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German Pages 186 [188] Year 1992
BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG UND KURT BALDINGER HERAUSGEGEBEN VON MAX PFISTER
Band 239
WILHELM PÖTTERS
Negierte Implikation im Italienischen Theorie und Beschreibung des sprachlichen Ausdrucks der Konzessivität auf der Grundlage der Prosasprache des Decameron
MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1992
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Pötters, Wilhelm: Negierte Implikation im Italienischen : Theorie und Beschreibung des sprachlichen Ausdrucks der Konzessivität auf der Grundlage der Prosasprache des Decameron / Wilhelm Pötters. Tübingen : Niemeyer, 1992 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie ; Bd. 239) NE: Zeitschrift für Romanische Philologie / Beihefte ISBN 3-484-52239-9
ISSN 0084-5396
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1992 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: Lichtsatz Walter, Tübingen Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Einband: Heinr. Koch, Tübingen
Saranno similmente di quelle [lettrici] che diranno qui esserne alcune [novelle] che, non essendoci, sarebbe stato assai meglio. Concedasi: ma io non potè' né doveva scrivere se non le raccontate ... (Einräumung und Widerspruch Boccaccios in seiner Auseinandersetzung mit der Kritik: Decameron, Conclusione dell'Autore, 16)
V
Inhalt
Einleitung 1.
2.
3.
1
Die konzessive Satzverknüpfung: Auffälliges Merkmal der Prosasprache Boccaccios 1.1. Empirischer Ausgangspunkt 1.2. Statistische Erhebungen 1.3. Hypothese und Aufgaben
5 5 8 9
Negierte Implikation: Die abstrakte Struktur des konzessiven Verhältnisses 2.1. Der Konzessivsatz in der syntaktischen Forschung 2.2. Traditionelle Erklärung 2.2.1. Überwindung eines Hindernisses 2.2.2. Enttäuschung einer Erwartung 2.2.3. Übereinstimmung und Unterschiede der beiden Definitionen 2.3. Konzessivität als Ausdruck des Gegensatzes 2.4. Grammatische Konzessivität und rhetorische concessio 2.5. Konzessivität als Abweichung von der Norm 2.6. Konzessivität als Kausalität/Konditionalität + Negierung 2.7. Konzessivität als negierte Implikation 2.8. Der Konzessivsatz aus pragmatischer Sicht 2.8.1. Konzessivität und Präsupposition 2.8.2. Pragmatischer Status der verknüpften Aussagen 2.9. Der Konzessivsatz aus funktionaler Sicht 2.9.1. Das kommunikative Profil der konzessiven Satzstruktur 2.9.2. Kommunikatives Profil, Serialisierung und pragmatischer Status eines besonderen Typs konzessiver Verknüpfung 2.10. Die abstrakte Struktur des konzessiven Verhältnisses (Zusammenfassung) Konzessivität im Decameron: Typologie der Ausdrucksmöglichkeiten 3.1. Unterschiedliche Explizitheit der sprachlichen Verfahren 3.1.1. Grammatischer Ausdruck 3.1.2. Lexikalischer Ausdruck 3.1.3. Explizite Thematisierung
10 10 12 12 13 13 13 15 17 18 23 33 33 36 39 39 41 46
49 50 50 50 54 VII
3.2.
3.3.
4.
5.
Codespezifische Affinität der konzessiven Ausdrucksmittel (am Beispiel der Personensprache im Decameron) 3.2.1. Überwiegen der parataktischen Verknüpfung 3.2.2. Bevorzugung bestimmter Konnektivausdrücke 3.2.3. Besonderheiten des hypotaktischen Konzessivsatzes . . 3.2.4. Zwischen Hypotaxe und Parataxe 3.2.5. Codespezifische Verteilung bestimmter Typen der Konzessivität Verschiedenheit des pragmatischen Status der verknüpften Aussagen 3.3.1. Objektive Konzessivität 3.3.2. Diskursive Konzessivität 3.3.2.1. Konzessivität als antijustifikative Relation 3.3.2.2. Konzessivität als korrektive Relation 3.3.2.2.1. Refutation 3.3.2.2.2. Restriktion 3.3.2.2.3. Merkmale der korrektiven Konzessivität
Konzessive Verknüpfung I: Subphrastische Strukturen 4.1. Konzessive Relation zwischen zwei nicht-verbalen Elementen . . . 4.1.1. Konzessive Verknüpfung zweier adverbialer Angaben . 4.1.2. Konzessive Verbindung zweier adjektivischer Attribute 4.2. Konzessive Beziehung zwischen einem Verb und seinen Ergänzungen bzw. Angaben 4.2.1. Unmarkierte Konzessivität innerhalb des Kernsatzes 4.2.2. Markierte Konzessivität innerhalb des Kernsatzes . . . 4.2.2.1. Adverbien als Signale der Konzessivität 4.2.2.2. Konzessive Präpositionalphrasen 4.2.2.2.1. Spezifische Präpositionen 4.2.2.2.2. Polyfunktionale Präpositionen Konzessive Verknüpfung II: Satzgefüge 5.1. Variationen des formalen Status der Protasis: Infinite Konstruktionen 5.1.1. Gerundio 5.1.1.1. Reine Gerundialkonstruktion 5.1.1.2. Gerundio + adverbiale Markierung 5.1.2. Partizip 5.1.2.1. Partizipialkonstruktion mit übereinstimmenden Subjekten 5.1.2.2. Absolute Partizipialkonstruktion 5.1.3. Infinitiv 5.2. Funktionale Anwendungsbreite der Subjunktionen 5.2.1. Spezifische Morpheme der konzessiven Hypotaxe . . . . 5.2.2. Polyfunktionale Morpheme in konzessiver Verwendung 5.3. Unterscheidung nach dem Wirklichkeitsstatus der verknüpften Aussagen 5.3.1. Reale Konzessivität 5.3.2. Konditionale Konzessivität 5.3.2.1. Normalfall des hypothetischen Hinderungsgrundes . . . 5.3.2.2. Der hypothetische Hinderungsgrund in generalisierter Form VIII
57 58 58 58 59 59 60 60 61 61 62 62 62 63 64 64 65 65 65 65 66 66 66 67 67 70 70 70 71 71 71 72 72 72 73 73 76 77 79 79 79 85
5.4.
5.5.
6.
7.
5.3.2.2.1. Varianten der konzessiven Generalisierung (1. Gradierung; 2. Summierung) 5.3.2.2.2. Morpheme der konzessiven Generalisierung 5.3.2.3. Der hypothetische Hinderungsgrund in Form einer Alternative 5.3.2.3.1. Konzessive Alternative als disjunktive Aufzählung . . . 5.3.2.3.2. Konzessive Alternative als exklusive Disjunktion . . . . 5.3.2.4. Kumulierung des generalisierten und des alternativen Hinderungsgrundes Stellungsvarianten der Protasis 5.4.1. Anteposition 5.4.2. Spaltposition 5.4.3. Postposition 5.4.3.1. Wirkliche Postposition 5.4.3.2. Scheinbare Postposition Mehrfache Markierung 5.5.1. Zusätzliche Markierung mit einem Element 5.5.2. Korrelierende Verstärkung mit zwei kombinierten Ausdrücken 5.5.3. Kumulierte Reprise mit drei Adverbien
85 86 91 92 92 93 93 94 94 95 95 96 97 97 101 101
Konzessive Verknüpfung III: Verbindung von Nebensätzen 6.1. Zwei Nebensätze in konzessiver Parataxe 6.1.1. Koordinierte Gerundi 6.1.2. Koordinierte Partizipialkonstruktionen 6.1.3. Koordinierte Kompletivsätze 6.2. Zwei Nebensätze in konzessiver Hypotaxe 6.2.1. Konzessivgefüge aus Nebensatz 1. Grades + Nebensatz 2. Grades 6.2.2. Konzessivgefüge aus Nebensatz 2. Grades + Nebensatz 3. Grades
102 102 102 103 103 103 103 104
Konzessive Verknüpfung IV: Satzreihung 7.1. Realisierungsformen der konzessiven Satzreihung 7.1.1. Syndetische Verknüpfung 7.1.2. Asyndetische Koordination 7.2. Wortart der konzessiven Konnektivausdrücke 7.2.1. Konjunktionen 7.2.2. Adverbien 7.2.3. Pronominale Ausdrücke 7.2.4. Typische Subjunktionen in parataktischer Verwendung 7.2.4.1. Modus nach den parataktisch verwendeten Subjunktionen 7.2.4.2. Hauptsatzstatus 7.2.4.3. Scheinbare Kumulierung typischer Morpheme der konzessiven Hypotaxe 7.3. Funktionale Anwendungsbreite der Ausdrucksmittel 7.3.1. Spezifische Konnektive 7.3.2. Polyfunktionale Konnektive
105 105 105 106 106 106 108 108 109 109 110 111 111 112 112 IX
7.4. 7.5.
7.6. 7.7.
8.
7.3.3. Kombination mehrerer Konnektive Bilaterale Markierung Wirklichkeitsstatus der verknüpften Aussagen 7.5.1. Konditionale Konzessivität (Normalfall) 7.5.2. Konditionale Konzessivität (+Generalisierung) 7.5.3. Konditionale Konzessivität (+ Alternative) Pragmatischer Status der verknüpften Aussagen Hierarchischer Status der Satzreihe 7.7.1. Konzessive Satzreihung im Satzrahmen 7.7.2. Konzessives Verhältnis zwischen selbständigen Sätzen einer Satzreihe (= transphrastische Konzessivität)
114 117 119 119 119 120 121 122 124 124
Status - Negation - Modus: Übergreifende Fragen der konzessiven Syntax 127 8.1. Vertauschungen in den Beziehungen Protasis = Nebensatz und Apodosis = Hauptsatz 127 8.1.1. Apodosis als Nebensatz 127 8.1.2. Verteilung von Protasis und Apodosis auf verschiedene Konstruktionen 128 8.1.3. Postponierte Protasis als parataktisch angefügter Hauptsatz 128 8.2. Variationen im Ausdruck der konzessiven Negierung 128 8.2.1. Konzessives Verhältnis ohne morphologischen oder syntaktischen Negationsträger 129 8.2.1.1. Konzessive Negierung mit Hilfe einer lexikalischen Gegensatzrelation 129 8.2.1.2. Konzessive Negierung ohne unmittelbar erkennbaren Träger der Negation 130 8.2.2. Morphologische Negation als Träger der konzessiven Negierung 130 8.2.3. Syntaktische Negation als Träger der konzessiven Negierung 131 8.2.4. Kombination mehrerer sprachlicher Negationen 132 8.2.4.1. Lexikalische und syntaktische Negation 132 8.2.4.2. Morphologische und syntaktische Negation 132 8.2.4.3. Lexikalische und morphologische Negation 133 8.2.4.4. Kombination mehrerer syntaktischer Negationen . . . . 133 8.3. Regeln der Modussetzung 134 8.3.1. Adverbialsatz der realen Konzessivität 134 8.3.2. Adverbialsatz der konditionalen Konzessivität (Normalfall) 134 8.3.3. Adverbialsatz der konditionalen Konzessivität (+ Generalisierung) 135 8.3.4. Adverbialsatz der konditionalen Konzessivität (+ Alternative) 136 8.3.5. Korrektiver Konzessivsatz 136 8.3.6. Konzessive Satzreihung 137 8.3.7. Kumulierung von Konzessivsätzen mit unterschiedlichem Modusgebrauch 137
X
9.
Boccaccio concessivo: Hierarchie eines syntaktischen Programms
138
9.1. 9.2. 9.3. 9.4.
