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German Pages 315 [316] Year 1997
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Schleiermacher-Archiv Herausgegeben von Hermann Fischer und Gerhard Ebeling, Heinz Kimmerle, Günter Meckenstock, Kurt-Victor Selge
Band 18
Walter de Gruyter · Berlin · N e w York 1997
Ingolf Hübner
Wissenschaftsbegriff und Theologieverständnis Eine Untersuchung zu Schleiermachers Dialektik
Walter de Gruyter · Berlin · New York
1997
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek —
CIP-Hinheitsaufnahme
Hübner, Ingolf: Wissenschaftsbegriff und Theologieverständnis : eine Untersuchung zu Schleiermachers Dialektik / Ingolf Hübner. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1997 (Schleiermacher-Archiv ; Bd. 18) Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 1995 ISBN 3-11-015659-8
© Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin
Vorwort Diese Arbeit ist eine historische Untersuchung in systematischer Absicht. Die Frage nach dem Anspruch der Theologie als Wissenschaft, die sich zur Frage nach der Möglichkeit von Wissenschaft überhaupt erweitert, ist das systematische Interesse, von dem sie ausgeht. Bei der Suche nach Antworten ist Schleiermacher als klassische Gestalt auf dem Gebiet der theologischen Grundlagendiskussion ein besonderer Gesprächspartner. Nicht nur in der Theologie hat Schleiermacher beachtenswerte Überlegungen vorgelegt, sondern auch in der Philosophie. Trotz einer produktiven Spannung sieht Schleiermacher diese beiden Wissenschaften nicht in einem Widerspruch zueinander. Grundlage dieses Denkens ist der integrierende und trotzdem nicht vereinnahmende Wissenschaftsbegriff Schleiermachers. Eine Auseinandersetzung mit der Dialektik, die Schleiermacher als Organon aller Wissenschaft versteht, ist ein geeigneter Anknüpfungspunkt, um mit den heutigen wissenschaftstheoretischen Fragen mit ihm ins Gespräch zu kommen. Wenn in diese Annäherung auch Nachfragen an die Entstehung und die Wirkungsgeschichte seines dialektischen Denkens einbezogen werden, überspringt das systematische Interesse nicht den Kontext, der Antworten erst erhellt. Daß die Suche nach Antworten auf theologische und philosophische Fragen immer auch das Gespräch voraussetzt, habe ich auch während der Zeit meiner Arbeit an dieser Untersuchung zur Dialektik Schleiermachers dankbar erfahren. Im Gespräch mit Prof. Wolf Krötke entstand die Idee, angesichts des drohenden Auseinanderfallens von Theologie und Philosophie deren Verhältnisbestimmung in Auseinandersetzung mit Schleiermacher zu beschreiben. Daß dafür der Wissensbegriff, wie ihn Schleiermacher in seiner Dialektik entfaltet, der geeignete Gegenstand ist, zeigte sich in den Diskussionen mit Prof. Andreas Arndt, in denen manchmal unterschiedliche Deutungen hervortraten, die aber immer äußerst hilfreich und anregend waren. Besonders dankbar bin ich für die vielen Gelegenheiten des Gedankenaustausches mit Prof. Richard Schröder, der meine Studien seit langem begleitet und mit
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Vorwort
seinen Einwürfen und Anregungen immer wieder Breite und Konzentration in meine Arbeit eintrug. Danken möchte ich Peter Bartmann, der mir die Möglichkeit gab, Überlegungen zu Schleiermachers Ansatz im Gespräch darzustellen und so wesentlich zu ihrer Präzisierung beitrug. Die Studienstiftung des Deutschen Volkes hat durch ein Stipendium meine wissenschaftstheoretischen Forschungen ermöglicht. Zugleich förderte die Studienstiftung durch vielfältige Unterstützungen den interdisziplinären Austausch, auf den jede wissenschaftliche Arbeit angewiesen ist. Die schließlich vorliegende Untersuchung zu Schleiermachers Dialektik wurde 1995 von der Theologischen Fakultät der HumboldtUniversität Berlin als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung wurde sie an einigen Stellen überarbeitet. Die Veröffentlichung wurde dankenswerterweise unterstützt von der Schleiermacherschen Stiftung, Berlin. Für die Aufnahme der Studie in das Schleiermacher-Archiv danke ich den Herausgebern der Reihe und ebenso dem Verlag Walter de Gruyter. Damit wird die Beschäftigung mit dem von Schleiermacher gesehenen Zusammenhang von Wissen und Glauben, Theorie und Praxis in einen weiteren Diskurs gestellt. Das geschieht in der Hoffnung, daß das Nachdenken über wissenschaftliche Beschreibungen unserer Wirklichkeit gefördert wird. Für den Autor trug die Beschäftigung mit Schleiermachers Gedankenwelt zu einer Aufweitung theologischer und philosophischer Engführungen bei. Deshalb gilt ein besonderer Dank auch dem Gesprächspartner Schleiermacher. Waldesruh, Mai 1997
Ingolf Hübner
Inhaltsverzeichnis Einleitung
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1 Schleiermachers Dialektik 1.1 Zum philosophiehistorischen Kontext der Dialektik 1.2 Zur Entstehung der Dialektik-Konzeption 1.2.1 Der Kontext anderer Systementwürfe 1.2.2 Das Dialektik-Verständnis Schleiermachers 1.2.3 Die Probleme des Ansatzes Schleiermachers 1.3 Interpretationen der Dialektik 1.3.1 Dialektik der Subjektivität 1.3.2 Dialektik der Einheit 1.3.3 Dialektik des Daseins 1.3.4 Dialektik der Intersubjektivität 1.3.5 Dialektik als kommunikative Interaktion 1.4 Dialektik des Wissens
11 14 24 24 28 30 35 39 46 53 56 58 62
2 Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers 2.1 Erkenntnis bei Kant 2.2 Wissen in Schellings „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" 2.3 Wissen bei Schleiermacher 2.3.1 Die polare Struktur des Wissens 2.3.2 Das Problem des transzendentalen Grundes 2.3.3 Wissen in den Formen von Begriff und Urteil 2.3.4 Die Funktion der Empirie in Schleiermachers Wissensbegriff 2.4 Das Wissen der Wissenschaftslehre
64 64 79 86 87 97 109 116 122
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Inhaltsverzeichnis
3 Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers 3.1 Schleiermachers Theologie als Wissenschaft 3.2 Das Verhältnis zwischen Dialektik und dogmatischer Theologie 3.3 Das Theologieverständnis Schleiermachers 3.4 Dogmatische Theologie als Glaubenslehre 3.4.1 Gefühl in der Dialektik und Gefühl in der Glaubenslehre zur Theorie der Frömmigkeit bei Schleiermacher 3.4.2 Der transzendentale Grund und Gott zur Gotteslehre Schleiermachers 3.4.3 Die Identifizierung des Geschichtlichen und des Urbildlichen - zur Christologie Schleiermachers 3.5 Unmittelbare Glaubenserfahrung und Vermittlung dogmatischen Wissens 4 Rezeption und Wirkungen der Dialektik 4.1 Zur Rezeptionsgeschichte der Philosophie Schleiermachers 4.2 Die defizitäre Rezeption der Dialektik Schleiermachers . . 4.3 Wirkungen der Dialektik Schleiermachers in der Erkenntnistheoriedes 19. Jahrhunderts 4.3.1 Franz Vorländer spekulative Vertiefung des Erkenntnisgrundes 4.3.2 Heinrich RitterUniversalisierung wissenschaftlicher Methodik 4.3.3 Christlieb Julius BranißWissen als spekulative Aufhebung der Unmittelbarkeit . 4.3.4 Friedrich Eduard Beneke Psychologisierung der Erkenntnis 4.3.5 August Twesten Logik als Erkenntnistheorie 4.3.6 Adolf Trendelenburg Wissenschaftslehre als Wissenschaftskunde 4.3.7 Friedrich Ueberweg eine erkenntnistheoretische Schule Schleiermachers . . . 4.3.8 Wilhelm Diltheydie lebensphilosophische Deutung der wissenstheoretischen Grundlagen Schleiermachers . . . .
127 129 139 144 160 164 176 185 192 204 204 209 213 214 218 222 226 229 232 237
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Inhaltsverzeichnis
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4.3.9 Schleiermacher und die erkenntnistheoretische Logik . . 245 4.4 Wirkungen der Dialektik Schleiermachers in der Auseinandersetzung mit der Religionsphilosophie Hegels 247 4.4.1 Georg Friedrich Wilhelm Hegel zur Ambivalenz eines Bezuges auf das Gefühl 248 4.4.2 David Friedrich Strauß der Bruch zwischen Spekulation und Empirie 255 4.4.3 Ludwig Feuerbach die Verabsolutierung im subjektiven Gefühl gegebener Unmittelbarkeit 260 4.4.4 Schleiermachers Dialektik in der religionsphilosophischen Diskussion 268 5
Differenz und Wechselwirkung in Schleiermachers Dialektik und Theologieverständnis
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Quellen - und Literaturverzeichnis
279
Personenindex
299
Begriffs- und Sachindex
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Einleitung Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher ist als Theologe und als Kirchenvater des 19. Jahrhunderts bekannt. Weniger bekannt ist, daß er sich neben seinen einflußreichen theologischen und religionsphilosophischen Werken auch in philosophischen Vorlesungen und Schriften geäußert hat. Dabei stellt diese Seite seines Wirkens nicht nur eine interessante Ergänzung seines theologischen Ansatzes dar, sondern ist ein eigenständiger und beachtenswerter philosophischer Entwurf. In einem Brief äußerte Schleiermacher, daß sich der Ursprung seines theologischen Denkens und seine philosophischen Reflexionen wie zwei elektrochemische Elemente in einer galvanischen Säule berühren, also erst zusammen die vorantreibende Spannung seiner Konzeption bilden. 1 Der Berührungspunkt beider Elemente, der beiden Seiten des Fühlens und des Denkens Schleiermachers, ist sein Wissensbegriff. In der vorliegenden Studie wird vom Wissensbegriff ausgehend nach den Hintergründen seines philosophischen Ansatzes und seines Theologieverständnisses gefragt. Diese erkenntnistheoretische Fragestellung zeigt Schleiermachers Denken in einer neuen und systematisch aufschlußreichen Perspektive. Im Zentrum des philosophischen Werkes Schleiermachers stehen seine Vorlesungen zur Dialektik. Schleiermacher hat die Dialektik im Sinne einer Grundlegung „als Einleitung zu [s]einen philosophischen Vorlesungen" 2 verstanden. Mit der Dialektik ist eine Erklärung und Darstellung der Ausgangspunkte seines Denkens beabsichtigt, die sowohl einer allgemeinen wissenstheoretischen Verständigung als auch dem Verstehen seiner anderen wissenschaftlichen Äußerung dient. Schleiermacher selbst blieb eine Überarbeitung und Veröffentlichung der Manuskripte, obwohl er sie schon begonnen hatte, verwehrt. Daher wurden die thesenhaften Vorbereitungen der Dialektik-Vorlesungen erst durch seinen Schüler L. Jonas aus dem handschriftlichen Nachlaß Schleiermachers herausgegeben. Ein Erscheinen in der Kritischen 1 2
Vgl. F. Schleierniacher an F.H. Jacobi, 30.3.1818, 397. F. Schleiermacher: Briefwechsel mit J.C.Gaß, 87, im Brief an Gaß vom 29.12.1810.
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Einleitung
Gesamtausgabe steht noch aus.3 Die 1833 noch von Schleiermacher für eine Veröffentlichung überarbeiteten ersten Paragraphen zeigen an, daß eine solche Buchfassung, die sich in der Form an die Glaubenslehre anlehnt, zu einer wesentlich breiteren Beachtung und Rezeption der Dialektik-Konzeption Schleiermachers beigetragen hätte. So ist es im wesentlichen eine Aufgabe der Forschung geblieben, die Bedeutung des differenzierten wissenstheoretischen Ansatzes, die sich hinter den thetischen Paragraphen der Dialektik mit ihrem nicht leicht zugänglichen Stil und der Fremdheit manches Gedankens verbergen, aufzunehmen und darzustellen. In Kombination frühromantischer, frühidealistischer und kantischkritischer Gedanken ist es Schleiermacher gelungen, in der Dialektik einen eigenständigen philosophischen Entwurf zu formulieren. Dieser stellt eine beachtenswerte Alternative zu den zeitgenössischen Systementwürfen, insbesondere zur Dialektikkonzeption Hegels, dar. Schleiermachers Ansatz belegt, daß der am Anfang des 19. Jahrhunderts wieder im positiven Sinne gebrauchte Begriff der Dialektik keineswegs eingeengt werden darf auf ein in der hegelschen Tradition zeitweilig dominierendes Verständnis der Dialektik im Sinne einer den Widerspruch freisetzenden und aufhebenden Bewegung der Vernunft. Beeinflußt durch F. Schlegels Idee einer Dialektik des Wechselerweises, in der die dialektische Bewegung nicht aus einem Prinzip, sondern aus einem ursprünglichen Verhältnis zweier Seiten entspringt, formuliert Schleiermacher eine Dialektik des Ausbalancierens von Gegensätzen.4 Grundlegend ist für Schleiermacher die Vorstellung einer Struktur polarer Gegensätze, deren Einheit nicht erst durch eine dialektische Bewegung vermittelt, sondern unmittelbar vorauszusetzen ist. Unser Bewußtsein der Wirklichkeit, in dem wir uns des Aufeinander-bezogen-Seins des Denkens und Seins bewußt sind, ist nach Schleiermacher Äußerung eines unmittelbar gewissen Entsprechungsverhältnisses. Die Unmittelbarkeit dieser ursprünglichen Einheit versteht Schleiermacher als existentiell gegeben.
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Durch die von A. Arndt editierten und herausgegebenen Manuskripte der Dialektikvorlesungen von 1811 und 1814 liegen jedoch einem historisch-kritischen Anspruch genügende Texte vor. Als Textgrundlage dieser Studie dient im wesentlichen Schleiermachers Manuskript von 1814, das schon Jonas aufgrund seiner Vollständigkeit und mehrmaligen Verwendung und Überarbeitung durch Schleiermacher zur Grundlage seiner Edition erhoben hatte. Vgl. L.Jonas: DJ, Vorwort des Herausgebers [1839], Vlllf. * Vgl. zum philosophiehistorischen Kontext der Dialektik die Abschnitte 1.1 und 1.2.1.
Einleitung
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Im Unterschied zu Dialektikkonzeptionen, in denen unter Betonung synthetischer Momente ein Fortschrittsdenken impliziert ist, steht bei Schleiermacher die Vorstellung eines Gleichgewichts im Mittelpunkt. Zwar geht auch Schleiermacher in seiner Theorie des werdenden Wissens von einer fortschreitenden Einigung der Gegensätze aus. Da aber die das gesamte Sein umfassende Einheit bei Schleiermacher nicht als verabsolutiertes Ergebnis eines Prozesses erscheint, sondern ursprünglich gegeben ist, bleibt das sich im Wissen ereignende Werden in einem Grund gehalten, in dem es sich als Gleichgewicht realisiert. Im Gleichgewichtszustand sind beide Seiten ideal einander zugeordnet, ohne aufeinander reduziert zu sein. Daß das angestrebte Gleichgewicht theoretischer und empirischer Momente von Schleiermacher nicht nur als gefährdeter, sondern auch immer wieder als verfehlter Zustand angesehen wird, gibt seinem Denken einen offenen und durchaus modernen Charakter. Eine in dieser Weise an die empirische Seite der Wirklichkeit und an die Geschichte verwiesene Dialektik zielt auf ein Verstehen der Realität, ohne idealistische Konstruktionen oder geschichtsphilosophische Vorgaben zum beherrschenden Kriterium zu machen. Die Frage nach dem Verständnis der geschichtlichen Veränderungen, wie die von 1989, zeigt, daß auch das Verstehen der Gegenwart solcher Öffnungen der Denkansätze bedarf. Anders als Erkenntnistheorien, die lediglich auf Verifikation bzw. Falsifikation von Aussagen setzen, ist dieses Ausbalancieren bei Schleiermacher kein allein regulativer oder funktionaler Prozeß. Indem Schleiermacher nach der Berechtigung eines regulativen erkenntnistheoretischen Vorganges fragt, bindet er die Voraussetzungen des Verstehens in den Wissensbegriff ein. Schleiermacher hinterfragt hier die Unterscheidung Kants zwischen regulativen Ideen und konstitutiven Vorstellungen. Als konstitutive Voraussetzungen macht Schleiermacher existentielle Überzeugungen aus, ohne die Relevanz und Sesshaftigkeit unseres Denkens nicht erschließbar wären. Erst durch eine solche existentielle Einbindung sieht Schleiermacher die Gewißheit getragen, die als konstitutives Moment unser Wissen begleitet. Der regulative Zugang zum Verständnis der Wirklichkeit und des Wissensbegriffs wird erst mit einem konstitutiven Grund möglich. Die Frage nach dem konstitutiven und existentiellen Hintergrund verhindert im Ansatz Schleiermachers eine Verkürzung des Wissensbegriffs auf rein pragmatische oder funktionale Prozesse. Schleiermacher beantwortet die Frage nach dem Hintergrund unseres
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Einleitung
Denkens und Wissens mit der von ihm spezifisch geprägten Vorstellung des unmittelbaren Selbstbewußtseins. Seinen Begriff des unmittelbaren Selbstbewußtseins setzt Schleiermacher gegen Reduktionen im neuzeitlichen Subjektbegriff. Für Schleiermacher steht nicht ein Subjekt im Mittelpunkt, das erst aus der Bewegung der Selbstbehauptung zu sich selbst und zu inhaltlicher Prägung findet. Vielmehr denkt Schleiermacher im unmittelbaren Selbstbewußtsein die Spontaneität und Rezeptivität des Subjekts so zusammen, daß die Vorgegebenheit des anderen und des Selbst auf ursprüngliche Weise zusammengehören. Im unmittelbaren Selbstbewußtsein übernimmt das Subjekt seine Vorgegebenheit. Das bedeutet, daß weder das Subjekt auf einen letzten idealen Moment der Selbstkonstitution noch das andere auf ein bloßes Gegenübersein reduziert werden. Als gleichursprüngliches Sein des Selbst und des anderen im unmittelbaren Selbstbewußtsein partizipieren nach Schleiermacher beide an dem sie hervorbringenden Grund. Diese Vorstellung bezeichnet Schleiermacher, da sie auf etwas verweist, was vor jedem konkreten Denkakt und vor aller Erfahrung liegt, als transzendentalen Grund. Da Schleiermacher alle wechselseitigen Beziehungen in diesem partizipatorischen Charakter des Wirklichen verankert findet, sieht er darin auch die Möglichkeit kommunikativer Mitteilungen wesentlichen Gehalts eröffnet. Indem der transzendentale Grund das Wesen der Erscheinungen trägt, gewinnt auch die Kommunikation ihre inhaltliche Tiefe. Nach der Vorstellung Schleiermachers geht daher die Strukturierung der kommunikativen Mitteilung auf diesen produktiven Grund alles Wirklichen zurück. In seiner Dialektik als Kunstlehre der Gesprächsführung versucht er für den Bereich eines das Wissen suchenden Denkens dies darzustellen. Vor dem Hintergrund dieser Annahmen werden alle strittigen Erkenntnisaussagen in einen Prozeß des Ausgleichs und der Korrektur gestellt. Aufgabe der Verständigung, die Schleiermacher in der Dialektik leisten will, ist es, über die Voraussetzungen des Wissens Übereinstimmung bei den Teilnehmern des Diskurses zu erzielen. Dazu soll die mit jedem Wissen schon gegebene Idee des Wissens klärend zur Geltung gebracht werden. Die Dialektik Schleiermachers ist deshalb nicht als deduktive Antwort auf die Begründungsfrage des Wissens zu verstehen, sondern zeigt als Einführung in das Denken, das zu verstehen und zu wissen sucht, ihre Nähe zur Hermeneutik. Für die gesuchte Verständigung spricht Schleiermacher seinen Hörer
Einleitung
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bzw. Leser auf die in der Erfahrung des Wissens zugängliche Vorstellung an, daß wir im Wissen von einer Entsprechung intellektueller und empirischer Momente überzeugt sind. Der Idealzustand dieser Entsprechung ist die Identität. Diese Idee des Wissens ist Ausdruck einer Vorstellung, in der sich empirische und theoretische Momente so aufeinander beziehen, daß sie nicht mehr gegenseitig ergänzungsbedürftig sind. In der wechselseitigen Beziehung theoretischer und empirischer Elemente im Wissen kommt das vorausgesetzte Entsprechungsverhältnis aktuell zum Ausdruck. Zugleich werden durch die formale Struktur des Wissens Theorie und Empirie so aneinander gebunden, daß sowohl eine Verselbständigung theoretischer Züge gegenüber der Empirie als auch eine Immunisierung empirischer Elemente gegenüber der Theorie kritisiert werden. Schleiermacher etabliert insgesamt einen kritischen Wissenschaftsbegriff, indem er die wissenschaftliche Kritik methodisch mit der das Wissen notwendig begleitenden Gewißheit verbindet. Der transzendentale Grund stellt dabei kein Urwissen dar, sondern begründet mit der Möglichkeit des zum Wissen gehörenden Überzeugungsgefühls, das er freisetzt, die Akzeptanz geschichtlich bedingten Wissens. Zugleich bleibt das dieser Vorstellung entsprechende Wissen, trotz der Begründung des Überzeugungsgefühls von Wissensaussagen in unmittelbarer Evidenz, reflektierbar und kritisierbar. Aufgrund der Endlichkeit des individuellen Bewußtseins und seiner Reflexionen kann es bei Schleiermacher keine ideale Konstruktion des Wissens geben. Wissen ist als erhobener Geltungsanspruch an die aktuelle geistige Tätigkeit von Subjekten gebunden. Insofern sind im korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff Schleiermachers nicht nur konsenstheoretische Momente aufgenommen, sondern Wissen hängt von dem zu ihm führenden Prozeß ab. V o r dem Hintergrund der Partizipation des individuellen Bewußtseins am transzendentalen Grund realisiert sich die Wechselseitigkeit theoretischer und empirischer Momente des Wissens inter subjektiv und geschichtlich, d.h. der innere Zusammenhang des Wissens kommt als geschichtliche Erscheinung zum Ausdruck. Indem Schleiermacher in seinem Wissensbegriff nicht nur auf den Ausgleich spekulativer und empirischer Momente, sondern zugleich auf den kommunikativen Austausch setzt, der wiederum nicht von der Individualität der Subjekte zu trennen ist, enthält jedes Wissen vorläufige und bedingte Momente. Das bedeutet, daß nach Schleierma-
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Einleitung
cher die Idee des Wissens einen geschichtlichen Prozeß freisetzt. s In seiner Darstellung der wissenstheoretischen Grundlagen verneint Schleiermacher die Möglichkeit eines reflektierten Zugriffs auf die transzendentalen Voraussetzungen selbst. Die Unmittelbarkeit der Voraussetzungen kann für Schleiermacher nicht in die bedingte Vermittlung des Begriffs aufgelöst werden. Diese im Wissen selbst gegebene Einschränkung ist nach Schleiermacher auch in der Theologie gültig. Die Aussagen der Theologie können daher bei Schleiermacher nicht aus einer Analyse des transzendentalen Grundes bzw. des unmittelbaren Selbstbewußtseins resultieren. Ausgangspunkt seiner Theologie ist vielmehr der Glaube als expressive Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins. Schon Schleiermacher wendete sich gegen Deutungen seines Ansatzes, nach denen er theologische Aussagen aus dem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl ableite. Theologie kommt vielmehr als eine kritische Zusammenstellung der Aussagen des Selbstbewußtseins zustande, in denen es seine Bestimmtheit ausdrückt. Schleiermacher versteht also das fromme Selbstbewußtsein als ein existentielles Geprägtsein des unmittelbaren Selbstbewußtseins, das sich aus seiner Bestimmtheit heraus selbst geschichtlich äußert. Die positive Disziplin der Theologie entsteht nach Schleiermacher unter bestimmten geschichtlichen Bedingungen, die eine Reflexion und kritische Zusammenstellung von Ausdrücken, in denen sich das fromme Selbstbewußtsein äußert, erfordern.® Schleiermachers Verständnis der Theologie setzt daher grundsätzlich den Glauben voraus. Christliche Theologie wird für Schleiermacher von der Glaubensaussage der Identifikation des Urbildlichen und Geschichtlichen in Christus bestimmt. In dieser Aussage wird für Schleiermacher der unmittelbare Grund des Selbstbewußtseins, das im Glauben von Christus bestimmt ist, explizit. Insofern stehen theologische Aussagen für Schleiermacher in einer doppelten Bezugnahme. Als Glaubensaussagen nehmen sie die Selbstexplikation der unmittelbar gegebenen Bestimmtheit des Selbstbewußtseins in Anspruch. Als Wissensaussagen partizipieren sie mit der sie begleitenden Gewißheit an der vor aller Vermittlung liegenden Unmittelbarkeit des transzendentalen Grundes. Diese Verankerung theologischer Aussagen ermöglicht Schleiermacher eine präzise Ortsbestimmung der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen. Indem er nicht nur zwischen Religionsphilosophie und 5
Vgl. zum Wissensbegriff Schleiermachers die Abschnitte 2 . 3 und 2.4. ' Vgl. zum Theologieverständnis Schleiermachers Kapitel 3.
Einleitung
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Theologie, sondern auch innerhalb der Theologie zwischen philosophischer, historischer und praktischer Theologie hinsichtlich ihrer Methoden und ihrer Funktion unterscheidet, verweist Schleiermacher auf die Differenzierungen, die die einzelnen Disziplinen aufgrund ihrer Voraussetzungen und Gegenstände charakterisieren. Das begrenzt aus Schleiermachers Sicht nicht die Mitteilbarkeit bzw. kritische Vergleichbarkeit der einzelnen wissenschaftlichen Aussagen, berücksichtigt jedoch deren existentielle bzw. perspektivische Bezogenheit. Dies ist zunächst hinsichtlich der beiden bekanntesten Veröffentlichungen Schleiermachers zu beachten, da die »Reden über die Religion« einer apologetischen und »Der christliche Glaube« einer im engeren Sinn dogmatischen Intention folgen. Darüber hinaus ist mit dieser Kritik einer möglichen Einheitswissenschaft die Position und Funktion der Dialektik Schleiermachers selbst beschrieben. Als ideale Disziplin steht die Dialektik zwar den Realwissenschaften gegenüber, begründet aber nicht deren Inhalte. In der Dialektik wird die in jedem Wissen schon gegebene Idee des Wissens explizit thematisiert und dadurch die Wissenschaftlichkeit der Disziplinen reflektiert. Von seinem Theologieverständnis aus, in dem Schleiermacher explizit auf eine Selbstvermittlung der unmittelbaren Existenzgrundlage durch den Glauben Bezug nimmt, sind Rückschlüsse auf die im Wissen vorausgesetzte Struktur des Wirklichkeitsbewußtseins möglich. Auch im Wissen geht Schleiermacher davon aus, daß im Überzeugungsgefühl der transzendentale Grund präsent ist. Allerdings ergibt sich in dieser Weise der Erschlossenheit keine Explikation des Transzendenten selbst. Erst in der Konkretion einer existentiellen Bestimmtheit, wie sie in der Glaubensaussage gegeben ist, sieht Schleiermacher diese Möglichkeit. Aufgrund dieser allgemeinen und konkreten existentiellen Verankerung kann Schleiermacher von einem Entsprechungsverhältnis und zugleich von einer Differenz wissenstheoretischer und theologischer Voraussetzungen ausgehen. Denken und Gefühl stellen bei Schleiermacher nicht aufeinander reduzierbare Weisen der Wirklichkeitsbeziehung dar. Schleiermacher intendiert mit diesem Ansatz seines Theologieverständnisses keinen Rückzug auf einen von wissenschaftlicher Kritik unabhängigen Bereich. Vielmehr sucht er die Eigenständigkeit des Glaubens, d.h. die existentielle Bestimmtheit, die im unmittelbaren Selbstbewußtsein als schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl explizit wird, in Wissensaussagen zu bewahren. Schleiermacher geht in seiner Theologie von der Möglichkeit der kritischen Zusammenstellung, d.h. der wissenschaftli-
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Einleitung
chen Reflexion existentiell bestimmter Aussagen aus, ohne diese dadurch in abstrakte Aussagen aufzuheben. Zugleich werden jedoch durch die gemachten Voraussetzungen in die interpretierende Reflexion dieser Aussagen Deutungen eingetragen, deren Berechtigung in der Theologie immer wieder angefragt wurde und wird. Vor diesem Hintergrund wurde und wird Schleiermacher überwiegend als Theologe interpretiert, und ihm wird als „Heros" 7 der neueren protestantischen Theologie Beachtung und Kritik entgegengebracht. Eine zu einseitige Einordnung Schleiermachers steht jedoch in der Gefahr, nicht nur die erkenntnistheoretische und philosophische Bedeutung seiner Arbeiten zu unterschätzen, sondern auch seine theologischen Aussagen zu verzeichnen. Daher wird in dieser Studie auf zwei markante philosophische Entwicklungen des 19. Jahrhunderts eingegangen, die sich nicht unwesentlich mit Schleiermachers Ansatz in erkenntnistheoretischer und religionsphilosophischer Hinsicht auseinandergesetzt haben. Der Ansatz Schleiermachers, in dem Spekulation und Empirie als gleichbedeutend für die Wissenschaft angesehen werden, trug zu einer weiteren Veränderung des Begriffs der Logik bei. 8 Schleiermacher hat einerseits die Logik mit der Wahrnehmungsproblematik verbunden und andererseits unter Einbeziehung ihm selbstverständlich erscheinender metaphysischer Voraussetzungen die Logik als Wissenstheorie entwikkelt. Damit wird er, wie die Rezeption seines Ansatzes zeigt, zum Initiator der erkenntnistheoretischen Fragestellung im 19. Jahrhundert. 9 Schleiermachers wissenstheoretische Aussagen förderten in ihrer Bezogenheit auf Empirie und Geschichtlichkeit die Auseinandersetzung mit den durch die modernen Naturwissenschaften aufkommenden erkenntnistheoretischen Problemen. Zugleich forderten sie den Widerspruch spekulativer Lösungsversuche der erkenntnistheoretischen Problematik heraus. Diese Wirkung des Ansatzes Schleiermachers verweist jedoch zugleich auf eine in ihm liegende Schwierigkeit. Schleiermacher setzt das Überzeugungsgefühl, das Wissen notwendig begleiten muß, in Beziehung zum transzendentalen Grund. Dieser Ausgangspunkt, in dem existentielle Gewißheit beansprucht wird, wurde als weiter klärungs7 8
9
K.Barth: Protestantische Theologie [1947], 380. Vgl. zur erkenntnistheoretischen Bedeutung der Dialektik Schleiermachers im 19. Jahrhundert den Abschnitt 4.3. Vgl. K.C.Köhnke: Neukantianismus [1986], 58, 67ff.
Einleitung
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bedürftig angesehen und in andere evident erscheinende Grundaussagen transformiert. Daher wirkten Schleiermachers wissenstheoretische Überlegungen zwar initiierend, aber nicht schulebildend. Insbesondere die lebensphilosophische bzw. psychologische Deutung des Ansatzes Schleiermachers durch Dilthey zeigt, vor allem in wirkungsgeschichtlicher Hinsicht, die sich daraus ergebenden Verschiebungen in der Interpretation der Dialektik Schleiermachers. In der religionsphilosophischen Diskussion des 19. Jahrhunderts wurde Schleiermachers Ansatz überwiegend als subjektive und sich der Reflexion entziehende Inanspruchnahme von Unmittelbarkeit abgelehnt.10 In diesem vor allem auf Hegel zurückgehenden Urteil wird sein Gefühlsbegriff im Sinne einer subjektiven und sinnlich vermittelten Erfahrung jedoch fehlinterpretiert. Wird die von Schleiermacher behauptete Notwendigkeit einer existentiellen Bezogenheit wissenstheoretischer und religionsphilosophischer Aussagen nicht aufgenommen, zerfällt die in seinem Ansatz vorausgesetzte Unmittelbarkeit der Identität des Denkens und des Seins in eine bloß subjektiv gesetzte und die Vermittlung überspringende Behauptung. Vor dem Hintergrund dieser spekulativen Kritik stellt sich damit erneut die Frage nach der Möglichkeit der vermittelnden Inanspruchnahme der nach Schleiermacher gegebenen Unmittelbarkeit des Wirklichkeitsverhältnisses. In Aufnahme dieser Fragen sind in den Auseinandersetzungen mit der Religionsphilosophie Hegels wesentliche Momente durch das Dialektik-Verständnis Schleiermachers provoziert. Schleiermachers Ansatz einer nicht hinterfragbaren Unmittelbarkeit im Grund unseres Wirklichkeitsverhältnisses und der darin gründenden Dialektik der Wechselwirkung trägt wirkungsgeschichtlich, trotz der Fehlinterpretationen, sogar wesentlich zur destruierenden Infragestellung der Vorstellung einer spekulativen Vermittlung des Ganzen der Wirklichkeit und der Dialektik des Widerspruchs bei. Wenn eine Darstellung von erkenntnistheoretischen und religionsphilosophischen Bezugnahmen auf die Konzeption der Dialektik Schleiermachers seine Bedeutung für die philosophische Diskussion des 19. Jahrhunderts zeigt, so stellt sich vor diesem Hintergrund erneut die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Philosophie und Theologie. Zwar betont Schleiermacher, daß Philosophisches und Dogmatisches nicht vermischt werden dürfen (vgl. CG11, 15 § 2.2), aber gleichzeitig 10
Vgl. zu den religionsphilosophischen Wirkungen des Ansatzes Schleiermachers im 19. Jahrhundert den Abschnitt 4.4.
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Einleitung
sieht er, daß „die Trennung der Dogmatik von der Philosophie nie so weit gehen [kann, I.H.], daß sie auch der philosophischen Sprache entsagen müßte" (CG11, 111 § 31.4). An dieser Zuordnung entzündete und entzündet sich die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Philosophie im Werk Schleiermachers. 11 Um diese Frage einer angemessenen Schleiermacher-Interpretation, die hauptsächlich aus theologischer Sicht erörtert wird, nicht gegenüber Fragen der Wirkungsgeschichte zu übergehen, wird in der vorliegenden Studie von einem Grundthema des Denkens Schleiermachers ausgegangen. Wissenstheoretische und wissenschaftssystematische Probleme beschäftigten Schleiermacher zeitlebens. Die wissenstheoretische Fragestellung stellt daher einen geeigneten Ausgangspunkt zu einem besseren Verständnis des Werkes Schleiermachers und der Bedeutung seiner Dialektik dar. Deshalb werden die Charakteristika des Dialektik-Ansatzes Schleiermachers in ihren Konsequenzen für den Wissensbegriff sowie hinsichtlich des Theologieverständnisses untersucht. Zugleich wird diese systematische Aufgabe, um Fehlinterpretationen und Einseitigkeiten zu vermeiden, über die Frage nach der Herkunft und nach der Wirkung der Dialektik-Konzeption Schleiermachers in einen philosophiehistorischen Kontext gestellt.
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Vgl. H.-J.Birkner: Theologie und Philosophie [1974],
1 Schleiermachers Dialektik Schleiermacher ist mit der Feststellung R. Wiehls, er habe einen „neuen Weg" gefunden „innerhalb der idealistischen Philosophie zwischen Kants Weg der Beschränkung aller Erkenntnis auf den Bereich des Erfahrbaren und dem Weg des spekulativen Idealismus, der alle Empirie in den Kategorien des reinen Denkens verdampft" 1 , in die Reihe der großen Philosophen eingeordnet worden. 2 Aber schon in dieser Wertschätzung sind die Probleme angedeutet, über die die Auseinandersetzung mit dem Denken Schleiermachers in den letzten 150 Jahren nicht zur Ruhe gekommen ist. Vor allem in der protestantischen Theologie, aber auch in der Philosophie wurde seine Konzeption mit zeitgenössischem Denken verglichen. Eine Beschäftigung mit Schleiermacher wurde und wird so immer zugleich eine Auseinandersetzung mit eigenen Denkansätzen. Um dabei jedoch das Denken Schleiermachers nicht zur Folie anderer Probleme zu verkürzen, wird in dieser Untersuchung der Entfaltung des historischen Hintergrundes und seiner Wechselwirkung mit dem Ansatz Schleiermachers besondere Beachtung geschenkt. Zum einen liegt es nahe, sich diesen Fragen vom philosophiegeschichtlichen Kontext Schleiermachers ausgehend zu nähern. 3 Wenn diese Fragerichtung nicht auf die Suche nach Abhängigkeiten4 bzw. den Erweis von Originalität verengt wird, eröffnet sie in philosophiegeschichtlicher und zugleich systematischer Hinsicht einen Zugang zur Dialektik. Besonders in der Arbeitsweise W. Diltheys wurde dieser Ausgangspunkt zum wissenschaftlichen Programm gemacht. In den Arbeiten Diltheys wurde versucht, aus der gegenseitigen Bedingtheit des philosophischen und geschichtlichen Kontextes und der Entwick-
1 2 3 4
R.Wiehl: Schleiermachers Hermeneutik [1979], 47. Vgl. M. Welker: F. Schleiermacher: Universalisierung von Humanität [1983], 11. Vgl. Abschnitte 1.1 und 1.2. R. Odebrecht: DO, Einleitung, XII, verwahrt sich gegenüber einer „Abhängigkeitsschnüffelei", die „die .Anstrengung des Begriffs', um zu den Quellgründen seines originalen Denkens vorzudringen", scheut.
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Schleiermachers Dialektik
lung Schleiermachers dessen Denken entwicklungsgeschichtlich zu erschließen. In dem Ansatz einer kontextuellen Erschließung des Denkens Schleiermachers können zwei verschiedene Akzente gesetzt werden. Bei einer Betonung der genetischen Perspektive des Denkens Schleiermachers wird das Augenmerk besonders auf die konträren oder sympathisierenden philosophischen Strömungen und Systementwicklungen gerichtet, unter deren Einfluß Schleiermachers Ansatz sich herausbildete.5 Dabei ist jedoch eine zu starke Fixierung auf die Wandlung der Vorstellungen Schleiermachers, wie sie durch die Epocheneinteilung Diltheys nahegelegt werden, zu vermeiden, da sich ebenso durchgehaltene Elemente in der Denkstruktur Schleiermachers abzeichnen. 6 Innerhalb des entwicklungsgeschichtlichen Forschungsansatzes kann speziell nach der Herkunft des Begriffs und der damit verbundenen Intentionen der Dialektik gefragt werden. 7 Diese Frage steht unter der Problematik, daß der Dialektikbegriff in der nachkantischen Philosophie vielschichtig gebraucht wird. Nicht getrennt von der philosophiegeschichtlichen Perspektive, aber mit einer anderen Akzentuierung, kann unter betont systematischem Gesichtspunkt nach der Einordnung der Dialektik in die philosophischen Systeme der Zeit Schleiermachers
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Vgl. W.Dilthey: Leben Schleiermachers, GS XIII/1, 370f.: „Indem zu den dichterischen und philosophischen Ideen unserer klassischen Epoche die Ergebnisse der Naturforschung und des geschichtlichen Studiums traten, gestalteten sich die Systeme, die einen so tiefgreifenden und dauernden Einfluß auf die deutsche Bildung erlangt haben. Diese Systeme, vor allem die von Schelling, Steffens und Hegel, bilden die Genossenschaft der zur Philosophie entwickelten Welt- und Lebensansicht Schleiermachers." Mit einem Verweis auf Schleiermachers Nähe zur Naturphilosophie Steffens und zum System Schellings faßt Dilthey zusammen: „Daher liegt das wissenschaftliche Fundament für das Verständnis von Schleiermachers System [...] in einem vergleichenden Studium dieser ganzen Gruppe von Systemen, welches ihre Genesis, das in ihrer gemeinsamen Anlage gegründete gemeinsame Entwicklungsgesetz derselben und die Ansatzpunkte ihrer verschiedenen Gestaltung darlegt." Vgl. W. Dilthey: Leben Schleiermachers, GS XIII/2, 76: „Die Lebens- und Weltansicht Schleiermachers sahen wir sich bilden. Nun aber erfaßt er das Prinzip und die Methode seines philosophischen Systems. Dies geschah in der Auseinandersetzung mit der gesamten Philosophie seiner Zeit, soweit diese in seinem Gesichtsfeld gegenwärtig war." ' Diese Ansicht betont G.Scholtz: Philosophie Schleiermachers [1984], 53, im Anschluß an A. Reble: Schleiermachers Kulturphilosophie. Eine entwicklungsgeschichtlichsystematische Würdigung [1936], und skizziert sie am Thema des „bipolaren Denkens", 53-63. 7 Vgl. A.Arndt: Vorgeschichte [1991].
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gefragt werden. 8 Auch die so gestellte Frage nach der Geltung, die der Dialektik Schleiermachers zukommt, hat zunächst kontextuellen Bezug. Zum anderen kann im Rahmen einer immanenten Interpretation der Dialektik in methodisch bewußter Konzentration versucht werden, ihre systematische Konzeption im Nachvollzug ihrer Argumentation zu erfassen.' Auch wenn deutlich ist, daß eine immanente Interpretation systematische und kontextuelle Fragestellungen impliziert und insofern auch kritisch vergleichend arbeitet, so ist dieser Ansatz als der Versuch zu werten, die Leistungsfähigkeit der Dialektik innerhalb ihres eigenen Horizonts darzustellen bzw. zu kritisieren. Wird in einem stärker gegenwartsbezogenen Rahmen nach der Rezeption und der der Konzeption der Dialektik zugemessenen Geltung gefragt, so treten zwangsläufig zum Nachvollzug der Argumentation andere Momente hinzu.10 Auch wenn versucht wird, die Aktualisierung kritisch zu reflektieren, so trägt diese Betrachtungsweise über Schleiermacher hinausgehende Problemstellungen ein. Es zeigt sich, daß Schleiermachers Dialektik-Konzeption reich an Anknüpfungspunkten ist, so daß weiterführende Rezeptionen in sehr verschiedene, z.B. in existential- oder sprachphilosophische Dimensionen führen. 11 Insbesondere ist bei diesen Aufnahmen des Ansatzes Schleiermachers zu prüfen, inwieweit sich die interpretierenden Aussagen aus dem Denken Schleiermachers ergeben. Insgesamt dient das einleitende Kapitel der Vorbereitung der Interpretation der Dialektik, indem es in philosophiehistorischer und systematischer Hinsicht die Bedeutung des Ansatzes Schleiermachers darstellt.
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Wie A. Arndt: Vorgeschichte, 314, feststellt, wurde gerade im Hinblick auf die Konzeption der Dialektik Schleiermachers das Problem, „wie sie sich in die Theoriebildungsprozesse seiner Zeit einordnet und welche spezifischen theoretischen Potentiale sie realisiert", von Dilthey nicht bearbeitet. Vgl. H.Süskind: Einfluss Schellings [1909], 172f.
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Dieser Aufgabe wurden vor allem zwei Monographien gewidmet: F. Wagner: Schleiermachers Dialektik. Eine kritische Interpretation [1974], und H.-R.Reuter: Die Einheit der Dialektik Friedrich Schleiermachers. Eine systematische Interpretation [1979], Vgl. Abschnitt 1.3. Vgl. Abschnitte 1.3.3 bis 1.3.5. Vgl. U. Kliebisch: Transzendentalphilosophie als Kommunikationstheorie. Eine Interpretation der Dialektik Friedrich Schleiermachers vor dem Hintergrund der Erkenntnistheorie Karl-Otto Apels [1981].
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1.1 Zum philosophiehistorischen Kontext der Dialektik Die im folgenden skizzierte Vorgeschichte der Dialektik geht insbesondere auf Arbeiten von A. Arndt zurück. Die Nachzeichnung dieses Forschungsstandes muß aufgrund der zahlreichen Verweise auf die Zusammenhänge der Frühromantik und des Frühidealismus unvollständig bleiben und ist auf das Thema der Arbeit konzentriert. Die Berücksichtigung der dabei deutlich werdenden Zusammenhänge wird für eine Bewertung der divergierenden Interpretationen der Dialektik, die sich stärker auf systematische Betrachtungen und Einordnungen stützen, hilfreich sein. Obwohl Schleiermacher mit Gründung der Berliner Universität 1810 einen theologischen Lehrstuhl übertragen bekam, sah er sich aus verschiedenen Gründen vor die Notwendigkeit einer grundlegenden philosophischen Einführung gestellt. Die äußere Möglichkeit dazu ergab sich aus der ebenfalls 1810 erfolgten Berufung zum Mitglied der philosophischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, denn diese berechtigte ihn zu Vorlesungen an der Philosophischen Fakultät. Zwischen 1811 und 1831 hielt Schleiermacher dort sechsmal seine Dialektik-Vorlesungen. 12 Daß Schleiermachers Ansatz die Notwendigkeit einer Reflexion seiner systematischen Grundlegung impliziert, war bereits aus den 1803 publizierten »Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre« abzulesen, die als seine erste wissenschaftliche Veröffentlichung auf dem Gebiet der Philosophie anzusehen ist. E. Herms sieht in dieser Kritik der „wissenschaftlichen Form der Ethik" das „Schlüsselwerk der Arbeitsperiode bis 1804"13. Indem Schleiermachers Interesse am ethischen Problem sich hier auf die formale Frage nach der Möglichkeit gesicherten Wissens im Rahmen der Sittenlehre konzentriert, wird die grundsätzliche Natur seines Fragens und Suchens angezeigt. In seiner Kritik geht er davon aus, daß ethische Aussagen schon formal unbefriedigend bleiben, wenn sie nicht im Gesamtzusammenhang des Wissens stehen. Ethik ist nur durch eine „Wissenschaft von den Gründen und dem Zusammenhang aller Wissenschaften" 14 , d.h. durch eine als wissenschaftliche Disziplin auszuführende Philosophie zu begründen. Gefordert wird eine oberste Wissenschaft, deren Geschlossenheit und Stimmigkeit 12 13 14
Vgl. A.Arndt: Einleitung zur Dialektik (1811), DA 1 [1988] XLVII. E.Herms: Herkunft [1974], 174f. F. Schleiermacher: Grundlinien, SW III/l, 18.
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formal durch einen leitenden Grundsatz zu sichern wäre. Die Begründung durch eine „solche höchste und allgemeinste Erkenntniß würde mit Recht Wissenschaftslehre genannt" 15 werden. In dieser, sich im folgenden deutlich von Fichtes »Wissenschaftslehre« von 1794 distanzierenden Anspielung, wird Schleiermachers abweichende Ansicht über die Struktur und die Möglichkeit einer obersten Erkenntnis sichtbar. Fichte geht von einem einzigen Grundsatz aus, in dem Form und Gehalt identisch sind und aus dem alle anderen Sätze des Systems des Wissens ableitbar sind. Die Gewißheit des Wissens wird in dieser systematischen Figur quasi durch Emanation eines evidenten und identischen Grundsatzes gesichert. 16 Schleiermacher bestreitet dagegen, verbunden mit dem Hinweis auf den in der Philosophie herrschenden Streit über die obersten Grundsätze, das Vorhandensein und die Möglichkeit eines solchen, mit sich identischen ersten Grundsatzes, dessen Gewißheit unvermittelt durch andere Erkenntnis, also unmittelbar, gegeben sein müßte. Soll der herangezogene Verweis auf die Strittigkeit des Denkens aber nicht in Skepsis münden, so bleibt der Anspruch bestehen, den Prinzipien der Ethik eine systematische Form zu geben und sie damit zugleich in den Zusammenhang des Wissens einzuordnen. Schleiermacher hofft, mit der in seiner Kritik gelieferten Analyse des Problems zur Herausbildung einer obersten Wissenschaft beizutragen. 17 Von einer Philosophie als Wissenschaftslehre, deren Gegenstand die Begründungsfrage des Wissens ist, verlangt Schleiermacher eine andere systematische Form als einzelne wissenschaftliche Disziplinen, die sich auf einen obersten gesicherten Satz stützen können. In den »Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre« deuten sich konkretere Vorstellungen Schleiermachers dazu nur an. Schleiermacher geht von dem Gedanken aus, daß eine Philosophie als Wissenschaftslehre nur als ein Ganzes vorstellbar ist, dessen Struktur nach dem Prinzip der Wechselwirkung zu denken ist, in dem „jedes der Anfang sein kann, und alles 15 16
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Ebd. Vgl. J.G.Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre [1794/95], 1/2, 255: „Wir haben den absolutersten, schlechthin unbedingten Grundsaz alles menschlichen Wissen[s] aufzusuchen. Beweisen, oder bestimmen läßt er sich nicht, wenn er absoluterster Grundsaz seyn soll." Vgl. A.Arndt. Einleitung zur Dialektik (1811), DA 1 XVIII f. Insofern stellt Schleiermachers spätere Bezeichnung seiner Dialektik als »Wissenschaftslehre« eine programmatische Abgrenzung gegenüber einer als »Wissenschaftswissenschaft« sich verstehenden Wissenschaft sämtlicher menschlicher Wissenschaftsbereiche dar (DJ 20 § 47).
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Schleiermachers Dialektik
einzelne gegenseitig einander bestimmend nur auf dem Ganzen beruht"18. Hatte Fichte sein System aus einem unmittelbar gewissen Grundsatz19 zu entwickeln gesucht, so kritisierte F. Schlegel diesen Gedanken indirekt in seiner Rezension von F.H. Jacobis »Woldemar«20. Jacobis Kritik seinerseits richtete sich gegen den Zirkel, „daß jeder Erweis schon etwas Erwiesenes voraussetze"21. Er suchte den Ausweg aus dieser Denkfigur, in der jeder Versuch einer begrifflichen Begründung von Begriffen sich verfangen muß, im Rückgriff auf einen unmittelbar bewußten Grund.22 Dagegen machte F. Schlegel geltend, daß solch ein Bezug auf Unmittelbarkeit nicht eine ableitbare Objektivität von Wissen zu sichern vermag.23 Daher erwägt F. Schlegel die Möglichkeit, wenn man von der Vorstellung eines privilegierten Grundsatzes abgeht, die Philosophie auf sich gegenseitig stützende Sätze in der Figur eines sich bedingenden Wechselerweis zu stellen.24 Einem deduktiven Begründungskonzept wird so ein Wahrheitsbegriff gegenübergestellt, der zu prozessualen und kommunikativen Momenten geöffnet ist. Bei F. Schlegel hieß es schon in den 18
F. Schleiermacher: Grundlinien, SW III/l, 18: „Diese [sc. Wissenschaft von den Gründen und dem Zusammenhang aller Wissenschaften] nun darf selbst nicht wiederum wie jene einzelnen Wissenschaften auf einem obersten Grundsaz beruhen; sondern nur als ein Ganzes, in welchem jedes der Anfang sein kann, und alles einzelne gegenseitig einander bestimmend nur auf dem Ganzen beruht, ist sie zu denken, und so daß sie nur angenommen oder verworfen, nicht aber begründet und bewiesen werden kann." " Vgl. J.G.Fichte: Begriff der Wissenschaftslehre [1794], 1/2, 115: „Hieraus erhellt zugleich, daß unsere obige Annahme die einzige richtige ist, und daß in der Wissenschaft nur Ein Saz seyn kann, der vor der Verbindung vorher gewiß und ausgemacht ist." 20 F.Schlegel: [Jacobis Woldemar, 1796], KFSA II, 58: „Der allgemein verbreitete und ungeheure Unfug kalter Vernünftler ohne Sinn, Herz und Urteil liegt am Tage, und selbst unsere größten Denker sind nicht ganz frei von der Abgötterei mit der Vernunft." Direkt gegen Jacobi, indirekt aber auch gegen Fichte polemisiert Schlegel a.a.O. 71: Der „kritische Philosoph, welcher das Vergnügen genießt, das Wahre, was seine Apokalypsen etwa enthalten, deduzieren zu können, muß sich nur hüten, dies Verdienst nicht über die Gebühr zu schätzen." 21 Zit. bei: F.Schlegel: [Jacobis Woldemar], KFSA II, 72. 22 Zur weitergehenden, direkteren Beeinflussung Schleiermachers durch F.H. Jacobi vgl. S.26. 23 Vgl. F. Schlegel: [Jacobis Woldemar], KFSA II, 71f.: „Er [sc. Jacobi] hätte sich unmöglich bei Widersinnigkeiten, wie eine Anschauung des Unendlichen, und eine Anschauung, welche die Zeichen ihrer Objektivität mit sich führt, und also gleichsam gestempelt sein muß[,] beruhigen können: beides liegt in der Tatsache des Unbedingten als dem Fundament des Wissens. " 24 Vgl. F. Schlegel: [Jacobis Woldemar], KFSA II, 72: „Wie wenn nun aber ein von außen unbedingter, gegenseitig aber bedingter und sich bedingender Wechselerweis der Grund der Philosophie wäre?"
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Philosophischen Fragmenten von 1796: „Sehr bedeutend ist der Griech.[ische] Nähme Dialektik. Die ächte Kunst, (nicht der Schein wie bey K[ant]), sondern die Wahrheit mitzutheilen, zu reden, gemeinschaft.[lich] die Wahrheit zu suchen, zu widerlegen und zu erreichen (So bey Plato Gorg.fias] - cfr. Aristoteles); ist ein Theil der Philosophie oder Logik und notwendiges Organ der Philosophen."25 Wenn Wahrheit im Ausgleich widerstreitender Sätze möglich ist, entfällt die Notwendigkeit einer deduktiven Absicherung. Es ist von einem Einfluß der sich hier abzeichnenden Dialektik-Konzeption Schlegels als Kunstlehre auf Schleiermacher auszugehen. Arndt spricht in diesem Zusammenhang von einem „osmotischen Theorietransfer innerhalb der symphilosophierenden Romantikerkreise"26 und verweist auf die in diesen Kreisen übliche Praxis wechselseitiger Lektüre auch nicht veröffentlichter Schriften.27 Zu diesem intensiven Austausch war es, abgesehen von der äußeren Situation, vor allem deshalb gekommen, weil Schleiermacher in seiner eigenen Entwicklung zu ähnlichen Positionen gekommen war, wie sie in den Kreisen der Berliner Frühromantik diskutiert wurden, 28 und nicht zuletzt deshalb, weil F. Schlegel, mit dem Schleiermacher in intensivem Austausch stand,29 ihn vor allem als Philosophen beachtete. „Im Umgang mit Schlegel, im täglichen Ideenaustausch wurden ihm jetzt seine Gedanken objektiv [.. ,]"30. Das so von Haym charakterisierte Verhältnis Schleiermachers zu F. Schlegel sieht E. Herms „als Angelpunkt des gesamten wissenschaftlichen Verkehrs Schleiermachers in den Berliner Jahren" 31 an. Dieser Ansatz ist insbesondere geeignet, den Bedeutungswandel des Begriffs der Dialektik aufzuhellen, wie er sich im Vorfeld der ersten unter diesem Titel gehaltenen Vorlesung Schleiermachers vollzogen
25 26 27
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F.Schlegel: Fr. 50 [1796], KFSA XVIII, 509. A.Arndt: Vorgeschichte, 329. Vgl. Schleiermachers Brief an A.W.Schlegel vom 15.1.1798. KGA V/2, 21-26, wo die Lektüre des Notizhefts F. Schlegels durch Schleiermacher belegt ist. Vgl. E. Herms: Herkunft [1974], 250: „Vorgängige Übereinstimmung scheint vor allem auch das spontane Verstehen in wissenschaftlichen Sachfragen ermöglicht zu haben." Vgl. F. Schleiermachers Brief an seine Schwester Charlotte vom 22.10.1797, KGA V/2, 177. R.Haym: Die romantische Schule [1906], 416. Vgl. H. Patsch: Friedrich Schlegels »Philosophie der Philologie« und Schleiermachers frühe Entwürfe zur Hermeneutik, 463f., der dies hinsichtlich der Hermeneutik bestätigt. E. Herms: Herkunft, 261.
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haben muß. Entsprechend der traditionellen, auf Aristoteles zurückgehenden Einteilung der Logik in Analytik und Dialektik (bzw. Topik) gliedert I. Kant die »Kritik der reinen Vernunft«. Allerdings stellt Kant die Dialektik gegenüber der Analytik als Logik der Wahrheit unter den Vorbehalt der „Kritik des dialektischen Scheins" (KrV A 62, Β 86).32 Dialektik wird doppeldeutig als ein in Widersprüche führendes Verfahren der Vernunft und als ein diese Widersprüche aufdeckendes Verfahren gesehen, denn „spekulative Vernunft in ihrem transzendentalen Gebrauche ist an sich dialektisch" (KrV A 777, Β 805). Die Vernunft muß sich so notwendig in den sie täuschenden Selbstwiderspruch der Fehldeutung der subjektiven Erkenntnisgrundlagen als objektive Gegebenheiten verwickeln. Die Aufklärung dieser unvermeidlichen Illusion wird in der „Logik des Scheins" (KrV A 61, Β 86) zum Gegenstand der transzendentalen Dialektik, die damit von der Topik in die Nähe des aristotelischen Begriffs der Eristik rückt. Anders als in der analytischen Opposition von Sätzen, in der eine falsche Aussage einer wahren gegenübersteht, können beide in dialektischer Opposition stehenden Sätze falsch sein, da die von der transzendentalen Dialektik aufzudeckenden Widersprüche aus dem über die Grenzen der menschlichen Erfahrungsmöglichkeiten hinausgehenden Gebrauch der Vernunftsbegriffe resultieren. Und schließlich bleibt, weil aus der Aufklärung der Illusion der Vernunft keine Anleitung zu ihrem richtigen spekulativen Gebrauch entnommen werden kann, die transzendentale Dialektik eine negative Korrektur der Vernunftschlüsse. 33 Auch Schleiermacher gebrauchte den Begriff der Dialektik noch nach 1800 in ambivalenter Weise. Zwar sagte er über Fichte, daß er mit seiner rhetorischen Gabe „der größte Dialektiker ist[,] den ich kenne"34, aber in bezug auf die angekündigte neue Ausgabe der Wissenschaftslehre lehnte er eine ,,Philosophie[,] die so bloß auf dialektischem Grunde ruht ohne allen Mysticismus"35, ab. Auch aus anderen Belegen wird deutlich, daß Schleiermacher das Dialektische in dieser Zeit als logischrhetorisches Verfahren versteht, das allein als Grund der Philosophie 32 33
34 35
Vgl. O. Pöggeler: Dialektik und Topik [1970]. Vgl. K.Röttgers: Dialektik, HWP 2, 184-186. Vgl. F.Schlegel: Transcendentalphilosophie [1800/01], KFSAXII, 93: „Die Wahrheit entsteht, wenn entgegengesetzte Irrthümer sich neutralisiren. " F. Schleiermacher: Brief an Brinckmann, 23.12.1799 - 4.1.1800. KGA V/3, 314. F. Schleiermacher: Brief an Reimer, 6/1803. In: Aus Schleiermachers Leben. In Briefen. Bd. 3, 350.
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unzureichend bleibt. Immerhin kann er der Dialektik heuristischen Wert zumessen und ihr damit Anteil an objektiv gültiger Erkenntnis geben. 36 Diese Bewertung des dialektischen Verfahrens läßt aber offensichtlich noch keine positive Inanspruchnahme für eine Konzeption einer obersten Wissenschaft zu. Im »Brouillon zur Ethik« von 1805/06 skizziert Schleiermacher eingangs den Aufbau seines Systems der Wissenschaften, in dem sich (spekulative) Ethik und (spekulative) Naturwissenschaft komplementär entsprechen. Daraus, daß Schleiermacher die Ethik als „wissenschaftliche Darstellung des menschlichen Handelns" versteht, der als „ganze Eine Seite der Philosophie, [...] nur noch Eine andere gegenübersteht"37, wird deutlich, daß eine Philosophie im Sinne einer voranzustellenden obersten Wissenschaft neben dem realwissenschaftlichen Ganzen der Philosophie nicht konzipiert war. „Das dialektische Verfahren wird gleichsam in die realphilosophische Entwicklung aufgehoben, und es bleibt zweifelhaft, inwiefern es überhaupt für sich zu stellen ist."38 Schleiermacher sieht in der Abtrennung der Dialektik geradezu die Ursache für den Zerfall der wissenschaftlichen Form der Ethik. Im Brouillon sah Schleiermacher die Möglichkeit ethischen Wissens in seiner „historischen Form", die, „unmittelbar in der Anschauung haftenbleiben[d]" 39 , sich nicht auf einen Grundsatz reduzieren läßt. „Fortgesetztes Vergleichen einzelner Akte des Erkennens durch die Rede, bis ein identisches Wissen herauskommt"40, wird als Methode der Dialektik vorgestellt. Damit bleibt die Dialektik in ihrer Funktion ein methodisches Organ der Philosophie. Die Begründungsfrage des Wissens, deren Antwort Schleiermacher von einer als Wissenschaft verstandenen Philosophie erwartet, verlangt jedoch nach einem tiefer gehenden Ansatz, den er mit Begriffen, wie Mystizismus und Leben, bislang allerdings nur angedeutet hat. Wenn Schleiermacher 1810 in seiner ersten Ankündigung einer philosophischen Fundamentalvorlesung auf die Bezeichnung „Dialek-
36
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Vgl. A.Arndt: Vorgeschichte, 319. Vgl. F. Schleiermacher: Grundlinien, SW III/1, 174f.: „Nicht leicht aber zeigt sich irgendwo deutlicher als hier die Vortrefflichkeit der Dialektik, welche sie, wenn sie [sc. die Stoiker] ihr treu geblieben wären, nothwendig auf das richtige hätte fuhren müssen. " F.Schleiermacher: Brouillon, 133. A.Arndt: Vorgeschichte, 320. F. Schleiermacher: Brouillon, 129. F. Schleiermacher: Brouillon, 199.
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tik" 41 zurückgreift, so stellt dies in zweifacher Hinsicht eine zu beleuchtende Verschiebung seines bisherigen Denkens dar. Einerseits ist nach den Ursachen zu fragen, weshalb es Schleiermacher nun doch sinnvoll erscheint, unter dem Titel »Dialektik« eine den anderen Disziplinen vorangestellte und insofern methodisch getrennte Einleitung zu seiner Philosophie zu konzipieren. Andererseits geht inhaltlich die DialektikVorlesung weit über eine rein methodische Vorverständigung im Sinne eines Organons der Philosophie hinaus. Sie soll nun zugleich die Möglichkeit gesicherten Wissens darstellen, also auf die Begründungsfrage des Wissens antworten. Daher bleibt zu klären, inwiefern eine bislang überwiegend methodisch verstandene Dialektik die Funktion der obersten Erkenntnis erfüllt, d.h. die Funktion einer Wissenschaftslehre übernehmen kann. Diese beiden Aspekte entsprechen in gewisser Weise der Frage nach der Herkunft und dem Zusammenhang der beiden Teile, des formalen bzw. technischen und des transzendentalen Teiles der Dialektik. Schleiermacher ist in den »Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre« von einer notwendigen Begründung der Ethik und jeder Wissenschaft durch eine oberste Wissenschaft ausgegangen, gerade weil Unklarheit über die obersten Prinzipien des Wissens herrscht. Wenn aber in seiner Ethik-Vorlesung 1807/08, die er privat schon vor der Eröffnung der Universität in Berlin gehalten hatte, von gesicherter oberster Erkenntnis ausgegangen wird, 42 so ist zu fragen, wie Schleiermacher zu dieser neuen Qualität einer ersten Erkenntnis gelangte. Arndt macht die Antwort auf diese Frage in einer Annäherung Schleiermachers an den Standpunkt Schellings aus. Schelling hatte 1803 in den »Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums« einen Systementwurf vorgelegt, mit dessen Ausgangspunkt des Systems Schleiermacher „nahezu kommentarlos überein" 43 kommt. Schellings Darstellung der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Philosophie gipfelt in den Sätzen: „Ohne dialektische Kunst ist keine wissenschaftliche Philosophie! Schon ihre Absicht, alles als eins darzustellen und in Formen, die ursprünglich dem Reflex angehören, dennoch das Urwissen auszudrücken, ist Beweis davon. Es ist dieses Ver-
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42 43
Vgl. A.Arndt: Einleitung zur Dialektik (1811), DA' X f. In seinem Brief an J.C. Gaß vom 29.12.1810 erwähnte Schleiermacher erstmals „Dialektik" als Namen seiner ersten philosophischen Vorlesung. Vgl. A.Arndt: Kontext [1984], 109. A.Arndt: Vorgeschichte, 324.
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hältniß der Speculation zur Reflexion, worauf alle Dialektik beruht."44 Schleiermacher nimmt vor allem die Vorstellung eines Urwissens auf, dessen „Identität des Idealen der Philosophie zum Grunde gelegt wird"4S. Philosophie wird unter der „Hinweisung auf die Technik und Poesie" 46 als ideale Darstellung des Urwissens gesehen, der als reale Darstellung alle anderen Wissenschaften gegenüberstehen. Die Vorstellung eines der Philosophie zugrunde gelegten Urwissens in Verbindung mit einem poetischen Element wird Schleiermacher zum „Prüfstein des wahren Philosophirens"47. Schleiermacher erwartete, daß besonders in einer auszuführenden Naturphilosophie dieses poetische Element hervortreten würde, daß also in der Darstellung der realphilosophischen Problematik die Prinzipien der Philosophie sich selbst klären. Das entspricht seiner Vorstellung einer sich innerhalb der Realphilosophie darstellenden Dialektik. Als sich Schleiermacher 1811 vor die Notwendigkeit einer Darstellung seiner philosophischen Prinzipien als Vorbereitung seiner Ethikvorlesung gestellt sah, konnte er zwar auf gehaltene Vorlesungen zur Naturphilosophie H. Steffens' in Halle verweisen. Aber in der besonderen Konstellation an der neu gegründeten Berliner Universität Fichte war zunächst der einzige Professor für Philosophie - fand er keine ausgeführte Naturphilosophie, in der sich zugleich die Prinzipien der Philosophie darstellen. Schleiermacher, der selbst keine Naturphilosophie ausgeführt hat, sah sich vor die Konsequenz gestellt, die Prinzipien der Philosophie nun doch in einer eigenständigen Disziplin zu entwickeln. Nach Arndt zeigt die nun unabhängig von realphilosophischen Konkretionen ausgeführte Dialektik deutlich „eine forcierte Immunisierung des Spekulativen"48, da Schleiermacher nun voraussetzen muß, daß sie mit jeder möglichen Empirie vereinbar sei. Diese These wird insbesondere hinsichtlich der konträren Position von G. Scholtz, der gerade die „Einbeziehung der Empirie" als das „unterscheidende Merkmal des Schleiermacherschen Systemkonzepts, durch
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F.W.J.Schelling: Vorlesungen über die Methode [1802], 289. F. Schleiermacher: Rezension [1803], 580. F. Schleiermacher: Rezension, 580: „Denn daß derjenige immer unreif bleiben wird, der für sein philosophisches Streben die Technik verschmäht, ist für sich klar. Eben so gewiß aber ist auch, daß wer das poetische Element in der Spekulation nicht anerkennt, sich mit aller Dialektik immer im Leeren herumtreibt, [...]". F. Schleiermacher: Rezension, 580. A.Arndt: Vorgeschichte, 326.
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das es sich von den Entwürfen Fichtes, Schellings und Hegels abhebt"49, ansieht, zu diskutieren sein. Auf jeden Fall muß von Schleiermacher, wenn die Dialektik nicht in realphilosophischem Zusammenhang entwickelt wird, die darin erwartete Begründung des Wissens in einem anderen Ansatz gefunden werden. Die Darstellung Arndts nimmt an dieser Stelle die These J. Körners auf, daß Schleiermacher hier auf Gedanken der Transzendentalphilosophie F. Schlegels zurückgreift. 50 Dieser These wurde, wohl aufgrund einer Vernachlässigung der Zusammenhänge der frühromantischen Philosophie mit dem Frühidealismus, bisher kaum nachgegangen. Da eine Erforschung der Philosophie F. Schlegels insgesamt noch aussteht, lassen sich nur Hinweise finden, etwa derart, „daß es Schlegel war, der als erster auf die Wichtigkeit der Platonischen Philosophie für [...] die kritische Vollendung der Fichteschen Wissenschaftslehre hingewiesen hat"51. Aber schon dieser Verweis zeigt die Grenzen des Forschungsstandes, denn in Schleiermachers Dialektikverständnis lassen sich, im Gegensatz zu K. Pohls Behauptungen, 52 nur äußerliche Bezüge zur Philosophie Piatons feststellen. Schleiermacher war während der Zeit seines ersten Berliner Aufenthalts mit dem Denken F. Schlegels eng vertraut geworden. Die 1800/01 von F. Schlegel in seiner Jenaer Vorlesung zur Transzendentalphilosophie ausgeführten Vorstellungen zeichneten sich in ihrer Konzeption bereits ab. Im Ansatz der zu entwickelnden wahren Philosophie, die F. Schlegel als dialektisch bezeichnet, 53 geht er von einem „bedeu 49 50
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G.Scholtz: Philosophie Schleiermachers, 69. Vgl. J.Körner: Friedrich Schlegels philosophische Lehrjahre [1935], 51, Anm. 2: „Schleiermacher, der, nach unsren Nachweisen, in Hermeneutik und Ästhetik auf Schlegel fußt, läßt in seiner Dialektik gewisse Gedanken der Jenaer Transzendentalphilosophie aufscheinen." Vgl. die gegenteilige Charakterisierung bei H. Schnur: Schleiermachers Hermeneutik und ihre Vorgeschichte im 18. Jahrhundert [1994], der hinsichtlich der Hermeneutik die „engen biographischen Verbindungen Schlegels zu Schleiermacher [...] nicht als bestimmende Einflüsse" (186) beschreibt. J.Zovko: Verstehen und Nichtverstehen bei Friedrich Schlegel [1991], 67, Anm. 151. Vgl. C.-A. Scheier: Die Frühromantik als Kultur der Reflexion [1990], der „die deutsche Frühromantik nicht nur historisch-phänomenal, sondern philosophischmethodisch als Einheit zu verstehen" (69) sucht. K.Pohl: Studien zur Dialektik F.Schleiermachers [1954]. Vgl. F.Schlegel: Transcendentalphilosophie, KFSAXII, 103: „In dem Sokratischen Zeitalter war die Philosophie dialektisch. Dies kann uns also zum Beispiel dienen, und wir können mit gutem Grund sagen, die Methode der Philosophie soll sokratisch seyn, daß heißt nicht, sie soll sich an eine bestimmte Form binden, sondern man will dadurch nur daran erinnern, daß der Geist der wahren Philosophie nicht eher wieder blühen
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tenden sinnhabenden Schein"54 aus. Im Schein der Erscheinungen teilt sich das Absolute, der gesuchte Grund des Wissens, mit. ss Die Beziehung des Absoluten zur erscheinenden Wirklichkeit wird dabei als Mitteilung verstanden. Der Terminus Mitteilung ist hier weniger in einer kommunikativen Bedeutung zu verstehen, sondern steht für eine am Absoluten partizipierende Nachbildung, in der alles urteilende Wissen begründet ist: „In diesem eminenten Sinne ist auch die Bestimmung der Dialektik als Mitteilung der Wahrheit zu verstehen: sie ist die Form der Beziehung des vom Absoluten Bedingten oder Endlichen auf das Absolute in dem Endlichen und durch das Endliche selbst."56 Arndt macht durch einen Vergleich der entscheidenden DialektikDefinitionen F. Schlegels" Schellings58 und Schleiermachers die These einer starken Beeinflussung der sich entwickelnden Dialektik-Konzeption Schleiermachers plausibel. 59 Mit F. Schlegel und Schelling stimmt Schleiermachers Ansatz (a) in einer Abgrenzung gegenüber Kant überein. Im Gegensatz zu einer Logik des Scheins, die mit der erkenntnistheoretischen Begrenzung der Vernunft korrespondiert, erhält die Dialektik Anteil an der Hervorbringung objektiv gültigen Wissens. Der gemeinsame Bezug auf einen Dialektik-Begriff als Kunst der Mitteilung erscheint (b) in der Vorstellung begründet, daß in der Beziehung des Bedingten auf das Unbedingte sich das Unbedingte als dessen Grund mitteilt. Wissen wird (c) mitteilbar aufgrund eines poetischen Elements der Philosophie. In der Mitteilung des Erkenntnisprozesses erfolgt das Sich-Mitteilen des Unbedingten. Daher wird Dialektik (d) als Kunstlehre verstanden, was sie als technische Disziplin, d.h. als ein Verfahren zur Konstruktion des Wissens und zugleich als das Poetische in diesem Verfahren im Sinne einer Nachkonstruktion des Unbedingten charakterisiert. Schleiermacher hatte ursprünglich den Begriff Wissenschaftslehre als eine der Philosophie vorzuziehende Bezeichnung angesehen. 60 Aber
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kann, bis die Kunst, ein wissenschaftliches Gespräch zu führen, wieder gefunden, und in die größte Thätigkeit versetzt wird." F.Schlegel: Die Entstehung der Philosophie [1804/05], KFSA XII, 148. Vgl. G. Bauer: Der absolute Idealismus als Voraussetzung einer historischen Philosophie [1966], 56f.: „Der Schein ist das erscheinende Absolute." A.Arndt: Zum Begriff der Dialektik bei Friedrich Schlegel [1992], 263. Vgl. S. 17. Vgl. S . 2 0 . Vgl. A.Arndt: Vorgeschichte, 330ff. Wobei der Begriff Dialektik für Schleiermacher den Anklang des bloß Rhetorischen nicht verlieren wird, wie die Abgrenzung in DJ 303 § 339 belegt.
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Schleiermachers Dialektik
unter der Einsicht, daß die den realen Wissenschaften vorangestellte Disziplin als Bestimmung der formalen Struktur des Erkenntnisprozesses kein Wissen im Sinne inhaltlicher Resultate hervorbringt, nennt er die „Darlegung der Grundsäze für die kunstmäßige Gesprächsführung im Gebiet des reinen Denkens" (DJ 568) Dialektik. 61 „Unter Dialektik verstehn wir", so schreibt Schleiermacher schließlich 1811, „die Prinzipien der Kunst zu philosophieren" (DA1 4). Mit diesem Namen bezeichnet Schleiermacher „die Kunst, mit einem Andren zugleich eine philosophische Konstruktion zu vollziehen" (DA1 5), die „das Organon aller Wissenschaft" (DA1 6) darstellt.
1.2 Zur Entstehung der Dialektik-Konzeption 1.2.1 Der Kontext anderer Systementwürfe Die Herausbildung der Dialektik Schleiermachers ist in engem Zusammenhang mit dem Entstehen seines Wissenschaftssystems und dies im Kontext anderer zeitgenössischer Systementwürfe zu sehen. In der Auseinandersetzung mit der Transzendentalphilosophie Fichtes und Schellings kam Schleiermacher zu einer grundsätzlichen Einteilung seines Systems in eine Elementarphilosophie und in die dieser gegenüberliegenden Realwissenschaften Physik und Ethik. Weil Vermutungen einer zu engen Anlehnung der von Schleiermacher konzipierten Begründung der Wissenschaften an die »Wissenschaftslehre« Fichtes62 oder die einer Aufnahme des Systems Schellings63, wie sich gezeigt hat, differenzierter zu betrachten sind und insgesamt der Einfluß frühromantischer Gedanken zu wenig Beachtung fand, muß allerdings ein Bild zu geradliniger Beeinflussungen revidiert werden. Insgesamt hat die Forschung den Wissenschaftsgrundriß Schleiermachers als seine eigene Leistung herausgestellt. 64 E. Herms hat in seiner breit angelegten Untersuchung von 1974 über die Entstehung von Schleiermachers Wissenschaftssystem, die beson61 62 63
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Vgl. L.Oranje: God een Wereld [1968], 247. Vgl. G. Wehrung: Dialektik Schleiermachers [1920], 17ff. Vgl. G.Mann: Das Verhältnis der Schleiermacher'schen Dialektik zur Schelling'sehen Philosophie [1914], Vgl. G.Scholtz: Philosophie Schleiermachers, 68, sowie E.Herms: Herkunft, 232, der unterstreicht, daß bei den Verschiebungen des Systemgrundrisses trotz äußerer wissenschaftlicher Einflüsse eine „reine Abhängigkeit Schleiermachers [...] jedoch keinesfalls vorliegen" kann.
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ders vom Zusammenhang der historischen und systematischen Fragestellung ausgeht, diese Positionen grundsätzlich bestätigt. Allerdings betont Herms gegenüber Dilthey eine größere Kontinuität in Schleiermachers Denken, dessen einzige grundlegende Wandlung er für die Zeit 1793-1796 ausmacht. Zunächst stand Schleiermacher unter dem Einfluß der Schulphilosophie, die er von 1787 bis 1789 in Halle vor allem bei J. A. Eberhard studiert hatte.65 Nach Herms verstärkte Schleiermacher in seiner Rezeption der hallischen Erkenntnistheorie die der Empirie zugemessene Position. Wissenschaftliche Erkenntnis sieht er als ein Abstraktionsprodukt der im Denken anwesenden Erfahrung. Diese Bewertung von Herms geht so weit, daß er annimmt, daß dieser Impuls der ,,kritische[n] Verankerung aller sachhaltigen Erkenntnis in der Erfahrung" Schleiermacher dazu führte, „daß er unter entschiedenem Festhalten an der induktiven die gesamte deduktive Seite des Erkennens aufgab."66 Die aus dem psychologischen Ansatz der Schulphilosophie stammende These, nach der die Anthropologie bzw. die Psychologie Schleiermachers als Systemgrundlage auszumachen ist, wie sie am nachhaltigsten von Dilthey geäußert wurde, 67 wird dagegen von Herms zurückgewiesen. Nach seiner Ansicht kommt Schleiermacher im Laufe seiner Entwicklung, vor allem durch die Auseinandersetzung mit F.H. Jacobi zu einer metaphysischen Bestimmung seines Systemzentrums. 68 Seit den »Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre« tritt deutlich hervor, daß die geforderte Grundwissenschaft zwei zu unterscheidende Momente umfassen muß: Sie soll einerseits als Wissenschaftslehre eine Theorie des Wissens, seiner Systematik, darstellen und andererseits als Metaphysik eine Begründung des bedingten Wissens im Unbedingten liefern. 69 Hinzu kommt das Verhältnis Schleiermachers zu Schelling. H. Süskind hatte in seiner Untersuchung von 1909 Schelling und Schleiermacher „hinsichtlich des Identitätsprinzips in einem zweifachen Verhältnis, der Uebereinstimmung und des Gegensatzes" 70 gesehen. Schleiermacher stimmt mit Schelling darin überein, daß das Prinzip des Wissens, soll es der Möglichkeit nach die Totalität des Seins umfassen, 65
Vgl. E.Herms: Herkunft, 82ff. E. Herms: Herkunft, 87f. 67 W. Dilthey: Leben Schleiermachers, GS XIV/1, 34, faßt seine Ansicht zum System Schleiermachers in dem Satz zusammen: „In der Struktur des Seelenlebens [in der Psychologie, I.H.] liegt der Zusammenhang." 48 Vgl. E. Herms: Herkunft, 232. " Vgl. E. Herms: Herkunft, 230f. 70 H. Süskind: Einfluss Schellings, 274. w
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Ausdruck absoluter Identität sein muß. Aber trotz dieser Annäherung an identitätsphilosophische Vorstellungen behält Schleiermachers metaphysischer Ansatz eine kritische Fassung. Während Schelling die absolute Identität als Gegenstand wirklichen Wissens behauptet, geht Schleiermacher von einem subjektiven Vorbehalt im Erkenntnisprozeß aus, „weil uns nur in der Grundbedingung unsres Seins diese Construction des endlichen Seins überhaupt gegeben ist" (DJ 171 § 228). Im Beibehalten dieses kritischen Gedankens ist der Einfluß Kants unverkennbar. Trotz dieses kritischen Vorbehalts erscheint das Identitätsprinzip in der doppelten Form der geforderten Grundwissenschaft. Als wissenstheoretisches Prinzip ist es Ausdruck der Zusammengehörigkeit von Begriff und Wahrnehmung. Und indem es in begründender Funktion die Identität des Denkens und Seins besagt, hat es zugleich metaphysische Bedeutung. Wie Süskind bemerkt, bleibt aber gerade die Art, wie das Identitätsprinzip unter diesem Vorbehalt eine Begründung des Systems des Wissens geben kann, offen. 71 Wie Herms ausführlich dargestellt hat, kam es, wie bereits erwähnt, schon früh zu einer weiteren wissenschaftlichen Begegnung, die in konzeptioneller Hinsicht für die Arbeit Schleiermachers konstitutive Bedeutung gewinnen sollte. Wohl über das Studium Spinozas kam das Denken F.H. Jacob is, dessen Spinozabuch 1789 in 2. Auflage erschienen war, deutlicher in den Blick Schleiermachers. Wie Schleiermacher es der Kantischen Vernunftkritik entnommen hatte, geht auch Jacobi von den Grenzen eines rein logischen und spekulativen Vernunfterkennens aus und negiert insbesondere die Möglichkeit syllogistischen Erkennens der Wirklichkeit. Jacobi teilte jedoch nicht mit Kant die „Einsicht in die durchgehende Phänomenalität des Gehalts des Bewußtseins" und unterscheidet in der Folge nicht „zwischen dem phänomenalen Gehalt des Realitätsbewußtseins und dessen transphänomenaler - nämlich unmittelbar gegebener - Wirklichkeit selber"72. In der Funktion einer Absicherung von Erkenntnis geht er vielmehr von einem in der unmittelbaren Existenzüberzeugung erschlossenen Zugang zur Wirklichkeit aus. „Indem Jacobi als das eigentliche Wesen des Selbst das
71 11
Vgl. H. Süskind: Einfluss Schellings, 273. E. Herms, Herkunft, 134, weist in diesem Zusammenhang auf den Grund einer Inkonsistenz im Doppelsinn des von Jacobi gebrauchten Worts „unbedingt" hin. Zwischen dem „unbedingt Gegebenen" als erschlossener Phänomenalität und dem „unbedingt Gebenden" als unerkennbarem Grund der Phänomenalität wäre zu unterscheiden. Diese Verdopplung verweist zugleich auf eine sich im Bezug auf Absolutes zeigende Struktur; vgl. S.99.
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unmittelbare Bewußtsein seiner eigenen Existenz in Einheit mit der Existenz der von ihm unterschiedenen Dinge ansetzte"73, ergibt sich für die Wissenstheorie die Möglichkeit, von einer Wechselwirkung des unmittelbaren Wirklichkeitsbewußtseins und der vermittelten Gegenstandserkenntnis auszugehen. Diese unmittelbare Wahrnehmung des Wirklichen bezeichnete Jacobi in Anlehnung an Hume'sche Terminologie als „Gefühl"74. D.h., nicht durch Vernunftschlüsse, sondern durch Gefühlsgewißheit ist die Realität der Phänomene und die Möglichkeit von Wissenschaft in ihrem letzten Grund gegeben. Wie W. Pannenberg darstellt, wurde der Gefühlsbegriff darüber hinaus auch durch M. Mendelssohn und J.N. Tetens75 sowie in einer breiten und verwirrenden Diskussion um die Frage der Eigenständigkeit des Gefühls aufgegriffen. 76 Dabei wird der Gefühlsbegriff zunehmend aus dem psychologisch-anthropologischen Zusammenhang in moralphilosophische Diskussionen eingetragen. In der Auseinandersetzung mit Jacobi's Theorie des unmittelbaren Selbstbewußtseins hob Schleiermacher jedoch den Unterschied zwischen dem im unmittelbaren Realitätsbewußtsein erschlossenen Gehalt und der Wirklichkeit des unmittelbaren Erschlossenseins dieses Bewußtseins hervor. „Indem Schleiermacher Jacobis Lehre vom unmittelbar erschlossenen Wirklichkeitsbewußtsein durch die kritischen Gedanken Kants modifizierte, entwickelte er seine kritische Theorie des unmittelbaren Realitätsbewußtseins."77 Schleiermacher differenziert, die Unterscheidung Kants von Phänomen und Noumenon aufnehmend, zwischen dem „bewußtwerdenden Wesen als Erscheinung" und der „dem Zugriff des Bewußtseins entzogenen transphänomenalen Exi73 74
75
76 77
E.Herms: Herkunft, 125. F.H. Jacobi: Werke II, 178: „So lange ich mich besinne, hat mir das angeklebt, daß ich mit keinem Begriffe mich behelfen konnte, dessen äußerer oder innerer Gegenstand mir nicht anschaulich wurde durch Empfindung oder durch Gefühl. Objektive Wahrheit und Wirklichkeit, waren in meinem Sinne eins, so wie klare Vorstellung des Wirklichen und Erkenntniß." Johannes Nikolaus Tetens (1736-1807), der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Psychologe und Philosoph hervortritt, unterscheidet in seinem Werk »Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwicklung« [1777] drei Seelenvermögen: „das Gefühl, die vorstellende Kraft, und die Denkkraft" (1, 590). In dieser Unterscheidung, die die Dreiteilung der Erkenntniskräfte Kants vorwegnimmt, sieht Tetens das Gefühl als eine der einfachsten Grundäußerungen der Seele an, die sich „mehr auf den Aktus des Empfindens als auf den Gegenstand desselben" (1, 167) bezieht. Vgl. W. Pannenberg: Anthropologie in theologischer Perspektive [1983], 238f. E.Herms: Herkunft, 265.
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Stenz"78. Damit behauptet Schleiermacher, was später in der Entfaltung seines Systems noch deutlicher hervortreten wird, daß Gestalt und Gehalt des ersten Wissens zwar wesentlich ineinandergreifen, aber nicht identisch zu setzen sind. Das erste Wissen ist zwar in einem transphänomenalen Absoluten begründet, kann aber aufgrund des erkenntnistheoretischen Vorbehalts nicht dessen Erkenntnis darstellen. Nach Herms kennzeichnet diese spezifisch gebrochene Identitätsphilosophie, die sich in der Auseinandersetzung mit Kant und Jacobi und im Festhalten an vor allem methodischen Ansätzen der hallischen Schulphilosophie herausbildet, die Nähe und Differenz zu anderen zeitgenössischen Systemen des Wissens. 79 Indem Herms die Verschiebungen der frühen Systemskizzen Schleiermachers nachzeichnet, macht er zugleich deutlich, daß nach 1796 im wesentlichen von einer Kontinuität der Grundzüge seines Denkens auszugehen ist.80 Mit den so gewonnenen Positionen trat Schleiermacher als eigenständiger Denker in die philosophische Diskussion des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts ein. 1.2.2 Das Dialektik-Verständnis Schleiermachers In dem der Dialektik zugrundeliegenden Wirklichkeitsverständnis geht Schleiermacher von einer grundlegenden Entsprechung idealer und realer Elemente aus. Die Gegensätze des Idealen und Realen sowie des Spekulativen und Empirischen werden ideal als Polaritäten verstanden, deren Identität und Gegensätzlichkeit den Raum des Wirklichen bestimmen. In den Gegenständen der Realität erscheinen diese Gegensätze in realen Verhältnisbestimmungen. Durch spekulative und empirische Momente wird im Denken auf die Erscheinungen Bezug genommen. Im Wissen wird das ideale Verhältnis des Gleichgewichts beider Momente angestrebt, wobei alle vorläufigen Verhältnisbestimmungen als Annäherungen auf dieses Gleichgewicht als Idee des Wissens bezogen sind. Die im realen Wissen implizierte Vorstellung des Wirklichkeitsbezuges und der Entsprechung ist jedoch nicht Folge des Gleichgewichts, sondern liegt dem Wissen in der Überzeugung eines unmittelbar gegebenen Bewußtseins zugrunde. Erst in der Einbindung der polaren Gegensätze und ihrer realen Verhältnisbestimmungen in eine unmittelbar gegebene
78 79 80
E. Herms: Herkunft, 140f. Vgl. E.Herms: Herkunft, 234, 268f. Vgl. K.Nowak: Schleiermacher und die Frühromantik [1986], 115-118, 296.
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Identität sieht Schleiermacher die Bedingungen einer Dialektik des Wechselerweises gegeben. Insofern sind Schleiermachers wissenstheoretische Voraussetzungen eng mit ontologischen Annahmen verbunden. Die Gliederung der Dialektik in einen transzendentalen und einen technischen Teil, wie sie ab 1814 den Aufbau seiner Dialektik-Vorlesung prägt, 81 entspricht dieser Verbindung. Schleiermacher geht weder von einem Vorrang transzendentaler Voraussetzungen noch von der Möglichkeit der Ableitung formaler Bestimniungen aus diesen aus. Die Annahme unmittelbar bewußter Strukturen, die Schleiermacher versucht sowohl in transzendentaler Verständigung als auch in formaler Klärung zur Geltung zu bringen, bestimmt seine Dialektik. Da jedoch weder das Transzendentale noch das Formale aus unmittelbaren Vorgaben abgeleitet werden kann, können beide Seiten nur aneinander und im Rekurs auf die Erfahrung des Wissens zur Darstellung gebracht werden. Im transzendentalen Teil wird die Wechselwirkung des unmittelbaren Wirklichkeitsbewußtseins und des vermittelten Sachwissens entfaltet. Dabei nimmt Schleiermacher die Überzeugung der Seinshaftigkeit des Denkens im Wissen in Anspruch. Diese Prämisse als Ausdruck des Wirklichkeitsbewußtseins bildet den Ausgangspunkt für die Darstellung der Idee des Wissens. Als Ausgleich endlicher Momente des Wissens partizipieren alle intersubjektiv und intersensuell ausgelösten Korrekturen irrtümlicher Wissensannahmen an dieser Idee des Wissens. Indem im realen Wissen auf diese Weise dessen ideale Voraussetzungen erscheinen, wird eine grundlegende Voraussetzung der Dialektik Schleiermachers deutlich. So wie in den Erscheinungen der Wirklichkeit deren Wesen zum Ausdruck kommt, verweisen die Äußerungen der Vernunft auf den sie hervorbringenden Grund. Im Rekurs auf diesen Verweis versucht Schleiermacher seinen Ansatz plausibel zu machen. Auf die Unmittelbarkeit der vor jeder Vermittlung liegenden transzendentalen Voraussetzungen kann nur verwiesen werden. Deshalb kann es in der Dialektik Schleiermachers keinen Begriff der Gesamtheit dieser Voraussetzungen geben. Die Idee der Welt als Totalität des Seins und die Idee der Gottheit als unbedingte Identität und Ursächlichkeit bleiben " Im Manuskript der Vorlesung von 1811 findet sich schon eine ähnliche Strukturierung. Im Übergang zum zweiten (technischen) Teil begründet Schleiermacher die Einheit seiner Wissenstheorie, indem er sie insgesamt auf die Anschauung des Wissens bezogen versteht. Die Gliederung der Dialektik beschreibt er davon ausgehend als Betrachtungsrichtungen dieser Anschauung (DA' 38): „Von ihr sind wir bisher aufwärts zum Absoluten gegangen, und nun abwärts zum Einzelnen."
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abstrakte Vorstellungen. Ihre Relevanz erhalten diese Vorstellungen, da sie als Ausdrücke einen sich im Gefühl erschließenden umfassenden Wirklichkeitsbezug bezeichnen. Mit dieser Einsicht, daß die Voraussetzungen des Wissens nicht in den Begriff eingeholt werden können, obwohl sie im Gefühl der Überzeugung in jedem Wissen anwesend sind, lehnt Schleiermacher jeden metaphysischen Überstieg in ein transzendentales Wissen ab. Allerdings betont er zugleich, daß diese Eingrenzung des Wissens auf einen regulativen Wirklichkeitszugang nicht ohne konstitutive Voraussetzungen zu verstehen ist. Die im technischen Teil der Dialektik ausgeführten formalen Bestimmungen des Wissens sind daher nach Schleiermacher mit ihren Konstruktions- und Kombinationsprinzipien ebenso mit den transzendentalen Voraussetzungen gegeben, auch wenn sie aus der formalen Anschauung des Wissens heraus dargestellt werden. Insbesondere die heuristischen und architektonischen Verfahren, durch die Schleiermacher Wissen und Wissensbildung in den Gesamtzusammenhang eingebunden sieht, zeigen an, daß Wissen nicht durch rein formale Begriffsund Urteilsbildungen abschließbar ist. Wissenschaft bleibt bei Schleiermacher auch in ihren formalen Bestimmungen ein zu ihren konstitutiven Voraussetzungen und zur Erfahrung hin offener Wirklichkeitszugang. 1.2.3 D ie Probleme des Ansatzes Schleiermachers Der systematische Ansatz Schleiermachers weist zwei Problemfelder auf, denen sich die Forschung immer wieder zuwendet und deren Verständnis und Klärung für eine Bewertung entscheidend sind. Einerseits (a) geht es um die Verhältnisbestimmung der Prinzipien seiner Wissenschaftslehre zur Empirie, andererseits (b) um die Frage nach der Beziehung des Wissens zum transzendentalen Grund. Beide Seiten der Problematik berühren sich in der Frage nach der Möglichkeit sicheren Wissens und erscheinen als Ausprägung des Verhältnisses induktiver bzw. deduktiver Begründungen. (a) Bei der Bestimmung des Verhältnisses von Spekulation und Empirie geht Schleiermacher von der grundsätzlichen Vorstellung aus, daß diese beide Seiten, die zum Wissen gehören, jeweils auf die andere verweisen. Somit erhält auch Philosophie in den Erfahrungswissenschaften ein Gegenüber. Scholtz betont, daß Schleiermacher „das Entstehen der Erfahrungswissenschaften als eine große Leistung des modernen Denkens begriffen" hatte, und daß es ihm darauf ankam, „spekulative Philosophie und Erfahrungswissenschaften nicht voneinander
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zu isolieren, sondern beide aufeinander zu beziehen und sie zu vermitteln"82. In dieser Vorstellung erhält die Spekulation in der Erfahrung ihre Konkretion und die Empirie mit der Theorie ihre Allgemeingültigkeit. Der relative Gegensatz, der in jedem wirklichen Wissen überwunden werden muß, gleicht sich nach Schleiermachers Vorstellung im Geschichtsprozeß aus. Schleiermacher sieht die ganze Geschichte des Wissens als eine approximative Entwicklung an, die auf die außerhalb unseres Wissens liegende Idee der Welt als „das Princip der Wirklichkeit des Wissens in seinem Werden" (DJ 164 § 222) gerichtet ist. Die Annäherung erfolgt „durch extensive und intensive Vervollkommnung des Wissens, je mehr sich empirisches und spéculatives durchdringen" (Ebd.). Diesen prozessualen Wissensbegriff, dessen Bewegung erst in einem virtuellen Geschichtsziel in der Verschmelzung von Spekulation und Empirie zum Stillstand kommt, will Schleiermacher insbesondere offen halten für den Fortschritt der Erfahrungswissenschaften. Schleiermacher gebraucht den Begriff Geschichte zunächst in der Bedeutung singulärer Tatsachen, dann aber auch eingeschränkter als individuelle Begebenheiten der Welt menschlichen Handelns. Geschichtliche Tatsachen und Begebenheiten werden als empirische Gegenstände solche möglicher Erfahrungen. Daher kann Schleiermacher Spekulation und Empirie auch als „spekulative und historische Form des Wissens" 83 gegenüberstellen. Empirische Wissenschaften sind als historische Wissenschaften anzusehen. Wie F. Kambartel hervorhebt, wird der auf Aristoteles zurückgehende Terminus έ μ π ε ι ρ ί α bei diesem über den Begriff der Erinnerung μ ν ή μ η eingeführt. 84 In der Tradition erhält der Begriff des Historischen zunehmend die Funktion einer unphilosophischen Tatsachenbegründung (οτι), die einer systematischen Theoriebildung von Zusammenhängen und Begründungen (διότι) gegenübersteht. Kambartel faßt diese Entwicklung folgendermaßen zusammen: „Historie, Empirie und Philosophie verhalten sich nach den analysierten Begriffsbildungen so zueinander, daß ,Empirie' den Übergang von der bunt und zufällig gewürfelten (gesicherten) 82 83
84
G.Scholtz: Philosophie Schleiermachers, 69. DO 461; vgl. DJ 130 § 197, wo das „empirische" und das „historische Wissen" synonym gebraucht werden. Vgl. F.Kambartel: Erfahrung und Struktur [1986], 50-85. Vgl. Aristoteles, Metaphysik 980 b 28ff.: „Aus der Erinnerung entsteht für die Menschen die Erfahrung (εμπειρία); denn viele Erinnerungen an denselben Gegenstand bewirken das Vermögen einer Erfahrung, und es scheint fast die Erfahrung der Wissenschaft (επιστήμη) und Kunst (τέχνη) ähnlich zu sein."
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historischen Kenntnis oder reinen Deskription zu einem ,ersten' Allgemeinen [...] und damit zur Wissenschaft als Philosophie, d.h. als Erkenntnis, Erklärung, Begründung bezeichnet."85 In dieser Tradition stehend gliedert Schleiermacher die „Wissenschaft des Geistes" 86 in Ethik, die „die Vernunftanfänge" darstellt, „in denen ebenso die Vernunfterscheinungen, deren ganzer Verlauf die Geschichte im weitesten Umfange bildet, gegründet sind"87, und in Geschichtskunde als die Kenntnis der Erfahrungstatsachen. Aber er trennt mit dieser Unterscheidung die Erfahrungswissenschaft nicht von der Philosophie, denn weder „alle sogenannten Konstruktionen a priori" noch eine „bloß empirische Auffassung" (CG21, 12 § 2.2) sind allein dem Gegenstand des geschichtlichen Wissens angemessen. Damit „verliert die hergebrachte Disjunktion von Historie und Philosophie ihren Sinn"88. Nach Scholtz ergibt sich damit aber für Schleiermacher ein doppelter Philosophiebegriff: „Philosophie im engeren Sinn: spekulatives Erkennen und Wissen; Philosophie im weiteren Sinn: Totalität alles Wissens von der Welt, empirisches und spekulatives, das sich in unendlichem Fortschritt zur ,Weltweisheit' fortbildet und in ihr vollendet"89. In dieser Doppelung spiegelt sich die in der Dialektik Schleiermachers ausgeführte Polarität und Vermittlung mit wechselndem Übergewicht von intellektueller und organischer Funktion des Wissens. Zwar gehören in jedem wirklichen Wissen beide Funktionen zusammen, aber indem Wissen einerseits den identischen, allgemeinen Begriff und andererseits den vielgestaltigen, individuellen Erfahrungsgehalt bezeichnet, überwiegt im Gleichgewicht beider zum einen die Spekulation (theoria) und zum anderen die Empirie (historia). Die Rezeption und Bewertung dieses Verhältnisses des Spekulativen und des Empirischen, die in einem Gleichgewicht auszubalancieren sind, ist kontrovers. Nach Wehrung hat Schleiermacher zu Unrecht gemeint, sich über die Einseitigkeiten der Aposterioristen und Aprioristen zu erheben. „Tatsächlich entpuppt er sich als richtigen Aprioristen."90 Aus anderer Perspektive wird, wie von W. Gräb, die von Schlei85 84 87
88 89 90
F.Kambartel: Erfahrung und Struktur, 73. F. Schleiermacher: Über den Begriff des höchsten Gutes [1827], 121. F.Schleiermacher: Ethik. Einleitung. Letzte Bearbeitung (vermutlich 1816/17), 185225, 204 § 60. F.Kambartel: Erfahrung und Struktur, 85. G.Scholtz: Philosophie Schleiermachers, 73. G. Wehrung: Dialektik Schleiermachers [1920], 254f.
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ermacher dargestellte Vermittlung kritisiert, da sie „auf die Bedingungen endlichen Verstandeswissens beschränkt bleibt."91 Auch F. Wagner sieht in Schleiermachers Verfahren nur eine subjektive Dialektik, dessen Voraussetzungen die Überwindung der Differenz zwischen Denken und Sein schon implizieren und das demzufolge gegenüber empirischen Konkretionen äußerlich bleibt.92 Trotzdem steckt in dieser schon auf Hegel zurückgehenden Form der Kritik, daß die Beziehung zwischen Begriff und Gegenstand subjektiv und empirisch zufällig bleibe, die Anerkennung eines Moments im Denken Schleiermachers, das eine rein spekulative Vermittlung sprengt. Genau dieses programmatische Einbeziehen subjektiver und empirischer Tatsachen wird von anderer Perspektive aus positiv eingeschätzt,93 auch wenn genauso gefragt werden muß, inwieweit Erfahrung in der Ausführung dieses Ansatzes tatsächlich berücksichtigt wird. Wie ein Überblick von Scholtz über die verschiedenen Positionen nahelegt, ist von einem Einfluß der Konzeptionen des Wissens- und Geschichtsbegriffs der Interpreten selbst auf die Bewertungen auszugehen. 94 (b) Bei der Bestimmung des Verhältnisses des Wissens zu seinem transzendentalen Grund ist zu erinnern, in welcher Funktion Schleiermacher dies ausführt. Um unter dem subjektiven Vorbehalt trotzdem von der Möglichkeit objektiver Erkenntnis auszugehen, ist ein Zusammenhang des Wissens mit dem gewußten Gegenstand wie auch ein innerer Zusammenhang des Wissens vorauszusetzen. Schleiermacher geht bei der Bestimmung dieses Zusammenhanges von Denken und Sein von der Vorstellung der Parallelität aus (vgl. DJ 75f. § 132). Damit der Wissensbegriff, der an die Bestimmung der Wahrheit als adaequatio rei et intellectus angelehnt ist, nicht rein hypothetisch bleibt, ist nach dem Grund dieser angenommenen Parallelität zu fragen. Schleiermacher 91
92 95
94
W. Gräb: Humanität und Christentumsgeschichte [1980], 177f.: „Schleiermachers philosophische Ethik ist als Theorie sachhaltig-bestimmter Sittlichkeit zugleich Grundlagentheorie des geschichtlichen Lebens. Sie macht Geschichte dabei jedoch durch einen Vernunftbegriff beschreibbar, der auf die Bedingungen endlichen Verstandeswissens beschränkt bleibt. Der restriktive Vernunftbegriff der Schleiermacherschen Ethik, die er durch den Ausfall reflexiver Selbstthematisierungen im System des Wissens bestimmt ist, entfaltet sich in einem System der Sittlichkeit, das das Handeln der Vernunft als einen invarianten Strukturzusammenhang funktionaler Leistungen beschreibt." Vgl. F. Wagner: Schleiermachers Dialektik, 267. Vgl. D. Offermann: Schleiermachers Einleitung, 326: „Wir meinen dagegen, Schleiermachers .kritisches' Verfahren gerade aus dem Angewiesensein der theoretischen Reflexion auf das empirisch Gegebene verstehen zu müssen." Vgl. G. Scholtz: Philosophie Schleiermachers, 71f.
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findet ihn im unmittelbaren Selbstbewußtsein, das als Gefühl zugleich unmittelbares Realitätsbewußtsein ist. Im unmittelbaren Selbstbewußtsein ist der transzendentale Grund, die Identität von Denken und Sein, so anwesend, daß er allem Wissen begründend vorausliegt, selbst aber kein Gegenstand des Wissens ist.9s Arndt deutet diese, über den Begriff des (abstrakten) Gefühls laufende Begründungsfigur als den Versuch, „der romantischen Weltansicht eine systematische Form zu geben"96. Das im Gefühl präsente Realitätsbewußtsein des Wissens und ebenso dessen Einheit begleiten jedes konkrete Wissen. Die im Wissen geleistete Vermittlung zwischen Denkakt und Wahrnehmung gründet damit letztlich in einer Unmittelbarkeit zwischen Vermittlung und transzendentalem Grund. In der Frage des Grundes des Wissens gilt daher: „Die Unmittelbarkeit tritt an die Stelle der Reflexion." 97 Auf diese Weise vermeidet Schleiermacher den unabschließbaren spekulativen Zirkel reflexiver Begründungen. Zugleich will er mit dem Bezug auf das unmittelbare Selbstbewußtsein einen endlichen Subjektbegriff sichern, indem er die subjektive Selbstgewißheit, die aller Reflexion vorausgeht, nicht in die Reflexion eines transzendentalen Subjekts aufhebt. Schleiermacher erweitert vielmehr den Begriff der Subjektivität, indem er an dessen Stelle das Selbstbewußtsein mit seinen Implikationen setzt. „Die Leistung der Reflexion wird an die Wirklichkeit von Individuen gebunden, die die Vernunft in ihrer Endlichkeit repräsentieren." 98 D.h. das 95
96 97 98
Dabei gebraucht Schleiermacher die Bestimmung transzendental nicht im Sinne Kants. Da Schleiermacher Erkenntnis und Erkenntnisvermögen nicht trennt, jedes Wissen zugleich eine Erscheinung des transzendentalen Grundes ist, unterscheidet er nicht zwischen einem transzendenten Übersteigen bestimmten Denkens bzw. bestimmter Erfahrung und den transzendentalen Prinzipien jedes möglichen Wissens (vgl. DJ 38). Vgl. W.Dilthey: Leben Schleiermachers, GS XIV/1, 94, Anm. 42: „Der Begriff .transzendent' als Bezeichnung für die Denkgrenze und der Begriff .transzendental' als Kennzeichnung für die Voraussetzung des Denkens ist nicht deutlich bei Schleiermacher unterschieden. " Vgl. S.Sorrentino: Schleiermachers Philosophie und der Ansatz der transzendentalen Philosophie [1991], 236f., der einen Unterschied sieht zwischen dem transzendentalen Grund des selbstbegründeten Wissens und dem transzendenten Grund, der zwar jeder begrifflichen Auffassung entgeht, aber in postulierender Funktion in die Konstitution des selbstbegründeten Wissens einwirken soll. - Allerdings spricht Schleiermacher genau in letzter Funktion vom transzendentalen Grund (vgl. DJ 150f., § 214). Zum Hintergrund vgl. N. Hinske: Die historische Vorlage der Kantischen Transzendentalphilosophie, 88, der auf die „verschiedenen Bedeutungen" des Begriffs des Transzendentalen verweist, die „in der kritischen Verwendung des Terminus unter der Hand ihren Niederschlag gefunden" haben. A. Arndt: Unmittelbarkeit, 470. Ebd. A.Arndt: Unmittelbarkeit, 471.
