Max Weber-Gesamtausgabe, Band II/10,1: Briefe 1918-1920, 1. Halbband 3161508955, 9783161508950

Die Briefe Max Webers aus den Jahren 1918 bis 1920 beleuchten in grosser Eindringlichkeit die Ereignisse und die Selbstw

245 52 5MB

German Pages 627 [663] Year 2012

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Chronologisches Verzeichnis der Briefe 1918–1920
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Einleitung
Briefe Januar 1918 – Mai 1919
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Max Weber-Gesamtausgabe, Band II/10,1: Briefe 1918-1920, 1. Halbband
 3161508955, 9783161508950

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Max Weber Gesamtausgabe Im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Herausgegeben von

Horst Baier, Gangolf Hübinger, M. Rainer Lepsius, Wolfgang J. Mommsen †, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmann †

Abteilung II: Briefe Band 10 1. Halbband

J. C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Max Weber Briefe 1918 – 1920

Herausgegeben von

Gerd Krumeich und M. Rainer Lepsius in Zusammenarbeit mit

Uta Hinz, Sybille Oßwald-Bargende und Manfred Schön

1. Halbband

J. C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Redaktion: Ursula Bube – Edith Hanke – Anne Munding Die Herausgeberarbeiten wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, dem Freistaat Bayern und den Ländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gefördert.

1. Halbband ISBN 978-3-16-150895-0 Leinen / eISBN 978-3-16-157753-6 unveränderte ebook-Ausgabe 2019 ISBN 978-3-16-150897-4 Hldr Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb. de abrufbar. © 2012 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen gesetzt und auf alte rungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt. Den Einband besorgte die Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier.

Inhaltsverzeichnis

1. Halbband Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Chronologisches Verzeichnis der Briefe 1918–1920 . . . . . . . . . .

XI

Siglen, Zeichen, Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Briefe Januar 1918 – Mai 1919 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

2. Halbband Briefe Juni 1919 – Mai 1920 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

631

Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1105

Verwandtschaftstafeln der Familien Fallenstein und Weber . .

1184

Register der Briefempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1189

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1193

Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1213

Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung II: Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1219

Bandfolge der Abteilung I: Schriften und Reden . . . . . . . . . . .

1226

Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1229

Vorwort

Der vorliegende Band umfaßt die Briefe Max Webers aus den Jahren 1918, 1919 und bis zu seinem Tod am 14. Juni 1920. Es sind ereignisreiche Jahre in seinem Leben: Kriegsende, Revolution und demokratische Neuordnung Deutschlands, die Wiederaufnahme der akademischen Lehrtätigkeit, die Arbeit an seinen beiden großen Werken, der „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ und „Wirtschaft und Gesellschaft“; hinzu treten der Tod seiner Mutter und der Freitod seiner Schwester sowie sein Verhältnis zu den Freundinnen Mina Tobler und Else Jaffé. Webers politische Interessen, seine wissenschaftlichen Leistungen und die Orientierungen seiner Lebensführung verbinden sich zu einem eindrucksvollen Lebensbild. Angesichts der schwierigen Überlieferungslage der Korrespondenz war wiederum eine lange Vorbereitungszeit erforderlich. Die erhaltenen Briefe befinden sich verstreut in zahlreichen Archiven, Nachlässen sowie in privaten Sammlungen und mußten vielfach mit großem Aufwand aufgespürt werden. Darüber hinaus war die Transkription der oft schwer lesbaren Originale wieder einmal sehr arbeitsaufwendig. Komplex waren auch die Recherchen, die für eine sachgerechte Kommentierung der Briefe erforderlich waren. Im Rahmen des Briefwerks ist Gerd Krumeich für die Korrespondenz wissenschaftlichen und politischen Inhalts zuständig, M. Rainer Lepsius für die Briefe an die Familienangehörigen sowie die Briefe an Frieda Gross, Mina Tobler und Else Jaffé. Die Arbeit an der Edition erfolgte zum einen in der Arbeitsstelle am Historischen Seminar der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, zum anderen in der Arbeitsstelle am Institut für Soziologie der RuprechtKarls-Universität Heidelberg. Erstere steht unter der Leitung von Gerd Krumeich in Zusammenarbeit mit Uta Hinz und Manfred Schön, letztere unter der Leitung von M. Rainer Lepsius in Zusammenarbeit mit Sybille Oßwald-Bargende. Die Einleitung verfaßte unter Mitwirkung von Gerd Krumeich M. Rainer Lepsius. Die Transkription der handschriftlichen Originale wurde für die Briefe wissenschaftlichen und politischen Inhalts von Manfred Schön, für die Briefe an die Familienangehörigen von Diemut Moosmann vorgenommen. Manfred Schön brachte erneut seine umfassenden Kenntnisse der damaligen Geistesund Sozialwissenschaften ein, Guenther Roth sein Wissen über die Familien von Edgar und Else Jaffé. Die Herausgabe auch dieses Bandes wäre ohne die Unterstützung zahlreicher Institutionen und Eigentümern von Privatnachlässen nicht möglich gewesen. Diese können hier nicht alle namentlich genannt werden, obschon wir ihnen zu großem Dank verpflichtet sind. Besonders erwähnt seien gleich-

VIII

Vorwort

wohl Professor Eduard Baumgarten (†) und Dr. Max Weber-Schäfer (†) sowie deren Erben, die uns die in ihrem Besitz befindlichen Korrespondenzen bereitwillig zur Verfügung stellten, wie auch Dr. h.c. Georg Siebeck, der uns die Bestände des Verlagsarchivs Mohr Siebeck zugänglich machte. Gedankt sei auch den Erben von Else Jaffé sowie Professor Hansjörg Klausinger, Wien. Wir danken ferner den Mitarbeitern zahlreicher Archive und Bibliotheken. Ausdrücklich genannt seien das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem und die Bayerische Staatsbibliothek München, die Bundesarchive Koblenz und Berlin, das Generallandesarchiv Karlsruhe, das Bayerische Hauptstaatsarchiv München, die Hauptstaatsarchive Hamburg und Stuttgart, die Staatsbibliothek der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu Berlin, das Deutsche Literaturarchiv Marbach a. N., das Politische Archiv des Auswärtigen Amts Berlin, die Universität Bonn, die Universitätsbibliotheken Bielefeld und Jena, das Universitätsarchiv sowie die Universitätsbibliothek Heidelberg, das Universitätsarchiv München, das Verlagsarchiv Duncker & Humblot, das Zeitungsarchiv Dortmund, das Archiv des Hauses Baden, Salem, das Archiv der Odenwaldschule, Heppenheim, das Geheeb-Archiv der Ecole d’Humanité in Hasliberg-Goldern, das Österreichische Staatsarchiv, Abt. Allgemeines Verwaltungsarchiv Wien, Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien und Abt. Kriegsarchiv Wien, das Archivio della Fondazione Luigi Einaudi in Turin, die Amherst College Library und The Jewish National and University Library Jerusalem. Ohne die Großzügigkeit, mit der diese Institutionen ihre einschlägigen Bestände zur Verfügung gestellt und die Arbeit der Editoren mit ihrem Rat und zahlreichen Hinweisen unterstützt haben, hätte auch diese Edition nicht erstellt werden können. Die Arbeiten am vorliegenden Band wurden wiederum von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen der Forschungsförderung der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften gefördert. Federführend war dabei die Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unter dem Vorsitz von Professor Knut Borchardt. Unentbehrliche Unterstützung erhielten die Herausgeber wiederum von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg. Großen Dank schulden wir Ursula Bube und Edith Hanke von der Arbeitsstelle der Max Weber-Gesamtausgabe an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, welche die Manuskriptvorlagen in mehreren Durchgängen sorgfältig geprüft und zahlreiche sachdienliche Hinweise gegeben haben. Professor Gangolf Hübinger prüfte die Druckvorlagen mit kritischem Blick und steuerte viele nützliche Hinweise bei. Margret Schön (†) danken wir für ihre tatkräftige Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlagen und der Durchführung der Korrekturarbeiten. Ulrich Rummel und den Hilfskräften der Arbeitsstelle Düsseldorf sei gedankt für ihre Mitarbeit an der Erstellung der Verzeichnisse

Vorwort

IX

der Briefe wissenschaftlichen und politischen Inhalts. In Heidelberg wirkten mit Sabrina Hisgen und Daniel Burns. Unser Dank gilt weiterhin Ingrid Pichler für die Erstellung der Register. Düsseldorf und Heidelberg im März 2012

Gerd Krumeich, M. Rainer Lepsius

Chronologisches Verzeichnis der Briefe 1918 –1920

1. Halbband Datum

Ort

Empfänger

5. Januar 1918 5. Januar 1918 8. Januar 1918 9. Januar 1918 11. Januar 1918 13. Januar 1918 13. Januar 1918 16. Januar 1918 16. Januar 1918 17. Januar 1918 17. Januar 1918 21. Januar 1918

Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Heidelberg

22. Januar 1918

Heidelberg

22. Januar 1918

Heidelberg

Paul Siebeck Robert Wilbrandt Mina Tobler Verlag Duncker & Humblot Marianne Weber Mina Tobler Marianne Weber Mina Tobler Marianne Weber Franz Eulenburg Erich Trummler Redaktion der Frankfurter Zeitung Großherzogliches Ministerium des Kultus und Unterrichts Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg

Seite

1918

vor dem 24. Januar 1918

o.O.

28. Januar 1918 31. Januar 1918

Heidelberg Heidelberg

31. Januar 1918 1. Februar 1918 1. Februar 1918 7. Februar 1918 16. Februar 1918 16. Februar 1918 16. Februar 1918 21. Februar 1918

Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg

Redaktion des Heidelberger Tageblatts Franz Boll Redaktion der Frankfurter Zeitung Carl Grünberg Redaktion N. N. Hermann Oncken Hermann Oncken Paul Siebeck Paul Siebeck Verlag J. C. B. Mohr Verlag J. C. B. Mohr

47 48 49 51 52 54 56 58 61 63 66 69

70 72

73 75 77 79 83 85 87 90 92 93 94

XII

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

Datum

Ort

Empfänger

Seite

24. Februar 1918 11. März 1918 14. März 1918 18. März 1918 22. März 1918 25. März 1918 25. März 1918 28. März 1918 28. März 1918 4. April 1918

Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg

4. April 1918 9. April 1918

Heidelberg Wien

9. April 1918 10. April 1918 11. April 1918 14. April 1918 14. April 1918 14. April 1918 nach dem 16. April 1918 vor dem 18. April 1918 18. April 1918 19. April 1918 20. April 1918 22. April 1918 23. April 1918 24. April 1918 25. April 1918 27. April 1918 28. April 1918 28. April 1918 nach dem 30. April 1918 nach dem 30. April 1918 4. Mai 1918 vor oder am 5. Mai 1918 5. Mai 1918 5. Mai 1918 7. Mai 1918 9. Mai 1918

Wien Heidelberg Wien Wien Wien Wien

Ludo Moritz Hartmann Verlag Duncker & Humblot Verlag Duncker & Humblot Anna Edinger Erich Trummler Martin Buber Ludo Moritz Hartmann Verlag Duncker & Humblot Verlag Duncker & Humblot Redaktion der Frankfurter Zeitung Mina Tobler k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht Marianne Weber Berta Jacobsohn Mina Tobler Mina Tobler Helene Weber Marianne Weber

112 113 115 117 119 121 124

Wien

Heinrich Herkner

126

Wien Wien Wien Wien Wien Wien Wien Wien Wien Wien Wien

Paul Siebeck Mina Tobler Marianne Weber Marianne Weber Helene Weber Mina Tobler Marianne Weber Lili Schäfer Verlag Duncker & Humblot Mina Tobler Marianne Weber

127 129 132 135 138 141 143 145 148 150 152

Wien

Mina Tobler

155

Wien Wien

Marianne Weber Marianne Weber

157 159

Wien Wien Wien Wien Wien

Marianne Weber Mina Tobler Marianne Weber Marianne Weber Mina Tobler

160 162 164 166 168

95 96 97 98 101 103 105 106 108 109 111

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

XIII

Datum

Ort

Empfänger

13. Mai 1918

Wien

17. Mai 1918 vor dem 25. Mai 1918 1. Juni 1918 nach dem 4. Juni 1918 5. Juni 1918

Wien

Österreichisch-Ungarisches Konsulat Mannheim Mina Tobler

171

Wien Wien

Verlag Duncker & Humblot Mina Tobler

173 174

Wien Wien

176

6. Juni 1918 7. Juni 1918

Wien Wien

9. Juni 1918 9. Juni 1918 13. Juni 1918 nach dem 13. Juni 1918

Wien Wien Wien

Carl Grünberg k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht Marianne Weber k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht Mina Tobler Marianne Weber Marianne Weber

185 187 189 191

15. Juni 1918 16. Juni 1918 17. Juni 1918 20. Juni 1918 26. Juni 1918 27. Juni 1918 3. Juli 1918 3. Juli 1918 vor dem 6. Juli 1918 6. Juli 1918 11. Juli 1918 12. Juli 1918 16. Juli 1918 vor dem 20. Juli 1918 23. Juli 1918 27. Juli 1918 4. und 5. August 1918 10. August 1918 11. August 1918 15. August 1918 21. August 1918 25. August 1918 2. September 1918 4. September 1918

Wien Wien Wien Wien Wien Wien Wien Wien

Egon Freiherr von Waldstätten Mina Tobler Marianne Weber Marianne Weber Mina Tobler Marianne Weber Mina Tobler Mina Tobler Marianne Weber

193 195 197 199 201 204 207 209 211

o.O. Wien Wien Wien Wien

Hans von Voltelini Hans von Voltelini Mina Tobler Marianne Weber Arthur von Rosthorn

213 217 219 221 223

Wien Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg

Heinrich Herkner Ludo Moritz Hartmann Heinrich Simon Mina Tobler Erich von Korningen Mina Tobler Bernhard Guttmann Mina Tobler Mina Tobler Clara Mommsen Mina Tobler

227 229 230 231 233 235 237 241 243 245 247

Wien

Seite 170

179 183

XIV

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

Datum

Ort

Empfänger

29. September 1918 6. Oktober 1918 10. Oktober 1918 11. Oktober 1918 11. Oktober 1918 11. Oktober 1918 11. Oktober 1918

Oerlinghausen Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg

12. Oktober 1918 15. Oktober 1918

Heidelberg Heidelberg

16. Oktober 1918

Heidelberg

17. Oktober 1918 17. Oktober 1918 18. Oktober 1918 19. Oktober 1918 19. Oktober 1918 20. Oktober 1918 24. Oktober 1918 27. Oktober 1918

Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg

6. November 1918 6. November 1918 8. November 1918 8. November 1918

München München o.O. Heidelberg

ca. 11. November 1918 12. November 1918 13. November 1918 15. November 1918 15. November 1918 19. November 1918 22. November 1918 22. November 1918 24. November 1918 am oder nach dem 24. November 1918 26. November 1918 26. November 1918 29. November 1918 29. November 1918

o.O. Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. Frankfurt a. M.

Mina Tobler Ludo Moritz Hartmann Alwine (Wina) Müller Georg Hohmann Friedrich Naumann Hans Delbrück Gerhart von Schulze-Gaevernitz Friedrich Naumann Redaktion der Frankfurter Zeitung Großherzogliches Ministerium des Kultus und Unterrichts Friedrich Keller Friedrich Naumann Friedrich Naumann Heinrich Simon Margarete Susman Helene Weber Karl Loewenstein Redaktion der Frankfurter Zeitung Hans Delbrück Hermann Oncken Hermann Oncken Volksbund für Freiheit und Vaterland Hermann Oncken Else Jaffé Kurt Goldstein Else Jaffé Mina Tobler Helene Weber Mina Tobler Marianne Weber Otto Crusius

Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. Frankfurt a. M.

Dr. N. N. Conrad Haußmann Marianne Weber Mina Tobler Marianne Weber

Seite 248 250 251 254 255 257 260 262 264

266 269 272 275 277 278 280 282 284 286 289 291 293 294 296 299 303 307 309 312 315 317 322 323 325 327 329

Chronologisches Verzeichnis der Briefe Datum zwischen 29. November und 4. Dezember 1918 2. Dezember 1918 4. Dezember 1918 4. Dezember 1918 vor dem 5. Dezember 1918 5. Dezember 1918 5. Dezember 1918 6. Dezember 1918 6. Dezember 1918 10. Dezember 1918 12. Dezember 1918 am oder nach dem 12. Dezember 1918 13. Dezember 1918 13. Dezember 1918 15. Dezember 1918 nach dem 15. Dezember 1918 vor dem 20. Dezember 1918 20. Dezember 1918 21. Dezember 1918 25. Dezember 1918 26. Dezember 1918 28. Dezember 1918

XV

Ort

Empfänger

Seite

Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. Frankfurt a. M.

Lili Schäfer Mina Tobler Mina Tobler Marianne Weber

331 334 336 339

Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. Berlin Charlottenburg

Paul Siebeck Robert Michels Hugo Preuß Mina Tobler Marianne Weber Marianne Weber Verlag Duncker & Humblot

341 343 344 345 347 351 353

Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg o.O.

Gustav Radbruch Hans W. Gruhle Marianne Weber Else Jaffé

354 355 357 359

o.O.

Kollege N. N.

361

Berlin Berlin o.O. Heidelberg Heidelberg Heidelberg

Else Jaffé Alfred Schulze Mina Tobler Hugo Preuß Otto Crusius Prinz Max von Baden

369 372 373 374 378 381

Heidelberg

Ludo Moritz Hartmann

385

o.O.

Mina Tobler

389

Heidelberg o.O. Heidelberg o.O. o.O. o.O. Heidelberg München München Heidelberg

Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Martha Riegel Mina Tobler Helene Weber

391 394 401 404 406 410 412 414 416 418

1919 3. Januar 1919 vor dem 10. Januar 1919 vor dem 14. Januar 1919 15. Januar 1919 19. Januar 1919 20. Januar 1919 22. Januar 1919 23. Januar 1919 26. Januar 1919 29. Januar 1919 29. Januar 1919 31. Januar 1919

XVI

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

Datum

Ort

Empfänger

1. Februar 1919 2. Februar 1919 5. Februar 1919 6. Februar 1919 6. Februar 1919 9. Februar 1919 9. Februar 1919

o.O. Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg

9. Februar 1919 9. Februar 1919 9. Februar 1919 10. Februar 1919 11. Februar 1919 12. Februar 1919 13. Februar 1919 17. Februar 1919

Heidelberg Heidelberg Heidelberg o.O. Heidelberg Heidelberg o.O. Heidelberg

17. Februar 1919 18. Februar 1919 18. Februar 1919 19. Februar 1919 21. Februar 1919 21. Februar 1919 21. Februar 1919 21. Februar 1919 21. Februar 1919 22. Februar 1919 25. Februar 1919 26. Februar 1919 27. Februar 1919 1. März 1919 3. März 1919 4. März 1919 4. März 1919 4. März 1919 5. März 1919 6. März 1919 7. März 1919 7. März 1919 8. März 1919 8. März 1919 15. März 1919 15. März 1919 18. März 1919 19. März 1919

o.O. o.O. Heidelberg Heidelberg o.O. o.O. Heidelberg Heidelberg Heidelberg o.O. o.O. o.O. o.O. o.O. o.O. Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg o.O. Heidelberg o.O. Heidelberg Heidelberg München München Heidelberg o.O.

Else Jaffé Franz Matt Josef Heimberger Carl Heinrich Becker Franz Matt Carl Heinrich Becker Redaktion der Frankfurter Zeitung Else Jaffé Gustav Mittelstraß Paul Siebeck Hermann Oncken Theodor Kappstein Josef Heimberger Else Jaffé Redaktion der Frankfurter Zeitung Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Franz Matt Else Jaffé Else Jaffé Walther Lotz Franz Matt Hermann Oncken Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Richard Siebeck Verlag Duncker & Humblot Else Jaffé Carl Heinrich Becker Else Jaffé Franz Matt Mina Tobler Clemens Baeumker Mina Tobler Else Jaffé Else Jaffé

Seite 419 423 427 431 434 435 438 442 443 444 445 447 449 451 454 459 462 464 466 467 470 472 474 476 478 481 484 486 489 490 494 499 503 506 507 509 510 515 516 518 520 523 527

Chronologisches Verzeichnis der Briefe Datum

Ort

Empfänger

20. März 1919

Heidelberg

20. März 1919 21. März 1919 21. März 1919 24. März 1919

o.O. Heidelberg o.O. Heidelberg

25. März 1919 25. März 1919 26. März 1919 27. März 1919 28. März 1919 30. März 1919 31. März 1919 31. März 1919 31. März 1919 1. April 1919 9. April 1919 10. April 1919 14. April 1919

Heidelberg o.O. Weimar o.O. Charlottenburg Charlottenburg o.O. Berlin Berlin Berlin Heidelberg Heidelberg Heidelberg

18. April 1919 22. April 1919 22. April 1919 23. April 1919 25. April 1919 26. April 1919 30. April 1919 1. Mai 1919

Heidelberg o.O. o.O. o.O. Heidelberg Heidelberg o.O. Heidelberg

4. Mai 1919 7. Mai 1919 8. Mai 1919 14. Mai 1919 14. Mai 1919 14. Mai 1919 14. Mai 1919 15. Mai 1919 15. Mai 1919 19. Mai 1919 21. Mai 1919

o.O. o.O. Heidelberg Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Versailles Versailles

30. Mai 1919

Berlin

Redaktion der Frankfurter Zeitung Else Jaffé Franz Matt Hermann Oncken Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus Carl Heinrich Becker Hermann Oncken Mina Tobler Else Jaffé Marianne Weber Marianne Weber Else Jaffé Mina Tobler Marianne Weber Franz Matt Else Jaffé Hans Ehrenberg Redaktion der Frankfurter Zeitung Mina Tobler Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé Mina Tobler Paul Honigsheim Else Jaffé Johann Heinrich Graf von Bernstorff Else Jaffé Else Jaffé Friedrich von Müller Erich Ludendorff Else Jaffé Clara Mommsen Mina Tobler Friedrich Naumann Hans Delbrück Marianne Weber Deutsche Friedensdelegation Marianne Weber

XVII Seite 530 533 535 536

539 541 542 544 547 549 551 554 558 561 563 565 569 572 575 578 581 585 588 591 594 596 600 602 604 605 610 612 614 616 619 621 623 626

XVIII

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

2. Halbband Datum

Ort

Empfänger

1. Juni 1919 9. Juni 1919

München Heidelberg

9. Juni 1919

Heidelberg

9. Juni 1919

Heidelberg

10. Juni 1919 10. Juni 1919 12. Juni 1919 12. Juni 1919 nach dem 12. Juni 1919 16. Juni 1919

Heidelberg Ulm Ulm und München Wolfratshausen

Mina Tobler Badisches Ministerium des Kultus und Unterrichts Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg Sekretariat der Universität Heidelberg Paul Siebeck Mina Tobler Else Jaffé Marianne Weber

Wolfratshausen München

16. Juni 1919 18. Juni 1919 19. Juni 1919 20. Juni 1919 22. Juni 1919 23. Juni 1919 25. Juni 1919 28. Juni 1919 1. Juli 1919 2. Juli 1919 3. Juli 1919 3. Juli 1919 5. Juli 1919 7. Juli 1919 9. Juli 1919 9. Juli 1919 11. Juli 1919 13. Juli 1919 15. Juli 1919 vor oder am 18. Juli 1919 18. Juli 1919

Wolfratshausen o.O. Wolfratshausen Wolfratshausen München München München München München München München München München München München München München o.O. München

18. Juli 1919 19. Juli 1919 22. Juli 1919 23. Juli 1919

München Irschenhausen München München

München München

Seite 631 633 634 635 636 637 639 642

Mina Tobler Rektorat der Universität München Marianne Weber Else Jaffé Marianne Weber Mina Tobler Marianne Weber Mina Tobler Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Heinrich Herkner Mina Tobler Marianne Weber Marianne Weber Mina Tobler Marianne Weber Carl Neumann Marianne Weber Mina Tobler

644

Helene Weber Akademischer Senat der Universität München Heinrich Rickert Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber

689

646 647 649 652 655 658 660 662 665 668 671 672 673 675 677 679 681 684 685 687

691 694 697 700 702

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

XIX

Datum

Ort

Empfänger

Seite

26. Juli 1919 nach dem 26. Juli 1919 3. August 1919 10. August 1919 10. August 1919 10. August 1919 13. u. 14. August 1919 16. August 1919 19. August 1919 20. August 1919 20. August 1919 22. August 1919 22. August 1919 22. August 1919 23. August 1919 26. August 1919 27. August 1919 27. August 1919 nach dem 27. August 1919 29. August 1919 4. September 1919 4. September 1919 5. September 1919 6. September 1919 7. September 1919 8. September 1919 nach dem 8. September 1919 10. September 1919 11. September 1919 12. September 1919 15. September 1919 15. September 1919 16. September 1919 19. und 20. September 1919 20. September 1919 21. September 1919 23. September 1919 25. September 1919 29. September 1919 2. Oktober 1919

München

Mina Tobler

704

München München München München München München München o.O. München München München München München München München München München

Lili Schäfer Mina Tobler Else Jaffé Else Jaffé Mina Tobler Else Jaffé Mina Tobler Franz Eulenburg Heinrich Herkner Emil Lederer Karl von Amira Paul Siebeck Marianne Weber Karl von Amira Else Jaffé Magdalene Naumann Mina Tobler

707 709 712 714 716 719 722 726 728 729 731 733 735 737 740 742 744

München München München München München München Heidelberg Heidelberg

Arthur Salz Karl von Amira Fritz Endres Mina Tobler Paul Siebeck Else Jaffé Else Jaffé Else Jaffé

748 750 752 755 757 758 760 763

Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg o.O. Heidelberg Heidelberg

Else Jaffé Else Jaffé Paul Siebeck Paul Siebeck Else Jaffé Mina Tobler Else Jaffé

765 769 771 772 773 775 776

Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg München München München

Else Jaffé Georg Hohmann Paul Siebeck Lili Schäfer Paul Siebeck Frieda Gross Georg Hohmann

779 784 785 787 789 791 796

XX

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

Datum

Ort

Empfänger

4. Oktober 1919 5. Oktober 1919 8. Oktober 1919 8. und 9. Oktober 1919 zwischen dem 10. und 14. Oktober 1919 14. Oktober 1919 14. Oktober 1919 14. Oktober 1919 14. Oktober 1919 16. Oktober 1919 nach dem 16. Oktober 1919 nach dem 18. Oktober 1919 25. Oktober 1919 27. Oktober 1919 30. Oktober 1919 4. November 1919 5. November 1919 8. November 1919 11. November 1919 13. November 1919

München München München o.O.

Otto Neurath Mina Tobler Hans Delbrück Else Jaffé

798 801 804 807

München o.O. München München München Berlin

Mina Tobler Else Jaffé Else Jaffé Martha Riegel Mina Tobler Else Jaffé

811 814 815 816 817 818

o.O.

Else Jaffé

820

München München München München München München München München München

Clara Mommsen Mina Tobler Paul Siebeck Alfred Hettner Elisabeth Ott Mina Tobler Paul Siebeck Else Jaffé Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus

821 823 825 827 828 830 833 835

o.O. München

Paul Siebeck Heinrich Herkner

840 842

München München

Arthur Salz Emil Lederer

844 846

München München München München München München München München München München München

Arthur Salz Mina Tobler Wilhelm Heile Heinrich Herkner Clara Mommsen Paul Siebeck Robert Liefmann Mina Tobler Heinrich Herkner Johann Plenge Lili Schäfer

849 850 852 854 855 859 862 863 865 867 868

nach dem 20. November 1919 30. November 1919 vor dem 1. Dezember 1919 1. Dezember 1919 nach dem 1. Dezember 1919 2. Dezember 1919 4. Dezember 1919 4. Dezember 1919 4. Dezember 1919 8. Dezember 1919 12. Dezember 1919 12. Dezember 1919 18. Dezember 1919 18. Dezember 1919 19. Dezember 1919

Seite

837

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

XXI

Datum

Ort

Empfänger

Seite

19. Dezember 1919 28. Dezember 1919

München München

Mina Tobler Else Jaffé

870 873

Johann Plenge Mina Tobler

874 876

Rektorat der Universität München

880

o.O. München München München München München München München München o.O. München München München

Verlag J. C. B. Mohr József von Lukács Ernst Francke Johann Plenge Mina Tobler Friedrich von Müller Friedrich von Müller Mina Tobler Richard Horlacher Friedrich von Müller Mina Tobler Friedrich von Müller Paul Siebeck

881 882 886 888 890 893 897 899 901 903 905 909 913

o.O. München München München München München

Paul Siebeck Clara Mommsen Emil Lederer Franz Eulenburg Emil Lederer Karl Vossler

915 916 918 922 923 924

München o.O. o.O. München Heidelberg München München München München München München

Wolfgang Müller Else Jaffé Else Jaffé Frieda Gross Ludwig Elster Emil Lederer Clara Mommsen Mina Tobler Paul Siebeck Robert Liefmann Clara Mommsen

925 927 929 931 934 936 939 941 944 946 955

1920 28. Dezember 1919 und 2. Januar 1920 München 3. Januar 1920 München vor oder am 7. Januar 1920 München vor dem 9. Januar 1920 9. Januar 1920 11. Januar 1920 15. Januar 1920 15. Januar 1920 20. Januar 1920 21. Januar 1920 21. Januar 1920 24. Januar 1920 26. Januar 1920 29. Januar 1920 30. Januar 1920 5. Februar 1920 nach dem 6. Februar 1920 9. Februar 1920 16. Februar 1920 17. Februar 1920 17. Februar 1920 21. Februar 1920 nach dem 21. Februar 1920 26. Februar 1920 Ende Februar 1920 2. März 1920 3. März 1920 3. März 1920 3. März 1920 3. März 1920 8. März 1920 9. März 1920 16. März 1920

XXII

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

Datum

Ort

Empfänger

Seite

18. März 1920 18. März 1920 25. März 1920 Februar/März 1920 1. April 1920 5. April 1920 6. April 1920 6. April 1920 8. oder 9. April 1920 12. April 1920 nach dem 13. April 1920 nach dem 13. April 1920 vor oder am 14. April 1920 14. April 1920 14. April 1920 14. April 1920 14. April 1920 14. April 1920 15. April 1920

München München München München München München München München Heidelberg Oberhambach

Prinz Max von Baden Paul Siebeck Else Jaffé Georg Lukács Paul Siebeck Else Jaffé Else Jaffé Martha Riegel Lisa von Ubisch Martha Riegel

957 959 960 961 963 965 968 970 972 976

München

Heinrich Herkner

979

München

Albrecht Wetzel

980

München München München München München München München

981 982 985 990 992 995

15. April 1920 15. April 1920 15. April 1920 15. April 1920 15. April 1920 19. April 1920 20. April 1920 20. April 1920 vor dem 21. April 1920 21. April 1920 21. April 1920 22. April 1920 23. April 1920 24. April 1920 24. April 1920 25. April 1920 vor dem 26. April 1920 26. April 1920 26. April 1920

o.O. München München München München München München München

Alwine (Wina) Müller Clara Mommsen Carl Petersen Martha Riegel Lisa von Ubisch Marianne Weber Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus Else Jaffé Marianne Weber Else Jaffé Marianne Weber Hans W. Gruhle Verlag J. C. B. Mohr Mina Tobler Marianne Weber

997 998 1001 1005 1009 1011 1013 1014 1017

München München München München München o.O. München München

Paul Siebeck Paul Siebeck Marianne Weber Anna von Richthofen Paul Siebeck Else Jaffé Marianne Weber Clara Mommsen

1020 1021 1023 1025 1027 1030 1031 1035

München München München

Paul Siebeck Paul Geheeb Heinrich Rickert

1036 1038 1040

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

XXIII

Datum

Ort

Empfänger

Seite

26. April 1920 26. April 1920 26. April 1920 27. April 1920 27. April 1920 30. April 1920 30. April 1920 vor dem 2. Mai 1920 2. Mai 1920 2. Mai 1920 4. Mai 1920 4. Mai 1920 5. Mai 1920 5. Mai 1920 6. Mai 1920 9. und 10. Mai 1920 12. Mai 1920 12. Mai 1920 12. Mai 1920 12. Mai 1920 14. Mai 1920 14. Mai 1920 15. Mai 1920 16. Mai 1920 18. Mai 1920 19. Mai 1920 22. Mai 1920 23. Mai 1920 30. Mai 1920

München München München München München München München

Paul Siebeck Mina Tobler Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Mina Tobler Marianne Weber

1042 1043 1045 1048 1051 1055 1057

München München München München München München München München München München München München München München München München München München München München München München

Georg Hohmann Paul Siebeck Marianne Weber Clara Mommsen Marianne Weber Paul Siebeck Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Max Endres Emil Lederer Paul Siebeck Marianne Weber Paul Siebeck Marianne Weber Eduard Baumgarten Marianne Weber Mina Tobler Marianne Weber Marianne Weber Karl Jaspers Paul Siebeck

1061 1062 1063 1065 1067 1070 1071 1074 1076 1081 1082 1085 1087 1089 1090 1092 1093 1096 1097 1099 1101 1102

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

|: :| >

[]

[??] & § → 1) 2) 3) , , 1 2 3 , , O A 1, A 2 a b c , , a . . .a, b. . .b

A. A. a.a.O. a.B. Ab.Bl. Abg. Abs. Abt. Abschr. a D, a. D. a.d.R. a.d.S. AdW AEG AFLE AfSSp, ASSp AG, A. G. AGFA a. M., a/M a.N. Anl. Anm. a.o. apl. arab. a. Rh.

Einschub Max Webers Textersetzung Max Webers Von Max Weber gestrichene Textstelle Im edierten Text: Hinzufügung des Editors Im Briefkopf: erschlossenes Datum oder erschlossener Ort Im textkritischen Apparat: unsichere oder alternative Lesung im Bereich der von Max Weber getilgten oder geänderten Textstelle Ein Wort oder mehrere Wörter nicht lesbar und Paragraph siehe Indices bei Anmerkungen Max Webers Indices bei Sachanmerkungen des Editors Original der edierten Textvorlage Edierte Textvorlage bei paralleler Überlieferung Indices für Varianten oder textkritische Anmerkungen Beginn und Ende von Varianten oder Texteingriffen Pfund Auswärtiges Amt am angegebenen Ort an [der] Bergstraße Abendblatt Abgeordneter Absatz Abteilung Abschrift außer Dienst an der Ruhr an der Saale Akademie der Wissenschaften Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft Archivio della Fondazione Luigi Einaudi Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Aktiengesellschaft Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation am Main am Neckar Anlage Anmerkung außerordentlich außerplanmäßig arabisch am Rhein

XXVI

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

Art. AStA AT Aufl. Aug. AVA

Artikel Allgemeiner Studierendenausschuß Altes Testament Auflage August Allgemeines Verwaltungsarchiv

b. BA BAdW BASF BayHStA bayer. BBAW Bd., Bde. BDF beantw. bearb. betr. bez. bezw., bzw. BHE BK Bl. BSB bt. BVP

bei Bundesarchiv Bayerische Akademie der Wissenschaften Badische Anilin- & Soda-Fabrik Bayerisches Hauptstaatsarchiv bayerisch Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Band, Bände Bund Deutscher Frauenvereine beantwortet bearbeitet betreffend, betrifft bezüglich beziehungsweise Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten Briefkopf Blatt Bayerische Staatsbibliothek beantwortet Bayerische Volkspartei

c., ca, ca. CDI cf., c.f. Co.

circa Centralverband deutscher Industrieller confer Compagnie

d. „D“ DDP dens. dergl., dgl. ders. Dez. DGS d. h. d. i. dies. Diss. d.J., d.J.s. DLA d.M. DNVP D. O. B. Dok. Dr, Dr.

der, des, dem, die, das „Dringend“ (Dringendes Telegramm) Deutsche Demokratische Partei denselben dergleichen derselbe Dezember Deutsche Gesellschaft für Soziologie das heißt das ist dieselbe Dissertation des Jahres, dieses Jahres Deutsches Literaturarchiv des Monats, dieses Monat Deutschnationale Volkspartei Deutscher Offizier-Bund Dokument Doktor

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

XXVII

Dr. iur./jur. Dr. jur. utr. Dr. med. Dr. oec. publ. Dr. phil. Dr. rer. pol. ds. J. dt. durchges. DVP DVP in Bayern

doctor iuris Doctor iuris utriusque doctor medicinae doctor oeconomiae publicae doctor philosophiae doctor rerum politicarum des Jahres deutsch durchgesehen Deutsche Volkspartei Deutsche Volkspartei in Bayern (DDP)

ebd., ebda Ehrle, Max Weber und Wien eingeg. Erg. erw. etc. ev., evtl., eventl. Ew, Ew. Exc. excl. Expl., Exempl.

ebenda Ehrle, Franz-Josef, Max Weber und Wien. – Diss. Universität Freiburg i. Br. 1991 eingegangen Ergänzung erweitert et cetera eventuell Euer Excellenz exclusive Exemplar

f. f., ff. Fak. Fasc., Fasz. F. A.St. FDP Febr. Fr. Fr. franz., frz. freundschaftl. Frh., Frhr. Frl. FVP FZ, F. Z.

für folgende Fakultät Faszikel Feindespropaganda-Abwehrstelle Freie Demokratische Partei Februar Franken Frankfurt französisch freundschaftlich Freiherr Fräulein Fortschrittliche Volkspartei Frankfurter Zeitung

gänzl. GARS I

gänzlich Weber, Max, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band 1. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1920 (MWG I/18 und I/19) Grundriß der Sozialökonomik, Abt. I–IX, 1. Aufl. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1914–1930 geborene gefällig Geheimer geschrieben gesehen

GdS, G.d.S. Ö., GSÖ, GdSW geb. gefl., gef. Geh. geschr. ges.

XXVIII

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

gest. gez. GLA GPS1

gestorben gezeichnet Generallandesarchiv Weber, Max, Gesammelte Politische Schriften. – München: Drei Masken Verlag 1921 griechisch Großherzoglich Geheimes Staatsarchiv

griech. Großh. GStA H. HA Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919

Hbg, Hbg., H. h.c. Heid. Hs. herzl. hg., Hg. HHStA Hochw. Hr., Hrn. hs. HStA HT HZ

Heft Hauptabteilung Hampe, Karl, Kriegstagebuch 1914–1919, hg. von Folker Reichert und Eike Wolgast (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, hg. von der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 63). – München: R. Oldenbourg 2004 Heidelberg honoris causa Heidelberger Handschrift herzlich, herzlichen, herzlichst, herzlichsten herausgegeben, Herausgeber Haus-, Hof- und Staatsarchiv Hochwürden Herr, Herrn handschriftlich Hauptstaatsarchiv Heidelberger Tageblatt Heidelberger Zeitung

i.B., i.Br. ICW i.J. incl., inkl. insbes. i.O. i.Pr. it., ital. IVG

im Breisgau International Congress of Women im Jahr(e) inculsive, inklusive Insbesondere im Original in Preußen italienisch Industrieverwaltungsgesellschaft

Jan. Jg. jun.

Januar Jahrgang junior

KA Kg kgl., Kgl. k.J. k. k. km Kom. Rat komm. korr.

Kriegsarchiv Kilogramm königlich, Königlich kommenden Jahres kaiserlich-königlich Kilometer Kommerzienrat kommentiert korrigiert

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

XXIX

KPD Kr. k. u. k. k.W. KZ

Kommunistische Partei Deutschlands Kronen kaiserlich und königlich kommender Woche Konzentrationslager

L. L LA lat. Lic. theol. L. J.

Liebe, Lieber, Liebes Liter Landesarchiv lateinisch licentiatus theologiae Liebe Judith

M, M., M-, Mk, Mk., MK masch. Matthias/Morsey (Bearb.), Die Regierung des Prinzen Max von Baden

Mark maschinenschriftlich Die Regierung des Prinzen Max von Baden, bearb. von Erich Matthias und Rudolf Morsey (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Erste Reihe, Bd. 2). – Düsseldorf: Droste 1962 mit beschränkter Haftung Mitglied des Landtages Mitglied des österreichischen Herrenhauses Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses Mitglied des preußischen Herrenhauses Mitglied des preußischen Landtags Mitglied des Reichstags meines Erachtens Mittagsblatt Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19, bearb. von Susanne Miller, unter Mitwirkung von Heinrich Potthoff (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Erste Reihe, Bd. 6), 2 Bde. – Düsseldorf: Droste 1969 Ministerialdirektor Münchner Neueste Nachrichten Morgenblatt Mommsen, Wolfgang J., Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920, 3., verbesserte Aufl. – Tübingen: Mohr Siebeck 2004 Milliarden Manuscript Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands meo voto meines Wissens Max Weber Max Weber-Arbeitsstelle Max Weber-Gesamtausgabe; vgl. die Übersicht zu den Einzelbänden unten, S. 1219 f., 1226–1229

mbH MdL MdöHH MdprAH MdprHH MdprL MdR, M.d.R. m. E. Mi.Bl. Miller/Potthoff (Bearb.), Die Regierung der Volksbeauftragten

Min. Dir. MNN, M. N.N Mo.Bl. Mommsen, Max Weber3

Mrd. Mscr. MSPD m.v. m.W. MW, M. W. MWA MWG

n.a. A. Nachdr. Nachf.

nach anderen Angaben Nachdruck Nachfolger

XXX

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

Nachm. NB Neuaufl. N. F. n. J., n. J.s Nl. No, Nr. N. N. NORAG Nov., Novbr. NS NSDAP NZZ

Nachmittag notabene Neuauflage Neue Folge nächstes Jahr, nächsten Jahres Nachlaß Numero, Nummer nomen nescio Nordische Rundfunk AG November Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zürcher Zeitung

O o., ord. o.A. Obb ÖStA o.g. OHL o.J. Okt. o.O. Op. österr. OSO o.V.

Original ordentlich ohne Angabe Oberbayern Österreichisches Staatsarchiv oben genannt Oberste Heeresleitung ohne Jahr Oktober ohne Ort Opus österreichisch Odenwaldschule Oberhambach ohne Verlag

p. p.A., p. Adr. PA PA AA PD pers. philos. PK polit. POW pp, pp., p.p. pr. Prof., Proff. PS, P. S. PSt

pagina per Adresse, per Adressat Personalakte Politisches Archiv des Auswärtigen Amts Privatdozent persönlich philosophisch Preußischer Kulturbesitz politisch Polska Organizacja Wojskowa perge, perge privatim Professor, Professoren Postscriptum Poststempel

RdI Rep. resp. RV

Reichsamt des Innern Repositur respektive Reichsverfassung

s. S.

siehe Seite

Siglen, Zeichen, Abkürzungen S. A. SBPK Schmollers Jahrbuch

XXXI

S. W. s.Z., s.Zt.

Separat-, Sonder-Ausgabe Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Schmollers) Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender, hg. von [Heinrich] Schulthess, NF 31,1 = 56,1, 1915. – München: C. H. Beck 1919 dass., NF 31,2 = 56,2, 1915. – München: C. H. Beck 1919 dass., NF 34,1 = 59,1, 1918. – München: C. H. Beck 1922 dass., NF 34,2 = 59,2, 1918. – München: C. H. Beck 1922 dass., NF 35,1 = 60,1, 1919. – München: C. H. Beck 1923 dass., NF 35,2 = 60,2, 1919. – München: C. H. Beck 1923 dass., NF 36,1 = 61,1, 1920. – München: C. H. Beck 1924 Das Kabinett Scheidemann. 13. Februar bis 20. Juni 1919, bearb. von Hagen Schulze (Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik). – Boppard a. Rh.: Harald Boldt 1971 Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs seines Erachtens Sektion senior September Sehr geehrter Sächsische Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek siehe oben sogenannt Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialdemokratische Partei Österreichs seiner Saint, Sankt Staatsarchiv staatswirtschaftlich Straße siehe unten Schweizerische Gesellschaft für Urheberrechte an Musikaufführungen und -sendungen Südwest seiner Zeit

Tel. TH Tit. Tl.

Telefon(nummer) Technische Hochschule Titel, Titulatur Transliteration

u. u. a., u.A. UA u. ä. UB überarb. u. dgl.

und und andere, und Andere, unter anderem, unter Anderem Universitätsarchiv und ähnliches Universitätsbibliothek überarbeitet und dergleichen

Schulthess 1915, Teil 1

Schulthess 1915, Teil 2 Schulthess 1918, Teil 1 Schulthess 1918, Teil 2 Schulthess 1919, Teil 1 Schulhess 1919, Teil 2 Schulhess 1920, Teil 1 Schulze (Bearb.), Das Kabinett Scheidemann SDAP s.E. Sekt. sen. Sept. S. g. SLUB s. o. sog., sogen. Sp. SPD, S. P. D. SPÖ Sr. St. StA staatswirtschaftl. str., Str. s. u. SUISA

XXXII

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

UdSSR u. E. ugs., umgangssprachl. unpag. u. ö. USA usf. USPD, U. S. P. usw., u. s. w.

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken unseres Erachtens umgangssprachlich unpaginiert und öfters United States of America und so fort Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands und so weiter

v v. V. VA v. a. Verf. verfl. . . verm. Verz. V. Fr. VfSP, V.f.S. P. VfZG vgl. v. H. z. H. v.J. VKPD v.W.

verso von Vormittag Verlagsarchiv vor allem Verfasser verflucht vermehrt Verzeichnis Verehrter Freund Verein für Socialpolitik/Sozialpolitik Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte vergleiche von Haus zu Haus vorigen Jahres Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands vergangene/vorige Woche

W Weber, Marianne, Lebensbild3

West Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild, 3. Aufl. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1984 (Nachdr. der 1. Aufl., ebd. 1926) Weber, Max, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Religionssoziologische Skizzen. Das antike Judentum, in: AfSSp, 44. Band, Heft 1, 1917, S. 52–138 (MWG I/21–1, S. 234–353); dass. (Fortsetzung.), in: AfSSp, 44. Band, Heft 2, 1918, S. 349–443 (MWG I/21, S. 345–478); dass. (Fortsetzung.), in: AfSSp, 44. Band, Heft 3, 1918, S. 601–626 (MWG I/21, S. 479– 511); dass. (Fortsetzung.), in: AfSSp, 46. Band, Heft 1, 1918, S. 40–113 (MWG I/21, S. 511–606); dass. (Fortsetzung.), in: AfSSp, 46. Band, Heft 2, 1919, S. 311–366 (MWG I/21, S. 607– 675); dass. (Schluß.), in: AfSSp, 46. Band, Heft 3, 1920, S. 541–604 (MWG I/21, S. 676–757) Weber, Max, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Religionssoziologische Skizzen. Einleitung, in: AfSSp, 41. Band, Heft 1, 1915, S. 1–30 (MWG I/19, S. 83–127) Weber, Max, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. (Dritter Artikel). Hinduismus und Buddhismus I., in: AfSSp, 41. Band, Heft 3, 1916, S. 613–744 (MWG I/20, S. 49–220); dass. (Fortsetzung.), in: AfSSp, 42. Band, Heft 2, 1916, S. 345–461 (MWG I/20, S. 221–368); dass. (Schluß.), in: AfSSp, 42. Band, Heft 3, 1917, S. 687–814 (MWG I/20, S. 369–544)

Weber, Max, Antikes Judentum

Weber, Max, Einleitung

Weber, Max, Hinduismus und Buddhismus

Siglen, Zeichen, Abkürzungen Weber, Max, Konfuzianismus

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WEWR wiss. Wirtschaftsethik der Weltreligionen WK W. S. WRV WuG, WuG1

Weber, Max, [Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen Religionssoziologische Skizzen.] Der Konfuzianismus I, II., in: AfSSp, 41. Band, Heft 1, 1915, S. 30–87 (MWG I/19, S. 128– 362); dass. (Zweiter Artikel). Der Konfuzianismus III, IV. (Schluß), in: AfSSp, 41. Band, Heft 2, 1915, S. 335–386 (MWG I/19, S. 370–478) Weber, Max, Parlament und Regierung. Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens (Die innere Politik, hg. von Sigmund Hellmann). – Duncker & Humblot 1918 (MWG I/15, S. 421–596) Weber, Max, [Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. (Zweiter Artikel).] Zwischenbetrachtung. Stufen und Richtungen der religiösen Weltablehnung, in: AfSSp, 41. Band, Heft 2, 1915, S. 387–421 (MWG I/19, S. 479–522) Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft (Grundriß der Sozialökonomik, Abt. III), 1. Aufl. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1922 (MWG I/22–1 bis 5 und I/23) Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen wissenschaftlich → Weber, Max, Antikes Judentum; Einleitung; Hinduismus und Buddhismus; Konfuzianismus; Zwischenbetrachtung Weltkrieg Wintersemester Weimarer Reichsverfassung → Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft

z. z. B. z.H. Ziegelh. Landstr. zit. ZPO Zs., Zsch., Zschr. ZStA z. T., z.Tl. zus. zw. z.Z., z.Zt., z. Zeit, zr.Zt.

zum, zur zum Beispiel zu Händen Ziegelhäuser Landstraße zitiert Zivilprozeßordnung Zeitschrift Zentrales Staatsarchiv zum Teil zusammen zwischen zur Zeit

Weber, Max, Parlament und Regierung

Weber, Max, Zwischenbetrachtung

Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft

Max Weber 1919 Arbeitsstelle der Max Weber-Gesamtausgabe, BAdW München

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In diesem Band werden die überlieferten Briefe Max Webers aus den Jahren 1918, 1919 und dem ersten Halbjahr 1920 bis zu seinem Tod am 14. Juni 1920 ediert. Sie dokumentieren die Ereignisse, die seine letzte Lebenszeit bestimmten. Die Einleitung gliedert sich in fünf Abschnitte. Der erste Abschnitt, „Max Weber und die Politik“ (S. 1–13), behandelt seine Hoffnung auf eine demokratische Neuordnung Deutschlands nach der desaströsen Kriegsniederlage und den entwürdigenden Friedensbedingungen. Der zweite Abschnitt, „Max Weber und die Wissenschaft“ (S. 13–20), berichtet über die Wiederaufnahme seiner Lehrtätigkeit und seine wissenschaftliche Arbeit. Der dritte Abschnitt, „Max Webers private Lebenssphäre“ (S. 21–36), skizziert existentielle Ereignisse, die Erfüllung seiner langjährigen Liebe zu Else Jaffé, den Tod der Mutter, den Freitod der Schwester Lili Schäfer und die Übernahme der Pflegschaft von deren verwaisten Kindern durch seine Frau Marianne Weber. Der vierte Abschnitt, „Krankheit, Tod und Trauerfeiern“ (S. 36–40), ergänzt die Einleitung über nachgelassene Dokumente. Im fünften Abschnitt (S. 40–43) wird über die Überlieferung und Edition berichtet.

1. Max Weber und die Politik Seit Anfang des Krieges hatte Max Weber das Kriegsgeschehen und die Chancen für einen Frieden mit großer Aufmerksamkeit und seit 1916 mit zunehmender Sorge verfolgt. Nach einem Besuch in Berlin im Januar 1918 gewann er den Eindruck, die Lage im Osten sei ungeklärt, im Westen unsicher und niemand wisse, was wird.1 Die Zeit von Anfang April bis Ende Juli 1918 verbrachte er an der Universität in Wien, in „politischen Ferien“, wie er schrieb.2 Webers Briefe aus Wien, wo er mit österreichischen Politikern mehrfach sprach, enthalten – schon wegen der Zensur – keine politischen Aussagen. Die überraschende Forderung Ludendorffs, sofort ein Waffenstillstandsersuchen an die amerikanische Regierung zu senden, erreichte Weber in Oerlinghausen, wo er mit seiner Frau die Silberne Hochzeit gefeiert hatte. Noch am gleichen Tag, dem 29. September 1918, schrieb er: „So ernst hat unser Aller Zukunft noch selten ausgesehen wie jetzt. Aber jetzt, nachdem das Befürchtete eintritt, wird man eher erleichtert sein nach dem qualvoll lan1 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 16. Jan. 1918, unten, S. 61. 2 Brief an Mina Tobler vom 20. Juni 1918, unten, S. 201.

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gen Warten und der Sorge gegenüber der Blindheit so vieler Anderer.“3 Die von der Obersten Heeresleitung eingestandene Niederlage erschütterte ihn, verstärkte aber zugleich sein politisches Engagement. Am 10. Oktober 1918 schrieb er: „Im nächsten Jahre wird ja Frieden sein und wir alle [müssen] unser Leben neu orientieren. Ein Frieden wie ihn keiner von uns gedacht hat, auch ich nicht bei aller Nüchternheit und Skepsis.“4 Einen Tag später schrieb er an Friedrich Naumann: „Ich habe jetzt, wo das Unheil da ist, absolut ruhiges Blut. Ich hoffe, Sie auch.“5 Von nun an nahm er unermüdlich und leidenschaftlich Anteil am politischen Geschehen. Max Weber hielt zahlreiche politische Reden, war publizistisch tätig, nahm an der Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs von Hugo Preuß teil, beteiligte sich am Aufbau der Deutschen Demokratischen Partei, begleitete die deutsche Friedensdelegation als Mitglied einer Expertengruppe nach Versailles und erweiterte seinen Vortrag „Politik als Beruf“ vom 28. Januar 1919 für den Druck, eine seiner wirkungsmächtigsten Schriften überhaupt.6 Weber hätte gerne eine verantwortliche Stelle eingenommen. Am 10. September 1919 schrieb er: „[I]ch [. . .] finde keinen Platz, keinen Weg für mich, jetzt wenigstens, daran: am Wiederaufbau, zu arbeiten.“7 Mit dem Antritt der Professur in München im Juni 1919 beendete er seine politischen Aktivitäten, wie er dies mehrfach angekündigt hatte. Die acht Monate von Oktober 1918 bis Mai 1919 sind die Lebensphase Max Webers, in der er primär Politiker war. Über sie berichtet ausführlich und unter Darstellung der allgemeinen politischen Kontexte Wolfgang J. Mommsen in seinem Buch „Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920“.8 Auf diese Darstellung sei ausdrücklich auch für das Verständnis der in diesem Band veröffentlichten Briefe verwiesen. Auch Marianne Weber hat diese Zeit mit eigenen Erinnerungen in ihrem Buch „Max Weber. Ein Lebensbild“ beschrieben.9 Max Webers Schriften und Reden aus dieser Zeit, in MWG I/15 und MWG I/16 ediert, sollten konsultiert werden. Der Krieg und das Kriegsende Zur militärischen Entwicklung äußerte sich Weber in seinen Briefen zu Beginn des Jahres 1918 eher sporadisch. Er war davon überzeugt, daß der Krieg

3 Brief an Mina Tobler vom 29. Sept. 1918, unten, S. 248. 4 Brief an Alwine (Wina) Müller vom 10. Okt. 1918, unten, S. 252. 5 Brief an Friedrich Naumann vom 11. Okt. 1918, unten, S. 256. 6 Ediert in: MWG I/17, S. 113–252. 7 Brief an Else Jaffé vom 10. Sept. 1919, unten, S. 770. 8 Mommsen, Wolfgang J., Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920, 3., verbesserte Aufl. – Tübingen: Mohr Siebeck 2004 (hinfort: Mommsen, Max Weber3). 9 Vgl. Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild, 3. Aufl. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1984 (hinfort: Weber, Marianne, Lebensbild3).

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noch im Herbst zu Ende gehen werde, blieb aber mit Äußerungen über Sieg oder Niederlage und die davon abhängigen politischen Perspektiven äußerst zurückhaltend. Für ihn schickte es sich nicht, „Kriegspolitik“ zu betreiben, militärische Erwartungen mit politischen Hoffnungen und Perspektiven zu verknüpfen. Wie er in einem Brief vom 17. Januar 1918 schrieb: „alle Kulturfragen werden beeinflußt durch die scheinbar rein äußerliche Vorfrage: wie dieser Krieg zu Ende geht“. Und deshalb gehöre es sich jetzt nicht, „aus Gründen des Takts im innerlichsten Sinn“, politische Wunschvorstellungen von Deutschlands Zukunft aktiv zu betreiben.10 Auch in anderen Briefen aus jenen Monaten, insbesondere in dem Brief an Anna Edinger vom 18. März 1918, wird deutlich, daß Weber nach wie vor von der absoluten Notwendigkeit überzeugt blieb, die Festigkeit der inneren Front nicht durch streitiges Reden über die politische Zukunft zu gefährden. Wenn er in dieser Hinsicht den innenpolitisch reaktionären Annexionismus der Alldeutschen vehement kritisierte, so galt seine Kritik aber in fast ebenso scharfer Form den pazifistischen Bemühungen, zumal wenn diese mit Eingeständnissen deutscher Kriegsschuld verknüpft wurden, wie etwa im Fall des pazifistischen Pädagogikprofessors Friedrich Wilhelm Foerster, dem er im Brief an Anna Edinger „Mangel an sittlicher Selbstzucht“ vorwarf.11 Tatsächlich scheint Max Weber bei allem Wissen um die Ambitionen, Inkohärenzen und Schwächen der deutschen Politik nie den Standpunkt verlassen zu haben, daß von einer deutschen Schuld am Kriege keine Rede sein könne. Wie er auch bis 1918 (danach nicht mehr) davon überzeugt blieb, daß von einer Neutralität Belgiens vor Kriegsbeginn de facto keine Rede sein konnte, so beharrte er auch 1918 auf der Überzeugung, daß Frankreich und England den Krieg aus eigennützigen Gründen unbedingt weiterführen wollten – daß also überhaupt kein Anlaß bestehe, die deutsche Politik im Krieg zu verurteilen, im Gegenteil: „An deutschen Friedensfühlern hat es nicht gefehlt“.12 Von Januar bis März 1918, also vor seinem Weggang nach Wien, kommentierte Weber ausführlich und engagiert die politische und militärische Lage. Diese war für ihn in erster Linie durch den Waffenstillstand mit Rußland und das erpresserische Verhalten der deutschen Militärs gegenüber den Sowjets bei den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk bestimmt. In diesem Zusammenhang spielen auch die großen „Januarstreiks“ in Berlin und anderen deutschen Städten eine Rolle. Weber erkannte sehr klar, daß die unmäßigen Annexionsforderungen der Obersten Heeresleitung im Konzert mit den Alldeutschen einen für die Russen akzeptablen Frieden verhinderten und deshalb in Deutschland zu Unruhen führten. Einige der hier veröffentlichten Briefe beleuchten Webers Erregung und seine umfassende Abrechnung mit diesen, 10 Brief an Erich Trummler vom 17. Jan. 1918, unten, S. 67. 11 Brief an Anna Edinger vom 18. März 1918, unten, S. 99. 12 Ebd.

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die Einheit der deutschen Kriegsanstrengung mutwillig zerstörenden alldeutsch-militaristischen Kräften. Deren Treibereien und die von den Zensurbehörden und den Militärs geduldete Stimmungsmache gegen führende Politiker, die Blockade der Reform des preußischen Wahlrechts und die Radikalisierung der kriegsmüden Arbeiterschaft empfand er als „zum Verzweifeln“.13 In den viel beachteten Artikeln, die unter dem Titel „Innere Lage und Außenpolitik“ am 3., 5. und 7. Februar 1918 in der Frankfurter Zeitung erschienen, wurde Webers Sicht der unheilvollen innenpolitischen Entwicklung und deren militärisch-außenpolitische Folgen dann deutlich formuliert.14 Auch von den anfänglichen Erfolgen der großen Offensive im Westen, für die, wie er hörte, der Generalstab mit 600 000 Toten rechnete,15 versprach er sich keine Schritte zum Frieden. Noch im Oktober 1918 allerdings glaubte Weber, der – aus welchen Gründen auch immer – die militärische Lage nicht so unbedingt hoffnungslos einschätzte wie Ludendorff, daß bei einer Rückverlegung der deutschen Truppen auf die Landesgrenzen die Front noch länger gehalten und dadurch ein akzeptabler Friede erreicht werden könnte.16 Aber den berühmt-berüchtigten Aufruf Walther Rathenaus zu einer regelrechten Levée en masse, zur Erhebung des Volkes im nationalen Widerstand, scheint er nicht für sehr aussichtsreich gehalten zu haben, sprach er doch gegenüber Friedrich Naumann ausdrücklich von einem „Verzweiflungskrieg“, der das Kriegsende höchstens um zwei bis drei Monate herauszögern könnte.17 Andererseits scheint Weber durchaus zu Akten des nationalen Widerstandes entschlossen gewesen zu sein; so fordere er, nach dem Waffenstillstand müsse die Jugend bereit sein, die deutsche Grenze gegen die Polen zu verteidigen. Am 4. November 1918 sprach Weber in München auf einer Versammlung der Fortschrittlichen Volkspartei. Dabei erlebte er unmittelbar die revolutionäre Friedensstimmung.18 Drei Tage später brach die Revolution in München aus, und der von Weber verachtete „Litterat“ Kurt Eisner übernahm die Regierung. Weber fürchtete, daß der bayerische Separatismus siegen könnte, und sorgte sich um den Bestand des Reiches.19

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Brief an Hermann Oncken vom 1. Febr. 1918, unten, S. 85. Vgl. Weber, Max, Innere Lage und Außenpolitik, MWG I/15, S. 401–420, hier S. 406 ff. Vgl. den Brief an Mina Tobler vom 16. Jan. 1918, S. 58. Vgl. den Brief an Alwine (Wina) Müller vom 10. Okt. 1918, unten, S. 252. Vgl. den Brief an Friedrich Naumann vom 18. Okt. 1918, unten, S. 276. Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 638–641. Vgl. den Brief an Hermann Oncken vom 8. Nov. 1918, unten, S. 291 f.

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Einstellung zur Revolution und zum Sozialismus In der „‚Revolution‘ [. . .] und in der Art, wie und wann und von wem sie gemacht wurde“, sah er „einen dummen und frivolen Karneval“.20 Er hielt sie für ein Unglück, das die Lage nur verschlimmere, auch Deutschlands Situation gegenüber den Westmächten schwäche und zum Zerfall des Heeres beigetragen habe. Besonders wandte er sich gegen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie andere radikale Linke. Sie hetzten zum Bürgerkrieg und gäben dem Bolschewismus eine Chance. Das sozialistische Experiment lehnte er ab. Der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft erfordere internationales Kapital, und das könne nur von den Unternehmern und Banken beschafft werden. Weber hielt „die ‚Planwirtschafts‘-Pläne für einen dilettantischen, objektiv absolut verantwortungslosen Leichtsinn sondergleichen, der den ‚Sozialismus‘ für hundert Jahre diskreditieren kann und alles was jetzt etwa werden könnte, in den Abgrund einer stupiden Reaktion reißen wird. Die sehe ich leider kommen“.21 Experimente mit Sozialisierungen hielt er für den Wiederaufbau der Wirtschaft für gefährlich. Wichtig war ihm die Aktivierung des Bürgertums, das an der Demokratisierung Deutschlands in Kooperation mit den Mehrheitssozialisten wesentlich mitwirken müsse. In Friedrich Ebert sah er einen dafür geeigneten und ehrlichen Politiker. Für eine Koalition von Sozialdemokratie und Bürgertum war er zu Kompromissen bereit. Er beklagte die mit dem Waffenstillstand verbundene Wehrlosigkeit, insbesondere im Osten, und befürchtete im Falle eines Bürgerkrieges den Einmarsch der Alliierten ins Reichgebiet, eine „Rettungs“-Okkupation, wie er es nannte.22 Engagement für die Deutsche Demokratische Partei Besonders setzte sich Max Weber für die neue Deutsche Demokratische Partei (DDP) ein. Sein Bruder Alfred Weber war an ihrer Gründung maßgeblich beteiligt gewesen und am 17. November 1918 Vorsitzender des Aktionsausschusses und Mitglied des provisorischen Parteivorstandes geworden. Er hatte sofort auch seinen Bruder Max zum Eintritt aufgefordert – ebenso dessen Frau Marianne und seine Lebensgefährtin Else Jaffé. Doch mußte Alfred Weber seine Ämter schon nach einem Monat niederlegen, weil sich seine Beschuldigungen von Hugo Stinnes und August Thyssen als rheinische Separatisten nicht aufrechterhalten ließen.23

20 Brief an Hans Ehrenberg vom 10. April 1919, unten, S. 570. 21 Brief an Otto Neurath vom 4. Okt. 1919, unten, S. 800. 22 Vgl. den Brief an Otto Crusius vom 24. Nov. 1918, unten, S. 318. 23 Vgl. Demm, Eberhard, Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 38). – Boppard am Rhein: Boldt 1990, S. 256–277.

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Max Weber war vom 7. bis 20. Dezember 1918 in Berlin. Alfred Weber schrieb aus dieser Zeit an Else Jaffé: „Einstweilen hat sich Max sehr energisch auch in die Partei-Sachen hier hineingeworfen. – Der Programm-Entwurf, der heut beraten wird, ist von ihm umgearbeitet vorgelegt.“24 Er war in die Parteiführung kooptiert worden, doch seine größte aktive Unterstützung der Partei lag in seiner intensiven Beteiligung am Wahlkampf für die Nationalversammlung. Er sprach, teilweise durchaus demagogisch, zwischen dem 4. November 1918 und dem 17. Januar 1919 in München, Frankfurt (Main), Wiesbaden, Berlin, Karlsruhe, Fürth (Bayern) und vier Mal in Heidelberg. Seine Frankfurter Freunde nominierten ihn im Wahlkreis 19, Hessen-Nassau, als Kandidaten für die Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung. Er war zunächst zuversichtlich und schrieb am 25. Dezember 1918 an Hugo Preuß: „Es scheint, daß ich in Frankfurt ziemlich sicher gewählt werde. Ich werde dann natürlich schleunigst Fühlung mit Ihnen nehmen.“25 Doch die Wahlkreisversammlung am 29. Dezember 1918 in Wetzlar nominierte ihn nicht,26 und auch ein späterer Versuch, ihn von Heidelberg aus auf die Liste für Baden zu setzen, war erfolglos. Trotz ihres großen Engagements wurden er wie auch sein Bruder Alfred nicht in die Nationalversammlung gewählt. Hingegen wurde Marianne Weber für die DDP Mitglied der Badischen Nationalversammlung. Wäre Max Weber in die Nationalversammlung gewählt worden, hätte sein Leben wohl einen anderen Verlauf genommen. Im April 1920 trat Weber aus der DDP aus, in deren Ausschuß er im Sommer 1919 gewählt worden war.27 Diese hatte ihn aufgefordert, das Mandat der Partei in der zweiten Sozialisierungskommission wahrzunehmen. Das wollte er nicht, da er Sozialisierungen ablehnte. In seinem Brief an Carl Petersen, den Vorsitzenden der DDP, vom 14. April 1920 warf er einen Blick zurück. Er schrieb: „Der Politiker soll und muß Kompromisse schließen. Aber ich bin von Beruf: Gelehrter. Daß ich es geblieben bin, hat – dankenswerter Weise – die Partei mit veranlaßt, indem sie seinerzeit mich dem Parlament fern hielt, – zu dem ich mich nicht drängte, in dem zu sitzen heute weder eine Ehre noch eine Freude ist, in das ich aber, so lange die Verfassung beraten wurde, vielleicht gehört hätte. [. . .] Ich werde stets demokratisch stimmen, stets betonen: daß ich es für ein furchtbares Opfer halte, heut zu ‚regieren‘, – seien Sie meiner Loyalität darin gänzlich sicher.“28

24 Brief von Alfred Weber an Else Jaffé vom 16. Dez. 1918, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 82, Bl. 77–80. 25 Brief an Hugo Preuß vom 25. Dez. 1918, unten, S. 377. 26 Zu Webers Kandidatur vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 329–332. 27 Vgl. die Briefe an Carl Petersen vom 14. April 1920 und an Clara Mommsen vom 4. Mai 1920, unten, S. 985–989 und 1065 f. 28 Brief an Carl Petersen vom 14. April 1920, unten, S. 986 und 988.

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Verfassungsgebung Im Zentrum von Webers Interesse stand die Neuordnung Deutschlands und dabei in erster Linie die Verfassungsgebung. Auf Einladung der Frankfurter Zeitung arbeitete er in der Zeit vom 21. November bis zum 5. Dezember 1918 in deren Redaktion und schrieb fünf Artikel über Deutschlands künftige Staatsform, die anschließend gesondert veröffentlicht wurden.29 In diesen Artikeln diskutierte Weber detailliert und im Vergleich mit der amerikanischen und Schweizer Verfassung die Grundprinzipien der Staatsorganisation. Dort begründete er seine Auffassungen, die auch in den Briefen zur Sprache kommen. Er optierte für eine parlamentarische Republik, obgleich er zunächst der parlamentarisch kontrollierten Monarchie den Vorzug gegeben hatte.30 Doch das unwürdige Verhalten Wilhelms II., dessen Thronverzicht er schon in seinen Briefen vom 11. und 12. Oktober 1918 an Hans Delbrück, Gerhart von Schulze-Gaevernitz und Friedrich Naumann gefordert hatte,31 überzeugte ihn davon, daß sich die Dynastie diskreditiert hatte. Er plädierte für einen föderativen Staatsaufbau, obwohl ihm eine unitarische Verfassung nähergelegen hätte, vor allem im Hinblick auf einen möglichen Beitritt Deutsch-Österreichs, die eigenstaatlichen Interessen der süddeutschen Staaten und der praktischen Schwierigkeiten, die einer Auflösung Preußens entgegenstanden.32 Ausführlich diskutierte er die Vor- und Nachteile der Organisation der 2. Kammer als Bundesrat nach dem Delegiertensystem oder als Staatenhaus nach dem Repräsentationssystem. Schließlich befürwortete er die Volkswahl des Reichspräsidenten. Diese Artikelserie führte vermutlich dazu, daß Hugo Preuß, der damalige Staatssekretär des Innern, ihn einlud, als Sachverständiger in nicht-amtlicher Funktion an informellen Beratungen über die Grundzüge des Entwurfs einer neuen Reichsverfassung teilzunehmen. Die Beratungen dauerten vom 9. bis 12. Dezember 1918. Nach ihrem Abschluß dankte er Hugo Preuß für die Gelegenheit zur Teilnahme an den Verhandlungen und „mehr noch für die Art, wie Sie diese Verhandlungen geführt haben [. . .] – mit glänzender Präzision und Sachlichkeit. Das Resultat ist allerdings – wie bei ‚Kommissionen‘ meist – ein Kompromißprodukt zwischen parlamentarischer und plebiszitärer, bundesrätlicher und staatenhausmäßiger Konstruktion“.33

29 Vgl. Weber, Max, Deutschlands künftige Staatsform, ediert in: MWG I/16, S. 91–146. 30 Vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 311–316. 31 Vgl. die Briefe an Hans Delbrück vom 11. Okt. 1918, an Gerhart von Schulze-Gaevernitz vom selben Tag und an Friedrich Naumann vom 12. Okt. 1918, unten, S. 257–259, 260 f. und S. 262 f. 32 Vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 358–370. 33 Brief an Hugo Preuß vom 25. Dez. 1918, unten, S. 374.

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Kriegsschuld und Friedensvertrag Max Weber unterstützte, wie sein Bruder Alfred, eine Initiative des Prinzen Max von Baden, über die beide von Kurt Hahn am 17. Dezember 1918 in Berlin unterrichtet wurden.34 Alfred Weber berichtete Else Jaffé in seinem Brief vom selben Tag: „Er bringt aus der Schweiz die Botschaft, daß wir uns hoffnungslos ruiniren bis zum Friedenskongreß und Wilson jede Waffe, für uns etwas zu thun, nehmen, wenn wir nicht diese gegenwärtigen Selbstanklagen durch eine würdige selbstbewußte Haltung bis zum Friedenskongreß ersetzen, und nicht bis dahin das richtige Gleichgewicht in Bezug auf die Schuld am Kriege durch eine ruhige Selbstverteidigung, die die Schuld richtig verteilt, ersetzen – Wilson’s Spiel gegen Clemenceau, der dieses ganze Bauchrutschen bei uns systematisch hervorrufe [. . .] sei sonst verloren – Und das werde uns Milliarden kosten und wer weiß was sonst noch alles!“35 Kurt Hahn war während des Krieges mit der Beobachtung der englischen Presse in der Zentralstelle für Auslandsdienst beim Auswärtigen Amt befaßt und hatte 1915 erkannt, daß die Propaganda der Kriegsgegner über die deutsche Kriegsschuld und über deutsche Kriegsgreuel eine große Wirkung auf die Moral der Alliierten und auch auf die öffentliche Meinung bei den Neutralen gewann. Er vermißte schon damals entschiedene deutsche Gegendarstellungen. Seit 1917 war Hahn vertrauter Berater und später Sekretär des Prinzen Max von Baden, den er bereits damals als Reichskanzler ins Gespräch gebracht hatte. Nun aktivierte er Prinz Max von Baden zu einer Initiative, die zur Gründung der „Arbeitsgemeinschaft für Politik des Rechts (Heidelberger Vereinigung)“ führte.36 Sie wollte der deutschen Alleinschuld entgegentreten und dadurch die deutsche Position bei den Friedensverhandlungen stärken. Auch Max Weber wandte sich scharf gegen deutsche Selbstbeschuldigungen für den Kriegsausbruch (insbesondere durch Kurt Eisner) und bekämpfte die feindliche „Greuel“-Propaganda.37 Er war Prinz Max von Baden schon bei einem Besuch in Baden-Baden am 25. Dezember 1918 persönlich begegnet, als er ihm die Kandidatur für die Deutsche Demokratische Partei zur Wahl der Nationalversammlung im Wahlkreis Baden antrug.38 Die Gründungsversammlung der Heidelberger Vereinigung fand

34 Alfred Weber stand seit dem Jahreswechsel 1917/18 in Kontakt mit Kurt Hahn und auch mit Prinz Max v. Baden, vgl. Demm, Eberhard, Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 38). – Boppard am Rhein: Boldt 1990, S. 238–246. 35 Brief von Alfred Weber an Else Jaffé vom 17. Dez. 1918, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 82, Bl. 81–84. 36 Die Namensgebung „Politik des Rechts“ spielt auf die Wendung „Herrschaft des Rechts“ in den 14 Punkten von Präsident Wilson an. 37 Vgl. dazu Mommsen, Max Weber3, S. 338 f. 38 Vgl. den Brief an Prinz Max von Baden vom 28. Dez. 1918, unten, S. 381–383.

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schließlich am 3./4. Februar 1919 in Webers Haus in Heidelberg statt.39 Er sorgte auch für die Öffentlichkeitsarbeit der Vereinigung durch Zuschriften an die Frankfurter Zeitung40 und blieb bis 1920 in Kontakt mit Prinz Max von Baden.41 Das Plädoyer für einen „Rechtsfrieden“ statt eines „Gewaltfriedens“ hatte keinen Einfluß auf die Friedensverhandlungen. Hingegen darf angenommen werden, daß Max Webers im März 1919 erfolgte Einladung als sachverständiger Berater der deutschen Friedensdelegation durch seine Mitwirkung an der Arbeitsgemeinschaft veranlaßt wurde. Kurt Hahn stand in einem vertrauensvollen Verhältnis zum deutschen Außenminister Ulrich Graf von BrockdorffRantzau, und Prinz Max von Baden unterstützte die Anregung, „auf das Wärmste [. . .] Professor Max Weber nach Paris mitzunehmen“.42 Weber zweifelte am Sinn seiner Mitwirkung und neigte dazu, den Friedensvertrag abzulehnen. Er wollte keine Statistenrolle ausüben.43 Schließlich fuhr er doch mit und war vom 15. bis 28. Mai in Versailles.44 Er arbeitete dort zusammen mit Hans Delbrück, Max Graf Montgelas und Albrecht Mendelssohn Bartholdy an der sogenannten Professorendenkschrift zur Widerlegung der These von der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands.45 Weber war mit dieser Denkschrift nicht zufrieden, „ich stehe sehr ungern darunter“.46 Er war ein entschiedener Gegner des Versailler Vertrages, dessen Unterzeichnung er gefühlsmäßig ablehnte. Er fügte sich dann aber der Einsicht, daß angesichts der Folgen der Nichtunterzeichnung die Annahme erforderlich gewesen war.47 Seine privaten Briefe zeigen, mit welcher Emotion und auch Verzweiflung er das Vertragswerk kritisierte. Da die Forderungen der Alliierten sachlich unerfüllbar seien, werde es über kurz oder lang zu deren Einmarsch und zur Zerstücke-

39 Vgl. dazu auch den Editorischen Bericht zu „Diskussionsbeiträge anläßlich der Gründungssitzung der ‚Arbeitsgemeinschaft für Politik des Rechts (Heidelberger Vereinigung)‘“, MWG I/16, S. 196–200. 40 Vgl. die Briefe an die Redaktion der Frankfurter Zeitung vom 9. und 17. Febr. 1919, unten, S. 438–441 und 454–458; ferner auch die Briefe an Hermann Oncken vom 10. und 21. Febr. sowie vom 21. und 25. März 1919, unten, S. 445 f., 476 f., 536–538 und S. 542 f. 41 Vgl. das Telegramm anläßlich des Kapp-Putsches an Prinz Max von Baden vom 18. März 1920, unten, S. 957. 42 Brief an Johann Heinrich Graf v. Bernstorff vom 1. Mai 1919, unten, S. 598, Anm. 3; vgl. auch die Editorische Vorbemerkung zu diesem Brief, unten, S. 596 f. 43 Vgl. den Brief an Johann Heinrich Graf v. Bernstorff vom 1. Mai 1919, unten, S. 552. 44 Vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 340–344. 45 Vgl. dazu „Bemerkungen zum Bericht der Kommission der alliierten und assoziierten Regierungen über die Verantwortlichkeiten der Urheber des Krieges“, MWG I/16, S. 298– 351. 46 Brief an Marianne Weber vom 30. Mai 1919, unten, S. 627. 47 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 19. Juni 1919, unten, S. 652–654.

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lung Deutschlands kommen. Er sah einen „Schrecken ohne Ende“ kommen.48 Nationale Würde und Verantwortung Weber wurde durch die Niederlage, den innenpolitischen Umsturz, den Friedensvertrag und die allgemeine politische Entwicklung tief betroffen, doch sein Nationalstolz und sein Glaube an Deutschland blieben ungebrochen. Schon am 10. Oktober 1918 schrieb er: „Man muß mit dem Aufbau Deutschlands noch einmal von vorne anfangen und das wollen wir tun. Es lohnt auch dann ein Deutscher zu sein.“49 Und am 26. Dezember 1918 ergänzte er: „Denn ich glaube an die Unverwüstlichkeit dieses Deutschland und niemals habe ich es so sehr als ein Geschenk des Schicksals empfunden, ein Deutscher zu sein, als in diesen düstersten Tagen seiner Schande.“50 Webers nationale Emotionen zeigten sich, wenn er forderte: „Wenn jetzt Polen in Danzig und Thorn oder Tschechen in Reichenberg einziehen sollten, so ist das Erste: die deutsche Irredenta muß gezüchtet werden.“51 Nationale Würdelosigkeit empörte ihn. Hingegen versprach er sich von symbolischen Handlungen aus persönlicher Ehre und Verantwortungsgefühl große politische und moralische Wirkungen.52 Das kommt in seiner Forderung auf den Thronverzicht des Kaisers53 und erneut in seinem Brief an Erich Ludendorff vom 14. Mai 1919 zum Ausdruck. Darin fordert er Ludendorff auf, sich angesichts des Auslieferungsverlangens der Artikel 227 ff. des Friedensvertrages freiwillig in amerikanische Kriegsgefangenschaft zu begeben und zu erklären, daß durch die deutsche militärische Führung im Krieg keine „nicht als Repressalien oder absolute Kriegsnotwendigkeit gerechtfertigten Maßregeln angeordnet worden sind“.54 Davon versprach er sich eine „ganz unzweifelhafte Wirkung im Inland. Soll das ruhmvolle deutsche Heer und der deutsche Generalstab jemals wieder auferstehen, so ist dieser Schritt nötig. Den Feinden der Armee wird dadurch das Argument [. . .] aus der Hand genommen: Das Volk büßt für die Taten der Führer, die ihrerseits den Feinden entzo-

48 Brief an Marianne Weber vom 28. Juni 1919, unten, S. 666. 49 Brief an Alwine (Wina) Müller vom 10. Okt. 1918, unten, S. 252. 50 Brief an Otto Crusius vom 26. Dez. 1918, unten, S. 380. 51 Brief an Kurt Goldstein vom 13. Nov. 1918, unten, S. 301 f. 52 Vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 348–350. 53 Weber forderte nachdrücklich den sofortigen Rücktritt des Kaisers in den Briefen an Hans Delbrück und Gerhart von Schulze-Gaevernitz vom 11. Okt. 1918, an Friedrich Naumann vom 12. und 17. Okt. 1918, unten, S. 257–259, 260 f., 262 f. und S. 272–274, und an Hans Delbrück und Hermann Oncken vom 6. Nov. 1918, unten, S. 286–288 und 289 f. 54 Brief an Erich Ludendorff vom 14. Mai 1919, unten, S. 606.

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gen sind“.55 Weber verband damit die Erwartung, daß dem Beispiel Ludendorffs auch Hindenburg, Tirpitz, Admiral Capelle, der Nachfolger von Tirpitz, und Bethmann Hollweg folgen würden.56 Doch Ludendorff lehnte diese Zumutung ab. Marianne Weber berichtete im „Lebensbild“, Weber habe nach der Unterredung mit Ludendorff am 30. Mai 1919 gesagt: „Vielleicht ist es für Deutschland doch besser, daß er sich nicht ausliefert. Sein persönlicher Eindruck würde ungünstig wirken [. . .]. Ich verstehe jetzt, wenn die Welt sich dagegen wehrt, daß Menschen wie er den Stiefel auf den Nacken setzen. Mischt er sich aufs neue in die Politik, so muß man ihn rücksichtslos bekämpfen.“57 Der „Fall Arco“ Webers persönliches Ehrgefühl hat sein Handeln öfters bestimmt, so bei seinen Auseinandersetzungen mit Arnold Ruge,58 seinen Prozessen mit Adolf Koch59 und seiner Duellforderung an Bernhard Harms.60 Auch die Verwicklung Webers in den „Fall Arco“ im Januar 1920 nahm ihren Ausgang von einer moralischen Entrüstung. Am 17. Januar 1920 kam es zu einer Studentenversammlung an der Universität München, auf der die Begnadigung des Grafen Arco gefordert wurde. Dieser hatte am 21. Februar 1919 den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner auf offener Straße erschossen und war zum Tode verurteilt worden. Bei dieser Gelegenheit beschimpfte ein Mitglied des Studentenausschusses namens Hemmeter, der zu den rechtsnationalistischen Studenten gehörte, den Vertreter der sozialistischen Studentengruppe, der sich gegen die Amnestie ausgesprochen hatte. Weber, der von diesem Vorfall erfuhr, hatte vor Beginn seiner Vorlesung am 19. Januar dafür eine Entschuldigung gefordert und jeden, der dazu nicht bereit sei, „Hundsfott“ genannt.61 Der bayerische Ministerrat hatte noch am 17. Januar die Begnadigung des Grafen Arco verfügt. Auch dazu gab Weber bei dieser Gelegenheit eine Stellungnahme ab. „[I]ch als Minister hätte ihn erschießen lassen. [. . .]

55 Ebd., unten, S. 607. 56 Vgl. ebd., unten, S. 609; dazu auch die Editorische Vorbemerkung zu diesem Brief, unten, S. 605, sowie die Aufzeichnungen über „Eine Unterredung mit Erich Ludendorff am 30. Mai 1919“, MWG I/16, S. 545–553, hier S. 551. 57 Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 665. 58 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Arnold Ruge vom 13. Dez. 1910, MWG II/6, S. 715–717. 59 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Redaktion der Dresdner Neuesten Nachrichten vom 11. Jan. 1911, MWG II/7, S. 31–33. 60 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 2. Jan. 1913, MWG II/8, S. 19 f. 61 Vgl. den Editorischen Bericht zu „Sachliche (angeblich: ‚politische‘) Bemerkungen am 19. 1. 1920 zum Fall Arco“, MWG I/16, S. 268–272, hier S. 270.

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Sein Grabstein hätte auch das noch immer spukende Gespenst Kurt Eisners gebannt. Jetzt wird dieser als ‚Märtyrer‘ weiter leben.“62 Nachdem der Student Hemmeter seine Provokation zurückgenommen hatte, nahm auch Weber seine als Beleidigung verstandene Bemerkung vor Beginn seiner nächsten Vorlesung am 21. Januar zurück. Doch im Anschluß daran kam es zu tumultartigen Protesten mit Signaltrompeten und Trillerpfeifen. Weber konnte die Vorlesung nicht halten.63 Das war der letzte Auftritt Webers als Politiker und das auch noch ganz im Gegensatz zu seinen Prinzipien im Zusammenhang mit einer Vorlesung. Er begründete dies damit, daß er mit einer hochschulinternen Affäre nicht an die Öffentlichkeit habe treten wollen. Politische Voraussicht Im Lichte der späteren Entwicklung sei noch auf die politische Voraussicht Webers hingewiesen. Sofort nach dem Waffenstillstandsverlangen Ludendorffs forderte er: „mit der Feststellung der Thatsachen, die zu den entscheidenden Entschlüssen führten und der Stellungnahme aller einzelnen für die Lage verantwortlichen Personen [müsse] jetzt schon begonnen werden [. . .]. [. . .] es muß unbedingt geschehen, sonst wird man die Unterlassung schwer bereuen“.64 Weber nahm offensichtlich Bezug auf die von Ludendorff schon Ende September 1918 geäußerte und in Offizierskreisen verbreitete Meinung, daß die Zivilisten „die Suppe jetzt essen [sollen], die sie uns eingebrockt haben“.65 Von der späteren Dimension der „Dolchstoßlegende“ konnte er im Oktober 1918 noch nichts wissen, wollte ihr aber vorbeugen. Und im März 1919 prognostizierte er in „Politik als Beruf“, in zehn Jahren werde, „wie ich leider befürchten muß, aus einer ganzen Reihe von Gründen, die Zeit der Reaktion längst hereingebrochen und von dem, was gewiß viele von Ihnen und, wie ich offen gestehe, auch ich gewünscht und gehofft haben, [. . .] wenig in Erfüllung gegangen [sein] – das ist sehr wahrscheinlich“. Er fügte an: „es wird mich nicht zerbrechen“.66 Es hat nur wenig länger gedauert, bis die Weimarer Republik zerstört wurde.

62 „Sachliche (angeblich: ‚politische‘) Bemerkungen am 19. 1. 1920 zum Fall Arco“, MWG I/16, S. 273. 63 Zur Affäre Arco vgl. die Editorischen Berichte zu „Sachliche (angeblich: ‚politische‘) Bemerkungen am 19. 1. 1920 zum Fall Arco“ und „Erklärung zum Fall Arco am 23. Januar 1920“, MWG I/16, S. 268–272 und 274–276, sowie die Briefe an den Rektor der Universität München, Friedrich v. Müller, vom 20. Jan., 21. Jan., 26. Jan. und 30. Jan. 1920, unten, S. 893–896, 897 f., 903 f. und S. 909 f., sowie die Briefe an Mina Tobler vom 21. Jan. 1920, unten, S. 900 f., und an Richard Horlacher vom 24. Jan. 1920, unten, S. 901 f. 64 Brief an Friedrich Naumann vom 11. Okt. 1918, unten, S. 255 f. 65 Brief an Alwine (Wina) Müller vom 10. Okt. 1918, unten, S. 252, Anm. 5. 66 Weber, Max, Politik als Beruf, MWG I/17, S. 250.

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Wie 1916/17,67 so fand sich auch 1918/19 keine amtliche Stellung, von der aus Weber in die Ereignisse hätte eingreifen können. Karl Jaspers, der ihn gut kannte und verehrte, schrieb in seiner Gedächtnisschrift von 1932: „Er wollte das Höchste: Politisch handeln auf Grund eines Rufes ohne eigenen Machtwillen.“68 Das aber war die Einstellung eines Professors, nicht die eines Politikers, dem Max Weber das Streben nach Machtgewinn und Machterhalt zugeschrieben hatte. So blieb sein politischer Einfluß, an Texte und Reden gebunden, beschränkt. Max Weber repräsentierte die liberale und demokratische Minderheit im deutschen Bürgertum. Sein Tod schwächte das intellektuelle Potential dieser Minderheit ebenso wie der Tod seiner langjährigen Mitkämpfer für eine demokratische politische Kultur in Deutschland: Friedrich Naumann starb am 24. August 1919 und Ernst Troeltsch am 1. Februar 1923.

2. Max Weber und die Wissenschaft In den Jahren 1918 und 1919 eröffneten sich für Max Weber zahlreiche Chancen, wieder als Universitätsprofessor tätig zu werden, so in Wien, Heidelberg, Göttingen, Berlin, Frankfurt/Main, München und Bonn. Nach einer fast zwanzigjährigen, krankheitsbedingten Unterbrechung seiner Lehrtätigkeit unterrichtete er im Sommer 1918 in Wien und seit dem Sommersemester 1919 in München als Professor für Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie. Vor und nach seinem politischen Engagement von Oktober 1918 bis Mai 1919 stand die wissenschaftliche Arbeit für seine Studien zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ und für seinen Beitrag „Wirtschaft und Gesellschaft“ im Vordergrund. Mit beiden Projekten begründete Weber sein heute internationales Ansehen als Soziologe, zu dem er nun geworden war. Wien Max Weber war 1903 von seiner Heidelberger Professur zurückgetreten und lebte seither als Privatgelehrter. Im Sommer 1917 eröffnete sich die Möglichkeit einer Berufung an die Universität Wien.69 Dort waren zwei Lehrstühle für Nationalökonomie frei geworden, der eine durch den Tod von Eugen von Philippovich, der andere durch die Ernennung Friedrich von Wiesers zum Minister für „Öffentliche Arbeiten“. Anfang September erhielt er den Ruf, und Ende Oktober fuhr er zu Verhandlungen nach Wien. Weber zweifelte, ob er

67 Vgl. Einleitung, MWG II/9, S. 9 f. 68 Jaspers, Karl, Max Weber, Gesammelte Schriften. Mit einer Einführung von Dieter Henrich. – München: Piper 1988, S. 111. 69 Vgl. den Brief an Ludo Moritz Hartmann vom 23. Juli 1917, MWG II/9, S. 722–724.

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die Lasten einer Professur gesundheitlich würde tragen können, und erbat vor Annahme des Rufes die Gelegenheit, während eines „Probesemesters“ seine Leistungsfähigkeit prüfen zu können. Diese Bitte wurde ihm gewährt. Er wurde zum Sommersemester 1918 berufen mit dem Recht, von der Professur bis Ende Juni zurückzutreten.70 Weber begann am 30. April seine Vorlesung „Wirtschaft und Gesellschaft. Positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung“. Über Inhalt und Aufbau der Vorlesung sind wir nicht unterrichtet, er präsentierte aber wohl Teile seines Manuskripts für „Wirtschaft und Gesellschaft“ unter Einschluß der religionssoziologischen Aufsätze. Die Zahl seiner Hörer von anfänglich 80 stieg ständig, bis er im größten Unterrichtssaal sprechen mußte. Er hatte also einen großen Lehrerfolg, aber das laute Sprechen im Vorlesungsstil strengte ihn sehr an. Er griff wieder regelmäßig zu Schlafmitteln. Wien gefiel ihm gut, die Leute waren nett und das Essen in den Gasthäusern bei entsprechenden Preisen weit besser als in Deutschland. Lästig waren ihm die vielen Antrittsbesuche, die er, der Sitte entsprechend, zu machen hatte. Die Verkehrsprobleme in der Großstadt empfand er als mühsam. Am Kulturleben nahm er nur in den ersten Wochen Anteil, später ließen ihm die Lehrverpflichtungen dafür keine Zeit. Seine anfängliche Vermutung, daß er die Pflichten, die mit einem Ordinariat verbunden waren, nicht würde bewältigen können, bestätigte sich. Auch wollte er Deutschland angesichts der politisch-militärischen Lage nicht verlassen. So entschloß er sich, von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen, so liebenswürdig man ihn auch behandelte. Nach gut drei Monaten kehrte er am 18. Juli 1918 wieder zurück nach Heidelberg. Heidelberg, Berlin, Frankfurt Im Laufe des Jahres 1917 war es Weber klar geworden, daß er wieder ein Einkommen erzielen mußte, denn die bisherige Lebensführung aus Kapitalrenditen schien nach dem Krieg nicht mehr gesichert. Er rechnete für die Bezahlung der Kriegskosten mit großen Vermögensverlusten. Das Angebot der Heidelberger Fakultät und des Badischen Kultusministeriums, im Sommersemester 1918 einen Lehrauftrag für Soziologie zu übernehmen, war ihm willkommen. Dem waren Gespräche mit seinen Kollegen Richard Thoma und Eberhard Gothein vorausgegangen, in denen er als mögliche Vorlesungen genannt hatte: „Allgemeine Soziologie“, „Staatsoziologie“, „Religionssoziologie“ und „Rechtssoziologie“.71 Die Möglichkeit, wieder in den aktiven Lehrkörper der Universität Heidelberg einzutreten, konnte er aber durch den Ruf nach Wien nicht verwirklichen. Nach seiner Rückkehr interessierte er sich

70 Vgl. den Brief an Johann Maurus vom 31. Okt. 1917, MWG II/9, S. 805 f. 71 Vgl. den Brief an Victor Schwoerer vom 14. Nov. 1917, MWG II/9, S. 809–812.

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wieder für den Lehrauftrag in Heidelberg, im August 1918 erhielt er aber kein neuerliches Angebot. Auch in Göttingen war Max Weber im Gespräch für die Nachfolge des Nationalökonomen Gustav Cohn. Nach der Entscheidung für Wien bat er, die Angelegenheit nicht weiter zu verfolgen.72 Schließlich gab es in München Überlegungen, ihn als Nachfolger von Lujo Brentano zu berufen, doch war eine definitive Entscheidung noch nicht erfolgt. In der zweiten Jahreshälfte 1918 wurde Max Weber die Nachfolge von Werner Sombart an der Handelshochschule Berlin angeboten.73 Die damit verbundenen großen Lehrverpflichtungen schreckten ihn vermutlich ab; auch schätzte er die Großstadt Berlin mit ihrer Hektik nicht. Genauere Nachrichten über einen Ruf sind nicht überliefert. Am 2. Dezember 1918 teilte er Mina Tobler mit: „Von Berlin schrieben sie inzwischen wieder (Handelshochschule) – aber das wird nichts.“74 Zur gleichen Zeit schrieb er aus Frankfurt, wo er für die Redaktion der Frankfurter Zeitung arbeitete, an Marianne Weber: „Hier spinnt sich etwas an. Die Söhne des alten Merton möchten mich herholen[.] 1) Aufsichtsrat des Instituts f[ür] Gemeinwohl (Volkshochschule, soziale Arbeit, Forschung) 2) Universität (Extraordinariat – Ordinariat habe ich abgelehnt) 3) Thätigkeit in der Zeitung.“75 Alfred Weber berichtete Else Jaffé am 25. Dezember 1918: „Im übrigen sagte er [Max Weber] mir im Vertrauen, daß er den Ruf an die Frankfurter Universität annehmen werde – Ich dachte mir schon, daß diese Kombination kommen würde; und ich finde sie nicht schlecht. Er hat dort ein Milieu, in dem er ganz verstanden wird, gleichzeitig die Frankfurter Zeitung für seine Politik zur Verfügung.“76 Doch diese Aussicht konkretisierte sich nicht. München Inzwischen war eine Berufung nach München wieder aktuell geworden. Lujo Brentano war zum 1. Oktober 1916 emeritiert worden. Seither waren drei Berufungen ohne Zusagen geblieben. Brentano hatte schon 1917 Max Weber als seinen Wunschkandidaten für die Nachfolge benannt, und die Fakultät setzte ihn neben Gerhart von Schulze-Gaevernitz und vor Moritz Julius Bonn auf ihren Berufungsvorschlag. Weber wurde aber zunächst nicht berücksichtigt, da er als „zu links“ galt. Nach der Revolution in München und der Errichtung einer sozialistischen „Volksregierung“ unter Kurt Eisner am 7. November 72 Vgl. den Brief an Ludo Moritz Hartmann vom 8. Sept. 1917, MWG II/9, S. 771 f. 73 Vgl. den Brief an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts vom 16. Okt. 1918, unten, S. 267, Anm. 6. 74 Brief an Mina Tobler vom 2. Dez. 1918, unten, S. 334. 75 Brief an Marianne Weber vom 6. Dez. 1918, unten, S. 347 f. 76 Brief von Alfred Weber an Else Jaffé vom 25. Dez. 1918, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 82, Bl. 104–106.

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1918 war der Lehrstuhl noch immer nicht besetzt. Eisner wünschte einen Sozialisten auf dieser Stelle. Otto Bauer, Max Adler, Rudolf Hilferding und Karl Kautsky waren seine Kandidaten, doch Bauer und Kautsky77 zeigten kein Interesse. In Abwesenheit von Kurt Eisner beschloß der Ministerrat schließlich am 18. Januar 1919, in Berufungsverhandlungen mit Max Weber, der von der Fakultät an der ersten Stelle genannt war, einzutreten. Dabei ergriff vermutlich Edgar Jaffé, damals Finanzminister im Kabinett Eisner, die Initiative, die auch der sozialdemokratische Kultusminister Johannes Hoffmann unterstützte.78 Jaffé informierte Weber sofort telegraphisch. Else Jaffé schrieb in einem Brief an Max Weber vom 7. Januar 1919: „Edgar erzählte gestern von den Berufungsangelegenheiten. Ich möchte sein Telegramm an Sie noch ergänzen: Der hiesige Kultusminister Hoffmann (Volksschullehrer) möchte, da er keinen passenden Sozialdemokraten findet – Bauer will nicht, Adler und Hilferding mögen sie hier nicht – Sie haben, da Sie zudem an erster Stelle von der Fakultät genannt sind. Eisners anfänglich ablehnende Haltung hofft man umzustimmen.“79 Am 23. Januar 1919 erhielt Weber das Angebot und führte Ende Januar erste Verhandlungen. Er forderte im Brief an den Hochschulreferenten Franz Matt, der auch während der Revolutionsregierung amtierte und der katholischen Zentrumspartei angehörte, in erster Linie die Einschränkung seines Lehrauftrages auf Gesellschaftswissenschaft, die Verminderung der Prüfungspflichten und des Lehrdeputates.80 Matt beharrte auf der Lehrstuhlbezeichnung für Nationalökonomie. Das aber wollte Weber auf keinen Fall; er wollte Soziologie unterrichten und keine Nationalökonomie. Die Fakultät unterstützte ihn, insbesondere wohl auch sein ehemaliger Studienfreund aus Berlin, der Nationalökonom Walther Lotz. Am 12. März kam es mit Matt zu einem Kompromiß. Weber nahm den Ruf auf eine Professur für Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie an. Seine Bestallung erfolgte erst durch eine Ministerialverfügung vom 6. April zum 1. April 1919.81 Zu dieser Zeit war die politische Lage in Bayern überaus labil und Webers berufliche Zukunft daher höchst ungewiß. Nach der Landtagswahl und der 77 Karl Kautsky erwähnt in seiner Autobiographie: „[. . .] beschied ich Eisner abschlägig, der mich damals an Stelle des abgehenden Brentano nach München bringen wollte“. Karl Kautsky, in: Die Volkswirtschaftslehre der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hg. von Felix Meiner. – Leipzig: Felix Meiner, 1924, S. 117–150, hier S. 146. 78 Das Protokoll der Aktions-Ausschuß-Sitzung des Zentralrates der Arbeiter-, Bauernund Soldatenräte vom 26. März 1919 vermerkt, Jaffé habe sich merkwürdigerweise „warm“ für Weber eingesetzt, BayHStA München, Arbeiter- und Soldatenrat 4, Bl. 5. 79 Brief von Else Jaffé an Max Weber vom 7. Jan. 1919, MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals). 80 Vgl. den Brief an Franz Matt vom 2. Febr. 1919, unten, S. 423–426. 81 Vgl. das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an den Senat der Universität München vom 6. April 1919, UA München, E-II-694.

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Ermordung von Kurt Eisner am 21. Februar hatte der Zentralrat der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte die Macht an sich gezogen, und sein Aktionsausschuß hatte auf seiner Sitzung vom 26. März 1919 gegen die Berufung Webers protestiert.82 Die neue bayerische Regierung, vom Landtag am 17. März gewählt, war nach Bamberg ausgewichen. In München wurde am 7. April 1919 die „Räterepublik Baiern“ ausgerufen und durch militärische Intervention am 1. und 2. Mai blutig niedergeworfen. Max Weber war in Sorge, ob seine Berufung in geordneten Verfahren erfolgen würde. Sie vollzog sich schließlich zwischen zwei Revolutionen, der vom 7. November 1918 und der vom 7. April 1919.83 Bonn Am 2. Februar 1919, wenige Tage nachdem Max Weber Berufungsverhandlungen in München geführt hatte, erhielt er ein Telegramm von Carl Heinrich Becker, dem Leiter der Hochschulabteilung im preußischen Kulturministerium, der ihm ein Angebot auf ein Ordinariat für Staatslehre und Politik an der Universität Bonn machte mit dem Zusatz: „Lehrauftrag und Lehrverpflichtung nach Ihren Wünschen“.84 Das entsprach dem, was Weber sich wünschte: Konzentration auf Gesellschaftslehre und keine Prüfungspflichten. Die Universität Bonn fürchtete die Konkurrenz durch die neue Universität in Köln und wollte ihre Attraktivität unter anderem durch die Berufung Max Webers steigern. Wer die Initiative zu diesem außerordentlichen Schritt ergriffen hatte, konnte nicht ermittelt werden. Weber erkundigte sich zunächst bei der Juristischen Fakultät, ob diese das Angebot unterstütze. Er fügte an: „Mir liegt, wenn ich in ein akademisches Lehramt wieder eintrete, daran, die ‚Gesellschaftswissenschaft‘ (Soziologie) in ihrem vollen Umkreis, vor Allem die Rechts- und Staats-Soziologie, zu traktieren. Ich bilde mir |:thatsächlich:| ein, die äußerst dilettantische Art, wie diese beiden Fächer (und die Soziologie überhaupt) heute vielfach, zumal von Nicht-Juristen, aber |:gelegentlich:| auch von Juristen, behandelt und dadurch diskreditiert worden sind, durch eine schärfere und ganz klare Scheidung juristischer und soziologischer Betrachtungsweise verdrängen zu können.“85 Im Brief an Carl Heinrich Becker 82 Vgl. das Protokoll der Aktions-Ausschuß-Sitzung des Zentralrates der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte vom 26. März 1919, BayHStA München, Arbeiter- und Soldatenrat 4. 83 Vgl. zu dieser Entwicklung die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Febr. 1919, unten, S. 423–425, an denselben vom 19. und 21. Febr., vom 8. und 21. März 1919 und vom 1. April 1919, unten, S. 466, 474 f., 515, 535 und S. 563 f. 84 Brief an den Dekan der Juristischen Fakultät Josef Heimberger vom 5. Febr. 1919, unten, S. 428. 85 Ebd., unten, S. 429; vgl. auch die Editorische Vorbemerkung zum selben Brief, unten, S. 427.

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vom 9. Februar 1919 dankte Weber herzlich für den Ruf, erklärte aber, er stehe mit der Münchener Fakultät in Verhandlungen und fühle sich gebunden. Sollte es zu keinem Abschluß kommen, werde er mit Freuden auf das Bonner Angebot zurückkommen.86 Nachdem die Münchener Verhandlungen abgeschlossen waren, schrieb er am 25. März 1919 endgültig ab. „Sonst wäre in jeder Hinsicht die Bonner Stelle für mich das allein Erstrebenswerte gewesen.“87 Diese „‚Forschungs‘-Professur“, wie Weber sie nannte, hätte seinen wissenschaftlichen Interessen am besten entsprochen, er war aber an München gebunden, nicht an die Fakultät, sondern an Else Jaffé.88 Bonn wäre für ihn, wie er an Heinrich Herkner schrieb, „das einzig Richtige gewesen, das wußte ich“.89 Aber er entschied sich für die Nähe zu Else Jaffé. Wissenschaftliche Arbeit Bei Ausbruch des Krieges war Max Weber mit zwei wissenschaftlichen Großprojekten befaßt, zum einem mit seinem Beitrag zum „Grundriß der Sozialökonomik“, zum anderen mit seinen Studien zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“. An dem erstgenannten Projekt, das unter dem Namen „Wirtschaft und Gesellschaft“ bekannt wurde, arbeitete er seit 1909, nachdem er sich mit seinem Verleger Paul Siebeck darauf eingelassen hatte, das „Handbuch der Politischen Ökonomie“ von Gustav Schönberg neu herauszugeben. Davon waren die ersten Bände 1914 erschienen, und auch Webers Beitrag sollte Ende des Jahres in Satz gehen. Aber am 30. Juli 1914 mußte er Paul Siebeck, der ihn zum Abschluß gedrängt hatte, gestehen: „Ich kann nicht garantieren, wann ich fertig bin.“90 Er hatte zwar umfangreiche Manuskripte zu den sozialen Gemeinschaften, zum Recht, zur Religion und Herrschaft geschrieben, konnte sich aber nicht entschließen, die Manuskripte drucken zu lassen. Mit Kriegsausbruch brach er die Arbeit an den Texten für den unvollendeten Beitrag zum „Grundriß der Sozialökonomik“ ab. Am 10. Mai 1916 schrieb er an Paul Siebeck: „Meine ‚Soziologie‘? Du lieber Gott. Ich bin froh, wenn ich jetzt während des Krieges noch Ihnen die Aufsätze über die ‚Wirtschaftsethik der Weltreligionen‘ so fertig stellen kann, daß sie mit der ‚Protestantischen Ethik‘ zusammen herausgegeben werden können!“91 „Wirtschaft und Gesellschaft“ wandte er sich erst wieder im Sommer 1917 zu, die Thematik behandelte er auch in seinen Vorlesungen im Sommersemester 1918 in Wien und dann vor

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Vgl. den Brief an Carl Heinrich Becker vom 9. Febr. 1919, unten, S. 435–437. Brief an Carl Heinrich Becker vom 25. März 1919, unten, S. 541. Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 17. Febr. 1919, unten, S. 459–461. Brief an Heinrich Herkner vom 3. Juli 1919, unten, S. 672. Brief an Paul Siebeck vom 30. Juli 1914, MWG II/8, S. 778. Brief an dens., vor dem 10. Mai 1916, MWG II/9, S. 411.

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allem nach der Übersiedlung nach München 1919. An Paul Siebeck schrieb er am 27. Oktober 1919: „Das dicke alte Manuskript muß ganz gründlich umgestaltet werden [. . .]. Das Buch wird jetzt kürzer zusammengefaßt, als ursprünglich, und streng lehrbuchhaft gefaßt.“92 Weber schrieb große Passagen neu und veränderte die Konzeption. In einer gewaltigen Kraftanstrengung gestaltete er die ersten vier Kapitel für die Neufassung dieses Werkes in den Jahren 1919 und 1920 neu: die „Soziologischen Grundbegriffe“, der wichtigste Text seiner Soziologie, die „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“, an denen er bis kurz vor seinem Tod noch in die Fahnen hinein korrigierte. Die wesentlich gekürzte Neufassung der „Typen der Herrschaft“ und die nicht mehr vollendeten Passagen zu „Stände und Klassen“ zog er – offenbar nun als zu den Grundbegriffen gehörend – vor die Abschnitte über Gemeinschaften, Religion und Recht. Den alten großen Teil über Herrschaft wollte er offenbar durch eine Staatssoziologie ersetzen. Wie am Ende seine „Soziologie“ ausgesehen hätte, wissen wir nicht.93 Dieses enorme Arbeitspensum bewältigte er durch inhaltliche Koordination mit seinen Vorlesungen: die Vorlesung im Sommersemester 1919 entsprach den „Soziologischen Grundbegriffen“, im Wintersemester 1919/20 überschnitt sich die „Wirtschaftsgeschichte“ mit den „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“, und im Sommersemester 1920 stand die Vorlesung „Allgemeine Staatslehre und Politik“ in einem engen Zusammenhang mit der „Herrschaftssoziologie“. Nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst bei der Lazarettverwaltung in Heidelberg im Sommer 1915 hatte sich Max Weber zunächst seinen Studien zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ zugewandt. Die „Einleitung“, die Studie über den Konfuzianismus und die „Zwischenbetrachtung“ veröffentlichte er noch im Jahre 1915, die Aufsätze zum Hinduismus und Buddhismus 1916/17 und zum antiken Judentum 1917/19, alle im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“.94 Die Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“ sah er kritisch durch und ergänzte sie im September 1919, vor der endgültigen Übersiedlung nach München, durch den Aufsatz „Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus“. Zudem erweiterte er den Aufsatz über Konfuzianismus um das Doppelte. So konnte er noch vor seinem Tod den 1. Band der „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie“ mit der neuen Vorbemerkung, die sein Forschungsprogramm skizzierte, zum Druck ge-

92 Brief an Paul Siebeck vom 27. Okt. 1919, unten, S. 826. 93 Vgl. Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft (Grundriß der Sozialökonomik, Abt. III). – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1922, S. 1–180 (hinfort: WuG1); ediert in: MWG I/23. Zur Entstehungsgeschichte von „Wirtschaft und Gesellschaft“ vgl. die Darstellung von Wolfgang Schluchter, MWG I/24, S. 1–128, insbesondere S. 39–43. 94 Diese Texte sind ediert in MWG I/19, I/20 und I/21.

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ben.95 Er korrigierte in seinen letzten Lebensmonaten zahlreiche Druckfahnen nebeneinander für „Wirtschaft und Gesellschaft“ und die „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie“. Hinzu kam die Vorbereitung der Vorlesungen. Seine Briefe aus dieser Zeit berichten von dieser Arbeitsüberlastung. An der Redaktion des „Grundrisses der Sozialökonomik“ wirkte er neben Paul Siebeck mit und mahnte säumige Mitarbeiter. Auch äußerte er sich zu Berufungsfragen und nahm Anteil an Plänen zur Einrichtung eines nationalökonomischen Diplomexamens. Doch von der Nationalökonomie hatte er sich zurückgezogen. Zwar äußerte er sich zum Buch von Robert Liefmann, „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“, nochmals fachlich, betonte aber in seinem Brief vom 9. März 1920, er sei „nun einmal Soziologe geworden“.96 Im Sommer 1918 hatte er noch die Meinung vertreten, die Soziologie sei als Fach „noch viel zu hybrid, um als Lehrfach eines Ordinarius und vollends: als ein Prüfungsfach (was dann wohl die Folge sein würde) konstituiert werden zu können oder auch nur zu dürfen“.97 Jetzt aber war er entschlossen, die Soziologie „streng fachlich-wissenschaftlich zu behandeln statt den DilettantenLeistungen geistreicher Philosophen“.98 Max Weber kämpfte gegen „Kollektivbegriffe“, gründete seine Soziologie auf dem subjektiven Sinn individuellen Handelns, dessen Aggregation zu sozialen Beziehungen und Verbänden sowie der Ausbildung von legitimen Ordnungen. Dadurch wurde er zu einem der Gründungsväter der modernen Soziologie. Hinzu kamen seine politischen Schriften, auf die oben hingewiesen wurde, sowie die Drucklegung seiner beiden berühmten Reden „Wissenschaft als Beruf“ und „Politik als Beruf“.99 Diese Produktivität war nur möglich durch die Fähigkeit Webers, sich mit höchster Konzentration mit dem jeweiligen Gegenstand zu befassen und sich völlig von der Lebenswelt abzuschotten – in seinen Worten: „wie wenn mir eine Kapuze über den Kopf gezogen wird“.100 Sein früher Tod bewirkte, daß seine „Soziologie“, wie er seinen Beitrag „Wirtschaft und Gesellschaft“ nun nannte, unvollendet blieb. Seiner Witwe, Marianne Weber, verdanken wir die Edition der umfangreichen nachgelassenen Manuskripte, die heute zu „Wirtschaft und Gesellschaft“ zählen.