Das einzelne sprachliche Zeichen im Kontext Konzessivität im Syntagma Konzessivität im Satz Konzessivität in der satzgrenzenüberschreitenden Satzreihung 9.5. Konzessivität im Absatz 9.6. Konzessivität und Textstruktur 9.7. Konzessivität im thematischen Aufbau der zehn Tage 9.8. Konzessives Verhältnis zwischen Rahmen und Novellen 9.9. Konzessiver Bezug zwischen Vorwort und Werk 9.10. Konzessivität als Programm: W o bleibt dabei das Konzessive?
138 139 139 140 140 142 150 150 151 152
10. D a s konzessive Programm und sein Gegenstück: Kausalität im Decameron
154
10.1. Implikative Satzstrukturen im Decameron (ein Beispiel) 10.2. Kausalität innerhalb der Konzessivität 10.3. Kausalität in der Novelle
154 156 157
Schluß
161
Bibliographie
165
Index
173
XI
Einleitung
Die vorliegende Studie über Formen und Funktionen des sprachlichen Ausdrucks der Konzessivität in der italienischen Prosasprache des Decameron ist die stark erweiterte Fassung des ersten - sprachwissenschaftlichen - Teils meiner 1981 bei der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln eingereichten Habilitationsschrift mit dem Titel Boccaccio concessivo - Aspetti linguistici, letterari e filosofici di una struttura sintattica del «Decameron»1. Die Absicht, diese Arbeit in ihrer ursprünglichen Version zu publizieren, wurde mir fragwürdig, als sich im Zusammenhang mit Forschungen zum poetischen Prinzip des Sonetts und zum kompositorischen Bauplan des Canzoniere Francesco Petrarcas2 immer deutlicher abzeichnete, daß auch dessen Zeitgenosse und Freund Giovanni Boccaccio in seinem Erzählwerk ein System abstrakter Strukturen und Figuren verborgen hat. Die Untersuchungen zur Syntax und Textkonstitution der einzelnen Novellen und des Zyklus haben sich daraufhin, wiewohl sie sachlich und methodisch unmittelbar auf einer aus der Logik des Konzessivsatzes abgeleiteten Poetik der novellistischen Gattung und des Decameron beruhen, immer weiter verselbständigt. Aus diesem Grunde erscheint nun eine getrennte Veröffentlichung der diversen Ergebnisse angezeigt. Sie soll hier mit der Darstellung der linguistischen Befunde beginnen3.
1
2 3
Für Kritik und Anregungen sei an dieser Stelle den Gutachtern herzlich gedankt, namentlich Hans Dieter Bork, Artur Greive, Klaus Jacobi, Eberhard Müller-Bochat, Johannes Rathofer und Hansjakob Seiler. Ein besonderer Dank gilt ferner meinen Schülern Gertrud Aulbach-Müller, Klaus Daske, Birgit Frank, Magnus Göller, Marie-Luise von Langen-Keffenbrinck und Carola Stienen-Gesper, von denen jeder auf seine Weise zur Fertigstellung des vorliegenden Bandes beigetragen hat. Vgl. Pötters 1983 und 1987. Ein zweiter Band, in dem aus den im folgenden beschriebenen syntaktischen Erscheinungen die heuristischen Instrumente eines neuen interpretatorischen Ansatzes entwickelt werden, ist gleichzeitig mit der vorliegenden Arbeit zum Abschluß gekommen: Begriff und Struktur der Novelle - Linguistische Betrachtungen zu Boccaccios «Falken», Tübingen 1991 («Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft», Bd. 49). Im Rahmen des gesamten Unternehmens, das unter dem Titel Satz - Novelle - Zyklus läuft, befinden sich weitere Untersuchungen in Vorbereitung. I
Nach einem einleitenden Kapitel, in dem einige eher impressionistisch zusammengestellte Beobachtungen zu typischen konzessiven Satzverbindungen in der Sprache Boccaccios mit Zitaten aus dem Decameron und mit entsprechenden Frequenzangaben zu den nachgewiesenen Satzmustern belegt werden sollen, enthalten die folgenden Seiten unter dem in der neueren syntaktischen Forschung geläufigen Stichwort der negierten Implikation zunächst eine forschungsgeschichtlich angelegte Analyse der abstrakten Struktur der konzessiven Relation (= Kapitel 2). An diese theoretische Vorarbeit schließt sich - als Hauptteil der Studie - eine onomasiologisch verfahrende Beschreibung des konkreten sprachlichen Ausdrucks des konzessiven Gedankens an, die das im Erzählwerk des italienischen Klassikers belegbare Material in folgender deskriptiver Ordnung darbietet: -
allgemeine Typologie der konzessiven Ausdrucksmöglichkeiten (= Kapitel 3) - subphrastische Strukturen, insbesondere die konzessiven Präpositionalkonstruktionen (= Kapitel 4) - konzessiver Adverbialsatz (= Kapitel 5) - Verbindung von Nebensätzen, die zueinander in einem konzessiven Verhältnis stehen (= Kapitel 6) - konzessive Satzreihung innerhalb des Satzrahmens und in transphrastischer Beziehung (= Kapitel 7) - übergreifende Fragen der konzessiven Syntax, vor allem Probleme des Modus und der Negation (= Kapitel 8). Die Ausführungen zu den auf einer Skala unterschiedlich großer Explizitheit angesiedelten Formen konzessiver Verknüpfung münden schließlich ein in die Rekonstruktion eines vom Autor für die sprachliche und poetische Komposition des Decameron entwickelten syntaktischen Programms. In der organischen Anlage des Werkes erweist sich so die in hierarchischer Gliederung entfaltete Idee der negierten Implikation als zentraler Begriff und grundlegende Technik der novellistischen Dichtkunst des Autors (= Kapitel 9). Zu diesem von den rein linguistischen Beobachtungen bereits zu stilistischen Fragen übergehenden Teil der Arbeit gehören auch einige abschließende Hinweise zur syntaktischen Gestalt und zur poetischen Funktion kausaler Satzverknüpfung, dem positiven Gegenstück zur Konzessivität (= Kapitel 10). Die Beschränkung auf die Prosasprache des Novellenzyklus als ausschließlicher objektsprachlicher Grundlage unserer Untersuchung erfolgt in erster Linie nicht wegen des auf der Hand liegenden methodischen Vorteils der (relativen) Einheitlichkeit des Corpus. Die Entscheidung für den Autor des Trecento liegt vielmehr vorrangig in der Beobachtung begründet, daß sich im Text der Erzählungen und des Rahmens die einschlägigen konzessiven Satzmuster durch auffallend häufiges Vorkommen und durch außergewöhnliche formale Vielfalt auszeichnen. In dem einen 2
Werk Boccaccios finden sich in der Tat weit mehr Typen und Beispiele konzessiver Syntax, als sich für das heutige Italienisch insgesamt, selbst mit Hilfe eines viel umfangreicheren Corpus diverser Texte, erfassen läßt4. Angesichts dieses erstaunlichen empirischen Befundes stellt sich dem stilistisch interessierten Leser sofort die Frage, welche besondere poetische Funktion einer derart herausgehobenen syntaktischen Erscheinung zukommen mag. Die mögliche Lösung des Problems soll hier im Vorgriff auf eine andernorts zu erfolgende ausführliche Begründung in aller Kürze resümiert werden: Die abstrakte Struktur der konzessiven Relation läßt sich - wie im 2. Kapitel näher ausgeführt wird - als Negierung einer Implikation begreifen. Negierung einer Implikation bedeutet, daß nicht ein bestimmtes präsupponiertes Kausal- oder Konditionalverhältnis zur Verwirklichung kommt, sondern daß statt dessen ein vorliegendes antecedens ein anderes als das unter normalen Umständen zu erwartende consequens nach sich zieht. Die Definition zeigt, daß im Konzessivsatz (z. B.: Obwohl Federigos Werben um Giovannas Huld immerzu vergeblich war, heiratet die Donna ihn am Ende doch) der Gedanke des wider Erwarten eintretenden Ereignisses grammatikalisiert ist. Mit anderen Worten, in der konzessiven Syntax hat sich eine zwei Glieder verbindende Relation zu einer habituellen grammatischen Struktur verfestigt, in der sich die beiden verknüpften Terme so zueinander verhalten wie eine Voraussetzung (Vorgeschichte, Exposition) zu einer unvermuteten Folge: einem Vorfall oder einer Begebenheit also, die man «zufallig», «seltsam», «nie gesehen», «unerhört» o. ä. nennen kann. Aufgrund seiner mit solchen Epitheta zu charakterisierenden genuinen Funktion erinnert das konzessive Satzmuster unmittelbar an das kanonische Gattungsgesetz der Novelle. Bekanntlich läßt sich diese literarische Textsorte als konzentrierte Gestaltung eines fortunato avvenimento (Boccaccio), als cas étrange (Marguérite de Navarre), caso jamás visto (Cervantes), sich ereignete unerhörte Begebenheit (Goethe) o.ä. bestimmen, d. h. als Erzählung einer aufgrund der vorliegenden Voraussetzungen nicht zu gewärtigenden «Neuigkeit» (vgl. die Etymologie von it. novella). Aus diesem linguistisch-literarischen Vergleich heraus ist die oben erwähnte These des Boccaccio concessivo5 entstanden. Während nun aber die mit der poetologischen Identifizierung von Konzessivsatz und Novelle verbundenen stilistischen und gattungstheoretischen Probleme an anderer Stelle zur Sprache kommen werden, soll die sprachwissenschaftliche Basis 4
5
Mein eigenes Belegmaterial stammt aus literarischen, journalistischen und fachsprachlichen italienischen Texten der letzten 50 Jahre sowie aus Filmdrehbüchern und Interviews. Eine detaillierte Würdigung der zeitgenössischen Beispiele konzessiver Syntax kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geliefert werden. Die Formulierung - als zusammenfassende Charakterisierung meiner Decamerow-Deutung gedacht - geht auf eine persönliche Anregung von Vittore Branca zurück.
3
dieser syntaktischen lettura del Decameron hier für sich betrachtet werden. Die Prosa des ausgewählten Autors und überhaupt die Sprache der Epoche des Italienischen, der Boccaccio angehört, sind im Hinblick auf die in Rede stehende syntaktische Struktur - wie im übrigen ebenso in bezug auf viele andere Fragen des Satzbaus - noch nicht in ausführlicher Form behandelt worden. Als ein solches Desiderat der italienischen Sprachbeschreibung und Sprachgeschichte können mithin die im folgenden gebotenen Ergebnisse der linguistischen Analyse eine eigene Erörterung beanspruchen, die von der schließlich angestrebten stilistischen Untersuchung unabhängig ist. Begrenztes, aber grundlegendes Ziel ist es nämlich, für den im Decameron belegbaren, in seiner Fülle wohl einmaligen Bestand an konzessiven Verknüpfungen eine detaillierte deskriptive Systematik zu entwerfen. Abgesehen von der heuristischen Relevanz, die den rein syntaktischen Befunden anschließend für eine vertieftere Erkenntnis der dichterischen Komposition des literarischen Kunstwerkes zukommt, können ausführliche Darstellungen zu Einzelproblemen der Syntax eines der frühen italienischen Musterautoren immer auch zukünftigen linguistischen Untersuchungen zum Satzbau in jüngeren Schichten der italienischen Sprache als Orientierung dienen.
4
i.
Die konzessive Satzverknüpfung: Auffälliges Merkmal der Prosasprache Boccaccios
I.I.