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Allgemeine der Vernunft kann nur in seiner Erscheinungsweise, die an die Individualität mit seiner Endlichkeit gebunden ist, begriffen werden. Hierin sind deutlich zwei Momente romantischer Herkunft zu erkennen: Zum einen wird Individualität nicht in eine universelle Teleologie als Werden eines Ganzen aufgehoben. Durch eine in Unmittelbarkeit verankerte individuelle Allgemeinheit kann vielmehr auf die Vermittlung abstrakter Allgemeinheit verzichtet werden. Zum anderen wird zusammen mit der Einheit der Wirklichkeit nicht zwischen Subjekt und Objekt derart unterschieden, daß deren Vermittlung erst durch eine der Wirklichkeit äußerliche Reflexion zustande kommt. Schleiermacher sah sich selbst mit diesem Ansatz im Gegensatz zu einer apriorisch deduzierenden Transzendentalphilosophie. 99 Indem aber einerseits die behauptete Unmittelbarkeit des Selbstbewußtseins als subjektive Setzung verstanden wurde und andererseits die Reflexion, selbst des absoluten Geistes, nicht als voraussetzungslos erscheinen kann, wurde diese Selbsteinschätzung Schleiermachers in Frage gestellt und letztlich die Möglichkeit, hier von eindeutigen Alternativen zu sprechen, relativiert.100 Dementsprechend vielfältig ist das Urteil der Philosophiegeschichte über die Interpretation und Einordnung Schleiermachers ausgefallen. 101
1.3 Interpretationen der Dialektik Am Ende der 60er Jahre dieses Jahrhunderts wurde die Dialektik Schleiermachers als ein „noch immer wartendes Buch" apostrophiert.102 Die letzte publizierte Monographie zur Dialektik war 1920 von G. Wehrung geschrieben worden. Zugleich markiert diese Feststellung jedoch eine Wandlung in der Beachtung des Dialektik-Ansatzes Schleiermachers. Vor allem zwei große Monographien haben in den 70ern dazu beigetragen, indem sie sich den Fragen einer immanenten Inter99
100 101
102
Vgl. DJ 594, wo Schleiermacher insbesondere auf Fichtes Wissenschaftslehre, aber ebenso auf Hegels Logik und auf Schellings Naturphilosophie anspielend diejenigen kritisiert, die „einen sogenannten Grundsaz an die Spitze stellen als denjenigen, mit dem das Wissen nothwendig anfange". Vgl. A. Arndt: Unmittelbarkeit, 483f. Vgl. G. Scholtz: Philosophie Schleiermachers, 5-8, der Schleiermachers Realidealismus „im Spannungsfeld zwischen Kritizismus und spekulativem Idealismus, zwischen Kant auf der einen und Schelling/ Hegel auf der anderen Seite" (8) sieht. H.-J. Rothert: Dialektik Schleiermachers. Überlegungen zu einem immer noch wartenden Buch [1970].
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pretation der Dialektik Schleiermachers widmen. 103 Die 1972 eingereichte Habilitationsschrift F. Wagners versteht sich als breit angelegte Dechiffrierung der Dialektik. In seiner kritischen Interpretation stellt Wagner die Vorlesungen Schleiermachers zur Dialektik in den zeitgenössischen Kontext des Deutschen Idealismus. Von diesem Ansatz ausgehend interpretiert er die Dialektik Schleiermachers konsequenterweise als „eine Theorie des endlichen Verstandeswissens [...] auf dem Boden des transzendentalen Idealismus" 104 . Damit steht seine Untersuchung in der Tradition der hegelschen Kritik an Schleiermacher und ist in dieser Beziehung mit Wertungen der Kritik F.C. Baurs und D.F. Strauß' vergleichbar. 105 Zugleich sieht Wagner das von ihm beanspruchte Theologieverständnis, „das auf das vernünftige Begreifen der christlichen Religion und ihrer Gehalte zielt"104, durch Schleiermachers Verweis auf unmittelbar gegebene Voraussetzungen in Frage gestellt. Daher versucht Wagner mit seiner Interpretation der Dialektik diese inkongruenten Setzungen und nicht abgeleiteten Übergänge nachzuweisen. Grundsätzlich kritisiert Wagner die „dogmatischontologisch gefärbte Annahme" 107 der Dialektik, daß durch ein religiöses Gefühl dem Selbstbewußtsein unmittelbar seine Abhängigkeit vom transzendentalen Grund bewußt wird und dies als Voraussetzung des Wissens fungiert. Bei seiner 1978 eingereichten Dissertation geht H.-R. Reuter davon aus, daß die „Dialektik eine Form des Denkens ist, bei der das Denken keiner äußeren, von seinem Selbstvollzug verschiedenen Zweckbestim103 104 105
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Vgl. Abschnitte 1.3.1 und 1.3.2. F.Wagner: Schleiermachers Dialektik, 12. Vgl. F.C. Baur: Kirchengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, wo von einem „Determinismus des Schleiermacher'schen Systems" (190) ausgegangen wird, den er in Schleiermachers Definition des Religionsbegriffs als schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl begründet sieht. Der in dieser Perspektive erfolgende Versuch, Schleiermachers Glaubenslehre aus einem „immanenten Process, in welchem das Selbstbewusstsein mit sich selbst begriffen ist" (191), zu verstehen, führt zu Widersprüchen, weshalb Schleiermachers methodischer Ansatz als „sophistisch-dialektische Kunst" (186) abgelehnt wird. Vgl. D.F.Strauß: Schleiermacher und Daub, 208: „Schleiermacher setzt Ersteres [sc. das Geschichtliche] in dialektische Bewegung: aber, statt in dieser fortzufahren, bis der Begriff als ebenso positives wie negatives Resultat sich zeigte, stellt er aus Furcht vor einem bloß negativen Ergebniß von vorn herein eine Thatsache des Gefühls als feste Voraussetzung hin, um welche die Dialektik nur äußerlich säubernd und glättend herspielen darf. " F. Wagner: Was ist Theologie?, 7. Weitergehend fordert Wagner hier, daß die systematische Theologie „die nicht gegebene, vielmehr umstrittene theoretische Geltung der christlichen Religion zu begründen" (7) habe. F.Wagner a.a.O., 63.
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mung unterliegt"108. Insofern stelle die Dialektik einen Text dar, „der seinem Anspruch nach seine eigne Methode mitbringt"109, die sich während des Fortganges der Interpretation selber erklärt und erhellt. Reuter versucht, die Dialektik Schleiermachers als eine Denkbewegung nachzuvollziehen, die die ihr vorgegebenen Voraussetzungen zwar aufnimmt, aber nicht in ihre Reflexion aufhebt. Dieser Ansatz ist in sachlicher Nähe zur Deutung der Hermeneutik Schleiermachers durch M. Frank „als ein nicht von vornherein methodisch gebändigtes Verfahren"110 zu sehen. Indem Reuter betont, daß individueller Sinn nicht auf allgemeine Vernunft reduzierbar ist, stellt seine Arbeit zugleich eine Antwort auf die Interpretation Wagners dar. Aber auch in der angelsächsischen Forschung wurde die Dialektik Schleiermachers seit den 60er Jahren zunehmend beachtet. Während G.E. Spiegier 1961 von einer betont theologischen Position aus Schleiermachers Ansatz kritisiert, wird in späteren Untersuchungen, wie den Arbeiten von J.E. Thiel, Thandea, M. Nealeigh und J.L. Eckenrode, versucht, die philosophische Bedeutung der Dialektik Schleiermachers darstellend zur Geltung zu bringen.111 108
H.-R.Reuter: Einheit der Dialektik, 18. Ebd. 110 M.Frank: Einleitung. In: F.D.E.Schleiermacher. Hermeneutik und Kritik, 7-67, 19. 111 Vgl. G.E. Spiegier: Between Relativism and Absolutism [1961]; J.E. Thiel: God and World in Schleiermacher's Dialektik und Glaubenslehre [1981]; Thandeka: The Structure of Unity [1988]; M. Nealeigh: The Theological Method of Friedrich Schleiermacher from a Dipolar Perspective [1990]; J.L. Eckenrode: Schleiermacher's philosophical Agenda in the Dialectic, a Theory of Art [1992]. Spiegier kritisiert einerseits ein bei Schleiermacher ausgemachtes „principle of relativity" (204), das er allen Beschreibungen der Wirklichkeit als ratio essendi und ratio cognoscendi zugrundegelegt findet. Das bringt nach Spiegler die Theologie Schleiermachers in gefährliche Nähe zu Mystizismus oder Anthropologie. Wenn andererseits, „in violation of his own methodological principle" (206), bei Schleiermacher gefunden wird, „that absoluteness defines God exhaustively" (206), ist das nach Spiegler im Zusammenhang des Theologieverständnisses Schleiermachers ebenfalls problematisch, da „Schleiermacher does not use Christology or the doctrine of revelation in and through the word of God" (207), um gleichzeitig „God's participation in relativity and its participation in God" (208f.) auszusagen. Insofern bleibt Schleiermachers Ansatz für Spiegler in der unaufgelösten Spannung „between God's absoluteness and the relativity if actuality" (208). Während Spiegler von seiner theologischen Position aus, mit der er sich mehrfach auf K. Barth bezieht, Schleiermachers „particularistic basis" (213) kritisiert, zeigen die jüngeren Arbeiten zum Dialektik-Verständnis Schleiermachers eher einen affirmativen Charakter. Thiel geht davon aus, daß „Schleiermacher's exposition of the God-world relationship in the Dialektik influenced the doctrines expressing this same relationship in the Glaubenslehre" (5). Dieser formale Einfluß der Dialektik auf die Glaubenslehre ist nach Thiel „not merely allowed but requiered by Schleiermacher' dogmatic method" (5). Als Folge des Theologieverständnisses sieht Thiel die Dialektik und die Glaubenslehre Schleiermachers methodologisch eng verbunden: „Schleiermacher's 109
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Schleiermachers Dialektik
Über diese Interpretationen hinaus wurden, die Anregung von H. Kimmerle112 aufnehmend, aus dem philosophischen Erbe Schleiermachers weiterführende Gedanken entwickelt. Dabei wird in diesen Arbeiten, vom philosophiegeschichtlichen Ort abstrahierend,113 der Ansatz Schleiermachers in verschiedener Weise aufgenommen und in aktuelle Diskussionen eingebracht. Trotz einiger Anfragen zeigen solche bei Schleiermacher ansetzende Interpretationen, wie die Betonung intersubjektiver Momente bei F. Kaulbach oder kommunikationstheoretischer Weiterfiihrungen bei U. Kliebisch, das in der Dialektik Schleiermachers liegende Potential.114
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criticism of traditional Christian doctrine may be traced to his efforts to articulate the content of pious feeling within the bounds of proper thinking established in the Dialektik" (228f). Spiegier und Thiel kritisierend, die in ihren theologischen Untersuchungen den Gottesbegriff bei Schleiermacher thematisierten, geht Thandeka von einer philosophiegeschichtlichen Klärung des Hintergrundes Schleiermachers aus. Im Zentrum der Dialektik sieht Thandeka „Schleiermacher's view of the structure of unity, i.e., the integrity of experience, as that which is determined by a transcendent ground which simultaneously posits identity and difference" (270f). Damit widerspricht Thandeka theistischen Interpretationen der Dialektik Schleiermachers, die bipolare Deutungen in den transzendentalen Grund eintragen. Im Gegensatz dazu bezeichnet Nealeigh jedoch Schleiermacher als „a nineteenth century dipolar theist" (157) und verweist auf eine „strong tendency in Schleiermacher's theological method toward a structure that may be interpreted as a dipolar perspective" (157). Aufgrund der aufgezeigten ontologischen und methodologischen Dipolaritäten und ihres prozeßhaften Ausgleichs kommt Nealeigh zu dem Schluß, daß Schleiermacher, wenn auch mit Einschränkungen, „would have been comfortable in the thought-world of twentieth-century process theology" (195). Schließlich sind nach Eickenrode die verschiedenen philosophischen Einflüsse auf Schleiermacher und „a number of the many critical and theoretical gambits made in the Dialektik" (415) am besten miteinander zu verbinden, wenn die Dialektik als Kunstlehre interpretiert wird. Eckenrode versteht die Dialektik Schleiermachers als kreative und zugleich technische Theorie des Hervorbringens von Wissens „reviving Plato's notion of dialectic" (275). Ein sehr weit verstandener Kunstbegriff - „the term ,art' refers to both a rule governed technique and a creative expression inspired by a preconceived idea" (413) - erklärt nach Eckenrode sowohl den Zusammenhang der Werke Schleiermachers als auch der transzendentalen und technischen Momente seiner Philosophie. Insbesondere die beiden zuletzt erwähnten Arbeiten über methodologische Aspekte der Dialektik Schleiermachers interpretieren seinen philosophischen Ansatz auf eine leitende Vorstellung hin. Zugleich wird die Philosophie Schleiermachers dabei affirmativ und in einem populären Sinn dargestellt. H. Kimmerle: Das Verhältnis Schleiermachers zum transzendentalen Idealismus [1959/60], 410: „Das uns überlieferte Erbe der Philosophie Schleiermachers ist für die gegenwärtige philosophische Arbeit fast völlig ungenutzt." Vgl. K . C . Köhnke: Neukantianismus, 92: „Die .Dialektik' ist, wie auch die ganze erkenntnistheoretische Programmatik, als Antwort auf die Systemvielfalt zu verstehen." Vgl. Abschnitte 1.3.3 bis 1.3.5.
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1.3.1 Dialektik der Subjektivität Angesichts der Situation, daß die Dialektik Schleiermachers nur in resultathafter Form und darüber hinaus in fragmentarischer Gestalt vorliegt, geht Wagner davon aus, daß die Gedankenführung nur argumentativ rekonstruierbar ist. Eine hermeneutisch-verstehende Methode, die philosophischen Implikationen nicht nachgeht, greift nach seiner Meinung dabei ebenso zu kurz wie eine einseitige entwicklungsgeschichtliche Interpretation, die es unterläßt, den Begriff der „Dialektik allein auf philosophischem Weg" 115 zu erheben. Dabei sieht Wagner die Dialektik Schleiermachers zwar als „durchaus selbständigen Versuch" an, versucht aber trotzdem, ihn konsequent „auf dem Boden des transzendentalen Idealismus - also des Idealismus, der das selbstsetzende Ich, die intellektuelle Anschauung oder das unmittelbare Selbstbewußtsein als Prinzip des Wissens ansetzt"116, zu lokalisieren. Insbesondere aus den frühen Schriften Schleiermachers entnimmt Wagner, daß „die Erkenntnis des Absoluten den Gegenstand der höchsten Wissenschaft" 117 ausmacht. Er versteht dies als ein Programm, dessen Ausführung die Dialektik-Entwürfe Schleiermachers darstellen. In diesem Ansatz wird schon deutlich, daß Wagner die Dialektik Schleiermachers auf ein reflexiv erschließbares oberstes Prinzip hin interpretiert. Sperrige Aussagen hinsichtlich dieses Ansatzes werden von Wagner als offensichtliche Spannungen oder Widersprüche im System Schleiermachers aufgefaßt. Bei der Begriffsbestimmung der Dialektik macht Wagner „für das Zustandekommen der dialektischen Denkbewegung" hinter dem im streitenden Denken geführten Gespräch das „Bewußtsein von der Zweideutigkeit eines Gedankens"118 aus. Die im Denken bestehenden Differenzen sollen „durch ein geordnet-kunstmäßiges Verfahren auf die Einheit des Wissens"119 zurückgeführt werden. In der Beschreibung der Dialektik als methodischer Überwindung einer Differenz ist dann notwendig ein Bezugspunkt dieser Differenz vorauszusetzen. Diesen be115 116 117
118 119
F.Wagner: Schleiermachers Dialektik, 9. F.Wagner a.a.O., 12. F.Wagner a.a.O., 18. Vgl. F. Schleiermacher: Grundlinien, SW III/l, 25. 33, wo (1803!) das alles umfassende System menschlicher Erkenntnis mit der „Erkenntniß des unendlichen und höchsten Wesens" in Zusammenhang gebracht wird. Dieser Gedanke wird später von Schleiermacher jedoch geradezu ins Gegenteil verkehrt. F. Wagner a.a.O., 31. F.Wagner a.a.O., 33.
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stimmt Schleiermacher im Unterschied zum Dialektik-Begriff Hegels nicht in der Verschiedenheit von Gedanken als solchen, sondern in der „Selbigkeit eines Gegenstandes" (DJ 584). Die damit vorausgesetzte Beziehung von Denken und Sein bleibt nach Wagner bei Schleiermacher als solche aber unproblematisiert, strittig sei nur die vom Seinsbezug des Denkens ausgelöste differente Gedankenproduktion. Der Bezug differenter Vorstellungen auf einen identischen Gegenstand muß zum Problem werden, wenn ein vom Denken verschiedenes, ansichseiendes Sein vorauszusetzen ist, das weder in seinem Ansichsein zugänglich ist, noch vom Denken produziert gedacht werden soll. Das bedeutet, daß die Selbigkeit des vorausgesetzten Gegenstandes nur in den Entsprechungen und im Widerstreit der differenten Vorstellungen erfaßt werden kann. Die vorauszusetzende, nach Schleiermacher nicht produzierte Differenz von Denken und Sein kann jedoch in der Perspektive, von der Wagner ausgeht, nur als eine produzierte Differenz des Denkens verstanden werden. Nach Wagner muß deshalb „die Differenz von Denken und Sein als nichtproduzierte produziert" 120 vorgestellt werden, was zu einer von Schleiermacher nicht ausgeglichenen Inkonsequenz seines Systems führe. Zu ähnlichen Verschiebungen und daraus folgenden Bewertungen kommt es, wenn weitere Begriffe der Dialektik Schleiermachers in dieser Perspektive einer deduktiven Reflexivität des reinen Denkens betrachtet werden. Wenn eine durch den Seinsbezug identifizierbare Differenz vorausgesetzt wird, kann diese nicht zugleich zur Bedingung ihrer Überwindung werden. Daher versteht Wagner das von Schleiermacher mit dem reinen Denken identifizierte „Wissenwollen" (DJ 588, 599, 609) als additive Setzung, mit der erst die dialektische Bewegung einsetzt. Nach Wagner ist dies eine unwirksame Setzung, da in der Bestimmung des Wissenwollens ein „Wissen des gewollten Wissens"m vorausgesetzt werden muß. Die von Schleiermacher im reinen Denken, das um seiner selbst willen Wissen werden will, gesehene Bedingung seiner dialektischen Bewegung erscheint Wagner als unvermittelte Konstruktion, weshalb ihm die Frage nach dem Anfang des Denkens bei Schleiermacher ungeklärt bleibt. Daher muß Schleiermachers Bestimmung des reinen Denkens als nicht getrennt vom gemeinen Denken, also durch dieses vermittelt, und
120 121
F. Wagner a.a.O., 37. F. Wagner a.a.O. , 3 8 .
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die darin behauptete Anfangslosigkeit 122 durch ein vorauszusetzendes Wissen um das reine Denken unterlaufen werden. Wagner argumentiert, daß die von Schleiermacher in Anspruch genommene Bedingtheit des reinen Denkens im gemeinen Denken nicht mit der Frage nach seiner Geltung verwechselt werden darf. 123 Insgesamt erscheint Wagner das Verfahren Schleiermachers als „naturalistisch-dogmatische Betrachtungsweise" 124 , bei dem er in der Behauptung eines vermittelten Anfangs der Dialektik ein unabgeleitetes und als unmittelbar gesetztes Wissen um das gewollte Wissen ausmacht. Wagner spitzt sein Insistieren auf die Frage nach dem dem Wissen zu Grunde liegenden Prinzip zu, indem er feststellt, daß die „Dialektik als theoretische Anweisung, Wissen zu konstruieren, [...] mit dem Wissen, das sie konstruiert, nicht identisch sein" 125 kann. Der daraus folgende Versuch, Prinzip und Zusammenhang des Wissens als Objekt des Wissens der Dialektik zu verstehen, läuft auf die Frage an Schleiermacher zu, „ob das Urwissen die Bedingung der Möglichkeit von Wissen innerhalb des Wissens darstellt"126. Wenn Wagner zusammenfassend feststellt, daß weder im Denken noch im Wollen das Erfassen des transzendenten Grundes als der absoluten Identität von Denken und Sein möglich ist, muß er weiter fragen, ob der transzendente Grund auf andere Weise präsent ist. Da dies nach Schleiermachers Auskunft im unmittelbaren Selbstbewußtsein der Fall ist, betrachtet Wagner dessen Struktur. In der Dialektik von 1822 führt Schleiermacher aus, daß das unmittelbare Selbstbewußtsein als Identität der relativ gegensätzlichen Formen von Denken und Wollen vorzustellen ist als das Setzende unseres Seins „hinter" (vgl. DJ 428f. = DO 288) dem Differenten dieser Formen. 127 Da das unmittelbare Selbstbewußtsein zugleich die „allgemeine Form des Sich-selbst-habens" (Ebd.) darstellt, macht Wagner eine doppelte Positionalität von setzender Spontaneität und sich-selbst-habender Rezeptivität im unmittelbaren
122
123 124 125 126 127
Vgl. DJ 589 § 4: „Das reine Denken hat in keinem denkenden Einzelwesen einen besonderen Anfang für sich, sondern es ist, ehe es zu einem gesonderten Dasein gelangt, in jedem einzelnen schon in und an dem andern Denken vorhanden." Vgl. F. Wagner a.a.O., 41. F. Wagner a.a.O., 44. F. Wagner a.a.O., 51. F.Wagner a.a.O., 55 (Hervorhebung I.H.). Vgl. D. Offermann: Schleiermachers Einleitung, 68, die darauf hinweist, daß im Entwurf von 1822 das unmittelbare Selbstbewußtsein, Gefühl und der transzendente Grund am ausführlichsten behandelt werden.
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Selbstbewußtsein aus.128 Damit ist nach Wagner eine nur durch Vermittlung aufzulösende Differenz im unmittelbaren Selbstbewußtsein gegeben, was Schleiermacher aber, indem er das unmittelbare Selbstbewußtsein vom reflektierten unterscheidet, ausschließt. Aus dieser „Erklärungsbedürftigkeit der Einheit der nichtidentischen Bewußtseinsfunktionen" resultiert für Wagner notwendig der „Konstruktionscharakter des unmittelbaren Selbstbewußtseins"129. Das unvermittelte Nebeneinanderstehen von Gesetztem und nicht Gesetztem bleibt für Wagner ohne den von ihm vorausgesetzten Begriff von Subjektivität und der darin implizierten Vermittlungen unaufgelöst.130 Diese konstruktive Tätigkeit des Selbstbewußtseins nimmt Schleiermacher nach Wagner zwar in Anspruch, aber das Fehlen einer diesbezüglichen Reflexion macht seine Konzeption unvollständig. 131 Da Schleiermacher im unmittelbaren Selbstbewußtsein eine Entsprechung zum transzendenten Grund gegeben sieht, erneuert sich hier der Vorwurf Wagners, weil „im identischen Analogon ein bestimmtes
128
Vgl. F.Wagner a.a.O., 144ff. F.Wagner a.a.O., 151. 130 Vgl. T. Lehnerer: Die Kunsttheorie Friedrich Schleiermachers [1987], 62, der in seiner Darstellung der philosophischen Grundlagen der Kunsttheorie Schleiermachers diesen ebenfalls von einem subjektivitätstheoretischen Ausgangspunkt aus kritisiert: „Das Subjekt hat sich selbst nicht nur als Einheit des objektiven Bewußtseins zu erfassen, sondern es muß, um sich selbst als Bewußtsein der sittliche und philosophischen Tätigkeit voraussetzen zu können, sich seiner selbst als eine Einheit des Idealen und Realen, des Vernünftigen und Natürlichen gegenwärtig haben." Im Gegensatz zu Schleiermacher fordert Lehnerer deshalb: „Den Gedanken dieser Gegenwärtigkeit gilt es zu rekonstruieren. Denn mit ihm steht und fallt nicht nur die komplexe Systemkonzeption, sondern auch die Wissens- und wissenschaftstheoretische Prämisse der Philosophie, mit ihm steht und fallt Schleiermachers gesamtes Denken." (62) Als Konsequenz seines Ausgangspunktes kann Lehnerer schließlich nur konstatieren: „Ein sich selbst erfassendes und als diese Selbsterfassung sich ausweisendes menschliches Subjekt läßt sich - folgt man Schleiermacher - streng genommen nicht denken." (62) Daß Lehnerer den entgegengesetzten Ansatz Schleiermachers nicht wahrgenommen hat, zeigt auch sein Verständnis vom schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl: „Als unmittelbares, im absoluten Abhängigkeitsgefühl sich selbst erfassendes Selbstbewußtsein ist dieses Bewußtsein völlig inhaltsleer." (86f.) „Die Unmittelbarkeit des Selbstbewußtseins ist gegen ihre Bestimmung als ein Denk-Konstrukt erkannt, und zwar allein dadurch, daß sie sich als in einem bestimmten Gedankenzusammenhang rekonstruierbar erweist." (87) 131 Vgl. G. W.F.Hegel: Wissenschaft der Logik Π [1816], SW V, 344: „Der Formalismus hat sich zwar der Triplicität gleichfalls bemächtigt, und sich an das leere Schema derselben gehalten; der seichte Unfug und das Kahle des modernen philosophischen sogenannten Konstruirens, das in nichts besteht, als jenes formelle Schema, ohne Begriff und immanente Bestimmung überall anzuhängen, und zu einem äußerlichen Ordnen zu gebrauchen, hat jene Form langweilig und übel berüchtigt gemacht." 129
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Wissen um den transzendenten Grund vorausgesetzt"132 werden muß. Dieser Kritik ist zwar insofern Recht zu geben, daß ein Analogieverhältnis nicht ohne Kenntnis des tertium comparationis konstatiert werden kann. Aber diese Kritik verfehlt Schleiermachers Ansatz, der sich schon im romantischen Allegoriebegriff andeutete: „[...] das Ereignis der Repräsentation ohne gegebenes Repräsentat zu denken"133. Nach Frank geht Schleiermacher dabei von der nicht unverständlichen Vorstellung aus: „Eine Reflexion aufs Gefühl zeigt dem Bewußtsein, daß es die in seiner ,relativen Einheit' sich manifestierende gründende Einheit mit den ihm eignenden Mitteln nicht zu erklären vermöchte."134 Schleiermacher ist sich dabei der Inadäquatheit der Vorstellung des transzendenten Grundes in der gebrochenen und ergänzungsbedürftigen Identität des Gefühls bewußt, denn wir haben „den transcendentalen Grund nur in der relativen Identität des Denkens und Wollens, nämlich im Gefühl" (DJ 151 §215). In einem Vergleich der Bestimmungen des unmittelbaren Selbstbewußtseins der Dialektik und der Glaubenslehre wird von Wagner weiter die Übereinstimmung der philosophischen und theologischen Entfaltung konstatiert. Daraus folgt nach Wagner für die religiöse Interpretation des unmittelbaren Selbstbewußtseins als schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl dieselbe Schwäche der Ausführungen Schleiermachers.135 Die Annahme einer unvermittelten Unmittelbarkeit von Selbstbewußtsein und Abhängigkeitsgefühl verstellen nach Wagner eine Reflexion der konstruktiven Tätigkeit des Selbstbewußtseins. Die Entgegnung Schleiermachers, daß es kein unmittelbares Wissen von Gott geben kann, er also „nicht das Wissen des Wissens, sondern nur die Kunst des Wissens suchen, die Regeln ein Wissens zu produciren" (DJ 159, Anm.) aufstellen will, läßt Wagner mit dem wiederholten Vorwurf nicht gelten, daß Schleiermachers Konstruktion „sich also schon eines Wissens um das zu konstruierende Wissen" 136 bedient. Die bei Schleiermacher auf der Ebene des Verstandesdenkens bleibende Annäherung an den transzendenten Grund erreicht nach Wagner weder das Reflexionsniveau Hegels noch die Bestimmtheit einer docta ignorantia vom Absoluten Fichtes, da Schleiermacher es nicht einsichtig machen 132 133 134 135 136
F.Wagner a.a.O., 155. M.Frank: Das individuelle Allgemeine [1977], 109, Anm. 69. Ebd. Vgl. F.Wagner a.a.O., 208f. F. Wagner a.a.O., 87.
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kann, warum und inwieweit sich der transzendente Grund dem Denken entzieht.137 Unter den dargestellten Vorbehalten wendet sich Wagner schließlich der Untersuchung des, im allgemeinen weniger beachteten, formalen Teils der Dialektik zu. Das subjektive Denken, das Wissen werden will, drängt auf seine Verwirklichung als objektives Wissen und benötigt für diesen approximativen Vorgang ein Instrumentarium. Im technischen Teil der Dialektik als Methodenlehre werden die im transzendentalen Teil eingeführten polaren Gegensätze aufgenommen und zu methodischen Vorgängen weitergeführt. Bei der in der spekulativen Tätigkeit ansetzenden Begriffsbildung handelt es sich als Besonderung des Allgemeinen um Deduktion. Bei der Begriffsbildung, die durch die sinnliche Tätigkeit auf das empirisch Besondere zurückgeht, handelt es sich als Verallgemeinerung um Induktion. Dabei wird die Wissensproduktion als ein zur Gewißheit führender Ausgleich von Differenzen der Begriffe und Urteile vorgestellt, wobei „Schleiermacher jeweils von Extremen ausgeht, um in den Kanones als den Verfahrensregeln für die Wissensbildung die Extreme in ein Sowohl ... als auch aufzulösen. Dieses Sowohl ... als auch ist also die Mitte zwischen den Gegensätzen."138 Dieses Verfahren wird von Wagner kritisiert, da so der Widerspruch zwischen den Gegensätzen nicht durch Aufweis ihrer Vermitteltheit ausgetragen, sondern im Rückgang auf die Mitte zwischen den Extremen vermieden werde. Den grundsätzlichen Ausgangspunkt für das, was Schleiermacher unter Dialektik als philosophischem Geschäft versteht, sieht Wagner auf gemeinsamem Boden mit Fichte, Schelling und Hegel darin, Differenzen auf Einheit hin zu überwinden und strittige Gedanken zu gesichertem Wissen zu führen. Der Versuch Schleiermachers, bei der Wissenskonstruktion nicht von einem obersten Grundsatz auszugehen, sondern das Denken auf die dem Wissen impliziten Voraussetzungen zurückzuführen, wird dabei nicht als grundsätzlicher Unterschied gewertet. Das Verfahren Schleiermachers der Zurückführung der Differenz von Idealem und Realem, von Subjekt und Objekt auf ein gegebenes Prinzip ihrer Einheit wird als strukturgleiche Umkehrung der Fichteschen bzw. Schellingschen Ansätze beim selbst setzenden Ich bzw. bei der intellektuellen Anschauung angesehen. 139 Allen drei Systemen des Wissens 137 13e 139
Vgl. F.Wagner a.a.O., 156. F.Wagner a.a.O., 239f. Vgl. F.Wagner a.a.O., 266ff.
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wird vorgeworfen, daß durch die in ihrem identischen Grund postulierten Teilungsprinzipien ein Differenzierungsprozeß angenommen werden muß, der in einem unendlichen Progreß die Approximation an die Stelle eines im Absoluten vollendeten Systems des Wissens stellt. So wird am Ende die Interpretation der Dialektik Schleiermachers zu einer Kritik aller dialektischen Methoden, die nicht in Hegelscher Provenienz in der inneren „Bewegung des Begriffs selbst"140 ansetzen, die Denkbestimmungen also nicht in diesem Sinn an sich selbst entwickeln. Bei der gesamten Kritik Wagners fällt auf, daß sie von einer bestimmten Theorie begrifflicher Selbstvermittlung des Subjekts ausgeht.141 U. Barth hat zur Bewertung dieser Kritik eine Differenzierung zwischen dem Genus einer Typentheorie (vgl. Hegels Phänomenologie des Geistes) und dem einer Elemententheorie der Subjektivität (vgl. Kants kritischen Ansatz) vorgeschlagen. 142 Während in einer Typentheorie die Gestaltdifferenzen der Subjektivität dem Vollständigkeitsund Adäquatheitstest begrifflich vermittelter Selbstdifferenzierung unterzogen werden, bewährt sich eine Elemententheorie, die die abstrahierten Elementarfunktionen von Subjektivität untersucht, in der Vollständigkeit des von ihr aufgezeigten und insofern rekonstruierten phänomenalen und funktionalen Zusammenhanges. Eine einseitige Orientierung am Modell einer Typentheorie muß nach U. Barth aufgrund ihrer begrifflich-absoluten Fixierung zu einer aporetischen Deutung der in Schleiermachers Dialektik implizierten subjektivitätstheoretischen Aussagen führen. Dagegen könnte nach U. Barth bei einer elemententheoretischen Reflexion von der Leistungsfähigkeit der Grundbegriffe und ihres Zusammenhanges bei Schleiermacher ausgegangen werden. Allerdings zeigt dieser Vorschlag Barths die Tendenz, die Intention der mit der wissenstheoretischen untrennbar verbundenen subjektivitätstheoretischen Argumentation Schleiermachers zu verschieben und zur Konsistenz einer formallogischen Transzendentalphilosophie abzuändern. 143 Wie sehr Wagner letztlich seiner Fixierung auf ein Vermittlungsmodell des Absoluten erlegen ist, zeigt sich darin, daß er den Versuch 140 141
142 143
G.W.F.Hegel: Wissenschaft der Logik II, SW V, 330. Vgl. D.F.Strauß: Schleiermacher und Daub [1839], 10: „Den speculativen Theologen war Schleiermacher - und ist es den meisten noch jetzt - ein Sophist; sie blicken von der Höhe ihres absoluten Begriffs mit Verachtung auf seinen subjectiven Standpunkt des Räsonnirens, endlichen Denkens, negativer Dialektik [...]". Vgl. U.Barth: Christentum und Selbstbewußtsein [1983], 43f. Vgl. H.Kimmerle: Schleiermachers Dialektik [1984], 41f.
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Schleiermachers, dem Scheitern autonomer Selbstvermittlung durch die Anerkennung eines Unverfügbaren zu entkommen, nicht wahrnimmt. Der von Wagner versuchte Nachweis der Abhängigkeit des Unvermittelten von der Reflexion wird geradezu zur Umkehrung des Ansatzes Schleiermachers; „was in dem Subjekt zustandekomme und von ihm bezeugt werde (ratio cognoscendi), ist darum noch nicht von dem Subjekt (qua ratio essendi) bewirkt"144. Für Frank deutet sich dagegen „in der Entdeckung der Abhängigkeit des Selbstbewußtseins von einem nicht adäquat repräsentablen Sein"145 geradezu ein Paradigmenwechsel an. 1.3.2 Dialektik der Einheit H.-R. Reuter befaßte sich in seiner Dissertation vor allem mit dem transzendentalen Teil der Dialektik, wobei er sich das Wie des Interpretierens aus dem Was der zu interpretierenden Sache vorgeben lassen möchte. Dieser Versuch, auch methodisch immanent anzusetzen, scheint Reuter geboten, da er die Dialektik mit Schleiermacher als „Darlegung der Grundsäze für die kunstmäßige Gesprächsführung im Gebiet des reinen Denkens" (DJ 568) verstehen will. Dabei geht Reuter von einem Begriff der Dialektik im Sinne eines nicht abschließbaren Streitens differenter Gedanken aus. Abgrenzen will sich diese Denkweise auf der einen Seite gegenüber einem Philosophieren, das vorschnell begriffliche Identifikationen oder Ableitungen vornimmt und leicht in totale Absolutheit mündet, die die Probleme des Denkens eher verdrängt, 146 als sie zur Lösung offen hält. Auf der anderen Seite wird vor dem Überspringen durch die metaphorische Rede gewarnt, die hier nicht präzis genug, d.h. auf genügend eindeutige Weise, Denkschritt für Denkschritt, sich dem Problem nähert. Die Bewegung setzt mit der Frage nach den „Grundsätzen des Wissens"147, also der Suche nach der Möglichkeit gesicherter Erkenntnis im Unterschied zu unbestimmtem Denken, ein. Reuter interpretiert die Argumentationsstruktur Schleiermachers dahingehend, daß eine Ant144
145 146
147
Vgl. M . Frank: Das individuelle Allgemeine, 107, Anm. 65: „Die unbestrittene Tatsache, daß die Innerlichkeit des Gefühls sich über die Äußerlichkeit der Reflexion zu vermitteln hat, impliziert nicht die völlig andere, als vermöchte die Reflexion von sich her für die - durch Intervention des Gefühls erwirkte - Einheit der Relate einzustehen." M.Frank: Das individuelle Allgemeine, 121. Oder mit Schelling, in den „freien Ocean des Absoluten" (zit. nach H.-R. Reuter: Einheit der Dialektik, 94) stürzt. H.-R. Reuter, Einheit der Dialektik, 29.
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wort nicht in einer eindeutigen Bestimmung gefunden werden kann, sondern nur in einer Bewegung zwischen zwei entgegengesetzten, erst gemeinsam ein Ganzes ergebenden, komplementären Sätzen liegt. Die zwei Pole der Charakterisierung des Wissens werden in einer inneren und einer äußeren Bedingung gesehen. Als innere Bedingung wird durch ein „gleichmäßiges Produzieren" 148 resultathaftes Wissen mit dem dieses Wissen „ursprünglich producirenden Act" (DJ 41f. § 86.2) wesenhaft verbunden. Aus dieser ursprünglichen Übereinstimmung der produzierenden Subjekte ergibt sich die zum Wissen gehörende Überzeugung. Das „Selbstbewußtsein" ist dabei jene Instanz, „die auf die Einsichten hin ansprechbar ist, die eine Dialektik im Zuge ihrer Entfaltung hervorbringt" 149 . Das Selbstbewußtsein ist diese auf Einsicht hin ansprechbare Instanz, da in seinem ursprünglichen Sich-Erfassen jenes erste Wissen mitgesetzt ist, dessen Struktur für alles Wissen repräsentativ ist, d.h. die Bezogenheit von Denken und Sein in ihrer Identität und Differenz. Demzufolge kann als äußere Bedingung des Wissens gefordert werden, daß ein Denken, das Wissen sucht, intentional ist. An die Adaequatio-Formel der Wahrheit erinnernd, formuliert Reuter: „Wissen sei eine Relation zwischen Denken und Sein, deren .Charakter' als Übereinstimmung zu setzen ist"150. Dieses Setzen wird im Anschluß an Leibniz' Vorstellung einer Characteristica universalis als „Einführung" eines Charakters bezeichnet, was Reuter als dialektische, „einander widersprechende Positionen des Denkens in ein Gespräch" einbringende „Suche nach dem wahren .Ausdruck'" im Sprachgebiet des reinen Denkens präzisiert. 151 Indem die Richtigkeit des Sprechens aber nicht thematisiert wird, ohne zugleich vorsprachliche Instanzen anzusprechen, soll einer sprachanalytischen Verkürzung widersprochen werden. Die Dialektik Schleiermachers wird im Gegensatz zum Programm dialektischer Aufhebung von Reuter geradezu als programmatische „Characteristica universalis der abendländischen Metaphysik" entdeckt. 152 Reuter betont die von Schleiermacher festgehaltene Irreduzibilität von intellektueller und organischer Funktion, die ihre Spitze im „Aus148 149 150 151 152
H.-R.Reuter a.a.O., 30ff. H.-R.Reuter a.a.O., 51. H.-R.Reuter a.a.O., 36. Vgl. H.-R.Reuter a.a.O., 39f. H.-R.Reuter a.a.O., 42.
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fall der Synthesis", im „Ausfall der Kategorie der Totalität" 153 hat. Zwar geht die Dialektik Schleiermachers auf die „Einheit als Synthesis nach Begriffen" und die „synthetische Einheit des SatzesulS4 zurück, aber so gesetzte Einheiten bleiben Einheiten von Gegensätzen. Damit ist die Form des Wissens zugleich als prozessuale ausgewiesen, denn die Identität von intellektueller und organischer Funktion bleibt eine Identität von anfänglich Verschiedenem. Auch die Reduktion „der für alles Denken unaufhebbaren Polarität von intellektueller und organischer Funktion", das ihr zugrundeliegende Transzendentale führt im höchsten Gegensatz, den Reuter mit Schleiermacher als Setzung des Denkens sieht, zunächst nur auf einen „unüberbrückbaren Dualismus"155. Im Gegensatz zum spekulativen Idealismus versteht Reuter dieses Setzen aber nicht als konstitutiven, sondern als regulativen Akt der sich damit als zugleich setzend und gesetzt verstehenden Vernunft.156 Insofern nimmt für Reuter Schleiermacher „die Einheit der sich selbst zerlegenden Vernunft in Anspruch", die sich „in einem produzierenden Akt [...] gleichursprünglich als ideale und begrenzte zur Anschauung" 157 bringt. Die dieser setzenden Tätigkeit des Denkens entgegengesetzte und zugleich zugrundeliegende Bewegung, in die sie im höchsten Gegensatz als Grenze des Transzendentalen und Idealen umschlägt, findet Reuter im „Sich-Entwickeln"158 des Einen Seins. Im nächsten Schritt wird gefragt, worin sich diese aus dem polaren Gegensatz von Denken und Sein freigesetzten, sich gegenseitig zu einem Kreis schließenden Bewegungen von Setzen und Sich-Entwikkeln, begründet. Ausgehend von der in der Idee des Wissens gesetzten Beharrlichkeit, die „in einem ebenso beharrlichen, sich selbst gleichbleibenden
153 154 155
156
157 158
H.-R. Reuter a.a.O., 55. H.-R. Reuter a.a.O., 56f. H.-R. Reuter a.a.O., 76f. Vgl. DJ 76 § 132: „ideales und reales laufen parallel neben einander fort als modi des Seins." An dieser Stelle widerspricht H.-R. Reuter a.a.O., 79, Anm. 53, dem Vorwurf F. Wagners: Schleiermachers Dialektik, 85, daß „der Gegensatz des Idealen und Realen auf eine Setzung des Schleiermacherschen Denkens" zurückgeht, und Wagner damit gerade die Pointe des höchsten Gegensatzes als eine seine Notwendigkeit implizierende Gegebenheit der intellektuellen Funktion des Denkens übersehe. H.-R. Reuter a.a.O., 81. H.-R. Reuter a.a.O., 84. Vgl. DJ 77 § 135, wobei das „Eine Sein" als Gesamtheit des realen Seins von der theoretischen „Idee des Seins an sich" zu unterscheiden ist.
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Denkakt stets wiederholt werden kann"159 - vorstellbar im Bild einer in sich ruhenden Kreisbewegung - interpretiert Reuter die hier von Schleiermacher als höchste Einheit eingeführte Idee des Seins an sich als „Einheit der Zeit"140. Diese temporale Interpretation des Seins als Existenzaussage verbindet die intellektuelle, setzende Konstruktion mit dem repräsentierten Einen Sein. Mit dieser Interpretation des Einen Seins will Reuter sowohl Schleiermachers Distanz zu identitätsphilosophischen Positionen verdeutlichen, denn es gibt keine intellektuelle, ästhetische oder unmittelbare Anschauung der Idee des Seins an sich, als auch einer voreiligen Identifikation des Seins an sich mit Gott oder der Welt widersprechen. Bevor im Schlußkapitel das Problem des unmittelbaren Selbstbewußtseins von der Bestimmung des Überganges her behandelt wird, thematisiert Reuter die das Wissen bestimmenden Begriffe Denken und Wollen in eigenen Kapiteln. Die Reflexion der Formen realen Denkens, die zugleich Aufweis der logischen Grenzen des Denkens ist, baut nach Reuter auf der Analyse elementarer sprachlicher Einheiten auf. Im Vernehmen der Struktur der elementaren Einheit des Satzes findet das sprechende Setzen die Eigenart seines Setzens. Das ideale Setzen der Vernunft trifft in der Sprache auf die im Realen entwickelten Bestimmungen.161 Insofern verweisen die in den beiden Denkformen von Begriff und Urteil162 konstruierten Grenzbestimmungen auf den höchsten Gegensatz von Idealem und Realem.163 Da der Zusammenhang des jeweils für sich begründbaren Begriffsund Urteilsgebietes bzw. des spekulativen und empirischen Wissens nicht wiederum in einem Begriff oder Urteil begründet werden kann, muß nach der Weise des Denkens, das „die Philosophie als Wissen des Ganzen vertritt"164, gefragt werden. Die von Schleiermacher als jeweils 159
H.-R. Reuter a.a.O., 89. Vgl. DJ 74 § 130. 160 H.-R. Reuter a.a.O., 90. Vgl. DJ 77 § 136. 161 Vgl. H.-R. Reuter a.a.O., 120f. 162 Da dem syllogistischen Schluß keine eigene Sprachform zukommt, und im transzendentalen Teil der Dialektik „nicht nach der Genesis sondern nach der Form des Wissens für sich" (DJ 82 § 138.2) gefragt wird, wird das Wissen als Denken nur unter den Formen Begriff und Urteil betrachtet. Vgl. S. 109. 163 Bemerkenswert ist die von Reuter a.a.O., 110, hervorgehobene grundsätzliche Bevorzugung dichotomischer Begriffspaare, die der Vorstellung eines synthetischen und vermittelnden Dritten zuvorkommen soll. 164 H.-R.Reuter a.a.O., 189.
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das andere Gebiet begleitende Beziehung der ,,wissenschaftliche[n] Kritik" (DJ 144 § 210) tritt nach Reuter funktional an die Stelle einer absoluten Theorie. 165 Diese Kritik, deren Maßstab nicht begrifflich verfügbar ist, erscheint am ehesten als Verunsicherung alles Vorhandenen und soll das spekulative und empirische Wissen in die Schwebe bringen. Ihr positives Pendant erhält diese Negation im Wollen. Im Wendepunkt kritischen Denkens wird das Wollen als ein vom Denken antithetisch unterscheidbares Vermögen des Selbstbewußtseins sichtbar. Ist das Denken auf Vorhandenes gerichtet, so übersteigt das Bewußtsein im Wollen das Vorhandene. Mit dem sich in Zweckbegriffen manifestierenden Willen ist der Ansatzpunkt der Ethik bezeichnet. Zugleich ist nun aber auch nach der dem Willen zugrundeliegenden Gewißheit zu fragen. Reuter arbeitet heraus, daß Schleiermacher den „Wechsel", der „als das lezte Ende des Denkens auch das erste des Wollens ist" (DJ 151 § 215.1), nicht als akzidentiell zufällige Veränderung versteht. Ab 1818 wird diese Bewegung mit dem Terminus Übergang bezeichnet. 166 Mit dem im Gefühl manifesten Übergang von Denken und Wollen, der das Indifferente dieser Formen des Bewußtseins bezeichnet, verdeutlicht Schleiermacher, wie das unmittelbare Selbstbewußtsein zu verstehen ist. Das unmittelbare Selbstbewußtsein soll auf der einen Seite von sinnlicher Empfindung, die eine individuelle Eigentümlichkeit darstellt, und auf der anderen Seite von Reflexion, die in einer zirkulären Vermittlung von Selbstbewußtsein und Sein verharrt, abgegrenzt werden. Da Reflexion die Gegenwart nicht unmittelbar festhalten kann, entdeckt das reflektierte Selbstbewußtsein seine aus zyklischer Bewegung resultierende Selbstidentifikation nicht als präsente, sondern nur als vergangene. Die Vorstellung, nach der das unmittelbare Selbstbewußtsein als „das einheitliche Sich-gegenwärtig-Haben des Selbst"167 zu verstehen ist, sieht Reuter als zeitliche Einheit, womit das Problem der Einheit des Selbstbewußtseins auf die Ebene des Zeitbewußtseins abgebildet wird. 168
145
164 167 168
Vgl. H.-R. Reuter a.a.O., 189, „Platzhalter der absoluten Theorie". Vgl. S. 118. Vgl. H.-R.Reuter a.a.O., 215. H.-R. Reuter a.a.O., 219. Vgl. den Einwurf U.Barths: Christentum und Selbstbewußtsein, 15, im Hinblick auf die Einführung eines doppelten Zeitverständnisses. Zeit sei „einerseits Struktur von Ich-Tätigkeit und andererseits Erlebnisinhalt von Ich-Tätigkeit". Das punktuelle Sichgegenwärtig-haben im unmittelbaren Selbstbewußtsein wird, wenn im weiteren die
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Die Vorstellung eines unmittelbaren Selbstbewußtseins als relationslose Einheit steht konträr zu einer vermittelten relationalen Identität und läuft nach Reuters Interpretation, der hier einen Gedanken D. Henrichs aufnimmt,169 in seiner Konsequenz auf ein subjektloses Selbstbewußtsein hinaus. An dieser Stelle erreicht die Erwiderung Reuters auf Wagners subjektivitätstheoretische Dialektikinterpretation ihren Kern. Wagner hatte „ausdrücklich das unmittelbare Selbstbewußtsein mit dem Ich"170 identifiziert gesehen, wogegen Schleiermacher nach Reuter, wenn er von der Identität des Subjekts spricht, das mit dem Ich gleichgesetzte reflektierte Selbstbewußtsein meint.171 Schleiermacher hat also nach Reuter nicht vom selbstsetzenden Ich, sondern vom setzenden Sein gesprochen, denn „wann immer auf dem Subjektcharakter des unmittelbaren Selbstbewußtseins bestanden wird, ist es unausweichlich, daß für Selbstbewußtsein eine Leistungsfunktion in Anspruch genommen wird, die seine Unmittelbarkeit hintertreibt"172. Damit hat das unmittelbare Selbstbewußtsein einen nicht aktiv-reflexiv bewußt zu machenden, sondern nur passiv-vorreflexiv erlebbaren Gehalt, auf dessen Evidenz Schleiermachers Darstellung rekurriert. Das menschliche Sein ist im Jetzt des unmittelbaren Selbstbewußtseins derart als reines Setzen präsent, daß „nicht das Ideale ins Reale, sondern - vorerst subjektlos - das Reale ins Ideale"173 gesetzt wird. Das Setzen ist wohl ein Setzen des Selbst, aber „keineswegs eindeutig ein Durch-sich-selbst-Setzen"174. Unendlichkeit des Setzens des Seins als Ins-Unendliche-FIießen eines Stromes interpretiert wird, zu einem Sich-in-zeitlicher-Kontinuität-wissen. Insofern bleibt die Frage nach der Möglichkeit subjektlosen Selbstbewußtseins für Barth ungeklärt. 169 Vgl. D. Henrich: Selbstbewußtsein [1970], 279: „Vor dem ausdrücklichen und reflektierten Bewußtsein gibt es aber bereits Selbstbewußtsein, anonym und keinesfalls Eigentum oder Leistung des Selbst. Nur dadurch, daß es Aktivitäten ermöglicht, die dem Selbst zuzuschreiben sind, wird es in einem abgeleiteten Sinne vom Selbst angeeignet, als ausdrückliche Kenntnis in der Reflexion frei verfügbar und somit scheinbar einer produktiven Selbsterzeugung ähnlich, welche ihre Voraussetzungen vergessen macht." 170 F.Wagner: Schleiermachers Dialektik, 149, Anm. 15. 171 Vgl. H.-R. Reuter a.a.O., 224f., Anm. 36. 172 H.-R.Reuter a.a.O., 224. 173 H.-R.Reuter a.a.O., 226. 174 H.-R.Reuter a.a.O., 227. Vgl. die zu einer ähnlichen Interpretation der Dialektik führenden Überlegungen von M. Frank: Das individuelle Allgemeine, 102, „das Gefühl weiß sich unmittelbar als das, was es ist (sich selbst durchsichtige Tathandlung), aber in dieser Bestimmtheit des Sichwissens als ein Wesen, das nicht abermals Urheber dieser seiner Seinsweise ist." Gleichzeitig sieht Frank (116 u.ö.) den philosophischen Diskurs Schleiermachers aber noch von ganz bestimmten Fragestellungen im Rahmen der Geschichte der Ontotheologie geprägt, weshalb er in seiner Interpretation der Selbstbewußtseinstheorie
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Selbstbewußtsein ist nicht als Selbstvermittlung, sondern als durch anderes vermittelt und damit letztlich im Absoluten bedingt zu verstehen. Zum Schluß seiner Untersuchung wendet sich Reuter der Frage des Verhältnisses des religiösen Gefühls zum unmittelbaren Selbstbewußtsein zu. Den erwähnten Übergang von Denken in Wollen und umgekehrt hat Schleiermacher als Reihe betrachtet, weshalb das mit dem unmittelbaren Selbstbewußtsein identifizierte Gefühl die kontinuierliche Qualität des Begleitens erhält. Reuter sieht darin einen Übergang vom unmittelbaren Selbstbewußtsein zum begleitenden Selbstbewußtsein, womit „von der Einheit der Zeit nicht mehr als intensiver Einfachheit, sondern als extensiver Ganzheit" 175 - als Ganzheit des menschlichen Lebenszyklus -, zu sprechen sei. In der äußersten Extensität schlägt das im unmittelbaren Selbstbewußtsein präsente setzende Sein in ein Abhängigkeitsgefühl um. Wie Reuter feststellt: „das religiöse Abhängigkeitsgefühl meint die Erfahrung symbiotischer Einheit, ontogenetisch gesprochen die ideale Wiederkehr einer prä- oder perinatalen Realität"176. Wird auf diese Weise das religiöse Abhängigkeitsgefühl an die vielfältige Einheit der Welt gebunden, verbietet sich jedoch eine philosophische Bestimmung Gottes.177 Die Dialektik deckt so allenfalls „die sinnvolle Leerstelle auf, für die der religiöse Gottesname die einzig adäquate .Besetzung' ist"178. Indem die Dialektik insofern eine docta ignorantia des Absoluten darstellt, ist sie mit Reuter zugleich als eine Infragestellung der Selbstmacht neuzeitlicher Subjektivität zu verstehen.179 Obwohl Reuters Untersuchung der Dialektik überinterpretierende Momente enthält, zeichnet sie doch insgesamt auf überzeugende Weise den Gedankengang der Dialektik sowie Verweise in ihren philosophiegeschichtlichen Kontext nach. Der Versuch, den Wissensbegriff als produktiven Bezug auf einen unverfügbaren Grund und insofern verstehend aufzunehmen, spiegelt die von Schleiermacher gesehene Nähe von Wissen und Verstehen wider und setzt Akzente für das Verständnis der Dialektik. Schleiermachers nicht bis zu einem subjektlosen Selbstbewußtsein geht. H.-R.Reuter a.a.O., 233. 174 H.-R.Reuter a.a.O., 242. 177 DJ 432, Anm. : „Die Idee der Welt ist die Grenze unseres Denkens. Der transcendente Grund liegt außer dem Denken, und so haben wir an jenem Ausdrukk nur den Weg zum transcendenten Grunde." n « H.-R.Reuter a.a.O., 263. 179 Vgl. G.Scholtz: Philosophie Schleiermachers, 113. 175
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1.3.3 Dialektik des Daseins H.J. Rothert hat in der Dialektik Schleiermachers eine Aufforderung „zur anfanglosen, darin bedingungslosen, Annahme endlichen Daseins"180 gesehen, die als Aufgabe für einen dem Menschen angemessenen Wissensbegriff weiterhin ansteht. Wenn Schleiermacher in seinem Ansatz voraussetzt, daß menschliches Denken sich schon immer im Streit befindet, so soll damit weniger eine Definition als eine typisierte Erfahrung bezeichnet sein. In ähnlicher Weise, wie Descartes' methodischer Zweifel letztlich auf eine existentielle Vergewisserung des Zweifelnden baut, so will Schleiermacher im strittigen Denken auf eine „Übereinstimmung der Streitenden darin und darüber, daß sie streiten"181, zurückgehen. Damit die im Mangel des strittigen Wissens ansetzende Denkbewegung zu einer Überwindung des Streits führt, bedarf es eines Kriteriums des Denkens. Die dafür zu erzielende Verständigung über ein „Organon für das richtige Verfahren im zusammenhangenden Fortschreiten" schließt, wenn sie eine umfassende Basis menschlichen Wissens darstellen will, letztlich eine gemeinsame Vorstellung über die „Architektonik alles Wissens" (DJ 445) ein. Damit sind die Aufgaben der Dialektik bezeichnet. Nach Rothert besteht die Konsequenz und Leistung der Dialektik Schleiermachers nun darin, diese dem Streit vorausgehende Verständigung nicht als deduzierbare Voraussetzung vom Streit zu trennen, sondern sie in die Denkbewegung immer wieder einzubeziehen. Wenn trotzdem der Fakt des streitenden Denkens und der Wille zur Überwindung dieses Streits im Wissen vorausgesetzt werden, so sind damit keine inhaltlichen Grenzen oder Vorgaben der Reflexivität dialektischen Denkens bezeichnet. Dem entspricht die These Schleiermachers, daß es keinen Streit „um unser Gebiet", sondern nur „innerhalb unseres Gebietes" (DJ 588) des zum Wissen führenden Denkens gibt. Zugleich bedeutet das, daß uns keine mögliche Außenperspektive und kein fixierbarer Anfang des Denkens zugänglich ist.182 „Der Anfang des Denkens ist vielmehr das Denken selbst und d.h. das Denken als Wissenwollen."183 Allerdings legt Schleiermacher in diesen Ansatz zwei fundamentale Voraussetzungen, von denen er meint, vor jeder Reflexion ausge-
180 181 182 183
HJ.Rothert: Dialektik Schleiermachers [1970], 214. H.J.Rothert a.a.O., 190. Vgl. H.J.Rothert a.a.O., 194. H.J.Rothert a.a.O., 193.
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hen zu können: Sein Begriff des Wissens ist (a) auf die Gestalten von Begriff und Urteil begrenzt und geht (b) von der Zweiteilung der Wirklichkeit in Denken und Sein aus. Der von Schleiermacher gefundene Ort, an dem es konstitutiv zur Beziehung von Denken und Sein und zur Realisierung des Wissens kommt, ist das Selbstbewußtsein der Menschen, weshalb Rothert das Vorgehen Schleiermachers als eine auf Evidenz zielende Verständigung ansieht. „Weil der Mensch endlicher Mensch ist, muß und kann er nur diese dialektische, Streit regelnde, freie Kunstlehre des Denkens entwickeln; zu wählen im Sinne von Auswahl aus vorliegenden Möglichkeiten gibt es hier nichts."184 Daher macht Rothert es als Stärke der Dialektik Schleiermachers aus, daß sie sich auf den Denkenden und seine Geschichte bezieht. „Die Selbstbegründung der Dialektik ist ihr im Dasein und Sosein des Selbstbewußtseins bedingungslos vorgegeben. Sie ist damit selbst dialektisch."185 Allerdings zeichnet sich in dieser allgemeinen Aussage schon die Schwierigkeit der Differenzierung zwischen dem Selbstbewußtsein als Einheit von intellektueller und organischer Funktion und dem unmittelbaren Selbstbewußtsein als Identität von Denken und Wollen ab.186 Wie Rothert betont, verzichtet ein Denken, dessen Bestimmungen wesensmäßig nicht deduziert werden, auf weitergehende Absicherungen und bleibt insofern eine Zumutung. Um diese kritische Selbst-Besinnung des Bewußtseins auf sich selbst nicht abzubrechen oder zu verdecken, kann eine Relation zum transzendenten Grund nur als formale Bestimmung gedacht werden, wodurch ein vereinnahmender Zugriff auf diesen wie auf das Ganze der Welt von den Möglichkeiten des immanenten Denkens unterschieden wird. Zwar bleiben durch das Überzeugungsgefühl die Idee Gottes als transzendentaler Terminus a quo und die Idee der Welt transzendentaler Terminus ad quem aneinander und an das Denken gebunden (vgl. DJ 164 § 222). Aber: „Das Denken als streitendes Wissenwollen ist gleichsam eingespannt zwischen dem, was es nicht mehr wissen kann (eigentlich denken kann), 184
185 186
H.J. Rothert a.a.O., 199, Anm. 57. Die Polemik Rotherts gegen Fichtes „pathetische, dafür leere Behauptung: ,Was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was man für ein Mensch ist [...]' ist jedoch verfehlt, denn, so fährt Fichte: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, 1/4, 195, fort, „[...] ein philosophisches System ist nicht ein todter Hausrath, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat." H.J. Rothert a.a.O., 211. Vgl. F.Wagner: Schleiermachers Dialektik, 72, Anm. 24.
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und dem, was es noch nicht wissen kann (eigentlich denken kann), zu dem es aber ständig auf seinem streitbaren Gang unterwegs ist."187 Diese Begrenzung ist als kritische Selbstbegrenzung des Denkens notwendig, um die Redlichkeit allen Wissenwollens aufrecht zu erhalten. Insofern bleibt ein Denken des Ganzen als objektiv Seiendes oder Vorstellbares verwehrt, aber, darauf macht Rothert aufmerksam, Schleiermacher geht unreflektiert von Strukturen dieses Ganzen aus, mit deren Hilfe Wissen hin zum Ganzen konstruiert und kombiniert werden kann. „Vernunft und Seiendes waren ihm wesentlich konstruierbar, d.h. auf Konstruktion angelegt."188 Vernunft und Seiendes werden von Schleiermacher also in formalisierter und deshalb rationalisierbarer Struktur gedacht. Dieser präreflektive sichere Besitz einer einander entsprechenden Struktur von Vernunft und Seiendem stellt sich in der Dialektik Schleiermachers in der nicht begründbaren Voraussetzung dar, mit Hilfe von Begriff und Urteil alles wirkliche Wissen konstruieren zu können. Wissen wird zum begrifflichen und urteilenden Festgestellthaben. Schleiermacher hat das Denken unter der „Zumutung" geschichtlicher Existenz gesehen. Indem er zugunsten einer existentiellen Verankerung auf eine metaphysische Absicherung des Wahrheitsgehalts subjektiver Vernunft verzichtet, weist er „dem Menschen einen Ort verantwortlicher Einsamkeit"189 zu, aber er begrenzt diese Herausforderung, indem er sie wissenstheoretisch durch ein „Netz formaler Strukturen und schematischer Konstruktionen"190 auffängt. Mit Rothert ist jedoch zuzugestehen, daß diese Einwände nicht geschichtswidrig aus heutiger Perspektive zum Kriterium einer Schleiermacher-Bewertung gemacht werden dürfen. Es bleibt seine Leistung, mit seiner Dialektik eine Kunst-Lehre vorgelegt zu haben, deren kritisches Potential ein seiner Grenzen bewußtes Wissen eröffnet, auch wenn die in der ambivalenten Kehrseite der Kunst-Lehre sichtbar werdende Künstlichkeit in der Gefahr steht, das Denken von wirklicher Zeitlichkeit durch ein zeitloses Instrumentarium zu trennen.
187 188 189 190
H.J. Rothert H.J. Rothert H.J.Rothert H.J.Rothert
a.a.O., a.a.O., a.a.O., a.a.O.,
201. 212f. 202f. 213.
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1.3.4 Dialektik der InterSubjektivität F. Kaulbach sieht die Dialektik Schleiermachers als „eine vom Standpunkt der Praxis der Gesprächsführung aus entwickelte Theorie, in der Grundsätze für die kunstmäßige Gesprächsführung ,im Gebiet des reinen Denkens' gegeben werden"191. Dabei darf die Dialektik als Kunst, „methodisch Übereinstimmung herzustellen"192, nicht auf eine reine Technik verkürzt werden, da es Schleiermacher um mehr als die Einführung und Erklärung eines methodischen Instrumentariums geht. Erst wenn deutlich wird, wie eng Schleiermacher in seiner Dialektik Metaphysik und Wissenstheorie zusammen denkt, komme ihre Funktion als Elementarphilosophie bzw. als Wissenschaftslehre in den Blick. In einer so verstandenen Dialektik müssen formale und transzendentale Aussagen wechselseitig bedingt und interpretierbar sein. Schleiermacher fordert sogar, daß man sich während der Entfaltung formaler bzw. transzendentaler Sätze der Identität mit den jeweils anderen Sätzen bewußt sein müsse (DJ 37f. § 85). In der Grundbestimmung der Dialektik als „Darlegung der Grundsäze für die kunstmäßige Gesprächsführung im Gebiet des reinen Denkens" werden „zwei verschiedene und aus einander gehaltene Folgen von Denkthätigkeiten" (DJ 568f.) vorausgesetzt. Da diese Bestimmung nicht nur als methodische Deskription verstanden werden darf, erhält das Problem des Verhältnisses von Individualität und Allgemeingültigkeit der Vernunft in Schleiermachers Dialektik zentrale Bedeutung. Der diese Vermittlung leistende Ansatz Schleiermachers wird von Kaulbach als „Individualdialektik"193 charakterisiert. Mit dieser Charakterisierung soll betont werden, daß der Streit der Vernunft nur konkret und geschichtlich begrenzt ausgetragen werden kann. Allerdings ist mit Wagner anzufragen, ob diese Konkretion des Denkens allein durch eine Begegnung individueller Subjekte gesichert werden kann, ob also Schleiermachers Ansatz der Dialektik als Kunst der Gesprächsführung dadurch „nur positiv referiert" 194 werde. Deshalb bleibt zu fragen, wie Schleiermacher die implizite Abgrenzung gegenüber der bei Kant ausgemachten „Vernunftdialektik", nach Kaulbach ein Verfahren „des Experimentierens der Vernunft mit sich selbst"195, begründet. Wie auch 191 192 1,3 194 195
F. Kaulbach: Idee der Dialektik, 227. F.Kaulbach a.a.O., 227. Vgl. F.Kaulbach a.a.O., 233-238. F.Wagner: Schleiermachers Dialektik, 31, Anm. 21. F.Kaulbach a.a.O., 233.
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Kaulbach betont, hält Schleiermacher gegenüber einer transzendental begründeten Identitätsthese Schellings an der kritischen Sicht der Vernunft Kants fest. Nach Kaulbach geschieht die entscheidende Veränderung der Kantischen Konzeption durch Schleiermacher, wenn er das erkennende Subjekt in einer ununterbrochenen Gemeinschaft mit anderen Subjekten sieht. Indem das andere Subjekt „weder bloßer Gegenstand allein noch reiner kommunikativer Mitvollzug" 1,6 eigener Denkakte sein kann, erscheint das Subjekt in seiner Perspektivität als relevante Position. Zugleich erhält die Sprache ihre eigentliche Bedeutung. „Der Dialog ist eine Geschichte der sprechenden Subjekte, an dessen Anfang der Streit und an dessen Ende die Übereinkunft und zugleich das Wissen der im Gang der Geschichte Verbundenen steht."197 Die so von Schleiermacher gedachte Geschichte des Dialogs stellt die menschliche Subjektivität zwischen den Streit, der aus der empirischen Mannigfaltigkeit resultiert, und die Übereinkunft, die in der Allgemeingültigkeit der Vernunft gründet. Kaulbach geht mit dieser Interpretation nicht so weit wie Frank, der die Dialektik Schleiermachers mit der Konsenstheorie von Habermas gleichsetzt19® und dabei übersieht, daß Schleiermacher deutlich zwischen der Geltung und der Genese von Wahrheitsansprüchen unterscheidet. Träger dieses dialektisch in Gang zu setzenden Wissensfortschritts ist eine „Art transzendentales ,Wir"' 199 . Das Gemeinsame der „Mit-Subjekte"200 wird zum Allgemeinen des objektiv erkennenden Subjekts. Der gegen diese Betrachtungsweise der Dialektik erhobene Einwurf Wagners, daß Schleiermacher „vermittels der Intersubjektivität des Denkens die denkenden Subjekte gerade auf ihre Identität hin betrachtet"201, trifft nicht zu (vgl. DJ 48 § 98). Zwar hat Schleiermacher weniger die intersubjektiven, sondern subjektiven Konstitutionsbedingungen des Wissens betrachtet, aber der Text belegt, daß Schleiermacher in der Reflexion des Selbstbewußtseins nicht nur von einer Mehrzahl denkender Individuen ausgeht, sondern zugleich ihre existentielle und geschichtliche Unterschiedlichkeit voraussetzt. Im weiteren will Kaulbach einer Reduktion dieses dialektischen
" ' F . K a u l b a c h a.a.O., 244. 197 F.Kaulbach a.a.O., 245. Vgl. M.Frank: Das individuelle Allgemeine, 124ff. 199 F.Kaulbach a.a.O., 247. 200 F.Kaulbach a.a.O., 243. 201 F.Wagner: Schleiermachers Dialektik. 61, Anm. 7.
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Ansatzes auf einen rein sprachkritischen Ansatz widersprechen. Zwar erwartet Schleiermacher analog zu einem sprachkritischen Standpunkt anhand logischer Regeln des Vorangehens vom Nichtwissen zum Wissen eine Einigung auf identische Gehalte von Begriffen. Aber da dies in einem durch die Perspektiven der beteiligten Subjekte bestimmten Dialog geschieht, wird eine lineare Konstruktion des Begriffes durch die vom Widerspruch des Dialogpartners provozierten Perspektivwechsel gebrochen. In dieser Herausforderung, ständig den eigenen, geschichtlichen Stand einzubeziehen, wird deutlich, daß die subjektive Vernunft über einen logischen Konstruktivismus hinausgeht und ihre Perspektivität nicht eliminierbar ist. Das Ideal einer objektiven Sprache ist nach Kaulbach mit Schleiermacher aufzugeben. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Forderung, daß in die Bewegung des Denkens der Reflexionsstand, „den die Vernunft auf dem Wege ihrer Erfahrungen mit sich selbst gewonnen hat"202, einzubeziehen ist. Somit verlangt das dialektische Programm Schleiermachers, „daß jeder Wissensstand eines Subjekts zugleich auch immer die Geschichte der Bewegung einschließt"203. Wenn an dieser Geschichtsbezogenheit die bleibende Aktualität der Dialektik Schleiermachers festgemacht wird, so ist allerdings zu beachten, daß Kaulbachs Interpretation hier Ansätze Schleiermachers aufgreift, die von ihm eher angeregt als ausgeführt sind. 1.3.5 Dialektik als kommunikative Interaktion U. Kliebisch hebt als Schleiermachers erkenntnistheoretische Leistung hervor, daß er die Möglichkeit des Wissens sinnvoll begrenzt, indem er die Idee der Gottheit und die Idee der Welt als Grenzbegriffe ausschließt. Aus dieser negativen Bestimmung habe Schleiermacher „die einzig sinnvolle Konsequenz" gezogen, wenn er das „tätige Leben selbst" 204 als das Spannungsfeld zwischen Gott und Welt zum Ort der Dialektik mache. Kliebisch macht entgegen der Meinung Wagners und über Reuter hinausgehend eine enge Beziehung zwischen Dialektik und Dialogik aus, wobei er den Gesprächsbegriff bei Schleiermacher in einer fundamentalontologischen Dimension sieht. Dadurch soll auf der einen Seite die Dialektik nicht auf eine simple Gesprächsführung reduziert 202 203 204
F.Kaulbach a.a.O., 257. F.Kaulbach a.a.O., 257. U. Kliebisch, Transzendentalphilosophie als Kommunikationstheorie [1980], 103.
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werden. Auf der anderen Seite soll das Gespräch nicht dem Streit nachgeordnet werden, denn jede Zweideutigkeit eines Gedankens ist schon kommunikativ vermittelt. Kliebisch geht dabei von einem weit gefaßten Gesprächsbegriff bei Schleiermacher aus, zu dem jede Art der Kommunikation, von „der mündlichen Verhandlung" bis zum „literarischefn] Verkehr" (DO 52f.) zwischen Autor und Leser, gehört. Davon ausgehend kommt Kliebisch zu der These, „wonach Schleiermacher durch den Rekurs auf die Kommunikation als das Verbindliche der dialektischen Denkbewegung so etwas wie eine kommunikative Dialektik entwirft"205. Das in der kommunikativen Dialektik angestrebte Wissen ist, da es in der Sprache erscheint und im Gespräch seinen Ausgang nimmt, auf den hermeneutischen Prozeß angewiesen. Hier nimmt Kliebisch die These Odebrechts auf, daß die Dialektik als Kunst der Gesprächsführung ihren „ Gegenpol"206 in der Hermeneutik als Kunst des Verstehens hat. Diese wechselseitige Durchdringung von Dialektik und Hermeneutik ermöglicht es nach Kliebisch, daß in der kommunikativen Interaktion das gesuchte Wissen einsichtig wird. Zugleich wird die Hermeneutik als technische Disziplin nicht auf eine rein technisch-methodisches Verfahren reduziert gesehen.207 Den entscheidenden Schritt in seiner Interpretation der Dialektik Schleiermachers vollzieht Kliebisch, wenn er das Gespräch als nicht hintergehbaren Ausgangspunkt der Dialektik auffaßt und es mit der „Faktizität interaktiver Kommunikation in einer realen Kommunikationsgesellschaft"208 gleichsetzt. Dieses Unbedingte der Kommunikation sieht Kliebisch als den gemeinsamen Ausgangspunkt der Ansätze Schleiermachers und K.O. Apels an. Die These Apels besteht darin, daß jeder kommunikativen Interaktion in der Subjekt-Objekt-Dimension 205 204
207
m
U.Kliebisch a.a.O., 117. R.Odebrecht: DO, Einleitung [1942], XXIII. Vgl. H.Kimmerle: Schleiermachers Dialektik, 44. Entgegen F. Wagner: Schleiermachers Dialektik, 30, Anm. 15. Vgl. DJ 260f. § 303, Anm. (1818): „Wie nun die Auslegungskunst und die Uebertragungskunst auch wieder abhängig sind vom kunstgemäßen dialektischen Verfahren, ist für sich klar. Es ist vollkommene Wechselwirkung zwischen beidem, die aber nicht unfruchtbare Kreisbewegung ist, sondern die sich immer mehr entwikkelnde und durchsichtig werdende Klarheit im Denken selbst. Die Sprache ist nur durch das Denken, und umgekehrt; beide können sich also nur durch einander vervollkommnen. Auslegungs- und Übertragungskunst ist Auflösung der Sprache in Denken; Dialektik ist solche Auflösung des Denkens in Sprache, daß vollständige Verständigung dabei ist, indem man dabei immer die höchste Vollkommenheit, die Idee des Wissens im Auge hat. Daraus ist klar, daß beide nur mit einander werden." Vgl. U.Kliebisch a.a.O., 136.
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eine Verständigung in der Subjekt-Subjekt-Dimension vorausgeht und deshalb erkenntnistheoretisch von einer transzendentalen Bedeutung der Sprache und der Sprachgemeinschaft auszugehen ist.209 Unter diese transzendentalpragmatische Voraussetzung fällt nach Apel auch die Frage nach der philosophischen Letztbegründung, die nur innerhalb der Sprachgemeinschaft gestellt werden kann, und deren an die Sprache gebundene Antwort im Vollzug die Voraussetzung bestätigt. Kliebisch versucht nun über weite Strecken nachzuweisen, daß Apels transzendentalpragmatischer Ansatz eine aktuelle Parallele zu Schleiermachers Dialektik-Konzeption darstellt. Schleiermachers Frage nach dem transzendentalen Grund interpretiert Kliebisch als die Frage nach dem Sinn der Kommunikation. 210 Die Suche der Kommunikationspartner nach einem gemeinsamen Wissen sei von einem unterstellten und zugleich erfahrenen Sinn getragen. Das bei Schleiermacher im transzendentalen Grund gefundene „Urwissen ist das geglaubte Prinzip alles Wissens, welchem sich der immanente Sinn dialektischer Kommunikation verdankt"211. Dieses Urwissen liegt bei Schleiermacher ebenso außerhalb des strittigen Gebiets wie der Sinn der kommunikativen Interaktion nach Apel nicht durch die Kommunikation einholbar ist. Da diese „irrational vermittelte Rationalität"212 weder durch begriffliches und urteilendes Denken noch durch Wollen einsichtig gemacht werden kann, erfolge die terminologische Präzisierung des transzendentalen Grundes bei Schleiermacher außerhalb der rationalen Argumentation auf dem Gebiet des Glaubens und des Gefühls. Die Idee der Welt mit den in ihr eingeschlossenen Gegensätzen erhält nach Kliebisch in der Konzeption Schleiermachers jenen Status, den die ideale Kommunikationsgemeinschaft in der Erkenntnistheorie Apels inne hat. Die von Schleiermacher davon abgehobene Idee Gottes, die Kliebisch auf sprachlicher Meta-Meta-Ebene sieht, gehe allerdings über die Erkenntnistheorie Apels hinaus und beantworte die von Apel offen gelassene Frage nach dem Woher des Sinns der Welt. Bei all diesen Interpretationen räumt Kliebisch ein, über das zu Interpretierende hinauszugreifen, in einem neuen Frage- und Antworthorizont „am Ende den Autor besser zu verstehen, als dieser sich selbst
209 210 211 212
Vgl. K.-O. Apel: Transformation der Philosophie, I [1976], 27. Vgl. U.Kliebisch a.a.O., 141f. U.Kliebisch a.a.O., 142. U. Kliebisch a.a.O., 230, wobei im Kontext von Kliebisch besser von sprechen wäre.
arational zu
Interpretationen der Dialektik
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verstanden hat"213. Allerdings bleibt zu fragen, ob mit solchen Behauptungen wie dem „.symmetrischen Apriori' von Kommunikation und Dialektik" 214 die Intention des Autors noch getroffen wird. Man kann bei Schleiermacher zwar von einer vorgängigen Einigkeit über die Strittigkeit des Denkens und über die Einheit des Wissens sprechen, aber nicht davon, daß diese Einigkeit aus der vorgängigen Vermittlung einer intersubjektiven Verständigung stammt. Die Dialektik im ganzen kann nur bedingt als der Versuch einer Subjekt-Subjekt-Verständigung angesehen werden, die sich - da als anfangslos vorgestellt - in die allgemeine Verständigung einordnet, denn Schleiermachers Ansatz, im transzendentalen Grund die Einheit des Denkens und des Seins präsent sein zu lassen, entzieht sich gerade als deren Voraussetzung der erst zu realisierenden Einsicht kommunikativer Interaktion. Daher kann die Kommunikationsgemeinschaft der Menschen nicht selbst in der Funktion einer Letztbegründung gesehen werden.215 Der von Schleiermacher gebrauchte Terminus des Setzens kann deshalb von Kliebisch nicht ohne Verfremdung in den Bereich des Glaubens, eines irrationalen Vorverständnisses transformiert werden. Es fällt auf, daß Kliebisch sich bei der Ableitung der Parallele zwischen Schleiermacher und Apel hauptsächlich auf eine begrenzte Textgrundlage, die 1833 geschriebene Einleitung zur Dialektik, stützt. Hier wird allerdings die Realität der Sprache in ihrer Differenz zum Denken betonter reflektiert, als in anderen Texten der Dialektik, wo die Momente sprachlicher Vermittlung gegenüber dem reinen Denken und einem umfassenderen Begriff von Vermittlung weit zurücktreten. Auch überliest Kliebisch die Bemerkung Schleiermachers in der Einleitung, daß gegenüber der im reinen Denken gestellten Frage nach dem Grund des Wissens „die Schlichtung des Streites [... und] die dialektisch bewirkte Übereinstimmung [...] eine untergeordnete Wahrheit" (DJ 600) hat. Die von Kliebisch vorgelegte Interpretation der Dialektik, die sich mehrfach auf die Arbeit von Kaulbach bezieht, ist deshalb insgesamt als eine Aufnahme von Ansätzen der Dialektik und eine davon ausgehende Weiterentwicklung in existentieller und kommunikationstheoretischer Richtung anzusehen. 213
214 11S
U. Kliebisch a.a.O., 125, Anm. 119, mit Anspielung auf die von F. Schleiermacher: Hermeneutik, 87, formulierte Aufgabe der Hermeneutik, „die Rede zuerst eben so gut und dann besser zu verstehen als ihr Urheber". Was nach R. Rieger: Interpretation und Wissen [1988], 307, nicht Ausdruck historischer Überheblichkeit ist, sondern „das Interesse am Bewußtsein des Autors als Ziel des Verstehens" abwehrt. U. Kliebisch a.a.O., 111 u.ö. Vgl. G. Sauter: Der Wissenschaftsbegriff der Theologie [1975], 300.
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1.4 Dialektik des Wissens Nach diesen dargestellten Interpretationen und Versuchen der Weiterführung der Dialektik Schleiermachers stellt sich die Frage nach der Berechtigung dieser Bezugnahmen. Daher werden im folgenden Kapitel die verschiedenen Implikationen des Wissensbegriffs Schleiermachers selbst thematisiert. Damit wird zugleich die zentrale Problematik der Dialektik aufgegriffen. Das Ziel der Dialektik Schleiermachers besteht darin, zu begründen, was unter Wissen zu verstehen und inwieweit sicheres Wissen möglich ist. Zusammen mit dieser wissenstheoretischen Fragestellung soll zugleich die Grundlage und die Gestalt des Systems der Wissenschaften bestimmt werden. Wie Schleiermacher es sieht, hat die Dialektik mit dieser Aufgabenstellung das existentielle und philosophische Einheitsbedürfnis mit der durch Spezialisierung und Akkumulation immer deutlicher hervortretenden Vielfalt des Wissens zu verbinden. Zugleich steht die Dialektik mit dieser sich anbahnenden wissenschaftstheoretischen Fragestellung als „Vermittlungsversuch zwischen Vielheit und Einheit - philosophisch ausgedrückt: zwischen idealistischer Bewußtseinsphilosophie und Erfahrungswissenschaften [.. ,]"216. In diesem Zusammenhang wird die in der Forschung umstrittene Frage nach dem Verständnis und der Funktion der Empirie erneut zu stellen sein. Neben einer nötigen Klärung, von welchem Empiriebegriff Schleiermacher ausgeht, wird zu betrachten sein, inwiefern aus der Beschreibung formaler Komplementarität von Spekulation und Empirie eine methodisch umsetzbare Funktion der Erfahrung ableitbar sein kann. Die Darstellung des Forschungsstandes hat gezeigt, daß für die Bewertung der von Schleiermacher gegebenen Antwort sein Verständnis der Dialektik als Kunstlehre nicht ohne Bedeutung ist.217 Mit Recht stellte deshalb R. Wiehl 1979 fest: „Wenn die Dialektik also Grundlage von etwas ist, dann eben in der Weise einer Kunstlehre und nicht in der Form eines letzten und ursprünglichen Wissens."218 Mit der Bestimmung der Dialektik als Kunstlehre macht Schleiermacher zugleich 216 217
218
K.C.Köhnke: Neukantianismus, 45. Vgl. J.L.Eckenrode: Schleiermacher's philosophical Agenda in the Dialectic [1992], 414f. : „In effect, the transcendent idea of God would be claimed to be similar to the notion of idea (Idee) that Schleiermacher viewed as a necessary condition of art. [ . . . ] That dialectic is a theory of art helps connect a number of the many critical and theoretical gambits made in the Dialektik." R.Wiehl: Schleiermachers Hermeneutik, 47.
Dialektik des Wissens
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deutlich, daß die Begründungsfrage nicht unabhängig von der Methodenfrage ist. Dieser doppelten Fragestellung entsprechend ist bei der Betrachtung der Dialektik zwischen einem höchsten Wissen, an dem der Mensch auf eine nicht verfügende Weise Anteil hat, und einem untergeordneten, produzierbar vorzustellenden Wissen zu unterscheiden. Während ein Verstehen der Idee des höchsten Wissens sich auf Voraussetzungen einer formalen Bestimmung des Wissens beschränken muß, geht es in der Methodenfrage des realen Wissens um dessen formale und inhaltliche Kriterien. Das Verhältnis dieser beiden Bestimmungen wird ausführlicher zu untersuchen sein. Offensichtlich geht Schleiermacher in der Dialektik von einer strukturellen Gleichheit aller wissenschaftlichen Erkenntnis aus. Bereits 1803, in den »Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre«, hatte Schleiermacher gesehen, daß mit der Gestalt von Wissen bereits über die Möglichkeiten seines Gehalts entschieden ist.219 Diese für die Feststellung der Wissenschaftlichkeit grundlegende Annahme wird dahingehend zu befragen sein, welche Konsequenzen dies für die verschiedenen Bereiche und Funktionen des Wissens hat. Insofern muß in diesem Zusammenhang auch gefragt werden, ob mit der Bestimmung des im unmittelbaren Selbstbewußtsein präsenten transzendentalen Grundes über seine Funktion innerhalb der formalen Absicherung des Wissensbegriffs hinausgehende weitere Implikationen intendiert sind. Weiter gehört zu dieser Frage die zu erörternde Verhältnisbestimmung von Dialektik und Hermeneutik einerseits und andererseits von Dialektik und Ethik. Die Frage nach sicherer Erkenntnis ist insofern mit der ethischen Fragestellung verbunden, indem große Abschnitte der ethischen Abhandlungen Schleiermachers sich mit wissenstheoretischen Problemen befassen. 220 Die Untersuchung der Dialektik hinsichtlich ihres Wissensbegriffs wird schließlich der Vorbereitung des Vergleichs der formalen und inhaltlichen Bestimmungen des Wissensbegriffs mit wissenstheoretischen Implikationen anderer, vor allem theologischer Texte dienen. 219 220
Vgl. F.Schleiernlacher: Grundlinien, 9, 252. Vgl. die Verhältnisbestimmung von Dialektik und Ethik bei E.Herms: Die Ethik des Wissens beim späten Schleiermacher, 493, Anm. 122, wo von der These ausgegangen wird, „daß nämlich die Konstitution der Idee von möglichem Wissen mit allen ihren Implikationen und Ableitungsmöglichkeiten selbst in die Ethik fallendes Thema sein soll." Herms Interpretation läuft darauf hinaus, die Ethik in doppelter Funktion zu sehen: als besondere Wissenschaft, die unter der Idee des Wissens begriffen ist und als höchste Wissenschaft, deren Gegenstand die Idee des möglichen Wissens selbst ist und die sich demzufolge aus sich selbst begreift.
2 Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers Schleiermachers philosophische Position tritt mit seinen Vorlesungen zur Dialektik ab 1811 explizit hervor. Wie sich jedoch gezeigt hat, reichen die Ansätze seiner Konzeption bis zu seinen früheren philosophischen Studien und ersten literarischen Versuchen zurück. Innerhalb der vielfältigen Einflüsse wird von der Forschung neben den Auseinandersetzungen mit Spinoza, Jacobi und F. Schlegel vor allem auf die Beschäftigung mit Kant1 verwiesen, die bei Schleiermacher zu einer von Distanz begleiteten Annäherung an Schelling führte. Um den Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers in seinem Kontext und in seiner Eigenständigkeit herauszuarbeiten, erscheint es daher als sinnvoll, diesbezügliche Positionen Kants und Schellings2 zu beschreiben. Dies soll eine Folie darstellen, auf der sich die für Schleiermachers Wissensbegriff spezifischen Charakteristika und Verschiebungen abzeichnen.
2.1 Erkenntnis bei Kant Kant war in seiner Philosophie von der Vorstellung ausgegangen, diese nach dem Modell der Mathematik als rein apriorische Erkenntnis aufstellen zu können und damit ihre Aussagen anhand systematisch dedu1
2
Vgl. G.Meckenstock: Deterministische Ethik und kritische Theologie [1988], bes. 2528, der in seiner Untersuchung zu den Jugendschriften Schleiermachers dessen intensive Beschäftigung mit Kant darstellt. Allerdings betont Meckenstock, daß Schleiermacher, der „die Grundeinsicht und das Grundanliegen der Transzendentalphilosophie [sc. Kants] bejahte", dies in einer „dominanten ethischen Erörterung" (15) aufnimmt. Er kritisiert damit die idealtypische Darstellung der Entwicklung des Wissenschaftssystems Schleiermachers von E. Herms: Herkunft, der seiner Meinung nach darin der erkenntnistheoretischen Fragestellung bei Schleiermacher zu viel Bedeutung beimißt, wobei jedoch zu bedenken ist, daß Schleiermachers späterer Ethikbegriff ebenso eine wissenstheoretische Dimension aufweist, wie insbesondere die enge Verbindung von Dialektik und Ethik anzeigt, vgl. S. 124f. Bezug genommen wird vor allem auf Schellings „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" [1802], die H.Süskind: Einfluss Schellings, 93, im Hinblick auf Schleiermacher als „die einflussreichste von allen Schriften Schellings" bezeichnet.
Erkenntnis bei Kant
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zierter Voraussetzungen zu kritisieren. Seine Analyse des Erkenntnisvermögens der Vernunft wird so zum Einsatz einer Philosophie, die sich zunächst ihrer eigenen Mittel versichern und den Gebrauch ihres Instrumentariums auf einen sinnvollen Bereich eingrenzen muß. 3 Da in diese Kritik der reinen Vernunft das Problem des Grundes jeder möglichen Erkenntnis einbezogen werden muß, zielt die Betrachtung auf die erkenntnistheoretische Ausgangsfrage: „ Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich ? " (KrV Β 22). Im weitesten Sinne ist der Erkenntnisbegriff bei Kant eine in ihren methodischen Voraussetzungen reflektierte und insofern rational gesicherte Form von Erkenntnis. 4 Intuitive Erkenntnisweisen scheiden im Rahmen der Wissenschaft aus. 5 Eine Unmittelbarkeit von Erkenntnis nach dem jeweiligen in der Wahrnehmung gegebenen Besonderen, wie sie in der Konsequenz des Empirismus angelegt ist, ist daher auszuschließen. Ebenso ist aber auch der Rationalismus als Möglichkeit unmittelbaren Erkennens aus dem Allgemeinen abzulehnen. Kants Kritizismus ist als der Versuch zu werten, einen Erkenntnisbegriff zwischen diesen Einseitigkeiten von Empirismus und Rationalismus zu etablieren. Daher negiert er auf der einen Seite die Möglichkeit einer rein empirischen Bildung von Verstandesbegriffen aus der Erfahrung mit dem Verweis auf notwendige Bedingungen dieser Möglichkeit. Denn jede wirkliche Erfahrung steht unter der Bedingung des Gegebenseins der Wirklichkeit als Erscheinung, und damit unter den vom Verstand vorgegebenen Erscheinungsformen und Begriffen. Die Wirklichkeit erscheint bedingt durch den Verstand. Aber auch dessen Aussagen können nicht unmittelbar evident sein, denn auf der anderen Seite muß zur Möglichkeit von Erfahrung die Empfindung von etwas hinzutreten, um als wirkliche Erfahrung zum Gegenstand der Erkenntnis werden zu können. In der Realisierung der Rationalität des Verstandes erscheint dieser als verursacht durch ein anderes. Diese Bedingung der Erkenntnis kann nicht aufgelöst werden, da das andere in seinem An-sich-sein 3
Vgl. I. Kant: KrV A 11, Β 25: „so können wir eine Wissenschaft der bloßen Beurteilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen, als die Propädeutik zum System der reinen Vernunft ansehen." 4 1 . Kant: KU § 77, reflektiert zwar die Möglichkeit eines intuitiven Verstandes, „welcher nicht vom Allgemeinen zum Besonderen und so zum Einzelnen (durch Begriffe) geht" (KU 347), stellt dem aber die Beschaffenheit „unseres diskursiven, der Bilder bedürftigen Verstandes" (KU 350) gegenüber. s Vgl. I. Kant: KrV A 68, Β 93: „Also ist die Erkenntnis eines jeden, wenigstens des menschlichen, Verstandes eine Erkenntnis durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern diskursiv. "
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nicht selbst Gegenstand des Verstandes werden kann. Die Wirklichkeit kann nicht als solche in Verstandesbegriffen erfaßt werden. Damit transformiert Kant den Gegensatz zwischen Empirismus und Rationalismus zu einem wechselseitigen Bedingungsgefüge. Entsprechend seiner Grundeinteilung der Urteile in erfahrungsunabhängige, a priori, und erfahrungsbezogene, a posteriori, und ausgehend von der Bewertung, daß letztere in ihrer Kontingenz keine unbeschränkte Allgemeinheit erlauben, schränkt Kant den Ausgangspunkt der Untersuchung der Kritik der reinen Vernunft, die Frage nach der Möglichkeit gesicherter Erkenntnis, auf Begriffe a priori und die von ihnen repräsentierten Erscheinungsformen ein. Kant setzt voraus, daß das Mannigfaltige der Erscheinung zu einer im Gemüt a priori vorgegebenen Form in Beziehung stehen kann (vgl. KrV A 20, Β 34). Um in reiner Anschauung die Prinzipien der Erkenntnis a priori zu erhalten, müssen die Vorstellungen sowohl von den Begriffen des Verstandes wie von den Empfindungen abstrahiert werden. Das einzige, „das die Sinnlichkeit a priori liefern kann", ist die verbleibende „bloße Form der Erscheinungen" (KrV A 22, Β 36). Deren Untersuchung ist Gegenstand der transzendentalen Ästhetik unter der Voraussetzung völliger Abstraktion vom empirischen Gehalt der Anschauung. Allein die Weise der im Bewußtsein zum Objekt werdenden Phänomenalität wird problematisiert. Die Frage nach der Beziehung zwischen der Erscheinung und deren Verursachung bleibt ausgeklammert. 6 Lediglich die bedingte Erscheinung des Seins wird zum Gegenstand der Erkenntnis. Die Frage nach dem Unbedingten, die mit dem Grenzbegriff des Dinges an sich angezeigt wird, entzieht sich einer begrifflich erfaßbaren Beantwortung; denn diese bleibt auf Gegenstände möglicher Anschauung beschränkt. Von zwei Seiten nähert sich Kant trotzdem der Problematik letzter Bedingungen von Erkenntnis. Kant setzt voraus, daß wir die Gegenstände der Erfahrung „auch als Dinge an sich selbst, wenn gleich nicht erkennen, doch wenigstens müssen denken können. Denn sonst würde der ungereimte Satz daraus folgen, daß Erscheinung ohne etwas wäre, was da erscheint" (KrV Β XXVIf.). Dieses Etwas, worauf Erscheinungen bezogen gedacht werden müssen, nennt Kant ein transzendentales Objekt (vgl. KrV A 288f.,
6
Damit ist zugleich die Apösteriorität des Empirischen im Ansatz der Kritik der reinen Vernunft gesetzt. Vgl. S.Brysz: Das Ding an sich und die empirische Anschauung in Kants Philosophie
[1913], 42.
Erkenntnis bei Kant
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Β 344f.).7 Der „gänzlich unbestimmte Gedanke von etwas überhaupt" (KrV A 253), der zunächst nur aus der für jedes Phänomen vorausgesetzten Verursachung resultiert, wird in der transzendentalen Analytik jedoch weiter bestimmt „als ein Correlatum der Einheit der Apperzeption zur Einheit des Mannigfaltigen in der sinnlichen Anschauung" (KrV A 250). Die Relation des transzendentalen Objekts sowohl zur Einheit der Apperzeption als auch zur Einheit des empirischen Mannigfaltigen gibt ihm eine überbrückende Funktion zwischen der Einheit allen Bewußtseins und der Affinität aller Erscheinung. Der von jeder sinnlichen Anschauung abstrahierte Grenzbegriff unbestimmbarer Verursachung von Erscheinung 8 wird mit dem Grund des einheitlichen Zusammenhanges der Erscheinungswelt in Beziehung gesetzt. In ähnlicher Weise bestimmt Kant die Leistung der transzendentalen Funktion der Einbildungkraft. Der Bezug aller Vorstellungen auf ein Selbstbewußtsein bringt das Mannigfaltige der Anschauung unter eine notwendig vorauszusetzende Einheit, deren Grund in der Identität der Apperzeption selbst liegt (Vgl. KrV Β 134). „Die Einheit der Apperzeption aber ist der transzendentale Grund der notwendigen Gesetzmäßigkeit aller Erscheinungen in einer Erfahrung" (KrV A 127), sagt Kant. Die Einheit der reinen Apperzeption als oberstes Prinzip in der Erkenntnistheorie Kants bezeichnet die allgemeine Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung. Vor diesem allgemeinen Hintergrund werden durch das Verfahren der Einbildungskraft Begriffe und (sinnliche) Bilder aufeinander bezogen (vgl. KrV A 140, Β 180). Dieses „transzendentale Sche7
8
Der Begriff des transzendentalen Gegenstandes bzw. des transzendentalen Objekts ist bei Kant nicht im erkenntnistheoretischen Sinne festgelegt, oft ist er deckungsgleich mit den Ausdrücken Ding an sich oder Noumenon, die allerdings eher auf die Restriktion der Erkenntnis als auf eine die Empfindung überschreitende Verursachung der Erscheinung hinweisen. Vgl. W.Halbfass: Objekt, transzendentales, HWP 6, 1053. Vgl. K.Jaspers: Die großen Philosophen [1959], 445: „Dem Noumenon kommen nicht zu: sinnliche Qualität, Raum und Zeit, nicht Kategorien. Daher ist der Gedanke von ihm kein erkennender Gedanke. Sein Inhalt ist gegenständlich nichts. Aber dieses Nichts figuriert doch als Etwas." Vgl. K. Jaspers, a.a.O., 445: „.Ursache' ist eine Kategorie, gilt also nur für Erscheinungen. Das ,Ding an sich' kann daher nicht Ursache sein. Kant aber nennt es Ursache der Erscheinungen und widerspricht damit sich selbst." Dabei verschiebt Jaspers jedoch die transzendentale und unbestimmbare Voraussetzung einer Verursachung, die Wahrnehmung überhaupt ermöglicht, zum Begriff einer realen Ursache. Vgl. D.Henrich: Die Identität des Subjekts in der transzendentalen Deduktion, 65: „Dies Etwas ist nicht etwa als die Ursache aufzufassen, die einer in der Wahrnehmung synthetisierten Mannigfaltigkeit von Sinnesdaten zugrundeliegt. Es ist die Wahrnehmungsgegebenheit selbst, [...]".
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ma" (KrV A 138, Β 177) ist zugleich intellektuell und sinnlich und realisiert die ermöglichte „formale Erkenntnis aller Gegenstände a priori" (KrV A 129f.). Auf diese Weise wird der Zusammenhang zwischen den äußersten Enden von Erkenntnis, von Sinnlichkeit und Verstand, transzendental behauptet. Die Behauptung dieses Zusammenhanges fungiert zwar als notwendige Voraussetzung jeglichen Erkennens. Zugleich mit der rationalen Notwendigkeit erscheint der Grund dieser Annahme aber als subjektive Setzung. Die Möglichkeit dieser Voraussetzung ergibt sich für Kant, indem er das erkenntnistheoretische Subjekt nicht zu einem theoretischen Punkt verkürzt, aus dem heraus in der transzendentalen Reflexion Realität und deren Erkenntnis konstruiert werden. Kant sieht vielmehr das seiner Existenz gewisse Ich denke in unlösbarer Verbundenheit mit den von ihm bestimmten Außenweltdingen, d.h. „das Bewußtsein meines eigenen Daseins ist zugleich ein unmittelbares Bewußtsein des Daseins anderer Dinge außer mir" (KrV Β 276).9 Die Möglichkeit von Erkenntnisaussagen, die Kant darin sieht, daß die subjektiven Bedingungen der Erkenntnis zugleich die objektiven Bedingungen der Erscheinung der Gegenstände sind, gründet damit letztlich in einem mit dem unmittelbaren Realitätsbewußtsein gegebenen Zusammenhang, der auf der Ebene des Verstandes als ein notwendig anzunehmendes Postulat erscheint (vgl. KrV A 158, Β 197; vgl. DJ 52f. §§ lOOf.). Mit der reinen Apperzeption wird hier das Prinzip formuliert, auf das sich die in wissenschaftlichen Erklärungen behauptete objektive Gültigkeit bezieht. Die damit korrespondierende Affinität der Dinge als Grund aller Assoziationen von Erscheinungen, der vor jeder Erfahrung vorauszusetzen und nach Kant insofern objektiv ist, treffen wir zwar aufgrund der Einheit der Apperzeption in allen Erscheinungen an.10 Worin aber die vorauszusetzende Möglichkeit der erscheinenden Wirklichkeit gründet, sich entsprechend der gleichen Gesetze zu formen, zu bewegen und als Einheit aufgefaßt zu werden, muß - wenn die Frage überhaupt sinnvoll gestellt werden kann - unbestimmt bleiben. Wenn Kant den Verstand zum Gesetzgeber der Erscheinungen in ihren Formen und in ihrer Einheit er-
9 10
Vgl. F.Kaulbach: Philosophie als Wissenschaft, 146. Vgl. W.Röd: Dialektische Philosophie der Neuzeit, 44: „Die Einheit der Erfahrungsgegenstände bzw. der Erfahrungswirklichkeit im allgemeinen ist objektive Einheit, d.h. sie ist auf einen denkunabhängigen Grund zu beziehen, von dem wir wie vom Ich annehmen müssen, daß er ist, ohne je wissen zu können, was er sei."
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klärt, 11 ginge dies in einer subjektiven Geschlossenheit nur auf, wenn nicht mit dem Ding an sich ein Überschuß benannt wäre, der außerhalb der Reflexionsleistung der transzendentalen Einbildungskraft bleibt. Das Objekt der Erfahrung ist als Erscheinung vom Subjekt abhängig und zugleich von ihm verschieden. 12 Damit bleibt für Kant das wechselseitige Bedingungsgefüge zwischen den Erscheinungen in ihrer Mannigfaltigkeit und der Einheit der Verstandeserkenntnis an seinen Enden offen, was einerseits im nicht begrifflich erfaßbaren Ding an sich und andererseits in der zwar notwendigen, aber nur setzbaren Apriorität der reinen Verstandesbegriffe angezeigt wird. Genau diese Frage aber nach der Weise der Präsenz transzendentaler Voraussetzungen wird Schleiermacher in seinen wissenstheoretischen Überlegungen aufgreifen. Für Kant ist dagegen die Möglichkeit gesicherter empirischer Erkenntnis auf den Raum zwischen diesen beiden Polen beschränkt. Der transzendentale Gegenstand und die transzendentale Funktion der Einbildungskraft umschließen in der Philosophie Kants den Raum möglicher Erkenntnis und bestimmen zugleich dessen Struktur. Zunächst sind diese Grenzen der Erkenntnis aneinander gebunden wie Verstand und Sinnlichkeit im Erkenntnisvorgang. 13 Eine Trennung beider Seiten würde anschauungslose Begriffe oder nicht begriffliche Anschauungen, auf jeden Fall gegenstandslose Vorstellungen hervorbringen (vgl. KrV A 258, Β 314). Nur „wo den Begriffen Anschauung entspricht", kann „unsere Erkenntnis objektive Realität haben" (KrV A 279, Β 335). Die Verbindung von Verstand und Sinnlichkeit geschieht durch Urteilen. Erkenntnis erfolgt demzufolge grundsätzlich in Form eines Urteils. 14 Die in der Sinnlichkeit gegebenen Wahrnehmungen können allerdings nicht direkt durch Urteile miteinander in Beziehung gesetzt werden. Daher führt Kant die Unterscheidung von Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen ein. Erst in der Begriffsbildung, in der zur Rezeptivität die Spontaneität des Denkens hinzutritt, 11
12
13
14
Vgl. I.Kant: KrV A 127: „der Verstand ist selbst der Quell der Gesetze der Natur, und mithin der formalen Einheit der Natur, [...]". Vgl. T.W.Adorno: Philosophische Terminologie, II [1973], 138: „Wenn man nicht ein Etwas voraussetzt, das dem Subjekt oder der Erkenntnis gegenüber ein Anderes ist, verwandelt die Erkenntnis sich in nichts anderes als eine einzige Tautologie." Vgl. I. Kant: KrV A 258, Β 314: „Verstand und Sinnlichkeit können bei uns nur in Verbindung Gegenstände bestimmen. " Vgl. I.Kant: KrV A 69, Β 94: „Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen, [...]". Vgl. T.Nenon: Objektivität und endliche Erkenntnis [19861, 187ff.
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erhalten die vereinzelt wahrgenommenen Empfindungen jenen Grad an Allgemeinheit, der sie in beurteilbare Vergleichbarkeit überführt. Damit verlieren die Empfindungen ihre Beziehungs- und Unterschiedslosigkeit. Die Vielzahl von Merkmalen und ihre Affinität, die in Begriffen erfaßt wird, erlauben es, diese urteilend aufeinander zu beziehen. Das Korrespondierende dieser synthetischen Urteile a posteriori sind mögliche Verhältnisse der Wahrnehmungen, in denen bestimmte Verhältnisse der Erscheinungen erschlossen werden. Insofern ist der These T. Nenons zuzustimmen, daß sich das Problem der Wahrheit des Wissens bei Kant „innerhalb der Transzendentalphilosophie von der Frage nach der Übereinstimmung zwischen Erkenntnis und dem von ihr vollkommen unabhängigen transzendenten Gegenstand in die Frage der Übereinstimmung von Denken und Anschauung verwandelt"15. Die Gültigkeit der Begriffe, wie die Wahrheitsrelevanz der Urteile, wird durch die für sie nicht hinterfragbare Form der Anschauung auf den einzigen, dem Subjekt möglichen Zugang zu den Gegenständen eingeschränkt. Dabei wird die Möglichkeit der Verbindung von Wahrnehmungen nicht durch das Objekt gegeben, sondern ist als ein Moment des Verstandes vom Selbstbewußtsein abhängig. Insofern versteht Kant unter Objektivität einer Erkenntnis die reflektierte und auf die Begriffe des Verstandes bezogene Synthesis sinnlich gegebener Mannigfaltigkeit. Die Möglichkeit, daß Urteile wahr und allgemeingültig sind, liegt allein darin, daß sie den Prinzipien der Erfahrung unterworfen sind.16 Diese Regeln, um die Einheit eines Urteils zu konstruieren, sind nach Kant reine Verstandesbegriffe, die er als Kategorien bezeichnet. Im Gegensatz zu (empirischen) Begriffen können reine Verstandesbegriffe nicht selbst Gegenstand der Anschauung werden (vgl. KrV A 137, Β 176), da durch sie Erscheinungen erst zueinander in Beziehung gesetzt werden und Erfahrung überhaupt ermöglicht wird. Da solche begrifflichen Operationen die Vergleichbarkeit und die Relationalität der in ihnen begriffenen Vorstellungen schon voraussetzen, kann die Einheit der Erkenntnis nicht in den synthetischen Urteilen a posteriori gründen bzw. gefunden werden. Zugleich wird deutlich, daß das vorauszusetzende Wissen um die Einheit der Erkenntnis sich anders konstituieren muß als durch die Verstandeserkenntnis. Daher bleibt am Ende der von Kant dargestellten Verstandeserkenntnis das Problem einer Begründung dieser Möglichkeit. Zugleich mit der 15 16
T . N e n o n a.a.O., 263: Vgl. W . R o d a.a.O., 41.
