, S. 84 ff.
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des BGH der Bereicherungsschuldner im Innenverhältnis zum Bereicherungsgläubiger zur Rückzahlung des Darlehens an die Bank verpflichtet bleibt, denn die vom BGH im Innenverhältnis auf den Bereicherungsgläubiger übertragene Verpflichtung zur Rückzahlung des Darlehens folgte aus der Pflicht des Bereicherungsschuldners zum Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB, die nach hier vertretener Lösung in dieser Form aber wegfällt. Der Bereicherungsschuldner muss das Darlehen jedoch nicht sofort an die Bank zurückzahlen, sondern nur so wie es der Darlehensvertrag vorsieht. Dies resultiert aus § 818 Abs. 3 BGB.
bb) Angemessene Risikoverteilung Für diese Lösung spricht, dass sie eine ausgewogene Risikoverteilung gewährleistet. Aufgrund des zurückbehaltenen Kaufpreises ist der Bereicherungsgläubiger (Verkäufer) finanziell dazu in der Lage, den Kredit gegenüber der Bank zu tilgen, falls der Bereicherungsschuldner diesen nicht an die Bank zahlen sollte. Er trägt daher nicht dessen Insolvenzrisiko, falls er die Bank anstelle des Bereicherungsschuldners befriedigt. Durch die Zurückbehaltung des Kaufpreises in Höhe des Nominalwerts des Grundpfandrechts ist der Bereicherungsgläubiger nämlich nicht auf einen Rückgriffsanspruch gegen den Bereicherungsschuldner angewiesen und daher ausreichend gesichert. Befriedigt der Bereicherungsgläubiger (Verkäufer) die Bank, wird zwar der restliche Anspruch auf Kaufpreiszahlung gegen ihn fällig. Gegen diesen kann der Bereicherungsgläubiger aber mit seinem Regressanspruch aufrechnen, der ihm wegen der Rückzahlung des Kredits an die Bank zusteht. Er geht damit durch die Befriedigung der Bank kein finanzielles Risiko ein. Gleiches gilt im Ergebnis auch für den Bereicherungsschuldner. Dieser tritt zwar durch die Rückzahlung des Darlehens an die Bank gewissermaßen in Vorleistung, sodass das Risiko besteht, dass der Bereicherungsgläubiger zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage ist, den restlichen Kaufpreis zu erstatten. Allerdings hat der Bereicherungsschuldner eine Sicherheit am zurückübertragenen Grundstück für seinen restlichen Kaufpreisrückzahlungsanspruch, die dieses Risiko auffängt.
cc) Dingliche Sicherung des Anspruchs auf restliche Kaufpreisrückzahlung Besteht die Belastung in Form einer Hypothek, so geht diese gemäß § 1164 Abs. 1 BGB (analog) auf den Bereicherungsschuldner über. Die vorliegende Situation entspricht nämlich wirtschaftlich derjenigen, die den Hauptanwendungsfall von § 1164 Abs. 1 BGB bildet. Dieser besteht darin, dass bei der Veräußerung eines Grundstücks der Käufer die Darlehensverpflichtung und Hypothek unter Anrechnung auf den Kaufpreis übernimmt, die Übernahme aber vom Gläubiger des Darlehens (und gleichzeitigem Sicherungsnehmer) nicht genehmigt wird. Nach § 415 Abs. 3 BGB ist der Käufer im Innenverhältnis dem
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Verkäufer zur Befriedigung des Gläubigers verpflichtet.220 Ähnlich verhält es sich im hier skizzierten Vorschlag, nur dass das Ergebnis nicht auf einer rechtsgeschäftlichen Abrede der Parteien beruht, sondern das Resultat der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung ist. Der Bereicherungsgläubiger (der Verkäufer) erhält das Grundstück inklusive Belastung zurück. Die Belastung wird aber zunächst durch die Saldotheorie auf seine Verpflichtung zur Rückzahlung des Kaufpreises angerechnet. Nach außen hin bleibt der Bereicherungsschuldner (der Käufer) gegenüber der Bank zur Rückzahlung verpflichtet. Zwar schuldet der Bereicherungsgläubiger im Innenverhältnis dem Bereicherungsschuldner nicht die Rückzahlung des Darlehens, dafür aber die Rückzahlung der restlichen Kaufpreisforderung und diese entspricht wirtschaftlich dem zurückzuzahlenden Darlehen. Insofern liegt eine Situation vor, die der des Regelfalls von § 1164 Abs. 1 BGB sehr nahe kommt, sodass zumindest eine analoge Anwendung von § 1164 Abs. 1 BGB auf diese Fälle gerechtfertigt ist. Wenn der Bereicherungsgläubiger dann den restlichen Kaufpreis nicht zurückzahlt, kann der Bereicherungsschuldner in das Grundstück vollstrecken und so Befriedigung seiner Forderung erlangen. Handelt es sich beim Grundpfandrecht um eine Grundschuld, geht diese nicht automatisch auf den Bereicherungsschuldner über, denn § 1164 Abs. 1 BGB findet auf die Grundschuld keine Anwendung.221 Grundsätzlich hat der vom Eigentümer verschiedene persönliche Schuldner, wenn er auf die Forderung zahlt, gegenüber dem Eigentümer aber regressberechtigt ist, auch keinen Anspruch gegenüber der Bank auf Abtretung der Grundschuld an sich, da die Bank aus dem mit dem Eigentümer abgeschlossenen Sicherungsvertrag nur diesem als Sicherungsgeber zur Abtretung verpflichtet ist.222 In der vorliegenden Situation besteht aber die Besonderheit, dass der Sicherungsvertrag weiterhin zwischen Bereicherungsschuldner (Käufer) und Bank besteht und jener deshalb direkt aus diesem die Abtretung der Grundschuld von der Bank verlangen kann. Weil auf diese Weise der Anspruch des Bereicherungsschuldners gegen den Bereicherungsgläubiger stets dinglich gesichert ist, ist auch das Risiko für den Bereicherungsschuldner nicht unvertretbar hoch, zunächst selbst das Darlehen gegenüber der Bank zu tilgen, da sein Anspruch auf Rückzahlung des restlichen Kaufpreises ausreichend abgesichert ist. 220 MüKoBGB/Lieder, 8. Aufl., § 1164 Rn. 7; Staudinger/Wolfsteiner, (2015), § 1164 Rn. 11; Erman/Wenzel, 15. Aufl., § 1164 Rn. 1. 221 Staudinger/Wolfsteiner, (2015), § 1164 Rn. 30; BeckOK BGB/Rohe, 53. Ed. 01.02.2020, § 1192 Rn. 200; MüKoBGB/Lieder, 8. Aufl., § 1164 Rn. 25; Jauernig/Berger, 17. Aufl., § 1192 Rn. 3; Erman/Wenzel, 15. Aufl., § 1164 Rn. 5; Soergel/Konzen, 13. Aufl., § 1164 Rn. 2; PWW/ Waldner, 14. Aufl., § 1165 Rn. 3; NK‑BGB/Krause, 4. Aufl., § 1164 Rn. 22; a. A.: Dieckmann, WM 1990, 1481, 1483. 222 BeckOK BGB/Rohe, 53. Ed. 01.02.2020, § 1192 Rn. 200; der persönliche Schuldner kann dann aber vom Eigentümer die Abtretung des Anspruchs auf Abtretung der Grundschuld gegenüber dem Sicherungsgeber verlangen oder, sofern diese bereits erfolgt ist, die Abtretung der Grundschuld selbst.
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e) Fazit Es bleibt zu konstatieren, dass die Problematik der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung eines in der Zwischenzeit belasteten Gegenstandes zahlreiche Schwierigkeiten bereitet, für die bis heute weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur eine weitgehend anerkannte Lösung gefunden worden ist, die sowohl den Interessen des Bereicherungsgläubigers als auch des Bereicherungsschuldners vollends gerecht wird. Angesichts der nicht besonders exotischen, sondern vielmehr typischen Konstellation bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von Grundstückskaufverträgen überrascht es, wie knapp die Ausführungen des BGH zu dieser Problematik sind und wie überaus kurz und dünn die Begründung seiner Auffassung ist. Insbesondere führt die Lösung des BGH aber zu einer höchst komplizierten Rückabwicklung, die ihm zu Recht viel Kritik eingebracht hat. Auch der Blick auf die in der Literatur vorgeschlagenen Alternativen zeigt aber, dass sich für diese Konstellation eine einfache Lösung wohl nicht finden lässt. Unter Berücksichtigung der grundsätzlich einschlägigen Saldotheorie und der dinglichen Absicherung des Anspruchs des Bereicherungsschuldners auf Rückzahlung des Restkaufpreises lassen sich aber in diesen Fällen dennoch angemessene Ergebnisse erzielen. Dass diese Problematik nur beim gutgläubigen Bereicherungsschuldner auftritt, beweist zudem, welch weitreichende Auswirkungen die Entscheidung hat, ob der benachteiligte Käufer und auch der Begünstigte beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft verschärft haften.223 Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass vom gutgläubigen Käufer eine Beseitigung der Belastung auch nicht über § 1004 BGB verlangt werden kann.224
7. Herausgabe von Nutzungen gemäß § 818 Abs. 1 BGB Der Bereicherungsschuldner (Käufer) hat gemäß § 818 Abs. 1 BGB auch Nutzungen herauszugeben, allerdings nur, soweit er sie tatsächlich gezogen hat, es sei denn er haftet verschärft nach §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB.225 Für den Untersuchungsgegenstand praktisch relevant sind vor allem die eigene Nutzung des Grundstücks zum Wohnen oder zu gewerblichen Zwecken und die Vermietung beziehungsweise Verpachtung des Grundstücks. Durch eine etwaige Vermietung oder Verpachtung erlangte Miet- oder Pachtzinsen sind nach § 99 Abs. 3 BGB mittelbare Sachfrüchte und daher Nutzungen 223 Vgl. bzgl. des Benachteiligten: 9. Verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB, S. 93 ff.; bzgl. des Begünstigten: F. II. 4. Verwendungs- und Aufwendungsersatz, S. 112 ff. 224 v. Caemmerer in: FS Lewald, 443, 445. 225 MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 8; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 5; Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 11; Musielak, JA 2017, 1, 1; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 818 Rn. 10.
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i. S. v. § 100 BGB.226 Sie können deshalb vom Bereicherungsgläubiger (Verkäufer) nach § 818 Abs. 1 BGB herausverlangt werden, wobei der konkret erhaltene und nicht der orstübliche Mietzins herauszugeben ist.227 Dabei macht es rechtlich keinen Unterschied, ob das Grundstück privat oder gewerblich genutzt wird beziehungsweise ob die Vermietung gewerblich erfolgt oder nicht. Wenn der Käufer die Wohnung selbst bewohnt oder das Grundstück für gewerbliche Zwecke nutzt, stellt dies einen Gebrauchsvorteil i. S. v. § 100 BGB dar. Da der tatsächliche Gebrauch nicht in Natur herausgegeben werden kann, ist in diesen Fällen Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB zu leisten. Dieser richtet sich bei Grundstücken in Fällen der Eigennutzung – anders als bei beweglichen Sachen228 – nach dem üblichen Miet- oder Pachtzins für das entsprechende oder ein vergleichbares Grundstück.229
8. Beschädigungen oder Untergang der Sache Wenn der Bereicherungsgegenstand beschädigt wird oder untergeht, ist der Empfänger nicht zur Wiederherstellung oder Reparatur der Sache verpflichtet, sondern kann sie in dem Zustand herausgeben, in dem sie sich zum Zeitpunkt der Rückgabe befindet.230 Grund dafür ist die Beschränkung der Haftung auf die vorhandene Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB. Sofern der benachteiligte Käufer Ersatz für die Zerstörung oder Beschädigung von Dritten – relevant ist hier vor allem der Anspruch gegen eine Versicherung – verlangen kann, muss er diesen als Surrogat i. S. v. § 818 Abs. 1 Hs. 2 BGB herausgeben.231 Ansonsten ist der Bereicherungsschuldner nach § 818 Abs. 2 BGB zum Wertersatz verpflichtet, wird sich in der Regel aber auf Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen können. Er könnte dann den gesamten Kaufpreis zurückfordern, müsste seinerseits aber nur die beschädigte Sache beziehungsweise im Falle der Zerstörung gar nichts herausgeben. 226 BGH NJW 2010, 1284, 1289 f.; vgl. schon RGZ 105, 408, 409; BeckOK BGB/Fritzsche, 53. Ed. 01.02.2020, § 99 Rn. 14; MüKoBGB/Stresemann, 8. Aufl., § 99 Rn. 6. 227 BGH NJW 2010, 1284, 1289 f.; KG BeckRS 2012, 14712. 228 Hier bestimmt sich die Höhe des Nutzungsersatzes nach dem sogenannten Wertverzehr, d. h. nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung, da Kauf und Miete beweglicher Sachen in wirtschaftlicher Hinsicht völlig unterschiedlich sind und es deshalb unbillig wäre, den Nutzungsersatz in Höhe der fiktiven Mietkosten zu bestimmen, vgl. dazu BGH NJW 2006, 1582, 1583; NJW 2004, 1314, 1315; NJW 1991, 2484, 2485 f.; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 17; Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 13. 229 St. Rspr., vgl. nur BGH NJW 2009, 2523, 2524; NJW 2006, 1582, 1583; NJW‑RR 2005, 1542, 1543; NJW‑RR 1998, 803, 805, jeweils m. w. N.; aus der Lit.: MüKoBGB/Stresemann, 8. Aufl., § 100 Rn. 12; Staudinger/Stieper, (2017), § 100 Rn. 5; Erman/Schmidt, 15. Aufl., § 100 Rn. 10. 230 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 97 f. 231 PWW/Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 8; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 818 Rn. 16; Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 19; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 264 f.; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 44; BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 818 Rn. 8.
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a) Anwendbarkeit der Saldotheorie In Fällen der Beschädigung oder Zerstörung der Sache findet grundsätzlich die Saldotheorie Anwendung.232 Ihr Zweck besteht bekanntermaßen darin, die synallagmatische Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung bei gegenseitigen Verträgen auch im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung zu berücksichtigen.233 Das Risiko der Verschlechterung oder des Untergangs der Sache soll nicht dazu führen, dass eine Partei sich auf Entreicherung berufen, gleichzeitig aber die eigene Leistung in vollem Umfang herausverlangen kann.234 Im Ergebnis führt die Saldotheorie zu einer Einschränkung von § 818 Abs. 3 BGB. Die bereicherungsrechtlichen Ansprüche verlieren ihre Eigenständigkeit und werden – zunächst ohne Anwendung von § 818 Abs. 3 BGB – als bloße Rechnungsposten miteinander saldiert. Es entsteht ein einziger Bereicherungsanspruch zugunsten desjenigen, auf dessen Seite ein positiver Saldo steht.235 Erst auf diesen wird dann § 818 Abs. 3 BGB angewendet.236 Wird die Sache beim Käufer beschädigt, reduziert sich sein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises um den durch die Beschädigung eingetretenen Wertverlust. Gleichartige Ansprüche werden danach automatisch saldiert, bei ungleichartigen erfolgt eine Verurteilung Zug-um-Zug gemäß § 273 BGB, ohne dass sich eine Partei auf das Zurückbehaltungsrecht berufen muss.237 Zulasten des Benachteiligten findet die Saldotheorie beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft aber keine Anwendung.238 Dies liegt nicht daran, dass der 232 Grundlegend für die Saldotheorie: RGZ 54, 137, 141 f. Der BGH ist dieser Rspr. gefolgt, vgl. etwa BGH NJW 2001, 1863, 1864; NJW 1999, 1181, 1181 f.; NJW 1970, 656, 656. In der Literatur sieht sich die Saldotheorie häufig Kritik ausgesetzt, vgl.: MüKoBGB/ Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 246 ff., m. w. N.; Hellwege, Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, S. 113 ff.; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 377 ff.; Lorenz, JuS 2015, 109, 111 f. 233 BGH NJW 2001, 1863, 1864; NJW 1994, 2021, 2022; NJW 1972, 36, 39; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 29; v. Caemmerer in: FS Rabels (1954), 333, 386; Lorenz, JuS 2015, 109, 110; Musielak, JA 2017, 1, 7; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 818 Rn. 47; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 41; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 374. 234 Dieses Problem wird allgemein anerkannt, umstritten ist nur welche konkreten Konsequenzen daraus zu ziehen sind, vgl. Canaris in: FS Lorenz, 19, 20; Flume, NJW 1970, 1161, 1162; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 234; Lorenz, JuS 2015, 109, 110; Musielak, JA 2017, 1, 7 ff.; vgl. für eine Übersicht, der in der Literatur vertretenen Auffassungen insb. Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 377. 235 BGH NJW 1999, 1181, 1181 f.; jurisPK‑BGB/Martinek, 9. Aufl., § 818 Rn. 79; Musielak, JA 2017, 1, 7; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 818 Rn. 47. 236 BGH NJW 1979, 160, 162; Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 41; ders., JuS 2015, 109, 110. 237 BGH NJW 2001, 1863, 1864; NJW 1999, 1181, 1181; NJW 1995, 454, 455; PWW/ Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 29 f.; BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 818 Rn. 108; Musielak, JA 2017, 1, 7; Lorenz, JuS 2015, 109, 110 f.; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 41. 238 Für den Verkäufer: BGH NJW 2001, 1127, 1130; ebenso wenn Käufer der Bewucherte ist: BGH NJW‑RR 2002, 128, 129; jurisPK‑BGB/Nassall, 8. Aufl., § 138 Rn. 330; Wolf/Neu-
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Wucherer stets nach § 819 Abs. 1 BGB verschärft haftet,239 sondern wird mit Schutzzweckerwägungen zugunsten des Benachteiligten begründet.240 Er steht damit auf einer Stufe wie der Minderjährige oder arglistig Getäuschte, zu deren Lasten die Anwendung der Saldotheorie ebenfalls ausgeschlossen ist.241 In diesem Fall bleibt es bei zwei selbstständigen Bereicherungsansprüchen. Der Bereicherungsschuldner kann sich auf Entreicherung berufen und seinerseits trotzdem Herausgabe der eigenen Leistung verlangen.
b) Konkrete Rechtsfolgen für den benachteiligten Käufer Unter Anwendung der Saldotheorie würde der Anspruch des benachteiligten Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises um den Wert der bei ihm untergegangenen Sache gekürzt. In dieser Konstellation muss man beachten, dass der Kaufpreis viel höher ist als der Wert der Kaufsache. Er könnte dann immer noch den Kaufpreis vom Verkäufer verlangen, soweit dieser den Wert des Kaufgegenstands übersteigt. Ohne Anwendung der Saldotheorie könnte der benachteiligte Käufer hingegen den vollen Kaufpreis zurückverlangen, müsste umgekehrt jedoch selbst keinen Ersatz für den untergegangenen Kaufgegenstand leisten, da er sich insofern auf § 818 Abs. 3 BGB berufen könnte. Weil die Saldotheorie hier demnach zulasten des Benachteiligten wirken würde, findet sie keine Anwendung. Der benachteiligte Käufer kann daher den gesamten Kaufpreis vom bevorteilten Verkäufer herausverlangen und sich seinerseits auf Entreicherung berufen. Der begünstigte Verkäufer trägt also das Risiko der Verschlechterung oder des Untergangs der Kaufsache, sofern diese nicht versichert ist. In diesem Fall muss nämlich die erlangte Versicherungssumme beziehungsweise der Anspruch gegen die Versicherung gemäß § 818 Abs. 1 Hs. 2 BGB herausgegeben werden und es tritt gerade keine Entreicherung ein.242 In Bezug auf Grundstücke sind Fälle der Entreicherung aber ohnehin kaum denkbar, denn sie können nicht kompensationslos aus dem Vermögen verschwinden, sondern höchstens einen (großen) Wertverlust erleiden. Praktisch denkbar sind relevante Wertverluste dann, wenn auf einem bebauten Grundstück das Haus abbrennt, einstürzt oder andere vergleichbare Fälle. Diese sind gewöhnlich aber versichert. ner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 71; dies bereits vor den BGH‑Entscheidungen als nur folgerichtig annehmend: Canaris, WM 1981, 978, 979. 239 Die verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB schließt nach der Rspr. die Berufung auf die Saldotheorie aus, vgl. etwa: BGH NJW 1979, 160, 161; NJW 1972, 36, 39; bestätig u. a. in BGH NJW 2001, 1127, 1130; anders noch RGZ 139, 208, 213. 240 BGH NJW 2001, 1127, 1130; bestätigt durch BGH NJW 2006, 3054 Rn. 36. 241 BGH NJW 1994, 2021, 2022 (Minderjährigkeit); BGH NJW 1972, 36 38 f. (arglistig Getäuschter). Vgl. allgemein zu den Einschränkungen der Saldotheorie: MüKoBGB/ Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 241; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 43 ff.; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 32 ff.; Lorenz, JuS 2015, 109, 111; jeweils m. w. N. 242 Vgl. Kapitel 2 Fn. 231.
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9. Verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB a) Anwendung auf den Benachteiligten In den Fällen, in denen der Gegenstand beim Käufer als Bereicherungsschuldner untergeht oder sich verschlechtert und somit grundsätzlich § 818 Abs. 3 BGB einschlägig wäre, stellt sich die Frage, ob die Berufung auf Entreicherung wegen einer verschärften Haftung des Benachteiligten nach §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB ausscheidet.243 Auswirkungen hätte dies ebenfalls auf die Möglichkeit, über § 818 Abs. 3 BGB getätigte Aufwendungen entreichernd geltend zu machen, die bei einer verschärften Haftung entfiele. Die Frage nach der verschärften Haftung des Benachteiligten mag auf den ersten Blick befremdlich wirken, denn wieso sollte derjenige, der ohnehin schon durch den Vertrag benachteiligt wurde, am Ende sogar verschärft haften? Denkbar ist dies jedoch, sofern der Benachteiligte Kenntnis von den Umständen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts hat. Kenntnis i. S. v. § 819 Abs. 1 BGB setzt nach h. M. sowohl Tatsachenkenntnis als auch ihre richtige rechtliche Würdigung voraus.244 Erforderlich ist, dass der Betroffene weiß, dass das Verpflichtungsgeschäft nichtig ist und er deshalb die Sache zurückgeben muss.245 Ein bloßes Kennenmüssen, selbst wenn es grob fahrlässig ist, oder Zweifel genügen hingegen nicht.246 Allerdings sollen an die Kenntnis der Rechtsfolgen keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. So genügt, was die sich aus den Tatsachen ergebende Schlussfolgerung auf die Rechtsfolgen angeht, eine Parallelwertung in der Laiensphäre.247 Dementsprechend führt der BGH aus, dass bereits derjenige keinen Schutz mehr verdiene, der die Tatsachen kennt, aus denen sich die Rechtsgrundlosigkeit des Erwerbs aufdrängt.248 Wie bei der Kenntnis im Sinne von § 990 BGB soll es ausreichen, dass ein red243 Zur verschärften Haftung des Wucherers, vgl. unten: F. I. 3. Beschädigung der Sache, S. 100; zu der des Begünstigten, vgl.: F. II. 4. a) Verschärfte Haftung des Begünstigten nach § 819 Abs. 1 BGB, S. 112 ff. 244 Allgemeine Ansicht, vgl. etwa: BGH NJW 2014, 2790, 2793; NJW 1996, 2652, 2653; NJW 1992, 2415, 2417; ebenso schon RGZ 93, 227, 230; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 819 Rn. 4; Staudinger/Lorenz, (2007), § 819 Rn. 6; Soergel/Hadding, 13. Aufl., § 819 Rn. 3; PWW/ Prütting, 14. Aufl., § 819 Rn. 3; Musielak, JA 2017, 1, 9; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 819 Rn. 2; jurisPK‑BGB/Martinek, 9. Aufl., § 819 Rn. 4. 245 BGH NJW 2014, 2790, 2793; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 819 Rn. 2; jurisPK‑BGB/ Martinek, 9. Aufl., § 819 Rn. 4; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 1a. 246 BGH NJW 2014, 2790, 2793; Soergel/Hadding, 13. Aufl., § 819 Rn. 3; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 819 Rn. 2; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 819 Rn. 3; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 1a; Mayer-Maly in: FS Lange, 293, 301. 247 BGH NJW 1996, 2652, 2653; Soergel/Hadding, 13. Aufl., § 819 Rn. 3; in der Sache ebenso: Mayer-Maly in: FS Lange, 293, 301 f.; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 819 Rn. 3. 248 BGH NJW 2014, 2790, 2793; NJW 1996, 2652, 2653; ebenso Schreiber, JuS 1978, 230, 231; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 309 f.; Musielak, JA 2017, 1, 9; krit. Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 819 Rn. 4.
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lich Denkender, nicht vom Gedanken an den eigenen Vorteil Beeinflusster, sich der Überzeugung seiner Nichtberechtigung nicht verschließen würde.249 Eine verschärfte Haftung des Benachteiligten wäre daher durchaus möglich, denn § 138 Abs. 1 BGB setzt nicht voraus, dass dem Benachteiligten das Missverhältnis oder seine Schwächelage nicht bewusst sind. Die bei einem groben Missverhältnis einschlägige Vermutung findet nämlich auch dann Anwendung, wenn der Benachteiligte Kenntnis vom Missverhältnis hat.250 § 138 Abs. 1 BGB schützt auch und gerade denjenigen, der im Bewusstsein, dass er ausgebeutet wird, einen Vertrag schließt, „weil er nicht anders kann“. Daher ist es grundsätzlich möglich, dass er die maßgeblichen tatsächlichen Umstände kennt und auch weiß oder gegebenenfalls auch erst später erfährt, dass der Vertrag rechtlich unwirksam ist. Bei einer reinen Subsumtion unter diese Definition wäre in Fällen, in denen der Benachteiligte in seiner Not in voller Kenntnis der Umstände zum überhöhten Preis den Vertrag schließt, eine Berufung auf Entreicherung wohl nicht mehr möglich.
b) Würdigung Angesichts dessen, dass die benachteiligte Partei durch § 138 Abs. 1 und § 138 Abs. 2 BGB aber gerade geschützt werden soll, stellt sich die Frage, ob tatsächlich von einer verschärften Haftung des Benachteiligten ausgegangen werden kann. Dazu ist ein kurzer Blick auf die ratio der verschärften Haftung notwendig. Deren Hintergrund ist, dass der Empfänger als „Verwahrer und Verwalter fremden Gutes“251 angesehen wird, weil er weiß, dass er die Sache zurückgeben muss und insofern nicht schutzwürdig ist, wenn er die Sache schuldhaft beschädigt.252 Ab dem Zeitpunkt der Kenntnis darf er den Bereicherungsgegenstand nämlich nicht mehr als eigenen betrachten und muss daher besonders sorgfältig mit diesem umgehen.253 Der Gedanke, dass der Empfänger bei Kenntnis der Rechtsgrundlosigkeit als ein Verwahrer fremden Gutes anzusehen sei, trifft auch auf den Benachteiligten zu, sofern er weiß, dass er den Gegenstand, selbst wenn er ihn dringend benötigt, nicht behalten darf. Wenn aber die Voraussetzungen der verschärf249 BGH NJW 1996, 2652, 2653; ähnlich, nämlich für eine Beurteilung aus Sicht eines objektiven Dritten, bereits: OLG Hamm NJW 1977, 1824; zustimmend: Schreiber, JuS 1978, 230, 231; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 445 f.; Palandt/ Sprau, 79. Aufl., § 819 Rn. 2; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 819 Rn. 3. 250 Vgl. Nachweis in Kapitel 2 Fn. 30. 251 Motive II, S. 55. 252 BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 819 Rn. 2; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 819 Rn. 1; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 819 Rn. 1; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 819 Rn. 1. 253 Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 187; jurisPK‑BGB/ Martinek, 9. Aufl., § 819 Rn. 4.
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ten Haftung vorliegen, der Benachteiligte also Kenntnis hat, kann er auch die Rückabwicklung einleiten. Sofern er dies nicht oder nur verzögert tut, lässt sich durchaus argumentieren, dass er dann weniger schutzwürdig ist und folglich der verschärften Haftung unterliegt. Diese könnte sogar ein Druckmittel zur zügigen Rückabwicklung nach erkannter Nichtigkeit darstellen, weil der Benachteiligte dadurch bestrebt sein wird, den Zeitraum der verschärften Haftung möglichst kurz zu halten. Insofern ist es tatsächlich möglich, dass in gewissen Fällen die Voraussetzungen des § 819 Abs. 1 BGB auch auf die benachteiligte Partei zutreffen. In zahlreichen Fällen des nach § 138 Abs. 1 BGB nichtigen wucherähnlichen Rechtsgeschäfts wird jedoch dem Benachteiligten auch die mindestens erforderliche Tatsachenkenntnis in Form der Kenntnis der schweren Äquivalenzstörung fehlen. Dann scheidet eine verschärfte Haftung in jedem Fall aus, beziehungsweise tritt erst ab dem Zeitpunkt ein, in dem er vom Missverhältnis und dessen rechtlichen Konsequenzen Kenntnis erlangt.
10. Zwischenergebnis a) Zusammenfassung Die vier wichtigsten Konstellationen – die Bebauung des erlangten Grundstücks beziehungsweise dessen Umgestaltung, die Kosten für auf den Gegenstand getätigte Verwendungen oder eine Ersatzbeschaffung, die Belastung des Grundstücks durch den Käufer und die Frage bei Beschädigung der erhaltenen Sache durch den Käufer – stellen sich für die Praxis wie folgt dar: Auch wenn der Käufer das Grundstück in der Zwischenzeit be- oder umgebaut hat, darf er es grundsätzlich nicht behalten, sondern muss es an den Verkäufer herausgeben. Er darf es nur dann ausnahmsweise behalten, wenn aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Herausgabe unzumutbar ist, wobei zur Bestimmung der Unzumutbarkeit bislang keine konkreten Wertgrenzen existieren. Eine Rolle spielt insofern auch, ob das Grundstück durch die Umgestaltung nun einer anderen Funktion dient. Ganz besondere Härtefälle lassen sich jedenfalls in der Praxis damit vermeiden, wobei nochmals in Erinnerung zu rufen ist, dass allein der Umstand, dass das nunmehr bebaute Grundstück die Lebensgrundlage für den Bereicherungsschuldner darstellt, nicht zwangsläufig die Unmöglichkeit der Herausgabe begründet,254 die Ausnahme also (sehr) eng gefasst ist. Gerade bei bloßen Umgestaltungen der vorhandenen Bebauung oder deren Erweiterung stehen die Chancen des Empfängers schlecht, das Grundstück behalten zu können, da hier der Aufwand der Umgestaltung oft nicht größer sein wird als der vorherige Wert von Grundstück mit Bebauung. Größer sind die Chancen bei einer erstmaligen Bebauung. Insgesamt besteht in diesem Bereich eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit. 254
Vgl. Nachweis in Kapitel 2 Fn. 107.
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Stets wenn der Käufer das Grundstück herausgeben muss, muss er dies jedoch nur Zug-um-Zug gegen Erstattung des Kaufpreises und der auf das Grundstück getätigten Verwendungen tun, es sei denn, er haftet verschärft nach § 819 Abs. 1 BGB. Dabei sind auch solche Verwendungen zu ersetzen, die den Wert der Sache von vornherein nicht erhöht haben oder bei Rückgabe nicht mehr erhöhen. Allerdings muss der benachteiligte Käufer selbst nach § 818 Abs. 1 BGB die gezogenen Nutzungen herausgeben. Die Höhe des zu erstattenden Nutzungsersatzes kann gerade bei einem längeren Zeitraum beträchlich sein, muss der Käufer im Falle der Weitervermietung doch den erhaltenen Mietzins, im Falle der Eigennutzung den üblichen Mietzins herausgeben. Insofern kommt es entscheidend darauf an, wie lange der Zeitraum zwischen Leistungsaustausch und Rückabwicklung ist. Je größer dieser ist, desto stärker ist die Belastung für den Käufer. Muss der Käufer nach Rückgabe der Sache einen Ersatzgegenstand beschaffen, kann er etwaige Mehrkosten ebenfalls als Entreicherung geltend machen. Gerade bei Grundstücken können die zwischenzeitlichen Preissteigerungen erheblich sein, sodass dieser Umstand für den Käufer von großer Bedeutung ist und ihn darin bestärken kann, sich auf die Nichtigkeit zu berufen. Hier kommt noch das praktische Problem hinzu, dass Grundstücke schwer vergleichbar sind und damit ein Streit über die Frage, ob und inwiefern ein als Ersatz erworbenes Grundstück vergleichbar ist, vorprogrammiert scheint. Große Probleme bereitet die Rückabwicklung in Fällen der zwischenzeitlichen Belastung des Bereicherungsgegenstandes. Diese stellt sich nach der Lösung des BGH, aber auch nach den Vorschlägen aus der Literatur, als höchstkompliziert und unpraktisch dar. Zwar hat der BGH in der Zwischenzeit offen gelassen, ob er entsprechende Fälle wieder so entscheiden würde.255 Mangels anderer Anhaltspunkte ist jedoch weiterhin erst einmal von seiner Lösung auszugehen, zumal er auch keine Hinweise gegeben hat, wie zukünftig eine Lösung derartiger Fälle erfolgen könnte. Das heißt, der Bereicherungsschuldner gibt gegen Zahlung des Kaufpreises das Grundstück im belasteten Zustand zurück, muss aber Wertersatz in Höhe des Nominalwerts der Belastung nach § 818 Abs. 2 BGB leisten, wobei dieser Wertersatzanspruch davon abhängig ist, dass der Bereicherungsgläubiger (der Verkäufer) die Darlehensschuld gegenüber dem Kreditgeber begleicht. Kommt es schließlich zu Beschädigungen des Kondiktionsgegenstands, können diese vom benachteiligten Käufer ebenfalls als Entreicherung über die Saldotheorie geltend gemacht werden, falls keine Versicherung eingreift. Grundstücke sind aber regelmäßig versichert. Hier hat der Bereicherungsschuldner dann den Anspruch gegen die Versicherung als Surrogat nach § 818 Abs. 1 Hs. 2 BGB herauszugeben. 255
BGH NJW 2002, 1872, 1874.
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b) Bewertung Insgesamt werden über das Bereicherungsrecht die Vermögensinteressen des (benachteiligten) Käufers im großen Umfang gewahrt. Sofern daher der Kauf des Grundstücks vor allem als Kapitalanlage gedacht war, stellen die Regelungen einen durchaus akzeptablen Ausgleich dar. Bei sehr hohen Aufwendungen kann allerdings die Leistungsfähigkeit des Verkäufers fraglich sein, da dieser bereits den gesamten (überhöhten) Kaufpreis zurückerstatten muss. Das kann dazu führen, dass er das Grundstück erneut verkaufen muss, um den Schuldner zu befriedigen. Anders ist dies, wenn der Käufer ein Interesse hat, den konkreten Gegenstand zu behalten, was gerade in den Fällen der Eigennutzung der Fall sein wird. Dies wird nämlich nur ausnahmsweise geschützt. Eine nicht bloß unerhebliche Belastung kann für den Käufer die Pflicht zur Herausgabe der gezogenen Nutzungen sein, die gerade über einen längeren Zeitraum eine beträchtliche Höhe annehmen können. Gleichzeitig wird das Interesse des Verkäufers an der Rückgabe des Grundstückes durch die restriktive Rechtsprechung zur Unmöglichkeit einer Herausgabe im Falle der Bebauung geschützt. Angesichts der in vielen Fällen sehr hohen Aufwendungen, die er dann aber ersetzen muss, wird er wohl häufig lieber auf die Rückgabe des Grundstückes verzichten, um dem Aufwendungsersatz zu entgehen, und stattdessen den Grundstückswert als Ersatz verlangen. Dies gilt gerade dann, wenn es für ihn zu Folgekosten kommen würde, da er kein Interesse an den vorgenommenen Veränderungen oder der Bebauung hat und diese wieder rückgängig machen muss. Entspricht dies auch dem Willen des Käufers, wird regelmäßig eine außergerichtliche Lösung möglich sein und es schon gar nicht zum Prozess kommen.
F. Der Verkäufer als benachteiligte Partei I. Der Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB Der Kaufvertrag als Verpflichtungsgeschäft ist nichtig. Ebenso das Verfügungsgeschäft des Bewucherten, das heißt hier die Übereignung des Kaufgegenstandes.256 Weil insofern das Eigentum beim Bewucherten verbleibt, hat dieser einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB. Das Erfüllungsgeschäft des Wucherers, hier die Kaufpreiszahlung, ist dagegen wirksam, sodass diesem ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB zusteht, der allerdings gewöhnlich nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen ist.257
256 Vgl. 257 Vgl.
Nachweise in Kapitel 2 Fn. 47. zum Ausschluss nach § 817 S. 2 BGB: E. I. 3. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 70 f.
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1. Herausgabe des Grundstücks Der Anspruch des bewucherten Verkäufers auf Herausgabe des Grundstücks aus § 985 BGB richtet sich stets gegen den aktuellen Besitzer der Sache. Wenn dies der wucherische Käufer ist, also gegen diesen. Hat der Käufer dagegen den Besitz einem Dritten eingeräumt, kann der bewucherte Verkäufer auch von diesem nach § 985 BGB Herausgabe verlangen, vorausgesetzt der Dritte hat nicht wirksam Eigentum an der Sache erlangt.258 Hat daher der wucherische Käufer das Grundstück vermietet oder verpachtet, kann der Verkäufer vom Mieter beziehungsweise Pächter nach 985 BGB Herausgabe des Grundstücks verlangen. Auf ein abgeleitetes Besitzrecht aus § 986 Abs. 1 BGB kann der Dritte sich nicht berufen, da sein Vermieter (der wucherische Käufer), von dem er sein Besitzrecht ableitet, nicht zum Besitz gegenüber dem Nocheigentümer (dem bewucherten Verkäufer) berechtigt ist, weil auch der Kaufvertrag, bei dessen Wirksamkeit sich ein Besitzrecht des Käufers ergäbe, nichtig ist. Neben § 985 BGB kann der Verkäufer den Besitz am Grundstück vom wucherischen Käufer auch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB herausverlangen, da dieser aufgrund der Nichtigkeit des Kaufvertrags den Besitz am Grundstück rechtsgrundlos erlangt hat. Dies gilt aber nicht gegenüber einem Dritten, dem der Besitz vom wucherischen Käufer eingeräumt wurde, weil hier im Verhältnis zum wucherischen Käufer regelmäßig eine Leistungsbeziehung vorliegt und daher Ansprüche des bewucherten Verkäufers aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB gesperrt sind.259 Bei Grundstücken als Kaufgegenstand kommt daneben noch der Anspruch auf Grundbuchberichtigung aus § 894 BGB hinzu, da in der Regel der Wucherer entgegen der materiellen Rechtslage als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen wird.
2. Ansprüche bei Weiterveräußerung Hat der wucherische Käufer das Grundstück weiterverkauft und übereignet, ist für den bewucherten Verkäufer entscheidend, ob die Übereignung an den Dritten wirksam ist oder nicht. Wird, wie gewöhnlich, der wucherische Käufer als Eigentümer im Grundbuch eingetragen, kann der Dritte regelmäßig über § 892 BGB gutgläubig das Eigentum am Grundstück erwerben, es sei denn, er weiß von der Nichtberechtigung des wucherischen Käufers. Ähnlich ist es bei beweglichen Sachen, auch wenn die Situation des bewucherten Verkäufers hier etwas besser ist, da nach § 932 Abs. 2 BGB bereits grob fahrlässige Unkenntnis des Erwerbers den gutgläubigen Erwerb verhindert. 258
Vgl. dazu sogleich: 2. Ansprüche bei Weiterveräußerung, S. 98 f. zum Vorrang der Leistungsbeziehung ausführlich: Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 24 ff.; Thomale/Zimmermann, AcP 217 (2017), 246; sowie Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 812 Rn. 23, jeweils m. w. N. 259 Vgl.
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a) Ansprüche bei Wirksamkeit der Übereignung an Dritten Im Fall des gutgläubigen Erwerbs scheiden Ansprüche gegen den Erwerber – abgesehen von Fällen des § 816 Abs. 1 S. 2 BGB bzw. § 822 BGB – aus. Der bewucherte Verkäufer muss und kann sich allein an den wucherischen Käufer halten. Gegen diesen steht dem bewucherten Verkäufer zunächst der Anspruch auf Herausgabe des Erlangten nach § 816 Abs. 1 S. 1 BGB zu, denn der wucherische Käufer verfügt als Nichtberechtigter.260 Umstritten ist bei § 816 Abs. 1 S. 1 BGB, ob auch ein über dem Sachwert des veräußerten Gegenstands liegender Erlös von der Herausgabe umfasst ist. Der BGH261 und große Teile der Literatur262 nehmen dies zu Recht an. Nach der Gegenansicht kann nur der objektive Verkehrswert herausverlangt werden, weil der Verfügende nur diesen erlangt habe.263 Für die h. M. spricht zum einen systematisch, dass der Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB an die Stelle von § 985 BGB tritt,264 zum anderen der Wortlaut, wenn man ihn im umgangssprachlichen oder wirtschaftlichen Sinn versteht.265 Gleichzeitig muss der Bereicherungsschuldner, falls er den Gegenstand unter dessen Wert veräußert, auch nur den geringeren Veräußerungserlös herausgeben, sofern er nicht – wie regelmäßig der Wucherer – verschärft nach § 819 Abs. 1 BGB haftet. Neben dem Anspruch auf Herausgabe des Erlöses kann der bewucherte Verkäufer auch Schadensersatz geltend machen. Zum einen unmittelbar aus §§ 989, 990 BGB im Falle der Bösgläubigkeit des wucherischen Käufers.266 Ebenfalls zu den §§ 989, 990 BGB gelangt man über die verschärfte Haftung des Wu260 § 816 Abs. 1 S. 1 BGB wird nicht von der Sperrwirkung des EBV erfasst, vgl. MüKoBGB/Raff, 8. Aufl., § 993 Rn. 12; Jauernig/Berger, 17. Aufl., Vorb. §§ 987–993 Rn. 14; BeckOGK/Spohnheimer, 01.12.2017, BGB § 993 Rn. 22; Erman/Ebbing, 15. Aufl., Vorb. § 987 Rn. 74; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband, S. 524; so auch RGZ 158, 40, 47. 261 Vgl. etwa BGH NZM 2005, 835, 837; NJW 1997, 190, 191; NJW 1959, 668, 668 f. 262 PWW/Prütting, 14. Aufl., § 816 Rn. 22; BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 816 Rn. 17; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 267; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 816 Rn. 19. 263 MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 816 Rn. 44; Medicus/Petersen, BR, 27. Aufl., Rn. 723; v. Caemmerer in: FS Rabel, 333, 356 f.; i. E. ebenso wohl Staudinger/Lorenz, (2007), § 816 Rn. 23 ff. 264 BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 816 Rn. 17; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 816 Rn. 19. 265 PWW/Prütting, 14. Aufl., § 816 Rn. 22; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 267 f., die sogar noch weitergehen und der Ansicht sind, dass auch nach juristischem Verständnis der Wortlaut für die Herausgabe des Veräußerungserlöses spreche, da erst durch die Verfügung der Anspruch des Nichtberechtigten durchsetzbar werde. Soweit wird man jedoch nicht gehen können. Auch die Gegenansicht stützt sich freilich auf den Wortlaut, vgl. dazu Medicus/Petersen, BR, 27. Aufl., Rn. 723. 266 Vgl. zur Bösgläubigkeit des Wucherers i. S. v. § 990 Abs. 1 BGB und den Voraussetzungen der verschärften Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB sogleich: 3. Beschädigung der Sache, S. 100.
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cherers nach §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1, 292 BGB. Auch das notwendige Verschulden liegt vor, das in der freiwilligen Veräußerung der Sache an einen Dritten liegt.267 Der Anspruch aus § 989 BGB umfasst jedwede Unmöglichkeit der Herausgabe,268 sodass der bewucherte Verkäufer darüber den objektiven Wert des Kaufgegenstands verlangen kann. Dies wird dann praktisch relevant, wenn der Käufer den Gegenstand unter Wert verkauft hat, weil nach § 816 Abs. 1 S. 1 BGB nur der (geringere) Veräußerungserlös verlangt werden kann. Vertragliche Schadensersatzansprüche bestehen aufgrund der Nichtigkeit des Kaufvertrags hingegen nicht.269
b) Ansprüche bei Unwirksamkeit der Verfügung an Dritte Ist die Übereignung an den Dritten hingegen unwirksam, kann der wucherische Verkäufer, wie geschildert, auch vom Erwerber die Sache nach § 985 BGB herausverlangen, denn dann ist er immer noch Eigentümer der Sache. Gleichzeitig kann er nach § 816 Abs. 1 S. 1 BGB auch den Erlös vom wucherischen Käufer herausverlangen, wenn er die fehlgeschlagene Übereignung an den Dritten gemäß § 185 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB genehmigt und dieser so zur Wirksamkeit verhilft.
3. Beschädigung der Sache Wurde die Sache durch den Käufer beschädigt, kann der Verkäufer zunächst die Sache nach § 985 BGB herausverlangen und daneben Schadensersatz geltend machen. Dieser richtet sich nach den Regelungen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses und dort nach den §§ 989, 990 Abs. 1 BGB. Voraussetzung ist entweder die Rechtshängigkeit oder, und darum wird es meistens gehen, die Bösgläubigkeit des wucherischen Käufers als Besitzer zum Zeitpunkt der Schädigung. Weiter kann Schadensersatz nur bei einem Verschulden des Besitzers verlangt werden. Der Schadensersatz erfasst vom Umfang her sowohl die Verschlechterung der Sache und deren Untergang als auch jede andere Unmöglichkeit der Herausgabe sowie den entgangenen Gewinn.270 Gleichzeitig können die §§ 989, 990 BGB auch über § 292 BGB und die verschärfte Haftung nach §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB Anwendung finden. Von entscheidender Bedeutung für die Schadensersatzansprüche des Verkäufers ist, ob der Wucherer bösgläubig i. S. v. § 990 Abs. 1 BGB ist oder ob 267 BGH NJW 2014, 2790, 2793; NJW‑RR 1993, 626, 627; Soergel/Stadler, 13. Aufl., § 989 Rn. 12; Staudinger/Thole, (2019), § 989 Rn. 31; Erman/Ebbing, 15. Aufl., § 989 Rn. 15. 268 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 270. 269 Möglich sind aber Ansprüche aus culpa in contrahendo, da das Ausnutzen einer Schwächelage zum eigenen Vorteil eine vorvertragliche Pflichtverletzung darstellt. 270 BGH NJW 2014, 2790, 2793; NJW‑RR 1993, 626, 627 f.; Staudinger/Thole, (2019), § 989 Rn. 45 u. 48; Jauernig/Berger, 17. Aufl., § 989 Rn. 2.
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er verschärft nach § 819 Abs. 1 BGB haftet. Beide Vorschriften sind jeweils bei Kenntnis von der fehlenden Besitzberechtigung erfüllt,271 wobei § 990 Abs. 1 BGB zusätzlich schon die grob fahrlässige Unkenntnis zum Zeitpunkt des Besitzerwerbs genügen lässt. Grob fahrlässige Unkenntnis richtet sich dabei nach § 932 Abs. 2 BGB272 und erfordert im Rahmen von § 990 Abs. 1 BGB die grob fahrlässige Unkenntnis des fehlenden Besitzrechts bei Besitzerwerb. Grob fahrlässig handelt, wer außer Acht lässt, was jedem in der konkreten Situation eingeleuchtet hätte.273 Liegt die entsprechende Unkenntnis bei Besitzerwerb nicht vor, schadet danach nur noch positive Kenntnis (§ 990 Abs. 1 S. 2 BGB). Für die Kenntnis im Sinne beider Vorschriften genügt es bereits, dass der Besitzer die Tatsachen kennt, aus denen sich das fehlende Besitzrecht ergibt und sich dies einem redlich denkenden Besitzer aufdrängen würde.274 Sofern alle Tatbestandsvoraussetzungen von § 138 Abs. 2 BGB tatsächlich nachweislich erfüllt sind, ergibt sich daraus die Bösgläubigkeit i. S. v. § 990 Abs. 1 BGB und zwar in Form der Kenntnis des fehlenden Besitzrechts, sodass es auf die grob fahrlässige Unkenntnis nicht ankommt. Ebenso liegt dann auch Kenntnis i. S. v. § 819 Abs. 1 BGB vor. Wer nämlich um das auffällige Missverhältnis zwischen den vertraglichen Leistungen weiß und dass er dieses nur deshalb zu seinen Gunsten erreichen konnte, weil er die Schwächelage des anderen Teils ausgenutzt hat, kennt mindestens die notwendigen Tatsachen, aus denen sich ihm auch sein fehlendes Besitzrecht und auch eine entsprechende Rechtsgrundlosigkeit aufdrängen muss. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der bewucherte Verkäufer vom wucherischen Käufer grundsätzlich nach §§ 989, 990 Abs. 1 BGB Schadensersatz verlangen kann.
4. Nutzungsersatz Neben der Herausgabe der Sache selbst hat der Verkäufer ebenfalls ein Interesse daran, die vom Käufer als Besitzer gezogenen Nutzungen herauszuverlangen. Den Anspruch auf Nutzungsersatz enthält das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis in § 987 BGB (i. V. m. § 990 Abs. 1 BGB). Dieser setzt dabei die Bösgläubigkeit des Besitzers (oder Rechtshängigkeit) im Zeitpunkt der Nutzungsziehung voraus. Soweit diese vorliegt, muss der Besitzer, hier der Wucherer, die gezo271
Bzw. bei Kenntnis der Rechtsgrundlosigkeit, was inhaltlich aber regelmäßig nichts anderes bedeutet, denn bei fehlendem Besitzrecht wurde der Besitz meist auch rechtsgrundlos erlangt. 272 MüKoBGB/Raff, 8. Aufl., § 990 Rn. 3 u. 5 ff.; PWW/Englert, 14. Aufl., § 990 Rn. 2; Palandt/Herrler, 79. Aufl., § 990 Rn. 4; NK‑BGB/Schanbacher, 4. Aufl., § 990 Rn. 3. 273 BGH NJW 1994, 2022, 2023; NJW 1991, 1415, 1417; PWW/Englert, 14. Aufl., § 990 Rn. 3; MüKoBGB/Raff, 8. Aufl., § 990 Rn. 5; NK‑BGB/Schanbacher, 4. Aufl., § 990 Rn. 5. 274 Zu § 990 BGB: Jauernig/Berger, 17. Aufl., § 990 Rn. 2; PWW/Englert, 14. Aufl., § 990 Rn. 2 f.; zu § 819 BGB vgl. oben: E. II. 9. a) Anwendung auf den Benachteiligten, S. 93 f.
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genen Nutzungen herausgeben. Bei einem Grundstück sind dies im Falle der Fremdnutzung nach § 99 Abs. 3 BGB vor allem erzielte Miet- oder Pachteinnahmen.275 Hat er das Grundstück hingegen selbst genutzt, muss er die üblicherweise dafür anfallenden Miet- oder Pachtzinsen herausgeben.276 Unter den Voraussetzungen des § 987 Abs. 2 BGB ist der wucherische Käufer sogar zum Nutzungsersatz verpflichtet, auch wenn er tatsächlich gar keine Nutzungen gezogen hat. Da die Rechtsprechung den rechtsgrundlos erlangten Besitz dem unentgeltlichen Besitz i. S. v. § 988 BGB gleichstellt,277 kann der Eigentümer die gezogenen Nutzungen nach § 818 Abs. 1 BGB selbst dann herausverlangen, wenn sich die Bösgläubigkeit i. S. v. § 990 Abs. 1 BGB nicht nachweisen lässt, weil aufgrund der Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts der Wucherer den Besitz rechtsgrundlos erlangt hat. Die Frage nach der Bösgläubigkeit des Wucherers ist daher beim Nutzungsersatz anders als beim Schadensersatz nicht von (praktischer) Bedeutung. Da sie beim Wucherer typischerweise ohnehin vorliegt, kommt es auf § 988 BGB aber praktisch kaum an.
5. Belastung der Sache Auch im Rahmen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses stellt sich die Frage nach der Rückabwicklung für den Fall, dass der Käufer das Grundstück als Kreditsicherungsmittel einsetzt und es zu diesem Zweck belastet. Zwar ist der Käufer aufgrund der Nichtigkeit der Übereignung nicht Eigentümer des Grundstücks und verfügt somit als Nichtberechtigter. Da er in aller Regel aber im Grundbuch als neuer Eigentümer eingetragen wird, ist häufig ein gutgläubiger Erwerb des Grundpfandrechts über § 892 BGB möglich und das Grundstück wird wirksam belastet. Wie bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung stellt sich auch hier zunächst die Frage, ob der Käufer die Belastung rückgängig machen muss oder zumindest Wertersatz oder ähnliches schuldet.
a) Situation bei Bösgläubigkeit des Käufers Über §§ 989, 990 Abs. 1 BGB kann der Verkäufer die Beseitigung der Belastung im Wege der Naturalrestitution verlangen. Auch wenn der Begriff der Verschlechterung in § 989 BGB primär solche der Sachsubstanz und Funktionstauglichkeit erfasst, ist anerkannt, dass auch die Belastung des Gegenstands 275 276
Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 226 u. Fn. 227. Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 229. 277 St. Rspr., vgl. u. a.: BGH NJW 2000, 3128, 3130; NJW 1995, 2627, 2628; NJW 1983, 164, 165; NJW 1960, 1105, 1107; RGZ 163, 348, 357; diese Auffassung der Rechtsprechung sieht sich in der Literatur Kritik ausgesetzt, die für einen Ersatz nach Bereicherungsrecht plädiert, vgl. u. a.: NK‑BGB/Schanbacher, 4. Aufl., § 988 Rn. 8.
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unter diesen fällt.278 In der Regel wird der Wucherer jedenfalls fahrlässig i. S. d. § 276 BGB handeln und ihn damit ein Verschulden treffen. Weil der wucherische Käufer grundsätzlich bösgläubig ist, kann der Verkäufer das Grundstück im unbelasteten Zustand herausverlangen. Problematisch ist die Situation, wenn der Käufer zur Entfernung der Belastung zum Zeitpunkt des Herausgabeverlangens außerstande ist. Da § 292 BGB auf § 989 BGB verweist, muss insofern die Lösung der Situation entsprechen, in der der Bereicherungsschuldner nach § 819 Abs. 1 BGB verschärft haftet.279
b) Sonstige Ansprüche Ein Anspruch auf Nutzungsersatz nach §§ 987, 990 BGB, der in Höhe einer Avalprovision bestehen würde, gibt es nicht, da die Belastung einer Sache nicht unter den Begriff der Nutzung i. S. v. § 100 BGB fällt.280 Ebensowenig ist ein (verschuldensunabhängiger) Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB gegeben, weil die Belastung keine Eigentumsbeeinträchtigung nach dieser Vorschrift darstellt.281 Nicht Beseitigung, aber Herausgabe des Erlangten, kann der Eigentümer über § 816 Abs. 1 S. 1 BGB verlangen, wobei umstritten ist, worin genau bei einer Verfügung in Form einer Belastung das Erlangte besteht. Das Reichsgericht nahm an, der buchmäßige Eigentümer, also der Wucherer, der das Grundstück mit einer Hypothek belastet habe, sei verpflichtet, dem wahren Eigentümer die Darlehensvaluta herauszugeben.282 Im Gegenzug dafür könne der Bucheigentümer aber verlangen, von seiner Darlehensschuld befreit zu werden. Denn durch die Verfügung habe der Bucheigentümer die Darlehensvaluta erlangt, seine Bereicherung sei aber gleichzeitig durch die übernommene Verpflichtung zur Rückzahlung gemindert. Diese Ansicht ist im Verlauf der Jahre zu Recht auf große Kritik gestoßen, denn die Darlehensvaluta wird nicht durch die Belastung erlangt, sondern ist ein commodum ex negatione und stellt die Gegenleistung für die Zinszahlung dar.283 Erlangt hat der Käufer die Nutzung der Sache als Kreditsicherheit. Da insofern eine gegenständliche Herausgabe ausscheidet, ist Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB in der Höhe einer entsprechenden Avalprovision zu leisten. 278 In der Rspr: BGH NJW 2001, 1069, 1069; RGZ 121, 335, 336; zur Literatur: Palandt/ Herrler, 79. Aufl., § 989 Rn. 4; Jauernig/Berger, 17. Aufl., § 989 Rn. 1; BeckOK BGB/Fritzsche, 53. Ed. 01.02.2020, § 989 Rn. 6; PWW/Englert, 14. Aufl., § 989 Rn. 3; BeckOGK/Spohnheimer, 01.08.2017, BGB § 989 Rn. 10.1; nur im Wege der Analogie zulassen wollen dies: MüKoBGB/Raff, 8. Aufl., § 989 Rn. 5; Erman/Ebbing, 15. Aufl., § 989 Rn. 7. 279 Vgl. dazu oben: E. II. 6. a) Problematik, S. 78 f. 280 Allg. Ansicht: BeckOK BGB/Fritzsche, 53. Ed. 01.02.2020, § 100 Rn. 9; PWW/Völzmann-Stichelbrock, 14. Aufl., § 100 Rn. 2. 281 BGH NJW 2001, 1069; ebenso schon v. Caemmerer in: FS Lewald, 443, 445. 282 RGZ 158, 40, 47. 283 v. Caemmerer in: FS Lewald, 443, 449; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 72.
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6. Ansprüche des Wucherers – insbesondere auf Verwendungsersatz Der Wucherer als Käufer wiederum kann den gezahlten Kaufpreis im Grundsatz nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB herausverlangen. Diesem Anspruch steht jedoch grundsätzlich § 817 S. 2 BGB entgegen.284 In diesem Fall erlangt der bewucherte Verkäufer das Grundstück zurück und behält den Kaufpreis. Auf die im Folgenden dargestellten Verwendungsersatzansprüche des wucherischen Käufers findet § 817 S. 2 BGB aber keine Anwendung, weil die §§ 994 ff. BGB einen speziellen Fall der Verwendungskondiktion darstellen und auf diese § 817 S. 2 BGB ebenfalls keine Anwendung findet285.
a) Verwendungsersatz allgemein Dem Käufer können Verwendungsersatzansprüche nach den §§ 994 ff. BGB zustehen, insbesondere wenn er Reparaturen oder sonstige Veränderungen am Kaufgegenstand vorgenommen hat. Probleme bereitet der Fall der Bebauung eines zunächst unbebauten Grundstücks.286 Grundsätzlich sind gemäß § 994 Abs. 1 BGB nur notwendige Verwendungen, also solche, die zum Erhalt, der Wiederherstellung oder der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Sache objektiv erforderlich sind,287 zu ersetzen und dies auch nur unter der Voraussetzung, dass der Besitzer im Zeitpunkt der Verwendung gutgläubig war, vgl. § 994 Abs. 2 BGB. Fehlgeschlagene Verwendungen sind dabei ebenfalls nach § 994 Abs. 1 BGB zu ersetzen, sofern sie notwendig waren.288 Kosten für eine Reparatur sind also auch dann ersatzfähig, wenn diese nicht zum gewünschten Ergebnis geführt hat. Für die Bösgläubigkeit nach § 994 Abs. 2 BGB gilt dabei Entsprechendes wie zu § 990 Abs. 1 BGB.289 Da der wucherische Käufer gewöhnlich im Zeitpunkt des Besitzerwerbs und damit auch bei Vornahme der Verwendungen bösgläubig ist, führt dies gemäß § 994 Abs. 2 BGB dazu, dass sich der Ersatz notwendiger Verwendungen nach den Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag richtet. Dabei handelt es sich nach herrschender Meinung um eine eingeschränkte Rechtsgrundverweisung.290 Das bedeutet, dass alle Voraussetzun284 285
Vgl. oben: E. I. 3. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 70 f. Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 166; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 817 Rn. 20; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 817 Rn. 2. 286 Vgl. dazu sogleich unter: b) aa) Rechtsprechung zu bestandsverändernden Verwendungen, S. 105 ff. 287 Allg. anerkannte Definition, vgl. etwa st. Rspr.: BGH NJW‑RR 2013, 1318, 1320; NJW 1996, 921, 922; NJW 1990, 447, 447; NJW 1983, 1479, 1480, jeweils m. w. N.; Palandt/ Herrler, 79. Aufl., § 994 Rn. 5; PWW/Englert, 14. Aufl., § 994 Rn. 2; NK‑BGB/Schanbacher, 4. Aufl., § 994 Rn. 6. 288 BGH NJW‑RR 2013, 1318, 1320; NJW 1996, 921, 922; MüKoBGB/Baldus, 6. Aufl., § 994 Rn. 10; Palandt/Herrler, 79. Aufl., § 994 Rn. 5; Staudinger/Thole, (2019), § 994 Rn. 11. 289 Vgl. oben: 3. Beschädigung der Sache, S. 100 f. 290 Soergel/Stadler, 13. Aufl., § 994 Rn. 9; Staudinger/Thole, (2019), § 994 Rn. 44; Erman/
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gen der Geschäftsführung ohne Auftrag bis auf den Fremdgeschäftsführungswillen vorliegen müssen.291 Damit sind nur solche Verwendungen, die dem Willen des Eigentümers entsprechen, nach §§ 670, 683 S. 1 BGB voll zu ersetzen. Solche, die seinem Willen entgegen laufen, sind nach §§ 684 S. 1, 818 BGB hingegen nur ersatzfähig, soweit der Eigentümer durch die Verwendungen noch bereichert ist. Dabei kann er sich gegen ungewollte Verwendungen, die seinem Interesse entgegenlaufen, mit dem Einwand der aufgedrängten Bereicherung zur Wehr setzen. Weitergehende Verwendungen auf die Sache können nach § 996 BGB nur dann ersetzt verlangt werden, sofern sie nützlich waren und vom gutgläubigen unverklagten Besitzer vorgenommen worden sind. Wenn der Wucherer bösgläubig ist, kommt damit ein Ersatz nützlicher Verwendungen von vornherein nicht in Betracht. Nützlich sind Verwendungen aber nur, wenn sie den Wert der Sache erhöhen und die Wertsteigerung noch im Zeitpunkt der Rückgabe vorliegt.292 Der Verkäufer profitiert dann von den getätigten Verwendungen, jedenfalls sofern sie seinem Interesse nicht zuwiderlaufen. Der Käufer kann jedoch unter den Voraussetzungen des § 997 BGB von seinem Wegnahmerecht Gebrauch machen, wenn er den Kaufgegenstand mit einer anderen Sache verbunden hat.
b) Bebauung des Grundstücks aa) Rechtsprechung zu bestandsverändernden Verwendungen Soweit es sich bei der herauszugebenden Sache um ein Grundstück handelt, ist noch die von der Rechtsprechung vorgenommene Einschränkung des Verwendungsbegriffs hinsichtlich der Bebauung von Grundstücken zu beachten. An sich würde es sich dabei um nützliche Verwendungen handeln, die unter den Voraussetzungen des § 996 BGB ersatzfähig sind. Eine Bebauung ist für den Erhalt eines unbebauten Grundstücks nämlich grundsätzlich nicht erforderlich, steigert aber gewöhnlich dessen Wert. Nach Ansicht des BGH werden sogenannte bestandsverändernde (auch sachändernde genannte) Verwendungen allerdings nicht vom Verwendungsbegriff der §§ 994 ff. BGB erfasst.293 Bestandsverändernd sind dabei solche Verwendungen, die eine Sache nicht nur erhalten oder verbessern, sondern völlig umgestalten, sie also in ihrem ZuEbbing, 15. Aufl., § 994 Rn. 31; MüKoBGB/Raff, 8. Aufl., § 994 Rn. 42; NK‑BGB/Schan bacher, 4. Aufl., § 994 Rn. 8; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1. Aufl., S. 714. 291 Staudinger/Thole, (2019), § 994 Rn. 44; Jauernig/Berger, 17. Aufl., § 994 Rn. 4; MüKoBGB/Baldus, 6. Aufl., § 994 Rn. 32; NK‑BGB/Schanbacher, 4. Aufl., § 994 Rn. 8. 292 BGH NJW 2006, 1729, 1730; Palandt/Herrler, 79. Aufl., § 996 Rn. 2; PWW/Englert, 14. Aufl., § 996 Rn. 3. 293 St. Rspr.: BGH NJW 2002, 3478, 3479; NJW 1964, 1791, 1792; NJW 1964, 1125, 1127; NJW 1953, 1466, 1467; OLG Rostock NJOZ 2008, 1941, 1947.
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stand verändern, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Sache im Anschluss einem anderen Zweck dient.294 Die Bebauung eines zunächst unbebauten Grundstücks bildet dabei den klassischen Fall einer bestandsverändernden Verwendung. Hintergrund dieser Rechtsprechung ist der Schutz des Eigentümers vor Verwendungen, die die Sache völlig umgestalten und dadurch seinem Interesse an der Nutzung der Sache entgegenlaufen können.295 Gerade die Kosten für bestandsverändernde Verwendungen fallen nämlich typischerweise besonders hoch aus und der Eigentümer wird dadurch vor Ersatz dieser Kosten geschützt. Zusätzlich stützt der BGH sein Verständnis vom Verwendungsbegriff auf den allgemeinen Sprachgebrauch, wonach die Errichtung eines Gebäudes nicht als Verwendung bezeichnet werde.296 Da die Rechtsprechung in den §§ 994 ff. BGB zudem eine abschließende Regelung sieht, können die Kosten für bestandsverändernde Verwendungen vom Besitzer auch nicht nach anderen Vorschriften, insbesondere dem Bereicherungsrecht, herausverlangt werden,297 sodass der zur Herausgabe verpflichtete Besitzer letztlich auf ihnen sitzen bleibt. Er kann lediglich von seinem Wegnahmerecht aus § 997 BGB Gebrauch machen. Das bedeutet praktisch, dass er das Gebäude abreißen muss und die verwendeten Baustoffe wieder verwenden kann, soweit dies möglich ist.298 Diese Möglichkeit ist angesichts der damit einhergehenden Kosten jedoch unattraktiv für ihn, sodass er im Regelfall davon absehen wird. Nur in einem besonders gelagerten Fall gewährte der BGH einen Ersatzanspruch aus § 242 BGB, um völlig unbillige Ergebnisse zu vermeiden.299 Hier handelte es sich aber um eine absolute Ausnahmesituation in der es dem Besitzer wegen entgegenstehenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht möglich war, von seinem Wegnahmerecht aus § 997 BGB Gebrauch zu machen. Es lässt sich der Grundsatz formulieren, dass nach Ansicht des BGH im Falle bestandsverändernder Verwendungen generell kein Verwendungsersatz gewährt wird, auch nicht über § 242 BGB.
294
BGH NJW 1964, 1125, 1127.
295 Dubischar, JuS 2002, 131, 134; MüKoBGB/Gaier, 8. Aufl., § 347 Rn. 18. 296 BGH NJW 1953, 1466, 1467; ebenso aus jüngerer Zeit: OLG Rostock NJOZ
2008, 1941, 1947; wobei die Tragfähigkeit dieses Arguments als äußerst fragwürdig bezeichnet werden kann und auch wird, vgl. etwa BeckOK BGB/Fritzsche, 53 Ed. 01.02.2020, § 994 Rn. 19. 297 BGH NJW 1996, 52, 52; NJW 1964, 1791, 1792; OLG Rostock NJOZ 2008, 1941, 1947. 298 So ausdrücklich BGH NJW 1964, 1125, 1128; ebenso OLG Rostock NJOZ 2008, 1941, 1949 f. 299 Vgl. BGH NJW 1964, 1125, 1125 ff.; in der Regel werden solche Ansprüche aber abgelehnt, vgl. etwa OLG Rostock NJOZ 2008, 1941, 1955.
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bb) Gegenvorschläge in der Literatur Auch wenn diese Rechtsprechung vereinzelt auf Zustimmung gestoßen ist,300 trifft sie doch allgemein meist auf Kritik in der Literatur, die entweder den Verwendungsbegriff für bestandsverändernde Verwendungen öffnen301 oder zumindest eine Anwendung des Bereicherungsrechts neben den §§ 994 ff. BGB zulassen möchte302. Gegen die zuletzt genannte Lösung werden aber systematische Bedenken vorgebracht, denn grundsätzlich wird auch in der Literatur davon ausgegangen, dass die Regelungen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses abschließend sind.303 Ferner wird kritisiert, dass eine parallele oder zumindest subsidiäre Anwendung des Bereicherungsrechts systemwidrig sei, da dieses vor allem den Bereicherungsgläubiger im Blick habe, die §§ 994 ff. BGB aber den Besitzer, und dass die §§ 812 ff. BGB hinsichtlich der Ersatzfähigkeit nicht wie das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis zwischen Gut- und Bösgläubigkeit des Verwenders differenzieren.304 Zudem fielen bei einer Anwendung des Bereicherungsrechts die Einschränkungen der §§ 1001 ff. BGB fort.305
cc) Würdigung Die Einschränkung des Verwendungsersatzes durch den BGH im Falle bestandsverändernder Verwendungen stellt eine extreme Belastung des (stets gutgläubigen!) Besitzers dar und sieht sich zu Recht Kritik ausgesetzt. In den Fällen des § 138 Abs. 2 BGB fällt dies weniger ins Gewicht, weil der besitzende Käufer grundsätzlich bösgläubig ist und ihm deshalb schon kein Anspruch zusteht, selbst wenn es sich bei der Bebauung um eine Verwendung i. S. d. §§ 994 ff. BGB handeln würde. Die Handhabung des engen Verwendungsbegriffs durch den BGH selbst kann schon nicht überzeugen. So kann nach seiner Rechtsprechung zwar im 300 Waltjen, AcP 175 301 MüKoBGB/Raff,
(1975), 109, 132 ff. 8. Aufl., § 994 Rn. 20; Palandt/Herrler, 79. Aufl., § 994 Rn. 4; Wolf, AcP 166 (1966), 188, 196; Baur/Stürner, 18. Aufl., § 11 Rn. 55; BeckOK BGB/Fritzsche, 53. Ed. 01.02.2020, § 994 Rn. 21; Soergel/Stadler, 13. Aufl., § 994 Rn. 3; PWW/Englert, 14. Aufl., § 994 Rn. 2. 302 Medicus/Petersen, BR, 27. Aufl., Rn. 896 f.; Canaris, JZ 1996, 344, 346 ff.; Wolf, AcP 166 (1966), 188, 196, der sowohl für einen weiten Verwendungsbegriff als auch eine Anwendung der §§ 812 ff. BGB neben den §§ 994 ff. BGB plädiert. Zu Beginn vertrat sogar der BGH die Ansicht, dass bei Unanwendbarkeit der §§ 994 ff. BGB Ersatz über § 951 BGB und das Bereicherungsrecht gewährt werden könne, vgl. BGH NJW 1953, 1466, 1467. 303 BGH NJW 1964, 1791, 1792; NJW 1983, 2024, 2025; Waltjen, AcP 175 (1975), 109, 133 f.; PWW/Englert, 14. Aufl., Vor. §§ 994 ff. Rn. 1. 304 Waltjen, AcP 175 (1975), 109, 134 f.; Wolf, AcP 166 (1966), 188, 192; bzgl. der fehlenden Differenzierung zwischen Gut- und Bösgläubigkeit ebenso: Palandt/Herrler, 79. Aufl., § 994 Rn. 4. 305 Wolf, AcP 166 (1966), 188, 192; Waltjen, AcP 175 (1975), 109, 134.
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Falle der Bebauung eines unbebauten Grundstücks kein Ersatz verlangt werden. Die vom Besitzer für den Wiederaufbau eines im Krieg bis auf die Grundmauern zerstörten Hauses aufgewendeten Kosten sollen dagegen unter den Verwendungsbegriff fallen, da dies keine grundlegende Veränderung, sondern eine Wiederherstellung des alten Zwecks darstelle.306 Aus Sicht des Besitzers gibt es zwischen diesen Fällen keinen relevanten Unterschied, seine Schutzwürdigkeit ist stets die gleiche.307 Zwar kann man davon ausgehen, dass die Wiederherstellung eines zerstörten Gebäudes wohl dem Interesse des Eigentümers entspricht – auch wenn dies keinesfalls zwingend ist. Dies spricht aber nicht dafür, nicht auch in anderen Fällen, in denen die Bebauung den Interessen des Eigentümers nützt, eine Ersatzpflicht zuzulassen. Vor allem weil auch nicht bestandsverändernde Verwendungen unter Umständen hohe Kosten verursachen und dem Interesse des Eigentümers widersprechen können. Eine Ersatzfähigkeit bestandsverändernder Verwendungen über das Bereicherungsrecht scheint daher die Möglichkeit eines interessengerechten Ausgleichs zu eröffnen, bei dem einerseits der Besitzer Ersatz für seine Verwendungen verlangen kann, andererseits aber der Eigentümer durch die Figur der aufgedrängten Bereicherung vor der Ersatzpflicht solcher Verwendungen geschützt wird, die seinem Interesse nicht entsprechen. Diese Lösung kennzeichnet sich durch eine hohe Flexibilität, da sie es auch zulässt, dass Aufwendungen nur soweit ersetzt werden, wie sie dem Interesse des Eigentümers entsprechen, sodass auch eine nur teilweise Erstattung in Betracht kommt. Keinesfalls darf dabei aber die Wertung des § 996 BGB unterlaufen werden, dass nur der redliche Besitzer Ausgleich verlangen darf, sodass der Wucherer nur dann Ersatz seiner bestandsverändernden Verwendungen verlangen darf, wenn er ausnahmsweise nicht als bösgläubig anzusehen ist. Andererseits muss man sehen, dass die §§ 994 ff. BGB grundsätzlich abschließend sind.308 Systematisch ist es deshalb überzeugender, auch diese Fälle über die §§ 994 ff. BGB zu lösen und wie vorgeschlagen auch bestandsverändernde Verwendungen miteinzubeziehen. Zwar ermöglichen die §§ 812 ff. BGB einen flexibleren Interessenausgleich, es erscheint aber aufgrund des abschließenden Charakters des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses309 inkonsequent, auf das Bereicherungsrecht zurückzugreifen, wenn sich das Problem über eine entsprechende Auslegung der §§ 994 ff. BGB selbst lösen lässt. Insofern ist letztlich denjenigen Recht zu geben, die den Verwendungsbegriff der §§ 994 ff. BGB weit auslegen möchten310. 306
So entschieden von BGH NJW 1964, 1791, 1792. Wolf, AcP 166 (1966), 188, 191. 308 Vgl. für Nachweise oben: Kapitel 2 Fn. 303. 309 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 297. 310 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 301. 307 Ebenso:
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dd) Fazit Insgesamt stellen sich die Rechtsfolgen bei einer Bebauung oder wesentlichen Umgestaltung des Kaufgegenstands für den bewucherten Verkäufer in der Praxis als äußerst günstig dar. Dies gilt besonders deshalb, weil der wucherische Käufer grundsätzlich bösgläubig ist. Nicht nur dass der Verkäufer dann die vom Käufer getätigten Verwendungen nicht ersetzen muss, er kann vom Käufer sogar verlangen, die Bebauung rückgängig zu machen. Dies folgt aus dem Schadensersatzanspruch aus §§ 989, 990 BGB. Anders ist dies allerdings, wenn er die Rückgabe vom redlichen Besitzer verlangt. Diesem ist er grundsätzlich zum Verwendungsersatz verpflichtet, mit Ausnahme solcher Verwendungen, die bestandsverändernd sind. Gleichzeitig stehen ihm keine Schadensersatzansprüche zu. Da der wucherische Käufer aber regelmäßig bösgläubig ist, kommt letzteres – wenn überhaupt – nur in Ausnahmefällen in Betracht.
c) Sonstige Vermögensnachteile Sonstige im Zusammenhang mit dem Erwerb getätigte Aufwendungen oder etwa die Mehrkosten für die Anschaffung einer Ersatzsache kann der wucherische Käufer im Rahmen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses nicht verlangen. Diese kann er auch dann nicht geltend machen, wenn der bewucherte Verkäufer seinen Rückgabeanspruch auf § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB stützt, weil der wucherische Käufer verschärft nach § 819 Abs. 1 BGB haftet.
II. Das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB 1. Gegenstand der Herausgabe Da im Fall des § 138 Abs. 1 BGB das Verfügungsgeschäft wirksam ist,311 kann der benachteiligte Verkäufer das Grundstück nur über § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB herausverlangen. Der Anspruch ist dann auf Rückauflassung, Rückgabe des Besitzes und Bewilligung der Eigentumsumschreibung gerichtet. Ausnahmsweise kann die Herausgabe bei extremer Umwandlung des Bereicherungsgegenstandes ausgeschlossen sein, sodass dann nur Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB verlangt werden kann.312 Im Fall der Weiterveräußerung kann er die konkrete Sache anders als bei § 138 Abs. 2 BGB – abgesehen von Fällen des § 822 BGB – nicht mehr wiedererlangen, weil der Erwerber beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft vom Berechtigten erwirbt und dem Erwerber daher auch positive Kenntnis von der Nichtigkeit des Kaufvertrags nicht schadet. Gleiches gilt, wenn der Käufer den Besitz einem Dritten nur vorübergehend eingeräumt hat. 311 Vgl. oben: 312 Vgl. oben:
S. 66 ff.
B. II. Rechtsfolgen, S. 53 ff. E. I. 2. b) Einschränkung der Herausgabepflicht bei extremer Umwandlung,
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Auch hier besteht – anders als bei § 138 Abs. 2 BGB – kein Anspruch gegenüber dem Dritten. Genauso kann der Verkäufer nicht den Veräußerungserlös aus einer Verfügung über den Gegenstand herausverlangen, denn § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist nicht anwendbar, weil der Begünstigte aufgrund der Wirksamkeit der Übereignung als Berechtigter verfügt. Da nach h. M. das rechtsgeschäftliche Surrogat nicht unter § 818 Abs. 1 BGB fällt,313 hat der Bereicherungsschuldner in diesen Fällen Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB zu leisten. Für den Wertersatzanspruch aus § 818 Abs. 2 BGB ist es aber anerkannt, dass er sich nur auf den objektiven Wert und nicht den konkreten Veräußerungserlös bezieht und damit der Bereicherungsschuldner einen etwaigen Mehrerlös behalten darf.314 Sofern die begünstigte Partei verschärft nach § 819 Abs. 1 BGB haftet, kommen zwar Schadensersatzansprüche gegen diese in Betracht. Der über dem objektiven Wert liegende Erlös stellt in der Regel aber keinen Schaden dar,315 sodass auch darüber nicht der Mehrerlös verlangt werden kann. Praktisch muss man aber sehen, dass vieles dafür spricht, dass der vom Bereicherungsschuldner erlangte (Mehr-)Erlös dem objektiven Marktwert entspricht, so dass sich der benachteiligte Verkäufer prozessual in einer günstigen Position befindet.316
2. Nutzungsersatz Neben der Herausgabe des Kaufgegenstands kann der benachteiligte Verkäufer nach § 818 Abs. 1 BGB die gezogenen Nutzungen herausverlangen. Das bedeutet im Fall der Fremdnutzung die vom Käufer konkret erlangten Miet- oder Pachteinnahmen oder die üblichen Mietzinsen, wenn der bevorteilte Käufer das Grundstück selbst bewohnt oder genutzt hat.317 313 St.
Rspr.: BGH NJW 2006, 2323, 2325 f.; NJW 2004, 1314, 1314; NJW 1981, 178, 178, jeweils m. w. N.; BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 818 Rn. 9; PWW/ Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 8; jurisPK‑BGB/Martinek, 9. Aufl., § 818 Rn. 19; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 818 Rn. 10; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 47; Erman/Buck-Heeb, 15. Aufl., § 818 Rn. 14; Soergel/Hadding, 13. Aufl., § 818 Rn. 29; a. A.: Musielak, JA 2017, 1, 2. 314 Vgl. nur Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 266 f.; jurisPK‑BGB/Martinek, 9. Aufl., § 818 Rn. 45; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 47; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 818 Rn. 19; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 818 Rn. 13; ebenfalls BGH NJW 1991, 105, 106. 315 Denkbar ist allenfalls, den Mehrerlös im Wege des entgangenen Gewinns geltend zu machen. Dieser kann, muss sich aber nicht mit dem vom Begünstigten erzielten Mehrerlös decken. Dafür muss der Benachteiligte aber beweisen, dass er einen entsprechenden, über dem Marktwert der Sache liegenden Gewinn (durch eine erneute Weiterveräußerung) erzielt hätte. Dabei kann ihm u. U. § 252 S. 2 BGB helfen, wobei ein über dem Marktwert liegender Gewinn regelmäßig nicht wahrscheinlich sein dürfte. 316 Ebenso: MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 85; Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 27. 317 Vgl. dazu bereits oben: E. II. 7. Herausgabe von Nutzungen gemäß § 818 Abs. 1 BGB, S. 89 f.
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3. Beschädigung oder Untergang des Kaufgegenstandes In Fällen der Beschädigung oder des Untergangs der Sache beim begünstigten Käufer stellt sich die Frage nach den Auswirkungen auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung. Grundsätzlich werden diese Fälle in der Praxis über die Saldotheorie gelöst. Diese findet beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft jedoch keine Anwendung, wenn sie zulasten des Benachteiligten wirken würde, hier also zulasten des Verkäufers.318 Geht die Sache beim begünstigten Käufer unter oder wird dort beschädigt, könnte dieser ohne Anwendung der Saldotheorie den vollen Kaufpreis herausverlangen und müsste seinerseits keinen beziehungsweise nur eingeschränkt Ersatz leisten, da er insofern entreichert wäre. Bei Anwendung der Saldotheorie hingegen könnte er nicht mehr den Kaufpreis herausverlangen, sondern nur den über dem Wert der Sache liegenden Teil des Kaufpreises. Da hier der Wert der Kaufsache höher ist als der Kaufpreis, bestünde kein Anspruch des begünstigten Käufers auf Rückzahlung. Die Saldotheorie wirkt demnach zugunsten des benachteiligten Verkäufers und findet deshalb Anwendung. Es besteht nach der Saldotheorie sogar ein positiver Saldo zugunsten des benachteiligten Verkäufers, weil der Wert des Kaufgegenstands beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft deutlich höher ist als der Kaufpreis. Allerdings kann er diesen nicht geltend machen, da der begünstigte Käufer sich insofern noch auf Entreicherung berufen kann, falls er nicht verschärft haftet. Auf den bestehenden (positiven) Saldo findet § 818 Abs. 3 BGB nämlich grundsätzlich Anwendung.319 Dann trägt der benachteiligte Verkäufer trotz Saldotheorie teilweise das Risiko der Verschlechterung beziehungsweise des Untergangs der Kaufsache, nämlich ab dem Punkt, ab dem die Wertminderung größer ist als der gezahlte Kaufpreis. Dies führt zu dem (unbilligen) Ergebnis, dass bei vollständiger Zerstörung des Bereicherungsgegenstands die schwere Äquivalenzstörung perpetuiert wird. Bei Grundstücken muss man jedoch berücksichtigen, dass diese regelmäßig versichert sind. In diesem Fall stellt die Versicherungssumme ein Surrogat i. S. d. § 818 Abs. 1 Hs. 2 BGB dar, das an den Verkäufer herauszugeben ist.320
4. Verwendungs- und Aufwendungsersatz Was die Ersatzfähigkeit im Übrigen, vor allem von Verwendungen angeht, kann im Ausgangspunkt auf die vorherigen Ausführungen bezüglich der Rückabwicklung beim benachteiligten Käufer verwiesen werden.321 Der begünstigte 318 319
Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 238. Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 236. 320 MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 44; BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 818 Rn. 8; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 818 Rn. 10; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 264 f.; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 818 Rn. 16; Staudinger/Lorenz, (2007), § 818 Rn. 19. 321 Vgl. dazu oben: E. II. 3. Ersatz von Verwendungen und Aufwendungen, S. 72 ff.
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Käufer kann sich insofern auf § 818 Abs. 3 BGB berufen und somit seine Verwendungen, Aufwendungen sowie etwaige Mehrkosten eines Deckungskaufs ersetzt verlangen. Anders ist dies nur, wenn er verschärft haftet, denn dann ist eine Berufung auf § 818 Abs. 3 BGB ausgeschlossen und der Verkäufer wäre nicht zum Ersatz entsprechender Kosten verpflichtet.
a) Verschärfte Haftung des Begünstigten nach § 819 Abs. 1 BGB Die verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB setzt sowohl die Kenntnis der einschlägigen Tatsachen als auch deren richtige rechtliche Würdigung voraus, wobei es ausreicht, dass der Betroffene die Tatsachen kennt, wenn sich aus diesen die Rechtsgrundlosigkeit des Erwerbs aufdrängen muss.322 Während bei § 138 Abs. 2 BGB die Annahme einer verschärften Haftung des Wucherers regelmäßig keine Schwierigkeiten bereitet,323 ist die Situation beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft eine andere. Hier liegt nämlich gerade kein nachweisliches Ausnutzen der Schwächelage des Benachteiligten vor, denn auf das subjektive Element wird nur mittels der Vermutung geschlossen. Weil die Vermutung nach der Rechtsprechung des BGH auch dann Anwendung findet, wenn der Begünstigte keine Kenntnis vom Missverhältnis hat,324 steht nicht einmal fest, dass der Begünstigte die nötige Tatsachenkenntnis besitzt, aus der sich die fehlende Berechtigung ableiten lässt. Damit erscheint eine verschärfte Haftung ausgeschlossen, da die Voraussetzungen von § 819 Abs. 1 BGB nicht vorliegen.
b) Übertragung der Vermutung aus § 138 BGB auf § 819 Abs. 1 BGB Es stellt sich jedoch die – soweit ersichtlich bislang nicht erörterte – Frage, ob die im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB aufgestellte Vermutung nicht auf § 819 Abs. 1 BGB übertragen werden kann oder sogar übertragen werden muss.325 Eine solche Annahme erscheint vor allem deshalb schwierig, weil bis heute nicht wirklich geklärt ist, was genau die verwerfliche Gesinnung ist und worin genau sie besteht.326 Es finden sich Formulierungen wie: die Verwerflichkeit liege im Verwenden der schlechten Lage des Geschäftspartners zur Erzielung eines eigenen übermäßigen Gewinns oder im Bewusstsein oder leichtfertigen 322
Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 244 und Fn. 248. Vgl. oben: I. 3. Beschädigung der Sache, S. 100 f. BGH NJW‑RR 2003, 558, 558 f.; NJW 2001, 1127, 1128. 325 Der BGH hat dies zwar weder ausdrücklich abgelehnt noch sich mit dieser Frage explizit auseinander gesetzt, wohl aber § 819 Abs. 1 BGB trotz Eingreifens der Vermutung bei § 138 BGB mangels positiver Kenntnis abgelehnt, vgl. BGH NJW 2001, 1127, 1130. Der BGH scheint damit die Vermutung der verwerflichen Gesinnung auf § 138 BGB zu beschränken; zustimmend offenbar Bork, JZ 2001, 1138, 1139. 326 Zu Recht: Jung, Das wucherähnliche Rechtsgeschäft, S. 87; Osterloh in: FS Bub, 517, 526 ff.; vgl. zur Vermutung auch schon oben: § 7 B. I. 2. Das wucherähnliche Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB, S. 50 ff. 323 324
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Nichterkennen, dass der Andere sich nur wegen seiner schwierigen Lage auf das Rechtsgeschäft einlasse.327 Solche Inhaltsbeschreibungen sind, wenn man den Begriff „verwerfliche Gesinnung“ und den dahinterstehenden Gedanken betrachtet, sicher nicht falsch und vom BGH wohl auch so gemeint. Schon das Reichsgericht beschrieb die Vermutung in dem Urteil, in dem es die Vermutung erstmals anwendete, als böswilliges oder grob fahrlässiges Sichverschließen davor, „dass sich der andere aus einer mißlichen Lage heraus auf die schweren Bedingungen einläßt“328. Ähnliche Ausführungen finden sich auch später in Urteilen des BGH.329 Man geht bei der Vermutung also davon aus, dass der benachteiligte Teil sich in einer Schwächesituation befand und der andere, begünstigte Teil, diese für sich ausgenutzt hat, um einen für sich vorteilhaften Vertrag zu schließen. Sie ist damit kaum vom Begriff des Ausnutzens in § 138 Abs. 2 BGB zu unterscheiden.330 Legt man den in der Vermutung enthaltenen Sachverhalt zugrunde, würde dieser deshalb ohne Weiteres die Kenntnis im Sinne von § 819 Abs. 1 BGB begründen. Insofern scheint eine Übertragung nahe zu liegen. Noch ein weiterer Punkt spricht für eine Übertragung: Sofern man aufgrund der Vermutung nicht auch eine verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB annimmt und auch sonst keine ausreichenden Anhaltspunkte für diese vorliegen, kommt man zu dem – mit dem Rechtsgefühl auf den ersten Blick schwer zu vereinbarenden – Ergebnis, dass der Begünstigte, sofern er der Käufer ist, sich auf § 818 Abs. 3 BGB berufen kann. Das hat zur Folge, dass er gegenüber dem benachteiligten Verkäufer die Erfüllung der Rückgabeverpflichtung des Grundstücks davon abhängig machen kann, dass dieser ihm die auf das Grundstück 327 Vgl. z. B.: BGH NJW 2010, 363, 363: „Das [das Handeln in verwerflicher Gesinnung] setzt voraus, dass diesem [dem Begünstigten] bewusst ist oder er sich grob fahrlässig der Einsicht verschließt, dass der Käufer nur unter dem Zwang der Verhältnisse oder aus anderen, die freie Willensentschließung beeinträchtigenden Umständen […], sich auf den für ihn ungünstigen Vertrag einlässt“; BGH NJW 2001, 1127, 1127: „[…], wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist, weil er etwa die wirtschaftlich schwächere Position des anderen Teils bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für ihn ungünstigen Vertrag eingelassen hat.“; so immer wieder ähnlich auch BGH NJW 2007, 2841, 2841 f.; NJW 2002, 429, 432; NJW 1995, 2635, 2636; NJW 1985, 3006, 3007. 328 RGZ 150, 1, 2; gleichzeitig gilt es aber zu beachten, dass das Reichsgericht bereits in diesem Urteil an anderer Stelle ausführt, das Missverhältnis könne so groß sein, dass es den Schluss auf eine bewusste oder grob fahrlässige Ausnutzung irgendeines den Vertragspartner hemmenden Tatumstandes zwingend nahelegt, RGZ 150, 1, 6. 329 Vgl. etwa BGH NJW 1995, 1019, 1020: „Wenn […] eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten Teils hervorgetreten ist, insb. wenn dieser die wirtschaftlich schwächere Lage des anderen Teils, dessen Unterlegenheit, bei der Festlegung der Vertragsbedingungen bewußt zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, daß sich der andere Teil nur aufgrund seiner schwächeren Lage auf die ihn beschwerenden Bedingungen eingelassen hat.“, m. w. N. aus der Rechtsprechung. 330 Vgl. zum Begriff oben: B. I. 1. Der Wuchertatbestand, § 138 Abs. 2 BGB, S. 49 f.
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gemachten und sonstige mit der Bereicherung zusammenhängende Aufwendungen ersetzt, sowie des Weiteren noch etwaige Mehrkosten für einen Deckungskauf. Eine Übertragung der Vermutung sieht sich allerdings einem gewichtigen Einwand ausgesetzt und zwar, dass die in der Vermutung enthaltenen Umstände als Beschreibung des tatsächlichen Zustands in der Regel nicht zutreffen. Weder untersucht der BGH in seinen Urteilen diese Umstände noch finden sie sich in den vom Gericht wiedergegebenen Sachverhalten, sodass auch nicht davon ausgegangen werden kann, der BGH lege sie seinen Entscheidungen einfach stillschweigend zugrunde. Neutral formuliert handelt es sich dabei also um eine Fiktion,331 provokativer ausgedrückt könnte man gar von einer Unterstellung sprechen. Etwas verwunderlich ist dies besonders hinsichtlich der vom BGH mitvermuteten Schwächelage des Benachteiligten, da diese grundsätzlich – anders als das subjektive Element auf Seiten des Bevorteilten – relativ leicht beweisbar wäre.332 Anders als beim Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens handelt es sich nämlich bei der Schwächelage um eine äußere Tatsache, die zudem aus der Sphäre des Benachteiligten selbst stammt. Von daher scheint es ihm durchaus zumutbar, diesbezüglich den Beweis anzutreten. Der Grund, weshalb der BGH die Schwächelage nicht weiter untersucht, liegt vermutlich daran, dass meist gar keine solche vorliegt.333 Die Vermutung ist damit das Produkt der praktischen Untauglichkeit der § 138 Abs. 2 BGB und § 138 Abs. 1 BGB in Hinblick auf die Erfassung schwerer Äquivalenzstörungen. Wegen der sukzessiven Ausdehnung, die sie durch die Rechtsprechung des BGH erfahren hat, kann in vielen Fällen nicht (mehr) von einem vorwerfbaren Verhalten der begünstigten Partei ausgegangen werden. Insofern wird schon ihre Anwendung im Rahmen von § 138 BGB selbst teils kritisiert.334 Mag man ihr dort noch eine positive Funktion abgewinnen, indem sie die benachteiligte Partei von einem extrem einseitigen, ihre wirt331 Ebenso MüKoBGB/Mayer-Maly, 3. Aufl., § 138 Rn. 102; ders. in: FS Larenz, 395, 404; Zimmermann, Law of Obligations, S. 269; Armgardt, Zur Dogmengeschichte der laesio enormis, 3, 13; Jauernig/Jauernig, 8. Aufl., § 138 Rn. 16: „Vermutung macht subjektiven Tatbestand pratkisch bedeutungslos.“; Bork, JZ 2001, 1138, 1139. 332 Dieser Umstand findet erstaunlich selten Beachtung. Zu Recht aber ebenso Jung, ZGS 2005, 95, 100. 333 Besonders deutlich in BGH NJW‑RR 2003, 558: Hier kaufte die Klägerin ein Pferd zu einem Preis, der weit über dem Doppelten des eigentlichen Werts des Pferdes lag. § 138 Abs. 2 BGB verneint der BGH mangels Unerfahrenheit der Klägerin, da diese schon mehrfach Pferde erworben hatte. Dennoch geht er in der Folge von der Nichtigkeit des Kaufvertrags nach § 138 Abs. 1 BGB aus, ohne dass etwaige Anhaltspunkte für eine Schwäche bei der Klägerin oder ein verwerfliches Vorgehen der Beklagten (ihr war das Missverhältnis nicht einmal bekannt) vorlagen. Ähnlich auch v. Olshausen, ZHR 146 (1982), 259, 287, der zu Recht feststellt, der BGH verwende auf das von ihm i. R. v. § 138 Abs. 1 BGB neben dem Missverhältnis geforderte zusätzliche Merkmal in der Regel gar keine oder nur formelhafte Worte. 334 Osterloh in: FS Bub, 517, 525 ff.; Jung, ZGS 2005, 95, 97 ff.; Majer, DNotZ 2013, 644, 647 ff.; Maaß, NJW 2001, 3467, 3468.
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schaftliche Existenz potentiell gefährdenden Vertrag befreit, scheint eine Ausdehnung auf § 819 Abs. 1 BGB mit der damit einhergehenden Haftung des Begünstigten und gleichzeitigen Beschränkung seiner Rechte als Folge nicht mehr vertretbar. Es wäre dem Begünstigten nicht zumutbar, ihn einer solch weiten Haftung zu unterwerfen, ohne dass die Voraussetzungen dafür tatsächlich (nachweislich) vorliegen. Letztlich erscheint es daher überzeugender, die Vermutung auf § 138 BGB zu begrenzen, genau so wie es der BGH auch tut. Dieser hat zumindest für den Fall, dass die begünstigte Partei keine Kenntnis vom groben Missverhältnis hatte, eine verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB abgelehnt, weil diese nicht „die positive Kenntnis von den Tatsachen hatte, die zur Sittenwidrigkeit und damit Rechtsgrundlosigkeit ihres Erwerbs führten.“335
c) Auswirkungen auf § 819 Abs. 1 BGB Ohne Übertragung der Vermutung bedarf es deshalb stets konkreter Anhaltspunkte, aus denen sich die Bösgläubigkeit beziehungsweise Kenntnis des Begünstigten ableiten lässt. Auch wenn man die Vermutung nicht dergestalt auf § 819 Abs. 1 BGB überträgt, dass sie automatisch die Kenntnis i. S. v. § 819 Abs. 1 BGB begründet, so hat sie doch insofern eine gewisse Wirkung, als dass sie ein Indiz für die Kenntnis darstellt, das im konkreten Fall aber noch durch weitere Umstände gestützt werden muss. Als solcher Umstand kommt insbesondere die Kenntnis vom Missverhältnis in Betracht. Für die Kenntnis i. S. v. § 819 Abs. 1 BGB reicht es nämlich bereits aus, dass der Bereicherungsschuldner die Tatsachen kennt, aufgrund derer sich die Rechtsgrundlosigkeit des Erwerbs aufdrängt.336 Da das wucherähnliche Rechtsgeschäft als einziges objektives Kriterium ein auffälliges Missverhältnis erfordert (und das subjektive Element in der Folge nur vermutet wird), kann allein die Kenntnis vom Missverhältnis, sofern dieses besonders grob ist, dazu führen, dass sich dem Bereicherungsschuldner die Rechtsgrundlosigkeit des Erwerbs aufdrängen muss. Lässt sich dagegen eine Kenntnis vom Missverhältnis nicht beweisen, scheidet eine verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB regelmäßig aus.
d) Auswirkungen auf § 818 Abs. 3 BGB Haftet der begünstigte Käufer nicht verschärft, muss der benachteiligte Verkäufer – anders als im Anwendungsbereich der §§ 987 ff. BGB – die vom begünstigten Käufer getätigten Verwendungen und Aufwendungen ersetzen. Geht es dabei um den Ersatz umfangreicher Baumaßnahmen oder gar einer Neubebauung, können die hohen Kosten den benachteiligten Verkäufer bei § 138 Abs. 1 BGB davon abschrecken, sich auf die Nichtigkeit zu berufen. Sobald 335 336
BGH NJW 2001, 1127, 1130. Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 248.
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nämlich die Kosten der zu ersetzenden Verwendungen ähnlich hoch sind wie die Differenz zwischen Grundstückswert und gezahlten Kaufpreis, kann die Geltendmachung der Nichtigkeit für den Benachteiligten wirtschaftlich unvorteilhaft sein. Dies gilt jedenfalls immer dann, wenn entweder die getätigten Verwendungen seinem Interesse widersprechen und für ihn ganz oder teilweise nutzlos sind oder wenn die Verwendungen von vornherein fehlgeschlagen sind beziehungsweise sich nicht in entsprechender Höhe werterhöhend niedergeschlagen haben. Anderenfalls, wenn sie also auch in seinem Interesse liegen, muss man beachten, dass er dann häufig auch eine wertvollere Sache zurückbekommt als er ursprünglich weggegeben hat. Zwar kann ihn das immer noch abschrecken, weil er sein Vermögen anders zusammensetzen wollte und selbst gar nicht in den Bereicherungsgegenstand investieren wollte. Immerhin begrenzt sich dann aber sein Vermögensnachteil. Da er sich ohnehin zur Veräußerung des Gegenstandes entschieden hat, belastet ihn eine erneute Veräußerung auch nicht unzumutbar. Hat der Begünstigte hingegen nachweislich Kenntnis vom Missverhältnis, liegen die Voraussetzungen von § 819 Abs. 1 BGB regelmäßig vor, sodass der benachteiligte Verkäufer sein Grundstück herausverlangen kann, ohne vom begünstigten Käufer vorgenommene Verwendungen etc. ersetzen zu müssen.
5. Sonstige Ersatzverpflichtungen Schließlich hat der benachteiligte Verkäufer etwaige Mehrkosten eines Deckungskaufs seitens des Käufers zu tragen337 und erhält das Grundstück zunächst nur mit Belastung zurück338, sofern die Voraussetzungen von § 819 Abs. 1 BGB nicht vorliegen. Im Falle der zwischenzeitlichen Belastung stünde dem benachteiligten Verkäufer neben dem Anspruch auf die Rückgabe des Grundstücks im belasteten Zustand ein Wertersatzanspruch nach § 818 Abs. 2 BGB zu. Dieser setzt allerdings voraus, dass er den Käufer von dessen Verpflichtung zur Rückzahlung des Darlehens an den Darlehensgeber befreit. Daneben schuldet er natürlich primär die Rückzahlung des Kaufpreises. § 817 S. 2 BGB greift hierbei nicht ein.339
III. Zwischenergebnis Aus Sicht des benachteiligten Verkäufers macht es einen großen Unterschied, ob ein Fall von § 138 Abs. 2 BGB oder nur § 138 Abs. 1 BGB vorliegt, da im ersten Fall die Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses, im zweiten Fall die des Bereicherungsrechts Anwendung finden. Dieses Ergebnis er337 338
Vgl. oben: E. II. 5. (Mehr-)Kosten eines Deckungskaufs, S. 77. Oben: E. II. 6. Belastung des Bereicherungsgegenstands durch den Käufer, S. 78 ff. 339 Vgl. oben: E. II. 2. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 72.
§ 7 Wucher und wucherähnliches Rechtsgeschäft
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scheint fragwürdig und ist ob der starken Unterschiede nicht zu begrüßen, weil es nicht selten mehr oder minder vom Zufall abhängt, welche Tatsachen im konkreten Fall beweisbar sind und welche Norm dann Anwendung findet. Je nachdem kommen für die Rückabwicklung mit den §§ 987 ff. BGB und den §§ 812 ff. BGB unterschiedliche Vorschriften zur Anwendung, die – wie soeben gezeigt – sich auch im Ergebnis teils erheblich unterscheiden. Auf die größten Unterschiede soll im Folgenden noch einmal kurz hingewiesen werden.
1. Gegenstand der Herausgabe Weil der bewucherte Verkäufer in Fällen des § 138 Abs. 2 BGB sein Eigentum nicht durch die Veräußerung an den Käufer verliert, kann er im Grundsatz den Kaufgegenstand über § 985 BGB von jedem aktuellen Besitzer herausverlangen, es sei denn, er hat in der Zwischenzeit sein Eigentum (auf andere Weise) verloren. Diese Möglichkeit hat der benachteiligte Verkäufer bei § 138 Abs. 1 BGB nicht. Er kann sich nur an seinen Vertragspartner halten. Einen weiteren Vorteil bietet § 138 Abs. 2 BGB im Vergleich zu § 138 Abs. 1 BGB insofern, als dass bei ersterem der Verkäufer, weil er Eigentümer bleibt, nicht das Insolvenzrisiko des Käufers trägt. In diesem Fall steht dem Verkäufer nämlich ein Aussonderungsanspruch nach § 47 InsO zu. Beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft fällt er hingegen in die Gruppe der Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO und wird sich im Regelfall nur mit einer Quote auf seine Forderung begnügen müssen. Schließlich bietet der Anspruch aus § 985 BGB den Vorteil, dass die Herausgabe auch dann noch verlangt werden kann, wenn der wucherische Käufer das Grundstück durch eine Bebauung völlig umgestaltet hat, wohingegen der Anspruch auf Herausgabe aus § 812 Abs. 1 Var. 1 BGB in diesen Fällen ausgeschlossen sein kann und sich in einen Wertersatzanspruch nach § 818 Abs. 2 BGB wandelt. Der größte Unterschied besteht aber bezüglich der Gegenleistung nach erfolgtem Leistungsaustausch. Diese muss der Bewucherte regelmäßig nicht herausgeben, weil dem Anspruch des Wucherers § 817 S. 2 BGB entgegensteht. Anders ist dies hingegen bei § 138 Abs. 1 BGB. Hier muss der Benachteiligte stets die empfangene Leistung vollständig herausgeben.
2. Verwendungen und Aufwendungen Der benachteiligte Verkäufer sieht sich neben dem Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises vor allem Verwendungsersatzansprüchen des Käufers ausgesetzt. Hier wird der Unterschied zwischen der Abwicklung in den Fällen des § 138 Abs. 2 BGB und § 138 Abs. 1 BGB besonders deutlich. Im Fall von § 138 Abs. 2 BGB stellt die Ersatzverpflichtung eher eine geringe Belastung dar, weil der Verkäufer für die am höchsten ausfallenden bestandsverändernden Verwendungen gar keinen Ersatz leisten muss. Weil der wucherische Käufer für ge-
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wöhnlich bösgläubig ist, haftet der Verkäufer auch für sonstige Verwendungen nur, wenn sie seinem Willen entsprechen. Im Falle der Gutgläubigkeit muss er notwendige Verwendungen zwar ersetzen, aber diese werden in der Regel auch seinem Interesse dienen. So kann lediglich der Ersatz nützlicher, nicht bestandsverändernder Verwendungen zu unliebsamen Belastungen führen. Hier werden aber immerhin die Vermögensinteressen des Verkäufers geschützt, denn der Ersatz der Verwendungen setzt eine Werterhöhung zum Zeitpunkt der Rückgabe voraus. Vor allem sind sie in Fällen des Wuchers aufgrund der grundsätzlich gegebenen Bösgläubigkeit des Wucherers ohnehin nicht zu ersetzen. Hohen Ersatzforderungen kann sich der Verkäufer dagegen im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB ausgesetzt sehen, wenn der begünstigte Käufer nicht verschärft haftet. Er muss nicht nur alle Verwendungen ersetzen, sondern auch Aufwendungen, sofern sie durch die Rückgabe nutzlos geworden sind. Vor allem wird der Verwendungsersatz nicht durch die Einschränkung auf nicht bestandsverändernde Verwendungen begrenzt. Während der Verkäufer bestenfalls bei § 138 Abs. 2 BGB gar keinen Ersatz zu leisten braucht, grundsätzlich aber nur im engen Rahmen des § 994 BGB i. V. m. den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag, kann bei § 138 Abs. 1 BGB der zu leistende Ersatz sehr hoch sein.
3. Schäden Der Ersatz von Schäden hängt im Fall von § 138 Abs. 2 BGB davon ab, ob der Käufer bösgläubig ist, was allerdings regelmäßig der Fall ist. Auch bei Anwendung der §§ 812 ff. BGB werden Schäden im Ergebnis berücksichtigt, nämlich über die Saldotheorie und sogar unabhängig von einem Verschulden des Käufers. Dies gilt aber nur solange, wie die eingetretenen Schäden geringer sind als der Kaufpreis. Dann ergeben sich im Ergebnis keine relevanten Unterschiede. Ein Unterschied besteht aber insofern, als dass über die §§ 989, 990 BGB auch Ersatz für Schäden an sonstigen Rechten, insbesondere am Vermögen, verlangt werden kann. Solche kann der benachteiligte Verkäufer beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft nicht über § 818 Abs. 3 BGB geltend machen.340
4. Nutzungen Beim Anspruch auf Nutzungsersatz ergeben sich keine Unterschiede. Zwar setzt der Anspruch aus §§ 987, 990 Abs. 1 BGB die Rechtshängigkeit oder Bösgläubigkeit des Besitzers voraus. Diese ist jedoch beim Wucherer grundsätzlich gegeben. Aufgrund der Rechtsprechung zu § 988 BGB341 kann der Verkäufer aber auch in Fällen von § 138 Abs. 2 BGB unabhängig von der Bösgläubigkeit des Besitzers die gezogenen Nutzungen über das Bereicherungsrecht heraus340 Vgl. zu Ansprüchen aus culpa in contrahendo unten: § 8 C. I. 2. Pflichtverletzung beim Wucher und wucherähnlichen Rechtsgeschäft, S. 142 ff. 341 Vgl. oben: I 4. Nutzungsersatz, S. 101.
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verlangen. Beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft sind Nutzungen nach § 818 Abs. 1 BGB ebenfalls zu ersetzen. Diese können teilweise als Ausgleich für etwaige gegen ihn bestehende Verwendungsersatzansprüche dienen, denn mit der Zeit erreicht der Anspruch auf Nutzungsersatz eine beträchtliche Höhe. Insofern kommt es entscheidend darauf an, nach welcher Zeit die Äquivalenzstörung geltend gemacht wird. Je mehr Zeit vergeht, desto eher lassen sich die Verwendungsersatzansprüche mittels des Nutzungsersatzes kompensieren.
5. Sonstiges Ersatz für die für einen Deckungskauf aufzuwendenden Mehrkosten muss der nach § 138 Abs. 2 BGB bewucherte Verkäufer nicht leisten. Anders kann dies beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft sein. Da entsprechende Mehrkosten vom Bereicherungsschuldner über § 818 Abs. 3 BGB geltend gemacht werden können, kann der benachteiligte Verkäufer zum Ersatz solcher Kosten verpflichtet sein, sofern er das Grundstück zurückverlangt und der begünstigte Käufer nicht verschärft haftet.
§ 8 Irrtümer und culpa in contrahendo A. Anfechtung – insbesondere §§ 119 Abs. 2, 123 Abs. 1 Var. 1 BGB Da Äquivalenzstörungen nicht selten auf Irrtümern der benachteiligten Partei beruhen, sollen auch dafür kurz die einschlägigen Rechtsfolgen dargestellt werden. Hierbei kommen als Tatbestände vor allem eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB – wobei der Wert allein bekanntermaßen keine Eigenschaft einer Sache ist342 – oder wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB in Betracht. Die auch im Bereich der hier interessierenden Äquivalenzstörungen auftretende Konkurrenz zwischen § 138 BGB und § 123 Abs. 1 BGB wird allgemein zugunsten von § 123 Abs. 1 BGB gelöst,343 sodass im Fall einer zum groben Missverhältnis hinzutretenden zusätzlichen Täuschung die Anfechtung der 342 Allgemein anerkannt, vgl. nur: BGH BB 1963, 285, 285; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 119 Rn. 14; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 119 Rn. 27; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 119 Rn. 39, jeweils m. w. N.; tlw. wird die Ansicht, der Wert einer Sache sei keine Eigenschaft, auch abgelehnt, aber i. E. dennoch eine Anfechtung wegen Wertirrtums verneint, insb. weil dem BGB das Prinzip der freien Preisbestimmung zugrundeliege, vgl. Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 353 ff. m. w. N.; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 119 Rn. 139; Kötz, JuS 2018, 1, 3. 343 St. Rspr., vgl. etwa: BGH NJW 2008, 982, 983; NJW 1997, 254, 254; NJW 1988, 2599, 2601; NJW 1988, 902, 903; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 123 Rn. 2; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 5; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 100; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 64; Brox/Walker, BGB AT, 43. Aufl., § 14 Rn. 12.
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Nichtigkeit ipso iure vorgeht.344 Gleiches muss dann auch für eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB gelten. Weder beim Eigenschaftsirrtum noch einer Täuschung tritt die Nichtigkeit ipso iure ein. Erst dann, wenn der Irrende seinem Vertragspartner gegenüber die Anfechtung erklärt, ist der Vertrag gemäß § 142 Abs. 1 BGB ex tunc nichtig. Der Irrende hat die Wahl, ob er den Vertrag anfechtet oder nicht und entscheidet daher selbst über die Wirksamkeit bzw. Nichtigkeit des Vertrages. Er kann und muss in der konkreten Situation deshalb die jeweiligen Vor- und Nachteile, die die Wirksamkeit beziehungsweise die Nichtigkeit des Vertrags für ihn hätten, abwägen und die für ihn günstigste Lösung wählen. Grund für die bloße Anfechtbarkeit statt der automatischen Nichtigkeit ist, dass das Anfechtungsrecht dem Schutz des sich Irrenden dient und dieser deshalb die Wahl zwischen Geltung und Vernichtung des Vertrages haben soll.345 Notwendig ist jedoch, dass der Anfechtungsberechtigte sein Recht fristgerecht ausübt, wobei die Frist für die Fälle der Täuschung mit einem Jahr (§ 124 Abs. 1 BGB) deutlich länger ist als im Fall eines Eigenschaftsirrtums, bei dem der Irrende gemäß § 121 Abs. 1 BGB unverzüglich anfechten muss, was lediglich eine Zeit zur Prüfung und Überlegung sowie Einholung von Rechtsrat beinhaltet346. Bei der Anfechtung des Verpflichtungsgeschäfts erfasst die Nichtigkeit grundsätzlich nur dieses, was eine Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht zur Folge hat.347 Ausnahmsweise ist auch das Verfügungsgeschäft anfechtbar, nämlich in Fällen der Fehleridentität.348 Dann kommt auch ein Herausgabeanspruch nach § 985 BGB in Betracht.
I. Anfechtung nach § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB 1. Tatbestand Die Anfechtung nach § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung kann sowohl durch aktives Tun als auch durch Unterlassen verwirklicht wer344 Vgl. zur Kritik daran unten: § 9 C. I. Konkurrenz zwischen § 138 und § 123 BGB, S. 189 ff. 345 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 404 f.; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 428, 432 f.; Tögel, Der Irrtum bei Vertragsschluss und dessen Risiko für die Vertragspartner, S. 264; Singer, JZ 1989, 1030, 1031. 346 Vgl. nur: BGH NJW 2008, 985, 986; NJW 2004, 3178, 3181; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 41 Rn. 26; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 121 Rn. 3; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 121 Rn. 5; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 121 Rn. 7 ff.; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 21. 347 MüKoBGB/Busche, 8. Aufl., § 142 Rn. 15; Staudinger/Roth, (2015), § 142 Rn. 21; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 62; BeckOGK/Beurskens, 15.10.2017, BGB § 142 Rn. 35; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 119 Rn. 155. 348 Vgl. zum Begriff: Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 57; Grigoleit, AcP 199 (1999), 379, 395; BeckOGK/Beurskens, 15.10.2017, BGB § 142 Rn. 36; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 123 Rn. 41; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 234.
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den. Letzteres setzt die Verletzung einer Aufklärungspflicht hinsichtlich des verschwiegenen Umstands voraus.349 Dabei besteht grundsätzlich keine Aufklärungspflicht.350 Eine solche kann sich aber insbesondere aus Treu und Glaube ergeben, gerade wenn ein konkreter Umstand für den Vertragspartner relevant ist, weil er den Vertragszweck vereiteln oder gefährden könnte und der andere Teil sich dessen bewusst ist.351 Dies kann etwa bei einem Informationsgefälle zwischen den Vertragsparteien der Fall sein, das der Benachteiligte nicht ohne Weiteres beheben kann.352 Zudem muss auf (zulässige) Fragen des anderen Teils wahrheitsgemäß geantwortet werden.353 Eine Aufklärungspflicht wurde bei Grundstücksgeschäften etwa bei unterlassener Aufklärung über die Mietpreisbindung der verkauften Eigentumswohnung,354 sich auf dem Grundstück befindlichen Altlasten355 oder der Einsturzgefahr des sich auf dem Grundstück befindlichen Gebäudes356 angenommen. Gemein ist allen Fällen, dass es jeweils um bestimmte Begebenheiten oder die Beschaffenheit des Grundstücks ging, die für den Käufer nicht zu erwarten waren und ohne Hinweis des anderen Teils auch praktisch kaum bemerkt werden konnten. Soweit es um einfache Irrtümer über den Wert der Sache geht, führen diese hingegen grundsätzlich nicht zu einer Aufklärungspflicht.357 So ist der Käufer weder verpflichtet den Verkäufer darauf hinzuweisen, dass die Sache deutlich mehr wert ist, als der Verkäufer dafür verlangt noch muss umgekehrt der Verkäufer den Käufer darauf hinweisen, dass dessen Angebot weit über dem Wert der Sache liegt.358 Soweit es also um schlichte Fehleinschätzungen über den Wert der Sache geht, kommt grundsätzlich keine Anfechtung nach § 123 349 Allgemein anerkannt, vgl. nur: BGH NJW‑RR 1998, 1406, 1406; NJW 1995, 45, 45 f.; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 32; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 123 Rn. 8; Medicus/ Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 795; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 77. 350 BGH NJW 1983, 2493, 2494; Franck, AcP 213 (2013), 222, 235 ff.; Staudinger/Singer/ von Finckenstein, (2017), § 123 Rn. 10; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 33; PWW/ Ahrens, 14. Aufl., § 123 Rn. 8; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 123 Rn. 13. 351 BGH NJW 1989, 763, 764; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 77; ausführlich zu Aufklärungspflichten: Franck, AcP 213 (2013), 222, 235 ff. 352 MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 35; Staudinger/Singer/von Finckenstein, (2017), § 123 Rn. 11; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 123 Rn. 8. 353 Allg. Ansicht, vgl. nur: Staudinger/Singer/von Finckenstein, (2017), § 123 Rn. 10; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 123 Rn. 6; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 39; Erman/ Arnold, 15. Aufl., § 123 Rn. 13; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 77. 354 BGH NJW 1998, 898. 355 BGH NJW 2001, 64, 64 f. 356 BGH NJW 1990, 975, 975. 357 BGH NJW 1989, 763, 764; RGZ 111, 233, 234 f.; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 327 ff.; Franck, AcP 213 (2013), 222, 236 f.; Maaß, NJW 2001, 3467, 3468; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 423. 358 BGH, Urt. v. 05.06.2012 – XI ZR 149/11, Rn. 22 = BeckRS 2012, 15374; BGH NJW‑RR 2011, 270, 272, jeweils m. w. N.; so bereits RGZ 111, 233, 234 f.; aus der Literatur vgl.: MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 33; Franck, AcP 213 (2013), 222, 236 f.; Maaß, NJW 2001, 3467, 3468.
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Abs. 1 Var. 1 BGB in Betracht. Im Bereich der klassischen Äquivalenzstörungen spielt sie damit nur eine untergeordnete Rolle. Schließlich ist Arglist erforderlich, was nicht mehr als Vorsatz bezüglich des Irrtums des anderen Teils bedeutet, wobei dolus eventualis ausreicht.359
2. Rechtsfolgen Soweit die Voraussetzungen der arglistigen Täuschung gegeben sind und der Getäuschte den Vertrag wirksam angefochten hat, ist das Verpflichtungsgeschäft nichtig. Sofern ein Fall der Fehleridentität vorliegt, kann der Getäuschte auch das Verfügungsgeschäft anfechten. Dies wird bei einer Anfechtung nach § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB regelmäßig der Fall sein.360 Sofern der Verkäufer anfechten kann, wird es daher in der Regel zur Vindikation kommen, kann der Käufer anfechten, wird es meistens bei einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung bleiben.
a) Der Verkäufer als Getäuschter Ist der Getäuschte der Verkäufer, kann er im Fall der Fehleridentität neben der Herausgabe nach § 985 BGB, Schadens- und Nutzungsersatz nach den §§ 987 ff. BGB verlangen. Die konkrete Ersatzfähigkeit der verschiedenen Posten entspricht im Ausgangspunkt der Rechtslage bei der Nichtigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB, denn der arglistig Täuschende ist wegen §§ 990 Abs. 1, 142 Abs. 2 BGB stets bösgläubig.361 Soweit der Kaufgegenstand weiterveräußert wurde, kommt es für die Frage, ob der Verkäufer sein Eigentum behält und auch von Dritten den Besitz herausverlangen kann, auf die Gutgläubigkeit des Erwerbers an. Dabei kann auch § 142 Abs. 2 BGB relevant werden, da der Erwerber, der die Anfechtbarkeit kannte, falls diese ausgeübt wird, nicht mehr gutgläubig i. S. v. § 932 Abs. 2 BGB beziehungsweise § 892 BGB ist und daher nicht gutgläubig Eigentum erwerben kann. Soweit der Erwerber gutgläubig Eigentum erwirbt, besteht für den Getäuschten ein Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 989, 990 Abs. 1 BGB und auf Herausgabe des Erlangten aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Getäuschte sieht sich neben dem Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB Ansprüchen aus § 994 Abs. 2 BGB ausgesetzt. 359 BGH NJW‑RR 2005, 1082, 1083; NJW 1998, 2360, 2361; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 14 ff.; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 123 Rn. 3; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 79. 360 MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 25; Grigoleit, AcP 199 (1999), 379, 404 f.; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 90; Staudinger/Roth, (2015), § 142 Rn. 22; BeckOGK/Beurskens, 15.10.2017, BGB § 142 Rn. 37. 361 Vgl. oben: § 7 F. I. Der Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB, S. 97 ff.
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b) Der Käufer als Getäuschter Soweit der Getäuschte der Käufer ist, richten sich die beiderseitigen Ansprüche nach den §§ 812 ff. BGB. Dabei kann der Wucherer sich wegen § 142 Abs. 2 BGB gemäß § 819 Abs. 1 BGB nicht auf Entreicherung berufen, da der Täuschende die Anfechtbarkeit des Vertrags aufgrund der für den Tatbestand erforderlichen Arglist stets kennt. Der Käufer kann damit alle Aufwendungen auf das erhaltene Grundstück im Wege der Entreicherung geltend machen. Zudem findet zu seinen Gunsten die Saldotheorie keine Anwendung. Schließlich haftet der Verkäufer verschärft nach §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 BGB. Zusätzlich können sich Ansprüche aus culpa in contrahendo ergeben, denn die arglistige Täuschung stellt eine vorvertragliche Pflichtverletzung im Sinne von §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB dar.362 Dabei ist das Konkurrenzverhältnis von § 123 Abs. 1 BGB und der im Wege der c. i. c. angestrebten Vertragsauflösung umstritten,363 wobei es in dieser Situation noch nicht darauf ankommt.
II. Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB Neben § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB kommt vor allem die Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums über das Grundstück beziehungsweise allgemein den Kaufgegenstand in Betracht. Notwendig ist, dass die benachteiligte Partei den Vertrag aufgrund eines Irrtums über einen wertbildenden Faktor des Grundstücks geschlossen hat.364 Als Eigenschaften eines Grundstücks kommen vor allem dessen Lage und Bebaubarkeit,365 dessen Größe366, gewerbliche Verwendbarkeit367 oder auch mit dem Grundstück verbundene Berech tigungen368 in Betracht. Zu beachten ist, dass diese nur dann in Konkurrenz zu § 138 BGB treten, wenn die fehlende Eigenschaft nicht zugleich einen Mangel i. S. v. §§ 434 f. BGB begründet. Hier geht es nämlich um Fälle, in denen die Äquivalenzstörung nicht auf der Mangelhaftigkeit der Sache beruht, sondern schon zwischen den Leistungen in ihrer vertraglich vereinbarten Form besteht. 362
Zu den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen, vgl. unten: C. II. Rechtsfolgen der culpa in contrahendo, S. 145 ff. 363 Vgl. dazu unten: C. I. 1. Vorvertragliche Pflichtverletzung, S. 140 f. 364 Zur Konkurrenzproblematik zu den §§ 434 ff. BGB vgl.: MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 119 Rn. 29 ff. 365 BGH NJW 1961, 772, 775; Staudinger/Singer, (2017), § 119 Rn. 97; MüKoBGB/ Armbrüster, 8. Aufl., § 119 Rn. 143; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 119 Rn. 42; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 49; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 41 Rn. 56 f. 366 MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 119 Rn. 143; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 119 Rn. 40; Staudinger/Singer, (2017), § 119 Rn. 97; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 119 Rn. 42; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 49. 367 BGH NJW 1961, 772, 775; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 119 Rn. 143; Staudinger/Singer, (2017), § 119 Rn. 97. 368 BGH NJW 1961, 772, 775; Staudinger/Singer, (2017), § 119 Rn. 97.
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1. Rückabwicklung Im Fall einer Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB ist grundsätzlich nur das Verpflichtungsgeschäft, nicht aber das Verfügungsgeschäft unwirksam.369 Die Rückabwicklung erfolgt daher nach Bereicherungsrecht. Hier ergeben sich keine Besonderheiten. Die empfangenen Leistungen sind zurückzugeben. Beide Parteien können sich auf Entreicherung berufen und die Saldotheorie findet Anwendung, wenn nicht ausnahmsweise der andere Teil den Irrtum erkannt hat und deshalb gemäß §§ 819 Abs. 1, 142 Abs. 2 BGB verschärft haftet. Befindet der sich Irrende auf Käuferseite, kann er daher all seine Verwendungen und Aufwendungen und auch etwaige Mehrkosten eines Deckungskaufes geltend machen.370 Andersherum sieht er sich unter Umständen genau diesen Posten ausgesetzt.
2. Schadensersatz nach § 122 BGB a) Umfang Zudem besteht neben den Ansprüchen aus Bereicherungsrecht für den Anfechtungsgegner, das heißt die bevorteilte Partei, ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch aus § 122 Abs. 1 BGB. Dieser ist auf das negative Interesse gerichtet, das allerdings durch das positive Interesse begrenzt wird.371 Ersetzt werden müssen danach alle Schäden, die entstanden sind, weil der Anfechtungsgegner auf die Wirksamkeit der Erklärung vertraut hat und sein Verhalten daran ausgerichtet hat.372 Danach sind vor allem in Folge der Anfechtung nutzlos gewordene Aufwendungen (wenn der Anfechtungsgegner der Käufer ist) oder der Gewinn, der dadurch entgangen ist, dass auf ein Ersatzgeschäft verzichtet wurde (wenn der Anfechtungsgegner der Verkäufer ist373), zu erset369 Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 60; Grigoleit, AcP 199 (1999), 379, 397 ff.; ders., Vorvertragliche Informationshaftung, S. 107 ff.; Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 592; für Fehleridentität: MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 119 Rn. 155; Flume, AT II, S. 479. 370 Vgl. dazu bereits oben: § 7 E. II. Das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB, S. 72 ff. 371 Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 66; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 122 Rn. 19; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 122 Rn. 3; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 122 Rn. 9; Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 556. 372 BGH NJW 1984, 1950, 1951; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 122 Rn. 17; Soergel/ Hefermehl, 13. Aufl., § 122 Rn. 4; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 122 Rn. 1 u. 4; vgl. auch schon RGZ 170, 281, 284. 373 Ist der Anfechtungsgegner der Verkäufer, stellt sich noch die Frage, ob er die Kosten für Aufwendungen/Verwendungen, die er dem Anfechtenden in dessen Eigenschaft als Bereicherungsschuldner über § 818 Abs. 3 BGB ersetzen muss, als Schaden nach § 122 Abs. 1 BGB geltend machen kann. Der Anfechtungsberechtigte kann sich nämlich, auch wenn er seinen Irrtum fahrlässig verkannt hat, auf § 818 Abs. 3 BGB berufen. Anders ist dies nur, wenn der Anfechtungsberechtigte schon im Zeitpunkt seiner Leistung Kenntnis von der Anfechtbarkeit des Verpflichtungsgeschäfts hatte, weil er dann nach § 819 Abs. 1 BGB verschärft haftet und sich
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zen.374 Aus letzterem folgt, dass auch die Mehrkosten eines Deckungskaufes nach § 122 Abs. 1 BGB ersetzt verlangt werden können.
b) Ausschluss nach § 122 Abs. 2 BGB Bei der Schadensersatzpflicht der sich im Irrtum befindlichen Partei muss § 122 Abs. 2 BGB beachtet werden. Danach entfällt die Ersatzpflicht, wenn der Vertragspartner die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, was bei den hier einschlägigen Fällen durchaus möglich sein kann. Für das Kennenmüssen genügt schon einfache Fahrlässigkeit.375 Auch wenn der Tatbestand des § 119 Abs. 2 BGB ebenfalls § 138 BGB vorgehen muss und daher § 138 BGB nicht geprüft wird, stellt sich doch die Frage, ob, sofern dessen Voraussetzungen erfüllt sind, die Voraussetzungen für die Vermutung von § 138 Abs. 1 BGB ein Kennenmüssen i. S. v. § 122 Abs. 2 BGB begründen. Für einen Schluss von der Vermutung auf die Fahrlässigkeit i. S. v. § 122 Abs. 2 BGB spricht es, wenn man bedenkt, welchem Zweck die Schadensersatzpflicht des sich Irrenden nach § 122 BGB dient. Dieser besteht darin, das Vertrauen des Vertragspartners auf die Wirksamkeit der vom anderen Teil abgegebenen Willenserklärung zu schützen.376 Aus diesem Grund wird die Ersatzpflicht aus § 122 Abs. 1 BGB auch durch das positive Interesse begrenzt. Der Anfechtungsgegner soll durch die Anfechtung nicht besser stehen, als er ohne Anfechtung stünde.377 Bei der vermuteten verwerflichen Gesinnung der begünstigten Partei lässt sich aber nur schwerlich zugleich von einem schutzwürdigen Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags ausgehen. Zwar schützt § 122 BGB das Vertrauen auf die Wirksamkeit der Willenserklärung des anderen Teils und nicht unmittelbar auf die Wirksamkeit des Vertrags. Im Ergebnis deshalb nicht auf § 818 Abs. 3 BGB berufen kann. Diese Thematik wurde soweit ersichtlich bislang nicht erörtert. Für eine Einbeziehung unter § 122 Abs. 1 BGB spricht, dass dieser den Anfechtungsgegner so stellen soll, als hätte dieser niemals auf die Wirksamkeit der Willenserklärung des anderen Teils vertraut. Dann wäre es aber auch nicht zum Leistungsaustausch gekommen und entsprechende Verwendungen hätten vom Anfechtungsberechtigten nicht vorgenommen werden können. Dagegen spricht, dass § 819 Abs. 1 BGB die Berufung auf den Entreicherungseinwand erst ab positiver Kenntnis vom Mangel des Rechtsgrundes und gerade nicht schon bei fahrlässiger Unkenntnis ausschließt. 374 BGH NJW 1984, 1950, 1951; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 122 Rn. 17; PWW/ Ahrens, 14. Aufl., § 122 Rn. 5; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 66; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 122 Rn. 3. 375 Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 122 Rn. 4; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 122 Rn. 5; PWW//Ahrens, 14. Aufl., § 122 Rn. 7. 376 Allg. Ansicht, vgl. nur: Staudinger/Singer, (2017), § 122 Rn. 1; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 122 Rn. 1; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 119 Rn. 3; MüKoBGB/ Armbrüster, 8. Aufl., § 122 Rn. 1; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 122 Rn. 1; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 783. 377 Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 25 Rn. 66; Staudinger/Singer, (2017), § 122 Rn. 15; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 122 Rn. 9; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 122 Rn. 4; Höpfner, AcP 212 (2012), 853, 863 f.; Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 556.
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kann dies aber keine Rolle spielen, da bei einem gegenseitigen Vertrag über das Vertrauen auf die Wirksamkeit der Willenserklärung des Anfechtenden mittelbar auch das Vertrauen auf die Wirksamkeit des entsprechenden Vertrags geschützt ist. Der Anfechtungsgegner geht von einem wirksamen Vertrag aus, der u. a. durch die angefochtene Willenserklärung zustande gekommen ist. Der Normzweck des § 122 BGB scheint damit einer Ersatzpflicht entgegenzustehen. Wenn der BGH die Vermutung damit begründet, dass sich dem anderen Teil die Schwächelage seines Vertragspartners aufgrund des besonders groben Missverhältnisses aufdrängen müsse,378 so bedeutet das Nichterkennen der Schwäche nichts anderes als mindestens eine grob fahrlässige Unkenntnis. Daraus könnte man ableiten, dass in diesen Fällen auch das Verkennen eines Irrtums des anderen Teils zumindest fahrlässig ist. Allerdings erfordert § 122 Abs. 2 BGB Fahrlässigkeit in Bezug auf das Verkennen des Irrtums, nicht einer – wie auch immer gearteten – Schwächelage. Entscheidend ist daher, inwiefern der Begriff der Schwächelage, den der BGH seiner Vermutung zugrunde legt, und der des Irrtums kongruent sind. Eher geringe Schwierigkeiten dürfte es bereiten, einen Irrtum als für § 138 Abs. 1 BGB nötige Schwäche anzusehen, denn § 138 Abs. 2 BGB nennt gerade Konstellationen, in denen eine Beeinträchtigung der Willensbildung vorliegt, die unterhalb der Schwelle des Irrtums nach § 119 Abs. 2 BGB liegt. Daher lässt sich argumentieren, dass erst recht ein vom Gesetz als Anfechtungsgrund anerkannter Fehler bei der Willensbildung erfasst werden muss, zumindest von § 138 Abs. 1 BGB, wenn man § 138 Abs. 2 BGB als abschließende Regelung betrachtet.379 Wer also bewusst den Irrtum des Vertragspartners ausnutzt, um zu seinen Gunsten einen Vertrag mit einem auffälligen Missverhältnis abzuschließen, handelt jedenfalls sittenwidrig i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB, nur dass dieser auf Konkurrenzebene hinter der Anfechtung zurücktritt. Daraus lässt sich aber nicht der Umkehrschluss ziehen, dass beim grob fahrlässigen Verkennen der Schwäche des Vertragspartners automatisch auch ein Irrtum zumindest fahrlässig nicht erkannt wurde. Eine Schwäche der benachteiligten Partei muss und wird meistens nämlich nicht in einem nach den §§ 119 ff. BGB relevanten Irrtum liegen. Die Schwäche ist gewissermaßen der Oberbegriff für eine Menge an Unterfällen, von denen ein möglicher ein Irrtum ist. Konkret ist also das Problem, ob der aus der Vermutung resultierende Vorwurf ebenfalls das zumindest fahrlässige Verkennen eines Irrtums der benachteiligten Partei beinhaltet. Dies ist im Ergebnis abzulehnen. Letztlich sprechen hier dieselben Gründe gegen eine Übertragung der Vermutung, die schon gegen eine Übertragung auf 378 379
Vgl. für Nachweise nur Kapitel 2 Fn. 24. Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 8.
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§§ 990 Abs. 1 BGB, 819 Abs. 1 BGB sprechen.380 Dadurch, dass der Begünstigte nicht einmal Kenntnis vom Missverhältnis zu haben braucht,381 ist die Vermutung häufig nicht viel mehr als eine Fiktion. Daher wäre es – neben der Tatsache der unterschiedlichen Bezugspunkte von Vermutung und Fahrlässigkeit i. S. v. § 122 Abs. 2 BGB – unangemessen, den Ausschlussgrund des § 122 Abs. 2 BGB in Fällen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts generell als erfüllt anzusehen. Es bedarf dazu vielmehr einer Beurteilung des Einzelfalles. Gerade bei Kenntnis des Begünstigten vom Missverhältnis zwischen den Leistungen kann das Nichterkennen des Irrtums aber fahrlässig sein, da es für den Begünstigten dann nahe liegt, dass beim anderen Teil ein Fehler in der Willensbildung beziehungsweise -umsetzung vorliegt. Danach müsste man wenigstens zusätzlich noch weitere konkrete Anhaltspunkte fordern, die darauf hinweisen, dass die andere Partei einem Irrtum nach den §§ 119 ff. BGB unterliegt.
B. Behandlung des gemeinsamen Irrtums Es gibt Fälle, in denen nicht nur einer Partei, sondern beiden Parteien derselbe Irrtum unterläuft. In diesen Fällen soll eine Berufung auf die Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB nicht gestattet sein, da es vom Zufall abhinge, wer zuerst anfechte und in der Folge zum Schadensersatz nach § 122 BGB verpflichtet sei.382 Stattdessen sollen hier die Grundsätze des Fehlens der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB eingreifen.383 Die Rechtsfolgen im Falle des Fehlens beziehungsweise des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sind dabei deutlich flexibler als die von § 138 Abs. 2 BGB und § 138 Abs. 1 BGB. Zunächst einmal ist der Vertrag nicht ipso iure nichtig, sondern bleibt weiter bestehen. Er ist auch nicht ohne Weiteres, wie im Falle der Anfechtung, von einer Partei einseitig auflösbar. Der benachteiligten Partei steht gegen den Leistungsanspruch des Vertragspartners die Einrede des Wegfalls oder des Fehlens der Geschäftsgrundlage zu, mit der sie ihre Leistung verweigern kann. Zur Behebung der Störung ist die in § 313 Abs. 1 BGB geregel380
Vgl. dazu oben: b) Übertragung der Vermutung aus § 138 BGB auf § 819 Abs. 1 BGB, S. 112 ff. 381 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 324. 382 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 274; HK‑BGB/Schulze, 10. Aufl., § 313 Rn. 6; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2017, Rn. 613; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 38 f. 383 So: BGH NJW‑RR 2008, 1716, 1717; NJW 2005, 2069, 2071; NJW 1993, 2176, 2177; NJW 1977, 1577, 1579; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 119 Rn. 30; MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 274; BeckOK BGB/Lorenz, 53. Ed. 01.02.2020, § 313 Rn. 67 f.; Soergel/Teichmann, 13. Aufl., § 313 Rn. 121; Erman/Böttcher, 15. Aufl., § 313 Rn. 30 f.; Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, 921, 921; HK‑BGB/Schulze, 10. Aufl., § 313 Rn. 6; a. A. PWW/ Stürner, 14. Aufl., § 313 Rn. 43; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 313 Rn. 26, es sei denn, ausnahmsweise haben beide Parteien Interesse an der Anfechtung; Medicus/Petersen, BR, 27. Aufl., Rn. 162.
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te Vertragsanpassung vorrangig. Nur sofern diese nicht möglich oder für einen Teil unzumutbar ist, gewährt § 313 Abs. 3 BGB das Recht, vom Vertrag zurückzutreten.
I. Vertragsanpassung Während vor ihrer Kodifizierung die Anpassung bei einer Störung der Geschäftsgrundlage ipso iure eintrat,384 die gerichtliche Entscheidung also nur deklaratorisch war, wurde mit der Kodifizierung im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung385 ein Anspruch auf Anpassung festgeschrieben. Das Recht, Vertragsanpassung zu verlangen, richtet sich primär an die benachteiligte Partei, steht jedoch auch der gegnerischen Partei zu, da diese sonst Gefahr liefe, sich wehrlos der Einrede des nichtangepassten Vertrags aus § 313 Abs. 1 BGB ausgesetzt zu sehen.386 Problematisch und deswegen gerade interessant ist, wie genau die Vertragsanpassung aussehen und ablaufen soll. Das Gesetz enthält dazu, ebenso wie die Gesetzesbegründung, keinerlei Anhaltspunkte. Zunächst lässt sich festhalten, dass die Anpassung des Vertrags in erster Linie Sache der Parteien ist und nur wenn diese nicht funktioniert, vom Gericht vorgenommen werden kann. Die Parteien müssen sich also vertraglich über die Anpassung einigen.387
II. Neuverhandlungspflicht Umstritten ist die Frage, ob die Parteien eine Pflicht zur Neuverhandlung trifft. Dabei besteht schon über den Begriff bzw. den Inhalt der Neuverhandlungspflicht Streit. So ging insbesondere Horn davon aus, dass diese sowohl zum Verhandeln selbst als auch zur Abgabe einer Willenserklärung zum angepassten Vertrag verpflichte.388 Danach beinhaltet die Pflicht zur Neuverhandlung eine prozessbezogene und eine ergebnisbezogene Komponente.389 Diese Ansicht hat sich aber nicht durchsetzen können. Ganz überwiegend wird eine Neuverhandlungspflicht so verstanden, dass sie sich nur auf den Prozess des Verhandelns 384 BGH
NJW 1972, 152, 153; MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 82; Erman/ Böttcher, 15. Aufl., § 313 Rn. 40; anders noch, nämlich Anpassung durch Gericht: BGH NJW 1952, 137, 138. 385 Vgl. BGBl. 2001 I S. 3138, 3150. 386 BGH NJW 2010, 1663, 1663; Alberts, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 43; DaunerLieb/Dötsch, NJW 2003, 921, 922; Heinrichs in: FS Heldrich, 183, 192 u. 201; Erman/Böttcher, 15. Aufl., § 313 Rn. 40; MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 85; Bayreuther, Vertragsanpassung, S. 10 f.; Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, 2076, 2076; BeckOGK/Martens, 01.10.2017, BGB § 313 Rn. 125; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen und Leistungserschwernisse, S. 91. 387 Alberts, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 43; Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, 921, 921. 388 Horn, AcP 181 (1981), 255, 282 f. 389 So treffend festgestellt von Eidenmüller, ZIP 1995, 1063, 1064.
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bezieht, nicht aber auch die Pflicht beinhaltet, einem angemessenen Ergebnis zuzustimmen.390 Soweit nicht das Gericht, sondern die Parteien die Vertragsanpassung im Wege einer Einigung über einen geänderten Vertrag vornehmen, werden im Vorfeld ohnehin wie auch immer geartete Verhandlungen oder zumindest Verhandlungsversuche stattfinden. Eine Neuverhandlungspflicht wird daher nur bei der Weigerung einer Partei zu verhandeln relevant und könnte bei ihrer Befürwortung zu einer Pflichtverletzung und damit zu Schadensersatzansprüchen gemäß den §§ 280 ff. BGB führen. Selbstverständlich steht es den Parteien immer frei, über die Änderung eines geschlossenen Vertrags in Verhandlungen zu treten. An einer grundsätzlich bestehenden Nützlichkeit von vorangehenden Verhandlungen ist ohnehin kaum zu zweifeln.391 Fraglich ist jedoch, ob effektive Verhandlungen unter der Voraussetzung von Zwang zum Verhandeln möglich sind und wie man die Parteien dazu bringen kann, ernsthaft zu verhandeln und wie man verhindern kann, dass die nicht mitwirkungswillige Partei bloß zum Schein verhandelt, ohne dabei an einer Lösung interessiert zu sein.
1. Ablehnung einer Neuverhandlungspflicht In der Literatur wird eine Pflicht zur Neuverhandlung teilweise abgelehnt, mit der Folge, dass die Parteien neuverhandeln können, aber nicht müssen.392 Für eine Ablehnung wird zunächst der Wortlaut angeführt, der nur von der Pflicht zur Anpassung, nicht aber zum Verhandeln spreche.393 Zudem wird vorgebracht, dass eine Neuverhandlungspflicht der benachteiligten Partei nicht weiterhelfe, weil ein etwaiger Anspruch nicht vollstreckt werden könne.394 Schließlich wird der Nutzen einer Pflicht zum Neuverhandeln bestritten, denn ein konstrukti390 Eidenmüller, ZIP 1995, 1063, 1064; Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 11 f., 17 f., 288; Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 257 f.; Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 260, 282 f.; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen und Leistungserschwernisse, S. 97. 391 Die Nützlichkeit von Verhandlungen wird daher auch von den Gegnern einer Neuverhandlungspflicht anerkannt, vgl. etwa: MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 122; Thole, JZ 2014, 443, 448. 392 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 122; HK‑BGB/Schulze, 10. Aufl., § 313 Rn. 19; BeckOK BGB/Unberath, 45. Ed. 01.03.2011, § 313 Rn. 85; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen und Leistungserschwernisse, S. 107; Soergel/Teichmann, 13. Aufl., § 313 Rn. 151; T/W/T/Hirse, § 313 Rn. 32; Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, 921, 925; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 265 f.; Thole, JZ 2014, 443, 445 ff.; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 43 Rn. 33; Hey in: FS Canaris, 21, 39; Martinek, AcP 198 (1998), 329, 367 ff. u. 392; NK‑BGB/Krebs/Jung, 3. Aufl., § 313 Rn. 123; Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 256 ff.; Bayreuther, Vertragsanpassung, S. 27; BeckOGK/Martens, 01.10.2017, BGB § 313 Rn. 133. 393 Alberts, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 42; Hey in: FS Canaris, 21, 39; NK‑BGB/ Krebs/Jung, 3. Aufl., § 313 Rn. 121 u. 123; Bayreuther, Vertragsanpassung, S. 26; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen und Leistungserschwernisse, S. 105 f. 394 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 122; BeckOK BGB/Unberath, 45. Ed. 01.03.2011, § 313 Rn. 85; Bayreuther, Vertragsanpassung, S. 27; Thole, JZ 2014, 443, 449, der
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ves (Neu-)Verhandeln könne nicht erzwungen werden395 und die Parteien träten von sich aus in Verhandlungen, wenn sie die Möglichkeit einer Neuverhandlung als für sich nützlich betrachteten396. Ein weiteres schwerwiegendes Argument gegen eine Verpflichtung zur Neuverhandlung liegt darin, dass die benachteiligte Partei, von der grundsätzlich das Verlangen nach der Anpassung ausgehen wird (denn nur sie profitiert davon), sich regelmäßig in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet.397 Dann wird es für sie aber schwierig, im Rahmen von Verhandlungen ein gutes Ergebnis zu erreichen. Eine Pflicht zur Verhandlung gibt dann vielmehr der begünstigten Partei die Möglichkeit, eine Anpassung auszuhandeln, die im Vergleich zu einer richterlichen Anpassung vorteilhaft für sie ist, da sie der anderen Partei weniger entgegenkommt. Das steht dann aber im Widerspruch dazu, dass man mit der Neuverhandlungspflicht die Position der benachteiligten und schutzbedürftigen Partei verbessern möchte.398 Schließlich wird die Besorgnis geäußert, Neuverhandlungen könnten dazu ausgenutzt werden, versteckte Vertragsbrüche zu begehen, indem durch Vortäuschung veränderter Umstände oder deren Übertreibung die Gegenseite in Verhandlungen über eine Vertragsanpassung getrieben wird.399
2. Befürwortung einer Neuverhandlungspflicht Eine Pflicht zur Neuverhandlung besitzt allerdings auch zahlreiche Befürworter.400 Sie bringen vor, dass durch eine Neuverhandlungspflicht eine gütliche und effektivere Streitbeilegung gefördert werde und dies dem Trend auf internationaler Ebene entspreche, wo zahlreiche Regelwerke eine Neuverhandlungspflicht vorsähen.401 Tatsächlich enthalten sowohl die UNIDROIT‑Grundregeln, die PECL, das CESL, nicht aber der DCFR402 jeweils eine Pflicht zur Neuverdabei zugibt, dass dies allein kein ausreichendes Argument darstelle; gegen diesen Einwand ausdrücklich: BGH NJW 2012, 373, 376 Rn. 34. 395 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 122; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 265; NK‑BGB/Krebs/Jung, 3. Aufl., § 313 Rn. 123. 396 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 122; Thole, JZ 2014, 443, 447. 397 Martinek, AcP 198 (1998), 329, 374 ff.; ähnlich: Urich-Erber, Äquivalenzstörungen und Leistungserschwernisse, S. 104 f. 398 Martinek, AcP 198 (1998), 329, 377. 399 Eidenmüller, ZIP 1995, 1063, 1065; Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 129 ff. 400 Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 260, 266; Eidenmüller, Jura 2001, 824, 829 f.; Riesenhuber, BB 2004, 2697; Heinrichs in: FS Heldrich, 183, 195 ff.; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., § 313 Rn. 41; BeckOK BGB/Lorenz, 53. Ed. 01.02.2020, § 313 Rn. 83; grundlegend Horn, AcP 181 (1981), 255, 276 ff. 401 Heinrichs in: FS Hedlrich, 183, 196; Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 270 ff.; dagegen, weil ebenso zahlreiche Rechtsordnungen gerade keine Neuverhandlungspflicht vorsähen: NK‑BGB/Krebs/Jung, 3. Aufl., § 313 Rn. 123. 402 In der Kommentierung zum DCFR wird die in den PECL noch enthaltene Neuverhandlungspflicht als „undesirably complicated and heavy“ abgelehnt, Bar/Clive, DCFR, Art. III.1:110 Cmt. C, 738.
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handlung.403 Zudem könnten die Parteien selbst ihre Interessen und ihre Situation am besten einschätzen, sodass sie im Rahmen von Neuverhandlungen zu besseren und für beide Seiten akzeptableren Lösungen gelangen.404 Dafür soll die Pflicht zur Neuverhandlung einen Anreiz darstellen. Diese sichere des Weiteren die Privatautonomie der Parteien.405 Auch führe sie zu einer Entlastung der Gerichte und sei generell kostengünstiger sowie meist auch schneller als ein gerichtliches Verfahren.406 Da § 313 BGB zudem ein Ausfluss von Treu und Glaube sei, entspräche es dem Mindestens, wenigstens zu verhandeln, wenn sich die Umstände nachträglich gravierend ändern,407 beziehungsweise die bei Vertragsschluss angenommenen Umstände sich als unzutreffend herausstellen. In diesem Zusammenhang ist auch ein jüngeres Urteil des BGH zu nennen, in dem er auf die Frage der Neuverhandlungspflicht i. R. v. § 313 BGB eingeht und eine Pflicht zur Mitwirkung an der Vertragsanpassung annimmt, deren Verletzung zu Ansprüchen auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB führen kann.408 Er muss damit zur Seite der Befürworter einer Neuverhandlungspflicht gerechnet werden. Auch die Befürworter erkennen jedoch, dass sich durch die Pflicht zu Verhandlungen im Endeffekt keine konstruktive Verhandlung erzwingen lässt.409 Speziell zwei Konsequenzen sollen aber die Parteien dazu bewegen, ernsthaft zu verhandeln und Scheinverhandlungen verhindern: Zum einen, dass ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht zu Schadensersatzansprüchen der anderen Partei nach §§ 280 ff. BGB führt.410 Zum anderen, dass bei fehlender Mitwirkung unter bestimmten Voraussetzungen die anpassungswillige Partei sich gemäß § 313 Abs. 3 BGB vom Vertrag lösen können soll.411 Dies stellt gerade für die benachteiligte Partei ein nicht zu unterschätzendes Druckmittel dar, weil so für den Fall mangelnder Mitwirkung die bevorteilte Partei Gefahr läuft, den 403
Vgl. Art. 6.2.3. PICC, Art. 6:111 Abs. 2 PECL und Art. 89 Abs. 1 CESL. Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 275; Heinrichs in: FS Heldrich, 183, 196; Eidenmüller, ZIP 1995, 1063, 1066; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen und Leistungserschwernisse, S. 101. 405 Eidenmüller, ZIP 1995, 1063, 1071; ders., Jura 2001, 824, 829; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen und Leistungserschwernisse, S. 97 f. u. 101; dieses Argument trägt allerdings nicht wirklich, da die Ablehnung einer Pflicht zur Neuverhandlung den Parteien keineswegs das Recht und die Möglichkeit nimmt, neu zu verhandeln. 406 Eidenmüller, ZIP 1995, 1063, 1071; kritisch dazu, ob Verhandlungen stets zu geringeren Kosten führen: Thole, JZ 2014, 443, 446 f.; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen und Leistungserschwernisse, S. 103. 407 Riesenhuber, BB 2004, 2697, 2699; ähnlich: Urich-Erber, Äquivalenzstörungen und Leistungserschwernisse, S. 101. 408 BGH NJW 2012, 373. 409 Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 277. 410 BGH NJW 2012, 373, 376 Rn. 33; Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 260, 295 f.; Heinrichs in: FS Heldrich, 183, 197; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 313 Rn. 27; Eidenmüller, ZIP 1995, 1063, 1070. 411 Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 278; Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 316 f.; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., § 313 Rn. 41; Heinrichs in: FS Heldrich, 183, 202 f., der das Rücktrittsrecht allerdings aus § 323 BGB herleiten möchte. 404
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sie begünstigenden Vertrag vollständig zu verlieren. Dies lässt es aus ihrer Sicht sinnvoll erscheinen, über eine Anpassung zu verhandeln und der anderen Partei entgegen zu kommen. Die bloße Verletzung der Verhandlungspflicht führt aber noch nicht zu einem Rücktrittsrecht, weil dadurch allein nicht die Voraussetzungen des § 313 Abs. 3 BGB vorliegen.412 Allerdings bejahte der BGH die Rückabwicklung, wenn die Gegenseite im Prozess nur die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 beziehungsweise Abs. 2 BGB verneinte, ohne sich aber gegen die Rückabwicklung des Vertrages zu wenden.413 Aus der Mitwirkungspflicht zur Anpassung des Vertrags sei einem solchen Verhalten der Erklärungswert zu entnehmen, mit dem Vorschlag der Gegenseite einverstanden zu sein.414
3. Inhaltliche Anforderungen an eine Neuverhandlungspflicht Inhaltlich werden regelmäßig keine allzu hohen Anforderungen an die Verhandlungspflicht gestellt.415 Verlangt wird, dass die Parteien die Informationen untereinander austauschen, die für effektive Verhandlungen und zur Behebung der Störung notwendig sind.416 Dies sind insbesondere solche über die Veränderung der Vertragsumstände und die Hintergründe der Unzumutbarkeit. Weiter sind die Parteien dazu verpflichtet, ihre Ansichten über mögliche zumutbare Anpassungen sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch des Umfangs kundzutun und die Vorschläge der anderen Seite ernsthaft zu prüfen und dazu Stellung zu beziehen. Die Neuverhandlungspflicht enthält damit nur formelle Voraussetzungen, jedoch keine ergebnisbezogenen Vorgaben. Sie bildet nur einen prozeduralen Rahmen dafür, dass die Parteien sich einigen können und dient dazu, die diesbezüglichen Chancen zu erhöhen.