Empirischer Ausgangspunkt
D i e konzessive Satzstruktur, d.h. die z.B. mit typischen K o n n e k t i v e n wie dt. obwohl, anche
se,
auch wenn, und doch, eppure,
nondimeno,
trotzdem,
tuttavia
dennoch
/ it. benché,
konstruierte V e r k n ü p f u n g
sebbene, zweier
P r o p o s i t i o n e n , gilt - selbst in b e z u g a u f anspruchsvolle Schriftsprache als selten 1 . Liest m a n dagegen eine beliebige Seite des Decameron
-
im ita-
lienischen O r i g i n a l 2 , so fallen, w e n n m a n den B l i c k a u f die syntaktische G e s t a l t u n g der N o v e l l e n - u n d R a h m e n t e x t e richtet, sofort die vielen konzessiven S a t z g e f ü g e auf. G l e i c h a m A n f a n g des Erzählwerks, in der ersten H ä l f t e des Proemio,
finden
sich nicht weniger als f ü n f - mit den typischen
M o r p h e m e n come che ( i m a l ) u n d quantunque
(4 m a l ) eingeleitete -
ein-
schlägige Beispiele, w o b e i z u d e m in drei Fällen die mit der S u b j u n k t i o n 3 quantunque
1
2
3
signalisierte konzessive Relation d u r c h einen korrelierenden ad-
Vgl. z. B. Blumenthal 1973, 280: «Die konzessive Konjunktion ist im Französischen nicht nur spät entstanden, sie ist auch heute - selbst in anspruchsvoller Schriftsprache - verhältnismäßig selten. Auf zwanzig Seiten der Zeitung Le Monde vom 21. 10. 1972 fanden sich sechs adversative bzw. konzessive Konstruktionen mit si sowie jeweils ein alors que, bien que, quoique und tout en.» Eine gegenteilige Ansicht formuliert Zemb 1983, 151: «Dans la mesure où, sincère ou feinte, la concession consiste en coassertion inattendue, en étayage chez le voisin, en prémisses de consensus, on peut se demander s'il existe un discours strictement non concessif ...». Die beiden Beobachtungen lassen sich miteinander vereinbaren, wenn man die Art der den jeweiligen Untersuchungen zugrunde liegenden Textsorte berücksichtigt. Zitiert wird im folgenden nach der kritischen Ausgabe von Vittore Branca: Giovanni Boccaccio, Decameron. Edizione critica secondo l'autografo hamiltoniano, Florenz 1976 (Scrittori italiani e testi antichi pubblicati dall'Accademia della Crusca). Konsultiert wurde in Zweifelsfällen auch die Edizione critica von A . Rossi, Bologna 1977. Von besonderem Wert für die Arbeit mit dem Decameron waren die modernen Reproduktionen des Originalmanuskripts aus dem Codex Hamilton 90, die diplomatisch-interpretative Edition von Ch. E. Singleton (1977) und die Faksimile-Ausgabe von V. Branca (1975). Vgl. dazu unten, Kap. 7, Anm. 5. In der vorliegenden Arbeit werden Subjunktion (- Konnektivausdruck einer hypotaktischen Satzverknüpfung, eines Satzgefüges) und Konjunktion (= Verbindungselement einer parataktischen Satzverknüpfung, einer Satzreihung) terminologisch getrennt. 5
verbialen oder pronominalen Ausdruck im Hauptsatz verstärkt wird: nondimeno (2 mal), non per ciò (1 mal). Zum Eindruck vom Konzessivsatz als beherrschendem syntaktischem Muster des Vorworts tragen aber noch andere Ausdrucksmittel bei. Neben den mit den genannten typischen Morphemen markierten Perioden ist eine Präpositionalphrase mit konzessivem Sinn (eingeleitet durch oltre a) zu verzeichnen. Die adverbiale Angabe ist zudem noch mit einem Relativsatzgefüge verbunden, das ebenfalls ein konzessives Verhältnis, und zwar in impliziter Form, realisiert (il mio amore, oltre a ... e il quale niuna forza ... aveva potuto ... rompere ..., si diminuì). Schließlich wird die gesamte Textsequenz 4 der commi 3 bis 5 durch die Konjunktion ma zu Beginn des comma 5 in zwei Abschnitte unterteilt, die sich zueinander ebenfalls wie die zwei Terme einer negierten Implikation verhalten. Der konzessive Gedanke ergibt sich dabei - zusammengefaßt - aus der Verknüpfung der folgenden beiden Aussagen: Obwohl meine Liebessehnsucht unendlich zu sein schien (= Ende des comma 3), ließen meine Gefühle im Laufe der Zeit schließlich doch nach (= Hauptsatz des comma 5). Eine ähnliche Figur transphrastischer Konzessivität wiederholt sich gleich im Anschluß in der Beziehung der commi 5 und 6, wo - wiederum mit Hilfe der Konjunktion ma - folgender Gegensatz ausgedrückt wird: Trotz der nunmehr eingetretenen heiteren Gelassenheit (= Ende des comma 5) habe ich die während der Jahre des Liebesleids empfangenen Wohltaten keineswegs vergessen (= comma 6). Hier nun die von einer solch massiven Verwendung eines einzigen syntaktischen Konstruktionstyps geprägte Textstelle: 2
Umana cosa è aver compassione degli afflitti: e come che a ciascuna persona stea bene, a coloro è massimamente richesto li quali già hanno di conforto avuto mestiere e hannol trovato in alcuni; fra' quali, se alcuno mai n'ebbe bisogno o gli fu caro o già ne ricevette piacere, io sono uno di quegli. Per ciò che, dalla mia prima giovanezza infino a questo tempo oltre modo essendo acceso stato d'altissimo e nobile amore, forse più assai che alla mia bassa condizione non parrebbe, narrandolo, si richiedesse, quantunque appo coloro che discreti erano e alla cui notizia pervenne io ne fossi lodato e da molto più reputato, nondimeno mi fu egli di grandissima fatica a sofferire, certo non per
3
4
Zitiert wird Brancas kritische Ausgabe üblicherweise nach der dort vorgenommenen Einteilung des Textes in commi. Das sind - im Verständnis des Herausgebers - kleinere Abschnitte oder größere und auch kleinere satzsyntaktische Einheiten («periodi» - wie Branca in einem persönlichen Hinweis erläuterte), die nicht immer mit Boccaccios mittels Majuskelsetzung delimitierter Segmentierung des Textes im Original des Codex Hamilton 90 übereinstimmen. D a die Divergenzen zwischen Autograph und moderner Ausgabe für die linguistische Analyse in der vorliegenden Arbeit weitgehend ohne Belang sind, können wir hier ohne weiteres nach den commi zitieren. Ganz anders stellt sich dieser Sachverhalt allerdings in unseren stilistischen Untersuchungen dar, wo auf die originale Gestalt des Textes zu rekurrieren sein wird (vgl. die oben in der Einleitung, Anm. 3, genannte Studie zur Falkennovelle).
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9
crudeltà della donna amata, ma per soverchio fuoco nella mente concetto da poco regolato appetito: il quale, per ciò che a niuno convenevole termine mi lasciava contento stare, più di noia che bisogno non m'era spesse volte sentir mi facea. Nella qual noia tanto rifrigerio già mi porsero i piacevoli ragionamenti d'alcuno amico e le sue laudevoli consolazioni, che io porto fermissima opinione per quelle essere avvenuto che io non sia morto. Ma sì come a Colui piacque il quale, essendo Egli infinito, diede per legge incommutabile a tutte le cose mondane aver fine, il mio amore, oltre a ogn'altro fervente e il quale niuna forza di proponimento o di consiglio o di vergogna evidente, o pericolo che seguir ne potesse, aveva potuto né rompere né piegare, per se medesimo in processo di tempo si diminuì in guisa, che sol di sé nella mente m'ha al presente lasciato quel piacere che egli è usato di porgere a chi troppo non si mette ne' suoi più cupi pelaghi navigando; per che, dove faticoso esser solea, ogni affanno togliendo via, dilettevole il sento esser rimaso. Ma quantunque cessata sia la pena, non per ciò è la memoria fuggita de' benifici già ricevuti, datimi da coloro a' quali per benivolenza da loro a me portata erano gravi le mie fatiche; né passerà mai, sì come io credo, se non per morte. E per ciò che la gratitudine, secondo che io credo, trall'altre virtù è sommamente da commendare e il contrario da biasimare, per non parere ingrato ho meco stesso proposto di volere, in quel poco che per me si può, in cambio di ciò che io ricevetti, ora che libero dir mi posso, e se non a coloro che me atarono, alli quali per avventura per lo lor senno o per la loro buona ventura non abisogna, a quegli almeno a' quali fa luogo, alcuno alleggiamento prestare. E quantunque il mio sostentamento, o conforto che vogliam dire, possa essere e sia a' bisognosi assai poco, nondimeno panni quello doversi più tosto porgere dove il bisogno apparisce maggiore, sì perché più utilità vi farà e sì ancora perché più vi fia caro avuto. E chi negherà questo, quantunque egli si sia, non molto più alle vaghe donne che agli uomini convenirsi donare? Esse ... (Proemio, 2-9).
Ähnliche Kumulierungen konzessiver Satzverknüpfungen sind im Decameron nicht selten. Zitieren wir noch einen besonders anschaulichen Beleg. In der Novelle X 9, die im übrigen auf ihrer ganzen Länge von konzessiven Morphemen durchsetzt ist, häufen sich an einer Stelle innerhalb weniger Sätze die typischen sprachlichen Mittel - Subjunktionen (quantunque, chi che), Konjunktion ma und Adverb pure - zu insgesamt sechs einschlägigen Zeichen: Messer Torello con molti compagni gran pezza di via gli accompagnarono fuori della città, e quantunque al Saladino il partirsi da messer Torello gravasse, tanto già innamorato se n'era, pure, strignendolo l'andata, il pregò che indietro se ne tornasse; il quale, quantunque duro gli fosse il partirsi da loro, disse: «Signori, io il farò poi che vi piace, ma così vi vo' dire: io non so chi voi vi siete, né di saperlo più che vi piaccia addomando; ma chi che voi vi siate, che voi siate mercatanti non lascerete voi per credenza a me questa volta: e a Dio vi comando.» (X 9, 36-37)
7
1.2.
Statistische Erhebungen
Der mit den Zitaten veranschaulichte pauschale Befund, die auffallende Häufigkeit konzessiver Satzverknüpfungen in Boccaccios novellistischer Prosa, läßt sich mit ersten - allerdings noch bescheidenen - statistischen Angaben erhärten. An typischen Morphemen für die Einleitung der konzessiven Hypotaxe kennt Boccaccio - neben den polyfunktionalen, nur sporadisch auch mit konzessiver Bedeutung verwendeten Konnektiven aus den verwandten Bereichen der Kausalität, Konditionalität, Adversativität - folgende sieben Subjunktionen: quantunque, come che, ancor (a) che, benché/bene che, con tutto che, avvegna che, non obstante che. Das Vorkommen dieser sprachlichen Mittel ist von Ulleland 1967 5 in einer Auszählung aufgeschlüsselt worden. Nach meinen Ermittlungen scheint Ullelands Statistik allerdings nicht sämtliche Fälle zu erfassen, auch wenn man berücksichtigt, daß in einigen Beispielen die genannten Morpheme in parataktischer Verwendung vorkommen. Im folgenden sei jedes der sieben konzessiven Verknüpfungsmittel mit je einem Zitat illustriert. Dabei entspricht die Reihenfolge der Belege abnehmender Häufigkeit, was mit den statistischen Angaben aus Ulleland 1967 und mit meinen eigenen Zahlen näher erläutert sei: 1) quantunque (Ulleland 1967: 138 Belege/162 Beispiele nach meiner Statistik) M a quantunque cessata sia la pena, non per ciò è la memoria fuggita de' benifici già ricevuti (Proemio, 6).
2) come che (81/91) E come che ciascun dimorasse in un suo castello e fosse l'uno dall'altro lontano ben diece miglia, pure avvenne che ... messer Guiglielmo Rossiglione ... fuor di misura ... s'innamorò di lei (IV 9, 6).
3) ancora{a) che (25/29) Messer l'abate ... ancora che vecchio fosse sentì subitamente non meno cocenti gli stimoli della carne (I 4, 15).
4) benché/bene che (10/19) ... e benché le donne quel che le Muse vagliono non vagliano, pure esse hanno nel primo aspetto simiglianza di quelle (IV Introd., 35).