95 Vgl. Weber, Max, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band I. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1920 (hinfort: GARS I). 96 Brief an Robert Liefmann vom 9. März 1920, unten, S. 946. 97 Brief an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 5. Juni 1918, unten, S. 181. 98 Brief an Paul Siebeck vom 8. Nov. 1919, unten, S. 833. 99 Beide ediert in MWG I/17. 100 Briefe an Else Jaffé vom 8. und 9. Okt. 1919, unten, S. 808.

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3. Max Webers private Lebenssphäre Im Mittelpunkt der privaten Lebenssphäre Max Webers stand die Erfüllung seiner alten Liebe zu Else Jaffé. Zahlreiche Briefe in diesem Band dokumentieren die große Leidenschaft, die ihn um die Jahreswende 1918/19 erfaßte und im Jahre 1919 beherrschte. Diese intimen Briefe waren nicht für Dritte gedacht. Da sie nun aber überliefert sind, kann eine Gesamtausgabe der Werke und Briefe Max Webers sie nicht ausschließen. Überdies wurde aus ihnen schon mehrfach ausführlich zitiert.1 Aber auch die behutsame Ablösung von Mina Tobler nimmt unter den in diesem Band veröffentlichten Briefen einen großen Raum ein.2 Hinzu kommen der Tod der Mutter im Oktober 1919, der Freitod der Schwester Lili Schäfer Anfang April 1920 und die Übernahme der Vormundschaft für deren Kinder durch Marianne Weber. Umzug nach München Die Übersiedlung nach München bedeutete die Aufgabe der Wohnung am Neckarufer in Heidelberg mit dem einzigartigen Blick auf das Schloß sowie den Abschied vom dortigen Freundeskreis. Marianne und Max Weber hatten seit 1896, also 22 Jahre, in Heidelberg gelebt. Marianne trennte sich nur schwer von Haus und Stadt. Die Lebensverhältnisse in München waren völlig anders. Als Max Weber im Juni 1919 zum Sommersemester nach München zog, schrieb er an seine Frau: „Das Stadtbild ist noch recht ‚kriegerisch‘, man vertieft die Schützengräben, verstärkt die Drahtverhaue u. s. w., wohl weil die Regierung wieder hierher übersiedeln will, fortwährend finden Verhaftungen statt.“3 Das waren die Folgen der Räterepublik, vor der die Regierung nach Bamberg ausgewichen und die in blutigen Kämpfen durch Militär und Freikorps niedergeworfen war. In diese Wirren wurde auch Weber einbezogen. In den Hochverratsprozessen gegen Ernst Toller und Otto Neurath trat Weber als Zeuge auf. Er kannte beide aus Heidelberg und suchte sie vom Vorwurf des Hochverrats zu entlasten.4 Auch das Schicksal von Arthur Salz, der mit 1 So insbesondere von Joachim Radkau, Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens. – München: Carl Hanser 2005; vgl. auch die Überlieferungsgeschichte, Abschnitt 5, unten, S. 40 f. 2 Vgl. zur Überlieferung der Briefe an Mina Tobler, Abschnitt 5, unten, S. 41. 3 Brief an Marianne Weber vom 16. Juni 1919, unten, S. 647. 4 Vgl. die Berichte zu Webers „Zeugenaussage im Prozeß gegen Ernst Toller“ und „Zeugenaussage im Prozeß gegen Otto Neurath“, MWG I/16, S. 485–491 und 492–495, sowie die Darstellung von Marianne Weber im Lebensbild3, S. 671–673. – Zum Verhältnis Max Webers zu Ernst Toller vgl. Dahlmann, Dittmar, Max Webers Verhältnis zum Anarchismus und den Anarchisten am Beispiel Ernst Tollers, in: Mommsen, Wolfgang J. und Schwentker, Wolfgang (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988 (hinfort: Mommsen/Schwentker (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen), S. 506–523.

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seiner Frau zum Heidelberger Freundeskreis gehört hatte, beschäftigte ihn. Dieser hatte Eugen Leviné, einem Führer der Räteregierung, bei der Flucht geholfen und wurde deshalb des Landes verwiesen. Vergeblich hatte er sich in München zu habilitieren versucht.5 Auch zu Georg Lukács, mit dem Weber in Heidelberg in engem Austausch gestanden hatte, und der nach seiner Mitwirkung an der Räteregierung in Ungarn nach Wien geflohen war, suchte er einen versöhnlichen Kontakt.6 In all diesen Fällen zeigte sich Weber tolerant gegenüber seinen alten Bekannten, auch wenn sie mehr oder weniger in revolutionäre und kommunistische Aktivitäten verstrickt waren. Max Weber lebte nur etwa knapp ein Jahr in München, im Sommer 1919 in der Pension Gartenheim, neben der Ludwigskirche, und nur das letzte halbe Jahr in einer eigenen Wohnung. Die Wohnungssuche war schwierig. Schließlich fand das Ehepaar Weber mit seinem Dienstmädchen eine Unterkunft im Hause der Schriftstellerin Helene Böhlau in der Seestraße 3c (heute 16), nahe dem Englischen Garten und fußläufig zur Universität. Die Verhältnisse waren beengt, die Zimmer auf drei Stockwerke verteilt und hellhörig. Im Winter konzentrierte sich das Leben angesichts des knappen Heizmaterials auf Webers Arbeitszimmer. Er arbeitete überwiegend im Professorenzimmer des Staatswirtschaftlichen Seminars im Erdgeschoß des Flügels der Universität zur Amalienstraße, wo sich heute die Hörsäle M 010 und M 014 befinden. Er liebte die Stadt, beklagte nur das im Vergleich zu Heidelberg rauhere Klima. Seine Vorlesungen hielt Max Weber im Auditorium Maximum vor bis zu 500 Hörern. Das laute Sprechen – ohne Mikrophon – strengte ihn an. Aber trotz aller Befürchtungen bewältigte er die stets ungeliebte Aufgabe, Massenvorlesungen zu halten. Er hielt im Sommersemester eine Vorlesung über „Die allgemeinsten Kategorien der Gesellschaftswissenschaft“, im Wintersemester 1919/20 folgte die vierstündige Vorlesung „Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“7 und im Sommersemester 1920 hielt er die Vorlesungen „Allgemeine Staatslehre und Politik (Staatssoziologie)“8 sowie „Sozialismus (Einführungskolleg)“, die durch seinen Tod vorzeitig abgebrochen werden mußten. Dazu kamen jeweils ein Kolloquium und ein „Dozentenseminar“ auf besondere Einladung. Als ordentlicher Professor fühlte er sich von den Amtspflichten, insbesondere von den zahlreichen Prüfungen, bedrängt. Er bedauerte, seinen Kollegen Walther Lotz nicht zu entlasten, und überlegte, sein Ordinariat in ein Extraordinariat für Wirtschaftsgeschichte umwandeln zu lassen, damit seine Stelle neu besetzt werden könne. Beruflich stand er vor

5 Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an den Akademischen Senat der Universität München vom 18. Juli 1919, unten, S. 691–693. 6 Vgl. den Brief an Georg Lukács von Febr./März 1920, unten, S. 961 f. 7 Die Mit- und Nachschriften sind ediert in MWG III/6. 8 Die Mit- und Nachschriften sind ediert in MWG III/7.

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neuen Anforderungen, hinzu kam die angestrengte Arbeit für die Drucklegung seiner beiden Hauptwerke, über die schon berichtet wurde. Im Winter 1919/20 bemühte sich Weber, einen neuen Bekanntenkreis aufzubauen und wieder „jours“ einzuführen. Das von ihm organisierte „Dozentenseminar“ sollte einen neuen „Eranos“ begründen, eine lose, aber regelmäßig zusammenkommende Gruppe von befreundeten Kollegen zum wissenschaftlichen Austausch, wie er dies in Heidelberg geschätzt hatte.9 Im Salon von Elsa und Max Bernstein, mit denen Mina Tobler bekannt war, lernte er Thomas Mann kennen.10 Mit Oswald Spengler, dessen Buch „Der Untergang des Abendlandes“ großes Aufsehen erregt hatte, diskutierte er öffentlich.11 Er besuchte die Oper („Walküre“ und „Tristan“ von Richard Wagner), Konzerte sowie Theateraufführungen und machte sich so mit dem Münchner Kulturmilieu vertraut. Gesundheitlich war Weber erstaunlich leistungsfähig, auch wenn er sich seiner prekären Konstitution stets bewußt war. An Else Jaffé schrieb er am 4. März 1919: „Es glaubt und weiß ja Niemand [. . .]: daß ich immer unter der Spitze des Schwertes lebe gesundheitlich (rein physisch!).“12 Weber stand unter einem jahrelangen Leidensdruck. Die Beziehung zu Else Jaffé, einer erotisch erfahrenen Frau, versprach davon eine Erlösung, jedenfalls von Zeit zu Zeit einen Übertritt auf „die andere Seite des Ufers“ des Lebens.13 Else Jaffé Max Weber hatte alle Kontakte zu Else Jaffé im Winter 1910/11 abgebrochen. Nun ergriff diese die Initiative zur Wiederaufnahme der Beziehung. Am 27. Oktober 1916 sprach Max Weber in einer öffentlichen Versammlung der Fortschrittlichen Volkspartei in München zum Thema „Deutschlands weltpolitische Lage“. Die Münchner Zeitung berichtete: „Den temperamentvollen Ausführungen folgte stürmischer Beifall.“14 Else Jaffé besuchte diesen Vortrag. Sie war von Wolfratshausen nach Prinz-Ludwigshöhe, einem Vorort südlich von München, gezogen und konnte nun leichter als von Wolfratshausen aus an Veranstaltungen in München teilnehmen. Am 29. Oktober schrieb sie an Alfred Weber: „Denk’ Dir, ich habe Max gesprochen. Auf einmal habe ich es getan. Ich mußte. Ihn da wieder erlebt zu haben, diesen Menschen, der

9 Brief an Karl Vossler vom 21. Febr. 1920, unten, S. 924. Vossler hatte auch dem Heidelberger „Eranos“ angehört. 10 Vgl. den Brief an Mina Tobler vom 29. Jan. 1920, unten, S. 907. 11 Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 685–687. 12 Brief an Else Jaffé vom 4. März 1919, unten, S. 500. 13 Vgl. dazu auch unten, S. 32. 14 Vgl. Weber, Max, Deutschlands weltpolitische Lage. Rede am 27. Oktober 1916 in München, MWG I/15, S. 690–700, Zitat im Editorischen Bericht, S. 691.

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doch ein Stück meines Lebens bedeutet hat und einfach oder gewissermaßen, an ihm vorbei gehen? Nein – ich habe es nicht gekonnt. Zuerst war es furchtbar – Du verstehst, oder versuche zu verstehen, ich hatte nie vergessen wollen, was dazwischen liegt und vor meinem Herzen stand Max Weber so aus der alten Zeit. Aber ihm war nur das, was zuletzt gewesen, gegenwärtig und das Leid, das ihm davon gekommen. Er war wie gefroren und alles Leiden der Welt stand auf seinem Gesicht, wenn es auch ein Leiden ist, das man sich selbst bereitet.“ Else Jaffé fuhr fort: „[. . .] so weg zu gehen wäre schrecklich gewesen. So habe ich ihn heute nochmal gesehen und das war so gut. Man hat alles Schmerzliche gelassen oder wie etwas Unvermeidliches gestreift, jeder wissend, daß er vorsichtig umgehen muß mit dem anderen; so geredet hat man miteinander wie wohl alte Jugendfreunde, denen die Lebensreise noch einmal unverhofft eine Stunde guter Erinnerung schenkt. Daß dies zwischen Max und mir möglich war! Es ist ein Wunder und ein Gnadengeschenk in dieser Welt des Hasses.“15 Am 17. Januar 1917 sprach Max Weber im Sozialwissenschaftlichen Verein in München über „Die soziologischen Grundlagen der Entwicklung des Judentums“.16 Else Jaffé besuchte auch diesen Vortrag und berichtete Alfred Weber im Brief vom 18. Januar 1917, Max Weber habe zwei Stunden lang eine Fülle von Wissen wirklich prächtig belebt vorgetragen. „Wie sehr, wie sehr ist Max doch auch Gelehrter!“17 Es kam zu einer Begegnung, bei der persönliche Dinge berührt wurden. Else schrieb am 21. Januar 1917 an Max Weber: „Gern hätte ich Ihnen neulich Abend noch von dem Kind gesprochen, aber es schien mir wie vermessen, die dazu nötige Nähe vorauszusetzen.“ Der Brief beginnt: „Gestern war ich in Wolfratshausen; ich fand Ihren Kranz auf Peters Grab – ich kann Ihnen nicht sagen, wie mich das ergriffen hat.“ Da „lag der grüne Kranz mit den zarten weißen Blumen auf dem Schnee – so unberührt, als seien Sie eben fortgegangen – so unirdisch, als sei etwas von des Kindes Wesen darin. Es war wie ein Wunder, ein tröstliches Wort aus einem Reich, wo das Trennende des Lebens nicht mehr gilt, die Unerbittlichkeit des Geschehenen verzeihend aufgelöst ist.“18 Die Erinnerung an Peter Jaffé bildete für Else wie für Max die Brücke, über die sie sich wieder näher kamen. Peter Jaffé war das Kind von Else Jaffé und Otto Gross. Mit diesem, dem Ehemann ihrer Jugendfreundin Frieda Schloffer,

15 Brief von Else Jaffé an Alfred Weber vom 29. Okt. 1916, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 76. 16 Ediert in MWG I/21, S. 849–856. 17 Brief von Else Jaffé an Alfred Weber vom 18. Jan. 1917, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 77, Bl. 27. 18 Brief von Else Jaffé an Max Weber vom 21. Jan. 1917, MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals).

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hatte Else Jaffé im Frühjahr 1907 eine leidenschaftliche Beziehung.19 Gross wirkte in der Münchener Bohème als Psychoanalytiker. Seine Theorie über den Zusammenhang sexueller Unterdrückung und seelischer Gesundheit beeindruckte auch Else Jaffé. Diese Ansichten fanden Max Webers entschiedenen Widerspruch, den er in seinem Brief an Else Jaffé vom 13. September 1907 ausdrückte.20 Peter Jaffé wurde am 24. Dezember 1907 geboren und zusammen mit seinem jüngeren Halbbruder, Hans Jaffé, im Sommer 1909 getauft. Auf Betreiben von Marianne Weber übernahm Max Weber für ihn die Patenschaft. Marianne „fühlte [. . .] ein Bedürfnis, Max und Else näher miteinander zu verknüpfen“,21 die beiden ihr liebsten Menschen. Peter Jaffé starb am 15. Oktober 1915, noch vor seinem achten Geburtstag, an einer zu spät erkannten Diphtherie. Else trauerte zutiefst um dieses Kind, an dem sie eine besondere Aura erkannte. Auch für Max Weber hatte der Patensohn eine besondere Bedeutung, wie er Else Jaffé am 28. November 1917 schrieb: „Das Traumkind mit dem Schweigen und dem Zugang zum Wissen in sich war seit jener Taufe irgend wie – ich wüßte nicht zu sagen wie noch warum – mit verschollenen Träumen von einem eigenen Kind in Beziehung.“22 Auf der Hin- und Rückreise zu Berufungsverhandlungen in Wien besuchte Max Weber Else Jaffé am 30. Oktober 1917 in Wolfratshausen. Darüber schrieb Else Jaffé an Marianne Weber am 2. November 1917: „Ich bin immer noch ganz benommen. Hier an demselben Tisch, an dem ich jetzt schreibe (ich bin mit Hänschen in Wolfratshausen) hat Max Weber gesessen, Tee getrunken [. . .], Liebe, ernsthaft, so wie mir zu Mute ist, kann ich gar nicht schreiben – dazu reichen ein paar armselige Briefworte doch nicht. Aber Du wei[ß]t’s ja. Gelt, wie schön das ist, diese Wand zwischen uns fortgeräumt zu fühlen. Wir wollen aber doch sehr froh sein, daß wir Frauen sind und das schöne Vorrecht haben, die Liebe über den point d’honneur gehen zu lassen.“ „Du wußtest es wohl wie schon lange dieser Wunsch in mir herumwerkelte. Aber mir selbst ist es überwältigend, daß er sich erfüllen konnte.“ Wie wäre dies möglich gewesen, „ohne Deine treue, geduldige Liebe all die Jahre hindurch“.23

19 Zur Beziehung von Else Jaffé zu Otto Gross vgl. Sam Whimster with Gottfried Heuer, Otto Gross and Else Jaffé and Max Weber, in: Theory, Culture & Society, Vol. 15, 3–4, 1998, S. 129–160, und Green, Martin, The von Richthofen Sisters. The Triumphant and the Tragic Modes of Love. Else and Frieda von Richthofen, Otto Gross, Max Weber, and D. H. Lawrence, in the Years 1870–1970. – New York: Basic Books 1974, p. 47–62. 20 Brief an Else Jaffé vom 13. Sept. 1907, MWG II/5, S. 393–403. 21 Tagebuch von Marianne Weber Nr. VII, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 22 Brief an Else Jaffé vom 28. Nov. 1917, MWG II/9, S. 826. 23 Brief von Else Jaffé an Marianne Weber vom 2. Nov. 1917, Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446.

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Else Jaffé hatte über die Jahre ein Gefühl der Zuneigung zu Max Weber bewahrt. Nachdem sie sich Alfred Weber zugewandt hatte, schrieb sie am 10. Januar 1910 an Max Weber: „Sie sollten es aber wissen, auch wissen, daß ich von Ihnen gar nicht wirklich weg kann [. . .] und Ihnen ganz einfach und menschlich sagen, daß Sie zu den Wenigen gehören, die ich lieb habe – grad so – ganz ohne die Verehrung und tiefe Dankbarkeit, die noch dazu kommen.“24 Während der Auseinandersetzungen über ihre Beziehung zu seinem Bruder und über die Trennung von ihrem Mann versuchte Max Weber, sie damals zu beeinflussen, ihre Beziehung zu seinem Bruder zu lösen, aber Else brach diese Beziehung nicht ab, und er war tief enttäuscht, daß sie sich ihm entzog.25 In einem Brief vom 21. Januar 1911 berichtete Weber seiner Frau, er habe Else geschrieben, „sie seien einander fremd geworden“, und fügte an: „Alf[red] soll uns vom Leibe bleiben, mir jedenfalls[.] Er wird stets freundlich, aber ganz ablehnend behandelt. Diese Dinge sind erledigt. – Genug davon.“26 Marianne Weber aber hielt den Kontakt sowohl zu Else Jaffé als auch zu Alfred Weber aufrecht und hoffte auf eine Versöhnung. Diese war nun zwischen Else und Max eingetreten, von beiden im Stillen immer erhofft. Im Jahre 1918 verdichteten sich die Kontakte zwischen Max und Else. Er besuchte sie auf der Hin- und Rückfahrt von Wien im April und Juli sowie Anfang November im Zusammenhang mit seiner Rede für die Fortschrittliche Volkspartei über „Deutschlands politische Neuordnung“. Else Jaffé notierte für Eduard Baumgarten viele Jahre später, Max sei am 5. November bei ihr gewesen. „Gang an der Isar, langer Abend, Shakespeare Sonette. Wenn ich an jene entscheidenden Tage Anfang November 18 zurückdenke, so sehe ich auch wieder den Ausdruck herzerweichender Traurigkeit[,] den zu verwischen, man jede Schranke durchbrochen hätte.“27 Von nun an enthalten Webers Briefe emotionale Liebesbekundungen. Die schon lange latent erotische Beziehung zu Else Jaffé hatte eine sexuelle Dimension erhalten. Die Wiederannäherung war schrittweise und über einen Zeitraum von zwei Jahren erfolgt. Schon einmal war dieser Punkt fast erreicht, bei der gemeinsamen Reise mit Marianne Weber und Edgar Jaffé nach Grignano und Venedig Anfang Oktober 1909.28 Marianne hatte am auffällig veränderten Verhalten von Max 24 Brief von Else Jaffé an Max Weber vom 10. Jan. 1910, MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie der Abschrift von Marianne Weber). 25 Vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 11. und 16. März 1911, MWG II/7, S. 135 und 145. 26 Brief an Marianne Weber vom 21. Jan. 1911, MWG II/7, S. 56. 27 Aufzeichnung von Else Jaffé für Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446. 28 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Marianne Weber vom 9. Okt. 1909, MWG II/6, S. 283, und die Bemerkung Max Webers in seinem Brief an Else Jaffé vom 7. März 1919, unten, S. 511.

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Else gegenüber schmerzvoll erkannt: Max liebte sie. In ihrem Tagebuch notierte sie später: „Er liebt sie nicht nur mit der Liebe der brüderlichen Freundschaft, sondern anders, leidenschaftlicher. Aber seine Empfindungen als erotische zu bezeichnen – das Wort wäre viel zu grob gewesen. Sie waren ja so schön, so unbegehrlich, so selbstlos – das fühlte ich, und ich verstand ja nur zu gut, daß Elses Wesen und Schicksal nun auch bei ihm ein starkes neues Gefühl entfesseln mußte, wie ich es selbst ja lange kannte. Ich verdachte es ihm ja garnicht, aber um so tiefer mußte meine Traurigkeit sein – sie hatte etwas an Empfinden und Schwung an ihm ausgelöst, was mir nicht zuteil geworden war. Warum nicht?“29 Else blieb unbefangen und wies seine Bemühungen ab. Doch Anfang 1910 war auch ihr deutlich geworden, daß die Intensität, mit der er um sie warb, Ausdruck seiner Liebe war.30 Die Beziehung von Max Weber und Else Jaffé hatte eine lange Vorgeschichte. Max hatte Else von Richthofen schon in Freiburg als Freundin seiner Frau kennengelernt, sie war ihm als Studentin nach Heidelberg gefolgt. Im Wintersemester 1897/98 fertigte sie von Webers Vorlesung „Agrarpolitik“ eine Nachschrift an.31 Unter seiner Mitwirkung wurde sie promoviert, und er förderte ihre Anstellung als erste deutsche Fabrikinspektorin bei der badischen Regierung in Karlsruhe. Nachdem sie 1902 Edgar Jaffé geheiratet hatte und nach Heidelberg zurückkehrt war, gehörte sie wieder zum engen Freundeskreis von Marianne Weber. Als Max und Marianne Weber 1907/08 von Else Jaffés Beziehung zu Otto Gross erfuhren, führten sie eine intensive Diskussion über Ehe und Sexualität. Marianne empfand eine tiefe Anteilnahme für Else Jaffé, und auch Max Weber anerkannte den Eigenwert der Erotik.32 Marianne Weber schreibt im „Lebensbild“: „Weber ist stark interessiert an den Wirkungen der Norm-entbundenen Erotik auf die Gesamtpersönlichkeit. Denn diese erscheint ihm nun als das letztlich Wichtige. Und durch das einfühlende Anschauen der konkreten Schicksale ringender Menschen, verschiebt sich seine eigene innere Stellung zum Handeln des Einzelnen.“33 Daß Else nach jahrelanger Entfremdung jetzt seine Liebe erwiderte, bedeutete für Max Weber eine neue Lebenserfahrung, „eine ‚zweite‘ Jugend, und

29 Tagebuch von Marianne Weber Nr. VII, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 30 Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Marianne Weber vom 17. Jan. 1910, MWG II/6, S. 367. 31 Veröffentlicht in MWG III/5, S. 331–410. 32 Vgl. die Briefe von Max Weber an Marianne Weber vom 8., 13. und 19. März 1908 und deren Editorische Vorbemerkungen, MWG II/8, S. 443–445, 450 f. und S. 461–464. 33 Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 391. – Vgl. dazu auch Schwentker, Wolfgang, Leidenschaft als Lebensform. Ethik und Moral bei Max Weber und im Kreis um Otto Gross, in: Mommsen/Schwentker (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen, S. 661–681.

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wo hatte ich je eine ‚erste‘?“34 Er war von ihr bezaubert und fühlte sich verzaubert. Max Weber war 54 und Else Jaffé 44 Jahre alt. Beziehungskonstellationen Die Liebe von Max Weber und Else Jaffé lebte in einem außeralltäglichen Raum, der sorgfältig aus dem Beziehungsgeflecht, in dem beide standen, herausgelöst werden mußte. Beide waren auch anderen Personen verpflichtet. Max Weber war an seine Frau und auch noch an Mina Tobler gebunden. Marianne Weber verdankte er die Überwindung seines psychophysischen Zusammenbruchs von 1899/1902. Sie stützte ihn, ordnete die Lebensverhältnisse und ermöglichte über ihr Familienerbe auch eine gehobene Lebensführung. Marianne gab ihm Nähe und Distanz, wie es seinen jeweiligen gesundheitlichen und Arbeitsbedürfnissen entsprach. Er war sich seiner Dankesschuld ihr gegenüber bewußt. An Else schrieb er: „Aber Du weißt: wer Mar[ianne] ist und wie sie den Alltag zu meistern weiß. Unermeßliches danke ich ihr da, denn jedenfalls ohne sie, mit einer anderen in gleicher Lage, wäre ich nicht so seiner [gemeint ist sein Zusammenbruch 1898–1902] (leidlich) Herr geblieben.“35 Marianne bewunderte ihren Mann, aber sie unterwarf sich ihm nicht. Sie hatte sich eine intellektuelle Selbständigkeit erarbeitet. Dazu trugen ihre beiden Bücher bei.36 Sie gestaltete ihren eigenen Tätigkeitsraum in der Frauenbewegung mit einer ausgedehnten Vortragstätigkeit sowie mit zahlreichen Publikationen.37 Die Ehe war durch Max Webers Potenzhemmungen unerotisch, hatte aber eine große kommunikative Dichte; sie war eine „Gefährtenehe“, wie Marianne Weber sie bezeichnete. Sie schrieb ihm 1903: „[U]nsre Liebe gab uns Kraft, auch dies Schicksal [gemeint ist Webers Krankheit] in unsern Willen aufzunehmen, wir sind daran nicht klein und jämmerlich geworden, und ich hoffe, wir können es weiter tragen, hoffend und wartend mit unsrer Liebe.“38 Hinzu kam die Verantwortung, die Max Weber für Mina Tobler empfand. Mit ihr hatte er 1912 ein Liebesverhältnis begonnen.39 Diese Beziehung hatte von Seiten Webers an Leidenschaftlichkeit verloren, Mina hing aber weiterhin sehr 34 Brief an Else Jaffé vom 4. März 1919, unten, S. 500. 35 Brief an Else Jaffé, vor dem 20. Dez. 1918, unten, S. 370. 36 Weber, Marianne, Fichte’s Sozialismus und sein Verhältnis zur Marx’schen Doktrin (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, 4. Bd., 3. Heft). – Tübingen, Freiburg i.B. und Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1900, und dies., Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung. Eine Einführung. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1907. 37 Vgl. die Bibliographie von Marianne Weber in: Meurer, Bärbel, Marianne Weber. Leben und Werk, Tübingen: Mohr Siebeck 2010, S. 636–639. 38 Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 281. 39 Vgl. dazu Lepsius, M. Rainer, Mina Tobler, die Freundin Max Webers, in: Meurer, Bärbel

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an ihm. Seine regelmäßigen Briefe an sie sind erfüllt von dem Wunsch, sie schonend auf die endgültige Trennung einzustimmen. Über seine neue Liebe zu Else Jaffé schwieg er, betonte die sachliche Notwendigkeit seiner wieder aufgenommenen Berufstätigkeit und erinnerte an die glücklichen Stunden in der Vergangenheit. Max Weber hatte sich von Mina Tobler lieben lassen und empfand Schuldgefühle: „[a]ch, liebstes Herz, ich weiß, was ich, indem ich mir mein Glück von Dir schenken ließ, großmütig, verschwenderisch, stolz bis zum Übermaß wie Du es thatest, – ich weiß, was ich damit an Verantwortung auf mich lud, wußte es immer, weiß und fühle es jetzt mehr als je noch.“40 In seinem Abschiedsbrief vom 15. März 1919 erinnerte sich Weber der Liebe von Mina Tobler: an dieses „starke brausende herrliche Bad von Schönheit und Liebe, [. . .] was Du, unvergleichliches Kind, mir bereitetest“.41 Er hatte Mina „Judit“ genannt, nach der Figur in Gottfried Kellers Roman „Der grüne Heinrich“, die auch den Schmerz des Verlassenwerdens tragen mußte. Er datierte den Druck des „Vorgefühls“ der Trennung auf die letzten zweieinhalb Jahre, das wäre der Herbst 1916, was zeitlich mit der Versöhnung mit Else Jaffé zusammenfallen würde.42 Mina Tobler hatte die Jahre der Entfremdung von Else Jaffé von Ende 1910 bis zur Aussöhnung im Herbst 1916 ausgefüllt und war – mit den Worten Marianne Webers – „eine ihn erfrischende Freundin“.43 „‚Trennung‘ stand in gewissem Sinn immer über dieser Liebe geschrieben, deren der Zeit nach größere Hälfte immer aus Sehnsucht und Gedenken, Hoffen und Wissen vom Dasein des Andren bestand.“44 Mina Tobler, deren Briefe an Max Weber nicht überliefert sind, trug wehmütig ihr Los und blieb unverheiratet. Auch Else Jaffé war doppelt gebunden, an ihren Lebensgefährten Alfred Weber, mit dem sie sich 1910 mit Leidenschaft verbunden hatte, und an ihren Ehemann Edgar Jaffé, den Vater ihrer Kinder, der ihren Lebensunterhalt bestritt. Die Beziehung zu Alfred Weber wurde in der Öffentlichkeit verschwiegen. Er lebte in Heidelberg, sie in Wolfratshausen. Ein fast täglicher Briefverkehr ersetzte die häusliche Gemeinschaft, er besuchte sie häufig und hatte in Icking, nahe Wolfratshausen, eine Bleibe. In den Semesterferien unternahmen sie gemeinsame Reisen. Alfred Webers Leben war ganz auf sie bezogen. Er bedurfte ihrer Ermunterung und Bestätigung auch für seine Arbeit. Else wußte, daß sie sich von Alfred nicht lösen durfte, ohne ihn existentiell zu

(Hg.), Marianne Weber. Beiträge zu Werk und Person. – Tübingen: Mohr Siebeck 2004, S. 77–89. 40 Brief an Mina Tobler vom 15. März 1919, unten, S. 522. 41 Ebd., S. 521. 42 Vgl. den Brief an Mina Tobler vom 26. März 1919, unten, S. 544–546. 43 Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 19. Aug. 1912, Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 44 Brief an Mina Tobler vom 20. Juni 1919, unten, S. 655.

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gefährden. Alfred mußte die räumliche Trennung und die äußeren Komplikationen der Lebensverhältnisse hinnehmen, denn das waren die Bedingungen, die mit Else Jaffés Mann 1910 paktiert worden waren. Edgar Jaffé tolerierte die Beziehung seiner Frau zu Alfred Weber unter der Voraussetzung, daß die Ehe formell weiter bestehe. Im Falle einer Scheidung hatte er gedroht, ihr die Kinder zu nehmen. Sie aber wollte ihre Kinder behalten – sie waren der Mittelpunkt ihres Lebens – und diesen auch den Vater erhalten. So fügten sich Else und Alfred in die von Edgar Jaffé bestimmten Lebensverhältnisse. Edgar Jaffé lebte in München, besaß in Irschenhausen, in der Nähe von Wolfratshausen, ein Haus und konnte mit seinen Kindern in Kontakt bleiben, ohne bei Else zu wohnen. Als er 1919 physisch und psychisch zusammenbrach und sich schwere Vorwürfe über seine Tätigkeit als Finanzminister in der Regierung von Kurt Eisner machte, sorgte sich Else um ihn.45 Auch Max Weber besuchte ihn mehrfach im Sanatorium. Max Weber hatte mit Else Jaffé ein Einverständnis gefunden. Sie wollte ihre Beziehung zu Alfred Weber nicht lösen, kümmerte sich weiterhin fürsorglich um ihn. Max Weber mußte ihre Gefühle für Alfred tolerieren. An Else schrieb er: „Fühle doch die völlige Verschiedenheit der Menschen, denen Du jedem in andrer – in so grundverschiedener Art – gut bist, meide jede ‚Vergleichung‘, freue Dich an Dem, was Jeder in seiner Art Dir giebt.“ Er bejahte diese Lage: „weil Alles für Dich – und mich – ja nur so geht. Denn wärest Du nicht die stärkere, wie solltest Du mit der Lage fertig werden?“46 Andererseits sollte Else seine Beziehung zu Marianne achten und gemeinsam mit ihm „[d]ies zarte wertvolle Wesen [. . .] behüten und [. . .] pflegen“.47 Diese komplexe Konstellation von sechs Personen wurde dadurch weiter kompliziert, daß sich alle untereinander seit langem gut kannten. Max und Alfred waren Brüder, die in einer konfliktreichen Beziehung standen. Marianne und Else wollten das zerrüttete Verhältnis zwischen beiden entspannen, was ihnen aber nicht gelang. Marianne zählte Else nach Max zu den ihr Nächststehenden. Max, Alfred und Edgar waren Kollegen, Edgar Jaffé überdies der Eigentümer des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“, zu dessen Mitherausgebern Max Weber zählte. Marianne Weber stand zu Mina Tobler in einer freundschaftlichen Beziehung und hatte deren Verhältnis zu Max Weber über viele Jahre toleriert. Die Pianistin wurde 1909 von Emil Lask bei den Webers eingeführt und gehörte seitdem zu ihrem Kreis. Vor Webers Tod wußte wohl nur Marianne von dem erotischen Charakter der Beziehung zwischen Max und Else. In den Tagen der gemeinsamen Kran45 Zur Beziehung von Else Jaffé zu Edgar Jaffé vgl. Roth, Guenther, Else von Richthofen, Edgar Jaffé und ihre Kinder im Kontext ihrer Zeit, in: Grenzüberschreitende Diskurse. Festgabe für Hubert Treiber. – Wiesbaden: Harrassowitz 2010, S. 305–309. 46 Brief an Else Jaffé vom 18. März 1919, unten, S. 524 und 526. 47 Brief an Else Jaffé vom 26. Aug. 1919, unten, S. 740.

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kenpflege Max Webers, wenige Tage vor seinem Tod, schrieb sie einen bewegenden Brief an Else Jaffé, den sie ihr am Abend des 9. Juni 1920 brachte.48 Liebste Else! Als Max mir die Entscheidung zuschob, ob wir nach München oder nach Bonn gehen wollten, habe ich München gewählt, obwohl ich vollkommen klar voraussah, unter welchem Stern dann sein Dasein gerückt werden würde. Aber ich hätte mir ein feiges Auskneifen nicht verzeihen können und so, Liebste, habe ich also auch die jetzige Situation gewählt in der Hoffnung, die Kraft zu haben, sie zu bestehen, ohne klein zu werden. Und dieses damalige Gefühl war gewiß richtig. – Allerdings war es nun eine große Schwäche, daß ich davon sprach und vorerst ist mir so, als sei mir dadurch ein Panzer zerbrochen, der mich und Euch geschützt hat vor unfruchtbaren Qualen. Noch weniger aber könnte ich mir verzeihen, wenn ich Euch irgendeine Freude, die Euch wahrlich zukommt, verkümmern würde. Es war ja doch mein Stolz mir einbilden zu können, es sei bis jetzt nicht geschehen. Das Schicksal hat mich durch Max überreich begnadet – er selbst hat mir aus seiner Fülle und Kraft heraus jede Freude, die ich haben wollte, reichlich vergönnt. – Ich habe den reinen innigen Willen, nun auch ihn keinen Mangel leiden zu lassen. Wenn jetzt zufolge meiner ungewollten Enthüllung irgendetwas anders würde zwischen Euch als bisher, so könnte ich es mir nicht verzeihen. Und Du! Ich habe Dich so lieb, nächst ihm am liebsten auf der Welt, und Du hast mich immer immer so reich beschenkt! Ich danke Dir so viel an Erhebung und Ausweitung der Seele, ein Teil meiner inneren Freiheit! Und niemals hat eigenes Weh auch nur einen Hauch auf Dein Bild zu werfen vermocht. Ich glaube Dich immer so zu fühlen wie Du bist, so voll tiefer Güte und Reinheit. – Wir wollen uns weiter freuen aneinander und das bißchen Weh, was ich dann und wann fühle ist nicht wert, daß man davon redet. Ich bitte Dich nun: bedenke, ob es nicht geboten ist, Max zu verschweigen, was wir sprachen. Was ich mit ihm gestern ungewollt redete, wird er vergessen wie einen Fiebertraum, es war ihm auch eigentlich nicht ganz neu und alles war leicht und ohne Pathetik so hingesagt. Aber Du mußt heute früh von unserem gestrigen Abendgespräch irgendetwas angedeutet haben – „daß ich manchmal zweifle, ob ich die rechte Frau für ihn gewesen sei“ oder so etwas – und das hat ihn traurig gemacht. Aber er ist gottlob zu benommen, um im Gedächtnis zu bewahren, was wir in diesen Tagen gesprochen haben. Und es wäre ihm sicher gräßlich und vielleicht würde er es mir tief innerlich übelnehmen, wenn er erführe, daß ich Dir eine Last auf die Seele gelegt habe. Wir haben früher vor vielen Jahren damals in der ersten Epoche einmal davon gesprochen und beide gefunden, daß Else nichts von meinem dummen „Geziepe“ erfahren darf. Welche Schwäche von mir, daß es jetzt geschah, wo ich doch im Grunde so viel kraftvoller und selbstloser (na?) geworden bin als ich damals war. Wisse nur und vergiß niemals, daß ich Eure Beziehung zutiefst bejahe und daß alles Gute in mir sich daran zu freuen vermag! Wie immer Deine Marianne

48 Brief von Marianne Weber an Else Jaffé vom 9. Juni 1920, Abschrift in: Baumgarten, Eduard, Der sterbende Max Weber (Aufzeichnungen), Typoskript, Privatbesitz; hier nach Fotokopien des Originals, MWA, Universität Heidelberg.

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An Max Weber hatte sie kurz vorher geschrieben: „Von Dir kannst nur Du selbst mich scheiden – und nur wenn ich spüre, daß mich die Gnade verlassen hat, Dich noch irgendwie glücklich zu machen. Ja dann fände ich (vielleicht) Stolz und Kraft von Dir zu scheiden.“49 Dieter Henrich meinte zur „Konstellation, in der sich Max Webers Leben zum Schluß bewegte“: „Hat eine von Neugier und Befangenheit gleichermaßen freie Biographie Max Webers sie einmal nachgezeichnet, so wird auf Seiten aller derer, die einbezogen waren, also auch auf Seiten der nicht so ganz im Ungewissen gebliebenen Marianne, sehr viel mehr menschliche Subtilität und Großzügigkeit sichtbar werden.“50 Die in diesem Band veröffentlichten Briefe Max Webers bestätigen ihn. Für Max Weber bedeutete die Liebe zu Else Jaffé die Erfüllung von lange bestehenden Sehnsüchten. „Sehnsucht ist die Grundnote meines Lebens“, hatte er an Mina Tobler geschrieben,51 Sehnsucht nach Zärtlichkeit, aber vor allem nach einem Leben ohne den Leidensdruck der Krankheit, die ihn auf „das andere Ufer des Lebens“ bannte. Er beklagte seine Einsamkeit „gegenüber allen Gesunden, auch den Nächststehenden“.52 Sein Plädoyer für illusionslose Nüchternheit, das er in seinem Brautbrief an Marianne 1893 geführt hatte,53 sein Eintreten für eine werturteilsfreie Wissenschaft54 und seine Überzeugung, Rationalisierungen seien das Gestaltungsprinzip der Lebensverhältnisse, gehörten zu der einen Seite seiner Persönlichkeit. In der Liebe zu Else Jaffé zeigt sich eine andere Seite: die Hoffnung auf eine „außerethische selbständige Wertsphäre“ der Liebe und der „Schönheit“ als Pforte zum „irrationalsten und dabei realsten Lebenskern gegenüber den Mechanismen der Rationalisierung“,55 „den kalten Skeletthänden rationaler Ordnungen ebenso völlig entronnen wie der Stumpfheit des Alltages“.56 Weber hat sich in der „Zwischenbetrachtung“ mit großem Pathos zur Erotik geäußert, aber wenn man dafür nach einer eigenen Erlebnisbasis sucht, so kann diese nicht in der Liebesbeziehung zu Else Jaffé liegen, denn diese Passagen wurden wohl schon vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 geschrieben. Weber wollte

49 Brief von Marianne Weber an Max Weber vom 30. April 1920, Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446. 50 Henrich, Dieter, Denken im Blick auf Max Weber. Eine Einführung, in: Jaspers, Karl, Max Weber. – München: Piper 1988, S. 25 f. 51 Brief an Mina Tobler vom 15. Juli 1919, unten, S. 688. 52 Brief an Mina Tobler vom 15. Juni 1918, unten, S. 195. 53 Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 190. 54 Vgl. Weber, Max, Der Sinn der „Wertfreiheit“ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften, in: Logos, 7. Band, 1. Heft, 1917, S. 40–88 (= Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 6. Aufl. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1985, S. 489–540) (MWG I/12). 55 Weber, Max, Zwischenbetrachtung, in: MWG I/19, S. 479–522, Zitat S. 504. 56 Ebd., S. 507.

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im Februar 1919 mit Else Jaffé den Abschnitt Erotik in der „Zwischenbetrachtung“ besprechen und erbat dazu ihre Kritik.57 Diese ist nicht überliefert. Er jedenfalls hatte diese Passagen im Kopf, als er die Liebesbeziehung zu Else Jaffé begann. Sie bilden gewissermaßen das kognitive Raster für seine Empfindungen. „Keine volle erotische Gemeinschaft wird sich selbst anders als durch geheimnisvolle Bestimmung für einander: Schicksal in diesem höchsten Sinn des Wortes, gestiftet und dadurch (in einem gänzlich unethischen Sinn) ‚legitimiert‘ wissen.“58 Wie schon am Anfang der Beziehung zu Mina Tobler, spielt das Tristan-Motiv auch gegenüber Else eine Rolle: Liebe rechtfertigt sich selbst, ist aber mit untilgbarer Schuld verbunden. Doch der Weg Tristans in die Nacht des Todes konnte die Lösung nicht sein.59 Schuld empfand Weber gegenüber Marianne, aber auch gegenüber seinem Bruder Alfred. Schon 1910 hatte er im Hinblick auf die Beziehung seines Bruders zu Else Jaffé an Marianne Weber geschrieben: „Die ethischen Werthe sind nicht allein in der Welt. Sie können Menschen, die in Schuld gerathen sind, klein machen, wenn sie ‚Entsagung‘ fordern. Und sie können |:dann:| in unlösliche Conflikte führen, wo ein schuldloses Handeln unmöglich wird. Dann muß |:(ethischerweise):| so gehandelt werden, daß die beteiligten Menschen die möglichst geringsten Verluste an Menschenwürde, an |:Fähigkeit zur Güte und Liebe, zur Pflichterfüllung und Persönlichkeitswerth:| erleiden, und das ist |:oft:| eine schwere Rechnung.“60 Unter dieser Leitlinie stand auch Max Webers eigenes Handeln gegenüber Mina Tobler und Marianne Weber in den Jahren 1918 bis1920. Wie Else Jaffé ihre Liebe zu Max Weber sah, wie sie die Beziehung zu den beiden Brüdern interpretierte, wissen wir nicht. Ihre intimen Briefe an Max Weber sind nicht überliefert. Sie hatte verlangt, daß Max Weber sie sogleich vernichte oder ihr zurückgebe. Die in diesem Band veröffentlichten Briefe werfen daher ein einseitiges Licht auf diese Liebesbeziehung – nur aus der Wahrnehmung Max Webers. Max Weber hatte sein „stolzes trautes starkes süßes und wildes Götterkind aus dem Urgrund der Mutter Erde“ gefunden.61 Er benutzte die Metapher eines Vasallen, der seiner Herrin gehört, die über ihn verfügen könne nach ihrem Belieben. Er gehöre ihr, sie aber nicht ihm. Sie schien ihm überlegen „in Allem und Jedem – gewiß Bücher kannst Du vielleicht schlechter schreiben und Kolleg nicht ganz so gut halten“.62 „Was immer Du beschließt, ich bleibe Dir, wie ich bin. Denke: sieben Jahre der Verstoßenheit hatten es nicht fertig 57 58 59 60 61 62

Vgl. die Briefe an Else Jaffé vom 18. und 25. Febr. 1919, unten, S. 463 und 482. Weber, Max, Zwischenbetrachtung, MWG I/19, S. 508. Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 13. und 14. Aug. 1919, unten, S. 719–721. Brief an Marianne Weber vom 24. Jan. 1910, MWG II/6, S. 380. Brief an Else Jaffé vom 7. Sept. 1919, unten, S. 762. Brief an Else Jaffé vom 4. März 1919, unten, S. 495.

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gebracht, Dich aus meinem Leben zu streichen oder an Bedeutsamkeit schwinden zu lassen“.63 „Unsere ganze Beziehung all dieser letzten, sagen wir: 12 Jahre hindurch war ja ein ‚Ringen‘ miteinander. Mit adeligen, schönen, offnen Mitteln hast Du diesen Kampf geführt und bist nun, verdienter Maßen, die Siegerin.“64 Mit dieser „Unterwerfung“ schob er ihr die Verantwortung für die Gestaltung ihrer Beziehung zu. Wenn sie es wollte, wäre er bereit, sich ohne Vorwürfe zurückzuziehen, dankbar für das Glück ihrer Liebe, die sie ihm geschenkt habe. Es gibt keinen Hinweis darauf, wie sich Max Weber den Fortbestand seiner Liebe zu Else Jaffé vorstellte. Das Glück der Begegnungen eröffnete keine Perspektive für eine gemeinsame Zukunft. Er folgte schließlich seiner Frau. Marianne Weber hatte schon bisher sein Leben geordnet, und sie würde das weiterhin tun. Das Leben und mit ihm die Liebe blieben von der Sphäre des Geistes und der wissenschaftlichen Arbeit, von der er nicht lassen konnte, getrennt. Else Jaffé war eine schöne Frau und eine eindrucksvolle Persönlichkeit, selbständig in ihren Ansichten und souverän in ihrem Auftreten. Für Intellektuelle war sie die „ideale Muse“. Sie verstand die emotionalen und die geistigen Bedürfnisse ihrer Partner, verharrte aber in einer leicht ironischen – Weber sagte „spöttischen“ – Distanz.65 Sie wollte immer wieder aufs Neue intellektuell beeindruckt werden und blieb eine Herausforderung. Max Weber anerkannte – wie sein Bruder – ihre Überlegenheit. Im Zweifel hatte sie recht. Else Jaffé hatte durch ihre Kinder eine eigene Lebenswelt, auf der ihr Selbstbewußtsein gründete und in die sie sich zurückziehen konnte. Sie vermochte, stets Distanz zu wahren gegenüber Edgar Jaffé, Otto Gross, Alfred Weber und auch Max Weber. Else Jaffé wurde durch den Tod Max Webers zutiefst erschüttert. Im Juni 1920 schrieb sie an Alfred Weber: „Nur mein Kopf hätte gerne Ruhe, alles zu ‚ordnen‘ – und Dir noch einmal zu sagen, was Max mir immer war und durch diesen Tod verstärkt geworden ist – ein notwendiger Hintergrund für das Leben.“ Und am 8. Juli 1920: „In einer Welt, in der es keinen Max Weber giebt, möcht ich aber doch nicht leben. – Und nun müssen wir ihn irgend wie in uns fest halten und lebendig erhalten, damit es ihn eben doch giebt.“66 Sie blieb in München wohnen, auch als Edgar Jaffé im Mai 1921 in einem Sanatorium an einer Lungenentzündung gestorben war. Erst 1925 zog sie nach Heidelberg mit ihrer Tochter Marianne in eine eigene Wohnung. Nach deren Heirat 1931 mieteten Else Jaffé und Alfred Weber zwei nebeneinander liegende 63 Brief an Else Jaffé vom 27. März 1919, unten, S. 547. 64 Briefe an Else Jaffé vom 8. und 9. Okt. 1919, unten, S. 809. 65 Vgl. dazu den Brief an Else Jaffé vom 27. Febr. 1919, unten, S. 487, u. ö. 66 Demm, Eberhard, Von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik. Der politische Weg Alfred Webers 1920–1958 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 51). – Düsseldorf: Droste 1999, S. 1 und S. 3.

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Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus in der Bachstraße 24, wo sie dann Alfred bis zu seinem Tod 1958 betreute. Tod der Mutter Am 14. Oktober 1919 starb die Mutter Max Webers, Helene Weber, schon länger kränklich, aber doch überraschend im Alter von 75 Jahren. Sie war der Mittelpunkt der Familie, unterstützte ihre sechs Kinder mit Zuwendungen aus ihrem Vermögen und sorgte sich um deren so unterschiedliche Temperamente und Charaktere. Max Weber bekundete in seinen gelegentlichen Briefen fürsorgliche Anteilnahme an ihrem Leben. Marianne Weber, die mutterlos aufgewachsen war, hatte in ihr eine mütterliche Freundin gefunden. Regelmäßig kam Helene zu Besuch nach Heidelberg; Max und Marianne wohnten seit 1910 in ihrem Elternhaus. Max Weber schrieb an Mina Tobler am 14. Oktober 1919: „die Welt ist wieder ‚liebeleerer‘ und ärmer“, „mit dem Gehen der Eltern, des letzten von ihnen, [hat] man das Gefühl [. . .] in die kalte Höhe zu ragen ohne das Schirmdach der jungen Jahre“.67 Helene Weber war eine starke Persönlichkeit. Religiös bestimmt, widmete sie sich der Wohlfahrtspflege in Charlottenburg und unterstützte die Bestrebungen von Friedrich Naumann. Sie prägte sowohl Max in seiner Jugend als auch Marianne, die ihr eine vertraute Freundin wurde und deren Eheschließung (1893) sie gefördert hat. Max Webers Betroffenheit vom Tod seiner Mutter kommt in Briefen an Else Jaffé zum Ausdruck.68 Marianne Weber hat ihren Tod im „Lebensbild“ eindringlich geschildert.69 Freitod der Schwester und Pflegschaft für deren Kinder Wenige Monate später erschütterte ein zweiter Todesfall Max Weber. Seine jüngste Schwester, Lili Schäfer, nahm sich kurz vor Ostern 1920, während eines Besuchs in Heidelberg, noch keine 40 Jahre alt, das Leben.70 Seit den ersten Kriegstagen 1914 war sie Kriegerwitwe mit vier Kindern. Sie litt an periodisch auftretenden tiefen Depressionen und fühlte sich mit der Erziehung der Kinder überfordert.71 Max Weber hatte stets großen Anteil an ihrem schwierigen Leben genommen. Seit April 1918 lebte sie mit ihren Kindern in der Odenwaldschule in Oberhambach bei Heppenheim, mit dessen Leiter, Paul Geheeb, Marianne Weber sie bekannt gemacht hatte. Lili Schäfer ent67 Brief an Mina Tobler vom 14. Okt. 1919, unten, S. 817. 68 Vgl. die Briefe an Else Jaffé vom 14. und 16. Okt. 1919, unten, S. 815 und 818 f. 69 Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 681 f. 70 Vgl. dazu den Brief an Lisa v. Ubisch vom 8. und 9. April 1920, unten, S. 972–975. 71 Vgl. den Brief von Max Weber an Lisa v. Ubisch vom 1. Jan. 1917, MWG II/9, S. 579– 582.

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wickelte zu ihm eine enge, erotische Beziehung. Weber äußerte sich zu ihrem Freitod im Brief an Martha Riegel vom 12. April 1920: „Einen reifen Menschen, der [. . .] in den Tod gehen will, wie sie es wollte, den hält kein Mensch oder Gott und dürfte es auch nicht. Sie ist ihrer selbst würdig dahingegangen, – groß und schön und vornehm.“72 Nach Lili Schäfers Tod stellte sich die Frage, was mit ihren vier Kindern geschehen sollte. Clara war 17, Albert 15, Max 11 und Hermann 9 Jahre alt. Marianne entschloß sich spontan zur Übernahme der Fürsorge und Vormundschaft. Ihr Schwager Alfred wollte der zweite Vormund sein. Max Weber war also förmlich nicht betroffen, mußte sich aber mit den Folgen auseinandersetzen. Das Ergebnis der ausführlichen Beratungen war, daß die Kinder zunächst in ihrem gewohnten Milieu in der Odenwaldschule verblieben. Es wurde ins Auge gefaßt, die beiden jüngeren im Herbst 1921 nach München zu nehmen. Noch war ja Marianne durch ihre Stellung als Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine beansprucht und die Wohnung in München zu klein. Auch war sie sich bewußt, daß sie Max Weber durch den Kinderalltag nicht belasten durfte. Dieser war bereit, die neue Herausforderung, nun „Vater zu sein“, anzunehmen, wobei er alle Entscheidungen Marianne überlassen wollte. Ihr schrieb er: „Selbst wenn die Kinder jetzt noch nicht gleich herkommen, ist das wieder ein neuer gemeinsamer Lebensinhalt – und welch einer.“73 „Ich freue mich an Kindern, bin aber weiß Gott kein ‚Pädagoge‘, – und meine wirkliche Freude gilt doch: Dir in der Schönheit Deiner erwachten Mütterlichkeit. Deshalb möchte ich sie herhaben!“74 „Es wird schon Alles ganz gut gehen und wir beide glücklich werden.“75 Den neuen, ungewohnten Lebensverhältnissen mußte sich Max Weber nicht mehr stellen. Erst als Marianne im Frühjahr 1921 nach Heidelberg zurückkehrte und Ende 1922 wieder die Wohnung in der Ziegelhäuser Landstraße 17 beziehen konnte, nahm sie nach und nach die Kinder zu sich. Ein Gefühl der Mütterlichkeit, das Max Weber zu erkennen glaubte, entwickelte sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Die Kinder waren dafür zu alt, sie blieb die Tante, auch wenn sie die Kinder 1927 adoptierte.

4. Krankheit, Tod und Trauerfeiern Marianne Weber hat in ihrem „Lebensbild“ Max Webers Krankheit und Tod eindrucksvoll geschildert.76 Von ihr stammen ferner Notizen zu seinen letzten Lebenstagen. Auch Else Jaffé hat dazu Aufzeichnungen hinterlassen. Beide 72 73 74 75 76

Brief an Martha Riegel vom 12. April 1920, unten, S. 977. Brief an Marianne Weber vom 26. April 1920, unten, S. 1047. Brief an Marianne Weber vom 30. April 1920, unten, S. 1058. Brief an Marianne Weber vom 4. Mai 1920, unten, S. 1069. Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 709–712.

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Dokumente sind in einem Typoskript von Eduard Baumgarten, der ebenfalls Max Webers Lebensende begleitete, wiedergegeben. Die Edition der Briefe ergänzend, werden, auf diesen Dokumenten fußend,77 im folgenden die letzten Lebenstage Max Webers skizziert. Im Anschluß an die Trauerfeier für Lili Schäfer trat Marianne Weber Mitte April eine Vortragsreise ins Rheinland und nach Westfalen an, zu der sie sich als Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine verpflichtet hatte.78 Sie besuchte die Verwandten in Oerlinghausen und beriet sich in Heidelberg über die Zukunft der verwaisten Kinder ihrer Schwägerin. Am 29. Mai 1920 kehrte sie nach München zurück. In den folgenden Tagen hielt Weber Vorlesungen. Donnerstag, der 3. Juni, war Fronleichnam, für Weber ein willkommener Feiertag. In der folgenden Nacht befiel ihn Schüttelfrost, und am 4. Juni hatte er hohes Fieber. Am 5. Juni diagnostizierte der Arzt „Bronchialkatarrh“ und „glaubt ihn bis Montag gesund“.79 Am Sonntag, dem 6. Juni, fanden die Wahlen zum 1. Reichstag und zum Bayerischen Landtag statt. Das Fieber war zurückgegangen, doch Weber ging nicht zur Wahl. Nur Marianne Weber nahm an der Wahl teil. Für Montag, den 7. Juni wurden die Vorlesungen abgesagt. Eduard Baumgarten las an der Tür des Auditorium maximum die Notiz: „Die Vorlesungen von Professor Max Weber fallen heute, einer Erkältung halber, aus; die Stunden werden nachgeholt.“80 Am gleichen Tag besuchte Else Jaffé Max Weber. „Das mühsame, ein wenig verschleierte Sprechen“ fiel ihr auf. Weber besprach mit ihr die Widmungen der im Druck befindlichen Bücher. „Der erste Band der Soziologie soll der Mutter gewidmet sein.“ „Dann Marianne – er sagt genau was da stehen soll: ‚1893 – bis ins Pianissimo des hohen Alters‘“.81 Else Jaffé gab diese Anweisung sofort nach dem Tod an Paul Siebeck wei-

77 Baumgarten, Eduard, Der sterbende Max Weber (Aufzeichnungen), Typoskript, Privatbesitz; hier nach Fotokopien des Originals, MWA, Universität Heidelberg (hinfort: Aufzeichnungen Baumgarten). 78 Marianne Weber hatte im Herbst 1919 ihr Mandat im Badischen Landtag wegen des Umzugs nach München niedergelegt. Im September war sie zur Bundesvorsitzenden des Bundes Deutscher Frauenvereine gewählt worden. 79 Aufzeichnungen von Marianne Weber, wiedergegeben in den Aufzeichnungen Baumgarten. 80 Aufzeichnungen Baumgarten. 81 Aufzeichnung von Else Jaffé, wiedergegeben in den Aufzeichnungen Baumgarten. Diese Formulierung findet sich, als Zitat gekennzeichnet, in der 1919 erweiterten „Zwischenbetrachtung“ (vgl. MWG I/19, S. 511) und greift eine Passage aus Marianne Webers Buch „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung. Eine Einführung.“ – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1907, S. 572, auf. – In der Druckfassung lauten die Widmungen: „Dem Andenken meiner Mutter Helene Weber, geb. Fallenstein, 1844–1919“, in: WuG1, S. V, und „Marianne Weber, 1893 ‚bis ins Pianissimo des höchsten Alters‘. 7. Juni 1920“, in: GARS I, S. III.

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ter.82 Max Weber hatte gewünscht, daß Marianne im voraus davon nichts wissen und die Widmung erst in den Druckfahnen lesen sollte. In den folgenden Tagen ging es Weber offenbar besser. Am 9. Juni fand eine Aussprache zwischen Marianne Weber und Else Jaffé statt, nach der Marianne Weber den oben abgedruckten Brief an Else Jaffe schrieb.83 In der Nacht vom 11. zum 12. Juni erfolgte ein erster Kollaps. Es hatte sich eine Lungenentzündung eingestellt, zwei Krankenschwestern wurden für die Pflege hinzugezogen. Er bekam Kampferspritzen und Sauerstoff, verfiel in einen Dämmerzustand, phantasierte laut auf Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Marianne Weber notierte von seinen Aussprüchen im Fieber: „Cato: Das Wahre ist die Wahrheit“, „Ultra posse nemo obligatur“, „Wir werden ja sehen, was nun kommt“. Und zu Marianne: „Wir gehören zusammen von oben bis unten, von unten bis oben.“84 Er verabschiedete sich von Else und Marianne: „Schnäuzchen, Schnäuzchen, komm – es könnte doch mit mir zu Ende gehen, da möchte ich Dir noch ein paar Verse sagen“; es waren italienische Worte, die man nicht verstehen konnte. Am Montag, dem 14. Juni, kam es zu einem zweiten Kollaps. Marianne notierte: „Die Hand schwillt, der Arzt bleibt da, Sauerstoff – Aderlaß. Montag nachmittag [. . .] [während eines Gewitters] um 6½ das Ende. Der Blitz überzuckt sein Antlitz.“85 Elf Tage nach Ausbruch der Krankheit war Max Weber tot. Die Trauerfeier fand am 17. Juni 1920 auf dem Münchner Ostfriedhof statt. Es war eine Feuerbestattung; ein Pfarrer war nicht zugegen. Otto Baumgarten, ein Vetter Max Webers, der 1893 Max und Marianne in Oerlinghausen getraut hatte, war anwesend und berichtete, Marianne habe bewußt keine religiöse Zeremonie gewünscht. Ihn „schmerzte [. . .] der Verzicht auf jede religiöse Feier, die Nichtachtung aller Sitten“.86 Die Feier wurde eingeleitet durch Weiheworte von Rabindranath Tagore, die Eduard Baumgarten sprach. Sie waren vermutlich von Marianne Weber ausgewählt worden, fanden aber jedenfalls ihre Zustimmung. Sie lauteten:87 82 Brief von Else Jaffé an Paul Siebeck vom 15. Juni 1920, SBPK zu Berlin, Nl. 488: VA Mohr/Siebeck. 83 Siehe oben, S. 31. 84 Aufzeichnungen von Marianne Weber, in: Aufzeichnungen Baumgarten. 85 Ebd. 86 Karte von Marianne Weber an Paul Siebeck vom 30. Juni 1920, SBPK zu Berlin, Nl. 488: VA Mohr/Siebeck. 87 Wiedergabe nach: Typoskript der Rede von Jörg Freiherr v. Kap-herr bei der Münchner Trauerfeier am 14. Juni 1920, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Ähnlich in: Tagore, Rabindranath, Fruchtlese. – Leipzig: Kurt Wolff, o.J. [1918], S. 97. – Tagore hatte im November 1913 den Nobelpreis für Literatur erhalten. Schon davor hatte Marie-Luise Gothein, eine langjährige Bekannte Max Webers, Tagores Werk „Gitanjali“ ins Deutsche übertragen. Diese „Nachdichtung“ wurde unter dem Titel „Hohe Lieder“ vom Verlag Kurt Wolff veröffentlicht. Nachdem es zu Streitigkeiten zwischen Marie-Luise Gothein und dem Verlag und dessen Repräsentanten in Heidelberg gekommen war, hatte

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„Laß mich nicht beten, behütet zu sein vor Gefahren, sondern furchtlos sie zu bestehen. Laß mich nicht betteln um Stillung meines Schmerzes, sondern um das Herz ihn zu besiegen. Laß mich nicht ausschauen nach Bundesgenossen auf dem Schlachtfelde des Lebens, sondern vertrauen auf eigene Stärke. Laß mich nicht flehen in banger Furcht, gerettet zu werden, sondern hoffen auf die Geduld, meine Freiheit zu finden. Laß nicht zu, daß ich ein Feigling sei, der Deine Gnade nur fühlt im Erfolg allein; sondern laß mich erkennen das Walten Deiner Hand in meinem Mißlingen.“ Die Gedenkrede hielt der befreundete Staatsrechtler Karl Rothenbücher. Es folgten die Ansprachen des Rektors, Friedrich von Müller, und des Dekans, Max Endres. Lujo Brentano sprach für die Bayerische Akademie der Wissenschaften, Walther Lotz für den Verein für Sozialpolitik, Georg Hohmann für die Deutsche Demokratische Partei, Jörg von Kap-herr, ein Weber eng verbundener älterer Student, sprach im Namen des Allgemeinen Studentenausschusses, der Hörer und Schüler. Zum Schluß trat Marianne Weber „an die reich geschmückte Bahre, um von der Innigkeit seines Wesens, seines reichen Gemütes zu sprechen. Die Dankbarkeit, daß es einen solchen Menschen gegeben, leihe ihr die Kraft, diesen Zug noch den trefflichen Schilderungen der Persönlichkeit hinzuzufügen.“88 Einen Monat später, am 17. Juli 1920, hielt Karl Jaspers eine Gedenkrede auf der Trauerfeier der Heidelberger Studentenschaft.89 Die Urne wurde 1921 auf dem Heidelberger Bergfriedhof beigesetzt und befindet sich auf einem Grabpfeiler, den Arnold Rickert, der Sohn des befreundeten Philosophen

sich Max Weber für diese eingesetzt, vgl. die Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Gundolf vom 1. Febr. 1914, MWG II/8, S. 497. Seitdem kannte wohl Max Weber Dichtungen von Tagore. 88 Münchner Neueste Nachrichten, Nr. 244 vom 18. Juni 1920. – Die Frankfurter Zeitung vom 18. Jan. 1920 schrieb: „Sodann trat Marianne Weber, die Gattin des Dahingeschiedenen, an den Sarg und dankte den Freunden für die Liebe, mit der sie das Bild dieses seltenen Menschen gezeichnet, dessen Gemüt so groß wie sein Geist gewesen. Wenn wir so gefaßt und stark an seiner Bahre stehen können, so ist es der Stolz, daß es einen solchen Menschen gab, daß er uns gehört und daß er uns geliebt hat!“ Eduard Baumgarten erinnerte sich, Marianne Weber habe dem Sinn nach gesagt, von Max Webers höchster und köstlichster Gabe, seiner Liebeskraft, könne nur sie selbst zeugen und „hier, neben mir, meine Freundin“. Eduard Baumgarten, Brief an Nicolaus Sombart, in: Merkur, 31. Jg., 1977, S. 298. 89 Diese ist wieder abgedruckt in: Jaspers, Karl, Max Weber. Gesammelte Schriften. Mit einer Einführung von Dieter Henrich. – München: Piper 1988, S. 32–48.

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Heinrich Rickert, entworfen hatte, in einer „steinernen Aschenkiste nach etruskisch-römischen Vorbild“.90 An den Seiten des Grabpfeilers wurden im April 1921 die Inschriften eingemeißelt: „Wir finden nimmer seines Gleichen“ (Hamlet) und „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“ (Faust II). Marianne Weber und Else Jaffé nahmen Mina Tobler in ihre Trauer- und Verehrungsgemeinschaft auf. Ihr wurde der zweite Band der „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie“ gewidmet, der dritte Band trägt die Widmung „Else Jaffé-Richthofen zugeeignet“.91 Nachdem auch Else Jaffé 1925 nach Heidelberg gezogen war, lebten die drei Frauen wieder an einem Ort vereint im Gedenken an Max Weber. Marianne Weber starb 1954, Mina Tobler 1967, beide im Beisein von Else Jaffé, die, fast hundertjährig, 1973 starb.

5. Zur Überlieferung und Edition Die Grundsätze, welche die Herausgeber bei der Edition des Briefwerks geleitet haben, sind in der Einleitung zu Band II/5 der Max Weber-Gesamtsausgabe erörtert,92 auf die hier verwiesen wird. Dort ist auch dargelegt worden, welche Konsequenzen sich aus der fragmentarischen Überlieferung des Briefwerks für die Edition ergeben, einschließlich des Verzichts auf die Mitteilung der nur im Ausnahmefall überlieferten Korrespondenzen. Marianne Weber hat die an sie gerichteten Briefe Max Webers fast lückenlos gesammelt, und auch die Korrespondenz mit Paul Siebeck ist im Verlagsarchiv Mohr Siebeck überliefert. Dazu kommen zwei weitere große, wenngleich lückenhaft überlieferte Bestände hinzu: die Briefe Max Webers an Else Jaffé und an Mina Tobler. Else Jaffé hat ihre Sammlung der Briefe Max Webers Eduard Baumgarten zugänglich gemacht, der Anfang der 1960er Jahre an einem Buch zum 100. Geburtstag Max Webers arbeitete. Am 16. März 1965 schrieb sie an Eduard Baumgarten: „Ich gebe diese Briefe in Ihre Hände mit der Bestimmung, daß Sie Auszüge daraus machen, die Ihnen sachlich wichtig erscheinen. Sie werden dafür Sorge tragen, daß die Originale in keine anderen Hände als die Ihren kommen[,] d. h. rechtzeitig vernichtet werden.“93 Sie forderte die Briefe zunächst wieder zurück, überließ sie 1968 Baumgarten mit den Worten: „Ich trenne mich mit Schmerzen von diesen Blättern, aber

90 Ruuskanen, Leena, Der Heidelberger Bergfriedhof im Wandel der Zeit (Schriftenreihe des Stadtarchivs Heidelberg, Sonderveröffentlichung 18). – Ubstadt-Weiher, Heidelberg, Basel: Edition Guderjahn/verlag regionalkultur 2008, S. 94. 91 Weber, Max, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. III. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1921, S. III; zu Mina Tobler dass., Bd. II, S. IV. 92 Vgl. die Einleitung, MWG II/5, S. 10–14. 93 Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446.

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einmal muß es ja sein.“94 Sie hatte zuvor eine Reihe von Briefen vernichtet. Wie Baumgarten in einer Aufzeichnung aus dem Frühjahr 1982 berichtete, habe sie gesagt: „Ich griff blindlings nach dem einen oder anderen. Ich wollte mir zeigen, daß dieser Schatz noch immer mir gehört; daß ich mit ihm machen kann, was ich will. So, und jetzt gehört er eben Ihnen. Die fehlenden Briefe habe ich verbrannt.“95 Baumgarten hatte die Briefe vorher chronologisch geordnet, numeriert und 93 Briefe erfaßt. Von diesen sind 71 ediert, davon zwei in Abschriften und zwei als Fragmente. Else Jaffé hat demnach vermutlich 22 Briefe vernichtet. Die fehlenden Briefe stammen aus dem Zeitraum vor dem Oktober 1917 und aus dem Winterhalbjahr 1919/20. Je ein Brief wurde ediert in den Bänden MWG II/5 und II/6, zwei wurden in Band MWG II/9 und zwei werden im Nachtragsband MWG II/11 erscheinen. Alle übrigen werden in diesem Band erstmals veröffentlicht. Die Briefe Max Webers an Mina Tobler wurden von dieser Eduard Baumgarten übergeben. Dieser war von deren Existenz durch Else Jaffé informiert worden. Else Jaffé kannte die Briefe und erzählte Eduard Baumgarten, sie habe – aus Eifersucht – verlangt, daß Mina Tobler die Briefe aus der Anfangszeit der Liebesbeziehung mit Max Weber verbrenne. Die überlieferten Briefe datieren daher erst aus der Zeit nach dem September 1914. 109 Briefe sind insgesamt ediert, in den Bänden MWG II/8, II/9 und in diesem Band. Eduard Baumgarten hat einzelne Briefpassagen in seinem Buch „Max Weber. Werk und Person“96 unter den Siglen EA II für Mina Tobler und EA III für Else Jaffé publiziert. Er plante im Jahr 1977 eine Edition von Briefen Max Webers an Marianne Weber, Mina Tobler und Else Jaffé, doch konnte er diesen Plan nicht realisieren. Martin Green schrieb sein Buch „The Richthofen Sisters“ mit Kenntnis von Briefen an Else Jaffé, die ihm wohl Eduard Baumgarten vermittelte. Er hatte Else Jaffé im Frühjahr 1973 mehrfach interviewt und vermerkte voller Bewunderung für ihre Persönlichkeit: „she refused to tell me what I wanted to know“.97 Durch das Buch von Martin Green ist Else Jaffé neben ihrer Schwester Frieda, der Lebensgefährtin von D. H. Lawrence, in die Kulturgeschichte eingegangen. Die Herausgeber und ihre Mitarbeiter waren bemüht, alle systematischen Wege, die zur Auffindung oder Erschließung von Briefen Max Webers führen konnten, zu verfolgen. Es darf davon ausgegangen werden, daß die erhaltenen Briefe nahezu vollständig in die Edition eingegangen sind. Briefe, die

94 Ebd. 95 Ebd. 96 Baumgarten, Eduard, Max Weber, Werk und Person. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1964. 97 Green, Martin, The von Richthofen Sisters. The Triumphant and the Tragic Modes of Love. Else and Frieda von Richthofen, Otto Gross, Max Weber, and D. H. Lawrence, in the Years 1870–1970. – New York: Basic Books 1974, S. xvii.

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sich noch nach der Drucklegung finden sollten, werden in einem letzten Band der Briefedition mitgeteilt (MWG II/11). Dennoch ist das hier vorgelegte Briefwerk der Jahre 1918 bis 1920 lückenhaft. Die Herausgeber waren bemüht, durch eine angemessene Kommentierung und editorische Vorbemerkungen die Lücken der Überlieferung nach Möglichkeit zu schließen und dem Leser den jeweiligen Kontext bzw. Hintergrund, dessen Kenntnis zum Verständnis der Briefe erforderlich ist, aufzuschlüsseln. Angesichts der Überlieferungslage blieb den Editoren nur die Möglichkeit, sich auf den Abdruck der Briefe Max Webers zu beschränken und auf die Aufnahme der an ihn gerichteten Briefe zu verzichten. Die überlieferten Briefe Max Webers sind vollständig erfaßt worden. Auch Briefkonzepte wurden berücksichtigt, gleichgültig, ob die entsprechenden Briefe abgeschickt wurden oder nicht. Briefe, die nicht überliefert, aber nachgewiesen sind, werden im Apparat verzeichnet. Soweit Korrespondenda vorliegen, deren Kenntnis für das Verständnis des Briefes erforderlich ist, wird der Leser in den Editorischen Vorbemerkungen auf diese hingewiesen und gegebenenfalls der Sachverhalt paraphrasiert wiedergegeben. Ansonsten sind Korrespondenda, soweit diese überliefert sind, im Anmerkungsapparat nachgewiesen. Die Briefe werden in chronologischer Abfolge präsentiert. Im Briefkopf werden zunächst der Adressat, dann die Datierung und der Ort der Niederschrift, die Art des Textzeugen und schließlich der Fundort mitgeteilt. Sofern die Datierung aus dem Poststempel erschlossen worden ist, wird dies mit der vorangestellten Sigle PSt kenntlich gemacht. Sollte die Datierung eines Briefes nicht oder nur unvollständig möglich sein, so wird dieser am Ende des fraglichen Zeitraums mitgeteilt. Sofern der Ort der Niederschrift nur aus dem vorgedruckten Briefkopf erschlossen ist, wird dies durch die vorangestellte Sigle BK kenntlich gemacht, sofern sich dies aus dem Poststempel ergibt, wird dem Ort der Niederschrift die Sigle PSt vorangestellt. Von den Herausgebern erschlossene Datierungen sind in eckige Klammern gesetzt und die Datierung in der Editorischen Vorbemerkung begründet. Dort werden gegebenenfalls auch weitere Angaben über die Eigenart und den Zustand des Textzeugen mitgeteilt. Dabei wird zwischen Briefen, Karten und Telegrammen sowie Abschriften und Abdrucken unterschieden: Letztere sind dem Druck nur dann zugrunde gelegt worden, wenn die Originale nicht überliefert sind. Die Datumszeile reproduziert Max Webers eigenen Text; die vorgedruckten Teile des jeweiligen Briefkopfes – z. B. die Namen von Hotels – sind kursiv wiedergegeben, um sie von dem eigentlichen Text unterscheiden zu können. Die Textpräsentation behält die Orthographie, Interpunktion und Grammatik der Originale bei und emendiert nur dort, wo dies für das Textverständnis unabdingbar ist. Einschübe im Text sind kenntlich gemacht, Streichungen und Textersetzungen im Apparat annotiert. Mit Ausnahme der in der Datumszeile, in den Anrede- und Schlußformeln verwendeten Abkürzungen werden unübliche Abkürzungen im Text aufgelöst und die Ergänzungen durch eckige

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Klammern kenntlich gemacht; ansonsten sei auf das Abkürzungsverzeichnis verwiesen. Bei Max Weber durch Asterisken gekennzeichnete Zusätze bzw. Anmerkungen werden in arabischer Zählung unter dem Text wiedergegeben. Die Asterisken werden durch Ziffern mit runder Klammer ersetzt. Eindeutig falsche Schreibweisen werden emendiert und im Apparat annotiert. Satzzeichen werden dann, wenn sie für das Textverständnis notwendig sind, in eckigen Klammern ergänzt, bei den Abschriften, die in aller Regel auf Marianne Weber zurückgehen, werden offensichtliche Abschreibfehler stillschweigend korrigiert, z. B. de fakto > de facto: ebenso wird hier vom Nachweis handschriftlicher Korrekturen an maschinenschriftlichen Vorlagen abgesehen. Datierungsfehler werden nur dann emendiert, wenn sich die richtige Datierung zweifelsfrei nachweisen läßt. Im übrigen wird auf die Editionsregeln hingewiesen, die am Ende dieses Bandes wiedergegeben sind.98 Im Sachkommentar werden Sachverhalte, deren Kenntnis für das Verständnis der Briefe erforderlich ist, erläutert. Alle in den Briefen nur mit ihren Vornamen erwähnten Personen werden im Anmerkungsapparat unter Angabe des Nachnamens identifiziert. Von dieser Regel werden die nächsten Anverwandten Max Webers ausgenommen, und zwar seine Frau Marianne Weber, geb. Schnitger, seine Mutter Helene Weber, geb. Fallenstein, seine Geschwister Alfred Weber, Karl Weber, Arthur Weber, Clara Weber, verheiratete Mommsen, und Lili Weber, verheiratete Schäfer. Die Schwäger und die Schwägerin Max Webers, nämlich Ernst Mommsen, Hermann Schäfer und Valborg Jahn, verheiratete Weber, werden hingegen jeweils durch Mitteilung des Nachnamens im Anmerkungsapparat identifiziert. Das Personenverzeichnis gibt ergänzende biographische Hinweise auf die in den Briefen erwähnten Personen; im Sachkommentar werden daher nur solche Erläuterungen zu Personen gegeben, die für die betreffende Briefstelle aufschlußreich sein können. Um die weitverzweigten und teilweise sich kreuzenden Verwandtschaftsbeziehungen im Zusammenhang sichtbar zu machen, werden dem Personenverzeichnis Übersichten über die Nachkommen von Georg Friedrich Fallenstein, dem Großvater Max Webers, und Carl David Weber, dem Bruder von Max Webers Vater und Großvater von Marianne Weber, angefügt. Das Register der Briefempfänger sowie Orts- und Personenregister gewähren zusätzliche Möglichkeiten der Erschließung des Briefbestandes.

98 Vgl. unten, S. 1219–1225.

Briefe Januar 1918 – Mai 1919

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Paul Siebeck 5. Januar [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Jahresdatum erschlossen aus Verlagsvermerk: „9. 1. 18.“ sowie Briefinhalt. Bezug: Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 3. Januar 1918 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446) mit der Bitte, ihn in der Frage der Neubearbeitung des Allgemeinen Teils der Volkswirtschaftslehre von Eugen v. Philippovich, der 1917 verstorben war, zu beraten. Dessen Grundriß der Politischen Ökonomie. Bd. 1: Allgemeine Volkswirtschaftslehre, war letztmals (in 11., neu bearb. Aufl.) 1916 bei J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) in Tübingen erschienen. Webers in diesem Brief geäußerter Vorschlag, Joseph A. Schumpeter damit zu betrauen, stieß jedoch bei den Erben v. Philippovichs auf Ablehnung – so Paul Siebecks Mitteilung an Weber vom 15. Februar 1918 (ebd.). Auch der von Weber ins Spiel gebrachte Otto v. Zwiedineck-Südenhorst – vgl. die Karte an Siebeck vom 16. Februar 1918, unten, S. 92 – wurde nicht berücksichtigt. Letztlich ist es nicht zu einer Neubearbeitung gekommen; der Allgemeine Teil der Volkswirtschaftslehre von v. Philippovich wurde 1918 und in den späteren Auflagen bis 1926 als Nachdruck veröffentlicht.

Heidelberg 5/1 Sehr verehrter Freund, –

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wollen Sie nicht wegen Philippovich an Schumpeter herantreten? Er ist doch No 1, Frage nur: ob er es thut und thun kann. Ich würde jedenfalls sehr rathen, einen der begabten Jüngeren heranzuziehen, auch wenn dieser ziemlich tief umgestaltend eingreifen sollte. Das wird irgendwann bei aller Güte des Buchs doch unvermeidlich werden, und dann wohl besser bald, damit das Werk nicht rückständig wird. Ph[ilippovich] selbst würde das nicht wollen. Mit freundschaftlichem Gruß! Ihr Max Weber

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5. Januar 1918

Robert Wilbrandt 5. Januar [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 27, Bl. 7 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen.

Heidelberg 5. I. Lieber Herr Kollege! Mit Bestürzung und warmer Teilnahme erfahren wir den Tod Ihrer lieben Frau,1 die wir nur kurz gesehen hatten – und das vor schon geraumer Zeit – aber, ich darf wohl sagen: lieb gewonnen hatten. So wird es Vielen gegangen sein. Denn etwas so unendlich Gewinnendes, ein solches Ausstrahlen stärksten warmen Lebens, beweglich und sprühend und dabei innerlich warm und wohlthuend, haben wir selten oder nie an einem Menschen empfunden. Wir können nur ahnen, was dieser furchtbare Verlust für Ihr Leben bedeuten mag. Kriegsverluste haben wir Alle so oder so erfahren und hinnehmen müssen. 2 Aber sie sind sinnvoll: man weiß, wofür man den Gefallenen hingiebt. Diese Schmerzen aber, die ein solcher Tod uns schlägt, sind einfache harte Schicksale, die unser Innerstes aufwühlen und unser Eigenstes auf die Probe stellen. Daß Sie diese Probe bestehen und nicht verbittern oder verkümmern werden, dafür steht Ihre eigne Natur ein, – aber um welchen furchtbar schweren Preis. Denn so viel es ist, eine solche Frau gehabt zu haben und so gewiß der Tod nicht die Macht hat, die ideale Zusammengehörigkeit mit ihr zu sprengen, – es bleibt doch dabei, daß ihr warmes Leben nicht mehr da und um Siea ist. Wir drücken Ihnen in warmer Teilnahme und Freundschaft herzlich die Hand Ihr Max Weber und Frau

a O: sie 1 Robert Wilbrandts Ehefrau Lisbeth war am 29. Dezember 1917 gestorben. 2 Der Ehemann von Max Webers Schwester Lili, Hermann Schäfer, war am 26. August 1914 gefallen. Ein Jahr später, am 22. August 1915, hatte Max Weber seinen Bruder Karl verloren. Er fiel an der Ostfront, ebenso im Mai 1915 der befreundete Emil Lask.

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Mina Tobler [8. Januar 1918; Heidelberg] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Datum und Ort sind aus dem Briefinhalt, der Karte an den Verlag Duncker & Humblot vom 9. Januar 1918, unten, S. 51, und dem Brief an Marianne Weber vom 11. Januar 1918, unten, S. 52 f., erschlossen. Max Weber schrieb den Brief am Vorabend seiner Abfahrt zu einer Vortragsreise nach Berlin. Dort sprach er am 12. Januar 1918 über „Das abendländische Bürgertum“ (vgl. MWG I/15, S. 781) sowie am 15. Januar 1918 über „Aristokratie und Demokratisierung in Deutschland“ (vgl. MWG I/15, S. 733–738). Am 18. oder 19. Januar 1918 kehrte er von der Reise nach Heidelberg zurück (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 16. Januar 1919, unten, S. 62).

Geliebtes Kind,

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nun leb also wohl bis Sonntag/Montag über 8 Tage (wo ich Montag, denk ich, versuchen werde, ob ich Dich treffen kann – ich telefoniere dann Nachmittags eventuell noch vorher). Ich habe Zimmer im Habsburger Hof, Berlin S. W. 11 Askanischer Platz bestellt und denke also dort zu bleiben,1 es sei denn, daß die zweite Sache2 noch wegen Kohlenmangels abgesagt werden sollte, was möglich ist. Das schreibe ich dann aber, bis |:diesen:| Sonntag incl. bin ich ja jedenfalls dort, selbst wenn das passieren sollte, was man nicht wissen kann. Morgen fahre ich bis Frankfurt, 3 bin übermorgen Abend in Berlin. Ob und wen ich persönlich sehen kann, weiß ich noch nicht, ich gestehe, daß die ganze Sache mir recht lästig ist und ich froh sein werde, wieder hier zu sein, auch ganz abgesehen von dem „goldenen Himmel“.4 Ich bin sehr gespannt, ob ich etwas höre, die ganze verworrene Lage macht mir keinen guten Eindruck, es ist unerhört, wie gegen v. Kühlmann Sturm gelaufen wird, 5 Alles aus innerpolitischen Gründen. Lloyd George’s 1 Helene Weber, bei der Max Weber üblicherweise während seiner Berlinaufenthalte wohnte, war zu dieser Zeit in Heidelberg. 2 Gemeint ist Max Webers Rede vom 15. Januar 1918, wie oben, Editorische Vorbemerkung. 3 Vermutlich besuchte Max Weber auf der Hinreise die Redaktion der Frankfurter Zeitung und vereinbarte, aus Berlin einen Beitrag zu schreiben (vgl. den Brief an die Redaktion der Frankfurter Zeitung vom 31. Jan. 1918, unten, S. 77 f.). 4 Umschreibung für Mina Toblers Dachgeschoßwohnung in der Heidelberger Bismarckstraße 17. 5 Der zwischen Richard v. Kühlmann, dem Leiter der deutschen Delegation in BrestLitowsk, und der Obersten Heeresleitung Ende Dezember 1917 ausgebrochene Konflikt

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Rede zeigt nur, daß die doch etwas „weicher“ werden und Angst haben, aber auch: daß der Frieden noch weit ist.6 Der Schlüssel liegt bei den Franzosen und da dämmert erst sehr langsam und schüchtern etwas. Hoffentlich steht es in Italien möglichst übel innerpolitisch.7 Dein Konzert ist nun also ins Wasser gefallen, da nicht geheizt wird? Es ist arg schade. – Aber vielleicht bekomme ich in Folge dessen nach der Rückkehr mal wieder eine Sonate? In Eile und großer Liebe M

um die Friedensverhandlungen mit Rußland hatte sich zu einem Machtkampf um die politische Führungsrolle ausgeweitet. Dieser kulminierte Mitte Januar, als General Ludendorff mit Rücktritt drohte, um v. Kühlmanns Entlassung zu erzwingen, und lautstarke Unterstützung bei der alldeutschen Presse fand. Vgl. Editorischer Bericht zu „Innere Lage und Außenpolitik“, MWG I/15, S. 401 f., sowie den Brief an Hermann Oncken vom 1. Febr. 1918, unten, S. 85, Anm. 1. 6 Max Weber meint hier vermutlich die Rede Lloyd Georges vom 5. Januar 1918 (vgl. Schulthess 1922, Teil 2, S. 142–147). Vor einer Gewerkschaftskonferenz in London hatte sich der englische Premierminister zu den Kriegszielen der Alliierten und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker geäußert. Er betonte, Ziel der britischen Kriegsführung sei es, weder prinzipiell die Großmachtstellung des Deutschen Reiches zu zerstören oder dessen Verfassung zu ändern noch Österreich-Ungarn aufzulösen. Es gehe Großbritannien vielmehr vorrangig darum, daß die Mittelmächte das Selbstbestimmungsrecht der Völker anerkennen, Elsaß-Lothringen an Frankreich zurückgeben und insbesondere Belgien sowie die anderen besetzten Gebiete freigeben sollten. 7 Nach der schweren Niederlage bei Caporetto am 24. Oktober 1917 stand Italien am Rande des Zusammenbruchs. Schon zuvor hatten die italienischen Soldaten den Krieg zunehmend als sinnloses Blutbad empfunden und war es in Turin, einem wichtigen Rüstungszentrum, zu Streiks gekommen. Anders als von Max Weber hier erhofft, meisterte die neue politische und militärische Führung unter Ministerpräsident Orlando und dem Oberbefehlshaber Diaz die Krise (vgl. Burgwyn, H. James, The legend of the mutilated victory. – Westport, Conneticut [u. a.]: Greenwood Press 1993, S. 108–123).

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Verlag Duncker & Humblot PSt 9. Januar 1918; PSt Heidelberg Karte; eigenhändig VA Duncker & Humblot, Berlin Diese Karte steht, wie die folgenden Briefe an den Verlag Duncker & Humblot in München, im Zusammenhang mit der geplanten Publikation von Webers Schrift „Parlament und Regierung“ (vgl. Webers Briefe an den Verlag vom 11. und 14. März 1918, die beiden vom 28. März 1918 sowie vom 27. April und vor dem 25. Mai 1918, unten, S. 96, 97, 106 f., 108, 148 f. und 173). Diese beruhte auf einer mehrteiligen Artikelfolge, die im Mai/Juni 1917 in der Frankfurter Zeitung erschienen war: Deutscher Parlamentarismus in Vergangenheit und Zukunft. I. Die Erbschaft Bismarcks, ebd., Nr. 145 vom 27. Mai 1917, 1. Mo.Bl., S. 1 f.; Vergangenheit und Zukunft des deutschen Parlamentarismus. II. Beamtenherrschaft und politisches Führertum, ebd., Nr. 157 vom 9. Juni 1917, 1. Mo.Bl., S. 1 f.; Vergangenheit und Zukunft des deutschen Parlamentarismus. II. Beamtenherrschaft und politisches Führertum (Schluß), ebd., Nr. 158 vom 10. Juni 1917, 1. Mo.Bl., S. 1 f., sowie Deutscher Parlamentarismus in Vergangenheit und Zukunft. III. Verwaltungsöffentlichkeit und Politische Verantwortung, ebd., Nr. 172 vom 24. Juni 1917, 1. Mo.Bl., S. 1 f. Diese aufsehenerregende Artikelfolge sollte ursprünglich als Separatdruck im Verlag der FZ veröffentlicht werden. Da jedoch der letzte Beitrag auf massive Einwände der Zensurbehörde stieß und die FZ zeitweilig unter Präventivzensur gestellt wurde, nahm man von einer Publikation Abstand. Diese ist daraufhin in der von Siegmund Hellmann herausgegebenen Buchreihe „Die innere Politik“ veröffentlicht worden. Die Artikelfolge ist, umgearbeitet und erweitert, im Mai 1918 unter dem Titel: Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens. – München und Leipzig: Duncker & Humblot (MWG I/15, S. 421–596; hinfort zitiert als: Weber, Max, Parlament und Regierung), erschienen.

Sehr geehrter Herr!

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Ich fahre heute nach Berlin S.W.11 Habsburger Hof und bleibe dort bis jedenfalls incl. Mittwoch den 16ten, höchstens bis incl. Freitag den 18ten. Sendungen gehen mir dorthin nach, doch würde eine Verzögerung eintreten. – Ich empfehle nochmals, die Korrektur der Zensur unumbrochen vorzulegen, da dann doch wohl Änderungen leichter anzubringen sind. Meinerseits wird es nur noch einer Revisions-Lesung bedürfen. Mit vorzüglicher Hochachtung Prof. Max Weber

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Marianne Weber [11. Januar 1918]; BK Berlin Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Freitag“ und dem Hinweis auf die „morgen“ zu haltende Rede (vgl. „Das abendländische Bürgertum“, MGW I/15, S. 781).

Hotel Habsburger Hof Berlin S. W. 11, Freitag 191 Liebes Mädele, – die Fahrerei war wenig erquicklich. Bis Frankfurt ungeheizt und meist fi nster, von Frankfurt ging der Zug Morgens gar nicht („unbestimmte Verspätung“, am Tag vorher 7 Stunden!), schließlich ein Anderer, der Abends gegen 11 hier war. Hier ist es gut und behaglich, nur sehr teuer,a das Essen nicht reichlich, aber grade ausreichend, und ebenfalls zu phantastischen Preisen, weit höher als in Wien.1 Ein 2 Kg-Brot habe ich mir gleich gekauft. Das Wetter ist jetzt recht annehmbar, mäßige Kälte ohne Schnee oder Regen, im Ganzen ohne Tauwetter-Neigung. – Ungewohnter Weise ist das Schlafzimmer auch Nachts gewärmt. Große Knappheit scheint in Zigarren zu herrschen, – unsinnige Preise und nicht mehr als 3 Stück! Sonst sieht Berlin aus wie immer. Nun bin ich begierig, ob ich morgen einigermaßen „bei Stimmung“ sein werde. So ein rein historisches Thema ist immerhin sehr schwierig zu behandeln vor so einem Kreise, aber grade das wollte ich mal probieren. 2 Heut habe ich noch Niemand gesehen, Wichert wollte antelefonieren, 3 that es aber nicht, Frau Simon4 (wo er Abends ist) war Abends

a 〈daß〉 1 Im Oktober 1917 hatte sich Max Weber einige Tage in Wien aufgehalten, um über eine Berufung an die dortige Universität zu verhandeln. Vgl. die Karte an Mina Tobler, vor dem 27. Okt. 1917, MWG II/9, S. 801. 2 Max Weber sprach am 12. Januar 1918 im Saal des preußischen Abgeordnetenhauses über „Das abendländische Bürgertum“, wie oben, Editorische Vorbemerkung. 3 Max Weber und Fritz Wichert hatten bereits im Oktober 1917 vereinbart, sich im Januar 1918 in Berlin zu treffen. Vgl. den Brief an Fritz Wichert vom 13. Okt. 1917, MWG II/9, S. 797 f., sowie dessen Antwortschreiben vom 26. Okt. 1917 (Nl. Fritz Wichert, Stadtarchiv Mannheim, Zug 24/1990, Nr. 733). Max Weber hatte Wichert, der damals gerade seine Stelle als Privatsekretär des Staatssekretärs Richard v. Kühlmann angetreten hatte, seine politische Mitarbeit in Berlin angeboten, worauf Wichert bei aller Höflichkeit doch eher

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aus. Ich denke Sonntag zu Clara5 zu gehen, Nachmittags am besten. – Die Sache in Brest-Litovsk macht mir keinen guten Eindruck.6 Der Erfolg muß ja zeigen, was bei dieser unnütz schroffen Tonart herauskommt, aber ich glaube, daß Trotzki klüger ist als unsre Leute.7 Die West-Offensive scheint bevorzustehen! man weiß nur noch nicht sicher, wie bald, aber vielleicht bald. 8 Sie sei „absolut sicher“ im Erfolg und dgl. (?) Grüße die Mutter9 sehr herzlich und laß Dich küssen Dein Max 4

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ausweichend antwortete: „Ich habe meinem Freunde von Ihrer Bereitwilligkeit . . . erzählt, der jedoch meinte, wo Sie ohnehin schon soviel reisen müßten und das Reisen gegenwärtig so beschwerlich sei, sollten wir uns darauf einrichten, Ihren Januarbesuch in Berlin recht gründlich auszunutzen. Ich selbst würde Sie allerdings gern – nicht einmal, sondern viele Male – noch vorher sprechen: denn bei den gewaltigen Dingen, die jetzt in Gange sind, scheint mir persönliche Fühlungnahme besonders wichtig zu sein. Leider weiß ich nicht, wie sich dieser Wunsch erfüllen liesse“. 4 Therese Simon, Mitbesitzerin der Frankfurter Zeitung. 5 Clara Mommsen, Max Webers Schwester. 6 Die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk waren am 9. Januar 1918 wieder aufgenommen worden (vgl. Schulthess 1918, Teil 1, S. 6). 7 Leo Trotzki leitete die russische Delegation bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk. 8 Am 21. März 1918 begann unter dem Decknamen „Michael“ die Großoffensive in der Picardie. Vgl. auch den Brief an Franz Eulenburg vom 17. Jan. 1918, unten, S. 64. 9 Helene Weber war zu Besuch in Heidelberg.

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Mina Tobler [13. Januar 1918]; BK Berlin Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt, der Tagesangabe „Sonntag“ und dem Brief an Marianne Weber vom 13. Januar 1918, unten, S. 56 f.

Hotel Habsburger Hof Berlin S. W. 11, Sonntag 191 Liebes Tobelkind, – schönsten Dank für Ihren Brief. Gestern, an Ihrem Sabbath,1 war es bei der Hetze hier vor dem Vortrag nicht möglich zu schreiben, 2 obwohl ich Ihrer gedachte und wann jetzt Briefe in Ihre Hände gelangen, das weiß Gott und der Eisenbahnminister allein. Denn hier herrscht seit gestern früh ein tolles Schneetreiben und schon die Herfahrt war dadurch um viele Stunden verzögert, der Metzera Zug kam überhaupt nicht durch. – Gestern also sprach ich im Abg[eordneten-]Haus, – vorher schon von der |:„alldeutschen“:| Presse angepöbelt, 3 die dann wohl den Umstand, daß ich rein historisch-wissenschaftlich sprach, sicherlich ähnlich gedeutet haben wird, wie Kühlmanns – ganz unnötig scharfe – Erklärung in Brest-Litowsk.4 Übrigens ist die Akustik des (schönen) Saales schlecht und es ist fatal, rein wissenschaftliche Dinge mit schreiender Stimme vor 600 Menschen hinauszubrüllen. Gesehen a Unsichere Lesung. 1 Anspielung auf Max Webers üblichen wöchentlichen Besuchstag bei Mina Tobler. 2 Am 12. Januar 1918 hatte Max Weber im Saal des preußischen Abgeordnetenhauses über „Das abendländische Bürgertum“ gesprochen (vgl. MWG I/15, S. 781). 3 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 13. Jan. 1918, unten, S. 56, Anm. 3. 4 Richard v. Kühlmann hatte am 11. Januar 1918 in der Sitzung der Kommission für politische und territoriale Fragen bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk zur Frage der Forderung nach Räumung der besetzten Gebiete im Baltikum erklärt: „Wir behaupten, daß in einem Teile der von uns besetzten Gebiete in Ausübung dieses Selbstbestimmungsrechtes die zur Vertretung der betreffenden Völker de facto bevollmächtigten Körperschaften ihr Selbstbestimmungsrecht im Sinne der Absonderung von Rußland derart ausgeübt haben, daß nach unserer Auffassung diese Gebiete heute schon nicht als zum russischen Reiche in seinem ehemaligen Umfange gehörig betrachtet werden können.“ (Der Friede von Brest-Litowsk. Ein unveröffentlichter Band aus dem Werk des Untersuchungsausschusses der Deutschen Verfassungsgebenden Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages, bearb. von Werner Hahlweg (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Erste Reihe, Bd. 8). – Düsseldorf: Droste 1971, Dok. 176, S. 255–271, hier S. 262; vgl. auch Mommsen, Max Weber3, S. 293, sowie den Brief an Hermann Oncken vom 7. Febr. 1918, unten S. 88 mit Anm. 10).

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habe ich bisher nur Sombart, Scheler und solche Leute, sonst Niemand. Heut Mittag geht es zu meiner Schwester, 5 heut Abend zu Frau Therese Simon, wo vielleicht Wichert ist. (K[ühlmann] ist ja fern 6 und ich bleibe auch in seinem Interesse besser „in der Distanz“). Man kann hier satt werden, nur zu Phantasiepreisen (Wien: kein Vergleich).7 Ich wohne warm und sehr gut, nicht mal sehr teuer. Aber ich werde froh sein, wenn endlich die Ära des Redens zu Ende ist, Dienstag Abend also.8 Denn ich bin doch seelisch und physisch sehr sprechmüde. Von Heidelberg bisher keinerlei Brief oder Nachsendung, außer Ihren lieben Zeilen, auf die ich noch antworte. Dies sollte nur ein Lebenszeichen sein, daß Sie nicht denken, ich hätte Sie gestern vergessen! Tausend herzliche Grüße Ihr Max Weber

5 Clara Mommsen. 6 Am 9. Januar 1918 waren die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk fortgesetzt worden. (Vgl. Schulthess 1918, Teil 1, S. 6, sowie oben, S. 54, Anm. 4.) 7 Anspielung auf Max Webers Wien-Aufenthalt im Oktober 1917. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 11. Jan. 1918, oben, S. 52 mit Anm. 1. 8 Am Dienstag, den 15. Januar 1918 hielt Max Weber im Verein Berliner Kaufleute und Industrieller den Vortrag „Aristokratie und Demokratisierung in Deutschland“ (vgl. MWG I/15, S. 733–738).

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Marianne Weber [13. Januar 1918]; BK Berlin Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Sonntag“ und dem Briefinhalt („Gestern [. . .] redete ich.“).

Hotel Habsburger Hof Berlin S. W. 11, Sonntag 191 Liebes Mädele, – bisher noch kein Lebenszeichen oder Nachsendung aus Heidelberg. Wohl Folge der Schneestürme. – Hier schneit es den ganzen Tag bei Tauwetter und Glatteis, was nicht sehr schön ist. Die Buchhandlung schreibt, sie habe noch zwei Sendungen (am 9. und 10.1.) nach Heidelberg geschickt.1 Gestern also redete ich. 2 Die Akustik ist schändlich, und es ist unerträglich, wissenschaftlich-historische Dinge mit brüllender Stimme in einen Riesensaal zu schreien. Besuch erträglich gut, Publikum aufmerksam und höfl ich, natürlich wohl enttäuscht, daß nichts „Aktuelles“ kam (ich war vorher in der Presse angepöbelt worden). 3 Aber sehr froh werde ich sein, wenn die Ära des „Redens“ endlich vorbei ist, also Dienstag Abend.4 Ich bin seelisch und physisch „sprechmüde“. Wohnung sehr behaglich warm. Verpflegung gut zu Phantasiepreisen, weit höher als Wien5 (so viel Mark wie dort Kronen!). Ich sah Sombart, Scheler, Georg und Wolfgang Müller6 (die ich Mittwoch Abend in 1 Der Sachverhalt konnte nicht näher nachgewiesen werden. 2 Am 12. Januar 1918 hatte Max Weber im preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin über „Das abendländische Bürgertum“ gesprochen (vgl. MWG I/15, S. 781). 3 Der genaue Sachverhalt konnte nicht geklärt werden. Marianne Weber informierte Max Weber in ihrem Brief vom 13. Jan. 1918 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) über zwei am Morgen eingetroffene Telegramme eines Informanten (vermutlich namens Felisch) mit dem Wortlaut „Deutsche Tageszeitung macht Stimmung gegen Ihren Vortrag“ bzw. „Ist Herr Prof. zum heutigen Vortrag unterwegs?“ In der „Deutschen Tageszeitung“ finden sich allerdings keine derartigen Angriffe. 4 Am Dienstag, den 15. Januar 1918 sprach Max Weber vor dem Verein Berliner Kaufleute und Industrieller über „Aristokratie und Demokratisierung in Deutschland“ (vgl. MWG I/15, S. 733–738). 5 Anspielung auf Max Webers Wien-Aufenthalt im Oktober 1917. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 11. Jan. 1918, oben, S. 52, Anm. 1. 6 Die beiden Söhne von Alwine (Wina) Müller, Webers Cousine aus Oerlinghausen, lebten in Berlin.

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Zehlendorf sehe), Walter Potthoff u. s. w. Heut Mittag bei Clara,7 heut Abend bei Frau Therese Simon. Herr Kroner8 haktea mich an, aber ich weigerte mich, modelliert zu werden, suche ihn aber vielleicht, auf seine Bitte, mal auf. Sonst will ich noch Somary, W[erner] Gothein, Wichert9 sehen, das genügt. v. K[ühlmann]10 ist ja nicht da. Ich denke bis Freitag ev. hier zu sein, bitte Dich jedenfalls, Korrespondenzen bis incl. Mittwoch hierher nachgehen zu lassen. Wer wohl heut bei Dir ist?11 Grüß die Mutter sehr herzlich12 und laß Dich küssen Dein Max

a Unsichere Lesung. 7 Clara Mommsen. 8 Der Bildhauer Kurt Kroner. 9 Zu dem seit längerem geplanten Treffen mit Fritz Wichert vgl. den Brief an Marianne Weber vom 11. Jan. 1918, oben, S. 52, Anm. 3. 10 Richard v. Kühlmann leitete die Deutsche Delegation in Brest-Litowsk. 11 Über den Jour fixe in Abwesenheit des Hausherrn berichtete Marianne Weber am 16. Januar 1918 an Max Weber (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446): „Am Sonntag waren Thomas, Künzbergs und einige Studentinnen da und es war ganz behaglich und gesprächig.“ 12 Helene Weber war zu Besuch in Heidelberg.

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16. Januar 1918

Mina Tobler [16. Januar 1918]; BK Berlin Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt: Wie im Brief an Marianne Weber vom 16. Januar 1918, unten, S. 61, kündigt Max Weber für „heut“ ein Zusammensein mit seinen Vettern Georg und Wolfgang Müller an und für „morgen“ mit Friedrich Gundolf und Clara Mommsen.

Hotel Habsburger Hof Berlin S. W. 11, 191 Liebes Kind, – so nun ist das „Reden“ hoffentlich defi nitiv zu Ende1 und ich kann in Heidelberg wieder ruhig arbeiten. Es ist höchste Zeit, denn ich vertrage das doch schlecht. Ich sprach etwas mühsam, die Leute waren ja wohl im Ganzen zufrieden, aber ich keineswegs. Besuch: leidlich. Ich bleibe nun noch bis Freitag, denke Sonntag Vormittag wieder dort zu sein. Tausend Dank nochmal für den lieben Brief, – ja ich weiß ja, wie es steht und wie belastend ich und mein ganzer Zustand wirkt und wohl auch weiter wirken wird, deshalb ist vielleicht diese Wiener Abwesenheit2 besser als das Gegenteil, d. h. weniger strapazant, denn ich kann jetzt nichts ausgeben menschlich. Die |:künftige:| Offensive im Westen ist vom Generalstab auf 600 000 Tote |:für uns:| kalkulierta 3 – und wenn sie mißglückt? oder halb mißglückt? Und Berlin gleicht einem politischen Irrenhaus. So etwas sollte man nicht für möglich halten, und das Schlimme ist: der Zusammenhang zwischen Militär und Schwerindustrie bei diesem absolut infamen Treiben.4 Ludendorff geht dieser a Vertikaler Randstrich mit eigenhändiger Bemerkung: Darüber bitte schweigen! 1 Max Weber hatte am 15. Januar 1918 im Verein Berliner Kaufleute und Industrieller den Vortrag „Aristokratie und Demokratisierung in Deutschland“ gehalten (vgl. MWG I/15, S. 733–738). 2 Hinweis auf die für das Sommersemester 1918 anstehende Lehrtätigkeit an der Universität Wien. Vgl. den Brief an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts vom 22. Jan. 1918, unten, S. 70 f., und den Brief an die Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg vom gleichen Tag, unten, S. 72, sowie die in Wien verfaßten Briefe vom 9. April bis zum 20. Juli 1918, unten, S. 112–228. 3 Am 21. März 1918 begann die Offensive in der Picardie. Vgl. dazu näher den Brief an Franz Eulenburg vom 17. Jan. 1918, unten, S. 64, Anm. 5. 4 Im Januar 1918 stritten sich Regierung und OHL um die politische Zukunft Richard v.

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Bande immer wieder ins Garn. Was im Osten wird, weiß Niemand, aber jedenfalls ist selbst im Fall eines „Friedens“ sehr viel verfahren. Und ob ein solcher kommt, kann Niemand sagen, denn nötig haben ihn die Russen nicht, wir können wegen Mangel an Transportmitteln nicht weiter vorgehen. – Den Assistenten K[ühlmann]’s sah ich Sonntag Abend, aber es war nichts Wichtiges zu bereden [.] 5 Sonst habe ich noch keinen Menschen, der uns beide interessierte [,] gesehenb. Gund[ol]f werde ich morgen Abend sehen, Werner G[othein] wollte ich heut besuchen, konnte es aber nicht. Auch wäre es bei der Entfernung und dem Schneetreiben kein Genuß gewesen. Heut sehe ich noch ein paarc Leute, bin Abends mit meinen Vettern6 zusammen, morgen vielleicht mit Politikern, Abends |:nach Gund[ol]f:| bei Clara7 (denke ich). Ganz ungewohnt ist die Existenz in stetig und gut gewärmten Räumen! Das macht im Körper eine ganze Revolution. Und dazu die Nahrung ohne Kartoffeln, zu Fancy-Preisen, aber immerhin doch gut und genug! In die heimische Existenz werde ich mich jedenfalls erst wieder sehr gewöhnen müssen. Also: Beethoven das nächste Mal.8 Könnte es doch schon diesen Samstag sein! Aber da sitze ich auf der Bahn und vielleicht Abends bei Frankfurter Bekannten. Es bleibt also dabei: Dienstag (ich telefoniere noch), falls ich nicht nochmal schreiben sollte. Ob ich das kann, ist

b Fehlt in O; gesehen sinngemäß ergänzt. c O: par Kühlmanns. Begleitet von einer massiven alldeutschen Pressekampagne forderte die OHL, den Staatssekretär wegen seiner (ihrer Meinung nach unzureichenden) Verhandlungsführung in Brest-Litowsk zu entlassen. Die von Max Weber angeprangerte Verbindung zwischen militärischer Führung und Schwerindustrie bestand in der Person von Max Bauer. Dieser Abteilungsleiter im Generalstab und Ludendorff-Vertraute verfügte über gute Kontakte zu namhaften Industriellen (namentlich zu Carl Duisberg und Gustav Krupp v. Bohlen und Halbach) und war maßgeblich am Rücktritt des Chefs des kaiserlichen Zivilkabinetts, Rudolf v. Valentini, am 16. Januar 1918 beteiligt. Vgl. Afflerbach, Holger, Max Bauer, in: Hirschfeld, Gerhard, Krumeich, Gerd und Renz, Irina (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. 2, durchges. Aufl. – Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004, S. 373– 374. 5 Zu dem seit längerem verabredeten Treffen mit Fritz Wichert, v. Kühlmanns Privatsekretär, vgl. den Brief an Marianne Weber vom 11. Jan. 1918, oben, S. 52 mit Anm. 3. 6 Georg und Wolfgang Müller. 7 Clara Mommsen. 8 Weber hatte im Brief an Mina Tobler vom 8. Jan. 1918, oben, S. 50, den Wunsch geäußert, nach seiner Rückkehr einmal wieder von Mina Tobler eine Sonate vorgespielt zu bekommen.

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nicht so ganz sicher, man ist hier wie im Nebel, äußerlich und innerlich. Ein ekelhafter Ort! Alle guten Geister mögen inzwischen in dem goldenen Himmel9 sein! Immer M. W.

9 Umschreibung für Mina Toblers Dachgeschoßwohnung in der Heidelberger Bismarckstraße 17.

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Marianne Weber [16. Januar 1918]; Berlin Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch“ und dem Briefinhalt („Gestern nach der Pauke“).