4. Stellungnahme Ein Blick auf die Gesetzesbegründung spricht eher für eine Neuverhandlungspflicht, wenn es heißt, die Parteien „sollen“ vor einer Anpassung zunächst selbst über diese verhandeln.417 Sie ist allerdings nicht ganz eindeutig, da sie gerade nicht von verhandeln müssen spricht. Von daher wird sie sowohl von den Befürwortern als auch Gegnern einer Neuverhandlungspflicht als Argument herangezogen.418 412 BeckOK BGB/Unberath, 45. Ed. 01.03.2011, § 313 Rn. 91; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., § 313 Rn. 42. 413 BGH NJW 2012, 373, 375 Rn. 27. 414 BGH NJW 2012, 373, 375 Rn. 27; in der Literatur wird dies zu Recht teils kritisch gesehen: PWW/Stürner, 14. Aufl., § 313 Rn. 22; BeckOGK/Martens, 01.10.2017, BGB § 313 Rn. 135. 415 Voraussetzungen im Folgenden nach Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 281 ff. 416 Ebenso schon Horn, AcP 181 (1981), 255, 284. 417 BT‑Drs. 14/6040, S. 176. 418 Befürworter: Heinrichs in: FS Heldrich, 183, 196; Gegner: Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 265; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 43 Rn. 33.
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Letztendlich sind zwar die Bedenken der Kritiker gegen eine Neuverhandlungspflicht durchaus gewichtig. Eine Pflicht zu umfangreichen Neuverhandlungen erscheint daher tatsächlich nicht sinnvoll. Ein so eng begrenzter Umfang der Neuverhandlungspflichten, die nur einen äußeren Rahmen vorschreiben, und eher in die Richtung eines gegenseitigen Informationsaustauschs gehen, wie sie regelmäßig vorgeschlagen werden, erscheint jedoch sinnvoll und konstruktiv. Dann sind sie kaum etwas anderes als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Lage des Vertragspartners. Ein konkretes Ergebnis oder überhaupt ein Ergebnis sind gerade nicht verpflichtend, sodass – unter diesen Voraussetzungen – den Befürwortern der Neuverhandlungspflicht zugestimmt werden kann.419 Häufig werden die Parteien vor dem Gang zu Gericht ohnehin miteinander bezüglich der Schwierigkeiten in einen Kontakt treten, der den Anforderungen an die Neuverhandlungspflicht in der Regel genügen wird, sodass die Frage praktisch wohl weniger Relevanz hat, als man zunächst denken könnte.
III. Inhalt der Anpassung Nicht nur der Prozess der Anpassung, auch deren Inhalt ist vom Gesetz nicht geregelt. Es stellt sich die Frage, ob die Anpassung auf das eben noch zulässige Maß oder auf ein anderes angemessenes Maß vorzunehmen ist. Der Wortlaut bietet wenig Anhaltspunkte, er spricht lediglich von Anpassung, ohne diese näher zu konkretisieren. Auch die Gesetzesbegründung enthält zu dieser Frage keine Antwort oder wenigstens Anhaltspunkte.
1. Vertragsanpassung durch die Parteien Natürlich können und dürfen die Parteien sich auf ein angemessenes Maß einigen, also den Marktpreis. Dies folgt bereits aus der Vertragsfreiheit. Die Frage ist nur, ob sie das müssen oder wie weit die begünstigte Partei der anderen Partei entgegen kommen muss. Weitgehend wird in der Literatur davon ausgegangen, dass keine Anpassung auf ein angemessenes Maß vorgenommen werden muss, sondern nur eine solche, die die Unzumutbarkeit verhindert.420 Gefolgert wird dies aus dem Wort „soweit“ in § 313 Abs. 1 BGB.421 Nur soweit es also zur Behebung der Unzumutbarkeit erforderlich ist, soll eine Anpassung erfolgen. Zwingend ist dieser Schluss aus dem Wortlaut allerdings 419 Ob angesichts des geringen Umfangs der Begriff der Neuverhandlungspflicht dann noch passend ist oder nicht etwas zu hoch gegriffen erscheint, sei dahingestellt. 420 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 89; Köhler in: 50 Jahre BGH, Bd. 1, 295, 308 f.; BeckOK BGB/Unberath, 45. Ed. 01.03.2011, § 313 Rn. 88 f.; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen und Leistungserschwernisse, S. 311; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 313 Rn. 27: „schonendster Eingriff“; T/W/T/Hirse, § 313 Rn. 33. 421 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 89.
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nicht, da sich der Passus eher auf den Tatbestand zu beziehen scheint und nicht die Rechtsfolge. Dennoch überzeugt diese Ansicht, denn dem anderen Vertragsteil ist im Falle des § 313 Abs. 1 BGB kein Vorwurf zu machen und von § 313 Abs. 1 BGB soll keine Präventionswirkung ausgehen. Für den Bereich der Äquivalenzstörung hieße dies, dass die Anpassung nicht auf den Marktwert, sondern den gerade noch zulässigen Wert vorzunehmen ist. Dies ist insofern problematisch, als dass feste Grenzen oder zumindest Orientierungen dazu fehlen, was noch zulässig ist und was nicht. Daher müssten diese jeweils im konkreten Einzelfall bestimmt werden, was zu Unbestimmtheit und Rechtsunsicherheit führt. Die Parteien können so kaum vorhersehen, ob das Gericht im Falle eines anschließenden Prozesses die von ihnen getroffene Regelung für angemessen halten wird oder nicht. In der Literatur wird allerdings gerade für den Bereich der Äquivalenzstörungen die Pflicht zur Herstellung des vertraglichen Gleichgewichtes angenommen, allerdings nur, sofern dies dem hypothetischen Willen der Parteien beim Vertragsschluss entsprach.422 Diesen festzustellen, bereitet wie immer Probleme. Jedenfalls bei nachträglichen Äquivalenzstörungen kann auf das Äquivalenzverhältnis im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt werden. War dieses ausgeglichen, spricht dies für den hypothetischen Parteiwillen, eine Anpassung auf das Gleichgewicht vorzunehmen.423 Für anfängliche Äquivalenzstörungen lässt sich dieses Vorgehen hingegen nicht (entsprechend) anwenden424 und es besteht eine gewisse Unsicherheit.
2. Vertragsanpassung durch das Gericht Wie die Parteien hat auch der Richter in der Regel mehrere Möglichkeiten, den Vertrag anzupassen. Indem als Orientierung nur das Kriterium der Zumutbarkeit und die Beurteilung sämtlicher Umstände des Einzelfalles vorgegeben sind, ist der Spielraum des Richters relativ weit. Etwas konkretisieren lässt er sich dadurch, dass der Eingriff in die ursprüngliche Regelung möglichst gering ausfallen soll und nicht weitergehen darf als zur Behebung der Unzumutbarkeit erforderlich.425 Bezüglich des Maßstabes der Anpassung kann für den Richter 422 BeckOGK/Martens, 01.07.2017, BGB § 313 Rn. 141.1; MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 90; Soergel/Teichmann, 13. Aufl., § 313 Rn. 138; Eidenmüller, Jura 2001, 824, 830; ähnlich auch BGH NJW‑RR 2006, 1037, 1038, wonach der Kaufpreis für einen Geschäftsanteil auf den Betrag herabzusetzen sei, den der Käufer bereit gewesen wäre zu zahlen, wenn er die veränderten Umstände vorhergesehen hätte. 423 So auch: Soergel/Teichmann, 13. Aufl., § 313 Rn. 138. 424 Ebenso Soergel/Teichmann, 13. Aufl., § 313 Rn. 140. 425 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 89; BeckOGK/Martens, 01.07.2017, BGB § 313 Rn. 139; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., § 313 Rn. 40; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen und Leistungserschwernisse, S. 311; NK‑BGB/Krebs, 3. Aufl., § 313 Rn. 115, der zwar zustimmt, aber gleichzeitig feststellt, dass ein „optimaler Interessenausgleich“ erreicht werden solle.
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natürlich nichts anderes gelten als für die Parteien. Wenn also eine Anpassung nur insoweit verpflichtend ist, dass die Unzumutbarkeit verhindert wird, darf der Richter keine Anpassung auf das vollständig angemessene Maß vornehmen oder sonst über die Zumutbarkeitsgrenze hinausgehen. Geht man hingegen davon aus, dass in Fällen schwerer Äquivalenzstörungen die vollständige Ausgeglichenheit hergestellt werden soll, hat dies konsequenterweise auch für die gerichtliche Anpassung zu gelten.
IV. Rücktritt Ist eine Vertragsanpassung nicht möglich oder einem Vertragspartner nicht zumutbar, kommt als ultima ratio ein Rücktritt vom Vertrag in Betracht, vgl. § 313 Abs. 3 BGB. Trotz der Betonung, die Rückabwicklung stelle die ultima ratio dar,426 werden an die Unzumutbarkeit keine allzu hohen Voraussetzungen gestellt. So soll die Unzumutbarkeit bereits dann gegeben sein, wenn die Anpassung für eine Partei zu einer Mehrbelastung führt, der sie nicht wenigstens hypothetisch bei Vertragsschluss zugestimmt hätte.427 Gerade wenn vorherige Vertragsverhandlungen zu keinem Ergebnis gekommen sind, soll eine Unzumutbarkeit der Anpassung nahe liegen.428 Bestimmt man die Unzumutbarkeit tatsächlich nach diesen Kriterien, werden ihre Voraussetzungen nicht selten erfüllt sein und es wird zur Rückabwicklung des Vertrags kommen, statt zu seiner Anpassung. Die dann erforderliche Rückabwicklung des Vertrags richtet sich nach den §§ 346 ff. BGB. Auch hier stellt sich wiederum die Frage, was konkret herausgegeben werden muss und inwiefern Ersatz für vom Käufer getätigte Verwendungen und Aufwendungen verlangt werden kann und was mit dem Gegenstand im Falle seiner zwischenzeitlichen Belastung oder völligen Umgestaltung geschieht.
1. Ansprüche des Verkäufers a) Herausgabe der erbrachten Leistung, § 346 Abs. 1 BGB Primär müssen die ausgetauschten Leistungen nach § 346 Abs. 1 BGB in natura herausgegeben werden. Der Verkäufer kann also die Herausgabe des Grundstücks verlangen, der Käufer die Rückzahlung des Kaufpreises. Nur sofern eine 426 Vgl. nur Horn, AcP 181 (1981), 255, 276; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 266; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 313 Rn. 29; BeckOK BGB/Unberath, 45. Ed. 01.03.2011, § 313 Rn. 91; HK‑BGB/Schulze, 10. Aufl., § 313 Rn. 20; Martinek, AcP 198 (1998), 329, 365. 427 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 117; BeckOGK/Martens, 01.07.2017, BGB § 313 Rn. 145. 428 BeckOGK/Martens, 01.07.2017, BGB § 313 Rn. 145; MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 118.
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Herausgabe nicht möglich ist, muss nach § 346 Abs. 2 BGB Wertersatz geleistet werden. Gemäß § 348 BGB kann die Herausgabe nur Zug-um-Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises verlangt werden.
b) Ausnahme nach § 346 Abs. 2 BGB Auch hier stellt sich die wichtige Frage, ob – und wenn ja wann – der Käufer im Falle der Bebauung das Grundstück behalten darf und stattdessen Wertersatz leisten kann. Auch wenn der Wortlaut von § 346 Abs. 2 BGB es nahe legt, dass beim Rücktritt die Herausgabe der erbrachten Leistungen in weitaus größerem Umfang durch die Pflicht zum Wertersatz ersetzt wird als bei der Haftung aus Bereicherungsrecht, ist dem nicht so. Nach herrschender Meinung stellt nämlich die Unmöglichkeit der Rückgewähr ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal bei allen in § 346 Abs. 2 BGB geregelten Fällen dar.429 § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB ordnet die Wertersatzpflicht für die Fälle der Umgestaltung des Gegenstands an. Der Begriff der Umgestaltung wird allgemein so wie der der Umbildung nach § 950 BGB verstanden.430 Allerdings spricht § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht davon, dass das Ergebnis der Umgestaltung die Schaffung einer neuen beweglichen Sache sein muss. Auch hier muss jedoch das ungeschriebene Merkmal der Unmöglichkeit der Herausgabe beachtet werden und dies bedeutet, dass der Rückgewährschuldner das Grundstück auch im Falle einer Bebauung herauszugeben hat.431 Anders wäre dies nur, wenn durch die Umgestaltung eine neue bewegliche Sache entstehen würde, da diese dann insgesamt kraft Gesetzes im Eigentum des Rückgewährschuldners stünde. Die gesetzliche Wertung der §§ 950, 951 BGB würde unterlaufen werden, wenn man im Falle der Herstellung einer neuen Sache die Rückgängigmachung verlangen könnte.432 Die Ausdehnung der Unmöglichkeit auf alle Fälle des § 346 Abs. 2 BGB wird teils kritisch gesehen und dafür plädiert, dass sich die Wertersatzpflicht allein nach dem Wortlaut des § 346 Abs. 2 BGB richten solle.433 Folgt man dieser Ansicht, so würde jedenfalls die Bebauung eines zunächst unbebauten Grundstückes bloß zu einer Wertersatzpflicht führen und der Rückgewährschuldner dürfte das Grundstück behalten. Auch wenn dieses Ergebnis in bestimmten Konstellationen durchaus wünschenswert wäre, ist hier aufgrund der Recht429 BGH
NJW 2015, 3786, 3787; NJW 2009, 63, 64; NJW 2008, 2028, 2030; Palandt/ Grüneberg, 79. Aufl., § 346 Rn. 7; Staudinger/Kaiser, (2012), § 346 Rn. 149; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 346 Rn. 4; Schwab, JuS 2002, 630, 632. 430 Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., § 346 Rn. 8a; MüKoBGB/Gaier, 8. Aufl., § 346 Rn. 47; BeckOK BGB/H. Schmidt, 53. Ed. 01.02.2020, § 346 Rn. 53; für keinen Gleichlauf, sondern eine weite Auslegung des Begriffs der Umbildung: Staudinger/Kaiser, (2012), § 346 Rn. 142. 431 Staudinger/Kaiser, (2012), § 346 Rn. 143. 432 Staudinger/Kaiser, (2012), § 346 Rn. 141. 433 So etwa: MüKoBGB/Gaier, 8. Aufl., § 346 Rn. 48 f.
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sprechung für die Praxis davon auszugehen, dass das Grundstück trotz Bebauung herausgegeben werden muss. Bei kleineren Umgestaltungen versteht sich dies aufgrund eines Erst-Recht-Schlusses von allein. Was die Rückgabe in Fällen der Belastung angeht, so ist der Schuldner verpflichtet, eine von ihm begründete Belastung vor der Rückgabe zu beseitigen.434 Nur sofern die Beseitigung unmöglich ist,435 kann und muss nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB Wertersatz geleistet werden. Im Ergebnis besteht also eine Beschaffungspflicht des Rückgewährschuldners.436 Anders als man nach der Rechtsprechung zur lastenfreien Herausgabe des Grundstücks annehmen könnte, ist der Schuldner in Fällen der Beschädigung der Sache nicht automatisch über § 346 Abs. 1 BGB zu deren Reparatur verpflichtet,437 obwohl dies bei der Annahme einer Beschaffungspflicht konsequent wäre.438 Hintergrund ist, dass die Beschaffungspflicht nicht einer Schadensersatzverpflichtung gleichkommen dürfe.439 Daher ist der Rückgewährgläubiger in diesen Fällen auf einen Anspruch auf Wertersatz nach § 346 Abs. 2 Nr. 3 BGB beschränkt. Der Wegfall der Ersatzpflicht nach § 346 Abs. 3 BGB spielt für die hier betrachteten Fälle keine besondere Rolle und kann daher bei der Betrachtung außen vor bleiben.
2. Ansprüche des Käufers Der Käufer kann aus § 346 Abs. 1 BGB zunächst den gezahlten Kaufpreis herausverlangen. Soweit es um den Ersatz von Verwendungen geht, sind diese nach § 347 Abs. 2 BGB zu ersetzen, soweit sie notwendig waren. Der Begriff der notwendigen Verwendungen entspricht dabei dem nach § 994 Abs. 1 BGB.440 Alle anderen Aufwendungen, insbesondere nicht notwendige Verwendungen, sind nur zu ersetzen, soweit der Gläubiger durch diese bereichert ist, vgl. § 347 Abs. 2 S. 2 BGB. 434
BGH NJW 2009, 63, 65. Im Fall von BGH NJW 2009, 63 ff. war die Herausgabe in unbelasteter Form deshalb unmöglich geworden, weil das belastete Grundstück bereits zwangsversteigert wurde. 436 So richtig: Kohler, AcP 214 (2014), 362, 364; Kaiser in: FS Picker, 413, 415 ff., die sich in ihren Beiträgen aber gegen diese Ansicht der Rechtsprechung stellen. Der BGH spricht davon, dass die Verpflichtung aus § 346 Abs. 1 BGB auch Beschaffungselemente enthalte, vgl. BGH NJW 2009, 63, 64. 437 BGH NJW 2009, 63, 65; ebenso: Schwab, JuS 2002, 630, 633; BeckOK BGB/H. Schmidt, 53. Ed. 01.02.2020, § 346 Rn. 54. 438 Diese Ansicht des BGH und der wohl h. M. trifft daher teils auf Kritik, vgl.: Kaiser in: FS Picker, 413, 418 f.; Lorenz, NJW 2005, 1889, 1892 f., der u. a. – nicht zu Unrecht – mit dem Wortlaut von § 346 Abs. 2 BGB argumentiert. 439 BGH NJW 2009, 63, 65. 440 BGH NJW‑RR 2013, 1318 Rn. 22; Staudinger/Kaiser, (2012), § 347 Rn. 24; BeckOK BGB/H. Schmidt, 53. Ed. 01.02.2020, § 347 Rn. 4; MüKoBGB/Gaier, 8. Aufl., § 347 Rn. 18; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., § 347 Rn. 3; PWW/Stürner, 14. Aufl., § 347 Rn. 5; jurisPK‑BGB/Faust, 9. Aufl., § 347 Rn. 46. 435
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Da der Verwendungsbegriff ebenso wie in den §§ 994 ff. BGB ausgelegt werden soll, stellt sich die Frage, ob dies auch für die von der Rechtsprechung vertretene Einschränkung bezüglich bestandsverändernder Verwendungen gelten soll. Sofern man von einer Parallelität des Verwendungsbegriffs ausgeht, scheint kein Grund ersichtlich, weshalb im Rahmen von § 347 BGB nicht ebenfalls der enge Verwendungsbegriff gelten soll.441 Letztlich spielt die Unterscheidung im Anwendungsbereich von § 347 Abs. 2 BGB aber kaum eine Rolle, da bestandsverändernde Verwendungen zumindest unter den Aufwendungsersatzanspruch aus § 347 Abs. 2 S. 2 BGB fallen.442 Dabei kann sich durch den Verweis auf das Bereicherungsrecht der Schuldner auf Entreicherung berufen, wenn die Aufwendungen für ihn nutzlos sind.443 Der Verkäufer ist damit vor dem Ersatz der Kosten einer völligen Umgestaltung, die seinem Interesse zuwiderläuft, geschützt, muss ansonsten aber Ersatz leisten.
V. Gerichtliche Durchsetzung Die benachteiligte Partei kann i. R. v. § 313 BGB direkt auf die Leistung klagen, die sich aus dem angepassten Vertrag ergibt.444 Sie muss nicht erst auf Vertragsanpassung klagen, beziehungsweise genauer auf Abgabe der dazu erforderlichen Willenserklärung, die gemäß § 894 ZPO durch das gerichtliche Urteil fingiert wird. In diesem Zusammenhang wird sogar diskutiert, ob einer solchen Klage nicht das Rechtsschutzbedürfnis fehle.445 Der BGH geht allerdings davon aus, sodass sowohl auf Anpassung als auch unmittelbar auf die Leistung geklagt werden kann.446 441 Ebenso MüKoBGB/Gaier, 8. Aufl., § 347 Rn. 18; PWW/Stürner, 14. Aufl., § 347 Rn. 5; Staudinger/Kaiser, (2012), § 347 Rn. 24. 442 PWW/Stürner, 14. Aufl., § 347 Rn. 5; Staudinger/Kaiser, (2012), § 347 Rn. 49; MüKoBGB/Gaier, 8. Aufl., § 347 Rn. 21; jurisPK‑BGB/Faust, 9. Aufl., § 347 Rn. 61; Soergel/Lobinger, 13. Aufl., § 347 Rn. 61. 443 Würde man den Verwendungsbegriff der §§ 994 ff. BGB für bestandsverändernde Verwendungen öffnen, hinge das Ergebnis davon ab, ob man die Werterhöhung i. R. v. § 996 BGB objektiv oder subjektiv nach dem Interesse des Eigentümers bemisst. Für eine subjektive Sichtweise: Erman/Ebbing, 15. Aufl., § 996 Rn. 6; PWW/Englert, 14. Aufl., § 996 Rn. 4; dagegen: MüKoBGB/Raff, 8. Aufl., § 996 Rn. 8 f.; Staudinger/Thole, (2019), § 996 Rn. 13; Soergel/Stadler, 13. Aufl., § 996 Rn. 1; Canaris, JZ 1996, 344, 349. 444 BGH NJW 2012, 373, 376; PWW/Stürner, 14. Aufl., § 313 Rn. 21; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., § 313 Rn. 41; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 313 Rn. 30; Heinrichs in: FS Heldrich, 183, 198; vgl. zu der Frage ausführlicher: Loyal, AcP 214 (2014), 746, 750 ff.; bereits die Gesetzesbegründung geht davon aus, vgl. BT‑Drs. 14/6040, S. 176; dagegen aber: Dauner-Lieb/ Dötsch, NJW 2003, 921, 924 ff. u. 927. 445 Für ein bestehendes Rechtsschutzbedürfnis: Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, 2076, 2077; MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 133; wohl auch Eidenmüller, Jura 2001, 824, 830; im Grundsatz dagegen, aber Ausnahmen zulassend: Heinrichs in: FS Heldrich, 183, 199; HK‑BGB/Schulze, 10. Aufl., § 313 Rn. 26; NK‑BGB/Krebs/Jung, 3. Aufl., § 313 Rn. 127; Bayreuther, Vertragsanpassung, S. 48 ff. 446 BGH NJW 2012, 373, 376; vgl. aber noch NJW 1985, 126, 127, wo der BGH davon
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VI. Zwischenergebnis Es bleibt festzuhalten, dass die Rechtsfolgen bei einem gemeinschaftlichen Irrtum im Vergleich zu den Rechtsfolgen des § 138 BGB sowohl milder als auch flexibler sind. Zunächst einmal bleibt die vertragliche Beziehung zwischen den Parteien bestehen und es besteht das Ziel, den Vertrag auch für die Zukunft aufrechtzuerhalten. Letztlich wird hier dem Problem der Äquivalenzstörung durch eine Kombination der beiden zur Verfügung stehenden Grundmechanismen – Anpassung und Rückabwicklung – begegnet, die dabei in einem Stufenverhältnis zueinander stehen. Diese Lösung bietet den Vorteil, dass den widerstreitenden Interessen der beiden Parteien adäquat Rechnung getragen werden kann, indem eine unzumutbare Lösung jeder Partei das Recht zur Vertragsauflösung eröffnet. Zudem behält der Benachteiligte weiter einen Anspruch auf die Leistung und Leistungsstörungen können über das Mängelgewährleistungsrecht abgewickelt werden, wenn es nicht zur Rückabwicklung kommt.
C. Haftung nach culpa in contrahendo Sofern das Missverhältnis dadurch zustande kommt, dass die bevorteilte Partei eine vorvertragliche Pflicht verletzt, kommt auch eine Haftung aus c. i. c. gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB in Betracht. Es handelt sich bei der culpa in contrahendo, wie auch bei der Anfechtung wegen Irrtums, um ein Rechtsinstitut, dessen Zweck nicht primär in der Behebung oder Vorbeugung von Äquivalenzstörungen besteht. Gleichwohl sind Äquivalenzstörungen nicht selten die Folge von vorvertraglichen Pflichtverletzungen der begünstigten Partei, sodass hier darauf eingegangen wird, zumal die Rechtsfolgen und ihre Begründung durchaus von Interesse für die weitere Bearbeitung sein können. Vorvertragliche Pflichtverletzungen lassen zunächst die Wirksamkeit des geschlossenen Vertrags unberührt. Sie führen typischerweise zu Schadensersatzansprüchen aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB, die neben dem Vertrag geltend gemacht werden können. Es ist aber über die Haftung aus culpa in contrahendo auch eine Vertragsaufhebung möglich, indem der Vertrag selbst als Schaden qualifiziert wird und dessen Aufhebung dann als Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB geschuldet wird.447 Dahinter steht der Gedanke, dass ohne die vorvertragliche Pflichtverletzung der Vertrag nicht geschlossen worden wäre.448 Zudem kann die Haftung aus c. i. c. auch zu einer Herabsetzung der Gegenleistung führen.449 ausging, dass einer auf Vertragsänderung gerichteten Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehle. 447 Vgl. dazu unten: II. 1. Vertragsauflösung, S. 146 ff. 448 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 19; auch RGZ 111, 233, 234 f. 449 Vgl. dazu unten: II. 2. Vertragsanpassung, S. 150 ff.
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Die Verjährung eines solchen Anspruches richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen, wobei bezüglich der Grundstückskaufverträge § 196 BGB zu beachten ist, wonach Ansprüche auf Übertragung des Eigentums erst in zehn Jahren verjähren. Der Fristbeginn ist aber anders als bei Ansprüchen, die der regelmäßigen Verjährung unterliegen, nicht von der Kenntnis oder dem Kennenmüssen der berechtigten Partei abhängig, vielmehr beginnt die Verjährung gemäß § 200 BGB bereits mit der Entstehung des Anspruchs.
I. Tatbestand der culpa in contrahendo 1. Vorvertragliche Pflichtverletzung Tatbestandlicher Anknüpfungspunkt für die Haftung aus c. i. c. ist die vorvertragliche Pflichtverletzung des Begünstigten und zwar unabhängig davon, ob oder in welcher Höhe ein Missverhältnis dadurch entsteht. Allein ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung beziehungsweise dessen Verursachung stellt noch keine Pflichtverletzung dar. Käufer und Verkäufer verfolgen beim Vertragsschluss entgegengesetzte Ziele; jener will möglichst günstig kaufen und dieser möglichst teuer verkaufen.450 Diese Interessen werden im Grundsatz auch von der Rechtsordnung anerkannt, sodass es im Verantwortungs- und Risikobereich jeder Partei liegt, einen Vertrag zu schließen, der die eigenen Interessen wahrt.451 Allerdings ist es möglich, dass der Verkäufer eine vorvertragliche Pflicht verletzt, die eine Äquivalenzstörung zur Folge hat. Für die hier interessierenden Fälle kommen einerseits positive Falschinformationen und andererseits Aufklärungspflichtverletzungen des Verkäufers in Betracht. Der Verkäufer klärt nicht oder fehlerhaft auf, mit der Folge, dass der Käufer aufgrund der dadurch hervorgerufenen Fehlvorstellung einen zu hohen Kaufpreis verspricht. Dabei ist grundsätzlich jede positive Fehlinformation eine vorvertragliche Pflichtverletzung.452 Schwieriger ist es in Fällen der unterbliebenen Aufklärung. Diese stellt nur dann eine Pflichtverletzung dar, wenn eine Aufklärungspflicht bestand.453 Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass eine Aufklärung nur bezüglich solcher 450 Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 132; Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 53; Franck, AcP 213 (2013), 222, 235. 451 Ausdrücklich BGH NJW 2004, 154, 156: „es gehört […] zu den eigenen Aufgaben des Käufers, die Angemessenheit des Kaufpreises zu prüfen.“; vgl. zudem: BGH NJW 1989, 763, 764; BeckOK BGB/Sutschet, 53. Ed. 01.02.2020, § 311 Rn. 73; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 6 f.; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 33; Lieb in: FS Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 251, 251; M. Köhler in: FS Köndgen, 353, 359. 452 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 6. Eine Ausnahme stellt insofern das sog. „Recht zur Lüge“ des Arbeitnehmers auf unzulässige Fragen des Arbeitgebers dar, was hier jedoch zu vernachlässigen ist. 453 Vgl. Kapitel 2 Fn. 349.
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Aspekte zu erfolgen hat, die für den Vertragsschluss des anderen Teils von entscheidender Bedeutung sind, insbesondere weil sie den Vertragszweck vereiteln oder gefährden und der Vertragspartner nach der Verkehrsauffassung Aufklärung erwarten durfte.454 Dies ist regelmäßig aber nur bezüglich solcher Umstände der Fall, von denen der potentiell Aufklärungspflichtige weiß, dass der andere Vertragsteil sie nicht kennt und nicht oder kaum in Erfahrung bringen kann.455 Insofern besteht eine Parallele zu den Fällen der Anfechtung nach § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung, wobei die Haftung nach c. i. c. insofern weiter ist, als dass hier auch fahrlässiges Handeln ausreicht, anders als bei § 123 Abs. 1 BGB, wo Arglist und damit Vorsatz erforderlich ist456. Aus diesem Grund und wegen der unterschiedlich langen Verjährungsfristen sieht sich die Möglichkeit der Vertragsaufhebung über die c. i. c. neben der Anfechtung Kritik ausgesetzt.457 Der BGH befürwortet aber die parallele Möglichkeit der Vertragsaufhebung über die c. i. c. und stützt sich dabei auf die unterschiedlichen Voraussetzungen von Anfechtung und c. i. c. sowie die ebenfalls unterschiedlichen Rechtsfolgen.458 Dabei stellt er insbesondere darauf ab, dass für Ansprüche aus culpa in contrahendo ein Vermögensschaden Voraussetzung sei,459 wobei ein solcher trotz ausgeglichenen Wertverhältnisses selbst dann gegeben sei, wenn die Sache nicht für die Zwecke des Geschädigten vollständig nutzbar ist460. Damit verkommt die Voraussetzung allerdings zum bloßen Lippenbekenntnis.461 Auch in der Literatur wird heute im Grundsatz weitgehend von einer Parallelität von schadensrechtlicher Vertragsaufhebung und Anfechtung ausgegangen.462 454 St. Rspr., vgl. etwa BGH NJW 2013, 1807, 1807; NJW 2006, 3139, 3141; NJW 1979, 2243, 2243; NJW 1974, 849, 851. 455 BGH NJW 2006, 3139, 3141; NJOZ 2001, 5, 7; BeckOK BGB/Sutschet, 53. Ed. 01.02.2020, § 311 Rn. 73 f. 456 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 359. 457 Vgl. zum bekannten Streit um das Konkurrenzverhältnis u. a.: Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 91 ff.; Paefgen, Haftung für mangelhafte Aufklärung, S. 26 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 305 ff.; Soergel/Harke, 13. Aufl., § 311 Rn. 22 ff.; Grigoleit, NJW 1999, 900, 900 ff.; Lorenz, ZIP 1998, 1053, 1053 ff.; Medicus, JuS 1965, 209, 209 ff. 458 BGH NJW 1998, 302, 303 f.; NJW 1979, 1983, 1983 f.; erstmals soweit ersichtlich in NJW 1962, 1196, 1198. 459 BGH NJW 1998, 302 1. Ls.; krit. dazu Lorenz, ZIP 1998, 1053, 1055 ff.; Jauernig/ Stadler, 17. Aufl., § 311 Rn. 62; MüKoBGB/Emmerich, 8. Aufl., § 311 Rn. 78; Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 111 ff.; dem Ansatz des BGH hingegen folgend: Lieb in: FS Medicus (1999), 337, 352. 460 BGH NJW 2010, 2506 Rn. 19; NJW 2005, 1579, 1580; NJW 1998, 302, 304. 461 Ebenso: Lieb in: FS Medicus (1999), 337, 339 ff.; MüKoBGB/Emmerich, 8. Aufl., § 311 Rn. 78. 462 Für eine Parallelität (ggf. mit Einschränkungen insb. hinsichtlich der Verjährungsfrist): Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 120; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 311 Rn. 62; Lorenz, ZIP 1998, 1053, 1056 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 314; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 103, der aber die Fristen von § 121 BGB (für eine fahrlässige Täuschung) und § 124 BGB für eine vorsätzliche Täuschung auf die c. i. c. übertragen möchte; Lieb in: FS Medicus (1999),
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Von der Haftung aus c. i. c. zwar umfasst, aber dennoch nicht zu Ansprüchen aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB führen Aufklärungspflichtverletzungen, die gleichzeitig einen Sachmangel begründen, da in diesen Fällen das Gewährleistungsrecht eine abschließende Regelung enthält.463 Diese Fälle bleiben bei der vorliegenden Betrachtung aber ohnehin außen vor, da sie nicht die Störung der vertraglich vereinbarten Äquivalenz betreffen. Typische Aufklärungspflichtverletzungen sind falsche Angaben über die Einnahmen und Ausgaben des zu verkaufenden Grundstückes464 oder über die erforderliche baurechtliche Genehmigung für die angestrebte Grundstücksnutzung.465 Fälle in denen der Käufer eine vorvertragliche Pflicht verletzt und daraus eine schwere Äquivalenzstörung entsteht, sind für die hier zu untersuchende Frage kaum vorstellbar. Selbst wenn ausnahmsweise der Käufer Sonderwissen in Bezug auf den Kaufgegenstand besitzt, verpflichtet ihn das nämlich grundsätzlich nicht zur Aufklärung.466 Die Ausführungen konzentrieren sich daher auf den Käufer als Geschädigten.
2. Pflichtverletzung beim Wucher und wucherähnlichen Rechtsgeschäft Neben Aufklärungspflichtverletzungen stellt sich die Frage, ob das Verhalten der begünstigten Partei beim Wucher und wucherähnlichen Rechtsgeschäft eine vorvertragliche Pflichtverletzung darstellt. Zwar ist allein das Abgeben einer Willenserklärung, die zu einem Vertrag führt, bei dem ein auffälliges Missverhältnis besteht, wie beschrieben, noch keine Pflichtverletzung. Allein das auffällige Missverhältnis genügt aber auch weder für die Nichtigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB noch nach § 138 Abs. 1 BGB.
a) Wucher, § 138 Abs. 2 BGB Nimmt man das Verhalten des Wucherers in § 138 Abs. 2 BGB in den Blick, so lässt sich an einer Pflichtverletzung kaum zweifeln. Die bereits im vorvertraglichen Stadium geltende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen Teils aus § 241 Abs. 2 BGB verbietet das Ausnutzen von dessen Schwäche zur eigenen Bereicherung. Das Gesetz normiert mittelbar durch § 138 Abs. 2 BGB, dass das Ausnutzen der Schwächelage des potentiellen Vertragspartners, um sich selbst zu bereichern, nicht gestattet ist. Insofern kommt in diesen Fällen eine Haftung des Wucherers aus culpa in contrahendo in Betracht. 337, 352; für einen Vorrang der Anfechtung insb.: Medicus, JuS 1965, 209, 217; Grigoleit, NJW 1999, 900, 903. 463 St. Rspr., vgl nur: BGH NJW 2012, 846, 847; NJW 1977, 1536, 1537; NJW 1973, 1234, 1235; ansonsten: BeckOK BGB/Sutschet, 53. Ed. 01.02.2020, § 311 Rn. 82; PWW/Stürner, 14. Aufl., § 311 Rn. 63. 464 BGH NJW‑RR 1988, 458, 459; NJW 2013, 1807 ff. 465 BGH NJW 1979, 2243. 466 MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 33.
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b) Wucherähnliches Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB aa) Übertragung der Vermutung Bei der Überlegung, ob das Verhalten der begünstigten Partei bei § 138 Abs. 1 BGB eine Pflichtverletzung darstellen kann, stellt sich die Frage, ob nicht die verwerfliche Gesinnung beziehungsweise der in ihr enthaltene Vorwurf zur Begründung einer Pflichtverletzung führen kann.467 Soweit ersichtlich wird darauf weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur eingegangen. Für einen Schluss auf die Pflichtverletzung spricht, dass der BGH der begünstigten Partei mit der Vermutung einen Vorwurf macht, ein Verhalten aber nicht vorwerfbar sein kann, wenn es sich innerhalb des erlaubten Pflichtenkreises bewegt.468 Da der BGH die Vermutung der verwerflichen Gesinnung auf § 138 Abs. 1 BGB beschränkt, ist von dieser Seite eine Ausdehnung jedoch nicht zu erwarten. Allein aus der Vermutung auf ein pflichtwidriges Verhalten des Begünstigten zu schließen, ist auch nicht wünschenswert. Dies liegt zum einen – wie bereits öfters erwähnt – daran, dass der Begünstigte nicht einmal Kenntnis vom Missverhältnis zu haben braucht.469 Selbst wenn der Begünstigte aber Kenntnis vom Missverhältnis hat, kann deshalb allein keine Pflichtverletzung angenommen werden. Soweit der BGH nämlich formuliert, es reiche für das Eingreifen der Vermutung aus, dass der Begünstigte sich „[…] grob fahrlässig der Einsicht verschließt, dass der andere Teil den Vertrag nur aus Mangel an Urteilsvermögen oder wegen erheblicher Willensschwäche eingegangen ist“470, lässt sich daraus schwer eine Pflichtverletzung i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB konstruieren. Das würde voraussetzen, dass der Begünstigte die Pflicht hat, sich um die Interessen des anderen Teils zu kümmern, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser nicht in der Lage ist, sich selbst effektiv darum zu kümmern. Eine solche Pflicht erscheint jedoch zu weitgehend. Sie widerspricht den Grundsätzen des (deutschen) Vertragsrechts und der Privatautonomie, wonach grundsätzlich jede Vertragspartei zur Wahrung der eigenen Interessen berechtigt, aber umgekehrt eben auch verpflichtet ist.471 Konsequenz einer solchen Rücksichtnahmepflicht wäre es zudem, dass der Begünstigte seine eigenen (berechtigten) Interessen nicht mehr wahrnehmen dürfte und zurückstellen müsste. Dies ist ihm nicht zuzumuten. 467 Vgl. zur ähnlichen Frage der Übertragung der Vermutung auf § 819 Abs. 1 BGB oben: § 7 F. II. 4. b) Übertragung der Vermutung aus § 138 BGB auf § 819 Abs. 1 BGB, S. 112 ff. 468 Dazu passen die Ausführungen von Larenz zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft, wonach „Tatumstände, aus denen sich ein vorwerfbares Verhalten der einen Partei ergibt“ erforderlich seien, Larenz, BGB AT, 6. Aufl., S. 433 oder auch die Ausführungen Mayer-Malys, der die Vermutung als „eine Art von Verschuldensvorwurf“ beschreibt, MüKoBGB/Mayer-Maly, 3. Aufl., § 138 Rn. 102. 469 Vgl. Nachweis in Kapitel 2 Fn. 324. 470 BGH NJW 2001, 1127; NJW 1985, 3006. 471 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 451.
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Die Situation, in der die begünstigte Partei einen sehr vorteilhaften Vertrag zulasten des Vertragspartners schließt, kann für sich genommen nicht dem bewussten Ausnutzen gleichgestellt werden. Häufig wird der andere Vertragsteil sich gar nicht in einer Notsituation befinden, sondern – weshalb auch immer – bloß den Wert der Sache falsch einschätzen. Es macht aber einen fundamentalen Unterschied, ob die Schwäche der anderen Partei erkannt wird und dazu benutzt wird, sich einen Vorteil zu verschaffen oder ob man einen Vorteil erlangt, ohne dabei zu wissen, dass die andere Partei sich in einer Schwächelage befand und daraus der eigene Vorteil resultiert, selbst wenn man es hätte erkennen können. Deshalb kann in Fällen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nicht automatisch aufgrund der Vermutung und deren Inhaltes auch eine vorvertragliche Pflichtverletzung angenommen werden. Anders kann dies sein, wenn die benachteiligte Partei sich nachweislich in einer Schwächelage befand und der Begünstigte Kenntnis vom Missverhältnis hatte. In diesen Fällen liegt nämlich der Schluss nahe, dass der Begünstigte die Schwäche zu einem für sich günstigen Vertragsschluss genutzt hat, sodass dann die Annahme einer Pflichtverletzung in Form des Ausnutzens durchaus nachvollziehbar erscheint und eine Haftung aus c. i. c. in Betracht kommt.
bb) Vorgehen aus sittenwidrigem Vertrag als Pflichtverletzung Wenn im Vertragsschluss selbst keine Pflichtverletzung der begünstigten Partei erblickt werden kann, so kann das Vorgehen aus dem gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrigen Vertrag eine Pflichtverletzung begründen. In der Rechtsprechung wird eine Haftung desjenigen aus c. i. c. angenommen, der einen sittenwidrigen, ihn einseitig begünstigenden Vertrag zum Nachteil des Vertragspartners verwendet und daran festhält.472 Voraussetzung dafür ist, dass der Schuldner die Unwirksamkeit des Vertrags zu vertreten hat.473 Dies wurde dann angenommen, wenn der unwirksame Vertrag vom Schädiger selbst verfasst wurde.474 Erforderlich ist, dass er die Gründe für die Sittenwidrigkeit entweder kannte oder doch hätte erkennen müssen.475 Der BGH stützt seine Ansicht auf einen Vergleich mit der Situation der schuldhaften Verwendung unwirksamer AGB, in der der Verwender dem anderen Teil auf Schadensersatz haftet.476 Genau dieser Umstand spricht aber dafür, dass in den Fällen des wucherähnlichen Rechtsgeschäftes regelmäßig keine Haftung aus c. i. c. in Betracht kommt, da der Vertragsinhalt gewöhnlich nicht wie bei der Verwendung unwirksamer AGB einseitig von der begünstigten Partei vorgegeben wird. Das 472 BGH NJW 1987, 639; NJW 1996, 1204; explizit zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft: OLG Hamm NJW‑RR 2002, 128, 129. 473 BGH NJW 1987, 639, 640. 474 So in BGH NW 1987, 639, 640. 475 BGH NJW 1987, 639, 640. 476 BGH NJW 1987, 639, 640.
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bedeutet, dass allein in der Geltendmachung von Ansprüchen aus einem Vertrag, der nach den Grundsätzen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nichtig ist, keine Haftung aus c. i. c. folgen kann. Anderes kann wiederum dann gelten, wenn die begünstigte Partei um die Unwirksamkeit des Vertrags weiß. So hat das OLG Hamm einen Anpruch des Benachteiligten aus culpa in contrahendo gegen den Begünstigten angenommen, weil dieser wusste, dass der Preis sittenwidrig überhöht war.477 Allerdings bejahte das OLG Hamm daneben auch einen Anspruch wegen sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB, da die sittenwidrige Überteuerung und die beim Benachteiligten neben dem unausgeglichenen Vertrag eingetretenen Schäden vom Vorsatz des Begünstigten mitumfasst gewesen seien. In solch einem Fall ist tatsächlich am Vorliegen der Voraussetzungen der c. i. c. nicht zu zweifeln. Das subjektive Element wird häufig aber gar nicht vorliegen oder der erforderliche Nachweis nicht gelingen, sodass entsprechende Ansprüche regelmäßig nicht gegeben sind bzw. nicht durchsetzbar sind.
II. Rechtsfolgen der culpa in contrahendo Sofern die Voraussetzungen der Haftung aus culpa in contrahendo vorliegen, richten sich die Rechtsfolgen nach den §§ 249 ff. BGB.478 Das bedeutet, der Bevorteilte schuldet primär Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB. Danach ist der Gläubiger so zu stellen, wie er zum jetzigen Zeitpunkt ohne die Pflichtverletzung des Schuldners stünde.479 Häufig finden sich in der Rechtsprechung und Literatur Formulierungen, dass bei der Haftung aus c. i. c. grundsätzlich nur das negative Interesse ersetzt werde,480 der Geschädigte also nur den Vertrauensschaden ersetzt verlangen kann. Dieser wird anders als etwa bei §§ 122 Abs. 2, 179 Abs. 2 BGB allerdings nicht durch das Erfüllungsinteresse begrenzt.481 Praktisch bedeutet dies, dass der Geschädigte so zu stellen ist, als hätte er nicht auf die Korrektheit der erteilten Auskunft beziehungsweise auf seine mangels Aufklärung unrichtige Vorstellung von der Wirklichkeit vertraut oder als wäre 477 478
OLG Hamm NJW‑RR 2002, 128. Eine ausführliche Analyse der Bestimmung der Rechtsfolgen bei einem Anspruch aus c. i. c. findet sich bei Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 66 ff. und insb. S. 76 ff. 479 BGH NJW‑RR 2015, 275, 277; NJW 2001, 2875, 2876 f.; NJW 1977, 1536, 1537; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., § 249 Rn. 2. 480 BGH NJW 2001, 2875, 2876 f.; NJW 1991, 1819, 1820; NJW 1977, 1536, 1537; BeckOK BGB/Lorenz, 53. Ed. 01.02.2020, § 280 Rn. 50; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 153; kritisch zur diesem Grundsatz Lorenz, der ein Regel-Ausnahme-Verhältnis – wohl zu Recht – für dogmatisch nicht begründbar hält, aber zugesteht, dass es rein tatsächlich in den meisten Fällen zu einem Ersatz des negativen Interesses kommen wird, vgl. Lorenz, NJW 1999, 1001; ebenso MüKoBGB/Emmerich, 8. Aufl., § 311 Rn. 201. 481 BGH NJW 2001, 2875, 2876; NJW 1977, 1536, 1537; NJW 1968, 547, 548; MüKoBGB/Emmerich, 8. Aufl., § 311 Rn. 201; BeckOGK/Herresthal, 01.08.2017, BGB § 311 Rn. 337; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 311 Rn. 54; Soergel/Harke, 13. Aufl., § 311 Rn. 113.
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seine Schwächelage nicht vom Wucherer ausgenutzt worden. Ausnahmsweise kann aber auch das positive Interesse ersetzt verlangt werden, das heißt der Schaden, der dadurch entsteht, dass das Geschäft nicht wie gewollt zustande kommt, wenn nämlich ohne die vorvertragliche Pflichtverletzung das Rechtsgeschäft mit dem angestrebten Inhalt zustande gekommen wäre.482 Auch wenn die Unterscheidung zwischen negativem und positivem Interesse als Beschreibung des sich in der Praxis tatsächlich meist einstellenden Ergebnisses sicher richtig ist, verhilft sie nicht wirklich zu mehr Klarheit, sondern versperrt im Gegenteil eher den Blick auf das tatsächliche Problem bei § 249 Abs. 1 BGB.483 Klarer wird es, wenn man sich auf die Prüfung des hypothetischen Kausalverlaufs konzentriert, wie es § 249 Abs. 1 BGB anordnet, und fragt, welcher Zustand ohne das zum Ersatz verpflichtende Ereignis eingetreten wäre, denn auf nichts anderes beziehen sich die Bezeichnungen vom positiven und negativen Interesse.484 Grundsätzlich sind ohne Pflichtverletzung drei verschiedene hypothetische Zustände denkbar: Entweder es wäre zu einem Vertrag mit angepasstem Inhalt gekommen oder es wäre überhaupt kein Vertrag zustande gekommen oder aber es wäre trotz Pflichtverletzung der Vertrag dennoch mit dem Inhalt geschlossen worden, wie es tatsächlich passiert ist. Das was gemeinhin mit dem Ersatz des positiven Interesses umschrieben wird, stellt dabei die erste Konstellation dar. Die Rechtsfolge der culpa in contrahendo kann also – wenn es zu einem wirksamen Vertragsschluss gekommen ist – sowohl in einer Vertragsanpassung als auch einer Vertragsaufhebung bestehen.
1. Vertragsauflösung Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch aus culpa in contrahendo vor, kommt für den Geschädigten ein schuldrechtlicher Anspruch auf Vertragsaufhebung aus § 249 Abs. 1 BGB in Betracht. Dogmatisch ist der Anspruch des Geschädigten aus § 249 Abs. 1 BGB auf die Abgabe der Willenserklärung zu einem Auflösungsvertrag gerichtet. Vor dem Leistungsaustausch kann aus dem Anspruch auf Vertragsaufhebung zudem bereits ein Leistungsverweigerungsrecht hergeleitet werden.485
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BGH NJW 2006, 3139, 3141; NJW 1991, 1819, 1820. wird zu Recht hingewiesen von: Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 68 f.; Lorenz, NJW 1999, 1001, 1001; BeckOGK/Herresthal, 01.08.2017, BGB § 311 Rn. 335. 484 So zu Recht: Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 68 f. 485 BGH NJW 1979, 1983, 1983; Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 19; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 311 Rn. 56; Soergel/Harke, 13. Aufl., § 311 Rn. 114; Erman/Kindl, 15. Aufl., § 311 Rn. 29. 483 Darauf
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a) Problematik der haftungsausfüllenden Kausalität Voraussetzung dafür ist, dass es ohne die vorvertragliche Pflichtverletzung und bei ordnungsgemäßer Erfüllung der vorvertraglichen Pflicht nicht zum Vertragsschluss in dieser Form gekommen wäre. Im Zentrum steht also die Frage nach der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen pflichtwidrigen Verhalten und Schaden. Da solche hypothetischen Sachverhalte, gerade wenn es wie hier darum geht, dass eine Person etwas nicht getan hätte, schwer zu beweisen sind, verlagert sich die Problematik regelmäßig auf die Ebene der Beweislast.486 Die Beweislast der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden trifft nach allgemeinen Grundsätzen denjenigen, der Ansprüche aus c. i. c. herleiten möchte,487 also hier den Käufer als Gläubiger. Da ein Vertrag zweier übereinstimmender Willenserklärungen bedarf, muss der Käufer beweisen, dass bei ordnungsgemäßer Aufklärung entweder er selbst oder der Schädiger den Vertrag nicht geschlossen hätte. Letzteres nachzuweisen, wird ihm häufig nicht gelingen. Es dürfte dem Gläubiger allerdings ebenfalls schwer fallen, zu beweisen, dass er selbst ohne Pflichtverletzung den Vertrag nicht in der jetzigen Form geschlossen hätte, auch wenn diese Annahme natürlich häufig plausibel ist. Der Schädiger jedenfalls wird oft versuchen, sich mit dem Vortrag zu verteidigen, der Gläubiger hätte auch bei korrekter Aufklärung nicht anders gehandelt und ein Vertrag wäre zu den gleichen Konditionen zustande gekommen.488 Was dann den vom Gläubiger zu erbringenden Nachweis angeht, dass er sehr wohl vom Vertrag Abstand genommen hätte, hat die Rechtsprechung Erleichterungen für den Anspruchsteller geschaffen.489
b) Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens Die Rechtsprechung vermutet in Fällen von Informationspflichtverletzungen, dass sich der Gläubiger aufklärungsgemäß verhalten, nämlich vom Vertragsschluss in der konkreten Form Abstand genommen hätte, weil dies eine vernünftige Person im Falle der ordnungsgemäßen Aufklärung tun würde.490 Dafür 486 487
Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 76. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 115 II. 1. u. 2.; MüKoBGB/Emmerich, 8. Aufl., § 311 Rn. 206 f.; BeckOGK/Herresthal, 01.08.2017, BGB § 311 Rn. 453; Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 73; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., Vorb. v. § 249 Rn. 128. 488 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 76; Wolf, NJW 1994, 24, 26. 489 Eine ausführliche Darstellung und Analyse der im Folgenden kurz zusammengefassten Rechtsprechung findet sich bei Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 76 ff. 490 St. Rspr., vgl. etwa BGH NZM 2017, 483, 484; NZM 2014, 840, 840; NJW‑RR 2011, 1139, 1140; NJW 1993, 257, 258; NJW 1992, 2146, 2147; NJW 1991, 694, 695; NJW 1983, 1665, 1666.
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hat sich der Begriff der „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“ eingebürgert.491 Der BGH begründet sein Vorgehen mit dem Schutzzweck der Aufklärungspflicht.492 Diese diene auch dazu, den Aufklärungsberechtigten vor der Beweisnot zu bewahren, in die er geriete, wenn er sich ohne die gebotene Aufklärung zu einer ihm selbst ungünstigen Vorgehensweise entschließe.493 Da das hypothetische Verhalten des Berechtigten praktisch nie zur Gänze beweisbar sei, hätte ohne eine solche Beweiserleichterung der Aufklärungspflichtige bei Verletzung seiner Aufklärungspflicht wenig zu befürchten. Deshalb müsse der Aufklärungspflichtige das Risiko der Unaufklärbarkeit des Ursachenzusammenhangs tragen, wenn es um die Frage gehe, wie der andere Teil bei ordnungsgemäßer Aufklärung gehandelt hätte. Dabei ist bis heute die genaue rechtliche Einordnung der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens nicht endgültig geklärt und unterscheidet sich teils auch zwischen den einzelnen Senaten des BGH.494 Teilweise wird davon ausgegangen, dass es sich um eine widerlegliche Vermutung handelt, mit der Folge einer echten Beweislastumkehr.495 Der Schuldner und nicht der Gläubiger muss also beweisen, dass der Gläubiger auch bei richtiger Aufklärung nicht anders gehandelt hätte als er es tatsächlich getan hat.496 Andere gehen von einer tatsächlichen Vermutung aus.497 Teilweise wird auch nur von einer bloßen Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises ausgegangen.498 Zur Widerlegung ist dann nicht der volle Gegenbeweis notwendig. Es genügt bereits, dass die Gegenpartei Tatsachen nachweist, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs ergibt.499 Nicht erforderlich ist mittlerweile grundsätz491 Vgl. nur BGH NJW 2017, 2403, 2405; MüKoBGB/Emmerich, 8. Aufl., § 311 Rn. 208; BeckOGK/Herresthal, 01.08.2017, BGB § 311 Rn. 455; Soergel/Harke, 13. Aufl., § 311 Rn. 106; Lorenz, NJW 1999, 1001, 1001. 492 BGH NJW 1994, 512, 514; NJW 1993, 3259, 3259; NJW 1984, 658, 659; NJW 1975, 824, 825; NJW 1973, 1688, 1688 f.; zustimmend: Schwab, NJW 2012, 3274, 3275; Lorenz, NJW 1999, 1001, 1001. 493 St. Rspr., vgl. jeweils m. w. N.: BGH NJW 1993, 3259, 3259; NJW‑RR 1989, 1102, 1103; NJW 1989, 2320, 2321; NJW 1988, 200, 203; NJW 1975, 824, 825; NJW 1973, 1688, 1688 f. 494 Vgl. zur Frage nach der rechtlichen Qualifikation der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens: Medicus in: FS Picker, 619, 620 ff. 495 Diese Auffassung vertritt insbesondere der elfte Zivilsenat des BGH, vgl. NZM 2014, 840, 840; NJW 2012, 2427, 2429; NJW 2011, 3227, 3229; vgl. aber auch BGH NJW 2013, 3442, 3444 (siebter Senat). Offen gelassen jüngst vom fünften Senat: BGH NZG 2017, 542, 544. 496 BGH NJW 1998, 302, 303; NJW 1978, 41, 42; NJW 1973, 1688. 497 So insb. der zweite Zivilsenat, vgl. BGH NZG 2014, 432, 433; NJW 2010, 3292, 3294; NJW‑RR 2009, 689, 690; vgl. ebenfalls BGH NJW 2012, 3647, 3653 (IV. Senat). 498 Vgl. etwa BGH NJW 2012, 2435, 2439 Rn. 36; NJW‑RR 2008, 1235, 1236. 499 BGH NJW 2004, 3623, 3624; NJW 1991, 230, 231; NJW 1978, 2032, 2033; NJW 1953, 584, 584; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 113 III. 4.; Medicus in: FS Picker, 619, 621.
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lich, dass der Geschädigte im Falle der ordnungsgemäßen Aufklärung nur eine Handlungsalternative besitzt.500 Unabhängig von der genauen Einordnung wird es dem Verkäufer jeweils sehr schwer fallen, den Gegenbeweis zu erbringen oder die Vermutung zu erschüttern, dass der Käufer den Vertrag bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht mit gleichem für ihn nachteiligen Inhalt geschlossen hätte. In dieser Form ist die Beweiserleichterung für den Käufer in der Literatur grundsätzlich auf Zustimmung gestoßen.501 Wenn dem Geschädigten (regelmäßig mittels der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens) der Nachweis gelingt, dass er selbst nicht kontrahiert hätte, fehlt es an der für den Vertrag nötigen Übereinstimmung zweier Willenserklärungen. Dann kommt es auf das hypothetische Verhalten des Schädigers beim Anspruchsziel der Vertragsauflösung nicht an.
c) Rechtsfolgen Nach erfolgter Vertragsaufhebung richtet sich die konkrete Rückabwicklung nach der condictio ob causam finitam gemäß § 812 Abs. 1 S. 2 Var. 1 BGB, denn der Rechtsgrund für die ausgetauschten Leistungen ist durch die Vertragsaufhebung nachträglich weggefallen.502 Dabei stellen sich bei der Rückabwicklung grundsätzlich dieselben Probleme, wie bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung im Falle von § 138 BGB oder in Fällen der Anfechtung. Eine etwaige verschärfte Haftung des Schädigers wird dabei keine große Rolle spielen, da sie sich nur dann besonders auswirkt, wenn der Käufer verschärft haftet, da diesem dann insbesondere Ansprüche auf Verwendungs- und Aufwendungsersatz nicht zustehen. Die Fälle von Aufklärungspflichtverletzungen betreffen aber zum einen in der Regel die Verkäuferseite als Schädiger, der auf die Herausgabe des Kaufpreises haftet. Hier kann die verschärfte Haftung nur dazu führen, dass dieser sich selbst im Falle von Luxusaufwendungen nicht mehr auf Entreicherung berufen kann. Zum anderen begründet allein eine fahrlässige Verletzung keine verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB. Erfolgt die Aufklärungspflichtverletzung hingegen vorsätzlich, ist es für den Getäuschten bes500 So insb. länger schon der zweite Zivilsenat, vgl. BGH NZG 2014, 432, 433; NJW 2010, 2506, 2507; NJW‑RR 2009, 689, 690; NJW‑RR 2006, 685, 688; mittlerweile nun auch der elfte Zivilsenat, vgl. NJW 2012, 2427, 2430, der damit ausdrücklich seine bis dahin gegenteilige Auffassung aufgibt, vgl. u. a. noch BGH NJW 2011, 3227, 3229; NJW 2002, 2703, 2705; ebenso nun der fünfte Senat: BGH NZG 2017, 542, 544. Positiv bzgl. der Rechtsprechungsänderung: Schwab, NJW 2012, 3274, 3276. Anders noch der neunte Zivilsenat, vgl. BGH NJW 2012, 2435, 2439; NJW‑RR 2006, 923, 925. 501 Vgl. etwa Canaris, ZGR 1982, 395, 420 f.; Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 81 f.; Schwab, NJW 2012, 3274, 3275; Lorenz, NJW 1999, 1001, 1001; Mertens, ZGS 2004, 67, 68; Grigoleit, NJW 1999, 900, 903. 502 So auch: Kersting, JZ 2008, 714, 718.
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ser, sich auf die Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB zu berufen, sofern er die Vertragsaufhebung begehrt.
2. Vertragsanpassung a) „Echte“ Vertragsanpassung Häufig wird die Rückabwicklung des Vertrags aber gar nicht dem Interesse der geschädigten Partei entsprechen, da sie den Gegenstand auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erworben hätte, nur zu anderen, für sie günstigeren Konditionen. Dann ist ihr Interesse nicht auf die Rückabwicklung, sondern die Anpassung des Vertrags gerichtet. Voraussetzung für die Vertragsanpassung als Rechtsfolge ist, dass ohne Pflichtverletzung der Vertrag mit dem entsprechenden, das heißt angepassten, Inhalt geschlossen worden wäre. Der Geschädigte muss also zum einen beweisen, dass er selbst zu den angepassten, für ihn günstigeren, Bedingungen kontrahiert hätte und vor allem, dass dies auch der Schädiger getan hätte. Diesen Beweis wird der Gläubiger praktisch kaum führen können.503 Gelingt ihm dies allerdings ausnahmsweise, so steht ihm ein Anspruch aus § 249 Abs. 1 BGB auf Abschluss eines Änderungsvertrags zu. Sofern der geänderte Vertrag dazu führt, dass die Leistungsverpflichtung des Geschädigten herabgesetzt wird, kann er den zu viel bezahlten Betrag nach § 812 Abs. 1 S. 2 Var. 1 BGB herausverlangen, im umgekehrten Fall ergibt sich der Anspruch unmittelbar aus dem geänderten Vertrag selbst. Die Problematik besteht für den Geschädigten darin, zu beweisen, dass der Verkäufer den Vertrag ebenfalls zu den niedrigeren Konditionen abgeschlossen hätte, denn den Anspruchsgegner trifft im Allgemeinen keine Pflicht zum Abschluss des Vertrags504. Beim Umstand, wie der Schädiger sich verhalten hätte, handelt es sich zudem um eine innere Tatsache und deren Beweis wird allenfalls in Ausnahmefällen gelingen.505 Zusätzlich ist zu beachten, dass es sich bei der Frage der Anpassung – jedenfalls bei Äquivalenzstörungen – nicht um eine reine Entweder-Oder-Konstellation handelt (es also nur zwei Alternativen gibt), sondern unzählige Varianten als mögliches Ergebnis einer Anpassung in Betracht kommen.506 Das heißt, es genügt nicht bloß, dass der Geschädigte 503 Ebenso: Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 77; Lorenz, NJW 1999, 1001, 1002; MüKoBGB/Emmerich, 8. Aufl., § 311 Rn. 207. So auch der BGH selbst, vgl.: NJW 1977, 1536, 1537. 504 BGH NJW 2006, 3139, 3141; NJW 1998, 2900, 2901. 505 So auch Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 86; Kersting, JZ 2008, 714, 716, der aber auch betont, dass es durchaus Fälle geben kann, in denen dieser Nachweis gelingt. 506 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 87 f.; ähnlich auch Canaris, ZGR 1982, 395, 421: „Der Verkäufer [ist] in seiner Entscheidung über den Abschluss des Kaufvertrags und dessen Inhalt grundsätzlich frei.“
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nachweisen kann, dass er selbst auch zu irgendwelchen günstigeren Bedingungen den Vertrag abgeschlossen hätte, wenn er nicht beweisen kann zu welchen genau. Will er aber die Anpassung des Vertrags verlangen, muss er sich auf einen konkreten Inhalt eines hypothetischen Vertrags festlegen und dessen Zustandekommen dann für den Fall einer korrekten Aufklärung beweisen.507 Anders als beim Nachweis für sein eigenes hypothetisches Verhalten hilft die Rechtsprechung dem Geschädigten, was den Nachweis des Verhaltens des Schädigers angeht, nicht mit einer Beweiserleichterung. Hintergrund ist, dass sich anders als beim hypothetischen Verhalten des Geschädigten für das des Schädigers kein Verhalten als typisch bezeichnen lässt, insbesondere nicht, dass dieser zu niedrigeren Konditionen kontrahiert hätte, denn es könnte genauso gut sein, dass er dann den Vertrag überhaupt nicht geschlossen hätte.508 Da in der Regel der Anspruchsteller diesen Beweis nicht führen kann, hat er damit keinen Anspruch auf eine Anpassung des Vertrags beziehungsweise kann diesen nicht durchsetzen. Wenn sich aber feststellen lässt, dass der Vertrag ohne Täuschung zu für den Geschädigten günstigeren Konditionen zustandegekommen wäre, besteht ein Anspruch auf Vertragsanpassung.509
b) „Praktische“ Vertragsanpassung Weil der positive Nachweis, dass ohne die Pflichtverletzung der Schädiger zu günstigeren Bedingungen kontrahiert hätte, dem Geschädigten selten gelingen wird, hat die Rechtsprechung für diesen noch eine dritte Möglichkeit geschaffen, seinen Schaden geltend zu machen. So kann der Geschädigte am für ihn ungünstigen Vertrag festhalten und daneben zusätzlich seinen ihm verbleibenden Schaden ersetzt verlangen. Für diesen hat sich der Begriff des Restvertrauensschadens eingebürgert.510 Der zu ersetzende Schaden besteht dabei nach der Rechtsprechung in der Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem tatsächlichen Wert der Leistung.511 Der Geschädigte kann wählen, ob er dem Vertrag auflösen lassen will oder den Differenzschaden ersetzt haben möch507
Praktisch wird dies wiederum regelmäßig der Marktpreis sein. Denn es bildet die plausibelste Annahme, dass zu diesem kontrahiert wird. Dass der Schädiger dies auch getan hätte, muss dann freilich vom Geschädigten bewiesen werden. 508 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 87 f. 509 BGH NJW 1998, 2900, 2901; zustimmend: Lorenz, NJW 1999, 1001, 1001; ebenso i. E. BGH NJW 1989, 3095, 3096, der jedoch offenlässt, ob es zu einer tatsächlichen Änderung des Vertrags selbst kommt oder der Schadensersatz darauf gerichtet ist, die Leistung zu erbringen, die aus einem geänderten Vertrag resultieren würde, ohne dass es rechtlich zu einer Änderung des Vertrags kommt. 510 Vgl. etwa BGH NJW 2006, 3139, 3141; aus der Literatur: Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 311 Rn. 55; MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl., § 280 Rn. 129; Kersting, JZ 2008, 714, 716 ff.; Erman/ Kindl, 15. Aufl., § 311 Rn. 80; Soergel/Harke, 13. Aufl., § 311 Rn. 115. 511 St. Rspr., vgl. etwa: BGH NJW 2006, 3139, 3141; NJW 2001, 2875, 2877; NJW 1993, 1323, 1325; NJW 1990, 1659, 1661; NJW 1977, 1536, 1538.
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te.512 Die Wahl des Differenzschadens kommt in den meisten Fällen im Ergebnis einer Vertragsanpassung wirtschaftlich gleich.513
aa) Dogmatische Begründung Auch für den Ersatz des Restvertrauensschadens wäre es, wie soeben beschrieben, eigentlich nötig, dass der Anspruchsteller beweist, dass er ohne die Pflichtverletzung zu einem niedrigeren Preis kontrahiert hätte und auch der Schuldner dies getan und nicht vom Vertrag Abstand genommen hätte. Anderenfalls würde der Schaden nämlich nicht kausal auf der Pflichtverletzung des Verkäufers beruhen. Was den Nachweis angeht, selbst zu günstigeren Bedingungen kontrahiert zu haben, kann der Anspruchsteller wiederum die von der Rechtsprechung geschaffene Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens in Anspruch nehmen.514 Allerdings ist auch für die Geltendmachung dieses Differenzschadens nach § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich der Nachweis erforderlich, dass der andere Teil überhaupt zu dem niedrigeren Preis kontrahiert hätte. Es stellt sich also das gleiche Problem wie bei der Geltendmachung der „echten“ Vertragsanpassung. Will der Geschädigte aber nur den Differenzschaden verlangen, hilft die Rechtsprechung ihm erneut, indem sie ihn von der Notwendigkeit des Beweises befreit, dass der Schädiger den Vertrag ebenfalls zu niedrigeren Konditionen abgeschlossen hätte.515 Der hypothetische Kausalverlauf fällt damit als Anspruchsvoraussetzung teilweise weg, weil die Tatsache, ob der Verkäufer sich zu den angepassten Bedingungen auf den Vertrag eingelassen hätte, keine Rolle spielt. So führt der BGH aus, dass „wenn der Geschädigte […] an dem Vertrag festhalten will, obwohl dieser infolge der Pflichtverletzung zu für ihn ungünstigen Bedingungen zu Stande gekommen ist, so ist er so zu behandeln, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Preis abzuschließen“516.
Der BGH sagt ausdrücklich, es komme bei der Geltendmachung des Differenzschadens „nicht auf den – hypothetischen und ohnehin kaum zu führenden – Nachweis an, ob auch der andere Teil sich damals mit einem Vertragsschluss zu diesen Bedingungen einverstanden erklärt hätte“.517 512 St. Rspr., vgl.: BGH NJW‑RR 2009, 603, 604; NJW 2004, 1868, 1870; NJW 1993, 1323, 1325; NJW 1990, 1659, 1661; NJW‑RR 1990, 599, 600; NJW 1980, 2408, 2409 f.; krit. dazu: Lieb in: FS Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 251, 269 f. 513 Ebenso: Soergel/Harke, 13. Aufl., § 311 Rn. 115. 514 BGH NJW 2017, 2403, 2405; NJW 1991, 1819, 1820. 515 BGH NJW 1977, 1536, 1538; NJW 1980, 2408, 2409 f.; NJW‑RR 1989, 150, 151; NJW 1991, 1819, 1820; NJW 1993, 1323, 1325; NJW 2001, 2875, 2877; NJW 2006, 3139, 3141; NJW 2012, 846, 847. 516 BGH NJW 2001, 2875, 2876 f.; NJW 2001, 2875, 2876 f.; NJW 1977, 1536, 1538. 517 BGH NJW 1977, 1536, 1538; NJW 1991, 1819, 1820; NJW 1989, 1793, 1794; in der Sache gleich, nur mit anderen Worten: BGH NJW 2006, 3139, 3141; NJW 2001, 2875, 2877.
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Es handelt sich dabei letztlich um eine Fiktion.518 Dem Schädiger steht lediglich die Möglichkeit offen, zu beweisen, dass der Käufer auch ohne Pflichtverletzung zu denselben Bedingungen kontrahiert hätte. Weil auch dies eine innere Tatsache darstellt, wird ihm dies regelmäßig nicht gelingen. Es reicht dagegen nicht aus, dass der Schädiger beweist, dass der Geschädigte ohne Pflichtverletzung ganz vom Vertrag Abstand genommen hätte. Nach der Rechtsprechung kann der Geschädigte diesen Schaden nämlich auch dann verlangen, wenn feststeht, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung vom Vertragsschluss ganz Abstand genommen hätte.519
bb) Das Ergebnis Bei der soeben geschilderten Rechtsprechung handelt es sich nicht um einen echten Anspruch auf Vertragsanpassung in dem Sinn, dass dem Geschädigten ein Anspruch auf Zustimmung zum Vertrag mit geänderten Konditionen zusteht. Der ungünstige Vertrag bleibt für den Geschädigten weiter bestehen, der Anspruch aus c. i. c. tritt daneben und richtet sich lediglich auf die Zahlung eines Geldbetrags als Ausgleich. Dessen Höhe richtet sich danach, inwieweit die eigene Leistung des Geschädigten wegen der vorvertraglichen Pflichtverletzung zu hoch erbracht wurde. Laut BGH handelt es sich dabei immer noch um einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens und zwar des Vertrauens „auf die berechtigten Erwartungen des Geschädigten, die durch den zustande gekommenen Vertrag nicht befriedigt werden“520. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich wirtschaftlich betrachtet sehr wohl um einen Fall der Vertragsanpassung handelt. Daher kommt diese Lösung der Rechtsprechung de facto einem Anpassungsrecht des Geschädigten sehr nahe. Für den Bezugspunkt zur Bestimmung der zu ersetzenden Differenz stellt der BGH in der Regel auf den wahren Wert der Leistung des Schädigers ab,521 sodass bei dieser Variante gewöhnlich die volle Äquivalenz wieder hergestellt wird.522 518 Zu
S. 93.
519 520
Recht: Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo,
BGH NJW 1977, 1536, 1537. BGH BeckRS 2010, 17953 Rn. 8; NJW 2006, 3139, 3141. 521 BGH NJW 1977, 1536, 1538; NJW 2001, 2875, 2877; NJW 2017, 2403, 2405; zustimmend: Medicus in: FS Lange, 539, 557 f.; Mertens, ZGS 2004, 67, 70; Tiedtke, JZ 1989, 569, 571. 522 Auf eine weitere Variante, zum Ersatz dieses Schadens zu gelangen, weist Gebhardt hin: Es könnte zwar sein, dass sich nicht Käufer und Verkäufer über einen anderen Preis geeinigt hätten, aber dass der Käufer stattdessen das Geschäft zu den von ihm gewünschten Konditionen mit einem Dritten abgeschlossen hätte. Wenn ihm dieser Nachweis gelingt, kann er so die Differenz der beiden Kaufpreise als Schadensersatz ersetzt verlangen, vgl. Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 72. Dies funktioniert freilich nur, wie auch Gebhardt zugibt, bei Gütern, für die ein größerer Markt besteht, i. d. R. also bei vertretbaren Sachen. Ebenso Basedow, NJW 1982, 1030, 1030.
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Das Ergebnis ist freilich nicht stets deckungsgleich mit dem einer „echten“ Vertragsanpassung, denn es erfolgt nur ein Ausgleich in Geld. Das heißt, es kommt im Ergebnis praktisch zu einer Reduktion der Leistungsverpflichtung des Geschädigten, der Kaufpreiszahlung. Anders als durch eine „echte“ Anpassung des Vertrags kann hier keine Änderung des Inhalts der Leistungspflicht des Schädigers verlangt werden. Sofern der Käufer dies begehrt, bleibt ihm nur die Möglichkeit, nachzuweisen, dass der Verkäufer einem entsprechenden Vertrag zugestimmt hätte.
cc) Reaktionen in der Literatur Die zuletzt dargestellte Rechtsprechung des BGH zum Ersatz des Restvertrauensschadens trifft in der Literatur oft auf Ablehnung und Kritik.523 Der Verzicht auf den Nachweis, dass auch der Schädiger zu den niedrigeren Bedingungen kontrahiert hätte, wird als unzulässiger Eingriff in dessen Privatautonomie gewertet.524 Die vorvertragliche Pflichtverletzung führe so nämlich zu einem Ergebnis, das, auch wenn formal der Vertrag nicht verändert wird, doch regelmäßig dem eines vom Schädiger nicht gewollten Vertrags entspricht.525 Vor allem wird bemängelt, dass der BGH seine Vorgehensweise quasi nicht begründet.526 Einziger Grund, den der BGH für seine Methode nennt, ist, dass es auf den Nachweis für das Verhalten des Schuldners nicht ankomme, weil sonst der Schaden nicht sinnvoll erfassbar sei.527 Doch erfährt die Rechtsprechung des BGH auch Zustimmung.528 So hat etwa Canaris seine Kritik529 gegenüber dem BGH weitgehend aufgegeben und stützt nun dessen Ergebnis.530 Eine Zustimmung für das Ergebnis des BGH ist dabei nicht unbedingt selten, wird das Ergebnis doch meist als interessengerecht anerkannt. Jedoch wird dazu teilweise eine etwas abweichende dogmatische Be523 Vgl. etwa Lorenz, NJW 1999, 1001, 1002; Kersting, JZ 2008, 714, 716 ff., der zwar anerkennt, dass das Ergebnis praktischen Bedürfnissen Rechnung trägt (S. 716), dieses aber juristisch nicht zu rechtfertigen sei; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 181 ff.; BeckOGK/Herresthal, 01.08.2017, BGB § 311 Rn. 345; Soergel/Harke, 13. Aufl., § 311 Rn. 115; NK‑BGB/Krebs, 3. Aufl., § 311 Rn. 86; Mertens, ZGS 2004, 67, 69 ff. 524 BeckOGK/Herresthal, 01.01.2018, BGB § 311 Rn. 345; Kersting, JZ 2008, 714, 717; NK‑BGB/Krebs, 3. Aufl., § 311 Rn. 86; so auch noch Canaris, ZGR 1982, 395, 421, der mittlerweile seine Position geändert hat, vgl. dazu sogleich. 525 BeckOGK/Herresthal, 01.01.2018, BGB § 311 Rn. 345. 526 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 94; Canaris, ZGR 1982, 395, 421. 527 BGH NJW 1977, 1536, 1538. 528 Die Zustimmung erfolgt in der Regel deshalb, weil das Ergebnis als interessengerecht anerkannt wird, vgl. etwa Tiedtke, JZ 1989, 569, 570; Paefgen, Haftung für mangelhafte Aufklärung, S. 73 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 315 ff.; Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 97 ff.; Hiddemann, ZGR 1982, 435, 449. 529 So noch Canaris, ZGR 1982, 395, 420 ff. 530 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 315.
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gründung vorgeschlagen.531 Danach soll die Grundlage für den zu ersetzenden Differenzbetrag nicht § 249 Abs. 1 BGB sein, sondern § 251 Abs. 1 BGB.532 Da die Rückgängigmachung des Vertrags (als Naturalrestitution) in vielen Fällen zur Entschädigung nicht genügend oder unzumutbar sei, könne der Gläubiger den Differenzbetrag aus § 251 Abs. 1 BGB herausverlangen.533 Diese Lösung hat den Vorteil, dass sie sich nicht der an den BGH gerichteten Kritik aussetzt, das Kausalitätserfordernis außer Acht zu lassen. Sie hilft dem Gläubiger allerdings dann nicht weiter, wenn eine Rückabwicklung für ihn nicht unzumutbar ist, er aber dennoch gern am Vertrag festhalten möchte.534
3. Zwischenergebnis Die Rechtsfolgen der culpa in contrahendo sind äußerst flexibel ausgestaltet und aus Sicht des Geschädigten insgesamt sehr attraktiv. Nicht nur ist der Vertrag zunächst wirksam, sodass der Geschädigte sowohl einen Anspruch auf die Leistung besitzt als auch auf Gewährleistung. Auch liegt das künftige Schicksal des Vertrags in seinen Händen. Ihm obliegt es, ob der Vertrag rückabgewickelt oder angepasst wird. Dass es zu einer echten Anpassung des Vertrags kommt, wird praktisch aber die Ausnahme bleiben, denn der hierfür notwendige Beweis ist für den Geschädigten schwer zu führen. Dann bleiben ihm aber immer noch die Möglichkeiten der vollständigen Rückabwicklung des Geschäfts und des Ersatzes der – vom BGH Restvertrauensschaden genannten – Differenz zwischen zu viel bezahltem Preis und tatsächlichem Wert der Kaufsache. Da der Geschädigte regelmäßig der Käufer ist, führt der Weg über den Differenzschaden wirtschaftlich zum gleichen Ergebnis wie eine echte Vertragsanpassung. Hat der Geschädigte allerdings ein Interesse daran, dass der Schädiger seine Vertragsleistung anpasst, kann er dies nur durch die echte Vertragsanpassung erreichen. Was den dann erforderlichen Nachweis angeht, muss man sehen, dass dafür nicht pauschal bestimmt werden kann, wie am Ende der angepasste Vertrag aussieht. Es lässt sich nicht sagen, dass das Ergebnis der Anpassung immer in einer tatsächlichen Ausgeglichenheit liegen wird. Es hängt vielmehr davon 531 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 315 ff.; Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 97 ff.; BeckOGK/Herresthal, 01.01.2018, BGB § 311 Rn. 346; Kersting, JZ 2008, 714, 719 f.; Medicus in: FS Lange, 539, 555; Mertens, ZGS 2004, 67, 70 f.; Kreutz, Hypothetische Verträge im Rahmen des Schadensausgleichs, S. 160 ff. u. 279 ff. 532 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 531. 533 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 315; Mertens, ZGS 2004, 67, 70 f.; dagegen Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 206; Soergel/Harke, 13. Aufl., § 311 Rn. 115 f., der zu einer – vom Ergebnis her gleichen Lösung – über § 324 BGB gelangen möchte, indem der Geschädigte i. R. v. § 324 BGB nur eine Teilaufhebung verlangt, die sich auf den überhöhten Preisanteil bezieht. 534 Dies erkennt freilich auch Canaris an, geht für diese Fälle aber – durchaus vertretbar – davon aus, dass dann kein Grund für die Ablehnung der Rückabwicklung besteht, Canaris, AcP 200 (2000), 273, 316; ebenso Mertens, ZGS 2004, 67, 70 ff.
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ab, was der Geschädigte im Einzelfall beweisen kann. So kann es durchaus sein, dass er zwar beweisen kann, dass im Falle der korrekten Aufklärung der andere Teil zu günstigeren Konditionen kontrahiert hätte,535 diese günstigeren Konditionen aber für ihn immer noch unvorteilhaft sind, weil der Vertrag immer noch unausgeglichen ist. Dann kann es für ihn von Vorteil sein, die Lösung zu wählen, bei der der Vertrag komplett rückabgewickelt wird oder aber den Restvertrauensschaden geltend zu machen, denn hier nimmt die Rechtsprechung zur Bestimmung der Differenz überwiegend den tatsächlichen Wert der Leistung als Bezugspunkt. Gerade wenn es dem Geschädigten nur um den Ersatz des zu viel bezahlten Betrages geht, wird er sich für die einfachere und seinen Bedürfnissen genügende letzte Variante entscheiden. Er wird sie zudem auch dann wählen, wenn er zwar lieber eine echte Anpassung oder die Rückabwicklung des Vertrags möchte, er aber in der Zwischenzeit so auf den Kaufgegenstand angewiesen ist, dass er ihn nicht mehr herausgeben kann, ohne schwere Nachteile zu erleiden. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn er ein Grundstück bebaut hat, eine bestehende Bebauung seinen Bedürfnissen angepasst hat oder er den erworbenen Gegenstand in seinen Betrieb integriert hat. Die Vertragsauflösung wird er dann wählen, wenn er den Vertrag bei ordnungsgemäßer Aufklärung von vornherein nicht geschlossen hätte oder nur zu gänzlich anderen Bedingungen, er aber nicht beweisen kann, dass auch der Schädiger dann noch den Vertrag geschlossen hätte und seinem Interesse nicht einfach durch den Ersatz von Geld Genüge getan wird.
4. Übertragung der Grundsätze auf die Fälle des § 138 BGB Nach der vorangegangenen Darstellung der Grundsätze der Vertragsanpassung und Vertragsauflösung bei der Haftung nach culpa in contrahendo stellt sich die Frage, inwiefern diese Rechtsfolgen in den Fällen von gemäß § 138 Abs. 2 BGB oder § 138 Abs. 1 BGB nichtigen Verträgen (parallele) Anwendung finden. Wie bereits festgestellt, begründet das Ausnutzen der schwächeren Partei eine vorvertragliche Pflichtverletzung und führt beim Wucher zu einer Haftung wegen culpa in contrahendo.536 In Ausnahmefällen kann eine Haftung aus c. i. c. auch beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft bestehen.537 Sofern dabei die Rechtsfolge der Vertragsanpassung gewählt werden soll, scheint dies insofern problematisch, als dass aufgrund von § 138 Abs. 2 BGB gar kein Vertrag besteht, der angepasst werden könnte. Jedoch kann man mit der Begründung für die Vertragsanpassung nach den §§ 249 ff. BGB sogar eine 535 Schon allein weil für die Haftung aus c. i. c. fahrlässige Verletzungen der Aufklärungspficht ausreichen und der Schädiger den anderen Teil häufig gar nicht benachteiligen will, ist dies möglich. Genauso wenn der Verkäufer den Gegenstand in jedem Fall verkaufen möchte. 536 Vgl. oben: I. 2. a) Wucher, § 138 Abs. 2 BGB, S. 142. 537 Vgl. oben: I. 2. b) Wucherähnliches Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB, S. 143 ff.
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Pflicht zum Neuabschluss des Vertrags mit angemessenen Inhalt herleiten. Für die Rechtsfolge aus § 249 Abs. 1 BGB kann es nämlich keine Rolle spielen, ob ein Vertrag besteht, der angepasst werden soll, oder der Vertrag infolge der Pflichtverletzung unwirksam ist. Entscheidend ist allein, welcher Zustand zum jetzigen Zeitpunkt ohne die Pflichtverletzung bestünde. Wenn dies ein Vertrag mit für den Bewucherten besseren Konditionen ist, besteht prinzipiell ein Anspruch auf Herstellung dieser Situation aus § 249 Abs. 1 BGB und damit auf einen Neuabschluss. Aufgrund von § 817 S. 2 BGB ist diese Möglichkeit für den Bewucherten aber nur vor dem Leistungsaustausch interessant, denn danach kann er die erhaltene Leistung behalten und die eigene Leistung vom Wucherer herausverlangen.538 Dies ist für ihn attraktiver als ein Neuabschluss des Vertrages. Anders ist dies beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft, da hier § 817 S. 2 BGB grundsätzlich nicht eingreift.539 Für die alternative Rechtsfolge der Vertragsauflösung fehlt schon das Bedürfnis, da gar kein Vertrag besteht, der aufgelöst werden könnte. Ebenso wenig kommt der dritten Möglichkeit, dem Festhalten am ungünstigen Vertrag und der Geltendmachung des Restvertrauensschadens, eine eigenständige Bedeutung zu, da kein Vertrag existiert, an dem festgehalten werden könnte.
§ 9 Probleme der deutschen Rechtslage Die grundsätzlichen Interessen der Beteiligten und der Allgemeinheit wurden im Verlauf dieser Arbeit bereits beschrieben.540 Nachdem soeben die verschiedenen rechtlichen Konsequenzen im Zusammenhang mit Äquivalenzstörungen im deutschen Recht dargestellt wurden, soll nun überprüft werden, inwiefern die konkreten Rechtsfolgen mit den Interessen der Beteiligten übereinstimmen. Damit wird gleichzeitig die Frage beantwortet, ob das deutsche Recht in diesem Punkt einer Korrektur bedarf, denn eine rechtliche Lösung, die der Interessenlage der Parteien entgegenläuft, sollte dringend überprüft und auf Alternativen untersucht werden. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Interessen des Benachteiligten, der ja gerade von der Äquivalenzstörung belastet wird und dessen Schutz im Vordergrund steht (stehen sollte). Im Anschluss daran wird auf die Interessen der bevorteilten Partei eingegangen, die im Gegensatz zu § 138 Abs. 2 BGB gerade in den Fällen des § 138 Abs. 1 BGB ebenfalls Beachtung verdienen. Schließlich wird ein näherer Blick auf die von der h. M. vorgetragene Begründung für die Rechtsfolge der zwingenden Totalnichtigkeit – die Prävention und das Verbot richterlicher Vertragsgestaltung – geworfen und die deutsche Lösung des Sachwuchers auf ihre Überzeugungskraft in systemati538 539
Vgl. oben: § 7 E. I. 3. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 70 f. Vgl. oben: § 7 E. II. 2. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 72. 540 Vgl. oben: § 6 Interessenlage, S. 33 ff.
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scher Hinsicht überprüft. Insofern wird auch auf die (unterschiedliche) Behandlung des Kredit-, Miet-, und Lohnwuchers eingegangen.541
A. Interessen der Beteiligten I. Interessen des benachteiligten Käufers 1. Interesse am Bestand des Leistungsaustauschs Es wurde herausgearbeitet, dass der übervorteilte Käufer zwar für die Sache nicht zu viel bezahlen will, diese aber gleichzeitig in der Regel behalten möchte.542 Zum einen, weil er durch den Vertragsschluss seinen Willen beziehungsweise sein Interesse, die Sache seinem Vermögen hinzuzufügen, eindeutig zum Ausdruck gebracht hat. Daran muss er sich grundsätzlich festhalten lassen.543 Zum anderen, weil in der Zwischenzeit ein Interesse am Behaltendürfen des Gegenstands entstanden sein kann, insbesondere durch auf diesen gemachte Verwendungen oder speziell bei Unternehmen durch eine schwer umkehrbare Verbindung mit dem übrigen Vermögen und die Integration in Betriebsabläufe.544 Besonders deutlich wird dies beim Wucher, weil hier der Bewucherte klassischerweise das wucherische Geschäft tätigt, um seine Zwangslage zu beenden.
a) Wucher, § 138 Abs. 2 BGB § 138 Abs. 2 BGB führt zur ipso iure-Nichtigkeit des (Kauf-)Vertrags und damit grundsätzlich zum Erlöschen der Leistungspflichten und nach Leistungsaustausch zur Rückabwicklung des Vertrags. Liegt tatsächlich ein Fall von § 138 Abs. 2 BGB vor beziehungsweise lässt sich dieser nachweisen, so muss der Bewucherte allerdings aufgrund von § 817 S. 2 BGB seine empfangene Leistung nicht herausgeben.545 Im Ergebnis wird damit sein Interesse am Bestand des Leistungsaustauschs geschützt. Er selbst kann hingegen seine Leistung herausverlangen, sodass er die Leistung des Wucherers im Ergebnis umsonst erhält. Allerdings verfolgt § 817 S. 2 BGB nicht dieses Ziel.546 Es soll damit nicht der Bewucherte oder allgemein der Vertragspartner und dessen Interesse am Behaltendürfen des Bereicherungsgegenstands geschützt werden. Grund für den Aus541 542
Vgl. unten: C. III. Unterschiedliche Behandlung verschiedener Wucherarten, S. 198 ff. Vgl. dazu die Interessenanalyse, oben: § 6 A. I. 1. Der Vertragsschluss als Indiz für das Behaltensinteresse, S. 34. 543 Ebenso: Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 399 u. 405; zu einer (Ausnahme-)Konstellation, in der dies anders ist, vgl. unten: § 13 D. II. 1. b) Zusätzliche Anfechtungsmöglichkeit, S. 340 f. 544 Vgl. dazu ausführlich oben: § 6 A I. 2. Investitionen in den Kaufgegenstand, S. 35 f. 545 Vgl. oben: § 7 E. I. 3. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 70 f. 546 Vgl. zur umstrittenen ratio von § 817 S. 2 BGB: MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 817 Rn. 10, m. w. N.
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schluss der Rückforderung ist allein das Verhalten des Wucherers als sittenwidrig Handelnder. Insofern dient § 817 S. 2 BGB als Mittel der Prävention, indem der Wucherer seine Leistung nicht zurückfordern kann und dadurch von vornherein vom Abschluss wucherischer Verträge abgehalten werden soll. Dass dadurch letztlich auch das Interesse des Bewucherten gewahrt wird, ist ein bloßer Reflex, nicht aber die Intention der Regelung. Anders ist die Situation vor dem Leistungsaustausch.547 Aufgrund der Nichtigkeit des Vertrags kann der Bewucherte seine Leistung nicht einklagen. Das Interesse am Erhalt der Leistung wird dann nicht geschützt. Für die Praxis muss man sehen, dass dieser Fall eine Ausnahme bleiben wird. Zum einen, weil der Wucherer ein Interesse an der Erfüllung des Vertrags hat, da er nur so für gewöhnlich die Gegenleistung erhält. Zum anderen, weil vor Gericht entsprechende Tatsachen vorgetragen werden müssten, damit das Gericht die Nichtigkeit annehmen kann und daran zunächst meist keine Partei ein Interesse hat.548 Dennoch erscheint es unbefriedigend, dass erst das Prozessrecht durch seine Eigenart den Schutz des Bewucherten ermöglicht und nicht schon das materielle Recht diesem Rechnung trägt.
b) Wucherähnliches Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB Anders ist es in Fällen von § 138 Abs. 1 BGB. Hier ist ebenfalls der Kaufvertrag nichtig und es kommt zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung. Dort greift aber § 817 S. 2 BGB nicht ein.549 Dies führt dazu, dass in diesen Fällen der Benachteiligte die erhaltene Leistung herausgeben muss und es somit zur vollständigen beiderseitigen Rückabwicklung kommt. Dass § 138 Abs. 1 BGB und nicht § 138 Abs. 2 BGB eingreift, kann verschiedene Ursachen haben. Aufgrund des sehr schwierigen Nachweises der subjektiven Voraussetzung von § 138 Abs. 2 BGB werden viele Wucherfälle in der Praxis nur von § 138 Abs. 1 BGB erfasst werden. Hinzu kommen Fälle, in denen keine der in § 138 Abs. 2 BGB genannten Schwächelagen vorliegt, die benachteiligte Partei aber aus einer ähnlichen Form von Bedrängnis den Vertrag schließt. Schließlich kommen solche Fälle in Betracht, in denen der Benachteiligte – ohne besondere Schwäche oder Not – schlicht den Wert des Kaufgegenstands falsch einschätzt. In all diesen Konstellationen wird das Interesse am Behaltendürfen nicht geschützt. Dabei unterscheidet sich die Bewertung dieses Ergebnisses, je nachdem, welche der genannten Konstellationen vorliegt.
547 Vgl.
zur Kritik daran unten: II. 1. § 817 S. 2 BGB beim Sachwucher nach § 138 Abs. 2 BGB, S. 195 ff. 548 Vgl. dazu oben: § 7 B. II. I. Tatbestand, S. 49 f. 549 Vgl. oben: § 7 E. II. 2. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 72.
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aa) Nicht beweisbare Wucherfälle und vergleichbare Konstellationen Am problematischsten ist die Situation der nicht beweisbaren Wucherfälle, wenn der Benachteiligte also das Geschäft abschließt, weil er den Gegenstand zur Überwindung seiner Notlage benötigt. In dieser Situation hilft ihm das geltende deutsche Recht nicht effektiv, denn bei der Geltendmachung des Missverhältnisses verliert er zwangsläufig den Kaufgegenstand, denn eine Möglichkeit zur Vertragsanpassung wird gemeinhin abgelehnt.550 Ähnlich verhält es sich in vergleichbaren, nicht in § 138 Abs. 2 BGB genannten Situationen, in denen die benachteiligte Partei den Gegenstand in einer Notsituation erwirbt. Dabei wird übersehen, dass die Nichtigkeit den Bewucherten manchmal stärker belasten kann als die Aufrechterhaltung des unausgeglichenen Vertrags551 und damit die Nichtigkeit mitnichten den optimalen Schutz des Benachteiligten garantiert, wie es gerade in Deutschland oft vertreten wird552. In diesem Zusammenhang wird häufig verkannt, dass Ausbeutung und freiwilliges Handeln parallel möglich sind, man sich also freiwillig ausbeuten lassen kann. So führt die Nichtigkeit keineswegs stets zur Befreiung von einem unliebsamen Vertrag. In einer Notsituation kann nämlich die Möglichkeit, ein schlechtes Geschäft abzuschließen, aus Sicht des Bewucherten dennoch sinnvoll sein, wenn es sich im Vergleich zu den sonstigen Handlungsalternativen als die (relativ) beste Handlungsoption erweist.553 Ein solches Geschäft kann dann sogar für beide Parteien, jeweils aus ihrer konkreten Situation betrachtet, vorteilhaft sein.554 In diesem Fall liegt es nicht im Interesse des Opfers, vom Vertrag befreit zu werden. Insofern stellt die zwingende Nichtigkeit sogar einen Eingriff in die Freiheit des Ausgebeuteten dar.555 Das bedeutet selbstverständlich nicht, das Verhalten des Ausbeuters in diesen Konstellationen in irgendeiner Weise gutzuheißen und dass kein Bedürfnis nach einem Schutz vor Ausbeutung besteht. Das geltende deutsche Recht kann diesen Schutz nur häufig nicht effektiv und sinnvoll gewährleisten, weil es den Benachteiligten kraft Gesetzes vom Vertrag löst. Dem lässt sich auch nicht entgegnen, dass sich dieser dann nicht auf die Nichtigkeit berufen müsse. Das ist zwar in diesen Situationen für ihn die sinnvollste Handlungsoption. Nur stellt dieser Einwand keine Lösung für sein eigentliches Problem dar. Wenn er auf die Geltendmachung der Äquivalenzstörung verzichtet, vermeidet er dadurch zwar 550 Anders ist dies trotz Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts beim Kreditwucher, vgl. dazu unten: C. III. 1. b) Kreditwucher, S. 199 ff. 551 Zu Recht ebenso: Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 42 N 156 f.; Gutmann, Zwang und Ausbeutung beim Vertragsschluss, 49, 55; in die Richtung auch: Ehrenzweig, II/1, S. 174. 552 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 616. 553 Gutmann, Zwang und Ausbeutung beim Vertragsschluss, 49, 55; ähnlich ebenfalls Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 141 f. 554 Gutmann, Zwang und Ausbeutung beim Vertragsschluss, 49, 55. 555 Gutmann, Zwang und Ausbeutung beim Vertragsschluss, 49, 55.
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die Verschlechterung seiner aktuellen Situation, gelangt aber auch nicht zu der angestrebten Verbesserung in Form der Behebung der Äquivalenzstörung. Das ist aber das Ziel, das das Gesetz selbst mit § 138 Abs. 2 und § 138 Abs. 1 BGB verfolgt, jedoch mit der zwingenden Rückabwicklung in diesen Fällen nicht effektiv verwirklichen kann. Insoweit hält das deutsche Recht keine angemessenen Rechtsfolgen parat. Zwar sieht das BGB in einigen Fällen eine Reduktion übermäßiger Leistungsverpflichtungen ausdrücklich vor, so z. B. in § 655. Auch die Rechtsprechung erreicht dies in Einzelfällen durch Auslegung, insbesondere beim Mietwucher.556 Ein allgemeines Prinzip, nach dem im Falle übermäßiger Leistungsverpflichtungen diese nur um ihr Übermaß gekürzt werden, existiert im deutschen Recht jedoch nicht. Der Benachteiligte kann sich lediglich auf die Nichtigkeit mit der Folge der vollständigen Rückabwicklung berufen oder mit dem ihn ausbeutenden Vertrag weiterleben. Der Umstand, dass der Benachteiligte den Gegenstand bei der Berufung auf die Äquivalenzstörung stets zurückgeben muss, kann ihn von der Geltendmachung seiner Rechte abschrecken, wenn er auf die gekaufte Sache angewiesen ist und er sie deshalb nicht verlieren will.557 Zumal man bedenken muss, dass es auch bei § 138 Abs. 1 BGB für den Benachteiligten nicht einfach ist, die Voraussetzungen nachzuweisen und ihn daher schon das Prozessrisiko von einer Klage abhalten kann. Genau diese Situation gilt es zu verhindern, insbesondere weil sie dem mit § 138 BGB verfolgten Ziel entgegenläuft, Ausbeutung zu verhindern.558 Selbst mit dem benachteiligenden Vertrag weiterleben kann der Benachteiligte dann nicht, wenn der Begünstigte sich im Nachhinein auf die Nichtigkeit beruft, weil die h. M. ihm dies fälschlicherweise gestattet.559 Hierzu muss freilich zugegeben werden, dass dies praktisch der Ausnahmefall sein dürfte, da der Begünstigte so die Vorteile aus dem Geschäft verliert. Verzichtet der Benachteiligte auf die Geltendmachung, bleibt er zwar im Besitz der Leistung, allerdings mit der Konsequenz, dass er diese für ein massiv erhöhtes Entgelt erlangt hat. Auch wenn er die Leistung behält, solange der andere Teil sich nicht auf die Nichtigkeit beruft, hat die Nichtigkeit auch hier noch weitere Nachteile für ihn. Denn sie hat zur Konsequenz, dass er keinerlei vertraglichen Rechte geltend 556
Vgl. dazu insbesondere unten: C. III. Unterschiedliche Behandlung verschiedener Wucherarten, S. 198 ff. 557 Diese Erkenntnis wird in der deutschen Rechtswissenschaft selten geteilt, vgl. aber Rühle, Das Wucherverbot, S. 64 f.; anders ist dies vor allem im Schweizer Recht, wo dies der allgemeinen Ansicht entspricht, vgl. u. a. Spiro, ZBJV 1952, 497, 520; Pichonnaz, ZEuP 1999, 140, 154; v. Tuhr/Peter, OR AT, S. 346 Fn. 14a; Mazzola, Verhältnis und Abgrenzung von Art. 20 und 21 OR, S. 104; Guhl/Koller, Obligationenrecht, § 7 Rn. 55. 558 Vgl. dazu unten: B. I. Die intendierte Präventionswirkung des § 138 BGB, S. 181 ff. 559 Vgl. dazu bereits oben: § 7 C. Berufung auf die Nichtigkeit, S. 55 ff.
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machen kann, insbesondere keine Gewährleistungsrechte.560 Treten daher an der Sache Mängel auf, muss er diese selbst auf eigene Kosten beseitigen lassen. Der bevorteilte Verkäufer haftet dafür nicht und steht damit sogar besser als bei der Wirksamkeit des Vertrags.561 Dies stellt einen weiteren nicht unerheblichen Nachteil der deutschen Rechtslage dar562 und scheint vor allem deshalb schwer erträglich, da auf diese Weise der Begünstigte doppelt gewinnt: Nicht nur erhält er ein überhöhtes Entgelt für seine Leistung, er spart sich auch zusätzlich die Kosten der Mängelbeseitigung. Natürlich hat die benachteiligte Partei nach der Rückabwicklung die Möglichkeit, die erstrebte Leistung erneut, dieses Mal zu angemessenen Bedingungen, zu erwerben. Allerdings kann es – vor allem bei den hier interessierenden Grundstückskäufen – sein, dass gleichartiger und gleichwertiger Ersatz schwer oder sogar gar nicht zu beschaffen ist.563 Dies ist sogar wahrscheinlich, da ansonsten der Benachteiligte sofort auf den Ersatz hätte zugreifen können, statt zu wucherischen Bedingungen zu kontrahieren. Gerade bei Grundstückskaufverträgen ist aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit und Austauschbarkeit von Grundstücken ein Ersatz nicht leicht zu beschaffen. Das erhöht das Interesse des Käufers daran, die Sache zu einem angemessenen Preis behalten zu dürfen. Dieses Interesse wird häufig durch die zwischenzeitlichen Preissteigerungen auf dem Grundstücksmarkt noch gesteigert. Da es für die Bestimmung, ob eine Äquivalenzstörung vorliegt, auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt, kann der benachteiligte Käufer auch dann ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Vertrags haben, wenn durch die nachträgliche Wertentwicklung der Kaufsache zu seinen Gunsten die Äquivalenzstörung „geheilt“ wurde. Gerade bei tendenziell steigenden Grundstückspreisen wird dies oft der Fall sein. Die Nichtigkeit trifft ihn dann doppelt hart: nicht nur, dass er ursprünglich zu viel bezahlt hat, er verliert zusätzlich auch die Wertsteigerung und der Bevorteilte profitiert von dieser. 560 Auf diesen Punkt wird in der deutschen Rechtsprechung und Literatur so gut wie nicht hingewiesen. Vor dem Hintergrund, dass in weiten Teilen gar kein Interesse am Behaltendürfen der Leistung anerkannt wird, verwundert dies jedoch kaum, da die Behebung von Mängeln der Kaufsache dann für den Bewucherten nicht von Interesse ist, weil er die Sache ohnehin zurückgeben muss. Vgl. aber Hager, JuS 1985, 264, 268, der auf diese zusätzliche Problematik hinweist. In die Richtung auch Lehmann, NJW 1981, 1233, 1237; A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 44. 561 Im Prozess hängt es freilich davon ab, dass das Gericht Kenntnis von der Äquivalenzstörung erhält, was voraussetzt, dass zumindest eine Partei entsprechendes vorträgt. Dies könnte der Verkäufer aber prinzipiell tun. 562 Der Umstand, dass dem Bewucherten keine Gewährleistungsrechte zustehen, kann im Zusammenhang mit dem stark unausgeglichenen Vertrag aber auch dazu führen, dass sich der Bewucherte nun entschließt, sich auf die Nichtigkeit zu berufen, weil zusammengenommen die Belastung zu hoch für ihn wird und die Rückabwicklung dadurch an Attraktivität gewinnt. 563 Vgl. oben: § 6 A. II. Befriedigung durch Ersatzbeschaffung, S. 38 ff.
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bb) Eingreifen von § 138 Abs. 1 BGB ohne Schwächelage Die Fälle, in denen die benachteiligte Partei den Vertrag nicht aus einer Schwächelage heraus abschließt, unterscheiden sich zunächst einmal dadurch, dass das Interesse am Bestand des Leistungsaustauschs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geringer ist. Zwar existiert auch hier eine Nachfrage nach der Leistung und daher ein Interesse am Bestand des Leistungsaustauschs, sonst hätte die Partei den Vertrag gar nicht geschlossen. Das Interesse ist aber nicht entsprechend hoch, da das Geschäft nicht der Überwindung einer Notlage dient. Es wird sich regelmäßig erst mit zunehmender Zeit entwickeln beziehungsweise steigern, insbesondere, wenn Investitionen im Zusammenhang mit dem Kaufgegenstand getätigt wurden oder er so in das Vermögen eingebracht wurde, dass nicht mehr ohne Weiteres auf ihn verzichtet werden kann. Dies wird gerade dann der Fall sein, wenn der Begünstigte das Grundstück selbst nutzt, sei es zu gewerblichen Zwecken oder zum Wohnen, und er bei Rückgabe des Kaufgegenstands eine Ersatzsache beschaffen müsste. Der diesbezügliche Aufwand sowie die Mühen und Kosten, um eine Ersatzsache in einen den persönlichen Anforderungen und Vorlieben entsprechenden Zustand zu versetzen, steigern das Interesse am Bestand des Leistungsaustauschs. Insofern gilt dann Entsprechendes wie beim Erwerb in einer Schwächelage.
c) Anfechtung, gemeinsamer Irrtum und culpa in contrahendo Anders ist die Situation, wenn die Äquivalenzstörung, ohne dass die Voraussetzungen von § 138 BGB vorliegen, auf einem (gemeinsamen) Irrtum beruht oder das Ergebnis einer vorvertraglichen Pflichtverletzung des Bevorteilten ist. In allen Fällen kommt ein wirksamer Vertrag zustande. Die benachteiligte Partei verliert also nicht automatisch all ihre vertraglichen Rechte. Sie kann auf Leistung klagen, sieht sich keinen Rückforderungsansprüchen der anderen Partei ausgesetzt und ihr stehen Gewährleistungsrechte zu. Doch nicht nur das. Insbesondere bei der Haftung aus c. i. c. muss sich die benachteiligte Partei auch nicht zwischen der Rückabwicklung des Vertrags und der Beibehaltung des Status quo entscheiden, denn ihr steht ein Anpassungsrecht (zumindest wirtschaftlich betrachtet) zu.564 Ein Anpassungsrecht kann zudem auch in den Fällen des gemeinsamen Irrtums i. R. v. § 313 Abs. 1 BGB bestehen. Den Interessen der benachteiligten Partei wird hier jeweils in weitaus größerem Maß entgegengekommen als bei § 138 BGB. Es lohnt sich deshalb für den Benachteiligten, die ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel zu nutzen, weil er dadurch nur gewinnen kann. Der Unterschied zwischen der Rückabwicklung in den Fällen des Fehlens der Geschäftsgrundlage und der culpa in contrahendo ist, dass diese im ersten Fall nur subsidiär als ultima ratio in Be564
Vgl. oben: § 8 C. II. 2. b) „Praktische“ Vertragsanpassung, S. 151 ff.
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tracht kommt, nämlich im Falle der Unzumutbarkeit der Anpassung. Bei letzterer hingegen hat der Geschädigte die Wahl zwischen (wirtschaftlicher) Anpassung in Form des Restvertrauensschadens und Rückabwicklung des Vertrags.565 Dies überzeugt ohne Weiteres, da bei der c. i. c. der Schädiger weniger schutzwürdig ist, während im Rahmen von § 313 BGB die beiderseitigen Interessen zu einem gleichmäßigen Austausch gebracht werden müssen und es nur dann zu einer Rückabwicklung kommt und kommen darf, wenn ein interessengerechter Ausgleich im Wege der Anpassung nicht möglich ist. Einen Mittelweg stellen die Fälle der Anfechtung dar. Zwar bleibt auch hier der Vertrag zunächst wirksam und nur die benachteiligte Partei kann sich auf die Anfechtung berufen. Es besteht jedoch nur die Möglichkeit, den Vertrag zu den jetzigen Bedingungen zu akzeptieren oder ihn mittels Anfechtung zu vernichten. Eine Möglichkeit der Anpassung für den sich Irrenden beziehungsweise den Getäuschten sieht das Anfechtungsrecht nicht vor.566 Der Getäuschte kann jedoch auch auf eine Anfechtung verzichten und über die culpa in contrahendo zu einer (wirtschaftlichen) Anpassung des Vertrags gelangen. Dass diese Möglichkeit dem Irrenden nicht zusteht, liegt daran, dass der Fehler allein aus seiner Sphäre stammt und der Vertragspartner keine Pflicht verletzt hat.567 Insofern sind die für den Irrenden verhältnismäßig schlechteren Rechtsfolgen auch gerechtfertigt.
d) Ungleichbehandlung von Wucher und culpa in contrahendo Die Rechtsfolgen von § 138 BGB unterscheiden sich fundamental von den Rechtsfolgen in Fällen der culpa in contrahendo, Anfechtung und der Störung der Geschäftsgrundlage. Besonders problematisch ist die Ungleichbehandlung hinsichtlich des Wuchers bzw. wucherähnlicher Fälle und der Haftung aus c. i. c., da bei § 138 Abs. 2 BGB stets, in Fällen des § 138 Abs. 1 BGB zumindest teilweise, das Verhalten des Begünstigten eine vorvertragliche Pflichtverletzung darstellt und dann auch hier gleichzeitig eine Haftung aus c. i. c. besteht.568 Diese tritt allerdings praktisch hinter der Anordnung der Nichtigkeit 565
Vgl. oben: § 8 C. II. Rechtsfolgen der culpa in contrahendo, S. 145 ff. solche besteht freilich für den Anfechtungsgegner. Auch wenn das BGB dazu keine Regelung enthält, ist man sich einig, dass dieser die Nichtigkeit des Vertrages dadurch abwenden kann, dass er sich bereit erklärt, den Vertrag auch mit dem vom Irrenden tatsächlich gewollten Inhalt gelten zu lassen, vgl.: Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 119 Rn. 2; MüKoBGB/ Armbrüster, 8. Aufl.,§ 119 Rn. 152 ff.; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 119 Rn. 4; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 781; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 119 Rn. 48; Lobinger, AcP 195 (1995), 274, 278 ff. Dies gilt allerdings nur für Anfechtungen nach § 119 BGB, nicht für solche nach § 123 BGB. 567 Hat der Vertragspartner den Irrtum nach § 119 BGB allerdings fahrlässig verursacht, kommen auch hier Ansprüche aus c. i. c. in Betracht, wobei diese u. U. nach § 254 BGB zu kürzen sind. 568 Vgl. dazu oben: § 8 C. I. 2. Pflichtverletzung beim Wucher und wucherähnlichen Rechtsgeschäft, S. 142 ff. 566 Eine
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aus § 138 BGB zurück. Die dem Geschädigten zustehende Wahl zwischen der Aufrechterhaltung des Vertrags inklusive Geltendmachung des Differenzschadens und dessen Rückabwicklung steht dem Bewucherten in seiner Position als Geschädigten im Rahmen der c. i. c. nicht zu. Der Vertrag ist nämlich nach § 138 BGB bereits ipso iure nichtig, sodass insbesondere die Möglichkeit, am Vertrag festzuhalten und den Differenzschaden geltend zu machen, ausscheidet. Er kann lediglich Schäden, die nicht schon durch die Rückabwicklung behoben werden, über §§ 280, 311 Abs. 2 BGB ersetzt verlangen. Es stellt sich die Frage, ob sachliche Gründe diese Ungleichbehandlung rechtfertigen können.
aa) Interessenlage Der Grund dafür, dass die Haftung aus c. i. c. dem Geschädigten die Wahl zwischen Rückabwicklung und (zumindest wirtschaftlicher) Anpassung des Vertrags eröffnet, liegt darin, dass der Geschädigte trotz vorvertraglicher Pflichtverletzung unter Umständen gar kein Interesse an der Aufhebung des Vertrags hat.569 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn er sich an die entsprechende Situation mittlerweile angepasst hat und im Vertrauen darauf Dispositionen vorgenommen hat oder er den Vertrag auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung geschlossen hätte, nur zu anderen Bedingungen.570 Diese Erwägungen bezüglich der Interessen des Geschädigten treffen aber auch dann zu, wenn die vorvertragliche Pflichtverletzung in der Ausbeutung einer Schwächelage besteht. Der Unterschied zu anderen vorvertraglichen Pflichtverletzungen (insb. Aufklärungspflichtverletzungen) liegt nur darin, dass das Interesse, dem aktuellen Zustand – der Bindung an den unausgeglichenen Vertrag – zu entkommen, bei einer extremen Äquivalenzstörung regelmäßig höher ist als in übrigen Fällen vorvertraglicher Pflichtverletzungen. Beim Wucher ist der Vertrag nämlich immer auch inhaltlich zulasten des Bewucherten (also des Geschädigten) objektiv nachteilig. Dies wird bei anderen vorvertraglichen Pflichtverletzungen, insbesondere Aufklärungspflichtverletzungen, zwar häufig auch der Fall sein, wenn auch gewöhnlich nicht im vergleichbaren Ausmaß, muss es aber nicht. Trotz Verletzung einer Aufklärungspflicht kann der Geschädigte immer noch ein (objektiv) gutes Geschäft getätigt haben und können sich Leistung und Gegenleistung im Wert entsprechen. Dieser Unterschied rechtfertigt aber keinesfalls die unterschiedliche Behandlung des Wuchers und der Verletzung von Aufklärungspflichten. Aus dem Umstand, dass der Vertrag beim Wucher inhaltlich stets nachteilig für den Bewucherten ist, folgt nämlich nicht, dass sein Interesse an der vollständigen Be569
Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 159; Mertens, ZGS 2004, 67, 69. 570 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 36 ff.; ähnlich auch Kreutz, Hypothetische Verträge im Rahmen des Schadensausgleichs, S. 105 ff.
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Kapitel 2: Darstellung der Rechtslage in Deutschland
seitigung des Vertrags per se höher ist als das Interesse an einer Anpassung. Wäre dies der Fall, so könnte man die Anordnung der zwingenden Nichtigkeit wucherischer Verträge durch § 138 Abs. 2 BGB als Ausdruck des typisierten Willens der bewucherten Partei ansehen. Im Gegenteil ist jedoch das Interesse an der Aufrechterhaltung und Anpassung des Vertrags in klassischen Wucherfällen regelmäßig sogar höher als bei sonstigen vorvertraglichen Pflichtverletzungen, weil der Vertragsschluss beim Wucher zur Beseitigung der Notlage getätigt wird. Insofern läuft die zwingende Nichtigkeit, wie bereits festgestellt, sogar dem Interesse des Bewucherten am Schutz vor ausbeuterischen Verträgen zuwider.571 Doch auch wenn der Bewucherte die Lösung vom wucherischen Vertrag vorzieht, bietet § 138 BGB kaum Vorteile, denn er könnte die Beseitigung des Vertrags auch über die Haftung aus c. i. c. erreichen.572 Die Überlegungen, auf die die Rechtsprechung die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens stützt, lassen sich nämlich auf Fälle der Ausnutzung übertragen. So wie die Annahme plausibel ist, dass der Geschädigte bei ordnungsgemäßer Aufklärung vom Vertragsschluss in der konkreten Form Abstand genommen hätte,573 trifft dies analog auf die Ausbeutung als vorvertragliche Pflichtverletzung zu. Auch hier ist es plausibel, dass der Bewucherte ohne die Ausbeutung seiner Schwächelage den Vertrag nicht zu den entsprechenden Konditionen geschlossen hätte. Das Interesse an der Vertragsauflösung könnte beim Wucher daher ohne Weiteres auch i. R. d. culpa in contrahendo sichergestellt werden.574
bb) Eingriff in die Privatautonomie Widersprüche ergeben sich zusätzlich in Hinblick auf die Privatautonomie. Während die Möglichkeit einer Aufrechterhaltung und Korrektur des Vertrags in Fällen anfänglicher Äquivalenzstörungen u. a. mit dem Argument abgelehnt wird, dies stelle einen Eingriff in die Privatautonomie der Parteien dar,575 werden diese Einwände bei den Rechtsfolgen der c. i. c. erst gar nicht vom BGH erörtert.576 Dies mag seinen Grund darin haben, dass die Rechtsfolgen aus dem 571 Vgl. oben: b) aa) Nicht beweisbare Wucherfälle und vergleichbare Konstellationen, S. 160 ff. 572 Ein Vorteil kann darin gesehen werden, dass der Schutz des Bewucherten nicht von seinem eigenen Verhalten abhängt, vgl. dazu aber unten: § 13 B. I. Ipso iure Nichtigkeit als besserer Schutz für den Benachteiligten, S. 317 ff. 573 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 490. 574 Vgl. insofern unten: § 15 C. I. Wucher, S. 422. 575 Vgl. sogleich ausführlich: B. II. Richterlicher Eingriff, S. 187 f. und insbesondere unter § 13 C. II. Privatautonomie und Bedenken bezüglich richterlicher Moderation, S. 328 ff. 576 In der Literatur wird dies jedoch teilweise angesprochen, vgl. etwa Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 53 f.; Kreutz, Hypothetische Verträge im Rahmen des Schadensausgleichs, S. 72 ff.; Pohlmann, Die Haftung wegen Verletzung von Aufklärungspflichten, S. 119.
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Schadensrecht stammen und die Verpflichtung des Schädigers zum Schadensersatz grundsätzlich nicht mit einer freiwilligen Verpflichtung im Zusammenhang steht. Die Vertragsfreiheit und damit die Privatautonomie ist beim Schadensrecht daher auf ganz andere Weise tangiert, weil es sich hier von vornherein um eine unfreiwillige Verpflichtung handelt. Die Rechtfertigung des Eingriffs in die Privatautonomie liegt daher grundsätzlich bereits in der Erfüllung des jeweiligen Haftungstatbestandes. Anders ist dies aber in der hier betrachteten Konstellation, wenn mittels der Rechtsprechung zum Restvertrauensschaden, jedenfalls wirtschaftlich betrachtet, die Rechtsfolge der Haftung aus culpa in contrahendo in einer Vertragsanpassung besteht.577 Indem hier auf den positiven Nachweis verzichtet wird, dass auch der Schädiger zu den für den Gläubiger günstigeren Bedingungen kontrahiert hätte, wird in dieser Situation sehr wohl auch in die Vertragsfreiheit des Schädigers eingegriffen. Zumindest für diese Konstellationen müssten daher entsprechende Einwände ebenfalls gelten. Auch hier wird nämlich eine Partei (der Schädiger) zu einer Leistung verpflichtet, ohne dass tatsächlich feststeht, ob er wirklich auch zu anderen Bedingungen kontrahiert hätte. Besonders deutlich wird erneut die Diskrepanz von Haftung aus culpa in contrahendo und Wucher, da beim Wucher parallel eine Haftung aus c. i. c. besteht.
cc) Fazit Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Rechtsfolgen der Haftung aus c. i. c. den Interessen des Benachteiligten besser entsprechen. Der Grund für die Ungleichbehandlung liegt daher auch weniger in den unterschiedlichen Interessen (auch wenn die absolute Nichtigkeit beim Wucher oft für eine interessengerechte Lösung gehalten wird578), sondern darin, dass die zwingende Nichtigkeit in Fällen des Wuchers der Prävention dienen soll. Ob dieser Aspekt zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung geeignet ist, darf allerdings bezweifelt werden, insbesondere da die vorsätzliche Verletzung einer Aufklärungspflicht ebenso wie die vorsätzliche Ausbeutung des Benachteiligten in der Regel strafbar ist (§ 263 StGB einerseits und § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB andererseits).579 Außerdem dient das Schadensrecht allgemein bereits zumindest auch präventiven Zwecken.580
577 578
Vgl. dazu oben: § 8 C. II. 2. b) „Praktische“ Vertragsanpassung, S. 151 ff. Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 616. 579 Vgl. dazu ausführlich unten: B. I. 1. Abschreckung des Wucherers, S. 181 ff. und C. I. Konkurrenz zwischen § 138 und § 123 BGB, S. 189 ff. 580 MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl., Vorb. § 823 Rn. 45 ff.; Jauernig/Teichmann, 17. Aufl., Vorb. § 823 Rn. 1.
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2. Interesse am Ersatz der getätigten Investitionen und sonstiger Mehrkosten a) Ersatzfähigkeit Die Frage nach dem Ersatz der in Bezug auf das Grundstück getätigten Investitionen stellt sich nur in den – praktisch relevanten – Fällen des § 138 Abs. 1 BGB, denn nur hier kommt es zur Rückabwicklung. Das dann bestehende Interesse des Benachteiligten, wenn er schon das Grundstück herausgeben muss, immerhin die darauf getätigten Verwendungen ersetzt zu bekommen, wird vom deutschen Recht grundsätzlich geschützt. Auch wenn er die getätigten Investitionen nicht mehr selbst nutzen kann, bekommt er ihren Wert ersetzt, sofern er sie im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags getätigt hat.581 Er wird damit in die Lage versetzt, entsprechende Verwendungen auch auf seine als Ersatz angeschaffte Sache vorzunehmen. Problematisch können hier nur in der Zwischenzeit eingetretene Preissteigerungen sein, die bei der erneuten Vornahme der getätigten Investitionen anfallen. Da bei deren Ersatz über § 818 Abs. 3 BGB bezüglich der getätigten Investitionen der Wert bei ihrer Vornahme maßgeblich ist,582 können Mehrkosten nur mittels Ansprüchen aus culpa in contrahendo ersetzt verlangt werden.583 Dies wird ihm in den praktisch relevanten Fällen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nur selten gelingen, weil es hier regelmäßig an einer vorvertraglichen Pflichtverletzung fehlt584 oder ihr Nachweis kaum zu führen ist. Dann muss er die sich aus der Preissteigerung ergebenden Mehrkosten tragen. Zudem stellt der selbst eingesetzte Zeit- und Arbeitsaufwand eine Belastung dar, für die in der Regel kein Ersatz verlangt werden kann. Das gilt verallgemeinert für alle speziell durch die Rückabwicklung entstandenen Kosten, die zwar Schäden darstellen, mangels Anspruchsgrundlage praktisch jedoch selten ersetzt verlangt werden können.585 Was die etwaigen Mehrkosten für die Beschaffung einer Ersatzsache angeht, kann der Benachteiligte diese Kosten über den Einwand der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB vom anderen Teil verlangen586 und zwar ohne dass er eine Pflichtverletzung oder ein Verschulden des anderen Teils nachweisen bräuchte. Insofern stellt sich hier die Situation des Benachteiligten äußerst positiv dar. 581 582
Vgl. oben: § 7 E. II. 3. Ersatz von Verwendungen und Aufwendungen, S. 72 ff. Vgl. oben: § 7 E. II. 3. Ersatz von Verwendungen und Aufwendungen, S. 73. 583 Möglicherweise könnte man diese Mehrkosten auch i. R. v. § 818 Abs. 3 BGB ersetzt verlangen, wenn man in der zwischenzeitlichen Preissteigerung einen eigenständigen Abzugsposten sieht. So wie der Bereicherungsschuldner über § 818 Abs. 3 BGB die Mehrkosten eines Deckungskaufs verlangen kann, könnte er dann auch die Mehrkosten für eine erneute Vornahme der Reparatur verlangen. Vgl. zu der Ersatzfähigkeit der Kosten eines Deckungskaufs oben: § 7 E. II. 5. (Mehr-)Kosten eines Deckungskaufs, S. 77 f. 584 Vgl. dazu oben: § 8 C. I. 2. b) Wucherähnliches Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB, S. 143 ff. 585 Dies ist allerdings keine Eigenheit der Rückabwicklung aufgrund eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts, sondern gilt allgemein in sämtlichen Fällen von Rückabwicklungen. 586 Vgl. oben: § 7 E. II. 5. (Mehr-)Kosten eines Deckungskaufs, S. 77.
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b) Durchsetzbarkeit der Ersatzansprüche Bei hohen, neben dem Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises bestehenden Ersatzansprüchen kann die Leistungsfähigkeit des anderen Teils fraglich sein, besonders da dieser häufig das als Kaufpreis erhaltene Geld in der Zwischenzeit investiert haben wird. Dann mögen der benachteiligten Partei zwar Ersatzansprüche zustehen, die ihr aber praktisch nicht weiterhelfen. Hier wird die benachteiligte Partei aber zumindest dadurch geschützt, dass sie zur Herausgabe des Grundstücks nur Zug-um-Zug gegen Erfüllung der ihr zustehenden Ansprüche verpflichtet ist. Sofern der andere Teil sie also hinsichtlich ihrer Ansprüche nicht befriedigen kann, darf der Benachteiligte das Grundstück zurückbehalten. Dies erscheint zunächst äußerst positiv für ihn, wird es doch regelmäßig seinem „Primärinteresse“ entsprechen. Allerdings muss man sehen, dass dies nichts an der weiterhin bestehenden beiderseitigen Verpflichtung zur Rückabwicklung ändert. Die Herausgabe des Grundstücks wird damit in der Regel nur zeitlich nach hinten verschoben. Ein solcher Schwebezustand liegt prinzipiell nicht im Interesse des Benachteiligten, besonders wenn es sich bei ihm um einen Unternehmer handelt. Dann besteht das Interesse, diesen Zustand der Unsicherheit möglichst schnell zu beheben, um Planungssicherheit zu haben. Wenn er nämlich den Gegenstand für seine unternehmerischen Zwecke benötigt, muss er gewöhnlich im Voraus Ersatz beschaffen, um weiterhin einen effektiven Arbeitsablauf sicherzustellen. Es ist für ihn schlicht nicht möglich beziehungsweise zumutbar, das Grundstück zu irgendeinem ungewissen Zeitpunkt in der Zukunft herauszugeben, sobald der andere Teil die nötigen finanziellen Mittel hat, um seine Verpflichtungen zu erfüllen. Das Interesse besteht natürlich ebenso bei Privatpersonen, auch wenn sich dort die damit einhergehenden Nachteile in der Regel nicht in gleicher Form wirtschaftlich unmittelbar niederschlagen. Vergleichbar können diese allerdings im Fall der eigenen Wohnnutzung des Grundstücks sein. Zum einen weil die Unsicherheit besteht, wann der Verkäufer zur Zahlung in der Lage sein wird und der Käufer die Wohnnutzung beenden muss. Zum anderen weil der Käufer regelmäßig für die Ersatzbeschaffung auf die Rückzahlung des Kaufpreises angewiesen ist und aufgrund deren ungewissen Zeitpunkts die Suche nach einem Ersatz behindert wird. Schließlich besteht auch hier die Gefahr der zwischenzeitlichen Preissteigerung.587
c) Fazit Wenn es also entgegen dem Willen des Benachteiligten zur Rückabwicklung kommt, steht der benachteiligte Käufer insgesamt gut da, denn er kann im großen Maße angefallene Kosten vom Verkäufer erstattet verlangen. Seine Interes587 Allerdings wird sich der Begünstigte dann regelmäßig im Verzug nach § 286 BGB befinden, sodass dem Benachteiligten insofern ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB zusteht. Hier kann dann erneut die Leistungsfähigkeit fraglich sein.
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sen genießen einen umfangreichen Schutz. Es lässt sich daher nicht sagen, dass der Käufer im Rahmen der Rückabwicklung zusätzliche Nachteile erleidet, die ihn generell davon abhalten werden, sich auf die Nichtigkeit zu berufen. Wenn für ihn daher kein besonderes Interesse am Behaltendürfen der Leistung besteht, besitzt das deutsche Recht für diesen Fall jedenfalls aus der Perspektive des Käufers durchaus angemessene Rechtsfolgen. Eine starke Belastung kann für ihn allerdings die Verpflichtung zum Nutzungsersatz darstellen, die abhängig von der Zeit, die zwischen Leistungsaustausch und Rückabwicklung liegt, durchaus einen beträchtlichen Umfang erreichen kann.
II. Interessen des benachteiligten Verkäufers 1. Interesse am Bestand des Leistungsaustauschs Im Ausgangspunkt entsprechen die Interessen des benachteiligten Verkäufers denen des bewucherten Käufers. Auch die Interessen des benachteiligten Verkäufers können dabei gegen die Rückabwicklung des Vertrags gerichtet sein.588 Denn dem Verkauf des Gegenstands liegt im Allgemeinen der Entschluss zugrunde, diesen – aus welchen Gründen auch immer – aus dem eigenen Vermögen zu entfernen. Auch wenn der Verkäufer diesen Zustand natürlich häufig durch eine erneute Veräußerung abermals erreichen kann, ist der Umstand, sich ein weiteres Mal auf die Suche nach Interessenten zu begeben und Preise auszuhandeln, aus Sicht des Verkäufers eine unnötige Belastung. Beachtenswerte Gründe, die für ein Interesse an einer Rückabwicklung sprechen, sind – jedenfalls im Anwendungsbereich von § 138 Abs. 1 BGB – nicht ersichtlich. Insbesondere kann es keine Rolle spielen, dass der Verkäufer seine Entscheidung zur Veräußerung im Nachhinein bereut oder er von zwischenzeitlichen Preissteigerungen profitieren möchte, denn beide Möglichkeiten hätte er bei einem ordnungsgemäßen Vertragsschluss ebenfalls nicht. Der Schutz vor Äquivalenzstörungen soll ihn aber nicht besser stellen. Anderes kann nur gelten, wenn seine Schwäche auch zum Vertragsschluss selbst ausgenutzt wurde. Dann hat er ein legitimes Interesse daran, nicht an den Vertrag gebunden zu sein. Probleme können entstehen, wenn der Verkäufer auf den Kaufpreis angewiesen ist, weil er dann vielleicht darauf verzichtet, sich auf die Nichtigkeit zu berufen, um wenigstens ein geringes Entgelt behalten zu können. Oder wenn er das Geld in der Zwischenzeit investiert hat und nicht mehr die Mittel zur Rückzahlung des Kaufpreises besitzt beziehungsweise dafür andere Gegenstände verkaufen muss. Zwar ist der Einwand, der Verkäufer habe vielfältige Möglichkeiten, seinen Bedarf an Geld zu decken,589 insbesondere durch den erneuten Verkauf des Gegenstands oder die Aufnahme eines Kredits, richtig. Jedoch 588 589
Vgl. oben: § 6 B. I. Interesse am Behaltendürfen des Kaufpreises, S. 43 ff. Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 53.
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muss man sehen, dass er das Grundstück nur Zug-um-Zug gegen die Rückzahlung des Kaufpreises zurückerhält. Solange er nicht wieder Eigentümer des Grundstücks ist, bereitet es ihm Schwierigkeiten, einen Kredit aufzunehmen, wenn er keine anderen Sicherheiten stellen kann. Schließlich können vom Käufer vorgenommene Verwendungen einem erneuten Verkauf im Weg stehen beziehungsweise sich negativ auswirken, etwa weil sie individuellen Vorlieben des Käufers entsprechen, die sich nicht mit der allgemeinen Nachfrage am Markt decken. Außerdem kann es je nach Länge der Zeit, die zwischen Verkauf und Rückabwicklung liegt, sein, dass der zurückerhaltene Gegenstand an Wert verloren hat oder nicht mehr nachgefragt wird und nicht mehr beziehungsweise schlechter zu Geld gemacht werden kann. Bei Grundstücken wird dies zwar in der Regel nicht der Fall sein. Anders kann dies bei anderen wertvollen Gegenständen sein, insbesondere solchen, die durch den Gebrauch an Wert verlieren oder bereits durch reinen Zeitablauf veralten, man denke z. B. an technische Geräte und Maschinen. Bei letzteren kann es durchaus sein, dass es sich nicht mehr lohnt, sich auf die Nichtigkeit zu berufen, weil der Wert des Kaufgegenstands in der Zwischenzeit unter den zu geringen Kaufpreis gesunken ist. Allerdings steht dem Verkäufer regelmäßig ein Anspruch auf Nutzungsersatz zu, wodurch sich dieser Verlust häufig kompensieren lässt. Dabei stellen diese beiden Fälle nur einen Teil der denkbaren Konstellationen dar. Auch wenn es für den Verkäufer kein Problem darstellt, die im Rahmen der Rückabwicklung gegen ihn gerichteten Ansprüche zu erfüllen, wird die Rückgängigmachung dennoch oft nicht seinem Willen entsprechen. Immerhin ist das Interesse des Verkäufers am Bestand des Leistungsaustauschs aufgrund der Eigenschaft von Geld als bloßem Wertsummenträger deutlich weniger ausgeprägt als beim Käufer.
2. Verwendungsersatzansprüche gegenüber dem Verkäufer a) Belastung durch die Ersatzverpflichtung aa) Wucher, § 138 Abs. 2 BGB Unabhängig vom gerade geschilderten Interesse, das zuvorderst auf die Beibehaltung des Austauschs gerichtet ist, kann es für den Verkäufer vor allem eine Belastung darstellen, dem Käufer die auf die Sache getätigten Verwendungen zu ersetzen. Dies kann ihn davon abhalten, sich auf die Äquivalenzstörung zu berufen. Hier kommt es entscheidend darauf an, ob ein Fall von § 138 Abs. 2 BGB oder § 138 Abs. 1 BGB vorliegt. Denn aufgrund der Nichtigkeit der Übereignung im ersten Fall590 und der Anwendung des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses in der Folge, wird der bewucherte Verkäufer bei 590
Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 46.
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Grundstückskaufverträgen weitgehend vor Ansprüchen auf Verwendungsersatz geschützt.591 Während er bestandsverändernde Verwendungen allein schon deshalb nicht ersetzen muss, weil diese nach der Rechtsprechung nicht unter den Verwendungsbegriff fallen,592 scheitert der Ersatz der übrigen Verwendungen in der Regel an der Bösgläubigkeit des Wucherers. Kosten für eine umfangreiche Veränderung der bereits vorhandenen Bebauung kann er damit grundsätzlich nicht verlangen. So bleiben ihm gewöhnlich allein Ersatzansprüche wegen notwendiger Verwendungen und auch diese nur soweit sie nach § 994 Abs. 2 BGB ersatzfähig sind. Das setzt voraus, dass sie entweder seinem Willen oder Interesse entsprechen (§ 683 S. 1 BGB) oder er zumindest durch die Verwendungen bereichert ist (§ 684 BGB). Deshalb stellen Verwendungsersatzansprüche gegenüber dem bewucherten Verkäufer in Fällen des § 138 Abs. 2 BGB für diesen keine große Belastung dar. Zwar können sie, auch wenn sie nicht bestandsverändernd sind, durchaus stattliche Summen erreichen. Dies wird jedoch dadurch abgemildert, dass die Verwendungen entweder seinem Interesse entsprachen oder er zumindest durch sie bereichert ist. Zumal der Begriff der notwendigen Verwendungen bereits insofern beschränkend wirkt, als dass es sich dabei um solche handelt, die auch der Eigentümer hätte tätigen müssen, weil sie dem Erhalt oder der Wiederherstellung der Sache dienen. Die Verwendungen kommen daher letztlich ihm zugute. Insofern lässt sich konstatieren, dass die Rechtsfolgen bezüglich des Verwendungsersatzes für den bewucherten Verkäufer durchaus interessengerecht sind und ihn nicht davon abhalten werden, sich auf den Wucher zu berufen.
bb) Wucherähnliches Rechtsgeschäft, § 138 Abs. 1 BGB Geradezu umgekehrt stellt sich die Situation des Verkäufers beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft dar. Hier sind die Rechtsfolgen für die benachteiligte Partei ungleich schlechter, denn der Bereicherungsschuldner (der begünstigte Käufer) besitzt sehr umfangreiche Möglichkeiten, seine getätigten Verwendungen und sonstigen Aufwendungen geltend zu machen, da eine Berufung auf Entreicherung in sehr weitem Umfang zugelassen wird.593 Weder wird wie bei den §§ 994 ff. BGB zwischen bestandsverändernden und nicht bestandsverändernden noch zwischen notwendigen und nützlichen Verwendungen differenziert. So können die Kosten sowohl für die Umgestaltung des Gegenstands, selbst wenn sie dem Interesse des benachteiligten Verkäufers widersprechen, als auch für Verwendungen, die gar nicht werterhöhend waren, ersetzt verlangt werden. Da der Käufer diese Kosten über § 818 Abs. 3 BGB geltend machen kann, kann 591 Vgl. ausführlich oben: § 7 F. I. 6. Ansprüche des Wucherers – insbesondere auf Verwendungsersatz, S. 104 ff. 592 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 293. 593 Vgl. dazu ausführlich oben: § 7 F. II. 4. Verwendungs- und Aufwendungsersatz, S. 111 ff.
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der Verkäufer diesen auch nicht über den Einwand der aufgedrängten Bereicherung entgehen. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass der Käufer sich in so großem Umfang auf Entreicherung berufen kann, dass diese Summe die Differenz zwischen dem wahren Wert und dem gezahlten Entgelt übersteigt. Dann ist der benachteiligte Verkäufer aus wirtschaftlicher Sicht geradezu gezwungen, von der Geltendmachung seiner Rechte abzusehen, jedenfalls wenn er nicht entsprechend von den zu ersetzenden Verwendungen oder Aufwendungen profitiert.594 Ansonsten würde er durch die Geltendmachung der Nichtigkeit im Ergebnis nämlich schlechter stehen als ohne die Geltendmachung. Aber auch wenn die Verwendungen nicht eine solche Höhe erreichen, stellt die Verpflichtung zum Ersatz eine beträchtliche Belastung dar. Vor allem weil der benachteiligte Verkäufer ihnen nichts entgegenzusetzen hat. Der Verkäufer kann nämlich selbst keine Verwendungen oder Aufwendungen getätigt haben, die er entsprechend – gewissermaßen als eine Art Ausgleich – geltend machen könnte. Zusätzlich kommt hinzu, dass der Käufer, wenn er sich für den zurückzugebenden Gegenstand Ersatz beschaffen will, auch möglicherweise anfallende Mehrkosten auf den Verkäufer abwälzen kann.595 Als Ausgleich kommen nur Ansprüche des Verkäufers auf Nutzungsersatz in Betracht, die nach längerer Zeit aber ebenfalls einen beträchtlichen Umfang erreichen und die Belastung auffangen können. Gerade wenn es aber relativ schnell nach dem Leistungsaustausch zur Rückabwicklung kommt, können sich die Kosten, denen sich der Verkäufer ausgesetzt sieht, insgesamt zu einer stattlichen Belastung summieren, da der Käufer Verwendungen häufig unmittelbar nach Erhalt der Leistung vornimmt und etwaige Nutzungsersatzansprüche dann nur in geringem Umfang bestehen. So werden bei äquivalenzgestörten Grundstückskaufverträgen im Zuge der Rückabwicklung tatsächlich keineswegs immer die Vermögensverhältnisse vor Vertragsschluss wiederhergestellt, sondern es verbleibt ein Nachteil zulasten des (benachteiligten) Verkäufers. Ein Ergebnis, das Unbehagen hervorrufen muss. Besonders wenn man bedenkt, dass die benachteiligte Partei diesen Ansprüchen auch dann ausgesetzt sein kann, wenn sich – wie es im deutschen Recht möglich ist – der Begünstigte auf die Nichtigkeit beruft und die Rückabwicklung verlangt. Dann hat der Benachteiligte nicht einmal die Wahl, aufgrund der drohenden Nachteile von der Nichtigkeit abzusehen. Von diesen Belastungen ist der Verkäufer nur befreit, wenn der begünstigte Käufer beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft gemäß § 819 Abs. 1 BGB verschärft haftet, was praktisch aber eine Frage des Einzelfalles ist, da die Vermutungsregel des § 138 Abs. 1 BGB vom BGH nicht auf § 819 Abs. 1 BGB 594 Ggf. kann dann die Herausgabe des konkret Erlangten aufgrund der starken Umwandlung ausgeschlossen sein, mit der Folge, dass stattdessen Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB geschuldet ist, vgl. dazu oben: § 7 E. I. 2. b) Einschränkung der Herausgabepflicht bei extremer Umwandlung, S. 66 ff. 595 Vgl. oben: § 7 F. II. 5. Sonstige Ersatzverpflichtungen, S. 116.
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übertragen wird.596 Hier zeigt sich noch einmal der Nachteil dieser Rechtsprechung und das Dilemma, in das sie den benachteiligten Verkäufer bringt. Zwar gibt es wie beschrieben gute Gründe dafür, die verschärfte Haftung des Begünstigten nicht automatisch anzunehmen, insbesondere durch die extrem weite Anwendung der Vermutung selbst bei Unkenntnis der Wertverhältnisse.597 Der Begünstigte lässt sich nämlich gerade nicht ohne Weiteres mit dem Wucherer der Fälle von § 138 Abs. 2 BGB gleichsetzen. Von daher ist es durchaus berechtigt, dass auch seine Interessen bei den Rechtsfolgen Beachtung finden. Dabei darf aber nicht die Situation der benachteiligten Partei ausgeblendet werden. Und deren Interessen entspricht die Lösung des BGH und der herrschenden Meinung keinesfalls. Der Ersatz der getätigten Verwendungen macht es für sie deutlich weniger attraktiv, sich auf die Nichtigkeit zu berufen und wird in einigen Fällen dazu führen, dass es für sie sogar schädlich ist, sich darauf zu stützen. Unter diesen Umständen muss sie mit dem unausgeglichenen Vertrag weiterleben und gleichzeitig hoffen, dass der andere Teil nicht die Nichtigkeit geltend macht.
b) Der veränderte Gegenstand als Belastung Immerhin werden sich häufig die vom Käufer vorgenommenen Verwendungen werterhöhend niedergeschlagen haben. Dann muss der Verkäufer zwar dennoch Ersatz für diese leisten. Er profitiert andererseits jedoch auch von der dadurch eingetretenen Wertsteigerung, die er bei einem erneuten Verkauf realisieren kann. Sofern er die Veränderungen ebenso selbst vorgenommen hätte oder sie sonst seinem Interesse entsprechen bzw. denen am Immobilienmarkt, gehen deshalb mit der Verpflichtung zum Verwendungsersatz keine besonderen Nachteile einher. Anders ist dies, wenn die getätigten Verwendungen seinem Interesse an einem Wiederverkauf entgegenstehen, weil sich die Sache so schlechter verkaufen lässt oder erst eine Rückgängigmachung der Aufwendungen nötig ist. Dann muss er zwar dennoch dem Käufer dessen getätigte Verwendungen ersetzen, ist aber selbst durch die Kosten von deren Rückgängigmachung doppelt belastet. Er kann sich auch nicht in Höhe etwaiger Um- oder Rückbaukosten auf Entreicherung berufen, es sei denn, der Käufer macht seine Aufwendungen mittels eigenständiger Verwendungskondiktion geltend. Dies wird er allerdings kaum tun. Schließlich muss man beachten, dass die Vornahme von Veränderungen am Kaufgegenstand durch den Käufer sich selten im gleichen Maße mit den Interessen und Bedürfnissen anderer Personen, hier des Verkäufers oder potentiel596 Vgl.
dazu und zur Diskussion oben: § 7 F. II. 4. b) Übertragung der Vermutung aus § 138 BGB auf § 819 Abs. 1 BGB, S. 112 ff. 597 Siehe dazu oben: § 7 F. II. 4. a) Verschärfte Haftung des Begünstigten nach § 819 Abs. 1 BGB, S. 112.
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ler neuer Erwerber deckt, da diese auf den individuellen Wünschen und Bedürfnissen des Käufers basieren. Auch dieser Gesichtspunkt spricht daher gegen die Rückabwicklung.
c) Fazit Nicht nur der Umstand, dass überhaupt die ausgetauschten Leistungen zurückgegeben werden müssen, sondern auch die konkrete Art und Weise der Rückabwicklung widersprechen in den praktisch relevanten Fällen des § 138 Abs. 1 BGB häufig den Interessen des benachteiligten Verkäufers, da die bereicherungsrechtliche Haftung hier – jedenfalls wenn die Rückabwicklung nicht erst nach längerer Zeit erfolgt – zu einer relativ einseitigen Belastung führt. Es ist für den Verkäufer daher in der Regel von entscheidender Bedeutung, ob ein Fall des § 138 Abs. 1 oder § 138 Abs. 2 BGB vorliegt beziehungsweise vor Gericht bewiesen werden kann. In den Fällen des § 138 Abs. 2 BGB muss er nämlich keinen bzw. kaum Ersatz leisten.
3. Gefahrtragung und Insolvenzrisiko Die Unterscheidung zwischen § 138 Abs. 1 BGB und § 138 Abs. 2 BGB spielt auch noch bei zwei anderen Punkten, nämlich der Gefahrtragung und in der Insolvenz des begünstigten Käufers, eine Rolle.
a) Gefahrtragung Für den benachteiligten Verkäufer entstehen im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB Nachteile, wenn der Kaufgegenstand beim Bevorteilten untergeht. Zwar verhindert hier die Saldotheorie, dass der benachteiligte Verkäufer den Kaufpreis herauszugeben braucht und gleichzeitig keinen Ersatz für den untergegangenen Kaufgegenstand verlangen kann.598 Er kann jedoch regelmäßig die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem (deutlich höheren) Wert des Kaufgegenstands nicht ersetzt verlangen, denn der begünstigte Käufer haftet nur selten nach § 819 Abs. 1 BGB verschärft und kann sich daher gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf Entreicherung berufen, wenn der Gegenstand nicht versichert war. Es gibt damit praktisch nichts zum Rückabwickeln. Das führt dazu, dass die Äquivalenzstörung faktisch perpetuiert wird. War hingegen der Gegenstand – wie bei Grundstücken üblich – versichert, erhält der benachteiligte Verkäufer die Versicherungssumme als Surrogat über § 818 Abs. 1 BGB heraus.599 Hier zeigt sich ein weiterer praktisch relevanter Unterschied zwischen § 138 Abs. 1 BGB und § 138 Abs. 2 BGB, denn im Rahmen von § 138 Abs. 2 BGB 598 Die Saldotheorie findet hier Anwendung, weil sie zugunsten des Benachteiligten wirkt, vgl. dazu oben: § 7 E. II. 8. a) Anwendbarkeit der Saldotheorie, S. 91 f. 599 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 320.
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haftet der Wucherer verschärft, kann sich also gerade nicht auf Entreicherung berufen. Gleichzeitig besteht in der Regel ein Schadensersatzanspruch aus §§ 989, 990 Abs. 1 BGB. Das Risiko des zufälligen Untergangs der Kaufsache, das durch die Saldotheorie gerade nicht der Verkäufer tragen soll, fällt in Fällen des § 138 Abs. 1 BGB hingegen zumindest teilweise wieder auf ihn zurück. Ihm ist dann mit der Nichtigkeit des Vertrags nicht geholfen. Abhilfe könnte nur eine Anpassungslösung schaffen, die den Käufer dazu verpflichtet, die Differenz zum wahren Wert der Sache nachzubezahlen oder es ihm untersagt, sich auf Entreicherung zu berufen. Auch hier wird diese Konstellation allerdings selten bei Grundstücken auftreten. Sie beschränkt sich praktisch auf bewegliche Sachen. Es lässt sich aber auch hier – wie so oft bezüglich der Rechtsfolgen von § 138 Abs. 1 im Verhältnis zu § 138 Abs. 2 BGB – festhalten, dass diese Ungleichbehandlung unbefriedigend ist, besonders angesichts der Abhängigkeit von der Beweislage.
b) Insolvenzrisiko Da der Verkäufer in den Fällen des § 138 Abs. 2 BGB aufgrund der Nichtigkeit der Übereignung das Eigentum am Kaufgegenstand behält, hat er in der Insolvenz des begünstigten Käufers aus § 47 InsO einen Anspruch auf Aussonderung. Hat der Verkäufer nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Wiedereinräumung des Eigentums wie in den Fällen des § 138 Abs. 1 BGB, kann er nicht die Aussonderung verlangen, sondern muss sich als Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO mit der Quote zufrieden geben. Diese wird in der Regel nur einen Bruchteil des eigentlichen Werts des Gegenstands betragen. Der Verkäufer trägt bei § 138 Abs. 1 BGB also anders als in Fällen des § 138 Abs. 2 BGB das Insolvenzrisiko des Käufers.