5) con tutto che (3/6) Ora era Arriguccio, con tutto che fosse mercatante, un fiero uomo e un forte (VII
8, 14).
5
M. Ulleland, «Nota sulla frase concessiva in italiano (con speciale riferimento alla prosa boccacciana)», in Studia Neophilologica 39 (1967) 244-260.
8
6) avvegna che
{zìi)
La quale unzione, sì come molto virtuosa, avvegna che Galieno non ne parli in alcuna parte delle sue medicine, sì e tanto adoperò, che il fuoco minacciatogli di grazia si permutò in una croce (I 6, io). 7) non obstante che (1/3) Il quale, non obstante che una bellissima giovane e vaga per moglie avesse, s'innamorò d'una la quale ... di gran lunga passava di bellezza tutte l'altre donne napoletane (III 6, 4).
1.3.
Hypothese und Aufgaben
Unser - mit diesen ersten Zitaten belegter - allgemeiner Eindruck vom formalen Reichtum, der die Sprache des Decameron im Bereich der konzessiven Syntax auszeichnet, läßt nun die Vermutung aufkommen, daß Boccaccio im Satzbau seines Werks über die kanonischen Typen konzessiver Satzbildung, den hypotaktischen Adverbialsatz und die parataktische Satzreihung, hinaus weitere Arten konzessiver Satzkonstruktion kennt, die er mit einer ähnlichen Variation einsetzt, wie sie die oben zitierten Beispiele mit den wichtigsten konzessiven Subjunktionen aufweisen. A u s dieser Hypothese ergibt sich die Aufgabe, den gesamten in der Prosasprache der Hundert Novellen enthaltenen Bestand an konzessiven Satzverbindungen zu sichten und auf der Basis dieses Inventars die formale und funktionale Differenzierung des Satzmusters systematisch zu erfassen (Kapitel 3 bis 8). U m die Erörterung des ausgewählten Problems einzelsprachlicher Syntax auf eine solide Grundlage zu stellen, ist es allerdings zunächst angebracht, in einer theoretischen Vorarbeit die abstrakte Struktur sowie die syntaktischen, semantischen und pragmatischen Varianten der als konzessive Relationen identifizierbaren Typen der Satzverknüpfung zu analysieren (= Kapitel 2).
9
2.
Negierte Implikation: Die abstrakte Struktur des konzessiven Verhältnisses
2.1.
D e r Konzessivsatz in der syntaktischen F o r s c h u n g
Die Syntax als Ganzes war lange Zeit ein Stiefkind der linguistischen Forschung. So verwundert es nicht, daß ein Spezialproblem der Satzlehre wie die sprachlichen Mittel zum Ausdruck der Konzessivität erst in den letzten drei Jahrzehnten die Aufmerksamkeit der Sprachwissenschaft auf sich gezogen hat. Zwar haben bereits vor einem Jahrhundert einige erste Monographien anschaulich den Reichtum einzelner Sprachen und Dialekte im Bereich der konzessiven Satzverknüpfung nachgewiesen 1 ; jedoch erscheinen erst seit ca. i960 verstärkt Studien, die sich dem Problem der konzessiven Relation auch aus theoretischer Sicht und von verschiedenen methodischen Standpunkten her nähern. In den fraglichen Beiträgen werden als Objektsprachen meist das Französische, Deutsche, Englische und Lateinische gewählt. Zudem gibt es für die genannten Sprachen, insbesondere für das Französische, mittlerweile gleich mehrere - nach verschiedenen methodischen Konzepten durchgeführte - ausführliche Bestandsaufnahmen der konzessiven Ausdrucksmittel 2 . Was hingegen das Italienische angeht, können für den uns ' Vgl. z. B. H. Johannssen, Der Ausdruck des Konzessivverhältnisses im Altfranzösischen, Diss. Kiel 1885; F. Brüss, Der Ausdruck des Konzessivverhältnisses im Mittel- und Neufranzösischen, Göttingen 1906; M. Miltschinsky, Der Ausdruck des konzessiven Gedankens in den altnorditalienischen Mundarten, Halle 1917. 2 Vgl. z. B. zwei Arbeiten zum Lateinischen von E. Mikkola: Die Konzessivität bei Livius mit besonderer Berücksichtigung des Satzganzen. Eine syntaktisch-stilistische Studie, Helsinki 1957, und Die Konzessivität des Altlateins im Bereich des Satzganzen. Eine syntaktisch-stilistisch-semantische Untersuchung, Helsinki 1964. Zum Spanischen liegt ein auch in seinen theoretischen Vorüberlegungen wichtiger Beitrag vor: J. L. Rivarola, Las conjunciones concesivas en español medieval y clásico, Tübingen 1976. Des weiteren ist eine Studie zur Konzessivität im Portugiesischen zu nennen: E. Bechara, Estudos sobre os meios de expressäo do pensamento concessivo em portugués, Rio de Janeiro 1954. Für das Französische schließlich verzeichnen wir gleich mehrere - auch in methodologischer Hinsicht zu berücksichtigende - Titel: J. Klare, Entstehung und Entwicklung der konzessiven Konjunktionen im Französischen, Berlin 1958; H. Bonnard, «L'expression de la concession», in Grand Larousse de la langue française, Paris 1971 ff., Bd. II, 1976, 850-854; H. Pott, Der Ausdruck der Konzessivität im Französischen, Frankfurt 1976; B. Fradin, Les concessives extensionnelles en
10
mit Blick a u f das Decameron
interessierenden syntaktischen Bereich nur
einige wenige Titel g e n a n n t werden: die bereits e r w ä h n t e Studie v o n U l leland 3 mit einer Statistik z u den K o n z e s s i v i t ä t anzeigenden M o r p h e m e n in B o c c a c c i o s wichtigsten Werken, d a n n einige U n t e r s u c h u n g e n , welche die konzessive S y n t a x nur in d e m g r ö ß e r e n R a h m e n des gesamten S p e k t r u m s der N e b e n s ä t z e abhandeln 4 , u n d - soweit ich sehe - zwei wirkliche M o nographien z u m T h e m a , n ä m l i c h G i u l i o H e r c z e g s Inventar konzessiver S a t z k o n s t r u k t i o n e n im zeitgenössischen Italienisch sowie die insbesondere d a s P r o b l e m der inneren B e z i e h u n g v o n « E i n r ä u m u n g » u n d « A n n a h m e » diskutierende Studie v o n G . B. M . M o r e t t i 5 . N e b e n diesen Titeln sind n o c h einige kleinere A r b e i t e n z u ausgewählten P r o b l e m e n der S y n t a x und Sem a n t i k konzessiver V e r k n ü p f u n g e n z u berücksichtigen 6 . français, Thèse du 3ème cycle, Université de Paris III, 1977; M.-A. Morel, Etude sur les moyens grammaticaux et lexicaux propres à exprimer une concession en français contemporain, Thèse de doctorat, Université de Paris III, 1980; O. Soutet, La concession en français des origines au XVIe siècle. Problèmes généraux. Les tours prépositionnels, Genf 1990. Für das Deutsche wurden folgende Darstellungen konsultiert: L. Hermodsson, Semantische Strukturen der Satzgefüge im kausalen und konditionalen Bereich, Stockholm 1978; R. Metrich, Zur Syntax und Semantik von «obwohl» und «wenn auch», Paris (Linguistica Palatina) 1980; G. Starke, «Untersuchungen zum Problem der konzessiven Beziehung und zu ihrem sprachlichen Ausdruck im Deutschen», in Beiträge zur Erforschung der deutschen Sprache 2 (1980) 130-144. Zur Diskussion über die Theorie der Konzessivität ist neben den hier genannten Veröffentlichungen eine Reihe von Aufsätzen zu zitieren, die im folgenden nach und nach im Zusammenhang mit entsprechenden Problemen und Ergebnissen der Forschung eingeführt werden sollen. 3 4
5
6
Ulleland 1967. Zum italienischen Nebensatz im allgemeinen vgl. R. Fornaciari, Sintassi italiana, 1881, Nachdruck mit einer Einführung von G. Nencioni, Florenz 1974 (zur konzessiven Verknüpfung vgl. 375 ff.); G. Herczeg, «Sintassi delle proposizioni subordinate nella lingua italiana. Studio di grammatica descrittiva», in Acta Linguistica Academiae Scientiarum Hungaricae 9 (1959), Budapest 1959, 261-333 (speziell: 318-321); A . Sempoux, «Notes sur la syntaxe du Décaméron», in Mélanges R. Lejeune, Gembloux 1968, I, 447-463; F. Agostini, «Proposizioni indipendenti - Proposizioni subordinate», in Enciclopedia Dantesca, Rom 1970-78, Bd. 6, 1978, 369-408. Wichtige Einzelheiten der konzessiven Syntax, z. B. Modusfragen, werden behandelt von J. Schwabe, Der Konjunktiv im italienischen Adverbialsatz, Basel 1918, und J. Schmitt Jensen, Subjonctif et hypotaxe en italien. Une esquisse de la syntaxe du subjonctif dans les propositions subordonnées en italien contemporain, Odense 1970 (speziell 351, 505-508, 627). G. Herczeg, «Sintassi delle proposizioni concessive nell'italiano contemporaneo», in Studi di grammatica italiana 5 (1976) 195-242; G.B. Moretti, Riflessioni sulla concessione e sulla ammissione nell'italiano contemporaneo, Perugia 1983. Vgl. S. Skerlj, «Il costrutto per ricco che sia», in Slavjsticna Revija (app. Linguistica) 11 (1958) 1 - 1 8 ; ders., «Ancora sul costrutto per ricco che sia», in Lingua Nostra 20 (1959) 109-113 (mit Anmerkungen von G. Folena, ebd. 19/ 1958, 103 f. und A . Leone, ebd. 20/1959, l l f )- Vereinzelte Hinweise zu konzessiven Satzverknüpfungen finden sich noch in einigen wenigen Arbeiten zur 11
Wenn man also den Blick über eine im ganzen weniger erforschte einzelsprachliche Satzlehre wie die des Italienischen hinaus richtet, stellt man fest, daß alles in allem in den letzten drei Jahrzehnten doch eine stattliche Anzahl von Untersuchungen zusammengekommen ist. Alle diese Studien gilt es zu sichten, wenn man die bisher in der Forschung erwogenen Ansätze zur Erhellung der logischen Struktur der konzessiven Relation angemessen würdigen will. Es geht also darum, aus der aktuellen linguistischen Diskussion eine präzisere Kenntnis des abstrakten Kerns des konzessiven Gedankens und der wichtigsten Typen konzessiver Verknüpfung zu gewinnen. Diese theoretische Vorarbeit ist notwendig, um für die anschließende Beschreibung der formalen Variation konzessiver Satzverknüpfung in Boccaccios Prosasprache ein geeignetes Instrumentarium deskriptiver Parameter zu entwickeln. Und erst nach dem detaillierten linguistischen Überblick wird es - bei anderer Gelegenheit - möglich sein, das aufgeworfene Problem der sprachlich-stilistischen Funktion der konzessiven Syntax im Decameron einer Lösung zuzuführen 7 .
2.2.
Traditionelle E r k l ä r u n g
In vielen einzelsprachlichen Grammatiken finden sich Definitionen, die man allesamt auf folgendes traditionelle Erklärungsmuster zurückführen kann. Konzessivität wird hier umschrieben als Ausdruck - der enttäuschten Erwartung oder - des überwundenen Hindernisses. Zwei Zitate aus der das Italienische behandelnden Fachliteratur sollen die beiden sonst auch gemeinsam in einer einzigen Definition auftretenden Formulierungsmuster belegen. 2.2.1.
Überwindung eines Hindernisses
Die Idee des überwundenen Hindernisses liefert z. B. das Definiens in der Grammatik von Battaglia-Pernicone8: La proposizione c o n c e s s i v a esprime una circostanza che, pur essendo di ostacolo a quanto si asserisce nella proposizione principale o reggente, tuttavia non ne impedisce nè pregiudica il compimento.