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Frage, weshalb sich Denken überhaupt auf Wahrnehmungen beziehen kann, stellt sich das Problem, woher es ein Wissen über die in Anspruch genommene „transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins" (KrV Β 132) geben kann. Würde das an seinen Grenzen nicht vom Verstand zu erfassende Gebiet der Erkenntnis in der transzendentalen Analytik zu einer geschlossenen Erklärung weitergeführt, so würde der Ansatz in die innere Widersprüchlichkeit begrifflichen Zirkelschließens führen. Daher ist die folgende, durch die Vernunftbegriffe zu leistende Reflexion nicht nur auf einer anderen Ebene zu sehen, sondern beinhaltet auch eine veränderte methodische Konzeption. In der transzendentalen Dialektik verhandelt Kant das Problem des Wissens der Vernunft. So wie die Verstandesbegriffe durch die Form der Urteile den Verstand in der Erfahrung leiten, so erwartet Kant, daß die Vernunftschlüsse in ihrer Form „den Verstandesgebrauch im Ganzen der gesamten Erfahrung nach Prinzipien bestimmen werden" (KrV A 321, Β 378). Die synthetische Einheit der Vorstellungen soll mit Hilfe dieser Prinzipien auf die einer „unbedingten synthetischen Einheit aller Bedingungen überhaupt" (KrV A 334, Β 391) bezogen werden. Die gesuchten Prinzipien können zwar nicht auf die gleiche Weise wie die Kategorien aus der Form der Erkenntnis deduziert werden, damit sie aber eine, „wenn auch nur unbestimmte, objektive Gültigkeit haben, und nicht bloß leere Gedankendinge [...] vorstellen" (KrV A 669, Β 697), müssen sie durch das kritische Geschäft der reinen Vernunft abgeleitet werden. Da eine kategoriale Deduktion von Bedingtem nur wieder auf Bedingtes führt, ist es die eigentliche Aufgabe der Vernunft, „zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird" (KrV A 307, Β 364). Dementsprechend kann ein reiner Vernunftbegriff nur „durch den Begriff des Unbedingten, so fern er einen Grund der Synthesis des Bedingten enthält, erklärt werden" (KrV A 322, Β 379). Eine analytische Beziehung des Bedingten auf das Unbedingte ist auszuschließen, da ein positiver Rückschluß dessen Einordnung in die Reihe des Bedingten und begrifflich Erfaßbaren impliziert. Ebensowenig kann das Unbedingte selbst zum Erkenntnisgegenstand werden. Nach Kant ist es vielmehr einsichtig, „daß ich dasjenige, was ich voraussetzen muß, um überhaupt ein Objekt zu erkennen, nicht selbst als Objekt erkennen könne, und daß das bestimmende Selbst (das Denken) von dem bestimmbaren Selbst (dem denkenden Subjekt) wie Erkenntnis vom Gegenstande unterschie-
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den sei" (KrV A 402). Das als Totalität der Bedingungen zugleich mit dessen Reihe gegebene Unbedingte kann also in reinen Vernunftbegriffen bezeichnet, aber nicht selbst Gegenstand der Erfahrung werden. Es bleiben synthetische Sätze a priori, in denen Bestimmungen via negationis „erwogen" 17 werden können, die das Unbedingte von jedem Bedingten unterscheiden. Die diese Unterscheidung ausdrückenden Vorstellungen und Begriffe werden nach Kant „ganz notwendig in der Vernunft nach ihren ursprünglichen Gesetzen erzeugt" (KrV A 338, Β 396) und fassen alle Verstandeshandlungen in ein absolutes Ganzes zusammen. Da sie sich auf die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt beziehen und selbst durch kein Objekt bestimmt werden, nennt Kant sie „transzendentale Ideen".1* Nach Kant kann und muß die Vernunft die transzendentalen Ideen als Ausdruck des Unbedingten bilden, „da in der absoluten Totalität der regressiven Synthesis des Mannigfaltigen in der Erscheinung [...] das Unbedingte notwendig enthalten ist" (KrV A 417, Β 444f.). Damit ist letztlich in der Form der Erkenntnis ein Rückgang auf das Ganze des Wissens angelegt, dessen Funktion in der Ermöglichung von Erfahrung liegt. „Im Kontext des Systems des funktionalen Apriori kommt der I[dee] prinzipientheoretisch die Aufgabe der archetypisch-universalen Letztbegründung zu."19 Zugleich mit dieser Letztbegründung wird die Erkenntnis der reinen Vernunft in einen systematischen Zusammenhang gebracht (vgl. KrV A 337, Β 394). Der im System der transzendentalen Ideen mit der unbedingten synthetischen Einheit aller Bedingungen 17
IXant: KrV A 308, Β 365 u.ö. So wie die transzendentale Deduktion der Kategorien nicht im Sinne einer syllogistischen Herleitung verstanden werden darf, so kann auch das Unbedingte nicht durch Ableitung erfaßt werden. Vgl. D.Henrich: Die Deduktion des Sittengesetzes [1975], 77ff., wo dargestellt wird, daß die zu Kants Zeit in der allgemeinen juristischen Praxis verbreitete Ableitung, die mit dem Begriff der Deduktion belegt war, schon als erfolgreich gewertet wurde, wenn die in ihr gegebene „subjektive Anleitung" (KrV A 336, Β 393) einsichtig erschien. Die Analogie des juristischen zum transzendentalen Gebrauch liegt in der quaestio juris von Rechtsansprüchen bzw. von Erkenntnis. „Im Deduktionsverfahren ist es stets die primäre Aufgabe, eine Erkenntnis auf ihren Ursprung zurückzuführen. Diese Aufgabe läßt sich auch als die Aufklärung der Bedingungen ihrer Möglichkeit im Subjekt der Erkenntnis beschreiben. Wird sie gelöst, so ist damit unmittelbar auch diese Erkenntnis gerechtfertigt. [...] Rechtsansprüche werden dadurch begründet, daß sie hergeleitet und gegen den Verdacht der Usurpation erfolgreich verteidigt werden" (79).
18
Vgl. I.Kant: KrV A 328, Β 384, wo deutlich wird, daß die Bezeichnung Idee aufgrund der im reinen Vernunftbegriff liegenden Verfehlung eines anschaulichen Begriffs gewählt wurde. K.Neumann: Idee. IV., H W P 4 , 114.
19
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angegebene Grund der Synthesis des Bedingten muß jedoch dahingehend offen bleiben, daß er „der Vernunft nicht objektiv zu einem Grundsatze, um sie über die Gegenstände, sondern subjektiv als Maxime, um sie über alle mögliche empirische Erkenntnis der Gegenstände zu verbreiten" (KrV A 680, Β 708), dient. Denn wird diese Erkenntnis verobjektiviert, dann wird „die subjektive Notwendigkeit einer gewissen Verknüpfung unserer Begriffe, zu Gunsten des Verstandes, für eine objektive Notwendigkeit, der Bestimmung der Dinge an sich selbst, gehalten" (KrV A 297, Β 353). Aus (transzendentalen) Ideen würden (empirische) Scheinbegriffe werden. Allerdings ist genau diese Objektivierung im transzendentalen Gebrauch der Vernunft angelegt, wenn wir ohne empirische Prämissen von Bekanntem auf Unbekanntes schließen, „wovon wir noch keinen Begriff haben, und dem wir gleichwohl, durch einen unvermeidlichen Schein, objektive Realität geben" (KrV A 339, Β 397). Dieser Schein „einer natürlichen und unvermeidlichen Illusion" (KrV A 298, Β 354) vollzieht sich parallel zur Hypostase der eigenen Erkenntnisvoraussetzungen.20 Die für diese Situation nötige Selbstaufklärung der Vernunft will Kant leisten, indem er die Vorstellungen der Vernunft nicht als konstitutiv, sondern als regulativ versteht. Das geschieht im Gegensatz zu den (mathematischen und dynamischen) Grundsätzen des Verstandes, die „konstitutiv in Ansehung der Erfahrung [sind, I.H.], indem sie die Begriffe, ohne welche keine Erfahrung stattfindet, a priori möglich machen" (KrV A 664, Β 692). Dabei liegt der Unterschied zwischen konstitutiven Grundsätzen des Verstandes und regulativen Prinzipien der Vernunft nicht im Grad ihrer Gewißheit, die a priori feststeht, sondern in der Weise ihres Erfahrungsbezuges. Während durch die Grundsätze des Verstandes Begriffe gewisser Gegenstände geschaffen werden, ordnen die Prinzipien der Vernunft diese Begriffe (vgl. KrV A 643, Β 671). Das bedeutet, daß die transzendentalen Ideen nicht in einen Verstandesgebrauch überführt werden können und insofern nicht konstitutiv für die Gegenstandserfahrung werden, sondern, indem sie auf die synthetische Einheit der Verstandeserkenntnisse zielen, die regulativen Voraussetzungen von Erkenntnis angeben (vgl. KrV A 644, Β 672). Nach W. Hogrebe ist mit der Entgegensetzung konstitutiv - regulativ das
20
Vgl. I.Kant: KrV A 402: „Gleichwohl ist nichts natürlicher und verführerischer, als der Schein, die Einheit in der Synthesis der Gedanken vor eine wahrgenommene Einheit im Subjekte dieser Gedanken zu halten. Man könnte ihn die Subreption des hypostasierten Bewußtseins (apperceptiones substantiatae) nennen."
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kritische Potential der Philosophie Kants markiert. 21 „Diese Verstärkung des erkenntnistheoretischen Moments der Fragerichtung gegenüber dem ontologischen entspricht dem Prinzip der Beweisführung der transzendentalen Deduktion: Begriffe a priori gelten nur dann von Gegenständen überhaupt, wenn sie unerläßlich für das Denken von Gegenständen sind"22. Zugleich ist eine sich gänzlich vom Gebiet der Erfahrung ablösende Metaphysik ausgeschlossen, wenn Begriffe a priori nur durch ihren Gebrauch in Sätzen über Erkenntnisbedingungen in Erkenntnisse eingehen. 23 Kant erreicht mit dieser Bestimmung der transzendentalen Ideen zweierlei. Indem die reinen Vernunftbegriffe sich allein in ihrem regulativen Gebrauch legitimieren, werden sie einerseits funktional auf die Beförderung und Befestigung von Erkenntnis (vgl. KrV A 680, Β 708) festgelegt. Andererseits wird eine Verselbständigung der transzendentalen Reflexion begrenzt. Der in einer transzendentalen Idee bezeichnete Sachverhalt kann „nur problematisch zum Grunde gelegt" (KrV A 681, Β 709) werden, denn „dieses transzendentale Ding ist bloß das Schema jenes regulativen Prinzips, wodurch die Vernunft, so viel an ihr ist, systematische Einheit über alle Erfahrung verbreitet" (KrV A 682, Β 710). Es wiederholt sich das auf der Ebene der transzendentalen Analytik für den Verstandesgebrauch gefundene Ergebnis. Erkenntnis bleibt auf den Raum des Bedingten beschränkt und erscheint zugleich durch Unbedingtes bedingt. Dabei wird die Vernunft durch ihre regulative Funktion auf eine mögliche Begriffsbildung und Erfahrung bezogen, wobei sie durch die auf das Unbedingte rekurrierenden transzendentalen Ideen das Bedingte des Erkennens intentional befördert. Mit der Einschränkung von Erkenntnis auf einen Erfahrungsbezug wird allerdings zugleich für die transzendentale Reflexion die Selbstaufklärung der Vernunft als die dem Erkenntnisprozeß zugrundeliegende Subjektivität zum Problem. Indem der Versuch einer Erfassung der eigenen Erkenntnisvoraussetzungen immer wieder in einer Verdinglichung dieser verfehlt wird, und der so produzierte Schein begrifflicher Fixierung kritisiert werden muß, kommt eine transzendentale Dialektik 21 22 23
Vgl. W.Hogrebe: Konstitution. III. Neuzeit, H W P 4 , lOOOf. W.Becker: Selbstbewußtsein und Erkenntnis [1984], 80. Vgl. D.Henrich: Die Identität des Subjekts in der transzendentalen Deduktion [1988], 39: „Wird nun gezeigt, daß Begriffe apriori nur durch ihren Gebrauch in Sätzen über Erfahrungsbedingungen in Erkenntnisse eingehen, so ist damit entschieden, daß es keine über das Gebiet der Erfahrung hinausgehende Metaphysik geben kann, [...]".
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in Gang, d.h. „spekulative Vernunft in ihrem transzendentalen Gebrauche ist an sich dialektisch" (KrV A 777, Β 805). Durch sie wird die Reflexion der Vernunft hervorgebracht und zugleich kritisiert. Indem die Voraussetzung von Erkenntnis und ihre Begründung in transzendentaler Einheit nach Kant im erkennenden Subjekt selbst liegen, wird eine Erfassung dieses Grundes ausgeschlossen und letztlich die Vernunft von einer Vermittlung ihrer Voraussetzungen abgetrennt. Die Vernunft kann sich nur als sich selbst gegeben vorfinden. Nach Arndt schließt diese „Bestimmung der Subjektivität als unmittelbarer Reflexionsinstanz, unabhängig von der Vermitteltheit ihrer eigenen Reflexion", gerade „die Vermittlungen aus, die sich hinter dem Rücken der transzendentalen Subjektivität ereignen."24 Soll damit angezeigt werden, daß es hier darum geht, nicht nur die als objektiv gesetzten subjektiven Erkenntnisvoraussetzungen zu betrachten, sondern die mit dem Verweis auf Bedingendes angedeuteten Dimensionen in die Reflexion einzubeziehen, so muß gefragt werden, was als Leistung einer so umfassend vorgestellten Vermittlung überhaupt erwartet werden kann. In der Erkenntnis sind deren Voraussetzungen präsent, die aber nicht als solche vermittelt werden können, sondern nur in der Vermittlung der Erkenntnis erscheinen. Deshalb ist für Kant „die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die TranszendentalPhilosophie heften muß" (KrV Β 134). Für Kant ist das aller Erkenntnis zugrundeliegende „Ich denke [...] ein empirischen Satz" (KrV Β 422). In ihm wird zwar nur „eine unbestimmte empirische Anschauung, d.i. Wahrnehmung" ausgedrückt, die aber immerhin beweist, „daß schon Empfindung, die folglich zur Sinnlichkeit gehört, diesem Existenzialsatz zum Grunde liege" (KrV Β 422f.). Wenn auch das Ich dieses Satzes nicht selbst als empirische Erscheinung zu erfassen ist, so ist doch vom empirisch gegebenen „Actus" des erkennenden Denkens auf „eine empirische Vorstellung, die den Stoff zum Denken abgibt" (KrV Β 423), zurückzugehen. 25 Das Kantische Ich denke ist sich im Gegensatz zu 24 25
A.Arndt: Dialektik und Reflexion [1994], 53, Vgl. D.Henrich: Die Identität des Subjekts in der transzendentalen Deduktion, 69, der folgert, „daß die im Selbstbewußtsein kraft seiner Form implizierte Identität nicht den Status einer Art Hypothese hat [...]" denn: „Obgleich aus der Form des Selbstbewußtseins keine Tatsachenbehauptungen folgen, die über den aktualen Fall von ,Ich denke'Bewußtsein hinausgehen, ist dieser Bewußtseinsfall selbst doch eine Tatsache und etwas in allem, was wirklich ist, obgleich wir sie in diesem Ganzen nicht erkennen können."
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Descartes weltlosem ego cogito „seiner Herkunft aus einer Geschichte schon immer vollzogener Realitätserfahrungen bewußt" 26 . Damit ist aber die Kantische Grundlegung der Möglichkeit von Erkenntnis, die nicht durch eine reflexive Erfassung der eigenen Bedingungen zu leisten ist, im Grunde eine vorfindliche und im Nachgang als notwendig erkannte Voraussetzung. Erst in der nachgängigen Reflexion von Erkenntnisvoraussetzungen wird die empirische Selbstwahrnehmung formalisiert zur beschreibbaren Einheit der reinen Apperzeption, aus der das Identitätsprinzip als Geltungsbedingung von Erkenntnis folgt (vgl. KrV Β 132).27 Die dieser subjektiven Grundlegung anhaftende „unbestimmte empirische Anschauung" (KrV Β 422) ebenso wie der im Ding an sich bezeichnete „gänzlich unbestimmte Gedanke" (KrV A 253) einer objektiven Verursachung zeigen an, daß Kant in seiner transzendentalphilosophischen Klärung der Erkenntnisvoraussetzungen keine geschlossene und reflexiv einholbare Erkenntnistheorie anstrebt. Die von Kant explizierten Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis stellen insofern eine pragmatische Selbstvergewisserung und -begrenzung des erkennenden Subjekts dar. Damit ist eher nach dem mit Erkenntnis verbundenen Geltungsanspruch gefragt, als nach einer Explikation des transzendentalen Grundes, was die Kritik illegitimer Selbstabsicherungen und von jeder empirischen Erkenntnis abgelöster Vernunftbegriffe einschließt. Die Ausgangsfrage nach der Möglichkeit wissenschaftlicher Metaphysik wird damit in doppelter Weise durch eine Bezugnahme auf Erfahrung beantwortet. Zum einen zeigt die transzendentale Reflexion der Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis an, daß Erkenntnis nicht von jedem empirischen Gehalt getrennt werden kann. Erkenntnistheoretische bzw. metaphysische Begriffe sind nur insofern zutreffend, als sie sich zumindest auf die Bedingungen empirischer Erkenntnis
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F. Kaulbach: Philosophie als Wissenschaft, 137. Vgl. K. Cramer: Über Kants Satz: Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können [1987], 201f.: „Das heißt: dieses Selbstbewußtsein liegt in allen Fällen des Bewußtseins davon, daß eine Vorstellung meine ist, auf formal-invariante und zudem in sich selber keinerlei Mannigfaltigkeit aufweisende Weise vor: eben auf die, welche das bloße Bewußtsein der Meinigkeit einer Vorstellung ausmacht." Vgl. D. Henrich: Identität und Objektivität, 112: „Aus dem Grundgedanken vom spontanen und in der Reflexion agierenden Subjekt kann man nur über den anderen Grundgedanken des formalen und apriorischen Prinzips seiner Identität die Geltung von notwendigen Regeln für alle Erscheinungen begründen. "
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beziehen. Zum anderen verweist die in der Frage nach synthetischer Erkenntnis a priori der Vernunft aufgegebene Suche nach den eigenen Voraussetzungen und die damit gestellte Frage nach dem Unbedingten selbst auf etwas nicht eliminierbares, empirisch Vorgegebenes. So kann Kant seine Erkenntnistheorie im zweiten Teil der Kritik der reinen Vernunft, wo er in der transzendentalen Methodenlehre die Bestimmungen der formalen Bedingungen eines vollständigen Systems der reinen Vernunft entwickelt, zusammenfassen: „Alle unsere Erkenntnis bezieht sich doch zuletzt auf mögliche Anschauungen: denn durch diese allein wird ein Gegenstand gegeben. Nun enthält ein Begriff a priori (ein nicht empirischer Begriff) entweder schon eine reine Anschauung in sich, und alsdenn kann er konstruiert werden; oder nichts als die Synthesis möglicher Anschauungen, die a priori nicht gegeben sind, und alsdenn kann man wohl durch ihn synthetisch und a priori urteilen, aber nur diskursiv, nach Begriffen, und niemals intuitiv durch die Konstruktion des Begriffes" (KrV A 720f., Β 748f.). Das darauf aufbauende System des Wissens ist hierarchisch vorzustellen. Von Erfahrung abhängige empirische Erkenntnis kann keine notwendigen und apodiktischen Sätze hervorbringen. Mittels der Verstandesbegriffe und der in ihnen als reine Anschauungen gegebenen synthetischen Urteile a priori werden die Erkenntnisse hervorgebracht und miteinander in Beziehung gestellt. Der transzendentale Gebrauch der Vernunft stellt die höchste Ebene der Versicherung der Erkenntnis dar. Die Vernunft ist als „ein System der Nachforschung nach Grundsätzen der Einheit, zu welcher Erfahrung allein den Stoff hergeben kann" (KrV A 738, Β 766), zu betrachten. Darin dienen die transzendentalen Ideen durch ihren regulativen Gebrauch der Beantwortung der Frage nach der Geltung von Erkenntnis. Die Frage der Geltung von Wissen kann allerdings nicht auf das Problem der Gewißheit und Korrektheit von Erkenntnis eingeschränkt werden. Gerade durch die im Bereich begrifflichen Wissens problematisch bleibende Beantwortung der Frage nach dem Grund des Wissens wird die Vernunft auf ihren praktischen Gebrauch verwiesen, d.h. nach Kant auf ihre Funktion im Raum der Freiheit (vgl. KrV A 799f., Β 827f.). Dabei ist die Vernunft aber keiner synthetischen Urteile, die objektive Gültigkeit hätten, fähig. So bleibt letztlich eine von der Vernunft nach Gründen a priori selbst zu vollziehende Grenzbestimmung. Die „Einschränkung derselben aber, welche eine obgleich nur unbestimmte Erkenntnis einer nie völlig zu behebenden Unwissenheit ist, kann auch a posteriori, durch das, was
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uns bei allem Wissen immer noch zu wissen übrig bleibt, erkannt werden. Jene durch Kritik der Vernunft allein mögliche Erkenntnis seiner Unwissenheit ist also Wissenschaft, diese ist nichts als Wahrnehmung, von der man nicht sagen kann, wie weit der Schluß aus selbiger reichen möge" (KrV A 758f., Β 786f.)· Diesseits der Grenze gesteht Kant „der Philosophie nur zu, eine schon immer vorhandene Realitätsgewißheit auf die Stufe des Wissens zu bringen." 28 Die Möglichkeit gesicherter Erkenntnis, d.h. Wissen als urteilende Zuordnung von Sätzen und kategorial bestimmten Erscheinungen, gründet dann letztlich in dem unmittelbaren Bewußtsein eines Zusammenhanges des erkennenden Subjekts und der außer ihm existierenden Dinge. Werden zur erkenntnistheoretisch fundamentalen Selbstbegrenzung der Vernunft deren im Praktischen wirksamen Aussagen hinzugenommen, erhält die Antwort auf die Begründungsfrage des Wissens noch deutlicher teleologischen Charakter. Die erkenntnistheoretisch regulativ eingreifenden transzendentalen Ideen haben hier objektive Realität (vgl. KrV A 807f., Β 835f.). Deshalb kann nach Kant die Vernunft die Zwecke a priori vorgeben (nicht empirisch erheben), und aus „der Ableitung von einem einigen obersten und inneren Zwecke, der das Ganze allererst möglich macht, kann dasjenige entspringen, was wir Wissenschaft nennen, [...]" (KrV A 833, Β 861). Geltung und Einheit des Wissens leiten sich dann aus dem in der Vernunft gesetzten obersten Zweck ab. Aus dieser kritischen Selbstexplikation der Vernunft, in der die rationale Erkenntnis ex principiis der empirischen (historischen) ex datis entgegengestellt wird, folgt bei Kant die Architektonik allen Wissens. Zusammenfassend ist festzustellen, daß Kant in Abweichung von seiner ursprünglichen Intention, intuitive Elemente aus der Konstruktion des Wissens auszuschließen, doch auf unmittelbar Vorgegebenes zurückgreift. Mit der Vorgegebenheit des obersten Zweckes und dem sich daraus ableitenden teleologischen Rahmen29 ist ebenso, wie mit der Einheit der Kategorien und der regulativen Idee, ein nicht mehr hinter-
28
F. Kaulbach: Philosophie als Wissenschaft, 139. " V g l . I.Kant: KU 415. Zur Bedeutung der Teleologie bei Kant vgl. R. Spaemann, R. Low: Die Frage Wozu? [1981], 124-141, 136: Der Zweckbegriff „beseitigt nachträglich die Zufälligkeit des Besonderen, indem er das fehlende Prinzip der Einheit angibt, unter welchem sich die Kausalprozesse zum Naturzweck geordnet haben. [...] Von daher läßt Kant keinen Zweifel an der ontologischen Vorordnung der teleologischen Natursicht vor der kausalmechanischen [...]".
Wissen in Schellings „Vorlesungen über die Methode
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fragbarer Grund der Reflexion der Vernunft bezeichnet. Die Frage nach der Weise, wie dieser Grund gegeben sein und zugleich angeeignet werden kann, bleibt im Ausgang der Philosophie Kants eine offene Frage, mit der sich Lösungsversuche nachfolgender systematischer und erkenntnistheoretischer Ansätze auseinandersetzen. 30 Während Kant letzte Begründungen in der Selbstvergewisserung des denkenden Subjekts suchte, sieht Schleiermacher darin die Gefahr der Engführung und Subjektivierung der Erkenntnis Voraussetzungen. Schleiermacher geht deshalb in seiner Aufnahme der transzendentalphilosophischen Fragestellung nicht mehr von der Frage nach den subjektiven Erkenntnisvoraussetzungen aus. Zwar hält er mit Kant an der Unverfügbarkeit des Grundes fest, aber er zielt mit seinem Ansatz darauf, im transzendentalen Bezug des Selbstbewußtseins den Ursprung objektiver Bedingungen für die Gültigkeit des Wissens aufzuzeigen. 31 Einen wesentlichen Impuls zur Herausbildung dieses Wissensbegriffs erhielt Schleiermacher dabei in der Auseinandersetzung mit der Philosophie Schellings.
2.2 Wissen in Schellings „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" Grundsätzlicher als Kant wird in der frühidealistischen Philosophie nach dem alles Wissen Bedingenden und damit nach der Weise, wie das Unbedingte im Wissen anwesend sei, gefragt. In Auseinandersetzung mit Fichte, der in seiner als Wissenschaftslehre verstandenen Philosophie das Ich als Subjekt und zugleich als sein eigenes Objekt zur explizierbaren Tathandlung und zum Grundsatz allen Wissens macht, geht Schelling in seiner Identitätsphilosophie von einem Urwissen aus, das sich in alle Erkenntnis hinein ausbreitet. Seinen Ausdruck findet dieses Urwissen in der „Idee des an sich selbst unbedingten Wissens", das als „höhere Voraussetzung [...] nicht eigentlich [zu] beweisen" ist. Dieses Wissen davon, „daß das wahre Ideale allein und ohne weitere Vermitt-
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Vgl. K.C.Köhnke: Neukantianismus. Vgl. G. Meckenstock: Deterministische Ethik und kritische Theologie, 221, der zusammenfassend feststellt: „Schleiermachers Verhältnis zu Kant ist ambivalent; er nimmt bei seiner Bestimmung des Religionsbegriffs sowohl polemisch als thetisch, sowohl negativ als affirmativ auf Kantische Einsichten Bezug. Er entwickelt ja seinen Religionsbegriff in Abgrenzung zu Metaphysik und Moral; und seine Ausführungen zu Metaphysik und Moral sind stark Kantisch inspiriert. Affirmativ nimmt er die Transzendentalphilosophie als klassische Gestalt der Metaphysik in Anspruch. "
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lung auch das wahre Reale und außer jenem kein anderes" ist, bildet nach Schelling den einzigen „Eingang zu aller Wissenschaftlichkeit"32. „Bewußtlos liegt diese Voraussetzung allem dem, was die verschiedenen Wissenschaften von allgemeinen Gesetzen der Dinge oder der Natur überhaupt rühmen, so wie ihrem Bestreben nach Erkenntniß derselben zu Grunde."33 Schleiermacher nimmt in seiner 1803 geschriebenen Rezension der »Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums« von Schelling besonders diese Vorstellung einer bewußtlos zu Grunde liegenden Voraussetzung auf, und wie sich zeigt, liegen hier wesentliche Impulse für seine Auffassung vom transzendentalen Grund. 34 „Mehr oder weniger mit Bewußtseyn ist alles Wissen auf die absolute Realität des schlechthin Idealen" gegründet, schreibt Schelling, denn in jedem Wissen muß es einen unmittelbaren Bezug auf ein Urbild geben, „welches schlechthin-ideal, und aus diesem Grund auch schlechthin real ist"35. Schelling meint, nur mit dieser Aufnahme platonischer Gedanken in der Frage nach der Möglichkeit von Wissen dem Hume'sehen Induktionsproblem 34 entgehen zu können. Weiter ist jedes endliche Wissen durch „ein Verhältnis zu etwas, das man Gegenstand nennt", bestimmt, was nach Schelling nur begreiflich ist, wenn „jenes an sich Ideale [...] die Realität und die Substanz der Dinge selbst"37 ist. Genau diese Identität ist uns im Urwissen eingebildet. Das Verhältnis zwischen der im Absoluten gegebenen Identität und dem Urwissen erklärt Schelling in seiner identitätsphilosophischen Konstruktion mit dem Begriff der intellektuellen Anschauung. Die intellektuelle Anschauung ist als „Zugleich von reflexionsbestimmtem Gegensatz und Gleich-Gültigkeit von Einheit und Differenz des Absoluten und des endlichen Bewußtseins" 38 zu
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F.W.J.Schelling: Vorlesungen über die Methode, 237. Ebd. Vgl. S.20. F.W.J.Schelling: Vorlesungen über die Methode, 238. Vgl. D.Hume: A Treatise on human nature [1739/49], Book I, Part ΠΙ, Sect. VI, 91f.: „We suppose, but are never able to prove, that there must be a resemblance betwixt those objects, of which we have had experience and those which lie beyond the reach of our discovery." Sect. XII, 139: „ That there is nothing in any object, considered in itself, which can afford us a reason for drawing a conclusion beyond it; and, That even after the observation of the frequent or constant conjunction of objects, we have no reason to draw any inference concerning any object beyond those of which we have experience". F.W.J. Schelling: Vorlesungen über die Methode, 238. D.Korsch: Das doppelte Absolute [1993], 37.
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verstehen. Indem Schelling in der intellektuellen Anschauung die gewußte absolute Identität in Anspruch nimmt, muß er zugleich fordern, daß unser Wissen bzw. das System der Wissenschaften zur Darstellung des Absoluten wird. Folglich versteht Schelling Wissen als aus der Zeit fallende ewige Wahrheit, das an sich nicht Sache des Individuums ist. Wissen erscheint lediglich in der Zeit bzw. spricht sich im Individuums aus.39 Das bedeutet weiter, daß Schelling die Endlichkeit des Wissens für überwindbar hält, was sich seiner Meinung nach in einem universalen Überlieferungsprozeß auf Gattungsebene realisiert. 40 Die in der intellektuellen Anschauung unmittelbar gewußte Identität müßte sich so zugleich in der Reflexion von Identität und Differenz darstellen. Allerdings kann wirkliches Wissen nur in abstrakter Totalität zum Abbild dieses Urwissens werden. 41 Dies ist auf der Ebene individuellen Bewußtseins, wo gewußte Identität und gewußte Differenz notwendigerweise unterschieden sind, jedoch nicht einlösbar. Eine Anerkennung der Undurchführbarkeit, das als Indifferenzpunkt aufgefaßte Absolute realwissenschaftlich zu objektivieren, schlägt auf die Frage nach der Möglichkeit einer sich unmittelbar und zugleich begrifflich auf das Absolute beziehenden Identitätsphilosophie zurück. 42 Schelling beantwortet diese Frage mit dem Verweis auf die „Kunstseite dieser Wissenschaft"43, die er Dialektik nennt und die auf ihre Weise der unmittelbaren intellektuellen Anschauung entspricht. Die philosophische Dialektik soll als erlernbare, d.h. vermittelbare Kunst aus ursprünglicher, poetischer Produktion entspringen. In der Kunstfertigkeit der Dialektik soll die intellektuelle Anschauung so auf das Urwissen bezogen werden, daß die Identität und der Gegensatz von 39
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Vgl. F.W.J.Schelling: Vorlesungen über die Methode, 246: „die Wissenschaft, wenn sie ihrer Erscheinung nach eine Geburt der Zeit ist, geht doch auf Gründung einer Ewigkeit mitten in der Zeit. Was wahr ist, ist wie das, was an sich selbst recht und schön ist, seiner Natur nach ewig, und hat mitten in der Zeit kein Verhältnis zu der Zeit." Vgl. F.W.J. Schelling: Vorlesungen über die Methode, 246: „Diese Unabhängigkeit des Wesens der Wissenschaft von der Zeit drückt sich in dem aus, daß sie Sache der Gattung ist, welche selbst ewig ist." Vgl. D.Korsch: Das doppelte Absolute, 42, der dies so deutet, „daß in jenem Zugleich eine enorme Kraft des Unterschiedes steckt, die schließlich auf eine Verdopplung des Absoluten hinausläuft, welche unvermittelbar ist", also das Problem der Vermittlung suspendiert. Vgl. F.W.J. Schelling: Vorlesungen über die Methode, 276f., der voraussetzt, daß philosophische Erkenntnis „das Urwissen unmittelbar und an sich selbst zum Grund und Gegenstand" haben kann und damit Philosophie als „Wissenschaft des Urwissens" aufgestellt wissen will. F.W.J. Schelling: Vorlesungen über die Methode, 289.
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idealem und realem Wissen in der Reflexion erscheinen. Dieses Verfahren jedoch als Ausdruck einer „relativen Autonomie des philosophischen Verfahrens gegenüber dem Absoluten" 44 zu deuten, entspricht nicht der Intention Schellings, in der Reflexion selbst ein produktives Vermögen zu sehen, das am Wesen des Absoluten partizipiert. Nach Schelling wird „dieses Verhältniß der Speculation zur Reflexion, worauf alle Dialektik beruht", zwar nicht durch eine Verabsolutierung der Reflexion hervorgebracht, erscheint aber als „Ausfluß [sc. von dem innern Wesen des Absoluten] in der Vernunft und der Einbildungskraft, welche beide ein und dasselbe sind, nur jene im Idealen, diese im Realen"45. Damit bleiben die Voraussetzungen des Wissens bei Schelling präreflexiv und jeder Vermittlung entzogen, obwohl sie in jeder Reflexion erscheinen. 44 Insofern kann das Urwissen nicht als begrifflich erfaßbare und explizierbare Voraussetzung gewußt werden, vielmehr geht es im Einheitsstreben allen Wissens um ein partizipierendes Verhältnis an dem uns eingebildeten Urwissen.47 Jedes einzelne Wissen und jede besondere Wissenschaft besteht dann nur im mittelbaren oder unmittelbaren „Zusammenhang mit dem Ursprünglichen und Einen" und gehört als organischer Teil „in dieses treibende und lebende Ganze"48, so daß „es kein wahres Wissen gibt, welches nicht mittelbar oder unmittelbar Ausdruck des Urwissens ist"49. Damit versucht Schelling, die Wissenschaft der mit der Geschichte gegebenen Relativität und Endlichkeit zu entziehen. Trotz einer grundsätzlichen Zustimmung zu diesen Überlegungen Schellings werden in Schleiermachers Ausführungen zugleich Ansätze wichtiger Differenzen sichtbar. In seiner Rezension kritisiert Schleiermacher den Versuch Schellings einer verobjektivierenden Darstellung des unmittelbaren Bezuges auf die im Absoluten gegebene Identität und stellt neben „die Darstellung des einzelnen relativen im Absoluten" 44 45 46 47
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J. Dierken: Das Absolute und die Wissenschaft [1992], 318. F.W J.Schelling: Vorlesungen über die Methode, 289. Vgl. A.Arndt: Dialektik und Reflexion, 120f. Vgl. W. Hartkopf: Die Dialektik in Schellings Transzendental- und Identitätsphilosophie [1975], 190. Vgl. F.W.J.Schelling: Vorlesungen über die Methode, 240: „Nach derselben Ansicht, da alles Wissen nur Eines ist, und jede Art desselben nur als Glied eintritt in den Organismus des Ganzen, sind alle Wissenschaften und Arten des Wissens Theile der Einen Philosophie, nämlich des Strebens, an dem Urwissen Theil zu nehmen." F.W.J.Schelling: Vorlesungen über die Methode, 239. F.W.J.Schelling: Vorlesungen über die Methode, 244.
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auch die Umkehrung, „die Darstellung des Absoluten auch im einzelnen relativen durch In-Eins-Bildung des Idealen und Realen auch in bestimmten Erscheinungen vermittelst der Kunst [...]" s0 . Damit nimmt Schleiermacher am Ausgangspunkt Schellings, die Wissenschaften auf einen Indifferenzpunkt zurückzuführen, wichtige Verschiebungen vor. Nicht in der Totalität des realen Wissens, sondern in der Identität des Idealen und Realen im konkreten Wissen sieht Schleiermacher die Erscheinung des Absoluten. 51 Hier zeichnet sich die Gestalt des Wissensbegriffs Schleiermachers ab. Die von Schelling als kunstmäßige Seite der Philosophie bezeichnete Dialektik wird dabei als „Kunst des Gedankenwechsels" (DJ 17 § 45) nicht mehr direkt dem Absoluten zugeordnet, sondern erhält ihren Ort im Raum der Gegensätzlichkeit und der Endlichkeit des Wissens. War das „absolute Wissen" (DA1 80, Lemma 2) in den »Lehnsätzen aus der Dialektik in der Ethik« von 1812/13 noch Ausdruck des identischen absoluten Seins, so geht Schleiermacher später davon ab und betont 1814 ausdrücklich, daß die „Idee des absoluten Seins [...] kein Wissen" (DJ 87 § 153) sei.S2 Die Philosophie steht bei Schelling als ideale und „unmittelbare Darstellung und Wissenschaft des Urwissens" allem anderen Wissen als „reale Darstellung des Urwissens"53 gegenüber. Als „successive Offenbarung des Urwissens" 54 ist das wirkliche Wissen als geschichtliches auf die absolute Identität, in der Subjekt und Objekt identisch sind, bezogen. Auch die außerhalb dieser Absolutheit getrennt erscheinende objektive und subjektive Seite sind - als äußerer Organismus Abdruck des inneren Organismus - ihrer Form und ihrem Wesen nach identisch. Diese Identität von Subjekt und Objekt bildet den „absoluten Indifferenzpunkt der Form und des Wesens [...], von dem alle Wissenschaft und Erkenntniß ausfließt."55 Deutlich ist das Bemühen Schellings zu erkennen, einen objektiven Bezug zum Absoluten darzustellen. Von diesem Bemühen ausgehend formuliert Schelling dann auch eine Warnung an Momente der Position Schleiermachers, daß ein unabhängig von der Objektivität der Wissenschaft gesetzter Ausgangspunkt in der
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F. Schleiermacher: Rezension, 585. Vgl. R. Rieger: Interpretation und Wissen [1988], 336f. 52 Deshalb wendet sich F.Schleiermacher: Rezension, 586, auch gegen eine „Theologie als Wissenschaft des absoluten göttlichen Wissens". " F.W.J.Schelling: Vorlesungen über die Methode, 302. 54 Ebd. 55 F.W.J. Schelling: Vorlesungen über die Methode, 303. 51
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Gefahr subjektiver Setzungen steht.S6 Von den Kritikpunkten Schleiermachers, womit äußere Organismen zu identifizieren sind oder wo Theologie, Moral und Staatslehre im System der Wissenschaften einzuordnen sind, abgesehen, formt sich in der Auseinandersetzung mit Schelling der grundsätzliche Aufbau des Systems der Wissenschaften Schleiermachers: in einer obersten Wissenschaft ruhen zwei reale Wissenschaften, von Schelling noch als Historie und Naturwissenschaft, von Schleiermacher später als Ethik und Physik bezeichnet.57 Darüber hinaus fragt Schleiermacher in der Entfaltung der Naturwissenschaft als „Construction der Körperreihe als eigentlicher Inhalt ihrer historischen Seite" deutlicher nach ihrem „Correlat, dem Experiment als Grund der historischen Naturlehre" 58 Schließlich erscheint in dieser Auseinandersetzung mit Schelling das Quadrupel der Realwissenschaften Schleiermachers, das sich aus der geforderten zweifachen Behandlung - der spekulativen und der empirischen - der Wissenschaft der Vernunft und der Wissenschaft der Natur aufbaut. 59 Schleiermacher übernimmt die emanative „Konstruktion des Universums als eines Entwicklungsprozesses durch eine Reihe von Potenzen auf der Basis der Identität"60. Entscheidend ist für Schleiermacher aber, und deshalb fügt er durch die Betonung des Empirischen eine zweite, parallel gedachte Reihe hinzu (vgl. DJ 75f. § 132), eine wechselseitige Durchdringung der idealen und realen Exponenten. Zwar ist auch bei Schelling Wissen als Gleichgewichtsverhältnis zwischen Theorie und Erfahrung vorgestellt, dies ist aber nur die reale, exoterische Seite der eigentlichen, in Ideen gegründeten Wissenschaft. Erkenntnis wird bei Schelling letztlich auf urbildliche Ideen zurückgeführt. 61 War bei Schelling das Verhältnis der Theorie zur Erfahrung, der Spekulation zur Empirie als Entäußerung des Ideellen und als Verlust an ursprünglicher 56
Vgl. F.W.J.Schelling: Vorlesungen über die Methode, 300f.: „Wenn sie wollen, daß Religion nicht durch Philosophie erlangt werde, so müssen sie mit dem gleichen Grunde wollen, daß Religion nicht die Philosophie geben oder an ihre Stelle treten könne. Was unabhängig von allem objektiven Vermögen erreicht werden kann, ist jene Harmonie mit sich selbst, die zur innern Schönheit wird; aber diese auch objektiv, es sey in Wissenschaft oder Kunst, darzustellen, ist eine von jener bloß subjektiven Genialität sehr verschiedene Aufgabe." 57 Vgl. H.Süskind: Einfluss Schellings, 96f. 58 F. Schleiermacher: Rezension, 587f. 59 Vgl. E.Herms: Herkunft, 259. 40 H.Süskind: Einfluss Schellings, 97. " Vgl. F.W.J. Schelling:· Vorlesungen über die Methode, 344ff., vgl. 347: „Alles Besondere als solches ist Form, von allen Formen aber ist die nothwendige, ewige und absolute Form der Quell und Ursprung."
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Identität vorgestellt, so zeigt sich bei Schleiermacher auch hier eine für seinen Wissensbegriff grundlegende Verschiebung. Gegenüber einer Dominanz deduktiver Begriffsbildungen kommt in der Wissenstheorie Schleiermachers durch die Einführung einer realen Entwicklungsreihe die induktive und kombinatorische Urteilsbildung im Wissensbegriff zu einer eigenen Bedeutung. Durch die Wechselwirkung von Spekulation und Erfahrung, von Deduktion und Induktion wird Wissen nicht mehr nur als statische Abbildung ursprünglicher Identität, sondern als dynamische Zuordnung von Potenzen und Erscheinungen verstanden (vgl. DJ 355ff.). „Zu der Erkenntnis des unveränderlichen Wesens der Dinge tritt die Kenntnis ihrer wechselseitigen Aktionen. Nur beide zusammen sind das ganze Wissen."62 Wie H. Süskind weiter betont, stellt dies nicht nur eine inhaltliche Erweiterung des Erkenntnisbegriffs dar, sondern dynamisiert den Wissensbegriff selbst.63 Trotz dieser Verschiebungen bleibt jedoch zusammen mit einer „Prägung des begrifflichen Instrumentariums der Schleiermacherschen Philosophie durch Schellings identitätsphilosophische Schriften" 64 auch eine inhaltliche Nähe bestehen. Wissen ist die Identität der auf das Ideale gerichteten intellektuellen Funktion und der mit dem Realen verbundenen organischen Funktion und partizipiert insofern an der absoluten Identität des Subjektiven und Objektiven (vgl. DJ 52 § 99). In Auseinandersetzung mit der in der Vorstellung der intellektuellen Anschauung gegebenen Unmittelbarkeit der Identität des Idealen und des Realen und in Fragen der Gliederung des Systems der Wissenschaften hat Schleiermacher sein wissenschaftstheoretisches Konzept weiter ausgeformt. Wie E. Herms darstellt, ist diese Auseinandersetzung allerdings nicht unbedeutend durch die bereits erwähnte kritische Vermittlerrolle F. Schlegels beeinflußt, der besonders die Irreduzibilität der Gegensätzlichkeit einfordert, was wiederum die Aufwertung des Empirischen einschließt.65
42 63 64 65
H. Süskind: Einfluss Schellings, 191. Vgl. H. Süskind: Einfluss Schellings, 176. H. Kimmerle: Schleiermachers Dialektik, 40. Vgl. S. 17. Vgl. E. Herms: Herkunft, 258f. Zur weiteren Ausformung der Wissenstheorie in Schellings Philosophie vgl. W. Hartkopf: Die Dialektik in Schellings Transzendental- und Identitätsphilosophie [1975], bes. 172-191.
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Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers
2.3 Wissen bei Schleiermacher Angeregt durch J.A. Eberhard hatte sich Schleiermacher in seiner Hallenser Studienzeit mit antiker Philosophie beschäftigt und zeitweilig sogar beabsichtigt, die Nikomachische Ethik des Aristoteles zu übersetzen. Wenn im folgenden Abschnitt der Wissensbegriff Schleiermachers, wie er sich in der Dialektik darstellt, beschrieben wird, so dürfen neben den neuzeitlichen Einflüssen - besonders die Auseinandersetzungen mit Kant und Schelling - die auf den antiken Realismus zurückgehenden Intentionen Schleiermachers nicht übersehen werden. 66 Wenn Schleiermacher seiner Dialektik die Aufgabe gibt, „den innern Zusammenhang alles Wissens [zu, I.H.] machen" (DJ 2 § 4), so zielt das darauf, die Voraussetzungen der Kunst der Gesprächsführung, d.h., den mit Wissen erhobenen Geltungsanspruch zu klären. Als erhobener Geltungsanspruch ist Wissen an aktuelle geistige Tätigkeit von Subjekten gebunden, denn „das Wissen ist wirklich nur im Denken, nicht im Gedachthaben" (DJ 384 = DO 128; vgl. DJ 41 § 86.2)67. Denken als Prozeß bedingt Wissen als aktuellen Vorgang. Die Voraussetzungen des Wissens sind insofern als Fähigkeit oder Vermögen zu verstehen. Die Klärung dieses Vermögens umfaßt die genaue Beschreibung und die Reflexion ihrer Voraussetzungen, ihrer Grenzen und ihrer Verwirklichung. Am Beginn der 1833 für den Druck verfaßten Einleitung zur Dialektik verdeutlicht Schleiermacher einen vorauszusetzenden Unterschied zwischen geschäftlichem, künstlerischem und reinem Denken. Während das geschäftliche Denken sich auf eine konkrete Aktion bezieht sowie Gegenstand der Ethik ist und das künstlerische Denken als Reflexion des Gefälligen Gegenstand der Ästhetik ist, geht es im reinen Denken um ein Denken, das selbst Wissen werden will. Es geht um den Ver46
47
Vgl. G. Picht: Die Voraussetzung der Wissenschaft [1958], 25, der eine Zusammenfassung der Grundbestimmungen des Wissens bei Aristoteles gibt: „ 1. Das έπιστητόν, der mögliche Inhalt des Wissens, ist das, was sich nicht anders verhalten kann. 2. Deshalb ist Wissen die Erkenntnis der Notwendigkeit von Sachverhalten. 3. Die Erkenntnis der Notwendigkeit erfordert den Rückgang auf den Grund. 4. Deshalb ist Wissen unmittelbar die Erkenntnis durch die Vermittlung vom Grunde. 5. Das Band der Notwendigkeit, das den Sachverhalt mit seinem Grunde verbindet, ist das Sein, denn beide, der Grund wie der Sachverhalt sind aus Notwendigkeit. [...] 6. Wenn das Band der Notwendigkeit das Sein ist, so ist die Erkenntnis der Notwendigkeit von Sachverhalten unmittelbar die Erkenntnis des Seins von Seiendem." Vgl. G.Picht: Wissen des Wissens und Anamnesis [1953], 106: „Das, was wir Wissen nennen, ist ein Mittleres, in dem sich ein Immer-schon-gewußt-haben mit einem Immer-schon-vergessen-haben begegnet."
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such, in einem auf sich selbst konzentrierten Denken die Grenzen und Voraussetzungen des Wissens auszumachen, und bei diesem auf sich gewendeten Wissen geht es um ein Wissen, das gerade darin schon objektiv wird. Die in diesem Wissen-wollen gesuchte „Unveränderlichkeit und Allgemeinheit" (DJ 571) macht das reine Wissen zum Gegenstand der Wissenstheorie Schleiermachers, die in ihrem Wesen die Selbstexplikation eines schon immer um seine Objektivität wissenden Wissens darstellt. Das reine Denken, das nach einem dem Sein entsprechenden Wissen strebt, gründet dieses Wesen in seiner grundsätzlichen Beziehung auf das Sein (vgl. DJ 600). 2.3.1 Die polare Struktur des Wissens Schleiermacher definiert am Beginn des transzendentalen Teils der Dialektik Wissen als eine Weise des Denkens, das zwei Bedingungen unterliegt: Es muß (a) „mit der Nothwendigkeit, daß es von allen denkensfähigen auf dieselbe Weise producirt werde" und (b) „als einem Sein, dem darin gedachten, entsprechend" (DJ 43 § 87), vorgestellt werden. Die beiden Spezifika, die das Wissen vom Denken unterscheiden, weisen zunächst deskriptiven Charakter auf, und in ihren Erläuterungen nimmt Schleiermacher wiederholt Bezug auf nachvollziehbare Erfahrungsgehalte und alltagssprachliche Belege für die Bedeutung von Begriffen68. Inwieweit diese erklärende Darstellung in ihrer deskriptiven Rekonstruktion zugleich normativen Charakter trägt, kann erst aus deren Erläuterung einsichtig werden. 69 Zum einen (a) wird Wissen mit dem Prozeß seiner Entstehung verbunden. Intuitive Einsichten scheiden demnach ebenso wie zufällige Kenntnisse aus, wenn sie nicht unabhängig von ihrer Entdeckung in einen rationalisierbaren Geltungszusammenhang gestellt werden. Wenn Wissen in Form eines allgemeingültigen Satzes nicht hinreichend beschrieben ist, so deshalb, weil trotz einer vorausgesetzten Mehrzahl denkender Subjekte über die Gültigkeit von Wissen nicht im Sinne einer Konsenstheorie abgestimmt werden kann (vgl. DJ 48 § 93). Schleiermacher verbindet die konsenstheoretischen Momente seines Wissensbegriffs daher, neben der Feststellung eines Seinsbezuges, mit der Forderung nach Reproduzierbarkeit und Nachvollziehbarkeit, weshalb ein über eine hinreichende Übereinstimmung hinausgehendes Kriterium 68 69
Vgl. D O 60: „Begriffe aus dem allgemeinen Verkehr der Gedanken". Zum Verhältnis deskriptiv-normativ vgl. R. Rieger: Interpretation und Wissen, 262.
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Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers
benennbar sein muß, das die Richtigkeit der Aussage belegen kann (vgl. DJ 46 § 89). Schleiermacher verlangt von der Entstehungsweise des Wissens, daß sie sich bei „allen denkensfähigen" (DJ 43 § 87) identisch vollziehe. Erst im Zusammenhang mit dieser geforderten „Identität des Prozesses" (DO 129) ergibt sich die das Wissen begleitende Überzeugung, da die prozessuale Identität nach Schleiermacher nur aus einer „Gleichmäßigkeit der Production" (DJ 46 § 89) hervorgehen kann. Im gleichmäßigen Produzieren sieht Schleiermacher alles Wissen partizipierend auf „den ursprünglichen producirenden Act" (DJ 42 § 86) zurückgehen. Erst indem Wissen an diesem partizipiert, ist ein identisches und allgemeingültiges Resultat wissenschaftlichen Charakters möglich.70 Einen Akt gleichmäßigen, vermittlungslosen Produzierens setzt Schleiermacher damit als Grund für jedes Erscheinen im Bereich der Natur und der Geschichte bzw. Ethik und demzufolge für jedes sich darauf beziehende Wissen voraus. 71 Vor dem Hintergrund dieses poietischen Seinsverständnisses wird das Ganze der Dinge und ihrer Erscheinungen als interdependente Produktion verstanden.72 Ebenso wie „jedes in seiner Production von dem außer ihm gesezten abhängig" (DJ 129 § 196.2) ist, wird parallel und in Wechselwirkung sich darauf beziehend von der Vernunft als ,,lebendige[r] Kraft zur Production aller wahren Begriffe" (DJ 104f. § 176.2) ausgegangen. Die von Schleiermacher vorausgesetzte Gleichmäßigkeit dieses Prozesses, die eine allgemeingültige Zurückbindung von Erkenntnis sichern soll, ist als eine für alle gültige Gleichheit der Produktion der Erscheinungen und der Begriffe zu verstehen, womit Wissen nachvollziehbar und reproduzierbar ist. Damit in Zusammenhang steht „eine allen gemeinschaftliche Begriffsproduction", die nach Schleiermacher „in der Einerleiheit der Vernunft gegründet ist" (DJ 104 § 176) und zugleich an „die Gleichheit des Selbstbewußtseins in allen" (DJ 108 § 178) gebunden ist. Mit Vernunft ist damit ein produktives Vermögen benannt, das in den Grund des Wissens eine Allgemeingültigkeit einbildet, aus dem das Überzeugungsgefühl entspringt, das das Wissen notwendig begleiten muß. Auch wenn wirkliches Wissen hinter dieser Forderung, zugleich als Resultat und als Grund erkannt zu sein (vgl. DJ 47 § 91), zurückbleibt, so 70 71 11
Vgl. E.Reuter: Einheit der Dialektik, 30f. Vgl. K.Kaulbach: Produktion, Produktivität. I.Philosophie, H W P 7 , 1425. Schleiermacher sieht dann auch in der als „Produktionen der Phantasie" (DO 86) bezeichneten Poesie der Griechen den Anfangspunkt der dialektischen Kunst: „Hier finden wir die ersten bewußtlosen Elemente des Philosophierens, sich herausentwickelnd aus der Vermischung mit dem Poetischen." (DO 85).
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wird doch jedes Wissen von der darin liegenden Idee der Allgemeingültigkeit bestimmt, denn „alles wird aus dem Wissensgehalt eines Actes ausgeschieden, sobald es als individuell anerkannt wird" (DJ 47 § 90). Wissen ist allerdings nach Schleiermacher nicht nur ein Produkt der Vernunft, sondern zugleich der Organisation. Aus der Differenz von individueller und allgemeiner Vernunft bzw. Organisation ergibt sich die Möglichkeit einer fortwährenden, der Idee des Wissens folgenden Korrektur (vgl. DJ 47 § 92). Damit sollen die Resultate durch vergleichende Reflexion des zu ihnen führenden Erkenntnisweges, d.h. methodisch, als allgemeingültig und wissenschaftlich gesichert werden. Insofern verkörpert die wissenschaftliche Methode die Realität der ideal vorgestellten Produktion. Unabhängig von der im Entdeckungszusammenhang liegenden Kontingenz realen Wissens muß dessen rationale Begründung es zwingend in den Gesamtzusammenhang des Wissens einordnen, denn im Hinblick auf Wissen ist von einer Identität der denkend produzierenden Subjekte auszugehen (vgl. DJ 48 § 93). Von der Ebene der Kriterien geht Schleiermacher zum Fundament der Kriterien über, wenn er die Frage nach der Objektivität des Wissens stellt. In der Vorstellung eines Überzeugungsgefühls, das das Wissen begleitet und am Grund der Ursprünglichkeit partizipiert, sieht Schleiermacher den dem Subjekt entzogenen Bezug zur Objektivität des Wissens gegeben. In der Allgemeingültigkeit dieses Ursprunges begründet sich zugleich die „Gattungsidentität der Erkenntnissubjekte", was die Möglichkeit „intersubjektiver Substitution von Denkakten und Wahrnehmungsinhalten" 73 impliziert (vgl. DJ 65f. §§ 121f.). Schleiermacher bindet zum anderen (b) an Wissen die Bedingung, daß die darin gemachten Aussagen einem gedachten Sein entsprechen müssen. Schleiermachers Begründung dieser Forderung geht zunächst davon aus, daß Denken intentional ist und sich immer auf Etwas außer ihm liegendes bezieht (vgl. DJ 48 § 94). Aus Schleiermachers Argumentation gegen Kritiker einer damit vorausgesetzten Subjekt-Objekt-Relation wird deutlich, daß er dieses Etwas zunächst lediglich als das vom Denken Unterschiedene, aber nicht Getrennte versteht. Es ist schon mit der dies bestreitenden „Mehrheit von Subjekten", wie auch mit der „Wiederholbarkeit des Denkens" (DO 136), die auf früher Gedachtes erneut Bezug nimmt, gegeben. In der Dialektik von 1814 belegt Schleiermacher die Möglichkeit der Übereinstimmung des Gedankens mit einem Sein mit dem Verweis auf 73
H.-R.Reuter: Einheit der Dialektik, 72.
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Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers
die Struktur des Selbstbewußtseins. Diese uns erschlossene Weise ist der einzige uns gegeben Bezug zu dieser Übereinstimmung. „Allein im Selbstbewußtsein ist uns gegeben, daß wir beides sind, Denken und gedachtes, und unser Leben haben im Zusammenstimmen beider" (DJ 53 § 101).74 Selbstbewußtsein ist hier als ein Sich-mit-sich-Identifizieren zu verstehen. Als eine vorgängige Identifikation übernehmender und insofern bewußter Akt impliziert die sich wissende Einheit des Selbstbewußtseins die Relationalität von Denken und Sein. Einerseits ist das aber mit Schleiermacher gerade nicht auf die Ebene der Reflexion reduzierbar. 75 Wenn andererseits eingewendet wird, daß diese Begründung für die Unterschiedenheit und Übereinstimmung von Denken und Sein, die auf eine vorreflexive Identität zurückgeht, nicht notwendig die Subjekt-Objekt-Differenzierung der Wirklichkeit voraussetzt, so erwidert Schleiermacher: das „Wissen selbst ist im Selbstbewußtsein nur im Sein gegeben, aber als ein von ihm verschiedenes" (DJ 53 § 102). Das im Selbstbewußtsein gegebene Wissen ist von seinem Sein zu unterscheiden bzw. Selbstbewußtsein geht nicht im Wissen auf. Im Selbstbewußtsein wird Denken und Gedachtes als unterscheidbare und zugleich als identische Tatsache übernommen, die im Vollzug Wissen aus sich heraus zu übernehmen und auszudrücken vermag. Das im Selbstbewußtsein gegebene existentielle Selbstverhältnis impliziert relationale Identität. Diese wird, partizipierend am „ursprünglichen producirenden Act" (DJ 42 § 86) absoluter Identität, im Wissen als rationalisierbare Identität von Denken und Sein in Anspruch genommen. Auch die weitergehende Frage, inwiefern eine bestimmte „Beziehung des Denkens zum Gegenstande" (DO 135) möglich ist, beantwortet Schleiermacher mit dem Verweis auf die Struktur des Selbstbewußtseins, denn „im Selbstbewußtsein ist uns ein gegenseitiges Werden beider durcheinander in der Reflexion und im Willen gegeben" (DJ 53 § 103). D.h., daß in passiver und aktiver Bezogenheit eine konkrete 74
75
Auch wenn Schleiermacher dies nicht begründend einführt, so stellt der Verweis auf das Selbstbewußtsein nicht bloß einen „exemplarischen Fall [...] der Wirklichkeit von Wissen" dar, wie D.Korsch: Das doppelte Absolute, 49, behauptet. Als ausgezeichnete Weise des Zugangs zur Wirklichkeit des Wissens macht es diese gegen alle Skepsis evident. Vgl. J. Dierken: Das Absolute und die Wissenschaft, 326: „Das Selbst unterliegt nämlich nicht nur der Struktur der Duplizität. Sondern es ist selbst die Struktur der Duplizität: Es hält sich in ihr durch und verkörpert somit die Einheit der Duplizitätsstruktur." Vgl. E. Reuter: Einheit der Dialektik, 42f., gegen F. Wagner: Schleiermachers Dialektik, 73.
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gegenseitige Beeinflussung vorausgesetzt ist. Mit der Möglichkeit wechselseitiger Beeinflussung von Denken und Sein muß aber auch die Möglichkeit einer bestimmten Relation angenommen werden, da nach Schleiermacher eine inhaltlich als Übereinstimmung zu qualifizierende Beziehung von Denken und Sein als Wissen möglich sein soll (vgl. DJ 50f. § 96). Die mögliche Verfehlung dieser Übereinstimmung im realen Wissen oder Handeln ändert dabei nichts an ihrer notwendigen Voraussetzung (vgl. DJ 51 § 97). Im Hinblick auf solche Irrtümer im Wissen macht Schleiermacher ausdrücklich auf die Kontextualität des Setzens der Übereinstimmung von Gedanke und Gegenstand aufmerksam, was wissenschaftshistorisch die Möglichkeit der Einordnung überholter Erkenntnisse in die „Entwikkelungsreihe des Wissens" (DJ 51 § 97; vgl. DO 138) eröffnet. Die angestrebte „materiale Vollkommenheit des Wissens" (DJ 54 § 105) wird von Schleiermacher als Gleichheit von Einheit und Vielheit in Gedachtem und Sein gesehen. Die Begründung der hier von Schleiermacher vorgestellten Parallelität von Denken und Sein (vgl. DJ 75f. § 132) führt zur Frage der begründenden Voraussetzungen der Wissenstheorie Schleiermachers, d.h. auf „das gesuchte transcendentale" (DJ 54 § 105). Bevor jedoch dieser Frage nachgegangen wird, ist Schleiermachers Exkurs zur Realisierung endlichen Wissens zu folgen. Mit Kant unterscheidet Schleiermacher die intellektuelle und die empirische Seite des Wissens. Im Prozeß des Denkens vollziehen sich diese beiden Funktionen als intellektuelle Tätigkeit der Vernunft und als organische Tätigkeit physischer Verfaßtheit, wobei Schleiermacher betont, daß diese beiden Momente des Wissens in der Realität niemals getrennt vorkommen. An der reinen „Affection der Organe" (DJ 57 § 108.2) endet das Denken ebenso wie an der inhaltslosen „Thätigkeit der Vernunft" (DJ 57 § 109; vgl. DJ 368). Der Prozeß der Erkenntnis wird als Ausbalancieren der intellektuellen und organischen Elemente vorgestellt. Das Problem dieser Beschreibung des Wissens liegt weniger in dem Nachweis, daß empirische Momente nur intellektuell strukturiert zum Gegenstand des Denkens werden können, sondern, daß im Denken und in allen Begriffen immer etwas Wahrgenommenes und insofern etwas Erfahrungsabhängiges ist (vgl. DJ 55f. § 107). Bei Schleiermacher ist zwar der Gehalt einerseits der Form entzogen, aber es ist für seinen Wissensbegriff von zentraler Bedeutung, daß andererseits der Gehalt in der Form als inhaltsvolle Form erscheint. Daher wird Schleiermachers
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Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers
Nachweis, daß auch allgemeine und abstrakte Begriffe organische Elemente enthalten, ausführlicher dargestellt. In den §§ 110 bis 113 der Dialektik von 1814 legt Schleiermacher dar, inwiefern in jedem begrifflichen Denken empirische Gehalte synthetisch in die intellektuellen Formen aufgenommen sind. Allgemeine Realbegriffe verweisen als Gattungsbegriffe auf die unter ihnen subsumierten Erscheinungen und repräsentieren das Gemeinsame ihrer sinnlichen Vorstellungen (vgl. DJ 58 § 110). - Allgemeine Formalbegriffe enthalten als logische Begriffe die organischen Elemente der mit ihnen bezeichneten Operationen, z.B. das Fixieren eines Gegenstandes als logisches Subjekt (vgl. DJ 58 § 111, 368).76 Ihre Funktion erhalten diese Begriffe im operationalisierten Bezug konkreter Tätigkeiten. 77 - Die allgemeinen Denkformen, die den Kantischen Reflexionsbegriffen des Verstandes entsprechen, enthalten als „Form des Prozesses" (DJ 59 § 112) ein empirisches Moment analog der Bindung der Kategorien an die Bedingungen des Erkenntnisvermögens. 78 Entsprechend der bei Kant als Grundlage aller Erkenntnis vorauszusetzenden Einheit kann für Schleiermacher der Satz der Identität als Repräsentant der allgemeinen Denkformen gelten. Insofern verweist die Identität des Subjekts als Bedingung des Wissens auf seinen produzierenden Grund und zugleich auf dessen organische Seite, denn ohne Öffnung nach außen würde Wissen zur leeren Wiederholung werden. 79 Zugleich ist die Identität von Gedachtem und Sein für Schleiermacher Ausdruck des vorausgesetzten einheitlichen Charakters der Wirklichkeit. Mit dieser allgemeinen Voraussetzung ist Wissen in Form eines identifizierenden Akts des Denkens möglich und im besonderen angewiesen auf den rezeptiven 76
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79
Die so vorgestellte empirische Einbettung der Logik korrespondiert mit dem Versuch ihrer psychologischen Begründung, denn in „der rationalen Psychologie kann nichts anderes enthalten sein [...] als die Entwikkelung der Idee des Wissens und der Idee des Handelns [...]" (DJ 171 §228). Vgl. J. von Kempski: Logik, philosophische, der Neuzeit, HWP 5, 455f. Vgl. H.-R. Reuter: Einheit der Dialektik, 57, der die organische Seite der mit allgemeinen Begriffen verbundenen Vorstellungen verdeutlicht, indem er das „hier angezogene Denken an das Vermögen des geordneten Sprechens" und somit an die konkrete Tätigkeit gebunden darstellt. Vgl. I. Kant: KrV A 260ff., Β 316ff., den Bezug der Reflexionsbegriffe zur Sinnlichkeit und zum reinen Verstand. Da die transzendentale Reflexion „den Grund der Möglichkeit der objektiven Komparation der Vorstellungen unter einander" (A 263, Β 319) enthält, bezieht Kant sie auch auf die Erkenntniskraft der Sinnlichkeit. Allerdings ist mit H.-R. Reuter: Einheit der Dialektik, 58ff., die „Identität des Subjects" (DJ 59 § 112) mit der Identität der „denkenden Subjecte" (DJ 48 § 93) nur bedingt zu erklären, da, wie auch DJ 369 belegt, die gesamte „organische Thätigkeit" eine reine Selbstidentität des Subjekts ausschließt.
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Zugang zum Sein. - „Am weitesten entfernt von der organischen Function des Denkens ist der [...] schlechthin allgemeinste" (DJ 60, Anm.) und damit „höchste reale Begriff des Dinges" (DJ 59 § 113). Aber analog der schon bei Kant mit dem völlig unbestimmten Ding an sich gemachten Voraussetzung einer Verursachung von Erscheinung überhaupt geht auch Schleiermacher von einem „Begriff des Dinges [...] als ein subsistirendes in einer Mannigfaltigkeit von Eindrükken" (Ebd.) aus. Damit bleibt in der Unbestimmbarkeit dieses Erkenntnisgegenstandes allein die „Beziehung auf die Afficirbarkeit und Beweglichkeit unseres eigenen Seins" (DJ 60, Anm.), also das Verhältnis zur Organisation behauptet. Wie Schleiermachers Begriffsanalyse insgesamt zeigt, wird bei ihm die Kantische Unterscheidung von apriori und aposteriori aufgehoben. Auch abstrakte Begriffe stehen bei Schleiermacher immer in einem korrelativen Verhältnis zur gesamten Wirklichkeit. Schleiermachers Begriffstheorie steht in einer Tradition, in der Begriffe für Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke stehen. Derart mit (Urteils-)Aussagen korrespondierende Begriffe müssen in doppelter Weise, hinsichtlich ihrer Intension und Extension, bestimmbar sein, sonst werden sie zur leeren Form bzw. zum (letztlich sprachlich nicht ausdrückbaren) Verweis auf die „bloße Erscheinungsmasse" (DJ 92 § 164). Da einerseits sprachliche Ausdrücke jedoch an die intellektuelle Funktion gebunden sind, vollzieht sich in jeder Bezeichnung schon eine „Aussonderung einer Einheit des Seins aus der unbestimmten Mannigfaltigkeit" (DJ 84 § 145). Insofern korrespondiert die Intensionalität des Begriffs wenigstens mit dem Merkmal des Bezeichnet-werdens. Andererseits haben, wie gezeigt, die von Schleiermacher auch in abstrakten Begriffen behaupteten organischen Elemente, als Ausdruck deren Extensionalität, die Funktion, zu sichern, daß Etwas bezeichnet wird. Ähnlich wie der Bezug zur Empirik in Kants erkenntnistheoretischer Konzeption setzt Schleiermacher die Notwendigkeit organischer Momente im begrifflichen Wissen als Wirklichkeitbezug voraus. 80 Die so demonstrierte Nichtabstrahierbarkeit der intellektuellen von der organischen Funktion markiert zwei wesentliche Grundlagen der wissenstheoretischen Konzeption Schleiermachers. Zum einen dient der Nachweis der Irreduzibilität der organischen Funktion im Denken der These, daß jeder Bezug des Denkens auf das Sein auch organisch vermittelt ist. Durch diese Bindung eines als Wissen qualifizierbaren Den80
Vgl. H. Kimmerle: Schleiermachers Dialektik, 39.
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kens an die Wirklichkeit wird insbesondere das spekulative Denken kritisch begrenzt und kontrolliert. Zum anderen sichert Schleiermacher mit der Behauptung, daß Begriffe immer schon empirische Momente enthalten, die Beziehung zwischen der intellektuellen und organischen Funktion des Denkens. Dieser Bezug kann und muß nicht nachträglich vermittelnd aus zwei separaten Weisen der Wirklichkeit konstruiert werden, sondern erscheint als Realisierung des in allen Denkformen anwesenden ursprünglichen produzierenden Aktes. Die Vermittlung der intellektuellen und der organischen Funktion im Denken ist deshalb nach Schleiermacher nicht als eine allein vom erkennenden Subjekt zu erbringende Leistung zu verstehen, sondern erscheint als sich aktualisierender Ausdruck der einheitlichen Wirklichkeit. Die organisch ausgelöste Vermittlung ist die Aktualisierung vorausgesetzter Unmittelbarkeit. Schleiermacher versteht das Sein der Wirklichkeit als eine sich immer wieder in dipolare Gebilde aufteilende Einheit. Darin entsprechen sich ideales und reales Sein, erscheinen in den Polen der Einheit und Mannigfaltigkeit oder stehen sich als Selbstbewußtsein und Welt gegenüber. In der von Schleiermacher vorgestellten Wissenstheorie ist diese dipolare Struktur des Seins abgebildet.81 Ausgehend von der objektiv vorausgesetzten Einheit der Wirklichkeit, die sich in paralleler Struktur im Denken und im Sein manifestiert (vgl. DJ 112 § 181), ist für Schleiermacher die Beziehung zwischen beiden Reihen unproblematisch. Diese polare Differenzierung der Wirklichkeit entzieht sich für Schleiermacher einer beweisenden Begründung. Seine Verweise auf die Struktur des Selbstbewußtseins zeigen vielmehr an, daß er die Unterscheidung von intellektueller und empirischer Funktion zusammen mit dem Realitätsbewußtsein als eine evidente Tatsache versteht, die letztlich auf eine existentielle Gewißheit zurückgeht. „Das Correspondiren des Denkens und Seins ist vermittelt durch die reale Beziehung, in welcher die Totalität des Seins mit der Organisation steht" (DJ 54 § 106). Damit antwortet Schleiermacher auf die Frage: „ Wie kommt das Denken zum gedachten, [...] und wie bleibt beides außer einander?" (DJ 387 = DO 139) Organisation wird als „das Geöffnetsein des geistigen Lebens nach außen" (Ebd.; vgl. DO 151) und 81
Vgl. M. Nealeigh: Theological Method [19911, 41-77: „His [sc. Schleiermachers] Dipolar Epistemology". In dieser Interpretation der Dialektik Schleiermachers als dipolarer Wissenschaftstheorie nimmt Nealeigh die von Odebrecht geäußerte, aber nicht weiter ausgeführte Charakterisierung des Ansatzes Schleiermachers als .bipolar' auf. Vgl. R. Odebrecht: DO, Einleitung, XV.
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ebenso als „Geöffnetsein nach innen" (DJ 491) verstanden, umfaßt also als Sinnlichkeit, Selbstwahrnehmung und Erinnerungsfähigkeit die gesamte Wahrnehmung des dem Selbstbewußtsein Begegnenden. Deshalb kann „dem Ausdrukk organische Function der Ausdrukk Sinn substituirt" (DJ 413 = DO 230) werden. Schleiermacher wählt diesen Begriff, da Organisation im allgemeinen eine funktionale und daraus folgend dispositionelle Zuordnung von Teilen zu einem Ganzen bezeichnet und somit ein komplexer Bezug zur Totalität des Seins wie zum Leben ausgedrückt ist.82 Während die organische Funktion dem Selbst die Mannigfaltigkeit der Welt erschließt, bringt die intellektuelle Funktion darin strukturierend die Einheit der Vernunft zur Geltung. Mit dieser Dipolarität des Denkens führt Schleiermacher die Vernunftstätigkeit auf eine, mit Kants zwölfseitiger Kategorientafel verglichen, einfache, aber grundlegende Struktur zurück. Aus Schleiermachers Perspektive eröffnen die von ihm nicht als Kategorien bezeichneten noetischen Pole ein Verständnis sowohl für die Idee vollkommenen Wissens als vollkommene Übereinstimmung der beiden Pole Vernunft und Wahrnehmung sowie für relative Erkenntnis als ein unabschließbares Oszillieren innerhalb dieses Gegensatzes.83 Die Wirklichkeit stellt sich Schleiermacher als ein System von Gegensätzen dar, zwischen deren Polen sich das endliche Sein konstituiert, und im Sein der Dinge erhalten diese Gegensätze ihre Wirklichkeit. Zugleich ist mit der konstitutiven Komplementarität von Spekulation und Empirie die dem menschlichen Wissen notwendig innewohnende Unvollkommenheit und Unausgeglichenheit angezeigt. 84 Die Pole der Gegensätze stellen die idealisierten Grenzen der Wirklichkeit dar. In der sich auf diese Ontologie beziehenden Wissenstheorie Schleiermachers wird auf die unvermittelt bleibenden idealen Pole zurückgegangen, um die Wirk-
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Vgl. N. Luhmann: Organisation, HWP 6, 1326f. Schleiermacher entlehnt hier eine ursprünglich anthropologische Kategorie, die in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts die körperliche und seelische Disposition des Menschen, zunächst im medizinischnaturwissenschaftlichen und philosophisch-ästhetischen Sinn bezeichnete, bevor der Begriff unter dem Einfluß des Gedankenguts der französischen Revolution auf gesellschaftliche und staatliche Einrichtungen übertragen wurde. Obwohl der Begriff wenig deutliche Konturen zeigte, ermöglicht er Schleiermacher eine Zuordnung innerer und äußerer Bezüge. Vgl. M. Nealeigh: Theological Method, 52: „Put in dipolar terms, thinking and knowing forever hover between the poles of the ideal and the real, between the intellectual and the organic function, between reason and sensibility. This dipolar dynamic can never be completely dissipated and defines all knowledge as relative." Vgl. R.Wiehl: Schleiermachers Hermeneutik, 53f.
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lichkeit als ihre Durchdringung zu verstehen. 85 Ältestes Vorbild dieser auf die entgegengesetzten Ideale zurückgehenden erkenntnistheoretischen Methode ist Piaton. 86 Allerdings zielt im Unterschied zu diesem die wahre Erkenntnis bei Schleiermacher nicht auf das Erkennen der Ideen selbst, sondern auf ein Wissen des Idealen im Wirklichen. Deshalb versteht Schleiermacher Wissen als das Finden des Gleichgewichts zwischen den Polen, wobei auch dieses Gleichgewicht ein unerreichbares Ideal bleibt (vgl. DJ 61 f. §§ 115f.). Mit G. Scholtz ist deshalb zusammenzufassen, daß „Ausgang von konträren Gegensätzen, Kreuzung zweier Gegensatzpaare, Bindung und Durchdringung von Gegensätzen im Bereich endlicher Wirklichkeit, quantitatives Überwiegen eines Poles gegenüber dem anderen, relative Gegensätze zwischen den Individuen und Seinsbereichen, Orientierung am Organismus und Ausgriff auf das Ganze [...] die Hauptkennzeichen Schleiermachers dialektischer, konstruktiver Methode" 87 darstellen. Die Anfragen und teilweise vehement geäußerte Kritik gegenüber dieser ontologisch-wissenstheoretischen Konstruktion werden hauptsächlich in zwei Richtungen vorgebracht. Einerseits wird Schleiermachers Dialektik vorgeworfen, mit leeren Schemata im Dualismus stekkenzubleiben. Deshalb wird im folgenden die epistemologische Leistungsfähigkeit seiner Voraussetzung des transzendentalen Grundes zu untersuchen sein. 88 Weiterhin wird in den folgenden Abschnitten gefragt, ob diese polarisierende und dadurch normierende Methode, indem sie von einem höchsten Gegensatz ausgeht, unter dem sich ein System von Gegensätzen aufspannt, in das alles eingeordnet wird, nicht an der Wirklichkeit vorbeigeht bzw. das Empirische überspringt. 89
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Vgl. F. Kaulbach: Idee der Dialektik, 239f., der Schleiermachers Methode als „Analyse des phänomenologisch vorgefundenen konkreten Tatbestandes" beschreibt, um „einander polare Prinzipien zu gewinnen." Und weiter: „Das Verfahren Schleiermachers läuft jedesmal darauf hinaus, die äußersten polaren Grenzen als reine Abstraktionen zu behandeln, während jeder konkrete geschichtliche Zustand im Weltprozeß als Vermischung der Pole bei einem Übergewicht oder Untergewicht jeweils des einen der Pole besteht." Vgl. Piaton: Politeia 524, wo vom Gegensatz der vermischt erscheinenden Wirklichkeit zwischen dem Erkennbaren, „auffordernd für die Vernunft" und dem Sichtbaren, „was nämlich in die Sinne fällt", ausgegangen wird. G. Scholtz: Philosophie Schleiermachers, 56f. Vgl. Abschnitt 2.3.2. Vgl. Abschnitte 2.3.3 und 2.3.4.
Das Problem des transzendentalen Grundes
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2.3.2 Das Problem des transzendentalen Grundes Die Absicherung des Gültigkeitsanspruches von Wissen sowohl in intersubjektiver Allgemeinheit als auch in objektiver Wirklichkeitsentsprechung führte Schleiermacher zur transzendentalphilosophischen Frage nach dem Grund der Möglichkeit dieser Bedingungen. Der Begriff des Wissens, der als Übereinstimmung von Denken und Sein und zugleich als Übereinstimmung der Denkenden untereinander eingeführt wird, geht von einer fundamentalen Differenz aus. Aus der für Schleiermachers Denken grundsätzlichen Erklärung, daß „die Gesamtheit des auf das Sein beziehbaren Denkens [...] das ideale" und die „Gesamtheit des auf das Denken beziehbaren Seins [...] das reale" (DJ 461 (von 1828)) ist, wird deutlich, daß bei dieser Differenz von einer komplementären Struktur auszugehen ist. Es geht nicht um Gegensätze in der Wirklichkeit, sondern um ein Verstehen der Wirklichkeit innerhalb der ihr eigentümlichen Gegensätzlichkeit. In der Realität kommen die beiden als Pole zu beschreibenden Elemente, das ideale und das reale, ebenso wie die mit ihnen korrespondierenden Tätigkeiten, die intellektuelle und die organische, nie isoliert vor. Entsprechend ist die Vorstellung eines nur rein intellektuellen höchsten Wesens ebenso wie die eines ausschließlich organisch affizierenden Chaos nicht begrifflich faßbar. Zwar bezeichnet es Schleiermacher als möglich, „im transcendentalen Gebiet [...] eine Sonderung dieser Elemente zu sezen" (DJ 60 § 114). Eine auf dem Weg der Negation gesetzte isolierende Sonderung der Pole bleibt für ihn aber ein nicht wirklich zu vollziehender Gedanke (vgl. DJ 60, Anm.). Da diese Gegensätzlichkeit mit ihrer polaren Struktur von Schleiermacher jedoch in ontologischer und wissenstheoretischer Hinsicht in Anspruch genommen wird, muß gefragt werden, worauf sich ein dies unterscheidendes Denken stützten kann. Wenn die Vorstellung der gesonderten Elemente „nicht als einzelner Gedanke in uns, sondern bloß als Grund des Denkens" (DJ 60, Anm.) überhaupt gegeben ist, argumentiert Schleiermacher, so muß in impliziter Weise ein Wissen dieser Differenz vorauszusetzen sein. Der im transzendentalen Grund zu setzende höchste Gegensatz teilt sich demnach im Bewußtsein als bewußt Sein der Differenz von intellektueller und organischer Funktion mit. Zugleich wird im Erscheinen des Differenten auf den höchsten Gegensatz zurück verwiesen. Diese Wechselbeziehung zwischen dem sich mitteilenden transzendentalen Grund und der Möglichkeit, aufgrund von Erscheinungen partizipierend über diesen Grund Aussagen machen zu können, steht im Mittelpunkt der
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transzendentalen Begründung des Wissens bei Schleiermacher. Die von Schleiermacher gewählte Formulierung einer „Annahme (kursiv, I.H.) dieses höchsten Gegensazes" zeigt an, in welchem Sinn „hier lediglich" (DJ 76 § 134) vom Setzen zu sprechen ist. Mit Reuter ist zu behaupten, daß „das Voneinander-unabhängig-Setzen von Idealem und Realem im Sinne eines höchsten Gegensatzes [...] kein konstitutives Sich-setzen der Vernunft, sondern ein regulatives hypothetisches Setzen" 90 ist. „Wer ein Wissen will, d.h. das Gefühl der Ueberzeugung anerkennt" (DJ 76 § 134.1), muß nach Schleiermacher von dieser Voraussetzung ausgehen. Insofern fungiert der im transzendentalen Grund gesetzte höchste Gegensatz als regulatives Prinzip des Wissens. Zugleich macht Schleiermacher aber deutlich, daß diese „Construction des Gegensazes Real und idealu (DJ 396 = DO 175) keine freie Setzung der Vernunft ist. Denn im Bewußtsein müssen wir davon notwendigerweise ausgehen, „daß wir für uns und für einander die Identität sind[,] des Denkens und des gedachten oder Seins, indem wir denkendes Sein sind und seiendes Denken: [...] Daher ist nun der Gegensaz von beidem auch ein Gegensaz im Sein, und da das Sein nur ist für uns in Bezug auf das Denken: so ist nun dieser Gegensaz auch der höchste für uns, so daß er alles Sein, was im wirklichen Denken vorkommen kann, erschöpft" (DJ 397 = DO 176). Schleiermacher verweist darauf, daß im Selbstbewußtsein, in der damit erschlossenen Selbst- und Fremdwahrnehmung, sich mit der Wirklichkeit zugleich der höchste Gegensatz als konstitutives Prinzip des uns gegebenen Seins, welches ebenso unser eigenes Sein einschließt, darstellt. Dieser höchste Gegensatz, unter den die Wirklichkeit und alles Denken für uns fällt, erschließt sich damit für Schleiermacher zugleich mit seiner Einheit. Da unser Denken an den Raum des Gegensätzlichen gebunden bleibt, ist es für Schleiermacher dabei kein Defizit seiner Wissenstheorie, wenn sowohl diese höchste Einheit als auch der höchste Gegensatz nicht selbst Gegenstand des Wissens werden können. Jede positive Erklärung, die nur von erfaßbarer Gegensätzlichkeit und Einheit ausgehen kann, verweist jedoch implizit auf diese notwendigen, transzendentalen Voraussetzungen, ohne sie begrifflich erfaßbar und konstruierbar zu machen. Diese Deutung wird durch den Gebrauch des
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H.-R.Reuter: Einheit der Dialektik, 77.
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Wortes Setzen in Schleiermachers Terminologie unterstützt.91 Schleiermachers Setzen ist das Aufstellen einer ihm aus existentieller Gewißheit heraus als notwendig erscheinenden Voraussetzung, deren Annahme durch die Darlegung der zu ihrer Behauptung führenden Überlegungen und Phänomene nicht bewiesen, sondern lediglich einsichtig gemacht werden soll. Erklären ist insofern eine auf Evidenz zielende Darlegung, die aber, wie im Gespräch, die Annahme der Argumente „zulezt Sache der Gesinnung" (DJ 76 § 134) sein läßt. Hier sind grundlegende Probleme im Verständnis und in der Bewertung des Ansatzes Schleiermachers angezeigt, da sich die transzendentalen Annahmen nach Schleiermacher nicht beweisen, sondern nur akzeptieren lassen. Da Schleiermacher in seinen Begründungen identitätsphilosophische Argumente mit Aussagen existentieller Gewißheit verbindet, bleiben Fragen hinsichtlich der Wechselwirkung dieser differierenden Momente bzw. wie eine argumentativ behauptete Notwendigkeit zu verstehen ist, die beansprucht, von existentieller Gewißheit auszugehen. Schleiermacher geht davon aus, daß die Vorstellung des in der letzten Einheit gesetzten höchsten Gegensatzes nicht nur Erfahrung und Begrifflichkeit ordnendes Prinzip, sondern zuvor und zugleich dies verursachender Grund ist. Auch die sich Schleiermacher darstellende Notwendigkeit der Annahme des transzendentalen Grundes sieht er in diesem selbst verursacht. Von der Idee der reinen Identität ist nach Schleiermacher sogar nur zu sprechen „in sofern sie lebendiger Grund aller Prozesse ist" (DJ 69 § 126b). Alles reale Denken und Wissen ist durch die auf Vermittlung angewiesene Gegensätzlichkeit relativiert, aber zugleich konstitutiv durch deren unmittelbare und produktive Identität gehalten. Deshalb kann Schleiermacher die Prinzipien des Wissens nur dann als regulativ verstehen, wenn sie zugleich konstitutiv sind. Zugleich ist damit ein wesentlicher Gegensatz zwischen dem Denken Schleiermachers und Kants markiert. 92 Der erscheinende transzendentale Grund, der als notwendige Setzung zugleich als Verursachung die gegensätzliche Wirklichkeit aus sich heraus freisetzt, ist nach Schleiermacher nur auf die doppelte Weise von unmittelbarer Konstitution und vermittelnder Regulation zu verstehen. Wie D. Korsch überzeugend dargelegt hat, liegt diese Ein91
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Vgl. M.Nealeigh: Theological Method, 54: „Yet, Schleiermacher does not deduce a ground of epistemic agreement from the realm of knowledge. Rather, he presupposes that such a ground exists and attempts to justify his presupposition." Vgl. S.73 und DJ 171f. § 229.
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sieht, die auf eine Verdopplung der Unmittelbarkeit hinausläuft, letztlich im Gedanken des von der Unmittelbarkeit implizierten Absoluten selbst. 93 „Der Gedanke des Absoluten führt mit innerer Schlüssigkeit auf eine Verdopplung des Absoluten"94. Einerseits ist von der Annahme der Präsenz des Absoluten auszugehen, und andererseits ist diese Präsenz mit den Mitteln unseres reflektierenden Begreifens nicht einholbar, da auch der höchste Begriff des Absoluten nur wieder unter das vorausgesetzte Absolute fallen kann. 95 Die Vorstellung einer Unmittelbarkeit erweist sich in dieser Hinsicht als strukturverwandt zum Gedanken des Absoluten. Auch sie verdoppelt sich, sobald darauf Bezug genommen wird. Die Idee der Unmittelbarkeit führt so zu deren konstitutiver Voraussetzung, die jedoch nur regulativ einholbar ist. Aber auch in den Äußerungen der Dialektik zur philosophischen Gottesidee ist die von D. Korsch aufgezeigte Tendenz zur Verdopplung des Absoluten unverkennbar. Von der Idee absoluter Identität, belegt mit dem Nomen Gott für die „Idee des absoluten Seins" (DJ 69 § 126 b.), wird die Idee der Welt als „Totalität des Seins als Vielheit" (DJ 161 § 218) unterschieden, da in die Absolutheit der Identität keine Differenz bzw. Vielheit (vgl. DJ 162 § 219.1) oder Entwicklung (vgl. DJ 163 § 221.1) gesetzt werden kann. Nach Schleiermacher sind diese spekulativen Vorstellungen über das im transzendentalen Grund gegebene Absolute möglich, auch wenn sie nicht aus der Verallgemeinerung der uns gegebenen Wirklichkeit zu schließen sind und nicht den Charakter eines Wissens tragen. Der zu ihnen führende Gedanke stützt sich zum einen auf die Vorstellung der Komplementarität des Transzendentalen und des Immanenten (vgl. DJ 77 § 135). Zum anderen erscheint für Schleiermacher, um die Totalität des Seins aussagen zu können, die Vorstellung seiner absoluten Identität als notwendige Voraussetzung (vgl. DJ 162 § 219). Die Idee der Gottheit und die Idee der Welt, die als „Repräsentanten des lezten Grundes" (DJ 120 § 188) fungieren, und die Vorstellungen ursprünglicher Identität und höchsten Gegensatzes als Grenzbegriffe zeigen an, daß es bei Schleiermacher keinen höheren integrierenden Begriff des Absoluten gibt und geben kann. Im Wissens93 94 95
Vgl. D. Korsch: Das doppelte Absolute, 53ff. D. Korsch: Das doppelte Absolute, 55. Ähnlich, wenn auch mit anderer Intention beschreibt J.Dierken: Das Absolute und die Wissenschaft, 324f., diese nicht ins Denken einholbare Voraussetzung: „Dieser Tatbestand offenbart, daß der transzendente Grund eine Funktion des diskursiven endlichen Wissens ist, obgleich dieses einen substantiellen Grund immer schon in Anspruch genommen hat, wenn es von ihm will begründet sein."
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begriff Schleiermachers sind damit der konstitutive Identitätsakt und die zugleich erscheinende regulative Differenz der Gegensätzlichkeit miteinander verbunden. Die Idee der Welt als regulative Idee96 des einheitlichen Wissensaufbaus erhält für Schleiermacher nur durch die ihr zugrundeliegende konstitutive Einheitsleistung des transzendentalen Grundes ihre Wirklichkeit. Der höchste Gegensatz stellt damit für Schleiermacher zugleich „die Grenze des transcendentalen und immanenten" (DJ 77 § 135; vgl. DJ 60 § 114) dar, an die das an den Bereich der Gegensätzlichkeit gebundene Wissen stößt. Im Zusammenhang der transzendentalen Ausführungen über die Wissensformen Begriff und Urteil präzisiert Schleiermacher die der menschlichen Denkfähigkeit gesetzten Grenzen. Für die Frage nach dem transzendentalen Grund ist wichtig, daß dessen Bestimmungen begrifflich nicht vollziehbare Gedanken bleiben (vgl. DJ 152 § 215.2). Die in ihn gesetzte Idee des absoluten Seins impliziert eine Verdopplung in die Momente der Identität und Differenz. Diese Differenzierungen bleiben als „Denkgrenze" etwas dem Wissen Vorangehendes, worüber nur „in der Analogie" (DJ 412 = DO 228) zum wirklichen Denken Aussagen positiven Gehalts gemacht werden können. In diesem Sinne sind Aussagen über das in der Unmittelbarkeit präsente Transzendentale nur verweisend, „immer an einem anderen" (DJ 152 § 215.2) möglich, d.h., wie P. Weiß es formuliert, „das Unmittelbare der Transzendenz wird mittelbar in den Grenzen der endlichen Vernunft sichtbar."97 Die Denkgrenzen sind keine vom Denken gesetzten Grenzen, sondern sich im Denken zeigende Grenzen. Ähnlich urteilt Reuter, wenn er feststellt, daß die „Näherbestimmungen der Grenze" des an die Sprachlichkeit gebundenen realen Denkens und Wissens nicht freie Setzungen, sondern „Ideen, auf die die Vernunft als Organ des Vernehmens gekommen ist, und zwar des Vernehmens der elemen-
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Vgl. DJ 161 § 218: „der problematische Gedanke". P.Weiß: Problematik der Denkgrenze [1991], 214. Indem F.Wagner: Schleiermachers Dialektik, 93ff., diese Grenzen jedoch allein aus den Grenzbestimmungen der Begriffs- und Urteilsbildung, also aus formallogischem Verstandesdenken versteht, verzeichnet er Schleiermachers Intention. Schleiermacher nimmt (1818) gerade diese Grenzbestimmungen von den Leistungen des Begriffs aus, denn was „an der Grenze des Begriffs ist, ist seiner Form nach kein Begriff mehr, [...]" (DJ 99, Anm.). Gleiches gilt für das Urteil. Vielmehr geht aus DJ 85f. §§ 147.149 hervor, daß die Grenzen von Begriff und Urteil nicht in diesen liegen, sondern durch die „unerschöpfliche Mannigfaltigkeit des wahrnehmbaren", und die „Idee der absoluten Einheit des Seins" gesetzt sind, also aus Schleiermachers Sicht von der Realität und Idealität des Seins vorgegeben erscheinen.
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taren Einheiten des Satzes"98, sind. Auf den auch für Schleiermacher typischen Zusammenhang von Grenzbestimmung und methodischer Kritik verweist E. Hirsch." Es zeigt sich hier jedoch auch das in den identitätsphilosophischen Argumenten Schleiermachers liegende Problem, daß der im Unmittelbaren gesetzte Bezug nicht begrifflich erfaßbar, aber dennoch als notwendige Voraussetzung vermittelt in Anspruch genommen wird. Zwar läßt sich diese Schwierigkeit unter bestimmten theologischen Prämissen lösen, aber erstens will Schleiermacher hier allein philosophisch argumentieren, und zweitens zeigen die sich an Schleiermacher anschließenden erkenntnistheoretischen und religionsphilosophischen Diskussionen in ihrer Kritik das Problem dieser Inanspruchnahme identitätsphilosophischer Voraussetzungen. Schleiermacher selbst versucht, diese Frage im Rahmen seiner Dialektik durch die Aufnahme des ihm durch die Tradition vermittelten Gefühlsbegriffs zu lösen, den er allerdings in spezifischer Weise modifiziert. Der in Deutschland wirksam gewordene Gefühlsbegriff der englischen Moralphilosophie, 100 die von Kant dem Gefühl „des innern Sinnes"101 zugeschriebene Vermittlung von Sittengesetz und höchstem Gut102 und die von Jacobi dem Gefühl zugesprochene Erkenntnisfunk-
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H.-R.Reuter: Einheit der Dialektik, 120. Vgl. E.Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. V [1954], 297: „Damit hat sich der erkenntnistheoretische Idealismus in einen zwischen Idealismus und Realismus vermittelnden Kritizismus verwandelt, der bewußt mit dem Verfahren des Grenzbegriffs arbeitet. " 100 Vor allem durch Übersetzungen des Anhängers Shaftesbury's, F.Hutcheson: A System of moral philosophy [1755, deutsch 1756] und Inquiry into the original of our ideas of beauty and virtue [1725, deutsch 1762], wo mit dem Ausdruck moral sense als einer Komponente des Moralbewußtseins ein unabhängiger Sinn bezeichnet wird, der „nicht die Fähigkeit, moralische Gefühle zu fallen, sondern lediglich das Vermögen, das uns moralische Gefühle vermittelt" impliziert. Jürgen Sprute: Der Begriff des Moral Sense bei Shaftesbury und Hutcheson. In: Kant-Studien 71 (1980) 221-237, 231. Darüber hinaus dürfte Schleiermacher, der selbst Übersetzungen aus dem Englischen angefertigt hatte und in dessen Bibliothek sich Werke englischer Moralphilosophen fanden, selbst Rezipient dieser Begrifflichkeit gewesen sein. Vgl. F.Ueberweg: Grundriss der Geschichte der Philosophie. 3, 381. 101 I.Kant: KU228. Vgl. I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 91, wo „das moralische Gefühl" mit Bezug auf Hutcheson als ,,vermeintliche[r] besonderefr] Sinn" bezeichnet wird, dem aber als ein Gefühl, das zwar unmittelbar zur Tugend in Beziehung setzt, gegenüber der Vernunft nur eine sekundäre Bedeutung eingeräumt wird. 102 Vgl. I.Kant: KU 265, die Vermittlung des Erhabenen „in der Anlage zum Gefühl für (praktische) Ideen, d.i. zu dem moralischen". 99
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tion103 fließen bei Schleiermacher zur Vorstellung eines im Gefühl gegebenen unmittelbaren Wirklichkeitsverhältnisses zusammen. Für Schleiermacher gibt es allein im Gefühl als rezeptiv und zugleich spontan verstandenes existentielles Verhältnis eine Beziehung zum Absoluten, die weder in der Aporie begrifflichen Denkens noch in der Unmöglichkeit voraussetzungsloser Selbstsetzung steckenbleibt. Dabei ist Gefühl „durchaus nichts Subjektives [...], sondern geht ebenso auf das allgemeine wie auf das individuelle Selbstbewußtsein. Es ist die allgemeine Form des Sich-selbst habens" (DO 288). Eine vor aller Reflexion liegende Selbsterschlossenheit und das Bezogenwerdenkönnen des Intelligiblen und des Empirischen aufeinander werden bei Schleiermacher so vom Gefühlsbegriff umklammert, daß die dabei in Anspruch genommene Unmittelbarkeit „nicht als Aufhebung jeglicher innerer Strukturiertheit" 104 zu verstehen ist, sondern die Möglichkeit der Vermittlung freisetzt. Diese im Gefühl sich realisierende Rückbindung auf das Unmittelbare beinhaltet für Schleiermacher nicht nur eine Überwindung des jeder Vermittlung innewohnenden Begründungsproblems, sondern liefert zugleich - durch die selbstbewußtseinstheoretische Verankerung des Gefühlsbegriffs - zusätzliche Verweise auf die Präsenz des Absoluten im unmittelbaren Selbstbewußtsein. Die Bezogenheit des transzendentalen Grundes auf das unmittelbare Selbstbewußtsein 105 verbindet bei Schleiermacher Erkenntnistheorie und Subjekttheorie. In den »Lehnsätzen aus der Ethik« aus der Einleitung der Glaubenslehre von 1830 verweist Schleiermacher auf seine Theorie des Selbstbewußtseins, in der fundamental von einer „Duplizität des Selbstbewußtseins" (CG21, 24 § 4.1) ausgegangen wird10*. Danach sind in jedem Selbstbewußtsein zwei untrennbare Elemente zu unterscheiden, ein „Sichselbstsetzen und ein Sichselbstnichtsogesetzthaben", womit „das Sein des Subjektes für sich" und zugleich „sein Zusammensein mit
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Vgl. F.H. Jacobi: Werke II, 61: „Und so gestehen wir denn ohne Scheu, daß unsere Philosophie von dem Gefühle, dem objektiven nämlich und reinen, ausgeht; daß sie seine Autorität für eine allerhöchste erkennt, und sich, als Lehre von dem Uebersinnlichen, auf diese Autorität allein gründet". D.Korsch: Das doppelte Absolute, 50. Vgl. H.-R. Reuter: Einheit der Dialektik, 219, Anm. 19, zur sich seit 1818 immer deutlicher zeigenden Identifizierung von unmittelbarem Selbstbewußtsein und Gefühl. Vgl. R. Rieger: Interpretation und Wissen, 222f.
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Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers
anderem" (CG21, 24 § 4.1) ausgedrückt wird. Die Annahme dieser beiden Elemente und ihres Zusammenseins muß nach Schleiermacher „unbedingt gefordert werden", denn „ursprüngliche Agilität" und „Affiziertsein der Empfänglichkeit" (CG21, 24f. § 4.1) sind notwendige und nicht aufeinander reduzible Momente des Selbstbewußtseins. Schleiermacher stützt diese Darstellung des Selbstbewußtseins empirisch mit einem Verweis auf mögliche „Selbstbeobachtung" (CG21, 25 § 4.1), wo wir uns unserer Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit zugleich bewußt sind. Indem aber die „regsame Selbsttätigkeit [...] immer auf einen früheren Moment getroffener Empfänglichkeit bezogen" (CG21, 25f. § 4.1) werden muß, spricht Schleiermacher dem Selbstbewußtsein einen rein selbständigen und voraussetzungslosen Konstitutionsakt ab.107 Dieser erscheint vielmehr als zunächst unbestimmt vorgestellte Beziehung, als eine aller Selbsttätigkeit vorgängige Konstitution, weshalb Schleiermacher das unmittelbare Selbstbewußtsein auch in seinem Wesen auf ein Abhängigkeitsgefühl zurückführt. Insofern betrachtet Schleiermacher die Einheit der Vernunft wie auch die Einheit der erscheinenden Wirklichkeit nicht als eine durch Subjektivität erbrachte Konstitutionsleistung, vielmehr sind ihm beide zugleich in der Erschlossenheit des Selbstbewußtseins gegeben. Die Einheit des Selbstbewußtseins steht in partizipierender Bezogenheit zur Einheit des Seins. Auch die grundlegende Bindung des Denkens an die Sprache (vgl. DJ 259 § 303) impliziert für das Denken des Subjekts stets etwas, was nicht aus dem Subjekt selbst kommt. Die in Schleiermachers wissenstheoretischem Ansatz und in seiner Ontologie vorausgesetzte elementare Identität und Referentialität wird damit nicht subjektivitätstheoretisch begründet, sondern von einem elementaren Existenzverständnis getragen.108 Zugleich ergibt sich im Gefühlsbegriff eine Verbindung der philosophischen und religionsphilosophischen109 Bestimmungen Schleiermachers. Schleiermacher versteht Religion als unmittelbares Bewußtwerden der absoluten Bedingtheit im religiösen Gefühl. Dagegen er107
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Vgl. Thandeka: Schleiermacher's Dialektik, 447, der Henrich aufnehmend davon spricht, daß „Schleiermacher identified this state of subject-less awareness by delineating the subjective state of self-consciousness." Vgl. W. Hogrebe: Deutsche Philosophie im XIX. Jahrhundert [1987], 88. Eine direkte Verbindung von Philosophie und Theologie kann an dieser Stelle nicht intendiert sein, da Theologie als Wissenschaft nicht als Auslegung des religiösen Gefühls als solches, sondern durch ihren Bezug auf eine konkrete Glaubensweise als Äußerung einer Bestimmtheit des religiösen Gefühls positiv definiert ist (vgl. KD2 §§ lf.).
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scheint das als relative Identität von Denken und Wollen gegebene Gefühl, worauf sich Dialektik und Ethik gründen, nur indirekt, im Wechsel von Denken und Wollen (vgl. DJ 15 lf. § 215). Eine Interpretation dieser Erscheinungsweisen des Gefühls, wie sie im transzendentalen Grund allem Wissen und Wollen zugrunde liegt, als ideal und, wie sie sich im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl der Frömmigkeit ausdrückt, als real, wird von Schleiermacher nahegelegt.110 Daraus läßt sich aber kein Ansatz für die Behauptung der Priorität einer der beiden Bestimmungen ableiten. Vielmehr sieht Schleiermacher beide Erscheinungsweisen im Selbstbewußtsein gleichursprünglich auf die der Wirklichkeit zu Grunde liegende Unmittelbarkeit bezogen (vgl. DJ 152 §215.2). Mit den Formulierungen seiner philosophischen Gotteslehre kann Schleiermacher sagen, „daß mit unserem Bewußtsein uns auch das Gottes gegeben ist als Bestandtheil unseres Selbstbewußtseins sowol als unseres äußeren Bewußtseins" (DJ 152 § 215.1). Dieses Sein Gottes in uns drückt sich sowohl in der Gewißheit der Identität des Idealen und Realen wie in der Übereinstimmung unseres Wollens mit den Gesetzen des äußeren Seins in der sittlichen Überzeugung aus (vgl. DJ 154 §216.1). Der hier erhobene Vorwurf einer Psychologisierung der Erkenntnisgrundlagen ist unzutreffend, auch wenn faktische Gewißheit und Überzeugung, verstanden als partizipierend am transzendentalen Grund, zum Beleg der vorausgesetzten Identität werden. 111 Übergänge von ontologisch-wissenstheoretischen Formulierungen zu Aussagen, die das Selbstbewußtsein phänomenologisch beschreiben, sind für Schleiermacher lediglich möglich vor dem Hintergrund der transzendental vorausgesetzten Identität und ihres konstitutiven und produktiven
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Vgl. Rudolf Wrzecionko: Die metaphysische Bedeutung der Gefiihlstheorie in Schleiermachers Dialektik [1890], 25: „Dieses gefühlsimmanente Absolute ist Princip der Religion, Ethik und Dialektik und zwar von seiner idealen Seite Princip der Religion, von seiner realen Seite Princip der Ethik und Dialektik." Allerdings leitet Wrzecionko aus diesem gemeinsamen Bezug einen zu kritisierenden Vorrang der Theologie ab, indem er die „Religion [als] das unmittelbare Bewusstwerden ( = ideale Seite) des absoluten Bedingtwerdens der einzelnen Wissens- und Willensakte durch den gefühlsimmanenten transcendentalen Urgrund ( = reale Seite)" (32) diesen Akten vorordnet. Vgl. auf den Seiten 226ff. den Unterschied von Schleiermachers transzendentalphilosophischen Formulierungen in seinem wissenstheoretischen Ansatz zu den psychologischen Bestimmungen in der »Erfahrungsseelenlehre« von F.E.Beneke.