III. Interessen des Wucherers/Begünstigten 1. Allgemeines Die eben beschriebenen Interessen des benachteiligten Käufers und Verkäufers treffen im Grundsatz auch auf den Begünstigten in der jeweiligen Situa tion zu.600 Auch diesem ist i. d. R. an der Aufrechterhaltung des Rechtsgeschäfts gelegen.601 Denn auch er kann auf den Gegenstand angewiesen sein, was aber seltener beziehungsweise nicht im gleichen Ausmaß wie beim Bewucherten der 600 Es sei nochmals daran erinnert, dass das Interesse der begünstigten Partei an der Aufrechterhaltung des status quo nicht beachtet werden darf und insofern ausgeblendet wird. Ausgangspunkt der Arbeit ist es nämlich, dass der konkrete Vertrag in dieser Form rechtlich einen Eingriff erfordert, jedenfalls aber erlaubt; vgl. insofern bereits oben: § 6 Interessenlage, S. 33. 601 Vgl. auch Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 197: „Selbst der böswillige Ausbeuter hat aber ein Interesse daran, ein rechtlich haltbares Geschäft zu tätigen.“
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Fall sein wird. Sein Interesse am Erhalt des Gegenstands entsteht eher durch die Zeit der Nutzung beziehungsweise die darauf getätigten Verwendungen oder die Eingliederung in seinen Betrieb. Nur äußerst selten wird ein vergleichbares Interesse bereits im Zeitpunkt des Leistungsaustausches vorliegen. Bei der Bewertung der Beachtlichkeit der Interessen der begünstigten Partei ist zwischen dem Wucherer des § 138 Abs. 2 BGB und dem Begünstigten beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft zu differenzieren.602 Generell hat die begünstigte Partei gegenüber der benachteiligten Partei den Vorteil, sich in einer besseren Verhandlungsposition zu befinden, indem sie insbesondere anbieten kann, einen Ausgleich zu zahlen, wenn sie die Rückabwicklung vermeiden will. Dabei ist auch eine „Heilung“ des sittenwidrigen Geschäfts dergestalt möglich, dass die Parteien nachträglich die ursprünglich vereinbarten Hauptleistungen ändern, sodass das Missverhältnis behoben wird. Allerdings reicht eine bloße Änderung nicht aus, dies muss vielmehr im Rahmen einer Bestätigung nach § 141 BGB oder durch eine vollständige Neuvornahme geschehen.603 Zwingende Voraussetzung für eine Bestätigung ist der sogenannte Bestätigungswille der Parteien, der die Kenntnis der Nichtigkeit oder jedenfalls Zweifel an der Wirksamkeit des zu bestätigenden Rechtsgeschäfts voraussetzt.604 Auf diese Weise können die Parteien dem Vertrag zur Wirksamkeit verhelfen.
a) Der Wucherer i. S. v. § 138 Abs. 2 BGB Anders als beim Bewucherten stellt sich beim Wucherer die Frage, ob seine Interessen überhaupt schutzwürdig sind. Soweit die Voraussetzungen des klassischen Wuchers nach § 138 Abs. 2 BGB vorliegen, wird man dies nicht annehmen können. Der Wucherer weiß nämlich oder muss wissen, dass er die Sache wieder zurückgeben muss und der Grund dafür liegt allein in seiner vorherigen Handlung, indem er durch vorwerfbares und pflichtwidriges Verhalten die Ursache für die Nichtigkeit gesetzt hat. Sollte daher von seiner Seite ein Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags bestehen, ist dieses nicht schützenswert. Die geringere Schutzwürdigkeit seiner Interessen lässt sich auch im BGB an zahlreichen Stellen erkennen, z. B. in den §§ 817 S. 2, § 819 Abs. 1 und § 990 Abs. 1 BGB. Tatsächlich schlägt sich dies auch in den konkreten Rechtsfolgen nieder, da der Wucherer als Käufer aufgrund seiner Bösgläubigkeit nur im sehr engen Rahmen Ersatz seiner Verwendungen nach den §§ 994 ff. BGB verlangen kann und wegen des abschließenden Charakters des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses überhaupt kein Ersatz nach anderen Vorschriften in Betracht kommt. 602 Vgl.
dazu sogleich: a) Der Wucherer i. S. v. § 138 Abs. 2 BGB, S. 177 und b) Der Begünstigte i. R. v. § 138 Abs. 1 BGB, S. 178. 603 BGH NJW 2012, 1570. 604 BGH NJW 2012, 1570, 1572.
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Gleichzeitig sieht er sich aber umfangreichen Ansprüchen des Bewucherten ausgesetzt, wie insbesondere solchen auf Nutzungs- und Schadensersatz. Ist der Wucherer der Verkäufer, wird er regelmäßig schon unabhängig von etwaigen Ersatzverpflichtungen für Verwendungen des Käufers kein Interesse an der Rückabwicklung haben, selbst wenn er auf zusätzliches Geld angewiesen ist. Denn dann muss er den erhaltenen Kaufpreis zurückzahlen und in der Regel wird er nicht erwarten können, die Sache erneut für einen wucherischen Preis verkaufen zu können. Sollte dies einmal anders sein, etwa aufgrund von Preissteigerungen in der Zwischenzeit, was speziell bei Grundstücken passieren kann, so mag er zwar ein großes Interesse daran haben, die Sache wiederzuerlangen. Dieses Interesse ist aber nicht schutzwürdig, da es letztlich auf ein Reuerecht hinauslaufen würde, ihm hier die Lösung vom Vertrag zu gestatten. In dieser Situation könnten sogar die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen vorliegen, unter denen eine Berufung auf die Nichtigkeit ausnahmsweise ausscheidet.605 Denn im Falle zwischenzeitlicher Preissteigerungen würde der Wucherer durch die Nichtigkeit erneut zulasten des Bewucherten profitieren, da ihm und nicht dem Bewucherten die Preissteigerungen zugutekämen. Dies gilt aber nur für Wucherfälle, die mangels Nachweises nicht unter § 138 Abs. 2 BGB fallen, da dort eine Rückforderung wegen § 817 S. 2 BGB gar nicht möglich ist.
b) Der Begünstigte i. R. v. § 138 Abs. 1 BGB Grundsätzlich anders stellt sich die Lage beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft dar. Mangels verschärfter Haftung entspricht im Rahmen der Rückabwicklung die Position des Begünstigten derjenigen des Benachteiligten in der jeweiligen Situation. Wenn er sich daher in der Käuferrolle befindet, kann er in großem Umfang Ersatzansprüche über § 818 Abs. 3 BGB geltend machen.606 Ist er hingegen der Verkäufer, sieht er sich diesen umfangreichen Ersatzansprüchen des Käufers ausgesetzt. Dies ist dann unbedenklich, wenn er Kenntnis vom Missverhältnis hatte und den anderen Teil tatsächlich benachteiligen wollte, dies im Prozess nur nicht bewiesen werden konnte. Wenn der Begünstigte selbst keine Kenntnis vom Missverhältnis zwischen den Leistungen bei Vertragsschluss hatte, ist es hingegen äußerst problematisch. Dann trifft ihn nämlich allenfalls ein sehr geringer Vorwurf.607 In diesen Fällen ist dann auch sein Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags schutzwürdig und seine einseitige Belastung erscheint nicht gerechtfertigt. Genauso ist dann auch sein Interesse am Behaltendürfen der empfangenen Leistung schutzwürdig. Dieses wird aber ebenso wie das der benachteiligten Partei nicht anerkannt. Insgesamt sind die Rechtsfolgen 605 606
Vgl. dazu oben: § 7 C. I. Rechtslage, S. 55 f. Vgl. oben: § 7 F. II. 4. Verwendungs- und Aufwendungsersatz, S. 111 ff. 607 So zu Recht Maaß, NJW 2001, 3467, 3468.
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beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft nicht nur bezüglich des Benachteiligten, sondern auch für den Begünstigten dann nicht interessengerecht, wenn das Missverhältnis nicht aus einer Notsituation der benachteiligten Partei resultiert und wenn der Begünstigte keine Kenntnis davon hatte.608
2. Gefahrtragung und Entreicherungsrisiko Problematisch für den Wucherer oder Begünstigten kann insbesondere die Nichtanwendung der Saldotheorie bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung sein, da sie dazu führt, dass er das Risiko der Entreicherung des anderen Teils trägt. Probleme entstehen für ihn, wenn er der Verkäufer ist und die Sache beim Käufer untergeht. Da in diesen Fällen die Saldotheorie nicht einschlägig ist,609 erhält er nicht nur nicht den Kaufgegenstand oder dessen Wert zurück, sondern muss den gesamten Kaufpreis ersetzen.610 Dies kann man in Fällen des klassischen Wuchers und des Ausnutzens einer Schwächelage beim Bewucherten als weiteren Fall einer Prävention ansehen und sich so damit einverstanden erklären. Da grundsätzlich § 817 S. 2 BGB den Anspruch des Wucherers bereits komplett sperrt, kommt es darauf beim Wucher aber ohnehin nicht mehr an. Durch die Absenkung der Anforderungen, die der BGH an die verwerfliche Gesinnung stellt, kann § 138 Abs. 1 BGB aber schon eingreifen und damit die Saldotheorie ausschließen, wenn der Begünstigte das Missverhältnis gar nicht kannte.611 Dass der Begünstigte dann seine eigene Leistung herausgeben muss, ohne die Gegenleistung zurückzuerhalten, ist in diesen Fällen nicht gerechtfertigt und belastet ihn unbillig.612 Es leuchtet nicht unmittelbar ein, weshalb das Risiko des zufälligen Untergangs hier die bevorteilte Partei tragen soll. Wenn der Begünstigte die andere Partei nicht ausgebeutet hat und der Vertrag nur als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist, ist die Interessenlage durchaus vergleichbar mit der der benachteiligten Partei in der jeweiligen Situation. Im Übrigen würde sich das Ergebnis bei Anwendung der Saldotheorie mit dem einer Vertragsanpassung decken. So führt die Nichtanwendung der Saldotheorie faktisch zu einer Bestrafung der begünstigten Partei. Dies erscheint mit Blick auf die Rechtsprechung des BGH insofern wider608 Wenn beide Parteien im konkreten Fall übereinstimmend die Rückabwicklung vermeiden wollen, besteht die Chance, dass sie sich auf einen angepassten Vertrag einigen. So können sie die gesetzlich unmittelbar vorgesehenen Rechtsfolgen umgehen. Allerdings ist dies deshalb nicht ganz unproblematisch, weil sich der Benachteiligte regelmäßig in der schlechteren Verhandlungsposition befinden wird. 609 Vgl. oben: § 7 E. II. 8. a) Anwendbarkeit der Saldotheorie, S. 91 f. 610 Bei Anwendung der Saldotheorie erhielte er zwar immer noch keinen Ersatz für den untergegangenen Kaufgegenstand, müsste aber den Kaufpreis nur soweit ersetzen, wie dieser über dem Wert des Kaufgegenstands liegt. 611 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 324. 612 So auch Maaß, NJW 2001, 3467, 3468.
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sprüchlich, als dass diese Partei gerade nicht verschärft nach § 819 Abs. 1 BGB haften soll und auch nicht der Haftung aus culpa in contrahendo ausgesetzt ist. Es stellt sich deshalb die Frage nach der Rechtfertigung dieser Bestrafung. Bei Grundstücken ist eine Entreicherung aber deutlich seltener anzutreffen als bei anderen Kaufverträgen, da diese nicht restlos untergehen können. Insofern stellt sich hier die Gefahr nicht in der Tragweite. Möglich ist dies aber bei bebauten Grundstücken, wenn Schäden am Gebäude entstehen oder dieses völlig zerstört wird. Angesichts der enormen wirtschaftlichen Bedeutung, die Grundstücksgeschäfte für den Einzelnen haben, wird kritisiert, dass die Realisierung des dem Begünstigten hier auferlegten Risikos nicht selten zu seinem finanziellen Ruin führe.613 Dies mag in Einzelfällen tatsächlich so sein. Da Gebäude allerdings in der Regel versichert sind und die Versicherungssumme ein Surrogat nach § 818 Abs. 1 BGB darstellt614, ist der Begünstigte für gewöhnlich jedoch ausreichend geschützt.
IV. Zwischenergebnis Entgegen der Ansicht des BGH615 und weiter Teile der Literatur616 sorgt die zwingende Nichtigkeit nicht für einen effektiven Schutz des Benachteiligten. Vielmehr sprechen sowohl die Interessen des Käufers als auch des Verkäufers dafür, das Geschäft aufrechtzuerhalten, statt es rückabzuwickeln. Dass gerade der Bewucherte ein Interesse an der Leistung hat, wird zwar teilweise auch in der Literatur anerkannt.617 Zu selten wird daraus aber die Konsequenz gezogen, nach einer neuen Lösung zu suchen, denn das geltende deutsche Recht erkennt dieses Interesse des Benachteiligten nicht allgemein an. Zwar kann die benachteiligte Partei praktisch auf die Geltendmachung verzichten und damit im Besitz der Leistung bleiben, aber nur mit der Folge, dass auch der ausbeuterische Vertrag bestehen bleibt. Das ist aber gerade der Zustand, der (durch § 138 BGB) behoben werden soll. Nimmt der Benachteiligte von der Rückabwicklung Abstand, tut er dies nicht, weil er mit der Äquivalenzstörung einverstanden ist, 613 So Maaß, NJW 2001, 3467, 3469. 614 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 320. 615 616
BGH WM 1972, 486, 488. Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, 163, 174 f.; Schindler, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und Drohung, S. 28; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 210, der davon spricht, ein Interesse des Bewucherten an der Aufrechterhaltung sei „schlechterdings nicht vorstellbar“; Looschelders, AcP 212 (2012), 581, 628; Ackermann/ Franck, ERCL 2012, 113, 132; Yang, ZJS 2012, 1, 6. 617 Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 206; Rühle, Das Wucherverbot, S. 64; Hager, JuS 1985, 264, 268, der dies für „unstreitig“ hält; ders., Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 96; A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 21 u. 43; Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 278 ff.; für das Schweizer Recht: Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertrag, S. 621; Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 42 N. 156 f., S. 113 N. 421; Bunte in: FS Giger, 55, 74; Stark, Die Übervorteilung, 377, 395.
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sondern weil die zwingende Rückabwicklung für ihn das größere Übel darstellt. Der Profiteur von dieser Situation ist allein der Begünstigte. Dies ist gerechtigkeitstheoretisch bedenklich.618 Verstärkt werden die Bedenken gegen die zwingende Totalnichtigkeit noch durch die komplexe und für beide Parteien unbefriedigende Rückabwicklung, wenn es in der Zwischenzeit, wie bei Grundstückskaufverträgen regelmäßig, zur Belastung oder zu baulichen Veränderungen am Grundstück gekommen ist. Die Vielzahl an zu berücksichtigenden Posten macht die Rückabwicklung unübersichtlich und besonders streitanfällig. Gerade über die Höhe der jeweils zu ersetzenden Aufwendungen, Nutzungen etc. wird häufig zwischen den Parteien Uneinigkeit bestehen. Im Prozess wird dies die Heranziehung von (kostenintensiven) Sachverständigen notwendig machen. Auch das allgemeine Interesse, geschaffene Werte nicht zu zerschlagen, spricht gegen die Rückabwicklung. Die an besonderen Vorlieben und Bedürfnissen orientierte Änderung des Grundstücks kann von Dritten in der Regel nicht entsprechend genutzt werden, was prinzipiell gegen eine Rückabwicklung und für den Versuch spricht, den Vertrag aufrechtzuerhalten. Im Anwendungsbereich der Vermutungsregel, insbesondere wenn der Begünstigte das Missverhältnis nicht kannte, erscheint aber auch dieser schutzwürdig und durch die Rückabwicklung unbillig getroffen. Als Verkäufer stellt die umfangreiche Verpflichtung zum Ersatz eine unangemessene Belastung dar. Genauso kann hier auch der begünstigte Käufer ein Interesse daran haben, die Leistung behalten zu dürfen, wie es auch die benachteiligte Partei regelmäßig hat.
B. Sinn und Zweck I. Die intendierte Präventionswirkung des § 138 BGB 1. Abschreckung des Wucherers Die Rechtsfolge der zwingenden Totalnichtigkeit in § 138 BGB und die Ablehnung alternativer Lösungen werden in Deutschland gemeinhin mit der von § 138 BGB verfolgten Präventionswirkung begründet.619 Sittenwidrige Geschäfte verlören ihr Risiko, wenn der sittenwidrig Handelnde damit rechnen 618
A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 21. Zur Rspr.: BGH NJW 2001, 815, 817; NJW 1987, 2014, 2015; NJW 1979, 1605, 1606; aus der Literatur: MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 161; Kötz, Vertragsrecht, S. 101; Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 129 f.; Krampe, JZ 1975, 574, 576; Petersen, Jura 2010, 419, 420 f.; Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 298; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 65; Bork, BGB AT, § 27 Rn. 1177; Deubner, JuS 1996, 106, 109; Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 53; Leipold, BGB AT, 9. Aufl., § 20 Rn. 42; Köhler, BGB AT, 42. Aufl., § 13 Rn. 31; eine präventive Wirkung der Nichtigkeit allgemein bezweifelnd: Klöhn, AcP 210 (2010), 804, 818. 619
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könnte, durch eine gerichtliche Anpassung das zu erhalten, was gerade noch sittenkonform ist.620 Ansonsten werde der Übervorteilende geradezu zu sittenwidrigem Verhalten ermuntert.621 Durch die Nichtigkeit soll der sittenwidrig Handelnde also von seinem Handeln abgehalten werden, indem er die Vorteile aus dem Geschäft verliert. Gleichzeitig widerspricht aber häufig, wie soeben gezeigt, die zwingende Totalnichtigkeit den Interessen und Bedürfnissen der benachteiligten Partei. Dies wird teilweise auch von den Befürwortern einer zwingenden Gesamtnichtigkeit erkannt,622 müsse aber nach deren Ansicht zum Schutz der Rechts- und Sittenordnung hingenommen werden623.
a) Aushöhlung der Prävention durch die Vermutungsregelung Was die Präventionswirkung des § 138 BGB anbelangt, ist diese für sich genommen aber nur solange ein tragfähiges Argument, wie dadurch ein vorwerfbares Verhalten verhindert wird oder verhindert werden soll. Ein solches setzen – in der Theorie mit der Ausbeutung und verwerflichen Gesinnung – sowohl § 138 Abs. 2 BGB als auch § 138 Abs. 1 BGB voraus. Insofern ist es durchaus nachvollziehbar, den Aspekt der Prävention bei der Begründung der Rechtsfolge heranzuziehen. Praktisch hat jedoch der BGH durch seine Rechtsprechung diese Voraussetzung im Bereich der anfänglichen Äquivalenzstörungen nahezu abgeschafft, indem er – sofern sich eine solche Gesinnung nicht nachweisen lässt – diese bei einem groben Missverhältnis von ca. dem Doppelten einfach vermutet, ja geradezu unterstellt. Sogar in Fällen, in denen der Begünstigte das Missverhältnis nicht einmal kannte, hat der BGH seine Vermutungsregelung angewandt.624 So führt er aus, dass allein das besonders grobe Äquivalenzmissverhältnis es erlaube, auf die verwerfliche Gesinnung als subjektives Merkmal des § 138 Abs. 1 BGB zu schließen.625 Tatsächlich gibt es zahlreiche Stimmen in der deutschen Literatur, die – oft verbunden mit deutlicher Kritik am BGH – 620 St. Rspr., vgl. u. a. BGH NJW 1977, 1233, 1234; NJW 1986, 2944, 2945; NJW 1987, 2014, 2015; NJW 2001, 815, 817; NJW 2009, 1135, 1136 f.; Krampe, JZ 1975, 574, 576; Petersen, Jura 2010, 419, 420 f.; Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 298; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 65; Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 129 f.; Krampe, AcP 194 (1994), 1, 30 f.; Bork, BGB AT, § 27 Rn. 1177; Wiegand, Vertragliche Beschränkungen der Berufung auf Willensmängel, S. 138 f.; Reifner, JZ 1984, 637, 640; Fischer, DRiZ 1974, 209, 212; Köhler, BGB AT, 42. Aufl., § 13 Rn. 31; skeptisch auch: von Hippel, Verbraucherschutz, S. 221 Fn. 19; Deubner, JuS 1996, 106, 109; Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 53; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 44 u. 47; Leipold, BGB AT, 9. Aufl., § 20 Rn. 42; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2017, Rn. 610, für den Fall des Kreditwuchers. 621 Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 65; Fischer, DRiZ 1974, 209, 212; Deubner, JuS 1996, 106, 109. 622 Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 197; Bunte in: FS Giger, 55, 72 ff. 623 Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 197. 624 BGH NJW 2001, 1127, 1128; NJW‑RR 2003, 558, 558 f. 625 Vgl. etwa BGH NJW‑RR 1990, 950 (ohne weitere Ausführungen zur verwerflichen Gesinnung); NJW‑RR 1991, 589; NJW 2001, 1127, 1128.
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von einer Objektivierung des Wuchertatbestands oder sogar der Wiedereinführung der laesio enormis in das deutsche Rechtssystem sprechen.626 Dies mag bei genauer Betrachtung übertrieben sein, gewiss lässt sich die Rechtsprechung aber als (starke) Annäherung an die laesio enormis beschreiben. Bei einer so extensiven Anwendung der Vermutungsregelung rückt der mit § 138 BGB verfolgte Präventionseffekt in zahlreichen Fällen in den Hintergrund, beziehungsweise besteht faktisch nicht mehr. Wo in diesem Fall überhaupt ein Vorwurf zu sehen sein soll beziehungsweise wovor der begünstigte Teil hier abgehalten werden soll, ist schwer erkennbar. Letztlich kann man einen Vorwurf häufig nur darin sehen, dass der Begünstigte sich nicht über den Grundstückswert informiert hat und daraufhin die Entstehung eines groben Missverhältnisses nicht verhindert hat. Dies bedeutet zu Ende gedacht, dass ihn die Pflicht trifft, den anderen Teil über die Wertverhältnisse aufzuklären oder auf andere Weise für ein angemessenes Wertverhältnis zu sorgen627 oder aber vom Rechtsgeschäft Abstand zu nehmen. Grundsätzlich darf jeder Vertragspartner aber davon ausgehen, dass sich der andere Teil selbst im eigenen Interesse über den Marktpreis der Leistung informiert.628 Kommt es jedoch gar nicht mehr zum Nachweis eines vorwerfbaren Verhaltens und sind oft selbst die Indizien schwach, die ein solches nahelegen, überzeugt der Präventionsgedanke als Rechtfertigung der zwingenden Gesamtnichtigkeit nicht mehr. Als Gegenargument gegen eine Vertragsanpassungslösung ist er daher von geringem Gewicht.629
b) Fehlende Geltendmachung durch den Benachteiligten Selbst in den Fällen, in denen ein vorwerfbares Verhalten des Begünstigten tatsächlich vorliegt, erscheint die primäre Ausrichtung der Rechtsfolgen am Gedanken der Prävention nicht überzeugend. Für den Eintritt der Präventionswirkung ist es nämlich erforderlich, dass der Benachteiligte sich auf die Nichtigkeit des Vertrags beruft. Wie die eben erörterte Interessenlage gezeigt hat,630 sind die Rechtsfolgen im geltenden deutschen Recht aus Sicht des Benachteiligten aber häufig äußerst unattraktiv, sodass er sich nicht auf das Missverhältnis berufen 626 Papanikolaou/Karampatzos in: FS Stürner II, 1121, 1135; Flume, ZIP 2001, 1621, 1622; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 711; vgl. auch den Titel des Beitrags von Finkenauer in: FS Westermann, 183 (Zur Renaissance der laesio enormis beim Kaufvertrag) und Mayer-Maly in: FS Larenz, 395 (Renaissance der laesio enormis?); Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 163; A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 36; Jung, ZGS 2005, 95, 100: „Verobjektivierung“; Bunte, NJW 1983, 2674, 2677; Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht?, S. 27 f.: „[…] nicht mehr weit von der laesio enormis […] entfernt“. 627 So richtig: Maaß, NJW 2001, 3467, 3468. 628 Vgl. etwa BGH NJW 2010, 363, 364; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 33; Maaß, NJW 2001, 3467, 3468. 629 Ebenso Roth JZ 1989, 411, 417. 630 A. Interessen der Beteiligten, S. 158 ff. sowie auch § 6 Interessenlage, S. 33 ff.
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wird. Dies gilt gerade dann, wenn er sich in einer Notlage befindet. Jenseits der Situation einer Notlage wird zu Recht angemerkt, dass sich der Benachteiligte auch in Fällen der Unerfahrenheit selten auf die Nichtigkeit berufen wird.631 Die von der Nichtigkeitssanktion der §§ 134, 138 BGB bezweckte Prävention würde in diesen Fällen leer laufen, denn dann bleibt der Leistungsaustausch bestehen und der Wucherer oder Begünstigte behält seinen Vorteil aus dem Geschäft.632 Es kommt für den Begünstigten damit unter Umständen zu keinen Konsequenzen, was die abschreckende Wirkung der Nichtigkeit verringert.
c) Die präventive Wirkung einer Anpassungslösung Wie eine abschreckende Wirkung in dem Umstand liegen soll, dass der sittenwidrig Handelnde das Erlangte herausgeben muss, wird teilweise schon für sich genommen bezweifelt bzw. verneint.633 Die Bedenken mangelnder Prävention können zudem noch weiter entkräftet werden, wenn man auf Rechtsfolgenseite zu einer Anpassung des Vertrags gelangt, die nicht bloß in einer Reduktion auf das gerade noch zulässige Maß, sondern auf den Marktpreis besteht. Auf diese Weise hätte der Begünstigte tatsächlich „Etwas zu verlieren“, nämlich die Differenz zwischen Marktpreis und gerade noch zulässiger Überhöhung des Kaufpreises. So ist die Nichtigkeitsandrohung keineswegs die einzig mögliche Sanktion, um eine effektive Prävention zu gewährleisten. Man könnte sogar noch weiter gehen und behaupten, dass von einer Anpassung auf den angemessenen Preis eine viel stärkere Präventionswirkung ausgeht als von der Nichtigkeit.634 Denn sofern der Begünstigte im Falle der Nichtigkeit seine Leistung zurückverlangen kann, kann er sie in vielen Fällen erneut zu einem wucherischen, jedenfalls aber zu einem knapp unter der Wuchergrenze liegenden Entgelt veräußern oder bei Grundstücken versuchen, die in der Zwischenzeit entstandene Wertsteigerung durch einen erneuten Verkauf zu realisieren. Das Risiko, das er mit dem wucherischen Geschäft eingeht, ist entgegen zahlreicher Ansichten tatsächlich also eher gering. Der Begünstigte muss sich nur ein neues Opfer für sein „Geschäftsmodell“ suchen.635 631 Von Hippel, Verbraucherschutzrecht, S. 221; Bunte in: FS Giger, 55, 74. 632 Vgl. Gebhardt für vergleichbare Präventionsfunktion der Haftung aus culpa
in contrahendo, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 56. Ebenso Hager, der daher für eine Teilnichtigkeit plädiert, vgl. Hager, JuS 1985, 264, 265 ff. 633 Wagner, AcP 206 (2006), 352, 367; Klöhn, AcP 210 (2010), 804, 818. 634 Dass dies durchaus der Fall sein kann, erkennen auch an: Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 81; ebenso Rinck, AcP 152 (1952/1953), 481, 493, der die Nichtigkeit aus Sicht des Begünstigten als Privileg bezeichnet; ähnlich, aber mehr auf den Aspekt der Strafe als auf Prävention abstellend: Gschnitzer in Klang IV/1, S. 169. Dass jedenfalls durch eine Reduzierung der überhöhten Leistung nicht unbedingt der Sanktionscharakter des § 138 BGB gefährdet ist: Knobel, Wandlungen im Verständnis der Vertragsfreiheit, S. 174. 635 Dies funktioniert im deutschen Recht beim Sachwucher freilich nur, solange
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Diese Möglichkeit hat er nicht, wenn der Vertrag angepasst wird. Weiß der Begünstigte, dass falls der Benachteiligte sich nach Abschluss des Geschäfts auf die Sittenwidrigkeit berufen kann und dies die Anpassung seiner Leistungsverpflichtung zur Folge hat, er mit dem Geschäft also überhaupt keinen Gewinn mehr machen kann, hält ihn dies viel stärker von der Durchsetzung wucherischer Bedingungen ab. Gerade wenn der Begünstigte der Verkäufer ist, spricht für eine stärkere Präventionswirkung der Vertragsanpassung – besonders bei Grundstückskaufverträgen – zusätzlich, dass die Preise durch Inflation etc. eher steigen und er allein deshalb ein großes Interesse hat, den Gegenstand wiederzuerlangen. Wenn schließlich der Zweck der generalpräventiven Wirkung der Totalnichtigkeit darin liegt, die benachteiligte Partei vor den vertraglichen Pflichten des sittenwidrigen Vertrages zu bewahren, wird zu Recht eingewandt, dass dafür die Totalnichtigkeit als Abschreckung nicht notwendig sei.636 Insoweit bedarf es nämlich keines präventiven Eingriffs, da schon die Reduktion auf das zulässige Maß die benachteiligte Partei vom Übermaß befreit. Erst bei Nachteilen, die nicht durch eine Reduktion vermieden werden können, kann die Totalnichtigkeit sinnvoll zur präventiven Verhaltenssteuerung beitragen.637 So spricht der Präventionsgedanke bei näherer Betrachtung oft tatsächlich eher für eine Anpassung als für die Nichtigkeit.
d) Kriminologischer Aspekt Teilweise werden auch Zweifel daran geäußert, ob von der zwingenden Gesamtnichtigkeit überhaupt tatsächlich eine abschreckende Wirkung ausgeht. Denn eher der Grad der Wahrscheinlichkeit, den Prozess zu verlieren, nicht die Höhe der Sanktion, werde den Wucherer abschrecken.638 Dieser Gedanke erscheint plausibel, deckt er sich doch mit kriminologischen Erkenntnissen über die Gründe, die einen Täter von der Begehung rechtswidriger Taten abschrecken.639 Und diese liegen ab einem gewissen Punkt nicht mehr in der Höhe der möglichen Strafe, sondern in der Wahrscheinlichkeit, überhaupt bestraft beziehungsweise entdeckt zu werden.640 Diese Erkenntnis dürfte sich jedoch nicht bloß auf das Strafrecht beschränken, sondern allgemein für alle Fälle der § 817 S. 2 BGB nicht eingreift, da dieser den Rückgabeanspruch des Wucherers sperrt, vgl. oben: § 7 E. I. 3. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 70 ff. Da der Nachweis des dazu erforderlichen subjektiven Elements aber häufig nicht gelingt, fallen solche Fälle auch unter § 138 Abs. 1 BGB, wobei hier die beschriebene Problematik zutrifft. 636 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 388 f. 637 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 389. 638 Rühle, Das Wucherverbot, S. 70; Bunte in: FS Giger, 55, 57 u. 62. 639 Vgl. allgemein dazu Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, 7. Aufl., § 41, S. 729 ff. 640 Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, 7. Aufl., § 41 Rn. 13, S. 735: „die (wahrgenommenen) Sanktionsrisiken [sind] eher als die (wahrgenommene) Sanktionsschwere verhaltensbeeinflussend“.
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Verhinderung pflichtwidrigen Verhaltens gelten. Dieses Argument sollte daher bei der Frage nach den angemessenen Rechtsfolgen berücksichtigt werden. Es spricht zusätzlich gegen die Bedeutung der Totalnichtigkeit für die Prävention.
2. „Prävention“ gegenüber dem Bewucherten Wenn wohl auch nicht vom Gesetzgeber intendiert, kann man sich fragen, ob nicht die zwingende Nichtigkeit und der Umstand, dass der Benachteiligte stets die erhaltene Leistung zurückgeben muss, aus einem ganz anderen Grund dazu beiträgt, anfängliche Äquivalenzstörungen zu verhindern. Und zwar weil der Benachteiligte aufgrund der für ihn ungünstigen Rechtsfolgen schon im Vorfeld größere Anstrengungen unternimmt, sich davor zu schützen, ausgebeutet zu werden beziehungsweise unvorteilhafte Geschäfte abzuschließen und es dadurch insgesamt zu weniger Fällen massiv äquivalenzgestörter Verträge kommt als es der Fall wäre, wenn er sich auf Lösungen wie etwa ein Anpassungsrecht verlassen könnte. Das Argument könnte zugespitzt lauten, dass es sich bei der Existenz einer Anpassungslösung lohne, sich ausbeuten zu lassen und man nicht versucht, sich dagegen zu wehren, sondern im Anschluss die für einen günstigen Rechtsfolgen das Ergebnis korrigieren lässt. Gegen eine solche Argumentation gilt es jedoch zweierlei einzuwenden. Zum einen muss man sehen, dass praktisch § 138 Abs. 1 BGB in Form des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts und seiner Vermutungsregelung die zentrale Norm bildet, diese Vermutung aber zum einen nur bei einem Missverhältnis von mindestens 90 % eingreift, zum anderen zusätzlich nur bei Geschäften über Gegenstände von großem Wert.641 Alle zwischen null und 90 % liegenden Äquivalenzstörungen werden also gerade nicht erfasst, obwohl diese unzweifelhaft einen enormen Verlust für die benachteiligte Partei bedeuten. Schon dieser Umstand dürfte für den später Benachteiligten eine ausreichende Warnung darstellen und ihn dazu veranlassen, sich vorab (auf eigene Kosten) Informationen einzuholen. Es ist keinesfalls so, dass sich die benachteiligte Partei stets darauf verlassen könnte, dass sie im Nachhinein die Möglichkeit erhält, für sie sehr unvorteilhafte Verträge anpassen zu lassen. Weshalb nun gerade die Steigerung des Missverhältnisses um einige Prozentpunkte, welche zur Anwendung der Vermutung führen, einen solch starken verhaltenssteuernden Einfluss besitzen soll, erscheint fraglich. Zum anderen scheint ein solcher Einwand sich auf einen anderen tatsächlichen Sachverhalt zu stützen und erfolgt, wenn er die Rechtsfolge der zwingenden Totalnichtigkeit zu rechtfertigen versucht, an falscher Stelle. Sofern man nämlich argumentiert, die strenge Rechtsfolge zwinge den Benachteiligten bereits im Vorfeld zur besseren Verteidigung oder Suche nach Alternativen, setzt man damit voraus, dass es solche gibt. Das wiederum lässt es aber fraglich er641
Zur Wertgrenze vgl. die Rspr. in Kapitel 2 Fn. 22.
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scheinen, ob der Bewucherte sich tatsächlich in einer Notlage befindet, denn soweit einfache Ausweichmöglichkeiten bestehen, liegt im Zweifel eine solche gar nicht vor. Diese kennzeichnet sich ja gerade dadurch, dass der Bewucherte speziell auf die Leistung des Wucherers angewiesen ist, um seiner Notlage zu entkommen. Wenn für ihn die zumutbare Möglichkeit besteht, sich die Leistung anderweitig am Markt zu angemessenen Konditionen zu beschaffen, besteht gerade keine Notlage.642 Zuzustimmen ist den Bedenken daher insofern, als dass es einer genauen Prüfung der Umstände bedarf, ob tatsächlich eine der Schwächelagen beim Bewucherten vorliegt. Insofern gehen solche Einwände in die Richtung derer, die eine Absenkung der Eingriffsvoraussetzungen befürchten.643 Die zuletzt geltend gemachten Einwände treffen freilich nicht auf alle Fälle des wucherähnlichen Rechtsgeschäftes zu, da dieses praktisch unabhängig von einer Schwächelage des Benachteiligten eingreift. Hier gilt jedoch zuvor Gesagtes, dass der drohende Verlust bereits unterhalb der Schwelle von 90 % ausreichend hoch ist, um sich vorab – gegebenenfalls unter Heranziehung eines Sachverständigen – über die Wertverhältnisse zu informieren.
II. Richterlicher Eingriff 644 Die zweite argumentative Säule, auf der die zwingende Gesamtnichtigkeit fußt, sind Bedenken, dass bei der Alternative in Form einer Vertragsanpassung letztendlich ein Richter die Vertragsanpassung vornehmen muss und so in den Vertrag eingreift.645 Dadurch würde den Parteien die ihnen durch die Privatautonomie garantierte Herrschaft über ihren Vertrag entzogen und unzulässigerweise in die Hände des Gerichts gelegt.646 Zudem sei das Gericht gar nicht 642 BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 51; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 203; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 274; ähnlich: Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 260. 643 Vgl. zu diesen § 13 C. II. 3. c) Absenkung der Tatbestandsvoraussetzungen, S. 335 f. 644 Vgl. zu diesem Punkt ausführlich unten: § 13 C. II. Privatautonomie und Bedenken bezüglich richterlicher Moderation, S. 328 ff.; daher erfolgt an dieser Stelle nur eine sehr knappe Darstellung. 645 BGH NJW 2009, 1135, 1136; NJW 1997, 3089, 3090; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 161; Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 196 ff.; Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 298; Zimmermann, JR 1982, 96, 97; ders., Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 44; Flume, AT II, S. 389; Fischer, DRiZ 1974, 209, 212; Yang, ZJS 2012, 1, 6; Sandrock, AcP 159 (1960/61), 481, 539; Krampe, AcP 194 (1994), 1, 33 f. u. 35; Lammel, AcP 189 (1989), 244, 255 u. 286; Köhler, JuS 2010, 665, 669; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 386 f.; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 47; BeckOGK/ Jakl, 01.01.2018, BGB § 138 Rn. 636; ähnlich Enneccerus/Nipperdey, BGB AT II, § 192 III 1, S. 1178; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 47; NK‑BGB/Looschelders, 3. Aufl., § 138 Rn. 136; jurisPK‑BGB/Nassall, 8. Aufl., § 139 Rn. 55. 646 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 386; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 47; Flume, AT II, S. 389; Lammel, AcP 189 (1989), 244, 255 u. 286; BeckOGK/Jakl, 01.01.2018, BGB § 138 Rn. 636; NK‑BGB/Looschelders, 3. Aufl., § 138 Rn. 136; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 91; Yang, ZJS 2012, 1, 6.
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in der Lage, Verträge mit den ihnen zugrundeliegenden individuellen Bedürfnissen und Interessen sachgerecht umzugestalten.647 Auch die Bedenken gegen einen richterlichen Eingriff in den Vertrag vermögen nicht zu überzeugen, besitzen aber jedenfalls nicht die Stärke, von der ihre Anhänger ausgehen. Eingriffsmöglichkeiten des Gerichts in den Vertrag, auch bei Festsetzung der Hauptleistungspflichten, sind dem deutschen Recht und dem BGB, wenn sie auch nicht die Regel darstellen, keinesfalls fremd. So sieht das BGB selbst in § 315 Abs. 3 und § 319 Abs. 1 oder § 343648 ausdrücklich eine Festsetzung durch das Gericht vor. Ebenso muss in den Fällen der §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 655 und § 818 Abs. 2 BGB letztlich der Richter festlegen, was die übliche Vergütung darstellt. Das BGB betraut den Richter also ohnehin schon in zahlreichen Fällen mit der Festlegung des üblichen Preises, sodass darin schwerlich der völlige Systembruch gesehen werden kann, als der eine Anpassung zuweilen dargestellt wird.649 Zudem muss der Richter bereits bei der Festlegung, ob ein wucherisches Entgelt vorliegt, den Marktpreis bestimmen, dient der Marktpreis doch als Maßstab für die Feststellung der Äquivalenzstörung. Dabei legt der Richter schon auf Tatbestandsseite einen angemessenen Preis fest, indem er bestimmt, um welchen Teil das vereinbarte Entgelt über dem marktüblichen Entgelt liegt. Schon hier teilt er das Entgelt somit in einen marktüblichen Teil und einen überhöhten Teil und nimmt damit eine Teilung des vereinbarten Entgelts vor. Weiter ist im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung und der Störung der Geschäftsgrundlage eine Anpassung der vertraglich vereinbarten Verpflichtungen anerkannt.650 Schon an dieser Stelle sei zudem kurz darauf hingewiesen, dass alle wichtigen Harmonisierungsentwürfe, bis auf das CESL, für Fälle der Äquivalenzstörung eine Anpassung des Vertrages durch das Gericht zulassen.651 Schließlich stellt auch die Nichtigkeit einen starken Eingriff in den Parteiwillen dar und es darf bezweifelt werden, dass dieser grundsätzlich geringer ist als eine etwaige Anpassung.652 Bezüglich der Bedenken, die gerichtliche Vertragsgestaltung würde den Richter überfordern, mag dieser Befürchtung für gewisse Fälle zugestimmt 647 Fischer, DRiZ 1974, 209, 212; ähnliche Bedenken äußern auch Blomeyer, Der gerechte Preis, 77, 94; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 44. 648 Dagegen aus § 343 BGB die Möglichkeit der Anpassung zu ziehen, jedoch ohne irgendeine Begründung: Flume, AT II, S. 389. 649 Ebenso: Rühle, Das Wucherverbot, S. 70; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 220; Bunte, NJW 1983, 2674, 2677; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 213; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 402 f.; Wolf, Willensmängel in einem europäischen Vertragsrecht, 85, 113. 650 Koziol, AcP 188 (1988), 183, 220. 651 Vgl. dazu unten: § 12 A. II. 2. Vertragsanpassung, S. 292 ff.; und auch Übersicht bei Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 153 N. 578. 652 Vgl. dazu noch unten: § 13 C. II. Privatautonomie und Bedenken bezüglich richterlicher Moderation, S. 328 ff.
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werden. In den Fällen der Festlegung eines angemessenen Preises eines Grundstücks oder eines sonstigen Gegenstands erscheint die Befürchtung jedoch weit übertrieben, da es mit dem Marktpreis eine relativ sichere Orientierung gibt, die beiden Parteien wirtschaftlich zuzumuten ist. Zudem wird zur Ermittlung des Marktpreises regelmäßig ein Sachverständiger eingeschaltet werden, wobei es sich um einen in der gerichtlichen Praxis alltäglichen Vorgang handelt. Anpassungen in anderen Punkten, insbesondere im Rahmen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, stellen sich als weitaus problematischer dar. Auch wenn beim richterlichen Eingriff zur Korrektur einer privatautonomen Gestaltung grundsätzlich (und aus guten Gründen) Zurückhaltung geboten ist, ist diese Möglichkeit dem deutschen Recht keinesfalls so fremd, dass der Verweis auf die damit einhergehenden Gefahren geeignet ist, die Bedenken, die gegen die zwingende Totalnichtigkeit sprechen, von vornherein zu entkräften.
III. Zwischenergebnis Die beiden von den Unterstützern der zwingenden Totalnichtigkeit vorgetragenen Argumente sind keineswegs völlig von der Hand zu weisen und scheinen auf den ersten Blick durchaus plausibel. Bei näherer Betrachtung ergibt sich allerdings ein anderes Bild. Die von der Totalnichtigkeit ausgehende Abschreckungswirkung muss ernsthaft bezweifelt werden und bereits bei einem kurzen Blick auf die Argumente gegen eine richterliche Vertragskorrektur erscheinen diese übertrieben. Zudem müssen die Bedenken mit den aus ihnen resultierenden Folgen und den damit einhergehenden Nachteilen sorgfältig abgewogen werden. Und bei dieser überwiegen angesichts der Interessenwidrigkeit der Rechtsfolgen die Nachteile.
C. Systematik Nach dem Blick auf die Interessenlage und darauf, ob die die Rechtsfolge des § 138 BGB tragenden Argumente überzeugen, soll nun untersucht werden, inwiefern die zwingende Totalnichtigkeit beim Sachwucher sich in systematischer Hinsicht überzeugend in das BGB einfügt. Hierbei geht es vor allem um das Verhältnis der Rechtsfolgen bei Äquivalenzstörungen im Rahmen von § 138 BGB zu § 123 Abs. 1 BGB (I.) und den Rechtsfolgen des Wuchers bei verschiedenen Vertragstypen (III.).
I. Konkurrenz zwischen § 138 und § 123 BGB 1. Bestehende Kritik Besonderer systematischer Kritik sieht sich das Verhältnis der Rechtsfolgen von § 138 BGB zu § 123 Abs. 1 BGB ausgesetzt. Es wird ein Systembruch darin ge-
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sehen, dass eine Drohung oder Täuschung im Rahmen von § 123 Abs. 1 BGB nur zur Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts führe, ein grobes Missverhältnis und eine verwerfliche Gesinnung beziehungsweise Ausbeutung aber zur Nichtigkeit ipso iure.653 Damit stünde unter Umständen der „schlimmer“ Handelnde besser als derjenige, der der Begünstigte eines groben Missverhältnisses ist. Während nämlich bei § 138 Abs. 2 BGB der Wucherer „nur“ eine bestehende Schwächelage des anderen Teils ausnutzt, wird die die Willensbildung beeinträchtigende Lage in § 123 Abs. 1 BGB erst durch den Täuschenden vorsätzlich geschaffen.654 Insbesondere erfüllen sowohl eine arglistige Täuschung als auch widerrechtliche Drohung den Tatbestand der Sittenwidrigkeit des § 138 Abs. 1 BGB.655 Aus der Existenz des § 123 BGB wird gemeinhin aber – und in systematischer Hinsicht zu Recht – geschlossen, dass sofern „nur“ eine Täuschung oder Drohung vorliegt, § 123 Abs. 1 BGB vorrangig und § 138 BGB gesperrt ist.656 Nur wenn zusätzliche Umstände zur Täuschung oder Drohung hinzutreten, kann § 138 BGB neben § 123 Abs. 1 BGB anwendbar sein und zur ipso iure-Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führen.657
2. Stellungnahme In der Tat ist es schwer einzusehen, dass derjenige, der die Äquivalenzstörung zu seinen Gunsten oder einen aus anderen Gründen für ihn vorteilhaften Vertrag durch Täuschung des Vertragspartners erreicht, nicht von der zwingenden Nichtigkeitsfolge des § 138 BGB getroffen werden soll, wo doch der BGH gerade mit Berufung auf die Sanktionswirkung des § 138 BGB nicht von der zwingenden Nichtigkeit abweichen will658. Zumal in Fällen des § 123 Abs. 1 BGB regelmäßig auch der Straftatbestand des Betrugs gemäß § 263 StGB beziehungsweise der Nötigung (§ 240 StGB) oder Erpressung (§ 253 StGB) vorliegen wird.659 653 Finkenauer in: FS Westermann, 183, 295; Maaß, NJW 2001, 3467, 3468; Majer, NJW 2013, 644, 649; Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 189 ff.; von Tuhr, BGB AT II/2, S. 42 f.; es gibt aber auch vereinzelt gegenteilige Stimmen: Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 209 f.; Peters, JR 2006, 133, 137. 654 Peters, JR 2006, 133, 137. 655 Köhler, JuS 2010, 665, 667; Peters, JR 2006, 133, 137; Erman/Schmidt-Räntsch, 15. Aufl., § 138 Rn. 6; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 26 Rn. 43; BGB‑RGRK/Krüger-Nieland/ Zöller, 12. Aufl., § 138 Rn. 10. 656 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 343; kritisch dazu: Peters, JR 2006, 133, 137, der für eine Konkurrenz zwischen § 123 und § 138 BGB plädiert und wonach eine Berufung auf § 138 BGB auch trotz Ablaufens der Anfechtungsfrist des § 124 BGB möglich sein soll. Nur wenn das Opfer der unzulässigen Beeinflussung am Vertrag festhalten möchte, verdränge § 123 BGB den § 138 BGB. 657 BGH NJW 1997, 254, 254; NJW 1988, 2599, 2601; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 5; Brox/Walker, BGB AT, 43. Aufl., § 14 Rn. 12; Schindler, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und Drohung, S. 30. 658 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 619 f. 659 So zu Recht: Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 190.
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Zwar ist es das Gesetz selbst, das für Fälle der Täuschung und Drohung bloß die Anfechtbarkeit statt der zwingenden Nichtigkeit normiert. Gemein ist aber beiden Fällen, dass es sich um einseitige Verstöße einer Partei gegenüber dem zukünftigen Vertragspartner handelt, während dieser schutzwürdig ist. Gleichzeitig ist es auch der Zweck der jeweiligen Vorschriften, den potentiellen Vertragspartner vor Täuschung und Zwang beziehungsweise Ausbeutung zu schützen. Zudem beziehen sowohl § 138 Abs. 2 BGB als auch das wucherähnliche Rechtsgeschäft ebenso wie § 123 Abs. 1 BGB die Umstände des Vertragsschlusses mit ein. Und es gibt zumindest Anlass zum Nachdenken, weshalb in einem Fall der schutzwürdigen Partei die Wahl über die Gültigkeit des Vertrags überlassen wird, im anderen aber nicht. Es wirft deshalb auch aus systematischer Sicht die Frage auf, ob die zwingende Nichtigkeit die richtige Lösung des Problems äquivalenzgestörter Verträge darstellt. Der Grund, dass in Fällen der Täuschung und Drohung der Vertrag anfechtbar und nicht automatisch nichtig ist, wird darin gesehen, dass der Getäuschte beziehungsweise Bedrohte und dessen „freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiete“660 geschützt werden sollen. Dabei wird sein Interesse anerkannt, am Vertrag trotz Täuschung oder Drohung festzuhalten,661 denn er möchte vielleicht lieber Schadensersatz- oder Gewährleistungsansprüche geltend machen, statt den Vertrag rückabzuwickeln. Auch ist es möglich, dass er trotz Täuschung oder auch Drohung, obwohl dies bei der Drohung schwerer vorstellbar ist, mit dem Geschäft zufrieden ist. Genau dieses Interesse kann der Benachteiligte aber auch haben und es gibt keinen Grund, weshalb sein Interesse hier nicht ebenso schützenswert ist wie das des Getäuschten. Dem Benachteiligten wird aber keine Möglichkeit zur Aufrechterhaltung eines sich für ihn in der Zwischenzeit als vorteilhaft erwiesenen Geschäfts gegeben. Der durch das Wucherverbot intendierte Individualschutz kann sich somit in bestimmten Fällen in sein Gegenteil verkehren.662 Der stets bemühte Präventionsgedanke ist bei alledem nur mäßig überzeugend, würde er doch eine Gleichbehandlung nahelegen, denn typischerweise dienen Täuschung und Drohung dazu, das Opfer zum Abschluss eines nachteiligen Vertrags zu bewegen, den es anderenfalls nicht abschließen würde. Es handelt sich bei der Intensität der Willensbeeinträchtigung bei § 123 Abs. 1 BGB regelmäßig auch um den schwereren Verstoß als bei § 138 Abs. 2 BGB, was sich nicht zuletzt auch an der unterschiedlichen Höhe der Strafandrohung erkennen lässt. Bei § 138 Abs. 1 BGB wird häufig eine solche Beeinträchtigung der Willensbildung bzw. -umsetzung nicht einmal vorliegen. Das würde für § 123 660
Motive I, S. 204. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 209; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 2. 662 Zutreffend: Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 191; Gutmann, Zwang und Ausbeutung beim Vertragsschluss, S. 55 f. 661
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Abs. 1 BGB eine Rechtsfolge nahelegen, die ein Mehr an Prävention gewährleistet. Nach der Logik der Befürworter einer Totalnichtigkeit bei Äquivalenzstörungen müsste in Fällen der Täuschung und Drohung erst recht die Totalnichtigkeit eingreifen. Nichts anderes gilt, wenn man die bloße Anfechtbarkeit in Fällen von § 123 Abs. 1 BGB damit begründet, dass die Privatautonomie des Getäuschten bzw. Bedrohten formal gewahrt bleibe, da diese ihre Entscheidung aus einer intakten Sphäre treffen und nur die materielle Entscheidungsfreiheit tangiert sei,663 denn nichts anderes gilt für die Fälle des § 138 BGB, wenn man bloß darauf abstellt, dass rein formal eine Wahlmöglichkeit besteht. Für eine Gleichbehandlung spricht jenseits der durchaus ähnlichen Interessenlage zusätzlich die dogmatische Nähe des Wuchertatbestands und des wucherähnlichen Rechtsgeschäftes zum Irrtumsrecht beziehungsweise den Willensmängeln der §§ 119 ff. BGB allgemein. Während es beim Wucher zu einer Beeinträchtigung der freien Willensbildung oder Umsetzung des Willens kommt, liegt in den Fällen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts in der Regel ein Wertirrtum der benachteiligten Partei vor. Und was die subjektiven Merkmale des Bewucherten in § 138 Abs. 2 BGB betrifft, beschreiben sie alle Fälle, in denen die freie Willensbildung in materieller Hinsicht beeinträchtigt ist. Insofern ähnelt § 138 Abs. 2 BGB dem § 123 Abs. 1 BGB und § 138 Abs. 1 BGB dem § 119 Abs. 2 BGB (sofern kein vorwerfbares Verhalten des Begünstigten vorliegt; ist ein solches gegeben, besteht ebenfalls eine Parallele zu § 123 Abs. 1 BGB). Auch könnte man auf die Idee kommen, dass § 138 BGB, insofern anders als § 123 Abs. 1 BGB, über ein individuelles Interesse vor allem öffentliche Interessen schützt oder schützen soll und daher die Entscheidung über die Rechtsfolge der Disposition der geschützten Partei entzogen wird. Zweifellos dient § 138 BGB (auch) dem Schutz öffentlicher Interessen.664 Ob öffentliche Interessen bei anfänglichen Äquivalenzstörungen i. R. v. § 138 BGB aber stärker tangiert sind als in den Fällen des § 123 Abs. 1 BGB, erscheint zweifelhaft, wenn man die zu § 123 Abs. 1 BGB bestehenden parallelen Strafvorschriften der §§ 240, 253, 263 StGB betrachtet.665 Insofern wird argumentiert, dass in den Fällen des § 123 Abs. 1 BGB dem öffentlichen Interesse durch die entsprechenden strafrechtlichen Vorschriften bereits genügt wird, sodass eine weitere zivilrechtliche Präventionswirkung nicht erforderlich sei.666 Das überzeugt, denn präventive Aspekte sollten im Zivilrecht nur soweit eine Rolle spielen, wie sie 663 Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 41 Rn. 4 f.; Flume, AT II, S. 530; so bereits Savigny, System III, S. 99 f. 664 Vgl. zum Zweck des § 138 BGB unten: § 14 B. VI. 2. b) aa) Normzweck von § 138 BGB, S. 406 f. 665 Darauf weisen mit Recht hin: Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 160; Martens, AcP 211 (2011), 845, 879. 666 So z. B. MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 157.
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den (schutzwürdigen) Interessen der Beteiligten nicht widersprechen.667 Jedoch besteht auch für den Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB mit § 291 StGB ein weitgehend parallel gefasster Straftatbestand, der nicht nur den Kredit- oder Mietwucher, sondern auch den Sachwucher und allgemein jede wucherische Leistung erfasst. Dem öffentlichen Interesse an der Bekämpfung des Wuchers kann also ebenso durch das Strafrecht Genüge getan werden. Die Argumentation ist daher nicht nur nicht überzeugend, sie baut darüber hinaus auch auf unrichtigen Tatsachen auf. Zumal die Strafandrohung beim Betrug mit bis zu fünf Jahren über der des Wuchers mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren liegt, der Gesetzgeber also den Betrug sogar für das schwerere Delikt hält. Demzufolge überzeugt die Ungleichbehandlung noch weniger. Weiter leuchtet es nicht ein, dass es dem Wucherer gestattet werden soll, sich auf die Nichtigkeit des Vertrags nach § 138 BGB zu berufen, während sich der Täuschende oder Drohende an seiner Willenserklärung festhalten lassen muss. Nun kann man den Unterschied im Inhalt des Vertrages sehen. Ein durch Täuschung oder vorvertragliche Pflichtverletzung zustande gekommener Vertrag mag inhaltlich unauffällig sein. Es bedeutet aber nicht, dass deshalb der unausgeglichene Vertrag nichtig sein muss, denn allein ein unangemessener Inhalt ließe sich anpassen und allein der Inhalt ist für den Eintritt der Rechtsfolge des § 138 BGB auch nicht entscheidend, man vergleiche nur den Kauf zum Freundschaftspreis bei dem die Leistungen ebenfalls nicht gleichwertig sind oder aus jüngster Zeit die Fälle extremer Missverhältnisse bei Internetversteigerungen668. Pflichtwidriges Handeln auch und gerade gegenüber dem Vertragspartner wiederum führt grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des Vertrags, sondern zu Ansprüchen aus culpa in contrahendo. Sieht man daher das Verhalten gegenüber dem Vertragspartner als entscheidend an, so spricht auch dies für eine Gleichbehandlung mit der Anfechtung (und der c. i. c.) und daher gegen die Nichtigkeit. Zudem wird typischerweise auch ein nach § 123 Abs. 1 BGB anfechtbarer Vertrag für den Anfechtungsberechtigten nachteilig sein, denn sonst hätte der andere Teil nicht täuschen oder drohen müssen. Insgesamt ist daher denjenigen, die einen Widerspruch bei den Rechtsfolgen zwischen § 123 Abs. 1 BGB und § 138 BGB sehen, zuzustimmen. Für eine Gleichbehandlung (in dem Sinn, dass auch bei anfänglichen Äquivalenzstörungen ein Anfechtungsrecht besteht) spricht neben der ähnlichen Interessenlage und dem Schutzzweck669 in dogmatischer Hinsicht die Nähe von 667 Vgl. zur Zulässigkeit präventiver Aspekte im Zivilrecht auch unten: § 13 A. II. Problemaufriss, S. 315 ff. 668 Hier verneinte der BGH jeweils eine Nichtigkeit aufgrund eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts, da aufgrund des besonderen Verfahrens bei Internetversteigerungen auch ein noch so großes Missverhältnis keinen Schluss auf die verwerfliche Gesinnung begründen könne, vgl. BGH NJW 2012, 2723; NJW 2015, 548. 669 Zum Zweck von § 138 BGB vgl. unten: § 14 B. VI. 2. b) aa) Normzweck von § 138 BGB, S. 406 f.; dieser lässt sich nur schwer allgemein fassen. In diesem Fall geht es um
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Äquivalenzstörungen zum Irrtumsrecht bzw. dem Recht der Willensmängel allgemein.670
II. Rolle des § 817 S. 2 BGB Problematisch ist auch die Rolle des § 817 S. 2 BGB in den vorliegenden Fällen. Die Kritik und die Schwierigkeiten betreffen dabei mehrere Punkte. Dies sind zum einen die Ergebnisse seiner Anwendung in Fällen des Sachwuchers nach § 138 Abs. 2 BGB, zum anderen im Vergleich dazu die Nichtanwendung auf Kaufverträge in den Fällen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB und schließlich die unterschiedliche Handhabung bei verschiedenen Arten des Wuchers.
1. § 817 S. 2 BGB beim Sachwucher nach § 138 Abs. 2 BGB a) Kritik am Ergebnis Wie beschrieben, steht § 817 S. 2 BGB dem Rückforderungsanspruch des Wucherers aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB entgegen.671 Das führt dazu, dass – sofern die Leistungen schon ausgetauscht wurden – der Bewucherte die erhaltene Leistung behalten darf und gleichzeitig die eigene Leistung zurückfordern kann. Dieses Ergebnis stößt auf Kritik. Es wird als unbillig empfunden, dass der Bewucherte plötzlich gratis in den Genuss der Gegenleistung gelangt.672 Weder hat der Bewucherte einen Anspruch darauf, die Leistung kostenlos zu erhalten noch stellt sie einen Ausgleich für etwaige sonstige Nachteile dar, die er durch die Ausbeutung erleidet. Diese kann er schon über die Haftung des Wucherers wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung aus culpa in contrahendo ersetzt verlangen. Aus Sicht des Bewucherten stellt der letztlich entgeltlose Erhalt der Gegenleistung einen nicht gerechtfertigten Vorteil dar.673 Der Schutz vor Ausbeutung, den § 138 Abs. 2 BGB gewähren soll, erfordert dieses Ergebnis nämden Zweck des Wucherverbotes, das nach hier vertretener Auffassung dem Schutz einer Partei vor Ausbeutung dient und damit in erster Linie Individualinteressen schützt und nur sekundär dem Allgemeininteresse dient. 670 Vgl. zu den sich daraus ergebenden Konsequenzen unten: § 15 D. Eintritt der Rechtsfolgen, S. 429 ff. und E. Frist, S. 434 ff. 671 Vgl. dazu oben: § 7 E. I. 3. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 70 ff. 672 Cahn, JZ 1997, 8, 13; F. Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 351; Rauber, Die Übervorteilung, S. 64 f.; Wazlawik, ZGS 2007, 336, 343; Raiser, JZ 1951, 716, 719; Medicus in: GS Dietz, 61, 61 ff.; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 172; Roth, ZHR 153 (1989), 423, 428, der darin eine Form der unzulässigen Privatstrafe sieht; A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 47 f.; ebenso sah es auch das Reichsgericht 1936, wobei es dann trotzdem dem bewucherten Darlehensnehmer die Darlehensvaluta endgültig und ohne die Verpflichtung zur Zinszahlung zusprach, RGZ 151, 70, 73 f. 673 Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 172; F. Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 351; Wazlawik, ZGS 2007, 336, 343; für den Kreditwucher Honsell,
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lich nicht.674 Diesem ist bereits dann Genüge getan, wenn der Bewucherte seine Leistung zurückerhält und die erhaltene Leistung wieder herausgibt oder wenn der Vertrag angepasst wird. Das Ergebnis ließe sich allenfalls mit generalpräventiven Erwägungen begründen.675 Dadurch dass der Wucherer seine Leistung nicht zurückfordern kann, wird er zusätzlich – neben der schon mit der Nichtigkeitssanktion des § 138 BGB verfolgten Prävention676 – von wucherischem Vorgehen abgehalten. Tatsächlich wird vertreten, dass § 817 S. 2 BGB präventiven Zwecken dient.677 Aber auch das kann nicht so recht überzeugen, da die präventive Wirkung nur zufällig eintritt, je nachdem ob der Wucherer (zufälligerweise) schon bezahlt hat oder nicht.678 Wenn nämlich der Wucherer seine Leistung noch nicht erbracht hat, wird auch er von der Leistungsverpflichtung befreit. Selbst wenn man im Leistungsaustausch eine Art Vollzug oder ein Mehr an verwerflichem Verhalten im Vergleich zum bloßen Vertragsschluss sehen möchte, kann dies nicht zwei so extrem unterschiedliche Lösungen rechtfertigen, bei der einmal der Wucherer komplett leer ausgeht, während der Bewucherte alles erlangt und es das andere Mal zu einer Rückabwicklung kommt. Schließlich erscheint das Ergebnis auch deshalb problematisch, weil derjenige, der weniger schlimm gewuchert hat, schlechter steht als der, der besonders schlimm gewuchert hat, weil bei letzterem der durch § 817 S. 2 BGB eintretende Verlust geringer ist.679 Das Ergebnis gerät auch mit der Auffassung des BGH und der h. M. in Konflikt, Erfüllungsgeschäfte grundsätzlich als wirksam zu betrachten, selbst wenn das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft sittenwidrig ist, weil jene sittlich indifferent seien.680 Tatsächlich erscheint der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit JA 1986, 573, 575; Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 396; Canaris in: FS Steindorff, 519, 525; ähnlich auch Wagner, AcP 206 (2006), 352, 368. 674 Ebenso: Medicus in: GS Dietz, 61, 70; Roth, ZHR 153 (1989), 423, 429. 675 So Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 398 f.; in diese Richtung scheint auch Lindacher zu argumentieren, wenn er sagt, dass eine etwaige Bereicherung des Bewucherten als Folge der mit § 138 BGB verfolgten Abschreckungsfunktion hinzunehmen sei und deshalb in Kauf genommen werden müsse, ders., AcP 173 (1973), 124, 130; ähnlich Canaris in: FS Steindorff, 519, 525. 676 Vgl. oben: § 9 B. I. Die intendierte Präventionswirkung des § 138 BGB, S. 181 ff. 677 In die Richtung lassen sich die Ausführungen in BGH NJW‑RR 1993, 1457, 159 verstehen; für Prävention als Zweck des § 817 S. 2 BGB zudem: Canaris in: FS Steindorff, 519, 524; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 162 f.; Klöhn, AcP 210 (2010), 804, 817 f.; wohl auch Wagner, AcP 206 (2006), 352, 367 f.; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 817 Rn. 10; Busz, Die Äquivalenzstörung im freifinanzierten Wohnraummietrecht, S. 187. 678 Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 205 f.; ähnlich Medicus in: GS Dietz, 61, 62; Roth, ZHR 153 (1989), 423, 428. 679 Medicus in: GS Dietz, 61, 62; Bürge, Rechtsdogmatik und Wirtschaft, S. 89; Canaris in: FS Steindorff, 519, 523; zustimmend: Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 172; Roth, ZHR 153 (1989), 423, 428. 680 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 49.
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beim Wucher auch eher im Verhalten bei Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts zu liegen als bei dessen Erfüllung. Denn durch das Verpflichtungsgeschäft tritt in diesen Fällen, wenn auch kein rechtlicher, so doch ein psychischer Zwang ein, die vermeintliche Verpflichtung zu erfüllen. Erbringt der Bewucherte seine Leistung, so tut er dies regelmäßig, weil er von der Wirksamkeit der Verpflichtung ausgeht. Insgesamt überzeugt es deshalb nicht, dass der Bewucherte umsonst in den Genuss der Gegenleistung kommen soll, wenn die Leistungen bereits ausgetauscht wurden, da es an einem durchschlagenden Grund für die Ungleichbehandlung der Situationen vor und nach dem Leistungsaustausch fehlt.
b) Missbrauchspotential Teilweise wird auch die Besorgnis geäußert, dass sich Personen aufgrund des Ausschlusses der Rückforderung gemäß § 817 S. 2 BGB absichtlich ausbeuten lassen könnten, um am Ende gratis in den Genuss der Gegenleistung zu gelangen.681 Diese Sorge scheint jedoch übertrieben, reicht allein ein Missverhältnis für die Nichtigkeit des Vertrags aufgrund von Wucher doch nicht aus, sondern erfordert diese zudem eine Notlage, welche der Bewucherte nicht einfach herbeiführen kann. Eine solche Gefahr könnte zwar bei § 138 Abs. 1 BGB drohen, da hier die Notlage keine Tatbestandsvoraussetzung ist und allein bei Vorliegen des groben Missverhältnisses auf das Vorliegen der verwerflichen Gesinnung geschlossen wird. Hier wendet die Rechtsprechung § 817 S. 2 BGB aber gar nicht an.682 Zudem erscheint das Risiko, das die Partei eingehen müsste, um in den kostenlosen Genuss der Gegenleistung zu gelangen, viel zu groß, als dass dieser Umstand eine echte Gefahr begründen könnte. Zum einen, weil die benachteiligte Partei sich nicht sicher sein kann, ob es im Ergebnis tatsächlich funktioniert, d. h. das Gericht ihrem Vortrag im Prozess Glauben schenkt. Zum anderen, weil sie sich wegen Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB strafbar machen würde, wenn sie wahrheitswidrig im Prozess vorträgt, sich bei Vertragsschluss in einer Schwächelage befunden zu haben.683
2. Die Nichtanwendung auf Kaufverträge beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft Weiter ist die Rolle von § 817 S. 2 BGB deshalb problematisch, weil der BGH ihn auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung bei Kaufverträgen, die 681 So Rauber, Die Übervorteilung, S. 64; den Gedanken greift auch Wagner auf, vgl. AcP 206 (2006), 352, 368. 682 Vgl. oben: § 7 E. II. 2. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 72. 683 Dabei handelt es sich um einen Dreiecksbetrug: Indem der Benachteiligte über die Schwächelage täuschen müsste, ruft er beim Richter einen Irrtum hervor. Die Vermögensverfügung liegt im richterlichen Urteil, das den Begünstigten zur Herausgabe verpflichtet. Diese ist dem Begünstigten zuzurechnen. Da § 817 S. 2 BGB den eigentlich bestehenden Herausgabeanspruch des Begünstigten sperrt, entsteht bei ihm auch ein Vermögensschaden.
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nach den Grundsätzen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nichtig sind, nicht anwendet.684 Besonders misslich ist, dass der BGH die Nichtanwendung von § 817 S. 2 BGB in diesen Fällen weder begründet noch überhaupt thematisiert, sondern einfach darüber hinweggeht. Hier verhält sich die Rechtsprechung – jedenfalls auf den ersten Blick – widersprüchlich, wenn sie in Fällen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts § 817 S. 2 BGB auf den Kaufvertrag nicht anwendet und somit der Begünstigte seine Leistung zurückfordern kann. Bei isoliertem Blick auf die Voraussetzungen von § 817 S. 2 BGB ist dies zwar überzeugend, da durch die tatbestandliche Ausweitung des § 138 Abs. 1 BGB die subjektiven Voraussetzungen von § 817 S. 2 BGB tatsächlich häufig nicht erfüllt sein werden. Wie bereits in anderen, parallel gelagerten Fällen thematisiert,685 kann die Vermutung aus § 138 Abs. 1 BGB auch nicht einfach (hier auf § 817 S. 2 BGB) übertragen werden. Auch wenn im Ergebnis der Rechtsprechung zuzustimmen ist, § 817 S. 2 BGB in diesen Fällen unangewendet zu lassen, kann die unterschiedliche Handhabung des § 817 S. 2 BGB nicht überzeugen. Zum einen sind die Ergebnisse zufällig, je nachdem ob § 138 Abs. 2 BGB oder § 138 Abs. 1 BGB einschlägig ist, was teilweise nur ein Beweisproblem sein wird. Deshalb überzeugt es auch nur bedingt, die Ungleichbehandlung mit dem in Fällen des § 138 Abs. 2 BGB im Vergleich zu § 138 Abs. 1 BGB schwereren Verstoß zu rechtfertigen. Zumal das Ergebnis, wie soeben dargestellt, dort isoliert betrachtet schon nicht überzeugt.686 Zum anderen findet bei Kreditverträgen, die nach den Grundsätzen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nichtig sind, § 817 S. 2 BGB Anwendung.687 Dabei sei wie beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft auch bei § 817 S. 2 BGB leichtfertiges Handeln einem vorsätzlichen Tun gleichzusetzen.688 Insofern verhält sich die Rechtsprechung inkonsequent. Man mag dies durch die leichtere Vergleichbarkeit des Marktzinses im Verhältnis zum Marktpreis eines konkreten Grundstücks begründen und damit, dass aufgrund dessen beim Kreditwucher allein durch die enorme Zinsüberschreitung eher auf ein verwerfliches Handeln des Begünstigten geschlossen werden kann. Ziel der Rechtsprechung zu § 817 S. 2 BGB in Fällen des Kreditwuchers ist es, mit dieser Konstruktion den Darlehensnehmer vor überhöhten Zinsen zu schützen und ihm den Kredit zu belassen, andererseits aber auch den Darlehensgeber nicht völlig leer aus684
Vgl. oben: § 7 E. II. 2. Ausschluss der Herausgabe nach § 817 S. 2 BGB, S. 72. oben: § 7 F. II. 4. b) Übertragung der Vermutung aus § 138 BGB auf § 819 Abs. 1 BGB, S. 112 ff. und § 8 A. II. 2. b) Ausschluss nach § 122 Abs. 2 BGB, S. 125 ff. sowie § 8 C. I. 2. b) aa) Übertragung der Vermutung, S. 143 f. 686 Vgl. soeben § 9 C. II. 1. § 817 S. 2 BGB beim Sachwucher nach § 138 Abs. 2 BGB, S. 194 ff. 687 St. Rspr., vgl. etwa BGH NJW 1989, 3217, 3217 f.; NJW 1983, 1420, 1423. 688 Vgl. etwa BGH NJW 1983, 1420, 1423 zum Kreditwucher: „§ 817 S. 2 BGB findet auch im vorliegenden Fall eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB Anwendung.“ 685 Vgl.
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gehen zu lassen.689 Dass dies aber keine Problematik ist, die allein dem Kreditwucher eigen ist, wird anscheinend übersehen. Diese Argumentation trifft letzten Endes nämlich auf alle Fälle des Wuchers zu, wenn man dem Wucherer komplett seine Rückforderung verwehrt.
3. Zwischenergebnis Die Rolle, die § 817 S. 2 BGB beim (Sach-)Wucher spielt, ist also noch nicht hinreichend geklärt. Sie ist geprägt von Unübersichtlichkeit und Einzelfallkasuistik. Dies ist letztlich kein Problem, das nur Äquivalenzstörungen betrifft. Der Umgang mit § 817 S. 2 BGB bereitet vielfach Schwierigkeiten.690
III. Unterschiedliche Behandlung verschiedener Wucherarten Schwerer als die soeben dargestellten systematischen Schwächen bezüglich des Verhältnisses von § 138 BGB zu § 123 Abs. 1 BGB und der Probleme im Umgang mit § 817 S. 2 BGB wiegt die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Wucherarten untereinander. So existieren für Miet-, Kredit-, Lohnund Sachwucher jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen.691 Eine Abweichung vom Grundsatz der zwingenden Gesamtnichtigkeit und den geschilderten damit einhergehenden Rechtsfolgen gibt es dabei sowohl beim Miet- als auch beim Lohnwucher und im Ergebnis auch beim Kreditwucher. Die vom Gesetz in § 138 BGB vorgesehene, scheinbar alternativlose Nichtigkeit des gesamten Vertrags gilt nach der Rechtsprechung somit nicht für sämtliche Fälle von schweren Äquivalenzstörungen. Im Gegenteil scheint sie bei genauerer Betrachtung fast nur beim Sachwucher zu gelten.
1. Bestandsaufnahme a) Mietwucher Beim wucherischen Mietvertrag kommt gewöhnlich nicht § 138 BGB, sondern § 134 BGB zur Anwendung, wobei als Verbotsgesetz § 5 WiStG dient. Danach begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer unter Ausnutzung eines geringen Angebots eine Miete fordert, die über 20 % des üblichen Mietzinses liegt. Mietverträge, die unter Verstoß gegen § 5 WiStG zustandegekommen sind, sind nicht insgesamt nichtig, sondern bleiben weiterhin auch für die Zukunft bestehen.692 Nur der überhöhte Mietzins wird für die Vergangenheit und die Zukunft he689 H. Hübner in: FS Wieacker, 399, 408; Bodenbenner, JuS 2001, 1172, 1174; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 817 Rn. 49. 690 Vgl. zu den Problemen und Einschränkungsversuchen von § 817 S. 2 BGB etwa: Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1. Aufl., S. 199 ff.; Honsell, Rückabwicklung sittenwidriger oder verbotener Geschäfte, S. 32 ff., jeweils m. w. N. 691 Vgl. dazu sogleich unter: 1. Bestandsaufnahme, S. 198 ff. 692 BGH NJW 1984, 722 ff.
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rabgesetzt. Die Rechtsfolge ist also nicht Gesamt-, sondern Teilnichtigkeit und damit im Ergebnis eine Vertragsanpassung. Nach Auffassung des BGH – entgegen der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte693 – erfolgt die Anpassung auf das gerade noch zulässige Höchstmaß und nicht die (orts-)übliche Miete, sodass eine Miete von 20 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete geschuldet ist.694 Dies begründet der BGH damit, dass das, was das Gesetz nicht verbiete, rechtmäßig sei, womit eine weitere Reduktion auf die ortsübliche Miete nicht gerechtfertigt werden könne.695 Die ebenfalls zuvor in der Rechtsprechung und heute noch in der Literatur vertretene Gegenauffassung stützt sich darauf, dass so dem Vermieter das Risiko seines Rechtsbruchs genommen werde und geradezu ein Anreiz geschaffen werde, zur Sicherung eines maximalen Mietzinses ein überhöhtes Entgelt zu verlangen.696 Der Vermieter kann nämlich so zur Sicherung des zulässigen Höchstpreises einen sehr hohen Mietzins verlangen, der dann vom Gericht reduziert wird. Dieses Risiko sieht der BGH durch die Bußgeldbewährung des § 5 WiStG als unbegründet an.697 Was in der Vergangenheit zu viel an Mietzins bezahlt worden ist, kann nach § 812 Abs. 1 BGB kondiziert werden. Der Mieter behält seinen Anspruch auf Gebrauchsüberlassung gegen Zahlung eines über 20 % über der üblichen Miete liegenden Mietzinses und auch alle Gewährleistungsrechte.
b) Kreditwucher Wucherische Kreditverträge werden in der Praxis im Regelfall von § 138 Abs. 1 BGB erfasst. Erforderlich sind ein sittenwidrig überhöhter Zins zusammen mit einer verwerflichen Gesinnung. Von einem wucherischen Zins wird dann ausgegangen, wenn dieser entweder den marktüblichen Zins um 90– 100 %698 oder absolut um zwölf Prozentpunkte übersteigt699. Im Ausgangspunkt verhält es sich beim Kreditwucher damit wie beim Sachwucher, denn der gesamte Darlehensvertrag ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig und es kommt zu einer Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht.700 Hier würde grundsätz693
OLG Hamburg ZMR 1983, 100; OLG Karlsruhe NJW 1982, 1161; OLG Stuttgart NJW 1981, 2365, die alle eine Korrektur auf die ortsübliche Vergleichsmiete vornehmen wollen. 694 BGH NJW 1984, 722, 723 f.; zustimmend: Erman/Arnold, 15. Aufl., § 134 Rn. 50. 695 BGH NJW 1984, 722, 723. 696 OLG Karlsruhe NJW 1982, 1161; OLG Stuttgart NJW 1981, 2365, 2365; OLG Hamburg ZMR 1983, 100, 102; diese Auffassung findet sich noch heute häufig in der Literatur: MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 134 Rn. 124; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 134 Rn. 27; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 134 Rn. 49; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 45 Rn. 12; Canaris in: FS Steindorff, 519, 529 f. 697 BGH NJW 1984, 722, 724; vgl. zur Kritik daran unten: 2. b) Prävention, S. 206 f. 698 St. Rspr., vgl. u. a. BGH NJW‑RR 2000, 1431, 1432; NJW 1995, 1146, 1148; NJW 1991, 834, 835; NJW 1990, 1595, 1596; NJW 1988, 1659, 1660. 699 BGH NJW 1995, 1146, 1148; NJW 1990, 1595, 1596. 700 St. Rspr., vgl. nur BGH NJW 1991, 834, 835; NJW 1990, 1595, 1596 f.; NJW 1986,
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lich § 817 S. 2 BGB der Rückforderung des Darlehensgebers entgegenstehen, sodass dieser weder Zinsen noch die Darlehenssumme herausverlangen könnte.701 Die Rechtsprechung schränkt § 817 S. 2 BGB in diesen Fällen jedoch ein, indem sie als Leistung im Sinne des § 817 S. 2 BGB nur die Kapitalüberlassung auf Zeit ansieht.702 Nur Zuwendungen, die endgültig in das Vermögen des Vertragspartners übergehen sollen, werden deshalb vom Ausschluss des § 817 S. 2 BGB erfasst.703 Das führt zum einen dazu, dass anders als beim Sachwucher der Kreditnehmer das Darlehen, sofern es schon ausgezahlt wurde, nicht sofort zurückzahlen muss, sondern den Kredit für die vereinbarte Vertragslaufzeit behalten kann.704 Enthält der Vertrag keine festgelegte Laufzeit, kann nach den gesetzlichen Fristen gekündigt werden.705 Trotz Nichtigkeit des Darlehensvertrags, greift die Rechtsprechung also auf diesen zurück, was ihr teilweise Kritik eingebracht hat.706 Zum anderen schuldet der Darlehensnehmer überhaupt keine Zinszahlungen, nicht einmal die eines reduzierten Zinses.707 Ansonsten könne der Wucherer nämlich völlig risikolos arbeiten.708 Die gänzliche Versagung eines Zinsanspruchs sieht sich allerdings der Kritik großer Teile des Schrifttums ausgesetzt.709 Ein zinsloses Darlehen bedeute nämlich einen ungerechtfertigten Gewinn für den Darlehensnehmer.710 Deshalb wird häufig eine Reduktion auf einen angemessenen Zinssatz gefordert.711 2568, 2568; NJW 1983, 1420, 1422 f.; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, Rn. 607; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 166. 701 So tatsächlich noch RGZ 151, 70, 73 f. 702 BGH NJW 1983, 1420, 1422; NJW 1962, 1148, 1148; erstmals RGZ 161, 52, 57 ff.; zustimmend: Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 164; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 170; Leipold, BGB AT, 9. Aufl., § 20 Rn. 44; F. Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 351. 703 BGH NJW‑RR 1994, 291, 293; zustimmend wiederum: Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 164; Bodenbenner, JuS 2001, 1172, 1173; Reifner, JZ 1984, 637, 637; Leipold, BGB AT, 9. Aufl., § 20 Rn. 44. 704 BGH NJW 1995, 1152, 1153; NJW 1983, 1420, 1422. 705 BGH NJW‑RR 1989, 622, 624; BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 817 Rn. 21; Medicus/Petersen, BR, 27. Aufl., Rn. 699; Medicus in: GS Dietz, 61, 63; Leipold, BGB AT, 9. Aufl., § 20 Rn. 44. 706 Honsell, JA 1986, 573, 575. 707 St. Rspr., vgl. etwa BGH NJW 1995, 1152, 1153; NJW‑RR 1989, 622, 624 f.; NJW 1983, 2692, 2693; NJW 1983, 1420, 1423; NJW 1962, 1148, 1148; erstmals: RGZ 161, 52, 57 ff. 708 BGH NJW 1983, 1420, 1423; zustimmend: Reifner, JZ 1984, 637, 640. 709 F. Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 351; Medicus in: GS Dietz, 61, 63 u. 70; Peters, AcP 205 (2005), 159, 197; Staudinger/Lorenz, (2007), § 817 Rn. 12; Bunte, NJW 1983, 2674, 2676 f.; Canaris, WM 1981, 978, 985 f.; der Rspr. zustimmend hingegen: MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 166; Reifner, JZ 1984, 637, 640; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2017, Rn. 610; Tiedtke, ZIP 1987, 1089, 1092 ff.; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 85; AK‑BGB/Damm, § 138 Rn. 161. 710 Honsell, JA 1986, 573, 575; Bunte, NJW 1983, 2674, 2676. 711 Canaris, WM 1981, 978, 985 f.; Bodenbenner, JuS 2001, 1172, 1174 f.; Medicus in: GS Dietz, 61, 71 ff.; Peters, AcP 205 (2005), 159, 197; Staudinger/Lorenz, (2007), § 817 Rn. 12;
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Trotz Nichtigkeit des Darlehensvertrags und damit scheinbarer Parallelität zum Sachwucher erfolgt hier somit faktisch eine Vertragsanpassung, wobei der Bewucherte sogar besser steht als bei einem angepassten Vertrag, da er gar keine Zinsen zu zahlen hat. Dies gilt allerdings nur nach Auszahlung des Darlehens, denn der Darlehensnehmer besitzt aufgrund der Nichtigkeit des Vertrags keinen Anspruch auf Auszahlung der Valuta.
c) Lohnwucher Vom Lohnwucher spricht man, wenn dem Arbeitnehmer ein unangemessen niedriger Lohn für seine Tätigkeit bezahlt wird. Dabei soll das für § 138 BGB erforderliche Missverhältnis dann vorliegen, wenn der Lohn weniger als zwei Drittel des in der Branche und der Region gezahlten Tariflohns entspricht.712 Falls kein Tariflohn existiert oder er nicht dem üblichen Lohn entspricht, ist das allgemeine Lohnniveau im entsprechenden Wirtschaftszweig in der Region maßgeblich.713 Beim Lohnwucher besteht die Besonderheit, dass für die Sittenwidrigkeitskontrolle nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern den streitgegenständlichen Zeitraum abzustellen ist.714 Liegt ein entsprechendes Missverhältnis vor, wurde jedenfalls früher von der Nichtigkeit des Arbeitsvertrags nach § 138 BGB ausgegangen, wobei es nicht zu einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung kam, sondern für die Vergangenheit die Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses galten.715 Der zu entrichtende Lohn bestand nach § 612 Abs. 2 BGB in der üblichen Vergütung.716 Für die Zukunft sollte dies anders als beim Mietwucher allerdings nicht gelten, hier galt die von § 138 BGB angeordnete Nichtigkeit. Das Arbeitsverhältnis konnte dann jederzeit, unabhängig vom Eingreifen irgendwelcher Kündigungsgründe und -fristen, von jeder Seite aufgehoben werden.717 Die Nichtigkeit wirkte hier also faktisch nur ex nunc. Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, § 7 IV 2c, S. 65 f.; Bunte, NJW 1983, 2674, 2677. 712 BAG NJW 2016, 2359, 2360; AP BGB § 138 Nr. 73; AP BGB § 138 Nr. 71; NZA 2013, 266, 267; NZA 2012, 974, 977; erstmals verwendet von BAG NZA 2009, 837, 838; HWK/ Thüsing, 7. Aufl., § 611 BGB Rn. 78a. 713 BAG NZA 2013, 266, 267 Rn. 19; NZA 2000, 1050, 1051; BGH NJW 2010, 1972, 1974; Boeck, RdA 2018, 210, 210. 714 BAG AP BGB § 138 Nr. 73; NZA 2013, 266, 268; NZA 2009, 837, 837 f.; NZA 2006, 1354, 1356; ErfK/Preis, 17. Aufl., BGB § 612 Rn. 3; a. A. mit ausführlicher Begründung und Alternativvorschlag: Fischinger, JZ 2012, 546, 548 ff. 715 BAG AP BGB § 138 Nr. 2, Volltext abrufbar unter: BeckRS 1960, 31396748. 716 BAG AP Nr. 2 zu § 138 BGB; davon wird auch heute noch ausgegangen: BAG AP BGB § 138 Nr. 73; AP BGB § 138 Nr. 71; NZA 2006, 1354, 1357; NJW 2016, 2359, 2360; Henssler/Sittard, RdA 2007, 159, 162; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 191. 717 Zu Recht merkt Hager an, dass dies entschieden dem Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes zuwiderläuft, Hager, JuS 1985, 264, 265.
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Kapitel 2: Darstellung der Rechtslage in Deutschland
Mittlerweile wird davon ausgegangen, dass das BAG aber noch einen Schritt weitergeht und aus § 138 BGB nicht mehr die Nichtigkeit des gesamten Vertrags folgert, sondern diese auf die Lohnabrede beschränkt, an deren Stelle dann § 612 Abs. 2 BGB tritt.718 Im Übrigen wird der Arbeitsvertrag ohne Anwendung von § 139 BGB aufrechterhalten. Hintergrund dafür ist der Schutz des Arbeitnehmers und seines Interesses am Erhalt des Arbeitsplatzes.719 Dabei wird die Nichtanwendbarkeit von § 139 BGB darauf gestützt, dass die Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit beim Lohnwucher dem Schutzzweck der die Nichtigkeit auslösenden Norm widersprechen würde.720 Das Ergebnis ist danach die Fortgeltung des Vertrags für die Zukunft und damit eine Vertragsanpassung. Die Feststellung, was mit dem Vertrag für die Zukunft geschieht, bereitet vor allem deshalb solch große Schwierigkeiten, weil das Bundesarbeitsgericht eine Änderung seiner Rechtsprechung nie ausdrücklich vorgenommen hat. Eindeutig feststellen lässt sich noch, dass das BAG ursprünglich von einer Nichtigkeit des Arbeitsvertrages in Fällen des Lohnwuchers ausging.721 Für eine Änderung der Rechtsprechung spricht, dass in neueren arbeitsgerichtlichen Urteilen häufig von einer Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit der Entgeltvereinbarung, nicht aber des Arbeitsvertrags an sich gesprochen wird.722 In der Tat wäre eine solche Änderung zu begrüßen, da so der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers auch für die Zukunft gesichert wäre. Die meisten Urteile zu dieser Problematik behandeln allerdings Fälle, in denen das Arbeitsverhältnis schon beendet war und nur um noch ausstehenden Lohn gestritten wurde, sodass das BAG zur Frage der Geltung des Arbeitsverhältnisses in der Zukunft gar nicht Stellung nehmen musste.723 Ob also das BAG tatsächlich eine Kehrtwende vollzogen hat, kann mit der Eindeutigkeit, mit der dies zuweilen in der Literatur vorgebracht wird724, nicht behauptet werden. In diesem Bereich besteht daher eine gewisse Unsicherheit. 718
Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 314, dessen als Nachweise zitierte Urteile jedoch nicht als solche taugen. Während zwei gar nicht den Lohnwucher behandelten, widmet sich das letzte nur dem Tatbestand des Lohnwuchers; jurisPK‑BGB/Nassall, 8. Aufl., § 138 Rn. 361; Franke, Lohnwucher, S. 165 ff.; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 191; Löw, MDR 2004, 734, 735; HWK/Thüsing, 7. Aufl., § 611 BGB Rn. 82; PWW/ Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 55; Boeck, RdA 2018, 210, 211. 719 Vgl. Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 314; Boemke, JuS 2010, 259, 259; Franke, Lohnwucher, S. 164 f.; HWK/Thüsing, 7. Aufl., § 611 BGB Rn. 82. 720 Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 314; Franke, Lohnwucher, S. 165; Sack, RdA 1975, 171, 178 f. 721 BAG AP BGB § 138 Nr. 1; AP BGB § 138 Nr. 2. 722 BAG NZA 2006, 1354, 1355; AP BGB § 138 Nr. 66; AP BGB § 138 Nr. 63; jüngst auch BAG NJW 2016, 2359, 2360 Rn. 20; vgl. aber auch BAG AP BGB § 138 Nr. 73, wo Entsprechendes fehlt. 723 U. a.: BAG NZA 2006, 1354; AP BGB § 138 Nr. 73; AP BGB § 138 Nr. 71, wobei die Nichtigkeit hier auf § 134 BGB gestützt wurde. So bereits LAG Bremen AP BGB § 138 Nr. 33, das insofern widersprüchlich ist, als dass im Leitsatz der Arbeitsvertrag als nichtig bezeichnet wird, in den Gründen dann aber nur noch die Entgeltvereinbarung. 724 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 718.
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d) Werk- und Dienstverträge Neben diesen vier verschiedenen Arten des Wuchers zwischen denen klassischerweise unterschieden wird, besteht noch eine weitere Fallgruppe wucherischer Verträge, bei der zu einer anderen Lösung gelangt wird, die aber kaum Beachtung findet: die Fälle wucherischer Dienstleistungs- oder Werkverträge, wenn die geschuldete Tätigkeit schon erbracht wurde und nicht herausgegeben werden kann. Zu denken ist etwa an Reparaturen oder sonstige Serviceleistungen, die nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht werden. In der Praxis beschäftigen Fälle von Wucher die Instanzgerichte häufig im Zusammenhang mit Schlüsseldiensten.725 Die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts führt auch hier zu einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung. Da die Werk- oder Dienstleistung regelmäßig aber nicht herausgegeben werden kann, tritt an ihre Stelle nach § 818 Abs. 2 BGB der Anspruch auf Ersatz des objektiven Werts. Wenn der Besteller die bewucherte Partei ist, folgt daraus, dass er das überhöhte Entgelt herausverlangen kann und nach § 818 Abs. 2 BGB lediglich den objektiven Wert der vom Unternehmer erbrachten Leistung herausgeben muss. Das Ergebnis kommt einer Vertragsanpassung damit relativ nahe, denn der Besteller erhält die Leistung für das allgemein übliche Entgelt. Allerdings bestehen wegen der Nichtigkeit des zugrundeliegenden schuldrechtlichen Vertrags keine vertraglichen Gewährleistungsrechte oder Schadensersatzansprüche. Der Besteller kann also keine Nacherfüllung verlangen, Schadensersatzansprüche geltend machen oder vom Vertrag zurücktreten. Ebenso fehlen etwaige Kündigungsrechte und überhaupt bereits ein Anspruch auf Vornahme der vereinbarten Leistung. Allerdings führen Mängel am vom wucherischen Unternehmer hergestellten Werk dazu, dass sich der Anspruch auf Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB reduziert, da ein mangelhaftes Werk entsprechend weniger wert ist als ein mangelfreies.726 Insofern wird das Fehlen von Gewährleistungsansprüchen teilweise kompensiert. Umgekehrt, das heißt wenn der Bewucherte der Unternehmer ist, muss er zwar den – zu niedrigen – Werklohn herausgeben, kann vom Wucherer aber über § 818 Abs. 2 BGB den objektiven Wert seiner erbrachten Leistung herausverlangen, was wiederum starke Ähnlichkeiten mit einer Vertragsanpassung auf das Marktniveau aufweist. Im Ergebnis erhält er dann nämlich für seine Leistung den marktüblichen Wert. Freilich mit dem Vorteil des Unternehmers, dass er sich aufgrund der Nichtigkeit des Vertrags keinerlei Gewährleistungsrechten ausgesetzt sieht. Insofern steht er sogar besser als bei Wirksamkeit des Ver725 Vgl. etwa AG Essen, Urt. v. 11.01.2017, Az. 14 C 189/16; AG Köln, Urt. v. 22.07.2013, Az. 137 C 636/12; AG Bonn NJW‑RR 2010, 1503; AG Bremen, Urt. v. 21.04.2009, Az. 4 C 12/08; AG Frankfurt, Urt. v. 06.09.2002, Az. 32 C 3037/01 – 48. 726 BGH NJW 1990, 2542, 2543; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 818 Rn. 93; Heyers, Jura 2014, 936, 945.
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trags. Wenn man dieses Ergebnis auch als eine Art Bestrafung des Wucherers begreifen will, überzeugt dies insofern nicht, als dass es den Bewucherten unangemessen bevorteilt, wenn er besser steht als bei Wirksamkeit des Vertrags. Auch hier muss man aber die Einschränkung beachten, dass sich der Anspruch aus § 818 Abs. 2 BGB reduziert, wenn das Werk mangelhaft ist. Bei dieser Konstellation, in der der Unternehmer bewuchert wird, handelt es sich aber wohl praktisch eher um Ausnahmefälle.
e) Zwischenergebnis Die Folgen wucherischer beziehungsweise äquivalenzgestörter Verträge reichen also von der vom historischen Gesetzgeber ursprünglich intendierten Gesamtnichtigkeit und vollständigen Rückabwicklung des Vertrags beim wucherähnlichen Kaufvertrag bis hin zur Anpassung der überhöhten Leistung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Vertrags beim Mietwucher. Zwischen diesen beiden Extremen existieren wiederum („Misch“-)Lösungen, wie etwa die Nichtigkeit nur für die Zukunft oder bereicherungsrechtliche Lösungen beim Kreditwucher, die faktisch auf ein zinsloses Darlehen hinauslaufen oder den „echten“ Sachwucher, bei dem der Bewucherte die erhaltene Leistung aufgrund von § 817 S. 2 BGB behalten darf, die selbst erbrachte Leistung aber zurückfordern kann.
2. Begründung der Rechtsprechung Bei diesem Durcheinander von verschiedenen Rechtsfolgen fragt es sich zum einen, welche Gründe der BGH jeweils zur Rechtfertigung seiner Ergebnisse heranzieht, zum anderen, ob die verschiedenen Wucherarten sich tatsächlich so stark voneinander unterscheiden, dass es diese Vielfalt an Rechtsfolgen erfordert. Dabei lassen sich bei der jeweiligen Begründung der unterschiedlichen Ergebnisse drei Hauptargumentationsmittel ausmachen: das der Schutzbedürftigkeit der benachteiligten Partei, die Abschreckung des Wucherers und schließlich dogmatische Argumente.
a) Schutzbedürftigkeit Die Argumentation mit der Schutzbedürftigkeit des Bewucherten wendet der BGH primär zur Begründung der Aufrechterhaltung und Anpassung des Vertrags beim Mietwucher an. Ähnlich sind aber auch die Rechtsprechung des BAG bzw. die Vorschläge in der Literatur zum Lohnwucher motiviert. Gewisse Anklänge lassen sich schließlich auch beim Kreditwucher finden. So stützt der BGH beim Mietwucher seine Entscheidung zur Aufrechterhaltung des Mietvertrags darauf, dass § 5 WiStG dem Schutz des Mieters diene und genau dieser Zweck in sein Gegenteil verkehrt würde, wenn der gesamte Ver-
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trag unwirksam wäre.727 Denn bei der Anordnung der Nichtigkeit als Rechtsfolge bestünde die Gefahr, dass der Bewucherte sich nicht auf den unzulässig überhöhten Mietzins beruft, da er damit rechnen müsse, seine Wohnung zu verlieren.728 Ähnlich verhält es sich auch hinsichtlich der Rechtsprechung zum Kreditwucher. Deren zuvorderstes Ziel ist es, den übervorteilten Darlehensnehmer vor der sofortigen Rückzahlung des Darlehens zu schützen und ihm den Kredit für die vereinbarte Laufzeit zu belassen.729 Wie beim Mietwucher wird auch beim Lohnwucher die Abweichung von der zwingenden Gesamtnichtigkeit mit rechtspolitischen Erwägungen begründet. Geschützt werden sollen der Mieter beziehungsweise der Arbeitnehmer als die strukturell schwächere Partei. Die Ähnlichkeit verwundert hier nicht, da neben der strukturellen Ungleichheit noch eine weitere Parallele zwischen Miet- und Lohnwucher existiert: Es handelt sich beim Wohnen und der Finanzierung des Lebensunterhalts um die für die Lebensführung zentralen Bereiche, die für jede Person unverzichtbar sind. Insofern lässt sich diese Rechtsprechung als weiterer Baustein im Mieter- und Arbeitnehmerschutz ansehen. Besonders deutlich wird dies wiederum bei der Behandlung des Mietwuchers, denn die eben geschilderte Rechtsprechung gilt nur für Wohnraummietverträge. Mietverträge über Gewerberaum sind vom BGH ohne Anpassung für insgesamt nichtig erklärt worden, mit der expliziten Begründung, dass hier der Mieter nicht aus sozialen Gesichtspunkten schutzwürdig sei.730 Analog lässt sich die Rechtsprechung zum Kreditwucher als besonderes Verbraucherschutzrecht begreifen. Allerdings besteht auch zwischen Miet-, Kredit- und Lohnwucher kein völliger Gleichlauf. Wenn auch in allen Fällen eine Korrektur des vereinbarten Entgelts vorgenommen wird, so wird jeweils ein unterschiedliches Maß herangezogen. Während beim Mietwucher der Mietzins nur soweit gekürzt wird, wie er das zulässige Maß überschreitet,731 und beim Kreditwucher überhaupt kein Zins geschuldet ist732, wird beim Lohnwucher vom BAG dagegen eine Anpassung des Entgelts auf das übliche Maß vorgenommen733. Vom Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit her lässt sich dies nicht erklären. Dieser spricht für eine Gleichbehandlung. Während der Mieter seine Wohnung und der Kreditnehmer die Darlehensvaluta zunächst behalten dürfen, ist zweifelhaft, ob dies auch für den Arbeits727 BGH NJW 1984, 722, 723. Dieses Ergebnis und die Argumentation treffen auch in der Literatur auf Zustimmung, vgl. Weimar, ZMR 1963, 193, 195; ders., DB 1963, 439, 439; Köhler, JuS 2010, 665, 669; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 379 f.; Pakirnus, ZMR 1984, 329, 329. 728 BGH NJW 1984, 722, 723. 729 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 689. 730 BGH NJW 2006, 16, 17 f. 731 Vgl. oben: C. III. 1. a) Mietwucher, S. 198 f. 732 Vgl. oben: C. III. 1. b) Kreditwucher, S. 199 ff. 733 Vgl. oben: C. III. 1. c) Lohnwucher, S. 201 f.
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platz des Arbeitnehmers gilt734. Einigkeit herrscht in der Literatur, dass auch der Lohnwucher nur zu einer Anpassung des Vertrags führen soll.735 Dies überzeugt, denn der Verlust des Arbeitsplatzes ist nicht weniger schwerwiegend als der Verlust der Wohnung. Da der Arbeitgeber der Wucherer ist, ist ein etwaiges Interesse seinerseits an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen den Willen des Arbeitnehmers selbst in kleinen Betrieben nicht schutzwürdig. Will dagegen der Arbeitnehmer keine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mehr, besteht für ihn die Möglichkeit, zu kündigen. Ein neuer Arbeitsplatz ist auch nicht automatisch einfacher zu erlangen als eine neue Wohnung. Dies hängt vom jeweiligen Wohnungs- und Arbeitsmarkt am Wohnort der benachteiligten Partei ab. Je nachdem kann das eine oder andere schwerer zu ersetzen sein. Sowohl beim Mietwucher als auch beim Lohnwucher hat der Bewucherte ein großes Interesse an der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses in der Zukunft. Wenn dies nicht der Fall ist, steht ihm jeweils die Möglichkeit der Kündigung zu, es sei denn, es handelt sich um befristete Verträge, weil hier nur außerordentlich gekündigt werden kann. Da sowohl der Verlust der Wohnung als auch des Arbeitsplatzes schwer wiegen und existenzgefährdend wirken können, spricht dies für eine Fortgeltung des Arbeitsverhältnisses auch in die Zukunft.
b) Prävention Beim Mietwucher betont der BGH, der Zweck des Gesetzes (§ 5 WiStG) liege darin, den Mietzins auf die Angemessenheitsgrenze zu reduzieren und § 134 BGB fehle der Strafcharakter, weshalb eine Gesamtnichtigkeit nicht erforderlich sei.736 Dagegen hebt er beim Kreditwucher hervor, dass die Nichtigkeit und die Gewährung gar keines, nicht einmal eines angemessenen Zinses, den Darlehensgeber vom Versuch abhalten solle, den anderen Teil auszunutzen und der Wucher bei einer bloßen Reduktion des Zinses sein Risiko verliere.737 Genauso soll die Nichtigkeit und Rückabwicklung der Abschreckung des Wucherers beim Sachwucher dienen.738 Diese Ungleichbehandlung kann nicht überzeugen. Es leuchet nicht ein, weshalb der Kredit- oder Sachwucherer von der Ausnutzung seines Vertragspartners abgeschreckt werden soll, nicht aber der Mietwucherer.739 Beim Lohnwucher hingegen fehlt jedwede Begründung, weshalb der übliche Lohn und nicht das gerade noch zulässige Entgelt geschuldet wird. Weil das Ziel aber in allen Fällen das gleiche ist, ist auch eine einheitliche Handhabung geboten. 734 735
Vgl. oben: C. III. 1. c) Lohnwucher, S. 201 f. Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 718. 736 BGH NJW 1984, 722, 723 f. 737 BGH NJW 1983, 1420, 1423. 738 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 619. 739 So zu Recht Hager, JuS 1985, 264, 267.
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Der BGH rechtfertigt sein Ergebnis, beim Mietwucher auf eine Abschreckung mittels Nichtigkeit zu verzichten, insbesondere mit der Bußgeldbewährung des § 5 WiStG, die für sich schon der Gefahr entgegenwirke, der Vermieter werde das Gericht zur Sicherung des höchstmöglichsten Mietzinses einsetzen.740 Dies kann nicht überzeugen. Zum einen, weil dessen praktischer Nutzen erheblichen Zweifeln ausgesetzt ist.741 Zum anderen leuchtet es nicht ein, weshalb die zusätzliche Bußgeld- oder allgemein die Strafbewährung dazu führen soll, dass ein Vertrag wegen der gleichzeitigen Androhung von Strafe mit dem höchstmöglichen Entgelt aufrechtzuerhalten ist. Dadurch wird nämlich derjenige im Bereich des Zivilrechts begünstigt, dem doch der schwerere Verstoß vorzuwerfen ist.742 Konsequent wäre dabei vielmehr das Gegenteil, zumindest aber eine Gleichbehandlung mit Fällen, in denen kein Bußgeld droht. Schließlich überzeugt dieser Hinweis auch systematisch kaum, da vom BGH missachtet wird, dass auch für die übrigen Fälle des Wuchers mit § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB eine Strafvorschrift existiert.743 Vor allem setzt sich der BGH damit in Widerspruch zu seiner eigenen Judikatur,744 wonach eine Aufrechterhaltung des Vertrags zu den gerade noch zulässigen Bedingungen in Fällen der Übervorteilung deshalb ausscheide, weil das Rechtsgeschäft sonst das Risiko für den sittenwidrig Handelnden verlöre.745 Auch dieses Argument kann die Ungleichbehandlung der verschiedenen Wucherarten daher nicht rechtfertigen.
c) Dogmatik aa) § 134 und § 138 BGB Wenn unterschiedliche Interessenlagen die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen können, so hat diese ihre Ursache unter Umständen in den jeweils einschlägigen Vorschriften. Dies könnte allerdings von vornherein nur den Mietwucher betreffen, der auf § 134 BGB i. V. m. § 291 Abs. 1 Nr. 1 StGB beziehungsweise § 5 WiStG gestützt wird, da in allen anderen Fällen stets § 138 BGB Anwendung findet. Für die unterschiedlichen Lösungen von Sach-, Kredit- und Lohnwucher kann dies daher von vornherein kein tauglicher Begründungsansatz sein. Zwar existiert mit § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB ein Verbotsgesetz, das prinzipiell auch die übrigen genannten Fälle erfasst. Praktisch wird dieser von der Rechtsprechung aber nicht angewandt, sondern allein § 138 BGB herangezogen.746 740
So der BGH in seinem Urteil zum Mietwucher, BGH NJW 1984, 722, 724. Pakirnus, ZMR 1984, 329, 331 f. 742 Hager, JuS 1985, 264, 267. 743 Praktisch wird freilich die Sanktion des § 5 WiStG deutlich häufiger einschlägig sein, da hier Leichtfertigkeit für die Verhängung einer Geldbuße ausreicht, während für § 291 StGB Vorsatz erforderlich ist. 744 BGH NJW 1977, 1233, 1234. 745 So völlig zu Recht Pakirnus, ZMR 1984, 329, 332. 746 Vgl. zur Konkurrenz von § 134 BGB und § 138 BGB bereits oben: § 7 A. Die einschlägigen Tatbestände, S. 47 ff. 741 Ebenso
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Dass der Mietwucher von § 134 BGB statt von § 138 BGB erfasst wird, liegt daran, dass § 134 BGB im Verhältnis zu § 138 BGB vorrangig ist, sofern spezielle Schutzgesetze bestehen,747 die in diesem Fall § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB und § 5 WiStG sind. Aus dem zweiten Halbsatz von § 134 BGB wird geschlossen, dass die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz auch die bloße Teilnichtigkeit sein kann.748 Weil eine entsprechende Formulierung in § 138 BGB fehlt, wird eine teilweise Aufrechterhaltung im Fall der Sittenwidrigkeit abgelehnt.749 Unabhängig davon, ob nicht Entsprechendes auch ohne Anhaltspunkt im Wortlaut für § 138 BGB zu gelten hat,750 wird mit Recht darauf hingewiesen, dass der Wortlaut des § 134 Hs. 2 BGB keineswegs notwendigerweise für die Anerkennung der Teilnichtigkeit spricht.751 Dieser lässt sich nämlich auch so verstehen, dass er sich nur auf die Frage bezieht, ob das Geschäft als Ganzes nichtig oder als Ganzes wirksam ist. Ihn auch auf die Frage der Gesamt- oder Teilnichtigkeit anzuwenden, ist nicht zwingend.752 Obwohl § 138 BGB dem Wortlaut nach keine Teilnichtigkeit erwähnt und dies von der h. M. auch vehement abgelehnt wird, nimmt die h. L. eine solche beim Lohnwucher an, wenn sie die Formulierungen in den Urteilen des BAG, die Entgeltabrede sei sittenwidrig und an deren Stelle trete gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung, dahingehend versteht, dass der übrige Vertrag aufrechterhalten wird.753 Bemerkenswert daran ist, dass dies im Regelfall ohne jedwede Begründung erfolgt. Soweit dies mit einem Verweis auf die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers geschieht, verwundert doch die Knappheit, mit der von der sonst regelmäßig als unüberwindliche Hürde dargestellten Gesamtnichtigkeit des § 138 BGB abgewichen wird. Schließlich ließe sich aber auch der Sachwucher mittels § 134 BGB erfassen oder müsste sogar darüber erfasst werden. Denn § 291 Abs. 1 StGB enthält mit Nummer drei eine Variante, die auch den Sachwucher und alle anderen Arten des Wuchers erfasst. Konsequenterweise müsste dann auch hier § 134 BGB 747
Für Nachweise vgl. Kapitel 2 Fn. 2. 13. Aufl., § 134 Rn. 29 u. 62; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 134 Rn. 20; Krampe, AcP 194 (1994), 1, 29; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 61; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 380; Leipold, BGB AT, 9. Aufl., § 20 Rn. 7; Roth, ZHR 153 (1989), 423, 434. 749 Vgl. für Nachweise Kapitel 4 Fn. 451. 750 Dazu, inwiefern die Unterscheidung allein mit dem unterschiedlichen Wortlaut von §§ 134, 138 BGB gerechtfertigt werden kann, vgl. unten: § 13 B. VI. 2. a) Der Wortlaut, S. 404 f. 751 Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 150; Sandrock, AcP 159 (1960/1961), 481, 514; Honsell, JA 1986, 573, 574. 752 Hager, JuS 1985, 264, 264 f.; ders., Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 150; Honsell, JA 1986, 573, 574; Sandrock, AcP 159 (1960/1961), 481, 514; ausdrücklich gegen die Möglichkeit aus Hs. 2 eine Teilnichtigkeit abzuleiten: Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 42 u. 114. 753 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 718. 748 Soergel/Hefermehl,
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Anwendung finden.754 Dass dies nicht der Fall ist, wird damit begründet, dass § 138 Abs. 2 BGB ansonsten keinen eigenen Anwendungsbereich mehr hätte und somit überflüssig wäre,755 da § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB als Auffangtatbestand auf alle Leistungen anwendbar ist. Selbst wenn dem jedoch so wäre,756 rechtfertigt das allein keineswegs die (willkürliche) Ungleichbehandlung der verschiedenen Wucherarten.757 Es handelt sich dabei auch gerade nicht, wie teilweise behauptet, um ein rein dogmatisches Problem,758 sondern um ein tatsächliches, das praktisch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Würde man nämlich Fälle des § 138 Abs. 2 BGB konsequenterweise über § 134 BGB i. V. m. § 291 Abs. 1 StGB lösen, käme für alle „echten“ Wucherfälle eine Teilnichtigkeit in Betracht.
bb) Widersprüche in der Anwendung von § 817 S. 2 BGB auf wucherische Verträge Neben der bereits beschriebenen Problematik mit § 817 S. 2 BGB bei der Anwendung auf äquivalenzgestörte Kaufverträge759 folgt dessen Anwendung auch bei anderen wucherischen Verträgen keiner einheitlichen Linie. Ein immer wieder aufgeführtes Beispiel ist dabei die unterschiedliche Behandlung beim Miet- bzw. Pachtwucher einerseits und Kreditwucher andererseits, bei denen es sich jeweils um Fälle der Gebrauch- beziehungsweise Nutzungsüberlassung handelt.760 Während der Rückforderung des Kreditgebers aber § 817 S. 2 BGB im Weg steht, kann der Vermieter beziehungsweise Verpächter über § 985 BGB vindizieren761 und über §§ 990, 987 BGB bzw. § 988 BGB Nutzungsersatz verlangen762. Wenn der Darlehensnehmer das Darlehen unentgeltlich für die ver754
Dies wird teilweise in der Literatur auch so vertreten, vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 5.
755 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 3. 756 Dass § 138 BGB dennoch ein (winzig)
kleiner Anwendungsbereich verbleibt, stellt fest: BeckOK BGB/Wendtland, 45. Ed. 01.11.2017, § 138 Rn. 42.1.: Da sich die vorrangige Regelung in § 134 BGB nur auf Verstöße gegen inländische Verbotsgesetze bezieht, kommt § 138 Abs. 2 BGB jedenfalls bei solchen Lebenssachverhalten in Betracht, in denen das deutsche Strafrecht keine Anwendung findet. 757 Vereinzelt wird konsequent in der Literatur auch bei den sonstigen Arten des Wuchers die Nichtigkeit über § 134 BGB i. V. m. § 291 StGB angenommen, vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 5. 758 So aber: BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 42.1.; BeckOGK/ Vossler, 01.09.2017, BGB § 134 Rn. 22; Yan, ZJS 2012, 1, 7, die diesen Streit zu Unrecht für praktisch bedeutungslos halten. 759 Vgl. dazu soeben § 9 C. II. Rolle des § 817 S. 2 BGB, S. 194 ff. 760 Dieses Beispiel heranziehend u. a.: Honsell, JA 1986, 573, 575; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 165 f.; Medicus in: GS Dietz, 61, 63; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 817 Rn. 20; Medicus/Petersen, BR, 27. Aufl., Rn. 699 f.; Staudinger/Lorenz, (2007), § 817 Rn. 12; v. Olshausen, ZHR 146 (1982), 259, 287. 761 MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 817 Rn. 20; Honsell, JA 1986, 573, 575; Medicus in: GS Dietz, 61, 63. 762 Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 166; Medicus/Petersen, BR, 27. Aufl., Rn. 699 f.; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 817 Rn. 20; Staudinger/Lorenz, (2007), § 817 Rn. 12.
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Kapitel 2: Darstellung der Rechtslage in Deutschland
einbarte Vertragslaufzeit behalten darf, müssten ebenso der Mieter und Pächter für die Vertragsdauer unentgeltlich die Wohnung nutzen dürfen.763 Dafür müsste die Rechtsprechung, wie schon beim Kreditwucher, konsequenterweise auf die Laufzeit aus dem nichtigen Miet- oder Pachtvertrag zurückgreifen beziehungsweise eine Kündigung nach den gesetzlichen Vorschriften zulassen.764 Dazu muss allerdings angemerkt werden, dass dies nur für Pachtverträge und die Gewerberaummiete gelten kann, nicht aber für die praktisch am relevanteste Wohnraummiete. Mietverträge zur Wohnutzung sind nämlich gerade nicht nichtig, sodass es zu keiner Rückabwicklung kommt.765 Auch wenn dadurch die Widersprüchlichkeit im Ergebnis nicht geringer wird, sind die tatsächlichen Auswirkungen doch erheblich geringer, weil der Mietwucher vor allem Wohnungsmieten betrifft. Der von den Kritikern teilweise uneingeschränkte Verweis auf den Mietwucher allgemein ist daher zumindest ungenau und bedarf einer Klarstellung. Ursache dieses Problems ist, dass die Rechtsprechung § 817 S. 2 BGB auf das Bereicherungsrecht beschränkt, sodass der Wucherer den Gegenstand nach § 985 BGB herausverlangen kann und darüber hinaus unter Umständen auch einen Anspruch auf Nutzungsersatz nach §§ 990, 987 BGB hat, wenn auch das Verfügungsgeschäft nichtig ist oder die Nutzungsüberlassung nicht mit einer Eigentumsübertragung einherging.766 Die so erzielten Ergebnisse sind aber, wie von weiten Teilen der Literatur zu Recht angemerkt wird, zufällig und willkürlich, weshalb für eine Anwendung des § 817 S. 2 BGB auch auf § 985 BGB plädiert wird.767 Der sittliche Vorwurf, der § 817 S. 2 BGB zugrunde liegt, ist in beiden Fällen mindestens gleich.768 Die Nichtigkeit auch des Verfügungsgeschäfts ist in der Regel sogar ein Indiz für einen besonders schweren Verstoß769 und gerade deshalb ist die Privilegierung umso problematischer. Diese 763 So
Honsell, JA 1986, 573, 575, der dies nicht zu Unrecht als „krassen Wertungswiderspruch“ bezeichnet; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 165 f., die dieses Ergebnis als „unbegreiflich“ beschreiben; ähnlich Staudinger/Lorenz, (2007), § 817 Rn. 12, der den Unterschied zwischen Miet- und Kreditwucher als „eklatanten Wertungswiderspruch“ bezeichnet, aber für eine angemessene Vergütung in beiden Fällen plädiert. Er bezieht sich dabei explizit auf die Rspr. zu § 5 WiStG. 764 Ebenso Medicus/Petersen, BR, 27. Aufl., Rn. 699. 765 Vgl. soeben § 9 C. III. 1. a) Mietwucher, S. 198 f. 766 BGH NJW 1975, 638, 640; NJW 1963, 950, 951; NJW 1951, 643; so schon das Reichsgericht, vgl. RGZ 70, 1, 5 f.; 85, 293, 294 f.; 101, 307, 307 f. 767 Medicus in: GS Dietz, 61, 61 f.; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 817 Rn. 9; BeckOK BGB/ Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 817 Rn. 13; Wazlawik, ZGS 2007, 336, 343; Raiser, JZ 1951, 716, 718 f.; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 71; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 159 f.; Larenz/Canaris, SchR II/2, S. 165 f.; Medicus/Petersen, BR, 27. Aufl., Rn. 697; Staudinger/Lorenz, (2007), § 817 Rn. 14; v. Olshausen, ZHR 146 (1982), 259, 287; für eine entsprechende Schwierigkeit im Zusammenhang mit Fällen der Schwarzarbeit: Schwab, JuS 2017, 550, 551 f. 768 Raiser, JZ 1951, 716, 718. 769 So BeckOK BGB/Wendehorst, 53. Ed. 01.02.2020, § 817 Rn. 13; Larenz/Canaris,
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Rechtsprechung sieht sich aus diesem Grund zu Recht der Kritik ausgesetzt und erzeugt widersprüchliche und unbefriedigende Ergebnisse.
cc) Sonstige Widersprüche Daneben treten noch weitere Widersprüche bei der dogmatischen Begründung der jeweiligen Ergebnisse auf. Diese betreffen insbesondere das Argument der (fehlenden) Teilbarkeit der Leistung. Während eine teilweise Aufrechterhaltung des Vertrags in den Fällen des Kredit- und Sachwuchers unter anderem deshalb abgelehnt wird, weil das Geschäft bzw. das Entgelt nicht teilbar sei,770 taucht dieses Argument in den Fällen des Mietwuchers gar nicht auf. Weder lässt der BGH die Aufrechterhaltung des Vertrags an der fehlenden Teilbarkeit scheitern noch erfolgt überhaupt eine argumentative Auseinandersetzung mit der Problematik.771 Dies verwundert angesichts der Vehemenz, mit der der BGH in den übrigen Fällen die Unteilbarkeit der überhöhten Leistungsverpflichtung betont. Wenn sich ein überhöhter Mietzins teilen und reduzieren lässt, trifft dies aber genauso auch auf einen überhöhten Kaufpreis oder Zins zu.772 Schließlich kann auch der Parteiwille die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. So führt der BGH aus, dass beim Mietwucher der Abschluss zu überhöhten Konditionen ein Anzeichen dafür ist, dass der Mieter sich auch auf den höchstens noch zulässigen Mietzins eingelassen hätte.773 Zu dieser Argumentation für die Aufrechterhaltung des Vertrags unter Reduktion des Mietzinses auf das noch angemessene Niveau ist zweierlei zu sagen: Zum einen lässt sie sich – erneut – in allen Fällen einer überhöhten Verpflichtung heranziehen.774 Zum anderen – und dies wiegt noch schwerer – überzeugt das Argument an sich schon nicht, da es dem Schutzzweck des Wuchers allgemein entgegenläuft. Da der Benachteiligte sogar den wucherischen Preis akzeptiert hat, hätte er sich natürlich mit jedem unter diesem liegenden Preis ebenfalls einverstanden erklärt.
3. Zwischenergebnis Die Ungleichbehandlung der Rechtsfolgen des Wuchers je nach Vertragstyp lässt sich weder durch dogmatische oder teleologische Gründe noch durch die unterschiedliche Schutzbedürftigkeit der benachteiligten Partei rechtfertigen. Zwar ist den Fällen des Miet-, Kredit- und Lohnwuchers gemein, dass der BeSchR II/2, S. 165 f.; Medicus/Petersen, BR, 27. Aufl., Rn. 697; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 817 Rn. 9; Staudinger/Lorenz, (2007), § 817 Rn. 14; Honsell, JA 1986, 573, 575; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 159 f.; Honsell, Rückabwicklung sittenwidriger oder verbotener Geschäfte, S. 56. 770 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 68 und Fn. 70. 771 Siehe BGH NJW 1984, 722, 722 ff. 772 Ebenfalls zu Recht: Honsell, JA 1986, 573, 574. 773 BGH NJW 1984, 722, 724. 774 Ebenso Hager, JuS 1985, 264, 267.
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Kapitel 2: Darstellung der Rechtslage in Deutschland
wucherte sich jeweils in einer strukturellen Schwächesituation befindet: Mieter, Arbeitnehmer und Kreditnehmer beziehungsweise Verbraucher. Ob dies allein jedoch ein tauglicher Differenzierungsgrund gegenüber sonstigen Äquivalenzstörungen ist, scheint zweifelhaft. Die Fälle unterscheiden sich hinsichtlich der ihnen zugrundeliegenden Wertungen nicht derart voneinander, dass daraus die geschilderte Ungleichbehandlung zu folgen hätte.775 Vor allem existiert auch innerhalb der genannten Gruppe kein einheitliches Konzept zur Behebung der Äquivalenzstörung. Vielmehr kommt die Rechtsprechung stets zu unterschiedlichen Lösungen, ohne dass dies sinnvoll zu erklären ist oder sie sich selbst damit auseinandersetzt. Dabei ist jede Erwägung, mit der die Rechtsprechung im Einzelfall das Ergebnis rechtfertigt, für sich allein betrachtet durchaus nachvollziehbar. Allerdings ließen sich die jeweiligen Begründungen auch in den anderen Fällen mit der gleichen Überzeugungskraft vorbringen.776 So ist etwa ein sachlicher Grund, der eine andere Behandlung des Mietwuchers im Vergleich zum Sachwucher rechtfertigen könnte, nicht ersichtlich.777 Genauso lassen sich die Argumente, mit denen etwa im Fall des Mietwuchers die Aufrechterhaltung des Vertrags begründet wird, auch auf alle anderen Fällen des Wuchers übertragen.778 Ebensowenig leuchtet es ein, weshalb ein sittenwidrig überhöhter Zins auf Null reduziert wird, während eine überhöhte Miete weder auf Null noch auf die angemessene Miete, sondern lediglich bis zur Wesentlichkeitsgrenze von 20 % über der ortsüblichen Miete reduziert wird,779 wohingegen der wucherische Lohn schließlich auf das übliche Maß heraufgesetzt werden soll. Es stellt sich stets die gleiche Frage, nämlich wie das Recht auf die Überschreitung des gesetzlich Zulässigen – unter Ausnutzung einer Schwächelage, die jedoch tatsächlich kaum eine Rolle spielt780 – zu reagieren hat. Hier widerspricht sich der BGH in seinen Urteilen und deren Begründungen selbst. Diese systematische Schwäche und Widersprüchlichkeit von Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur treffen auch in Teilen des Schrifttums auf Kritik und zwar sowohl bei Befürwortern von Anpassungslösungen als auch den Anhängern der Gesamtnichtigkeit.781 Da das Ziel bei allen Wucherarten im Kern 775 Ebenso: Hager, JuS 1985, 264, 265; Honsell, JA 1986, 573, 574; Cahn, JZ 1997, 8, 13; Damm, JZ 1986, 913, 915; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 212 f. 776 Ebenso: Hager, JuS 1985, 264, 267. 777 Zu Recht: Honsell in: Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 472, 482; Canaris in: FS Steindorff, 519, 529 bezeichnet es als „untragbaren Wertungswiderspruch“; Staudinger/ Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 212. 778 Ebenso zu Recht: Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 212; Hager, JuS 1985, 264, 267. 779 Honsell, JA 1986, 573, 576. 780 Maaß, NJW 2001, 3467, 3467 f.; v. Olshausen, ZHR 146 (1982), 259, 287. 781 So z. B. Koziol, AcP 188 (1988), 183, 220 f. und insb. Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 212; Hager, JuS 1985, 264, 267; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 23; ders., JR 1982, 96, 97; Bunte in: FS Giger, 55, 73 f.; Beck-
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das gleiche ist, liegt es nahe, dieses auch auf Rechtsfolgenseite konsequent mit den gleichen Mitteln zu verfolgen. Schließlich ist es höchst unbefriedigend, dass der Schutz des Bewucherten durch die Rechtsprechung nur eingeschränkt verwirklicht wird. So erhält er, außer beim Mietwucher (und u. U. beim Lohnwucher), in keinem der Fälle einen Anspruch auf die Leistung;782 selbst in den Fällen des klassisches Wuchers nach § 138 Abs. 2 BGB nicht, obwohl hier schon der Tatbestand eine Notlage des Bewucherten voraussetzt und damit offensichtlich ist, dass dieser ein dringendes Bedürfnis nach der Leistung hat. Dem widerspricht es, ihm diese Leistung dann zu verwehren.
D. Zusammenfassung Das deutsche Recht kann im Bereich der Rechtsfolgen von Äquivalenzstörungen in vielen Fällen nicht überzeugen. Weder bringt es interessengerechte Lösungen hervor noch besitzt es eine plausible und widerspruchsfreie Dogmatik. Ein Beleg für die Interessenwidrigkeit der gesetzlichen Regelungen bereits im Ausgangspunkt sind die in einigen Bereichen mittlerweile anerkannten Korrekturen wie etwa beim fehlerhaften Arbeitsverhältnis oder beim Kreditwucher und den zahlreichen in der Literatur vorgeschlagenen Korrekturversuchen die zwingende Nichtigkeit als Rechtsfolge zu vermeiden.783 Zudem ist es sicher nicht förderlich, dass mit den §§ 812 ff. BGB, den §§ 987 ff. BGB und den §§ 346 ff. BGB drei verschiedene Rückabwicklungsregime einschlägig sein können, die sich teils erheblich voneinander unterscheiden.784 Die im deutschen Recht in § 138 BGB vorgesehene zwingende Nichtigkeit zumindest des Verpflichtungsgeschäfts und die daraus resultierende Rückabwicklung weisen verschiedenste Nachteile auf. Hinzu kommt die Widersprüchlichkeit bei der Behandlung der verschiedenen Arten des Wuchers, wie insbesondere dem Kredit-, Lohn- und Sachwucher. Weder existiert bisher eine einheitliche und klare Linie noch wurden plausible und überzeugende Gründe für die unterschiedliche Behandlung dargelegt.785 Vielmehr ist das deutsche Recht in diesem Punkt mann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 279 f.; Honsell, JA 1986, 573, 576; Neumann, Geltungserhaltende Reduktion, S. 49. 782 Ebenso Cahn, JZ 1997, 8, 12; Honsell, JA 1986, 573, 574, der davon spricht, dass man ansonsten dem zu Schützenden „Steine statt Brot gebe“; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 149. 783 Vgl. zu den Korrekturversuchen in der Literatur unten: § 14 B. Konzepte zur Umgehung der Gesamtnichtigkeit in der Literatur, S. 384 ff. 784 In dieser Hinsicht interessant sind die jüngste Reform des französischen Code civil und der Reformvorschlag für das Schweizer Obligationenrecht OR 2020, die beide jeweils einheitliche Regeln für die Rückabwicklung gescheiterter Verträge vorsehen. Vgl. dazu u. a. Meier, RabelsZ 2016, 851. In eine ähnliche Richtung gehen bereits das CESL und der Gandolfi-Entwurf für ein Europäisches Vertragsrecht. 785 Hierüber herrscht in der Literatur große Einigkeit, vgl. nur Canaris, Gesetzliches
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Kapitel 2: Darstellung der Rechtslage in Deutschland
von Wertungswidersprüchen und durch Unübersichtlichkeit geprägt. Vor allen Dingen wird es aber nicht selten den Interessen sowohl des Bewucherten, unabhängig davon, ob er der Käufer oder Verkäufer ist, als auch, jedenfalls im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB, denen des Begünstigten gerecht. Gerade der Umstand, dass der Begünstigte aufgrund der tatbestandlichen Ausdehung des § 138 Abs. 1 BGB keineswegs mehr stets „der Böse“ ist, ist in der Betrachtung der Problematik bisher nicht hinreichend gewürdigt worden. Wenn diesen kein Vorwurf am Missverhältnis trifft, müssen auch seine Interessen bei der Findung einer angemessenen Rechtsfolge mehr als bisher Berücksichtigung finden. Mag der Präventionsaspekt bei der Entstehung des BGB aufgrund des intendierten sehr engen Anwendungsbereiches von § 138 Abs. 2 BGB zur Begründung der Rechtsfolge noch tragfähig gewesen sein, vermag er die Rechtsfolgen durch die in der Zwischenzeit eingetretene Erweiterung der Kontrolle, insbesondere durch die Rechtsprechung des wucherähnlichen Rechtsgeschäftes, heutzutage nicht mehr zu rechtfertigen. Die Ausweitung der Kontrolle nach § 138 BGB auf Tatbestandsseite verlangt daher auch eine neue, differenziertere Betrachtung der Rechtsfolgen.786 Dazu ist es bislang jedoch nicht gekommen. Die Erkenntnis, dass dem Bewucherten durch die Nichtigkeit nicht geholfen wird, sie teilweise sogar dem bezweckten Schutz entgegenwirkt, ist in Deutschland nur bezüglich einiger Vertragstypen, insbesondere beim Darlehens- und Mietvertrag, allgemein anerkannt.787
Verbot und Rechtsgeschäft, S. 29; Honsell, JA 1986, 573, 576; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 212; AK‑BGB/Damm, § 138 Rn. 88; Stürner, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 91. 786 Damm, JZ 1986, 913, 917; ähnlich Roth, JZ 1989, 411, 419. 787 Für beide Fälle: Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 379 f.; generell für Übermaß: Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 281 f.; Beater, AcP 197 (1997), 505, 519 dort Fn. 75 u. S. 522; jüngst auch Hacker, ZfPW 2019, 148, 195.
Kapitel 3
Rechtsvergleich Die geschilderten Probleme der Rechtslage in Deutschland werfen die Frage auf, wie andere Rechtsordnungen mit dem Problem von Äquivalenzstörungen umgehen und ob sich daraus Ideen für eine alternative Lösung im deutschen Recht ableiten lassen. Dafür werden als Vergleich zum einen das österreichische Recht (§ 11), zum anderen die Arbeiten zur europäischen Rechtsvereinheitlichung (§ 12), insbesondere der DCFR, herangezogen. Österreich ist deswegen eine interessante Vergleichsrechtsordnung, weil hier einerseits mit § 934 ABGB eine ausdrückliche Regelung für den Umgang mit erheblichen Äquivalenzstörungen existiert, die für alle Vertragsarten gilt und – so viel sei an dieser Stelle vorweggenommen – nicht die zwingende Nichtigkeit solcher Verträge anordnet. Andererseits ist der Blick auf das österreichische Recht insofern aufschlussreich, als dass es ganz allgemein eine größere Flexibilität beim Umgang mit der Nichtigkeit an den Tag legt als das deutsche Recht. Der Blick auf die Arbeiten zur europäischen Rechtsvereinheitlichung ist wiederum deshalb von Bedeutung, weil er einerseits zeigt, wie eine gemeinsame europäische Lösung in Zukunft aussehen könnte. Andererseits sind die erarbeiteten Vorschläge, von denen hier die PECL, der DCFR und das CESL untersucht werden, ihrerseits das Produkt umfangreicher rechtsvergleichender Arbeiten und stellen somit regelmäßig ein Abbild der in Europa anerkannten Lösungen und Rechtstraditionen dar. Aufgrunddessen dass die Arbeiten im Vergleich zu den meisten nationalen Kodifikationen ziemlich jung sind, lässt sich anhand dieser auch erkennen, ob und inwiefern sich bei der Behandlung von Äquivalenzstörungen in der Zwischenzeit neue Lösungen und Ansätze entwickelt haben. Vorangestellt werden diesen beiden ausführlichen Betrachtungen kurze Länderberichte über den Umgang mit Äquivalenzstörungen in den wichtigsten europäischen Staaten (§ 10).
§ 10 Länderberichte A. Schweiz Nach Schweizer Recht sind Verträge mit widerrechtlichem und sittenwidrigem Inhalt nichtig, vgl. Art. 20 Abs. 1 OR. Daneben kennt das Schweizer Recht mit
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Kapitel 3: Rechtsvergleich
Art. 21 OR auch einen eigenständigen Wuchertatbestand, die sogenannte Übervorteilung. Dieser hat sowohl den Zweck, die unterlegene Partei vor ausbeuterischen Verträgen zu schützen, dient aber gleichzeitig auch dem Schutz der Vertragsfreiheit selbst vor Missbrauch.1 Die Vorschrift befand sich beim Inkrafttreten des Obligationenrechts 1883 noch nicht im Gesetz, sondern wurde erst nachträglich anlässlich der Revision des Obligationenrechts 1911 eingefügt. Ähnlich wie in Deutschland sorgte auch in der Schweiz der Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschende Liberalismus für Vorbehalte gegenüber der Einführung eines allgemeinen Wuchertatbestandes in das erstmalig für den gesamten Schweizer Bundesstaat geltende Obligationenrecht.2 Vor 1911 war es der Kantonalgesetzgebung überlassen, Vorschriften gegen (Zins-)Wucher aufzustellen. Dies führte zu großen Unterschieden zwischen den einzelnen Kantonen. So kannten einige bloße Zinsbeschränkungen, andere wiederum moderne Wuchertatbestände, während in anderen Kantonen schließlich keinerlei Beschränkungen existierten.3 Zudem galt in einigen Schweizer Kantonen bis zur Reform des Obligationenrechts sogar noch die laesio enormis. Dies betraf vor allem die Kantone der französischsprachigen Schweiz, in denen teilweise noch der Code civil galt oder die ihre eigenen Gesetzbücher zumindest an diesem orientiert hatten.4 Als einziger deutschsprachiger Kanton existierte im Aargau die laesio enormis, wobei als Vorbild dort nicht der Code civil, sondern das österreichische ABGB von 1812 diente.5 Allerdings erreichte die Verlagerung der Problematik auf die kantonale Ebene nicht den gewünschten Erfolg, sodass sich der Schweizer Bundesgesetzgeber gezwungen sah, doch noch eine allgemeine Bestimmung in das Obligationenrecht aufzunehmen.6 Dabei dienten als Vorbilder zum einen der zwischenzeitlich in Deutschland entstandene § 138 Abs. 2 BGB, zum anderen die verschiedenen kantonalen Wuchergesetze.7
I. Tatbestand des Art. 21 OR 1. Systematik Systematisch befindet sich die Übervorteilung zwischen den Inhaltsmängeln (Art. 19/20 OR) und den Willensmängeln (Art. 23 ff. OR) geregelt. Das Verhältnis zwischen Sitten- bzw. Gesetzeswidrigkeit und Wucher ist nicht zur Gänze ge1 Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertragsrecht, S. 530; Gauch, Der Fussballclub und sein Mietvertrag, 55; Pichonnaz, ZEuP 1999, 140, 149. 2 Gauch, Die Übervorteilung, recht 3/1989, 91, 91 f. 3 Vgl. inkl. einem Überblick über die Regelungen der einzelnen Kantone: Rauber, Die Übervorteilung, S. 8 f. 4 Rauber, Die Übervorteilung, S. 19 ff. 5 Stocker, Wucher und Läsion, S. 187 N. 423; Rauber, Die Übervorteilung, S. 16. 6 Interessanterweise enthielt der erste Entwurf zur Reform von 1904 noch die laesio enormis, Art. 1035b, vgl. Rauber, Die Übervorteilung, S. 24 f. 7 Gauch, Die Übervorteilung, recht 3/1989, 91, 91 f.; Bucher, Obligationenrecht AT, S. 229; Rauber, Die Übervorteilung, S. 26; v. Tuhr/Peter, OR AT, S. 343.
§ 10 Länderberichte
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klärt. Dabei dreht sich die Problematik ähnlich wie im deutschen Recht darum, ob für den Fall, dass nicht alle (insbesondere subjektiven) Voraussetzungen des Wuchertatbestands vorliegen beziehungsweise bewiesen werden können, allein aufgrund eines starken Missverhältnisses auf die allgemeine Sittenwidrigkeit zurückgegriffen werden darf. Die Rechtsprechung ging davon aus, dass ein Rückgriff auf Art. 20 OR ausscheide, sofern nicht weitere Voraussetzungen zum Missverhältnis hinzukommen.8 In einer Entscheidung hat das Bundesgericht allerdings eine Anwendung von Art. 20 OR für Fälle einer krassen Übervorteilung zugelassen.9 Auch wenn vereinzelt in der Literatur ebenfalls eine besonders krasse Äquivalenzstörung für ausreichend erachtet wird,10 geht die Mehrheit jedoch weiter davon aus, dass allein eine schwere Äquivalenzstörung nicht unter Art. 20 OR fällt11. Die herrschende Lehre lässt einen Rückgriff auf Art. 20 OR nur dann zu, wenn neben das offenbare Missverhältnis weitere, über Art. 21 OR hinausgehende anstößige Umstände hinzutreten.12 Umgekehrt ist streitig, ob, falls die Voraussetzungen des Art. 21 OR vorliegen, gleichzeitig die Nichtigkeit nach Art. 20 OR eintreten kann. Praktische Relevanz hat dies insofern, als dass die Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit anders als die Übervorteilung keiner Frist unterliegt. Wenn der Bewucherte den Vertrag nach Art. 21 OR nicht innerhalb eines Jahres anficht, stellt sich daher die Frage, ob er sich noch auf Art. 20 OR berufen kann. Dies wird allgemein verneint und zwar unabhängig davon, weshalb der Bewucherte die Frist des Art. 21 Abs. 2 OR verstreichen ließ.13 Das ist überzeugend, da ansonsten die Frist aus Art. 21 OR zu leicht umgangen werden könnte und praktisch bedeutungslos würde.
2. Tatbestandsvoraussetzungen Art. 21 OR findet grundsätzlich auf alle synallagmatischen Verträge Anwendung.14 Zudem kann die Übervorteilung sowohl von natürlichen als auch juris8 BGE 9 BGE
51 II 161, 169; 43 II 803, 806 f. 93 II 189, 191 f., wobei es sich wohl um einen Einzelfall zu einer Vereinbarung eines Zinssatzes von 26 % handelt. 10 So Berner Kommentar/Kramer, Art. 19–20 Rn. 205; Oftinger, Xenion 2, 535, 549 f. 11 Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertragsrecht, S. 651 ff.; Gauch, Die Übervorteilung, recht 3/1989, 91 99; Stocker, Wucher und Läsion, S. 82 N. 185; Gauch/Schluep/Schmid/ Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 756; so auch schon Rauber, Die Übervorteilung, S. 77. Vgl. aber auch Schwenzer, OR AT 32.32, 32.49, die ein Wahlrecht des Geschützten annimmt, wenn Wucher und Sittenwidrigkeit gleichzeitig gegeben sind und bei besonders krasser Inäquivalenz allein aus diesem Umstand die Nichtigkeit aus Art. 20 OR herleiten will; ebenso Huguenin, OR AT & BT, § 5 Rn. 598. 12 Stocker, Wucher und Läsion, S. 82 f. N. 186; Oftinger, Xenion 2, 535, 549 f.; Gauch, Die Übervorteilung, recht 3/1989, 91, 100; Berner Kommentar/Kramer, Art. 19–20 Rn. 204 f.; BSK/Huguenin, Art. 21 Rn. 19. 13 Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 756 f.; Stocker, Wucher und Läsion, S. 82 N. 185. 14 Gauch, Die Übervorteilung, recht 3/1989, 91, 94.
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Kapitel 3: Rechtsvergleich
tischen Personen geltend gemacht werden und findet auch im unternehmerischen Verkehr uneingeschränkt Anwendung.15 Die Übervorteilung nach Art. 21 OR ähnelt auf Tatbestandsseite stark dem deutschen § 138 Abs. 2 BGB. Auch er setzt neben einem offenbaren Missverhältnis die Ausnutzung einer Schwäche des Bewucherten voraus, für die im Gesetzeswortlaut die Notlage, die Unerfahrenheit und der Leichtsinn beispielhaft16 aufgeführt sind. Was den Maßstab des offenbaren Missverhältnisses angeht, finden sich keine festen Grenzen, es fehlt größtenteils sogar an der Nennung grober Orientierungen. So heißt es meist, es sei ein solches Missverhältnis erforderlich, das gewissermaßen ins Auge springe.17 Das Ausnutzen liegt vor, wenn sich bewusst die Schwäche des anderen Teils zunutze gemacht wird, um sich auf Kosten des anderen Teils übermäßige Vorteile zu sichern.18 Dabei müssen alle drei Elemente erfüllt sein. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung kann jedoch die Anforderung an eines der Elemente geringer sein, falls ein anderes sehr stark ausgeprägt ist.19 Teilweise wird davon ausgegangen, dass Art. 21 OR in ausbeutungsähnlichen Fällen, in denen sich das subjektive Element nicht vollständig nachweisen lässt, „sinngemäß“ angewendet werden könne, wenn sich die Gegenpartei böswillig oder grob fahrlässig der Erkenntnis verschlossen hat, dass der Übervorteilte nur wegen seiner Notlage dem Vertrag zustimmte.20 Diese weite Auslegung des Tatbestands von Art. 21 OR erinnert an die Vermutung, wie sie aus dem deutschen Recht i. R. v. § 138 BGB bekannt ist.
II. Rechtsfolgen von Art. 21 OR Auch wenn die Übervorteilung auf Tatbestandsseite § 138 Abs. 2 BGB weitgehend entspricht, unterscheidet sich Art. 21 OR in den Rechtsfolgen doch erheblich vom deutschen Wuchertatbestand. Der wucherische Vertrag ist nämlich 15 Stocker, Wucher und Läsion, S. 116 N. 258; Berner Kommentar/Kramer, Art. 21 OR Rn. 14; v. Tuhr/Peter, OR AT, S. 344; Buff, Vertragliche Anpassungsklauseln im Schweizerischen Recht, S. 213. 16 Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 738; Schwenzer, OR AT 32.51; Berner Kommentar/Kramer, Art. 21 OR Rn. 35; Bucher, Obligationenrecht AT, S. 232 f.; Gauch, Die Übervorteilung, recht 3/1989, 91, 97. 17 BGE 53 II 483, 388; Schwenzer, OR AT, 32.50; Huguenin, OR AT & BT, § 5 Rn. 456; vgl. auch Guhl/Koller, Obligationenrecht, § 7 Rn. 49, wonach die Feststellung des offenbaren Missverhältnisses im freien Ermessen des Richters liege, „ohne dass hierfür ein zahlenmäßiges Verhältnis angenommen werden könnte“. 18 BGE 123 III 292, 305; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 741; BSK OR I/Huguenin/Meise, Art. 21 Rn. 14; Schwenzer, OR AT, 32.53; Huguenin, OR AT & BT, § 5 Rn. 462. 19 Gauch, Die Übervorteilung, recht 3/1989, 91, 99; Huguenin, OR AT & BT, § 5 Rn. 455; BSK/Huguenin, Art. 21 Rn. 1; Bucher, Obligationenrecht AT, S. 232 f.; Dedual in: Menschenwürde und Selbstbestimmung, 241, 248. 20 Gauch, Die Übervorteilung, recht 3/1989, 91, 99.
§ 10 Länderberichte
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nicht automatisch nichtig. Vielmehr kann oder muss nach Schweizer Recht der Bewucherte erklären, den Vertrag nicht einzuhalten, und das schon Geleistete zurückfordern. Nur die von Art. 21 OR geschützte Partei kann sich vom Vertrag lossagen. Dazu genügt eine privatrechtliche Erklärung gegenüber dem anderen Teil, eine gerichtliche Geltendmachung ist nicht erforderlich.21 Es handelt sich dabei also um ein Gestaltungsrecht des Bewucherten. Macht dieser davon Gebrauch, ist der Vertrag einseitig unverbindlich.22 Die Möglichkeit sich vom Vertrag zu lösen, hat die bewucherte Partei jedoch nicht unbegrenzt, vielmehr unterliegt dieses Recht der Befristung. Die Frist für die Ausübung beträgt ein Jahr und beginnt nach Art. 21 Abs. 2 OR bereits mit Abschluss des Vertrags zu laufen und nicht erst mit Kenntnis der das Gestaltungsrecht begründenden Umstände.
1. Einseitige Unverbindlichkeit Was genau unter der einseitigen Unverbindlichkeit als Rechtsfolge zu verstehen ist, ist im Schweizer Recht umstritten. Über die Bedeutung streiten sich vor allem die Ungültigkeits- und die Anfechtungstheorie.23 Nach der Ungültigkeitstheorie ist der einseitig unverbindliche Vertrag von Anfang an ungültig.24 Der Vertrag entfaltet keine Wirkungen und es existieren damit für beide Parteien auch keine Ansprüche. Wegen der Einseitigkeit der Unverbindlichkeit darf diese aber nicht von Amts wegen im Prozess berücksichtigt werden, sondern nur, wenn die verletzte Partei sich auf sie beruft.25 Tut sie dies, kann sie vor dem Leistungsaustausch die Erfüllung verweigern und wenn es bereits zum Leistungsaustausch gekommen ist, die erbrachten Leistungen zurückfordern.26 Der Wucherer hingegen muss den Vertrag gegen sich gelten lassen, wenn der Bewucherte dessen Erfüllung verlangt.27 In diesem Fall kann er selbst auch die Leistung fordern, genauso wie er seine Leistung verweigern und zurückfordern darf, wenn die andere Partei die Nichtigkeit geltend macht. Versäumt 21 Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertragsrecht, S. 630; BSK OR I/Huguenin/Meise, Art. 21 Rn. 2; Gauch, Der Fussballclub und sein Mietvertrag, 55, 57; Huguenin, OR AT & BT, § 5 Rn. 577. 22 Dazu, was genau darunter zu verstehen ist, vgl. sogleich: 1. Einseitige Unverbindlichkeit, S. 219. 23 Die von v. Tuhr/Peter vertretene Theorie der geteilten Ungültigkeit, wonach der Vertrag im Falle der Übervorteilung (insb. bei der Anfechtung) für die bewucherte (sich irrende) Partei ungültig, aber für die andere Partei gültig ist, solange nicht die Übervorteilung geltend gemacht wird, wird heute nicht mehr vertreten, sodass auf ihre Darstellung verzichtet wird, vgl. dazu v. Tuhr/Peter, OR AT, S. 329, 338, 480, 493. 24 Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 890 ff.; Gauch, Die Übervorteilung, recht 3/1989, 91, 99. 25 Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertragsrecht, S. 344; BSK OR I/Huguenin/Meise, Art. 21 Rn. 15; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 891. 26 Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 892. 27 Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 893.
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die benachteiligte Partei allerdings die Frist zur Geltendmachung, so gilt der wucherische Vertrag nach der Ungültigkeitstheorie als geheilt.28 Die Ungültigkeitstheorie kommt damit zu dem etwas seltsam anmutenden Ergebnis, dass der Vertrag vor Genehmigung oder dem Fristablauf zwar an sich unwirksam ist, wenn der Wucherer den Bewucherten jedoch verklagt und dieser sich nicht auf die Übervorteilung beruft, der Klage aber dennoch stattzugeben ist. Nach der Gegenauffassung, der Anfechtungstheorie, ist der Vertrag zunächst für beide Seiten (schwebend) wirksam. Nur wenn die bewucherte Partei den Vertrag anficht, wird der Vertrag mit Wirkung ex tunc nichtig.29 Macht sie nicht innerhalb der Frist von ihrem Recht Gebrauch, so erlischt das Recht zur Anfechtung und der Vertrag ist endgültig wirksam. Dies erscheint als die naheliegendere und widerspruchsfreiere Lösung. In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand kommen die beiden Ansichten jedoch praktisch zu den gleichen Ergebnissen, weil jeweils der Bewucherte tätig werden muss, um sich vom Vertrag zu lösen.30 Theoretisch und dogmatisch unterscheiden sich die beiden Auffassungen aber ganz erheblich. In einem Fall besteht nämlich am Anfang überhaupt kein wirksamer Vertrag, er kann aber in der Folge Wirksamkeit erlangen, im anderen Fall besteht zu Beginn ein rechtswirksamer Vertrag, der aber vernichtbar ist. Unabhängig vom Verstreichenlassen der Frist hat die übervorteilte Partei auch die Möglichkeit, den Vertrag zu genehmigen. Dies erfordert neben der Erklärung gegenüber der anderen Partei, dass die benachteiligte Partei sich aller Mängel, die die Geltendmachung der Übervorteilung erfordert, bewusst ist.31 Gerade in der vorbehaltslosen Erfüllung des Vertrags bei Kenntnis des Mangels wird die Genehmigung des wucherischen Vertrages gesehen.32 Mit der Genehmigung erlangt der Vertrag endgültig Wirksamkeit und das Recht zur Anfechtung erlischt.
2. Frist Die Ausgestaltung der Frist zur Geltendmachung ist streng. Das liegt nicht an der Dauer selbst, sondern daran, dass die Frist schon mit Vertragsschluss zu laufen beginnt. Problematisch erscheint dies immer dann, wenn der Bewucherte zunächst keine Kenntnis vom Missverhältnis hat und davon erst nach Ab28 Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertragsrecht, S. 530; BSK OR I/Huguenin/Meise, Art. 21 Rn. 15; Gauch, Der Fussballclub und sein Mietvertrag, 55, 57; ders., Die Übervorteilung, recht 3/1989, 91, 100. 29 Für diese sprechen sich aus: Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertragsrecht, S. 345; BSK OR I/Huguenin/Meise, Art. 21 Rn. 15; Stocker, Wucher und Läsion, S. 132 f. N. 296; Berner Kommentar/Kramer, Art. 21 OR Rn. 47; Huguenin, OR AT & BT, § 5 Rn. 564; Koller, OR AT, § 14 Rn. 257 u. 274; Bucher, Obligationenrecht AT, S. 234. 30 Vgl. aber zu Unterschieden im Sachen-, Bereicherungs- und Verjährungsrecht: Huguenin, OR AT & BT, § 5 Rn. 568 ff. 31 Stocker, Wucher und Läsion, S. 101 N. 226. 32 Stocker, Wucher und Läsion, S. 105 N. 226.