7 8
Syntax Boccaccios und anderer mittelalterlicher Autoren, so namentlich bei A. Mussafia, «Osservazioni sulla sintassi del Boccaccio», in Rivista ginnasiale 4 (1957) 7 3 3 - 7 6 6 und 857-908; M. Corti, «Studi sulla sintassi della lingua poetica avanti lo Stilnuovo», in Atti dell'Accademia Toscana di Scienze e Lettere 18 (1953) 261-365; C. Segre, Lingua, stile e società. Studi sulla storia della prosa italiana, Mailand 1974 (speziell: 138). Vgl. Pötters 1991. S. Battaglia/V. Pernicone, La grammatica italiana, 2. Aufl. Turin 1968, 558 (Kursivierung von mir). 12
2.2.2.
Enttäuschung einer Erwartung
Die Erklärung des konzessiven Verhältnisses als Enttäuschung einer Erwartung findet sich dagegen z.B. in der zitierten Monographie von Giulio Herczeg, der allerdings die logische Beziehung zwischen Hauptsatz und Nebensatz des konzessiven Gefüges zunächst auf den Gedanken des Gegensatzes (contraddizione) zurückführt, um dann im obigen Sinne folgendermaßen fortzufahren 9 : L a proposizione principale rivela, per così dire, un'azione o un fatto o una situazione che non corrispondono alla nostra aspettativa in base al contenuto della subordinata; il contenuto della proposizione principale infirma ciò che è stato espresso nella subordinata, deludendo, sotto certo aspetto, la speranza di chi ascolta o legge e prevede, in base alla preparazione insita nella subordinata, uno scioglimento o una conseguenza diversi.
2.2.3.
Übereinstimmung und Unterschiede der beiden Definitionen
Den beiden zitierten Bestimmungen der konzessiven Relation ist gemeinsam, daß sie auf die Idee einer Wende zurückzuführen sind. Was sie aber im eigentlichen definieren, sind die unterschiedlichen Werte des Ausgangspunktes und des Endpunktes des Vorgangs einer solchen Wende. Bei der Definition der Konzessivität als Überwindung eines Hindernisses geht der Weg von einer negativen Position zu einem als positiv erfahrenen Ende, während die enttäuschte Erwartung das schließlich negative Ende eines zunächst die Hoffnung auf einen positiven Ausgang weckenden Geschehens zum Ausdruck bringt. Eine solche inhaltsbezogene Erklärung scheint die Existenz zweier verschiedener Strukturen zu suggerieren, wo es sich in Wirklichkeit nur um eine einzige Relation mit lediglich in der parole divergierender Realisierung der Terme handelt. Es liegt hier eine psychologisierende Sichtweise vor, in der die Elemente des konzessiven Verhältnisses einmal als konkrete Momente einer schlechten Erfahrung und ein anderes Mal als Erlebnis eines glücklichen Endes gewertet werden.
2.3.
Konzessivität als Ausdruck des Gegensatzes
Daß in der konzessiven Relation hinter der Realisierung in Form der konkreten Erlebnismuster Erwartung und Enttäuschung sowie Hindernis und Überwindung die abstraktere Struktur des Gegensatzes steht, ist freilich eine Erkenntnis, die bereits in mittelalterlichen Logiktraktaten zu finden ist. So stellen die aus dem 12. Jh. stammenden Introductiones
9
Herczeg 1976, 195 (Kursivierung von mir).
13
montane minores10 als typische Leistung einer Konjunktion wie quamquam den Gegensatz als Kollision miteinander verbundener Wahrheitswerte heraus: Nunc dicendum est de illis propositionibus que exigunt utramque partem esse veram . . . "
Die Einsicht, daß im Konzessivgefüge «sowohl die Wahrheit des Vorsatzes als auch die des Nachsatzes behauptet wird», findet sich, ganz in Übereinstimmung mit dem eben zitierten mittelalterlichen Beleg, auch in aktuellen Forschungsbeiträgen 12 . Die syntaktische Verknüpfung zweier Aussagen, von denen eine in unwirksamer, irrelevanter Weise wahr ist, während allein die Wahrheit der anderen Aussage verbindlich ist, läßt im übrigen eine epistemische und moralische Dimension des Konzessivsatzes erahnen, die das syntaktische Phänomen unmittelbar in die Nähe expliziter Themen, Motive und narrativer Strategien des Decameron stellen, nämlich Täuschung (inganno) und Desillusionierung (disinganno). Es handelt sich hier in der Tat um inhaltliche Elemente, die in jeweils unterschiedlicher Dosierung alle Novellen Boccaccios in unmittelbarer Weise ebenso prägen, wie es durch das hier behandelte Satzmuster in indirekter Weise erreicht wird. Die Zurückführung der konzessiven Satzrelation auf das logische Schema des Gegensatzes findet sich als fester definitorischer Bestandteil in vielen modernen Grammatiken wieder. So heißt z.B. das entsprechende Kapitel in der großen französischen Standardgrammatik von Maurice Grevisse «Propositions d'opposition (Concessives)»' 3 , und sogar eines der besseren Handbücher der französischen Syntax begnügt sich damit, das konzessive Verhältnis als «rapport d'opposition hypothétique» 14 zu charakterisieren. Mit dem Begriff des Gegensatzes allein kann es indes schwerlich gelingen, die spezifische Relation der konzessiv verknüpften Terme zu erfassen und sie von anderen Satztypen, wie z. B. vom Adversativsatz, scharf genug abzugrenzen' 5 . Andererseits bleibt festzuhalten, daß mit der Idee der Kollision von Wahrheitswerten sicherlich ein wesentlicher Bestandteil der konzessiven
Eine Ausgabe der Introductiones montane minores befindet sich in L. M. de Rijk (Hg.), Logica modernorum, 2 Bde. Assen 1962/67. " Ebd., II, 2, 43. 12 Vgl. E. König/P. Eisenberg, «Zur Pragmatik von Konzessivsätzen», in G. Stickel (Hg.), Pragmatik in der Grammatik. Jahrbuch 1983 des Instituts für deutsche Sprache, Düsseldorf 1984, 313-332 (Zitat: 315). 13 M. Grevisse, Le bon usage, 13. Aufl. Gembloux/Paris 1961. In späteren Auflagen wird das Kapitel umbenannt in «La proposition adverbiale de concession». 14 Vgl. W. von Wartburg/P. Zumthor, Précis de syntaxe du français contemporain, 3. Aufl. Bern 1973, 105. 15 Vgl. die Kritik von Bonnard 1976, 850: «Or, si concession est souvent impropre, opposition peut être jugé trop large ...» 10
14
Satzstruktur erfaßt ist. Dieser Aspekt wird auch in neueren Forschungsbeiträgen immer wieder ins Zentrum der definitorischen Bemühungen gestellt, z. B. von Robert Martin, der mit den Begriffen univers de croyance (= Sätze, die der Sprecher für wahr hält) und anti-univers de croyance (= unwahre Sätze) operiert' 6 . Dabei ergeben sich Beschreibungen der konzessiven Relation, die ganz auf die Kollision der Wahrheitswerte abzielen, wie z. B. diese: ... mais la vérité de la proposition concédée (p) ne change rien à la vérité de la proposition (q) que l'on veut faire admettre' 7 .
Abgesehen davon, daß Martin in seine Definition noch andere Elemente einfügt (die wir erst weiter unten würdigen können' 8 ), erinnert die Wortwahl in dem eben gegebenen Zitat (concéder) an die Tatsache, daß die Konzession ein rhetorisches Verfahren ist, das die Praxis des anspruchsvollen Dialogs ebenso prägt wie die sprachliche Gestalt des alltäglichen (Streit-)Gesprächs' 9 . So ist es nicht verwunderlich, daß in der Forschung seit jeher der Versuch unternommen worden ist, Begriff und Struktur der Konzessivität aus dem Worte selbst heraus zu deuten.
2.4.
Grammatische Konzessivität und rhetorische concessio20
In Randbemerkungen gehen manche Autoren neuerer Beiträge zum Problem der konzessiven Syntax so weit, daß sie den Begriff der Konzessivität als mehr oder weniger willkürliche Etikette abtun und ihm jegliche Relevanz für die Beschreibung des traditionellerweise darunter subsumierten objektsprachlichen Materials absprechen21. Bei dieser von geringem hiVgl. R. Martin, «Relation concessive et univers de croyance», in Modèles linguistiques 4 (1982) 27-39. 17 Martin 1982, 31. 18 Z.B. die Definition der konzessiven Relation als Negierung eines präsupponierten Konditionalverhältnisses (relation «sous-jacente», wie Martin formuliert). Vgl. dazu unten, Abschnitt 2.8.1. ' 9 Vgl. J. Moeschier, Dire et contredire. Pragmatique de la négation et acte de réfutation dans la conversation, Bern 1982; mehrere Beiträge im Bd. 5 der Cahiers de linguistique française (1983), der dem Thema «Connecteurs pragmatiques et structure du discours» gewidmet ist; ferner U. Brauße, «Konnektive als Indikatoren für Bewertungen von Argumenten», in Linguistische Studien. Reihe A 112 (1983) 28-35. Vgl. außerdem alle unten, Anm. 61, genannten Studien. 20 Vgl. H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, München i960, 186194, 856 u. ö. 21 So z. B. Hermodsson 1978, 67: «Konzessiv hängt etymologisch mit concedere 'nachgeben, einräumen' zusammen. Der Terminus wird daher in den Handbüchern in der Regel mit 'einräumend' wiedergegeben, und von den Konjunktionen obwohl, obgleich usw. wird gesagt, daß sie eine 'Einräumung' ausdrücken. Man kann hier von der Macht eines Wortes über die Gedanken sprechen, denn mit einer Einräumung hat der Inhalt dieser Ausdrücke über16
15
storischem G e s p ü r z e u g e n d e n A n s i c h t wird n ä m l i c h übersehen, d a ß der A u s d r u c k Konzessivität
seine geschichtlich begründete B e r e c h t i g u n g aus
der rhetorischen V e r w e n d u n g dieser sprachlichen S t r u k t u r bezieht. concessio
Die
meint, wie es die deutsche Ü b e r s e t z u n g wiedergibt, das «Ein-
r ä u m e n » der argumentatorischen Position des O p p o n e n t e n , gegen die der P r o p o n e n t die i h m natürlich wichtiger erscheinende eigene M e i n u n g , den Einwand,
setzt 2 2 . A u s eben diesem strategischen
S c h e m a des
Dialogs
heraus gewinnen andere A u t o r e n eine D e f i n i t i o n der K o n z e s s i v i t ä t , die m a n als e t y m o l o g i s c h e D e u t u n g des Begriffs der Konzessivität
im Sinne der
rhetorisch-pragmatischen V e r w e n d u n g verstehen k a n n . D i e s e r A n s a t z wird besonders in neueren sprechakttheoretisch orientierten Beiträgen systematisch a u f g e g r i f f e n , u m die -
besondere Realisierungsformen a u f w e i -
sende - V e r w e n d u n g der konzessiven S y n t a x beim A r g u m e n t i e r e n u n d im D i a l o g mit der d o r t typischen Verteilung der beiden konzessiven T e r m e a u f die D i a l o g p a r t n e r z u untersuchen 2 3 . Vorarbeiten z u solchen Ü b e r l e g u n g e n finden sich aber bereits in e t y m o logisch-rhetorisch angelegten D e f i n i t i o n e n , wie z.B. bei M i k k o l a 1957. I m theoretischen K a p i t e l seiner Studie z u r K o n z e s s i v i t ä t bei L i v i u s knüpft der finnische
Latinist z u n ä c h s t an die A u s s a g e der traditionellen G r a m m a t i k
haupt nichts gemein. 'Einräumen, zugeben' bedeutet bekanntlich, von einer Position (im übertragenen Sinn dieses Wortes) mehr oder weniger abzurücken, eine Feststellung irgendeiner Art einzuschränken oder ganz zurückzunehmen. Als Präsupposition gilt dabei, daß der Sprecher vorher einen bestimmten, anderen Standpunkt behauptet hat. Vgl. Ausdrücke wie die folgenden: Ich gebe zu, daß ich mich völlig geirrt habe./ Ich muß einräumen, daß man dies auf andere Weise besser tun kann.» - Der Vf. scheint hier ganz einfach übersehen zu haben, daß sich der Begriff Konzession/Konzessivität, dessen Entstehung als grammatischer Terminus in der Geschichte der Grammatikologie noch im einzelnen zu erforschen sein wird, wohl zunächst nur auf den ersten Teil des mit obwohl eingeleiteten Satzgefüges bezieht, dem dann noch ein zweiter Teil - der Hauptsatz - folgt. Demnach wären die zuletzt zitierten Beispielsätze von Hermodsson folgendermaßen als (Teil eines) Konzessivsatz(es) zu verstehen: Obwohl (ich zugebe, daß) ich mich völlig geirrt habe, denke ich nun keineswegs daran, mich deiner Meinung anzuschließen. - Obwohl (ich einräumen muß, daß) man dies auf andere Weise besser tun kann, bin ich nicht gewillt, die dazu nötige Anstrengung aufzubringen. - Erste Dokumente zur begriffsgeschichtlichen Herleitung des grammatikalischen Terminus der Konzessivität aus der rhetorischen concessio finden sich bei Morel 1980, Kap. III, und Soutet 1990, Kap. I. Diese Struktur wird in expliziter Formulierung von dem als Motto der vorliegenden Arbeit zitierten Satzgefüge abgebildet. 23 Z u neueren gesprächsanalytischen Ansätzen, die die alte rhetorische Konzeption aufgreifen und vertiefen, vgl. insbesondere Bd. 4 der Cahiers de linguistique française (1982) mit dem Thema «Concession et consécution dans le discours»; E. Roulet u. a., L'articulation du discours en français contemporain, Bern usw. 1985 (wo von den connecteurs contre-argumentatifs die Rede ist: 112 ff.); außerdem mehrere Beiträge von P. Leclère, z. B.: P. L., «La concession: rhétorique et linguistique», in Folia Linguistica 13 (1979) 63-73; P L-, «Zum konzessiven Sprachspiel», in Grazer Linguistische Studien 20 (1983) 101-118.