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Charakters. 112 Es ist deutlich geworden, daß Schleiermacher in seinen Beschreibungen des Selbstbewußtseins eine relationale Identität zwar in Anspruch nimmt, diese aber nicht als solche explizieren kann. Insofern erscheint auch seine Voraussetzung einer absoluten Identität als eine unreflektierbare Annahme, womit Schleiermacher „eine Konzeption des wissenschaftlichen Verfahrens unter Voraussetzung eines immer unthematischen Absoluten" 113 - im Sinne einer begrifflichen Thematisierung bietet.114 Wagner bezeichnet dieses Vorgehen als „negative Vermittlung", die „notwendig an ein vorgängiges Wissen nicht nur um das, was der Gegensatz nicht, sondern auch um das, was der Gegensatz an sich selber sein soll, gebunden"115 ist. Diese Beschreibung, die zugleich das Vorverständnis Wagners spiegelt, darf jedoch nicht entgegen Schleiermachers Intention als subjektive Setzung bzw. Beweisführung disqualifiziert werden, sondern ist als Annäherung und zugleich Partizipation des Selbstbewußtseins als Ort des Wissens an nicht verfügbare Voraussetzungen des Wissens zu akzeptieren. Daß damit in jedem Wissen außerhalb seiner intellektuellen und organischen Elemente ein Grund nicht reflektierbarer Voraussetzungen anwesend ist, muß innerhalb einer Vorstellung, in der Wissen allein als Erfassung der Wirklichkeit durch Mittel der Reflexion verstanden wird, unbefriedigend bleiben. Das ist aber nicht die Intention Schleiermachers. Schleiermacher unterstreicht vielmehr, daß die im transzendentalen Grund anwesende absolute Einheit des Seins nur im Gefühl, als ein vom Wissen zu unterscheidendes Phänomen, unmittelbar in Anspruch genommen werden kann, und daß er in seiner Dialektik kein absolutes Wissen und eine davon ausgehende Reflexion begründen will.116 In der Dialektik geht es Schleiermacher um die Darstellung einer Wissenschaft des wissenschaftlichen Verfahrens. Dies ist auch in seinem Verständnis der Dialektik als 112
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Vgl. R.S.Corrington: Schleiermacher's Phenomenology of Consciousness [1981], 36, in dessen Darstellung allerdings Schleiermachers „phenomenology of consciousness and his general ontology" so eng miteinander verbunden werden, daß „the stages of self-consciousness co-emege with their attendant ontotheological frames". J. Dierken: Das Absolute und die Wissenschaft, 309. Eine Bezeichnung dieser unmittelbaren Bezogenheit als „ursprüngliches Wissen" (DJ 18 § 46) ist jedoch, wie andere Äußerungen belegen (vgl. DJ 86 § 149), ein terminologischer Fehlgriff. F.Wagner: Schleiermachers Dialektik, 86. Schleiermacher betont, daß die Vorstellung eines ursprünglichen Wissens irreführend ist und daß das „absolute Wissen [...] eigentlich nur in dem nicht auszudrükkenden Gedanken der Einheit des zertheilten" (DJ 144 § 210.2) Wissens besteht.
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Kunstlehre ausgedrückt.117 J. Dierken charakterisiert dies zutreffend: „Unter Aufnahme des antiken Begriffs der Kunst geht es also in der philosophischen Dialektik um die Explikation derjenigen Regeln und Verfahrenstechniken, deren Gebrauch allein ein Wissen zum Wissen in strengem Sinn erhebt."118 Insofern geht es nicht um eine Begründung eines Absolutheitsanspruches des Wissens, sondern um ein „Gespräch über das Gespräch"119, in dem dessen allgemeingültige Voraussetzungen gesucht werden. Allerdings sieht sich Schleiermacher durch den in der Idee des Wissens implizierten Absolutheitsanspruch genötigt, diese Verfahrenswissenschaft in Verbindung mit ihrer Voraussetzung einer unmittelbar gegebenen Identität und Dualität des Idealen und Realen zu denken (vgl. DJ 69 § 126). Dabei ist es aber mit Schleiermacher falsch, diese Nötigung im Sinne einer „apagogischen Argumentation"120 als letztlich doch begründende Beweisführung anzusehen. Vielmehr versteht Schleiermacher die argumentativen Einsichten als existentielle Nötigung und als Verweis auf einen ,,lebendige[n] Grund aller Prozesse" (DJ 69 § 126b). Eine im Wissen in Anspruch genommene wirkliche Übereinstimmung zwischen den beiden Seiten des höchsten Gegensatzes und aller sich daraus entwickelnden Gegensätze setzt eine Beziehbarkeit voraus, deren Prinzip ebenfalls im Transzendentalen gründen muß. Dies bezeichnend spricht Schleiermacher vom Einen Sein als der Einheit von Differentem (vgl. DJ 77 § 135). Um aber deutlich zu machen, daß in der Beschreibung des transzendentalen Grundes nicht mehrere Prinzipien nebeneinander gestellt werden, verweist Schleiermacher darüber hinaus auf einen gemeinsamen Ursprung von Einheit und Differenz, was er unter die „Idee des Seins an sich" (DJ 77 § 136) als Einheit der Einheit und Differenz faßt.121 „Dies ist also Beziehung der absoluten Einheit des Seins, die uns aber nirgend im wirklichen Denken gegeben ist, auf die absolute Gemeinschaftlichkeit des Seins, die uns auch nirgend gegeben ist" (DJ 507). Diese Bezeichnung einer „höchsten Einheit" (DJ 78 § 137) ist die am weitesten gehende Beschreibung des Transzendentalen. Schleiermacher faßt zusammen: „Das transcendentale, worauf wir von hier aus kommen, ist also die Idee des Seins an sich unter zwei ent117 118
120 121
Vgl. S.23. J. Dierken: Das Absolute und die Wissenschaft, 320. K.Pohl: Bedeutung der Sprache [1954/55], 308. J. Dierken: Das Absolute und die Wissenschaft, 324. Vgl. H.-R.Reuter: Einheit der Dialektik, 86f.
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Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers
gegengesetzten und sich aufeinander beziehenden Arten oder Formen und modis, dem idealen und realen, als Bedingung der Realität des Wissens" (DJ 77 § 136). Schleiermacher vereint in dieser Vorstellung vom transzendentalen Grund die von Kant aufgezeigte transzendentale Funktion der Einbildungskraft und die Beziehung und Einheit stiftende transzendentale Funktion des Dinges an sich. Dabei verschiebt er die subjektive Leistung der Einbildungskraft und das Vermögen der Vernunft als Antwort auf die Frage, wie synthetische Urteile möglich sind, in eine ontologische Voraussetzung. 122 Die Struktur des Wissens wird als Struktur des Seins selbst gedacht (vgl. DJ 75f. § 132). Wird die Möglichkeit des Wissens durch seine Übereinstimmung mit der Realität des Seins, das sich nach Schleiermacher selbst ins Ideale und Reale differenziert, als existentiell gegeben betrachtet, wird aus der regulativen Idee das konstitutive Prinzip des Wissens. W. Hogrebe charakterisiert diesen höheren Realismus als einen „wohlverstandenen naiven Realismus", der identisch ist „mit der Normaleinstellung des natürlichen Bewußtseins, für das nichts absurder ist als die These von der Bewußtseinsabhängigkeit des Seins, selbst wenn es zugeben muß, daß wir ohne Investitionen kategorialer Art zu allgemeinheitsfähigen Erkenntnissen nicht gelangen können."123 Damit erhält der transzendentale Grund bei Schleiermacher die doppelte Funktion, die bei Kant in der Apriorität der Verstandeskategorien und im Ding an sich aufgeteilt waren. Einerseits ist er der Grund des Seins im Sinne einer Verursachung aller Erscheinungen. Gleichzeitig sind in ihm die Struktur der Erscheinungen und des diese Erscheinungen erfassenden Wissens vorgegeben. Diese Vorgegebenheit der Struk-
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Vgl. G. Wehrung: Dialektik Schleiermachers [1920], 130: „An die Stelle der synthetischen Einheit der Apperzeption, die dort den Möglichkeitsgrund des Erkennens bildet, ist die Gottesidee gerückt, dafir haben sich die das Fortschreiten und die Systematisierung des Wissens leitenden Ideen Kants zu der einen Weltidee zusammengezogen". Vgl. H.-R. Reuter: Einheit der Dialektik, 107. Vgl. S.-H. Choi: Vermitteltes und unmittelbares Selbstbewußtsein [1991], 221f.: „Schleiermacher versucht die von Kant ungelöst an den Rand geschobene, der Hoffnung überlassene Problematik der aporetischen Einheit von Denken, Tun und Glauben wieder in den gesamten Bewußtseinsbereich einzubeziehen. Der Angelpunkt liegt für ihn, im Unterschied zur sonstigen nachkantischen Tradition, nicht im immer nur nachkonstruierenden Denken, sondern im unmittelbaren Selbstbewußtsein, in dem die unmittelbare Berührung mit dem Transzendenten in der Zeit aktuell und d.h. immer auch auf zeitlose Weise geschieht. "
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W. Hogrebe: Deutsche Philosophie im XIX. Jahrhundert, 88.
Wissen in den Formen von Begriff und Urteil
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turen des Wissens drückt Schleiermacher durch die Identität des Transzendentalen und des Formalen aus. An dieser Stelle verbindet Schleiermacher den emanativen und konstitutiven Charakter des transzendentalen Grundes, der als Grund des Seins auch „Grund alles Wissens" (DJ 18 § 46) ist, mit der Möglichkeit seiner funktionalen Inanspruchnahme. Da die transzendentalen Aussagen nicht auf eine Ableitung wirklichen Wissens aus transzendentalen Ideen oder aus einem Urwissen hinauslaufen, sondern für Schleiermacher die explikative Darstellung notwendig erscheinender und existentieller Voraussetzungen sind, betont er, daß auch das Wesen des Formalen nicht in der Deduktion bestehen kann (vgl. DJ 35 § 79). Die Formen des Wissens müssen sich im Wissen gleich ursprünglich auf die im transzendentalen Grund vorgegebene Allgemeingültigkeit und Referentialität beziehen. Insofern ist im transzendentalen Grund das das Wissen begleitende Überzeugungsgefühl an die Strukturbestimmung des Wissens gebunden. Von dieser Struktur bestimmt, erscheint Wissen in den Formen von Begriff und Urteil. 2.3.3 Wissen in den Formen von Begriff und Urteil Begriff und Urteil stellen die wechselseitig abhängigen Erscheinungsweisen des realen Wissens dar. Da die im Urteil verknüpften Subjekte und Prädikate Begriffe sind, setzt die Form des Urteils die Bildung von Begriffen voraus (vgl. DJ 82 § 140). Gleichzeitig beruhen Begriffe auf sie definierenden Urteilen (vgl. DJ 83 § 142). Diese Wechselseitigkeit von Begriff und Urteil verweist auf die dem Wissen eigene Kreis- oder Oszillationsbewegung, deren indifferenter Grund nicht bewiesen, sondern nur transzendental vorausgesetzt werden kann und sich formal in Begriffen und Urteilen entwickelt (vgl. DJ 83 § 144). Dabei werden im Prozeß des werdenden Wissens durch Begriffe eher die statischen und durch Urteile eher die dynamischen Elemente ausgedrückt (vgl. DJ 401 = DO 191).124 Der Ausfall der Figur des Schlusses aus der klassischen Trias von Begriff, Urteil und Schiaß wird von Schleiermacher damit begründet, daß es sich im Falle des Schlusses nicht um eine eigenständige Wissensform handelt, sondern die Wahrheit der Prämissen formal an die Konklusion weitergegeben wird (vgl. DJ 81f. § 138.2, 285 § 327), weshalb die syllogistische Form des Wissens sich letztlich auf die des Urteils redu124
Vgl. DJ 419 = DO 253 und DJ 129f. § 196, womit zugleich der vorsokratische Streit zwischen stehendem Sein und beständig fließendem Sein in Schleiermachers Dialektik als die Komplementarität von Substantialität und Kausalität aufgelöst wird.
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Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers
ziert (vgl. DJ 8 2 § 138.2b). Wagner bringt gegen diese Ansicht das Argument vor, daß im Vernunftschluß „in apodiktischer und nicht nur in assertorischer Relation wie im bloßen Urteil"125 die Subjektfunktion des Obersatzes mit der Prädikatsfunktion des Untersatzes verbunden wird. Er betont statt dessen, mit Verweis auf Hegel,126 daß der Syllogismus geradezu das Wesen der Vernunft als Vermittlungsvermögen des Allgemeinen und Besonderen ausmache. Wagner übersieht aber, daß Schleiermacher hier „nicht nach der Genesisf,] sondern nach der Form des Wissens für sich" (DJ 82 § 1 3 8 . 2 ) , d.h. nach der Geltung, fragt. Die Form des Schlusses entspricht in dieser Hinsicht als prädikative Zuordnung der des Urteils. Schleiermacher betrachtet hier nicht die Bildung weiterer Erkenntnisse durch die Vermittlung früherer, wie es im technischen Teil der Dialektik mit der Bildung von Gedankenreihen beschrieben wird, sondern er unterstreicht, daß er ein wesentliches Charakteristikum des Wissens in dem es begleitenden Überzeugungsgefühl sieht, d.h. in seinem Bezug zum transzendentalen Grund und der darin gegebenen Identität des Idealen und Realen. Nur darin ist für Schleiermacher die Möglichkeit allgemeingültiger Prädikation gegeben, die dagegen beim Syllogismus schon in dessen Prämissen vorauszusetzen ist. Dieser Rückbezug auf das Transzendentale drückt sich deshalb für Schleiermacher nur in Formen aus, die unmittelbar die intellektuelle und die organische Tätigkeit aufeinander beziehen. Mittelbare Erkenntnisformen partizipieren immer an der Unmittelbarkeit von Begriff und Urteil. Das bedeutet, daß auch die an die Grenzen des Denkbaren gehende dialektische Vernunft nach Schleiermacher an die konstitutive Verbindung von Intellekt und Organisation gebunden bleiben muß.127 Darüber hinaus zeigt diese Begründung für die beiden Formen des Wissens die enge Verbindung von Wissenstheorie und Ontologie bei Schleiermacher, wobei die Ontologie sich in der strukturellen Verfaßtheit der im Denken reflektierten Wirklichkeit und in der Struktur des Wissens äußert. Am Beginn seiner Ausführungen zur ßegn^sbildung unterstreicht Schleiermacher noch einmal die Ablehnung der These des Empirismus 125 126
127
F. Wagner: Schleiermachers Dialektik, 94. Vgl. G.W.F.Hegel: Wissenschaft der Logik II, SW V [1816], 119: „Der Schluß ist [...] nicht nur vernünftig, sondern alles Vernünftige ist Schluß". Wie H.-R. Reuter: Einheit der Dialektik, 33, bemerkt, ist dies auch der Grund für „Schleiermachers Mißachtung der terminologischen Unterscheidung von Vernunft und Verstand", die Kant eingeführt hatte. Vgl. DJ 47 § 92.
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(vgl. DJ 30f. § 70; 102 § 175), wogegen er mit platonischem Anklang behauptet, daß „das System aller das Wissen constituirenden Begriffe in der allen einwohnenden Einen Vernunft auf eine zeitlose Weise gegeben" (DJ 104 § 176) sei. Es wäre aber ein Mißverständnis schon der platonischen Ideenkonzeption, diese als konstante und vorgefertigte Einheiten zu interpretieren, und erst recht eine Fehlinterpretation der Vorstellung Schleiermachers. Vernunft ist bei ihm der Ort, an dem die Begriffe ihrer Möglichkeit nach gesetzt sind: „Wie man sagt, daß im Saamen die ganze Pflanze" (DJ 104 § 1 7 6 . 1 ) ist. Die Vernunft ist als „lebendige Kraft zur Production aller wahren Begriffe" (DJ 104f. § 176.2) 1 2 8 Ausdruck einer am transzendentalen Grund partizipierenden Potentialität. Damit wird einem einseitigen konsenstheoretischen Wahrheitsverständnis nicht nur aufgrund der Vorgegebenheit des Seins, auf welches korrespondierend Bezug genommen wird, widersprochen, sondern auch aufgrund des der Vernunft innewohnenden Vermögens, das als Partizipation am Sein begriffliches Wissen in seiner Einheit hervorbringt. Ebenso wird auch der konventionalistischen These widersprochen, denn ein wahrer Begriff muß immer einen eigenständigen, in der Vernunft liegenden Grund haben, der nicht durch übernehmendes Erlernen des Begriffes zu ersetzen ist.129 Wahre Begriffe haben bei Schleiermacher ein ursprüngliches Verhältnis zum Grund ihrer Wahrheit, auf den „in der Einerleiheit der Vernunft" (DJ 104 § 176) Bezug genommen wird. Auch wenn mit diesem letztlich im Transzendentalen gründenden Wahrheitsverständnis hier nichts über die zu Begriffen führende Heuristik ausgesagt werden kann, so werden außerhalb der einen Vernunft liegende wahre Begriffe ausgeschlossen. Als begriffsbildende Kraft ist die Vernunft in ihrer wirklichen Begriffsproduktion nicht nur auf den Grund dieses Vermögens, sondern zugleich auf Vorgegebenes im Sinne einer Veranlassung bezogen. Dadurch, daß die Begriffe in ihrer Produktion, die durch Affektionen ausgelöst wird, vermittelt durch die Vernunft, auf den sie hervorbrin128
129
Vgl. die Begriffsaufnahme von Schematismus und Kraft sowie die Parallelität der Vorstellung zu Kant: KrV A 141, Β 180: „Noch viel weniger erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben jemals den empirischen Begriff, sondern dieser bezieht sich jederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft, als eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung, gemäß einem gewissen allgemeinen Begriffe." Insofern stimmt F. Schleiermacher: DJ 107f. § 177f., der Auffassung Piatons von den angeborenen Ideen zu, wobei er aber die Erinnerung der Anamnesislehre nicht „doktrinal" als Aufnahme zuvor bestehender Begriffe versteht, sondern „mythisch" als produktiver Bezug auf den „Schematismus aller wahren Begriffe als lebendigen Trieb" (DJ 108 § 177.3).
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genden Grund zurückgehen, kann Schleiermacher vom „System der Begriffe" (DJ 109 § 178.3) als einer Einheit sprechen. Diese als Produktion bezeichnete Einbindung der Begriffe in einen durch Einheit und Differenz strukturierten Grund sichert für Schleiermacher, daß von einem Ganzen der das Wissen konstituierenden Begriffe ausgegangen werden kann (vgl. DJ 109 § 179). Anders als bei Kant ist es bei Schleiermacher nicht das Vermögen der Einbildungskraft, das die verschiedenen äußeren Affektionen zur „Identität der organischen Affection" (DJ 108 § 178.2) formt, sondern Schleiermacher geht von einer transzendentalen und insofern formalen Entsprechung zwischen den Begriffen und dem Sein der Erscheinungen aus. Diesen Universalienrealismus korrigiert Schleiermacher allerdings durch zwei begrenzende Momente. Einerseits hebt der durch die Behauptung der Entsprechung zum Sein begründete Realismus der Begriffe nicht den der einzelnen Dinge auf (vgl. DJ 111 § 180.2), und andererseits bezieht sich Schleiermacher hier auf einen formalen Realismus der Begriffe, deren System nicht die Einheit und Konsistenz des Wissens in sich trägt. Reale Begriffe werden von Schleiermacher als sprachliche und regionalisierte Ausdrucksformen verstanden. 130 Die dem Sein entsprechende Struktur der Begriffe wird in Parallelität aus dem Gegensatz von Allgemeinem und Besonderem entwickelt (vgl. DJ 111 § 180). So wie Gattungsbegriffe die Anschauungen der Arten hervorbringen, so gibt der produktive Grund als eine Kraft die Erscheinungen frei. In dieser dynamischen Weise entsteht eine hierarchische Struktur von Kräften und Erscheinungen und ebenso von entsprechenden Begriffen (vgl. DJ 112 § 181). Aus dieser hierarchischen Reihe fallen allerdings die extremen Steigerungen des Begriffs der Kraft und der Erscheinung ebenso wie die Ideen der Gottheit und des materiellen Chaos heraus, denn das Wissen in Form des Begriffs bleibt nach Schleiermacher sowohl an die Einheit und Differenz des Idealen und Realen als auch an den Gegensatz des Allgemeinen und Besonderen gebunden. 131 - Es ist zwar richtig, daß Schleiermacher hieraus eine Kritik an einem dynamisierten Pantheismus als Form des Neuspinozismus formuliert, jedoch nicht aufgrund eines Erkenntnisvorbehalts gegenüber dem 130
131
Vgl. F.Schleiermacher: DJ 68f. § 125.2: „Kein Wissen in zwei Sprachen kann als ganz dasselbe angesehen werden [...]". Vgl. H.M.Baumgartner: Arbor porphyriana, HWP 1, 493f., der auf die Einordnung dieses logischen Begriffsschemas „in die metaphysische Tradition des Neuplatonismus" hinweist, die aber im Hinblick auf das Allgemeine und das Individuelle unbestimmt wird.
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als Wesen der Erscheinungen interpretierten Kräften.132 Kräfte innerhalb des betrachtbaren Seins sind immer auch als Erscheinungen anzusehen (vgl. DJ 112f. § 181). Aber Schleiermacher betont, daß sich durch eine Steigerung des an den Raum des Gegensätzlichen gebundenen Begriffs der Kraft die dem Wissen gesetzte Grenze, an der sich das Immanente und Transzendente unterscheiden, nicht vermittelnd einholen läßt (vgl. DJ 113f. § 183). - Der von Schleiermacher in Anspruch genommene Kraftbegriff, der in enger Verbindung zu seinem Begriff der Produktion steht, ist dabei insgesamt weniger aus naturwissenschaftlichen Zusammenhängen im Sinne linearer Kausalitäten als aus der philosophischen Tradition der „substantiellen Formen"133 entnommen. Im Gegensatz zum Begriff sieht Schleiermacher das Urteil nicht in der Identität von intellektueller und organischer Funktion gegründet (vgl. DJ 122 § 189), vielmehr stellt er es in die „Einerleiheit der Beziehung zwischen der organischen Function und dem außer uns gesezten Sein" (DJ 123 § 190). Wie Schleiermacher verdeutlicht, ist diese Einerleiheit Ausdruck der vorausgesetzten Gleichheit von Wahrnehmungsurteilen über gleiche Tatsachen. Diese für Schleiermachers Wissensbegriff zentrale Annahme basiert auf zwei Voraussetzungen. Zum einen wird von einem identischen Gegebensein der Außenwelt für alle (vgl. DJ 123 § 190.4) und zum anderen von einem gleichen äußeren Bewußtsein aller (vgl. DJ 125 § 192) ausgegangen. Auch diese Voraussetzungen des dem Urteil entsprechenden Seins ruhen damit im transzendentalen Grund, der nicht nur das Sein, sondern auch „eine Gemeinschaftlichkeit des Seins, oder ein System der gegenseitigen Einwirkungen der Dinge" (DJ 125 § 193) aus sich freisetzt. Während der Begriff in der Identität des Gegensatzes von Kraft und Erscheinung gründet, muß im Urteil ein 132 133
Vgl. H.-R. Reuter, Einheit der Dialektik, 133-141. Vgl. DJ 120 § 187.1: „das im Gegensaze von Kraft und Erscheinung der Form des Begriffs entsprechende Sein enthält das System der sich reproducirenden substantiellen Formen." Mit diesem bereits aus der frühen scholastischen Tradition stammenden Begriff bezeichnet Schleiermacher das nach dem Vorbild lebendiger Dinge (DJ 117f. § 186) dem Seienden innewohnende Vermögen zur Selbstreproduktion und zur Hervorbringung von Erscheinungen. In DJ 120 § 187 deutet Schleiermacher die der Vorstellung der substantiellen Formen zugrundeliegende Ontologie als Gleichurspriinglichkeit von Stoff und Form betont gegen einen Dualismus von Gott und Materie bzw. von einer zur Materie hinzukommenden und diese individualisierenden Potenz. Vgl. H.-R. Reuter: Einheit der Dialektik, 141-161, der besonders in diesem Zusammenhang auf die „an der Natur entwickelte Ontologie [...] als Formulierung der vernünftigen Strukturen von vorhandener Wirklichkeit überhaupt" (160) hinweist.
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über den Subjektbegriff hinausgehender Teil prädiziert werden. Der Grund dieses überschießenden Teiles kann aber nicht in einem anderen subjektivischen Sein liegen, da dieses für sich stehend selbst Subjekt wäre. Das der Prädikation des Subjekts entsprechende Sein kann nur in der Wechselwirkung des Seins liegen. Das Urteil bezieht sich bei Schleiermacher damit auf das ebenfalls im transzendentalen Grund gegründete Zusammensein des Seins, ausgedrückt in der „Gegenseitigkeit von Ursach und Wirkung" (DJ 126 § 193.4). Diese in die Erklärung des Urteils hineinwirkende Kategorie der Kausalität ist nicht im Sinne einseitiger Verursachung zu verstehen, sondern wird von Schleiermacher entsprechend zur Gegenseitigkeit von Kraft und Erscheinung als Wechselseitigkeit des Seins aufgefaßt. Im Begriff wird mit der Einheit von Kraft und Erscheinung „ein selbstreproduktives Aussichsein" bestimmten Seins bezeichnet, und mit der Einheit von Ursache und Wirkung wird im Urteil „ein Von-anderswoher-Gewirktseinbzw. Auf-anderes-hin-Wirken" 134 bestimmten Seins ausgedrückt. Durch beide Kategorien wird dabei aber in das jeweilige Sein etwas gesetzt, was nur teilweise in diesem liegt und in den Gesamtzusammenhang des Seins ausgreift. Damit gründet alles begreifende Urteilen im sich in Raum und Zeit bewegenden Sein und dessen sich bildenden Zusammenhängen (vgl. DJ 419 = DO 251). Im Gegensatz zu Kant, der die Erkenntnistheorie transzendental im Subjekt verankert, bindet Schleiermacher seine Wissenstheorie ontologisch an die Vorstellung eines strukturierten und interdependenten Seins. Die Wirkungen des Seins und parallel dazu die Urteile gründen im transzendentalen Grund, ohne diesen als kausale Größe zu separieren. 135 Der mit der Ontologie korrespondierende Wissensbegriff Schleiermachers hat damit folgende Struktur: Im transzendentalen Grund ruht die Voraussetzung der Identität des Idealen und Realen, woraus zugleich deren Gegensätzlichkeit und ein Verhältnis wechselseitiger Entsprechung beider Modi des Seins entspringt. Damit äußert sich der transzendentale Grund im Denken und im Sein als Bildungsvermögen und Struktur. Auf der idealen Seite sind die von der intellektuellen Funktion, durch reale Anstöße affizierten, hervorgebrachten Begriffe in der Einerleiheit der Vernunft zu einem System aller das Wissen konstituierenden Begriffe geordnet. Auf der realen Seite sind die durch die organische Funktion realisierten Wahrnehmungen durch die Einer134 13s
H.-R. Reuter: Einheit der Dialektik, 163. Vgl. H.-R.Reuter a.a.O., 164.
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leiheit der Außenwelt und des darauf gerichteten äußeren Bewußtseins zu den das Wissen mitkonstituierenden Urteilen geformt. Mit Begriffen bezeichenbare substantielle Formen und durch Urteile zugeordnete Zusammenhänge umfassen das sich im Wissen darstellende endliche Sein. Mit dieser Parallelisierung von Ontologie und Wissenstheorie geht Schleiermacher von einer Kontinuität des endlichen Seins aus, das, als substantielle Formen betrachtet, der Form des Begriffes, hingegen als Ursache und Wirkung angesehen, der Form des Urteils vollständig entspricht (vgl. 127 § 195). Da Schleiermacher trotz dieser Entsprechung an der im Transzendentalen gesetzten Denkgrenze festhält, ist dies nicht als eine Aufhebung der Wissenstheorie in eine distanzlose Ontologie zu betrachten. Dies ist vielmehr als eine Begrenzung ontologischer Annahmen auf wissenstheoretisch plausible Aussagen zu verstehen. G. Wehrung hat darauf aufmerksam gemacht, daß auch in der Tat die transzendentalen Annahmen trotz gegenteiliger Behauptung, wenn Schleiermacher zu den technischen Ausführungen der Dialektik übergeht, in den Hintergrund treten.136 Trotzdem sieht Schleiermacher in den transzendentalen Vorstellungen Strukturaussagen der Wirklichkeit begründet, die im Hinblick auf ihre Adäquatheit zu befragen sind. Die von Schleiermacher vorausgesetzte dipolare Struktur des Seins und des Denkens bewirkt eine Normierung der Vorstellungen des Wirklichen, mit der Gefahr, daß das Empirische als Komplement des Intellektuellen sich zu den das Wissen begründenden Annahmen indifferent verhalten könnte. Da die empirische Wirklichkeit nur in chaotischer Masse oder innerhalb der Gegensätze von ideal und real erscheint, entfällt bei Schleiermacher die Reflexion von zur Wirklichkeit gehörenden Substrukturen. Insofern ist der Argumentation A. Arndts nachzugehen und zu prüfen, inwieweit die im transzendentalen Grund gesetzte präreflexive Einheit als Grund und Form allen Wissens bei Schleiermacher darauf hinausläuft, die empirische Wirklichkeit in ihrer Differenziertheit nicht zu betrachten und damit die Reflexion gegenüber dem Empirischen zu immunisieren.137 Da bei Schleiermacher zugleich die Tendenz besteht, den begrifflich nicht einholbaren transzendentalen Grund und die in ihn gelegten Absi136 137
Vgl. G. Wehrung: Dialektik Schleiermachers, 283. Vgl. A. Arndt: Dialektik und Reflexion, 140, der betont, daß Schleiermacher „die Formen des werdenden Wissens nicht im Rückgang auf deren realphilosophische und empirisch-einzelwissenschaftlichen Gehalte, sondern im spekulativen Rückgang auf den transzendentalen Grund" entwickelt.
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cherungen im Vollzug der Wissensbildung zu übergehen, äußert sich diese Immunisierung auch in einer Freigabe des Empirischen und Differenten. Allerdings weisen die im technischen Teil der Dialektik dargestellten Theorien der Begriffs- und Urteilsbildung einen stärker deskriptiven Charakter auf, d.h., die aus der Idee des Wissens folgenden Begriffseinteilungen, so die Absicht (vgl. DJ 196 § 249), werden relativ zum betrachteten Gegenstand vollzogen, so die Einschränkung (vgl. DJ 199f. § 253). Trotzdem bleibt der Vorwurf an Schleiermacher, daß er die Empirie in eine polare Struktur einengt und durch die Behauptung einer Entsprechung zur Vernunft nur allgemein und formal in die philosophische Betrachtung transzendentaler Vorgaben einbezieht. Daher soll im folgenden gefragt werden, in welcher Weise die empirische Wirklichkeit überhaupt die philosophischen Bestimmungen der Wissenstheorie bei Schleiermacher beeinflußt. 138 2.3.4 Die Funktion der Empirie in Schleiermachers Wissensbegriff Zwei Tendenzen laufen hier in Schleiermachers Dialektik gegeneinander. Einerseits hält Schleiermacher daran fest, daß „in jedem einzelnen Denken die Totalität des Systems der Begriffe und die Totalität des Seins mitgesezt ist" (DJ 191 § 241). Aber dann wird diese Idee des Wissens in ein Prinzip des Werdens gefaßt (vgl. DJ 191 § 242) bzw. festgestellt, daß nicht jede Reihe des reinen Denkens „aus der Totalität des wissenschaftlichen Systems gebildet ist" (DJ 192 § 244), also in der Relativität des Irrtums und des Unvollständigen bleibt. 13 ' Auf diese und ähnliche Einschränkungen geht es zurück, wenn Schleiermacher schließlich andererseits anerkennt, daß die „technische Theorie" der Wissensbildung sich nicht unmittelbar an „die Gegenwart der Vernunft als Trieb und das Erfülltsein der Sinne als Einwirkung" (DJ 200 § 255) anschließt. Daher wird in der Theorie der Begriffsbildung sowohl die Induktion als auch die Deduktion in einem mittleren Bereich angenom-
IM
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Deutlich werden diese angedeuteten Erscheinungen noch in den von Schleiermacher beeinflußten erkenntnistheoretischen Ansätzen. Vgl. K.C. Köhnke: Neukantianismus, 443f., Anm. 3: „Bei aller Bereitschaft, im Anschluß an Schleiermachers Dialektik auch die empirische Erkenntnis in die logische Theoriebildung einzubeziehen, behaupten diese Autoren [sc. H. Ritter, A.D.C. Twesten, J. Braniß, F. Vorländer, L. George] doch weiterhin die Autonomie der Logik." Vgl. die detaillierten Darstellungen in Abschnitt 4.3. Vgl. W.Hogrebe: Deutsche Philosophie im XIX. Jahrhundert, 86: „Dieses Bewußtsein der Totalität ist für den Einzelnen immer eine epistemische Überforderung."
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men, der durch eine „schwebende Identität des allgemeinen und besonderen" (DJ 201 § 256) charakterisiert sei.140 Hier macht sich bemerkbar, daß in einem als unmittelbar beschriebenen Verhältnis von Allgemeinem und Einzelnem die Bedeutung des Besonderen ungeklärt bleibt. Demzufolge bleibt auch dessen Zuordnung zum Wissen offen. Offensichtlich sah auch Schleiermacher in der Darstellung der zum Wissen führenden Technik, daß die Verbindung von intellektueller und organischer Funktion den problematischen Schnittpunkt zwischen Denken und Sein bzw. zwischen Allgemeinem und Besonderem markiert, denn genau hier, „in Beziehung der Erscheinung auf den durch das Schema dargestellten Begriff" (DJ 209 § 262), beginnt die Möglichkeit des Irrtums. Methodologisch betont Schleiermacher den faktischen Bezug wirklicher Begriffsbildung auf die Auszeichnung einzelner Wahrnehmungspunkte, und er räumt folgerichtig der Induktion einen Vorrang ein (vgl. DJ 204 § 257). Auch für die Deduktion stellt Schleiermacher klar, daß nur durch organische Affektion das Setzen eines positiven Teilungsgrundes zu einer abgeleiteten Vielheit führt. 141 Zwar enthält für Schleiermacher jedes induktive Vorgehen deduktive Momente, d.h., das Schema der Wahrnehmung steht schon mit dem Begriff in Verbindung (vgl. DJ 222 § 270), aber im „Hinsehen auf die ursprünglichen Acte des Inductionsprozesses liegt die Möglichkeit der ursprünglichen Acte des Deductionsprozesses" (DJ 234 § 279). Mit der in der Induktion gegebenen Anerkennung des Individuellen ist nicht nur formal, sondern inhaltlich auf eine Relevanz des empirisch gegebenen Einzelnen in Schleiermachers Methodologie, diesseits des transzendentalen Grundes und der aus ihm freigesetzten Gegensatzpaare, zu schließen. Jedes erkennende Selbstbewußtsein ist schon immer auf Individualität bezogen. Das gilt für äußerlich Vorgegebenes, aber auch für das mit Persönlichkeit verbundene wirkliche Bewußtsein. Für Schleiermachers wissenstheoretisches Philosophieren ist aufgrund „der Zertheilung des Bewußtseins in der Persönlichkeit" das „Anfangen aus der Mitte [...]
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Zwar versucht Schleiermacher in der Darstellung (spekulativen) ethischen Wissens als Bestimmung des aus der Vernunft gefolgerten Handelns einen Vorrang der Deduktion auszumachen, aber faktisch erfolgt auch hier mit der Bestimmung der Vernunft als „die organisierende und die erkennende" (Ethik 19 § 6) ein Rückgang auf Vorgegebenes. Vgl. DJ 234 § 279, Anm.: „Ein anders construirter Gegensaz, wo nämlich die eine Seite nur negativ ist, giebt keinen Theilungsgrund; denn aus der bloßen Negation läßt sich wieder keine Vielheit hernach ableiten."
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Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers
unvermeidlich" (DJ 250ff. § 291). Selbst die in dieses mittlere Feld der Erfahrung 142 gestellte Einheit der Vernunft endet, wie Schleiermacher es deutlich sieht, an der Historizität und Regionalität der Sprache und kann deshalb die Relativität des Einzelnen nur bedingt aufheben (vgl. DJ 259 § 303).143 Durch die Sprache geht zwar „das Bewußtsein aus der persönlichen Verschlossenheit" (DJ 225 § 272.1) heraus, bleibt aber zugleich im Gebiet der Relativität (vgl. DJ 228f. § 273). Nach Schleiermacher ist die Relativität unseres Wissens nicht nur eine Folge der Unabgeschlossenheit des Induktionsprozesses, sondern „ursprünglich im Organismus gegründet" und möglicherweise ebenso „auch auf der Vernunftseite ursprünglich" (DJ 229 § 273.2) angelegt. Es klingt wie eine erkenntnistheoretische Regel, wenn Schleiermacher fordert, „das ganze Begriffbildungssystem einer Sprache nur als provisorische Annahme zu sezen" (DJ 550). Schleiermacher rechnet offensichtlich mit einer Regionalisierung sowohl des Wahrnehmens als auch des an die Sprache gebundenen Denkens.144 In diesen Zusammenhang gehört auch die von Schleiermacher gesehene Rückwirkung der „Begriffe im gemeinen Leben [...] auf den Anfang einzelner Erkenntnißreihen" (DJ 256f. § 299). Noch deutlicher wird dieser Zugang zur Wissenskonstruktion im technischen Teil der Dialektik, wenn Schleiermacher hier die Relativität des Wissens und das „individuelle Princip" (DJ 231 § 276) aufeinander bezieht. Neben dem im Unmittelbaren gründenden Schema der Wissensbildung, d.h. neben der im Transzendentalen gegebenen Zurückfuhrung des Wissens auf den ursprünglichen produzierenden Akt, führt Schleiermacher deshalb ein kritisches Verfahren als „unnachläßliges Correlatum" (DJ 231 § 276) in den Prozeß des werdenden Wissens ein. Da, wie Schleiermacher eingesteht, eine „Durchdringung des speculativen und empirischen" im Gebiet des realen Wissens nicht möglich ist, bleibt nur eine aus der „begleitende[n] Beziehung des einen auf das andere" ermöglichte „wissenschaftliche Kritik" (DJ 144 § 210). Gemeint ist mit dieser Kritik, die „das Gebiet des Wissens im engeren Sinne" beschreibt, ein Verfahren der Vergleichens, dessen „Principien [...] 142
143 144
Schleiermacher versteht unter Erfahrung ein sich auf die intellektuelle und organische Funktion stützendes, zunächst subjektives Wissen (vgl. DJ 55ff. § 107), von dessen Gemeinsamkeit aufgrund der Identität der Vernunft und der Organisation aller (vgl. DJ 65f. § 122) auszugehen ist. Vgl. K.Pohl: Bedeutung der Sprache, 316f. Vgl. DJ 345, wo Schleiermacher (1811) von der „Nationalvernunft" spricht, die „sich zur menschlichen, wie die menschliche zur allgemeinen" verhält.
Die Funktion der Empirie in Schleiermachers Wissensbegriff
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nicht auf den Schematismus allein gehen" (DJ 231 § 277, Anm.). Zwar geht es in der wissenschaftlichen Kritik um die Selbstdarstellung der Vernunft im realen Wissen, aber dieser Beweggrund des Wissens, der auf umfassende Einheit zielt, muß auf die in der Bestimmtheit des Vorgegebenen liegenden Individualität und Differenz bezogen werden. 145 „Dabei hat", wie D. Lange den Ansatz Schleiermachers beschreibt, „die Mannigfaltigkeit für sich genommen die Tendenz, sich durch die Gegebenheit des einzelnen als solchen gegen die schematische Einheit zu sperren, diese dagegen, die Mannigfaltigkeit zu verschlingen oder zu ignorieren. Erst die unendliche Vermittlung von Einheitsgedanke und Mannigfaltigkeit des Gegebenen führt die Erkenntnis dem Indifferenzpunkt zu, der allein Sachhaltigkeit und Gewißheit verbürgt"146, wobei dieser Indifferenzpunkt selbst jedoch „nur in dem nicht auszudrükkenden147 Gedanken der Einheit der zertheilten" (DJ 144 § 210.2) besteht. Unterhalb dieser Idee erhält das „untersuchende oder kritische" 148 Verfahren im Wissenschaftsverständnis Schleiermachers keine korrigierende, sekundäre Funktion, sondern trägt wesentlich die eigentliche Wissensbildung, indem mit seiner Hilfe versucht wird, „das Wesen der individuell-konkreten historischen Erscheinungen, das weder spekulativ konstruiert noch einfach empirisch aufgefaßt werden kann, im kritischen Vergleich zu bestimmen"149. In ähnlicher Weise werden in technischen Verfahren Spekulation und Empirie aufeinander bezogen. Technische Disziplinen haben in Schleiermachers Wissenschaftssystematik zwischen Begriff und Erfahrung I4S
Vgl. H.Schnädelbach: Reflexion und Diskurs [1977], der im Anschluß an Descartes eine Normierung der „Begriffspaare .individuell - universell', .Faktum - Prinzip', .reflexiv - irreflexiv' und .sensibel - intelligibel'" (84) hinterfragt und statt einer Lösung des Erkenntnisproblems auf der Ebene der Gegensätzlichkeit für eine „Kritik" plädiert, die nicht als „normative Überprüfung von Geltungsansprüchen verstanden werden" soll, sondern als „Aufweis der Grenzen innerhalb derer ein Ausdruck sinnvoll bleibt" (331). Da die bloße Charakterisierung von Geltungsansprüchen als transzendental diese nicht notwendig zu normativen macht (vgl. 373), sind auch transzendentale Voraussetzungen nicht von einer Abhängigkeit in historisch variable und praktisch veränderbare Lebensbedingungen zu trennen. Schnädelbach stellt fest, daß wir über „kein invariantes Explikansmedium - .Vernunft', .Sprache' - und damit auch über keine invarianten Explikantia mehr verfügen." Damit gerät das Explikationsmedium auf die Ebene des veränderlichen Explikandum: „Die Transzendentalphilosophie wird zur Hermeneutik" (374).
144
D. Lange: Subjektivität und Kritik [1980], 294f. Statt „auszudrükkenden" in DA 2 61 § 210, der dies besser beschreibende Ausdruck: „auszudenkenden". F. Schleiermacher: Ethik, 217 § 109, Anm. H.-J.Birkner: Schleiermachers christliche Sittenlehre [1964], 35.
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ihren Ort. Sie setzen Begriff und Erfahrung voraus, bringen jedoch selbst kein eigenes, objekthaltiges Wissen hervor. Schleiermacher versteht diese „regelgebenden oder technischen Verfahren" aufgrund ihrer praktischen Funktion auch als Kunstlehren, die „durch vergleichende Beobachtung zum Behuf des handelnden Eintretens" 150 zur Vermittlung von Vernunft und Natur beitragen. Zu diesen technischen Disziplinen zählen deshalb Wissenschaften, wie die Praktische Theologie151 oder die Hermeneutik152, in denen es um die aus der Idee des Wissens nicht ableitbare Frage nach richtigen Verfahrensweisen geht. Zugleich wird deutlich, daß in jedem wirklichen Wissen notwendig ein historisch-konkretes und individuelles Moment liegt, das, wie R. Rieger in seiner Darstellung der philosophischen Begründung der Hermeneutik Schleiermachers betont, „als solches nicht mitteilbar, sondern nur im individuellen Symbol, dem Kunstwerk darstellbar ist"153. „Kritik und Technik sind also nicht von eigenem propositionalem Gehalt, sondern sie stellen eine spezifische Weise des Umgangs mit [...] den propositionalen Gehalten von Spekulation und Empirie dar."154 Indem aber auch die Verfahrenswissenschaften von der Idee des Wissens ausgehen, partizipieren sie in den ihre Aussagen begleitenden Überzeugungen ebenso am Grund allen Wissens. Dies verweist auf den von Schleiermacher angezeigten, im Wissen selbst liegenden Übergang von der Dialektik zur technischen Disziplin der Hermeneutik. 155 Wie die als Kunstlehre bezeichnete Dialektik ist auch die Hermeneutik als Kunst des Verstehens eng mit der Gesprächssituation verbunden und korrigiert die von der Dialektik aufgezeigte und sich als Streit äußernde Unfähigkeit des sich äußernden Selbstbewußtseins, „in monologisch verfahrender Deduktion über die geschichtliche Welt zu urteilen"156. Während es jedoch in der Dialektik um eine diskursive Klärung der Voraussetzungen des streitenden Gespräches und seiner Überwindung geht, wird in der Hermeneutik die individuelle Sprachäußerung, wozu auch Wissensaussagen gehören, auf das sich darin realisierende Allgemeine hin betrachtet. R. Wiehl hat in 150 151 152 153 154 155
156
F. Schleiermacher: Ethik, 218 § 109, Anm. Vgl. F.Schleiermacher: Praktische Theologie, 25. Vgl. F. Schleiermacher: Hermeneutik, 79. R. Rieger: Interpretation und Wissen, 255. W.Gräb: Kirche als Gestaltungsaufgabe [1991], 164. Vgl. DJ 260 § 303: „Auf jeden Fall aber ist hier die Abhängigkeit der Dialektik von der Hermeneutik, die aber auch wieder von jener abhängig ist." M.Potepa: Hermeneutik und Dialektik bei Schleiermacher [1985], 485.
Die Funktion der Empirie in Schleiermachers Wissensbegriff
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diesem Zusammenhang auf die Zusammengehörigkeit von Kritik und Verstehen bei Schleiermacher hingewiesen, die beide sich als Verfahren im Rahmen der Wissenstheorie auf das unvollständige und nicht übereinstimmende Wissen beziehen.157 Schleiermachers Idee des Wissens ist die einer Ausgewogenheit von Vernunft und Wahrnehmung als Moment realisierter Entsprechung von Denken und Sein. Diese „Vollständigkeit und Unveränderlichkeit des Wissens in der Gemeinschaft der Sprachen" korrespondiert mit den anderen idealen Vorstellungen, die für Schleiermacher das höchste Gut beschreiben. 158 Obwohl damit hinter dem Wissen das Ideal eines statischen Zustandes der Harmonie steht, ist der Prozeß der Wissensbildung durch die Bewegung der Kritik und des Verstehens bestimmt. Schleiermacher beschreibt ihn als „werdend in der Oscillation" (DJ 62 § 116). Und selbst die mit dem Bild der Oszillation sich ergebende Vorstellung eines ausgewogenen, asymptotisch erreichbaren Mittelpunkts stellt für Schleiermacher keinen realisierbaren Zustand dar. Da „in der intellectuellen Function nur das allgemeine unmittelbar gesezt, das besondere als solches aber nur in unendlicher Approximation zu produciren" (DJ 196 § 248, Anm.) ist, bleibt in allem wirklichen Wissen ein auch formal nicht auflösbar Différentes. In die Anerkennung des Besonderen bezieht Schleiermacher auch die zum Wissen führenden Regeln der Begriffs- und Urteilsbildung ein, die deshalb „nie ganz im allgemeinen zu geben sind, sondern nur helfen, in wiefern sie sich auf die besonderen Verhältnisse beziehen" (DJ 197 § 249.1; vgl. DJ 542f.). Wie diese Darstellung der von Schleiermacher aufgenommenen individuellen, kritischen und technischen Aspekte des Wissens insgesamt zeigt, geht es ihm nicht nur um einen wesentlichen Bezug des realen Wissens zur Empirik, sondern zugleich „um eine Berichtigung und Erweiterung des spekulativ Deduzierten durch das empirische Gegebene."159 157
Vgl. R.Wiehl: Schleiermachers Hermeneutik, 50f. F. Schleiermacher: Über den Begriff des höchsten Gutes [1827], 119: „Alles dieses ist Eins, und keines ohne das andere; aber je nachdem wir den einen Standpunkt nehmen oder den andern, erscheint das höchste Gut bald als das goldene Zeitalter in der ungetrübten und allgenügenden Mitteilung des eigentümlichen Lebens, bald als der ewige Frieden in der wohlverdienten Herrschaft der Volker über die Erde, oder als die Vollständigkeit und Unveränderlichkeit des Wissens in der Gemeinschaft der Sprachen, und als das Himmelreich der freien Gemeinschaft des frommen Glaubens, jedes von diesen in seiner Besonderheit dann die anderen in sich schließend und das Ganz darstellend." 159 H.Kimmerle: Das Verhältnis Schleiermachers zum transzendentalen Idealismus, 423. 158
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Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers
Die sich in vollständiger Balance der intellektuellen und organischen Funktion einstellende Idealität des Wissens stellt als Indifferenz/?««^ des Idealen und Realen keine wirkliche Möglichkeit des Wissens dar. Nun zieht Schleiermacher daraus nicht den Schluß, die erreichbare Allgemeingültigkeit des wirklichen Wissens allein in der Vernunft gesetzt zu sehen. Für Schleiermacher ist nicht nur das Besondere im Allgemeinen enthalten, sondern auch das Besondere trägt das Allgemeine in sich. Im transzendentalen Grund ist die Identität beider vorausgesetzt (vgl. DJ 150 § 214.1). Wirkliches Wissen mit relativer Allgemeingültigkeit kann es daher für Schleiermacher nur unter ausdrücklicher Berücksichtigung des Empirischen geben.160
2.4 Das Wissen der Wissenschaftslehre Die bisherige Darstellung hat gezeigt, daß die Konstitution des Systems des Wissens aus Begriffen und Urteilen, eingebettet in die Identität und Differenz des transzendentalen Grundes, bei Schleiermacher nicht zu einem geschlossenen und rational begründeten Gebäude des Wissens führt. Vielmehr gibt es einen Überschuß des Individuellen bzw. des Empirischen über das formal Erfaßbare und eine Grenze der aus der Vernunft deduzierbaren Verallgemeinerungen. Aber auch die sich ergebende Offenheit des wissenstheoretischen Ansatzes Schleiermachers ist das Ergebnis einer Entgegensetzung. Der universale methodologische Anspruch, der die Dialektik über alles realwissenschaftliche Wissen, über die es Übereinstimmung erst zu erzielen gilt, erhebt, steht dem anerkannten Anderen der Geschichte oder Empirie gegenüber. Insofern ist die Bezeichnung der Dialektik als Kunstlehre ein ernstzunehmendes Indiz, daß Schleiermacher das wissenstheoretische Problem nicht als geschlossen lösbar ansieht. Zwar ist in der Annahme einer approximativen Entwicklung des „Wissens im Fortschreiten" (DJ 170 § 227, Anm.) die Relativität alles realen und unvollkommenen Wissens vorausgesetzt, aber Schleiermacher gibt keine Theorie dieses Fortschreitens an, womit er die Kontinuierlichkeit dieses Prozesses offen läßt, sogar mit Sprüngen dabei rechnet (vgl. DJ 14 § 31a). Konstitutiv an der durch die im transzendentalen Grund als Identität des Transzendentalen und Formalen gegebenen Idee des Wissens ist das so gesetzte Kriterium vollkommenen Wissens. Aber die extensive und 160
Vgl. G.Scholtz: Philosophie Schleiermachers, 69f.
Das Wissen der Wissenschaftslehre
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intensive Vervollkommnung des Wissens, die diesem Kriterium folgt, ist bei Schleiermacher in einen unendlichen und offenen Prozeß entlassen, der weder das Sein der Welt noch das Sein Gottes im Wissen erfassen kann (vgl. DJ 164 §§ 222f.). Für den realen Prozeß des Wissens werden daher in der Dialektik lediglich formale Kriterien vollkommenen Wissens sowie formale Schritte zur Konstruktion und Kombination des Wissens formuliert. Darauf bezieht sich die schon bald geäußerte Kritik an Schleiermachers Dialektik, daß auf transzendentaler und formaler Ebene keine positiven Kriterien realen Erkenntnisgewinns entwickelt werden. 161 Schleiermacher will in dieser Hinsicht mit seiner Dialektik jedoch nicht die Aufstellung eines konkreten Verfahrens leisten, sondern stellt eine methodologische Reflexion über die Struktur wissenschaftlicher Verfahren an. Das Verstehen des Differenten selbst, soweit überhaupt möglich, durch die Formulierung eines Verfahrens betrachtet Schleiermacher nicht als Aufgabe der Dialektik, die - vom „formal inhaltlichen Begriff verstehbaren Wissens" ausgehend - Inbegriff von dessen Vollständigkeit und „formal-universale Kunstlehre" 162 ist. Unter der formalen Voraussetzung des Differenten zielt die Kunstlehre auf eine Übereinstimmung im Denken zunächst über die Strukturen des Wissens, um damit die Bedingungen und Möglichkeiten des wissenschaftlichen Prozesses zu klären. Zur Irreduzibilität der organischen Funktion kommt hinzu, daß mit der dies widerspiegelnden Sprachlichkeit des Denkens, von der Schleiermacher ausgeht,163 im zum Wissen führenden Denken selbst stets Différentes impliziert ist. „Im Denken selbst ist schon die Allgemeinheit der Vernunft gebrochen durch die Individualität, die das Empirische ins Denken bringt."164 Das verhindert nicht nur „eine reflexionslogische Begründung für die Einheit des sich denkenden Denkens im Subjekt des Denkens"165, sondern hat, indem es die Entwicklung einer idealen Methodologie begrenzt, erhebliche wissenstheoretische Konsequenzen. Diese „unaustilgbare Differenz im Denken" (DJ 580), 161
162 I6} 164 165
Vgl. H. Ritter: Versuch zur Verständigung über die neuste deutsche Philosophie seit Kant [1853], 121f. R.Wiehl: Schleiermachers Hermeneutik, 52. Vgl. M.Frank: Das individuelle Allgemeine, 104. R. Rieger: Interpretation und Wissen, 283. H. Kimmerle: Schleiermachers Dialektik, 43. Vgl. M.Potepa: Hermeneutik und Dialektik bei Schleiermacher, 489f.: „Schleiermacher stellt durch den Gedanken der multiplen Individualität die idealistische Reflexionsstruktur des Subjekts in Frage. Auf diese Weise gibt er der kantischen Konzeption der Transzendentalphilosophie eine bedeutsame Wendung."
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Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers
die jedes Wissen grundsätzlich regionalisiert, verweist die im werdenden Wissen formulierten Aussagen immer auf ihre kritische Auslegung. Während die Dialektik die idealen Konstitutionsbedingungen realen, sprachgebundenen Wissens angibt, wird in der technischen Disziplin der Hermeneutik das Verstehen des Empirischen und Individuellen im Wissen thematisiert. Das zum Wissen strebende Denken im Vollzug der Sprache wird selbst zum Gegenstand des Verstehens, d.h. zum Text der Hermeneutik. „Die Dialektik erfordert die Hermeneutik, denn die Identität im Wissen könnte nie gefunden werden ohne die Analyse der Differenz, also ohne das Verstehen der vorausgesetzten Widersprüche, die zu einer Einheit gebracht werden sollen."166 Aber auch die Dialektik als Ganzes ist in einen Prozeß des Verstehens einbezogen - nicht nur, weil ihre transzendentalen Bestimmungen unbegrifflich und auslegungsbedürftig bleiben, sondern vor allem, weil die Dialektik in der Wissenschaftssystematik Schleiermachers nicht an der Spitze einer Hierarchie der Disziplinen erscheint.167 Als Wissenschaftslehre stellt die Dialektik die transzendentalen und formalen Voraussetzungen jeder Wissenschaft dar. 168 Schleiermacher versteht die Dialektik als Organon aller Realwissenschaften, die sich grundsätzlich in Ethik und Physik aufteilen (vgl. DJ 25 § 58, 120 § 187.1).169 Besonders E. Herms hat aber darauf aufmerksam gemacht, daß auch in der Ethik „die Möglichkeit von Wissen überhaupt oder die Idee von Wissen" 170 thematisiert wird. Da Schleiermacher in seiner Ethik nicht nur das „Handeln im engern Sinne", sondern auch „Wissen als Handeln" 171 reflektiert, wird, dem spekulativen Verständnis der Ethik entsprechend, die Idee des Wissens ebenfalls zum Gegenstand der Ethik. Die durch Herms aufgezeigte inhaltliche Parallelität zwischen dem transzendentalen Teil der Dialektik und den epistemologischen Teilen
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167 168
169 170 171
R. Rieger: Interpretation und Wissen, 293; vgl. 257: „Die Theorie der Textkonstitution ist die Dialektik in ihrem realen, auf Sprache bezogenen Aspekt, die Theorie der Textinterpretation ist die Hermeneutik." Vgl. R.Rieger: Interpretation und Wissen, 260f. Vgl. G. Sauter: Theologie als Wissenschaft, 25f.: „Philosophie, gefaßt als kritische Methodologie, wird zu einer Wissenschaft auf dem Grunde alles Wissens und gleichsam über allem Wissen; sie wird zu einer Metawissenschaft, die freilich nicht beziehungslos über diesen anderen Wissenschaften schwebt, sondern deren Charakter als Wissenschaft begründet und dadurch sie nicht nur begleitet, sondern in ihnen wirksam ist. " Vgl. F. Schleiermacher: Ethik, 7f. : „Deduction der Ethik aus der Dialektik". Vgl. E. Herms: Die Ethik des Wissens beim späten Schleiermacher, 486. F. Schleiermacher: Ethik, 11 § 51.
Das Wissen der Wissenschaftslehre
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der Ethik zeigt,172 daß die Funktion der Dialektik als Kunstlehre nicht nur vor, sondern auch in der Ethik lokalisierbar ist.173 In dieser Verbindung realwissenschaftlicher Ausführungen mit einer diskursiven Verständigung über die Konstitutionsbedingungen von Wissen zeigt sich die von Schleiermacher angestrebte Wechselwirkung der Dialektik mit der Wirklichkeit. Diese Lokalisierung der Dialektik verweist zugleich auf die im Ansatz Schleiermachers angelegte Konsequenz, daß auch das Wissen der Dialektik unter den Bedingungen der Relativität jedes Wissens zu sehen ist (vgl. DJ 10 § 21)174. Insofern ist dieses Ergebnis der Untersuchung des Verhältnisses der Idee des Wissens zum realen Wissen als die Aufnahme des schon früh von Schleiermacher geäußerten Ausgangspunktes anzusehen, die Dialektik nicht unabhängig von jeder realwissenschaftlichen Verbindung ausführen zu wollen.175 Zusammenfassend ist festzustellen, daß Schleiermachers Dialektik wissenstheoretische Überlegungen im Rahmen transzendentaler Voraussetzungen eng in ontologische Vorgaben einordnet. Sie entspricht daher dem, was er unter einer Wissenschaftslehre versteht. Die dem Vollzug wirklicher Erkenntnis zugrundeliegende und darin erscheinende Konstruktion und Kombination des realen Wissens wird von Schleiermacher als immanente Entsprechung der transzendentalen Voraussetzungen verstanden (vgl. DJ 17 § 44). Für die Weise, wie Schleiermacher diese Entsprechung konstruktiv umsetzt, ist der gewählte Name seiner philosophischen Vorlesung »Dialektik« programmatisch. Es geht nicht um eine deduktiv umsetzbare Analogie des Transzendentalen und des Immanenten. Schleiermacher ist sich vielmehr der Empirik und Individualität in der Wirklichkeit bewußt und rechnet im Prozeß der Wissensbildung mit einer anhaltenden Differenz des Denkens und einer Relativität des Wissens. Daher will er mit seiner Dialektik die „Kunst des Gedankenwechsels" (DJ 17 § 45) reetablieren, indem er minimale Vor-
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Vgl. E.Herms: Die Ethik des Wissens beim späten Schleiermacher, 497f. Vgl. G. Scholtz, Philosophie Schleiermachers, 123, der anmerkt, daß die darüber hinausgehende These von Herms: Die Ethik des Wissens beim späten Schleiermacher, 494, „daß der reife Schleiermacher die Dialektik selber als eine der Ethik eingeordnete Disziplin verstanden haben wollte", sich aus dieser Parallele nicht überzeugend ableiten läßt. Vgl. DJ 191 § 242: „Die Idee des Wissens selbst in ihrer Bewegung betrachtet ist ein werdendes, sowohl im einzelnen als im ganzen." Vgl. E. Herms: Die Ethik des Wissens beim späten Schleiermacher, 475, der den Gedanken rekursiv ausdrückt: „Verbindlich ist diese Anforderung der Ideegemäßheit wissenschaftlichen Wissens jedenfalls nur dann, wenn sie selber in der Idee von Wissen gedacht werden muß." Vgl. S.21.
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Der Wissensbegriff der Dialektik Schleiermachers
aussetzungen für die Annahme eines zum Wissen als Übereinstimmung führenden Prozesses formuliert. 176 Diese Voraussetzungen versucht Schleiermacher durch die Darstellung ihm notwendig und evident erscheinender Annahmen zu stützen. Dabei wird kein vom gewöhnlichen Wissen getrennter Wissensbegriff eingeführt, sondern das alltägliche Vorgehen wird als unbewußter Anwendungsfall allgemeiner Strukturen verstanden. Es soll „die Production des Wissens durch Besinnung über das Verfahren zur Kunst" (DJ 24 § 55) erhoben werden. Insofern ist Schleiermachers Dialektik trotz ihrer transzendentalen Argumentation mit W . Rod einer „erfahrungsanalytisch verfahrenden Dialektik doch als hinreichend verpflichtet" 177 anzusehen, in der die Voraussetzungen des Wissens mit dem Ziel ihrer Klärung und Vergewisserung thematisiert werden. Dabei zeigt Schleiermacher, daß Konsens im Wissen nicht ohne einen korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff möglich ist, der wiederum partizipierend auf eine ihn ermöglichende Struktur der Wirklichkeit zurückgehen muß. Diese ontologische Einbindung der wissenstheoretischen Aussagen äußert sich bei Schleiermacher in der Vorgabe der polaren Struktur von Sein und Wissen. Zwar wird durch die Komplementarität von Idealem und Realem, von Allgemeinem und Einzelnem im Wissen immer ein Ganzes vorausgesetzt, aber mit der formalen Polarität der Wirklichkeit versucht Schleiermacher, eine Öffnung des Erkenntnisprozesses zu beschreiben, die trotz ihrer Universalität das Empirische nicht überspringt. Insofern wird Schleiermachers Dialektik der Wechselseitigkeit dann auch innerhalb des realen Prozesses des sich verändernden Wissens nicht durch eine genaue Entsprechung beider Seiten aufgehoben. Seine Dialektik bleibt vielmehr selbst als wissenstheoretische Position an die Geschichte gebunden. 178 Im folgenden Kapitel soll der so beschriebene Wissensbegriff Schleiermachers in seiner Anwendung in der Theologie untersucht werden. Dabei wird einerseits zu analysieren sein, ob es hinsichtlich seiner Implikationen zwischen der idealwissenschaftlichen Methodenreflexion und der realwissenschaftlichen Anwendung zu Verschiebungen kommt und andererseits, welche Auswirkungen dieser Wissensbegriff auf das Theologieverständnis Schleiermachers hat. I7i
177 178
Vgl. E.Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. V [1954], 285, der betont, daß Schleiermacher „Wissenschaftslehre nicht als in sich geschlossene absolute Wissenschaft, sondern in der Form kritischer Untersuchung sich bewegende, ihrer Natur nach unfertige Kunst versteht". W.Röd: Dialektische Philosophie der Neuzeit, 116. Vgl. H.Kimmerle, Schleiermachers Dialektik, 57f.
3 Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers Der Tübinger Philosoph Christoph von Sigwart urteilte 1857 vor dem Hintergrund der ins Zentrum des philosophischen Interesses gerückten erkenntnistheoretischen Programmatik über Schleiermacher, daß „gerade die Erkenntnißtheorie der Punkt ist, aus dem sein ganzes System begriffen werden muß"1. Mit diesem Ansatz versucht Sigwart aufzuzeigen, wie in der ,,Schleiermacher'sche[n] Erkenntnißtheorie [...] begründet ist, was man als das Eigenthümliche der Schleiermacher'schen Glaubenslehre bewundert oder angegriffen hat."2 Dabei geht er von einem grundlegenden Zwiespalt zwischen der wissenschaftlichen Form der dogmatischen Sätze und ihrem religiös-subjektiven Inhalt aus. Nur in „unendlicher Subjektivität" habe Schleiermacher dann diese Spaltung überbrückt und die „Schwebe" 3 zwischen der höchsten subjektiven Wahrheit und der Wahrheit des Seins gehalten. Schleiermachers Ansatz, dogmatische Sätze als Aussagen über das fromme Selbstbewußtsein zu formulieren, limitiere bzw. negiere die Objektivität theologischer Bestimmungen Gottes und der Welt. In seiner Interpretation deutet Sigwart Schleiermachers Ansatz empirisch und urteilt: „Das Eigenthümliche Schleiermacher's ist also nichts Anderes, als daß er vom empirischen Selbstbewußtseyn ausgeht, [...]" 4 . Schleiermacher betone so in seinen philosophischen und theologischen Aussagen nicht nur ein individuelles Moment am Wissen, sondern zusammen mit einer fortwährend zu korrigierenden individuellen Differenz auch das Provisorische allen Wissens: „Darum ist die wahrhaft philosophische Gesinnung eben die, bei allem Glauben an die Idee des Wissens, und bei lebendiger Ueberzeugung von der Realität der Ideen Gottes und der Welt, doch in Beziehung auf jedes einzelne Wissen seiner Relativität sich bewußt zu bleiben, [...]"*. 1 2 3 4 5
C.v.Sigwart: Schleiermachers Erkenntnistheorie, 6. Ebd. C.v. Sigwart a.a.O., 5. C.v. Sigwart a.a.O., 59. C.v.Sigwart a.a.O., 60.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
Sigwart betont mit dieser Forderung die epistemologischen Aspekte in Schleiermachers Verständnis des Selbstbewußtseins. Zusammen mit der von Kimmerle gestellten Frage nach Schleiermachers „Begriff des Subjektes als Grundbegriff systematischer Philosophie" 6 ist damit auf die theologische Bedeutung der im unmittelbaren Selbstbewußtsein gegebenen Identität des Idealen und Realen verwiesen. Daher ist zu fragen, in welcher Weise in Schleiermachers Theologieverständnis auf das Selbstbewußtsein Bezug genommen wird und wie dieser Bezug, insbesondere in theologischer Hinsicht, zu bewerten ist. Hierzu ist zunächst festzustellen, daß Schleiermachers Darstellung des unmittelbaren Selbstbewußtseins in der Einleitung der Glaubenslehre nicht homogen ist.7 Einerseits wird das unmittelbare Selbstbewußtsein präreflexiv vor jeden konkreten, vermittelnden Bewußtseinsakt gestellt, andererseits deutet Schleiermacher Erfahrungszugänge an. 8 Daher entspricht Sigwarts empirische Deutung zwar nicht in vollem Umfang den Formulierungen Schleiermachers, kann sich aber durchaus auf Momente seiner Darstellung stützen und zeigt deutlich die Schwierigkeit, wie dogmatische Aussagen als Aussagen in bezug auf das unmittelbare Selbstbewußtsein zu verstehen sind. Zugleich ist aber auch angezeigt, daß Schleiermacher, indem er nicht den Subjektbegriff, sondern das unmittelbare Selbstbewußtsein zum Ausgangspunkt seiner philosophischen und theologischen Reflexionen macht, eine wesentliche Veränderung gegenüber einer rein subjektivitätstheoretischen Argumentation vornimmt. Im folgenden Kapitel zum Theologieverständnis Schleiermachers soll untersucht werden, wie seine wissenstheoretischen Voraussetzungen mit ihren Impulsen und Problemen sich in der Theologie als realisierte wissenschaftliche Disziplin darstellen bzw. auswirken. Die Theologie ist für diese Frage ein besonderer Gegenstand, da innerhalb der theologischen Disziplin die Voraussetzungen und Möglichkeiten des Wissens selbst zum Thema werden müssen. Daher stellt sich hier mit der Frage nach dem Verhältnis von Wissen und Glauben, nach der Wissenschaftlichkeit der Theologie, erneut die Frage nach dem Ursprung von Wissen. 6 7
8
H.Kimmerle: Schleiermachers Dialektik [1984], 39. Vgl. W. Dilthey: Leben Schleiermachers, GS XIV/2, 583, der grundsätzlich die „unglückseligen Verwechslung des Bewußten und Unbewußten, der Form und des Inhalts, der psychischen Funktion und der transzendenten Bedingungen derselben" im Gefühlsbegriff Schleiermachers kritisiert. Vgl. CG 2 1, 16f. § 3.2. Noch deutlicher erscheinen empirische Bezüge im Gefühlsbegriff in der 1. Auflage der Glaubenslehre, vgl. CG 1 1, 26 § 8. Anm.
Schleiermachers Theologie als Wissenschaft
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3.1 Schleiermachers Theologie als Wissenschaft In dem von Schleiermacher entworfenen Quadrupel der Realwissenschaften, das sich aus den Gegensatzpaaren idealer und realer Gegenständlichkeit sowie idealer und realer Methodik ergibt (vgl. DJ 311), hat die Theologie keinen genuinen Ort. 9 Theologie konstituiert sich im System der Wissenschaften Schleiermachers nicht als realwissenschaftliche Disziplin durch ein in der Idee des Wissens notwendig begründetes Gegenstandsfeld, wie dies für die komplementären Wissenschaften Ethik und Physik in ihren spekulativen und empirischen Disziplinen der Fall ist. Theologie ist auch nicht durch eine spezifische Methodik außerhalb dieser Disziplinen als spezielle Explikation des unmittelbaren Selbstbewußtseins begründet, da es von den im Gefühl unmittelbar anwesenden transzendentalen Voraussetzungen kein Wissen und demzufolge keine methodisch verfahrende Wissenschaft geben kann. Damit das von der Theologie umschlossene Wissen jedoch nicht als Aggregat von Materialien auseinander fällt und damit letztlich die Einheit der Theologie als Wissenschaft aufgehoben ist,10 muß ein anderes wissenschaftliches Organisationsprinzip angegeben werden. Schleiermacher formuliert in seiner Enzyklopädie der theologischen Wissenschaften dieses mit dem Gegenstandsbezug der Theologie auf „eine bestimmte Gestaltung des Gottesbewußtseins" (KD2 271 § 1). Dabei wird die bestimmte Gestaltung des Gottesbewußtseins, auf die positiv Bezug genommen werden kann, verstanden als „der individuelle Inhalt der gesamten frommen Lebensmomente innerhalb einer religiösen Gemeinschaft, sofern derselbe abhängig ist von der Urtatsache, aus welcher die Gemeinschaft selbst als eine zusammenhängende geschichtliche Erscheinung hervorgegangen ist" (CG21, 71 § 10 Zusatz). Erst in dieser positiv erscheinenden Verbindung äußerer gesellschaftlicher Momente, geschichtlicher Ereignisse und einer Disposition des Selbstbewußtseins kann die Tatsache der Religion zum Gegenstand der Theologie werden. Theologie resultiert bei Schleiermacher nicht aus einer „Analyse der Denkfunktion in Bezug auf den transzendenten Grund", sondern entsteht, „wo die Religion zum Gegenstand der Kontemplation gemacht wird" (DO 296). Indem Theologie von Schleiermacher auf eine in der 9
10
Vgl. F. Schleiermacher: Ethik, 8 § 26 = DA 1 80: „Lemma 8.Es giebt also nur zwei reale Wissenschaften, unter denen alle untergeordneten Disciplinen müssen befaßt sein." Worauf letztlich Fichtes Kritik hinausläuft. Vgl. J.G.Fichte: Deducirter Plan [1807], 136-140.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
Geschichte erscheinende Tatsache bezogen wird, kann es in dieser Konzeption keinen universalen Anspruch der Theologie geben. Vielmehr ist Theologie als vom Menschen verantwortete Wissenschaft bestimmt durch eine vorgegebene geschichtliche und insofern nicht absolut zu setzende Vermittlung des Unmittelbaren.11 Die Beziehung auf eine als Erscheinung gegebene Tatsache begründet die von Schleiermacher eingeführte Bestimmung der Theologie als positive Wissenschaft, die im Unterschied zu einer spekulativ oder rational verstandenen Theologie ihren Gegenstand nicht hervorbringt, sondern dessen Gegebenheit expliziert. Neben den in der Idee des Wissens begründeten und organisierten Wissenschaften hat Schleiermacher damit einen weiteren Typ wissenschaftlicher Disziplinen in seine Wissenschaftssystematik eingeführt, zu dem zunächst die drei sogenannten oberen Fakultäten gehören. Mit der Bezeichnung dieser Wissenschaften als positive Disziplinen nimmt er Schellings Gegenüberstellung von Einzelwissenschaften zum als Philosophie verstandenden Körper der Wissenschaft auf. 12 Das Organisationsprinzip der positiven Wissenschaften liegt aber bei Schleiermacher nicht im Objektivwerden des Wissens wie bei Schelling, sondern begründet sich eigenständig und äußert sich in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Praxis. In diesem Verständnis der positiven Disziplinen als Handlungswissenschaften spiegelt sich Kants teleologische Deutung der „drei obern Fakultäten"13, die nicht der Wahrheit als solcher, sondern 11
Vgl. W. Gräb: Kirche als Gestaltungsaufgabe [1991], 158, der betont, daß für Schleiermachers „Theologieverständnis entscheidend vor allem der Sachverhalt [ist], daß es nicht die Lebenspraxis des Glaubens schlechthin, sondern spezifische Modi seiner sozio-historischen Realisierung sind, die den, Apparat' einer wissenschaftlichen Theologie erforderlich machen." 12 Vgl. F.W.J.Schelling: Vorlesungen über die Methode [1802], 298-307, 304, der die positiven Wissenschaften im „Objektivwerden des Wissens [...] durch Handeln" begründet sieht. Die positiven Wissenschaften werden bei Schelling dann auf das ideale Produkt dieses Handelns, den Staat, bezogen, wodurch sie (als Fakultäten) Objektivität erlangen. 13 1. Kant: Der Streit der Fakultäten [1798], 18, der im Zusammenhang mit den „drei obern Fakultäten", Theologie, Jura und Medizin, von deren „natürlichen Zwecken" (30), die das Volk setzt, spricht, nämlich „nach dem Tode selig, im Leben unter andern Menschen des Seinen durch öffentliche Gesetze gesichert, endlich des physischen Genusses des Lebens an sich selbst (d. i.der Gesundheit und langen Lebens) gewärtig zu sein" (30). Im folgenden bindet Kant jedoch Religion an Moral, „denn sie geht auf Pflichten überhaupt", und sieht sie von dieser nur formal unterschieden als „eine Gesetzgebung der Vernunft, um der Moral durch die aus dieser selbst erzeugten Idee von Gott auf den menschlichen Willen zur Erfüllung aller seiner Pflichten Einfluß zu geben" (36). Unter diesen Zweck der Religion subsumiert Kant letztlich auch die Aufgabe biblischer Theologie, womit die Bedeutung der Theologie für ihn eine
Schleiermachers Theologie als Wissenschaft
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einer praktischen Abzweckung dienen. Aber Schleiermacher will damit nicht ein entsprechendes Universitätsprogramm übernehmen, d.h. die Theologie soll nicht allein von ihrer öffentlichen Funktion her begründet werden. Vielmehr geht es dem Theologen Schleiermacher in dieser positiven Disziplin um eine Wesensbestimmung des Christentums, um so den Ort der theologischen Wissenschaften nicht nur in einer geschichtlichen, sondern zugleich notwendigen Aufgabe angeben zu können. Für Schleiermacher realisiert sich die Zweckbezogenheit der Theologie als positive Wissenschaft nur im Zusammenhang mit der Kirchlichkeit, d.h. im Zusammenhang ihrer als kirchliche Praxis zu beschreibenden Äußerungen. 14 Mit der Charakterisierung der Theologie als positive Wissenschaft widerspricht Schleiermacher grundsätzlich der Möglichkeit, diese spekulativ aus einem obersten Prinzip abzuleiten,15 bzw. ihr einen natürlichen Ort im System der Wissenschaften zuzuweisen. In zwei Punkten faßt E. Jüngel die damit vollbrachte „revolutionäre Leistung" Schleiermachers zusammen: „Einerseits hat die Theologie ein eigenes, sie als selbständige (positive) Wissenschaft organisierendes Prinzip, das selber durch Wissenschaft nicht hervorgebracht werden kann, aber gerade so die genuin theologische Einheit der Theologie gewährt. Andererseits wird die wissenschaftliche Arbeit der Theologie in völliger Kongruenz mit sonstiger wissenschaftlicher Arbeit betrieben."16 In der Vorgegebenheit der die Theologie bestimmenden Grundtatsache wird eine rational nicht rekonstruierbare, aber beschreibbare Dimension angezeigt. „Die christliche Theologie wird also an ihre historisch-empirischen Grenzen gewiesen" 17 durch Schleiermachers Wesensbestimmung des Christentums. Zugleich ist Schleiermachers Verständnis der Theologie als positive Wissenschaft von positivistischen Verkürzungen, etwa der bloß wiederholenden Tradierung biblischer Aussagen oder kirchlicher Dogmen,
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Angelegenheit politischer Zweckmäßigkeit wird, auch wenn er eine theologische Fakultät in ihrer Funktion „für den Kirchenglauben" (36) an der Universität respektiert. Vgl. M.Rössler: Schleiermachers Programm der Philosophischen Theologie [1994], 44-53. Vgl. F.W.J.Schelling: Vorlesungen über die Methode [1802], 305: „Die erste [sc. Wissenschaft], welche den absoluten Indifferenzpunkt objektiv darstellt, wird die unmittelbare Wissenschaft des absoluten und göttlichen Wesens, demnach die Theologie, seyn." E. Jüngel: Das Verhältnis der theologischen Disziplinen untereinander [1972], 44f. G. Sauter: Der Wissenschaftsbegriff der Theologie [1975], 297.
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zu unterscheiden. Positive Wissenschaften sind auf Tatsachen der geschichtlichen Wirklichkeit bezogen, in der sie sich aufgrund der in diesen Tatsachen liegenden Relevanz etablierten und aufgrund der in ihnen liegenden Produktivität tradierten. So wie Schleiermacher davon ausgeht, daß Selbstbewußtsein nicht auf einen empirischen Erfahrungsgehalt reduzierbar ist, bestimmt er den Ort der Theologie als positive Wissenschaft im Raum des Historisch-empirischen, ohne diesen von der mit dem Sein korrespondierenden Vernunft zu trennen. Da die Positivität in ihrer Geschichtlichkeit zugleich von idealen Gegebenheiten sowie deren faktischen Erscheinungen charakterisiert wird, gewinnt Schleiermachers Verständnis der Positivität als gegebene Beziehung zur erscheinenden und wesensbestimmenden Grundtatsache ihre Tiefe. In ihrer Positivität ist die Theologie nach Schleiermacher sowohl auf das Historische bezogen als auch auf den Standpunkt des Glaubens, der das Historische in die Darstellung aufnimmt. Erst so kann für Schleiermacher Theologie zu einer wirklich vollzogenen geschichtlichen, über das empirische hinausgehenden Wissenschaft werden. In der Diskussion um die Gründung der Berliner Universität von 1810 wird deutlich, daß Schleiermacher die Positivität wissenschaftlicher Disziplinen nicht getrennt von ihrer gesellschaftlichen Funktion und den ihr entsprechenden Institutionen sieht.18 Das Spezifische der positiven Wissenschaften liegt in ihrer Konzentration auf in der Wirklichkeit erscheinende Normativität (ζ. B. das Ideal der Gesundheit als Norm der Medizin), die nach Schleiermacher im gesellschaftlichen Kontext zur Aufgabe und zum Organisationsprinzip einer Wissenschaft wird. Entsprechend seinen ontologischen Voraussetzungen geht Schleiermacher dabei davon aus, daß die erscheinende Aufgabe einem wesentlichen Zug der Wirklichkeit entspricht. Schleiermacher geht weiter davon aus, daß bestimmte Glaubensweisen im Laufe ihrer Entwicklung „geschichtliche Bedeutung und Selbständigkeit" (KD2 271 § 2) zusammen mit einer Theologie als Reflexion ihrer Positivität ausbilden. Damit deutet Schleiermacher an, daß „religions- und sozialgeschichtliche[] Randbedingungen für das Entstehen von wissenschaftlicher Theologie" 19 mitverantwortlich sind, auch wenn mit W. Gräb zu fragen bleibt, ob diese formale Bestimmung 18
Vgl. F. Schleiermacher: Gedanken über Universitäten [1808], SW III/l, 581: „Die positiven Fakultäten sind einzeln entstanden durch das Bedürfniß, eine unentbehrliche Praxis durch Theorief,] durch Tradition von Kenntnissen sicher zu fundiren". " W.Gräb: Kirche als Gestaltungsaufgabe, 157.
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der Zugehörigkeit der Theologie zu einer gesellschaftlich differenzierten und institutionell organisierten Glaubensweise umfassend berücksichtigt ist. W. Pannenberg, der in diesem Zusammenhang ein staatliches Interesse an der Institutionalisierung der Theologie und eine Verbindung von Staat und Religion beschreibt, betont: „Eine positiv-praktische Auffassung der Theologie, wie sie Schleiermacher vertreten hat, setzt jedenfalls immer schon einen institutionell gesicherten Zustand der Kirche voraus, sei es im Lebenszusammenhang der Gesellschaft, sei es durch ihr in sich selbst beruhendes Eigengewicht"20. Insofern ist, wie Schleiermacher es selbst sieht, sein Ansatz des Theologieverständnisses als positiv-praktische Funktion der Kirche nicht nur kontextuell und zeitlich bedingt, sondern konstitutiv an die Kirche, d.h. an die Praxis der christlich-frommen Gemeinschaft, gebunden. Die einzelnen Disziplinen der christlichen Theologie sind bestimmt durch ihre Beziehung zum Christentum und damit durch ihre Beziehung zur christlichen Kirche als bleibende und zugleich sich entwickelnde geschichtliche Erscheinung. Da jedoch Religion oder persönlicher Glauben als solche entweder keiner wissenschaftlichen Explikation bedürfen oder als Phänomene zunächst Gegenstand reiner Wissenschaften sind, begründen jene allein noch nicht die Theologie. 21 Erst in der sich als christliche Kirche äußernden geschichtlichen Dimension der Religion in Verbindung mit der sich darin stellenden Aufgabe der Kirchenleitung ist die für die christliche Theologie als Wissenschaft konstitutive Gegenständlichkeit gegeben. Die im Gegenstandsbezug ausgedrückte Positivität der Wissenschaft wird von Schleiermacher nicht als Spiegelung von Fakten, sondern als funktionale Beziehung konkretisiert, d.h. zu einer positiven Wissenschaft gehört, was „zur Lösung einer praktischen Aufgabe erforderlich" (KD2 271 § 1) ist. Die Positivität der Theologie erscheint in Verbindung mit einer praktisch intendierten Wesensbestimmung des Christentums. Mit dieser Funktionszuweisung ist die Theologie jedoch nicht mehr auf die Explikation eines Gegenstandes begrenzt, sondern hat in der Perfektion einer Aufgabe zugleich produktiven Charakter. Hier zeichnet sich ab, daß auch die Theologie als positive Wissenschaft an der Produktivität des Grundes partizipiert. Schleiermacher will im Kontext der Geschichtlichkeit der christlichen Religion die Positivität ihrer Gehalte mit der Funktionalität einer 20 21
W.Pannenberg: Wissenschaftstheorie und Theologie [1973], 250. Vgl. F. Schleiermacher: KD 2 272 § 5; sowie F. Schleiermacher: 1. Sendschreiben [1829], KGA 1/10, 334.
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darauf bezogenen Reflexion verbinden. Trotz dieser funktionalen Organisation des Wissens sieht Schleiermacher aber den in der Idee des Wissens implizierten Wahrheitsanspruch nicht gefährdet, da er einerseits ein institutionell oder pragmatisch verkürztes Verständnis der funktionalen Charakterisierung der Theologie ablehnt und betont: „Der Ausdruck Kirchenleitung ist hier im weitesten Sinne zu nehmen, ohne daß an irgendeine bestimmte Form zu denken wäre" (KD2 271 § 3). Schleiermacher geht daher nicht von einem Begriff der Kirche als verfaßte Institution oder gesellschaftliches Faktum aus, sondern organisiert die Theologie in ihrer funktionalen Zuordnung zur Wesensbestimmung ihres Gegenstandes, des Christentums. Die Positivität der Theologie besteht nicht in der Positivität der Kirche, sondern in der aus dem Wesen des Christentums sich ergebenden Aufgabe der Kirchenleitung. Andererseits ordnet sich das Wissen positiver Disziplinen ohne ihr Organisationsprinzip der Form nach in die reinen Wissenschaften ein. Dies beschreibt den wissenstheoretischen Anspruch Schleiermachers, in der Theologie, trotz ihrer spezifischen Organisation, dem allgemeinen Wissensbegriff zu entsprechen. Insofern erlauben Beobachtungen an den von Schleiermacher ausgeführten theologischen Disziplinen Rückschlüsse auf die Konkretion seiner wissenstheoretischen Voraussetzungen. Das Wissen der positiven Wissenschaften steht, wie Schleiermacher betont, in seiner funktionalen Organisation nicht außerhalb des Systems der Wissenschaften (vgl. KD2 272 § 6). Gerade zur Ausrichtung an der Notwendigkeit einer Praxis gehört, um nicht in „ganz unwissenschaftlicher Oberflächlichkeit" oder einfacher „handwerksmäßiger Tradition" zu verbleiben, die Verbindung der positiven Wissenschaften zu den „reinen Wissenschaften" 22 . Daraus leitet Schleiermacher sowohl die Forderung nach einem Ort für die positiven Wissenschaften an den Universitäten als auch einen Aufbau der positiven Disziplinen entsprechend der mit der Idee des Wissens gegebenen Struktur wissenschaftlicher Arbeit ab.
22
F.Schleiermacher: Gedanken über Universitäten [1808], SW III/l, 586. Auch für die Person des akademischen Lehrers fordert Schleiermacher eine Verbindung der Lehrtätigkeit innerhalb positiver Disziplinen mit entsprechenden Leistungen auf philosophischen Gebieten: „Und in der That verdient ja wol jeder Lehrer des Rechts oder der Theologie ausgelacht und von der Universität ausgeschlossen zu werden, der nicht Kraft und Lust in sich fühlte, auf dem Gebiet es sei nun der reinen Philosophie oder der Sittenlehre oder der philosophischen Geschichtsschreibung oder der Philologie, etwas eignes mit ausgezeichnetem Erfolg zu leisten."
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Mit dieser Forderung ist die Frage nach dem Verhältnis des allgemeinen Wissensbegriffs zum positiv-funktionalen Organisationsprinzip der Theologie gestellt. Der Wissensbegriff Schleiermachers geht vom Ideal intersubjektiv anerkannter und seinsbezogener Wissensaussagen aus. Die damit für jedes Wissen geforderte Kohärenz und Konsistenz erstrecken sich auch auf die theologischen Disziplinen. Diese Forderung kann nach Schleiermacher auch nicht auf ein rein formales Prinzip eingeschränkt werden, das sich durch Indifferenz seinen Inhalten gegenüber auszeichnet. Vielmehr zeigt der vorausgesetzte Zusammenhang des Transzendentalen und Formalen in der Dialektik eine wechselseitige Bestimmung von Form und Inhalt. Dies gilt auch gegenüber den Organisationsformen der theologischen Disziplinen. Wenn das Spezifische der Theologie nur in ihrem Organisationsprinzip bestehen würde, wäre theologisches Wissen lediglich eine Umgruppierung von Wissensgehalten historischer Fächer ohne relevante inhaltliche Bestimmung. Der von Schleiermacher gesehene Zusammenhang von Wissen und Interesse wird dann gerade übersprungen und sein wissenstheoretischer Ansatz der Theologie in die Nähe reiner Methodologie gerückt, die sich auf „ein Aggregat einzelner eben angenommener Säze"23 bezieht. Gerade der „Wille, bei der Leitung der Kirche wirksam zu sein" (KD2 272 § 7), trägt für Schleiermacher die Einheit der Theologie, die er als ein „in lebendiger Entwikkelung begriffenes Lebendiges ganze[s]"24 versteht. Deshalb kann nicht von einer simplen Trennung in formale Wissenschaftlichkeit und inhaltliche Vorgegebenheit ausgegangen werden. In der Einleitung zur Glaubenslehre betont Schleiermacher, „daß alle Sätze, welche hier [sc. als Lehnsätze anderer Disziplinen] vorkommen werden, nicht selbst auch dogmatische sein können" (CG21, 9 § 1.1). Der Grund dieser Differenzierung liegt nicht in einer formalen Abgrenzung und Anordnung, sondern bestimmt sich aus einer veränderten Perspektive. Dogmatische Sätze sind vom Standpunkt des christlichen Glaubens aus formuliert. Zwar ordnet Schleiermacher dogmatische Aussagen grundsätzlich dem Gebiet historischer Wissenschaften zu, aber der Gegenstand dieser theologischen Disziplin ist nicht durch einen Gegenstand des Denkens oder der äußeren Wahrnehmung gegeben, sondern konstituiert sich nur durch „die innere Grundtatsache der christlichen Frömmigkeit" (CG2 I, 158 § 28.2). In diesem Perspektivwechsel wird die äußere Relativität der Geschichte und ihrer Betrach23 24
F. Schleiermacher: Die christliche Sitte, SW 1/12, 4, Anm. Ebd.
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tung durch einen für den Christen von innen her konstitutiven Bezugspunkt ersetzt. Schleiermacher sieht die Einleitung als „besonderen theologischen Disciplin mit denjenigen allgemeinen Wissenschaften, an welche sie sich ihrer wissenschaftlichen Form wegen vorzüglich zu halten hat"2S, auf spezifische Weise verbunden. Dagegen geht Schleiermacher in der eigentlichen Theologie davon aus, daß „nur durch das Interesse am Christentum" (KD2 272 § 8) verschiedene wissenschaftliche Kenntnisse und Kunstregeln zu einem Ganzen der theologischen Wissenschaft verbunden werden, - allerdings ohne dabei in der Reflexion die äußeren Bezugs- und Korrekturpunkte zu überspringen. 26 Zusammen mit der Notwendigkeit einer Verbindung der Theologie zur Kirche und ihrer Geschichte unterstreicht Schleiermacher auch die anzustrebende Unabhängigkeit geschichtlichen Wissens vom theologischen Studium (vgl. KD2 327f. § 252). Nach H.-J. Birkner ist die „Einordnung der dogmatischen in die historische Theologie" durch Schleiermacher „ein Ausdruck seines unerhört reflektierten methodischen Bewußtseins"27. Auf diese Weise setzt er die relative äußere Seite und die konstitutive innere Bestimmtheit, auf die sich die dogmatische Theologie bezieht, miteinander in Beziehung. Das Ideal des Wissens und das auf dem Glauben basierende kirchliche Interesse müssen nach Schleiermachers Vorstellung im Gleichgewicht stehen (vgl. KD2 273 § 12) bzw. sich gegenseitig vervollkommnen (vgl. CG21, 115 § 17.3).28 Insofern ist verständlich, daß Schleiermacher den für die theologischen Wissenschaften ausgemachten Zusammenhang nicht allein in der positiv-funktionalen Beziehung zu einem speziellen Gegenstand, sondern zugleich im Gläubigen, d.h. auch in der Person des Theologen, voraussetzt (vgl. CG21, 119 § 19.1)29. In dieser geforderten Beziehung von Glauben und Wissen spiegelt sich, daß Schleiermacher Wissen und 2S
F. Schleiermacher: 2. Sendschreiben [1829], KGA1/10, 377. " Vgl. M.Rössler: Schleiermachers Programm der Philosophischen Theologie [1994], 53-64: „.Religiöses Interesse' und .wissenschaftlicher Geist'" werden hier sowohl als konstitutive Elemente der Theologie als auch als „die dem handelnden Subjekt zugrundeliegenden Motive" (53) dargestellt. 27 H.-J. Birkner: Schleiermachers christliche Sittenlehre [1964], 60. 28 Vgl. M.Rössler: Schleiermachers Programm der Philosophischen Theologie, 61, der jedoch bei Schleiermacher „dem .Interesse' keinerlei Einfluß auf die jeweilige Wissenschaft selbst, ihre Methoden und Ergebnisse, zugestanden" sieht, und damit das kirchliche Interesse „lediglich als äußere[n] Grund" versteht. 29 Vgl. F. Schleiermacher: Praktische Theologie, SW 1/13, 714, wo betont wird, „daß dem theologischen Lehrer die Grundeigenschaft nicht fehlen dürfe, das lebendige Bewußtsein der Einheit zu haben welche über dem Gegensaz steht, wenn er gleich in Beziehung auf seine Gedankenentwikklung ganz bestimmt auf einer Seite steht."
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die zum Wissen gehörende Überzeugung nicht voneinander trennt, vielmehr beides im transzendentalen Grund verankert sieht. Das bedeutet für die Wissenskonzeption Schleiermachers, daß die in der Dialektik ausgemachte Charakterisierung des Wissens als werdendes nicht auf ein hypothetisches Verfahren hinauslaufen kann. Vielmehr spiegelt dieser als Wissenwollen bezeichnete Zug der Dialektik Schleiermachers seine Ontologie, die keine neutrale Strukturanalyse des Seins darstellt, sondern einen positiv auf Sein und Kontinuität bezogenen Charakter trägt. „Offensichtlich ist für Schleiermacher der vorausgesetzte Grund so positiv bestimmt", daß eine „Ambivalenz der Grunderfahrung"30, wie M. Junker kritisch bemerkt, außer Betracht bleibt. Insofern stellt der transzendentale Grund bei Schleiermacher keine formal letzte Struktur dar, sondern ist in seiner Eindeutigkeit so qualifiziert, daß Schleiermacher seinen Realismus darin gegründet findet und zugleich die Frage nach dem Woher dieses Grundes möglich ist.31 Mit diesem Verständnis der Theologie als positive Wissenschaft impliziert Schleiermacher zugleich ein handlungsorientiertes Wissenschaftsverständnis; „die wissenschaftliche Wirksamkeit des Theologen muß auf die Förderung des Wohls der Kirche abzwecken" (KD2 273 § 11). Die Konstitution der theologischen Wissenschaft durch die Aufgabe der Kirchenleitung wird internalisiert im kirchlichen Interesse, was darüber hinaus angesichts fortschreitender Differenzierungen theologischer Disziplinen den notwendigen Zusammenhang in die Arbeit des Theologen eintragen soll (vgl. KD2 274 § 16). Schließlich unterstreicht dieses vorausgesetzte Interesse, daß es in Schleiermachers Konzeption der Theologie nicht um eine Vergewisserung der Tatsache der Frömmigkeit gehen kann, sondern in ihrer wissenschaftlichen Darstellung um die Gewißheit theologischer Erkenntnisaussagen, die sich auf diese Tatsache beziehen, aber sich davon unterscheiden. Zugleich ist damit angezeigt, daß Schleiermacher die dogmatische von der apologetischen Aufgabe unterscheidet.32 30 31
32
M. Junker: Das Urbild des Gottesbewußtseins [1990], 82. Vgl. F.Courth: Das Wesen des Christentums in der liberalen Theologie [1977], 194: „Die Theologie als Rechenschaft eines aus dem persönlichen Gottbezug rührenden Lebensimpulses zu verstehen, bedeutet ihre Befreiung sowohl aus der verengten Sicht der Orthodoxie, die sie in die Nähe einer reinen Begriffswissenschaft rückte, als auch des Rationalismus, der die Glaubenswissenschaft als Sittenlehre verstand." Vgl. CG 2 1, 178 § 33.3: „Die Dogmatik also muß überall die unmittelbare Gewißheit, den Glauben, voraussetzen und hat also auch was das Gottesbewußtsein im allgemeinen betrifft, nicht erst die Anerkennung desselben zu bewirken, sondern nur den Inhalt desselben zu entwickeln."
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Daß die Fassung der Theologie als positive Wissenschaft keine einseitige Festlegung auf einen explikativen Wissenschaftsbegriff33 ist, d.h., daß die Wahrheit als dem Gegenstand der Erkenntnis inhärent vorausgesetzt wird, zeigt sich sowohl in Schleiermachers epistemologischen Voraussetzungen als auch in der Konkretion des Gegenstandes der theologischen Wissenschaften. Zum einen übersteigen explikative Wissensaussagen, indem jedes Wissen bei Schleiermacher am produktiven Grund des Seins partizipierend vorgestellt wird, ein rein empirisches Verständnis von Positivität. Explikation im Sinn Schleiermachers weist über den Gegenstand hinaus - letztlich auf den transzendentalen Grund -, und ist so an der produktiven Erweiterung des Wissens beteiligt. Zum anderen impliziert der als praktische Aufgabe konkretisierte Gegenstandsbezug der Theologie, die Leitung der Kirche, einen produktiven Wissenschaftsbegriff, der nicht bloß deskriptive, sondern zugleich normative Elemente umfassen muß, die korrespondierend mit der geschichtlichen Wirklichkeit auch auf diese zurückwirken. 34 Insofern liegt Schleiermachers Theologie ein Wissenschaftsbegriff zugrunde, der eine „Verschränkung des explikativen mit dem produktiven Wahrheitsbegriff"3S, darstellt. Allerdings ist der hier mit romantischem Anklang verwendete Begriff der Produktion als Partizipation an einem Prozeß naturhaften Hervorbringens von einer innovativen bzw. ökonomisch vorgestellten Produktion neuer Erzeugnisse oder anderer Güter zu unterscheiden. 36 Daher tragen auch Vgl. die abweichende Interpretation durch D. Schellong: Bürgertum und christliche Gemeinde [1975], 50f., der Schleiermachers Ansatz insgesamt als „Defensivversuch" deutet, mit dem „die Annahme der Geistdurchdringung der Natur" verteidigt werde, die „aus dem bürgerlichen Fortschrittsbewußtsein" und einem dazu wesentlichen Gottesbewußtsein stamme. Schellong argumentiert selbst aus der Perspektive des geschichtlichen Fortschritts, aus der heraus er Schleiermacher „in den bereits laufenden bürgerlichen und angeblich natürlichen Natur-Geist-Progreß-Prozeß eingliedern" (51) will „und dabei das religiöse Gefühl zu integrieren und zu intensivieren" versucht. Zu Recht macht Schellong allerdings darauf aufmerksam, daß Schleiermacher Momente der Krisis in seinem auf Harmonie ausgerichteten Ansatz unterdrückt. 33
34
35 36
Vgl. G. Sauter: Ansätze zu einer wissenschaftstheoretischen Selbstreflexion der Theologie [1973], 29. Vgl. F.Schleiermacher: Praktische Theologie, SW 1/13, 725, „nämlich aus der Art, wie das was jezt besteht geworden ist, läßt sich auch eine Verbindung anknüpfen zu der Art wie das werden soll was besser ist." G.Sauter a.a.O., 33. Vgl. F.Schleiermacher: 1.Sendschreiben [1829], KGA 1/10, 320, wo die Vorstellung abgelehnt wird, mittels Dogmatik „unseren Gemeinen etwas ganz Neues zuzubringen". Vgl. A.Arndt: Produktion, Produktivität. II. Ökonomie, H W P 7, 1428, wo für den Beginn des 19. Jahrhunderts auf die noch enge Anlehnung des Begriffs .Produktion'
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die produktiven Elemente der Theologie Schleiermachers einen explikativen Charakter. Aus dieser mit der Positivität der theologischen Wissenschaften gegebenen Verschränkung explikativer und produktiver Elemente ergibt sich eine in der Abgrenzung des Gegenstandes liegende Schwierigkeit. Eine zu enge Bestimmung der mit der kirchlichen Tradition gegebenen Aufgabe steht in der Gefahr, den Gegenstand zu verfehlen und kritische Momente, z.B. des biblisch-theologischen Redens, aus der Explikation auszuschließen.37 Eine zu weite Bestimmung könnte die mit der christlichen Kirche und ihrer historischen Bezogenheit gegebene Konkretion verlieren und zur Produktion allgemeiner, z.B. religionsphilosophischer Aussagen werden. Insofern ist die Charakterisierung der Theologie als auf die Kirche bezogene positive Wissenschaft keine einfach ausführbare Definition, sondern impliziert mit der fortwährenden Erfassung die kritische Konkretion ihres geschichtlich erscheinenden Gegenstandes.
3.2 Das Verhältnis zwischen Dialektik und dogmatischer Theologie In der Einleitung seiner Enzyklopädie der theologischen Wissenschaft gibt Schleiermacher einen sich aus dem Verständnis der Theologie als positiver Wissenschaft ableitenden Aufriß der Disziplinen. Danach hat die philosophische Theologie als kritische Disziplin auf den Grundlagen der Religionsphilosophie die für die Darstellung des Wesens und der Gestalt der christlichen Gemeinschaft notwendigen Begriffsbestimmungen zu leisten (vgl. KD2 276 § 24)38. Unter der praktischen Theologie ist das für die Aufgabe der Kirchenleitung notwendige technische, d.h. Kunstregeln beinhaltende Wissen zusammengefaßt (vgl. KD2 276 § 25).39
37 38 39
an die „Hervorbringung von Naturgütern" hingewiesen wird. Vgl. G. Sauter: Grundzüge einer Wissenschaftstheorie der Theologie [1973], 320f. Vgl. B.A.Gerrish: Continuing the Reformation [1993], 155. V g l . F. Schleiermacher: Praktische Theologie, SW 1/13, 25, wo er „die praktische Theologie erklärt als die Technik zur Erhaltung und Vervollkommnung der Kirche". Dabei setzt Schleiermacher mit dem „Ausdrukk Technik" (27) ein funktionales Interesse voraus, ein „Handelnwollen in Beziehung auf die christliche Kirche" (27), dem weder „auf eine mechanische Weise" noch durch „absolute Willkühr" (25) entsprochen werden kann. Dies belegt für Schleiermacher die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Reflexion, „denn praktische Theologie ist nicht die Praxis, sondern Theorie der Praxis" (12).
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Aber der „eigentliche Körper des theologischen Studiums, welcher durch die philosophische Theologie mit der eigentlichen Wissenschaft und durch die praktische mit dem tätigen christliche Leben zusammenhängt" (KD2 277 § 28), ist die historische Theologie. Schleiermacher bezeichnet diese Disziplin als historische, da er ihren Gegenstand insgesamt als geschichtlichen versteht (vgl. KD2 276 § 26). In dieser durch Schleiermacher beschriebenen klassischen Trilogie der theologischen Wissenschaften, die „das ganze theologische Studium" (KD2 277 § 31) umfaßt, fällt der historischen Theologie die Darstellung der Beziehung zwischen den allgemeinen Begriffen und Prinzipien, mit der Geschichte beschrieben wird, und den mit der bestimmten christlichen Gemeinschaft gegebenen Konkretionen zu. Insofern ist sie Bewährung der philosophischen und Begründung der praktischen Theologie. Ihrem Inhalt nach bleibt die historische Theologie, die Exegese, Kirchengeschichte und die „geschichtliche Kenntnis von dem gegenwärtigen Zustande des Christentums" als Kenntnis der „geltenden Lehre" und des „gesellschaftlichen Zustandes" (KD2 314 § 195) umfaßt, ein spezifischer Teil der Geschichtswissenschaft (vgl. K D 2 2 8 9 §§ 6 9 f . ) . Ihre Aufgabe aber stellt die historische Theologie in die für Schleiermachers Wissenschaftsbegriff entscheidende Funktion des Aufeinanderbeziehens von idealer Begrifflichkeit und geschichtlicher Konkretion. Mit dieser grundlegenden Einsicht öffnet Schleiermacher seinen theologischen Ansatz für eine Aufnahme des Problems des Gegensatzes von historischer und dogmatischer Theologie. Indem Schleiermacher die Differenz des Historischen und des Dogmatischen in die Darstellung geschichtlichen Wissens von einem durch den christlichen Glauben bestimmten Standpunkt aus einholt, versucht er, nicht nur das Verhältnis der theologischen Disziplinen untereinander, sondern das Verhältnis der Theologie zur Wissenschaft überhaupt zu formulieren. 40 Besonders auch die späteren Vorlesungen Schleiermachers zur Kirchengeschichte [1821/22 und 1825/26] belegen, wie J. Boekels aufgezeigt hat, daß Schleiermacher dem Geschichtlichen als dem Ort, an dem Ideales und Reales aufeinander bezogen sind und wo es zur Wechselwirkung mit der subjektiven Perspektive kommt, größte Aufmerksamkeit beigemessen hat. Die von Schleiermacher „spekulativ erschlossene Geschichtsstruktur, die eine Geschichtsschau erst ermöglicht, wird kritisch an den Fakten der Geschichte verifiziert, wobei der Einfluß des 40
Vgl. E. Jiingel: Das Verhältnis der Theologischen Disziplinen untereinander [1972], 47ff.
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subjektiven Glaubensstandpunkts des Darstellenden sowie die geschichtliche Komponente der Geschichtsdeutung selbst erkannt und offengelegt wird"41. Boekels urteilt weiter, daß die von Schleiermacher intendierte organische Betrachtung der Geschichte durch seine „Auffassung der inneren Seite der Geschichtsentwicklung in der Kirchengeschichtsvorlesung an der positiven Geschichte als Theorie verifiziert ist" und demnach „das Durchdringen von Spekulation und Empirie diese Vorlesung Schleiermachers" 42 auszeichnet. In der historischen Theologie geht es nach Schleiermacher also darum, von „dem konstitutiven Prinzip der Theologie aus[,] den geschichtlichen Stoff des Christentums [zu] betrachte[n] um so die für die als Handlungswissenschaft zu verstehende Theologie nötige „geschichtliche Kenntnis des gegenwärtigen Momentes" (KD2 291 § 81) darzustellen. Diese Betrachtung der christlichen Gemeinschaft geschieht unter realem Aspekt in der „kirchlichen Statistik" 43 als „Darstellung des gesellschaftlichen Zustandes" und unter idealem Aspekt in der „dogmatischen Theologie" als „Darstellung der Lehre" einer bestimmten kirchlichen Gemeinschaft (KD2 295 §§ 94, 97). Dabei stehen sich kirchliche Statistik und Dogmatik nicht disjunktiv gegenüber, denn die Lehre in ihren theoretischen und praktischen Bezügen ist aus dem gesellschaftlichen Zustand der Kirche nur herausgenommen, „weil ihre Darstellung einer eigentümlichen Behandlung fähig und bedürftig ist" (KD2 314 § 195). Die Unterteilung der dogmatischen Theologie „in die Behandlung der theoretischen Seite des Lehrbegriffs, oder die Dogmatik im engeren Sinn, und in die Behandlung der praktischen Seite, oder die christliche Sittenlehre" sieht Schleiermacher „nicht als wesentlich" (KD2 321 § 223)44 an und hält eine „ungeteilte Behandlung" (KD2 323 §231) dieser Disziplinen für möglich. Mit der Einordnung der Dogmatik in die historische Theologie unterstreicht Schleiermacher, daß er den gegenwärtigen Zustand kirchlicher Lehre als geschichtliche Tatsache versteht. Schleiermacher sieht, daß das geschichtliche Verständnis der
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J. Boekels: Schleiermacher als Kirchengeschichtler [1994], 157. J.Boekels a.a.O., 128. Schleiermachers Verständnis von kirchlicher Statistik ist als Darstellung und Beschreibung kirchlicher Phänomene gegenüber der historischen Theologie im engeren Sinn auf die Erfassung eines momentanen Zustandes beschränkt (vgl. KD 2 325 § 242). Die eigentliche Kirchengeschichte soll dagegen durch „die Verknüpfung des Äußeren und Inneren zu einer geschichtlichen Anschauung" (KD 2 306 § 152) und zur Entwicklung der kirchlichen Gemeinschaft beitragen. Vgl. F. Schleiermacher: Die christliche Sitte, SW1/12, 4, Anm.