Hotel Habsburger Hof Berlin S. W. 11, Mittwoch 191 So, liebstes Mädele,

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nun ist die Epoche der „Reden“ vorbei. Und das ist gut. Ich spreche mit zunehmender Mühe; wenn es auch die Leute nicht in vollem Umfang merken, ich merke es doch, – und es bekommt mir wenig gut. Gestern nach der Pauke (sie war übrigens in interner Versammlung des Vereins,1 mäßig besucht!) war ich mit Georg M[üller] und Lisa v. Ubisch zusammen. Heut Abenda treffe ich Georg nochmal, zusammen mit Wolfgang. 2 Morgen |:gegen:| Abend sehe ich Gundolf und denke dann vielleicht nochmal zu Clara3 zu gehen nach dem Essen. Wann ich reise, hängt davon ab, wann ich Naumann sprechen kann, was vielleicht erst Freitag der Fall ist, dann käme ich Samstag Nachts spät oder Sonntag früh. Das ist das Wahrscheinlichste, obwohl ich hier gern schon vorher Schluß machte. Denn politisch ist das hier ein Irrenhaus und die verständigen Leute sind machtlos. Die große Offensive gegen Westen ist beschlossen,4 die Verluste für uns sind auf 600 000 Tote allein (!) kalkuliert! b Was im Osten zu stande kommt weiß Niemand, ebenso nicht, wie lange Kühlmann und selbst Hertling sich gegen die Intrigen der Bande: Schwerindustrie + Alldeutsche, die immer den Anschluß an die Heeresleitung fi nden, noch behaupten werden. Denn Ludendorff ist in allem nicht Militärischen völlig blind. Wie eigentlich jetzt die Krisis „beigelegt“ ist, weiß man auch noch nicht a Ein Wort durch Tintenklecks schwer lesbar. b Vertikaler Strich mit der Randbemerkung: Bitte gegen Dritte zu schweigen! 1 Max Weber hatte am 15. Januar 1918 vor dem Verein Berliner Kaufleute und Industrieller einen Vortrag – d. h. eine Pauke in der Studentensprache – über „Aristokratie und Demokratisierung in Deutschland“ gehalten (vgl. MWG I/15, S. 733–738). 2 Die Brüder Wolfgang und Georg Müller, Vettern Max Webers. 3 Clara Mommsen. 4 Die Offensive in der Picardie begann am 21. März 1918.

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sicher.5 Jedenfalls spricht man von einem noch Jahre langen Krieg.6 Nun das glaube ich nicht, aber jedenfalls noch bis über Herbst! Es sei denn [,] daß ein Umschwung einträte. – Hier lebe ich in ständig und ausgiebig geheizten Räumen, esse keine Kartoffeln (man braucht da immer Karten oder Quittung und ich denke es ist besser, da etwas zu „sparen“ – im Kartoffel-Sinn, leider nicht im Geld-Sinn!), zahle Phantasie-Preise (auch deshalb ginge ich gern schleunigst weg), bin aber begierig, wie mir die ungeheizten Räume dort in Heidelberg thun werden nach dieser Verwöhnung, die wie ein Tropen-Aufenthalt wirkt, man muß sich völlig akklimatisieren. Ich werde jedenfalls froh sein erst wieder die Reise hinter mir zu haben, die ist eklig, und hier ist ein Schneetreiben seit 8 Tagen als lebte man in Sibirien. Wahre Gebirge von Schnee liegen umher und da Tauwetter ist, ist der Verkehr übel obstruiert! Alles ein See! Grüß die Mutter7 viele Male und laß Dich umarmen, ich schreibe oder telegraphiere natürlich noch, wann ich komme. Dein Max

5 Zum Streit zwischen Regierung und OHL um die politische Zukunft des Staatssekretärs Richard v. Kühlmann sowie die Rolle von Schwerindustrie und alldeutscher Presse in der „Januar-Krise“ vgl. den Brief an Mina Tobler vom 16. Jan. 1918, oben, S. 58 f. mit Anm. 4, sowie den Brief an Franz Eulenburg vom 17. Jan. 1918, unten S. 63–65, mit Editorischer Vorbemerkung. 6 Anspielung auf Walther Rathenaus Prognose einer weiteren Kriegsdauer von drei Jahren. Vgl. den Brief an Franz Eulenburg (wie Anm. 5), unten, S. 65 mit Anm. 8. 7 Helene Weber war zu Besuch in Heidelberg.

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Franz Eulenburg 17. Januar 1918; Berlin Abschrift; maschinenschriftlich ohne Anrede und Schlußformel, mit handschriftlichen Korrekturen von Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 9, Bl. 38 Der erste Teil des Briefes bezieht sich auf den geplanten GdS-Beitrag Eulenburgs zur Kriegswirtschaft. Im zweiten Teil kommentiert Weber, in direktem Anschluß an seine Ausführungen in früheren Briefen des Monats Januar, die politische Lage. Hintergrund sind die schweren Auseinandersetzungen zwischen militärischer und politischer Führung – insbesondere die Einmischung der Obersten Heeresleitung in die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk –, zugleich die Fronde von Militär, Schwerindustrie, Konservativen und Alldeutschen gegen jegliche innenpolitische Reform. Die politisch brisante Lage veranlaßte Weber zu einer zweiten, nicht überlieferten „Denkschrift zur Frage des Friedensschließens“ (vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 299, Anm. 323, und MWG I/15, S. 781 f.). Auch öffentlich formulierte er im Januar und Februar 1918 scharfe Kritik: in seinem am 15. Januar vor dem Verein Berliner Kaufleute und Industrieller gehaltenen Vortrag „Aristokratie und Demokratisierung in Deutschland“ (MWG I/15, S. 733–738) ebenso wie in der Artikelserie „Innere Lage und Außenpolitik“, die am 3., 5. und 7. Februar 1918 in der Frankfurter Zeitung erschien (vgl. den Brief an die FZ vom 31. Januar 1918, unten, S. 77 f., sowie MWG I/15, S. 401–420).

Berlin, 17. 1. 18.

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. . .a „Kriegswirtschaft“: 3 Monate nach Kriegsende, jedenfalls aber erst nach Ende 1918 sollen die 16 von Spiethoff geleiteten Darstellungen der Kriegswirtschaft der Staaten erscheinen.1 Das werden Provisoria sein. Die von Sering geleiteten Darstellungen sicher wesentlich später. 2

a Auslassungszeichen in Abschrift. 1 Arthur Spiethoff war im Sommer 1917 zum Leiter des „Wissenschaftlichen Ausschusses zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft“ beim Reichsamt des Innern berufen worden. Basierend auf kriegswirtschaftlichen Berichten von Verwaltungsressorts des Reiches und der Bundesstaaten sollte die Kommission wissenschaftliche Einzelstudien zur Kriegswirtschaft erarbeiten. Das Gesamtprojekt stockte 1918 zunächst aufgrund konzeptioneller Differenzen, nach Kriegsende wurde es aus politischen Gründen eingestellt und die „Spiethoff-Kommission“ zum 1. Januar 1920 aufgelöst. Vgl. Demeter, Karl, Die Spiethoff-Kommission beim Reichsamt des Innern (Wissenschaftlicher Ausschuß zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft). – Potsdam: o.V. 1928. 2 Der Berliner Nationalökonom Max Sering leitete die parallel zum Spiethoff-Projekt von der Wissenschaftlichen Kommission des preußischen Kriegsministeriums bearbeitete Reihe „Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heereswirtschaft 1914–1918“. Die darin erschienenen drei Bände wurden allerdings 1922 auf Weisung des Reichswehrministeriums eingezogen und vernichtet. Vgl. Pöhlmann, Markus, Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik. Die amtliche deutsche Militärgeschichtsschreibung 1914–1956. – Paderborn u. a.: Schöningh 2002, S. 353 f.

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Bitte schreiben Sie Ihre Sache doch jetzt. 3 Sie sind Theoretiker und geben Gesichtspunkte, die anderen: Tatsachen. |:Zur:| „Friedensfrage“: die Offensive im Westen ist beschlossen4 (die kalkulierten Verlustziffern sind märchenhaft und grauenvoll!) [.] 5 Von dem Ausfall erhofft man alles, ob mit Recht? Ich wette 2 : 1 auf Frieden im Herbst, aber sicher wette ich nicht, denn das Militär ist rein verrückt bei uns.6 Geht die Wahlrechtsvorlage schief,7 und kommt der 3 Franz Eulenburg hatte im Frühsommer 1916 für den GdS einen Beitrag zur Kriegswirtschaft übernommen. Auf seine Bitte hin wurde die für 1917 geplante Fertigstellung auf die Zeit nach Kriegsende verschoben. Dieser Beitrag ist nicht erschienen. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck, vor dem 14. April 1916 (MWG II/9, S. 384). Gedruckt wurde dagegen Franz Eulenburgs Beitrag „Die wissenschaftliche Behandlung der Kriegswirtschaft“, in: AfSSp, Bd. 44, Heft 3, 1917/18, S. 775–785. 4 Die geplante Großoffensive sollte nach einem Friedensschluß im Osten mit Hilfe der frei werdenden Divisionen erfolgen. Das Ziel war, auch an der Westfront eine Kriegsentscheidung zu erzwingen, ehe amerikanische Truppen die alliierten Verbände dort entscheidend verstärken konnten. Die militärische Führung drängte daher bei den Verhandlungen in Brest-Litowsk permanent auf einen raschen Abschluß. Die deutsche „Michael“-Offensive begann schließlich am 21. März 1918. 5 Vgl. die Briefe an Mina Tobler und an Marianne Weber, beide vom 16. Jan. 1918, oben, S. 58 und 61, in denen Weber eine kalkulierte Verlustziffer von 600 000 Toten auf deutscher Seite nennt. Durch wen er diese präzise Information erhalten hatte, ist nicht zu rekonstruieren. Weber selbst erwähnt im genannten Brief an Mina Tobler nur, er habe am 13. Januar, anläßlich eines Besuchs bei Therese Simon, den Assistenten des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt Richard v. Kühlmann, Fritz Wichert, getroffen. Wolfgang J. Mommsen geht auf Webers Informationsquelle nicht ein, verweist aber auf die Eingabe an Erich Ludendorff vom 11. Februar 1918, an der Friedrich Naumann und auch Alfred Weber beteiligt waren (Mommsen, Max Weber3, S. 297 f.). In deren Vorfeld stand Alfred Weber in Kontakt mit Oberstleutnant Hans v. Haeften, dem Leiter der Militärischen Stelle des Auswärtigen Amtes mit guten Beziehungen zu Ludendorff. Vgl. Demm, Eberhard, Ein Liberaler im Kaiserreich. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 38). – Boppard am Rhein: Boldt 1990, S. 238 und 240. Für die fragliche Zeit ist allerdings weder ein persönlicher noch ein schriftlicher Kontakt Max Webers zu Naumann oder Alfred Weber belegt. 6 Zur wiederholt scharfen Kritik Webers an den überzogenen Forderungen der deutschen Militärs in Brest-Litowsk wie bezüglich ihrer Rolle bei der alldeutsch flankierten Kampagne gegen Staatssekretär Richard v. Kühlmann im Januar 1918 vgl. die Briefe an Mina Tobler vom 8. und 16. Jan. 1918, oben, S. 49 und 58 f., sowie an Marianne Weber vom 16. Jan. 1918, oben, S. 61, und an Hermann Oncken vom 1. Febr. 1918, unten, S. 85 f. Zum Kontext vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 292, sowie den Editorischen Bericht zu „Innere Lage und Außenpolitik“ (MWG I/15, S. 401 f.). 7 Seit 1917 hatte Max Weber zur Reform des preußischen Wahlrechts Stellung bezogen und das Dreiklassenwahlrecht wiederholt kritisiert (vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 291). Zwei Tage zuvor hatte er dessen Beseitigung in seinem Berliner Vortrag „Aristokratie und Demokratisierung in Deutschland“ erneut gefordert (MWG I/15, S. 733–738, dort S. 737 f.). Aktueller Anlaß waren Verschleppung und Blockade der Gesetzentwürfe zur Reform von Herrenhaus und Abgeordnetenhaus vom 25. November 1917. So behandelte die am 11. Januar 1918 zusammengetretene Wahlrechtskommission vor allem die Reform des

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Generalstreik, dann ist Schlimmes möglich. – Rathenau wettet auf noch 3 Jahre Krieg, das muß Unsinn sein. 8 Es ginge nicht ohne Revolution ab, aber alles ist unsicher. Ich rate |:Ihnen:| jetzt zu schreiben.

Herrenhauses und versuchte, das Wahlrecht für das Abgeordnetenhaus auf ein Pluralwahlrecht zu begrenzen (vgl. „Konservative Verschleppungstaktik“, in: FZ, Nr. 17 vom 17. Jan. 1918, 1. Mo.Bl., S. 2, sowie MWG I/15, S. 407, Anm. 4). 8 Eine so deutliche öffentliche Aussage Walther Rathenaus zur Kriegsdauer ist zu diesem Zeitpunkt nicht nachgewiesen, auch ein persönlicher Kontakt zwischen Rathenau und Weber ist nicht überliefert. Möglicherweise hat Weber von Rathenaus Prognose mündlich durch Dritte erfahren. Vgl. Schulin, Ernst, Max Weber und Walther Rathenau, in: Mommsen, Wolfgang J. und Schwentker, Wolfgang (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, Bd. 21). – Göttingen, Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 434–447, S. 434 f.; ebenfalls kein diesbezüglicher Hinweis in: Rathenau, Walther, Briefe, Teilband 2: 1914–1922, hg. von Alexander Jaser, Clemens Picht und Ernst Schulin (Walther Rathenau-Gesamtausgabe; V2). – Düsseldorf: Droste 2006.

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Erich Trummler 17. Januar 1918; BK Berlin Brief; eigenhändig Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446 Sachlich bezieht sich das Schreiben sehr wahrscheinlich auf das Programm der für Pfingsten 1918 geplanten dritten Lauensteiner Kulturtagung, für deren Gestaltung Max Weber im Oktober 1917 seine Mitwirkung zugesagt und Themenvorschläge gemacht hatte (vgl. „Vorträge während der Lauensteiner Kulturtagung“, MWG I/15, S. 701–707, S. 704). Noch im Januar 1918 erging ein Rundschreiben an alle Teilnehmer, das die inhaltliche Gestaltung der nächsten Tagung erörterte (Eugen Diederichs. Leben und Werk. Ausgewählte Briefe und Aufzeichnungen, hg. von Lulu v. Strauß und Torney-Diederichs. – Jena: Eugen Diederichs 1936, S. 306–308). Der Münchener Student Erich Trummler hatte bereits an der ersten Lauensteiner Tagung 1917 teilgenommen und in seinem Beitrag „Zur ersten Lauensteiner Tagung“ (in: Die Tat, Jg. 9/I, 1917, Heft 6, S. 564–566) weniger Diskussion politischer Fragen und mehr Austausch über grundlegende geistig-kulturelle Standpunkte gefordert.

Hotel Habsburger Hof Berlin S. W. 11, 17. I. 1918 Lieber Herr Trummler, – natürlich läßt sich sehr über Ihre Wünsche reden, vorausgesetzt, daß feststeht: was denn nun eigentlich „bekannt“ werden soll. Sogenannte „letzte Standpunkte“? Das giebt Geschwafel und Sensation, sonst nichts. Und vor Allem: ich habe nach sehr langen Erfahrungen und aus prinzipieller Überzeugung den Standpunkt: daß nur durch „Erprobung“ der eigenen (vermeintlichen) |:„letzten“:| Stellungnahmen an dem Verhalten zu scharf zugespitzten ganz konkreten Problemen sein eignes wirkliches Wollen dem Einzelnen klar wird. Machen Sie also einen Vorschlag: etwa: „Pazifismus“1) oder was Sie wollen, in rückhaltlos „bekennender“ Art zura Aussprache zu stellen. Sollte ich an den Veranstaltungen weiter Teil nehmen,1 so werde ich der Allerletzte sein,

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Ist nur eine Anregung, – ich glaube doch zu spüren, wie nahe das Ihnen Allen liegt. a 〈diskutieren〉 1 Wegen seiner Wiener Lehrtätigkeit hat Weber seine Teilnahme an der Lauensteiner Pfingsttagung 1918 schließlich abgesagt (MWG I/15, S. 704), die infolge zahlreicher Absagen nur als kleiner „Privatkongreß“ stattfand. Vgl. Hanke, Edith und Hübinger, Gangolf, Von der „Tat“-Gemeinde zum „Tat“-Kreis. Die Entwicklung einer Kulturzeitschrift, in: Hübinger, Gangolf (Hg.), Versammlungsort moderner Geister. Der Eugen Diederichs Verlag –

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der Das nicht mitmacht. – Aber ich habe Eines dazu zu sagen: nicht nur diese Frage, sondern – obwohl Sie Alle das, wie ich weiß, nicht glauben und sehen – alle Kulturfragen werden beeinflußt durch dieb scheinbar rein äußerliche Vorfrage: wie dieser Krieg zu Ende geht. Denn darnach richten sich die besondren Zukunftsaufgaben des deutschen Wesens innerhalb der irdischen Welt. Alle „letzten“ Fragen ohne Ausnahme werden da von rein politischen Ereignissen berührt, so äußerlich diese scheinen. Deshalb ist alles jetzt – und vollends von uns Nicht-Teilnehmern am Kriege – Geredete so überaus unverbindlich. Dennoch: ein solches Thema ist, auch während der deutschen Sommer-Offensive2 (deren „kalkulationsmäßige Verlustziffern“ ich kenne3 – und sie schließen für mich das Reden über sehr viele Probleme einfach, aus Gründen des Takts im innerlichsten Sinn, aus, so lange das vor sich geht) möglich. Ebenso: rein politische Themata, denn da handelt es sich um Vorbereitung der rein äußeren Lebensmöglichkeit und Wirkungsmöglichkeit der künftig Heimkehrenden. – Die Grenze des „Bekennens“ liegt für mich da, wo es sich um Dinge handelt, die „heilig“ sind: sie gehören in die menschlich im höchsten Sinn „gute Stunde“ und in den Kreis engster persönlich Verbundener, nicht aber auf eine „Versammlung“, wie sie auch aussehe, eines „Publikums“. „Publikum“ ist |:mir:| Jeder, den ich nicht genau menschlich kenne (gefühlsmäßig, nicht im Sinn des „Sich-Ausgesprochen-Habens“) c. Anders handelt und darf handeln nur: der Prophet oder Heilige und (in seiner Sprache) der Künstler. Also machen Sie einen Vorschlag ganz präziser Art. Ich kann verstehen, daß Dr Schumann auf die jetzt gemachten Propositionen nur

b 〈rein〉 c Klammer fehlt in O. Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme. – München: Eugen Diederichs 1996, S. 299–334, S. 312. 2 Gemeint ist die seit November 1917 geplante deutsche Großoffensive im Westen, von der Weber Kenntnis erhalten hatte. Unklar ist, ob Weber sie erst im Sommer erwartete (sie begann am 21. März 1918) oder deren Schwerpunkt an der Somme vermutete. Denn über den Ort war zu diesem Zeitpunkt selbst innermilitärisch noch nicht entschieden. Erst am 21. Januar 1918 fiel in einer geheimen Besprechung die Entscheidung für die Option „Michael“ (im Sommegebiet). Daß die Offensive spätestens im März beginnen mußte, hatte die OHL dagegen bereits im November gefordert. 3 Vgl. die Briefe an Mina Tobler vom 16. Jan. 1918, an Marianne Weber vom selben Tag, oben, S. 58 und 61, und an Franz Eulenburg vom 17. Jan. 1918, oben, S. 64, Anm. 5.

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„gehört“, aber nichts gesagt hat; 4 zum mindesten kann es |:subjektiv:| berechtigte Gründe gehabt haben und Das nehme ich einmal vorerst an. Mit besten Grüßen Max Weber

4 Wolfgang Schumann, Dresdner Schriftsteller und Schriftführer des Dürerbundes, war Teilnehmer und Protokollführer bei der ersten Kulturtagung auf Burg Lauenstein vom 29. bis 31. Mai 1917 (vgl. MWG, I/15, S. 702). Im Nachlaß Wolfgang Schumanns in der SLUB Dresden finden sich keine Dokumente, die zur Klärung dieses Sachverhalts beitragen.

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Redaktion der Frankfurter Zeitung 21. Januar PSt 1918; Heidelberg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 10, Bl. 10 Die Adressenseite der Postkarte trägt die Anschrift: „An die Redaktion der Frankfurter Zeitung Herrn Redakteur Otto Hörth Frankfurt a /M.“ Bezug: Brief von Otto Hörth von der FZ vom 15. Januar 1918 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 10, Bl. 11) mit der Anfrage, ob Weber zu dem Aufsatz von Karl Bücher, Eine Schicksalsstunde der akademischen Nationalökonomie, erschienen in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Jg. 73, 1917/18, S. 255–293, Stellung nehmen könne. In seinem Aufsatz hatte Bücher auf die seiner Ansicht nach bedrohliche Entwickungstendenz einer zunehmenden Gründung und Installierung großindustriell fi nanzierter volkswirtschaftlicher Institute an den deutschen Hochschulen hingewiesen. Weber hat später nach Lektüre des Aufsatzes in seinem Brief an die Redaktion der FZ vom 4. April 1918, unten, S. 109 f., eine kritische Stellungnahme in Aussicht gestellt. Diese ist jedoch nicht erschienen.

Heidelberg 21/1 Sehr geehrte Redaktion!

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Den Aufsatz von Bücher kenne ich nicht. Sollte es möglich sein, ihn mir für kurze Zeit zur Einsicht zu überlassen, so werde ich bei Rücksendung mich dazu gern äußern. Mit vorzüglicher Hochachtung Prof. Max Weber Zur Anfrage voma 15. I. Dr./Kr.1

a 〈16〉 1 Nicht aufzulösendes Redaktionskürzel der FZ.

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Großherzogliches Ministerium des Kultus und Unterrichts 22. Januar 1918; Heidelberg Brief; maschinenschriftlich mit eigenhändigen Korrekturen und Zusätzen Max Webers GLA Karlsruhe, 235/2643, Bl. 197 Eine textidentische und mit denselben eigenhändigen Korrekturen versehene Abschrift (Ausnahme: die fehlende Minimalkorrektur: gestattn > gestatten) findet sich in: UA Heidelberg, H-IV-102/143, Bl. 26.

Heidelberg, den 22. Januar 1918. Dem Großherzoglichen Unterrichtsministerium berichte ich: Die Wiener Fakultät und das K. K. Unterrichtsministerium haben nunmehr, nach Erledigung der nötigen Formalitäten, mir bestätigt, daß sie auf diejenigen Bedingungen, zu welchen ich mich seiner Zeit gebunden hattea, eingehen,b 1 und es ist mir dementsprechend von dem Herrn Unterrichtsminister2 für das Sommer-Semester ein Lehrauftrag erteilt. Es ist mir unbekannt, ob es zum weiteren Verbleiben im hiesigen Lehrkörper für mich eines Urlaubsgesuches bedarf. 3 Da ich darauf Gewicht legen würde, gegebenenfalls wieder dem hiesigen Lehrkörper angehören zu können, so würde ich bejahendenfalls hierdurch die Bitte stellen: mir für das Sommer-Semester Urlaub zu erteilen. Darüber, ob ich defi nitiv in Wien zu den vereinbarten Bedingungen bleibe, würde ich mir gestattenc, spätestens Anfang Juli des kommenden Sommers Bericht zu erstatten.4 Den mir in ehrender Weise angea habe > hatte b Komma eigenhändig. c gestattn > gestatten 1 Ministerialkonzept des k. k. Unterrichtsministeriums vom 21. Nov. 1917 (ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Zl. 39798 u. 42109). Darin hatte das Ministerium die Bedingungen Webers vom 31. Okt. 1917 (Brief an Johann Maurus, MWG II/9, S. 805 f.) bestätigt: u. a. Antritt der Stelle zum 1. Oktober 1918; Rücktrittsrecht bis Ende Juni 1918; Erteilung eines Lehrauftrags für das Sommersemester 1918 sowie eine „Nicht- oder Minderbeteiligung an den Rigorosen“. 2 Ludwig C´wiklin´ski. 3 Laut Ministerialkonzept vom 1. Febr. 1918 (GLA Karlsruhe, 235/2643, Bl. 197 Rückseite), ausgefertigt am 6. Febr., abgegangen am 9. Febr. 1918, wurde Weber der von ihm „erbetene Urlaub“ für das Sommersemester 1918 erteilt. 4 Über seine Ablehnung der Professur in Wien hat Weber sich erst in seinem Brief an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts vom 16. Okt. 1918, unten, S. 266, geäußert.

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botenen Lehrauftrag an der hiesigen Universität 5 kann ich unter den gegebenen Verhältnissen nicht annehmen. Für den Fall, daß ich nicht in Wien bleiben sollte, würde ich mir seiner Zeit vorbehalten erneut anzufragend : ob die Fakultät und das Großh[erzogliche] Ministerium auch dann noch auf ihrer Absicht beharren oder ob die Rücksicht auf die Finanzlage oder andere Bedürfnisse der Universität dies unmöglich gemacht haben.6 Inzwischen ist es mir ein Bedürfnis, für das große Wohlwollen, welches ich von Seiten des Großh[erzoglichen] Ministeriums stets erfahren habe, sehr ergebenst zu danken. Mit vorzüglicher Hochachtung und Ergebenheit eProf. Max Webere

d Unterstreichung eigenhändig. e Unterzeichnung eigenhändig. 5 Das Schreiben des Ministeriums ist nicht nachgewiesen, jedoch läßt sich sein Inhalt aus einer Registraturseite vom 9. November 1917 ff.: „Erteilung eines Lehrauftrags an Prof. Max Weber in Heidelberg betr.“ entnehmen, die die entsprechende Aktennotiz des Dezernenten enthält: „Karlsr[uhe] 12/XI 17[.] Mit Ermächtigung S[einer] Exz[ellenz] d[es] H[errn] Ministers Lehrauftrag für Soziologie mit Jahreshonorar von 3500 M angeboten. Voraussetzung: etwa 4 Stunden (Vorlesungen und Übungen); keine genauere Festlegung der Stundenzahl. Zeitpunkt offen gelassen (vom I/X 18? ab.) Schwoerer“ (GLA Karlsruhe, 235/3140, Bl. 216). 6 Vgl. dazu das Schreiben vom 16. Okt. 1918, unten, S. 266 f.

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Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg 22. Januar 1918; Heidelberg Brief; maschinenschriftlich UA Heidelberg, H-IV-102/143, Bl. 25

Heidelberg, den 22. Januar 1918. Der Philosophischen Fakultät überreiche ich ergebenst Abschrift einer heute an das Unterrichtsministerium gerichteten Eingabe.1 Ich habe das Ordinariat in Wien unter Vorbehalt des Rücktritts bis Ende Juni ds. J. angenommen und mich bereiterklärt, im nächsten Sommer ein zweistündiges Colleg probeweise an der dortigen Universität zu halten. Ich hatte mich bereits gebunden, als die auf Antrag der Philosophischen Fakultät mir gemachten Anerbietungen des hiesigen Unterrichtsministeriums an mich gelangten. 2 Ich benutze diese Gelegenheit, um der Fakultät für ihren mich ehrenden Antrag den ergebensten Dank auszusprechen. Mit vorzüglicher Hochachtung a Max Webera

a Unterzeichnung eigenhändig. 1 UA Heidelberg, H-IV-102/143, Bl. 26; zum Inhalt der Eingabe vgl. oben, S. 70 f. 2 Vgl. Anm. 5 der Eingabe, oben, S. 71.

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Redaktion des Heidelberger Tageblatts [vor dem 24. Januar 1918]; o.O. Abdruck in: Heidelberger Tageblatt, Nr. 20 vom 24. Januar 1918, S. 2 Die Stellungnahme Webers trägt die Überschrift: „Zur Klarstellung“ mit dem redaktionellen einleitenden Vermerk: „Von Herrn Prof. Max Weber erhalten wir folgendes Schreiben:“

Sehr geehrte Redaktion!

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Eine von Ihnen (in Nr. 17) wiedergegebene Auslassung der „Nationalliberalen Korrespondenz“ bringt neben anderen grundlosen Anwürfen, auf die ich für jetzt nicht eingehe, am Schluß die Bemerkung: ich hätte seinerzeit „die deutsche Industrie in nicht wiederzugebender Weise beschimpft“.1 Seit zehn Jahren geht gelegentlich die Behauptung durch die Presse: „ich hätte die deutschen Arbeitgeber Kanaillen“ genannt. 2 Quelle war der Generalsekretär des schwerindustriellen Zentralverbandes der deutschen Industriellen, Herr Bueck, der diese Behauptung mit genauem Zitat der Seitenzahl, wo jene Bemerkung stehen sollte, aufgestellt hatte. 3 Nicht ein Wort davon (und auch nichts dem Sinne nach 1 Es handelt sich um den Artikel „Ein Angriff auf die Beamtenschaft“, in: Heidelberger Tageblatt, Nr. 17 vom 21. Jan. 1918, S. 3. In diesem Bericht über Webers Vortrag vor dem Verein Berliner Kaufleute und Industrieller am 15. Januar 1918 wurden ihm unverantwortliche und „gehässige“ Angriffe auf die deutsche politische Beamtenschaft vorgeworfen, die er als reine „Versicherungsanstalt für Avancement und Herrschaft“ (ebd.) dargestellt habe. Der Bericht endete mit den Worten: „Man wird sich aber darüber kaum wundern, wenn man sich erinnert, daß es derselbe Herr gewesen ist, der s. Zt. die deutsche Industrie in nicht wiederzugebender Weise beschimpft hat.“ (ebd.) 2 Am 26. September 1905 hatte Weber auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik in Mannheim in einem Diskussionsbeitrag über „Das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben“ gesprochen und dort mit Bezug auf die Bergarbeiterstreiks von 1905 den Begriff „Kanaillen“ benutzt. Er hatte damit aber nicht die Arbeitgeber bezeichnet, sondern darauf hingewiesen, ein – wie in der Montanindustrie des Saarreviers herrschendes – autoritäres Betriebssystem mache die Arbeiter zu Kanaillen, weil es „depravierend und charakterschwächend“ wirke (MWG I/8, S. 244–259, dort S. 252 f.). Zu Webers Kritik am reaktionären Bündnis von Konservativen und Industrie vor dem Krieg vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 114 und 126. 3 Henry Axel Bueck, 1887 bis 1910 Generalsekretär des Centralverbandes Deutscher Industrieller, hatte den Verein für Sozialpolitik und namentlich auch Max Weber in seinem Vortrag „Kathedersozialismus“ im Oktober 1906 scharf attackiert. Die unterstellte Behauptung findet sich in einer kurz darauf gedruckten Fassung von Buecks Vortrag allerdings nicht. Zu Webers Mannheimer Ausführungen (vgl. oben, Anm. 2) heißt es dort: „Professor Max Weber brauchte das Wort ,Kanaille‘ mit Bezug auf Beispiele und in einer Wortstellung, die deutlich erkennen ließ, daß in seinen Augen die Arbeitswilligen zu den Kanaillen zählen. So behandelten die Herren Professoren von der Höhe ihres wissenschaftlichen Be-

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Ähnliches) war wahr. – Seit 11/4 Jahren geht gelegentlich die Behauptung durch die Presse: ich hätte die deutschen Industriellen Burschen genannt, [„] denen man auf den Mund schlagen solle“. Quelle war wiederum [,] mit Zitat der Stelle, ein Berliner alldeutsches Blatt.4 Es liegt auch hier eine dreiste Fälschung des wirklich Gesagten vor. Zur Vervollständigung füge ich hinzu: daß in einem Göttinger Blatt kürzlich im Zusammenhang mit einer dortigen „Vaterländischen“ StudentenVersammlung behauptet wurde: nicht nur bei Herrn Prof. Oncken und bei mir, sondern auch bei der hiesigen Juristischen Fakultät sei „direkt oder indirekt“ ein Teil von Lloyd Georges Millionen „gelandet“.5 Daß die gesetzlich erlaubte Dummheit auch für solche „vaterländische“ Kreise schließlich ihre Grenze hat, darüber behalte ich mir vor, wenn dies erbärmliche Treiben weitergeht, die Beteiligten einmal durch einen Strafantrag zu belehren. Für jetzt wünsche ich erneut auf die Geistesverfassung derjenigen hinzuweisen, welche einen solchen Unsinn zu glauben im Stande sind.

rufes und ihrer die Sicherheit der Existenz verbürgenden Kathedern Männer, die sich nicht bedingungslos nach der Laune verhältnismäßig gut besoldeter unverantwortlicher Agitatoren und Arbeiterführer zu Märtyrern hingeben wollen [. . .].“ Bueck, Henry Axel, Kathedersozialismus. Vortrag gehalten in der Eisenhütte Oberschlesien, Zweigverein des Vereins deutscher Eisenhüttenleute, am 28. Okt. 1906 in Gleiwitz, abgedruckt in: Verhandlungen, Mitteilungen und Berichte des Centralverbandes Deutscher Industrieller, No. 104, Dez. 1906, S. 214–245, Zitat S. 237. 4 Zum Zitat vgl. Alldeutsche Blätter, 28. Jg., 1916, Nr. 51 vom 16. Dez. 1916, S. 491–495 („Alldeutsche Umschau“), S. 494 f. Abgedruckt war dort ein gekürzter Auszug aus Max Webers Aufsatz „Deutschland unter den europäischen Weltmächten“, der aus seinem Vortrag vor der Fortschrittlichen Volkspartei am 27. Oktober 1916 in München hervorgegangen war (vgl. zur Entstehungsgeschichte MWG I/15, S. 153–156). Am Schluß des Auszugs zitierten die „Alldeutschen Blätter“ Weber wie folgt: „Wenn aber Daheimgebliebene, im Kontor oder auf dem Katheder oder wo immer sie sitzen mögen, – wenn die unseren Truppen, die draußen für Deutschlands Ruhm und Ehre das Unerhörte getan und unvergängliches Gedenken an ihre Fahnen geheftet haben, zu sagen sich herausnehmen: ‚Wenn nicht die Landkarte so und so verändert wird, dann habt ihr umsonst gefochten‘, – dann kann ich nur hoffen, daß sich noch deutsche Fäuste finden, um solchen Burschen auf den Mund zu schlagen. Das sind nicht die Leute, die in ernsten Stunden der Nation das Wort zu führen haben.“ (Alldeutsche Blätter, ebd., S. 495) Die zitierte Passage findet sich wörtlich in beiden Druckfassungen von „Deutschland unter den europäischen Weltmächten“ (vgl. MWG I/15, S. 161–194, dort S. 168 f.). Webers Protest richtete sich daher wohl weniger gegen den – korrekt wiedergegebenen – Wortlaut des Zitates, als gegen die daraus abgeleitete Unterstellung, er habe die deutsche Industrie insgesamt beschimpft. 5 Diese Behauptungen finden sich im ungezeichneten Artikel „Die Studenten-Versammlung in der Kaiserhalle“ im Göttinger Tageblatt, Nr. 314 vom 20. Dez. 1917. Max Weber hatte sie in einem früheren Leserbrief vom 24. Dez. 1917 an das Göttinger Tageblatt bereits als „Blödsinn“ bezeichnet (MWG II/9, S. 845–848).

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Franz Boll 28. Januar [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig UB Heidelberg, Heid. Hs. 2108 (Nl. Franz Boll) Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen.

Heidelberg 28/1 Verehrtester Herr Kollege!

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Vielen Dank! Die Idee von Tröltsch ist eine echte „Litteraten“-Idee1 und leider zugleich eine Verbeugung vor der Mode. Wo sind die formalen Erziehungsmittel der „Gothik“? Und wer kann die Schlachten von Marathon und Salamis, die den Occident vor der Herrschaft der magisch gebundenen und priesterlich geleiteten Kultur Asiens rettetena und so unser ganzes Geisteswesen erst ermöglichtenb, aus unsrer Geschichte streichen. Wer Euklid, Hippokrates, Hipparch, Sokrates pp. aus unsrer wissenschaftlichen Ahnenreihe?2 Solche Reverenzen vor der kleinen Eitelkeit der Litteraten der Einzelvölker und solches Mißtrauen in unsre Eigenart und deren zur nationalen Verarbeitung universell gültiger Gedanken zureichende Kraft sindc kein Zeichen von Stärke. a O: rettete b O: ermöglichte c O: ist 1 Weber bezieht sich im folgenden wahrscheinlich auf die Schrift von Ernst Troeltsch: Humanismus und Nationalismus in unserem Bildungswesen. Vortrag gehalten in der Versammlung der Vereinigung der Freunde des humanistischen Gymnasiums in Berlin und der Provinz Brandenburg am 28. November 1916. – Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1917. 2 Troeltsch äußert sich differenzierter, als es die Formulierungen Webers nahelegen, denn er bejaht den klassisch-gymnasialen Bildungsauftrag, die „Entwickelung des wissenschaftlichen Geistes und der systematischen Methodik“, ebd., S. 6, seine „Bedenken [. . .] richten sich nun nicht gegen das Griechentum als Wissenschaft, sondern gegen das Griechentum als Humanismus, [. . .] gegen das ethisch-ästhetische Philhellenentum, das für den heutigen Nordländer überdies von Renaissance und Althumanismus, von Neuhumanismus und klassischer Philologie gar nicht mehr zu trennen ist.“ Ebd., S. 7. Vonnöten sei – so Troeltsch, ebd., S. 14 – „ein nordisch-deutscher Humanismus an Stelle des antikischsüdländischen“. Als Alternative hebt er im Anschluß an Richard Benz das in der Gotik ausgeprägte „anschauliche [. . .] spezifisch-deutsche [. . .] Formprinzip“, ebd., S. 25, hervor, d. h. die Umsetzung der Phantasie in individuelle Formen, ein Phänomen, das, so Troeltsch, seine Spuren in der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte von Luther bis Bismarck bzw. bis zur Gegenwart hinterlassen habe, ebd., S. 27. „In der Tat, wir sind heute immer noch gothischer als wir wissen [. . .].“ Besonders Reichsgründung und Weltkrieg hätten eine Rückbesinnung auf die eigene – wesentlich vom germanischen Mittelalter geprägte – Identität gefördert; ebd., S. 40 f.

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– Ich habe Ihnen noch für Ihren freundlichen letzten Brief zu danken. Ich muß das Wiener Experiment3 machen (und zwar loyal, nachdem ich mich darauf eingelassen habe). Aber ich halte es für wahrscheinlich, daß es mißglückt, d. h. daß die allgemeinen Lebensbedingungen nicht so sind, daß ich das thun kann. Natürlich spielten auch politische Erwägungen mit. Jeder Deutsche mehr ist dort |:–:| vielleicht – von Nutzen, so meinten meine dortigen – bündnistreuen – Freunde.4 Das Bündnis steht, dank dem alldeutschen Treiben bei uns5 und dem vernichtenden Eindruck den es dort macht, auf sehr schwachen Füßen.6 Mit herzlichen Grüßen Ihr Max Weber

3 Webers Dozentur im Sommersemester 1918 in Wien. 4 Gemeint sein könnte Ludo Moritz Hartmann. 5 Zur Kritik Max Webers am „Treiben“ von Alldeutschen und Vaterlandspartei vgl. seine Artikelserie „Innere Lage und Außenpolitik“, die am 3., 5. und 7. Februar 1918 in der Frankfurter Zeitung erschien (MWG I/15, S. 401–420), sowie den Brief an die Redaktion der FZ vom 31. Jan. 1918, unten, S. 77 f. 6 Als die Brest-Litowsker Verhandlungen im Januar stockten, drohte Österreich-Ungarns Außenminister Ottokar Graf v. Czernin im Fall ihres Scheiterns mit dem Abschluß eines Sonderfriedens (vgl. Ritter, Gerhard, Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des „Militarismus“ in Deutschland, 4 Bde., Bd. 4: Die Herrschaft des deutschen Militarismus und die Katastrophe von 1918. – München: Oldenbourg 1968, S. 111 f. und 117). Ausgehend von den Wiener Rüstungsbetrieben war es in der Donaumonarchie zwischen dem 14. und 23. Januar zudem zu einer bis zu 700 000 Arbeiter umfassenden Streikwelle gekommen, in deren Verlauf nicht nur materielle Verbesserungen, sondern vor allem ein sofortiger Frieden gefordert wurde (vgl. Rauchensteiner, Manfried, Österreich-Ungarn, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg. von Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich und Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausg. – Paderborn u. a.: Schöningh 2009, S. 64–86, dort, S. 80, und ebd., Januarstreiks, S. 591–593). Max Weber war bewußt, daß Österreich-Ungarn weder willens noch in der Lage war, für rein deutsche Kriegsziele weiterzukämpfen (vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 294).

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Redaktion der Frankfurter Zeitung 31. Januar 1918; Heidelberg Brief; maschinenschriftlich mit eigenhändigen Korrekturen und Zusätzen Max Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 10, Bl. 13 Am Briefkopf findet sich der Redaktionsvermerk: „Belege bisher ges. Kr.“ Bei dem genannten Artikel handelt es sich um „Innere Lage und Außenpolitik“, in dem Max Weber sich äußerst kritisch mit den innenpolitischen Verhältnissen in Deutschland zu Beginn des Jahres 1918 auseinandersetzt. Der Text erschien in drei Teilen in der Frankfurter Zeitung, Nr. 34 vom 3. Februar 1918, 1. Mo.Bl., S. 1; Nr. 36 vom 5. Februar 1918, 2. Mo.Bl., S. 1; Nr. 38 vom 7. Februar 1918, 1. Mo.Bl., S. 1 f. (MWG I/15, S. 401– 420).

Heidelberg, den 31. Januar 1918. Sehr geehrte Redaktion!

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Ich sende anbei die erste Hälfte eines Artikels über die gegenwärtige Lage. Ich kann natürlich nicht wissen, ob er Ihren Intentionena entspricht. Stellen, die etwa besonders schwere Bedenken erregen sollten, ermächtige ich Sie zu streichen.1 Der Schluß soll sich in möglichst vorsichtiger aber deutlicher Art mit den Intriguen in Berlin und der bHineinzerrung der Militärsb in die Politik2 und ihren Konsequenzen auf

a Intensionen > Intentionen b Unterstreichung eigenhändig. 1 Über redaktionelle Eingriffe ist nichts bekannt, da die Originalmanuskripte Webers nicht überliefert sind (vgl. den Editorischen Bericht zu „Innere Lage und Außenpolitik“, MWG I/15, S. 401–403). 2 Auf beide Punkte ging die gedruckte Fassung von „Innere Lage und Außenpolitik“ deutlich ein. Weber verwies auf die „an Landesverrat grenzende Indiskretion und Disziplinlosigkeit militärischerseits“, durch welche die in Brest-Litowsk aufgebrochenen schweren Konflikte zwischen militärischen und zivilen Ressorts in die Öffentlichkeit gebracht worden seien. Er geißelte die „Pressedemagogie gegen die leitenden Staatsmänner“ und kritisierte sowohl den Ton als auch die innen- wie außenpolitisch fatale Wirkung der (als „Faustschlagrede“ bekannt gewordenen) Erklärung des Generals Max Hoffmann in Brest-Litowsk (zit. nach MWG I/15, S. 409).

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das Verhalten Österreichs3 sowohl wie auf unsere Verhältnisse befassen.4 Sie würden ihn in etwa 2 Tagen erhalten. Mit vorzüglicher Hochachtung cMax Weberc

c Unterzeichnung eigenhändig. 3 Vgl. hierzu den Brief an Franz Boll vom 28. Jan. 1918, oben, S. 76, Anm. 6. 4 Wie zuvor in Österreich-Ungarn, formierte sich Ende Januar 1918 auch in den industriellen Zentren Deutschlands, besonders in Berlin, eine bis zum 4. Februar andauernde Streikbewegung, der sich mehrere hunderttausend Arbeiter anschlossen. Erstmals standen bei den Protestaktionen dezidiert politische Forderungen im Vordergrund: vor allem ein sofortiger Friede „ohne Annexionen und Kontributionen“ und eine umfassende Demokratisierung (besonders die Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts). Wie Max Weber in „Innere Lage und Außenpolitik“ ausführte, waren für ihn diese Januarstreiks eine direkte und logische Reaktion auf „schlimme innerpolitische Vorgänge der letzten Zeit“: die blockierte Reform des Dreiklassenwahlrechts, die ungehinderte Agitation der politischen Rechten im Verlauf der Brest-Litowsker Verhandlungen und die Hetze konservativer und alldeutscher Blätter gegen die Sozialdemokratie. Gerade der Eindruck, „politisch maßgebende Stellen ließen sich von diesem Treiben imponieren“ habe erst „den vom Feinde beabsichtigten Erfolg auch in den Köpfen der Berliner Arbeiter angerichtet“. Die Besonnenheit einer Mehrheit der sozialdemokratischen Arbeiter sei daher noch erstaunlich (MWG I/15, S. 406 f. und 408–411).

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Carl Grünberg 31. Januar 1918; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich mit eigenhändigen Korrekturen und Zusätzen Max Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 13, Bl. 22–23 Der folgende Brief steht in Zusammenhang mit der eventuellen Besetzung des zweiten Lehrstuhls für Politische Ökonomie an der Universität Wien durch Arthur Spiethoff. Infolge Webers Entscheidung, nach Wien zu kommen, schien es der Fakultät bzw. ihrem Vertreter Carl Grünberg opportun, dessen Rat zu einer möglichen Berufung Spiethoffs einzuholen. Weber hat sich noch einmal in seinem Gutachten vom 2. April 1918 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 13, Bl. 27–33; MWG I/13) umfassend zu Spiethoff geäußert. Die Berufungskommission sah sich daraufhin veranlaßt, Weber zu einer Ausschußsitzung am 10. April 1918 einzuladen. Die Sitzung, unter zeitweiliger Teilnahme Webers, endete damit, daß der Antrag auf Berufung Spiethoffs mit drei gegen zwei Stimmen abgelehnt und die Berufung Ladislaus v. Bortkiewicz’ unico loco befürwortet wurde. Jedoch wurde eine weitere Entscheidung ausgesetzt, da von der Fakultät am 10. April 1918 der Beschluß gefaßt worden war, „den Vorschlag für die Besetzung der Lehrkanzel für politische Ökonomie bis zu dem Zeitpunkt zu vertagen, in dem feststeht, ob Professor Dr. Max Weber die Wiener Lehrkanzel annehmen wird oder nicht“. Brief von Hans v. Voltelini an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 11. April 1918 (ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Ktn. 809, Zl. 12548/1918). – Eine Berufung Spiethoffs wurde schließlich gegenstandslos, weil er wenig später im Mai 1918 den an ihn ergangenen Ruf nach Bonn annahm. Zum weiteren Verlauf der Wiener Berufungsfragen vgl. die Briefe an Carl Grünberg, nach dem 4. Juni 1918, sowie an Hans v. Voltelini, vor dem 6. sowie vom 6. Juli 1918, unten, S. 176–178, 213–216 und 217 f.

Heidelberg, den 31. Januar 1918. Sehr geehrter Herr Kollege!

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Ich beeile mich Ihren Brief zu beantworten. Die Frage einer Berufung von Prof. Spiethoff muß m. E. die Fakultät ohne alle Rücksicht auf mein Kommen nach Wien entscheiden und es sollte daher auch meine persönliche Ansicht nicht ins Gewicht fallen. Mit diesem Vorbehalt will ich mich gern äußern. Mir ist unbekannt, wie sich die Lehrtätigkeit von Prof. Spiethoff gestaltet hat. Aber ich habe keinen Grund darüber nichts Gutes zu vermuten. Was seine wissenschaftliche Qualifi kation im allgemeinen anlangt, so haben Sie darin natürlich Recht, daß die jetzige Mitherausgeberschaft am Schmoller’schen Jahrbuch1 dafür nicht ins Gewicht fallen kann. a (Soviel ich weiß, entsprach die gegenwärtige Gestaltung dieser a Klammern eigenhändig. 1 Nach dem Tode Gustav von Schmollers im Jahre 1917 fungierten Hermann Schumacher und Arthur Spiethoff ab dem Januarheft 1918 als Herausgeber von Schmollers Jahrbüchern.

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Redaktion dem persönlichen Wunsche Schmollers schwerlich und ist wohl vom Verleger veranlaßt worden.) a 2 Prof. Spiethoff wird seinerseits nicht den Anspruch erheben, bisher irgend etwas zweifellos Erstklassiges bereits vorgelegt zu haben, wenn man auf die rein wissenschaftlichen Qualitäten seiner Arbeiten sieht. Sehr viel versprechend waren seine allerersten Anfänge auf dem Gebiete der Krisentheorie.3 Es ist sehr zu bedauern, daß ein wirklicher Abschluß hier nicht vorliegt,4 so gern man annehmen wird, daß für dies Versagen Umstände

2 Dazu schreibt jedoch Hermann Schumacher in seinem Einleitungsartikel: Zur Übernahme des Jahrbuchs, in: Schmollers Jahrbuch, Jg. 42, 1918, S. 1–10, ebd., S. 6, daß er selbst „auf Ersuchen des Verlages im Einverständnis mit der Familie sowie unter Zustimmung der nächstbeteiligten Fachgenossen“ sowie „auf seine Bitte der langjährige persönliche Assistent des Verstorbenen, Professor Spiethoff“, die Leitung der Zeitschrift übernommen hätten. 3 Spiethoff war kurz nach 1900 mit diversen Veröffentlichungen zur Krisentheorie hervorgetreten, so mit mehreren einschlägigen Artikeln bzw. Rezensionen in Schmollers Jahrbuch: Vorbemerkungen zu einer Theorie der Überproduktion. Vortrag, gehalten am 17. Dezember 1901 in der staatswissenschaftlichen Vereinigung zu Berlin, ebd., Jg. 26, 1902, S. 721–759, sowie: Die Krisentheorien von M. v. Tugan-Baranowsky und L. Pohle, ebd., Jg. 27, 1903, S. 679–708, sowie mit seiner erst spät veröffentlichten, nur zum Teil gedruckten Dissertation: Beiträge zur Analyse und Theorie der allgemeinen Wirtschaftskrisen (Teil II, Kapitel 2). Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde genehmigt von der philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. – Leipzig: Duncker & Humblot 1905; laut der Mitteilung auf der Rückseite des Titelblattes sollte die ganze Arbeit im Band 24 der von Gustav Schmoller und Max Sering herausgegebenen Staats- und Sozialwissenschaftlichen Forschungen erscheinen, eine Publikation ist jedoch nicht erfolgt. Zum Thema hatte sich Spiethoff auch im Rahmen der Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik geäußert – nämlich im Anschluß an Werner Sombarts Referat über: Die Störungen im deutschen Wirtschaftsleben während der Jahre 1900 ff., abgedruckt in: Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik über die Lage der in der Seeschiffahrt beschäftigten Arbeiter und über die Störungen im deutschen Wirtschaftsleben während der Jahre 1900 ff. (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 113: Verhandlungen der Generalversammlung in Hamburg, 14., 15. und 16. September 1903). – Leipzig: Duncker & Humblot 1904. Das Referat Sombarts, ebd., S. 121–137, die Stellungnahme Spiethoffs, ebd., S. 209– 225. 4 Nach einer längeren zeitlichen Unterbrechung hat Spiethoff erst Anfang 1918 einen weiteren Artikel zu diesem Thema – den Weber aber anscheinend bei Abfassung dieses Briefes noch nicht kannte – veröffentlicht: Die Krisenarten, in: Schmollers Jahrbuch, Jg. 42, 1918, S. 223–266. Im gleichen Jahr folgte ein weiterer Beitrag: Die Kreditkrise, ebd., S. 571–614. Ein (vorläufiges) Fazit seiner Studien findet sich in den 1920er Jahren in seinem umfangreichen Beitrag: Krisen, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4., gänzl. umgearb. Aufl., Bd. 6. – Jena: Gustav Fischer 1925, S. 8–91, als geringfügig überarbeiteter Abdruck wieder veröffentlicht unter dem Titel: Die wirtschaftlichen Wechsellagen. Aufschwung, Krise, Stockung, Bd. 1: Erklärende Beschreibung mit einer Einleitung von Edgar Salin. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) sowie Zürich: Polygraphischer Verlag 1955.

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maßgebend waren, die nicht als ein Verschulden von Prof. Spiethoff angesehen werden können. Seine anderen Arbeiten, soweit ich sie verfolgt habe, sind als durchaus verdienstlich und nützlich,b soviel ich mir ein Urteil zutrauen darf, auch als korrekt und tadelfrei zu beurteilen, aber schwerlich als besonders originell und noch weniger als wissenschaftlich schöpferisch. 5 Man muß hoffen, daß Spiethoff auf seine früheren Problemstellungen in umfassenderer Art als bisher zurückkommt. Würde es sich um die Besetzung einer Einzelprofessur, zumal an einer großen Universität, handeln, so würden m. E. sehr ernste Bedenken dagegen obwalten, Prof. Spiethoff in Betracht zu ziehen, solange – wie es zweifellos der Fall ist – ebenbürtige und z. T. weit überlegene Gelehrte vorhanden sind. Sein Vorzug besteht andererseits darin, daß er unzweifelhaft geeignet wäre, in Fällen, wo eine Behörde, etwa ein Ministerium, über praktische Fragen Beratung und Gutachten wünscht, gewissenhaft und korrekt solche darzubieten. Neben einem reinen Gelehrten ist er also durchaus am Platze. Gewiß fi nden sich manche andere Persönlichkeiten, welche dafür wohl ebenso geeignet sein würden, wie er. Aber keinenfalls kann man ihn als, unter diesen Bedingungen, ungeeignet bezeichnen. Nur müßte unter allen Umständen dafür gesorgt werden, daß neben ihm ein Gelehrter von unbestrittener Bedeutung die andere Stelle innehat und zwar, da Spiethoff sich neuerdings sehr stark für praktische Probleme interessiert, ein taktfester Theoretiker. Spiethoffs Stärke liegt ferner darin, daß er sich für Finanzprobleme interessiert, die sonst in so bedenklicher Weise vernachlässigt werden. Auch hier kann die Fakultät freilich, wenn ich recht unterrichtet bin, auf die Gewinnung einer anderen und wesentlich bedeutenderen Kraft mit einiger Wahrscheinlichkeit, aber freilich nicht mit Sicherheit, hoffen. Aber immerhin liegen die Dinge so, daß auch er wenigstens mit in Betracht gezogen werden müßte. b Komma eigenhändig. 5 Neben den Arbeiten zur Krisentheorie hatte Spiethoff sich besonders mit der Theorie des Kapitals beschäftigt und dazu mehrere Artikel veröffentlicht: IV. Die Lehre vom Kapital, in: Die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre im neunzehnten Jahrhundert. Gustav Schmoller zur siebenzigsten Wiederkehr seines Geburtstages, 24. Juni 1908, Teil 1. – Leipzig: Duncker & Humblot 1908, S. 1–69; Die äußere Ordnung des Kapital- und Geldmarktes, in: Schmollers Jahrbuch, Jg. 33, 1909, S. 445–467, Das Verhältnis von Kapital, Geld und Güterwelt, ebd., S. 927–951, sowie: Der Kapitalmangel in seinem Verhältnisse zur Güterwelt, ebd., S. 1417–1437.

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In Wien scheinen mir die Dinge so zu liegen: daß für den Fall meines Dortbleibens Spiethoff eine durchaus brauchbare,c wenn auch nicht gerade eine sehr glänzende Besetzung der noch offen stehenden Stelled darstellt. Im Fall meines Nichtbleibens, mit dem ja leider ebenfalls gerechnet werden muß, würde im Falle der Besetzung durch Spiethoff es ganz besonders dringlich werden: für die andere, dann freistehende Stelle einen sehr bedeutenden ökonomischen Theoretiker zu berufen. Bekanntlich ist deren Zahl ganz erschreckend klein und würde also die Auswahlfreiheit der Fakultät sehr stark beschränkt, wenn sie nicht auf dem Gebiete der eigentlichen Ökonomik einer Besetzung durch Mittelmäßigkeiten anheimfallen will. Ich möchte mich mit diesen Bemerkungen begnügen, die ich unbedingt glaube verantworten zu dürfen. Es ist naturgemäß für mich etwas schwer, solange meine eigene Stellung so in der Schwebe ist, überhaupt ein Urteil abzugeben, welches ins Gewicht fallen kann und ich möchte ausdrücklich erklären, daß die Art der Erledigung dieser Angelegenheit wie sich von selbst versteht, auf meine persönlichen Entschließungen keinerlei Einfluß ausüben wird. Ich werde mich seinerzeit vielmehr lediglich unter dem Gesichtspunkt endgültig entscheiden: ob ich einigermaßen sicher bin die Stelle so auszufüllen, daß ich vor meiner eigenen Empfi ndung mit Ehren bestehe und nicht das Gefühl habe, mich hoch bezahlen zu lassen und dann Rücksichten in Anspruch zu nehmen. Die Anwesenheit von Prof. Spiethoff in Wien als Kollege wird für mich den Reiz der dortigen Stellung weder erhöhen noch vermindern. Ich habe auch dies ausdrücklich aussprechen wollen. Inzwischen hoffe ich Sie zu Anfang April zu sehen und verbleibe bis dahin mit angelegentlichster Empfehlung Ihr ganz ergebenstere

c brauchbar > brauchbare, d Stellen > Stelle

e Unterzeichnung fehlt.

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Redaktion N. N. 1. Februar 1918; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich mit eigenhändigen Korrekturen und Zusätzen Max Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 13, Bl. 20 Der Brief knüpft an eine Auseinandersetzung Max Webers mit dem Göttinger Tageblatt von Weihnachten 1917 an, bei der er gegen einen dort am 20. Dezember ungezeichnet abgedruckten Artikel Stellung bezogen hatte (vgl. seinen Leserbrief vom 24. Dezember 1917, MWG II/9, S. 845–848). In diesem Leserbrief hatte Weber sich gegen Anwürfe des anonymen Verfassers verwahrt, der verschiedene Anzeichen „vaterlandsloser“ Gesinnung an der Universität Heidelberg und namentlich bei den Professoren Weber und Oncken ausgemacht haben wollte. Vor allem die Unterstellung, er und Hermann Oncken seien die Initiatoren eines Heidelberger studentischen Ausschusses gegen die im Herbst 1917 gegründete „Deutsche Vaterlandspartei“, wies Weber seiner Zeit scharf zurück (ebd., S. 846 f.). Das nachfolgende Schreiben greift eine weitere Diffamierung des anonymen Berichts vom 20. Dezember auf. Dieser hatte außerdem ein antinationales Bündnis Heidelberger Professoren mit dem liberalen Berliner Tageblatt unterstellt und als „Beleg“ der vorgeblichen „Sonderbeziehung“ die Rudolf Mosse von der Heidelberger Juristischen Fakultät kurz zuvor verliehene Ehrendoktorwürde angeführt. Der „geschäftstüchtige Verleger“ (des Berliner Tageblatts), so die Unterstellung, habe sie sich erkauft (vgl. ebd., S. 845, Editorische Vorbemerkung). Hintergrund solcher nicht nur im Göttinger Tageblatt geäußerter, antisemitisch konnotierter Verdächtigungen war, daß Mosse vor seiner Ehrung, anläßlich des 100. Geburtstages von Theodor Mommsen im November 1917, der Heidelberger Juristischen Fakultät 100 000 Mark für Stipendien zur Verfügung gestellt hatte. Der Betrag sollte einem Studentenaustausch der Juristischen Fakultäten in Heidelberg und Berlin zugute kommen. Nach seiner Ehrenpromotion initiierte Mosse dann die Heidelberger „Rudolf Mosse Stiftung / Institut für geschichtliche Rechtswissenschaft“ mit einem Volumen von 400 000 Mark, die im April 1918 durch den badischen Großherzog genehmigt und eingerichtet wurde (vgl. Kraus, Elisabeth, Die Familie Mosse. Deutsch-jüdisches Bürgertum im 19. und 20. Jahrhundert. – München: Beck 1999, S. 433–436). Auch die nicht überlieferte Anfrage, auf die Weber mit nachfolgendem Schreiben reagierte, knüpfte offensichtlich an diese publizistischen Anwürfe an. Sie richteten sich wenig später auch gegen Hermann Oncken, der als Mitglied der Ersten Kammer des badischen Landtags die angefeindete Ehrendoktorwürde und Rudolf Mosses neue Stiftung verteidigte. In einem Artikel der antisemitischen Berliner „Staatsbürger-Zeitung“ vom 24. Februar 1918 wurde er daraufhin als „Schleppenträger der internationalen Presse und ihres Verlegers“ diffamiert (zit. nach ebd., S. 436).

Heidelberg, den 1. Februar 1918. Sehr geehrte Redaktion!

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Ich erhielt heute Ihre gefl. Anfrage vom vorgestrigen Datum. Mir ist zufällig, aber zuverlässig, bekannt, daß Herr Rudolf Mosse, den ich persönlich nicht kenne, bei seinem Mäcenatentum bisher mit einer |:solchen:| Konsequenz den Grundsatz durchgeführt hat: daß die

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Zeitungen, auch seine eigenen Zeitungen, zwar der Erwerbsreklame zur Verfügung stehen sollen, nicht aber der Reklame für etwas, was er persönlich tue,a daß ich eine ähnliche Gesinnung unseren b„christlichen“b und c„arischen“c Kreisen in wesentlich höherem Grade wünschen möchte, als sie dort leider verbreitet ist.1 Angesichts dessen hielte ich es aber nicht für passend, nun meinerseits in der Öffentlichkeit mehr zu sagen, als zur Zurückweisung stupider Anwürfe gegen Collegen unbedingt geboten war.2 Sollte die Presse der Ansicht sein, daß die Eigenschaft als Zeitungsverleger geeignet sei, eine, – wie ich als vollkommen Unbeteiligter nach meiner Kenntnis erneut erklären muß, – unbedingt längst verdiente Ehrung auszuschließen, 3 so wäre das natürlich ihred Sache, so sehr ich bedauern müßte, daß damit von der Presse selbst jene Einschätzung akzeptiert würde, welche leider der e„Mann der Presse“e (auch derjenige der eigenen Partei) in unseren akademischen Kreisen, den konservativen zumal, zu erfahren pflegt und die ich für ganz unbegründet halte. Einer Veröffentlichung dieser Antwort steht natürlich nichts im Wege.4 Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenstf

a Komma eigenhändig. b Anführungszeichen eigenhändig. c Anführungszeichen eigenhändig. d Ihre > ihre e Anführungszeichen eigenhändig. f Unterzeichnung fehlt. 1 Rudolf Mosse war jüdischen Glaubens. 2 Zu dieser Verteidigung namentlich Hermann Onckens vgl. Webers Brief an das Göttinger Tageblatt vom 24. Dez. 1918, MWG II/9, S. 846 f. 3 Die Verleihung der Ehrendoktorwürde wurde mit Rudolf Mosses gesamtem philantropischen, insbesondere karitativen Wirken begründet. Explizit nannte die Promotionsurkunde das durch Mosse in Berlin-Wilmersdorf begründete Kinderheim (vgl. Kraus, Die Familie Mosse, wie oben, Editorische Vorbemerkung, S. 435). 4 Diese ist nicht nachgewiesen.

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Hermann Oncken 1. Februar [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 24, Bl. 1 Das Jahresdatum ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Hintergrund des Schreibens ist erneut die innenpolitische Krise des Januar 1918, die mit den Januarstreiks ihren Höhepunkt erreichte (vgl. den Brief an die Redaktion der FZ vom 31. Januar 1918, oben, S. 78, Anm. 4). Die Massenproteste bestätigten die von Max Weber schon Mitte Januar befürchtete Gefahr eines Generalstreiks.

Hbg 1. II. Sehr verehrter Herr Kollege!

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Vielen Dank für Ihre Nachrichten. Die Vorgänge in Berlin sind zum Verzweifeln. Aber wer dieses politische Irrenhaus vor 14 Tagen gesehen hatte,1 konnte sich nicht wundern. Das Verhalten des Kriegspresseamts: das In-die-Presse-Lancieren der Ressort-Schwierigkeiten mit dem Militär über Brest2 und die Rede Hoffmann’s3 hat in Wien und dann infolge davon in Berlin Alles 1 Gemeint ist der an der Frage der Verhandlungsführung in Brest-Litowsk ausgebrochene offene Machtkampf zwischen militärischer und ziviler Reichsleitung (vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 292–297). Der Versuch der OHL, durch Rücktrittsandrohung eine Entlassung des Staatssekretärs des Auswärtigen Richard v. Kühlmann zu erzwingen und so ihre politisch-militärischen Ziele durchzusetzen, scheiterte im Januar 1918 zwar noch am Kaiser. Opfer der Kampagne wurde allerdings der Chef des Kaiserlichen Zivilkabinetts Rudolf v. Valentini, der auf Druck der OHL seinen Abschied nehmen mußte. 2 Die offene Begünstigung konservativer und alldeutscher Positionen durch das von der Heeresleitung gelenkte Kriegspresseamt kritisierte nicht nur Max Weber. Sie war bereits während der Pressekampagne gegen Staatssekretär v. Kühlmann öffentlich Thema. Einige Vertreter der liberalen Öffentlichkeit befürchteten angesichts der ungebremsten Agitation der „alldeutschen u. Militärparteipresse“ den Sturz der Regierung und eine Militärdiktatur (vgl. Wolff, Theodor, Tagebücher 1914–1919, eingeleitet und hg. von Bernd Sösemann, 2 Bde. – Boppard: Boldt 1984, Bd. 2, S. 574–578, Zitat S. 574). Zensurmaßnahmen gegenüber der sozialdemokratischen und der liberalen Presse im Januar führten schließlich auch zu Protesten der Mehrheitsparteien im Hauptausschuß des Reichstages (FZ, Nr. 23 vom 23. Jan. 1918, Ab.Bl., S. 1). Max Weber vermutete nicht zu Unrecht, daß annexionistische und reaktionäre Gruppen wie die „Vaterlandspartei“ über Personen wie Oberst Max Bauer einen direkten Kontakt zur Heeresleitung besaßen und dort mehr oder weniger offen Unterstützung fanden. Vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 292, und Hagenlücke, Heinz, Deutsche Vaterlandspartei. Die nationale Rechte am Ende des Kaiserreiches. – Düsseldorf: Droste 1997, S. 276–289. 3 Die als „Faustschlagrede“ bekannt gewordene Erklärung von General Max Hoffmann, dem militärischen Berater der deutschen Delegation in Brest-Litowsk, am 12. Januar 1918 formulierte die Position der deutschen Heeresleitung unverschleiert. Auf die Ausführungen des russischen Vertreters Lev Kamenev erklärte er: „Die russische Delegation spricht mit uns, als ob sie siegreich in unserem Land ständen und Bedingungen diktieren könnten [!].

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verdorben. Kein Mensch auf der Linken glaubt an das gleiche Wahlrecht4 (auch Naumann nicht) und es stand völlig fest: daß dann die S[ozial]-D[emokratie] die Arbeiter nicht halten konnte (das hatte sie stets erklärt und auf die Folgen hingewiesen). 5 Ihre Lage ist nicht einfach, – denn unter den letzten Eindrücken schwenkt Alles nach links zu den Unabhängigen ab.6 Mit kollegialer Empfehlung Ihr Max Weber Natürlich mache ich Alles mit, was Sie wollen.7 Montag – Mittwoch k. W. bin ich fort.

Ich möchte darauf hinweisen, daß die Tatsachen entgegengesetzt sind. Das siegreiche deutsche Heer steht in ihrem Gebiet.“ Zit. nach: Hahlweg, Werner (Bearb.), Der Friede von Brest-Litowsk. Ein unveröffentlichter Band aus dem Werk des Untersuchungsausschusses der Deutschen Verfassunggebenden Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Reihe 1; Bd. 8). – Düsseldorf: Droste 1971, Dok. 187, S. 294–301, dort S. 299. 4 Vgl. dazu den Brief an Franz Eulenburg vom 17. Jan. 1918, oben, S. 64 f., Anm. 7. 5 Zu diesen absehbaren Konsequenzen einer Blockade der Wahlrechtsreform in Preußen schrieb Weber in „Innere Lage und Außenpolitik“: „Für den Fall einer solchen weiß jedermann im Lande, daß es keine Macht gibt, welche dann die Massen der Arbeiterschaft halten könnte, selbst wenn sie wollte.“ Dies werde zwar nicht zu „russische[n] Zustände[n]“ in Deutschland oder zum militärischen Zusammenbruch führen, könne aber einen deutschen Sieg und „die ganze politische Zukunft“ vereiteln (MWG I/15, S. 401–420, dort S. 407). Die Sozialdemokratische Partei sprach er von politischem Fehlverhalten frei, seien doch die Streiks „ganz und gar die Frucht dessen, was andere gesät“ hätten. „Nicht einmal, nein hundertmal war von Sozialdemokraten gesagt worden: ‚geht diese Hetze so weiter, so sind die Leute nicht zu halten.‘ Öffentlich es zu tun, war unmöglich: das wäre als ‚Drohung‘ denunziert worden.“ (Ebd., S. 412 f.). 6 Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) hatte mit ihrer kompromißlos vertretenen Forderung nach einem sofortigen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen während der Januarstreiks eine breite Basis in der Arbeiterschaft gefunden. Dagegen war der Versuch der mehrheitssozialdemokratischen Führung, die Streikbewegung zu kanalisieren und zwischen Streikenden und Regierung zu vermitteln, an der Unnachgiebigkeit der Behörden gescheitert. Dies mußte der Parteiaussschuß Ende Januar selbst konstatieren. Vgl. Der Europäische Krieg in aktenmäßiger Darstellung. – Leipzig: Meiner o.J., Bd. 8/1 (Januar – März 1918), S. 100 f. 7 Vgl. dazu den Brief an Hermann Oncken vom 7. Febr. 1918, unten, S. 87, Anm. 1.

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Hermann Oncken 7. Februar [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 24, Bl. 2 Das Jahresdatum ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

Heidelberg 7. II Sehr verehrter Herr Kollege,

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vielen Dank für Ihren Brief. Ich stehe stets zur Verfügung, wo ich Ihnen nützen kann.1 An sich halte ich mich aus mancherlei Gründen hier in Heidelberg zurück, (so lange nicht zwingende Veranlassung zu „Rücksichtslosigkeiten“ vorliegt, auf die ich dann aber in andrem Rahmen als dem des „Volksbundes“2 aus spreche) a. Ich habe inzwischen auch Gelegenheit genommen, in der Frankfurter Redaktion einmal persönlich vorzusprechen, 3 deren Haltung im Streik nicht unbedingt richtig war.4 Grund: die betr. Herren1) sehen die 1)

Es sind besonders angenehme jüngere Leute, die aber über den Berliner Eindrücken rein rabiat geworden sind. – Und leider sind diese Eindrücke darnach. a Defekte Satzkonstruktion. 1 Hermann Oncken bereitete die Gründung einer Heidelberger Ortsgruppe des „Volksbundes für Freiheit und Vaterland“ vor. Laut Tagebuch des Heidelberger Mediävisten Karl Hampe erfolgte sie am 11. Februar im Lokal „Weißer Bock“. Ob Max Weber an der Versammlung teilnahm, erwähnt Hampe nicht. Hampe, Karl, Kriegstagebuch 1914–1919, hg. von Folker Reichert und Eike Wolgast. – München: Oldenbourg 2004 (hinfort: Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919), S. 654 und 656 f. (Einträge vom 6. und 11. Febr. 1918). 2 Der „Volksbund für Freiheit und Vaterland“, dessen Gründungsaufruf Max Weber im November 1917 mitunterzeichnet hatte, verstand sich als politisches Gegengewicht zur im September 1917 gegründeten extremnationalistischen „Deutschen Vaterlandspartei“. Sein Ziel war die Verbindung außenpolitischer Realpolitik mit innenpolitischen Reformen. Vgl. „Aufruf des Volksbundes für Freiheit und Vaterland“, MWG I/15, S. 770–773. 3 Der Redaktion der Frankfurter Zeitung. Vermutlich war dies der Grund seiner im Brief an Hermann Oncken vom 1. Febr. 1918, oben, S. 86, angekündigten dreitägigen Abwesenheit von Montag, dem 4., bis Mittwoch, dem 6. Februar. 4 Die von Weber nachfolgend zusammengefaßte Position der „Frankfurter Redaktion“ spiegelt sich in den Kommentaren der FZ während der Januarstreiks deutlich wider. Wiederholt beschworen diese die Gefahr eines Generalangriffs „alldeutscher und reaktionärer Gruppen“ auf Reichsleitung, Reichstag und Mehrheitsparteien, somit auf die verfassungsmäßige „bürgerliche Ordnung“. Der Leitartikel vom 29. Januar sprach von der „kaum noch verhüllte[n] Sehnsucht nach der Diktatur“ (FZ, Nr. 26 vom 26. Jan. 1918, Ab.Bl., S. 1 und Nr. 29 vom 29. Jan. 1918, Ab.Bl., S. 1).

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innerpolitische Lage absolut schwarz an. Es sei klar, daß ganz bewußt auf die Militärdiktatur zugesteuert werde und jede Instanz fehle, welche die Kraft habe, Dem entgegenzuwirken. Auch sei die Feigheit und das Geschrei des Bürgertums zu ekelhaft, das bei jedem Streik, der in allen Ländern eine Alltagserscheinung sei, alle Besinnung verliere. Das Zweite ist richtig. Daß der Streik bei diesen Berliner Verhältnissen kommen würde5 und daß es für die Gewerkschaften |:und die Partei:| 6 moralisch unmöglich sein würde, ihm entgegenzutreten, war ganz klar. Was Das Andre anlangt, habe ich widersprochen. Bedenklich ist aber das absolut skrupellose Treiben des Kriegspresseamtes und seiner partei- und interessenpolitischen Hintermänner.7 Geht das so weiter, so gehen wir sehr üblen Dingen entgegen. – Über die Bolschewiki habe ich natürlich nur die eine Seite (an die Adresse der Soz[ial]-Dem[okraten]!) gesagt. 8 Die andre, pazifistische, Strömung ist auch da. Aber kein Russe kann ohne absoluten Zwang Riga an Deutschland ausliefern.9 Jeder Friede auf dieser Basis wäre absoluter Scheinfriede, der nur so lange dauert, wie sich Rußland nicht rühren kann. Trotzkij hat, da wir ja keinerlei Möglichkeit haben, wesentliche Teile des Landes zu besetzen (und mit Etappen zu belegen), kein schlechthin zwingendes Interesse am Frieden, das mußte man sich sagen. Wenn man also weiterkommen wollte, durfte diese Formulierung nicht gewählt werden, die das Militär verlangt hat.10 Und der Zwi5 Zu den „Berliner Verhältnissen“ vgl. bereits die Briefe an Mina Tobler und an Marianne Weber vom 16. Jan. 1918, oben, S. 58 f. und 61 f., an die FZ vom 31. Jan. 1918, oben, S. 77 f., sowie an Hermann Oncken vom 1. Febr. 1918, oben, S. 85 f. 6 Gemeint sind die Mehrheitssozialdemokraten (MSPD). 7 Vgl. hierzu den Brief an Hermann Oncken vom 1. Febr. 1918, oben, S. 85, Anm. 2. 8 Weber bezieht sich hier wahrscheinlich auf seine Ausführungen zu den Bolschewiki in „Innere Lage und Außenpolitik“. Dort bezeichnete er deren Politik als „bolschewistische[n] Soldatenimperialismus“ (MWG I/15, S. 401–420, hier S. 404–406). 9 Riga und die Inseln der Rigaer Bucht waren zu diesem Zeitpunkt durch deutsche Truppen besetzt. Im Dezember hatte die Stadtverordnetenversammlung von Riga – auf deutsches Einwirken hin – den „Schutz“ des deutschen Reiches erbeten. Ziel der deutschen Politik, auch in Brest-Litowsk (vgl. unten, Anm. 10), war, unter dem Deckmantel von Autonomie und Selbstbestimmungsrecht der Völker, die baltischen Provinzen von Rußland loszulösen, wobei vor allem die Oberste Heeresleitung eine Ausdehnung der deutschen Interessensphäre auch auf Livland und Estland forderte. Bis Mitte Februar 1918 blieb allerdings der Großteil von Livland und Estland noch im russischen Einflußbereich. Vgl. Fischer, Fritz, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, 2. Aufl. – Düsseldorf: Droste 1962, S. 598–604, 626–630 und 645–657. 10 Gemeint ist der im Januar sich abzeichnende Wandel der deutschen Verhandlungsführung in Brest-Litowsk. Eine Abkehr von der Rhetorik des Selbstbestimmungsrechts zeigte sich in der Erklärung des Staatssekretärs Richard v. Kühlmann vom 11. Januar. Der

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schenfall Hoffmann war ein Skandal.11 Er konnte uns das Bündnis kosten.12 Der Pessimismus inbezug auf all diese Verhältnisse unsrer Leitung ist es, der Scheidemann & Cons[orten] zu ihrer pessimistischen Politik veranlaßte, m. a. W. die feste Überzeugung: die Sache geht doch, trotz Allem, schief, also lassen wir sie eben laufen. Mit bester Empfehlung Ihr ergebenster Max Weber

deutsche Delegationsleiter hatte gefordert, bestehende – durch die Mittelmächte installierte – Vertretungskörperschaften wie im Baltikum als souverän anzuerkennen. Dies mußte deren Loslösung von Rußland bedeuten (vgl. den Brief an Mina Tobler vom 13. Jan. 1918, oben, S. 54, Anm. 4.). Die bis dahin durch Reichskanzler v. Hertling und Staatssekretär v. Kühlmann verfolgte Taktik, offensichtliche Angliederungen an das Reich möglichst zu verhindern, geriet unter Druck. Die deutsche Heeresleitung drängte – wegen der geplanten Offensive an der Westfront – massiv auf einen schnellen Verhandlungsabschluß und eine ultimative Haltung Rußland gegenüber. Grenzfragen sollten kompromißlos im deutschen Interesse geregelt werden. Endgültig setzte sich diese Linie nach dem Abschluß eines Separatfriedens mit der Ukraine (am 9. Februar) durch. Trotzkis Abbruch der Verhandlungen lieferte der deutschen Militärführung den willkommenen Anlaß, die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen, als deren Folge auch Livland und Estland besetzt wurden. Vgl. Fischer, Griff nach der Weltmacht (wie Anm. 9), S. 598–604, 626–630 und 645–657. Max Weber hingegen lehnte Annexionspläne ab und plädierte in „Innere Lage und Außenpolitik“ für eine „Neutralisierungspolitik“: „Realpolitisch aber ist Deutschland im Nordosten nur daran interessiert: daß die Grenzvölker in Zukunft keinesfalls gegen uns die Waffen führen [. . .].“ (MWG I/15, S. 417 f., Zitat S. 417). 11 Zu Hoffmann vgl. den Brief an Hermann Oncken vom 1. Febr. 1918, oben, S. 85 f., Anm. 3. 12 Vgl. hierzu den Brief an Franz Boll vom 28. Jan. 1918, oben, S. 76, Anm. 6.

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Paul Siebeck 16. Februar [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Jahresdatum erschlossen aus Verlagsvermerk: „21. II. 18.“ sowie Briefinhalt. Der Brief steht in Zusammenhang mit der Frage der Neubearbeitung des Buches von Eugen v. Philippovich, Grundriß der politischen Ökonomie. Teil 1: Allgemeine Volkswirtschaftslehre; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Paul Siebeck vom 5. Januar 1918, oben, S. 47.

Heidelberg 16/II Lieber Freund! Das ist eine arge Verlegenheit. Denn Schumpeter ist der tüchtigste.1 Ich hoffe, er wird nach Wien berufen, sei es neben mir sei es statt meiner (falls ich etwa nicht bleiben sollte). Ich kann ja das jetzt nicht machen.1) 2 Denn ich muß doch in Wien sofort Kolleg und dann „Grundriß“ machen, damit er auch mal fertig wird. Weder Diehl noch Liefmann noch Pohle kann ich Ihnen rathen, da Ph[ilippovich] sicher jeden von ihnen erst recht abgelehnt hätte. Von den Wienern hat er mit Landesberger–Wien3 ja zusammengearbeitet. Ich schätze ihn sehr, weiß nur nicht, ob er es thäte. Von den Deutschen auch würde ich, beia größter Hochschätzung des Buchs, doch tiefer eingreifen, als Ph[ilippovich] recht wäre. 1)

a 〈großer〉 1 Der von Weber als neuer Bearbeiter vorgeschlagene Joseph A. Schumpeter war bei der Familie v. Philippovich auf Ablehnung gestoßen; aus einem Schreiben von Stefan v. Philippovich hatte Siebeck die entsprechende Passage Weber am 15. Febr. 1918 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446) mitgeteilt: „,Soviel ich weiß, hat Papa Schumpeter als gescheiten und tüchtigen Menschen geschätzt, jedoch waren ihm seine Arbeiten viel zu abstrakt, ich hörte einmal über ihn urteilen, er betreibe Nationalökonomie wie Mathematik. Eines weiß ich bestimmt, daß Papa seine Arbeitsweise absolut nicht mochte. Ich glaube also, daß Schumpeter doch nicht geeignet wäre.‘“ 2 Die Frage, ob nicht Weber selbst eventuell „die Durchsicht übernehmen“ könne, hatte Siebeck in seinem Brief vom 15. Febr. 1918 (wie Anm. 1) aufgeworfen. 3 Gemeint ist der Privatdozent für Politische Ökonomie an der Universität Wien, Julius Landesberger.

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kämen v. Bortkiewicz2) oder Eulenburg 3) in Betracht. Für die praktischen Teile (Agrar- u. Gewerbepolitik) Fuchs. (Aber schwerlich für die Theorie!): Ob etwa Herkner Neigung hätte? Als Name ist er gut, besser als Fuchs, aber sehr scharf theoretisch denkt er nicht. Nur war er mit Ph[ilippovich] gut befreundet. Das gilt auch von Lotz. Aber er arbeitet etwas langsam. Schumacher, Wiedenfeld, Spiethoff kommen m. E. nicht in Betracht, d. h. Ph[ilippovich] würde sie nicht gern sehen. Also entweder: Landesberger, oder: Herkner, Eulenburg, v. Bortkiewicz. Möglich wäre ja auch: für jetzt das Werk nur „durchsehen“ zu lassen, später eine wirkliche Neu-Auflage. Zu einer solchen bloßen „Durchsicht“ (Litteratur-Nachträge pp) fände sich wohl jeder der genannten Herren bereit. Herzlichen Gruß! Ihr Max Weber 4

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2)

ihn schätzte Ph[ilippovich] sehr mit ihm hatte Ph[ilippovich] in Sachen „Mittel-Europa“ einen Zusammenstoß; 4 sonst schätzte er ihn früher sehr hoch. 3)

4 Eugen v. Philippovich hatte sich in seiner Broschüre: Ein Wirtschafts- und Zollverband zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn (Zwischen Krieg und Frieden, Heft 14). – Leipzig: S. Hirzel 1915, sehr positiv über eine mitteleuropäische Wirtschaftsgemeinschaft geäußert. Seine Arbeit war von Franz Eulenburg in dessen Sammelrezension: Literatur über die wirtschaftliche Annäherung von Mitteleuropa, erschienen in: Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 7, 1916 I, S. 379–417 – insbesondere S. 393–396 – zurückhaltend, wenn nicht kritisch, besprochen worden.

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Paul Siebeck 16. Februar PSt 1918; Heidelberg Karte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446

Heidelberg 16/2 Lieber Freund! Ich möchte nicht versäumen, auch v. Zwiedineck (Karlsruhe) zu nennen, den Ph[ilippovich] (cf. Vorrede zur Ausgabe von 1909) schätzte1 und dessen Methode ihm relativ nahe steht. Vielleicht konveniert er der Familie [.] Herzlichen Gruß! Ihr Max Weber

1 Weber bezieht sich auf eine Passage im Vorwort von Eugen v. Philippovichs Grundriß der Politischen Ökonomie. Bd. 1: Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 6., rev. und verm. Aufl. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1906, S. V. Darin hatte Philippovich ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er insbesondere durch „Änderung“ und „Einfügung“ der Paragraphen über Lohneinkommen und Lohnbemessung „den kritischen Bemerkungen gerecht geworden“ sei, „welche Zwiedineck (Beiträge zur Lehre von den Lohnformen 1904) m. E. mit Recht“ an seiner „Darstellung geübt“ habe. Weber bezieht sich auf die 8. Aufl. von 1909, in der Teile des Vorworts der Vorauflage von 1906 mit den Äußerungen über v. Zwiedineck-Südenhorst abgedruckt waren.

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Verlag J. C. B. Mohr 16. Februar PSt 1918; Heidelberg Karte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446

(Karte v. 15. II. W. – wz.A) Hrn J C B Mohr Verlag

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Ich konnte die Seitenzahl der Inhaltsangabe noch nicht eintragen, da ich diea betr. Bogen (4 u. f.)1 nicht im Umbruch erhalten habe. Darf ich um Zusendung behufs Erledigung bitten? Hochachtungsvoll Prof. Max Weber Heidelberg 16. II.

a O: Die 1 Es handelt sich um die Druckbogen von: Weber, Max, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Das antike Judentum (Fortsetzung), erschienen in: AfSSp, Bd. 44, Heft 2, 1918, S. 349–443 (MWG I/21, S. 354–478).

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Verlag J. C. B. Mohr PSt 21. Februar 1918; PSt Heidelberg Karte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446

Herrn J C B Mohr’s Verlag Ich erbat Bogen 4 f.1 des im Druck befi ndlichen Heft des „Archiv“, um die Inhaltsseitenzahlena auf Bogen 1 eintragen zu können. Erledigung erfolgt umgehend nach Zusendung, die ich erneut erbitte. Hochachtungsvoll Prof. Max Weber (Heidelberg)

a Inhalts-Zahlen > Inhaltsseitenzahlen 1 Es handelt sich um die Druckbogen von: Weber, Max, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Das antike Judentum (Fortsetzung), erschienen in: AfSSp, Bd. 44, Heft 2, 1918, S. 349–443 (MWG I/21, S. 354–478); vgl. dazu die vorherige Karte an den Verlag J. C. B. Mohr vom 16. Febr. 1918, oben, S. 93.

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Ludo Moritz Hartmann 24. Februar [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 15, Bl. 15 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen.

Heidelberg 24/IIa Lieber Freund!

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Ich konnte s. Z. nicht auf Ihr sehr freundliches Angebot mit jener Wohnung antworten, da Frau v. Philippovich geneigt schien, Zimmer abzugeben. Das hat sich nun zerschlagen – sie kann jetzt nicht – und wenn wider Erwarten jene beiden Zimmer noch zu haben sein sollten, dann würde ich sie sofort jetzt fest nehmen. Wenn es Ihnen möglich sein sollte, auch das nach so viel Mühen noch zu thun, wäre ich Ihnen für eine Postkarte dankbar. Aber ich nehme freilich an, daß die Zimmer inzwischen fort sind und gehe dann eben zuerst ins Klomser.1 Ich komme am 8. IV. Abends von München. – Herzlichen Dank! Herzlichste Grüße v. H. z. H. Ihr Max Weber

a Alternative Lesung: III 1 Gemeint ist das zentral – zwischen Hofburg und Universität – gelegene Hotel Klomser in der Herrengasse.

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11. März 1918

Verlag Duncker & Humblot 11. März 1918; Heidelberg Brief; maschinenschriftlich mit eigenhändigen Korrekturen und Zusätzen Max Webers VA Duncker & Humblot, Berlin Der Brief steht in Zusammenhang mit der Publikation von Webers Schrift: Parlament und Regierung; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zur Karte an den Verlag Duncker & Humblot vom 9. Januar 1918, oben, S. 51.

Heidelberg, den 11. März 1918. Sehr geehrter Herr! Ich schicke gleichzeitig |:(Kreuzband):| die letzten Korrekturen und anliegend eine a„Vorbemerkung“a , welche ja unter bgar keinenb Verhältnissen zu Zensurschwierigkeiten Anlaß geben kann, da sie sich jederc Berührung bedenkenerregender Fragen enthält. Ich glaube, daß dieses Vorwort im Interesse der Schrift liegt, deren Publikation nun wohl nichts mehr im Wege steht. Innerhalb des Drucktextes selbst habe ich mich bemüht, durch nochd weitere Abschwächung einzelner scharfer Ausdrücke jedem Bedenken noch weitere entgegenzukommen. Die mit dem Genehmigungsvermerkf der Zensur versehenen Fahnen behalte ich als Beleg in Aufbewahrung. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster gMax Weberg

a Anführungszeichen eigenhändig. b Unterstreichung eigenhändig. c Unterstreichung eigenhändig. d Unterstreichung eigenhändig. e weite > weiter f O: Genehmigungvermerk g Unterzeichnung eigenhändig.

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Verlag Duncker & Humblot 14. März [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig VA Duncker & Humblot, Berlin Jahresdatum gemäß Verlagsvermerk: „eingeg. 15. III. 18“ sowie Briefinhalt. Der Brief steht in Zusammenhang mit der Publikation von Webers Schrift: Parlament und Regierung; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zur Karte an den Verlag Duncker & Humblot vom 9. Januar 1918, oben, S. 51.

Heidelberg 14. III. Sehr geehrter Herr!

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Mir ist jeder von Ihnen gewählte Titel recht. Nur muß ich sachlich den Untertitel beanstanden,1 der m. E. 1) zu anspruchsvoll klingt, – 2) auch insofern nicht zutrifft, als die Schrift eine politische, nicht eine rein objektiv darstellende („soziologische“) ist. Davon also bitte ich Sie absehen zu wollen. Die Schrift geht eben doch von ganz bestimmten Wertungen aus, für die sie Andre zu gewinnen sucht und ist insofern keine „wissenschaftliche“ Arbeit. Wenn es Ihnen zweckmäßig scheint, kann ich aber den Ausdruck „Streitschrift“ in dem gestern übersendeten Vorwort streichen 2 und einfach sagen „Schrift“. Denn allerdings ist die Arbeit so, wie sie jetzt ist, durchaus nicht nur „Streitschrift“. Die zensurierten Fahnen schicke ich zurück, mache jedoch darauf aufmerksam, daß vielleicht Abzüge vom endgültigen Satz zweckmäßiger sind, da darin ja sehr viele Einzelheiten noch stark gemildert worden sind. Anbei schicke ich noch die „Inhaltsangabe“, 3 falls Sie die Beigabe für zweckmäßig halten, wie [i]cha vermute. Mit vorzüglicher Hochachtung Max Weber a Lochung.

1 Der Verlag hatte in seinem Brief vom 11. März 1918 (Abschrift masch.; VA Duncker & Humblot Berlin) als Titel: Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, mit dem Zusatz als Untertitel: Soziologie des Beamtentums und Parteiwesens, vorgeschlagen. 2 Tatsächlich ist der Ausdruck nicht in die endgültige Fassung übernommen worden; in der Vorbemerkung zu Weber, Max, Parlament und Regierung, S. V (MWG I/15, S. 432) ist lediglich von einer „politische[n] Abhandlung“ die Rede. 3 Dieses eigenhändige Verzeichnis (VA Duncker & Humblot Berlin) lautete: „Inhalt / Vorbemerkung Seite I / I. Die Erbschaft Bismarcks Seite 1 / II. Beamtenherrschaft und politisches Führertum Seite 13 / III. Verwaltungsöffentlichkeit und Auslese der politischen Führer Seite 55 / IV. Die Beamtenherrschaft in der auswärtigen Politik Seite 80 / V. Parlamentarisierung und Demokratisierung Seite 99 / VI. Parlamentarisierung und Föderalismus Seite 131“.

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18. März 1918

Anna Edinger 18. März 1918; Heidelberg Abdruck in: Weber, Max, Gesammelte Politische Schriften. – München: Drei Masken Verlag 1921, S. 475–476 Die Frankfurter Sozialpolitikerin Anna Edinger gehörte seit 1893 dem „Frankfurter Friedensverein“ an und war im April 1915 eine der wenigen deutschen Teilnehmerinnen am Kongreß der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ in Den Haag. Ihr friedenspolitisches Engagement dürfte den Hintergrund ihrer Diskussion mit Max Weber über verpaßte Chancen eines Friedensschlusses und die Thesen des Münchener Pädagogikprofessors und Pazifisten Friedrich Wilhelm Foerster zu Kriegsschuld und Friedensfrage bilden.

Heidelberg, 18. 3. 1918a Sehr geehrte Frau Edinger! Besten Dank für Ihren Brief. Ich habe (Weihnachten 1915) in der Frankfurter Zeitung über den Frieden das gesagt, was ich noch jetzt für richtig halte.1 Es ist nicht glaubhaft, daß im Frühjahr 1915, als Italiens Eingreifen bevorstand, ein Frieden zu haben war, denn Frankreich wäre absolut dagegen gewesen und hatte die Freimaurerloge Italiens für sich.2 Rußland hatte Galizien erobert. England stand vor den

a Im Abdruck: 1918? 1 Max Webers Artikel „Bismarcks Außenpolitik und die Gegenwart“ erschien in: FZ, Nr. 357 vom 25. Dez. 1915, 3. Mo.Bl., S. 1–3 (MWG I/15, S. 68–92). Er steht zeitlich und thematisch in engem Zusammenhang mit Webers nicht publizierter Abhandlung „Zur Frage des Friedensschließens“ (MWG I/15, S. 49–67), in der er weitreichende deutsche Annexionspläne entschieden ablehnte, zugleich aber die Bereitschaft Rußlands, Italiens und Frankreichs zu einem Friedensschluß im Jahr 1915 bezweifelte (vgl. „Zur Frage des Friedensschließens“, MWG I/15, S. 63 f.). Nachdem deren Veröffentlichung wahrscheinlich aufgrund der Zensurbestimmungen unterblieben war, hatte Weber in „Bismarcks Außenpolitik und die Gegenwart“ seine Kritik an der deutschen Kriegszieldiskussion in eine historisch-politische Analyse eingebettet. Zur Chance eines Friedens im Jahr 1915 schrieb er dort eher allgemein, die Haltung der Gegner lasse einen dauerhaften Frieden derzeit als illusionär und mit deutschen Interessen unvereinbar erscheinen (MWG I/15, S. 82 und 88). 2 Webers Anspielung bezieht sich vermutlich auf die politische Nähe von italienischer Freimaurerei und interventionistischer Bewegung, die beide einen Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente gefordert hatten. Der italienische Großmeister, der schon während der Julikrise 1914 von der Chance gesprochen hatte, die italienische Einheit – gegen Österreich-Ungarn – zu vollenden, begrüßte Italiens Kriegserklärung an Österreich-Ungarn vom 23. Mai 1915 als lange erwartetes Ereignis (vgl. Internationales Freimaurer Lexikon, hg. von Eugen Lennhoff, Oskar Posner und Dieter A. Binder, 5. überarb. und erw. Aufl. – München: Herbig 2006, S. 427 f. und 897). Die vorangegangene Kündigung des Bündnisvertrages durch Italien wertete die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ sogar als Folge immer radi-

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Toren Konstantinopels. Zu anständigen Bedingungen war damals der Friede m. E. nicht zu haben. August 1915 wäre Bulgarien glatt zu den Gegnern abgeschwenkt, sobald wir Miene machten, Frieden zu schließen. 3 Der einzige Moment war Ende 1915, spätestens Frühjahr 1916. Aber Frankreich wäre wohl auch damals nicht zu haben gewesen. An deutschen Friedensfühlern hat es nicht gefehlt, auch nicht im Herbst 1915.4 Aber es kam doch auf die Bedingungen an. Da ist von uns sicher schwer gefehlt worden. – Aber mit den Gegnern, Frankreich zumal, war ja überhaupt nicht zu reden. Es ist es ja selbst jetzt kaum. Und es ist Mangel an sittlicher Selbstzucht, wenn Foersterb 5 in der „Münchener Post“6 die Gründe, aus denen Lloyd George7 und Clemenceau8 den Krieg fortführen, sentimental verfälscht9 oder von deutscher „Schuld“ redet, wo jedermann in b Im Abdruck: F. . . kalerer Forderungen der „Irredentisten, Republikaner, Freimaurer und sonstigen Franzosenfreunde“. Zit. nach: Schulthess 1915, Teil 2, S. 563. 3 Bulgarien hatte bei Kriegsbeginn seine Neutralität erklärt und wurde in der Folgezeit von beiden Kriegsparteien umworben. Im Herbst 1915 war es, aufgrund großzügiger territorialer Zusagen, auf der Seite der Mittelmächte in den Krieg eingetreten. 4 Im Herbst 1915 erwogen Reichskanzler Theobald v. Bethmann Hollweg wie auch das Auswärtige Amt, nach einem Sieg über Serbien eine Friedensinitiative zu lancieren und gegebenenfalls dafür auf Annexionen im Westen (Belgien) zu verzichten. Die Initiative kam nie zustande, entsprechende Gerüchte gelangten aber seit Ende September mehrfach in die Presse (vgl. Schulthess 1915, Teil 1, S. 487 und 540 f., sowie das Dementi Bethmann Hollwegs vom 6. Dez. 1915 vor dem Reichstag, ebd., S. 586). 5 Friedrich Wilhelm Foerster, seit 1914 Professor für Pädagogik in München, war bereits 1916 aufgrund seiner Kritik an der deutschen Kriegspolitik von der Universität München für zwei Semester beurlaubt worden. Nach seiner Rückkehr im Herbst 1917 trat er, trotz heftiger Anfeindungen, weiterhin öffentlich für einen Verständigungsfrieden ein. Vgl. Foerster, Friedrich Wilhelm, Erlebte Weltgeschichte 1869–1953. Memoiren. – Nürnberg: Glock und Lutz 1953, S. 188–195. 6 Vgl. „Friedenshemmungen und Friedensmöglichkeiten. Eine Betrachtung zur gegenwärtigen Weltlage“, in: Münchener Post, Nr. 3 vom 4. Jan. 1918, S. 6 f. Ein Nachdruck findet sich bei Hipler, Bruno (Hg.), Friedrich Wilhelm Foerster: Manifest für den Frieden. Eine Auswahl aus seinen Schriften (1893–1933). – Paderborn: Schöningh 1988, S. 124–131. 7 David Lloyd George, seit Dezember 1916 britischer Premierminister. Schon im Oktober 1916 hatte Weber ihn als Fanatiker bezeichnet. Vgl. den Brief an Gerhart v. Schulze-Gaevernitz vom 2. Okt. 1916 (MWG II/9, S. 550 f., dort S. 550). 8 Georges Clemenceau, seit November 1917 französischer Regierungsschef, hatte in seiner Antrittsrede die Bereitschaft Frankreichs betont, seine Kriegsanstrengung um jeden Preis fortzusetzen. 9 In „Friedenshemmungen und Friedensmöglichkeiten“ (wie oben, Anm. 6) fragte Foerster nach den Gründen, aus denen England, Frankreich und die USA den Kampf gegen Deutschland fortsetzten. Vor allem in bezug auf England und die Vereinigten Staaten kam er zum Schluß: „Sie führen den Krieg, um den Krieg und die Kriegsbedrohung aus der Welt

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Belgien wußte (und weiß, wenn er will), wie die Dinge liegen.10 Oder wenn gar Fürst Lichnowsky als Kronzeuge dient!11 Die politische Existenz der jetzigen Minister drüben auf der Gegenseite ist mit dem Krieg verknüpft. Bei uns nicht. Ehe jene Minister fallen, ist nichts zu machen. Ich fürchte, das dauert noch eine ganze Weile. Entsetzlich genug, daß es so ist! Aber man darf jetzt die Leute draußen und drinnen, die so viel zu tragen haben, nicht „weich“ machen, sonst gehen sie innerlich zugrunde. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster Max Weber

zu schaffen. Das scheint vielen in der Kriegsromantik aufgewachsenen Neudeutschen über den Horizont zu gehen. Sie wissen eben nicht, wie sehr der pazifistische Gedanke in den beiden letzten Jahrzehnten die englisch-amerikanische Welt erfüllte – nicht etwa bloß aus ideellen Gründen [. . .]“ (ebd., S. 6; Hervorhebung i.O.). 10 Foersters Artikel betonte den Unrechtscharakter des deutschen Einmarsches ins neutrale Belgien im August 1914 und nannte die damalige Erklärung des Reichskanzlers Theobald v. Bethmann Hollweg „Kanzlerwort vom begangenen Unrecht“. Auch verwahrte sich Foerster gegen die von „gewissen Völkerrechtslehrern“ in legitimatorischer Absicht vorgetragenen „Beweise“, die eine wirkliche Neutralität Belgiens in Frage stellten (ebd. S. 6 f., Zitate S. 7). Max Weber dagegen hatte in „Bismarcks Außenpolitik und die Gegenwart“ (MWG I/15, S. 68–92) bereits die Ansicht vertreten, daß die belgische Neutralität „in der Tat ‚Papier‘“ war (zit. nach ebd., S. 80). 11 Karl Max Fürst v. Lichnowsky, bis zu seiner Entlassung Ende Juli 1914 deutscher Botschafter in London, hatte 1916 in seiner Denkschrift „Meine Londoner Mission 1912–1914“ schwere Vorwürfe gegen die deutsche Politik in der Julikrise und in der Vorkriegszeit erhoben. Deutschland trug danach eine erhebliche Mitschuld am Krieg. Die zunächst geheime Denkschrift gelangte durch Indiskretion ins Ausland und wurde 1918 unautorisiert in Zürich veröffentlicht. Schon zuvor zirkulierte sie allerdings in Deutschland und war Max Weber bekannt. Hermann Oncken gegenüber hatte er sie im Dezember 1917 als ein „Dokument einer ganz erbärmlichen Gesinnung“ bezeichnet. Vgl. Webers Brief an Hermann Oncken vom 10. Dez. 1917 (MWG II/9, S. 842–844, dort S. 842 f., zum Kontext ebd., Anm. 4).

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Erich Trummler [22]. März [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Der Kontakt Max Webers zum Münchener Studenten Erich Trummler hatte sich im Umfeld der Lauensteiner Kulturtagung an Pfingsten 1917 ergeben (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Erich Trummler vom 17. Januar 1918, oben, S. 66). Der sachliche Bezug des Schreibens läßt sich nicht präzise ermitteln. Bezugspunkt könnte Trummlers Engagement im Umfeld der akademischen Jugendbewegung in München sein.

Heidelberg 22.a III Sehr geehrter Herr Trummler,

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ich bin gern bereit, Alles, was Sie machen, zu unterstützen.1 Obwohl ich diesmal noch nicht recht verstehe, was der positive Kern ist. Namentlich die religiöse Seite. Ich bin da sehr zurückhaltend nach meiner Gewohnheit und aus vielen Gründen. Aber ich habe zu Ihnen und Ihren Freunden großes Vertrauen. Verfügen Sie also über mich, obwohl ich sehr ungern bisher den „Namen“ hergab, wo ich nicht aktiv nützlich

a Alternative Lesung: 12. 1 Bezug unklar. Erich Trummler, Student der Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in München, organisierte dort im Krieg die Gruppe „Die Werkschar“. Ab Dezember 1918 traf Trummler wiederholt Thomas Mann, der über dessen studentischen Kreis am 4. Dezember notierte: „Mittags kam der Student Trummler, hübscher Junge, und ging mit mir spazieren, in Gesprächen über die Jugendbewegung, Schul- und Hochschulreform. Sein Kreis will die Universität als Fachschule mit einem rein wissenschaftlichen, durchaus philosophischen Oberbau, wo eine gewisse außerweltliche Lebensgemeinschaft der Lehrer und Schüler bestehen soll. Diese jungen Leute sind nichts weniger als Rationalisten. Es verlangt sie durchaus nach mythischen Bindungen, sie sind national in dem Sinne (einem mir durchaus gemäßen Sinn), daß sie den ,englischen‘ Deutschen, den Imperialisten und Weltgeschäftsmann verabscheuen; aber sie wollen das Volksmäßige, Echte, als die Wirklichkeit des Menschlichen, kein abstraktes Vernunft-Menschentum also, keinen Internationalismus, sondern universalistische Humanität. Garnicht übel. Ich soll mal bei einer Sitzung anwesend sein.“ Mann, Thomas, Tagebücher 1918–1921, hg. von Peter de Mendelssohn. – Frankfurt/M.: Fischer 1979, S. 101 f., 110, 177 und 251 (Einträge vom 4. und 18. Dez. 1918, vom 24. März und 28. Mai 1919), Zitat ebd., S. 101.

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bin – was ich jetzt zu sein außer stande bin. Anfang April bin ich in München, sind Sie dann da, so könnte man sich vielleicht sprechen. 2 Mit vorzüglicherb Hochachtung Max Weber

b Unsichere Lesung. 2 Ob das Treffen stattfand, ist unklar. Wie sich aus seinem Brief an Marianne Weber vom 9. April 1918, unten, S. 113, ergibt, verbrachte Weber auf der Reise nach Wien das Wochenende vom 6. und 7. April in München. Nachweislich traf er sich sonntags mit Ernst Toller und Immanuel Birnbaum „(Studenten, Vorträge pp.)“. Im Brief berichtet er außerdem von einem Treffen mit „Studenten“ am Samstag abend, nennt diese allerdings nicht namentlich.

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Martin Buber [25. März 1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Jewish National and University Library Jerusalem, Nl. Martin Buber, Corr. No. 600, 862a/1 Das Datum ist erschlossen aus dem handschriftlichen Vermerk Bubers am Briefkopf: „25.3.1918“.

Heidelberg Ziegelh. Landstr.a 17 Sehr geehrter Herr Doktor!

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Ich übersende anbei den Brief eines jungen Zionisten,1 der uns dieser Tage aufsuchte. Wir sind bereit, uns für die Aufbringung einiger Mittel |:bezw. von Credit:| für den sehr sympathischen, stillen und etwas weltfremden Mann zu bemühen1) ; nur wünschen wir, daß er sich zuvor etwas klarer über den Weg würde, den er später (und auch in den nächsten Jahren) im Leben zu nehmen gedenkt und in der Lage ist. Das Alles ist bei ihm sehr unklar und verworren und wir haben ihm daher gerathen, einmal eine Zusammenkunft mit Ihnen zu suchen, um wenigstens die Grundfragen |:seiner Existenz:| etwas zu klären. Er ist sehr zurückhaltend und von ängstlich gehütetem Ehrgefühl. – Ich habe ihm nahe gelegt, daß er sich irgend welche klaren Vorstellungen über seine Absichten in äußerlicher Hinsicht bilden müsse, denn die allgemeine Absicht, seinem Volk zu nützen, würde ihn nicht dauernd über Wasser halten. Wir haben ihn um eine kurze Darlegung seiner Lebensverhältnisse gebeten, um Andre für ihn zu interessieren und ihm den gewünschten Credit zu verschaffen. Persönlich verdient er nach meinem Eindruck, wenn möglich, jede innere und äußere Förderung. 1)

Der persönliche Eindruck ist weit besser als der des Briefs. Er beherrscht die deutsche Sprache nicht besonders gut.

a O: Landst. 1 Nach einer handschriftlichen Notiz von Buber auf dem Brief handelt es sich um H. Landau-Halevy; dessen Schreiben ist nicht erhalten.

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Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster Max Weber Daß wir Ihnen den Brief vorlegen, bitte ich Sie ihm, wenn möglich, nicht zu sagen. Es ist wohl nicht zu vermeiden, zu Ihrer Information, und er hat es nicht untersagt, aber vielleicht wäre es ihm nachher doch nicht recht.

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Ludo Moritz Hartmann PSt 25. März 1918; PSt Heidelberg Karte; eigenhändig MWA, BAdW München (Fotokopie des Originals)

Lieber Freund, –

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die Gegensätze zwischen unsren beiden Universitäten sind in politischer und persönlicher Hinsicht ziemlich bedeutend und ich speziell bin in Freiburg bête noire als „Demokrat“, habe auch jetzt – seit Rickert hier ist – keine Verbindungen mehr, kann also nichts machen, so gern ich es thäte. Da aber L[oewy]1 60 Jahre alt ist, hätte er auch so keine Aussicht. Denn das thut keine Regierung so leicht, so sehr sein Schicksal zu beklagen ist. Also leider ist (für mich) da nichts zu machen. – Ich komme in den ersten Apriltagen nach Wien, frage mich jetzt oft: wo wohnen? und werde mir einen Wohnungsvermittler für 2 möblierte Zimmer empfehlen lassen. Am besten wohl: innere Stadt, nicht zu weit von der Universität. Übrigens benimmt sich ein Teil Ihrer Presse so (inclusive V[ictor] Adler), daß ich ohne große Freude komme, offen gestanden. Herzlichen Gruß v. H. z. H. Ihr Max Weber

1 Es handelt sich höchstwahrscheinlich um den 1857 geborenen Wiener Archäologen Emanuel Loewy. Das Datum der Karte läßt es als möglich erscheinen, daß Hartmann sich an Weber – als ehemaligen Freiburger Ordinarius – gewandt hat, um für seinen Wiener Kollegen Loewy in Sachen Neubesetzung des Lehrstuhls für Archäologie in Freiburg zu intervenieren. Loewy hat jedoch in den Berufungslisten keine Berücksichtigung gefunden; vgl. dazu Wirbelauer, Eckhard, Alte Geschichte und Klassische Philologie, in: Ders. (Hg.), Die Freiburger Philosophische Fakultät 1920–1960. Mitglieder – Strukturen – Vernetzungen (Freiburger Beiträge zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, N. F., Bd. 1). – Freiburg und München: Karl Alber 2006, S. 111–237; ebd., S. 129.

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28. März 1918

Verlag Duncker & Humblot 28. März [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig VA Duncker & Humblot, Berlin Jahresdatum gemäß Verlagsvermerk: „eingeg. 31. III. 18“ sowie Briefinhalt. Der Brief enthält eine Adressatenliste für Freiexemplare von Webers Schrift: Parlament und Regierung.

Heidelberg 28/III Herren Duncker & Humblot Verlag, München Sehr geehrte Herren! Da ich nach Wien übersiedele, wäre ich sehr verbunden, wenn Sie die Versendung der 20 Freiexemplare für mich, unter Berechnung des Portos und der Mühewaltung, wie folgt zu übernehmen die Güte hätten: 1. Frau Marianne Weber, Heidelberg Ziegelhauser Landstr.a 17 2. Frau Lili Schäfer, Ober-Hambachb bei Heppenheim (Hessen) c Odenwaldschule 3. Herrn Professor Dr Thoma Heidelberg, Ziegelhauser Landstr.d 17 4. Herrn Professor Dr Anschütz, Heidelberg Ziegelhauser Landstraße 5. Herrn Professor Dr v. Lilienthal, Heidelberg Ziegelhauser Landstraße 6. Herrn Professor Dr Fritz Fleiner Zürich 7. Herrn Hofrath Prof. Dr Bernatzik Wien, Springsiedel-Gasse 8. Herrn Professor Dr A[ugust] Hausrath Heidelberg, Handschuhsheimer Landstr.e 9. Herrn Professor Dr Oncken, Heidelberg Werder-Platz 10. Herrn Professor Dr Hampe, Heidelberg (Neuenheim) a O: Landst. b O: Ober-Hanbach c 〈(Bergstraße)〉

d O: Landst. e O: Landst.