22
16
an, nach der mit sprachlicher Konzessivität ein Ereignis ausgedrückt werde, «wovon man unter den genannten Umständen nicht erwartet hätte, daß es geschehen würde»24, und entwickelt daraus seine Darstellung des Begriffs und der Struktur der Konzessivität: Eine derartige Aussage bezieht sich auf zwei Objekte des Denkens, von denen das eine, ein bestimmtes Ereignis, dominiert, während das andere, die Situation, trotz der das Geschehene eingetreten ist, als Akzidens zur Dominante hinzutritt. Die Aussage kombiniert nun die Sätze, die die Dominante und das Akzidens ausdrücken, in der Weise, daß der zwischen ihnen bestehende Antagonismus, die Fremdartigkeit, die in ihrem Zusammenerscheinen liegt, ihren Ausdruck findet, entweder explizit klar ausgesprochen, oder implizit auf Grund der umgebenden Ausdrücke und Gedankenzusammenhänge. Dann wird das Vorhandensein des Akzidens, der zu dem Ereignis gehörenden Situation, eingeräumt (c o n c e d i t u r), und deshalb nennt man den Ausdruck dieser Einräumung K o n z e s s i v s a t z25.
An dieser Stelle merkt E. Mikkola allerdings an, daß man das Verhältnis von Akzidens und Dominante einerseits in dem gerade beschriebenen Sinne deuten könne, daß aber andererseits auch umgekehrt die Dominante die Interpretation zulasse, «als tatsächlich trotz bestimmter Umstände eingeräumt»26 zu gelten. In diesem Sinne ließe sich dann auch der in der Grammatiktradition üblich gewordene Sprachgebrauch legitimieren, der mit Konzession die zweigliedrige Aussage als Ganzes bezeichnet und der die aus Akzidens + Dominante gebildete sprachliche Struktur mit dem Namen Konzessivität belegt. Mikkolas Ausführungen sind in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Erstens gelingt es ihm, den von manchen Autoren vorschnell getadelten Begriff der Konzessivität auf seinen rhetorischen Kern zurückzuführen; zweitens ahnt er mit seinen Konzepten Akzidens und Dominante eine Diskussion voraus, die ab den 70er Jahren mit den Begriffen Thema und Rhema versuchen wird, das informationstheoretische Profil des konzessiven Satzgefüges nachzuzeichnen27.
2.5.
Konzessivität als Abweichung von der Norm
Die von der traditionellen Definition her schon bekannte Idee des unerwarteten Ereignisses als gedanklicher Kern der konzessiven Aussage wird in weiteren definitorischen Ansätzen vertieft mit Hilfe des Begriffs der Norm (und des Komplementärbegriffs der Abweichung oder der Ausnahme), so z. B. bei Pott 1976:
24 25 26 27
Vgl. Mikkola 1957, 1 1 . Vgl. oben, 2.2. Mikkola 1957, 11. Mikkola 1957, 11 Anm. 1. Vgl. unten, 2.9.
17
Wenn man [...] die Norm als das ansieht, was zu erwarten ist, wenn ein bestimmter Umstand vorliegt, und ein anderer Umstand eintritt, der dieser Erwartung zuwidersteht, so haben wir ein konzessives Verhältnis28.
Die Erklärung der Konzessivität als sprachliche Wiedergabe eines ungewöhnlichen Geschehens, das anstelle des normalerweise zu erwartenden Ereignisses eintritt, taucht an mehr oder weniger zentraler Stelle aller neueren Definitionen auf. Dabei müssen aber, wie mehrere Autoren richtig sehen, zwei Bestandteile dieser Deutung präzisiert werden: - Was ist hier unter Norm zu verstehen? - Auf welchen Mechanismus der Objektwelt oder unseres Denkens läßt sich der typische Umschlag vom normalen zum regelwidrigen Geschehen zurückführen? Während sich die erste Frage mit einem generellen Hinweis auf das nach unseren üblichen Denkgewohnheiten Normale, auf den für Sprecher eines bestimmten Kulturkreises gemeinsamen Erwartungshorizont erledigen läßt, ist es für das zweite Problem unerläßlich, den inneren strukturellen Zusammenhang von Norm und Ausnahme in der konzessiven Relation zu erkennen. Dies nun gelingt nur in den Definitionen, die Konzessivität als ein Subphänomen von Kausalität/Konditionalität oder von Implikation erfassen.
2.6.
Konzessivität als Kausalität/Konditionalität + Negierung
In allen bisher hier resümierten Ansätzen zur Erklärung der abstrakten Struktur des Konzessivsatzes war nicht explizit und systematisch die Rede von einem wesentlichen Bestandteil des konzessiven Verhältnisses, nämlich der ursächlichen Beziehung zwischen dem in der Protasis genannten Tatbestand und einem gemäß unserer normalen Erfahrung vorhersehbaren, aber wider Erwarten nicht eingetretenen Geschehen, das bei einem entsprechenden Konditional- oder Kausalgefüge in der Apodosis zum Ausdruck gekommen wäre29. Dieser Zusammenhang hätte allerdings der grammatikalischen Diskussion seit G. W. Leibniz bekannt sein können, denn in seiner Analysis particularum30 hat der Philosoph die aus seiner Sicht wichti-
28
29
30
Vgl. Pott 1976, 11. Ähnlich - in konziserer Form - Hermodsson 1978, 60: «... das obwohl-Gefüge gibt die anormale Relation an.» Gemeint ist wohl eher: anomal. In Anlehnung an Mikkola 1957 u. a. verwende ich im folgenden die Begriffe Protasis und Apodosis zur Bezeichnung des ersten und des zweiten Terms einer konzessiven Relation, und zwar ohne Rücksicht auf den syntaktischen Status der Sätze und ohne Rücksicht auf deren Serialisierung, d. h. der erste Term stellt den unwirksamen Grund, der zweite Term die unerwartete Folge dar. G.W. Leibniz, Analysis particularum, hg. von F. Schupp, in Studia Leibnitiana, Sonderheft 8, 133-153. 18
gen Elemente der konzessiven Relation auseinandergelegt und dabei besonders die im Konzessivsatz zu beobachtende Koinzidenz einer gedachten Grund-Folge-Beziehung und deren tatsächlicher Negierung 31 betont: Quamquam magister est diligens, discipulus tarnen est ignarus. Cujus sensus est: magister est diligens, unde videtur sequi, quod discipulus non est ignarus, sed falsa est consequentia, quia discipulus est ignarus. Vel generalius: Magister est doctus, et meretur considerad quod simul discipulus est ignarus ... 32
Zerlegen wir nun Leibnizens consequenlia, d. h. einen Kausal- oder Konditionalsatz, in seine Bestandteile antecedens und consequens, könnte man aus seiner Beschreibung der Konzessiwerknüpfung folgende Definition herauslesen: Konzessivität bedeutet, daß ein bestimmtes antecedens wider Erwarten nicht zu einem vorhersehbaren consequens, sondern zu dessen Negierung führt.
Die Bestimmung des Konzessivsatzes mit Hilfe der Konzepte Konditionalität! Kausalität + Negierung taucht dann auch schon in einzelsprachlichen Grammatiken des 19. Jh. auf, so z.B. 1843/45 in der Syntax der neufranzösischen Sprache von Mätzner 33 : Ganz nahe verwandt mit dem hypothetischen Nebensatz ist der adverbiale Konzessivsatz, durch welchen ebenfalls ein Grund als solcher gesetzt wird, jedoch mit dem Unterschiede, daß dieser Grund zugleich in seiner Folge aufgehoben wird.
In dieser und ähnlichen Definitionen bleibt das nähere Verhältnis zwischen Konditionalsatz/Konzessivsatz einerseits und Kausalsatz/Konzessivsatz andererseits ungeklärt. Offenbar ist in solchen Fällen die innere Aufgliederung des Konzessivgefüges in die real-konzessive Form (dt. obwohl/it. benché) und die bedingt-konzessive Variante (auch wenn/anche se) wohl noch nicht als eigenes Problem erkannt. Der erste, der den gesamten Fragenkomplex der Beziehungen und Unterschiede zwischen Konzessivität, Kausalität, Konditionalität und Adversativität im Zusammenhang behandelt, scheint meines Wissens Eugen Lerch im 2. Band seiner bekannten Syntax (1929) 34 zu sein. Lerchs ausführliche Erläuterungen zur abstrakten Struktur des konzessiven Verhältnisses beginnen mit der Feststellung der Verwandtschaft zur Kausalbeziehung:
31
32 33
34
Im folgenden wird zwischen Negierung als Kategorie sprachlichen Handelns und Negation als Kategorie des Sprachsystems unterschieden, wie von der neueren Forschung vorgeschlagen (vgl. z. B. Koller 1988, 69, mit weiterem bibliographischen Nachweis). Leibniz, a.a.O. (zitiert nach König/Eisenberg 1984, 313; Kursivierung von mir). E. Mätzner, Syntax der neufranzösischen Sprache, Berlin 1843/45, 177 (Kursivierung von mir). E. Lerch, Historische französische Syntax, 3 Bde. Leipzig 1 9 2 5 - 3 4 (Bd. II: 1929). 19
D i e Konzessivsätze bilden das Gegenstück zu den Kausalsätzen, insofern bei ihnen ein irgendwie erwartetes Verhältnis von Ursache und Folge als nicht bestehend abgewiesen wird 3 5 .