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kirchlichen Lehre auch ein geschichtliches Verständnis der dogmatischen Theologie impliziert und notwendig individuelle und zeitbedingte Momente in ihre Darstellung eingetragen sind (vgl. CG21, 120f. § 19.2). In der als Darstellung verstandenen dogmatischen Theologie geht es Schleiermacher weniger darum, „die geltende Lehre nur geschichtlich [zu] berichten" (KD2 315 § 197), sondern darum, vor dem Hintergrund eigener Überzeugung den dargestellten „Zusammenhang durch seine Aufstellung [zu] bewähren" (KD2 314 § 196).4S Insofern wird die Individualität der Darstellung durch die geforderte Gültigkeit der Bewährung in die geschichtliche Wirklichkeit eingebunden. Wie Birkner zusammenfaßt, hat die dogmatische Theologie nach Schleiermacher „ihre Wissenschaftlichkeit darin, daß sie die in der evangelischen Kirche geltende Lehre umfassend und zuverlässig darstellt"46. Schleiermacher sieht einen dogmatischen Satz „durch unmittelbare oder mittelbare Zurückfuhrung seines Gehaltes auf den neutestamentlichen Kanon" und „durch die Zusammenstimmung des wissenschaftlichen Ausdrucks mit der Fassung verwandter Sätze" (KD2 317 § 209) bestätigt. Zugleich aber bleiben alle allgemein-christlichen wie wissenschaftlich-theologischen Aussagen jedem Glaubenden „an der Gewißheit seines unmittelbaren frommen Selbstbewußtseins bewährt" (KD2 317 § 209). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Kriterien Schleiermacher mit dieser doppelten Verankerung der Bewährung in den Wissensbegriff der Theologie einträgt. Seinem auf einen kritischen Ausgleich von Spekulation und Empirie zielenden Wissensbegriff entsprechend, versteht Schleiermacher die Dogmatik als historische Disziplin der positiven Wissenschaft der Theologie im Gegenüber zu entsprechenden Aussagen einer philosophischen Theologie, deren Aussagen sich auf das Gebiet der philosophischen Ethik beziehen. 47 Diese Einordnung wird durch die Abgrenzung der 45
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Vgl. B.A.,Gerrish: Continuing the Reformation, 153: „In particular, the way the church's teaching ,hangs together' (its Zusammenhang) can be convincingly presented only by someone who starts from personal conviction." H.-J.Birkner: Beobachtungen zu Schleiermachers Programm der Dogmatik [1963], 125. Vgl. zur Ortsbestimmung der Dogmatik die Beschreibung der entsprechenden wissenschaftssystematischen Einordnung der christlichen Sittenlehre bei H.-J. Birkner: Schleiermachers christliche Sittenlehre [1964], 84f.: „Die philosophische Ethik ist in Schleiermachers Konzeption eine deduktiv verfahrende spekulative Wissenschaft. Sie beschreibt in abstrakt-allgemeiner Weise das Ganze der Strukturen und Formen menschlich-geschichtlichen Lebens, den Gesamtbereich menschlichen Handelns, die Gesamtwirksamkeit der irdischen Vernunft auf die irdische Natur. Sie ist damit die spekulative Grundwissenschaft für alle historischen Wissenschaften, sie stellt ihnen die
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Einleitung der Glaubenslehre von deren eigentlichen Ausführungen unterstrichen. Dogmatische Aussagen haben zwar in der philosophischen Ethik spekulative Verstehensvoraussetzungen, gehen aber in der Herkunft ihrer Grundaussagen nicht auf die Ethik zurück. Obwohl im Rahmen der wissenschaftssystematischen Voraussetzungen Schleiermachers dem idealwissenschaftlichen Organon, der Dialektik, außer dem gesamten Körper der realwissenschaftlichen Disziplinen kein direktes Pendant zugeordnet ist, stehen Dialektik und Dogmatik in ihren transzendental zu beschreibenden Verstehensvoraussetzungen in einem spezifischen Entsprechungsverhältnis. Auf den engen Zusammenhang von Ethik und Dialektik wurde bereits hingewiesen.48 Die Dialektik muß in ihrer idealwissenschaftlichen und insofern spekulativen Konzeption nicht nur die wissenstheoretischen Voraussetzungen der Dogmatik als historische Disziplin beschreiben können, sondern auch die Möglichkeit dogmatischen Wissens, das durch den Glauben geprägt ist, offen halten. Dieses Verhältnis wird grundsätzlich durch eine erklärte Kompatibilität beider Aussagenbereiche beschrieben. Im zweiten Sendschreiben an F. Lücke, dem 1829 verfaßten Selbstkommentar zur Glaubenslehre, formuliert Schleiermacher, „daß jedes Dogma, welches wirklich ein Element unseres christlichen Bewußtseyns repräsentiert, auch so gefaßt werden kann, daß es uns unverwikkelt läßt mit der Wissenschaft"49. Formal erscheint kirchliche Lehre als positiver Inhalt wissenschaftlicher Beschreibungen. Allerdings hat Schleiermacher damit zugleich eine inhaltliche Bedingung der Kompatibilität eingeführt: Theologische Lehraussagen müssen ein Element des christlichen Bewußtseins ausdrücken und insofern auf das unmittelbare Selbstbewußtsein zurückgehen. Ebenso ist aber die in der Dialektik gegebene Explikation des Wissensbegriffs auf den im unmittelbaren Selbstbewußtsein anwesenden transzendentalen Grund bezogen. Damit stehen sich Dialektik und Dogmatik nicht nur als Organon und spezielle Konkretion gegenüber, sondern stellen beide in spezifischer Weise Explikationen einer im Gefühl gegebenen Unmittelbarkeit dar. Die von Schleiermacher zunächst positiv eingeführte Funktion dogmatischer Theologie ist in den Grundlagen ihrer Deskriptivität und daraus
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Verstehenskategorien bereit. Die Christliche Sittenlehre dagegen gehört der empirischen Geschichtswissenschaft zu. Sie hat eine begrenzte konkret-historische Aufgabe. Sie beschreibt eine konkrete Lebensgestalt, das Handeln, das aus der Herrschaft des christlich-frommen Selbstbewußtseins im Menschen entsteht." Vgl. S. 124. F.Schleiermacher: 2.Sendschreiben [1829], KGA 1/10, 351.
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folgend auch in ihrer Normativität (vgl. KD2 315 § 198) - wie die Dialektik - an das unmittelbare Selbstbewußtsein verwiesen. Inwiefern die dabei unterschiedenen Aspekte, die einerseits in eine Theorie des Wissens und andererseits in eine Lehre des Glaubens münden, zugleich die von Schleiermacher behauptete Kompatibilität und gegenseitige Unabhängigkeit aufweisen können, bleibt zu fragen. Daher wird im folgenden an spezifischen Aussagen der Glaubenslehre untersucht, inwieweit die historische Disziplin der theologischen Dogmatik spekulative Züge trägt bzw. in welchem Maße in den transzendentalen Voraussetzungen der Dialektik theologische Aussagen involviert sind.
3.3 Das Theologieverständnis Schleiermachers Um einen Begriff des in der Glaubenslehre, der dogmatischen Theologie im engeren Sinn, darzustellenden Sachverhaltes zu erhalten, nimmt Schleiermacher in seiner philosophischen Theologie das Problem der Darstellung einer geschichtlichen Gegebenheit als notwendige Erscheinung auf. Die Frage, ob „fromme Gemeinschaften [...] ein für die Entwicklung des menschlichen Geistes notwendiges Element" (KD2 275 § 22) darstellen, muß über die Feststellung ihrer deskriptiven Faktizität hinausgehen, obwohl sich diese Frage auch für Schleiermacher erst mit ihrem geschichtlichen Auftreten stellt. Indem Schleiermachers Wissensbegriff von einer Entsprechung begrifflichen Wissens und des so erfaßten Wesens der Gegenstände ausgeht, wird eine Entsprechung von verstehensnotwendig und wesensmäßig vorausgesetzt. Die Erfassung des Wesens der Frömmigkeit ist dann zugleich seine Darstellung als notwendige Erscheinung. Dies geschieht in der Einleitung zur Glaubenslehre mit der Beschreibung des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls als notwendige Voraussetzung jeden Freiheitsgefühls (CG21, 29 §4.4). Übereinstimmend stellt Schleiermacher in der Kurzen Darstellung und in der Glaubenslehre zunächst fest, daß das Wesen des Christentums weder rein wissenschaftlich konstruiert noch rein empirisch erfahren werden kann, sondern sich allein kritisch bestimmen läßt (vgl. KD2 279 § 32). Die Darstellung und das Verständnis des Wesens der christlichen Tradition als Gegenstand „auf dem geschichtlichen Gebiet" ist weder mit einer „sogenannten Konstruktion a priori" noch durch die „bloß empirische Auffassung" möglich, da es um das „Gleichgewicht
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des Geschichtlichen und des Spekulativen" (CG21, 12f. § 2.2) geht. In einer oszillierenden Bewegung von intellektueller Begrifflichkeit zu phänomenologischer Bestätigung und von historischer Erscheinung zu begrifflicher Erfassung sollen faktische Ereignisse und konstitutive Voraussetzung so aufeinander bezogen werden, daß sie in ihrer Bezogenheit erfaßt werden. Daß Schleiermacher in diesem Vorgehen Geschichtlichkeit und Notwendigkeit miteinander korrespondierend versteht, erhellt beide Begriffe wechselseitig. Schleiermacher versteht eine Tatsache als notwendig, indem sie, „in das System des Zusammenseins verflochten, als eine Succession von Zuständen erscheint" (DJ 132 § 198).S0 Genau dies ist aber auch Voraussetzung für Schleiermachers Geschichtsbegriff, denn „im Gebiete des Seins" (Ebd.) sind die Gegebenheiten ebenso frei als notwendig. Vor dem Hintergrund unmittelbarer Identität des Seins im transzendentalen Grund versteht Schleiermacher die Freiheit des Faktischen als „eine für sich gesezte Identität von Einheit der Kraft und Vielheit der Erscheinungen" (Ebd.) zugleich als System von Ursachen und Wirkungen im Zusammenhang des Seins. Wie Schleiermacher betont, stehen sich damit ,frei und notwendig' nicht kontradiktorisch gegenüber, weshalb er auch von der wesenhaften Erscheinung des Faktischen in der Geschichte ausgehen kann. Trotzdem wendet er sich dagegen, daraus eine spekulative Geschichtsbetrachtung abzuleiten (vgl. DJ 131 § 197), denn die transzendentale Identität des Gegensatzes der Einheit des Vernünftigen und der Vielfalt des Geschichtlichen erscheint im immanenten Raum des Gegensätzlichen nur partiell. Daher gibt es bei Schleiermacher, auch wenn das Wesen einer Erscheinung nur durch deren einordnende Darstellung in einen als „Gesamtentwicklung der geistigen Kräfte" (CG21, 48 § 7.1) bzw. „Reihe [... der] Sittenformen" (DJ 148 § 212.4) verstandenen Geschichtsbegriff erfaßt wird, keine Geschichtsphilosophie im engeren Sinne.51 Schleiermacher geht also von der Voraussetzung aus, daß geschichtliche Erscheinungen in ihrem Wesen begrenzte Vermittlungen unmittelbarer 50
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Vgl. I.Kant: KrV A 227, Β 279, der in seiner Modalanalyse die „Notwendigkeit der Existenz" nur aus der Verknüpfung von Begriff und Wahrnehmung, d.h. „als das Dasein der Wirkungen aus gegebenen Ursachen nach Gesetzen der Kausalität" versteht. Auch K.Barth: Schleiermacher [1926], 167f., sieht, daß Schleiermacher mit dem „Problem des Historischen [...] jedenfalls nicht fertig geworden ist, daß er das Problem immerhin so lebhaft empfand, daß er das Historische (nicht ganz absorbiert von den andersartigen Elementen seiner Konzeption, nicht ganz seiner Rätselhaftigkeit entkleidet) stehen und gelten lassen mußte, der Konsequenz seines Systems zum Trotz stehen und gelten lassen wollte."
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Identität von Idealem und Realem bzw. des Ethischen und des Physischen darstellen. Die auf diesen Zusammenhang verweisenden Erscheinungen sind also nur in einer Verschränkung von empirischer und spekulativer Bezugnahme zu erfassen, was nach Schleiermacher durch ein „scheidendes und vermittelndes Verfahren" (CG2 II, 49 § 95.1) geleistet werden kann. Für die Begriffsbestimmung des Christentums bedeutet die Charakterisierung dieses Verfahrens als kritisch ein „Gegeneinanderhalten dessen, was im Christentum geschichtlich gegeben ist, und der Gegensätze, vermöge deren fromme Gemeinschaften können voneinander verschieden sein" (KD2 279 § 32). Kritik ist „Vergleichung der [...] allgemeinen Differenzen mit dem geschichtlich Gegebenen" (KD2 279f. § 35), d.h. spekulativ ausgemachte Teilbarkeiten52 müssen, um zu wirklichen Begriffen des Wissens zu kommen, mit positiv gegebenen Eigentümlichkeiten ausgemittelt werden. Erst mit diesem induktiven Ansatz wird die theologische Begriffsbildung zu einer wissenserweiternden Deduktion, die das „eigentümliche Wesen des Christentums" (KD2 279 § 32) erfaßt.53 Schleiermacher nimmt hier seinen in der Dialektik entwickelten Begriff der konstruktiven Kritik auf (vgl. DJ 144 §210). Dieser äußert sich in seiner Theologie nicht nur in der Gegenüberstellung spekulativer und empirischer Züge, sondern auch vor dem Hintergrund des aus dem kritisch-konstruktiven Ansatz folgenden approximativen Wissensbegriffs in der Annahme geschichtlicher Bedingtheit der christlich dogmatischen Aussagen. 54 52
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Vgl. G.Wehrung: Dialektik Schleiermachers [1920], 290. Allerdings widerspricht es Schleiermachers Verständnis, dies als „Ausgleichung des Apriorischen mit dem Empirischen" herauszustellen, da es allgemeine Begriffe bei Schleiermacher nie ohne empirische Momente, d.h. nie a priori, gibt. Vgl. S. 117. Vgl. D. Offermann: Schleiermachers Einleitung [1969], 204: „Aus dem Ansatz geht hervor, daß Schleiermacher die vorgegebene Wirklichkeit nur und genau aus einer .Entgegensetzung' begrifflich zu erfassen sucht, in der die Gegensatzelemente sich wechselseitig bestimmen. " Vgl. die gegenteilige Position von F. Flückiger: Philosophie und Theologie [1947], 169, der in seiner einseitigen Bewertung der Glaubenslehre Schleiermachers, die sich überwiegend auf die Paragraphen der Einleitung stützt und Schleiermacher eine aus der „Synthese von Totalitätsanschauung und Dogma" resultierende Umdeutung dogmatischer Aussagen zu ,,monistische[n] Grundgedanke[n]" vorwirft. Er kritisiert die „wissenschaftliche Methode der Ethik" als „rein begriffliche Deduktion aus höchsten Allgemeinbegriffen" (22) und lehnt damit insgesamt die dogmatische Theologie Schleiermachers als ,,höhere[] Synthese des philosophisch interpretierten Dogmas" (90) ab. Vgl. D.Lange: Subjektivität und Kritik [1980], 302, der den konstruktiven Charakter der Kritik bei Schleiermacher unterstreicht.
Das Theologieverständnis Schleiermachers
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Schon die philosophische Theologie, die Schleiermacher in seiner Einleitung der Glaubenslehre voranstellt und die mittels Begriffsbildung die Dogmatik im engeren Sinn vorbereiten soll, ist dann nicht ohne empirische Bezugnahme zu verstehen. D. Offermann kommt in ihrer methodologischen Untersuchung zur Einleitung der zweiten Auflage der Glaubenslehre zu dem Ergebnis, diese „als einen Modellfall von .Kritik' aufzufassen"551. Dieser These folgend, zeigt sie in den jeweils vier Paragraphen der drei Lehnsatzgruppen - der Ethik, Religionsphilosophie und Apologetik - eine Struktur kritischen Vergleichens auf. Entsprechend der Methode „comparativer Anschauung" 56 geht es um die Gewinnung des Gleichgewichtes zwischen vorgreifender, spekulativer Bestimmung des Wesens und bestätigender, empirischer Beschreibung der Wirklichkeit. Dabei beschreibt nach Offermanns Interpretation Schleiermacher im jeweils letzten Lehnsatz den geschichtlich gegebenen Zielpunkt der Darstellung, auf den die im jeweils ersten Lehnsatz entwickelte Ortsbestimmung und die im jeweils zweiten Lehnsatz gegebene Begriffsbestimmung zulaufen. So wird beispielsweise in den Lehnsätzen aus der Ethik der Begriff der Kirche dargestellt, indem der Ort der Frömmigkeit, das unmittelbare Selbstbewußtsein (CG 2 1, 14ff. § 3), im folgenden Paragraphen zum Begriff des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls konkretisiert (CG 2 1, 23ff. § 4) und durch die Frage nach der Weise dessen wirklichen Vorkommens (CG 2 1, 30ff. § 5) mit der Beschreibung der geschichtlichen Erscheinung der Kirche (CG 2 1, 41ff. § 6) verbunden wird. Offermann geht mit Schleiermacher davon aus, daß es, wenn das geschichtlich Gegebene nicht nur als Zufälliges anzuschauen ist und das Wesen einer Tatsache nicht nur aus ihrem allgemeinen Begriff folgt, einen überschneidenden Bereich geben muß, in dem sowohl die Wahrnehmung konzentriert als auch die Begriffsbestimmung präzisiert werden. Dies versucht Schleiermacher kritisch vergleichend in einem Gleichgewicht spekulativer Voraussetzungen und phänomenologischer Betrachtungen des Gegebenen zu erreichen. 57 55 56
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D.Offermann: Schleiermachers Einleitung, 323. F. Schleiermacher: Ethik, 125 § 231: „Es ist die Sache der kritischen Disciplin, die man gewöhnlich Religionsphilosophie nennt, die individuelle Differenz der einzelnen Kirche in comparativer Anschauung zu fixiren". Vgl. die Mißdeutung Schleiermachers, die sich aus der Interpretation dieses angestrebten Gleichgewichts als Synthese des Gegensätzlichen ergibt, bei F.Flückiger: Philosophie und Theologie [1947], 185: „Nicht einseitig von philosophischen oder dogmatischen, spekulativen oder empirischen Voraussetzungen aus wird die religiöse Wahrheit gesucht, sondern in der Entgegensetzung und Synthese beider." Indem in dieser Synthese „das Schwergewicht, die bestimmende Stellung, bei der Spekulation"
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
Innerhalb der Lehnsätze aus der kulturphilosophisch zu verstehenden Ethik, im abschließenden Paragraphen, beschreibt Schleiermacher in einer Weise, die phänomenologisch aufzeigend und auf Nachvollziehbarkeit des Erfahrungsgehaltes angelegt ist, die „relativ abgeschlossene fromme Gemeinschaft" (CG21, 45 § 6.4), die er als Kirche bezeichnet. 58 Interpretierend führt Schleiermacher dieses Phänomen in seinem „wirklichen Vorkommen" (CG2 I, 30 § 5) auf die sich, „vermöge des Gattungsbewußtseins" (CG21, 42 § 6.2), gemeinschaftlich äußernde Frömmigkeit zurück, deren Wesen, das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl, er als Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins beschreibt. Obwohl diese Bestimmungen auf eine spekulative Begrifflichkeit zurückgehen, ist es Schleiermachers Ziel, seine Ausführungen auf Erfahrungen zu stützen, die Evidenz beanspruchen können. Durch diese Wesensdarstellung der Frömmigkeit trägt Schleiermacher in seine Beschreibung das Element der Notwendigkeit frommer Gemeinschaften ein. Zugleich betont er, daß der faktische Zustand wirklich vorkommender Kirchen sich so nicht ableiten läßt. s9 Die im Verstehen sich darstellende Notwendigkeit frommer Gemeinschaften kann nicht deren Faktizität begründen. Noch deutlicher wird in den Lehnsätzen aus der Religionsphilosophie auf „den individuellen Gehalt der in der Gemeinschaft vorkommenden frommen Erregung" Bezug genommen, der „selbst nicht wieder aus dem früheren geschichtlichen Zusammenhang zu begreifen ist" (CG2 I, 71 f. § 10 Zusatz). Schleiermacher betont, daß „ein geschichtliches Hervortreten" (CG21, 47 § 7.1) nicht abgeleitet, sondern nur im Nachgang zu seinem Vorkommen im Begriff dargestellt werden kann. 60
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(91) gefunden wird, wird die Offenheit des Wissensbegriffs Schleiermachers in der Theologie zur urbildlichen und geschichtlichen Erscheinung Christi verkannt und die Glaubenslehre als spekulative „Umdeutung oder Umbiegung" (91) der christlichen Dogmen in ein monistisches System verstanden. Vgl. CG 2 1, 44f. § 6.4: „Sehen wird aber auf den wirklichen Zustand der Menschen, so ergeben sich doch auch feststehende Verhältnisse in dieser fließenden und eben deshalb streng genommen unbegrenzten Gemeinschaft. " Vgl. CG 2 I, 12 § 2.2: „Denn keine Wissenschaft kann das Individuelle durch den bloßen Gedanken erreichen und hervorbringen, sondern muß immer bei einem Allgemeinen stehenbleiben. " Vgl. F.Schleiermacher: Reden1 [1799], KGA1/2, 301f.: „Ihr werdet wißen, daß wenn man einen Begrif eintheilt so viel man will und bis ins Unendliche fort, so kommt man doch dadurch nie auf Individuen, sondern immer nur auf weniger allgemeine Begriffe, die unter jenen enthalten sind, auf Arten und Unterabtheilungen, die wieder eine Menge sehr verschiedener Individuen unter sich begreifen können: um aber den Charakter der Einzelwesen selbst zu finden muß man aus dem allgemeinen Begrif und
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In die „kritische Darstellung der verschiedenen gegebenen Formen frommer Gemeinschaften" (CG21, 14 § 2 Zusatz 2) führt Schleiermacher dazu zwei systematisierende Einteilungen ein, basierend auf einem vorausgesetzten allgemeinen Entwicklungsprinzip der Geschichte61 und bewegt durch die „dunkle Ahndung des wahren Gottes" (CG2 I, 51 § 7.3). Die mit diesem evolutionären Prinzip vorgestellte zunehmende Vervollkommnung ist als religionsphilosophische Rahmenangabe einer begrifflichen Erfassung des Wesens des Christentums von einem Erweis der Wahrheit des Christentums in methodischer Hinsicht zu unterscheiden. 62 Es geht Schleiermacher vielmehr im Wechselverhältnis von „Konstruktion und Auffindung" (CG21, 47 § 7, Anm. a) um eine Erfassung der Religionsgemeinschaften als geschichtlich konkrete Erscheinung und als spezifische Ausformungen der Frömmigkeit. Daß dabei der Verweis auf einen „bestimmten Anfang" der frommen Gemeinschaften in der Geschichte ihre religionsphilosophische Einordnung als „eigentümliche Abänderung" (CG21, 64 § 10) der Frömmigkeit nicht unterläuft, begründet Schleiermacher mit der Voraussetzung, daß „die innere Eigentümlichkeit mit dem verbunden sein müsse, wodurch die äußere Einheit geschichtlich begründet wird" (CG21, 65 § 10.1). Schleiermacher räumt zwar ein, daß in der Umsetzung dieser Annahme nur Annäherungen zu erzielen sind, da die Unterscheidung des Zufälligen vom Wesentlichen unvollkommen bleibt. Aber das gegenseitige Bedingtsein äußerer Phänomene und innerer Bestimmungen stellt die Grundvoraussetzung seiner kritischen Geschichtsbetrachtung dar. In den Lehnsätzen aus der Apologetik wandelt Schleiermacher die traditionelle Aufgabe der Apologetik, die Denknotwendigkeit oder wenigstens die Denkmöglichkeit christlicher Glaubensaussagen bzw. die Autorität der Bibel aus allgemeingültigen Ansätzen zu demonstrieren, entsprechend seiner theologischen und wissenstheoretischen Konzeption, ab. Es geht darum, „das eigentümliche Wesen des Christentums [...] durch ein kritisches Verfahren" (KD2 282 § 44) allgemeingültig zu be-
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seinen Merkmalen herausgehn." Vgl. den Verweis auf die „Gesamtentwicklung der geistigen Kräfte" in CG 2 1, 48 § 7.1. Vgl. D.Offermann: Schleiermachers Einleitung, 155: „Denn die Vorstellung, die für Schleiermacher eigentlich mit dem Gedanken der .Entwicklungsstufen' ausgedrückt ist, ist die, daß verschiedenartige fromme Gemeinschaften in ihrem Nebeneinander gesehen werden." Vgl. W. Dilthey: Leben Schleiermachers, GS XIV/2, 568, der herausstellt, daß in Schleiermachers religionstheoretischem Aufriß „es sich auch das Christentum gefallen lassen [muß], den anderen Glaubensweisen koordiniert zu werden."
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
schreiben und so zu einem Gegenstand des Wissens zu machen. 43 Der für die christliche Gemeinschaft bestimmende Bezug, den Schleiermacher als „den Glauben an Jesum als den Erlöser" (CG21, 94 § 14) bezeichnet, wird als gegeben konstatiert und mit dem „Ausdruck Erlösung" als „Übergang aus einem schlechten Zustande, der als Gebundensein vorgestellt wird, in einen bessern" (CG21, 76f. § 11.2) charakterisiert. Damit soll im Rahmen der Einleitung der Glaubenslehre zunächst eine formale Bestimmung des Wesens des Christentums im Rahmen einer philosophischen Theorie der Religionsgeschichte gegeben werden. Die weitergehende inhaltliche Bestätigung dieser Deutung als Frage nach dem „wie" (CG21, 79 § 11.4) der Erlösung durch Jesus ist nach Schleiermacher nicht Gegenstand der philosophischen Theologie, sondern gehört, soweit sie begrifflich zu erfassen ist, in die eigentliche Glaubenslehre. Allerdings ist, darauf verweist kritisch F. Courth, mit dieser Frage nach der erlösenden Kraft im Christentum in der Theologie Schleiermachers „die Wahrheitsfrage der Glaubwürdigkeitsfrage untergeordnet"64. An der Anordnung der apologetischen Lehnsätze in der Einleitung wird deutlich, daß Schleiermacher die hier in Anspruch genommene Argumentationsweise von seinem Vorgehen in der Dogmatik unterschieden wissen will, bzw., daß seine Dogmatik nicht in apologetischer Intention steht. Für Schleiermacher ist die Wahrheitsfrage des christlichen Glaubens und der ihn ausdrückenden kirchlichen Lehre eine Frage der persönlichen Erfahrung und Überzeugung, weshalb er auf „jeden Beweis für die Wahrheit oder Notwendigkeit des Christentums verzichten" (CG2 I, 83 § 11.5) will. Innerhalb der apologetischen Lehnsätze weist die Argumentation deshalb eine konditionale Struktur auf, d.h., wenn von dem „Menschwerden des Sohnes Gottes" ausgegangen wird, muß „in der menschlichen Natur die Möglichkeit liegen, das Göttliche, wie es eben in Christo gewesen ist, in sich aufzunehmen" (CG21, 89 § 13.1). Diese sich im Glauben darstellende Bestimmtheit des Grundes
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Vgl. F. Schleiermacher: 2. Sendschreiben [1829], KGA 1/10, 374: „so will diese Formel [sc. für das eigentümliche Wesen des Christentums] auch von jedem Unchristen dafür gehalten seyn, daß er durch dieselbe jede christliche fromme Erregung und einen sie aussagenden Glaubenssatz von jeder nichtchristlichen unterscheiden könne." Vgl. G.Ebeling: Erwägungen zu einer evangelischen Fundamentaltheologie [1970], 494. F.Courth: Das Wesen des Christentums in der liberalen Theologie [1977], 215.
Das Theologieverständnis Schleiermachers
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erscheint aus der Sicht der Vernunft nur als Möglichkeit. 65 In der Gegenüberstellung von vernünftig und übervernünftig wird die gleiche Denkfigur nochmals ausgeführt. Wenn Christus „der Gesamtheit der Menschen als Erlöser gegenüberstehen" kann, was von den Erlösten als Erfahrung behauptet wird, kann er nicht „aus der allen andern gleichmäßig einwohnenden Vernunft zu erklären" (CG2 I, 90 § 13.2) sein. Damit gilt allgemein, daß christliche Sätze in der Weise übervernünftig sind, „in der auch alles Erfahrungsmäßige übervernünftig ist" (CG21, 93 § 13 Zusatz). Weiter geht Schleiermacher davon aus, daß diese Erfahrungen sich in Sätzen ausdrücken lassen, die wie alles, was einer rationalen Kommunikation unterliegt, vernunftmäßig, also nicht widervernünftig sind. So werden unter den von Schleiermacher gemachten ontologischen Voraussetzungen die übervernünftige „Tatsächlichkeit" des Erscheinens des Erlösers in der Geschichte und die vernünftig mitteilbare „Grundtatsache" (CG2 I, 86 § 13, Anm. a) des Christentums kommunikabel, ohne daß Vernünftiges und Übervernünftiges in einen ableitbaren Zusammenhang zueinander gesetzt werden. Theologie wird damit als Wissenschaft möglich, ohne daß ihre vernünftig dargestellten Inhalte sich aus der Vernunft ableiten. In der Entsprechung von Übervernünftigkeit und Vernünftigkeit in der Singularität des Erlöserseins Jesu wird der Überschuß des Faktischen gegenüber dem Ableitbaren in expliziter Weise anerkannt und zugleich von dessen Zugehörigkeit zu einem Ganzen ausgegangen. Darüber hinaus macht diese Erklärung der Übervernünftigkeit deutlich, inwiefern eine Einordnung der Dogmatik in die historische Theologie und in die Ethik möglich ist. In ihrer Untersuchung zum Gottesbewußtsein bezeichnet Junker die Einleitung der Glaubenslehre in ihrer zweiten Fassung als „Abfolge von spekulativer, kritischer und hermeneutischer Erörterung", wobei die vorangehende Bestimmung des Wesens der Frömmigkeit „sich gegen alle Absichtserklärungen Schleiermachers leicht als spekulative Begründung der Dogmatik in der Einleitung auffassen läßt"66. Indem Junker in der Einleitung das Gottesbewußtsein „transzendentalphilosophisch zwingend im Rahmen einer Theorie der existierenden Freiheit" erhoben findet, kann ihr die „geschichtliche Verkörperung dieser Gewißheit in
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Vgl. H.Knudsen: Subjektivität und Transzendenz [1987], 172. " M. Junker: Das Urbild des Gottesbewußtseins, 37f.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
der Person eines Erlösers [...] kaum als [...] unaufhebbarer geschichtlicher Grund gelten"67. Zwar gesteht sie letzteres Schleiermacher als Absicht zu, aber die Gestaltung der Einleitung laufe dieser entgegen. Dabei wird allerdings die transzendentalphilosophisch einsetzende Begriffsbestimmung von Junker als vorgreifender Erweis und nicht als Einführung einer Begrifflichkeit gewertet, die sich erst im Verstehen bestätigt und insofern auf Bewährung zielt. Offermann sieht dagegen die Argumentationsgänge innerhalb der drei Lehnsatzgruppen auch untereinander in der Struktur des kritischen Verfahrens verbunden: „Die religionsphilosophischen Sätze vergleichen' die apologetischen mit den ethischen, für jeden der drei Zyklen stellt die jeweils dritte These das .Gleichgewicht' zwischen den ersten beiden und der letzten her, und die Entfaltung dieses im eigentlichen Sinne kritischen Satzes wird wieder aus dem dialektisch-kritischen .Vergleichen' gewonnen." 68 In dieser nach Offermann wissenstheoretisch bedingten und methodisch umgesetzten Anordnung hat Schleiermacher „die zwölf Paragraphen zu einem Ganzen [ge]füigt; der letzte Satz - § 14 - macht deutlich, daß das Intentum der Lehnsätze überhaupt, die Herleitung des Begriffs .christliche Kirche', den im ersten Satz - § 3 - bei der .Frömmigkeit' als der .Bestimmtheit des Gefühls' bezogenen Ausgangspunkt fordert." 69 Mit dieser Deutung der Struktur der Einleitung betont Offermann das „Angewiesensein der theoretischen Reflexion auf das empirisch Gegebene" 70 bei Schleiermacher, d.h., die entliehenen Sätze der einzelnen Wissenschaftsbereiche werden durch den Gegenstand der Theologie überhaupt erst ermöglicht und in ihrer Darstellung organisiert. In ähnlicher Weise bestimmt auch C. Albrecht die Struktur der Einleitung unter Betonung der mit § 19 vorgegebenen Funktionalität
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70
M.Junker a.a.O., 124. D. Offermann: Schleiermachers Einleitung, 324. Ebd. Diese Deutung wird unterstrichen durch Schleiermachers Kommentar. Vgl. F. Schleiermacher: 1. Sendschreiben, KGA1/10, 333: „ich habe mir von Anfang an die Aufgabe so gestellt, das in der christlichen Kirche entwickelte Gottesbewußtseyn, wie wir es Alle in uns tragen, in allen seinen Aeußerungen so darzustellen, daß es in jedem einzelnen Momente möglichst rein erscheine, und so, daß die einzelnen Bestimmungen, die auf diese Weise entstehen, sich auch zusammenschauen lassen und eben so zu Einem streben, wie das Gefühl selbst doch immer dasselbe ist, mag es sich nun verbinden mit dem Bewußseyn unserer Willensfreiheit, oder mit unserem Bewußtseyn des Naturzusammenhanges oder mit dem der geschichtlichen Entwickelung." D.Offermann, a.a.O., 326.
Das Theologieverständnis Schleiermachers
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dogmatischer Theologie. 71 Dieser Interpretation der Einleitung entsprechend geht es also weder um die Aufstellung einer „Norm" durch „Herübernahme der spekulativen ,Wesensbestimmung'"72, so F. Flückigers Vorwurf, noch um die Begründung des Christentums in der Religionswissenschaft, 73 so das von E. Troeltsch beeinflußte Urteil von H. Süskind, sondern um eine Klärung der Verstehensvoraussetzungen der die Glaubenslehre begründenden Glaubensaussagen. Dies stellt nach Albrecht einen „funktionalein] Bezugsrahmen" dar, der „die Aufgabe und die Methode der zu beleihenden wissenschaftlichen Disziplinen im Blick auf ihren funktionalen Wert für die Einleitung"74 organisiert. Um „die Fundierung der von Schleiermacher als historisch-theologische Disziplin verstandenen Glaubenslehre in der Philosophischen Theologie"75, so die Deutung H.-J. Birkners, geht es nur insoweit, als der Stoff der historischen 71
Vgl. C. Albrecht: Schleiermachers Theorie der Frömmigkeit [1994], 213: „Der einheitliche Rahmen des ersten Kapitels der Einleitung besteht darin, daß am Anfang im § 2 - eine vorläufige und allgemeine Funktionsbestimmung der Dogmatik [...] aufgenommen wird, aus der sich eine in den Leitsatz des § 19 eingeflossene präzise Funktionsbestimmung entwickeln läßt." 72 F.Flückiger: Philosophie und Theologie, 42. 73 Vgl. H. Süskind: Christentum und Geschichte bei Schleiermacher [1911]. 74 C. Albrecht a.a.O., 213f. 75 H.-J. Birkner: Theologie und Philosophie, 34, und im Anschluß daran ebenso M. Eckert: Gott - Glauben und Wissen [1987], 13. Insofern ist die in der Einleitung zur Glaubenslehre gebotene philosophische Theologie nicht als Fundamentaltheologie zu verstehen, denn es geht nicht um eine rationale Glaubensbegründung. Davon ist allerdings der Begriff einer fundamentalen Theologie bei K. Rahner: Schriften zur Theologie [1956], Bd. 1, 27, zu unterscheiden. „Wenn eine Dogmatik sich aber begreift als getragen vom Glauben, der alles umfaßt und richtet [...] und von der Vernunft nicht umfaßt wird (im Sinne einer ihm übergeordneten Instanz), dann ist verständlich, daß die Dogmatik von sich aus und in sich selbst eine Theologie der Fundamentaltheologie entwickeln muß, d.h. von sich aus als Teil ihrer eigenen Aussage sagen muß, daß, wie und in welchem Sinn es eine rationale Begründung des Glaubens von außen und nach außen geben kann und muß. Die Dogmatik führt diese Begründung nicht durch" (27). Rahner kehrt hier den Begründungszusammenhang dogmatischer Aussagen von Glauben und Wissen gegenüber der klassischen Fundamentaltheologie um. Nicht in der Vernunft wird die Möglichkeit des Glaubens, sondern im Glauben wird die Möglichkeit des theologischen Wissens begründet. An dieses Verständnis von Fundamentaltheologie möchte sich R. Stalder: Grundlinien der Theologie Schleiermachers [1969], anschließen, wenn er schlußfolgert, „daß die .philosophische Theologie' wie auch die .Einleitung' einen, modern ausgedrückt, zu tiefst fundamentaltheologischen Sinn haben, das heißt, ganz im Dienste der Offenbarung stehen" (53). Allerdings zieht er philosophische und theologische Aspekte im weiteren, wenn er vom ,,fundamentaltheologische[n] Aspekt der .Dialektik'" (338) bei Schleiermacher spricht, so eng zusammen, daß er dessen Dialektik zu einer auf das Wissen von Gott zielenden ,,christliche[n] Erkenntnislehre" (339) umdeutet.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
Theologie als bekannt vorausgesetzt wird und in der philosophischen Theologie „die eigentlich geschichtliche Anschauung des Christentums" (KD2 287 § 65) begründet wird. Die inhaltliche Fundierung der Theologie setzt Schleiermacher in der Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins durch den Glauben als gegeben voraus. In der Einleitung geht es dagegen um die Klärung von Verstehensvoraussetzungen, d.h. um die Herstellung des Gleichgewichtes von Spekulativem und Empirischem für die Darstellung des Christentums. Daß Schleiermacher bei dieser Klärung der Voraussetzungen notwendigerweise auf Aussagen zurückgeht, die in anderen Disziplinen, insbesondere in der Dialektik, dargestellt wurden, liegt in der von Schleiermacher betonten Anfangslosigkeit des Denkens und zugleich in seiner epistemologischen Ontologie. Schleiermachers Reflexion über den Grund und die Möglichkeit von Wissen als Gleichgewicht des Gegensatzes von Idealem und Realem geschieht unter ihrer transzendental vorauszusetzenden unmittelbaren Identität. Dieses Konzept, das für Schleiermacher sowohl eine deduktive als auch eine rein subjektivitätstheoretische Begründung von Wissensaussagen ausschließt, widerspricht der Möglichkeit einer Ableitung theologischen Wissens aus der vorgängigen Klärung transzendentaler Verstehensvoraussetzungen. 7i Wird trotzdem eingewendet, daß die Stelle der theologischen Grunddisziplin, der „alten theologia thetica sive systematica"77, durch die philosophische Theologie eingenommen und diese damit zum bestimmenden Ausgangspunkt gemacht wird, darf nicht übersehen werden, daß die eigentliche dogmatische Theologie bei Schleiermacher ihre Bedeutung als historische Disziplin erhält. Das Ziel der Einleitung der Glaubenslehre ist es, entsprechend dem Paragraphen, der das Ziel der Lehnsätze angibt, den „Begriff der christlichen Kirche" (CG21, 10 § 2) als Bezugspunkt für die Darstellung der theologisch-historischen Disziplin der Dogmatik zu formulieren. Dieses Ziel versucht Schleiermacher im Rahmen einer philosophischen Theologie, die „ihrem wissenschaftlichen Gehalt nach Kritik" (KD2 280 § 37) 76
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In der Verteidigung der 1. Auflage der Glaubenslehre stellt Schleiermacher heraus, daß weder philosophische Beweise noch spekulative Zuriickführungen intendiert waren, nur weisen sowohl die Darstellungsform, insbesondere der Einleitung, als auch die methodische Reflexion, insbesondere die Unterscheidung von religionsphilosophischen und theologischen Sätzen, in der Darstellung von 1821/22 Grenzen auf. Vgl. S. 161, Anm. 89. H.-J. Birkner: Beobachtungen zu Schleiermachers Programm der Dogmatik [1963], 125.
Das Theologieverständnis Schleiermachers
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ist, durch eine Beschreibung der Phänomene des Glaubens mit den Mitteln seines wissenstheoretischen Systems zu erreichen. Schleiermacher versteht hier unter Theologie die urteilende und begriffliche Erfassung der sich unter dem Aspekt der Frömmigkeit darstellenden Wirklichkeit, insbesondere der Kirche, als Ausdruck des Glaubens. Da diese Darstellung jedoch Schleiermachers Deutung voraussetzt, daß „Ausdrücke des Glaubens, [...] überall auf das unmittelbare Selbstbewußtseyn des Christen zurückgehn"78, erhält die Positivität des Gegenstandes der Theologie neben ihrer Vorfindlichkeit in der von Schleiermacher zugrunde gelegten Ontologie eine weitreichende Begründung. Wenn Schleiermacher in Wissen und Wollen einen indirekten Bezug auf die im transzendentalen Grund vorausgesetzte unmittelbare Identität des Seins und des Denkens sieht, ist Glauben als das andere Verhältnis zu dieser im unmittelbaren Selbstbewußtsein anwesenden Identität des Seins und des Denkens zu verstehen. Hier zeigt sich ein markanter Unterschied der Theologie zu anderen positiven Wissenschaften. Theologie ist nicht nur die praktisch intendierte Darstellung einer spezifischen Seite der sich geschichtlich ereignenden Vermittlung des Unmittelbaren, sondern nähert sich über die Interpretation ihres Gegenstandes, der christlichen Frömmigkeit, selbst einer Explikation des im Gefühl erscheinenden Unmittelbaren. Zwar kann von theologischer Seite her gefragt werden, inwieweit die damit eröffnete Möglichkeit, Glaubenssätze als Aussagen des christlich frommen Selbstbewußtseins zu verstehen und ihre Korrektheit anhand dieser Interpretation zu prüfen, der Theologie angemessen ist. Aber es bleibt als Schleiermachers wissenstheoretische Intention herauszustellen, daß er in der theologischen Reflexion vom Phänomen des Glaubens, d.h. von dessen geschichtlicher Positivität in der bestimmt frommen Gemeinschaft der Kirche auszugehen bestrebt ist und insofern Theologie im Ansatz weder einerseits auf die bloße Funktion einer empirischen Kirche verkürzt, noch andererseits abgelöst von der konkreten Kirche auf eine Idealität des Glaubens bezieht. 79 Die Doppelung des sowohl in geschichtlicher Positivität als auch im unmittelbaren Selbstbewußtsein verankerten Bezuges der Theologie ist in engem Zusammenhang mit der Ontologie Schleiermachers zu sehen. In dem aus den ontologischen Annahmen folgenden Wissensbegriff als zu balancierendes Gleichgewicht von Spekulativem und Empirischem 78
F.Schleiermacher: 2. Sendschreiben, KGA 1/10, 365. ™ Vgl. G. Sauter: Der Wissenschaftsbegriff der Theologie, 298.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
ist keine Mitte als synthetische Einheit oder realisierte Identität erreichbar. Diese offen bleibende Mitte wird transzendental durch die im Unmittelbaren gesetzte Identität des Seins getragen. Im realen Wissensprozeß will Schleiermacher mit dieser Voraussetzung die Möglichkeit eines werdenden und korrigierbaren Wissens freisetzen, das nicht aus Spekulation oder Hypothesenbildung besteht bzw. dessen Relativität nicht in Skepsis umschlägt. Dieses Wissen sieht Schleiermacher vielmehr in bezug auf geschichtlich erscheinende Vermittlungen unter der Voraussetzung, ihr Wesen als Erscheinungen des Unmittelbaren zu verstehen. In der Theologie werden diese offenen Verstehensvoraussetzungen mit der sich aus der Tatsache des Glaubens ergebenden Bestimmtheit gefüllt. Als Darstellungskriterium der Erscheinungen der Frömmigkeit wird eine explikative und zugleich produktive Annäherung an das Unmittelbare durch das Gefühl in Anspruch genommen. Dies ergibt sich aus Schleiermachers Ansatz, daß das Wesen der Frömmigkeit „weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins" (CG21, 14 § 3)80 ist. Indem Schleiermacher Dogmatik als ein spezielles Wissen über die Äußerungen des frommen Selbstbewußtseins ansieht, ist es einerseits über seinen Gegenstand, die geschichtlich erscheinende Frömmigkeit, und andererseits über die Grundlage seiner methodischen Reflexion, die Idee des Wissens, an eine im Gefühl bzw. im unmittelbaren Selbstbewußtsein gesetzte Unmittelbarkeit gebunden. Dogmatik partizipiert insofern in doppelter Weise am transzendentalen Grund. Die von Schleiermacher vorausgesetzte Möglichkeit der Identifikation der auf die unmittelbare Überzeugung bezogenen Positivität des Glaubens mit der im Wissen sich realisierenden methodischen Gewißheit dogmatischer Aussagen macht das Spezifikum der Glaubenslehre Schleiermachers aus. Diese beiden Aspekte der Partizipation dogmatischen Wissens am Unmittelbaren versteht Schleiermacher als stärker spontane, d.h. fromm-erregte, und als stärker rezeptive, d.h. erkennende, Seite eines in der Glaubenslehre angestrebten Gleichgewichtes. Dieses intendierte Gleichgewicht äußert sich in der Charakterisierung der dogmatischen Aussagen als Glaubenssätze. „Dogmatische Sätze sind", nach Schleiermacher, „Glaubenssätze von der darstellend 80
Vgl. die entsprechende Formulierung von F.Schleiermacher: Reden1 [1799], KGA1/2, 211, wonach das Wesen der Religion „weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl" ist.
Das Theologieverständnis Schleiermachers
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belehrenden Art, bei welchen der höchst mögliche Grad der Bestimmtheit bezweckt wird" (CG21, 107 § 15). Dogmatische Sätze sind in doppelter Weise als Glaubenssätze zu verstehen. Einerseits stellen sie Reformulierungen der geschichtlichen Positivität des Glaubens dar und ordnen sich in die Tradition der bestimmt-frommen Gemeinschaft ein. Insofern sind sie Sätze über den Glauben. Andererseits sollen sie selbst als Glaubenssätze der Explikationen des christlich frommen Selbstbewußtseins entsprechen. Insofern versteht Schleiermacher sie als Sätze des Glaubens, die den Theologen als Person einbeziehen. Dabei werden in der historischen Disziplin der dogmatischen Theologie geschichtlich vermittelte Glaubensaussagen, indem sie dargestellt werden, also noch einmal auf eine sich im unmittelbaren Selbstbewußtsein gegenwärtig ereignende, vermittelnde Tätigkeit des Glaubens bezogen. 81 Schleiermachers Selbstkommentar zur Glaubenslehre zeigt ebenfalls diese beiden Momente der Beziehung auf das unmittelbare Selbstbewußtsein und des vermittelten Bezuges auf die geschichtliche Positivität des Glaubens: „Für die christliche Glaubenslehre ist die Darstellung zugleich die Begründung; denn Alles in derselben läßt sich nur dadurch begründen, daß es als richtige Aussage des christlichen Selbstbewußtseyns dargestellt wird."82 In dieser Forderung nach der korrekten Darstellung der Aussagen ist sowohl die Bezugnahme auf vorgängige Äußerungen des Glaubens und d.h. der Gläubigen als auch die Inanspruchnahme einer aktuellen konsistenten Begrifflichkeit und Darstellungsweise, die sich aus dem Wesen der Frömmigkeit und dem Begriff der christlichen Kirche ergeben soll, impliziert. Dogmatische Theologie, die als Darstellung der Aussagen des christlich frommen Selbstbewußtseins „nur aus der logisch geordneten Reflexion auf die unmittelbaren Aussagen des frommen Selbstbewußtseins" (CG2 I, 110 § 16 Zusatz) hervorgeht, impliziert somit einen doppelten Bezug, deren Differenzen Schleiermacher im Verfahren des kritischen Vergleichens zur Bestätigung theologischen Wissens auszunutzen bestrebt ist. Insofern stellt Schleiermacher Positivität und Interpretation kritisch einander gegenüber, um in der Dogmatik Glaubenssätze mit einem höheren Grad an
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Vgl. F. Flückiger: Philosophie und Theologie [1947], 116, der den Ausdruck „Reflexion" in zweifacher Weise verwendet findet: einerseits als „systematische Darstellung der positiven Glaubensinhalte des christlichen Bewußtseins", andererseits als „unmittelbaren, ursprünglichel] Reflexion im menschlichen Bewußtsein, und zwar in bezug auf das Gottesbewußtsein". Allerdings bleibt zu fragen, was dabei eine „unmittelbare Reflexion" bedeutet. F. Schleiermacher: 2. Sendschreiben, KGA 1/10, 373.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
„Bestimmtheit" (CG21, 114 § 17.2) bzw. „Vollständigkeit" (CG21, 117 § 18.3) auszusagen, deren Klarheit wiederum fördernd auf das unmittelbare fromme Selbstbewußtsein zurückwirken soll. Dieser doppelte Aspekt der dogmatischen Aussagenbildung darf allerdings nicht einseitig auf die Gegensätzlichkeit spekulativer und empirischer Erkenntnisfunktionen abgebildet werden. Schleiermacher geht davon aus, daß Dogmatik als „die Wissenschaft von dem Zusammenhange" (CG2 I, 119 § 19) die Aussagen des Glaubens durch eine spekulative Begrifflichkeit in konsistenter und wissenschaftlicher Form wiedergeben kann. Dabei will Schleiermacher grundsätzlich auf die Positivität des Glaubens als Äußerung des unmittelbaren Selbstbewußtseins empirisch und begrifflich-spekulativ Bezug nehmen. Empirisch ist die dogmatische Theologie in ihrem Selbstverständnis als eine Darstellung historischer und gegenwärtiger Äußerungen des Glaubens, die das Selbstverständnis des Theologen einschließen. Diese Individualität setzt Schleiermacher als heterodoxes Element und als „Eigentümlichkeit der Darstellung" (CG21, 144 § 25.2) bis hinein in die als werdend verstandene wissenschaftliche Dogmatik voraus. 83 Spekulativ ist die dogmatische Theologie durch ihre zum Teil anderen Wissenschaften entlehnte Begrifflichkeit, auf der die geforderte konsistente Darstellung aufbaut, und in ihrem Bezug auf transzendentale Voraussetzungen, sowohl in der Idee des Wissens als auch in der Bestimmung des Wesens der Frömmigkeit. Diese Bezugnahmen können nicht in einen inhaltlichhistorischen und einen formal-zeitlosen Aspekt aufgelöst werden, da Schleiermacher sowohl die im dogmatischen Wissen in Anspruch genommene inhaltliche Reflexion als auch ihre formalen Möglichkeiten geschichtlich und miteinander verschränkt versteht. Aber bereits hier wird sichtbar, daß ein Verständnis der Theologie als positive Disziplin hinsichtlich ihrer organisatorischen Einheit als Wissenschaft nicht problemlos ist. Indem sowohl die Positivität des Glaubens sich hinsichtlich der Betrachtungsweise differenziert als auch verschiedene Positivitäten, d.h. Glaubensweisen, in den Blick kommen, ist die im Gegenstandsfeld der Theologie begründete Einheit gefährdet. Mit der Positivität individueller frommer Lebensmomente wird von einer mehr oder weniger heterogenen Gesamtheit religiöser Äußerungen ausgegangen (vgl. CG21, 121f. § 19.3). Indem Theologie sich reflektierend auf diese Gesamtheit bezieht, müssen selektierende und normie83
Vgl. CG 2 1, 142 § 25: „Jeder evangelischen Dogmatik gebührt es, Eigentümliches zu enthalten, [...]".
Das Theologieverständnis Schleiermachers
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rende Elemente hinzutreten. 84 Entsprechend der bei Schleiermacher ausgemachten doppelten Abkunft dogmatischer Aussagen ist von einer doppelten Normativität auszugehen: Zur Normativität, eine geschichtliche Glaubensäußerung nachvollziehbar als Moment des frommen Selbstbewußtseins zu verstehen, tritt die Normativität der begrifflichen und zusammenhängenden Darstellung. Indem beide Voraussetzungen der Reflexion dogmatischer Aussagen nicht unabhängig sind, sowohl vom zeitbedingten Zustand wissenstheoretischer Beschreibungen als auch von einer in der Geschichte erscheinenden individuellen Bestimmtheit des religiösen Bewußtseins, wird die Positionalität jeder Theologie sichtbar. Aus dieser, durchaus auch von Schleiermacher reflektierten Relativität85 darf allerdings nicht der Schluß gezogen werden, daß hier eine funktionale und historisch eingeengte Konstruktion von Glaubenssätzen erfolgt.86 Zwar liegt hier ein Zirkel vor, der aber als hermeneutischer Prozeß durch die Frage nach der Gewißheit des Wissens und durch die mit dem Glauben gesetzte Überzeugung geschichtlich eingebunden ist. Innerhalb der epistemologischen Voraussetzungen Schleiermachers wäre es ein illegitimer Schritt, diese geschichtlichen Verankerungen zu übersteigen, dessen skeptischer Erkenntnisgewinn darüber hinaus vor der Unmöglichkeit einer unabhängigen Selbstbegründung stünde. Allerdings ist ebenso anzumerken, daß Schleiermachers Ansatz eine Kontinuität impliziert, die in eine Klärung der Verstehensvoraussetzungen starke ontologische Prämissen einträgt. Diese Kontinuität gilt nach Schleiermacher auch in der Situation des Bruches oder des Selbstverlustes, sie transzendiert also jede Erfahrung der Diskontinuität. Dogmatische Theologie ist bei Schleiermacher nicht „als Rekonstruktion auf die Positivität der christlichen Religion"87, sondern als eine 84
85
84
87
Vgl. die von Schleiermacher in CG 2 1, 127ff. §§ 22f. vorgenommene „Aussonderung des dogmatischen Stoffs", wo er versucht, häretische Auffassungen an Einseitigkeiten des Begriffs der Erlösung bzw. des Erlösers zu bestimmen. Vgl. CG 2 1, 120 § 19.2: „Daß aber jede Darstellung sich nur auf die Lehre, die zu einer gewissen Zeit vorhanden ist, beschränkt, wird zwar selten ausdrücklich zugestanden, scheint sich aber doch von selbst zu verstehen, [...]". So der Vorwurf von F. Wagner: Funktionalität der Theologie und Positivität der Frömmigkeit [1991], 295: „Die religiösen Gehalte werden [...] im Interesse der Konstitution und Explikation des religiösen Bewußtseins ebenso entpositiviert wie funktionalisiert." Und weiter: „Dieser positioneile Charakter jeder historisch auftretenden Theologie resultiert eben daraus, daß der ausgewählte Grundzug die von anderen möglichen Bestimmtheiten unterschiedene inhaltliche Bestimmtheit des religiösen Bewußtseins repräsentiert, die in einer positionellen Theologie als Konstruktionsprinzip fungiert." F. Wagner: Funktionalität der Theologie und Positivität der Frömmigkeit, 297.
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Darstellung des Wesens christlicher Frömmigkeit auf die Positivität bestimmter frommer Äußerungen bezogen, die darstellend selbst am Ursprung dieser Äußerungen partizipiert. Zwar impliziert jede Beschreibung rekonstruktive Züge, aber Schleiermacher geht in seiner Darstellung über eine empirisch verstandene Positivität des Glaubens hinaus, indem er eine phänomenologische Charakterisierung der geschichtlich erscheinenden Wirklichkeit des Glaubens anstrebt. Deshalb bleibt im Ansatz der dogmatischen Theologie als positive Wissenschaft die konstatierte heterogene Tendenz, die Schleiermacher aber nicht durch ein umgesetztes Konstruktionsprinzip versucht aufzuheben, sondern durch die vorausgesetzte Einheit der Wirklichkeit, die sich sowohl im Wissen als auch im Glauben spiegelt, als produktive ansieht. Sowohl im Glauben wie im theologischen Wissen haben sich nach Schleiermacher „die geschichtliche Haltung und die öffentliche kirchliche Verständigung" (CG21, 122 § 19.4) zu zeigen. Inwieweit sich in der einzelnen dogmatischen Darstellung diese Einheit realisiert, kann sich nach Schleiermacher aber nur „durch das freie Zusammentreffen der Resultate von den Beschäftigungen Einzelner mit demselben Gegenstand" (CG21, 143 § 25.1) erweisen.
3.4 Dogmatische Theologie als Glaubenslehre Mit der programmatischen Bezeichnung seiner eigentlichen Dogmatik als christliche Glaubenslehre grenzt Schleiermacher seine Darstellung der dogmatischen Theologie sowohl gegenüber einer spekulativen Ableitung oder rationalen Begründung von Dogmen als auch gegenüber einer bloßen Zusammenstellung geschichtlich überkommener Lehrsätze ab. Dogmatik ist weder Spekulation noch Tradition, sondern kann nach Schleiermacher nur als produktive Explikation eines vorausgesetzten Glaubens ausgeführt werden. 88 Glaube wird dabei als „eine rein tatsächliche Gewißheit, aber die einer vollkommen innerlichen Tatsache" (CG21, 95 § 14.1), verstanden. Damit bezieht Schleiermacher die Glaubenslehre auf eine im Gefühl gegebene Unmittelbarkeit, wobei er aber zugleich von einer der begrifflichen Explikation schon entgegenkommenden Selbstexplikation des im Denken und Reden erscheinenden M
Vgl. F. Schleiermacher: 1. Sendschreiben, KGA 1/10, 320: „Ich [...] weiß [...] überhaupt nicht, wo eine Dogmatik her kommen sollte, wenn nicht die Frömmigkeit schon da wäre. "
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Glaubens ausgeht. Nur Glaube, der „sich auch äußerlich in bestimmter Rede darstellen kann, bringt einen wirklichen Glaubenssatz hervor, wodurch die Äußerungen jenes Bewußtseins sicherer und in größerem Umfang in Umlauf kommen, als durch den unmittelbaren Ausdruck möglich ist" (CG2 I, 106 § 15.1). Erst in dieser Weise kann der sich äußernde Glaube, den Schleiermacher als „das unmittelbare innere Aussprechen des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls" (CG2 I, 40 § 5 Zusatz) versteht, als geschichtliche Tatsache und damit als begrenzte Selbstexplikation des Unmittelbaren zum positiven Gegenstand dogmatischer Theologie werden. Die Positivität des Glaubens, die der Positivität der Kirche zugrunde liegt und die im Denken und Reden zum Gegenstand der theologischen Wissenschaft wird, umfaßt die Geschichte der Glaubensäußerungen und der sich darauf beziehenden lehrhaften Sätze. Als „Wissenschaft von dem Zusammenhange der in einer christlichen Kirchengesellschaft zu einer gegebenen Zeit geltenden Lehre" (CG21, 119 § 19), so Schleiermachers Definition der Glaubenslehre, ist es die Aufgabe der dogmatischen Theologie, die Konsistenz dieser Glaubenssätze darstellend zur Geltung zu bringen. Dazu fordert Schleiermacher eine Bestimmtheit der Begrifflichkeit dogmatischer Sätze und ihrer Verknüpfung, die jedoch „des Gegenstandes wegen" (CG21, 114 § 18.2) die bildliche Sprache des Glaubens nicht vollständig ersetzen kann. Dies unterstreicht, daß dogmatische Theologie als Wissenschaft an ihren Ausgangspunkt gebunden bleibt, weshalb es auch nicht „über ihr noch eine andere höhere Theologie" (CG21, 123 § 19 Zusatz) geben kann. Damit geht Schleiermacher davon aus, daß theologische Wissenschaftlichkeit und Glaube nicht zu trennen sind, auch wenn sie in verschiedenen Begründungszusammenhängen stehen und insofern genetisch und funktional zu differenzieren sind.89 Weder kann die Wissenschaftlichkeit einer Aussage in ihrer Frömmigkeit begründet werden, noch können sich die Glaubensaussagen auf die Wissenschaftlichkeit der Sätze zurückführen lassen. Denn, so differenziert Schleiermacher, „die Glaubenslehre hat es ebensowenig mit dem objektiven Bewußtsein 89
Schon in der ersten Auflage der Glaubenslehre schreibt Schleiermacher, „daß Philosophisches und Dogmatisches nicht vermischt werden dürfe, ist der Grundgedanke der vorliegenden Bearbeitung." (CG 1 1, 14 § 2, Anm. b) Er bemängelte aber selbst nach deren Erscheinen an seiner Darstellungweise, daß die Einleitung zur Glaubenslehre, als abrißartige Darstellung seiner philosophischen Theologie, seinen Kritikern „zu sehr mit der Dogmatik selbst als eines" (2. Sendschreiben, KGA1/10, 370) erschienen sei.
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unmittelbar zu tun als die reine Wissenschaft mit dem subjektiven" (CG2 I, 180 § 33 Zusatz). Die Differenzierung der Beziehungen von Glauben und Wissen versteht Schleiermacher als Differenzierung des Bewußtseins. Das weiter vorausgesetzte Objektivwerden der vollkommen innerlichen und subjektiven Tatsache des Glaubens stellt für Schleiermacher keine inhaltliche Änderung dar, aber es entsteht eine kommunikable und kritisierbare Form, auf die, als objektive Tatsache, sich Theologie als Wissenschaft erst beziehen kann. Dieser Vorstellung entsprechend bleibt die Autonomie des Glaubens in seiner Beziehung zum unmittelbaren Selbstbewußtsein gegenüber einem rational zugreifenden Wissen gewahrt. Zwar weist die philosophische Theologie, die als theologische Begriffsbildung der dogmatischen Theologie vorangeht, spekulativ vorgreifende Züge auf, aber diese erfahren nach Schleiermacher ihre Gültigkeit erst in der angemessenen Darstellung ihres Gegenstandes. Insgesamt versteht Schleiermacher eine als Wissenschaft ausgeprägte Glaubenslehre als begriffliche Annäherung an die Faktizität der sich in Glaubenssätzen aussprechenden Frömmigkeit, und insofern faßt er dogmatische Sätze selbst als Glaubenssätze auf. 90 Durch diese als historische Disziplin verstandene Wissenschaft will Schleiermacher die gegebene kirchliche Lehrtradition mit den Äußerungen des christlich frommen Selbstbewußtseins in ein kritisches Verhältnis setzen. Geschichtlich ordnet Schleiermacher seine Glaubenslehre dadurch, wie W. Gräb feststellt, in die „gesteigerten Anforderungen an die reflexive Selbsterfassung der sich durch Glaubenssätze mitteilenden christlichen Frömmigkeit" 91 ein. Damit bezieht Schleiermacher die wissenschaftliche Vermittlung der Glaubenssätze, die in der Dogmatik zu leisten ist, auf einen in der Geschichte sich vorgängig vollziehenden Vermittlungsprozeß, den er seinerseits als Äußerung des im unmittelbaren Selbstbewußtsein gegebenen religiösen Gefühls versteht. So stellt Schleiermacher zwischen die dogmatische Theologie und die Unmittelbarkeit des religiösen Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit die Geschichte, die er mehrschichtig thematisiert. 92 Zunächst werden geschichtliche Äußerungen des Glaubens darunter gefaßt, die dann als
90
Vgl. B.A.Gerrish: Continuing the Reformation [1993], 151, der über Schleiermachers dogmatischen Ansatz feststellt: „Dogmatic science has an .empirical' character that distinguishes it [...] from philosophical speculation; and it is this same empirical character that lies behind the requisite ordering of the dogmatic materials." " W.Gräb: Kirche als Gestaltungsaufgabe, 158. 91 Vgl. S.31.
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„christologische Verlaufstheorie der wirklichen Geschichte" 93 gedeutet werden; gleichzeitig wird eine gattungsgeschichtliche „Strukturtheorie humanen Vernunfthandelns " , 4 in der philosophischen Ethik als Verstehensvoraussetzung entwickelt. In Schleiermachers Verständnis erscheint Geschichte nicht als „historische Einkleidung [...] der reinen Wahrheit eines allgemeinen Vernunftglaubens" 95 , sondern als realer Geschichtsprozeß und korrespondiert mit der Geschichte des Glaubens und mit „dem geschichtlichen Character der christlichen Glaubenslehre selbst"96. Diese Mehrschichtigkeit verweist auf das in die Geschichte verlegte Vermittlungsproblem zwischen spekulativer Deutung und historischer Gegebenheit sowie von Unmittelbarkeit und Vermittlung. Durch Erfahrung gegebene Tatsachen stehen als nicht ableitbare Ereignisse zunächst außerhalb der Vernunft, Schleiermacher bezeichnet sie als „übervernünftig" (CG21, 93 § 13 Zusatz). Insbesondere der Glaube ist als innere Erfahrung nicht demonstrierbar, daher „gehört zu dieser Übervemünftigkeit auch, daß eine wahre Aneignung der christlichen Sätze nicht auf wissenschaftliche Weise erfolgen kann, also ebenfalls außerhalb der Vernunft liegt" (Ebd.). Zugleich aber unterliegen Glaubenssätze als sprachliche Gegebenheiten den Anforderungen der Vernunft. „Sonach ist die Übervemünftigkeit aller einzelnen christlichen Lehrsätze der Maßstab, wonach man beurteilen kann, ob sie auch das eigentümlich Christliche mit aussprechen, und wiederum die Vernunftmäßigkeit derselben die Probe, inwiefern das Unternehmen, die innern Gemütserregungen in Gedanken zu übertragen, gelungen ist oder nicht" (Ebd.). Diesem in der dogmatischen Theologie Schleiermachers deutlich erscheinenden Bezugsproblem der im Glauben zum Ausdruck kommenden Unmittelbarkeit und der im theologischen Wissen angestrebten Vermittlung von spekulativem Vorgriff und empirischer Bestätigung soll im folgenden an drei zentralen theologischen Themen nachgegangen werden. Zunächst wird im Abschnitt 3.4.1 anhand des Gefühlsbegriffs die Inanspruchnahme von ins Unmittelbare gesetzten Implikaten nachgezeichnet. Im Anschluß daran wird im Abschnitt 3.4.2 die sich im Zusammenhang mit Schleiermachers Gotteslehre stellende Frage nach der Möglichkeit derartiger Aussagen thematisiert, um dann im 93 94 95 96
G.Scholtz: Philosophie Schleiermachers, 76. Ebd. F. Schleiermacher: 2. Sendschreiben, KGA 1/10, 320. F.Schleiermacher a.a.O., 363.
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Abschnitt 3.4.3, vom Zentrum der Glaubenslehre Schleiermachers aus, von der Christologie, die Frage nach dem Verhältnis von Spekulation und Geschichte als Ausdruck der Beziehung von Vernunft und Glaube und insofern als Frage nach dem Zusammenhang von Wissensbegriff und Theologieverständnis zu stellen. In der Christologie kulminiert das Vermittlungsproblem der dogmatischen Theologie Schleiermachers, da hier nicht nur auf allgemeine geschichtliche Tatsachen Bezug genommen wird, sondern mit diesem faktischen Ereignis sich der christliche Glaube und die mit ihm verbundene universale Deutung der Geschichte insgesamt verbindet. 3.4.1 Gefühl in der Dialektik und Gefühl in der Glaubenslehre zur Theorie der Frömmigkeit bei Schleiermacher In der Einleitung der Glaubenslehre bestimmt Schleiermacher das Wesen der Frömmigkeit mittels einer Differenzierung des menschlichen Selbstbewußtseins, in dem er drei voneinander unterscheidbare Sphären konstatiert: Neben Denken und Handeln gibt es den eigenständigen Bereich des Gefühls. 97 Das mit dem unmittelbaren Selbstbewußtsein identifizierte Gefühl ist nach dieser Vorstellung weder auf einen propositionalen Gehalt noch auf einen intentionalen Akt reduzierbar. Auf dieses irreduzible Gefühl sieht Schleiermacher alle Frömmigkeit grundlegend bezogen, die sich damit von jedem reflektierenden oder willentlichen Akt, also auch von der Theologie, durch ihre Besonderheit, unmittelbar Einheit zu repräsentieren, prinzipiell unterscheidet. Zunächst scheinen alle drei Bereiche des Selbstbewußtseins nebeneinander zu stehen. Denken und Wollen sind dabei nach Außen gerichtet, während Gefühl „ganz und gar der Empfänglichkeit angehört" (CG21, 18 § 3.3). Frömmigkeit wird seiner Form nach als empfangendes Insichbleiben bestimmt und den anderen beiden, sich äußernden Weisen des Subjekts gegenübergestellt. Neben dieser koordinierenden Verhältnisbestimmung findet sich bei Schleiermacher aber auch eine Überordnung des Gefühls, das als ,,unmittelbare[s] Selbstbewußtsein überall den Übergang vermittelt zwischen Momenten, worin das Wissen und solchen, worin das Tun vorherrscht" (CG21, 19 § 3.4), und somit vermittelnd hinter dem Wissen und Tun steht. Diese beiden Bestimmungen des Gefühls spiegeln eine Mehrschichtigkeit im Gefühls-
97
Vgl. die apologetisch intendierte Abgrenzung des Wesens der Religion von der Moral bei F.Schleiermacher: Reden1 [1799], KGA1/2, 218-220.
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begriff Schleiermachers. 98 Schleiermacher will Gefühl, indem er es mit dem unmittelbaren Selbstbewußtsein gleichsetzt, sowohl gegen sinnliche als auch religiöse Emotionalität abgegrenzt wissen. Gefühle als solche haben bei Schleiermacher keine religiöse Qualität. Als unmittelbares Selbstbewußtsein soll sich jedoch im Gefühl ein vorreflexiv-ursprüngliches Selbstverhältnis des Menschen ausdrücken, in dem ihm Selbst und Welt zugleich und unmittelbar erschlossen sind. Schleiermacher geht weiter davon aus, daß in der Frömmigkeit diese Erschlossenheit konkret wird. Was „ich unter dem frommen Gefühl verstehe", schreibt Schleiermacher erläuternd, ist „die ursprüngliche Aussage [...] über ein unmittelbares Existentialverhältniß"99. Deshalb ist nach Dilthey Gefühl bei Schleiermacher zwar „ein bloßer Zustand des Subjektes", und Religion als Gefühl drückt „ein subjektives Bestimmtsein des Menschen" 100 aus. Aber Schleiermacher darf nicht dahingehend mißverstanden werden, daß Gefühl und Religion deshalb keine objektiven Gehalte implizieren. Vielmehr ist jede Bestimmtheit des Gefühls unter den ontologischen Voraussetzungen Schleiermachers nur möglich, weil es eine objektive Realität gibt, dem das Selbstbewußtseins in seiner Unmittelbarkeit entspricht. Der Begriff des Gefühls zur Charakterisierung dieses „höherein] Selbstbewußtsein[s]" (CG21, 156 § 28.1) wird von Schleiermacher bevorzugt, weil er in der Ganzheitlichkeit des Gefühls alle Gegensätze aufgehoben sieht. Schleiermacher möchte den Gefühlsbegriff dabei aber Deutungen entzogen wissen, die auf psychologische Voraussetzungen oder emotionale Dispositionen zurückgreifen, denn als unmittelbares Bestimmtsein des Selbstbewußtseins transzendiert es jedes empirische Gefühl. Als schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl partizipiert es nicht am Gegensatz von Lust und Unlust, auch wenn es nur im Zusammensein mit sinnlichem Gefühl wirklich wird. Dilthey deutet dieses Gefühl, das als solches nicht bewußt wird, als „ein Gedanken-
98
99 100
Vgl. F.W.Graf: Ursprüngliches Gefühl [1978], 184, der die Spannung zwischen der „Bestimmung, daß die Frömmigkeit als die .dazwischentretende Bestimmtheit des Selbstbewußtseins' [CG21, 23 § 3.5] den Übergang von Wissen in Tun und vice versa zu garantieren vermag", und der „anderen Bestimmung der Frömmigkeit, die auf die Gleichgeordnetheit der drei Vermögen in der Einheit des Wesens hinausläuft", schon für die Reden als „innere Unausgeglichenheit zweier Beschreibungsversuche der relativen Autonomie der Religion" (180) ausmacht. F. Schleiermacher: 1. Sendschreiben, KGAI/10, 318. W.Dilthey: Leben Schleiermachers, GS XIV/2, 584.
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ding, eine Konstruktion, um gewisse Tatsachen zu erklären"101. Aber der von Schleiermacher eingeführte Beschreibungsansatz der Frömmigkeit darf nicht zum Konstruktionsprinzip des Bewußtseins umgedeutet werden, vielmehr stellt die Vorstellung des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls als „Erkenntnisprinzip der Dogmatik"102, so Junker, eine gedankliche Annäherung an die nicht begrifflich explizierbare, aber erfahrbare Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins dar. In jedem wirklichen Bewußtseinsmoment erscheint diese Unmittelbarkeit des Selbstbewußtseins nach Schleiermacher differenziert in ein „Sichselbstsetzenund ein Sichselbstnichtsogesetzthaben", d.h., es gliedern sich Selbsttätigkeit als „das Sein des Subjektes für sich" und Empfänglichkeit als „sein Zusammensein mit anderem" (CG21, 24 § 4.1) in zwei zusammengehörige, aber unterscheidbare Momente des Selbstbewußtseins. Diesen in Wahrnehmung und Reflexion differenzierbaren Grundrelationen des Selbstbewußtseins ordnet Schleiermacher bedingtes Freiheitsgefühl und bedingtes Abhängigkeitsgefühl zu, wobei er gegen Mißverständnisse unterstreicht, daß dabei keine Ableitungen von emotionalen Gehalten eines erhebenden oder niederdrückenden Gefühls impliziert sind. Die Beschreibung wirklicher Bewußtseinsmomente läuft, indem Schleiermacher „die Gesamtheit aller Gefühlsmomente beider Art als Eines", d.h. als „Wechselwirkung des Subjektes mit dem mitgesetzten Anderen" versteht, auf die Vorstellung eines „zusammengesetztefn] Gesamtselbstbewußtsein[s]" (CG21, 26 § 4.2) hinaus. Schleiermacher versteht dies als phänomenologische und insofern als reflektierte Annäherung an eine empirische Darstellung des Selbstbewußtseins, die allerdings nicht dessen Unmittelbarkeit selbst zum Ausdruck bringen kann. An dieser Stelle wird deutlich, daß Schleiermacher versucht, mit dem Gefühlsbegriff die Offenheit aller immanenten Bewußt101
102
W.Dilthey: Leben Schleiermachers, GS XIV/2, 582. Vgl. CG 2 I, 175 § 33.1, wo Schleiermacher vom ,,postulierte[n] Selbstbewußtsein" spricht. Allerdings ist die von Dilthey gegebene Charakterisierung des unmittelbaren Selbstbewußtseins als erklärende »Konstruktion« von dem Vorwurf von F.W. Graf: Ursprüngliches Gefühl, 186, zu unterscheiden, für den Schleiermachers unmittelbares Selbstbewußtsein „konstruierte Unmittelbarkeit und d.h. solche Unmittelbarkeit repräsentiert, die als Selbstvermitteltheit zu entschlüsseln wäre". Es geht Schleiermacher nicht um eine konstruierte Einholung des Grundes der Subjektivität, denn dessen grundlegende Wirklichkeit setzt er vor aller Vernunft und in aller Erfahrung voraus. Die Schwierigkeit, die Graf im Vorgehen Schleiermachers sieht, entsteht, wenn man dessen im Phänomen ansetzende und auf Evidenz zielende Methodik als theoretisches System zu entschlüsseln sucht, dessen Ziel es sei, „das Nichtkonstruierbare als nichtkonstruiert konstruiert" (186) wissen zu wollen. M.Junker: Das Urbild des Gottesbewußtseins [1990], 1.
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seinsakte zur Ebene transzendenter Voraussetzungen zu beschreiben, die nicht wiederum immanent dargestellt werden können. Allerdings liegen in der darstellenden Annäherung durch den Gefühlsbegriff zugleich Implikate realer Gefühle, die sich nur schwer von einem emotionalen Gehalt trennen lassen.103 Auch sinnliche Gefühle verweisen auf die Fähigkeit des Menschen, überhaupt Gefühle haben zu können, d.h. in partikularen Bezügen Beziehungen zum Ganzen zu realisieren. Damit diese gefühlshaften Momente des vermittelten Selbstbewußtseins nicht auseinanderfallen, setzt Schleiermacher über den Gefühlen des Selbstbewußtseins ein umgreifendes unmittelbares Selbstverhältnis voraus. Diese transzendentale Voraussetzung einer Indifferenz, in der sich die Einheit des Selbstbewußtseins außerhalb aller konkreten Bewußtseinsakte ausdrückt, beschreibt Schleiermacher als schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl, indem er ein schlechthinniges Freiheitsgefühl als Täuschung (vgl. CG21, 27 § 4.3) oder als theomorphe Verabsolutierung des Subjekts (vgl. CG21, 33 § 5.2) ablehnt. Damit ist der zentrale Ausgangspunkt Schleiermachers aufgezeigt, von dem her er Subjektivität und Frömmigkeit so versteht, daß, mit den Worten D. Langes, „die innere Ureinheit des menschlichen Selbstbewußtseins sich selbst schlechthin gegeben" 104 ist und sich nicht ihrerseits einem Konstitutionsakt des Selbst verdankt. Indem Schleiermacher davon ausgeht, daß das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl allen Bewußtseinsakten vorausgeht, aber zugleich nie ohne diese erscheint, bleibt die transzendentale Bestimmtheit des Gefühls in der Darstellung eng an dessen empirische Momente gebunden, auch wenn Schleiermacher direkte, analogiehafte Ableitungen ablehnt. Der ständige Vermittlungsprozeß realer Gefühlsmomente bzw. realer Bewußtseinsakte im Selbstbewußtsein von bedingten Freiheits- und Abhängigkeitsgefühlen sowie von Wissen und Wollen setzt nach Schleiermacher deren unmittelbare Einheit voraus. Der vermittelte Bezug auf den transzendentalen Grund als Einheit aller differenten Momente kann jedoch nicht zu einer vermittelnden Begründung dieses Grundes werden. In der Struktur entspricht diese Darstellung der Verstehensvoraussetzung der in der Dialektik Schleiermachers ausgemachten ontologischen bzw. epistemologischen Grundfigur, nach der Vermittlungen, hier vor allem zwischen der intellektuellen und der empirischen Funktion des Wissens, in einer vorausgesetzten Einheit gründen, die ihrerseits nicht 103 104
Vgl. F. Schleiermacher: Reden1 [1799], KGA1/2, 108ff. D. Lange: Das fromme Selbstbewußtsein [1991], 190.
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wieder auf einen Vermittlungsvorgang zurückgeht. Allerdings geht Schleiermacher trotz der qualitativen Andersartigkeit der unmittelbaren Einheit in dieser Begründungsfigur von einer strukturellen Entsprechung des Immanenten und des Transzendenten aus, d.h. die transzendental vorausgesetzte Einheit wird in der komplementären Entsprechung der Gegensätze wirklich, bzw. die Zusammengehörigkeit polarer Momente verweist auf deren transzendentale Identität. Innerhalb der strukturellen Entsprechung differenziert Schleiermacher vor allem die Funktion der verschiedenen Vorstellungen. Während in den transzendentalen Voraussetzungen die Begründung für die Möglichkeit der Vermittlung überhaupt bezeichnet werden soll, haben die immanenten Beschreibungen dem Verständnis und der Korrektur wirklicher Vermittlungsvorgänge zu dienen. Diese wissenstheoretisch in der Dialektik angelegte und durch deren zwei Teile angezeigte Unterscheidung spiegelt sich in Schleiermachers Theologieverständnis in der funktional gesetzten Differenzierung in Prinzip und Methode. Das schon in der Dialektik angezeigte Grundproblem, wie sich diese immanenten Vermittlungen zur vorausgesetzten unmittelbaren Einheit verhalten, wird nun in der Glaubenslehre zur Grundfrage nach der Möglichkeit eines Verhältnisses der bestimmten Glaubensinhalte zum frommen Selbstbewußtsein und des frommen Selbstbewußtseins zur Vorstellung Gottes. Während allerdings in der Dialektik die absolute Einheit des Seins als transzendentaler Grund zunächst eine offene Bestimmung bleibt, die lediglich formale Aussagen über die Struktur des Seins und des Wissens erlaubt, wird in der Glaubenslehre durch die explizite Deutung der im unmittelbaren Selbstbewußtsein gegebenen Einheit als schlechthinnige Abhängigkeit eine inhaltliche Bestimmung für eine kritische Bezugnahme gegeben. Damit stellt sich die Frage nach einem Grund dieser Bestimmtheit. Indem alle faktische Selbsttätigkeit und Freiheit des Subjekts nach Schleiermacher auf ein ursprüngliches Wesen des Selbstbewußtseins zurückgeht, das nicht in dieser gründet, dem sie vielmehr nicht entgehen und nur entsprechen kann, wird nicht nur die Einheit des Subjekts zur transzendentalen Voraussetzung, sondern, sobald diese transzendentale Struktur im unmittelbaren Selbstbewußtsein realisiert wird, zugleich dessen Abhängigkeit zur schlechthinnigen. Junker deutet diese Bestimmung als einen Überstieg der Negation eines Grundes für die Faktizität der Selbsttätigkeit und Freiheit im Subjekt zu einer von der Vernunft geforderten positiven Ausweisung einer absoluten Begrün-
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dung. 105 Dabei ist allerdings zu fragen, in welcher Weise Schleiermacher hier eine positive Begründung des Selbstbewußtseins und des Seins gibt. Das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit wird von Schleiermacher mit dem Gottesbegriff in Verbindung gebracht, indem er das „Sichschlechthin-abhängig-Fühlen und Sich-seiner-selbst-als-in-Beziehungmit-Gott-bewußt-Sein" (CG21, 30 § 4.4) gleichsetzt. Mit dieser nur im Gefühl gegebenen ,,ursprüngliche[n] Weise" einer Beziehung auf das, „was in diesem Gefühl das Mitbestimmende ist" (Ebd.), will Schleiermacher aber jede zugreifende oder begrifflich erfaßbare Beziehung zu Gott vermeiden und zugleich die Unterschiedenheit Gottes vom unmittelbaren Selbstbewußtsein festhalten10®. Mit schlechthinniger Abhängigkeit meint Schleiermacher im Unterschied zu den Abhängigkeiten, in denen das Wovon der Abhängigkeit impliziert ist, eine nicht objektivierbare Bestimmung.107 Allerdings wird trotz der Unfaßbarkeit des Wohers der schlechthinnigen Abhängigkeit die Vorstellung Gottes mit einem positiven Sinn belegt, denn der so gesetzte Grund wird von Schleiermacher als der Grund verstanden, der Identität und Gewißheit ermöglicht. Eine Kritik an diesem positiven, sinnstiftenden Verständnis des Wohers des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls als Überdehnung der transzendentalphilosophischen Bestimmung108 verkennt, daß 105
Vgl. M. Junker: Das Urbild des Gottesbewußtseins, 79ff., die ihrerseits auf G. Wehrung: Dialektik Schleiermachers [1920], 238, verweist, der das Problem dieser Umkehrung der Negation der Selbstbegründung in eine Position im Dialektik-Entwurf von 1828 bei Schleiermacher selbst reflektiert findet. Vgl. DJ 475: „Die positive Voraussezung, daß etwas sei, worin sie [sc. unsere Selbsttätigkeit] gesezt wird, ist nur indirect gegeben, aber sie bedingt unmittelbar die Wahrheit des Lebens, und da unser Selbstbewußtsein das Denkend-wollen und Wollend-denken ist: so identificirt sie sich unmittelbar und von selbst mit der speculativen und der ethischen [sc. Voraussetzung], und sie thut dies im Uebergewicht der Unmittelbarkeit, so daß sie ihnen den Namen giebt, und Gott, der ursprünglich religiöse Ausdmkk, überall vorkommt". m Vgl. die Differenzierung von Universum (als Synonym für Gott) und Anschauung bei F. Schleiermacher: Reden1 [1799], KGA 1/2, 214: „..., das Universum ist in einer ununterbrochenen Thätigkeit und offenbart sich uns jeden Augenblick". 107 Vgl. die dies letztlich bestreitende Deutung von W. Pannenberg: Anthropologie in theologischer Perspektive [1983], 246, Anm. 33, der „die Interpretation dieser Negation [sc. schlechthinniger Freiheit] durch die positive Vorstellung einer Abhängigkeit [als] eine Eintragung endlicher Verhältnisse und Vorstellungen in das .unmittelbare Selbstbewußtsein'" versteht. Als religiöse Bestimmung ist das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl bei Schleiermacher jedoch ausdrücklich nicht analog der Implikate eines relativen Abhängigkeitsgefühls als Abhängigkeit von etwas vorgestellt. 108 Vgl. M.Junker: Das Urbild des Gottesbewußtseins, 82, die dabei in den Rezensionen der ersten Auflage der Glaubenslehre geäußerte Einwände von J.F. Röhr (vgl. KGA 1/7.3, 517f.) und K.G.Bretschneider (vgl. KGA 1/7.3, 379f.) aufnimmt.
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Schleiermacher schon in seinen Ausführungen zum transzendentalen Grund bzw. zum philosophischen Gottesgedanken diesen, trotz seiner formal-abstrakten und transzendentalen Bestimmung, in einer positiven ontologischen Funktion sieht. Als produktive Identität des Seins versteht Schleiermacher den transzendentalen Grund vielmehr als Ursprung aller positiven Bestimmungen des Seins und als Ermöglichungsgrund jeglicher Identität im geschichtlichen Raum des Gegensätzlichen. Der transzendentale Grund wird als seinsbejahender Grund vorausgesetzt. 109 Insofern kann Schleiermacher feststellen, daß auch „das rein wissenschaftliche Bestreben, welches die Anschauung des Seins zur Aufgabe hat, wenn es nicht in Nichts zerrinnen soll, ebenfalls mit dem höchsten Wesen entweder anfangen oder enden muß [...]" (CG 2 1,111 § 16 Zusatz). An dieser Stelle wird deutlich, daß Schleiermachers transzendentale Voraussetzungen offen sind für eine theologische Interpretation, auch wenn, indem Schleiermacher die Vorstellung eines höchsten Wesens und den im Glauben erfahrenen Gott unterscheidet, eine theologische Argumentation nicht zwingend aus ihnen hervorgeht bzw. aus ihnen abgeleitet werden kann. In die Beschreibung des Selbstbewußtseins nimmt Schleiermacher diese allgemeinen Bestimmungen in der These „von dem Sichselbstsetzen des Bewußtseins im Bewußtsein von seiner Einheit"110 auf. Nach K. Cramer erweitert diese Einsicht Schleiermachers, daß dasjenige „Bewußtsein unseres Selbst, das allen Reflexionsprozessen und deren Vermittlungsweisen ursprünglich zugrunde liegt, das eben darum von ihm .Gefühl' genannte Bewußtsein unserer schlechthinnigen Abhängigkeit, [...] auf keine Weise in den Prozeß der Reflexion aufgelöst werden [kann], dem es zugrunde liegt"111, entscheidend die subjektivitätstheoretische Argumentation. Erst mit dieser Tiefe kann das Selbstbewußtsein im Begriff des frommen Selbstbewußtseins zur entscheidenden Voraussetzung für Schleiermachers theologische Reflexion werden. Insofern ist mit Cramer zu unterstreichen, daß mit dem schlecht109
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Vgl. DJ 166 § 225, wo in Abgrenzung zu Schellings Vorstellung des endlichen Seins als Abfall vom Absoluten formuliert ist: „Die Vorstellung, daß die Idee Gottes rein gehalten nur die leere Einheit, also = Nichts sein muß, und nur die Welt die volle Einheit sein müßte. ist schielend; Gott ist die volle Einheit, die Welt ist die in sich eine Vielheit." K. Cramer: Die subjektivitätstheoretischen Prämissen [1985], 141, „im spontan erzeugten Bewußtsein von der Einheit des Subjekts mit Bezug auf wechselnde Bewußtseinszustände, die es sich als die seinen zuschreibt, erzeugt das Subjekt nicht diese Zustände selber, sondern nur das Bewußtsein davon, daß sie die seinen sind." K. Cramer a.a.O., 159.
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hinnigen Abhängigkeitsgefühl kein kontingenter Zustand des unmittelbaren Selbstbewußtseins bezeichnet wird, sondern ein Gefühl, das „jedem zu haben zugemutet werden kann, der überhaupt ein Bewußtsein von der Struktur seiner Subjektivität als einer Wechselwirkung von Spontaneität und Rezeptivität, Freiheit und Unfreiheit hat"112. Wie diese Bestimmung der schlechthinnigen Abhängigkeit deutlich macht, ist deren wichtigstes Implikat nicht die Negation jeglicher Freiheit, sondern geradezu konträr die Anerkennung der Faktizität personaler Identität und der damit implizierten Positivität eines Grundes als Voraussetzung von Freiheit. Explizit gilt diese Anerkennung für die Bezugnahme des Denkens auf die Gottesvorstellung in der Glaubenslehre. Hier wird eine formalanalytische Beschreibung des Selbstbewußtseins und seiner Gottesbeziehung insofern herangezogen, als die begriffliche Explikation der im Glauben erfahrenen Sinnstiftung in der philosophischen Theologie vorbereitet und in der dogmatischen Theologie ausgeführt wird. Was in der Dialektik als transzendentale Voraussetzung und Abstraktion nicht selber, sondern nur in immanenten Entsprechungen zur Erscheinung gebracht werden kann, wird in der Glaubenslehre zur expliziten Behauptung und zur methodisch in Anspruch genommenen Wirklichkeit.113 Dabei geht Schleiermacher in der Glaubenslehre nicht spekulativ über das hinaus, was in der Dialektik ausgesagt werden konnte, sondern versucht mit dem Grundbegriff des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls als Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins der Intention des frommen Selbstbewußtseins zu folgen. 114 Diese unterschiedlichen Perspektiven beschreibt Albrecht als „das Auftreten zweier widerspruchsfreier, verschieden akzentuierender und stets getrennt ausgeformter Gestaltungen einer einheitlichen Theorie der Frömmigkeit"115. Während Schleiermacher in der Einleitung zur Glaubenslehre das unmittelbare Selbstbewußtsein im Hinblick auf dessen „konstitutive Funktion für die Struktur des objektiven Bewußtseins" untersucht, wird 112 1,3
114
115
K. Cramer a.a.O., 160. Vgl. D. Lange: Erfahrung und die Glaubwürdigkeit des Glaubens [1984], 22: „Was hier im transzendentalen Erörterungsrahmen nur als Grenzbestimmung faßbar ist, wird in der .positiven Wissenschaft' der Theologie auf die wirkliche religiöse Erfahrung bezogen." Vgl. CG 2 1, 111 § 16 Zusatz: „Denn dogmatische Sätze kommen ursprünglich nie anders vor als in Gedankenreihen, zu denen fromme Sinnesart den Impuls gegeben hat; [...]"· Vgl. D. Offermann: Schleiermachers Einleitung, 93f. C. Albrecht: Schleiermachers Theorie der Frömmigkeit [1994], 314.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
dagegen in der Dialektik das objektive Bewußtseins im Hinblick auf dessen „konstitutive Voraussetzung, die nur im unmittelbaren Selbstbewußtsein abgespiegelt ist"116, thematisiert. Zwar ist davon auszugehen, daß die philosophisch-wissenstheoretischen und die theologischen Aussagen Schleiermachers über das Gefühl als unmittelbares Selbstbewußtsein nicht zu trennen sind,117 aber sie sind hinsichtlich ihrer Kontextualität und hinsichtlich der sich darin darstellenden existentiellen Bestimmtheit stärker zu differenzieren als dies die These Albrechts einer „Übereinstimmung", in der er das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl als „identisch"118 mit dem transzendentalen Grund versteht, erkennen läßt.119 Die Interpretation des Gefühls als die Anwesenheit des transzendentalen Grundes in der Dialektik kann zwar im Rahmen der epistemologischen Voraussetzungen als die „allgemeine Form des Sich-selbst-habens" (DO 288) gedeutet werden. Schleiermacher unterscheidet aber dieses philosophische Vorgehen, das nur „indirecter Schematismus" bleibt, bei dem nicht vom Gefühl ausgegangen wird, vom theologischen Herangehen, bei dem das „religiöse Gefühl" als „wirklich vollzogenes" (DJ 152 § 215) den Ansatz zur Darstellung dogmatischer Aussagen bildet. Daher ist nach Schleiermacher das Verständnis des unmittelbaren Selbstbewußtseins als schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl in der Einleitung der Glaubenslehre als begrifflich-explikative Annäherung an das fromme Gefühl von einer philosophischen Bestimmung des unmittelbaren Selbstbewußtseins als Ort des transzendentalen Grundes zu unterscheiden. Dogmatische Sätze unterliegen als Reflexion auf das fromme Selbstbewußtsein zwar epistemologischen Bestimmungen, indem sie formal wissenschaftlichen Kriterien zu entsprechen haben, aber eben auch theologisch-inhaltlichen, d.h. existentiellen Bestimmungen. Entsprechend differenziert Schleiermacher hier deutlich den kirchlichen von dem wissenschaftlichen Wert dieser Aussagen (vgl. CG21, 112 § 17). Die aus dieser Differenzierung heraus mögliche kritische Verhältnisbestimmung will Il< 117
118 119
C. Albrecht a.a.O., 314. Vgl. O. Ritsehl: Schleiermachers Theorie von der Frömmigkeit [1897], 137, der betont, daß die von Schleiermacher vorausgesetzten Bestimmungen des Gefühlsbegriffs „aus der Glaubenslehre allein nicht vollkommen verständlich werden, da [sie ...] vielmehr gewisse Begriffsbestimmungen der Dialektik unmittelbar voraussetzen". C. Albrecht: Schleiermachers Theorie der Frömmigkeit, 312. Vgl. T.Lehnerer: Die Kunsttheorie Friedrich Schleiermachers [1987], 63-84, der in seiner Bestimmung des absoluten Abhängigkeitsgefühls als Grund des Gesamtsystems Schleiermachers ebenfalls die philosophischen und theologischen Bestimmungen Schleiermachers ungenügend differenziert.
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Schleiermacher, unter Ausschluß spekulativer Ansätze, zur Vervollkommnung der dogmatischen Aussagen nutzen. Nur wenn dieser Ansatz der Theologie entgegen Schleiermachers Intention als inhaltliche Weiterfühung der in der Dialektik wissenstheoretisch aufgestellten Grundlagen angesehen wird, erscheint sein Vorgehen als der von Junker kritisierte Überstieg aus einer transzendentalphilosophischen Interpretation absoluter Identität zu dogmatisch-theologischen Bestimmungen. 120 Schleiermacher zeigt zwar an, daß die Interpretation seiner ontologischen Voraussetzungen eine religiöse Dimension hat, aber diese kann nicht zum Ausgangspunkt religiösen Wissens gemacht werden, auch wenn sie einen Ort für dessen Darstellung offen hält. In der philosophisch ausgemachten „ transcendente [n] Bestimmtheit des Selbstbewußtseins" wird als letzter Grund des Selbst, der nicht wiederum vom Selbstbewußtsein vermittelt werden kann, ein „allgemeines Abhängigkeitsgefühl" (DJ 430 = DO 290) begrifflich erhoben. 121 Dieses Zurückgehen auf den Grund des Selbstbewußtseins bezeichnet H.-R. Reuter als „Reduktionsbewegung der Dialektik [, die] in einer reductio ad hominem, die das Wesen des Menschen nicht vom Wesen des Denkens, sondern von seinem Personkern (Selbst, Seele, Gefühl) her thematisiert"122, auf ein Unmittelbares trifft. Allerdings bleiben die so interpretierten transzendentalen Bestimmungen in der Dialektik Schleiermachers als „nur indirecter Schematismus" (DJ 152 § 215.2) formal. Dagegen geht Schleiermacher bei der Bestimmung der dogmatischen Theologie als „Reflexion über das fromme Gefühl, deren Ort die Glaubenslehre ist" (DJ 431 = DO 294), von einer Bezogenheit auf das fromme Selbstbewußtsein aus, die sich inhaltlich als die den Glaubenden betreffende
120
121
122
Vgl. G. Sauter: Die »Dialektische Theologie« und das Problem der Dialektik in der Theologie [1963], 124, der zu Schleiermacher feststellt: „Die Dialektik bleibt demnach auf den philosophischen Gottesgedanken beschränkt. Der für den ganzen Beweisgang springende Punkt jedoch, die Rede vom religiösen Gefühl, ist nicht dialektisch: dieses Gefühl ist nicht etwa als Haben und zugleich Nichthaben zu fassen." Dies ist entgegen D. Offermann: Schleiermachers Einleitung, 80ff., in der Dialektik Schleiermachers nicht unmotiviert, sondern verweist auf die auch für die Dialektik geltende Bedingtheit aller konstitutiven Bewußtseinsakte. Vgl. H.-R. Reuter: Einheit der Dialektik, 236ff. H.-R. Reuter: Einheit der Dialektik, 237, vgl. 238: „Das allgemeine Abhängigkeitsgefühl beinhaltet demnach eine Bedingtheit des Selbst, die nicht durch etwas Bestimmtes, vom Selbst Abgrenzbares und insofern selber ,im Gegensaz begriffenes' hervorgerufen ist, sondern durch einen gegensatzlosen, das Selbst transzendierenden Grund: der allen Bestimmungen des Denkens und Wollens gegenüber indifferenten Totalität alles Existierenden als der vorgegebenen Basis einer jeden Existenz."
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
Wirklichkeitsbestimmung ausdrückt. Dabei ist der Einwurf W. Hogrebes über eine nicht zwangsläufig aus der philosophischen Bestimmung des Gefühlsbegriffs zu folgernden Interpretation als religiöses Gefühl zu beachten.123 Die Deutung der transzendenten Bestimmtheit des Selbstbewußtseins als dessen religiöse Seite ergibt sich für Schleiermacher vielmehr aus der Faktizität des Glaubens. Insofern ist das in der Glaubenslehre reflektierte schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl von der Bestimmung des allgemeinen Abhängigkeitsgefühls in der Dialektik zu unterscheiden124 und zugleich die These einer gegenseitigen Ergänzung und Präzisierung zu relativieren. 125 Die im Gefühl in Anspruch genommene Unmittelbarkeit steht bei Schleiermacher sowohl in der Dialektik als auch in der Glaubenslehre in der Funktion, die in der Wirklichkeit und im begrifflichen Wissen enthaltenen Gegensätzlichkeiten nicht auseinanderfallen zu lassen. Während allerdings in der Dialektik alles auf die das Wissen und Wollen begründende Identität des Seins als dessen Einheit gerichtet ist, dem im unmittelbaren Selbstbewußtsein der konstitutive Bezug zugewiesen wird, geht es in der Glaubenslehre um die mit dem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl ausgedrückte und existentielle Bestimmtheit des
123
Vgl. W.Hogrebe: Deutsche Philosophie im XIX. Jahrhundert [1987], 89, der betont: „Erzwingbar ist also die religiöse Interpretation des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit nicht", wobei er allerdings die religiöse Deutung entgegen der Intention Schleiermachers als personales, wenn nicht sogar mantisches Verständnis des Grundes unserer Existenz versteht. 124 Vgl. H.-R.Reuter: Einheit der Dialektik, 236-247. 125 Vgl. C. Albrecht: Schleiermachers Theorie der Frömmigkeit, 313, der einen einheitlichen „Kern der Schleiermacherschen Frömmigkeitstheorie" sowohl für die Glaubenslehre als auch für die Dialektik ausmacht. „Denn der identische Konstitutionspunkt für den Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt ist zugleich einerseits der Grund für die unsere Frömmigkeit weckende schlechthinnige Abhängigkeit und andererseits der Grund für die das Wissen (und Handeln) ermöglichende Übereinstimmung des Wissens mit dem Sein." (312f.) Führt man diesen Gedanken jedoch aus, so ergibt sich, daß einerseits für die Konstitution der christlichen Frömmigkeit ein geschichtlicher Bezug sekundär wird, und andererseits, daß erst im christlich frommen Selbstbewußtsein der Realitätsbezug gesichert erscheint: „das Innewerden schlechthinniger Abhängigkeit ist zugleich das Innewerden der Zuverlässigkeit von Realität" (313). Mit dieser ausgemachten „Figur der Ubereinstimmung einer mit unterschiedlichen Akzent entfaltbaren, ursprünglichen Gegebenheit" (313) übersteigt Albrecht daher nicht nur das von Schleiermacher transzendentalen Bestimmungen zugemessene Explikationspotential, sondern widerspricht auch seiner Behauptung einer Differenz beider Aussagenbereiche (vgl. DJ 152 § 215.2). Ebenso wird in der von Albrecht vorgenommenen Identifikation des Wohers des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls mit dem transzendentalen Grund die sich schon in der philosophischen Explikation der Unmittelbarkeit abzeichnende verdoppelnde Strukturierung verkannt (vgl. Seiten 99f.).
Gefühl in der Dialektik und Gefühl in der Glaubenslehre
175
unmittelbaren Selbstbewußtseins.I2< Damit wird zwar sowohl in der dialektisch-epistemologischen Grundlegung wie in den dogmatischen Ausführungen das unmittelbare Selbstbewußtsein zum Bezugspunkt der Darstellung und insofern zum Einheit stiftenden Moment der Aussagen. Aber hinsichtlich der Weise der Bezugnahme und hinsichtlich der existentiellen Bestimmtheit differenziert Schleiermacher die Inanspruchnahme des Gefühls. In der Dialektik sichert das Gefühl als unmittelbares Selbstbewußtsein identitätsstiftend und auf transzendentale Weise die Übergänge zwischen Denken und Wollen und repräsentiert insofern die Grundlage der im Wissen und Wollen herrschenden Gewißheit bzw. Überzeugung im vorausgesetzten, einheitlichen Wirklichkeitsbezug, bleibt aber darüber hinaus unbestimmt.127 Dagegen bezieht sich Schleiermacher in der Glaubenslehre auf das unmittelbare Selbstbewußtsein, indem er von einer Bestimmtheit durch das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit ausgeht, als einen für jeden Gläubigen geschichtlich konkreten Bezugspunkt, auf den die einheitliche und kritische Darstellung der christlichen Frömmigkeit zurückgehen kann. Insofern fallen die verschiedenen Aussagen zum Gefühlsbegriff nicht auseinander, auch wenn sie in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Bestimmungen des Seins und die mit der Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins gegebenen verschiedenen Perspektiven zur Darstellung bringen. Zugleich wird deutlich, daß Schleiermacher den im unmittelbaren Selbstbewußtsein erscheinenden Grund als Erscheinung des Wesens versteht. Insofern entspricht es seiner Dialektik des Wechselverhältnisses, wenn er die kontextuelle Aktualisierung in engem Zusammenhang mit der Begründung sieht und zugleich die Perspektive nicht in der Abstraktion des Grundes aufgeht. In den Aussagenbereichen der Dialektik und der Dogmatik steht das Gefühl für die unmittelbare Gegenwart und Gewißheit eines nicht explizierbaren bzw. nicht durch das Selbstbewußtsein vermittelten Grundes. Aber die sich in der Frömmigkeit ausdrückende Bestimmtheit kann für Schleiermacher nicht deckungsgleich in einer sich im Wissen ausdrückenden Gewißheit bzw. einer dem Wollen zugrundeliegenden Überzeugung aufgehen. Insgesamt ist mit F.W. Graf festzustellen, daß Schleiermachers „Theologie darin ihre innere Einheit [hat, I.H.], daß 126 127
Vgl. D. Offermann: Schleiermachers Einleitung, 77-84. Vgl. DJ 429 = DO 289: „Im Gefühl sind wir uns die Einheit des denkend wollenden und wollend denkenden Seins irgendwie, aber gleichviel wie, bestimmt. In diesem also haben wir die Analogie mit dem transcendenten Grunde, nämlich die aufhebende Verknüpfung der relativen Gegensäze."
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
sie jeweils auf das sich gleichbleibende Grundproblem zu antworten sucht, wie die anvisierte Unmittelbarkeit des Religionhabens überhaupt darstellbar ist, wenn in solcher Darstellung Unmittelbarkeit immer schon als in Vermittlung verkehrt erscheint"128. Nur darf dieses Grundproblem nicht als allein in Schleiermachers Ansatz verursacht angesehen werden, sondern ist als Verweis auf das theologische und zugleich anthropologische Grundproblem des Menschen, d.h. seiner nicht in begrifflichen Bestimmungen und voluntativen Akten aufgehenden Existenz zu verstehen. Dieses Grundproblem menschlicher Bewußtseinsakte wird in Schleiermachers dogmatischem Ansatz explizit. 3.4.2 Der transzendentale Grund und Gott zur Gotteslehre Schleiermachers Dogmatische Sätze entstehen nach Schleiermacher „aus der logisch geordneten Reflexion auf die unmittelbaren Aussagen des frommen Selbstbewußtseins" (CG21, 110 § 16 Zusatz). Mit diesem formalen Bezug auf einen vorausgesetzten positiven Gehalt will Schleiermacher dogmatische von spekulativen Sätzen, deren Inhalt sich aus der Vernunft ableitet, abgrenzen. So ist es nicht Sache der Glaubenslehre, „von allgemeinen Prinzipien ausgehend eine Gotteslehre aufzustellen oder auch eine Anthropologie [...], ohnerachtet sie in derselben [sc. christlichen Kirche] nicht eigentümlich entstanden sind, oder auch in denen die Sätze des christlichen Glaubens vernunftmäßig erwiesen werden sollen" (CG21, 11 f. § 2.1). Ersteres ist Gegenstand der philosophischen Theologie, letzteres ist Aufgabe einer von der Dogmatik zu unterscheidenden Apologetik. Mit dieser Trennung dogmatischer und spekulativer Aussagen wird allerdings für Schleiermacher nicht jeder Vernunftbezug aus der Gottesvorstellung der Glaubenslehre ausgeklammert. Vielmehr bedingt die von Schleiermacher vorausgesetzte Entsprechung ontologischer und epistemologischer Grundannahmen, wie die Zuordnung des transzendentalen und des technischen Teiles der Dialektik anzeigt, daß eine Betonung des wissenschaftlichen Wertes dogmatischer Aussagen im Formalen nicht außerhalb inhaltlicher Voraussetzungen stehen kann. Daher schränkt Schleiermacher die grundsätzliche Möglichkeit, das „dialektische Element des Lehrbegriffs" (KD2 319 § 214), d.h. dogmatischer Aussagen, in verschiedenen philosophischen Ansätzen auszudrükken, auf solche ein, deren transzendentale Voraussetzungen eine Offen-
128
F.W.Graf: Ursprüngliches Gefühl [1978], 185.