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11. Herrn Professor Dr Jaspers, Heidelberg Handschuhsheimer Landstr.f 38 12. Fräulein Mina Tobler, Heidelberg Bismarck-Str. 17 13. Herrn Reichstagsabg. Dr Friedrich Naumann Berlin-Schöneberg, Königsweg 6 ag 14. Herrn Reichstagsabgeordneten, Rechtsanwalt Conrad Haußmann Berlin, Reichstag 15. Herrn Dr Ludo Moritz Hartmann Wien I Rathaus-Str. 15 16. Herrn Georg Müller, Berlin, Darmstaedter Bank Schinkel-Platz 17. Herrn Amtsrichter C[onrad] Zeeden p. A. Frau Marianne Zeeden Örlinghausen (Lippe) 18. Herrn Richard Müller Örlinghausen/Lippe 19. Herrn Professor Dr v. Schulze-Gävernitz Freiburg i /Br. 20. Herrn Professor Dr H[einrich] Rickert Heidelberg, Scheffel-Str. Weitere Expl. bitte ich auf etwaige Bestellung meiner Frau, hier, an diese abzugeben und mir in Rechnung zu stellen. Für jetzt bitte ich als Autoren-Expl. noch zu versenden an: 1. Frau Helene Weber Charlottenburg, March-[Str.] h 7 F 2. Herrn Justizrat Dr Hans Schnitger, Detmold, Moltke-Str. und mir anzurechnen. Das Honorar erbitte ich auf mein Konto an Filiale der Rheinischen Kreditbank, Heidelberg Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Max Weber

f O: Landst. g O: hochgestellter Buchstabe zweifach unterstrichen. h Lochung.

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Verlag Duncker & Humblot 28. März PSt 1918; Heidelberg Karte; eigenhändig VA Duncker & Humblot, Berlin Die Karte enthält eine weitere Adressatenliste für Exemplare von Webers Schrift: Parlament und Regierung; zur ersten Liste vgl. den Brief an den Verlag Duncker & Humblot vom selben Tag, oben, S. 106 f.

Heidelberg 28/3 Herren Duncker & Humblot Verlag Sehr geehrter Herr! Ich bitte noch um Versendung folgender Autoren-Exemplare: 1. Herren Dr Hans Gruhle Heidelberg, Psychiatr[ische] Klinik 2. Herrn Vizewachtmeister Berthold Müller p. A. Frau Alwine Müller, Örlinghausen (Lippe) 3. Herrn Dr Paul Ernst Neustadt (Harz) 4. Herrn Professor Dr Walther Götz, Leipzig 5. an mich selbst (hiesige Adresse) 6. Herrn Professor Dr Erich Kaufmann, Berlin, Universität (Jurist[ische] Fakultät) 7. Herrn Professor Dr Tönnies Eutina 8. Frau Marie L[uise] Gothein Heidelberg, Weberstraße 11 9. Herrn Walter Rathenau Berlin-Grunewald, Königsallee 65 Mit vorzüglicher Hochachtung Prof. Max Weber

a 〈Kiel〉

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Redaktion der Frankfurter Zeitung 4. April 1918; Heidelberg Brief; maschinenschriftlich mit eigenhändigen Korrekturen und Zusätzen Max Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 10, Bl. 14

Heidelberg, den 4. April 1918. Sehr geehrte Redaktion!

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Ich übersende anbei einen mit Herrn Dr. Simon besprochenen Artikel.1 Der Feuilletonredaktiona bitte ich mitteilen zu wollen, daß ich die Ausführungen gegenüber dem Aufsatz von Bücherb 2 von Wien aus schicken werde. Die Frage berührt die allerwichtigsten Kulturprobleme des Universitätswesens und ich möchte den Vorschlag machen, einen längeren Artikel darüber etwa für die Pfi ngstnummerc in Aussicht zu nehmen. 3 Mit kurzen Bemerkungen läßt sich diese Sache nicht abtun. Bücher hat da einige sehr wunde Punkte berührt, aber unvollständig und durchaus einseitig behandelt und vor allem den aussichtslosen

a Unterstreichung eigenhändig. b Unterstreichung eigenhändig. c Unterstreichung eigenhändig. 1 Der angesprochene Artikel vermutlich politischen Inhalts ist nicht zum Abdruck gelangt; über seinen Verbleib ist nichts Näheres bekannt (vgl. MWG I/15, S. 782). 2 Es handelt sich um: Bücher, Karl, Eine Schicksalsstunde der akademischen Nationalökonomie, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Jg. 73, 1917/18, S. 255–293; Bücher hatte darin auf die nach seiner Meinung gefährliche Entwicklung für die akademische Nationalökonomie durch die Gründung von praxisorientierten Wirtschaftsinstituten an verschiedenen deutschen Universitäten hingewiesen, deren „Existenz“ nämlich „auf die Mittel von Interessenten angewiesen“ sei; ebd., S. 281. Zu der Aufforderung an Weber, dazu Stellung zu nehmen, vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an die Redaktion der FZ vom 21. Jan. 1918, oben, S. 69. 3 Der in Aussicht gestellte Artikel Webers zu Bücher ist nicht erschienen.

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Versuch gemacht, sich einer unvermeidlichen Entwicklung in den Weg zu stellen. Auch sprechen bei ihm sehr starke persönliche Antipathien mit.4 Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst dMax Weberd

d Unterzeichnung eigenhändig. 4 Karl Bücher sah die mögliche Einflußnahme der Wirtschaft auf die Universitäten mit besonders kritischen Augen, da gerade an Büchers Lehrstätte, der Universität Leipzig, der Verband sächsischer Industrieller mit seinem Syndikus, Gustav Stresemann, 1908 versucht hatte, einen von ihm finanzierten volkswirtschaftlichen Lehrstuhl mit dem ihm genehmen Richard Ehrenberg einzurichten; zu Ehrenberg vgl. Büchers Ausführungen (wie Anm. 2), S. 257–264. Mit den „persönliche[n] Antipathien“ könnten auch der Streit und das Zerwürfnis Büchers mit seinem ehemaligen Schüler Johann Plenge gemeint sein; vgl. dazu den Brief an Franz Eulenburg vom 2. Jan. 1916 (MWG II/9, S. 240–243, dort S. 241 f.), sowie den Brief an Heinrich Herkner vom 18. Dez. 1919, unten, S. 865 f., Anm. 3. Zu Plenges Versuch, an der Universität Münster eine Ausbildungsanstalt für praktische Volkswirte zu schaffen, hatte Bücher in seinem Artikel (wie Anm. 2), S. 281, süffisant angemerkt, daß dieses Institut am Widerstand des preußischen Kultusministeriums gescheitert sei, „vielleicht weil der Urheber des Planes, statt mit dem Klingelbeutel bei voraussichtlichen Gönnern im Lande umherzuziehen, die Mittel von einer bereits organisierten Interessentengruppe gleich im ganzen zu bekommen versucht hatte“.

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4. April 1918

Mina Tobler 4. April [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Max Weber schrieb am Vorabend seiner Abfahrt nach Wien.

Heidelberg 4/IV Liebstes Kind

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Der Bädeker (Süddeutschland) hat sich spurlos verkrochen,1 ich konnte ihn und kann ihn noch jetzt nicht fi nden. Hoffentlich gings ohne ihn! Ich reise also morgen und bin Abends spät im Hotel Grünwald. 2 Else J[affé] hat mich nun auf Samstag Nachmittag festgelegt, die Jungens auf Abend. 3 Ich werde daher Sonntag noch dableiben, wo ich nur entweder Abends oder einige Nachmittagsstunden okkupiert, sonst aber frei sein werde. Samstag Vormittag bin ich auch frei (hoffentlich bleibe ich nicht in Augsburg liegen! dann käme ich erst Mittags!) Schönsten Dank für das Kärtchen. Ich hoffe recht, wir sind noch ein paara Stunden in M[ünchen] vergnügt beisammen vor der langen Trennung. Die ganze Geschichte geht mir jetzt wie ein Traum durch den Kopf. Juli bin ich wohl wieder hier, da Polen scheint es noch verschlossen bleibt.4 Tausend Herzliches M.

a O: par 1 Vermutlich hatte Max Weber diesen Reiseführer Mina Tobler für ihre Reise nach München versprochen. 2 Das in Hauptbahnhofsnähe gelegene Hotel Grünwald, Hirtenstraße 11, war Max Webers bevorzugtes Münchener Logis. 3 Zu Max Webers Kontakten mit der Münchener Freien Studentenschaft vgl. die Briefe an Erich Trummler vom 17. Jan. 1918 und 22. März 1918, oben, S. 66–68 und 101 f., sowie den Brief an Marianne Weber vom 9. April 1918, unten, S. 113, außerdem den Editorischen Bericht zu „Politik als Beruf“, MWG I/17, S. 113–137, insbes. S. 117 f. 4 Wahrscheinlich Anspielung auf eine geplante Reise mit Martha Riegel zum Grab von Max Webers Bruder Karl bei Brest-Litowsk (vgl. den Brief an Helene Weber vom 14. April 1918, unten, S. 121–123).

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9. April 1918

k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht 9. April 1918; Wien Brief; eigenhändig ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Ktn. 809, Zl. 12548/1918

Betreff: Z. 39798/17–VII Wien VIII Pension Baltic Skoda-Gasse 15 9. IV. 18

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a K. K. a

Ministerium des Unterrichts

bitte ich, nachdem ich übersiedelt und – vorläufig – wie oben angegeben Wohnung genommen habe, gemäß der geneigten Verfügung vom 11. Jänner ct. Z 39798/17–VII die zuständigen Beträge mir durch die Kasse an die Allgemeine Depositenbank Schottengasse, hier, auf Giro-Konto überweisen zu wollen. Dabei gestatte ich mir in Betreff der Reisekosten zu bemerken, daß ein Billet 2ter Klasse Heidelberg – München Berlin1 35,90 + 47 = 82,90 Reichsmark kostet. Ehrerbietigst Professor Dr Max Weber An bK. K. b Ministerium des Unterrichts

a O: K. u. K. b O: K. u. K. 1 Offensichtlich eine Verwechslung Webers. Das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht in Wien hat in der Zahlungsanweisung vom 11. April 1918 (ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Ktn. 809, Zl. 12548/1918) vermerkt, daß „Prof. Dr. Weber seine Reisekosten von Heidelberg nach Wien mit rund 83 Mark“ angegeben habe.

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9. April 1918

Marianne Weber [9. April 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Dienstag“ und dem Brief an Mina Tobler vom 11. April 1918, unten, S. 117 f.

Dienstag

Hotel Klomser Adresse: „Pension Baltic“ Wien VIII Skoda Gasse 15

Liebes Mädele, 5

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Ich sitze noch im Hotel,1 ziehe aber gleich nachher in die Pension. Ein schönes Zimmer nach dem Garten, Kalt- u. Warm-Wasser u. s. w. inclus. Frühstück u. Mittagessen 26 Kronen täglich. Galt für billig! Mit besondrem Schlafzimmer: 36 Kr.! Da ich Abends auswärts essen muß, werd ich für nackte Existenz auf ca 48a Kronen kommen. Rest: 12 Kronen. Es ist phantastisch, was Alles hier kostet! In München: Samstag Vormittag Tobelchen, 2 2–9 Else, 3 dann die Studenten.4 Um 3 Uhr Nachts waren wir beim „vorletzten Punkt“. Aber es war ganz nützlich. Sonntag: 9 Uhr Herr Toller (ist jetzt ganz in Ordnung), 5 1/210 Uhr Herr Birnbaum6 (Studenten, Vorträge pp), 10– a 38 > 48 1 Hotel Klomser, Herrengasse 19. 2 Mina Tobler. 3 Else Jaffé. 4 Möglicherweise traf sich Max Weber mit dem studentischen Kreis um Erich Trummler, vgl. den Brief an dens. vom 22. März 1918, oben, S. 102, Anm. 2. 5 Ernst Toller hatte an der Seite Kurt Eisners für den Januarstreik agitiert und war deshalb am 3. Februar 1918 in München verhaftet worden. Im folgenden Ermittlungsverfahren wurde am 12. März 1918 Max Weber als Zeuge vernommen (vgl. den Brief an Kurt Goldstein vom 13. Nov. 1918, unten, S. 300 mit Anm. 6). Ein ärztliches Gutachten führte am 6. April 1918 zu Tollers Entlassung aus der Untersuchungshaft. Das Strafverfahren wurde letztendlich eingestellt: Eine am 4. Juli 1918 gerichtlich angeordnete stationäre psychiatrische Untersuchung ergab u. a. eine „disharmonische […] Veranlagung“ Ernst Tollers, die sich im Falle einer Verurteilung strafmildernd auswirken müsse (vgl. Christa Hempel-Küter und Hans-Harald Mülller, Ernst Toller, Auf der Suche nach dem geistigen Führer. Ein Beitrag zur Rekonstruktion der ,Politisierung‘ der literarischen Intelligenz im Ersten Weltkrieg, in: Literatur, Politik und soziale Prozesse. Studien zur deutschen Literatur von der Aufklärung bis zur Weimarer Republik. – Tübingen: Niemeyer 1997, S. 78–105, S. 99ff.). 6 Immanuel Birnbaum gehörte zur Münchener Freien Studentenschaft und initiierte Webers Vorträge „Wissenschaft als Beruf“ und „Politik als Beruf“ (vgl. die Bandeinleitung, MWG I/17, S. 1–46, hier S. 35–37).

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9. April 1918

12 Tobelchen, 12–1 Herr Bonn7 (Handelshochschule), 1 – 1/2 3 Herr Löwenstein,8 dann Ludwigshöhe9 bis 7, dann bei Bernsteins10 und zu Abend gegessen mit Tobelchen. Früh zu Bett, gestern den Tag über (von 740 an) gefahren. Jetzt schon Alles in Ordnung gebracht. Vorlesungen fangen am 28. 4. erst an. Gleich gehe ich auf die Bibliothek. Morgen 1te Fakultätssitzung. Die Stadt herrlich im Frühlingsglanz, blendendes Wetter. Morgen: Schönbrunn, vielleicht: Baden. Es ist warm wie im Juli. Und Du hast mit Lili hoffentlich Dir eineb schöne Zeit gemacht, ich bin begierig wo und wie?11 In Ruhe mehr! Tausend Grüße immer Dein Max

b Fehlt in O; eine sinngemäß ergänzt. 7 Der Nationalökonom Moritz Julius Bonn. 8 Karl Loewenstein. 9 Villenkolonie in Solln, damals noch ein Dorf nördlich von München. Wohnort von Else Jaffé seit Oktober 1916. 10 Max und Elsa Bernstein. 11 Marianne Weber plante laut Brief an Helene Weber vom 11. April 1918 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) in den kommenden Tagen einen Ausflug mit Lili Schäfer nach Miltenberg, Amorbach und Wertheim.

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10. April 1918

Berta Jacobsohn 10. April 1918; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 8, Bl. 39 Möglicherweise liegt der Ortsangabe ein Übertragungsfehler zugrunde, denn Max Weber hielt sich am 10. April 1918 schon in Wien auf (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 9. April 1918, oben, S. 113 f.). Max Weber kondoliert im folgenden der Schwester seines am 26. Mai 1915 gefallenen Kollegen und Freundes Emil Lask zum Tod ihres zweiten Bruders, des am 9. Februar 1918 gefallenen Hans Lask.

Heidelberg, den 10.4 [.] 18 Liebe und verehrte Frau Jacobsohn!

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Mit Bestürzung hörten wir durch meine Mutter1 von dem Tode Ihres zweiten Bruders, den ich seinera Zeit bei Ihnen mit so großer Freude kennen lernte.2 Man ist innerlich schon gar nicht mehr gefaßt auf solche Verluste [,] obwohl sie uns ja offenbarb noch immer in furchtbaremc Maße bevorstehen. Ich kann noch gar nicht fassen, wie Sie sich innerlich dazu stellen können – und wie Ihre hochverehrte Frau Mutter3 das tragen wird. Der Tod Ihres anderen Bruders war ein entsetzlicher Verlust für uns alle und für die Wissenschaft. Immerhin war er in eigener Art and dem Leben gestorben und lebte in einer Sonderwelt jenseits der Unsrigen. Und das Schicksal nahm ihn beim Wort.4 Aber dieser Bruder war so voller Kraft und Freude an und im Leben, wie geschaffen darin seinen Mann zu stehen und zu schaffen [.] Man konnte und kann den Tod so gar nicht mit ihm in Verbindung bringene und steht vor dem Rätsel, daß das geschehen mußte. Der Krieg ist uns allen so furchtbar zum „Alltag“ geworden, daß es zunehmend schwerer wird, jene Stimmung des Gerne-Hergebensf, die zuerst so natürlich war[,] noch aufrecht zu erhalten, und jeder solche Verlust ist dadurch jetzt sog

a deiner > seiner b offenbaren > offenbar c In Abschrift: furchtbaren d Handschriftliche Einfügung und unsichere Lesung. e In Abschrift: folgt nach bringen ein Punkt. f Bindestrich fehlt in Abschrift, sinngemäß ergänzt. g 〈vi〉 1 Eine entsprechende Nachricht Helene Webers ist nicht überliefert. 2 Zur Bekanntschaft von Max Weber mit Berta Jacobsohn und ihrer Familie vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an dies. vom 17. Juni 1915 (MWG II/9, S. 56). 3 Cerline Lask. 4 Emil Lask hatte sich im August 1914 als Kriegsfreiwilliger gemeldet (vgl. den Kondolenzbrief an Berta Jacobsohn vom 17. Juni 1915, MWG II/9, S. 56–58, aus Anlaß seines Todes).

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10. April 1918

viel lastendeh reine Lücke geworden – ich denke mit schwerem Herzen daran, wie Sie es innerlich erschwingeni werden [,] ihm ganz gewachsen zu sein [,] und doch ist es jetzt nicht anders als von Anfang an. Der Tod da draußen ist und bleibt der einzige, der Sinn hat, weil er ein Tod „für“ etwas nicht nur „an“ etwas ist. Möchte das Schicksal Ihnen die Kraft erhalten haben, es zu fühlen, obwohl es fast über alle Menschenkraft hinausgeht. Ich drückej Ihnen und den Ihrigen in warmer Teilnahme die Hand und bitte Sie Ihrer verehrten Frau Mutter meine verehrungsvolle tiefe Teilnahme auszudrücken. In stets treuer Gesinnung Ihr Max Weber

h In Abschrift: lasternde i In Abschrift: eerschwingen

j In Abschrift: ddrücke

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11. April 1918

Mina Tobler PSt 11. April 1918; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem beiliegenden Briefumschlag und der Tagesangabe „Donnerstag“.

Donnerstag früh morgens. Wie lange braucht dieser Brief? Schreiben Sie es doch dann. Ich schreibe Sonntag1 in Ruhe, denke ich. Pension Baltic Skoda-Gasse 15 Wien XVIII

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Liebes Kind, –

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was habe ich gestern als Erstes, nachdem ich hier eingerichtet war, gethan? Da Sie in München in der Entführung2 waren, war ich es hier (Hofoper) 3 . Aber (abgesehen von etwas Andrem, was gegenüber dem damaligen unvergeßlichen „Cosìa fan tutte“ fehlte) 4 ist der Raum für Mozart zu groß. Der vorzügliche, nur etwas näselnde Tenor5 zwar beherrschte ihn mühelos, aber die Koloraturen des Sopran (Constanze) 6 kamen allzu unnatürlich. Auch sonst – unser Einer, der selten ins Theater kommt – ich werde es jetzt etwas pflegen – sollte immer nur in das Allergrößte (Don Juan, Figaro, Cosìb fan tutte) gehen, so entzückend an sich auch dies ist. Und natürlich: man ist eben jetzt unempfänglich. Im Übrigen hat die schöne Stadt in ihrem Frühlingsschmuck all ihre bezaubernde Anmut entfaltet. Hier vor dem Fenster des geräumigen, freilich recht bescheiden ausgestatteten Zimmers (Vorzug: besondrer a O: Cosi b O: Cosi 1 Vgl. den Brief an Mina Tobler vom 14. April 1918, unten, S. 119 f. 2 Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ war am 5. April 1918 im Münchener Residenztheater aufgeführt worden. 3 Die Aufführung von Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ im k. k. Hof-Operntheater am 10. April 1918 unter der musikalischen Leitung von Franz Schalk. 4 Weber erinnerte an den gemeinsamen Besuch der Oper „Così fan tutte“ am 10. August 1912 in München. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Helene Weber vom 14. Aug. 1912, MWG II/7, S. 643. 5 Der Tenor Alfred Piccaver sang in der Wiener Aufführung von Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ am 10. April 1918 die Rolle des Belmonte. 6 Emmy (Emilie) Heim.

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11. April 1918

Baderaum, kalt u. warm Wasser im Zimmer, sauber!) liegt ein großer stiller Baumgarten, wie er mitten in der Großstadt wohl nur hier vorkommt, Alles ist totenstill, dabei habe ich 12c Minuten zur Universität, Electric nach allen Himmelsgegenden, auch dem Prater, vor der Tür, Frühstück auf dem Zimmer, esse im Eßzimmer separat, Abends stets auswärts, Ernährung vollkommen ausreichend, was das Erstaunlichste ist. Preise: phantastisch! Sogar die Fakultätssitzungen verlaufen hier, auch bei starken Gegensätzen, friedlich. Also soweit ist Alles gut, aber – es geht („ginge“) eben doch nicht. Kollegien fangen erst Ende des Monats an, das ganze wird dann eine sehr kurze Gastrolle von 21/2 Monaten. Wie mag es in München noch gewesen sein?7 Ich war ja müde dort,8 das ist wahr, aber wie schön, daß man doch noch einmal – und so, wie zuletzt! – zusammen war. – 8 1/2 Uhr. Die Arbeit fängt an (Bibliothek). Ich denke an Vieles, was ich hier nicht so leicht haben kann wie dort – oder: gar nie haben würde. Tausend Gutes und Herzliches immer Ihr Max W.

c 10 > 12 7 Mina Tobler und Max Weber hatten sich am Wochenende 6. und 7. April 1918 in München getroffen (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 9. April 1918, oben, S. 113 f.). Die Dauer von Mina Toblers Aufenthalt in München ist nicht bekannt. 8 Max Weber hatte ein eng gedrängtes Programm an diesem Münchener Wochenende absolviert (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 9. April 1918, oben, S. 113 f.).

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14. April 1918

Mina Tobler [14.] PSt April 1918; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Sonntag“ und dem Poststempel des beiliegenden Briefumschlags (15. April 1918).

Wiena VIII Skoda-Gasse 15 Pension Baltic Sonntag 5

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Liebes Tobelkind, – Die Post ist unberechenbar. Heut erst erhielt ich Mariannes ersten Brief, ebenso Ihre Karte aus München. Wann mag mein Brief1 Sie erreicht haben oder erreichen? Ich sitze mit grünen Bäumen vor mir, die eine nüchterne Hinterhausfront vis-à-vis verbergen, in einer stillen geräumigen Hinterstube, etwas dürftig aber schön und zweckmäßig, mit Kalt- u. Warm-Wasser, Bad daneben, gutem (reichlichem) Essen, nur einem etwas lauten „jüngsten“ Ehepaar nebenan, dessen Treiben bei Tag u. Nacht ich mich bemühe ohne Ressentiment mit zu erleben. Wien ist im Frühlingsschmuck bezaubernd schön, ich habe noch 14 Tage Zeit bis zu den Vorlesungen, bin ganz einsam und habe Zeit u. Kraft zur Arbeit. So weit ist Alles gut u. schön. Ich werde es den Sommer durch schon durchhalten, trotz Allem. Vorerst blicke ich nicht rechts noch links, sondern arbeite stramm. Das ist nötig und thut gut. Wahnsinnig sind die Entfernungen. Ein Besuch heut kostete 11/4 Stunde Fahrt hin u. zurück gerechnet. Und 20 habe ich zu machen! Nah ist nur die Bibliothek u. Universität (in 10 Minuten). Ebenso das Burgtheater u. die Oper. Das denke ich zu benutzen. Neulich für Mahler’s 8te Symphonie war Alles ausverkauft, es ist fabelhaft[,] wie stark auch das Kleinbürgertum in solche Werke geht. Wie mag es nun in Heidelberg stehen? d. h. im goldenen Himmel droben am Bismarckplatz?2 Wann kommt die Schwägerin zurück?3

a Heidelberg > Wien 1 Vgl. den Brief an Mina Tobler vom 11. April 1918, oben, S. 117 f. 2 Umschreibung für Mina Toblers Dachgeschoßwohnung in der Bismarckstraße 17. 3 Bertha Tobler wohnte im Nachbarhaus von Mina Tobler.

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14. April 1918

Diese Einsamkeit für Dich ist mir bedrückend jetzt. Denn dafür bist Du doch nicht gemacht, so sehr Du auf Dir selbst stehst. Die Fahrt her dachte ich viel an damals (1912) in München4 u. Alles seitdem – wie merkwürdig es kam und wie schön es war – und hoffentlich künftig ist, wenn Alles anders ist als heut, der Krieg vorbei und ich wieder dort. Ich habe dem Schicksal viel zu danken, so kompliziert es oft war. Aber: – Du? das ist mir oft fraglich. Indessen was hilft es darüber zu denken – die Götter wollten es und – wir auch! Ich muß den – Nachmittags- – zweiten Besuch, wieder mit 1/2 Stunde Fahrt nach einem Vorort, machen. Daher für heut leb wohl! Alles – und noch Einiges – Herzliche Immer Ihr Max W.

4 Max Weber spielt auf den Beginn der Liebesbeziehung zu Mina Tobler im August 1912 in München an. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Helene Weber vom 14. Aug. 1912, MWG II/7, S. 643.

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14. April 1918

Helene Weber 14. April [1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

Wien VIII 14/IV Skoda-Gasse 15 Pension Baltic 5

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Liebe Mutter, – nun hätte ich doch um ein Haar mich in den Daten geirrt,1 so hingenommen bin ich teils von allerhand Arbeit, teils auch von der Frühlingsschönheit hier in der alten bezaubernden vornehmen Stadt. Und dabei habe ich Dir noch zu danken für das wirklich wundervolle Buch, 2 – wir haben uns zu Dritt3 daran erfreut und ich habe diese Kunst einer mit unendlich sublimiertem Geschmack gesegneten Zeit im Louvre immer so mit Vorliebe bewundert,4 daß ich mich dieses Besitzes herzlich freue. Hab schönsten Dank! Hier vor meinem Fenster habe ich einen großen dicht mit alten Bäumen bestandenen Binnenhof, wie er in Wien im Stadtinnerna – ich wohne 10 Minuten von der Universität, die am „Ring“ gegenüber dem Hofburgtheater liegt, mit Elektrischer nach dem Prater u. s. w. vor der Thür – und die Vögel sind darin. Sonst ist Alles totenstill, man hört den Stadtlärm nur von Ferne brausen und wenn nicht ein junges Ehepärchen nebenan sein Wesen triebe, so wäre dies gradezu ideal, da Kalt- u. Warmwasser im Zimmer, Bad vis-à-vis, Verpflegung tadellos ist. Jedenfalls lebe ich also unter gesundheitlich denkbar günstigen Bedina Lies: Stadtinnern üblich ist 1 Helene Weber beging am 15. April 1918 ihren 74. Geburtstag. 2 „Dein schönes La Tour-Buch hat uns beide sehr erfreut“, schrieb Marianne Weber am 11. April 1918 an Helene Weber (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Der Titel konnte nicht nachgewiesen werden. 3 Neben Marianne und Max Weber ist vermutlich die ebenfalls in Heidelberg lebende Lili Schäfer gemeint. 4 Max und Marianne Weber hatten auf einer Paris-Reise im September/Oktober 1911 den Louvre besucht. Es konnte nicht festgestellt werden, welchen der beiden im Louvre ausgestellten Künstler des Namens La Tour – George bzw. Maurice-Quentin – Max Weber mit seinem Lob meinte.

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14. April 1918

gungen und komme jetzt eben aus dem Wiener Wald zurück, in dem der Vorfrühling liegt – es ist warm und neigt zu Frühlingsregen. In 14 Tagen erst fangen wir an zu lesen. – Das Kriegsministerium schickte eine Photographie von Karls neuem Grab in Wlodawab (südl[lich] c Brest-Litowsk westlich vom Bug im Gouvt Cholm auf einem großen Krieger-Friedhof) [.] 5 Ich schickte Alles, auch die Begründung der Verlegung: – Möglichkeit dbesserer Vorsorged (was richtig ist) an Martha6 nach München. Mit der Fahrt schon im Juli dahin wird es ja nichts werden,7 keine Seele darf vorerst über die Grenze, nicht mal die Dezernenten; und Friede ist vor Herbst doch keinenfalls. Also muß sich Martha gedulden. – Wie mag denn nun Deine neue Wohnung in Charl[ottenburg] Dir behagen?8 Im Herbst fi ndet man Dich ja schon dort (falls ich nicht schon im Sommer mal vorspreche, das alte Häuschen nochmal zu sehen, was ich aber noch nicht wissen kann). Clara9 wird schon das Richtige ausgedacht haben, aber schließlich ist doch jede Kleinigkeit in der Häuslichkeit wieder eine Änderung des Lebens, an die man sich innerlich anpassen muß und in diesem Fall sind es doch ganz andre Dinge als „Kleinigkeiten“. Ich hoffe recht herzlich, daß Du einigermaßen zufrieden bist und meine doch immer wieder, trotz gelegentlicher Zweifel, daß dere Hausverkauf Dich wirklich innerlich entlasten wird und Dein Leben behaglicher, d. h. innerlich u. äußerlich übersichtlicher und beherrschbarer, gestaltet. Man sollte es an sich glauben, aber es kann sich doch erst zeigen. Möchtest Du auch jetzt keinen „Mädchennöten“10 entgegengegangen sein! Was wir sonst uns von Dir und was wir für Dich wünschen – Du weißt es. Erhalte Dich uns so schön und stark und lebendig in Deiner b Lies: Włodawa c 〈Best〉 d Alternative Lesung: besseres Versorgen e 〈Hausbesi〉 5 Karl Weber, der jüngere Bruder von Max Weber, war am 22. August 1915 in Charsy am Bug gefallen. 6 Ein entsprechender Brief an Martha Riegel, die als Verlobte von Karl Weber galt, ist nicht nachgewiesen. 7 Zu Martha Riegels schon länger gehegtem Wunsch, Karl Webers Grab zu besuchen, und Max Webers Absicht, sie auf dieser Reise zu begleiten, vgl. den Brief an dieselbe vom 5. Juni 1916 (MWG II/9, S. 444). 8 Helene Weber hatte sich entschlossen, ihr Charlottenburger Haus, Marchstraße 7F, zu verkaufen und im September 1918 in eine nahegelegene Etagenwohnung, Marchstraße 15, umzuziehen. 9 Clara Mommsen. 10 Vermutlich Anspielung auf Helene Webers häufig wiederkehrende Dienstmädchenprobleme.

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Liebe wie es immer und auch jetzt wieder gewesen ist und behalte die Freude am Leben, so schrecklich die Zeit ist – groß ist sie doch. Gewiß: bei dieser Offensive denkt man jeden Tag an die Leute dort und besonders an Conrad,11 der ja mitten drin ist, und überhaupt: jeden Morgen neu dies „immer noch!“ – man kann es oft fast nicht ertragen und ist innerlich eingeschnürt und äußerungsunfähig, Du hast das ja in Heidelberg an mir gespürt. Und doch, wenn es sein mußte, ist man dankbar, es mit zu erleben. Doch genug, sonst dauert die Censur des Briefes zu lang, der ohnehin sicher viele Tage bis zu Dir brauchen wird. Laß Dich umarmen und bleibe uns gesund! Immer Dein getreuer Max

11 Konrad Mommsen, der Sohn von Clara und Ernst Mommsen.

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14. April 1918

Marianne Weber [14. April 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Sonntag“, dem Briefinhalt und dem Brief an Mina Tobler vom 14. April 1918, oben, S. 119 f.

Pension Baltic Wien VIII Skoda-Gasse 15 Sonntag früh Liebes Herz, – nun bin ich schon fast 8 Tage in der – bezaubernd schön im Frühlingsschmuck stehenden – Stadt, war schon in der Hofoper („Entführung aus d[em] Serail“),1 in einer Fakultäts-Sitzung, 2 im Prater, täglich 10 Stunden in der Bibliothek u. s. w. und sehe, wie ich (vorerst) existieren werde. Jedenfalls: sehr einsam. Hartmann ist fort, die Frau hat Masern im Haus. 3 „Geselliger“ Verkehr andrer Art stockt auch hier. Abends geht Alles früh zu Bett, nur gegen Abend leben die Café’s, wie immer. Ich esse Abends meist bei Klomser,4 gestern im Prater. Mittags in der Pension. Der Magen ist froh, den deutschen Kartoffeln entronnen zu sein. Denn davon ist hier keine Rede, ich habe noch fast keine gesehen. Eier, daneben auch Fleisch und jetzt Frühlingsgemüse ißt der Mann, der das bezahlen kann. Ich bin immer satt, – der Körper freut sich des vielen Eiweiß. Freilich sind die Preise phantastisch! Die Wohnung ist soweit ordentlich, vor Allem: sauber. Lästig ist neben mir ein junges Ehepaar mit den üblichen Untugenden eines solchen, besonders nach Tisch. Sonst wäre es gradezu „ideal“. Denn vor dem Fenster grünen die Bäume, sie verdecken die nüchternen Hinterhausfronten, die das Visà-Vis bilden, fast ganz. Alles ist totenstill (außer: dem Ehepaar!). Es ist warmes Wetter – man kann den Überzieher beim Gehen kaum ertragen und lebt ausschließlich bei offenem Fenster. Die Bibliothek ist, bei nährem Besicht, nicht so gut wie es schien (Kataloge schlecht!), aber doch sehr bequem, der Weg von mir dahin etwa so weit wie bei uns. 1 Die „Entführung aus dem Serail“ von Wolfgang Amadeus Mozart wurde am 10. April 1918 unter Leitung von Franz Schalk im k. k. Hof-Operntheater aufgeführt. 2 Nicht überliefert. 3 Ludo Moritz und Margarete Hartmann. 4 Hotel Klomser, Herrengasse 19.

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Heut Mittag oder morgen fange ich an Besuche zu machen, 5 wovor mir bei den Entfernungen etwas graust. Aber es muß ja einmal sein. Eigentlich zu „erzählen“ habe ich sonst nichts. Es geht mir gut – das ist nicht zu leugnen – das Gehirn leistet – vorerst – das Seinige, Alles gefällt mir – ob auf die Dauer, ist fraglich, aber für jetzt. Wir fangen erst am 28. IV. zu lesen an, also habe ich noch Zeit zur Vorbereitung. – Was mögen Lili und Du noch unternommen haben?6 Rothenburg? Wimpfen? Oder was? Deine Sendungen bekam ich alle (aber kein Brief von Dir bis heut), hast Du meinen Brief erhalten? (von Mittwoch).7 Zweierlei: 1) schick einen Separatabdruck des letzten Aufsatzes („Judentum“, Fortsetzung) 8 an Harnack („Wirkl[icher] Geh[eimer] Rat, Excellenz“ von H[arnack], Berlin Grunewald) 2) Laß beim Steuerkommissär ein Formular zur SteuerDeklaration holen u. schick es nebst der Zusammenstellung der Diskontogesellschaft, 9 die ich erbeten habe, hierher. Hat Siebeck u. hat die „Frankfurter“ adas Honorara geschickt?10 Noch 5 Wochen, dann kommst Du! Das wird fein! Laß Dich umarmen Dein Max a Geld > das Honorar 5 Max Weber klagte in den folgenden Briefen wiederholt über die als strapaziös empfundenen Antrittsbesuche bei seinen Wiener Kollegen. 6 Am 11. April 1918 schrieb Marianne Weber an Helene Weber (Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446): „Ich möchte mit Lili morgen o. übermorgen einige Tage fort: nach Miltenberg, Amorbach, Wertheim – damit wir mitsammen uns noch ein bißchen erquicken, ehe sie in ihren neuen Wirkungskreis [d. i. die Odenwaldschule] einzieht.“ 7 Der letzte überlieferte Brief an Marianne Weber stammt vom vorausgegangenen Dienstag (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 9. April 1918, oben, S. 113 f.). 8 Der Aufsatz erschien im März 1918 in: AfSSp, Bd. 44, 1918, S. 349–443 (MWG I/21, S. 354–478). 9 Die Disconto-Gesellschaft, bis zur Fusion mit der Deutschen Bank 1929 eine der größten deutschen Bankgesellschaften, war Großaktionär der 1905 gegründeten Süddeutschen Disconto-Gesellschaft, die in Heidelberg eine Filiale unterhielt und die Max Weber vermutlich meinte. 10 Gemeint sind die Honorare für Max Webers letzten im AfSSp erschienenen Aufsatz, wie oben, Anm. 8, sowie den im Brief an die Redaktion der Frankfurter Zeitung vom 4. April 1918, oben, S. 109, erwähnten Beitrag, der jedoch nicht angenommen wurde. Vgl. „Artikel politischen Inhalts vom März/April 1918“, MWG I/15, S. 782.

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Heinrich Herkner [nach dem 16. April 1918]; Wien Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 18, Bl. 35 Die Datierung ist erschlossen aus der Ortsangabe und dem Briefinhalt. Webers Dank im Brief galt seiner Wahl zu einem der neuen stellvertretenden Vorsitzenden im Verein für Sozialpolitik. Gewählt wurde neben Weber auch Michael Hainisch aus Wien. Nach dem Tod Eugen v. Philippovichs sowie dem Ausscheiden Otto v. Gierkes war eine Neuwahl notwendig geworden, die auf einer Ausschußsitzung am 16. April 1918 stattfand; vgl. dazu Boese, Franz, Geschichte des Vereins für Sozialpolitik 1872–1932 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 188). – Berlin: Duncker & Humblot 1939, S. 154 f.

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Pension Baltic Sehr verehrter Herr Kollege, besten Dank! Aber ich trage Bedenken, anzunehmen, ehe feststeht, ob ich hier bleibe, was von sanitären Umständen abhängt. Andernfalls würde ich doch vorschlagen, den dann zu designierenden Inhaber des Lehrstuhls in Aussicht zu nehmen, so sehr mich die Zusammenarbeit mit Ihnen freuen würde.1 Mit den allerbesten Empfehlungen Ihr Max Weber

1 In der Nachfolge v. Philippovich sollte der Inhaber eines Wiener Lehrstuhls im Vorstand des Vereins für Sozialpolitik vertreten sein. Herkner war dessen Vorsitzender in der Nachfolge Gustav v. Schmollers.

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Paul Siebeck [vor dem 18. April 1918]; Wien Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Die Datierung ist erschlossen aus dem Verlagsvermerk: „18. 4. 18 beantw.“

Wien XVIII Skoda-Gasse 15 Pension Baltic Verehrter Freund! 5

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Ich bin nun hierher übersiedelt und erbitte Sendungen an – vorläufig – obige Adresse. Fahne 225 ff |:(– 239):| der Korrekturen1 ging mir abermals zu. Ich nehme an, daß die erledigte Korrektur Ihnen inzwischen zuging, sie verzögerte sich durch Nachsendung. Hier hoffe ich nun das große Buch2 stark zu fördern, die Aufsätze aber für die Sammlung3 durch Ergänzung mit Material (für China) und Umarbeitung (für die letzten Partien: Kürzung) vorzubereiten. Wie soll man sich übrigens zu Schumacher stellen.4 Ich schrieb ihm vor einigen Monaten [,] 5 daß man nun doch wohl seine „Börse“ endlich erwarten könnte (für den GdSW) [.] „Nein, er sei zu stark in Anspruch genommen, – Riesenprobleme u. s. w.“ (Er arbeitet im Finanzministerium).6 Ich fürchte, das dauert noch lange. Grünberg kniea ich jetzt dia Unsichere Lesung. 1 Es handelt sich um Korrekturen zu Weber, Max, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Das antike Judentum (Fortsetzung), erschienen in: AfSSp, Bd. 44, Heft 3, 1918, S. 601–626 (MWG I/21, S. 479–511). 2 Gemeint ist Webers Beitrag zum GdS: Wirtschaft und Gesellschaft. 3 Die Veröffentlichung einer überarbeiteten Separatausgabe seiner Aufsätze zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen hatte Weber Paul Siebeck schon in seinem Brief vom 14. Juli 1915 (MWG II/9, S. 74) vorgeschlagen, zur Ausführung dieses Vorhabens ist es jedoch erst ab Ende 1918 gekommen; vgl. dazu den Brief an Paul Siebeck, vor dem 5. Dez. 1918, unten, S. 341. 4 Es geht hierbei um das Problem der Veröffentlichung von Hermann Schumachers GdSBeitrag „Börsenhandel und Börsenpolitik“. Schon 1914 sowie in der Folgezeit gab es laufend Schwierigkeiten mit dessen Fertigstellung. Schumacher führte immer wieder neue Gründe für die Nichtablieferung seines GdS-Manuskripts an. Sein Beitrag ist letztlich nicht erschienen. 5 Der Brief an Schumacher ist nicht nachgewiesen. 6 Hermann Schumacher war seit Anfang 1917 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im preußischen Finanzministerium tätig; diese Tätigkeit hatte Weber schon in seinem Brief an Paul

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rekt auf das Leder.7 Er entschuldigte sich kürzlich lebhaft mit unvermuteten Gründen der Abhaltung für Ablieferung. Herzliche Grüße Ihr Max Weber

Siebeck vom 25. März 1917 (MWG II/9, S. 604) als einen Grund für die Nichtablieferung des Manuskripts angeführt. 7 Wie Schumacher war Carl Grünberg mit der Ablieferung seines GdS-Manuskripts „Agrarverfassung“ seit 1914 in Verzug. Die Probleme seiner Publikation haben sich bis zu Webers Tod hingezogen; vgl. dazu die Briefe an Paul Siebeck, vor dem 5. Dez. 1918, vom 22. Aug., 5. Sept. und 8. Dez. 1919, sowie diejenigen vom 5. Febr., 8. und 18. März, 1. und 23. April und 2. Mai 1920, unten, S. 341 f., 733, 757, 859, 914, 944 f., 959, 963, 1029 und 1062. Der Beitrag von Karl Grünberg, Agrarverfassung. I. Begriffliches und Zuständliches, erschienen in: GdS, Abt. VII. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), S. 131–167, ist erst 1922 veröffentlicht worden.

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Mina Tobler [18. April 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Donnerstag“, dem Briefinhalt (nach dem Sturz des österreichischen Außenministers Graf Czernin) und dem Brief an Marianne Weber vom 20. April 1918, unten, S. 135–137.

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Liebes Tobelkind, – wieder sind eine Reihe von Tagen hingegangen, – Besuche bei Kollegen, die bei den unendlichen Entfernungen viel Zeit nehmen, Arbeit auf der Bibliothek, die sehr bequem ist, aber nicht viel Bücher hat, waren der wesentliche Inhalt, – und von Ihnen habe ich außer der Karte noch nichts gehört. Ich bin gespannt, wie lange Briefe jetzt brauchen, um uns zu verbinden, ich denke 8 Tage etwa. Es ist wunderbar schön hier, Frühlings-Jugend in den alten Höfen und Parks und auf den Bergen rund umher, und alle Vornehmheit der Barock-Architektur. Aber eine „Heimat“ kann dies Alles nicht werden, so gern man einmal längere Zeit hier ist. Die Menschen sind liebenswürdig, die ganze Erscheinung der Wiener Bevölkerung überaus gewinnend, von den vorzüglich angezogenen und wunderhübschen (wirklich!) Mädchen in den Trambahnen angefangen, – nur die Staatsmaschine funktioniert weit weniger präzis als bei uns. Bis heut ist es nicht gelungen, auch nur einen Pfennig des mir geschuldeten Gehaltes von ihr zu erlangen! Alles „schlampt“ in aller Gemütlichkeit. Aber daran gewöhnt man sich mit Humor. Indessen eine eigentliche „Aufgabe“ für mich giebt es hier nicht. Ich könnte nur – und das freilich mit großer Bequemlichkeit – „mir selbst“ und meinen Interessen leben. Das kann ich aber in Heidelberg besser als hier. Und dann kann man hier das Leben „genießen“: Theater, Konzerte, Alles prima, wunderbare Ausflüge und das Plaudern in den Cafés, die vorzügliche, „liebevoll“ gepflegte Küche nicht zu vergessen, die doch wirklich auch etwas nicht Gleichgültiges für das „Lebensgefühl“ ist (das merkt man hier) und die ganze Läßlichkeit des Daseins: das Alles ist unendlich wohlthuend und macht fast den Krieg

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vergessen: ein „Capua“.1 Wäre ich ganz gesund, so würde mich der ganze Zuschnitt des Lebens locken und ich vielleicht geneigt sein (wenn einige andre Dinge und Menschen nicht wären!) mich dauernd hineinzustürzen. Aber so: nein, auch abgesehen von den „ganz besondren“ Gründen. 2 Klenau ist hier, Dienstag ist seine Symphonie. 3 Montag will ich versuchen „Elektra“4 zu hören. Aber Alles ist immer ausverkauft auf Wochen im voraus. – Politische Leute sprach ich noch wenig. Die fürchterlichen Vorgänge der letzten Zeit (Czernin’s Sturz) 5 – doch: davon mündlich! Vorerst kommt natürlich Alles in Ordnung,6 aber der Stachel bleibt, fürchte ich, irgendwie. – Und Sie? Was machen die Schüler? Was macht vor allen Dingen die Arbeitskraft? der Schlaf? die Ernährung? (hier: glänzend in jeder Hinsicht! Eier, Fleisch, brillanten Kaffee die Fülle wie seit 3 Jahren nicht gekannt!) Wann kommt die Schwägerin wieder? daß Ihre Einsamkeit aufhört, die mich stark bedrückt.7 Eben hat sich Frau Jellinek

1 Die wegen ihres luxuriösen Lebensstils bekannte kampanische Stadt hatte nach der Schlacht von Cannae im Zweiten Punischen Krieg dem siegreichen Hannibal ihre Tore geöffnet – mit negativen Folgen für die Moral der karthagischen Truppen. 2 Max Weber spielt auf seine Beziehung mit Mina Tobler an. 3 Am Dienstag, den 23. April 1918, dirigierte Paul v. Klenau im Konzerthaus seine Oper „Sulamith“. Max Weber kannte den dänischen Komponisten schon aus der Freiburger Zeit persönlich. 4 Vermutlich hat Max Weber diese vom Komponisten Richard Strauss am 22. April 1918 im k. k. Hof-Operntheater selbst dirigierte Aufführung der Oper „Elektra“ nicht besucht, da er im Brief an Mina Tobler vom 5. Mai 1919 schrieb, lediglich Klenaus „Sulamith“ und Mozarts „Entführung aus dem Serail“ besucht zu haben. 5 Am 15. April 1918 war der österreichische Außenminister Graf Ottokar v. Czernin infolge der „Sixtus-Affäre“ und der daraus resultierenden Belastung des deutsch-österreichischen Bündnisses zurückgetreten. Zuvor hatte Czernin in einer Rede am 2. April 1918 eine angebliche französische Friedensofferte „zu Beginn der Westoffensive“ publik gemacht. Dieser Darstellung widersprach der französische Ministerpräsident, Georges Clemenceau, entschieden und veröffentlichte seinerseits kompromittierende Briefe Kaiser Karls an dessen Schwager Sixtus v. Bourbon-Parma, einen belgischen Offizier. Dieser hatte im Frühjahr 1917 gemeinsam mit seinem Bruder Franz Xavier den Kontakt zwischen Österreich und Frankreich vermittelt und dem französischen Staatspräsidenten, Raymond Poincaré, am 31. März 1917 das Angebot Karls I. unterbreitet, „bei Meinen Verbündeten die gerechten Rückforderungsansprüche Frankreichs mit Bezug auf Elsaß-Lothringen unterstützen“ zu wollen (vgl. Schulthess 1918, Teil 2, S. 21–27 und 791–813, Zitat S. 796). 6 Am 12. Mai 1918 sollten sich Kaiser Wilhelm II. und Kaiser Karl in Spa tatsächlich zu einer „herzliche[n] Aussprache“ treffen (vgl. Schulthess 1918, Teil 1, S. 176–179). 7 Mina Tobler lebte mit ihrer im Nachbarhaus wohnenden Schwägerin Bertha Tobler und deren Kindern in engem Kontakt.

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nebst Sohn8 bei mir in der selben Pension einquartiert. Ich bin also relativ nicht einsam, trotz Allem. „Heidelberg“ ist hier, wenigstens in Bruchstücken. Wie schön muß es jetzt bei uns dort sein! Hoffentlich sind Sie stark und froh genug, es in sich aufzunehmen! In tausend guten Gedanken und Hoffnungen Ihr Max Weber

8 Camilla und Walter Jellinek. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 20. April 1918, unten, S. 135, Anm. 3.

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Marianne Weber [19. April 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Freitag“ und dem Briefinhalt („schon 10 Tage hier“).

Freitag früh Wien VIII Skoda Gasse 15 Pension Baltic Liebes Kind, – so, nun sitze ich also schona 10 Tage hier und bin schon mitten in den „Besuchen“.1 Eine weitläufige Sache bei den ungeheuren Entfernungen und der Schwierigkeit sich zurechtzufi nden, ich werde ca 14 Tage brauchen, bei der Fakultät „rund“ zu kommen. Es ist ungemein lästig. – Die Stadt ist nach wie vor bezaubernd schön, sowohl der |:junge:| Frühling wie die alte Vornehmheit der Straßen, Höfe u. s. w. in ihrem schweren Barock. Die sonstigen Verhältnisse sind nur da lästig, wo man mit dem „Staat“ zu thun hat. Z. B. bis heut habe ich noch kein Geld ihm entst. . . können, aller List u. Tücke ungeachtet. Die Maschinerie geht ihren Gang u. ich mußte inzwischen Frau Hartmann2 anpumpen! Es ist fast unglaublich. Ja was denkst Du denn, der Minister3 würde mehr zahlen, weil es teuer ist? – (b das kann er gar nicht, selbst wenn er wollte). Ebenso war natürlich meine Vorlesung absolut falsch angezeigt, 1-stündig statt 2stündig u. s. w.4 So was gehört mit dazu. Die Bibliotheken haben sämmtlich keine ordentlichen Kataloge, was die sonst große Annehmlichkeit der Benutzung sehr abschwächt. Und so noch Manches. Dennoch – es ist schön hier, nur muß man nicht 5 u. mehr Stunden Kolleg haben, das geht nicht ohne starke Belastung für einen a 〈fast〉 b Klammer fehlt in O 1 Anspielung auf die damals üblichen Antrittsbesuche bei den Universitätskollegen. 2 Margarete Hartmann, die Frau seines Kollegen und Freundes Ludo Moritz Hartmann. 3 Vermutlich ist der Unterrichtsminister Ludwig C´ wiklin´ski gemeint, mit dem Max Weber über Modalitäten seiner Berufung nach Wien verhandelt hatte. Vgl. den Brief an Victor Schwoerer vom 14. Nov. 1917 (MWG II/9, S. 809–812). 4 Max Webers Vorlesung war unter dem Titel „Wirtschaft und Gesellschaft (Positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung)“ angekündigt. Vgl. Öffentliche Vorlesungen an der K. K. Universität zu Wien im Sommer-Semester 1918. – Wien: Druck von Adolf Holzhausen 1918, S. 10.

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nervösen Menschen. Aber so wie dies Semester wird es ganz schön gehen und sein. – Klenau ist hier und wir waren einen Abend beisammen, Dienstag ist seinec Symphonie5 und Montag will ich in „Elektra“. Denn der „große Richard“ ist da und dirigiert selbst.6 Nachher, Mittwoch oder Donnerstag, vielleicht zu Moissi.7 Du siehst, ich lasse mir nichts abgehen und jetzt geht es ja auch noch, nachher, wenn erst Kolleg ist, nicht mehr gut. – Sonst lebe ich sehr gut. Für das entsprechende Geld kriegt man hier schlechthin Alles: Eier, Fleisch, was man will. Ich esse also Mittags und Abends sehr kräftig für unsre Begriffe und schlechterdings glänzend gekocht! Da ist eben doch mehr alte „Kultur“ als irgendwo bei uns. Samstag ist in der Pension „brotloser Tag“, da ißt man dann Eier und freut sich des Vorwandes dafür, denn das „Brot“ (Maisbrot) ist ein elendes Zeug. Der Lebenslauf des Tages ist also: Morgens nach dem Thee zur Bibliothek bis 3/4 1, dann zum Essen, dann die halbe Stunde, während deren das verdammte junge Ehepaar mich nicht schlafen zu lassen entschlossen scheint. Dann Bibliothek, von 3 Uhr an bis ca 6, dann ins Café oder spazieren, dann nochmal bis 8 Uhr Bibliothek, dann zu Klomser8 oder in ein Speisehaus zum Essen, dann zu Hause Zigarre (durch „gütige Vermittlung“ erstandene seltene Kostbarkeit!), dann zu Bett. – Wichtiges ist nicht zu berichten. Über die unerhörten Ereignisse der letzten Zeit (Sturz Czernin’s) 9 kann man nicht gut deutlich schreiben. Bis tief in das Bürgertum hat das einen Eindruck gemacht, der mich bei der sonst so Phäaken-haften10 Bevölkerung erstaunte. Davon, wenn Du kommst, mündlich. – Lili schrieb c 〈Stück〉 5 Paul v. Klenaus Oper „Sulamith“ wurde am 23. April 1918 im Konzerthaus aufgeführt. Vgl. den Brief an Mina Tobler vom 18. April 1918, oben S. 130. 6 Richard Strauss dirigierte eine Aufführung seiner Oper „Elektra“ am 22. April 1918 im k. k. Hof-Operntheater. Ob Max Weber diese Aufführung tatsächlich besuchte, ist nicht nachgewiesen. 7 Der Schauspieler Alexander Moissi gastierte am 24. und 25. April 1918 an der Volksbühne mit den Stücken „Die Macht der Finsternis“ und „Der lebende Leichnam“ von Leo Tolstoi. Max Weber hat wohl keine dieser Veranstaltungen besucht, denn im Brief an Mina Tobler vom 5. Mai 1918, unten, S. 162, schrieb er, bislang nur Aufführungen von Klenaus „Sulamith“ und Mozarts „Entführung aus dem Serail“ gesehen zu haben. 8 Hotel Klomser, Herrengasse 19. 9 Am 15. April 1918 war der österreichische Außenminister Graf Ottokar v. Czernin wegen der „Sixtus-Affäre“ um geheime österreichisch-französische Friedensverhandlungen zurückgetreten. Vgl. den Brief an Mina Tobler vom 18. April 1918, oben, S. 130, Anm. 5. 10 Nach der griechischen Sage galten die Phäaken als besonders glückliches und sorgloses Volk.

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sehr lieb, ebenso die Mutter, der es ja gut zu gehen scheint. Wie Else war?11 Nun, sie ist weich und sehr bedürftig mit Jemand von dem Peter reden zu können, immer von Zeit zu Zeit, das sagte sie: „einmal alle paard Monat weinen“ [.]12 Leb wohl, liebes Mädele, ich freue mich schon auf Dein Kommen, obwohl ich ja dann stark zu arbeiten haben werde und Dich viel allein lassen muß. Aber etwas fällt doch schon ab! Laß es Dir recht gut gehen. Waren Flieger13 in Heidelberg? Was schreibt Rickert?14 Tausend Grüße Dein Max

d O: par 11 Max Weber hatte Else Jaffé am ersten Aprilwochenende in München getroffen. Vgl. die Briefe an Mina Tobler vom 4. April 1918, oben, S. 111, und an Marianne Weber vom 9. April 1918, oben, S. 113 f. 12 Peter Jaffé, Else Jaffés Sohn und Max Webers Patenkind, war 1915 an Diphtherie gestorben. 13 Ein Luftangriff auf Heidelberg ist nicht bekannt. 14 Heinrich Rickert.

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Marianne Weber 20. April [1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Die Jahresangabe ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

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Liebes Mädele, so, wieder mal eine Woche herum. Und 1) noch haben diese Kerls mir mein Geld nicht gezahlt – diese Schlamperei stinkt wahrhaft gen Himmel!1 – 2) bin ich mitten im Besuchen, 2 – was mich sehr schlaucht, bei den Riesen-Entfernungen. Pro Tag mit Aufwendung von 2 Stunden ganze 2 Besuche! Alles wohnt in den Vororten draußen und die Anschlüsse der Trams sind miserabel. – 3) in der Ernährung geht Alles sehr gut. So gut habe ich mich lange nicht genährt. Nur nach den Kosten darf man nicht fragen. Aber sonst: Eier, Fleisch, Gemüse in Haufen und fast keine Kartoffelnahrung bisher. Qualität der Küche vorzüglich, in der Pension sowohl wie sonst. – 4) Schlaf ganz gut. Nur Nachmittags stört das verfluchte Ehepaar im Nebenzimmer rücksichtslos, alle Reklamationen nützen gar nichts und bleibt das so, dann ziehe ich irgendwann um. Denn dies Nicht-Ruhen-Können nach Tisch strengt sehr an. Z. Z. ist Frau Jellinek hier, von Montag ab in der gleichen Pension, nebst Sohn, 3 strahlt sehr und ist in jeder Hinsicht scheinbar guter Dinge. Mittags werden wir uns zusammensetzen, denke ich (sonst esse ich solo). Das Wetter ist in starken kühlen Regen umgeschlagen, die Stadt sieht etwas prosaischer aus, bleibt aber doch bezaubernd schön. Könnte man nur erst was davon ansehen. Aber ich bin vorerst zu „busy“, denn es ist noch viel für das Kolleg zu thun4 und der Tag fl iegt nur so hin. Leute sehe ich Abends – so am Donnerstag eine Anzahl Historiker 1 Zu Webers Bitte um Anweisung seiner Bezüge vgl. das Schreiben an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 9. April 1918, oben, S. 112. 2 Max Weber spielt auf die Antrittsbesuche bei den Universitätskollegen an. 3 Camilla und Walter Jellinek. 4 Max Weber hatte die Vorlesung „Wirtschaft und Gesellschaft (Positive Kritik der materi-

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u. s. w. bei einem Vortrag eines von ihnen. 5 Eben war v. Schey, der Schwiegervater von H[einrich] Simon, der morgen kommt, hier, ein netter Herr von ca 60 Jahren.6 Mit Klenau7 war ich noch nicht wieder beisammen, er hat Dienstag sein Konzert (da Gräfi n Czernin nun nicht präsidiert – wegen des Rücktrittes8 – fürchtet er klatriges9 Ergebnis). Sonst ist vorerst nichts zu erzählen, denn der Weg zur Bibliothek und die Besuchea bieten nichts Erwähnenswertes. Von Dir habe ich seit „No 2“ noch keinen Brief weiter. Ich denke, Ihr seid auf Eurer Tour gewesen, hoffentlich mit recht viel Freude!10 Lili schrieb vorher einen sehr lieben Brief, ich denke es wird jetzt (und später wieder in Heidelberg1)) nett für sie.11 Sonst höre ich nichts aus dem Vaterland, sehe auch keine Zeitungen, es ist so umständlich ihnen nachzulaufen u. ich lasse mir nicht die Zeit, gehe früh zu Bett (101/2 Uhr = 9 1/2).12 Vielleicht kommt morgen früh etwas von Dir. 1)

denn irgendwann kommt sie ja doch zurück.

a sind > bieten alistischen Geschichtsauffassung)“ angekündigt, vgl. „Die Lehrveranstaltungen Max Webers 1918–1920“, MWG III/7, S. 40 f., hier S. 40. 5 Es konnte nicht ermittelt werden, um wessen Vortrag es sich handelte. 6 Der Jurist Joseph Freiherr Schey v. Koromla lehrte Österreichisches Zivilrecht an der Universität Wien. Seine Tochter Irmgard war seit 1917 mit Heinrich Simon, Mitbesitzer der Frankfurter Zeitung und Leiter der Redaktionskonferenz, verheiratet. 7 Der Komponist Paul v. Klenau war Max Weber über Heinrich und Sophie Rickert bereits aus Freiburger Zeiten persönlich bekannt. 8 Maria Gräfin v. Czernin. Ihr Mann, der österreichische Außenminister, war am 15. April 1918 zurückgetreten. Vgl. dazu den Brief an Mina Tobler vom 18. April 1918, oben, S. 130 mit Anm. 5. Die Neue Freie Presse, Nr. 19724 vom 23. April 1918, Mo.Bl., S. 10, kündigte die Aufführung als Benefizveranstaltung zugunsten der „aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrenden österreichisch-ungarischen Soldaten“ an. 9 Norddeutsch für „bedenklich“, „schlimm“; hier vermutlich im Sinn von „kläglich“ gemeint. 10 Marianne Weber und Lili Schäfer waren gemeinsam verreist. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 14. April 1918, oben, S. 125. 11 Lili Schäfer stand in Begriff, in die Odenwaldschule in Oberhambach bei Heppenheim umzuziehen. 12 Sowohl im Deutschen Reich als auch in der k. u. k. Monarchie galt seit dem 15. April 1918 die Sommerzeit.

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Schick doch das Steuererklärungs-Formular her (vom Steuercommissär, Plöck 79 zu haben!). Die Rechnung der Bank habe ich mir inzwischen hierher bestellt. Laß Dich umarmen und sei vergnügt und wohl bis zum Wiedersehen Dein Max

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Helene Weber [22. April 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Nachträgliche Datierung von dritter Hand. Es handelt sich vermutlich um die Antwort auf ein nicht überliefertes Schreiben von Helene Weber zu Max Webers Geburtstag am 21. April.

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Pension Baltic Liebste Mutter, hab Dank für Deinen liebevollen Brief. Die Sachen lassen sich weiter freundlich an, d. h. zu lesen beginnen wir erst nächste Woche und einstweilen ist viel Schinderei mit den Besuchen1 – die mich sehr strapazieren bei den endlosen Entfernungen – und der verfluchten österreichischen Staatskasse, die in ihrer unendlichen „Gemütlichkeit“ nun schon 21/2 Wochen braucht, um den Entschluß zu fassen, mir mein Geld auszubezahlen. Sonst aber ist Alles wirklich sehr bezaubernd, die alte Stadt im Frühlingsschmuck: morgens wecken mich die Drosseln in dem riesigen parkartigen Hof mit alten Bäumen vor meinem Fenster: das fi ndet man mitten in der Großstadt so nur in Wien. Freilich kostet das nicht große Zimmer (1 großes Fenster) 26 Kronen Pension pro Tag excl. Abendessen, was in der Stadt nochmal 10/12 Kronen kostet (50 Kronen = eigentlich 42 1/2 Mk, jetzt 33 Mk im Kurs, erhalte ich täglich Gebühren2). Aber man schwelgt in Eiern, Fleisch, Mürbekuchen, wundervollem Kaffee und überhaupt glänzender Küche, wenn man sie nur bezahlt. Aber daß man Morgens im Café gegenüber der Universität stets 2 Eier (frisch!) essen kann (à Stück 1 Krone = 85 bzw. jetzt 66 ) ist doch bei uns undenkbar! Theater und Oper habe ich sehr nahe, hörte neulich die „Entführung“3 und werde bald „Lear“4 u. a. sehen. 1 Gemeint sind die damals üblichen Antrittsbesuche bei den Universitätskollegen bis zum Vorlesungsbeginn am 28. April 1918. 2 Um welche Gebühren es sich handelt, ist nicht bekannt. 3 Max Weber hatte die Aufführung der Oper „Die Entführung aus dem Serail“ von Wolfgang Amadeus Mozart im k. k. Hof-Operntheater am 10. April 1918 besucht (vgl. die Briefe an Mina Tobler vom 11. April 1918, oben, S. 117, und an Marianne Weber vom 14. April 1918, oben, S. 124). 4 Shakespeares „König Lear“ stand am 18. und 29. Mai 1918 auf dem Spielplan des Hof-

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Himmlisch sind die Ausflüge in den Wiener Wald, nur kam ich bisher wenig dazu: das wird dann mit Marianne nachgeholt. 5 Freilich, eine „Heimat“ kann das hier nicht werden und ich werde die Sache auch in vollem Umfang nicht leisten können unter den Großstadtbedingungen, das sehe ich schon jetzt sehr sicher voraus. Wir werden uns also (hoffentlich bald) in Heidelberg wiedersehen. Ob ich Dich nun nochmal im alten Häuschen sehe,6 – was ich gern thäte – ist freilich recht unsicher. Nach Polen wird man im Juli nicht können (das Kriegsmin[isterium] schickte, ich schrieb es wohl, einea Photographie von Carls Grab in Wlodawab,7 ich schickte sie Martha8). Da habe ich dann keinen Grund überc Berlin zu fahren und Marianne wird mich dann wohl haben wollen. Aber dann vielleicht in der neuen Wohnung, vor Örlinghausen9 (was vielleicht zu früh für Dich) oder im Herbst einmal. Deine Nachrichten klingen ja im Ganzen gut. Über Konrad10 schriebst Du nicht, also ist er wohl gesund. Ja, die Politik, auch in Estland u. Livland, ist nicht erfreulich, sondern recht gefährlich und leichtfertig für die Zukunft und was innerpolitisch wird, ist höchst unsicher.11 Da müssen dann die Leute aus dem Feld sich ihren Staat aufbauen, wie sie wollen. Aber wenn man denkt: wovor wir bewahrt worden sind, so ist es doch fast ein Wunder und man wirft allen „Pessimismus“ von sich. Wenn nur hier die Ernährung (der Massen) durchhält: das ist der einzige etwas dunkle Punkt. Und a Fehlt in O; eine sinngemäß ergänzt. b Lies: Włodawa c nach > über burgtheaters. Ob Max Weber tatsächlich eine der Aufführungen besucht hat, ist nicht nachgewiesen. 5 Marianne Weber beabsichtigte Max Weber über Pfingsten zu besuchen. 6 Im September 1918 zog Helene Weber nach Verkauf ihres Charlottenburger Hauses, Marchstraße 7F, in eine in der Nähe gelegene Wohnung (Marchstraße 15) um. 7 Vgl. den Brief an Helene Weber vom 14. April 1918, oben, S. 122. 8 Die als Verlobte des gefallenen Bruders Karl Weber geltende Martha Riegel. 9 Im September 1918 feierten Max und Marianne Weber ihre silberne Hochzeit bei der Verwandtschaft in Oerlinghausen, wo sie geheiratet hatten. 10 Konrad Mommsen, der älteste Sohn von Max Webers Schwester Clara, war als Soldat an der Westfront. 11 Nach dem am 3. März 1918 zwischen den Mittelmächten und dem revolutionären Rußland geschlossenen Friedensvertrag von Brest-Litowsk blieben Estland und Livland vorläufig von Deutschland besetzt. Am 12. April 1918 beschloß der „Vereinigte Landesrat von Livland, Estland, Riga und Oesel“ einstimmig, den deutschen Kaiser um dauernden militärischen Schutz und um Unterstützung bei der endgültigen Loslösung von Rußland zu bitten. Nach dem Willen des Landesrates sollte ein zukünftiger baltischer Staat vom preußischen König in Personalunion regiert und dem Deutschen Reich angeschlossen werden. (Wilhelm II. versprach wohlwollende Prüfung.) Dagegen protestierte die von Rußland eingesetzte provisorische Regierung Estlands (vgl. Schulthess 1918, Teil 2, S. 425 f.).

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dann: die Nachwirkung jener Czernin-Affäre12 später, im Frieden, auf das Bündnis. Hoffentlich geht es gut damit, aber einfach ist die Sache nicht. – Ich fürchte, Naumann ist gesundheitlich sehr bald ganz fertig, denn diese Ohnmachten sind doch sehr eindeutige Symptome. Wenigstens ist er durch den fi nanziellen Erfolg seines Buchs13 ökonomisch gesichert. Mit Frau Stein, das ist eine einfach praktische Frage. Du kannst es. Am leichtesten freilich erst: im Herbst, nach Empfang der Zahlung für das Haus.14 Es fragt sich ja nur, ob es nicht noch angenehmer für sie ist, das Geld als Kapital s. Z. zu haben. Das werden die Geschwister wahrlich verstehen und vor Allem verstehen müssen. Und Clara und Lili werden ja (durch uns) besser gestellt.15 Ich meine, wenn die Sache im Herbst gemacht wird, – was angenehm wäre – können wir das ja noch in Örlinghausen bereden. Nun gute Nacht, die Drosseln schweigen und Alles ist still. Von Herzen Dein Max Den eingeschriebenen Brief erhielt ich heut und erledigte ihn durch Zusendung an die Deutsche Bank.

12 Zum Rücktritt des österreichischen Außenministers am 15. April 1918 wegen der „Sixtus-Affäre“ vgl. den Brief an Mina Tobler vom 18. April 1918, oben, S. 130, Anm. 5. 13 Naumann, Friedrich, Mitteleuropa. – Berlin: Reimer 1915. 14 Vermutlich ist eine schon früher beabsichtigte Leibrente für Helene Webers Freundin Elisabeth Stein gemeint. Vgl. den Brief an Helene Weber vom 14. Aug. 1908 (MWG II/5, S. 634, Anm. 6). 15 Über finanzielle Absprachen zwischen Max Weber und seinen Schwestern, Clara Mommsen und Lili Schäfer, ist Näheres nicht bekannt.

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Mina Tobler [23.] PSt April 1918; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Dem Brief liegt ein Umschlag mit Poststempel vom 24. April 1918 bei. Aus der Tagesangabe „Dienstag“ sowie dem Briefinhalt (Aufführung der Oper „Sulamith“) ergibt sich jedoch, daß Max Weber den Brief bereits am Vortrag geschrieben hat.

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eben kam Ihr lieber Brief und ich setze mich, ehe ich in Klenau’s „Sulamith“ gehe1 – was ich ihm schließlich nicht versagen konnte, obwohl die Sache in Mannheim2 so enttäuschend war – schnell zu ein paara Worten hin. Ich habe endlich etwas mehr äußere Ruhe, ein allerdings sehr kleines aber dafür nicht mit einem jungen („jüngsten“!) Ehepaar benachbartes Zimmer, wo ich also nicht alle Freuden und Leiden junger Ehen – Schwiegermutter vom Land ist soeben einpassiert! – Thränen, Standreden u. s. w. mitzuerleben habe. Dagegen bin ich sonst noch stark im „Betrieb“. Besuche sind eine furchtbare Sache, besonders bei diesen Entfernungen in einer Stadt, die man nicht kennt. Diese ganze Woche ging zu 1/2 über ihnen hin, denn mehr als 2 konnte man am Vormittag nicht erledigen. Die Leute, an denen mir liegt, habe ich noch nicht zu sehen bekommen. Die Vorlesungen fangen über 8 Tage an (29/30), ich am Dienstag k. W. Die Zuvorkommenheit aller Welt ist nach wie vor musterhaft und wirklich menschlich erfreulich, es fehlt hier der Typus des „Geheimrates“, 3 so viel ich sehe, vollkommen im Collegium, ebenso wie unter den Studenten der Typus des „Couleurstudenten“4 (die paarb Couleuren spielen gar keine Rolle). Man ärgert sich gelegentlich über das Funktionieren der Staatsmaschine – bis heut haben sie es nicht fertig gebracht, mir einen Pfennig Geld zu zahlen, a O: par b O: par 1 Die Oper des Max Weber persönlich bekannten Komponisten Paul v. Klenau wurde am Dienstag, den 23. April 1918, im Wiener Konzerthaus aufgeführt. 2 Weber erinnert an die Aufführung von Klenaus Klavierquintett am 1. Februar 1911 in Mannheim, bei dem der Komponist selbst am Klavierflügel gespielt hatte. Vgl. die Karte an Paul v. Klenau vom 6. Febr. 1911 (MWG II/7, S. 85, Anm. 3). 3 Zur Bedeutung der „Geheimräte“ an der Universität Heidelberg vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 239 f. 4 Mitglieder farbentragender, politisch rechtsstehender Verbindungen.

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nur aus „technischen Geschäftsreibungen“ heraus – aber alles Andere ist wirklich erfreulich (bisher!). Nur die Großstadt-Mechanik würde ich dauernd, neben Kolleg-Arbeit, bestimmt nicht ertragen, das sehe ich schon jetzt. Und wenn man nicht wahnwitzige Preise für eine Villa oder Wohnung zahlen will, müßte man nach dem Frieden Jahre lang Chambre garnie5 wohnen, wenn man herginge. Auch in dieser Pension hier wohnen diverse Familien mit Kind und Kegel: ganz amerikanische Verhältnisse.6 – Ich unterbreche mich, um noch über „Sulamith“ erzählen zu können. – – Nach „Sulamith“: Sehr viele Klangschönheiten und eindrucksvolle Orchestrierung, offenbar ungemein begabt, – aber freilich: Epigonenwerk, welches nach Wagner u. Strauß7 doch sicher keine Dauer-Bedeutung besitzt. 8 Das unermeßlich elegante Logen-Publikum des großen Konzertsaals (die „Protektion“ des Wohlthätigkeits-Konzerts war von hohen Stellen übernommen) war sehenswerth. Auffallend viel wirklich hübsche Mädels |:und:| gut angezogen, sind in wohlthuendem Gegensatz gegen Berlin etc. Das, woran man sich immer wieder freuen kann. – Und nun, liebes Kind, wollen wir sehen, wie wir „über den Berg“ dieses Sommers kommen. Er besteht hier für mich ja auch in der „Technik“ der Großstadt, die etwas sehr Ermüdendes und Strapazantes hat durch ihre Entfernungen und Alles was drum und dran ist. Und wie das Kolleg gehen, ob es etwas taugen wird, weiß ich auch noch nicht abzuschätzen (Dienstag fangen wir an). Aber irgend wann ist es ja überstanden, so lange die Zeit auch vor mir (und: uns) liegt. Das „Aufwärtsklimmen“ ist keineswegs immer schön, wäre es vor Allem dann nicht, wenn man nicht wüßte, daß man einmal schließlich wieder oben sein wird. Aber ich hoffe herzlich, auch in Heidelberg wird es überstanden werden. Hoffentlich gut. Was machen Schüler, Klavier und Schwägerin? 9 Herzlich Ihr M. W. 5 Frz. für: möbliertes Zimmer. 6 Max Weber kannte die Lebensumstände in New Yorker „boarding houses“ von seiner Amerikareise 1904. 7 Richard Strauss. 8 Zu Webers musikalischer Einschätzung des Werkes von Paul v. Klenau vgl. die Bandeinleitung, MWG I/14, S. 1–126, hier S. 13. 9 Bertha Tobler.

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Marianne Weber [24. April 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt („Gestern in Klenau’s ‚Sulamith‘“) in Zusammenhang mit dem Brief an Mina Tobler vom 23. April 1918, oben, S. 142.

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eben kommt Dein Brief und auch ein solcher der guten Mutter. Lauter gute Nachrichten, die mich erfreuten. Ich war heut bei Wieser (Handelsminister, bisher Professor) und freute mich wieder an der prächtigen Frau.1 Sonntag werde ich wohl da essen. Gestern in Klenau’s „Sulamith“: schön ohne Zweifel, nur doch – Epigonenarbeit musikalisch.2 Großer Erfolg! Nun werde ich H[einrich] Simon wohl auch sehen, da er da ist. Frau v. Kl[enau] scheint es gar nicht gut zu gehen.3 Er sprach neulich Abends, wo wir zusammen aßen, sehr betrübt und übrigens menschlich nett von ihr, habe „sie erst ganz kennen und bewerthen lernen müssen“. Sonst nichts zu erzählen. Geld hat die schlampige Kasse noch nicht gezahlt, ich bin bei Frau Hartmann mit 500 Kronen in Schuld!4 Aber morgen zahlen sie. Diea Anlage5 zahle Du bitte an den V[erein] für Sozialpolitik. Und dann schick mir doch das Formular zur Steuerdeklaration (vom Steuerkommisär zu haben) und schreib mir unsre Einnahmen aus Wertpapieren 1/IV 17–31/III 18. Ich muß jetzt deklarieren. 3 Milliarden neue Steuern kommen also jetzt erst mal. Bin begierig, wie sie aussehen werden!

a Fehlt in O; Die sinngemäß ergänzt. 1 Marianne v. Wieser. 2 Max Weber hatte am Vorabend die Aufführung der Oper „Sulamith“ von Paul v. Klenau besucht (vgl. den Brief an Mina Tobler vom 23. April 1918, oben, S. 142). 3 Anne Marie v. Klenau, geb. Simon, Schwester von Heinrich Simon. 4 Zu Max Webers ausstehendem Gehalt und seiner Geldanleihe bei der befreundeten Margarete Hartmann vgl. den Brief an Marianne Weber vom 19. April 1918, oben, S. 132. 5 Bei der Anlage handelt es sich vermutlich um das im Brief an Marianne Weber vor oder am 5. Mai 1918, unten, S. 160, erwähnte „Formular für den V[erein] f[ür] Soz[ial]Politik“, das Max Weber als gesonderte, nicht überlieferte Briefsendung geschickt hatte.

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Hier ist’s kühl: 10° Réaumur6 ca. Etwas wenig nach dem schönen Vorfrühling. Halt Dich gut, liebes und bleibe gut Deinem Max

6 Entspricht 12,5 °C.

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Lili Schäfer 25. April [1918]; Wien Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 26, Bl. 64 Die Jahresangabe ist aus der im Briefkopf angegebenen Adresse erschlossen. Lili Schäfer, Max Webers jüngste Schwester, war kurz zuvor von Heidelberg nach Oberhambach in die Odenwaldschule von Paul und Edith Geheeb gezogen, die ihr ältester Sohn Albert bereits seit Mitte 1916 besuchte (vgl. den Brief an Lili Schäfer von Mitte Juli 1916, MWG II/9, S. 476, Anm. 1). Im Herbst 1917 hatte ihr Paul Geheeb angeboten, als Hausmutter zu arbeiten und mit allen ihren Kindern in der Odenwaldschule zu leben (vgl. den Brief an Lili Schäfer vom 7. Dezember 1917, MWG II/9, S. 840 f.). Für die verwitwete Lili Schäfer eröffnete sich mit dem Umzug eine Verbesserung ihrer finanziellen Situation. Sie war nach dem Tod ihres Bruders Karl Weber, dem sie in Hannover den Haushalt geführt hatte, im Dezember 1915 nach Heidelberg gezogen. Dort hatten sich Max und Marianne Weber ihrer angenommen und sie finanziell unterstützt (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 3. Dezember 1915, MWG II/9, S. 198 f.).

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Liebe Lili, Hab Dank für Deinen liebevollen Brief. Wir haben ja weiß Gott nur Bescheidenes helfen können und allea Hauptschwierigkeiten mußtest Du aus eigner Kraft durchfechten (Gott sei Dank mit Erfolg!) Nur freue ich mich des Gefühls, daß wir uns doch ausgezeichnet vertragen haben und vertragen werden und hoffe, daß Du das alte Haus1 recht oft als Stip-Visite und „Ferien“ besuchst, zumal wenn mit dem Frieden erst die Freude wiedergekehrt sein wird in die deutschen Lande und in uns Alle. Ich meinerseits werde gern, wenn es Geheeb einmal paßt, und wenn sie mich wenigstens dafür logieren können (essen kann ich ja in dem Wirtshaus) einen 14 tägigen Kurs geschichtlicher (kulturgeschichtlicher und politisch-geschichtlicher) Art halten2 als Ferien-Vera Unsichere Lesung. 1 Gemeint ist die Ziegelhäuser Landstraße 17 in Heidelberg. 2 Die Idee zu einem Kurs in der Odenwaldschule hatte Max Weber bereits im Brief an Lili Schäfer vom 7. Dez. 1917 (MWG II/9, S. 840 f.) geäußert. Tatsächlich hatte Max Weber geplant, Anfang 1918 auf einer Feier in der Odenwaldschule zu sprechen (Brief Lili Schäfers an Paul Geheeb vom 23. Jan. 1918, Archiv der Odenwaldschule, Bestand Schäfer), dann aber mit der von Lili Schäfer wörtlich wiedergegebenen Begründung abgesagt, „diesmal kann ich nicht, da ich in der nächsten Woche noch einmal sprechen muß und sehr in der

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gnügen für mich, falls ich leidlich frisch bin. Etwa im Herbst nach Örlinghausen3 (falls es dazu kommt). – Hier jubilieren die Drosseln in dem schönen alten sehr großen Wiener Binnenhofe mit einem Park alter Bäume, auf den mein Fenster hinausschaut [,] und die alte Stadt schmückt ihre bezaubernde Vornehmheit mit dem wunderbarsten Frühling aller Stadien, je nachdem man in den Vorfrühling des Kahlenberges per Zahnradbahn hinauffährt oder in der eben vollendeten Obstbaumblüthe bleibt oder in der Üppigkeit des Prater mit seinen Wiesen, Alleen und Frühjahrs-Korso. Vom Krieg merkt der Bemittelte fast zu wenig. Theater und Oper, in meiner nächsten Nähe, sind höchst verführerisch besetzt und immer 8 Tage vorher ausverkauft, die allgemeine Eleganz ist fabelhaft, für phantastische Preise ißt man phantastisch gut wie mitten im Frieden, Morgens Eier ad libitum,4 Mittags und Abends Fleisch, „Mürbekuchen“ fabelhaftester Qualität, labt sein Auge an den doch wirklich erstaunlich schönen Mädchen (Mischrasse, stark slawisches Blut), sieht sehr schöne Gespanne – obwohl der Gentleman-Fiakerkutscher seit den Autos ausgestorben ist [ – ] und genießt die in den Bürgerschichten massiv aber anmutig lebensfrohe, in den Oberschichten läßlich feine, etwas behaglich müde kulturgesättigte Luft des Menschentums. Eine „Heimat“ kann das nicht geben. Aber alle 2 Jahre 1/ 2 Jahr hier – das würde mir schon passen. Organisatorisch Alles leicht „schlampig“ und gemütlich. Geld zu zahlen vergessen sie Einem einfach, bis man grob wird.5 Vorlesungsanzeigen drucken sie falsch ab.6 In den Seminaren und Instituten eine naive Bummelei. Und Alles incurabel. Dafür „verantwortlich“ sein zu sollen – unmöglich. Aber es einmal mitmachen – höchst reizvoll, wenn Arbeit für Wien sitze, nachher aber doch noch andre Arbeiten zum Abschluß bringen muß.“ So weit bekannt, ist auch aus Max Webers Angebot, ein „andres Mal sehr gern [zu sprechen]“, nichts geworden. Eine frühere Schülerin der Odenwaldschule erinnerte sich immerhin, Max Weber einmal beim Tee über Amerika sprechen gehört zu haben (vgl. Näf, Martin, Paul und Edith Geheeb-Cassirer. Gründer der Odenwaldschule und der Ecole d’Humanité; deutsche, schweizerische und internationale Reformpädagogik 1910–1961. – Weinheim: Beltz 2006, S. 211, Anm. 296). 3 Max und Marianne Weber planten, ihre silberne Hochzeit am 20. September 1918 in Oerlinghausen zu feiern. 4 Lat. für: nach Belieben. 5 Vgl. Max Webers Klagen über sein ausstehendes Gehalt in den Briefen an Marianne Weber vom 19. April 1918, oben, S. 132, und an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 7. Juni 1918, unten, S. 185 f. 6 Zur fehlerhaften Ankündigung von Max Webers Vorlesung vgl. den Brief an Marianne Weber vom 19. April 1918, oben, S. 132.

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ich es gut vertragen sollte. Die Voll-Stellung als Ordinarius könnte ich hier nie ausfüllen unter den Großstadtbedingungen, das sehe ich schon jetzt halb mit Resignation, halb mit Erleichterung, mit gutem Grund wieder heimkehren zu können. Dir wünsche ich recht herzlich einen guten Anfang des neuen Lebens und bin sehr gespannt einmal aus einer freien Stunde etwas zu hören. – Es ist spät, die Drosseln schweigen. Gute Nacht also Dein getreuer Max

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Verlag Duncker & Humblot 27. April [1918]; Wien Brief; eigenhändig VA Duncker & Humblot, Berlin Jahresdatum erschlossen aus Eingangsvermerk des Verlages: „2. V. 18“ sowie Briefinhalt. Der Brief enthält eine weitere Adressatenliste für Freiexemplare von Webers Schrift: Parlament und Regierung; zu den vorherigen Listen vgl. Brief und Karte an den Verlag Duncker & Humblot vom 28. März 1918, oben, S. 106 f. und 108.

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Sehr geehrter Herr! Ich bitte, meine Schrift („Parlamentarismus“) noch an folgende Herren zu schicken: 1. Hofrath Professor Dr A[dolf] Menzel Wien XIX/5 Windhaber-Gasse 2 A 2. Hofrath Professor Dr Sperl Wien XIX/1 Zehenthof-Gasse 11 3. Professor Dr Wenzel Graf v. Gleispach Wien XIII/1 Auhof-Straße 22 4. Professor Dr Carl Grünberg Wien XVIII/1 Gentz-Gasse 38 5. Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr F[ranz] Klein, Excellenz Wien VIII Lange Gasse 8 6. Regierungsrath Dr K[arl] Brockhausen Wien IX/3 Garnisongasse 4. 7. Wirkl. Geh. Rath Dr R[udolf] Sieghart, Excellenz Wien XVIII Dittes-Gasse 36 8. Reichsratsabgeordneter Prof. Dr J[osef] Redlich Wien XIX/2 Armbrustergasse 15 9. Professor Dr H[ans] Kelsen Wien VIII Wickenburg-Gasse 23

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10. Professor Dr Hans Ehrenberg, Leutnant d. Res[erve] Jüterbog, Altes Lager 11. Dr Heinrich Friedjung Wien IX Harmonie-Gasse 4 12. Professor Dr L[eo] Wittmayer Wien I Schottenhof, 8te Str[aß]ea |:13. Hofrath Professor Dr K[arl] Stooß Wien XIX/1 Vega-Gasse 6.:| Es wäre für die Schrift gut, wenn sie jetzt bald im Buchhandel erhältlich wäre, doch nehme ich an, daß die Schwierigkeiten der Versendung groß sind. Mit vorzüglicher Hochachtung Prof. Max Weber

a Lochung.

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Mina Tobler [28. April 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Sonntag“ und dem Briefinhalt („Dienstag fängt das Kolleg an“).

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Pension Baltic Sonntag Liebes Kind, – Ihr Brief vom Dienstag kam eben – also 5 Tage! Zwischen den sehr strapazanten Besuchen1 (körperlich strapazant, da man in der Electric eingekeilt 1/2 Stunde steht und die Leute alle 4 Treppen hocha wohnen, der Aufzug nicht funktioniert) und Kleinkram geschäftlicher Art kam ich nicht dazu vorher einen Gruß zu schicken. Diese „technischen“ Großstadt-Bedingungen sind das Angreifende an der Sache; ich komme darüber schwer zum Arbeiten, was dringend nötig wäre. Sonst ist Alles sehr erfreulich, namentlich die Menschen. Ich will eben wissenschaftlich arbeiten und das könnte man hier – wären die technischen Bedingungen vorhanden – besser als in Deutschland, weil man hier gar nicht in die Versuchung kommt etwas zu „wollen“. Solche Lage brauche ich, soweit meine egoistischen Interessen wissenschaftlicher Art in Frage kommen. Aber von Allem abgesehen ginge eine Existenz hier nicht [; ] einfach deshalb, weil ich körperlich den Anforderungen dieses vielen Laufens und Getriebes nicht gewachsen sein würde. Das merke ich schon jetzt und kann offen mit gutem Gewissen sagen: „es geht nicht“. Ich merke doch, daß der Körper auch älter geworden ist, das läßt sich nicht leugnen. Der Teufel hole es – aber es ist nun einmal so. Der Himmel gebe, daß die „Seele“ davon nicht berührt wird – oder: daß sie wieder in Ordnung kommt nach dem Krieg. Das wird sie schon, nur Gott weiß wann es endlich so weit sein wird, es sieht ja wieder einmal absolut nicht nach Frieden aus, trotz und z. T. wegen aller glän-

a Fehlt in O; hoch sinngemäß ergänzt. 1 Gemeint sind die Antrittsbesuche bei den Kollegen.

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zenden Erfolge draußen, 2 die Einem das Herz im Leibe lachen machen. Hier war es kalt aber schön nach wie vor, nur komme ich nicht dazu viel davon zu haben, es ist zu unsinnig viel an Besuchen, Gängen, Technik aller Art zu erledigen, was mich dann totmüde körperlich macht. Dienstag fängt das Kolleg an, – bin begierig wie das gehen und wirken wird. – Ja, Frau J[ellinek] zu Tisch ist eine ziemliche Strafe, aber es geht nicht gut anders. 3 Ich bin immer froh, wenn ich alleine bin (was äußerlich ja oft, innerlich z. Z. selten der Fall ist und sein kann), dann kann ich an allerhand Dinge und – Menschen denken und träumen. – Alles was Sie sagen und erzählen – mag es mich freuen oder betrüben – geht mich sehr an und deshalb ist es nicht recht, zu sagen: „Sie sollten Das und Das nicht schreiben“! Zumal ich es ja doch denke! Gut ist, daß bald Menschen wieder da sind, gut die Pause zu Pfi ngsten, gut die „Auslese“-Möglichkeit unter den Schülern. Und das Andre – nun ich weiß, es kann nicht anders sein und hoffentlich, – sicherlich vielmehr – kommt die Zeit (wann endlich?), wo es wieder anders wird. Könnte man von dem Leben nachher sich nur ein Bild machen, aber das grade ist so schwierig. Ich meine das äußere, technische, notwendig stark beengte gegen frühere Zeiten. Wie einerlei war mir Das früher. Und jetzt gehört es doch mit zu den „Gegebenheiten“, die so viele Lebensmöglichkeiten bestimmen werden. Nun: es wird schon werden. Wenn Sie nur den Kopf oben behalten. – Eben geht die „Besuchsstunde“ an, ich muß sogleich fort. Tausend Grüße Ihr M. W.

2 Im Verlauf der „vierten Flandernschlacht“ (auch als „vierte Schlacht um Ypern“ bezeichnet) hatten deutsche Truppen am 25. April 1918 den seit Kriegsbeginn umkämpften Kemmelberg eingenommen. Über diesen Erfolg schrieb die Wiener Neue Freie Presse, Nr. 19278 vom 27. April 1918, S. 2: „Der Hammer Thors ist niedergesaust und hat die Entente an der empfindlichsten Stelle getroffen. … Der Kemmelberg ist die Bastion von Ypern. Ypern ist die Bastion von Flandern. Wird Ypern geräumt, fällt dieses Bollwerk, dann ist die Seeflanke der Franzosen in Gefahr, dann kommt vielleicht bald der Augenblick, wo sie keine Höhenstellungen mehr haben und in der flachen deckungslosen Ebene den Deutschen widerstehen müssen.“ Die deutsche Offensive wurde am 29. April 1918 – ohne Ypern einnehmen zu können – wegen starker Gegenwehr und aufgrund von Nachschubproblemen eingestellt. 3 Camilla Jellinek wohnte während eines Wien-Besuchs mit ihrem Sohn Walter ebenfalls in der Pension Baltic.

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Marianne Weber [28. April 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Sonntag“ und dem Briefinhalt („Dienstag . . . 1tes Kolleg“).

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Pension Baltic Sonntag Liebes Mädele, Eben kommt als Sonntagsgeschenk Dein lieber Brief vom 22ten. Nun bin ich endlich – seit soeben! im Besitz eines Scheckbuches und also „gesettlet“. Daß es erst eine Beschwerde über die „unwürdige Zumutung“ gekostet hat,1 nicht weniger als 4 Mal auf die Statthalterei zu laufen, um das mir geschuldete Geld zu erhalten – damit beginnen meine „amtlichen“ Beziehungen zum hiesigen Staat! – ist eine Sache für sich und nicht tragisch zu nehmen. – Aber Geld, um Dich hier zu haben, haben wir genug, liebes Herz. Nimm Dir also nur 3- allenfalls 400 M. Reisegeld mit, sonst nichts! Hast Du schon den Paß bestellt? Vergiß ja nicht, daß Du das Visum des Österreichisch-Ungarischen Konsulats (Mannheim, Adresse steht im Telefonbuch) brauchst. Es genügt, den Paß „eingeschrieben“ mit Beifügung eines für „Einschreiben“ frankierten Kouverts und der Bitte ihn „vidieren“2 zu wollen, hinzuschicken, Du brauchst nicht persönlich hin. Nimm den nötigen Spielraum: Hinfahrt in der Zeit vom . . . bis . . ., Rückfahrt auch! Für die Reise (damit ich es nicht vergesse): der gute Zug geht Morgens 7h von München (also diese Nacht im Grünwald, nicht bei Else3). Mittags bist Du in Salzburg, wo es ganz gut zu essen giebt (wenn dann noch was da ist). Es kommt für schnelle Abfertigung darauf an, schnell heraus und, 1 Zu Max Webers Beschwerden wegen der ausstehenden Zahlungen vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 19. April 1918, oben, S. 132, an Lili Schäfer vom 25. April 1918, oben, S. 146, und an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 7. Juni 1918, unten, S. 185 f. 2 Veraltet für: beglaubigen, bestätigen. 3 Das Hotel Grünwald lag in Bahnhofsnähe, Else Jaffés Wohnung in der Villenkolonie Prinz-Ludwig-Höhe, die zum damals noch nicht nach München eingemeindeten Solln gehörte.

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den Bahnsteig entlang gradeaus, in diea Abfertigungsstelle zu kommen, wo man eine Nummer bekommt. Nimm Dir ein Brot und etwas dazu mit, denn bis Wien bekommst Du dann nichts mehr. 3/4 Stunden vor Abgang des Zuges kann man einsteigen (ist zu empfehlen!) [ .] Ich erwarte Dich auf dem Bahnhof am Ausgang vom Perron (furchtbares Gedränge!), eventuell an dem Ausgang zur Straße (man kann das nicht verfehlen) b. Dann nimmt man einen Träger (es sind immer arme Teufel da, die das gern thun), der auf der Electric mit in die Stadt fährt und also das Handgepäck (Handkoffer) nimmt und trägt (kostet 2 Kronen). Auf dem Perron einen zu bekommen ist meist sehr schwer, da die Leute, zumal zu Festzeiten wie Pfi ngsten, Alles aus den Fenstern heraus beschlagnahmen. Du mußt Dich also rüsten, den Koffer etwa 100 Meter bis zum Durchdringen zum Perron-Ausgang selbst zu schleppen. Laß Dir Zeit! bis der Strom sich verläuft. – Meine Frau Dr Strasser c 4 nimmt bestimmt an, daß sie Dich unterbringen kann in einem kleinen Zimmer. Richte Dich auf jedenfalls 14 Tage ein, liebes Herz. Bin ich auch vielleicht oft besetzt, – es kommt schon was heraus und Frl. Pick, 5 Herr Spann6 u.A. werden Dich betreuen. Hartmanns7 haben jetzt Masern, das ist Pech. – Was mich hier „schlaucht“, ist die Großstadt-Technik. Diese Besuche! 8 Kein Ende abzusehen. Vormittags kommt man nicht zum Arbeiten, Nachmittags ist man zerschlagen. Denn in den Electrics steht man in drangvoller Enge. Und Alles wohnt 4 Stock hoch (Aufzug! der aber nicht geht!) und 1/2 Stunde weit draußen. Überhaupt das viele Laufen! Das ist doch Das, was ich einfach nicht kann. U[nd] deshalb geht es nicht, trotz allen Reizes. „Wohnung“ für uns wäre schwerlich zu kriegen. Die Übersetzung9 ist darin fabelhaft, die Preise phantastisch, gebaut wird nichtd werden können. Also: eChambre garniee 10 zu zweien für ca 11/2 Jahre. Das ist doch so eine Sache! Kurz, es wird nicht a 〈Zoll〉 garni

b Klammer fehlt in O. c Unsichere Lesung d 〈wären〉 e O: Chambre-

4 Die Wirtin der Pension Baltic. 5 Max Webers Schülerin Käthe Pick. 6 Der Nationalökonom und Philosoph Othmar Spann. 7 Margarete und Ludo Moritz Hartmann. 8 Anspielung auf die Antrittsbesuche bei den Kollegen. 9 Max Weber meint wahrscheinlich: Überbelegung. Vgl. die Briefe an Mina Tobler vom 23. April 1918, oben, S. 142, und vom 5. Mai 1918, unten, S. 162, in denen er die aus der allgemeinen Wohnungsnot resultierenden beengten Wohnverhältnisse schildert. 10 Frz. für: möbliertes Zimmer.

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werden, das sehe ich, weil ich die Sache nicht machen kann. – Aber Pfi ngsten werden wir uns freuen können. Komm doch ev. schon Donnerstag wegen der Fülle der Eisenbahn – doch das ist ja Nebensache! Vorgestern zu Abend bei Direktor Hammerschlag von der Kreditanstalt.11 Wie üblich 1/2 9 Uhr, Essen 3 /4 9, gegen 10 Uhr kamen dann die „Nachtischgäste“: 2 Excellenzen, Dr Friedjung (der berühmte Historiker) und Andre. Degagiert12 und angeregt wie immer. Nur werden diese Sachen allerdings etwas spät: vor 2 Uhr ist man da nicht im Bett, während es „Café“s nach 11 Uhr ja nicht giebt. Dienstag also 1tes Kolleg,13 heut und morgen Besuche, Mittwoch u. Donnerstag auch. Lebenslauf: Morgens, wenn ich gut früh aufwache, 1/2 9 ins Café (nach dem Thee), um 2 Eier zu essen, dann Bibliothek, dann von 11 an „Besuche“ (schlimmste Pein), dann Essen (äußerst ergiebig! mit Frau Jellinek und Sohn,14 mir nicht sehr bequem, aber unvermeidlich), Schlafen, 3 /4 3 eine (glänzende!) Tasse Kaffee, dann Arbeit bis 7 1/2 , dann Spaziergang, Abendessen in der Stadt, dann ca 1/2 10 ins Bett. So Liebes, der Brief wird Censur-widrig lang, darum höre ich auf. Hier war es nicht sehr kalt. Man saß immer bei offenen Fenstern (12 Grad ca).15 Nur der klatrige16 Regen war lästig. Leb wohl für heut, laß Dich umarmen, immer Dein Max

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Herz, für die Einkommensteuer-Deklaration fehlt mir das Material. Bitte schick mir eine Zusammenstellung der aus unsrem Vermögen an uns gezahlten Wertpapier-Zinsen und zwar recht bald, denn es wird nun Zeit. Ebenso ein Formular! Dies geschickte dient ja nur für die Vermögenssteuer-Deklaration. Dies eilt sehr! f

f Vier vertikale Randstriche zur Betonung des Inhalts der Passage. 11 Paul Hammerschlag. 12 Fremdwort für: zwanglos, frei. 13 Im Brief an Mina Tobler vom 23. April 1918, oben, S. 141, kündigte Max Weber den Beginn der Vorlesung „Wirtschaft und Gesellschaft (Positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung)“ für den 30. April 1918 an. 14 Camilla und Walter Jellinek, die ebenfalls in der Pension Baltic wohnten. 15 Max Weber bemaß die Temperatur wohl wie im Brief an Marianne Weber vom 24. April 1918, oben, S. 144, in der veralteten Réaumur-Einheit. 12° Réaumur entsprechen etwa 15 °C. 16 Norddeutsch für: bedenklich, schlimm.

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Mina Tobler [nach dem 30. April 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Die Anrede ist unkenntlich gemacht worden, die Grußformel fehlt. Das Datum ist aus dem Briefinhalt erschlossen: Max Weber schrieb den folgenden Brief nach seiner ersten Vorlesungsstunde am Dienstag, dem 30. April 1918.

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Diesmal warte ich lange auf einen Brief – vielleicht ist er unterwegs. Und auch ich ließ lange warten. Denn inzwischen begann die Vorlesung. Dienstag vor ca 80 Hörern vona 6–8, eine ziemliche Strapaze nach so langen Jahren.1 Zumal diese Besuchs-Pfl ichten2 mich gradezu tötlich ermüden: innerhalb 2 Stunden 2 Besuche in fernen Stadtteilen, jedesmal endloses Umsteigen, Stehen auf dicht gepfropfter Electric, dann 4 Treppen – die Aufzüge funktionieren nicht (sonst wäre das ganz schön, denn die Aussichten sind von oben wundervoll!) – dazu die Mühe des Findens: lange würde ich diese Großstadttechnik sicher nicht aushalten. Indessen für 3 Monate3 geht es. Alles Andre ist gut und schön. Schon der ästhetisch erfreuliche Anblick der vielen wirklich sehr hübschen Mädchen, die selbst die jetzige scheußliche Mode mit Anmut tragen und präsentieren. Nur – die Art wie ich sie sehe: so „vom andren Ufer“,4 zeigt mir deutlich: die Jugend ist vorüber, man ist ein Andrer, das ist in der That so, und wohl etwas früh, wenn auch nach Vorhersagungen erfahrener Ärzte nicht verwunderlich. Aber man denkt sich doch das nicht so. Dazu paßt ja nun die alte |:kultur:|gesättigte Wehmut dieser schönen Stadt als Hintergrund gut. – Sonst passiert nichts Besondres. Könnte ich nur etwas arbeiten, – aber jene physischen Leistungen zehren alle Kraft einfach auf, ich weiß fast nicht, wie ich es a Fehlt in O; von sinngemäß ergänzt. 1 Zuletzt hatte Max Weber im Wintersemester 1898/99 in Heidelberg Vorlesungen gehalten. 2 Gemeint sind die Antrittsbesuche bei Kollegen. 3 D. h. für die Dauer des Sommersemesters. 4 Max Weber benutzt diese bildhafte Umschreibung verschiedentlich, um seine im Vergleich zu Gesunden eingeschränkte Lebensführung zu bezeichnen. Vgl. die Briefe an Mina Tobler vom 15. Juni und 11. Juli 1918, unten, S. 195 und 219.

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machen soll auch nur das Kolleg vorzubereiten. Die Leute sind fabelhaft liebenswürdig und [,] wenn man sich nicht über den Schlendrian des Staats zu ärgern hat (was vorkommt) [,] 5 so ist man im Ganzen gut aufgehoben. Theater pp. habe ich nicht wieder gesehen, ich habe absolut keine Zeit dazu. Alle Briefe bleiben unbeantwortet liegen. Daher verzeihen Sie diesen „Wisch“ und nehmen ihn nur als Lebens- und Liebeszeichen, ich denke ich komme Sonntag, in Ruhe oder doch: in mehr Ruhe, zum Schreiben.

5 Anspielung auf die verzögerte Anweisung von Max Webers Aufenthaltsentschädigung, vgl. den Brief an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 7. Juni 1918, unten, S. 185.

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Marianne Weber [nach dem 30. April 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Max Weber schrieb den folgenden Brief unter dem Eindruck seiner ersten Vorlesungsstunde am 30. April 1918.

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so, das erste Kolleg ist auch gewesen.1 Ich lese nun Montag Abend 2 Stunden (6–8) Dienstag 1 (7–8) Mittwoch 1 (7–8), letzteres beides von nächster Woche an. Ca 60–70 Zuhörer, die wohl auf 30–40 schmelzen werden (nach der Zahl der Nachschreibenden). Es „schlaucht“ mich gewaltig! Lieber 10 „Vorträge“ frei, als 2 Kollegstunden! Muß sehen, ob ich es durchhalte. Jedenfalls: volle Lehrtätigkeit ist undenkbar, das sagt mir der Zustand meines Körpers heut. Die Studenten sind recht aufmerksam, da ist nicht zu klagen. Diese Lauferei – Besuche etc.a – ist das, was einfach nicht geht. Der Kopf gerät in die elendste Verfassung und verlangt Schlafmittel. Und dann das gebundene laute Sprechen. Und die Vorstellung: die Leute verstehen mich ja nicht. Kurz: es ist eine Strapaze, die nicht „gehen“ wird. Gesprochen habe ich „mittelgut“. Vor 8 Tagen hätte ich sehr gut geredet. Aber das Laufen in 20 verschiedene Stadtteile, fast stets 4 Treppen (die Aufzüge gehen nicht!) und der Ärger hatten mich halb tot gemacht. Es ist doch ein Skandal, daß ich erst Montag mein Geld bekam! und erst auf eine Eingabe hin, die der Statthalterei sagte: daß ich mir diesen „unwürdigen“ Zustand nicht gefallen lasse und sofort kündigen werde! 2 Da man hierzulande solche Grobheiten einer Behörde a 〈ist〉 1 Am Dienstag, den 30. April 1918 hatte Max Weber seine erste Vorlesungsstunde zu „Wirtschaft und Gesellschaft (Positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung)“ gehalten. 2 Vgl. den Brief an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 7. Juni 1918, unten, S. 185. Die erwähnte Eingabe selbst ist in den Beständen des für die Überlieferung der Statthalterei zuständigen Österreichischen Staatsarchivs, Abt. Allgemeines Verwaltungsarchiv, nicht überliefert.

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nur auf Stempel-Papier3 sagen darf („Beschwerden“ müssen gestempelt sein), so wird mich das noch Stempelstrafe kosten! Sonst ist Alles wunderschön, der Frühling, – ich war Montag Abend im Wiener Wald oben, – die Schönheit der alten Stadt und die Menschen, auch die Arbeitsräume und dergl. Aber ich bin doch ein Gelehrter, und – aus Gesundheitsgründen – leider kein Lehrer mehr. Damit muß man sich abfi nden. Also schick das Formular für Einkommens-Deklaration (Du schicktest |:nur:| das für Vermögens-Deklaration), beschaffe Deinen Paß nebst Visum des Österreichisch-Ungarischen Konsulates, Mannheim (Paß eingeschrieben mit der Bitte darum hinschicken!) 700 Kronen = je 50 Kr. für 14 Tage sind für Dich schon jetzt übrig! Also wollen wir lustig leben. Ich lechze dem Tage entgegen, wo die Squaw4 abreist. Aber sie bleibt unerbittlich immer länger. Da Du eines ihrer Zimmer bekommst, ist sie hoffentlich fort, wenn Du kommst, sonst wäre das ganz entsetzlich! Sie langweilt mich so furchtbar! Aber sie läßt sich nichts abgehen, – Theater, Oper, Ausflüge, Reisen, schönes Zimmer u. s. w. Staunenswert! Leb wohl für heut, ich will etwas ins Freie, es umarmt Dich Dein Max

3 Ein spezielles, kostenpflichtiges Formular für Behördeneingaben. 4 Camilla Jellinek wohnte mit ihrem Sohn Walter während eines Wien-Besuchs ebenfalls in der Pension Baltic.

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Marianne Weber [4. Mai 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Für die nachträgliche Datierung von dritter Hand sprechen die Planungen für Marianne Webers Reise nach Wien: Der Hinweis („habe ja 700 Kronen übrig“) auf die erstmals im Brief an Marianne Weber, nach dem 30. April 1918, oben, S. 158, erwähnte gesicherte Reisefinanzierung sowie Max Webers Ratschläge für Visumsantrag und Reiseverlauf, die er in den beiden folgenden Briefen an Marianne Weber, vor oder am 5. Mai 1918 und vom 5. Mai 1918, unten, S. 160 f. und 164 f., nochmals wiederholt.

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Pension Baltic Liebes Mädel, 5

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eben kommt Dein kleines Fragezettelchen [ – ] ich zahle Alles, habe ja 700 Kronen übrig. Hast Du denn meine Briefe nicht bekommen? Nochmals: vergiß nicht: 1) Paß-Visum (Mannheim, Österreichisches Konsulat, steht im Telefonbuch, einschicken eingeschrieben mit Bitte um Visum den Paß!) 2) Einkommensa-Deklarations-Formular mir zu schicken (ich habe nur Besitzb-Deklarations-Formulare bekommen. 3) Komm Freitag Abend hier an, nicht Samstag,1 da ist der Teufel los! Zimmer ist reserviert. Ich treffe Dich am Bahnhof-Ausgang. Es umarmt Dich Dein Max

a O: dreifach unterstrichen. b O: zweifach unterstrichen. 1 Marianne Weber plante – wie sie in ihrem Brief vom 7. Mai 1918 an Helene Weber, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, schrieb – am 14. Mai 1918 zunächst zu Else Jaffé nach München zu reisen und von dort am Samstag, dem 18. Mai 1918 weiter nach Wien.

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Marianne Weber [vor oder am 5. Mai 1918; Wien] Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum und der Ort sind aus dem Briefinhalt erschlossen: dem Hinweis auf Marianne Webers „eben“ eingetroffenen (nicht überlieferten) Brief vom 29. April 1918 und der im Brief an Marianne Weber vom 7. Mai 1918, unten, S. 167, als üblich bezeichneten sechstägigen Brieflaufzeit.

Liebes Mädele! Eben kommt Dein lieber Brief v. 29. IV. Du hast das Vermögensa (Besitzb-)Steuer-Formular geschickt, aber nicht das Einkommensc-Steuer-Formular.1 Das ist zweierlei. Das Formular für den V[erein] f[ür] Soz[ial-]Politik schickte ich (in besonderem Brief, da ich es vergaß beizulegen). 2 Ist es nicht angekommen? Ich bin rasend strapaziert durch das Gehen und Stehen auf der Electric. Geht das so weiter, so ist die Frage des Dozieren-Könnens bald glatt erledigt. Diese Besuche sind eine furchtbare Belastung,3 ich halte das nicht aus. Und zu Tisch fi nde ich dann diese entsetzliche Squaw4 vor. Reiste sie doch endlich ab! Aber sie thut es nicht. Hast Du meine Ratschläge für die Reise bekommen?5 Dein Zimmer steht für Freitag vor Pfi ngsten Abends bereit (Samstag ist es unmöglich zu reisen, Du fändest keinen Platz im Kupée. Sieh doch [,] daß Du Freitag kommen kannst. Es ist besser.) d Also: 1) Paß-Visum in Mannheim (Österreichisch-ungarisches Konsulat) e, den Paß nebst Erlaubnis des Bezirksamtes, eingeschrieben, nebst Rück-Kouvert, hinschicken mit Antrag auf Visum-Erteilung [.]

a O: zweifach unterstrichen. b O: zweifach unterstrichen. c O: dreifach unterstrichen. d Klammer fehlt in O. e Klammer fehlt in O. 1 Max Weber hatte um die Zusendung des „Einkommens-Steuer-Formular[es]“ im Brief an Marianne Weber, nach dem 30. April 1918, oben, S. 158, gebeten. 2 Vgl. den Brief an Marianne Weber, nach dem 30. April 1918, oben, S. 157 f. mit Anm. 3. 3 Gemeint sind die üblichen Antrittsbesuche bei den Kollegen. 4 Max Weber hatte sich bereits verschiedentlich über den Aufenthalt von Camilla Jellinek in der Pension Baltic beklagt. Vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 20. und 28. April 1918, oben, S. 135 und 154, sowie an Mina Tobler vom 18. und 28. April 1918, oben, S. 130f. und 151. 5 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 28. April 1918, oben, S. 152–154.

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2) in Salzburg gleich das Perron gradeaus entlang zur Revision. 3) ich erwarte Dich am Ausgang |:des Bahnhofes:|, bin ich da nicht, so warte bitte da, bis ich Dich treffe. Leb heut wohl, ich gehe eben zu Hartmann. Wien ist wundervoll, nur sehe ich nichts (wegen der Strapaze der Besuche) [.] Es umarmt Dich Dein Max

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5. Mai 1918

Mina Tobler [5. Mai 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt (Max Webers Angabe zum zeitlichen Abstand zwischen seinen Briefen an Mina Tobler) und der Tagesangabe „Sonntag“.