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lauf eines Jahres erfährt, denn in diesem Fall bleibt er an den wucherischen Vertrag gebunden. Ebenfalls problematisch stellt sich die Situation dar, wenn er auch innerhalb der Jahresfrist – trotz des wucherischen Vertrags – in seiner Schwächesituation bleibt und daher nicht in der Lage ist, gegen den Vertrag vorzugehen, weil er weiterhin dringend auf den erhaltenen Gegenstand angewiesen ist und diesen deshalb nicht herausgeben kann. Die Lösung erscheint auch systemwidrig, da in Fällen der Täuschung, des Irrtums und der Drohung die Anfechtungsfrist auch im Schweizer Recht erst mit der Entdeckung des Irrtums oder der Täuschung beziehungsweise mit der Beseitigung der Drohung beginnt, vgl. Art. 31 Abs. 2 OR. Für den Fristbeginn an den Vertragsschluss anzuknüpfen, überzeugt daher nicht und wird in der Schweizer Literatur auch kritisiert.33 In „OR2020“, einem (akademischen) Entwurf für eine mögliche Reform des Obligationenrechts, wird daher für die Übervorteilung als Fristbeginn auch das Ende der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit vorgeschlagen.34 Die Dauer von einem Jahr an sich erscheint unabhängig von der eben geäußerten Kritik aber ausreichend, da dieser Zeitraum in der Regel genügen sollte, um die etwaigen Vor- und Nachteile zu erkennen und zu bewerten. Macht der Bewucherte aber rechtzeitig von seinem Recht Gebrauch, so kann er das Geleistete zurückverlangen. Die Rückforderung des Geleisteten erfolgt durch Vindikation gemäß Art. 641 Abs. 2 ZGB, denn das Schweizer Recht folgt dem Kausalitätsprinzip, beziehungsweise nach Bereicherungsrecht gemäß Art. 62 ff. OR, wobei die Vindikation Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung verdrängt.35
III. Vertragsanpassung 1. Literatur und Rechtsprechung Fraglich ist, ob der Bewucherte auch nur den zu viel bezahlten Teil zurückfordern darf. Ausdrücklich sieht das Obligationenrecht diese Möglichkeit nicht vor und der Wortlaut des Art. 21 OR scheint eher von einer Gesamtnichtigkeit des Vertrags auszugehen, spricht er doch nur davon, dass „das Geleistete“ zurückverlangt werden kann. Die Rechtsprechung lehnte eine teilweise Aufrechterhaltung des Vertrags daher auch lange Zeit ab,36 stieß damit aber auf Kritik. In der Schweizer Literatur wurde eine Teilnichtigkeit wucherischer Verträge schon 33 Stocker, Wucher und Läsion, S. 105 N. 232, der darin eine Ursache für die geringe praktische Bedeutung von Art. 21 OR sieht; ebenso Huguenin, OR AT & BT, § 5 Rn. 578; Mazzola, Verhältnis und Abgrenzung von Art. 20 und 21 OR, S. 23 f. 34 Vgl. Art. 42 Abs. 2 OR2020 (der Text ist abrufbar unter: http://or2020.ch/ [zuletzt aufgerufen 01.04.2020]). 35 Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 892. 36 BGE 64 I 39, 47; vgl. für Übersicht der Rechtsprechungsentwicklung: Dedual, Geltungserhaltende Reduktion, S. 202 ff.
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seit längerem gefordert.37 Streitig war dabei die dogmatische Begründung dieses Ergebnisses. Teilweise wurde dafür plädiert, die Bestimmung über die Teilnichtigkeit in Art. 20 Abs. 2 OR analog auf Fälle des Wuchers anzuwenden.38 Danach ist im Zweifel nur von einer Teilnichtigkeit des Vertrags auszugehen, wenn nicht der hypothetische Parteiwille dem widerspricht. Andere wollten die Teilnichtigkeit unmittelbar aus Art. 21 OR mittels einer über den Normzweck begründeten teleologischen Reduktion herleiten.39 Weil Art. 21 OR dem Schutz der übervorteilten Partei diene, komme es jeweils auf den konkreten Fall an, ob ihr Schutz besser durch eine Gesamt- oder bloße Teilnichtigkeit gewährt werden könne. Für die Begründung der Teilnichtigkeit über den Normzweck wird angeführt, dass die Frage der Gesamt- oder Teilnichtigkeit in Fällen des Wuchers nicht auch vom hypothetischen Willen der Parteien abhängen dürfe, da es nicht mit dem Schutzzweck vereinbar sei, dass die Anpassung auch vom Willen des Wucherers abhänge, obwohl der Bewucherte die Leistung dringend benötige.40 Praktisch kommen beide Vorschläge kaum zu unterschiedlichen Ergebnissen, weil der hypothetische Parteiwille in Art. 20 Abs. 2 OR normativ am Handeln redlicher Vertragspartner gemessen wird und nicht auf den subjektiven Willen der konkret Handelnden abgestellt wird.41 Dem Wucherer ist es daher nicht möglich, sich darauf zu berufen, dass er den Vertrag mit angepasstem Inhalt niemals geschlossen hätte.42 Die neuere Rechtsprechung schloss sich der Literatur und ihrem Verlangen nach einer Vertragsanpassung an, sodass nun auch in der Praxis eine bloße Teilnichtigkeit wucherischer Verträge möglich ist.43 Dabei leitete das Bundesgericht die Teilnichtigkeit unmittelbar aus Art. 21 OR her, obwohl der Wortlaut dafür keinen Anhaltspunkt bietet. Es stützte sich hierfür aber auf den Normzweck von Art. 21 OR, der nach Ansicht des Bundesgerichts auch eine Teilnichtigkeit ermögliche, sodass die Norm in ihrer Rechtsfolge teleologisch zu reduzieren sei. Bemerkenswert ist, dass das Gericht sein Ergebnis im Jahr 1998 auch damit begründete, dass „die Möglichkeit richterlicher Vertragsgestaltung auffäl37 Vgl. etwa Oftinger, Xenion 2, 535, 552; Stark, Die 38 So Gauch, Der Fussballclub und sein Mietvertrag,
Übervorteilung, S. 377, 393 ff. 55, 56; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 754; Berner Kommentar/Kramer, Art. 21 OR Rn. 49. 39 So heute BSK OR I/Huguenin/Meise, Art. 21 Rn. 16, der für die Anwendung der allgemeinen Teilnichtigkeitsgrundsätze auch auf Art. 21 OR plädiert; Stocker, Wucher und Läsion, S. 175 N. 398; Honsell in: FS Giger, 287, 288 f. 40 BSK OR I/Huguenin/Meise, Art. 21 Rn. 16; Huguenin, OR AT & BT, § 5 Rn. 589. 41 BGE 123 III 292, 300; Gauch, Der Fussballclub und sein Mietvertrag, 55, 58; Gauch/ Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 754. 42 Genauso wenig kann er im Falle der Anpassung die Geltung des angepassten Vertrags mit der Berufung auf einen Irrtum verhindern, Gauch, Der Fussballclub und sein Mietvertrag, 55, 60; BGE 123 III 292, 300 f., da die Möglichkeit, sich durch die Berufung auf einen Irrtum vom Vertrag lösen zu können, dem Zweck von Art. 21 OR entgegenlaufe. 43 BGE 123 III 292.
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lig dem Zeitgeist entspricht“ und daran „auch die Rechtsanwendung nicht vorbeisehen [kann]“44. In der Schweizer Literatur traf die neue Rechtsprechung erwartungsgemäß auf große Zustimmung.45 Auch das Recht des Bewucherten, Anpassung statt Nichtigkeit zu verlangen, ist ein Gestaltungsrecht. Die Herabsetzung tritt daher schon mit der Erklärung gegenüber dem anderen Teil ein und bedarf keiner gerichtlichen Mitwirkung. Kommt es zum Prozess, stellt das Gericht lediglich fest, ob die erklärte Herabsetzung wirksam erfolgte oder nicht.46
2. Offene Fragen Offen ist, auf welches Maß die Anpassung zu erfolgen hat. Diesbezüglich befürwortet die Mehrheit, diese auf das angemessene Maß vorzunehmen.47 Jedoch gibt es auch Stimmen, die sich lediglich für eine Reduktion auf das gerade noch zulässige Maß aussprechen.48 Auf ein angemessenes Maß erfolgte die Reduktion auch in dem Fall, in dem das Bundesgericht erstmals die Möglichkeit der Teilnichtigkeit wucherischer Verträge anerkannte.49 Allerdings äußerte sich das Bundesgericht in diesem Urteil nicht zum Maß der Anpassung, weil die bevorteilte Partei das vorherige Urteil in diesem Punkt nicht angegriffen hatte und es dem Bundesgericht daher verwehrt war, diese Frage zu entscheiden. Das Gericht der Vorinstanz nahm jedoch eine Reduktion auf das angemessene Maß vor. Ebenso wurde vom Bundesgericht offen gelassen, ob nur der Bewucherte die Vertragsanpassung verlangen kann oder ob dieses Recht auch dem Wucherer zusteht. Dies wird relevant, wenn der Bewucherte die Nichtigkeit des ganzen Vertrags geltend macht. Die Schweizer Literatur zeigt sich in dieser Frage gespalten.50 Diejenigen, die dieser Möglichkeit ablehnend gegenüberstehen, stützen sich vor allem darauf, dass derjenige, der die Schwäche eines anderen ausbeutet, um sich selbst durch die Vereinbarung eines schweren Missverhältnisses zu bereichern, keine Rücksichtnahme verdiene, wenn der Ausgebeu44
BGE 123 III 292, 298. Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertragsrecht, S. 629; Gauch, Der Fussballclub und sein Mietvertrag, 55, 56; Pichonnaz, ZEuP 1999, 140, 159; Schwenzer, OR AT, 32.55. 46 Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 755. 47 Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertragsrecht, S. 630 ff.; BSK OR I/Huguenin/ Meise, Art. 21 Rn. 16; Klett, Richterliche Eingriffe in den Vertrag, 13, 22; Berner Kommentar/ Kramer, Art. 21 OR Rn. 52; Buff, Vertragliche Anpassungsklauseln im Schweizerischen Recht, S. 220. 48 Gauch, Der Fussballclub und sein Mietvertrag, 55, 58 f.; Pichonnaz, ZEuP 1999, 140, 157 ff.; Guhl/Koller, Obligationenrecht, § 7 Rn. 55. 49 Vgl. Nachweis in Kapitel 3 Fn. 43. 50 Für das Recht des Wucherers Anpassung zu verlangen: Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertragsrecht, S. 636; Bucher, Obligationenrecht AT, S. 237; dagegen: Gauch, Der Fussballclub und sein Mietvertrag, 55, 60; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 755; Schwenzer, OR AT, 32.55; Berner Kommentar/Kramer, Art. 21 OR Rn. 51; Koller, OR AT, § 14 Rn. 258. 45
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tete auf den Vertrag im Ganzen verzichten wolle.51 Anderenfalls würde die Ausbeutung eher gefördert als bekämpft. Dabei berufen sie sich unter anderem auf zwei Entscheidungen des Bundesgerichts in denen es heißt, dem Übervorteilten könne die „Fortsetzung des Vertrages mit verändertem Inhalt nicht aufgezwungen werden“.52 Zudem sei der Wortlaut des Art. 21 OR eindeutig und weise allein dem Bewucherte die Möglichkeit zu, gegen den gestörten Vertrag vorzugehen.53 Die Befürworter sehen im Verlust des Leistungsanspruchs des Übervorteilenden besonders in Fällen, in denen die Leistung nicht mehr rücknehmbar sei, eine ungerechte Härte.54 Dogmatisch sei ein Anpassungsrecht des Wucherers durch eine Analogie zu Art. 25 OR zu begründen, wonach die Berufung auf einen Irrtum ausgeschlossen ist, wenn die andere Partei bereit ist, den Vertrag so aufrechtzuerhalten, wie ihn der sich Irrende verstanden hat.55
B. Frankreich Der französische Code civil kennt keine dem Wuchertatbestand entsprechende Bestimmung, wie sie im deutschen Recht existiert, mit der Äquivalenzstörungen unabhängig vom konkreten Vertragstyp erfasst werden können. Auch die jüngste Reform des Code civil 2016 hat daran nichts geändert.56 Vielmehr heißt es in Art. 1168 CC, dass die fehlende Gleichwertigkeit bei einem synallagmatischen Vertrag grundsätzlich keinen Grund für die Nichtigkeit darstellt, es sei denn, das Gesetz sieht etwas anderes vor. Die mit der Reform neu eingefügte Vorschrift entspricht ihrem Inhalt nach weitgehend dem Art. 1118 CC a. F., der seit dem Inkrafttreten des Code civil 1804 bestimmte, dass die Läsion allein in den im Gesetz angeordneten Fällen beachtlich sei und der in Frankreich als bewusste Ablehnung der aus dem kanonischen Recht stammenden Lehre vom gerechten Preis verstanden wurde.57
I. Art. 1674 ff. CC Eine Ausnahme vom Grundsatz des Art. 1168 CC ist in den Art. 1674 ff. CC geregelt. Deren zentrale Vorschrift bildet Art. 1674 CC, der sich seit Inkrafttreten des Code civil unverändert im Gesetz befindet und bei dem es sich um 51 Gauch, Der Fussballclub und sein Mietvertrag, 55, 60; Berner Kommentar/Kramer, Art. 21 OR Rn. 51. 52 BGE 84 II, 107, 11; bestätigt durch BGE 92 II 168, 179. 53 Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 255 N. 909. Dieses Argument ist jedoch insofern nicht zwingend, da der Wortlaut des Art. 21 OR eine Anpassung schon gar nicht vorsieht. 54 Bucher, Obligationenrecht AT, S. 237. 55 Bucher, Obligationenrecht AT, S. 235; darauf stützt sich auch Huguenin, um das Recht des Wucherers zu begründen, dies, OR AT & BT, § 5 Rn. 592. 56 Insofern kritisch: Witz in: Die Reform des französischen Vertragsrechts, 119, 124. 57 Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht I, 1 F 667.
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eine Entsprechung der laesio enormis von Diokletian handelt. Wie diese gilt Art. 1674 CC ausschließlich für Grundstückskaufverträge und knüpft allein an eine Äquivalenzstörung an, kennt darüber hinaus aber keine weiteren Voraussetzungen. Anders als beim römisch-rechtlichen Original zieht die Vorschrift die Grenze allerdings nicht genau bei Unterschreitung der Hälfte des Werts des Grundstücks, sondern greift erst dann ein, wenn der erhaltene Kaufpreis weniger als fünf Zwölftel des wirklichen Preises beträgt. Die Äquivalenzstörung muss nach Art. 1678 CC zudem durch drei Sachverständigengutachten bestätigt werden. Diese Norm stellt eine Ausnahme vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung dar.58 Gelingt der Nachweis, kann der Verkäufer den Vertrag gemäß Art. 1676 CC innerhalb von zwei Jahren ab Vertragsschluss anfechten, mit der Folge, dass der Vertrag unwirksam wird. Dieses Recht, die sogenannte rescision (Vernichtbarkeit), steht aber nicht beiden Vertragsparteien zu, sondern nur dem Verkäufer. Hat also der Käufer einen zu hohen Kaufpreis gezahlt, steht ihm kein Anfechtungsrecht zu. Die Regelung ist auf Drängen Napoleons zurückzuführen, der damit die Landbevölkerung vor dem Verlust ihrer Existenz beschützen wollte.59 Ebenso wie bei der laesio enormis unter Kaiser Diokletian kann der Käufer die Nichtigkeit des Vertrags gemäß Art. 1681 CC durch die Zahlung der Differenz verhindern. Dabei muss allerdings – insofern anders als bei der klassischen laesio enormis – nicht die vollständige Differenz zwischen bezahltem Kaufpreis und dem tatsächlichen Wert des Grundstücks ausgeglichen werden. Der Käufer muss den Kaufpreis nämlich nur bis zu neun Zehnteln des wahren Grundstückwerts aufstocken. Es wird damit keine vollständige Ausgeglichenheit zwischen den Werten der beiden Leistungen erreicht, sondern dem Käufer bleibt ein kleiner Gewinn erhalten. Dem Käufer einen kleinen Gewinn zu belassen, ist aber nicht der von der Vorschrift verfolgte Zweck. Dass keine vollständige Anpassung vorgenommen wird, hat vielmehr den Hintergrund, dass Ungenauigkeiten bei der Bestimmung des Marktpreises nicht zulasten des Käufers gehen sollen,60 sodass durch die Anpassung auf lediglich neun Zehntel gewissermaßen eine kleine „Sicherheit“ eingebaut wurde. Auch wenn hinter dieser Norm also gerade nicht die Idee steckt, dem, der nicht durch vorwerfbares Verhalten begünstigt wurde, einen kleinen Gewinn zu belassen, hat eine solche Idee durchaus einen gewissen Reiz und wird bei der Diskussion um die Anpassung des Vertrages durch jene aufgegriffen, die eine solche nur auf das gerade noch zulässige Maß vornehmen wollen.61 58 59
Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht II, 2 G 374. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, 21. Aufl., § 41 Rn. 14; Witz in: Die Reform des französischen Vertragsrechts, 119, 119 f.; Armgardt, Zur Dogmengeschichte der laesio enormis, 3, 11; Finkenauer in: FS Westermann, 183, 185. 60 A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 28. 61 Vgl. dazu unten: § 13 F. I. Anpassung auf das gerade noch zulässige Maß, S. 353 ff.
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Dabei ist die rescision nicht als Gestaltungsrecht konzipiert, sondern muss vom Übervorteilten gerichtlich mittels Klage geltend gemacht werden,62 beziehungsweise im Prozess als Einrede vorgetragen werden, sofern er sich in der Rolle des Beklagten befindet. Die Rechtsfolge der rescision besteht in der Rückabwicklung der ausgestauschten Leistungen, der Verkäufer erhält sein Grundstück zurück, muss gleichzeitig aber den erhaltenen Kaufpreis herausgeben.
II. Erweiterung von violence und dol Neben dieser sehr speziellen Regelung mit ihrem beschränkten Anwendungsbereich schützt das französische Recht den Benachteiligten aber auch auf andere Weise. Zwar berechtigt auch nach französischem Recht ein Irrtum über den Wert einer Sache allein nicht zur Anfechtung, vgl. Art. 1136 CC. Schon vor der jüngsten Reform des Code civil gewährte die Rechtsprechung in Frankreich allerdings demjenigen Schutz, der in einer Schwächelage einen nachteiligen Vertrag schloss, indem sie ihm das Recht zur Anfechtung wegen Täuschung (dol) oder Drohung (violence) erlaubte.63 So war auch derjenige zur Anfechtung wegen dol berechtigt, dessen Unerfahrenheit oder Zwangslage ausgenutzt wurde, ohne dass ihm Zeit zur Überlegung oder Einholung von Rat gegeben wurde oder falls dessen Vertragspartner die Tragweite des Vertrages verharmlost oder verschleiert hatte.64 Auch wenn in all diesen Fällen keine arglistige Täuschung vorlag, sieht die Rechtsprechung in Frankreich das missbräuchliche Ausnutzen einer Schwächelage zum eigenen Vorteil als betrugsähnlich an (manœvres dolosives).65 Daneben wird die Ausnutzung einer wirtschaftlichen Überlegenheit zum Abschluss eines für sich übermäßig günstigen Vertrags als violence économique angesehen.66 Diese Rechtsprechung wurde mit der Reform des Code civil 2016 teilweise kodifiziert. So liegt nach Art. 1143 CC nun ausdrücklich ein Fall von violence vor, wenn die Abhängigkeit der einen Partei dazu missbraucht wird, sich einen offensichtlich übermäßigen Vorteil (un avantage manifestement excessif) einzuräumen. Die Abhängigkeit kann dabei sowohl aufgrund einer (eigenen) Notlage oder einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältns bestehen.67 Rechtsfolge ist nach Art. 1131 CC die nullité relative, eine im deutschen Recht unbekannte Art der Nichtigkeit, auf die sich nur der durch die Nichtigkeitsnorm Geschützte berufen kann (vgl. Art. 1181 CC). 62 63
Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht I, 1 F 668. Vgl. dazu Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 164 f. 64 Cass. Civ. 20 avril 1966, Bull. cass. 1966 I. No. 224; Cass. Civ. 13 janvier 1969, Bull. cass. 1969 I. No. 21; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 164. 65 Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 164. 66 Cass. Civ. 3 avril 2002, Bull. cass. 2002 I. No. 108; Cass. Civ. 30 mai 2000, Bull. cass. 2000 I. No. 169; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 164. 67 Witz in: Die Reform des französischen Vertragsrechts, 119, 127.
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C. Polen I. Art. 388 KC Das Interessante am polnischen Recht ist, dass sein bürgerliches Recht, nachdem Polen 1918 seine Unabhängigkeit wiedererlangte, das Ergebnis umfangreicher rechtsvergleichender Arbeiten war, wobei das deutsche, französische und Schweizer Recht den größten Einfluss auf das 1934 in Kraft getretene Obligationengesetzbuch besaßen.68 Dieses wurde zwar durch das seit 1964 bestehende Zivilgesetzbuch (kodeks cywilny) ersetzt, welches allerdings die Bestimmung zur Übervorteilung nahezu unverändert übernommen hat. Die heutige Regelung zur Übervorteilung befindet sich in Art. 388 KC69 und sieht ein bemerkenswert ausdifferenziertes und abgestuftes System an Rechtsfolgen vor. Der Tatbestand lässt sich als klassischer Fall der Übervorteilung bezeichnen. Er setzt voraus, dass die benachteiligte Partei sich in einer Schwächelage befand und diese vom Vertragspartner ausgenutzt wurde, um einen Vertrag zu schließen, der ein auffälliges Missverhältnis zulasten der anderen Partei enthält. Auf Rechtsfolgenseite ist der wucherische Vertrag nach polnischem Recht zunächst einmal wirksam und nicht ipso iure nichtig. Gut erkennen lässt sich der Wille des Gesetzgebers, den Vertrag, soweit es möglich ist, aufrechtzuerhalten, indem er das Recht zur Lösung vom Vertrag nur subsidiär als ultima ratio gewährt. Zunächst einmal kann und muss die benachteiligte Partei die Anpassung des Vertrags verlangen. Dieser Umstand, dass die benachteiligte Partei sich grundsätzlich nicht auf die Nichtigkeit berufen kann, ist für sich genommen schon beachtlich. Auffällig und soweit ersichtlich in den europäischen Rechtsordnungen einzigartig ist weiter, dass dem Bewucherten nicht bloß das Recht zur Anpassung zusteht, sondern er auch die Art und Weise der Anpassung bestimmen darf. Er kann nicht nur verlangen, dass der Wucherer seine Leistung erhöht, sondern hat auch die Möglichkeit, seine eigene Leistungsverpflichtung zu reduzieren und dadurch das Ungleichgewicht zu beheben. Die Praxis ist über die im Gesetz genannten Möglichkeiten sogar noch hinausgegangen und erlaubt eine Kombination beider Varianten. Der Bewucherte kann also auch die Verringerung der eigenen Leistung bei gleichzeitiger entsprechender Erhöhung der Gegenleistung verlangen.70 Durch die hohe Flexibilität bei der Wahl 68 69
Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 167 N. 627. Dieser lautet: „Hat eine Partei durch Ausnutzung einer Zwangslage, der Unbeholfenheit oder der Unerfahrenheit der anderen Partei im Austausch gegen ihre Leistung für sich oder einen Dritten eine Leistung erhalten oder ausbedungen, deren Wert zurzeit des Vertragsschlusses den Wert ihrer eigenen Leistung auffallend übersteigt, kann die andere Partei eine Herabsetzung ihrer oder eine Erhöhung der ihr gebührenden Leistung und, wenn beides übermäßig schwierig wäre, verlangen, dass der Vertrag für unwirksam erklärt wird.“, Übersetzung aus: Breidenbach/Brockhuis, WiRO II, PL 200, S. 63. 70 Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 175 N. 648; Sąd Najwyższ, IV CK 444/04 vom 13.01.2005.
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der konkreten Rechtsfolge im Einzelfall wird dem Interesse des Bewucherten im großen Maß entgegengekommen. Eine Frage, die der Gesetzeswortlaut allerdings nicht beantwortet, ist die, auf welches Maß die vorrangige Vertragsanpassung vorgenommen werden soll. In der Literatur wird häufig von einer Anpassung ausgegangen, die nur das auffallende Missverhältnis behebt, nicht aber die Äquivalenz vollständig wiederherstellt.71 Die Aufhebung des Vertrags kann der Bewucherte nur subsidiär verlangen, wenn dessen Anpassung unmöglich oder übermäßig schwierig ist. Kommt es zur Aufhebung, so wirkt diese ex tunc.72 Dabei ist zu beachten, dass zum Eintritt der Rechtsfolgen die gerichtliche Geltendmachung erforderlich ist.73 Der Bewucherte besitzt also kein Gestaltungsrecht, vielmehr tritt die Rechtsänderung erst durch die gerichtliche Entscheidung ein. Das Recht auf Vertragsanpassung verjährt ebenso wie das Recht zur Vertragsaufhebung innerhalb von zwei Jahren ab Vertragsschluss (Art. 388 Abs. 2 KC). Das polnische Recht kennzeichnet sich dadurch, dass es bestrebt ist, den Vertrag unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Damit will der Gesetzgeber dem Bedürfnis des Rechtsverkehrs nach Rechtssicherheit Rechnung tragen.74 Gleichzeitig ist die Lösung – durchaus nachvollziehbar – ganz und gar an den Interessen des Bewucherten orientiert. Er hat einen großen Einfluss auf die Art und Weise der Anpassung. Dass er sich kaum vom Vertrag lösen kann, scheint verschmerzbar, da er in der Regel ein Interesse am Erhalt des Vertrags haben wird, sofern dieser angemessene Konditionen enthält. Nur in dem Fall, dass die Schwächesituation der benachteiligten Partei nicht nur für das Abschließen eines nachteiligen Vertrags, sondern überhaupt zum Vertragsschluss ausgenutzt wurde, mag die Subsidiarität der Vertragsauflösung problematisch sein. In diesen Fällen entspricht nämlich auch ein angemessener Vertrag nicht dem Interesse der benachteiligten Partei. Unmöglich oder ein übermäßiges Hindernis, wie es der Gesetzeswortlaut verlangt, um zur Vertragsauflösung zu gelangen, ist eine Anpassung in diesen Fällen nämlich nicht. Bedenken mag bei manchen die breite Palette an Wahlmöglichkeiten zwischen den Rechtsfolgen hinsichtlich des Aspekts der Rechtssicherheit hervorrufen. Die begünstigte Partei sieht sich tatsächlich einer relativ großen Unsicherheit hinsichtlich der Frage ausgesetzt, was genau mit dem Vertrag passiert. Andererseits muss man sehen, dass sie grundsätzlich davon ausgehen kann, dass der Vertrag bestehen bleibt und angepasst wird, sodass die Unsicherheit nicht so groß ist wie bei der Frage, ob der Vertrag nichtig oder wirksam sein wird.75 71 72
Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 174, Fn. 888 m. w. N. Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 177 N. 660. 73 Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 176 N. 654. 74 Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 172 N. 639. 75 Vgl. insgesamt und ausführlich zum Aspekt der Rechtssicherheit unten: § 13 B. III. Aspekt der Verkehrssicherheit, S. 322 ff.
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II. Reformüberlegungen Seit dem politischen Umbruch 1989 gibt es in Polen Überlegungen und Pläne für die Schaffung eines neuen Privatrechts. Im Zuge dessen wurde 2008 von der zuständigen Kommission ein Entwurf für den ersten Teil eines neuen Zivilgesetzbuchs veröffentlicht, der auch die Regelungen zur Übervorteilung modifiziert. Die Neuregelung findet sich in Art. 121 des Entwurfs76 und sieht als Rechtsfolge grundsätzlich die Anfechtung des Vertrags vor. Jedoch greift in zwei Fällen vorrangig eine von Amts wegen zu beachtende Nichtigkeit ein: Zum einen wenn die guten Sitten dies verlangen oder wenn zu erwarten ist, dass die benachteiligte Partei nicht in der Lage ist, ihre Interessen angemessen zu schützen. Die zweite Variante weist stark paternalistische Züge auf und geht über die Diskussion über eine Hinweispflicht des Gerichtes in solchen Fällen weit hinaus. Soweit ersichtlich findet sich in den europäischen Rechtsordnungen bisher keine solche Vorschrift. Weiter enthält der Entwurf in Art. 123 die Alternative einer bloßen Teilanfechtung. Zudem gibt es immer noch die Möglichkeit, den Vertrag anzupassen. Dieses Recht steht nach Art. 125 nur der benachteiligten Partei zu, wobei die Anpassung vom Gericht vorgenommen wird. Dabei soll das Gericht den Inhalt so festlegen, wie er vereinbart worden wäre, wenn es nicht zur Ausnutzung der Schwächelage gekommen wäre. Nach Art. 125 Abs. 2 kann die bevorteilte Partei ebenfalls die Anpassung verlangen und zwar wenn die Gegenseite den Vertrag anficht. Die Rechte der benachteiligten Partei unterliegen einer Frist, die gemäß Art. 124 ein Jahr beträgt und mit der Kenntnis der die Anfechtung begründenden Umstände zu laufen beginnt. Durch die Vielzahl an Vorschriften, die die Rechtsfolgen der Übervorteilung regeln, erscheint die geplante Neuregelung im Vergleich zur bisherigen Regelung relativ unübersichtlich. Auch wenn sich auf den ersten Blick einiges geändert zu haben scheint, ist die Neuregelung im Ergebnis doch weitgehend konstant. Es haben sich eher die Dogmatik und damit der Weg zum Ergebnis geändert, als das praktische Ergebnis selbst. Die größte Änderung ist wohl, dass der Bewucherte in der Wahl der genauen Art und Weise der Anpassung eingeschränkt wird, da diese nun vom Gericht vorgenommen werden soll und zwar danach, was die Parteien ohne das Ausnutzen der Schwächelage vereinbart hät76 Dieser lautet: „(§ 1) Wer die Willenserklärung unter besonderen Umständen, wie z. B. in einer Zwangslage, einem Abhängigkeitsverhältnis, aus Unerfahrenheit oder Unbeholfenheit, geäußert hat, der darf sich den Folgen seiner Erklärung entziehen, wenn sich die andere Partei der Umstände bewusst war oder sich dieser mit angemessener Sorgfalt hätte bewusst sein sollen, und diese Umstände entgegen den guten Sitten ausgenutzt hat, um einen massiv übermäßigen oder unfairen Vorteil zu erhalten. (§ 2) Die Willenserklärung ist jedoch nichtig, wenn die guten Sitten unter Berücksichtigung der Umstände es verlangen, besonders dann, wenn nicht erwartet werden kann, dass der Übervorteilte angemessene Schutzmaßnahmen zur Wahrung seiner Interessen treffen wird.“, Übersetzung von Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 185 Fn. 944.
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ten. Der Bewucherte kann sich dadurch nicht mehr mittels Anpassung sowohl der Leistung als auch der Gegenleistung seine Lieblingslösung „basteln“.
D. Italien Während der Codice civile von 1865 noch den französischen Code civil als Vorbild hatte und in der Folge nur eine dem französischen Recht entsprechende Läsionsregelung für die Fälle von unausgeglichenen Grundstückskaufverträgen kannte (Art. 1529 CCIt a. F.), änderte sich dies – auch durch den Einfluss des deutschen Rechts77 – mit der Neufassung von 1942. Das heutige italienische Recht kennt zwei Tatbestände zur Bekämpfung von Äquivalenzstörungen. Zum einen Art. 1447 CCIt (Im Zustand einer Gefahr abgeschlossener Vertrag) und Art. 1448 CCIt (Allgemeine Klage auf Rückgängigmachung wegen Verkürzung).78 Art. 1448 CCIt regelt die Übervorteilung und setzt sich aus den schon bekannten Elementen des Missverhältnisses, der Schwächelage und deren Ausbeutung durch den Bevorteilten zusammen. Dabei muss nach Art. 1448 Abs. 2 CCIt das Missverhältnis mehr als das Doppelte betragen. Das italienische Recht kennt damit, anders als viele andere Rechtsordnungen, eine starre Grenze, die zudem mit der Grenze des Doppelten relativ hoch angesetzt ist. Das erforderliche Ausnutzen kann ähnlich wie im deutschen Recht bei einem groben Missverhältnis vermutet werden.79 Daneben kann die Übererfüllung eines Tatbestandsmerkmals die Anforderungen an die übrigen Voraussetzungen reduzieren.80 Als Rechtsfolge sieht die Vorschrift vor, dass der Benachteiligte die Rückgängigmachung des Vertrags verlangen kann. Dafür reicht eine einfache Erklärung nicht aus. Die benachteiligte Partei muss im Wege der Klage die Rückgängigmachung des Vertrags verlangen, vgl. Art. 1448 CCIt. Das Urteil wirkt also konstitutiv. Wurden die Leistungen noch nicht ausgetauscht, kann der Benachteiligte die Übervorteilung dem anderen Teil auch als Einwendung entgegenhalten, wie sich bereits im Umkehrschluss aus Art. 1449 Abs. 2 CCIt ergibt. Dabei verjährt der Anspruch auf Rückgängigmachung des Vertrags gemäß Art. 1449 CCIt innerhalb eines Jahres ab Vertragsschluss. Mit Ablauf der Frist kann er auch nicht mehr als Einrede geltend gemacht werden, Art. 1449 Abs. 2 CCIt. Insofern entspricht die italienische Regelung dem Schweizer Recht. 77
Vgl. dazu Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 65 f. den genannten Überschriften handelt es sich um diejenige aus der deutschen Fassung des Codice civile für die Provinz Bozen, abrufbar unter: http://www.provinz.bz.it/politikrecht-aussenbeziehungen/recht/downloads/PDF_ZGB_Stand_Mai_2015_deu(1).pdf (zuletzt aufgerufen am 01.04.2020). 79 Grundmann/Zaccaria, Einführung in das italienische Recht, S. 216 f.; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 67; Roppo, Il contratto, S. 892. 80 Roppo, Il contratto, S. 885; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 67. 78 Bei
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Nach Art. 1450 CCIt hat die bevorteilte Partei die Möglichkeit, die Rückgängigmachung des Vertrags abzuwenden, indem sie eine Vertragsanpassung anbietet. Dabei handelt es sich um ein rechtsgeschäftliches Angebot, das der Annahme durch die benachteiligte Partei bedarf.81 Eine automatische Vertragsanpassung erfolgt also gerade nicht. Ist das Angebot angemessen, hat die benachteiligte Partei jedoch nicht die Möglichkeit, dieses abzulehnen und so die Vertragsauflösung herbeizuführen.82 Insofern findet keine echte privatautonome Einigung statt, denn faktisch besteht unter der Voraussetzung, dass das Angebot angemessen ist, ein Kontrahierungszwang für die benachteiligte Partei. Das genaue Maß der Anpassung schreibt das Gesetz nicht vor. Immerhin lässt sich ihm entnehmen, dass das Angebot zur Herbeiführung billiger Bedingungen ausreichen muss (vgl. Art. 1450 CCIt). Dazu reicht es nicht aus, dass der übervorteilende Vertragsteil gerade so viel bietet, dass die Grenze der Hälfte nicht mehr unterschritten wird. Die Anpassung muss die vollständige Äquivalenz zwischen den Leistungen wiederherstellen, wobei der maßgebliche Zeitpunkt zur Marktwertbestimmung der des Vertragsschlusses ist.83 Die Vertragsanpassung kann auch außergerichtlich stattfinden, denn sie bedarf anders als die rescissione keiner gerichtlichen Mitwirkung. Häufig wird die bevorteilte Partei ein Anpassungsangebot aber bloß dann abgeben, wenn die benachteiligte Partei auf Vertragsauflösung klagt. Dann kann sie das Angebot als Gegenrecht im gerichtlichen Verfahren einwenden.84 Der Umstand, dass die benachteiligte Partei das Angebot nur annehmen muss, wenn es angemessen ist, sorgt auf Seiten des Wucherers für große Unsicherheit, da er bei einem Angebot, das der Bewucherte ablehnt und welches vom Gericht als zu gering erachtet wird, den Vertrag entgegen seiner Intention doch verliert. Wegen dieser Unsicherheit ist es zulässig, den Richter mit der Formulierung eines angemessenen Angebotes zu betrauen.85 Art. 1447 CCIt gewährt bereits unterhalb der Schwelle des Doppelten ein Recht zur Vertragsauflösung. Hier reichen schon unbillige Bedingungen aus, um den Vertrag anfechten zu können. Allerdings muss dafür eine gegenwärtige Gefahr eines schweren Schadens an einer Person durch den Vertragsschluss abgewendet werden wollen. Die Voraussetzungen der Norm sind daher deutlich enger als die des Art. 1448 CCIt. Art. 1447 CCIt ist dabei als lex specialis zu Art. 1448 CCIt anzusehen.86 81 82
Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 71. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 71. 83 Sacco/De Nova, Il Contratto, S. 479; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 72. 84 Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 72. 85 Roppo, Il contratto, S. 896; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 72 f.; Eccher, Hdb. Italienisches Recht, 2/261. 86 Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 68 f.
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Daneben existiert im italienischen Recht mit Art. 1815 CCIt noch eine Spezialvorschrift für den Darlehenswucher. Danach ist nur die wucherische Zinsabrede nichtig, der Vertrag im Übrigen aber wirksam. Der Darlehensnehmer erhält im Ergebnis ein zinsloses Darlehen. Zudem gibt es eine strafrechtliche Wucherbestimmung in Art. 644 c. p. Das italienische Recht kennt mit Art. 1118 CCIt eine Vorschrift, die entsprechend dem deutschen § 134 BGB Rechtsgeschäfte für nichtig erklärt, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen.87
E. England Das englische Recht kennt keine allgemeine Bestimmung beziehungsweise Regelung für anfängliche Äquivalenzstörungen.88 So reicht für eine consideration, die Voraussetzung für eine wirksame vertragliche Verpflichtung ist, auch eine ganz geringe Gegenleistung aus (sog. Peppercorn Theory).89 Es besteht Einigkeit, dass allein ein extremes Missverhältnis die Wirksamkeit eines Vertrags nicht berührt.90 Dennoch gibt es einige Regelungen, die der übervorteilten Partei in Fällen schwerer Äquivalenzstörungen oder Ausbeutung zur Verfügung stehen, um sich vom Vertrag zu lösen. Dabei handelt es sich zum einen um die economic duress, zum anderen das Institut des undue influence und vor allem die unconscionability. Sie alle legen ihren Schwerpunkt aber auf das einwandfreie Zustandekommen des Vertrags, d. h. insbesondere eine fehlerfreie und ungestörte Willensbildung, und weniger auf das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung.
I. Economic duress Economic duress ist ein Spezialfall der allgemeinen duress-Lehre, die eingreift, wenn eine Partei die andere bei Vertragsschluss unzulässig unter Druck setzt. Anders als in den Fällen der klassischen duress (duress of the person/ duress of goods) wird beim economic duress nicht mit Gewalt gedroht. Vielmehr wird die andere Partei so unter unzulässigen Druck gesetzt, dass sie (wirtschaftlich betrachtet) keine andere sinnvolle Handlungsoption mehr besitzt, als dem Vertrag zuzustimmen.91 Sie findet vor allem dann Anwendung, wenn bei 87 Zum Verhältnis zwischen Art. 644 c. p. i. V. m. Art. 1418 CCIt und Art. 1448 CCIt vgl. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 74 f. 88 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 24 II, S. 322; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 165; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 79. 89 Treitel in: Chitty on Contracts I, Rn. 4‑014 ff.; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 29 II, S. 384 ff.; Peel, Law of Contract, 3‑013, p. 85. 90 Peel, Law of Contract, 10‑045, p. 525; Waddams, Protection of the weaker parties in English law, 26, 26. 91 Carillion Construction Ltd v Felix (UK) Ltd [2001] B. L. R. 1; DSND Subsea Limited v Petroleum Geo Services ASA [2000] EWHC 185 (TCC) Rn. 131; Bayliss, Economic Duress, S. 30 f.
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Neuverhandlungen mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses gedroht wird, um bestimmte Vertragsbedingungen durchzusetzen.92 Ihre Anwendung ist unabhängig davon, ob ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht oder der Vertrag anderweitig nachteilig für eine Partei ist.93 Liegt ein Fall von economic duress vor, ist ein entsprechender Vertrag nicht automatisch unwirksam (void), sondern kann von der betroffenen Partei vernichtet werden (voidable).94 Die Rechtsfolge kann der Betroffene durch Abgabe einer entsprechenden Erklärung gegenüber seinem Vertragspartner selbst herbeiführen, die Anrufung des Gerichts ist nicht erforderlich.95
II. Undue influence Die doctrine of undue influence findet in Konstellationen Anwendung, in denen zwischen den Parteien ein enges Vertrauensverhältnis bestand und der Vertrag das Resultat einer Ausnutzung dieses Vertrauensverhältnisses ist.96 Das Vertrauens- oder Näheverhältnis kennzeichnet sich dadurch, dass sich die eine Partei darauf verlassen kann, von der anderen Partei angemessen infomiert und beraten zu werden.97 Ein solches wird von der Rechtsprechung in bestimmten Konstellationen vermutet, etwa zwischen Eltern und Kind, Anwalt und Mandant oder Treuhänder und Treugeber.98 In anderen Konstellationen muss der Kläger beweisen, dass beim Vertragsschluss ein entsprechendes Vertrauensverhältnis zum Vertragspartner bestand.99 Weitere Voraussetzung ist, dass der Vertrag inhaltlich auffällig („calls for an explanation“100) oder nachteilig („manifestly disadvantageous“101) ist. Der Inhalt des Vertrags muss also ungewöhnlich sein und darf sich nicht ohne Weiteres auf einen bestimmten Grund zurückführen lassen, wie es z. B. bei einem Geburtstagsgeschenk der Fall ist.102 Sind 92 93
Vgl. Beispiele bei Beale in: Chitty on Contracts I, Rn. 8‑015 ff. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 81. 94 Beale in: Chitty on Contracts I, Rn. 8‑054; Bayliss, Economic Duress, S. 31; vgl. allgemein zur Unterscheidung zwischen void und voidable, Whittaker in: Chitty on Contracts I, Rn. 1‑115 ff. 95 Whittaker in: Chitty on Contracts I, Rn. 1‑110; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 87; Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 124. 96 Beale in: Chitty on Contracts I, Rn. 8‑058; Bell, Eur.Rev. P. L. 15 (2007), 555, 562; Bayliss, Economic Duress, S. 115; Hellwege, Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, S. 179. 97 Waddams, Protection of the weaker parties in English law, 26, 33; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 24 II, S. 322; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 81 f.; Capper, Protection of the vulnerable in financial transactions, 166, 175. 98 Vgl. Nachweise bei Beale in: Chitty on Contracts I, Rn. 8‑080 ff.; ebenfalls Bell, Eur. Rev. P. L. 15 (2007), 555, 560 f. u. insb. 580 ff.; Peel, Law of Contract, 10‑023, p. 511 f. 99 Bell, Eur.Rev. P. L. 15 (2007), 555, 560; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 82; Schindler, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und Drohung, S. 132; Bayliss, Economic Duress, S. 115. 100 Vgl. etwa Royal Bank of Scotland v Etridge (AP) [2001] UKHL 44. 101 National Westminster Bank Plc v Morgan [1985] UKHL 2. 102 Bell, Eur.Rev. P. L. 15 (2007), 555, 562; Peel, Law of Contract, 10‑020, p. 510.
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beide Voraussetzungen erfüllt, so wird vermutet, dass das Vertrauen zum Abschluss des nachteiligen Vertrags missbraucht wurde.103 Diese Vermutung kann der Vertragspartner zwar widerlegen. Dazu muss er allerdings beweisen, dass der Kläger vor Vertragsschluss den unabhängigen und kompetenten Rat einer dritten Person, wie etwa eines Anwalts, in Anspruch genommen hat.104 Rechtsfolge der undue influence ist wiederum nicht die Nichtigkeit des Vertrags ipso iure, sondern die Möglichkeit der benachteiligten Partei, den Vertrag zu vernichten (voidable).105 Hierzu bedarf es anders als beim economic duress der Anrufung des Gerichts.106 Eine Möglichkeit zur Anpassung des inhaltlich auffälligen Vertrags gibt es nicht.
III. Unconscionability Schließlich kennt das englische Recht noch die sog. unconscionability, die der undue influence ähnelt. Voraussetzung ist, dass sich eine Partei in einer Schwächelage befand und diese vom Vertragspartner zum Abschluss eines die andere Partei grob benachteiligenden Vertrags ausgenutzt wurde.107 Ganz offensichtlich ähnelt die unconscionability damit den klassischen Wuchertatbeständen wie etwa § 138 Abs. 2 BGB.108 So wird ein grober Nachteil vor allem dann angenommen, wenn ein starkes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt.109 Die Schwächelage kann verschiedene Ursachen haben. Ursprünglich wurde davon ausgegangen, dass der Benachteiligte „poor and ignorant“ gewesen sein müsse.110 Mittlerweile wird dieses Kriterium aber weiter gefasst und kann etwa ebenso in der Unerfahrenheit der Partei oder ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage liegen.111 Zuletzt muss der Begünstigte die 103 Royal Bank of Scotland v Etridge (AP) [2001] UKHL 44; Bell, Eur.Rev. P. L. 15 (2007), 555, 562; Capper, Protection of the vulnerable in financial transactions, 166, 175; Zweigert/ Kötz, Rechtsvergleichung, § 24 II, S. 322; Schindler, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und Drohung, S. 132; Hellwege, Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, S. 180. 104 Beale in: Chitty on Contracts I, Rn. 8‑099 ff.; Bell, Eur.Rev. P. L. 15 (2007), 555, 562; Capper, Protection of the vulnerable in financial transactions, 166, 175; Peel, Law of Contract, 10‑027, p. 516 f.; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 24 II, S. 322; Hellwege, Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, S. 180. 105 Beale in: Chitty on Contracts I, Rn. 8‑103; Peel, Law of Contract, 10‑030, p. 518; Spark, Vitiation of Contracts, p. 251; Waddams, Protection of the weaker parties in English law, 26, 32; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 87. 106 Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 87. 107 Beale in: Chitty on Contracts I, Rn. 8‑135; Peel, Law of Contract, 10‑043, p. 524; Spark, Vitiation of Contracts, p. 279; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 84; Capper, Protection of the vulnerable in financial transactions, 166, 180. 108 Ebenso: Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 85; Schindler, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und Drohung, S. 139 Fn. 292. 109 Beale in: Chitty on Contracts I, Rn. 8‑136. 110 Fry v Lane (1888) 40 Ch. D. 312; Beale in: Chitty on Contracts I, Rn. 8‑137; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 85. 111 Beale in: Chitty on Contracts I, Rn. 8‑137; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnis-
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Schwächelage in verwerflicher Art und Weise ausgenutzt haben („in a morally reprehensible manner […] which affects his [the stronger party] conscience“112). Erforderlich ist dabei die Kenntnis von der Schwächelage des anderen Teils.113 Das unredliche Verhalten kann aber vermutet werden, wenn ein extremes Missverhältnis zwischen den beiden Leistungen vorliegt.114 Liegen die Voraussetzungen der unconscionability vor, ist der Vertrag nicht ipso iure nichtig, sondern lediglich vernichtbar (voidable).115 Dazu ist wie schon bei Fällen von undue influence die gerichtliche Geltendmachung durch die benachteiligte Partei erforderlich.116 Ein Anpassungsrecht besteht ebenfalls nicht, es kommt zur Rückabwicklung des Vertrags.117
F. Niederlande Das niederländische Recht kennt zwar keine Vorschrift, die unmittelbar im Tatbestand eine Äquivalenzstörung voraussetzt. Es enthält aber mit dem Tatbestand misbruik van omstandigheden (Missbrauch der Umstände), in Art. 3:44 lid 4 BW, eine Vorschrift, mit der äquivalenzgestörte Verträge erfasst werden können und die auf der Lehre vom klassischen Wucher basiert.118 Dieser entspricht im Prinzip den gängigen Wuchertatbeständen, nur dass er kein Missverhältnis zwischen den Leistungen voraussetzt. Es reicht bereits aus, dass der eine Teil weiß oder wissen muss, dass die andere Partei das Rechtsgeschäft nur deshalb abschließt, weil sie sich in einer Schwächelage, wie etwa einer Notlage, Abhängigkeit oder Unerfahrenheit befand. Indem der Fokus allein auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des Vertrags gelegt wird, ähnelt das niederländische Recht hier eher den aus dem common law bekannten Instrumenten des economic duress, undue influence und unconscionability. Die Rechtsfolge besteht nicht in der Nichtigkeit ipso iure. Entsprechende Verträge können nach Art. 3:44 lid 4 BW angefochten werden, wobei die Anfechtung ex tunc wirkt (Art. 3:53 lid 1 BW). Die Anfechtung kann dabei sowohl außergerichtlich als auch vor Gericht erklärt werden (Art. 3:49 BW). Sie kann vor Gericht sowohl zur Abwehr einer Klage vorgebracht werden (Art. 3:51 lid 3 BW) als auch in Form einer selbstständigen Klage auf Nichmäßigkeit im Schuldrecht, S. 85; Schindler, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und Drohung, S. 140. 112 Multiservice Bookbinding Ltd v Marden [1979] Ch. 84, 110. 113 Hart v O’Connor [1985] AC 1000; Spark, Vitiation of Contracts, p. 286. 114 Credit Lyonnais Bank Nederland NV v Burch [1997]; Hart v O’Connor [1985] AC 1000, 1018; Beale in: Chitty on Contracts I, Rn. 8‑139; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 85. 115 Spark, Vitiation of Contracts, p. 281; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 87. 116 Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldrecht, S. 87. 117 Waddams, Protection of the weaker parties in English law, 26, 40. 118 Van Loo, S. 232 u. 237.
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tigkeitserklärung (Art. 3:51 lid. 2 BW). Anfechtungsberechtigt ist nach Art. 3:50 lid 1 BW derjenige, zu dessen Gunsten das Anfechtungsrecht besteht, in diesem Fall also die benachteiligte Partei. Das Recht zur Erhebung der Nichtigkeitsklage bzw. außergerichtlichen Geltendmachung der Nichtigkeit erlischt nach drei Jahren, wobei die Frist erst mit Beendigung der Schwächelage beginnt (Art. 3:52 lid 1 b, lid 2 BW). Der andere Teil kann dem Benachteiligten jedoch nach Fristbeginn eine Frist setzen, in der dieser sich entscheiden muss, ob er das Rechtsgeschäft anficht oder nicht (Art. 3:55 lid 2 BW). Auf diese Weise kann der Begünstigte die dreijährige Frist verkürzen. Darüberhinaus besteht nach Art. 3:54 BW die Möglichkeit zur Vertragsanpassung. Nach Art. 3:54 lid 2 BW kann jede Partei im Prozess anstelle der Nichtigkeitserklärung eine richterliche Anpassung des Vertrags verlangen. Daneben sieht Art. 3:54 lid 1 BW eine außergerichtliche Anpassung vor. Diese steht aber nur der begünstigten Partei zu. Das Recht zur Anfechtung erlischt nämlich, wenn der Anfechtungsgegner rechtzeitig eine Vertragsänderung vorschlägt, die die Nachteile in „entscheidender Weise“ behebt. Auch wenn der Wortlaut der Norm davon auszugehen scheint, dass der Anfechtungsgegner die Anpassung bereits vor Erklärung der Anfechtung vorgeschlagen haben muss, wird davon ausgegangen, dass eine Anpassung auch dann noch rechtzeitig ist, wenn sie unmittelbar nach der Anfechtung angeboten wird.119 Über das Maß der Anpassung enthält das Gesetz keine genauen Angaben. Da das Angebot den Nachteil „in entscheidener Weise“ beheben muss, spricht dies allerdings dafür, dass eine Anpassung auf das Marktniveau zu erfolgen hat.
G. Sonstige Rechtsordnungen Soweit ersichtlich verzichtet keine europäische Rechtsordnung völlig auf Regelungen zur Äquivalenzkontrolle. Im Grundsatz sind sie ebenso aufgebaut wie die bereits vorgestellten Vorschriften und erfordern neben einem offensichtlichen Missverhältnis, dass die begünstigte Partei eine Schwächelage des Benachteiligten ausgenutzt hat. In Portugal führt der Wucher, geregelt in Art. 282 Código civil (Negócios usurários), dazu, dass der ausgebeutete Teil den Vertrag mittels Anfechtung vernichten kann. Er kann aber stattdessen nach Art. 283 Abs. 1 Código civil auch die Anpassung des Vertrags verlangen. Diese Anpassung wird auf ein angemessenes Verhältnis vorgenommen und zwar vom Gericht. Bemerkenswert ist, dass nach Art. 283 Abs. 2 Código civil auch der Wucherer die Anpassung des Vertrags verlangen kann, wenn der Bewucherte die Nichtigkeit des Vertrags anstrebt. Diese Möglichkeit des Wucherers, Vertragsanpassung zu verlangen, hat Seltenheitswert und wird in den meisten anderen europäischen Ländern – außer 119
Nieuwenhuis/Stolker/Valk/Hijma, Art. 3:54, S. 1291.
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Italien – abgelehnt, da so das wucherische Geschäft für den Wucherer das Risiko verliert. Ein Anpassungsrecht des Begünstigten beschränkt sich regelmäßig auf die Läsion. Das griechische Zivilgesetzbuch von 1946, dem zu großen Teilen das BGB als Vorbild diente120, enthält mit Art. 178 und Art. 179 zwei Vorschriften, die § 138 BGB nahezu eins zu eins wiedergeben. Während Art. 178 ZGB allgemein die Nichtigkeit sittenwidriger Rechtsgeschäfte bestimmt, ordnet Art. 179 ZGB entsprechend § 138 Abs. 2 BGB an, dass insbesondere ein wucherischer Vertrag wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist. Belgien übernahm den französischen Code civil, nachdem es Ende des 18. Jahrhunderts im Rahmen der Revolutionskriege an Frankreich gefallen war. Dort gilt er bis heute fort, wobei aufgrund der unterschiedlichen politischen Entwicklung in der Zwischenzeit Unterschiede entstanden sind.121 So beschränkt sich etwa die jüngste Reform des Code civil auf Frankreich. Insofern bestimmt in Belgien weiterhin Art. 1118 CC, dass die Läsion nur dann die Wirksamkeit eines Vertrags beeinträchtigt, wenn es das Gesetz ausdrücklich bestimmt. Als Ausnahme davon existieren im belgischen Code civil ebenfalls noch immer die Art. 1674 ff., die den Vorschriften der französischen Version entsprechen. Auch in Belgien kann der Verkäufer eines Grundstücks sich vom Vertrag lösen, wenn er weniger als fünf Zwölftel des Grundstückswerts als Gegenleistung erhalten hat und der Käufer kann dies durch Zahlung der Differenz verhindern, wobei er ein Zehntel behalten darf. Das in den 1990er Jahren neu geschaffene litauische Zivilgesetzbuch enthält mit Art. 6.228 eine Vorschrift, die schwere Äquivalenzstörungen erfasst, die durch die Ausnutzung einer Schwächelage entstanden sind. Als Vorlage diente dabei die entsprechende Regelung aus den UNIDROIT Principles.122 Die Vorschrift erfordert auf Tatbestandsseite, dass der Vertrag einer Partei ungerechtfertigterweise einen übermäßigen Vorteil einräumt, wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, ob diese Partei eine Schwächelage des Vertragspartners ausgenutzt hat (Art. 6.228 Abs. 1). In besonderen Ausnahmefällen kann auch allein ein extremes Missverhältnis den Tatbestand erfüllen.123 Als Rechtsfolge gibt sie dem Benachteiligten zunächst ein Anfechtungsrecht, das außergerichtlich geltend gemacht werden kann.124 Darüber hinaus kann der Benachteiligte die Anpassung des Vertrages verlangen, wobei dazu die Anrufung des Gerichts notwendig 120
Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 11, S. 154 f., ausführlich insb. auch zu den Einflüssen der deutschen Pandektenwissenschaft im 19. Jahrhundert; Baetge in: Handbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. 1, 772, 773. 121 Ferid/Sonnenberger weisen darauf hin, dass sich selbst bei Textgleichheit zahlreiche Interpretationsunterschiede zwischen der belgischen und französischen Fassung ergeben, Das Französische Zivilrecht I, 1 A 349 Fn. 98. 122 Vgl. dazu Chorin/Lazauskaitė, Jurisprudencija 2014, 1163, 1168. 123 Chorin/Lazauskaitė, Jurisprudencija 2014, 1163, 1181. 124 Die ist in systematischer Hinsicht insoweit bemerkenswert im litauischen Recht, da für
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ist und die Anpassung von diesem vorgenommen wird (vgl. Art. 6.228 Abs. 2). Diese Möglichkeit steht nach Art. 6.228 Abs. 3 auch der begünstigten Partei als Reaktion auf die Anfechtung durch die benachteiligte Partei zu, womit sie die anderenfalls eintretende Nichtigkeit des Vertrages verhindern kann. Inhaltlich soll das Gericht den Vertrag so anpassen, wie wenn er unter Beachtung des Gebotes von Treu und Glaube geschlossen worden wäre. Auch das am 1. Januar 2018 in Kraft getretene sechste Buch des katalanischen Zivilgesetzbuches kennt sowohl die laesio enormis (Art. 621‑46) als auch die an die PECL und den DCFR angelehnte Regelung des Unfairen Vorteils (Art. 621‑45).125 Dabei gelten die Vorschriften trotz ihres Standortes im Kaufrecht für alle entgeltlichen Verträge.126 Wie üblich greift die laesio enormis (rescissió per lesió ultra dimidium) ein, wenn die von der benachteiligten Partei empfangene Leistung weniger als halb so viel wert ist wie die Gegenleistung, wobei die benachteiligte Partei das Missverhältnis beweisen muss.127 Ein Willensmangel ist keine Voraussetzung, um die Auflösung des Vertrags zu verlangen.128 Die Regelung des Unfairen Vorteils stellt praktisch einen Wuchertatbestand dar, die eingreift, wenn eine Partei sich einen gröblichen unfairen finanziellen Vorteil verschafft, wobei die andere Partei sich bei Vertragsschluss in einer Schwächelage befand. In beiden Fällen kann die benachteiligte Partei nicht nur die Auflösung des Vertrages, sondern auch dessen Anpassung verlangen (Art. 621‑47). Die Anpassung erfolgt durch den Richter und wird nach Maßgabe von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs vorgenommen.129 Die Rechte verjähren innerhalb von vier Jahren.130 Interessant ist schließlich aus rechtshistorischer Sicht ein Blick auf die Rechtslage in der DDR. Hier erklärte § 68 Abs. 1 Nr. 2 ZGB einen Vertrag für nichtig, der mit den Grundsätzen der sozialistischen Moral unvereinbar war. Das Oberste Gericht sah einen entsprechenden Verstoß in einem krassen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung.131 Die Rechtsfolge war aber nicht die vollständige Nichtigkeit des Vertrags. Nach § 68 Abs. 2 ZGB bestand die Rechtsfolge in einer bloßen Teilnichtigkeit, sodass lediglich das unzulässige Übermaß beseitigt wurde und der Vertrag im Übrigen mit zulässigen Konditionen fortbestand. die Fälle des Irrtums, der Täuschung und Drohung die gerichtliche Geltendmachung erforderlich ist, vgl. kritisch dazu Chorin/Lazauskaitė, Jurisprudencija 2014, 1163, 1169 ff. 125 Vgl. zur Regelung in den PECL und im DCFR unten: § 12 B. Unfair Exploitation, S. 285 ff. 126 Miquel Sala, ZEuP 2019, 358, 378. 127 Miquel Sala, ZEuP 2019, 358, 379. 128 Miquel Sala, ZEuP 2019, 358, 379. 129 Miquel Sala, ZEuP 2019, 358, 380. 130 Miquel Sala, ZEuP 2019, 358, 380. 131 OG DtZ 1990, 93, 93 f.
§ 11 Österreich
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§ 11 Österreich Das österreichische Recht besitzt mit der in § 934 ABGB geregelten laesio enormis die in Europa wohl umfassendste Vorschrift zur Erfassung von Äquivalenzstörungen. Des Weiteren muss, parallel zur Darstellung der deutschen Rechtslage, auf die weiteren Rechtsinstitute eingegangen werden, die beim Auftreten einer Äquivalenzstörung in Betracht kommen. Das sind, wie in Deutschland auch, vor allem der Wuchertatbestand, der in Österreich in § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB geregelt ist, sowie die Vorschriften des Irrtumsrechts (§§ 870 ff. ABGB) und der Haftung wegen Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht (culpa in contrahendo). Bemerkenswert und ungewöhnlich ist, dass in Österreich die laesio enormis und der Wucher nebeneinander existieren und die Einführung des Wuchertatbestands zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht zur Abschaffung der laesio enormis geführt hat.132 Zwischen der Anfechtung wegen Irrtums und laesio enormis besteht Konkurrenz, d. h. der Berechtigte kann sich auf beide stützen.133 Gleiches gilt auch für das Verhältnis von Irrtum zum Wucher.134 Anders als in Deutschland spielt das Konkurrenzverhältnis in Österreich aber eine geringere Rolle, da nach keiner der Vorschriften der Vertrag ipso iure nichtig ist, sondern stets nur anfechtbar beziehungsweise vernichtbar.
A. Wuchertatbestand des § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB I. Tatbestand des Wuchers Der österreichische zivilrechtliche Wuchertatbestand des § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB entspricht im Wortlaut nahezu eins zu eins dem deutschen § 138 Abs. 2 BGB und zwar sowohl in Bezug auf den Tatbestand als auch die Rechtsfolge. Auch systematisch parallel findet er sich in der gleichen Norm wie die allgemeine Sittenwidrigkeit (§ 879 Abs. 1 ABGB) geregelt. Er ist auf alle entgeltlichen gegenseitigen Verträge anwendbar, auch solche zwischen Unternehmern.135 Trotz der Regelungen in § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB und § 934 ABGB wird gemeinhin davon ausgegangen, dass Äquivalenzstörungen auch von der Generalklausel der Sittenwidrigkeit in § 879 Abs. 1 ABGB erfasst werden können, wenn zur Äquivalenzstörung weitere Umstände hinzutreten.136 Ein solcher 132 133
Dies wurde aber teilweise gefordert, vgl. Schöndorf, AcP 135 (1932), 127, 175 ff. Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 871 Rn. 81; Schwimann/ Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 48; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 188 f. 134 Gschnitzer in Klang IV/1, S. 560; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 190. 135 3 Ob 503/93 = SZ 67/123; Kletecka/Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 258; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 20; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 346; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 2 f. 136 3 Ob 221/04b = SZ 2005/9; 7 Ob 56/71 = SZ 44/71; 1 Ob 532/85 = SZ 58/43; 6
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Umstand wurde etwa angenommen, falls durch das Missverhältnis die wirtschaftliche Existenz des Benachteiligten bedroht wird.137 Der Tatbestand setzt sich aus einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung und der Ausbeutung einer Schwäche des Bewucherten zusammen, die nach h. A. in § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB nur beispielhaft aufgeführt und damit ergänzungsfähig sind138. Dabei ist für die Beurteilung des Missverhältnisses der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich.139 Grenzen im Sinne eines Prozentsatzes, wann ein solches auffälliges Missverhältnis gegeben ist, werden nicht genannt. Es finden sich nur allgemeine Umschreibungen: Erforderlich sei eine „grobe, leicht erkennbare Äquivalenzstörung“ oder dass die Gegenleistung den Wert der Leistung „bedeutend übersteigen“ müsse.140 Dabei besteht anders als in Deutschland – wenn auch dort teilweise gefordert141 – zwischen Äquivalenzstörung und Willensbildungsstörung ein bewegliches System. Das bedeutet, dass je stärker die Willensbildungsstörung ist, desto schwächer kann das Missverhältnis ausfallen und umgekehrt.142 Wie bei allen Wuchertatbeständen ist auch in Österreich das subjektive Element, die Ausbeutung der Schwächelage durch den Wucherer, entscheidend. Was dies angeht, so reicht dazu auch fahrlässiges Verhalten, es genügt also, wenn der andere Teil das Missverhältnis und die Schwäche des anderen Teils hätte erkennen müssen.143 Dies ähnelt sehr der vom BGH zu § 138 BGB entwickelten Vermutung und scheint sogar noch etwas großzügiger zu sein. Ob 307/68 = SZ 42/2; 6 Ob 47/68 = SZ 41/32; Kletecka/Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 111 ff.; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 19; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 344; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 203; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 20. 137 1 Ob 532/85 = SZ 58/43 (ein die wirtschaftliche Existenz bedrohender Scheidungsvergleich); bestätigt u. a. durch: 1 Ob 193/02t; 3 Ob 221/04b = SZ 2005/9. 138 7 Ob 89/17i; 6 Ob 307/68 = SZ 42/2; 7 Ob 56/71 = SZ 44/71; 8 Ob 502/93 = SZ 66/41; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 342 u. 348; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 6; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 18. 139 3 Ob 2199/96w = SZ 71/94; 3 Ob 503/93 = SZ 67/123; 2 Ob 411/50 = SZ 23/335; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 19; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 356; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 2; SchwimannTakom/Kolmasch, § 879 Rn. 13. 140 8 Ob 502/93 = SZ 66/41; 9 Ob 20/10x; Ehrenzweig, II/1, S. 171; Rummel/ Lukas/ Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 358; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 18. 141 So etwa MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 27 ff.; auch Henssler geht offenbar von einem beweglichen System i. R. v. § 138 BGB aus, vgl. Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 209 f.; dagegen Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 293; Franke, Lohnwucher, S. 151. 142 8 Ob 502/93 = SZ 66/41; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 27; P. Bydlinski, AT, 1/57, S. 36 f.; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 18; Kletecka/Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 270; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 366; SchwimannTakom/ Kolmasch, § 879 Rn. 13; Krejci in: Bewegliches System, 127, 135; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 188 f. 143 3 Ob 503/93 = SZ 67/123; 14 Ob 176/86; 1 Ob 532/85 = SZ 58/43; 3 Ob 592/77; 2 Ob 467/26 = SZ 8/181; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 18; Kletecka/Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 271; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 365; Schwimann/Kodek/
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II. Der Nichtigkeitsbegriff in Österreich Auf Rechtsfolgenseite ordnet auch in Österreich das Gesetz wie im deutschen Recht die Nichtigkeit des wucherischen Vertrags an. Trotz der zunächst scheinbaren Parallelität unterscheiden sich die Rechtsfolgen jedoch erheblich vom deutschen Recht. Anders als dieses kennt das österreichische Recht nämlich nicht nur eine Form der Nichtigkeit, sondern differenziert zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit.144 Diese Unterscheidung lässt sich nicht bereits am Wortlaut der Norm erkennen. Auch in Österreich spricht das Gesetz in den Fällen des Wuchers und der Verbots- und Sittenwidrigkeit des § 879 Abs. 1 ABGB nur von Nichtigkeit. Ebenso enthält das ABGB wie das BGB keine Definition des Nichtigkeitsbegriffs. Dennoch ist die Existenz einer relativen Nichtigkeit neben der absoluten allgemein anerkannt.145 Welche genaue Form der Nichtigkeit im konkreten Fall einschlägig ist, hängt dabei vom Schutzzweck der verletzten Norm beziehungsweise vom Grund der Sittenwidrigkeit ab.146
1. Absolute Nichtigkeit Die absolute Nichtigkeit entspricht weitgehend dem Nichtigkeitsbegriff des deutschen Rechts. Sie ist von Amts wegen zu beachten, jedermann kann sich auf sie berufen und das betroffene Rechtsgeschäft ist von Anfang an nichtig, es bestand also nie ein rechtlich wirksames Rechtsgeschäft.147 Sie liegt immer dann vor, wenn gegen Gesetze verstoßen wird, die dem Schutz von Allgemeininteressen, der öffentlichen Ordnung oder öffentlichen Sicherheit dienen.148 In diesen Fällen kann sich auch die Partei, die bei Vertragsschluss von der NichtigRiedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 28; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 11; SchwimannTakom/Kolmasch, § 879 Rn. 16. 144 7 Ob 248/08h = SZ 2009/75; 6 Ob 39/03h = SZ 2003/43; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 27 f.; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 11 f.; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 508 ff.; Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 13 ff.; P. Bydlinski, AT, 7/3 f., S. 161 f.; Kletecka/ Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 4 ff.; Ehrenzweig, I/1, S. 285 f.; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 46 f.; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 181; SchwimannTakom/ Kolmasch, § 879 Rn. 22 f.; Zankl, Bürgerliches Recht, Rn. 90. 145 Vgl. Nachweise in Kapitel 3 Fn. 144. 146 6 Ob 136/66 = SZ 39/100; 6 Ob 240/11d; 8 Ob 16/16a; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 11 f.; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 46 f.; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 508 f.; P. Bydlinski, AT, 7/3 f., S. 161 f.; Kletecka/Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 4; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 27 f. 147 6 Ob 240/11d; 8 Ob 16/10a; 8 ObA 1/08 t = JBl 2009, 390, 393; 6 Ob 311/01 f.; 2 Ob 390/55 = JBl 1955, 624; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 46; Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 13 ff.; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 511; P. Bydlinski, AT, 7/3, S. 161; Ehrenzweig, I/1, S. 286; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 12; SchwimannTakom/Kolmasch, § 879 Rn. 22. 148 8 Ob 16/16a; 8 ObA 1/08 t = JBl 2009, 390, 393; 3 Ob 287/02f = SZ 2003/133; 6 Ob 39/03h = SZ 2003/43; 6 Ob 311/01f; 8 Ob 510/90 = SZ 63/72; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 511; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 46; Kletecka/Schauer/ Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 4; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 181; P. Bydlinski, AT,
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keit wusste, auf diese berufen, da anderenfalls der Zweck des Verbots nicht erreicht werden könnte.149 Gleiches gilt für die Partei, die selbst gegen die guten Sitten bzw. ein gesetzliches Verbot verstoßen hat.150 Da die Nichtigkeit kraft Gesetzes eintritt, gilt sie unabhängig vom weiteren Verhalten der Parteien. Absolut nichtig ist z. B. eine Vereinbarung zur Entlohnung eines Mordes151, eine Zahlung für die Zustimmung zur Verlobung152 oder ein Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr aus § 82 (Ö)GmbHG153.
2. Relative Nichtigkeit Im Unterschied zur absoluten Nichtigkeit kann die im deutschen Recht nicht bekannte relative Nichtigkeit nur von demjenigen geltend gemacht werden, der von der verletzten Norm geschützt werden soll.154 Dem anderen Vertragsteil, insbesondere wenn er gegen das Verbot verstoßen hat, und Dritten ist die Geltendmachung der Nichtigkeit verwehrt. Sie ist gerade nicht von Amts wegen zu beachten, sondern tritt nur ein, wenn der Betroffene sich auf die Nichtigkeit beruft.155 Dies muss er aber nicht tun. Unterlässt er es, gilt das Rechtsgeschäft in seiner vereinbarten Form.156 Dabei sind die Einzelheiten der relativen Nichtigkeit umstritten. Uneinigkeit besteht speziell darüber, ob die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts der Geltendmachung vor Gericht bedarf oder auch außergerichtlich durch Erklärung gegenüber dem Vertragspartner geltend gemacht werden kann. Im österreichischen Schrifttum wird von der Möglichkeit der außergerichtlichen Geltendmachung 7/3 f., S. 161; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 12; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 27; SchwimannTakom/Kolmasch, § 879 Rn. 22; Zankl, Bürgerliches Recht, Rn. 90. 149 3 Ob 522/78 = SZ 52/52; 8 Ob 16/16a; 8 ObA 1/08t = JBl 2009, 390, 393; Kletecka/ Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 4; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 27; Rummel/ Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 511; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 46; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 12. 150 Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 513; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 12. 151 Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 511. 152 4 Ob 199/60v = SZ 73/142. 153 3 Ob 287/02f = SZ 2003/133. 154 3 Ob 2199/96w = SZ 71/94; 6 Ob 33/85 = SZ 58/150; Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 15 ff.; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 47; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 512; P. Bydlinski, AT, 7/4, S. 161 f.; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 28; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 182; Kletecka/Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 4; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 12; SchwimannTakom/Kolmasch, § 879 Rn. 23; Zankl, Bürgerliches Recht, Rn. 90. 155 1 Ob 318/99t = SZ 73/86; 3 Ob 2199/96w = SZ 71/94; 6 Ob 33/85 = SZ 58/150; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 512; P. Bydlinski, AT, 7/4, S. 161 f.; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 182. 156 7 Ob 248/08h = SZ 2009/75; 3 Ob 2199/96w = SZ 71/69; 2 Ob 395/57 = JBl 1958, 43, 44; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 512; P. Bydlinski, AT, 7/4, S. 161 f.; Schwimann/ Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 47; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 12; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 28.
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ausgegangen und sich dabei auf den Wortlaut des § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB berufen, der von Nichtigkeit spreche, nicht aber von bloßer Anfechtbarkeit.157 Danach führt bereits die Erklärung gegenüber dem Vertragspartner unmittelbar eine Änderung der Rechtslage herbei, entsprechend den klassischen Gestaltungsrechten im deutschen Recht wie der Anfechtung oder Kündigung. In einem gerichtlichen Verfahren würde der Richter demnach nur noch deklaratorisch feststellen, ob durch die Erklärung des Betroffenen die relative Nichtigkeit eingetreten ist oder nicht. Der OGH hingegen geht davon aus, dass die relative Nichtigkeit nur im Wege der Klage oder Einrede geltend gemacht werden kann und damit letztlich wie die Anfechtung im österreichischen Recht funktioniert.158 Dann tritt die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts erst durch das Urteil selbst ein.159 Nicht einheitlich ist die Rechtsprechung in der Frage, wie genau die Geltendmachung der relativen Nichtigkeit im Prozess zu erfolgen hat.160 In älteren Entscheidungen ist sie schon dann vom Gericht zu beachten, wenn die geschützte Partei in Anspruch genommen wird und dieser Anspruch von ihr bestritten wird.161 In der neueren Rechtsprechung des OGH wird jedoch häufig nicht mehr nur das Vortragen der die Nichtigkeit stützenden Umstände und das Bestreiten des Anspruchs für ausreichend gehalten, sondern die Erhebung des Einwands (zumindest in Form eines Hinweises) der Sittenwidrigkeit bzw. des Wuchers verlangt.162 Teilweise wird aber auch noch der bloße Vortrag der die relative Nichtigkeit begründenden Tatsachen für ausreichend gehalten.163 Die relative Nichtigkeit funktioniert damit praktisch so wie die Anfechtung nach den §§ 870 ff. ABGB.164 Teilweise spricht der OGH sogar in Fällen der relativen Nichtigkeit von „Anfechtung“.165 Einziger relevanter Unterschied ist, 157 Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 14; ebenso für Gestaltungsrecht: Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 15; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 517; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 47; Kletecka/Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 272 u. 517; P. Bydlinski, AT, 7/3, S. 161 f., der nicht mal eine andere Meinung erwähnt; für die gerichtliche Geltendmachung hingegen Gschnitzer in Klang IV/1, S. 171. Hintergrund ist, dass die Anfechtung in Österreich nach h. M. der gerichtlichen Geltendmachung bedarf, vgl. dazu unten: C. I. 3. Geltendmachung, S. 262 f. 158 7 Ob 160/08t; 6 Ob 311/01f; 3 Ob 2199/96w = SZ 71/94; 6 Ob 33/85 = SZ 58/150; 1 Ob 536/87 = SZ 60/69; vgl. zur Anfechtung unten: C. Irrtümer, S. 258 ff. 159 So ausdrücklich: 1 Ob 536/87 = SZ 60/69. 160 Vgl. dazu Kletecka/Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 227. 161 1 Ob 666/88 = SZ 61/235; 3 Ob 562/78 = SZ 51/83; ebenso: Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 512. 162 3 Ob 287/02f = SZ 2003/133; 4 Ob 79/99t = SZ 72/78; 4 Ob 252/02s; 8 Ob 595/89; 6 Ob 503/96; krit. dazu Kletecka/Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 228, der es für ausreichend hält, dass der Anspruch bestritten wird und die die relative Nichtigkeit tragenden Tatsachen vorgetragen werden. 163 1 Ob 318/99t = SZ 73/86; 6 Ob 55/02k; zustimmend KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 28. 164 Vgl. dazu sogleich: C. Irrtümer, S. 258 ff. 165 3 Ob 2199/96w = 71/99; 1 Ob 536/87 = SZ 60/69; 7 Ob 115/16m.
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dass es anders als für das Anfechtungsrecht keine Befristung für die Berufung auf die relative Nichtigkeit gibt. Die relative Nichtigkeit kann nämlich zeitlich unbeschränkt geltend gemacht werden.166 Lediglich daraus resultierende bereicherungsrechtliche Rückgewähransprüche aus § 877 ABGB unterliegen der allgemeinen Verjährungsfrist von 30 Jahren (§ 1478 ABGB).167
3. Art der Nichtigkeit beim Wucher Die herrschende Ansicht in Österreich geht beim Wucher von einer bloß relativen Nichtigkeit aus, weil der Wuchertatbestand nicht dem Schutz öffentlicher Interessen diene, sondern dem Schutz der benachteiligten Vertragspartei.168 Zusätzlich wird als Argument § 8 Abs. 1 WucherG herangezogen, wonach das Strafgericht das wucherische Geschäft nur „auf Begehren des Verletzten“ für nichtig zu erklären hat.169 Das bedeutet, dass der Vertrag zunächst einmal fortbesteht und erst wenn sich der Bewucherte auf die Nichtigkeit beruft, seine Ansprüche erlöschen. Nur der Bewucherte, und anders als im deutschen Recht nicht der Wucherer, kann sich auf die Nichtigkeit berufen.
III. Teil- oder Gesamtnichtigkeit 1. Allgemein Des Weiteren stellt sich auch im österreichischen Recht die Frage zwischen Teilnichtigkeit und Gesamtnichtigkeit, sofern die Nichtigkeit – wie es beim Wucher der Fall ist – nur einen Teil des Vertrags betrifft. Eine explizite Regelung zu den Folgen der Teilnichtigkeit, wie z. B. § 139 BGB, enthält das ABGB nicht. Allerdings existiert in § 878 S. 2 ABGB eine Regelung über die Rechts166 Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 15; Gschnitzer, AT, S. 558; P. Bydlinski, AT, 7/3, S. 161 f.; ders., ÖJZ 1981, 453, 458; Kletecka/Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 239; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 12; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 60; SchwimannTakom/Kolmasch, § 879 Rn. 27; a. A. aber, nämlich Verfristung der Berufung nach 30 Jahren: Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 182; wohl auch Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 533. Aufgrund der extremen Länge der Frist, hat dieser Streit wohl eher theoretische Bedeutung. 167 2 Ob 322/00t = SZ 74/11; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 31; Rummel/Lukas/ Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 533; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 60; P. Bydlinski, AT, 7/3 f., S. 161; SchwimannTakom/Kolmasch, § 879 Rn. 27. 168 1 Ob 536/87 = SZ 60/69; 6 Ob 33/85 = SZ 58/150; 2 Ob 805/50 = SZ 23/372; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 11; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 21, 28; 3 Ob 2199/96w = SZ 71/94; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 59; Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 15 u. 83; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 47; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 517; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 171 u. 207 f.; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 182; P. Bydlinski, ÖJZ 1981, 453, 458; SchwimannTakom/Kolmasch, § 879 Rn. 23; Zankl, Bürgerliches Recht, Rn. 90. 169 Ehrenzweig, II/1, S. 173; auch der OGH zitiert ihn in diesem Zusammenhang, vgl. 1 Ob 536/87 = SZ 60/69; dagegen § 8 Abs. 1 WucherG als Argument heranzuziehen: P. Bydlinski, ÖBA 1987, 876, 878.
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folgen der anfänglichen Unmöglichkeit, die für die Problematik der Teilnichtigkeit herangezogen wird. § 878 S. 2 ABGB lautet: „Ist Mögliches und Unmögliches zugleich bedungen, so bleibt der Vertrag in ersterem Teile gültig, wenn anders aus dem Vertrage nicht hervorgeht, daß kein Punkt von dem anderen abgesondert werden könne.“
Entscheidend ist daher auch in Österreich der hypothetische Parteiwille. Im Gegensatz zu § 139 BGB besteht aber aufgrund der gesetzlichen Formulierung „wenn […] nicht“ bei anfänglicher Teilunmöglichkeit eine Vermutung für die Teilnichtigkeit und nicht Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Diese Vorschrift wird in Österreich analog auf die teilweise Unerlaubtheit eines Vertrags angewandt.170 Betrifft ein gesetzliches Verbot oder die Sittenwidrigkeit nur einen Teil des Rechtsgeschäfts, bedeutet das, dass auch in diesen Fällen vermutet wird, dass nur der verbotene Teil nichtig ist und der restliche Vertrag wirksam bleibt. Allerdings wird die Regelung des § 878 S. 2 ABGB für die Teilnichtigkeit etwas modifiziert. Anders als bei der teilweisen Unmöglichkeit soll es nicht vom hypothetischen Parteiwillen abhängen, ob Gesamt- oder Teilnichtigkeit eintritt. Maßgeblich für diese Frage ist vielmehr die Natur und der Zweck der Verbotsnorm.171 Sofern sich das Verbot an beide Vertragsparteien richtet, soll der Vertrag insgesamt nichtig sein, wenn jedoch eine der Parteien durch das Verbot geschützt werden soll, soll der Vertrag mit angemessener, d. h. ermäßigter, Gegenleistung bestehen bleiben.172 Dadurch kann sich der Wucherer nicht darauf berufen, dass er den Vertrag nur mit unerlaubtem Inhalt und anderenfalls gar nicht geschlossen hätte.173 Der oder den Parteien soll es gerade nicht erlaubt sein, sich auf ihren verbotenen Willen zu berufen. Ein Wille, nur mit verbotswidrigem Inhalt abzuschließen, müsse nämlich unbeachtlich bleiben, weil er auf etwas Rechtswidriges gerichtet sei und man sich nicht im Nachhinein darauf berufen könne, dann den Vertrag lieber gar nicht geschlossen zu 170 Gschnitzer, AT S. 554 f.; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 514; P. Bydlinski, AT, 7/8, S. 163 f.; dabei herrscht im Schrifttum eine gewisse Uneinigkeit über die Dogmatik. Teilweise wird eine Analogie zu § 878 S. 2 ABGB mangels Vorliegen ihrer Voraussetzungen verneint, ohne dass sich freilich etwas daran ändern soll, dass Sinn und Zweck des Verbots über die Teilnichtigkeit entscheiden. So u. a. Mayer-Maly in: GS Gschnitzer, 265, 272. Tatsächlich muss man wohl sagen, dass die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung (vgl. dazu Nachweise in Kapitel 4 Fn. 583) nicht vorliegen. Für das Ergebnis spielt diese Meinungsverschiedenheit aber keine Rolle, da nach beiden Auffassungen der Zweck des Verbots über die Frage nach der Teilnichtigkeit entscheiden soll. 171 Darüber herrscht Einigkeit in Österreich: 8 Ob 15/01s = SZ 74/67; 4 Ob 1504/95; 1 Ob 282/71 = SZ 44/166; 5 Ob 436/60 = SZ 34/14; Gschnitzer, AT, S. 554 f.; ders. in Klang IV/1, S. 169; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 51; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 29; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 514; P. Bydlinski, AT, 7/8, S. 163; Kle tecka/Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 230; Mayer-Maly in: GS Gschnitzer, 265, 272. 172 Gschnitzer in Klang IV/1, S. 169 f.; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 14 f. 173 KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 29; Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 37; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 52; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 169.
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Kapitel 3: Rechtsvergleich
haben.174 Soweit es möglich ist, soll generell der Teilnichtigkeit der Vorzug gegeben werden.175
2. Anwendung auf den Wucher Unter Anwendung dieses Grundsatzes würde für die Fälle der überhöhten Leistung daher Teilnichtigkeit als Rechtsfolge resultieren, sofern der Bewucherte sich auf die Nichtigkeit beruft, denn verboten ist nur die überhöhte Leistung und auf einen entgegenstehenden Willen des Wucherers käme es nicht an. Er kann sich deshalb nicht darauf berufen, nur zum überhöhten Preis abschließen zu wollen. Für Fälle des Wuchers soll dieses Ergebnis aber gerade nicht gelten.176 Dies wird aus § 7 Abs. 1 WucherG abgeleitet, der für wegen Wucher nichtige Verträge anordnet, dass „jeder der beiden Teile alles zurückzustellen [hat], was er aus dem nichtigen Geschäfte zu seinem Vorteil erhalten hat.“177 Er sieht damit eindeutig die Gesamtnichtigkeit wucherischer Verträge vor. Diese gesetzgeberische Entscheidung wird jedoch meist für nicht interessengerecht gehalten, weil so der Bewucherte von der Geltendmachung der Nichtigkeit abgeschreckt werden könne, indem er den Vertrag nur in seiner Gesamtheit akzeptieren kann oder durch die Geltendmachung der Nichtigkeit seine Vorteile verliert.178 So wird die Gesamtnichtigkeit als gesetzgeberische Fehlentscheidung kritisiert.179 Stattdessen wird in der österreichischen Literatur als Lösung für wucherische Verträge häufig eine richterliche Vertragskorrektur im Sinne einer Vertragsanpas174 Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 33 u. 37; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl. § 879 Rn. 52. 175 8 ObA 67/14g = SZ 2014/112; 8 Ob 15/01s = SZ 74/67; 8 Ob 253/99k; Schwimann/ Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 51; Mayer-Maly in: GS Gschnitzer 265, 283; Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 111 f.; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 879 Rn. 29; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 15. 176 7 Ob 115/16m; 8 Ob 253/99k = SZ 73/79; 7 Ob 111/65 = EvBl 1965/340; 4 Ob 505/64 = EvBl 1964/318; vgl. aber OGH, ZBl. 1930, 689, 691, in der der OGH bei einem wucherischen Vertrag nur das Übermaß für unwirksam erklärte. Dieses Urteil ist aber vereinzelt geblieben. Gschnitzer, AT, S. 555; ders. in Klang IV/1, S. 208; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 15; Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 84; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 879 Rn. 53; Rummel/Luas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 519; Kletecka/Schauer/Graf, ABGB‑ON, § 879 Rn. 272. 177 7 Ob 111/65 = EvBl 1965/340; 4 Ob 505/64 = EvBl 1964/318; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 15; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 208 f.; vgl. aber Koziol, AcP 188 (1988), 183, 223, der trotz des Wortlauts von § 7 Abs. 1 WucherG von einer Teilnichtigkeit ausgehen will, weil „die Beschränkung der Teilnichtigkeitslösung auf Kreditgeschäfte sachlich nicht zu rechtfertigen ist“ und „nur auf diese Weise eine krasse Widersprüchlichkeit vermieden werde kann“. 178 Gschnitzer, AT, S. 712; ders. in Klang IV/1, S. 208; Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 84; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 519; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 59; Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 15 f. 179 Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 84 f.; F. Bydlinski in: FS Mayer-Maly, 107, 122 ff.; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 223; Joeinig, ÖJZ 2002, 1, 14 ff.; Ehrenzweig, II/1, S. 174; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 208 f.
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sung vorgeschlagen.180 Nur für den Kreditwucher wurde in § 7 Abs. 2 WucherG eine Ausnahme geschaffen, wonach der Kreditnehmer das Darlehen für die vereinbarte Zeit behalten darf und Zinsen in Höhe des zweifachen bei Vertragsschluss geltenden Basiszinssatzes zu zahlen hat. Beruft sich die benachteiligte Partei auf die Nichtigkeit des wucherischen Vertrags, so muss deshalb in der Praxis der Vertrag rückabgewickelt werden. Die Nichtigkeit wirkt ex tunc und führt aufgrund des in Österreich geltenden Kausalprinzips dazu, dass die vom Verkäufer übereignete Sache von diesem mittels Eigentumsklage nach § 366 ABGB vom Käufer herausverlangt werden kann, da sie aufgrund der Nichtigkeit des Kaufvertrags weiterhin in seinem Eigentum steht. Im Übrigen richtet sich die Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht, weil aufgrund der Nichtigkeit ex tunc die Leistungen ohne Rechtsgrund erbracht wurden. Zudem kennt das österreichische Recht mit § 1174 Abs. 1 S. 1 ABGB eine Vorschrift, die auf den ersten Blick dem deutschen § 817 S. 2 BGB ähnelt. Nach § 1174 Abs. 1 S. 1 ABGB ist demjenigen, der wissentlich etwas zur Bewirkung einer unerlaubten Handlung gegeben hat, die Rückforderung verwehrt. Die Vorschrift ist jedoch schon nach ihrem Wortlaut enger als § 817 S. 2 BGB und wird zudem von der h. M. in Österreich zusätzlich eng ausgelegt181. § 1174 Abs. 1 S. 1 ABGB ist nämlich nur dann einschlägig, wenn das Geleistete unmittelbar zur Belohnung für eine unerlaubte Tätigkeit dienen soll.182 Es muss geleistet werden, um eine unerlaubte Handlung zu bewirken.183 Keine Anwendung findet § 1174 Abs. 1 S. 1 ABGB auf die Rückforderung des Entgelts, wenn der dem Austausch zugrundeliegende Vertrag, wie in Fällen des Wuchers, verboten war.184 Daher kann der Wucherer – anders als in Deutschland – stets auch seine eigene Leistung vom Bewucherten zurückverlangen.
IV. Wuchergesetz Neben dem Wuchertatbestand des § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB kennt das österreichische Recht noch ein weiteres Verbot des Wuchers, nämlich das Wucherge180 Gschnitzer in Klang IV/1, S. 208 f.; Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 84 f.; Gschnitzer, AT, S. 712; Rummel/Lukas/Krejci, 4. Aufl., § 879 Rn. 519; Mayer-Maly in: GS Gschnitzer, 265, 283 f.; F. Bydlinski in: FS Mayer-Maly, 107, 122 ff.; Ehrenzweig, II/1, S. 174; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 223. 181 Schwimann/Kodek/Rebhahn/Kietaibl, 4. Aufl., § 1174 Rn. 3; KBB/Koziol/Spitzer, 5. Aufl., § 1174 Rn. 2. 182 Schwimann/Kodek/Rebhahn/Kietaibl, 4. Aufl., § 1174 Rn. 3; Welser, Bürgerliches Recht II, S. 279; Apathy/Riedler, Schuldrecht Besonderer Teil, 5. Aufl., 15/11; KBB/Koziol/ Spitzer, 5. Aufl., § 1174 Rn. 2. 183 Rummel/Rummel, 3. Aufl., § 1174 Rn. 2; Schwimann/Kodek/Rebhahn/Kietaibl, 4. Aufl., § 1174 Rn. 6; 3 Ob 13/99d; 2 Ob 465/55 = EvBl 1956/22. 184 3 Ob 123/50 = SZ 23/159; 3 Ob 69/23 = SZ 5/33; Schwimann/Kodek/Rebhahn/Kietaibl, 4. Aufl., § 1174 Rn. 3 f.; Rummel/Rummel, 3. Aufl., § 1174 Rn. 2; Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II, Rn. 1702; Apathy/Riedler, Schuldrecht Besonderer Teil, 5. Aufl., 15/11; KBB/Koziol/Spitzer, 5. Aufl., § 1174 Rn. 2.
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Kapitel 3: Rechtsvergleich
setz aus dem Jahr 1949185, das eine Wiederverlautbarung der WuchVO186 von 1914 darstellt. Dieses behandelt eigentlich den strafrechtlichen Wucher, enthält jedoch auch einige Regelungen zu den zivilrechtlichen Rechtsfolgen wucherischer Verträge. Das Wuchergesetz ordnet in § 1, der vom Wortlaut her der Vorschrift des § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB entspricht, die Nichtigkeit wucherischer Verträge an. Scheinbar im Widerspruch dazu steht § 8 WucherG, der anordnet, dass das wucherische Geschäft vom (Straf-)Gericht „auf Begehren des Verletzten“ für nichtig erklärt wird. Diese Vorschrift wird, wie bereits erwähnt, in der Literatur teilweise zur Begründung einer relativen Nichtigkeit des Wuchers auch nach § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB herangezogen, um so widersprüchliche Ergebnisse zu vermeiden.187 Gleichzeitig enthält es mit § 7 WucherG auch eine Regelung zu den zivilrechtlichen Rechtsfolgen des Wuchers. Darüber hinaus kommt den Tatbeständen des WucherG im Zivilrecht jedoch keine weitere besondere Wirkung zu.
V. Vergleich zu Deutschland und Bewertung Größter und auffälligster Unterschied zur deutschen Rechtslage ist zunächst, dass nach dem ABGB der wucherische Vertrag nicht ipso iure nichtig ist, sondern wirksam und die Entscheidung über die Fortgeltung des Vertrags in die Hände des Bewucherten gelegt wird. Das österreichische Recht erkennt somit an, dass es der Bewucherte ist, der geschützt werden soll und dass dieser Schutz bestmöglich dadurch verwirklicht wird, dass er selbst über die Wirksamkeit des Vertrags entscheidet. Dies bietet insbesondere den Vorteil, dass der Bewucherte seinen Anspruch auf die Leistung inklusive aller damit verbundenen vertraglichen Gewährleistungsrechte und sonstiger vertraglicher Ansprüche behält. Auch wenn die relative Nichtigkeit im deutschen Recht nicht existiert, kommt es nach erfolgtem Leistungsaustausch der relativen Nichtigkeit in der Praxis insofern relativ nah, als dass es meist der Benachteiligte sein wird, der die Rückabwicklung anstrebt und deshalb das Gericht anruft. In der Regel wird der Wucherer nämlich kein Interesse daran haben, das Geschäft rückgängig zu machen. Im Ergebnis gilt dann de facto auch in Deutschland eine relative Nichtigkeit, wenn man von der fehlenden Möglichkeit des Benachteiligten absieht, Gewährleistungsrechte und sonstige vertragliche Ansprüche geltend zu machen. Anders ist dies vor dem Leistungsaustausch und wenn der Wucherer ausnahmsweise doch die Rückabwicklung verlangt. Ein weiterer Unterschied ist, dass in Österreich die Äquivalenzstörung bei der relativen Nichtigkeit nicht immer behoben wird, nämlich wenn der Bewucherte sich nicht auf den Wucher berufen will. Dann gilt der wucherische 185 186
BGBl. (Austria) Nr. 271/1949. Vgl. dazu Gleispach, GZ 1915, 217, 233, 244. 187 Vgl. Nachweise in Kapitel 3 Fn. 169.
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Vertrag fort und auch der Wucherer kann aus dem Vertrag Ansprüche geltend machen. Anders ist dies in Deutschland, wo der wucherische Vertrag von Gesetzes wegen stets nichtig ist. Dieser theoretisch durchaus erhebliche Unterschied ist praktisch allerdings eher gering, da auch die absolute Nichtigkeit in Deutschland voraussetzt, dass der Bewucherte entweder – nach dem Leistungsaustausch – klagt oder – vor dem Leistungsaustausch – im Prozess entsprechende Tatsachen vorträgt. Dennoch ist es aus deutscher Sicht bemerkenswert, dass das ABGB eine Möglichkeit vorsieht, dass der wucherische Vertrag gesetzliche Anerkennung findet. Will der Bewucherte den Vertrag vernichten, muss er dafür in Österreich vor Gericht ziehen. Da er aber auch die Möglichkeit hat, die relative Nichtigkeit erst einredeweise im Prozess geltend zu machen, kann er auch abwarten, bis der Wucherer ihn verklagt und sich dann im Prozess noch auf die Einrede berufen. Dieser Unterschied spielt also praktisch eine geringere Rolle, als es zunächst den Anschein hat. Die Anwendung der relativen Nichtigkeit ist dabei nicht nur auf die Fälle des Wuchers beschränkt. Allgemein wird bei verbotswidrigen oder sittenwidrigen Verträgen, für die § 879 Abs. 1 ABGB – parallel zu §§ 134, 138 BGB – die Nichtigkeit anordnet, von der Existenz einer relativen Nichtigkeit ausgegangen. Interessant ist dies, weil das Gesetz auch in Österreich keinen Anhaltspunkt dafür enthält. Bei einer weiteren wichtigen Frage, nämlich der nach Gesamt- oder Teilnichtigkeit, zeigt sich das österreichische Recht zerstritten. Grundsätzlich lässt das österreichische Recht die Teilnichtigkeit in einem größeren Maß zu als das deutsche Recht. Während letzteres die Gesamtnichtigkeit als Regel ansieht (von der jedoch zahlreiche Ausnahmen gemacht werden), ist es in Österreich genau umgekehrt. Aufgrund der gesetzlichen Anordnung in § 7 WucherG wird bis auf den Kreditwucher in allen anderen Wucherfällen aber die Gesamtnichtigkeit des Vertrags als Rechtsfolge angenommen. Sofern sich der Bewucherte also entscheidet, die Nichtigkeit geltend zu machen, stellt sich die Situation wie im deutschen Recht dar und es erfolgt jeweils die komplette Rückabwicklung des Vertrags. Anders als in Deutschland wird in der österreichischen Literatur jedoch die Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit vehement als nicht interessengerecht abgelehnt und lediglich eine bloße Teilnichtigkeit wucherischer Verträge gefordert.188 Hintergrund für diese starke Forcierung der Teilnichtigkeit in Österreich im Vergleich zu Deutschland ist unter anderem, dass das österreichische Recht grundsätzlich bei verbots- oder sittenwidrigen Rechtsgeschäften im Zweifel von einer Teilgültigkeit ausgeht und nicht von der Gesamtnichtigkeit. Davon wird im Grundsatz auch im Bereich überhöhter Hauptleistungspflichten ausgegangen. Insofern stellt die Gesamtnichtigkeit beim Wucher einen Fremdkörper im österreichischen Recht dar. Dass eine überhöhte Leistungspflicht 188
Vgl. Nachweise in Kapitel 3 Fn. 179 u. Fn. 180.
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Kapitel 3: Rechtsvergleich
nicht teilbar sein soll und daher eine bloße Teilnichtigkeit von vornherein ausscheiden soll, wird in Österreich – anders als in Deutschland189 – weder angenommen noch überhaupt diskutiert.
B. Laesio enormis, § 934 ABGB Unter den Normen, die im österreichischen Recht Äquivalenzstörungen erfassen, stellt § 934 ABGB die zentrale Vorschrift dar. Diese Norm entspricht nahezu eins zu eins der laesio enormis, wie sie in den Konstitutionen von Kaiser Diokletian enthalten war,190 nur dass ihr Anwendungsbereich sich auf alle Vertragstypen und beide Vertragspartner bezieht und damit deutlich weiter gefasst ist. Ausgeschlossen ist die laesio enormis nur bei Vergleichen (§ 1386 ABGB) und bei Glücksverträgen (§ 1268 ABGB). Sie befindet sich seit Inkrafttreten des ABGB 1812 im Gesetz. Seit einer Reform von 1979 kann sie nicht mehr vertraglich ausgeschlossen werden, vgl. § 935 Hs. 1 ABGB. Galt sie früher nicht für den unternehmerischen Verkehr,191 hat sie in jüngerer Zeit eine Aufwertung erfahren, indem diese Beschränkung aufgehoben wurde und sie nunmehr auch zwischen Unternehmern Anwendung findet, vgl. § 351 UGB. Hintergrund dieser Neuregelung war die Ansicht, dass man auch einen Unternehmer, dem eine besonders grobe Äquivalenzstörung unbekannt geblieben ist, für schutzwürdig hielt.192 Allerdings lässt sich die Vorschrift gegenüber einem Unternehmer, anders als gegenüber einem Verbraucher, abbedingen und zwar auch in AGB.193
I. Tatbestand und Hintergrund der Norm 1. Tatbestand § 934 ABGB gibt der benachteiligten Partei das Recht, sich vom Vertrag zu lösen, wenn sie weniger als die Hälfte des Werts der eigenen Leistung als Gegenleistung erhält. Als Vergleichsmaßstab gilt dabei der gemeine Wert (§ 305 ABGB), worunter generell der Marktpreis verstanden wird.194 Das besondere an der laesio enormis ist, dass sie tatbestandlich allein an ein objektives 189 190
Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 68. Vgl. dazu oben: § 5 A. I. Römisches Recht, S. 17 ff. 191 § 351a HGB schloss die Anwendung aus. Dieser verlor bei einer umfangreichen Reform des HGB zum 01.01.2007 seine Gültigkeit und wurde durch § 351 UGB ersetzt, vgl. BGBl. (Austria) I Nr. 120/2005, S. 25. 192 Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 192; P. Bydlinski in: Die HGB‑Reform in Österreich, 57, 61. 193 Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 192; Schwimann/ Kodek/Perner, 4. Aufl., § 935 Rn. 1; nicht möglich soll aber eine „einseitige Abbedingung“ der Form sein, dass das Recht, sich auf § 934 ABGB zu berufen, nur für eine Partei ausgeschlossen wird, vgl. Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 194; für gänzlich unzulässig in AGB offenbar P. Bydlinski in: Die HGB‑Reform in Österreich, 57, 61. 194 Schwimann/Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 4; Kletecka/Schauer/Gruber, ABGB‑ON,
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Missverhältnis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses195 anknüpft und darüber hinaus keine weiteren Voraussetzungen kennt. Die Anwendung der Vorschrift kann nur ausgeschlossen sein, wenn einer der Tatbestände des § 935 ABGB einschlägig ist. Der bedeutsamste Ausschlusstatbestand ist der der Kenntnis des Werts durch den Benachteiligten.196 Daneben ist die Berufung auf § 934 ABGB weiterhin nicht beim Erwerb aus besonderer Vorliebe, einer gemischten Schenkung und beim Erwerb im Rahmen einer gerichtlichen Versteigerung möglich. Nicht ausgeschlossen wird die Geltendmachung der laesio enormis dadurch, dass die Rückabwicklung unmöglich ist,197 was etwa bei der Weiterveräußerung des Kaufgegenstands relevant sein kann. Wie beim Wucher ist auch bei der laesio enormis für die Beurteilung der Äquivalenzstörung der Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidend.198 Bemerkenswert ist, dass nach h. M. beim Wertvergleich nicht der Wert der vertraglich vereinbarten Leistungen entscheidend ist, sondern der tatsächliche Wert der jeweiligen Leistung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Dadurch steht die laesio enormis in Konkurrenz zum Gewährleistungsrecht. Sinkt nämlich aufgrund eines zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden Mangels der Wert der Kaufsache auf weniger als die Hälfte des Kaufpreises, kann der Käufer neben Ansprüchen aus Gewährleistung auch die laesio enormis geltend machen.199 Als Argumente für die Konkurrenz werden vorgetragen, dass laesio enormis und Gewährleistung jeweils an unterschiedliche Voraussetzungen anknüpfen200 und der verkürzte Käufer schutzwürdig sei201. Die Konkurrenz gilt sogar dann, wenn der Mangel vor Übergabe behoben wurde.202 Diese Ansicht der h. M. ist nur vereinzelt, dafür aber – speziell durch Peter Bydlinski – auf ve§ 934 Rn. 6; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 558; Zemen, ÖJZ 1997, 213, 215; Rummel/Lukas/ Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 28; SchwimannTakom/Hödl, § 934 Rn. 3. 195 7 Ob 54/13m = ZFR 2013, 274, 275; 10 Ob 21/07x = JBl 2007, 652, 652; 1 Ob 518/87 = JBl 1987, 718, 720; Schwimann/Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 9; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 66 ff.; KBB/P. Bydlinski, 5. Aufl., § 934 Rn. 1. 196 Vgl. dazu noch sogleich: 2. Hintergrund der Vorschrift, S. 252 f. 197 Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 125. 198 Dies ergibt sich für die laesio enormis bereits aus dem Gesetz, vgl. § 934 S. 3 ABGB; vgl. aber auch P. Bydlinski, AT, 8/43, S. 213. 199 Ganz h. M. in Österreich: 10 Ob 21/07x = JBl 2007, 652, 653; 7 Ob 251/02s = ecolex 2003, 168; vgl. aber auch aus jüngerer Zeit 2 Ob 210/13s, dem man eine Abkehr entnehmen könnte; vgl. aus dem Schrifttum: Schwimann/Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 11; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 559 f.; Riedler, JBl 2004, 215, 216 ff.; Zemen, ÖJZ 1997, 213, 216; Mayrhofer, Schuldrecht AT, S. 458; StraubeHGB/Kramer, § 351a Rn. 5; Feil, §§ 934, 935, S. 259; mit einer ausführlichen Auseinandersetzung nun auch: Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 153 ff. 200 Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II, Rn. 416; Schwiman/ Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 11; Zemen, ÖJZ 1997, 213, 216. 201 Riedler, JBl 2004, 215, 216; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 154. 202 10 Ob 21/07x = JBl 2007, 652, 653 f.; Schwimann/ Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 11; Riedler, JBl 2008, 359, 363; ders., JBl 2004, 215, 219.
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hemente Kritik gestoßen.203 Der Inhalt des Vertrags werde durch eine Schlechtleistung nämlich nicht zu einem von der Rechtsordnung missbilligten Vertrag, wenn beim Vergleich der vertraglich vereinbarten Leistungen gerade kein zur Anfechtung berechtigendes Missverhältnis vorliege.204 Zudem ergibt sich ein Wertungswiderspruch für den Fall, dass der Mangel erst zwischen Vertragsschluss und Übergabe entsteht, weil hier eine Anfechtung ausscheidet.205 Die Situation ist aber für den Käufer dieselbe, er erhält jeweils eine mangelhafte Sache. Dieser Kritik an der h. M. ist uneingeschränkt zuzustimmen. Entscheidend darf allein der Vergleich der Werte der beiden Leistungen in ihrem vertraglich geschuldeten Zustand sein. Der OGH hat sich dieser Ansicht jedoch nicht angeschlossen und geht weiterhin von einer Anspruchskonkurrenz aus.206
2. Hintergrund der Vorschrift Der Hintergrund der Vorschrift ist ein vermuteter Irrtum des Benachteiligten über den Wert der Leistung, was man daran erkennt, dass die laesio enormis gemäß § 935 ABGB keine Anwendung findet, wenn die benachteiligte Partei den Wert der Sache kannte. Die h. M. in Österreich sieht daher in § 934 ABGB eine vertypte Irrtumsregelung.207 Hier spiegeln sich die naturrechtlichen Einflüsse bei Schaffung des ABGB wider.208 Zudem wird, obwohl eine Ausbeutung tatbestandlich nicht erforderlich ist, davon ausgegangen, dass § 934 ABGB auch dem Schutz des Übervorteilten vor Ausbeutung durch die begünstigte Partei dient.209 Dies bestätigen die Ausführungen aus den Beratungen zum ABGB, in denen es bezüglich der Aufnahme der laesio enormis ins Gesetz heißt, dass „In einem Zeitalter jedoch, wo die an listigen Ränken unerschöpfliche Gewinnsucht sich so sehr der Gemüther bemächtigt, daß man neuerdings durch Wuchergesetze dem Uebel zu steuern suchte, wäre es bedenklich eine Vorschrift aufzuheben, die wenigstens das Gute bewirken kann, daß sie den nicht ganz verderbten Bürger auf das nahe an Ungerechtigkeit gränzende unbillige Eben203 P. Bydlinski, ÖRdW 2003, 429, 430 ff.; Huber, ZVR 2007, 412, 414; Flaschker, ecolex 2015, 943, 945; Stöber, ZEuP 2009, 578, 593 f. u. 596. 204 Völlig zu Recht: P. Bydlinski, JBl 1983, 410, 414; ähnlich: Stöber, ZEuP 2009, 578, 594. 205 P. Bydlinski, JBl 2008, 744, 745. 206 Vgl. Nachweise in Kapitel 3 Fn. 199. 207 Bydlinski, JBl 1983, 410, 412; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 29 u. 47; Riedler, JBl 2004, 215, 218; KBB/P. Bydlinski, 5. Aufl., § 934 Rn. 2; Jud in: FS Wagner, 213, 222; P. Bydlinski, AT, 8/44; ebenso Van Loo, S. 322; Zeiller, Commentar III, S. 144; vgl. auch 7 Ob 111/06h: „die laesio enormis ist vielmehr (selbst) als ‚fortentwickelter standardisierter Wertirrtum‘ anzusehen“. 208 Vgl. zur laesio enormis und Naturrecht oben: § 5 C. Naturrecht und Kodifikationen um 1800, S. 24 ff. 209 Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 86; Riedler, JBl 2004, 215, 217 f.; P. Bydlinski, JBl 1983, 410, 418; Zeiller, Commentar III, S. 144.
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maaß aufmerksam macht und am mindesten von der schamlosesten Gewinnsucht zurückhält.“210 § 934 ABGB als vertypte Irrtumsregelung einerseits und als Schutz vor Ausbeutung andererseits scheinen sich allerdings zu widersprechen. Indem nämlich die Anwendung von § 934 ABGB ausgeschlossen ist, wenn der Benachteiligte Kenntnis der Wertverhältnisse hatte, hat dies die durchaus beachtliche Konsequenz, dass derjenige, der aus Not, aber in Kenntnis der Wertverhältnisse, ein Geschäft zu stark unangemessenen Bedingungen tätigt (und daher eigentlich den größten Schutz verdient), sich gerade nicht auf die Anfechtung wegen Übervorteilung nach § 934 ABGB berufen kann.211 Abgemildert wird diese Härte praktisch dadurch, dass die Unkenntnis vom wahren Wert beim Übervorteilten vermutet wird und dessen Kenntnis vom Bevorteilten bewiesen werden muss,212 was sich für ihn in der Praxis als schwierig erweisen wird. In der Theorie aber erfasst § 934 ABGB solche Fälle nicht und weist nur für eine dem Verkürzten unbewusste Verkürzung das Risiko der Anfechtung dem Bevorteilten zu. Auswirkungen hat dies auch im Verhältnis zur Anfechtung, bei der auch im österreichischen Recht ein Irrtum über den Wert grundsätzlich nicht erfasst wird.213 Durch die laesio enormis wiederum wird ein besonders großer Wertirrtum des Benachteiligten plötzlich dennoch wieder beachtlich, wenn auch mit einem anderen Rechtsinstitut.
II. Rechtsfolgen 1. Anfechtungsrecht des Übervorteilten Wenn die Voraussetzungen von § 934 ABGB vorliegen, steht dem Übervorteilten ein Anfechtungsrecht zu, mit dem er sich vom Vertrag lösen kann. Dieses muss er gerichtlich geltend machen, die laesio enormis wird nicht von Amts wegen beachtet und die Vertragsaufhebung tritt erst mit rechtskräftigem Urteil ein.214 Die Anfechtung kann auch implizit durch die Klage auf Rückgabe der Leistung geltend gemacht werden.215 Für die Geltendmachung hat der Be210
Ofner, Protokolle II, S. 76. wird diese Ausnahme deshalb heute auch mit dem Verbot des venire contra factum proprium begründet (so Schwimann/Binder, 3. Aufl., § 935 Rn. 3), wobei angemerkt werden muss, dass dies für die soeben geschilderte Konstellation keine passende Begründung darstellt. 212 3 Ob 520/94 = SZ 68/152; Schwimann/ Kodek/Perner, 4. Aufl., § 935 Rn. 6; KBB/ P. Bydlinski, 5. Aufl., § 934 Rn. 2; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 935 Rn. 37; P. Bydlinski, JBl 1983, 410, 412; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 560. 213 Vgl. Nachweise in Kapitel 3 Fn. 239 f. 214 6 Ob 612/93; Schwimann/ Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 14; Kletecka/Schauer/ Gruber, ABGB‑ON, § 934 Rn. 8; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 561; Feil, §§ 934, 935, S. 258; Ehrenzweig, II/1, S. 239; SchwimannTakom/Hödl, § 934 Rn. 10. 215 6 Ob 36/04v; Rummel/ Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 83; KBB/P. Bydlinski, 5. Aufl., § 934 Rn. 5; Kletecka/Schauer/Gruber, ABGB‑ON, § 934 Rn. 8. 211 Teilweise
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nachteiligte nach § 1487 ABGB drei Jahre ab Vertragsschluss Zeit und zwar unabhängig von der Kenntnis der Voraussetzungen.216 Auch wenn der Wortlaut von § 934 ABGB eher das Gegenteil vermuten lässt, kann die Aufhebung ab Vertragsschluss und schon vor dem Austausch der Leistungen geltend gemacht werden.217 Nach Ablauf der Frist soll der Verkürzte jedoch die laesio enormis nach § 933 Abs. 3 ABGB analog noch einredeweise geltend machen können, wenn er sie zuvor dem Vertragspartner fristgemäß außergerichtlich angezeigt hat.218 Dadurch kann er sich noch gegen etwaige Zahlungsansprüche des anderen Teils zur Wehr setzen, nicht jedoch den Vertrag vernichten. § 933 Abs. 3 ABGB kommt also nur dann Bedeutung zu, wenn die Leistungen noch nicht ausgetauscht wurden.
2. Ersetzungsbefugnis des Bevorteilten Der Bevorteilte ist der Anfechtung des Benachteiligten allerdings nicht schutzlos ausgesetzt, denn er hat nach § 934 S. 2 ABGB die Möglichkeit, den Vertrag nach erfolgter Anfechtung dadurch aufrechtzuerhalten, dass er sich bereit erklärt, die Differenz zu zahlen, die zur vollständigen Ausgeglichenheit fehlt. In diesem Fall kommt es also zu einer Vertragsanpassung. Die Erklärung, den Vertrag aufrechterhalten zu wollen, die sogenannte Ersetzungsbefugnis (auch facultas alternativa genannt), muss der Bevorteilte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz abgegeben haben.219 Ein danach erfolgendes Anbieten, den Differenzbetrag zu ersetzen, ist verspätet und wird nicht mehr berücksichtigt. Nach alter Rechtsprechung musste der Begünstigte die fehlende Differenz auch tatsächlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz bezahlen, anderenfalls wurde er zur Herausgabe der Sache unter Einräumung der Befreiungsmöglichkeit verurteilt.220 Anders ist dies nach neuerer Rechtsprechung. Danach wird der Begünstigte nur zur Zahlung des Differenz216 P. Bydlinski, AT, 8/45, S. 214; KBB/P. Bydlinski, 5. Aufl., § 934 Rn. 5; Kletecka/Schauer/Gruber, ABGB‑ON, § 934 Rn. 8; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 142; SchwimannTakom/Hödl, § 934 Rn. 12; Mayrhofer, Schuldrecht AT, S. 458; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 564, der die Verjährung aber erst mit der Kenntnis vom Tatbestand des § 934 ABGB beginnen lassen möchte; Schwimann/Mader/Janisch, 4. Aufl., § 1487 Rn. 10. 217 Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 88; P. Bydlinski, JBl 1983, 410, 413; Ehrenzweig, II/1, S. 239; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 559; KBB/P. Bydlinski, 5. Aufl., § 934 Rn. 3. 218 Schwimann/Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 14; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 152; a. A., d. h. für einen Gleichlauf von klage- und einredeweise Geltendmachung: Mayrhofer, Schuldrecht AT, S. 458. 219 7 Ob 251/02s = JBl 2004, 252, 253; 6 Ob 618/92 = JBl 1993, 785; 8 Ob 567/93 = JBl 1994, 823, 824; 3 Ob 520/94 = SZ 68/152; 6 Ob 612/93; 7 Ob 573/88 = SZ 61/162; Schwimann/Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 22; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 97; Kletecka/Schauer/Gruber, ABGB‑ON, § 934 Rn. 12; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 565; KBB/P. Bydlinski, 5. Aufl., § 934 Rn. 4; SchwimannTakom/Hödl, § 934 Rn. 13. 220 2 Ob 779/24 = SZ 6/341; Schwimann/Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 22.
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betrags verurteilt und das Aufhebungsbegehren des Benachteiligten und Wahlrecht des Begünstigten erlöschen bereits mit der Erklärung des Begünstigten, zum Ausgleich bereit zu sein.221 Der Benachteiligte muss dann die Klage beschränken oder umstellen, um im Prozess nicht zu unterliegen.222 Gerät der Bevorteilte allerdings mit seiner Ausgleichspflicht in Verzug, kann der Benachteiligte nach einer Fristsetzung gemäß § 918 ABGB vom ganzen Vertrag zurücktreten und seine Leistung im Rahmen der Rückabwicklung zurückverlangen.223
3. Art und Weise der Anpassung Konkret erfolgt die Anpassung dadurch, dass der Verkürzende seine Leistung anpasst, das heißt, er den tatsächlichen Preis für die Sache des Verkürzten zahlt. Dies stellt kein Problem dar, wenn es der Begünstigte ist, der seine Leistung in Geld erbringt. Er zahlt dann einfach die fehlende Differenz nach. Im umgekehrten Fall entstehen jedoch Probleme.224 Erbringt der Verkürzte eine Geldleistung und der Begünstigte eine Sachleistung ist eine Anpassung nicht so unkompliziert möglich. Wenn nämlich, wie es der Wortlaut von § 934 S. 2 ABGB verlangt, der Begünstigte die Differenz zum gemeinen Wert ersetzen soll, würde dies bedeuten, dass er seine Sachleistung anpassen muss. Auch wenn sich sowohl der Erbringer einer Sach- als auch einer Geldleistung auf die Anfechtung wegen laesio enormis berufen können, geht § 934 ABGB offenbar vom verkürzten Verkäufer aus, der dann eine Geldzahlung vom Käufer als Ausgleich enthält. Die Erhöhung der Sachleistung stellt meist aber sowohl für den Käufer als auch den Verkäufer keine sinnvolle Lösung dar. Deshalb wird davon ausgegangen, dass der Verkürzende die Differenz zwischen dem Wert der beiden Leistungen stets in Geld zu ersetzen habe, wodurch sich letztlich – wirtschaftlich betrachtet – der vom Käufer zu zahlende Kaufpreis reduziert.225 Nur mit Einverständnis des Käufers könne der Verkäufer statt Geldersatz zusätzliche Ware leisten.226 221 6
Ob 612/93; 8 Ob 567/93; 6 Ob 618/92 = JBl 1993, 785; Schwimann/Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 22; SchwimannTakom/Hödl, § 934 Rn. 13; dagegen: Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 96. 222 6 Ob 618/92 = JBl 1993, 785; Kletecka/ Schauer/Gruber, ABGB‑ON, § 934 Rn. 11; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 99 ff., nach dessen Auffassung eine Umstellung nicht zwingend erforderlich ist, da nach seiner Auffassung – entgegen dem OGH – durch Ausübung der Ersetzungsbefugnis nicht automatisch das Leistungsbegehren erlischt. 223 KBB/P. Bydlinski, 5. Aufl., § 934 Rn. 4. 224 Darauf weisen insb. hin: P. Bydlinski, JBl 1983, 410, 419 f.; Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 86. 225 7 Ob 573/88 = SZ 61/162; Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 86; Schwimann/ Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 21; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 565; Mayrhofer, Schuldrecht AT, S. 458; Kletecka/Schauer/Gruber, ABGB‑ON, § 934 Rn. 11. 226 So Gschnitzer in Klang IV/1, S. 565.
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Da die Anpassung nicht auf das eben noch zulässige Missverhältnis vorgenommen wird, sondern das Missverhältnis vollständig beseitigt werden muss, verbleibt dem Begünstigten nicht einmal ein kleiner Gewinn. Dies wirkt wie eine Art Bestrafung, wenn der Verkürzte bei Kenntnis vom wahren Wert auch über dem Marktpreis gekauft hätte, aber unter der Grenze des Doppelten. Dies lässt sich damit erklären, dass, wie beschrieben, eine verwerfliche Gesinnung des Bevorteilten § 934 ABGB vertypt zugrunde gelegt wird, auch wenn sie tatbestandlich nicht erforderlich ist.227
4. Bewertung Die Rechtsfolgen der laesio enormis unterscheiden sich in einem ganz entscheidenden Punkt von denen des Wuchers: Die Frage nach der letztendlichen Wirksamkeit des Vertrags liegt in der Hand des Bevorteilten und nicht des Übervorteilten. Jener kann zwischen Nichtigkeit und Anpassung wählen, falls der Benachteiligte die Anfechtung erklärt. Auf den ersten Blick mag diese Konstruktion seltsam anmuten und den Schutz des Übervorteilten einschränken, denn dieser geht mit der Geltendmachung der laesio enormis das Risiko ein, die erhaltene Leistung zu verlieren, wenn der Begünstigte nicht von der Ersetzungsbefugnis Gebrauch macht. Diese Lösung weiß aber durchaus zu überzeugen, weil anders als beim Wucher hier der Bevorteilte keine Schwäche des anderen Teils ausgenutzt hat oder sich ein solches Ausnutzen zumindest nicht nachweisen lässt. Ihm kann also gerade kein verwerfliches Verhalten vorgeworfen werden. Deshalb ist es erforderlich, auch sein Interesse am Fortbestand des Vertrags zu berücksichtigen. Die Interessen des Übervorteilten werden dadurch auch nicht unbillig vernachlässigt, denn er erhält entweder den angemessenen Wert als Gegenleistung oder seine eigene Leistung zurück. § 934 ABGB dient damit vor allem dem Vermögensschutz des Benachteiligten, weniger seinem Interesse am Erhalt der konkreten Leistung. Entscheidet sich die begünstigte Partei gegen eine Anpassung des Vertrags, ist der Vertrag nichtig, wobei es sich in diesem Fall um eine absolute Nichtigkeit handelt. Nach der herrschenden Meinung in der Literatur wirkt die Anfechtung sachenrechtlich ex tunc,228 was für den Verkäufer zu einem Anspruch aus Eigentumsklage nach § 366 ABGB auf Herausgabe des Grundstücks führt, wenn der Käufer noch in dessen Besitz ist. Der Käufer muss seine Leistung nach Bereicherungsrecht zurückverlangen. Ebenso kommt es zu einer Rück227 Vgl. oben: I. 2. Hintergrund der Vorschrift, S. 252 f. 228 2 Ob 325/98b = JBl 1999, 537; 2 Ob 522/95 = JBl
1998, 41; P. Bydlinski, AT, 8/44, S. 213; ders., JBl 1983, 410, 417; Riedler, JBl 2004, 215, 221 f.; Kletecka/Schauer/Gruber, ABGB‑ON, § 934 Rn. 9; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., § 934 Rn. 112 ff.; teilweise wird auch nur von einer schuldrechtlichen Rückwirkung ausgegangen, vgl. Schwimann/Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 17; so auch noch Rummel/Reischauer, 3. Aufl., § 934 Rn. 8.
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abwicklung nach Bereicherungsrecht, wenn ein Dritter wirksam Eigentum an der Kaufsache erworben hat oder bei anderen Verträgen als Kaufverträgen.
III. Vergleich zur Rechtslage in Deutschland und Bewertung Die laesio enormis kombiniert die beiden Grundmechanismen, die zur Behebung einer Äquivalenzstörung zu Verfügung stehen: Anpassung und Rückabwicklung.229 Der Vertrag ist zunächst wirksam, es bedarf des Tätigwerdens des Benachteiligten, um die Äquivalenzstörung zu beseitigen. Die endgültige Frage der Nichtigkeit oder Anpassung liegt aber in den Händen der bevorteilten Partei. Dadurch geht die benachteiligte Partei mit der Geltendmachung der laesio enormis ein gewisses Risiko ein, wenn sie weiterhin ein Interesse an der Leistung hat. Sie muss für sich entscheiden, ob die Chance auf eine Vertragsanpassung höher wiegt als das Risiko, den Gegenstand zu verlieren. Aus ihrer Sicht ist die Lösung der laesio enormis auf Rechtsfolgenseite nicht optimal. Allerdings muss die Lösung auch die Interessen der begünstigten Partei beachten. Dies gelingt § 934 ABGB gut. Praktisch wird die benachteiligte Partei vor der Geltendmachung gewöhnlich mit der anderen Partei in Kontakt treten, wobei sie in Erfahrung bringen kann, wie diese sich wohl entscheiden wird. Dadurch wird das Risiko, das in der Wahlmöglichkeit des Benachteiligten liegt, abgeschwächt, da die benachteiligte Partei dann oft schon vor der Geltendmachung der laesio enormis abschätzen kann, wie sich der Bevorteilte im Fall der Anfechtung verhalten wird. In Deutschland findet die laesio enormis keine exakte Entsprechung. Es gibt keine Regelung, die auf ein subjektives Element beim Begünstigten völlig verzichtet. Durchaus nahe kommt der laesio enormis aber häufig das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB, wenn die Vermutung der verwerflichen Gesinnung angewendet wird. Dann erfüllt regelmäßig schon ein Missverhältnis von knapp dem Doppelten den Tatbestand der Sittenwidrigkeit, weil die als Folge eingreifende Vermutung nur selten vom Begünstigten erschüttert werden kann. Anders als die laesio enormis in Österreich wird § 138 BGB von Amts wegen berücksichtigt. Das macht in der Praxis aber meist keinen großen Unterschied, weil sich gewöhnlich nur der Benachteiligte auf die Äquivalenzstörung berufen wird und dann im Prozess auch entsprechend vortragen wird. Sofern der Begünstigte von der Ersetzungsbefugnis keinen Gebrauch macht, sind die Rechtsfolgen von § 934 ABGB und § 138 Abs. 1 BGB relativ ähnlich, denn es kommt jeweils zur Rückabwicklung des Vertrags. Entscheidender Unterschied ist, dass nach deutschem Recht der Vertrag stets zwingend nichtig ist und es keinerlei Anpassungsmöglichkeit gibt. Die Rechtsfolgen von § 934 ABGB sind damit deutlich flexibler. 229
Vgl. bereits eingangs, § 4 A. Herangehensweise, S. 13 f.
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Ins Gewicht fallen kann unter Umständen noch die sehr unterschiedliche Verjährungsfrist. Diese beträgt bei Grundstücken in Deutschland zehn Jahre, in Österreich drei und auch ihr Beginn unterscheidet sich. Sie beginnt in Österreich kenntnisunabhängig mit Vertragsschluss, in Deutschland dagegen erst mit Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen (§ 199 Abs. 1 BGB). Gerade im Bereich von Grundstücksveräußerungen fallen entsprechende Missverhältnisse häufig erst nach längerer Zeit auf, sodass der Unterschied praktisch von erheblicher Bedeutung sein kann.
C. Irrtümer Das österreichische Irrtumsrecht weist sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite große Unterschiede zum deutschen Recht auf. Gemein ist beiden Rechtsordnungen, dass ein Irrtum grundsätzlich die Wirksamkeit des Vertrags zunächst unberührt lässt, auch wenn der Wortlaut der Anfechtungstatbestände der §§ 870, 871 Abs. 1 ABGB eher von einer Nichtigkeit des Vertrags auszugehen scheint (vgl. § 871 ABGB: „[…] so ensteht für ihn keine Verbindlichkeit“). Dennoch ist man sich auch in Österreich einig, dass ein Irrtum nur beachtlich ist, sofern die sich irrende Partei den Vertrag anficht bzw. sich auf den Irrtum beruft.230
I. Tatbestand 1. § 871 ABGB a) Art des Irrtums Voraussetzung für eine Irrtumsanfechtung ist auch im österreichischen Recht zunächst das Vorliegen eines relevanten Irrtums. Dazu kennt das österreichische Recht in der Sache sowohl den Erklärungs- als auch Inhaltsirrtum nach deutschem Verständnis, wobei in Österreich beide unter den Begriff des Erklärungsirrtums fallen.231 Den Hauptanwendungsfall bildet allerdings der sog. Geschäftsirrtum. Dieser muss vom bloßen Motivirrtum abgegrenzt werden, der nach § 901 ABGB unbeachtlich ist. Ein Geschäftsirrtum erfordert eine den Inhalt des Geschäfts betreffende unrichtige Vorstellung über seine Natur, den Gegenstand oder eine für das Geschäft bedeutsame Eigenschaft des Vertragspart230 Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 1 u. 38; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 871 Rn. 70; Bollenberger in: FS 200 Jahre ABGB, 877, 892 f., Schauer in ABGB 2011, 51, 71, die für eine Klarstellung des Wortlauts plädieren; vgl. für eine ausführliche Analyse von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und Interessenlage: Kerschner, Irrtumsanfechtung, S. 24 ff. 231 Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 11; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 7; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, 12. Aufl., S. 133.
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ners.232 Ein Motivirrtum liegt hingegen vor, wenn die Fehlvorstellung sich auf Umstände außerhalb des eigentlichen Geschäftsinhalts bezieht, insbesondere auf die dem Vertragsschluss zugrundeliegenden Beweggründe.233 Anschaulich beschreibt der OGH den Motivirrtum als Irrtum über den Grund („Frage: Warum will die Partei?“), den Geschäftsirrtum als Irrtum über den Inhalt („Frage: Was will die Partei?“).234 So wurden als Geschäftsirrtum die Ertragsfähigkeit eines Grundstücks,235 die Größe einer gekauften Wohnung236 oder die baurechtliche Verwendbarkeit eines Grundstücks angesehen237. Der Geschäftsirrtum ähnelt damit zwar dem Eigenschaftsirrtum i. S. d. § 119 Abs. 2 BGB, ist aber deutlich weiter.238 Allein der Irrtum über den Wert der Sache ist aber auch nach österreichischem Recht sowohl nach Ansicht der Rechtsprechung239 als auch Literatur240 bloß ein unbeachtlicher Motivirrtum. Dies nicht zuletzt deshalb, weil ansonsten die Grenzen der laesio enormis umgangen werden würden.241 Der Irrtum über den Wert berechtigt jedoch dann zur Anfechtung, wenn er arglistig herbeigeführt wurde, § 870 ABGB.242
b) Zurechnung gegenüber dem Anfechtungsgegner Nach österreichischem Recht genügt allein ein Irrtum nicht zur Anfechtung. Voraussetzung ist zusätzlich, dass der Irrtum entweder von der anderen Partei veranlasst wurde, ihr auffallen musste oder sie noch rechtzeitig aufgeklärt wurde, vgl. § 871 Abs. 1 ABGB. Der Begriff der Veranlassung (§ 871 Abs. 1 Var. 1 ABGB) ist dabei weit zu verstehen und umfasst jede adäquate Verursachung, wobei ein Verschulden gerade nicht erforderlich ist.243 Ein Veranlassen ist auch durch Unterlassen mög232 4 Ob 9/12w; 8 Ob 25/10z = SZ 2010/113; Rummel/ Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 13 f.; vgl. auch P. Bydlinski, ÖBA 2010, 646, 647; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 7. 233 8 Ob 25/10z = SZ 2010/113; 2 Ob 176/10m; P. Bydlinski, ÖBA 2010, 646, 647; KBB/ Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 7. 234 7 Ob 8/75 = JBl 1976, 145. 235 3 Ob 254/53 = SZ 26/154; bestätigt durch: 5 Ob 768/80 = SZ 54/88. 236 5 Ob 573/80 = SZ 53/108. 237 3 Ob 510/84. 238 Vonkilch, ÖJZ 2010, 579, 580; F. Bydlinski in: FS Stoll, 113, 119. 239 8 Ob 25/10z = ÖBA 2011, 585, 587; 2 Ob 176/10m; 6 Ob 618/92 = JBl 1993, 785; 1 Ob 507/50 = SZ 23/272; 6 Ob 146/97g; 6 Ob 342/66 = SZ 39/206; 1 Ob 339/98d; 6 Ob 268/63 = EvBl 1964/317. 240 Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 68 ff.; Schwimann/Kodek/Perner, 4. Aufl., § 934 Rn. 13 f.; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 16; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 153; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 9 f.; P. Bydlinski, JBl 1983, 410, 412; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 72. 241 1 Ob 339/98d; 6 Ob 146/97g. 242 1 Ob 339/98d; 6 Ob 146/97g; 6 Ob 618/92 = JBl 1993, 785; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 10. 243 4 Ob 11/13s; 4 Ob 174/11h; 1 Ob 778/81 = SZ 55/51; 2 Ob 176/10m; 5 Ob 128/73 = SZ 46/84; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 156; P. Bydlinski, AT, 8/17, S. 198; Schwimann/
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lich, setzt dann aber die Verletzung einer Aufklärungspflicht voraus.244 Teilweise wird in jüngerer Zeit einschränkend gefordert, dass das Verhalten, wenn auch schuldlos, zumindest verkehrswidrig seien müsse.245 Die Rechtsprechung ist dem jedoch bisher nicht gefolgt und hält weiter an der bloßen Adäquanz fest.246 Unerheblich ist zudem, ob der Irrende den Irrtum selbst hätte erkennen können.247 Eine Ausnahme davon gilt nach der Rechtsprechung des OGH nur in engen Grenzen, nämlich wenn die Angaben des Vertragspartners völlig offensichtlich unrichtig waren und eine Überprüfung dem Irrenden leicht möglich war.248 Teilweise wird in jüngerer Zeit ein Ausschluss schon dann gefordert, wenn der Irrende überwiegend selbst für seinen Irrtum verantwortlich ist.249 Das Auffallenmüssen (§ 871 Abs. 1 Var. 2 ABGB) erfordert das (einfach) fahrlässige Nichtentdecken des Irrtums des anderen Teils.250 Auch bei dieser Variante spielt es wiederum keine Rolle, ob der sich Irrende seinen Irrtum hätte erkennen müssen.251 Die Rechtzeitigkeit der Aufklärung (§ 871 Abs. 1 Var. 3 ABGB) schließlich hängt davon ab, dass der andere Teil noch keine wirtschaftlichen oder rechtlichen Dispositionen im Vertrauen auf das Geschäft vorgenommen,252 er also noch keinen Vertrauensschaden erlitten hat.253 Dabei sollen allerdings Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 23; Riedler, ÖJZ 2010, 841, 848; Vonkilch, ÖJZ 2010, 579, 587; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 73; Ehrenzweig, I/1, S. 232. 244 2 Ob 598/94; 1 Ob 778/81 = SZ 55/51; 7 Ob 246/74 = SZ 47/148; 5 Ob 128/73 = SZ 46/84; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 21; Welser, JBl 1979, 449, 452; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 73; Ehrenzweig, I/1, S. 232; Vonkilch, ÖJZ 2010, 579, 587. 245 P. Bydlinski, AT, 8/17, S. 198; ders., ÖBA 2010, 646, 648; Wilhelm, ecolex 2009, 929, 931; ders. in: FS Ostheim, 225, 235; Bollenberger in: FS 200 Jahre ABGB, 877, 889; Rummel/ Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 22; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 14. 246 4 Ob 11/13s; 2 Ob 176/10m; 4 Ob 65/10b; 8 Ob 25/10z = ÖBA 2011, 585, 588 = SZ 2010/113; 10 Ob 10/11k = JBl 2011, 437; 8 Ob 96/05h; 5 Ob 128/73 = SZ 46/84. 247 4 Ob 65/10b; 8 Ob 25/10z = SZ 2010/113; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 23; Riedler, ÖJZ 2010, 841, 848; P. Bydlinski, ÖBA 2010, 646, 649 f.; Vonkilch, ÖJZ 2010, 579, 559; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 4; a. A. Krejci, ÖJZ 2010, 58, 67. 248 8 Ob 25/10z = SZ 2010/113; 9 Ob 41/04a = SZ 2004/160; 2 Ob 176/10m; 4 Ob 65/10b; 5 Ob 207/14y. 249 Thunhart, ÖJZ 2000, 447, 449; Krejci, ÖJZ 2010, 58, 67 f. 250 3 Ob 2043/96d = JBl 1998, 178, 182; 3 Ob 564/94 = SZ 68/35; 7 Ob 671/78 = SZ 51/144; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 157; P. Bydlinski, AT, 8/18, S. 199; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 28; Riedler, ÖJZ 2010, 841, 848; Rummel/Lukas/ Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 24; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 15. 251 7 Ob 671/78 = SZ 51/44; 3 Ob 15/53 = SZ 26/71; Riedler, ÖJZ 2010, 841, 848; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 24; Vonkilch, ÖJZ 2010, 579, 589. 252 7 Ob 246/74 = SZ 47/148; 8 Ob 158/70 = SZ 43/123; 2 Ob 216/69 = SZ 42/121; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 157; P. Bydlinski, AT, 8/19, S. 199; Schwimann/Kodek/ Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 30; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 25; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 16. 253 Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 30; F. Bydlinski, Privatautonomie, S. 180.
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bereits geringe Dispositionen schaden, wie z. B. die Ablehnung anderer ähnlicher Angebote oder die Erbringung der eigenen Leistung.254 Zudem liegt gemäß § 871 Abs. 2 ABGB ein nach § 871 Abs. 1 ABGB zur Anfechtung berechtigender Geschäftsirrtum immer dann vor, wenn der Vertragspartner über einen Umstand nicht aufklärt, über den er „nach geltenden Rechtsvorschriften aufzuklären gehabt hätte“. Dabei ist umstritten, ob damit nur – wie ursprünglich vom Gesetzgeber intendiert255 – ausdrücklich gesetzlich normierte Aufklärungspflichten oder, wovon mittlerweile die Mehrheit der österreichischen Literatur und offenbar auch der OGH256 ausgehen, insgesamt alle vorvertraglichen Aufklärungspflichten gemeint sind.257 Im österreichischen Recht hängt also die Möglichkeit der Anfechtung davon ab, dass der Anfechtungsgegner nicht schutzwürdig ist. Den im Gesetz genannten Fällen stellt die h. M. noch den Fall des gemeinsamen Irrtums beider Parteien gleich.258 Dies trifft jedoch in der jüngeren Literatur auf Kritik, die – so wie die wohl h. M. in Deutschland259 – den gemeinsamen Irrtum über die Grundsätze des Fehlens der Geschäftsgrundlage lösen will.260
2. § 870 ABGB Ebenfalls berechtigen Drohung und Täuschung, in der Terminologie des ABGB Furcht und List genannt (vgl. § 870 ABGB) zur Anfechtung. Die Kriterien, nach denen beurteilt wird, ob eine zur Anfechtung berechtigende Täuschung vorliegt, entsprechen weitgehend denen des BGB. Auch § 870 ABGB verlangt zumindest bedingten Vorsatz bezüglich der Täuschung.261 Ebenso kennt das österreichische Recht eine Täuschung durch Unterlassen. Diese berechtigt wie im Rahmen von § 123 Abs. 1 BGB aber nur dann zur Anfechtung, wenn eine Aufklärungspflicht bestand.262 Ob eine solche existiert, richtet sich nach den 254
Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 26; vgl. zur Frage der Grenzziehung, wann eine die Anfechtung ausschließende Vermögensverfügung vorliegt, auch F. Bydlinski, Privatautonomie, S. 180 f. 255 JAB zum KSchG, 1233 BlgNr 14. GP. 256 10 Ob 524/94; 1 Ob 691/84 = SZ 58/69; anders offenbar noch 1 Ob 778/81 = SZ 55/51. 257 Für die erste Ansicht: Pletzer, JBl 2002, 545, 559 f.; dagegen: Welser, JBl 1979, 449, 451; ders. in: FS Wagner, 361, 369 f.; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 73 f.; Rummel/ Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 19; Vonkilch, ÖJZ 2010, 579, 582 ff. 258 5 Ob 19/02h; 7 Ob 568/95; 3 Ob 612/83 = SZ 57/108; 1 Ob 114/71 = SZ 44/59; 5 Ob 8/63 = SZ 36/22; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 158; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 133 f. 259 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 383. 260 Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 32; P. Bydlinski, AT, 8/20, S. 200; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 29; Rummel, JBl 1981, 1, 1 ff.; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 17; Schauer in ABGB 2011, 51, 61. 261 4 Ob 11/13s; 3 Ob 520/94 = SZ 68/152; 1 Ob 233/70 = JBl 1971, 304; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 870 Rn. 7; Pletzer, JBl 2002, 545, 553; P. Bydlinski, AT, 8/32, S. 206; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 870 Rn. 1; Wilhelm, ecolex 2009, 929, 931. 262 4 Ob 9/12w; 3 Ob 520/94 = SZ 68/152; 1 Ob 691/84 = SZ 58/69; 1 Ob 778/81 = SZ
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Grundsätzen des redlichen Verkehrs,263 also nach Treu und Glauben. Dabei besteht grundsätzlich keine Aufklärungspflicht, jeder Vertragsteil muss seine Interessen selbst wahrnehmen.264 Allerdings kann etwa überlegenes Wissen eines Verkäufers bei gleichzeitiger Beratung des Käufers dazu führen, dass der Verkäufer über solche Umstände aufzuklären hat, die für den Vertragsschluss wesentlich sind.265
3. Geltendmachung des Anfechtungsrechts Steht einer Partei ein Anfechtungsrecht zu, muss dieses gerichtlich durch Klage oder, falls der Irrende bereits auf die Leistung verklagt wurde, durch Einrede im Prozess geltend gemacht werden.266 Möglich ist dies bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz.267 Eine einfache Erklärung gegenüber der anderen Partei reicht also nicht aus. Die Anfechtung ist damit anders als im deutschen Recht gerade kein reines Gestaltungsrecht. Die vom Irrenden zu erhebende Gestaltungsklage kann aber mit der Klage auf Rückabwicklung verbunden werden.268 Jedoch trifft die Ansicht der Rechtsprechung von der Notwendigkeit der gerichtlichen Geltendmachung in der österreichischen Literatur häufig auf Kritik, wo stattdessen eine einfache Parteierklärung für ausreichend gehalten wird.269 Ähnlich wie bereits bei der laesio enormis und beim Wucher soll zudem auch bei der Anfechtung die außergerichtliche Anzeige gegenüber dem Vertragspartner analog § 933 Abs. 3 ABGB zur Perpetuierung der Einrede führen.270 55/51; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 870 Rn. 11; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 870 Rn. 1; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 6; Ehrenzweig,I/1, S. 229. 263 Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 6; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 870 Rn. 11; Ehrenzweig,I/1, S. 229; vgl. auch Zusammenfassung bei F. Bydlinski, JBl 1980, 393; st. Rspr., vgl.: 5 Ob 573/80 = SZ 53/108; 3 Ob 520/94 = SZ 68/152; 5 Ob 524/79 = SZ 52/22; 4 Ob 9/12w; 3 Ob 25/03b. 264 4 Ob 9/12w; 3 Ob 25/03b; 1 Ob 548/92 = JBl 1992, 711, 712; 1 Ob 778/81 = SZ 55/51; 5 Ob 524/79 = SZ 52/22; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 870 Rn. 11; Krejci, ÖJZ 2010, 58, 67; Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II, Rn. 70. 265 Vgl. 1 Ob 778/81 = SZ 55/51. 266 3 Ob 216/06w; 1 Ob 353/97m = JBl 1999, 110, 111; 3 Ob 20/97f = ecolex 1997/919; 1 Ob 114/71 = SZ 44/59; Gschnitzer, AT, S. 557; ders. in Klang IV/1, S. 136; Rummel/Lukas/ Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 30; Ehrenzweig, I/1, S. 234. 267 3 Ob 20/97f = ecolex 1997, 919; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 37; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 871 Rn. 74. 268 3 Ob 216/06w; 5 Ob 8/63 = SZ 36/22; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 30; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 37; Schwimann/Mader/Janisch, 4. Aufl., § 1487 Rn. 12; P. Bydlinski, ÖBA 2010, 646, 653 f.; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 136. 269 Kerschner, Irrtumsanfechtung, S. 59 ff. u. 90; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 37; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 160; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 30; wohl auch P. Bydlinski, AT, 8/22, S. 201. 270 Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 871 Rn. 72; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 36; P. Bydlinski, AT, 8/22, S. 201; a. A. Kerschner, Irrtumsanfechtung, S. 72.
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Für die Geltendmachung des Anfechtungsrechts hat der Irrende gemäß § 1487 ABGB drei Jahre Zeit.271 Gleiches gilt für das Verlangen nach Anpassung.272 Die Frist dazu beginnt kenntnisunabhängig mit dem Zeitpunkt, zu dem erstmals objektiv die Klagemöglichkeit bestand, d. h. mit Vertragsschluss.273 Erheblich länger ist die Anfechtungsfrist in den Fällen der Täuschung, in denen sie gemäß § 1478 ABGB 30 Jahre beträgt.274
II. Rechtsfolgen Die Rechtsfolge der Anfechtung im österreichischen Recht besteht anders als in Deutschland nicht automatisch in der Nichtigkeit des entsprechenden Rechtsgeschäfts. Sie hängt vielmehr davon ab, ob es sich um einen wesentlichen oder unwesentlichen Irrtum handelt. Nur bei einem wesentlichen Irrtum ist der Vertrag im Fall der Anfechtung nichtig und es kommt zu dessen Rückabwicklung, vgl. § 871 ABGB. Sofern der Irrtum unwesentlich ist, kommt es gemäß § 872 ABGB lediglich zu einer Vertragsanpassung. Grundsätzlich hat der Irrende kein Wahlrecht zwischen Anfechtung und Anpassung.275 Hintergrund ist, dass es das Ziel der österreichischen Irrtumsanfechtung ist, den Zustand herzustellen, der ohne den Irrtum bestünde.276 Allerdings lassen der OGH und ihm folgend weite Teile der Literatur bei einem wesentlichen Irrtum dann eine Anpassung nach § 872 ABGB zu, wenn auch der Vertragspartner zu anderen Bedingungen abgeschlossen hätte.277 Ein wesentlicher Irrtum ist dabei ein solcher, ohne den das Geschäft überhaupt nicht abgeschlossen worden wäre, während bei einem unwesentlichen Irrtum ein Vertrag zwar zustande gekommen wäre, jedoch mit anderem Inhalt.278 Nicht entscheidend ist, ob der Irrtum eine Hauptbestimmung oder bloß eine 271 3 Ob 2199/96w = SZ 71/94; 10 Ob 504/94 = SZ 67/73; 1 Ob 666/88 = SZ 61/235; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 871 Rn. 77; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 44; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 36; Schwimann/Mader/Janisch, 4. Aufl., § 1487 Rn. 12; Ehrenzweig, I/1, S. 236. 272 7 Ob 21/66 = SZ 39/56; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 9; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 143. 273 3 Ob 2199/96w = SZ 71/94; 10 Ob 504/94 = SZ 67/73; 1 Ob 666/88 = SZ 61/235; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 44; Schwimann/Mader/Janisch, 4. Aufl., § 1487 Rn. 12; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 36. 274 4 Ob 136/05m; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 870 Rn. 31; Rummel/Lukas/ Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 12; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 870 Rn. 8; Schwimann/Mader/ Janisch, 4. Aufl., § 1487 Rn. 12; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 870 Rn. 22; Ehrenzweig, I/1, S. 236. 275 1 Ob 197/75 = SZ 48/112; 1 Ob 34/72 = SZ 45/38; 3 Ob 254/53 = SZ 26/154; KBB/ Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 18; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 143. 276 1 Ob 197/75 = SZ 48/112; Leupold/Ramharter, ÖJZ 2010, 807, 809. 277 9 Ob 50/10h = JBl 2011, 40; 3 Ob 68/03a; 1 Ob 34/72 = SZ 45/38; Koziol, JBl 1967, 64, 68; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 7; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 872 Rn. 2. 278 1 Ob 791/79 = SZ 53/13; P. Bydlinski, Grundzüge des Privatrechts, Rn. 464; ders., AT, 8/15, S. 197; Koziol, ÖRdW 2008, 4, 4; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 1; KBB/
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Nebenbestimmung betrifft.279 So ist ein unwesentlicher Irrtum auch in Bezug auf essentialia negotii möglich.280 Es liegt auf der Hand, dass die Abgrenzung praktisch nicht immer einfach ist. Es ist zu prüfen, ob die Parteien den Vertrag ohne Irrtum mit anderem Inhalt geschlossen hätten.281 Maßgeblich ist zunächst der tatsächliche Wille, dann der hypothetische Wille der konkreten Parteien und als letztes der Wille, den vernünftige Parteien in der Situation gehabt hätten.282 Wichtig ist zu beachten, dass es nicht nur auf den Willen der sich irrenden Partei ankommt, sondern ebenso auf den des Anfechtungsgegners.283 Hätte zwar der Irrende nicht aber sein Vertragspartner den Vertrag mit anderem Inhalt geschlossen, so scheidet eine Anpassung aus und es besteht nur die Möglichkeit der Anfechtung, denn anderenfalls würde dem Vertragspartner ein Vertrag aufgezwungen, den er so nicht schließen wollte.284 Die Beweislast trifft den sich Irrenden und zwar sowohl für seinen eigenen Willen als auch den des anderen Vertragsteils.285
1. Wesentlicher Irrtum Im Fall eines wesentlichen Irrtums ist die Rechtsfolge der Anfechtung die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, sodass die Leistungspflichten erlöschen.286 Die Anfechtung wirkt dabei wie im deutschen Recht ex tunc.287 Aufgrund des in Österreich geltenden Kausalprinzips fällt bei Eigentumsübertragungen das Eigentum Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 18; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 154; Wilhelm in: FS Ostheim, 225, 235; Ehrenzweig, I/1, S. 230; Koziol, JBl 1967, 64, 66. 279 KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 18; Leupold/Ramharter, ÖJZ 2010, 807, 809. 280 5 Ob 573/80 = SZ 53/108; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 872 Rn. 3; Rummel/Lukas/ Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 1; Leupold/Ramharter, ÖJZ 2010, 807, 809. 281 P. Bydlinski, Grundzüge des Privatrechts, Rn. 464; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 154; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 1; Leupold/Ramharter, ÖJZ 2010, 807, 809. 282 4 Ob 83/06v; 9 Ob 247/02t = SZ 2003/70; 7 Ob 568/95; 5 Ob 573/80 = SZ 53/108; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 18; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 154; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 872 Rn. 2; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 1. 283 9 Ob 50/10h = JBl 2011, 40; 9 Ob 50/10h = EvBl 2011/19; 2 Ob 176/10m; Schwimann/ Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 872 Rn. 2; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 2; P. Bydlinski, AT, 8/15, S. 197. 284 Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 3; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 1; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 2; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 872 Rn. 2; 9 Ob 50/10h = EvBl 2011/19; 2 Ob 176/10m; 9 Ob 50/10h = JBl 2011, 40; 5 Ob 144/98g; 6 Ob 221/98p. 285 2 Ob 176/10m; 5 Ob 159/07d = JBl 2008, 249; 5 Ob 144/98g; 4 Ob 549/88; 5 Ob 573/80 = SZ 53/108; Schwimann/ Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 872 Rn. 4; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 872 Rn. 6; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 872 Rn. 4; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 6. 286 1 Ob 64/04z; 1 Ob 353/97m = JBl 1999, 110, 112; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 33. 287 1 Ob 64/04z; 1 Ob 551/94 = SZ 67/136; P. Bydlinski, Grundzüge des Privatrechts, Rn. 443; ders., AT, 8/24, S. 202; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 871 Rn. 40; Koziol/Wel-
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nach erfolgreicher Anfechtung ipso iure an den Veräußerer zurück, sodass dieser dann mit der Vindikation den Gegenstand herausverlangen kann.288 Im Übrigen erfolgt eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung über § 877 ABGB.289 Der Anfechtungsgegner hat die Möglichkeit, die Anfechtung dadurch abzuwenden, dass er den Irrenden so stellt, wie dieser stünde, wenn seine Vorstellung der Wirklichkeit entsprochen hätte.290
2. Unwesentlicher Irrtum a) Anpassung, § 872 ABGB Nach österreichischem Recht ist die Anfechtung des Vertrags aber nicht die einzige Möglichkeit, die der Irrende oder Getäuschte hat. Unter bestimmten Voraussetzungen kommt auch eine Vertragsanpassung in Betracht und zwar dann, wenn es sich bloß um einen unwesentlichen Irrtum handelt. Diese ist ebenso wie die Anfechtung mittels Klage oder Einrede gerichtlich geltend zu machen.291 Ein unwesentlicher Irrtum liegt dann vor, wenn ohne diesen dennoch ein Vertrag zustande gekommen wäre, wenn auch mit anderem Inhalt.292 Entscheidend ist primär der hypothetische Parteiwille zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.293 Falls sich dieser, wie häufig, nicht feststellen lässt, ist auf den Willen redlich handelnder Parteien in der konkreten Situation abzustellen.294 Dieser ist auch dann heranzuziehen, wenn nicht positiv feststeht, dass der Anfechtungsgegner nicht auch zu anderen Bedingungen kontrahiert hätte.295 Dabei erfolgt gemäß § 872 ABGB letzter Halbsatz die Anpassung auf das angemessene Maß. In diesem Fall meint „angemessen“ die Herstellung nicht der ser, Bürgerliches Recht I, S. 158; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 33; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 20. 288 8 Ob 221/01k; 1 Ob 551/94 = SZ 67/136; 1 Ob 791/79 = SZ 53/13; Rummel/Lukas/ Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 33; Kerschner, Irrtumsanfechtung, S. 39 ff.; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 158; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 20; P. Bydlinski, AT, 8/24, S. 202. 289 3 Ob 612/93 = SZ 57/108; 6 Ob 100/75 = SZ 48/103; 5 Ob 128/73 = SZ 46/84; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 33; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 156; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 20; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 141. 290 6 Ob 733/87 = SZ 61/53; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 161; Bollenberger in: FS 200 Jahre ABGB, 877, 893; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 871 Rn. 34; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 144; Ehrenzweig, I/1, S. 234 f. 291 Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 872 Rn. 15; Schwimann/ Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 872 Rn. 9; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 6; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 872 Rn. 4. 292 Vgl. zur Abgrenzung oben: C. II. Rechtsfolgen, S. 263 f. 293 9 Ob 50/10h = JBl 2011, 40; 2 Ob 176/10m; 5 Ob 768/80 = SZ 54/88; 5 Ob 144/98g; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 1; Wilhelm in: FS Ostheim, 225, 236; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 872 Rn. 2. 294 8 Ob 502/93 = SZ 66/41; 5 Ob 768/80 = SZ 54/88; 2 Ob 176/10m; 3 Ob 68/03a; 5 Ob 144/98g; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 872 Rn. 2. 295 2 Ob 176/10m; 9 Ob 50/10h = JBl 2011, 40.