Danach folgt eine in ihrer Präzision bis dato unbekannte und z. T. auch noch später kaum wieder erreichte Abgrenzung zur adversativen Verknüpfung: D a s Konzessivverhältnis bezeichnet aber nicht, wie das Adversativverhältnis, lediglich eine Gegensätzlichkeit zwischen zwei Tatbeständen [...], sondern mehr: eine so starke Gegensätzlichkeit, d a ß im G e f o l g e des Tatbestandes A vielmehr das Gegenteil des wirklich eingetretenen Tatbestandes B erwartet wird 3 6 .
In der daran anschließenden Erläuterung zeigt Lerch anhand von Beispielen, daß das Adversativverhältnis in semantischer Hinsicht einen weiteren Kreis bildet, in dem als engerer Kreis das Konzessivverhältnis eingeschlossen ist. Diese Beziehung der beiden syntaktischen Strukturen zueinander verdeutlicht, daß adversative Konjunktionen (z. B. dt. aber / it. ma) in konzessiver Verwendung vorkommen können, konzessive Ausdrücke wie obwohl/benche hingegen auf den konzessiven Sinn festgelegt sind und nicht die gedanklich weitere Funktion der Adversativität übernehmen können. So kann - nach Lerch - ein rein adversatives Verhältnis wie der folgende Satz nicht mit konzessiven Morphemen gebildet werden: * Obwohl die ältere Tochter blond ist, ist die jüngere braun. Lerchs Ausführungen zum Unterschied von Adversativität und Konzessivität, insbesondere der zuletzt zitierte Teil seiner prägnanten Erörterungen, verraten, daß er den Kern der Verschiedenheit der beiden Relationen in der unterschiedlichen sprachlichen Gestaltung des Gedankens der Gegensätzlichkeit sieht. Das adversative Verhältnis drückt seines Erachtens «lediglich eine Gegensätzlichkeit zwischen zwei Tatbeständen» aus, d. h. Gegensätzlichkeit allein, Kontrast von Werten auf einer Skala, mithin einen paradigmatischen Gegensatz. In der konzessiven Relation hingegen kommt, nach Lerchs Darstellung, zum Ausdruck der Gegensätzlichkeit noch etwas hinzu. Das zusätzliche Element ist ein Gedanke, der nur in einer anderen Dimension Gestalt annehmen kann, nämlich in einer Beziehung des praeter-propter, d. h. in einem auf der syntagmatischen Achse zu verwirklichenden Konditional- oder Kausalverhältnis. Diese Relation verwirklicht sich allerdings, wie gesagt, in Form ihres «Gegenstücks», in welchem, nach Lerchs Worten, die Gegensätzlichkeit daraus entsteht, «daß im G e f o l g e des Tatbestandes A [...] das G e g e n t e i l des wirklich eingetretenen Tatbestandes B erwartet wird»37. Nach dieser Erklärung der Konzessivität mit Hilfe der Begriffe des Gegensatzes («Gegenteil») und der Kausalität/Konditionalität («Gefolge») und nach der damit gleichzeitig gewonnenen Abgrenzung des konzessiven 35 36 37
Lerch 1929, 333. Lerch 1929, 333. Lerch 1929, 333 (Sperrung von mir).
20
vom adversativen Verhältnis schlägt Lerch die Aufteilung der Konzessivsätze in - real-konzessive und - bedingt-konzessive Satztypen vor, je nachdem ob der Umstand A , in dessen Gefolge das Gegenteil des Erwarteten B eintritt, eine Tatsache oder eine bloße Annahme ist. Die beiden Kategorien des Konzessivsatzes erfahren dann ihrerseits eine weitere Aufgliederung. Während die bedingt-konzessiven in ihrer inhaltlich-formalen Variation den Konditionalsätzen folgen, grenzt Lerch vom Ausdruck des real-konzessiven Verhältnisses einen Sonderfall ab, den er Einschränkung nennt38. Er charakterisiert diese Relation als «Mittelstufe» zwischen der adversativen und der konzessiven Satzverknüpfung im eigentlichen Sinn, was sich mit folgenden Beispielen begründen läßt: - adversativ: Während die eine Tochter braun ist, ist die andere blond. - einschränkend: Wenn auch die eine braun ist, so ist doch die andere (wenigstens) blond. Das als «Einschränkung» zu verstehende Verhältnis nähert sich nach Lerchs Einschätzung dem konzessiven Sinn, ohne daß hier aber eine eigentlich konzessive Relation gegeben wäre. Lerch erläutert seine Deutung mit Hilfe der Kommutationsprobe: Ein Ersetzen von wenn auch durch obgleich wäre seines Erachtens im vorliegenden Fall nicht möglich, da so eine «widersinnige» Konditionalbeziehung vorausgesetzt würde, derzufolge das Braunsein der einen Tochter normalerweise auch das Braunsein der anderen einschließen müsse39. Sicherlich wird an dieser Begründung deutlich, daß mit der spezifischen Verwendung der konzessiven Konjunktionen in dem Fall, den Lerch «Einschränkung» nennt, eine syntaktische Relation vorliegt, die von der Konzessivität - im Sinne des Gegenstücks der Kausalität - abweicht. Wenn nun Lerch einerseits zwar richtig sieht, daß hier keine Negierung eines objektiven Grund-Folge-Verhältnisses festgestellt werden kann, so scheint er andererseits jedoch nicht erfaßt zu haben, daß hier eine Art logischer, gedanklicher Beziehung zwischen den Teilsätzen besteht, die mit dem Begriff der Einschränkung allein noch nicht präzise genug beschrieben und mit der Zuordnung zum Feld der Adversativität unangemessen interpretiert wird. Wir müssen auf das Problem dieses besonderen Typs konzessiver Verknüpfung weiter unten unter dem Stichwort «Diskursive Konzessivität» noch einmal zurückkommen 40 . 38 39 40
Lerch 1929, 334. Lerch 1929, 334. Was Lerch anscheinend nicht gesehen hat, ist die für die Typologie der konzessiven Satzmuster wichtige Tatsache, daß nicht nur ein objektives GrundFolge-Verhältnis, sondern auch eine logische Beziehung von Grund und Folgerung negiert werden kann. Vgl. unten, 2.8.2. 21
A b g e s e h e n v o n der n o c h u n z u l ä n g l i c h e n A n a l y s e eines Sonderfalles der konzessiven S y n t a x bilden Lerchs A u s f ü h r u n g e n im g a n z e n bis in die 70er Jahre hinein einen w i c h t i g e n O r i e n t i e r u n g s p u n k t f ü r viele G r a m m a t i k e n u n d a u c h f ü r die einschlägige linguistische F o r s c h u n g . S o f a ß t z. B. R u d o l p h 1973 in einer Studie z u m spanischen Finalsatz den durch L e r c h erreichten F o r s c h u n g s s t a n d in folgender Weise p r ä g n a n t z u s a m m e n 4 1 : Beim Konzessivgefüge bildet das einfache Kausalverhältnis von Ursache und Wirkung den Erfahrungshorizont und damit den Maßstab für das Verhältnis der Aussagen. Das Hauptereignis stellt das genaue Gegenteil dessen dar, was als Wirkung aus dem im Konzessivsatz genannten Geschehen hervorgehen müßte. Sprachlich wird zwischen Realität und Annahme unterschieden. Im ersten Fall beziehen sich die beiden Aussagen auf tatsächliche Ereignisse; daher Lerchs Bezeichnung «real-konzessiv». Im zweiten Fall beziehen sich die gegensätzlichen Aussagen auf ein Konditionalverhältnis, das als nicht zutreffend abgelehnt wird. Diese zweite Form wird «bedingt-konzessives Gefüge» (Lerch, Gamillscheg) oder «konzessive hypothetische Periode» (Wittmayer) genannt. Die Kausalkette ist durchbrochen: das im Konzessivsatz genannte Faktum kann als wirkungslose Ursache bezeichnet werden, als erfolgloser Gegengrund zum Hauptereignis, das ungeachtet dieses Widerspruchs eintritt, im Gegensatz zur erwarteten Wirkung oder Folge. Man könnte direkt von einem Antikausalgefüge sprechen. Die
besonders
mit
dem
Namen
Lerch
verbundene
erste
umfassende
A n a l y s e der K o n z e s s i v i t ä t schlägt sich schließlich in zwei T e r m i n i nieder, die H e r m o d s s o n 1978 vorgeschlagen hat: E r bezeichnet die K o n z e s s i v s ä t z e als inkausale
u n d inkonditionale
Satzgefüge 4 2 .
D i e s e r S t a n d der F o r s c h u n g findet sich a u c h in neueren g r a m m a t i k a lischen A r b e i t e n
italienischer
Sprachwissenschaftler
wieder.
So
erklärt
A g o s t i n i 1978 den K o n z e s s i v s a t z als syntaktische F o r m z u m A u s d r u c k des ... mancato verificarsi dell'effetto che dovrebbe o potrebbe conseguire a una determinata causa (reale o supposta) [...]: benché sia ricco, vive poveramente 43 . Ä h n l i c h äußert sich Serianni 1988 44 , der diese D e f i n i t i o n ü b e r n i m m t und mit ergänzenden A n m e r k u n g e n erläutert: ... La concessiva introduce in sostanza un elemento inatteso, una frattura logica rispetto a un dato rapporto causa-effetto che avrebbe più naturale espressione in una proposizione causale (come ad esempio: «vive poveramente perché non ha soldi per tirare avanti», «perché ha perso il lavoro», ecc.). Alla circostanza enunciata nella proposizione concessiva (che introduce una condizione potenzialmente causa: il fatto di essere ricco) corrisponde invece nella sovraordinata un effetto imprevisto, non il «vivere comodamente», bensì il «vivere poveramente»45. Rudolph 1973, 56 f. Hermodsson 1978, 59 ff. 43 Agostini 1978, 386. 44 L. Serianni, Grammatica italiana. Italiano comune e lingua letteraria. Suoni forme - costrutti, Turin 1988. 45 Serianni 1988, 504. Die Ausführungen sind z.T. schon wieder ein Rückschritt gegenüber Lerch 1929. 41
42
22
2.7.
Konzessivität als negierte Implikation
D i e Definition Konzessivität
= Kausalität/Konditionalität
+ Negierung ist in
neueren Studien z w a r inhaltlich k a u m mehr präzisiert worden, wohl aber gelingt es einigen Forschern, die begriffliche A b l e i t u n g der abstrakten Struktur des konzessiven Verhältnisses aus der zugrundeliegenden Relation der Konditionalität/Kausalität Schritt für Schritt nachzuvollziehen und die obige G l e i c h u n g mit einer logisierenden Schreibweise prägnanter wiederzugeben. So stellt z. B. L e h m a n n 1973, unter Verwendung der aus der L o g i k entlehnten Symbole p und q, die für die beiden im Konzessivsatz verknüpften Teilsätze stehen, die obige Definition mit der Formel NEG
(CAUS
(p,
q))
dar 4 6 . D i e L o g i k liefert nun der Linguistik auch einen Begriff, mit dessen Hilfe das gesamte Feld der diversen sprachlichen Kausalstrukturen (= Kausalität, Konditionalität,
Konsekutivität,
Finalität
einerseits
und
Konzessivität
andererseits) in einer systematischen Z u s a m m e n s c h a u erfaßt werden kann. Es handelt sich u m den Terminus der Implikation,
den die neuere Sprach-
wissenschaft allerdings mit einer von der Aussagenlogik verschiedenen Bedeutung verwendet 4 7 . Sie versteht unter Implikation
eine
inhaltliche
Beziehung zwischen zwei Sachverhalten p und q, in der p - im Einklang mit unserer Erfahrung, unseren Normvorstellungen und unseren darauf beruhenden Erwartungen - q nach sich zieht (die einschlägige englische Terminologie spricht von entailment).