Wien VIII Skoda Gasse 15 Pension Baltic Sonntag Liebes Tobelkind, wieder ein wunderschöner Frühlingstag, ich will gleich in den Wiener Wald, endlich etwas Schönes sehen, nachdem ich nun 10 Tage lang nichts als Electrics, Studenten, Electrics, Wohnungen, Electrics, Kollegen gesehen und erlebt habe. Diese Großstadt-Techniken sind eine furchtbare Sache. Alles ist schön, anmutig, erfreulich – von nichts hat man etwas. Theater, Musik, Naturschönheit, Alles ist nur so vor Einen hingebaut, und man hat nicht die Möglichkeit die Hände darnach auszustrecken. Noch nicht eine Galerie und noch nicht ein Theater habe ich gesehen (seit der „Entführung“1 und Klenau2) und dabei nicht einmal gearbeitet. Nein, das ist nichts für mich. Sonst lebt man hier ja wirklich fabelhaft angenehm, ganz wie man will und Jeder in einem lauschigen Winkel eines alten Palazzo eingebürgert, ein paara alte Barockzimmer, ein Balkon auf einen Hof hinaus mit alten Bäumen und Kapellen, höchst pompöse Treppen, – im Übrigen das ganze Palais parzelliert in 50–60 kleine Dreizimmerwohnungen. Das ist die typische Existenz der Kollegen. Und an sich würde mir so was schon passen. Nur die endlosen formalen Pfl ichten. Noch ist nicht die Hälfte der obligaten Besuche erledigt! Weiß Gott in welcher Verfassung ich sein werde [,] wenn Alles vorbei ist. Die Bibliothek taugt nichts, die Staatsa O: par 1 Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ hatte Weber am 10. April 1918 im k. k. Hof-Operntheater gesehen. Vgl. die Briefe an Mina Tobler vom 11. April 1918, oben, S. 117, und an Marianne Weber vom 14. April 1918, oben, S. 124, sowie an Helene Weber vom 22. April 1918, oben, S. 138. 2 Paul v. Klenau hatte eine Aufführung seiner Oper „Sulamith“ am 23. April 1918 in der Wiener Singakademie dirigiert. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 20. April 1918, oben, S. 136.

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maschinerie ist schlampig – aber die Menschen sind ganz reizend und in ihrer läßlichen degagierten3 Art unendlich wohlthuend, wenn man nichts – will! und z. Z. will ich in der That nur arbeiten. Eben dies läßt freilich der Mechanismus der Stadt vorerst nicht zu. Aber Das wird ja einmal kommen, denke ich. Immerhin – ich denke doch jeden Tag an die Stunde, wo der Zug in den Heidelberger Bahnhof einläuft, an den goldenen Himmel dort4 und an allerlei. Morgen ist wieder Kolleg, übermorgen auch, und ich habe noch nichts dafür thun können. Weiß Gott, wo die Zeit bleibt! Alles geht so traumhaft an mir vorüber – ich weiß nicht, bin ich so oder sind die Dinge so? Beides vielleicht. Es ist ein seltsames Abenteuer. – Wie mag es in Heidelberg, speziell in der Bismarckstraße aussehen. Schier endlos scheint mir die Zeit, daß ich nichts von dort gehört habe! Der letzte Brief war etwa 14 Tage, von jetzt an gerechnet, alt. – Ja ich weiß, das letzte Jahr war bitter schwer. Möchten doch andre kommen, die anders sind! Man muß ihnen entgegen die Arme strecken – und hoffen, daß sie nicht leer bleiben. Jetzt ist immer noch seltsame Dämmerung, in jeder Hinsicht, und man weiß nicht, wer man ist und sein wird, d. h. wie jung oder alt. Bleiben Sie stark und schön wie immer und gedenken Sie Ihres Max Weber Ich schrieb bisher jeden 3. Tag, einmal waren 4 1/2 Tage Zwischenraum. Haben Sie die Briefe bekommen?

3 Fremdwort für: zwanglos, frei. 4 Umschreibung für Mina Toblers Dachgeschoßwohnung in der Bismarckstraße 17.

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5. Mai 1918

Marianne Weber [5. Mai 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist aus dem Briefinhalt erschlossen: Wie im Brief an Mina Tobler vom 5. Mai 1918, oben, S. 162, erwähnt Max Weber einen unmittelbar bevorstehenden Ausflug in den Wienerwald („Ich will gleich in den Wiener Wald“). Sein Hinweis auf den Erhalt des „Steuer-Formulars“ läßt zudem darauf schließen, daß er den folgenden Brief unmittelbar nach jenem an Marianne Weber, vor oder am 5. Mai 1918, oben, S. 160, geschrieben hat. In letzterem hatte er Marianne Weber darauf hingewiesen, daß sie anstelle des Einkommenssteuerformulars jenes für die Vermögenssteuer geschickt hatte.

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Liebes Mädele, – Das Steuer-Formular ist gekommen, schönen Dank. Nochmal: ich habe bis heut erst 1000 Kronen bei der Bank erhoben, dagegen 3100a gezahlt erhalten. Bis Du kommst, werde ich weitere 700 erhoben haben, so daß dann noch 1400 auf der Bank stehen. Am 1.VI werden wieder 1500 eingezahlt. Für mich brauche ich bis dahin 700, so daß also für Dich 700 Kronen übrig sind, das heißt für 14 Tage pro Tag 50 Kronen. Das wird schon reichen und Du brauchst also nur das Reisegeld mitzubringen. Wir wollen Dich hier ordentlich herausfuttern, ich lasse Dir einen kalten Aufschnitt und ein paarb Eier zurückstellen für den Abend der Ankunft, so daß Du nur für unterwegs sorgen mußt. In Salzburg ist gutes Mittagessen. Empfehlenswert ist, sich an der Sperre für den Zug nach Linz-Wien – Du hast ca 2 Stunden Aufenthalt – zu erkundigen, wann sie geöffnet wird und dann gleich zur Stelle zu sein, da Du dann sicher bist, einen Sitzplatz zu bekommen, womit es sonst manchmal hapert. Ev. nimm jedenfalls 1. Klasse, um sitzen zu können, falls es voll ist. Hier nichts Neues: alle Kraft geht auf das „Besuche machen“:1 es ist zum verzweifeln. Morgen wieder Kolleg und weder Kraft noch Lust zu arbeiten, infolge dieser Lauferei. Ich fahre gleich in den Wiener Wald. Wetter: himmlisch! Hoffentlich reist die Squaw bald, 2 sie ist furchtbar! a 3200 > 3100 b O: par 1 Die Antrittsbesuche bei den Kollegen. 2 Camilla Jellinek reiste laut Max Webers Brief an Marianne Weber vom 7. Mai 1918, unten, S. 166, am 14. Mai 1918 ab.

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Also auf Wiedersehen Freitag (wenn Du kannst) vor Pfi ngsten Abends am Bahnhofs-Ausgang [.] Es umarmt Dich Dein Max

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7. Mai 1918

Marianne Weber [7. Mai 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Dienstag“ und dem Hinweis auf die bereits gehaltenen und unmittelbar bevorstehenden Kollegstunden.

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Pension Baltic Dienstag Liebes Schnauzele, so – die zweite Kollegstunde (resp. 2 Stunden 6–8) sind auch vorüber, gleich kommt die dritte (Dienstag 7–8), morgen Seminar. Besuch hat sich gehoben, namentlich eine Anzahl Kollegen sind eifrig da und schreiben nach. Im Ganzen ca 100, wovon ca 30 seriös. Herrgott, ist das eine Strapaze! 10 Vorträge sind nichts gegen 2 Stunden. Einfach das Gebundensein an Disposition, an Nachschreibenkönnen der Leute u. s. w., – es ist fabelhaft. Mehr als 2–3 Stunden wöchentlich wird nie gehen. Dabei keinerlei mala notte1 – nur viel „Mittel“ aller Art aus der Apotheke, ohne die es nicht ginge. Dabei spreche ich höchstens mittelgut, ich weiß das ja sehr genau. Und das trotz, vielleicht wegen, Vorbereitung, die aber eben doch unentbehrlich ist. Nein – ich bin für die Feder geboren, |:und für die Rednertribüne,:| nicht für den Katheder. Die Erfahrung ist mir doch etwas schmerzlich, aber ganz eindeutig. – Die Squaw ist noch immer da, 2 ich bin natürlich sehr liebenswürdig, aber Gott sei Dank! daß sie Dienstag (heut über 8 Tage) reist. Also nicht wahr Du kommst jedenfalls schon Freitag (wenn nicht: Donnerstag) Abend. Zimmer ist bestellt. Wir werden Dich heraus futtern! Sorge nur für Futter unterwegs für alle Fälle (Salzburg – Wien, in Salzburg ist gutes Mittagessen. Nimm nur Reisegeld mit. Ich habe Geld – 7–800 Kronen – übrig. Hat Duncker & Humblot gezahlt?3 Wie viel? Vergiß

1 Italienisch für: schlechte Nacht. Von Max Weber als Umschreibung seiner Schlafstörungen und nächtlichen Erregungszustände gebraucht. 2 Camilla Jellinek. 3 Gemeint ist das Honorar für die am 14. Mai 1918 erschienene Broschüre: Weber, Max, Parlament und Regierung (MWG I/15, S. 421–596).

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das Paß-Visum (Mannheim, Österreich[isches] Konsulat) nicht, sonst kommst Du nicht über die Grenze. Ich schicke den Brief als Eilbrief, damit Du ihn sicher noch bekommst, denn sie gehen jetzt 6 Tage. Einen Brief schicke ich noch,4 ebenso, dann: Schluß und die Hoffnung, Dich bald zu umarmen. Von Herzen Dein Max

4 Ein weiterer Brief an Marianne Weber vor deren Wienreise ist nicht nachgewiesen.

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9. Mai 1918

Mina Tobler [9. Mai 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Angabe des Feiertags.

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Pension Baltic Donnerstag (Himmelfahrt) Liebes Kind, ein schöner klarer Vollfrühlingstag. Ich war Morgens in Schönbrunn, das ich unendlich liebe: die einzige Residenz, die Jedem sagt: „hier wohnt ein Kaiser aus altem Geschlecht!“ Schön warm gelb gebaut, schlicht und nur durch die Proportionen wirkend – dann dahinter der wunderbare französische Garten sanft ansteigend mit immer schönerer Aussicht über Wien, seitlich der Bosketts und geschnittenen Hecken und langen graden turmhohen Hecken-Alleen schöne ParkAnlagen à la Tiergarten1 – Alles unendlich nobel. Dann im Schwarzenberg-Garten, mitten in der Stadt, dabei so weiträumig als wäre man weit draußen auf dem freien Lande. Und endlich in der Sezession2 – nun das war das schwächste von Allem. Es war der erste freie Tag und ich bin noch totmüde vom Nicht-Arbeiten und Schlafen. Gleich geht es zu zwei Einladungen und dann morgen und übermorgen auch zu je zwei. Vorher wird fest gearbeitet. Das Kolleg füllt sich jetzt – ca 100, meist Kollegen, Doktoren und andre Absolvierte, auch Weiblichkeit, sehr viel „Gäste“ aus der Advokatur u. dgl., nicht sehr viel Studenten. Aber höchst intelligente Leute mit äußerst scharfer Kritik, das merkte ich schon. Musterhaft aufmerksam. Ich spreche leider nicht sehr befriedigend, mir fehlen die Worte u. dgl., ich bin nicht für Kolleg-Halten geschaffen, mehr für die Feder und für das „Reden“, – was etwas ganz Andres ist. Wunderbar und verführerisch schön ist die Stadt, so viel ist sicher, – aber für mich liegt sie jenseits des Wünschbaren – läge sie auch dann dort, wenn nicht schon …

1 Der Berliner Park. 2 In dem 1898 erbauten Ausstellungshaus der Künstlervereinigung Secession an der Wienzeile präsentierten die Künstler des Wiener Jugendstils ihre Werke.

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Inzwischen erfreute mich Ihr Brief herzlich. Also die H-molla 3 – ob ich die wohl noch höre, wenn ich wieder da bin? Und Gott sei Dank ist die Schwägerin4 wieder da, man weiß Sie doch in einer häuslichen Gemeinschaft geborgen, das ist immerhin etwas behaglich zu denken! Wie wird es mit der Notwendigkeit umzuziehen? Ein schlimmer Gedanke das! Sie schreiben nichts darüber. – Mit ganz eigner Empfi ndung nahm ich kürzlich (aus rein wissenschaftlichen Gründen) einige geistige Kinder Ihres Vaters5 zur Hand (darunter die sehr anziehenden Aufsätze über das Schweizer Nationalitätsempfi nden) und suchte die Ähnlichkeit mit der leiblichen Schwester6 zu entziffern. Nun ja, etwas davon ist schon zu fi nden, wenn man aufpaßt. Nur so viel bürgerlicher scheint er oder vielmehr scheinen seine geistigen Sprößlinge als sein wildes schönes Mädchen es ist. Ganz fern bin ich der Politik – das kann man hier gar nicht. Und das ist gut und seelisch ausruhlich, denn da steht Alles schlimm und düster. Wäre ich daheim, ich möchte mit Knitteln dreinschlagen. – Ich muß fort zum Abgeordneten Redlich7 zum Thee und denke an Sie – thun Sie es auch – bis Sonntag – immer Ihr Max Weber

a Unsichere Lesung. 3 Es ist nicht bekannt, welches Musikstück Max Weber meint. 4 Bertha Tobler wohnte im Nebenhaus. 5 Ludwig Tobler war Sprachforscher. Neben seiner Professur an der Universität Zürich, zuletzt als o. Professor für Altgermanische Sprachen und Literatur, war er von 1874 bis zu seinem Tod 1895 Redaktor des von ihm mitbegründeten Schweizerdeutschen Wörterbuchs (Schweizerisches Idiotikon) gewesen. Die Liste seiner Publikationen weist viele verstreut erschienene Schriften auf, darunter auch solche mit Bezug auf das politische Geschehen der Schweiz (vgl. die Bibliographie in: Tobler, Ludwig, Kleine Schriften zur Volksund Sprachkunde, hg. von J. Barchtold und A. Bachmann. – Frauenfeld: J. Huber 1897, S. 305–320). 6 Mina Tobler. 7 Josef Redlich notierte am Donnerstag, dem 9. Mai 1918 in sein Tagebuch: „Heute nachmittag um 5 Uhr kam Max Weber. Mitten im besten politischen Gespräch wurden Arthur v. Rosthorn und Frau angemeldet, und so bildeten wir dann eine sehr angeregte Gesellschaft bis 8 Uhr abends. Weber sprach mit seiner profunden Gelehrsamkeit und seinem prachtvollen Temperament über die alten Sozialverhältnisse Chinas und Indiens, und Rosthorn sprach von seinem Standpunkte auch sehr interessant darüber.“ Vgl. Redlich, Josef, Schicksalsjahre Österreichs, 1908–1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, bearb. von Fritz Fellner, Bd. 2: 1915–1919 (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs, Bd. 40). – Graz, Köln: Böhlau 1954, S. 272.

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13. Mai 1918

Österreichisch-Ungarisches Konsulat Mannheim [13. Mai 1918; Wien] Telegramm ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Ktn. 790, Zl. 17150/1918 Webers Schreiben findet sich auf der Rückseite eines an ihn gerichteten Telegramms von Marianne Weber vom 13. Mai 1918 mit dem Inhalt: „tages = dringend = profeszor weber pension baltic skodagasze 15 wien 8 = mannheimer konsulat verlangt nachweis dass reise dringlich ist erbitte entsprechende telegraphische anweisung vom dortigen ministerium oder auswaertigen amt direkt an konsulat = marianne.+.+.“ Das Telegramm seiner Frau brachte Weber dem Kultusministerium in Wien umgehend zur Kenntnis, und bereits am 14. Mai 1918 bestätigte dieses dem Konsulat die Dringlichkeit der Reise (ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Ktn. 790, Zl. 17150/1918). Am 17. Mai konnte Marianne Weber ihre Reise nach Wien antreten. Von dort berichtete sie am 23. Mai Helene Weber: „Ich bin also trotz großer u. unerwarteter Paßschwierigkeiten, die nur durch die von Max bewogenen Wiener Behörden beseitigt werden konnten u. trotz des rasenden Pfingstverkehrs heil u. munter hier angelangt.“ (Brief von Marianne an Helene Weber vom 23. Mai 1918, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446.) Zur geplanten Reise nach Wien und den bürokratischen Hürden vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 28. April sowie vom 4., vor oder am 5. und 7. Mai 1918, oben, S. 152, 159, 160 f. und 166 f.

Österreichisch-Ungarisches Konsulat Mannheim Reise der Frau Professor Weber hierher dringend wünschenswert

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Mina Tobler [17. Mai 1918; Wien] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum und der Ort sind erschlossen aus dem Briefinhalt: Max Weber hat den folgenden Brief unmittelbar vor der Ankunft von Marianne Weber am 17. Mai 1918 geschrieben.

Liebes Tobelkind,

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ich habe mich unglaublich betragen, – fast 8 Tage nicht geschrieben und die Briefe gehen jetzt 7–9 Tage! – und ich erhielt doch inzwischen (am gleichen Tage) Ihre beiden lieben Briefe, darunter die Strafpredigt, der ich mich demutsvoll unterwarf, ohne doch das Opfer des Intellekts bringen zu können! Aber der Grund ist: es ging mir wirklich nicht gut und ich hatte Mühe, mich über Wasser und arbeits- d. h. Colleg-fähig zu halten, mit allen Giften, die die Erde kennt. Jetzt ist Pfi ngsten vor der Thür und damit Ruhe für ca. 8 Tage, – d. h. wir lesen auch in der Pfi ngstwoche. Also – was Sie mir da mit so bezaubernder Toblerischer Anmut schreiben, in allen Ehren – aber es ist halt eben in Vielem doch so, Das darf ich mir nicht verhehlen. Die Vorlesung füllt sich. Es sitzen viele Kollegen und einige Excellenzen drin und ein musterhaft aufmerksames Publikum von etwa 100 Studenten. In den Übungen wird eifrig und klug debattiert, das läßt sich nicht leugnen. Dies Studentenmaterial in Heidelberg zu finden ist natürlich ganz ausgeschlossen. Wien in seinem Frühlingsschmuck ist nach wie vor von berauschender Schönheit, die Leute ganz entzückend. Wäre ich nicht „am andren Ufer“1 in jeder Hinsicht, dann wäre die Versuchung in der That sehr groß. Aber so . . . –, ganz abgesehen von den bekannten Gründen. Wie es eigentlich in Deutschland aussieht, davon weiß ich nichts, denn ich sehe keine Zeitungen, lese in der jetzigen Angespanntheit nicht einmal die hiesigen Blätter. Und wie es bei Ihnen aussieht, darüber werde ich ja auch erst in 2 Monaten – ich komme etwa am 22/23 Juli heim – klar sehen. Die Briefe klingen stark, stolz, schön und daher gut. Und die Schwägerin2 ist wieder da. |:Auch klang gut, was Sie von 1 Max Weber benutzt diese bildhafte Umschreibung verschiedentlich in den Briefen an Mina Tobler, um langjährige krankheitsbedingte Einschränkungen seiner Lebensweise zu charakterisieren. Vgl. die Briefe an Mina Tobler, nach dem 30. April 1918, oben, S. 155, sowie vom 15. Juni und 11. Juli 1918, unten, S. 195 und 219. 2 Bertha Tobler.

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Musik schrieben [.] :| Aber doch weiß ich nicht, ob ich dem guten Schein trauen soll. Nun, ich werde ja sehen. 2/ der Zeit des Fortseins sind ja herum. – – Vorigen Sonntag wunder5 volle Kammermusik bei einem hochmusikalischen Kollegen. 3 Beethoven-Quartett (Op. 59, 3 – prachtvolle Fuge!) und ein Haydn, – es ist doch ganz was Andres als im Konzertsaal! der Raum der schönen Villa4 wie geschaffen dafür, von allen Seiten das Mai-Grün, weiter Blick über die herrliche Stadt und das Marchfeld bis Ungarn, die Quartettisten (Ministerialbeamte) unglaublich eingespielt und namentlich rhythmisch allerersten Ranges in der Leistung. Ein schöner Nachmittag. Sonst sah ich nichts, war zu abgespannt. Nur heute früh die herrlichen Rubens (die einzigen ganz eigenhändigen: Ildefonso-Altar) im Museum. 5 Das Erste was ich ansah, weil ich ganz allein mit einem Kollegen im Museum war: himmlisch. Sonst war ich genußunfähig. – Jetzt muß ich zur Bahn, Marianne abholen. Ich will und werde mich bessern, seien Sie diesmal nachsichtig wegen des langen Schweigens, es war wirklich bis gestern Abend eine recht böse Woche. Immer Ihr M Weber

3 Edmund Bernatzik, bei dem Max Weber verschiedentlich zur Hausmusik war. Vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 26. Juni 1918 sowie vom 3. und 12. Juli 1918, unten, S. 205, 211 und 221, außerdem den Brief an Mina Tobler vom 1. Juni 1918, unten, S. 175. 4 Die Villa Bernatzik wurde 1912–1913 nach Plänen des Architekten Josef Hoffmann, dem Mitbegründer der „Wiener Werkstätten“, gebaut. 5 Saal 14 des damaligen Kunsthistorischen Hofmuseums war „Rubens und seiner Schule“ gewidmet. Vgl. Baedeker, Karl, Österreich (ohne Galizien, Dalmatien, Ungarn und Bosnien). Handbuch für Reisende, 29. Aufl. – Leipzig: Baedeker 1913, S. 72 f. Dort hing auch der sogenannte Ildefonso-Altar, das um 1630/32 für die Kirche der Ildefonso-Brüder in Brüssel gestaltete Hauptwerk aus Peter Paul Rubens späterer Schaffensperiode.

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25. Mai 1918

Verlag Duncker & Humblot [vor dem 25. Mai 1918]; Wien Brief; eigenhändig VA Duncker & Humblot, Berlin Die Datierung ist erschlossen aus dem Eingangsvermerk des Verlags: „25. V. 18“.

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Herrn Duncker & Humblot München Sehr geehrter Herr!

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Das Honorar1 erbitte ich mir auf mein Konto bei der Rheinischen Kreditbank, Filiale Heidelberg, Heidelberg. Ich nehme an, daß Sie Zeitungs- und andre Polemiken gegen die Schrift sammeln2 und mir gelegentlich leihweise überlassen können. Bis Mitte Juli bin ich hier, dann in Heidelberg. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Prof. Max Weber

1 Das Honorar galt Webers Veröffentlichung: Parlament und Regierung (MWG I/15, S. 421–596). 2 Eine derartige Sammlung ist im Verlagsarchiv Duncker & Humblot, Berlin, nicht überliefert.

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1. Juni 1918

Mina Tobler [1. Juni 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt: Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“ – die Weber „heute“ besuchen wollte – wurde am 1. Juni 1918 im k. k. Hof-Operntheater aufgeführt.

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Liebes Tobelkind, inzwischen kam wieder ein so lieber Brief von Ihnen und soeben der an Marianne – und ich habe zwar vor 8 Tagen, seitdem aber nicht, geschrieben! Aber die Zeit war schauderhaft, es ging mir schlecht – schlechter auch als M[arianne] wohl bemerkt hat. Das laute Sprechen vor dem stets anschwellenden Studenten-Auditorium strengt mich körperlich übermäßig an und es ist klar, daß ich die Professur gar nicht übernehmen könnte. Übermorgen voraussichtlich mache ich die entsprechende Eingabe an das Ministerium und die Fakultät.1 Die Leute möchten mich ja schrecklich gern haben, Kollegen wie Studenten, und es ist wunderbar schön hier trotz aller „technischen“ Schwierigkeiten des Lebens. Aber es würde nie eine befriedigte und glückliche Existenz. Nochmal für den Sommer zu 4 Stunden Vorlesung – ja. Aber nicht als angestellter Professor mit dem Gehalt und der Lehrpfl icht des Ordinarius. Heute: Figaro, Hofoper. Da es etwas besser geht, wird es wohl ein Genuß sein. Sonst war ich froh, wenn ich das nackte Leben hatte und Jedermann mich möglichst in Frieden ließ. Marianne hat, denke ich, doch Einiges von Wien gehabt, trotz der für sie unmöglichen Zustände in dieser Pension (ich bin besser dran). Das Wetter ist nur leider recht kühl (12 Grad jetzt) und sehr windig, ins Freie geht man also nicht und das ist eigentlich erst das Schöne. Auch kann ich das Laufen jetzt schlechterdings nicht vertragen. – Ihr Brief klang etwas nach Angestrengtheit und Einsamkeit – kein Wunder, die Trennungen aller Art haben sich eben arg gehäuft und man muß hoffen, daß das nun bald in jeder Hinsicht aufhört. Ich habe nun noch 6–6 1/2 Wochen hier, bis etwa 18. VII., zu thun, dann geht es an den Aufbruch heim. 1 Vgl. das Schreiben an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 5. Juni 1918, unten, S. 179–182.

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Ein merkwürdiges „Abenteuer“ ist so das Ganze geworden, fast unwirklich und gespenstisch, zumal auf diesem Hintergrund des Krieges, Sieges, Hungers, und aller denkbaren Außeralltäglichkeiten. – Mahler’s 8te hätte ich gern hier gehört, aber es war immer Alles Wochen vorher ausverkauft und im Schleichhandel wurden allzu wahnsinnige Billetpreise verlangt und – anstandslos bezahlt. (Das Geld fl iegt hier, man merkt es.) Ich habe aber doch immer angenommen, daß mehr Substanz an ihm sei, als Sie schreiben. Morgen, Sonntag, mit Marianne zum Handelsminister, 2 dann zu einem Kollegen (Quartett-Nachmittag) 3 , übermorgen 2 Stunden, Dienstag 1 Stunde Kolleg, Mittwoch reist Marianne, Donnerstag Ruhe, Freitag Kolleg, dann 2 Tage volle Ruhe. Übernächste Woche ein Vortrag für Offi ziere4 und die üblichen Kollegstunden. Dazwischen – wenn das Gehirn es thut, was leider immer weniger der Fall ist – Arbeit für das Kolleg. – Wenn bald etwas mehr Ruhe ist schreibe ich denke ich mal einen wirklichen Brief. Dies ist Alles nur Lebens- und Gedenkenszeichen. Zur Zeit steht alles als „Aufgabe“ vor mir, auch ein Brief. Herzlichst immer Ihr Max Weber

2 Friedrich v. Wieser, der über diesen Besuch am 2. Juni 1918 in sein Tagebuch (HHStA Wien, Nl. Friedrich v. Wieser, Bl. 496) notierte: „Mit Max Weber und seiner Frau zusammen. Einer der wenigen Männer, in deren Gegenwart ich das Gefühl von Respekt habe. Wenn er wüsste, wie leer ich mir ihm gegenüber vorkomme.“ 3 Vermutlich Edmund Bernatzik, bei dem Max Weber öfters zur Hausmusik eingeladen war. 4 Auf Einladung der „Feindespropaganda-Abwehrstelle“ hielt Weber im Rahmen der Informationskurse für österreichische Offiziere am 13. Juni 1918 seinen Vortrag „Der Sozialismus“ (vgl. MWG/15, S. 597–633).

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Carl Grünberg [nach dem 4. Juni 1918]; Wien Abschrift; maschinenschriftlich ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Ktn. 790, Zl. 27314/1918 Die Datierung ist erschlossen aus dem Hinweis auf die Weber „zugegangenen Korrekturen der Arbeit von Prof. Schumpeter“ in Verbindung mit einer Bemerkung Schumpeters in seinem Brief an einen ungenannten Kollegen vom 4. Juni 1918, „daß er soeben die Korrektur meiner Abhandlung über das Geld erledigt“ habe, hier zitiert nach: Schumpeter, Joseph Alois, Briefe/Letters, ausgewählt und hg. von Ulrich Hedtke und Richard Swedberg. – Tübingen: Mohr Siebeck 2000, S. 86 f., das Zitat ebd., S. 87. Weber dürfte demnach die Korrekturen nach dem 4. Juni erhalten haben. Bei der von Weber erwähnten „Arbeit“ handelt es sich um den Artikel: Das Sozialprodukt und die Rechenpfennige. Glossen und Beiträge zur Geldtheorie von heute, erschienen im Juli 1918 ausgegebenen Heft des AfSSp, Bd. 44, 1917/18, S. 627–715.

Wien, VIII. Skodagasse 15. Verehrtester Herr Kollege! Auf Ihren Wunsch schicke ich die mir als dem Mitherausgeber zugegangenen Korrekturen der Arbeit von Prof. Schumpeter,1 und da Sie dies wünschen, äußere ich mich schriftlich über ihn und Professor v. Bortkiewicz. 2 Beide sind unbezweifelt erstklassige Gelehrte, was von anderen – mögen ihre sonstigen Verdienste welche immer sein – nicht (d. h. nicht auf dem Gebiet der ökonomischen Theorie) gilt. Prof. v. Bortkiewicz ist eine vornehm reservierte, man kann sagen: etwas verschlossene, in der wissenschaftlichen Polemik ohne Motivierung oft leidenschaftliche, persönlich aber streng korrekte und verbindliche Natur, als Statistiker durchaus unerreicht, als Theoretiker allseitig durchgeschult,

1 Weber war Mitherausgeber des AfSSp. 2 Es geht hierbei um die Nachfolgefrage für den Lehrstuhl Friedrich v. Wiesers, der seit dessen Ernennung zum österreichischen Handelsminister 1917 vakant war. Schon in seinem Gutachten vom 2. April 1918 – das Datum nach der Angabe von Carl Grünberg in seinem Kommissionsbericht vom 10. April 1918 (ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Ktn. 790, Zl. 27314/1918) – hatte Weber als die am meisten geeigneten Vertreter der theoretischen Nationalökonomie Joseph A. Schumpeter und Ladislaus von Bortkiewicz genannt (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 13, Bl. 27–33; MWG 1/13). Bezüglich Schumpeter war jedoch Webers Vorschlag in der Kommissionssitzung vom 10. April (siehe oben) – bei der er zeitweise anwesend war – auf allgemeine Ablehnung gestoßen. Weber hat aber auch weiterhin – nicht nur in diesem Schreiben – neben v. Bortkiewicz auch Schumpeter als geeigneten Kandidaten eingeschätzt; vgl. dazu die Briefe an Hans v. Voltelini, vor dem 6. Juli 1918, unten, S. 215 f., sowie an Marianne Weber vom 13. Juni 1918, unten, S. 191, Anm. 3.

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darin vielleicht mehr kritisch als positiv und schaffend hervorgetreten, 3 jedenfalls aber vollwertig, dabei Mitglied des Vereins für Sozialpolitik, Schüler G[eorg] F[riedrich] Knapps, dessen Geldtheorie er soeben vortreffl ich gegen grobe Mißdeutungen sichergestellt hat.4 Er hat ganz erhebliche persönliche Opfer für seine Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis gebracht und es ist daher eine schnöde Ungerechtigkeit, wenn in Deutschland gegen ihn stets der Grundsatz durchgeführt wurde – wie es bei allen Berufungen geschah: „zuerst versorgen wir die Deutschbürtigen“. Als Redner ist er sachlich, streng, schlagfertig; – was ihm in den Augen der Studenten mangelt, ist lediglich: „Temperament“ [.] Ich habe es immer bekämpft, daß man dies sehr äußerliche Requisit des „guten Dozenten“ zum Wertmaßstab mache. Aber bei den Studenten ist es notorisch so. In dieser Hinsicht dürfte ihma J[oseph] Schumpeter überlegen sein, ebenso vielleicht in all jenemb, was eine noch nach Vollendung drängende sich aussprechen wollende, jüngere reiche Geistigkeit nun einmal zu bieten hat. Produktiv hat er auf theoretischem Gebiet zweifellos mehr – freilich zunächst auch mehr Fehlgriffe – schöpferisch geleistet, 5 als Professor v. Bortkiewicz, der ihm an ruhiger Sicherheit und dann als Statistiker überlegen ist. Der Ansicht, daß er seine Schüler nicht wirklich gründlich einschule, muß ich nach denc mir zufällig bekanntgewordenen Exemplaren6 entschieden entgegentreten. Hat er Fehler a In Abschrift: ihn b In Abschrift: jenen c In Abschrift: dem 3 Von Bortkiewicz hatte sich in seinen ökonomischen Aufsätzen u. a. kritisch mit Paretos „Cours d’Economie politique“, der Marxschen Wertlehre, der Zinstheorie v. Böhm-Bawerks und der Standorttheorie von Alfred Weber auseinandergesetzt: Die Grenznutzentheorie als Grundlage einer ultraliberalen Wirtschaftspolitik, in: Schmollers Jahrbuch, Jg. 22, 1898, S. 1177–1216, Wertrechnung und Preisrechnung im Marxschen System, in: AfSSp, Bd. 23, 1906, S. 1–50, sowie: Bd. 25, 1907, S. 10–51 und 445–488; Der Kardinalfehler der BöhmBawerkschen Zinstheorie, in: Schmollers Jahrbuch, Jg. 30, 1906, S. 943–972, sowie: Eine geometrische Fundierung der Lehre vom Standort der Industrien, in: AfSSp, Bd. 30, 1910, S. 759–785. 4 Bortkiewicz, Ladislaus von, Die Frage der Reform unserer Währung und die Knappsche Geldtheorie, in: Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung, Bd. 6, 1919, S. 57–102. 5 Weber denkt vermutlich an Schumpeters Hauptwerke: Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie. – Leipzig: Duncker & Humblot 1908, sowie dessen: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. – Leipzig: Duncker & Humblot 1912. 6 Vermutlich hatte Weber in Wien Typoskripte von Vorlesungen Schumpeters zu Gesicht bekommen; Ulrich Hedtke und Richard Swedberg verweisen in ihrer Edition der Briefe Schumpeters – vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung – auf maschinenschriftliche Vorlesungsskripten aus jener Zeit, u. a. über Volkswirtschaftspolitik (164 Seiten) sowie über Nationalökonomie (134 Seiten), ebd., S. 66, Anm. 2.

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gemacht, so liegen sie eher darin, daß sein Stolz und Selbständigkeitstrieb ihn in populären Vorträgen,7zumal wo er sich Gegnern gegenüber wußte, an die Grenze der Paradoxie getrieben hat, – wie es in exponierter Lage leicht geschieht. Persönlich würde ich ihm als Lehrer mit dem vollsten Vertrauen gegenüberstehen und als Gelehrter, speziell als Theoretiker, Großes von ihm erwarten, wenn er in einen adäquaten Wirkungskreis rechtzeitig gelangt. An faszinierender Lehrgabe übertrifft er, scheint mir[,] uns alle und nicht zu leugnen ist, daß er die alte Tradition der Wiener Hochschule in sehr glänzender Weise fortsetzen wird. Die Wahl zwischen diesen beiden Gelehrten ist darnach nicht leicht. Ich persönlich würde, trotz des steten Protests gegen die Zurücksetzung von Bortkiewicz, schließlich für Schumpeter optieren, aus konkreten Wiener Lehrbedürfnissen heraus, am liebsten freilich beide dahaben, wenn ich mitzureden hätte. O[thmar] Spann, ein nach Charakter[,] Streben, Begabung vortrefflicher Mann (mit dem ich befreundet bin) – das wird wohld auch seine eigene Ansicht sein – als Theoretiker des ökonomischen Fachs erst hinter ihnen. Anders wenn eine soziologische, sozialpolitische oder überhaupt wirtschaftspolitische Stelle zu besetzen wäre. Seine Leistung liegt noch vor ihm. Adolf Weber ist durchaus zweiten Ranges, ein Ruf würde nicht dazu dienen, ihm die erwünschte Sicherung seiner Stellung als Institutsdirektor und ähnliche Carriere zu bessern. Er ist nicht schlechte, aber schlechterhin kein Gewinn und jedenfalls weit weniger als K[arl] Diehl – ein liebenswürdiger treffl icher Charakter, gegen den nur zu sagen ist – daß er eben nicht restlos klar denkt (Liefmanns Kritik gegen ihn ist in der Tat schlechterdings durchlagend und endgiltig).8 Als Praktiker könnte er weit eher in Betracht kommen, hinter Plenge und Wiedenfeld, oder auch neben einem von ihnen [,] aber als Theoretiker meines Erachtens unbedingt nicht, so gern ich ihn persönlich leiden mag. Max Weber d In Abschrift: wol e In Abschrift: schlechtes 7 Auf welche Vorträge Schumpeters Weber hier anspielt, ist unklar; möglicherweise auf solche, die er während seiner Professur in Czernowitz gehalten hat. 8 Vermutlich bezieht sich dies auf den Abschnitt: Die juristisch-soziologische Richtung, in Robert Liefmanns Buch: Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Bd. 1: Grundlagen der Wirtschaft. – Stuttgart und Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1917, S. 40–55; die kritischen Ausführungen zu Karl Diehls ökonomischen, auf der Rechtstheorie von Rudolf Stammler fußenden, Werken, ebd., S. 44–54.

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k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht 5. Juni 1918; Wien Abschrift; maschinenschriftlich mit eigenhändigen Korrekturen und Zusätzen Max Webers GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 13, Bl. 24–26 Die im folgenden kursiv wiedergegebenen Orts-, Monats- und Adressatenangaben des Briefkopfes sind in der Maschinenschrift durch Sperrdruck hervorgehoben.

Wien, VIII. Skodagasse 15. 5. Juni 1918.

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Dem a k. k. a Ministerium des Unterrichts beehreb ich mich in betreff der mir angebotenen Professur der Staatswissenschaften vorzutragen: Sowohl die allgemeinen Lebensverhältnisse in Wien, wie die besonderen Verhältnisse der Hochschule und innerhalb des Kollegenkreises würden mich zur bedingungslosenc Annahme veranlassen müssend. Ich glaube nicht, daß irgend wo sonst ein derartig gewecktes und geschultes Hörerpublikum zu fi nden sein wird, wie in dem hier abgehaltenen Kolloquium. Eine zeitgemäße Erhöhunge des Aversums1 für das Seminar wird jeder herf berufene Lehrer der Staatswissenschaften unbedingt erbitten müsseng. h (Diese Bezüge betragen in Heidelberg 5000 Mark neben Mitteln für die Entschädigung eines Assistenten) h . Im einzelnen lassen die Verhältnisse der Universitäts-Bibliothek zu wünschen übrig (Fehlen eines wirklichen Real-Katalogs, unzulängliche Kontrollmöglichkeit für den Verbleib der Bücher). Dies ist durch Kriegsumstände bedingt. Aber weder dieser nebensächliche Umstand, noch die Frage, wie die Fakultät über das Doktorat der Staatswissenschaften und die Besetzung der zweiten noch freien Stelle2 entscheidet, a In Abschrift: k. u. k. b Beehre > beehre c In Abschrift: bedingslosen d In Abschrift: müßen e Erhörung > Erhöhung f hier > her g In Abschrift: müßen h Klammern eigenhändig. 1 Neulat. für: Pauschale bzw. Durchschnittssumme. 2 Seit 1917 waren die bislang durch den verstorbenen Eugen v. Philippovich sowie den zum k. k. Handelsminister berufenen Friedrich v. Wieser besetzten Lehrstühle vakant; während Weber den ersten Lehrstuhl vertretungsweise im Sommersemester 1918 innehatte, hatte die Suche nach einer Neubesetzung des zweiten Lehrstuhls noch zu keinem Ergebnis geführt; zu den Berufungsproblemen vgl. den Brief an Carl Grünberg vom 31. Jan. 1918, oben, S. 79–82.

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könnte mich irgendwie in der Art der Entschließung bestimmen, da eine nützliche und erfreuliche Lehrtätigkeit in jedem Fall gesichert wäre, nachdem in der Frage der Beteiligung an den juristischen Rigorosen Entgegenkommen zugesagt war. Ebenso würden die materiellen Verabredungen ausreichen, mir – worauf es allein ankommt – zu ersparen, meiner Frau eine allzu weitgehende Änderung unserer derzeitigen Lebenshaltung zuzumuten. Mit Ausnahme des Punktes des Aversums für das Seminar hätte ich keinerlei Forderungen irgend welcher Art zu stellen. Schwere Bedenken erregen vielmehr folgende beide Umstände: 1.) Es ließ sich seinerzeit nicht erwarten, daß politisch seit etwa Januar d. J. sowohl in der deutschen Innen-Politik wie in einigen Punkten auch in der Außen-Politik manche Tendenzen erfolgreich hervortreten würden, welche nach meiner Ansicht dem deutschen Interesse nachteilig |:sind:| und künftig vielleicht auch für den Sinn und die Festigkeit des seinem äußeren Bestande nach in absehbarer Zeit gewiß nicht bedrohten Bündnisses ungünstig wirken müsseni. 3 Die Absicht nach Wien zu übersiedeln, hatte bei mir den Sinn eines Ausscheidens aus jeder politischen Betätigung. Es ist unter den gegebenen Umständen aber schwierig, sich der Verpfl ichtung an seinemj sei es auch noch so bescheidenen Teile in Deutschland politisch |:sich:| zu betätigen zu entziehen.4 Dies würde für mich eine Unmöglichkeit, wenn ich eine fest und ziemlich hoch besoldete Stellung in dem verbündeten Nachbarreich annehmen würde. Dagegen können in dieser Hinsicht berechtigte Tendenzenk nicht entstehen, wenn ich feststehendermaßen, wie jetzt, nur die tatsächlichen Kosten einer Junggesellenexistenz hier für die tatsächlich geleistete Arbeit ersetzt erhalte, also keinerlei Erwerbsvorteile genieße. 2.) Allein da es gar nicht feststeht, ob die politischen Verhältnisse künftig Anlaß oder auch nur Raum für eine politische Wirksamkeit lassen werden,l könnte auch das nicht entscheiden. Maßgebend ist vieli In Abschrift: müße > müßen j In Abschrift: seinen k In Abschrift: Tendenten l werde, > werden, 3 Vgl. zu Webers innen- und außenpolitischen Befürchtungen die Briefe an Hermann Oncken vom 1. und 7. Febr. 1918, oben, S. 85 f. und 87–89. 4 In ähnlicher Weise äußerte sich Weber gut zwei Monate später auch gegenüber dem Redakteur der Frankfurter Zeitung, Bernhard Guttmann. Dort begründete er seine Rückkehr aus Wien unter anderem damit, daß er in Deutschland in politischen Dingen zumindest gelegentlich zu Wort kommen und wirken könne. Vgl. den Brief an Bernhard Guttmann vom 15. Aug. 1918, unten, S. 238 f.

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mehr der Umstand: daßm ich, wie die Erfahrung deutlich gezeigt hat, die vollen Pfl ichten eines Ordinariats unter den unvermeidlichen technischen Lebensbedingungen der Großstadt nur unter der immer wiederkehrenden Notwendigkeit, besonderen Rücksichten zu beanspruchen,o würde durchführen können. Damit wäre dem Interesse der Fakultät nicht gedient und ich wäre durchaus abgeneigt, mich in diese Lage zu begeben. Die Fakultät bedarf Persönlichkeiten, bei welchen von Derartigemp überhaupt keine Rede ist. Bei mir würde die immer wiederkehrende Gehemmtheit in der Möglichkeit, die aus sachlichen Gründen notwendig etwa 8 bis 10 Stunden Lehrtätigkeit mit der jederzeitigen Verfügbarkeit für die Anliegen der Studierenden und die Erörterungen mit ihnen zu verbinden, keine Befriedigung aufkommen lassen. Der Weg, in dieser Hinsicht einem Ordinarius Sondervergünstigungen zu gewähren, darf nicht beschritten werden, dennq die Konsequenzen sind klar. Der Anregung eines Kollegen vollends, das Ordinariat in ein solches für Gesellschaftslehrer umzuwandeln, 5 konnte ich nur durchaus ablehnend gegenüberstehen. Dies Fach ist noch viel zu hybrid,s um als Lehrfach eines Ordinarius und vollends: t als Prüfungsfach (was dann wohl die Folge sein würde) konstituiert werden zu können oder auch nur zu dürfen. Daß ich nach den gemachten Erfahrungen außerstande sein würde, eine bestimmte, einemu Verlag gegenüber bindend übernommene wissenschaftlichev Verpfl ichtung zu erfüllen,6 kommt weniger in Betracht, da der Verleger seinerzeit sich damit abzufi nden bereit war. Entscheidend ist vielmehr, daß das kollegmäßige Sprechen vor Auditorien von 100 und mehr Zuhörern für mich ohne Schädigung der Qualität der Leistung aus körperlichen Gründen nicht dauernd durchführbar ist, jedenfallsw nicht annähernd in dem Umfange, in welchem ein Ordinariat dies unbedingt erfordert. Danach muß ich zu meinem sehr großen Bedauern und meiner nicht geringen Enttäuschung zu dem Entschluß gelangen: von dem mir zugestandenen Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen. m In Abschrift: das n In Abschrift: besonderer o Komma eigenhändig. p derartigen > Derartigem q den > denn r Gesellschaftslehrer > Gesellschaftslehre s Komma eigenhändig. t Doppelpunkt eigenhändig. u In Abschrift: einen v In Abschrift: wissentschaftliche w jednefalls > jedenfalls 5 Um welchen Wiener Kollegen Webers es sich handelt, ist nicht bekannt. 6 Anspielung auf die Fertigstellung seines Beitrags für den GdS, „Wirtschaft und Gesellschaft“.

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Ich hoffe, daß diese Erklärung jetzt noch so rechtzeitig erfolgt, um die sichere Möglichkeit zu geben, die Stelle bis zum Wintersemester anderweit zu besetzen und benutze diese Gelegenheit allen beteiligten Instanzen für das ungewöhnlich große Vertrauen und die ebenso ungewöhnlich große Liebenswürdigkeit der Aufnahme und Behandlung hier meinen ergebenstenx und verbindlichsten Dank zu sagen. Des yk. k.y Unterrichtsministeriums ehrerbietigster ergebensterz

x In Abschrift: ergebendsten y In Abschrift: k. u. k. z In Abschrift: Ergebendster

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Marianne Weber [6. Juni 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt: Max Weber legte die Absage an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 5. Juni 1918, oben S. 179–182, bei und erwähnt die freitägliche Lehrveranstaltung („Morgen [7. Juni] also Kolloquium“).

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Liebes Mädele,

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die Anlage ging an das Ministerium und die Fakultät, an letztere zugleich die Erklärung: ich sei bereit, immer wieder Semester-weise eine 4stündige Vorlesung zu halten (etwa jeden Sommer oder jeden Winter), nach vorgängiger (formeller) Habilitation, was lebhafter Zustimmung zu begegnen schien.1 Wie magst Du übergekommen sein? Denn nach Salzburg mußtest Du ja den Platz neu „erobern“! Hoffentlich gut und hoffentlich hast Du nicht die Torheit begangen Gertrud B[äumer] für Berlin zuzusagen! 2 Nach wie vor bin ich etwas wie in einem „Fieber“-Zustand der physischen Überreizung, hoffe aber durchzukommen. Morgen also Kolloquium, Samstag Abend bei Hartmanns, 3 Samstag über 8 Tage bei Exc. Sieghart (Herrenhaus-Magnat) mit Politikern.4 – Der Kollegsaal hat thatsächlich über 300 (offi zielle) Plätze! Eine reine Volksversammlung! In der Pension wieder „Palast-Revolution“: Frl. Marie5 geht nun defi nitiv heute. Hoffentlich bleibt man leidlich versorgt. Im „Silbernen 1 Ein Schreiben an die Fakultät ist nicht nachgewiesen. Im Juni 1918 schrieb Marianne Weber allerdings an Helene Weber (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446): „Denke Max hat das Ordinariat in Wien abgelehnt, aber der Fakultät angeboten dort jährlich ein Semester nach seinem Belieben zu lesen.“ 2 Marianne Weber sollte in ihrer Funktion als kooptiertes Vorstandsmitglied des Bundes Deutscher Frauenvereine vom 18.–21. Juni 1918 an einer Konferenz und Vorstandssitzung in Berlin teilnehmen. Zunächst scheute sie die lange Reise, entschloß sich jedoch auf Drängen von Gertrud Bäumer zur Teilnahme. Vgl. Marianne Webers Briefe an Helene Weber vom 11. Juni und vom 24. Juni 1918 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 3 Ludo Moritz und Margarete Hartmann. 4 Zur Einladung bei Rudolf Sieghart vgl. den Brief an Marianne Weber vom 16. Juni 1918, unten, S. 197 mit Anm. 3. 5 Eine Angestellte in Max Webers Wiener Pension.

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Brunnen“6 fragten sie schon nach Dir und Deinem Verbleib. – Wetter: kalt und bewölkt, nicht für Sitzen im Freien geeignet. Grüße Heidelberg schön und laß Dir es gut gehen, es umarmt Dich Dein Max Kannst Du wohl meine „Weltreligionen“7 (alle Artikel) zusammenfi nden und an Dr Max Adler,8 VIII, Josefstädter Str. 43 schicken? Er ersuchte mich darum.

6 Die Gastwirtschaft „Zum Silbernen Brunnen“, VIII. Bezirk (Josefstadt), Berggasse 5. Nach Baedeker, Karl, Österreich (ohne Galizien, Dalmatien, Ungarn und Bosnien). Handbuch für Reisende, 29. Aufl. – Leipzig: Baedeker 1913, S. 7, war diese „gut, nicht teuer“. 7 Bis dahin waren folgende Artikel zu „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Religionssoziologische Skizzen“ erschienen: [1. Folge]. Einleitung; Der Konfuzianismus. I–II, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 41. Bd., 1. Heft, S. 1–87; [2. Folge]. Der Konfuzianismus. III–IV; Zwischenbetrachtung. Stufen und Richtungen der religiösen Weltablehnung, ebd., 2. Heft, S. 335–421; [3. Folge]. Hinduismus und Buddhismus, ebd., 41. Band, 3. Heft, 1916, S. 613–744; [4. Folge]. Hinduismus und Buddhismus (Fortsetzung.), ebd., 42. Bd., 2. Heft, 1916, S. 345–461; [5. Folge]. Hinduismus und Buddhismus (Schluß.), ebd, 42. Bd., 3. Heft, 1917, S. 687–814; [6. Folge]. Das antike Judentum, ebd., 44. Bd., 1. Heft, 1917, S. 52–138; [7. Folge]. Das antike Judentum (Fortsetzung.), ebd., 44. Bd., 2. Heft, 1918, S. 349–443. 8 Max Adler, Soziologe und Vertreter des Austromarxismus.

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k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht 7. Juni 1918; Wien Brief; eigenhändig ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Ktn. 809, Zl. 20556/1918

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Betrifft: Zahlung der Aufenthalts-Entschädigung für den Prof. Dr Max Weber (Heidelberg), Juridische Fakultät. Dem a K. K. a Unterrichtsministerium

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beehre ich mich vorzutragen: Nach den gegebenen Zusagen sollten die Monatsraten meiner Aufenthaltsentschädigung – je 1500 Mk – am Tage des Eintreffens und an den 3 folgenden Monatsersten fällig sein. Am 9. IV. bat ich durch Eingabe um Überweisung der ersten Rate an die „Allgemeine Depositenbank“, (Teinfalt- und Herrengasse) und ebenso für alle folgenden Raten.1 Nach einer zweiten Eingabe an das bK. K.b Ministerium, 2 zwei Eingaben und drei persönlichen Rücksprachen auf der Statthalterei erfolgte die Überweisung – gemäß dortiger Verfügung vom 15. IV., präsentiert bei der Statthalterei am 18. IV., dort weiterexpediert am 22. IV., schließlich am 25. oder 26. IV., also fast drei Wochen nach Fälligkeit. Auch diese geschah erst, nachdem ich der cK. K.c Statthalterei schließlich erklärt hatte: ich würde mangels Zahlung bis zum nächsten Mittag den Kontrakt mit dem dK. K.d Unterrichtsministerium für gelöst erklären und abreisen. – Die Rate per 1. V. traf pünktlich ein. – Die Rate per 1. VI. ist bis heute früh, 7. VI., 10 Uhr, nicht bei der Bank eingegangen und es ist infolgedessen ein Scheck von mir nicht honoriert worden. Eine Eingabe von vorgestern – präsentiert bei der Statthalterei Mittags – hat a O: K. u. K. b O: K. u. K. c O: K. u. K. d O: K. und K. 1 Brief vom 9. April 1918 an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht, oben, S. 112. 2 Diese sowie die im folgenden erwähnten Eingaben an die Statthalterei sind nicht nachgewiesen.

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nichts gefruchtet. 3 Mir ist etwas Ähnliches noch niemals widerfahren, insbesondre nicht eine solche Bloßstellung gegenüber einer Bank. Ich habe mich nicht für verpfl ichtet gehalten und war nicht verpfl ichtet, Tausende von Mark deutschen Geldes hierher |:in der Tasche:| mitzubringen. Eine Banküberweisung von dort her dauert über 8 Tage. Die Notwendigkeit solcher Bettelgänge und -Eingaben, um eine ganz klare Verpfl ichtung erfüllt zu erhalten, habe ich als schwer beleidigend und unwürdig empfunden und dies der eK. K.e Statthalterei auch mitgeteilt.4 Ein beabsichtigtes Eingreifen des Herren Rektors der Universität5 habe ich verhindert. Ich halte es aber doch für richtig, das fK. K.f Unterrichtsministerium von derartigen Schwierigkeiten zu unterrichten.6 Des gK. K.g Unterrichtsministeriums ehrerbietigst ergebenster Prof. Max Weber

e O: K. u. K. f O: K. und K. g O: K. und K. 3 Die Eingabe ist nicht nachgewiesen. 4 Nicht nachgewiesen. 5 Damaliger Rektor war der Pharmakologe Hans Horst Meyer. 6 Auf Webers Vorhaltungen hin bat das Ministerium am 10. Juni 1918 die k. k. Statthalterei um Aufklärung über die noch nicht erfolgte Monatsüberweisung. In ihrer Antwort vom 13. Juni 1918 (ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Zl. 21393/1918) begründete die Statthalterei dies mit dem Irrtum eines Beamten und wies darauf hin, daß „die neuerliche ordnungsmäßige Liquidierung“ der Remuneration Max Webers sogleich am 8. Juni 1918 erfolgt sei.

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Mina Tobler [9. Juni 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt („nun habe ich gekündigt“, vgl. den Brief an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 5. Juni 1918, oben, S. 179–182) und dem Brief an Mina Tobler vom 15. Juni 1918, unten, S. 195 f. Darin erwähnt Max Weber, den letzten Brief an Mina Tobler sechs Tage zuvor, d. h. am 9. Juni 1918, geschrieben zu haben.

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Liebes Tobelkind, –

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so, nun habe ich gekündigt – mit dem Beifügen, daß ich gelegentlich auch künftig unter gleichen Bedingungen 1 Semester lang zu lesen bereit sei, woran den Leuten sehr viel lag. Ich hielte diese Sache thatsächlich nicht aus, die Hörerzahl stieg so, daß das größte Auditorium nicht reichte und dies laute Sprechen macht mich tot. Jetzt denke ich „durchzuhalten“ bis Mitte Juli, am 21/22 so etwa bin ich in Heidelberg. Aber der Johannistag1 geht ohne Beisammensein vorüber! Marianne wird ja inzwischen erzählt haben, wie Alles hier ist und was wir gemacht haben. Einen Brief von Ihnen schickte ich ihr nach; er kam grade nachdem sie abgefahren war, – die Abreise war auch keine Kleinigkeit mangels Droschken u. s. w. Ich werde nun sehr vorsichtig leben müssen, Exzesse wie „Figaro“2 u. s. w. sind nicht gestattet, für das Genießen des Praters oder der Umgebung ist es zu kalt und bedeckt – nur jetzt eben strahlt die Sonne. Auch Zeitungen sehe ich kaum, besonders selten deutsche. Ob man wirklich endlich dem Frieden näher kommt ist mir durchaus dunkel, so fabelhaft die Leistungen im Westen sind. Denn die Gegenseite ist ja absolut verrückt in ihrer Verbissenheit. 3 Ich möchte wohl es ginge im Herbst zu Ende, aber – wer weiß das? Von meiner Schwester ganz gut

1 Am 24. Juni, dem Johannistag, hatte Mina Tobler Geburtstag. 2 Weber hatte am 1. Juni 1918 die Aufführung von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“ – unter der musikalischen Leitung von Hugo Reichenberger – im k. k. Hof-Operntheater besucht. 3 Am 27. Mai 1918 hatte die deutsche Offensive am Chemin des Dames begonnen, und bis zum 30. Mai 1918 war den deutschen Truppen die Eroberung von Soissons und der

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klingende Nachrichten, hoffentlich führt sie die Sache wirklich durch.4 – Und Sie? Die Briefe klangen so durchgeistigt und lebensvoll, daß Einem das Herz lachte, – aber was mögen Rücken und Herz machen? Noch immer etwa 7 Wochen, bis ich Sie sehe und höre! Wahrlich, dies lächerlich kurze Sommersemester wird doch erstaunlich lang! Ich hätte es nicht gedacht. Und dann nur auf etwa 3 Wochen, nicht wahr? Oder wann gehen Sie nach der Schweiz? Ob wir im Herbst nach Örlinghausen gehen ist fraglich, jedenfalls wohl nicht für lange (wegen der Ernährung). Kann sein, daß ich im August einmal nach Berlin fahren muß, geschäftlich und familiär. Jedenfalls aber sehne ich mich sehr nach Ruhe und Arbeit und – Heidelberg mit so mancherlei was da ist und sonst nirgends. Bleiben Sie schön und stark und vergessen Sie nicht Ihren Max Weber

Durchbruch an der Marne gelungen. Die Berichterstattung über diesen Erfolg nahm beispielsweise in der Wiener Neuen Freien Presse breiten Raum ein. In Nr. 19317 vom 6. Juni 1918, S. 2, war unter der Überschrift „Die Schlacht im Westen und die Erklärungen Clemenceaus“ zu lesen: „Die Deutschen haben in sieben Tagen 50.000 Gefangene gemacht, über 400 Geschütze nebst sonstigem Kriegsmaterial massenhaft erbeutet, 2000 Quadratkilometer Landes erobert, wichtige Bahnlinien in Besitz genommen . . . sie sind auf 65 Kilometer von Paris entfernt und, was die Hauptsache ist, sie haben mehrere französische Armeen zerschlagen und bringen Frankreich in höchste Gefahr.“ In der Ausgabe Nr. 19320 vom 9. Juni 1918, S. 1, verkündete sie unter der Überschrift „Die Beute der Deutschen seit dem 21. März [dem Beginn der vorausgegangenen Offensive in der Picardie]. 185.000 Gefangene, über 2250 Geschütze, viele tausend Maschinengewehre“. In der gleichen Nummer, ebd., berichtete die Neue Presse von der Hoffnung des französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau, mit Hilfe eintreffender amerikanischer Truppen den Krieg noch im laufenden Jahr beenden zu können, sowie über „die Schaffung selbständiger Staaten für die Polen, die Czecho-Slowaken und die Jugoslawen“ als gemeinsames Kriegsziel Frankreichs, Großbritanniens und Italiens. Die Vereinigten Staaten hegten Sympathie für das Unabhängigkeitsstreben der Tschechen, Slowaken und Südslawen, verlautbarte die Neue Freie Presse an dieser Stelle außerdem. 4 Lili Schäfer war Ende April 1918 von Heidelberg nach Oberhambach in die Odenwaldschule übergesiedelt – wo ihre Kinder zur Schule gingen –, um dort als Hausmutter zu arbeiten.

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Marianne Weber 9. Juni [1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

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in den letzten Tagen habe ich erzwungenermaßen ziemlich „häuslich“ gelebt. Die starke Überreizung1 sprang von der sonst üblichen Sphäre auf die Verdauung über, der Magen kehrte sich mir um und um, so daß ich Freitag2 aussetzen mußte und mehrere Tage fast 24 Stunden schlief. Jetzt ist das ziemlich wieder vorbei und der alte Zustand, etwas gemildert, wieder da. Gestern Abend war ich mit ein paara Leuten bei Hartmanns. 3 Morgen ist wieder Kolleg, Dienstag auch, und dann noch 5 mal! und 5 Kolloquien. Ich zähle natürlich nur noch, wie lange die Geschichte noch dauert, denke aber „durchzuhalten“. Alles hier ist sehr liebenswürdig, außer der Statthalterei, die bis heute noch nicht gezahlt hat, trotz einer scharfen Eingabe.4 Ich bin nun an das Ministerium gegangen, die Schweinerei ist doch zu arg – gut daß ich gezwungen war, von Brot, Honig und Natron zu leben, was alle Geldausgaben ersparte. Das Wetter ist wunderbar, aber ich habe nichts davon, denn ich kann vorerst nicht gut hinaus, bin auch nicht recht in „Stimmung“. Nun, einmal hat Alles ein Ende. Jetzt wüßte ich gern, ob Du gut und heil nach Haus gekommen bist5 oder mit etwelchen „Zwischenfällen“? a O: par 1 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 5. Juni 1918, oben, S. 183. 2 Für Freitag, den 7. Juni 1918, hatte Weber eine weitere Stunde der Vorlesung „Wirtschaft und Gesellschaft (Positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung)“ eingeplant. Vgl. den Brief an Mina Tobler vom 1. Juni 1918, oben, S. 175. 3 Ludo Moritz und Margarete Hartmann. 4 Zu dieser nicht überlieferten Eingabe an die Statthalterei vgl. den Brief an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 7. Juni 1918, oben, S. 185. 5 Zu Marianne Webers Heimreise von Wien vgl. den Brief an Marianne Weber vom 6. Juni 1918, oben, S. 183, Anm. 2.

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Und was Kea macht? und Linchen?6 und Heidelberg sonst. Tobelchen schrieb ich kürzlich mal kurz,7 nächstens vielleicht mal mehr. Sonst von hier nichts Neues. Es umarmt Dich Dein Max

6 Hilkea (Kea) Fresemann und Karolina (Linchen) Burger waren Haushaltshilfen von Max und Marianne Weber. 7 Vgl. den Brief an Mina Tobler vom 9. Juni 1918, oben, S. 187 f.

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Marianne Weber PSt 13. Juni 1918; Wien Karte; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Wien Skoda-Gasse 15 Donnerstag Liebes Mädele,

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endlich beginnt der Druck etwas zu weichen – seit gestern – es ist nur toll, daß das jetzt, nach der üblichen „Katastrophe“, 3 Wochen dauert statt früher 8 Tage, und daß man dann jeden Tag auf die „Katastrophe“ wieder gefaßt sein muß. Immerhin, mir ist, nachdem auch die MagenNerven sich beruhigt haben, wesentlich freier im Kopf zu Mute u. wenn es mir gelingt, jetzt schlechte Nächte zu vermeiden, denke ich die Sache durchzuhalten bis zum 17/18. 7. Heut sprach ich im Offi zier-Corps (Feindespropaganda-Abwehr) über „Sozialismus“1 vor recht angenehmen Leuten 11/2 Stunden, dann „Anfragen“. Morgen ist Kolloquium, übermorgen esse ich bei Exc. Sieghart.2 Die Vorlesungen am Montag und Dienstag waren etwas mühsam, scheinen aber Beifall gefunden zu haben, jedenfalls war der Besuch stark, wie üblich. – Kollegen habe ich noch wenig gesehen; allgemeines freundliches Bedauern und die Frage: „wer nun“? Wieser bat mich zu sich und wir sprachen lange darüber. 3 Sonderbar, daß Alfred doch von Niemandem

1 Vgl. dazu den Brief an Egon Frhr. v. Waldstätten, nach dem 13. Juni 1918, unten, S. 193 f. 2 Zur Einladung bei Rudolf Sieghart vgl. den Brief an Marianne Weber vom 16. Juni 1918, unten, S. 197 mit Anm. 3. 3 Friedrich v. Wieser notierte unter dem 11. Juni 1918 in sein Tagebuch über Max Webers Absage und die Wiederbesetzungsfrage der beiden an der Universität Wien freien Lehrstühle für Politische Ökonomie: „[. . .] M[ax] Weber teilt mir mit, dass er seiner Gesundheit wegen, sogerne er und seine Frau geblieben wären, die Berufung ablehnen müsse, aber bereit wäre, als Privatdozent semesterweise ein kürzeres Kolleg (vier Stunden) zu lesen. Nur nicht im nächsten Winter. Er schlägt für die theoretische Professur in erster Linie Schumpeter vor, dann Bortkiewicz, obwohl er zugibt, dass durch diese die Tradition der Fakultät unterbrochen wird, worauf die Fakultät selbstverständlich Gewicht legen müsse. Ausserdem nennt er noch Spann und Gottl (Diehl nicht, weil er zu schwach ist); für die praktische Professur nennt er Plenge, wenn günstige Auskünfte über sein Temperament kommen (das durch Bücher aufgeregt ist, der sich durch ihn „nicht bei lebendigem Leib rösten lassen wollte“) und Wiedenfeld, auch Schulze-Gaevernitz. [. . .]“ (HHStA Wien, Nl. Friedrich v. Wieser 1, Bl. 517).

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mit einem Wort erwähnt wird! d. h. sie wissen wohl: er käme nicht. Schönsten Dank für Dein Briefchen, ruhe Dich tüchtig aus und genieße Heidelberg! Es umarmt Dich Dein Max

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[Egon Freiherr von Waldstätten] [nach dem 13. Juni 1918]; Wien Brief; eigenhändig KA Wien, AOK, Fasz. 5994, Bl. 562 Das Datum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Aufgrund des in der Anrede genannten militärischen Ranges handelt es sich beim Adressaten sehr wahrscheinlich um Egon Freiherr v. Waldstätten, den Leiter der „Feindespropaganda-Abwehrstelle“ beim k.u.k. Armeeoberkommando. Das Schreiben bezieht sich auf Max Webers Vortrag „Der Sozialismus“, den er am 13. Juni 1918 auf Einladung der vom k.u.k. Armeeoberkommando neu eingerichteten „Feindespropaganda-Abwehrstelle“ vor Offizieren in Wien gehalten hatte (vgl. MWG I/15, S. 597–633). Dieser fand im Rahmen zentraler Informationskurse statt, die ausgewählte Offiziere für Aufgaben in der „vaterländischen Bildungsarbeit“ vorbereiten sollten. Wie der Kontakt zustande kam, ist unklar. Bekannt ist, daß mit Ludwig Edler v. Mises und Gustav Stolper zwei Weber bekannte Wissenschaftler ebenfalls zu den Vortragenden gehörten. Belegt ist auch, daß der mit Weber befreundete Ludo Moritz Hartmann mit der „Feindespropaganda-Abwehrstelle“ in engerem Kontakt stand (vgl. Ehrle, Franz-Josef, Max Weber und Wien. – Diss. Univ. Freiburg i. Br. 1991, S. 103). Über den Vortrag selbst berichtete Weber in seinen Briefen an Mina Tobler und seine Frau (vgl. die Briefe an Mina Tobler vom 15. und an Marianne Weber vom 16. und 17. Juni 1918, unten, S. 196, 197 und 200).

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Pension Baltic Hochverehrter Herr Oberst!1 5

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Ew. Hochwohlgeboren sende ich anbei das durchgesehene Stenogramm zurück.2 Ich habe nur gestrichen, was allzu persönlich war und nur für den geschlossenen Kreis paßte und einige verbesserte Formulierungen beigefügt, die das ersetzen. 3 M. E. wäre die Diskussion vielleicht am besten ganz fortzulassen, doch stelle ich das ganz und gar anheim. Ich freue mich, den Herren

1 Nach Ehrle, Max Weber und Wien, S. 98, stand Waldstätten im Rang eines Oberst. Zum Kontext des Sozialismus-Vortrages ausführlich ebd., S. 97–107. 2 Max Webers Vortrag und die anschließende Diskussion waren mitstenographiert worden. Vgl. MWG I/15, S. 597 f. 3 Weder das genannte Stenogramm mit Webers Änderungen noch Material über die weitere Bearbeitung des Vortragstextes ist in den Akten der „Feindespropaganda-Abwehrstelle“ im Kriegsarchiv Wien überliefert. Originalvortrag und Korrekturvorgänge sind somit nicht mehr zu rekonstruieren (MWG I/15, S. 597 f.). Grundlage für die Edition des Textes „Der Sozialismus“ (MWG I/15, S. 599–633) bildet die 1918 als eigenständige Broschüre in der Verlagsbuchhandlung Viktor Pimmer erschienene Druckfassung: Weber, Max, Der Sozialismus. – Wien: Pimmer 1918.

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der K. und K. Armee, wenn auch in bescheidenem Ausmaß, habe nützlich sein könnena und verbleibe Ew. Hochwohlgeboren in vorzüglicher Hochachtung ergebenster Prof. Max Weber

a O: zu können

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Mina Tobler [15. Juni 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Samstag“ und dem Briefinhalt: „Vorgestern“, d. h. am 13. Juni 1918, hatte Max Weber seinen Vortrag „Der Sozialismus“ gehalten.

Wien VIII Skodagasse 15 Samstag früh Liebes Tobelkind, – 5

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die Zensur hat offenbar meine Briefe einmal wieder wegen Unleserlichkeit für gefährlich gehalten und deshalb behalten oder verzögert, sonst wären 3 Wochen (!!) Pause undenkbar. Gewiß, einmal war es etwas mehr als 1 Woche und auch jetzt, wo es 6 Tage sind, kommt es mir wie eine Ewigkeit vor, obwohl ja wenig zu erzählen ist, am wenigsten, nachdem Marianne Ihnen berichtet hat. Haben Sie denn je bezweifelt, welches der Ausgang sein würde. Sie törichtes Kind! Mir thaten die Leute hier und das schöne Land leid, nicht bei ihnen bleiben zu können, das ist wahr, und Pekuniäres spielte hinein, aber dennoch war Alles klar, schon von Anfang an, wenn man es auch den Leuten nicht auf die Nase band. Ich werde auch künftig als freier Dozent gelegentlich 2 1/2 –3 Monate hier Vorlesungen halten, wenn Bedarf ist, vielleicht 1–2 Mal in Pausen von 1 1/2 Jahren.1 Aber Alles Andre ist erledigt. Natürlich ist es doch – mehr als ich erwartete – schmerzlich, auch die Grenzen des eignen Könnens so empfi ndlich zu spüren. Aber – das ist ja nichts Neues, und „das andre Ufer“2 mit seiner gewissen Einsamkeit gegenüber allen Gesunden, auch den Nächststehenden, ist mir ja vertraut. Und dann allerdings: ich liebe dieses Österreich und vor Allem diese wunderbar schöne vornehme Stadt – Sie würden gut da hineinpassen. Aber eine Kuli-Existenz kann ich hier nicht führen. Von Allem Andren abgesehen. Jetzt geht es mir – dank Chemikalien – etwas besser, der Kopf ist freier geworden. Die Kollegien diese Woche waren wieder gestopft voll im größten Auditorium und gestern das Kolloqui1 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 6. Juni 1918, oben, S. 183. 2 Umschreibung seiner (Max Webers) Befindlichkeit, vgl. die Briefe an Mina Tobler, nach dem 30. April und vom 17. Mai 1918, oben, S. 155 und 171.

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um bewies wieder die große Intelligenz und wirkliche Arbeitswilligkeit der Leute – unter den Tausenden von Studenten fi ndet sich eben selbst jetzt eine Auslese wie nirgends sonst. Vorgestern sprach ich vor ca 300 Offi zieren auf Aufforderung des Oberkommandos über „Sozialismus“, 3 2 1/2 Stunden, was auch nicht uninteressant war. Heut bin ich mit Politikern eingeladen4 – wäre mit denen nur etwas mehr anzufangen! Montag/Dienstag wieder Kolleg. Ernährung zunehmend teuer, wenn man gut leben will, wie ich muß, aber dann eben auch wirklich sehr gut. Ich denke sie halten auch hier durch wie bei uns. Aber ich hoffe doch sehr, die Sache geht nun bald ihrem Ende entgegen. Es ist Zeit zum Frieden, wenn er anständig zu haben ist (was ich nicht weiß). – Also der Rücken einmal wieder? Wann wird mal eine wirkliche Erholung in Schweizer Luft da Wandel schaffen? Denn die letzten Male war doch innerlich allzu viel zu verarbeiten [,] um dazu zu kommen. 5 – Ich muß auf das Institut, – seltsamer Weise ist stets der ganze Tag besetzt hier, nehmen Sie den Gruß als Liebeszeichen! Und bleiben Sie stolz und stark und schön bis 24/ VII6 zur Freude Ihres Max Weber

3 Max Weber war zu diesem Vortrag von der „Feindespropaganda-Abwehrstelle“ (F. A.St.) eingeladen worden (vgl. MWG I/15, S. 597–633, sowie die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Egon Frhr. v. Waldstätten, nach dem 13. Juni 1918, oben, S. 193). 4 Anspielung auf die Einladung zu Rudolf Sieghart. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 16. Juni 1918, unten, S. 197. 5 Die letzten Schweizer Aufenthalte von Mina Tobler waren überschattet vom schlechten Gesundheitszustand und schließlich dem Tod ihrer Mutter Henriette Tobler im November 1917. 6 Anspielung auf Max Webers für Mitte Juli 1918 geplante Rückkehr nach Heidelberg.

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Marianne Weber [16. Juni 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt: „Gestern Samstag ein [. . .] Diner bei Exc. Sieghart“ (vgl. auch den Brief an Marianne Weber vom 13. Juni 1918, oben, S. 191, mit der Ankündigung „übermorgen esse ich bei Exc. Sieghart“).

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Liebes Mädele,

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schönen Dank für Dein Briefchen. Lukácsa werde ich schreiben.1 Donnerstag war der Vortrag vor (500) Offi zieren, 2 dauerte in 2 Absätzen und mit Anfragen pp von 9 – 3/4 12, Freitag Kolloquium (ging ganz nett), gestern Samstag ein recht nettes Diner bei Exc. Sieghart mit dem deutschen Botschafter und einigen Politikern, 3 dann mit der „Jugend“4 bis 11 Uhr. Heut beim sächsischen Gesandten Frhr. v. Nostitz zum Thee. Morgen wieder Kolleg! Wie es gehen soll weiß ich nicht, eine „Erkältung“ macht mich völlig blöd und kaputt – es ist eben immer so eine Überreizungs-Erscheinung da, bald diese bald jene. Ist es für Geld nötig, dann will ich die halb-tierische Existenz des Kolleg-Lehrers gern führen, denn dann muß es sein. Aber für „ideale“ Zwecke und Gesichtspunkte – nein! Dazu ist das Opfer an aller und jeder Lebensfreude zu furchtbar. Denn es hat sich nichts, rein nichts gegen die Zeit vor 20 Jahren geändert – außer den chemischen Mitteln und der Rücka O: Lukacs 1 Der Brief an Georg v. Lukács ist nicht nachgewiesen. 2 Max Webers Vortrag „Der Sozialismus“ ist ediert in: MWG I/15, S. 597–633. Er war Bestandteil eines von der „Feindespropaganda-Abwehrstelle“ (F. A.St.) des k.u.k. Armeeoberkommandos organisierten Kurses zur „vaterländischen Bildungsarbeit“, an dem 118 Offiziere teilgenommen haben (ebd., Editorischer Bericht, S. 597). Vgl. auch den Brief an Egon Freiherr v. Waldstätten, nach dem 13. Juni 1918, oben, S. 193. 3 Laut Baernreithers Tagebuch waren zum „Frühstück“ bei Rudolf Sieghart außerdem, wie der ebenfalls teilnehmende Reichsratsabgeordnete Karl Urban berichtet hat, der deutsche Botschafter, Botho Graf Wedel, der sächsische Gesandte, Alfred v. Nostitz, sowie der Historiker Heinrich Friedjung. Gesprochen wurde über die Lösung der galizischen Frage. Vgl. ÖStA/HHStA Wien, Nl. Baernreither, Tagebuch Bd. XIX, Eintrag vom 16. Juni 1918. 4 Es ist nicht bekannt, welche Personen gemeint sind. Vermutlich titulierte Max Weber mit „Jugend“ aber Studenten, zu denen die im Brief an Marianne Weber vom 28. April 1918, oben, S. 153, genannte und ihm bereits aus Heidelberg bekannte Käthe Pick gehört haben dürfte.

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sichtslosigkeit ihres Gebrauches. Der „Einfluß auf die Jugend“ und all diese Phrasen können mir den Buckel hinaufsteigen. Aber ich glaube freilich: wir werden es brauchen, und dann muß es sein. – Wenn erst morgen und übermorgen vorbei sind, schreibe ich wieder. Heut nur diesen herzlichen Gruß, mit dem Dich umarmt Dein Max

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Marianne Weber [17. Juni 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt („Gestern war ich beim sächsischen Gesandten“) und dem Brief an Marianne Weber vom 16. Juni 1918, oben, S. 197 f.

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Liebes Mädele, –

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es geht mir erträglicher, da ich die „schlechte Nacht“ mit allen Mitteln unterdrücke. Das Kolleg ist nach wie vor überfüllt und anstrengend, zumal ich mich doch nun eilen muß, im Stoff vorwärts zu kommen. Gestern war ich beim sächsischen Gesandten (v. Nostitz) mit Hugo v. Hofmannsthal,a der etwas enttäuscht: ein kluger feiner Wiener, aber durchaus nicht so raffi niert kultiviert, wie der „Tod des Tizian“ vermuten läßt.1 Angenehm war die Art, wie er über George u. Gundolf sprach, deren Mißachtung gegen sich er ja kennt. Heut Abend in einen Vortrag des sehr angenehmen Herrn v. Rosthorn (Pekinger Botschafter) über China.2 Morgen: Kolloquium. Dann zwei Tage Ruhe, die angenehm sind. Schönen Dank für Dein Briefchen. Wüßte ich nur: wann geschlossen wird. Einige sprechen vom 22ten!! 3 Jedenfalls also nicht vor 16ten (Dienstag) Vielleicht: 17ten. So daß ich vielleicht am 19ten reisen kann, also 21ten oder 22ten in Heidelberg wäre. – Hier ist sonst Alles beim Alten, d. h. es ist jetzt kühl und regnerisch (hoffentlich nicht dauernd!). Die auf die Hälfte reduzierte Brotration4

a O: Hoffmannsthal 1 Hugo v. Hofmannsthals Fragment „Der Tod des Tizian“ war 1892 in Stefan Georges Zeitschrift „Blätter für die Kunst“ erschienen und anläßlich der Totenfeier für den Maler Arnold Böcklin am 14. Februar 1901 uraufgeführt worden. 2 Max Weber hatte Arthur v. Rosthorn am 9. Mai 1918 bei Josef Redlich getroffen und ein anregendes Gespräch über „die alten Sozialverhältnisse Chinas“ geführt (vgl. den Brief an Mina Tobler vom 9. Mai 1918, oben, S. 169, Anm. 7, und den Brief an Arthur v. Rosthorn vom 16. Juli 1918, unten, S. 223–226). Weber kannte den ehemaligen österreichischen Botschafter in China schon von dem Vortrag über „Die Anfänge der chinesischen Religion“, den dieser am 29. Juli 1906 in Heidelberg vor dem Eranos-Kreis gehalten hatte (vgl. Eranos-Protokollbuch, Privatzbesitz). 3 Gemeint ist der Semesterschluß im Juli. 4 Am 17. Juni 1918 verfügte das Amt für Volksernährung für Wien die Halbierung der

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trifft in der Pension nicht immer ein und Samstag ist „brotfrei“, man ist also stark auf die im Preise jetzt gewaltig steigenden Eier im Café angewiesen. Seit ich hier bin, ist das Abendessen im Wirtshaus immerhin um 100% im Preise gestiegen und jetzt unter 16–18 Kronen nicht mehr zu beschaffen. Das ist etwas reichlich viel. Ich denke aber so grade glatt durchzukommen, da ich ja 1/3 des Juli etwa sparen werde. Über die Verhältnisse hier später mündlich. Samstag war ich mit dem Botschafter und einigen alten Parlaments-Exzellenzen bei Sieghart5 (früher ein sehr mächtiger Mann hier) 6 und hörte mancherlei recht Interessantes. Der Vortrag vor den Offi zieren (300) 7 war – mit bFragen und Antwortenb von 9 – 3/4 12 dauernd – recht hübsch, die Leute angenehm, nur war es auch recht anstrengend. Nun, es hat ja Alles einmal ein Ende! Ich wollte in der That, es wäre schon da, denn immer auf diesem Qui vive?8 mit der Gesundheit zu existieren ist kein Vergnügen. Indessen ich denke ja diese 4 Wochen noch durchzuhalten und Dich dann wieder umarmen zu können. Tausend herzliche Grüße immer Dein Max

b Diskussion > Fragen und Antworten Brotration, was in der k. u. k.-Metropole zu schweren Unruhen führte (vgl. Schulthess 1918, Teil 2, S. 36 f.). 5 An dieser Einladung (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 16. Juni 1918, oben, S. 197, Anm. 3) hatte u. a. auch der deutsche Botschafter in Wien, Botho Graf Wedel, teilgenommen. 6 Rudolf Sieghart war von 1902 bis 1910 Vorstand der Präsidialkanzlei des österreichischen Ministerialpräsidiums gewesen und hatte danach die einflußreiche Position des Leiters bzw. Gouverneurs der Bodenkreditanstalt innegehabt. Nach dem Regierungsantritt Kaiser Karl I. war er Ende 1916 entlassen worden (vgl. den Brief an Fritz Wichert vom 13. Okt. 1917, MWG II/9, S. 797 f., hier S. 798 mit Anm. 5). 7 Zur tatsächlichen Teilnehmerzahl an Webers Vortrag „Der Sozialismus“ vgl. den Brief an Marianne Weber vom 16. Juni 1918, oben, S. 197, Anm. 2. 8 Aus dem Französischen abgeleitete, umgangssprachliche Wendung für „auf der Hut sein“.

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Mina Tobler [20. Juni 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Der Tag ist erschlossen aus der Tagesangabe „Donnerstag“ und dem Briefinhalt: Im folgenden Glückwunschschreiben zu Mina Toblers bevorstehendem Geburtstag am 24. Juni 1918 erwähnt Max Weber den Vortrag „Der Sozialismus“ von Donnerstag, dem 13. Juni 1918 („Neulich . . . eine Vorlesung vor 300 Offizieren“). Damit kommt als Abfassungstag des Briefes nur Donnerstag, der 20. Juni 1918, in Frage.

Wien VIII Skoda [ - ] Gasse 15 Donnerstag Liebes Kind, – 5

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ich erhielt Ihren Brief und verstehe schon! – aber Sie sehen doch nicht ganz, wie die Dinge stehen. Etwas „Bindendes“ liegt nicht vor. Ich habe nur mich bereit erklärt, mich zu habilitieren und dann – wenn jeweils ein Vertrag mit mir für 1 Semester (3 Monate) geschlossen wird, von Zeit zu Zeit hier zu lesen.1 Dies deshalb, weil die Leute hier in einer Lage sind, in der ich sie jetzt nicht einfach im Stich lassen kann (davon mündlich) – es handelt sich im Wesentlichen um künftigen Sommer, nachher wird die Sache automatisch von selbst einschlafen, dafür sorgen ganz zwingende Umstände. Aber es wäre sehr schwer gewesen, das nicht zu thun. Und ich thue es auch deshalb, weil mit der Möglichkeit einer Fortdauer des Krieges im nächsten Jahr zu rechnen ist und ich dann, da mir die deutschen politischen Verhältnisse sehr stark auf die Nerven fallen,a „politische Ferien“ habe, und das ist gut. Hier kümmere ich mich mit gutem Gewissen um Politik gar nicht, in Deutschland aber würde und werde ich nicht schweigen können, denn es werden immer erneut Dummheiten gemacht, die Einen wild machen – und das halte ich schlecht aus. – Aber jedenfalls bleibe ich Heidelberger, das steht fest und das Andre thue ich eben, wie Andre jetzt ihre andren Pfl ichten thun, sei es im Felde, sei es sonstwo. Das liegt doch in der Konsequenz der Zeit, daß man nicht gut anders handeln kann. a In O folgt: ich 1 Zu Max Webers Absicht, semesterweise Vorlesungen in Wien zu halten, vgl. den Brief an Marianne Weber vom 6. Juni 1918, oben, S. 183.

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– Das Kolleg ist nach wie vor, jetzt auch im größten Hörsaal, überfüllt, – und doch bin ich immer im Zweifel, ob ich „gut“ doziere. Denn daß es den Leuten gefällt, besagt ja darüber gar nichts. Neulich auch eine Vorlesung vor 300 Offi zieren der Feindes-Propaganda-Abwehr, 2 darunter sehr klugen Leuten. Alles, wegen dieser Riesen-Hörsäle, recht anstrengend. Immerhin, ich denke durchzuhalten und Alles hat ja einmal ein Ende. Aber freilich: eines ist mir stark auf die Seele gefallen in Ihrem Brief: wirklich schon am 1. August wollen Sie fort? Ja, – es steht ja gar nicht fest, wann wir schließen. Man sagt: „Mitte Juli“, also für mich: 16. oder 17. Juli. Aber ich höre, daß in Graz am 24. Juli noch gelesen wird! Und weiß also absolut nicht, wann ich dann eigentlich sicher nach Heidelberg komme. Die „attractions“ in München werden sich wohl auf einige Stunden mit der guten Martha3 beschränken, der ich das schließlich doch schuldig bin. Also das ist 1 Tag zwischen Fahrt Wien – München und München – Heidelberg. Aber vor dem 18ten, wahrscheinlich: dem 19ten Juli ist ja an Abreisen von hier gar nicht zu denken! Ich schrieb ja s. Z. zur Sicherheit: daß ich nicht sicher sei, vor dem 24ten in H[eidelberg] zu sein!4 Und das bin ich auch mit nichten. Sollte vollends wirklich Montag den 22ten noch gelesen werden – dann. . .! Das ist ja eine ganz heillose Komplikation und wie kommt es nur, daß Sie so früh fortmüssen? Gehen Sie denn in die Schweiz? Ich dachte: nein. – Genug von diesen etwas trüben Perspektiven. Der Brief soll Sie wenigstens am „Johannistag“5 erreichen und allesa das andeuten, was ich wünsche und hoffe – und wovon ich jetzt, auf dem Papier, nur den Wunsch ausspreche, daß diese „Ischias“-Hypothese für Ihre Rückenzustände die Chance einer erfolgreichen rationellen Behandlung steigert. Dann: daß sich diese Störungen Ihres Lebens durch die Inanspruchnahme Ihrer Schwägerin6 durch Andre nicht wiederholen. Und dann – so manches wichtiges Andre. Mir aber, daß das Johanniskind a O: alle 2 Zum Vortrag „Der Sozialismus“ am 13. Juni 1918 (MWG I/15, S. 597–633) vgl. die Karte an Marianne Weber vom 13. Juni sowie den Brief an Egon Frhr. v. Waldstätten, nach dem 13. Juni 1918, oben, S. 191 und 193. 3 Martha Riegel. 4 Zu Max Webers für Mitte Juli 1918 geplanten Rückkehr nach Heidelberg vgl. den Brief an Mina Tobler vom 9. Juni 1918, oben, S. 187. 5 Am 24. Juni, dem Johannistag, hatte Mina Tobler Geburtstag. 6 Die im Nebenhaus wohnende Bertha Tobler.

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sich und mir treu bleibt und auch durch diese Zeiten – wer weiß wie lange sie noch dauern? – „durchhält“! – Genug für heut. Tausend Grüße und Wünsche. Immer Ihr Max Weber

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Marianne Weber [26. Juni 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch“ und dem Briefinhalt: Die von Max Weber im folgenden angekündigte Zusammenkunft – „Morgen Mittag bin ich [. . .] bei Exc. Sieghart“ – fand nachweislich am 27. Juni 1918 statt (vgl. unten, S. 204 Anm. 3).

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Pension Baltic Mittwoch Liebes Mädele, so, wieder sind 2 Kollegtage vorüber, ziemlich anstrengend, weil die Zuhörerzahl abermals, jetzt auf bedeutend über 300, gewachsen ist, die z. T. an den Wänden umherstehen; ein größerer Hörsaal ist nicht da. Aber wie üblich nach so langer Pause der schlechten Nächte, geht es mir nicht unerheblich besser, da ich die Wiederkehr mit rücksichtslosen Mitteln unterdrücke. Übermorgen wäre Feiertag,1 aber die jungen Leute verlangten ihr Kolloquium und so muß ich es morgen Abend 1/2 8 – 1/ 2 9 halten. Morgen Mittag bin ich mit Baron v. Plener 2 bei Exc. Sieghart zusammen, 3 Samstag Abend mit dem Sektionschef Riedl4 und Ministerialbeamten auf der Rohrerhütte.5 Wann ich schließe, läßt sich noch nicht absehen. Die ernsthafteren Zuhörer ließen bitten [,] ich möge doch bis in den August lesen, sie würden bleiben. Das thue ich nun

1 Ein Feiertag am 28. Juni 1918 ist nicht nachgewiesen. 2 Ernst v. Plener. 3 Über die Einladung bei Rudolf Sieghart notierte Josef Redlich unter dem 27. Juni 1918 in sein Tagebuch: „Heute mit Bleyleben, Plener, Max Weber, Exner, Löwenstein, Weiskirchner, Wettstein bei einem vortrefflichen Diner, das Sieghart in seiner Wohnung gab. Nach dem Essen eine zeitweilig scharfe Auseinandersetzung zwischen Plener und Weber einerseits und Löwenstein andererseits über Polen. Letzterer sagt, daß die Polen die Wiederkehr Seidlers absolut nicht dulden.“ Vgl. Redlich, Josef, Schicksalsjahre Österreichs, 1908–1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, bearb. von Fritz Fellner, Bd. 2: 1915– 1919 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs, Bd. 40). – Graz, Köln: Böhlau 1954, S. 283. 4 Richard Riedl. 5 Das Treffen auf der Rohrerhütte im Wiener Wald erwähnt Max Weber außerdem im Brief an Marianne Weber vom 3. Juli 1918, unten, S. 211 f.

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nicht,a schon weil das Geld nicht reicht. Aber vor dem 17. kann ich jedenfalls nicht schließen. Vom künftigen Montag ab wird die Hörerschaft wie hier üblich sich wohl verlaufen. – Vorigen Sonntag bei Bernatzik’s6 – wundervolles Schubert-Quintett,7 wurde glänzend gespielt. Beim Abschied brachte ich es fertig, dem Mädchen statt des Kronenscheins, den ich in der Seitentasche trug, ein ebenda vorhandenes – Trambahn-Billet in die Hand zu drücken und bemerkte den Grund ihres etwas überraschten Gesichtes erst nachträglich. – Inzwischen ist im Reichstag wieder gottverdammtes Geschwätz gemacht worden8 und haben die armen Kerle von hier an der Piave wieder ihr übliches Pech gehabt.9 Beides nicht erfreulich. Heuß tauchte kürzlich hier auf, um sich die Sache anzusehen10 und wie ich höre kommt auch Naumann, in ca 14 Tagen, so daß ich ihn noch sehe. – Wie es übrigens mit Rückfahrt wird [,] wissen die Götter: die Leute bestellen jetzt 4 Wochen vorher Billets! Nun es wird schon werden. – Ich erwarte nun ein Briefchen, das zeigt, ob Du diese Berliner Schweinerei überstanden hast;11 ich fi nde es doch ganz unerhört von den Weibern jetzt im Kriege diese Wichtigthuerei so weit zu treiben; auf Kosten Deiner Gesundheit. – Hier war wieder Spektakel, „Palast-Revolution“, Mädchenwechsel heißt das also, und der Teufel los. Die Leutchen sind halt alle etwas zapplig und die „Gnädige“12 ganz besonders. Sonst ist Alles gut, das a 〈Aber〉 6 Bei Edmund und Josefine Bernatzik war Max Weber mehrmals zu musikalischen Veranstaltungen eingeladen. Vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 3. und 12. Juli 1918, unten, S. 211 und 221, sowie den Brief an Mina Tobler vom 1. Juni 1918, oben, S. 175. 7 In Frage kommt das „Forellenquintett“ oder das Streichquintett. Vgl. die Bandeinleitung zu MWG I/14, S. 1–126, hier S. 16. 8 Vermutlich Anspielung auf die an die Rede des Staatssekretärs Richard v. Kühlmann vom 24. Juni 1918 anschließende Debatte um den Friedensvertrag mit Rumänien und im weiteren um Kriegsschuld und -ziele. Vgl. Schulthess 1918, Teil 1, S. 202–223. 9 Am 23. Juni war die am 15. Juni begonnene österreichische Offensive beiderseits der Brenta und an der Piave abgebrochen worden, und am 24. Juni 1918 waren die Höhenstellungen zwischen Asiago und der Brenta erbittert umkämpft. 10 Theodor Heuss sollte im Auftrag von Friedrich Naumann in Wien die Einstellung zu dessen „Mitteleuropa“-Idee, d. h. einem Staatenbund unter deutscher Führung, erkunden. Wie Heuss später notierte, traf er während dieses Aufenthalts „fast täglich“ kürzer oder länger mit Max Weber zusammen. Vgl. Heuss, Theodor, Erinnerungen. 1905–1933, 4. Aufl. – Tübingen: Wunderlich 1963, S. 224–226. 11 Marianne Weber hatte vom 18. bis 21. Juni 1918 an der Konferenz und Vorstandssitzung des Bundes Deutscher Frauenvereine in Berlin teilgenommen. 12 Frau Strasser war die Wirtin der Pension Baltic.

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26. Juni 1918

Essen jetzt etwas knapper. Grüß Heidelberg schön, auf welches ich mich sehr freue, und laß Dich umarmen von Deinem Max An Lukács habe ich |:s. Z.:| geschrieben13 und Rickert’s Brief (1 Seite) beigelegt. Aber alle Post geht langsam.

13 Der Brief an Georg v. Lukács ist nicht nachgewiesen.

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27. Juni 1918

Mina Tobler [27. Juni 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist aus dem Brief an Marianne Weber vom 26. Juni 1918, oben, S. 204–206, sowie nachfolgendem Briefinhalt (die Einladung bei Rudolf Sieghart am 27. Juni 1918 und das abendliche Kolloquium) erschlossen.

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Liebes Kind, –

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so nun ist wieder eine Serie von Kollegtagen herum, sehr anstrengend, weil vor stets steigendem Publikum. Nun, nächsten Montag beginnt die „Abtestier“-Frist1 und dann verlaufen sich die Studenten regelmäßig sehr schnell. Am 17ten hoffe ich schließen, am 19ten oder 20ten reisen zu können. Jedenfalls lese ich am 22/23ten nur dann noch, wenn ich es anstandshalber muß, denn ich habe hinlänglich Arbeit und Gesundheit in diese Sache hineingebuttert. Die jungen Leute freilich ließen mir sagen: die ernsten unter ihnen würden auch den August hier bleiben, wenn ich weiter dozierte. Aber das geht schon pekuniär nicht und außerdem lechze ich förmlich nach Heidelberg, so bezaubernd hier Stadt und Menschen auch sind. Denn ich bin maßlos müde. Wie mag es nur kommen, daß grade meine Briefe an Sie so unregelmäßig und langsam und wie es scheint teilweise gar nicht ankommen? Denn solche Brief-Pausen, wie die, von denen Sie schreiben, sind nie eingetreten. Daß Sie trotz dieser scheinbaren schnöden „Untreue“ mir immer wieder so liebe und anmutige Briefe geschrieben haben, kann ich Ihnen nicht genug danken. Also mit dem Üben will es wieder einmal nicht? Dann ist es ja freilich wohl besser, lange Ferien schon vom 1. VIII an zu machen, so betrüblich es mir ist, Sie dann höchstens ein paara Mal zu sehen, ehe die neue Trennung bis gegen Ende September2 wieder da ist. Und hoffentlich kommt dabei wenigstens Ihre Ernäh-

a O: par 1 Bescheinigung des Vorlesungsbesuchs durch den Professor am Ende des Semesters. 2 Max und Marianne Weber planten, anläßlich ihrer silbernen Hochzeit am 20. September 1918 nach Oerlinghausen zu reisen.

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rung zu ihrem Recht, denn ich denke mir doch, daß die auch mitspielt (neben manchem Andren). Ich möchte Sie jetzt hier in Wien haben „herausfüttern“ können, – was bis vor Kurzem noch möglich war, – und auch sonst paßten Sie so unvergleichlich in diese anmutvolle stilgerechte Stadt hinein, daß ich immer meine, ich müßte Ihnen unter den eleganten Figuren des Kärntner Rings begegnen. Es ist arg schade, daß es nicht so ist, sonst . . . – Ich muß jetzt zu einem Essen mit ein paarb Excellenzen, 3 Abends habe ich Kolleg, deshalb lebwohl für heut, tausend Grüße und alles Andre von Ihrem Max Weber

b O: par 3 Zur Einladung bei Rudolf Sieghart vgl. den Brief an Marianne Weber vom 26. Juni 1918, oben, S. 204, Anm. 3.

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Mina Tobler [3. Juli 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch“ und den sehr ähnlichen Terminhinweisen im Brief an Marianne Weber vom 3. Juli 1918, unten, S. 211 f.

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Mittwoch Liebes Tobelkind, – 5

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wieder ist eine Kollegwoche um, – nun noch 2–3 Kolloquiumstunden und 2x3 Kollegstunden, zusammen also etwa 9, in Wahrheit etwa 11–12 Stunden – dann wäre es überstanden, wenn ich bis dahin aushalte, was ich nicht weiß, aber hoffe. Nach wie vor ist das Kolleg überfüllt, nun das wird jetzt schon abnehmen, wo die Urlaube ablaufen1 und die Examina beginnen. Ich denke etwa am 19 [.] oder 20 [.] reisen zu können, wenn nichts Unerwartetes kommt, – Sperre u. dgl., es ist mit dem Bekommen der Billets jetzt schwierig, man muß Tage lang vorher Polonäse stehen in den Stadtbüros. Nun, einmal hat ja wohl Alles ein Ende. – Auch der Krieg, muß ich jetzt oft denken. Nur freilich: wann? es sieht noch absolut nach nichts aus, und doch wäre es wirklich Zeit! Ich hoffe, daß nun inzwischen die Post etwas besser funktioniert hat und Sie meine Briefe bekommen haben, ich verstehe doch diese großen Lücken absolut nicht, da muß etwas als unleserlich dem Zensor „bedenklich“ erschienen sein. – Es ist ein kaltes Hundewetter hier und ich lebe sehr eingezogen, nur zwischen Wohnung [,] Universität und Gasthaus, gänzlich „amusisch“. Es ist auch nichts los in der Stadt und draußen das Grüne liegt so weit – in der Electric müßte ich immer stehen, was ich nicht vertrage. Das ist das, was mich am meisten stört, diese Unmöglichkeit, jetzt von dieser Schönheit etwas zu haben. Also ich hoffe bestimmt etwa am 22ten zu Haus zu sein. Dann sind wenigstens noch 8–9 Tage Zeit, ehe Sie fortreisen, – denn wünschen muß ich Ihnen ja wohl doch, daß Sie die Reiseerlaubnis bekommen.2 1 Max Weber meint vermutlich die Beurlaubung vom Wehrdienst. 2 Zu Mina Toblers Reiseplänen vgl. den an sie gerichteten Brief vom 20. Juni 1918, oben, S. 202.

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Heut Abend bin ich bei einem Bankdirektor, 3 morgen bei einem Abgeordneten,4 Freitag „Kolloquium“, Samstag ein Vortrag vor Kollegen5 – für Arbeit ist gesorgt. Seien sie tausend Mal gegrüßt von Ihrem etwas müden Max Weber

3 Es handelt sich um den im Brief an Marianne Weber vom 3. Juli 1918, unten, S. 211, erwähnten Besuch bei Paul Hammerschlag. 4 Es handelt sich um den im Brief an Marianne Weber vom 3. Juli 1918, unten, S. 211, erwähnten Besuch bei Josef Redlich. 5 Vermutlich hielt Max Weber diesen nicht nachgewiesenen Vortrag im Seminar von Hans Kelsen. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 3. Juli 1918, unten, S. 211.

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Marianne Weber [3. Juli 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt – dem Hinweis auf den vergangenen „Samstag Abend [. . .] auf der Rohrer Hütte“ (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 26. Juni 1918, oben, S. 204).

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Eben kommen die gleichzeitiga per Eilbrief zurückgeschickten Kohlen-Bezugsscheine. So etwas sollte doch an Dich adressiert werden. b|:Die Karten und Pläne des Hauses schicke ich separat!:| b 1 Wieder sind 2 Kollegtage vorüber, nun noch 2 x 2 und 2–3 Seminarabende, dann ist die Sache überstanden. Hoffentlich halte ich durch, – die Apotheker-Rechnung beträgt jetzt pro Monat 300 Kronen. Also lange ginge das nicht. Der Besuch war auch gestern so, daß die Leute an den Wänden standen in diesem großen Hörsaal. Aber das Abtestieren2 hat angefangen und ich denke, nächste Woche kann man wieder in dem kleineren Hörsaal lesen. Heut bin ich bei Hammerschlag (Schwiegersohn von Breuer), 3 morgen bei Redlich,4 Samstag im Seminar von Dr Kelsen, wo über Staatsbegriff geredet wird, Sonntag bei Bernatzik zur Musik5 – d. h. nein, das ist ja erst 8 Tage später. Es ist hundsschlechtes Wetter und man hat wenig von Wien. Samstag Abend mit Exc. Riedl und einem Herrn des Minister-Präsidial-Büros in der Roh-

a [per] > in diesem > per

b Zusatz am Rand.

1 Möglicherweise handelt es sich um Pläne von Helene Webers Haus, das verkauft werden sollte. 2 Bescheinigung des Vorlesungsbesuchs durch den Professor am Ende des Semesters. 3 Paul Hammerschlag war verheiratet mit Bertha Breuer, Tochter von Sigmund Freuds Weggefährten Josef Breuer. Max Weber hatte diesen bei seinem Aufenthalt in Wien im Mai 1916 getroffen. 4 Ein Treffen von Josef Redlich und Max Weber am 4. Juli 1918 ist allerdings bei Redlich, Josef, Schicksalsjahre Österreichs 1908–1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, bearb. von Fritz Fellner, 2. Bd.: 1915–1919 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs, Bd. 40). – Graz, Köln: Böhlau 1954, nicht nachgewiesen. 5 Max Weber war bei seinem Kollegen Edmund Bernatzik verschiedentlich zur Hausmusik eingeladen.

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rerhütte, per Auto zurück.6 Es war hübsch und kühl. – Ich will schnell die Papiere expedieren. Tausend Grüße es umarmt Dich Dein Max

6 Der Ausflug zur Rohrer Hütte am 29. Juni 1918 ist auch erwähnt im Brief an Marianne Weber vom 26. Juni 1918, oben, S. 204.

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Hans von Voltelini [vor dem 6. Juli 1918]; o.O. Abschrift; maschinenschriftlich ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Ktn. 790, Zl. 27314/1918 Im Bericht des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, Hans v. Voltelini, vom 9. Juli 1918 (ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Ktn. 790, Zl. 27314/1918) wird auf zwei Briefe Webers hingewiesen: einem undatierten „ausführlichen“ Schreiben sowie einem vom 6. Juli 1918, unten, S. 217 f. Da der Dekan über eine Ausschußsitzung referiert, die am 6. Juli stattgefunden hat und da zu dem undatierten Schreiben Webers eine gutachtliche Stellungnahme Friedrich v. Wiesers (Abschrift masch.; ebd.) – ebenfalls ohne Datum – vorliegt, wird die Stellungnahme Webers vor dem 6. Juli 1918 verfaßt sein. Nachdem Weber am 5. Juni 1918, oben, S. 179–182, definitiv eine Berufung nach Wien abgelehnt hatte, sah sich der Berufungsausschuß gezwungen, einen (neuen) Nachfolger für den 1917 verstorbenen Eugen v. Philippovich zu finden, der die eher „praktische Richtung“ – so der Bericht vom 9. Juli 1918 (wie oben) – in Wien vertrat. Als einen der möglichen Kandidaten hatte man Kurt Wiedenfeld ausersehen, über den Weber im folgenden Brief referiert. Tatsächlich ist es später zu Verhandlungen mit Wiedenfeld gekommen, die aber zu keinem Erfolg führten. Letztendlich wurde Othmar Spann auf den Lehrstuhl von Eugen v. Philippovich berufen.

Euer Spektabilität!

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Gefällige Anfrage betr. des Herrn Professors Dr. Kurt Wiedenfeld beehre ich mich zu beantworten: Die Arbeiten des genannten Herrn über die sibirische Eisenbahn und über die westeuropäischen Welthäfen – heute naturgemäß in manchem überholt – müssen beide als in ihrer Art vorzüglich bezeichnet werden.1 Bei der letzteren Arbeit tritt naturgemäß das „Handelskundliche“ stark in den Vordergrund. Nicht minder schätze ich persönlich seine zahlreichen Arbeiten über Eisenbahnen, Binnenschiffahrt und Börse2 und fi nde die Schrift (1911) über „Das Persönliche im moder1 Wiedenfeld, Kurt, Die Sibirische Bahn in ihrer wirthschaftlichen Bedeutung. – Berlin: Julius Springer 1900; Die nordwesteuropäischen Welthäfen London – Liverpool – Hamburg – Bremen – Amsterdam – Rotterdam – Antwerpen – Havre in ihrer Verkehrs- und Handelsbedeutung (Veröffentlichungen des Instituts für Meereskunde und des Geographischen Instituts an der Universität Berlin, Heft 3). – Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn 1903. 2 An Veröffentlichungen zum Eisenbahnwesen sind zu nennen: Eisenbahnstatistik, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3., gänzl. umgearb. Aufl., Bd. 3. – Jena: Gustav Fischer 1909, S. 896–922; Der Getreideverkehr und die Eisenbahnen in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Archiv für Eisenbahnwesen, Jg. 24, 1901, S. 80–123; Die Einheitsbewegung unter den Eisenbahnen der Vereinigten Staaten von Amerika, ebd., Jg. 26, 1903, S. 1199–1224; Eisenbahnen und Wasserstraßen, in: Technik und Wirtschaft, Jg. 10, 1917, S. 431–434; über Binnenschiffahrt: Das Schleppmonopol, in: Preußische

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nen Unternehmertum“ nicht nur anregend, sondern positiv wertvoll. 3 Prof. Wiedenfeld verfügt über eine höchst umfassende Kenntnis der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und reiche Anschauung des Auslandes aus eigener Anschauung.4 Er arbeitet sich sehr schnell in ihm bisher fremde Verhältnisse ein, wovon alle seine Arbeiten Zeugnis ablegen. Er hat geraume Zeit die Handelshochschule in Köln – die beste deutsche – mitgeleitet. Er ist jetziger Zeit damit befaßt, die große Etatschrift über die deutsche Kriegsversorgung mit auszuarbeiten.5 Er hat in dem Streit um die Bedeutung Antwerpens für Deutschland im Krieg einen ebenso maßvollen wie verständigen Standpunkt vertreten,6 während ich von seinem annexionistischen Gegner Prof. Dr. Schumacher (jetzt Berlin), gewiß einem blendenderen Dozenten, zwei einander schnurstracksa widersprechende, „den Umständen“ angepaßte vertrauliche Gutachten in der Hand gehabt habe.7 Die Chance, a In Abschrift: schnurrstracks Jahrbücher, Bd. 118, 1904, S. 551–556; Die Frage der Abgabenfreiheit auf den sogenannten natürlichen Wasserstraßen, in: Archiv des Deutschen Landwirtschaftsrates, Jg. 19, 1905, S. 79–90; über Börsenwesen: Die Börse in ihren wirtschaftlichen Funktionen und ihrer rechtlichen Gestaltung vor und unter dem Börsengesetz. – Berlin: K. Hoffmann, München: Dr. E. Wolff 1898, sowie: Wesen und Wert der Zentralproduktenbörsen. Akademische Antrittsrede. – Leipzig: Duncker & Humblot 1903. 3 Wiedenfeld, Kurt, Das Persönliche im modernen Unternehmertum. – Leipzig: Duncker & Humblot 1911. Das Buch ist eine erweiterte Fassung von Wiedenfelds gleichnamigem Artikel, erschienen in: Schmollers Jahrbuch, Jg. 34, 1910, S. 223–252, sowie 577–620. 4 Von der Handelshochschule Köln bzw. deren Studiendirektor, Christian Eckert, initiierte Exkursionen führten Wiedenfeld nach der Levante und nach Ostafrika. 1910 und 1912 folgten mehrmonatige Studienreisen nach Sibirien und Westrußland; vgl. dazu: Zwischen Wirtschaft und Staat. Aus den Lebenserinnerungen von Kurt Wiedenfeld, hg. von Friedrich Bülow. – Berlin: Walter de Gruyter 1960, S. 31–48. 5 Diese ist nicht veröffentlicht worden. 6 Weber bezieht sich vermutlich auf Kurt Wiedenfelds Denkschrift aus dem Jahre 1915: Antwerpens wirtschaftliche Zukunft, als Manuskript gedruckt – ein Exemplar befindet sich im Nl. Hans Delbrück im BA Koblenz –, die mit dem ökonomischen Fazit schloß: „Rein wirtschaftlich gewertet, entspricht also den Interessen Deutschlands an Antwerpen am meisten die politische Selbständigkeit Belgiens einschließlich Antwerpens.“ Angabe und Zitat nach: Schwabe, Klaus, Ursprung und Verbreitung des alldeutschen Annexionismus in der deutschen Professorenschaft im Ersten Weltkrieg (Zur Entstehung der Intellektuelleneingaben vom Sommer 1915), in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 14, 1966, S. 105–138, ebd., S. 132, Anm. 119. 7 Vermutlich denkt Weber hier an die Denkschriften Hermann Schumachers vom September 1914 sowie vom Mai 1916. Während in der Denkschrift von 1914: „Vertraulich, als Handschrift gedruckt“ – ein Exemplar in: PA AA Berlin, Weltkrieg 15, geh. adh. – die Annexion Belgiens sowie die Inbesitznahme der Eisenerzlager Lothringens und der Kohlevorkommen Nordfrankreichs gefordert wurden – die Angaben nach Schwabe (wie Anm. 6), S. 115, Anm. 50 –, nahm Schumacher in seinem Memorandum: Vertraulich! Der deutsch-

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ihn zu gewinnen, beruht darauf, daß Prof. Schumacher zur Zeit in Preußen in jene Patronatsstellung sich einzuschieben gewußt hat, welche früher Schmoller einnahm, (gegen dessen Wunsch er übrigens nach Berlin kam).8 Ob seine Gewinnung zu erstreben wäre, hienge davon ab, wie die Fakultät über die anderen Persönlichkeiten und die ganze Frage der Zukunftsbesetzung entscheidet. Würden die Herren Schumpeter und Bortkiewicz gewonnen und würde etwa Herr Professor Dr. Grünberg das Obligatfach der praktischen Nationalökonomie übernehmen – und sowohlb als Dogmenhistoriker wie als „praktischen“ Nationalökonomen stelle ich Ihrenc Prof. Grünberg weit über mich persönlich und wird diese Ansicht wohld allgemein geteilt – dann wäre die Fakultät so glänzend wie nur möglich versorgt, es sei denn, daß Exzellenz v. Wieser wieder in den Lehrkörper einträte, was natürlich die schönste aller Lösungen darstellen würde.9 (Als Theoretiker käme Professor Wiedenfeld ja keinenfalls in Betracht). Wird nur einer der genannten Herren berufen, dann ist Professor Wiedenfeld sicher einer der ernsthaftesten Kandidaten. Konstruktiv weit glänzender als er ist Professor Plenge. Daß seine weitere Entb In Abschrift: sowol c In Abschrift: ihren

d In Abschrift: wol

belgische Wettbewerb und seine Regelung. Ein Beitrag zur Lösung der belgischen Frage. Als Handschrift gedruckt. Leipzig: Poeschel & Trepte o. J. – laut Mitteilung auf S. 45: „(Abgeschlossen im Mai 1916)“ –, von seinen maximalen Annexionsforderungen Abstand. Ziel der deutschen Politik in Belgien – so Schumacher – müßten die Verselbständigung Flanderns, ebd., S. 41, und die Annexion der Provinz Lüttich, ebd., S. 42, sein. Zum französisch sprechenden Teil Belgiens hieß es: „Es liegt in unserem Interesse, Wallonien soweit wie möglich sich selbst zu überlassen“, ebd., S. 44. An dieser Denkschrift hatte Weber in einem nicht überlieferten Brief an Karl Hampe „die politischen Folgerungen Schumachers, namentlich die völlige Abtrennung Flanderns von Wallonien“ kritisiert; hier zitiert nach: Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, Eintrag vom 15. Februar 1917, S. 503. 8 Schriftliche Belege sind nicht nachgewiesen. Möglicherweise bezieht sich Weber hier auf ein Gespräch mit Gustav v. Schmoller im November 1915 in Berlin, bei welchem anläßlich der bevorstehenden Emeritierung von Adolph Wagner auch über Hermann Schumacher als einem möglichen Nachfolger geredet woren war; vgl. dazu den Brief an Gustav v. Schmoller vom 27. Nov. 1915 (MWG II/9, S. 195–197). 9 Dieselbe Ansicht vertrat auch die Berufungskommission in ihrer Sitzung am 6. Juli 1918: „Die theoretische Richtung könnte [...] nicht in besserer Weise besetzt werden, als wenn sich der gegenwärtige Handelsminister Sr. Exzellenz Dr. v. Wieser entschließen würde, für den Fall des Rücktrittes von seinem Amte das Ordinariat, das er vordem bekleidete[,] wieder zu übernehmen. Der Ausschuß glaubte daher von einem Vorschlag für diese eine Lehrkanzel absehen zu können und sie Sr. Exzellenz Dr. v. Wieser oder im Falle er sie nicht annehmen wollte oder könnte für einen später von der Fakultät vorzuschlagenden Theoretiker offen zu halten.“ Bericht von Hans v. Voltelini vom 9. Juli 1918 (ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Ktn. 790, Zl. 27314/1918).