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objektiven, sondern der subjektiven, durch den Irrtum gestörten Äquivalenz.296 Als Berechnungsgrundlage wird die sogenannte relative Berechnungsmethode benutzt, die auch zur Berechnung der Minderung im Gewährleistungsrecht verwendet wird.297 Danach verhält sich der vereinbarte Preis zum angepassten Preis so wie der Wert der geschuldeten (mangelfreien) Sache, wie sie der Irrende erwerben oder veräußern wollte, zum Wert der tatsächlich erworbenen oder veräußerten (mangelhaften) Sache.298 Wenn also der vereinbarte Preis dem Wert der geschuldeten Sache entspricht, verringert sich der zu entrichtende Preis nach der Differenz zum Wert der tatsächlich geleisteten Sache beziehungsweise erhöht er sich entsprechend. Ein Verschulden oder rechtswidriges Verhalten der anderen Partei ist nicht notwendig. Hat der Irrende danach zu viel geleistet, kann er dies nach § 877 ABGB kondizieren.299 Hat er dagegen zu wenig erhalten, kann er aus dem angepassten Vertrag gegen den Anfechtungsgegner vorgehen.
b) Besonderheiten bei Täuschung Besser sieht die Situation für den Getäuschten aus, der nach § 872 ABGB analog ebenfalls Anpassung verlangen kann.300 Zum einen, weil ihm die Vertragsanpassung auch neben der Anfechtung zusteht,301 er also ein Wahlrecht besitzt. Die Rechtsprechung und weite Teile der Literatur gehen nämlich davon aus, dass § 870 ABGB nicht zwischen wesentlichem und unwesentlichem Irrtum unterscheide.302 Zum anderen wird im Rahmen von § 872 ABGB dem Täuschenden der Einwand, er hätte den Vertrag anders nicht abgeschlossen, nur eingeschränt zum Schutz eigener begründeter wesentlicher Interessen zugestanden.303 Hätte ein redlicher Vertragspartner dem Vertrag auch zu geänder296 Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 872 Rn. 5; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 159; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 5; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 872 Rn. 3; Riedler, JBl 2004, 215, 216. 297 6 Ob 600/90 = SZ 64/32 = JBl 1991, 584, 586; 5 Ob 768/80 = SZ 54/88; 5 Ob 573/80 = SZ 53/108; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 872 Rn. 5; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 159; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 872 Rn. 9. 298 1 Ob 197/75 = SZ 48/112; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl. § 872 Rn. 5; Rummel/ Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 5. 299 Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 872 Rn. 7; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 6. 300 9 ObA 37/06s; 1 Ob 27/97w = SZ 70/96; 3 Ob 520/94 = SZ 68/152; 6 Ob 600/90 = SZ 64/32. 301 9 ObA 37/06s; 6 Ob 600/90 = JBl 1991, 584, 586; 1 Ob 538/77 = SZ 50/35; 5 Ob 573/80 = SZ 53/108; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 870 Rn. 28; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 870 Rn. 20; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 10; Ehrenzweig,I/1, S. 229; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 870 Rn. 7; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 143. 302 2 Ob 112/00k; Ehrenzweig, I/1, 228; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 113; Rummel/Lukas/ Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 9; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, S. 168 f.; Ehrenzweig, I/1, S. 228 f.; dagegen: Koziol, ÖRdW 2008, 4, 5; Iro, JBl 1974, 225, 234 f. 303 9 ObA 37/06s; 1 Ob 27/97w = SZ 70/96; 6 Ob 600/90 = SZ 64/32 = JBl 1991, 584,
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ten Bedingungen zugestimmt, ist ein entgegenstehender Wille des Täuschenden unbeachtlich.304 Der Täuschende kann umgekehrt den Vertrag nicht dadurch aufrechterhalten, dass er behauptet, der aufgrund der Täuschung hervorgerufene Irrtum sei unwesentlich.305 Dies wird dann relevant, wenn der Getäuschte die Nichtigkeit des Vertrags vorzieht. Der Täuschende darf nämlich nicht in der Lage sein, den durch Täuschung erlangten Vorteil gegen den Willen des Getäuschten zu behalten.306 Genauso kann der Täuschende die Anfechtung nicht dadurch verhindern, dass er erklärt, den Vertrag entsprechend dem wahren Willen des Getäuschten gelten zu lassen, wenn dieser das nicht will.307 Auch das Recht zur Vertragsanpassung verjährt in den Fällen der Täuschung gemäß §§ 1478, 1487 ABGB in 30 Jahren.308
3. Schadensersatzansprüche a) Schadensersatzansprüche des Anfechtungsgegners Einen § 122 BGB entsprechenden Schadensersatzanspruch des Anfechtungsgegners, der auf die Erklärung des Irrenden vertraut hat, gibt es im ABGB nicht. Dies erscheint auf den ersten Blick nachvollziehbar, denn ein Irrtum ist ohnehin nur beachtlich, wenn der Anfechtungsgegner in irgendeiner Hinsicht für diesen verantwortlich ist und damit weniger Schutz verdient. Allerdings setzen zumindest die Varianten des Veranlassens und rechtzeitigen Auffallens in § 871 ABGB kein Verschulden des Vertragspartners voraus, sodass dieser durchaus schutzwürdig sein kann. Es wird daher als unbillig angesehen, dass der Vertragspartner des Irrenden sämtliche negativen Folgen allein und vollständig zu tragen hat, wenn den Irrenden ein Verschulden am eigenen Irrtum trifft.309 Deshalb wird verbreitet ein Anspruch des Anfechtungsgegners gegen den sich Irrenden aus culpa in contrahendo angenommen, falls dieser den Irrtum verschuldet hat bzw. schuldhaft nicht erkannt hat.310 Zu ersetzen sind dann die Nachteile, die 586; 7 Ob 501/86 = SZ 59/126; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 870 Rn. 28; Rummel/ Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 10; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 870 Rn. 7. 304 7 Ob 501/86 = SZ 59/126; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 10. 305 1 Ob 233/70 = JBl 1971, 304, 305; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 870 Rn. 28; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 10. 306 7 Ob 501/86 = SZ 59/126; 6 Ob 600/90 = SZ 64/32; Kletecka/ Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 870 Rn. 28; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 870 Rn. 20. 307 4 Ob 11/13s; 1 Ob 27/97w = SZ 70/96; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 870 Rn. 28; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 10; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 870 Rn. 20; a. A. Gschnitzer in Klang IV/1, S. 114. 308 1 Ob 184/13k; 9 Ob 129/01p; 7 Ob 501/86 = SZ 59/126; Kletecka/Schauer/Pletzer, ABGB‑ON, § 870 Rn. 31; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 870 Rn. 22; Rummel/Lukas/ Rummel, 4. Aufl., § 872 Rn. 9. 309 Vonkilch, JBl 2004, 759, 769; Graf, ecolex 2010, 1131, 1132; Thunhart, ÖJZ 2000, 447, 452 f. 310 KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 871 Rn. 4; P. Bydlinski, ÖBA 2010, 646, 649 f.; Graf,
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der andere durch sein Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags zwischenzeitlich erlitten hat.311 Trifft den Vertragspartner des Irrenden ebenfalls ein Verschulden, kommt es zur Schadensteilung nach § 1304 ABGB.312
b) Schadensersatzansprüche des Getäuschten Dem Getäuschten steht nach § 874 ABGB ein Schadensersatzanspruch gegen den Täuschenden oder Drohenden zu. § 874 ABGB stellt zudem eine der Vorschriften dar, aus denen die Rechtsprechung und Literatur in Österreich im Wege der Gesamtanalogie die dogmatische Grundlage der culpa in contrahendo ableiten.313 Der Anspruch richtet sich grundsätzlich auf das negative Interesse.314 Der Geschädigte ist daher so zu stellen, wie er ohne Täuschung bzw. bei ordnungsgemäßer Aufklärung stünde.315 Ausnahmsweise ist aber auch das positive Interesse zu ersetzen, nämlich dann, wenn bei rechtmäßigem Verhalten ein Vertrag zustande gekommen wäre.316 Die Verpflichtung zum Schadensersatzanspruch besteht nach dem Wortlaut „in jedem Fall“, d. h. auch dann, wenn das betreffende Rechtsgeschäft nicht angefochten wird.317 Typische Schäden, die über § 874 ABGB ersatzfähig sind, sind infolge des fehlerhaften Vertragsschlusses umsonst getätigte Aufwendungen. Über § 874 ABGB kann aber auch die Aufhebung des Vertrags im Wege der Naturalrestitution verlangt werden.318 Der Anspruch verjährt selbstständig nach § 1489 ABGB, bei vorsätzlicher Täuschung regelmäßig in 30 Jahren.319 ecolex 2010, 1131, 1131; Bollenberger in: FS Fenyves, 49, 54 f.; Vonkilch, JBl 2004, 759, 761 ff.; ders., ÖJZ 2010, 579, 589; Kerschner, Irrtumsanfechtung, S. 119; Thunhart, ÖJZ 2000, 447, 453; ebenso in jüngerer Zeit der OGH: 8 Ob 25/10z = ÖBA 2011, 585, 586. 311 Bollenberger in: FS Fenyves, 49, 55; Vonkilch, JBl 2004, 759, 769; Graf, ecolex 2010, 1131, 1132. 312 Vonkilch, JBl 2004, 759, 769; Kerschner, Irrtumsanfechtung, S. 119; Graf, ecolex 2010, 1131, 1133; P. Bydlinski, ÖBA 2010, 646, 650; Wilhelm in: FS Ostheim, 225, 237; Thunhart, ÖJZ 2000, 447, 453. 313 Vgl. dazu sogleich: D. Culpa in contrahendo, S. 271 ff. 314 4 Ob 11/13s; 4 Ob 127/97i = EvBl 1997/186; 6 Ob 600/90 = JBl 1991, 584, 586; 1 Ob 608/79 = JBl 1980, 316, 318; 1 Ob 539/88 = SZ 61/90; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 4; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 874 Rn. 9; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 874 Rn. 4. 315 5 Ob 159/07d = JBl 2008, 249; Schwimann/ Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 874 Rn. 11; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 874 Rn. 4. 316 4 Ob 127/97i = EvBl 1997/186; 1 Ob 539/88 = SZ 61/90; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 4; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 874 Rn. 10; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 874 Rn. 4. 317 8 Ob 514/94; Schwimann/ Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 874 Rn. 2 u. 8; Rummel/Lukas/ Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 5; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 874 Rn. 1; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 74. 318 10 Ob 11/07a; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 874 Rn. 12; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 874 Rn. 5; KBB/Bollenberger, 5. Aufl., § 874 Rn. 4; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 148 f. 319 Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 870 Rn. 6; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 874 Rn. 13.
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Umstritten ist, ob der Anspruch aus § 874 ABGB Vorsatz bezüglich der Täuschung oder Drohung voraussetzt. Der Wortlaut der Vorschrift legt dies nah, da er von List und ungerechter Furcht spricht, die jeweils Vorsatz erfordern.320 Daher wurde teilweise unter Berufung auf einen Umkehrschluss aus § 874 ABGB das Vorsatzerfordernis bejaht.321 Andere wiederum sprechen auch dem fahrlässig Getäuschten einen Schadensersatzanspruch aus § 874 ABGB zu.322 Diese legen überzeugend dar, dass ein Umkehrschluss zu § 874 ABGB zu einem Wertungswiderspruch mit § 875 ABGB führen würde: Denn nach § 875 ABGB hat der Getäuschte schon dann einen Anspruch aus § 874 ABGB, wenn er durch einen Dritten vorsätzlich getäuscht wurde und dem Vertragspartner dies hätte auffallen müssen. Wenn der Vertragspartner aber schon dann haftet, wenn er eine fremde Täuschung fahrlässig nicht erkennt, muss er auch bei einer eigenen fahrlässigen Täuschung haften.323 Auf diese Weise wird § 874 ABGB zur Grundlage der Haftung aus culpa in contrahendo.324
III. Vergleich zu Deutschland und Bewertung Wie eingangs erwähnt, weist das österreichische Irrtumsrecht teils große Unterschiede zum deutschen Pendant auf. Bei den Arten von Irrtümern, die zur Anfechtung berechtigten, sind sich das ABGB und BGB ähnlich, wobei das österreichische Recht grundsätzlich weiter ist. Das österreichische Recht kennt ebenfalls den Erklärungs- und Inhaltsirrtum i. S. v. § 119 Abs. 1 BGB. Die Konstellationen, die in Österreich unter den Geschäftsirrtum fallen, ähneln häufig denen des § 119 Abs. 2 BGB. Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings darin, dass allein ein Irrtum in Österreich noch nicht zur Anfechtung berechtigt, sondern darüber hinaus der Anfechtungsgegner nicht schutzwürdig sein darf, was voraussetzt, dass einer der Fälle des § 871 ABGB vorliegt. Der auffälligste Unterschied bei den Rechtsfolgen besteht darin, dass nach österreichischem Recht die Geltendmachung eines Irrtums nicht zwangsläufig zur Nichtigkeit des Vertrags führt, sondern über § 872 ABGB auch eine Vertragsanpassung möglich ist. Die Rechtsfolgen sind damit deutlich flexibler als im deutschen Recht. Der Grund dafür dürfte nicht zuletzt im in Österreich fehlenden Abstraktionsprinzip liegen, weshalb dort mit der Nichtigkeit als Rechtsfolge der Anfechtung zurückhaltender umgegangen wird als in Deutschland. Auf diese Weise wird im österreichischen Recht häufiger ein Rechtserwerb vom 320
Vgl. oben: I. 2. § 870 ABGB, S. 261 f. Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 874 Rn. 1; Gschnitzer in Klang IV/1, S. 145; so auch noch 5 Ob 8/63 = SZ 36/22. 322 1 Ob 191/75 = SZ 48/102 = JBl 1976, 205; Welser, ÖJZ 1973, 281, 283. 323 1 Ob 191/75 = SZ 48/102; Welser, ÖJZ 1973, 281, 283; ders. Vertretung ohne Vollmacht, S. 62 ff.; ebenso schon Zeiller, Commentar III, S. 38. 324 Vgl. dazu sogleich: D. Culpa in contrahendo, S. 271 ff. 321
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Berechtigten ermöglicht und damit der Rechtsverkehr bei Verfügungsgeschäften geschützt. Aber auch unabhängig davon kann die Lösung des ABGB durchaus überzeugen. Wenn die Parteien nämlich auch ohne den Irrtum den Vertrag, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätten, ist es naheliegend, den Vertrag mit angepasstem Inhalt gelten zu lassen, statt ihn vollständig zu vernichten. Das deutsche Recht mag hier vielleicht mit der vollständigen Nichtigkeit in manchen Fällen etwas zu weit gehen. Die österreichische Lösung enstpricht daher wohl eher der Privatautonomie der Parteien. Was man jedoch beachten muss, ist, dass sie durchaus erhebliche praktische Schwierigkeiten verursacht, da die Feststellung des hypothetischen Willens bei Vertragsschluss nicht ohne Weiteres und teilweise sogar gar nicht möglich ist. Dadurch, dass dann auf den Willen redlich handelnder Personen abgestellt wird, besteht die Gefahr, dass den Parteien ein angepasster Vertrag aufgezwungen wird, den sie so gar nicht wollten. Daneben liegt der andere große Unterschied in der Notwendigkeit der gerichtlichen Geltendmachung des Irrtums in Österreich. Dies macht die Durchsetzung des Anfechtungsrechts aufwendiger und schwieriger. Durch die Möglichkeit, die Anfechtung mit der Klage auf Rückabwicklung zu verbinden und den Umstand, dass die Parteien den Vertrag – natürlich – auch einvernehmlich aufheben können, fällt dieser Unterschied zum deutschen Recht, soweit es zum Leistungsaustausch gekommen ist, tatsächlich aber weniger ins Gewicht als es zunächst den Anschein hat. Einen durchaus erheblichen praktischen Unterschied macht es aber vor dem Leistungsaustausch, da hier dem Irrenden das Prozessrisiko auferlegt wird, was ihn abschrecken kann, sich überhaupt auf den Irrtum zu berufen. Allerdings hat er auch hier die Möglichkeit abzuwarten, ob der Vertragspartner ihn auf Leistung aus dem Vertrag verklagt und kann dann die Anfechtung im Prozess als Einrede erheben. Ein weiterer Unterschied liegt schließlich in der im österreichischen Recht wesentlich längeren Frist zur Geltendmachung der Anfechtung, nämlich drei Jahre im Falle des Irrtums und 30 Jahre im Falle einer Täuschung. Die Frist und damit der Zeitraum, in dem der Irrende schon Kenntnis vom Anfechtungsgrund hat und anfechten kann, ist damit sehr lang und dadurch entsteht eine besonders lange Spanne der Unsicherheit. Indem allerdings die Frist kenntnisunabhängig von den Voraussetzungen des Anfechtungsrechts zu laufen beginnt, kann die maximale Dauer der Möglichkeit zur Geltendmachung auch kürzer als im deutschen Recht sein, wo sie nach § 121 Abs. 2 BGB zehn Jahre beträgt. Erfährt die anfechtungsberechtigte Partei aber kurz nach Vertragsschluss von den Voraussetzungen der Anfechtung, hat sie im Maximalfall eine fast dreijährige Überlegungsfrist. Auch wenn dadurch, dass die Anfechtung der gerichtlichen Geltendmachung bedarf, eine so kurz bemessene Frist wie die des deutschen § 121 BGB für das österreichische Recht zu knapp erscheint, erscheint sie um-
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gekehrt in Österreich als (deutlich) zu lang.325 Dies wird jedoch dadurch abgemildert, dass eine Anfechtung nicht allein schon bei Vorliegen eines Irrtums möglich ist, sondern auch die Verantwortung des Anfechtungsgegners für diesen erforderlich ist. Aus diesem Grund ist er weniger schutzwürdig, was im Ergebnis die längere Frist zumindest teilweise rechtfertigt.
D. Culpa in contrahendo I. Voraussetzungen und Rechtsfolgen Auch das österreichische Recht kennt das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo. Anders als in Deutschland ist aber bislang keine Kodifikation erfolgt, jedoch ist die c. i. c. in Lehre und Rechtsprechung allgemein anerkannt.326 Dabei enthalten einzelne Vorschriften des ABGB Regelungen über vorvertragliche Pflichten, wie insbesondere die §§ 874, 878 S. 3 und 866 ABGB, aus denen mittels einer (Gesamt-)Analogie die c. i. c. dogmatisch abgeleitet wird.327 Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus culpa in contrahendo entsprechen dabei im Prinzip denjenigen im deutschen Recht. So kommt auch in Österreich bereits mit der Kontaktaufnahme zu geschäftlichen Zwecken, unabhängig vom Willen der Parteien, ein Schuldverhältnis zustande, das zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet und vor allem Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten entstehen lässt.328 Soweit schuldhaft gegen eine vorvertragliche Pflicht verstoßen wird, steht dem Geschädigten ein Anspruch auf Schadensersatz zu, wobei das Verschulden vermutet wird, vgl. § 1298 ABGB.329 Dabei ist im Falle der Verpflichtung zum Schadensersatz primär Naturalrestitution zu leisten (vgl. 325 Ebenso Bollenberger in: FS 200 Jahre ABGB, 877, 895 f., der die Frage aufwirft, ob nicht ähnlich wie in Deutschland eine Beschränkung in das ABGB aufgenommen werden sollte. 326 8 Ob 29/94; 1 Obl 191/75 = SZ 48/102; 1 Ob 112/05k; 1 Ob 269/72; 1 Ob 691/84 = SZ 58/69; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 878 Rn. 14; Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II, Rn. 68 ff.; Dullinger, SAT, 1/18; Pletzer, JBl 2002, 545, 545; Rummel/Lukas/ Reischauer, 4. Aufl., Vor §§ 918 ff. Rn. 129 ff.; Schauer in: ABGB 2011, 51, 57 ff., der u. a. für die Aufnahme einer gesetzlichen Regelung entsprechend dem deutschen § 311 Abs. 2 BGB plädiert; Welser, ÖJZ 1973, 281, 281 ff.; grundlegend: Welser, Vertretung ohne Vollmacht, S. 59 ff. 327 Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 878 Rn. 14; Welser, ÖJZ 1973, 281, 282 f. u. 288; Mayrhofer, Schuldrecht AT, S. 225; vgl. auch: 7 Ob 229/08i; 1 Ob 112/05k; 1 Ob 195/00h; 4 Ob 127/97y = SZ 70/108; ausführliche Darstellung und Auseinandersetzung mit der h. M. bei Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., Vor §§ 918 ff. Rn. 129 ff., der die c. i. c. aber deliktisch einordnet (Rn. 141 f.). 328 St. Rspr., vgl. nur 1 Ob 112/05k; 1 Ob 195/00h; 3 Ob 25/03b; 1 Ob 191/75 = SZ 48/102; 4 Ob 127/97y = SZ 70/108; 1 Ob 691/94 = SZ 58/69; 1 Ob 539/88 = SZ 61/90; Welser/ Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II, Rn. 69; Dullinger, SAT, 1/18; Welser, Vertretung ohne Vollmacht, S. 81 ff.; KBB/Karner, 5. Aufl., § 1294 Rn. 5; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., Vor § 918 ff. Rn. 145. 329 3 Ob 25/03b; Mayrhofer, Schuldrecht AT, S. 228; Welser in: FS Wagner, 361, 362.
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Kapitel 3: Rechtsvergleich
§ 1323 ABGB). Soweit Ansprüche aus c. i. c. bestehen, verjähren diese nach § 1489 ABGB in drei Jahren ab Kenntnis vom Schaden und Schädiger.330 Grundsätzlich wird auch in Österreich über die Haftung aus culpa in contrahendo lediglich das negative Interesse ersetzt und das positive nur dann, wenn ansonsten ein entsprechender Vertrag zustande gekommen wäre.331 Ausnahmsweise kann dann aus c. i. c. auch ein Anspruch auf Vertragsänderung bzw. auf Vertragsabschluss bestehen.332 Im Fokus stand dabei lange Zeit der Ersatz von Vermögensschäden, die dem Geschädigten durch die vorvertragliche Pflichtverletzung entstanden waren. Dabei kann auch Ersatz des Differenzschadens verlangt werden, also des Betrags, den der fahrlässig Getäuschte für den Gegenstand im Vergleich zur Situation ohne Täuschung zu viel gezahlt hat.333 Erst in jüngerer Zeit ist die Frage in den Vordergrund gerückt, ob über die c. i. c. im Wege der Naturalrestitution auch die Aufhebung des Vertrags selbst verlangt werden kann. Von der großen Mehrheit in der österreichischen Literatur wird die Möglichkeit einer Vertragsaufhebung als Rechtsfolge befürwortet.334 Voraussetzung ist stets, dass der Vertrag ohne Pflichtverletzung nicht geschlossen worden wäre, d. h. die unterlassene Aufklärung bzw. fehlerhafte Information kausal für den Vertragsschluss war.335 In jüngerer Zeit hat auch der OGH diese Möglichkeit angenommen, insbesondere in Fällen einer fehlerhaften Beratung beim Kauf von Finanzprodukten.336
II. Bedeutung im österreichischen Recht Der Möglichkeit der Vertragsaufhebung im Rahmen der Haftung aus culpa in contrahendo kommt vor allem bei der Verletzung von Aufklärungspflich330 3 Ob 259/05t; 6 Ob 663/94; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 874 Rn. 6; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, 12. Aufl., S. 153 f. 331 Pletzer, JBl 2002, 545, 545; Schwimann/Kodek/Riedler, 4. Aufl., § 878 Rn. 15; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., Vor §§ 918 ff. Rn. 224 u. 228; Welser, ÖJZ 1973, 281, 288; Mayrhofer, Schuldrecht AT, S. 228; 1 Ob 195/00h; 4 Ob 127/97y = SZ 70/108; 1 Ob 539/88 = SZ 61/90. 332 Jaksch-Ratajczak, ÖJZ 2000, 798, 800; Rummel/ Lukas/Reischauer, 4. Aufl., Vor §§ 918 ff. Rn. 244. 333 8 Ob 123/05d = SZ 2006/28; 10 Ob 11/07a; Graf, ÖBA 1997, 428, 435. 334 Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 75; Welser/Zöchling-Jud, Bürgerliches Recht II, Rn. 77; Rummel/Lukas/Rummel, 4. Aufl., § 874 Rn. 5; Pletzer, JBl 2002, 545, 565 f.; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., Vor §§ 918 ff. Rn. 243; Jaksch-Ratajczak, ÖJZ 2000, 798, 799; Graf, ÖBA 1997, 428, 428; ders., ecolex 1991, 591, 596; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, 12. Aufl., S. 153; Wilhelm, ecolex 2009, 929, 934 f.; Schuhmacher, Verbraucherschutz bei Vertragsanbahnung, S. 177 f., Fn. 4; Leupold/Ramharter, ÖJZ 2010, 807, 808 f. 335 Pletzer, JBl 2002, 545, 551; Jaksch-Ratajczak, ÖJZ 2000, 798, 799 f.; Graf, ÖBA 1997, 428, 435. 336 8 Ob 66/14k = SZ 2014/70; 8 Ob 39/12m; 6 Ob 9/11h; 5 Ob 246/10b; 4 Ob 200/10f; 10 Ob 11/07a; der erforderliche Schaden wurde dabei jeweils bereits im Erwerb des unerwünschten Finanzprodukts gesehen und unabhängig von der (künftigen) Wertentwicklung der Anlage bejaht.
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ten Bedeutung zu, womit gleichzeitig eine Konkurrenz zum Irrtumsrecht entsteht. Dabei stellt sich zum einen die Frage, ob einer solchen Vertragsaufhebung neben der Anfechtung überhaupt praktische Bedeutung zukommt, zum anderen, ob die Anfechtungsvorschriften nicht als speziellere Regelungen die Vertragsaufhebung über die Haftung aus culpa in contrahendo ausschließen.
1. Eigenständiger Anwendungsbereich der Vertragsaufhebung über c. i. c. a) Kreis der erfassten Irrtümer Die Vertragsaufhebung mittels c. i. c. spielt im österreichischen Recht keine große Rolle, weil sie die Konstellationen, in denen der fahrlässig Getäuschte sich vom Vertrag lösen kann, im Vergleich zum Anfechtungsrecht kaum oder überhaupt nicht erweitert.337 Dies liegt zum einen daran, dass bereits die schuldlose Veranlassung eines Irrtums nach § 871 Abs. 1 Var. 1 ABGB sowie auch die schuldlose Verletzung von Aufklärungspflichten über § 871 Abs. 2 ABGB zur Anfechtung berechtigen.338 Insofern ist die Möglichkeit der Vertragsaufhebung über § 871 ABGB sogar einfacher, da sie kein Verschulden voraussetzt. Allerdings erfasst § 871 Abs. 1 ABGB nur den Geschäftsirrtum und gerade nicht den bloßen Motivirrtum. Dieser berechtigt nach § 870 ABGB nur bei einer vorsätzlichen Verletzung von Aufklärungspflichten bzw. einer vorsätzlicher Täuschung zur Anfechtung. Insofern könnte die fahrlässige Verursachung von Motivirrtümern einen eigenständigen Anwendungsbereich für die Vertragsaufhebung mittels c. i. c. eröffnen. Dies ist aber nur der Fall, wenn man § 871 Abs. 2 ABGB auf die Verletzung gesetzlich ausdrücklich normierter Aufklärungspflichten beschränkt.339 Fasst man unter § 871 Abs. 2 ABGB nämlich auch die Verletzung von sich aus Treu und Glauben ergebenden vorvertraglichen Aufklärungspflichten, ermöglicht § 871 Abs. 2 ABGB bereits ohne Verschulden die Anfechtungsmöglichkeit auch von Motivirrtümern und der Anwendungsbereich der Vertragsaufhebung würde durch die Haftung aus culpa in contrahendo – bis auf den Fall der aktiven, aber schuldlosen Herbeiführung eines Irrtums – nicht erweitert. Ob der Vertragsaufhebung aus c. i. c. bezüglich der zur Vertragsaufhebung berechtigenden Fälle neben dem Anfechtungsrecht überhaupt ein eigener Anwendungsbereich zukommt, hängt deshalb entscheidend davon ab, ob man unter § 871 Abs. 2 ABGB nur positiv gesetzlich geregelte Aufklärungspflichten fasst oder auch vorvertragliche Aufklärungspflichten. 337 Ebenso Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 74; Pletzer, JBl 2002, 545, 558; Graf, ecolex 1991, 591, 596; Leipold/Ramharter, ÖJZ 2010, 807, 808. 338 Vgl. oben: C. I. 1. § 871 ABGB, S. 258 ff. 339 Vgl. dazu bereits oben: C. I. 1. b) Zurechnung gegenüber dem Anfechtungsgegner, S. 259 ff.; zu dieser Frage speziell im Zusammenhang mit der Vertragsaufhebung mittels c. i. c. zudem: Pletzer, JBl 2002, 545, 559 f.
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b) Unterschiedliche Verjährung Unabhängig von der Frage der Erweiterung der zur Vertragsaufhebung berechtigenden Irrtümer gewinnt die Vertragsaufhebung über culpa in contrahendo eine eigenständige Bedeutung aufgrund der im Vergleich zur Anfechtung unterschiedlichen Verjährung. Die Dauer der Verjährungsfristen beträgt zwar jeweils drei Jahre. Die Verjährung beginnt aber im Fall der Anfechtung nach § 1487 ABGB kenntnisunabhängig mit Vertragsschluss, während bei der fahrlässigen Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht die Frist nach § 1489 ABGB erst mit Kenntnis vom Schaden und Schädiger zu laufen beginnt. Insofern kann eine Vertragsaufhebung über die c. i. c. auch dann noch verlangt werden, wenn das Anfechtungsrecht bereits verjährt ist.340
2. Zulässigkeit der Vertragsaufhebung neben der Anfechtung Die potentielle Erweiterung der Möglichkeit zur Vertragsaufhebung (bei enger Auslegung von § 871 Abs. 2 ABGB) und die unterschiedlichen Verjährungsvorschriften werfen die Frage auf, ob die Aufhebung des Vertrags im Wege der Naturalrestitution neben der Anfechtung zulässig ist oder aufgrund des Vorrangs der §§ 870 ff. ABGB gesperrt ist.341 Der OGH hat eine Aufhebung des Vertrags wegen culpa in contrahendo teilweise verneint, weil ansonsten die Voraussetzungen der Anfechtung umgangen zu werden drohen.342 Die große Mehrheit in der Literatur lässt eine Vertragsaufhebung über culpa in contrahendo allerdings parallel zur Irrtumsanfechtung zu, da bei der c. i. c. der Irrtum schuldhaft herbeigeführt werden müsse und der Schuldner deswegen weniger schutzwürdig sei.343 Von daher sei es gerechtfertigt, im Fall der schuldhaften Verursachung eines Irrtums die Vertragsaufhebung über die engen Grenzen von § 871 Abs. 1 ABGB hinaus zuzulassen.344 In Bezug auf das Erfordernis der Arglist in § 870 ABGB gilt dies zwar nicht, weil die Aufhebung im Rahmen der c. i. c. nur Fahrlässigkeit und keinen Vorsatz erfordert und somit an geringere Voraussetzungen als die Anfechtung nach § 870 ABGB anknüpft.345 Dennoch wird die Vertragsaufhebung mittels c. i. c. neben § 870 ABGB für zulässig gehalten, weil die Haftung aus culpa in contrahendo zum einen den Nachweis eines Schadens erfordere, zum anderen die Anfechtung wegen Täuschung erst 340 Zu Recht: Pletzer, JBl 2002, 545, 558; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 75; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., Vor §§ 918 ff. Rn. 236; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I, 12. Aufl., S. 153 f.; so auch der OGH: 3 Ob 259/05t. 341 Vgl. dazu insb. Darstellung bei Pletzer, JBl 2002, 545, 551 ff. 342 2 Ob 598/94 = HS 26.382; die Ausführungen sind allerdings denkbar knapp gehalten. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Problematik erfolgt nicht. 343 Vgl. Nachweise in Kapitel 3 Fn. 334. 344 Schuhmacher, Verbraucherschutz bei Vertragsanbahnung, S. 177 f. Fn. 4; Pletzer, JBl 2002, 545, 557. 345 So richtig: Pletzer, JBl 2002, 545, 557.
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in 30 Jahren nach Vertragsschluss verjähre, wodurch der Geschädigte im Rahmen der c. i. c. – gewissermaßen als Ausgleich für das geringere Verschulden des Schädigers – weniger Zeit (drei Jahre nach § 1489 ABGB) zur Vertragsaufhebung besitzt.346 Wie in Deutschland wird zudem ganz allgemein darauf abgestellt, dass die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nach c. i. c. andere sind als für die Irrtumsanfechtung.347 Schließlich verbleibe der Irrtumsanfechtung ein eigenständiger Bereich, insbesondere bei der Veranlassung durch schuldloses aktives Tun.348 Mittlerweile lässt auch der OGH eine Vertragsaufhebung wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht im Wege der Naturalrestitution gemäß § 1323 ABGB zu.349 Im Rahmen der culpa in contrahendo können die mangelhaft aufgeklärten Kunden im Wege des Schadensersatzanspruchs einerseits die Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangen. Alternativ können sie auch den Differenzschaden geltend machen, bei Kaufverträgen über Wertpapiere allerdings nur nach deren vorherigen Verkauf, da aufgrund der für diese charakteristischen Wertschwankungen eine Schadensberechnung davor nicht möglich sei.350 Insgesamt scheint damit die Vertragsauflösung mittels culpa in contrahendo neben der Anfechtung mittlerweile auch in der österreichischen Praxis anerkannt.
III. Vergleich zu Deutschland und Bewertung Die culpa in contrahendo in Österreich entspricht in Tatbestand und Rechtsfolge grundsätzlich der Rechtslage in Deutschland. Jeweils ist der Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde, was bei der Verletzung von Aufklärungspflichten regelmäßig auf den Ersatz des negativen Interesses hinausläuft. Bezüglich der Voraussetzung, dass der Vertrag bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zustande gekommen wäre, werden weder in der österreichischen Rechtsprechung noch Literatur zugunsten des Geschädigten Beweiserleichterungen diskutiert, wie sie in Deutschland mit der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens existieren351. In beiden Rechtsordnungen kann aber auch der Ersatz des Erfüllungsinteresses verlangt werden, sofern der Nachweis gelingt, dass ein entsprechender Vertrag auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung geschlossen worden 346 Pletzer, JBl 2002, 545, 557 f.; Rummel/ Lukas/Reischauer, 4. Aufl., Vor §§ 918 ff. Rn. 239; allerdings muss man sehen, dass nach § 1489 ABGB dem Geschädigten drei Jahre nach Kenntnis vom Schaden und Schädiger bleiben, um über die Haftung aus c. i. c. die Vertragsaufhebung zu verlangen, sodass er praktisch kaum auf die 30-jährige Anfechtungsfrist angewiesen ist. 347 3 Ob 259/05t; Rummel/Lukas/Reischauer, 4. Aufl., Vor §§ 918 ff. Rn. 238. 348 Zu Recht: Graf, ecolex 1991, 591, 596; zwar erfordert auch das Veranlassen durch Unterlassen nach § 871 Abs. 1 Var. 1 ABGB kein Verschulden. Die Verletzung einer Aufklärungspflicht wird aber praktisch immer fahrlässig sein, wie Graf zu Recht ebenfalls annimmt. 349 Vgl. Nachweise in Kapitel 3 Fn. 336. 350 4 Ob 28/10m; 10 Ob 11/07a; 8 Ob 123/05d = SZ 2006/28. 351 Vgl. dazu oben: § 8 C. II. 1. b) Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, S. 147 ff.
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wäre. Dieser dem Geschädigten obliegende Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität gestaltet sich praktisch allerdings äußerst schwierig und wird wohl nur in Ausnahmefällen gelingen. Wie in Deutschland kann aber auch in Österreich der Geschädigte den Differenzschaden geltend machen. Soweit es um in Geld zu leistenden Schadensersatz geht, kommt der Haftung aus culpa in contrahendo in beiden Rechtsordnungen eine ähnliche praktische Bedeutung zu. Anders ist dies in Bezug auf die Vertragsaufhebung, die in beiden Rechtsordnungen ebenfalls über die Haftung aus culpa in contrahendo verlangt werden kann. Während im deutschen Recht die Vertragsaufhebung mittels c. i. c. die Möglichkeiten zur Lösung vom Vertrag im Verhältnis zur Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB stark erweitert, ist dies in Österreich hingegen kaum der Fall. Dies liegt an der unterschiedlichen Konzeption der Beachtlichkeit von Willensmängeln in Deutschland und Österreich. Da nach österreichischem Recht Irrtümer grundsätzlich nur dann beachtlich sind, wenn sie dem Vertragspartner im weitesten Sinne zugerechnet werden können, insbesondere wenn dieser den Irrtum veranlasst hat, kann der betroffene Vertrag regelmäßig bereits durch eine Anfechtung beseitigt werden.
E. Fazit zum österreichischen Recht Das österreichische Recht zeigt sich auf der Rechtsfolgenseite deutlich flexibler als das deutsche Recht. Die Anordnung der absoluten (Gesamt-)Nichtigkeit als Rechtsfolge wird wesentlich restriktiver gehandhabt. Dies liegt sicherlich auch am im österreichischen Recht fehlenden Abstraktionsprinzip. Es wäre jedoch verkürzt, darin die Hauptursache zu sehen. Insgesamt ist das österreichische Recht bei der Wahl der konkreten Rechtsfolge bestrebt, den Schutzzweck der jeweiligen Norm und den Parteiwillen in den Vordergrund zu stellen. Dies betrifft nicht nur den Umgang mit verbots- und sittenwidrigen Verträgen, sondern zeigt sich auch im Recht der Willensmängel. So wird in Österreich ein irrtumsbedingt geschlossener Vertrag angepasst, wenn der Vertrag auch ohne Irrtum, nur mit anderen Bedingungen, zustande gekommen wäre, statt ihn komplett zu vernichten, wie es das deutsche Recht mit § 142 Abs. 1 BGB tut. Nur wenn der Vertrag ohne Irrtum überhaupt nicht zustande gekommen wäre, führt die Anfechtung zur Nichtigkeit. Genauso soll die Nichtigkeit in Fällen der Verbotsund Sittenwidrigkeit nicht weiter gehen, als es das Verbot unbedingt erfordert. Der Grundsatz lautet hier Teilnichtigkeit, im Gegensatz zu Deutschland, wo nach § 139 BGB im Zweifel die Gesamtnichtigkeit eintritt. Damit legt das österreichische Recht den Fokus mehr auf die Interessen der beteiligten Personen als auf die vermeintlichen Interessen der Rechtsordnung insgesamt. Besonders deutlich wird dies anhand der relativen Nichtigkeit, die es bei Verboten, die nur zum Schutz einer Person bestehen, nur dieser erlauben, die Nichtigkeit geltend zu machen und das Rechtsgeschäft wirksam ist, wenn sie dies nicht tut.
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Was konkret den Umgang mit äquivalenzgestörten Verträgen angeht, enthält das ABGB mit § 934 und § 879 Abs. 2 Z. 4 zwei Vorschriften, die jeweils nicht die Nichtigkeit ipso iure anordnen. In Österreich herrscht anders als in Deutschland die Auffassung vor, dass der beste Weg zur Behebung von anfänglichen Äquivalenzstörungen in der Anpassung des Vertrags besteht, auch wenn diese für den Fall des Wuchers aufgrund von § 7 Abs. 1 WucherG mit Ausnahme des Kreditwuchers (§ 7 Abs. 2 WucherG) noch keinen Eingang in die Praxis gefunden hat. Dabei wird die Anpassung beim Wucher vor allem mit Schutzzweckerwägungen zugunsten des Bewucherten gerechtfertigt. Wenig überzeugend ist allerdings die in Österreich stets (noch) erforderliche gerichtliche Geltendmachung sowohl von Willensmängeln als auch der relativen Nichtigkeit und der laesio enormis. Hier erscheint das deutsche Recht mit der Ausformung des Anfechtungsrechts bei Willensmängeln als Gestaltungsrecht überlegen.352 Jedoch gibt es in der österreichischen Literatur eine starke Strömung, die für die Möglichkeit einer außergerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung plädiert,353 sodass unter Umständen in Zukunft eine Änderung der Rechtsprechung erfolgen könnte.
§ 12 PECL/DCFR/CESL Mit dem fortschreitenden Zusammenwachsen Europas begannen gegen Ende des 20. Jahrhunderts auch erste Projekte zur Vereinheitlichung des europäischen Privatrechts. Den Auftakt machte dabei die 1982 beginnende Arbeit an den Principles of European Contract Law (PECL) unter der sogenannten Lando-Kommission, benannt nach ihrem dänischen Vorsitzenden Ole Lando. Erstmals veröffentlicht wurden sie 1995 mit Teil I, 1999 folgte Teil II und 2003 schließlich Teil III. Wie ihr Name bereits zeigt, beschränken sich die PECL auf Regelungen zum Vertragsrecht. Die PECL stellten die Basis für den Draft Common Frame of Reference (DCFR) dar, dessen Ausgangspunkt 2003 der Action Plan On a More Coherent European Contract Law der Europäischen Kommission bildete354. Er wurde 2009 in seiner überarbeiteten Fassung vorgestellt. Der DCFR geht über den Inhalt der PECL hinaus und enthält zusätzlich Regelungen zu gesetzlichen Schuldverhältnissen, d. h. insbesondere der Geschäftsführung ohne Auftrag, der außervertraglichen Haftung sowie zum Bereicherungsrecht. Schließlich enthält der DCFR auch Regelungen zum Sachenrecht inklusive des Rechts dinglicher Sicherheiten, jedoch jeweils beschränkt auf bewegliche Sachen. Ausdrücklich ausgenommen sind das Familien- und Erbrecht 352 Vgl.
zur Frage der Vorzugswürdigkeit von Gestaltungsklage oder Gestaltungsrecht insb. unten: § 13 E. I. Gestaltungsrecht oder Gestaltungsklage, S. 345ff. 353 Vgl. Nachweise in Kapitel 3 Fn. 269. 354 COM/2003/68/FINAL.
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sowie das Grundstücksrecht (vgl. Art. I.-1:01 Abs. 2 DCFR). Jüngste Evolutionsstufe dieser Entwicklung ist das Common European Sales Law (CESL). Dabei handelt es sich auch um das erste Werk, das im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens der Europäischen Union erlassen werden soll. Bisher existiert jedoch nur ein Verordnungsvorschlag der Kommission aus dem Jahr 2011.355 Geplant ist das CESL als optionales Instrument, das die Parteien bei grenzüberschreitenden Kaufverträgen mittels einer „opt-in“-Lösung nach Art. 3 CESL wählen können. Auch wenn der Anwendungsbereich des CESL sich gemäß Art. 1 auf den Kauf von Waren, womit nur bewegliche Gegenstände gemeint sind (Art. 2 (h) CESL), beschränkt356 und damit gerade nicht Grundstücke erfasst, werden die entsprechenden Vorschriften des CESL dennoch hier erörtert. Bei den Vorschriften, die im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung sind (dies sind insb. Art. 51 CESL und die Regelungen über Irrtümer), handelt es sich nämlich nicht um spezifisch kaufrechtliche Regelungen, die allein bewegliche Sachen betreffen, sondern um solche, die grundsätzlich auf alle Willenserklärungen (zumindest im Vertragsrecht) angewendet werden können. Besonders die PECL und in der Folge der aus diesen hervorgegangene DCFR sind das Ergebnis umfangreicher rechtsvergleichender Arbeiten und daher von besonderem Interesse. Sie bilden wiederum die Grundlage des Kommissionsentwurfs für das CESL, das aufgrund dessen, dass es den vorläufig letzten Entwicklungsschritt in der europäischen Rechtsvereinheitlichung auf diesem Gebiet darstellt, Beachtung verdient. Nicht unmittelbar erörtert werden im Folgenden die Unidroit-Grundregeln (PICC), die mit den PECL (und damit auch DCFR und CESL) insgesamt und gerade auch hinsichtlich der hier behandelten Regelungen zum großen Teil übereinstimmen,357 sodass die sich auf die PICC beziehenden Materialien und Literatur auch zur Auslegung von PECL, DCFR und CESL herangezogen werden können, wie es allgemein üblich ist. Während das CESL als tatsächlich anwendbares Recht konzipiert wurde, ist die Frage nach der genauen Rolle bzw. Funktion von PECL und DCFR schwieriger zu beantworten.358 Auch wenn beide äußerlich die Form eines Gesetzbuches aufweisen, wurden sie nicht mit dem Ziel entworfen, selbst unmittelbar rechtliche Geltung zu erlangen. Als „Grundregeln“359 dienen die PECL ver355 Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011: 0635:FIN:DE:PDF (zuletzt aufgerufen am 01.04.2020). 356 Neben Waren erfasst das CESL noch die Erbringung digitaler Inhalte und die Erbringung verbundener Dienstleistungen, d. h. solche im Zusammenhang mit Waren oder digitalen Dienstleistungen, vgl. Art. 2 (l) CESL. 357 Vgl. etwa Zimmermann, ZEuP 2005, 264, 266 ff.; Huber, Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung, S. 167; Kramer, ZEuP 1999, 209, 215 ff. 358 Vgl. ausführlicher zum Zweck und der Verwendbarkeit des DCFR: Jansen/Zimmermann, NJW 2009, 3401; Schulte-Nölke, NJW 2009, 2162. 359 So der offizielle Begriff der deutschen Fassung der PECL: „Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts“, vgl. v. Bar/Zimmermann, PECL, S. XXVIII.
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schiedenen Zwecken. So sind sie ausweislich ihrer Einführung unter anderem dazu gedacht, eine Grundlage für eine europäische Gesetzgebung auf EU‑Ebene zu schaffen und weitestgehend sogar eine Grundlage für eine Harmonisierung im Sinne eines europäischen Vertragsgesetzbuchs.360 Sie richten sich aber ebenso an nationale Gesetzgeber, die bei einer Reform des Vertragsrechts auf die PECL zurückgreifen können sollen, und sollen schließlich auch den Gerichten bei der Weiterentwicklung des Rechts dienlich sein.361 Der DCFR dient letztlich ähnlichen Zwecken wie bereits die PECL, d. h. insbesondere als mögliche Grundlage für gesetzgeberische Tätigkeiten, speziell auf EU- aber auch auf nationaler Ebene.362 Gleichzeitig versteht er sich als primär wissenschaftlicher Text, der als Ergebnis eines umfangreichen Rechtsvergleichs bereits dadurch von Bedeutung ist.363 Wie schon zum österreichischen Recht wird neben den Vorschriften, die Äquivalenzstörungen als Tatbestandsmerkmal enthalten, auch auf das Irrtumsrecht sowie die Haftung wegen vorvertraglicher Pflichtverletzungen eingegangen. Außerdem wird zu Beginn ein Blick auf die Rechtsfolgen von Verträgen geworfen, die einen im weiteren Sinne verbotenen Inhalt haben. Sofern die Regelungen des CESL, DCFR und der PECL sich decken, erfolgt die Erläuterung primär anhand der Vorschrift im CESL, da es sich um das jüngste Werk handelt. Gleiches gilt für das Verhältnis von DCFR zu den PECL. Soweit sich Unterschiede zwischen den Regelungen ergeben, wird auf diese hingewiesen und es erfolgt unter Umständen eine gesonderte Darstellung.
A. Contracts infringing fundamental principles/mandatory rules Der DCFR und die PECL enthalten jeweils zwei Vorschriften über verbotswidrige Rechtsgeschäfte. Nach Art. II.-7:301 DCFR sind Verträge nichtig, die fundamentale Prinzipien des mitgliedschaftlichen Rechts verletzen. Diese Vorschrift baut auf Art. 15:101 PECL auf, entspricht diesem jedoch nicht eins zu eins. Zudem enthält Art. II.-7:302 DCFR eine Regelung über den Verstoß gegen zwingendes Recht, der wiederum auf Art. 15:102 PECL basiert. Der Verstoß gegen zwingendes Recht nach Art. II.-7:302 DCFR ist ausweislich seines Wortlauts subsidiär zu Art. II.-7:301 DCFR. Das CESL enthält keine entsprechenden Vorschriften. Nach Erwägungsgrund 27 des CESL bestimmt sich die Frage der Rechts- oder Sittenwidrigkeit eines Vertrags nach den Bestimmungen des auf den Vertrag anwendbaren nationalen Rechts. 360 361
197 f.
v. Bar/Zimmermann, PECL, S. XXV f. v. Bar/Zimmermann, PECL, S. XXVI f.; Jansen/Zimmermann, AcP 210 (2010), 196,
362 v. Bar/Clive, DCFR Outline Ed., S. 7 f.; Schulte-Nölke, NJW 2009, 2162, 2165; Jansen/Zimmermann, NJW 2009, 3401, 3406. 363 v. Bar/Clive, DCFR Outline Ed., S. 7; Schulte-Nölke, NJW 2009, 2162, 2164.
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Kapitel 3: Rechtsvergleich
I. Tatbestand 1. Art. II.-7:301 DCFR (Art. 15:101 PECL) Art. II.-7:301 DCFR (Art. 15:101 PECL) setzt auf Tatbestandsseite einen Verstoß gegen fundamentale Prinzipien (fundamental principles) der mitgliedschaftlichen Rechtsordnungen voraus. Die Vorschrift wird als eine Version des Verbots sittenwidriger Rechtsgeschäfte angesehen, die statt des wertenden Begriffs der guten Sitten auf den neutralen Begriff der „Prinzipien“ zurückgreift.364 Tatsächlich sollen damit, wie sich aus den Comments ergibt, die verschiedenen nationalen Konzepte von Sittenwidrigkeit erfasst werden und dazu ein möglichst neutraler Begriff verwendet werden.365 Als Beispiele, woraus sich solche Prinzipien ableiten lassen, werden in den Comments die Grundfreiheiten, die EMRK und die Grundrechtecharta genannt.366 Zudem werden auch in den nationalen Rechtsordnungen als wesentlich anerkannte Grundsätze erfasst, wobei es nicht ausreichen soll, dass es sich um „rein nationale Rechtsauffassungen“ handelt.367 Damit scheint ein wesentlicher Grundsatz ausgeschlossen, der nur in einem oder sehr wenigen Mitgliedsstaaten als solcher anerkannt ist. Dies wäre auch nicht wünschenswert, da es die Inhaltskontrolle drastisch ausweiten würde.368 Offen bleibt danach, ob ein Grundsatz nur dann wesentlich ist, wenn er in allen nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten wesentlich ist oder ob dazu eine – wie auch immer geartete – Mehrheit genügt. Als Beispiel für den Verstoß gegen fundamentale Prinzipien werden in den Comments (überraschend konkret) eine übermäßig lange zeitliche Bindung oder (wiederum sehr allgemein) der Verstoß gegen allgemein anerkannte Normen des Familienlebens genannt.369 Trotz dieser Beispiele besteht auf Tatbestandsseite eine nicht unerhebliche Unklarheit.370
364
Riesenhuber, Inhaltskontrolle im DCFR, 49, 58. v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:301, Cmts. B, S. 536; vgl. zudem die Notes zu Art. II.-7:301 DCFR, die die verschiedenen nationalen Konzepte zur Sittenwidrigkeit aufzählen, v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:301, Notes, S. 537 f.; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 15:101, Cmt. B., S. 797. 366 v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:301, Cmts. B, S. 536; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 15:101, Cmt. B., S. 797. 367 v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:301, Cmts. B, S. 536; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 15:101, Cmt. B., S. 798. 368 In Bezug auf den Befund ebenso, aber ohne Wertung: Eidenmüller, Privatautonomie, Verteilungsgerechtigkeit und das Recht des Vertragsschlusses im DCFR, 73, 81 Fn. 10; Riesenhuber, Inhaltskontrolle im DCFR, 49, 61. 369 v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:301, Cmts. B, S. 536; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 15:101, Cmt. B., S. 798. 370 Vgl. etwa Riesenhuber, Inhaltskontrolle im DCFR, 49, 59: „Der Begriff der ‚fundamentalen Prinzipien‘ erweckt daher auch in seiner Allgemeinheit und Unbestimmheit Unbehagen.“ 365 Vgl.
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2. Art. II.-7:302 DCFR (Art. 15:102 PECL) Art. II.-7:302 DCFR entspricht im Wesentlichen Art. 15:102 PECL und setzt den Verstoß gegen eine zwingende Vorschrift (mandatory rule of law) voraus. Anders als der vorangegangene Artikel will Art. II.-7:302 DCFR (Art. 15:102 PECL) den Verstoß gegen gesetzlich festgeschriebene Verbote sanktionieren, wie sich nicht zuletzt aus dem Hinweis in den Notes auf § 134 BGB oder § 879 ABGB ergibt371. Mangels weiterer Präzisierung ist allerdings nicht klar, woraus sich die Verbote, die Art. II.-7:302 DCFR (Art. 15:102 PECL) erfassen möchte, ergeben können bzw. müssen. Als Quelle kommen die Vorschriften des DCFR selbst, des EU‑Rechts oder auch des Rechts der nationalen Mitgliedsstaaten in Betracht.372 Teilweise wird die Vorschrift im letztgenannten Sinne verstanden.373 Andere sehen dies skeptisch, weil sich die „fundamentalen Prinzipien“ des Art. II.-7:301 DCFR gerade nicht auf rein nationales Recht beziehen sollen und dies aufgrund der Ähnlichkeit beider Vorschriften dann auch für Art. II.7:302 DCFR (Art. 15:102 PECL) gelten müsse.374 Blickt man auf die in den Comments zu Art. II.-7:302 DCFR (Art. 15:102 PECL) genannten Beispiele, spricht dies allerdings eher für die Einbeziehung auch nationaler Normen. So wird als Beispiel eine Vereinbarung über den Verstoß gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung genannt, die sich aber jeweils aus rein nationalem Recht ergeben.375 Es wäre jedoch widersprüchlich, in einem Beispiel auf den Verstoß gegen eine nationale Vorschrift zurückzugreifen, wenn diese vom Anwendungsbereich ausgenommen sein sollten. Auch rechtspolitisch ergibt es durchaus Sinn, in Art. II.-7:302 DCFR (Art. 15:102 PECL) auch nationale Normen miteinzubeziehen, denn der Eintritt der Rechtsfolge sollte nicht davon abhängen, wer das entsprechende Verbot erlassen hat (EU‑Gesetzgeber oder nationaler Gesetzgeber), sondern inwiefern die Voraussetzungen von Art. II.-7:302 DCFR (Art. 15:102 PECL) erfüllt sind.
II. Rechtsfolgen 1. Art. II.-7:301 DCFR (Art. 15:101 PECL) Während Art. 15:101 PECL noch als einzige Rechtsfolge die (Gesamt-)Nichtigkeit des Vertrags ohne eine Einschränkung vorsah, kann die Rechtsfolge nach Art. II.-7:301 DCFR auch in einer bloßen Teilnichtigkeit bestehen. Nach Art. II.-7:301 (b) DCFR reicht die Nichtigkeit nämlich nur so weit, wie sie er371 v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:302, Notes 3., S. 544; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 15:101, Notes 2., S. 807. 372 So Riesenhuber, Inhaltskontrolle im DCFR, 49, 62. 373 Ernst, AcP 208 (2008), 248, 270. 374 Riesenhuber, Inhaltskontrolle im DCFR, 49, 62. 375 v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:302, Cmts. C, S. 540; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 15:101, Cmt. C, S. 802.
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forderlich ist, um dem verletzten Prinzip zur Wirksamkeit zu verhelfen. Häufig wird es aber Fälle geben, in denen schon eine Teilnichtigkeit bzw. Reduktion ausreicht, um das betroffene Prinzip durchzusetzen, sodass dann von einer Gesamtnichtigkeit abzusehen ist. Dabei stellt sich die Frage, ob der entsprechende Passus „nullity is required to give effect to that principle“ eng auszulegen ist, d. h. bezogen auf die Durchsetzung des Prinzips im Einzelfall, oder eher weit, bezogen auf eine möglichst effektive Durchsetzung des betroffenen Prinzips im Allgemeinen, losgelöst vom Einzelfall. Dies ist insbesondere für die Frage relevant, ob präventive Erwägungen bei der Bestimmung der Rechtsfolge herangezogen werden dürfen. Blickt man auf den Wortlaut, scheint dieser zunächst eher eine enge Auslegung nahezulegen. Andererseits ist er noch derart offen formuliert, dass er eine Auslegung dahingehend ermöglicht, dass „[…] required to give effect to that principle“ auch so zu verstehen ist, dass damit nicht die Durchsetzung im Einzelfall gemeint ist, sondern eine möglichst effektive Durchsetzung im Gesamten. Letzteres würde die Einbeziehung präventiver Erwägungen ermöglichen, ersteres hingegen nicht, denn eine auf den Einzelfall bezogene Prävention ist nach Eintritt des Verstoßes nicht mehr möglich. Letztendlich sollte von einer weiten Auslegung ausgegangen werden, um bei der Bestimmung der Reichweite der Nichtigkeit auch präventive Erwägungen einfließen lassen zu können. Je nach Art und Schwere des Verstoßes und der Bedeutung des Prinzips kann unter Berücksichtigung präventiver Erwägungen dann auch die Gesamtnichtigkeit als Rechtsfolge eintreten, selbst wenn das jeweilige Prinzip im Einzelfall unter Umständen durch eine Teilnichtigkeit ebenfalls hätte durchgesetzt werden können. Beschränkt sich die Nichtigkeit bloß auf einen Teil des Vertrags, kann der restliche Vertrag unter Umständen nach Art. 15:103 PECL wirksam bleiben, soweit eine Aufrechterhaltung nicht unangemessen wäre. Diese Regelung stellt ausweislich der Notes eine Entsprechung zu § 139 BGB dar,376 kehrt diesen jedoch um, indem im Zweifel die Aufrechterhaltung des Vertrags angeordnet wird. Es entspreche nämlich dem Ziel der PECL, „die Auswirkungen von Rechtswidrigkeit und Unmoral auf Rechtsgeschäfte möglichst gering zu halten“377. Im DCFR fehlt eine entsprechende Regelung. Sie ist auch nicht notwendig, weil die Nichtigkeit auch im Falle des Verstoßes gegen fundamentale Prinzipien nur soweit reicht, wie zur Durchsetzung des Prinzips erforderlich.
2. Art. II.-7:302 DCFR (Art. 15:102 PECL) Für die Rechtsfolgen von Art. II.-7:302 DCFR (Art. 15:102 PECL) ist zunächst entscheidend, ob die zwingende Vorschrift selbst ausdrücklich eine Rechtsfolge 376 377
v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 15:103, Notes, S. 809 f. v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 15:103, Cmt., S. 809.
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für einen Verstoß vorsieht, denn dann ist diese maßgeblich, vgl. Art. II.-7:302 Abs. 1 DCFR (Art. 15:102 Abs. 1 PECL). Ist dies nicht der Fall, kommen verschiedene Rechtsfolgen in Betracht, über die das Gericht gemäß Art. II.-7:302 Abs. 2 DCFR (Art. 15:102 Abs. 2 PECL) nach eigenem Ermessen entscheidet („a court may“). Dabei kann es den Vertrag trotz Verstoßes für wirksam erklären (Abs. 2 lit. a), den Vertrag rückwirkend für nichtig erklären und zwar sowohl vollständig als auch nur teilweise (Abs. 2 lit b) und schließlich den Vertrag anpassen (Abs. 2 lit. c). Art. II.-7:302 Abs. 3 DCFR (Art. 15:102 Abs. 3 PECL) enthält Kriterien, die das Gericht bei seiner Entscheidung über die konkrete Rechtsfolge im Einzelfall zu berücksichtigen hat, die jedoch nicht abschließend sind („including“).378 Danach sind zu berücksichtigen: der Zweck der verletzen Vorschrift, die „Kategorie“ der Person, die durch die Vorschrift geschützt wird, jede (andere) Sanktion, die aufgrund der Verletzung der Norm ergriffen werden kann, die Schwere der Verletzung und Art des Verschuldens und die Nähe zwischen der Verletzung und dem Vertrag. Zudem soll die Entscheidung des Gerichts in Bezug auf den Verstoß angemessen und verhältnismäßig sein („an appropriate and proportional response“). Dem Gericht wird damit ein ganz erheblicher Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung der Rechtsfolge im Einzelfall eingeräumt. Da der Anwendungsbereich der Vorschrift, wenn man unter den Begriff der zwingenden Vorschriften auch rein nationales Recht fasst, allerdings extrem weit ist, ist es nachvollziehbar, dem Gericht im Umgang mit dem Vertrag vielfältige Reaktionsmöglichkeiten an die Hand zu geben. Wie im deutschen Recht wird nämlich häufig der Verstoß gegen zwingende Vorschriften für die Wirksamkeit des zivilrechtlichen Vertrags keine oder nur geringe Bedeutung haben, sodass das Gericht dann trotz Verstoßes die Wirksamkeit des Vertrags bestimmen kann (man denke in Deutschland nur an Verstöße gegen das Ladenschlussgesetz379). Die Möglichkeit des Gerichts, den Vertrag nicht nur teilweise für nichtig zu erklären, sondern auch anzupassen, ermöglicht gegenüber der Teilnichtigkeit zudem Vorteile, weil so auch positive Änderungen des Vertrags ermöglicht werden. Das Gericht wird damit in die Lage versetzt, das Rechtsgeschäft nicht nur (teilweise) zu vernichten, sondern auch umzugestalten.
3. Schadensersatzanspruch, Art. II.-7:304 DCFR (Art. 15:105 PECL) Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass Art. II.-7:304 DCFR (Art. 15:105 PECL) einen Schadensersatzanspruch normiert, wonach die Par378 Vgl. auch v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:302, Cmts. E, S. 541: „The list is not exclusive“; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 15:101, Cmt. E., S. 803. 379 Hier besteht Einigkeit, dass diese kein Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB darstellen bzw. ein Verstoß nicht zur Nichtigkeit führt, vgl. nur: MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 134 Rn. 62; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 134 Rn. 9; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 26 Rn. 5.
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tei, die den Verstoß weder kannte noch kennen musste, vom Vertragspartner Ersatz für infolge der (Teil-)Nichtigkeit erlittene Schäden verlangen kann, wenn dieser vom Verstoß wusste oder wissen musste. Dabei soll der Anspruch nur auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtet sein, sodass der Gläubiger so zu stellen ist, als sei der betreffende Vertrag nie geschlossen worden.380 Der Ersatz auch des positiven Interesses kann nicht verlangt werden, da dies der Nichtigkeit des Vertrags zuwiderlaufen würde.381 Während sich diese Auslegung bei Art. II.-7:304 DCFR nur unter Heranziehung der Comments ergibt, enthält Art. 15:105 PECL diese Einschränkung noch ausdrücklich im Wortlaut („[…] into the same position as if the contract had not been concluded“).
III. Vergleich zur Rechtslage in Deutschland und Bewertung Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Vorschriften des DCFR und der PECL relativ stark vom deutschen Recht. Das gilt für Art. II.-7:301 DCFR (Art. 15:101 PECL) im Verhältnis zu § 138 BGB mit Blick auf die mögliche und vorrangige Teilnichtigkeit sittenwidriger Verträge, vor allem aber für Art. II.7:302 DCFR im Verhältnis zu § 134 BGB, denn Art. II.-7:302 DCFR scheint auf Rechtsfolgenseite wesentlich flexibler. Die vom DCFR in Art. II.-7:302 Abs. 3 zur Bestimmung der Rechtsfolgen genannten Kriterien ähneln allerdings denen, die auch im Rahmen von § 134 BGB verwendet werden, um das Vorliegen eines Verbotsgesetzes und die Rechtsfolge eines Verstoßes zu bestimmen.382 Während der Tatbestand von § 134 BGB bereits relativ eng ist, da der Begriff des Verbotsgesetzes von vornherein weniger Verstöße erfasst, ist der Anwendungsbereich von Art. II.-7:302 DCFR deutlich weiter. In vielen Fällen, in denen nach deutschem Recht bereits das Vorliegen eines Verbotsgesetzes i. S. v. § 134 BGB verneint wird, wird das Gericht nach Art. II.-7:302 DCFR den Vertrag trotz Verstoßes gegen eine zwingende Vorschrift aufrechterhalten. Insofern sind die Unterschiede wohl tatsächlich geringer als es auf den ersten Blick scheint und die praktischen Ergebnisse dürften häufig ähnlich sein. Allerdings eröffnet Art. II.-7:302 DCFR, indem er die verschiedenen Rechtsfolgen ausdrücklich als Alternativen nebeneinander stellt, dem Gericht einen weiteren Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der konkreten Rechtsfolge als es § 134 BGB tut, auch wenn die Gerichte hier teilweise ebenfalls von der Gesamtnichtigkeit beim Verstoß gegen ein Verbotsgesetz abweichen. Die größere Flexibilität des Art. II.-7:302 DCFR ist positiv zu bewerten, weil dadurch im Einzelfall für den Vertrag und die Parteien bessere Lösungen erreicht werden können. Dies gilt besonders in Hinblick auf die Möglichkeit der Vertrags380 v.
Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:304 Cmt., S. 551; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 15:105, Cmts., S. 814. 381 Vgl. Nachweise in vorheriger Fußnote. 382 Richtig: Riesenhuber, Inhaltskontrolle im DCFR, 49, 63.
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anpassung, denn dadurch ist das Gericht in der Lage, Ersatzregelungen oder Ähnliches zu schaffen. Da die Wahl der konkreten Rechtsfolge in Art. II.-7:302 DCFR in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, befürchten allerdings einige eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit.383 Dies dürfte zunächst zutreffen, sich aber über die Zeit, nicht zuletzt durch eine einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung, auf ein hinnehmbares Maß verringern.384 Die Befürchtung, dass bei exakt gleichem Sachverhalt ein Gericht den Vertrag für wirksam, ein anderes hingegen für insgesamt nichtig erachtet,385 erscheint daher überzogen.
B. Unfair Exploitation Die PECL, der DCFR und das CESL beinhalten nahezu wortgleiche Regelungen, mit denen sich Äquivalenzstörungen erfassen lassen. Diese sind im CESL und DCFR mit dem Begriff Unfair Exploitation überschrieben, in den PECL mit Excessive Benefit or Unfair Advantage. Im CESL findet sich die Regelung zur Übervorteilung in Art. 51, der auf Art. II.-7:207 DCFR beruht, der wiederum auf Art. 4:109 PECL basiert. Die Vorschriften sind ihrem Zweck nach auf die Sicherung einer mangelfreien Willensbildung/-umsetzung gerichtet, was sich schon aus ihrer systematischen Stellung in Kapitel fünf des CESL „defects in consent“ beziehungsweise in Chapter 7 Section 2 „vitiated consent or intention“ des dritten Buchs im DCFR ergibt. So gehen die Verfasser des DCFR davon aus, dass die Übervorteilung ebenso eine Art des Einigungsmangels (vices of consent) darstellt wie die Fälle des Irrtums, der Täuschung und der Drohung.386 In den PECL steht die entsprechende Vorschrift zwar unter der Kapitelüberschrift „Validity“, befindet sich jedoch ansonsten an der gleichen systematischen Stelle im Bereich der Willensmängel wie die Regelungen im DCFR und CESL. Dabei knüpft keine der Regelungen tatbestandlich allein an eine grobe Äquivalenzstörung an. Sie erfordern immer noch als zusätzliche Voraussetzung die Ausnutzung einer Schwächelage, sodass die jeweiligen Vorschriften der Kategorie der Wuchertatbestände oder der Lehre über die unzulässige Einflussnahme (undue influence) und der Lehre von treuwidrigen Geschäften (unconscionable bargains) aus dem common law und nicht den Läsionsvorschriften zuzuordnen sind. Die neben dem Missverhältnis notwendigen zusätzlichen, fast schon klassisch zu nennenden Voraussetzungen sollen vor allem dem Schutz 383 Riesenhuber, Inhaltskontrolle im DCFR, 49, 64; in die Richtung wohl auch Ernst, AcP 208 (2008), 248, 271. 384 Die Abnahme der Unsicherheit mit zunehmender Zeit erkennt auch Riesenhuber selbst (a. a. O). 385 So aber Riesenhuber, Inhaltskontrolle im DCFR, 49, 64. 386 v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:101 Cmt., S. 451.
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der bevorteilten Partei und des Rechtsverkehrs dienen, indem nicht schon ein Missverhältnis allein die Rechtsfolgen der Unfair Exploitation auslöst.387 Nicht ganz eindeutig ist das Verhältnis von Art. 51 CESL zu § 138 BGB und dabei insbesondere zu § 138 Abs. 2 BGB und dem wucherähnlichen Rechtsgeschäft. Ausweislich des 27. Erwägungsgrundes des CESL unterliegen nämlich auch die Verträge im Anwendungsbereich des CESL den nach dem einschlägigen Kollisionsrecht anwendbaren nationalen Normen über die Gesetzes- und Sittenwidrigkeit. Danach scheint grundsätzlich eine parallele Anwendung im Sinne einer Konkurrenz vorzuliegen. Dies wäre aber vom Ergebnis her aufgrund der unterschiedlichen Rechtsfolgen problematisch. So könnte das im CESL vorgesehene Anfechtungsmodell durch die Anwendung nationalen Rechts im Einzelfall unterlaufen werden, sofern das durch Kollisionsrecht zur Anwendung gerufene Recht eine andere Rechtsfolge als das CESL vorsieht. Insofern müssen hier § 138 Abs. 2 BGB und die Fallgruppe der wucherähnlichen Rechtsgeschäfte gesperrt sein.388
I. Tatbestand Die bevorteilte Partei muss nach Art. 51 CESL (Art. II.-7:207 Abs. 1 DCFR, Art. 4:109 PECL) zunächst einen übermäßigen Nutzen („excessive benefit“) oder unfairen Vorteil („unfair advantage“) aus dem Vertrag gezogen haben. Der Begriff des übermäßigen Nutzens (bzw. Vorteils, so die Terminologie der PECL) dient dabei der Erfassung von Äquivalenzstörungen, wobei für die Frage, wann eine solche vorliegt, ein Vergleich mit dem Marktpreis erforderlich ist.389 Eine konkrete Grenze oder Orientierung enthalten weder die Vorschriften selbst noch ihre Materialien. Als Anhaltspunkt für die Stärke der Äquivalenzstörung wird in der Literatur teilweise eine Anlehnung an die laesio enormis vorgeschlagen,390 sodass ein übermäßiger Nutzen bei Überschreitung des Doppelten vorliegen würde. Da Art. 51 CESL neben der Äquivalenzstörung noch weitere Tatbestandsmerkmale enthält, wird aber zu Recht darauf hingewiesen, dass auch schon geringere Missverhältnisse ausreichen müssen.391 Der Begriff des unangemessenen Vorteils dient als Auffangtatbestand und greift insbeson387 v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:207 Cmts. B. u. C., S. 507 f.; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:109, Cmts. B. u. C., S. 307. 388 Ebenso im Ergebnis: Martens, Einigungsmängel im EU‑Kaufrecht, 179, 190. 389 v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:207 Cmt. D, S. 508; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:109, Cmt. D., S. 307; Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 51 Rn. 26; ders. in: FS Rüßmann, 917, 924 f.; Ackermann/Franck, ERCL 2012, 113, 131; Stürner, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 89 f. 390 Pfeiffer in: FS Rüßmann, 917, 924; Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 51, Rn. 26; Kramer, ZEuP 1999, 209, 222 f.; zustimmend als max. Grenze, aber auch schon geringerer Missverhältnisse für genügend haltend: Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 51 Rn. 8; ders., AcP 211 (2011), 845, 875. 391 Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 51 Rn. 8.
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dere in Fällen ein, in denen kein oder bloß ein geringeres Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt, aber in einer anderen Weise ein unfairer Vorteil erlangt wurde.392 Danach kann eine Anfechtung etwa erfolgen, wenn eine Partei in einen Vertrag gedrängt wird, der zwar inhaltlich ausgewogen ist, den sie sich aber nicht leisten kann.393 Für die hier interessierenden Fälle spielt diese Variante aber keine Rolle. Was die Schwächelage auf Seiten der benachteiligten Partei angeht, nennt Art. 51 CESL (Art. II.-7:207 Abs. 1 DCFR, Art. 4:109 Abs. 1 PECL) Situationen wie ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien, eine wirtschaftliche Notlage, dringende Bedürfnisse oder allgemein Unerfahrenheit. Die Comments zu den Vorschriften im DCFR und den PECL gehen davon aus, dass die Aufzählung nicht abschließend ist, sodass die Vorschrift auch bei anderen Formen von Schwächelagen eingreifen kann.394 Für das CESL fehlen entsprechende Ausführungen. Teilweise wird davon ausgegangen, dass die Aufzählung deshalb abschließend gemeint ist.395 Andere halten sie unter Verweis auf die Vorgängervorschriften im DCFR und den PECL zu Recht für ergänzungsfähig.396 Auch wenn der Begriff des Ausnutzens ein gezieltes oder jedenfalls bewusstes Benachteiligen seitens der bevorteilten Partei nahelegt,397 wird der Begriff eher im Sinne eines objektiven Zusammenhangs zwischen Schwächelage und nachteiligem Vertragsschluss ausgelegt und wird es als ausreichend angesehen, dass die Umstände darauf schließen lassen, dass die bevorteilte Partei entsprechende Kenntnis hatte.398 Dies ist wohl auch von den Autoren des DCFR und der PECL so gemeint, die das Ausnutzen als eigenständige Voraussetzung in den Comments zu Art. II.-7:207 DCFR (Art. 4:109 PECL) nicht einmal erwähnen, sondern nur die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen bezüglich der schwächeren Lage der anderen Partei erörtern (das Missverhältnis bzw. der übermäßige Vorteil werden gerade nicht erwähnt)399. 392 Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 51 Rn. 7; Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 51 Rn. 26; Ackermann/Franck, ERCL 2012, 113, 131; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:207 Cmt. E, S. 509; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:109, Cmt. E, S. 308. 393 Vgl. Nachweise in Kapitel 3 Fn. 392. Diese Variante erinnert an den Tatbestand des misbruik van omstandigheden im niederländischen Recht, der ebenfalls keine Äquivalenzstörung oder sonstige Unausgewogenheit voraussetzt, vgl. dazu oben: § 10 F. Niederlande, S. 235 f. 394 Vgl. v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:207 Cmt. B, S. 507 f.: „[…] some need, weakness or disability to explain what happened.“ 395 Looschelders, AcP 212 (2012), 581, 627. 396 Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 51 Rn. 3; ders., AcP 211 (2011), 845, 873; ders., Einigungsmängel im EU‑Kaufrecht, 179, 191. 397 Vgl. auch Looschelders, AcP 212 (2012), 581, 627; Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 51 Rn. 11; ders., AcP 211 (2011), 845, 874. 398 Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 51 Rn. 23; ders. in: FS Rüßmann, 917, 923; Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 51 Rn. 11; ders. Einigungsmängel im EU‑Kaufrecht, 179, 191; ders., AcP 211 (2011), 845, 874; Ackermann/Franck, ERCL 2012, 113, 130 f. 399 v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:207 Cmt., S. 507 ff.; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:109, Cmt., S. 307 ff.
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II. Rechtsfolgen 1. Anfechtungsrecht Im Bereich der Rechtsfolgen sieht keiner der Vorschläge die zwingende Nichtigkeit ipso iure wie im deutschen Recht vor, vielmehr enthalten sie jeweils ein Anfechtungsrecht zugunsten der benachteiligten Partei. Ihr allein wird damit (zunächst) die Entscheidung über die Wirksamkeit des Vertrages in die Hände gelegt. Dies entspricht den Vorstellungen der meisten europäischen Rechtsordnungen in den Fällen schwerer Äquivalenzstörungen. Insofern steht das deutsche Recht mit seiner absoluten Nichtigkeit isoliert da und es verwundert insofern kaum, dass sich die deutsche Regelung nicht durchsetzen konnte.400
a) Geltendmachung der Anfechtung Das Anfechtungsrecht ist jeweils ein Gestaltungsrecht, sodass die Anfechtung durch Erklärung gegenüber der anderen Partei ausgeübt wird, vgl. Art. 52 Abs. 1 CESL (Art. II.-7:209 DCFR, Art. 4:112 PECL). Der Mitwirkung eines Richters bedarf es zum Eintritt der Rechtsfolgen gerade nicht. Damit wurde der Mehrzahl der europäischen Rechtsordnungen gefolgt. Kritik kam insbesondere aus Frankreich, da unter französischem Recht die aus wesentlichen Willensmängeln folgende nullité rélative vom Richter festgestellt werden muss, damit sie rechtliche Wirkungen entfaltet.401 Ähnlich verhält es sich auch mit der Anfechtung im österreichischen Recht402 sowie in Italien und Spanien403. Dabei unterliegt das Anfechtungsrecht wie gewöhnlich einer Frist. Nach Art. II.-7:210 DCFR, Art. 4:113 PECL) muss die Anfechtung innerhalb eines angemessenen Zeitraums („reasonable time“) erfolgen. Die Frist beinhaltet Zeit zur Einholung von juristischem Rat und zur Entscheidungsfindung.404 Ausgehend vom Wortlaut scheint damit die vorgesehene Frist zwar länger zu sein als die des § 121 BGB, gleichzeitig aber auch kürzer als die Jahresfrist des § 124 BGB. Blickt man jedoch darauf, was durch die Frist der anfechtungsberechtigten Partei ermöglicht werden soll, entspricht dies wiederum dem deutschen § 121 BGB, denn auch hier kann der Anfechtungsberechtigte Rechtsrat einholen und die Vor- und Nachteile der Handlungsalternativen gegeneinander abwägen405. Auch nach dem CESL unterliegt das Anfechtungsrecht der benachteiligten Partei einer Frist. Anders als im DCFR und den PECL ist sie im CESL 400 Bereits 1968 konstatierte Zweigert mit Blick auf die Behandlung des Wuchers in Europa eine „Abkehr von der absoluten Nichtigkeit und die Hinwendung zur Anfechtbarkeit“, vgl. MPI, Die materielle Gültigkeit von Kaufverträgen, S. 165. 401 Martens, AcP 211 (2011), 845, 878 f.; Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 52 Rn. 1. 402 Siehe dazu oben: § 11 C. I. 3. Geltendmachung des Anfechtungsrechts, S. 262 f. 403 Art. 1441 f. CCIt; Art. 1301 Código Civil. 404 Vgl. Nachweise in Kapitel 3 Fn. 407. 405 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 346.
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aber zeitlich genau bestimmt.406 Sie beträgt nach Art. 52 Abs. 2 b) CESL ein Jahr und ist damit deutlich länger als in ihren Vorgängerregelungen. Auch bezüglich des Beginns der Anfechtungsfristen gibt es kleine, in der Praxis aber unter Umständen bedeutsame Unterschiede zwischen DCFR und PECL einerseits und dem CESL andererseits. Die Anfechtungsfrist nach dem DCFR und den PECL beginnt mit Kenntnis oder Kennenmüssen des Anfechtungsgrunds bzw. ab dem Zeitpunkt, ab dem die anfechtungsberechtigte Partei wieder frei handeln kann, vgl. Art. II.-7:210 DCFR (Art. 4:113 Abs. 1 PECL). Nach Art. 52 Abs. 2 CESL beginnt die Anfechtungsfrist hingegen nur bei Kenntnis der Umstände und mit dem Zeitpunkt in dem die unterlegene Partei wieder frei handeln kann. Fahrlässige Unkenntnis genügt hier für den Fristbeginn gerade nicht mehr. Nicht notwendig ist es jeweils, dass auch Kenntnis vom Anfechtungsrecht selbst besteht, es reicht die Kenntnis (CESL) bzw. das Kennenmüssen (DCFR, PECL) der tatsächlichen Umstände, aus denen sich das Anfechtungsrecht ergibt.407 Nicht gefolgt wurde damit den Rechtsordnungen, die den Fristbeginn unabhängig von der subjektiven Kenntnis der benachteiligten Partei an den Vertragsschluss knüpfen, wie etwa Italien (Art. 1448 CCIt) oder bei der laesio enormis in Österreich (§ 934 ABGB). Die Voraussetzung, dass die anfechtungsberechtigte Partei wieder frei handeln kann, kann bei der Unfairen Ausnutzung dann eine Rolle spielen, wenn sich die benachteiligte Partei bei Vertragsschluss in einer Schwächelage befand. Blickt man jedoch auf die Comments zu der entsprechenden Regelung im DCFR und den PECL, scheint sich diese Alternative nur auf die Fälle des Zwangs, der Drohung und unzulässigen Einflussnahme zu beziehen, denn die Unfaire Ausnutzung wird nicht erwähnt.408 Sollten Fälle der Unfairen Ausnutzung generell ausgenommen sein, überzeugt dies allerdings nicht. Eine solche Restriktion ist weder dem Wortlaut von Art. 52 CESL noch von Art. II.-7:210 DCFR (Art. 4:113 Abs. 1 PECL) zu entnehmen. Befand sich die benachteiligte Partei in einer Schwächelage, sollte die Anfechtungsfrist erst mit deren Ende zu laufen beginnen.409 Ebenso wie im deutschen Recht ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn das Geschäft vom Anfechtungsberechtigten bestätigt worden ist, vgl. Art. 53 CESL (Art. II.-7:211 DCFR, Art. 4:114 PECL). Voraussetzung dafür ist, dass der Berechtigte Kenntnis vom Anfechtungsgrund hatte oder diesen kennen musste und das Geschäft ausdrücklich oder konkludent bestätigt hat. Auf die Rechte 406
Dies begrüßend: Martens, AcP 211 (2011), 845, 879. v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:210 Cmt. B, S. 520; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:113, Cmt. B., S. 325. 408 v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:210 Cmt. A, S. 520; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:113, Cmt. A., S. 325. 409 Ebenso Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 52 Rn. 5; Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 52 Rn. 16. 407
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wegen Unfair Exploitation kann (selbstverständlich) nicht im Voraus verzichtet werden, vgl. Art. 56 Abs. 1 CESL (Art. II.-7:215 Abs. 1 DCFR, Art. 4:118 Abs. 1 PECL).
b) Die Wirkung der Anfechtung Die Wirkungen der Anfechtung sind in Art. 54 CESL (Art. II.-7:212 DCFR, Art. 4:115 PECL) geregelt. Danach bewirkt die Anfechtung die Nichtigkeit des Vertrages ex tunc, vgl. Art. 54 Abs. 1 CESL (Art. II.-7:212 DCFR). Die PECL enthalten im Wortlaut keinen Hinweis bezüglich der zeitlichen Wirkung der Nichtigkeit. Aus den Comments ergibt sich aber, dass die Nichtigkeit auch hier ex tunc wirkt („Die Anfechtung führt zur Aufhebung des Vertrags […], als ob er niemals geschlossen worden wäre“).410 Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob die Anfechtung im Fall der Unfairen Ausnutzung zur Teil- oder Gesamtnichtigkeit des Vertrages führt. Hierzu enthält Art. 54 Abs. 2 CESL (Art. II.7:213 DCFR, Art. 4:116 PECL) eine Regelung, wonach sich die Wirkung der Anfechtung nur auf einzelne Vertragsbestimmungen beschränkt, wenn nur diese vom Grund der Anfechtung erfasst werden, es sei denn, es ist unangemessen, den Vertrag im Übrigen aufrechtzuerhalten.
aa) Möglichkeit der Teilanfechtung Die Möglichkeit zur Teilanfechtung ist ein fester Bestandteil der Harmonisierungsvorschläge auf europäischer Ebene. Dabei besteht anders als im deutschen Recht eine Vermutung zugunsten der bloßen Teilunwirksamkeit statt Gesamtnichtigkeit. Auch hier entspricht diese Regelung der Mehrzahl der europäischen Rechtsordnungen. Da die PECL und der DCFR ohnehin ein Anpassungsrecht zugunsten der übervorteilten Partei vorsehen,411 spielt die Regelung über die Teilanfechtung bei diesen in den Fällen der Unfairen Ausnutzung nur eine eingeschränkte Rolle, denn eine Teilanfechtung ist gleichzeitig auch eine Vertragsanpassung.412 Während die Teilanfechtung nur negativ wirkt, also Vertragsteile vernichtet, kann die Vertragsanpassung auch positiv wirken, d. h. vor allem fehlerhafte Vertragsteile ersetzen und ist insofern weiter als die Teilanfechtung.413 Für das CESL ist die Vorschrift zur Teilanfechtung aber umso interessanter, weil hier gerade keine Anpassungsmöglichkeit mehr für Fälle der Unfairen 410
v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:115, Cmt. A, S. 328.
411 Vgl. dazu sogleich: 2. Vertragsanpassung, S. 292 ff. 412 Vgl. dazu bereits oben: § 4 A. Herangehensweise, S. 13 f. 413
v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:207 Cmt. G, S. 509. Anders (allerdings nicht explizit zu PECL/DCFR): Stocker, Wucher und Läsion, S. 169 N. 384, wonach in Fällen der modifizierten Teilungültigkeit von Verträgen nicht nur eine Herabsetzung einer Leistungsverpflichtung, sondern auch die Erhöhung möglich sein soll.
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Ausnutzung vorgesehen ist. Deshalb stellt sich die Frage, ob über die Möglichkeit der Teilanfechtung im Ergebnis zu einer Vertragsanpassung gelangt werden kann, indem sich die Anfechtung auf die übermäßige Leistungsverpflichtung der benachteiligten Partei beschränkt und diese im Ergebnis dadurch reduziert wird.414 Sofern der Käufer einen überhöhten Kaufpreis für den Kaufgegenstand entrichtet hat, erscheint dies ohne Weiteres möglich. Schwierigkeiten bereitet eher der umgekehrte Fall, dass der Käufer als Bevorteilter einen zu geringen Kaufpreis gezahlt hat. Dieser kann über die Teilanfechtung nicht heraufgesetzt werden. Gleichzeitig wird eine Reduktion der Sachleistung des Bewucherten, die grundsätzlich über die Teilanfechtung reduziert werden könnte, häufig tatsächlich nicht möglich sein, wenn die Sachleistung, wie bei einem Grundstück, aus einem einzigen Gegenstand besteht oder aber die Teilanfechtung dem Interesse bzw. Willen der Parteien widerspricht.
bb) Zulässigkeit der Teilanfechtung bei Unfairer Ausnutzung nach Art. 51 CESL Schließlich muss man sich noch die Frage stellen, ob auf die Teilanfechtung in Fällen der Unfairen Ausnutzung im Anwendungsbereich des CESL überhaupt zurückgegriffen werden darf, nachdem die Möglichkeit der Vertragsanpassung gerade nicht aus dem DCFR und den PECL übernommen wurde. Daraus könnte man schließen, dass ein solcher Rückgriff gesperrt ist, denn zumindest in Fällen eines überhöhten Entgelts ermöglicht die Teilanfechtung eine (so nicht mehr vorgesehene) Vertragsanpassung. Indem die Comments zum DCFR und den PECL im Rahmen der Anpassungsmöglichkeit des Art. II.-7:207 DCFR (Art. 4:109 PECL) deren Vorteile gegenüber der Teilanfechtung hervorheben,415 scheinen sie von einer parallelen Anwendung auszugehen. Dafür spricht auch, dass nach dem Wortlaut der jeweiligen Vorschriften über die Teilanfechtung diese nur dann ausgeschlossen ist, wenn es unangemessen ist, den Vertrag im Übrigen aufrechtzuerhalten. Wird aber eine zu hohe Leistungsverpflichtung durch die Teilanfechtung reduziert, ist es kaum unangemessen, den restlichen Vertrag fortgelten zu lassen. Blickt man auf die jeweiligen Comments zu Art. II.-7:213 DCFR (Art. 4:116 PECL) scheint der Zweck der Teilanfechtung darin zu liegen, dass die Nichtigkeit einer unter Umständen wenig bedeutsamen Bestimmung nicht zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages führen soll. So lässt sich argumentieren, dass eine unter Umständen geringe Überschreitung des gerade noch zulässigen Maßes nicht die Nichtigkeit des gesamten Vertrages herbeiführen soll und deshalb die Teilanfechtung 414
Dagegen, aber ohne Begründung: Lurger, Am Vorabend eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts, 63, 83. 415 v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:207 Cmt. G, S. 509; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:109, Cmt. G., S. 309.
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eines überhöhten Entgelts möglich ist. Der Passus lässt sich aber auch als Argument gegen diese Möglichkeit heranziehen, wenn man darauf abstellt, dass die Entgeltabrede gerade keine „wenig bedeutsame Bestimmung“ ist. Teilweise wird eine Anwendung der Vorschrift in den Fällen einer schweren Äquivalenzstörung schon aus dem Grund verneint, dass die Entgeltabrede den ganzen Vertrag berührt und dann die Teilnichtigkeit gar nicht anwendbar sei.416 Diese sehr deutsche Sichtweise auf das europäische Recht überträgt die Ansicht der h. M. zu § 139 BGB417 auf Art. 54 Abs. 2 CESL. In Bezug auf Gesamteuropa ist die Ansicht der fehlenden Teilbarkeit der Entgeltabrede aber vereinzelt geblieben. Anders als § 139 BGB418 spricht allerdings der Wortlaut der Vorschriften im CESL, DCFR und den PECL tatsächlich eher dagegen, dass sich die Teilanfechtung auch auf die Entgeltabrede beziehen kann, wenn diese von „einzelnen Vertragsbestimmungen“ (Art. 54 Abs. 2 CESL), „particular terms of contract“ (Art. II.-7:213 DCFR) und „einzelne Bedingungen des Vertrages“ (Art. 4:116 PECL), die nichtig sind, sprechen. Zwingend entgegen steht allerdings gerade der Wortlaut des CESL einer solchen Auslegung nicht, denn eine Entgeltabrede ist durchaus auch eine (sogar ganz wesentliche) Vertragsbestimmung. Letztendlich spricht aber die Tatsache, dass das CESL in Art. 51 gerade keine Anpassungslösung mehr vorsieht, dagegen, eine solche im Wege der Teilanfechtung zuzulassen. Zumal dadurch, wie beschrieben, auch nur eine Anpassung in eine Richtung vorgenommen werden könnte, sodass die Ungleichbehandlung, die in einer Anpassungsmöglichkeit bei überhöhten Entgelten und deren Fehlen bei zu niedrigen Entgelten läge, ebenfalls gegen die Vertragsanpassung im Wege der Teilanfechtung spricht.
2. Vertragsanpassung Während das CESL nur ein Anfechtungsrecht vorsieht, sehen der DCFR in Art. II.-7:207 Abs. 2, 3 wie die PECL in Art. 4:109 Abs. 2, 3 ausdrücklich auch die Möglichkeit der Vertragsanpassung vor. In den Comments wird dies damit begründet, dass es Fälle gebe, in denen die Nichtigkeit als Rechtsfolge nicht angemessen sei, insbesondere wenn die benachteiligte Partei den Vertrag in angepasster Form gelten lassen möchte.419 Weshalb genau das CESL die in seinen Vorgängern enthaltene Anpassungsmöglichkeit nicht übernommen hat, ist un416 Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 54 Rn. 14; A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 60 f. 417 Vergleiche dazu oben: § 7 D. I. Teilnichtigkeit nach § 139 BGB, S. 59 f.; zur Kritik daran: § 14 B. V. 2. Dogmatische Kritik, S. 396 ff. 418 Vgl. dazu unten: § 14 B. V. 2. b) aa) Wortlaut, S. 397 f. 419 v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:109, Cmt. G., S. 309; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.7:207 Cmt. G, S. 509.
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klar. Die Materialien nehmen dazu nicht Stellung. In der Literatur wird dies – wenn es überhaupt erörtert wird – eher negativ gesehen.420
a) Berechtigung zur Vertragsanpassung Das Recht statt der Anfechtung des Vertrages dessen Anpassung zu verlangen, steht zunächst nach Art. II.-7:207 Abs. 2 DCFR (Art. 4:109 Abs. 2 PECL) der benachteiligten Partei zu. Aber nicht nur diese, auch der Begünstigte kann nach Art. II.-7:207 Abs. 3 DCFR (Art. 4:109 Abs. 3 PECL) die Anpassung des Vertrages verlangen, wenn der Benachteiligte mit der Anfechtung des Vertrages dessen Nichtigkeit anstrebt. Verlangt die begünstigte Partei daraufhin die Anpassung, kann sie auf diese Weise den Vertrag aufrechterhalten. Hintergrund für die auch dem Begünstigten zustehende Anpassungsmöglichkeit ist ausweislich der Comments zu den entsprechenden Vorschriften in den PECL und dem DCFR, dass die vollständige Aufhebung des Vertrages gegen den Willen des Begünstigten unangemessen sein und umgekehrt nun zu dessen Benachteiligung führen könne.421 Die Möglichkeit für den Begünstigten ebenfalls die Vertragsanpassung zu verlangen, kann allerdings Probleme verursachen, wenn die bevorteilte Partei die Schwäche des anderen Teils schon zum Vertragsschluss ausgenutzt hat, weil sie die andere Partei dann an dem interessenwidrigen Vertrag festhalten könnte. Allerdings enthält die Anpassungslösung insofern eine Einschränkung, als dass sie nur dann erfolgt, wenn es angemessen ist, den Vertrag anzupassen. Diese Einschränkung betrifft vor allem Fälle, in denen sich die benachteiligte Partei auf den grob unangemessenen Vorteil, der nicht in einer Äquivalenzstörung besteht, als Tatbestandsvoraussetzung stützt. Diese Variante wird jedenfalls in den Comments als Beispiel für eine Konstellation angeführt, in der eine Anpassung unangemessen sei.422 Wenn die Ursache für die Anfechtung nicht in einer Äquivalenzstörung oder sonstigen Unausgewogenheit des Vertrags liegt, leuchtet es ohne Weiteres ein, dass eine Vertragsanpassung gewöhnlich nicht geeignet ist, den bedenklichen Vertrag aufrechtzuerhalten, da die Anpassung insofern nicht weiterhilft. Weil sich das Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit aber nicht auf die Variante des unangemessenen Vorteils beschränkt, kann sie auch in Fällen von Äquivalenzstörungen eingreifen. Hier könnte eine Anpassung dann un420
Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 292 N. 1019; Lurger, Am Vorabend eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts, 62, 83; die Streichung begrüßend jedoch: Looschelders, AcP 212 (2012), 581, 629. 421 v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:207 Cmt. G, S. 509; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:109, Cmt. G., S. 309. 422 Vgl. v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:109, Cmts. E. u. G., S. 308 f.; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:207 Cmt. G, S. 508 f., jeweils Beispiel 5: Eine willensschwache alte Witwe wird von ihrem Nachbarn zum Verkauf ihres Hauses zum Marktpreis überredet, kann in der Folge mit dem erhaltenen Geld aber keine Bleibe mehr in der Gegend finden.
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angemessen sein, wenn die Schwäche der benachteiligten Partei bereits dazu ausgenutzt wurde, dass überhaupt ein Vertrag geschlossen wurde und die bevorteilte Partei durch das Anpassungsverlangen die von der benachteiligten Partei angestrebte Nichtigkeit des Vertrags abwenden will. Hier entspricht nämlich auch der Vertrag zu ausgeglichenen Konditionen nicht dem Interesse der ausgenutzten Partei, sodass eine Anpassung unangemessen wäre. Voraussetzung für ein wirksames Anpassungsverlangen der begünstigten Partei ist, dass diese umgehend („without undue delay“) nach Erhalt der Anfechtungserklärung durch die benachteiligte Partei und bevor diese „im Vertrauen auf die Anfechtung“ gehandelt hat, diese über ihren Willen zur Vertragsanpassung informiert. Wann die benachteiligte Partei „im Vertrauen auf die Anfechtung gehandelt hat“, wird in den Comments nicht weiter präzisiert. Der Ausschlussgrund dient offenbar dem Schutz der Partei, die die Anfechtung erklärt, und erinnert an das Tatbestandsmerkmal der rechtzeitigen Aufklärung in § 871 Abs. 1 ABGB. Dieses ist erfüllt, solange noch keine wirtschaftlichen oder rechtlichen Dispositionen vorgenommen wurden.423 Ähnliches dürfte auch in Art. II.-7:207 Abs. 3 DCFR (Art. 4:109 Abs. 3 PECL) gemeint sein, sodass die Anpassung ausgeschlossen ist, wenn die benachteiligte Partei nach Erklärung der Anfechtung schon entsprechende Dispositionen im Vertrauen auf die dadurch eingetretende Nichtigkeit vorgenommen hat. Ob diese zusätzliche Beschränkung angesichts der bereits engen zeitlichen Grenze, in der die begünstigte Partei die Anpassung erklären muss, sinnvoll ist, mag bezweifelt werden. Der begünstigten Partei sollte nämlich zumindest ein kurzer Zeitraum zustehen, über eine etwaige Anpassung nachzudenken. Diese Möglichkeit droht aber unterlaufen zu werden, wenn die benachteiligte Partei innerhalb dieses Zeitraums nach Erklärung der Anfechtung bereits Dispositionen trifft und damit das Anpassungsrecht der begünstigten Partei ausgeschlossen ist. Dies lässt sich auch nicht dadurch umgehen, dass man den Ausschlusstatbestand nur auf Dispositionen bezieht, die nach der dem Anfechtungsgegner zustehenden Zeit vorgenommen werden, da der Ausschlussgrund dann keinen eigenen Anwendungsbereich mehr hätte. Dies spricht dafür, nicht schon kleinste Dispositionen ausreichen zu lassen, sondern einen gewissen Mindestumfang im Sinne einer Bagatellgrenze zu fordern.
b) Vornahme der Anpassung Zur Anpassung bedarf es, anders als zur Anfechtung, allerdings der Anrufung des Gerichts, das dann selbst die Anpassung vornimmt und zwar unabhängig davon, welche Partei die Anpassung verlangt (Art. II.-7:207 Abs. 2, 3 DCFR, Art. 4:109 Abs. 2, 3 PECL.) Die Anpassung tritt also weder kraft Gesetzes ein noch ist eine einseitige Willenserklärung des Anpassungsberechtigten ausrei423
Vgl. oben: § 11 C. I. 1. § 871 ABGB, S. 258 ff.
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chend. Gründe für diese Entscheidung finden sich weder in den Comments noch den Notes. Für die Notwendigkeit einer gerichtlichen Entscheidung sprechen allerdings die erhöhte Rechtssicherheit sowie der Umstand, dass über das Maß der Anpassung regelmäßig Uneinigkeit zwischen den Parteien bestehen wird, die nicht selten auch ohne Notwendigkeit einer richterlichen Anpassung zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führt. Selbstverständlich muss es den Parteien aber freistehen, sich auch außergerichtlich über die Anpassung zu einigen.
c) Maß und Art der Anpassung Der Vertrag wird ausweislich des Wortlauts von Art. II.-7:207 Abs. 2 DCFR (Art. 4:109 Abs. 2 PECL) so angepasst, wie ihn die Parteien unter Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs („good faith and fair dealing“) geschlossen hätten. Das Gesetz ist damit relativ offen formuliert und enthält keinen genauen Maßstab für die Anpassung. Dies ist u. a. dem Umstand geschuldet, dass Art. II.-7:207 DCFR (Art. 4:109 PECL) nicht zwingend eine Äquivalenzstörung voraussetzt, sondern auch in anderen Konstellationen eingreift. Unter Zugrundelegung von Treu und Glaube sowie der Grundsätze des redlichen Geschäftsverkehrs liegt es allerdings nahe, dass die Anpassung bei Äquivalenzstörungen regelmäßig auf den Marktpreis vorzunehmen ist. Diese Ansicht wird auch in der Literatur geäußert.424 Durch die fehlende Spezifikation bezüglich der Art der Anpassung ist zudem offen, wie genau die Anpassung zu erfolgen hat, also insbesondere welche Leistung angepasst werden soll, die überhöhte oder die zu niedrige. Ausgehend vom offenen Wortlaut der Vorschriften ist anzunehmen, dass grundsätzlich beides möglich ist. In der Regel wird die Anpassung wohl bei der Geldleistungspflicht vorgenommen werden, da dies der einfachere Weg ist und gewöhnlich auch dem Parteiwillen entspricht. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass ausnahmsweise auch die Sach- oder Dienstleistung angepasst wird. In den Comments wird diese Konstellation nicht erwähnt.
III. Vergleich zur Rechtslage in Deutschland und Bewertung Die Rechtsfolgen in den Vorschlägen zur europäischen Rechtsvereinheitlichung unterscheiden sich relativ stark vom deutschen Recht. Schon dass der betreffende Vertrag nicht ipso iure nichtig ist, ist aus deutscher Sicht eine Besonderheit der Regelungen von CESL, DCFR und PECL, die damit aber nur der Mehrheit der nationalen europäischen Rechtsordnungen folgen. So verwundert es kaum, dass von deutscher Seite die Entscheidung für ein Anfechtungsrecht kritisiert 424 Wolf, Willensmängel in einem europäischen Vertragsrecht, 85, 113; wohl auch Stürner, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 92.
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wurde. Die Rechtsfolge wurde als nicht angemessen angesehen und es wurde als nicht vernünftig bezeichnet, dass in Fällen des strafbaren Wuchers der Vertrag bloß anfechtbar sei.425 Dabei ist die Stellungnahme der Bundesregierung zur Vorschrift der Unfair Exploitation durch ein sehr nationales Verständnis der Problematik geprägt, der unausgesprochen § 138 BGB und dessen zwingende Nichtigkeit zugrundeliegt. Auch in der deutschen Literatur trifft die Anfechtungslösung auf Kritik, da es nicht gerechtfertigt sei, den Benachteiligten mit der Last und dem Risiko der Anfechtung zu belasten.426 Hintergrund der Entscheidung für eine Kombination aus Anfechtungs- und Anpassungslösung in PECL und DCFR ist ausweislich der Comments, dass die zwingende Nichtigkeit unter Umständen für beide Parteien unangemessen sein könne.427 Dies deckt sich mit dem eingangs bei der Interessenanalyse gefundenen Ergebnis.428 Dass der benachteiligten Partei nach den PECL und dem DCFR neben der Anfechtung ein Recht zusteht, Vertragsanpassung zu verlangen, überzeugt daher, weil dies ihren Schutz am besten sicherstellt. Dementsprechend ist es zu bedauern, dass ihr diese Möglichkeit nach dem CESL nun nicht mehr zustehen soll. Aus europäischer Sicht bemerkenswert ist die in den PECL und im DCFR vorgesehene Möglichkeit auch der begünstigten Partei, auf die Anfechtung des Benachteiligten hin die Anpassung des Vertrages zu verlangen. Diese Lösung findet sich zwar in Läsionstatbeständen, für gewöhnlich aber nicht in Wuchertatbeständen, wie sie den Regelungen in den PECL und im DCFR als Vorbild dienten. Hier sehen nur das italienische und portugiesische Recht eine solche Möglichkeit vor, auf das in den Notes von PECL und DCFR auch hingewiesen wird429. Ob dies angesichts des geringen Risikos, das der Begünstigte mit der Ausnutzung der Schwäche seines Vertragspartners dann eingeht, überzeugt, kann an dieser Stelle noch offen bleiben.430 Der Umstand des fehlenden Risikos für die begünstigte Partei wird allerdings dadurch abgeschwächt, dass die Anpassung nur dann vom Gericht vorgenommen wird, wenn diese nach den Umständen auch angemessen ist. Insofern ist ein ganz und gar risikofreies Handeln des Begünstigten wohl nicht möglich, weil zumindest in Extremfäl425 426
Stellungnahme der Bundesregierung zur Feasibility Study vom 3. Mai 2011. Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, S. 163, 174; Ackermann/ Franck, ERCL 2012, 113, 132; ähnlich Wolf, Willensmängel in einem europäischen Vertragsrecht, 85, 112 f.; Hartung, BLJ 2014, 71, 77; positiv dagegen: Gutmann, Zwang und Ausbeutung beim Vertragsschluss, 49, 66; Martens, Einigungsmängel im EU‑Kaufrecht, 179, 197. 427 v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:109 Cmt. G., S. 309; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.7:207, Cmt. G, S. 509. 428 Vgl. oben: § 6 D. Zusammenfassung, S. 45 f. 429 Vgl. v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:109, Notes 6., S. 313; vgl. zum italienischen Recht zudem: § 10 D. Italien, S. 230 ff., zu Portugal: § 10 G. Sonstige Rechtsordnungen, S. 238. 430 Vgl. dazu unten: § 13 D. Anpassungsrecht des Benachteiligten oder Wahlrecht des Bevorteilten, S. 338 ff.
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len eine Anpassung gegen den Willen des Benachteiligten unangemessen sein dürfte. Was das Maß der Anpassung angeht, besteht eine gewisse Unsicherheit. Sie wird jedoch bei Äquivalenzstörungen regelmäßig auf das Marktniveau vorzunehmen sein. Hier wird teilweise die Gefahr gesehen, dass aufgrund der unterschiedlichen Rechtstraditionen in den einzelnen europäischen Ländern in Bezug auf ein richterliches Moderationsrecht eine einheitliche Rechtsprechungspraxis sehr unwahrscheinlich wäre.431 Diese Sorge erscheint jedoch übertrieben, zumindest aber kaum als ernstzunehmendes Gegenargument geeignet. Zum einen gilt dies für nahezu jede Regelung, die nicht auf einer breiten gemeinsamen Tradition aufbaut. Zum anderen wird eine einheitliche europäische Auslegung gerade durch den EuGH als oberste Instanz sichergestellt, sodass eine Zersplitterung allenfalls in der Anfangszeit zu befürchten wäre.
C. Irrtümer I. Hintergrund und Tatbestand Neben der Unfairen Ausnutzung kennen CESL, DCFR und PECL auch Vorschriften über Irrtümer sowie Täuschung (und Drohung, die hier aber nicht behandelt wird). Besonders die Schaffung einer Irrtumsregelung bereitete Schwierigkeiten, da sich bei der Frage, welche Irrtümer zur Anfechtung berechtigen, die nationalen Rechtsordnungen in Europa immer noch stark unterscheiden.432 So stellt Kötz zusammenfassend fest, „dass die europäischen Rechtsordnungen eine recht verwirrende Fülle unterschiedlicher Gesichtspunkte verwenden, um zu entscheiden, ob ein Vertrag wegen Irrtums für ungültig erklärt werden kann oder nicht.“433
1. Irrtümer Nach Art. 48 CESL (Art. II.-7:201 DCFR, Art. 4:103 PECL)434 ist ein Irrtum nur dann beachtlich, wenn er zum einen wesentlich war, zum anderen dem Anfechtungsgegner in irgendeiner Weise ebenfalls zugerechnet werden kann. Eine Kategorisierung nach verschiedenen Irrtumsarten erfolgt nicht, ebenso wie auch keine Definition des Irrtums existiert. Vielmehr bestimmt Art. 48 Abs. 1 CESL (Art. II.-7:201 DCFR, Art. 4:103 Abs. 1 PECL), dass sowohl ein 431
Hartung, BLJ 2014, 71, 78. Martens, AcP 211 (2011), 845, 854; Jansen/Zimmermann, AcP 210 (2010), 196, 229 ff.; Kramer, ZEuP 2007, 247, 247 f.; für eine Übersicht vergleiche: v. Bar/Clive, DCFR Art. II.7:201, Notes, S. 491 ff.; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl., S. 228 ff. 433 Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl., S. 245. 434 Beim Wortlaut unterscheiden sich die Vorschriften teilweise, ohne dass damit i. d. R. inhaltliche Änderungen verbunden wären. Soweit dies der Fall ist, wird darauf hingewiesen. 432
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Tatsachen- als auch Rechtsirrtum zur Anfechtung berechtigen. Anders als das deutsche oder österreichische Recht kennen CESL, DCFR und PECL zunächst keine Einschränkung bezüglich der Art des Irrtums. So wird grundsätzlich jeder Tatsachen- und Rechtsirrtum erfasst,435 wobei das Leitbild des Irrtumsbegriffs von PECL, DCFR und CESL der Motivirrtum und nicht ein Irrtum in der Erklärungshandlung ist.436 Aus Art. 48 Abs. 3 CESL (Art. II.-7:202 DCFR, Art. 4:104 Abs. 1 PECL) ergibt sich zudem, dass auch ein Fehler in der Verlautbarung oder Übermittlung als Irrtum anzusehen ist, worunter insbesondere der Erklärungsund Inhaltsirrtum nach deutschem Verständnis fallen437. Dies sorgt im Ausgangspunkt für einen sehr weiten Anwendungsbereich der Irrtumsanfechtung.
a) Wesentlicher Irrtum Wenn es auch keine Einschränkung hinsichtlich der Art des Irrtums gibt, so doch hinsichtlich der Schwere, denn ein Irrtum berechtigt nur dann zur Anfechtung, wenn er wesentlich war. Ein solcher liegt nach Art. 48 Abs. 1 (a) CESL (Art. II.-7:201 Abs. 1 (a) DCFR, Art. 4:103 Abs. 1 (b) PECL) vor, wenn der Irrende den Vertrag anderenfalls nicht oder nur mit grundlegend anderen Bedingungen geschlossen hätte und die andere Partei dies wusste oder wissen musste.438 Während die erste Variante als Kausalitätserfordernis keine Probleme aufwirft, dürfte die Bestimmung der Grenze, ab der von grundlegend anderen Bedingungen auszugehen ist, im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten.439 Konkretisierungen ergeben sich diesbezüglich nicht aus den Comments. Sie enthalten lediglich den Hinweis, dass die Beschränkung auf die Wesentlichkeit dem Schutz des Rechtsverkehrs dienen soll und eine Loslösung vom Vertrag nur dann erlaubt, wenn der Irrtum schwerwiegend war, anderenfalls aber der Irrtum von der sich irrenden Partei zu tragen ist.440 Weil eine Anfechtung wegen Irrtums im CESL, DCFR und den PECL aber jeweils eine gewisse Form der 435 Harke weißt jedoch zu Recht darauf hin, dass dadurch, dass der Irrtum der anderen Partei zurechenbar sein muss, gerade für den Inhalts- und Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB die Anfechtungsregeln der Model Rules weitgehend leerlaufen, auch wenn sie die Einordnung entsprechender Irrtümer als wesentlichen Irrtum betonen, Harke, ZEuP 2006, 326, 327 f.; ebenso: Grigoleit, Irrtum, Täuschung und Informationspflichten in den PECL und in den UP, 201, 217 f. 436 So richtig: Ernst, Streifzug durch die Dogmengeschichte, 1, 31; Tögel, Der Irrtum bei Vertragsschluss und dessen Risiko für die Vertragspartner, S. 159 ff. 437 Huber, Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung, S. 152. 438 Kritisch zur Verknüpfung des Wesentlichkeitskriteriums mit der Kenntnis bzw. dem Kennenmüssen des Anfechtungsgegners: Grigoleit, Irrtum, Täuschung und Informationspflichten in den PECL und in den UP, 201, 217. 439 Ebenso Ackermann/Franck, ERCL 2012, 113, 117: „it is far from clear what constitutes a fundamental mistake“; ähnlich Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 48 Rn. 6: „Aufgabe der Rechtsprechung, diesen Maßstab in der Praxis zu konkretisieren.“ 440 v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:103 Cmt. C., S. 266; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.7:201, Cmt. C., S. 459.
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Verantwortung des anderen Teils voraussetzt, sollte die Grenze der Wesentlichkeit nicht zu eng gezogen werden und ein Irrtum in Zweifelsfällen als wesentlich angesehen werden. Abzustellen soll für die Wesentlichkeit aber nicht auf den konkret Irrenden sein, sondern auf einen objektiven Dritten in dessen Position.441 Anders als der Wortlaut suggeriert, muss sich die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen der anderen Partei nicht auf den Irrtum beziehen. Entscheidend soll sein, dass, hätte die andere Partei vom Irrtum Kenntnis gehabt, sie entweder gewusst hätte oder hätte wissen müssen, dass der Irrende den Vertrag nicht oder nur mit wesentlich anderem Inhalt geschlossen hätte.442 Nicht wesentlich und damit nicht zur Anfechtung berechtigen soll ein reiner Wertirrtum sein,443 auch wenn dieser, wie nicht zu Unrecht vorgebracht wird, durchaus wesentlich sein kann444.
b) Zurechenbarkeit gegenüber dem Anfechtungsgegner Liegt ein wesentlicher Irrtum vor, ist dieser weiterhin nur dann beachtlich, wenn die andere Partei diesen verursacht hat, sie eine Aufklärungspflicht verletzt hat oder es sich um einen beidseitigen Irrtum handelt, Art. 48 Abs. 1 (b) CESL (Art. II.-7:201 Abs. 1 (b) DCFR, Art. 4:103 Abs. 1 (a) PECL).445 Dabei überschneiden sich die Tatbestände teilweise und ihr Verhältnis zueinander ist nicht völlig klar.446 Die Variante der Verursachung des Irrtums setzt kein Verschulden voraus447 und bezieht sich wohl nur auf Fälle der aktiven Verursachung448. Dafür spricht, dass der Fall der unterlassenen Aufklärung ein eigenes Tatbestandsmerkmal darstellt sowie die ansonsten zweifelhafte Abgrenzung zur Täuschung. Zudem 441 Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 48 Rn. 4; dies nur subsidiär heranziehend: Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 48 Rn. 26. 442 Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 48 Rn. 7; Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 48 Rn. 28 f.; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 963; Krüger, GPR 2014, 182, 185. 443 v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:103 Cmt. G., S. 269; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.7:201, Cmt. H., S. 462. 444 Ackermann/Franck, ERCL 2012, 113, 117; Jansen/Zimmermann, AcP 210 (2010), 196, 239, die zu Recht darauf hinweisen, dass dieser richtigerweise unter den Ausschlusstatbestand von Art. II.-7:201 Abs. 2 (b) DCFR fallen müsste. 445 Das CESL kennt darüber hinaus noch den Fall, dass der andere Teil seine nach dem CESL bestehenden vorvertraglichen Informationspflichten verletzt hat, wobei es sich dabei um Informationspflichten des Unternehmers gegenüber einem Verbraucher handelt. 446 Vgl. dazu kritisch Martens, AcP 211 (2011), 845, 856 f.; ders., Einigungsmängel im EU‑Kaufrecht, 179, 183; Kramer in: FS Bucher, 435, 450. 447 Looschelders, ZEuP 2009, 800, 809; Wolf, Willensmängel in einem europäischen Vertragsrecht, 85, 99; Huber, Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung, S. 153; v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:103 Cmt. D., S. 266 f.; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:201, Cmt. D, S. 459. 448 Ebenso: Looschelders, AcP 212 (2012), 581, 620; Tögel, Der Irrtum bei Vertragsschluss und dessen Risiko für die Vertragspartner, S. 242; Huber, Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung, S. 153.
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beziehen sich die Comments in ihren Ausführungen und ihrem Beispielsfall allein auf die Veranlassung durch aktives Verhalten.449 Die Verursachung des Irrtums durch mangelnde Aufklärung setzt die Verletzung einer Aufklärungspflicht voraus, die sich aus Treu und Glauben sowie den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs ergeben kann. Dabei zählt Art. 49 Abs. 3 CESL (Art. II.-7:205 Abs. 3 DCFR, Art. 4:107 Abs. 3 PECL) Umstände auf, aus denen eine Aufklärungspflicht resultieren kann. Dieser bezieht sich seiner Stellung nach auf die arglistige Täuschung durch Unterlassen. Die Kriterien zur Bestimmung einer Aufklärungspflicht lassen sich aber auch auf die Aufklärungspflicht beim Irrtum übertragen.450 Darüber hinaus berechtigt auch der gemeinsame Irrtum zur Anfechtung des Vertrags, Art. 48 Abs. 1 b) (iv) CESL (Art. II.-7:201 Abs. 1 (b) (iv) DCFR, Art. 4:103 Abs. 1 (a) (iii) PECL).
c) Kein Ausschluss Schließlich kann die Anfechtung ausgeschlossen sein, wenn die irrende Partei das Risiko des Irrtums übernommen hat oder es nach den Umständen von ihr getragen werden soll, Art. 48 Abs. 2 CESL (Art. II.-7:201 Abs. 2 (b) DCFR, Art. 4:103 Abs. 2 (b) PECL). Der Grund dafür ist, dass sich die irrende Partei durch die Anfechtung nicht gerade den Nachteilen entziehen können soll, deren Risiko sie nach dem Vertrag tragen sollte.451 Nach dem DCFR und den PECL ist darüber hinaus der Irrtum auch dann ausgeschlossen, wenn er „unentschuldbar“ war (Art. II.-7:201 Abs. 2 (a) DCFR, Art. 4:103 Abs. 2 (a) PECL).452 Dies ist der Fall, wenn die irrende Partei hauptsächlich selbst für ihren Irrtum verantwortlich ist, denn sie soll nicht die Folgen ihrer eigenen Nachlässigkeit auf den Vertragspartner abwälzen können.453 Wenn allerdings dem Vertragspartner ein Hinweis auf den Irrtum möglich gewesen wäre, soll die Nachlässigkeit der irrenden Partei wiederum unbeachtlich sein und der Irrtum ist nicht unentschuldbar.454 Teilweise wird erwogen, ob dieser Ausschlusstatbestand im CESL unter Art. 48 Abs. 2 2. Fall subsumiert werden könnte, wonach eine Anfechtung wegen Irrtums ausgeschlossen ist, wenn das Risiko des Irrtums den Umständen nach von der sich irrenden Partei getragen werden sollte. Dagegen spricht allerdings der Umstand, dass das CESL den Ausschlusstatbestand der Unentschuldbarkeit gerade nicht übernommen hat.455 449
v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:103 Cmt. D., S. 266 f.; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.7:201, Cmt. D, S. 459. 450 Ebenso Wojtas, Die Haftung für culpa in contrahendo in Polen und Deutschland, S. 242. 451 Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl., S. 250. 452 Diese Voraussetzung ablehnend: Kramer, ZEuP 2007, 247, 258 f. 453 v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:103 Cmt. I., S. 270; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.7:201, Cmt. J., S. 462 f. 454 Vgl. Nachweise in vorheriger Fußnote. 455 Martens, AcP 211 (2011), 845, 860.
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2. Täuschung Die Voraussetzungen der Anfechtung aufgrund einer Täuschung weisen im Grundsatz kaum Besonderheiten auf. Nach Art. 49 CESL (Art. II.-7:205 DCFR, Art. 4:107 PECL) muss die Täuschung arglistig sein, was Vorsatz bezüglich der Unwahrheit voraussetzt, jedenfalls aber Leichtfertigkeit, Art. 48 Abs. 2 CESL (Art. II.-7:205 Abs. 2 DCFR, Art. 4:107 Abs. 2 PECL456). Letzteres erfasst sog. „Behauptungen ins Blaue hinein“.457 Allerdings verlangt Art. 49 Abs. 2 CESL (Art. II.-7:205 DCFR, Art. 4:107 Abs. 2 PECL) zusätzlich noch eine Täuschungsabsicht. Je nachdem welche Anforderungen an die Täuschungsabsicht in der Praxis gestellt werden, könnte dies unter Umständen den Anwendungsbereich wegen arglistiger Täuschung reduzieren.458 Anders als bei der Anfechtung wegen Irrtums, muss der durch die Täuschung hervorgerufene Irrtum nicht wesentlich sein und die Anfechtung unterliegt auch keinen weiteren Einschränkungen.459 Die Täuschung kann auch durch Unterlassen der gebotenen Aufklärung geschehen. Für die Bestimmung, ob eine Aufklärungspflicht im konkreten Fall bestand, zählt Art. 49 Abs. 3 CESL (Art. II.- 7:205 Abs. 3 DCFR, Art. 4:107 Abs. 3 PECL) Kriterien auf, wie die besondere Sachkunde der potentiell aufklärungspflichtigen Partei, die Art der Information und wie leicht sie für den Vertragspartner selbst in Erfahrung zu bringen ist. Dabei handelt es sich um die auch im deutschen Recht bekannten Kriterien zur Bestimmung einer Aufklärungspflicht. Aus Gründen der Rechtsklarheit ist die ausdrückliche Aufnahme in den Gesetzeswortlaut zu begrüßen.
II. Rechtsfolgen 1. Anfechtungsrecht Die Rechtsfolgen eines Irrtums und der Täuschung bestehen in allen Entwürfen in einem Anfechtungsrecht der sich irrenden beziehungsweise getäuschten Partei, welches jeweils als Gestaltungsrecht ausgeformt ist und nur der (formlosen) Erklärung gegenüber der anderen Partei bedarf, vgl. Art. 52 Abs. 1 CESL (Art. II.-7:209 DCFR, Art. 4:113 PECL). Es handelt sich um die gleichen Bestimmungen, die auch für die Anfechtung wegen Unfair Exploitation einschlä456 In den PECL ergibt sich die Erfassung der Leichtfertigkeit nicht unmittelbar aus dem Wortlaut, dafür aber aus den Comments, vgl. v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:107 Cmt. I., S. 290. 457 Ebenso Martens, AcP 211 (2011), 845, 862; ders., Einigungsmängel im EU‑Kaufrecht, 179, 186; Grigoleit, Irrtum, Täuschung und Informationspflichten in den PECL und in den UP, 201, 205. 458 Gegen das Erfordernis und für bloße Kausalität: Martens, AcP 211 (2011), 845, 862; kritisch ebenfalls: Looschelders, AcP 212 (2012), 581, 625. 459 v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:107 Notes 1., S. 297; Martens, AcP 211 (2011), 845, 860.
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gig sind, sodass diesbezüglich im Grundsatz auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.460 Anders als DCFR und PECL differenziert das CESL schon dem Wortlaut nach bezüglich der Länge der Anfechtungsfrist zwischen Unfair Exploitation beziehungsweise Täuschung und Irrtümern. Nach Art. 52 Abs. 2 (b) CESL beträgt die Frist hier ein Jahr, während sie in Fällen des Irrtums sechs Monate beträgt. Nach dem DCFR bzw. den PECL ist die Anfechtung jeweils innerhalb einer den Umständen nach angemessenen Frist erforderlich. Denkbar ist es allerdings, dass die Umstände bei Fällen der Unfair Exploitation eine längere Frist rechtfertigen als beim normalen Irrtum und damit im Ergebnis eine ähnliche Differenzierung wie nach dem CESL möglich ist. Für das Irrtumsrecht wird teilweise die Anfechtungsfrist des CESL von sechs Monaten als zu lang empfunden, wobei das Interesse des anderen Teils am Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags betont wird.461 Aufgrund der erforderlichen Zurechnung des Irrtums gegenüber dem Anfechtungsgegners erscheinen sechs Monate aber noch als vertretbar. Zumal die Frist damit auch deutlich kürzer ist als im vergleichbaren österreichischen Recht, wo sie drei Jahre beträgt, allerdings auch unabhängig von der Kenntnis ab Vertragsschluss zu laufen beginnt.462
2. Anpassungsrecht des Anfechtungsgegners beim Irrtum Erklärt sich der Anfechtungsgegner bereit, den Vertrag in der vom Anfechtungsberechtigten gewollten Form gelten zu lassen, so ist eine Anfechtung ausgeschlossen und eine bereits erklärte Anfechtung wird unwirksam, vgl. Art. II.7:203 DCFR (Art. 4:105 PECL). Hintergrund dieser allgemein anerkannten Regelung ist, dass die Anfechtung nicht dazu führen soll, dass der Anfechtungsberechtigte besser gestellt wird als er ohne Irrtum stünde.463 Im CESL fehlt diese Bestimmung, ohne dass dies näher begründet wird. Ob damit eine tatsächliche Rechtsänderung vorgenommen werden sollte, erscheint angesichts dessen, dass diese Ausnahme in den nationalen europäischen Rechtsordnungen regelmäßig vorgesehen ist464, zweifelhaft. Näher liegt es deshalb, dass sie gestrichen wurde, weil man sie für überflüssig hielt und die Anfechtung weiterhin ausgeschlossen ist, wenn die Gegenpartei sich bereit erklärt, den Vertrag mit dem 460
Vgl. oben: B. II. 1. Anfechtungsrecht, S. 288 ff.
461 Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 52 Rn. 18; a. A.: Martens, AcP 211 462 Vgl. dazu oben: § 11 C. I. 3. Geltendmachung, S. 262 ff.
(2011), 845, 880.
463 MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 119 Rn. 152; Tögel, Der Irrtum bei Vertragsschluss und dessen Risiko für die Vertragspartner, S. 267; Lobinger, AcP 195 (1995), 274, 278 f. 464 Art. 1432 CCIt, Art. 6:230 BW, Art. 248 CCPort., Art. 46 Abs. 4 OZ (Slowenien), Art. 144 Griechisches ZGB; in Deutschland ist die Anfechtung nach § 242 BGB für diese Fälle ausgeschlossen (vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 566); vgl. auch Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 239: „Nach allgemeiner Ansicht entfällt das Anfechtungsrecht, wenn der Vertragspartner […] erklärt, […] den Vertrag so gelten zu lassen, wie ihn der Irrende ohne Irrtum geschlossen hätte.“
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Inhalt gelten zu lassen, wie ihn der Irrende verstanden hat.465 Dies beschränkt sich allerdings auf Fälle des Irrtums. Erfolgt die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, ist eine entsprechende Anpassung nicht möglich. Dies folgt aus der systematischen Stellung von Art. II.-7:203 DCFR (Art. 4:105 PECL), der hinter der Vorschrift über den Irrtum aber vor der Regelung über die Täuschung steht.
III. Vergleich zur Rechtslage in Deutschland und Bewertung Was die Beachtlichkeit und die Voraussetzungen einer Anfechtung wegen Irrtums angeht, ähneln die Model Rules mehr dem österreichischen als dem deutschen Recht. Während das deutsche Recht bei der Beachtlichkeit von Willensmängeln in § 119 Abs. 1 BGB die fehlerfreie Willensäußerung ins Zentrum stellt, legen die Vorschriften im CESL, DCFR und den PECL mehr Wert auf den Verkehrsschutz und das Vertrauen des Erklärungsempfängers auf das objektiv Erklärte.466 Dabei ist das Irrtumsrecht der Model Rules aber nicht automatisch restriktiver als das deutsche Irrtumsrecht. Es ist einerseits weiter, andererseits enger. Weiter ist es insofern, als dass die Model Rules keine Beschränkung auf eine bestimmte Art von Irrtum kennen, wie das deutsche Recht mit § 119 BGB, sondern jede Form von Tatsachen- und Rechtsirrtum erfassen. Das Risiko des Irrtums verschiebt sich damit nach den Regelungen von PECL, DCFR und CESL, insbesondere auch durch die Anerkennung des Motivirrtums, im Vergleich zum BGB zunächst zulasten des Erklärungsempfängers.467 Andererseits wird durch die Einschränkung der Irrtumsanfechtung mittels einer gewissen Verantwortlichkeit des Anfechtungsgegners für den Irrtum dessen Bedürfnis nach dem Schutz seines Vertrauens auf die Wirksamkeit des geschlossenen Vertrags Rechnung getragen. Eine Anfechtung ist danach nur möglich, wenn der Erklärungsempfänger aus den im Gesetz genannten Gründen nicht schutzwürdig ist. Dadurch verschiebt sich wiederum das Risiko des Irrtums in Richtung des sich Irrenden, denn ohne Verantwortung des anderen Teils ist eine Anfechtung nicht möglich. Dies stellt einen großen Unterschied zum deutschen Recht dar, das die Seite des Anfechtungsgegners bei der Frage nach der Zulässigkeit der Anfechtung völlig ausblendet und dessen Vertrauen erst im Rahmen des Schadensersatzanspruchs nach § 122 BGB schützt. Hinzu kommt, dass nicht jeder Irrtum zur Anfechtung berechtigt, sondern nur ein solcher, der wesentlich ist. Das Wesentlichkeitskriterium schränkt die Irrtumsanfechtung ein, weil die Rückabwicklung des Vertrags häufig mit großem Aufwand verbunden ist, der ver465 Ebenso
Ackermann/Franck, ERCL 2012, 113, 136. Martens, AcP 211 (2011), 845, 854; Jansen/Zimmermann, AcP 210 (2010), 196, 232 ff.; Wolf, Willensmängel in einem europäischen Vertragsrecht, 85, 93 u. 97; Krüger, GPR 2014, 182, 185. 467 Tögel, Der Irrtum bei Vertragsschluss und dessen Risiko für die Vertragspartner, S. 167. 466
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mieden werden soll, wenn die Willensstörung nicht erheblich ist.468 Insgesamt wird davon ausgegangen, dass eine Irrtumsanfechtung nach den Model Rules in weitaus weniger Fällen möglich ist als nach deutschem Recht.469 Die Geltendmachung der Anfechtung entspricht im Prinzip derjenigen im deutschen Recht. Jeweils ist innerhalb einer bestimmten Frist eine formlose Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner abzugeben und die Anfechtung wirkt ex tunc. Einzig die Anfechtungsfrist ist im CESL mit sechs Monaten deutlich länger als nach § 121 Abs. 1 BGB. Angesichts der erforderlichen Zurechenbarkeit des Irrtums gegenüber dem Anfechtungsgegner ist eine längere Frist aber durchaus hinnehmbar. Der Anfechtungsgegner kann die Anfechtung dadurch abwenden, dass er sich bereit erklärt, den Vertrag so gelten zu lassen, wie es von der sich irrenden Partei angenommen wurde. Ebenfalls ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn der Anfechtungsberechtigte das Rechtsgeschäft bestätigt hat.
D. Culpa in contrahendo Die Haftung aus culpa in contrahendo ist den Model Rules nicht unbekannt, auch wenn keiner der Vorschläge eine Generalklausel entsprechend § 311 Abs. 2 BGB kennt, sondern stattdessen einzelne Spezialbereiche der vorvertraglichen Haftung jeweils eigenständig geregelt sind. So enthält der DCFR im dritten Kapitel des zweiten Buchs (Marketing and pre-contractual-duties)470 mit Art. II.-3:201 f. (Art. 2:301 f. PECL) zwei Vorschriften über Pflichten bei Vertragsverhandlungen. Diese betreffen den Abbruch von Vertragsverhandlungen entgegen Treu und Glauben und den Umgang mit im Rahmen von Vertragsverhandlungen erhaltenen vertraulichen Informationen. Da sie keinen Bezug zu Äquivalenzstörungen aufweisen, sind sie für die vorliegende Thematik aber nicht von Interesse. Außerdem enthält das entsprechende Kapitel im DCFR noch eine Reihe von Informationspflichten und geht dabei über den Inhalt der PECL hinaus. In allen Fällen besteht nach Art. II.-3:501 DCFR ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Partei, die gegen ihre vorvertragliche Pflicht verstoßen hat. Das CESL hat diese Vorschriften nicht übernommen, enthält aber mit Art. 2 CESL eine allgemeine Pflicht, das Verhalten nach den Grundsätzen von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs auszurichten. Ein Verstoß kann zum Ausschluss von Rechten und Einwendungen bis hin zur Verpflichtung führen, der anderen Partei den durch die Verletzung erlittenen Verlust zu ersetzen, vgl. Art. 2 Abs. 2 CESL. Auch wenn die Norm nichts über ihren zeitlichen Anwendungsbereich aussagt und wahrscheinlich primär im Rahmen 468 469
Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, 163, 179. Ernst, Streifzug durch die Dogmengeschichte, 1, 32; Harke, ZEuP 2006, 326, 327 f. 470 Dies entspricht Abschnitt 3 des zweiten Kapitels der PECL: „Haftung bei Vertragsverhandlungen“.
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eines bereits geschlossenen Vertrags Anwendung findet, könnte diese Vorschrift dennoch als dogmatische Grundlage für die Etablierung einer Generalklausel für die Haftung aus culpa in contrahendo dienen, da sie die Einbeziehung des vorvertraglichen Bereichs jedenfalls nicht ausschließt.471 Darüber hinaus enthält das CESL im zweiten Kapitel zahlreiche Regelungen über vorvertragliche Informationspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher. Art. 29 CESL regelt die Rechtsfolgen von entsprechenden Verstößen, die nach Absatz 1 insbesondere in einem Schadensersatzanspruch bestehen. Der Anspruch erfordert kein Verschulden,472 soll aber nur Ersatz in Geld gewähren und nicht auf Vertragsaufhebung gerichtet sein können.473 Er beschränkt sich jedoch auf die Verletzung der im zweiten Kapitel speziell geregelten Informationspflichten, die hier nicht von Bedeutung sind, und daher vorliegend nicht weiter erörtert werden. Schließlich existiert mit Art. 55 CESL (Art. II.-7:214 DCFR, Art. 4:117 PECL) ein Schadensersatzanspruch des Irrenden, Getäuschten und Ausgenutzten. Hierbei handelt es sich letztlich um die Ausprägung der Haftung aus culpa in contrahendo,474 die genau den Teilbereich betrifft, der im vorliegenden Kontext von Interesse ist. Äquivalenzstörungen sind nämlich oft das Resultat einer Ausnutzung, Täuschung oder eines Irrtums. Insofern soll Art. 55 CESL (Art. II.7:214 DCFR, Art. 4:117 PECL) im Folgenden näher betrachtet werden.
I. Art. 55 CESL (Art. II.-7:214 DCFR, Art. 4:117 Abs. 2 PECL) Der in Art. 55 CESL (Art. II.-7:214 DCFR, Art. 4:117 PECL) normierte Schadensersatzanspruch steht der anfechtungsberechtigten Partei für infolge des Irrtums, der Täuschung oder Unfairen Ausnutzung erlittene Verluste zu. Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob der Vertrag angefochten wird oder nicht und sogar dann noch, wenn die Anfechtungsfrist bereits abgelaufen ist oder der Vertrag bestätigt wurde, Art. 55 CESL (Art. II.-7:214 DCFR, Art. 4:117 Abs. 2 PECL). Damit kann die anfechtungsberechtigte Partei auch am Vertrag festhalten und gleichzeitig Schadensersatz verlangen.475 Ebenso kann im 471 So zu Recht: Mansel, WM 2012, 1309, 1320; Martens, Einigungsmängel im EU‑Kaufrecht, 179, 181; vgl. auch Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 2 Rn. 5, der der Ansicht ist, die Norm erfasse auch den vorvertraglichen Bereich. 472 Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 29 Rn. 4; Mansel, WM 2012, 1309, 1311; Kramer, ZEuP 2012, 898, 901; Lurger, Am Vorabend eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts, 63, 72. 473 Wojtas, Die Haftung für culpa in contrahendo in Polen und Deutschland, S. 242; Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 29 Rn. 5; Benninghoff, Vorvertragliche Informationspflichten im Entwurf für ein GEK, 87, 107. 474 So zu Recht: Schulze/Zoll, European Contract Law, Ch. 3 Rn. 123; Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 55 Rn. 1 f. 475 So ausdrücklich v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:117, Cmt. A., S. 332; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:214 Cmt. A, S. 529.
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Fall der Vertragsanpassung Schadensersatz verlangt werden, sofern dem Gläubiger ein Schaden entstanden ist, der nicht durch die Vertragsanpassung ausgeglichen wird.476 Der Anspruch unterliegt der allgemeinen Verjährungsfrist. Diese beträgt nach Art. 179 Abs. 1 CESL zwei Jahre, nach Art. III.-7:201 DCFR (Art. 14:201 PECL) drei Jahre und beginnt jeweils mit Kenntnis bzw. Kennenmüssen der anspruchsbegründenden Tatsachen (Art. 180 Abs. 1 CESL, Art. III.7:203 i. V. m. Art. III.-7:301 DCFR, Art. 14:203 i. V. m. Art. 14:301 PECL). Das CESL enthält neben dieser sog. kurzen Verjährungsfrist auch noch eine lange Verjährungsfrist von zehn Jahren, die kenntnisunabhängig ab Entstehung des Anspruchs zu laufen beginnt (Art. 179 Abs. 2, 180 Abs. 2 CESL).
1. Tatbestand a) Bestehen eines Anfechtungsrechts Erste Voraussetzung ist, dass dem Gläubiger ein Anfechtungsrecht wegen Unfairer Ausnutzung, Täuschung oder Irrtums zusteht. Indem der Schadensersatzanspruch an das Bestehen eines Anfechtungsrechts geknüpft wird, ist für Fälle des Irrtums zu beachten, dass dadurch nicht jeder Irrtum zu einem Schadensersatzanspruch führt, sondern nur ein wesentlicher Irrtum und das auch nur bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des Art. 48 CESL (Art. II.7:201 DCFR, Art. 4:103 PECL). Dies schränkt den Anwendungsbereich von Art. 55 CESL in Fällen des Irrtums (stark) ein. Nach Art. 4:106 PECL kann Schadensersatz über Art. 4:117 PECL hinaus allerdings auch bei vom Vertragspartner gemachten unzutreffenden Angaben verlangt werden, unabhängig davon, ob dadurch ein wesentlicher Irrtum i. S. v. Art. 4:103 PECL hervorgerufen wird und ob der Erklärende bei Abgabe der unzutreffenden Angabe schuldhaft gehandelt hat. Erforderlich ist allerdings, dass der Erklärende keinen Grund zu der Annahme hatte, dass seine Angabe der Wahrheit entspricht, Art. 4:106 PECL. Diese Formulierung deutet in Richtung grober, nicht aber bloß einfacher Fahrlässigkeit. Unter den gleichen Voraussetzungen wie Art. 4:106 PECL sieht auch Art. II.-7:204 DCFR einen Anspruch auf Schadensersatz vor, ohne jedoch auf Art. II.-7:214 DCFR zu verweisen. Vielmehr ordnet Art. II.-7:204 DCFR gleich selbst die entsprechende Schadensersatzpflicht an. Beide Vorschriften beziehen sich aber offenbar nur auf einen durch eine aktive Fehlinformation hervorgerufenen Irrtum und nicht auf die (fahrlässige) Verletzung einer Aufklärungspflicht. Der Wortlaut spricht nämlich von „unzutreffenden Angaben“ (Art. 4:106 PECL) bzw. „incorrect information“ (Art. II.-7:204 DCFR) des Vertragspartners, auf die der sich Irrende vertraut haben muss. Zudem soll nach den entsprechenden Comments durch Art. II.476 v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:117, Cmt. F, S. 335. In den Comments zum DCFR fehlt Entsprechendes.
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7:204 DCFR (Art. 4:106 PECL) die Frage beantwortet werden, wer das Risiko einer unzutreffenden Angabe tragen soll.477 Vor allem enthalten der DCFR und die PECL das Unterlassen der geschuldeten Aufklärung sowohl beim Irrtum als auch der Täuschung jeweils als eigenständige Tatbestandsvariante im Normtext, sodass das Fehlen in Art. II.-7:204 DCFR (Art. 4:106 PECL) darauf hindeutet, dass ein Unterlassen gerade nicht erfasst sein soll. Im CESL hingegen fehlt eine solche Vorschrift, sodass es hier bei Art. 55 und der eingangs beschriebenen Beschränkung auf Irrtümer i. S. v. Art. 48 Abs. 1 CESL bleibt. Der daraus im CESL resultierende Gleichlauf von Schadensersatzanspruch und Anfechtung sieht sich Kritik ausgesetzt, die u. a. das Wesentlichkeitskriterium als Voraussetzung der Irrtumsanfechtung betrifft, das für einen allein auf Ersatz in Geld gerichteten Schadensersatzanspruch nicht sinnvoll sei.478
b) Kenntnis oder Kennenmüssen der maßgebenden Umstände Weitere Voraussetzung ist jeweils, dass der Anfechtungsgegner die „maßgebenden Umstände“, aus denen sich das Recht zur Anfechtung ergibt, kannte oder kennen musste. Welche dies sind, wird nicht präzisiert und bleibt daher etwas unklar.479 Blickt man auf den Wortlaut der Vorschriften, beziehen sich die maßgeblichen Umstände auf die zuvor genannten Anfechtungstatbestände, sodass zumindest das Kennenmüssen der Tatsachen, die das jeweilige Anfechtungsrecht begründen, erforderlich, aber auch ausreichend sein dürfte.480 Zunächst scheint es daher, dass die Vorschrift kein spezielles Verschulden erfordert, denn allein ein Kennenmüssen der zur Anfechtung berechtigenden Umstände kann nicht schuldhaft sein, weil sich Verschulden nur auf ein Verhalten beziehen kann, nicht aber auf eine (Un-)Kenntnis. Es gibt keine schuldhafte Kenntnis. Allerdings wird bei der Täuschung stets und der Unfairen Ausnutzung gewöhnlich ein Verschulden des Anfechtungsgegners ohnehin vorliegen. Nicht zwingend notwendig ist dies beim Irrtum, auch wenn dieser nach CESL, DCFR und PECL die Zurechnung gegenüber dem Anfechtungsgegner voraussetzt. So reicht etwa für die Veranlassung des Irrtums durch den Anfechtungsgegner auch schuldloses Handeln.481 Ob dann das Kennenmüssen der zur Anfechtung berechtigenden Voraussetzungen ein ausreichendes Verschulden für einen Scha477
v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:106, Cmt. B., S. 289 f.; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.7:204 Cmt. B., S. 487 f. 478 Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 55 Rn. 2; ders., Einigungsmängel im EU‑Kaufrecht, 179, 197; Jansen, Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, 169, 198 f. 479 So auch Martens, Einigungsmängel im EU‑Kaufrecht, 179, 197; Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 55 Fn. 2. 480 Ebenso Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 55 Rn. 11 ff.; Looschelders, AcP 212 (2012), 581, 632. 481 Vgl. oben: C. I. 1. b) Zurechenbarkeit gegenüber dem Anfechtungsgegner, S. 299 f.
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densersatzanspruch darstellt, erscheint zweifelhaft.482 Begründen ließe sich dies in der soeben geschilderten Konstellation wohl nur damit, dass der Anfechtungsgegner, der einen Irrtum (schuldlos) verursacht hat, zur Aufklärung verpflichtet ist (Gedanke der Ingerenz), sodass die Kenntnis der Umstände bzw. das Kennenmüssen im Falle der Untätigkeit ein Verschulden begründet. Dann liegt der Verschuldensvorwurf allerdings nicht mehr in der Kenntnis der die Anfechtung begründenden Umstände, sondern in der fehlenden Aufklärung.
2. Rechtsfolgen Während das CESL nur von Verlusten spricht, die ausgeglichen werden müssen, sind die Regelungen in den PECL und im DCFR bezüglich des Umfangs des zu ersetzenden Schadens konkreter. So stellt Art. II.-7:214 Abs. 2 DCFR (Art. 4:117 Abs. 1 PECL) klar, dass die anfechtungsberechtigte Partei so zu stellen ist, als hätte sie den Vertrag nicht geschlossen. Der Anspruch ist damit auf Ersatz des negativen Interesses gerichtet.483 Bezüglich Art. 55 CESL ist offen, ob er ebenfalls nur das negative Interesse ersetzt oder auch das positive umfassen kann.484 In der Literatur wird meist davon ausgegangen, dass er gleichermaßen nur auf Ersatz des negativen Interesses gerichtet ist.485 Dies erscheint angesichts seiner Vorgängerbestimmungen naheliegend. Auch der von Art. 51 CESL verwendete Begriff „Verluste“ spricht dafür. Dieser wird zwar in Art. 2 (c) CESL legal definiert, ohne dass dadurch allerdings viel gewonnen wird, da nur festgestellt wird, dass der Begriff des Verlustes sowohl den materiellen als auch immateriellen Verlust meint. Der Begriff Verlust deutet aber auf eine Verschlechterung im Vergleich zum Status quo (der hier in der Situation ohne Ausnutzung, Irrtum oder Täuschung besteht) im Sinne einer Einbuße oder Verminderung hin und spricht deshalb ebenfalls für eine Begrenzung auf das negative Interesse.
a) Konkret ersatzfähiger Schaden Der ersatzfähige Schaden hängt im Ausgangspunkt davon ab, ob der Anspruch aus Art. 55 CESL (Art. II-7:214 DCFR, Art. 4:117 PECL) neben der Anfechtung geltend gemacht wird oder ob auf diese verzichtet wird, denn beides ist 482
Bejahend allerdings: Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 55 Rn. 1. CESL, Art. 55 Rn. 17; Looschelders, AcP 212 (2012), 581, 632; Grigoleit, Irrtum, Täuschung und Informationspflichten in den PECL und in den UP, 201, 206; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 964. 484 Dies wird in der Literatur häufig kritisiert und für eine Klarstellung im Sinne einer Orientierung an den Vorschriften im DCFR und den PECL plädiert, vgl. u. a. Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 55 Rn. 20; Martens, AcP 211 (2011), 845, 882. 485 Looschelders, AcP 212 (2012), 581, 632; Schulze/Zoll, European Contract Law, Ch. 3 Rn. 124; Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 55 Rn. 17; Wojtas, Die Haftung für culpa in contrahendo in Polen und Deutschland, S. 242. 483 Schulze/Pfeiffer,
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möglich. Erklärt die anfechtungsberechtigte Partei die Anfechtung und werden durch die Rückabwicklung nicht sämtliche Nachteile bzw. Schäden behoben, ist es über Art. 55 CESL (Art. II-7:214 DCFR, Art. 4:117 PECL) möglich, den übrigen Schaden zu liquidieren. Hat die anfechtungsberechtigte Partei ihren eigenen Schaden dadurch mitverursacht, dass ihr der Irrtum hätte auffallen können, kann ihr Anspruch auf Schadensersatz gemindert werden, Art. 163 CESL (Art. III.-3:704 f. DCFR, Art. 9:504 f. PECL).486 Hält die anfechtungsberechtigte Partei hingegen am Vertrag fest und verlangt Schadensersatz, kann der Gläubiger nicht den Ersatz seines vollen negativen Intereses verlangen, d. h. gerade nicht die Herstellung des Zustands, in dem er sich ohne Vertragsschluss befände, da er durch das Festhalten am Vertrag zum Ausdruck bringt, dass er diesen Zustand nicht begehrt.487 Ansonsten bestünde nämlich die Gefahr, dass der Gläubiger andere Schäden, wie eine allgemeine Wertminderung des Vertragsgegenstands, auf den Vertragspartner überwälze.488 Der Anspruch beschränkt sich daher in diesem Fall auf den Ausgleich des störungsspezifischen Nachteils, das heißt, der Gläubiger ist so zu stellen, wie der Vertrag ohne den Irrtum, die Täuschung bzw. unfaire Ausnutzung geschlossen worden wäre.489 Man steht damit wiederum vor dem schon aus dem deutschen Recht bekannten Problem der (haftungsausfüllenden) Kausalität,490 das darin besteht, dass es regelmäßig kaum nachweisbar ist, wie und ob sich die Parteien (insbesondere der Vertragspartner des Gläubigers) ohne den Irrtum bzw. die Ausnutzung oder Täuschung auf für den Gläubiger günstigere Konditionen eingelassen hätten.491 Inwiefern dann etwaige Beweiserleichterungen zugunsten des Gläubigers bestehen, wie etwa in Deutschland die vom BGH verwendete Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens,492 bleibt unklar. Die Problematik wird von den Comments zu PECL und DCFR nicht angesprochen. Um die Vorschrift in diesen Fällen nicht leer laufen zu lassen, sollte allerdings auf eine Beweiserleichterung zurückgegriffen werden. 486
v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:117, Cmt. E., S. 335; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.7:214 Cmt. E., S. 531. 487 Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, 163, 183; Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 55 Rn. 19; dies stellen auch die Comments klar: v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:117, Cmt. C., S. 334 f.; v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:214 Cmt. C, S. 530. 488 Vgl. Nachweise in vorheriger Fußnote. 489 Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, 163, 183; Schulze/Zoll, European Contract Law, Ch. 3 Rn. 124; Looschelders, ZEuP 2009, 800, 809; Schulze/Pfeiffer, CESL, Art. 55 Rn. 19. 490 Vgl. dazu oben: § 8 C. II. Rechtsfolgen der culpa in contrahendo, S. 145 ff. 491 Zu Recht ebenso: Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, 163, 183; ders., Irrtum, Täuschung und Informationspflichten in den PECL und in den UP, 201, 219; Martens, AcP 211 (2011), 845, 883. 492 Vgl. dazu oben: § 8 C. II. 1. b) Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, S. 147 ff.