Der transzendentale Grund und Gott
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heit zu religiösen Elementen implizieren (vgl. ebd.).129 Mit dieser Vorgabe will Schleiermacher zugleich seinen theologischdogmatischen Ansatz davon abgegrenzt wissen, daß transzendentale Voraussetzungen der Vernunft als inhaltliche Implikationen dogmatischer Aussagen verstanden werden. Den Charakter der Vorgegebenheit dogmatischer Aussagen will Schleiermacher trotz aller rationalen Begrifflichkeit dagegen behauptet wissen, aus einer vorausgesetzten Entsprechung des Seins und der Vernunft inhaltliche Bestimmungen abzuleiten. Diese Differenzierung dogmatischer und spekulativer Aussagen von ihren Voraussetzungen und von ihrem Zusammenhang her gilt explizit hinsichtlich der Aussagen einer theologischen Gotteslehre. Schon in der Dialektik hatte Schleiermacher hervorgehoben, daß von dem, was mit der Vorstellung eines höchsten Wesens bezeichnet wird, nicht „außer der Welt oder an sich" (DJ 154 § 216) etwas ausgesagt werden kann. Als höchste Steigerung und somit als „Totalität unserer intellectuellen Action" und zugleich als „Repräsentant] des lezten Grundes" (DJ 120f. § 188) wird die philosophische Vorstellung eines höchsten Wesens eingeführt. Mit diesem Ausdruck bezeichnet Schleiermacher den transzendentalen Grund unserer Gewißheit im Wissen wie im Wollen und somit den Grund unseres weltbezogenen Denkens. Zwar gehört eigentlich die Bezeichnung Gott für das höchste Wesen nicht in das von der Spekulation bestimmte Gebiet der philosophischen Gotteslehre, denn es ist ein „Unterschied zu machen zwischen dem Begriff Gott und dem Begriff höchstes Wesen" (CG2 1, 303 § 56.2), aber Schleiermacher erlaubt sich den hier inadäquaten Gottesbegriff unter der Betonung, daß damit nichts „vom Gegensatz oder von anderer Analogie mit dem Endlichen darin mitgesetzt" (CG21, 256 § 50.1) gedacht werden darf. Im Rahmen der philosophisch-theologischen Argumentation ist unter dieser Einschränkung der Ausdruck: „ Gott als Schöpf er zugleich Gesezgeber" (DJ 427 = DO 283) als eine Aussage transzendentaler Identität von Weltordnung und Sittengesetz, d.h. von Naturzusammenhang und Moralität, zu verstehen. Schleiermacher nimmt hier den in der Metaphysik der Scholastik formulierten Zusammenhang von Gott und Seinstotalität bzw. von Gott und dem Guten auf. Aber er zieht in seiner philosophischen Gotteslehre die Grenze, daß es durch philosophische Spekulation kein Wissen dieser in Gott gesetzten Identifikationen geben kann, da das Ganze nicht wiederum zum partikularen Erkenntnisgegen-
129
Vgl. H.-J. Birkner: Theologie und Philosophie [1974], 41: „Schleiermacher rechnet also [...] grundsätzlich mit einer Philosophie, die nicht atheistisch ist."
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
stand werden kann (vgl. DO 270).130 Mögliche Bezeichnungen transzendentaler Bestimmungen bleiben aufgrund der dem Denken gesetzten Denkgrenze schematische Bestimmungen, die zwar mit ihrer spekulativen Durchdringung formal einen wissenschaftlichen Charakter haben, aber nicht zu wirklichen Gottesvorstellungen führen können. Schleiermacher wendet sich also grundsätzlich dagegen, die transzendentale Konstitution eines höchsten Wesens in einen Gottesbegriff zu überfuhren (vgl. DJ 113 § 183), weshalb die Idee der Gottheit auch nicht als „Totalität aller Causalverhältnisse" (DJ 136 § 202.1) bestimmt werden kann. Wenn Gotteserkenntnis durch eine Summierung oder Steigerung von Begriffen zustande kommen würde, wäre Gott als etwas Zusammengesetztes begriffen, was schon dem spekulativen Verständnis der Identität der Gegensätze widerspricht und letztlich Gott nicht von der Welt unterscheidet. Die aus analytisch-kritischer Einsicht gezogene Denkgrenze, die Unmöglichkeit, den vorausgesetzten transzendentalen Bezug wissenstheoretisch oder ontologisch zu übersteigen (vgl. DJ 141 § 208), gilt nach Schleiermacher auch in seinen dogmatischen Aussagen von Gott. Hier verbindet er diese dem Denken immanente Grenze mit dem existentiellen Ausdruck unmittelbarer Bestimmtheit, die außerhalb des Denkens, im Gefühl gegeben ist. Das traditionelle theologische Axiom der Transzendenz Gottes versucht Schleiermacher deshalb nicht in einer Überhöhung relativen menschlichen Denkens in Beschreibungen absoluter Begründungen aufzunehmen. Vielmehr begrenzt Schleiermacher, wie G. Sauter es ausdrückt, den „Zwang zur Letztbegründung menschlichen Wissens" und relativiert die „Nötigung, die Gottesfrage ontologisch und die Ontologie theologisch aufweisen zu wollen"131. Allerdings wird diese Einsicht „nicht zu einer letztgültigen Kritik aller Letztbegründung" 132 geführt, worin sich eine Unausgeglichenheit im Denken Schleiermachers zwischen seinem Letztbegründungsprogramm und der 130
131 132
Nur in einem uneigentlichen Sinn kann daher von „ursprünglichem höchsten Wissen als Kontext der philosophischen Gotteserkenntnis", so M. Eckert: Gott - Glauben und Wissen [1987], 38, gesprochen werden, wenn „ein an transzendentalen Grenzbegriffen sich orientierendes Wissen von Gott" (56) entwickelt werden soll. Schleiermacher erklärt, im Gegensatz zu dieser von Eckert gesehenen Verbindung von philosophischer Theologie „mit der geschichtlichen Tradition vernünftig-allgemeinen Wissens von Gott" (179), für seine Theologie, und dies schon im Rahmen der Einleitung zur Glaubenslehre, „daß diese Glaubenslehre sich völlig von der Aufgabe lossagt, von allgemeinen Prinzipien ausgehend eine Gotteslehre aufzustellen" (CG2 lOf. § 2 . 1 ) . G. Sauter: Der Wissenschaftsbegriff der Theologie [1975], 301. Ebd.
Der transzendentale Grund und Gott
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vorausgesetzten existentiellen Bestimmtheit zeigt. Insofern ist zwar von einer ursprünglichen Analogie in Schleiermachers philosophisch-theologischen Ausführungen der Dialektik und der Einleitung zur Glaubenslehre zu sprechen, aber diese besteht in der Negation der Möglichkeit eines Wissens vom transzendentalen Grund, d.h. in der Begrenzung vermittelnder Aussagen über Unmittelbares. Darin zeigt sich, wie G. Scholtz feststellt, „trotz der Getrenntheit von Theologie und Philosophie ihre Konvergenz an ihrer entscheidenden Berührungsstelle: es gibt für beide kein gegenständliches, sozusagen ,objektsprachliches' Wissen von Gott"133. Diese Negation begrifflichen Wissens über Gott schließt aber nicht jede Positivität der Gottesvorstellung aus, denn als endlicher Ausdruck des Transzendenten versteht sie Schleiermacher als Manifestation des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls (vgl. CG21, 29f. § 4.4). Schleiermacher schließt aus, daß die in der Dialektik mögliche Grenzaussage, die Gott als den ,,transcendentale[n] terminus a quo" der Welt als dem „ transcendental [η] terminus ad quem" gegenüberstellt (DJ 164 § 222), ein im Begriff einholbares Wissen der Idee Gottes impliziert. Inhaltliche Charakterisierungen dieser Vorstellung sind im Rahmen der epistemologischen Voraussetzungen Schleiermachers auf den indirekten Weg durch Aussagen über die Welt beschränkt und zugleich ermöglicht, da die als Abbild aufgefaßte Welt in ontologischer Einheit und Entsprechung nicht ohne ihr Urbild vorgestellt werden kann (vgl. DJ 166 § 225). Damit sind Aussagen über Gott nur durch unser Sein, in dem wir uns und zugleich die Welt haben, möglich, aber diese Möglichkeit setzt gerade die Unterschiedenheit von Gott und Welt voraus (vgl. DJ 154ff. § 216). Daher darf die Urbild-Abbild-Metaphorik nicht im Sinne einer immanent aussagbaren Korrelation von Gott und Welt mißverstanden werden, wie es die εν-και-πολλά-Formel von 1814: „die Gottheit [ist, I.H.] immer als Einheit gesezt ohne Vielheit, die Welt aber als Vielheit ohne Einheit" (DJ 162 § 219.1), nahelegt. Vielmehr ist mit dem 1822 formulierten Verhältnis von Gott und Welt als „Einheit mit Ausschluß aller Gegensäze" und „Einheit mit Einschluß aller Gegensäze" (DJ 433 = DO 303) die Welt selbst als Ganzes zu denken. 134 Damit ist nicht die Vielheit der Welt, sondern die Welt als ein133
134
G. Scholtz: Philosophie Schleiermachers [1984], 140. Vgl. M. Eckert: Gott - Glauben und Wissen, 27, der das „Gottesproblem als die Nahtstelle des philosophischen und theologischen Denkens Schleiermachers" ansieht, wobei er allerdings von einer positiven Vermittlung des Glaubens zu Gott und des Wissens von Gott ausgeht. Vgl. H.-R. Reuter: Die Einheit der Dialektik, 251ff.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
heitliches Ganzes Gott gegenübergestellt. In der Glaubenslehre stellt Schleiermacher dieser formalen Möglichkeit von Aussagen über die transzendentale Idee der Gottheit die religiöse „lebendige Anschauung" mit ihren inadäquaten „anthropoeidischen" (DJ 167f. § 225, Anm. von 1828) Beschreibungen gegenüber. Schleiermacher geht es dabei nicht um eine wechselseitige Überführung lebendig-religiöser Bestimmtheit und spekulativer Vorstellungen, sondern um ein Zusammensein beider Seiten, das seiner Idee des Wissens entspricht und sich gegenseitig korrigiert. Nicht in spekulativer Reflexion, sondern weil das „religiöse Interesse allein [...] eine nähere Bestimmung des Verhältnisses beider Ideen versuchen" (DJ 168 § 225, Anm. von 1828) muß, hat es nach Schleiermacher auch Aufgabe der Glaubenslehre zu sein, die Idee der Welt auf die Idee des Absoluten zu beziehen. Die daraus resultierende „dialektische Sprache und die systematische Anordnung" (CG21, 159 § 28.2) bringt zwar dogmatische Aussagen in eine „Verwandtschaft mit der wissenschaftlichen Terminologie" (CG21, 155 § 28.1) und läßt sie zuweilen wie spekulative Ableitungen erscheinen, aber Schleiermacher betont die möglichst vollständige „Sonderung beider Arten von Sätzen" (CG21,112 § 16 Zusatz). Dogmatische Sätze hängen in ihrer Eigenständigkeit und durch ihre „eigentümliche Gestaltung", die grundsätzlich schon in der Unabhängigkeit des Gefühls anzeigt ist, „nur von dem [sc. Interesse an] der Befriedigung des unmittelbaren Selbstbewußtseins allein mittelst der echten und unverfälschten Stiftung Christi" (Ebd.) ab. Hier schlägt sich die von Schleiermacher vorausgesetzte Positivität des christlichen Glaubens sowie seiner geschichtlichen Erscheinungsweisen und Institutionen nieder, die sich zwar in das transzendental vorausgesetzte Ganze des Seins einordnet, aber dessen Entsprechung ebenso wie das Unmittelbare nicht begrifflich eingeholt werden kann und dessen Wissen im Darstellen und Einordnen an die Unverfügbarkeit dieser Vorgegebenheit stößt. Daher versucht Schleiermacher, in seiner Glaubenslehre einen Wissensbegriff zu realisieren, der in einem Wechselerweis dogmatischer Aussagen zwischen der Aufnahme lebendiger Anschauungen, die ihren Ursprung in Äußerungen des unmittelbaren Selbstbewußtseins haben, und in einer korrigierenden und rationalisierenden, sich aber nicht spekulativ verselbständigenden Abstraktion besteht. G. Ebeling hat deutlich hervorgehoben, wie im Zentrum dieser dogmatischen Bemühungen Schleiermachers in der Glaubenslehre gerade
Der transzendentale Grund und Gott
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die Gotteslehre steht.135 Was für die Glaubenslehre im Allgemeinen aufgezeigt wurde, daß Schleiermacher nicht spekulativ einen einheitlichen Gegenstand des Glaubens begründet, gilt explizit für seine Bemühungen um die inhaltlichen Bestimmungen der Vorstellung Gottes, „daß diese Vorstellungen göttlicher Eigenschaften nicht philosophischen sondern religiösen Ursprungs sind" (CG2 I, 256 § 50.1); schien doch gerade die Gotteslehre der Schnittpunkt metaphysischer und religiöser Bestimmungen - vor allem in der Scholastik - zu sein. Schleiermacher wendet sich mit diesem Ansatz nicht nur gegen eine als natürliche Theologie entwickelte dogmatische Theologie der Vermittlung, sondern zeigt zugleich den ihm einzig möglich erscheinenden Bezugspunkt dogmatischer Aussagen von Gott auf. Mit der christlichen Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins als schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls ist in der Dogmatik zugleich „von dem einzigen Erfahrungsgrund schlechthinniger Ursächlichkeit auszugehen"136. Dabei geht Schleiermacher nicht mittels eines Analogieschlusses zu schlechthinniger Ursächlichkeit über, „vielmehr ist diese in dem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl unmittelbar mitgesetzt"137. Mit diesem Ansatz erwartet Schleiermacher, seine Aussagen von Gott „ganz innerhalb der Grenzen des rein dogmatischen Verfahrens halten [zu können, I.H.], sowohl was den Gehalt der einzelnen Bestimmungen als was die Methode betrifft" (CG2 1, 257 § 50.1). Daraus ergibt sich für Schleiermacher, daß nicht durch logische Erkenntniswege - via eminentiae, negationis et causalitatis -, sondern allein durch die im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl gegebene Rückbindung in die schlechthinnige Ursächlichkeit Aussagen über Eigenschaften Gottes möglich werden. Erst mit diesem Ansatz, aus dem sich methodische und inhaltliche Bestimmungen zugleich ergeben, sieht Schleiermacher eine logisch geordnete Reflexion auf die damit zugleich gegebene Gottesvorstellung als möglich an. Indem die göttlichen Eigenschaften bei Schleiermacher als Modifizierungen des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls interpretiert werden (vgl. CG2 1, 255ff. § 50), zeigt sich, daß er von Strukturierungen in der Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins ausgeht, die dem Sein entsprechen. Dabei lassen sich diese rational nicht einholbaren Strukturen des Unmittelbaren des Grun135
136 137
Vgl. G. Ebeling: Schleiermachers Lehre von den göttlichen Eigenschaften [1968], 485f., der „- dem üblichen Schleiermacherbild zum Trotz - die Glaubenslehre im Ganzen nun zu einer einzigen Entfaltung der Lehre von Gott" gestaltet sieht. G. Ebeling a.a.O., 477f. G.Ebeling a.a.O., 478.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
des nur mittelbar, über die mit dem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl gegebenen Äußerungen, darstellen. Wie Ebeling aufzeigt, impliziert die von Schleiermacher hier aufgenommene Bestimmung der schlechthinnigen Ursächlichkeit dabei nicht einen Rückschluß auf einen objektivierbaren Gegenstand, sondern nimmt die „zentrale biblische Prädikation Gottes als des Lebendigen"138 als Glaubensaussage auf. Alle möglichen Differenzierungen göttlicher Eigenschaften, die sich Schleiermacher in Entsprechung zu „irgendeiner Modifikation unser s Abhängigkeitsgefühls" als aussagbar vorstellt, bleiben Explikationen der als unbeschränkt verstandenen ursächlichen „Produktivität" (CG2 I, 260 § 50.3). Lebendige Allwissenheit (vgl. CG2 1, 266 § 51.2) und wirksame Allmacht (vgl. CG2 1, 283 § 54.3) werden ebenso wie die sogenannten ruhenden Eigenschaften, Unendlichkeit und Ewigkeit, als lebendige und produktive Ursächlichkeit verstanden; letztere als schlechthin raumund zeitlose Ursächlichkeit nicht nur von allem Räumlichen und Zeitlichen, sondern als Ursprung von Raum und Zeit selbst (vgl. CG21, 267 §52; CG2 1, 272 §53). Dabei ersetzt Schleiermacher nun aber diese Beschreibungen nicht durch einen zusammenfassenden Begriff, den der schlechthinnigen Ursächlichkeit, vielmehr bewahrt er die Differenzierungen und ihre Aussagbarkeit, indem er ihre Identität durch eine polare Formel, in der er das „schlechthin Innerliche" und die „schlechthinnige Lebendigkeit" (CG21, 267 § 51.2) gegenüberstellt. Diese schon im ersten Teil der Glaubenslehre sichtbare Struktur, in dem noch allgemein vom unmittelbaren Selbstbewußtsein, „wie es in jeder christlich frommen Gemütserregung immer schon vorausgesetzt wird" (CG2 I, 171), ausgegangen wird, erscheint vollständig im zweiten Teil, der sich entsprechend dem Gegensatz, der das fromme Selbstbewußtsein bestimmt, also in die sich wechselseitig bestimmende Polarität von Sünde und Gnade teilt (vgl. CG21, 339). Im ersten Teil ist Schleiermacher, ausgehend vom schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl, „was diesen Erscheinungen gleichmäßig zum Grund liegt", zur Beschreibung eines lebendigen Urgrundes gelangt, der, abgesehen von der aktuellen religiösen Verfaßtheit, „mit der innern produktiven Richtung auf das Gottesbewußtsein" (CG2 I, 263 § 50.4) nicht nur in das unmittelbare Selbstbewußtsein, sondern auch in die sich aus dessen Versprachlichung ergebenden Sätze, eine darstellbare Bestimmtheit einträgt. Im zweiten Teil der Glaubenslehre, d.h. innerhalb des durch Christus
138
G.Ebeling a.a.O., 474.
Der transzendentale Grund und Gott
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explizit gewordenen Gottesbewußtseins als Überwindung aller Hemmungen des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls, ist ein Bewußtwerden der Bestimmungen des unmittelbaren Selbstbewußtseins impliziert, worauf in den Äußerungen des Glaubens explizit Bezug genommen werden kann. Allerdings, so räumt Schleiermacher ein, ist die „stetige Gleichmäßigkeit des Gottesbewußtseins" (CG21, 341 § 62.1) in seinem wirklichen Erscheinen gehemmt, weshalb „das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl an und für sich nie einen frommen Moment allein erfülle" (CG2 1, 342 § 62.2), auch wenn grundsätzlich „die Leichtigkeit, mit welcher wir den verschiedenen sinnlichen Erregungen des Selbstbewußtseins das Gottesbewußtsein einzubilden vermögen", als „mitgeteilte" (CG2 1, 345f. § 63.2) zu betrachten ist. Diese explizite Partizipation erlaubt Schleiermacher, in den allgemeinen Charakterisierungen der Gottesvorstellung als seinsbejahend und identitätstiftend die Bestimmungen von Heiligkeit und Gerechtigkeit sowie von Liebe und Weisheit darzustellen. Nach Schleiermacher wird uns im Gottesbewußtsein bewußt, daß unsere Wirklichkeit durch die schlechthinnige Ursächlichkeit Gottes grundsätzlich bedingt ist. Schon „in der Abstraktion von dem bestimmten Gefühlsgehalt unseres Gottesbewußtseins", als „Schatten des Glaubens" (CG2 II, 450 § 167.2), sind allgemeine Aussagen zur Gotteslehre möglich. Im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl selbst ist die schlechthinnige Ursächlichkeit Gottes auf solche Weise mit ausgesagt, daß die Gesamtheit des Naturzusammenhanges als darin gegründet verstanden wird (vgl. CG2 1, 278ff. § 54). Bestimmt von der Erfahrung der Erlösung ist darüber hinaus im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl ein Bewußtsein der Sünde und ein Verständnis des Übels derart gegeben, daß Gottes Heiligkeit „als die göttliche Bewirkung dieses Mißfallens in den Handelnden vermittelst des Gewissens und des Gesetzes" (CG21,448 § 83.3) und Gottes Gerechtigkeit als „das Setzen des Zusammenhanges zwischen Sünde und Übel" (CG21, 453 § 84.2) aussagbar werden. Diese negativen Bestimmungen sind allerdings für Schleiermacher nur „unter Voraussetzung ihres Ineinanderseins mit denen, welche uns aus der Betrachtung des Bewußtseins der Gnade entstehen" (CG2 1, 425 § 79.2), möglich und werden getragen von der Wesensbestimmung Gottes. In dem als Partizipation beschriebenen Gottesbewußtsein sieht Schleiermacher letztlich die wissenstheoretische Möglichkeit der Gleichsetzung von Aussagen des durch die Erlösung bestimmten unmittelbaren Selbstbewußtseins über göttliche Eigenschaften mit dem Wesen Gottes, denn „unmittelbar in dem Bewußtsein der Erlösung [...]
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
repräsentiert es uns natürlich das Wesen Gottes" (CG2 II, 451 § 167.2). Daher fällt für Schleiermacher in der Bestimmung „Gott ist die Liebe" (CG2 II, 449 § 167), die alle göttlichen Charakterisierungen umgreift, die Differenz zwischen Wesen und Eigenschaft zusammen. Dies geschieht hier aber nicht aus der spekulativen Überlegung, daß im Gottesbegriff nicht zwischen akzidentiellen und substantiellen Bestimmungen unterschieden werden kann, sondern bestimmt sich für Schleiermacher aus dem Bewußtsein der göttlichen Liebe, die wir unmittelbar in dem Bewußtsein der Erlösung haben. Zum einen ist diese von der göttlichen Liebe ausgehende „Mitteilung des göttlichen Wesens" (CG2 II, 456 § 169.1) nicht in eine erkenntnistheoretisch ausnutzbare Mittel-Zweck-Relation transformierbar. Wie die Charakterisierung der ,,göttliche[n] Weisheit als Entfaltung der Liebe" (CG2 II, 457 § 169.3) belegt, erlauben sich diese Bestimmungen der Gotteslehre für Schleiermacher letztlich allein aus der im Bewußtsein der Erlösung gegebenen Teilhabe am Ganzen (vgl. CG2 II, 452f. § 168.1). Auch in den darauf Bezug nehmenden Reflexionen des Wissens hebt sich letztlich eine Differenzierung in Mittel und Zweck auf und die am weitesten gehende Wesensaussage, die das Wesen Gottes allein als sich mitteilende Liebe beschreibt, wird „an die Stelle des Namens selbst gesetzt" (CG2 II, 450 § 167.2). Zum anderen wird in der Beschreibung der göttlichen Weisheit deutlich, daß Schleiermacher, indem er sie nicht ebenso unmittelbar im Bewußtsein repräsentiert findet, seine dogmatischen Aussagen nicht auf den spekulativen Gesichtspunkt der Identität zulaufen läßt. Vielmehr wird Schleiermachers Darstellung durch die theologische Unterscheidung von Gott und Welt bestimmt, weshalb „alles Sein in Gott nur als das durch seine Liebe vermittelte gesetzt" (CG2 II, 452 § 168.1) ist.139 Wissenstheoretisch ergibt sich daraus für Schleiermacher, daß die in der unmittelbaren Bestimmtheit des frommen Selbstbewußtseins möglichen Glaubensaussagen als reflektierbare Wissensaussagen immer unter der Form des zu vermittelnden Gegensatzes bleiben. Indem die Glaubensaussagen zur christlichen Gottesvorstellung sich auf die Beziehung Gottes zum Ganzen der Wirklichkeit beziehen, partizipieren sie einerseits an der Unmittelbarkeit des Gottesbewußtseins und der sich darin darstellenden „göttlichen Produktivität" (CG2 1, 448 § 83.3), verlieren aber andererseits nicht die Beziehung zur differenzierten Wirklichkeit und können so zu sprachlich mitteilbaren Aussagen werden.
Vgl. G.Ebeling a.a.O., 492.
Die Identifizierung des Geschichtlichen und des Urbildlichen
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3.4.3 Die Identifizierung des Geschichtlichen und des Urbildlichen zur Christologie Schleiermachers Für Schleiermacher haben die dogmatischen Sätze der Christologie ihren Grund in der Erfahrung des christlich-frommen Selbstbewußtseins, indem dies in der durch Christus vollbrachten Erlösung gründet. Schleiermacher geht davon aus, daß christologische Aussagen ihren eigentlichen Ursprungsort in der „Selbstverkündigung Christi" (CG2 I, 109 § 16.2) haben. Grundsätzlich versteht Schleiermacher dogmatische Theologie als Thematisierung des durch Christus mitgeteilten Gottesbewußtseins, denn „es gibt nur eine Quelle, aus welcher alle christliche Lehre abgeleitet wird, nämlich die Selbstverkündigung Christi, und nur eine Art, wie die Lehre, vollkommener oder unvollkommener, aus dem frommen Bewußtsein selbst und dem unmittelbaren Ausdruck desselben entsteht" (CG21, 124 § 19 Zusatz).140 Damit lehnt Schleiermacher andere primäre Erkenntnisquellen dogmatischen Wissens, wie die Bibel oder die Bekenntnisschriften, ab. Selbst K. Barth erkennt in seiner Kritik diesen „Christozentrismus"141 Schleiermachers an. Trotz dieser wiederholten Selbstbekenntnisse Schleiermachers wurde und wird seine Christologie aber auch als störender Einschub oder Fremdkörper in seiner theologischen Konzeption ausgemacht.142 Ursache dieser zwiespältigen Beurteilung ist u.a. der auch in Schleiermachers Christologie aufzuzeigende doppelte Bezug auf geschichtlich Vorgegebenes und unmittelbar Erscheinendes. Insofern ist zu klären, wie sich in Schleiermachers Christologie der Bezug auf den historischen Jesus und der in den unmittelbaren Äußerungen des christlich-frommen Selbstbewußtseins bekannte Christus zueinander verhalten. Mit dieser Klärung soll zugleich auf die Frage nach der wissenstheoretischen Stellung christologischer Aussagen geantwortet werden. 140
141
142
Vgl. E.Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. V [1954], 341, der vor dem Hintergrund seiner eigenen Theologie betont, daß „Schleiermachers Lehre von Christi Person und Werk wohl schlechthin als ein dialektisches Meisterwerk gelten müsse[], dem ein ebenbürtiger Aufriß im ganzen 19. Jahrhundert nicht gegenüber getreten ist. Eine so vollkommene Verbindung von religiöser Vertiefung, klassischer Einfachheit und äußerster begrifflicher Schärfe ist auch Schleiermacher nur selten gelungen. " K. Barth: Schleiermacher [1926], 169: „Er [Schleiermacher] hat mit seinem Christozentrismus den Rationalisten seiner Zeit ein unerhörtes Novum gegenübergestellt, die Supranaturalisten weit in den Schatten gestellt und es den Erwekkungstheologen seiner Zeit mindestens gleich, an systematischer Konsequenz, Christus Alles sein zu lassen, sogar ihnen vorgetan." Vgl. F.C. Baun Kirchengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts [1862], 208.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
Schon in seinem Kommentar zum ersten Erscheinen der Glaubenslehre hat sich Schleiermacher gegen Deutungen gewandt, die, „von einem Urbildlichen und einem Geschichtlichen in Christo" 143 ausgehend, ihm einen zweifachen Christus und eine Subordination des Geschichtlichen vorwarfen. 144 Der von F.C. Baur geäußerte Vorwurf, „dass Christus eine rein ideale Bedeutung hat" und „in jedem Fall der historische Christus nur eine dem idealen untergeordnete Bedeutung"145 habe, zeigt deutlich die von Baur vorausgesetzte Abhängigkeit von Aussagen, die sich auf das geschichtliche Sein beziehen, von ihren idealen, epistemologischen Grundlagen. Schleiermacher möchte dagegen von einer konstitutiven Einheit der ontologischen und epistemologischen Voraussetzungen ausgehen. Daher betont er den konstitutiven geschichtlichen Bezug Christi, was nicht als sekundäre, kontingente Identifikation eines primären, urbildlichen Ideals heruntergesetzt werden darf. Der geschichtliche Christus, der „auch mit seiner ganzen Wirksamkeit unter dem Gesetz der geschichtlichen Entwicklung" (CG2 II, 25 § 89.2) steht, ist vielmehr im Glauben zugleich als das Urbildliche zu verstehen. In der Person Christi geht Schleiermacher von der Identität des Geschichtlichen und des Urbildlichen aus (vgl. CG2 II, 34 § 93), auch wenn dies ein nicht erfaßbarer Gedanke bleiben muß, da es keinen Begriff des vollkommenen Urbildlichen geben kann. An geänderten Formulierungen in der zweiten Auflage der Glaubenslehre,146 die als Reaktion auf Kritik an der ersten Auflage anzusehen sind, zeigt H. Gerdes, daß Schleiermacher diese Identifikation nicht als geschlußfolgerte Idee, sondern als erfahrene Wirkung verstanden wissen will. Schleiermacher unterstreicht so, „daß die Bestimmtheit des frommen Selbstbewußtseins nicht durch eine ihm immanente oder gar von ihm 143
144
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146
F.Schleiermacher: 1.Sendschreiben [1829], KGA 1/10, 314. Schleiermacher schreibt hier gegen das Osterprogramm F.C. Baurs von 1827 (vgl. KGA 1/7.3, 249-252): „als ob auch nur eine Spur von einem innern Christus vor dem historischen bei mir vorkäme!" (Ebd.) Vgl. Ferdinand Christian Baur an seinen Bruder Friedrich August in Tübingen [26.7.1823], 241. F.C. Baur: Selbstanzeige [1827], KGA 1/7.3, 271f.: „Der historische Christus kann nur derjenige seyn, der die mit dem idealen Christus rein aufgehende Idee der Erlösung, wie sie sich aus dem religiösen Bewusstseyn des Menschen auf eine bestimmte Weise von selbst entwickelt, ausgesprochen und dadurch eine religiöse Gemeinschaft gestiftet hat." Während Schleiermacher beispielsweise in CG1 die Erlösung als „in dem Bewußtsein des Christen zurükgeführt" (CG1 II, 6 § 109) auf die Sündlosigkeit und Vollkommenheit Christi beschreibt, betont er in CG2 die Erlösung als „durch ihn bewirkt vermöge der Mitteilung einer unsündlichen Vollkommenheit" (CG2 II, 18 § 88).
Die Identifizierung des Geschichtlichen und des Urbildlichen
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erzeugte Idee besteht, sondern durch den geschichtlichen Christus, wie er das neue Gesamtleben gestiftet hat und in ihm gegenwärtig ist"147. Damit macht Schleiermacher das Verstehen der Erlösung als im Glauben gegebener Bezug zu Christus von einer unmittelbar gegebenen Identität des „geschichtliche[n] Einzelwesens" und des „neuen Gesamtlebens" (CG2 II, 34 § 93) abhängig. Hatte Schleiermacher in den »Reden« von 1799 Christus hauptsächlich als Mittler dargestellt, geht er in der Glaubenslehre über diese Bestimmung hinaus. Im Standpunkt des Glaubens sieht Schleiermacher nun die Möglichkeit gegeben, Christus als die sich unmittelbar erschließende Identität des Ursprünglichen und des Geschichtlichen auszusagen. Wissenstheoretisch ergibt dies für den Grund christologischer Aussagen in expliziter Weise eine Struktur, die Schleiermacher in jedem Wissen implizit voraussetzt. Die transzendentalen Voraussetzungen, die sich in jedem Wissen als dessen Gewißheit darstellen, beschreibt Schleiermacher als im christlich frommen Selbstbewußtsein bewirkte und erfahrene Wissensgrundlage. Nach Schleiermacher eröffnet sich in der Erscheinung Christi dem Glaubenden in expliziter Weise ein Verhältnis zu seiner Existenz, was im Wissen jeder implizit in Anspruch nimmt. Die transzendentale Voraussetzung der Identität des Idealen und des Realen äußert sich in Schleiermachers Grundannahme der Wechselwirkung von Erscheinung und Wesen in den Phänomenen, was epistemologisch die Gewißheit im Wissen begründet. Diese wissenstheoretische Grundüberzeugung wird im Verstehen Christi mit der Erfahrung seiner Erscheinung und Wirksamkeit, d.h. in dem durch ihn bewirkten Gottesbewußtsein, zur realen Voraussetzung von Glaubensaussagen und damit von christologischen Sätzen. In ihrer Struktur gleicht so die von Schleiermacher behauptete transzendentale Voraussetzung der Wirklichkeitserfassung auf ideale Weise dem durch Christus dem Glaubenden mitgeteilten Gottesbewußtsein in seiner realen Wirksamkeit, die sich sowohl im neuen Gesamtleben als auch in den darin verursachten Aussagen äußert. Insofern kann Schleiermacher sagen, daß die „Förderung des höheren Lebens in dem Bewußtseins des Christen" sich darauf bezieht, daß ihm „das geschichtliche und urbildliche in seiner [sc. Christi] Person als unzertrennlich vereint" (CG1 II, 19 § 114) erscheint. Dabei ist mit Urbildlichkeit nicht die Vorstellung oder Idee einer gottmenschlichen Einheit gemeint, sondern steht bei Schleiermacher als 147
H.Gerdes: Anmerkungen zur Christologie [1983], 116.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
Bezeichnung einer erfahrenen Wirkung. Ebenso wie der transzendentale Grund in einer produktiven Funktion zur Wirklichkeit steht, geht Schleiermacher bei Christus von einer „Urbildlichkeit" aus, deren „Produktivität" (CG2 II, 36 § 93.2) das „Wachstum an Wirksamkeit des Gottesbewußtseins" (CG2 II, 34 § 93.2) bewirkt. Und ebenso wie der transzendentale Grund sich dem Verstehen entzieht, weil er dessen Voraussetzung darstellt, gibt es für uns keine Möglichkeit einer Erklärung der „vollkommnen Geschichtlichkeit dieses vollkommen Urbildlichen" (CG2 II, 38 § 93.3). Erfahrbar und erfaßbar sind nur die daraus resultierenden Wirkungen. Daher beschreibt Schleiermacher diese urbildliche Produktivität als Wirksamkeit, die der Glaubende unmittelbar (vgl. CG2 II, 34 § 93.2) Christus zuschreibt. Unter der Voraussetzung, daß „Gottes Sein nur als Thätigkeit aufgefaßt werden kann" (CG1 II, 29 § 116.3), erfüllt das als Urbildlichkeit bezeichnete Sein Gottes in Christus sein Wesen und ist die „innerste Grundkraft" (CG1 II, 37 § 117.3) seiner Wirksamkeit. Christus selbst wird deshalb in seiner Urbildlichkeit von Schleiermacher als sich selbst mitteilendes Mittelglied zwischen dem unmittelbaren Woher des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls und den daraus folgenden geschichtlichen Konkretionen dargestellt.148 Durch die ursprüngliche produktive Anregung und „vermöge der Empfänglichkeit für seine Einwirkung" gibt es „die Selbsttätigkeit des neuen Gesamtlebens"149 (CG2 II, 34 § 93), auf die sich wissenstheoretisch der Theologe in der die Glaubensaussagen begleitenden Überzeugung bezieht.150 Zugleich rechnet Schleiermacher bei den so hervorgebrachten Sätzen, „um das Neue darzustellen", aber mit der Anknüpfung an „schon 148
Vgl. W. Dilthey: Leben Schleiermachers, GS XIV/2, 492: „So wird Christus zum Mittelglied zwischen dem Vernunftzusammenhang in Gott, dem Wissen von ihm im Gottesbewußtsein und der Verwirklichung des in diesem Zusammenhang angelegten höchsten Gutes als des Reiches Gottes im christlichen Gemeinschaftsleben." 149 Vgl. zum Begriff des Gesamtlebens und zur Tendenz der indifferenten Globalisierung H.Reuter: Zu Schleiermachers Idee des »Gesamtlebens« [1914], 29: „Weil die Idee des , Gesamtlebens ' bei Schleiermacher aus seiner religiös orientierten und metaphysisch fundierten Geschichtsphilosophie fließt und aufs engste mit dem Organismusgedanken verbunden ist, der, wie schon mehrfach betont, seine Philosophie zu einer Philosophie des Lebens macht, bewegt sie sich durch alle Gebiete seiner Lebens- und Weltanschauung und vor allem durch deren Zentrum, seine Theologie, in ihrer schwebenden Doppelseitigkeit als metaphysisches und historisches Gemeinschaftsprinzip." 150 Vgl. CG2 II, 42 § 93.5: „Denn zuerst, daß alle Lehren und Vorschriften, welche sich in der christlichen Kirche entwickeln, nur dadurch ein allgemeingültiges Ansehn erhalten, daß sie auf Christum zurückgeführt werden, gründet sich nur auf seine vollkommne Urbildlichkeit in allem, was mit der Kraft des Gottesbewußtseins in Verbindung steht. "
Die Identifizierung des Geschichtlichen und des Urbildliehen
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gegebene Vorstellungen] ", mit „rhetorisierenden oder poetisierenden Ausdrücken auf dem Sprachgebiet der Lehre" (CG2 II, 48f. § 95.1) oder mit einer Überladung der Lehre, weshalb er hier auf das kritische Verfahren zurückkommt, das diese Aussagen auf ihr Zusammenstimmen mit der dargestellten Bestimmtheit des christlichen Selbstbewußtseins hin beurteilen soll. Zwar gilt auch für die in der Urbildlichkeit Christi verankerten Sätze, daß sie nur als unmittelbare Aussagen des christlich frommen Selbstbewußtseins erscheinen, aber über die allgemeine Möglichkeit von Glaubensaussagen hinaus fordert Schleiermacher, daß sie nur über Christus aussagen, was „mit seiner erlösenden Ursächlichkeit in Verbindung steht und sich auf den ursprünglichen Eindruck, den sein Dasein machte, zurückführen läßt" (CG21, 163 § 29.3). Für Aussagen, die sich auf die erlösende Urbildlichkeit Christi beziehen, gibt es nach Schleiermacher also zwei Ansatzpunkte: das Wirken Jesu in der Geschichte und die Kräftigung des Gottesbewußtseins des Gläubigen. Die Frage aber, weshalb die Idee der Erlösung sich im christlichen Glauben allein auf die Person Christi konzentriert, läßt sich nach Schleiermacher nur mit dem Verweis auf die „stetige Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins" als „ein eigentliches Sein Gottes in ihm" (CG2 II, 43 § 94) beantworten. Auch diese Aussage will Schleiermacher nicht als spekulative Behauptung verstanden wissen, sondern sieht sie als in der Erfahrung des Glaubens begründet an. Da „im Glauben an Christum wesentlich eine Beziehung desselben auf das ganze Geschlecht gesetzt wird" (CG2 II, 45 § 94.2), wird im christlichen Glauben ein allgemeines Verhältnis Gottes zur Welt überschritten. Im Glauben wird, unableitbar aus der menschlichen Natur, Christus als der „einzige ursprüngliche Ort" (CG2 II, 46 § 94.2) für ein eigentliches Sein Gottes ausgesagt. Damit ist nach Schleiermacher, sofern im christlichen Glauben die Kräftigung des Gottesbewußtseins allein auf Christus bezogen erscheint, die explizite Identifikation des Urbildlichen und des Geschichtlichen kein spekulativer, sondern ein existentieller Akt. Grundsätzlich stellt Schleiermacher damit den im Glauben gesetzten Bezug zu Christus vor jede Reflexion. Die mit der Reflexion und Darstellung sich ergebende Möglichkeit der Kritik ist als Vermittlung von der unmittelbar gegebenen Begründung dieser Aussagen zu unterscheiden. Zugleich verdeutlicht die im unmittelbaren Selbstbewußtsein gegebene Bestimmtheit, daß das unmittelbare Selbstbewußtsein „keine ab-
190
Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
strakte Letztbegründungsinstanz" 151 ist und insofern auch nicht zum spekulativen Ausgangspunkt gemacht werden kann. Wie stark dieser antispekulative Impuls die Glaubenslehre beeinflußt, wird insbesondere an Schleiermachers Interpretation der Trinitätslehre deutlich. Die Trinitätslehre sieht Schleiermacher, obwohl sie ihm als „Schlußstein der christlichen Lehre" gilt, „nicht [als] eine unmittelbare Aussage über christliches Selbstbewußtseins" (CG2 II, 458f. § 170.1) an. Zwar ist mit der Unterscheidung des Seins Gottes „in Christo als einem Einzelwesen und in der christlichen Kirche als einem geschichtlichen Ganzen" (CG2 II, 470 § 172.1) ein Ansatz trinitarischer Differenzierungen gegeben. Schleiermacher versteht diese Aussagen aber nur als nachvollziehende und unvollkommen bleibende Annäherungen. Indem Schleiermacher in der Reflexion dogmatischer Aussagen bemüht ist, diese eng auf ihren Ausgangspunkt in der Erfahrung des christlich frommen Selbstbewußtseins zu beziehen und zugleich von diesem zu unterscheiden, versucht er, die insbesondere in der Trinitätslehre gegebene Tendenz zu „innertrinitarischen Spekulationen"152 zu vermeiden. Insgesamt ist also mit Gerdes der Christologie Schleiermachers nicht vorzuwerfen, daß „eine aus dem frommen Selbstbewußtsein abstrahierte Idee des Erlösers an Stelle des historischen Christus" 153 gesetzt wird, auch wenn zu fragen bleibt, ob das christliche Gesamtleben und sein geschichtlicher Ursprung, was in der Erfahrung für Schleiermacher eine nicht zu trennende Einheit darstellt, einen so bruchlosen Ansatz für Wissensaussagen darstellen kann. Schleiermacher geht von einer Kontinuität von unmittelbarer Glaubenserfahrung und sich in sprachlicher Vermittlung sowie in der Wirklichkeit des gestifteten Gesamtlebens 151
W. Eller: Theologische Bedeutung anthropologisch formulierter Sätze [1984], 965: „Die mittelbare Rückführung dogmatischer Sätze auf das unmittelbare Selbstbewußtsein, das gleichwohl nicht anders zu haben ist als durch die Tatsache, daß es zur Sprache kommt, enthüllt nichts anderes als den Ausdruck der wirkenden Person des Erlösers."
152
H.Thielicke: Glauben und Denken in der Neuzeit [1983], 251. Vgl. B.A.Gerrish: The Old Protestantism and the N e w [1982], 205. Insofern stellt es eine völlige Umkehrung des Ansatzes Schleiermachers dar, wenn F. Wagner: Vernünftige Theologie und Theologie der Vernunft [1978], 274, feststellt, „daß der Glaube an das Sein Gottes in Christo ohne die Trinitätslehre nicht begründet und expliziert werden kann". Die für Schleiermacher im begrifflich nicht begründbaren Glauben gegebene Identifikation von Urbildlichkeit und Geschichtlichkeit Christi wird bei Wagner zum spekulativ behaupteten Zusammenhang, der „der Herleitung aus einem Grund bedarf, der genauer als die absolute Subjektivität zu denken ist, die sich in ihrer trinitarischen Selbstunterscheidung als sich selbst entsprechend erfaßt" (274). H. Gerdes: Anmerkungen zur Christologie, 122.
153
Die Identifizierung des Geschichtlichen und des Urbildlichen
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darstellenden Glaubensaussagen aus. ls4 Diese Kontinuität drückt sich ebenso als „eine nur quantitative Unterschiedenheit" von Gottheit und Menschheit in Christus aus, d.h., „Gott ist relevant nur insofern, als das von ihm ausgestrahlte Gottesbewußtsein den Menschen zum Menschen macht"155. Dabei will Schleiermacher beides, das „sich eines göttlichen Geistes" und das „sich eines Gottessohnes bewußt" werdende christliche Gefühl, „in den tiefsten Tiefen der Natur" aufsuchen, auch wenn er Christus als den vollkommenen Menschen „von dem besten Unser eines anders als durch ein noch besser unterschieden" 156 wissen will. Indem Schleiermacher so den Ort bezeichnet, an dem die Beziehung zu Christus für den Gläubigen real wird, setzt er sich zwar der Gefahr einer bloßen Quantifizierung der grundsätzlichen Unterschiedenheit von Gott und Mensch aus. Aber nur in dieser Verbindung des Wesens Gottes und seines Erscheinens im Sein des Menschen als geschichtlich bestimmtes religiöses Gefühl sieht Schleiermacher die Möglichkeit theologischer Aussagen. In wissenstheoretischer Perspektive wird dann das fromme Selbstbewußtsein zum Ausdruck einer in ihm liegenden Entsprechung von Transzendenz und Immanenz bzw. Kontinuität des Seins. So wie Schleiermachers wissenstheoretisches Modell Wissen und Vernunft an keiner Stelle grundsätzlich in Frage stellt, kennt daher auch Schleiermachers dogmatischer Ausgangspunkt im religiösen Gefühl nicht den Bruch und die Krise. Beide, Glauben und Wissen, werden in eine Kontinuität von unmittelbarer Erfahrung und vermittelnder Reflexion, d.h. vom Sein des Gefühls und dem Sein in der Vernunft her gesehen. So wie sich für Schleiermacher „aller Irrthum [...] nur an der Wahrheit" (DJ 187 § 239.3) darstellt, d.h., die dem werdenden Wissen zugrundeliegende Überzeugung der Übereinstimmung von Denken und Sein nie prinzipiell in Frage gestellt wird, so stehen nach Schleiermacher die das Wissen des Glaubens begründende Gewißheit, das göttliche Sein als stetige Kräftigkeit des Gottesbewußtseins, und die weltliche Wirklichkeit des Selbstbewußtseins in grundsätzlicher Kontinuität. Zum Problem der Vergewisserung dieser Stetigkeit führt H.-J. Rothert aus: „Der Terminus ,Gefühl' weist dabei im Rahmen des Denkens Schleiermachers und der mit diesem gegebenen Möglichkeiten auf das Existie154
155 156
Vgl. H. Gerdes: Der geschichtliche biblische Jesus [1974], 69: „Die unmittelbare geistige Gegenwart Jesu in der Seele des einzelnen Gläubigen wird nun aber von Schleiermacher so gedacht, daß ihre Unmittelbarkeit eine Vermittlung durch das von Christus gestiftete Gesamtleben nicht ausschließt. " H. Thielicke: Glauben und Denken in der Neuzeit, 251. F.Schleiermacher an F.H.Jacobi, 30.3.1818, 395f.
192
Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
ren, auf den Grund der Existenz selbst, hin. [...] Und dabei ist das .Gefühl' die Grundkategorie jedes möglichen Bejahens und Verneinens, jedes Positivismus und Skeptizismus überhaupt. Und im Appell hieran wird die Skepsis von Schleiermacher überwunden." 157 Zwar ist mit Rothert weiter anzuerkennen, daß Schleiermacher versucht, „die geschichtlich existierende Gewißheit an dem Ort" aufzusuchen, „an welchem sie ihren geschichtlichen Ursprung hat"158, also nicht über aller Geschichte stellt. Dabei behauptet Schleiermacher aber eine Bruchlosigkeit der dies vermittelnden Beziehungen, die eine grundsätzliche Infragestellung der Kontinuität der Geschichte und des Seins ausschließt. In der Christologie Schleiermachers, die er als auf der Erfahrung der aufgehobenen Hemmung des stetigen und kräftigen Gottesbewußtseins beruhend versteht, wird deutlich, wie weitreichend die der Wissenstheorie Schleiermachers impliziten Voraussetzungen einer strukturellen Entsprechung des Idealen und des Realen bzw. des Transzendentalen und des Wirklichen sind. In der Christologie werden diese Voraussetzungen explizit.
3.5 Unmittelbare Glaubenserfahrung und Vermittlung dogmatischen Wissens Die wissenstheoretischen Grundlagen Schleiermachers erscheinen im Rahmen seiner theologischen Bestimmungen in der Weise kritischer und vergleichender Darstellungen sowie in systematischer Zusammenstellung. Diese von Schleiermacher funktionalisierte Distanz wissenschaftlicher Reflexion will er aber nicht als eine Überordnung gesicherten und begrifflichen Wissens über dessen Gegenstand verstanden wissen. Vielmehr sind dogmatische Aussagen von erfahrener und lebendiger Religiosität ebenso abhängig wie allgemeine Wissensaussagen von dem sie tragenden Grund der Wirklichkeitserfahrung. Mit der sich im frommen Selbstbewußtsein darstellenden Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins führt Schleiermachers theologischer Ansatz dabei in wissenstheoretischer Hinsicht die Konsequenz aus, die sich aus der in der Unmittelbarkeit verankerten Gewißheit des Wissens ergibt. Für die Dialektik hatte Arndt festgestellt, daß mit der Theorie des 157 158
H.-J. Rothert: Gewißheit und Vergewisserung als theologisches Problem [1963], 41. H.-J.Rothert a.a.O., 213.
Unmittelbare Glaubenserfahrung und Vermittlung dogmatischen Wissens
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Gefühls als unmittelbaren Selbstbewußtseins die philosophische Position Schleiermachers sich „nur durch den Rekurs auf theologische Argumente"159, mit deren Hilfe eine Identität als Indifferenz erborgt wird, begründen läßt. Dazu ist festzustellen, daß die damit aufgegriffene allgemeine Einsicht Schleiermachers, daß das Selbstbewußtsein sich nicht selbst begründen kann und daß dies im unmittelbaren Selbstbewußtsein auf präreflexive Weise bewußt wird, zwar in der theologischen Argumentation der Glaubenslehre explizit in Anspruch genommen wird, aber für Schleiermacher in ihrer allgemeinen Bedeutung zunächst nicht in der Theologie ihre Berechtigung erhält. Hinsichtlich ihrer Allgemeinheit ist die in der Dialektik gegebene Analyse des Selbstbewußtseins und des Wissensbegriffs der Glaubenslehre vorgeordnet. Allerdings bleibt, wie H. Knudsen zu Recht feststellt, der „transzendente Grund [...] im Rahmen der Dialektik eine Abstraktion [, ...] das Ergebnis einer strukturanalytischen Beschreibung"160. Die Darstellung des Grundes in der Glaubenslehre greift dagegen vor dem Hintergrund ihres existentiellen Charakters auf ontologische Strukturen zurück, „da dogmatische Sätze zum Schöpfergott und zum Geschehen in Christus eben auch ontologisch zu verstehen sind"161. Knudsen bezeichnet diesen Zusammenhang von Dialektik und Glaubenslehre als „einen möglichen Methodenraum, den die Wissenschaften zur Bestimmung ihres Selbstverhältnisses einnehmen können"162. Dabei beschreibt Schleiermacher in der Glaubenslehre mit ihrer Glaubensperspektive eine bestimmte, explizite Erschlossenheit der Wirklichkeit, während er in der Dialektik versucht, allgemeine, implizite Strukturen darzustellen. Die der expliziten Selbstäußerung des Glaubens und die dem Wissen und Wollen impliziten Strukturen der Wirklichkeit gehen in ihrer Entsprechung auf denselben letzten Grund zurück. Wenn Schleiermacher diese Struktur der Voraussetzungen der Religiosität als schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl bzw. des Wissens als transzendentalen Grund beschreibt, so geschieht das in dem Rahmen, den der „funktionale Systembegriff" 163 Schleiermachers vorgibt. Trotz 159 160 161 142 143
A.Arndt: Unmittelbarkeit [1984], 469. H.Knudsen: Subjektivität und Transzendenz [1987], 91. Ebd. H.Knudsen a.a.O., 92. T.Rendtorff: Theorie des Christentums [1972], 90: „Dieser funktionale Systembegriff folgt der Einsicht, daß die Eigentümlichkeit und Freiheit des Glaubens durch jeden Systemanspruch zerrüttet wird, der diesen Glauben von den Bedingungen des Systems abhängig macht."
194
Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
der spekulativen Züge, die jede Reflexion impliziert, versucht Schleiermacher, seinen Wissensbegriff konsequent in eine funktionale Zuordnung zur ethischen und physischen Wirklichkeitserfahrung und -auseinandersetzung bzw. zur gelebten Religion zu stellen. So ist für die Entstehung und das Verständnis der Theologie als positiver Wissenschaft deren Funktionalität konstitutiv.164 Der grundsätzliche Bezug der Glaubenslehre auf Phänomene des Selbstbewußtseins ist trotz seiner transzendentalen Darstellungsvoraussetzungen, wie Knudsen es beschreibt, offen für „eine für den Leser in introspektiven Nachahmungen rekonstruierbare empirische Analyse"165. Dogmatische Systematisierung ist bei Schleiermacher daher, wie der gesamte Theologiebegriff, als Funktion des Glaubens verstanden, weshalb der normative Charakter der Glaubenslehre sich zwar durch „eine möglichst strenge systematische Anordnung" (CG21, 157 § 28.2) zeigt, aber nicht in dieser begründet ist. Wie T. Rendtorff betont, besteht die „entscheidende methodische Leistung Schleiermachers" 166 darin, die Differenz von Reflexion und der im Glauben gelebten Wirklichkeitsbeziehungen in funktionaler Absicht fruchtbar zu machen. Unter Wahrung der Eigenständigkeit beider Seiten setzt er dazu theologisches Wissen und die unmittelbare Erfahrung der Frömmigkeit in Beziehung. Das entscheidende Moment dieser im theologischen Wissen in Anspruch genommenen Beziehung ist für Schleiermacher die sich im Glauben als Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins ereignende Vermittlung von Unmittelbarkeit in sprachliche sowie lebensweltlichgeschichtliche Äußerungen. In der Glaubenserfahrung des Christen, in der die urbildliche und geschichtliche Produktivität Christi zusammenfallen, sieht Schleiermacher sowohl spezielle sprachlich-mitteilbare Inhalte als auch lebensweltliche Bestimmungen verursacht. Auf die sich in Verkündigung und Lehre darstellenden sprachlichen Inhalte bezieht sich die Glaubenslehre, auf die sich im Zusammenleben darstellenden Bestimmungen die Sittenlehre. Die begriffliche Reflexion der Theologie partizipiert in ihrer systematisch-wissenschaftlichen Zusammenstellung sowohl in ihrem Bezug an den sprachlichen Glaubensäußerungen als 164
I4S
166
Vgl. M.Rössler: Schleiermachers Programm der Philosophischen Theologie [1994], 203ff. H. Knudsen: Subjektivität und Transzendenz, 38. Vgl. R.R.Williams: Immediacy and Determinancy [1984], 215: Schleiermacher „is setting forth the structures of lived experience, religious experience in particular, in terms of a methodological abstraction." T. Rendtorff: Theorie des Christentums, 89.
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auch in ihrer rationalen Darstellungsweise am kommunikativen Aspekt dieser ursprünglichen Vermittlung. Diese sich für den Christen allein in Christus ursprünglich ereignende Mitteilung, die zum Ausgangspunkt aller im Glauben implizierten Bestimmungen und aller über den Glauben möglichen Wissensaussagen wird, markiert für Schleiermacher nicht nur die Eigenständigkeit und das Spezifikum des christlichen Glaubens, sondern ist auch als seine Antwort auf das wissenstheoretische Problem der im Wissen vorausgesetzten Vermittlung des Unmittelbaren zu verstehen. Schleiermacher sieht die sprachlich-rationale Ebene der Vermittlung, die auch das Sprachgebiet des Wissens trägt, sowohl in theologischer als auch ontologischer Hinsicht eng an den sie verursachenden Grund gebunden. Insofern ist Vermittlung bei Schleiermacher immer auch als Mitteilung gedacht. Das zeigt sich sowohl in der Ausprägung der Eigentümlichkeit des dogmatischen Sprachgebietes (vgl. CG21, 155 § 28.1) als auch in der aller sprachlichen Vermittlung anhaftenden Geschichtlichkeit.167 Selbst im Darstellen der transzendentalen Voraussetzungen des reinen Denkens in seiner Wissenschaftstheorie rechnet Schleiermacher mit geschichtlicher Begrenztheit (vgl. DJ 577). Zur grundsätzlichen Besonderheit jeder sprachlichen Mitteilung, die eng mit der Relativität der Geschichte verbunden ist, kommt in der Darstellung der dogmatischen Theologie der konstitutive innere Standpunkt hinzu. Schleiermacher ordnet die dogmatische Theologie in die historische Theologie und erklärt ihre grundsätzliche Zugehörigkeit zur Geschichtswissenschaft, aber zugleich sind dogmatische Aussagen für ihn spezifische, vom Standpunkt des Glaubens aus formulierte Sätze. Der Wahrheitsanspruch des Glaubens, der in der in ihm erfahrenen Mitteilung des Unmittelbaren gründet, ist für den Glaubenden allgemeingültig, auch wenn sich in einer äußeren Perspektive dessen Relativität zu anderen Standpunkten zeigt.1®8 Insofern geht es in Schleiermachers Theologie nicht, wie
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Vgl. G. Sauter: Der Wissenschaftsbegriff der Theologie, 300: „Indessen ist diese kommunikative Bewegung nicht in einer alle Standpunkte vermittelnden und ausgleichenden Metareflexion aufgehoben, sondern sie ist [...] nur als Kommunikation der verschiedenen Anschauungen miteinander darstellbar." Vgl. H.-J. Birkner: Schleiermachers christliche Sittenlehre, 63f.: Schleiermachers „dogmatische Theologie ruht auf der doppelten Voraussetzung, daß Christentum und christlicher Glaube dem allgemeinen Wahrheitsbewußtsein weder widersprechen noch einfach in ihm aufgehen. Zwischen der Wahrheit des Christentums und der Wahrheit der Philosophie besteht weder das Verhältnis prinzipieller Differenz noch das einfacher - oder vermittelter - Identität."
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M. Eckert behauptet, um „die Vermittlung von Glauben und Wissen"I69, sondern um die Darstellung des sich mitteilenden Glaubens im Wissen. „.Religiöses Interesse' und wissenschaftlicher Geist' bezeichnen also die irreduziblen und unverzichtbaren Motive für theologisches Wissen und kirchliches Handeln."170 „Kirchlichkeit und Wissenschaftlichkeit treten in dieser Konzeption" jedoch nicht als „einander widersprechende Prinzipien der Theologie" auf, sondern bilden, wie E. Schrofner ausführt, in ihrer gegenseitigen Kritik „eine konstruktive, einander fördernde und unterstützende Verbindung"171. Die damit zugleich gegebene Anerkennung einer Differenz zwischen innerer und äußerer Perspektive ordnet für Schleiermacher nicht nur das Verhältnis von individueller Bestimmtheit und Allgemeingültigkeit, von geschichtlich bestimmter und vermittelter sowie von transzendentaler Unmittelbarkeit, sondern sichert zugleich mit der Eigenständigkeit des Glaubens auch die jedes Wissen begleitende Gewißheit. Dabei bleibt für Schleiermacher im Rahmen seiner ontologischen Voraussetzung zugleich mit der Subjektivität von Überzeugungen, die bis zum Bewußtwerden eines unmittelbaren existentiellen Verhältnisses geht, die allgemeine Kommunikabilität der Gehalte bestehen. Die Glaubenslehre expliziert hier in konkret bestimmter Weise das in der Dialektik transzendental vorgestellte Verhältnis von unmittelbarer Gewißheit und vermittelnder inhaltlicher Bezugnahme. Die bestimmende Ursächlichkeit von Glaubensaussagen unterscheidet Schleiermacher zwar von der transzendentalen Voraussetzung der allgemeinen Sprachlichkeit, aber zugleich versteht er Glaubensaussagen als an den mit der Sprachlichkeit formal gegebenen Möglichkeiten partizipierend. Es zeigte sich, daß Schleiermacher in der Glaubenslehre mit ihrer Aufgabe der Darstellung der geltenden kirchlichen Lehre über die Positivität traditioneller Lehraussagen hinaus auf die Positivität von Glaubensaussagen und damit auf das sich äußernde unmittelbare Selbstbewußtsein zurückgeht. Die Dogmatik gewinnt damit ihre eigentliche Tiefe, indem sie nicht nur auf eine konsistente Darstellung christlicher Lehraussagen zielt, sondern darin die Grundbeziehung von geschichtlichen Erscheinungen und der Bestimmtheit des transzendentalen Grundes als ein rationalisierbares Verhältnis in Anspruch nimmt. Das Verhältnis positiver Christlichkeit zu unmittelbarer Vorgegebenheit stellt 169 170 171
M.Eckert: Gott - Glauben und Wissen, 21. M.Rössler: Schleiermachers Programm der Philosophischen Theologie, 60. E. Schrofner: Theologie als positive Wissenschaft [1980], 77.
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für Schleiermacher die Antwort auf die Frage nach dem Wie der sich in der Geschichte entfaltenden Einheit der Wirklichkeit dar, die im allgemeinen nur als transzendentale Voraussetzung zu zeigen war. Im Rahmen der ontologischen Überzeugung Schleiermachers ist diese Antwort trotz aller Differenzierungen von der Annahme grundsätzlicher Harmonie getragen, in der sich nicht nur Christentum und Geschichte, sondern auch Vernunft und Kultur einordnen.172 Sowohl den transzendentalen Grund in der Dialektik als auch die Gotteserfahrung als Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins in der Glaubenslehre sieht Schleiermacher als Ursprung einer ihm unproblematisch erscheinenden Kontinuität, die reale Diskontinuitäten noch einmal einschließt. Schleiermacher holt durch diese Kontinuität nicht nur die Relativität aller geschichtlichen Erscheinungen, zu der auch die Glaubensaussagen gehören, wieder ein, sondern bindet auch die Unabschließbarkeit allen werdenden Wissens in asymptotischer Approximation an den als Fortschritt verstandenen Erkenntnisgewinn. Dieser Fortschrittsoptimismus, in dem Schleiermacher jedoch weder Christentum und Kultur miteinander identifiziert173 noch die Wissenschaft zusammen mit dem transzendentalen Grund in eine erscheinende absolute Identität auflöst, erlaubt ihm einen für die Geschichte offenen und funktionalen Systembegriff. Dabei geht es Schleiermacher darum, „einen ewigen Vertrag zu stiften zwischen dem lebendigen christlichen Glauben und der nach allen Seiten freigelassenen, unabhängig für sich arbeitenden wissenschaftlichen Forschung, so daß jener nicht diese hindert, und diese nicht jenen ausschließt"174. Schleiermacher setzt nicht nur die „Versöhnung von Christentum und Humanität als Möglichkeit" 175 voraus, sondern nimmt sie als Voraussetzung in der Wirklichkeit der theologischen Argumentation in Anspruch. Wenn dies allerdings in einer von vornherein spannungsfreien Koordination von Glauben und Wissen gelingt, so entsteht zusammen mit der vorausgesetzten Eigenständigkeit beider Wirklichkeitsbezüge in der Theologie die Gefahr einer unkritischen Gleichsetzung von Phänomen und Reflexion. Daher muß es für Schleiermacher zugleich wichtig sein, 172
173 174 175
Vgl. H.-J. Birkner: Schleiermachers christliche Sittenlehre, 141: „Schleiermachers Theologie der Kultur hat ihre eigentliche Problemtiefe darin, daß in dem von ihr entfalteten Verhältnis von Christentum und Kultur ein anderes Verhältnis sich verbirgt: das von Christentum und Humanität." Vgl. H.-J. Birkner: Schleiermachers christliche Sittenlehre, 92f. F.Schleiermacher: 2.Sendschreiben [1829], K G A 1 / 1 0 , 350f. T.Rendtorff: Theorie des Christentums, 93.
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daß die Unabschließbarkeit des Wissens durch die in der Idee des Wissens vorausgesetzte Identität nicht verdeckt wird. Weil der „Indifferenzpunkt im Überzeugungsgefühl die unaufgelöste Spannung zwischen dem Einheitsstreben der Vernunft und der gegebenen Mannigfaltigkeit [...] in sich enthält"176, bleibt nach Lange der Wissensbegriff Schleiermachers trotz seiner identitätsphilosophischen Implikate spannungsreich. Letztlich wird diese Spannung bei Schleiermacher sogar noch einmal übergriffen von der Spannung zwischen dem unvollziehbaren Gottesbegriff und der unabschließbaren Welterkenntnis. Das bedeutet, daß Schleiermacher versucht, die Antinomien der Vernunft und die Brüche der Geschichte angesichts der Idee Gottes nicht einfach aus der Theologie auszugrenzen, sondern sie in das theologische Wissen einzubeziehen. Der „dem denkenden Zugriff entzogene" Gottesbegriff wird dann zugleich in seiner uns zugänglichen Gebrochenheit die „unbedingte Ermächtigung dazu, relative Erkenntnis als solche gelten zu lassen"177. Es bleibt aber zu fragen, ob Schleiermacher in der von ihm anerkannten Relativität und Geschichtlichkeit nicht zugleich von einer so starken Kontinuität und strukturellen Stabilität ausgegangen ist, daß die in der Gebrochenheit implizierten Fragestellungen letztlich doch ausgeschlossen bleiben. 178 Wenn, wie dies herauszustellen war, die Wissenschaftlichkeit der dogmatischen Theologie Schleiermachers darin besteht, den geschichtlich gegebenen Zustand der Lehre der protestantischen Kirche darzustellen, dann greift es zu kurz, diese Wissenschaftlichkeit allein durch die Beziehung der dogmatischen auf die philosophische Theologie gesichert zu sehen.179 Schleiermacher sieht die Wissenschaftlichkeit der dogmatischen Theologie in der Sprachlichkeit der Glaubensäußerungen 176 177 178
179
D. Lange: Subjektivität und Kritik [1980], 314. Ebd. Vgl. W.Schultz: Schleiermacher und der Protestantismus [1957], 76: „Das Ziel des Glaubens ist daher für Schleiermacher fast ausschließlich Sicherheit, innere Ausgeglichenheit, Beharrlichkeit, Gleichmütigkeit, Ruhe, Heiterkeit." Schultz sieht durch die dahinter stehende „harmonische Verbindung von Theologie und Philosophie" (77) diese „entscheidende Differenz Schleiermachers zum protestantischen Glaubensbegriff" (78) verursacht, dessen paradoxer Gehalt für Schultz ganz im Gegensatz zu Schleiermacher gerade jede Vernunft in Frage stellt. Vgl. G. Wehrung: Dialektik Schleiermachers [1920], 145f.: „Wie im Jahre 1811, so wird er [sc. Schleiermacher] noch im Jahre 1830 die historische Theologie nur durch Vermittlung der philosophischen mit der eigentlichen Wissenschaft zusammenhängen lassen (vgl. K.D. 2.A. § 252), wird er die philosophische Theologie selbst einer vorausgehenden umfassenden, in einem ihrer letzten Ausläufer an den zu erörternden Gegenstand reichenden Spekulation eingliedern (vgl. K.D. 2.A. § 29, § 66)."
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vorbereitet, die wiederum selbst auf die Unmittelbarkeit des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls zurückgeht. Analog zu den wissenstheoretischen Voraussetzungen der Dialektik wird auch in der Dogmatik eine Letztbegründung des Wissens abgelehnt. Vielmehr erlaubt es die mit der erfahrbaren Wirklichkeit gegebene Gewißheit bzw. der in der Dogmatik vorausgesetzte Glaube selbst, in empirischer und dann auch spekulativer Bezugnahme sowie in kritischer Vermittlung zu Wissensaussagen geformt zu werden. Diese produktive Evidenz begründet für Schleiermacher nicht nur den Kommunikationsprozeß und treibt den Wissensprozeß voran, sondern enthebt, indem Schleiermacher sie als sich ereignende Vermittlung unmittelbarer Identität des Idealen und des Realen versteht, von der Notwendigkeit einer Letztbegründung, deren Unmöglichkeit sich ohnehin in der Begrenztheit der Rationalität dargestellt hat. Insbesondere in der Abweisung der Möglichkeit einer Letztbegründung treffen sich die beiden verschiedenen Ausgangspunkte, das auf Gewißheit zielende Wissenwollen des Denkens und der Glaube als die Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins. Sauter stellt im Hinblick auf Schleiermacher fest: „Nicht der Überschritt von der Kommunikation zur Wahrheit, sondern die Ermöglichung der Kommunikation aus der nur transzendental zu stellenden Wahrheitsfrage heraus: das ist seine theologische Absicht."180 Insofern ist Schleiermachers Theologie als ein Beitrag zu der nur im Dialog zu stellenden Wissensfrage zu verstehen. Die in der Dialektik dargestellten Voraussetzungen stehen dazu nicht in einem begründenden Bezug, sondern stellen den Versuch dar, den Rahmen für den sich im Kommunikationsprozeß darstellenden Wahrheitsbezug zu beschreiben. Daraus beantwortet sich auch die Frage, weshalb Schleiermacher diesen Ansatz nicht zu einer „letztgültigen Kritik aller Letztbegründungen" 181 weitergeführt hat, sondern sich um die Beschreibung des Kommunikationsprozesses als Prozeß des werdenden Wissens bemüht. Zum Abweis der Möglichkeit letztgültigen Wissens gehört die prinzipielle Offenheit, dies in einem transzendentalen Grund als gegeben vorauszusetzen bzw. dies im Gottesbewußtsein auf eine zunächst von Wissen und Wollen unabhängige Weise als evident zu erfahren. Schleiermachers Beschreibung des Glaubens als selbständiges und evidentes Phänomen, das außerhalb des 180 181
G. Sauter: Der Wissenschaftsbegriff der Theologie, 301. Ebd.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
epistemologischen Konstitutionszusammenhanges der Wissenschaften liegt, zeigt an, daß, im Unterschied zum Wissen mit seiner heuristischen und architektonischen Seite, im Glauben der Entdeckungs- und Begründungszusammenhang zusammenfallen. Trotz der Unabhängigkeit von Glauben und Wissen geht Schleiermacher aber von einer Wirklichkeit aus, in der sich beide Bereiche des Bewußtseins und daraus folgend auch philosophisches und theologisches Wissen entsprechen. Aber gerade die Betonung ihrer zu differenzierenden Erscheinungsweisen erlaubt es Schleiermacher, in dieser Entsprechung und trotz gegenseitiger Offenheit deutliche Grenzen zu ziehen und Grenzüberschreitungen zu kritisieren. Wenn Schleiermacher fordert, „die christliche Lehre müsse völlig unabhängig von jedem philosophischen System dargestellt werden"182, so unterstreicht dies seinen Versuch, theologische Begründungen nicht in einen spekulativen Zusammenhang zu stellen, sondern sie aus der Grundtatsache des frommen Selbstbewußtseins heraus darzustellen. Die Feststellung, daß die dogmatische Theologie als historische Disziplin der „eigentliche Körper des theologischen Studiums" (KD2 277 § 28) ist, verweist durch die damit gegebene Verhältnisbestimmung von regionaler Vermittlung und transzendentaler Unmittelbarkeit auf eine grundsätzliche Struktur des Wissenschaftsverständnisses Schleiermachers. Nach G. Sauters These ist Schleiermachers Konzept der Theologie als positiver Wissenschaft insgesamt als Antwort auf das in der idealistischen und in seiner Wissenschaftskonzeption nicht zu lösende Problem der Vermittlung zu verstehen. 183 Eine mit den Mitteln der Reflexion erreichte Vermittlung des Idealen und des Realen würde nicht nur auf die Preisgabe des christlichen Wahrheitsanspruches, sondern auch auf die Aufhebung jedes individuell bestimmten Existentialverhältnisses hinauslaufen, da dies den Glauben wie auch die bestimmt erfahrene Subjektivität in einer wissenschaftlich konstruierbaren Größe einzuholen versucht. Schleiermachers wissenstheoretische Begründung der Theologie impliziert deshalb die Anerkennung des Glaubens als existentiell gegebene Gewißheit, d.h. als eine vom Wissen unabhängige Tatsache. Gleichzeitig betont er aber den wissenschaftlichen Charakter der Theologie, den er durch methodische Struktur und Kritisierbarke it sowie durch ihre Zuordnung zum System der Wissenschaften formu182 183
F.Schleiermacher: 1.Sendschreiben [1829], KGA 1/10, 328. Vgl. G. Sauter: Theologie als Wissenschaft, 28f.
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liert. Der bei Schleiermacher ausgemachte doppelte Bezug der Theologie, deren Aussagen einerseits der geschichtlichen Positivität des christlichen Glaubens verpflichtet sind, andererseits als Interpretationen christlich fromme Äußerungen des unmittelbaren Selbstbewußtseins angesehen werden, wird durch den Rahmen der ontologischen und epistemologischen Vorgaben Schleiermachers in vorausgesetzter Entsprechung gehalten. Dies spiegelt schon die in der Dialektik ausgemachte Schwebe von Allgemeinem und Einzelnem. Weder das Einzelne wird als Besonderes aus dem Allgemeinen deduzierbar, noch umgekehrt das Allgemeine als synthetische Zusammenfassung der Einzelheiten bestimmt. Vielmehr etabliert Schleiermacher eine Methode, die darauf zielt, regulierend das Einzelne darzustellen und das Allgemeine zu beschreiben, ohne es als Ideal zu verabsolutieren. Insofern kann eine einseitige Rezeption des Ansatzes Schleiermachers sich dem nähern, was G. Sauter als „Eigenart des idealistischen Wissenschaftsbegriffes [...], Methodologie zu sein"184, charakterisiert. Für Schleiermacher ist wissenschaftliche Methodologie aber nicht getrennt von ihren transzendentalen Voraussetzungen zu verstehen. Der transzendentale Ansatz, in dem die ontologische Struktur des Wissens beschrieben wird, steht zwar in der Gefahr, zur formalen Beschreibung werdenden Wissens vereinseitigt zu werden. Aber gerade der sich in Schleiermachers dogmatischer Theologie zeigende Wissensbegriff macht deutlich, daß Schleiermacher diese Gefahr sieht, die in einer Ablösung des Wissens von seiner existentiellen Bestimmtheit bzw. von seinen transzendentalen Voraussetzungen liegt und Wissen zur leeren Form macht. Die methodische Bestimmung des Wissens ist für Schleiermacher nur in Zusammenhang mit der als transzendentale Voraussetzungen formulierten und sich im Selbstbewußtsein realisierenden Gewißheit möglich, d.h., daß Wissen nicht in jeweiliger Wissenschaft aufgeht. Zwar geht auch Schleiermacher in seiner Glaubenslehre den Schritt von theologischer Gelehrsamkeit zu einem theologischen Wissen, das methodisch reflektiert und folglich kritisierbar dargestellt wird. Aber die Formalität des Wissens kann dessen Transzendentalität nicht übernehmen, d.h. die das Wissen begleitende Überzeugung geht über dessen methodische Konsistenz hinaus. Daher kann bei Schleiermacher theologisches Wissen nicht zum bloßen Sachwissen werden, sondern bleibt als Glaubensaussage von der durch die christliche Frömmigkeit 184
G. Sauter: Theologie als Wissenschaft, 24f.
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Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers
bestimmten Gewißheit abhängig. In der altprotestantischen Orthodoxie unter ihrer neuaristotelischen Orientierung wurde versucht, die Wissenschaftlichkeit der Theologie durch eine analytische Methode im Rahmen einer biblisch-heilsgeschichtlichen Orientierung zu sichern. Diese doktrinale Bestimmung der Theologie als sapientia eminens practica ordnete sich in einen metaphysischen Rahmen ein, innerhalb dessen der Gegenstand von Theologie und Religion grundsätzlich miteinander identifiziert wurde. Dementsprechend wurde theologisches Wissen als Gelehrsamkeit, als habitus θεόσδοτος verstanden, d.h. Theologie erschien „als natürlich erwerbbarer wissenschaftlicher Habitus [...], dessen Objekt die kirchliche Lehre ist und der seine Einheit als Wissenschaft allein durch die praktische kirchliche Abzweckung hat"185. Damit wurde zwischen sapientia und scientia unterschieden. 186 Mit der Emanzipation der Philosophie und der Einzelwissenschaften, aber auch mit der aufkommenden wissenschaftsmethodologischen Problematik zerbrach diese Einheit und damit der traditionelle Theologiebegriff. Die so aufkommende Unterscheidung von Theologie und Religion, die vor allem von J.S. Semler befördert wurde, griff Schleiermacher schon in den Reden auf187 und unterstreicht später mit seinem Theologieverständnis, daß Theologie eine Fachwissenschaft ist, deren Gegenstand die christliche Frömmigkeit bildet.188 Indem Schleiermacher den christlichen Glauben als Gegenstand der Theologie objektiviert, verschiebt er aber nicht nur den orthodoxen Begriff einer Theologie, die sich positiv auf die Offenbarungsgegebenheit der Bibel bezieht, zu einem Theologieverständnis, das selbst geschichtlich sich auf die Gegebenheit eines geschichtlichen Phänomens bezieht. Sondern Theologie wird auch eine auf Regulation zielende Darstellung dessen, was ihr im Glauben als unmittelbare Gewißheit und in der Kirche mit ihrer
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G.Ebeling: Theologie. I.Begriffsgeschichtlich, RGG3 VI, 765. Vgl. R. Schröder: Johann Gerhards lutherische Christologie und die aristotelische Metaphysik [1983], 52f. Vgl. F. Schleiermacher: Reden' [1799], KGA 1/2, 239, der in Hinblick auf Theologie und Religion kritisiert: „Den Inhalt einer Reflexion für das Wesen der Handlung zu nehmen, über welche reflektirt wird, das ist ein so gewöhnlicher Fehler, [...]". Diese Grundunterscheidung von Theologie und Religion verschiedenen Subjekten zuzuordnen, wie F. Wagner: Funktionalität der Theologie und Positivität der Frömmigkeit [1991], 292f., es vornimmt, läuft allerdings dem Ansatz Schleiermachers entgegen, der Wissen und Glauben zwar innerhalb des Subjekts differenziert, aber beide in dessen Unmittelbarkeit verankert sieht.
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theologischen Tradition und deren gegenwärtigen Deutungen vorgegeben ist. Indem Schleiermacher in geschichtlicher Positivität die Objektivität der Glaubensäußerung und ihres Ursprunges mit der Subjektivität ihres Zuganges verbindet, erhält sein Theologieverständnis eine geschichtliche Offenheit, ohne den Glauben in eine subjektive Relativität abzudrängen. 189 In entsprechender Weise verbindet Schleiermacher im Wissensbegriff und dessen transzendentalen Implikationen die Realität der Wirklichkeit mit der das Wissen tragenden Überzeugung. Die sich daraus ergebende Möglichkeit verstehender und kritisierender Bezugnahme auf die sich in subjektiven Äußerungen darstellenden objektiven Gehalte setzt Schleiermacher im Rahmen seiner Glaubenslehre in einer vergleichend-darstellenden Methodik um, mit der er in phänomenologischer Weise versucht, die in der Tatsache des christlichen Glaubens gegebene Wirklichkeitsbestimmung zu beschreiben. Durch die Voraussetzung der transzendentalen Identität des Spekulativen und des Empirischen trägt Schleiermacher in die beschreibende Darstellung die Forderung von Kohärenz und Konsistenz der wissenschaftlichen Aussagen ein, ohne dies als Veränderung bzw. Verfremdung des Gegenstandes anzusehen. Insofern ist Schleiermachers Methodologie nicht ohne seine transzendentalen Voraussetzungen denkbar, und seine transzendentalen Voraussetzungen sind nur als Abstraktion einer existentiellen Vergewisserung verständlich. Damit ist von einer impliziten Wirkung seines in der Dialektik beschriebenen wissenstheoretischen Ansatzes in der Glaubenslehre auszugehen, auch wenn Schleiermacher den Ausdruck „dialektisch [...] hier ganz in dem altertümlichen Sinne genommen" (CG21, 155 § 28.1) wissen will. In der Rezeption dieses Ansatzes, in theologischer wie in philosophischer Hinsicht, ist es zu Verschiebungen gekommen, indem diese von Schleiermacher vorausgesetzte Verbindung existentieller, transzendentaler und methodologischer Bestimmungen aufgebrochen wird. Anhand der Rezeption und der Wirkungen des Ansatzes Schleiermachers in der philosophischen Diskussion der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts wird dies im folgenden Kapitel dargestellt.
" 9 Vgl. H.Knudsen: Subjektivität und Transzendenz, 171: „Glaube und Vernunft sind in Schleiermachers Glaubenslehre Dimensionen der Subjektivität. Eine durch das Gottesbewußtsein im Glauben ergriffene Subjektivität entbehrt nicht der Vernunft, sie ist im Prinzip eine vernünftige."
4 Rezeption und Wirkungen der Dialektik 4.1 Zur Rezeptionsgeschichte der Philosophie Schleiermachers E. Schrofner geht bei seiner Betrachtung der Rezeptionsgeschichte des Schleiermacherschen Denkens von einer groben Periodisierung aus. 1 Die zeitgenössische Schleiermacherkritik setzte sich vornehmlich mit der Glaubenslehre auseinander, da die Dialektik und andere Schriften noch nicht veröffentlicht waren. Aber schon die philosophischen Implikationen der Glaubenslehre riefen widersprüchliche Reaktionen hervor, die von Vorwürfen eines pantheistischen oder idealistischen Systems bis zu denen eines subjektiven und relativen Religionsbegriffs reichten. Der insgesamt am Philosophie-Theologie-Konzept genommene Anstoß bleibt auch mit größerem historischen Abstand und der Kenntnis eines umfangreicheren Teiles der Schriften Schleiermachers virulent. Die zunehmend rezipierten Methoden- und Prinzipienfragen seiner Theologie kehren dabei das Problem des Philosophie-TheologieGegensatzes ins Theologische, wo es als Verhältnis von Wissenschaftlichkeit und Kirchlichkeit diskutiert wird. 2 Noch stärker wird durch die dialektische Theologie das Denken Schleiermachers vornehmlich von theologischen Positionen aus bewertet. Da K. Barth seinen, in den grundsätzlichen Vorwurf der Anthropologisierung der Theologie mündenden Einwand zugleich als Kritik der zeitgenössischen Theologie formulierte, entfachte dieses Urteil jedoch auch ein neues Interesse an Schleiermacher, dessen Denken wieder als gegenwärtige Herausforderung begriffen wurde. Dieses stark auf die Theologie bezogene Schema der Rezeption modifiziert Scholtz hinsichtlich der Philosophie Schleiermachers. 3 1 2
3
Vgl. E.Schrofner, Theologie als positive Wissenschaft [1980], 15-57. Vgl. hierzu besonders H. Scholz: Christentum und Wissenschaft in Schleiermachers Glaubenslehre [1909], der Theologie selbst als komplexe Einheit von christlichem Glauben und wissenschaftlichem Denken versteht. G. Scholtz: Philosophie Schleiermachers, 9ff.
Zur Rezeptionsgeschichte der Philosophie Schleiermachers
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Seines Erachtens sind hauptsächlich zwei Zeiträume zu unterscheiden. Zunächst stand die Rezeption im Zeichen der spekulativen Philosophie des sogenannten Spätidealismus und der Hegelschule. Aus größerem historischen Abstand zur idealistischen Philosophie und mit dem Erscheinen der philosophiegeschichtlichen Untersuchungen Diltheys wird eine zweite Phase der Interpretation Schleiermachers eingeleitet, in der als historische Forschung zugleich verschiedenste Deutungsintentionen verfolgt werden. Vor allem der systematische Versuch, Philosophie und Theologie unabhängig voneinander und doch vereinbar zu verstehen, erntete sowohl von den idealistischen Philosophen, wie Hegel und Schelling, als auch von Hegel beeinflußten Denkern, wie F.C. Baur und D.F. Strauß, heftige Kritik, die dem Denken Schleiermachers insgesamt Inkonsistenz unterstellt. Unter dem Anspruch der Philosophie des Deutschen Idealismus, besonders Hegels, die Totalität der Wirklichkeit als Reflexion zu erfassen, wird der Konzeption Schleiermachers vorgeworfen, daß die behauptete Einheit mit dem Absoluten nur zufällig und subjektiv bleibe.4 Durch die bei Schleiermacher ausgemachte Betonung der Subjektivität wird er immer wieder einem subjektiven Idealismus zugerechnet. Gleichzeitig wird eine bei Schleiermacher gefundene Determiniertheit des Endlichen durch das Unendliche kritisiert und letztlich als pantheistisch abgelehnt. 5 So sieht F.C. Baur Schleiermachers Ansatz bei der Unmittelbarkeit des Gefühls als eine von der Subjektivität auf die Objektivität kommende Betrachtungsweise, die zur gleichen absoluten Kausalität wie die spekulative Reflexion des Begriffs führt. Dieses Schwanken der Kritik stellt sich für Baur besonders an der in der Konsequenz der Determiniertheit und des Pantheismus problematischen Idee der Freiheit dar, die doch zugleich im Ansatz beim Selbstbewußtsein durch Schleiermacher berücksichtigt zu sein beansprucht. Als Ursache dieser Unausgeglichenheit stigmatisierender Charakterisierungen zwischen Pantheismus und Idealismus macht Baur die philoso-
4
s
Vgl. G.W.F.Hegel: Glauben und Wissen [1802], SW I, 389-391, wo die Sittlichkeit der in den Reden Schleiermachers erscheinenden Subjektivität als „Instinkt und Gefühl [ . . . , ] in der empirischen Zufälligkeit und als Abhängigkeit zu den Dingen" (389) bestehend, beschrieben wird, mit der Konsequenz, daß das „Anschauen des Universums wieder zu Subjektivität" (390) wird. Vgl. F.C. Baur: Die christliche Gnosis [1835], 632: „Ist jede Ansicht mit Recht pantheistisch zu nennen, die das Verhältnis des Endlichen und Unendlichen rein deterministisch auffaßt, und die Welt zu Gott in ein immanentes Verhältniß sezt, so muß auch die Schleiermacher'sche unter diesen Gesichtspunkt gestellt werden."
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phische Unzulänglichkeit des Ansatzes Schleiermachers aus. 6 In ganz ähnlicher Weise greift D.F. Strauß vor dem Hintergrund der philosophischen Theologie Schleiermachers den Vorwurf des Spinozismus wieder auf.7 Bei diesen Wertungen wurde jedoch fast durchweg übersehen, daß die entdeckte Relativität des philosophischen Ansatzes Schleiermachers gerade auf das von Schleiermacher intendierte Moment der Geschichtlichkeit verweist. 8 Hinter diesen vor allem in theologisch-systematischer Hinsicht erhobenen Vorwürfen einer pantheistischen oder subjektiv idealistischen Auffassung 9 wird allerdings Schleiermachers - über seinen DialektikAnsatz und seine methodische Konzeption - vermittelter Einfluß weniger beachtet. Die nur schwer auszumachende Wirkungsgeschichte der Dialektik Schleiermachers hat sich vor allem implizit vollzogen und ging wesentlich stärker von den in Berlin gehaltenen Vorlesungen als von der 1839 postum erfolgten Veröffentlichung aus. In dieser Hinsicht deutet sich zu Schleiermachers 100. Geburtstag eine Veränderung an. In einer Untersuchung von P. Schmidt, die vor allem auch die Wirkungsgeschichte einbezieht, wird hervorgehoben, daß Schleiermacher die Inkonsequenzen eines pantheistischen Systems, in dem entweder der Begriff Gottes oder der der Welt aufgehoben wird, erkannt und dem so notwendig scheiternden Monismus in seiner Dialektik einen „Dualismus der Immanenz" entgegensetzt habe.10 Auch der im selben Jahr erschienene Aufsatz E. Bratuschecks zeigt diese Wiederentdeckung der methodisch-systematischen Bedeutung Schleiermachers für die erkenntnistheoretische Problematik an.11 Darin wird anknüpfend an Schleiermachers Bemühen um die Systematik des Wissens die Aufgabe betont, die Philosophie mit den Einzelwissenschaften zu 4
7 8
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Vgl. Ferdinand Christian Baur an seinen Bruder Friedrich August in Tübingen [26.7.1823], 238, der bezüglich des Erscheinens der 1. Auflage der Glaubenslehre feststellt: „In Ansehung seiner philosophischen Seite ist allerdings die Grundansicht pantheistisch, man kann aber ebensogut sagen, idealistisch. [...] Idealistisch ist vor allem die stete Entwicklung aller Hauptmomente aus dem Selbstbewußtsein, pantheistisch ist namentlich die Behandlung der Lehre von Gott [...]". Vgl. D.F.Strauß: Schleiermacher und Daub, 167ff. Vgl. H.Liebing: Ferdinand Christian Baurs Kritik an Schleiermachers Glaubenslehre [1957],231. Vgl. I.A. Dorner: Entwicklungsgeschichte der Lehre von der Person Christi [1839], 488, Anm.: „Daß diese beiden Seiten seinem System gleich wesentlich sind, [...] läßt sich schon äusserlich darán erkennen, daß die Einen ihm überwiegende Subjektivität, die Andern Spinozismus, Andere endlich Beides vorwerfen." Vgl. P.Schmidt: Spinoza und Schleiermacher [1868], 134ff. E.Bratuscheck: Friedrich Schleiermacher [1868].
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verbinden. Von den Philosophen wird der Ansatz Schleiermachers, Philosophie und Theologie nicht im Widerspruch denken zu wollen, 12 sofern überhaupt wahrgenommen, als theologisch-apologetische Erklärung interpretiert. Der damit ausgesprochene eigenständige philosophische Anspruch wurde weniger reflektiert.13 Von den Philosophen als Theologe gesehen, 14 wurde auch die Rezeption der Philosophie Schleiermachers den Theologen überlassen. Von Theologen andererseits wurde Schleiermachers Entwurf als Eklektizismus sophistischer Dialektik is oder als eine der Theologie abträgliche Fremdbestimmung durch philosophische Spekulation aufgefaßt.16 Selbst W. Dilthey stellt fest, daß das „dogmatische Festhalten am Ausgangspunkt der Kirche im unsündlichen Christus, während die Wissenschaft das als unkritisch erweist"17, zur grundsätzlichen Spannung, wenn nicht gar zum Dualismus zwischen der Positivität kirchlicher Postulate und der Universalität wissenschaftlicher Sätze bei Schleiermacher führt. Das hier Angedeutete mündet, forciert durch das Urteil der dialektischen Theologie, in die Feststellung G. Ebelings, daß „diese außerordentlich enge Verflechtung von Th.[eologie] und Ph.[ilosophie ...] das Kernproblem der Schleiermacherinterpretation" darstellt.18 Dabei geht Ebeling in seinem eigenen
12
Vgl. F.Schleiermacher an F.H.Jacobi, 30.3.1818, 396: „Meine Philosophie also und meine Dogmatik sind fest entschlossen sich nicht zu widersprechen; aber eben deshalb wollen auch beide niemals fertig sein, und so lange ich denken kann haben sie immer gegenseitig an einander gestimmt und sich auch immer mehr angenähert." 13 Vgl. F. Kaulbach, Idee der Dialektik [1968], 226, der konstatiert: Die „relative Wirkungslosigkeit Schleiermachers in der Philosophie mag darin begründet sein, daß die philosophische Rolle, in der er bisher begegnet ist, unklar blieb, so daß nicht einsichtig geworden ist, ob man mit dem Theologen, [oder] dem Philosophen [...] zu tun hatte." 14 Vgl. N.Hartmann: Die Philosophie des Deutschen Idealismus [1923], 234, wobei Hartmann allerdings den Versuch Schleiermachers würdigt, eine „metaphysische Lösung des Erkenntnisproblems" (254) nicht in der Identitätsthese gesucht zu haben, sondern die „Identität von Denken und Sein" nur als „Faktum des Selbstbewußtseins" einzuführen. 15 Vgl. D.F.Strauß: Glaubenslehre, II [1841], 180f. 16 Vgl. K.Barth: Kirchliche Dogmatik. Bd. 1/1, 8f., der im Hinblick auf Schleiermacher feststellt: „Das faktische Ergebnis aller solcher Versuche war und wird sein: die störende bzw. zerstörende Auslieferung der Theologie an den allgemeinen Wissenschaftsbegriff und - die milde Nichtbeachtung, mit der die nicht-theologische Wissenschaft - vielfach in besserer Witterung des Sachverhaltes als die syntheselüsternen Theologen - gerade auf diese Art, die Theologie zu rechtfertigen, zu antworten pflegt." 17 W.Dilthey: Leben Schleiermachers, GS XIV/2, 548. 18 G. Ebeling: Theologie und Philosophie, RGG3 VI, 813f.
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Philosophieverständnis als ,,radikale[r] Explikation der Sprachlichkeit" von einem Denken aus, das sich „dem Vorgegebenen als das Aufgegebene" verdankt"19. Mit diesem „Gefordertsein des Menschen" 20 ergibt sich für Ebeling eine von der theologischen zwar zu unterscheidende, aber nicht zu trennende Weise von Verantwortungsübernahme. Insofern wendet sich Ebeling, wie es auch H.-J. Birkner für eine angemessene Schleiermacher-Interpretation fordert, gegen eine Konfrontations- und Alternativvorstellung von Philosophie und Theologie. Mit einer bei Schleiermacher festgemachten Ausweitung des Philosophiebegriffs, der „primär die spekulativen Disziplinen Physik und Ethik mit der Dialektik zusammenfaßt", im weiteren aber auch „die kritischen Disziplinen mit einbeziehen kann"21, verschiebt sich allerdings die Bewertung des Verhältnisses von Theologie und Philosophie. Innerhalb des von Schleiermacher vorausgesetzten Wissenschaftskonzepts hat es nach Birkner „nicht die Würde eines Grundthemas"22, sondern wird zum Teilaspekt der Beziehung der theologischen Wissenschaften zum allgemeinen System der Wissenschaften. Damit macht sich an der Untersuchung der Dialektik zugleich die Frage nach dem allgemeinen Verhältnis der Wissenschaften untereinander und zu einer Reflexion ihrer Grundlagen fest. Die von Schleiermacher vorgenommene Verhältnisbestimmung von Philosophie und Religion dürfte in ihren Folgen jedoch nicht zu unterschätzen sein. Sein Versuch, der Religion, indem er sie als Bestimmung des Gefühls beschreibt, einen eigenständigen Bereich zu sichern, war nicht nur eine Absage an Kants Auflösung der Religion in die Moral. Dieser Ansatz stand auch konträr zum Ausgangspunkt Hegels, Religion und Philosophie als im Grunde eins zu verstehen, und mit seiner Religionsphilosophie dem religiösen Inhalt die Form des Begriffs zu geben. Mit dem Aufkommen der auch von Schleiermacher beeinflußten Hegelkritik, besonders seiner Religionsphilosophie, werden solche Bemühungen um eine Versöhnung von Religion und Philosophie durchbrochen. In diese Auseinandersetzung der Junghegelianer mit der Intellektualisierung der Religion durch Hegel bringt L. Feuerbach eine neue Denkrichtung ein. Feuerbach, der in Berlin Vorlesungen bei Schleiermacher gehört hatte, betont den emotionalen Charakter der Religion. Seine " G.Ebeling a.a.O., 8 2 l f . G.Ebeling a.a.O., 822. 21 H.-J. Birkner: Theologie und Philosophie, 32. 12 H.-J.Birkner: Theologie und Philosophie, 29. 43. 10
Die defizitäre Rezeption der Dialektik Schleiermachers
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Behauptung, daß Religion als Gefühlssache anzusehen sei, sieht Feuerbach durch Schleiermacher bestätigt. Was bei Schleiermacher allerdings auf dem Boden einer transzendentalen Bestimmung des Gefühls zu einer Bestätigung und Sicherung der Eigenständigkeit der Religion diente, wird nun durch eine Psychologisierung des Begriffs zur Ausgliederung der Religion aus der Philosophie umgedeutet.23 Daraus ergibt sich die grundsätzliche Frage, inwiefern es als Konsequenz des Ansatzes Schleiermachers anzusehen ist, daß die Philosophie als kognitiv und voluntativ bestimmbarer Raum von einer begrifflichen Reflexion (wie auch mystischen Annäherung) seines Grundes abgekoppelt wird und zur Vorbereitung einer methodisch streng eingegrenzt verstandenen und sich verselbständigenden Wissenschaftlichkeit beiträgt.
4.2 Die defizitäre Rezeption der Dialektik Schleiermachers Die Dialektik-Vorlesungen Schleiermachers weisen, trotz der nicht geringen Hörerzahl24 und trotz der wahrscheinlich nicht unbeachtlichen unmittelbaren Resonanz, 25 in der weiteren philosophischen Diskussion eine eher indirekte und unbeachtet gebliebene Wirkung auf. Die Rezep23
Vgl. L.Feuerbach: Beurteilung [1842], GW IX, 230: „Ich tadle Schleiermacher nicht deswegen, wie Hegel, daß er die Religion zu einer Gefühlssache machte, sondern nur deswegen, daß er aus theologischer Befangenheit nicht dazu kam und kommen konnte, die notwendigen Konsequenzen seines Standpunktes zu ziehen, daß er nicht den Mut hatte, einzusehen und einzugestehen, daß objektiv Gott nichts andres ist als das Wesen des Gefîihls, wenn subjektiv das Gefühl die Hauptsache der Religion ist. " 24 Vgl. A.Arndt: Einleitung zur Dialektik (1811), DA1 XXXVI. Vgl. die Angabe zu den gehaltenen Dialektik-Vorlesungen Schleiermachers im Vorlesungsverzeichnis bei A. Arndt/ W. Virmond: Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis) nebst einer Liste seiner Vorlesungen, 306: Sommersemester 1811, 63 Hörer; 310f: Wintersemester 1814/15, 49 Hörer; 314: Wintersemester 1818/19, 96 Hörer; 318: Wintersemester 1822, 118 Hörer; 324f.: Sommersemester 1828, 124 Hörer; 327f.: Sommersemester 1831, 148 Hörer. 25 In seiner Rede »Zur Erinnerung an Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher« zum 100. Geburtstag Schleiermachers betonte A.D.C.Τwesten diese Hoffnung seines Vorgängers an der Berliner Universität. Schleiermacher empfand „das für eine selbstständige Aneignung und Nachbildung Missliche einer bloss schriftlichen Gedankenmittheilung, und gründete deshalb seine Hoffnung auf [...] die Wirksamkeit der Vorlesungen" (36). Vgl. C.Sigwart: Zum Gedächtniß Schleiermachers [1868], 241, der betont, „daß der Schauplatz, auf dem er [sc. Schleiermacher] am vollsten und nachhaltigsten gewirkt hat, der Hörsaal, und das, was im höchsten Sinne sein Beruf heißen konnte, die wissenschaftliche Bildung der jüngeren Generation war."
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Rezeption und Wirkung der Dialektik
tion und Beurteilung des Denkens Schleiermachers erfolgte weitgehend über sein theologisches Werk, insbesondere die Glaubenslehre, und anhand seiner Reden »Über die Religion«. Daher ist zu fragen, inwiefern dieser Rezeptionsweg des Dialektik-Ansatzes Schleiermachers, in dem von seiner religionsphilosophischen Bestimmung der Religion in den Reden als „Sinn und Geschmak fürs Unendliche"26 und der Charakterisierung des frommen Selbstbewußtseins als schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl ausgegangen wird, zu Einseitigkeiten bei der Interpretationen seiner philosophischen und wissenstheoretischen Aussagen führte. H.-D. Strüning hat für die defizitäre Wirkungsgeschichte vor allem zwei Gründe verantwortlich gemacht. Neben der „literarischefn] Beschaffenheit"27, d.h. der erst 1839 erfolgten und mit „redaktionellen Mängel[n]" 28 behafteten ersten Edition der Dialektik durch L. Jonas, werden systematische und terminologische Gründe angeführt, die nach Stünings Meinung in der dialektischen Methode Schleiermachers liegen. Schleiermacher habe aufgrund der Erfahrungsbezogenheit und der damit verbundenen Unabgeschlossenheit seiner dialektischen Methode „von einer Systematisierung seiner Philosophie abgesehen"29. Dieser Verzicht auf eine geschlossene Systemform stelle seinen philosophischen Ansatz in den „Schatten jener überragenden Systemdenker seiner Zeit, die mit enzyklopädischer Gelehrsamkeit das Wissen ihrer Epoche in einem geschlossenen Systemaufbau darlegten"30. Obwohl Schleiermachers Denken, wie auch Dilthey feststellt, „in beständiger Veränderung begriffen ist"31, ist jedoch nicht davon auszugehen, daß diese Unabgeschlossenheit selbst eine systematische Darstellung verhinderte. 32 Schleiermacher hat vielmehr versucht, die Offenheit und Erfahrungs26 27 28 19
30 31 32
F. Schleiermacher: Reden', KGA1/2, 212. H.-D.Strüning: Die Dialektik in F.Schleiermachers Philosophie [1973], 8. R. Odebrecht: DO. Einleitung des Herausgebers [1942], XIX. H.-D.Strüning a.a.O., 9. Vgl. DO 482. H.-D. Strüning a.a.O., 8. W.Dilthey: Leben Schleiermachers, GS XIV/1, 5. Vgl. die Mitteilung Schleiermachers an L.Jonas vom 4.2.1834, zit. nach DO 467: „Ich wollte nämlich, wie du weißt, meiner Dialektik und meiner christlichen Moral die Form geben, welche die Dogmatik hat. Das habe ich aber aufgegeben. Ich werde eilen, sie etwa in die Gestalt zu bringen, die die Enzyklopädie hat." Die Veränderung der Pläne Schleiermachers hatte offensichtlich gesundheitliche Gründe. Er starb am 12.2.1834.
Die defizitäre Rezeption der Dialektik Schleiermachers
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bezogenheit seines wissenstheoretischen Ansatzes methodisch zu begründen, ohne ihm eine geschlossene Systemform zu geben. Zum anderen wurde Schleiermacher überwiegend als Theologe gesehen und in der theologischen Diskussion beachtet. Vor allem in der Vermittlungstheologie wurde versucht, Schleiermachers Ansatz einer Entsprechung von unmittelbarer Bestimmtheit und wissenschaftlicher Kritik in ein Programm der Vermittlung von biblischem Glauben und wissenschaftlichem Denken umzusetzen. Dieses mit verschiedenen Einflüssen des Deutschen Idealismus verwobene und von seinen Voraussetzungen her unklare Programm scheiterte an dem Versuch, den Widerstreit von unmittelbarer Gewißheit und reflektierendem Denken in eine widerspruchsfreie Einheit vermittelnd aufzuheben. 33 In der Vermittlungstheologie wurde Schleiermachers Dialektik, wenn sie überhaupt wahrgenommen wurde, als Erklärung der spekulativen Voraussetzungen seiner Dogmatik angesehen. Aber auch vor dem Hintergrund anderer theologischer Positionen wurde Schleiermachers Dialektik ganz auf seine Theologie bezogen. 3 4 Als philosophischer bzw. wissenstheoretischer Ansatz ist die Dialektik Schleiermachers innerhalb der Philosophie des 19. Jahrhunderts daher kaum rezipiert und diskutiert worden. 35 So wurde seine eigen33
34
35
Vgl. die Einleitung von J. Wirsching in: Ders. (Hg.): Christologische Texte aus der Vermittlungstheologie [1968], Vgl. H.R. von Frank: Geschichte und Kritik der neueren Theologie [1894], 132-135, der „das Bild des Theologen [Schleiermachers, I.H.] durch Hinzufügen der Philosophie zu vervollständigen" (132) sucht und abschließend feststellt, „daß die dogmatischen Prinzipien ganz wesentlich mit den metaphysischen Grundanschauungen zusammenhängen" (135), weshalb Schleiermacher weder von einem persönlichen Gott noch von einer von der Philosophie unabhängigen Theologie habe ausgehen können. O. Pfleiderer: Die Entwicklung der protestantischen Theologie [1891], 109, der zwischen der philosophischen und theologischen Gotteslehre bei Schleiermacher nicht differenziert, sieht Schleiermachers Neigung zum Pantheismus „in seiner .Dialektik' am bestimmtesten, doch auch in seiner Glaubenslehre deutlich genug" hervortreten. Immerhin hatte K. Schwarz: Zur Geschichte der neuesten Theologie [1856], den „wahrhaft epochemachende[n] Werth der Schleiermacher'schen .Dogmatik'" der ,,neue[n] Bahn brechende[n] Kraft seiner Dialektik" (38) zugeschrieben, allerdings dies nicht im Hinblick auf die Dialektik ausgeführt. Eine gewisse Ausnahme macht hier G. Frank: Geschichte der Protestantischen Theologie [1905], der im Rahmen der Theologie Schleiermachers einen Abriß der Dialektik liefert (208-210) und es als einen Einfluß des Dialektik-Verständnisses Schleiermachers ansieht, wenn dieser seine Glaubenslehre, „der Spekulation im Interesse der Demarkation den Eintritt ins Heiligtum wehrend und gleichwohl Philosophie und Christentum versöhnend, nur gefühlsmäßig begründet" (245). Da solch „eine Analyse des subjectiven christlichen Glaubens [...] die Frage nach der religiösen Wahrheit an sich" jedoch nicht lösen kann, konnte Schleiermachers Ansatz
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Rezeption und Wirkung der Dialektik
ständige „philosophische Bedeutung", wie schon F. Ueberweg 1857 urteilte, „nur zu oft neben der theologischen übersehen"36. Dieses Urteil über die dem philosophischen Denken Schleiermachers zuerkannte Wirkung soll in diesem Kapitel differenziert werden. Dazu wird die Rezeption des Dialektik-Verständnisses Schleiermachers, konzentriert auf das 19. Jahrhundert, nachgezeichnet. Auf zwei wesentlichen Gebieten der philosophischen Auseinandersetzungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat Schleiermacher trotz aller Einschränkungen mit seinem dialektisch-methodischen Ansatz nicht unbeachtliche Spuren hinterlassen. Einerseits wurde auf Schleiermacher in der aufkommenden erkenntnistheoretischen Diskussion Bezug genommen. Andererseits erschien Schleiermachers Ansatz gegenüber den Systemen und der Religionsphilosophie des Deutschen Idealismus als Herausforderung und wirkte auf die Auseinandersetzung mit ihnen. Zur Darstellung der philosophiegeschichtlichen Bedeutung der Dialektik Schleiermachers wird diesen Spuren nachgegangen. Gleichzeitig werden diese Auseinandersetzungen in der Weise ihrer Bezugnahme neben der philosophiehistorischen Bedeutung der Dialektik Schleiermachers auch Probleme seiner Dialektik selbst stärker sichtbar werden lassen. Da in der weit gefächerten Wirkung des theologischen Werkes Schleiermachers in sehr unterschiedlicher Weise philosophische Implikationen aufgenommen wurden, ohne sie im Zusammenhang der Dialektik zu diskutieren, wird die hier vorgelegte Darstellung auf die Auseinandersetzungen mit der Dialektik-Konzeption Schleiermachers im Rahmen ihrer philosophischen Auswirkungen konzentriert. Ebenso wird zugunsten einer Verbindung der systematischen Fragestellung mit ihrem historischen Kontext vorrangig der Zeitraum bis zum Einschnitt in die Schleiermacher-Rezeption durch das Werk von Dilthey betrachtet.