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wickelung sich nicht sicher vorher erkennen läßt, – gegenüber der nüchternen Sicherheit Wiedenfelds – enthält ein gewisses Risiko, wie ich nicht leugnen möchte. Über Österreich speziell hat Prof. Wäntig (Halle) gearbeitet [,]10 dessen Buch über Comte11 reiche philosophische Schulung und dessen Arbeit über Wirtschaft und Kunst12 reiche Allgemeinbildung verraten: eine sehr sympathische Persönlichkeit, zur Zeit gänzlich durch amtliche Verwendung in der Vlamen-Frage in Anspruch genommen, die er, wie die Ereignisse gezeigt haben, sehr richtig beurteilt hat.13 Von Österreichern ist Prof. Spann unter allen Umständen ein sehr ernsthafter Konkurrent Wiedenfelds, obwohle er stärker soziologisch als rein ökonomisch orientiert ist. Die Finanzwissenschaft, die außer in München auf keiner deutschen Universität vollwertig vertreten ist,14 käme bei allen diesen Kombinationen etwas kurz weg. Das scheint unvermeidlich. Jedenfalls: wenn die Fakultät auf die Kombination Schumpeter – von Bortkiewicz – Grünberg nicht eingehen kann oder will, dann sehe ich nicht, wie an der Person des Professors Wiedenfeld vorübergegangen werden kann – außer etwa zugunsten von Spann oder Wäntig (oder natürlich von Schulze-Gävernitz oder Lotz) – wenn er zu gewinnen ist. Dies soll [,] wie mir von vertrauenswerterf Seite gesagt wurde [,] nicht etwa auf seine Initiative hin, möglich sein und nach den genannten Umständen halte auch ich es für möglich. Max Weber.g e In Abschrift: obbwol f In Abschrift: vertrauenwerter g In Abschrift folgt die Abkürzung: „m-p-“ für: manu propria.

10 Waentig, Heinrich, Das Problem der Gewerbeordnung in der österreichischen Gewerbegesetzgebung des 19. Jahrh[underts]. Habilitationsschrift. – Marburg: UniversitätsBuchdruckerei (R. Friedrich) 1896, sowie: Gewerbliche Mittelstandspolitik. Eine rechtshistorisch-wirtschaftspolitische Studie auf Grund österreichischer Quellen. – Leipzig: Duncker & Humblot 1898. 11 Waentig, Heinrich, Auguste Comte und seine Bedeutung für die Entwicklung der Socialwissenschaften. – Leipzig: Duncker & Humblot 1894. 12 Waentig, Heinrich, Wirtschaft und Kunst. Eine Untersuchung über Geschichte und Theorie der modernen Kunstgewerbebewegung. – Jena: Gustav Fischer 1909. 13 Waentig arbeitete seit 1915 in der Pressesektion der Politischen Abteilung in Brüssel. Gegensätze zwischen Wallonen und Flamen werden in seinen Kriegsschriften über Belgien nicht weiter thematisiert, Belgien immer als politisch-ökonomische Einheit betrachtet. Durch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes habe sich auch eine „âme belge“ entwickelt, so Waentig in: Die Entwicklung der belgischen Volkswirtschaft 1715–1908, in: Belgiens Volkswirtschaft, hg. von Hans Gehrig und Heinrich Waentig. – Leipzig und Berlin: B. G. Teubner, S. 1–66, das Zitat ebd., S. 65. 14 Weber spielt hier auf Walther Lotz an.

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Hans von Voltelini 6. Juli 1918; Wien Abschrift; maschinenschriftlich ÖStA, AVA, Unterricht – Allg., Ktn. 790, Zl. 27314/1918 Der Brief steht in Zusammenhang mit der Nachfolgefrage für den nationalökonomischen Lehrstuhl des 1917 verstorbenen Eugen v. Philippovich; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Hans v. Voltelini, vor dem 6. Juli 1918, oben, S. 213.

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berichte ich auf Anfrage: Wilbrandt ist ein persönlich sehr liebenswürdiger Kollege („anima candida“) mit Charakter, sehr festen (radikalen) sozialen Ansichten, vorwiegend Sozialpolitiker. Übrigens ist er sehr stark theoretisch interessiert; die betreffenden Arbeiten sind als „schwach“ zu bezeichnen.1 Er steht keinenfalls O[thmar] Spann gleich, trotz dessen neuster schwacher Arbeit; 2 denn Spann ist und bleibt trotzdem ein lebendiger und sehr reicher Geist, nur noch sehr jugendlich und nicht klar. Wirkliche theoretische Klarheit hat aber Wilbrandt, der ganz auf Marx fußt, noch weniger. Beide Männer haben großen Eifer, wirkliche Liebe zur Sache, aber Spann wäre der überlegenere. Ebenso wäre von Zwiedineck (war nach Gießen berufen, 3 in Leipzig von Bücher – vergeblich – vorgeschlagen) 4 Wilbrandt in Kenntnis der Realitäten und Klarheit des Denkens m. E. weit überlegen, dabei ebenso wie Wilbrandt ein sehr fester und vortreffl icher Charakter, als Dozent etwas „temperamentlos“ und trocken, aber streng sachlich. Ich glaube [,] daß auch er –

1 Weber bezieht sich hier in erster Linie auf Robert Wilbrandts Artikel: Die Reform der Nationalökonomie vom Standpunkt der „Kulturwissenschaften“. Eine Antikritik, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 73, 1917, S. 345–406. 2 Weber bezieht sich auf Othmar Spanns Artikel: Vom Begriffe der Wirtschaft zum Begriffsgebäude der Volkswirtschaftslehre, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 110, 1918, S. 529–596, sowie S. 657–694, wenig später abgedruckt in dessen Buch: Fundament der Volkswirtschaftslehre. – Jena: Gustav Fischer 1918. 3 Den Ruf nach Gießen als Nachfolger des am 26. Februar 1913 verstorbenen Magnus Biermer hatte Otto v. Zwiedineck-Südenhorst abgelehnt. 4 Auf den Leipziger Lehrstuhl von Karl Bücher war nach dessen Emeritierung – entgegen seinen Vorstellungen – 1918 Ludwig Pohle, einer der prononciertesten Gegner der „Kathedersozialisten“, berufen worden.

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auch als Kenner der industriellen Praxis5 – Wilbrandt vorzuziehen wäre. Über Köppe scheue ich mich zu urteilen, da ich seine entscheidenden Arbeiten nicht kenne – die Materie liegt mir fern.6 Ich möchte glauben, daß in Deutschland nicht nur Wiedenfeld, sondern auch Spann und v. Zwiedineck ihm vorgezogen werden würden, kenne seine Dozentenleistungen jedoch nicht. Möglich daß die Aktualität seiner Themata ihm akademisch nützen würde. Über ihn müßten die Herren Exzellenz v. Wieser und Professor Grünberg Auskunft haben. Persönlich wäre ich auf ihn für diese Stelle nicht verfallen, da Pribram, v. Mises u. a. ihm sicher weit vorstehen.7 Max Webera

a In Abschrift folgt die Abkürzung: „m.p.“ für: manu propria. 5 Ein Niederschlag dieser Kenntnisse findet sich in dem Beitrag von Otto v. ZwiedineckSüdenhorst, Arbeitsbedarf und Lohnpolitik der modernen kapitalistischen Industrien, in: GdS, Abt. VI. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1914, S. 247–281. 6 Der Marburger Ordinarius Hans Köppe hatte überwiegend Arbeiten zur Reichsfinanzreform, zur Steuergesetzgebung und zum Tarifvertragsrecht veröffentlicht. 7 Karl Pribram und Ludwig v. Mises waren damals Privatdozenten an der Wiener Universität.

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Mina Tobler [11. Juli 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt. Max Weber schrieb den Brief am Ende seiner vorletzten Woche in Wien („Noch zwei Mal – und ich bin durch!“) und acht Tage nach seinem letzten Brief an Mina Tobler vom 3. Juli 1918, oben, S. 209 f.

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diesmal hat es wirklich 8 und nicht 7 Tage gedauert, bis ich wieder an Sie schreibe. Inzwischen kam Ihr lieber Brief – je nun: der „Fremdkörper“, der ich bin (und weiß zu sein) lächelt zuweilen auch, wie Sie es thun und oft mit Recht thun. Natürlich brandet, von den verschiedenen Seiten, an mich sehr fühlbar der Anspruch heran: „sei so und so“, z. B. – „jung“, und noch einiges Andre. Aber das ist richtig, daß darin der Mensch immer sehr allein und einsam bleibt, daß die Andren, grade sehr Nahestehende, es sich unmöglich je verdeutlichen können, wie es in ihm aussieht, – das ist eben jenes „andre Ufer“1, welches ich in der besondren Situation, in der ich mich befi nde, so oft gespürt habe seit 20 Jahren. Das ist nun eben so und läßt sich nicht ändern und man muß dabei fröhlich bleiben. – Das Kolleg geht zu Ende, die meisten Leute haben schon geschlossen, die Studenten gehen in die Examina, ihre Zahl nimmt nunmehr auch bei mir stark ab, so stark der Besuch geblieben ist. Noch zwei Mal – und ich bin durch! Gott sei Dank, daß es wider Erwarten gelang. Ich las diese Woche jeden Tag, eine tüchtige Strapaze. Nun kommt es darauf an, Billet zu bekommen, vielleicht für Donnerstag, was seine Schwierigkeiten hat. Jedenfalls aber bin ich Ende der Woche etwa (Sonntag) in Heidelberg und habe der dortigen Fakultät auf ihr – und der Juristen Anschreiben geantwortet: 2 daß ich nächsten Sommer – 1 Zur wiederholt gebrauchten Umschreibung der Befindlichkeit vgl. auch den Brief an Mina Tobler, nach dem 30. April 1918, oben, S. 155. 2 Der Brief ist nicht nachgewiesen. Else Jaffé berichtete aber Alfred Weber in ihrem Brief vom 22. Juli 1918 (BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 79, Bl. 148 f.), Max Weber habe zugesagt, im Sommersemester 1919 in Heidelberg „Staatslehre“ zu lesen. Vgl. zur entsprechenden Absicht auch den Brief an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts vom 16. Okt. 1918, unten, S. 267.

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eventuell – dort lesen werde, nicht hier.3 Den hiesigen Herren habe ich gerathen, erst ihre Ordinariate zu besetzen,4 was sich für eins von diesen bis in den Winter hinziehen wird. Vor dem Frieden – und wann kommt der? – lese ich hier nicht, dann vielleicht einmal einen Winter, wenn sie es dann noch wünschen. Also auf frohes Wiedersehen Montag oder Dienstag über 8 Tage! Immer Ihr Max Weber

3 Zu Max Webers Angebot, semesterweise eine Vorlesung in Wien zu halten, vgl. den Brief an Marianne Weber vom 6. Juni 1918, oben, S. 183. 4 Zu Max Webers Vorschlägen zur Wiederbesetzung der beiden freien Lehrstühle für Politische Ökonomie an der Universität Wien vgl. den Brief an Marianne Weber vom 13. Juni 1918, oben, S. 191, Anm. 3.

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12. Juli 1918

Marianne Weber [12. Juli 1918]; Wien Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist aus dem Briefinhalt erschlossen: dem Besuch des Theaterstücks „Der Weibsteufel“ (wie unten, Anm. 3) sowie dem Beisammensein bei Friedrich Frhr. v. Wieser (wie unten, Anm. 5).

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Liebes Mädele,

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so – noch 2 Mal, dann ist Alles aus. Billet erhält man erst 2 Tage vor dem Zug, nach Polonaise-Stehen von 3–4 Stunden. Vielleicht also für Donnerstag. Ich las diese Woche jeden Tag, der Besuch ist noch leidlich stark, obwohl Alles geschlossen hat und Examina sind. Paß etc. muß ja auch erst erledigt werden. Den Heidelberger Juristen und Philosophen schrieb ich auf ihre Briefe: daß ich eventuell nächsten Sommer in Heidelberg ein kleines Kolleg halten wollte.1 Die hiesigen Herren wollen irgend etwas mit mir machen, ich habe gebeten, es keinenfalls jetzt, vor Besetzung ihrer Ordinariate, 2 zu thun. Gestern in Schönherr’s „Weibsteufel“ auf Einladung eines Kollegen. Prachtvoll, von Tirolern gespielt (ist unumgänglich nötig).3 In der Pension bekomme ich nur bis Dienstag zu essen, dann nichts mehr, auch das Zimmer ist für Donnerstag vermietet. Also: Schluß! |:Nächsten:| Sonntag noch bei Bernatzik4 zur Musik. Vorigen Montag bei Wiesers

1 Die Korrespondenz ist nicht nachgewiesen. Else Jaffé berichtete Alfred Weber in ihrem Brief vom 22. Juli 1918 (BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 79, Bl. 148 f.), Max Weber habe zugesagt, im Sommersemester 1919 in Heidelberg „Staatslehre“ zu lesen. Vgl. zur entsprechenden Absicht auch den Brief an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts vom 16. Okt. 1918, unten, S. 267. 2 Zu Max Webers Vorschlägen zur Wiederbesetzung der beiden freien Lehrstühle für Politische Ökonomie an der Universität Wien vgl. den Brief an Marianne Weber vom 13. Juni 1918, oben, S. 191, Anm. 3. 3 Karl Schönherrs „Weibsteufel“ wurde am 2. und 11. Juli 1918 in der Volksoper anläßlich eines Gastspiels des bekannten Innsbrucker Ensembles „Exl-Bühne“ gegeben. 4 Die Hausmusik hat wohl am 14. Juli 1918 stattgefunden. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 3. Juli 1918, oben, S. 211.

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nach der Vorlesung, spät also. 5 Noch länger ginge dies Leben nicht, das Gehirn würde streiken. Mit 60 Kronen pro Tag bestreite ich den Unterhalt jetzt, also Mammon bringe ich nicht mit, nur so viel, daß die Herreisea und Deine Reise vielleicht noch gedeckt werden. Wäre das Wetter schön, führe ich noch nach Baden.6 Aber es regnet! Ich telegraphiere noch den Tag vorher:7 Sonnabend? Sonntag? dies wohl spätestens. Bitte keine Post mehr hierher! Es freut sich mächtig auf die Heimkehr Dein Max

a Heimr > Herreise 5 Friedrich Frhr. v. Wieser notiert dazu am Montag, den 8. Juli 1918, in seinem Tagebuch (HHStA Wien, Nl. Friedr. v. Wieser, Bd. 1, Bl. 646): „. . . Abends mit Mariandl, …, Fuchs, H. H. Meyer, M. Weber beisammen. Weber erzählt Köstliches über amerikanische Verquickung von Ehrenhaftigkeit und Geschäft. ‚Das war Kaviar‘, sagt Mariandl. . . .“. 6 Baden bei Wien. 7 Das Telegramm ist nicht nachgewiesen.

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Arthur von Rosthorn 16. Juli [1918]; Wien Brief; eigenhändig Privatbesitz Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen.

Wien 16. VII Euer Excellenz

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beehre ich mich beigeschlossen die mir gütigst zur Einsicht überlassene Abhandlung1 zurückzustellen, nachdem ich sie mit größtem Nutzen und Interesse nochmals gelesen habe. Ich bitte um Verzeihung, daß ich erst jetzt vor der Abreise dazu gelangte; die letzte Zeit hier war sehr anstrengend. Sonst hätte ich mir gestattet persönlich vorzusprechen.2 So muß ich dies bis zum November aufschieben. 3 Ew. Excellenz waren so gütig, mir die Stellung von Fragen zu gestatten, – auch darüber möchte ich im Winter mir erlauben Ew. Excellenz Ansicht einzuholen. Ich hätte etwa Folgendes zu sagen und zu fragen: 1. zu S. 7. Übernatürliche Abstammung ist in Vorderasien von Usurpatoren (Gründern neuer Dynastien) – zuerst von Sargon von Agade – beansprucht worden (als Grundlage der Legitimität).4 Sollte dies der Grund auch in China gewesen sein?5 1 Anscheinend hatte Arthur v. Rosthorn Weber das Typoskript einer von ihm verfaßten Frühgeschichte der chinesischen Gesellschaft zugeschickt; diese „Abhandlung“ ist nie veröffentlicht worden, ein Manuskript nicht nachgewiesen. Vgl. dazu auch Helwig SchmidtGlintzer in seinem Editorischen Bericht zu: Weber, Max, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus. Schriften 1915–1920, hg. von dems. in Zusammenarbeit mit Petra Kolonko (MWG I/19). – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1989, S. 42. 2 Kennengelernt hatte Weber v. Rosthorn schon 1906 bei dessen Vortrag über altchinesische Religion im Heidelberger Eranos-Kreis; vgl. dazu Helwig Schmidt-Glintzer, Editorischer Bericht zu MWG I/19 (wie Anm. 1), S. 41. Zu einem erneuten Zusammentreffen kam es in Wien bei Josef Redlich, wie dies eine Notiz vom 9. Mai 1918 in dessen Tagebuch belegt; vgl. dazu den Brief an Mina Tobler vom 9. Mai 1918, oben, S. 169, Anm. 7. 3 Webers für den November 1918 avisierten Aufenthalt in Wien ist nicht zustande gekommen; vgl. dazu den Brief an Mina Tobler vom 25. Aug. 1918, unten, S. 243 f. 4 Die Geburtslegende war im Vorderen Orient weit verbreitet. Vgl. Weber, Max, Das antike Judentum, MWG I/21, S. 563: „Um ihm [d. h. dem Herrscher] seine göttliche Abstammung zu beglaubigen, wird schon in früher mesopotamischer Zeit, für den Sumerer Gudea, für Sargon, den Gründer der babylonischen Macht, dann in der Spätzeit Assyriens für Assurnasirpal, dem König nachgesagt: daß sein Vater oder daß auch seine Mutter unbekannt sei, daß er in der Verborgenheit oder auf den Bergen, also von einem Gott, gezeugt worden sei. Namentlich – aber nicht nur – Usurpatoren greifen zu diesem Mittel der Legitimierung.“ 5 Dieser Geburtstopos ist in China unbekannt; hingegen führen im chinesischen Altertum

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S. 16. und 30 (Agrarverfassung): halten Ew. Excellenz das „Brunnen“-System (die 9 teilige Aufteilung) für historisch und nicht für eine Litteraten-Erfi ndung (anknüpfend vielleicht an einige Einzel-Fälle)?6 Ist ferner wirklich sicher, daß Großgrundbesitz in alter Zeit nicht bestand? Ich glaubte, annehmen zu müssen, daß wie in Indien Sippengebundener großer Adels-Besitz mit Clientel-System und Hörigen geherrscht habe,7 bis die Bürokratisierung von Verwaltung und Heer – in den Teilstaaten – einsetzte, und damit die „Demokratisierung“ (die natürlich individuelles Großgrundeigentum nicht ausschloß, sondern sogar begünstigte) a.8 Hängt nicht Alles mit der Art der Deckung der

a Klammer fehlt in O. die Begründer der Chou und der Ch’in-Dynastie die Abstammung ihrer Clans auf die (mythischen) Kaiser der Vorzeit zurück. Auch bei dem Begründer der Han-Dynastie, Liu Pang, der bäuerliche Vorfahren hatte, fehlt das Ideologem der wundersamen Geburt. 6 Nach Meng-Tzu war in der Zeit der Chou-Dynastie das Land einer Gemeinde schachbrettartig in neun Quadrate eingeteilt, deren äußere acht auf einzelne Familien aufgeteilt waren, während das zentrale, mit einem Brunnen ausgestattete Geviert in Gemeinschaftsarbeit für den Herrscher bearbeitet werden mußte. Weber ist bei seiner Skepsis bezüglich der Geschichtlichkeit des „Brunnenfeld-Systems“ geblieben; vgl. seine Ausführungen in: Konfuzianismus und Taoismus, MWG I/19, S. 239 f., wohingegen andere zeitgenössische Autoren auf der frühen Existenz des Brunnenfeldsystems beharrten. Vgl. hierzu Eduard Erkes in seinem Buch: China (Perthes’ Kleine Völker- und Länderkunde. Zum Gebrauch im praktischen Leben, Bd. 7). – Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1919, S. 31, sowie insbesondere Rosthorn, Arthur, Geschichte Chinas (Weltgeschichte in gemeinverständlicher Form, hg. von Ludo Moritz Hartmann, Bd. 10). – Stuttgart und Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1923, S. 16. Spätere Autoren beurteilen die Frage, ob dieses Feldsystem jemals in der chinesischen Frühzeit bzw. im „Altertum“ existiert habe, eher zurückhaltend, so u. a. Franke, Otto, Geschichte des chinesischen Reiches. Eine Darstellung seiner Entstehung, seines Wesens und seiner Entwicklung bis zur neuesten Zeit, Bd. 1: Das Altertum und das Werden des konfuzianischen Staates, Neuausgabe der 2. Auflage. – Berlin, New York 2001: Walter de Gruyter, S. 131 f., Stange, Hans O. H., Geschichte Chinas vom Urbeginn bis auf die Gegenwart, in: Geschichte Asiens von Ernst Waldschmidt u. a. (Weltgeschichte in Einzeldarstellungen). – München: F. Bruckmann 1950, S. 361–542, ebd. S. 401, sowie Franke, Herbert und Trauzettel, Rolf, Das Chinesische Kaiserreich (Fischer Weltgeschichte, Bd. 19). – Frankfurt am Main: Fischer Bücherei 1968, S. 104 f. und 131. 7 Webers Ansicht über die Art des Grundbesitzes im frühen China sowie seine Beurteilung bei den folgenden Fragen über die Reformen Wang An-shihs und die Bedeutung der Rationalisierungstätigkeit der „Litteraten“ in den chinesischen Kleinstaaten hat ihren Niederschlag in der Überarbeitung der „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ gefunden: Weber, Max, Konfuzianismus und Taoismus, MWG I/19, S. 192 f., 229, sowie 244 ff. 8 Weber bezieht sich hier auf die Modernisierungstendenzen in den Teilstaaten der späten Chou-Dynastie zur Zeit der „kämpfenden Reiche“ (Chan-kuo) 453–221 v. Chr. und speziell auf die Agrarreform im Teilstaat Ch’in im 4. Jahrhundert v. Chr. Die Freigabe des Landbesitzes bzw. die Schaffung von bäuerlichem „Privateigentum“ (der Ausdruck bei Weber, Max, Konfuzianismus und Taoismus, MWG I/19, S. 233 und 241, immer in Anführungszei-

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Staatslasten – Frohnden und Leiturgien9 und deren gebundener Besitz einerseits, Steuern und deren ungebundener Besitz andrerseits, zusammen? Und ist nicht Wan-An-Shi’s Reform-Projekt ganz wesentlich der Versuch, die Frohnden durch Steuern zu ersetzen, um so ein Heer und eine Verwaltung auf der Basis der Geld-Wirtschaft des Staates zu begründen?10 Wann verschwanden die Kriegswagen und durch welche Militärverfassung wurden sie ersetzt?11 Im Occident hat diese Umwälzung ja sehr große Konsequenzen gehabt.12 Ist nicht die Schaffung von centralisierter Verwaltung (in den Teilstaaten, vor Allem in Ts’in) das Werk des Litteraten-Rationalismus?13 Die Annalistik berichtet doch

chen gesetzt) war aus fiskal- und steuerpolitischen Gründen erfolgt. Vgl. dazu Eichhorn, Werner, Geschichte Chinas, in: Abriß der Geschichte außereuropäischer Kulturen, Bd. 2: Nord- und Innerasien, China, Korea, Japan, hg. von Wolf-D. v. Barloewen (Oldenbourgs Abriß der Weltgeschichte). – München, Wien: R. Oldenbourg 1964, S. 85–161; insbesondere S. 92–97 das Kapitel: 453–221 v. Chr. Chan-kuo (Yang K’uan). 9 Leiturgie bzw. Liturgie (griechisch: λειτουργία) bezeichnete in den antiken griechischen Poleis die öffentlichen, für den Staat übernommenen Leistungen, wozu insbesondere die Choregie – die Ausrüstung und Ausstattung eines Chores auf eigene Kosten – sowie die Trierarchie – das Amt des Schiffsinhabers oder die Ausrüstung eines Schiffes – gehörten. 10 Die Reformversuche von Wang An-shih, dem Kanzler von Kaiser Shen-tsung in den Jahren 1069–1076, beinhalteten die Stärkung der grundbesitzenden Bauernschaft durch die Vergabe von Darlehen für das Saatgut bei Aussaat – bei Rückzahlung der Beträge nach der Ernte –, die Ablösung der Frondienste – je nach Einkommensklasse – durch eine differenzierte Steuerleistung sowie die Neuorganisierung des alten Landwehrsystems. Zu diesen Maßnahmen sagt Weber, Max, Konfuzianismus und Taoismus, MWG I/19, S. 243, daß „der berühmte Reformversuch Wang-An-Shi’s [. . .] primär durchaus militärfiskalisch orientiert war“; zur Begründung vgl. ebd., S. 244–247. Zu Wang An-shih vgl. Franke, Otto, Geschichte des chinesischen Reiches. Eine Darstellung seiner Entstehung, seines Wesens und seiner Entwicklung bis zur neuesten Zeit, Bd. 4: Der konfuzianische Staat. II. Krisen und Fremdvölker, 2., unveränd. Aufl. – Berlin und New York: Walter de Gruyter 2001, S. 167–172, sowie Eichhorn, Geschichte Chinas (wie Anm. 8), S. 124. 11 Der Übergang vom Ritterheer zum Massenheer fand hauptsächlich im 4. Jahrhundert v. Chr. statt: Aus dem mit Bronzewaffen kämpfenden Streitwagenheer entwickelte sich damals das mit Eisenschwertern kämpfende Volksheer, das von bogenschießenden Reitern begleitet wurde. Vgl. dazu neben Eichhorn, Werner, Geschichte Chinas (wie Anm. 8), S. 94, Franke und Trauzettel, Das Chinesische Kaiserreich (wie Anm. 6), S. 45, auch Eberhard, Wolfram, Chinas Geschichte. – Bern: A. Francke 1948, S. 66 f. 12 Gemeint ist der Ersatz des adligen Streitwagenkampfes durch die eisenbewaffnete demokratische Hoplitenphalanx der griechischen Poleis um 700 v. Chr. 13 Tatsächlich ist es der „Litteraten-Rationalismus“ der machiavellistisch-realistischen Schule der Legalisten in Opposition zu der rückwärtsgewandten Schule des Konfuzius gewesen, der entscheidend für die Modernisierung der Teilstaaten war. Vorreiter dieses neuen Denkens war Kuan Chung, Minister in Ch’i (gestorben 645 v. Chr.). Inaugurator der Modernisierung des West-Staates Ch’in war insbesondere Wei Yang (gestorben 338 v. Chr.), Kanzler in Ch’in, mit dem diese politische Schule ihren Höhepunkt erreichte. Ziel war Maximierung der Macht des eigenen Staates durch Vermehrung der bäuerlichen Be-

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ständig von ihren Verwaltungs-Experimenten. Ist nicht die Schaffung eigner Menage des Fürsten (statt des Prinzips der Selbst-Equipierung der Vasallen und Heerbannpfl ichtigen) ihr Werk? Ich könnte noch immer weiter fragen. Aber mit Ihrer gütigen Erlaubnis gestatte ich mir im November einmal persönlich meine Aufwartung zu machen, falls Ew. Excellenz einige Stunden mir opfern zu wollen bereit sein sollten. Inzwischen gestatte ich mir, für den außerordentlichen Genuß, den die Lektüre dieser ganz ungewöhnlich gedrängten und belehrenden Darlegung mir bereitet hat b, zu danken.b Mit hochachtungsvoller Verehrung und der Bitte um angelegentlichste Empfehlung an Ihre Excellenz Euer Exzellenz in vorzüglicher Hochachtung ergebenster Max Weber

b Fehlt in O; , zu danken. sinngemäß ergänzt. völkerung durch Zuwanderung sowie der Erhaltung ihrer Steuerkraft, Änderung des bisher geltenden Gewohnheitsrechts durch die Fixierung des Rechts in geschriebene Gesetzescorpora, Errichtung von Staatsmonopolen sowie Kontrolle des Landes durch die Einteilung in bürokratisch kontrollierte Gebietskreise. Vgl. dazu das informative Kapitel: Die Legalisten, in: Franke und Trauzettel, Das Chinesische Kaiserreich (wie Anm. 6), S. 66–68, Eichhorn, Geschichte Chinas (wie Anm. 8), S. 92–95, sowie das Buch von Arthur Waley, Lebensweisheit im Alten China (suhrkamp taschenbuch 217). – Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974, mit den Kapiteln: Die Realisten, ebd., S. 156–191, Nachwort: Der Realismus in seiner Anwendung, S. 192–197 sowie S. 202–204.

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Heinrich Herkner [vor dem 20. Juli 1918]; Wien Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 18, Bl. 33–34 Die Datierung ist aus dem angegebenen Ort und dem Inhalt des Briefes erschlossen, daß er den „Ruf hierher“ – d. h. Wien – endgültig abgelehnt habe und „etwa am 20ten“, d. h. am 20. Juli 1918, „nach Heidelberg“ zurückkehren werde.

Wien VIII Skoda-Gasse 15 Sehr geehrter Herr Kollege!

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Ich habe den Ruf hierher nunmehr abgelehnt1 und kehre nach Heidelberg zurück. Doch hoffe ich mit Grünberg über die Frage sprechen zu können, ob und durch wen man diese Untersuchungen machen lassen kann (für Österreich). 2 Dagegen habe ich zu den betreffenden russischen Kreisen brauchbare Beziehungen nicht, oder vielmehr: die wenigen, die ich hatte, hat der Frieden von Brest-Lit[owsk] und der seitdem entstandene wahnsinnige Haß aller russischen Kreise gegen alles Deutsche zerrissen. Prof. Übersberger hier3 ist [,] wie Sie wissen, einer der allerbesten Kenner des Landes überhaupt, nur nicht direkt sozialpolitisch orientiert. Aber Verbindungen könnte er schon schaffen und es würde lohnen, ihn zuzuziehen. Grünberg kann leider kein Russisch (ich habe das, was ich konnte, fast ganz vergessen). Aber der Gedanke an sich scheint mir sehr fruchtbar und müßte verfolgt werden. Für hier würde Renner sich der Aufgabe vielleicht entziehen, Leuthner vielleicht auch.4 Beide sind jetzt wenig einflußreich und sehr exponiert. O[tto] Bauer und M[ax] Adler aber würden mit uns schwerlich zusam-

1 Vgl. dazu den Brief an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 5. Juni 1918, oben, S. 179–182. 2 Vermutlich handelt es sich hierbei um vom Verein für Sozialpolitik angeregte Untersuchungen über das Thema: Die sozialen Bewegungen in den Ostgebieten, in Belgien und auf dem Balkan. Diese Untersuchungen sind kriegsbedingt nicht zum Abschluß gebracht worden. Das Thema war auf einer Ausschußsitzung des Vereins für Sozialpolitik am 17. April 1918 in Berlin angeregt worden; vgl. dazu Boese, Franz, Geschichte des Vereins für Sozialpolitik 1872–1932 (Schriften den Vereins für Sozialpolitik, Bd. 188). – Berlin: Duncker & Humblot 1939, S. 155. 3 Gemeint ist der Ordinarius für osteuropäische Geschichte, Hans Uebersberger, dessen Spezialgebiet die Balkanforschung war. 4 Karl Renner und Karl Leuthner gehörten dem gemäßigten bzw. rechten Flügel der österreichischen Sozialdemokratie an.

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menarbeiten. 5 Ich selbst stehe, soweit ich nützen kann [,] gern afür diea Beratung zur Verfügung. Ich fahre von hier etwa am 20ten nach Heidelberg. Mitte bis gegen Ende September sind wir in Westfalen (die ganz genaue Zeit kann noch nicht festgestellt werden) b. Sind Sie Anfang August in Berlin? Wie lange? Es könnte sein – ist freilich nicht sicher – daß ich dann einmal dort wäre. Andernfalls bitte ich Sie einige Zeit vor Beendigung Ihrer Kur um Nachricht, damit ich antworten kann, ob wir uns – was mich herzlich freuen würde – treffen können. Die Stelle des 2. Vorsitzenden im V[erein] f[ür] Soz[ial-]Pol[itik] möchte ich, da die Voraussetzung: daß ich Ordinarius in Wien sein werde, nun nicht zutrifft, hiermit zur Verfügung stellen.6 Mit kollegialen Empfehlungen Ihr ergebenster Max Weber

a für > für die b Klammer fehlt in O. 5 Von den dezidierten Austromarxisten Otto Bauer und Max Adler war Webers Ansicht nach keine Mitarbeit zu erwarten. 6 Weber war am ersten Tag der Ausschußsitzung des Vereins für Sozialpolitik am 16. April 1918 in Berlin neben Michael Hainisch für den verstorbenen Eugen v. Philippovich sowie den zurückgetretenen Otto v. Gierke zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt worden; vgl. dazu Boese, Geschichte des Vereins für Sozialpolitik (wie oben, Anm. 2), S. 154 f.

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Ludo Moritz Hartmann PSt 23. Juli 1918; PSt Heidelberg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 15, Bl. 16

L. Fr.!

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Ich habe Professor Hellmann eingehend gesprochen, mich ihm ganz zur Verfügung gestellt, und nur gesagt: daß ich jetzt ratlos sei, aber jederzeit Alles thun würde.1 – Führt Ihr Werk übrigens wirklich den Titel: „Weltgeschichte für Jedermann“?2 Dann muß ich ihm recht geben. Das ist schauderhaft und abschreckend. Herzliche Grüße, auch an Frau und Kinder3 stets Ihr Max Weber

1 Über den Inhalt dieses Gesprächs ist nichts bekannt. 2 Hartmann war Initiator und Herausgeber der ab 1919 erscheinenden mehrbändigen „Weltgeschichte in gemeinverständlicher Darstellung“. Absicht und Ziel des Unternehmens skizzierte er als Herausgeber in seinem Vorwort zum ersten Band: Die „Weltgeschichte in gemeinverständlicher Darstellung“. Plan und Zweck, in: Einleitung und Geschichte des alten Orients. Von E[rwin] Hanslik, E[merich] Kohn und E[rnst] G[eorg] Klauber (Weltgeschichte in gemeinverständlicher Darstellung, hg. von Ludo Moritz Hartmann, Bd. 1). – Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1919), S. VII–XVI. Wie er dort betonte, sollten in der Weltgeschichte, „einem Bedürfnisse weiter Kreise unseres Volkes“ folgend (ebd., S. VII) und zum Teil der „Praxis der volkstümlichen Hochschulkurse entsprungen“ (ebd., S. X), „das Hauptgewicht auf die Massenerscheinungen gelegt, das wirtschaftlich-soziale Moment, und als seinen Ausdruck die rechtlichen Institutionen betont“ werden (ebd., S. IX). Zu den Autoren zählten u. a. Ettore Ciccotti, Johannes Kromayer, Siegmund Hellmann, Kurt Kaser und Georges Bourgin. 3 Margarete Hartmann sowie die Kinder Heinz Hartmann und Else Paneth.

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Heinrich Simon 27. Juli [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Privatbesitz Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Mit Heinrich Simon, Miteigentümer und Vorsitzendem der Redaktionskonferenz der Frankfurter Zeitung, pflegte Max Weber seit längerem freundschaftlichen Kontakt. Dieser führte auch zu einer Intensivierung von Webers publizistischer Tätigkeit für die FZ (vgl. MWG I/15, S. 16 f. und MWG II/9, S. 10).

Heidelberg 27. VII. Lieber Herr Doktor! Ich komme gern diese Woche mal einen Tag nach Fr[ankfurt]. Welchen aber? Und welche Stunden passen am besten? – Ich bin so informations-bedürftig über deutsche Dinge,1 daß ich vorher nichts zu schreiben zusagen kann. Aber es ließe sich ja dann bereden. 2 Freundschaftlichen Gruß und beste Empfehlung „höheren Orts“! Max Weber

1 Vor seiner Rückkehr aus Wien Mitte Juli 1918 hatte Max Weber in seinen Briefen immer wieder betont, von politischen Nachrichten aus Deutschland regelrecht abgeschnitten zu sein. Vgl. die Briefe an Mina Tobler vom 9. und 17. Mai 1918 sowie vom 9. Juni 1918, oben, S. 169, 171 und 187. 2 In seinem Brief an Mina Tobler vom 4. und 5. August, unten, S. 231, erwähnt Weber kurz, daß der geplante Besuch bei Heinrich Simon in Frankfurt stattgefunden hatte. Über den Gegenstand des Gesprächs berichtet er dort allerdings nichts. Artikel Webers für die Frankfurter Zeitung sind erst für die Zeit ab Oktober 1918 nachgewiesen.

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4. und 5. August 1918

Mina Tobler [4. und 5.] PSt August 1918; Heidelberg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Die Datierung ist erschlossen aus dem Poststempel (6. August 1918) des beiliegenden Briefumschlags und den im Brief genannten Tagesangaben „Sonntag“ und „Montag“.

Heidelberg Sonntag Liebes Tobelkind, –

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gestern hätte ich lieber geschrieben. Aber die Schwester1 und Schwägerin (Martha) 2 kamen und heut auch zweierlei Besuch. Es waren überhaupt in der Woche fast täglich Nachmittags oder Abends Menschen da und ein Mal war ich den Tag über in Frankfurt bei Dr Simon und seiner doch höchst anmutigen (Wiener) jungen Frau. 3 So war Alles etwas zerrissen und ich dabei nun richtig „müde“, nachdem die Schlafmittel allmälig abgewöhnt sind (noch nicht ganz) und die sonstige Stille hier ihre Wirkung thut. „Arbeiten“ kann ich vorerst nicht, nur lesen. Aber das thut ganz gut, und in ein paara Wochen werde ich wieder besser in Ordnung sein. Jetzt sind die Nächte noch recht herzlich schlecht und entsprechend auch die Tage. Was mögen Sie machen? Sie sind doch entschieden nicht mehr in Zürich, sondern, bei dem warmen Wetter schon in die Berge gegangen? Montag. Mitten drin kam noch ein Besuch, – jetzt aber wird es Ruhe geben, denke ich. Die feuchte, oft schwüle Luft jetzt paßt zu der allgemeinen inneren und körperlichen Lage, in der ich mich befi nde. Man denkt nicht viel und nie weit, hat keine Lust auf „Menschen“, sondern nur den Wunsch, einmal wieder „Sachen“ treiben zu können. – Neulich übrigens waren wir bei Frau Oboussier4 in Neuenheim, zusammen mit

a O: par 1 Lili Schäfer. 2 Martha Riegel galt als Verlobte von Max Webers gefallenem Bruder Karl. 3 Heinrich und Irmgard Simon. 4 Vermutlich gehörte Maria Oboussier, die zeitweilig in Antwerpen gelebt hatte, zu jener Familie Oboussier, die mit Max Webers dortigen Verwandten, der Familie Bunge, befreundet war (vgl. Roth, Guenther, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800– 1950. Mit Briefen und Dokumenten. – Tübingen: Mohr Siebeck 2001, S. 102 mit Anm. 72).

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Gotheins, Jaspers etc. Sie spielte mit Sohn5 und (ich glaube) Nichte6 einige Sachen, dann allein: Schumann ganz ungewöhnlich schön, Brahms mit großem Glanz, Chopin, die Etude – nun, sehr vorzüglich, aber die hatte ich doch von Jemand anders so gehört, daß das nicht dagegen ankam. Ich möchte wohl wissen, ob sie Mozart gut spielt – ich glaube nicht, sie ist (so bei Chopin) zu subjektiv und willkürlich. Übrigens muß ich grade denken: seltsam, daß Sie so selten Mozart spielen oder eigentlich nie, wenigstens ich habe noch nie etwas von ihm von Ihnen gehört. Woran liegt das? – Grüßen Sie ihre Schwester7 vielmals von mir und vergessen Sie in dem dortigen „Lebensüberfluß“ nicht Ihren Max Weber

5 Robert Oboussier. 6 Der Name konnte nicht ermittelt werden. 7 Mina Tobler besuchte ihre in der Schweiz lebende Schwester, Elisabeth Ott.

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10. August 1918

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Erich von Korningen 10. August 1918; Heidelberg Brief; maschinenschriftlich mit einer eigenhändigen Korrektur Max Webers Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Der Brief befand sich in einem Umschlag mit der eigenhändigen Aufschrift Webers: „Herren Dr E. v. Korningen“ ohne Adressenangabe und Poststempel. Möglicherweise wurde das Schreiben nicht abgeschickt. Bezug: Brief Erich von Korningens vom 29. Juli 1918 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446), dem er seinen Artikel über Max Weber, betitelt: Ein deutscher Professor, erschienen in: Neues Wiener Tagblatt, Nr. 190 vom 16. Juli 1918, S. 1 f., beigefügt hatte. In seiner Eloge auf Weber hatte er davon berichtet, daß „[s]eit einigen Wochen […] sich das Tagesgespräch“ um „den Namen eines Mannes“ drehe, „der weder Theaterdirektor noch Schauspieler oder Sänger“ sei, „sondern nur ein Nationalökonom, ein Professor. Ein reichsdeutscher Professor“, dessen Vorlesungstätigkeit einen tiefen Eindruck auf das Wiener Publikum hinterlassen habe: „Hochgewachsen und vollbärtig, gleicht der Gelehrte einem der deutschen Steinmetze aus der Zeit der Renaissance. Nur die Augen haben nicht das Unbefangene und die Sinnenfreudigkeit des Künstlers. Der Blick kommt aus dem Innersten, aus verborgenen Gängen, und schweift in weiteste Ferne. Diesem Äußeren des Mannes entspricht auch die Ausdrucksweise. Sie hat etwas unendlich Plastisches. Es ist eine fast hellenische Art des Sehens, die hier zutage tritt. Die Worte sind einfach geformt und nur wenig behauen. In ihrer ruhigen Schlichtheit erinnern sie an zyklopische Quadern. Erscheint aber im Mittelpunkte der Betrachtung eine Person, dann bekommt sie sofort etwas Monumentales. Jeder Zug ist wie in Marmor gemeißelt und dabei in hellster Beleuchtung. Ab und zu wird die Rede durch eine leichte Bewegung der Hand unterstützt. Feingliedrig und schmal, mit spitz zulaufenden Fingern und einem etwas eigenwilligen Daumen ließe sie eher auf eine Petroniusnatur schließen, als auf einen Gelehrten. Seit den Tagen von Unger, Lorenz v. Stein und Ihering hat noch kein akademischer Lehrer an der Wiener juristischen Fakultät so viele Hörer um sich versammelt wie Max Weber. Es ist aber keineswegs die rhetorische Meisterschaft des Mannes allein, die diese außerordentliche Anziehungskraft hervorruft, auch nicht das Ursprüngliche und streng Sachliche seines Gedankenganges, der jede Phraseologie meidet, sondern in erster Linie die Fähigkeit, Empfindungen zu wecken, die in den Seelen der andern schlummern. Aus jedem Worte geht deutlich hervor, daß er sich als Erbe der deutschen Vergangenheit fühlt und vom Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit vor der Nachwelt beherrscht wird. […] Er ist durch und durch national, aber kein Nationalist. Und bei allem Verständnisse für fremde Geschichte und Eigenart weit entfernt von dem gewissen Internationalismus, der in der letzten Zeit um sich gegriffen hat, vielleicht als eine überdies verständliche Reaktion gegen die Ausartungen des Völkerhasses. Um Kosmopolit zu sein, ist Weber wieder viel zu sehr mit Grund und Boden verwachsen. Er hat nichts von der Geistesrichtung jener entwurzelten Stadtmenschen, die, fremd im eigenen Volke, den Sinn für den Duft und die Umrisse der Heimat verloren haben und über den Blüten fremder Kulturen die heimischen Astern und Levkojen vergessen. Sicherem Vernehmen nach kehrt Max Weber wieder nach Heidelberg zurück. Zum großen Schaden für das geistige Leben unsrer Stadt.“

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10. August 1918

Heidelberg, den 10. Aug. 1918 Sehr geehrter Herr Doktor! Ich erhielt kürzlich Ihr mir freundlichst zugestelltes Feuilleton, welches sich mit meiner Person befaßt. Ich kenne die Wiener Gepflogenheiten nicht. Ich zweifle auch nicht, daß Ihre Absicht offensichtlich eine freundliche war. Vom Standpunkt unserer akademischen Gepflogenheiten aber muß ich prinzipiell dagegen Verwahrung einlegen, daß eine akademische Vorlesung überhaupt in der Presse und vollends in einer Art besprochen wird, welche doch stark an Theaterrezensionena erinnert. Ich kann nicht wünschen, daß diese Sitte sich bei uns einbürgert und bedauere, daß die Aufrichtigkeit mich zwingt, dies ausdrücklich auszusprechen. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst bMax Weberb

a Theaterrezentionen > Theaterrezensionen

b Unterzeichnung eigenhändig.

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Mina Tobler 11. August [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

Heidelberg 11.a VIII Liebes Tobelkind,

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wieder ein Samstag und Sonntag ohne Sie.1 Inzwischen kam Ihr lieber Brief an uns beide, der ja ganz günstig klingt, auch relativ kurz gereist ist. Ich hatte noch nach Zürich geschrieben, da wird es Zeit gekostet haben. Bei uns passiert nicht viel. Ich bin im Zeichen bleierner Müdigkeit von Wien her, 2 aber das wird schon vergehen. Wir lesen in Folge dessen etwas mehr zusammen, als sonst die Arbeit gestattet (Luther’sche Sachen, Ranke pp) 3 und ich habe es dahin gebracht, die Schlafmittel fast gänzlich los zu sein, – was immerhin mehr ist als ich hoffte. Sonst wird jetzt hier Alles still, im Hause (Thoma’s4 sind in den Ferien) und sonst (gestern waren Jaspers’ noch einmal da). Über „Politik“ zu denken ist steril, so lange die Winterpause nicht eingetreten und man die Gesammtlage übersehen kann. Gut ist, daß jetzt die Ernährung ganz in Ordnung kommt und für das nächste Jahr bei uns und in Österreich die ganze Lage darin besser zu sein verspricht, als in diesem, geschweige als im vorigen, Jahr. Alles Andre geht dann schon seinen Gang. Wir fahren ungefähr am 11/12, vielleicht 13ten IX zuerst nach Detmold, 5 dann nach Örlinghausen,6 bleiben bis gegen Ende des Monats. a Alternative Lesung: 18 1 Mina Tobler war am 1. August 1918 in die Schweiz gefahren. 2 Am 20. Juli 1918 war Max Weber von Wien nach Heidelberg zurückgekehrt, wie Marianne Weber im Brief an Helene Weber vom 21. Juli 1918, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, berichtete. 3 Es konnte nicht ermittelt werden, um welches Werk Luthers es sich handelt. Zu Ranke vgl. den Brief an Mina Tobler vom 25. Aug. 1918, unten, S. 243, Anm. 3. 4 Der Jurist und Kollege Richard Thoma und seine Frau wohnten seit kurzem im selben Haus über dem Ehepaar Weber. 5 In Detmold besuchten Marianne und Max Weber Hans und Wilhelmine Schnitger, den Onkel von Marianne Weber und dessen Frau. 6 Die am 20. September 1918 bevorstehende silberne Hochzeit wollten Max und Marianne Weber wie einst ihre Trauung im Verwandtenkreis in Oerlinghausen feiern.

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Es mußte so eingerichtet werden, da geschäftliche Dinge von Wichtigkeit zu verhandeln sind und die betreffende Sitzung erst nach dem 20ten sein kann.7 Rickert geht es nach wie vor nicht gut, jede kleine Störung der Nacht macht ihn nervös. Gotheins hatten uns einmal Abends bei sich; ich fi nde Percy doch recht schlaff und gedrückt aussehend,8 bin gespannt was aus diesem Menschen einmal wird. Werner’s Bilder! 9 – nun einige zeigen großes Können (so das Hochgebirge, auch der Frauenkopf und 1 Aquarell oben in seinem Schlafzimmer). Aber sonst: es geht Alles die grade jetzt allgemein übliche Straße. Ich fi nde wenig Eignes. Und viel zu viel „Nonchalance“. Leben Sie herzlich wohl und lassen Sie Gutes von sich hören stets Ihr Max Weber

7 Max Weber meint vermutlich die Gesellschafterversammlung der Firma Carl Weber & Co., zu der Marianne Weber als stimmberechtigte Gesellschafterin gehörte. Erst kurz zuvor war Richard Müller alleiniger Geschäftsführer des Familienunternehmens geworden. Dieser habe „allerlei geschäftliche neue Pläne im Kopf, deren Tragweite ziemlich groß ist“, berichtete Marianne Weber im Brief an Helene Weber vom 10. Aug. 1918, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 8 Percy Gothein, der jüngste Sohn von Marie Luise und Eberhard Gothein, hatte nach einer Kriegsverletzung unter Sprachstörungen gelitten. 9 Werner Gothein, der dritte Sohn von Marie Luise und Eberhard Gothein, war Maler und Bildhauer.

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Bernhard Guttmann 15. August [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Zeitungsarchiv Dortmund, Nl. Bernhard Guttmann Die Jahresangabe ist erschlossen aus dem Inhalt des Briefes sowie dem handschriftlichen Randvermerk Guttmanns: „resp. 19/8/18“. Der Bezug erschließt sich aus Guttmanns Antwortschreiben an Max Weber vom 19. August 1918 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Der Redakteur der Frankfurter Zeitung, Max Weber durch die publizistische Tätigkeit für die FZ näher bekannt (vgl. den Brief an Bernhard Guttmann vom 4. September 1916, MWG II/9, S. 524 f.), hatte das Angebot erhalten, für eine Wiener Zeitung zu arbeiten.

Heidelberg 15. VIII. Sehr geehrter Herr Doktor,

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ich danke verbindlichst für Ihre freundliche Mitteilung [,] die ich mir vor der Antwort etwas überlegte. Es wäre ein sehr bedauerlicher Verlust für die „Frankf[urter] Z[eitung]“, wenn grade Sie ausscheiden würden.1 Auch für – denkbare – Zukunftspläne der doch irgendwie nötigen Ausgestaltung. Es ist allerdings wahr: die Zustände in der Wiener Journalistik sind, obwohl es an sich an Begabungen |:wohl:| nicht fehlt, so überaus klägliche, daß man nach einer Auffrischung wirklich lechzt. Eine größere Unfähigkeit, als sie die Leitartikel der „N[euen] Fr[eien] Pr[esse]“ an den Tag legen, kann es kaum geben, die plötzlichen Schwankungen der „Zeit“ und die Taktlosigkeiten des „Tagblatt“ sind beschämend. Ich habe mich, obwohl ich eine Anzahl angenehmer (jüngerer) Journalisten öfter und einige der älterena Herren gelegentlich sah, ganz vonb jeder Beziehung zur Presse ferngehalten und Jedermann billigte Das. Könnten Sie da in einem der größeren Blätter Wandel schaffen, so wäre das politisch gewiß erwünscht, und die nötigen Beziehungen lassen sich in Wien bekanntlich verhältnismäßig leicht herstellen. Nur bin ich überzeugt, daß, in diesem Lande des Kleinbürgertums, nach dem Kriege der Raum für eine vernünftige a andren > älteren b 〈ihre[n]〉 1 Von welcher Zeitung Guttmann ein Angebot erhalten hatte, erschließt sich aus der Gegenkorrespondenz nicht. Diese dokumentiert aber Guttmanns Entscheidung, er werde aus „politischen Gefühlsgründen“ das „ziemlich lockende Anerbieten wahrscheinlich doch ablehnen“ (Brief Bernhard Guttmanns an Max Weber vom 19. Aug. 1918, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Er blieb bis 1930 politischer Redakteur der Frankfurter Zeitung, für die er als Leiter des dortigen Büros ab 1920 in Berlin arbeitete.

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Politik sehr eng sein wird. Auch jetzt liegt ja der Fehler und die Schwäche nicht in der Begabung oder überhaupt in der Persönlichkeit der Journalisten, sondern in den allgemeinen Umständen und der Eigenart des Wiener Publikums. Soweit ich die Ehre habe Sie zu kennen, halte ich es für zweifelhaft, ob Sie grade Sich dort wohl fühlen werden, möchte auch immerhin nicht unterlassen, zu bemerken, daß zur Zeit fast jede Basis für die Abschätzung Dessen fehlt, was man materiell fordern muß. (Meine Junggesellen-Existenz, 1 Zimmer in einer Pension 10 Min[uten] von der Universität, – Abends mußte ich in der Stadt essen – hat, dac ich mich wirklich gründlich satt essen wollte, bei Vermeidung aller und jeder Extravaganzen in etwas über 3 1/2 Monaten 6700 Kronen gekostet, während der Zeit meines Dortseins stiegen die Kosten auf annähernd das Doppelte der Anfangskosten). Die unermeßlichen, gradezu bezaubernden, Reize der Stadt und der Menschen verkenne ich am allerwenigsten. Ich wäre brennend gern dageblieben.1) Aber u. A. deshalb: weil ich mich dort von jeder Politik völlig fernzuhalten beabsichtigte und – als aussichtslos – auch berechtigt gefühlt hätte.2 Ich würde ganz in Wissenschaft und Lehre aufgegangen sein. |:Thut man das mit gutem Gewissen, dann ist Wien die schönste Stadt der Erde.:| Hätte ich Politik treiben wollen – und das müßten Sie doch! – dann wäre ich rasend geworden. Man baut da auf Sand. Ich habe keine deutliche Vorstellung, wie viel die Presse in Wien zur Zeit (und künftig) wirken könnte. Jedenfalls nur dann irgend etwas, wenn eine Zeitung mit diktatorischer Einheit der Leitung und eiserner Konsequenz eine ganz eindeutige Politik treibt. Ob das möglich ist, ist mir überaus fraglich, denn die dortige Presse scheint geneigt, sich allen möglichen und wechselnden |:persönlichen:| Beeinflussungen zugänglich zu zeigen, wozu die allgemeine habituelle Indiskretion und Liebenswürdigkeit das Ihrige thun: die Gegensätze sind stets sehr stark nur persönliche, nicht sachliche, und Jedermann hat sich daher abgewöhnt, an sachliche Gegensätze überhaupt zu glauben. – Ich persönlich bin nach Deutschland – neben jenen rein persönlich-gesundheitlichen, 1)

Nur gesundheitliche Gründe hielten mich ab.

c wenn > da 2 Zum Rückzug Webers aus der Politik in seiner Wiener Zeit vgl. MWG I/15, S. 6, sowie die Briefe an Marianne Weber vom 20. April 1918, oben, S. 136, und an Mina Tobler vom 9. und 17. Mai sowie vom 20. Juni 1918, oben, S. 169, 171 und 201.

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entscheidenden, Gründen – auch deshalb zurückgegangen, weil ich nur hierd in politischen Dingen, gelegentlich wenigstens, zu Wortee kommen und wirken kann, 3 was in Wien nicht möglich gewesen wäre. Vom deutschen Standpunkt aus ist in Österreich „schwarzgelbe“ Politik zu wünschen,4 anti-alldeutsch natürlich also, aber auch anti-pazifistisch 2) und mit ziemlich viel „Eisen“ im Blut, also die Farbe der „Reichspost“ ohne deren klerikale und byzantinische reaktionäre Gepflogenheiten.5 Es fragt sich, ob – gesetzt, daß Sie überhaupt dieser oder einer ähnlichen Ansicht wären – Sief dafür den nötigen Rückhalt fänden und nicht überhaupt Ihre Politik – welches immer sie sein möge – fortwährend auf die Notwendigkeit von Rücksichtnahmen stoßen würde. Ich kann das nicht übersehen. Ich sehe, daß mir – vielleicht weil ich das Leben in Wien und die Menschen dort so sehr liebe – doch vornehmlichg Bedenken in die Feder fl ießen. Möglicherweise auch weil ich Sie ungern scheiden sehen würde. Sollten Sie dennoch gehen [,] so stehe ich für jede Vermittlung von Beziehungen gern zu Diensten, – übrigens kennen Sie die Herren ja schon zum größten Teil.6 Ich bin sehr gespannt, wie Sie Sich entschließen. Wie Sie sehen, konnte ich zu einem einheitlichen Rat nicht gelangen. Meine Neigung für Wien kann ich nicht verleugnen. Aber daß ich da nicht Politik zu treiben habe, dafür danke ich Gott. Eine unerschütterliche, ziemlich robuste, völlig „nervenlose“ Natur scheint 2)

„pazifistisch“ hier in dem spezifi sch österreichischen Sinn genommen, der wirklich mit schlaffer „Nervenlosigkeit“ identisch ist

d 〈P〉 e Unsichere Lesung. f 〈das〉 g alle > vornehmlich 3 Ähnlich äußerte Weber sich bereits in seinem Schreiben an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 5. Juni 1918, oben, S. 180. 4 „Schwarz-gelb“ – bis 1918 die Farben der österreichisch-ungarischen Monarchie – standen in der politischen Symbolik für das der Monarchie bzw. dem Kaisertum verpflichtete politische Lager. Dieses vertrat im Ersten Weltkrieg insbesondere die traditionell starke Christlichsoziale Partei (vgl. Kriechbaumer, Robert, Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945. – Wien: Böhlau 2001, S. 252). 5 Die seit 1894 erscheinende katholische Wiener Tageszeitung „Reichspost. Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk“ vertrat politisch die Richtung der „Christlichsozialen Partei“. 6 Guttmann hatte sich von November bis Dezember 1917 längere Zeit in Österreich-Ungarn, auch in Wien, aufgehalten. Vgl. Guttmann, Bernhard, Schattenriß einer Generation 1888–1919. – Stuttgart: Koehler 1950, S. 142–145.

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mir dafür ein höchst wünschenswertes Requisit, wie die Dinge liegen. Sie werden in den mir sehr angenehmen Wiener Menschenkreis sicher sehr gut passen. Aber ob Sie dort wirken werden, – als Reichsdeutscher und Nicht-„Arier“ (das wird auch eine Rolle spielen!) 7 –, ist nicht sicher, so sehr ich zugebe, daß, wenn es der Fall wäre, man dies sehr begrüßen müßte. Hoffentlich sehen wir Sie noch einmal hier, wie immer die Sache gehen möge. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster Max Weber

7 Den Antisemitismus in der Habsburgermonarchie schilderte Guttmann in seinen Erinnerungen als „eine Art Raserei“. Guttmann, Schattenriß (wie Anm. 6), S. 238.

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Mina Tobler [21. August 1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt (anstehender Besuch von Lili Schäfer), der Tagesangabe „Mittwoch“ und der thematischen Nähe zu Marianne Webers Brief an Helene Weber vom 26. August 1918 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446), in dem ebenfalls der Besuch von Lili Schäfer erwähnt wird.

Heidelberg Mittwoch Liebes Tobelkind,

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vielen Dank für Ihren lieben Brief. Ich habe eine Reihe schlechter Tage (resp. Nächte) hinter mir, jetzt geht es wieder ordentlich und das wunderbare Wetter hilft auch mit. Freilich eigentlich arbeiten kann ich nicht, aber doch lesen und ordnen und damit bin ich schon ganz leidlich zufrieden. Ernährt sind wir so ziemlich, wenn auch nicht grade glänzend – und nicht so wie Sie nach Ihren Schilderungen. Nur daß man Bücher jetzt gar nicht oder mit gradezu endlosen Verspätungen bekommt und derartige Unbequemlichkeiten belästigen stark. Dafür ist die Bibliothek umso leerer und fast unbenutzt. Frank war noch einmal hier, auch Salin – jetzt sind wohl beide wieder draußen.1 Von den andren hört man nichts, die netten Briefe der Leute wie Mittelstraß u. s. w. sind seit langem gänzlich verstummt. Ebenso hört man wenig von den Verwandten. Die Mutter zieht nun bald um in ihre Etagenwohnung; 2 wann ich die wohl einmal sehe? Ich dachte erst im Oktober kurz nach Berlin zu gehen, doch wird es dazu nicht kommen. Das Schwesterchen kommt Samstag einmal herüber. 3 Mitte September gehen wir, wie gesagt, nach Örlinghausen,4 bis Ende d. M. – Gestern traf ich Cläre Schmid, die nun auf dem Abzug von hier (defi nitiv) ist: sie haben ein Häuschen am Starnberger See geschenkt bekommen (vom Vater) und bleiben in München. Sie entbehrt man

1 Erich Frank nahm als österreichischer Offizier und Edgar Salin als Freiwilliger am Krieg teil. 2 Helene Weber hatte ihr Haus in der Charlottenburger Marchstraße 7F verkauft und in derselben Straße eine Wohnung gefunden, die sie im September 1918 bezog. 3 Lili Schäfer wohnte in der Odenwaldschule in Oberhambach bei Heppenheim. 4 Bei Alwine (Wina) Müller in Oerlinghausen feierten Max und Marianne Weber ihre silberne Hochzeit und machten dort anschließend Ferien.

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doch, das gute Kind, – ihn5 ja weniger. Einmal kam auch Alfred hier durch und sah Marianne. Recht mager und strapaziert in jeder Hinsicht. Möchte es bei Ihnen „drüben“6 so schön sein wie hier und Sie recht viel Fröhlichkeit und gesunde Luft aufsammeln und uns mit hierher bringen! Die Zeit ist noch lang bis zum Wiedersehen, hoffentlich nutzen Sie sie wenigstens in der Hinsicht. Ich bin zur Zeit froh, „das Leben zu haben“ und etwas Ruhe und Sonne. Im Herbst wird es schon wieder besser mit mir aussehen, denn es ist nur Müdigkeit, und auch diese nicht so stark als ich fürchten mußte. Tausend herzliche Grüße stets Ihr Max Weber

5 Friedrich Alfred (Fredi) Schmid. 6 Mina Tobler verbrachte ihre Sommerferien in der Schweiz.

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Mina Tobler [25. August 1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Sonntag“, dem Briefinhalt und den Briefen von Marianne Weber an Helene Weber vom 19. und 26. August 1918 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Da Marianne Weber den Besuch von Lili Schäfer und deren Freundin Lisa v. Ubisch nur im Brief vom 26. August 1918 erwähnt, ist der folgende Brief vermutlich am 25. August 1918 geschrieben worden.

Heidelberg Sonntag Liebes Tobelkind,

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wieder war ein Samstag1 ohne Sie, trüb, aber warm – was ich gern mag – und einsam. Lili und Lisa v. Ubisch kamen heut herüber. 2 Was mögen Sie wohl machen? Was lesen? – da Sie ja nicht spielen. Woran denken? Ich bin nach wie vor recht müde, das Schlafen will durchaus nicht, auch in Nächten, wo keine Fliegen sind (die ja jetzt selten da sind). Rezeptiv Arbeiten geht einigermaßen, sonst aber nichts. Das Städtchen ist tot und verlassen, Alles in den verschiedenen Sommerfrischen, jetzt auch Gruhle, der sonst in der letzten Zeit noch gelegentlich hier und ganz vergnügt war. Man liegt im Garten auf dem Stuhl oder auf dem Balkon, da man sonst nichts Rechtes mit sich anfangen kann, Abends lesen Marianne und ich gelegentlich ein wenig Ranke. 3 Das ganze Leben spielt sich in engem Kreis ab, darin merkt man eben doch den Krieg stark, so seltsam fern er Einem sonst bleibt. Langsam kommt die Ferienzeit – denn das soll ja Örlinghausen sein4 – näher, ich hoffe [,] daß auch dort recht wenig Menschen sein werden, man kann das jetzt nicht. Ich wollte, ich wäre wenigstens hinterher wieder etwas produktiver, es wäre hohe Zeit. Alle „Verpfl ichtungen“, auch nach Wien für November, 5 habe ich

1 Samstags besuchte Max Weber üblicherweise Mina Tobler. 2 Lili Schäfer lebte seit April mit ihren Kindern in der Odenwaldschule in Oberhambach bei Heppenheim, wo ihre Freundin Lisa v. Ubisch sie besuchte. 3 Um welches Werk Leopold v. Rankes es sich handelt, ist nicht bekannt. 4 Max und Marianne Weber feierten bei den Verwandten in Oerlinghausen auch ihre silberne Hochzeit. 5 Max Weber hatte im Brief an Mina Tobler vom 15. Juni 1918 seinen Plan skizziert, gelegentlich als „freier Dozent“ weiterhin in Wien Vorlesungen zu halten.

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abgesagt; die Strapaze ist doch zu groß. Nur nach München gehe ich vielleicht Ende Oktober auf 2–3 Tage für einen Vortrag; 6 sie wollen da eine „Akademie“ machen für „Religionswissenschaft“,7 wobei ich sie unterstützen möchte, so wenig ich sicher bin, daß etwas herauskommt und so lästig mir jede solche Reise jetzt ist. – Der Himmel gebe nun noch eine gute Kartoffelernte, dann kann man wenigstens gut und besser als voriges Jahr existieren. Es ist toll, daß man an solches Zeug jetzt täglich denken muß, aber es ist so. Ob Sie wohl Fleiner’s einmal sehen?8 Er hat mir s. Z. recht nett nach Wien geschrieben auf meine Schrift hin.9 Werden Sie überhaupt nachher noch lange in Zürich sein? Ich denke an den blitzenden See, die grünen lachenden Ufer und Menschen und die Ufenau wie ferne Märchenländer.10 Wann wird man wieder dort froh sein? Herzliche Grüße immer Ihr Max Weber Schönen Dank noch für den „Bund“.11 Ist sehr gut.

6 Max Weber sprach nachweislich erst am 4. November 1918 in der Versammlung der Fortschrittlichen Volkspartei in München über „Deutschlands politische Neuordnung“. Vgl. MWG I/16, S. 359–369. 7 Else Jaffé schilderte das Projekt in ihrem Brief an Edgar Jaffé vom 17. April 1918 (Jaffé Collection, LBI): „[Karl Wolfskehl] . . . war furchtbar traurig, dass er M. Weber versaeumt und beschloss deshalb gleich, fuer seine Berufung an ein hier zu gruendendes Institut fuer Religionswissenschaft zu sorgen. Das Institut ist noch ein ‚Geheimnis‘, es seien 2 Millionen ‚beinah‘ dafuer sicher und seine Stuetzen sollen ein Sanskritist Lehmann, [Friedrich] Schmid-Noerr (uns als Fredie Schmid bekannt), Held und Felix Noeggerath sein.“ 8 Fritz und Fanny Fleiner. Der Schweizer Jurist war Kollege von Max Weber in Heidelberg gewesen und lehrte seit dem Wintersemester 1915/16 als ordentlicher Professor in Zürich. 9 Vgl. den Brief an den Verlag Duncker & Humblot vom 28. März 1918, oben, S. 106, in dem Max Weber u. a. um Zusendung eines Exemplars seiner Schrift „Parlament und Regierung“ an Fritz Fleiner gebeten hatte. 10 Max Weber erinnert sich hier an gemeinsam verbrachte Stunden im Frühjahr 1914. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 9. April 1914 (MWG II/8, S. 605–607). 11 Möglicherweise bedankt sich Max Weber für die Schweizer Tageszeitung „Der Bund“ oder Stefan Georges Gedichtband „Der Stern des Bundes“.

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Clara Mommsen 2. September [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 23, Bl. 41 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

Heidelberg 2. IX Meine liebe Clara,

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ich könnte morgen und übermorgen so stark in Büchern stecken, daß ich, wie es leider schon geschehen ist, Dein Wiegenfest1 vergesse. Das möchte ich in diesem Jahre besonders ungern. Denn daß Euer Conrad Euch erhalten und doch wohl noch für längere Zeit gesichert ist, 2 – so verstehe ich wenigstens die Nachrichten, – hat doch etwas Entlastendes, und weit in die Zukunft denkt man ja nicht. Möchte das neue Lebensjahr Euch Allen und Dir besonders Freude und Gutes bringen – womöglich so wenig man es zu hoffen wagt, den Frieden. Man muß Dir wirklich herzlich dankbar sein für die gewiß nicht kleine Mühe, die Du jetzt, wo wir Andren Alle nicht helfen können, mit dem Umzug der Mutter3 auf Dir haben wirst. Hoffentlich geht Alles gut. Die Mutter soll von den Büchern1) und Bildern (keins ausgenommen) nur verkaufen, was immer ihr |:selbst für sich:| entbehrlich scheint (das große Morgenstern’sche Bild4 werden wir s. Z. nicht übernehmen 1) a

mit Ausnahme der etwa schon für bestimmte Kinder von ihr bestimmten Sachen. a 〈allenfalls〉 1 Clara Mommsen hatte am 5. September Geburtstag. 2 Konrad Mommsen, der älteste Sohn von Clara Mommsen, war im Krieg verwundet worden (Marianne Webers Brief an Helene Weber vom 7. Mai 1918, Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 3 Nach dem Verkauf ihres Hauses in der Charlottenburger Marchstraße 7F zog Helene Weber im September 1918 in eine Wohnung in der Marchstraße 15. 4 Es handelt sich um Carl Morgensterns „Frankfurter Mainansicht mit dem Fahrtor“ und zeigt eine Stelle des Mains, wo auch das Haus von Carl Cornelius Souchay, Helene Webers Großvater mütterlicherseits, stand. Da dieses Motiv von mehreren Mitgliedern der Künstlerfamilie Morgenstern gemalt wurde, kann nur vermutet werden, daß es sich um eine Kopie des 1849 entstandenen Ölgemäldes von Carl Morgenstern handelt (vgl. Roth, Guenther, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800–1950. Mit Briefen und Dokumenten. – Tübingen: Mohr Siebeck 2001, S. 105 f.). Nach Helene Webers Tod

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können, wie sie gedacht hatte, wir würden |:statt dessen:| allenfalls ganz gern einmal – wenn kein Andrer es will – die kleine |:schmale:| Bilderleiste mit den 3 oder 4 Bildchen übernehmen) b. Aber andrerseits soll sie sich selbst natürlich nicht ausplündern! Ich bin sehr begierig, wie die neue Wohnung wird. – Ihr wißt ja: Wien ging nicht. 5 Ich darf mir nicht verhehlen, wie schmerzlich der Verzicht war. Ich gestehe offen: auch aus pekuniären Gründen. Denn alle Schwierigkeiten wären, wenn ich statt des ganz zufälligen und schwankenden |:(auch: niedrigen!):| Schriftsteller-Verdienstes eine feste (und so hohe) Einnahme verdienen könnte, – von der bezaubernden Schönheit von Wien ganz abgesehen.c In Preußen ist natürlich für mich nichts zu machen. Der Dezernent6 hat (einem Freunde) gesagt: der König |:(S[eine] M[ajestät]):| würde ddann died Garantie verlangen, daß ich dann den Mund hielte. Ja – wenn kontraktlich gleichzeitig ausbedungen werden könnte, daß auch der König den Mund hielte!! Dann thäte ich das gern. Aber dann macht diesem Schwadroneur ja sein Geschäft kein Vergnügen mehr. – Gut, daß Conrad noch nicht bei der Marine ist.7 Diese prächtigen armen Kerls thun mir leid. Nach dem Krieg ist es damit aus, dank Tirpitz und Reventlow8 und ihren frevelhaften Versprechungen mit dem U-Boot-Krieg. Darüber ist wohl Alles einig, so schlimm das für uns politisch-militärisch ist, daß kein Mensch mehr einen Pfennig für die Flotte wirde bewilligen wollen. Noch schlimmer freilich: daß die Generäle es im letzten Jahre nicht viel besser getrieben haben! – Mit herzlichem Geburtstagsgruß! Dein Max

b Klammer fehlt in O. c Satzende defekt. d verla[n] > dann die e 〈ab〉 plädierte Max Weber dann allerdings dafür, das Bild in der Familie zu behalten (vgl. den Brief an Clara Mommsen vom 4. Dez. 1919, unten, S. 856). 5 Anfang Juni 1918 hatte sich Max Weber dagegen entschieden, den Lehrstuhl in Wien zu übernehmen. Vgl. den Brief an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 5. Juni 1918, oben, S. 179–182. 6 Möglicherweise Carl Heinrich Becker, seit 1916 vortragender Rat in der Hochschulabteilung des preußischen Kultusministeriums. 7 Sein gleichnamiger Onkel Konrad Mommsen war Marineoffizier. 8 Der Publizist Ernst Graf zu Reventlow.

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Mina Tobler 4. September [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

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schönsten Dank für Ihren Brief, der ja ganz gut klingt. Vielleicht sehen wir uns also doch noch einen Moment: wir reisen Samstag (12ten) ab1 – leider können wir nicht später gehen! Es ist mit mir nicht viel los, wie Sie begreifen [ .] Produktiv bin ich gar nicht, so erwünscht das wäre! Aber der Kopf will nicht. Hier passiert nichts. Die Leute sind noch alle fort und man sitzt still und freut sich jedes leidlichen Tages. Es war so empfi ndlich kalt hier – und das ist doch ein etwas früher Herbstanfang! Man hätte so arg nötig, daß noch etwas Sonne und Wärme ins Leben käme, ehe dieser eklige Winter wieder einzieht. Hoffentlich ist es bei Ihnen nicht, wie Sie erwarteten, schlecht Wetter geworden. Hier regnet es „jeglichen Tag“ und ist ziemlich häßlich. Aber wenn ich erst wieder arbeiten kann, ist alles ganz anders, und das wird schon kommen. Ich schicke den Zettel so ab, – es steht nichts drauf, aber es ist auch nichts zu sagen, – in der Hoffnung, Sie jedenfalls noch zu sehen, ehe wir fortgehen. Tausend herzliche Grüße Ihr Max Weber

1 Max und Marianne Weber reisten am 14. September nach Oerlinghausen, wie Marianne Weber am 11. September 1918 gegenüber Helene Weber ankündigte (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).

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Mina Tobler 29. September [1918]; Oerlinghausen Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Max Weber äußert sich im folgenden andeutungsweise zur eskalierenden politischen Situation, zum nahenden militärischen Zusammenbruch, dem Ende der Reichskanzlerschaft Georg v. Hertlings und der Parlamentarisierung des deutschen Kaiserreichs.

Örlinghausen 29/IX (Sonntag) Liebe, – Mittwoch Abend kommen wir heim. Es war sehr anstrengend hier. Ein Fest, wie es nur diese Menschen ausrichten können,1 „erdrückend“ schön und doch in feinster Stimmung – erdrückend durch das Übermaß unverdienter Liebe, stimmungsvoll durch Schwermut und Wehmut. Denn all die Verwandten, meine Schwestern, 2 der prächtige kleine Leutnant3 von der Westfront, eine Verlobung eines Vetters hier,4 dann der Todesfall eines alten Oheims, 5 der uns nahe stand, stets ein dicht gespannter Familienkreis, dazu die furchtbaren Nachrichten – jetzt zumal aus Bulgarien6 – das Alles gab keine Minute Ruhe für eine Zeile nach dem goldenen Himmel in Heidelberg,7 an den ich doch beide Samstage dankbar gedachte und in den ich froh bin mich nächsten Samstag wieder zu flüchten. So ernst hat unser Aller Zukunft noch selten ausgesehen wie jetzt. Aber jetzt, nachdem das Befürchtete eintritt, wird man eher erleichtert sein nach dem qualvoll langen Warten und der Sorge gegenüber der Blindheit so vieler Anderer. Jedenfalls dann, wenn erst der Abschluß da ist und man seine Folgen übersehen kann. So weit ist es freilich noch immer nicht. –

1 Alwine (Wina) Müller und ihre Kinder hatten die silberne Hochzeit von Max und Marianne Weber am 20. September 1918 ausgerichtet. 2 Clara Mommsen und Lili Schäfer. 3 Konrad Mommsen, der älteste Sohn von Clara Mommsen. 4 Welcher Vetter sich damals verlobt hatte, ist nicht bekannt. 5 Karl Möller, der Mann von Max Webers Cousine Hertha Möller, war am 27. September 1918 gestorben. 6 Am 29. September 1918 hatte die bulgarische Regierung mit den Alliierten ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen. 7 Umschreibung für Mina Toblers Dachgeschoßwohnung in der Bismarckstraße 17.

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Wie mag es dort gegangen sein?8 Tausend Dank für den Glückwunsch und Alles, Vergangenes, Gegenwärtiges, Erhofftes und Kommendes! Ich bin recht müde, aber sonst leidlich frisch, nur die starke Ernährung wirkt gradezu lähmend in ihrer Ungewohntheit. Ich habe schlechthin „nichts“ gethan, nicht einmal gelesen. Auf Wiedersehen – Max W.

8 Mina Tobler hatte in der heimatlichen Schweiz Ferien gemacht.

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Ludo Moritz Hartmann 6. Oktober PSt 1918; Heidelberg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 15, Bl. 17 Der Poststempel hat als Datum den 8. Oktober 1918.

Heidelberg 6/X Lieber Freund! Wir waren in Westfalen z. silbernen Hochzeit und erhielten Ihre Karte erst nachträglich mit herzlichem Bedauern, Sie nicht zu sehen. –1 Wie es wohl über’s Jahr in der Welt aussehen wird?2 Herzliche Grüße von Haus zu Haus! Ihr Max Weber

1 Am 20. September 1918 hatten Max und Marianne Weber in Oerlinghausen im Kreis der Familie ihre silberne Hochzeit gefeiert. Erst am 2. Oktober waren sie nach Heidelberg zurückgekehrt (vgl. Webers Brief an Mina Tobler vom 29. Sept. 1918, oben, S. 248). 2 Am 29. September 1918 hatte die Oberste Heeresleitung von der Reichsleitung die Bildung einer parlamentarischen Regierung und die sofortige Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen gefordert, da jeden Tag ein Frontdurchbruch erfolgen könne. Am 3. Oktober wurde Prinz Max von Baden zum Reichskanzler ernannt und bildete eine Regierung, an der die Mehrheitsparteien des Reichstages beteiligt waren. Motiv war die Hoffnung, einen „milden“ Frieden auf der Grundlage von Präsident Wilsons Vierzehn Punkten erreichen zu können. Unmittelbar nach Ernennung der neuen Regierung sandte diese auf Druck der Heeresleitung ein Waffenstillstandsersuchen an die amerikanische Regierung. Der Text der deutschen Note wurde, zusammen mit einer Erklärung Max von Badens vor dem Reichstag vom 5. Oktober, bereits am 6. Oktober in der Presse abgedruckt (FZ, Nr. 277 vom 6. Okt. 1918, 2. Mo.Bl., S. 1).

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Alwine (Wina) Müller 10. Oktober 1918; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich ohne Schlußformel mit handschriftlichen Korrekturen von Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 8, Bl. 57–58

Heidelberg, den 10. 10. 1918 Meine liebe Wina!

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Dein Wiegenfest1 steht vor der Tür[,] und wenn es uns auch nicht vergönnt ist in der wunderbar schönen Art, wie Du das zu tun verstehst, Dich unsere dankbare Liebe und Freundschaft empfi nden zu lassen und äußerlich auszudrücken [,] so soll doch ein kurzer Gruß nicht fehlen. Ein bescheidenes Geschenk – eine uns seit Jahren liebe Klingersche Radierung – kann erst in einigen Wochen frühestens bei Dir eintreffen, denn leider ist sie etwas stockfleckig geworden und bedarf auch sonst der Reinigung und das lassen wir besser hier machen. Sie hat uns stets Freude gemacht, weil sie ein guter Abzug „Avant la lettre“ ist, hing hier in meinem Zimmer2 und möchte eben dadurch etwas „persönlich“ wirken. Mit dankbarer Freude gedenken wir der schönen Tage dort und namentlich des Festes selbst3 und bitten Dich [,] Deine zarte feine Freundschaft uns auch im neuen Jahre zu erhalten. Ich bin ja in einem Kreis so vieler Menschen nicht lange zu gebrauchen, es „verschlägt“ mir den Kopf, und ich werde ungesellig und stumm, aber das bedeutet nur, daß ich anderen nichts bieten kann, nicht daß ich nicht die Freundschaft anderer dankbar empfände. Künftig komme ich einmal zu Dir, wenn es still ist: dies Mal war es auch fast bedrückend, daß andere, die wirklich näheren Anspruch auf Deine Liebe und Fürsorge hatten, – vor allem unsere Feldgrauen4 – doch geradezu nicht auf ihre Rechnung kamen, weil immer an uns, mich speziell gedacht wurde. 1 Alwine (Wina) Müller hatte am 10. Oktober Geburtstag. 2 Max Weber hatte Marianne Weber zum ersten Hochzeitstag 1894 eine umfangreiche Sammlung von Radierungen Max Klingers geschenkt. Er veräußerte diese aber 1906 weitgehend an das Kaiser-Friedrich-Museum in Posen (vgl. den Brief an Helene Weber vom 16. März 1905, MWG II/5, S. 52, Anm. 1). Else Jaffé erinnerte sich, daß in Freiburg die Radierung „Die erste Zukunft“ aus dem Zyklus „Eva und die Schlange“ Max Webers Schreibtisch gegenüber gehangen hatte (vgl. Baumgarten, Eduard, Max Weber. Werk und Person. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1964, S. 474, Anm. 1). 3 Max und Marianne Weber hatten im September 1918 ihre silberne Hochzeit bei Alwine (Wina) Müller und ihren Kindern in Oerlinghausen gefeiert. 4 Max Weber meint vermutlich die zum Militärdienst eingezogenen Familienmitglieder.

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Im nächsten Jahre wird ja Frieden sein und wira alle unser Leben neu orientieren. Ein Frieden wie ihn keiner von uns gedacht hat, auch ich nicht bei aller Nüchternheit und Skepsis. Aber nachdem Ludendorffb die militärische Lage als „absolut hoffnungslos“ bezeichnet hat5 (wie ein Berliner Brief eines völlig orientierten Parlamentariers mitteilt) – was bleibt da zu tun? Das neue Regime6 – ungeschult ohnehin – muß das furchtbare Odium auf sich nehmen, selbst dann wenn Ludendorffc die Nerven verloren hat, und – wie ich glaube – die Lage nicht so schlimm ist. Denn das ändert nichts daran, daß wir uns zurückziehen und tummeln müssen (an unserer Grenze) ehe ein neuer Mann (Gallwitz?) an die Spitze tritt.7 Der Friede wird dann jedenfalls sehr schlecht aussehen. Man muß mit dem Aufbau Deutschlands noch einmal von vorne anfangen und das wollen wir tun. Es lohnt auch dann ein Deutscher zu sein. Nur freilich: Leute wie ich sind äußerlich wie innerlich „Luxusexistenzen“. Eben bietet man mir eine Berliner Stelle8 (Professur mit 20.000 Mk. Gehalt) d an – aber es ist nach unser beider Wissen völlig ausgeschlossen, daß ich sie dauernd ausfüllen könnte. Denn ich müßte täglich Kolleg halten, es liegt eine gewisse Härte darin, daß mir das Leben jetzt all diese an sich schönen Möglichkeiten vorgaukelt. Eine Arbeit wie ich sie leisten könnte bezahlt sich schlecha Lies: wir müssen b In Abschrift: Ludendorf c In Abschrift: Ludendorf d Klammer fehlt in Abschrift. 5 General Ludendorff hatte am 29. September 1918 namens der OHL überraschend vom bevorstehenden militärischen Zusammenbruch gesprochen und von der Reichsregierung ein sofortiges Waffenstillstandsersuchen an die amerikanische Regierung auf der Grundlage von Wilsons „14 Punkten“ verlangt. Am 1. Oktober 1918 hatte Ludendorff darüber hinaus Kaiser Wilhelm II. aufgefordert, die Mehrheitsparteien an der Regierung zu beteiligen, damit „diese Herren [. . .] nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muß. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben.“ Vgl. Michaelis, Herbert, und Schraepler, Ernst (Hg.), Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart; eine Urkunden- und Dokumentensammlung zur Zeitgeschichte. Bd. 2: Der militärische Zusammenbruch und das Ende des Kaiserreichs. – Berlin: Wendler 1959, Dokument Nr. 368, S. 322–324, insbesondere S. 323. 6 Am 3. Oktober 1918 hatte das Kabinett des Prinzen Max von Baden die Regierung Georg v. Hertlings abgelöst. Vgl. die Karte an Ludo Moritz Hartmann vom 6. Okt. 1918, oben, S. 250, Anm. 2. 7 General Max v. Gallwitz, der im Oktober als Hindenburgs Nachfolger im Gespräch war. Vgl. Pyta, Wolfram, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler. – Berlin: Siedler 2007, S. 354. 8 Max Weber war die Nachfolge von Werner Sombart an der Handelshochschule in Berlin angeboten worden. Vgl. den Brief an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts vom 16. Okt. 1918, unten, S. 266 f. mit Anm. 5.

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terdings nicht – und mit Recht. Denn die Nation wird jetzt für ihr täglich Brot hart zu ringen haben und für „Gelehrte“ kann sie da nichts übrig haben. Doch genug. So oder so werden wir schon, äußerlich uns einrichten, auch wenn – wie ich es für gerecht halte – die reinen RentenVermögen wie das unsere, (zumal bei Kinderlosen) einfach zu 3 / 4 oder mehr fortkonfisziert werden. „Innerlich“ ist es schwieriger, mein innerer „Beruf“ ist: Gelehrte Arbeit und gelehrte Fachlehre. Und eben das braucht die Nation jetzt nicht. Also werde ich mich umzustellen versuchen müssen, wie? worauf? weiß ich noch nicht. Auch nicht ob es gelingt. Aber trotz allem bleibt das Leben groß und wird seine Schönheit wieder fi nden. Nimm all unsere Liebe und Wünsche und erhalte uns Deine Freundschaft und allen Deiner Liebe große Schönheit.

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Georg Hohmann 11. Oktober [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig DLA Marbach a. N., Nl. Georg Hohmann Das Jahresdatum ist aus dem Briefinhalt erschlossen: Er bezieht sich auf Max Webers Vortrag „Deutschlands politische Neuordnung“, den er am 4. November 1918 in einer öffentlichen Versammlung der Münchener Fortschrittlichen Volkspartei hielt (vgl. MWG I/16, S. 359–369, sowie Webers Briefe an Hans Delbrück vom 6. November und an Hermann Oncken vom 6. und 8. November 1918, unten, S. 286–292). Mit Georg Hohmann, dem Vorsitzenden des dortigen Ortsvereins der FVP, stand Weber seit 1916 in Kontakt. Schon im Oktober 1916 und im Juni 1917 hatte er auf Einladung des Fortschrittlichen Volksvereins in München gesprochen (vgl. „Deutschlands weltpolitische Lage“, MWG I/15, S. 690–700, und „Was erwartet das deutsche Volk vom Verfassungs-Ausschuß des deutschen Reichstages“, ebd., S. 708–719), im November 1917 auch im Rahmen einer überparteilichen Veranstaltung gegen die „Deutsche Vaterlandspartei“ („Gegen die alldeutsche Gefahr“, ebd., S. 720–732).

Heidelberg 11/X Sehr geehrter Herr Doktor! Ich bin bereit, Montag, den 4 November, dort zu sprechen. Thema stelle ich in der Formulierung Ihnen anheim. Etwa: „Zur inneren Neuordnung Deutschlands“. Oder: „Zura verfassungsmäßigen Ordnung desb deutschen Volksstaats“. Ich erbitte Nachricht über Ihr Einverständnis. Ich müßte schon am Samstag hinfahren, da ich die Überfüllung der Züge nicht ertrage gesundheitlich. Also müßten mir die Kosten für die (nackte) Existenz bis Dienstag früh und die Reise ersetzt werden. Vielleicht kann ich einen andren Vortrag so arrangieren, daß mir die Hinreise und der Samstag ersetzt wird, so daß nur die andren Tage zu Ihren Lasten gingen. An einem andren Tage könnte ich sehr schlecht, vielleicht gar nicht. Auch wird erst dann die Lage geklärt sein so weit, daß man etwas sagen kann. Falls Sie einverstanden sind, erbitte ich umgehend Nachricht. Es ist mir ärgerlich, solche fi nanziellen „Bedingungen“ stellen zu müssen, aber ich kann nicht gut anders. Kosten dürfen mir nicht entstehen und ich muß, aus gesundheitlichen Gründen, in der Bahn „sitzen“ können. Mit den allerbesten Grüßen Ihr getreuer Max Weber

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Friedrich Naumann 11. Oktober [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 30 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Nach dem Umbruch der ersten Oktobertage wandte Weber sich intensiv dem politischen Geschehen zu. Vor diesem Hintergrund sind seine nachfolgenden Appelle an Friedrich Naumann, Hans Delbrück und Gerhart v. Schulze-Gaevernitz zu sehen. Friedrich Naumann unterrichtete Weber seinerseits am 15., 16. und 24. Oktober über die politische und militärische Lage (vgl. die Editorischen Vorbemerkungen zu Webers Briefen an Friedrich Naumann vom 17. und 18. Oktober 1918, unten, S. 272 und 275). Max Weber selbst meldete sich kurz darauf auch öffentlich zu Wort. In Frankfurt hielt er eine Rede zur aktuellen politischen Lage (MWG I/15, S. 750–754). Am 17. und 27. Oktober erschienen in der Frankfurter Zeitung seine Artikel „Die nächste innerpolitische Aufgabe“ und „Waffenstillstand und Frieden“ (MWG I/15, S. 634–639, und ebd., S. 640–642).

Heidelberg 11/X Lieber Freund, –

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angesichts der furchtbaren Verantwortung wird die Regierung (und die an ihr beteiligte Partei)1 unbedingt dafür Sorge tragen müssen, unmittelbar nach Abschluß des Friedens2 und der Demobilisation, vor den Wahlen, mit einem Rechenschaftsbericht vor das Land zu treten. – Diese wichtige und schwierige Aufgabe muß jetzt schon in die Wege geleitet werden insofern, als mit der Feststellung der Thatsachena, die zu den entscheidenden Entschlüssen führten und der Stellungnahme aller einzelnen für die Lage verantwortlichen Personen jetzt schon begonnen werden muß. 3 Wer das macht, ist einerlei (C[onrad] Haußa Zwei Vertikalstriche am Rand mit der eigenhändigen Notiz Max Webers: detailliert! mit allen Belegen und Zeit- und Personenangaben! 1 Die Fortschrittliche Volkspartei. Deren Fraktionsvorsitzender, Friedrich v. Payer, blieb in der Regierung Prinz Max von Badens Vizekanzler. 2 Zu den außenpolitischen Entwicklungen vgl. die Karte an Ludo Moritz Hartmann vom 6. Okt. 1918, oben, S. 250, Anm. 2. Weber befürchtete einen „sehr schlechten“ Frieden (vgl. seinen Brief an Alwine Müller vom 10. Okt. 1918, oben, S. 252, sowie Mommsen, Max Weber3, S. 308). 3 Gemeint sind die Entscheidungsprozesse, die zum deutschen Waffenstillstandsersuchen geführt hatten. An die militärische Notwendigkeit dieses Schrittes wollte Weber nicht wirklich glauben (Mommsen, Max Weber3, S. 306). Außerdem befürchtete er zu Recht, die neuen politischen Kräfte müßten das „furchtbare Odium“ eines schlechten Friedens auf sich nehmen, welchen de facto die militärische Führung zu verantworten habe (vgl. den Brief an Alwine Müller vom 10. Okt. 1918, oben, S. 252). Wie sich aus Friedrich Naumanns Schreiben an Weber vom 15. Oktober ergibt, war Naumann bereits von sich aus in diesem Sinne aktiv geworden (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Naumann

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mann?) [,] 4 aber es muß unbedingt geschehen, sonst wird man die Unterlassung schwer bereuen. – Wenn ich vorläufig öffentlich gänzlich schweige, bisher wenigstens, so hat das seinen Grund darin, daß ich, wie wir Alle draußen, absolut nicht im Bilde bin und Desavouierungb durch die Ereignisse und Schritte fürchte. Ich gestehe, daß wir den Eindruck einer hemmungslosen Nervenlosigkeit haben aus Allem, was wir von Berlin hören.5 Das könnte die Nation furchtbar teuer zu stehen kommen. Hoffentlich ist es anders. Ich habe jetzt, wo das Unheil da ist, absolut ruhiges Blut. Ich hoffe, Sie auch. In herzlicher Freundschaft Ihr Max Weber

b O: Desavouirung vom 17. Okt. 1918, unten, S. 272). Eine Dokumentation der militärischen Verantwortung für das Waffenstillstandsgesuch war seit Anfang Oktober wiederholt auch Verhandlungsgegenstand in Interfraktionellem Ausschuß und Kabinett. Hervor ging daraus die im Sommer 1919 publizierte „Vorgeschichte des Waffenstillstandes. Amtliche Urkunden, hg. im Auftrag des Reichsministeriums von der Reichskanzlei.“ – Berlin: Hobbing 1919. Vgl. Matthias, Erich und Morsey, Rudolf (Bearb.), Die Regierung des Prinzen Max von Baden (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Erste Reihe, Bd. 2). – Düsseldorf: Droste 1962, S. XLIII–IXL (hinfort: Matthias/Morsey (Bearb.), Die Regierung des Prinzen Max von Baden). 4 Conrad Haußmann, Reichstagsabgeordneter der Fortschrittlichen Volkspartei. Er wurde am 14. Oktober 1918 als Staatssekretär ohne Geschäftsbereich in die Regierung Max von Badens berufen, stand mit ihm aber bereits länger in engerem Kontakt. Vgl. Haußmann, Conrad, Schlaglichter. Reichstagsbriefe und Aufzeichnungen von Conrad Haußmann, hg. von Ulrich Zeller. – Frankfurt a. M.: Frankfurter Societäts-Druckerei 1924, S. 235 und 242. 5 Vgl. hierzu Friedrich Naumanns Stellungnahme vom 15. Oktober an Max Weber (Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Naumann vom 17. Okt. 1918, unten, S. 272).

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Hans Delbrück 11. Oktober [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig SBPK zu Berlin, Nl. Hans Delbrück, Fasz. Max Weber Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Wie die nachfolgende Korrespondenz politischen Inhalts, konzentriert sich der Brief an Hans Delbrück auf die Abdankung des Kaisers. Für Max Weber war sie politische Notwendigkeit, noch bevor sie in Deutschland infolge der amerikanischen Noten vom 14. und 23. Oktober 1918 als Vorbedingung eines Friedens verstanden wurde (Mommsen, Wolfgang J., Max Weber und die Revolution 1918/19 (Stiftung ReichspräsidentFriedrich-Ebert-Gedenkstätte, Kleine Schriften; Bd. 18). – Heidelberg 1994, S. 8 f.). Schon 1917 hatte Weber Hans Delbrück gegenüber auf die Notwendigkeit verwiesen, den „unbelehrbaren“ Monarchen politisch auszuschalten (vgl. seinen Brief an Hans Delbrück vom 28. Juni 1917, MWG II/9, S. 678 f.). Neben publizistischem Einfluß verfügte der Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher“ durch Gesprächskreise wie seinen „Mittwochabend“ oder die „Deutsche Gesellschaft 1914“ über persönliche Beziehungen sowohl zu Prinz Max von Baden und dessen Umfeld als auch zu höheren Offizieren und dem Auswärtigen Amt. In diesem Kontext ließe sich Webers abschließender Hinweis zum „privaten Gebrauch“ seines Schreibens verstehen.

Heidelberg 11. X Sehr verehrter Herr Kollege!

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Es ist meine Überzeugung als Anhänger monarchischer – wenn auch: parlamentarisch gebundener – Institutionen: daß der jetzige Monarch abdanken muß.1 Er muß es um seiner Würde willen; nach dem Geschehenen und nach Dem, was sonst noch kommen wird. Und er kann es mit der Erklärung: „daß er beanspruche, nach Gewissen und Recht gehandelt zu haben und eben deshalb, angesichts der Lage und der Ereignisse, der Zukunft der Nation mit seiner Person nicht im Wege stehen wolle.“ Ich müßte lügen, wollte ich Sympathie mit ihm heucheln, 2 aber um der Nation willen und im Interesse des Kaisertums darfa ich a muß > darf 1 Grundsätzlich favorisierte Max Weber eine streng parlamentarisch gebundene Monarchie, die er für die stabilste und anpassungsfähigste Staatsform hielt. Eine Erbmonarchie setze dem persönlichen Machtstreben der Politiker Schranken und verhindere eine Ausdehnung militärischer Macht auf das politische Gebiet (vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 311–313). 2 Scharfe Kritik an den ungeschickten innen- wie außenpolitischen Interventionen des unberechenbaren Kaisers hatte Max Weber seit den 1890er Jahren geübt (vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 151). In einem Brief an Hans Ehrenberg vom 16. Juli 1917 nannte er Wilhelm II. einen „dilettierenden Fatzke“ (MWG II/9, S. 707–709, S. 708). Auch jetzt warf er dem Kaiser „politische Fehler schwerster Art“ vor (vgl. den Brief an Friedrich Naumann vom 17. Okt. 1918, unten, S. 273 mit Anm. 3).

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einem Kaiser keinb würdeloses Regierungsende wünschen, wie es ihm selbst dann bevorsteht, wenn man ihn formell auf seiner Stelle in einem verkleinerten oder sonst verstümmelten Deutschland beläßt, 3 so zu sagen als „Kaiser im Gnadenbrode“. Das geht nicht und es geht auch nicht an, zu warten, bis ein Druck erfolgt.4 Es muß sich ein Offizier fi nden – Hindenburg? – der dem Monarchen die Lage klar macht, wenn er, wie es scheint, selbst sie nicht erkennt. Inwieweit der Prinz-Reichskanzler zu wirken bereit und im stande ist, 5 kann ich nicht wissen. Jedenfalls aber scheint mir die Lösung unvermeidlich und ich stehe damit nicht allein, weiß auch, daßc in Offi zierskreisen die Lage vielfach ähnlich angesehen wird.6 Es wäre ein Unglück, wenn der Drang der Ereignisse und Eindrücke das Augenmaß dafür verlieren ließe. Daß sein Bleiben den Friedensschluß erschwert und uns vielleicht schwere b 〈nicht〉 c 〈sie〉 3 Mit der Forderung nach der Abtrennung Elsaß-Lothringens vom Deutschen Reich war zu diesem Zeitpunkt zu rechnen. Auch war bereits in den „Vierzehn Punkten“ Präsident Wilsons vom 8. Januar 1918, welche die deutsche Regierung in ihrer Note vom 3. Oktober als Grundlage allgemeiner Friedensverhandlungen akzeptiert hatte, die Errichtung eines unabhängigen polnischen Staates mit freiem Zugang zum Meer in Aussicht gestellt worden. Vgl. Quellen zum Friedensschluß von Versailles, hg. von Klaus Schwabe (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, Bd. 30). – Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1997, Dok. 3, S. 47–49, dort insbesondere Punkt VIII. und XIII., S. 48 f. 4 Dieser Druck manifestierte sich aus deutscher Sicht wenig später in der zweiten und dritten amerikanischen Antwortnote an die deutsche Regierung vom 14. und 23. Oktober 1918. Die zweite Note verwies „mit Nachdruck“ auf die Botschaft Präsident Wilsons vom 4. Juli 1918, in der er die „Vernichtung jeder militärischen Macht“, welche den Weltfrieden störe, als Vorbedingung eines Friedens genannt hatte. In der Note hieß es weiter, die „Macht, welche bis jetzt das Schicksal der deutschen Nation bestimmt hat, ist eine von denjenigen“. Die deutsche Nation habe „die Wahl dies zu ändern. Die eben erwähnten Worte des Präsidenten bilden natürlich eine Bedingung, die vor dem Frieden erfüllt werden muß, wenn der Friede durch das Vorgehen des deutschen Volkes selbst kommen soll.“ (Zweite amerikanische Note vom 14. Oktober, abgedruckt in: Quellen zum Friedensschluß von Versailles, hg. von Klaus Schwabe (wie oben, Anm. 3), Dok. 10, S. 56 f., Zitate S. 57). Wie schon die zweite, so wurde auch die dritte amerikanische Antwortnote vom 23. Oktober als Forderung nach einem Systemwechsel verstanden. Dort hieß es, „daß die Völker der Welt kein Vertrauen zu den Worten derjenigen hegen und hegen können, die bis jetzt die deutsche Politik beherrschten“, und „daß beim Friedensschluß und beim Versuche, die endlosen Leiden und Ungerechtigkeiten dieses Krieges ungeschehen zu machen, die Regierung der Vereinigten Staaten mit keinem andern als mit den Vertretern des deutschen Volkes verhandeln kann, welche bessere Sicherheiten für eine wahre verfassungsmäßige Haltung bieten als die bisherigen Beherrscher Deutschlands.“ Erfolge ein solcher Wechsel nicht, könne Deutschland „über keine Friedensbedingungen verhandeln, sondern muß sich ergeben“ (ebd., Dok. 12, S. 59–61, alle Zitate S. 61). 5 Prinz Max von Baden, der am 3. Oktober zum Reichskanzler ernannt worden war. 6 Näheres ist hierzu nicht bekannt.

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Bedingungen kostet, ist gegenüber dem Interesse der Dynastie als solcher ein sekundärer – wenngleich doch auch ein gewichtiger! – Gesichtspunkt. Zu – privatem! Gebrauch steht der Brief zur Verfügung. Naumann schrieb ich entsprechend.7 Mit kollegialer Empfehlung Ihr Max Weber

7 Vgl. den Brief vom selben Tag, oben, S. 255 f., zur Abdankungsfrage insbes. aber den Brief vom 12. Okt. 1918, unten, S. 262 f.

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Gerhart von Schulze-Gaevernitz 11. Oktober [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Privatbesitz Baumgarten – Schoeppe Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Zum Kontext vgl. die Editorischen Vorbemerkungen zu den Briefen an Friedrich Naumann und Hans Delbrück vom gleichen Tag, oben, S. 255 und 257, sowie zum Brief an Friedrich Naumann vom 17. Oktober 1918, unten, S. 272.

Heidelberg 11. X. Lieber Freund, – als aufrichtiger Anhänger monarchischer – wenn auch parlamentarisch beschränkter – Institutionen und der deutschen Dynastie insbesondre ist meine feste Überzeugung: daß der jetzige Kaiser im Interesse des Reiches und der Dynastie zurücktreten muß. Er kann es mit voller Würde, wenn er erklärt: „er beharre dabei, nach Recht und Gewissen gehandelt zu haben wie er gemußt habe; das Schicksal sei gegen ihn gewesen und er wolle der neuen Zukunft seines Volkes nicht als Hindernis im Wege stehen.“ Es ist seiner und des Kaisertums unwert, in einem verstümmelten Deutschland „das Gnadenbrot“ als Kaiser zu essen, – und so würde es kommen.1 Geht er, ohne Druck von außen, 2 jetzt, so geht er in Ehren und das ritterliche Mitgefühl der Nation ist bei ihm. Vor Allem aber: die Stellung der Dynastie bleibt gewahrt. Bleibt er, so wendet sich das unvermeidliche Strafgericht gegen die schweren Irrtümer der Politik auch gegen ihn, 3 das ist nicht zu ändern. Es müßte eine geeignete Persönlichkeit gewonnen werden, die dem Monarchen, wenn er die Lage nicht erkennt, sie darlegt. Ich gestehe offen, die Art seines Regierens mit entschiedener Abneigung beobachtet zu haben. Aber im Interesse des Kaisertums darf ich nicht wünschen, daß ein Kaiser mit Unehren endet, sei es daß er später unter äußerem Zwang geht, sei es daß er auf dem Thron fortvegetiert. – Daß wir, wenn er geht, vielleicht bessere Bedingungen bekommen,4 ist nur ein sekundärer, – wennschon schließlich auch kein unwichtiger! – Gesichtspunkt.

1 Vgl. dazu Webers Brief an Hans Delbrück vom 11. Okt. 1918, oben, S. 258, Anm. 3. 2 Zum Kontext vgl. den Brief an Hans Delbrück vom 11. Okt. 1918, oben, S. 258, Anm. 4. 3 Zu diesen schweren Fehlern der Politik vgl. den Brief an Friedrich Naumann vom 17. Okt. 1918, unten, S. 273, Anm. 3. 4 Gemeint sind die Waffenstillstands- und Friedensbedingungen.

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Aber stellen Sie Sich die furchtbaren Demütigungen vor, denen der Monarch entgegengeht, wenn er bleibt! Furchtbar zu denken! Und auf Generationen nachwirkend! Ich schrieb dies auch Naumann und Hans Delbrück. Freundschaftlichen Gruß! Ihr Max Weber

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Friedrich Naumann 12. Oktober [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 36 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Dieser entspricht passagenweise fast wörtlich den Briefen Max Webers vom Vortag an Hans Delbrück und Gerhart v. Schulze-Gaevernitz. Zum Kontext vgl. die Editorischen Vorbemerkungen zu den Briefen an Friedrich Naumann und an Hans Delbrück vom 11. Oktober 1918, oben, S. 255 und 257, sowie an Friedrich Naumann vom 17. Oktober 1918, unten, S. 272.

Heidelberg 12. X. Lieber Freund, giebt es keinen Anhänger monarchischer Institutionen, der dem Monarchen deutlich macht, was die Stunde von ihm fordert? Ist es innerlich für ihn möglich, nach diesen Ereignissen und nach Dem, was, falls er Kaiser bleibt, grade ihm an entsetzlichen Erniedrigungen bevorsteht, einem verkleinerten Deutschland als Haupt vorzustehen?a Es ist mit Ehren und Würde unmöglich und deshalb gegen die Interessen der Dynastie und des Landes. Es läßt sich sehr wohl eine wahrhafte und zugleich würdige Form fi nden, jetzt – vor allem Weiteren – zu gehen, ehe sein Verbleiben dem Lande schwere Zumutungen der Feinde zugezogen hat, die dann, einmal aufgestellt, nicht wieder aus der Welt zu schaffen sind. Er kann die Erklärung abgeben: „daß er den Anspruch, Recht gehabt zu haben, nicht aufgeben könne und wolle und daher aus den Ereignissen die Folgerungen ziehe, um der Zukunft des Landes nicht im Wege zu stehen.“ Damit vergiebt er seiner Würde nichts. Ich fürchte, er geht sonst später in Unehren.1 Ich müßte, grade als Anhänger der Monarchie, lügen, wenn ich behaupten wollte Sympathie für diesen Monarchen zu hegen.2 Aber ich gönne und wünsche ihm, vor der Geschichte und im Interesse der Nation und des Kaisertums, ein a O: vorzustehen. 1 Tatsächlich wandte sich die Stimmung in Politik und Öffentlichkeit schon ab Mitte Oktober zusehends gegen Wilhelm II. Nach Bekanntwerden der zweiten Antwortnote Wilsons an die deutsche Regierung vom 14. Oktober (vgl. den Brief an Hans Delbrück vom 11. Okt. 1918, oben, S. 258, Anm. 4) galt sein Verbleiben auf dem Thron als stärkstes Hemmnis für die Waffenstillstands- bzw. Friedensverhandlungen. Vgl. Röhl, John C. G., Wilhelm II., Bd. 3: Der Weg in den Abgrund 1914–1941. – München: Beck 2008, S. 1239. 2 Vgl. Webers Briefe an Hans Delbrück vom 11. Okt. 1918, oben, S. 257, Anm. 2, und an Friedrich Naumann vom 17. Okt. 1918, unten, S. 273, Anm. 3.

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Regierungsende, welches eines Kaisers würdig ist. Es muß Männer geben, welche Das mit dem nötigen Nachdruck sagen. Ob es der PrinzReichskanzler thut, weiß ich nicht, zumal seine Stellung erschüttert scheint. 3 Sonst müßte ein Offi zier, der Sinn für Ehre und Würde hat, – Hindenburg, – für diese Aufgabe gewonnen werden. Sie ist dringlich und muß – rechtzeitig – in Angriff genommen werden. Ich hoffe Sie im November zu sehen.4 Stets Ihr getreuer Max Weber

3 Ein am 9. Oktober 1918 in der Berner „Freien Zeitung“ abgedruckter vertraulicher Privatbrief, den Prinz Max von Baden am 12. Januar 1918 an seinen Schwager Alexander von Hohenlohe-Schillingsfürst geschickt hatte, führte zu einer schweren Krise seiner Kanzlerschaft. Laut Darstellung der „Freien Zeitung“ hatte der Brief des Prinzen eine scharfe Ablehnung der Parlamentarisierung des Reiches und auch der Friedensresolution des Reichstages vom Sommer 1917 enthalten. Seit dem Abend des 11. Oktober berichtete die deutsche Presse über die Briefaffäre, welche die politische Glaubwürdigkeit des Reichskanzlers schwächte und dessen Verhältnis zu den Mehrheitsparteien, insbesondere den Sozialdemokraten, schwer belastete. Zeitweilig schien sogar ein Rücktritt Max von Badens bevorzustehen. Vgl. Matthias/Morsey (Bearb.), Die Regierung des Prinzen Max von Baden, Dok. 44, S. 136, Anm. 2 und 3. 4 Vgl. den Brief an Friedrich Naumann vom 17. Okt. 1918, unten, S. 274, Anm. 4.