310
Kapitel 3: Rechtsvergleich
Im Fall des Art. II.-7:204 DCFR kann der Gläubiger den Schaden ersetzt verlangen, der ihm durch das Vertrauen auf die von der anderen Partei gegebene falsche Information entstanden ist, d. h. das negative Interesse.493 Er kann jedoch nicht so gestellt werden, wie er bei Richtigkeit der Information stünde. Art. 4:106 PECL verweist auf Art. 4:117 PECL, sodass als Schadensersatz ebenfalls nur das negative Interesse verlangt werden kann. Hätte der Gläubiger die Unrichtigkeit der Information erkennen können bzw. die Information hätte überprüfen müssen, wird sein Anspruch auf Schadensersatz herabgesetzt.494
b) Vertragsaufhebung im Wege der Naturalrestitution Aus Art. 55 CESL (Art. II.-7:214 DCFR, Art. 4:117 PECL) ergibt sich nicht unmittelbar, ob der Gläubiger neben der Anfechtung auch über den Schadensersatzanspruch im Wege der Naturalrestitution die Aufhebung des Vertrags verlangen kann. Allein aus dem Umstand, dass der Schadensersatzanspruch ausdrücklich neben der Anfechtung geltend gemacht werden kann, kann die Zulässigkeit der Vertragsaufhebung im Wege der Naturalrestitution jedenfalls nicht geschlossen werden, da damit auch nur die soeben geschilderte Möglichkeit, am Vertrag festzuhalten und den Differenzschaden zu verlangen, gemeint sein kann. Die Comments zu DCFR und PECL erwähnen den Fall der Aufhebung des Vertrags als Rechtsfolge des Schadensersatzanspruchs nicht. Sie sprechen allerdings stets von Schadensersatz, der in Geld zu ersetzen ist, und scheinen daher nicht von der Möglichkeit der Vertragsaufhebung im Wege des Schadensersatzes auszugehen. In der Literatur wird zu dieser Frage so gut wie nicht Stellung genommen. Soweit ersichtlich, erwähnt einzig Wojtas diese Problematik und geht davon aus, dass der Begriff der Verluste nach dem CESL lediglich Ersatz in Geld meint und keine Vertragsaufhebung im Wege der Naturalrestitution ermöglicht.495 Tatsächlich bezieht sich der Begriff des Schadensersatzes allein auf einen Geldbetrag (vgl. Art. 2 (g) CESL und die Definitions im Anhang des DCFR zum Begriff „damages“), sodass eine Vertragsaufhebung als Rechtsfolge des Schadensersatzes ausscheidet. Da Art. 55 CESL ohnehin an das Bestehen eines Anfechtungsrechts anknüpft, bestünde für eine Vertragsaufhebung im Wege der Naturalrestitution ohnehin kaum ein eigener Anwendungsbereich, abgesehen von der unter Umständen unterschiedlich langen Verjährung. Weiter könnte der Anwendungsbereich im DCFR und den PECL sein, da hier Art. II.7:206 DCFR und Art. 4:106 PECL einen Schadensersatzanspruch für unzutreffende Angaben unabhängig von der Existenz eines Anfechtungsrechts normieren. Aufgrund des verwendeten Begriffs der „damages“ beschränkt sich dieser Anspruch aber auf Schadensersatz in Geld. 493 494
v. Bar/Clive, DCFR, Art. II.-7:204, Cmt. E, S. 489. v. Bar/Zimmermann, PECL, Art. 4:106, Cmt. C, S. 290. 495 Wojtas, Die Haftung für culpa in contrahendo in Polen und Deutschland, S. 242.
§ 12 PECL/DCFR/CESL
311
II. Vergleich zur Rechtslage in Deutschland und Bewertung Anders als im deutschen Recht enthalten die Model Rules keine allgemeine Regelung über die Haftung aus culpa in contrahendo. Stattdessen sind lediglich einzelne Bereiche und Pflichten konkret ausgestaltet und diesbezüglich werden die Rechtsfolgen jeweils einzeln angeordnet, wobei für die vorliegende Untersuchung allein Art. 55 CESL (Art. II.-7:214 DCFR, Art. 4:117 PECL) von Bedeutung ist. Durch die Beschränkung des Anspruchs auf das Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen muss man jedoch sehen, dass insbesondere der Anwendungsbereich von Art. 55 CESL im Vergleich zu Ansprüchen aus c. i. c. im deutschen Recht deutlich reduziert ist.496 Hier können Ansprüche aus culpa in contrahendo nämlich unabhängig vom Vorliegen eines nach § 119 BGB beachtlichen Irrtums geltend gemacht werden. Anders als nach dem BGB führt die Haftung nach Art. 55 CESL daher nicht zu einer Erweiterung der Irrtumsanfechtung, selbst wenn man die Vertragsaufhebung im Wege der Naturalrestitution zuließe. Für die PECL und den DCFR trifft dies aufgrund von Art. II.7:204 DCFR bzw. Art. 4:106 PECL nicht in gleicher Weise zu, denn diese gewähren einen Schadensersatzanspruch für Fälle der unrichtigen Information, auch wenn daraus kein Anfechtungsrecht resultiert. Sie kommen deshalb den Ansprüchen aus culpa in contrahendo im deutschen Recht näher, auch wenn sie kein Unterlassen erfassen und eine Vertragsaufhebung offenbar nicht möglich ist. Sofern Art. 55 CESL (Art. II.-7:214 DCFR, Art. 4:117 PECL) einschlägig ist, kann die benachteiligte Partei am Vertrag festhalten und über diesen den Schaden ersetzt verlangen, der darin besteht, was sie aufgrund der Ausnutzung zu viel bezahlt hat. Das entspricht dem Schaden, den der BGH als Differenzschaden bezeichnet.497 Insofern ergeben sich hier keine Unterschiede zum deutschen Recht und wirtschaftlich betrachtet ist nach dem CESL, DCFR und den PECL damit eine Vertragsanpassung im Wege des Schadensersatzes möglich. Da der erforderliche Nachweis, dass auch der Schädiger zu niedrigeren Konditionen kontrahiert hätte, aber schwer zu führen ist, wird es für die praktische Bedeutung des Schadensersatzanspruchs maßgeblich darauf ankommen, ob man zugunsten des Gläubigers diesbezüglich Beweiserleichterungen schafft oder nicht. Wenn der Vertrag angefochten wird und die Schäden der benachteiligten Partei nicht allein durch die Rückabwicklung ausgeglichen werden, enstpricht die Rechtslage nach dem CESL, DCFR und den PECL derjenigen in Deutschland und Österreich. Eine Vertragsaufhebung im Wege der Naturalrestitution ermöglicht der Schadensersatzanspruch nach Art. 55 CESL (Art. II.-7:214 DCFR, 496 Zu
Rn. 2.
497
Recht auf die Beschränkung hinweisend: Schmidt-Kessel/Martens, CESL, Art. 55
Vgl. oben: § 8 C. II. 2. b) „Praktische“ Vertragsanpassung, S. 151 ff.
312
Kapitel 3: Rechtsvergleich
Art. 4:117 PECL) nicht, sodass dieser anders als in Deutschland oder auch Österreich und Polen498 nicht in Konkurrenz zur Vertragsaufhebung mittels Anfechtung steht.
E. Fazit zu PECL/DCFR und CESL Die Regelungen des CESL, insbesondere aber des DCFR und der PECL sind auf Rechtsfolgenseite geprägt von möglichst großer Flexibilität und dem Bestreben, im Einzelfall eine der Störung bzw. dem Verstoß angemessene Lösung unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit zu finden. Weitgehend parallel zum deutschen Recht sind die Rechtsfolgen der Anfechtung ausgestaltet, wobei sich hier auf Tatbestandsseite ganz erhebliche Unterschiede ergeben. Am deutlichsten wird der Unterschied bei den Rechtsfolgen zwischen den Fällen der Unfairen Ausnutzung und § 138 BGB. Im Detail sind jedoch zahlreiche Einzelheiten im CESL, DCFR und den PECL mangels konkretisierender Rechtsprechung unklar. Auffällig ist, dass die tatbestandliche Nähe von Irrtum, Täuschung und Unfair Exploitation499 in PECL, DCFR und CESL unmittelbar sichtbar Niederschlag gefunden hat. Dies zeigt sich nicht nur durch einen gemeinsamen Standort innerhalb der Werke, sondern speziell dadurch, dass zahlreiche Normen für Irrtum, Täuschung und Unfair Exploitation gleichermaßen gelten und für alle Fälle gleichermaßen ein Anfechtungsrecht normiert wird. Damit bringen die Verfasser die enge Verknüpfung zwischen diesen Tatbeständen zum Ausdruck und dass diese auf vergleichbaren Wertungen basieren, insbesondere der, dass es der jeweils geschützten Partei obliegt, gegen den Vertrag vorzugehen oder ihn gelten zu lassen, weil er trotz einer zur Anfechtung berechtigenden Störung ihrem Interesse entspricht. Insgesamt sind die Vorschläge darauf ausgelegt, die Vertragsauflösung und als Folge die Rückabwicklung des Vertrags auf ein Minimum zu beschränken. Deutlich wird dies unter anderem im Bereich der Unfair Exploitation durch das in den PECL und im DCFR vorgesehene Anpassungsrecht, das beiden Parteien und damit auch dem Begünstigten zusteht. Aber auch die Regelungen über sitten- und verbotswidrige Rechtsgeschäfte zeichnen sich durch ein hohes Maß an Flexibilität auf Rechtsfolgenseite aus, das der Möglichkeit der Aufrechterhaltung des Rechtsgeschäfts dient. Am deutlichsten wird dies bei der Ermächtigung des Richters, den Vertrag bei einem Verstoß gegen gesetzliche Verbote anzupassen.
498 Vgl. dazu Wojtas, Die Haftung für culpa in contrahendo in Polen und Deutschland, S. 157. 499 Vgl. zu diesem Gedanken bereits oben: § 9 C. I. 2. Stellungnahme, S. 190 ff.
Kapitel 4
Neukonzeption und ihre Integration in das geltende deutsche Recht § 13 (Neu-)Bestimmung der Rechtsfolgen von anfänglichen Äquivalenzstörungen Der vorangegangene Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus bildet zusammen mit der Analyse der Interessenlage der beteiligten Parteien (§ 6) und der Probleme des deutschen Rechts (§ 9) die erforderliche Grundlage, um sich nun der Frage zu widmen, wie eine mögliche Korrektur für den Umgang mit äquivalenzgestörten Verträgen auf Rechtsfolgenseite aussehen könnte.
A. Vorüberlegungen I. Tatbestände 1. Differenzierung zwischen Wucher und Läsion Da eine Rechtsfolge nicht losgelöst vom Tatbestand einer Norm betrachtet werden kann, muss dieser zunächst festgestellt werden. Blickt man auf die im Detail zwar oft unterschiedlichen Tatbestände, mit denen anfängliche Äquivalenzstörungen in den europäischen Rechtsordnungen erfasst werden, lassen sich dennoch zwei verschiedene Grundkonzeptionen unterscheiden: die klassische Läsion, die als einzigen Anknüpfungspunkt eine massive Äquivalenzstörung, regelmäßig bei Überschreitung des Werts der Gegenleistung um 100 %, kennt, und der moderne Wuchertatbestand, der auch schon bei geringeren Äquivalenzstörungen eingreift, daneben aber die Ausnutzung einer Schwächelage der benachteiligten Partei voraussetzt. Insofern soll auch hier im Ausgangspunkt bezüglich der Rechtsfolgen zwischen diesen differenziert werden. Dabei besteht zwischen Tatbestand und Rechtsfolge eine Wechselbeziehung. Je nach Erheblichkeit und Art des Mangels auf Tatbestandsseite müssen die Rechtsfolgen angemessen abgestuft werden.1 Im Fall der Läsion müssen die Interessen des Bevorteilten bei der Festlegung der Rechtsfolgen weitaus stärker berücksichtigt werden als beim Wucher.2 Wie bei der klassischen laesio enor1
Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 3 N. 6; Lüke/Zawar, JuS 1970, 205,
2
Vgl. auch schon oben: § 9 D. Zusammenfassung, S. 213 f.
205.
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Kapitel 4: Neukonzeption und ihre Integration
mis aus römischer Zeit soll die Läsion nämlich nicht der Bestrafung der begünstigten Partei oder präventiven Zwecken dienen,3 denn man geht davon aus oder muss mangels Nachweis davon ausgehen, dass der Begünstigte nicht verwerflich gehandelt hat.4 Dies führt dazu, dass hier eine sorgfältige Abwägung und ein genauer Ausgleich der beiderseitigen Interessen erforderlich sind, um zu einer angemessenen Lösung zu gelangen. In den Fällen des Wuchers dagegen ist den Interessen des Bewucherten der Vorzug zu geben und die Rechtsfolgen haben sich deshalb primär an ihm und seinen Bedürfnissen zu orientieren. Soweit die verschiedenen Modelle parallel behandelt werden können, sollen sie auch im Folgenden gemeinsam erörtert werden. Erst an den Punkten, an denen eine unterschiedliche Behandlung bei den Rechtsfolgen notwendig wird oder zumindest angedacht werden kann, wird die Erörterung über die angemessenen Rechtsfolgen getrennt erfolgen.
2. Vermutung des Ausnutzens bei extremer Äquivalenzstörung Auch wenn es richtig ist, dass die Läsion kein verwerfliches Verhalten der begünstigten Partei voraussetzt, wird nicht selten bei einer Überschreitung des Werts der Gegenleistung um 100 % der Begünstigte sich einen „Defekt“ (im weiteren Sinne) des Vertragspartners zunutze gemacht haben, auch wenn es sich im konkreten Fall nicht nachweisen lässt. Das wirft die Frage auf, ob man – wie es der BGH mit der Vermutungsregelung i. R. v. § 138 Abs. 1 BGB tut – in Fällen solch extremer Äquivalenzstörungen nicht auf das Vorliegen eines verwerflichen oder unredlichen Verhaltens der begünstigten Partei schließen kann oder sogar muss und diese Fälle damit im Ergebnis dem Wuchertatbestand zuordnet. Zur vom BGH verwendeten Vermutung einer verwerflichen Gesinnung wurde bereits (kritisch) Stellung genommen.5 Sie ist in dieser Form zu weit und daher abzulehnen, denn der BGH stellt sie auf eine zu geringe Tatsachengrundlage. Selbst eine massive Äquivalenzstörung ist für sich genommen – jedenfalls bei Leistungen, deren Wert nicht offensichtlich und einfach zu vergleichen ist, wie z. B. bei Zinsen – keine allein ausreichende Grundlage für die Vermutung, die begünstigte Partei hätte eine Schwäche des Benachteiligten ausgenutzt. Dies verschiebt das Risiko, dass die benachteiligte Partei schlicht nachlässig war und sich nicht, unter Umständen auch unter Hinzuziehung Dritter, über die Wertverhältnisse informiert hat, ungerechtfertigt auf die begünstigte Partei. Die Vermutung, der Begünstigte habe eine Schwächelage des Benachteiligten ausgenutzt, besitzt allerdings dann eine ausreichende tatsächliche Grund3 4
Dazu in diesem Sinne: Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 115. Ähnlich geht hier bereits das österreichische Recht mit den unterschiedlichen Rechtsfolgen bei der laesio enormis gemäß § 934 ABGB und denen des Wuchers nach § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB vor. 5 Siehe insb. oben: § 7 F. II. 4. b) Übertragung der Vermutung aus § 138 BGB auf § 819 Abs. 1 BGB, S. 112 ff.
§ 13 (Neu-)Bestimmung der Rechtsfolgen von anfänglichen Äquivalenzstörungen 315
lage, wenn neben dem groben Missverhältnis auch die Schwächelage auf Seiten des Benachteiligten nachgewiesen werden kann. Hier liegt denn auch das große Defizit der Vermutungsregelung des BGH, nämlich dass die Vermutung auch die Schwächelage des Benachteiligten umfasst.6 Diese nachzuweisen, ist dem Benachteiligten auch zumutbar, handelt es sich dabei doch um Umstände, die allein seine eigene Sphäre betreffen. In diesen Fällen ist die Anwendung der Vermutung der verwerflichen Gesinnung daher gerechtfertigt, weil nicht nur ein extremes Missverhältnis vorliegt (das dem Begünstigten oft auch bekannt sein wird), sondern auch eine Schwächelage (die für den Begünstigten regelmäßig mindestens erkennbar ist). Dies zusammen rechtfertigt dann die Vermutung des Ausnutzens. Zudem ist der Benachteiligte auch nur in diesen Fällen besonders schutzwürdig, denn wer sich nicht in einer Schwächelage befindet, sondern sich nur nicht angemessen um seine eigenen Angelegenheiten kümmert, kann später demjenigen, der dies tut, kein verwerfliches Verhalten unterstellen.
3. Zwischenergebnis Daraus ergibt sich, dass in Konstellationen, in denen eine Äquivalenzstörung von 100 % vorliegt und gleichzeitig eine nachweisliche Schwächelage des Benachteiligten, das Ausnutzen als Tatbestandsmerkmal des Wuchers zu vermuten ist, sodass diese Fälle unter den Wuchertatbestand fallen. Die Läsion umfasst nach dieser Konzeption damit nur solche Fälle, in denen eine Äquivalenzstörung von 100 % vorliegt, aber die Vermutung nicht eingreift, weil der Benachteiligte sich entweder in keiner Schwächelage befand oder aber die Vermutung ausnahmsweise entkräftet werden konnte.
II. Problemaufriss Bei der Suche nach einer angemessenen Lösung müssen insbesondere Antworten auf die folgenden Fragen gefunden werden: Sollen entsprechende Verträge nichtig sein und vor allem, soll die Nichtigkeit ipso iure oder erst infolge der Ausübung eines Gestaltungsrechts eintreten? Ist der Gesamtnichtigkeit oder einer Vertragsanpassung der Vorzug zu geben und auf welches Maß sollte eine Vertragsanpassung vorgenommen werden? Welche Partei darf sich auf die Nichtigkeit berufen beziehungsweise die Anpassung des Vertrags verlangen? Wie genau kann die benachteiligte Partei ihre Rechte geltend machen – mittels einfacher Willenserklärung oder bedarf es der gerichtlichen Geltendmachung? Und werden ihr diese Rechte zeitlich unbegrenzt zugestanden oder einer Befristung unterworfen? 6 Vgl. dazu wiederum oben: § 7 F. II. 4. b) Übertragung der Vermutung aus § 138 BGB auf § 819 Abs. 1 BGB, S. 112 ff.
316
Kapitel 4: Neukonzeption und ihre Integration
Dabei stellt sich auch die Frage, ob und inwiefern eine Kombination verschiedener Rechtsfolgen, die wiederum Bestandteil eines Wahlrechts oder eines abgestuften Systems seien können, sinnvoll ist. Die Auswahl zwischen mehreren Rechtsfolgen sorgt grundsätzlich für Flexibilität und kann die Angemessenheit des Ergebnisses im Einzelfall erhöhen.7 Gleichzeitig kann eine Wahlmöglichkeit zu Unübersichtlichkeit und (zu) hoher Komplexität führen und damit im schlimmsten Fall Unsicherheit befördern. Dies liefe wiederum der Funktion des Rechts entgegen, Planungssicherheit und Schutz vor Überraschungen zu gewährleisten.8 In einem letzten Schritt ist sich der Frage zu widmen, ob das gefundene Ergebnis eine für grundsätzlich alle Vertragstypen anwendbare Lösung darstellt oder ob die verschiedenen Arten des Wuchers unterschiedliche Rechtsfolgen verlangen, wie es in der deutschen Rechtsordnung gegenwärtig praktisch der Fall ist.9 Festzuhalten gilt, dass bei der Suche nach der optimalen Lösung auch der Aspekt der Prävention und Abschreckung eine Rolle spielen darf und soll. Auch wenn der Einsatz von Sanktionen zu generalpräventiven Zwecken in erster Linie dem Strafrecht und öffentlichen Recht obliegt, gibt es keinen Grund, daraus den Schluss zu ziehen, im Zivilrecht müsse deshalb jegliche Art der Sanktionierung aufgrund präventiver Erwägungen von vornherein unterbleiben.10 Dies entspricht auch der Auffassung des BGH, der im Zivilrecht wiederholt generalpräventive Überlegungen in seine Urteilsfindung miteinbezogen hat.11 Sofern das Zivilrecht in der Lage ist, einen effektiven Beitrag zur Generalprävention unerwünschter Handlungen zu leisten, sollte darauf nicht verzichtet werden.12 Dies gilt jedoch nur unter der Bedingung, dass gleichzeitig eine interessengerechte und faire Lösung möglich ist. Anders als bei der Sanktionierung im Straf7 So
zu Recht: Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 308 N. 1063; Armgardt, Zur Dogmengeschichte der laesio enormis, 3, 16. 8 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl., Rn. 74 f. u. 87; Weller, Vertragstreue, S. 281 f.; Sofsky, Prinzip der Sicherheit, S. 88; Lüttringhaus, Vertragsfreiheit und ihre Materialisierung im Europäischen Binnenmarkt, S. 631; Huber, Gerechtigkeit und Recht, S. 69. 9 Vgl. dazu die Darstellung oben: § 9 C. III. Unterschiedliche Behandlung verschiedener Wucherarten, S. 198 ff. 10 Dies wird aber teilweise gefordert, vgl. u. a. Honsell in: FS Giger, 287, 294 f.; ders. in: FS H. P. Westermann, 315, 317 u. 335 f.; H. P. Westermann in: FS Stimpel, 69, 86; krit. auch Bürge, Rechtsdogmatik und Wirtschaft, S. 88 ff. 11 Vgl. aus jüngerer Zeit vor allem die Urteile zur Schwarzarbeit, insb. BGH NJW 2014, 1805, 1806; ebenso findet sich der Aspekt der Prävention bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgelds bei Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, vgl. etwa BGH NJW 2014, 2029, 2034; NJW 2005, 215 Ls. 2. 12 Ebenso Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 403 ff.; Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 125; Krampe, AcP 194 (1994), 1, 30; Bunte in: FS Giger, 55, 55 ff. u. 73; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 573 ff.; Westerhoff, AcP 184 (1984), 341, 355; Weyer in: FS Baur, 681, 694 f.; P. Bydlinski in: Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, 67, 89; Klöhn, AcP 210 (2010), 804, 818.
§ 13 (Neu-)Bestimmung der Rechtsfolgen von anfänglichen Äquivalenzstörungen 317
recht muss im Zivilrecht nämlich primär ein gerechter Ausgleich zwischen den beteiligten Parteien geschaffen werden.13 Es darf zu keiner „Übersanktionierung“ kommen, bei der die eine Partei zulasten der anderen einen ungerechtfertigten Vorteil erhält.14 Ein solcher ließe sich im Zivilrecht auch nicht mit (general-)präventiven Zwecken rechtfertigen. Sofern deshalb eine zivilrechtliche Lösung, die einen interessengerechten Ausgleich beinhaltet, zur Prävention nicht ausreicht, sollte zur Erreichung dieses Ziels auf das Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht zurückgegriffen werden.15
B. Ipso iure Nichtigkeit oder Anfechtungslösung Bei der ersten großen Weichenstellung handelt es sich um die Entscheidung, ob man den Vertrag trotz unzulässiger Äquivalenzstörung zunächst für wirksam, aber – in seiner jetzigen Form – vernichtbar hält oder für ipso iure nichtig. Neben der Interessenlage der Parteien und dem Schutz ihrer Vertragsfreiheit spielen bei dieser Frage ebenso die Aspekte der Verkehrssicherheit und des öffentlichen Interesses eine Rolle. Ein rechtsvergleichender Blick auf die Problematik zeigt ein eindeutiges Bild. Danach sind äquivalenzgestörte Verträge in der absoluten Mehrzahl der Fälle nicht automatisch nichtig und zwar unabhängig davon, ob ein Fall des Wuchers oder der Läsion vorliegt.16 Das gilt auch für die verschiedenen Vorschläge zur Vereinheitlichung des europäischen Privatrechts.17 Stattdessen wird stets der benachteiligten Partei das Recht eingeräumt, den Vertrag in seiner jetzigen Form zu beseitigen. Allein in Deutschland (und Griechenland) wird von der ipso iure Nichtigkeit massiv äquivalenzgestörter Verträge ausgegangen.
I. Ipso iure Nichtigkeit als besserer Schutz für den Benachteiligten 1. Das Interesse des Benachteiligten Vor allem im deutschen Schrifttum und der deutschen Rechtsprechung ist die Auffassung verbreitet, die zwingende Totalnichtigkeit entspreche dem Interesse des Benachteiligten und insbesondere des Bewucherten am besten.18 Dem ist in dieser Allgemeinheit aus den bereits dargelegten Gründen nicht zu folgen.19 13 Bunte in: FS Giger, 55, 60 f.; Westerhoff, AcP 184 (1984), 341, 355 f.; P. Bydlinski in: Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, 67, 71.; Bunte, NJW 1983, 2674, 2676. 14 Bunte in: FS Giger, 55, 60 u. 74; P. Bydlinski in: Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, 67, 71. 15 Ebenso: P. Bydlinski in: Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, 67, 71 u. 89 f.; Bunte, NJW 1983, 2674, 2676. 16 So in der Schweiz, Österreich, Italien, Frankreich, Polen, Großbritannien, den Niederlanden, Portugal und auch nach katalanischem Recht. 17 Vgl. zu PECL, DCFR und CESL oben: § 12 B. Unfair Exploitation, S. 285 ff. 18 Vgl. für Nachweise in Kapitel 2 Fn. 615 und Fn. 616. 19 Vgl. dazu oben: § 9 A. Interessen der Beteiligten, S. 158 ff.
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Beim Bewucherten, der die Leistung zur Behebung seiner Notlage braucht, ist dies besonders offensichtlich, aber auch in den Fällen der Läsion verhält es sich nicht grundsätzlich anders. Dies gilt besonders dann, wenn die empfangene Leistung bereits zum Gegenstand weiterer Investitionen gemacht wurde, etwa bebaut oder umgebaut oder speziell in das Vermögen des Käufers integriert wurde. Außerdem ist schon der Vertragsschluss selbst ein eindeutiges Indiz für das Interesse an der Geltung des Vertrages.20 Das spricht gegen die Nichtigkeit kraft Gesetzes. Der Vorteil eines Anfechtungsmodells ist, dass auf diese Weise die Interessen des Benachteiligten besser geschützt werden. Er selbst gewinnt durch ein Anfechtungsrecht die Möglichkeit, zu entscheiden, ob die Beibehaltung des Status quo oder die Rückabwicklung eher seinen Interessen entspricht. Zunächst aber behält er all seine vertraglichen Erfüllungs- und Gewährleistungsansprüche. Darüber hinaus wird das Interesse am Verbleib des Gegenstands im Vermögen aufgrund von getätigten Investitionen besser geschützt. Wenn tatsächlich einmal die Nichtigkeit seinem Interesse eher entspricht, kann er diese durch die Anfechtung herbeiführen. Etwas anderes mag nur in solchen Fällen von Wucher gelten, in denen die Schwäche überhaupt zum Abschluss eines Vertrags ausgenutzt wurde, an dem der Bewucherte gar kein Interesse hat. Dann wird regelmäßig die Nichtigkeit die passende Rechtsfolge sein. Dafür bedarf es aber nicht unbedingt der Nichtigkeit ipso iure. Dieser Schutz lässt sich auch durch eine Anfechtungslösung verwirklichen, denn der Bewucherte kann hier ebenfalls die Nichtigkeit durch die Anfechtung herbeiführen.
2. Effektivität des Schutzes Einen Vorteil besitzt die ipso iure Nichtigkeit im Verhältnis zur Anfechtung jedoch: Der Schutz der benachteiligten Partei ist hierbei nämlich weniger von ihrem eigenen Verhalten abhängig, sondern wird bereits durch die von Gesetzes wegen eintretende und von Amts wegen zu beachtende Nichtigkeit21 verwirklicht.22 Das Gesetz selbst sorgt dafür, dass keine Bindung an den unausgeglichenen Vertrag entsteht. Dies ist nach dem Leistungsaustausch weniger von Gewicht als vor diesem.23 Nach erfolgtem Leistungsaustausch muss der Benachteiligte nämlich ohnehin selbst tätig werden, um das Missverhältnis zu beheben und regelmäßig auf Rückabwicklung klagen, denn meistens wird der 20 Zu der Frage, inwiefern dieses Interesse insb. wegen des öffentlichen Interesses an der Nichtigkeit zurückstehen muss, sogleich: B. III. Aspekt der Verkehrssicherheit, S. 322 ff. und IV. Das öffentliche Interesse, S. 325 f. 21 Vgl. zur absoluten Nichtigkeit Nachweise in Kapitel 2 Fn. 41. 22 Looschelders, AcP 212 (2012), 581, 628; Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, S. 163, 174 f.; Hartung, BLJ 2014, 71, 77; ähnlich Wolf, Willensmängel in einem europäischen Vertragsrecht, 85, 113. 23 Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, S. 163, 173.
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Begünstigte die erhaltene Leistung nicht freiwillig herausgeben.24 Anders stellt sich dies vor dem Leistungsaustausch dar. Macht bei einem Anfechtungsmodell der Benachteiligte nicht innerhalb der Frist von seinem Recht Gebrauch, den Vertrag mittels Anfechtung zu vernichten, kann der Bevorteilte unter Umständen aus dem unausgeglichenen Vertrag gegen den Benachteiligten vorgehen.25 Gerade in Rechtsordnungen wie in der Schweiz oder Italien, in denen die Anfechtungsfrist eher kurz ausgestaltet ist und der Fristbeginn kenntnisunabhängig an den Zeitpunkt des Vertragsschlusses anknüpft, ist dieser Punkt problematisch.26 Dass der Richter der Klage des Wucherers stattgeben muss und so letztlich den Wucherer schützt, obwohl dieser die andere Partei ausgebeutet hat, ist tatsächlich schwer zu akzeptieren. Gleichzeitig wird vor der Gefahr gewarnt, dass der Benachteiligte bei Unkenntnis der Übervorteilung vom Gericht zur Leistung verurteilt werden kann oder er wegen der fortwirkenden Zwangslage sein Anfechtungsrecht (praktisch) nicht ausüben kann.27 Letzteres trifft in der Sache zwar zu, spricht aber nicht unbedingt für eine ipso iure Nichtigkeit.28 Denn wenn der Bewucherte aufgrund seiner Zwangslage sein Anfechtungsrecht nicht ausüben möchte, erscheint es fragwürdig, ihm die Rückabwicklung des Vertrags über die Nichtigkeit ipso iure aufzuzwingen. Zumal es für dieses Problem auch einen Ausweg gibt: die Anpassung des Vertrags. Vor allem aber muss das Recht zur Anfechtung nicht durch die Verurteilung zur Leistung erlöschen.29 Inwiefern das der Fall ist, ist eine Frage der entgegenstehenden Rechtskraft des zur Leistung verpflichtenden Urteils. Zwar nimmt der BGH im Rahmen von § 767 Abs. 2 ZPO an, dass ein Gestaltungsrecht schon dann nicht mehr nachträglich geltend gemacht werden kann, wenn bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung die objektive Möglichkeit bestand, von diesem Gebrauch zu machen.30 Diese Ansicht wird von weiten Teilen der Literatur jedoch kritisiert, die stattdessen auf den Zeitpunkt der Ausübung des Gestaltungsrechts abstellen möchte.31 Und auch der BGH lässt Ausnahmen von diesem Grundsatz im Be24
Ebenso für den Fall der Formnichtigkeit: Westerhoff, AcP 184 (1984), 341, 353. Vgl. dazu unten: E. II. Zeitliche Begrenzung, S. 348 ff. Vgl. dazu oben: § 10, zur Schweiz, S. 215 ff., zu Italien, S. 230 ff. 27 Wolf, Willensmängel in einem europäischen Vertragsrecht, 85, 112 f.; Rauber, Die Übervorteilung, S. 69 ff. 28 So aber: Wolf, Willensmängel in einem europäischen Vertragsrecht, 85, 112 f.; ebenso Rauber, Die Übervorteilung, S. 71. 29 Vgl. die Diskussion zu § 767 Abs. 2 ZPO, dazu etwa MüKoZPO/Schmidt/Brinkmann, 5. Aufl., § 767 Rn. 80 ff.; Musielak/Voit/Lackmann, 17. Aufl., ZPO § 767 Rn. 34 ff. 30 St. Rspr., vgl. etwa BGH NJW 2005, 2926, 2927; NJW 2004, 1252, 1253 f.; NJW 1985, 2481, 2482; NJW 1957, 986, 986; im Grundsatz zustimmend: MüKoZPO/Schmidt/Brinkmann, 5. Aufl., § 767 Rn. 82; BeckOK ZPO/Preuß, 35. Ed. 01.01.2020, § 767 Rn. 47.1. 31 Musielak/Voit/Lackmann, 17. Aufl., § 767 Rn. 37; Stein/Jonas/Münzberg, 22. Aufl., § 767 Rn. 31 ff.; Brox/Walker, ZVR, 11. Aufl., Rn. 1345 f. 25 26
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reich vertraglich eingeräumter Gestaltungsrechte zu, bei denen auf den Zeitpunkt der Gestaltungserklärung abzustellen sei.32 Auch die Gefahr, der Benachteiligte könnte aus Unkenntnis der Voraussetzungen von seinem Anfechtungsrecht im Prozess absehen und zur Leistung verurteilt werden, ist nicht allein der Anfechtungslösung eigen. Dass der Benachteiligte nicht die Umstände vorträgt, aus denen sich das Anfechtungsrecht ergibt, ist ein Risiko, das bei der ipso iure Nichtigkeit gleichermaßen besteht. Aufgrund des im Zivilprozess geltenden Beibringungsgrundsatzes kann das Gericht nämlich den Vertrag nur dann von Amts wegen für nichtig erklären, wenn es Kenntnis von den maßgeblichen Umständen hat. Das wiederum setzt voraus, dass die benachteiligte Partei Entsprechendes im Prozess vorträgt. Damit unterscheidet sich die Situation aber praktisch nicht mehr von der der Anfechtung. Der Gefahr ließe sich zudem dadurch begegnen, dass das Gericht in diesen Fällen einen Hinweis gibt.33 Entscheidende Bedeutung kommt damit letztlich der Ausgestaltung der Anfechtungsfrist zu.34 Besitzt diese eine ausreichende Dauer und knüpft nicht allein objektiv an den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an, ergeben sich bei einer Anfechtungslösung keine relevanten Nachteile für die benachteiligte Partei. Die ipso iure-Totalnichtigkeit gewährt demzufolge anders als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag, praktisch kaum besseren Schutz als eine Anfechtungslösung. Entgegen der deutschen Rechtsprechung und großen Teilen des Schrifttums entspricht die zwingende Nichtigkeit dem Schutz des Benachteiligten also nicht am besten, sie läuft ihm teilweise sogar entgegen, indem sie ihm den Anspruch auf die Leistung nimmt.35 Der Schutz lässt sich ebenso mittels Anfechtung sicherstellen. Lässt man den möglicherweise in der ipso iure Nichtigkeit liegenden Präventionseffekt außer Acht,36 liegt der ipso iure Nichtigkeit in Hinblick auf den Benachteiligten die Vorstellung zugrunde, dieser könne nicht selbst entscheiden, was am besten für ihn ist. Anders ist die Ablehnung der Eröffnung einer zusätzlichen Wahlmöglichkeit kaum zu verstehen.
II. Privatautonomie Der Aspekt der Privatautonomie spielt für die Entscheidung zwischen ipso iure Nichtigkeit und Anfechtung nur eine untergeordnete Rolle. Er wird vor allem 32
BGH NJW‑RR 1987, 1168, 1169; NJW 1985, 2481, 2482. Dies setzt freilich voraus, dass dem Richter die Wertverhältnisse bekannt sind, was nicht immer der Fall sein wird. 34 Vgl. dazu unten: E. II. Zeitliche Begrenzung, S. 348 ff. 35 Vgl. auch Pichonnaz, ZEuP 1999, 140, 154: „Es liegt auf der Hand, dass man einer schwachen Partei, die einen wucherischen Vertrag abschließt, nicht immer hilft, wenn man sie vor die Wahl stellt, die Nichtigkeit […] feststellen zu lassen oder sich an den wucherischen Vertrag zu halten.“; ähnlich auch Hager, JuS 1985, 264, 268; Gutmann, Zwang und Ausbeutung beim Vertragsschluss, 55 f. u. 62. 36 Vgl. dazu oben: § 9 B. I. Die intendierte Präventionswirkung des § 138 BGB, S. 181 ff. 33
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bei der Frage zwischen Anpassung und Gesamtnichtigkeit relevant.37 Da die Anfechtungslösung der benachteiligten Partei bezüglich der Rechtsfolgen ein Wahlrecht einräumt, entspricht sie bei isolierter Betrachtung des Benachteiligten sogar eher der Privatautonomie als die zwingende Nichtigkeit.38 Die Eröffnung einer Wahlmöglichkeit kann nämlich von vornherein nicht freiheitsbegrenzend sein, erhöht sie doch die Anzahl an Handlungsoptionen. Sie kann deshalb die Privatautonomie nicht beschränken. Gestützt wird dieses Ergebnis durch die Erkenntnis, dass freiwilliges Handeln und Sich-Ausbeuten-Lassen parallel möglich sind und sich nicht gegenseitig ausschließen.39 Auch wenn das wucherische Geschäft aus neutraler Sicht immer noch ein schlechtes bleibt, kann es aus der Sicht der bewucherten Partei relativ betrachtet dennoch die beste Handlungsalternative darstellen.40 Dann ist es aus ihrer Sicht rational, das wucherische Geschäft zu tätigen. Diesen Willen gilt es zunächst einmal anzuerkennen. Erklärt man wucherische Geschäfte dagegen ipso iure für nichtig, stellt dies einen Eingriff in die Freiheit des Benachteiligten dar und kann ihm sogar schaden.41 Der Schutz vor Ausbeutung durch die Nichtigkeit ipso iure stellt also nicht nur einen Eingriff in die Privatautonomie der begünstigten Partei dar, sondern gleichermaßen in die der benachteiligten Partei. Dieser Umstand verlangt es, dass zur Verwirklichung eines effektiven Schutzes vor Ausbeutung der Ausgebeutete eine Wahlmöglichkeit besitzen muss. Aus diesem Grund ist die zwingende absolute Nichtigkeit abzulehnen. Es wird sogar so weit gegangen, dass ein Anfechtungsrecht auch aus Sicht der begünstigten Partei vorzugswürdig sei und daher den beiderseitigen Interessen besser durch die Anfechtung als durch die ipso iure Nichtigkeit Rechnung getragen werde.42 Dem wird man insofern zustimmen können, als dass vor Ausübung des Anfechtungsrechts ein wirksamer Vertrag besteht und dies genau dem Willen der begünstigten Partei entspricht. Dieser wird also – zumindest zeitweise – von der Rechtsordnung anerkannt. Wird dann die Anfechtung erklärt, so ist das Ergebnis das gleiche wie es bei einer Nichtigkeit ipso iure wäre. Dann steht die begünstigte Partei durch die Anfechtung aber immer noch nicht schlechter dar als bei der ipso iure Nichtigkeit. Daher entspricht die automatische Nichtigkeit der Privatautonomie nicht besser als ein Anfechtungsrecht. 37 Vgl. dazu sogleich: C. II. Privatautonomie und Bedenken bezüglich richterlicher Moderation, S. 328 ff. 38 Zu Recht: Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 52 N. 197. 39 Gutmann, Zwang und Ausbeutung beim Vertragsschluss, S. 55; Feinberg, Harmless Wrongdoing, 176; vgl. dazu schon oben: § 9 A. I. 1. b) aa) Nicht beweisbare Wucherfälle und vergleichbare Konstellationen, S. 160 ff. 40 Gutmann, Zwang und Ausbeutung beim Vertragsschluss, S. 55; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 273. 41 Gutmann, Zwang und Ausbeutung beim Vertragsschluss, S. 55. 42 Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 62 N. 229, leider ohne Begründung.
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III. Aspekt der Verkehrssicherheit Ein weiterer Aspekt, der bei der Frage nach der angemessenen Rechtsfolge berücksichtigt werden muss, ist der der Verkehrssicherheit. Unter dem Begriff der Verkehrssicherheit sollen vorliegend die Interessen des Rechtsverkehrs und der Allgemeinheit am Umgang mit dem gestörten Vertrag verstanden werden. Dabei wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass der Rechtsverkehr daran interessiert ist, Verträge im Interesse der Rechtssicherheit und Ordnung zu erhalten, weil ein vertragsloser Zustand in der Regel Unordnung und Rechtsunsicherheit bedeutet.43 Durch den Vertragsschluss als tatsächlichen Akt entsteht nämlich nicht nur bei den Parteien, sondern auch bei Dritten ein Vertrauen auf die mit dem Vertrag gesetzten Regelungen.44 Dies äußert sich darin, dass diese ihr Verhalten anhand der Regelungen des Vertrags ausrichten. Daraus ergibt sich ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Vertrags, weil dessen Unwirksamkeit im Widerspruch zum an der Wirksamkeit des Vertrags ausgerichteten Verhalten stehen kann und eine Neuplanung erforderlich macht. Als weiteres Argument dafür wird auf die schon länger andauernde Entwicklung der Zurückdrängung der Nichtigkeit als Rechtsfolge zugunsten der Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften abgestellt.45 Tatsächlich lassen sich solche Tendenzen erkennen, die zumindest als Indiz dafür gelten können, dass ein allgemeines Bedürfnis besteht, Vertragsverhältnisse soweit wie möglich aufrechtzuerhalten, statt sie zu vernichten.46 Anschaulich zeigt sich dies am bereits beschriebenen Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage und ihrer zunehmenden Bedeutung im 20. Jahrhundert,47 deren primäres Ziel darin besteht, den Vertrag nach Möglichkeit bestehen zu lassen.
1. Umlauffähigkeit von Gütern Ein wichtiges Bedürfnis des Rechtsverkehrs ist die Umlauffähigkeit von Gütern.48 Diese setzt voraus, dass der Rechtserwerb ein hohes Maß an Sicherheit besitzt und so wenig wie möglich von Umständen außerhalb der Beziehung 43
Collier, Nichtigkeit und Unwirksamkeit im System des bürgerlichen Rechts, S. 2; Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 61 N. 227; ähnlich schon Eckstein, ArchBürgR 41 (1915), 178, 222. 44 Weller, Vertragstreue, S. 281 f. 45 Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 63 N. 231. 46 Als Beleg lässt sich diese Entwicklung dagegen nicht aufführen, da allein eine gesteigerte Verbreitung eines Phänomens nicht dessen Nutzen oder Vorteilhaftigkeit beweist. 47 Wobei dieses Rechtsinstitut keine echte Neuschöpfung ist, sondern mit dem Institut der clausula rebus sic stantibus bereits ab dem Mittelalter existierte, vgl. z. B. Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 137 N. 514. 48 Baur/Stürner, 18. Aufl., § 52 Rn. 8 ff.; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 68 II. 1., S. 249 f.; Vieweg/Werner, Sachenrecht, 6. Aufl., § 5 Rn. 2; MüKoBGB/Oechsler, 8. Aufl., § 932 Rn. 1 ff.; Staudinger/Wiegand, (2017), Vorb. zu §§ 932–936 Rn. 3; Hager, Verkehrsschutz durch redlichen Erwerb, § 4, S. 59; F. Bydlinski, Privatautonomie, S. 138 f.
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zwischen Veräußerer und Erwerber abhängt.49 Dabei besteht das Interesse, möglichst vom Berechtigten zu erwerben, da dies regelmäßig die höchste Gewähr für einen erfolgreichen Rechtserwerb bietet. Insofern spricht dieser Umstand für die Aufrechterhaltung des Vertrags und damit gegen die Nichtigkeit ipso iure, weil so der Erwerb vom Berechtigten gefördert wird. Allerdings ist in Deutschland nach § 138 Abs. 1 BGB ohnehin nur das Verpflichtungsgeschäft nichtig, sodass aufgrund des Abstraktionsprinzips der Erwerber Eigentümer wird und als Berechtigter verfügt. Im Anwendungsbereich des praktisch kaum relevanten § 138 Abs. 2 BGB ist dies anders, wenn der Käufer der Wucherer ist, denn dieser erwirbt wegen der Nichtigkeit des Verfügungsgeschäfts kein Eigentum.50 Da der Erwerber in der Regel jedoch als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen wird, besteht über § 892 Abs. 2 BGB dennoch ein hoher Schutz des Rechtsverkehrs, weil nur die positive Kenntnis der Nichtberechtigung den gutgläubigen Erwerb verhindert. Etwas schlechter ist der Schutz beim Erwerb beweglicher Sachen, weil hier dem Erwerber nach § 932 Abs. 2 BGB bereits grob fahrlässige Unkenntnis schadet. Jedoch stellt auch dies insgesamt eine eher geringe Beeinträchtigung der Belange des Rechtsverkehrs dar. Man mag daher zwar zustimmen, dass auch das Interesse an der Umlauffähigkeit von Gütern für einen Erhalt des Vertrags spricht. Angesichts der geringfügigen Gefährdung des Rechtsverkehrs im Falle der Nichtigkeit ist dieses Argument – in Deutschland – jedoch von untergeordneter Bedeutung. In Ländern, in denen das Kausal- oder Konsensualprinzip gilt,51 spielt die Aufrechterhaltung des Vertrags für den reibungslosen Güteraustausch hingegen eine wichtigere Rolle. Jeweils führt nämlich die Nichtigkeit des Kaufvertrags dazu, dass der Käufer nicht das Eigentum an der Kaufsache erwirbt, sodass es in der Folge stets zur Anwendung der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb kommt. Da so der Rechtserwerb grundsätzlich unsicherer wird, spricht dies gegen eine zwingende Gesamtnichtigkeit äquivalenzgestörter Verträge.
2. Verhinderung eines Schwebezustandes Der Aspekt der Verkehrs- oder Rechtssicherheit wird jedoch auch von den Befürwortern einer zwingenden Totalnichtigkeit ins Feld geführt.52 Indem die Nichtigkeit kraft Gesetzes eintritt, werde dadurch – zumindest theoretisch – ein Schwebezustand verhindert, wie er bei einer Gestaltungslösung, unabhängig 49 50
Leuschner, AcP 205 (2005), 205, 226. Vgl. dazu oben: § 7 F. I. 1. Herausgabe des Grundstücks, S. 98. 51 Vgl. dazu allgemein: Wacke, ZEuP 2000, 254 ff.; Ferrari, ZEuP 1993, 52 ff.; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 16 Rn. 15 ff.; Jaunernig, JuS 1994, 721, 721 ff. 52 Yang, ZJS 2012, 1, 5 f.; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 186 f.; der Gedanke wird zudem erörtert bei: Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, S. 163, 171 ff.; ebenfalls taucht er auf bei Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 48.
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von deren genauen Ausgestaltung,53 eintreten würde. Weil der Vertrag unabhängig vom nachträglichen Verhalten der Parteien nichtig ist, ist die Rechtslage also theoretisch eindeutig. Rein tatsächlich stellt sich die Lage aber anders dar. Und zwar grundsätzlich sowohl vor als auch nach dem Leistungsaustausch. Jeweils ist es nämlich praktisch notwendig, dass der Benachteiligte die Nichtigkeit geltend macht, sei es durch Anfechtung oder Klage auf Rückabwicklung. Erst wenn sich der Betroffene auf die maßgeblichen Umstände beruft und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen geltend macht, herrscht für die andere Partei Klarheit.54 Vor dem Leistungsaustausch muss die benachteiligte Partei sich zumindest mit der Behauptung der Nichtigkeit des Vertrags gegen die Inanspruchnahme aus dem nichtigen Vertrag wehren beziehungsweise im Prozess die dazu erforderlichen Tatsachen vortragen. Nach dem Leistungsaustausch muss sie selbst aktiv werden und ihre aus der Nichtigkeit folgenden Rückgewähransprüche geltend machen. Die Nichtigkeit ipso iure mag allenfalls vor dem Leistungsaustausch insofern abschreckend wirken, als dass die begünstigte Partei mangels Rechtsanspruchs vom Versuch der Geltendmachung ihrer Forderung absieht. Dies erscheint jedoch tatsächlich eher unwahrscheinlich. In sehr knappen Fällen, wo der Sachverhalt und daraus resultierend die Rechtslage streitig sind, wird der Begünstigte nämlich regelmäßig nicht ohne Prozess auf seinen Anspruch verzichten. Und wenn die Rechtslage eindeutig ist, ist kaum zu erwarten, dass der skrupellose Wucherer im Nachhinein von der Durchsetzung Abstand nehmen wird. Die Nichtigkeit ipso iure sorgt nicht einmal dafür, das Prozessrisiko auf den Begünstigten zu verlagern, indem er klagen muss,55 denn die Anfechtung kann im Prozess auch einredeweise als Verteidigungsmittel gebraucht werden. Zudem ist es für die Rechtssicherheit beziehungsweise den Rechtsverkehr eher von Relevanz, inwiefern der Tatbestand des Wuchers oder der Läsion erfüllt ist. Für Unsicherheit sorgt die Frage, ob überhaupt die Voraussetzungen des jeweiligen Tatbestands erfüllt sind. Dann besteht bei der Nichtigkeit ipso iure unter Umständen sogar eine viel größere Unsicherheit, da in Grenzfällen weder die Parteien noch der Rechtsverkehr wissen und wissen können, ob der Vertrag wirksam ist. Hier bietet die Anfechtungslösung den Vorteil, dass sich jeder darauf verlassen kann, dass der Vertrag wirksam ist, solange die Anfechtung nicht erklärt wurde, auch wenn unter Umständen ein Anfechtungsgrund besteht.56 Aus praktischer Sicht ist daher eine Anfechtungslösung regelmäßig wohl viel besser dazu geeignet, eine Unsicherheit über die Wirksamkeit des 53 Vgl. dazu unten: E. Rechtstechnische Ausgestaltung der Rechtsfolgen, S. 344 ff. 54 Zu Recht Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, S. 163, 172;
Tögel, Der Irrtum bei Vertragsschluss und dessen Risiko für die Vertragspartner, S. 265. 55 Vgl. dazu noch unten: E. I. Gestaltungsrecht oder Gestaltungsklage, S. 345 ff. 56 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 427; Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, S. 163, 171; ähnlich Bucher, AcP 186 (1986), 1, 23.
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Vertrags zu verhindern. Ab der Erklärung der Anfechtung ist die Situation allerdings die gleiche wie bei der Nichtigkeit ipso iure, da ihre Wirksamkeit dann wieder von der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen abhängig ist.
IV. Das öffentliche Interesse Ein immer wieder gerade in Deutschland auftauchendes Argument für die zwingende Totalnichtigkeit wucherischer Verträge lautet, dass diese aufgrund des öffentlichen Interesses geboten sei.57 Dabei stellt sich die Frage, ob und inwiefern dies tatsächlich der Fall ist und inwieweit daraus auch unter Abwägung des individuellen Interesses des Benachteiligten die zwingende Gesamtnichtigkeit folgen muss. Vom soeben erörterten Aspekt der Verkehrssicherheit unterscheidet sich dieser Punkt dadurch, dass es hier nicht um das Interesse des Rechtsverkehrs im Sinne seiner Funktionsfähigkeit geht. Gemeint ist vielmehr das Allgemeininteresse an der Verhinderung von Ausbeutung und ungerechten Verträgen, also das Interesse an Prävention. Dieses Bedürfnis nach Prävention soll nach weit verbreiteter Ansicht am besten durch die Totalnichtigkeit ipso iure sichergestellt werden,58 deren tatsächliche Abschreckungswirkung jedoch, wie gezeigt, bezweifelt werden muss.59 Es sind vor allem die mit der Nichtigkeit einhergehenden Nachteile und Verluste von Rechten und der Leistung selbst, die auf den Bewucherten abschreckend wirken und ihn deshalb häufig davon abhalten, sich auf die Äquivalenzstörung zu berufen. Dann hat der Wucherer aber nichts zu befürchten und der Abschreckungseffekt steht in Frage. Zumal auch eine Anpassungslösung präventiv wirken kann und nach hier vertretener Auffassung dafür sogar besser geeignet ist als eine Gesamtnichtigkeit, da sie das „Geschäftsmodell“ des Wucherers selbst zerstört.60 Grundsätzlich ist die Gefährdung des allgemeinen Wohls durch Verträge mit massiven Äquivalenzstörungen wohl ohnehin eher gering.61 Sie tauchen in einer begrenzten Zahl von Fällen auf und ihre Auswirkungen beschränken sich in der Regel auf die beteiligten Parteien. Für diese können stark einseitige Grundstückskaufverträge zwar unter Umständen existenzgefährdend sein. Es ist aber nicht erkennbar, beziehungsweise nach hier vertretener Auffassung unrichtig,62 dass die Totalnichtigkeit ipso iure das geeignete Mittel zur Bekämp57 Yang, ZJS 2012, 1, 5 f.; ähnlich: Collier, Nichtigkeit und Unwirksamkeit im System des bürgerlichen Rechts, S. 85 f. 58 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 619. 59 Vgl. ausführlich oben: § 9 B. I. Die intendierte Präventionswirkung des § 138 BGB, S. 181 ff. 60 Vgl. ausführlich dazu oben: § 9 B. I. 1. Abschreckung des Wucherers, S. 181 ff. 61 So: Stocker, Wucher und Läsion, S. 135 N. 302; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht, S. 59; F. Bydlinski, Privatautonomie, S. 105; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 61 Fn. 126. 62 Vgl. oben: § 9 B. I. 1. Abschreckung des Wucherers, S. 181 ff.
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fung dieser Gefährdung darstellt. Dass massive Äquivalenzstörungen und Ausbeutung eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, war in den Kriegszeiten im 20. Jahrhundert der Fall, als teilweise Güter des täglichen Bedarfs nicht mehr erschwinglich waren. Hier stellten sie tatsächlich ein Problem dar, das das öffentliche Interesse direkt betraf. Zu dessen Lösung griff der Gesetzgeber aber auf extra geschaffene Höchstpreisvorschriften zurück.63 Der Schutz der öffentlichen Interessen ist außerdem nicht die eigentliche Aufgabe des Privatrechts, sondern obliegt primär dem öffentlichen Recht und dem Strafrecht.64 Was hierbei den Schutz des öffentlichen Interesses angeht, so besteht mit der strafrechtlichen Sanktion des Wuchers in § 291 StGB grundsätzlich ein Schutz, der es zulässt, die privatrechtlichen Rechtsfolgen an den Interessen des Benachteiligten zu orientieren und nicht primär an Präventionserwägungen. Sofern der Schutz über § 291 StGB als nicht ausreichend angesehen wird, sollte man eher über die Einführung von an § 5 WiStG angelehnten Ordungswidrigkeitentatbeständen nachdenken, bei denen schon leichtfertiges Verhalten ausreicht, um den Tatbestand zu erfüllen. Jedenfalls im Bereich des Lohn- und Kreditwuchers scheint dies eine Möglichkeit zu sein. Vorsicht ist hingegen beim Sachwucher geboten, da hier allein das Missverhältnis nicht gleichermaßen einen Rückschluss auf Vorsatz beziehungsweise Leichtfertigkeit des Begünstigten erlaubt und es regelmäßig an einem strukturellen Machtgefälle fehlt wie es zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder der kreditgebenden Bank und dem (Privat-)Kunden existiert.
V. Zwischenergebnis Es lässt sich daher sagen, dass die Totalnichtigkeit ipso iure als Rechtsfolge abzulehnen ist. Die wenigen Vorteile, die sie im Vergleich zu einem Anfechtungsmodell besitzt, können ihre Nachteile nicht aufwiegen. Zumal ihr wohl größter Vorteil, nämlich dass der Schutz vor dem Leistungsaustausch ohne zeitliche Begrenzung möglich ist, sich auch anderweitig im Rahmen eines Anfechtungsmodells berücksichtigen lässt.65 Die Abkehr von einer absoluten Nichtigkeit nach deutschem Verständnis sollte dabei sowohl für die Läsion als auch den Wucher gelten. Geradezu unmittelbar einleuchtend erscheint dies in den klassischen „Ausbeuter-Fällen“. Hier darf dem Bewucherten nicht sogleich sein Anspruch auf die Leistung genommen werden. Das Interesse und der Schutz des Bewucherten gebieten stattdessen die Nichtanwendung der absoluten Nichtigkeit. 63 Vgl. dazu unten: § 14 A. II. 2. Rechtsprechung zu (Höchst-)Preisvorschriften i. R. v. § 134 BGB, S. 376 ff. 64 Dieses Kriterium wird von der auf Ulpian zurückgehenden Interessentheorie für die Abgrenzung von Privat- und öffentlichem Recht verwendet, vgl. etwa Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 421. 65 Vgl. dazu unten: E. II. Zeitliche Begrenzung, S. 348 ff.
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Gleiches gilt im Ergebnis aber auch für die Fälle der Läsion. Hier sind es die beiderseitigen Parteiinteressen, die eine zwingende absolute Nichtigkeit verfehlt erscheinen lassen. Die bevorteilte Partei hat durch den Vertragsschluss ihr Interesse am Vertrag und damit am Erhalt der Leistung zum Ausdruck gebracht und dieses Interesse ist – anders als in Fällen des Wuchers – anzuerkennen, weil davon ausgegangen werden muss, dass sie nicht verwerflich gehandelt hat. Außerdem werden die Parteien meist eine komplexe Rückabwicklung, inklusive ihrer negativen wirtschaftlichen Folgen, vermeiden wollen und teilweise wird ihnen das Missverhältnis beziehungsweise die Grenze des Zulässigen gar nicht bewusst sein.66 Dann werden die Parteien, die beide von der Wirksamkeit des Vertrages ausgingen, von dessen Nichtigkeit überrascht. Dies gilt gleichermaßen für die benachteiligte Partei. Ihre Situation unterscheidet sich nicht wesentlich von der der bewucherten Partei. Mögen die jeweiligen Interessen im Einzelfall anders sein, weil sie sich im Nachhinein geändert haben, spielt dies keine Rolle, denn es darf keiner Partei ein Reuerecht eingeräumt werden. Die absolute Nichtigkeit ipso iure ist daher in jedem Fall als Rechtsfolge abzulehnen. Wenn überhaupt die Nichtigkeit die passende Rechtsfolge sein soll, dann nur im Rahmen eines Anfechtungsmodells. Aus dogmatischer Sicht könnte dafür die Nähe einer Äquivalenzstörung zum Irrtumsrecht sprechen, wie sie auch bei der gemeinsamen Normierung in den PECL, dem DCFR und dem CESL, aber auch im Schweizer Obligationenrecht Niederschlag gefunden hat.
C. Anpassung oder Gesamtnichtigkeit Nachdem die von Amts wegen zu beachtende zwingende Nichtigkeit als Lösung abzulehnen ist, muss weiter zwischen einer Anfechtungslösung mit Gesamtnichtigkeit als (Rechts-)Folge und der Vertragsanpassung unterschieden werden. Rechtsvergleichend zeigt sich, dass in nahezu allen untersuchten Rechtsordnungen eine Anpassung äquivalenzgestörter Verträge möglich ist.67 Kein einheitliches Bild zeigt sich allerdings bei der Frage, wer die Anpassung verlangen kann.68 Nicht möglich ist eine Anpassung außer in Deutschland noch beim Wucher in Österreich, das jedoch bei der laesio enormis eine Anpassung kennt, sowie bei Art. 51 CESL und im englischen Recht. Lange Zeit war zudem eine Anpassung im Schweizer Recht nicht möglich, ist aber mittlerweile vom Bundesgericht seit einiger Zeit auch für die Praxis anerkannt.69 66 67
Spiro, ZBJV 1952, 449, 463 f. So in: Polen, der Schweiz, den Niederlanden, Frankreich, Italien, Portugal, Österreich, im katalanischen Recht sowie den PECL und dem DCFR. 68 Vgl. dazu sogleich: D. Anpassungsrecht des Benachteiligten oder Wahlrecht des Bevorteilten, S. 338 ff. 69 Vgl. dazu oben: § 10 A. III. Vertragsanpassung, S. 221 ff.
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Die Kritik, die in Deutschland an einer Korrektur der Nichtigkeitsfolgen und einer Vertragsanpassung vorgebracht wird, fußt dabei vor allem auf zwei Säulen: einerseits der mangelnden Prävention, die von der Möglichkeit einer Vertragsanpassung ausginge, andererseits der Auffassung, eine Anpassung sei mit der Privatautonomie (der begünstigten Partei) nicht zu vereinbaren.70
I. Die angeblich mangelnde Prävention einer Anpassungslösung Für die Gesamtnichtigkeit wird immer wieder vorgebracht, dass durch eine Anpassungslösung das Risiko, wucherische Verträge abzuschließen, minimiert und dadurch der Wucherer geradezu dazu animiert werde, solche Verträge abzuschließen, weil er anders als bei der Gesamtnichtigkeit nichts zu verlieren habe.71 Deshalb müsse die Nichtigkeit das gesamte Geschäft umfassen. Dem kann aus den oben genannten Gründen72 nicht gefolgt werden, wobei die folgenden beiden entscheidend sind: Zum einen ist der tatsächlich von der Nichtigkeit ausgehende Abschreckungseffekt zweifelhaft. In Fällen, in denen die benachteiligte Partei auf die Sache angewiesen ist, wird sie nämlich nicht die Nichtigkeit geltend machen. Zum anderen ist auch die Vertragsanpassung als Rechtsfolge zur Prävention geeignet, wenn sie auf den Marktpreis und nicht das gerade noch zulässige Entgelt erfolgt. In den Fällen der Läsion ist die Verwendung des Präventionsgedankens zur Argumentation ohnehin fragwürdig, da hier kein verwerfliches Verhalten der bevorteilten Partei feststeht. Der Gedanke, sie habe eine Schwächelage oder Irrtum der anderen Partei ausgenutzt, mag zwar naheliegend erscheinen. Doch sollte eine – wenn auch nicht unplausible – Vermutung nicht zur Begründung einer Rechtsfolge herangezogen werden, bei der die möglichen Alternativen in Form der Gesamtnichtigkeit und Vertragsanpassung im (praktischen) Ergebnis so weit voneinandern entfernt liegen.
II. Privatautonomie und Bedenken bezüglich richterlicher Moderation Was die Beachtlichkeit von auf die Privatautonomie gestützten Argumenten gegen eine Anpassung angeht, muss zwischen Wucher und Läsion unterschieden werden, denn in Fällen des Wuchers erscheint ein Eingriff in die Privatautonomie des Wucherers aufgrund seines (pflichtwidrigen und unter Umständen sogar strafbaren) Vorverhaltens in weitaus größerem Maß zulässig als in Fällen der Läsion.
70 Vgl. 71 Vgl.
dazu bereits oben: § 9 B. Sinn und Zweck, S. 181 ff. zu Anhängern in Deutschland bereits Kapitel 2 Fn. 620; ansonsten auch: Stocker, Wucher und Läsion, S. 184 N. 418. 72 Vgl. oben: § 9 B. I. Die intendierte Präventionswirkung des § 138 BGB, S. 181 ff.
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1. Inhalt und Umfang der Privatautonomie Die Privatautonomie gewährt jedem einzelnen Rechtssubjekt das Recht, seine eigenen Rechtsverhältnisse frei zu gestalten. Die Vertragsfreiheit als Unterfall der Privatautonomie besagt, dass es für die Entstehung und Geltung von Verträgen sowie deren Inhalt allein auf den Willen der Vertragsparteien ankommt. Die Selbstbestimmung des Einzelnen ist das entscheidende Merkmal von Privatautonomie und Vertragsfreiheit.73 Dabei umfasst die Vertragsfreiheit sowohl das „Ob“ des Vertragsschlusses als auch die konkrete inhaltliche Ausgestaltung, das „Wie“, was gemeinhin mit den Begriffen der Abschluss- und Inhaltsfreiheit umschrieben wird.74 Der Staat nimmt hierbei grundsätzlich keinen Einfluss auf die Beziehung, er erkennt vielmehr den Willen des Einzelnen an. Seine Rolle beschränkt sich darauf, die durch den freien Willen der Parteien entstandene Vereinbarung zu schützen und ihr notfalls zwangsweise zur Durchsetzung zu verhelfen.75 Auch wenn sie nicht ausdrücklich im Grundgesetz genannt wird,76 besteht Einigkeit darüber, dass die Privatautonomie in Deutschland auch verfassungsrechtlich geschützt wird.77 Das Bundesverfassungsgericht beschreibt sie folgendermaßen78: 73
Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 19; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 10 Rn. 27 f.; Flume, AT II, S. 1 ff.; ders., FS DJT (1960), 135, 141 ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S. 36 ff.; Fischer, DRiZ 1974, 209, 212; Raiser, JZ 1958, 1, 1; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 14; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15 ff.; Leipold, BGB AT, 9. Aufl., § 10 Rn. 2; Möllers, ERCL 2018, 101, 123. 74 Flume, AT II, S. 12; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 10 Rn. 34 ff.; Bruns, JZ 2007, 385, 387; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 17; Paulus/Zenker, JuS 2001, 1, 1; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 3 Rn. 4; Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 55 ff.; von Esch, Teilnichtige Rechtsgeschäfte, S. 27; Skouris in: „Mehr Freiheit wagen“, 15, 20; Musielak, JuS 2017, 949, 949, der statt des Begriffs der Inhalts- den der Gestaltungsfreiheit verwendet; häufig findet sich daneben noch die Formfreiheit als weitere Ausprägung der Vertragsfreiheit. Sie spielt im vorliegenden Zusammenhang jedoch keine Rolle. 75 Raiser, JZ 1958, 1, 1; Merz, Privatautonomie heute, S. 3; Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 230; Weller, Vertragstreue, S. 163 ff. u. 184; vgl. zum Zweck des Vertrags, seine zwangsweise Durchsetzung zu ermöglichen auch: Medicus in: FS Flume (1978), 629, 630. 76 In der Weimarer Reichsverfassung dagegen war die Privatautonomie bzw. Vertragsfreiheit noch ausdrücklich im Text genannt, vgl. Art. 152. 77 Allg. Ansicht, vgl. nur Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 10 Rn. 29; Bork, BGB AT, § 2 Rn. 102; Flume, AT II, S. 17 ff.; Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 69 ff.; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 176; Köhler, JuS 2010, 665, 666; Musielak, JuS 2017, 949, 949; der Schutz wird im Wesentlichen über Art. 2 Abs. 1 GG, aber auch Art. 14 verwirklicht. Teilweise wird auch Art. 9 GG noch genannt. Im Übrigen ist sie ebenso auf europäischer Ebene anerkannt: vgl. etwa Art. 1 Abs. 1 CESL, Art. II.-1:102 Abs. 1 DCFR, Art. 1:102 PECL und Bruns, JZ 2007, 385, 386: „Der Grundsatz der Vertragsfreiheit gehört […] zum gemeinsamen rechtskulturellen Erbe der westlichen Welt.“; allgemein auch: Basedow in: Bitburger Gespräche 2008/I, 85 ff.; ausführlich Lüttringhaus, Vertragsfreiheit und ihre Materialisierung im Europäischen Binnenmarkt, S. 29 ff. 78 BVerfGE 81, 242, 254.
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Kapitel 4: Neukonzeption und ihre Integration
„Auf der Grundlage der Privatautonomie, die Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung ist, gestalten die Vertragspartner ihre Rechtsbeziehungen eigenverantwortlich. Sie bestimmen selbst, wie ihre gegenläufigen Interessen angemessen auszugleichen sind, und verfügen damit zugleich über ihre grundrechtlich geschützten Positionen ohne staatlichen Zwang. Der Staat hat die im Rahmen der Privatautonomie getroffenen Regelungen grundsätzlich zu respektieren.“
Bei der Behandlung von Äquivalenzstörungen steht vor allem die Inhaltsfreiheit als Ausprägung der Vertragsfreiheit im Mittelpunkt. Da es grundsätzlich den Parteien obliegt, den Vertragsinhalt festzulegen, haben sie auch das Recht, die jeweiligen Leistungspflichten und deren Höhe zu bestimmen.79 Folge einer allein an der Vertragsfreiheit orientierten Rechtsordnung wäre es daher, dass Missverhältnisse grundsätzlich unbeachtlich wären. Die Privatautonomie ist aber nicht das alles überragende Prinzip, hinter dem alles andere zurückstehen muss, sondern bedarf der Beschränkung.80 Sie muss in Einklang mit sonstigen Prinzipien und Interessen gebracht werden. Zu Recht weist Lorenz darauf hin, dass die Privatautonomie kein „unbeschränkbar vorgegebenes, naturrechtliches Prinzip [ist] […], demgegenüber gesetzliche Einschränkungen einer besonderen Rechtfertigung bedürfen“.81 Der Eingriff in den Vertrag erfolgt in den Fällen der massiven Äquivalenzstörung aufgrund dessen Inhalts. Bei der Läsion ausschließlich,82 beim Wucher in Kombination mit dem Ausnutzen einer Schwächelage, also auch aufgrund eines prozeduralen Mangels des Rechtsgeschäfts. Das bedeutet, dass jeder Eingriff in den Vertrag aufgrund einer Äquivalenzstörung gleichzeitig ein Eingriff in die Vertragsfreiheit ist. Dies gilt aber erst einmal unabhängig davon, ob man als Rechtsfolge die Anpassung oder Nichtigkeit des Vertrags wählt.83
2. Bedenken in Bezug auf die Privatautonomie Wie eingangs erwähnt, wird die Unvereinbarkeit der Vertragsanpassung mit der Privatautonomie häufig als Argument für die zwingende Gesamtnichtigkeit an79
Vgl. Nachweise in Einleitung Fn. 2. Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 10 Rn. 30; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 3 Rn. 6; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15 ff.; Bork, BGB AT, § 2 Rn. 103; Medicus/ Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 178; Bruns, JZ 2007, 385, 386; Collier, Nichtigkeit und Unwirksamkeit im System des bürgerlichen Rechts, S. 2; Fischer, DRiZ 1974, 209, 212; Riesenhuber, ZfPW 2018, 352, 359; Paulus/Zenker, JuS 2001, 1, 1 ff.; so auch BVerfGE 89, 214, 231 ff.; 81, 242, 254 f. 81 Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 16. 82 Es sei denn, man stellt als (negative) Voraussetzung das Erfordernis der Unkenntnis vom Wert der Leistung auf, wie es § 935 ABGB tut. Dann exisitiert auch bei der Läsion ein gewisser prozeduraler Mangel. 83 Richtigerweise liegt bereits in jedem gerichtlich ausgetragenen Streit ein Eingriff in den Vertrag vor, selbst wenn es bloß um Vertragsauslegung geht, da der Richter definiert, was die Parteien ausgemacht haben, so Klett, Richterliche Eingriffe in der Praxis, 13, 25 f. 80
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geführt. Die Bedenken beziehen sich dabei grundsätzlich auf den Schutz der Vertragsfreiheit der begünstigten Partei. Die typischen Argumente, mit denen die Privatautonomie gegen die Vertragsanpassung in Stellung gebracht wird, sind, dass gerade das „Alles-oderNichts-Prinzip“ der Gesamtnichtigkeit den besten Schutz der Privatautonomie garantiere und eine Anpassung des Vertrags den im Vergleich zur Nichtigkeit schwerwiegenderen Eingriff darstelle.84 Eine Vertragsanpassung begründe einen unzulässigen Abschlusszwang und sei deshalb mit der Vertragsfreiheit nicht zu vereinbaren.85 Zudem sei eine richterliche Anpassung willkürlich und rechtlich nicht determiniert, da es an Maßstäben zur Orientierung fehle.86 Die Möglichkeit einer Anpassung des Vertrags durch den Richter führe deshalb zu Unvorhersehbarkeit und Unsicherheit für die Beteiligten und den Rechtsverkehr.87 Kritiker einer Anpassungslösung argumentieren daher, es gehöre nicht zu den richterlichen Aufgaben und Befugnissen, eine Veränderung des Vertragsinhalts, insbesondere des Äquivalenzverhältnisses, vorzunehmen.88 Die richterliche Umgestaltung des Vertrags sei deshalb nicht mit der Privatautonomie zu vereinbaren.89 Schließlich wird vorgebracht, dass durch eine Abkehr von der zwingenden Nichtigkeit eine Absenkung der Anforderungen auch auf Tatbestandsseite zu befürchten sei und damit eine ausufernde normative Kontrolle von privatautonom getroffenen Vereinbarungen drohe.90 Was eine mögliche Verletzung der Privatautonomie der benachteiligten Partei angeht, ist Folgendes zu sagen: Da die Anpassung eine Besserstellung im Vergleich zum tatsächlichen Vertrag bedeutet, fehlt es bereits an einem Eingriff in die Rechtsposition des Benachteiligten. Wollte man der benachteiligten Par84
Hartung, BLJ 2014, 71, 79. Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 197; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 386; Staudinger/Coing, 11. Aufl., § 138 Rn. 21a. 86 So Flume, AT II, S. 389; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 10 Rn. 30; ähnlich Fischer, DRiZ 1974, 209, 212; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 180; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 139 Rn. 8, jedenfalls für den Wucherkauf; NK‑BGB/Looschelders, 3. Aufl., § 138 Rn. 136; Hartung, BLJ 2014, 71, 78. 87 Ähnlich auch Blomeyer, Der gerechte Preis, 77, 94; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 180. 88 Allgemein: BGH NJW 1997, 3089, 3090; NJW 1989, 2681, 2682; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 47; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 91; Fischer, DRiZ 1974, 209, 212, der vor allem darauf abstellt, dass der Richter dazu auch gar nicht in der Lage ist; Köhler, BGB AT, 42. Aufl., § 13 Rn. 31; Yang, ZJS 2012, 1, 6; speziell bzgl. Äquivalenzstörungen: Petersen, Jura 2010, 419, 420; jurisPK‑BGB/Nassall, 8. Aufl., § 139 Rn. 52; Blomeyer, Der gerechte Preis, 77, 94; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 44; NK‑BGB/Looschelders, 3. Aufl., § 138 Rn. 136. 89 Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 298; NK‑BGB/Looschelders, 3. Aufl., § 138 Rn. 136; Fischer, DRiZ 1974, 209, 212; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 91; Yang, ZJS 2012, 1, 6. 90 Häsemeyer in: FS Ulmer, 1097, 1105; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 161; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 190 ff.; ders., JR 1982, 96, 96 f.; Eckert, AcP 199 (1999), 337, 349 f.; Yang, ZJS 2012, 1, 6. 85
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tei hier eine Lösung vom Vertrag erlauben, liefe dies auf ein Reuerecht hinaus, das nicht gerechtfertigt wäre. Anderes gilt für Fälle des Wuchers, in denen die Schwächelage des Bewucherten nicht nur zur Vereinbarung eines groben Missverhältnisses ausgenutzt wurde, sondern zum Vertragsschluss überhaupt. Wenn ohne Ausnutzung der Vertrag gar nicht zustandegekommen wäre, ist mit einer Anpassung der Privatautonomie des Bewucherten nicht ausreichend Genüge getan.91
3. Bewertung Bei näherer Betrachtung lassen sich die Argumente der Kritiker jedoch entkräften beziehungsweise relativieren. Dabei muss immer beachtet werden, dass die Privatautonomie nur ein Aspekt ist, den es zu beachten gilt.92 Das bedeutet, dass auch Einschränkungen der Privatautonomie im Interesse einer gerechten Lösung hingenommen werden müssen. Außerdem stellt allein eine Beschränkung der Privatautonomie nicht das Prinzip selbst in Frage.93 Insofern ist genau zwischen Eingriff und Verletzung zu differenzieren. Ein Eingriff in die Privatautonomie kann durchaus gerechtfertigt sein und begründet nicht automatisch deren Verletzung. Dazu bedarf es einer genauen Abwägung der tangierten Belange.
a) Unzulässiger Eingriff in die Privatautonomie Die Argumentation, die Vertragsanpassung begründe einen unzulässigen Kontrahierungszwang, verfängt nicht. Einen echten Kontrahierungszwang stellt die Anpassung schon deshalb nicht dar, weil bereits ein Vertrag durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen vorliegt. Gemeint ist aber wohl ohnehin eher ein Abschlusszwang zu dem Vertrag mit angepassten Bedingungen, denn diesem konkret hat der Bevorteilte nicht zugestimmt (und im Übrigen auch nicht der Benachteiligte). Nipperdey bezeichnete diese Konstellation des korrigierten Vertrags daher auch als eine „Art Kontrahierungszwang“, der zwar wirtschaftlich so wirke wie ein Kontrahierungszwang, rechtlich aber keinen solchen darstelle.94 91 Vgl. zu den daraus zu ziehenden Konsequenzen unten: D. II. 1. b) Zusätzliche Anfechtungsmöglichkeit, S. 340 f. 92 Ein Umstand, den die Verfechter dieses Argumentes leider oft übersehen, wenn sie jede Anpassungslösung allein mit Blick auf den Eingriff in die Privatautonomie verwerfen. 93 Zu Recht: Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 43; ähnlich auch MayerMaly in: GS Gschnitzer, 265, 283. 94 Nipperdey, Kontrahierungszwang, S. 154 ff.; vgl. zudem RGZ 88, 250, 252 f. (Entscheidung zum Verstoß gegen Höchstpreisvorschrift und dem Einwand des unzulässigen Kontrahierungszwangs): „Es ist wirtschaftlich und auch rechtlich etwas Verschiedenes, ob jemand zu einer Veräußerung seines Eigentums gezwungen wird, oder ob in einem geschlossenen Veräußerungsvertrag bestimmte Abreden, weil wider das allgemeine Interesse verstoßend, unter Aufrechterhaltung des Vertrages im Übrigen getilgt werden.“
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Tatsächlich schützt die Vertragsfreiheit auch die negative Abschlussfreiheit, also die Freiheit, einen Vertrag gerade nicht zu schließen.95 Insofern kann eine Anpassung des Vertrags einen Eingriff in die Vertragsfreiheit darstellen, wenn sie der begünstigten Partei die Möglichkeit nimmt, vom Vertragsschluss zu den angepassten Bedingungen Abstand zu nehmen. Je nach Konstellation ist denkbar, dass die absolute Gesamtnichtigkeit oder eine bloße Teilnichtigkeit eher ihrem Interesse entspricht.96 Ist der Wille ebenfalls auf Anpassung zu den konkreten Konditionen gerichtet, ist der Eingriff allein wegen des Einverständnisses gerechtfertigt und eine Verletzung der Privatautonomie scheidet aus. Problematisch ist deshalb nur der Fall, in dem die begünstigte Partei eine Anpassung ablehnt. Auch diesen Bedenken lässt sich aber etwas entgegensetzen, wodurch sie sich entkräften lassen. Dabei muss zwischen Wucher und der Läsion unterschieden werden.
aa) Wucher Was die Anpassung des Vertrags gegen den Willen des Wucherers angeht, ist darin zweifellos ein Eingriff in dessen Privatautonomie zu sehen. Man sollte dabei aber zunächst beachten, dass der Eingriff eher gering ausfällt. Selbst wenn man mit einer Anpassung auf den Marktpreis statt den noch eben zulässigen Preis das aus Sicht des Wucherers strengere Maß wählt, lässt sich kaum begründen, wie in dem Umstand, für die eigene Leistung deren Verkehrswert als Gegenleistung zu erhalten, eine unzumutbare Beeinträchtigung liegen soll. Rechtfertigen lässt sich der Eingriff im Übrigen einerseits durch das rechtswidrige Vorverhalten des Wucherers. Insofern leistet die Anpassung einen Beitrag zur Prävention, da der Wucherer damit rechnen muss, dass im Nachhinein der Vertrag angepasst wird, womit ihm die Möglichkeit genommen wird, erneut mit einem Dritten zu wucherischen Bedingungen zu kontrahieren. Andererseits sind auch die schutzwürdigen Belange des Bewucherten in die Abwägung miteinzubeziehen und streiten für eine Anpassung. Angesichts der schweren Nachteile, die der Bewucherte im Falle der Gesamtnichtigkeit erleiden kann, und dem verhältnismäßig leichten Eingriff in die Privatautonomie des Wucherers, erscheint der Eingriff daher insgesamt als gerechtfertigt. Der Vertrag sollte deshalb auch gegen den Willen des Wucherers angepasst werden können. Dafür spricht schließlich gerade in Deutschland auch der Umstand, dass die (wirtschaftliche) Vertragsanpassung in Fällen vorvertraglicher Pflichtverletzungen über die c. i. c. weitgehend anerkannt ist und wucherisches Vorgehen eine solche vorvertragliche Pflichtverletzung darstellt. 95 Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 10 Rn. 34; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 17; Paulus/Zenker, JuS 2001, 1, 1; Musielak, JuS 2017, 949, 949. 96 So auch Spiro, ZBJV 1952, 449, 463, der davon ausgeht, dass oft auch eine Anpassung dem Interesse der begünstigten Partei entspricht; ebenso: Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 400.
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bb) Läsion Anders stellt sich die Situation in den Fällen der Läsion dar, denn hier lässt sich ein gegenteiliger Wille der bevorteilten Partei nicht einfach unter Verweis auf ihr pflichtwidriges Vorverhalten für unbeachtlich erklären. Ihr Wille verdient vielmehr ebenso Beachtung wie der der benachteiligten Partei. Allerdings kann es auch hier sein, dass die begünstigte Partei ein Interesse daran hat, den Vertrag so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Es ist aber nicht so, dass die bevorteilte Partei dieses Interesse grundsätzlich hat. Dies lässt sich auch nicht mit dem Argument belegen, sie hätte sonst den Vertrag nicht geschlossen.97 Die bevorteilte Partei kann und wird nämlich nicht selten die Nichtigkeit einem angepassten Vertrag vorziehen, weil es ihr darum geht, den Vertrag genau mit diesem Missverhältnis zu ihren Gunsten abzuschließen oder sonst gar nicht. Zwar kann der Wille, zu den konkreten Konditionen abzuschließen, nicht beachtet werden, denn dieser ist auf etwas rechtlich Unzulässiges gerichtet. Dies gilt aber nicht für den Willen, dann gar nicht kontrahieren zu wollen. Diesen Willen gilt es grundsätzlich zu beachten. Deshalb kann bei der Läsion eine Anpassung des Vertrags nicht ohne den Willen des Begünstigten erfolgen. Das bedeutet noch nicht, dass eine Anpassung in diesen Fällen ausgeschlossen ist. So kann die Entscheidung über die endgültige Wirksamkeit des Vertrags in angepasstem Zustand in die Hände der bevorteilten Partei gelegt werden.98 Wenn diese mit ihrem aktuellen Willen einer Anpassung zustimmt beziehungsweise diese vorschlägt, lässt sich nicht sagen, ihre Vertragsfreiheit werde unzulässig eingeschränkt. Im Gegenteil wird sie im Vergleich zur Gesamtnichtigkeit erweitert, denn sie gewinnt die Wahlmöglichkeit zwischen Nichtigkeit und einer Aufrechterhaltung zu angepassten Bedingungen. Das entspricht dem österreichischen Modell in § 934 ABGB und der klassischen laesio enormis von Diokletian. Auf die genaue Ausgestaltung, wie der Wille der begünstigten Partei Beachtung finden kann, kommt es an dieser Stelle noch nicht an. Entscheidend ist, dass es Möglichkeiten gibt, ihren Willen so zu berücksichtigen, dass ihre Privatautonomie nicht verletzt wird und dies daher keinesfalls eine Vertragsanpassung per se ausschließt.
b) Unvorhersehbarkeit des Ergebnisses Das Argument der Ungewissheit und Willkür im Falle richterlicher Vertragsanpassung trägt nur solange, wie der Richter die völlige Freiheit über die Art und das Maß der Anpassung besitzt. Wenn aber Art und Maß der Anpassung von vornherein feststehen, läuft der Einwand weitgehend ins Leere.99 Die An97 So aber Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 270 N. 965. 98 Dafür: A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages,
Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 400 f. 99 Ebenso: Hager, AcP 181 (1981), 447, 450.
S. 53; Enderlein,
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passung in das freie Ermessen des Richters zu stellen, steht daher auch gar nicht zur Diskussion. Diese Idee findet sich weder im deutschen Schrifttum noch in den rechtsvergleichend untersuchten Rechtsordnungen in Europa.100 Sie ist auch strikt abzulehnen, da in diesem Fall tatsächlich richterlicher Willkür Tür und Tor geöffnet würden und die richterliche Anpassung unvorhersehbar wäre. Allgemein werden zwei verschiedene Maßstäbe für das Niveau der Anpassung diskutiert: der des Verkehrswerts oder der des gerade noch zulässigen Wertes. Unabhängig davon, wofür man sich entscheidet,101 besteht dann aber weder Raum für richterliche Willkür noch besteht für den Rechtsverkehr eine erhebliche Unsicherheit. Natürlich lässt sich der genaue Wert im Voraus nur in der Theorie, nicht in der Praxis exakt beziffern. Genauso wenig ist auch der Richter selbst dazu in der Lage. Tatsächlich müsste die Bestimmung des Verkehrswerts durch ein Sachverständigengutachten erfolgen. Es mag auch sein, dass verschiedene Sachverständige zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Dabei sollte es sich aber eher um geringere Abweichungen handeln, sodass auch im Voraus klar ist, um welchen Wert es sich ungefähr handeln wird. Die Unsicherheit wird dadurch zwar nicht vollständig ausgeräumt, erscheint jedoch auf ein zumutbares Maß reduziert. Schließlich ist zu sagen, dass es sich dabei nicht mehr um ein spezifisches Problem richterlicher Vertragsanpassung handelt, sondern in allen Fällen auftritt, in denen Sachverständige tätig werden. Es besteht genauso in Fällen der Minderung nach § 441 BGB oder § 638 BGB und der Bestimmung der Höhe des Wertersatzes, beispielsweise nach § 346 Abs. 2 BGB oder § 818 Abs. 2 BGB. In zahlreichen Fällen wird der Richter mit der Festlegung des Werts einer Leistung betraut, sodass diese Aufgabe ihn weder überfordert noch einen besonderen Fremdkörper im geltenden Recht darstellt.
c) Absenkung der Tatbestandsvoraussetzungen Es bleiben schließlich die Befürchtungen, eine Anpassung führe zur Absenkung der Tatbestandsvoraussetzungen und einer immer weitergehenden inhaltlichen Kontrolle von Verträgen. Unabhängig von der Frage, wie begründet eine solche Sorge tatsächlich ist, ist dazu zu bemerken, dass es in den letzten Jahrzehnten bereits trotz Anwendung der zwingenden Nichtigkeit zu einer Absenkung auf Tatbestandsseite gekommen ist. Dem Einwand der Kritiker, ein Anpassungsmodell würde zu einer Ausuferung von Äquivalenzkontrollen führen, kann damit entgegengehalten werden, dass eine Ausweitung trotz zwingender Nichtigkeit stattgefunden hat. Außerdem ist nicht erkennbar, dass in den übrigen 100 Einzige Ausnahme ist soweit ersichtlich Pichonnaz, ZEuP 1999, 140, 147. 101 Vgl. dazu sogleich unten: F. Maß der Anpassung: „Große“ oder „kleine“
S. 352 ff.
Lösung,
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europäischen Ländern, in denen regelmäßig Anpassungsmöglichkeiten bestehen, die Äquivalenzkontrolle von Verträgen besonders stark ausgeprägt ist oder dort zu Problemen geführt hat.
4. Zwischenergebnis Insgesamt sprechen die Bedenken in Hinblick auf die Privatautonomie daher nicht zwingend gegen eine Vertragsanpassung und zwar weder in den Fällen des Wuchers noch der Läsion. Eine rechtliche Lösung sollte sich in erster Linie daran orientieren, was dem beiderseitigen Parteiinteresse unter Einbeziehung von Schutzzweckerwägungen und gegebenenfalls Allgemeininteressen entspricht. Und gerade hier versagt die zwingende Gesamtnichtigkeit, wie bereits ausführlich erörtert.102 Zudem muss berücksichtigt werden, dass es sich hierbei nicht um einen richterlichen Eingriff in eine gültige, sondern eine ungültige Vereinbarung handelt.103 Schließlich wird von den Kritikern zumeist verkannt beziehungsweise nicht zugegeben, dass die Nichtigkeitserklärung eines Vertrags genauso eine Missachtung des Parteiwillens ist.104 Insofern ist Spiro zuzustimmen, dass bei der Nichtigkeit „nicht bloss ein Zustand, den die Parteien wollten, nicht entsteht, sondern ein Zustand entsteht, den die Parteien nicht wollten.“105 Die Nichtigkeit ist auch nicht automatisch ein „Weniger“ im Verhältnis zur Anpassung.106 Der Wille der bevorteilten Partei zu wucherischen Konditionen abzuschließen wird nämlich bei keiner der Alternativen anerkannt. Es kann also von vornherein nur um die Frage gehen, welche Lösung besser im Einklang mit der Vertragsfreiheit steht. Welche der beiden Rechtsfolgen das ist, lässt sich kaum pauschal, sondern tatsächlich nur im Einzelfall beurteilen. Aus diesem Grund erscheint es aber verfehlt, eine Anpassung von vornherein auszuschließen.
102
Vgl. oben: § 9 A. Interessen der Beteiligten, S. 158 ff.
103 Krampe, AcP 194 (1994), 1, 2. 104 Dies zu Recht feststellend: Spiro,
ZBJV 1952, 449, 462; ähnlich Köhler, JuS 2010, 665, 666; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 270; Mi. Becker, Der unfaire Vertrag, S. 12. 105 Spiro, ZBJV 1952, 449, 462; ebenfalls zustimmend: Dedual, Geltungserhaltende Reduktion, S. 239. 106 So geht der BGH davon aus, dass die Auflösung eines Vertrages tiefer in die Privatautonomie eingreift als dessen Anpassung, wobei darauf hinzuweisen ist, dass er diese Äußerung im Zusammenhang mit § 313 Abs. 3 BGB und nicht § 138 BGB getätigt hat, vgl. BGH NJW 2012, 373, 375. Die entscheidende Frage ist, ob es für den Wucherer schlimmer ist, gar keinen Vertrag mehr zu haben oder aber einen angepassten. Ähnlich Köhler, JZ 2010, 767, 768 bzgl. des Eingriffs in die Privatautonomie: „Die Nichtigkeit […] kann vielmehr nur ultima ratio sein, wenn sich der Schutzzweck des Gesetzes nicht anders gewährleisten lässt.“
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III. Interessenlage der Parteien Mit der Interessenlage der Parteien wurde sich im Verlauf der Arbeit bereits ausführlich auseinandergesetzt.107 Danach hat die benachteiligte Partei häufig ein Interesse daran, am Vertrag festzuhalten. Besonders offensichtlich ist dies in den klassichen Wucherfällen. Deshalb ist auch die in Österreich bei Geltendmachung der relativen Nichtigkeit in Fällen des Wuchers eintretende Gesamtnichtigkeit keine befriedigende Lösung, wie auch die dort bestehende Kritik daran erkennen lässt.108 Ebenso erscheint es bei der Läsion aus Sicht des Benachteiligten unbefriedigend, dass er mit der Geltendmachung Gefahr läuft, dass es zur Rückabwicklung des Vertrags kommt. Die Vertragsanpassung bietet hier für den Benachteiligten einen Ausweg, wenn er am Vertrag weiter festhalten möchte.109 Vielfach will er nämlich seine Leistung nicht zurückgeben.110 Für die Anpassung spricht ferner, dass es kein Reuerecht gibt und der Vertrag inklusive etwaiger vertraglicher Rechte der Parteien, insbesondere der Mängelgewährleistungsrechte, bestehen bleibt.111 Schließlich bietet sie den Vorteil, dass die für Vertragsverhandlungen und -durchführung aufgewendeten Kosten nicht umsonst waren.112 Allerdings kann der Bewucherte auch ein Interesse haben, sich vom Vertrag zu lösen. Insbesondere dann, wenn seine Schwächelage nicht nur zur Vereinbarung von wucherischen Bedingungen, sondern schon zum Vertragsschluss überhaupt ausgenutzt wurde.113 Dies kann besonders in den Fällen der Unerfahrenheit und erheblichen Willensschwäche vorkommen. Dies spricht dafür, dem Bewucherten ein Wahlrecht zwischen Anpassung und Gesamtnichtigkeit zuzusprechen.114 Mit Blick auf die begünstigte Partei ergibt sich ein etwas anderes Bild. Sie kann genauso ein Interesse an der Vertragsanpassung haben. Es ist aber auch möglich, dass ein Vertrag mit angepassten Bedingungen ihrem Willen widerspricht. Wenn denn auch die Vertragsanpassung die bevorzugte Lösung darstellt, gilt es, diese Interessen der begünstigten Partei zu berücksichtigen.115 107 108
Vgl. § 6 Interessenlage, S. 33 ff. und § 9 A. Interessen der Beteiligten, S. 158 ff. Vgl. dazu oben: § 11 A. III. Teil- oder Gesamtnichtigkeit, S. 244 ff. 109 Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 300 N. 1038; Stocker, Wucher und Läsion, S. 173 N. 394. 110 Vgl. bereits oben: § 6 Interessenlage, S. 33 ff.; ebenso v. Tuhr/Peter, OR AT, S. 346 Fn. 14a; Stark, Die Übervorteilung, 377, 395; Hacker, ZfPW 2019, 148, 195. 111 Dies hebt ebenso hervor: Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 96 u. 148; in die Richtung auch AK‑BGB/Damm, § 138 Rn. 160. 112 So Dedual, Geltungserhaltende Reduktion, S. 241. 113 So: Rühle, Das Wucherverbot, S. 64. Ähnlich auch zum österreichischen Recht: Gschnitzer in Klang IV/1, S. 208. 114 Dafür ausdrücklich: Rühle, Das Wucherverbot, S. 64 f.; ebenso bereits 1917: Lehmann, Wucher und Wucherbekämpfung, S. 63. 115 Vgl. zur genauen Art und Weise wie dies geschieht sogleich: D. Anpassungsrecht des Benachteiligten oder Wahlrecht des Bevorteilten, S. 338 ff.
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IV. Zwischenergebnis Grundsätzlich stellt die Anpassung des Vertrags die vorzugswürdige Lösung dar. Im Ausgangspunkt gilt dies sowohl für die Fälle des Wuchers als auch der Läsion. Etwas anderes gilt nur, wenn der Bewucherte durch seine Schwächelage zum Vertragsschluss selbst verleitet wurde. Dann ist die Gesamtnichtigkeit vorzugswürdig. Für den Wucher sollten deshalb beide Rechtsfolgen möglich sein: Anfechtung mit der Gesamtnichtigkeit als Rechtsfolge und die Vertragsanpassung. Fraglich bleibt allerdings, ob die Anpassung auch gegen den Willen der begünstigten Partei durchgesetzt werden kann.
D. Anpassungsrecht des Benachteiligten oder Wahlrecht des Bevorteilten Ausgehend von einer möglichen Vertragsanpassung als Rechtsfolge muss geklärt werden, wer diese verlangen kann. Es kann entweder dem Übervorteilten ein Anspruch auf Vertragsanpassung zugesprochen werden oder dies bloß ein Recht des Begünstigten sein, dessen Nichtausübung endgültig zur Nichtigkeit des Vertrags wie bei der österreichischen laesio enormis führt. Schließlich könnte die Anpassung auch ipso iure erfolgen. Der rechtsvergleichende Überblick zeigt in dieser Frage ein uneinheitliches Bild. So gibt es sowohl Rechtsordnungen, die das Anpassungsrecht allein in die Hände der benachteiligten Partei legen,116 als auch solche, die es ausschließlich dem Bevorteilten gestatten, Anpassung zu verlangen117. Wenn das Wahlrecht dem Begünstigten zusteht, handelt es sich regelmäßig um einen Läsionstatbestand. Allein Italien und Portugal sehen dies auch für den Fall des Wuchers vor. Schließlich gibt es auch Rechtsordnungen, in denen es beiden Parteien erlaubt ist, Anpassung zu verlangen.118 Dies entspricht auch der Lösung des DCFR und der PECL.119 Nur eine Anpassung ipso iure gibt es in keiner der untersuchten Rechtsordnungen.
I. Vor- und Nachteile der jeweiligen Möglichkeiten Der große Vorteil allein der benachteiligten Partei das Recht zur Anpassung zu gewähren, liegt darin, dass sie durch die Berufung auf das Missverhältnis nicht Gefahr läuft, die erhaltene Leistung zu verlieren. Ihre Situation kann sich durch die Berufung auf die Äquivalenzstörung nur verbessern. Dies macht es wahrscheinlicher, dass massive Äquivalenzstörungen häufiger geltend gemacht 116 So 117 So
etwa in der Schweiz, Polen oder im katalanischen Recht. in Österreich, Frankreich und Italien und bei der klassischen laesio enormis von Kaiser Diokletian. 118 So etwa in Portugal, den Niederlanden und dem Reformvorschlag für ein neues Zivilgesetzbuch in Polen. 119 Vgl. oben: § 13 B. II. 2. a) Berechtigung zur Vertragsanpassung, S. 293 f.
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werden und sich so ihr Vorkommen bestenfalls verringert. Besonders deutlich wird dies beim Wucher, wenn der Bewucherte auf die Leistung angewiesen ist. Besitzt die benachteiligte Partei nur ein Anfechtungsrecht, auf das die begünstigte Partei mit der Anpassung reagieren kann, kann das Risiko, den Vertrag und damit die Leistung zu verlieren, nicht vollständig ausgeräumt werden. Dies kann die benachteiligte Partei davon abhalten, sich auf die Äquivalenzstörung zu berufen.120 Zwar kann der Benachteiligte dann entscheiden, ob er die Anfechtung erklärt oder nicht. Wenn dem Begünstigten allein die Möglichkeit der Anpassung zukommt, liegt die Wirksamkeit des Vertrags aber in dessen Hand. Die benachteiligte Partei steht damit praktisch kaum besser als bei der ipso iure Nichtigkeit des Vertrags. Auch dort können die Parteien den Vertrag nämlich anpassen, wenn dies ihrem beiderseitigen Willen entspricht, was häufig am Willen der begünstigten Partei scheitern wird. Und auch wenn der Vertrag kraft Gesetzes nichtig ist, wird sich regelmäßig nur die benachteiligte Partei auf die Äquivalenzstörung berufen, weshalb die Situation tatsächlich dann der bei einer Anfechtung entspricht. Gleichzeitig würden aber durch ein alleiniges Anpassungsrecht des Benachteiligten die Interessen des Begünstigten völlig ignoriert. Diesem würde ein Vertrag aufgezwungen, dessen Inhalt weder von seinem Willen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch zum Zeitpunkt der Anpassung gedeckt ist. Dies wirft Bedenken in Hinblick auf die diesen ebenfalls schützende Vertragsfreiheit auf121 und führt zu der Frage, ob eine Anpassung auch gegen den Willen des Begünstigten erfolgen darf. Die Autoren der Comments zur Unfair Exploitation im DCFR verneinen dies, da sie davon ausgehen, dass die Nichtigkeit des Vertrages gegen den Willen der bevorteilten Partei diese unangemessen benachteiligen kann.122 Daher wird teilweise gefordert, dass eine Anpassung nur mit dem Willen des Begünstigten möglich sein dürfe und zwar in der Form, dass ihm die Wahl zwischen Totalnichtigkeit und Anpassung überlassen werden müsse.123 Hier wiederum steht die benachteiligte Partei vor eben beschriebenem Problem, dass sie mit der Wahl zwischen Anfechtung und Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes im Fall der Anfechtung das Risiko eingeht, den kompletten Vertrag zu verlieren, wenn die begünstigte Partei kein Interesse an der Anpassung hat. Eine Anpassung ipso iure sieht sich mit Blick auf den Begünstigten den gleichen Bedenken ausgesetzt, wie ein alleiniges Anpassungsrecht des Benachtei120 Ebenso fürs Schweizer Recht: Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertrag, S. 621; Spiro, ZBJV 1952, 497, 520; Gauch, Der Fussballclub und sein Mietvertrag, 55, 56; Stocker, Wucher und Läsion, S. 173 N. 394. 121 Vgl. zu diesen Bedenken bereits oben: C. II. Privatautonomie und Bedenken bezüglich richterlicher Moderation, S. 328 ff. 122 v. Bar/Clive, DCFR Art. II.-7:207 Cmt. G, S. 534. 123 A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 51.
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ligten. Wenn in Fällen des Wuchers die Schwäche zum Vertragsschluss selbst ausgenutzt wurde, stellt regelmäßig die Nichtigkeit des Vertrages die angemessene Rechtsfolge dar. Insofern wäre allein eine Anpassung ipso iure nicht gerechtfertigt. Schließlich kann die Anpassung ipso iure als einzige Rechtsfolge der Prävention entgegenlaufen, weil der Wucherer stets wüsste, dass trotz massiver Überschreitung zu seinen Gunsten ein wirksamer Vertrag existiert. Aus Sicht der benachteiligten Partei spricht prinzipiell nichts gegen eine gesetzliche Anpassung, außer es wurde beim Wucher die Schwäche bereits zum Vertragsschluss selbst ausgenutzt.
II. Differenzierung zwischen Wucher und Läsion Die vorherigen Ausführungen legen es nahe, auch in dieser Frage zwischen Wucher und Läsion zu differenzieren.
1. Wucher a) Anpassungsrecht In den Fällen des Wuchers sollte allein dem Bewucherten das Recht zustehen, die Anpassung des Vertrages zu verlangen. Maßgeblich dafür sind besonders zwei Erwägungen: zum einen, dass der Bewucherte durch die Geltendmachung der Äquivalenzstörung nicht Gefahr läuft, seine Rechte aus dem Vertrag zu verlieren. Zum anderen trüge der Wucherer, gewährte man ihm das Anpassungsrecht, bei einem wucherischen Geschäft gar kein Risiko mehr, da er für den Fall, dass der Bewucherte sich auf die Äquivalenzstörung beruft, den Vertrag stets zu marktgerechten Konditionen aufrechterhalten könnte.124 Der Wucherer ist aufgrund seines vorherigen Verhaltens aber nicht schutzwürdig, weil darin ein Missbrauch der Vertragsfreiheit liegt, und deshalb seine Interessen geringer zu bewerten sind als die des Bewucherten. Zudem lässt sich dafür noch der Gesichtspunkt der Prävention fruchtbar machen. Denn wie schon geschildert, kann von dem Anpassungsrecht auf ein angemessenes Maß durchaus eine abschreckende Wirkung ausgehen, indem der Wucherer die Möglichkeit zur Realisierung des Differenzbetrags zwischen Marktpreis und eben noch zulässigem Preis verliert.125
b) Zusätzliche Anfechtungsmöglichkeit In einem weiteren Schritt ist zu klären, ob der Bewucherte nur die Anpassung verlangen kann oder stattdessen auch die Nichtigkeit, falls diese eher seinem In124
Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht AT I, Rn. 755; Stocker, Wucher und Läsion, S. 109 f. N. 242; Hartung, BLJ 2014, 73, 78; Wolf, Willensmängel in einem europäischen Vertragsrecht, 85, 113 f. 125 Vgl. dazu oben: § 9 B. I. 1. Abschreckung des Wucherers, S. 181 ff.
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teresse entsprechen sollte. In jedem Fall sollte der Bewucherte die Nichtigkeit herbeiführen können, wenn seine Schwäche zum Vertragsschluss selbst ausgenutzt wurde und dieser anderenfalls gänzlich unterblieben wäre. Eine Anpassung würde hier nämlich die Bindung an einen überhaupt nicht (auch nicht zu anderen Konditionen) gewollten Vertrag bedeuten. Hier gebietet es der Schutz der Privatautonomie des Bewucherten, ihm zusätzlich zum Anpassungsrecht die Lösung vom Vertrag mittels eines Anfechtungsrechts zu ermöglichen. Es fragt sich weiter, ob dem Bewucherten auch in den übrigen Fällen neben dem Anpassungsrecht das Recht zur Anfechtung zustehen soll. Gegen ein solch generelles Wahlrecht zwischen Anpassung und Nichtigkeit des Bewucherten wird vorgebracht, dass die Wahl der Nichtigkeit als Rechtsfolge auf ein Reuerecht des Bewucherten hinauslaufe.126 Diese Bedenken sind tatsächlich nicht völlig von der Hand zu weisen. Von den Fällen abgesehen, in denen die Schwäche zum Vertragsschluss überhaupt ausgenutzt wurde, scheint die Möglichkeit der Vernichtbarkeit des Vertrags zum Schutz des Bewucherten tatsächlich nicht notwendig. Andererseits wird auch dafür plädiert, dem Bewucherten die Wahl zwischen Anpassung oder Nichtigkeit zu geben, da die bevorteilte Partei dann das Risiko der Nichtigkeit trüge und so von der Ausnutzung abgehalten würde.127 Eine solche Wahlmöglichkeit würde damit der Prävention dienen, indem die Unsicherheit, ob Anpassung oder Nichtigkeit eintritt, auf den Wucherer abschreckend wirkt. Dem Interesse des Bewucherten entspricht es am ehesten, im konkreten Fall zwischen Nichtigkeit und Anpassung wählen zu können. In den Fällen der Ausnutzung ist der andere Teil auch nicht schutzwürdig. Die durch die Wahlmöglichkeit eintretende Rechtsunsicherheit ist ihm deshalb zuzumuten. Kann der Bewucherte die Anpassung verlangen, aber stattdessen auch die Nichtigkeit wählen, so besteht für den Wucherer immerhin das Risiko, den gesamten Vertrag zu verlieren. Ihm ist die Kontrolle über den Fortbestand des Vertrages vollständig entzogen. Insofern kann eine solche Lösung im stärkeren Maß zur Prävention beitragen als es ein Anpassungsrecht allein könnte. Dem Bewucherten ist daher stets die Möglichkeit zu gewähren, zwischen Anpassung und Gesamtnichtigkeit zu wählen. Der Wucherer kann die Nichtigkeit als Folge der Anfechtung nicht dadurch verhindern, dass er sich mit einer Anpassung einverstanden erklärt. Das würde nämlich das Risiko des Abschlusses wucherischer Verträge drastisch minimieren.128 126 127
Honsell in: FS Giger, 287, 295. Hartung, BLJ 2014, 71, 78; Wolf, Willensmängel in einem europäischen Vertragsrecht, 85, 113 f.; Stocker, Wucher und Läsion, S. 181 f. N. 410; Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 282 ff. 128 Aus diesem Grund lässt es der BGH auch nicht zu, dass der Täuschende i. R. v. § 123 Abs. 1 BGB die Anfechtung dadurch verhindert, dass er sich mit einer Anpassung einverstanden erklärt, vgl. BGH NJW 2000, 2894, 2894: „die Gefahr einer Anfechtung … [zu mindern], indem man die Möglichkeit einräumt, die arglistig herbeigeführte Beeinträchtigung des Ver-
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2. Läsion a) Inhaber des Anpassungsrechts Bei der Läsion hingegen sollte der Benachteiligte keine Möglichkeit haben, den Vertrag eigenmächtig zu vernichten. Hier sind die Interessen des Bevorteilten zu berücksichtigen, denn er hat gerade nicht (nachweisbar) vorwerfbar gehandelt.129 Aufgrund der Schutzwürdigkeit seiner Interessen darf die Anpassung nicht gegen seinen Willen erfolgen, da dies einen Eingriff in seine Vertragsfreiheit darstellen würde, dessen Rechtfertigung zweifelhaft erscheint. Dieses Problem lässt sich dadurch beheben, dass man die endgültige Entscheidung über die Wirksamkeit des Vertrages dem Begünstigten überlässt, weil dann zumindest der jetzige Wille auf die Fortsetzung des Vertrages zu angepassten Konditionen gerichtet ist.130 Wie im Rahmen der laesio enormis im österreichischen Recht hätte der Begünstigte die Möglichkeit, dem Nichtigkeitsbegehren des Benachteiligten mit dem Recht auf Anpassung des Vertrags zu begegnen. Auf diese Weise lassen sich auch die Bedenken entkräften, die Vertragsanpassung stelle eine Verletzung der Privatautonomie dar.131 Wenn nämlich eine Anpassung des Vertrages vom Willen des Begünstigten abhängt, kann dies keine Verletzung seiner Vertragsfreiheit begründen. Da die Anpassung des Vertrages eine Verbesserung der Situation der benachteiligten Partei bedeutet, kann darin von vornherein kein Eingriff in ihre Vertragsfreiheit liegen. Zudem wird die benachteiligte Partei mit einer Anpassung zu ihren Gunsten praktisch wohl ohnehin stets einverstanden sein.
b) Maßgeblicher Zeitpunkt Einen Blick gilt es schließlich noch auf den Zeitpunkt zu richten, der für den Willen des Begünstigten maßgeblich ist. Bei der klassischen laesio enormis und auch ihrer Entsprechung im österreichischen Recht wird dafür auf den Zeitpunkt nach Geltendmachung der Äquivalenzstörung durch den Benachteiligten abgestellt. Ebenso verhält es sich in den anderen Rechtsordnungen, die ein Anpassungsrecht des Begünstigten vorsehen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob nicht besser auf den Willen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist. Unterschiede ergeben sich dabei ohnehin nur, wenn sich der Wille des Begünstigten in der Zwischenzeit geändert hat. Stimmt der aktuelle Wille mit dem Willen bei Vertragssschluss überein, kommen die Ansichten zum gleichen Ergebnis. tragspartners zu beseitigen, um damit der Anfechtung die Grundlage entziehen zu können, wäre schon grundsätzlich verfehlt.“ 129 Ebenso Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 115. 130 Dies schlägt vor: A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 52 f. 131 Vgl. dazu bereits soeben: C. II. 3. a) bb) Läsion, S. 334.
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aa) Grundsatz Im Grundsatz ist auf den Willen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, denn es gilt insbesondere die folgende Konstellation zu verhindern: Der Begünstigte wäre im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch zu einem Vertragsschluss mit angepassten Konditionen bereit gewesen, hat in der Zwischenzeit allerdings seine Auffassung geändert und präferiert stattdessen die Gesamtnichtigkeit. Hier wäre es nun unbillig, wenn der Vertrag, statt angepasst zu werden, plötzlich vollständig nicht wäre, denn es gibt keinen Grund, weshalb die Willensänderung des Begünstigten Beachtung finden sollte. Ein solcher Wandel wird nämlich regelmäßig nur erfolgen, weil sich entweder das Geschäft aufgrund nachträglich eingetretener Umstände als nunmehr schlechtes herausstellt oder das Geschäft aufgrund einer eigenen Fehleinschätzung schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein schlechtes war, der Begünstigte dies aber erst später bemerkt hat. Dabei handelt es sich allerdings jeweils um Umstände, die in den Risikobereich des Begünstigten fallen und die er nicht auf den Benachteiligten abwälzen darf. Diese Möglichkeit würde man ihm aber geben, wenn man für den Willen auf den Zeitpunkt der Geltendmachung der Äquivalenzstörung und nicht den des Vertragsschlusses abstellt. Deshalb ist im Grundsatz auf den Willen bei Vertragsschluss abzustellen.132
bb) Ausnahme Auf den aktuellen Willen sollte nur für die umgekehrte Situation abgestellt werden, wenn also der Wille bei Vertragsschluss statt auf einen angepassten Vertrag auf die Gesamtnichtigkeit gerichtet war und nunmehr (nach der Geltendmachung) auf die Anpassung. Zwar wird auch dadurch dem Begünstigten die Möglichkeit eröffnet, seine Entscheidung von zwischenzeitlich eingetretenen Erkenntnissen abhängig zu machen. Zum einen geschieht dies aber nicht in unbilliger Art und Weise zulasten des Benachteiligten. Indem nämlich die Anpassung für diesen eine Besserstellung im Vergleich zum tatsächlich geschlossenen Vertrag darstellt, sind seine schutzwürdigen Belange nicht tangiert, wenn das Ergebnis ein angepasster Vertrag und keine Gesamtnichtigkeit ist. Zum anderen ging der Begünstigte von der Wirksamkeit des Vertrags aus und hat regelmäßig sein Verhalten daran orientiert. Das Vertrauen des Begünstigten auf die Wirksamkeit des Vertrags ist hier schutzwürdig, weil er nicht in vorwerfbarer Weise zum Mangel des Vertrags beigetragen hat. Aus diesem Grund verdient auch sein Wille Beachtung, den Vertrag nunmehr zu angepassten Bedingungen aufrechtzuerhalten, auch wenn er ihn ursprünglich nicht in dieser Form geschlossen hätte. Deshalb ist für diese Konstellation auf den Willen des Begünstigten im Zeitpunkt der Geltendmachung der Äquivalenzstörung abzustellen. 132 Zu etwaigen praktischen Schwierigkeiten bei dessen Ermittlung und den Umgang mit diesen vgl. unten: § 15 C. II. 3. Anwendung von § 139 BGB, S. 424 ff.
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E. Rechtstechnische Ausgestaltung der Rechtsfolgen Die beiden vorgeschlagenen Rechtsfolgen – die Anfechtung des Vertrags oder alternativ auch dessen Anpassung – treten jeweils nur mit dem aktuellen Willen und seiner Artikulation durch den Benachteiligten ein, bei der Läsion mit dem zusätzlichen Recht des Begünstigten, auf die Anfechtung des Benachteiligten Vertragsanpassung zu verlangen. Dabei stellt sich jeweils die Frage nach der genauen Ausgestaltung: Zum einen, ob es zum Eintritt der Rechtsfolgen ausreicht, dass der Benachteiligte seinen Willen mittels einfacher Erklärung gegenüber der begünstigten Partei kundtut, ihm also ein Gestaltungsrecht133 eingeräumt wird oder ob es der Geltendmachung vor Gericht bedarf und die Rechtsänderung erst durch rechtskräftiges Urteil eintritt. Die Nichtigkeit oder Anpassung müsste dann durch den Benachteiligten jeweils mit einer Gestaltungsklage verfolgt werden. Die Ausgestaltung als Gestaltungsklage entspricht dabei der Rechtslage in zahlreichen europäischen Rechtsordnungen. Neben Österreich, wo die relative Nichtigkeit und laesio enormis gerichtlich geltend gemacht werden müssen, ist dies auch in Frankreich, Polen, Italien und Portugal der Fall.134 Auch in England ist die gerichtliche Geltendmachung des undue influence und der unconscionability erforderlich.135 Die Lösung über ein Gestaltungsrecht findet sich dagegen in der Schweiz, in England beim economic duress, in Litauen und auch im DCFR und den PECL. Die Niederlande sehen beide Möglichkeiten nebeneinander vor. Hier kann die Geltendmachung sowohl außergerichtlich mittels einfacher Willenserklärung gegenüber dem anderen Teil als auch mittels Nichtigkeitsklage vor Gericht erfolgen.136 Aufgrund der Nichtigkeit ipso iure lässt sich Deutschland keiner der beiden Varianten zuordnen. Sowohl die Gestaltungsklage als auch das Gestaltungsrecht finden sich aber auch im deutschen Recht. In Fällen der nachträglichen Leistungsbestimmung taucht die Gestaltungsklage im BGB auf. So sind für die Bestimmung der Leistung gemäß § 319 Abs. 1 S. 2 BGB und die Herabsetzung der Vertragsstrafe nach § 343 Abs. 1 BGB jeweils ein gerichtliches Urteil erforderlich. Besonders verbreitet ist die Gestaltungsklage zudem im Gesellschaftsrecht.137 Als Gestaltungsrecht sind vor allem die Anfechtung, Kündigung und der Rücktritt ausgeformt. 133
Der Begriff des Gestaltungsrechts geht zurück auf Seckel, vgl. ders., Die Gestaltungsrechte des Bürgerlichen Rechts, 205, 210. 134 Vgl. zu Österreich oben: § 11 A. II. 2. Relative Nichtigkeit, S. 242 ff. und B. II. 1. Anfechtungsrecht des Übervorteilten, S. 253 f.; zu den übrigen: § 10 Länderberichte, S. 215 ff. 135 Vgl. oben § 10 E. England, S. 232 ff. 136 Vgl. oben: § 10 F. Niederlande, S. 235 f. 137 Vgl. nur: § 133 Abs. 1 HGB (Auflösung einer OHG), § 140 Abs. 1 HGB (Ausschluss eines OHG Gesellschafters), § 241 Nr. 5 AktG (Nichtigkeitserklärung eines Hauptversammlungsbeschlusses).
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Da es in beiden Varianten schließlich notwendig ist, dass zunächst die benachteiligte Partei tätig wird, stellt sich zusätzlich die Frage, ob es dafür eine zeitliche Begrenzung geben soll, wie diese ausgestaltet wird und was nach Fristablauf mit dem Vertrag passiert. Bei der Frage, ob das Recht der benachteiligten Partei einer Befristung zu unterwerfen ist, herrscht rechtsvergleichend weitgehend Einigkeit. Nahezu alle untersuchten Rechtsordnungen knüpfen die Geltendmachung der Äquivalenzstörung an eine Frist.138 Unterschiede zeigen sich aber sowohl bei der Länge der Frist als auch bei deren Beginn. Die kürzesten Fristen existieren in der Schweiz und Italien mit einer Dauer von einem Jahr. Am längsten sind sie im katalanischen Recht mit vier Jahren sowie in den Niederlanden und Österreich mit drei Jahren, wobei nach niederländischem Recht der Begünstigte die Möglichkeit hat, die Frist zu verkürzen, indem er den Benachteiligten zur Erklärung auffordert, ob er den Vertrag anfechten wolle oder nicht.139 Für den Fristbeginn wird teilweise objektiv an den Zeitpunkt des Vertragsschlusses angeknüpft, meistens ist jedoch die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Benachteiligten von den maßgeblichen Umständen notwendig.140
I. Gestaltungsrecht oder Gestaltungsklage 1. Vor- und Nachteile der Alternativen Die Gestaltungsklage stellt sich durch die Mitwirkung des Gerichts als deutlich komplexeres und umständlicheres Instrument dar als das Gestaltungsrecht, selbst wenn man es dem Benachteiligten wie beim Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB gestattet141, unmittelbar auf die Leistung zu klagen. Für die Geltendmachung mittels Gestaltungsklage spricht der Aspekt der erhöhten Rechtssicherheit.142 Die aus der Ausübung eines Gestaltungsrechts resultierende Unsicherheit und Ungewissheit, insbesondere ob der entsprechende Gestaltungsgrund tatsächlich vorliegt, wird vermieden, weil die Änderung der Rechtslage erst mit Rechtskraft des gerichtlichen Urteils eintritt.143 Wie schon bei der Entscheidung zwischen Nichtigkeit ipso iure und Gestaltungslösung 138 So Italien, die Schweiz, die Niederlande, ebenso im CESL, DCFR und den PECL, Polen, Österreich, Frankreich und im katalanischen Recht. 139 Vgl. oben: § 10 F. Niederlande, S. 235 f. 140 Ersteres ist in der Schweiz und Italien der Fall. Letzteres in den Niederlanden, den PECL, dem DCFR und CESL. 141 Vgl. oben: § 8 B. V. Gerichtliche Durchsetzung, S. 139. 142 Schellhase, Gesetzliche Rechte zur einseitigen Vertragsgestaltung, S. 62; Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 30; Kisch, Beiträge zur Urteilslehre, S. 52; Kerschner, Irrtumsanfechtung, S. 66 ff.; ebenso Chorin/Lazauskaitė, Jurisprudencija 2014, 1163, 1174 f., die jedoch eher eine missbräuchliche Verwendung aufgrund der Einfachheit der Geltendmachung befürchten, aber zu dem Ergebnis gelangen, dass es in der Praxis dafür keine Anhaltspunkte gibt und daher letztendlich doch ein Gestaltungsrecht als vorzugswürdig ansehen. 143 Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 84; Schellhase, Gesetzliche Rechte zur ein-
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sollte dieser Aspekt in den hier interessierenden Fällen aber nicht überschätzt werden, da die praktischen Ergebnisse sich nicht allzu sehr unterscheiden.144 Auch wenn das Recht mittels Gestaltungsklage geltend zu machen ist, können die Parteien die Einschaltung des Gerichts dadurch verhindern, dass sie den Vertrag einvernehmlich aufheben. Dies kommt aber allenfalls in ganz eindeutigen Fällen in Betracht. Ansonsten wird der Richter durch Urteil die Nichtigkeit eintreten lassen müssen. In streitigen Fällen wird aber auch bei der Lösung als Gestaltungsrecht meist ein gerichtliches Verfahren notwendig sein, um das Vorliegen des Gestaltungsgrundes zu überprüfen.145 Der Klageantrag ist dann nicht auf Erklärung der Nichtigkeit, sondern direkt auf Rückerstattung der Leistung gerichtet. Für die Lösung als Gestaltungsrecht spricht dann immer noch, dass der vorzeitige Eintritt der Rechtsänderung für den Benachteiligten insofern positiv ist, als dass er etwa für den Zeitraum, in dem der Bevorteilte nicht leistet, diesen bereits in Verzug setzen kann. Damit ist er in der Lage, Druck aufzubauen, um eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden beziehungsweise der Begünstigte geht ein (finanzielles) Risiko ein, wenn er die gegen ihn bestehenden Ansprüche nicht erfüllt. Hinsichtlich des Vertragsanpassungsverlangens könnte die Durchsetzung mittels Gestaltungsklage den Vorteil bieten, dass dadurch eine höhere Akzeptanz bei der durch die Anpassung belasteten Partei erzeugt wird. Denn bei dieser Frage liegt das Streitpotential ungleich höher. Zwar mag der Begünstigte das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen zur Anpassung als gegeben akzeptieren, aber sich gegen das vom Benachteiligten geforderte Maß der Anpassung wenden. Bei einem als Gestaltungsrecht ausgeformten Anpassungsrecht, würde sich die Frage stellen, wie genau der Berechtigte hierbei vorgehen müsste. Müsste er in seiner Erklärung nur Anpassung auf das angemessene Maß verlangen oder dieses angemessene Maß gleich konkret bestimmten, also einen genauen Preis angeben? Aufgrund der zwar durchaus möglichen, aber nicht sehr einfachen und klaren Feststellung des Marktpreises, erscheint hier Streit über den genauen Betrag des angemessenen Preises vorprogrammiert, sodass häufig letztlich erst ein gerichtliches Verfahren die Entscheidung bringen wird, in dem das Gericht einen Gutachter bestellt, der für das Grundstück den Marktpreis zu ermitteln hat. Unabhängig von der Ausgestaltung als echtes Gestaltungsrecht oder als Gestaltungsklage stellt sich die Frage, ob der Anpassungsberechtigte in einer Klage den genauen Betrag benennen müsste. Aufgrund der eben beschriebenen Unsicherheit und des daraus für den Benachteiligten als Kläger resultierende seitigen Vertragsgestaltung, S. 62; Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 29 ff.; Kisch, Beiträge zur Urteilslehre, S. 52. 144 Siehe oben: B. III. 2. Verhinderung eines Schwebezustandes, S. 323 ff. 145 Ebenso: Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 251; in die Richtung ebenfalls Koch in: FS Zweigert, 851, 867.
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Kostenrisiko ist eine exakte Bezifferung abzulehnen.146 Insofern muss es genügen, dass der Benachteiligte auf Leistung der zum Anpassungsniveau fehlenden Differenz klagt und jedenfalls die Größenordnung nennt, in der sich der Marktpreis befindet, wie es auch für die Klage auf Schmerzensgeld abweichend von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO anerkannt ist147.
2. Das Gestaltungsrecht als vorzugswürdige Lösung Trotz der genannten Vorteile der Gestaltungsklage ist für beide Rechte letztlich die Ausgestaltung als bloßes Gestaltungsrecht vorzugswürdig. Für ein Gestaltungsrecht spricht, dass es die Rechtsdurchsetzung vereinfacht und der Berechtigte von der Einschaltung der Gerichte zur Rechtsverfolgung abgeschreckt werden kann.148 Sie ist ferner – zumindest potentiell – geeignet, die Gerichte zu entlassen. Sie entspricht zusätzlich dem Trend auf internationaler Ebene, der benachteiligten Partei neben dem Recht, Aufhebung zu verlangen, auch die entsprechenden Mittel dafür zu geben.149 Vor allem vor dem Leistungsaustausch gewährt diese Lösung dem Benachteiligten den besseren Schutz. Kann er nämlich ohne Anrufung des Gerichts von seinem Recht Gebrauch machen, muss nicht er, sondern der Bevorteilte das Gericht anrufen. Die Rolle desjenigen, der aktiv werden muss, lässt sich auf diese Weise auf den Wucherer verlagern. Die mögliche Hemmschwelle, die in der Anrufung eines Gerichts liegt und die nicht unterschätzt werden sollte, entfällt damit für den Benachteiligten. Er ist nicht gezwungen, das Prozessrisiko und die damit einhergehenden Belastungen, wie etwa die Beauftragung eines Anwalts, zu tragen.150 Es ist daher anzunehmen, dass die Ausformung als Gestaltungsrecht eher dazu beiträgt, dass die benachteiligte Partei von ihren Rechten Gebrauch macht.151 Etwas relativiert wird dieser Vorteil dadurch, dass der Benachteiligte auch bei der Ausgestaltung als Gestaltungsklage abwarten kann, bis der andere Teil ihn verklagt und dann sein Recht im Prozess als Einrede gerichtlich geltend ma146 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 95 Rn. 40, die für die vergleichbaren Fälle der §§ 612 Abs. 2, 632, 653 BGB die Zulässigkeit eines unbestimmten Klageantrags annehmen. 147 St. Rspr., vgl. BGH NJW 1996, 2425, 2427; NJW 1992, 311, 311 f.; NJW 1982, 340, 340 f.; Musielak/Voit/Foerste, 17. Aufl., § 253 Rn. 35; MüKoZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl., § 253 Rn. 119 ff. 148 Ma. Becker, AcP 188 (1988), 24, 64; Tögel, Der Irrtum bei Vertragsschluss und dessen Risiko für die Vertragspartner, S. 270; Chorin/Lazauskaitė, Jurisprudencija 2014, 1163, 1175. 149 So insb. im CESL, DCFR und den PECL, siehe oben: § 12 B. II. 1. a) Geltendmachung der Anfechtung, S. 288 ff. 150 So als Argument für ein Gestaltungsrecht im Bereich des Irrtums: Tögel, Der Irrtum bei Vertragsschluss und dessen Risiko für die Vertragspartner, S. 270; ähnlich Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 429; Koch in: FS Zweigert, 851, 867. 151 Tögel, Der Irrtum bei Vertragsschluss und dessen Risiko für die Vertragspartner, S. 270; Chorin/Lazauskaitė, Jurisprudencija 2014, 1163, 1175.
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chen kann, jedenfalls dann, wenn die Anfechtungsfrist nicht kürzer ist als die Verjährungsfrist für die Forderung des Begünstigten, wie es in einigen Rechtsordnungen, wie etwa der Schweiz, allerdings der Fall ist. Hier muss man jedoch sehen, dass die benachteiligte Partei dann regelmäßig die Prozesskosten tragen muss, wenn die begünstigte Partei nach Ausübung des Gestaltungsrechts im Prozess diesen für (einseitig) erledigt erklärt. Bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses war die Klage des Begünstigten nämlich regelmäßig zulässig und begründet, weshalb grundsätzlich dem Benachteiligten die Kosten auferlegt würden.152 Insofern spricht dies wiederum für ein Gestaltungsrecht. Auch wenn die Bedenken hinsichtlich eines Gestaltungsrechts bei der Vertragsanpassung nicht unberechtigt sind, gehen mit einem Gestaltungsrecht keine entscheidenden Nachteile einher. Schlimmstenfalls kommt es auch dort zum Prozess, in dem der angepasste Wert im Fokus steht, und damit genau zu der Situation, die bei einer Gestaltungsklage sofort eintreten würde. Mit der Ausgestaltung als Gestaltungsrecht besteht zumindest die erhöhte Chance einer Anpassung ohne gerichtliche Mitwirkung, weshalb Anfechtungs- und Anpassungsrecht als Gestaltungsrechte ausgestaltet werden sollten.
II. Zeitliche Begrenzung 1. Befristung überhaupt sinnvoll? a) Allgemeine Vor- und Nachteile Sowohl im Fall eines Gestaltungsrechts als auch einer Gestaltungsklage ist zu klären, ob die Rechte der benachteiligen Partei durch eine Befristung eingeschränkt werden sollen. Das Recht zur Anfechtung, also das Recht und die Möglichkeit den Vertrag in einem frei wählbaren Augenblick durch einseitige Erklärung aufzuheben, macht das Vertragsverhältnis instabil und sorgt für Unsicherheit sowohl beim Vertragspartner als auch beim übrigen Rechtsverkehr.153 Eine Befristung hat deshalb vor allem den Zweck, dieser Unsicherheit entgegenzuwirken und sie zeitlich zu beschränken.154 Die andere Vertragspartei soll nicht zeitlich unbegrenzt darüber im Ungewissen gelassen werden, ob ihr Vertragspartner von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch macht, sondern ab einem gewissen Zeitpunkt auf den endgülti152 Vgl.
zu den Voraussetzungen der einseitigen Erledigungserklärung u. a.: Musielak/ Voit/Flockenhaus, 17. Aufl., § 91a Rn. 28 ff.; MüKoZPO/Schulz, 5. Aufl., § 91a Rn. 81; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 131 Rn. 22. 153 Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 32 f. N. 112. 154 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 734; Schellhase, Gesetzliche Rechte zur einseitigen Vertragsgestaltung, S. 62; Leipold, BGB AT, 10. Aufl., § 18 Rn. 54; Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 443; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 164 f.; Tögel, Der Irrtum bei Vertragsschluss und dessen Risiko für die Vertragspartner, S. 271; Singer, JZ 1989, 1030, 1031 u. 1035.
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gen Bestand des Vertrags vertrauen können. Insofern dient eine Befristung der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Keinesfalls darf darüber hinaus das Recht zur Anpassung oder Nichtigkeitserklärung dazu dienen, dass die berechtigte Partei auf Kosten der anderen spekuliert, indem sie die Wertentwicklung der vertraglichen Leistungen abwartet und die Geltendmachung ihrer Rechte davon abhängig macht.155 Der Möglichkeit zur Spekulation kann eine Befristung entgegenwirken, indem sie diese zeitlich begrenzt. Schließlich spricht für eine Befristung der Umstand, dass mit längerem Zeitablauf sich zum einen die Beweislage verschlechtert156, zum anderen eine Rückabwicklung schwieriger wird157. Bei Grundstückskaufverträgen kann dies insbesondere durch bauliche Veränderungen aber auch durch Weiterveräußerung des Grundstücks der Fall sein. Eine Befristung bringt aber auch Nachteile mit sich. Problematisch ist eine Befristung insofern, als sie der benachteiligten Partei das Risiko und die Last auferlegt, ihre Rechte rechtzeitig durchzusetzen. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass dies weniger ein Problem ist, wenn die Leistungen schon ausgetauscht wurden als wenn der Benachteiligte noch nicht geleistet hat.158 Im ersten Fall gibt es nämlich für den Benachteiligten ohnehin keinen (berechtigten) Grund, mit der Geltendmachung abzuwarten, abgesehen von einem Zeitraum, den er für die Entscheidungsfindung benötigt. Im anderen Fall mag die Gefahr bestehen, dass der begünstigte Teil die Passivität des Benachteiligten ausnutzt und den Fristablauf abwartet, um im Anschluss seine Rechte geltend zu machen.159 Dies wäre insofern misslich, als dass der Begünstigte dann ungerechtfertigt dennoch auf Kosten des Benachteiligten profitieren würde. Andererseits erscheint es für die benachteiligte Partei durchaus zumutbar, sich innerhalb einer Frist zu erklären. Unterlässt sie dies, muss sie sich eben an dem – auch von ihr so erkannten – nachteiligen Vertrag festhalten lassen. Hier zeigt sich noch einmal der Vorteil des Gestaltungsrechts gegenüber der Gestaltungsklage, weil es das Gestaltungsrecht dem Benachteiligten leicht macht, seine Rechte geltend zu machen. Für (Ausnahme-)Fälle, in denen die bevorteilte Partei die benachteiligte gezielt in Sicherheit wiegt und sie im Vertrauen belässt, sie werde ihre Ansprüche nicht geltend machen, kann die nachträgliche Geltendmachung der vertraglichen Ansprüche immer noch als treuwidrig ausgeschlossen werden. 155 Ebenso für ein Anfechtungsrecht bei Willensstörungen: Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, S. 163, 172; Leipold, BGB AT, 10. Aufl., § 18 Rn. 54; Staudinger/ Singer, (2017), Vorb. zu §§ 116–144 Rn. 23. So schon in den Motiven zum BGB, vgl. Mugdan I, S. 468: „Dem Anfechtungsberechtigten darf nicht freistehen, sich nach Gutdünken unentschieden zu verhalten.“ 156 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 734. 157 Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, S. 163, 172. 158 Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, S. 163, 173. 159 Diese Gefahr sieht: Grigoleit, Sanktionsmechanismen bei Willensstörungen, S. 163, 173.
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Kapitel 4: Neukonzeption und ihre Integration
b) Anwendung auf Wucher und Läsion Auch hier bietet sich eine Differenzierung zwischen den beiden Modellen an. Bei der Läsion ist eine Befristung unumgänglich. Auch wenn die Läsion dem Schutz des Benachteiligten dient, hat die bevorteilte Partei ein legitimes Interesse daran, in einem angemessenen Zeitraum Sicherheit über die endgültige Wirksamkeit des Vertrags zu erlangen.160 Sie wird häufig gar nicht wissen, dass der Vertrag aufhebbar ist, da ihre Kenntnis von der Äquivalenzstörung nicht erforderlich ist. Ihr Vertrauen in die Beständigkeit des Vertrags ist deshalb besonders groß und auch schutzwürdig. Dies gilt auch dann, wenn die begünstigte Partei im Nachhinein von der Aufhebbarkeit erfahren hat. Insofern stellt sich die Situation nicht anders dar als bei der Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB. Auch dort hat die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Anfechtbarkeit keinen Einfluss auf die Länge der Anfechtungsfrist. Deshalb ist das Recht zur Anfechtung des Benachteiligten auch bei der Läsion einer Befristung zu unterwerfen. Beim Wucher sollte zwischen der Situation vor und nach Leistungsaustausch differenziert werden. Nach dem Leistungsaustausch ist das Recht des Bewucherten einer Befristung zu unterwerfen. Dafür spricht zum einen, dass mit zunehmender Zeit eine Rückabwicklung immer schwieriger und komplexer wird, zum anderen, wie soeben erwähnt, dass es kein schutzwürdiges Interesse des Bewucherten gibt, nach dem Leistungsaustausch mit der Geltendmachung seiner Rechte abzuwarten. Insbesondere soll er nicht auf Kosten des Vertragspartners spekulieren können. Dies gilt selbst dann, wenn dies der Wucherer ist. Anders sollte es hingegen vor dem Leistungsaustausch sein. Solange dieser noch nicht vollzogen wurde, sollte der Bewucherte sich stets gegen den Wucherer wehren können und sein Schutz sollte nicht durch den Ablauf einer Frist eingeschränkt werden. Der Wucherer darf ohnehin nicht auf die Wirksamkeit des Vertrags vertrauen, weil die Ursache der Anfechtbarkeit nicht allein in der Sphäre des Bewucherten begründet ist. Deshalb ist hier eine Befristung des Anfechtungsrechts nur nach dem Leistungsaustausch anzunehmen.
2. Beginn und Dauer der Frist Entscheidende Bedeutung kommt auch der Fristdauer und dem Fristbeginn zu. Je kürzer die Frist zur Ausübung ist, desto stabiler wird das Vertragsverhältnis und umso besser wird der Rechtsverkehr geschützt, da der Schwebezustand verkürzt wird und früher endgültige Rechtssicherheit herrscht.161 Gleiches spricht auch für einen kenntnisunabhängigen Fristbeginn ab Vertragsschluss. Gleich160 Ebenso Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 443, allgemein für Fälle, in denen die Nichtigkeit dem Schutz nur eines Vertragspartners dient. 161 Grebieniow, Rechtsfolgen der Übervorteilung, S. 34 N. 123.
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zeitig müssen aber auch die legitimen Interessen des Benachteiligten als Anfechtungsberechtigten angemessen berücksichtigt werden. Diese bestehen vor allem in einer ausreichenden Zeit zur Überlegung und Abwägung der Vor- und Nachteile, die mit der (Nicht-)Ausübung einhergehen.162 Das legt es nahe, die Frist erst ab dem Zeitpunkt der Kenntnis von den maßgeblichen Umständen beginnen zu lassen.
a) Fristbeginn Die Frist sollte erst dann beginnen, wenn der Anfechtungsberechtigte die für die Geltendmachung notwendigen Umstände kennt. Ein Fristbeginn bereits ab Vertragsschluss anzunehmen, wie es z. B. das Schweizer Recht in Art. 21 Abs. 2 OR tut, widerspricht den schützenswerten Belangen des Bewucherten, zumal der Wucherer in seinem Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags nicht schutzwürdig ist. Neben der Kenntnis ist auch der Wegfall der Schwächelage für den Fristbeginn erforderlich, weil eine freie Wahl des Bewucherten nicht gewährleistet wäre, wenn die Schwächelage noch andauert, und er häufig von einer Geltendmachung absehen würde. Dann hätte der Wucherer aber schlussendlich doch Erfolg mit seinem ausbeuterischen Verhalten. Bei der Läsion ist zwar auch das Vertrauen des Begünstigten auf die Wirksamkeit des Vertrags schutzwürdig. Dennoch ist auch hier das Schweizer Modell abzulehnen, weil es den Schutz des Benachteiligten zu stark einschränkt. Die Frist, die auch hier ab Kenntnis zu laufen beginnt, sollte bei der Läsion aber durch eine objektiv an den Vertragsschluss anknüpfende Maximalfrist begrenzt werden, um dem Vertrauen der bevorteilten Partei auf die Wirksamkeit des Vertrags Rechnung zu tragen.
b) Länge der Frist Auch bezüglich der Fristlänge ist zwischen Wucher und Läsion zu differenzieren, wobei sie beim Wucher länger sein sollte. Das vorwerfbare Verhalten des Wucherers rechtfertigt es hier, dem anderen Teil einen längeren Zeitraum zur Entscheidungsfindung einzuräumen. Gleichzeitig sind die Interessen des Wucherers, den Zeitraum der Ungewissheit möglichst kurz zu halten, weniger schützenswert. Beim Wucher bietet sich eine Orientierung an § 124 Abs. 1 BGB an, sodass hier eine Jahresfrist gilt. Wie der Täuschende oder Drohende ist der Wucherer nicht schutzwürdig, weshalb eine längere Frist angemessen ist. Zusätzlich spricht die dogmatische Nähe zwischen Wucher und Täuschung163 beziehungsweise Drohung für eine Orientierung an § 124 Abs. 1 BGB. 162
St. Rspr. zur Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB, vgl. etwa BGH NJW 2008, 985, 986; NJW 2005, 1869, 1869; Leipold, BGB AT, 10. Aufl., § 18 Rn. 53; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 121 Rn. 7 ff.; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 121 Rn. 4. 163 Vgl. dazu oben: § 9 C. I. Konkurrenz zwischen § 138 und § 123 BGB, S. 189 ff.
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Kapitel 4: Neukonzeption und ihre Integration
Bei der Läsion ist dagegen aus den schon genannten Gründen die Frist kurz zu halten. Für diese bietet sich eine Orientierung am deutschen § 121 Abs. 1 BGB an. Dem Berechtigten ist danach so viel Zeit zu geben, wie er nach Kenntnis im Einzelfall für die Überlegung und Entscheidungsfindung benötigt, inklusive der Möglichkeit, Rechtsrat einzuholen.164 Dafür spricht neben dem Umstand, dass es ein angemessenes Ergebnis ist, die dogmatische Nähe der Läsion zum Irrtumsrecht. Wenn er auch keine Voraussetzung für die Anfechtung wegen Läsion ist, bildet ein Wertirrtum doch regelmäßig die Ursache der schweren Äquivalenzstörung.
III. Zwischenergebnis Sowohl beim Wucher als auch der Läsion kann die benachteiligte Partei ihre Rechte mittels einfacher Willenserklärung gegenüber dem Vertragspartner geltend machen. Es handelt sich damit jeweils um ein Gestaltungsrecht. Dies unterliegt aber der Befristung, wobei die Frist jeweils erst mit Kenntnis der benachteiligten Partei von den maßgeblichen Umständen zu laufen beginnt, beim Wucher gepaart mit dem Wegfall der Schwächelage. Im Fall der Läsion tritt daneben noch eine kenntnisunabhängige Frist, die mit Vertragsschluss zu laufen beginnt. Bei der Dauer der Fristen ist zwischen Wucher und Läsion zu unterscheiden. Bei der Läsion hat die Anfechtung sowohl vor als auch nach Leistungsaustausch unverzüglich i. S. d. § 121 Abs. 1 BGB nach Kenntnis zu erfolgen. Beim Wucher unterliegen die Rechte nur nach dem Leistungsaustausch einer Befristung. Diese beträgt entsprechend § 124 Abs. 1 BGB ein Jahr.
F. Maß der Anpassung: „Große“ oder „kleine“ Lösung Im Rahmen einer Anpassungslösung stellt sich die Frage, ob man die „große“ Lösung wählt, also Anpassung des Kaufpreises auf den Marktpreis, oder die „kleine“ Lösung, das heißt Anpassung auf das gerade noch zulässige Maß, wie es etwa beim Mietwucher vom BGH praktiziert wird. Besonders in der ausländischen Literatur wird in deutlich stärkerem Maß für eine Anpassung auf den tatsächlichen Wert der Leistung im Sinne des Marktpreises votiert.165 Auch der Blick auf die ausländische Rechtspraxis zeigt, dass die Anpassung grundsätzlich auf den Marktpreis vorgenommen wird, so etwa in Österreich, Polen, Frankreich166, der Schweiz, Portugal und Italien. Nicht 164
Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 346. für das Schweizer Recht: BSK OR I/Huguenin/Meise, Art. 21 Rn. 16; Stocker, Wucher und Läsion, S. 164. N. 368 f.; für Österreich etwa: Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 19. 166 Hier darf der Bevorteilte zwar ein Zehntel des Werts behalten. Dies hat wie beschrieben aber nicht den Zweck, ihm einen kleinen Gewinn zu belassen, sondern dient als Schutz 165 Vgl.
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ganz eindeutig ist die Situation bei den PECL und im DCFR, bei denen aber im Ergebnis auch von einer Anpassung auf das angemessene Maß ausgegangen wird.167
I. Anpassung auf das gerade noch zulässige Maß 1. Argumente für die „kleine“ Lösung Für eine Anpassung auf das eben noch zulässige Maß spricht der Grundsatz der Privatautonomie. Diesem entspricht es nämlich, ein Rechtsgeschäft nur soweit zu korrigieren, wie es zur Vermeidung von Gesetzes- beziehungsweise Sittenwidrigkeit erforderlich ist.168 Gleichzeitig wird für die kleine Lösung vorgebracht, die Nichtigkeit könne nicht weiter reichen als der Nichtigkeitsgrund Geltung beanspruche.169 Wenn eine bestimmte Rechtsfolge nur dann eintrete, soweit bestimmte Voraussetzungen gegeben sind, die Nichtigkeit also nur eintritt, wenn ihre Voraussetzungen gegeben sind, entspreche es „den Geboten der Logik“, dass eine Rechtsfolge nur eintrete, soweit ihre Voraussetzungen gegeben seien und dementsprechend Verträge auch nur nichtig sind, soweit sie gegen Recht oder die guten Sitten verstoßen.170 Deshalb könne die Anpassung nur auf das gerade noch zulässige Maß vorgenommen werden, da für eine weitere Reduktion keine Berechtigung vorliege. Weiter wird für eine Anpassung auf das gerade noch zulässige Maß argumentiert, dass ansonsten derjenige, der die zulässige Grenze geringfügig überschreitet, gegenüber dem, der knapp unter dieser Grenze geblieben ist, unangemessen benachteiligt wird.171 Schließlich wird die Befürchtung geäußert, die schwächere Partei könnte die Reduktion auf das angemessene Maß missbrauchen, indem sie einen Vertrag zu überhöhten, wucherischen Bedingungen schließt, um diesen im Nachhinein anpassen zu lassen und auf diese Weise einen günstigeren Preis zu erreichen als sie ihn selbst hätte aushandeln können.172
vor der Ungenauigkeit bei der Bestimmung des Marktpreises, die nicht zulasten des Bevorteilten gehen soll. 167 Vgl. dazu oben: § 12 A. II. 2. Vertragsanpassung, S. 292 ff. Ebenfalls unklar ist das Maß in den Niederlanden, vgl. § 10 F. Niederlande, S. 235 f. 168 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 400; Illeditis, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 30; Rieble/Picker, ZFA 2014, 153, 211. 169 Spiro, ZBJV 1952, 497, 528; Pichonnaz, ZEuP 1999, 140, 159; Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 283. So auch der BGH für die Reduktion des Mietpreises auf das gerade noch zulässige Maß, BGH NJW 1984, 722, 723. 170 Spiro, ZBJV 1952, 449, 459 f. 171 So hatte das LG Hamburg, Urt. v. 02.10.1981, 11 S 271/81 als Vorgängerinstanz zu HansOLG, Urt. v. 15.11.1982, 4 U 181/81 argumentiert. 172 So Pichonnaz, ZEuP 1999, 140, 157.
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2. Bewertung Tatsächlich kann man sagen, dass eine vollständige Anpassung jedenfalls nicht zwingend erforderlich ist.173 Es gibt weder im deutschen noch europäischen Recht eine Norm und auch keinen Grundsatz, die besagen, dass zwischen Leistung und Gegenleistung vollständige Ausgeglichenheit herrschen muss. Und auch die Vorschriften über den Wucher oder die Läsion verlangen keine vollständige Ausgeglichenheit, greifen sie doch erst bei (sehr) schweren Äquivalenzstörungen ein. Diese Argumentation ist aber nur solange richtig, wie die benachteiligte Partei sich nicht in einer Schwächelage befindet, wie sie der Wuchertatbestand voraussetzt. Denn diese sorgt für einen Verfahrensfehler beim Vertragsschluss, der deshalb nicht mehr als Ausdruck eines in voller Freiheit gebildeten und umgesetzten Willens angesehen werden kann. Daher sei der unausgeglichene Vertrag nicht als Ausdruck der Privatautonomie der benachteiligten Partei anzusehen.174 Zudem wird – nicht zu Unrecht – vorgebracht, die Meinung, die Anpassung auf das noch zulässige Maß vorzunehmen, beruhe auf der Vorstellung, dass ein wenig Ausbeuten durchaus zulässig sei und deshalb auch vom Gericht zu schützen ist.175 Dem ist aber nicht so. Das Abstellen auf größere Missverhältnisse dient dazu, dass Preise grundsätzlich frei verhandelbar sein sollen und die Beschränkung auf größere Missverhältnisse davor schützen soll, dass nicht jeder nicht vollständig angemessene Vertrag angegriffen werden kann. Keinesfalls dient es dazu, das Ausnutzen von Notlagen zum eigenen Profit als Verhalten zu legitimieren.176 Würde man die Anpassung nur auf das gerade noch zulässige Maß vornehmen, würde man im Ergebnis eine Ausbeutung des Vertragspartners akzeptieren, solange diese nur nicht zu extrem ungerechten Verträgen führt.177 Der Einwand, derjenige, der die Grenze nur leicht überschreitet, stehe bei einer Anpassung auf den Marktpreis schlechter als derjenige, der diese noch knapp unterschreitet, ist tatsächlich richtig. Er spricht für eine Anpassung auf das eben noch zulässige Maß. Er allein ist aber nicht geeignet, die daneben bestehenden Bedenken gegen eine solche Anpassung zu überwinden. Zudem ist die beschriebene Problematik die zwangsläufige und logische Konsequenz jeder Grenzziehung.178 Es gibt dabei immer diejenigen, die bei der Festlegung einer Grenze gerade nicht mehr erfasst werden und dadurch einen Nachteil erleiden. Verhindern beziehungsweise abmildern könnte dies nur ein gestuftes System. Eine Äquivalenzkontrolle soll aber die absolute Ausnahme bleiben. 173
So u. a.: Stocker, Wucher und Läsion, S. 161 N. 361. Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertrag, S. 632. Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertrag, S. 631. 176 So auch: Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertrag, S. 631. 177 Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertrag, S. 632. 178 In diese Richtung auch Kohte, NJW 1982, 2803, 2806; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 205. 174 175
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Ferner lässt dieses Argument außer Acht, dass die Parteien eben grundsätzlich frei darin sind, den Inhalt der vertraglichen Pflichten zu bestimmen und dass das Recht prinzipiell auch unausgeglichene Verträge schützt. Derjenige, der knapp unter der Grenze liegt, handelt eben noch im rechtlich zulässigen Bereich, während derjenige, der diese Grenze überschreitet, dies gerade nicht mehr tut.179 Die Befürchtung des Missbrauchspotentials schließlich ist nicht ganz und gar unbegründet, aber in dieser Form doch übertrieben. Das gilt vor allem beim Wucher, denn Voraussetzung für diesen ist und bleibt der Nachweis der Schwächelage, die nicht ohne Weiteres herbeigeführt oder vorgetäuscht werden kann. Wer ein solches Vorgehen wählt, geht deshalb ein hohes Risiko ein: Gelingt es ihm nicht, den Richter davon zu überzeugen, dass der Begünstigte eine tatsächlich nicht bestehende Schwächelage ausgenutzt hat, bleibt er an den unausgeglichenen Vertrag gebunden. Im Übrigen muss man sehen, dass sich derjenige, der dieses Vorgehen wählt, wegen Prozessbetrugs strafbar macht.180 Diese beiden Faktoren sollten eine ausreichende Abschreckung gegen ein solches Vorgehen darstellen. Als Argument gegen eine Anpassung auf den Marktpreis ist diese Befürchtung daher von eher geringem Gewicht.