36
nach der Meinung Franks keine dogmatische Schule bilden, auch wenn er als „Ausgangspunkt einer Bewegung [...] erfrischend und befruchtend auf alle theologischen Richtungen eingewirkt hat" (245). F. Ueberweg: System der Logik, V, (Vorrede des Verfassers zur 1. Auflage von 1857).
Schleiermachers Dialektik in der Erkenntnistheorie des 19. Jahrhunderts
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4.3 Wirkungen der Dialektik Schleiermachers in der Erkenntnistheorie des 19. Jahrhunderts Trotz des Ausbleibens einer breiten Auseinandersetzung mit dem von Schleiermacher in seiner Dialektik dargestellten wissenstheoretischen Ansatz gibt es unter den Philosophen der aufkommenden Erkenntnistheorie einige, die sich von Schleiermacher - zunächst durch die Vorlesungen und mit dem Erscheinen der Dialektik-Edition von Jonas auch durch die als Buch zugängliche Veröffentlichung - beeinflußt zeigen. Für die Entwicklung der aus der Verbindung der Logik mit der Wahrnehmungsproblematik entstehenden Erkenntnistheorie hat Ueberweg, der sich selbst in diese Tradition eingeordnet hat, Schleiermacher eine initiierende Rolle zugeschrieben: „In engerem Anschluss an Schleiermacher haben namentlich Ritter und Vorländer [...] die Logik bearbeitet; mehr oder minder liegen in der gleichen Richtung auch die erkenntnistheoretischen Untersuchungen der meisten unter den neueren Logikern f...]." 37 Aufgrund inhaltlicher Berührungen rechnete Ueberweg ebenfalls Trendelenburg, Lotze und Beneke in diesen Kreis. Auch Braniß wird, wie in anderen Darstellungen der Geschichte der Logik, im Zusammenhang mit Schleiermacher erwähnt. 38 Für Ueberweg hält die „Auffassung der Denkformen", wie Schleiermacher sie seiner Meinung nach im Einklang mit Aristoteles formuliert, „die Mitte zwischen der subjektivistisch-formalen und der metaphysischen Logik"39. Aber sowohl hinsichtlich der Weise des dabei vorausgesetzten Bezuges zum Sein zwischen Korrelation und Identität, als auch hinsichtlich der Frage nach dem Ursprung bzw. der Begründung der Denkformen zeigen sich erhebliche Unterschiede in den Ausführungen zur Logik und Erkenntnistheorie der einzelnen Philosophen. Diese Differenzen deuten daraufhin, daß Schleiermachers Dialektik zwar auf die Formulierung dieser Fragestellungen einen anregenden Einfluß ausgeübt hat, aber mit dem von ihm vorgegebenen Dialektik-Ansatz bei den Lösungsansätzen weniger überzeugen konnte. Im folgenden Abschnitt werden wichtige Vertreter dieser erkenntnistheoretischen Diskussion, die sich mit Schleiermachers dialektischem 37 38 39
F.Ueberweg: System der Logik [1857], Vf. Vgl. F.Ueberweg a.a.O., 61. F. Ueberweg a.a.O., V.
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Rezeption und Wirkung der Dialektik
Ansatz direkt oder indirekt auseinandergesetzt haben, beschrieben. Dabei wird neben einer keineswegs umfassenden Darstellung ihrer spezifischen Ausformungen der erkenntnistheoretischen Problematik besonders ihre Kritik an Schleiermacher dargestellt. Dies soll neben den sich in der Wirkungsgeschichte zeigenden Anstößen auch die Probleme einer Umsetzung der Dialektik Schleiermachers verdeutlichen. Insofern steht im Hintergrund auch der folgenden Darstellungen die Frage nach dem Verständnis der Dialektik Schleiermachers. 4.3.1 Franz Vorländer spekulative Vertiefung des Erkenntnisgrundes Der Marburger Philosoph Franz Vorländer (1806-1867) fühlte sich nach eigenen Angaben durch die Philosophie Schleiermachers „lebendig angeregt" und bezeichnete sich in diesem Sinn als „SchleiermacherSchüler"40. Vorländer, der in seinen Werken das Spekulative und Metaphysische betont, stellt in seiner »Wissenschaft der Erkenntniss« von 1847 Schleiermachers Dialektik in die Reihe der Literatur der „Philosophische [n] Erkenntnisslehre" (17)41. In einer späteren Monographie zur Sittenlehre Schleiermachers bekennt er: „[...] zu seiner Philosophie zog mich sowohl die lebendige klare Betrachtungsweise, welche an das Bekannte anknüpfte und mit grosser dialektischer Schärfe die Begriffe entwickelte, als auch der Gegenstand derselben, das sittliche geistige Leben in seinem ganzen Umfange." 42 Damit sind die beiden wichtigsten Bezugspunkte der Erkenntnislehre Vorländers zu Schleiermacher genannt. Vorländer bezieht sich bei der Formulierung seines erkenntnistheoretischen Ansatzes, in dem er hauptsächlich am Bereich der als Vernunfttätigkeit verstandenen Ethik interessiert ist, auf Schleiermachers dialektische Methode. Dabei fordert er aber seinem eigenen Ansatz entsprechend eine spekulative Vertiefung der metaphysischen Voraussetzungen. In seiner Erkenntnislehre schreibt Vorländer zwar anerkennend: „Schleiermacher's philosophische Bestrebungen waren durchaus auf das Wirkliche gerichtet; die Philosophie sollte ihm aus der Vereinigung 40 41
42
F.Vorländer: Die in diesem F.Vorländer: F.Vorländer:
Schleiermachers Sittenlehre [1851], III. Abschnitt im Text stehenden Seitenangaben beziehen sich auf Zitate aus Wissenschaft der Erkenntniss [1847], Schleiermachers Sittenlehre, III.
Spekulative Vertiefung des Erkenntnisgrundes
215
und der Durchdringung der Speculation und Erfahrung zu Stande kommen, im speculativen Wissen aber das Allgemeine als hervorbringend das Besondere, als Kraft und Wesen der Dinge, betrachtet werden" (249f.)· Aber schon in dieser Beschreibung der Dialektik Schleiermachers deutet sich Vorländers eigentliche Fragestellung an: „kann denn das Allgemeine gedacht werden als hervorbringend das Besondere" ( 2 5 0 ) ? Hinsichtlich des problematischen Verhältnisses des Allgemeinen zum Besonderen in Schleiermachers Dialektik macht Vorländer an anderer Stelle dessen ,,religiöse[] Grundvoraussetzung" dafür verantwortlich, daß Schleiermacher „nicht zu einem abgeschlossenen objectiven System, nicht zu einer nähern Deduction der Kategorieen gelangen konnte"43. Vorländer, dem es wie Schleiermacher um ein Begreifen der Tätigkeit der Vernunft in der Wirklichkeit geht, teilt mit diesem die Überzeugung, daß Wissen nur unter der Voraussetzung einer wesenhaft erscheinenden Wirklichkeit möglich ist. Auch wenn Vorländer bemängelt, daß Schleiermachers dialektische Methode „nicht durch ein objectives spéculatives Princip begründet" (310) sei, erkennt er doch Schleiermachers Rolle bei der Herausbildung einer erkenntnistheoretischen Erweiterung logischer Fragestellungen, insbesondere auf dem Gebiet der Ethik an. „Schleiermacher führte die ethische Betrachtung aus einseitigen Abstractionen auf die Wirklichkeit des Lebens zurück [...]" ( 3 2 2 ) , schreibt Vorländer anerkennend in seiner Erkenntnislehre, wobei er dies gegen die bei Hegel ausgemachte Bestimmung ,,alle[r] speculativen Begriffe nur in abstracter Entwicklung" (312) setzt. Den Ansatz Schleiermachers aufnehmend, will Vorländer ihn aber weiterführen zu einer „speculative[n] Betrachtung [..., die] die Entwicklung der Vernunftthätigkeiten in dieser concreten lebendigen Wirklichkeit des Bewusstseins und der weltlichen Selbstthätigkeit" (321) aufnimmt. Das bedeutet, daß Vorländer die auch von Schleiermacher thematisierte Beziehung des Denkens und des Seins mit einer Erfassung des Seins in seiner Bewegung als lebendige Wirklichkeit verbinden will. Vorländer sieht die geforderte Objektivität des Erkenntnisgrundes
43
F. Vorländer: Schleiermachers Sittenlehre, 127, vgl. a.a.O., III, w o Vorländer feststellt, „dass Schleiermachers Philosophie nicht tief genug auf die letzten Gründe der geistigen Entwicklung, auf die universellen speculativen Principien und Begriffe zurückging; es wurde mir immer klarer, wie der Ausgangspunkt seiner theologischphilosophischen Lehre der Begründung entbehrte."
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Rezeption und Wirkung der Dialektik
durch die Voraussetzung einer ,,absolute[n] Position" erfüllt, die „zugleich transscendent und immanent dem Erscheinenden zu denken" (274) sei. Weil unter dieser Grundannahme „die vollständige Wirklichkeit und das Wesen, wie im Allgemeinen, so auch im Einzelnen, zugleich in und über der Erscheinung gedacht werden muss", meint Vorländer, in seinem erkenntnistheoretischen Ansatz bei der „Notwendigkeit der speculativen Ergänzung des Gegebenen, Erscheinenden in allen seinen Formen" (274), ansetzen zu können. Für Vorländer folgt daraus, alle Erscheinungen von den allgemeinen Attributen des Wirklichen, von Körperlichkeit und Lebendigkeit, umfaßt zu denken. Werden die Erscheinungen als Ganzes von diesen Prinzipien bestimmt, ergibt sich „die Bestimmtheit des Wesens im universellen Zusammenhang des Wirklichen" (309). Dieser universelle Zusammenhang der Körperlichkeit und des Lebendigen erscheint nach Vorländer in der Koexistenz und der Entwicklung des erscheinenden Daseins; d.h. insbesondere, „die Begriffsbestimmung des Wesens darf nicht ohne Rücksicht auf die Entwicklung festgestellt werden und die Betrachtung der Entwicklung setzt den Begriff des Wesens voraus" (308). Damit ist nach Vorländer die im Wissen gesuchte Begriffsbestimmung nur durch ein Verständnis der sich entwickelnden Einheit der „Erscheinung in den verschiedenen organischen Systemen des Wesens" (319) möglich. Von dieser Position aus erscheint Vorländer die dialektische Methode Schleiermachers als „nicht durch ein objectives spéculatives Princip bestimmt und beschränkt [ . . . ] " (307). Vorländer kritisiert an Schleiermachers Dialektik der Wechselseitigkeit deren dipolare Einteilungsmethode. Zwar werde mit Recht „davon ausgegangen, dass die Eintheilung das Ganze umfassen müsse; warum aber das Ganze des Entgegengesetzten" (310, vgl. DJ 245ff.)? Indem Vorländer von einer organisch-lebendigen und sich entwickelnden Einheit der erscheinenden Wirklichkeit und ihres Wesens ausgeht, erscheint ihm das Vorgehen der Betrachtung der Wirklichkeit in Schleiermachers Dialektik als statisch und schematisch. Vorländer stellt die berechtigte Frage, ob eine Dialektik, die elementar allein auf den wechselseitigen Ausgleich von Gegensätzen zielt, für die Erfassung einer komplexen Wirklichkeit hinreichend ist. Zwar umfassen komplexe Einheiten elementare Beziehungen, aber eine schematische Zergliederung der Wirklichkeit in hierarchische Dipolaritäten steht in der Gefahr, einem Reduktionismus Vorschub zu leisten. Zugleich sieht Vorländer diesen als zu starr kritisierten Schema-
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tismus bei Schleiermacher durch „eine gewisse Unbestimmtheit" der beiden Einteilungsglieder verschleiert, „da ihr Unterschied auf einem quantitativen Uebergewicht, auf dem beziehungsweisen Dominiren des einen oder des andern Gliedes beruht" (311)44. Mit Schleiermacher geht Vorländer von einer notwendigen Verbindung einer Erkenntnislehre zum Vorgang empirischen Erkennens aus. Die Formulierung des Prinzips der Erkenntnis „vor den einzelnen Erkenntnisprocessen" will er nicht als eine „Trennung vom empirischen und philosophischen Erkennen" (12) verstanden wissen. Damit hat Vorländer das Problem aufgegriffen, das auch Schleiermacher beschäftigte, als er sich die Frage nach der Möglichkeit einer Wissenschaftslehre stellte, die getrennt von den Einzelwissenschaften formuliert wird. Vorländer will dieses Problem lösen, indem er in seiner Erkenntnislehre, die „die Objectivität, die Bedingungen, die Entwicklung des Erkennens im Allgemeinen festzustellen" (15) hat, zugleich spekulative und kritische Momente aufnimmt. Da Vorländer aber, wenn er die geforderte Objektivität durch das Aufstellen allgemeiner Kategorien zu sichern versucht, sich ebenfalls auf evident erscheinende Überzeugungen beruft, bleibt sein Ansatz in der Nähe zu den Voraussetzungen Schleiermachers. Vorländers eigene Ausführungen zu einer methodologischen Umsetzung der spekulativen Voraussetzung seiner wirklichkeitsbezogenen Logik, die auf den Prinzipien der Koexistenz und der Entwicklung aufbauen soll, bleiben jedoch weitgehend im Rahmen der Vorgaben traditioneller Logik. Diese Schwierigkeiten in der Methodologie Vorländers verweisen auch auf die mit dem Ansatz und dem Begriff der Kunstlehre bei Schleiermacher gebliebene Unbestimmtheit. Vorländer hat diese Unbestimmtheit selbst kritisiert. Es ist davon auszugehen, daß diese Unbestimmtheit nicht nur aus der Offenheit resultiert, die notwendig jeden methodischen Bezug der Logik auf die erscheinende Wirklichkeit begleiten muß. Zugleich wird das Ungeklärte der Implikate der transzendentalen Voraussetzungen deutlich, die Schleiermacher als existentiell gegeben ansieht, und die auch der Formulierung des Wirklichkeitsbezuges bei Vorländer Grenzen setzen. 44
Vgl. F.Vorländer: Schleiermachers Sittenlehre, 123ff., bes. 126: „Da nun in dieser relativen Einheit der Gegensätze eine bestimmte objective Einheit des Wesens nicht gedacht wird, so kann auch von einer speculativen Auffassung der Entwicklung des Wesens und seiner Thätigkeiten nicht die Rede sein."
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4.3.2 Heinrich RitterUniversalisierung wissenschaftlicher Methodik Als 1839 postum die Dialektik Schleiermachers durch Jonas erschien, zeigte eine Rezension des Göttinger Philosophen und Philosophiehistorikers Heinrich Ritter (1791-1869), der selbst 1814/15 Hörer der Dialektik-Vorlesung Schleiermachers gewesen war, die ihr damals zugestandene Bedeutung und das Defizit einer bis 1839 nicht verfügbaren Edition der Dialektik an. 45 Ebenso verweist Ritter in der Einleitung zu seinem später erschienenen systematischen Hauptwerk darauf, daß die Anfänge seiner philosophisch-systematischen Konzeption auf die Zeit seines Besuches der Dialektik-Vorlesung Schleiermachers zurückgehen. 46 Explizit bezieht sich Ritter aber nicht auf Schleiermacher, sondern erwähnt ihn nur in einer eher distanziert erscheinenden Aufzählung zusammen mit Fichte, Schelling, Hegel und Herbart. Diese Aufzählung schließt sich an seine philosophiehistorische Einordnung Schleiermachers an, in der er Schleiermachers „philosophischen Untersuchungen sehr nahe an Fichte und Schelling angeschlossen" 47 sieht. Die zugleich bei Schleiermacher ausgemachte Distanz zu „den Bestrebungen der absoluten Philosophie" wertet Ritter nicht als eine eigenständige philosophische Position, sondern sieht sie eher als Folge einer Prägung „durch die Richtung seiner Jugendzeit und durch besondere Interessen"48, d.h. als religiös bzw. theologisch motiviert an. Trotzdem zeigen Ritters Veröffentlichungen zur erkenntnistheoretischen Diskussion Beeinflussungen durch Schleiermacher. In seiner eigenen, erkenntnistheoretisch ausgerichteten Philosophie, die für Ritter aus der „Nothwendigkeit einer allgemeinen Wissenschaft" 49 resultiert, geht dieser wie Schleiermacher von einem notwendigen Erfahrungsbezug allen Wissens aus. Ritter kritisiert aber Schleiermacher, wenn in dessen Dialektik, durch die grundsätzliche Bedingtheit des Wissens durch spekulative und empirische Momente, die Möglichkeit einer Steigerung bis in transzendentales Wissen negiert wird. Weil Schleiermacher die Schlußfigur nicht berücksichtige und daher
45
44 47 48 49
Vgl. H.Ritter: [Rezension DJ. 1840], 1249f. Vgl. H.Ritter: Die christliche Philosophie, II [1859], 747. Vgl. H.Ritter: System der Logik und der Metaphysik [1856], III. H.Ritter: Versuch zur Verständigung [1853], 115. H.Ritter: Versuch zur Verständigung, 115, 116. H. Ritter: System der Logik und der Metaphysik, I, 14.
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„zum Transcendentalen nur durch einen Sprung gelangt"50, komme es bei Schleiermacher „auch zu keiner wahren Annährung an die Erkenntniß der Welt, sondern alles zerfließt uns in die unbestimmte Weite der Welt und des zeitlichen Werdens"51. Im Gegensatz zu Schleiermacher vermeidet Ritter in der Charakterisierung des Wissens, das im empirischen Bezug ansetzt, relativierende Einschränkungen und geht von der Möglichkeit einer Steigerung der Erkenntnis bis zur Erkenntnis Gottes aus. Die dazu notwendige Begründungs- und Methodenwissenschaft ist für Ritter die Philosophie, die „uns die wissenschaftliche Ueberzeugung von dem Sein Gottes" gibt und „uns die Methode, in welcher wir zu seiner Erkenntniß gelangen"52, zeigt. Ritter bindet die transzendentalen Voraussetzungen des Wissens so eng an die immanente Gestalt des Wissens, 53 daß die Erkenntnis der Welt in die Erkenntnis Gottes übergehen kann. 54 Zwar wurde zu einem früheren Zeitpunkt, als Ritter noch zu Lebzeiten Schleiermachers als außerordentlicher Professor in Berlin arbeitete, Gott von ihm als nicht begrifflich zu denkende, transzendentale Voraussetzung beschrieben, die „uns als der lebendige Grund unseres Strebens nach dem Wissen" 5S erscheint. Diese Erkenntnisgrenze will Ritter nun aber überschreiten, indem er „die Methoden für die Erkenntniß des Realen [...] auf die Erkenntniß des Transcendentalen [zu] übertragen" 56 versucht. Die mit dieser Einholung der Erkenntnisvoraussetzungen in ein immanentes Wissen verbundene systematische Verengung führt letztlich dazu, daß Ritter die Philosophie als bloße Methodenwissenschaft einer Theologie, die als „die höchste der Wissenschaften" 57 etabliert wird, untergeordnet. 50
51 52 53
54
55 56 57
H.Ritter: Die christliche Philosophie, II, 757: „Die Mängel in diesem Uebergange zur Trans [c]endentalen erstrecken sich natürlich auch auf die Behandlung desselben". H.Ritter a.a.O., 759. H.Ritter: System der Logik und der Metaphysik, II, 581f. Vgl. H.Ritter: System der Logik und der Metaphysik, II, 580: „So ist das Wissen und das Sein der Geschöpfe nur in mitgetheilter Weise; wie es ihnen mitgetheilt ist, so müssen sie es sich aneignen; das Wissen und das Sein Gottes ist ewig und unmittelbar; er hat es von keinem andern empfangen; aber als Wissen sind beide sich gleich, von demselben Gehalt, das Wissen derselben Wahrheit." Vgl. H. Ritter: System der Logik und der Metaphysik, II, 582: „Indem daher die Philosophie die Methoden uns auseinanderlegt, in welcher die Welt in ihren Theilen und allmälig als Ganzes uns zur Erkenntniß kommt, eröffnet sie uns auch die Aussicht auf die Erkenntniß Gottes." H.Ritter: Abriß der philosophischen Logik [1829], 161. H. Ritter: System der Logik und der Metaphysik, II, 583. H. Ritter: System der Logik und der Metaphysik, II, 587.
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Ritter will in seinem erkenntnistheoretischen Ansatz die Eigenständigkeit der Erscheinungen und die Besonderheit des individuellen Bewußtseins anerkennen und zugleich in deren Eigentümlichkeiten eine allgemein gültige und autonome Logik derart verwirklicht sehen, daß gesichertes Wissen in der einzelnen Erkenntnis erscheint. Diese Voraussetzung sieht Ritter als notwendig an, damit „der individuelle und in eigenthümlicher Weise sich entwickelnde Geist das Ganze ungeschmälert in sich begreifen könne"s8. Genau in diesem Punkt kritisiert er Schleiermacher, der mit der vorausgesetzten Unabschließbarkeit des Erkennens und der damit angezeigten Relativität allen Wissens in einer „nach allen Seiten abwägenden Kritik" 59 verbleibt. Aufgrund seiner Aufhebung einer Unterscheidung des Transzendentalen vom Immanenten mißversteht Ritter die von Schleiermacher zugleich vorausgesetzten transzendentalen Bestimmungen des Ganzen als eine Einschränkung der einzelnen empirischen Erkenntnisakte und letztlich als ein Übergehen individueller Freiheit. Es wird deutlich, daß Ritter die Dialektik Schleiermachers in der Funktion einer obersten Wissenschaft sieht, aus der sich nicht nur die wissenschaftlichen Prinzipien, sondern auch ein System des Wissens ableiten läßt. Damit erhält das Allgemeine bei Ritter einen anderen Stellenwert als bei Schleiermacher. Die aus dieser einseitigen Interpretation sich ableitenden Vorwürfe zeigen, daß Ritter die Unabgeschlossenheit und Perspektive im wissenschaftssystematischen Ansatz Schleiermachers nicht aufgenommen hat. Ritter selbst denkt das System der Wissenschaften hierarchisch mit einer an der Spitze stehenden Theologie. Innerhalb dieses Systems will er zugleich die Selbständigkeit und Freiheit des Einzelnen gewahrt wissen, die in der Sicherheit des methodisch gewonnenen Wissens aufgehoben wird. In seiner Vereinheitlichung des Systems des Wissens geht Ritter so weit, daß er „die richtige Ausbildung der Wissenschaft [...] an die Ausbildung des religiösen Gefühls geknüpft" sieht, und es „die letzte Aufgabe für die Wissenschaft ist, zur Erkenntniß Gottes zu gelangen"40. Insbesondere an der Weise, wie Ritter den Gefühlsbegriff Schleiermachers rezipiert, zeigt sich, daß er eine Universalisierung der wissenschaftlichen Methodik anstrebt, in die er letztlich auch deren transzendentale Voraussetzungen eingebunden wissen will. Dabei übergeht er 58 59 60
H.Ritter: Versuch zur Verständigung, 121. H.Ritter: Versuch zur Verständigung, 122. H.Ritter: Abriß der philosophischen Logik, 178.
Universalisierung wissenschaftlicher Methodik
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die Differenz von Methodik und Grundlegung, die bei Schleiermacher zwar ebenfalls in einer vorausgesetzten Entsprechung gedacht, aber nicht miteinander identifiziert wird. Wissen und Glauben gehen bei Ritter nicht mehr auf einen identischen transzendentalen Grund zurück, sondern erscheinen schon immanent als identisch. Indem bei Ritter Wissen letztlich zur Erkenntnis Gottes, d.h. ihres lebendigen Grundes selbst führt, wird Wissenschaft bei ihm, im Gegensatz zu Schleiermachers kritischem und offenem Ansatz, zu einem geschlossenen universalen und sich selbst bestätigenden System von Erkenntnis. Die bei Schleiermacher kritisierte Relativierung konkreten Wissens, seine „Bestreitung jedes abgeschlossenen Gedankens"61 durch die Frage nach dem Ganzen wird bei Ritter durch eine Universalisierung der wissenschaftlichen Methodik ersetzt. Zwar sieht Ritter Schleiermacher, vor allem durch dessen Verbindungen zur romantischen Schule, als Kritiker der „Bestrebungen der absoluten Philosophie"®2 und insofern als Bewahrer des Kantischen Kritizismus. Aber Ritter sieht Schleiermacher zugleich auf die Ablehnung einer absoluten Philosophie fixiert, wenn er erklärt, es „hätte mehr von ihm geleistet werden können, wenn nicht der Widerspruch gegen das Syste[m] der absoluten Philosophie von ihm zu einem Widerspruche gegen das systematische Verfahren überhaupt ausgedehnt worden wäre"63. Daher will Ritter den Ansatz Schleiermachers weiterführen, indem er dessen transzendentale Voraussetzungen in die Sicherheit der konkreten Erkenntnis einzuholen versucht, auch wenn er sich von Schleiermacher auf „die engen Schranken unseres Gesichtskreises, welche uns keine Construction der Geschichte und der Naturlehren gestatten"64, verweisen läßt. Unter Verweis auf die „Erhebung des Glaubens zum Wissen" in „frühern Systeme[n] der christlichen Philosophie" meint Ritter, daß „die Gesammtheit aller Wissenschaften, der Erfahrung und der Speculation der Aufgabe alles Wissen zu vollenden gewachsen sei"65. Unter der Bedingung einer Vollendung des Wissens in der Religion will Ritter in diesem System des Wissens der Philosophie eine beschränkte methodologische Funktion zuordnen. Dabei verkennt er die von Schleiermacher mit der Ablehnung einer absoluten Philosophie ebenso kritisier-
" H.Ritter: Versuch zur Verständigung, 119. " H.Ritter: Versuch zur Verständigung, 115. a H. Ritter: Die christliche Philosophie, II, 774. 64 H. Ritter: Versuch zur Verständigung, 119. 65 H.Ritter: Die christliche Philosophie, II, 774f.
222
Rezeption und Wirkung der Dialektik
te Einengung des Wissensbegriffs in einem religiös dominierten System. Die scheinbare Freigabe und Aufwertung des einzelnen Erkenntnisaktes wird in der Erkenntnistheorie Ritters in eine einheitliche immanente Vermittlung der Wirklichkeit eingespannt, in der zwar keine Absolutheit, aber eine systematische Vollständigkeit angestrebt wird. Zugleich mit den von Ritter ausgemachten Gefährdungen eines offenen Erkenntnisprozesses werden so kritische Momente, die ihren Ursprung außerhalb einer immanenten Vermittlung in transzendentalen Bezügen haben, wie sie im Gefühl als unmittelbares Selbstbewußtsein bei Schleiermacher benannt sind, ausgeschlossen. Gerade diese offenen und kritischen Momente, die in Schleiermachers wissenschaftstheoretischem Ansatz trotz der identitätsphilosophischen Implikate wichtig sind, versucht Ritter auszugliedern. 66 4.3.3 Christlieb Julius Braniß Wissen als spekulative Aufhebung der Unmittelbarkeit Der Breslauer Philosoph Christlieb Julius Braniß (1792-1873), der den spekulativen Theisten des 19. Jahrhunderts nahestand, war schon während seines Studiums Schleiermacher begegnet. Er hatte 1810/11 in Berlin u.a. dessen Dialektik-Vorlesung gehört. Später studierte er viele Jahre bei Steffens in Breslau. Nach seiner Promotion, einer PiatonInterpretation, die u.a. durch die Platon-Übersetzung Schleiermachers angeregt worden war, veröffentlichte Braniß eine Rezension zu der kurz zuvor erschienenen Glaubenslehre Schleiermachers67. In der umfangreichen Untersuchung, die im Hintergrund deutlich Prägungen durch die Phänomenologie Hegels zeigt, rekonstruiert Braniß die Begrifflichkeit Schleiermachers und entwickelt so die von ihm gesehene Widersprüchlichkeit des theologischen Ansatzes Schleiermachers. Im Mittelpunkt der Kritik von Braniß steht Schleiermachers Verständnis des unmittelbaren Selbstbewußtseins als Gefühl. Der bei Schleiermacher ausgemachte Gefühlsbegriff sei durch ein gegenstandsloses Affiziertsein charakterisiert und eigne sich deshalb nicht, einen Gottesbegriff vermittelnd zur Darstellung zu bringen. Indem Schleiermacher nicht vom Abhängigkeitsgefühl einen ursprünglich wirkenden Gott 66
67
Vgl. H.Ritter: Die christliche Philosophie, II, 775: „Er [sc. Schleiermacher] hat daher vernachlässigt aus dem Begriffe des Wissens die Grundsätze und Methoden unseres Denkens abzuleiten und sich verleiten lassen das kritische Verfahren an die Stelle des philosophischen zu setzen." C.J.Braniß: Ueber Schleiermachers Glaubenslehre [1824],
Wissen als spekulative Aufhebung der Unmittelbarkeit
223
unterscheide, fallen bei ihm Religion und Spekulation zusammen. Damit lasse Schleiermacher die im Ansatz seiner Glaubenslehre durchaus enthaltenen Möglichkeiten unausgeführt und bleibe bei einer „instinktmäßigen Frömmigkeit" 68 stehen. Trotz der von Braniß geäußerten Kritik, die Schleiermacher als eine sachlich vorgetragene durchaus anzunehmen wußte,69 fällt in der Rezension der Glaubenslehre auf, darauf hat G. Scholtz verwiesen, daß Braniß, indem er sich mit „den Schwierigkeiten des philosophischen Gottesbegriffs in Idealismus und Realismus auseinandersetzt [...,] Begriffe und Gedankengänge der Dialektikvorlesung von 1811 " 70 aufnimmt. In seiner Untersuchung zur spekulativen Geschichtsphilosophie von Braniß' geht Scholtz von der These aus, daß „die Herkunft der .spekulativen Ansicht', die Braniß Schleiermacher unterstellt", zwar in „Parallelen zu den Systemen Steffen's, Schellings und Schleiermachers" 71 liegt. Braniß modifiziert diesen Ansatz aber, indem er davon ausgeht, „daß hinter dem Begriff der Abhängigkeit bei Schleiermacher gerade nur Spekulation und ,eitel Philosophie' zu finden sei"72. Im Zentrum der Kritik von Braniß steht in doppelter Weise seine Unklarheit über die Implikate des Gefühlsbegriffs bei Schleiermacher. Einerseits versteht er Schleiermachers Zurückführung des Wissensbegriffs auf die im Gefühl anwesenden transzendentalen Voraussetzungen als eine Verursachung von Wissen durch sinnliche Gefühle. Andererseits sieht er die bei Schleiermacher im Gefühl repräsentierte Objektivität der Entsprechung von Denken und Sein als inhaltliche Verobjektivierung transzendentaler Gegebenheiten. Aus dieser spekulativen Funktionalisierung des Gefühlsbegriffs folgert Braniß nicht nur, daß es durch sinnliche Gefühle verursacht „in dem Selbstbewußtsein einen eigenthümlichen objectiven Inhalt" gibt, sondern auch, daß Gott „vermöge der Selbstbestimmung der Seele auf objective Weise gegenwärtig" 73 ist. Daß Schleiermacher daraus nicht den Schluß ziehe, daß „die Gottheit in Christo doch unläugbar gegenständlich ist", sondern das Gottesgefühl, das Gefühl des Unendlichen, in unbestimmter Unmittelbarkeit beläßt, verhindere, daß seine Dogmatik als „streng wissen-
68 w 70 71 72 73
C.J.Braniß: Ueber Schleiermachers Glaubenslehre, 85. Vgl. F.Schleiermacher: 1.Sendschreiben [1829], KGA1/10, 312, 325. G. Scholtz: Historismus [1974], 29. G. Scholtz a.a.O., 35. Ebd. C.J. Braniß: Ueber Schleiermachers Glaubenslehre, 138f.
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Rezeption und Wirkung der Dialektik
schaftliche Darstellung" 74 ausgeführt ist. Braniß fordert, dem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl bei Schleiermacher einen Gott als Subjekt der Offenbarung und Verursacher dieses Gefühls gegenüberzustellen. Dabei hat er „eine Dogmatik lutherisch-orthodoxer Prägung mit einer betont supranaturalistischen Offenbarungslehre" 75 im Blick. Durch diesen spekulativ entfalteten Gefuhlsbegriff nivelliert Braniß den Unterschied von Philosophie und Religion. Dieses Verständnis der Glaubenslehre Schleiermachers, „daß Dogmatik die subjective Auffassung alles dessen sei, was die Philosophie auf objective Weise darstellte"7*, verweist deutlich auf die später von Braniß in seiner christlichen Philosophie77 ausgeführte Verhältnisbestimmung von Glauben und Wissen. Schon in der Preisschrift von 1822 zu dem wahrscheinlich von Schleiermacher gestellten Thema »Die Logik in ihrem Verhältniß zur Philosophie, geschichtlich betrachtet«, mit der Braniß einen Wettbewerb der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gewonnen hatte, zeichnen sich die Bezugnahme und die Auseinandersetzung mit der philosophischen Position Schleiermachers ab. Braniß nimmt im Schlußteil dieser Geschichte der Logik die Kritik Schleiermachers an der formalen Logik auf. Mit inhaltlichen Parallelen zur Verhältnisbestimmung von Logik und Metaphysik, wie Schleiermacher sie in der Dialektik vorgetragen hatte, wird eine formale Logik kritisiert, in der die Bewegung des Denkens nicht zur Bewegung des Seins in Beziehung gesetzt wird. 78 Zugleich zeichnet sich die spekulative Weiterführung dieses Ansatzes ab. Wissenschaft soll als „Konstruktion des Bedingten aus dem Unbedingten [...] vermöge des Ich als absoluter Thätigkeit [...] die ursprüngliche Antithese" 79 , die unmittelbar durch das Prinzip alles Seins und Wissens gegeben ist, zur Synthese vermitteln. Dabei sieht Braniß diese „Synthese der entgegengesetzten Glieder [als] unmittelbar 74 75 74 77 78
79
C.J.Braniß: Ueber Schleiermachers Glaubenslehre, 139f. G.Scholtz: Historismus, 35. C.J.Braniß: Ueber Schleiermachers Glaubenslehre, 139. Vgl. C.J. Braniß: De notione Philosophiae Christianiae [1825], Vgl. C.J. Braniß: Die Logik, 65f.: „alles Seyn, sofern es sich zu endlichen Gestaltungen entwickelt, schreitet fort in Verknüpfungen eines ursprünglichen Gegensatzes, welcher in den Resultaten der Verknüpfung sich stets wieder regeneriert. Wenn nun diesem Typus gemäß eine Wissenschaft des Seyns ausgeführt ist, wenn sich in dieser gewisse Kategorien der Verknüpfung aufstellen lassen, wenn das Verhältniß des Seyns zum Wissen auf entschiedene Weise irgendwie festgesetzt ist, dann ist eine allgemeine, das Ideale wie das Reale umfassende Logik möglich; [...]". C.J. Braniß: Die Logik, 64.
Wissen als spekulative Aufhebung der Unmittelbarkeit
225
mit der Antithese gesetzt", weshalb ihr Begriff „nicht durch Schlüsse zu ermitteln, sondern bloß durch Productivität des Geistes zu finden"80 sei. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß Braniß in seiner Kritik die Glaubenslehre Schleiermachers mit dem von ihm modifizierten Ansatz der Dialektik konfrontiert. Braniß führt den in der Dialektik von Schleiermacher dargestellten Gedanken, daß es keinen Begriff Gottes geben kann, weiter zu der Vorstellung, daß das Wissen über Gott über den Umweg des Wissens über die Welt vermittelt wird. Braniß übersieht dabei jedoch, daß Schleiermacher seine Theologie nicht in spekulativer Absicht und nicht als geschichtsphilosophische Spekulation, sondern als Explikation der als gewiß betrachteten ,,christliche[n] Grundvoraussetzung" 81 versteht. In seiner Untersuchung zur Philosophie von Braniß bezeichnet es Scholtz als „ein Erkennungszeichen der Schleiermachernachfolge [...], daß im Umkreis der Logik ausgehend von der Diskrepanz zwischen (empirischem) Sein und (spekulativem) Erkennen ihre Wechselwirkung und ihre Vermittlung beschrieben werden." 82 Spekulative Lösungsversuche dieses Vermittlungsproblems kennzeichnen auch die weiteren Veröffentlichungen von Braniß. Hatte Schleiermacher die Einheit von Denken und Sein im transzendentalen Grund für jedes Wissen vorausgesetzt, so kehrt Braniß in seinem »Grundriß der Logik« von 1830 unter deutlichem Einfluß von Gedanken Hegels - diesen Ansatz um und versteht den „Begriff" eines „höchsten Grundes" als Ziel der gesamten Entwicklung und als „absoluten Begriff" 83 . Der hier angedeutete Versuch von Braniß, den Ansatz Schleiermachers und Hegels zu vereinen, führt damit aber zu einer spekulativen geschichtsphilosophischen Begründung des Wissensbegriffs und schließlich zu einer in Systemform ausgeführten Metaphysik. Zwar zeigt die methodische Ausführung des Wissensbegriffs im »System der Metaphysik«, die im Todesjahr Schleiermachers erscheint, noch Ähnlichkeit mit dem der Dialektik: „Alles Erkennen beruht auf dem Füreinander eines seienden Gegenstandes und des denkenden Geistes, und ist sonach ein Product der Wechselbestimmung beider." 84 Braniß meint aber, die Erkenntnisgrenzen durch eine mit der Vernunft 80 81 82 83 84
C.J. Braniß: Die Logik, 65. Vgl. F. Schleiermacher: 1. Sendschreiben [1829], KGA 1/10, 327. G. Schölte: Historismus, 66. C.J.Braniß: Grundriß der Logik, §§ 494, 542, 547. C.J. Braniß: System der Metaphysik, 4.
226
Rezeption und Wirkung der Dialektik
identifizierte Freiheit, die das begrenzte Verstandes- und Naturwesen des Menschen übersteigt, aufheben zu können. Indem er so das Unbedingte selbst zum Gegenstand des Wissens bestimmt, will Braniß die systematisch vollendete „ Wissenschaft des Unbedingten oder der Philosophie"85 begründen. Diese systematische Geschlossenheit, die einer von Hegel beeinflußten Aufhebung des Ansatzes Schleiermachers entspricht, 84 will Braniß als christliche Philosophie ausführen, die die Charakteristika des christlichen Glaubens nicht nur darstellt, sondern als notwendige beweist. Die von Braniß geschichtsphilosophisch angelegten Spekulationen belegen jedoch, daß mit solch einer Aneignung des Unmittelbaren keine Dialektik, sondern - wie es besonders in der Schleiermacherrezension von 1824 deutlich wird - ein kaum kontrolliertes Anordnen der Begriffe und Gehalte freigesetzt wird. 4.3.4 Friedrich Eduard Beneke Psychologisierung der Erkenntnis In ganz anderer Weise hat sich Friedrich Eduard Beneke (1798-1854) mit seinem erkenntnistheoretischen Ansatz auf Schleiermacher bezogen. Beneke, der sich in seinen Schriften entschieden von spekulativen Systemen abgrenzte, entwickelte seinen philosophischen Ansatz in Auseinandersetzung mit der englischen und schottischen Philosophie, aber auch angelehnt an Kant, Herbart und Schleiermacher. 1820 schrieb er seine »Erkenntnißlehre«, mit der er nach der Darstellung von Köhnke nicht nur „einen neuen Anfang sowohl in bezug auf die Begriffsverwendung als auch in dem auf das eigentliche Anliegen dieser Disziplin" 87 setzte. Zugleich belegt diese Erkenntnislehre die von den Vorlesungen Schleiermachers ausgehende Wirkung, denn obwohl Beneke Schleiermacher, den er selbst an anderer Stelle ausdrücklich seinen Lehrer nennt, 88 darin nicht erwähnt, sind die Übernahmen und Parallelen deutlich. Wie Schleiermacher betrachtet Beneke die Klärung der Vorausset-
85 86
87 88
C.J.Braniß a.a.O., 121. Vgl. C.J.Braniß a.a.O., 193: „Der absolute Vernunftgehalt hat sich in der Denkbewegung, welche er unmittelbar hervorruft, zum Begriff des in sich seienden absoluten Geistes bestimmt, und hierin sich selbst bewahrheitet." K.C. Köhnke: Neukantianismus, 70. Vgl. F.E.Beneke: Unsere Universitäten [1836], 45. Allerdings ist die ebenfalls 1820 von F.E. Beneke veröffentlichte »Erfahrungsseelenlehre« Schleiermacher gewidmet.
Psychologisierung der Erkenntnis
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zungen von Erkenntnis als eine „Kunstlehre des Denkens"89. Indem Beneke in seiner Erkenntnislehre von einer auf das Sein bezogenen Logik ausgeht, will er zu einer „neu gebildeten Wissenschaft" (XV)90 beitragen, die er im Gegensatz zu den Systemen des Deutschen Idealismus sieht. Beneke geht grundsätzlich davon aus, „daß Erkenntniß sich auf ein Sein bezieht, dessen richtigen Ausdruck sie enthalten muß, wenn sie auf Wahrheit Anspruch erheben will" (46). Daran schließt sich seine Frage an, unter welchen Voraussetzungen Urteile den richtigen Ausdruck des Seins darstellen. Diese Voraussetzungen findet Beneke in der Behauptung erfüllt, „daß alle Erkenntnisse nur durch ihre Begründung auf richtiger Wahrnehmung von nichtssagenden Formeln unterschieden sind, [...]" (53). Beneke beruft sich bei dieser Behauptung wie Schleiermacher auf die Evidenz des Wirklichkeitsbewußtseins, die in jeder Wahrnehmung der Wirklichkeit erscheint. „Die ganze Untersuchung ist in der That von dem Standpunkte des reinmenschlichen Bewußtseins so einfach", schreibt Beneke, „daß man kaum einen Punkt entdeckt, an welchen die Spekulation ihre Bedenklichkeiten anknüpfen könnte. Sein und Wahrnehmung sind für den nicht speculativen (und im Grunde auch für den speculativen) Geist stets so genau verbunden, daß er das eine ohne das andere nicht zu denken vermag" (55). Auch hinsichtlich der Möglichkeit allgemeiner Urteile und der Unvollständigkeit ihrer induktiven Bestätigung lehnt Beneke wie Schleiermacher daher die Kantische Voraussetzung apriorischer synthetischer Urteile ab. Grundsätzlich besteht „Erkennen aus Wahrnehmen und Denken" (83). Weitere auffällige Parallelen dieser Art zu Aussagen Schleiermachers durchziehen weite Teile der erkenntnistheoretischen Darstellungen Benekes. Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang auch die von Beneke als Bestätigung seines Ausgangspunktes beim reinmenschlichen Bewußtsein gegebene Beschreibung unseres menschlichen Seins als des evidenten Punktes, in dem sich Denken und Sein aufeinander beziehen.91 " Vgl. F.E. Beneke: System der Logik als Kunstlehre des Denkens [1842]. Die in diesem Abschnitt im Text stehenden Seitenangaben beziehen sich auf Zitate aus F.E.Beneke: Erkenntnißlehre [1820], 91 Vgl. F.E.Beneke: System der Metaphysik [1840], 68: „Erster fester Punkt: Wir sind selbst ein Sein, und haben von uns eine Wahrnehmung, in welche das Sein unmittelbar eingeht ohne Zumischung einer fremden Form." Vgl. F.E.Beneke a.a.O., 69: „Wir sind selbst ein Sein; und hier also brauchen wir, um das Sein zu erreichen, nicht aus uns hinaus-, nicht in ein Anderes hineinzugehen." Zu F. Schleiermacher: DJ 53 § 101: „Allein im Selbstbewußtsein ist uns gegeben, daß wir beides sind, Denken und gedachtes, und unser Leben haben im Zusammenstimmen beider. " 90
228
Rezeption und Wirkung der Dialektik
Im Gegensatz aber zu Schleiermacher führt Beneke diese grundlegende erkenntnistheoretische Voraussetzung weiter zu einer psychologischen Begründung. „Alles Wissen entsteht" nach Beneke „durch Wahrnehmung der Thätigkeiten unseres Geistes, und diese also oder die von ihnen gebildeten Abstrakta müssen aller Wissenschaft als höchste Anschauung zum Grunde gelegt werden" (153). Für Beneke geht jedes Wissen auf eine „innere Wahrnehmung" 92 zurück, durch die das Sein unmittelbar in das Bewußtsein eingeht. Für Beneke werden so die rezipierenden und kombinierenden Tätigkeiten der Seele, wozu insbesondere deren affektive Momente gehören, zum Ausgangspunkt von Erkenntnis. 93 Diese Prägung der Erkenntnisweise durch die menschliche Seelentätigkeit stellt Beneke in die Mitte seiner erkenntnistheoretischen Überlegungen: „Ist also alle Wissenschaft Wissenschaft der menschlichen Seele, weil eben diese sie auffaßt und festhält: so muß sie unauslöschlich den Stempel derselben an sich tragen, und die höchste Grundlage der Seelenkenntniß wird die höchste Grundlage aller Wissenschaft seyn."94 Die innere Wahrnehmung, die sich im Gefühl äußert, wird nach Beneke durch „die Verarbeitung der Gefühle im Denken, bis zu den höchsten Graden der Klarheit, Bestimmtheit und Allgemeingültigkeit, welche die Wissenschaft fodern kann, und die philosophische Wissenschaft fodern muss"9S, zum Ausgangspunkt der Erkenntnis. Dabei werden nach Beneke die Vorstellungen, die mit den inneren Wahrnehmungen verbunden sind, unmittelbar zur erkenntnisbildenden Kraft. 96 Alle prädikativen Erkenntnisaussagen, „mit denen es die bezeichneten Wissenschaften [sc. vom Moralischen, vom Rechte, von der Religion, vom Aesthetisch-Schönen] zu thun haben, sind, dem letzten Grunde nach, aus Gefühlen (durch Abstraktionsprocesse) hervorgebildet." 97 Auf diese Weise versteht Beneke das Gefühl nicht, wie Schleiermacher, als Bezugspunkt des unmittelbaren Selbstbewußtsein zu den im transzendentalen Grund gesetzten Voraussetzungen und damit als Ur92 95
94 ,5 96
97
F.E. Beneke: System der Metaphysik, 69. Vgl. F.E.Beneke: Erfahrungsseelenlehre, 7: „Wahre Wissenschaft [...] kann auf nichts Anderem fast begründet werden, als auf Wahrnehmung und der aus dieser durch Vergleichung und Ineinanderarbeitung gewonnenen Erfahrung." F.E.Beneke: Erfahrungsseelenlehre, 7f. F.E.Beneke: System der Logik, I, 296. Vgl. F.E.Beneke: Erläuterungen [1836], 21: „Der Begriff bildet sich unmittelbar aus den Vorstellungen heraus, vermöge der diesen innewohnenden Kräfte. " F.E. Beneke: System der Logik, 297.
Logik als Erkenntnistheorie
229
sprung der das Wissen begleitenden Überzeugung. Gefühl wird bei Beneke vielmehr direkt zum inhaltlichen Ursprung der Erkenntnis, indem sich in der Seelentätigkeit eine induktive und kausale Wirklichkeitsbeziehung realisiert. Mit diesem erkenntnistheoretischen Ansatz ordnet Beneke einen psychologischen Ausgangspunkt der Logik und der Metaphysik vor. Indem bei Beneke in der inneren Wahrnehmung Sein und Vorstellen Eins werden, löst er den bei Schleiermacher vorausgesetzten Parallelismus von Denken und Sein in eine sich auf psychologischer Ebene realisierende Identität auf. Während nämlich Schleiermacher diesen Parallelismus in transzendentaler Identität begründet sieht, will Beneke dieses Verhältnis von logischen Formen und empirischen Wahrnehmungen direkt in einer immanenten Beziehung zum Bewußtsein begründet wissen. Die Psychologie wird bei Beneke damit zu derjenigen „Disziplin, die die »Dialektik« Schleiermachers - nunmehr von allem spekulativen Gehalt gereinigt - zur »Erkenntnislehre« auf ,reinseelenwissenschaftlicher' [sc. Grundlage] und vom ,Standpunkt des reinmenschlichen Bewußtseins' umgestaltet."98 Insgesamt versteht Beneke seine Erkenntnislehre als eine empirische Erweiterung der traditionellen Logik, womit er, im Anschluß an Schleiermacher, die Wahrnehmungsproblematik in die erkenntnistheoretische Fragestellung aufnimmt. Zugleich zeigt die Psychologisierung der Erkenntnistheorie in Benekes Weiterfuhrung die Unklarheit an, die die von Schleiermacher in Anspruch genommene existentielle Vorgegebenheit der Identität und Differenz von Denken und Sein in sich birgt. Benekes Versuch läuft letztlich darauf hinaus, diese Vorgegebenheit, auf die Schleiermacher nur verweisen kann, metatheoretisch in die Einheit des Bewußtseins einzuholen. 4.3.5 August Twesten Logik als Erkenntnistheorie Der lutherische Theologe August Detlev Christian Twesten (17891876) wurde 1835 auf den Lehrstuhl Schleiermachers berufen. 1841 veröffentlichte er den »Grundriß der philosophischen Ethik« von Schleiermacher. Seine Beschäftigung mit Schleiermachers Denken geht jedoch schon auf die Zeit seines Studiums zurück. In einem Brief an Schleiermacher von 1815 erwähnte August Twesten erstmals den Gedanken, für seine Vorlesungen über die Logik einen Abriß zu schrei98
K.C.Köhnke: Neukantianismus, 78.
230
Rezeption und Wirkung der Dialektik
ben. Im gleichen Brief äußerte Twesten, der 1811 die erste DialektikVorlesung Schleiermachers gehört hatte, die Hoffnung, daß Schleiermacher die „dialektische Einleitung" der Ethik erweitert habe und so dazu beiträgt, die dabei „vorausgesetzte spekulative Ansicht [...] durch eine kurze Darstellung ihrer Hauptmomente in einer bestimmteren und vollendeteren Form, als bisher geschehen [, ...] in sich selbst klarer und verständlicher [...] zu machen."99 Twesten zeigt sich in diesem Brief weiter interessiert, Hegels objektiver Logik, die ihm als „eine gewisse Taschenspielerei" 100 erscheint, etwas entgegengestellt zu wissen. Nach C.F.G. Heinrici hat gerade der Gegensatz zu Hegels Versuch, aus logischen Begriffen eine metaphysische Welt zu konstruieren, Twesten veranlaßt, selbst eine Logik zu schreiben.101 Möglicherweise beeinflußt durch das Ausbleiben einer Veröffentlichung der Dialektik durch Schleiermacher schrieb Twesten 1825 seine »Logik«, worin er die Hoffnung wiederholt, daß die Wissenschaftslehren „nicht bloß die transcendendalphilosophische sondern auch die logische Richtung nähmen" und sich zu einer „alle Richtungen der wissenschaftlichen Tätigkeit umfassend[en]" ( X X X V I I I ) 1 0 2 Begründung und Darstellung der Methodik entwickeln. „Eine solche höhere Logik würde Schleiermachers Dialektik seyn" ( X X X I X , Anm.), fügt Twesten hinzu, auf deren noch nicht erfolgte Veröffentlichung anspielend. Auch Schleiermacher sieht in der Logik Twestens eine gelungene Darstellung seiner epistemologischen Aussagen, und in einem Brief kurz nach dem Erscheinen der Logik schreibt er: „es ist mir noch kein Lehrbuch vorgekommen, was mir in diesem Grade den Muth gemacht hätte, es selbst als Leitfaden zu gebrauchen, wie dieses."103 Twestens Logik ist dann auch über weite Strecken durch eine große Nähe zu den Aussagen der Dialektik Schleiermachers gekennzeichnet, wobei sich eine terminologische Verschiebung bei der erkenntnistheoretischen Inanspruchnahme der Dialektik Schleiermachers durch Twesten abzeichnet. Wenn Twesten schreibt, „Wahrheit ist die Uebereinstimmung einer Erkenntniß mit ihrem Gegenstande; ihr Criterium ist die in den Gesetzen des Erkennens gegründete Nothwendigkeit desselben; das 99 100 101 m
103
C.F.G. Heinrici: D. August Twesten nach Tagebüchern und Briefen , 261. Ebd. Vgl. C.F.G.Heinrici a.a.O., 366. Die in diesem Abschnitt im Text stehenden Seitenangaben beziehen sich auf Zitate aus A.D.C. Twesten: Logik [1825], Vgl. Schleiermachers Brief an A.D.C. Twesten vom 8.9.1825 bei: C.F.G. Heinrici: D.August Twesten nach Tagebüchern und Briefen, 368.
Logik als Erkenntnistheorie
231
Bewußtseyn dieser Nothwendigkeit ist Gewißheit"104 (284 § 306), könnte dies, wenn Erkenntnis durch Wissen ersetzt wird, eine Aussage der Dialektik Schleiermachers sein. Auch für Twesten gründet sich die Möglichkeit dieser Übereinstimmung auf „die Voraussetzung einer ursprünglichen Verwandtschaft und Einheit des Denkens und Seyns" (285 § 307). Twesten ist im Unterschied zu Schleiermacher aber weniger an einer Klärung des Verhältnisses des Wissens zu den darin implizierten transzendentalen Voraussetzungen interessiert. Für ihn entspringt das „Bewußtseyn der Gewißheit des Wissens [...] aus der durchgängigen Klarheit und Deutlichkeit, oder der Evidenz desselben" (295 § 314). Deutlicher tritt der Unterschied zu Schleiermacher in Twestens Beschreibung des Verhältnisses von Wissen und Glauben hervor. Während die „Gewißheit des Wissens [...] ihre Quelle in der Anschauung" hat, schreibt Twesten, liegt „die des Glaubens im Gefühl" (292 § 312). Dabei versteht Twesten das Gefühl nicht als ein existentielles Verhältnis, wenn er es in der Funktion einer Ergänzung von unsicherem Wissen als Ursprung des Glaubens darstellt.105 Zwar unterscheidet Twesten davon das „eigentliche Gebiet des Glaubens" (297 § 317), aber hier verkehrt sich lediglich das Verhältnis von Glauben und Wissen. Während „das Gefühl der Gewißheit beym Wissen bloß secundär ist" (295 § 314, Anm.), ist im Glauben gegenüber dem Gefühl „das Wissen oder die Anschauung ganz secundär" (297 § 317). Gefühl und Anschauung scheinen in ihrer Begründungsfunktion für Glauben und Wissen steigerungsfähig, und folgerichtig stellt Twesten in diesem wechselseitigen Verhältnis von Anschauung und Gefühl das Fürwahrhalten zwischen Wissen und Glauben (vgl. 300). Damit hat Twesten aber den wissenschaftstheoretischen Ansatz Schleiermachers in einem entscheidenden Punkt geändert. In Twestens erkenntnistheoretischer Logik zeigt sich deutlich die Tendenz, transzendentale Begründungen in den Hintergrund zu stellen und methodologische Überlegungen auf phänomenologische Größen zurückzuführen. Zwar geht auch Twesten, wie Schleiermacher, von einem einheitlichen Wirklichkeitsverständnis aus, aber er begründet dies nicht in einem existentiellen Verhältnis zum transzendentalen Grund. Die schon bei Schleiermacher deutlich gewordene Schwierigkeit einer eindeutigen 104 105
Vgl. DJ 43f. §§ 87f. Vgl. A.D.C. Twesten: Logik, 296 § 316: „Wenn die aus der Anschauung und ihren Gesetzen für sich nicht völlig begründete Gewißheit durch das Gefühl ergänzt wird, so tritt der Glaube ein."
232
Rezeption und Wirkung der Dialektik
Beschreibung des unmittelbaren Selbstbewußtseins als Gefühl und damit als Ort transzendenter Gewißheit bzw. immanenter Überzeugungen verschiebt sich bei Twesten zur Darstellung des Gefühls als eines rezeptiven Organs, dem der Anschauung durchaus vergleichbar, wenn auch von anderer kognitiver Eigenschaft. Die Unbestimmtheiten des transzendentalen Teiles der Dialektik Schleiermachers werden damit in die Bestimmtheit von Aussagen der erkenntnistheoretischen Logik überführt, deren Voraussetzungen jedoch weitgehend ungeklärt bleiben. 4.3.6 Adolf Trendelenburg Wissenschaftslehre als Wissenschaftskunde Da Adolf Trendelenburg (1802-1872) mit seiner Ausprägung der erkenntnistheoretischen Fragestellung die Kritik der Philosophie Hegels im 19. Jahrhundert maßgeblich beeinflußte, verdient seine Einordnung in den von Schleiermacher beeinflußten Kreis erkenntnistheoretisch fragender Philosophen durch Ueberweg besonderes Interesse.10® Wenn sich hier Verbindungen Schleiermachers zu Trendelenburg nachweisen lassen, so stellt sich damit auch das Verhältnis Schleiermachers zu seinem philosophischen Konkurrenten in Berlin aus wirkungsgeschichtlicher Perspektive noch einmal anders dar. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Berührungspunkten zwischen Schleiermacher und Trendelenburg, die, obwohl sich Trendelenburg nicht ausdrücklich der Position Schleiermachers anschließt, auf inhaltliche Beeinflussungen hinweisen. Als Trendelenburg ab 1824 in Berlin studierte und bevor er 1826 ebenfalls in Berlin promovierte, fand er aufgrund des Vorlesungsangebotes Schleiermachers nur Gelegenheit, 1825 dessen Ästhetik zu hören. Trotzdem äußerte er sich, insbesondere über die Methode des Philosophierens Schleiermachers, sehr anerkennend. 107 Für die Zeit, in der 104
107
Vgl. F. Ueberweg: System der Logik [1857], VI. Vgl. A.Arndt: Einleitung zur Dialektik (1811), DA' XXXVIII. Zur Kritik Trendelenburgs an Hegel vgl. J.Schmidt: Hegels Wissenschaft der Logik [1977], wo allerdings nicht auf die Herkunft des Ansatzes Trendelenburgs eingegangen wird. Vgl. E. Bratuscheck: Adolf Trendelenburg, 45, Trendelenburg in einem Brief an seinen Vater 1825 über die bei Schleiermacher gehörte Vorlesung: „In den philosophischen Vorträgen pflegt man sonst das Gefundene mit seinen Beweisen, oft wie vom Dreifuss herunter, zu geben; [...] Schleiermacher lehrt selbst den Weg gehen und in dieser Hinsicht, weniger in Rücksicht der Ergebnisse, die spärlicher zum Vorschein kommen, eben weil sie gefunden werden sollen, hörte ich nie etwas Aehnliches. Ich wüsste nicht, wo ich mehr lernen könnte für die Gedankenentwickelung in mir und in
Wissenschaftslehre als Wissenschaftskunde
233
Schleiermacher an der nicht mehr von ihm vollendeten Druckfassung seiner Dialektik arbeitete, ist darüber hinaus die persönliche Bekanntschaft zu Trendelenburg, der ab 1833 außerordentlicher Professor für Philosophie in Berlin war, belegt.108 Schließlich war Twesten, ein Schüler Schleiermachers, einer von Trendelenburgs akademischen Lehrern, und in seinem Hauptwerk, den »Logischen Untersuchungen« von 1840, erklärt Trendelenburg, sich u.a. auf die „scharfsinnige und conséquente Darstellung[] der formalen Logik" (LU 1,16, Anm. 2)m von Twesten zu beziehen. Ausdrücklich bezieht sich Trendelenburg in seinen Werken allerdings nur gelegentlich auf Schleiermacher selbst, wenn er ihn in einzelnen Fragen darstellt bzw. kritisiert. Trotzdem argumentiert Trendelenburg zuweilen sehr ähnlich wie Schleiermacher, z.B., wenn er gegen die Subjektivierung der Erkenntnis bei Kant einwendet: „Und doch dringt es sich unabweislich auf, dass, wenn überall ein Erkennen denkbar sein soll, das Letzte und Ursprüngliche dem Denken und Sein gemeinsam sein muss. Es tritt einfach der Gedanke jener Harmonie ein, in welcher das Subjektive, vom Leben mit bedingt und mit erzeugt, wiederum mit dem Leben stehen muss" (LU I, 165). „Wer ein Wissen will", schreibt Schleiermacher in seiner Dialektik, wer also „überhaupt die Anschauung des Lebens will" (DJ 76f. § 134), muß die anerkannte Duplizität von Denken und Sein auf eine Übereinstimmung beider zurückführen, da wir „unser Leben haben im Zusammenstimmen beider" (DJ 53 § 101). Das Leben verweist für Trendelenburg auf eine letzte, das Ganze umfassende Idee. Zum Grund des Wissens wird diese Vorstellung für Trendelenburg jedoch nicht durch die in dieser Idee dargestellte letzte Einheit, sondern durch die im Prozeß des Lebens wachsende Erkenntnis. Trendelenburg sieht die Wissenschaften „sich geschichtlich an zerstreuten Punkten" (LU I, 5) bilden, auch wenn sie „in ihrem Gegenstande metaphysische und in ihrer Methode logische Voraussetzungen in sich" (LU II, 530) tragen, die dem Ganzen angehören. Ähnlich wie für Schleiermacher differenzieren sich die wissenstheoretischen Überlegungen für Trendelenburg in transzendentale und formale Aspekte. So führen die in den Wissenschaften auftretenden methodischen Fragen letztlich auf die Logik, während die in den Wissenschaften sich stellen-
108 109
anderen." Vgl. A.Arndt: Einleitung zur Dialektik (1811), DA' XXXVIII, Anm. 69. Die in diesem Abschnitt im Text stehenden Seitenangaben beziehen sich auf Zitate aus A.Trendelenburg: Logische Untersuchungen [1840],
234
Rezeption und Wirkung der Dialektik
den Fragen nach dem Gegenstandsbereich in die Metaphysik münden. Insofern versteht Trendelenburg die Einheit von „Logik und Metaphysik als grundlegende Wissenschaft" (LU I, 4). Wenn Trendelenburg aus den metaphysischen und logischen Implikaten der Wissenschaft seine erkenntnistheoretischen Aussagen formt, ergeben sich gegenüber Schleiermachers Darstellung allerdings Verschiebungen. In der engen Rückbindung der Metaphysik und Logik an das wissenschaftliche Verfahren drückt sich Trendelenburgs Ablehnung gegenüber formal oder spekulativ ansetzenden philosophischen Begründungsversuchen aus. Trendelenburg will Wissenschaftstheorie als Wissenschaftskunde betreiben, d.h., in den Methoden der Wissenschaften das wissenschaftliche Denken ausmachen. Trendelenburg versucht daher stärker als Schleiermacher das unabgeschlossene der sich auf die Wissenschaften beziehenden erkenntnistheoretischen Reflexion zu betonen. Schon der Plural im Titel seines Werkes »Logische Untersuchungen« zeigt dies programmatisch an. Zwar ist vieles in den »Logischen Untersuchungen« in Ablehnung der auf die Idee des Absoluten gehenden Dialektik Hegels geschrieben, 110 aber zugleich werden damit weitergehende Bedenken Trendelenburgs identitätsphilosophischen Aussagen gegenüber ausgedrückt. Auch Schleiermacher kommt für Trendelenburg auf „dieselbe Formel des Absoluten, auf die Identität des Denkens und Seins, des Idealen und Realen" (LU II, 486). Die von Schleiermacher dem Wissen der absoluten Einheit des Denkens und des Seins vorgeschobene Erkenntnisgrenze relativiert sich für Trendelenburg, wenn er bei Schleiermacher Aussagen über die Denknotwendigkeit der Identität des Idealen und des Realen findet (z.B. DJ 69 § 126). Gerade diese Denknotwendigkeit verweist für Trendelenburg auf die in der Idee des Absoluten liegende Tendenz zur geschlossenen Systematisierung und Verabsolutierung. Dieser Tendenz will Trendelenburg aus seinem Ansatz heraus widersprechen: „Je mehr auf die reine und absolute Identität bestanden wird, desto weniger halten wir dies für möglich" (LU II, 487). Schleiermacher spricht in seiner Dialektik nicht von absoluter Identität und im transzendentalen Teil betont er, wenn von der „Idee der absoluten Einheit des Seins" (DJ 86 § 149) die Rede ist, daß diese Vorstellung nicht als Wissen, sondern als transzendentaler Grund und als Form des Wissens 110
Vgl. A. Trendelenburg, LU I, 12, der seine Theorie der Wissenschaft „Logik im weitern Sinne" und nicht Dialektik nennen will, „um einen Nebenbegriff zu vermeiden".
Wissenschaftslehre als Wissenschaftskunde
235
jedem Wissen zu Grunde liegt. Trotzdem fragt Trendelenburg, auch wenn Schleiermacher das Absolute nur im Transzendentalen gesetzt sehen will, nach dem Beweis dieser Setzung und vor allem nach dessen Notwendigkeit, zumal ihm die Gefahr einer von der Idee absoluter Identität ausgehenden Normierung und systematischen Geschlossenheit deutlich ist. So sieht Trendelenburg die eigentliche Begründung für Schleiermachers identitätsphilosophische Züge in dessen Wissenstheorie darin, daß ein verdecktes „teleologisches Princip" (LU II, 489) in Schleiermachers Voraussetzungen steckt. Der auf eine vollkommene Übereinstimmung von Denken und Sein zielende Wissensbegriff Schleiermachers erscheint ihm mit seinen Implikaten der Vervollkommnung als Ausdruck einer ,,teleologische[n] Beziehung" (Ebd.). Daher ist für Trendelenburg bei Schleiermacher nicht die im transzendentalen Gruncf gesetzte Indifferenz von Wissen und Sein die leitende Vorstellung, 111 sondern die im ethischen Prozeß von Schleiermacher vorausgesetzte „fortschreitende Einigung der Vernunft mit der Natur, dergestalt, dass die Natur mit Vernunftgehalt durchdrungen wird" (LU II, 490). Diese „Durchdringung mit Vernunftgehalt" versteht Trendelenburg als „die Ueberordnung des Idealen über das Reale und die Unterordnung des Realen zum Mittel" (Ebd.), womit ihm die Auswirkungen eines identitätsphilosophischen Denkens deutlich werden. Deshalb lehnt Trendelenburg auch den von Schleiermacher gebrauchten Gefühlsbegriff als inkongruent in seiner neben Wissen und Wollen stehenden Unbestimmtheit ab. Insbesondere aufgrund des Gefühlsbegriffs sieht Trendelenburg den Versuch Schleiermachers, seine wissenstheoretischen Aussagen in adäquater Weise auf eine im Transzendentalen gesetzte Idee der absoluten Einheit des Seins zu stellen, als problematisch an (vgl. LU II, 491). Für Trendelenburg folgt daraus, daß es weder „die Mittel zu einer direkten und adaequaten Erkenntniss" (LU II, 491) noch ein „reines Denken" (LU II, 531) gibt. Daher will Trendelenburg in seiner genetischen Methode die Dinge aus ihren „hervorbringenden Gründen" (LU II, 422) heraus verstehen. Für seine erkenntnistheoretischen Aussagen entwirft Trendelenburg dazu ein teleologisches Prinzip im Sinne 111
Vgl. A.Trendelenburg: Geschichte der Kategorienlehre [1846], 332: „Wenn jedoch die Indifferenz des Idealen und Realen das eigentliche Princip und das Ursprüngliche ist, worin das Universum gehalten wird: so ist kein Gedanke im Grunde der Dinge das Regierende und blinde und mechanische Zweckmässigkeit ist die nothwendige Folge." Für Trendelenburg wäre dies „bewusstlose Teleologie, die entweder täuschender Schein oder unverstandener Widerspruch ist [...]".
236
Rezeption und Wirkung der Dialektik
einer „sich bewährenden Hypothese" (LU II, 535). Dieses teleologische Prinzip ist gekennzeichnet als eine gegenseitige Durchdringung des Zweckes des Geistes und der Bewegung des Seins, wobei „Denken und Sein gleich ursprünglich" auf „eine höhere umfassende Thätigkeit" (LU II, 535) zurückgehen und aus der sich entwickelnden Bewegung beider hervor-„quellen" (Ebd.). Diese Beschreibungen letzter Gegensätze und ihres gemeinsamen Ursprunges durch Trendelenburg erinnern über weite Strecken an Gedanken Schleiermachers, auch wenn dieser den als Prozeß verstandenen Wissensgewinn nur andeutungsweise bilanziert und den Vorgang als solchen als Kunst charakterisiert. In gleicher Weise wie Trendelenburg setzt Schleiermacher dabei einen lebendigen Grund voraus, aus dem sich Denken und Sein in ihrer Entsprechung und Gegensätzlichkeit entwickeln, auch wenn sich dies bei ihm durch seine transzendentalphilosophischen Beschreibungen zu einem spekulativen System zu verdichten scheint. Der von Trendelenburg seinen erkenntnistheoretischen Aussagen zugrunde gelegte Ansatz, in dem er diese aus der Beobachtung der realen Wissenschaften zu gewinnen versucht, entspricht insgesamt der Absicht Schleiermachers, Wissensaussagen nur in der intellektuellen und der organischen Funktion begründen und daher seine Dialektik eigentlich nur im Zusammenhang mit den anderen Wissenschaften aufstellen zu wollen.112 Bei Trendelenburg zeigt sich in „der organischen Betrachtung der Dinge" - wie bei Schleiermacher - „allenthalben die Einheit eines Gegensatzes, der das Abbild des Gegensatzes von Leib und Seele ist" (LU II, 536). Die von Schleiermacher angenommene Entsprechung der Formen des Denkens und der Formen des Seins, ebenso das dem Verhältnis von Substanzen und Tätigkeiten zugeordnete Verhältnis von Begriffen zu Urteilen bilden auch bei Trendelenburg das Prinzip, aus dem die Systematik der endlichen Wissenschaften hervorgeht (vgl. LU II, 536). Schließlich kann Trendelenburg an dieser Stelle, an der die Systeme der Wissenschaften als Bedingtes über sich hinaus auf das Unbedingte verweisen, sogar von einem Absoluten sprechen.113 Diese Skizze zeigt, daß Trendelenburg in seinem Versuch, die Empirie erkenntnistheoretisch zur Geltung zu bringen, auf Ansätze zurück1,2
Vgl. S.21.
113
Vgl. A. Trendelenburg: LU II, 536: „Auf indirektem Wege tritt dem Geist die Nothwendigkeit entgegen, das Absolute zu setzen und zwar so zu setzen, dass die Einheit der Weltanschauungen gleichsam das uns sichtbare leibliche Gegenbild des schöpferischen Geistes wird."
Eine erkenntnistheoretische Schule Schleiermachers
237
griff, die, mit den Worten Arndts, „im frühidealistisch/ frühromantischen Denken schon bereitstanden und in Schleiermachers »Dialektik« theoretisch verdichtet worden waren."114 4.3.7 Friedrich Ueberweg eine erkenntnistheoretische Schule Schleiermachers Die Stellung Trendelenburgs zum philosophischen Ansatz Schleiermachers gewinnt über die Fragen seiner eigenen Rezeption und Modifikation von Gedanken Schleiermachers hinaus an Bedeutung, weil zwei seiner bedeutendsten Schüler, Ueberweg und Dilthey, sich ausführlich und in markanter Weise mit Schleiermacher auseinandergesetzt haben. Friedrich Ueberweg (1826-1871), der u.a. bei Beneke in Berlin Philosophie studiert hatte, legte neben umfangreichen philosophiehistorischen Arbeiten 1857 mit seinem »System der Logik und Geschichte der logischen Lehren« ebenfalls einen eigenen erkenntnistheoretischen Entwurf vor. Darin wird deutlich, daß er den zunächst von ihm vertretenen empirischen Ausgangspunkt Benekes zugunsten eines an Schleiermacher angelehnten Ideal-Realismus modifizierte. Als Ziel formulierte er nun, „eine klare, exacte, übersichtliche und relativ vollständige Darstellung der allgemeinen Logik als Erkenntnisslehre" (VIII) 1 1 5 zu geben, um so einen Beitrag „zur Lösung sowohl der Principienfragen über die Aufgabe, Begrenzung und Anordnung der Logik und über die erkenntnisstheoretischen Standpunkte" (VII) zu liefern. In seinem Lösungsansatz der erkenntnistheoretischen Frage will Ueberweg ähnlich wie Schleiermacher, aber in Distanzierung zu Kant, den Nachweis führen, „wie die wissenschaftliche Einsicht, welche die blosse Erfahrung in ihrer Unmittelbarkeit noch nicht gewährt, nicht mittelst aprioristischer Formen von rein subjectivem Ursprung, die nur auf die im Bewusstsein des Subjects vorhandenen Erscheinungsobjecte Anwendung finden, gewonnen wird [...], sondern durch die Combination der Erfahrungsthatsachen nach logischen, durch die objective Ordnung der Dinge selbst mitbedingten Normen, deren Befolgung unserer Erkenntniss eine objective Gültigkeit sichert" (VIII). Wie bereits erwähnt, hat Ueberweg im Hinblick auf diese im 19. Jahrhundert aufkommende erkenntnistheoretische Problemstellung
114 Ils
A.Arndt: Dialektik und Reflexion, 239. Die in diesem Abschnitt im Text stehenden Seitenangaben beziehen sich auf Zitate aus F.Ueberweg: System der Logik [1857].
238
Rezeption und Wirkung der Dialektik
Schleiermachers, besonders aus dessen Verhältnis zu Kant heraus, in einer initiierenden Position gesehen.116 Ueberweg sieht eine ganze Reihe von Philosophen durch Schleiermachers dialektischen Ansatz der Wechselseitigkeit beeinflußt und meint schließlich, daß „mehr oder minder die sämmtlichen nachhegelschen Bestrebungen auf dem Gebiete der Denk- und Erkenntnisslehre [...] eine gemeinsame Tendenz zur Vermittlung zwischen den Gegensätzen der subjectivistisch-formalen und der metaphysischen Logik" (63f.) aufweisen. Den Ursprung genau dieses Vermittlungsmodells führt Ueberweg auf Schleiermacher zurück, indem er, auch für seine eigenen erkenntnistheoretischen Bemühungen, anerkennt, „dass Schleiermacher's dialektische Grundsätze im Allgemeinen die Richtung bezeichnen, in welcher die wahre Vermittelung zwischen den Gegensätzen der subjectivistisch-formalen und der metaphysischen Logik zu suchen ist" (63). Diese Darstellung, in der Ueberweg das Gemeinsame der erkenntnistheoretisch fragenden Logiken hervorhebt, zeigt, daß Ueberweg daran interessiert ist, hier eine grundlegende Strömung der Philosophie seiner Zeit aufzuzeigen, in die er sich selbst einreiht. Daß der dialektische Ansatz Schleiermachers im Gegensatz zu anderen systematischen Entwürfen, etwa dem Hegels oder Herbarts, initiierend diese philosophische Strömung beeinflußte, hat für Ueberweg darin seinen Grund, daß Schleiermachers Philosophie „von mancher mit diesen Systemen unabtrennbar verwachsenen Einseitigkeit frei und in ihrer großenteils noch unabgeschlossenen Gestalt mehr als jede andere nachkantische Doktrin einer reinen, die verschiedenartigen Einseitigkeiten überwindenden Ausbildung und Weiterbildung [...] fähig"117 ist. Demnach sind es sowohl die Grundsätzlichkeit als auch die Offenheit, mit denen Schleiermacher in seiner Dialektik das erkenntnistheoretische Problem strukturiert hat, die Ueberweg veranlaßt haben, hier den Ausgangspunkt dieser philosophischen Strömung des 19. Jahrhunderts zu sehen. Ueberweg stimmt mit Schleiermacher darin überein, „die Entwickelung des ganzen Systems der Begriffe in Beziehung zu unserem Selbst114 117
Vgl. S.213. F. Ueberweg: Grundriss der Geschichte der Philosophie (Ueberweg-Heinze, Berlin 1908, 10. Auflage), IV, 77. Zugleich sieht Ueberweg Schleiermacher dem Ansatz Hegels grundsätzlich widersprechen (IV, 85): ,,Schl[eiermacher] bestreite ausdrücklich [Und zwar mit gutem Recht. Anm. F. Ueberweg] die Annahme, auf welcher die hegelsche Dialektik ruht, daß das reine Denken, von allem andern Denken getrennt, einen eigenen Anfang nehmen und als ein besonderes für sich ursprünglich entstehen könne."
Eine erkenntnistheoretische Schule Schleiermachers
239
bewusstsein" (159) zu stellen. Er kritisiert dagegen Schleiermacher, wenn dieser in der Ausführung der Dialektik „die Kunstform des wissenschaftlichen Denkens vom Inhalte derselben für hinlänglich unterscheidbar" (62) hält. Diese Differenzierung scheint Ueberweg die Ursache dafür zu sein, daß Schleiermacher „einen transscendentalen und einen technischen oder formalen Theil unterscheidet und in jenem den Begriff und das Urtheil als Formen des Wissens an und für sich in ihrem Verhältniss zu den entsprechenden Existenzformen, in diesem den Syllogismus, die Induction und Deduction und die combinatorischen Denkformen als die Formen der Genesis des Wissens oder der Idee des Wissens in der Bewegung betrachtet" (63). Wenn Ueberweg dieser Differenzierung in seinem Idealrealismus widersprechen will und nicht nur den Formen des Begriffs und des Urteils, sondern auch den Formen des Schlusses und den weiteren Formen der Konstruktion und Kombination Formen des Seins zuordnet, so übersieht er, daß auch bei Schleiermacher „das transcendentale und formale nicht getrennt [...], sondern dasselbe [sind]" (DJ 169 § 226). Ueberweg sieht in den Formen der Genesis des Wissens keine formal oder sekundär von den eigentlichen Formen des Wissens abtrennbaren Gestaltungen, vielmehr „kann im Gegentheil gerade das vollendete Wissen nur in ihnen ein Dasein haben" (63). Deutlich ist bei Ueberweg die Tendenz festzustellen, in der erkenntnistheoretischen Logik formale Charakterisierungen zugleich als deren metaphysische Bestimmungen zu verstehen, d.h., Wissen in einer durch die Erfahrung erweiterten Logik begründet zu sehen. Vor diesem Hintergrund definiert Ueberweg: „Schleiermachers Dialektik ist die Kunst des Begründens"118. In deutlichem Kontrast steht diese Definition zu Schleiermachers eigener Charakterisierung der Dialektik als „Kunst des Gedankenwechsels" (DJ 17 § 45). Mit der ausdrücklichen Einbeziehung aller Formen des Wissens in „eine ,transscendentale' Beziehung auf das Sein" (63), die freilich die Absicht Schleiermachers nicht würdigt, seine formalen Bestimmungen nicht getrennt von den transzendentalen Ausführungen, sondern beide sogar als dasselbe zu verstehen (vgl. DJ 34 § 76), setzt sich Ueberweg zugleich vom Einfluß seines Lehrers Beneke ab, in dem seiner Ansicht nach für einen verbleibenden formalen oder technischen Teil „nur etwa gewisse psychologische Betrachtungen und didaktische Rathschläge übrig bleiben" (63). 118
F. Ueberweg: Grundriss der Geschichte der Philosophie, IV, 123.
240
Rezeption und Wirkung der Dialektik
Ueberweg will mit seinem Idealrealismus eine Synthese des Wesens und der Erscheinungen leisten, die weder einseitig in subjektiver Deutung noch in physikalischer Betrachtung verbleibt.119 Diese Deutung der Erkenntnistheorie Ueberwegs als Synthese aus Idealismus und Realismus lehnt sich einerseits an Trendelenburg an, der 1847 in einem Akademievortrag »Über den letzten Unterschied der philosophischen Systeme« diese „typisierende Behandlungsart der philosophischen Gegenwartsprobleme"120 eingeführt hatte. Andererseits bezieht sich Ueberweg damit auf Schleiermachers Dialektik selbst, in der er die Formen des Wissens des Idealismus und Realismus, jeweils „gegen die Ausschließung des andern in Schuz" (DJ 98 § 171) genommen, zu einem beide Formen aufnehmenden Wissen zusammengefaßt findet. Mit seinem als Idealrealimus beschriebenen Syntheseversuch zielt Ueberweg auf ein erkenntnistheoretisches Denken, in dem nicht nur die identitätsphilosophischen Ansätze überwunden, sondern zugleich die konträren Positionen des Idealismus und des Realismus relativiert werden. Bei diesen Relativierungen nimmt Ueberweg Bezug auf Schleiermacher, 121 dessen Dialektik der Wechselseitigkeit er in einer erkenntnistheoretischen Programmatik aufnehmen will, „die das Subjekt-Objekt-Problem dahingehend lösen solle, daß weder der Anteil des Subjektiven noch der des Objektiven einseitig und damit unkritisch verabsolutiert werde"122. In dieser Weise des kritisch-erkenntnistheoretischen Problematisierens als Überwindung absoluter Entgegensetzungen ist jedoch insgesamt nur ein sehr allgemeiner Bezug zu Schleiermacher auszumachen. Auch Ueberweg geht letztlich nicht von einer „philosophische[n] Schule im strengeren Sinne" (64) aus; Schleiermacher habe vielmehr „vielseitig anregen und Eigenthümlichkeit wecken" (64) wollen. Nur in einem weiteren Sinne will Ueberweg daher von Schülern Schleierma119
120 121
122
Vgl. F. Ueberweg: Ueber Idealismus, Realismus und Idealrealismus, 78f.: „Der metaphysische Idealrealismus hypostasirt nicht (mit einer platonisirenden Fraction des mittelalterlichen Realismus) das Generelle und Wesentliche, und spricht demselben ebensowenig (mit dem Nominalismus) bloß subjective Bedeutung zu, sondern erkennt (mit Aristoteles) das Eine in dem Vielen, die Immanenz des Wesens in den Erscheinungen. " K.C.Köhnke: Neukantianismus, 171. Vgl. F.Ueberweg: Grundriss der Geschichte der Philosophie, IV, 112, wo Ueberweg feststellt, daß Schleiermacher „ebensowohl dem in ihr [sc. in der Philosophie Kants] liegenden realistischen wie dem idealistischen Elemente gerecht zu werden suchte, so daß seine Lehre als Ideal-Realismus bezeichnet werden kann." K.C.Köhnke: Neukantianismus, 175.
Lebensphilosophische Deutung der Wissenstheorie Schleiermachers
241
chers sprechen, insofern „sie sich vorwiegend in den durch ihn angeregten Gedankenkreisen bewegen" (64). Neben den von Schleiermacher ausgehenden Anregungen war offensichtlich eine weitergehende Konkretisierung bzw. präziser ausgeführte Begründung der erkenntnistheoretischen Programmatik seinem dialektischen Ansatz nicht zu entnehmen. 4.3.8 Wilhelm Dilthey die lebensphilosophische Deutung der wissenstheoretischen Grundlagen Schleiermachers Wilhelm Dilthey (1833-1911) hat Schleiermacher in seinen umfangreichen und die Schleiermacher-Rezeption prägenden Studien zu dessen Leben und Werk in einer vom Deutschen Idealismus deutlich abgehobenen Position gesehen. Aufgrund seiner Einschätzung, daß Schleiermacher mit seiner Dialektik „eine Grundlegung der realen Wissenschaft, die von dem Problem der menschlichen Erkenntnis ausgeht und im Verlauf seiner Auflösung die Formen, Gesetze und Methoden des Denkens als Mittel, diese Erkenntnis herbeizuführen, entwickelt" (GS XIV/1, 157)123, hat Dilthey die Dialektik Schleiermachers als „die erste erkenntnistheoretische Logik" (Ebd.) bezeichnet. Daß Dilthey dies nicht nur als eine philosophiehistorische Erklärung versteht, wird aus seinen eigenen erkenntnistheoretischen Schriften deutlich. Bereits in seinem als Vorlesungskompendium 1865 erschienenen »Grundriß der Logik und des Systems der philosophischen Wissenschaften« gab Dilthey seiner erkenntnistheoretischen Logik den gleichen Ort im System der Wissenschaften, wie Schleiermacher ihn seiner Dialektik zugeordnet hatte. G. Scholtz faßt in seiner Untersuchung zum Verhältnis der Fundamentalphilosophie beider das Verhältnis der erkenntnistheoretischen Bemühungen Diltheys zur Dialektik Schleiermachers so zusammen: Beide „haben also die gleiche Systemstelle inne und verfolgen ein ähnliches Ziel: Die Formen und der Wirklichkeitsbezug des Denkens sollen zugleich untersucht und die traditionelle Logik in eine umfassende Theorie des Erkennens und Wissens eingestellt werden."124 Wie seine eigene erkenntnistheoretische Logik be-
123
124
Die in diesem Abschnitt im Text stehenden Seitenangaben beziehen sich auf Zitate aus W. Dilthey: Gesammelte Werke. G. Scholtz: Schleiermachers Dialektik und Diltheys erkenntnistheoretische Logik [1984], 174.
242
Rezeption und Wirkung der Dialektik
zeichnet Dilthey die Dialektik Schleiermachers als „Selbstbesinnung", deren „Kernpunkt [...] ein werdender, sich entwickelnder Erkenntniszusammenhang der gesamten Wirklichkeit in den physischen und ethischen Wissenschaften" (GS XIV/1, 73) bildet. Auch inhaltlich stimmt Dilthey diesem „Kern" (GS XIV/1, 155) der Dialektik zu, den er hervorgehen sieht aus der mit der systematischen Totalität der Welt geforderten Einheit ihres Grundes. Wenn Dilthey jedoch den Ausgangspunkt für die als Wirklichkeitsaneignung verstandene Erkenntnis in der Subjektivität beschreibt, deuten sich Verschiebungen an, die seine phänomenologische - gegenüber Schleiermachers transzendentaler - Betrachtungsweise charakterisieren. So hat Dilthey zwar die Ablösung der spekulativen und rationalen Theologie durch eine auf das unmittelbare Selbstbewußtsein gestellte Theologie, die ihren Ausgangspunkt im religiösen Gefühl nimmt, als einen durch Schleiermacher geleisteten Fortschritt angesehen (vgl. GS XIV/1, 141f., GS XIX, 78f.). Aber er versteht dieses religiöse Gefühl als eine historisch vermittelbare Stimmung, die er nicht als Ausgangspunkt theologischen Erkennens anerkennt. Allerdings gibt es in Diltheys Konzeption ein dem Phänomen des Gefühls ähnliches Innewerden, in dem als inneres Wahrnehmen sich die „Welt von Tatsachen [...] als Tatsachen des Bewußtseins" darstellt und letztlich „das Reich der unmittelbaren Wirklichkeit" (GS XIX, 55) bildet. Dieses Innewerden ist jedoch im Gegensatz zu Schleiermacher nicht von einer ontologischen Entsprechung getragen. Damit erschließt das Innewerden bei Dilthey zwar einen inneren Wirklichkeitsbereich, indem Dilthey aber grundsätzlich vom »Satz der Phänomenalität« ausgeht (vgl. GS XIX, 58ff.), verschließt sich ihm ein direkter Zugang zur Realität der Außenwelt. Erst durch einen Rückgang auf die Widerstandserfahrung des Willens bestätigt sich für Dilthey psychologisch unser Glaube an die Realität der Außenwelt. 125 Zusammen mit Schleiermacher grenzt sich Dilthey damit gegenüber einer spekulativen Begründung des Verhältnisses zur Wirklichkeit ab. Die Gewißheit der Realität ist ursprünglich nicht durch ein Wissen, sondern bei Schleiermacher durch unmittelbares Selbstbewußtsein, bei Dilthey durch den „Zusammenhang der Tatsachen des Bewußtseins" (GS XIX, 75) gegeben. Aber im Gegensatz zur ontologischen Unmittelbarkeit, die bei Schleier-
125
Zum Problem einer derartigen Realitätsbegründung vgl. K. Grünepütt: Realität der Außenwelt, HWP 8, 208f.
Lebensphilosophische Deutung der Wissenstheorie Schleiermachers
243
macher im Gefühl gegebenen ist, erscheint dieser Wirklichkeitsbezug, der bei Dilthey im Glauben verbürgt ist, als eine vermittelte Erfahrung. Indem Dilthey das Innewerden als einen „Prozeß unseres Selbstbewußtseins" (GS XIX, 57), als einen Bewußtseinszustand, versteht, der bedingt wird von einer als letzte Instanz beschriebenen Selbstbesinnung, wird deutlich, daß der Akt des Innewerdens bei Dilthey letztlich einen psychischen Vorgang darstellt. Diese Selbstbesinnung, in der sich als psychischer Vorgang die Evidenz des Erkennens und das Motiv des Handelns realisieren (vgl. GS XIX, 57), wird von Dilthey zwar mit dem als unmittelbares Selbstbewußtsein verstandenen Gefühl bei Schleiermacher gleichgesetzt. Indem das Gefühl bei Schleiermacher aber als „Selbsterfahrung der Subjektivität"124 (vgl. GS XIV/1, 142) charakterisiert wird, nimmt Dilthey den der Konzeption Schleiermachers gemachten Vorwurf auf, daß im unmittelbaren Selbstbewußtsein kein unmittelbarer Wirklichkeitsbezug und erst recht nicht das Absolute gegeben sei. Es ist verständlich, daß von dieser Konsequenz aus der Ansatz der Dialektik Schleiermachers als dogmatisch erscheint. Dilthey sieht die ontologische Einbettung der in Schleiermachers Dialektik gemachten Voraussetzungen als Verobjektivierung subjektiv evidenter Tatsachen.127 Die Ursache für diese ontologische Einbettung resultiert für Dilthey aus der Aufnahme des antiken Wirklichkeitsverständnisses bei Schleiermacher durch die in die Idee des Wissens gelegte Voraussetzung des Zusammenseins von Denken und Sein.128 Genau in diesem Punkt will Dilthey die bei Schleiermacher kritisierte Verbindung von Logik und Metaphysik aufbrechen und in einer Wechselwirkung von Logik und Wahrnehmung aufheben. Für Dilthey löst sich „die Voraussetzung einer prästabilierten Harmonie zwischen dem Logismus und den Objekten, weiter rückwärts die ganze metaphysische Grundhypothese der Einheit beider in der Weltvernunft auf durch die analytische Erkenntnis, daß der Logismus auf diese Grundoperationen als Erfahrungsweisen reduziert werden kann" (GS XIX, 324). Daher formuliert Scholtz die These, daß Dilthey die ihm „problematische Korrespondenz 126 127
128
G.Scholtz: Schleiermachers Dialektik und Diltheys erkenntnistheoretische Logik, 177. Vgl. W.Dilthey in S.v.d.Schulenburg (Hg.): Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul Yorck v. Wartenberg, 248: „Sie [sc. die Differenzpunkte] liegen in erster Linie inhaltlich [...] in der Voraussetzung daß das Universum eine dem Satz vom Grunde unterworfene einheitliche Gliederung sei." Vgl. W. Dilthey: Leben Schleiermachers, GS XIV/1, 158: „Im Grunde wird durch dieses Prinzip nur das antike Prinzip der Erkenntnis, Piatons Abbilden des Seins im Denken, des Aristoteles Entsprechen zu kritischem Bewußtsein gebracht."
244
Rezeption und Wirkung der Dialektik
durch eine genetische Betrachtung zu umgehen" 129 sucht. Diese genetische Betrachtung geht bei Dilthey vom Innewerden als „innere Tatsache für das Bewußtsein" aus, denn hier sind für ihn „Da-sein" und „ImBewußtsein-auftreten" identisch und bilden den „Maßstab von Gültigkeit" (GS XIX, 338) überhaupt. Wie allerdings der weitere Gedankengang in Diltheys Grundlegung der Wissenschaften zeigt, kommt Dilthey nicht ohne das von ihm bei Schleiermacher kritisierte korrespondenztheoretische Modell und letztlich nicht ohne dessen transzendentale Begründung aus. Denn für die Frage der Begründung der Logik betrachtet Dilthey das Erkennen wie jedes Denken als „LebensVorgang" und folgert, daß „auf diesen bei seiner Grundlegung zurückzugehen" (GS XIX, 344) ist. „Als Voraussetzung des Erkennens" ist „das Leben selbst, die Totalität und Fülle und Macht desselben" für Dilthey „durch Erkenntnis nicht zerlegbar", denn es stellt die „Grundlage alles Erkennens" (GS XIX, 329) dar. Indem Erkenntnis ihre Gültigkeit letztlich aus dem Innewerden des Lebensvollzuges bezieht, wird deutlich, daß mit der psychologisch-genetischen Untersuchung der Erkenntnisgrundlagen bei Dilthey kein empirisches Verfahren, sondern ein quasi-transzendentales Verfahren intendiert ist (vgl. GS XIX, 346).130 Der Begriff des Lebens weist in den Beschreibungen Diltheys deutliche Spuren des Denkens Schleiermachers auf. Auf das Leben, das bei Dilthey nicht durch Denken erfaßt werden kann, sondern „unmittelbar im Innewerden des Subjekts gegeben" (GS XIX, 353) ist, wird in ganz ähnlicher Weise Bezug genommen wie auf den transzendentalen Grund, der bei Schleiermacher als „lebendiger Grund aller Prozesse" (DJ 69 § 126b) im unmittelbaren Selbstbewußtsein gegeben vorgestellt wird. Scholtz sieht in weiteren ähnlich strukturierten Argumenten Diltheys und Schleiermachers die Vermutung bestätigt, „daß in Diltheys Lebensbegriff Schleiermachers transzendentale Ideen Gott und Welt identisch wurden"131. Die im Leben unmittelbar gegebene „Einheit, die nicht vor den Teilen, sondern in, mit und durch sie besteht" (GS XIX, 353), gleicht in ihrer „lebensweltlichen Indifferenz" 132 des Entgegengesetzten der bei Schleiermacher im unmittelbaren Selbstbewußtsein gegebenen Einheit des Denkens und des Seins.
129 130 131 132
G.Scholtz: Schleiermachers Dialektik und Diltheys erkenntnistheoretische Logik, 179. Vgl. R.Knüppel: Diltheys erkenntnistheoretische Logik, 85f. G.Scholtz: Schleiermachers Dialektik und Diltheys erkenntnistheoretische Logik, 184. A.Arndt: Dialektik und Reflexion, 319.
Schleiermacher und die erkeontnistheoretische Logik
245
Indem Dilthey die Grundlagen der Dialektik Schleiermachers in seine lebensphilosophische Begründung der Wissenschaften überführt, verändert er deren ontologischen Charakter zu einer intuitiv verstandenen Größe. Von dieser Deutung des Transzendentalen bei Schleiermacher als subjektive Weltansicht durch Dilthey wurde die Interpretation des erkenntnistheoretischen Ansatzes Schleiermachers stark geprägt. Zugleich bildet diese Festlegung den Hintergrund der durch Dilthey neu entdeckten Bedeutung der Hermeneutik Schleiermachers und ihrer einseitigen Einordnung in eine Grundlegung der Geisteswissenschaften. Dilthey hat Schleiermacher damit nicht nur zum „Theoretiker der Geisteswissenschaften"133 stilisiert, sondern zugleich die Bedeutung der sich in Schleiermachers Dialektik wechselseitig bedingenden Momente der korrespondenz- und konsenstheoretischen Grundlagen verdeckt. Dementsprechend kann Dilthey das Verdienst Schleiermachers zwar würdigen, wenn dieser in seiner Dialektik von einer „Mitwirkung unserer äußeren Organisation und der äußeren Wahrnehmung in allen Denkvorgängen" (GS XIV/1, 111) ausgeht. Dilthey übergeht aber den in der Dialektik zugleich enthaltenen Dialogcharakter, indem er in seiner Interpretation und in seiner erkenntnistheoretischen Logik nicht die von Schleiermacher betonte Verbindung objektiver und intersubjektiver Momente aufnimmt. 4.3.9 Schleiermacher und die erkenntnistheoretische Logik Die teilweise stark divergierenden Interpretationen und Bezugnahmen auf den wissenstheoretischen Ansatz der Dialektik Schleiermachers zeigen zugleich dessen Stärke und Schwäche. Einerseits bleibt Schleiermachers grundsätzlicher Versuch, die Voraussetzungen jeden wissenschaftlichen Denkens nicht losgelöst von der Erfahrungswirklichkeit zu formulieren, nicht ohne initiierende Auswirkungen für eine philosophische Bewegung, die einseitige Spekulationen anfragt. Der durch die erkenntnistheoretischen Philosophen aufgenommene und problematisierte Bezug der Logik auf die Wahrnehmung und die Lösungsversuche ihres Verhältnisses zeugen von dieser Wirkung. Dieses Ergebnis stimmt mit der These von Köhnke überein, daß „die neuere Erkenntnistheorie durch Schleiermachers »Dialektik« initiiert wurde"134, auch wenn sich bei Schleiermacher der Begriff der 133 134
G.Scholtz: Philosophie Schleiermachers, 31. K.C. Köhnke: Neukantianismus, 90.
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Rezeption und Wirkung der Dialektik
Erkenntnistheorie selbst noch nicht findet. Andererseits verweisen die Wirkungen des Denkens Schleiermachers auf Fragen, die sein Ansatz einer im Gefühl gegebenen unmittelbaren Identität von Denken und Sein als Ausgangspunkt jeden Wissens offenläßt. Schleiermacher positioniert sich mit seiner romantischen Dialektik, die er in einer „Konzeption einer bewußtseinstranszendenten Identität"135 darstellt, zwar in kritischer Distanz zu anderen Philosophen des Deutschen Idealismus. Aber indem er dies mit identitätsphilosophischen Überlegungen begründet, bleibt sein nach der Offenheit des wissenschaftlichen Fragens suchender Ansatz doch an damit verbundene systemphilosophische Vorgaben und Einengungen gebunden. Zugleich ist auf die Schwierigkeit zu verweisen, daß der Gefühlsbegriff in der Begründung der Dialektik Schleiermachers sich einer genauen Bestimmung entzieht. Insofern ist die Geschichte der von Schleiermacher beeinflußten erkenntnistheoretischen Logik auch eine Geschichte der Versuche, diese Einengungen und Unbestimmtheiten zu überwinden. Die verschiedenen aus Schleiermachers Dialektik aufgenommenen Anregungen zeugen deshalb von den in Schleiermachers Ansatz liegenden Verweisen, die unbestimmt bleiben. So wurde die in Schleiermachers Dialektik in Anspruch genommene Beziehung zum transzendentalen Grund im Gefühl in immer neuen Anläufen in andere evident erscheinende Ansätze transformiert. Markant sind hier die psychologische Deutung der Erkenntnisgrundlagen durch Beneke oder die lebensphilosophische Interpretation durch Dilthey. Ebenso wurde versucht, das Unbestimmte dieser existentiellen Gewißheit bei Schleiermacher spekulativ aufzuheben wie in der von Vorländer geforderten Objektivität des Erkenntnisgrundes durch die Voraussetzung einer absoluten Position oder in der angestrebten Universalisierung der wissenschaftlichen Methodik durch Ritter. Der Versuch von Braniß, den Gefühlsbegriff Schleiermachers zum Ausgangspunkt eines spekulativen Systems zu machen, geht in eine ähnliche Richtung. Aber auch der von Schleiermacher vorausgesetzte empirische Bezug des Wissens erscheint als klärungsbedürftig, wie die erkenntnistheoretische Logik Twestens oder die von Trendelenburg gesuchte Verbindung von Wissenschaftslehre und Wissenschaftskunde zeigen. So deutet dieser Teil der Wirkungsgeschichte insgesamt daraufhin, 135
A.Arndt: Dialektik und Reflexion, 141.
Schleiermachers Dialektik und die Religionsphilosophie Hegels
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daß es in Schleiermachers wissenstheoretischem Ansatz selbst liegende klärungsbedürftige Momente sind, die die von Ueberweg postulierte Bildung einer erkenntnistheoretischen Schule durch Schleiermacher verhinderten. Schleiermacher bewies zwar mit der in seiner Dialektik vorgenommenen Verbindung von Metaphysik und Logik, von Spekulation und Empirik sein Gefühl für die sich abzeichnenden Verschiebungen und aufkommenden Problemstellungen der philosophischen Entwicklung. Aber der Versuch Schleiermachers, in seiner Dialektik die Balance zwischen transzendentalen und methodologischen Voraussetzungen bzw. Argumentationen durch einen existentiellen Bezug zu halten, zeigt in der Wirkungsgeschichte sowohl die Grenzen seiner spekulativen Durchdringung als auch die seiner empirischen Konkretion. Insofern bleibt der wissenstheoretische Ansatz Schleiermachers ein früher Beitrag zur erkenntnistheoretischen Diskussion im 19. Jahrhundert, der in seiner aufgegriffenen Fragestellung initiierend wirkte und der in seiner Inanspruchnahme von Evidenz auch selbst nur auf den Austausch und Ausgleich mit anderen Positionen setzen kann.
4.4 Wirkungen der Dialektik Schleiermachers in der Auseinandersetzung mit der Religionsphilosophie Hegels Neben den Spuren des dialektischen Denkens Schleiermachers in der erkenntnistheoretischen Diskussion im 2. Drittel des 19. Jahrhunderts gibt es einen weiteren Bereich nicht unbeachtlicher Folgen seines wissenstheoretischen Ansatzes. Die Wirkung Schleiermachers im Bereich der Religionsphilosophie, die sich im Anschluß und in der Auseinandersetzung mit dem Deutschen Idealismus entwickelten, ist allerdings noch stärker als in der erkenntnistheoretischen Diskussion „nur untergründig und auf dem Wege osmotischer Beziehungen"134 beschreibbar. Dies gilt besonders deshalb, weil sie sich nur zum Teil als eine Folge der Dialektikvorlesungen Schleiermachers beschreiben lassen. Allerdings implizieren diese Bezugnahmen auf Schleiermachers Theologie und Religionsphilosophie ebenfalls wissenstheoretische Auseinandersetzungen.
136
A.Arndt: Einleitung, XXXVII.
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Rezeption und Wirkung der Dialektik
4.4.1 Georg Friedrich Wilhelm Hegel zur Ambivalenz eines Bezuges auf das Gefühl Nach dem Erscheinen der ersten Auflage der Glaubenslehre hatte Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770-1831) diese einer scharfen Kritik unterzogen.137 Hinter diesem polemischen Angriff, so beschreibt R. Crouter das Verhältnis von Hegel zu Schleiermacher, steht Hegels Ablehnung einer philosophischen Position, in der die von Kant gezogene Erkenntnisgrenze durch die Intuition des Gefühls auf unakzeptable Weise überschritten zu sein scheint. Hegel bemängelt, daß „Schleiermacher accepts the reduction of knowledge to the realm of finite objects, but then seeks to get beyond this reduction at the level of intuition and feeling"138. Damit sieht Hegel die Vernunft bei Schleiermacher begrenzt und aus der Begründungsebene ausgeschlossen: Hegels „point is that reason cannot be systematically excluded from the deepest and holiest moments of our experience"13'. Da die philosophische oder theologische Argumentation sich auf diese Weise nicht bis in ihre Letztbegründung auf erhebbare und reflektierbare Strukturen der Vernunft stützt, reduziert ein solcher Ansatz, nach der Meinung Hegels, das menschliche Selbstbewußtsein auf eine tierhafte Stufe. Es zeigt sich aber, daß Hegel selbst in seiner Religionsphilosophie differenzierter mit der Funktion des Gefühls umgeht, als es diese stark nachwirkende polemische Kritik zunächst nahe legt.140 Wie W. Jaeschke darstellt, fällt nicht nur die Entstehung der ersten Vorlesung Hegels über die Philosophie der Religion von 1821 genau in die Zeit, in der Schleiermacher die erste Auflage seiner Glaubenslehre veröffentlichte, sondern Hegels Manuskript weist zugleich deutliche Reaktionen auf die Glaubenslehre auf. 141 Während Hegel die Bezugnahme auf das Gefühl einerseits, und das zielt auf Schleiermacher, als unbestimmte und subjektive Sinnlichkeit kritisiert, kann er andererseits zugleich Gefühl als ursprüngliches und unmittelbares Wirklichkeitsverständnis in Anspruch 137 138 139 140
141
Vgl. G.W.F.Hegel: Vorrede zu Hinrichs' Religionsphilosophie [1822], R. Crouter: Hegel and Schleiermacher at Berlin [1980], 37. Ebd. Zur Problematik der ambivalenten Reaktion auf Schleiermachers Anschauungsbegriff in Hegels »Differenzschrift« vgl. H.-S. Choi: Vermitteltes und unmittelbares Selbstbewußtsein [1991], 227ff. Vgl. W. Jaeschke: Paralipomena Hegeliana [1984], 1159ff., wo insbesondere auf das „Grundgefühl der Abhängigkeit" in der Religion Israels, aber auch auf die religiöse Verehrung des römischen Kaisers als Ausdruck eines Abhängigkeitsgefühls als Anspielungen auf den Religionsbegriff Schleiermachers verwiesen wird.