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Redaktion der Frankfurter Zeitung 15. Oktober 1918; Heidelberg Brief; maschinenschriftlich mit eigenhändigen Korrekturen und Zusätzen Max Webers Privatbesitz Der Brief bezieht sich auf die Veröffentlichung von Max Webers Artikel „Die nächste innerpolitische Aufgabe“ (MWG I/15, S. 636–639), der namentlich gezeichnet am 17. Oktober im Morgenblatt der Frankfurter Zeitung erschien (FZ, Nr. 288 vom 17. Oktober 1918, 1. Mo.Bl., S. 1). Ein Manuskript ist nicht überliefert, sehr wahrscheinlich aber hat Weber den Text zwischen dem 11. und 14. Oktober verfaßt (vgl. MWG I/15, S. 634 f.). Der Artikel griff die laufenden Verhandlungen zur Reform der Reichsverfassung auf und forderte insbesondere eine politische Kontrolle kaiserlicher und militärischer Verlautbarungen. Weber knüpfte dabei direkt an seine 1917 ausgearbeiteten Vorschläge zur Reform der Reichsverfassung (MWG I/15, S. 261–288 und 310–313) sowie seine Schrift „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“ an (MWG I/15, S. 421– 596).

Heidelberg, den 15. Oktober 1918 Sehr geehrte Redaktion! Ich |:(und nicht nur ich):| halte die Aufnahme dieses Artikels für wünschenswert und komme damit |:auch:| der Aufforderung |:des Herrn Dr Simon:|1 nach, mich zur Lage zu äußern. 2 Ich bemerke gleichzeitig, daß ich einera Anzahl Politikerb in Berlin die Notwendigkeit einer c Abdankung des gegenwärtigen Kaisersc im Interesse der Würde der Dynastie dringend ans Herz gelegt habe. 3 Ob mit Erfolg, steht dahin. Jedenfalls aber halte ich diesen Artikel für das absolute Minimum dessen, was

a eine > einer b Eigenhändige Randbemerkung Max Webers: 1) Delbrück Naumann v. Schulze-Gävernitz J[ohannes] Haller (Tübingen) c Unterstreichung eigenhändig. 1 Heinrich Simon, seit 1914 Vorsitzender der Redaktionskonferenz. 2 Auf Simons – nicht dokumentierte – Anfrage hin äußerte Weber sich deutlich. In seinem wohl noch vor Bekanntwerden der amerikanischen Note vom 14. Oktober verfaßten Artikel forderte er nachdrücklich, die fatale Praxis der Einmischungen in die Politik der Regierung müsse „ein- für allemal unmöglich gemacht werden, und dafür gibt es nur einen Weg: die Publikation monarchischer oder militärischer Kundgebungen, wenn sie die Politik berühren, an einen festen Geschäftsgang und vor allem an die vorherige Kontrolle des Reichskanzlers zu binden, wie es der Verfassung entspricht [. . .]. Es ist dies die weitaus dringlichste Reform, deren unser politisches Leben bedarf.“ Zit. nach: MWG I/15, S. 634–639, S. 639. 3 Nachweislich in seinen Briefen an Hans Delbrück und Gerhart von Schulze-Gaevernitz vom 11. Okt., sowie an Friedrich Naumann vom 12. Okt. 1918, oben, S. 257–259, 260 f. und 262 f. Nicht nachgewiesen ist ein Schreiben an den in der Randbemerkung genannten Johannes Haller.

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der Kabinettsorder an Herrn v. Berg und deren Publikation! e) d gesagt werden muß.4 Demnächst werde ich Ihnen einen Artikel über die Voraussetzungen einer aufrichtigen Verständigung und eines Völkerbundes und einige positive Vorschläge für die von diesem zunächst zu treffenden internationalen Bestimmungen zustellen.5 Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster fMax Weberf

d Klammern eigenhändig. e Unterstreichung und Ausrufungszeichen eigenhändig. f Unterzeichnung eigenhändig. 4 Friedrich Wilhelm v. Berg, der im Januar 1918 auf Betreiben der Heeresleitung Rudolf v. Valentini als Chef des kaiserlichen Geheimen Zivilkabinetts abgelöst hatte, war am 11. Oktober vom Kaiser entlassen worden. Kurz darauf gelangten Informationen über Ablauf und Hintergründe in die Presse, insbesondere ein Brief Wilhelms II. an den scheidenden v. Berg. Dieser verdeutlichte, so die FZ, daß der Kaiser „sich nicht aus eigenem Entschluß von Herrn v. Berg getrennt hat, sondern in korrekter, zwingender Konsequenz der Bildung der neuen Regierung“ (FZ, Nr. 286 vom 15. Okt. 1918, 2. Mo.Bl., S. 2). 5 Ein Artikel genannten Inhalts ließ sich für 1918 nicht ermitteln. In Webers anonym abgedrucktem Beitrag „Waffenstillstand und Frieden“ (FZ, Nr. 298 vom 27. Okt. 1918, 2. Mo.Bl., S. 1) ging er weder auf den Völkerbund noch auf Grundlagen einer dauerhaften Verständigung ein (vgl. MWG I/15, S. 640–642). Anmerkungen zu einem zukünftigen Kriegsvölkerrechtsstatut im Rahmen des Völkerbunds finden sich allerdings in seinem aufsehenerregenden Artikel „Zum Thema der ‚Kriegsschuld‘“ vom 17. Jan. 1919 (MWG I/16, S. 179– 190).

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16. Oktober 1918

Großherzogliches Ministerium des Kultus und Unterrichts 16. Oktober 1918; Heidelberg Brief; maschinenschriftlich mit eigenhändigen Korrekturen und Zusätzen Max Webers GLA Karlsruhe, 235/2643, Bl. 198–199 Der Brief steht in Zusammenhang mit dem Lehrauftrag Webers an der Universität Heidelberg; vgl. dazu den Brief an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts vom 22. Januar 1918, oben, S. 70 f.

Heidelberg, den 16. Oktober 1918. Großh[erzoglichem] Ministerium des Unterrichts beehre ich mich zu berichten, indem ich auf den Schriftwechsel vom 12. November u.f. v.J.1 Bezug nehme: Ich habe die Berufung nach Wien abgelehnt, teils aus politischen Gründen, teils weil ich den dortigen Massen-Examens-Betrieb und die Art der Lehrtätigkeit vor den dortigen Riesenauditorien nicht übernehmen wollte.2 Die mir weitgehend angebotenen Sondervergünstigungen anzunehmen trug ich wegen der stets ungünstigen Folgen, die das innerhalb eines Kollegiums Gleichberechtigtera haben müßte, Bedenken. Die Juristische und die Philosophische Fakultät der hiesigen Universität wendete sich im Laufe des Sommers an mich nach Wien mit dem Ersuchen, wieder hier zu lehren. 3 Ich gestatte mir daher die Anfrage, ob das Großh[erzogliche] Ministerium auch jetzt noch auf dem Standpunkt des dortigen geneigten Schreibens vom 12. November v. J. zu stehen sich in der Lage befi ndet.4 Bejahendenfalls würde ich geneigt sein, a gleichberechtigte > Gleichberechtigter 1 Eine Abschrift dieses Schreibens ist weder in den Akten des Kultusministeriums im GLA Karlsruhe noch in den Akten des UA Heidelberg nachgewiesen; eine Aktennotiz zu diesem Schreiben vom 12. Nov. 1917 findet sich in GLA Karlsruhe, 235/3140, Bl. 216. 2 Vgl. dazu den Brief Webers an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 5. Juni 1918, oben, S. 179–182. 3 Entsprechende Dokumente sind im Universitätsarchiv Heidelberg nicht nachgewiesen: Die Jahrgangsakte der Philosophischen Fakultät enthält keinen Beleg, die Akte der Juristischen Fakultät ist nicht vorhanden. Zur Anfrage der Fakultäten vgl. auch den Brief an Mina Tobler vom 11. Juli 1918, oben, S. 219 f. 4 Dazu vermerkt das Ministerialkonzept vom 21. Okt. 1918, ausgefertigt am 25. Okt. und abgegangen am 26. Okt. 1918: „Euer Hochwohlgeboren erwidern wir auf Ihr gefl. Schreiben vom 16ten d. Mts, daß wir Ihnen den früher in Aussicht gestellten Lehrauftrag für Soziologie erteilen werden, sobald Sie uns anzeigen, daß Sie die Lehrtätigkeit zu beginnen

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den damals geplanten Lehrauftrag für Soziologie anzunehmen. Mancherlei Rücksichten, insbesondere auch die wünschenswerte Anpassung an die Vorlesungsabsichten anderer Kollegen können es zweckmäßig erscheinen lassen, erst im Herbst k. J. zu beginnen und zwar zunächst mit einer nur zweistündigen Vorlesung, neben welche später entweder wissenschaftliche Übungen oder eine bis zwei weitere Stunden Kolleg treten werden. Entsprechend dem geneigten Schreiben vom 15. Novbr. 1917 (Antwort auf meine Mitteilung vom 14. Novbr.) 5 würde ich annehmen, daß für jene zweistündigeb Vorlesung eine Vergütung von Mk. 1000.– für das betr. Semester gezahlt würde c (was wohl etwa der Höhe der gesetzlichen Pension, auf die ich seinerzeit verzichtet habe, entsprechen dürfte) c . Die Hälfte des höheren Betrags würde dagegen nur für ein Semester mit vierstündigerd Lehrtätigkeit fällig werden. Wenn ich mir diese ergebenste Anfrage jetzt gestatte, so u. a. auch deshalb, weil mir auf Grund eines Vorschlags der Handelshochschule Berlin, durch deren Rektor und Kurator,e schriftlich und mündlich die Nachfolgerschaft des Prof. Dr. Sombart angeboten ist.6 Zur Vermeidung eines stets peinlichen Fehlrufes habe ich um nichtamtlichef und vertraulicheg Behandlung gebeten. Für einen vorwiegend zu gelehrter Arbeit und Anschulung in wissenschaftlicher Methode geeigneten b Unterstreichung eigenhändig. c Klammern eigenhändig; öffnende Klammer ersetzt Komma. d Unterstreichung eigenhändig. e Komma eigenhändig. f Unterstreichung eigenhändig. g Unterstreichung eigenhändig. wünschen. Das Lehrauftragshonorar wird bei zweistündiger Vorlesung 1000 M im Semester, bei vierstündiger Lehrtätigkeit 1750 M im Semester betragen“ (GLA Karlsruhe, 235/ 2643, Bl. 199 Rückseite). 5 Brief an Victor Schwoerer vom 14. Nov. 1917 (MWG II/9, S. 809–812). 6 In einem Schreiben Johann Friedrich Schärs an die Ältesten der Kaufmannschaft vom 25. Juli 1918 (UA der Humboldt-Universität zu Berlin, HWB 699, Bl. 64) hatte dieser von einer Sitzung des Dozentenkollegiums vom Vortage berichtet, derzufolge an der Vorschlagsliste vom 10. Oktober 1917 (1. Gerhart v. Schulze-Gaevernitz und Alfred Weber, 2. Franz Eulenburg und 3. Willy Wygodzinski) festgehalten werde, allerdings hinzugefügt: „[. . .] sollten aber die Herren Ältesten Professor Dr. Max Weber in Heidelberg gewinnen können, so stimmt das Kollegium gern zu.“ Ansonsten enthalten die Akten der HandelsHochschule im Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin keinerlei Dokumente bezüglich einer möglichen Berufung Webers zum Nachfolger Werner Sombarts. Eine genaue zeitliche Eingrenzung dieser Berufungsgespräche bzw. -verhandlungen ist nicht möglich. Es könnte sich daher bei dem genannten Rektor um den bis 30. September 1918 amtierenden Johann Friedrich Schär handeln oder (falls die Berufungspräliminarien in den Oktober 1918 fielen) um Hugo Preuß. Preuß fungierte ab dem 1. Oktober 1918 als neuer Rektor, allerdings nur kurze Zeit, da er schon am 15. November 1918 zum Staatssekretär des Innern berufen wurde. Damaliger Kurator bzw. Syndikus war Max Apt.

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Lehrer hat die Annahme manche Bedenken und ich muß mir vorbehalten, an Ort und Stelle darüber zu verhandeln. Des Großh[erzoglichen] Ministeriums ehrerbietigst ergebenster iProfessor Max Weberi

h Or > Ort i Unterzeichnung eigenhändig.

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Friedrich Keller 17. Oktober 1918; Heidelberg Abdruck in: 12. Kriegsbericht der Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg, Februar 1919, S. 8 Der Brief an Friedrich Keller, den damaligen Vorsitzenden der Philisterkommission der Burschenschaft Allemannia, wird ediert nach dem Abdruck im 12. Kriegsbericht der Burschenschaft Allemannia. Das Original ist nicht überliefert; das Archiv der Allemannia wurde 1945 vermutlich in die USA verbracht und gilt als verloren (vgl. Reinbach, WolfDiedrich (Hg.), Goldenes Buch der Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg. Neubearbeitung zum 150. Stiftungsfest. – Heidelberg: Burschenschaft Allemannia 2006, S. I). Das Datum vom 17. Oktober 1918 ist jedoch problematisch. Weber schreibt in seinem Brief, „daß nach dem Krieg“ die Zeit des Couleurlebens vorbei sein sollte. Am 17. Oktober war der Krieg noch nicht vorbei, der Waffenstillstand erfolgte am 11. November 1918. Webers Briefe aus dem Oktober 1918 beziehen sich auf die politische Lage nach der Forderung von Ludendorff und Hindenburg nach sofortigem Waffenstillstand und richten sich insbesondere auf den Thronverzicht des Kaisers. Es ist nicht plausibel, daß er in dieser Ausnahmesituation seinen Austritt aus der Allemannia erklärt haben soll. Anlaß dafür könnte aber ein Heidelberger Ereignis gewesen sein: Am 7. November unternahmen farbentragende Studenten der Burschenschaft Frankonia eine Wagenfahrt durch die Innenstadt. Das erregte großes Aufsehen und veranlaßte das Verbot des Tragens von Farben (vgl. Weber, Zu einer Erklärung der Heidelberger Couleurstudenten, MWG I/16, S. 191–194, S. 194, Anm. 1). Am 9. November brach außerdem die Revolution aus. Unter der Annahme, daß beim Abdruck des Briefes eine Verwechslung des Monats entstanden ist, könnte der Brief auch am 17. November geschrieben worden sein. Dies wird auch im Editorischen Bericht, MWG I/16, S. 191, vermutet. Marianne Weber schrieb, Weber habe das Band nach den Auseinandersetzungen mit den Heidelberger Verbindungen im Januar 1919 zurückgegeben (vgl. Lebensbild3, S. 644). Auch diese Annahme ist nicht überzeugend, denn Webers Brief nimmt auf diese Vorgänge keinen Bezug. Vermutlich hat Weber seine heftige Kritik an dem studentischen Verbindungswesen in seinen Reden am 2. und 17. Januar 1919 in Heidelberg bereits im Bewußtsein seines Austritts aus der Allemannia gehalten (vgl. MWG I/16, S. 191–194). Die Veröffentlichung seines Briefes mit der Austrittserklärung durch die Allemannia im Februar ist vermutlich durch die Auseinandersetzungen zwischen ihm und den Heidelberger Verbindungen veranlaßt worden. Trotz dieser Bedenken wird der Brief unter dem Datum des 17. Oktober 1918 ediert, da es keinen gesicherten Beleg für eine andere Datierung gibt.

Heidelberg,a den 17. Oktober 1918. Lieber Keller! Ich bitte Dich, mich in der Liste der Philister der Allemannia zu streichen.

a Im Abdruck geht voraus: Ord. Universitäts-Professor Max Weber in Heidelberg hat seinen Austritt erklärt durch folgenden Brief an Philister Keller:

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Ich gedenke dankbar dessen, was die Couleur1 mir als jungem Menschen bedeutet hat und freue mich zu wissen, daß ihre Mitglieder – wie selbstverständlich – im Kriege ihren Mann gestanden haben. Aber ich bin der Ansicht, daß nach dem Kriege die Zeit des Couleurlebens, wenn sie nicht tatsächlich vorbei ist, doch vorbei sein sollte. Für die alte „Feuchtfröhlichkeit“ des Couleurstudenten werden die Verhältnisse nicht angetan sein, und die Pflege der Männlichkeit, 2 um welche sich die Couleuren zweifellos Verdienste erworben haben, muß sich andere Mittel und Wege suchen. An eine „Reform“ der bestehenden Verbindungen glaube ich nicht, 3 daran hindert sie schon der von mir stets innerlich als unstudentisch abgelehnte Hausbesitz 4 und die dadurch vermittelte Gebundenheit an den Geldbeutel und dadurch an die „Traditionen“ der Alten Herren. Insbesondere glaube ich nicht, daß die im Laufe der Jahre immer engere gezogene geistige Inzucht, wie sie die Beschränkung des persönlichen Verkehrs mit sich bringt, schwinden wird. Ich halte Exklusivität durchaus nicht an sich für ein Übel, wohl aber – gegenüber den deutschen Zukunftsaufgaben – die Art, in der sie in den Couleuren auftritt. 5 1 Der Begriff „Couleur“ bezeichnete „Band und Mütze“ der Verbindung und wurde auch als Synonym für Verbindung benutzt. Die Farben der Allemannia sind seit ihrer Gründung 1856 schwarz-weiß-rot. 2 In einer Festschrift der Allemannia von 1886 heißt es: „Wer je das Hochgefühl gekostet hat, auf der Mensur einem ebenbürtigen Gegner gegenüber zu stehen und seine jugendliche Kraft und Geschicklichkeit nicht nur auf dem gefahrlosen Fechtboden, sondern mit offenem Visier und scharfer Klinge zu messen, der wird für alle Zeiten davon überzeugt sein, daß nichts so sehr als gerade die Mensur den Charakter stählt und zugleich das Gefühl der vollen Manneskraft erweckt und fördert.“ Vgl. Das Corpsleben in Heidelberg während des neunzehnten Jahrhunderts. Festschrift zum fünfhundertjährigen Jubiläum der Universität. – Heidelberg: Bangel & Schmitt (Otto Peters) 1886, S. 6. 3 Am Ende des Ersten Weltkrieges gab es in den Burschenschaften Reformbestrebungen, die den Trinkzwang abschaffen wollten. Vgl. Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland, MWG I/15, S. 384, Anm. 2. 4 Die Allemannia besaß seit 1889 ein eigenes Haus in Heidelberg in der Karlsstraße 10. Der Philister Karl Weber streckte die zum Ankauf und Umbau des Gebäudes benötigte Summe vor. Zu dessen Unterhaltung gründete das Philisterium eine Aktiengesellschaft, die 1902 in den Verein „Allemannia e. V.“ umgewandelt wurde. Vgl. Wreden, Ernst Wilhelm und Bundesmann, Günther, 125 Jahre Heidelberger Allemannen. Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg 1856–1981. – Heidelberg: Heidelberger Verlagsanstalt 1981, S. 99 f. 5 Vgl. Webers Kritik in seiner Schrift „Wahlrecht und Demokratie in Deutschland“ von 1917: „Aber das Entscheidende: die geistige Inzucht (eigene Lesezimmer in den Couleurhäusern, besondere, nur von ‚Alten Herren‘ mit einer unsäglich subaltern-kleinbürgerlichen Art von gutgemeinter ‚patriotischer‘ Politik versorgte Couleurblätter, Perhorreszierung oder doch sehr große Erschwerung des Verkehrs mit Gleichaltrigen anderen gesellschaftlichen

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Ich bin durch diese Auffassung so sehr im Gegensatze zu derjenigen der Couleur getreten, daß diese selbst es für richtig halten wird, daß ich das Band freundschaftlich und mit den besten Wünschen löse. Mit den allerbesten Wünschen für Dich selbst Dein Max Weber.

oder geistigen Gepräges) ist in den letzten Jahrzehnten stetig gesteigert worden.“ MWG I/15, S. 344–369, hier S. 383.

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Friedrich Naumann 17. Oktober [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 25 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. In zwei Schreiben übermittelte Friedrich Naumann Max Weber eine ausführliche Darstellung der politischen und militärischen Lage. Mit Bezug auf Webers Brief vom 11. Oktober (oben, S. 255 f.) teilte Naumann am 15. Oktober streng vertraulich mit, die Feststellung der Verantwortlichkeit für das deutsche Waffenstillstandsersuchen betreffend habe er am 13. Oktober erneut beantragt, „daß die militärischen Aussagen, auf Grund deren die letzten Entschlüsse gefaßt wurden, in genauen, persönlich unterschriebenen Protokollen vorhanden sein müssen“. Dies sei ihm zugesagt worden, und er hoffe, die Ausführung werde erfolgen (Brief Friedrich Naumanns an Max Weber vom 15. Oktober 1918, BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 28–29). Webers am 11. Oktober geäußerten Eindruck einer in Berlin vorherrschenden „hemmungslosen Nervenlosigkeit“ (oben, S. 256) bestätigte Naumann nicht. Bezüglich der Entscheidungsabläufe vor dem Waffenstillstandsersuchen stellte er klar: „Daß hier in Berlin ein Nervenzusammenbruch vorhanden sei, kann man eigentlich nicht sagen, denn der ganze Schritt der Note an Wilson stammt weder aus den Mehrheitssitzungen noch aus der Reichskanzlei Hertling-Payer, sondern kam unmittelbar vom Hauptquartier.“ Zur Rolle der Mehrheitsparteien des Reichstages präzisierte Naumann: „Wir wurden mit der deutschen Note an Wilson erst befaßt, als Ludendorffs dringende Telegramme und Hindenburgs persönliche Anwesenheit die Erlangung eines Waffenstillstandes als unmittelbare Lebensfrage forderten.“ Allerdings bemerkte er auch: „Begreiflicherweise haben wir alle Ursache, dieses letztere Faktum bis zum Ende des Krieges nicht mit Deutlichkeit hervortreten zu lassen.“ (Brief Friedrich Naumanns vom 15. Oktober 1918, ebd.) „Ob und inwieweit bei Ludendorff ein seelischer Zusammenbruch vorliegt“, so Naumann weiter, könne er nicht aus eigener Beobachtung beurteilen. Die Informationen über Ludendorffs psychischen Zustand seien widersprüchlich. Gerade deswegen halte er es für erforderlich, der Lagebeurteilung Ludendorffs Aussagen weiterer Militärs gegenüberzustellen und schriftlich festzuhalten. Illusionslos formulierte Naumann seine Gesamteinschätzung bezüglich kommender Waffenstillstandsund Friedensverhandlungen: Die Annahme der in Wilsons 14 Punkten genannten Bedingungen sei unausweichlich, Deutschland sei dem amerikanischen Präsidenten „so ziemlich auf Gnade und Ungnade ergeben“. Denn „auch bei mühsamer und voraussichtlich erfolgloser Fortsetzung des Krieges um einige Monate würden wir in keiner Weise bessere Bedingungen erwarten können“ (ebd.). Im zweiten Schreiben vom 16. Oktober 1918 ging Naumann auf das Problem der Abdankung Wilhelms II. ein (BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 27). Er berichtete Max Weber über seine Sondierungen, wer den Kaiser in diesem Sinn beeinflussen könnte. In Betracht kämen der Minister des Kgl. Hauses, August Graf zu Eulenburg, und Clemens v. Delbrück, Chef des kaiserlichen Zivilkabinetts; gegebenenfalls noch Admiral Alexander v. Müller vom Marinekabinett. Hinsichtlich Eulenburgs Bereitschaft äußerte Naumann sich skeptisch, Delbrück sei erst neu im Amt und „Herr v. Müller ist kaum in der Lage, den entscheidenden Rat zu geben, denn er ist geborener Trostengel. Ob u. wie Hindenburg oder sonst Jemand [!] außerdienstlich eingreifen können, weiß ich nicht.“ Eine der größten Schwierigkeiten war nach Naumanns Einschätzung der Kronprinz, der ebenfalls zurücktreten müsse, auf den aber „möglicherweise eine militärische Fronde gegen Parlamentsregierung“ hoffe. Naumann schloß: „Eine parlamentarische Aktion würde wegen Zerreißung der nationalen Einheit sehr bedauerlich sein. Ob aber zu vermeiden?“ (Alle Zitate ebd.)

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Heidelberg 17. X. Lieber Freund,

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Vielen Dank für Ihre als streng vertraulich zu behandelnden Mitteilungen, die mit denen Anderer1 übereinstimmen. Der Rücktritt des Kaisers ist und bleibt die zentrale Frage. Wäre er doch sofort erfolgt, mit der Erklärung, die verändertena Verhältnisse nicht mitmachen zu können! Jetzt ist Alles schwieriger, das gebe ich zu. 2 Aber es muß geschehen. Er kann nicht mit Würde auf dem Thron bleiben und schädigt die Dynastie, die wir doch erhalten wollen. Dabei bleibe ich. Die Form des Rücktritts muß seine persönliche Würde wahren. Er kann ausdrücklich erklären: „er habe gezwungen und für Recht und Ehre gekämpft und sei gesonnen, seine Verantwortung zu tragen. Aber das Schicksal sei gegen ihn und er ziehe die Konsequenzen, auch um der Nation bei der Neu[ordn]ungb ihrer inneren und äußeren Verhältnisse, in die er nicht hineinpasse, nicht im Wege zu sein.“ Das muß geschehen. Ein Bekenntnis moralischer Schuld, sei es von seiner, sei es von unsrer Seite, liegt darin nicht. Daß er aber politische Fehler schwerster Art gemacht hat, kann heute Niemand bestreiten und die Folgen davon muß er auf sich nehmen, damit sowohl er wie die Nation in Würde leben kann.3

a neuen > veränderten

b Lochung.

1 Nicht nachgewiesen. 2 Die zweite amerikanische Antwortnote an die deutsche Regierung vom 14. Oktober war zu diesem Zeitpunkt bekannt, am 16. Oktober war ihr Wortlaut in deutscher Übersetzung der Frankfurter Zeitung zu entnehmen (FZ, Nr. 287 vom 16. Okt. 1918, 2. Mo.Bl., S. 1.). Aufgrund ihrer militärischen wie politischen Forderungen wirkte sie auf die deutsche Öffentlichkeit wie ein Schock (zum Inhalt vgl. den Brief an Hans Delbrück vom 11. Okt. 1918, oben, S. 258, Anm. 4). 3 In seiner Frankfurter Rede von Oktober/November 1918 faßte Weber rückblickend die für ihn entscheidenden Fehler der deutschen Politik vor und während des Krieges zusammen. Er nannte dort die gegen England gerichtete Politik der Vorkriegszeit, das „Verhängnis“ des unbeschränkten U-Boot-Krieges, das Nichteingehen auf die Friedensbemühungen der Regierung Kerenski im Mai 1917 und den militärisch diktierten Friedensschluß von Brest-Litowsk („Die politische Lage Ende 1918“, MWG I/15, S. 750–754, dort S. 752 f.). Im Artikel „Die nächste innerpolitische Aufgabe“ – der an diesem Tag im 1. Mo.Bl. der FZ erschien – wiederholte Weber zudem seine Kritik an den ebenso selbstherrlichen wie fatalen militärischen und monarchischen Querschüssen gegen die Politik der zivilen Reichsleitung. Seit „einem Menschenalter“ und gerade auch in den Kriegsjahren hätten diese die Politik zuständiger Minister immer wieder konterkariert und Deutschland in die jetzige „furchtbare Lage“ gebracht (vgl. MWG I/15, S. 634–639, Zitate S. 638).

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Ich werde im November |:voraussichtlich:| nicht nach Berlin kommen, da der persönliche Anlaß dazu wegfallen wird4 und ich dort nicht zwecklos herumlungern will. Herzliche Grüße Ihr treu ergebener Max Weber

4 Vgl. hierzu Webers Brief an Helene Weber vom 20. Okt. 1918 (unten, S. 281), in dem er mitteilte, er wisse nicht, ob und wann er nach Berlin kommen könne, und dies mit seinem geplanten Vortrag in München am 4. November begründete. Nach Marianne Weber war der Aufenthalt in München auch der Grund dafür, daß Weber einer Einladung Matthias Erzbergers nicht folgte, an der für den 2. November anberaumten „Sitzung zur ‚Aufklärung‘ über innere Angelegenheiten“ teilzunehmen (Brief Marianne an Helene Weber vom 5. Nov. 1918, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Aus diesem geht allerdings nicht hervor, wann Weber Erzbergers Einladung erhalten bzw. abgesagt hat.

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Friedrich Naumann 18. Oktober [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 24 Das Jahresdatum ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Zum Kontext, der Abdankungsfrage, vgl. Max Webers Schreiben an Friedrich Naumann vom Vortag (insbesondere die Editorische Vorbemerkung, oben, S. 272). Als Reaktion auf den nachfolgenden, erneut drängenden Brief Webers ist ein im Auftrag Naumanns verfaßtes Antwortschreiben (vom 24. Oktober 1918, BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 23) überliefert. Es informierte Weber, daß Naumann sich schriftlich an den Chef des Geheimen Zivilkabinetts, Clemens v. Delbrück, gewandt habe und es Naumann angebracht scheine, wenn unabhängig davon „auch von anderer Seite etwas Ähnliches geschähe“. Naumanns Schreiben an Clemens v. Delbrück vom 21. Oktober ist abgedruckt in: Theodor Heuss, Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit. – Stuttgart und Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1937, S. 706 f. Gerade weil er die Erhaltung des Kaisertums in Deutschland wünsche, bat er darin, „daß dem Träger der Krone von den dazu berufenen Stellen in aller treuen Ehrfurcht der Rat gegeben wird, möglichst bald und selbständig für sich u. seinen erstgeborenen Sohn auf weitere Führung des Staates in gegenwärtiger Zeit zu verzichten“ (ebd., S. 707). Zur Begründung führte Naumann den absehbaren, mit dessen Ehrgefühl unvereinbaren Bedeutungsverlust des Monarchen an. Zugleich verwies er darauf, daß die eingeleiteten Verfassungsänderungen bei einem freiwilligen Thronverzicht das Ausland zufriedenstellen dürften, die Monarchie als solche somit erhalten werden könne (ebd.). Zu den Erfolgsaussichten seiner Initiative äußerte sich Naumann indes skeptisch. Am 4. November schrieb er an Robert Bosch: „Solange der König von Preußen nicht von sich selbst aus gesonnen ist, seine preußische Stellung niederzulegen, gibt es kein staatsrechtliches Mittel, um ihn zu veranlassen, sich seiner Würde zu begeben.“ Delbrück neige eher zur Auffassung, daß es für den Zusammenhalt Deutschlands nützlicher sei, „wenn der Kaiser tapferen Sinnes auf seinem Posten bleibt“. Naumann teilte diese Auffassung nicht, sondern fürchtete sogar „unter Umständen einen Bürgerkrieg“ (zit. nach ebd., S. 572 f.).

Heidelberg 18/X Lieber Freund, –

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den Schritt kann nur, und muß der Prinz-Reichskanzler thun, Niemand anders, aber wenn möglich nach Verständigung mit den Militärs und so schnell als nur irgend möglich. Sonst wird er vom Feind erzwungen, und selbst wenn dem Monarchen das Gnadenbrot auf dem Thron von Wilson gelassen wird, ist er – und damit die Dynastie – entehrt. Das Gegenteil ist der Fall, wenn er (und sein Sohn)1 jetzt ohne Preisgabe desa Rechts ihres Verhaltens von sich aus verzichten. Von revolutioa ihres > des 1 Kronprinz Wilhelm von Preußen.

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nären und republikanischen Experimenten wird sich in Deutschland kein vernünftiger Mensch etwas versprechen, es ist daher eine Lebensfrage, daß die Existenz der Dynastie – ich gebe zu: zunächst, unter der dann nötigen Regentschaft, in einer machtlosen Lage – erhalten ble[ibe] b auf Kosten ihrer unmöglich gewordenen Vertreter. Grundlegend wichtig wäre: daß rechts stehende Männer die absolut entscheidende Bedeutung des Schrittes für die Zukunft der Dynastie erkennen würden, vor Allem Centrum, Nationalliberale, Freikonservative, – denn der äußersten Rechten traue ich das Augenmaß nicht zu. Die Frage der Zukunftsbedeutung der Dynastien entscheidet sich jetzt [ni]chtc endgültig zu Gunsten von deren Ohnmacht, wenn reiner Tisch mit der Vergangenheit gemacht und nicht der Versuch unternommen wird, einen Monarchen in einer Position zu erhalten, die er mit Ehren nicht mehr einnehmen kann. – Es stimmt mir bisher Jeder zu, aber Niemand hat den Mut die Folgerungen zu ziehen. Freundschaftliche Grüße Ihr Max Weber Wenn etwa jetzt der „Verzweiflungskrieg“ beschlossen wird, 2 dann kann in Frage kommen, den Schritt jetzt noch nicht zu thun. Aber dann wird er unbedingt in 2–3 Monaten nötig und es ist absolut notwendig, den Monarchen und den Thronfolger jetzt schon darauf einzustellen. Darum herum zu kommen ist – in Ehren! – nicht. b Lochung. c Lochung. 2 Gemeint ist eine Fortsetzung des Krieges als Reaktion auf die politischen und militärischen Verhandlungsvorbedingungen, wie sie in der zweiten amerikanischen Antwortnote vom 14. Oktober formuliert waren. Bereits vor dieser Note hatte Walther Rathenau in einem Aufsehen erregenden Artikel das deutsche Waffenstillstandsersuchen als übereilt bezeichnet und im Fall einer „zurückweisend[en], demütigend[en], überfordernd[en]“ Antwort der Alliierten „die nationale Verteidigung, die Erhebung des Volkes“ gefordert („Ein dunkler Tag“, in: Vossische Zeitung, Nr. 512 vom 7. Okt. 1918, Morgen-Ausgabe, S. 1). Nach Bekanntwerden der amerikanischen Note vom 14. Oktober mehrten sich die Aufrufe zu einem letzten Verzweiflungskampf. Selbst die gemäßigte Frankfurter Zeitung sah es nun als erwiesen an, daß Wilson die Waffenstillstandsbedingungen den „im Siegesrausch befangenen Generälen“ überlasse (FZ, Nr. 288 vom 17. Okt. 1918, Ab.Bl., S. 1). Am 17. Oktober erörtete auch das Kabinett im Beisein der Generäle Erich Ludendorff und Max Hoffmann die Chancen, die Frontlinien auf absehbare Zeit zu halten, um bessere Bedingungen aushandeln zu können. Beschlossen wurde, die Verhandlungen nicht abzubrechen, „entehrende“ Bedingungen aber nicht zu akzeptieren. Vgl. Matthias/Morsey (Bearb.), Die Regierung des Prinzen Max von Baden, Dok. 64 und 65, S. 220–253. Zur Debatte ausführlich: Geyer, Michael, Insurrectionary Warfare: The German Debate about a Levée en Masse in October 1918, in: Journal of Modern History, Jg. 73, 2001, Nr. 3, S. 459–527.

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Heinrich Simon 19. Oktober [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Privatbesitz Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen.

Heidelberg 19/X Lieber Herr Doktor!

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Ich vermisse völlig die Hervorhebung der politisch entscheidenden Thatsache:1 daß Wilson, wenn er auf der völligen Ausschaltung der deutschen Wehrmacht (durch den Waffenstillstand) besteht, dadurch sich selbst zugleich aus seiner Schiedsrichter-Stellung ausschaltet. Diese besteht |:ja:| nur so lange, als er den Franzosen u. Engländern unentbehrlich |:gegen uns:| ist. Das hört nach unsrer Entwaffnung sofort auf. Er ist eben ein politischer Esel! Der Punkt ist der Kernpunkt. Er muß m. E. sofort und sehr deutlich (besser als hier!) gesagt werden. 2 Beste Grüße! Ihr Max Weber

1 Der Bezug ist unklar. Möglicherweise zielt Webers kritische Anmerkung auf die Berichterstattung der FZ nach Bekanntwerden der amerikanischen Antwortnote vom 14. Oktober, in der es hieß, daß die Vereinigten Staaten keine Regelung akzeptieren könnten, „die nicht völlig befriedigende Sicherheiten und Bürgschaften für die Fortdauer der gegenwärtigen militärischen Überlegenheit der Armeen der Vereinigten Staaten und der Alliierten an der Front schafft“ (zitiert nach: FZ, Nr. 287 vom 16. Okt. 1918, 2. Mo.Bl., S. 1). Die Kommentare der FZ interpretierten diesen Passus rein militärisch, indem sie darauf verwiesen, er bedeute die völlige Entwaffnung Deutschlands und mache jede Fortsetzung des Kampfes im Fall unannehmbarer alliierter Bedingungen unmöglich (vgl. FZ, Nr. 288 vom 17. Okt. 1918, Ab.Bl., S. 1). 2 In gemäßigter Wortwahl formulierte Weber diesen Punkt in „Waffenstillstand und Frieden“ in der FZ, Nr. 298 vom 27. Okt. 1918, 2. Mo.Bl., S. 1 (MWG I/15, S. 640–642): Akzeptiere man Wilsons Forderung nach einem Waffenstillstand, der jeglichen militärischen Widerstand Deutschlands ausschließe, „würde damit nicht etwa nur Deutschland, sondern in weitestem Maße auch er selbst aus der Reihe der für die Friedensbedingungen maßgebenden Faktoren ausgeschaltet.“ Denn dann würden „die unzweifelhaft vorhandenen absolut intransigenten Elemente in den Ländern der übrigen feindlichen Staaten die Oberhand gewinnen und in der Lage sein, den Präsidenten mit höflichem Dank für seine bisherige Hilfe glatt beiseite zu schieben“ (zit. nach MWG I/15, S. 642).

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Margarete Susman 19. Oktober [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen.

Heidelberg 19. X. Hochverehrte gnädige Frau! Ich habe s. Z. – nicht ohne Bedenken – mit geholfen, dem B[loch]’schen Buch diesen Verlag zu gewinnen.1 Dr B[loch] hat dann vor Kurzem mich in einer Art um Intervention im Interesse des Abdruckes Ihrer Besprechung bei Dr S[imon] ersucht, die mir schlechthin widerwärtig war. Ich hätte ihm nur antworten können, daß ich persönliche Beziehungen in dieser Art nicht zu verwenden gewohnt bin.2 Auf eine solche Intervention würde es auch hinauslaufen, wenn ich jetzt ad hoc Dr S[imon] zur Rede stellte. Das ist selbstredend nicht Ihre Absicht, wie keiner Bemerkung bedarf. Sondern Sie finden Dr S[imon]’s Verhalten unrichtig und wollen ein Urteil darüber, ob ich auch dieser Ansicht bin. Natürlich muß ich ihn dazu hören und das kann nur „gelegentlich“ |:gesprächsweise, wenn ich Dr S[imon] einmal wieder sehe,:| geschehen, weil es sonst wie der Versuch eines Drucks auf die Zeitung aussehen würde, den ich niemals ausübena würde.

a unternehmen > ausüben 1 Weber hatte einem Brief an Mina Tobler vom 9. Aug. 1916 (MWG II/9, S. 488) zufolge dafür Sorge getragen, daß ein „Aufsatz“ von Ernst Bloch als Buch gedruckt wurde. Bei der Empfehlung handelt es sich vermutlich um ein Schreiben an den Geschäftsführenden Direktor von Duncker & Humblot, Ludwig Feuchtwanger, vor dem 9. Aug. 1916 (MWG II/9, S. 487), welches offensichtlich von diesem an Bloch zur Kenntnisnahme weitergeleitet wurde und von dessen Inhalt nur noch ein Exzerpt bekannt ist. Bei dem Artikel handelt es sich um Blochs „Philosophie der Musik“, abgedruckt in seinem erst zwei Jahre später veröffentlichten Buch: Geist der Utopie. – München und Leipzig: Duncker & Humblot 1918, S. 79– 234. 2 Gemeint ist eine Rezension in der FZ, deren Leiter Heinrich Simon war. Wie aus dem folgenden hervorgeht, hatte Simon seiner alten Bekannten Margarete Susman die Veröffentlichung ihrer Rezension über Blochs soeben erschienenes Buch zunächst verweigert, wenig später aber doch akzeptiert. Die Rezension Margarete Susmans, betitelt: „Geist der Utopie“, ist erschienen in: FZ, Nr. 30 vom 12. Jan. 1919, 1. Mo.Bl., S. 1 f. Eine weitere – allerdings sehr kritische – Besprechung folgte einige Monate später: Bekker, Paul, Musik und Philosophie, ebd., Nr. 263 vom 8. April 1919, 1. Mo.Bl., S. 1 f.

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Ich bin an sich Gegner jeder „Rücksichtnahme“ auf die Dummheit des politischen Publikums. Aber ich müßte erst wissen, was (genau) vorlag und welche Motive Dr S[imon] grade damalsb haben konnte, sich so wie geschehen zu verhalten. Sonst kann ich nicht urteilen. Und eine Pflicht zur „Rechtfertigung“ kann ich Dr S[imon] nicht zumuten. Daß er aus subjektiv mißbilligenswerten Motiven handelt, glaube ich in keinem Fall. Ob er sich objektiv geirrt hat, müßte ich erst untersuchen. Ich freue mich, Ihrem Brief zu entnehmen, daß mein Eindruck, daß das Buch – neben dem elendesten Litteratengewäsch! – auch wertvolle, nach Ihrer Ansicht offenbar sehr wertvolle Dinge enthält, nicht unrichtig ist. Ich habe gegen B[loch]’s Eigenart weitgehende Toleranz, aus guten Gründen. Aber die Formlosigkeit und Anmaßlichkeit |:–:| und dann: die Unreife! – großer Partien, die ich zu lesen suchte, waren mir derart zuwider, daß ich das Buch bei Seite legte und vorerst nicht lese. Eben deshalb wünschte ich sehr das Erscheinen Ihrer Rezension. Aber dazu thun kann ich nichts – und Das war ja auch nicht der Zweck Ihres Briefs! Welch ein Segen, daß unser Freund Simmel die letzten Wochen nicht mehr zu erleben hatte! 3 Mit besten Empfehlungen auch meiner Frau und in besondrer persönlicher Hochschätzung Ihr sehr ergebenster Max Weber

b 〈hatt〉 3 Georg Simmel war am 26. September 1918 in Straßburg verstorben.

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Helene Weber 20. Oktober [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

Heidelberg 20.X Liebste Mutter! Artur muß seinen Verlust1 – ich nehme an, er schreibt die Wahrheit – ebenso ersetzen, wie andre Offi ziere. Seine Einnahmen (frage bitte Conrad jun.2 darnach) sind solche, daß er das leicht kann, ganz abgesehen von Deinem Zuschuß. 3 Diese Inanspruchnahme der Umzugsbeihilfe4 und das angebliche „Mißverständnis“ ist ein Skandal. Ich bitte Dich gar nicht darauf zu reagieren und ihm die Zustimmung zum Hausverkauf abzuverlangen mit dem Bemerken, daß sonst nichts mehr an ihn gezahlt werden könnte. Später, wenn Du Dein Geld bekommen hast, können wir überlegen, ob man ihm statt der Zahlungen ein kleines Kapital (10000 M.) geben soll. Aber erst müßte die Kaution frei sein, sonst ist Das unmöglich. Das dauert m.W. noch 1–1 1/4 Jahr. – Liebe Mutter, frag doch den Anwalt, ob die Sachen mit diesen Erklärungen so in Ordnung sind. 5 Ich kann das hier nicht feststellen. Es kommt auf den Grundbuch-Eintrag an, wie er lautet, und ob notarielle Beglaubigung genügt, wie ich einstweilen annehme, auch welche Art von Todes-Attest für Carl6 und ob ein Nachweis, daß sonst keine lebenden Kinder als wir da sind,a notwendig ist (ev. auch ein Kinderlosigkeits-Attest für Carl? – wegen möglicher Enkel?) Ich dachte, der Anwalt, den Clara den Vertrag machen ließ, würde das Ganze erledigen. Das wäre s. Z. das beste gewesen. Könnte Clara die Sache in die Hand a 〈ver〉 1 Der Sachverhalt konnte nicht ermittelt werden. 2 Konrad Mommsen, der älteste Sohn von Clara Mommsen, war wie Arthur Weber Militärangehöriger. 3 Arthur Weber erhielt von Helene Weber seit Jahren einen jährlichen Zuschuß von 3300 Mk. Vgl. den Brief an Lili Schäfer vom 6. Okt. 1912 (MWG II/7, S. 686). 4 Der Sachverhalt konnte nicht ermittelt werden. 5 Die Erklärungen stehen in Zusammenhang mit dem Verkauf des Hauses Marchstraße 7F in Charlottenburg. 6 Der jüngere Bruder Karl Weber war am 22. August 1915 an Kriegsverletzungen gestorben.

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nehmen, so wäre es das beste. Gieb ihr ev. diesen Brief und meine „Erklärung“. Von Lili erhältst Du bis ca. Donnerstag eine gleichartige. Aber die Sache muß, ehe Termin ist, vom Anwalt in Ordnung gebracht sein! Es steht noch nicht fest, ob und wann ich kommen kann. 1. XI – 4. XI bin ich in München, um dort zu sprechen.7 – Über das Schwere [,] was wir erleben – fast noch schwerer war die Jahre lange stille Sorge davor! – ein andres Mal! Den Kopf hoch halten! Nach dem Frieden giebt es zu thun. Wohl Dem, der mit Vollkraft dabei sein kann. Ich kann es höchstens mit halber. Von Herzen Dein Max

7 Am 4. November 1918 hielt Max Weber in einer öffentlichen Versammlung der Fortschrittlichen Volkspartei in München die Rede „Deutschlands politische Neuordnung“. Vgl. MWG I/16, S. 359–369.

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Karl Loewenstein 24. Oktober PSt 1918; Heidelberg Karte; eigenhändig Amherst College Library, Nl. Karl Loewenstein Der junge Karl Loewenstein hatte sich am 23. Oktober 1918 mit einem langen Brief aus München an Max Weber gewandt und um eine Beurteilung der politischen Lage gebeten. Seit Wochen sei er versucht, nach Heidelberg zu fahren, um angesichts des „allgemeinen Chaos“ und seiner „politischen Desorientierung“ Webers Rat einzuholen. Eine schriftliche Beantwortung seiner „unendlich viele[n] Fragen“ mute er Weber nicht zu, hoffe aber auf ein baldiges persönliches Treffen. Vor allem die militärische Lage und deren unabsehbare Folgen beschäftigten den Kriegsteilnehmer Loewenstein: „Die Wendung ist zwar von uns virtuell stets als unabwendbar vorausgesehen worden; jetzt, wo sie da ist, wird man von der Gewißheit, daß wir geschlagen sind, selbst erschlagen.“ Er beklagte, daß „die schlechte Sache der Entente über unsere gute Sache rein durch das mechanische Übergewicht der Masse und des Materials gesiegt hat“, und brachte seine Unsicherheit über die zu erwartenden politischen und ökonomischen Folgen einer deutschen Niederlage zum Ausdruck (Brief Karl Loewensteins an Max Weber vom 23. Oktober 1918, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).

Heidelberg 24/X Verehrtester Herr Doktor! Ich hoffe Sie am 4. XI. zu sehen. –1 Der Krieg ist nicht mehr zu gewinnen, das ist wahr. Aber da gilt das Wort des „Prometheus“: „Meinst Du . . .“ u. s. w. 2 Ich wenigstens verzweifle nicht, wie Andre es thun. Ein verlorener Krieg ist kein Gottesgericht. Allerdings: das Schicksal wurde herausgefordert und es hat sich gerächt. Aber das ist Alles. Was kommt, hängt davon ab, ob die neuen Leute feste Hände haben, um finanziellen Bankerott (durch Inflation) und Zusammenbruch der Ordnung zu hindern. Alles Andre fi ndet sich dann [.] Das Unglaubliche war und ist, daß der Monarch

1 Am 4. November hielt Max Weber auf Einladung der Münchener Fortschrittlichen Volkspartei seinen öffentlichen Vortrag „Deutschlands politische Neuordnung“ (vgl. MWG I/16, S. 359–369, sowie den Brief an Georg Hohmann vom 11. Okt. 1918, oben, S. 254). 2 Vermutlich in Anspielung auf einen früheren „Trostbrief“ an Karl Loewenstein vom 10. Febr. 1917 (MWG II/9, S. 593–596), in dem Weber Goethes „Prometheus“ – nicht ganz wörtlich – zitiert hatte. Auf Loewensteins Besorgnis über den deutschen U-Boot-Krieg hatte er damals geantwortet: „Möglich daß diesmal die Sache schief geht. Nun dann heißt es: ,Meinst du, ich soll in die Wüste gehen, weil nicht alle Blüthenträume reiften?‘ mit Prometheus“ (ebd., S. 595). Der vollständige Vers lautet: „Wähntest du etwa, / Ich sollte das Leben hassen, / In Wüsten fliehen, / Weil nicht alle Blüthenträume reiften?“ (zit. nach: Goethes Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Bd. 2. – Weimar: Hermann Böhlau 1888, S. 76–78, S. 77).

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nicht sofort den Weg fand, den die Würde gebot. 3 Alles stünde besser. Hoffentlich geschieht es noch vor Toresschluß. Auf Wiedersehen beste Grüße! Ihr Max Weber

3 Gemeint ist eine freiwillige Abdankung des Kaisers. Vgl. dazu die Briefe an Hans Delbrück und Gerhart v. Schulze-Gaevernitz vom 11. Okt., sowie an Friedrich Naumann vom 12., 17. und 18. Okt. 1918, oben, S. 257–261, 262 f., 272–274 und 275 f.

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Redaktion der Frankfurter Zeitung 27. Oktober [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Privatbesitz Weber gibt irrtümlich als Jahreszahl „19“ an. Am unteren Briefrand findet sich die handschriftliche Verlagsnotiz: „wunschgemäß zurück“. Das Schreiben bezieht sich auf einen beigefügten Artikel Max Webers über den am Vortag entlassenen Erich Ludendorff. Webers Artikel wurde von der Frankfurter Zeitung nicht angenommen, am 29. Oktober an ihn zurückgeschickt und muß heute als verloren gelten (vgl. MWG I/15, S. 782).

Heidelberg 27. X. 18a Sehr geehrte Redaktion, mir scheint es richtig, weil nobel, etwa das Anliegende grade jetzt1 über Ludendorff zu sagen. 2 Sollte er ein Tirpitz II werden, 3 dann kann man a O: 19 1 General Erich Ludendorff, für die Entscheidungen der Obersten Heeresleitung maßgeblich verantwortlich, war am 26. Oktober 1918 vom Kaiser entlassen worden. Hintergrund war zum einen das zunehmende Mißtrauen der neuen Regierung gegenüber der Zuverlässigkeit der OHL. Diese hatte Anfang Oktober das sofortige Waffenstillstandsersuchen durchgesetzt, im Verlauf des Notenwechsels vom Oktober 1918 eine Fortsetzung des Kampfes im Fall „ungünstiger“ alliierter Bedingungen dann nicht mehr ausgeschlossen – ohne allerdings klare militärische Zusagen machen zu können. Zum Eklat kam es, als ein Armeebefehl am 24. Oktober die dritte Note Wilsons eigenmächtig als unannehmbar bezeichnete und am Abend des 25. Oktober Hindenburg und Ludendorff in einer Besprechung Vizekanzler Friedrich v. Payer drängten, sich auf militärischen Widerstand festzulegen (vgl. Schulthess 1918, Teil 1, S. 395 f.). Die Entlassung des Generals galt der Regierung Prinz Max von Badens allerdings auch als Zugeständnis an Präsident Wilsons Demokratisierungsforderungen. 2 Hinweise zum Inhalt des Textes liefert ausschließlich die spätere Darstellung Marianne Webers (Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 662 f.). Danach entschloß Weber sich unter dem Eindruck der einsetzenden Pressekritik zu einer Rechtfertigung Ludendorffs, an dessen militärischer Kompetenz und persönlicher Integrität er zu diesem Zeitpunkt nicht zweifelte. Vor allem empfand er die öffentliche Verdammung des Feldherrn als feige und würdelos (Mommsen, Max Weber3, S. 316 f.). Laut Marianne Webers Inhaltsangabe forderte Weber, „das Ethos des großen Heerführers“ solle „nicht mit anderen als den ihm zukommenden Maßstäben gemessen werden“. Ein General müsse wagen (Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 662 f.). Ähnliche Worte für Ludendorff fand Weber nach überlieferten Zeitungsberichten auch in seiner Rede in Heidelberg am 2. Januar 1919, kritisierte dort indes – wie bereits im Krieg – die politischen Anmaßungen der OHL (vgl. „Deutschlands Wiederaufrichtung“, MWG I/16, S. 410–428, dort S. 417, 422 und S. 425). Zu Webers persönlicher Unterredung mit Erich Ludendorff am 30. Mai 1919 vgl. MWG I/16, S. 549–553, sowie die Vorbemerkung zum Brief an Erich Ludendorff vom 14. Mai 1919, unten, S. 605. 3 Alfred v. Tirpitz, von 1897 bis März 1916 Staatssekretär im Reichsmarineamt, war nach seiner Entlassung maßgeblich an der Agitation für den unbeschränkten U-Boot-Krieg be-

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um so nachdrücklicher das Frevelhafte und Spielerhafte seines Thuns hervorheben. Der Himmel gebe, daß es nicht nötig wird. Mit vorzüglicher Hochachtung Max Weber

teiligt. Im September 1917 hatte er zusammen mit Wolfgang Kapp die von Weber energisch bekämpfte „Deutsche Vaterlandspartei“ als Sammelbecken der radikalnationalistischen Opposition gegen die zivile Reichsleitung gegründet.

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Hans Delbrück 6. [November 1918]; BK München Brief; eigenhändig SBPK zu Berlin, Nl. Hans Delbrück, Fasz. Max Weber Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Weber gibt irrtümlich als Monatsangabe „X.“ an. Anlaß für Webers Aufenthalt in München war sein Vortrag „Deutschlands politische Neuordnung“, den er am 4. November 1918 bei einer Versammlung der Fortschrittlichen Volkspartei hielt (vgl. MWG I/16, S. 359–369, sowie den Brief an Georg Hohmann vom 11. Oktober 1918, oben, S. 254). Schon ehe die Revolution in München am 7. November begann, gärte es in der Stadt. Seit Ende Oktober hatte Kurt Eisner die Bildung einer Volksregierung und einen sofortigen Friedensschluß gefordert. Zur allgemeinen Kriegsmüdigkeit kam in Bayern die Angst, infolge von Kapitulation und Zerfall des benachbarten Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn noch Kriegsgebiet zu werden. Der Eindruck fortgesetzter Schwächung bzw. Abhängigkeit Bayerns vom Reich verschärfte antipreußische und partikularistische Tendenzen. Angesichts dieser Lage hatte Max Weber in seinem Vortrag nicht nur revolutionäre Experimente, sondern auch alle separatistischen Bestrebungen angeprangert (Bericht der Münchner Neuesten Nachrichten, MWG I/16, S. 363–366, insbes. S. 363), befürchtete er doch ein Auseinanderbrechen des Reiches und infolgedessen die völlige Ohnmacht Deutschlands gegenüber den Kriegsgegnern. Wie aufgeheizt die Stimmung war, bekam Weber dabei persönlich zu spüren. Ein Teil der Zuhörerschaft griff seine Ausführungen gegen einen Frieden um jeden Preis und gegen revolutionäre Aktionen scharf an (Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 639). Dies hinderte Max Weber nicht daran, nach seinem Vortrag mit einigen Zuhörern im Hause des USPD-Politikers Erich Katzenstein über die Chancen einer revolutionären Erhebung, den Friedensschluß und einen nationalen Verteidigungskrieg zu diskutieren (MWG I/16, S. 361). Zu letzterem sollte es nicht kommen. Am Abend des 6. November berichtete die Presse über die Abreise der deutschen Waffenstillstandsdelegation an die Westfront (FZ, Nr. 308 vom 6. November 1918, Ab.Bl., S. 1).

Hôtel Grünwald, München München, den 6. XI.a 191 Sehr geehrter Herr Kollege! Im Fall eines Aufrufs zur „nationalen Verteidigung“1 ist der Abfall Bayerns vom Reich automatisch vollzogen. Alle Parteien und Ina O: X. 1 Vgl. den Brief an Friedrich Naumann vom 18. Okt. 1918, oben, S. 276, Anm. 2. Zwischenzeitlich hatte Reichskanzler Max von Baden am 22. Oktober im Reichstag einen solchen Aufruf als Option für den Fall eines unannehmbaren Waffenstillstandes bezeichnet und am 28. Oktober das Kabinett die Möglichkeit einer Fortsetzung der Kampfhandlungen erneut diskutiert. Eine Entscheidung sollte aber erst in Kenntnis der alliierten Bedingungen getroffen werden. Nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns und der sich zuspitzenden inneren Lage wurden Durchführbarkeit und politische Wirkung eines „nationalen Widerstandes“ Anfang November allerdings zunehmend pessimistisch bewertet. Das Kabinett

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stanzen hier sind darüber – privatim – klar und nichts kann den Vorgang ändern.2 Damit ist also zu rechnen. Daß kein konservativer Preuße, vom Adel oder Militär, dem Kaiser das völlig Unmögliche seiner künftigen persönlichen Lage beigebracht hat und daß er jetzt, um Dem zu entgehen, von seinem Posten, der in Berlin ist, desertiert, ist furchtbar und kann der Zukunft der Dynastie nur zum Unheil ausschlagen. 3 Daß ich öffentlich für deren Erhaltung eintrat,4 hat hier nur Kopfschütteln hervorgerufen, so abweichend die „offi ziellen“ Erklärungen auch klingen. Es ist und bleibt würdelos, sich so an den Thron zu klammern, nachdem man sich vor einem amerika-

entschied daher in seinen Sitzungen am 5. und 6. November, im Einvernehmen mit den Militärs, umgehend einen Waffenstillstand zu schließen. Vgl. Matthias/Morsey (Bearb.), Die Regierung des Prinzen Max von Baden, Dok. 129, S. 526–545, und Dok. 131a–c, S. 547– 558. 2 Woher Weber die vertraulichen Informationen bezog, ist nicht exakt zu rekonstruieren. Belegt sind seine Diskussion am 4. November im Haus des USPD-Politikers Erich Katzenstein sowie ein Treffen mit Else Jaffé, deren Ehemann Edgar kurz darauf in die revolutionäre Regierung Eisner eintrat (vgl. den Brief an Else Jaffé vom 12. Nov. 1918, unten, S. 297, Anm. 7). Wie er am 8. November Hermann Oncken (unten, S. 291 f.) mitteilte, verfügte Weber zudem über Informationen von liberalen bayerischen Politikern. Offizielle Schritte zu einem Separatfrieden seitens der bayerischen Regierung sind bis heute nicht nachgewiesen, entgegen den damals zahlreich kursierenden Gerüchten. „Reichstreu“ waren unter den bayerischen Parteien die Liberalen und die MSPD unter Führung Erhard Auers, letztere verlangte jedoch weitere politische Reformen, v. a. die Abdankung des Kaisers. Uneindeutig war dagegen die Haltung beim Bayerischen Bauernbund und beim Zentrum (später BVP), der größten Partei im Landtag. Deren Fraktionsvorsitzender, Heinrich Held, soll nach Darstellung des Liberalen Ernst Müller-Meiningen die Idee eines Sonderfriedens bei Verhandlungen der Regierung mit den Parteivertretern ins Gespräch gebracht haben. Die Münchener USPD vertrat Anfang November zwar einen bayerischen Weg in der Friedensfrage. Kurt Eisner beabsichtigte aber keine Abspaltung vom Reich, glaubte vielmehr durch eine bedingungslose bayerische Friedenspolitik die Voraussetzungen für einen gerechten Frieden für ganz Deutschland schaffen zu können. Vgl. Albrecht, Willy, Landtag und Regierung in Bayern am Vorabend der Revolution. Studien zur gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklung Deutschlands von 1912–1918. – Berlin: Duncker & Humblot 1968, insbes. S. 398 f. und 402–406, Grau, Bernhard, Kurt Eisner 1876–1919. Eine Biographie. – München: Beck 2001, S. 346 f. und 386–388, sowie: Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918, ihre Voraussetzungen, ihr Verlauf und ihre Folgen, hg. von Karl Bosl. – München, Wien: Oldenbourg 1969. 3 Am Abend des 29. Oktober war Wilhelm II. ins Große Hauptquartier nach Spa abgereist, was allgemein als Flucht vor der offen ausbrechenden Abdankungsdiskussion verstanden wurde (vgl. Webers Brief an Hermann Oncken vom gleichen Tag, unten, S. 289, Anm. 3). 4 Im Vortrag „Deutschlands politische Neuordnung“ am 4. November. Dort kritisierte er erneut, daß kein „charaktervoller Konservativer“ dem Kaiser zum rechten Zeitpunkt die Abdankung nahegelegt habe, und begründete sein Plädoyer für einen freiwilligen Thronverzicht mit dem Interesse an der Erhaltung der Hohenzollerndynastie, der „deutschen Dynastien überhaupt“ und „der Einheit des Reiches“ (MWG I/16, S. 363).

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nischen Professor5 hat bücken müssen. Ich verstehe nicht, daß sich Niemand fand und fi ndet, der das Nötige so nachdrücklich sagt, daß es nicht überhört werden kann. Ich wollte das doch gesagt haben, obschon es jetzt wohl zu spät ist. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr Max Weber

5 Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson hatte bis 1910 als Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Princeton gelehrt.

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Hermann Oncken 6. [November] 1918; München Abschrift; maschinenschriftlich ohne Anrede und Schlußformel, mit handschriftlichen Korrekturen und Zusätzen von Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 8, Bl. 102–103 In der Orts- und Datumszeile der Abschrift ist irrtümlicherweise als Monat der Oktober angegeben. Zum Kontext vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Hans Delbrück vom 6. November 1918, oben, S. 286.

München, 6. 11.a 18.

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Ich berichte über hiesige Eindrücke: im Fall eines Aufrufes zur nationalen Verteidigung ist der Abfall Bayerns vom Reich eine automatisch sich vollziehende Tatsache. Keine hiesige Instanz und keine hiesige Partei ist anderer Meinung,1 und der König wird um der Erhaltung der Krone willen keinerlei Wahl haben. 2 Da schmachvoller Weise der Kaiser aus Berlin desertiert ist – denn nur um der Erörterung des Thronverzichtes |:zu entgehen:| ist er entwichen – und da kein konservativer preußischer Politiker ihn darauf hingewiesen hat, daß seine Lage unwürdig und ganz unhaltbar wird, wenn er nicht verzichtet, so bleibt an ihm von jetzt |:an:| das Odium haften, die voraussichtlich furchtbaren Bedingungen des Waffenstillstandes und Friedens verschuldet zu haben, indem er sich an den Thron klammert. 3 a In Abschrift: 10. 1 Vgl. hierzu den Brief an Hans Delbrück vom gleichen Tag, oben, S. 286 f., Anm. 1 und 2. 2 Schon am Abend des folgenden Tages floh König Ludwig III. vor den revolutionären Ereignissen aus München, am 8. November war Bayern Republik. In der am 13. November veröffentlichten Anifer Erklärung entband Ludwig III. die bayerischen Beamten, Offiziere und Soldaten von ihrem Treueeid, sprach einen formellen Thronverzicht allerdings ebensowenig aus wie sein Sohn, Kronprinz Rupprecht. 3 Wilhelm II. war am 29. Oktober von Berlin ins Große Hauptquartier nach Spa abgereist. Seine Umgebung hatte ihn zu diesem Schritt gedrängt, da davon auszugehen war, daß der Monarch sich im Kreis seiner Generäle standhafter gegen die seit Ende Oktober offen vorgetragenen Abdankungsforderungen zeigen würde. Tatsächlich scheiterte eine Mission des preußischen Innenministers Wilhelm A. Drews, der dem Kaiser am 1. November die Lage schonungslos verdeutlichen sollte. Wilhelm lehnte eine Abdankung ab, schrieb zwei Tage später an einen Vertrauten: „Ich denke nicht daran, wegen der paar 100 Juden und der 1000 Arbeiter den Thron zu verlassen.“ Er werde die „Antwort mit Maschinengewehren auf das Pflaster schreiben, und wenn ich mir mein Schloß zerschieße, aber Ordnung soll sein“. Zit. nach Röhl, John C. G., Wilhelm II., Bd. 3: Der Weg in den Abgrund 1914–1941. – München: Beck 2008, S. 1242. Da der Kaiser bei seiner Haltung blieb, verkündete Max von Baden am 9. November schließlich dessen „Abdankung“.

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Die Folgen für künftig lassen sich denken. Ich weiß unter solchen Umständen nicht mehr, was man reden oder öffentlich sagen soll. Daß sein Verzicht alles ändern würde, ist – via Schweiz – unter der Hand zu verstehn gegeben worden.4 Es wird sehr schwer werden – wie ich es hier getan habe5 – für die Erhaltung der Dynastie sich einzusetzen, wenn das so bleibt. . .b

b Ende der Abschrift mit Auslassungszeichen. 4 Entsprechende Berichte waren am 28. und 30. Oktober auch im Kabinett behandelt worden. Vgl. Matthias/Morsey (Bearb.), Die Regierung des Prinzen Max von Baden, Dok. 100, S. 397–411, dort S. 398; ebd., Dok. 127a, S. 509–524, S. 514 (mit Anm. 23). Als Quelle benennt Klaus Schwabe James McNally, den amerikanischen Vizekonsul in Zürich. Seine – nach Schwabes Untersuchung nicht mit Washington abgesprochene – Mitteilung, die Abdankungsfrage würde Waffenstillstands- und Friedensbedingungen direkt beeinflussen, leiteten sowohl Fürst Ernst v. Hohenlohe-Langenburg als auch der deutsche Gesandte in Bern, Gisbert Freiherr v. Romberg, nach Berlin weiter. Vgl. Schwabe, Klaus, Deutsche Revolution und Wilson-Frieden. Die amerikanische und deutsche Friedensstrategie zwischen Ideologie und Machtpolitik 1918/19. – Düsseldorf: Droste 1971, S. 203–207. 5 Im Vortrag „Deutschlands politische Neuordnung“ am 4. November (vgl. hierzu Anm. 4 zum Brief an Hans Delbrück vom 6. Nov. 1918, oben, S. 287).

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Hermann Oncken 8. November 1918; o. O. Abschrift; maschinenschriftlich ohne Anrede und Schlußformel, mit handschriftlichen Korrekturen von Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 8, Bl. 106 Zum Kontext des Briefes vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Hans Delbrück vom 6. November 1918, oben, S. 286.

8. 11. 18.

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Zur Kenntnis der Lage in Bayern Folgendes; für jetzt streng vertraulich: der Zentrumsvorsitzende Abg[eordneter] Held, jetzt inzwischen Minister,1 trat vor 14 Tagen im Abgeordnetenhaus vor mehreren Hörern an den Vorsitzenden der Liberalen2 mit dem Bemerken heran: die Parole „Treue zum Reich“ in den Kundgebungen der Linken werde doch wohl besser vermieden, da man nicht wisse, was aus dem Reich werde, und da es doch Vorteile bringen könnte, dasselbe sich selbst zu überlassen3 und mit Deutsch-Österreich zusammen zu gehen4 – auch

1 Heinrich Held, Fraktionsvorsitzender des Zentrums im bayerischen Landtag, sollte nach den Verfassungsreformen vom 2. November Minister ohne Geschäftsbereich im designierten Kabinett Otto v. Dandls werden. Mit der Ausrufung der bayerischen Republik durch Kurt Eisner in der Nacht zum 8. November und der Bildung der provisorischen Regierung Eisner-Auer am Nachmittag des 8. November wurde die Ernennung dieses Reformkabinetts allerdings obsolet. Offensichtlich war Weber diese Entwicklung beim Verfassen seines Briefes noch nicht bekannt. 2 Gemeint ist sehr wahrscheinlich Ernst Müller-Meiningen, seit 1910 Vorsitzender der Fortschrittlichen Volkspartei in Bayern und seit 1905 Mitglied der Abgeordnetenkammer im bayerischen Landtag. 3 1920 berichtete der liberale Politiker Georg Hohmann in der Münchener Presse über eine entsprechende Äußerung Helds, die am 29. Oktober 1918 anläßlich einer durch die Liberalen beantragten Treuekundgebung zum Reich gefallen sein soll. Held habe erklärt, man könne sich nicht in einem Augenblick an das Reich ketten, in dem die Möglichkeit bestehe, daß es auseinanderfalle. Bayern dürfe sich nicht an das Schicksal Preußens binden. Vgl. Fenske, Hans, Konservativismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918. – Berlin und Zürich: Gehlen 1969, S. 115, Anm. 8. Die Forderung eines Zusammenschlusses mit den „stammesverwandten“ deutschösterreichischen Ländern vertrat im November 1918 neben Heinrich Held auch das Zentrumsmitglied Georg Heim, kurz darauf Mitbegründer der Bayerischen Volkspartei. 4 Infolge des seit Ende Oktober 1918 sich rasant vollziehenden Auflösungsprozesses der Habsburgermonarchie war am 21. Oktober in Wien eine provisorische Nationalversammlung des „selbständigen deutsch-österreichischen Staates“ zusammengetreten, am 30. Oktober folgte die Wahl des Sozialdemokraten Karl Renner zum Staatskanzler. Die Staatsform „Deutsch-Österreichs“, das die mehrheitlich deutschsprachigen Gebiete umfassen sollte, blieb zunächst offen. Erst am 12. November erklärte sich Deutsch-Österreich zur

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fi nanziell (Reichsschulden). Leider hat die Tatsache schon mindestens 100 Mitwisser, da sie auf der fortschrittlichen Vertreterversammlung in Nürnberg („vertraulich“) mitgeteilt und besprochen wurde, |:was sehr:| inopportun war.a – Nach einer öffentlichen Versammlung, in der ich die Loslösungsideen verspottet und an die Kündigung des Zollvereins vor 11 Jahren und den damaligen Ausgang der Zolltrennung erinnert hatte, 5 wurde ich von einem Ingenieur antelephoniert, der diese Gründe für z. Zt. ganz unstichhaltig erklärte und auf meine Bemerkung: „Sie möchten es doch versuchen“ nur erwiderte: „das werden wir auch“. Daß der Hof das Ganze nicht ungern sieht, weiß jedermann, „reichstreu“ ist nur die Linke, bei den Sozialdemokraten mit dem Vorbehalt, daß Wilhelm II. fort müsse, widrigenfalls man an nichts glaube.6 – Im übrigen war die Stimmung durch die Bank auch bei den besten Männern, so extrem für Frieden auf jeden Fall – da jeder Versuch, den Widerstand zu organisieren zur sofortigen Anarchie führe, daß es zum Verzweifeln war.

a In Abschrift: war; demokratischen Republik, nachdem Kaiser Karl I. am Vortag auf alle Regierungsgeschäfte verzichtet hatte. 5 Vgl. Webers Münchener Vortrag „Deutschlands politische Neuordnung“ vom 4. November 1918 (MWG I/16, S. 359–369, S. 363). Die angesprochenen zollpolitischen Äußerungen finden in den überlieferten Presseberichten allerdings keine Erwähnung. 6 Zur Haltung der bayerischen Parteien vgl. den Brief an Hans Delbrück vom 6. Nov. 1918, oben, S. 287, Anm. 2.

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Volksbund für Freiheit und Vaterland 8. November 1918; Heidelberg Telegramm BA Berlin, 61 Vo 2 (Volksbund für Freiheit und Vaterland), Nr. 6, Bl. 169 Max Webers Telegramm beantwortet eine undatierte Anfrage des „Volksbund für Freiheit und Vaterland“, „nächste oder übernächste Woche in Dortmund [. . .] in großer öffentlicher Versammlung aller Gewerkschaften und mit Volksbund verbundener Vereine über Aufgabe von Volksbund und Volksregierung zu sprechen“ (BA Berlin, 61 Vo 2 (Volksbund für Freiheit und Vaterland), Nr. 6, Bl. 168). Der „Volksbund“, den Weber seit dessen Gründung im Herbst 1917 unterstützte, intensivierte im Oktober 1918 seine Versammlungstätigkeit. Gegründet als Sammlungsbewegung gegen den Radikalnationalismus der „Deutschen Vaterlandspartei“, bekannte er sich in der Umbruchsphase 1918 öffentlich zur Regierung Max von Badens. Er setzte auf eine konsequente Parlamentarisierung des Reiches, außenpolitisch auf einen „Rechtsfrieden“ und die Idee des Völkerbundes (vgl. FZ, Nr. 300 vom 29. Oktober 1918, 1. Mo.Bl., S. 1). Zur geplanten Dortmunder Rede Webers kam es aus organisatorischen Gründen und aufgrund der Entwicklung der politischen Verhältnisse nicht. Wie aus einem Brief des Berliner Geschäftsführers des „Volksbundes“ vom 15. November hervorgeht, hätten die sich überstürzenden politischen Ereignisse in Dortmund dazu geführt, daß bei den freien und christlichen Gewerkschaften Zurückhaltung eingetreten sei: „Sie wollen sich augenscheinlich vorbehalten, ob bei der jetzigen politischen Entwicklung die Arbeit des Volksbundes noch Aussicht auf Erfolg verspricht und nach welcher Richtung hin.“ Das Schreiben des Berliner Geschäftsführers schloß mit der Hoffnung, daß, wenn die Arbeit des Volksbundes weitergeführt werden solle, „Sie uns dann Ihre freundliche Mitarbeit zur Verfügung stellen“ (Brief Martin Wencks an Max Weber vom 15. November 1918, BA Berlin, 61 Vo 2 (Volksbund für Freiheit und Vaterland), Nr. 6, Bl. 170).

= ende naechster woche bereit = max weber. +

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Hermann Oncken [ca. 11. November 1918]; o. O. Abschrift; maschinenschriftlich ohne Anrede und Schlußformel, mit handschriftlichen Korrekturen von Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 8, Bl. 106–107 Das Datum ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Hintergrund ist die politische Lage in Baden. Seit Bildung der ersten Arbeiter- und Soldatenräte am 8. November hatte der Umbruch sich dort ohne größere Unruhen vollzogen. Am 10. November war unter Einbeziehung der bürgerlichen Parteien eine „Badische vorläufige Regierung“ gebildet worden. Über die künftige Staatsform Badens war zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden. Auch als am 13. November Großherzog Friedrich II. vorläufig auf seine Regierungsgewalt verzichtete, sollte die endgültige Entscheidung über die Staatsform einer verfassunggebenden Landesversammlung vorbehalten bleiben. Am 14. November erklärte die provisorische Regierung auf Druck der Räte Baden dann aber zur „Freien Volksrepublik“. Am 22. November dankte der Großherzog ab. Anlaß des Schreibens an Hermann Oncken war eine Anregung des durch die revolutionären Ereignisse völlig erschütterten Heidelberger Historikers Karl Hampe. Auf seine Initiative hin versuchten Oncken und Eberhard Gothein, „eine große Senatssitzung zustande zu bringen, damit die Universität zu den Dingen nicht völlig schweige, die sie schon hinsichtlich ihres Rektors magnificentissimus wahrlich nahe genug angehen“. Die Initiative zur Unterstützung des badischen Großherzogs, zugleich Rektor der Universität Heidelberg, scheiterte allerdings an mangelnder Unterstützung. Vgl. Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, S. 776–778 (Eintrag vom 11. November 1918), Zitat S. 777.

In München habe ich einer tobenden Volksversammlung vor 8 Tagen zugerufen: Das Spielen mit der Revolution bedeutet, daß man sein Bedürfnis Worte zu machen spazieren führe auf Kosten des Proletariats, welches später, bei der zu erwartenden rücksichtslosen Reaktion viele Jahre lang die Kosten zahlen werde.1 Nun die Revolution da ist, gilt das Gleiche für das Spielen mit der Konterrevolution und darauf würde m. E. ein papierner Protest des Senats hinauskommen, 2 hinter dem keine Macht stände und stehen kann, anders vielleicht, wenn die Universität – der ganze Lehrkörper erklärte: „er erwarte, daß die Grundfragen der Verfassung, also auch die Dynastiefragen, nicht durch Minderheits1 Bei seinem Münchener Vortrag „Deutschlands politische Neuordnung“ am 4. November 1918 (MWG I/16, S. 359–369). Der Bericht der Münchner Neuesten Nachrichten referierte Weber: „Was würde das Ergebnis einer Revolution sein: der Feind im Lande und später dann eine Reaktion, wie wir sie noch nie erlebt haben. Und dann wird das Proletariat die Kosten zu zahlen haben.“ (ebd., S. 364 f.). 2 Nicht nur Max Weber äußerte Einwände gegen einen universitären Protest. Karl Hampe notierte am 11. November 1918 in seinem Tagebuch: „Wie ich nachmittags hörte, war aber bei den übrigen Kollegen gar nichts zu machen.“ Er war empört darüber, daß das Wort ‚monarchisch‘ fast schon verpönt sei und fand „diese politische Klugheit moralisch schäbig“. Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, S. 777.

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akte, sondern durch – freie! – Volksabstimmung entschieden würdena.“3 Da ich die Dynastie erhalten sehen möchte und über den Ausfall einer – freien – Abstimmung nicht im Zweifel bin, würde ich das mitmachen. Aber vom strikten Legitimitätsstandpunkt aus ist ja das kaum akzeptabel und der wieder ist für mich nicht bindend. Wenn einige von uns sich für den Fall, daß unsere Arbeit gewünscht würde [,] für Verwaltungsaufgaben zur Verfügung stellten, so unter Vorbehalt unserer Überzeugung, wie ausdrücklich bemerkt wurde. Im übrigen: nur falls man uns ruft, was bisher nicht der Fall ist. Die ganze Lage ändert sich ja, da wir „neutrales Gebiet“4 – leider vielleicht auch Okkupationsgebiet [ – ] werden und die Soldaten abziehen.5 Eine bloße Diskreditierung der einzigen organisierten Macht, die Plünderung hindern kann und die schamlose Behandlung der Offi ziere abgestellt hat,6 nur um der „Geste“ willen, hielte ich für politisch sinnlos und überdies ohne inneren Wert. Das Rad, welches durch das würdelose Zögern des Kaisers und schließlich durch seine Desertion ins Hauptquartier ins Rollen kam,7 wird schon wieder rückwärts rollen – vielleicht nur zu sehr. a In Abschrift: würde; 3 In seiner am 17. November in Heidelberg gehaltenen Rede konkretisierte Weber: Die Staatsform müsse durch eine frei gewählte Konstituante, die Frage des Staatsoberhauptes eventuell durch ein besonderes Plebiszit beschlossen werden. Entscheidend sei die Staatsform des Reiches, da in einer Republik dynastische Verfassungen der Einzelstaaten zwar formal möglich, aber „sachlich nicht haltbar seien“ („Die zukünftige Staatsform Deutschlands“, MWG I/16, S. 370–375, S. 373). 4 Am 11. November wurde in Compiègne das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Darin vorgesehen war rechtsrheinisch eine neutrale Zone von der holländischen bis zur Schweizer Grenze. Einzelheiten wurden allerdings erst nach und nach bekannt. 5 Vgl. zu diesen Befürchtungen Webers seine Briefe an Else Jaffé vom 12. Nov. 1918, unten, S. 296, und an Otto Crusius vom 24. Nov. 1918, unten S. 318. Weber schloß im November 1918 eine schlimmstenfalls völlige Okkupation Deutschlands durch die Alliierten nicht aus, wie er schon am 4. November in seiner Münchener Rede und erneut am 17. November bei der Versammlung der Fortschrittlichen Volkspartei in Heidelberg (MWG I/16, S. 370–375, S. 372) ausführte. 6 Die vorläufige Regierung in Karlsruhe hatte am 11. November in einer Bekanntmachung vor „Gewalttaten und Zuchtlosigkeiten“ aufs schärfste gewarnt. Vgl. Arbeiter-, Soldatenund Volksräte in Baden 1918/19, bearb. von Peter Brandt und Reinhard Rürup (Quellen zur Geschichte der Rätebewegung in Deutschland 1918/19, Bd. 3). – Düsseldorf: Droste 1980, Dok. 6, S. 425. Daß vor allem in Mannheim, aber auch in Heidelberg „halbwüchsige Burschen“ den Offizieren und Mannschaften Achselklappen und Waffen abgenommen hätten, berichtet auch: Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, S. 776 f. (Eintrag vom 10. Nov. 1918). 7 Für Max Weber hatte die Flucht des Kaisers ins Große Hauptquartier am 29. Oktober die Angst der Massen vor einem Staatsstreich und damit die Revolution unmittelbar provoziert. Vgl. „Die zukünftige Staatsform Deutschlands“, MWG I/16, S. 370–375, S. 372 f.

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Else Jaffé 12. November [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

Hbg 12.XI Liebe Else, schönsten Dank für den anmutigen und sehr erfreulichen Brief. Nun werden Sie in Unruhe sein, bis, hoffentlich schleunigst, Nachrichten aus Berlin da sind, – da ja die Schießereien Nachts sind und A[lfred] weit draußen wohnt, sicherlich: beruhigende.1 Aber ich kann mir denken, daß Ihnen die Zeit bis dahin lang wird. Hier ist der sog. „Karneval“ in reguläre Bahnen gelenkt, fade und „prosaisch“ wie solche „Revolutionen“ jetzt eben sind.2 Wir werden „neutrales“ Gebiet3 und dann wohl leider auch Okkupationsgebiet, denn ich halte den Einmarsch der Entente gegen diese Revolution (bzw. unter deren Vorwand) für ziemlich sicher. Man fühlt diese furchtbare Erniedrigung und den qualvoll häßlichen Tod des alten Deutschland jetzt nur als dumpfes Vorgefühl

1 Am 9. November 1918 hatte die Revolution auf Berlin übergegriffen, wo Alfred Weber in Charlottenburg, Lindenallee 25, wohnte. Am 13. November 1918 schrieb Else Jaffé an Marianne Weber (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)): „Von Berlin ging die Post bisher ganz wunderbar gut. Alfred war – trotzdem er die Sache doch in den letzten Tagen durchaus hatte kommen sehen – zuerst auch ganz entsetzt über die Art – richtig bolschewistisch lauter dumme Jungens und Weiber, meinte er.“ 2 Als die revolutionären Ereignisse am 9. November 1918 die Universitätsstadt Heidelberg erreichten, verhinderte ein Zweckbündnis aus sozialdemokratischen Funktionären um Christian Stock und Kommunalpolitikern unter Oberbürgermeister Walz eine gewaltsame Eskalation. Der örtliche Arbeiter- und Soldatenrat, zu dem auch Max Weber gehörte, beschäftigte sich schnell mit den Problemen der Lebensmittel- und Brennstoffversorgung, der Arbeitsvermittlung und -beschaffung. Vgl. Mühlhausen, Walter, Christian Stock. 1910– 1932; vom Heidelberger Arbeitersekretär zum hessischen Ministerpräsidenten (Schriftenreihe des Stadtarchivs Heidelberg. Sonderveröffentlichungen, Band 6). – Heidelberg: Guderjahn 1996, S. 41 ff. 3 Max Weber schloß aus den Bedingungen des Waffenstillstandsabkommens vom 11. November 1918, daß Heidelberg zu einer rechts des Rheins auf 10 km Breite von der holländischen bis zur Schweizer Grenze verlaufenden neutralen Zone gehören würde (vgl. Mommsen, Wolfgang J., Max Weber in America, in: American Scholar, Jg. 69, 2000, S. 155). Tatsächlich lag die badische Universitätsstadt laut Meldung der Heidelberger Zeitung Nr. 267 vom 14. Nov. 1918, S. 2, aber außerhalb dieses Gebietsstreifens (vgl. dazu auch die Karte in der Heidelberger Zeitung Nr. 269 vom 16. Nov. 1918, S. 21).

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Dessen, was künftige Jahre über innerlich (und auch wohl äußerlich in Manchem) wird gelitten werden müssen. – – Eben kommt Ihr Brief an Marianne, der auch von A[lfred] spricht; aber das können keine sehr neuen Nachrichten sein. Ich habe auch noch keine von den Unsrigen.4 Aber nun Sie? – „Excellenz?“ – Receptions, mit Würde und unvergleichlicher Anmut geleitet?5 Marianne und mich interessierte und, vor Allem: erfreute, das weit mehr als die sonstigen Vorgänge da bei Ihnen. Nur ist sie natürlich sehr neidisch, – denn siea hält mich nun mal mindestens zum Reichskanzler prädestiniert, und jetzt? – ich werde Ihrer Patronage bedürfen, um es zu was zu bringen! – wüßte ich nur: zu was?6 Unser Einer ist wahrlich eine höchst überflüssige Luxus-Existenz geworden, darüber darf man sich nichts vorreden und vorreden lassen, ohne deshalb weniger sich nach der Sonne zu strecken und das Heitere und Leichte neben der schwermütigen Schönheit in all dem wunderbar wilden Maskentanz dieses Lebens auf Erden zu lieben, – wenn es, zumal, gewähren sollte, daß auch weiterhin so, wie es geschah, „besondre Stunde besondre Gnade“ bringt, – so wie es in München diesmal war.7 Denn wenn ich Sie auch wieder ziemlich stark geplagt habe – nun hoffentlich einmal zum wirklich letzten Mal – so war mir a O: Sie 4 Vermutlich bezieht Max Weber sich auf seine Mutter Helene Weber und seine Schwester Clara Mommsen, die in Berlin lebten. 5 Edgar Jaffé war seit dem 8. November 1918 Finanzminister in der bayerischen Revolutionsregierung von Kurt Eisner. Max Webers Anspielung auf Edgar Jaffés neue Würde sowie auf Else Jaffés daraus abgeleitete repräsentative Rolle werden deutlich aus deren Brief an Marianne Weber vom 13. Nov. 1918 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)). Vgl. dazu auch die Editorische Vorbemerkung zu Max Webers Brief an Else Jaffé vom 15. Nov. 1918, unten, S. 303. 6 Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 633, zitiert aus einem Brief von Fritz Cohn an Helene Weber vom 2. Okt. 1918, demzufolge Max Webers Jugendfreund „das Gefühl nicht loswerden [könne], daß die innere politische Krise, in der wir uns befinden, nur durch einen Mann gelöst werden könnte, und das ist ihr Sohn Max“. „Cohns Brief über Max ist rührend, aber Viele denken so“, kommentierte Marianne Weber dessen Meinung in ihrem Brief an Helene Weber vom 20. Okt. 1918 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446), äußerte aber weiter: „Ob Max freilich R[eichs]K[anzler] werden könnte – gesundheitlich – das weiß ich nicht, aber es gäbe ja andre bescheidenere Posten u. ich muß sagen, daß ich ihm zureden würde sich auf jedes Risiko hin einzusetzen. Es ist nur zu fürchten, daß man einen Nicht-Parlamentarier nicht heranzieht. Indessen ich hoffe u. warte noch auf seine Stunde.“ 7 Max Weber hatte Else Jaffé während seines erst wenige Tage zurückliegenden Aufenthalts in München getroffen (Briefe von Else Jaffé an Alfred Weber vom 4., 5. und 6. Nov. 1918 (BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 79, Bl. 228–243)).

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dann umso wunschloser zu Mut und wie beim Schauen auf ein morgenlichtbeglänztes stilles Meer bei dem Blick in das volle Laub –, und nachher. – Von Arbeiten ist keine Rede vorerst, man kommt innerlich weder zu sich noch zu etwas. Wie und wann das anders wird, soll mich wundern. Aber es kommt ja doch wieder die Zeit, wo es nicht nur heißt: „damals war Lenz“ – sondern wo auch etwas von der Fortsetzung gelten wird.8 Wenn auch vielleicht, wogegen ich gar nichts hätte, in einem netten Dachstübchen, fern und ganz einsam. Marianne läßt sehr schön grüßen und verlangt ausdrücklich, ich solle bestellen: daß „von allen Ihren Männern“ (!) nun nur E[dgar] J[affé] einen solchen Adlersflug unternommen hätte, sei ungerecht. Ich dagegen sage: „Allah ist groß! – nun biste Fürst Nu sag’ mir bloß – was Du noch wirst“ – wie der „Kladderadatsch“ 1871 Bismarck andichtete9 – und lege mich pfl ichtschuldigst zu Füßen herzlich Ihr Max

8 Der Anfang der zweiten Strophe von William Shakespeares zwölftem Sonett lautet in der Umdichtung von Stefan George in Gänze: „Damals war lenz und unsre liebe grün/ Da grüsst ich täglich sie mit meinem sang./ So schlägt die nachtigall in sommers blühn/ Und schweigt den ton in reifer tage gang.“ Vgl. Shakespeare, William, Sonnette. Umdichtung von Stefan George. – Berlin: Georg Bondi 1909, S. 108. Max Weber hat dieses Sonett nicht nur in den Briefen an Else Jaffé vom 15. Jan. 1919, 22. Jan. 1919 und 9. April 1919, unten, S.400, 407 und 567, nochmals zitiert, sondern ebenfalls in seiner Rede „Politik als Beruf“ vom 28. Jan. 1919 (MWG I/17, S. 153) und in deren Druckfassung (MWG I/17, S. 251). 9 Vgl. Kladderadatsch, 24. Jg., 1871, Nr. 14 und 15, S. 58. Dort lauten unter der Überschrift „An Otto“ die ersten Verse wörtlich mit Berliner Zungenschlag: „Allah is jroß!/ Nu bist du Fürst!/ Nu sag’ mir bloß,/ Was du noch wirst?“

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[Kurt] Goldstein 13. November 1918; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich mit handschriftlichen Korrekturen von Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 10, Bl. 125–126 Als Adressat ist in der Abschrift „Prof. Goldstein“ angegeben. Marianne Weber zufolge hatte Max Weber kurz vor Ausbruch der Revolution in einem Kreis „junger Leute“ in Frankfurt eine Diskussion über Pazifismus und Gewalt in der Politik geführt, wobei seine Ausführungen die revolutionär eingestellten Anwesenden eher „verdrießt“ hätten. Im Anschluß an diese Diskussion sei Prof. Goldstein, ein „älterer Pazifist“, schriftlich an Weber herangetreten. In seinem Brief habe er Weber getadelt, „daß er seinerzeit die Heidelberger Studenten in ihrer Bedrängnis allein gelassen und mit Sophismen abgespeist habe, indem er ihnen die ,Versucher‘-Frage stellte, ob sie bereit seien, ihr ganzes Leben nach den Lehren der Bergpredigt einzurichten“. Nach Marianne Webers zusammenfassender Darstellung beschrieb Goldstein zugleich seine persönlichen Überzeugungen: Er selbst betrachte es „als Vorbedingung zur moralischen Wiederaufrichtung der Menschen, daß jeder Einzelne sich zur Schuld am Kriege bekenne, vor allem aber die Intellektuellen“ (zit. nach Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 614). Ernst Fraenkels Mitschrift zu Webers Vortrag „Die politische Lage Ende 1918“ von Oktober/November 1918 in Frankfurt (MWG I/15, S. 750–754) erwähnt als aktiven Diskussionsredner ebenfalls einen „Professor Goldstein“, der nach Fraenkel über Webers Ausführungen sichtlich erregt war (ebd., S. 750). Die Anwesenheit in Frankfurt deutet auf Kurt Goldstein hin, der 1918 die Leitung des Frankfurter Neurologischen Instituts übernommen hatte und an der dortigen Universität lehrte. Goldstein, ein Vetter Ernst Cassirers, war sowohl mit der Familie Edinger (vgl. den Brief an Anna Edinger vom 18. März 1918, oben, S. 98–100) als auch mit Margarete Susman gut bekannt. Er interessierte sich für philosophische wie friedenspolitische Fragen (vgl. Susman, Margarete, Ich habe viele Leben gelebt. Erinnerungen. – Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1964, S. 92).

Heidelberg, den 13. 11. 18 Sehr geehrter Herr Kollege!

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Ich danke sehr für Ihren freundlichen eingehenden und ernsten Brief, den ich gern ausführlicher beantworten würde, als die hiesigen Verhältnisse es jetzt gestatten.1 Entschieden zurückweisen muß ich Ihre Bemerkung, ich hätte die Studenten hier 1917 „im Stich gelassen.“2 Ich 1 Im Nachlaß Kurt Goldsteins (Columbia University Libraries, Archival Collections, Kurt Goldstein Papers 1900–1965) ist keine Korrespondenz mit Max Weber überliefert (laut schriftlicher Auskunft vom 5. 11. 2010). 2 Weber bezieht sich auf die überregional Aufsehen erregenden Vorfälle an der Universität Heidelberg Ende 1917: Ernst Toller, im Wintersemester 1917/18 Student in Heidelberg, hatte einen kleinen „Kulturpolitische[n] Bund der Jugend in Deutschland“ angeführt und war federführend an mehreren studentischen Aufrufen gegen die Beschränkung der Meinungsfreiheit und die Agitation der „Deutschen Vaterlandspartei“ beteiligt. Ein gegen Mili-

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habe den reichlich unreifen, aber zum Teil ernsten jungen Leuten bei Vorlegung ihres „Aufrufs“3 angeboten mit ihnen die Sache eingehend in einer Besprechung zu erörtern. Das wurde abgelehnt – warum? ist nicht meine Sache. Darauf habe ich dema Führer: Herrn Toller gegenüber die Verantwortung für Derartiges abgelehnt.4 Als er wegen seiner Generalstreikrede verhaftet war, 5 führte ich sofort meine Vernehmung als Zeuge durch das Kriegsgericht herbei. Was ich da gesagt habe ist eine Sache für sich. Er wurde aus der Haft entlassen.6 bEinen distanzlosenb Brief eines jungen eitlen Bürschchens, welches sich von mir bei meiner – sehr freundlich gehaltenen – Antwort in einer Versammlung a In Abschrift: den

b In Abschrift: Ein distanzloser

tarismus und die „Anmaßung der Vaterlandspartei“ gerichteter Aufruf führte zum Eklat. Als ein „Universitätsprofessor“ ihn am 11. Dezember 1917 anonym publizierte und einen erschreckenden Mangel an ,vaterländischem Empfinden‘ anprangerte, folgten scharfe Angriffe der rechten Presse gegen die Heidelberger Universität (vgl. Webers Brief an das Göttinger Tageblatt vom 24. Dez. 1917, MWG II/9, S. 845–848, insbes. S. 847 f., Anm. 5 und 6). Infolge des Aufrufs wurden mehrere der studentischen Mitunterzeichner aus Baden ausgewiesen. Toller selbst verließ Heidelberg Ende Dezember und ging nach Berlin (vgl. Hempel-Küter, Christa, und Müller, Hans-Harald, Ernst Toller: Auf der Suche nach dem geistigen Führer. Ein Beitrag zur Rekonstruktion der ,Politisierung‘ der literarischen Intelligenz im Ersten Weltkrieg, in: Literatur, Politik und soziale Prozesse. Studien zur deutschen Literatur von der Aufklärung bis zur Weimarer Republik. – Tübingen: Niemeyer 1997, S. 78– 105, S. 91–95 und 97). 3 Unklar ist, ob Weber hier den studentischen Aufruf gegen die Vaterlandspartei (wie Anm. 2) anspricht. In seiner Zeugenaussage zugunsten Ernst Tollers vom März 1918 (vgl. Anm. 6) bezog er die Ablehnung seines Diskussionsangebotes auf die programmatischen „Leitsätze für einen kulturpolitischen Bund der Jugend in Deutschland“, abgedruckt in: Ernst Toller. Gesammelte Werke, hg. von Wolfgang Frühwald und John M. Spalek, Bd. 1: Kritische Schriften, Reden und Reportagen. – München: Carl Hanser 1978, S. 31–34. 4 Schon in seinem Leserbrief an das Göttinger Tageblatt vom 24. Dez. 1917 (MWG II/9, S. 845–848) hatte Max Weber sich gegen Unterstellungen verwahrt, er und Hermann Oncken seien die Initiatoren des studentischen Kreises. Er distanzierte sich dort vom „alldeutschen Heldentum des Mundes“ ebenso wie von „irgend welchem persönlich noch so ehrlich gemeinten Pazifismus“ (ebd., S. 846 f.). 5 Toller, der in Berlin Kurt Eisner begegnet war, reiste Mitte Januar 1918 nach München. Dort trat er während der Januarstreiks als Redner für einen Verständigungsfrieden hervor, woraufhin er am 3. Februar verhaftet und ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet wurde (vgl. Hempel-Küter und Müller, Ernst Toller (wie Anm. 2), S. 98–103). 6 Weber wurde am 12. März 1918 vor dem Landgericht Heidelberg als Zeuge vernommen. In seiner „Zeugenaussage in der Untersuchungssache gegen Ernst Toller“ bescheinigte er Toller eine absolute „Ehrlichkeit u. Ernstlichkeit“ seiner sittlichen und politischen Überzeugungen, betonte zugleich aber, daß Toller „durch die Kriegseindrücke seelisch sehr stark angegriffen u. nervös erschüttert“, deshalb anfällig für äußere Einflüsse gewesen sei (BA Berlin, R 3003/C 24/18, Bd. 2, Bl. 91–93, Zitate ebd., Bl. 91; ediert in MWG I/25). Die Untersuchungshaft wurde am 6. April aufgrund medizinischer Gutachten aufgehoben, das Verfahren schließlich eingestellt.

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auf seine Friedensreden wohl nicht wichtig |:genug:| genommen fühlte, habe ich scharf beantwortet – unter Billigung der anderen.7 Also: Sie sind falsch berichtet [.] Ich kann mich natürlich auch auf die Behauptung: meine Erinnerung an Revolution, Streik u. s. w. sei „versucherisch“ nicht einstellen: Ich verstehe sie einfach nicht. Entweder – oder! Entweder dem Übel nirgends mit Gewalt widerstehen, dann aber: – so leben wie der heilige Franz und die heilige Klara oder ein indischer Mönch oder ein russischer Navordnikc.8 Alles andere ist Schwindel oder Selbstbetrug: – Es giebt für diese absolute Forderung nur den absoluten Weg: den des Heiligen. Oder: ddem Übeld mit Gewalt widerstehen wollen, weil |:man:| sonste mitverantwortlich |:dafür:| ist. Daß gerade der Bürgerkrieg oderf sonstige Vergewaltigung – wie jede Revolution mindestens, allermindestens als „Mittel“ zum Zweck sie anwendet – „heilig“ sein soll, gerechte Kriegsnotwehr dagegen nicht [,] ist und bleibt mir schlechthin ein Rätsel. Wenn jetzt Polen in Danzig undg Thorn9 oder Tsche-

c In Abschrift: Navordnik |:(?):| d Ihm > dem Übel e 〈dafür〉 und

f 〈die〉 g oder >

7 Es handelt sich um den Studenten Bernhard Schottländer, Mitglied in Tollers „Kulturpolitischem Bund“. Vgl. Webers „Zeugenaussage in der Untersuchungssache gegen Ernst Toller“ (wie Anm. 6, hier Bl. 92). Näheres ist zum Sachverhalt nicht bekannt. 8 Gemeint ist vermutlich der Narodnik, Anhänger der russischen Intellektuellenbewegung „narodnicˇestvo“. Um politisch aufzuklären und damit eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu erreichen, praktizierte diese Ende der 1860er Jahre die Strategie des „ins Volk gehen“. Nachdem eine Verhaftungswelle dem ein Ende setzte, entstand aus der Bewegung heraus eine Geheimorganisation, die statt mit friedlicher Propaganda durch Terror agierte. Vgl. MWG I/10, S. 764. 9 In den Vierzehn Punkten Präsident Wilsons war ein souveräner polnischer Staat mit gesichertem Zugang zur Ostsee vorgesehen, und schon Ende Oktober waren polnische Gebietsansprüche Gegenstand einer erregten Reichstagsdebatte gewesen (vgl. Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19, bearb. von Susanne Miller und Heinrich Potthoff (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Erste Reihe, Bd. 6), 2 Bde. – Düsseldorf: Droste 1969, Bd. 2, Dok. 73, S. 36–42, S. 40, Anm. 20 (hinfort: Miller/Potthoff (Bearb.), Die Regierung der Volksbeauftragten)). Nach Bildung einer unabhängigen polnischen Regierung in Warschau und der Übernahme des Oberbefehls über sämtliche polnischen Streitkräfte durch den zurückgekehrten Józef Piłsudski im November 1918 mehrten sich Pressemeldungen über die Entwaffnung deutscher Truppen und polnische Vorbereitungen zur Abtrennung deutscher Gebiete im Osten. Am 21. November beriet das Kabinett daher über die militärischen Möglichkeiten eines „Heimatschutzes“ im Osten (ebd., Bd. 1, Dok. 20, S. 114–123, dort S. 119–123), protestierte zudem zwei Tage später in einer Note an die alliierten Regierungen gegen Versuche Polens, Entscheidungen der Friedenskonferenz „mit Gewalt vorzugreifen“ (zit. nach: Schulthess 1918, Teil 1, S. 511 f.).

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chen in Reichenberg10 einziehen sollten, so ist das Erste: die deutsche Irredenta muß gezüchtet werden. Nicht ich werde das tun, denn ich bin selbst gesundheitlich |:zum Krieg:| untauglich. Aber jeder Nationalist muß es tun und vor allem die Studenten. Irredenta heißt: Nationalismus mit revolutionären Gewaltmitteln. Vielleicht ist es Ihnen so sympathischer als „Krieg“. Aber es ist dasselbe und das habe ich selbstredend gemeint und werde ich auch öffentlich sagen.11 Ich habe über die „Schuld“ der Anderen im Kriege geschwiegen, mich auch nicht an dem ekelhaften Moralisieren beteiligt, gleich ekelhaft auf beiden Seiten. Daher darf ich jetzt sagen: dies Wühlen in Schuldgefühlen, wie ich es mehrfach fi nde, ist Krankheit. Genau wie auf religiösem Gebiet das Geißlertum, auf sexuellem der Masochismus. Ich bin sicher: davon werden Sie sich wieder befreien. Die Politik der letzten zwei Jahre war frevelhaft, nicht weil sie Kriegspolitik, sondern weil sie leichtfertige Politik und verlogen war. Unsere Politik vor dem Krieg war dumm, nicht: ethisch verwerfl ich, davon ist gar keine Rede. Dabei bleibe ich. – Ob wir uns verständigen oder nicht – haben Sie Dank für Ihren Brief und den Ernst Ihrer Gesinnung. Mit vorzüglicher Hochachtung Max Weber.

10 Durch den Zusammenbruch der Habsburgermonarchie entwickelte sich ein Konflikt um „Deutsch-Böhmen“, das sich mit eigener Regierung in Reichenberg für selbständig erklärt hatte. Kurz darauf berichtete die FZ über Gerüchte, „daß die Tschechen DeutschBöhmen durch ihr neues Militär besetzen lassen wollen“ (FZ, Nr. 319 vom 17. Nov. 1918, 2. Mo.Bl., S. 2). Am 16. Dezember 1918 wurde Reichenberg tatsächlich besetzt. Vgl. Schulthess 1918, Teil 2, S. 118 f. 11 Von der Notwendigkeit einer „deutschen Irredenta“ hatte Weber schon am 4. November 1918 in seiner Münchener Rede gesprochen (MWG I/16, S. 359–369, dort S. 367). Er wiederholte diese Forderung in den folgenden Wochen mehrfach. Insbesondere Studenten und die junge Generation rief er zu nationalem, auch gewaltsamem Widerstand gegen die Abtrennung deutscher Gebiete im Osten auf. Vgl. „Deutschlands Lage“, Rede am 20. Dez. 1918 in Berlin (MWG I/16, S. 401–407, S. 407), „Deutschlands Wiederaufrichtung“, 2. Jan. 1919 in Heidelberg (ebd., S. 410–428, S. 424), zur Einordnung: Mommsen, Max Weber3, S. 335–338.

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Else Jaffé [15. November 1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Freitag“ und aus dem Bezug zum Brief von Else Jaffé an Marianne Weber vom 13. November 1918 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)), in dem Else Jaffé die Verhältnisse bei Edgar Jaffé im bayerischen Finanzministerium folgendermaßen schilderte: „In den ersten Tagen kam es mir hier ja wie ein Käsperletheater vor, nach allem was man hörte. Aber ich muß sagen, seitdem ich ein paar Stunden im Finanzministerium mit zu gehört habe, hat sich mein Urteil wesentlich verändert. Freilich, ein bissel lustig wars da auch [. . .]. Ich wurde von einem Amtsdiener in Livree, ganz im alten Stil empfangen, durch die nobeln Gänge geführt + im 2ten Empfangssalon des Herrn Staatsministers, einem schönen Empiresalon[,] auf das Sofa placiert. Erst unterhielt mich der Diener, halb in Unterwürfigkeit, halb bereits in demokratischer Vertraulichkeit. Dann, im Sanktuarium, Edgar am großen Schreibtisch, 4 Telefone, Amtssekretär, Privatsekretär, Boten, Schreibfräulein in ehrfürchtiger Reichweite um ihn herum, jeden Augenblick eine andere Deputation: ,der Herr Oberbürgermeister‘, ,die Hofbeamten von S[eine]r Majestät – na, vom früheren König halt‘ (verbessert sich der Diener mit gemachter Geringschätzung), ‚ein Herr vom Soldatenrat‘ u. s. w. u. s. w. Jedenfalls, Edgar gehört zu den Sterblichen, die einmal im Leben restlos glücklich waren. Er macht es aber gut, ist klar + energisch, hat gleich die Civilliste sich unterstellt, damit da alles geschont wird, Umlaufs [-] + Zahlungsmittel beschafft + hat das Vertrauen des [Ministerpräsidenten] Kurt Eisner, unseres Oberhauptes, der ja wohl ein richtiger ‚Prophet‘ ist[,] und der Bürgerlichen. Sehr merkwürdig war die ‚Verpflichtung‘ (statt Vereidigung) der Beamten (ich sah durch die Türspalte) [;] da standen sie alle, der alte Staatsrat, die Ministerialdirektoren – steif + zornig, + hörten sich Edgars Ansprache über ‚die neue Zeit‘ an – sie bleiben alle Gott sei Dank im Amt. Wenn es nur so weiter ginge – überall so ginge.“

H. Freitag Liebe Excellenz,1 –

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Ihr anmutiger Brief an Mar[ianne] – ich darf doch in dieser Zeit lesen, was Sie schreiben? – erlaubt mir |:(doch wohl?):| Ihnen wieder einen Gruß zu schicken. E[dgar] J[affé] als Chef der Kgl. bayr. Hofstaaten – und Sie hinter der Tür als Kontrolleur oder Regisseuse der feierlichen Eidesleistung – ich glaube die zornigen Herren würden sanfter dreingeschaut haben, wenn sie lieber von Ihnen ins Gebet genommen wären! – das ist ein Schauspiel, würdig, Lask zu ungezählten Bonmots zu begeistern, – wie sehr vermißt man ihn grade jetzt überhaupt! 2 Im Übrigen – er wird seine Sache schon gut machen, jedenfalls Torheiten hin1 Max Weber überträgt hier den Titel von Edgar Jaffé, des bayerischen Finanzministers, auf Else Jaffé. 2 Emil Lask war am 26. Mai 1915 gefallen.