II. Anpassung auf das angemessene Maß Gegen eine Anpassung auf das gerade noch zulässige Maß wird der durchaus berechtigte Gedanke der Prävention vorgebracht, denn in diesem Fall hat der Wucherer kein besonderes Risiko zu fürchten.181 Entweder er behält den Vertrag zu wucherischen Bedingungen oder aber der Vertrag wird im schlimmsten Fall auf die höchste rechtlich noch zulässige Gegenleistung angepasst. Der begünstigten Partei würde durch eine bloße Anpassung auf das gerade noch zulässige Maß die Möglichkeit eröffnet, stark überhöhte Entgelte zu verlangen, um sich so durch das Gericht das höchste noch zulässige Entgelt zu sichern.182 Dies wird in der Literatur – zu Recht – weitgehend als eine unbefriedigende Lösung 179
Zu Recht: Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 205. handelt es sich um einen Dreiecksbetrug: Indem der Benachteiligte über die Schwächelage täuschen müsste, ruft er beim Richter einen Irrtum hervor. Die Vermögensverfügung liegt im richterlichen Urteil. Diese ist dem Begünstigten zuzurechnen und sorgt bei ihm für einen Vermögensschaden. Vgl. zudem für eine ähnliche Konstellation Kapitel 2 Fn. 683. 181 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 170 u. 204; Bunte in: FS Giger, 55, 72 f.; Buff, Vertragliche Anpassungsklauseln im Schweizerischen Recht, S. 220; Medicus in: GS Dietz, 61, 72; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 211; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 221 f.; Roth, JZ 1989, 411, 417; ders., ZHR 153 (1989), 423, 439 f.; Weyer in: FS Baur, 681, 695 f.; für den Bereich des Lohnwuchers: Franke, Lohnwucher, S. 166; Rieble/Picker, ZFA 2014, 153, 214; Dedual, Geltungserhaltende Reduktion, S. 251 ff. 182 So die Auffassung des OLG Karlsruhe, OLG Stuttgart und OLG Hamburg zum Mietwucher vor der Entscheidung des BGH, vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 696; Hager, Gesetzesund sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 211; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 45 Rn. 12; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 204; ähnlich Weyer in: FS Baur, 681, 695 f.; BeckOGK/Vossler, 01.09.2017, BGB § 134 Rn. 90. 180 Dabei
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empfunden und zwar sowohl im In- als auch im Ausland.183 Wählt man als Anpassungsniveau den Marktpreis, bleibt der Missbrauch der Vertragsfreiheit hingegen riskant184 und vom Wucher geht weiterhin ein präventiver Effekt aus. Als weiteres Argument wird angeführt, dass es die dem Richter auferlegte Neutralitätspflicht gebiete, eine Anpassung auf das angemessene Maß vorzunehmen, weil er keine Partei bevorteilen dürfe,185 beziehungsweise es nicht zu seinen Aufgaben gehöre, den gerade noch zulässigen Preis zu bestimmen186. Ferner spricht für die Anpassung auf den Marktpreis, dass so ein Gleichlauf zwischen Totalnichtigkeit und Vertragsanpassung hergestellt wird,187 also den beiden Grundmechanismen, mit denen ein ausgeglichenes Äquivalenzverhältnis hergestellt werden kann. Nur die Aufrechterhaltung zu ausgeglichenen Vertragsbedingungen entspricht nämlich gerechtigkeitstheoretisch der Totalnichtigkeit.188 Wenn nämlich die Anpassung auf ein geringeres Maß als den Wert der Gegenleistung vorgenommen wird, ist der Benachteiligte vermögenstechnisch schlechter gestellt als bei der Nichtigkeit, denn im Falle der Nichtigkeit und Rückabwicklung wird die ursprüngliche Vermögenssituation wieder hergestellt. Unter Umständen steht der Benachteiligte dann in den Fällen der Anpassung schlechter als bei der Rückabwicklung. Entscheidende Bedeutung kommt dann der Frage zu, wem das Wahlrecht zwischen Nichtigkeit und Anpassung zusteht. Liegt dieses beim Benachteiligten, ergeben sich weniger Probleme, denn er kann sich vor der im Verhältnis schlechteren Anpassung schützen, indem er die Nichtigkeit wählt. Anders ist dies, wenn die Wahl nicht bei ihm, sondern der begünstigten Partei liegt. Wenn der Wert der erhaltenen Leistung höher ist als das dafür bezahlte Entgelt, wird sie in der Regel die Anpassung vornehmen. Aber auch wenn die Wahl beim Benachteiligten liegt, ist das ungleiche Ergebnis nicht vollkommen unbedenklich. Zwar wird der Benachteiligte die für ihn relativ gesehen günstigere Variante wählen. Dennoch bleibt es dabei, dass in diesem Fall aus der rein auf das Vermögen konzentrierten Sichtweise die Anpassung die schlechtere Lösung darstellt. Wählt der Benachteiligte deshalb die Nichtigkeit, wird er aber mit den 183 Ebenso
Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 204 f.; Medicus in: GS Dietz, 61, 72; Franke, Lohnwucher, S. 166; Rieble/Picker, ZFA 2014, 153, 211; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 221 f.; Hager, JuS 1985, 264, 270; ders., Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 211; für die Schweiz: Buff, Vertragliche Anpassungsklauseln im Schweizerischen Recht, S. 220; Dedual, Geltungserhaltende Reduktion, S. 251 ff.; für Österreich: Joeinig, ÖJZ 2003, 1, 19. 184 Medicus in: GS Dietz, 61, 72; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 204; Bunte, NJW 1983, 2674, 2676. 185 Weyer in: FS Baur, 681, 695 u. 699. 186 Roth, ZHR 153 (1989), 423, 439; Medicus in: GS Dietz, 61, 72; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 211. 187 A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 51; Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S. 117. 188 A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 24 u. 51.
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Nachteilen der Rückabwicklung belastet, so dass für ihn die Entscheidung zwischen Anpassung und Nichtigkeit häufig nur die Wahl des geringeren Übels bedeuten würde. Schließlich passt die Anpassung auf das eben noch zulässige Maß beim Wucher nicht mit der Tatbestandsseite überein, da alleiniger Anknüpfungspunkt nicht ein Missverhältnis ist. Immer dann, wenn, wie aktuell im deutschen Recht und typischerweise beim Wucher, keine starre Grenze existiert, ab der der Vertrag unzulässig ist, bereitet die Ermittlung des gerade noch zulässigen Entgelts deutlich mehr Schwierigkeiten als die, dass ein konkretes Entgelt sittenwidrig ist.189 Damit fehlt es aber an einer vorhersehbaren Grenze, auf die die Anpassung erfolgen könnte. Unter diesen Umständen führt eine Anpassung auf das noch zulässige Maß zu Rechtsunsicherheit. Dagegen lässt sich der angemessene Preis entgegen zahlreicher Stimmen190 relativ einfach bestimmen,191 da man ihn bereits zuvor bei der Frage nach der Bestimmung des groben Missverhältnisses ermitteln musste und er damit dem Gericht schon bekannt ist. Das Gesetz betraut den Richter zudem ohnehin in zahlreichen Vorschriften mit der Aufgabe, den tatsächlichen Wert einer Leistung festzustellen, z. B. in den §§ 315 Abs. 3, 319 Abs. 1, 441, 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2, 818 Abs. 2 BGB.192 Ihm ist diese Aufgabe daher nicht fremd. Dagegen lässt sich der gerade noch zulässige Preis kaum objektiv ermitteln, insbesondere ist seine Bestimmung viel willkürlicher, es sei denn, es gibt eine feste Grenze, wie etwa bei § 5 WiStG. Zuletzt wird aufgeführt, die eben genannten Normen enthielten die Wertung, dass das deutsche Privatrecht im Grundsatz von einer Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung ausgehe, weshalb eine Anpassung auf den Marktpreis statt den gerade noch zulässigen Preis vorgenommen werden müsse.193 189 So
zu Recht Medicus in: GS Dietz, 61, 72; Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertrag, S. 632; a. A. allerdings Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 211, der davon ausgeht, es mache keinen Unterschied, ob der Richter das gerade noch sittengemäße oder angemessene Entgelt festzustellen habe. 190 Vgl. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 86 f. 191 Zustimmend: Belser, Freiheit und Gerechtigkeit im Vertrag, S. 632; Hager, Gesetzesund sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 211; Bunte, NJW 1983, 2674, 2677; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 404, der nicht zu Unrecht der Meinung ist, dass sich diese Methode auch auf die Bestimmung des gerade noch Zulässigen übertragen lässt. 192 Ebenso: Medicus in: GS Dietz, 61, 72; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 214; Roth, ZHR 153 (1989), 423, 440; Wolf, Willensmängel in einem europäischen Vertragsrecht, 85, 113; Bunte, NJW 1983, 2674, 2677. Auch im öffentlichen Recht wird der Richter tlw. mit dieser Aufgabe betraut, so etwa beim gemeindlichen Vorkaufsrecht nach §§ 24 ff. BauGB. Hier kann ein überhöhter Preis nach § 28 Abs. 3 S. 1 BauGB von der Gemeinde auf den Verkehrswert reduziert werden. 193 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 204; ähnlich Hager, JuS 1985, 264, 270; ders., Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 217 u. 231 f.; Roth, JZ 1989, 411, 417.
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III. Sonstige Vorschläge Ein weiter Vorschlag möchte das Maß der Anpassung in das Ermessen des Richters stellen.194 Dieser solle sich am hypothetischen Parteiwillen orientieren,195 welcher teilweise dem Willen redlicher und informierter Vertragspartner entsprechen soll196, teilweise auch dem Willen der konkreten Parteien197. Meist kommt es danach wohl zu einer Anpassung auf das vollständig ausgeglichene Maß. Durch dieses Konzept lassen sich aber auch besondere Umstände und insbesondere subjektive Merkmale berücksichtigen, wie ein Liebhaberwert, sodass im Einzelfall eine Anpassung auch über den marktüblichen Preis erfolgen kann.198 Weiter könnte man – als eine Art Kompromiss zwischen den beiden Extrempositionen – als Maßstab für die Anpassung die Mitte zwischen dem gerade noch zulässigen Wert und dem angemessenen Wert wählen. Dies würde das Risiko einer Äquivalenzstörung zu gleichen Teilen auf beide Parteien verteilen. Schließlich wird erwogen, eine Anpassung über dem angemessenen Niveau zum Nachteil des Begünstigten vorzunehmen, weil dies den größten Anreiz schaffe, Verstöße zu verhindern.199 Sämtliche dieser Vorschläge sind im Ergebnis abzulehnen. Der erste führt zu einer zu hohen Rechtsunsicherheit, weil es an objektiven Kriterien für die Bestimmung der Leistungshöhe und damit an der Vorhersehbarkeit des Ergebnisses fehlt. Die Idee, als Maßstab die Mitte zwischen eben noch zulässiger Höhe und angemessenem Preis zu nehmen, besitzt einen gewissen Reiz. Beim Wucher spricht gegen sie allerdings, dass es keinen Grund gibt, weshalb der Wucherer einen Gewinn aus dem Vertrag ziehen sollte und es hier zudem mangels fester Grenze schwierig ist, das gerade noch zulässige Maß zu bestimmen. Bei der Läsion erscheint es umgekehrt fragwürdig, den Begünstigten mit einem weiter als notwendig gehenden Eingriff zu belasten.200 Der letzte Vorschlag ist abzulehnen, weil er zu einem nicht gerechtfertigten Vorteil zugunsten des ehemals Benachteiligten führt. Zwar ist dieser Lösung zuzugestehen, dass sie geeignet ist, effektiv zur Verhaltenssteuerung beizutragen. Über die Ausgeglichenheit hinausgehende Nachteile zu präventiven Zwecken sollten aber nicht mit dem Zivilrecht, sondern, wenn erforderlich, mit dem Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht durchgesetzt werden.
194
Pichonnaz, ZEuP 1999, 140, 157.
195 Pichonnaz, ZEuP 1999, 140, 157; Stocker, Wucher 196 So Stocker, Wucher und Läsion, S. 162 N. 363. 197 198
und Läsion, S. 162 N. 363.
So offenbar: Pichonnaz, ZEuP 1999, 140, 157. Stocker, Wucher und Läsion, S. 162. N. 363; ebenso Pichonnaz, ZEuP 1999, 140, 157. 199 Dedual, Geltungserhaltende Reduktion, S. 237 f. u. 242. 200 Vgl. dazu sogleich: IV. 2. Läsion, S. 359 f.
§ 13 (Neu-)Bestimmung der Rechtsfolgen von anfänglichen Äquivalenzstörungen 359
IV. Bewertung Die Argumente für und wider eine Anpassung auf das noch zulässige oder angemessene Maß sind jeweils durchaus gewichtig. Vorzugswürdig erscheint auch hier eine Differenzierung zwischen Wucher einerseits und Läsion andererseits. So sollte für den Wucher die Anpassung auf das angemessene Maß vorgenommen werden, während für die Läsion die Grenze des eben noch zulässigen vorzuziehen ist.201
1. Wucher Für die Anpassung auf das ausgeglichene Maß beim Wucher sprechen der Gesichtspunkt der Prävention und der vom Wucherer ausgenutzten gestörten Willensbildung beziehungsweise Umsetzung auf Seiten des Bewucherten. Da zudem der Wuchertatbestand anders als der Läsionstatbestand keine feste Wertgrenze für das erforderliche Missverhältnis enthält, würde hier die Ermittlung des eben noch zulässigen Entgelts praktisch, aber auch theoretisch, erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Für diesen Fall bietet die Anpassung auf den Marktpreis im Vergleich zur Anpassung auf das eben noch zulässige Maß einen höheren Grad an Vorhersehbarkeit für die Parteien und den Rechtsverkehr.202 Schließlich muss man sehen, dass es kaum verständlich wäre, weshalb der Wucherer einen Gewinn aus einem Geschäft behalten dürfen soll, mit dem er sich doch gleichzeitig strafbar macht, sofern der Wucher – wie es in Deutschland der Fall ist – strafbewehrt ist.
2. Läsion Anders ist dies hingegen in den Fällen der Läsion. Hier lässt sich die Grenze des gerade noch Zulässigen problemlos feststellen, ist sie doch im Tatbestand ausdrücklich genannt. Zudem bedarf es für diese Fälle keiner Prävention, denn es liegt keine (feststellbare oder vermutete) Ausnutzung einer gestörten Willensbildung oder -umsetzung der benachteiligten Partei vor. Der in diesen Fällen auf Seiten des Übervorteilten häufig vorliegende Wertirrtum fällt in dessen eigenen Risikobereich. Wenn eine entscheidungskompetente Person unvernünftig und selbstschädigend einen für sich nachteiligen Vertrag schließt, fällt dies nämlich grundsätzlich in ihren eigenen Verantwortungsbereich, nicht den ihres Vertragspartners.203 Ordnet das Gesetz in Form des Läsionstatbestands eine objektive 201 Anders Hager, der auch in Fällen, in denen die begünstigte Partei gutgläubig ist, eine Reduktion auf das angemessene Maß vornehmen möchte, Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 211. 202 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 406. 203 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 270 f.; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 496; Mayer-Maly in: FS Pedrazzini, 343, 352 f.; Staudinger/Singer/von Finckenstein, (2017), § 123 Rn. 10; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 33; Franck, AcP
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Kapitel 4: Neukonzeption und ihre Integration
Grenze an, ist deshalb eine weitergehende Abwälzung der Verantwortung auf den Vertragspartner nicht gerechtfertigt. Dieser trüge sonst einen Teil des Risikos, das grundsätzlich den Benachteiligten trifft, nämlich eine den eigenen Interessen entsprechende Preisgestaltung204. Dem entspricht es, wenn der BGH in ständiger Rechtsprechung ausführt, dass es den Parteien bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit und des Wuchers überlassen bleibt, welchen Kaufpreis sie vereinbaren und kein Anspruch auf Abschluss zum Verkehrswert besteht.205 Aus diesem Grund muss sich die benachteiligte Partei so weit wie möglich an ihrem Willen festhalten lassen. Das bedeutet in der Konsequenz, dass eine Anpassung über die Grenze des gerade noch Zulässigen hinaus nicht gerechtfertigt ist. Dafür spricht zusätzlich, dass ein Irrtum über den Wert der Sache, der nach § 119 Abs. 2 BGB gerade nicht zur Anfechtung berechtigt206 (das Risiko also vom sich Irrenden zu tragen ist), über die Läsion ansonsten vollständig auf den Vertragspartner übergehen würde, wenn der Irrtum nur besonders groß ist. Es ist aber nicht nachvollziehbar, weshalb das Risiko eines Wertirrtums bei geringerem Maß gänzlich vom sich Irrenden zu tragen ist, bei einem besonders großen Irrtum dagegen vollständig vom Vertragspartner. Vor allem weil Fehleinschätzungen über den Wert der Sache sich gewöhnlich dadurch vermeiden lassen, dass sich der Betroffene über den Wert der Sache informiert, insbesondere durch Heranziehung Dritter. Vermeidet er dies, tut er dies regelmäßig, um die damit verbundenen Kosten zu sparen. Dann muss aber er selbst und nicht sein Vertragspartner die Folgen einer daraus resultierenden schweren Äquivalenzstörung tragen.207 Deshalb ist bei der Läsion die Anpassung auf das eben noch zulässige Maß vorzunehmen.
G. Art und Weise der Anpassung Da die Angemessenheit sowohl durch Anpassung der Geld- als auch der Sachleistung erfolgen kann, muss zuletzt geklärt werden, wie genau die Anpassung 213 (2013), 222, 235 ff.; Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 39; CoesterWaltjen, AcP 190 (1990), 1, 14 f.; F. Bydlinski, Privatautonomie, S. 107; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S. 37; Möllers, ERCL 2018, 101, 114. 204 Franck, AcP 213 (2013), 222, 235 ff.; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 496; MayerMaly in: FS Pedrazzini, 343, 352 f., der jedoch Ausnahmen zulassen möchte; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 123 Rn. 31; M. Köhler in: FS Köndgen, 353, 359; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 421; Kötz, JuS 2018, 1, 3; vgl. auch BGH NJW 2003, 424, 425: „Es gehört zu den eigenen Aufgaben des Käufers […], die Angemessenheit des Kaufpreises zu prüfen.“; ebenso BGH NJW 2004, 154, 156; ähnlich auch schon BGH NJW 1989, 763, 764; ebenfalls BGH NJW‑RR 2011, 270, 272; NJW 2007, 2396, 2399. 205 BGH, Urt. v. 05.06.2012, XI ZR 149/11, Rn. 22 = BeckRS 2012, 15374; BGH NJW‑RR 2011, 270, 272; NJW 2008, 644, 648; NJW 2004, 1732, 1734; NJW 2003, 1811, 1812, jeweils m. w. N. 206 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 342. 207 So auch: Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 421.
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vorgenommen werden soll. Die Herstellung des jeweiligen Zielzustands kann nämlich sowohl durch Herabsetzung der Leistung des Benachteiligten als auch durch Erhöhung der Leistung des Begünstigten erreicht werden. Eine Regel, dass die Anpassung durch die Reduktion der überhöhten Leistungsverpflichtung erfolgt, nicht durch Heraufsetzung der zu niedrigen, besteht dabei nicht.208 Naheliegend und auch praktikabler dürfte die jeweilige Anpassung der Geldleistung sein, was bedeutet, dass je nach Fallgestaltung entweder nachgezahlt oder zurückgezahlt werden muss und damit prinzipiell sowohl die Leistung des Begünstigten als auch des Benachteiligten angepasst werden kann.209 Der rechtsvergleichende Blick zeigt ein geteiltes Bild. So gehen einige Länder davon aus, dass die begünstigte Partei ihre Leistung erhöht. So verhält es sich in Italien, bei der laesio enormis in Österreich und Frankreich. Anders scheint es in der Schweiz zu sein, wo die Teilnichtigkeit meist allein auf die überhöhte Verpflichtung des Bewucherten bezogen wird. Teilweise wird die Frage auch offen gelassen, sodass eine Anpassung beider Leistungen möglich erscheint. Dies ist den Niederlanden oder Portugal der Fall, aber auch nach den PECL und dem DCFR. Ob es sich dabei allerdings tatsächlich um andere Konzepte handelt, ist zweifelhaft. Die Frage danach, welche Leistung angepasst wird, scheint eher damit zusammenzuhängen, aus welcher Perspektive man das Missverhältnis betrachtet: Hat der Benachteiligte zu wenig bekommen oder hat er zu viel geleistet? In Italien, Österreich und besonders Frankreich wird vom benachteiligten Verkäufer ausgegangen, weshalb es naheliegt, dass die begünstigte Partei zur Anpassung ihrer (Geld-)Leistungspflicht verpflichtet ist (sie hat zu wenig bezahlt). Umgekehrt verhält es sich in der Schweiz. Da es letztlich aber eine Frage des Blickwinkels ist, überzeugen die offenen Regelungen in den PECL, dem DCFR und den Niederlanden, sodass grundsätzlich jede Leistung als Objekt der Anpassung in Betracht kommt. Im Grundsatz sollte eine Anpassung der Leistung erfolgen, die in Geld zu erbringen ist. Zum einen, weil es der einfachste Weg ist, zum anderen weil es in der ganz überwiegenden Zahl von Fällen auch im Interesse der Parteien liegt. Dies hat aber nicht immer zu gelten. So gibt es Fälle, in denen eine Anpassung der vertragstypischen Leistung möglich, sinnvoll oder gewollt ist. Insgesamt sollte man sich daher am hypothetischen Parteiwillen orientieren und prüfen, welche Leistung nach diesem angepasst werden soll.210 Auf diese Weise wird man meistens zu einer Anpassung der Geldleistungspflicht gelangen, jedenfalls immer dann, wenn der Kaufgegenstand in einer bestimmten Sache besteht. Wenn z. B. ein Grundstück zu einem überhöhten Preis verkauft wurde, kann die Leistung, die in der Übereignung des Grundstücks besteht, von vornherein 208 209
So aber Stocker, Wucher und Läsion, S. 167 N. 378. So auch Stocker, Wucher und Läsion, S. 155 N. 344. 210 Ebenso wiederum: Stocker, Wucher und Läsion, S. 155 N. 344.
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Kapitel 4: Neukonzeption und ihre Integration
nicht angepasst werden, denn dann wird aus ihr ein aliud und ein hypothetischer Parteiwille wird auf die Korrektur der Geldleistungspflicht gerichtet sein. Eine Korrektur der Leistung des Verkäufers kommt nur in Betracht, wenn er mehrere Gegenstände oder eine bestimmte Menge schuldet, wenn seine Leistung in gleiche Teile zerlegt werden kann und er darum nachliefern kann, ohne dass sich dadurch der Leistungsgegenstand, abgesehen von der Menge, verändert. Dies wird grundsätzlich wohl nur bei Gattungs- und nicht bei Stückschulden der Fall sein. Wenn dies möglich ist, kommt theoretisch auch eine Anpassung der Leistung des Verkäufers in Betracht, sodass dieser entweder nachliefern oder Ware zurücknehmen muss, auch wenn in diesen Fällen in der Regel der Parteiwille ebenfalls auf eine Korrektur der Geldleistungspflicht gerichtet sein wird. Für eine Anpassung der vertragstypischen Leistung braucht es aber konkrete Anhaltspunkte, aus denen sich ein entsprechender Parteiwille ableiten lässt. Fehlt es daran, wird die Geldleistungspflicht angepasst. Schließlich stellt sich die Frage, ob nur die Anpassung der Gegenleistung verlangt werden kann oder gleichzeitig auch die Herabsetzung der eigenen Leistungsverpflichtung, entsprechend der Rechtslage in Polen.211 Davon sollte im Ergebnis abgesehen werden, da dies die Anpassung verkompliziert und der Ausgleich in Geld den Benachteiligten regelmäßig angemessen befriedigt.
H. Fazit Bei den Rechtsfolgen von Verträgen, die unter einer anfänglichen Äquivalenzstörung leiden, ist wie auf Tatbestandsebene auch hinsichtlich der Rechtsfolgen zwischen Wucher und Läsion zu differenzieren.212 Gemeinsam ist beiden, dass entsprechende Verträge nicht automatisch nichtig sind, sondern die Rechtsfolgen davon abhängen, dass sich die benachteiligte Partei auf das Missverhältnis beruft, denn sie ist es, deren Schutz die entsprechenden Vorschriften dienen. Die begünstigte Partei hingegen hat kein schützenswertes Interesse daran, sich auf die Äquivalenzstörung zu berufen. Deshalb wird ihr diese Möglichkeit auch verwehrt. Dadurch wird der bevorteilten Partei von vornherein ein etwaiges Reuerecht abgeschnitten. Inhaltlich kommt in beiden Fällen eine Vertragsanpassung in Betracht. Die Anpassung erfolgt beim Wucher auf das angemessene Maß, bei der Läsion auf die Grenze des eben noch zulässigen Werts. In Fällen des Wuchers kann der Bewucherte zwischen der Nichtigkeit und Vertragsanpassung wählen, der Wille des Wucherers ist dabei stets unbeachtlich. Anders ist dies bei der Läsion. Hier liegt das zukünftige Schicksal des Vertrags in den Händen des Begünstigten. Die benachteiligte Partei kann gegen den Willen der bevorteilten Partei weder 211
Vgl. oben: § 10 C. Polen, S. 227 ff. Stocker, Wucher und Läsion, S. 184 ff. N. 417 ff.
212 Ebenso:
§ 14 Integration der Lösung ins aktuelle deutsche Recht
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die Rückabwicklung noch Vertragsanpassung verlangen. Vielmehr entscheidet der Wille der bevorteilten Partei darüber, ob der Vertrag rückabgewickelt oder angepasst wird, wobei grundsätzlich auf ihren Willen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist. Nur für den Fall, dass dieser auf die Gesamtnichtigkeit gerichtet ist, im Zeitpunkt der Anfechtung des Benachteiligten aber auf die Anpassung, ist eine Ausnahme zu machen und es entscheidet ihr aktueller Wille. Die Mitwirkung eines Richters zum Eintritt der jeweiligen Rechtsfolge ist weder beim Wucher noch der Läsion erforderlich. Ausreichend ist stets eine einfache Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Dabei unterliegt das Recht der benachteiligten Partei, die Äquivalenzstörung geltend zu machen, jeweils einer Frist, bei deren Länge wiederum zwischen Wucher und Läsion zu differenzieren ist. Diese ist bei der Läsion aufgrund der Schutzwürdigkeit des Begünstigten möglichst kurz, hier muss die Anfechtung unverzüglich nach Kenntniserlangung vom Missverhältnis erfolgen. Anders ist dies beim Wucher. Aufgrund des pflichtwidrigen Verhaltens des Wucherers kann ihm ein längerer Zeitraum der Unsicherheit von einem Jahr zugemutet werden, in dem der Bewucherte von seinen Rechten Gebrauch machen kann. Die Frist beginnt hier zudem nicht allein mit der Kenntnis der Umstände, sondern erst, wenn die Schwächelage des Bewucherten entfallen ist. Die vorgeschlagenen Lösungen beschränken sich dabei nicht auf (Grundstücks-)Kaufverträge, sondern können im Grundsatz auf alle Vertragsarten angewendet werden. Wie nämlich im Verlauf der Arbeit bereits gezeigt,213 gibt es keine überzeugenden Gründe dafür, bei den Rechtsfolgen von Äquivalenzstörungen zwischen verschiedenen Vertragsarten zu unterscheiden. Dieses Ergebnis wird durch die rechtsvergleichende Untersuchung gestützt, denn in den untersuchten Rechtsordnungen wird ebenfalls nicht hinsichtlich der Art des Vertrags differenziert.214 Die zugrundeliegenden Wertungen und Interessen sind vielmehr weitgehend identisch, sodass eine Unterscheidung bei den Rechtsfolgen nicht angezeigt ist.
§ 14 Integration der Lösung ins aktuelle deutsche Recht Nachdem im vorherigen Abschnitt in der Theorie – unabhängig von den Zwängen einer konkreten Rechtsordnung – jeweils Rechtsfolgen für Wucher und Läsion vorgeschlagen wurden, soll nun überprüft werden, ob und auf welche 213 Vgl.
oben: § 9 C. III. Unterschiedliche Behandlung verschiedener Wucherarten, S. 198 ff. 214 Eine Ausnahme davon bildet zum Teil Frankreich, soweit es um die lésion in Art. 1674 CC geht, die nur für Grundstückskaufverträge gilt.
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Weise diese im geltenden deutschen Recht Anwendung finden können oder ob es dafür einer Gesetzesänderung bedarf. Dabei existiert im BGB bekannterweise keine Läsionsvorschrift. Wie schon beschrieben, kommt die Rechtsprechung des BGH zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft unter Anwendung der Vermutung der Läsion aber durchaus nahe, weshalb teilweise schon von der Wiedereinführung der laesio enormis gesprochen wurde.215 Soweit im Folgenden daher von Läsion gesprochen wird, meint dies Fälle, in denen allein aufgrund eines groben Missverhältnisses auf die verwerfliche Gesinnung geschlossen wird, ohne dass überhaupt eine Schwächelage des Benachteiligten vorlag bzw. nachgewiesen wurde. Mit Wucher sind die Konstellationen gemeint, in denen zum einen neben dem groben Missverhältnis der Nachweis der Schwächelage des Benachteiligten erfolgt ist und damit auf das Ausnutzen als subjektive Voraussetzung des Wuchertatbestands mittels Vermutung geschlossen wird. Zum anderen werden damit auch geringere Missverhältnisse erfasst, bei denen dann aber neben der Schwächelage auch der Nachweis des Ausnutzens erforderlich ist. Weil für beide Fälle – Wucher und Läsion – eine zwingende Gesamtnichtigkeit ipso iure abgelehnt wird, muss geprüft werden, ob trotz des scheinbar eindeutig entgegenstehenden Wortlauts von § 138 Abs. 2 und § 138 Abs. 1 BGB eine Abkehr von der Gesamtnichtigkeit ipso iure möglich ist. Als Grundlage für mögliche Korrekturen wird zunächst ein kurzer Überblick über die verschiedenen Arten der Nichtigkeit bzw. Ungültigkeit im gemeinen Recht in der Zeit vor dem BGB gegeben und darauf aufbauend das Verständnis des Nichtigkeitsbegriffs bei Schaffung des BGB untersucht (A. I.). Sodann widmet sich die Untersuchung Fällen, in denen die Rechtsprechung in Deutschland trotz Anwendung von § 138 BGB keine zwingende Gesamtnichtigkeit als Rechtsfolge wählt (A. II.). Im Anschluss daran werden von der Literatur entwickelte Konzepte vorgestellt, die sich mit einer Einschränkung der strengen Nichtigkeitsanordnung des § 138 BGB beschäftigen (B.). Als letzter Schritt (§ 15) erfolgt die Prüfung, ob sich die in § 13 entwickelte Lösung dogmatisch in das deutsche Recht integrieren lässt, wobei auf die zuvor gesammelten Erkenntnisse zurückzugreifen sein wird.
A. Abkehr von der zwingenden Nichtigkeit I. Nichtigkeit im 19. Jahrhundert und bei Schaffung des BGB Der Begriff der Nichtigkeit im BGB wird heute im Ausgangspunkt ohne Zweifel im Sinne einer absoluten Nichtigkeit verstanden.216 Eine solch eindimensio215 216
Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 626. Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 55 Rn. 1 ff.; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., Überbl.
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nale Interpretation von den Wirkungen der Nichtigkeit gab es jedoch weder vor noch bei Schaffung des BGB.217
1. Die Zeit bis zur Reichsgründung 1871 a) Nichtigkeitsbegriff in der Rechtswissenschaft In der Literatur des 19. Jahrhunderts herrschte kein einheitliches Verständnis des Nichtigkeitsbegriffs vor, vielmehr wurde sowohl bezüglich der Reichweite als auch der Wirkung der Nichtigkeit unterschieden.218 Dabei wurde als Oberbegriff meist der Ausdruck Ungültigkeit benutzt.219 So differenziert etwa schon Savigny zwischen vollständiger und unvollständiger, entschiedener und unentschiedener sowie gleichzeitiger und ungleichzeitiger Ungültigkeit.220 Die vollständige Ungültigkeit Savignys ähnelte unserem heute gängigen Verständnis von der absoluten Nichtigkeit, nämlich dass es „an Kraft und Umfang der Thatsache selbst, worauf sie sich [die Ungültigkeit] verneinend bezieht, völlig gleich fehlt.“221 Hierfür schlug Savigny den Begriff „Nichtigkeit“ vor.222 Die unvollständige Ungültigkeit sei hingegen „höchst mannigfaltig, da sie in den verschiedensten Arten und Graden der Gegenwirkung gegen eine juristische Thatsache denkbar ist.“223 Diese Form nannte Savigny „Anfechtbarkeit“ und verstand sie – wie auch andere Autoren dieser Zeit224 – in deutlich weiterem Sinne als es heute der Fall ist. Sie umfasste alle Fälle der Ungültigkeit, die gerade nicht unter die (absolute) Nichtigkeit fielen, bildete also gewissermaßen den Gegensatz zu dieser.225 Dies zeigt sich auch schon an der von Savigny gewählten Gegenüberstellung von vollständiger Ungültigkeit einerseits und unvollständiger Ungültigkeit andererseits. Doch nicht nur Savigny ging von verschiedenen Graden der Nichtigkeit aus. So gab es eine stark verbreitete Strömung, die die Ansicht vertrat, es gebe eine v. § 104 Rn. 27; Bork, BGB AT, 4. Aufl., Rn. 1207; Köhler, 40. Aufl., BGB AT, § 15 Rn. 2; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 154 f.; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 141 Rn. 1. 217 Eine ausführliche Darstellung dieser Thematik findet sich bei Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 47 ff.; vgl. ebenfalls Mock, Die Heilung fehlerhafter Rechtsgeschäfte, S. 4 ff. 218 Vgl. dazu insgesamt Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 57 ff. 219 Vgl. Unger, S. 141; Hölder, Pandekten, S. 301; Windscheid, Pandekten I, § 82, S. 218 f.; Savigny, System IV, § 202 S. 536; Gradenwitz, Ungültigkeit obligatorischer Rechtsgeschäfte, § 42 S. 300 ff.; Mitteis, Jher.Jahrb. 28 (1889), 85, 85 ff. u. 164; diesen ablehnend Brinz, Pandekten, § 376, S. 1633 f. 220 Savigny, System IV, § 202 S. 536 ff. 221 Savigny, System IV, § 202 S. 536. 222 Savigny, System IV, § 202 S. 537. 223 Savigny, System IV, § 202 S. 537. 224 Vgl. etwa Unger, S. 159: „Die Gründe der Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäftes sind gar mannigfaltig und lassen sich nicht auf ein gemeinsames Prinzip zurückführen.“ 225 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 58; Harder, AcP 173 (1973), 209, 212; Mock, Die Heilung fehlerhafter Rechtsgeschäfte, S. 10.
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Nichtigkeit, auf die sich nur bestimmte Personen berufen könnten.226 Hierfür bürgerte sich der Begriff der relativen Nichtigkeit ein.227 Diese sollte nur von der Person geltend gemacht werden können, zu deren Gunsten die Nichtigkeit eintreten sollte.228 Die relative Nichtigkeit wurde neben der absoluten Nichtigkeit und der Nichtigkeit als Folge der Anfechtung, wie sie schon einige Gesetzesentwürfe in dieser Zeit kannten229, als dritte, zusätzliche Art der Nichtigkeit verstanden.230 Als Begründung für die Existenz beziehungsweise das Bedürfnis nach einer relativen Nichtigkeit gibt etwa Dernburg Erwägungen der Zweckmäßigkeit, der Billigkeit und der guten Ordnung an.231 Teilweise wurde der Begriff der relativen Nichtigkeit aber auch als Synonym für die Anfechtbarkeit gebraucht.232 Andere wiederum verstanden darunter die Möglichkeit einer Partei, dem an sich nichtigen Rechtsgeschäft mittels Genehmigung zur Wirksamkeit zu verhelfen.233 Schließlich gab es Autoren, die Einschränkungen der Nichtigkeit völlig ablehnten und die Ansicht vertraten, diese trete stets von selbst ein.234 Insgesamt befand sich die Thematik zu dieser Zeit noch sehr in Entwicklung. Eine mit heute vergleichbare Ordnung und allgemeine Verständigung über eine einheitliche Terminologie gab es noch nicht. Dass dies kein bloß nachträglicher Befund ist, sondern auch in der damaligen Zeit so empfunden wurde, belegt u. a. eine Beschreibung Jacobis, der bezüglich des Bereichs der fehlerhaften Rechtsgeschäfte von einer „fast als chaotisch zu bezeichnenden Verwirrung“ spricht235. Deutlich zeigt sich jedoch, dass der Schutzzweck der die Nichtigkeit begründenden Norm bei der Frage nach der Wirkung der Nichtigkeit eine ganz 226 Vgl. etwa Unger, S. 149 ff.; Priem, Gibt es eine Mittelstufe zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit?, § 9, S. 26 ff.; v. Wening-Ingenheim, Lehrbuch des Gemeinen Civilrechts, S. 156; Hölder, Pandekten, S. 302 u. 306; Seuffert, Pandektenrecht, § 82, S. 112; Baron, Pandekten, § 64, S. 112; Dernburg, Pandekten I, § 120, S. 281; sogar noch nach Inkrafttreten des BGB: Stampe, AcP 108 (1912), 42, 81. 227 Vgl. Nachweise in vorheriger Fußnote und Savigny, System IV, § 202 S. 539 u. 541, der den Begriff verwendet, jedoch im hier verstandenen Sinn ablehnt; Brandis, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1834, 121, 121, der diese ebenfalls ablehnt. 228 Unger, S. 150; Hölder, Pandekten, S. 302. 229 Vgl. dazu sogleich: b) Kodifikationen, S. 367 f. 230 Baron, Pandekten, § 64, S. 112 f.; Wächter, Pandekten I, § 84, S. 421 ff.; Hölder, Pandekten, S. 301 ff.; Unger, S. 149 ff. 231 Dernburg, Pandekten I, § 120, S. 281. 232 Windscheid, Pandekten I, § 82, S. 222; Salkowski, Institutionen, § 29, S. 83; Mitteis, Jher.Jahrb. 28 (1889), 85, 116 u. 164, der in der relativen Nichtigkeit eine besondere Form der Anfechtung sah, nämlich eine solche, die ex tunc wirkte und formlos geltend gemacht werden konnte. 233 Wächter, Pandekten I, § 84, S. 424 f., der dafür den Begriff der „heilbaren Nichtigkeit“ vorzieht. 234 So etwa Brandis, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1834, 121, 122 u. 126 f.; Brinz, Pandekten, § 376, S. 1634 f. 235 Jacobi, AcP 96 (1896), 51, 52 f.
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entscheidende Rolle spielte. Dieser Gedanke lag sowohl der relativen Nichtigkeit als auch der Anfechtbarkeit zugrunde.
b) Kodifikationen Die theoretischen Überlegungen zur Ungültigkeit, Nichtigkeit und Anfechtbarkeit in der Literatur des 19. Jahrhunderts blieben nicht ohne Wirkung auf die Praxis. So enthielten in dieser Zeit zahlreiche Gesetzesentwürfe aus den verschiedenen deutschen Ländern Regelungen, die bei der Wirkung der Nichtigkeit unterschieden. Der hessische Entwurf236 etwa differenzierte zwischen einer ipso iure Ungültigkeit und einer solchen, die erst der Geltendmachung durch den Betroffenen bedurfte. Dazu war die Klage auf Nichtigerklärung erforderlich, die in den Fällen des wesentlichen Irrtums, Betruges und Zwangs erhoben werden konnte (Art. 75 Vierte Abtheilung). Ebenso war auch der Minderjährige zur Anfechtung eines ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters geschlossenen Vertrags berechtigt (Art. 49 Vierte Abtheilung). Verträge, die gegen ein gesetzliches Verbot, die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstießen, waren dagegen kraft Gesetzes ungültig (Art. 84 Vierte Abtheilung). Auch das Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch von 1863/1865237 trennte zwischen einer Nichtigkeit, die ipso iure eintrat (§ 104), und einer solchen, die der Geltendmachung bedurfte und für die schon der Begriff der Anfechtbarkeit gebraucht wurde (§ 107). Zudem bestimmte es in § 103, der Tradition der gemeinrechtlichen Regelung utile per inutile non vitiatur folgend238, dass wenn die Nichtigkeit auf einem unzulässigen Übermaß beruht, das Rechtsgeschäft mit erlaubtem Inhalt fortbestehe. Der bayerische Entwurf von 1861/1864239 unterschied ebenfalls zwischen einer kraft Gesetzes eintretenden Nichtigkeit und der Nichtigkeit als Folge der Anfechtung. Anfechten konnte etwa der Getäuschte oder Bedrohte, aber auch der Minderjährige, dessen Rechtsgeschäfte zunächst prinzipiell gültig waren.240 Daneben differenzierte der Entwurf in Art. 91 Theil III bei Veräußerungsverboten zwischen solchen, die dem öffentlichen Interesse und solchen, die dem Schutz einer konkreten Person dienten.241 Während der Verstoß gegen erstere 236 Bürgerliches Gesetzbuch für das Großherzogthum Hessen – Entwürfe und Motive, 1842–1853. 237 Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1863/1865, Neudruck 1973. 238 Vgl. dafür etwa Unger, S. 153 f.; v. Wening-Ingenheim, Lehrbuch des Gemeinen Civilrechts, S. 156; Hölder, Pandekten, S. 302; Seuffert, Pandektenrecht, § 82, S. 111; Wächter, Pandekten I, § 84, S. 425. 239 Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Bayern, Neudruck 1973. 240 Vgl. Art. 4, Art. 20 und Art. 29 Theil I. 241 Art. 91 Theil III.: „Die Veräußerung einer Sache (Art. 5 Theil I.) gegen ein im öffentlichen Interesse erlassendes gesetzliches Verbot ist nichtig. Die Veräußerung gegen ein gesetzliches Verbot, welches lediglich im Interesse eines Betheiligten erlassen ist, […] kann von dem Betheiligten gegen den Erwerber angefochten werden.“
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zur ipso iure Nichtigkeit führte, begründete der Verstoß gegen letztere nur das Recht zur Anfechtung durch die geschützte Partei. In den Motiven zum Entwurf heißt es, die Möglichkeit der Anfechtung bei Verstößen gegen Veräußerungsverbote, die nicht dem öffentlichen Interesse dienen, entspreche „nicht nur dem Vortheile des dritten Erwerbers, sondern in der Regel auch dem der Betheiligten selbst.“242 Der Differenzierung liegen damit unverkennbar Schutzzweckerwägungen zugrunde. Die Nichtigkeit ipso iure sollte in ihrem Anwendungsbereich also auf Fälle beschränkt bleiben, die eine kraft Gesetzes eintretende Nichtigkeit auch tatsächlich erfordern. Anderenfalls konnte es dem Betroffenen überlassen werden, über den Eintritt der Nichtigkeit der Veräußerung zu entscheiden. Die Unterscheidung zwischen der Anfechtbarkeit als eine Nichtigkeit, die der Geltendmachung durch eine Partei bedurfte, einerseits und der ipso iure eintretenden Nichtigkeit andererseits, wie sie auch das BGB kennt, zeigte sich bereits in dessen Vorgängern. Der Begriff der Anfechtbarkeit war aber weiter als im BGB und erfasste mehr Fälle als bloß Irrtum, Täuschung und Bedrohung. Die Anfechtbarkeit wurde häufig für Konstellationen verwendet, in denen nur eine der am Rechtsgeschäft beteiligten Personen geschützt werden sollte, der Rechtsverkehr an sich hingegen durch den Mangel des Rechtsgeschäfts nicht betroffen wurde.
2. Entstehung des BGB a) Grundlagen Bei der Entstehung des BGB entschied sich dann Albert Gebhard, der für die Erstellung des Vorentwurfes zum allgemeinen Teil zuständige Redakteur, gegen die Aufnahme einer relativen Nichtigkeit. Er unterschied nur zwischen (absolut wirkender) Nichtigkeit und Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäfts und folgte damit einer bereits vorher in der Literatur vertretenen Auffassung243. Wohl war ihm aber die Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit bekannt, denn er setzte sich bei der Begründung seiner Vorlage mit dem Begriff der relativen Nichtigkeit auseinander, sah aber keine Notwendigkeit für eine weitere Differenzierung.244 Auch wenn er keine ausdrückliche Trennung der beiden Nichtigkeitsbegriffe befürwortete, ging Gebhard doch davon aus, dass die Ungültigkeit eines Vertrags vor allem aus zwei Gründen eintreten könne. Nämlich zum einen „im Interesse der allgemeinen Rechtsordnung“ und zum anderen „im Interesse ge242 Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Bayern, Neudruck 1973, S. 652. 243 Vgl. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 232 u. Fn. 234; ebenso Gradenwitz, Ungültigkeit obligatorischer Rechtsgeschäfte, § 42, S. 312. 244 Gebhard in: Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 749 f.
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wisser, bei dem Rechtsakt beteiligter, durch den Mangel beeinträchtigter Personen“.245 Genau diese Unterscheidung liegt den Begriffen der absoluten und relativen Nichtigkeit zugrunde. Und letztlich übernimmt auch Gebhard sie in seinen Entwurf, nur mit anderen Begrifflichkeiten. Sofern das Gültigkeitserfordernis nämlich im Interesse der allgemeinen Rechtsordnung aufgestellt sei, wirke der Mangel absolut, „d. h. er wirkt, mögen die Betheiligten dies wollen oder nicht wollen […]“.246 Dies entspricht auch noch dem heutigen Nichtigkeitsverständnis des BGB. Im anderen Fall, wenn also das Gültigkeitserfordernis nur im Interesse einer Partei aufgestellt ist, wirke der Mangel bloß relativ und mittelbar: „relativ, d. h. er wirkt nur, wenn der Betheiligte will, daß er wirken soll; mittelbar: d. h. die wirkende Kraft des Rechtsgeschäfts ist nicht von vornherein ausgeschlossen, sondern nur in ihrer Leistungsfähigkeit gemindert; das Rechtsgeschäft erzeugt zunächst die rechtliche Wirkung, auf die es gerichtet ist, diese Wirkung kann aber durch eine gegen die geschwächte wirkende Kraft geführten Angriff aufgehoben werden, so daß sich das Rechtsgeschäft als unfähig erweist, den thatsächlichen Zustand zu schaffen, dessen Herbeiführung sein Zweck war“.247
Letzteres ordnete Gebhard der Anfechtbarkeit zu. Geht man von den eben genannten Definitionen aus, so beinhaltet die Anfechtbarkeit nach Gebhard auch die relative Nichtigkeit. Doch auch wenn die Definition einen solchen Schluss zulässt, in gewisser Hinsicht sogar nahelegt, scheint dies nicht Gebhards Vorstellungen zu entsprechen. Trotz des relativ offenen Begriffs der Anfechtbarkeit versteht er nämlich darunter anscheinend nur die auch heute der Anfechtbarkeit unterliegenden Fälle des Irrtums, der Täuschung und Drohung: Fälle der Anfechtbarkeit seien nämlich solche, die „[…] vorzugsweise die Freiheit der individuellen Willensbestimmung, die Abwesenheit widerrechtlicher Einwirkungen, welche einen Widerspruch zwischen dem wirklichen und dem wahren oder eigentlichen Willen hervorzurufen geeignet sind (Mangel des Zwangs und Betrugs) [betreffen]“.248
Bemerkenswert ist, dass Gebhard auch bei der Geschäftsfähigkeit von Minderjährigen teilweise von einer Anfechtbarkeit ausging, nämlich für Rechtsgeschäfte, die nur zugunsten des Minderjährigen wirken.249 Einseitige Rechtsgeschäfte und Veräußerungen sowie darauf gerichtete Verpflichtungsgeschäfte sollten ohne Einwilligung dagegen nichtig sein.250 Diese Differenzierung passt 245 246
Gebhard in: Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 740. Gebhard in: Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 740. 247 Gebhard in: Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 740. 248 Gebhard in: Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 740. 249 Gebhard in: Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 499 f.; eine ähnliche Einordnung findet sich bereits in einigen Vorgängern des BGB, vgl. oben: b) Kodifikationen, S. 367 f. 250 Gebhard in: Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 499.
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zu seiner oben genannten Definition. Zudem handelt es sich auch hier wieder um einen Fall der mangelhaften oder beeinflussten Willensbildung.251 Diese von Gebhard getroffene Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit wurde von der 1. Kommission gebilligt, interessanterweise mit dem Hinweis, dass für die Ungültigkeit keine zu starren Definitionen oder Regelungen in das BGB aufzunehmen seien, um Raum für modifizierte Varianten der Nichtigkeit zu lassen.252 Auch wenn der historische Gesetzgeber also zunächst von einer Nichtigkeit im Sinne einer absoluten Nichtigkeit ausgegangen ist, war er doch anscheinend offen für Abweichungen und sah den Begriff der Nichtigkeit nicht als unabänderlich an. Der Wille des historischen Gesetzgebers steht damit einem anderen beziehungsweise differenzierteren Verständnis der Nichtigkeit nicht per se entgegen, sondern ist im Gegenteil eher offen dafür.
b) Erster Teilentwurf zum BGB Der erste Teilentwurf des Allgemeinen Teils253 enthielt mit § 108 eine Regelung zur Frage des Verstoßes gegen gesetzliche Verbote: „Ein Rechtsgeschäft, durch dessen Vornahme einer Rechtspflicht zuwider gehandelt wird, ist nichtig, sofern nicht dem die Rechtspflicht begründenden Gesetze eine andere Absicht zu entnehmen ist. Die vorstehende Bestimmung findet keine Anwendung auf Verträge, deren Eingehung nur auf Seite des einen Vertragsschließenden eine pflichtwidrige Handlung bildet.“
Der Entwurf enthält zwar keine relative Nichtigkeit in dem Sinn, dass sich nur der durch ein Verbot Geschützte auf die Nichtigkeit berufen kann, sagt aber eindeutig, dass ein Verstoß gegen ein einseitiges Verbot nicht zur Nichtigkeit des Vertrags führt. Ein Umstand, der heute immerhin noch als Auslegungsregel bei der Beurteilung Bestand hat, ob ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz zur Nichtigkeit nach § 134 BGB führt.254 Neben dem Wortlaut des Absatzes 2 ist vor allem dessen Begründung aufschlussreich: „Die Regel, daß verbotene Willenserklärungen nichtig seien, erleidet eine weitgreifende Beschränkung. Sie würde an sich zu der Konsequenz führen, daß bei Verträgen, wenn die Pflichtwidrigkeit auch nur auf der einen Seite liegt, dennoch Nichtigkeit eintritt und somit der unschuldige Theil von den Folgen der verbotenen Handlung des anderen Theils verletzt wird. […] Wenn nämlich der unschuldige Theil durch den Vertrag in rechtswidriger Weise verletzt ist, so wird zu seinen Gunsten und zur Aufhebung der Verletzung, sei es direkte Anfechtbarkeit, sei es relative Ungültigkeit gewährt. Um zu wissen, wie dem Unschuldigen geholfen werde, wird man zurückzugehen haben auf die Lehre vom 251 So richtig: Beckmann, Nichtigkeit und 252 Beratung der 1. Kommission, Sitzung
Personenschutz, S. 76. vom 05.10.1875, in: Jakobs/Schubert, Die Be-
ratung des BGB, AT 1, S. 751. 253 Vgl. Schubert, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB – Allgemeiner Teil. 254 Denn nach h. M. führen einseitige Verstöße in der Regel nicht zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, vgl. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 527.
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Zwang und Betrug, soweit in den Einzelbestimmungen eine besondere Regelung nicht enthalten ist. Nichtigkeit wird nur in wenigen Fällen eine angemessene Folge sein, nämlich nur dann, wenn ein Interesse des unschuldigen Theils das Rechtsgeschäft als gültig zu behandeln nicht wohl denkbar ist“.255
Die Begründung zeigt also, dass für bloß einseitige Verstöße die absolute Nichtigkeit nicht als passende Sanktion angesehen wurde, weil dies ihrem Schutzzweck entgegenlaufe. Die Ausnahmeregelung basiert also auf Schutzzweckerwägungen.256
c) Die Änderungen der 1. Kommission und der 1. Entwurf Bekanntlich wurde der Absatz 2 des Teilentwurfes nicht in die spätere Fassung des BGB aufgenommen. Bereits die 1. Kommission strich den von Gebhard vorgeschlagenen Absatz 2 wieder.257 Damit sollte aber nicht von dem in § 108 Abs. 2 des Teilentwurfs enthaltenen Gedanken abgewichen werden. Es wurde nur die Aufnahme einer ausdrücklichen Sonderregelung für überflüssig gehalten, ohne dass die Änderung inhaltliche Konsequenzen haben sollte.258 Der neugefasste § 105 des 1. Entwurfs, der fortan nur aus einem Absatz bestand, lautete schließlich: „Ein Rechtsgeschäft, dessen Vornahme durch Gesetz verboten ist, ist nichtig, sofern nicht aus dem Gesetz ein Anderes sich ergiebt.“259 Die 1. Kommission sah die ursprünglich in § 108 Abs. 2 des Teilentwurfs enthaltene Regelung bereits durch den Passus „sofern nicht das Gesetz ein Anderes ergiebt“ als miterfasst an.260
d) Weiteres Verfahren Weder die 2. Kommission261 noch der Reichstag262 nahmen im weiteren Verfahren noch entscheidende Änderungen an der Vorschrift vor. Die später vom Reichstag beschlossene Fassung des § 134 BGB stimmte daher mit der Fassung der 1. Kommission fast eins zu eins überein. Die aus Schutzzweckerwägungen begründete Einschränkung des § 134 BGB ist damit letztendlich auch Bestandteil des heute geltenden BGB.263 Zwar ergibt sich aus den Materialien 255 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs, AT, Abschnitt II, Titel 2, S. 145 = Schubert, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, AT, Teil 2, S. 165. 256 So auch Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 80. 257 Beratung der 1. Kommission, Sitzung vom 07.12.1881, in: Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 715. 258 Beratung der 1. Kommission, Sitzung vom 07.12.1881, in: Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 715. 259 Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 717. 260 Beratung der 1. Kommission, Sitzung vom 07.12.1881, in: Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 715. 261 Vgl. dazu zusammenfassend Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 731 ff. 262 Vgl. dazu zusammenfassend Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 735 ff. 263 So ausdrücklich: Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 82.
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zum BGB, dass der Begriff der Nichtigkeit im Sinne einer absoluten und ipso iure eintretenden Nichtigkeit verstanden wurde. Die Materialien zeigen aber auch, dass der historische Gesetzgeber einer möglichen Weiterentwicklung des Nichtigkeitsbegriffs nicht abgeneigt gegenüber stand. Gerade die Ablehnung der Aufnahme einer Definition des Nichtigkeitsbegriffes durch die 1. Kommission und deren Begründung lassen Raum für eine an Schutzzweckgesichtspunkten orientierte Einschränkung der Nichtigkeit.264 Dies stellt eine erste wichtige Erkenntnis für die Umsetzung der gefundenen Lösung in das geltende deutsche Recht dar.
II. Anerkannte Ausnahmen von der zwingenden Nichtigkeit Im Grundsatz hält die Rechtsprechung bis heute an der zwingenden Gesamtnichtigkeit sittenwidriger Rechtsgeschäfte fest. Dennoch gibt es einige Konstellationen, in denen sie trotz Eingreifens von § 138 BGB den Vertrag aufrechterhalten und eine Vertragsanpassung vorgenommen hat. Das zeigt zum einen, dass auch die Rechtsprechung die im Wortlaut des § 138 BGB enthaltene Nichtigkeitsanordnung nicht absolut setzt. Zum anderen wirft es die Frage auf, ob dahinter nicht Wertungen stehen, die sich auch auf Fälle der Äquivalenzstörungen übertragen lassen. Weil die Nichtigkeit nicht nur für sittenwidrige Rechtsgeschäfte angeordnet wird, wird zusätzlich ein Blick auch auf Einschränkungen der absoluten Nichtigkeit in anderen Bereichen geworfen.
1. Fälle überlanger zeitlicher Bindung a) Rechtsprechung Seit relativ langer Zeit schon sieht die Rechtsprechung Verträge, die wegen einer überlangen Dauer nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sind, nicht als insgesamt nichtig an, wie es bei einer streng am Wortlaut orientierten Auslegung von § 138 Abs. 1 BGB der Fall wäre. Vielmehr wird die Vertragsdauer über eine (entsprechende)265 Anwendung von § 139 BGB auf ein zulässiges, genauer das äußerst zulässige Maß, beschränkt, der Vertrag im Übrigen dagegen aufrechterhalten. Das wohl prominenteste Beispiel für diese Rechtsprechung sind die Entscheidungen des BGH zur überlangen Dauer von Bierlieferungsverträgen.266 Jedoch ist die Rechtsprechung auch in anderen Fällen von der Gesamtnichtigkeit des Vertrags abgerückt und hat diesen mit einer angemessenen 264
Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 89. Rechtsprechung spricht regelmäßig von einer entsprechenden oder rechtsähnlichen Anwendung von § 139 BGB, ohne jedoch zu begründen, wieso § 139 BGB nicht direkt, sondern nur entsprechend angewandt werden kann, vgl. etwa: BGH NJW 1992, 2145, 2146; NJW‑RR 1990, 816; NJW 1977, 1233, 1234; NJW 1974, 2089, 2090; WM 1972, 1224, 1226. 266 Vgl. nur: BGH NJW 1992, 2145; NJW‑RR 1990, 816; NJW 1985, 2693; NJW 1974, 2089; NJW 1972, 1459; NJW 1970, 2243. 265 Die
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Dauer aufrechterhalten, so etwa bei einem überlangen Mietvertrag267, überlangen Tankstellenbelieferungsverträgen268 oder einem bis zu 50 Jahre laufenden Geschäftsführervertrag269. Dabei zerlegt der BGH den Vertrag jeweils in einzelne Zeitabschnitte und sieht nur die Abschnitte, die über die maximal zulässige Dauer hinausgehen, als nichtig an, während der Rest bestehen bleibt.270 Anders entscheidet der BGH jedoch, wenn es gar keine zeitliche Begrenzung gibt, sondern eine unbegrenzte Bindung vereinbart wurde. Solche Verträge werden nicht zeitlich begrenzt aufrechterhalten, sondern sind insgesamt nichtig.271 Auch wenn der BGH in diesen Fällen durch eine Reduktion des sittenwidrigen Übermaßes die Nichtigkeit des Vertrages verhindert, hat er bereits früh die Übertragung dieser Rechtsprechung auf Fälle eines sittenwidrig überhöhten Entgelts abgelehnt.272 Bei einer überlangen zeitlichen Bindung könne das Übermaß nämlich genau bestimmt werden, während der übrige Teil des Vertrages angemessen sei.273 Die Bestimmung der zeitlichen Grenze sei daher nicht als richterliche Vertragsgestaltung anzusehen.274 Zudem dürfe der Richter nicht in das von den Parteien ausgehandelte Äquivalenzverhältnis eingreifen.275
b) Stellungnahme Die Argumente, die gegen eine Übertragung der beschriebenen Rechtsprechung vorgebracht werden, können nicht überzeugen.276
aa) Aspekt der Teilbarkeit Dies gilt zunächst für den Aspekt der Teilbarkeit: Sowohl eine überlange Dauer als auch ein überhöhtes Entgelt lassen sich relativ problemlos in einen zuläs267
BGH NJW 1962, 734. BGH NJW 1998, 156, 160; NJW 1982, 1692. BGH WM 1982, 394, 398 f. 270 BGH NJW 1977, 1233, 1234; NJW 1972, 1459. 271 BGH WM 1980, 877; WM 1979, 947; WM 1970, 99, 101. 272 BGH NJW 1977, 1233, 1234; zustimmend: Petersen, Jura 2010, 419, 420 f.; Leipold, BGB AT, 10. Aufl., § 20 Rn. 42. 273 BGH NJW 1977, 1233, 1234; Krampe, AcP 194 (1994), 1, 26 f.; a. A. noch RGZ 76, 78, 80. 274 Dagegen: Uffmann, Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 28; der Rspr. grds. folgend, aber dennoch kritisch: Krampe, AcP 194 (1994), 1, 26 f.; von Esch, Teilnichtige Rechtsgeschäfte, S. 61 f. 275 Petersen, Jura 2010, 419, 420. 276 Ebenso etwa Uffmann, Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, S. 28 f., die die Behauptung, es erfolge hier keine richterliche Vertragsgestaltung als „rätselhaft“ bezeichnet; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 180 f., der die Festlegung der Grenze durch die Rechtsprechung als „weitgehend beliebig“ bezeichnet; a. A. deshalb noch das RG, das ausführt, eine kürzere Laufzeit sei „nicht etwas Geringeres, sondern etwas anderes.“, vgl. RGZ 76, 78, 80. 268 269
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sigen und unzulässigen Teil zerlegen.277 Eindeutig ist dies, wenn man auf die bloße Arithmetik abstellt. Danach lassen sich sowohl überlange Laufzeiten als auch überhöhte Entgelte aufteilen. Auch rechtlich spricht wenig für eine unterschiedliche Behandlung. Dies beweist schon ein Blick ins Ausland, wo überhöhte (Haupt-)Leistungen regelmäßig geteilt und angepasst werden können.278 Aber auch der BGH selbst teilt überhöhte Entgelte, wie etwa in Fällen des Mietwuchers, in einen unzulässigen und einen zulässigen Teil auf.279 Die Argumente, die gegen eine Teilnichtigkeit in Fällen von Äquivalenzstörungen vorgebracht werden, lassen sich genauso oder sogar in noch stärkerem Maße gegen eine Reduktion überlanger Laufzeiten vorbringen. So lässt sich in der Reduktion der Vertragsdauer ebenfalls ein (unzulässiger) Kontrahierungszwang sehen. Die bevorteilte Partei hätte sich nämlich vielleicht gar nicht auf eine kürzere Laufzeit eingelassen, da die unzulässig lange Laufzeit Teil ihrer Gesamtkalkulation ist und daher nicht ohne Veränderung anderer Vertragsinhalte sinnvoll reduziert werden kann. Dies ist nicht unrealistisch, denn gerade die langfristige Bindung des Gastwirts stellt bei Bierlieferungsverträgen regelmäßig das Äquivalent für die von der Brauerei gegebene finanzielle Starthilfe dar.280 Zudem existieren bei der Festlegung einer zeitlichen Begrenzung entgegen der Ansicht des BGH gerade keine Maßstäbe, an denen sich die Rechtsprechung orientieren könnte und die die Reduktion vorhersehbar machen würden. Bei der Anpassung eines Entgelts existiert eine solche Orientierung hingegen in Form des Marktpreises. Zwar hat der BGH teilweise betont, eine Grenze für die Bindungsdauer liege im Normalfall bei 15 Jahren,281 sodass man meinen könnte, es gebe mittlerweile einen richterrechtlichen Maßstab. Mehr als eine ungefähre Richtschnur kann in dieser Rechtsprechung aber nicht gesehen werden, finden sich doch zahlreiche Urteile, in denen der BGH selbst davon abweicht.282 Zu Recht wird zusätzlich darauf hingewiesen, dass sich eine Grenze für eine noch zulässige Laufzeit nicht allgemein festlegen lässt und jede Festsetzung mehr oder weniger beliebig ist.283 Vor allem weil gerade nicht auf einen außerrechtlichen Maßstab wie den Marktpreis zurückgegriffen werden kann. 277 Ebenso
Medicus in: GS Dietz, 61, 65; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 221; auch: Tiedtke, ZIP 1987, 1089, 1095 und Honsell, JA 1986, 573, 574, sehen keinen Unterschied und fordern eine Gleichbehandlung, gehen jedoch in beiden Fällen von einer Unteilbarkeit i. S. v. § 139 BGB aus. 278 Vgl. für eine kurze Aufstellung: Kapitel 4 Fn. 67. 279 Vgl. dazu oben: § 9 C. III. 1. a) Mietwucher, S. 198 f. 280 Hiddemann, WM 1975, 942, 944; Lammel, AcP 189 (1989), 244, 255. 281 BGH WM 1975, 850, 852; NJW 1979, 2150, 2151 = WM 1979, 947. Ausdrücklich gegen die Existenz einer 15-jährigen Grenze aber BGH ZIP 1984, 335 2. Ls. 282 Etwa BGH NJW 1970, 2243, 2243, in der 20 Jahre für noch angemessen gehalten wurden; WM 1973, 357, 358, Reduktion auf 20 Jahre; WM 1973, 924, 926, Reduktion auf 23,5 Jahre; NJW 1974, 2089, 2090, Reduktion auf 16 Jahre. 283 Vgl. u. a. Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 181, der die Festsetzung der Grenzen durch die Rspr. bei Bierlieferungsverträgen als „weitgehend
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Die Zulässigkeit der Festlegung einer konkreten zeitlichen Grenze durch den Richter ist bei Bierlieferungsverträgen zudem besonders problematisch, weil es sich bei ihnen um keine typisierten Austauschverträge handelt. In ihnen werden verschiedene Rechte und Pflichten in einem Vertrag zusammengefasst, die im Kern zwar durchaus vergleichbar sind – jeweils wird eine Darlehensgewährung oder sonstige geldwerte Zuwendung in Form von Ausstattung oder Ähnlichem durch die Brauerei mit der Verpflichtung zur Abnahme einer bestimmten Menge Bier oder anderer Getränke verknüpft –, sich aber insgesamt untereinander in weitaus stärkerem Maße unterscheiden284, als dies gemeinhin bei den Rechten und Pflichten von Kaufverträgen der Fall ist. Auch deshalb stellt die Rechtsprechung zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit nicht allein auf die Laufzeit ab, sondern auch auf die Höhe der von der Brauerei zu erbringenden Gegenleistung, sodass eine höhere Gegenleistung eine ansonsten unter anderen Umständen schon sittenwidrig lange Laufzeit rechtfertigen kann.285 Das macht allerdings die gerichtliche Entscheidung für die Parteien noch weniger vorhersehbar. Die fehlende Vorhersehbarkeit beweist auch ein Blick auf die von der Rechtsprechung vorgenommenen Reduktionen, bei denen ein klares Muster, in welchem Verhältnis die Anpassung erfolgt, nicht zu erkennen ist.286 Die Festsetzung einer maximalen Laufzeit stellt sich daher bei genauerer Betrachtung als viel willkürlicher dar als die eines angemessenen Preises.287
bb) Aspekt der Prävention Neben der Frage nach der Teilbarkeit erscheint auch die unterschiedliche Betonung des Aspekts der Prävention widersprüchlich. Während die Gesamtnichtigkeit bei sittenwidrig überhöhten Leistungen abschreckend wirken soll,288 taucht der Präventionseffekt in den Urteilen des BGH zu überlangen Bindungen gar nicht erst auf. Es fragt sich, weshalb er hier keine Rolle spielen soll.289 beliebig“ bezeichnet; Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937, 940: „[…] läßt sich keine klare Linie für zeitliche Begrenzung erkennen.“; Flume, AT II, S. 371: „Dafür, wann eine übermäßige Bindung als gegen die guten Sitten verstoßend nichtig ist, lassen sich allgemeine Sätze nicht aufstellen.“; von Esch, Teilnichtige Rechtsgeschäfte, S. 61; Lammel, AcP 189 (1989), 244, 258. 284 Vgl. dazu u. a.: Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 25 ff.; Hiddemann, WM 1975, 942, 942 ff. 285 Vgl. etwa BGH NJW 1979, 2149, 2150: „Je größer die Gegenleistungen der Brauerei sind, desto einschneidender können im Einzelfall die Bindungen sein, die der Gastwirt im Interesse einer sachgerechten Risikobegrenzung auf seiten der Brauerei noch hinnehmen muß.“; ebenso: BGH NJW 1992, 2145, 2146; NJW 1985, 2693, 2695; WM 1972, 1224, 1225. 286 BGH WM 1973, 357, 358 (Reduktion von 30 auf 20 Jahre); WM 1973, 924, 926 (28 auf 23,5 Jahre); WM 1975, 850, 852 (25 auf 15 Jahre); NJW 1974, 2089, 2090 (24 auf 16 Jahre). 287 Ebenso zu Recht: Koziol, AcP 188 (1988), 183, 221. 288 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 619. 289 Ebenso Tiedtke, ZIP 1987, 1089, 1094 f.; krit. auch: NK‑BGB/Looschelders, 3. Aufl., § 138 Rn. 136.
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Das mag seinen Grund darin haben, den Gastwirt zu schützen, weil dieser ein Interesse an der Leistung hat und ihn nur die überlange Bindung unangemessen einschränkt.290 Aber in nahezu allen Fällen übermäßiger Bindung stellt das Übermaß allein das Problem dar und ist der übrige Vertrag unbedenklich, so auch bei der sittenwidrig überhöhten Leistungsverpflichtung. Eine Gleichbehandlung läge deshalb nahe.291 Bei Bierlieferungsverträgen wird teilweise auch die umgekehrte Gefahr gesehen, dass nämlich der Gastwirt die Gegenleistungen, insbesondere das Darlehen, in Anspruch nimmt, um nach erfolgreichem Start seiner Gaststätte dann die Nichtigkeit geltend zu machen, und den Anbieter zu wechseln.292 Ähnliches könnte jedoch auch beim Wucher geschehen, wenn der Bewucherte sich auf die Nichtigkeit beruft, nachdem er mit der Leistung des Begünstigten die Notlage behoben hat und nun nicht mehr auf den Gegenstand angewiesen ist. Kaum zu erklären ist schließlich die Tatsache, dass der BGH dann wiederum von einer Gesamtnichtigkeit ausgeht, wenn die zeitliche Bindung keiner Beschränkung unterliegt, sondern der Vertrag zeitlich unbegrenzt gilt.293 Insbesondere weil der BGH die Reduktion überlanger Befristungen unter anderem auf die besonderen Schwierigkeiten bei der Rückabwicklung entsprechender Verträge stützt,294 die hier aber genauso auftreten. Weshalb unter diesen Umständen auf den Schutz der übermäßig gebundenen Partei verzichtet werden soll, bleibt offen. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass es widersprüchlich ist, überlange Bindungen zu reduzieren, überhöhte Entgelte hingegen nicht. Jedenfalls die bisher vorgetragenen Argumente können diese Ungleichbehandlung nicht zufriedenstellend begründen.
2. Rechtsprechung zu (Höchst-)Preisvorschriften i. R. v. § 134 BGB Eine weitere Fallgruppe, in der die Rechtsprechung von der absoluten Nichtigkeit abweicht, sind Verstöße gegen Höchstpreisvorschriften. Dies sind Normen, die für ein bestimmtes Gut oder eine bestimmte Leistung einen staatlich festgelegten (Maximal-)Preis festlegen. Der hoheitliche Eingriff in die Preisbildung erfolgt dabei im öffentlichen Interesse und dient dazu, die Versorgung der Bevölkerung mit bestimmten Gütern zu einem angemessenen Preis zu gewährleis290 Tatsächlich sagt der BGH, dass durch die Reduktion der Laufzeit sowohl den schutzwürdigen Interessen des Gastwirts als auch denen der Brauereien Rechnung getragen werden soll, vgl. BGH NJW 1985, 2693, 2695; Paulusch, Brauerei- und Gaststättenrecht, Rn. 145. 291 So auch: Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 213; Honsell, JA 1986, 573, 574; ebenso: Tiedtke, ZIP 1987, 1089, 1095, der jedoch für beide Fälle Totalnichtigkeit annehmen möchte. 292 Hiddemann, WM 1975, 942, 944; Paulusch, Brauerei- und Gaststättenrecht, Rn. 144. 293 Vgl. Kapitel 4 Fn. 271. 294 BGH NJW 1985, 2693, 2695; WM 1972, 1224, 1226; WM 1973, 357, 358; Hiddemann, WM 1975, 942, 945; Paulusch, Brauerei- und Gaststättenrecht, Rn. 144.
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ten.295 Verbreitet waren sie vor allem während der beiden Weltkriege des vorigen Jahrhunderts. Sie finden sich aber auch noch im heutigen Recht.296 Preisvorschriften werden regelmäßig als gesetzliches Verbot i. S. v. § 134 BGB angesehen.297 Ein Verstoß führt aber nicht zur Gesamtnichtigkeit, nichtig ist nur die Entgeltabrede, im Übrigen ist der Vertrag aufrechtzuerhalten.298 Die unwirksame Entgeltabrede wird durch eine zulässige ersetzt, welche sich nach der gerade noch erlaubten Höhe richtet, die die Parteien wirksam hätten vereinbaren können.299 Grund dafür sei, dass das Gesetz nur die Überschreitung des zulässigen Preises verbiete, nicht aber den Vertrag im Übrigen.300 Die Nichtigkeit könne aber nicht weiter reichen als der Tatbestand des Verbots reiche.301 Zurück geht diese Rechtsprechung auf eine Entscheidung des Reichsgerichts während des ersten Weltkriegs, die die Überschreitung des für Kartoffeln geltenden Höchstpreises betraf.302 Auch wenn diese Rechtsprechung im Grundsatz auf einhellige Zustimmung in der Literatur trifft, steht die Reduktion bloß auf die Zulässigkeitsgrenze teilweise in der Kritik und es wird stattdessen eine Reduktion auf das Marktniveau gefordert.303 Nicht ganz zu Unrecht wird angeführt, dass bei strenger Gesetzesanwendung der §§ 134, 139 BGB der gesamte Vertrag nichtig sein müsste, da der Verkäufer sich zum behördlich festgesetzten Preis häufig nicht zum Verkauf bereit erklärt hätte.304 Der Grund, dass die Rechtsprechung hier von Anfang an von der gesetzlichen Konzeption abgewichen ist, liegt im Schutzzweck der Höchstpreisvorschriften. Dieser würde nicht erreicht, wenn der Vertrag komplett nichtig 295 BGH
NJW 1958, 1772; RGZ 88, 250, 251; Rinck, AcP 152 (1952/1953), 481, 501; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 134 Rn. 62. 296 So z. B.: §§ 4–5 WiStG, die HOAI, § 5 BKleingG, § 8 WoBindG, § 49b Abs. 2 BRAO a. F., AMPreisV. 297 BGH NVwZ 2015, 459, 462; NJW 2008, 55, 56; NJW 1984, 722, 723; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 134 Rn. 26 f.; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 134 Rn. 49 f. 298 St. Rspr., vgl. u. a.: BGH NJW 2016, 3223, 3225; NVwZ 2015, 459, 462; NJW 2008, 55, 56; NJW 2001, 892, 894; NJW‑RR 1990, 276, 276; NJW 1989, 2470, 2471; NJW 1969, 425, 427; diese Rspr. hat allgemeine Anerkennung in der Literatur gefunden: vgl. etwa MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 134 Rn. 65 u. 124; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 134 Rn. 49 f.; BeckOGK/Vossler, 01.09.2017, BGB § 134 Rn. 89 f.; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 134 Rn. 27; Staudinger/Sack/Seibel, (2017), § 134 Rn. 269; Köhler, BGB AT, 42. Aufl., § 13 Rn. 13. 299 BGH NJW 2016, 3223, 3225; NVwZ 2015, 459, 462; NJW 2008, 55, 56; NJW 2001, 892, 894; NJW 1989, 2470, 2471; NJW 1984, 722, 723; NJW 1969, 425, 427; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 134 Rn. 50; Staudinger/Sack/Seibel, (2017), § 134 Rn. 269. 300 BGH NJW 2008, 55, 56; NJW 1984, 722, 723. 301 BGH NJW 2008, 55, 56; NJW 1984, 722; 723; zustimmend: Staudinger/Sack/Seibel, (2017), § 134 Rn. 269. 302 RGZ 88, 250; die a. A., nämlich Gesamtnichtigkeit, hatte noch das KG als Vorinstanz vertreten. 303 So MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 134 Rn. 124; BeckOGK/Vossler, 01.09.2017, BGB § 134 Rn. 90. 304 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 242; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 134 Rn. 62.
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Kapitel 4: Neukonzeption und ihre Integration
wäre, denn dann ginge der zu schützende Erwerber auch des Gutes verlustig, dessen Versorgung zu angemessenen Preisen durch die Höchstpreisvorschrift gerade sichergestellt werden soll.305 Bei dieser Rechtsprechung handelt es sich also erneut um eine durch den Schutzzweck der verletzten Norm begründete Abweichung von der absoluten Nichtigkeit. Bei den Höchstpreisvorschriften fällt zudem eine Nähe zum Wucher und der Läsion ohne Weiteres auf. Sie alle stellen einen Eingriff in die grundsätzlich den Parteien obliegende freie Preisgestaltung dar.306 Man mag einwenden, Höchstpreisvorschriften täten dies allein im öffentlichen Interesse, während Wucher und Läsion primär dem Individualschutz dienen. Dies weckt jedoch bereits deshalb Zweifel, weil jedenfalls nach der Auffassung des historischen Gesetzgebers der Wuchertatbestand ebenso primär dem öffentlichen Interesse dienen sollte.307 Doch auch wenn man dieser Unterscheidung folgen mag, rechtfertigt sie nicht eine solche Ungleichbehandlung auf Rechtsfolgenseite. Zum einen ist nämlich allen Fällen gemein, dass das vereinbarte Entgelt unzulässig hoch ist. Bei Höchstpreisvorschriften liegt die Ursache häufig in der Ausnutzung einer allgemeinen, beim Wucher in der einer individuellen Notlage. Es ist aber nicht ersichtlich, inwiefern dies wertungsmäßig einen Unterschied machen soll. Für den jeweils von der Notlage Betroffenen macht es ihn jedenfalls nicht. Sein Interesse am Erhalt der Leistung wird nicht dadurch größer, dass andere diese Leistung ebenfalls dringend benötigen. Ebenso wird es dadurch auch nicht schützenswerter. Ein Unterschied könnte nur darin liegen, dass Höchstpreisvorschriften sich häufig auf solche Güter bezogen, die lebensnotwendig waren, wie etwa das Beispiel der Höchstpreisvorschrift für Kartoffeln im 1. Weltkrieg zeigt, und deshalb das Bedürfnis nach ihnen besonders hoch ist. Allerdings betreffen Preisvorschriften keineswegs stets lebensnotwendige Güter, wie etwa die Vorschriften der HOAI, § 5 BKleingG oder § 49b Abs. 2 BRAO a. F. zeigen. Und auch in diesen Fällen erfolgt eine Reduktion auf das eben noch zulässige Maß. Außerdem ist jedenfalls in den klassischen Wucherfällen der Bedarf nach der Leistung tatsächlich ebenfalls besonders hoch, sodass nicht zu Unrecht vertreten wird, dass aufgrund der nahen Verwandtschaft von Höchstpreisvorschriften und Übervorteilung für eine unterschiedliche Behandlung kein sinnvoller Grund ersichtlich ist.308 305 So ausdrücklich RGZ 88, 250, 252. Dieser Begründung hat sich die Literatur weitgehend angeschlossen, vgl. etwa Köhler, BGB AT, 42. Aufl., § 13 Rn. 13. 306 Vgl. Nachweise in Einleitung Fn. 2. 307 Vgl. dazu oben: § 5 D. II. 2. a) Entstehung von § 138 Abs. 2 BGB, S. 29 ff. 308 Honsell, JA 1986, 573, 576; Spiro, ZBJV 1952, 497, 513; Weyer in: FS Baur, 681, 689 ff.
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3. Sittenwidrige testamentarische Zuwendung – Das „Geliebtentestament“ Eine weitere Fallgruppe, in der der BGH eine unzulässig hohe Leistung reduziert hat, statt das Rechtsgeschäft insgesamt für nichtig zu erklären, bilden die Entscheidungen zum Geliebtentestament. Als „Geliebten-“ oder auch „Mätressentestament“ wird ein Testament bezeichnet, in dem der Erblasser seiner nicht mit ihm verheirateten Geliebten testamentarische Zuwendungen macht.309 Ursprünglich wurden solche Testamente als sittenwidrig angesehen, wenn sie nur der Entlohnung einer rein sexuellen Beziehung dienten, der sogenannten „Hergabe für Hingabe“.310 Diese Ansicht gilt aber spätestens seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes als überholt.311 Die Sittenwidrigkeit kann sich aber immer noch aus der Verletzung familiärer Pflichten ergeben, wenn nahe Angehörige sittenwidrig benachteiligt werden.312 Wegen der grundsätzlich geltenden Testierfreiheit und den Bestimmungen über das Pflichtteilsrecht ist eine Sittenwidrigkeit aber auf ganz besondere Ausnahmefälle zu beschränken.313 Sofern die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit erfüllt sind, weicht der BGH hier ebenfalls von der Gesamtnichtigkeit als Rechtsfolge des § 138 BGB ab, indem er das Testament nur für teilweise nichtig hält und es mit dem Umfang aufrechterhält, in dem der Erblasser wirksam hätte testieren können.314 Dazu führt der BGH aus, es sei dem Gericht nicht verboten, eine Verfügung, die nur durch das Übermaß der Zuwendung sittenwidrig ist, allein hinsichtlich des Übermaßes für nichtig zu erklären.315 Dieses Ergebnis erreicht er über die An309 BGH NJW 1984, 797; NJW 1983, 674; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 693; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 59; Simshäuser, Geliebten-Testamente, S. 16; Schnabl/Hamelmann, Jura 2009, 161, 161. 310 BGH NJW 1984, 2150; NJW 1970, 1273, 1275; NJW 1968, 932; NJW 1964, 764; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 693; Erman/Schmidt, 15. Aufl., Vorb. § 2064 Rn. 15. 311 Ganz h. M.: Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 186 u. 693; Paal, JZ 2005, 436, 437; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 59; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 138 Rn. 50; Erman/Schmidt, 15. Aufl., Vorb. § 2064 Rn. 15; BeckOGK/Jakl, 15.09.2017, BGB § 138 Rn. 557; Schnabl/Hamelmann, Jura 2009, 161, 164. 312 BGH NJW 1984, 2150, 2151; NJW 1983, 674, 675; NJW 1970, 1273, 1275; NJW 1969, 1343, 1346; die Kriterien zusammenfassend: Simshäuser, Geliebten-Testamente, S. 55 ff.; die Rspr. anerkennend: Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 186; BeckOGK/Jakl, 15.09.2017, BGB § 138 Rn. 558; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 222 f.; Paal, JZ 2005, 436, 437; Schnabl/Hamelmann, Jura 2009, 161, 164; diese Möglichkeit ablehnend: Tiedtke, ZIP 1987, 1089, 1094; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 59; Reinicke, NJW 1969, 1347, 1347; Ramm, JZ 1970, 129, 129. 313 BGH NJW 1983, 674, 675; OLG Düssseldorf FamRZ 2009, 545, 545; BeckOGK/Jakl, 15.09.2017, BGB § 138 Rn. 558 ff.; Wellenhofer, JuS 2009, 184, 184; Schnabl/Hamelmann, Jura 2009, 161, 164. 314 BGH NJW 1970, 1273, 1277; NJW 1969, 1343, 1346 f.; zustimmend: Staudinger/Sack/ Fischinger, (2017), § 138 Rn. 186; Canaris in: FS Steindorff, 519, 566; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 91 ff.; Speckmann, JZ 1970, 401, 402 f.; dagegen Reinicke, NJW 1969, 1347, 1347; Ramm, JZ 1970, 129, 130. 315 BGH NJW 1969, 1343, 1346 f.; BGH FamRZ 1963, 287, 289 f.
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wendung von § 139 BGB beziehungsweise § 2085 BGB.316 Nach der Lebenserfahrung spreche nämlich eine Vermutung dafür, dass der Erblasser bei Kenntnis der wahren Rechtslage der Geliebten so viel wie eben zulässig zugewendet hätte.317 Die Entscheidung ist ein weiteres Beispiel dafür, dass trotz eines sittenwidrigen Übermaßes die Nichtigkeit nicht das gesamte Rechtsgeschäft erfasst, sondern nur den sittenwidrigen Teil. Sie ist in der Literatur aber nicht ohne Kritik aufgenommen worden. So wird eingewandt, der Präventionsaspekt, der mit § 138 BGB verfolgt wird, gebiete es, dass das sittenwidrige Testament insgesamt nichtig sei.318 Zudem wird die Gefahr gesehen, das Gericht könne geneigt sein, dem Testament den Inhalt zu geben, der am ehesten seinem eigenen Gerechtigkeitsempfinden entspricht.319 Unberechtigt sind solche Bedenken nicht. Vor allem weil auch hier, wie im Falle der überlangen Dauer, eine Reduktion der überhöhten Zuwendung mangels Orientierungspunkten viel willkürlicher und unvorhersehbarer ist als die eines überhöhten Entgelts. Wiederum lässt sich schließlich die Rechtsprechung zur Teilgültigkeit des sittenwidrigen Testaments mit Schutzzweckerwägungen begründen. Indem das Testament entgegen § 138 BGB nicht insgesamt nichtig ist, sondern nur teilweise, wird die als Erbin eingesetzte Geliebte geschützt, die anderenfalls überhaupt nichts bekäme, da sonst die gesetzliche Erbfolge gälte.320 Die Geliebte ist auch insoweit schutzwürdig, als dass nicht sie als Bedachte, sondern allein den Erblasser der Vorwurf des sittenwidrigen Handelns trifft. Zudem begründet auch die Rechtsprechung die Aufrechterhaltung vor allem mit dem Schutz des Erblasserwillens, wobei man sich die Frage stellen kann, ob dieser tatsächlich schutzwürdig ist, wenn er doch gegen die guten Sitten verstößt. Dieser allein kann die Aufrechterhaltung daher nicht rechtfertigen. Entscheidend ist der Schutz der Geliebten, auch wenn dieser wohl nicht zwingend eine teilweise Gültigkeit des Testamentes erfordert, da das Vertrauen auf eine testamentarische Zuwendung – die Kenntnis der Geliebten vom Inhalt des Testamentes vorausgesetzt – an sich nicht geschützt wird, kann ein Testament doch grundsätzlich jederzeit geändert werden und handelt es sich zudem um eine unentgeltliche Zuwendung. 316 Diese Entscheidung konnte er offen lassen, da im konkreten Fall auch die Voraussetzungen des strengeren § 139 BGB erfüllt waren, vgl. BGH NJW 1969, 1343, 1347; für § 2085 BGB: Paal, JZ 2005, 436, 442; wohl auch Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, S. 185 f. 317 BGH NJW 1970, 1273, 1277; NJW 1969, 1343, 1347; zustimmend: Speckmann, JZ 1970, 401, 402; Paal, JZ 2005, 436, 442. 318 Tiedtke, ZIP 1987, 1089, 1094; dagegen zu Recht Canaris in: FS Steindorff, 519, 566 f., weil die Prävention „den Falschen“, nämlich nicht den Erblasser, sondern den Bedachten treffe. 319 Tiedtke, ZIP 1987, 1089, 1094; Reinicke, NJW 1969, 1347, 1347. 320 In die Richtung ebenfalls Canaris in: FS Steindorff, 519, 566 f.
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4. Abweichung von der zwingenden Nichtigkeit bei Formverstößen Da die absolute und zwingende Nichtigkeit grundsätzlich immer gilt, wenn das BGB als Rechtsfolge die Nichtigkeit anordnet, lohnt sich auch ein Blick auf Korrekturen bei der Wirkung der Nichtigkeit in anderen Fällen als denen der §§ 134, 138 BGB. Neben den Willensmängeln und gemäß §§ 134, 138 BGB unzulässigen Rechtsgeschäften bilden die Formfehler die dritte große Fehlerquelle für Rechtsgeschäfte. Für die Nichteinhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form ordnet § 125 S. 1 BGB die Nichtigkeit des betroffenen Rechtsgeschäfts an. Das Gleiche gilt nach § 125 S. 2 BGB für Verstöße gegen die durch Rechtsgeschäft bestimmte Form. Stets handelt es sich dabei um eine von Amts wegen zu beachtende absolute Nichtigkeit.321 Die Umstände, weshalb die vorgeschriebene Form nicht eingehalten wurde, spielen grundsätzlich keine Rolle, ebensowenig wie die Folgen, die die Formnichtigkeit für die Parteien hat. So führt der BGH regelmäßig aus, dass die Nichtigkeit auch dann zu gelten habe, wenn sie zu harten Folgen für die betroffene Partei führt.322 Im Grundsatz werden deshalb von der Nichtigkeit nach § 125 BGB keine Einschränkungen zugelassen, weil im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die Formvorschriften nicht ausgehöhlt werden dürften.323 In besonderen Ausnahmefällen kann es aber einer Partei nach § 242 BGB verwehrt sein, sich auf die Formnichtigkeit zu berufen.324 Der an sich formnichtige Vertrag ist dann wie ein wirksamer Vertrag zu behandeln, aus dem beiderseitig auf Erfüllung geklagt werden kann.325 Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH dann der Fall, wenn die Formnichtigkeit für eine Partei nicht nur harte, sondern schlechthin untragbare Folgen hätte.326 Schlechthin untragbare Folgen nimmt die Rechtsprechung zum einen dann an, wenn durch die Nichtigkeit die wirtschaftliche Existenz einer Vertragspartei gefährdet würde,
321 Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 44 Rn. 56 f.; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 125 Rn. 12; MüKoBGB/Einsele, 8. Aufl., § 125 Rn. 42; Armbrüster, NJW 2007, 3317, 3317. 322 Vgl. etwa BGH NJW‑RR 2008, 1506, 1508; NJW 2002, 1050, 1051; NJW 1996, 2503, 2504; NJW 1973, 1455, 1456, jeweils m. w. N.; zustimmend: Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 24 Rn. 24. 323 St. Rspr.: BGH NJW 2004, 3330, 3331; NJW 1996, 2503, 2504; NJW 1993, 1126, 1128; NJW 1966, 1067, 1068; aus der Lit.: Armbrüster, NJW 2007, 3317, 3317; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 44 Rn. 61; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 125 Rn. 22; Staudinger/Hertel, (2017), § 125 Rn. 111. 324 BGH NJW 1973, 1455, 1456; NJW 1972, 1189, 1189; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 125 Rn. 22; Staudinger/Hertel, (2017), § 125 Rn. 110. 325 BGH NJW 1957, 787, 788; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 125 Rn. 22; Armbrüster, NJW 2007, 3317, 3317 u. 3320; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 125 Rn. 28. 326 St. Rspr., vgl. etwa BGH NJW‑RR 2008, 1506, 1508; NJW 2004, 3330, 3331; NJW 2002, 1050, 1051; NJW 1987, 1069, 1070; NJW 1972, 1189, 1189; NJW 1969, 1667, 1669; NJW 1965, 812, 814.
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zum anderen in Fällen einer besonders schweren Treuepflichtverletzung des anderen Teils.327 Die wirtschaftliche Existenz ist dann gefährdet, wenn die Formnichtigkeit den wirtschaftlichen Ruin für eine Partei bedeuten würde.328 Eine schwere Treuepflichtverletzung durch Berufung auf den Formmangel kann in verschiedenen Fällen gegeben sein.329 Ihr Vorliegen wird z. B. angenommen, wenn eine Partei die andere arglistig von der Einhaltung der vorgeschriebenen Form abhält, um sich später auf den Formmangel berufen zu können.330 Dann ist es der täuschenden Partei verwehrt, sich auf die Formnichtigkeit des Vertrags zu berufen.331 Gleiches gilt, wenn eine Partei über längere Zeit Vorteile aus dem formnichtigen Vertrag gezogen hat und sich danach unter Berufung auf den Formmangel der eigenen Verpflichtung entziehen will.332 Voraussetzung ist aber jeweils, dass die andere Partei auf die Einhaltung der notwendigen Form vertraut hat.333 Bei beiderseitiger Kenntnis des Formmangels scheidet ein Ausschluss der Formnichtigkeit nach § 242 BGB regelmäßig aus.334 Sowohl den Fällen der Existenzgefährdung als auch der schweren Treuepflichtverletzung ist gemein, dass jeweils der Schutz einer der Vertragsparteien den Anlass bildet, um von der Nichtigkeit abzuweichen und stattdessen das Rechtsgeschäft trotz Formmangels aufrechtzuerhalten. Zwar dient die verletzte Formvorschrift nicht zwingend und ausschließlich dem Schutz der betroffenen Partei. Allerdings dient die Aufrechterhaltung des Vertrages ihrem Schutz. Der BGH erkennt hier also an, dass die Nichtigkeit eingeschränkt werden muss, sofern diese einer Partei schwerwiegenden Schaden zufügen würde oder aus einer groben Pflichtverletzung der anderen Partei resultiert. Damit räumt er der Ein327 BGH NJW‑RR 2008, 1506, 1508; NJW 2004, 3330, 3331; NJW 2002, 1050, 1051; NJW 1996, 2503, 2504; NJW 1987, 1069, 1070. 328 Armbrüster, NJW 2007, 3317, 3318. 329 Vgl. für einen Überblick u. a. Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 44 Rn. 63 ff.; Armbrüster, NJW 2007, 3317, 3317 ff.; Staudinger/Hertel, (2017), § 125 Rn. 112 ff. 330 BGH NJW 1968, 39, 42 f.; Flume, AT II, S. 280 ff.; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 44 Rn. 66; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 125 Rn. 28; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 125 Rn. 33; Reinicke, NJW 1969, 1171, 1171. 331 BGH NJW 1968, 39, 42 f.; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 125 Rn. 33; Reinicke, NJW 1969, 1171, 1171. 332 BGH NJW 2004, 1103, 1103 f.; NJW‑RR 2003, 1635, 1636 f.; NJW 1996, 2503, 2504; NJW 1993, 1126, 1128; NJW 1958, 217, 219; Staudinger/Hertel, (2017), § 125 Rn. 114; Wolf/ Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 44 Rn. 72 f. 333 Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 125 Rn. 25; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 632; Westerhoff, AcP 184 (1984), 341, 359; BGH NJW 1973, 1455; NJW 1969, 1167, 1171. 334 BGH NJW 1973, 1455, 1456; NJW 1969, 1167, 1169; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 125 Rn. 32; ausnahmsweise anders in BGH NJW 1968, 39, wo Bedenken gegen die Einhaltung der vorgeschriebenen Form vom Vertragspartner, der sich darüber hinaus in einer überlegenen Stellung – konkret ein Großunternehmen gegenüber einem Angestellten – befand, bewusst zerstreut wurden.
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zelfallgerechtigkeit Vorrang gegenüber den mit den Formvorschriften verfolgten Zwecken der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ein.335 Es fragt sich, ob eine entsprechende Argumentation beziehungsweise Vorgehensweise nicht auch in Fällen des § 138 BGB möglich ist. Teilweise wird eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur Einschränkung der Nichtigkeit bei Formverstößen auf § 138 BGB für unzulässig gehalten, weil einem für die Rechtsordnung unerträglichen Geschäft nicht auf dem Umweg über § 242 BGB praktisch doch zur Geltung verholfen werden dürfe.336 Der BGH hält den Grundsatz der unzulässigen Rechtsausübung im Bereich von § 138 BGB zwar in eng begrenzen Ausnahmefällen durchaus für möglich, denn § 242 BGB stelle einen Grundsatz dar, der das gesamte Recht durchziehe.337 Er wendet ihn aber in den hier interessierenden Fällen nicht an. Da die Rechtsprechung zur Einschränkung der Formnichtigkeit allerdings jeweils vom Einzelfall ausgeht, die hier vorgeschlagene Korrektur aber grundsätzlich gelten soll, stellt sie kein Vorbild für eine Übertragung dar. Die Rechtsprechung beweist aber ein weiteres Mal, dass Einschränkungen der Nichtigkeit notwendig sein können.
5. Zwischenergebnis Aus den dargestellten Beispielen geht hervor, dass eine zwingende Gesamtnichtigkeit sittenwidriger Rechtsgeschäfte gemäß § 138 BGB keineswegs der eherne Grundsatz ist, als der er oftmals dargestellt wird. Vielmehr nimmt die Rechtsprechung in zahlreichen Situationen Korrekturen vor, um interessengerechte Ergebnisse zu ermöglichen. Die Einschränkung der Formnichtigkeit über § 242 BGB zeigt zudem, dass Ausnahmen von der gesetzlich angeordneten Nichtigkeit auch in Fällen abseits der §§ 134, 138 BGB anerkannt sind. Es gibt demnach Bereiche, in denen der BGH korrigierend eingreift und das Rechtsgeschäft in einem angemessenen Umfang aufrechterhält. Neben den soeben beschriebenen Fällen kommen noch die bereits dargestellten Einschränkungen im Bereich des Miet-, Kredit- und Lohnwuchers hinzu, in denen entweder Korrekturen bei der Reichweite der Nichtigkeit selbst vorgenommen werden oder bei deren Auswirkungen auf der Ebene des Bereicherungsrechts.338 Auch wenn sich die Rechtsprechung zur Korrektur ganz verschiedener Mittel bedient – mal ist es § 139 BGB, mal § 242 BGB oder § 134 Hs. 2 BGB – stimmen alle Fälle insoweit überein, dass sich die Einschränkung der absoluten Nichtigkeit jeweils mit Schutzzweckerwägungen zugunsten einer der am Geschäft beteiligten Personen begründen lässt. Für die Fälle der Äquivalenzstö335 So richtig Armbrüster, NJW 2007, 3317, 3317. 336 MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 155. 337 BGH
NJW‑RR 2008, 1050, 1050; NJW 1986, 2944, 2945; NJW 1981, 1439, 1439 f.; zustimmend: PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 41. 338 Vgl. oben: § 9 C. III. Unterschiedliche Behandlung verschiedener Wucherarten, S. 198 ff.
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rungen bedeutet dies, dass die Anordnung der Nichtigkeit in § 138 BGB einer Lösung, die eine Anpassung des Vertrages vorsieht, keinesfalls zwangsläufig im Weg steht.
B. Konzepte zur Umgehung der Gesamtnichtigkeit in der Literatur Die scheinbar alternativlose zwingende Nichtigkeit als Rechtsfolge von § 138 BGB sieht sich aber nicht nur von Seiten der Rechtsprechung Korrekturversuchen ausgesetzt. Auch in der Literatur gibt es zahlreiche Versuche, die Nichtigkeit für bestimmte Fälle einzuschränken oder zumindest in ihren Auswirkungen abzumildern, besonders wenn sie dem Schutz einer bestimmten Person dienen soll. Die prominentesten und vielversprechendsten Ansätze werden daher im Folgenden dargestellt und in Hinblick auf ihre dogmatische und inhaltliche Überzeugungskraft bewertet.
I. Canaris: Die halbseitige Teilnichtigkeit 1. Darstellung Canaris entwickelte mit seiner Lehre von der halbseitigen Teilnichtigkeit ein Konzept, um die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen der §§ 134, 138 BGB zu modifizieren und dadurch interessengerechte(re) Lösungen zu erreichen.339 Dieses entwarf er anhand von § 134 BGB, erklärte jedoch ausdrücklich, dass es ebenso für § 138 BGB gelte.340 Ausgangspunkt ist auch für Canaris die Überlegung, dass bei Verboten, die den Schutz eines Vertragspartners bezwecken, diesem gewöhnlich mit der Nichtigkeit nicht geholfen ist, weil sie dem Geschützten mit den Nachteilen gleichzeitig auch die Vorteile aus dem Vertrag nimmt.341 Deshalb schlägt er eine Modifikation der strengen gesetzlichen Nichtigkeitsanordnung vor. Danach behält die Partei, die nach Sinn und Zweck des Verbots- oder Sittengesetzes geschützt werden soll, ihren vertraglichen Anspruch gegen die andere Partei.342 Der Anspruch der anderen, nicht zu schützenden Partei, ist dagegen nichtig und ihr bleibt statt des vertraglichen Anspruchs bloß ein Anspruch aus Bereicherungsrecht.343 Dieser richtet sich aber nicht auf Herausgabe des tatsächlich Erlangten (denn dadurch würde das Konzept sein Ziel nicht erreichen), sondern auf Wertersatz gemäß § 818 Abs. 2 BGB.344 Auf diesen Bereicherungsanspruch ist dann § 817 S. 2 BGB anzuwenden, der je nach Gut- oder Bösgläubigkeit des 339 340
Entwickelt in: Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 28 ff. Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 34. 341 Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 28 f. 342 Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 30 f. 343 Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 30 f. 344 Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 30.
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Gläubigers eingreift oder nicht.345 Der verbots- oder sittenwidrig Handelnde soll seine vertraglichen Nebenansprüche, wie etwa das Recht zur Kündigung, aber behalten.346 Methodisch verortet Canaris diese Lösung im zweiten Halbsatz von § 134 BGB, denn der Schutzzweck der verletzten Norm gebiete hier ein anderes, nämlich lediglich die halbseitige Teilnichtigkeit.347 Im Übrigen lässt sich dieses Ergebnis nach Auffassung von Canaris wertungsmäßig auch mit dem Verbot der Berufung auf eigenes Unrecht rechtfertigen.348 Bezüglich der Anwendung der halbseitigen Teilnichtigkeit auch auf § 138 BGB bleibt Canaris eine eingehendere Begründung schuldig. Er rechtfertigt die Erstreckung auf § 138 BGB bloß mit dem Hinweis auf ansonsten eintretende Wertungswidersprüche.349 Hinzuweisen bleibt noch darauf, dass das von Canaris entwickelte Konzept eine auffällige Ähnlichkeit zur Ansicht von Tuhrs/Peters bezüglich der Wirkung der Unverbindlichkeit nach Art. 21 OR im Schweizer Recht aufweist und deren Theorie der geteilten Ungültigkeit.350 Canaris nimmt darauf aber weder Bezug noch erwähnt er es in seiner Abhandlung überhaupt.
2. Dogmatische Kritik An der von Canaris gewählten Konstruktion scheint befremdlich, dass dem Benachteiligten zwar ein Anspruch auf die Leistung eingeräumt wird, dieser Leistung aber gleichzeitig im Rahmen von § 812 BGB der Rechtsgrund fehlt.351 Dies erkennt auch Canaris selbst und verweist darauf, dass beim (Miet-)Wucher dem erhöhten Entgelt sehr wohl der Rechtsgrund fehle, denn die Entgeltabrede sei nichtig und für eine unentgeltliche Nutzung enthalte der Vertrag keine Regelung.352 Insofern ist Canaris zwar zuzustimmen. Der Wucherer hat damit kein Recht, z. B. einen überhöhten Mietzins zu behalten. Der Rechtsgrund, der dann aber dem Mieter das Recht zur Nutzung an der Mietsache gewährt, ist dessen eigener und nach Canaris Modell auch wirksamer Anspruch auf Überlassung der Mietsache gegen den Vermieter aus § 535 Abs. 1 BGB und nicht der (unwirksame) Anspruch des Vermieters auf Mietzahlung gemäß § 535 Abs. 2 BGB. Weil jener Anspruch hier wirksam ist, hat der Mieter das Erlangte (in Form des 345 346
Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 32 f. Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 30. 347 Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 31. 348 Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 31 f. 349 Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 34. 350 Vgl. Nachweis in Kapitel 3 Fn. 23. 351 Ebenso: Illedits, Teilnichtigkeit im Privatrecht, S. 22; Köhler, JZ 1990, 466, 467; Roth, ZHR 153 (1989), 423, 430 f.; Staudinger/Sack/Seibl, (2017), § 134 Rn. 113; Canaris selbst bezeichnet es als „eigentümliches Mischgebilde“, S. 31; Canaris unterstützend: MüKoBGB/ Armbrüster, 8. Aufl., § 134 Rn. 126. 352 Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 32.
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Besitzes an der Mietsache) gerade mit Rechtsgrund erhalten, sodass dem Grunde nach gar kein Bereicherungsanspruch des Vermieters bestünde. Außerdem mutet es seltsam an, dass der andere, nicht zu schützende Teil, noch vertragliche Nebenrechte geltend machen kann, wie z. B. die Kündigung.353 Insgesamt scheint der Ansatz von Canaris zu konstruiert und unnötig kompliziert. Faktisch handelt es sich dabei im Ergebnis um einen Fall der Teilnichtigkeit, wobei nach Auffassung von Canaris § 139 BGB unangewendet bleiben soll, weil dessen Anwendung im Widerspruch mit dem Schutzzweck der Verbotsnorm stünde.354 Indem nach Canaris letztlich nur der Entgeltabrede der Rechtsgrund fehlt und andere vertragliche Rechte auch der verbots- oder sittenwidrig handelnden Partei zustehen sollen, läuft sein Ansatz im Ergebnis auf eine teleologische Reduktion der Rechtsfolgen von §§ 134, 138 BGB hinaus. Insofern stellt sich die Frage, ob es nicht überzeugender wäre, direkt bei den §§ 134, 138 BGB anzusetzen, um eine Reduktion des Entgelts zu erreichen, statt den Vertrag auf die geschilderte eigentümliche Weise gleichzeitig als halb wirksam und halb nichtig anzusehen und eine Lösung über das Bereicherungsrecht zu suchen.355 Eine Einschränkung des herrschenden Nichtigkeitsbegriffs stellen nämlich beide Varianten dar.
3. Inhaltliche Kritik Von den erzielten Ergebnissen her weiß das Konzept von Canaris hingegen zu überzeugen. Es erzeugt interessengerechte Lösungen, indem es dem Bewucherten seine vertraglichen Ansprüche belässt und er dadurch in der Lage ist, gegen den Wucherer auf die Leistung zu klagen. Weiter wird § 817 S. 2 BGB sinnvoll und ehrlich in das System integriert.356 Die Rückforderung des Begünstigten ist nicht pauschal ausgeschlossen, sondern je nachdem, ob er gut- oder bösgläubig war. Einen Schwachpunkt hat die Theorie allerdings. Sie führt nämlich dann nicht zu interessengerechten Lösungen, wenn eine zu niedrige Gegenleistung vereinbart wurde und eine Heraufsetzung begehrt wird.357 Das sorgt bei Kaufverträgen immer dann für Probleme, wenn der Verkäufer die übervorteilte Partei ist, denn dann besteht im Ergebnis kein Kaufvertrag mehr, weil der Anspruch der Gegenpartei (des Käufers) nach Canaris Konzept nichtig ist und durch einen Anspruch auf Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB ersetzt wird. Es kommt damit nicht zur Übereignung der Kaufsache, sondern es stehen sich nur noch zwei Zahlungsansprüche gegenüber. Für alle Fälle, in denen die übervorteilte Partei 353 Canaris in diesem Punkt allerdings zustimmend: Neumann, Geltungserhaltende Reduktion, S. 50 ff. 354 Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 32. 355 Dagegen freilich Canaris selbst in: FS Steindorff, 519, 530 ff. 356 Vgl. zur Kritik an § 817 S. 2 BGB oben: § 9 C. II. Rolle des § 817 S. 2 BGB, S. 194 ff. 357 Zu Recht: Hager, JuS 1985, 264, 269, der als Beispiel Fälle des Lohnwuchers nennt.
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ein Interesse daran hat, ihre Verpflichtung durch das ursprünglich Vereinbarte zu erfüllen, wie etwa den Kaufgegenstand aus dem eigenen Vermögen auszugliedern, sorgt der Ansatz von Canaris damit für Probleme.
II. Einschränkung von § 817 S. 2 BGB und Ersatz nach §§ 812, 818 Abs. 2 BGB 1. Darstellung Ein weiterer Ansatz ist es, zwar von einer Nichtigkeit des Vertrages gemäß § 138 BGB auszugehen, aber den Bewucherten über das Bereicherungsrecht zu schützen. Dabei soll mittels einer Korrektur bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung zu einer Vergütungspflicht des Bewucherten gelangt und so ein der Vertragsanpassung praktisch ähnliches Ergebnis erreicht werden. Dies entspricht dem Vorgehen der Rechtsprechung beim Kreditwucher, bei dem sie die Lösung des Problems auf die Ebene des Bereicherungsrechts verlagert.358 Auch in der Literatur gibt es Stimmen, die eine Korrektur der Rechtsfolgen über das Bereicherungsrecht vornehmen wollen.359
a) Medicus Vorschlag Medicus nimmt die Gesamtnichtigkeit des wucherischen Vertrages an, gelangt aber durch eine am Normzweck von § 817 S. 2 BGB orientierte Auslegung zu einer Vergütungspflicht des Bewucherten.360 Dabei geht er davon aus, dass sich ein einheitlicher Normzweck für § 817 S. 2 BGB nicht begründen lasse und für jede Fallgruppe ein eigener Zweck gelte.361 Diesen sieht er für die Fälle des Wuchers darin, dem Bewucherten die Deckung seines Bedarfs an der Leistung des Wucherers zu ermöglichen, indem er diese behalten darf.362 Dieser Zweck gebiete es jedoch nicht, dass der Bewucherte die Leistung unentgeltlich behalten dürfe.363 Vielmehr genüge auch ein Behaltendürfen zu einem angemessenen Entgelt. Deshalb steht der Schutzzweck des § 817 S. 2 BGB im vorliegenden Fall zwar einer Kondiktion des konkreten Gegenstandes, nicht aber dessen Wertes entgegen.364 Als Anspruchsgrundlage des Wucherers auf Zahlung einer angemessenen Vergütung wählt Medicus die §§ 812, 818 Abs. 2 BGB. Weil 358 Vgl. dazu oben: § 9 C. III. 1. b) Kreditwucher, S. 199 f. 359 Insb.: Medicus in: GS Dietz, 61, 61 ff.; ebenfalls: Zimmermann,
Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 156 ff.; Flume, AT II, S. 393 f. 360 Medicus, Vergütungspflicht des Bewucherten? in: GS Dietz, 61, 61 ff. 361 Medicus in: GS Dietz, 61, 68 f.; zustimmend Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 168 f. 362 Medicus in: GS Dietz, 61, 69 ff.; wiederum zustimmend Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 174. 363 Medicus in: GS Dietz, 61, 70. 364 Medicus in: GS Dietz, 61, 75.
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dem Bewucherten aufgrund des von Medicus vertretenen Normzwecks von § 817 S. 2 BGB die Herausgabe des tatsächlich geleisteten Gegenstandes rechtlich unmöglich ist, liegen die Voraussetzungen des Anspruchs auf Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB vor.365 Auf diese Weise konstruiert Medicus einen Vergütungsanspruch des Wucherers, gerichtet auf den objektiven Wert der Leistung.
b) Flumes und Zimmermanns Vorschlag Flume und ihm folgend Zimmermann nehmen ebenfalls eine Pflicht des Bewucherten zur Vergütung aus Bereicherungsrecht an, wobei diese aus einer Haftung aus Nichtleistungskondiktion folgen soll.366 Dieser auf die Fälle der Nutzungsüberlassung zugeschnittene Vorschlag geht mit der Rechtsprechung des BGH367 davon aus, dass der Wucherer die Leistung, etwa in Form der Darlehensgewährung, aufgrund von § 817 S. 2 BGB für den im Vertrag vereinbarten Zeitraum nicht herausverlangen dürfe.368 Die Möglichkeit, den Gegenstand für die Zeit zu nutzen, in der § 817 S. 2 BGB den Herausgabeanspruch des Wucherers sperrt, sei aber ein Vorteil, den der Bewucherte in sonstiger Weise und ohne rechtlichen Grund erlangt habe und für den er deshalb Ersatz leisten müsse.369 § 817 S. 2 BGB stehe diesem Anspruch nicht entgegen, denn dieser werde auf die Nichtleistungskondiktion nicht angewendet.370 Dieser Ansatz trennt damit zwischen dem konkret durch die Leistung Erlangten, z. B. dem Eigentum an der Darlehenssumme oder dem Besitz an der Mietsache, und der sich aus § 817 S. 2 BGB ergebenden Möglichkeit, dieses für die vereinbarte Dauer zu nutzen.371 Letzteres sei nicht mehr als durch die Leistung des Wucherers erlangt anzusehen, weshalb auch der Vorrang der Leistungskondiktion der von Flume und Zimmermann angenommenen Nichtleistungskondiktion nicht im Weg steht.372
365
Medicus in: GS Dietz, 61, 74. Flume, AT II, S. 394; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 173 f. 367 Vgl. dazu oben: § 9 C. III. 1. b) Kreditwucher, S. 199 f. 368 Flume, AT II, S. 394; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 173 f. 369 Flume, AT II, S. 394; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 173 f. 370 Flume, AT II, S. 394; dies ist tatsächlich allgemein anerkannt: BGH NJW 2004, 582, 585; MüKoBGB/Schwab, 7. Aufl., § 817 Rn. 11; PWW/Prütting, 14. Aufl., § 817 Rn. 7; Erman/ Buck-Heeb, 15. Aufl., § 817 Rn. 3; Staudinger/Lorenz, (2007), § 817 Rn. 10. 371 Flume, AT II, S. 394; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 173 f. 372 Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 173 f. 366
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2. Dogmatische Kritik Der von Medicus erarbeitete Vorschlag, eine Vergütungspflicht des Bewucherten anzunehmen und damit letztlich zu einer Art Vertragsanpassung zu gelangen, lässt sich inhaltlich auf alle Arten des Wuchers anwenden und bietet damit ein Konzept zur Überwindung der kaum überzeugenden Differenzierung zwischen den verschiedenen Wucherarten.373 Sein Vorgehen begründet Medicus nachvollziehbar, auch wenn es bei genauerem Hinsehen einige (kleinere) dogmatische Ungereimtheiten aufweist. So führt die Anwendung von § 817 S. 2 BGB zwar dazu, dass der Gläubiger den Kondiktionsgegenstand nicht fordern kann. Das bedeutet aber nicht automatisch umgekehrt, dass auch dem Bereicherungsschuldner die Herausgabe verboten ist. (Rechtlich) unmöglich ist die Herausgabe dem Bereicherungsschuldner damit streng genommen nicht. Mag man darüber noch hinwegsehen, erscheint es widersprüchlich, dass § 817 S. 2 BGB die Kondiktion der konkreten Leistung ausschließt, dennoch aber über § 818 Abs. 2 BGB deren Wert geschuldet ist. Denn gemeinhin – und auch der Wortlaut von § 817 S. 2 BGB legt dies nahe – wird davon ausgegangen, dass § 817 S. 2 BGB die Rückforderung insgesamt ausschließt.374 Dennoch fügt sich diese Möglichkeit nachvollziehbar in Medicus Konzept ein und wird stringent anhand des Normzwecks von § 817 S. 2 BGB begründet. Ein Vorteil der Lösung liegt schließlich darin, dass sie mit der Ansicht der Rechtsprechung in Einklang steht, wonach gemäß § 138 BGB nichtige Verträge vollständig unwirksam sind. Der von Flume und Zimmermann gewählte Weg, die aus der Leistung folgende Nutzungsmöglichkeit von der Leistung abzutrennen und in Bezug darauf eine Bereicherung in sonstiger Weise anzunehmen, überzeugt hingegen dogmatisch nicht. Die Trennung zwischen Besitz einerseits und der daraus folgenden Nutzungsmöglichkeit andererseits wirkt befremdlich. Die Nutzungsmöglichkeit ist kein gegenüber dem Besitz zusätzlicher und eigenständiger Vorteil, sondern bereits in diesem angelegt. Sie beschreibt gewissermaßen seinen wirtschaftlichen Wert, hat aber, da die Nutzung den Besitz voraussetzt, diesem gegenüber keine Selbstständigkeit. Weil es sich insofern um denselben Vorteil handelt, können beide auch nicht gleichzeitig nebeneinander verschiedene Kondiktionsgegenstände bilden. Ihr Ansatz ist deshalb abzulehnen.
3. Inhaltliche Kritik Inhaltlich überzeugen beide Vorschläge nicht vollständig. Sie führen nämlich nur für die Situation nach Vertragserfüllung zu angemessenen Ergebnis373
Vgl. zur Kritik daran oben: § 9 C. III. Unterschiedliche Behandlung verschiedener Wucherarten, S. 198 ff. 374 BGH NJW 2014, 1805, 1805 f.; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 817 Rn. 8; Palandt/Sprau, 79. Aufl., § 817 Rn. 11 u. 19; ähnliche Bedenken äußert auch Roth, ZHR 153 (1989), 423, 429 f.
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sen. Sie geben dem Bewucherten gerade keinen Anspruch auf die Leistung und bleiben daher gewissermaßen auf halbem Weg stehen. Damit wird das selbstgesteckte Ziel, nämlich dem Bewucherten die dringend benötigte Leistung zu sichern,375 nur teilweise erreicht. Sie bieten zudem keine Grundlage für vertragliche Schutz- und Nebenpflichten376 und schneiden dem Benachteiligten dadurch etwa Gewährleistungsrechte ab. Zu Recht gehen aber alle davon aus, dass beim Wucher der Schutz des Bewucherten im Vordergrund steht oder stehen muss und dass dieser ein legitimes Interesse daran hat, die vereinbarte Leistung zu erhalten beziehungsweise nicht wieder zu verlieren. Richtig an den Überlegungen ist zudem die Erkenntnis, dass dieses Ziel nicht dadurch erreicht wird, sondern sogar konterkariert wird, dass der Bewucherte gezwungen wird, die erhaltene Leistung zurückzugeben. Für den Ansatz von Flume und Zimmermann gilt es noch den eingeschränkten Anwendungsbereich hervorzuheben, der sich auf Fälle der Nutzungsüberlassung beschränkt. Insbesondere für Kaufverträge stellt dieser keine geeignete Lösung dar.
III. Ansatz von Pawlowski 1. Darstellung Auch Pawlowski fordert eine Einschränkung der zwingenden absoluten Nichtigkeit in Fällen von §§ 134, 138 BGB und hat dazu ein äußerst differenziertes System entworfen. Zunächst einmal unterscheidet er, ob der verbotswidrige Vertrag schon erfüllt wurde oder noch nicht.377 Vor dem Leistungsaustausch seien verbotswidrige Verträge insgesamt nichtig, es sei denn das Verbot regelt nur bestimmte Modalitäten des Leistungsaustauschs, wie etwa das Ladenschlussgesetz, oder aber es dient dem Schutz des Vertragspartners.378 Letzteres führe nur dazu, dass der verbotene Teil nichtig sei, im Übrigen bleibe der Vertrag aber wirksam.379 Wurde der Leistungsaustausch schon vorgenommen, stellt sich die Situation für Pawlowski folgendermaßen dar: Dient das Verbot gerade dem Schutz eines Vertragspartners, so greift wiederum die Teilnichtigkeit ein. Das Rechtsgeschäft ist soweit gültig, wie es rechtlich zulässig ist.380 Sofern zu viel geleistet wurde, kann dies über das Bereicherungsrecht herausverlangt werden. Anders ist es, wenn das Verbot Dritte, am Rechtsgeschäft Unbeteiligte, schützen soll. Solche 375 Medicus in: GS Dietz, 61, 69 u. 74; ähnlich auch Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, S. 174. 376 So auch in Bezug auf Medicus: Damm, JZ 1986, 913, 924. 377 Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 487a; ders., JZ 1970, 506, 507. 378 Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 490 f. 379 Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 491. 380 Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 494; ders., JZ 1970, 506, 508.
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Verträge sind grundsätzlich insgesamt nichtig, es sei denn, die Parteien wollen das Geschäft auch ohne den unzulässigen Teil durchführen.381 Bei Verboten schließlich, die dem Schutz von Allgemeininteressen dienen, differenziert Pawlowski erneut. Danach sind Rechtsgeschäfte, die Ergebnisse zur Folge haben, die von der Allgemeinheit nicht hingenommen werden können, absolut nichtig.382 Dies soll immer dann der Fall sein, wenn zusätzliche Vorschriften vorsehen, dass der durch das Rechtsgeschäft geschaffene Zustand von Amts wegen beseitigt werden muss, wie etwa bei der Einziehung von Gegenständen.383 Bei Verboten hingegen, die nicht von Amts wegen verfolgt werden müssen, seien die Verträge insoweit wirksam, als sich die Parteien danach richteten, d. h. soweit die Parteien die Verträge in Kenntnis der Fehlerhaftigkeit erfüllen.384 In diesen Fällen sei die Rückforderung nach §§ 814, 817 BGB ausgeschlossen.385 Dies bezeichnet Pawlowski als „relative Nichtigkeit“.386 Wenn Pawlowksi davon spricht, solche Verträge seien „wirksam“, meint er damit aber nicht die Wirksamkeit im rechtlichen, sondern nur im tatsächlichen Sinn. Zwar schließen die §§ 814, 817 BGB die Rückabwicklung aus, sodass der Leistungsaustausch bestehen bleibt. Der dem Leistungsaustausch zugrundeliegende Vertrag ist aber dennoch nichtig. Falls aber auch nur eine der beiden Parteien bei der Erfüllung nicht wusste, dass sie gegen ein gesetzliches Verbot verstößt bzw. die Erfüllung nicht geschuldet ist, kann diese Partei die Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht verlangen, nicht aber die Partei, die die Verbotswidrigkeit kannte.387 Die Rückabwicklung müsse aber unverzüglich i. S. v. § 121 BGB verlangt werden.388
2. Dogmatische Kritik Dogmatisch überzeugen zwei Punkte – auf die Beckmann zu Recht hinweist389 – bei Pawlowskis Vorschlag nicht ganz: Zum einen, dass er bei Verboten, die den Vertragspartner schützen sollen, immer von der Nichtigkeit einzelner Teilabreden spricht390 und nicht ganz deutlich wird, ob dies auch für Fälle gilt, in denen das Verbot den ganzen Vertrag betrifft.391 381
Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 495; ders., JZ 1970, 506, 508. Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 496; ders., JZ 1970, 506, 508. Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 496; ders., JZ 1970, 506, 508; ders., Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 115 ff. u. 142 ff. 384 Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 497. 385 Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 497. 386 Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 497. 387 Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 497. 388 Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 497, wobei § 121 BGB nicht analog angewandt werden soll, sondern die zeitliche Begrenzung über § 242 BGB erfolgen soll. 389 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 266 f. 390 Vgl. Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 491 u. 494. 391 Dass Pawlowksi im letzteren Sinne zu verstehen sei, nimmt Beckmann an, vgl. ders., Nichtigkeit und Personenschutz, S. 265. 382 383
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Der andere Punkt betrifft die Art und Weise, mit der Pawlowksi feststellen will, ob ein gegen Allgemeininteressen verstoßendes Verbot die Nichtigkeit erfordert. Die Bezugnahme auf sonstige Normen wirkt zum einen relativ kompliziert und könnte zu Unsicherheit führen. Zusätzlich wird kritisiert, dass es sich dabei regelmäßig um öffentlich-rechtliche Normen handeln wird und es unzulässig sei, aus diesen zivilrechtliche Wirkungen herzuleiten.392 Diesen Bedenken Beckmanns ist aber entgegenzuhalten, dass Pawlowski diese Normen nur zur Bestimmung, wann ein geschaffener Zustand gegen das Allgemeininteresse verstößt, heranziehen möchte und aus diesen nicht unmittelbar rechtliche Wirkungen hergeleitet werden. Da aber Allgemeininteressen häufig in öffentlich-rechtlichen Normen ausgedrückt oder konkretisiert werden, erscheint ein Rückgriff auf diese naheliegend. Zudem wird gerade im Bereich der Verbotsund Sittenwidrigkeit nicht selten auf Wertungen zurückgegriffen, die sich aus der Verfassung oder sonstigem öffentlichen Recht ergeben.
3. Inhaltliche Kritik Das von Pawlowski entwickelte Konzept wird vom Prinzip geleitet, dass Verträge nur soweit nichtig sind, wie es der Grund der Nichtigkeitsanordnung gebietet. Darauf aufbauend entwickelt er ein in sich schlüssiges System. Es fragt sich lediglich, ob die von ihm auf erster Stufe vorgenomme Differenzierung zwischen noch nicht durchgeführten und bereits durchgeführten Verträgen notwendig ist oder ob die von ihm entwickelten Fallgruppen nicht unabhängig davon Geltung beanspruchen können. Zudem stellt sich neben der schon geschilderten dogmatischen Kritik die Frage, ob das von ihm zur Unterscheidung gewählte Kriterium, wann ein Verstoß gegen Allgemeininteressen zur Rückabwicklung führt und wann nicht, inhaltlich überzeugt. Hier könnte der Umstand, ob gegen den geschaffenen Zustand von Amts wegen, insbesondere durch Konfiszierung von Gegenständen, eingeschritten werden müsse, zu eng sein. Es bietet sich an, allgemeiner darauf abzustellen, ob der geschaffene Zustand an sich gegen die Rechtsordnung verstößt, unabhängig davon, ob von Amts wegen dagegen vorzugehen ist. Recht zu geben ist Pawlowski vor allem insofern, dass Verbots- oder Sittennormen ganz unterschiedlichen Zwecken dienen und dass bezüglich der Rechtsfolgen von Verstößen deshalb hinsichtlich des Schutzgutes zu differenzieren ist. Ihm ist ferner darin zuzustimmen, dass insbesondere in Fällen, in denen das Verbot individualschützenden Charakter hat, die Nichtigkeit einzuschränken ist.393
392 So 393
Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 266 f. Ebenso zustimmend: Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 266.
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IV. Beckmanns personalistisch orientierte Nichtigkeit 1. Darstellung Auch Beckmann stellt sich in seinem Werk „Nichtigkeit und Personenschutz“ gegen eine in allen Fällen geltende absolute Wirkung der Nichtigkeit. Er plädiert für eine Einschränkung, wenn die Verbots- oder Nichtigkeitsvorschrift den Individualschutz einer der am Rechtsgeschäft beteiligten Personen bezweckt.394 In diesen Fällen soll allein dem durch die Nichtigkeitsnorm Geschützten die Geltendmachung der Nichtigkeit anvertraut werden. Er darf wählen, ob das Rechtsgeschäft trotz Verstoßes gelten soll oder nicht.395 Diese Möglichkeit sieht Beckmann ausdrücklich als Alles-oder-Nichts-Prinzip an.396 Die Wahl besteht daher grundsätzlich zwischen voller Wirksamkeit oder vollständiger Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, nicht aber dessen Anpassung. Beckmann erkennt allerdings, dass für die Fälle, in denen die Nichtigkeit aus einem unzulässigen Übermaß einer Verpflichtung resultiert, dem zu Schützenden mit der Wahl zwischen Wirksamkeit und Gesamtnichtigkeit nicht effektiv geholfen würde.397 Deshalb macht er für diese Konstellation eine Ausnahme, um einen wirksamen Schutz des übermäßig Gebundenen sicherzustellen. Dieser hat daher noch eine dritte Möglichkeit, nämlich die Wahl, den Vertrag mit angepasstem, zulässigem Inhalt aufrechtzuerhalten.398 Wenn es nämlich darum ginge, den Geschützten vor übermäßigen Verpflichtungen zu bewahren, entspreche es am ehesten dem Schutzzweck, diesem die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag zu belassen, soweit dieser zulässig ist.399 Diese dritte Möglichkeit räumt Beckmann explizit sowohl bei einer Nichtigkeit nach § 134 BGB als auch nach § 138 BGB ein.400 Dabei versteht er die Reduktion dogmatisch als eine Art „Minus“ gegenüber der Wahl zwischen Wirksamkeit und Nichtigkeit, sodass diese Möglichkeit dem Geschützten „erst recht“ zustehen müsse.401 Weiter stellt auch Beckmann sich die daran anschließende Frage, auf welches Maß eine etwaige Anpassung erfolgen soll. Hier möchte er eine Anpassung auf den gerade noch zulässigen Inhalt und nicht auf den marktgerechten Preis bzw. die übliche Laufzeit etc. vornehmen.402 Zwar ist er der Ansicht, dass eine Anpassung auf den üblichen Preis den Interessen der benachteiligten Partei noch mehr entsprechen würde.403 Dafür fehle jedoch die notwendige dogma394 395
Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 276 ff. Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 278. 396 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 278. 397 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 279 ff., insb. 281 f. 398 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 279 ff. u. 335 f. 399 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 281. 400 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 279 ff. 401 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 281. 402 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 282 f. 403 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 283.
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tische Grundlage, weil Übermaßverbote allein den Schutz vor dem Übermaß bezweckten und eine darüberhinausgehende Anpassung somit nicht mehr vom Schutzzweck gedeckt sei.404 Schließlich setzt sich Beckmann sehr ausführlich mit der dogmatischen Einordnung seines Konzepts auseinander.405 Nachdem er zahlreiche Möglichkeiten, wie etwa eine analoge Anwendung der Anfechtungsregeln oder der Rücktritts- und Kündigungsvorschriften, verworfen hat, geht er schließlich von einer Nichtigkeit sui generis aus.406 Das gewünschte Ergebnis, die Nichtigkeit zur Disposition des Geschützten zu stellen, möchte er mittels eines Verzichts erreichen. Danach sei das konkrete Rechtsgeschäft ipso iure nichtig, die zu schützende Partei könne aber auf die Nichtigkeit verzichten.407 Tut sie dies, werde das Rechtsgeschäft vollständig wirksam.408 Dogmatisch wird die Möglichkeit des Verzichts nicht durch eine Übertragung sonstiger Verzichtsregelungen erreicht, sondern unmittelbar durch die Auslegung der entsprechenden Nichtigkeitsvorschrift selbst.409
2. Dogmatische Kritik Positiv hervorzuheben sind die ausführlichen dogmatischen Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Möglichkeiten zur Umsetzung der personalistisch intendierten Nichtigkeit. Die schlussendlich von Beckmann gewählte Lösung über den Verzicht überzeugt indes nur teilweise. Es erscheint nämlich logisch zweifelhaft, wie ein an sich nichtiges Rechtsgeschäft durch einen Verzicht wirksam werden kann. Ein Verzicht wirkt nämlich allgemein nicht in der Form, dass er unmittelbar positiv Rechte begründet. Er wirkt im Gegenteil beschränkend. Dem Berechtigten steht eine bestimmte Befugnis zu, die er freiwillig aufgibt, indem er auf sie verzichtet. Soll durch eine Willenserklärung das nichtige Rechtsgeschäft Wirksamkeit erlangen, läge eine Rechtsfigur wie die Genehmigung näher. Der Ansatz über den Verzicht könnte allenfalls dann passen, wenn das Rechtsgeschäft zunächst wirksam statt nichtig wäre und vom Geschützten bloß vernichtet werden könnte. Dann würde ein Verzicht selbst zwar auch nicht die unmittelbare Ursache für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts an sich sein. Er würde aber die Wirksamkeit endgültig und dauerhaft herbeiführen, weil die Möglichkeit der Vernichtbarkeit durch den Verzicht des Berechtigten entfiele.
404 405
Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 283. Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 401 ff. 406 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 430 ff. 407 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 434 ff. 408 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 444. 409 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 444.
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3. Inhaltliche Kritik Die vorgeschlagene Einschränkung der Nichtigkeit für die Fälle, in denen diese aus Gründen des Individualschutzes angeordnet wird, überzeugt inhaltlich. Die rechtspolitischen Erwägungen, die Beckmann zur Begründung vorträgt, sind nachvollziehbar und in sich schlüssig. Besonders gilt dies für die Fälle des Übermaßes, in denen Beckmann zu Recht erkennt, dass dem zu Schützenden hier mit einer Wahl zwischen Gesamtnichtigkeit und Wirksamkeit oft nicht geholfen ist. Man kann sich allerdings fragen, ob Beckmanns Beschränkung des Wahlrechts auf Fälle des Übermaßes gegebenenfalls zu eng ist und man es nicht generell auch demjenigen zugestehen sollte, der durch eine unwirksame Vertragsbestimmung einseitig belastet wird. Dafür spricht, dass es wirtschaftlich oft kaum einen Unterschied macht, ob eine Klausel aufgenommen wird, die einen Teil verbotswidrig zulasten des Vertragspartners begünstigt, oder ob stattdessen das Entgelt entsprechend (unzulässig) überhöht wird.
V. Quantitative Teilnichtigkeit gemäß § 139 BGB. 1. Darstellung Eine weitere Möglichkeit, die Gesamtnichtigkeit zu verhindern, besteht darin, die Entgeltabrede in zwei Teile zu zerlegen: einen in Höhe des zulässigen oder angemessenen Entgelts und einen in Höhe des überhöhten Entgelts. Nichtig ist nach § 138 BGB zunächst nur der überhöhte Teil und die Wirksamkeit des restlichen Vertrages hängt gemäß § 139 BGB vom (hypothetischen) Parteiwillen ab. Dies entspricht etwa der Rechtsprechung zu Verträgen mit überlanger Dauer.410 Zu einer Teilnichtigkeit nach § 139 BGB und damit im Ergebnis zu einer Vertragsanpassung kommt es, wenn der übereinstimmende Parteiwille auf die Teilnichtigkeit gerichtet ist. Zur (Gesamt-)Nichtigkeit kommt es bereits immer dann, wenn bloß eine Partei die Gesamtnichtigkeit vorzieht. Weil die Parteien sich meist keine Gedanken darüber machen, unter welchen Umständen der Vertrag im Fall der Nichtigkeit fortbestehen soll, wird sich ein tatsächlicher Wille in der Regel nicht feststellen lassen. Dann entscheidet der hypothetische Parteiwille.411 Das setzt allerdings voraus, dass § 139 BGB auf Fälle der quantitativen Teilnichtigkeit überhaupt anwendbar ist.
410 411
Vgl. dazu oben: A. II. 1. Fälle überlanger zeitlicher Bindung, S. 372 ff. Vgl. dazu unten: § 15 C. II. 3. Anwendung von § 139 BGB, S. 424 ff.
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2. Dogmatische Kritik a) Ansicht der h. M. zur Teilbarkeit Die Teilbarkeit unzulässig überhöhter Entgelte wird allgemein von der Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Literatur abgelehnt.412 Das Hauptargument ist, dass die Entgeltabrede eine einheitliche Regelung sei, die sich nicht teilen lasse.413 Nach diesem Verständnis bezieht sich § 139 BGB grundsätzlich auf solche Fälle, in denen eine von mehreren nebeneinander stehenden Abreden nichtig ist und nicht darauf, dass eine einzelne Bestimmung nur teilweise fehlerhaft ist.414 Zudem wird argumentiert, die Anwendung von § 139 BGB stelle einen unzulässigen richterlichen Eingriff in den Vertrag dar, weil die Bestimmung des Äquivalenzverhältnisses allein Angelegenheit der Vertragsparteien sei und dem Richter ein festes Maß für die Bestimmung der Teilnichtigkeit fehle.415 Daher wird, wenn mehrere Möglichkeiten bestehen, wie die Vertragsparteien sich bei Kenntnis der Nichtigkeit verhalten hätten, die Möglichkeit der Aufrechterhaltung des Vertrages über § 139 BGB verneint. Schließlich wird auch hier wiederum der Präventionsgedanke zur Begründung der Ablehnung bemüht.416 Nach der herrschenden Auffassung ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts i. S. v. § 139 BGB also zwar eine einzelne Vertragsbestimmung (hier die Entgeltabrede), nicht aber ein Teil einer Vertragsbestimmung (hier der Teil der Entgeltabrede, der das zulässige Maß überschreitet).
b) Bewertung Absolut zwingend und eindeutig, wie es die herrschende Meinung darstellt, ist dieses Verständnis von § 139 BGB allerdings nicht. Die von ihr vorgebrachten Argumente zur mangelnden Teilbarkeit sollen daher einer genauen Würdigung unterzogen werden. Dabei darf die Frage nach der Teilbarkeit der Entgeltabrede nicht mit anderen Gesichtspunkten vermengt werden, wie es bei der h. M. oft der Fall ist, wenn sie etwa die Frage der Zulässigkeit richterlicher 412 Vgl. dazu oben: § 7 D. I. Teilnichtigkeit nach § 139 BGB, S. 59 f. und insb. Kapitel 2 Fn. 67 und Fn. 70. 413 Vgl. für Nachweise Kapitel 2 Fn. 68 und Fn. 71. 414 Selbst wenn man dies annähme, so könnte daran gedacht werden die Vorschrift analog anzuwenden, vgl. Spiro, ZBJV 1952, 449, 457. Tatsächlich wird dies sogar von einigen Autoren, die die Teilnichtigkeit bei Äquivalenzstörungen ablehnen, für andere Vertragsklauseln vorgeschlagen, vgl. Petersen, Jura 2010, 419, 420. 415 Petersen, Jura 2010, 419, 420; Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 298; Medicus/ Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 505; Zimmermann, JR 1982, 96, 97; zustimmend in dem Punkt, dass der Kaufpreis sich nicht normativ ermitteln lasse und deshalb wucherische Kaufverträge total nichtig sind, Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 139 Rn. 8. Widersprüchlich erscheint dies insofern, als dass Mansel gleichzeitig davon ausgeht, der Mietzins könne normativ festgestellt werden, Mansel, a. a. O; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 47. 416 BGH NJW 2009, 1135, 1136 f.; NJW 2001, 815, 817 f.; MüKoBGB/Busche, 8. Aufl., § 139 Rn. 27; Petersen, Jura 2010, 419, 420.
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Vertragsgestaltung oder der Prävention als Argumente für die fehlende Teilbarkeit heranzieht.417 Beide Argumente mögen zwar gegen die Anwendung von § 139 BGB auf überhöhte Leistungen sprechen,418 berühren aber die Frage der Teilbarkeit nur am Rande.419
aa) Wortlaut Der Wortlaut des § 139 BGB ist offen formuliert und zwingt nicht zu einer Auslegung, wie sie die herrschende Meinung vornimmt. Er enthält gerade keine Präzisierung über die Art und den Umfang der Nichtigkeit. Er lässt sich ebenso interpretieren, dass die teilweise Nichtigkeit einer einzigen Klausel erfasst ist und zwar auch dann, wenn es sich dabei um eine Hauptleistungspflicht handelt. Dafür spricht zudem folgende Überlegung: wenn die Entgeltabrede ein Teil des Rechtsgeschäfts ist und der überhöhte Teil des Entgelts ein Teil der Entgeltabrede ist, ist auch der überhöhte Teil der Entgeltabrede gleichzeitig ein Teil des Rechtsgeschäftes.420 Vor allem zerlegt der Richter bei der Festlegung, wie weit das vereinbarte Entgelt den Marktpreis überschreitet, dieses bereits in zwei Teile, was zeigt, dass die Zerlegung gerade nicht an der fehlenden Teilbarkeit scheitern kann.421
bb) Systematik Wenn der Wortlaut das Ergebnis nicht vorwegnimmt, sondern eine andere Auslegung zulässt, fragt sich, ob die weiteren Gründe, auf die sich die herrschende Meinung in Deutschland stützt, die Ablehnung tragen können. Das Argument, es fehle bei der möglichen Teilnichtigkeit der Entgeltabrede ein festes Maß als Orientierung, vermag aus zweierlei Gründen nicht zu überzeugen. Zum einen setzt der BGH sich damit in Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsprechung. Das gilt besonders für die Entscheidungen zu überlangen Laufzeiten.422 Hier fehlt ebenso, man möchte sogar sagen erst recht, ein Maßstab für eine etwaige Anpassung.423 Es ist daher widersprüchlich, dass die unterschiedlichen Fälle 417
So zu Recht: Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 402. Nach hier vertretener Auffassung tut sie dies allerdings nicht. Vgl. zur Frage der Prävention oben: § 9 B. I. Die intendierte Präventionswirkung des § 138 BGB, S. 181 ff. und zur Zulässigkeit richterlicher Vertragsgestaltung oben: § 9 B. II. Richterlicher Eingriff, S. 187 ff. sowie insb. § 13 C. II. Privatautonomie und Bedenken bezüglich richterlicher Moderation, S. 328 ff. 419 Nämlich allenfalls soweit es um das fehlende Maß zur Reduktion geht. Dazu, dass ein solches aber in Fällen der überhöhten Leistungen durchaus existiert, vgl. oben: § 13 F. II. Anpassung auf das angemessene Maß, S. 355 ff. 420 Dagegen ausdrücklich: Zimmermann, JR 1982, 96, 96. 421 So auch zum Kreditwucher: Bürge, Rechtsdogmatik und Wirtschaft, S. 84. 422 Vgl. dazu bereits oben: A. II. 1. Fälle überlanger zeitlicher Bindung, S. 372 ff. 423 Vgl. zur Kritik ebenfalls oben: A. II. 1. Fälle überlanger zeitlicher Bindung, S. 372 ff., insb. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 287. 418
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der quantitativen Teilnichtigkeit uneinheitlich behandelt werden und diese gerade bei der zeitlichen Teilbarkeit für zulässig gehalten wird. Noch evidenter ist der Widerspruch zum Umgang des BGH mit dem Mietwucher. Hier lässt er eine bloße Teilnichtigkeit zu und problematisiert die angeblich in den sonstigen Fällen der Äquivalenzstörung fehlende Teilbarkeit überhaupt nicht.424 Zwar wird in § 5 WiStG eine Grenze genannt, die zur Orientierung herangezogen werden kann. Zumindest in den Fällen, in denen der BGH die Nichtigkeit allein aus dem Missverhältnis ableitet, besteht aber eine vergleichbare Konstellation. Schließlich besteht bei überhöhten Entgelten mit dem Marktpreis stets eine feste Orientierungsgröße im Einzelfall, es sei denn, für die betreffende Leistung besteht kein Markt. Dieser Maßstab ist dem Richter auch jeweils bekannt, denn er benötigt ihn bereits zur Bestimmung, ob ein Entgelt unzulässig überhöht ist. Die Feststellung durch den Richter wäre also keineswegs eine willkürliche Wahl zwischen unzähligen Alternativen und darüber hinaus dem Richter auch nicht fremd, da er in zahlreichen Fällen vom Gesetz mit der Festlegung des Wertes einer Leistung betraut wird.425
cc) Fazit Letztlich bleibt zu konstatieren, dass sich die herrschende Meinung argumentativ im Kreis dreht, da sie auf der Prämisse aufbaut, die Leistung sei nicht teilbar, dies aber im Grunde nicht mehr als eine bloße Behauptung ist. Dieses Verständnis ist zwar nicht völlig beliebig, nur eben nicht zwingend. Selbstverständlich lässt sich darüber streiten, ob eine bloße Teilnichtigkeit in diesen Fällen sinnvoll ist und inwiefern sie dem Parteiwillen entspricht. Genauso eindeutig lässt sich aber rein arithmetisch eine zu hohe Hauptleistungspflicht teilen und lässt auch der Wortlaut des § 139 BGB dies zu. Inwiefern das dann konstruktiv ist, soll gerade durch die Anwendung von § 139 BGB geklärt werden. Hier werden durch die Bindung an den hypothetischen Parteiwillen die Interessen der Parteien am wirtschaftlichen Gleichgewicht der Leistungen angemessen berücksichtigt.426 Darüber hinaus geht es in den Fällen von § 138 BGB auch fehl, die Teilbarkeit deshalb zu verneinen, weil dadurch das von den Parteien vereinbarte Austauschverhältnis gestört wird,427 denn gerade das vereinbarte Austauschverhältnis wird für rechtlich unzulässig erklärt. Zudem beeinflussen nicht nur die Entgeltabrede, sondern alle vertraglichen Abreden und Klauseln zumindest 424
Vgl. dazu bereits oben: § 9 C. III. 1. a) Mietwucher, S. 198 f. Vgl. dazu schon oben: § 13 F. II. Anpassung auf das angemessene Maß, S. 355 ff. 426 Zu Recht: Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 175. 427 So aber die Autoren in Kapitel 4 Fn. 415. 425
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mittelbar das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung.428 Konsequenterweise dürfte § 139 BGB dann so gut wie nie zur Anwendung gelangen. Als Ergebnis ist daher festhalten, dass sich auch der übermäßige Umfang einer Leistungspflicht grundsätzlich aufteilen lässt, wenn es sich dabei um das Entgelt handelt.429
c) § 139 BGB als nur zweite Stufe Auch wenn die fehlende Teilbarkeit einer Anwendung von § 139 BGB auf sämtliche Fälle der quantitativen Teilnichtigkeit nicht entgegensteht, ist eine Lösung allein über § 139 BGB aus einem anderen Grund nicht möglich. § 139 BGB sagt nämlich über die Frage, wann ein Verbot zur Teilnichtigkeit führt, wann aber zur Gesamtnichtigkeit nichts aus. Er setzt vielmehr voraus, dass nur ein Teil des betreffenden Rechtsgeschäfts nichtig ist und widmet sich der daran anschließenden Frage, ob es als Folge dieses Umstands bei der Teilnichtigkeit bleibt oder diese zur Gesamtnichtigkeit führt.430 § 139 BGB ist damit erst auf einer möglichen zweiten Stufe einschlägig. Die Frage, ob ein Gesetzes- oder Sittenverstoß zur Gesamt- oder Teilnichtigkeit führt, muss daher eine Ebene vorher im Rahmen der §§ 134, 138 BGB geklärt werden.431
3. Inhaltliche Kritik Der Ansatz über § 139 BGB und der quantitativen Teilnichtigkeit zu angemessenen Ergebnissen zu gelangen, ist im Ausgangspunkt durchaus überzeugend. Probleme entstehen aber bei der (uneingeschränkten) Anwendung von § 139 BGB.
a) Nichtigkeit aufgrund einseitig pflichtwidrigen Vorverhaltens Schwierigkeiten ergeben sich beim Wucher und allgemein in Fällen, in denen die Nichtigkeit eines Teils des Rechtsgschäfts daraus resultiert, dass sich eine Partei in unzulässiger Art und Weise zulasten des Vertragspartners Vorteile eingeräumt hat, die sie nun verlieren soll. Der Wille der durch eine Regelung begünstigten Partei wird nämlich häufig nicht auf eine Teilnichtigkeit zu ihren 428 Dieser Umstand findet viel zu selten Beachtung. Ebenso darauf hinweisend: Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 182; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 148. 429 So auch: Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 402; Medicus in: GS Dietz, 61, 65; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 148; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1. Aufl., S. 219 f.; vgl. insb. auch die Motive, in denen von der Ausnahme der Nichtigkeit gesprochen wird, wenn das Verbotsgesetz nur einen Teil betrifft, und die dabei ausdrücklich auf das Wuchergesetz von 1880 Bezug nehmen, Mugdan I, S. 468. 430 Zu Recht Ulmer, NJW 1981, 2025, 2028. 431 Richtig: Ulmer, NJW 1981, 2025, 2028; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 46; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, S. 183.
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Lasten gerichtet sein, sondern stattdessen auf die Gesamtnichtigkeit. Wenn solche Verträge aber regelmäßig insgesamt nichtig wären, weil die begünstigte Partei den Vertrag nur mit der unzulässigen Regelung, sonst aber gar nicht geschlossen hätte, würde dies dem Schutz des geschädigten Vertragspartners entgegenlaufen.432 Die begünstigte Partei hätte wenig zu befürchten. Es stellt sich deshalb die Frage, ob man i. R. v. § 139 BGB den Willen des aufgrund seines eigenen pflichtwidrigen Verhaltens Begünstigten für unbeachtlich erklären kann. In diese Richtung geht das österreichische Recht, indem es im Bereich des Wuchers (und allgemein bei verbots- und sittenwidrigen Verträgen) nicht den hypothetischen Willen des Wucherers, sondern den Zweck der Verbotsnorm über die Frage der Teil- oder Gesamtnichtigkeit entscheiden lässt.433 Auch in der deutschen Literatur zu § 139 BGB finden sich Stimmen, die davon ausgehen, dass in solchen Fällen nicht der Parteiwille, sondern der Schutzzweck der Norm über die Frage von Gesamt- oder Teilnichtigkeit entscheide.434 Auf diese Weise könnte zu einer Anpassung des Vertrages gelangt werden. Die Vorschläge in der Literatur gehen allerdings regelmäßig davon aus, dass § 139 BGB in diesen Konstellationen ganz unangewendet bleibt. Dies kann man durchaus so sehen, damit gehören sie aber genau genommen in die Gruppe derjenigen, die einen Normzweckvorbehalt für § 138 BGB befürworten.435 Man muss aber gar nicht so weit gehen und § 139 BGB gänzlich unangewendet lassen. Es genügt, wenn man ihn soweit einschränkt, wie ein Wille dem Schutzzweck der Norm widerspricht, die die Nichtigkeit begründet. So verbleibt § 139 BGB ein sinnvoller Anwendungsbereich. Für den Wucher würde dies bedeuten, dass zwar der Wille des Wucherers unbeachtlich wäre. § 139 BGB könnte aber weiterhin anwendbar bleiben und zwar in der Form, dass allein der (hypothetische) Wille des Bewucherten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses über die Frage der Teil- oder Gesamtnichtigkeit entscheidet.436
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In die Richtung ebenfalls: Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 32. dazu oben: § 11 A. III. Teil- oder Gesamtnichtigkeit, S. 244 ff. und Kapitel 3 Fn. 171. 434 Canaris in: FS Steindorff, 519, 539; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 107 ff.; Ulmer in: FS Steindorff, 799, 807; Neumann, Geltungserhaltende Reduktion, S. 48 f.; Lieb/Hönn, AcP 183 (1983), 327, 368; Jauernig/Mansel, 17. Aufl., § 139 Rn. 14; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 139 Rn. 3; zumindest sympathisierend damit: HKK‑BGB/Dorn, §§ 139–141 Rn. 7; Leipold, BGB AT, 10. Aufl., § 21 Rn. 9. 435 Vgl. dazu sogleich: VI. Der Normzweckvorbehalt, S. 402 ff. 436 Was aber nicht der hier unter § 13 entwickelten Lösung entspricht, sodass zur Umsetzung dieser Lösung § 139 BGB in Fällen des Wuchers gar keine Anwendung findet, d. h. vollständig teleologisch reduziert wird, vgl. dazu unten § 15 C. I. Wucher, S. 422. 433 Vgl.
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b) Nichtigkeit ohne pflichtwidriges Vorverhalten aa) Wille des pflichtwidrig handelnden Begünstigten Für Fälle, in denen die Nichtigkeit nicht auf einem pflichtwidrigen Vorverhalten der begünstigten Partei beruht, kann Vorheriges hingegen im Ergebnis nicht gelten. So verhält es sich bei der Läsion. Hier ist der Wille des Begünstigten schutzwürdig und deshalb zu beachten.437 Dieser kann grob gefasst drei verschiedene Inhalte haben: das Geschäft mit dem jetzigen Inhalt aufrechtzuerhalten, es mit angepasstem Inhalt zu erhalten oder dass der Vertrag ganz nichtig ist. Dabei kann allein der Wille, den Vertrag zu den bestehenden Konditionen aufrechtzuerhalten, keine Beachtung finden. Wenn nämlich eine bestimmte Regelung rechtlich nicht zulässig ist, wie etwa bei der Läsion der überhöhte Preis, so ist ein darauf gerichteter Wille zwar nicht unmöglich. Man kann ihn aber rechtlich nicht anerkennen, weshalb er i. R. v. § 139 BGB als unbeachtlich anzusehen ist, denn er widerspräche dem Schutzzweck der Norm.438 Anders als beim Wucher kann man bei der Läsion aber nicht sagen, dass der Wille des Begünstigten, dann lieber gar nicht zu kontrahieren, unbeachtlich ist. Diesen Willen kann man nämlich kaum als illegitim bezeichnen, denn ein Kontrahierungszwang besteht grundsätzlich nicht.439 Es bleiben somit zwei Alternativen übrig: einmal der Abschluss des Geschäfts mit reduziertem Inhalt und einmal die Totalnichtigkeit, das heißt die Abstandnahme vom Vertragsschluss.440 Es käme damit auf den Einzelfall an. Der Richter muss dann feststellen, welcher Wille beim Begünstigten und beim Benachteiligten vorlag.
bb) Wille des Benachteiligten Auch der Wille desjenigen, der durch die Teilnichtigkeit profitiert, bedarf aber der Einschränkung und zwar wenn er die Gesamtnichtigkeit statt der Teilnichtigkeit präferiert. Dies würde nämlich bei uneingeschränkter Anwendung von § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit führen, auch wenn der ursprünglich Begünstigte, durch die Teilnichtigkeit aber Belastete, die teilweise Aufrechterhaltung präferiert. Ein solches Ergebnis gilt es zu verhindern.441 Wenn nämlich die Anpassung zugunsten des ursprünglich Benachteiligten vorgenommen wird, hat 437 Vgl. dazu bereits oben: § 13 A. I. 1. Differenzierung zwischen Wucher und Läsion, S. 313 ff. 438 Dies deckt sich mit der Ansicht derer, die davon ausgehen, dass der Wille nur zu einem wucherischen Preis abzuschließen, nicht zu beachten ist, vgl. Medicus in: GS Dietz, 61, 65; Roth, JZ 1989, 411, 416; Ulmer in: FS Steindorff, 799, 807; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 182; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 220. 439 So zu Recht schon Herzog, Quantitative Teilnichtigkeit, S. 156. 440 Ebenso Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 133, der für die Beantwortung dieser Frage auf den hypothetischen Parteiwillen abstellen möchte. 441 Vgl. oben: § 13 D. II. 2. a) Inhaber des Anpassungsrechts, S. 342.