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nehmen. 142 Dabei nutzt Hegel die Mehrdeutigkeit des Gefühlsbegriffs zwischen bloßen subjektiven Gefühlsempfindungen und einer existentiellen Offenheit und Empfänglichkeit des Menschen. Hegel geht davon aus, daß im Gefühl der Ort ist, „wo die zwei Sein in eines sozusagen zusammengegangen sind - das Sein Gottes als ein schlechthin Gewisses, als das mit meinem Sein verbundene, also ein Sein, bei dem die Trennbarkeit des Seins wegfällt"143. Wenn insofern Gefühl „als der Grund des Glaubens und Wissens von Gott" 144 anzugeben ist, so geht Hegel zugleich davon aus, daß damit nur eine formale und jeder Konkretion gegenüber indifferente Beschreibung gegeben ist: „Das Gefühl ist also eine Form, in der der Inhalt gesetzt ist als etwas vollkommen Zufälliges."145 Da weiter nach Hegel im Gefühl jeder Inhalt in der unbestimmten Offenheit einer subjektiven Emotion und insofern diffusen Reflexion der Wirklichkeit verbleibt, kann der im Gefühl gegebene Grund der Gewißheit des Wissens nicht mit der Objektivität des Wissens verbunden werden: „Die NichtObjektivität ist eben die Inhaltslosigkeit."146 Wird trotzdem der Inhalt des subjektiven Gefühls als etwas Objektives in Anspruch genommen, so erscheinen Hegel „damit Gott und alle Vorstellungen als Produkte des Gefühls", was in der Konsequenz einen atheistischen Materialismus impliziert, in dem der „Geist, das Denken, für etwas bloß Materielles" 147 steht. Hegel lehnt mit dieser Kritik eines subjektivistischen und affektiven Verständnisses des Gefühls zwar nicht grundsätzlich jede „Innerlichkeit des Gefühls" als ein „blitzähnliches Zeugnis des Geistes"148 ab, aber er betont, daß es nur durch „das Denken, das gebildete Bewußtsein", d.h. durch die von der Philosophie geleitete Reflexion im Bereich der Reli-
142
Vgl. R.R.Williams: Hegel and Schleiermacher on Theological Truth [1982], 54. G.W.F.Hegel: Philosophie der Religion, III, 176. 144 G.W.F.Hegel a.a.O., III, 175. 145 G.W.F.Hegel a.a.O., III, 177. Vgl. W. Jaeschke: Die Vernunft in der Religion [1983], 247. 144 G.W.F.Hegel a.a.O., V, 103. 147 G.W.F.Hegel a.a.O., III, 51. Vgl. die entgegengesetzte Argumentation gegenüber Kant bei F. Schleiermacher: DJ 436, wo „in der rationalen Theologie und Ontologie", aufgrund der ungenügenden „Trennung" von religiöser und dogmatischer Reflexion geradezu eine Ursache für die „Erscheinung des Atheismus" gesehen wird. 148 Vgl. W. Jaeschke: Die Vernunft in der Religion, 259, der darauf verweist, daß Hegel in seiner Darstellung der Überganges vom objektiven zum absoluten Geist in der »Enzyklopädie« davon ausgeht, daß das Selbstbewußtsein „in der Religion ,das Gefühl und die Vorstellung dieser seiner Wahrheit als idealer Wesenheit'" habe. 143
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gion zur Ausbildung einer „Glaubenslehre" 149 kommen kann. Damit erhält in der Beziehung des religiösen Gefühls zum Inhalt, d.h. zwischen dem Glauben und dem zum Begriff strebenden Denken bei Hegel die Philosophie „das Geschäft, diese beiden Verhältnisse zu vermitteln"150. Fällt diese Vermittlung aus, so sieht Hegel, wie in der von Schleiermacher beanspruchten gegenseitigen Unabhängigkeit von religiösem Glauben und philosophischem Wissen, die Erkenntnis Gottes überhaupt preisgegeben. Im Hintergrund dieser Kritik steht, wie Jaeschke darstellt, „Hegels Annahme der .absoluten' Berechtigung des Erkennens"1S1. Die von Hegel „geforderte Vermittlung der absoluten Form und des absoluten Inhalts", ist deshalb nur möglich, „wenn der religiöse Inhalt der denkenden Funktion überhaupt zugänglich - wenn Vernunft in der Religion ist"152. Deshalb ist nach Jaeschke in der Interpretation der Religionsphilosophie Hegels auch nicht davon auszugehen, daß „die Formen des Gefühls oder der Anschauung in dem Sinne aufgehoben werden, daß der religiöse Inhalt nicht mehr im Gefühl wäre"153. Indem Hegel als Lösung dieses Problems den Glauben und seinen Inhalt in die Vermittlung der Vernunft aufhebt, übersieht er jedoch, daß der in der Religionsphilosophie und Dialektik von Schleiermacher gebrauchte Gefühlsbegriff nicht als subjektive und sinnlich vermittelte Reflexion endlicher Wirklichkeit in Anspruch genommen wird. Während Hegel den Erweis der Identität der absoluten Form und des absoluten Inhaltes erst aus einer Bewegung des Geistes vom Fühlen und Vorstellen zum Erkennen ableitet,154 setzt Schleiermacher diese Identität als dem Wissen uneinholbar gegeben voraus. Schleiermachers Gefühlsbegriff, den Hegel nicht von dem Jacobis differenziert, 155 impliziert gerade einen das Bedingte und Vermittelbare übersteigenden Bezug, der dem Menschen im unmittelbaren Selbstbewußtsein präsent ist. Insofern gehen Schleiermacher und Hegel von völlig verschiedenen Implikaten 149 150 151 152 153 154
155
G.W.F.Hegel a.a.O., V, 257. G.W.F.Hegel a.a.O., V, 174. W. Jaeschke: Die Vernunft in der Religion, 232. Ebd. W. Jaeschke: Die Religionsphilosophie Hegels, 117. Vgl. W. Jaeschke: Die Vernunft in der Religion, 357: „Denn sie [sc. die Religionsphilosophie] nimmt zwar den absoluten Inhalt als einen bloß gegebenen auf, überwindet aber diese Form des Gegebenseins und rekonstruiert den - identischen - absoluten Inhalt in der Form des Begriffs und nach dessen eigener Evidenz." Vgl. G.W.F.Hegel: Glauben und Wissen [1802], SW I, 388f. Vgl. H.-S.Choi: Vermitteltes und unmittelbares Selbstbewußtsein, 220-247.
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des Gefühlsbegriffs aus. Daß es innerhalb dieses mit der Existenz vorgegebenen Rahmens zur Bestimmung konkreter Wissensgehalte einer durch Vernunft und Wahrnehmung zu leistenden Vermittlung bedarf, wird in Schleiermachers wissenstheoretischem Ansatz nicht bestritten. Bestritten wird jedoch, daß sich nur als Folge dieser Vermittlung die Objektivität des Wissens einstellt. Insofern wird die Bedeutung des im unmittelbaren Selbstbewußtsein präsenten transzendentalen Grundes betont. R.R. Williams hat in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht, daß Schleiermacher durch seine Glaubenslehre zusammen mit der Frage nach dem „Wesen des Christenthums" (CG11, 19 § 5.3) den operativen Begriff der Positivität in neuer Weise in die Theologie eingeführt hat.156 Das schon in der »Kurzen Darstellung« benannte Prinzip der Positivität wird, da in ihm das Wesen und dessen historische Erscheinung miteinander verbunden sind, zum Schlüssel des Theologieverständnisses Schleiermachers: „The principle of positivity is a most important principle for an historical phenomenological theology"1S7. Genau an diesen im Begriff der Positivität schwer zu fassenden ontologischen Implikationen setzt nun Hegels Kritik an. Während es für Schleiermacher eine historisch und zugleich durch das Wesen des Christentums bestimmte Positivität der christlichen Religion gibt, unterscheidet Hegel das Wesen des Christentums von dessen positiver Gestalt, die ihm entfremdet und autoritär erscheint. Die sich daraus ableitende Kritik an Schleiermacher erhält durch den sich Hegel bietenden Aufbau der Glaubenslehre noch eine Verschärfung. Das Verhältnis der Einleitung und des 1. Teiles, in dem allgemeine Strukturen des frommen Selbstbewußtseins beschrieben werden, zum 2. Teil, in dem die konkrete Gestalt des frommen Selbstbewußtseins unter dem Gegensatz von Sünde und Erlösung dargestellt wird, legt es nahe, die im 1. Teil praktizierte Abstraktion ontologisch und nicht im Sinne von Schleiermacher methodologisch zu verstehen. Das Wesen des Christentums scheint dann durch die allgemeinen Charakterisierungen des 1. Teiles, die für Schleiermacher aber ohne die positiven Konkretionen und Modifikationen durch den im 2. Teil beschriebenen Übergang von Sünde zu Erlösung unvollständig bleiben, bestimmt zu sein. Hegel, dem zum Zeitpunkt seiner ersten kritischen Bezugnahme nur der 1. Teil der Glau156
157
Vgl. R.R.Williams: Schleiermacher, Hegel, and the Problem of Concrete Universality [1988], 473. R.R.Williams a.a.O., 474.
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benslehre vorlag, erscheint dieses Verhältnis von methodischer Abstraktion und positiver Konkretion als ein unbestimmter, spekulativer Übergang von allgemeinen zu partikularen Beschreibungen, der durch die Unbestimmtheit des Gefühls verschleiert wird. Gefühl wird nicht als existentielle Bestimmtheit und insofern als Voraussetzung, sondern als formale und rational unbestimmbare Struktur gesehen. Hegel „finds in Schleiermacher no conceptual mediation between universal structures a priori and the determinate content which is supposed to fill them and qualify them"158, weshalb er die Glaubenslehre als eine Mischung subjektiver Gefühle und historischer Fakten kritisiert.159 Weil sich für Hegel Positivität nicht durch die Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins erschließt, sondern als Moment des Begriffs erscheint, fließen für ihn die theologische und philosophische Problematik ineinander, die Schleiermacher gerade mit seinem Bezug auf die Unmittelbarkeit des Gefühls zu differenzieren sucht. Zusammenfassend schreibt Williams: „Thus Hegel became the first to misinterpret Schleiermacher out of the prolegomena, and established a pattern of reading the Glaubenslehre that has obscured the meaning and coherence of Schleiermacher's thought down to the present."160 Wenn Hegel an dem der Theologie Schleiermachers zugrunde gelegten Begriff des Abhängigkeitsgefühls Anstoß nimmt, so addieren sich in dieser Kritik zwei miteinander verbundene Momente. Es erscheint für Hegel in doppelter Weise als inakzeptabel, das Wesen der Religion in einem Gefühl der Abhängigkeit zu sehen: In der schlechthinnigen Abhängigkeit fallen die dem Selbstbewußtsein entzogene Vorgegebenheit seiner Subjekthaftigkeit und die im Gefühl der Vernunft entzogene Übernahme der Selbstbegründung zusammen. Aus dieser unterschiedlichen Bewertung der Vorgegebenheit und Entzogenheit letzter Begründungen des Wissens ergeben sich weitreichende Konsequenzen. In seiner Untersuchung zum Verhältnis von Schleiermacher und Hegel, die neben theologischen und philosophischen Fragen auch geschichtliche und politische Implikationen berücksichtigt, hebt H. Dembowski hervor, daß die Differenzen zwischen Schleiermacher und Hegel sich insbesondere an der Beantwortung der die Religionsphilosophie be158 159
140
R.R.Williams a.a.O.,482. Konsequenterweise ersetzt Hegel in seinen religionsphilosophischen Vorlesungen seit 1824 Empfindung durch Gefühl. Vgl. W.Jaeschke: Einleitung. In: G.W.F. Hegel: Philosophie der Religion, III, Seite XLVII. R.R. Williams: Immediacy and Determinacy [1984], 215.
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stimmenden wissenstheoretischen Frage der Vermittlung von Unbedingtem und Bedingtem, an der Frage nach der Erkenntnis Gottes zeigen. 141 Zugleich wird betont, daß die sich zeigenden Differenzen der wissenstheoretischen Bestimmungen beider nicht losgelöst von theologischen Grundentscheidungen zu sehen sind. Schleiermacher war im Unterschied zu Hegel an einer engen Beziehung der Theologie zur Kirche interessiert, was seine Tätigkeit als Prediger an der Berliner Dreifaltigkeitskirche unterstreicht. 162 Hegel, der mit Pathos gegen ein schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl die Freiheit setzt, führt die von ihm gedachte spekulative Vermittlung bis zur systematischen Konsequenz einer Totalität des Wissens. Schleiermacher, der in der Ausformung der theoretischen Mittel nicht die spekulative Konsequenz und systematische Strenge Hegels verfolgt, entläßt aus dem Grund des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls ein Denken, das in Vorläufigkeit und Kritik Wissen anstrebt. In dieser Zuspitzung wird der grundlegende Unterschied beider im Begriff der Dialektik und den sich daraus ableitenden wissenstheoretischen Differenzen deutlich: „Dialektik ist für Hegel der Prozeß des aufhebenden Ausgleichs von Gegensätzen, ursprünglich als Identität von Identität und Nichtidentität, dann, nach der Kehre als Übergang von Sein durch Nichts zum Werden bestimmt, ein Prozeß, den die Vernunft vernimmt [...]. Dialektik ist für Schleiermacher der Vollzug menschlichen Erkennens im Dialog in eingeräumten Räumen [...]." 143 Jaeschke, die Auseinandersetzung zwischen Schleiermacher und Hegel insgesamt bewertend, kommt zu dem Schluß, daß nicht nur durch Schleiermachers „Glaubenslehre Hegels Kolleg über Religionsphilosophie veranlaßt" worden ist, sondern Schleiermachers theologischer Ansatz zugleich „zur Ausformulierung einer konkurrierenden Position beigetragen" 144 hat. Hatte schon K. Rosenkranz, Hegels erster Bio161 162
143
144
Vgl. H.Dembowski: Schleiermacherund Hegel [1973], 137ff. Vgl. W. Schultz: Die Grundprinzipien der Religionsphilosophie Hegels und der Theologie Schleiermachers [1937], 104-132. H.Dembowski: Schleiermacher und Hegel, 138, Anm. 75. Vgl. W.Schultz: Die Transformation der theologia crucis [1964], 98: „Während aber Schleiermacher das Absolute und die Gegensätzlichkeit des Idealen und Realen voneinander distanziert, so daß für den Menschen das Absolute im letzten Grunde unverfügbar und unbegreiflich bleibt, läßt Hegel die Gegensätzlichkeit aus dem Absoluten selbst hervorgehen, so daß der Mensch [...] im Denken und Handeln das Absolute selbst vollzieht und in anhaltenden Kreisbewegungen seine Endlichkeit mit dem Absoluten aussöhnt." W. Jaeschke: Paralipomena Hegeliana, 1161.
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graph, die produktive Spannung von Schleiermacher und Hegel in Berlin hervorgehoben, 165 so ist, wie U. Schott nachweist, „die Religionsphilosophie in wesentlichen Teilen als eine polemische Auseinandersetzung mit der 1821 erschienenen Schleiermacherschen »Glaubenslehre«"166 aufzufassen. Einen weiteren philosophiegeschichtlichen Rahmen betrachtend urteilt schließlich Crouter: „Although we are familiar with the revolt of the later nineteenth century against Hegel, we are insufficiently aware that the revolt was anticipated, if not precipitated, during his lifetime at his own university by a teacher of theology. Schleiermacher is thus the initial harbinger and herald of the revolt against Hegel, [.. ,]"167. Zu einem ähnlichen Schluß kommen F.W. Graf und F. Wagner im Hinblick auf die Schüler Hegels, spielte doch „Schleiermachers Theorie im Streit um Hegels Religionsphilosophie, zumindest e contrario, eine sehr viel größere Rolle, als ihr nach dem inhaltlichen Anspruch der Kritik Hegels an sich hätte zukommen dürfen."168 Der Hegelschüler C.L. Michelet hat in seiner philosophiegeschichtlichen Darstellung die Kritik Hegels an Schleiermacher, die sich insbesondere an dessen religionsphilosophischem Ansatz entzündet hatte, auf die philosophische Position der Dialektik Schleiermachers bezogen.169 Grundsätzlich sieht Michelet den wissenstheoretischen Ansatz Schleiermachers „in der ganz eigenthümlichen Klemme", da die Dialektik „ein Versuch ist, das höchste Wissen aufzustellen, sie zugleich selbst weiß, daß dieser Versuch nicht schon das höchste Wissen selber ist."170 Michelet bescheinigt Schleiermacher zwar eine „Vertrautheit mit den verschiedenen Lösungen des philosophischen Grundproblems" und ein „leidlich spéculâtiv[es]" Vorgehen. Aber wenn Schleiermacher es ablehnt, „die Valuta der bisher aufgestellten Gefühle" in „vollgültigen Begriffen" zu fassen, kommt für ihn die Dialektik Schleiermachers dann doch „zu einem vollkommen negativen Resultate"171. „Mit Kanti165
167 148
169
170 171
Vgl. K.Rosenkranz: Hegels Leben [1844], 327. U.Schott: Jugendentwicklung Ludwig Feuerbachs [1973], 129. R. Crouter: Hegel and Schleiermacher at Berlin, 40. F.W.Graf, F.Wagner: Einleitung. In: Diess. (Hgg.): Die Flucht in den Begriff [1982], 29. Vgl. C.L. Michelet: Geschichte der letzten Systeme der Philosophie, II, 95ff., der allerdings einräumt, daß ihm 1837 im wesentlichen nur die in der Ethik enthaltenen Lehnsätze der Dialektik zur Verfügung standen. C.L.Michelet a.a.O., II, 96. C.L. Michelet a.a.O., II, 100, vgl. II, 52, wo mit der negativen Vermittlung die Möglichkeit eines mythischen Wirklichkeitsverständnisses verbunden wird.
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scher Polemik gegen den discursiven Begriff" sieht Michelet Schleiermacher der Spekulation „in die Regionen des Gefühls" 172 entfliehen. Damit wird in der Kritik Michelets an Schleiermacher deutlich, was im Hintergrund der gesamten Auseinandersetzung zwischen Schleiermacher und Hegel steht: Der im Gefühlsbegriff als existentielle Verhältnisbestimmung gegebene letzte Grund der Gewißheit des Wirklichkeitsbewußtseins wird aus spekulativer Sicht als unzureichend abgelehnt. Sofern nicht der Gefühlsbegriff Schleiermachers als sinnlich vermittelte Emotion gänzlich mißverstanden wird und deshalb als Begründung des Wirklichkeitsverhältnisses ausscheidet, stellt dies die wesentliche Form der Kritik an Schleiermachers wissenstheoretischem Ansatz dar. Nicht eine unmittelbar auf die Existenz Bezug nehmende, sondern allein eine durch die Vernunft spekulativ vermittelte Objektivität der Wirklichkeit erscheint diesem Denken als Lösungsansatz des wissenstheoretischen Grundproblems. Allerdings muß auch der Ansatz einer spekulativen Vermittlung von Erkenntnis und Erkenntnisvoraussetzungen auf seine existentiellen Implikate hin befragt werden. 4.4.2 David Friedrich Straußder Bruch zwischen Spekulation und Empirie Obwohl David Friedrich Strauß (1808-1874) zum Wintersemester 1831/32 hauptsächlich nach Berlin gekommen war, um bei Hegel zu studieren, äußert er sich über die bei Schleiermacher gehörten Vorlesungen fast überschwenglich. 173 Dieses Urteil ist überraschend, da Strauß der Theologie Schleiermachers insgesamt sehr kritisch gegenübersteht. Im Jahr nach dem Tod Schleiermachers, 1835, veröffentlichte Strauß dann sein »Leben Jesu«. Damit wurde die historische Kritik, die Strauß nicht zuletzt durch Schleiermacher vermittelt worden war, 174 zu einer ernsten Anfrage an die von Schleiermacher vorausgesetzte Entsprechung von historisch-wissenschaftlichem Denken und christlichem Glauben, von Philosophie und Theologie. Im Kern kritisiert Strauß die von Schleiermacher konstatierte Identifikation des geschichtlichen und urbildlichen Christus als einen Rück172 173
174
C.L.Michelet a.a.O., II, 102. Vgl. die 1987 von W. Sachs vorgelegte Edition der Vorlesungsnachschrift der »Theologischen Enzyklopädie« Schleiermachers von Strauß sowie die in der Einleitung vom Herausgeber gegebene Darstellung der philosophischen Entwicklung von Strauß. Vgl. J.F.Sandberger: David Friedrich Strauß als theologischer Hegelianer [1972], 77, sowie die in Anm. 14 gegebenen Verweise auf Briefe von Strauß.
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schluß aus dem frommen Selbstbewußtsein auf dessen vermeintliche historische Ursache. Strauß, der einerseits die wichtigen, aber ungedruckten philosophischen Schriften Schleiermachers nicht kannte und andererseits „von seinen hegelischen Voraussetzungen aus gewohnt war, Schleiermacher als Philosophen nicht ernstzunehmen", wirft Schleiermacher vor, daß dieser „mit Hilfe einer Synthese von Orthodoxie und Rationalismus die nichtspekulative Ebene in sich zu vollenden sucht"175. Nicht gegen Rationalisten oder Supranaturalisten, sondern „in erster Linie" gegen die „latente Reduktion des spekulativen Prozesses auf den Gegensatz von Spekulation und Empirie"176 als Methode Schleiermachers, so die These von D. Lange, sei das »Leben Jesu« von Strauß geschrieben worden. Schleiermachers Ansatz und dessen Rezeption durch Strauß bilden aber insgesamt ein kompliziertes Verhältnis wechselseitiger Beeinflussungen. Strauß stellt in destruierender Absicht177 gegen die bei Schleiermacher ausgemachte Konstruktion einer Identifikation des Urbildlichen und des Geschichtlichen in Christus und die damit behauptete historische Bedeutung Jesu die Aufhebung der Gestalt Jesu in die Idee der Menschheit. Allerdings übersieht er, daß Schleiermacher von einer geschichtlichen Wirksamkeit Jesu ausgeht, die auch dieser nicht allein auf das historische Leben Jesu zurückführt. Strauß geht dagegen von einem spekulativen Ansatz aus, in dem „der menschgewordene Gott, der zur Endlichkeit entäusserte unendliche, und der seiner Unendlichkeit sich erinnernde endliche Geist" zur „Idee der Menschheit" als Idee der „Vereinigung der beiden Naturen"178 wird. Davon ausgehend kritisiert Strauß den Ausgangspunkt Schleiermachers als Rückzug auf „Gefühltes [als] ein minder Bestimmtes [...], dem daher durch dialektische Entwicklung leichter eine Form gegeben werden kann, welche den Forderungen der Wissenschaft genugthut"179. Schleiermachers Versuch einer existentiellen Bestimmung des Grundes des Wissens und des Glaubens wird durch diese Charakterisierung als erschlichene Versöhnung von Glauben und Vernunft verdeckt. Abgesehen von der Frage, ob Strauß mit seiner Schleiermacher-Interpretation stärker von seinem 175 176 177
178 179
D. Lange: Historischer Jesus oder mythischer Christus [1975], 188. Ebd. Vgl. F.Courth: Das Wesen des Christentums in der liberalen Theologie [1977], 14. Da Strauß „von der Unvereinbarkeit von Glauben und Wissen überzeugt ist, kann für ihn Theologie nur eine destruktive Funktion haben." D.F.Strauß: Leben Jesu, II [1835], 740. D.F.Strauß: Leben Jesu, II, 716.
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Lehrer F.C. Baur oder von Hegel beeinflußt ist, wird deutlich, daß die Kritik von Strauß einem Grundmuster der theologischen und philosophischen Vorbehalte gegenüber Schleiermacher entspricht. Zwar modifizierte Strauß diese Vorwürfe in den verschiedenen Auflagen des »Lebens Jesu« und schwächte sie teilweise ab, aber 1839 in seinen »Charakteristiken und Studien« formulierte er erneut den Vorwurf eines Subjektivismus als theologisches Prinzip bei Schleiermacher,180 dessen Grundannahme, die Identifikation des Urbildlichen und Geschichtlichen in Christus ein Postulat des frommen Gefühls sei.181 In der »Glaubenslehre« von 1840/41 lehnt Strauß den methodischen Ansatz Schleiermachers als „sehr unspeculativ"182 ab. Besonders in dem Abschnitt, in dem die Christologie Schleiermachers thematisiert wird, verstärkt Strauß dann den Vorwurf „der Deduction seines Christus vom Subjecte aus"183. Da die Idee der Menschheit „mit steigender realer Vervollkommnung auch die Züge des Vorbildes immer mehr idealisiert" und dieses „auf allen Gebieten der Natur und des Geistes zu erkennen" 184 sei, kritisiert Strauß am Ansatz Schleiermachers, daß dieser von einer Identifikation des Urbildlichen und Geschichtlichen in einem Individuum ausgehe. Zusammen mit dieser Kritik der Behauptung von Universalität in einem Individuum deutet Strauß die von Schleiermacher in der Urbildlichkeit gesehene Produktivität als „die productive Kraft der Menschheit [...], welche sich, wie real als Vorwärtsstreben, so ideal als Vorbilden bethätigt"185. Damit hat Strauß, „indem er im Unterschied zum Leben Jesu neben dem .Subjektivismus' Schleiermachers jetzt den Gedanken der Produktivität gesondert hervorhebt", so schlußfolgert Lange, „den Punkt erfaßt, der in der Tat für 180
181
182 183 184 185
Vgl. D.F. Strauß: Schleiermacher und Daub [1839], 176, wo eingewendet wird, daß für die Beschreibungen des frommen Selbstbewußtseins als erste Form dogmatischer Sätze der subjektive Ausgangspunkt ungenügend bleibe, „denn schon jetzt reicht zur Ausfüllung jener ersten Form der subjective Inhalt nicht hin, und sie ist da und dort genöthigt, Objectives in sich hineinzuziehen, um sich nur zu Stande zu bringen". Vgl. D.F.Strauß: Schleiermacher und Daub, 201, der die Christologie Schleiermachers „in ihrer Behauptung einer Congruenz des Geschichtlichen und Urbildlichen in der einzelnen Persönlichkeit Christi" lediglich „durch die Berufung auf die innere Erfahrung des erlösten Christen" bestätigt findet. D.F.Strauß: Glaubenslehre, II [1841], 327. D.F.Strauß: Glaubenslehre, II, 176. D.F.Strauß: Glaubenslehre, II, 185f. D.F.Strauß: Glaubenslehre, II, 185. Vgl. J.F. Sandberger: David Friedrich Strauß als theologischer Hegelianer, 160, der darauf hinweist, „daß Strauß für die Christologie vorwegnahm, was Feuerbach später für die ganze Theologie behauptete".
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Schleiermacher religiös wie geschichtsphilosophisch schlechthin entscheidend war: die Einheit von geschichtlichem Neuanfang und schöpferischem Akt Gottes in der Person Jesu"186. An diesem theologischen Zentralproblem stellt sich somit, auch wenn Strauß den Ansatz Schleiermachers verzeichnet, zugleich die Frage nach der Tragfähigkeit der wissenstheoretischen Behauptungen Schleiermachers. Interessant ist die Auseinandersetzung mit Schleiermacher, den Strauß als den „Kant der protestantischen Theologie" 187 kritisch in die Theologiegeschichte einordnet, weil auch Strauß in seiner spekulativen Konzeption eine Vermittlung des Empirischen sucht, also eine Konstruktion der Geschichte bzw. der Ideen aus der Spekulation ablehnt. 188 Schleiermacher insistiert, und das qualifiziert bei ihm das Empirische, auf einem produktiv schöpferischen Beginn des Glaubens in Christus, der zum Ursprung der Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins wird. Strauß verfolgt dagegen in seinem »Leben Jesu« methodologisch das Ziel einer Negation von Unmittelbarkeit. Zugleich etabliert Strauß einen Mythosbegriff, nach dem Mythen teils unbewußt, teils absichtsvoll dichterisch entstandene Einkleidungen urchristlicher Ideen sind, die sich auf Geschichte und Natur beziehen.189 In den Mythen will Strauß auf eine ursprüngliche Weise das spekulative Moment und den Bezug zur Geschichte verbunden wissen. Die Schwierigkeit jedoch, die Grenze zwischen wirklicher Geschichte und mythischen Aussagen genau zu bestimmen, steht in Zusammenhang mit dem bei Strauß unbestimmt bleibenden Verhältnis von Empirie und Spekulation und läuft in der Konsequenz auf eine Doppelung in eine Geschichte des Geistes und eine reale Geschichte und damit auf einen methodischen Dualismus hinaus. Zur Klärung der Herkunft dieses bei Strauß angelegten Methodendualismus verweist Lange auf die „Oscillation der voneinander unabhängigen spekulativen und empirischen Methoden bei Schleiermacher"190, die Strauß jedoch nicht in der von Schleiermacher
186 187 188
189 190
D. Lange: Historischer Jesus oder mythischer Christus, 214. D.F.Strauß: Schleiermacher und Daub, 205. Vgl. D.F. Strauß: Leben Jesu, II, 738, wo festgestellt wird, „dass durch die allgemeinen Sätze von Einheit der göttlichen und menschlichen Natur die Erscheinung einer Person, in welcher diese Einheit auf ausschliessende Weise individuell vorhanden gewesen wäre, nicht im Mindesten denkbar wird". Vgl. D.F.Strauß: Leben Jesu, I, 89ff. D. Lange: Historischer Jesus oder mythischer Christus, 266.
Der Bruch zwischen Spekulation und Empirie
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vorausgesetzten und unableitbaren Entsprechung vermittelt sieht.191 Indem Strauß aber den Ansatz Schleiermachers mit seinem Bezug zum unmittelbaren Selbstbewußtsein ablehnt bzw. als existentielle Unmittelbarkeit aus seinem wissenstheoretischen Ansatz ausschließt, zeigt sich in seiner Spekulation selbst eine subjektivistische Tendenz. Der Versuch von Strauß, in der historischen Kritik von einer eigenen Bedeutung der Geschichte auszugehen,192 führt zu einem unausgeglichenen Verhältnis zu dem gleichzeitigen Bestreben, das Empirische spekulativ zu fassen. Die von Strauß in seiner »Glaubenslehre« entwickelte Vorstellung einer ursprünglichen produktiven Idee, die sich in der gesamten Menschheit darstellt, vermag in ihrer Konsequenz die spekulative Konstruktion und historische Kritik nicht mehr zu verbinden und verweist so auf ihren subjektiven Konstruktionscharakter. Wird dies in Wechselwirkung zu Schleiermacher gesehen, so hat „Schleiermacher indirekt einen nicht unerheblichen Anteil daran, daß Strauß (zunächst ganz unfreiwillig) die entscheidende Schwäche in Hegels Bestimmung des Verhältnisses von Religion und Philosophie ans Licht brachte und damit das Ende der Versöhnung von Philosophie und Religion, ja letztlich den Zusammenbruch der spekulativen Philosophie überhaupt einleitete"193. Im Kern ist der Dissens zwischen Schleiermacher und Strauß eine Differenz ihres Dialektik-Verständnisses. Schleiermacher geht von einer Dialektik polarer Einheit und eines auszubalancierenden Gleichgewichtes aus, in der historische Erscheinungen wesenhaften Charakter tragen und sich in Individuen das Allgemeine konkretisiert. Dagegen geht Strauß von einer Dialektik des Widerspruches aus, dessen spekulative Einheit das Empirische zwar nicht in konstruktivistischer Weise umgreift, aber in der sich die Idee letztlich nur im Gesamtprozeß zu realisieren vermag. Die daraus folgenden differierenden wissenstheoretischen Voraussetzungen, die maßgeblich ihre religionsgeschichtlichen und dogmatischen Positionen charakterisiert, sind dementsprechend 191
192
193
Vgl. D.F.Strauß: Schleiermacher und Daub, 207, wo Strauß kritisiert, daß Schleiermacher die „Einheit des Göttlichen mit dem Menschlichen in Christo [...] nur in der subjectiven Form des Gefühls und der Reflexion auf dasselbe" erreicht und damit den „Stoff im Fühlen des Subjects" nicht vermittelt, sondern aufgehen läßt. Vgl. D.F. Strauß: Schleiermacher und Daub, 30, wo Strauß betont, daß „die wahre Kritik einer Sache nur in ihrer Geschichte liegen kann. Insbesondere in der Hinsicht lehrt die Geschichte denjenigen, der ihr folgt, ihre eigene Methode, daß ihr Fortschritt niemals ein reines Vernichten, sondern nur ein Aufheben im philosophischen Sinne ist". D. Lange: Historischer Jesus oder mythischer Christus, 289.
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von einer unterschiedlichen Bewertung des Bezuges zur Subjektivität geprägt. Die subjektive Bindung an den christlichen Glauben, die für Schleiermacher zum konstitutiven Bezugspunkt der Theologie wird und der existentielle Bezug, der seine Philosophie trägt, wird von Strauß nicht mehr als Voraussetzung von Wissenschaft anerkannt, sondern als subjektivistische Verengung abgelehnt. Indem Strauß aber versucht, die produktive Idee der Menschheit, die sich mythisch bzw. kritisch in der sich entwickelnden Menschheit äußert, gegen einen Ausgangspunkt zu stellen, der subjektive Bindungen einbezieht, offenbart sein eigener Ansatz eine Nähe zu subjektivistischen Religionstheorien. „Damit ist Schleiermachers Ansatz beim religiösen Subjekt auf dem Umweg über seine radikale Bekämpfung als deren Resultat wieder herausgekommen", so folgert Lange, „wenngleich in diesem Resultat natürlich die ursprüngliche Tendenz jenes Ansatzes in ihr Gegenteil verkehrt worden ist"194 4.4.3 Ludwig Feuerbachdie Verabsolutierung im subjektiven Gefühl gegebener Unmittelbarkeit Als der Theologiestudent Ludwig Feuerbach (1804-1872) 1824 nach Berlin kam, um seine Studien vor allem bei Hegel fortzusetzen, äußerte er sich über die eher nebenbei gehörten Vorlesungen bei Schleiermacher sehr distanziert.195 Bei diesem Urteil ist jedoch „die Abhängigkeit des Feuerbachschen Schleiermacherverständnisses von der zunächst einfach übernommenen Polemik Hegels gegen die .Gefühlstheologie'" 196 zu beachten. Der Unterschied in der Beurteilung des Ansatzes Schleiermachers zwischen Hegel und Feuerbach wird jedoch nach 1839, nach dem Erscheinen der »Kritik der Hegeischen Philosophie« Feuerbachs, offensichtlich. In seiner Erwiderung auf Einwände gegen seine im »Wesen des Christentums« dargestellten religionsphilosophischen Grundsätze formuliert Feuerbach, daß das Gefühl, was „bei Hegel die Bedeutung des Sekundären, Subjektiven, Formellen hat", bei
194 195
D. Lange: Historischer Jesus oder mythischer Christus, 300. Vgl. die autobiographische Äußerung Feuerbachs nach K. Grün: Feuerbach in seinem Briefwechsel, I [1874], 16: „Der theologische Mischmasch von Freiheit und Abhängigkeit, Vernunft und Glaube, war meiner Wahrheit, d.h. Einheit, Entschiedenheit, Unbedingtheit verlangenden Seele bis in den Tod zuwider." U.Schott: Jugendentwicklung Ludwig Feuerbachs [1973], 147.
Die Verabsolutierung im subjektiven Gefühl gegebener Unmittelbarkeit
261
ihm „die Bedeutung des Primitiven, des Objektiven, Wesentlichen"197 erhält. Wie Feuerbach im gleichen Zusammenhang hervorhebt, ist dieser Ansatz seiner Religionsphilosophie weder als „eine Explikation der Hegeischen" noch als bloße „Opposition gegen die Hegeische"198 zu verstehen. Vielmehr beruft er sich „zur tatsächlichen Bestätigung [s]einer aus der Natur des Gefühls gefolgerten Behauptungen" über das „eigentümliche Wesen der Religion"199 ausdrücklich auf Schleiermacher. Hatte Hegel das Gefühl lediglich als Form eines sich beliebig bestimmenden Inhaltes der Religion angesehen und es als subjektiv aus der wissenstheoretischen Begründung der Religionsphilosophie ausgeklammert, so ist nach Feuerbach „der Gegenstand, der Inhalt des religiösen Gefühlsf,] selbst nichts andres als das Wesen des Gefühls"200. Indem Feuerbach betont, er „subjektiviere das Objektive"101, bildet es für ihn den wesentlichen wissenstheoretischen Ausgangspunkt seiner anthropologisch verstandenen Religionstheorie. Im Vorwort der 2. Auflage vom »Wesen des Christentums« von 1843 betont Feuerbach, daß er sich, wo er „die notwendigen Konsequenzen des Gefühlsstandpunktes entwickle, auf den Philosophen Jacobi und Schleiermacher" beziehe, ohne solche Bezüge im weiteren „auch nur dem Namen nach zu bezeichnen" (GW V, 24)202. Daher ist, soll die Berechtigung dieser durch Feuerbach in Anspruch genommenen Bestätigung bei Schleiermacher beurteilt werden, die dem Gefühlsbegriff bei Feuerbach zugemessene wissenstheoretische Funktion zu betrachten. Im 1. Teil des »Wesens des Christentums«, in dem Feuerbach seine These, daß die Theologie letztlich Anthropologie sei, zu begründen sucht, führt er, das Wesen des Menschen charakterisierend, drei Bestimmungen ein: „Wollen, Fühlen, Denken" sind für Feuerbach „Vollkommenheiten" (GW V, 35) des Menschen, die nicht aufeinander reduzibel sind. Wie jede Vollkommenheit sind sie als „ursprüngliche Kraft und Wesenheit die unmittelbare Bewahrheitung und Bekräftigung ihrer selbst" (GW V, 36). In Anlehnung an Schleiermacher geht Feuerbach weiter davon aus, sich gegen einen einseitigen Intellektualismus bzw. 197 198 199 200 201 202
L.Feuerbach: Beurteilung [1842], GW IX, 230. L.Feuerbach a.a.O., 229. L.Feuerbach a.a.O., 230. Ebd. L.Feuerbach a.a.O., 231. Die in diesem Abschnitt im Text stehenden Seitenangaben beziehen sich auf Zitate aus L.Feuerbach: Wesen des Christentums [1841].
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Voluntarismus wendend, daß „das Gefühl das wesentliche Organ der Religion" (GW V, 40) sei, um dann jedoch seinen spezifischen religionskritischen Ansatz auf dieser Grundlage zu entwickeln: Indem Feuerbach die Wesensbestimmungen des Menschen als „wahre Gattungsfunktioneni" (GW V, 29) versteht und diese als „das absolute Wesen des Menschen" (GW V, 31) vollkommen entgrenzt, zieht er ein dem Wesen des Menschen gegenüberstehendes religiöses Objekt in dieses hinein. Ist also „das Gefühl das wesentliche Organ der Religion, so drückt das Wesen Gottes nichts andres aus als das Wesen des Gefühls" (GW V, 40). Damit ist der Ansatz Schleiermachers, der von einer epistemologischen und ontologischen Entsprechung ausging, entscheidend verändert: Für Feuerbach fallen Erkenntnisgrund und Gegenstand derart zusammen, daß „das Wesen des Menschen [...] nicht nur der Grund, sondern auch der Gegenstand der Religion" (GW V, 29, Anm. 3) ist. Feuerbach argumentiert weiter, „wenn subjektiv das Gefühl die Hauptsache der Religion ist", so folgt daraus, „daß objektiv Gott selbst nichts andres ist als das Wesen des Gefihls"203. Widerspricht Feuerbach in dieser Konsequenz Hegel, der dem Gefühl nur als formale Größe Bedeutung zugestanden hat, so wird zugleich die von Schleiermacher im unmittelbaren Selbstbewußtsein gesetzte partizipierende Beziehung auf den transzendentalen Grund von Feuerbach in dieses Gefühl selbst eingeholt. Dadurch verabsolutiert Feuerbach die von Schleiermacher im Gefühl sich ausdrückende und von ihm wissenstheoretisch in Anspruch genommene Unmittelbarkeit. Wurde mit Unmittelbarkeit bei Schleiermacher wesentlich eine Verhältnisbestimmung des Menschen zum Transzendentalen beschrieben, 204 so 203 204
L.Feuerbach: Beurteilung, GW IX, 230. Vgl. R.R.Williams: Schleiermacher and Feuerbach on the Intentional ity of Religious Consciousness [1973], 445, wo betont wird, „that Schleiermacher as a phenomenologist regards religious consciousness as yielding evidence about itself, World, and God". Die so von Schleiermacher behauptete „intentional structure of the feeling of utter dependence" (445) widerspricht nach Williams der religionsphilosophischen These Feuerbachs, „that the object of any subject is merely the nature of the subject taken objectively" (429). Vor diesem Hintergrund geht Williams davon aus, daß Feuerbachs „account of religious consciousness does not successfully portray or represent, much less .logically develop' - the thought of Schleiermacher" (430). Vgl. Ν. Groot: Schleiermacher en Feuerbach [1989], 309, der ebenfalls betont, daß Schleiermacher in seiner apologetischen Diskussion nicht die Transzendenz Gottes thematisiert, sondern fragt, wie die Wirklichkeit des höchsten Wesens gedacht bzw. erfahren werden kann. Im weiteren (31 lf.) sieht Groot Feuerbachs anthropologische Interpretation des Christentums als eine Antwort auf die apologetische Frage Schleiermachers und insofern als die .Ausarbeitung der wirklichen Bedeutung der Gefiihlstheologie Schleiermachers'.
Die Verabsolutierung im subjektiven Gefühl gegebener Unmittelbarkeit
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sieht Feuerbach „das Gefühl als das subjektive Wesen der Religion" unmittelbar als „das objektive Wesen derselben" (GW V, 41) an. Dementsprechend formuliert Feuerbach den religionsphilosophischen und zugleich wissenstheoretischen Ausgangspunkt Schleiermachers religionskritisch um. Für Schleiermacher war das Sein Gottes nur als das „Sein Gottes in uns" (DJ 154 § 216), nicht Gottes Sein an sich, zu wissen, also als Sein der Ideen bzw. des Gewissens gegeben. Der Grundthese Feuerbachs entsprechend wird Gott zum Wesen des Verstandes bzw. der Moralität selbst, d.h., daß das „absolute Wesen(, der Gott) des Menschen [...] sein eignes Wesen" (GW V, 35) ist. Insofern erscheinen die Prädikationen Gottes, die bei Schleiermacher als anthropomorphe Vorstellungen relativiert und letztlich nur in der Unmittelbarkeit des Gefühls begründbar sind, bei Feuerbach als der Verabsolutierung der sie ermöglichenden Relation. Die subjektive Bestimmtheit, der Grund, in dem Schleiermacher Aussagen von Gott legitimiert findet, wird durch Feuerbach von jeder transzendentalen Entsprechung getrennt und zur anthropologischen bzw. ontologischen Basis objektiviert. Diese absolute Inanspruchnahme der Unmittelbarkeit kann jedoch nur insofern als Konsequenz eines sich auf Unmittelbarkeit beziehenden Ansatzes erscheinen, wenn die bei Schleiermacher in der Unmittelbarkeit gesetzte Relationalität zuvor aufgelöst wird. Von Feuerbach wird der Verweis auf eine transzendente Wirklichkeit mit der Folge der Verabsolutierung der Unmittelbarkeit auf immanente Bestimmungen bezogen, womit „das Gefühl als das Absolute" (GW V, 42) gesetzt und alle bei Schleiermacher im unmittelbaren Selbstbewußtsein gesetzte Relationalität aufgehoben wird. Bei Feuerbach hebt die verabsolutierte Unmittelbarkeit ihre Duplizität und damit alle medialen Bezüge in sich auf205: „Gott ist das reine, das unbeschränkte, das freie Gefühl" (GW V, 42). Wird dies als eine Konsequenz einer sich auf Unmittelbarkeit berufenden Argumentation interpretiert, wo „in der Unmittelbarkeit des Gefühls [...] Subjekt und Objekt austauschbar geworden"206 sind, so Arndt, so ist die durch diese Verabsolutierung erfolgte Aufhebung der bei Schleiermacher in den Gefühlsbegriff gesetzten unmittelbaren Verhältnisbestimmung zu berücksichtigen. Diese Apotheose des Gefühls ist daher ebensowenig wie die für Feuerbach daraus folgende Anthropologisierung der Religion als direkte Folge einer im Begriff der Unmittelbarkeit selbst gesetzten Konse205 204
Vgl. N.Groot: Schleiermacher en Feuerbach, 312. A.Arndt: Dialektik und Reflexion, 242.
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quenz zu beschreiben, sondern resultiert eher aus einer Übertragung der bei Hegel vorgefundenen „,Versöhnung' von subjektivem und objektivem, von menschlichen und göttlichem Geist [...] auf das Gefühl"207. Insofern kann das Mißverständni^08 bzw. die Umdeutung des von Schleiermacher aufgenommenen Gefühlsbegriffs als Weiterführung der Polemik Hegels verstanden werden, 209 auch wenn Feuerbach zugleich mit Schleiermacher einer erst durch die Dialektik der Aufhebung zu vermittelnden Unmittelbarkeit widerspricht. Indem Feuerbach das subjektive Gefühl als wahres Wesen der Religion versteht, ist er bestrebt, die spekulative Philosophie als Stütze der Theologie zu entlarven.210 Der Rekurs auf den Gefühlsbegriff, der ohnedies von Feuerbach in seiner religionsphilosophischen Begründung „nur als Beispiel" (GW V, 43) für die absoluten Wesensbestimmungen des Menschen hervorgehoben wurde, zeigt, daß Feuerbachs Berufung auf eine Gefühlstheologie im Grunde schon voraussetzt, was er in ihr zu zeigen bestrebt ist: die Auflösung der Theologie in Anthropologie. Die Verabsolutierung der Wesensbestimmungen des Menschen, die Feuerbach zur Verabsolutierung des Menschen führt, impliziert, im Gegensatz zu Schleiermacher, die Identifikation des metaphysischen und christlichen Gottesgedankens.211 Es geht bei Feuerbach nicht um ein Gefühl, das als unmittelbares Selbstbewußtsein auf Transzendentalität bezogen ist und das erst in seiner Bestimmtheit zum Ausgangspunkt christlich-theologischer Aussagen wird, sondern um die Identifikation des durchaus sinnlich verstandenen Gefühls mit dem objektiven Wesen der Religion. Gefühl wird hier ganz von der Sinnlichkeit her verstanden, die für Feuerbach zur
207 208
209
210 211
U.Schott: Jugendentwicklung Ludwig Feuerbachs, 151. Vgl. U. Schott: Jugendentwicklung Ludwig Feuerbachs, 154, der von einer „fragwürdigen Berufung auf die ,Gefühlstheologie'" spricht. Vgl. N.Groot: Schleiermacher en Feuerbach, 295. Vgl. L.Feuerbach: Wesen des Christentums, 41:„So ist, seitdem man das Gefühl zur Hauptsache der Religion gemacht, der sonst so heilige Glaubensinhalt des Christentums gleichgültig geworden." Es entspricht ebenso der Polemik Hegels, wenn Feuerbach Schleiermacher unterstellt, er habe indirekt „eingestanden, indem, wenn einmal das Gefühl für das Organ des Göttlichen gilt, das Gefühl als solches, jedes Gefühl als Gefühl für religiös erklärt, also der Unterschied zwischen spezifisch religiösen und irreligiösen oder wenigstens nicht religiösen Gefühlen aufgehoben wird und werden muß." Vgl. U.Schott: Jugendentwicklung Ludwig Feuerbachs, 154. Vgl. J.C. Janowski: Der Mensch als Maß [1980], 77ff.
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fundamentalen, ontologischen und anthropologischen Kategorie wird.212 Feuerbach übergeht damit nicht nur die von Schleiermacher betonte Unterscheidung zwangsläufig anthropomorpher Charakterisierungen Gottes von dessen Transzendentalität, sondern er versteht auch den Anthropomorphismus der Prädikate, zusammen mit der Bestreitung der Nichtobjektivierbarkeit Gottes, als Beleg für die Göttlichkeit des Menschen (vgl. GW V, 51f.). Feuerbachs Bezug auf Schleiermachers Verankerung der Religion im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl weist einen ähnlich umdeutenden Charakter auf. Als er 1845 in seinem »Wesen der Religion« gegen eine ihm vorgeworfene idealistische Engführung des Christentums den Begriff der Natur in die Wesensbestimmung der Religion einführt, begründet er dies mit einem Abhängigkeitsgefühl: „Das Abhängigkeitsgefühl ist der Grund der Religion, der ursprüngliche Gegenstand dieses Abhängigkeitsgefühls ist aber die Natur, die Natur also der erste Gegenstand der Religion"213. Noch deutlicher tritt in einer dazu gegebenen Erklärung hervor, daß Feuerbach dem Abhängigkeitsgefühl einen immanenten und sinnlichen Bezug gibt, von dem Schleiermacher das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl als Grundlage der Religion gerade unterschieden wissen wollte. Feuerbach schreibt: „Mein Abhängigkeitsgefühl ist kein theologisches, schleiermacherisches, nebelhaftes, unbestimmtes, abstraktes Gefühl. [...] Das, wovon der Mensch abhängig ist, abhängig sich fühlt, abhängig weiß, ist aber die Natur, ein Gegenstand der Sinne,"214 Indem Feuerbach entsprechend seiner religionskritischen Grundthese die Theologie in Anthropologie zu überführen sucht, und deshalb jegliche Transzendenz in die Natur bzw. in das Wesen des Menschen einholt, nimmt er den Gefühlsbegriff Schleiermachers nur in formaler Weise in Anspruch. Obwohl die Offenheit des Gefühlsbegriffs Schleiermachers zu emotionalen und sinnlichen Konnotationen (vgl. CG11, 38ff. §11) dieser Inanspruchnahme entgegenzukommen scheint, ist sich doch Feuerbach der von ihm vorgenommenen Uminterpretation Schleiermachers, dessen „theologischen Befangenheit" 215 er aufheben will, bewußt. 2,2
213 2,4 215
Vgl. L.Feuerbach: Wesen der Religion [1846], GW VI, 19: „Sinnlichkeit ist bei mir nichts andres als die wahre, nicht gedachte und gemachte, sondern existierende Einheit des Materiellen und Geistigen, ist daher bei mir ebensoviel wie Wirklichkeit." L.Feuerbach a.a.O., 32. L. Feuerbach a.a.O., 53f. L.Feuerbach: Beurteilung, GW V, 230.
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Rezeption und Wirkung der Dialektik
Die in Feuerbachs wissenstheoretischem Ansatz jenseits aller theologischen Transzendenz dem Dialog zugemessene Bedeutung zeigt über das mit der Frage nach dem Gefühlsbegriff angesprochene Problem hinaus an, daß Feuerbach sehr ähnlich wie Schleiermacher erkannt hatte, daß es keinen einlösbaren Anspruch auf ein systematisches Begreifen des Ganzen der Wirklichkeit gibt.216 Daher verbindet Feuerbach das sich in der Unmittelbarkeit des Gefühls zeigende sensualistische Prinzip mit einem die Subjektivität der Erkenntnisträger einbeziehenden kommunikativen Ausgleich. Feuerbach stellt im Gegensatz zur begrifflichen Rationalität der Vernunft Hegels das Subjekt als Erkenntnisprinzip mit der es tragenden Unmittelbarkeit und der von ihm getragenen Kommunikation in den Mittelpunkt seiner Dialektik: „Die wahre Dialektik ist kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sie ist ein Dialog zwischen Ich und Du."211 Bezogen ist diese wahre Dialektik als „Akt des menschlichen Subjekts", auf den ganzen Menschen, der „wesentlich Kopf und Herz"21* ist. Indem diese Dialektik „eine vernünftige Einheit von Kopf und Herz, von Denken und Leben" begründen soll, indem sie „den wesentlichen und höchsten Gegenstand des Herzens, den Menschen, auch zum wesentlichen und höchsten Gegenstand des Verstandes" 219 macht, zeigt sich der bei Feuerbach im Gefühlsbegriff angelegte Lebensbegriff.220 Die Erweiterung des Subjektbegriffs der spekulativen Philosophie, wie Schleiermacher sie in seinem Ansatz beim Selbstbewußtsein vornimmt, und die Notwendigkeit, sich der Einheit des Ursprunges vor jeder Vermittlung zu vergewissern, zeigen hier ihre Wirkungen. „An die Stelle der Dialektik des Widerspruchs im Medium des Begriffs setzte er", so beschreibt Arndt den Schritt Feuerbachs, „daher die - eher von Schleiermacher als von Hegel inspirierte Dialektik kommunikativer Unmittelbarkeit von Ich und Du, in der die Amphibolie des Individuellen und Allgemeinen sich im unendlichen Widerstreit (nicht Widerspruch) zur Totalität macht."221 214
217 218 2,9 220
221
Vgl. L.Feuerbach: Grundsätze der Philosophie der Zukunft [1842/43], GW IX, 332, setzt im Unterschied zum Symbol des Kreises der spekulativ verfahrenden Philosophie „die Ellipse [... als] das Symbol, das Wappen der sinnlichen Philosophie, des auf die Anschauung sich stützenden Denkens." L.Feuerbach a.a.O., 339. L.Feuerbach a.a.O., 337f. L.Feuerbach a.a.O., 338. Vgl. J.C. Janowski: Der Mensch als Maß, 182, die aufzeigt, daß die Verabsolutierung des Subjekts bei Feuerbach ihren ontologischen Grund im Leben als „unendliche Selbstbejahung" hat. A.Arndt: Vernunft im Widerspruch [1992], 45f.
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Auch wenn insgesamt historisch-systematische Beziehungen zwischen Schleiermacher und Feuerbach nicht zu bestreiten sind, so sind diese, wie gezeigt, doch stärker in einem herausfordernden und anregenden Charakter der von Schleiermacher in die Theologie eingeführten wissenstheoretischen Bestimmungen zu suchen. Entgegen der These von K. Barth, daß Feuerbachs Religionskritik eine Konsequenz des Gefühlssubjektivismus Schleiermachers darstelle,222 ist, wenn der wissenstheoretische Ansatz der Religionsphilosophie Schleiermachers in der Rezeption Feuerbachs „nur im Sinne eines emotionalen Gefühlssubjektivismus bzw. einer sinnlich-naturhaften Abhängigkeitstheorie"223 uminterpretiert erscheint, auf Feuerbachs Beeinflussung durch die Philosophie Hegels und auch auf seine Beziehung zur Theologie Luthers224 zu verweisen. 222
223 224
Vgl. K.Barth: Ludwig Feuerbach [1926], 13, der an Schleiermacher eine „offenkundig vom eigenen Erleben des menschlichen Subjekts aus rückwärts projizierte Christologie und Versöhnungslehre" kritisiert. Grundsätzlich geht Barth bei dem Urteil, das Feuerbach und dessen Programm der „Verwandlung und Auflösung der Theologie in Anthropologie" (7) mit dem liberalen Protestantismus in Zusammenhang bringt, von einer Projektionsthese aus, die er in Schleiermachers Ansatz angelegt und bei Feuerbach ausgeführt findet (vgl. K.Barth: KD 1/1, 132). Vgl. ebenso K.Barth: Protestantische Theologie [1947], 414, wo Barth kritisiert, daß bei Schleiermacher „das fromme Bewußtsein" als „das anthropozentrisch gefaßte Thema der Theologie" letztlich nur eine Vermittlung psychologischer und historischer Momente der Religion zulasse. Andererseits, und darauf hat D. Lütz: Homo viator. Karl Barths Ringen mit Schleiermacher [1988], 386, hingewiesen, erkennt Barth durchaus an, daß Schleiermachers Begriff vom christlichen Bewußtsein „etwas Ähnliches wie unser [sc. Barths] ,Bestimmtsein'" (KD 1/1, 207) ausdrückt, und der Ansatz Feuerbachs, „nämlich das menschliche Subjekt zum Schöpfer seiner Bestimmtheit durch Gott machen [zu] wollen" (KD 1/1, 220), nicht in der Intention Schleiermachers liegt. Nach D. Lütz a.a.O., 387, gehen diese uneinheitlichen Interpretationen Schleiermachers auf ein „Missverständnis" von Barth zurück, denn „der Gottesgedanke wird bei Schleiermacher also keineswegs anthropologisiert" (395). U.Schott: JugendentWicklung Ludwig Feuerbachs, 162. Vgl. U. Kern: Zu Ludwig Feuerbachs Lutherverständnis [1984], 38, wo die Beeinflussung Feuerbachs durch Luther zusammenfassend dargestellt wird. Kern pointiert: „Feuerbach verdankt seine zentrale philosophische Kategorie der Sinnlichkeit der Beschäftigung mit dem Werk Martin Luthers". Vgl. jedoch die differenziertere Darstellung von J. Wallmann: Ludwig Feuerbach und die theologische Tradition [1970], 85: „Das »Wesen des Christentums« und seine schon in der ersten Auflage klar formulierte These, das Geheimnis der Theologie ist die Anthropologie, gehören einer Zeit an, in der Feuerbach unter dem Einfluß einer ganz anderen Tradition stand als der genuin reformatorischen und in der er sich auch auf ganz andere Autoritäten berufen hat als auf diejenige Luthers. Die theologische Tradition, anhand deren Feuerbach die Augen geöfftiet wurden über das wahre Wesen der Theologie, ist die Tradition der Mystik gewesen." Von dem dort gefundenen Gedanken der Vergöttlichung des Menschen ausgehend muß nach Wallmann die Religionstheorie Feuerbachs interpretiert werden.
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Rezeption und Wirkung der Dialektik
Wenn dieser mißverstandene religionsphilosophische Ansatz trotzdem „das Vehikel der Destruktion des spekulativen Religionsbegriffs" 225 bildet, so zeigt dies an, darauf hat besonders A. Arndt hingewiesen, daß die „romantische Dialektik [...] sich wirkungsgeschichtlich als der erfolgreichste Gegner Hegels" 226 erwiesen hat. Zugleich verweist die Auseinandersetzung mit den wissenstheoretischen Grundlagen Schleiermachers auf das sich immer neu stellende Problem der Einheit des Menschen, sowohl seiner Spontaneität als auch Rezeptivität, die weder allein durch einen Akt der Vernunft getragen werden kann, noch in der Offenheit des Gefühls gänzlich unbestimmt bleiben darf. Dem Versuch Schleiermachers, diese Einheit des Menschen in einer transzendental gegebenen Bestimmtheit gesetzt zu finden, wird von Feuerbach mit einer immanent postulierten Einheit widersprochen. Zugleich löst Feuerbach, indem er versucht, die Objektivität dieser Einheit zum Gegenstand zu machen, den Schritt von der Vorgegebenheit der existentiellen Bestimmheit zu einer dem Menschen als Aufgabe gegebenen Bestimmung aus. 4.4.4 Schleiermachers Dialektik in der religionsphilosophischen Diskussion Der wissenstheoretische Ansatz Schleiermachers trug auf zwei miteinander verbundene Weisen kritische Momente in die religionsphilosophischen Auseinandersetzungen mit Hegel ein. Zum einen wird mit Schleiermachers wissenstheoretischem Ausgangspunkt des unmittelbaren Selbstbewußtseins als Grund der Vermittlung des Spekulativen und Empirischen, der Vernunft und der Wahrnehmung, jede geschlossene systematische Lösung des Vermittlungsproblems in Frage gestellt. Auch wenn der Ansatz Schleiermachers in seiner existentiellen Dimension häufig unverstanden blieb, trägt sein Gefühlsbegriff zur Destruktion eines spekulativen Religionsverständnisses bei. Dies zeigt, wenn auch auf negative Weise, die Ambivalenz des Gefühlsbegriffs in Hegels religionsphilosophischem Ansatz. Auch wenn Hegel das Gefühl, da es sich letztlich der rationalen Vermittlung entzieht, als subjektive Größe nur formal als Ausgangspunkt der religionsphilosophischen Suche nach objektiven Bestimmungen anerkennt, kann es doch als existentieller Verweis und als Herausforderung von ihm nicht übergangen werden. 22s 1U
W.Jaeschke: Paralipomena Hegeliana, 1168. A.Arndt: Dialektik und Reflexion, 231.
Schleiermachers Dialektik in der religionsphilosophischen Diskussion
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Hier zeigen sich allerdings auch die Schwierigkeiten, die von Schleiermacher im Gefühlsbegriff in Anspruch genommene existentielle Bestimmtheit in kritisierbare Aussagen zu überführen, weshalb sein Ansatz zwar als Herausforderung erscheint, aber nicht als Begründung einer religionsphilosophischen Darstellung aufgenommen wurde. Zum anderen stellt Schleiermachers Insistieren auf einer gleichwertigen Polarität von Spekulation und Empirie jeden Versuch in Frage, einseitig die Allgemeingültigkeit religionsphilosophischer Aussagen zu sichern. Dies hat insbesondere Strauß in seiner religionsphilosophischen Kritik aufgenommen. Allerdings hat Strauß den konstitutiven existentiellen Bezug, der für Schleiermacher die Identifikation von Geschichtlichkeit und Urbildlichkeit allein begründen kann, in seinem religionsphilosophischen Ansatz mit der Konsequenz ausgeschlossen, daß für ihn die spekulative Philosophie und die Durchführung der historischen Kritik auseinanderfallen. Das Theologieverständnis Schleiermachers, in dem er zwar von einer Unterschiedenheit, aber widerspruchsfreien Entsprechung zur philosophischen Dialektik ausgeht, beruht dagegen auf einer bruchlosen Koordination. Feuerbach hat die bei Schleiermacher im Gefühl gefundene Unmittelbarkeit, die jeder Vermittlung vorausgeht, als Ausgangspunkt für eine „äußerste Annäherung der Theologie an Anthropologie"227 angesehen. Indem er aber das existentielle Moment übergeht, das bei Schleiermacher in diesem Ausgangspunkt liegt, formt er die Unbestimmtheit der Unmittelbarkeit zu einer Identifikation von Theologie und Anthropologie und zu einer immanenten Identitätsbestimmung des Menschen um. Wenn in diesem Zusammenhang der Gefühlsbegriff Schleiermachers als Wegbereiter der Religionskritik Feuerbachs bezeichnet wird, so ist jedoch auf Feuerbachs Überschreitung jeder Relationalität, die für Schleiermacher im unmittelbaren Selbstbewußtsein gesetzt ist, hin zu einer absoluten Wesensbestimmung des Menschen zu verweisen. Während bei Schleiermacher mit dem Gefühlsbegriff der Ort existentieller Vorgegebenheit bezeichnet wird, in dem sich Relationalität unmittelbar erschließt, wird bei Feuerbach mit dem Gefühl exemplarisch die Unmittelbarkeit des wirklichen Daseins des Menschen, seines absoluten Wesens, bezeichnet. Das kann insofern als Aufnahme der sich als wirkungsmächtig erweisenden romantischen Dialektik gesehen werden,
227
J.Salaquarda: Feuerbach, TRE 11, 148.
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Rezeption und Wirkung der Dialektik
indem auch Feuerbach sich positiv auf Unmittelbares bezieht228 und an die Stelle einer Dialektik des Widerspruchs eine Dialektik des Wechselverhältnisses setzt. Allerdings wird die für Schleiermacher konstitutive Beziehung des Immanenten auf das Transzendentale mit der Verabsolutierung der Unmittelbarkeit in der „gleichsam säkularisierten romantischen Dialektik" 229 Feuerbachs zu einer immanenten Totalität. Deutlicher als in Schleiermachers existentieller Inanspruchnahme von unmittelbar Vorgegebenem, das sich im intersubjektiven Ausgleich der Kritik stellen muß, zeigt sich in der Konsequenz einer solchen Introvertierung aller Wesensbestimmungen in ein Unmittelbares die Schwierigkeit der vermittelnden Bezugnahme auf die so als Vollkommenheiten gesetzten Bestimmungen. In der religionsphilosophischen Auseinandersetzung mit dem Dialektik-Verständnis Schleiermachers wurden verschiedene Momente seines Denken gegeneinander ausgespielt. Die sich dabei zeigenden Unausgeglichenheiten, wie die Beziehung von Vermittlung und Unmittelbarkeit, die Identifikation von Geschichtlichem und Urbildlichem oder die Beziehung von Rationalität und Gefühl unterminierten zwar die theoretischen Grundlagen des Ansatzes Schleiermachers. Insgesamt hat sich aber der grundsätzliche Ansatz Schleiermachers, in dem die religionsphilosophische Problematik in enger Verbindung mit den Bezügen des Individuums zu seinen existentiellen Bestimmtheiten gesehen wird, wirkungsgeschichtlich als dominât erwiesen. Demgegenüber ließ sich der mit den Programmen von Hegel, Strauß und Feuerbach verbundene hohe Anspruch des Idealen nicht einlösen.230
228
229
230
Vgl. L.Feuerbach: Grundsätze der Philosophie der Zukunft, GW IX, 321: „Wahr und göttlich ist nur, was keines Beweises bedarf, was unmittelbar durch sich selbst gewiß ist, unmittelbarfiir sich spricht und einnimmt, unmittelbar die Affirmation, daß es ist, nach sich zieht [...]." A.Arndt: Dialektik und Reflexion [1994], 246. Vgl. L.Feuerbach a.a.O., GW IX, 321: „Das Geheimnis des unmittelbaren Wissens ist die Sinnlichkeit." Vgl. F.W.Graf, F. Wagner: Einleitung. In: Diess. (Hgg.): Die Flucht in den Begriff [1982], 29: „Trotz ihres Anspruchs, den Gehalt von Religion vernünftig explizieren zu können, vermochten sich Hegel und die ,Schule', positionenpolitisch gesehen, zu all den Standpunkten, welche im theoretischen Erfassen von Religion primär an deren subjektiver Seite sich orientierten, weder aufhebend noch integrativ zu verhalten, sondern ihr eigenes Theorieprogramm nur durch Ausschluß bzw. unmittelbare und insofern abstrakte Negation zur Darstellung zu bringen. "
5 Differenz und Wechselwirkung in Schleiermachers Dialektik und Theologieverständnis Schleiermachers wissenstheoretische Arbeit ist unter anderem durch den Versuch gekennzeichnet, den einzelnen Wissenschaften von ihren Konstitutionsbedingungen, Gegenständen und Methoden her präzis einen Platz durch eine wissenschaftssystematische Ortsbestimmung zuzuweisen. Schleiermacher widerspricht damit der Möglichkeit einer Einheitswissenschaft, in der durch methodologische Normierungen existentielle und perspektivische Momente irrelevant werden. Diese Differenzierungen Schleiermachers, die insbesondere zwischen der Religionsphilosophie und Theologie von Bedeutung sind, sind in der Auseinandersetzung mit seinem wissenstheoretischen Ansatz häufig übergangen worden. Zu diesen Ausblendungen tragen Defizite in der Interpretation seines Dialektikverständnisses bei. Wenn Schleiermachers Dialektik einseitig als Ausführung eines identitätsphilosophischen Letztbegründungsprogramms, das sich auf eine subjektivitätstheoretische Argumentation stützt, und nicht als Vergewisserung und Verstehenshilfe, die Erfahrungendes Selbstbewußtseins aufnimmt, angesehen wird, wird die von Schleiermacher angestrebte Entsprechung und Offenheit wissenschaftlicher Disziplinen zu einer geschlossenen Axiomatik und wissenschaftstheoretischen Einheitlichkeit verengt. Solche Differenzierungen geraten vor allem dann aus dem Blick, wenn das unmittelbare Selbstbewußtsein, das von Schleiermacher als Existentialverhältnis beschrieben wird, lediglich als explizierbare Begründung der Vermittlung des Wissens in Anspruch genommen wird. Einseitige Interpretationen stellen sich ein, wenn die Dialektik Schleiermachers vom idealistischen Kontext aus als Antwort auf die Begründungsfrage verstanden wird. Vielmehr geht Schleiermachers dialektischer Ansatz, trotz seiner identitätsphilosophischen Argumente, wesentlich auf die Perspektive einer existentiellen Begründung zurück. Der in diesem Zusammenhang von Schleiermacher aufgenommene und in seine wissenstheoretische Reflexion eingeführte Gefühlsbegriff um-
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greift, zusammen mit seinen Unbestimmbarkeiten und Schwierigkeiten, diese identitätsphilosophischen und existentiellen Momente. Dabei geht es im Gefühlsbegriff bei Schleiermacher nicht um eine Ablösung bzw. Begrenzung der Reflexion, sondern um die Frage ihres Ursprunges. Der Prozeß der Erkenntnis mit seinen intersubjektiven und seinsbezogenen Momenten kann für Schleiermacher nur dann auf einen Wissensbegriff, der auf einem Gleichgewicht von Idealem und Realem beruht, bezogen werden, wenn die Möglichkeit der Entsprechung beider Seiten vor allem strittigen Wissen besteht. Diese Identität sieht Schleiermacher in der Unmittelbarkeit einer existentiellen Überzeugung gegeben, die außerhalb aller begrifflichen Vermittlung liegt. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieses existentiellen Verhältnisses, das sowohl in der Überzeugung, die das Wissen charakterisiert, als auch in der Gewißheit, die die Handlung begleitet, erscheint, geht für Schleiermacher auf eine sich in der Unmittelbarkeit des transzendentalen Grundes entfaltende produktive Kraft zurück. Schleiermacher ist insoweit zuzustimmen, daß Überzeugung und Gewißheit nicht restlos als Ergebnis eines Vermittlungsprozesses zu beschreiben sind. Auf den Vorwurf des Subjektivismus ist aus der Sicht Schleiermachers zu erwidern, daß die im unmittelbaren Selbstbewußtsein ausgesagte Vergewisserung keinen Abbruch des immanenten Vermittlungsprozesses darstellt. Vielmehr liegt für Schleiermacher gerade in dieser transzendentalen Bestimmung, die auf die Unmittelbarkeit des Selbstbewußtseins zurückgeht, die Voraussetzung eines Wirklichkeitsverhältnisses, das sich dann in seinen Einzelheiten und Konkretionen durch Vernunft und Wahrnehmung erschließt. Für die Vernünftigkeit des Vernünftigen, die Wirklichkeit des Wirklichen und letztlich für die Wahrheit des Wahren gibt es für Schleiermacher keine andere Bestätigung als die der unmittelbaren, d.h. existentiellen Überzeugung. Jede Vermittlung und jede Reflexion kann davon nur ausgehen. Aus diesem Grund kann der Wissensbegriff Schleiermachers, den er als anzustrebendes Gleichgewicht spekulativer und empirischer Momente beschreibt, nicht in einen hypothetischen Realismus münden. Der Wissenschaftsbegriff Schleiermachers ist insofern Ausdruck seiner Ontologie, deren Positivität und Kontinuität in der im Wissensbegriff implizierten Wahrheit und Stabilität erscheinen. Hier sah Schleiermacher zutreffend, daß Wissen sich formal als ein nachvollziehbares Gleichgewicht von Spekulation und Empirie, d.h. von Begriffsbildung und Wahrnehmungsurteil darstellt. Gleichzeitig ist
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die das Wissen begleitende Gewißheit nicht in diesem formalen Akt begründet, auch wenn sie darin erscheint, sondern geht konstitutiv auf ein existentielles Verhältnis zurück. Von diesem Hintergrund ausgehend strukturiert und differenziert Schleiermacher den Wissensbegriff und widerspricht der Möglichkeit der Konstruktion einer Einheitswissenschaft. Die Beachtung des Denkansatzes Schleiermachers trägt somit in die philosophische Diskussion eine Breite ein, die insbesondere einer Verengung des Dialektikbegriffs im einseitigen Rückgriff auf den Deutschen Idealismus entgegenwirkt. 1 Die Chancen des Wissensbegriffs Schleiermachers ergeben sich aus dessen Offenheit für empirische und geschichtliche Tatsachen, deren Erscheinungen und deren Wesen Schleiermacher in einem Wechselverhältnis sieht. Auf dieses Wechselverhältnis stützt Schleiermacher den Prozeß der Wissensbildung. Dabei ist dieser Prozeß für Schleiermacher aufgrund der Verbindung des Wissens zur Alltäglichkeit und Sprachlichkeit des Denkens durch intersubjektive und kommunikative Momente geprägt. Die Schwierigkeiten, den vermittelnden Bezug auf den transzendentalen Grund zu bestimmen, können dann nur in diesem Prozeß selbst von der Positionalität der Subjekte übernommen werden. Damit ist Schleiermachers Wissensbegriff ebenso geöffnet für eine Heuristik des Wissens wie für eine Hermeneutik des Verstehens von Erkenntnisaussagen. Die Grenzen des Wissensbegriffs Schleiermachers zeigen sich, wenn er in der Dialektik die im transzendentalen Grund implizierten Vorstellungen identitätsphilosophisch entfaltet. Zunächst zeigt sich hier Schleiermachers starre Ontologie, deren Struktur durch Polaritäten und als strenge Entsprechung idealer und realer Tatsachen charakterisiert ist.
1
Vgl. W. Hartkopf: Dialektik - Heuristik - Logik [1987], der versucht, von der „im Ontischen wurzelnden Rationalität" (19) ausgehend die „Aporie der Selbstbezüglichkeit" (28) des erkennenden Denkens und die „Aporie der fundamentalen Heterogenität von logischer Folge und Evolution" (31) zu überwinden. Von „entscheidender Bedeutung" ist ihm dabei die „Konsequenz des Schleiermacherschen denktheoretischen Ansatzes", da er darin die Möglichkeit eröffnet sieht, „das Denken als Gesamtphänomen in Verbindung zu bringen mit dem Seinsgeschehen als solchem. Bemerkenswert ist, daß diese Konsequenz sich allein aus Schleiermachers Versuch ergibt, das Denken und Erkennen als solches auch in seiner Geschichtlichkeit, in seiner Veränderlichkeit und somit auch als Entwicklungsphänomenf], nicht nur in seiner Statik des erreichbaren Entwicklungsstandes zu sehen, während das Seinsgeschehen .außerhalb der Reflexion' - abgesehen von der grundsätzlichen Voraussetzung des Seins als solchem und der Bezugnahme des Denkens auf dieses - außerhalb der Betrachtung bleibt, Schleiermacher sich also im Grunde im Rahmen der Transzendentalphilosophie bewegt." (81).
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Schleiermachers Denken weist Züge einer dichotomischen Zergliederung des zu untersuchenden Phänomens auf, dessen Einheit dann nur noch im transzendentalen Bezug gesichert werden kann. Im Versuch, durch reflektierende Darstellung die Identität des Idealen und des Realen als unmittelbare Einheit des Seins deskriptiv zur Geltung zu bringen, wird die Problematik eines vermittelnden Bezuges auf eine vorausgesetzte Unmittelbarkeit deutlich. Die aus diesem Bezug auf der Begründungsebene resultierende Verdopplung der transzendentalen Idee des absoluten Seins in die Vorstellungen Gott und Welt als terminus a quo und terminus ad quem allen Wissens spiegelt das Dilemma einer identitätsphilosophischen Programmatik. Die Verbindung identitätsphilosophischer Argumente mit existentiellen Aussagen, deren Verhältnis zueinander Schleiermacher nicht reflektiert, trägt hier weitere unbestimmte Momente ein. Im Unterschied zum allgemeinen Wissensbegriff geht Schleiermacher davon aus, daß er sich in der Theologie auf eine Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins beziehen kann. Unter dem „frommen Gefühl" versteht Schleiermacher deshalb keine abstrakte und allgemeine Vorstellung, „sondern die ursprüngliche Aussage [...] über ein unmittelbares Existentialverhältniß"2. Mit dieser existentiellen Bestimmtheit verbindet Schleiermacher die Vorstellung, daß geschichtliche Konkretionen des Wirklichkeitsverhältnisses als Wirkung der produktiven Kraft des transzendentalen Grundes aussagbar werden. Deshalb ist Theologie für Schleiermacher als Reflexion dieser sich äußernden Bestimmtheit grundsätzlich an die Positivität von Glaubensaussagen, d.h. an Äußerungen des unmittelbaren Selbstbewußtseins gebunden. Indem der Glaube und dessen Wirkungen den Gegenstand der Theologie verkörpern, setzt Schleiermacher Theologie als positive Wissenschaft ins Verhältnis zu den anderen Wissenschaften und unterscheidet zugleich die theologische Reflexion vom religionsphilosophischen Programm. Gegen den Vorwurf eines subjektivistischen Theologieverständnisses, wie er vor allem vor dem Hintergrund spekulativer religionsphilosophischer Konzepte mit der Charakterisierung als Gefühlstheologie geäußert wird, wendet Schleiermacher ein, daß die Inanspruchnahme von Glaubensaussagen in doppelter Weise über das Subjekt hinausgeht. Als Äußerungen des unmittelbaren Selbstbewußtseins sind Glaubensaussagen an den Ursprung seiner Bestimmtheit, die Erlösung durch Jesus Christus gebunden. Zugleich stehen sie im Kontext der Gemeinschaft 2
F.Schleiermacher: 1.Sendschreiben [1829], KGA 1/10, 318.
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der Gläubigen, der Kirche. Mit diesem Verweis auf die existentielle und geschichtliche Verankerung des Glaubens widerspricht Schleiermacher einer Verabsolutierung der Religion und einer Identifikation von Theologie und Religionsphilosophie. Werden vor diesem Hintergrund die religionsphilosophischen Aussagen Schleiermachers nicht im Sinn einer systematischen Begründung bzw. Vermittlung des Glaubens, sondern im Sinn eines produktiven Hintergrundes der Reflexion bzw. des Dialoges verstanden, dann erweitern sie den Blick auf die Positivität des Glaubens. In dieser Funktion erscheinen religionsphilosophische Aussagen in der Einleitung der Glaubenslehre Schleiermachers. Insofern kann auch behauptet werden, daß im Theologieverständnis Schleiermachers der existentielle Ansatz seines Wissensbegriffs explizit in Anspruch genommen wird. Wenn der transzendentale Grund im Rahmen der Dialektik nur als identitätsphilosophische Abstraktion und Strukturbeschreibung gesehen wird, so darf der konstitutive Bezug dieser Argumentation Schleiermachers auf das unmittelbare Selbstbewußtsein dabei nicht übersehen werden.3 Indem Schleiermacher hier den Begriff des Selbstbewußtseins als Ausdruck eines umfassenden Selbstverhältnisses des Menschen wählt und mit dem Adjektiv unmittelbar die ursprüngliche Verfaßtheit dieses Selbstverhältnisses als nicht hinterfragbares Sich-gegeben-Sein qualifiziert, erweitert er den Ausgangspunkt seiner wissenstheoretischen Argumentation gegenüber einer rein subjektivitätstheoretischen Begründung. Im Phänomen des unmittelbaren Selbstbewußtseins sieht Schleiermacher die Möglichkeit, auf das Verhältnis des Menschen zum Transzendenten und zugleich das immanente Selbstverhältnis des Menschen zu verwiesen. Die sich mit diesem Verweis ergebende Möglichkeit macht Schleiermacher ebenso zum Ausgangspunkt einer Verständigung über den Wissensbegriff als auch zur Darstellung seiner theologischen Aussagen. Dieser Bezug trägt in Schleiermachers Wissensbegriff eine Offenheit für existentielle und geschichtliche Bestimmungen ein, die dem Begriff der Wissenschaft3
Vgl. N.Hartmann: Die Philosophie des Deutschen Idealismus, I [1923], 254: „Man verkennt diesen zentralen und auch geschichtlich wohl interessantesten Punkt [...], wenn man, wie manche Darstellungen es tun, das Transzendenzproblem des Gegenstandes von vornherein auf die .Identität von Denken und Sein bezieht', eine Formel, mit welcher der Knoten nicht gelöst, sondern nur zerhauen wird." Hartmann rechnet es „Schleiermacher als Verdienst" an, wenn er diese Formel „nicht als metaphysische Grundthese", sondern „nur als Faktum des Selbstbewußtseins aufzeigbar" einführt und damit eine „metaphysisch gewaltsame Lösung verschmäht". „Der Rationalismus der idealistischen Systeme findet eben in Schleiermachers Dialektik seinen natürlichen Gegner."
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lichkeit nicht als auszuschließendes Phänomen gegenüberstehen, sondern erst den Raum der Verständigung und des Wissens konstituieren. Schleiermacher ist darin zuzustimmen, daß erst innerhalb dieses Raumes Kriterien wissenschaftlicher Objektivität aussagbar und begründbar werden. Philosophische und theologische Aussagen können durch diesen Bezug des Wissensbegriffs in einem Entsprechungsverhältnis zueinander beschrieben werden. Indem Schleiermachers Wissensbegriff in dieser methodologischen Entsprechung zugleich die Möglichkeit einer Einheitswissenschaft ausschließt, sind philosophische und theologische Argumente damit zwar vergleichbar, aber nicht austauschbar. Allerdings geht Schleiermachers dialektischer Ansatz von ontologischen Aussagen aus, die auch Strukturen seiner Theologie prägen. Schleiermachers Dialektik des Ausgleichs polarer Gegensätzlichkeiten geht auf eine ontologische Kontinuität und Stabilität zurück, die sich für ihn in einer existentiellen Gewißheit begründet. Diese Kontinuität wird sowohl in seinen philosophischen wie theologischen Aussagen vorausgesetzt. Allerdings sind Infragestellungen des mit dieser Kontinuität ausgedrückten Vertrauens in das Wirklichkeitsverhältnis nicht so einfach abzutun, wie Schleiermacher es in seiner Ablehnung eines radikalen und selbstwidersprüchlichen Skeptizismus tut. Es bleibt der sich auf Erfahrungen von Diskontinuitäten und Brüchen stützende Einwand, dem Schleiermacher innerhalb seines dialektischen Ansatzes nur die Restauration des ursprünglichen Wirklichkeitsverhältnisses entgegensetzen kann. Im Theologieverständnis Schleiermachers äußert sich der vorausgesetzte bruchlose Übergang zwischen den Polen, zusammengehalten durch die Unmittelbarkeit ihrer Einheit, als behauptete Vereinbarkeit der historischen Kritik und des christlichen Glaubens. Insbesondere die hier von Strauß markierte Schwierigkeit zeigt an, daß eine bruchlose Umsetzung der im Glauben geäußerten Identität des Urbildlichen und Geschichtlichen in Christus in eine Entsprechung von historischen Tatsachen und wirkungsmächtigen Ideen zumindest problematisch ist. Schleiermacher begegnet den sich abzeichnenden Gefahren einer in sich abgeschlossenen Naturwissenschaft bzw. eines Historismus durch die im unmittelbaren Selbstbewußtsein begründete Klammer der Einheit der Wirklichkeit. Diese formale Klammer impliziert transzendentale Voraussetzungen, die für Schleiermacher auf existentielle Aussagen zurückgehen. Schleiermacher stellt seine Theologie auf das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl als Bestimmtheit dieser existentiellen
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Grundlage. Da dieses schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl aber gleichzeitig als Sein Gottes in uns bruchlos das Sein des Menschen qualifiziert, sind Negationen des Seins, wie sie theologisch mit Sünde und Kreuz zu bezeichnen wären, in Schleiermachers theologischem Ansatz nicht adäquat denkbar. Das Bemühen Schleiermachers in der Dialektik, das von dem Versuch einer redlichen und nachvollziehbaren Explikation der Voraussetzungen des Wissens gekennzeichnet ist, äußert sich in einer Theologie, die sich in ihren Darstellungen ebenfalls an die Möglichkeit der Nachvollziehbarkeit bindet. Die im Wissensbegriff Schleiermachers implizierte Voraussetzung der Nachvollziehbarkeit verbietet ihm ein zu leichtfertiges Reden über Diskontinuitäten und Paradoxien, die Erfahrungen und Denken übersteigen. Zugleich ist ihm damit aber die Grenze gesetzt, existentielle Infragestellungen des Wirklichkeitsverhältnisses, wie sie nicht nur in den Brüchen und Verunsicherungen der Moderne erscheinen, anders als durch die Wiederherstellung von Kontinuität zu beantworten. Das Ziel des Glaubens ist daher bei Schleiermacher eine Ausgeglichenheit aller Differenzen. Indem in Schleiermachers theologischem Wirklichkeitsverständnis solche Brüche und Diskontinuitäten ausgeschlossen werden, die grundsätzlich das Wirklichkeitsverhältnis in Frage stellen, entspricht es zwar den ontologischen Implikaten seiner Dialektik. Aber es ist einzuwenden, daß die philosophische und insbesondere die theologische Argumentation, die auf Aussagen existentieller Bestimmtheit zurückzugehen beansprucht, sich nicht nur restaurativ, sondern grundsätzlich mit Infragestellungen des Wirklichkeitsverhältnisses auseinandersetzen muß. Insofern können der transzendentale Grund bzw. die mit dem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl beschriebene Bestimmtheit nicht nur, wie Schleiermacher es tut, argumentativ in Anspruch genommen werden, sondern sie sind zugleich auf ihre Implikationen hin zu befragen. Insbesondere in der Wirkungsgeschichte der Dialektik Schleiermachers wurde, neben verschiedenen äußeren Momenten der Rezeption, das grundsätzliche Problem deutlich, in welcher Weise die Implikationen des transzendentalen Grundes, die Schleiermacher in seiner Dialektik in Anspruch genommen hat, in erkenntnistheoretische und religionsphilosophische Konkretionen aufgenommen werden können. Es zeigt sich, daß die beanspruchte existentielle Bestimmtheit nicht ohne weiteres in die Bestimmtheit der Reflexion überführt werden kann. Schleiermachers Ausgangspunkt ist insofern durch Offenheit, aber auch durch
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Unbestimmtheit gekennzeichnet. Daher wirkte Schleiermachers wissenstheoretischer Ansatz herausfordernd bzw. anregend, aber nicht schulbildend. Vor allem die in Schleiermachers Dialektik vorausgesetzte Identität von Idealem und Realem, die er als Entsprechung von Vernunft und Wirklichkeit in Anspruch nimmt, erscheint immer wieder als problematisch und insofern als begründungsbedürftig. Deshalb sind die erkenntnistheoretischen und religionsphilosophischen Ansätze, die Einflüsse Schleiermachers aufweisen, als Antwortversuche auf die Frage nach dem Grund der Annahme dieser Entsprechung, die auch Schleiermacher nur existentiell konstatieren kann, zu verstehen. Insgesamt ist Schleiermachers Dialektik als Kunstlehre des Streitens als der Versuch zu würdigen, zur Verständigung in der Wissenschaft und insofern der Verständigung von Menschen durch eine Klärung der Voraussetzungen ihrer Verständigung beizutragen. Es ist die Stärke des Ausgangspunktes Schleiermachers, das Problem der Vermittlung idealer und realer Tatsachen weder in spekulativer noch in empirischer Einseitigkeit zu suchen. In Schleiermachers Dialektik der Wechselwirkung wird ein Ausgleich gesucht, der, indem Schleiermacher Wissen auf einen transzendentalen Grund bezieht, sowohl die Enge eines Fortschrittsmodells als auch die Beliebigkeit von Fakten vermeidet. Zugleich ist Schleiermacher bestrebt, da er in seiner Dialektik der Mitteilung bzw. Partizipation das Verhältnis des Menschen zum Transzendentalen in der Unmittelbarkeit des Selbstbewußtseins gegeben sieht, diesen Bezug, obwohl er auf das Ganze verweist, gegen totalitäre Züge zu sichern. Die damit in den Wissensbegriff zugleich eingetragene Unbestimmtheit, die Schleiermacher nur in der Unmittelbarkeit einer existentiellen Gewißheit aufgehoben findet, ist als bleibende Aufgabe an die unabgeschlossene Suche nach Erkenntnis und den intersubjektiven Ausgleich verwiesen.
Quellen - und Literaturverzeichnis Die Abkürzungen für Zeitschriften, Reihen, Lexika u.a. entsprechen dem TRE Abkürzungsverzeichnis. Zusammengestellt von Siegfried M. Schwertner. Berlin/ New York 21994. Die Nummer der Auflage wurde, sofern dies relevant ist, in einer hochgestellten Zahl vor dem Erscheinungsjahr angegeben. Im Text und in den Anmerkungen benutzte Abkürzungen oder Kurztitel sind, sofern sie vom vollständigen Titel abweichen, im Quellen- und Literaturverzeichnis unterstrichen. Zur besseren Orientierung und historischen Einordnung wurde den Kurztiteln an einigen Stellen das Erscheinungsjahr in eckigen Klammern zugefügt. Eckige Klammern in Zitaten oder Titelangaben enthalten vom Verfasser gemachte Zusätze. Hervorhebungen in den Zitaten stammen, wenn dies nicht ausdrücklich anders vermerkt ist, vom zitierten Autor und sind durch Kursivdruck gekennzeichnet.
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Personenindex Adorno, T.W. 69 Albrecht, C. 152f., 171f., 174 Apel, K.-O. 13,59-61 Aristoteles 17f, 31, 86, 213, 240, 243 Arndt, A. 2, 12, 14f., 17, 19-23, 34f.,75, 82, 115, 138, 192, 209, 232f., 237, 244, 246f., 263, 266, 268, 270 Barth, K. 8, 37, 145, 185, 204, 207, 267 Barth, U. 45, 50f. Bauer, G. 23 Baumgartner, H. M. 112 Baur, F.C. 36, 185f., 205f„ 257 Becker, W. 74 Beneke, F.E. 105, 213, 226-229, 237, 239, 246 Birkner, H.J. 10, 119, 136, 142, 153f., 177, 195, 197, 208 Boekels, J. 140f. Braniß, C.J. 116,213,222-226, 246 Bratuscheck, E. 206, 232 Brysz, S. 66 Choi, S.-H. 108, 248, 250 Corrington, R.S. 105 Courth, F. 137, 150, 256 Cramer, Κ. 76, 170f. Crouter, R. 248,254 Dembowski, H. 252f. Descartes, R. 53, 76, 119 Dierken, J. 82, 90, 100, 106f.
Dilthey, W. 9, l l f . , 2 5 , 34, 128, 149, 165f., 188, 205, 207, 210, 212, 218, 237, 241-246 Dorner, I.A. 206 Ebeling, G. 150, 180-182, 184, 202, 207f. Eckenrode, J.L. 37f.,62 Eckert, M. 153, 178f., 195f. Eller, W. 190 Feuerbach, L. 208f., 254, 257, 260-270 Fichte, J.G. 15f., 18, 21, 24, 35, 43f., 54, 79, 129, 218 Flückiger, F. 146f., 153, 157 Frank, M. 37,43,46,51,57, 123,211 Gaß, J.C. 1,20 Gerdes, H. 186f., 190f. Gerrish, B.A. 139, 142, 162, 190 Grab, W. 32f„ 120, 130, 132, 162 Graf, F.W. 165f., 175f., 254, 270 Groot, N. 262 - 264 Grün, K. 260 Grünepütt, K. 242 Halbfass, W. 67 Hartkopf, W. 82, 85, 273 Hartmann, N. 207, 275 Haym, R. 17
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Personenindex
Hegel, G.F.W. 2 , 9 , 1 2 , 2 1 , 3 3 , 3 5 , 4 0 , 42-45, 110, 205, 208f., 215, 218, 222, 225f., 230, 232, 234,238, 248-255, 257, 259, 260262, 264, 266-268, 270 Heinrici, C.F.G. 230f. Henrich, D. 5 1 , 6 7 , 7 2 , 7 4 - 7 6 , 104 Herbart, J.F. 218,226 Herms, E. 14, 17, 24-28, 63f., 84f., 124f. Hinske, N. 34 Hirsch, E. 102, 126, 185 Hogrebe, W. 74, 104, 108, 116, 174 Hume, D. 80 Hutcheson, F. 102 Jacobi, F.H. 1 , 1 6 , 2 5 - 2 8 , 6 4 , 102f., 191,207, 250, 261 Jaeschke, W. 248-250, 252f., 268 Janowski, J.C. 264, 266 Jaspers, K. 67 Jüngel, E. 131,140 Junker, M. 137, 151f., 166, 168f., 173 Kambartel, F. 31f. Kant, I. 3, 11, 18,23,26-28, 34f., 45, 56f., 64-79, 86, 91-93, 95, 99, 102, 108, 110-112, 114, 123, 130, 145, 208, 226, 233, 237f., 248f. Kaulbach, F. 3 8 , 5 6 - 5 8 , 6 1 , 6 8 , 76, 78, 88, 95, 207 Kempski, J. von 92 Kern, U. 5 1 , 2 5 5 , 2 5 9 , 2 6 7 Kimmerle, H. 38, 45, 59, 85, 93, 121, 123, 126, 128 Kliebisch, U. 13, 38, 58-61
Knudsen, H. 151, 193f., 203 Knüppel, R. 244 Köhnke, K.C. 8 , 3 8 , 6 2 , 7 9 , 116,226, 229,240, 245 Körner, J. 22 Korsch, D. 80f.,90, 99, 103 Lange, D. 27, 119, 146,167, 171, 198,207,256-260 Lehnerer, T. 42, 172 Liebing, H. 206 Lotze, R.H. 213 Luhmann, N. 95 Lütz, D. 267 Mann, G. 24 Meckenstock, M. 64, 79 Mendelssohn, M. 27 Michelet, C.L. 254f. Nealeigh, M. 3 7 f . , 9 4 f . , 9 8 Nenon, T. 70 Neumann, K. 72 Nowak, K. 28 Offermann, D. 33, 41, 146f., 149, 152, 171,173,175 Oranje, L. 24 Pannenberg, W. 27f., 133, 169 Patsch, H. 17 Picht, G. 86 Piaton 22, 80, 96, 111, 222, 243 Pöggeler, O. 18 Pohl, K. 22, 107, 118 Potepa, M. 120, 123 Rahner, K. 153 Rendtorff, T. 193f., 197 Reuter, H.-R. 13, 36f., 46-52, 58, 88-90, 92, 98, 101-103, 107f., 110, 112-114, 173f., 179,188
Personenindex
Rieger, R. 61,83,87, 103, 120, 123f. Ritsehl, O. 172 Ritter, H. 116,123,213, 218-222, 246 Rod, W. 68, 70, 126 Rosenkranz, K. 253f. Rössler, M. 131,136,194,196 Rothert, H.-J. 35, 53-55, 191 f. Röttgers, K. 18 Sachs, W. 255 Salaquarda, J. 269 Sandberger, J. 255, 257 Sauter, G. 61, 124, 131, 138f., 155, 173, 178, 195, 199-201 Scheier, C.-A. 22 Schelling, F.W.J. 12f., 20f., 2326, 35, 44, 46, 57, 64, 79-86, 130f., 170, 205, 218,223 Schellong, D. 138 Schlegel, F. 2, 16-18, 22f., 64, 85 Schmidt, J. 232 Schmidt, P. 206 Schnädelbach, H. 119 Schnur, H. 22 Scholtz, G. 12, 21f., 24, 30-33, 35, 52, 96, 122, 125, 163, 179,204, 223-225,241, 243-245 Scholz, H. 204 Schröder, R. 202 Schrofner, E. 196,204 Schulenburg, S. von der 243 Schultz, W. 198,253 Semler, J.S. 202 Shaftesbury, A.A.C. 102 Sigwart, C. von 127f.,209 Sorrentino, S. 34
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Spaemann, R. 78 Spiegier, G.E. 37f. Stalder, R. 153 Strauß, D.F. 36, 45, 205-207, 255-260, 269, 270, 276 Strüning, H.-D. 210 Süskind, H. 13, 25, 64, 84f„ 153 Tetens, J.N. 27 Thandeka 37f., 104 Thiel, J. 37f. Thielicke, H. 190f. Trendelenburg, A. 213, 232-236, 240, 246 Troeltsch, E. 153 Twesten, A.D.C. 116,209, 229-233, 246 Ueberweg, F. 102, 212f., 232, 237-240, 247 Vorländer, F. 116, 213-217, 246 Wagner, F. 13, 33, 36f., 39-46, 48,51,54,56-59,90, 101, 106, 109f„ 159, 190, 202, 254, 270 Wallmann, J. 267 Wehrung, G. 24, 32, 35, 108, 115, 146, 169, 298 Weiß, P. 51, 101, 160,254,265 Welker, M. 11 Wiehl, R. 11,62,95, 120f., 123 Williams, R. 194, 249, 25lf., 262 Wirsching, J. 211 Wrzecionko, R. 105 Zovko, J. 22
Begriffs- und Sachindex Durch den Begriffs- und Sachindex wird versucht, eine zusätzliche Hilfe zu Erschließung der dargestellten Themen zu geben. Allerdings sind dem durch die teilweise stark variierende Begrifflichkeit Grenzen gesetzt. Abhängigkeitsgefühl allgemeines 173f. schlechthinniges 6f., 43, 52, 104f., 144 , 147f., 161, 165-174, 181-183, 198f., 222-224, 252f., 265, 276f. Allegoriebegriff romantischer 43 Apologetik 7, 137, 147, 149f., 152, 164, 176, 207, 262 Apperzeption 66f., 75f., 108 Anschauung intellektuelle 39, 44, 80f., 85 Begriff 54f., 92f., 101, 109-116,236 Bruch/ Bruchlosigkeit - siehe Krisis Characteristica universalis 47 Christologie 162-164, 185-192, 257, 267 Deskription 3 lf., 56, 87, 116, 138, 143f., 274 Deduktion 25, 44, 71 f., 74, 85, 109, 116f., 120, 146,215 Dialektik der Wechselwirkung 9, 15f., 85,187,278
Dialektik des Wechselerweises 2, 16f., 28f. des Ausbalancierens von Gegensätzen 2f., 155f., 247,259,272 des Widerspruchs 2, 9, 58, 259, 266, 269f. romantische 34f.,246, 268-270 transzendentale 18, 71, 74f. Vorlesungen zur lf., 14, 17, 19f.,29, 64, 125,206, 209, 213, 218, 222f., 230 Ding an sich 66f., 69, 76, 93, 108
Docta ignorantia des Absoluten 43f., 52 Einheitswissenschaft 7, 122f., 207,218-221,271-273, 276 Elemententheorie der Subjektivität 45 Empirie 21, 30-33, 84f., 115-126, 141f., 158, 255-259, 272f. Empirismus 65f., llOf.
Begriffs- und Sachindex
Erkenntnis 11, 25, 33f., 63-79, 84-86, 91-96, 138, 214-222,227-231,237, 241-244, 255, 272 Erkenntnislehre christliche 153 Erkenntnistheorie 3, 8f.,25, 38, 58-60, 64-79, 96, 102f., 114-119, 127,206, 212-247, Uli. Erlösung/ Erlöser 150-152, 159, 183-190, 251,257,274 Erscheinung wesenhafte 29, 145, 171, 215,259 Ethik 14f., 19-21,24, 32f., 63f., 83f., 86, 124f., 142f., 146-148, 229f. Existentialverhältnis 6f.,26, 90, 165, 189,200,271,274 Fortschritt 3, 31f., 48, 53, 57, 84f., 108, 122f., 132f., 138, 141, 144f., 149, 186, 197, 215-217, 225, 259f., 273, 278 Frömmigkeit 105, 129-137, 144, 146-176, 200-202, 223 Frühidealismus 2, 14, 22, 79, 236f. Frühromantik 2, 17f., 22-28, 34f., 236f. Gefühl 7 , 9 , 3 0 , 3 3 f . , 4 3 , 4 6 , 102-106, 128f., 164-175, 191,205,220-224, 228f., 242f., 246-255, 268-272 Bestimmtheit des Gefühls 152, 155f., 183, 208f. Herkunft des Begriffs 27, 102f.
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Gefühl Verabsolutierung des Gefühls 260-268 Gesamtleben 187-191 Geschichte/ Geschichtlichkeit 5f., 31-33,54-58,82f., 122, 126, 129-164, 185-192, 195-198, 206, 255-258, 269f., 273-276 Glaubenslehre 43, 103, 127f., 135, 142-203, 210f., 222-225, 248-255, 257, 259 Gotteslehre 105, 176-184,211 Grenzbegriff/ Grenzbestimmung 49, 58, 66f.,77, 100-102, 171, 178f. Grenze der Vernunft/ des Denkens 23,26, 34,49, 52-55, 65-67, 77f., lOlf., 115, 178f., 199 des Transzendentalen und Immanenten 48, 101,113 des Wissens 87, 101, 113, 119, 177 Erkenntnisgrenze 219, 225, 234,248 Grund lebendiger 99, 107, 182, 219, 221,236,244 transzendentaler 4-8, 33f., 41-43,63,97-109, 111, 113-115, 122, 137f., 143, 154-156, 167-184, 193, 197, 234f., 272-278 Gut, höchstes 102, 121, 188 Hermeneutik 4, 22, 37, 59, 61, 63, 119, 120,124,159, 245, 273
304
Begriffs- und Sachindex
Heuristik 18f., 30, 111, 199f., 273 Idealismus 35f., 39, 102, 205, 211 f., 223, 240f., 246f., 273 transzendentaler 36, 39, 246 Idealrealismus 35, 237-240 Idee der absoluten Einheit des Seins 101, 107, 234f. der absoluten Identität 25f., 41, 80-83, 85,90, 100, 173, 234f. der Menschheit 256-260 der reinen Identität 92, 99f., 234 der Welt 29, 31,49, 52, 54, 58,60, lOOf., 127, 179f., 244, 274 des Absoluten 23, 43, 81-83, 100, 180, 234f. des absoluten Seins 83, lOOf., 274 des Seins an sich 48f., 107f. des Wissens 4-7, 29, 48, 63, 89-92, 107, 116, 120-125, 127, 129f., 134, 197f.,243 Gottes 29, 49, 54, 58, 60, 100, 108,112,127, 130, 170, 179f., 198,244,274 regulative 3, 73f., 77-79, 100,101,108 transzendentale 72-74, 77f., 109, 178, 180, 235, 244, 274 Identifizierung des Geschichtlichen und Urbildlichen 185-192, 276 Identitätsprinzip 9, 21,25f., 28f., 76, 79-85,90, 99-102, 105f., 109f., 145f., 197-199, 207, 234f., 250, 253, 272-278
Indifferenzpunkt 81, 83, 119, 122, 131,198 Induktion 44, 80, 85, 116-118 Intuition 65, Iii., 87, 244f., 248 Kirche/ Kirchenleitung 131 -162, 190, 196, 202, 253, 274f. Kommunikation 4, 57-61, 151, 195, 199,266 Krisis 138, 159, 190-192, 197f., 269, 276f. Kritik 49f., 118-121, 146f., 154f., 178, 189, 196,220, 259, 269f., 276 kritisches Verfahren 118f., 146-152, 188f., 222 Kunst der Gesprächsführung 4, 21f.,24, 46, 56, 58f., 86, 120 der Mitteilung 23f.,278 des Verstehens - siehe Hermeneutik dialektische 20, 24, 36, 56, 59, 81, 83, 86, 88, 125f., 239 Kunstlehre 4, 17, 23, 38, 54, 62f., 106f., 120, 122-125, 217, 226f., 278 Leben/ lebendig 19, 33, 52, 58, 82, 88,90, 94f., 118f., 129f., 133, 135, 140, 142f., 182, 194, 215f., 227, 233, 244, 266 Leben Jesu 255-258 Lebensphilosophie 241-245 Letztbegründung 60f., 72, 178f., 189f., 199,248,271 Logik erkenntistheoretische 213, 229-232, 237-246
Begriffs- und Sachindex
Mythos 258-260 Normativität 87, 119, 132, 138, 143f., 159, 194 Organisation 89, 93-95, 110, 118,245 Oszillation 109, 121, 258f. Philosophie christliche 222-224 Polarität/ polare Gegensätze 2, 12, 28, 32, 44, 47f., 94-97, 115f., 126,216,273,276 Positivität 132-134, 138, 155-161, 180, 196, 202f., 251f., 272, 274f. Produktion/ Produktivität 47, 81, 88f., 111-113, 126, 132f., 138f., 182, 184, 188, 194,225 Psychologie/ Psychologisierung der Erkenntnisgrundlagen 25, 27, 92, 105, 226-229, 242-244, 267 Realismus 86, 102, 108, 112, 137, 223, 240,272 Reflexion 34f., 37, 42f., 46, 50f.,75f.,82, 90, 115, 154-159, 189-195, 200, 249f., 272-275, 277 Religionsphilosophie 9, 102-104, 139, 147-154, 208,210,212,247-271, 274f., 277f. Säulen galvanische 1 Schein Kritik des dialektischen Scheins 18, 23, 73-75 Logik des Scheins 18, 23 sinnhabender 22f.
305
Schema transzendentales 67f. Schulphilosophie 25, 28 Selbstbewußtsein frommes 6, 127, 142f., 156-159, 168, 170-173, 182, 184-192, 255-257, 267, 274 Setzen/Setzung 35f., 40f., 44, 47-52, 6 1 , 6 8 f . , 8 3 f . , 9 1 , 97-99, 101, 106, 117, 183, 235 Sprache/ Sprachlichkeit 49, 57-61, 101, 104, 112, 118-121, 123, 161, 196, 198, 207f., 273 Synthesis/ Schluß 47-49, 71-73, 75,77, 108-110, 146f., 156, 201, 218f., 224, 239f. System der Begriffe 110-112, 114, 116, 118, 122,238 der Wissenschaften 19f., 24-26, 62, 64, 81, 84f., 116, 119f., 124, 129-143, 200, 208,220, 236,241, 271 Systembegriff funktionaler 193f., 197 Systeme 12, 24-28, 210f., 221-227, 275 Tätigkeit intellektuelle bzw. organische 91, 110 Theologie Dogmatische/ Dogmatik (siehe auch Glaubenslehre) 10, 136-144, 146f., 150-166, 176, 181, 185, 195f., 199f., 207, 210f., 223f.
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Begriffs- und Sachindex
Theologie Fundamentaltheologie 153 Historische 6f., 135f., 140-142, 144, 151-154, 195, 200 Natürliche 181 Philosophische 6f., 139, 142, 144, 150, 153f., 161, 171, 176, 178, 198,206 Praktische 6f., 120, 139 Theologie und Philosophie 1, 6-10, 127f., 139-142, 150-154, 162, 171-173, 178f., 193-198, 202-212, 218f., 269, 276f. Transzendentalpragmatismus 60 Trinitätslehre 190 Unmittelbarkeit 2, 6, 9, 16, 29, 3 4 f . , 4 2 f . , 6 5 , 85, 94, 101-110, 156, 162f., 165f., 176, 192-202, 258f., 269, 272-278 Verdopplung der 99f., 174 Absolute Inanspruchnahme der 260-270 Urbild/ Urbildlichkeit 6, 80, 84, 179,185-192, 194, 255-257, 269f., 276 Ursache/ Ursächlichkeit 29f., 67, 114f., 145, 181-183, 189, 195f., 256 Ursprüngliche produktive Idee 259 Ursprünglich produzierender Akt47f.,88, 90, 94, 118
Ursprüngliche, poetische Produktion 81 Urteil 54f., 66,69-71, 101, 109-116,227,236 synthetisches 70-72, 77, 108, 227 Urwissen 5, 20f., 41, 60, 79-84, 109 Verdopplung 26, 81, 101 des Absoluten 100, 274 der Unmittelbarkeit 99f., 174 Vermittlung 6-9, 29, 32-35, 42, 45f., 50-52, 61f., 75, 81f., 94, 102f., 106, 110, 119, 145, 162-170, 189-200, 211,222-225,238, 250-255, 266-268 Vermittlungstheologie 211 Wissen höchstes 63, 178, 254 ursprüngliches 106, 178 Wissenschaft des Unbedingten 224-226 höchste/oberste 14-16, 19f., 39, 84, 219f. positive 6, 130-139, 155-158,, 160, 171, 194, 200,274 Wissenschaftskunde 232-236, 246 Wissenschaftslehre 15 f., 18, 20-25, 56, 79, 122-126, 217, 230 Wollen 4 1 , 4 3 , 5 0 , 54, 104f., 164,173-175, 261