M i t anderen Worten: p bedingt,
verursacht, führt zu q, oder p erlaubt den S c h l u ß auf q. A u f der G r u n d l a g e eines solchen Implikationsbegriffes lassen sich nun alle sprachlichen
Kausalstrukturen,
d.h.
alle kausalen,
konditionalen,
konsekutiven und finalen Verknüpfungen, a u f die Formel p
q
bringen, wobei der Pfeil —> den G e d a n k e n der «Implikation» in dem eben erläuterten inhaltlichen - und nicht formallogischen - Sinne symbolisieren soll. U m nun das konzessive Verhältnis darzustellen, könnten wir in A n l e h nung an die von L e h m a n n 1973 vorgeschlagene Formel NEG
46 47
(CAUS
(p,
q))
Lehmann 1973, 87 ff. (hier: 91). Zur Problematik des Implikationsbegriffs außerhalb der formalen Logik vgl. die grundsätzlichen Erwägungen bei R. Blanche, Le raisonnement, Paris 1973, Kap. 5 f. - Zur Verwendung des Begriffs in der Sprachwissenschaft vgl. u. a. Lehmann 1973, 60 ff. sowie folgende zwei Aufsätze von P. Blumenthal: «Zur Logik des Konzessivsatzes am Beispiel des Französischen», in Vox Romanica 32 (1973) 272-280, und «Komplexe Sätze im Französischen», in Zeitschrift für Romanische Philologie 92 (1976) 59-89.
23
die implikative Beziehung p versehen und schreiben
q mit dem zusätzlichen Element NEG NEG (p
q).
Dieser Formel entspräche die von Coyaud 1972 vorgeschlagene Definition48: La concession n'est qu'une variété d'implication utilisée en contexte négatif.
Oder kürzer: Konzessivität = negierte Implikation. Da nun aber der Ausdruck NEG (p —> q) einige formale Bedenken aufkommen läßt, stellt sich die Frage, ob es nicht besser wäre, die Position des Symbols NEG ganz mit den Verhältnissen in den natürlichen Sprachen in Übereinstimmung zu bringen. Dabei ist zunächst zu beachten, daß es in der konzessiven Beziehung keine Rolle spielt, mit welchen sprachlichen Negationsträgern und auf welcher Seite der Verknüpfung (p oder q) die Negierung der präsupponierten Implikation p —> q realisiert wird. Entscheidend ist nur, daß der Gedanke der unerwarteten Folge zum Ausdruck kommt. Da also in der Idee des ««erwarteten consequens die funktionale Bestimmung der formalen Mittel konzessiver Verknüpfung liegt und somit die Folge als das eigentliche Ziel der konzessiven Negierung anzusehen ist, läßt sich auf die obige Formel verzichten, indem das Symbol NEG ohne weiteres dem für «Folge» stehenden Symbol q zugeordnet wird, also p
NEG-q.
Mit dieser Schreibweise soll der Tatsache Rechnung getragen werden, daß in den implikativen Verhältnissen als inhaltlichen Beziehungen der Gegensatz von Erwartungskonformität (= «Kausalität») und Durchkreuzung der Erwartung (= Konzessivität) das entscheidende Kriterium der Differenzierung darstellt. Unter Verwendung dieses inhaltlichen Elements können für die implikativen und negiert-implikativen Satzstrukturen nunmehr folgende Definitionen parallel formuliert werden: I. IMPLIKATION: p q (= alle Formen des sprachlichen Ausdrucks der «Kausalität» im weiten Sinne) Definition:
Es ist gemäß unserer Erwartung der Fall, daß p q impliziert.
II. NEGIERTE IMPLIKATION: p -> NEG-q (= Konzessivität) Definition:
Es ist wider Erwarten nicht der Fall, daß p q impliziert, sondern trotz p erscheint ausnahmsweise NEG-q.
Der Unterschied zwischen den beiden Relationstypen ließe sich auch mit den Begriffen Konjunktion und Disjunktion verdeutlichen, indem man von konjunktiver Implikation vs disjunktiver Implikation sprechen würde49; aber 48 49
M. Coyaud, Linguistique et documentation, Paris 1972, 82. So z.B. A . Borghini, «Schemi sintattici e schemi narrativi: le frasi causali e le
24
es erscheint ausreichend und einfacher, den behandelten Gegensatz syntaktischer Strukturen mit dem Begriffspaar Implikation vs negierte Implikation zu belegen. Was den Gegensatz von (positiver) Implikation und negierter Implikation sowie die entsprechende (Nicht-)Setzung bzw. Zuordnung des Negationszeichens angeht, hat sich in der neueren Forschung allerdings ein anderer Usus etabliert: Das Symbol NEG wird benutzt als Zeichen für eine zweite Aussage, die zu einer vorhergehenden ersten Aussage im Verhältnis der Negierung steht. In diesem Sinne wird ein geäußertes Konzessivverhältnis mit der Formel obwohl p, q umschrieben, und NEG-q stellt dann entsprechend die erwartete Folge im zugrundeliegenden KausaWKonditionalverhältnis wenn p, dann NEG-q dar. Eine solche Sicht der Dinge findet sich z. B. in folgender ausführlicher Beschreibung des Konzessivverhältnisses aus einem neueren grammatischen Handbuch des Deutschen 50 : Eine weitere Relation, die auf den Konditional- bzw. Kausalverhältnissen aufbaut und zu deren sprachlichem Ausdruck spezielle Mittel der subordinativen Verknüpfung existieren, ist die Konzessivrelation. In dieser Relation stehen zwei Sachverhalte p und q, von denen p im «Normalfall» - auf Grund bisheriger Erfahrung, nach Ansicht des Sprechers usw. - einen Sachverhalt Neg (q) bedingt oder begründet, der den Sachverhalt q ausschließt, die aber beide als real vorausgesetzt (Bedingung-Nichtbedingtes) oder bereits realisiert sind bzw. - im Falle von Zukunftsaussagen - vor ihrer Realisierung stehen (Grund-Nichtfolge). Wenn neben p, das nach der Erwartung Neg (q) bedingt, q gegeben ist, so stehen p und q in der Konzessivrelation.
Ähnlich, aber konziser, formuliert Bogacki 1986: II se produit p; x (= le locuteur) s'attend ä non q, croyant que p entraine non q; or il se produit q 51 .
Es ergeben sich also folgende Möglichkeiten der formalisierten Darstellung der Konzessivrelation: I. Bei analytischem Fortschreiten von Kausalbeziehung (p —» q) hin zum verhältnis gelten die Formeln: a) NEG (CAUS (p, q)) oder b) (p NEG-q). II. Im Falle, daß zunächst ein zwischen Verhältnis als konzessiv identifiziert
50 51
einer vorausgesetzten Konditional-/ gedanklich abgeleiteten Konzessiv-
zwei Aussagen p und q bestehendes und erst danach auf die präsuppo-
frasi concessive» in Lingüistica e letteratura 9 (1984) 15-58. Im übrigen enthält dieser Aufsatz in bezug auf die poetologische und hermeneutische Relevanz der implikativen Satzstrukturen ähnliche Hypothesen und Argumente wie Pötters 1981 und Pötters 1991, allerdings nicht im Hinblick auf die Novelle, sondern auf die erzählenden Genera im allgemeinen. Vgl. K . Heidolph u. a., Grundzüge einer deutschen Grammatik, Berlin 1981, 806. K . Bogacki, «Implication, représentation sémantique et contraintes de surface», in Travaux de linguistique et de littérature 24 (1986) 59-65 (Zitat: 63).
25
nierte KonditionaWKausalrelation/Implikation zurückgeführt wird, bieten sich ebenfalls mehrere Schreibweisen an: a) CONCESS (p, q) b) obwohl p, q oder: p, trotzdem q c) (p —» q) als Negierung der normalerweise gültigen implikativen Beziehung (p NEG-q). Die hier aufgeführten Schreibweisen zur Darstellung des konzessiven Verhältnisses sind im Grunde alle akzeptabel 52 . In den beiden Formeln des Falles II.c tritt allerdings der für die Herstellung der konzessiven Relation zentrale Operator NEG quer zum Verhältnis der definitorischen Bezeichnungen Implikation und negierte Implikation in Erscheinung; aber dies ist nur ein in objektsprachlicher Hinsicht störender, nicht jedoch das abstrakte Verhältnis von Konzessivität und Kausalität/Konditionalität betreffender beschreibungstechnischer Umstand. Es ist also letztlich gleichgültig, aus welcher Blickrichtung man die Beziehung zwischen Konzessivität auf der einen und den kausalen Verknüpfungen auf der anderen Seite untersucht; immer erscheint die Negierung, speziell die negierte Folge, als das Charakteristikum der konzessiven Relation. Dabei ist in den Formeln CONCESS (p, q) obwohl p, q p, trotzdem q die Idee der Negierung im Symbol CONCESS bzw. in den konzessiven Morphemen (obwohl, trotzdem) selbst enthalten. Der mit den eben besprochenen Definitionen und Formeln verdeutlichte Stand der Forschung hat seinen Niederschlag sogar schon in einigen Lehrwerken gefunden. Während man einerseits in einer gerade erschienenen großen Konsultationsgrammatik der italienischen Sprache (Serianni 1988) den hilfreichen Begriff der Implikation noch vergeblich sucht, findet man andererseits z. B. in der französischen Schulgrammatik von J. R Confais folgende Bestimmung der Konzessivität als Negierung eines implikativen Verhältnisses: Die Konzession ist eine spezielle Form der Implikation. Eine Implikation [...] besteht aus zwei Teilen: der 1. Teil drückt eine Bedingung aus, der 2. Teil die Folge, die sich aus dieser Bedingung ergibt [...]. In der Konzession wird einer der beiden Teile verneint, so daß die Folge als unerwartet erscheint [...] 53 .
Wie detailliert und nuanciert die linguistische Beschreibung der syntaktischen Strukturen zum Ausdruck der Idee der Implikation/Kausalität (und deren Negierung) auch geworden ist, immer wieder werden, wie in den Zum Versuch einer formallogischen Sicht dieser Problematik vgl. Blumenthal 1973, 294 f., wo verschiedene Negationstransformationen geprüft werden. 53 J.-P. Confais, Grammaire explicative. Schwerpunkte der französischen Grammatik für Leistungskurs und Studium, München 1978, 83.
52
26
letzten Zitaten, die traditionellen Begriffe der Bestätigung/Enttäuschung einer Erwartung herangezogen, um die geistige Strategie und das entsprechende sprachliche Programm einer grundsätzlichen Welterfahrung und Welterfassung zum Ausdruck zu bringen, die menschliche Erkenntnis nämlich, daß unsere Welt und unser Leben in weiten Bereichen von zwei Prinzipien beherrscht zu sein scheinen, die man je nach Situation und Anlaß verschieden benennt: Norm/Verstoß, Regel/Ausnahme, Notwendigkeit/ Freiheit, Ordnung/Chaos, Kausalität/Konzessivität oder Implikation/negierte Implikation. Was nun diese Ausdrücke auch im besonderen meinen, sie alle lassen sich gedanklich auf den fundamentalen Gegensatz von Determination und Zufall zurückführen. Es wäre nun verfehlt, mit dem Hinweis auf einen so umfassenden und problematischen Begriff wie den des Zufalls 54 indirekt unterstellen zu wollen, der linguistische Terminus der Implikation habe keinen Fortschritt in unseren Anstrengungen um ein besseres Erfassen der konzessiven Relation gebracht. Der unbestreitbare Vorteil des neuen Ansatzes liegt in der Möglichkeit, das Phänomen der negierten Implikation in eine systematische Darstellung des gesamten Komplexes sprachlicher Kausalstrukturen einzugliedern. Dazu eignet sich ein binaristisch konzipiertes Baumdiagramm, dessen erste Verzweigung durch die Entscheidung +/- Negierung bestimmt ist55: Implikation
+ negierte Implikation
(p -> NEG-q) KONZESSIVITÄT
- negierte Implikation
(P ~>