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dieser kein legitimes Interesse daran, trotz Teilnichtigkeit die Gesamtnichtigkeit zu wollen. Sofern er sich unter Berufung auf seinen auf Gesamtnichtigkeit gerichteten Willen vom Vertrag lösen will, ist ihm dies zu verwehren, denn ein solches Verhalten ist als treuwidrig anzusehen.442 Weil die Teilnichtigkeit zu seinen Gunsten wirkt, steht er besser als er es nach dem ursprünglich geschlossenen Vertrag täte. Genau aus diesem Grund wird er aber ohnehin regelmäßig mit der Teilnichtigkeit einverstanden sein, sodass diese Situation praktisch kaum auftreten wird. Vor allem weil i. R. v. § 139 BGB der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich ist. Hat der durch die Teilnichtigkeit Begünstigte den Vertrag schon mit der unwirksamen Bestimmung geschlossen, hätte er ihn grundsätzlich auch ohne diese, ihn benachteiligende Regelung geschlossen.443 Damit hängt praktisch die Frage der Gesamt- oder Teilnichtigkeit allein vom Willen des ursprünglich Begünstigten ab.
c) Fazit Über § 139 BGB lassen sich also sinnvolle Ergebnisse erreichen. Dies gilt allerdings nur unter Zugrundelegung der soeben dargestellten Einschränkungen von § 139 BGB. Eine Lösung allein über § 139 BGB ist dogmatisch allerdings nicht möglich, da dieser eine Beschränkung der absoluten Nichtigkeit nicht begründet, sondern bereits voraussetzt.
VI. Der Normzweckvorbehalt 1. Darstellung Der wohl prominenteste Vorschlag zur Einschränkung der absoluten Nichtigkeit als Rechtsfolge von § 138 BGB ist in Anlehnung an § 134 BGB der Normzweckvorbehalt. Hierbei wird die Reichweite der von § 138 BGB angeordneten Nichtigkeit vom Zweck der verletzten Sittennorm abhängig gemacht.444 Die 442
Dies ist weitgehend allg. Meinung, vgl.: BGH NJW 2009, 1135, 1137; NJW‑RR 1997, 684, 686; NJW 1993, 1587, 1589 m. w. N.; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 56 Rn. 31; Flume, AT II, S. 586 ff.; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 139 Rn. 24. 443 Dies trifft grundsätzlich auch auf die Fälle des Wuchers zu. Der Umstand, dass dieses Argument nur bei der Läsion, nicht beim Wucher Beachtung verdient, liegt in den schutzwürdigen Belangen des Begünstigten. Vgl. insgesamt dazu oben: § 13 D. Anpassungsrecht des Benachteiligten oder Wahlrecht des Bevorteilten, S. 338 ff. 444 Dafür ausdrücklich Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 157 ff. u. 171; Sack, wrp 1985, 1, 12 f.; Spiro, ZBJV 1952, 449, 460, 497, 528 f.; Kohte, NJW 1982, 2803, 2805; Damm, JZ 1986, 913, 919; AK‑BGB/Damm, § 138 Rn. 90; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 90, 169 ff.; Rühle, Das Wucherverbot, S. 66 ff.; sympathisierend offenbar auch Staudinger/Looschelders/Olzen, (2019), § 242 Rn. 495; Honsell, JA 1986, 573, 576; nicht abgeneigt auch: MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 161, der jedoch gerade im Bereich der Äquivalenzstörungen einer teleologischen Reduktion ablehnend
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Gesamtnichtigkeit soll danach nicht mehr grundsätzlich bei jedem sittenwidrigen Rechtsgeschäft einschlägig sein, sondern nur dann, wenn die verletzte Sitten- bzw. Verbotsnorm dies auch verlangt. Lässt sich deren Zweck auch mit einer bloßen Teilnichtigkeit erreichen, ist statt Gesamt- nur Teilnichtigkeit anzunehmen.445 Dahinter steckt der Gedanke, dass die Anwendung einer Norm nicht zu Ergebnissen führen dürfe, die ihrem Schutzzweck widersprechen.446 Deshalb dürfe auch die Nichtigkeit nicht weiter reichen, als es in Hinblick auf den Schutzzweck der konkret verletzten Sittennorm notwendig sei. Dies erinnert an die Abgrenzung zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit, wie sie aus dem österreichischen Recht bekannt ist.447 Dogmatisch wird der Normzweckvorbehalt zumeist – wenn die Frage überhaupt angesprochen wird – auf eine teleologische Reduktion von § 138 BGB gestützt.448 § 138 Abs. 1 BGB wäre danach folgendermaßen zu lesen: Ein sittenwidriges Rechtsgeschäft ist nichtig, soweit dies dem Schutzzweck der verletzten Sittennorm entspricht. Alternativ ließe sich dieses Ergebnis auch mit einer analogen Anwendung von § 134 Hs. 2 BGB begründen.
2. Dogmatische Kritik Auf den ersten Blick scheint es nicht ohne Weiteres möglich, die klare Rechtsfolgenanordnung des § 138 BGB unter einen Normzweckvorbehalt zu stellen. Angesichts des unterschiedlichen Wortlauts von § 134 BGB und § 138 BGB liegt eine Übertragung des Normzweckvorbehalts aus § 134 BGB eher fern. Zwar lässt sich eine Parallele zwischen den Vorschriften nicht leugnen.449 Gerade der unterschiedliche Wortlaut spricht zunächst aber für eine bewusste gegenüber steht; Klappstein in Privatautonomie und ihre Grenzen im Wandel, S. 314 f.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 396 f.; Thoß, KTS 2003, 187, 199 ff.; ebenso, jedoch nicht als allgemeines Prinzip, sondern nur in Einzelfällen Krampe, AcP 194 (1994), 1, 30 ff.; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1. Aufl., S. 218 ff., für sittenwidrige Darlehensverträge; letztlich auch hier einzuordnen: Ulmer in: FS Steindorff, 799, 807 u. 809; wohl auch H. Hübner in: FS Wieacker, 399, 405; Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 276 ff.; Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 487 ff.; Lindacher, AcP 173 (1973), 123, 131; Hacker, ZfPW 2019, 148, 195. 445 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 157 m. w. N. 446 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 261 ff.; in diese Richtung auch: Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 90, 151 u. 187; Honsell in: FS Giger, 287, 295 f., der dies jedoch nur bei Dauerschuldverhältnissen mit einem sozialen Einschlag und ausdrücklich nicht bei sog. Zielschuldverhältnissen, d. h. insbesondere dem Kaufvertrag, anwenden möchte; ebenso Köhler, BGB AT, 42. Aufl., § 13 Rn. 38. 447 Vgl. dazu oben: § 11 A. II. Der Nichtigkeitsbegriff in Österreich, S. 241 ff. 448 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 159 ff.; Honsell, JA 1986, 573, 576; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 161; Klappstein in Privatautonomie und ihre Grenzen im Wandel, S. 314 f.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 396 f.; Lindacher, AcP 173 (1973), 123, 131; Thoß, KTS 2003, 187, 199 ff. 449 Vgl. dazu unten: b) Normzwecke von § 134 BGB und § 138 BGB, S. 405 ff., c) Systematik, S. 408 ff. und d) Rechtshistorisches Argument, S. 410 f.
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Entscheidung des Gesetzgebers, bei § 138 BGB auf die Möglichkeit der Einschränkbarkeit der Rechtsfolge zu verzichten. Der BGH hat eine Übertragung des Normzweckvorbehalts unter Berufung auf den unterschiedlichen Wortlaut von § 138 BGB einerseits und § 134 BGB andererseits daher bereits früh abgelehnt450 und auch in der Literatur werden Zweifel an der Zulässigkeit geäußert451.
a) Der Wortlaut Der unterschiedliche Wortlaut der beiden Vorschriften steht einer Übertragung aber nur scheinbar entgegen. Zum einen ist es gerade das Wesen einer teleologischen Reduktion, eine im Wortlaut zu weit gefasste Norm auf das richtige Maß zu beschränken.452 Zumal es, wie bereits beschrieben453, keineswegs zwingend ist, den Wortlaut von § 134 Hs. 2 BGB dahingehend zu verstehen, dass er es ermöglicht, zwischen Teil- und Gesamtnichtigkeit des Vertrages zu differenzieren. Insofern verliert bereits der Verweis auf den unterschiedlichen Wortlaut von § 134 BGB und § 138 BGB als Argument an Gewicht. Dies wird bestärkt durch einen rechtsvergleichenden Blick, denn sowohl das Schweizerische als auch österreichische Recht machen die Reichweite der Nichtigkeit eines Gesetzes- und Sittenverstoßes vom jeweiligen Verbotszweck abhängig, ohne dass der Gesetzeswortlaut jeweils einen diesbezüglichen Hinweis enthielte.454 Zum anderen wird besonders bei einem Vergleich mit dem Deliktsrecht deutlich, dass allein das Fehlen eines Normzweckvorbehalts im Wortlaut nicht zwangsläufig für dessen Ablehnung spricht. Auch bei den deliktischen Vorschriften der §§ 823 ff. BGB enthält nämlich lediglich § 823 Abs. 2 BGB einen ausdrücklich normierten Norm- beziehungsweise Schutzzweckvorbehalt.455 450 BGH NJW 1958, 1772; vgl. aus jüngerer Zeit BGH NJW 2000, 1186, 1187, der ebenfalls auf den unterschiedlichen Wortlaut von § 134 BGB einerseits und 138 BGB andererseits abstellt. 451 Ablehnend aufgrund des Wortlautes: Reifner, JZ 1984, 637, 639: „unüberwindbare Schranke“; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 65; Neumann, Geltungserhaltende Reduktion, S. 47; wohl auch PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 40; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 161; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT II, § 192 S. 1179 in Fn. 20, der zwar dem Bewucherten ein Anfechtungsrecht geben will und auch die Möglichkeit, das Rechtsgeschäft zu angemessenen Bedingungen aufrechtzuerhalten, befürwortet, dazu aber von der Notwendigkeit einer Gesetzesänderung auszugehen scheint. Bedenken äußert ebenfalls: Honsell, ZHR 148, 298, 299, der jedoch im Ergebnis dennoch teleologische Einschränkungen in bestimmten Bereichen akzeptiert. 452 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 158; Thoß, KTS 2003, 187, 200; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl., Rn. 902 f.; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 135; F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 480 f.; Danwerth, ZfPW 2017, 230, 232. 453 Vgl. oben: § 9 C. III. 2. c) aa) § 134 und § 138 BGB, S. 207 ff. und Nachweise in Kapitel 2 Fn. 752. 454 Vgl. Art. 20 Abs. 1 OR für die Schweiz und § 879 Abs. 1 ABGB für Österreich. 455 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 166 f.; auf diese Parallelität weist auch Damm hin, JZ 1986, 913, 914; AK‑BGB/Damm, § 138 Rn. 90; ebenfalls bereits Mayer-Maly
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Dennoch ist allgemein anerkannt, dass auch bei den anderen deliktischen Tatbeständen der Schutzzweck der Norm456 eine die Schadensersatzpflicht einschränkende Voraussetzung darstellt.457 Genauso entscheidet der BGH auch i. R. v. § 826 BGB, weshalb ein Schadensersatzanspruch nur begründet ist, wenn der Schaden vom Schutzzweck der verletzten Sittennorm umfasst wird.458 Anders als bei den §§ 134, 138 BGB haben aber weder der BGH noch die Literatur bei den §§ 823 Abs. 2, 826 BGB einen Umkehrschluss aus dem Wortlaut gezogen und gegen die Ausdehnung des Vorbehalts des Schutzzwecks der Norm auf andere Tatbestände argumentiert. Die Lehre vom Schutzzweck der Norm ist vielmehr im gesamten Schadensrecht ein allgemein anerkannter Grundsatz.459 Die Argumentation anhand der §§ 823 ff. BGB, insbesondere § 823 Abs. 2 BGB und § 826 BGB, ist zudem deshalb besonders überzeugend, weil § 823 Abs. 2 BGB und § 826 BGB gewissermaßen die Entsprechungen von § 134 BGB und § 138 BGB im Deliktsrecht bilden. Dementsprechend stellt § 823 Abs. 2 BGB den § 134 BGB nach und § 826 BGB den § 138 BGB. So wie im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs Schäden nur dann ersatzfähig sind, wenn und soweit sie vom Schutzzweck der Norm erfasst werden, tritt dann analog die Nichtigkeit nach § 138 BGB nur ein, wenn und soweit dies dem Schutzzweck der verletzten Sittennorm entspricht. Daher kann der Wortlaut allein nicht die Anwendung des Normzweckvorbehalts in § 138 BGB ausschließen.460
b) Normzwecke von § 134 BGB und § 138 BGB Wenn also der unterschiedliche Wortlaut der Übertragung des Normzweckvorbehalts von § 134 BGB auf § 138 BGB nicht entgegensteht, ist im nächsten Schritt zu überprüfen, ob die beiden Vorschriften auch dem gleichen, zumindest in: GS Gschnitzer, 265, 269 dort Fn. 14; Thoß, KTS 2003, 187, 200 f.; auch MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 157 will dem unterschiedlichen Wortlaut kein entscheidendes Gewicht beimessen. 456 Die Lehre vom Schutzzweck der Norm dient dabei neben Kausalität und objektiver Zurechnung der Einschränkung der Schadensersatzpflicht. Danach wird im Einzelfall geprüft, ob die einschlägige Norm vor dem konkret eingetretenen Schaden schützen soll. Ist dies nicht der Fall, so besteht kein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz des geltend gemachten Schadens; vgl. dazu u. a.: MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl., § 249 Rn. 120 ff.; BGH NJW 2014, 2190, 2191. 457 Allg. Ansicht, vgl. nur BGH NJW 2014, 2190, 2191; NJW‑RR 2006, 965, 965; MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl., § 249 Rn. 124; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., Vorb. v. § 249 Rn. 30. 458 BGH NJW 1991, 634, 635; NJW 1986, 837, 838 f.; NJW 1972, 36, 37; MüKoBGB/ Wagner, 7. Aufl., § 826 Rn. 45. 459 Vgl. nur BGH NJW 2014, 2190, 2191: „[…] anerkannt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird. Dies gilt unabhängig davon, auf welche Bestimmung die Haftung gestützt wird.“; aus der Literatur: Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., Vorb. v. § 249 Rn. 30; BeckOK BGB/Flume, 53. Ed. 01.02.2020, § 249 Rn. 288 f.; MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl., § 249 Rn. 124. 460 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 167; Roth, JZ 1989, 411, 417; Thoß, KTS 2003, 187, 200 f.; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 157.
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aber ähnlichen Zweck dienen. Wäre dies der Fall, spräche dies für eine Gleichbehandlung auf Rechtsfolgenseite. Zumindest wäre dann zu fragen, weshalb eine Übertragung nicht möglich beziehungsweise nicht nötig sein soll, wenn nicht der Wortlaut oder teleologische Aspekte dies erfordern. Ein unterschiedlicher Zweck beider Normen würde andererseits gegen eine Übertragung sprechen.
aa) Normzweck von § 138 BGB Die Frage danach, welchem Zweck § 138 BGB dient, lässt sich kaum verallgemeinernd darstellen, ohne an inhaltlichem Gehalt zu verlieren. Als Generalklausel handelt es sich um eine Norm, die ganz unterschiedlichen Zwecken dient. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der i. R. v. § 138 BGB typischen Fallgruppenbildung auf Tatbestandsseite.461 Soweit sich allgemeine Aussagen treffen lassen, liegt der Zweck von § 138 BGB darin, Rechtsgeschäften die Gültigkeit zu versagen, die einen unerträglichen Inhalt haben, weil sie von den ethischen Grundlagen der Gesellschaft abweichen.462 Insofern soll § 138 BGB dem Missbrauch der Privatautonomie entgegenwirken.463 Gleichzeitig soll § 138 BGB helfen, die Grundwertungen der (deutschen) Rechtsordnung zu verteidigen und ist Ausdruck der Selbstachtung des Rechts.464 Aus diesem Grund ist die Sittenwidrigkeit auch von Amts wegen zu beachten.465 § 138 BGB soll weiter dem verfassungsrechtlichen Untermaßverbot Rechnung tragen und lässt sich demzufolge als Ausdruck der staatlichen Schutzpflicht begreifen.466 Schließlich dient er auch der Prävention und Abschreckung, indem sittenwidrige Rechtsgeschäfte insgesamt nichtig sind und aus diesen keine Rechte geltend gemacht wer-
461 Vgl. etwa Überblick bei: Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 29 ff.; Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 684 u. 695 ff.; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 33 ff. 462 MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 1; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 1; T/W/T/Deinert, § 138 Rn. 1; Spindler/Schuster/Müller, BGB § 138 Rn. 1; Musielak, JuS 2017, 949, 951; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 2. 463 BGH NJW 1998, 2531, 2532; NJW 1991, 287, 291; Jung, Das wucherähnliche Rechtsgeschäft, S. 5 f. u. 80; Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 125; Larenz, JurJB 1966/67, 98, 120; BeckOK BGB/Wendtland, 53 Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 2; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 1; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 1; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 1; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 2; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 138 Rn. 1; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG‑Vertrages, S. 345; Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105, 110. 464 BGH NJW 1989, 1447, 1447; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 1; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 138 Rn. 1 f.; Heinrich, Freiheit und Gerechtigkeit, S. 301; zum Aspekt der Selbstachtung des Rechts: Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 125. 465 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 41. 466 Klappstein in: Privatautonomie und ihre Grenzen im Wandel, S. 279; T/W/T/Deinert, § 138 Rn. 1.
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den können.467 Weitergehende Straffunktionen verfolgt § 138 BGB hingegen nicht.468
bb) Normzweck von § 134 BGB Auch der genaue Normzweck von § 134 BGB ist umstritten. Teilweise wird sogar davon ausgegangen, die Norm sei im Grunde überflüssig, da sie in Wahrheit nichts aussage.469 Häufig wird in ihr eine Auslegungsregel gesehen, nach der der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz im Zweifel die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge habe.470 Daneben findet sich der Verweis auf die Transformationsfunktion von § 134 BGB, der im Interesse der Einheit der Rechtsordnung insbesondere Verbote aus dem öffentlichen Recht und Strafrecht auch im Zivilrecht für beachtlich erklärt.471 Trotz der Uneinigkeit über die genaue Funktion des § 134 BGB lassen sich dennoch einige Aussagen zu dessen Zweck treffen, die weitgehend allgemein anerkannt sind. Wie für § 138 BGB wird auch bei § 134 BGB davon ausgegangen, dass dieser mit der Rechtsordnung unverträglichen Regelungen die Wirksamkeit versagen soll und damit eine Grenze für die Privatautonomie bildet.472 Deshalb wird bei § 134 BGB gleichermaßen der Aspekt der Selbstachtung des Rechts ins Spiel gebracht, weshalb dem Rechtsgeschäft die Anerkennung verwehrt werden müsse.473 Er schützt den Rechtsverkehr und dient dadurch dem 467 BGH NJW 1997, 3089, 3090; NJW 1986, 2944, 2945; Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 125; Krampe, AcP 194 (1994), 1, 30; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, Rn. 499; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 65; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 138 Rn. 2; BeckOGK/Jakl, 15.09.2017, BGB § 138 Rn. 5; Staudinger/Sack/ Fischinger, (2017), § 138 Rn. 5; BGB‑RGRK/Krüger-Nieland/Zöller, 12. Aufl., § 138 Rn. 2; zweifelnd NK‑BGB/Looschelders, 3. Aufl., § 138 Rn. 5. 468 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 6; Eckert, AcP 199 (1999), 337, 351; NK‑BGB/Looschelders, 3. Aufl., § 138 Rn. 6; Larenz, JurJB 1966/67, 98, 120; Bunte, NJW 1983, 2674, 2676. 469 Flume, AT II, S. 341; ähnlich Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 646 u. 679; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 134 Rn. 1: „Aussagewert des § 134 ist gering“; dagegen: BeckOGK/Vossler, 01.12.2017, BGB § 134 Rn. 10. 470 Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 45 Rn. 2; Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 15; Deinert, Zwingendes Recht, Rn. 51 ff. u. 115; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 134 Rn. 2; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 134 Rn. 7; dagegen BeckOGK/Vossler, 01.09.2017, BGB § 134 Rn. 1 u. 11; Köhler, JZ 2010, 767, 767. 471 Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 45 Rn. 2; BeckOGK/Vossler, 01.12.2017, BGB § 134 Rn. 1 u. 10; Beater, AcP 197 (1997), 505, 507; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 26 Rn. 2; Medicus/ Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 646 f.; NK‑BGB/Looschelders, 3. Aufl., § 134 Rn. 1. 472 BGH NJW‑RR 2008, 1050, 1050; Beater, AcP 197 (1997), 505, 507; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 134 Rn. 1; HK‑BGB/Dörner, 10. Aufl., § 134 Rn. 1; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 134 Rn. 1; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 45 Rn. 1; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 134 Rn. 1; BGB‑RGRK/Krüger-Nieland/Zöller, 12. Aufl., § 134 Rn. 1; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 26 Rn. 1; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG‑Vertrages, S. 342 f. 473 Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 125.
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öffentlichen Interesse.474 Daher ist auch der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot von Amts wegen zu beachten.475 Schließlich dient § 134 BGB ebenfalls präventiven Zwecken und soll die Menschen von unerlaubtem Handeln abschrecken, indem er entsprechende Rechtsgeschäfte mit der Sanktion der Nichtigkeit belegt.476 Strafzwecke sollen mit § 134 BGB hingegen ebenso wenig wie mit § 138 BGB verfolgt werden.477
cc) Zwischenergebnis § 134 BGB und § 138 BGB dienen im Grundsatz dem gleichen Zweck. Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass sie die äußerste Grenze der Privatautonomie für Rechtsgeschäfte bilden, die im Interesse der Rechts- bzw. Sittenordnung nicht mehr hingenommen werden können. Ziel der Vorschriften ist es daher, entsprechende Rechtsgeschäfte zu eliminieren und damit gleichzeitig von ihrer Vornahme abzuschrecken. Es leuchtet deshalb nicht ein, weshalb der Verstoß gegen ein Sittenverbot zur Abschreckung stets die absolute Nichtigkeit erfordert, bei einem Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot hingegen eine Teilnichtigkeit ausreichen kann.478 Es erscheint insofern aus teleologischer Sicht widersprüchlich, dass sich die Rechtsfolgen beider Normen unterscheiden.
c) Systematik Zusätzlich spricht aus systematischer Sicht viel dafür, die Rechtsfolge des § 138 BGB wie die des § 134 BGB unter einen Normzweckvorbehalt zu stellen. Zum einen wird vorgebracht, dass zahlreiche Fälle, die heute gesetzlich geregelte Verbote i. S. v. § 134 BGB sind, früher einmal nicht geregelte Sittennormen i. S. v. § 138 BGB waren.479 Dass der Gesetzgeber aber durch ihre Kodifikation auch die Rechtsfolgen eines Verstoßes einschränken wollte, erscheint fraglich.480 Vielmehr wolle er bestimmte Verbote, die ihm besonders wichtig 474 BGH NJW‑RR 2008, 1050, 1050; NJW 1954, 1155, 1155; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 134 Rn. 2; Keller, Mietpreiskontrolle, S. 15; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 134 Rn. 2; BGB‑RGRK/Krüger-Nieland/Zöller, 12. Aufl., § 134 Rn. 1; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 18; jurisPK‑BGB/Nassal, 8. Aufl., § 134 Rn. 1; vgl. auch Erlanger, der der Ansicht ist, § 134 BGB schütze primär „Staatsinteressen“, Erlanger, LZ 1932, 944, 945. 475 BGH NJW 1992, 2348, 2350; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 134 Rn. 21; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 134 Rn. 30; Erlanger, LZ 1932, 944, 945. 476 Kötz, Vertragsrecht, S. 99; Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 17 ff.; Staudinger/Sack/Seibl, (2017), § 134 Rn. 62; gegen eine präventive Funktion von § 134 BGB: Weyer in: FS Baur, 681, 695, der aber Verbotsgesetzen selbst teils präventive Wirkung anerkennt. 477 BGH NJW 1984, 722, 724; Beater, AcP 197 (1997), 505, 515. 478 Zu Recht: Thoß, KTS 2003, 187, 201. 479 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 163; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 150 f.; Thoß, KTS 2003, 187, 201. 480 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 163. Leider werden, auch nicht von den
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erscheinen, aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit festschreiben. Würde man nur für § 134 BGB einen Normzweckvorbehalt annehmen, käme man zum – etwas seltsamen – Ergebnis, dass ein Verstoß gegen eine noch nicht gesetzlich fixierte Sittennorm zur Gesamtnichtigkeit führt, auch wenn ihrem Zweck durch eine Teilnichtigkeit unter Umständen besser genügt würde, nach ihrer Kodifizierung hingegen der gleiche Verstoß nur noch zur Teilnichtigkeit führen würde.481 Zum anderen liegt der Unterschied zwischen gesetzeswidrigen und sittenwidrigen Verträgen nicht in der Schwere des Verstoßes, sondern im Unterschied zwischen geschriebenen und ungeschriebenen rechtlichen Verhaltensnormen.482 Während es bei § 134 BGB eine bereits geschriebene Norm gibt, die in einem zweiten Schritt daraufhin überprüft werden muss, ob und inwiefern ein Verstoß gegen sie zur Nichtigkeit führt, muss im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB diese Norm erst noch vom Rechtsanwender formuliert werden, bevor eine Prüfung wie bei § 134 BGB erfolgen kann. Aus diesem Grund wird die Sittenwidrigkeit auch als die Rechtswidrigkeit beschrieben, zu deren Ermittlung es keiner positivierten Norm bedürfe.483 Beiden Vorschriften ist darüber hinaus gemein, dass sie die konkrete Kontrollnorm nicht in sich tragen, sondern diese von außen erst heranziehen müssen, nämlich in Form des Verbots- behiehungsweise Sittengesetzes.484 Die Ursache für die Existenz des § 138 BGB liegt also vor allem in praktischen Erwägungen. Eine Rechtsordnung kann nämlich nicht bereits im Vorfeld alle missbilligten Rechtsgeschäfte durch spezielle Verbotsnormen regeln, weshalb der Rückgriff auf eine Generalklausel erforderlich wird.485 Insofern dient § 138 BGB als Lückenfüller486 oder Auffangtatbestand zu § 134 BGB. Nicht zu Unrecht wird daher § 138 BGB im Verhältnis zu § 134 BGB als GeneralklauAutoren in der vorherigen Fußnote, Beispiele dafür genannt, wann dies der Fall war. So naheliegend das Argument auf den ersten Blick scheint, bestehen bei näherem Hinsehen einige Zweifel. Wenn nämlich der Gesetzgeber eine zu § 138 BGB ergangene Rechtsprechung kodifiziert, liegt es nahe, dass er dann auch die Rechtsfolgen festlegt und diese nicht erst über § 134 BGB bestimmt werden müssen. 481 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 162; Busz, Die Äquivalenzstörung im freifinanzierten Wohnraummietrecht, S. 111. 482 Damm JZ 1986, 913, 919; AK‑BGB/Damm, § 138 Rn. 26 u. 90; Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 498b ff.; Smid, NJW 1990, 409, 413; Rieble/Picker, ZFA 2014, 153, 209; ähnlich: Collier, Nichtigkeit und Unwirksamkeit im System des bürgerlichen Rechts, S. 14; Soergel/ Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 8; BeckOGK/Jakl, 15.09.2017, BGB § 138 Rn. 4. 483 Mayer-Maly in: Das bewegliche System, 117, 121. Die Formel hat vor allem in Österreich Anklang gefunden. 484 Zu Recht: Damm, JZ 1986, 913, 919; AK‑BGB/Damm, § 138 Rn. 26. 485 So zu Recht: Collier, Nichtigkeit und Unwirksamkeit im System des bürgerlichen Rechts, S. 14; Erman/Schmidt-Räntsch, 15. Aufl., § 138 Rn. 1 u. 10; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 69; Sack, wrp 1985, 1, 3; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 138 Rn. 1. 486 So explizit Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 2 u. 69; Damm, JZ 1986, 913, 918.
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sel bezeichnet.487 Die Tatbestände weisen nämlich – wie beschrieben – eine große Nähe, ja sogar Parallelität auf. Ein struktureller Unterschied zwischen den Normen, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen würde, besteht gerade nicht.488 Eine solche tatbestandliche Parallelität legt deshalb auch einen Gleichlauf auf Rechtsfolgenseite nahe.489
d) Rechtshistorisches Argument In diesem Zusammenhang ist aus rechtshistorischer Sicht ein in der XII. Kommission des Reichstages gegen Ende des Gesetzgebungsverfahrens zum BGB gemachter Antrag interessant, der gleichzeitig ein Argument für eine an § 134 BGB orientierte Auslegung von § 138 BGB darstellt. Nach diesem Antrag sollten die heutigen §§ 134, 138 BGB in einer Vorschrift zusammengefasst werden und die entsprechende Norm folgenden Inhalt haben: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot, gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig“.490
Neben der Zusammenfassung von Gesetzesverstoß und Sittenwidrigkeit in einer Vorschrift fällt auf, dass der in § 134 BGB heute und auch schon bei Inkrafttreten des BGB enthaltene Passus „sofern sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt“ in dem Antrag fehlt. Begründet wurde dies damit, dass diese Passage sich von selbst verstehe und daher überflüssig sei.491 Zwar wurde dieser Antrag insgesamt abgelehnt und im BGB wurden Gesetzes- und Sittenwidrigkeit in getrennten Vorschriften geregelt. Er zeigt aber, dass das unumstößliche Verständnis des Nichtigkeitsbegriffs im Sinne einer absoluten Nichtigkeit für § 138 BGB keineswegs zwingend ist und dass allein dem unterschiedlichen Wortlaut von § 134 BGB und § 138 BGB in dieser Frage nicht zu viel Gewicht beigemessen werden sollte. Denn offenbar hielt man es bei der Entstehung des BGB für nicht so ungewöhnlich, dass nicht nur die Reichweite der Nichtigkeit aufgrund eines Gesetzesverstoßes vom Schutzzweck des Verbots abhängig sei, sondern Entsprechendes auch für die Nichtigkeit aufgrund von Sittenwidrigkeit zu gelten habe. Der Vorschlag zeigt durch sein Neben487 Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 498c; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 6; BeckOGK/Jakl, 15.09.2017, BGB § 138 Rn. 4; Erman/Schmidt-Räntsch, 15. Aufl., § 138 Rn. 1; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 2; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 138 Rn. 1; Damm, JZ 1986, 913, 918; Smid, NJW 1990, 409, 413; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 26 Rn. 26 f. 488 Ebenso: Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 150; Damm, JZ 1986, 913, 919; AK‑BGB/Damm, § 138 Rn. 26 u. 90; vgl. für die Schweiz auch Mozzola, Verhältnis und Abgrenzung von Art. 20 und 21 OR, S. 45, der die Wesensgleichheit von Gesetzes- und Sittenwidrigkeit betont. 489 Dies fordert zu Recht Damm, JZ 1986, 913, 919; AK‑BGB/Damm, § 138 Rn. 90. 490 Vgl. Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 735 f. 491 Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, AT 1, S. 735.
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einander von Gesetzes- und Sittenverstoß weiter, dass auch nach damaliger Ansicht hinsichtlich der zugrundeliegenden Wertungen nicht entscheidend zwischen diesen differenziert wurde. Er bringt vielmehr die enge Verbindung zwischen diesen zum Ausdruck.
e) Fazit Wie die vorangegangene Untersuchung gezeigt hat, gibt es keine überzeugenden Gründe, die der Einschränkung der Rechtsfolge von § 138 BGB mittels eines Normzweckvorbehalts entsprechend § 134 BGB entgegenstehen. Im Gegenteil sprechen die Parallelität und Konnexität von § 134 BGB und § 138 BGB dafür, den für § 134 BGB anerkannten Normzweckvorbehalt auch bei § 138 BGB anzuwenden. § 138 BGB unterscheidet sich in seiner Handhabung häufig nicht besonders von § 134 BGB. Eine Vielzahl der zu § 138 BGB entwickelten Fallgruppen hat mittlerweile ein solches Maß an Konkretheit und allgemeiner Akzeptanz erreicht, dass sie sich in ihrer Anwendung durch den einzelnen Richter nicht mehr von der Anwendung eines vom Gesetzgeber erlassenen Verbotsgesetzes i. S. d. § 134 BGB unterscheiden, wie etwa die Rechtsprechung zur Übersicherung, der Kollision von Eigentumsvorbehalt und Globalzession oder dem wucherähnlichen Rechtsgeschäft zeigt. Zudem muss man sehen, dass die Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit der benachteiligten Partei nicht davon abhängen, ob gegen ein explizit normiertes Verbotsgesetz oder ein aus der Generalklausel der guten Sitten abgeleitetes Verbot verstoßen wird.492 Diese sind vielmehr in beiden Fällen gleich. Dabei kann dahinstehen, ob die Abhängigkeit der Rechtsfolge vom Normzweck auch bei § 138 BGB dogmatisch mit einer Übertragung des Normzweckvorbehalts aus § 134 BGB, also im Wege der Analogie, oder einer teleologischen Reduktion des Nichtigkeitsbegriffes in § 138 BGB begründet wird. Praktisch ändert sich dadurch nichts.
3. Inhaltliche Kritik Inhaltlich lässt sich über eine Ausrichtung der konkreten Rechtsfolge am Zweck der verletzten Sittennorm zu angemessenen Ergebnissen gelangen.493 Gerade wenn der Zweck im Schutz einer der Beteiligten liegt, weiß die Lösung zu überzeugen. Wenn hier von der Gesamtnichtigkeit abgewichen werden kann, hilft dies der betroffenen Partei, weil ihr damit die vertraglichen Rechte erhalten bleiben. Das stellt gleichzeitig auch den großen Vorteil im Vergleich zu allen Versuchen dar, die Problematik über das Bereicherungsrecht zu lösen. 492
Ähnlich Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 151. 493 Vgl. für die Übereinstimmung in Fällen der Äquivalenzstörung sogleich: § 15 Dogmatische Umsetzung der entwickelten Lösung, S. 416 ff.
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VII. Stellungnahme Es bleibt festzuhalten, dass es zahlreiche Vorschläge gibt, die im Wortlaut von § 138 BGB angeordnete zwingende Nichtigkeit zu umgehen oder in ihren Wirkungen abzuschwächen. Ein großer Trend geht dahin, dies zum Schutz einer der am Rechtsgeschäft beteiligten Personen zu tun. Auch die Rechtsprechung nimmt Anpassungen der Rechtsfolge von § 138 BGB entgegen dem Wortlaut vor und zwar sowohl aus Schutzzweckerwägungen als auch aufgrund des Sinn und Zwecks des jeweiligen Verbots. Ein großer Unterschied bei der Einschränkung der Nichtigkeit besteht zwischen den Ansätzen der Rechtsprechung und den Vorschlägen in der Literatur aber: Während in der Rechtsprechung die besonders schwerwiegenden Umstände eines Einzelfalls oder wenn überhaupt die einer bestimmten Fallgruppe den Anlass für die Einschränkung bilden, wird in der Literatur regelmäßig versucht, die Einschränkung in ein allgemeines Konzept einzufügen, das losgelöst vom Einzelfall gelten soll.494 Die jeweilige Schwere des Verstoßes spielt dabei meist keine (entscheidende) Rolle.
1. Abkehr von der absoluten Nichtigkeit in § 138 BGB Der Gedanke, dass die Sittenwidrigkeit tatbestandlich nur solche Fälle erfasst, die aufgrund des öffentlichen Interesses die Gesamtnichtigkeit gebieten, trifft jedenfalls für die Gegenwart und jüngere Vergangenheit nicht zu und tat es vermutlich niemals vollkommen. Auch wenn die Nichtigkeit nach §§ 134, 138 BGB aus ganz unterschiedlichen Gründen angeordnet wird, lassen sich diese grob in zwei Kategorien einteilen: Auf der einen Seite gibt es solche Nichtigkeitsvorschriften, die zuvorderst dem Schutz öffentlicher Interessen dienen. Auf der anderen Seite gibt es Verbotsnormen, die dem Schutz eines der am Rechtsgeschäft Beteiligten dienen. Schließlich gibt es wie immer Normen, die keiner der beiden Kategorien eindeutig zugeordnet werden können, weil sie sowohl den Schutz von Allgemein- als auch von Individualinteressen bezwecken. Bei diesen bietet sich zur Einordnung eine Schwerpunktbetrachtung an. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Schutz von Allgemeininteressen grundsätzlich nicht dem Zivilrecht obliegt, weshalb in Zweifelsfällen eine Einordnung zum Individualschutz erfolgen sollte. Der erforderliche Schutz des öffentlichen Interesses kann dann immer noch durch entsprechende Regelungen im Straf- und öffentlichen Recht sichergestellt werden. Denn diesen Rechtsgebieten fällt primär der Schutz von Allgemeininteressen zu.495 Das spricht dagegen, zulasten des ebenfalls zu schützenden Betroffenen die zivilrechtliche Rechtsfolge am öffentlichen Interesse auszurichten. 494 495
Dies zu Recht feststellend: Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 272. Vgl. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 64.
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Zwischen diesen zwei großen Gruppen sollte hinsichtlich der Reichweite der Nichtigkeit als Rechtsfolge differenziert werden, so wie es zum Beispiel heute noch in Österreich mit der Unterscheidung von absoluter und relativer Nichtigkeit der Fall ist.496 Wie gezeigt wurde, tauchten entsprechende Gedanken auch während der Schaffung des BGB auf.497 Ihnen ist uneingeschränkt zuzustimmen. Der Gedanke, dass eine absolute und von Amts wegen zu beachtende Nichtigkeit stets die optimale Lösung darstellt, muss als Irrtum bezeichnet werden. Dies zeigt sich auch daran, dass im europäischen Ausland sowie den PECL und dem DCFR differenzierte Lösungen für den Umgang mit der Nichtigkeit existieren. Daher sollte die absolute (Gesamt-)Nichtigkeit nur für die Fälle gelten, in denen das Allgemeininteresse diese auch erfordert. Dient das Verbot hingegen dem Schutz einer der am Rechtsgeschäft beteiligten Parteien, sollte die Nichtigkeit nicht weiterreichen als es der Schutzzweck des jeweiligen Verbotes verlangt, um der zu schützenden Partei nicht auch die mit dem Vertrag verbundenen Vorteile zu nehmen.
2. Begründung Die eben geschilderte Einschränkung der absoluten Nichtigkeit in § 138 BGB lässt sich am besten mit dem Normzweckvorbehalt begründen. Auf die Frage nach dessen dogmatischer Zulässigkeit wurde bereits ausführlich eingegangen, sodass insofern darauf zu verweisen ist.498 Hier sollen daher nur noch ergänzende Ausführungen erfolgen, weshalb die Reichweite der Nichtigkeit in § 138 BGB vom Schutzzweck des verletzten (Sitten-)Verbotes abhängig sein sollte.
a) Allgemeines Der Grund für die Einschränkung der absoluten Nichtigkeit im eben geschilderten Sinn liegt vor allem in der mangelnden Flexibilität eines starren Allesoder-Nichts-Prinzips und den sich daraus ergebenden Problemen, die speziell dann auftreten, wenn eine Partei durch das Verbot geschützt werden soll. Diese Erkenntis wird mittlerweile von einem großen Teil des Schrifttums geteilt, wie sich insbesondere an den zahlreichen Korrekturvorschlägen zeigt, von denen hier nur ein Bruchteil dargestellt werden konnte. Der Ansatz einer teleologischen Reduktion mittels Normzweckvorbehalts besitzt dabei sowohl dogmatisch als auch inhaltlich die größte Überzeugungskraft. Er ermöglicht saubere Lösungen und erscheint geeignet, den im deutschen Recht bestehenden Unterschieden und dogmatischen Widersprüchlichkeiten bei der Korrektur der 496 497
Vgl. oben: § 11 A. II. Der Nichtigkeitsbegriff in Österreich, S. 241 ff. Vgl. dazu oben: A. I. Nichtigkeit im 19. Jahrhundert und bei Schaffung des BGB, S. 364 ff. 498 Vgl. oben: VI. 2. Dogmatische Kritik, S. 403 ff.
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Rechtsfolgen von § 138 BGB auch im Einzelfall eine klare Richtschnur an die Hand zu geben. Überzeugend ist ferner, dass sich die normzweckbegründete teleologische Reduktion des § 138 BGB mühelos als ein allgemeines Konzept im Rahmen von § 138 BGB begreifen lässt, dessen Anwendungsbereich nicht auf äquivalenzgestörte Verträge beschränkt ist. Durch eine Orientierung an § 134 BGB wird dem Rechtsanwender zudem eine Hilfestellung gegeben, indem er auf die hierbei anerkannten Kriterien zur Bestimmung der Reichweite der Nichtigkeit zurückgreifen kann. Auch das Verfassungsrecht, namentlich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, streitet für eine Berücksichtigung des Normzwecks bei der Bestimmung der Rechtsfolge.499 Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widerspricht es nämlich, ein Rechtsgeschäft auch dann für nichtig zu erklären, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist.500 Er gebietet vielmehr umgekehrt, dem Rechtsgeschäft die Geltung nur soweit zu versagen, wie es gerade notwendig ist. Gerade dies wird durch den Normzweckvorbehalt ermöglicht und sichergestellt. Schließlich bestätigt ein rechtsvergleichender Blick eine solche Orientierung von § 138 BGB an § 134 BGB.501 In zahlreichen ausländischen Rechtsordnungen werden nämlich der Gesetzes- und Sittenverstoß gemeinsam in einer einzigen Vorschrift zusammengefasst, wie etwa in Österreich, Spanien, Italien oder der Schweiz.502 Ebenso verfuhren im 19. Jahrhundert zahlreiche Vorgänger des BGB, wie etwa das Bürgerliche Gesetzbuch für das Großherzogtum Hessen503, das sächsische BGB von 1863/1865504 oder der bayerische Entwurf von 1861/1864505. Dies belegt die hier vertretene Auffassung, dass zwischen Verbots- und Sittenwidrigkeit kein entscheidender struktureller Unterschied besteht, der unterschiedliche Rechtsfolgen rechtfertigt.
b) Einschränkung als Ausdruck des Funktionswandels von § 138 BGB Eine solche Einschränkung der Nichtigkeit bei § 138 BGB und ein Gleichlauf zwischen § 138 BGB und § 134 BGB auf Rechtsfolgenseite ist auch Ausdruck der Wandlung, die § 138 BGB seit der Entstehung des BGB durchlebt hat. So 499
Dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch für das Privatrecht Geltung beansprucht, ist mittlerweile im Grundsatz allgemein anerkannt, vgl. BGH NJW 1992, 3096, 3104; Canaris in: FS Steindorff, 519, 526; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 1 ff. m. w. N.; Singer, JZ 1989, 1030, 1031. 500 So zu Recht: BeckOGK/Vossler, 01.09.2017, BGB § 134 Rn. 11; Köhler, JZ 2010, 767, 768; HKK‑BGB/Dorn, § 134 Rn. 17; Jäpel, Rechtliche Unmöglichkeit und Gesetzliches Verbot, S. 32 f. 501 Vgl. dazu, dass methodisch die Rechtsvergleichung zur Auslegung einer Norm jedenfalls ergänzend herangezogen werden kann: F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 461 f. 502 Vgl. für Österreich § 879 Abs. 1 ABGB, Schweiz Art. 20 Abs. 1 OR, Italien Art. 1343 CCIt, Spanien, Art. 1275 Código Civil. 503 Dort Art. 84 Vierte Abtheilung. 504 Siehe § 79. 505 Vgl. Art. 80 Theil I.
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ging man bei Schaffung des BGB von der Existenz einer stabilen und einheitlichen Sittenordnung aus, die neben dem Recht bestand.506 Es handelte sich dabei um soziale und moralische bürgerliche Verhaltensregelungen.507 Auf diese Ordnung wurde der Richter über § 138 BGB verwiesen und sollte Rechtsgeschäften, die im Widerspruch mit der Sittenordnung standen, die rechtliche Anerkennung verwehren.508 Im Laufe des 20. Jahrhunderts aber zerbrach mit der zunehmenden Pluralisierung der Gesellschaft die Einheit der Sittenordnung.509 Der Beriff der guten Sitten wurde objektiviert und vor allem „entethisiert“.510 In der Folge wurde zur Bestimmung der Sittenwidrigkeit weniger auf eine neben der Rechtsordnung bestehende eigenständige Sittenordnung Bezug genommen, sondern auf die der Rechtsordnung zugrundeliegenden rechtlichen Wertungen.511 Eine besondere Rolle spielen dabei verfassungsrechtliche Wertungen, die über § 138 BGB und allgemein die im BGB enthaltenen Generalklauseln in das Zivilrecht hineinwirken.512 § 138 BGB büßte damit seinen Verweisungscharakter auf eine außerrechtliche Ordnung weitgehend, wenn auch nicht vollständig, ein.513 Der Richter greift nunmehr zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit nicht mehr auf die Ge- und Verbote der bürgerlichen Sittenordnung zurück, sondern formuliert diese erst selbst. Dazu werden nicht mehr primär sittliche oder ethische Grundsätze herangezogen, denen nunmehr eher ergänzende Funktion 506 Eckert, AcP 199 (1999), 337, 345; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 2 u. 5; v. Tuhr, BGB AT II/2, S. 21; Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 498; Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395, 398 f.; Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 33 f.; Larenz, JurJB 1966/67, 98, 104; Smid, NJW 1990, 409, 412 f.; ob diese tatsächlich in solch homogener Form bestand, kann durchaus bezweifelt werden. Näher liegt die Annahme, dass eine solche Homogenität sich auf die „herrschende Klasse“, den Adel und das Großbürgertum, beschränkte; in die Richtung auch Pawlowski, ARSP 1964, 503, 514. 507 Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 2; Eckert, AcP 199 (1999), 337, 345; Teubner, S. 54; Larenz, JurJB 1966/67, 98, 104 ff. 508 Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 2 u. 5; Schmoeckel, AcP 197 (1997),1, 33 f.; Eckert, AcP 199 (1999), 337, 345 f.; Teubner, S. 52 ff.; Larenz, JurJB 1966/67, 98, 104; Leipold in: 50 Jahre BGH, Bd. 1, 1011, 1013. 509 Eckert, AcP 199 (1999), 337, 348; Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 498 f.; Smid, NJW 1990, 409, 412; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 2; Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395, 398 f. 510 Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 2; Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395, 399. 511 Pawlowski, BGB AT, 7. Aufl., Rn. 498a ff.; ders., ARSP 1964, 503, 504 ff. u. 513; Sack, wrp 1985, 1, 5 ff.; Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 2; Eckert, AcP 199 (1999), 337, 348; Smid, NJW 1990, 409, 413; Boemke, JuS 2001, 444, 445; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 150; Leipold in: 50 Jahre BGH, Bd. 1, 1011, 1013, der auch auf einen Wandel des Sprachgebrauchs in der Rechtsprechung weg von den Begriffen der „sittlichen Ordnung“, dem „Sittengesetz“ oder der „Sittenordnung“ als Änderung des Maßstabs hinweist. 512 Vgl. Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 97; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 17; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 26 Rn. 29 f.; Boemke, JuS 2001, 444, 445; vgl. insofern auch BVerfGE 89, 214. 513 Soergel/Hefermehl, 13. Aufl., § 138 Rn. 2; Eckert, AcP 199 (1999), 337, 348 f.; Teubner, S. 57 ff.
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zukommt.514 Vorrangig sind stattdessen die grundlegenden Prinzipien und Wertungen zu beachten, die der Rechtsordnung selbst unmittelbar innewohnen.515 Dabei handelt es sich zum einen um bereits erwähnte Wertungen des Grundgesetzes.516 Genauso sind aber auch die hinter einfachgesetzlichen Normen stehenden Leitideen zu berücksichtigen.517 Dieser Wandel spiegelt sich auch in den Sachverhalten wider, die nunmehr von der Rechtsprechung über § 138 BGB gelöst werden, wie etwa die Reduktion überlanger Laufzeiten, die Kollision von Eigentumsvorbehalt und Globalzession oder die ursprünglich anhand von § 138 Abs. 1 BGB durchgeführte Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Auf diese Weise haben sich § 134 BGB und § 138 BGB einander angenähert. Der Unterschied besteht nicht mehr darin, dass § 134 BGB sich auf Verbote bezieht, die der Rechtsordnung zu entnehmen sind, und § 138 BGB sich auf solche, die der Sittenordnung entstammen. § 138 BGB bezieht heute ebenso wie § 134 BGB sich aus der Rechtsordnung selbst ergebende Verbote mit ein. Diese existieren nur nicht wie bei § 134 BGB unmittelbar in gesetzlich fixierter Form, sondern müssen vom Richter zunächst aus den grundlegenden Wertungen der Verfassung oder einzelner Rechtsgebiete und Normen gewonnen und dann formuliert werden.518 Dieser Funktionswandel von § 138 BGB und seine Annäherung an § 134 BGB sprechen deshalb für einen Gleichlauf der Vorschriften auf Rechtsfolgenseite und damit für die Beachtung des Normzweckvorbehalts in § 138 BGB.
§ 15 Dogmatische Umsetzung der entwickelten Lösung Die teleologische Reduktion von § 138 BGB, die die Reichweite der Nichtigkeit durch den Schutzzweck der verletzten Sittennorm beschränkt, soll nun als Ausgangspunkt für die folgende Untersuchung dienen, inwieweit sich die unter § 13 gefundenen Lösungen im Detail in das deutsche Recht integrieren lassen.519 514 PWW/Ahrens,
14. Aufl., § 138 Rn. 21. BGH NJW 1989, 1477, 1477; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 96; Wolf/ Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 16; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 17 ff.; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 138 Rn. 3 ff.; Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395, 399; Boemke, JuS 2001, 444, 445; Leipold in: 50 Jahre BGH, Bd. 1, 1011, 1045; Köhler, BGB AT, 42. Aufl., § 13 Rn. 20. 516 BGH NJW 1989, 1477, 1477; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 13; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 97; Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395, 401; Köhler, BGB AT, 42. Aufl., § 13 Rn. 20. 517 BGH NJW 1981, 1206, 1207; anschaulich insb. BGH NJW 1970, 1179, 1179 f.; Wolf/ Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 46 Rn. 13; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 100; BeckOGK/Jakl, 01.01.2018, BGB § 138 Rn. 81 f.; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 138 Rn. 19. 518 Vgl. zu diesem Punkt bereits oben: VI. 2. c) Systematik, S. 408 ff. 519 Vgl. für Zusammenfassung der in § 13 gefundenen Ergebnisse: § 13 H. Fazit, S. 362 f. 515
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Dabei erfolgt die Überprüfung parallel zu dem in § 13 gewählten Aufbau. Weil die Integration der gesamten Lösung in das geltende deutsche Recht allein unter Anwendung von § 138 BGB nicht möglich sein wird, ist ergänzend auf weitere Rechtsfiguren zurückzugreifen, die im Verlauf der Arbeit schon behandelt wurden. Es handelt sich speziell um die Haftung aus culpa in contrahendo, die Anfechtung und die Teilnichtigkeit nach § 139 BGB.
A. Abkehr von der Nichtigkeit ipso iure Im ersten Schritt bedeutet dies, dass Verträge in Fällen des Wuchers und der Läsion bzw. des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts520 nicht ipso iure nichtig sein dürfen, auch wenn sie unter § 138 BGB fallen. Unter Beachtung des Normzweckvorbehalts stellt sich daher die Frage, ob der Zweck des Wuchers und der Läsion zwingend die Nichtigkeit des Vertrages erfordert. Dies ist aufgrund der oben geschilderten Interessenlage521 für beide Fälle abzulehnen.522 Läsionsvorschriften erklären ein bestimmtes Missverhältnis für unzulässig, um die benachteiligte Partei zu schützen. Ihr Zweck verlangt zur Sicherstellung dieses Schutzes aber nicht die (Gesamt-)Nichtigkeit des Vertrags. Ihm wird bereits dadurch genügt, dass das unzulässige Missverhältnis behoben wird. Der Wuchertatbestand dient ebenfalls dem Schutz vor Missverhältnissen und zwar solchen, die durch Ausbeutung einer Schwächelage des Bewucherten ermöglicht wurden. Auch hier steht der Schutz des Bewucherten im Vordergrund. Dieser erfordert genausowenig die Nichtigkeit des Vertrages wie die Läsion. Im Gegenteil spricht er sogar in größerem Maß für dessen Aufrechterhaltung, weil anderenfalls der Bewucherte auch die mit dem Vertrag verbundenen Vorteile verliert. Zudem betreffen Äquivalenzstörungen primär das Interesse der beteiligten Parteien und öffentliche Interessen hingegen allenfalls geringfügig.523 Dies zeigt sich auch daran, dass die h. M. im Vermögen das von § 291 StGB geschützte Rechtsgut sieht, mithin einem Individualrecht.524 In keinem der beiden 520 An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass es zwar die Läsion im deutschen Recht nicht gibt, das wucherähnliche Rechtsgeschäft ihr aber insofern nahekommt, wenn allein aufgrund des Missverhältnisses und ohne Schwächelage des Benachteiligten auf die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten geschlossen wird. In diesem Fall sind die für die Läsion entwickelten Grundsätze auch auf das wucherähnliche Rechtsgeschäft anzuwenden. 521 Vgl. oben: § 6 Interessenlage, S. 33 ff., § 9 A. Interessen der Beteiligten, S. 158 ff. und § 13 B. V. Zwischenergebnis, S. 326 f. 522 Ebenso Roth, JZ 1989, 411, 416; ders., ZHR 153 (1989), 423, 438; Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 28 ff.; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 96; Rühle, Das Wucherverbot, S. 70; Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 212 ff., 294 u. 323. 523 F. Bydlinski, Privatautonomie, S. 105; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 61 Fn. 126. 524 Schönke/Schröder/Heine/Hecker, 30. Aufl., § 291 Rn. 2; Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl., § 291 Rn. 1, jeweils m. w. N.
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Fälle erfordert der Schutzzweck also eine ipso iure Nichtigkeit entsprechender Verträge, sodass unter Beachtung des Normzweckvorbehalts von einer absoluten Nichtigkeit Abstand zu nehmen ist. Untermauern lässt sich dieses Ergebnis mit der Heranziehung einer Auslegungsregel zu § 134 BGB. Im Rahmen von § 134 BGB ist ein Kriterium zur Bestimmung, ob ein Gesetz ein Verbotsgesetz ist, und das bereits in den Motiven zum BGB erwähnt wird525, ob es sich um einen beidseitigen Verstoß oder nur einseitigen Verstoß handelt.526 Während ersteres für die Einordnung als Verbotsgesetz spricht, spricht letzteres dagegen.527 Die Partei, der kein Verstoß zur Last fällt, soll nämlich nicht ihre Ansprüche aus dem Vertrag verlieren.528 Aufgrund der beschriebenen Parallelität von § 134 BGB und § 138 BGB529 bietet sich eine Übertragung dieser Auslegungsregel auch auf § 138 BGB an. Wendet man dieses Kriterium auf Fälle der anfänglichen Äquivalenzstörung an, so stellt man fest, dass es sich hierbei nur um ein einseitiges Verbot handelt. Nicht dem Bewucherten beziehungsweise Benachteiligten ist es verboten, seine Leistung unter Wert zu erbringen. Tut er dies bewusst und ohne Not, handelt es sich um eine gemischte Schenkung oder einen Kauf zum Freundschaftspreis. Beides ist rechtlich ohne Weiteres zulässig. In Fällen, in denen die benachteiligte Partei nicht freiwillig und bewusst Leistungen massiv unter ihrem Wert erbringt, soll sie hingegen durch die Tatbestände der Läsion und des Wuchers geschützt werden. Wenn die (Sitten-) Norm dem Schutz einer Vertragspartei dient, ist die Totalnichtigkeit zweckwidrig, wenn und soweit der Partei durch die Nichtigkeit Nachteile entstehen, die dem Schutzzweck widersprechen.530 Die Anwendung dieses zu § 134 BGB entwickelten Kriteriums spricht also auch im Rahmen von § 138 BGB dafür, nicht von einer Nichtigkeit ipso iure auszugehen.
525 Mugdan I, S. 468 f. 526 St. Rspr., vgl nur
BGH NJW‑RR 2009, 691, 692; NJW 2000, 1186, 1187; NJW 1981, 399, 399 f., jeweils m. w. N.; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 134 Rn. 17; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 134 Rn. 20 u. 22; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 134 Rn. 8 f.; BeckOGK/Vossler, 01.09.2017, BGB § 134 Rn. 58; Köhler, BGB AT, 40. Aufl., § 13 Rn. 12; dieses Kriterium ablehnend hingegen: MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 134 Rn. 48, der es jedoch als ersten Anhaltspunkt dennoch akzeptiert; Staudinger/Sack/Seibl, (2017), § 134 Rn. 75. 527 BGH NJW‑RR 2011, 1426, 1426; NJW‑RR 2009, 691, 692; NJW 2000, 1186, 1187; st. Rspr. seit RGZ 60, 273, 276 f.; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 134 Rn. 8 f.; Leipold, BGB AT, 10. Aufl., § 20 Rn. 4; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 134 Rn. 20 u. 22. 528 So auch Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 23; Erlanger, LZ 1932, 944, 944. 529 Vgl. oben § 14 B. VI. 2. Dogmatische Kritik, S. 403 ff. 530 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 396 f.; Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 278 ff.; Heinbuch, Verbraucherschutz, S. 173; Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 28 f. und 45 f.
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B. Vertragsanpassung Wenn im ersten Schritt die kraft Gesetzes eintretende Nichtigkeit anfänglich äquivalenzgestörter Verträge verhindert werden kann, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage nach einer möglichen Anpassung entsprechender Verträge.
I. Normzweck Eine Vertragsanpassung könnte im vorliegenden Modell über die Teilnichtigkeit des äquivalenzgestörten Vertrages erreicht werden, sofern dies dem Normzweck beim Wucher und der Läsion entspricht. Dies ist nach hier vertretener Auffassung jeweils der Fall, wobei der Normzweck sich bei beiden insofern unterscheidet, als dass dieser bei der Läsion für eine Anpassung auf das gerade noch zulässige Entgelt spricht, beim Wucher – u. a. aus Gründen der Prävention – für eine Anpassung auf das angemessene Niveau.531
II. Anwendung Keine Probleme bereitet dies, wenn das Übermaß in der Leistung des Käufers besteht, dieser also zur Zahlung eines zu hohen Kaufpreises verpflichtet ist. Die Nichtigkeit betrifft hier nur den überhöhten Teil des Kaufpreises, den der Benachteiligte dann über das Bereicherungsrecht kondizieren kann, falls es bereits zum Leistungsaustausch kam. Anderenfalls ist er von vornherein zur Zahlung eines geringeren Kaufpreises verpflichtet. Im Übrigen bleibt der Vertrag wirksam. In diesen Fällen führt die Anwendung von § 138 BGB zu den gewünschten Ergebnissen.
1. Problematik der zu geringen Geldleistungsverpflichtung Schwierigkeiten entstehen hingegen in der umgekehrten Situation, nämlich wenn der Verkäufer der Benachteiligte ist, d. h. er für sein Grundstück einen zu geringen Preis erhalten hat, beziehungsweise aus der umgekehrten Perspektive betrachtet, „zu viel Grundstück“ verkauft hat.532 Wenn das Grundstück im Vergleich zum Kaufpreis das Doppelte wert ist, besteht das Problem darin, dass sich dieses nicht einfach über § 138 BGB auf ein halbes Grundstück oder die halbe Wohnung etc. reduzieren lässt. Einerseits weil es praktisch kaum durchführbar ist, denn bei einem bebauten Grundstück oder bei einer Wohnung können nicht einfach bestimmte Zimmer der Wohnung, Teile des Gebäudes oder des Grundstücks abgetrennt werden. Andererseits würde eine solche Trennung auch rechtlich vor erheblichen Schwierigkeiten stehen, da es an Anhaltspunk531 Vgl. 532 Vgl.
oben: § 13 F. IV. 2. Bewertung, S. 354 f. zur entsprechenden Situation bei § 934 ABGB in Österreich oben: § 11 B. II. Rechtsfolgen, S. 253 ff.
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ten fehlt, welche Teile eines Grundstücks oder einer Wohnung von der Nichtigkeit erfasst werden sollen. Schließlich entspricht ein solches Vorgehen regelmäßig auch nicht dem Parteiwillen, denn dieser richtet sich gewöhnlich auf die Sache als Einheit und lässt sich grundsätzlich (anders als die Entgeltabrede!) auch nicht als Addition der einzelnen Teile betrachten. Dem Parteiwillen entspricht es daher gewöhnlich, in diesen Fällen eine Heraufsetzung der zu niedrigen Geldleistungspflicht vorzunehmen, weil dies der praktikabelste Weg ist.533 Dementsprechend wird auch in Österreich im Rahmen der laesio enormis davon ausgegangen, dass der verkürzende Verkäufer zu einer Geldleistung verpflichtet ist.534
2. Anhebung des Kaufpreises über § 138 BGB Eine Anhebung des zu entrichtenden Kaufpreises über § 138 BGB erscheint auf den ersten Blick aber schwierig. § 138 BGB erklärt ein Rechtsgeschäft für nichtig, sodass ihm zwar eine Teilnichtigkeit im Sinne einer Reduktion entnommen werden kann. Wollte man aber die zu niedrige Leistung heraufsetzen, käme § 138 BGB keine beschränkende Wirkung mehr zu, sondern eine aktiv gestaltende. Bei den Befürwortern eines Normzweckvorbehalts wird diese Problematik selten erörtert, sondern davon ausgegangen, dass auch eine Heraufsetzung des Entgelts auf das zulässige Niveau über § 138 BGB möglich ist.535 Dafür spricht, dass die Möglichkeit der Anpassung im Ergebnis nicht davon abhängen kann, in welcher Rolle sich der Benachteiligte befindet. Seine Schutzwürdigkeit ändert sich nicht und der Normzweck gebietet in beiden Situationen gleichermaßen die Anpassung. Ebenso spielt es vom wirtschaftlichen Standpunkt aus keine Rolle, welche Leistung angepasst wird, denn entscheidend ist das Verhältnis der beiden Leistungsverpflichtungen zueinander. Wird die Äquivalenzstörung erst – wie regelmäßig – nach Leistungsaustausch geltend gemacht, wird der Begünstigte zudem in beiden Fällen zum selben Verhalten verpflichtet, nämlich zu einer Geldzahlung. Wenn der überhöhte Kaufpreis reduziert wird, muss der Begünstigte diesen nach Bereicherungsrecht herausgeben. Wird dagegen seine Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung aus dem Vertrag erhöht, muss er ebenfalls nachzahlen, nur dass die Verpflichtung zur Zahlung nicht aus Bereicherungsrecht, sondern unmittelbar aus dem Vertrag folgt. Vom praktischen Ergebnis macht dies keinen Unterschied. Dies spricht insgesamt dafür, über § 138 BGB auch die Heraufsetzung einer zu niedrigen (Geld-)Leistung des Begünstigten zuzulassen.536 533 534
Vgl. oben: § 13 G. Art und Weise der Anpassung, S. 360 ff. Vgl. Nachweise in Kapitel 3 Fn. 225. 535 Staudinger/Sack/Fischinger, (2017), § 138 Rn. 214. 536 Für Fälle des Wuchers ließe sich sich das gewünschte Ergebnis (Heraufsetzung des
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Dogmatisch lässt sich dieses Ergebnis erreichen, indem man von der Nichtigkeit der zu geringen Entgeltabrede ausgeht und diese durch eine solche in zulässiger Höhe ersetzt. Der Normzweck verbietet nämlich die vollständige Nichtigkeit des Vertrages und gebietet umgekehrt die Heraufsetzung des Entgelts. Beim Wucher erfolgt eine Anpassung auf das Marktniveau, während bei der Läsion eine solche auf das eben noch zulässige Entgelt vorgenommen wird. Ein entsprechendes Vorgehen findet sich auch beim Lohnwucher, wenn die sittenwidrig niedrige Entgeltabrede durch eine solche in angemessener Höhe ersetzt wird, wobei dabei der Maßstab, auf den der zu niedrige Lohn anzupassen ist, unter Heranziehung der §§ 612, 632 BGB gewonnen wird.537 Nach hier vertretener Auffassung ergibt sich der Anpassungsmaßstab beim Wucher und der Läsion unmittelbar aus diesen selbst, sodass ein Rückgriff auch weitere Normen nicht erforderlich ist. Als Zwischenergebnis lässt sich somit festhalten, dass die für den Wucher und die Läsion vorgesehene Anpassung des Vertrages jeweils über § 138 BGB möglich ist.
C. Vertragsauflösung Sowohl beim Wucher als auch der Läsion wurde festgestellt, dass neben der Anpassung des Vertrages ein schützenswertes Interesse an der Vertragsauflösung bestehen kann.538 Beim Wucher betrifft dies die bewucherte, bei der Läsion die begünstigte Partei. Dabei darf der Bewucherte im Zeitpunkt der Geltendmachung der Äquivalenzstörung entscheiden, ob er die Vertragsauflösung der Vertragsanpassung vorzieht. Beim Begünstigten dagegen ist primär auf seinen Willen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen und zu fragen, ob er zum damaligen Zeitpunkt den Vertrag auch zu angepassten Konditionen abgeschlossen hätte.539 Nur ausnahmsweise ist sein Wille nach Geltendmachung der Äquivalenzstörung maßgeblich, nämlich wenn sein Wille im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf die Gesamtnichtigkeit gerichtet war, nunmehr aber auf Vertragsanpassung gerichtet ist. Kaufpreises) zudem noch auf anderem Weg als über § 138 BGB erreichen. Da das Ausnutzen der Schwächelage eine vorvertragliche Pflichtverletzung darstellt, haftet der Wucherer aus culpa in contrahendo. Dies gibt dem Bewucherten nach der Rechtsprechung des BGH die Möglichkeit, den sog. Restvertrauensschaden geltend zu machen, d. h. die Differenz, um die die eigene Leistung hinter dem Wert der Gegenleistung zurückbleibt. Auf diesem Weg lässt sich wirtschaftlich das gleiche Ergebnis wie durch eine Heraufsetzung der vertraglichen Verpflichtung des Wucherers zur Kaufpreiszahlung erreichen. In Fällen der Läsion kann über die c. i. c. kein entsprechender Ersatz verlangt werden. Denn regelmäßig fehlt es an einer Pflichtverletzung des Begünstigten. Vgl. insgesamt dazu oben: § 8 C. II. 2. Vertragsanpassung, S. 150 ff. 537 Vgl. oben: § 9 C. III. 1. c) Lohnwucher, S. 201 f. 538 Vgl. oben: § 13 D. II. Differenzierung zwischen Wucher und Läsion, S. 340 ff. 539 Vgl. oben: § 13 D. II. 2. b) Maßgeblicher Zeitpunkt, S. 342 f.
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Weil der Normzweck aber jeweils nicht für die Gesamtnichtigkeit spricht, kann dieses Ziel nicht unmittelbar über § 138 BGB erreicht werden.540 Es fragt sich daher, ob dies auf anderem Wege möglich ist.
I. Wucher Der Bewucherte kann sein Ziel der Vertragsauflösung aber dennoch erreichen und zwar über die Haftung des Wucherers aus culpa in contrahendo.541 Über diese kann der Bewucherte nämlich nicht nur am Vertrag festhalten und den Restvertrauensschaden verlangen, sondern auch die Rückabwicklung des Vertrages verlangen.542 Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein Gestaltungsrecht, denn die Haftung aus c. i. c. gibt ihm lediglich einen Anspruch auf Zustimmung zu einem Aufhebungsvertrag.543 Die Änderung der Rechtslage tritt daher erst nach Abgabe der entsprechenden Willenserklärung durch den Begünstigten oder deren Fiktion nach § 894 ZPO ein.
II. Läsion Für die Fälle der Läsion kommt keine Lösung über die Haftung aus c. i. c. in Betracht, da der Benachteiligte keine vorvertragliche Pflicht verletzt hat.544 Hier bietet sich aber eine Lösung über § 139 BGB an. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob dieser hier überhaupt anwendbar ist. Darüber hinaus ergeben sich bei der uneingeschränkten Anwendung von § 139 BGB in Hinblick auf die Umsetzung der gefundenen Lösung zwei Problem: Zum einen stellt § 139 BGB auf den Willen beider Vertragsparteien ab. Nach hier vorgeschlagener Lösung soll bei der Läsion aber allein der Wille des Begünstigten über die Aufrechterhaltung des Vertrages entscheiden. Zum anderen soll ausnahmsweise der Wille des Begünstigten im Zeitpunkt der Geltendmachung der Äquivalenzstörung maßgeblich sein, wenn dieser auf die Teilnichtigkeit gerichtet ist und bei Vertragsschluss noch auf die Gesamtnichtigkeit gerichtet war. § 139 BGB stellt aber auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab.545 Soweit die Anwendbarkeit wegen 540
Es sei denn, man macht den Normzweck vom jeweiligen konkreten Einzelfall und dem Willen der Betroffenen abhängig. 541 Vgl. zur Haftung des Wucherers aus c. i. c. oben: § 8 C. I. 2. Pflichtverletzung beim Wucher und wucherähnlichen Rechtsgeschäft, S. 142 ff. 542 Vgl. oben: § 8 C. II. 1. Vertragsauflösung, S. 146 ff. In vielen Fällen wird dies auch über § 823 Abs. 2 BGB (§ 826 BGB) i. V. m. § 249 Abs. 1 BGB möglich sein, so zu Recht Erlanger, LZ 1932, 944, 945. 543 Vgl. oben: § 8 C. II. 1. Vertragsauflösung, S. 146 ff. 544 Zwar hat dies u. U. der Begünstigte. Hier geht es aber darum, wie der Begünstigte sich vom Vertrag lösen kann, nicht der Benachteiligte. Insofern wäre Voraussetzung eine Pflichtverletzung des Benachteiligten. 545 BGH NJW‑RR 1989, 800, 801; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 139 Rn. 20; BeckOK BGB/ Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 139 Rn. 16; Staudinger/Roth, (2015), § 139 Rn. 77; MüKoBGB/Busche, 8. Aufl., § 139 Rn. 31; Hoffmann, JuS 2017, 1045, 1045.
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der mangelnden Teilbarkeit eines überhöhten Entgelts verneint wird, ist dieser Auffassung aus bereits dargelegten Gründen,546 nicht zu folgen.
1. Anwendbarkeit von § 139 BGB § 138 BGB führt entsprechend dem Zweck der Läsion zur Nichtigkeit des unzulässig überhöhten Entgelts, womit ein Fall der Teilnichtigkeit vorliegt. Dies gilt auch für den umgekehrten Fall der zu niedrigen Entgeltabrede, die durch eine zulässige ersetzt wird, da hier die unzulässig niedrige Entgeltabrede nichtig ist und damit auch der Vertrag in seiner ursprünglichen Form teilweise nichtig ist. Der Anwendungsbereich von § 139 BGB ist damit grundsätzlich eröffnet. Die Aufrechterhaltung des Vertrages hängt demnach vom (hypothetischen) Parteiwillen ab. Es ist allerdings umstritten, ob auf einen gemäß §§ 134, 138 BGB aufgrund des Schutzzwecks der Norm nur teilnichtigen Vertrag in einem zweiten Schritt noch § 139 BGB anzuwenden ist oder ob die schutzzweckbedingte Einschränkung der Nichtigkeit bereits endgültig ist.547 Die Bedenken bestehen darin, dass der (hypothetische) Parteiwille dem Schutzzweck der verletzten Sittennorm widersprechen kann.548 Tatsächlich darf die Anwendung von § 139 BGB nicht dazu führen, dass das über den Normzweck i. R. v. § 138 BGB gefundene Ergebnis zulasten der zu schützenden Partei wieder aufgehoben wird. Das verbietet nach der hier entwickelten Lösung im Fall des Wuchers eine Anwendung von § 139 BGB. Einerseits ist nämlich für den Zeitpunkt, in dem der Bewucherte Auflösung verlangen kann, nicht auf den Vertragsschluss abzustellen, wie es § 139 BGB aber tut. Andererseits darf der Schutz des Bewucherten und aus Gründen der Prävention das Schicksal des Vertrages nicht vom (hypothetischen) Willen des Wucherers abhängen. Bei der Läsion hingegen ist auch der Begünstigte schutzwürdig. Ihm darf deshalb kein angepasster Vertrag aufgedrängt werden, dem er nicht ebenfalls zugestimmt hätte.549 Insoweit liegen hier die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion von § 139 BGB nicht vor. Weil das BGB für den Fall der Teilnichtigkeit ausdrücklich die Prüfung nach § 139 BGB vorsieht, ist § 139 BGB hier auf die Läsion anwendbar. 546 Vgl. oben: § 14 B. V. 2. b) Bewertung, 547 Für eine zusätzliche Anwendung von
S. 396 ff. § 139 BGB: Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 151 ff.; wohl auch Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 131 ff., wenn er, auch ohne Nennung von § 139 BGB, die Frage nach dem Eintritt der Teilnichtigkeit vom hypothetischen Parteiwillen abhängig machen will; A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 52 f.; dagegen: Ulmer in: FS Steindorff, 799, 804; Wolf/ Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 56 Rn. 4; Leipold, BGB AT, 10. Aufl., § 21 Rn. 9; Weimar, ZMR 1963, 193, 195. 548 Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 56 Rn. 2 ff.; Ulmer in: FS Steindorff, 799, 804; Leipold, BGB AT, 10. Aufl., § 21 Rn. 9. 549 Vgl. oben: § 13 D. II. 2. Läsion, S. 342 ff.
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2. Maßgeblichkeit allein des Willens des Begünstigten § 139 BGB stellt bei einem Vertrag auf den Willen beider Vertragsparteien ab. Ist dieser übereinstimmend auf die Geltung des Vertrages auch in Form der Teilnichtigkeit gerichtet, bleibt der Vertrag in dieser Form wirksam. Anderenfalls führt die Teilnichtigkeit zur Gesamtnichtigkeit. Die mögliche Aufrechterhaltung des Vertrages in Fällen der Läsion soll aber nur vom Willen des Begünstigten abhängen. Wie bereits beschrieben, ist der Wille desjenigen, der durch die Teilnichtigkeit des Vertrages gewinnt, im Rahmen von § 139 BGB gewöhnlich ohnehin auf die Teilnichtigkeit gerichtet.550 Als alleiniger Profiteur der Teilnichtigkeit hat er nämlich kein (legitimes) Interesse an einer weitergehenden Gesamtnichtigkeit. Wenn er den Vertrag sogar mit der ihn belastenden Regelung geschlossen hat, hätte er ihn erst recht von vornherein in der durch die Teilnichtigkeit eingetretenen Form geschlossen, weil diese ihn im Vergleich zum tatsächlich geschlossenen Vertrag besser stellt.551 Sollte dies tatsächlich einmal anders sein und der durch die Teilnichtigkeit Begünstigte sich auf die Gesamtnichtigkeit berufen (können), ist ihm dies nach § 242 BGB zu verwehren.552 Somit hängt die Aufrechterhaltung praktisch allein vom Willen des Begünstigten ab. Es kommt zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages, wenn sein Wille auf die Gesamtnichtigkeit gerichtet ist, weil dann eine Übereinstimmung mit dem auf die Teilnichtigkeit gerichteten Willen des Benachteiligten nicht vorliegt. Umgekehrt kommt es zur Teilnichtigkeit und damit Anpassung, wenn der Wille des Begünstigten auf die Teilnichtigkeit gerichtet ist, weil dann insofern ein übereinstimmender Wille vorliegt.
3. Anwendung von § 139 BGB Wie im Verlauf der Arbeit herausgearbeitet wurde, soll im Grundsatz auf den Willen des Bevorteilten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt werden.553 Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass ein ursprünglich auf die Gesamtnichtigkeit gerichteter Wille sich zwischenzeitlich geändert hat und nunmehr auf die Anpassung gerichtet ist. Diese Lösung lässt sich über § 139 BGB weitgehend umsetzen, denn auch nach § 139 BGB ist der Wille zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidend.554 Maßgeblich ist primär der tatsächliche Wille.555 Falls sich dieser nicht 550
Vgl. oben: § 14 B. V. 3. b) Nichtigkeit ohne pflichtwidriges Vorverhalten, S. 401 f. A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 25; Lindacher, AcP 173 (1973), 123, 132 f. 552 Vgl. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 442. 553 Vgl. oben: § 13 D. II. 2. b) Maßgeblicher Zeitpunkt, S. 342 f. 554 Vgl. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 545. 555 Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 507; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 139 Rn. 20; 551 Ebenso
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feststellen lässt, ist auf den hypothetischen Willen abzustellen.556 Dieser orientiert sich nach der h. M. daran, was die Parteien bei Kenntnis der Sachlage nach Treu und Glauben und bei vernünftiger Abwägung der beiderseitigen Interessen vereinbart hätten.557 Dies wird von Teilen der Literatur kritisiert, die der Ansicht sind, dass für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens der Standpunkt der Parteien Vorrang vor dem eines vernünftigen Dritten habe.558 Das heißt konkret, dass für die Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens ihre Interessen auch dann herangezogen werden, wenn diese von einem objektiven Standpunkt aus unvernünftig erscheinen mögen. Diese Sichtweise überzeugt, weil dadurch dem Zweck von § 139 BGB besser Rechnung getragen wird. Dieser besteht nämlich darin, die Privatautonomie der Parteien zu schützen, indem ihnen kein (Rest-)Vertrag aufgedrängt wird, den sie bei Kenntnis der Teilnichtigkeit nicht geschlossen hätten.559 Da die Privatautonomie auch den Abschluss unvernünftiger Verträge zulässt,560 sollte die Orientierung daran, was vernünftige Parteien getan hätten, nur subsidiär herangezogen werden. Dieser theoretisch klare Ansatz steht jedoch praktisch vor der nicht unerheblichen Schwierigkeit, den Willen des Begünstigten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses festzustellen. Regelmäßig werden die Parteien den Fall der Teilnichtigkeit nämlich nicht bedacht haben, sodass die Feststellung, was die Parteien im Falle der Kenntnis der Teilnichtigkeit vereinbart hätten, Probleme bereitet. Um den Willen des Begünstigten zu ermitteln, sind alle in Betracht kommenden Umstände heranzuziehen, unabhängig davon, ob sie im Vertrag selbst zum Ausdruck kommen oder nicht.561 Auch wenn die Feststellung vom Einzelfall abhängt und praktisch schwierig ist, lassen sich grob einige allgemeine Erwägungen anstellen. Von großer Bedeutung wird dabei jeweils sein, wie viel der Begünstigte nachzahlen muss, damit der Vertrag wirksam bleibt. Je geringer dieser Betrag ist, desto näher liegt die Annahme, dass er auch damals schon einem angepassten Vertrag zugestimmt hätte. Umgekehrt ist es bei einer großen Hoffmann, JuS 2017, 1045, 1045 f.; Mayer-Maly in: FS Flume (1978), 621, 622 f.; Jauernig/ Mansel, 17. Aufl., § 139 Rn. 12. 556 Staudinger/Roth, (2017), § 139 Rn. 74; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 139 Rn. 20; Jauernig/ Mansel, 17. Aufl., § 139 Rn. 12. 557 BGH NJW 2012, 2648, 2649; NJW 2006, 2696, 2697; NJW 2004, 3045, 3046; NJW 1986, 2576, 2577; Staudinger/Roth, (2015), § 139 Rn. 75; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 139 Rn. 16; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 139 Rn. 14; Lindacher, AcP 173 (1973), 123, 132; MüKoBGB/Busche, 8. Aufl., § 139 Rn. 29. 558 Medicus/Petersen, BGB AT, 11. Aufl., Rn. 507; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 139 Rn. 22; Hoffmann, JuS 2017, 1045, 1046; Mayer-Maly in: FS Flume (1978), 621, 622 f.; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 139 Rn. 20 f. 559 BGH NJW‑RR 2002, 1527, 1527; Stadler, BGB AT, 19. Aufl., § 27 Rn. 2; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 56 Rn. 1; Staudinger/Roth, (2015), § 139 Rn. 1; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 139 Rn. 1; MüKoBGB/Busche, 8. Aufl., § 139 Rn. 1; BeckOK BGB/Wendtland, 53. Ed. 01.02.2020, § 139 Rn. 1; Cahn, JZ 1997, 8, 18; Hoffmann, JuS 2017, 1045, 1045. 560 Vgl. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 203. 561 BGH NJW 1986, 2576, 2577; PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 139 Rn. 21.
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Abweichung eher unwahrscheinlich, dass er ebenfalls zu angepassten Bedingungen kontrahiert hätte.
a) Der Begünstigte als Verkäufer Ist der Begünstigte der Verkäufer, wird entscheidend sein, ob dieser ohnehin verkaufen wollte oder nur die plötzliche Gelegenheit aufgrund des vom benachteiligten Käufer angebotenen Preises das Motiv für den Verkauf bildete. In der Mehrzahl der Fälle wird wohl die erste Konstellation einschlägig sein. Dies spricht dann dafür, dass der Verkäufer auch zu angepassten Konditionen kontrahiert hätte, es sei denn, es hätte die realistische Option bestanden, die Sache zu einem höheren Preis zu verkaufen. Da die Anpassung nach hier vertretener Auffassung auf das eben noch zulässige Maß vorgenommen wird, wird letzteres nur ganz ausnahmsweise der Fall sein. Wenn sich danach kein tatsächlicher Wille feststellen lässt, ist auf das objektiv Vernünftige abzustellen. Dabei ist es nicht unvernünftig, den Vertrag auch mit reduziertem Inhalt zu schließen. Legt man die hier vertretene Auffassung zugrunde, dass die Reduktion der überhöhten Leistung nur bis zur Zulässigkeitsgrenze vorgenommen wird, kann man einen Vertragsschluss mit solchem Inhalt sogar als sinnvoll bezeichnen, denn einen höheren Preis kann der Begünstigte kaum erhalten. Allein vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, ist es vernünftig, einen Gegenstand zu veräußern, wenn man dafür als Gegenleistung mehr erhält, als dieser wert ist. Nur ausnahmsweise kann es sein, dass er dennoch vom Vertragsschluss Abstand genommen und das Grundstück in seinem Vermögen belassen hätte. Dies wird besonders dann der Fall sein, wenn der Verkäufer nur zum unzulässig hohen Preis veräußern wollte und anderenfalls von der Veräußerung abgerückt wäre. In der Tendenz ist auch unter diesen Umständen von einem Willen zur Teilnichtigkeit auszugehen.
b) Der Begünstigte als Käufer Ist der Begünstigte der Käufer, ist entsprechend zu verfahren. Auch hier ist im Ausgangspunkt danach zu fragen, ob er ohnehin zum Kauf dieses beziehungsweise eines entsprechenden Gegenstandes entschlossen war. Anders als beim Verkäufer, der sein Grundstück ohnehin verkauft hätte, steht aus der Perspektive des Käufers, selbst wenn er auf jeden Fall ein Grundstück erwerben wollte, aber der konkrete Kaufgegenstand nicht fest. Vielleicht wäre er nämlich auf ein anderes Grundstück ausgewichen, statt zum angepassten Preis zu kontrahieren. Allein aus dem Umstand, dass er dafür wahrscheinlich einen verhältnismäßig schlechteren Preis hätte zahlen müssen, kann nicht automatisch darauf geschlossen werden, dass auch der Käufer zu den angepassten Bedingungen kontrahiert hätte. Denn die ökonomische Perspektive ist nur ein mögliches Kriterium beim Kauf eines Grundstücks. Gerade wenn der Käufer das Grundstück
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selbst nutzen und bewohnen wollte, ist nicht allein der Preis die maßgebliche Komponente. So können persönliche Vorlieben dafür sorgen, dass der Käufer bereit ist, für bestimmte Eigenschaften eines Grundstücks mehr zu bezahlen als diese am Markt wert sind. Aufgrund der schlechteren Vergleichbarkeit von Grundstücken ist das Kriterium, ob der Käufer in jedem Fall ein Grundstück erwerben wollte oder nicht, deshalb weniger aussagekräftig als bei anderen Gegenständen.
c) Zwischenergebnis Insgesamt muss berücksichtigt werden, dass die soeben dargestellten Erwägungen nur allgemeiner Natur sind und im Einzelfall durch zusätzliche Umstände gestützt werden müssen. Es darf deshalb nicht vorschnell angenommen werden, der Begünstigte hätte auch dem angepassten Vertrag zugestimmt. Gerade weil es sich bei der Preisgestaltung um den wohl sensibelsten Teil des Vertrages handelt, woraus sich auch die zahlreichen Stimmen ergeben, die davon ausgehen, eine Anpassung scheide von vornherein aus562. Von daher wird sich häufig kein eindeutiger Wille, ob tatsächlicher oder hypothetischer Art, feststellen lassen.563 Führt die Auslegung aber nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, ist nach § 139 BGB im Zweifel von der Gesamtnichtigkeit auszugehen.564 Nach der hier entwickelten Lösung kann der Vertrag dann dennoch aufrechterhalten werden, wenn der aktuelle Wille des Begünstigten auf die Teilnichtigkeit gerichtet ist.565
4. Ausnahme bei Willensänderung hin zur Teilnichtigkeit Vom maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist eine Ausnahme zu machen, wenn sich der Wille zwischenzeitlich von der Gesamt- zur Teilnichtigkeit wandelt.566 Es fragt sich, ob dies noch über § 139 BGB möglich ist oder auf andere Vorschriften zurückgegriffen werden muss. A. Bergmann geht davon aus, dass i. R. v. § 139 BGB der aktuelle Wille den Willen bei Vertragsschluss verdrängen könne.567 Argumentativ stützt er dies auf einen Erst-Recht-Schluss: Wenn schon der hypothetische Wille i. R. v. § 139 BGB ausreiche, um den geänderten Vertrag aufrechtzuerhalten, so müsse erst recht der tatsächliche Wille ausreichen, weshalb § 139 BGB die Möglich562 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 646. 563 Ebenso A. Bergmann, Die Rechtsfolgen
des ungerechten Vertrages, S. 52; Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 151 ff., 157 f.; Eckstein, ArchBürgR 41 (1915), 178, 221, geht sogar davon aus, der Wille sei regelmäßig auf Gesamtnichtigkeit gerichtet. 564 PWW/Ahrens, 14. Aufl., § 139 Rn. 21; Erman/Arnold, 15. Aufl., § 139 Rn. 22; Staudinger/Roth, (2017), § 139 Rn. 76; Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., § 139 Rn. 14. 565 Vgl. dazu sogleich: 4. Ausnahme bei Willensänderung hin zur Teilnichtigkeit, S. 427 f. 566 Vgl. oben: § 13 D. II. 2. b) Maßgeblicher Zeitpunkt, S. 342 f. 567 A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 53.
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keit gewähre, mittels ausdrücklicher Willenserklärung sich mit der Teilnichtigkeit einverstanden zu erklären.568 Gegen dieses Vorgehen sprechen jedoch zahlreiche Einwände. Zum einen spricht bereits der Wortlaut des § 139 BGB („vorgenommen sein würde“) gegen eine solche Auslegung, indem er eindeutig auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses Bezug nimmt. Zum anderen spricht auch die Gesetzessystematik dagegen, in § 139 BGB auf den aktuellen Willen abzustellen. Für diesen Fall sieht das Gesetz in § 141 BGB nämlich die Möglichkeit der Bestätigung vor. Wenn beide Parteien übereinstimmend den Willen haben, den Vertrag aufrechtzuerhalten, greift § 141 BGB ein, sofern sie diesen (nachträglich) nach außen artikulieren. Ein Rückgriff auf § 139 BGB ist daher überflüssig. Schließlich sieht sich auch der zur Begründung bemühte Erst-Recht-Schluss Zweifeln ausgesetzt. Wenn A. Bergmann argumentiert, ein aktueller, ausdrücklich geäußerter Wille müsse erst recht ausreichen, weil schon der hypothetische Wille bei Vertragsschluss zur Aufrechterhaltung des Vertrags ausreiche, bemüht er dabei offenbar ein argumentum a minori ad maius. Ein solches besagt, dass eine Rechtsfolge, die für einen am Gesetzeszweck gemessen schwächeren Sachverhalt gilt, umso mehr für einen gewichtigeren Fall gelten muss, auch wenn er vom Gesetz nicht unmittelbar geregelt ist.569 Zwar ist grundsätzlich der tatsächliche Wille stärker als der hypothetische Wille. Deshalb wird auch i. R. v. § 139 BGB primär auf den tatsächlichen Willen abgestellt und nur falls sich dieser nicht feststellen lässt, auf den hypothetischen Willen ausgewichen.570 Das gilt aber nur, sofern der maßgebliche Zeitpunkt identisch ist. Das ist er hier aber nicht, denn es geht gerade um die Verlagerung des Zeitpunktes. Der hypothetische Wille bei Vertragsschluss ist aber nicht etwas Schwächeres im Vergleich zum tatsächlichen Willen zum Zeitpunkt der Geltendmachung der Äquivalenzstörung, sondern schlicht etwas anderes. Die Voraussetzungen eines Erst-RechtSchlusses liegen damit gar nicht vor. Deshalb ist dieser Auffassung nicht zu folgen. Über § 139 BGB lässt sich die Ausnahme daher nicht begründen.
5. Lösung über § 242 BGB Auch wenn § 139 BGB es nicht zulässt, den Vertrag aufrechtzuerhalten, indem der Begünstigte erklärt, auch mit den angepassten Konditionen einverstanden zu sein, kann dieses Ergebnis über § 242 BGB erreicht werden. Diese Funktion kommt ihm bereits in einem ähnlichen Fall zu, nämlich dem der Irrtumsanfechtung: Erklärt sich hier der Anfechtungsgegner bereit, das Geschäft auch mit dem Inhalt gelten zu lassen, wie ihn die sich irrende Partei verstanden hat, 568 569
A. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S. 53. F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 479; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl., Rn. 898; Kramer, Methodenlehre, S. 210. 570 Vgl. oben: 3. Anwendung von § 139 BGB, S. 424 ff.
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gilt das Geschäft zu diesen Bedingungen und eine Anfechtung ist ausgeschlossen.571 Hintergrund ist, dass der Irrende kein legitimes Interesse an der Lösung des Vertrags hat, wenn der andere Teil anbietet, den Vertrag mit dem von ihm beabsichtigten Inhalt gelten zu lassen.572 Erklärt sich bei der Läsion der Bevorteilte bereit, den nach § 139 BGB (insgesamt) nichtigen Vertrag mit dem gesetzlich zulässigen Inhalt aufrechtzuerhalten, verhält es sich ähnlich. Der Benachteiligte kann dagegen keine legitimen Interessen ins Feld führen. Zwar wird er, da die Anpassung nur auf das Mindestmaß vorgenommen wird, häufig die Gesamtnichtigkeit vorziehen. Damit darf er aber nicht gehört werden, weil er sonst das grundsätzlich ihm obliegende Risiko einer seinen Interessen entsprechenden Preisgestaltung auf den Bevorteilten überwälzen könnte.573 Die Läsion lässt dies nach hier vertretener Auffassung aber nur soweit zu, bis die Grenze des Zulässigen erreicht ist. Von daher muss der Benachteiligte einen Vertrag akzeptieren, der nur auf diese Grenze angepasst wird. Wäre dieser nämlich von vornherein mit diesem Inhalt vereinbart worden, wäre die benachteiligte Partei an den Vertrag gebunden. Nach § 242 BGB ist es dem Begünstigten dementsprechend möglich, die Nichtigkeit des Vertrages zu verhindern, indem er sich nachträglich mit dessen Anpassung einverstanden erklärt.
D. Eintritt der Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen treten bei § 138 BGB grundsätzlich ipso iure ein.574 Für die hier vorgeschlagene Lösung bedeutet dies, dass zunächst entsprechend dem Schutzzweck eine ipso iure Anpassung des Vertrages erfolgen würde. Eine Abweichung vom Eintritt der Rechtsfolgen kraft Gesetzes stellt sich als schwierig dar, denn der Wortlaut von § 138 BGB („ist nichtig“) erscheint eindeutig. Es fragt sich daher, ob und wie der Eintritt der konkreten Rechtsfolge in § 138 BGB vom Willen des Benachteiligten abhängig gemacht werden kann. Anders als es bei § 138 BGB grundsätzlich der Fall ist, soll nach der hier entwickelten Lösung die Anpassung nicht von selbst eintreten, sondern nur durch die Geltendmachung der Äquivalenzstörung seitens der benachteiligten Partei. Dazu wird ihr ein Gestaltungsrecht eingeräumt, das mittels formloser Erklärung gegenüber dem Begünstigten auszuüben ist.575 Dieser hingegen kann sich nicht auf die Äquivalenzstörung berufen. 571
Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 566.
572 Staudinger/Singer, (2017), § 119 Rn. 103; Lobinger, AcP 195 (1995), 274, 278 f.; Erman/
Arnold, 15. Aufl., § 119 Rn. 48; MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl., § 119 Rn. 152; Staudinger/ Looschelders/Olzen, (2019), § 242 Rn. 433; Wolf/Neuner, BGB AT, 11. Aufl., § 41 Rn. 150. 573 Vgl. dazu schon oben: § 13 F. IV. 2. Läsion, S. 359 f. 574 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 39. 575 Vgl. oben § 13 E. I. 2. Das Gestaltungsrecht als vorzugswürdige Lösung, S. 347 f.
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Dieses Ergebnis könnte mit einer entsprechenden Anwendung der Anfechtungsregeln erreicht werden. Auch bei der Anfechtung wird die Berufung auf den Mangel des Rechtsgeschäfts in das Belieben einer Partei, des Anfechtungsberechtigten, gestellt. Grund dafür ist, dass die Anfechtung allein dem Schutz des Anfechtungsberechtigten dient, der sich geirrt hat beziehungsweise getäuscht oder bedroht wurde, und die andere Partei, der Anfechtungsgegner, kein legitimes Interesse an der Geltendmachung des Anfechtungsgrundes hat. Gleichzeitig kann aber der Anfechtungsberechtigte ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Vertrages haben, weshalb der Vertrag nicht automatisch nichtig ist.576 Eine analoge Anwendung der Anfechtungsregeln wurde in der Literatur schon teilweise in Betracht gezogen. So erwägte etwa Bucher eine analoge Anwendung der Anfechtungsregeln auch auf § 138 BGB,577 ohne die Frage jedoch zu vertiefen oder zu entscheiden. Auch Beckmann erörtert für die Umsetzung der von ihm entwickelten personalistisch orientierten Nichtigkeit eine analoge Anwendung der Anfechtungsregeln.578 Trotz zahlreicher Parallelen verwirft er eine Analogie, weil nach seiner Konzeption, auch wenn die Nichtigkeitsvorschrift Individualinteressen dient, entsprechende Rechtsgeschäfte zunächst nichtig sind, aber Wirksamkeit erlangen können, die Situation also im Vergleich zur Anfechtung gerade umgekehrt ist.579 Des Weiteren lehnt Beckmann eine Analogie ab, weil die Anfechtung im BGB nur für Willensmängel beziehungsweise Fehler bei der Willensumsetzung vorgesehen sei und ihr Anwendungsbereich damit enger ist als der der von ihm entwickelten personalistisch orientierten Nichtigkeit. Sack wiederum befürwortet eine analoge Anwendung der §§ 119, 123 BGB auf § 134 BGB, wenn das Verbotsgesetz die Freiheit der Willensbildung einer Partei bei Vertragsschluss schützen soll.580 Zu § 181 BGB schließlich hat U. Hübner vertreten, dass die Geltendmachung des Verstoßes nur dem Vertretenen gestattet werden sollte, da die Vorschrift allein dessen Schutz bezwecke.581 Dazu erwog er, entsprechende Verträge zunächst als wirksam zu betrachten, dass diese aber vom Vertretenen durch ein Anfechtungsrecht vernichtet werden könnten. Letztlich lehnte er dies aber mit der auch von Beckmann vorgebrachten Begründung ab, dass das BGB die Anfechtung nur im Zusammenhang mit Willensmängeln beziehungsweise Fehlern bei der Umsetzung des Willens vorsehe.582 576 Vgl.
Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 403 f.; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 51. 577 Bucher, AcP 186 (1986), 1, 67 f. 578 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 403 ff. 579 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 407. 580 Sack, wrp 1974, 445, 450 f.; ders., BB 1987, Beil. 2, 1, 28; Staudinger/Sack/Seibl, (2017), § 134 Rn. 108 ff. 581 U. Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, § 8 III., S. 106. 582 U. Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, § 8 III., S. 106.
§ 15 Dogmatische Umsetzung der entwickelten Lösung
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Ob eine analoge Anwendung der Anfechtungsregeln auf die hier entwickelte Lösung möglich ist, richtet sich letztlich danach, ob die Voraussetzungen einer Analogie erfüllt sind. Dies soll im Folgenden untersucht werden. Eine Analogie setzt eine vergleichbare Interessenlage und eine planwidrige Regelungslücke voraus.583
I. Vergleichbare Interessenlage Die den Anfechtungstatbeständen der §§ 119, 123 BGB auf der einen Seite und dem Wucher- und Läsionstatbestand auf der anderen Seite zugrundeliegenden Interessen müssten zunächst vergleichbar sein. Das heißt, es muss zwischen diesen eine hinreichende Ähnlichkeit bestehen.584 Dies gilt besonders hinsichtlich des jeweiligen Sinn und Zwecks der analog anzuwendenden Norm, der auch auf den ungeregelten Sachverhalt zutreffen muss.585 Konkret bedeutet dies, dass der Grund, weshalb das Gesetz in den §§ 119 ff. BGB für bestimmte Fälle die Anfechtung vorsieht, ebenfalls auf die Fälle des Wuchers und der Läsion zutreffen muss. Auf das Verhältnis von § 123 BGB zu § 138 BGB in Fällen des Wuchers und wucherähnlichen Rechtsgeschäfts und die diesbezüglich an deren Ungleichbehandlung geäußerte Kritik wurde im Verlauf der Arbeit bereits eingegangen.586 Dabei wurden auch die Vergleichbarkeit der jeweils zugrundeliegenden Wertungen und die Widersprüchlichkeit, die in der Ungleichbehandlung liegt, herausgearbeitet, sodass diese hier nur noch kurz zusammengefasst werden sollen. Danach resultiert die Vergleichbarkeit vor allem aus der ähnlichen Schutzwürdigkeit von Bewuchertem einerseits und Getäuschtem andererseits. Jeweils kommt der konkrete Vertrag durch ein pflichtwidriges Verhalten des Vertragspartners zustande, das im Regelfall auch mit einer Strafe (263 Abs. 1 StGB bzw. § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB) bedroht ist. Beide Male nutzt der Vertragspartner eine Schwäche des anderen Teils aus, die einmal in einer Notlage, einer Willensschwäche oder Unerfahrenheit, das andere Mal in einem täuschungsbedingten Irrtum besteht. Dennoch können der Getäuschte wie der Bewucherte ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Vertrages haben. Zudem erfasst § 138 Abs. 2 BGB auch Fälle der beeinträchtigten Willensbildung bzw. -umsetzung. Diese liegen zwar unterhalb der Schwelle eines zur Anfechtung berechtigenden Irrtums. Dennoch handelt es sich jeweils um Willensmängel im weiteren Sinn, sodass insoweit von einer vergleichbaren Interessenlage ausgegangen werden kann. 583 Allg. Ansicht und st. Rspr.: BGH NJW 2017, 547, 551; NJW 2010, 1144, 1146; NJW 2003, 2601, 2603, jeweils m. w. N.; aus der Literatur: Danwerth, ZfPW 2017, 230, 232 f.; Würdinger, AcP 206 (2006), 946, 949; allgemein dazu F. Bydlinski, Methodenlehre, S. 472 ff. 584 Würdinger, AcP 206 (2006), 946, 952; Danwerth, ZfPW 2017, 230, 234. 585 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl., Rn. 889; Würdinger, AcP 206 (2006), 946, 953. 586 Vgl. ausführlich oben: § 9 C. I. Konkurrenz zwischen § 138 und § 123 BGB, S. 189 ff.
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Kapitel 4: Neukonzeption und ihre Integration
Ein pflichtwidriges Verhalten des Begünstigten liegt in den Fällen der Läsion zwar nicht vor. Hier unterliegt der Benachteiligte aber häufig einem Irrtum über den Wert entweder seiner eigenen Leistung oder der Gegenleistung, sodass diesbezüglich eine Parallele zur Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB besteht. Das auch beim Wucher und der Läsion vorliegende Interesse des Benachteiligten an einer Aufrechterhaltung des Vertrages (insb. um dessen Vorteile nicht zu verlieren) im Allgemeinen und die jeweils gegebene Beeinträchtigung der Willensbildung beziehungsweise Umsetzung im Speziellen, sprechen für eine vergleichbare Interessenlage mit der Anfechtung.
II. Planwidrige Regelungslücke Schwieriger als die vergleichbare Interessenlage gestaltet sich die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke. Die Geltendmachung der Nichtigkeit nach § 138 BGB dergestalt zu begrenzen, dass diese nur eintritt, wenn sich eine Partei auf die Nichtigkeit beruft, hat der historische Gesetzgeber nicht vorgesehen. Es passte auch nicht in sein Konzept der Sittenwidrigkeit und speziell des Wuchers, denn dessen Zweck lag ausdrücklich im Schutz öffentlicher Interessen.587 Diesbezüglich wäre es sogar kontraproduktiv gewesen, die Nichtigkeit dadurch zu begrenzen, dass sie erst durch die Geltendmachung einer der beteiligten Parteien eintritt, da dann der Schutz öffentlicher Interessen von der Geltendmachung einer der am Vertrag beteiligten Personen oder anderweitig tangierter Dritter abhinge. Sofern öffentliche Interessen die Nichtgeltung eines Rechtsgeschäfts erfordern, ist es geradezu zwingend, dass das Rechtsgeschäft unabhängig vom Willen und Verhalten der Parteien nicht gilt.588 Dies wird auch durch den Umstand deutlich, dass der Richter die Sittenwidrigkeit von Amts wegen zu beachten hat.589 Daher kann man sagen, dass es insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Auch wenn nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers eine planwidrige Regelungslücke fehlt, könnte eine solche nachträglich entstanden sein. Methodisch ist die Existenz erst nachträglich auftretender Lücken anerkannt.590 Sie entstehen vor allem durch technische oder ökonomische Entwicklungen, die einen neuen Sachverhalt zur Folge haben, für den explizite rechtliche Regelungen fehlen.591 Sie können aber auch durch Änderungen im 587 588
Vgl. oben: § 5 D. II. 2.a) Entstehung von § 138 Abs. 2 BGB, S. 29 ff. Von der Konstellation abgesehen, dass sich das öffentliche Interesse mit der Zeit wandelt und nun nicht mehr zwingend die Nichtgeltung erfordert. 589 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 41. 590 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., S. 377 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl., Rn. 861 f.; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 135; Kramer, Methodenlehre, S. 210. 591 Vgl. Nachweise in vorheriger Fußnote.
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Recht selbst entstehen, etwa durch den Erlass neuer Gesetze oder einen Wertewandel.592 Vorliegend könnte Letzteres eine Lücke entstehen lassen haben. Zum einen durch den Funktionswandel, den § 138 BGB seit seiner Entstehung erfahren hat, als dessen Folge die Sittenwidrigkeit mehr im Sinne einer ungeschriebenen Rechtswidrigkeit zu verstehen ist593 und der Tatsache, dass dieser heute nicht mehr bloß Allgemeininteressen, sondern genauso Individualinteressen schützt594. Zum anderen als Konsequenz davon, dass, wie hier, die Reichweite der Nichtigkeit in § 138 BGB vom Zweck der verletzten Sittennorm abhängig gemacht wird. Die beiden zuletzt genannten Punkte stehen dabei insofern im Zusammenhang, als dass die Beachtung des Normzwecks bei der Bestimmung der Reichweite der Nichtigkeit vor allem dem effektiven Schutz von Individualinteressen dient und somit eine logische Konsequenz beziehungsweise Anerkennung der Tatsache ist, dass § 138 BGB auch diese schützt. Der Schutz von Individualinteressen erfordert es aber, dass es gerade nur dem Geschützten gestattet ist, den Mangel des Rechtsgeschäfts geltend zu machen. Die Gegenpartei hat daran kein legitimes Interesse, besonders wenn sie, wie beim Wucher, für den Mangel sogar verantwortlich ist.595 Gleichzeitig besteht in den Konstellationen, in denen § 138 BGB primär Individualinteressen schützt, kein öffentliches Interesse an einer Vertragsanpassung, sodass es in das Belieben des zu Schützenden gestellt werden kann, ob er sich auf den Verstoß beruft oder nicht. Dass eine Anwendung der Anfechtungsregeln auf die Nichtigkeit auch in Hinblick auf den Willen des historischen Gesetzgebers gar nicht so fern liegt, wie es auf den ersten Blick erscheint, zeigt nicht nur ein Blick auf die Zeit vor Schaffung des BGB,596 sondern auch auf seinen Entstehungsprozess597. Hier differenzierte der für den allgemeinen Teil zuständige Redakteur Albert Gebhard zwischen Ungültigkeitsgründen, die dem Interesse einer der Parteien des Rechtsgeschäfts dienen, und solchen, die öffentlichen Interessen dienen.598 Jene ordnete er der Anfechtbarkeit zu, diese der Nichtigkeit. Diese Unterscheidung, die der Anfechtung einen sehr weiten Anwendungsbereich eingeräumt hätte, wurde im BGB nur in reduzierter Form übernommen, indem die Anfechtung nur für Fälle des Irrtums und der Täuschung und Drohung vorgesehen wurde. 592
Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl., Rn. 862; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 135. 593 Vgl. dazu oben: § 14 B. VII. 2. b) Einschränkung als Ausdruck des Funktionswandels von § 138 BGB, S. 414 ff. 594 § 14 B. VII. 1. Abkehr von der absoluten Nichtigkeit in § 138 BGB, S. 412 ff. 595 Richtig: Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 401 f. 596 Vgl. oben: § 14 A. I. 1. Die Zeit bis zur Reichsgründung 1871, S. 365 ff. 597 Vgl. oben: § 14 A. I. 2. Enstehung des BGB, S. 368 ff. 598 Vgl. oben: § 14 A. I. 2. a) Grundlagen, S. 368 ff.
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Der Gedanke einer weiterreichenden Anfechtung liegt dem BGB aber im Keim durchaus zugrunde. Hält man sich dies in seiner Gesamtheit vor Augen, so lässt sich auch eine planwidrige Regelungslücke annehmen.
III. Zwischenergebnis Die Ähnlichkeit der Läsion und des Wuchers mit den Anfechtungstatbeständen der §§ 119, 123 Abs. 1 BGB rechtfertigt es, auch den Eintritt der Rechtsfolge des § 138 BGB für Fälle des Wuchers und der Läsion von der Anfechtung durch den Benachteiligten abhängig zu machen. Die Schutzwürdigkeit des Benachteiligten ist vergleichbar mit der des Anfechtungsberechtigten in den Fällen der §§ 119 ff. BGB. Zudem spricht die Nähe zu den Willensmängeln, anders als in den von U. Hübner und Beckmann behandelten Konstellationen, hier für eine Übertragung der Anfechtung auf den Wucher und die Läsion.
E. Frist In einem letzten Schritt ist zu klären, ob sich die Möglichkeit des Benachteiligten, die Äquivalenzstörung geltend zu machen, einer Befristung unterwerfen lässt. Die Berufung auf die Nichtigkeit nach § 138 BGB ist nach dem System des BGB grundsätzlich zeitlich unbegrenzt möglich. Lediglich sich aus der Nichtigkeit ergebende Ansprüche, insbesondere auf Rückgabe, unterliegen der Verjährung.599 Möchte man hingegen die Berufung auf die Nichtigkeit selbst befristen, erscheint es im Anschluss an die analoge Anwendung des Anfechtungsrechts auf den Eintritt der Rechtsfolge nur konsequent, auch hier die entsprechenden Regelungen der Anfechtung analog heranzuziehen, d. h. konkret die §§ 121 Abs. 1, 124 BGB.
I. Analoge Anwendung der §§ 121, 124 BGB Auch insofern bedarf es hier einer vergleichbaren Interessenlage und planwidrigen Regelungslücke. Der Grund, weshalb das Anfechtungsrecht mit § 121 BGB und § 124 BGB einer Befristung unterworfen wird, liegt zum einen darin, der Unsicherheit über den endgültigen Bestand des Rechtsverhältnisses entgegenzuwirken, die beim Vertragspartner und übrigen Rechtsverkehr entsteht, wenn einer Partei die Möglichkeit zukommt, das Rechtsgeschäft einseitig zu vernichten oder anzupassen.600 Denn der Vertragspartner und Dritte vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages, wobei das Vertrauen des Vertragspartners bei § 123 Abs. 1 BGB nur bedingt schutzwürdig ist, was sich insbesondere in der längeren Frist des § 124 BGB im Verhältnis zu § 121 Abs. 1 BGB äußert. Zum 599 600
Vgl. oben: § 7 B. II. Rechtsfolgen, S. 53 ff. Vgl. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 154.
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anderen soll der Anfechtungsberechtigte nicht auf Kosten des Vertragspartners spekulieren können, indem er die künftige Entwicklung abwartet und dementsprechend den Vertrag anficht oder nicht.601 Weil der Anfechtungsgegner bei der Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB aufgrund seines pflichtwidrigen Verhaltens weniger schutzwürdig ist als in Fällen des § 119 BGB, wird hinsichtlich der Dauer der Frist zwischen § 119 BGB und § 123 BGB differenziert. Diese Erwägungen treffen aber – wie gezeigt602 – auch auf den Wucher und die Läsion zu. Auch hier wäre es unbillig, wenn der Benachteiligte auf Kosten des Begünstigten spekulieren könnte. Das gilt besonders bei der Läsion. Das Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags ist nur bei der Läsion, nicht aber Wucher schützenswert. Das Vertrauen des Täuschenden oder Drohenden auf die Wirksamkeit ist ebensowenig schutzwürdig wie die des Wucherers. Aus alldem folgt, dass die notwendige Vergleichbarkeit der Interessenlage hinsichtlich der Befristung der Geltendmachung von Anfechtung und Äquivalenzstörung gegeben ist. Wenn man die Geltendmachung des § 138 BGB in einem ersten Schritt aufgrund der mit der Anfechtbarkeit vergleichbaren Situation in das Belieben der benachteiligten Partei stellt, erscheint es plausibel, dass der Gesetzgeber für diese Fälle auch eine entsprechende Befristung vorgesehen hätte. Die fehlende zeitliche Begrenzung erklärt sich nämlich vor allem daraus, dass § 138 BGB seiner Konzeption nach anfangs primär zum Schutz öffentlicher Interessen gedacht war. Diesbezüglich wäre es aber sogar zweckwidrig, die Berufung auf die Nichtigkeit durch eine Frist zu begrenzen, da dann der Schutz öffentlicher Interessen von der rechtzeitigen Geltendmachung einer der am Vertrag beteiligten Personen oder anderweitig tangierter Dritter abhinge. Sofern öffentliche Interessen die Nichtgeltung eines Rechtsgeschäfts erfordern, liegt es in der Natur der Sache, dass die Nichtigkeit zeitlich unbegrenzt gelten muss.603 Dies ist aber beim Wucher und der Läsion gerade anders, da diese wie die Irrtumsanfechtung nach §§ 119 ff. BGB dem Individualschutz dienen, sodass entsprechende Bedenken hier nicht bestehen. Für eine Regelungslücke lässt sich noch als Indiz anführen, dass in anderen Rechtsordnungen eine Befristung der Rechte des Benachteiligten die Regel ist,604 die dortigen Gesetzgeber also von einer Vergleichbarkeit mit den Anfechtungstatbeständen ausgehen.
II. Zwischenergebnis Konsequenterweise ist daher das Anfechtungsrecht des Benachteiligten analog §§ 121, 124 BGB befristet. Bei der Läsion muss der Benachteiligte folglich 601
Vgl. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 155. Vgl. oben: § 13 E. II. 1. Befristung überhaupt sinnvoll?, S. 348 ff. 603 Von der Konstellation abgesehen, dass sich das öffentliche Interesse mit der Zeit wandelt und nun nicht mehr zwingend die Nichtgeltung erfordert. 604 Vgl. Nachweise in Kapitel 4 Fn. 138. 602
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gemäß § 121 Abs. 1 BGB analog unverzüglich nach Kenntnis vom zur Anfechtung berechtigenden Missverhältnis die Anfechtung erklären. Beim Wucher hat er dafür nach § 124 Abs. 1 BGB ein Jahr Zeit, wobei die Frist erst mit Kenntnis des Missverhältnisses und dem Ende der Schwächelage beginnt. Grund für die Differenzierung ist, dass beim Wucher die Beeinflussung von außen die Ursache für das Missverhältnis bildet und bei der Läsion der Fehler aus der Sphäre des Benachteiligten selbst, also gewissermaßen von innen, stammt.605
III. Differenzierung zwischen der Situation vor und nach Leistungsaustausch beim Wucher Für den Wucher sollte zudem zwischen der Situation vor und nach dem Leistungsaustausch unterschieden werden und die Befristung nur nach dem Leistungsaustausch die Rechte des Bewucherten einschränken.606 Verhindert werden soll dadurch, dass der Wucherer nach Ablauf der Anfechtungsfrist aus dem (endgültig) wirksamen Vertrag gegen den Bewucherten vorgehen kann. Davor schützt die analoge Anwendung von § 124 BGB nicht, da der Fristbeginn nicht hinsichtlich des Zeitpunkts des Leistungsaustausches differenziert. Dennoch lässt sich im Ergebnis die Situation vermeiden, dass der Wucherer sich nach Ablauf der Anfechtungsfrist auf den Vertrag beruft. Dem Bewucherten stehen nämlich seinerseits Ansprüche aus culpa in contrahendo zu.607 Aus dem Anspruch auf Vertragsauflösung kann bereits vor dem Leistungsaustausch ein Leistungsverweigerungsrecht abgeleitet werden.608 Präferiert der Bewucherte stattdessen die Anpassung des Vertrags, kann er über die c. i. c. den Restvertrauensschaden geltend machen und damit zumindest wirtschaftlich das gleiche Ergebnis herstellen, wie bei der Geltendmachung der Anpassung innerhalb der Anfechtungsfrist. Für die Ansprüche aus culpa in contrahendo gelten die allgemeinen Verjährungsfristen,609 sodass der Bewucherte seine Verteidigungsmöglichkeit mindestens so lange behält, bis auch die sich aus dem wucherischen Vertrag ergebenden Primäransprüche verjähren. Probleme ergeben sich allerdings gerade beim Grundstückskaufvertrag, da hier die spezielle Verjährungsvorschrift des § 196 BGB eingreift, wonach Ansprüche auf Übertragung von Grundstückseigentum sowie auf die Gegenleistung innerhalb von zehn Jahren verjähren. Um hier den Bewucherten angemessen zu schützen, könnte man entweder die 605 Vgl. auch Sack, wrp 1974, 445, 451, wonach § 121 BGB für „selbstinduzierte“ Anfechtungsgründe gelte und § 124 BGB für „fremdinduzierte“ Anfechtungsgründe. 606 § 13 E. II. 1. b) Anwendung auf Wucher und Läsion, S. 350. 607 Vgl. dazu oben: § 8 C. II. Rechtsfolgen der culpa in contrahendo, S. 145 ff. 608 Vgl. Nachweise in Kapitel 2 Fn. 485. 609 St. Rspr., vgl. etwa BGH NJW 2010, 596, 600; NJW‑RR 2009, 329, 331 f. Rn. 17; NJW 2008, 2576, 2578; NJW 1968, 547, 548 f.; MüKoBGB/Emmerich, 8. Aufl., § 311 Rn. 216; Jauernig/Stadler, 17. Aufl., § 311 Rn. 53.
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Verjährungsvorschrift des § 196 BGB ausnahmsweise auch auf die entsprechenden Ansprüche aus culpa in contrahendo anwenden. Ansonsten bliebe nur die Möglichkeit, dem Erfüllungsbegehren des Wucherers § 242 BGB entgegenzuhalten.
F. Fazit Über die Einschränkung der Nichtigkeitsanordnung des § 138 BGB mittels Normzweckvorbehalts lassen sich die vorgeschlagenen Lösungen weitgehend im geltenden Recht verwirklichen. Für den Wucher und die Läsion lässt sich jeweils die entsprechende Anpassung des Vertrags im Wege der Teilnichtigkeit begründen. Der von § 138 BGB grundsätzlich vorgesehene Eintritt der Rechtsfolgen ipso iure und die fehlende zeitliche Begrenzung lassen sich durch eine analoge Anwendung der Anfechtungsregeln korrigieren, sodass die Rechtsfolgen des § 138 BGB beim Wucher und beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft nur dann eintreten, wenn sich der Benachteiligte auf sie beruft. Die für den Wucher alternativ vorgesehene Möglichkeit des Bewucherten, statt der Anpassung die Vertragsauflösung zu wählen, lässt sich zwar nicht unmittelbar über § 138 BGB, aber über einen Anspruch aus c. i. c. verwirklichen. Auch die Vertragsauflösung zum Schutz des Begünstigten bei der Läsion lässt sich über die Anwendung von § 139 BGB in das deutsche Recht integrieren, wobei für den Fall, dass der Begünstigte erst im Zeitpunkt der Geltendmachung der Läsion die Aufrechterhaltung des Vertrags präferiert, ein Rückgriff auf § 242 BGB erforderlich ist. Eine Gesetzesänderung ist demnach zur Umsetzung der Lösung nicht zwingend erforderlich. Allerdings ist zuzugeben, dass die dogmatische Umsetzung der vorgeschlagenen Lösung in einigen Punkten einen erheblichen argumentativen Aufwand bedeutet und sich dabei insbesondere bei der analogen Anwendung der Anfechtungsregeln im Grenzbereich des dogmatisch Möglichen bewegt. Insofern wäre eine entsprechende Gesetzesänderung mindestens aus Gründen der Rechtsklarheit zu begrüßen. Da zudem nicht zu erwarten ist, dass die Rechtsprechung einen solch tiefgreifenden Wandel, besonders in den beschriebenen Details, von sich aus vornehmen wird, ist letztlich der Gesetzgeber aufgefordert, die in Praxis und Theorie unbefriedigende Situation zu korrigieren.
Ergebnis Der Umgang mit Verträgen, bei denen eine anfängliche Äquivalenzstörung besteht, bereitet im deutschen Recht noch immer Probleme, auch wenn es sich dabei um eine Thematik handelt, mit der sich seit Jahrtausenden auseinandergesetzt wird. Sie berührt allerdings viele grundlegende Aspekte des Rechts, wie insbesondere der Rolle und Gewichtung von Privatautonomie und (materieller) Vertragsgerechtigkeit, woraus sich Schwierigkeiten bei der Entwicklung angemessener Rechtsfolgen ergeben. Die zentrale Ursache der Probleme im geltenden deutschen Recht ist dabei der für die Praxis entscheidende § 138 Abs. 1 BGB und das von der Rechtsprechung dazu entwickelte wucherähnliche Rechtsgeschäft, da dessen Rechtsfolge nach allgemeiner Ansicht wie auch die des Wuchers nach § 138 Abs. 2 BGB in der zwingenden Gesamtnichtigkeit besteht. Diese Rechtsfolge entspricht aber nur selten den Interessen der benachteiligten Partei, weil sie dadurch bei der Geltendmachung der Äquivalenzstörung die benötigte Leistung wieder herausgeben muss.1 Dies führt gerade im Bereich von Grundstückskaufverträgen zu einer komplizierten und unbefriedigenden Rückabwicklung. Das (schützenswerte) Interesse der benachteiligten Partei ist im Grundsatz auf die Aufrechterhaltung und Anpassung des Vertrags gerichtet. Dies hat dazu geführt, dass bereits die Rechtsprechung selbst, insbesondere im Bereich des Kreditwuchers, versucht hat, die Rechtsfolgen der zwingenden Nichtigkeit im Interesse des Benachteiligten abzumildern, um sein Interesse an der Leistung zu schützen. Doch nicht nur dort wird von der Gesamtnichtigkeit und der vollständigen bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung als Rechtsfolge abgewichen. Auch im Bereich des Miet- und Lohnwuchers existieren alternative Lösungen. Auch wenn also die Interessenwidrigkeit der gesetzlichen Konzeption noch nicht allgemein durchgedrungen ist, ist sie doch auch in der Praxis in einigen Teilbereichen anerkannt und hat dort zu neuen Lösungen geführt. Da sich diese aber sowohl in ihrer dogmatischen Begründung als auch im Ergebnis teilweise stark voneinander unterscheiden, hat dies als Konsequenz zu Unübersichtlichkeit und Wertungswidersprüchen beim Umgang mit anfänglichen Äquivalenzstörungen geführt. 1
Vgl. oben: § 6 Interessenlage, S. 33 ff.
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Ergebnis
Um die festgestellten Probleme im deutschen Recht zu überwinden und die Problematik von anfänglichen Äquivalenzstörungen einer interessengerechten Lösung zuzuführen, wurde der Blick über die Grenzen hinaus gerichtet und untersucht, wie andere Rechtsordnungen die Problematik zu lösen versuchen.2 Dabei wurde zu dem Ergebnis gelangt, dass Deutschland mit seinem Ansatz der zwingenden Gesamtnichtigkeit in Europa weitgehend isoliert dasteht. Stattdessen werden der benachteiligten Partei regelmäßig Möglichkeiten an die Hand gegeben, den Vertrag in seinem jetzigen Zustand mittels eines Anfechtungsrechts (teilweise verbunden mit der Notwendigkeit der gerichtlichen Geltendmachung) zu beseitigen. In zahlreichen ausländischen Rechtsordnungen besteht darüber hinaus die Möglichkeit der Anpassung des äquivalenzgestörten Vertrags, wobei bei der Frage Uneinigkeit besteht, welche Partei berechtigt sein soll, diese zu verlangen. Die besonders in Deutschland verbreiteten Vorbehalte gegen eine Vertragsanpassung werden im Ausland regelmäßig nicht geteilt. Der Eingriff in das von den Parteien ausgehandelte Äquivalenzverhältnis den eine Vertragsanpassung bedeutet, stößt hier auf weitaus weniger Bedenken. In der Folge verwundert es kaum, dass auch die PECL und der DCFR die Möglichkeit einer Vertragsanpassung vorsehen. Auf Grundlage der rechtsvergleichend gewonnenen Erkenntnisse konnte sich der Frage nach den angemessenen Rechtsfolgen anfänglicher Äquivalenzstörungen gewidmet werden. Dabei wurde differenziert, ob die Äquivalenzstörung das Ergebnis der (vermuteten) Ausnutzung einer Schwächelage der benachteiligten Partei war (Wucher) oder ohne eine solche entstanden ist (Läsion, der im deutschen Recht das wucherähnliche Rechtsgeschäft zumindest dann nahesteht, wenn die Vermutung Anwendung findet und keine Schwäche des Benachteiligten bei Vertragsschluss vorlag). In beiden Varianten soll eine Äquivalenzstörung erst dann beachtlich sein, wenn der Benachteiligte sich auf diese beruft. Zusätzlich ist jeweils die Anpassung des Vertrags möglich, wobei sich hinsichtlich des Maßes der Anpassung3 und der Frage, wer berechtigt sein soll, diese zu verlangen,4 Unterschiede zwischen Wucher und Läsion ergeben. Beim Wucher kann die Anpassung des Vertrags allein vom Bewucherten verlangt werden und diese ist auf das Marktniveau vorzunehmen. Bei der Läsion dagegen kann allein die begünstigte Partei die Anpassung des Vertrags verlangen und damit gleichzeitig über die endgültige Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Vertrags entscheiden. Die Anpassung wird hier aber nur soweit vorgenommen wie es nötig ist, um das unzulässige Missverhältnis zu beheben. 2 3
Vgl. oben: Kapitel 3: Rechtsvergleich, S. 215 ff. Vgl. oben: § 13 F. Maß der Anpassung: „Große“ oder „kleine“ Lösung, S. 352 ff. 4 Vgl. oben: § 13 D. Anpassungsrecht des Benachteiligten oder Wahlrecht des Bevorteilten, S. 338 ff.
Ergebnis
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In einem letzten Schritt wurde untersucht, ob sich die vorgeschlagenen Rechtsfolgen ins geltende deutsche Recht integrieren lassen oder dafür eine Gesetzesänderung erforderlich ist. Dazu wurde zunächst aufgezeigt, dass der Begriff der Nichtigkeit beziehungsweise Ungültigkeit insbesondere vor, aber teilweise auch noch bei Schaffung des BGB keinesfalls so eindimensional verstanden wurde, wie es heute der Fall ist.5 Zudem lässt auch die Rechtsprechung trotz dessen, dass sie im Grundsatz von einem absoluten Verständnis des Nichtigkeitsbegriffs ausgeht, durchaus Ausnahmen von diesem Grundsatz zu, die sich häufig mit Schutzzweckerwägungen zugunsten einer der am Rechtsgeschäft beteiligten Personen begründen lassen.6 Aber nicht nur in der Rechtsprechung, vor allem in der Literatur gibt es vermehrt Tendenzen, den strengen absoluten Nichtigkeitsbegriff aufzuweichen und Ausnahmen davon zuzulassen.7 Diese ganz vielfältigen Versuche, von denen hier nur ein Teil miteinbezogen werden konnte, eint die Erkenntnis, dass die zwingende Gesamtnichtigkeit als Rechtsfolge nicht immer angemessen ist. Als am überzeugendsten hat sich dabei der Ansatz erwiesen, der die konkreten Rechtsfolgen von § 138 BGB vom Schutzzweck der verletzten Sittennorm abhängig macht (sog. Normzweckvorbehalt).8 Da der Normzweck weder beim Wucher noch der Läsion die zwingende Nichtigkeit ipso iure erfordert, kann diese in einem ersten Schritt verhindert werden und stattdessen zu einer Vertragsanpassung gelangt werden. Diese ist entsprechend des Zwecks des Wuchers auf das Marktniveau, bei der Läsion (dem wucherähnlichen Rechtsgeschäft) hingegen nur auf das eben noch zulässige Maß vorzunehmen. Dass nach § 138 BGB die Rechtsfolgen ipso iure eintreten, lässt sich hingegen auch mittels Normzweckvorbehalt nicht ändern. Die Ausgestaltung der Rechtsfolgen als Gestaltungsrechte kann jedoch durch eine analoge Anwendung der Anfechtungsvorschriften der §§ 119, 123 BGB erreicht werden.9 Dadurch lassen sich auch de lege lata für das deutsche Recht Ergebnisse erreichen, die sowohl interesssengerecht sind als auch die Problematik der widersprüchlichen Behandlung von Äquivalenzstörungen unabhängig von ihrer Vertragsart einer einheitlichen Lösung zuführen. Die vorgeschlagenen Rechtsfolgen sind nicht auf den Kaufvertrag beschränkt, sondern lassen sich losgelöst von diesem umsetzen. Die bisherige Ungleichbehandlung der verschiedenen Vertragsarten kann auf diese Weise überwunden werden.
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Vgl. oben: § 14 A. I. Nichtigkeit im 19. Jahrhundert und bei Schaffung des BGB, S. 364 ff. Vgl. oben: § 14 A. II. Anerkannte Ausnahmen von der zwingenden Nichtigkeit, S. 372 ff. 7 Vgl. oben: § 14 B. Konzepte zur Umgehung der Gesamtnichtigkeit in der Literatur, S. 384 ff. 8 Vgl. oben: § 14 B. VI. Der Normzweckvorbehalt, S. 402 ff. 9 Vgl. oben: § 15 D. Eintritt der Rechtsfolgen, S. 429 ff.
Summary Dealing with contracts that contain an initial imbalance of equivalence still causes problems in German law, even though this is a topic that has been dealt with for thousands of years. However, it concerns many fundamental aspects of law, such as in particular the role and weight of private autonomy and (material) contractual justice, which makes it difficult to develop appropriate legal consequences. While private autonomy grants each individual the right to freely form his or her legal relationships and thus also to freely determine the amount of performance, according to the doctrine of material contractual justice, a contract is only fair if performance and consideration correspond in value. The most prominent cases of (legally inadmissible) imbalance of equivalence are usury and lesion. In the case of usury, the imbalance occurs because the usurer takes advantage of a weakness of the other party. In the case of the lesion, on the other hand, an imbalance occurs without the benefiting party having taken advantage of the other party. This study does not deal with the question of when an inadmissible equivalence imbalance exists, but rather with the legal consequences that are imposed on a legally inadmissible equivalence imbalance and attempts to overcome the existing problems in German law. In the outset, there are two options available for remedying a legally inadmissible imbalance of equivalence: the rescission of the contract or the adjustment of the contract. The root cause of the problems in current German law is section 138 para. 1 of the German civil code (BGB), which is the decisive provision in practice, and the usury-like transaction (wucherähnliches Rechtsgeschäft) developed by case law for this purpose. The legal consequence of both is, according to the general opinion in German case law and literature, as well as that of usury according to section 138 para. 2 of the German civil code (BGB), the mandatory overall nullity. This means that nullity must be considered by the court ex officio and that the contract is completely null and void without the possibility of cure or partially upholding the contract. One of the main arguments is that the remuneration agreement is not divisible. Furthermore, the mandatory nullity is intended to prevent and deter the usurer from exploiting the other party’s weakness. The idea is that because the entire contract is necessarily null and void, the usurer has no legal claim to the
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performance, which is supposed to protect the disadvantaged party from exploitation because the contract is not enforceable. In fact, however, in spite of the void contract, there will often be an exchange of services, because the disadvantaged party urgently needs the usurer’s service due to his predicament and has to provide his own service in order to obtain it. In addition, the legal consequence of mandatory overall nullity rarely corresponds to the interests of the disadvantaged party, because it has to return the required performance when asserting the imbalance of equivalence. This leads to a complicated and unsatisfactory reversal of the transaction, especially with property purchase contracts. And on a closer look, one sees that also the adjustment of the contract can have a deterrent effect, in particular because there is no reversal so that the usurer does not get his performance back and therefore is not given the opportunity to look for another one to exploit. The (legitimate) interest of the disadvantaged party is in principle aimed at preserving and adjusting the contract. This is particularly obvious in the case of usury, since the disadvantaged party needs the object to escape his or her predicament. The interest of the public also encourages the tendency for the preservation of a executed contract instead of its reversal, since other parties trust in the existence of the contract and align themselves accordingly. This has led to the fact that case law itself, especially in the area of loan usury, has already attempted to mitigate the legal consequences of mandatory nullity in the interest of the disadvantaged party to protect its interest in keeping the usurer’s performance. But it is not only in this case that German law departs from the total nullity and the complete reversal of a transaction under enrichment law as a legal consequence. Alternative solutions also exist in the area of rental and loan usury. Even though the lack of a solution which complies with the parties’ interests in German Law is not yet generally acknowledged, it is nevertheless recognized in practice in some areas and has led to new solutions. However, since these differ considerably from one another both in their dogmatic justification and in their results, this has led to a lack of clarity and contradictory evaluations when dealing with initial equivalence imbalances. In order to overcome the identified problems in German law and to bring the problem of initial equivalence imbalances to a solution that is in the best interests of the parties involved, the author looked beyond the borders of the German law and examined how other European legal systems are trying to solve the problem. It was concluded that Germany with its approach of the compelling overall nullity in Europe is largely isolated. Instead, the disadvantaged party is regularly given opportunities to remedy the contract in its current state by means of a right of rescission (sometimes combined with the necessity of judicial enforcement). In addition, numerous foreign legal systems offer the possibility of amending and adjusting the equivalence-imbalanced contract, whereby there is dis-
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agreement as to which party should be entitled to demand it. The concerns about a contract amendment, which are particularly widespread in Germany, are regularly not shared in other countries. The intervention in the equivalence ratio negotiated by the parties, which an adjustment of the contract entails, meets with far fewer reservations here. In particular, other legal systems do not doubt the divisibility of the remuneration agreement as it is clear that it can be divided – at least mathematically – into a permissible and an impermissible part without any difficulty. It is therefore not surprising that the proposals for a European contract law (PECL, DCFR and CESL) provide for the possibility of amending the contract. Also, Austrian law (section 934 of the Austrian civil code, ABGB) provides an opportunity to adjust the contract in cases of lesion. In none of the examined jurisdictions a contract was void ipso iure in cases of usury or lesion. On the basis of the comparative law findings, the question of the appropriate legal consequences of initial imbalances of equivalence could be addressed. A distinction was made as to whether the imbalance was the result of the (presumed) exploitation of a weakness of the disadvantaged party (usury) or arose without such a weakness (lesion to which in German law the usury-like transaction (wucherähnliches Rechtsgeschäft) is at least close if the presumption applies and there was no weakness of the disadvantaged party when the contract was concluded). In both cases, an imbalance of equivalence is only to be considered by law if the disadvantaged person asserts it. The disadvantaged party does not have to turn to the court, but has a right to alter the contract by notifying the other party. In addition, the contract may be amended in each case, although there are differences between usury and lesion with regard to the extent of the amendment and the question of who should be entitled to demand it. In the case of usury, the adjustment of the contract can be requested only by the usurer and must be made at the market level. This is intended to deter the usurer by depriving him of all the benefits of the transaction, while at the same time preventing him from selling the same item to a third party on usurious terms. At the same time, the interest of the disadvantaged party in maintaining the exchange of services at a reasonable price is protected. In the case of a lesion, on the other hand, only the benefiting party can demand the adjustment of the contract and thus decide at the same time on the final validity or invalidity of the contract. However, the adjustment is made here only to the extent necessary to correct the unacceptable imbalance. This is the appropriate result because, in principle, each party is responsible for concluding a contract that protects its own interests. It would be inadequate to adjust the contract to the market price, as the disadvantaged party would thus transfer a risk to the other party that is solely its responsibility. And in contrast to usury,
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the disadvantaged party is not in a state of weakness that is exploited by the benefiting party and that would justify further adjustment. In a final step, it was examined whether the proposed legal consequences could be integrated into current German law or whether a change of law would be necessary. For this purpose, it was first shown that the concept of nullity or invalidity was by no means understood as one-dimensional as it is today, especially before, but also partly when the German civil code (BGB) was created at the end of the 19th century. Moreover, despite the fact that the case law is based on an absolute understanding of the concept of nullity, it does allow exceptions to this principle, which are often motivated by protective considerations in favour of one of the persons involved in the legal transaction. Not only in case law, but also and especially in academic publications, there are increasing tendencies to soften the strict absolute concept of nullity and to allow exceptions to it. The variety of attempts, of which only a part could be discussed here, is united by the finding that the mandatory overall nullity as a legal consequence is not always appropriate. The most convincing approach is the one that makes the concrete legal consequences of section 138 of the German civil code (BGB) dependent on the intended purpose of the violated moral norm (so-called „reservation of the purpose of the norm“ – Normzweckvorbehalt). Since the purpose, neither for usury nor for the lesion, requires compulsory nullity ipso iure this can be prevented in a first step and instead a contractual adjustment can be reached. This is to be done according to the purpose of the usury to the market level, but in the case of the lesion (the usury-like transaction – wucherähnliches Rechtsgeschäft), only the level just allowed. However, the fact that the legal consequences apply ipso iure according to section 138 of the German civil code (BGB) cannot be changed even by means of a reservation of the purpose of the norm (Normzweckvorbehalt). However, an analogous application of the provisions on the contestation of a declaration of intent (sections 119, 123, 142, 143 of the German civil code (BGB)) is possible to prevent that the legal consequences occur ipso iure. In this way, results can be achieved de lege lata for German law, which are both in the interests of the parties and provide a uniform solution to the problem of the contradictory treatment of imbalances of equivalence, regardless of the type of contract. The proposed legal consequences are not limited to the sales contracts, but can be applied to all types of contracts. Thus, the previous unequal treatment of the different types of contracts with regard to usury and usury-like transaction (wucherähnliches Rechtsgeschäft) can be overcome.
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Stichwortverzeichnis Abschlussfreiheit – Negative Abschlussfreiheit 333 – Teil der Vertragsfreiheit 329 Abschreckung 181 ff., 206 f., 316, 324 f., 328, 354, 375, 406 Absolute Nichtigkeit – Ausnahmen 56 ff., 372 ff. – Geltendmachung 54 ff. – Öffentliches Interesse 325 – Parteiinteressen 327 – Prävention 30, 181 ff., 324 f., 375 – Schutz des Benachteiligten 180, 183, 185, 318 f. – Schutz der Privatautonomie 332 ff. Analogie – Anfechtungstatbestände 430 – Nachträgliche Regelungslücke 432 f. – Voraussetzungen 431 ff. Äquivalenzstörung – Abgrenzung zum Gewährleistungsrecht 8 – Begriff 7 ff. – Gemeinsamer Irrtum 127 – Lösungsmöglichkeiten 14 ff. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten 25 Anfechtung – Deutschland 119 ff. – Laesio enormis 253 – Model Rules 288 ff., 301 f. – Österreich 258 ff. Anpassung – Art und Weise 133 f., 344 ff. – Berechtigter 254 f., 338, 342 – Maß 133 f., 352 ff., 358 – Präventionswirkung 184, 355 – Privatautonomie 166 f., 187, 331, 334, 353 – Rechtswirkung 344 ff.
– Störung der Geschäftsgrundlage 133 f. Arglist 22, 120 ff. Aufklärungspflicht – Arglistige Täuschung 121 ff. – Culpa in contrahendo 140 ff. – Grundstückskauf 121 – Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens 147 ff. Aufwendungsersatz – Anfechtungsrecht 117 f. – Bereicherungsrecht 72 ff. – frustrierte Aufwendungen 75 Ausbeutung – Begriff 49 f., 240 – Beweisproblematik 50, 160, 176, 197, 240 f. – Freiwilliges „Ausbeuten“ 160, 321 – Verhältnis zu Täuschung und Drohung 189 ff. – Vermutung i. R. v. § 138 Abs. 2 BGB 49 f. – Vorvertragliche Pflichtverletzung 132 Ausgleichende Gerechtigkeit (siehe iustitia commutativa) Ausnutzen (siehe Ausbeutung) Bebauung – Auswirkung auf Interessenlage 64 ff. – Bereicherungsgegenstand 66 ff., 75 ff. – Eigentümer-Besitzer-Verhältnis 104 ff. Befristung – Geltendmachung von § 138 BGB 434 ff. – Sinn und Zweck 348 ff. Belastung (Bereicherungsgegenstand) 78 ff. Berufung auf Nichtigkeit – Deutsches Recht 55 ff. – Österreichisches Recht 241 ff.
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Beschädigung – Bereicherungsgegenstandes 90 ff., 111 – Eigentümerbesitzerverhältnis 100 Bestätigung eines nichtigen Rechtsgeschäfts 61 Bestandsverändernde Verwendung 105 ff Bösgläubigkeit des Besitzers 100 ff.
Gesetzliches Verbot – Auslegungsregel 370, 407, 418 – Erster Teilentwurf 370 ff. – Model Rules 280 ff. – Nichtigkeit 208, 407 Gestaltungsklage 262, 344 ff. Gestaltungsrecht 288, 301, 344 ff. Glossatoren 22
Codex Iustinianus 17 Corpus iuris civilis 22 Culpa in contrahendo – Läsion/wucherähnliches Rechtsgeschäft 143 f. – Teilnichtigkeit 399 f. – Ungleichbehandlung zum Wucher 164 ff. – Wucher 142
Haftungsausfüllende Kausalität – Culpa in contrahendo 147 Halbseitige Teilnichtigkeit 384 ff. Herausgabegegenstand (Bereicherungsrecht) – Einschränkung bei Umwandlung 66 ff. – Surrogat 90, 96, 110, 180 Höchstpreisvorschriften 376 ff. Hypothetischer Parteiwille – Teilnichtigkeit im dt. Recht 395 ff., 425 ff. – Teil-/Gesamtnichtigkeit im österreichischen Recht 245 – Teilnichtigkeit im Schweizer Recht 222 – Wegfall der Geschäftsgrundlage 134
Deckungskauf (Mehrkosten) 77, 112, 124 f. Economic Duress 232 Eigenschaftsirrtum 119 ff. Einseitige Unverbindlichkeit 219 Entreicherung 73 ff., 90 ff. Ersatzbeschaffung – Befriedigung des benachteiligten Käuferinteresses 38 ff. – Probleme 40 Ersetzungsbefugnis 254 f. Formnichtigkeit – Einschränkung nach Treu und Glaube 381 ff. Frustrierte Aufwendungen 75 ff. Geschäftsirrtum 258 f. Gefahrtragung 175, 179 Geliebtentestament 379 Gemeiner Wert 250 Gemeinsamer Irrtum 163 Gerechter Preis (iustum pretium) 2, 5, 22 Gesamtnichtigkeit – Aufrechterhaltung des Vertrages 59 ff. – Ausnahmen 372 ff. – Geltendmachung 60 – Privatautonomie 330 ff.
Insolvenzrisiko 78 ff, 176 Irrtum – gemeinsamer 163, 261 – Wert der Sache (siehe Wertirrtum) – unwesentlicher 265 – wesentlicher 264, 298 Iustitia commutativa 2 f. Jüdisches Recht 21 Kommentatoren 22 Konkurrenzverhältnis – Gesetzes- und Sittenwidrigkeit 47 f., 408 ff. – Täuschung und c. i. c. 141 – Täuschung und § 138 BGB 189 ff. Kontrahierungszwang 332 Kreditwucher 199 ff., 247 Laesio enormis – Belgien 237 – Frankreich 224 ff.
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Katalonien 238 Mittelalter 22 ff. Österreich 250 ff. Römisches Recht 17 ff. Vergleich zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft 182 f., 257, 364 – Wiedereinführung 183 Laesio enormissima 22 Liberalismus 26 f. Lohnwucher 201 Marktpreis 9, 357, 398 Materialisierung des Vertragsrechts 32 Mietwucher 198 Misbruik van omstandigheden 235 Mischna 21 Missbrauchspotential 196, 354 Missverhältnis – auffälliges 49, 227, 240 – grobes/extremes 50 Mutmaßlicher Wille (siehe hypothetischer Parteiwille) Naturalrestitution 145, 310 Naturrecht 24, 252, 330 Neuverhandlungspflicht 128 ff. Nichtigkeitsbegriff – Absoluter 53, 241, 370 – halbseitige Teilnichtigkeit 384 – 19. Jahrhundert 364 ff. – relativer 242, 365, 403 Normzweckvorbehalt 402 ff., 414 Nutzungsersatz – Eigentümer-Besitzer-Verhältnis 101, 118 Obligationenrecht 215 ff Personalistisch orientierte Nichtigkeit 393 ff. Pflichtwidriges Vorverhalten (siehe culpa in contrahendo) Prävention – Aufgabe des Zivilrechts 316, 326 – Läsion/ laesio enormis 19, 328, 359 – Vermutungsregeln 182 f. – Wucher 30, 181 ff., 333, 340 f., 359, 396
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Präventionswirkung – Anpassungslösung 181 ff., 328, 355 – Gesamtnichtigkeit 182 f., 396 Preisvorschriften (siehe Höchstpreis vorschriften) Privatautonomie – Begriff 329 – Culpa in contrahendo 166 – Läsion 14 f., 334 – Schranken 16, 330, 332 – Vertragsgerechtigkeit 4 ff. – Wucher 14 f., 333, 341, 354, 419 Prozessrisiko 161, 270, 324, 347 Quantitative Teilnichtigkeit 59, 395 ff. Rechtssicherheit – Gestaltungslösung/ipso iure Nichtigkeit 322 ff. – Gestaltungsrecht/-Klage 295, 345 ff. – Marktpreis 188 f., 255, 346, 357, 359 Restvertrauensschaden 151 ff., 422, 436 Reuerecht 178, 327, 332 ff., 362 Richterliches Moderationsrecht – Bedenken bezüglich Privatautonomie 187, 328 – im BGB 188, 357 – Rechtsunsicherheit 295, 331, 335, 357, 398 Römisches Recht 17 ff. Rücktritt 135 ff. Sachwucher 48, 189, 194, 198, 206 ff. Saldotheorie – Belastung des Bereicherungs gegenstandes 86 ff. – Beschädigung und Zerstörung 91, 111, 118, 175 ff. – Einschränkungen 91 f., 111, 123 Schadensersatz – Eigentümer-Besitzer-Verhältnis 100, 122 – Irrtum 125, 267, 306 – Täuschung 122 f., 268, 306 – culpa in contrahendo 139, 275 Schutzzweck – Bestimmung der Nichtigkeit 241, 276 f., 366 ff.
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– Läsion 180, 256, 418 – Wuchers 159, 211, 390 417 f. – Formvorschriften 381 – Höchstpreisvorschriften 376 f. Schwächelage 112 ff., 287 Schwebezustand 169, 323, 350 Sittenwidrigkeit – Einfluss des Verfassungsrechts 406, 414 f. – Einschränkung 372 ff., 379 ff., 384 ff., 402 ff., 412 ff. – Geschichte 414 f. – Konkurrenz zur Täuschung 189 ff. – Konkurrenz zu Verbotsgesetzen 47, 408 ff. – Prävention 30, 181 ff., 380, 396, 406 – Zweck 180, 406 Störung der Geschäftsgrundlage – Anpassung 133 – Konkurrenz zur Anfechtung 127 – Neuverhandlungspflicht 128 ff. Tauschgerechtigkeit (siehe iustitia commutativa) Teilanfechtung 229, 290 ff. Teilbarkeit – Entgelt 59, 292, 396 – Testament 379 f. – Zeit 373, 397 Teilnichtigkeit 14, 59 f., 199, 208, 333, 419 ff. – Model Rules 281 ff. – Österreich 244 ff. – Pflichtwidriges Vorverhalten 399 f. – Quantitative (siehe quantitative Teilnichtigkeit) – Schweiz 221 f. Überlange zeitliche Bindung 372, 397 Übervorteilung – Anfechtungstheorie 219 – Frist 220 – Tatbestand 217 – Ungültigkeitstheorie 219 Umdeutung nichtiger Rechtsgeschäfte 60 Umwandlung des Bereicherungs gegenstandes 66 Unconscionability 234
Unerfahrenheit 184, 337 Unfair Advantage (siehe Unfair Exploitation) Unfair Exploitation 285 Undue influence 233 Ungültigkeit 365 ff. Untergang des Bereicherungsgegen standes 90, 111 Verbotsgesetz 48, 198, 207 f., 284, 370, 411 Verkehrssicherheit 322 Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens 147 ff. Vermutung verwerfliche Gesinnung – Ausbeuten/Ausnutzen 50, 314 – Kritik an Vermutungsregel 114 f., 314 f. – Schadenshaftung bei Irrtum 125 f. – Verschärfte Bereicherungshaftung 112 ff. – Voraussetzungen 51 – Vorvertragliche Pflichtverletzung 143 f. Verschärfte Bereicherungshaftung – Begünstigter 112 – Benachteiligter 93 ff. – Übertragung der Vermutung der verwerflichen Gesinnung 112 ff. Vertragsanpassung (siehe Anpassung) Vertragsauflösung – Culpa in contrahendo 146 ff. – Störung der Geschäftsgrundlage 135 – Wucher und Läsion 421 Vertragsfreiheit – Abschlussfreiheit 329 – Inhaltsfreiheit 329 f. Vertragsgerechtigkeit – Formale 4, 16, 439 – Materielle 4, 16, 439 Vertragskosten 76 Verwendungsersatz – Bereicherungsrecht 72 ff., 118 – Wucherer 104 ff., 117 f., 171 f. – Eigentümer-Besitzer-Verhältnis 104 ff Verwerfliche Gesinnung – Begriff 51, 112 f. – Entwicklung 33
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– Korrektur 314 f. – Kreditwucher 199 – Laesio enormis 256 – Vermutung 33, 51, 94 – Übertragung 112 ff., 124 ff. – Widerlegung 51 f. Vorvertragliche Pflichtverletzung (siehe culpa in contrahendo) Wahlrecht zwischen Nichtigkeit und Anfechtung – Inhaber 19, 21, 254, 337 ff. Wegfall der Geschäftsgrundlage (siehe Störung der Geschäftsgrundlage) Wegnahmerecht 105 Weiterveräußerung 5, 98, 109, 122 Wertersatz (Bereicherungsrecht) 65
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Wertirrtum – Anfechtungsrecht 226, 259, 360 – Aufklärungspflicht 121, 143 – Eigenschaftsirrtum 119 – Läsion 252 f., 359 – Model Rules 299 Wucherähnliches Rechtsgeschäft 50, 109 ff., 72 ff., 109 ff., 364 Wuchergesetz (Österreich) 247 Wuchertatbestand – Entstehung von § 138 Abs. 2 BGB 29 ff. – Strafrecht 47, 193 – Verobjektivierung 183 – Zivilrecht 49, 218, 239 ff., 285, 313 ff. Zwangslage 49, 158, 226