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dern. Nur traue ich der Dauer vorerst noch nicht. Der Separatismus erhebt sein Haupt, 3 wird sich antisemitisch garnieren und ich fürchte sehr für den Zusammenhalt mit dem Reich, der doch die Hauptsache bleibt. Inzwischen vollzieht sich aus dem Elsaß unser Abzug mit Hohn und Spott4 – es ist furchtbar, weil nicht unverdient. In Berlin sehen ja die Dinge scheinbar weniger drohend aus als vor einigen Tagen, wo man jede Minute den „Spartacus“-Aufstand erwartete, 5 aber zu trauen ist auch da nicht. Giebt die „Constituante“ keine sozialistische Mehrheit, dann wird ihre Sprengung sicher versucht werden. Alles, von der Art der Verfassung an bis zum Umfang unsrer Einigung steht eben im Belieben der Entente, von deren Futter wir abhängig sind. Dabei muß man sagen, daß die Gewerkschaftler und die Mehrheit der Soldaten sich – ihrer Absicht nach – recht verständig benehmen. Hier z. B. ganz besonders.6 Aber eine „Neuordnung“, die Produkt dieser furchtbaren Niederlage und Schändung ist, wird schwerlich einwurzeln. Gewiß, an dem „Glauben“ kann man sich freuen, auch wenn man ihn nicht teilt. Aber man teilt ihn eben nicht, so fest mir sonst das Vertrauen auf unsre Zukunfta als solche steht. Und ich fürchte, wenn sich zeigt, daß Glaube zwar Berge versetzen, aber nicht ruinierte Finanzen und Kapitalmangel sanieren kann, wird die Enttäuschung – nach Allem, was den Menschen sonst schon genommen ist, für Viele grade der Gläubigsten unerträglich werden und sie innerlich bankerott machen.7 a 〈steht〉 3 Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs gab es in Bayern Tendenzen, aus dem Deutschen Reich auszutreten und statt dessen einen Zusammenschluß mit Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Oberösterreich zu suchen. Ein besonders lautstarker Wortführer war der im Bayerischen Kurier publizierende Mitbegründer der Bayerischen Volkspartei, Georg Heim; er griff Kurt Eisner mit antisemitischen Untertönen an. Bereits in den Briefen an Hans Delbrück vom 6. Nov. 1918, oben, S. 286 f., und an Hermann Oncken vom 6. und 8. Nov. 1918, oben, S. 289 und S. 291 f., hatte Max Weber sich sehr besorgt über den möglichen „Abfall Bayerns vom Reich“ bzw. bayerische „Loslösungsideen“ geäußert. Vgl. außerdem seine Rede „Deutschlands politische Neuordnung“ am 4. November 1918 in München (MWG I/16, S. 359–369). 4 Der militärische Abzug aus Elsaß-Lothringen war Bestandteil des Waffenstillstandsabkommens vom 11. November 1918. 5 Die Gruppe radikaler Sozialisten um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die sich Spartakusbund nannte, trat mit der Parole „Alle Macht den Räten“ für die „Freie sozialistische Republik“ ein. Nach dieser Gruppe wurden die am 5. Januar 1919 ausbrechenden gewaltsamen Unruhen „Spartakusaufstand“ benannt. 6 Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 12. Nov. 1918, oben, S. 296, Anm. 2. 7 Das Thema „Glauben“ hatte Else Jaffé in ihrem Brief an Marianne Weber (vgl. die Editorische Vorbemerkung) in bezug auf ihr Vertrauen in die revolutionären Kräfte in Bayern

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Michb nicht (wenn ich gesund bleibe und: arbeiten kann), denn ich kann „glaubenslos“ – in diesem Sinn – leben. – Schön ist noch immer das Licht und der leichte Nachherbstnebel, ich denke an die Bank auf der Wiese in Wolfr[atshausen] und den Gang an der Isar, den Blick in das rote Laub vor Allem: 8 – verborgene Mächte von tiefer und ruhiger Schönheit adelten die Außenwelt und – mögen die Menschen nun mehr garstig, oder wie Sie mit Recht sagen, mehr dumm sein – jedenfalls störte ihr Maskentanz und ihr Rüpelspiel nicht, sondern klang nur wie ferner Kirchweih-Lärm in einem umhegten Zaubergarten. – A[lfred] telefonierte in meiner Abwesenheit wegen der neuen |:bürgerlich:| republikanischen Partei an. Mar[ianne] trat bei.9 Ich bat sie zu telegrafieren, da ich das Programm erst kennen muß. Der Grund ist, daß hier und anderwärts der Versuch einer Einigung mit breiteren bürgerlichen Schichten gemacht wird, dessen Resultat noch nicht feststeht. Ich kann die Republik, nach zahlreichen öffentlichen Äußerungen, nur als unvermeidlich geworden hinnehmen, nicht als das Erwünschteste propagieren.10 Das wird mich wohlc ausschalten, obwohl ich diesen Standpunkt sehr nachdrücklich vertreten werde. Jedenfalls glaube ich nicht an eine Verwendung in politischer Mission, keinenfalls in irgend einer erheblichen, von der ja auch – d mir wenigstens – fraglich ist, ob ich mich eignen würde.11 Ob dann die Bedingungen für die „Bücher“ b O: Ich

c Alternative Lesung: nicht

d 〈ich〉

angeschnitten: „Du weisst, ich bin so geneigt, ein Zutrauen zu Kräften zu haben, die etwas von Glauben in sich zu tragen scheinen + ich fühle gerade das in der Bewegung hier so stark. Was dieser Glaube gestaltet, das ist dann eine andere Frage.“ 8 Zu Max Webers Erinnerungen an Else Jaffé, die in Wolfratshausen bei München wohnte, vgl. den Brief an dieselbe vom 12. Nov. 1918, oben, S. 296–298. 9 Alfred Weber arbeitete seit dem 12. November 1918 zusammen mit Theodor Wolff auf die Gründung der DDP hin. Für den Gründungsaufruf, der am 16. November 1918 veröffentlicht werden sollte, wollte er auch Max und Marianne Weber gewinnen. Letztere gehörte zu den etwa 60 Unterzeichnenden (vgl. Demm, Eberhard, Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 38). – Boppard am Rhein: Boldt 1990, S. 257). Max Weber trat erst später bei. 10 Am 22. November 1918 publizierte Max Weber ein pragmatisches Plädoyer für die Republik unter dem Titel „Die Staatsform Deutschlands. I“ in der Frankfurter Zeitung. Vgl. MWG I/16, S. 99–107. 11 Else Jaffé hatte sich im Brief an Marianne Weber (vgl. die Editorische Vorbemerkung) zu einem eventuellen politischen Engagement von Max Weber kritisch geäußert: „Die Eindrücke jener Münchner Versammlung – das will ich Dir noch sagen, haben mich darin nur bestärkt. Es war gewissermassen, als ob das Instrument zu differenziert + fein sei für die grobe Arbeit, die nötig ist. Eberz [. . .] sagte mir nachher: Für die politische Roheit – (er

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gegeben sein werden? Warten wir es ab. Mar[ianne] ist heut Nachmittag nicht da. Sie ist natürlich mit den Vorfragen der politischen Organisation der Frauen beschäftigt. – Wir freuen uns mehr[,] als Sie vielleicht denken [,] über jede Zeile von Ihnen. Mögen Sie noch weiter auf Engelsflügeln – wie Sie schreiben – durch diese Republik getragen werden und nur in Gemächern mit gallonierten12 Bediensteten Ihre Fuß diese wunderliche Erde betreten.13 Es denkt Ihrer Ihr Max

e O: ihr meinte es ganz in einem intellektuellen Sinn)[,] die jetzt herrscht, ist Max Weber nicht am Platz. Aber nun wird ja wohl die Not der Stunde anders entscheiden.“ 12 Von frz. Gallon, d. h. Tresse oder Borte. 13 Eine entsprechende schriftliche Äußerung Else Jaffés konnte nicht nachgewiesen werden. Max Webers Formulierung erinnert an Eduard Mörikes populäres Gedicht „Zum neuen Jahr“, dessen erste Strophe lautet: „Wie heimlicher Weise/ Ein Engelein leise/ Mit rosigen Füßen/ Die Erde betritt,/ So nahte der Morgen./ Jauchzt ihm, ihr Frommen,/ Ein heilig Willkommen,/ Ein heilig Willkommen!/ Herz, jauchze du mit!“ (vgl. Mörike, Eduard, Gedichte, in: ders., Sämtliche Werke, Band 1. – München: Callwey 1906, S. 122).

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Mina Tobler [15. November 1918; Heidelberg] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Ort und Datum sind aus dem Briefinhalt erschlossen. Der Brief ist an dem der Ausrufung des „Freistaates Bayern“ (das war in der Nacht auf den 8. November 1918) folgenden Freitag geschrieben worden und weist inhaltliche Parallelen auf zum Brief an Else Jaffé vom 15. November 1918, oben, S. 303–306. Die Schlußformel fehlt.

Liebes, –

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ich schicke Dir einen Gruß, da ich morgen nicht komme und doch innerlich mich drauf eingestellt hatte.1 Jeder Tag bringt vorerst noch üble Nachrichten – so die Szenen von Hohn und Spott, mit denen wir aus dem Elsaß abziehen2 (was hatten wir da an Empfi ndungen hineingetragen und welche Erinnerungen knüpfen sich für mich persönlich daran!), 3 die östlichen sehr trostlosen4 und die bayrischen, auf starke Absonderungsgelüste5 schließen lassenden Berichte. So wird es noch geraume Zeit weiter gehen, – irgend wann muß ja der Tiefpunkt unsrer Schmach erreicht sein. Aber man kann ihn jetzt gar nicht empfi nden, das wird Jahre der Verarbeitung kosten. Diese „Revolution“ ist doch auch ein toller Mummenschanz: nach E[lse] J[affé]’s Brief an Marianne aus München hat ihr Mann dort die hochadligen Kgl. Hofstaaten und sonstigen Funktionäre nach „Belehrung“ über den „Geist der neuen Zeit“ in Eid zu nehmen gehabt, mit ihr hinter der Türspalte |:(im Palais!):| – „steif und zornig“ hätten sie diesen Akt des kleinen Juden

1 Samstags besuchte Max Weber üblicherweise Mina Tobler. 2 Die Waffenstillstandsbedingungen der Alliierten vom 11. November 1918 forderten u. a. den sofortigen Abzug aus Elsaß-Lothringen. 3 Max Weber hatte 1883/84 und im Frühjahr 1885 in Straßburg, wo die verwandten Familien Benecke und Baumgarten lebten, seinen Militärdienst absolviert. 4 Mit der Proklamation der polnischen Republik am 3. November 1918 und der Ernennung von Józef Piłsudski zum Regierungschef am 11. November 1918 hatte das deutsche Generalgouvernement Warschau geendet und am 13. November 1918 der Abzug der deutschen Soldaten und Beamten begonnen (vgl. Purlitz, 1918, Bd. 2,2, S. 834–837). In den deutschen Gebieten im Osten spitzte sich die Situation zu. In Posen kursierten Gerüchte vom Anmarsch polnischer Legionäre. Deshalb habe, wie die FZ, Nr. 316 vom 14. Nov. 1918, 1 Mo. Bl., S. 2, berichtete, der dortige Arbeiter- und Soldatenrat eine Kommission an die Landesgrenze entsandt. 5 Zu den bayerischen Separatismustendenzen vgl. den Brief an Else Jaffé vom 15. Nov. 1918, oben, S. 304, Anm. 3.

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über sich ergehen lassen6 – das Ganze ist wirklich symbolisch für das Mesquine,7 welches „Revolutionen“ heut unvermeidlich an sich tragen. Echt und |:(relativ):| erquickend sind nur die ganz schlichten Leute, auch die Revolutionäre, die Arbeiterführer oder dergleichen sind und wirklich arbeiten, wie das die sehr einfach gearteten Leute hier wirklich thun. Davor habe ich immer unbedingt Respekt. Neulich war das Sich-Sehen arg abrupt und gedankenlos – Du mußt nach wie vor sehr vorlieb nehmen, äußerlich und leider auch innerlich, ich wollte es wäre erst einmal wieder anders – und das muß ja irgend wann kommen [.] – Ich klingle Montag |:an:| oder Dienstag an [.]

6 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Else Jaffé vom 15. Nov. 1918, oben, S. 303, mit dem Zitat aus Else Jaffés Brief an Marianne Weber vom 13. Nov. 1918, MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals). 7 Frz. für: Schäbigkeit.

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Helene Weber 19. November [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 278–279 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Die Datumskorrektur ergibt sich aus der Tagesangabe „Dienstag“: Der 18. November 1918 ist tatsächlich ein Montag gewesen. Max Weber ist also wohl bei der Datierung ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen.

Heidelberg Dienstag 19a /XI Liebe Mutter!

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Allerhand Unerwartetes und die ganzen Zustände jetzt ließen mich nicht zum Schreiben kommen. Von Deinem Geld habe ich 30000 Mark zu Carl Weber & Co überwiesen, wofür Du 20 000 Mk neue Stammanteileb (à 150% Kurs) erhalten wirst, die sich für Dich mit 5 1/2 – 6 1/2 % (von 30000 Mark) verzinsen werden.1 Ich halte diese Anlage für vorteilhafter als andre und auch für sicherer. Wegen Anlage des Restes korrespondierte ich mit Richard, doch konnte er vorerst nichts raten.2 Alles ist sehr undurchsichtig. Kriegsanleihe kannst Du noch etwas nehmen, hast sonst schon ziemlich viel. Ich werde Dir s. Z. weiter berichten. – Ich gehe für ein paarc Wochen nach Frankfurt (Baseler Hof) in die Zeitung, um da zu helfen. 3 Es ist politisch nützlich und Andres bietet sich jetzt nicht. Es ist schade, daß wir diese unglaublichen, teils tragischen, teils bizarren, teils ganz furchtbaren Ereignisse nicht zusammen durchleben, aber jetzt hierher zu kommen wäre vielleicht doch für Dich nicht zweckmäßig gewesen und nach Berlin komme ich nur, wenn man etwas von mir will, nicht um bloß herumzusitzen und herumzureden. Ich habe

a O: 18

b Stammaktien > Stammanteile

c O: par

1 Es handelt sich um die Investition eines Teils des Erlöses aus dem Verkauf von Helene Webers Charlottenburger Haus, Marchstraße 7F, in die Firma Carl Weber & Co. Vgl. den Brief an Clara Mommsen vom 9. Febr. 1920, unten, S. 916. 2 Ein Brief an Richard Müller, der in dieser Zeit das Familienunternehmen leitete, ist nicht nachgewiesen. 3 Max Weber arbeitete ab dem 21. November 1918 in Frankfurt a. M. an einer insgesamt fünfteiligen Artikelserie, die zwischen dem 22. November und 5. Dezember 1918 in der Frankfurter Zeitung sowie nochmals als Sonderabdruck am 14. Januar 1919 unter dem Titel „Deutschlands künftige Staatsform“ publiziert wurde (vgl. MWG I/16, S. 91–146).

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den Eindruck, daß Alfred die Sache sehr gut und zielbewußt macht, hoffe nur[,] er verbraucht sich nicht zu stark.4 Dieser Zusammenbruch Ludendorffs, 5 die Demoralisierung der Armee: Folge des ewigen Aufpeitschens der „Stimmung“ durch Versprechungen, die unmöglich erfüllt werden konnten, diese Kurzsichtigkeit und dieser Mangel an Augenmaß für das Mögliche, dann diese Würdelosigkeit des Kaisers und die Zerfahrenheit der Dilettantenregierung des Prinzen Max6 – das Alles war qualvoll. Lange werden wir daran zu verknusen haben, was unsrer Ehre geschah, und nur der Taumel der „Revolution“7 ist jetzt eine Art von Narkotikum dagegen für die Menschen, ehe die schwere Not kommt. Greulich ist auch das viele Phrasenwerk und deprimierend die vagen Hoffnungen und ganz dilettantischen Spielereien mit einer „glücklichen Zukunft“, die doch in der Ferne liegt, so fern wie je. Woran man sich freut, ist die schlichte Sachlichkeit der einfachen Leute von den Gewerkschaften, auch vieler Soldaten, z. B. im hiesigen „Arbeiter- und Soldatenrat“, dem ich zugeteilt bin.8 Sie haben ihre Sache ganz vorzüglich und ohne alles Gerede gemacht, das muß ich sagen. Die Nation als solche ist eben doch ein Disziplinvolk, – freilich wenn das einmal wankt, dann wankt, das sieht man ja, auch alles, auch im Innersten dieser Menschen. Entscheidend ist ja jetzt, ob die verrückte Liebknecht-Bande niedergehalten wird.9 Sie werden ja ihren Putsch machen, da ist nichts zu ändern. Aber es kommt drauf an, daß man ihn schnell niederwirft und dann nicht etwa wilde Reaktion treibt, sondern sachliche Politik. Das muß man hoffen, – wissen kann man es nicht. Geht es schlimm, dann

4 Alfred Weber hatte mit Theodor Wolff die Gründung der DDP am 16. November 1918 betrieben und war als Mitglied des Aktionsausschusses zu deren provisorischem geschäftsführenden Vorsitzenden bestimmt worden (vgl. Demm, Eberhard, Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 38). – Boppard am Rhein: Boldt 1990, S. 265). 5 Zu Max Webers Kritik an Erich Ludendorff vgl. den Brief an Friedrich Naumann vom 11. Okt. 1918, oben, S. 255 f. mit Anm. 3, sowie die Editorische Vorbemerkung zum Brief an denselben vom 17. Okt. 1918, oben, S. 272. 6 Max von Baden war am 3. Oktober 1918 zum Reichskanzler ernannt worden. 7 Am 9. November 1918 hatten sich die politischen Ereignisse überschlagen: Die Abdankung Wilhelms II. war verkündet worden, der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann hatte die Republik, Karl Liebknecht vergeblich die „Sozialistische Republik“ ausgerufen und Friedrich Ebert das Amt des Reichskanzlers übernommen. 8 Max Weber war laut Heidelberger Zeitung Nr. 264 vom 11. Nov. 1918, S. 4, von der Fortschrittlichen Volkspartei in den Heidelberger Arbeiter- und Soldatenrat entsandt worden. 9 Gemeint ist der „Spartakusbund“ um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

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muß man die Amerikaner, ob man will oder nicht, Ordnung schaffen lassen. Hoffentlich bleibt uns die Schande erspart, die Feinde schalten lassen zu müssen. Über all Dem denkt man fast nicht mehr an den Verlust von Metz und Straßburg!10 – sollte man es für möglich gehalten haben? Zu Tante Nixel gehe ich morgen,11 ehe ich nach Frankfurt fahre, bisher ging es noch nicht. In Örlinghausen hatten sie böse Tage, jetzt aber scheinen sie aufzuathmen.12 Wenn nur erst die Heimkehr der Truppen erledigt ist und dann irgend welche geordneten Truppen-Einheiten da sind, die man als sichere Waffenmacht in der Hand hat. Aber das liegt noch fern. Wir hoffen herzlich, daß Ihr Alle wohlbehalten seid und – vor Allem – in den sicher noch kommenden schwierigen Zeiten bleibt. Laß Dich in großer Liebe herzlich grüßen Dein getreuer Max

10 Gemäß den Waffenstillstandsbedingungen vom 11. November 1918 mußte ElsaßLothringen geräumt werden. 11 Emilie („Nixel“) Benecke, eine verwitwete und schwerkranke Schwester von Helene Weber, gehörte zu den aus dem Elsaß ausgewiesenen „Altdeutschen“, die sich nach 1871 dort angesiedelt hatten. Sie war in ihr Heidelberger Elternhaus, Ziegelhäuser Landstraße 17, zurückgekehrt und „spann dort ihren brüchigen Lebensfaden zu Ende“. So Weber, Marianne, Lebenserinnerungen. – Bremen: Storm 1948, S. 126. 12 Zur Situation von Max Webers Oerlinghauser Verwandten im November 1918 ist nichts Näheres bekannt.

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Mina Tobler [22. November 1918; Frankfurt a. M.] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Ort und Datum sind aus dem Briefinhalt erschlossen: Max Weber schrieb den Brief am Tag nach seiner Ankunft in Frankfurt am 21. November 1918, also am Freitag: Er entschuldigt sich, daß sein üblicher samstäglicher Besuch („morgen“) bei Mina Tobler deshalb entfiel.

Basler Hof Liebes, morgen wäre ich bei Dir – statt dessen kommt nur dieser Zettel. Ich tröste mich dadurch, daß ich jetzt doch zu sehr wenig zu brauchen bin. Noch immer lange nicht haben wir den Kelch bis zur Neige geleert, der Bürgerkrieg scheint leider sicher und wird die Okkupation herbeiführen. Der dumpfe Druck auf dem Herzen weicht nicht, physisch nicht und seelisch nicht. Da mache ich Dir keine Freude und mache mich bei Dir nicht so froh, wie ich möchte, und wie Deine große Schönheit es mir immer that. Irgend wann muß ja Alles einmal zu Ende gehen. Aber immer noch heißt es: wann? Hier bin ich ganz gut untergebracht und freue mich auf Arbeit, schreibe Artikel (ich schicke sie dann, wenn sie vollständig sind)1 und sitze in Redaktionskonferenzen mit wirklich sehr intelligenten und anständigen Journalisten – ein Völkchen [,] das ich, wenn sie tüchtig und sachlich sind, von jeher sehr goutiert habe. Besonders ein sehr netter, eifrig republikanischer Schweizer ist darunter, 2 mit dem ich mich stets zu streiten habe, weil er Alles nach Schweizer Muster machen will. Aber schon die Sprache freut mich zu hören. – Die Ernährung ist leidlich, mit München nicht zu vergleichen, 3 aber auskömmlich, wenn man hier etwas bei „Schepeler“, dem großen hiesigen „Penner“,4 ergänzt, 1 Max Weber arbeitete an einer insgesamt fünfteiligen Artikelserie, die zwischen dem 22. November und 5. Dezember 1918 in der Frankfurter Zeitung sowie nochmals als Sonderabdruck am 14. Januar 1919 unter dem Titel „Deutschlands künftige Staatsform“ publiziert wurde (vgl. MWG I/16, S. 91–146). 2 Unter den namentlich bekannten Journalisten der Frankfurter Zeitung jener Zeit war der Feuilletonredakteur Bernhard Diebold Schweizer. 3 Max Weber war in der ersten Novemberwoche anläßlich seines Vortrags „Deutschlands politische Neuordnung“ am 4. November 1918 in München gewesen (vgl. MWG I/16, S. 359–369) und konnte deshalb die Versorgungslage in beiden Städten gut vergleichen. 4 Ein Frankfurter und ein Heidelberger Feinkostgeschäft.

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wie ich es thue. Jetzt ist auch, mit dem Frieden in Sicht, Deine Seife angebrochen – eine unendliche Wohlthat, die ich täglich mir in dankbarem Gedenken zufüge. In die Stadt komme ich nicht – vielleicht Sonntag – sondern bin immer im Hotel oder auf der Redaktion. Man weiß noch nicht, ob Frankfurt nicht Okkupationsgebiet wird5 – es giebt „Bürger“, die das ganz gern sehen würden, aus reiner Angst vor den Sozzen! 6 Unglaublich diese Feigheit. Ich glaube ich werde Eurem Bundesrath doch noch Eins versetzen für die „Schauer der Bewunderung“7 – es ist schon arg! Qualvoll sind diese polnischen Dinge,8 – die Regierung ohne alle Truppen, gegen innen (Liebknecht) 9 wie gegen außen. Und wie schlecht wissen wir „Haltung“ zu zeigen und „das Gesicht zu wahren“! „Deutsche Form“ giebt es eben – außer den Couleurstudenten10 – nicht, keine Massengeste, wie sie jeder „Tschiak“a 11 und vollends, Franzose, oder auch Engländer eben hat. Gott besser’s. Zu erzählen ist sonst nichts, – leider. Aber ich wüßte gern, wie es Dir geht. Hier, von Allem abgezogen und einsam, noch weit mehr als zu Hause, wo ich jetzt doch immer nur mit dem Körper war, menschlich und geistig gleich steril. Was mußt Du, liebe Judit, für eine Engelsgeduld mit Deinem „grünen Heinrich“ haben, – die Keller’sche hat das ja auch a Unsichere Lesung. 5 Zur Ansicht, daß Frankfurt dem Brückenkopf Mainz und damit dem alliierten Besatzungsgebiet zugeschlagen werde, vgl. den Brief an Marianne Weber vom gleichen Tag, unten, S. 316 mit Anm. 9. 6 Auch: Sozen. Abschätzige Abkürzung für Sozialdemokraten. 7 Der Schweizer Bundespräsident hatte am 18. November 1918 dem belgischen König telegrafisch zu dessen Rückkehr nach Brüssel gratuliert: „Das schweizerische Volk, vertreten durch den Bundesrat, wünscht seine Stimme mit der Stimme aller Völker der Erde zu vereinen, die heute in einem Schauer der Bewunderung und des Jubels die Rückkehr des Königs der Belgier in seine Hauptstadt begrüßen. [. . . Seit Belgien vom Deutschen Reich überfallen wurde] haben Sie, indem Sie die Prüfung des Martyriums auf sich nahmen, den Gedanken der Ehre und des Rechtes aller neutralen Staaten in Ihrer Person verkörpert. Sie verkörpern heute im Glanz des Ruhmes die gesamte Gerechtigkeit. Unser Herz schlägt im Einklang mit dem Ihrigen. Die Freude aller Belgier ist die Freude aller Schweizer.“ Zit. nach FZ, Nr. 321 vom 19. Nov. 1918, 2. Mo.Bl., S. 2. 8 Vermutlich spielt Max Weber auf die Forderung der neuen polnischen Regierung unter Józef Piłsudski nach Wiederherstellung der polnischen Grenzen vor der Teilung von 1772 an. Damit war der Anspruch auf Posen, Westpreußen sowie Teile Oberschlesiens verbunden. 9 Vgl. die Briefe an Helene Weber vom 19. Nov. 1918, oben, S. 310 mit Anm. 9, und an Otto Crusius vom 24. Nov. 1918, unten, S. 318 mit Anm. 2. 10 Mitglieder farbentragender, politisch rechtsstehender Verbindungen. 11 Wortherkunft und -bedeutung konnten nicht geklärt werden. Aus dem Kontext ist zu vermuten, daß Max Weber damit Russen bezeichnete.

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gemußt und blieb ihm doch gut, obwohl er ihr doch „untreu“ war – und das bin ich nicht. Sondern nur: „verschüttet“ in einem tiefen Schacht, durch den ich im schmalen Sonnenstrahl fern Dein liebes Antlitz sehe, ohne Dich recht greifen zu können und Deine warme Hand zu fühlen.12 Das kommt noch am besten: im Traum. Heut Abend werde ich dasb „träumen“. Es grüßt Dich, schmerzlich und sehr lieb zugleich Dein M.

b Alternative Lesung: aber 12 Max Weber hatte Mina Tobler zu ihrem 34. Geburtstag am 26. Juni 1914 Gottfried Kellers Roman „Der grüne Heinrich“ (2 Bde. – Stuttgart, Berlin: Cotta 1914) mit der Widmung „Der Judit“ geschenkt. Seither nannte er sie in seinen Briefen häufig beim Namen dieser weiblichen Romanfigur, die den Helden Heinrich Lee durch ihre Sinnlichkeit in ihren Bann gezogen hat. Max Weber spielt hier auf die „Bohnenromanze“ im zweiten Kapitel an, in der Heinrich und die Magd Anna gemeinsam Bohnen lesen, was unvermutet in ein erotisches Spiel mündet, indem Hände durch den Bohnenberg Schächte graben und sich wie zufällig berühren.

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Marianne Weber [22. November 1918]; Frankfurt a. M. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Freitag“ und dem Briefinhalt: Max Weber schrieb den folgenden Brief am ersten Freitag nach seiner Ankunft in Frankfurt, wo er für die Frankfurter Zeitung arbeitete.

Basler Hof Freitag Abend Liebes Mädele,

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die Schreibtische sitzen voll, da muß ich mit Blei schreiben.1 Ich wohne ganz gut und nähre mich ausreichend – ergänze zum Frühstück die Marmelade durch etwas Leberwurst von „Schepeler“, dem hiesigen Penner, 2 schlief gestern ganz ordentlich, nachdem ich Abends noch mit Wichert, der mancherlei erzählte, zusammengesessen hatte. 3 In der Zeitung war ich gestern Nachmittag und heut in der Redaktionsversammlung, von morgen ab werde ich den Tag über dort arbeiten, Artikel4 und Entrefi lets5 machen und mit den z. T. recht gescheidten und angenehmen Leuten diskutieren. (Herr Guttmann6 ist leider nicht hier, sondern in Berna). Sehr „produktiv“ bin ich nicht, d. h. es geht nicht so frisch u. schnell wie früher wohl, man wird es den Artikeln wohl anmerken. Den Entgelt haben wir so vereinbart, daß außer den Hotelkosten 1000 M. gezahlt werden, so daß für den Schnauzel wohl ca ein Reinertrag von 800 M bleiben wird. Das geht ja doch immerhin, nicht? Er schmunzelt? Hoffentlich ist nun auch etwas zu thun! Denn dafür mich zu langweilen wäre mir doch zu teuer. Hier glaubt Jeder, daß der Bürgerkrieg in Berlin unvermeidlich ist und daß Deutschland dann erst Mal in Stücke geht, – es ist schon zum Verzweifeln. Allerdings 1 Max Weber fand keinen Platz an einem der mit Federhaltern bestückten Schreibtische des Hotels. 2 Ein Frankfurter und ein Heidelberger Feinkostgeschäft. 3 Fritz Wichert, ehemaliger Direktor der Mannheimer Kunsthalle und Privatsekretär Richard v. Kühlmanns, mit dem Max Weber in engerem Kontakt stand. 4 Max Webers fünfteilige Artikelserie erschien zwischen dem 22. November und 5. Dezember 1918 in der Frankfurter Zeitung sowie als überarbeiteter Sonderabdruck am 14. Januar 1919 unter dem Titel „Deutschlands künftige Staatsform“ (vgl. MWG I/16, S. 91– 146). 5 Eingeschobene (halbamtliche) Zeitungsnachrichten. 6 Politischer Redakteur der FZ.

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dürfte Wilson nochmals nachdrücklich erklären: Sozialisten liefere er kein Brot und gebe er keinen Frieden, das wurde heutea mitgeteilt.7 Aber den Banden Liebknechts8 wird das völlig einerlei sein. Sie plündern ja dann und was nachher kommt ist Wurst, denn dann verduften sie schleunigst. Was magst Du machen? Es ist noch nicht sicher, ob Frankfurt nicht doch Okkupationsgebiet wird (nach neuen Nachrichten), 9 – manche von dem feigen Bürgerpack wünschen das sogar! aus Angst vor den Sozzen!10 Hole sie der Teufel. Jedenfalls wären wir dann – durch Zensur – stärker getrennt als jetzt; ich bin übrigens auch so nicht sicher, ob ich so einfach hinüberrutschen kann. Ev. ist auch Sonntags zu thun. Lebwohl, bis Sonntagsbrief.11 Post bisher nicht. Es küßt Dich Dein Max

a gestern > heute 7 Eine entsprechende Erklärung des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson ist nicht nachgewiesen. Allerdings berichtete die FZ, Nr. 325 vom 23. Nov. 1918, Ab.Bl., S. 1, von kursierenden Presseberichten, wonach Wilson die Berliner Regierung „ernsthaft“ gewarnt habe, „in Berlin Unruhen zu dulden oder einen neuen Vertreter der Moskauer Sowjetregierung zuzulassen, da die Entente entschlossen sei, den Waffenstillstand zu kündigen, wenn diese Warnung kein Gehör finde“. Zuvor hatte der amerikanische Staatssekretär Lansing im Namen von Präsident Wilson am 13. November 1918 zugesagt, die von der deutschen Regierung erbetene Lebensmittelsendung „im günstigen Sinne zu erwägen“, sofern „in Deutschland die öffentliche Ordnung aufrecht erhalten wird und auch weiterhin aufrecht erhalten bleibt und daß eine gerechte Verteilung der Lebensmittel unzweifelhaft verbürgt werden kann“. Vgl. Schulthess 1918, Teil 2, S. 600 f., hier S. 601. 8 Vgl. die Briefe an Helene Weber vom 19. Nov. 1918, oben, S. 310 mit Anm. 9, und an Otto Crusius vom 24. Nov. 1918, unten, S. 317 f. mit Anm. 2. 9 Unter der Überschrift „Frankfurt neutrale Zone oder besetztes Gebiet“ berichtete die FZ, Nr. 324 vom 22. Nov. 1918, Ab.Bl., S. 2, über die Möglichkeit, daß Frankfurt insgesamt oder zum Teil aufgrund des Waffenstillstandsabkommens zum Brückenkopf Mainz und damit zum alliierten Besatzungsgebiet gehören könnte. 10 Abschätzige Abkürzung für Sozialdemokraten. 11 Der nächste überlieferte Brief an Marianne Weber datiert vom Dienstag, dem 26. November 1918, unten, S. 325 f.

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Otto Crusius 24. November [1918]; Frankfurt a. M. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 9, Bl. 6–7 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Seit dem 21. November 1918 arbeitete Max Weber in Frankfurt an seiner Artikelserie „Die Staatsform Deutschlands“ (vgl. die Briefe an Mina Tobler und Marianne Weber vom 22. November 1918, oben, S. 312–316), die zwischen dem 22. November und 5. Dezember in der FZ, in einer durch Weber im Dezember überarbeiteten Fassung im Januar 1919 zudem als Sonderabdruck unter dem Titel: Deutschlands künftige Staatsform (Zur deutschen Revolution, Flugschriften der Frankfurter Zeitung, Heft 2). – Frankfurt a. M.: Verlag der Frankfurter Societäts-Druckerei 1919 (MWG I/16, S. 91–146) erschien. Ob Webers Artikelserie Anlaß für seine Korrespondenz mit Otto Crusius war (vgl. auch den Brief vom 26. Dezember 1918, unten, S. 378–380), ist nicht belegt. Dokumentiert ist aber, daß der durch die Revolution zutiefst erschütterte Münchener Altphilologe Webers Beiträge anerkennend verfolgte. An Eduard Meyer schrieb Crusius am 29. November 1918: „[. . .] wie kann ich eine ,Wandlung‘ ,gutheißen’, wo ich nur ein Chaos sehe. Sehr scharf und zutreffend scheinen mir die letzten Ausführungen Max Webers in der Frankfurter Zeitung.“ (Brief Otto Crusius an Eduard Meyer vom 29. November 1918, BBAW, Akademiearchiv, Nl. Eduard Meyer, Nr. 511, Bl. 1–6).

Z. Z. Frankfurt Baseler Hof Sonntag 24/XI Lieber Herr Kollege, 5

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– ich bin z. Z. hier für ca 14 Tage in politischem Interesse. Wenn ich lange schwieg, geschah es, weil ich ziemlich sicher bin, daß wir noch immer nicht die Hefe dieses furchtbaren Kelches der Erniedrigung getrunken haben. Der wahnwitzige Hasard Ludendorffs,1 dann im Rückschlag diese „Revolution“ hat alle geordnete Macht aufgelöst, speziell in Berlin: wirklich „treue“ formierte Truppen hat die Regierung nicht gegen die Liebknecht’schen Banden, daher ihre unvermeid-

1 Das auf die OHL zurückgehende deutsche Waffenstillstandsersuchen war nach Webers Ansicht übereilt und kontraproduktiv (vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 319, sowie hier den Brief an Friedrich Naumann vom 11. Okt. 1918, oben, S. 255 f. mit Anm. 3). Zu seiner Kritik am „System des Generals Ludendorff“ Ende 1918 vgl. „Das neue Deutschland“, MWG I/16, S. 386–390, insbes. S. 388–390.

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liche Schwäche.2 Dauert diese Ochlokratie, 3 wie es zu erwarten ist [,] an oder vielmehr siegt sie (temporär) in einem Putsch, – der unbedingt kommt,4 – dann kommt die feindliche „Rettungs“-Okkupation, gerufen oder ungerufen. 5 So lange man das |:noch:| vor sich sieht, ist es schwer etwas öffentlich zu sagen. – Inzwischen versuche ich jaa die Erörterung mehr formaler Fragen in der „Frankf[urter] Zeitung“.6 So lange so massive technische und ökonomische Probleme den Kopf gefangen nehmen, wie dies jetzt der Fall ist und sein wird – es handelt sich um die nackte Existenz der Massen – kommt man zu den „Kultur“Problemen |:innerlich:| nicht recht. Auch von diesen steht die Arbeit an der Herstellung jener ganz nüchternen moralischen „Anständigkeit“, die wir |:– im Großen gesehen –:| hatten und die wir im Krieg verloren haben – der schwerste Kriegsverlust – durchaus obenan. Also ganz massive Erziehungs-Fragen. Mittel: nur das amerikanische: „Club“7 und exclusive, d. h. auf Auslese der Personen ruhende Verbände jeder Art schon in der Kindheit und Jugend, einerlei zu welchem Zweck: Ana Unsichere Lesung. 2 Erst am 6. Dezember beschloß der Rat der Volksbeauftragten das „Gesetz zur Bildung einer freiwilligen Volkswehr“, die ausschließlich dem Rat der Volksbeauftragten unterstehen und die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrechterhalten sollte. Die Umsetzung stieß auf Widerstände im Militär und wurde nicht konsequent vorangetrieben. Vgl. Kluge, Ulrich, Soldatenräte und Revolution. Studien zur Militärpolitik in Deutschland 1918/19. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1975, insbes. S. 247–250. 3 Griech.: Herrschaft des Pöbels, der Masse (óchlos); durch Polybios geprägter Begriff der griechischen Staatstheorie. Er bezeichnet die entartete Form der Demokratie (Volksherrschaft; Herrschaft Aller), in der statt des Strebens nach dem Gemeinwohl individueller Eigennutz und Habsucht handlungsleitend sind. 4 Diese Erwartung hatte Weber schon im ersten Teil seiner Artikelserie „Die Staatsform Deutschlands“ mit dem Hinweis auf jene „Elemente“ begründet, die nicht für, sondern von der Revolution lebten, sich „bequem und arbeitslos füttern lassen möchten“. Trotz der ideologischen Gutgläubigkeit der an der Spitze stehenden „Glaubenskämpfer“ sei dies das „Wesen sowohl des Bolschewismus in Rußland wie der verwandten Bewegungen bei uns“. Er schloß daraus: „Bei dieser Eigenart der Bewegung werden Putschversuche von ihrer Seite unter keinen Umständen ausbleiben.“ Hier zit. nach: FZ, Nr. 324 vom 22. Nov. 1918, 1. Mo.Bl., S. 1 (MWG I/16, S. 91–146, dort S. 104 f.). 5 Eine Okkupation war für Weber fast zwangsläufig, falls es nicht gelänge, die inneren Verhältnisse in Deutschland aus eigener Kraft zu stabilisieren und eine „legitime Regierung“ (durch Konstituante) zu etablieren. Sicher erwartete er sie im Fall eines Bürgerkrieges, gegebenenfalls sogar infolge eines deutschen Hilfeersuchens an die amerikanische Regierung. Vgl. „Die Staatsform Deutschlands. I“, in: FZ, Nr. 324 vom 22. Nov. 1918, 1. Mo.Bl., S. 1 (überarbeitete Fassung in MWG I/16, S. 91–146, S. 105 f.). 6 In der Artikelserie „Die Staatsform Deutschlands“. 7 In „Wirtschaft und Gesellschaft“, Abschnitt „Staat und Hierokratie“ (MWG I/22–4, S. 673 f.), charakterisiert Weber das amerikanische Vereins- und Klubwesen als eines der Zentren sozialen Lebens in der amerikanischen Demokratie.

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sätze dazu bei der „Freideutschen Jugend“.8 Andre Mittel kenne ich nicht, da das Autoritäre – dem ich ganz vorurteilslos gegenüberstehe – jetzt völlig versagt, außer in Form der Kirche. Ablehnung aller geistigen Narkotika jeder Art, von der Mystik angefangen bis zum „Expressionismus“. „Sachlichkeit“ als einziges Mittel der Echtheit und die Heranbildung des Schamgefühls – gegen den ekelhaften Exhibitionismus der innerlich Zusammengebrochenen – [,] welches allein „Haltung“ geben kann. Zur Zeit ist unser „Gesicht“ so zerstört [,] wie das keines Volks in ähnlicher Lage je gewesen ist, weder Athens nach Aigospotamoi9 |:und Chaironeia:|10 noch vollends Frankreichsb 1871[.]11 Schnöde [,] ungerecht und lieblos sind die jetzigen billigen Urteile, die – von Anhängern der zusammengebrochenen Hasardpartie natürlich – daran geknüpft werden. Über 4 Jahre Hunger, über 4 Jahre Kampfer- und Morphium-Spritzen der Stimmungsmache12 vor Allem – das hat so auch noch kein Volk über sich ergehen lassen müssen. Wir fangen noch einmal, wie nach 164813 und 1807,14 von vorn an, das ist der einfache Sachverhalt. Nur daß heut schneller gelebt, schneller gearbeitet und mit mehr Initiative gearbeitet wird. Nicht wir, aber schon die nächste Generation wird den Beginn der Wiederaufrichtung sehen. Natürlich geb 〈nach〉 8 Die Freideutsche Jugend war als Zusammenschluß verschiedener Verbände der deutschen Jugendbewegung bei deren Treffen auf dem Hohen Meißner im Oktober 1913 entstanden. Ihre Grundsätze waren lebensreformerisch und sozialkritisch. Freideutsche studentische Gruppen formierten sich in Abgrenzung zum traditionellen Korporationswesen. Vgl. Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, hg. von Christa Berg, Bd. IV: 1870– 1918. Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. – München: Beck 1991, S. 168–170. 9 Am Ende des Peloponnesischen Krieges wurde 405 v. Chr. die athenische Flotte dort fast völlig vernichtet. Infolge der anschließenden Blockade mußte Athen bedingungslos kapitulieren. 10 Schlacht 388 v. Chr., die nach der Niederlage der Allianz zwischen Athen und Theben die Vorherrschaft Makedoniens in Griechenland einleitete. 11 Gemeint ist Frankreichs traumatische Niederlage im Krieg 1870/71, der demütigende Friedensbedingungen und blutige innere Auseinandersetzungen folgten. 12 Seit 1917 hatte sich Weber gegen die maßlose „Stimmungsmache“ der „Deutschen Vaterlandspartei“ gewandt (vgl. „Gegen die alldeutsche Gefahr“, MWG I/15, S. 720–727). Seine Kritik an der durch das Kriegspresseamt verbreiteten „Generals- und Admiralsdemagogie“, welche die reale Kriegslage verschleiert und völlig überzogene Erwartungen geweckt habe, faßte er in seiner Wiesbadener Rede am 5. Dezember zusammen („Das neue Deutschland“, MWG I/16, S. 386–395, S. 388 f.). 13 1648 endete der Dreißigjährige Krieg. 14 Preußische Niederlage gegen Napoleon (wie unten, Anm. 18).

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bietet die Selbstzucht der Wahrhaftigkeit uns zu sagen: mit einer weltpolitischen Rolle Deutschlands ist es vorbei. Die „angelsächsische Weltherrschaft“ – „ah c’est nous qui l’avons faite“, wie Thiers zu Bismarck von unsrer Einheit sagte15 – ist Thatsache. Sie ist höchst unerfreulich, aber: viel Schlimmeres – Russische Knute! – haben wir abgewendet. Dieser Ruhm bleibt uns. Amerikas Weltherrschaft war so unabwendbar wie in der Antike die Roms nach dem 2. punischen Krieg, hoffentlich bleibt es dabei, daß sie nicht mit Rußland geteilt wird. Dies ist für mich Ziel unserer künftigen Weltpolitik, denn die russische Gefahr ist nur für jetzt, nicht für immer, beschworen. Im Augenblick ist natürlich der hysterische ekelhafte Haß der Franzosen die Hauptgefahr. Ich bin – wie Eulenspiegel beim Wegc bergan – absoluter Optimist, nur: auf lange Sicht, für unsre eigne Nation. Alle ihre Schwächen hat man nun gesehen, aber man kann auch all ihre ganz fabelhafte Tüchtigkeit, Schlichtheit, Sachlichkeit, die Fähigkeit – nicht: schon das Erreichen! – zur „Schönheit des Alltags“, im Gegensatz zur Schönheit des Rausches oder der Geste bei Andren, sehen, wenn man will. Die nächsten 10 Jahre werden noch entsetzlich sein. Dafür, daß der politisch-soziale Masochismus jenerd würdelosen Pazifisten, die jetzt wollüstig in „Schuld“-Gefühlen wühlen16 – als ob der Kriegs-Erfolg |:innerlich:| etwas bewiese wie ein Gottesgericht und als ob der Schlachtengott nicht „avec les gros bataillons“17 wäre (wir haben gezeigt: nicht immer!) – dafür, daß das schwindet, sorgen schon die Feinde. Den wütenden Klassenkampf müssen wir austoben lassen, bei der furchtbaren c 〈zum Thal ber〉

d der > jener

15 Adolphe Thiers, liberaler französischer Politiker und 1871–73 Chef du pouvoir exécutif. Sein Ausspruch, Frankreich habe die staatliche Einheit Deutschlands „gemacht“, fiel bei der Unterzeichnung des Präliminarfriedens am 26. Februar 1871 in Versailles. 16 Dieser Vorwurf findet sich bereits im Brief an Kurt Goldstein vom 13. Nov. 1918, oben, S. 302. Am 24. November druckte zudem das „Berliner Tageblatt“ in seiner Morgenausgabe die international Aufsehen erregenden Auszüge aus den bayerischen Dokumenten zum Kriegsbeginn ab, die Deutschlands Verantwortung an der Eskalation der Julikrise 1914 betonten. Die von Kurt Eisner veranlaßte Veröffentlichung führte in Deutschland zu einem Aufschrei der Empörung in Politik und Öffentlichkeit. Vgl. Grau, Bernhard, Kurt Eisner 1867–1919. Eine Biographie. – München: Beck 2001, S. 388–397. 17 Nachgewiesen ist die Redewendung schon im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Pruvost, Jean, Citations de la langue française. 7000 citations d’hier et d’aujourd’hui classées par mots clés (Dictionnaire Bordas). – Paris: Bordas 2007, S. 190, ordnet den Satz Voltaire zu. Max Weber verwendet ihn, mit Bezug auf Friedrich den Großen, auch in seinem Beitrag „Zum Thema der ‚Kriegsschuld‘“, MWG I/16, S. 179–190, S. 179.

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inneren Ermattung, die kommen wird, nur sorgen: daß sie sich keine Theorie auf sich selbst macht, sondern nur sagt, ehrlich sich selbst sich einzugestehen: „Ehrlichkeit“ überhaupt ist jetzt das Allererste. Wir haben der Welt vor 110 e Jahren gezeigt, daß wir – nur wir – in Fremdherrschaft eines der ganz großen Kulturvölker zu sein vermochten.18 Das machen wir jetzt noch einmal! Dann schenkt uns die Geschichte, die uns – nur uns – schon eine zweite Jugend gab, auch die dritte.19 Ich zweifle nicht daran, Sie auch nicht – quand même! Was man jetzt öffentlich sagt, ist natürlich stets „rebus sic stantibus“, nicht: f pour jamais! „Toujours y penser . . .“20 Herzlichen Gruß und Handschlag Ihr alter Max Weber

e Alternative Lesung: 150 f 〈für〉 18 Nach seinen verheerenden Niederlagen im vierten Koalitionskrieg gegen Napoleons Armeen mußte Preußen 1807 im Frieden von Tilsit erhebliche Gebietsabtretungen und französische Besatzung hinnehmen. Aus der Niederlage resultierten die Stein-Hardenbergschen Reformen, Grundlage einer umfassenden Modernisierung Preußens, wie zugleich eine stark national aufgeladene kulturelle Aufbruchsbewegung. 19 Bezug auf Heinrich von Treitschkes „Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert“: „Die deutsche Nation ist trotz ihrer alten Geschichte das jüngste unter den großen Völkern Westeuropas. Zweimal ward ihr ein Zeitalter der Jugend beschieden, zweimal der Kampf um die Grundlagen staatlicher Macht und freier Gesittung.“ Zit. nach: Treitschke, Heinrich v., Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Erster Teil: Bis zum zweiten Pariser Frieden, 8. Aufl. – Leipzig: Hirzel 1909, S. 3. 20 Das Zitat lautet vollständig: „Toujours y penser, jamais en parler“ (Stets daran denken, niemals darüber reden). Geprägt hat es nach der französischen Niederlage 1871 Léon Gambetta, der als Innen- und Kriegsminister den französischen „Volkskrieg“ gegen Preußen und dessen Verbündete organisiert hatte.

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Dr. N. N. [am oder nach dem 24. November 1918]; Frankfurt a. M. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Die Datierung ist aus dem Briefinhalt und der Ortsangabe erschlossen. Max Weber hielt sich seit dem 21. November 1918 in Frankfurt auf (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Otto Crusius vom 24. November 1918, oben, S. 317). Der Adressat ließ sich nicht ermitteln.

z. Z. Frankfurt Basler Hof Sehr geehrter Herr Doktor! Ich danke sehr für Ihre verschiedenen Zuschriften und Anregungen1 – wie Sie wohl gesehen haben, lag Das, was ich that schon in ähnlicher Richtung. Ehrliche Festigung der Demokratie, 2 dabei Bekämpfung der üblen (und ganz zwecklosen!) Würdelosigkeit eines Teils unsrer Presse, Einberufung der Konstituante anderswohin als nach Berlin3 – Frankfurt liegt wohl zu nahe an den feindlichen Kanonen, wird vielleicht gradezu besetzt4 – sind jetzt die Hauptpunkte. Ich danke Ihnen für jegliche Information über die Lage dort. Beste Grüße! Ihr Max Weber

1 Diese sind nicht nachgewiesen. 2 Vgl. „Die Staatsform Deutschlands. I“ (FZ, Nr. 324 vom 22. Nov. 1918, 1. Mo.Bl., S. 1, sowie MWG I/16, S. 90–146, dort S. 106 f.). 3 Im zweiten Teil von „Die Staatsform Deutschlands“ begründete Weber dies mit der Notwendigkeit, die „hegemoniale großpreußische Struktur des Reiches“ zu beseitigen. Wien sei ebenso wenig wie München von Berlin aus zu regieren. Die Konstituante müsse als sichtbares „Zeichen der Erneuerung“ in einer anderen Stadt tagen, „einerlei ob in Frankfurt oder München“ (FZ, Nr. 326 vom 24. Nov. 1918, 1. Mo.Bl. S. 1, und MWG, I/16, S. 90–146, S. 110 f.). 4 Zu Webers Befürchtung vgl. bereits seine Briefe an Mina Tobler und Marianne Weber vom 22. Nov., oben, S. 312–316, sowie an Marianne Weber vom 26. Nov. 1918, unten, S. 325 f. Bis Anfang Dezember 1918 blieb offen, ob Frankfurt aufgrund des Waffenstillstandsabkommens zum Brückenkopf Mainz und damit zum alliierten Besatzungsgebiet oder zur neutralen Zone gehören werde. Daß Frankfurt nicht besetzt werde, meldete die FZ am 4. Dezember abends (FZ, Nr. 336 vom 4. Dez. 1918, Ab.Bl., S. 2).

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Conrad Haußmann 26. November [1918]; Frankfurt a. M. Brief; eigenhändig HStA Stuttgart, Nl. Conrad Haußmann, Q 1/2, Bd. 145 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Am 24. November 1918 bat Conrad Haußmann Max Weber, sich an einer von ihm geplanten politischen Flugschriftenreihe zu beteiligen, die einem breiten Publikum „gute Zukunftsgedanken“ zugänglich machen sollte. Konkret fragte er bezüglich der Artikelserie „Die Staatsform Deutschlands“ an, bat außerdem um Ratschläge für weitere Themen und Autoren. In seinem Schreiben informierte Haußmann Weber zugleich darüber, daß er ihn drei Wochen zuvor, während seiner Zeit als Staatssekretär im Kabinett Prinz Max von Badens, als Gesandten in Wien vorgeschlagen habe. Des weiteren teilte er mit, er habe im Zuge seiner Beitrittserklärung zur „demokratischen Partei“ am Vortag dafür plädiert, Max Weber zu deren „Vorstand“ zu bestimmen (Brief Conrad Haußmanns an Max Weber vom 24. November 1918, HStA Stuttgart, Nl. Conrad Haußmann, Q 1/2, Bd. 145). Auf Webers im folgenden abgedruckte Antwort reagierte Haußmann am 28. November mit einem zweiten Brief. Darin betonte er nochmals, wie wichtig es ihm sei, seiner Reihe durch Webers „charakteristischen Namen ein Gepräge“ zu geben, und bat ihn, sich mit einem anderen Beitrag zu beteiligen. Bezüglich Max Webers Rolle in der neu gegründeten Partei insistierte Haußmann: „Daß nach außen Sie an die Spitze der neuen Partei treten und nicht ihr Bruder, ist für diese Partei, wie ich aus zahlreichen einmütigen Äußerungen weiß, von besonderem Wert. Kommt also die Aufforderung an Sie, so bitte ich Sie, nicht abzulehnen. Ihr Bruder kann ja im inneren Verhältnis doch die Geschäftsführung leiten“ (Brief Conrad Haußmanns an Max Weber vom 28. November 1918, Privatbesitz).

Heidelberg (z. Z. Frankfurt) 26/XI Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt! 5

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Die Frankfurter Zeitung selbst wünscht die Artikelserie (etwas popularisiert) als Massenbroschüre zu vertreiben.1 So lange das schwebt, kann ich sie nicht gut anderweitig vergeben.2 Sonst: gern. Ev. komme ich darauf zurück. Gewiß, ich könnte in Wien, vielleicht auch sonst, nützlicha sein, das halte ich für möglich.3 Aber ich fürchte: so wenig wie frühere „Diktaturen“ wird jetzt diese Diktatur unabhängige Leute brauchen können. a wichtig > nützlich 1 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Otto Crusius vom 24. Nov. 1918, oben, S. 317. 2 Auch der Verlag Duncker & Humblot fragte wegen eines Abdrucks der Artikel an. Vgl. Webers Schreiben an den Verlag Duncker & Humblot vom 12. Dez. 1918, unten, S. 353. 3 Zur Frage einer politischen Tätigkeit in Wien vgl. Webers bissigen Kommentar gegenüber Marianne Weber vom selben Tag (unten, S. 326).

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Jedenfalls warte ich ganz ab, ob mich Jemand ruft. Den Vorsitz der neuen Partei behält wohl besser mein Bruder.4 Für die Nat[ional-]Vers[ammlung] habe ich auf Verlangen im Prinzip erklärt, zu einer Kandidatur bereit zu sein [.] 5 Für Ihre: Sammlung: 6 Prof. Hellmann, München, Universität (Historiker): Außenpolitik aller Art. Prof. Thoma, Heidelberg, Ziegelh. Landstr.b 17 (Staatsrechtler): Staatsrecht Prof. Anschütz, ” , ebenda Prof. Lederer, Heidelberg, Kepler-Str.c 28: Wirtschafts- und Sozialpolitik Prof. Schumpeter, Graz, (Österreich): Finanzfragen Dr Somary, Berlin W, Konstanzer Str. 1d Finanz (Schuldabbürdung!) Ev. fallen mir noch weitere ein. Mit bester Empfehlung und herzlichem Gruß! Max Weber bis zum 4. XII ca: Frankfurt a /M Basler Hof. b O: Landst. c O: Kepler-St. d 〈Finanz〉 4 Am 16. November 1918 war auf Initiative Theodor Wolffs, des Chefredakteurs des „Berliner Tageblatts“, der Aufruf zur Gründung einer neuen liberaldemokratischen Partei erfolgt. Am Aufruf wie an der Konstituierung der DDP war Alfred Weber maßgeblich beteiligt und übernahm provisorisch den Vorsitz (Demm, Eberhard, Ein Liberaler im Kaiserreich. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 38). – Boppard am Rhein: Boldt 1990, S. 256–268). Durch seinen Bruder telefonisch über die Parteigründung informiert, zeigte Max Weber zunächst eine gewisse Zurückhaltung, war er doch noch kurz zuvor für den Erhalt der Monarchie eingetreten (vgl. den Brief an Else Jaffé vom 15. Nov. 1918, oben, S. 305). Schon am 28. November 1918 wurde er auf Vorschlag Theodor Wolffs dann jedoch Mitglied des geschäftsführenden Parteivorstands. Während seines Berlinaufenthalts im Dezember (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Telegramm an Hugo Preuß vom 5. Dez. 1918, unten, S. 344) beteiligte er sich zudem „sehr lebhaft“ an der Programmarbeit (so Alfred Weber am 15. Dez. 1918 an Else Jaffé, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 82, Bl. 75). 5 Eine diesbezügliche Anfrage an Weber zu diesem Zeitpunkt ist nicht nachgewiesen, möglicherweise erfolgte sie informell durch liberale Parteikreise in Berlin, Frankfurt oder Heidelberg. Zu seiner späteren, schließlich gescheiterten, Kandidatur im Wahlkreis 19 (Hessen-Nassau) vgl. „Erklärung zum Scheitern der Kandidatur für die Wahlen zur Nationalversammlung im Wahlkreis 19 (Hessen-Nassau)“, MWG I/16, S. 152–156. 6 Haußmanns Schriftenreihe erschien unter dem Titel „Der Aufbau“ in insgesamt sechs Einzelschriften 1919/20 bei der Deutschen Verlagsanstalt.

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Marianne Weber [26. November 1918]; Frankfurt a. M. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Dienstag“ und dem Briefinhalt: Max Weber erwähnt im folgenden den Besuch von Richard Wagners am 24. November 1918 aufgeführter Oper „Siegfried“ (vgl. die Ankündigung der Aufführung von Richard Wagners Oper „Siegfried“ in FZ, Nr. 326 vom 24. November 1918, 2. Mo.Bl., S. 34) und seine Rede am 1. Dezember 1918 im Frankfurter Schumann-Theater.

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es ist nicht viel zu erzählen. Den Tag über sitze ich, mit Pause von 1–3, auf dem Büro der Zeitung und schreibe den etwas schwierigen Artikel weiter, der morgen fertig wird.1 Dann: andre Sachen. Zwischendurch Besprechungen mit den wirklich sehr netten Leuten. Sonntag Nachm[ittag] war ich bei Simon, erst mit der Frau, dann allein, 2 er wollte allerhand „Kultur“-Fragen bereden, Schule vor Allem. Nachher einen Akt im „Siegfried“ in deren Loge. Das wirkt jetzt doch recht seltsam, obwohl grade die schönen Stellen (Wald-Einsamkeit) doch wohl bleiben werden. 3 Nächsten Sonntag werde ich wohl öffentlich reden.4 Das bringt dem Schnauzel wieder mal 200 M. ein, die er sicher gern einsteckt, macht aber auch Mühe u. Kopfzerbrechen. Hier rechnet Alles mit der Möglichkeit, daß die Franzosen trotz Allem doch einmarschieren, – dann suche ich natürlich rechtzeitig

1 Anspielung auf den dritten Teil von Max Webers fünfteiliger Artikelserie „Deutschlands künftige Staatsform“, der am 28. November 1918 in der Frankfurter Zeitung als „Die deutsche Staatsform. III“ erschienen ist (MWG I/16, S. 91–146). 2 Heinrich und Irmgard Simon. 3 Vermutlich spielt Max Weber auf die 2. Szene im 2. Aufzug an (vgl. den Brief an Mina Tobler vom 29. Nov. 1918, unten, S. 328, Anm. 7). 4 Am 1. Dezember 1918 sprach Weber auf Einladung der DDP in Frankfurt über „Das neue Deutschland“ (vgl. MWG I/16, S. 376–385).

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heimzukommen. – Herr Drill (= Hirschland) sieht die Sache so an. 5 Ich bin Freitag Abend denke ich bei den Leuten. – 6 Haußmann schreibt, er habe mich als Gesandten in Wien vorgeschlagen.7 Es wird nichts daraus, das steht fest, denn diese Kerle wollen ja auch nur belogen sein, in pazifistischem Sinn. Dabei ist der Übermut der Gegner grenzenlos und das Allerschlimmste zu befürchten, und denen ist Erzberger noch zu wenig schlapp! Überhaupt diese unbegabte Friedens-Kommission! 8 Crusius schrieb einen sehr netten Brief, den ich beantwortete.9 Schönsten Dank für Dein Briefchen, liebes Peterle. Mamas Sache werde ich schon erledigen.10 Die Bank muß die Aufstellung machen. Sonst nichts. Laßt Euchs recht gut gehen, liebes, es küßt Dich Dein Max

5 Robert Drill war Redakteur der Frankfurter Zeitung und seit 1918 mit Ida Hirschland verheiratet, die bis zur Eheschließung in Heidelberg gewohnt hatte und deren Sohn Heinz aus erster Ehe von Mina Tobler im Klavierspiel unterrichtet worden war (vgl. den Brief an Mina Tobler vom 4. Dez. 1918, unten, S. 338). 6 Max Weber besuchte Ida Drill am 3. Dezember 1918 (vgl. den Brief an Mina Tobler vom 4. Dez. 1918, unten, S. 338). 7 Vgl. den Brief an Conrad Haußmann vom 26. Nov. 1918, oben, S. 323 f. 8 Gemeint ist die von Matthias Erzberger geleitete deutsche Waffenstillstandskommission. 9 Vgl. den Brief an Otto Crusius vom 24. Nov. 1918, oben, S. 317–321. 10 Es handelt sich vermutlich um die Anlage des Erlöses aus Helene Webers Hausverkauf (vgl. den Brief an Helene Weber vom 19. Nov. 1918, oben, S. 309).

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Mina Tobler [29. November 1918]; Frankfurt a. M. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Freitag“ und dem Briefinhalt: Max Weber erwähnt im folgenden den Besuch von Richard Wagners am 24. November 1918 aufgeführter Oper „Siegfried“ und seine Rede am 1. Dezember 1918 im Frankfurter Schumann-Theater.

Frankfurt Freitag Liebe Judit, –

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wieder ist es Sabbat-Vorabend1 geworden trotz des lieben Briefes, aber ich war den Tag über auf dem Büro2 und dann kam eine schlechte Nacht, die mich hemmt[e]. Trotzdem war ich Dir treu und du kamst zu mir, wenn ich Ruhe hatte. – Wenn Du Das doch auch mehr fühlen könntest. Aber ich bin so ausdrucksunfähig und gehemmt und, ja gewiß, ich bin in allem Empfi nden wie unter einer Schneedecke und lasse Alle, Alle darben. Die Dinge stehen eben nicht gut und es ist gegen das Übermaß an Torheit nichts zu machen. Sonntag Vormittag rede ich, aber sicher ganz umsonst. 3 Die Berliner Regierung – von der Münchener ganz zu schweigen [,] die einfach schuftig und würdelos ist – treibt Haß-Politik oder muß sie treiben, weil die Schweine ihr über sind und sie sichere Truppen nicht besitzt. Als Einzelne sind die Leute trätabel,4 als Masse stupid, wie stets. Hier schreibe ich Artikel auf Artikel5 – Du bekommst sie – aber die Redaktion zu „beeinflussen“ gelingt nicht, das kann ein Outsider doch nicht, sie rebellieren innerlich.

1 Anspielung auf Max Webers üblichen samstäglichen Besuch bei Mina Tobler. 2 Max Weber meint das Büro der Frankfurter Zeitung, für die er derzeit arbeitete (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Otto Crusius vom 24. Nov. 1918, oben, S. 317). 3 Am 1. Dezember 1918 sprach Weber auf Einladung des Demokratischen Vereins über „Das neue Deutschland“ im Frankfurter Schumann-Theater. Vgl. MWG I/16, S. 376–385. 4 Gemeint: umgänglich. 5 Vgl. „Deutschlands künftige Staatsform“, in überarbeiteter Form ediert in: MWG I/16, S. 91–146.

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Sonntag war ich in der Loge des „Chefs“,6 des sogen. „Frankfurter Fürstchens“, einen Akt in „Siegfried“ (Fafner-Szene)7 – sehr gut, das wird sich doch glaube ich halten, so grenzenlos breit es wirkt. Gern hätte ich heut den „Rosenkavalier“8 gehört, aber es ging nicht. Es ist mir soweit ganz wohl, bei dem „guten Gewissen“, etwas Regelmäßiges zu thun, wie damals im Lazarett.9 Freilich fehlt der Mittags- und Abends-Feierabend und sonst so mancherlei. Aber ich denke es auszuhalten. Wie lange ich noch bleibe, ist unsicher, jedenfalls die Woche. Ein Wirtschafts-Ausschuß will mich nach Berlin,10 ich kann vielleicht nicht anders, freue mich aber natürlich nicht. Heidelberg liegt ferne wie ein Traum, aber man weiß doch: Höchstens ein paara Wochen, hoffentlich nur ein paarb Tage. Bleib schön und stark und gut Deinem M.

a O: par b O: par 6 Heinrich Simon, Miteigentümer und Vorsitzender der Redaktionskonferenz der Frankfurter Zeitung. 7 Es handelt sich vermutlich um die zweite Szene im zweiten Aufzug des dritten Teils („Siegfried“) von Richard Wagners Operntrilogie „Der Ring des Nibelungen“. 8 Richard Strauss’ komische Oper „Der Rosenkavalier“. 9 Anspielung auf Max Webers Tätigkeit als Militärisches Mitglied in der Heidelberger Reserve-Lazarettkommission von August 1914 bis September 1915. Vgl. den Editorischen Bericht zu „Erfahrungsberichte über Lazarettverwaltung“, MWG I/15, S. 23–25, hier S. 23 f. 10 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 29. Nov. 1918, unten, S. 329 mit Anm. 6.

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Marianne Weber [29. November 1918; Frankfurt a. M.] Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Freitag“ und dem Briefinhalt, aus dem sich auch der Ort ergibt: Max Webers Aufenthalt in Frankfurt (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Otto Crusius vom 24. Nov. 1918, oben, S. 317) und insbesondere die Erwähnung seiner Rede am 1. Dezember 1918 im Frankfurter SchumannTheater.

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vorgestern mala notte,1 daher schrieb ich nicht. Jetzt geht es ordentlich, die Artikel sind fertig, 2 andres in Arbeit (Rede am Sonntag, 3 Artikel über Universitäten4). „Beeinflussen“ läßt sich sonst das RedaktionsFedervieh nicht sehr, da sind sie schon eifersüchtig auf ihren eignen Kohl, leider, denn der ist verschieden gut. Soll ich denn nun den Berlinern (Handels-Hochschule) wirklich abschreiben? Sie schrieben nochmals. 5 – Ein Erdöl-Generaldirektor möchte mich nach dort haben für einen „Wirtschafts“[-]Ausschuß.6 Dächte ich, Georg 7 wäre dabei, so ginge ich (gegen Kostenerstattung). Sonst nicht gern. Denn vorerst ist Kuddelmuddel und die ganze Sache geht rapid der Katastrophe zu. Die Münchener sind ja völlig verrückt und würdelos.8 Aber es ist nichts zu 1 Italienisch für „schlechte Nacht“. Von Max Weber zur Umschreibung seiner Schlafstörungen und nächtlichen Erregungszustände gebraucht. 2 Die fünfteilige Artikelserie „Deutschlands künftige Staatsform“ erschien vom 22. November bis 5. Dezember 1918 in der Frankfurter Zeitung (vgl. MWG I/16, S. 91–146). 3 Max Weber sprach am 1. Dezember 1918 auf Einladung des Demokratischen Vereins im Frankfurter Schumann-Theater über die wirtschaftliche und politische Neugestaltung Deutschlands. Vgl. „Das neue Deutschland“ (MWG I/16, S. 376–385). 4 Der Artikel über die Universitäten ist nicht nachgewiesen. 5 Die Berliner Handelshochschule hatte Max Weber die Nachfolge Werner Sombarts angeboten, vgl. den Brief an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts vom 16. Okt. 1918, oben, S. 267. 6 Zur Initiative von Heinrich Brückmann, Generaldirektor der Erdöl- und Kohleverwertungs A. G. (Berlin), mit einer konstituierenden Versammlung am 16. Dezember 1918 ein „Allgemeines Wirtschaftsparlament“ als Beratungsorgan für Parlament und Regierung anzustoßen, vgl. den Editorischen Bericht zu „Der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft“, MWG I/16, S. 396–398. 7 Georg Müller, der Sohn von Alwine (Wina) Müller aus Oerlinghausen, arbeitete in Berlin für den Verband der Leinenindustrie. 8 Der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner hatte am 23. November 1918 Akten zur Kriegsschuldfrage, die die Reichsregierung belasteten, veröffentlichen lassen. Diesen

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machen und ich halte den Einmarsch der Entente für ziemlich sicher. Mittwoch Abend war ich bei Merton (Sohn dessen, der mich 1895 nach Frankfurt haben wollte, damals weintest Du, daß wir nicht gingen).9 Da war der nette rote Polizeipräsident Sinzheimer[.] Alles war sehr pessimistisch. Nun Alles nimmt ein Ende und wir kommen schon mal wieder hoch. Man möchte nur – die Hefe wäre einmal geleert! Diese Regierung10 wird mich nie brauchen, ich ihr nie dienen können. Sie brauchen Schmeichler und Charakterlose, grade wie die Fürsten. Die Schwätzer und Schreier sind obenauf und der Haß. Zu erzählen ist sonst nichts, ich nähre mich gut, rauche gut, habe es sehr schön warm, kurz mir fehlt nur das Schnäuzchen. Was das wohl macht? Hoffentlich kommt bald ein Briefchen mal wieder. Alles ist doch wie ein toller Traum. Was reden denn die Kollegen jetzt? Thoma sprach ich ja kurz am Telephon.11 Ich küsse Dich, liebstes Leben, und will jetzt in ein Bad. Dein Max

Schritt kritisierte Max Weber vehement. Er bezweifelte, daß sich die Alliierten durch ein Schuldeingeständnis milder stimmen ließen. Vgl. „Zum Thema der ,Kriegsschuld‘“, MWG I/16, S. 177–190; vgl. auch den Brief an Kurt Goldstein vom 13. Nov. 1918, oben, S. 302. 9 Richard Mertons Vater, der Mäzen Wilhelm Merton, hatte Max Weber 1895 die Leitung des von ihm gestifteten Frankfurter Instituts für Gemeinwohl angeboten. Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 239. 10 Zu Conrad Haußmanns Vorschlag, Max Weber zum Gesandten in Österreich zu ernennen, vgl. die Briefe an dens. und an Marianne Weber vom 26. Nov. 1918, oben, S. 323 f. und 326. 11 Der Staatsrechtler Richard Thoma wohnte wie Max und Marianne Weber in der Ziegelhäuser Landstraße 17.

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Lili Schäfer [zwischen dem 29. November und 4. Dezember 1918]; Frankfurt a. M. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 26, Bl. 65–66 Das Datum ist aus dem Briefinhalt erschlossen: Max Weber erwägt, „daß ich … in 8 Tagen zu einem ,Wirtschaftsausschuß‘ nach Berlin gehe“. Nach dieser Angabe könnte der folgende Brief am 8. Dezember 1918 geschrieben worden sein, denn der genannte Ausschuß tagte am 16. Dezember 1918 (vgl. den Editorischen Bericht zu „Der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft“, MWG I/16, S. 396–398, hier S. 396). Allerdings reiste Max Weber bereits am 7. Dezember 1918 nach Berlin (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 6. Dezember 1918, unten, S. 347), nachdem er eine am 4. Dezember eingetroffene kurzfristige Einladung von Hugo Preuß angenommen hatte (vgl. das Telegramm an dens. vom 5. Dezember 1918, unten, S. 344), die im folgenden Brief noch nicht erwähnt wird. Der Termius post quem für die Abfassung des Briefes ergibt sich, da Max Weber bereits im Brief an Marianne Weber vom 29. November 1918, oben, S. 329, berichtet hatte, „Ein Erdöl-Generaldirektor möchte mich nach dort haben für einen ,Wirtschafts‘[-]Ausschuß.“

Frankfurt Basler Hof Liebe Lili,

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schönen Dank für Deinen Brief. Sehr Erhebliches kann ich hier nicht thun. Eine so vielköpfige Redaktion entzieht sich der „Beeinflussung“, besonders von einem „Outsider“. Ich schreibe also nura Artikel,1 rede, spreche mit den Leuten und sitze im Hotel. Möglich, daß ich auf eine eben eingehende Aufforderung hin in 8b Tagen zu einem „Wirtschaftsausschuß“ nach Berlin gehe.2 Ein Eintritt in diese Regierung oder selbst ein Arbeiten unter ihr wäre ganz ausgeschlossen, diese Leute – d. h. Herr Haase3 u. Genossen, im Gegensatz zu den Gewerkschaftlern und Ebert – brauchen nur Lakaien, genau wie die Monarchie.4 Dies

a und > nur

b Unsichere Lesung.

1 Gemeint ist die fünfteilige Artikelserie zu „Deutschlands künftige Staatsform“, vgl. MWG I/16, S. 91–146. 2 Es ging um die Einführung eines Wirtschaftsparlaments, das Heinrich Brückmann, Generaldirektor der Erdöl- und Kohleverwertungs A. G. (Berlin), ins Leben rufen wollte. Eine schriftliche Einladung an Max Weber ist nicht nachgewiesen. 3 Hugo Haase (USPD) war vom 10. November bis zum 29. Dezember 1918 Mitglied im Rat der Volksbeauftragten. 4 Bereits Anfang November 1918 hatte Conrad Haußmann dem Kabinett Max Weber für den Gesandtenposten in Wien vorgeschlagen (vgl. den Brief an Conrad Haußmann vom

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Litteratenvölkchen (Eisner pp) ist auch unverbesserlich. 5 Um den Bürgerkrieg kommen wir, fürchte ich, nicht herum, und dann lieber: bald. Denn er bedeutet mindestens teilweise Okkupation des Landes durch den Feind. Wir müssen halt leider den Becher bis zur Hefe leeren und dann völlig neu aufbauen. Das wird schon kommen, wenn nur erst der Tiefpunkt wirklich erreicht und überschritten wäre. Vorerst ist es eine heillose Dilettanten-Schweinerei überall, und keine Ahnung von Dem [,] was bevorsteht. Gott sei Dank, daß man noch so ruhige Inseln in der Welt weiß wie die Eurige! 6 Denn dies großstädtische Getriebe7 ist doch entsetzlich steril und mesquin8 . Herr Wynekenc ist ja nun preußischer „Erziehungs-Minister“ (oder doch dessen rechte Hand, 9 der Kerl selbst – der sog. „Zehngebote-Hoffmann“ ist ja ein annähernder Analfabet!10). c O: Wynecken 26. Nov. 1918, oben, S. 223). Außerdem hatte Friedrich Ebert in der Kabinettssitzung vom 15. November 1918 erwogen, Max Weber zum Staatssekretär des Innern zu berufen. Weshalb er davon absah und ob Max Weber überhaupt von dieser Überlegung erfahren hat, ist nicht bekannt (vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 324 und 356 f.). Informiert war allerdings Alfred Weber, der im Brief an Else Jaffé vom 15. Nov. 1919 (BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 82, Bl. 13–15) „eine lustige Geschichte [. . .], die heut auch noch war, von einem Unterstaatssekretariat des Reichsamtes des Inneren, das Max oder ich haben sollten“, erzählte und am folgenden Tag (Brief Alfred Webers an Else Jaffé vom 16. Nov. 1918, ebd., S. 16– 21) noch ergänzte, Preuß, der neue Minister des Innern, habe ihm, den er für Max Weber hielt, die Mitübernahme des Ministeramts angeboten – aber „als sich dann herausstellte daß ich ‚ich‘ sei, das Unterstaatssekretariat oder so ähnlich . . .“. 5 Kurt Eisner (USPD), seit dem 8. November 1918 bayerischer Ministerpräsident, war vor seiner politischen Karriere Journalist gewesen und galt als „Kaffeehausliterat“. Dessen Schritt, am 23. November 1918 die Reichsregierung belastende Akten zur Kriegsschuldfrage zu publizieren, kritisierte Max Weber vehement. Vgl. „Zum Thema der ‚Kriegsschuld‘“, MWG I/16, S. 177–190. Mit dem „Litteratenvölkchen“ wird Max Weber vermutlich außerdem die Schriftsteller Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller gemeint haben, die ebenfalls in das revolutionäre Geschehen in München involviert waren und wenige Monate später, am 7. April 1919, die „Münchener Räterepublik“ ausrufen sollten. 6 Max Webers jüngste Schwester, Lili Schäfer, lebte seit Frühjahr 1918 mit ihren Kindern Clara, Albert, Max und Hermann in der von dem Reformpädagogen Paul Geheeb geleiteten und in Oberhambach oberhalb von Heppenheim gelegenen Odenwaldschule. 7 Max Weber arbeitete seit dem 21. November 1918 in Frankfurt a. M. als freier Mitarbeiter für die Frankfurter Zeitung. 8 Frz. für: schäbig. 9 Gustav Wyneken war ein ehemaliger Weggefährte von Paul Geheeb in der Reformschule „Freie Schulgemeinde Wickersdorf“. 10 Adolph Hoffmann (USPD) verdankte diesen Beinamen seiner 1891 erschienenen Schrift „Die Zehn Gebote und die besitzende Klasse“, in der er gegen die Kirchen agitierte. Er stammte aus ärmlichen Verhältnissen und hatte nur eine kurze Schulbildung genossen.

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Was er wohl macht? Denn das Wickersdorfer Prinzip11 läßt sich doch nun mal nicht auf Massenschulen übertragen. Wenn jetzt mancherlei – so die elende „Einjährigen“-Berechtigungs-Frage12 fortfällt, was die Problematik des Schulwesens beengte, so ist doch damit eine positive Lösung noch nicht gegeben. Für die Universitäten wüßte ich schon mancherlei.13 Für die Massenschulen aber außer Kerschensteiners14 und Sickingers15 Plänen eigentlich recht wenig. Was machen denn die Hessen, ist Herr Geheeb da nicht der Nächste am Kultus- und Unterrichts-Ministerium? Oder kennt er die jetzigen Machthaber nicht? Ob das politische Interesse bei der jungen Generation vorhält? Die „Revolution“ tritt so hemdärmelig auf, daß ich recht anti-demokratische Rückwirkungen vermute, jedenfalls sind sie bei den Studenten teilweise schon da. Doch Schluß, ich muß auf die Redaktion, einen Artikel abdiktieren. Laß Dir es recht gut gehen und bleibt da droben behütet vor Allem, was kommen kann! Grüß die Kinder sehr schön. Immer Dein getreuer Max

11 1906 hatte Gustav Wyneken die Freie Schulgemeinde Wickersdorf gegründet, um seine Vorstellung von Schule als Freiraum selbstbestimmten Lernens zu verwirklichen. Dazu gehörte für Wyneken ein auf Führertum und Kameradschaft basierendes Lehrer-SchülerVerhältnis, Koedukation und Sexualerziehung sowie ein inhaltlicher Schwerpunkt auf der künstlerischen Erziehung. 12 Seit 1877 war die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst mit anschließender Reserveoffizierslaufbahn an die „Reife für Obersekunda“ gebunden. 13 Zu Max Webers Vorstellungen bezüglich der Heidelberger Universitätsreform vgl. den Brief an Hans W. Gruhle vom 13. Dez. 1918, unten, S. 355. 14 Für Georg Kerschensteiner gründete wahre Bildung auf dem Fundament der Arbeit. Im Mittelpunkt der schulischen Bildung sollte die Einübung in den künftigen Beruf stehen. Um die „Buchschule“ durch die „Arbeitsschule“ als Modell der Volksschule abzulösen, richtete er daher für Jungen Werk- und Laborräume ein und für Mädchen Schulküchen. 15 Joseph Anton Sickinger schuf Ende des 19. Jahrhunderts als Stadtschulrat das „Mannheimer Modell“, das auf dem Grundgedanken der individuellen Förderung der Schüler basierte: „Nicht allen das Gleiche, sondern jedem das Angemessene“. Daraus ergab sich ein nach Begabung der Schüler differenziertes Schulsystem.

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Mina Tobler [2. Dezember 1918]; Frankfurt a. M. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Montag“ und dem Briefinhalt: Max Weber schrieb den folgenden Brief einen Tag nach seiner Rede in Frankfurt am 1. Dezember 1918 und drei Tage vor seiner Wahlrede in Wiesbaden am 5. Dezember.

Fr. Montag Liebstes Herz, Dank für Deine Briefe, – für beide. Denn es ist so wichtig, daß Du nichts verschweigst, – ach ich weiß es ja doch und liebe Dich nur um so mehr, aus der Tiefe meines Eisloches heraus, in welches Du einen Sonnenstrahl schickst. Ja – die „Andren“ sind mir nur „Maßstäbe“ dafür, daß es eben allgemein mit mir so steht, wie es eben steht. Natürlich aber ist doch der Hauptverlust, die Leere, darin begründet, daß ich jetzt so selten – oft grad wenn Du von fern, jetzt hier, zu mir kommst – die jugendliche Unbelastetheit, dem schönen „Jetzt“ hingegeben zu sein und nur zu empfi nden – und wie zu empfi nden! – aufbringe. Immer stehen eben die Gespenster und Lasten mit dabei und eine dicke Kruste von Belastung und Sorge ist da. Auch um Dich [ .] Alles was ich da an Mar[ianne] schrieb waren ja Seifenblasen,1 die der nächste Tag platzen ließ und die nicht der Mühe wert waren zu schreiben. Von Berlin schrieben sie inzwischen wieder (Handelshochschule) 2 – aber das wird ja nichts. Höchstens kann ich jetzt mal zu politischen Beratungen hin müssen – Ende k.W. 3 Weit ernster ist, was erst jetzt sich hier vielleicht anbahnt, das ist neu. Es hat noch keinerlei Form: ob mehr Universität, ob mehr Zeitung, ich weiß es noch nicht, denn nur dunkle An1 Max Weber hatte im Brief an Marianne Weber vom 26. Nov. 1918, oben, S. 326, von Conrad Haußmanns Vorschlag berichtet, ihn zum Gesandten in Wien zu bestellen (vgl. auch den Brief von Conrad Haußmann vom 26. Nov. 1918, oben, S. 323 f.). Dieser Posten war im Hinblick auf den eventuellen Anschluß Österreichs von großer Bedeutung: Am 12. November 1918 hatte die provisorische Nationalversammlung in Wien Österreich zu einem Teil der deutschen Republik erklärt und Ludo Moritz Hartmann als Botschafter in Berlin bestimmt. Doch blieb es bei einer Überlegung. 2 Die Handelshochschule Berlin hatte Max Weber die Nachfolge Werner Sombarts angeboten, vgl. den Brief an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts vom 16. Okt. 1918, oben, S. 267, Anm. 6. 3 Vermutlich Anspielung auf die Einladung zu Heinrich Brückmanns „Wirtschaftsausschuß“. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 29. Nov. 1918, oben, S. 329, Anm. 6.

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deutungen kommen an mich und ich verhalte mich ganz passiv.4 Aber die Leute möchten mich recht gern hier binden und wissen nur nicht wie. Da es einflußreiche Kreise sind, ist es möglich, daß ich nicht anders kann. Aber all das schiebe ich noch ab, wenn ich Mar[ianne] gern andre Dinge schreibe, so immer nur, damit sie den Gedanken, diese Wohnung aufzugeben, der ihr schwer fällt, wach erhält. Gestern ein tosender Beifall (7000 Leute) 5 und Widerspruch, aber dieser nur schüchtern. Donnerstag Abend: Wiesbaden,6 Sonntag früh vielleicht: Hanau,7 dann hoffentlich Heimkehr und Montag oder Dienstag 6 Uhr bei Dir! Oft denke ich jetzt an den Schluß des „Grünen Heinrich“.8 – „Politisch“ wird nichts mit mir, diese Dilettanten-Regierung kann mich nicht brauchen.9 Öffne die Arme, traute Judit, und laß mich mich hineinstürzen und Alles vergessen. Dein M.

4 Zur Anspielung auf das berufliche Angebot der Brüder Merton vgl. den Brief an Marianne Weber vom 6. Dez. 1918, unten, S. 347 f. 5 Max Weber sprach am 1. Dezember 1918 im Auftrag des neu gegründeten „Demokratischen Vereins“ im Schumann-Theater über „Das neue Deutschland“. Vgl. MWG I/16, S. 376–385. 6 Am 5. Dezember 1918 hielt Max Weber auf Einladung der DDP in Wiesbaden seinen Vortrag „Das neue Deutschland“. Vgl. MWG I/16, S. 386–395. 7 Die für den 9. Dezember 1918 geplante Rede in Hanau kam nicht zustande, da Weber auf Einladung von Hugo Preuß vom 9. bis 12. Dezember 1918 an Beratungen über die künftige Verfassung im Reichsamt des Innern teilnahm. 8 Mit Hinweisen auf Gottfried Kellers Roman „Der grüne Heinrich“ verklausulierte Max Weber gerne seine Beziehung zu Mina Tobler und deutete seine Befindlichkeit an (vgl. den Brief an Mina Tobler vom 22. Nov. 1918, oben, S. 314, Anm. 12). Hier nun rekurriert Max Weber auf das tragische Ende des Titelhelden, der, nach langer Abwesenheit als gescheiterter Kunstmaler und ohne Erfüllung in der Liebe gefunden zu haben, bei der Rückkehr in die Heimat vom Tod der Mutter überrascht wird und kurz darauf selber stirbt. Den Romanschluß hat Mina Tobler ihrerseits Max Weber zum Abschied vor dessen Umzug nach München vorgelesen (vgl. den Brief an Else Jaffé vom 19. und 20. Sept. 1919, unten, S. 780). 9 Gemeint ist die revolutionäre Regierung des Rats der Volksbeauftragten. Vgl. auch den Brief an Marianne Weber vom 29. Nov. 1918, oben, S. 330.

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Mina Tobler [4. Dezember 1918]; Frankfurt a. M. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch“ und dem Briefinhalt: dem Hinweis auf Max Webers Wahlrede für die DDP in Wiesbaden am 5. Dezember 1918 („morgen Abend spreche ich in Wiesbaden“). Die im folgenden übermittelte Terminplanung konnte Max Weber dann wegen der kurzfristigen Einladung zu der vom 9. bis 12. Dezember 1918 in Berlin tagenden Verfassungskommission (vgl. das Telegramm an Hugo Preuß vom 5. Dezember 1918, unten, S. 344) nicht einhalten.

Fr. Mittwoch Liebe Judit, – Sonntag Abend werde ich zurückkommen, den folgenden Freitag wohl für kurze Zeit nach Berlin fahren.1 Also sehe ich Dich Montag oder Dienstag um 6 und dann hoffentlich Donnerstag nochmal, wenn’s irgend zu machen ist. Von hier ist nicht viel zu erzählen. Artikelschreiben, Konferenzen, Abends gelegentlich Zusammensein mit ein paara Redakteuren u. dgl. |:Nächsten:| Sonntag früh fahre ich nach Hanau, 2 morgen Abend spreche ich in Wiesbaden,3 – im Ganzen eine Vielgeschäftigkeit, von der ich nicht weiß, ob wirklich viel dabei herauskommt, aber die Leute glauben es. Hier wird inzwischen an der Organisation der „Demokrat[ischen] Partei“ gearbeitet, in Heidelberg werde ich wohl am Programm mit zu „formulieren“ haben.4 Ich habe nur von dem ganzen Getriebe den Eindruck: es geht ins Leere, denn der Putsch und dann die Reaktion kommt doch und die Leute in Berlin bringen nichts zu stande, weil sie keine Macht hinter sich haben. Bin begierig, was ich dann dort für Eindrücke haben werde. Inzwischen vollzieht sich unter schmachvollem Benehmen der Franzosen die „Desannexion“ des Elsasses [,] und die Schweizer Presse (N[eue] a O: par 1 Zur Einladung von Heinrich Brückmann zu einem Wirtschaftsausschuß in Berlin am 16. Dezember 1918 vgl. den Brief an Marianne Weber vom 29. Nov. 1918, oben, S. 329, Anm. 6. 2 In Hanau war für den 9. Dezember 1918 eine Wahlrede geplant, die jedoch wegen Webers Teilnahme am sog. Preußschen Verfassungsausschuß entfallen ist. Vgl. den Editorischen Bericht zur Rede „Der freie Volksstaat“, MWG I/16, S. 157, Anm. 4. 3 Max Weber sprach am 5. Dezember 1918 auf Einladung des Wiesbadener Ortsvereins der DDP über „Das neue Deutschland“. Vgl. MWG I/16, S. 386–395. 4 Max Weber war Ende November 1918 der DDP beigetreten und am 28. November 1918 Mitglied des vorläufigen Hauptvorstandes der Partei geworden.

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Zür[cher] Z[eitung]) weiß nur, gerührt, von „Jubel“ zu berichten.5 Mein scharfes Entrefi let gegen den Bundesrat6 hat der (Schweizer) Fachredakteur7 hier obstruiert. Überhaupt ist „Beeinflussung“ sehr schwierig. Die Artikel erscheinen als Broschüre, 8 – der letzte ist noch nicht erschienen (morgen erst),9 deshalb schicke ich sie Dir noch nicht. Den Versammlungsbericht wirst Du erhalten haben.10 Wie es Dir wohl geht, mein trautes Kind? Du mußt mir die Briefe schreiben, die grade in Dir leben und aus Dir kommen, – ach ich weiß ja doch und mache mir nichts darüber vor, wie ärmlich ich zur Zeit vor Dir dastehe mit Deinem Reichtum, aus dem Du mich beschenkst. Und doch ist Alles genau wie einst, nur so – in Allem – überdeckt mit Kruste und verklemmt, – zum Verzweifeln. Abends wenn ich ganz still liege, ja dann kommst Du zu mir, aber dann hörst Du nicht bis nach H[eidelberg], wie ich mit Dir Zwiesprache halte. Ich frage mich nur: wann und wie die Freude ihren Einzug in das Leben halten wird, denn irgend wann muß sie ja wieder kommen, so geht es ja nicht auf die Dauer. – Diese Verpöbelung der ganzen Welt ist ja unerträglich und ein Hohn auf die „Demokratie“. Und dabei muß man noch immer „schönfärben“, damit die Leute „Glauben“ behalten. Schrecklich war der Einzug der Truppen hier – Fahnen, Kränze, brausendes Hurrah stun-

5 Die Waffenstillstandsbedingungen vom 11. November 1918 schrieben die Räumung des Elsasses vor. In der NZZ, Nr. 1587 vom 2. Dez. 1918, 1. Mi.Bl., S. 1, schildert ein Korrespondent das „Befreiungsgefühl“ der Elsässer und beendet seinen Bericht „Ein Sonntag auf französischem Boden“ folgendermaßen: „Ueberall dasselbe Bild. Aus den Fenstern grüßt die Trikolore, und aus den Augen leuchtet die Freude. Wohin man hört, klingt ein Jubelruf: vive la France!“ 6 Möglicherweise stand das von Max Weber erwähnte „Entrefilet“, ein eingeschobener (halbamtlicher) Zeitungsbericht, in Zusammenhang mit seiner Ankündigung, dem Schweizer Bundesrat wegen eines Glückwunschtelegramms an den belgischen König „noch Eins [zu] versetzen“ (vgl. den Brief an Mina Tobler vom 22. Nov. 1918, oben, S. 313 mit Anm. 7). Darauf deutet auch hin, daß die FZ, Nr. 337 vom 5. Dez. 1918, Ab.Bl., S. 2, in einem Artikel betreffs dieses Glückwunschtelegramms aus der „Züricher Post“ zitiert. 7 Unter den namentlich bekannten Journalisten der Frankfurter Zeitung jener Zeit war nur der Feuilletonredakteur Bernhard Diebold Schweizer. 8 Sonderdruck der fünfteiligen Artikelserie aus der Frankfurter Zeitung. Weber, Max, Deutschlands künftige Staatsform. – Frankfurt: Frankfurter Societäts-Verlag 1919. Vgl. MWG 1/16, S. 91–146. 9 Gemeint ist: Die deutsche Staatsform, V. (Schluß.), in: FZ, Nr. 337 vom 5. Dez. 1918, 1. Mo.Bl., S. 1 (MWG I/16, S. 136–146). 10 Die Frankfurter Zeitung berichtete bereits wenige Stunden nach der Veranstaltung über die Weber-Rede im Schumann-Theater. Vgl. MWG I/16, S. 376–385, hier S. 379– 383.

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denlang, dazu diese abgemergeltenb Gestalten mit den Stahlhelmen – Gespensterzug und Karneval zugleich: schauderhaft.11 Und was steht vor ihnen? Dazu dies innerlich vor Zorn berstende Offi ziercorps, – d. h. ein Teil ist unverbesserlich frivol, diese Gespräche, die man beim Mittagstisch mit anhört, das ist auch Pöbel, schlimmer als die Hefe, die da in Berlin das große Wort führt. So habe ich „Deutschland“ nie gesehen und kaum geahnt. Indessen – es muß gearbeitet werden und die Tüchtigkeit ist trotz Allem da, nur tief versteckt und verschüttet. Grauenhaft auch diese Erklärung des Ex-Kaisers, feig und verlogen, würdelos bis zuletzt.12 Gestern Abend war ich bei Frau Hirschland, verehel[ichte] Drill,13 Heinz14 war auch da, ebenso die – höchst wenig sympathische – Käthe.15 Sie selbst ist offenbar an der rechten Stelle, der Mann ein grundanständiger langweiliger Kantianer, dem eine sehr schöne Frau durchgegangen ist,16 sicher aus Langeweile! Eine Tochter von ihm studiert in Heidelberg.17 Da hörte ich, daß Dorle B[raus] wieder in H[eidelberg] ist und offenbar allerhand erlebt hat. Bin begierig zu hören! Offenbar korrespondiert sie mit Heinz H[irschland]. Ob das die Eltern wissen? Schluß für heut, mein liebes. Bleib schön und stark, mir gut trotz Allem, wenn Du irgend kannst! Ich weiß es ist schwer . . . Immer Dein M.

b fi nsteren > abgemergelten 11 Vgl. den Bericht „Der Einzug der 213. Division“ in der FZ, Nr. 334 vom 2. Dez. 1918, Ab.Bl., S. 2. 12 Gemeint ist vermutlich die offizielle Abdankungsurkunde von Kaiser Wilhelm II. vom 28. November 1918, in der er auf die Kaiserwürde verzichtete, die preußische Krone niederlegte und die Armee sowie die Beamtenschaft von ihrem Treueid entband. 13 Ida Hirschland, eine Heidelberger Bekannte, war seit kurzem in zweiter Ehe mit Robert Drill, Redakteur der Frankfurter Zeitung, verheiratet. 14 Heinz Hirschland war ein ehemaliger Schüler von Mina Tobler (Brief von Mina Tobler an ihre Mutter, Henriette Tobler, von Anfang Juli 1914, Privatbesitz Dr. Achim Tobler). 15 Käthe Hirschland, die Schwester von Heinz Hirschland. 16 Der Journalist Robert Drill war in erster Ehe mit der Sängerin Theodora Drill-Oridge verheiratet gewesen. 17 Robert Drills Tochter Dora aus der Ehe mit Theodora Drill-Oridge ist in den Adreßlisten der Studenten an der Universität Heidelberg für das Wintersemester 1918/19 nicht nachgewiesen.

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Marianne Weber [4. Dezember 1918]; Frankfurt a. M. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch“, der Ankündigung von Webers Wahlrede für die DDP in Wiesbaden am kommenden Tag, dem 5. Dezember 1918, sowie den Parallelen zum Brief an Mina Tobler vom selben Tag, oben, S. 336– 338.

Frankfurt, Mittwoch Liebes Mädele,

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also morgen Abend rede ich in Wiesbaden,1 dann nochmal Sonntag Nachmittag in Hanau, 2 vielleicht kann ich dann Sonntag Abend noch bis Heidelberg kommen – sonst Montag in der Frühe. Aber ich denke: Abends. Gestern Abend war ich bei Drill’s3 – Heinz Hirschland und seine – unsympathische – Schwester, einige Redakteure, Frau H[irschland]Drill – die sehr grüßen läßt. Es war ganz nett und sehr viel – zu viel – „Kant“. Sonst schreibe ich Broschüren: Universitätsreforma,4 „Konferenzen“ pp. – eigentlich hat die ganze Sache wenig Sinn, das muß ich sagen und 1000 Mk + ca 400 M Kosten für Unterhalt kann sie eigentlich H[einrich] Simon nicht wert sein. 5 Ein seltsamer Heiliger! Ich fahre dann von Heidelberg aus Freitag nach Berlin |:für denke ich acht Tage allerhöchstens!:| zu einem „Wirtschaftsparlament“6 – Kostenersatz garantiert! – eigentlich nur um mal da zu sein und zu seha Alternative Lesung: Universitätsreformen 1 Max Weber sprach am 5. Dezember 1918 über „Das neue Deutschland“. Vgl. MWG I/16, S. 386–395. 2 Zu der für den 9. Dezember 1918 in Hanau geplanten Rede kam es wegen Max Webers kurzfristiger Berlinreise nicht, vgl. unten, Anm. 5. 3 Robert Drill, ein Redakteur der Frankfurter Zeitung, der seit 1918 mit Ida Hirschland verheiratet war, und ihre Kinder aus erster Ehe Heinz und Käthe Hirschland. 4 Nicht nachgewiesen. 5 Max Weber spielt vermutlich auf das Honorar an, das Heinrich Simon ihm für seine freie Mitarbeit in der Frankfurter Zeitung bezahlte. 6 Max Weber war von Heinrich Brückmann, Generaldirektor der Erdöl- und Kohleverwertungs A. G. (Berlin), eingeladen worden, am 16. Dezember 1918 auf einem Wirtschaftskongreß in Berlin eine Rede zu halten. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 29. Nov. 1918, oben, S. 329 mit Anm. 6.

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en. Es scheint Alles schauderhaft schlecht zu stehen, gar kein Ende des Kuddelmuddels abzusehen u. dabei unerhörtes Betragen der Franzosen und der Belgier. Alles ist in der Realität so furchtbar und schandbar, daß man Gott dankt, zu thun zu haben – man möchte sonst doch fast überschnappen. Aber ich freue mich jetzt doch sehr auf den Schnauzel und Heidelberg. Warm habe ich es, Ernährung ist sehr gut u. gar nicht so sehr teuer. Alles in Allem kostet die Sache H[einrich] Simon pro Tag 27 Mark. Leider bin ich etwas erkältet, aber nicht bemerkenswert. Ihr seid wohl schon mitten in der Agitation?7 Schreibst Du den Artikel für die Frankfurter?8 – bringt Kafäke! 9 – Wie lange wohl dieser Karneval noch dauert? Es geht rapid bergab mit unsrer Wirtschaft, Dividenden wird man wohl schwerlich besehen! Alles wird wahnsinnig desorganisiert, alle Reserven aufgezehrt und ich glaube doch: das Ende ist Putsch und Okkupation. Aber der Mangel an Haltung: die Würdelosigkeit, ist doch das Schrecklichste, was man erlebt. Und diese Gespräche der Leutnants pp. die man an Nachbartischen hört! Unglaublich diese Plattheit und Matter-of-fact-Stellungnahmen. Tausend Grüße Dein Max

7 Marianne Weber engagierte sich ebenfalls sehr für die DDP. Am 4. Dezember 1918 gehörte sie zu den Rednern einer öffentlichen Volksversammlung „Um Deutschlands Zukunft“ (vgl. den Aufruf in der Heidelberger Zeitung, Nr. 282 vom 2. Dez. 1918, S. 6, sowie den Bericht ebd., Nr. 285 vom 5. Dez. 1918, S. 3). Außerdem war sie am 8. Dezember 1918 an einer großen Frauenversammlung beteiligt (vgl. ihre Briefe an Max Weber vom 6. und 9. Dez. 1918 und an Helene Weber vom 29. Nov. 1918, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 8 Weber, Marianne, Die Frau und die demokratische Partei, in: FZ, Nr. 340 vom 8. Dez. 1918, 1. Mo.Bl., S. 1. 9 Der lexikalisch nicht nachgewiesene Ausdruck meint vermutlich „Geld“.

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Paul Siebeck [vor dem 5. Dezember 1918]; Frankfurt a. M. Brief; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 Die Datierung ist erschlossen aus dem Verlagsvermerk: „5./XII. 18.“

z. Z. Frankfurt a /M Basler Hof Verehrter Freund,

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meine Aufsätze müssen ja von A – Z noch durchgesehen werden.1 Die erste Partie – China – wird sehr stark verändert, die zweite (Indien) wenig, die dritte (Juden) nur korrigiert. 2 M. W. steht doch nur die letzte im Satz? Ich gehe von hier aus in 8 Tagen nach Heidelb[erg] zurück, kann dann alsbald an die Arbeit gehen.1) Grünberg hat mir auf seine Ehre versichert, sein Mscr. sei fertig bis auf Korrektur weniger Stellen. 3 Er wollte es längst schicken. Ich schrei1)

Ich könnte ja zuerst die „Juden“ durchsehen, so daß diese Partie abgesetzt werden könnte.

1 Gemeint ist die Separatausgabe der Aufsätze zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“. Nachdem Weber in seinem Brief an Paul Siebeck, vor dem 18. April 1918, oben, S. 127, erneut eine Überarbeitung der Artikel in Aussicht gestellt hatte – die Idee einer Separatpublikation findet sich schon in seinem Brief an Siebeck vom 14. Juli 1915 (MWG II/9, S. 74) –, hatte Siebeck am 26. Nov. 1918 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446) Weber gebeten, möglichst bald eine Separatausgabe der schon im Satz stehenden Aufsätze zur Wirtschaftsethik erscheinen zu lassen, um „das aus dem Feld zurückkehrende Personal der Druckereien“ zu beschäftigen. Zum Publikationsvorgang im einzelnen vgl. die Briefe an Siebeck bzw. den Verlag J. C. B. Mohr vom 10. Juni, 11. und 12. Sept. 1919, die vom 8. März, 1., 19., 21., 23. und vor dem 26. April sowie 30. Mai 1920, unten, S. 636, 771, 772, 944, 963, 1013, 1021, 1027, 1036 und 1102. 2 Die von Weber unterschiedlich stark bearbeiteten Artikel sind alle wegen seines frühzeitigen Todes postum erschienen. Lediglich die erheblich überarbeitete Neufassung des „Konfuzianismus“ – wie die der „Protestantischen Ethik“ – hat Weber noch selber in den Druckfahnen korrigieren können, veröffentlicht in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1920 (MWG I/19 bzw. MWG I/18). Die von Weber geringfügig veränderten Artikelfolgen über „Hinduismus“ und „Judentum“ sind in zwei weiteren Bänden erschienen: ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 2 und 3, beide ebd., 1921 (MWG I/20 bzw. MWG I/21). 3 Zum Problem der Fertigstellung von Carl Grünbergs GdS-Manuskript über „Agrarverfassung“ vgl. den Brief an Paul Siebeck, vor dem 18. April 1918, oben, S. 128, Anm. 7.

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be noch einmal an ihn, dann ev. – Schluß. Man müßte dann an Fuchs4 gehen. Aber es wäre nicht angenehm. In Eile mit freundschaftlichem Gruß! Max Weber

4 Carl Johannes Fuchs.

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Robert Michels PSt 5. Dezember 1918; PSt Frankfurt Brief; eigenhändig AFLE Turin, Nl. Robert Michels, Kapsel Max Weber, Fasz. 120 In der Orts- und Datumszeile gibt Weber als unrichtige Angabe: „Heidelberg 7. XII“ an; der beiliegende Briefumschlag trägt den Poststempel: „Frankfurt 5. 12. 18“.

Heidelberg 7. XII Sehr geehrter Herr Kollege,

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ich bitte Sie, Ihrerseits angeben zu wollen, wann und in welchem Umfang Sie bereit und geneigt sind, den zugesagten Beitrag zu liefern.1 Es versteht sich, daß angesichts der Verschiebungen durch den Krieg eine ev. Neufestsetzung des Umfangs diskutabel ist, nur müßte die dann abgemachte Bogenzahl auch innegehalten werden. Mit vorzüglicher Hochachtung Max Weber

1 Webers Anfrage galt dem GdS-Artikel von Michels, später erschienen unter dem Titel: Psychologie der antikapitalistischen Massenbewegungen, in: GdS, Abt. IX, Teil 1. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1926, S. 241–359; der Beitrag war ursprünglich auf drei Bogen begrenzt.

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Hugo Preuß 5. Dezember 1918; Frankfurt a. M. Telegramm BA Berlin, RdI, Nr. 16807, Bl. 26 Der liberale Berliner Verfassungsrechtler Hugo Preuß war am 15. November 1918 zum Staatssekretär des Innern ernannt und mit dem Entwurf einer Reichsverfassung betraut worden. Max Weber war ohne sein Wissen neben Preuß als Kandidat für dieses Amt in Betracht gezogen worden (Mommsen, Max Weber3, S. 324 und 356 f.), war doch auch er seit 1917 mehrfach mit Vorschlägen zu einer Verfassungsreform hervorgetreten (MWG I/15, S. 261–288, 307–313 und S. 421–596). Als Preuß mit Zustimmung des Rates der Volksbeauftragten Anfang Dezember die Bildung eines informellen beratenden Expertengremiums anregte, fiel seine Wahl auch auf Max Weber, dessen aktuelle Artikel „Die Staatsform Deutschlands“ sich erneut intensiv mit verfassungsrechtlichen Fragen befaßten. Am 4. Dezember erreichte Weber telegraphisch die Einladung, in Berlin an vertraulichen Beratungen über die künftige Reichsverfassung teilzunehmen. Am 7. Dezember verließ er Frankfurt in Richtung Berlin, wo im Reichsamt des Innern vom 9. bis 12. Dezember die Beratungen stattfanden (MWG I/16, S. 49–55, ebd., S. 56–90, das Protokoll der Sitzungen mit Webers Diskussionsbeiträgen). Deren Verlauf bewertete Weber ebenso positiv wie die Preußsche Verhandlungsführung (vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 10. Dezember und an Hugo Preuß vom 25. Dezember 1918, unten, S. 351 und 374). Im Anschluß an die informellen Verfassungsberatungen nahm Weber am 16. Dezember in Berlin außerdem an der vorbereitenden Konferenz für ein allgemeines Wirtschaftsparlament teil (vgl. „Der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft“, MWG I/16, S. 396–400).

= auf anfrage 1 a 14514 hin werde ich bei barkostenerstattung am 9 mittags an konferenz teilnehmen = max weber. +

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Mina Tobler [6. Dezember 1918; Frankfurt a. M.] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Datum und Ort sind aus dem Briefinhalt erschlossen: Seit November arbeitete Max Weber als freier Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung in Frankfurt. Am Vortag, dem 5. Dezember 1918, hatte er in Wiesbaden eine Wahlrede für die DDP gehalten. Vgl. auch die inhaltlichen Parallelen zum Brief an Marianne Weber vom 6. Dezember 1918, unten, S. 347–350.

Liebes,

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nur schnell Dank für den lieben Brief und die Nachricht, daß ich nach Berlin fahre bis Mitte übernächster Woche: Telegramm des Staatssekretärs (Professor) Preuß – Inneres – behufs Konferenz über die Frage der Verfassung der Reichs-Republik.1 Es ging nicht anders, ich thue es nicht gern. Adresse: March-Straße 15 Charlottenburg bei Fr[au] H[elene] Weber. Ich schreibe Dienstag oder Mittwoch wirklich, 2 heut nur ein Gruß. Gestern Rede in Wiesbaden3 – leichter Erfolg, da rein bürgerlich. Ja [,] Alles steht jetzt unsagbar scheußlich, aber man darf nicht deprimiert sein. Hier wird mir vielleicht etwas angeboten – Universität und ein paara andre Sachen, an sich sehr für mich passend, noch sehr im Werden und noch streng vertraulich. Ich machte nur Mar[ianne] die paarb Andeutungen, auch noch nichts Näheres. Ein Mäzenat (Merton) steht dahinter.4 Ich muß es ja überlegen, so hart es ankommt. Aber noch ist es nicht so weit! Immer besser als Berlin oder München! 5 Aber ich denke, es wird auch nichts. Kandidatur zur Nationalversammlung? Sehr fraga O: par

b O: par

1 Vgl. das Telegramm an Hugo Preuß vom 5. Dez. 1918, oben, S. 344, sowie den Editorischen Bericht zu „Beiträge zur Verfassungsfrage anläßlich der Verhandlungen im Reichsamt des Innern vom 9. bis 12. Dezember 1918“, MWG I/16, S. 49–55. 2 Ein Brief an Mina Tobler vom 10. oder 11. Dezember 1918 ist nicht nachgewiesen. Der nächste überlieferte Brief stammt vom 21. Dez. 1918, unten, S. 373. 3 Max Weber hatte am 5. Dezember 1918 auf Einladung des Wiesbadener Ortsvereins der DDP über „Das neue Deutschland“ gesprochen. Vgl. MWG I/16, S. 386–395. 4 Zum Angebot von Richard Merton vgl. den Brief an Marianne Weber vom 6. Dez. 1918, unten S. 347 f., Anm. 6. 5 Anspielung auf das Angebot der Sombart-Nachfolge an der Berliner Handelshochschule (vgl. den Brief an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts vom 16. Okt. 1918, oben, S. 267, Anm. 6) sowie auf die Frage der Brentano-Nachfolge in München (vgl. die Bandeinleitung zu MWG II/9, S. 1–18, hier S. 12 f.).

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lich, man will „Ortsansässige“.6 Na um so besser! Ich sitze am liebsten ruhig zu Hause, glaube aus dem Schwindel kommt nichts. Später ist man dann nötig. Also bis Berlin immer in Gedanken an Deine offenen Arme! Dein M.

6 Zur gescheiterten Nominierung von Max Weber als DDP-Kandidat im Wahlkreis Hessen-Nassau vgl. „Erklärung zum Scheitern der Kandidatur für die Wahlen zur Nationalversammlung im Wahlkreis 19 (Hessen-Nassau)“, MWG I/16, S. 152–156.

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Marianne Weber [6. Dezember 1918]; Frankfurt a. M. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Freitag“ und dem Briefinhalt: Am Vortag hatte Max Weber für die DDP in Wiesbaden eine Rede gehalten. Vgl. auch die inhaltlichen Parallelen zum Brief an Mina Tobler vom selben Tag, oben, S. 345 f.

Frankfurt, Freitag Liebes Mädele,

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gestern Rede in Wiesbaden – ein sehr billiger Erfolg, da diea Soz[ial-] Demokraten sehr schwach sind.1 Morgen nach Berlin – Bummelzug, 2 Tagereisen! – da Preuß (R[eichs-]A[mt] des Innern) mich telegrafisch zu vertraulichen Konferenzen über die Verfassung bat. Das ist ja nun was für mich, 2 ich möchte mich nicht entziehen, kann auch allerhand Dinge u. Menschen sehen. Ich wohne zunächst „Habsburger Hof“, dann wenn möglich bei Mama. Post bitte zu Mama! Über 8 Tage (Montag) ist das „Wirtschaftsparlament“. 3 Dazu bleibe ich also da, dann erst werde ich zurückfahren, also etwa Mittwoch – Donnerstag übernächster Woche. – Hier spinnt sich etwas an. Die Söhne des alten Merton möchten mich herholen4

a Fehlt in O; die sinngemäß ergänzt. 1 Mina Tobler gegenüber äußerte Max Weber, die Rede sei ein leichter Erfolg gewesen, „da [die Zuhörerschaft] rein bürgerlich“. Vgl. den Brief an Mina Tobler vom 6. Dez. 1918, oben, S. 345. 2 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zu Max Webers Antworttelegramm vom 5. Dez. 1918 auf die Anfrage von Preuß, oben, S. 344. 3 Am 16. Dezember 1918 tagte in Berlin ein von Heinrich Brückmann einberufenes Wirtschaftsparlament. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 29. Nov. 1918, oben, S. 329 mit Anm. 6. 4 Richard und vermutlich Alfred Merton, die Söhne des verstorbenen Frankfurter Mäzens Wilhelm Merton, der bereits 1895 versucht hatte, Max Weber für das von ihm gegründete Institut für Gemeinwohl zu gewinnen. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 29. Nov. 1918, oben, S. 330, Anm. 9.

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1) Aufsichtsrat des Institutsb f[ür] Gemeinwohl (Volkshochschule, soziale Arbeit, Forschung) 5 2) Universität (Extraordinariat – Ordinariat habe ich abgelehnt) c 6 3) Thätigkeit in der Zeitung.7 Gefragt, welches Gesammteinkommen ich haben müsse, antwortete ich: 20–25000 Mk. Habe im Übrigen Deine Entscheidung vorbehalten. Die Sache geht auch nur Schritt für Schritt. Es kann etwas Verständiges werden, man wohnt dann draußen irgendwo oder in den hübschen Vorstädten. Frage: was aus den Büchern dabei wird? und der Abschied von Heidelberg! Vorerst bleibt ja Alles offen, es ist ganz unverbindlich u. unter der Hand. Warten wir also ab! Ich bin begierig, was das Peterle dazu sagt?8 Theodor Baumgarten war heut da mit seiner Braut (seit 3 Tagen!), einer bei Biebrich ansässigen Berlinerin – verstand ich recht, stellte er b O: Institut c Klammer fehlt in O. 5 Um 1890 hatte Wilhelm Merton das Institut für Gemeinwohl gegründet und 1896 in eine GmbH umgewandelt mit dem Ziel, private und kommunale Initiativen auf dem Feld des Stiftungs- und Armenwesens zu koordinieren, zu professionalisieren und wissenschaftlich zu fundieren. In der Folge initiierte die Stiftung zahlreiche Einrichtungen, darunter die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften (1901), eine Vorstufe der 1914 gegründeten Universität Frankfurt. Deren Beirat beizutreten, hatte sich Max Weber bereit erklärt (vgl. Achinger, Hans, Wilhelm Merton in seiner Zeit. – Frankfurt a. M.: Verlag Waldemar Kramer 1965, S. 211). Es ist allerdings nicht bekannt, ob er diese Funktion tatsächlich ausgeübt hat. Weder die Archivbestände des Instituts für Gemeinwohl noch der Nachlaß von Richard Merton geben laut schriftlicher Auskunft des Hessischen Wirtschaftsarchivs vom 4. August 2008 weiteren Aufschluß über das hier erwähnte Angebot an Max Weber. 6 Das Sitzungsprotokoll des Großen Rates der Universität Frankfurt am Main vom 28. Dezember 1918 hält den vom Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät und von Professor Stein vorgebrachten Wunsch fest, Max Weber als „ordentlichen Honorarprofessor“ zu gewinnen. Die Finanzierung sollte „voraussichtlich von privater Seite aufgebracht werden“ (UA Frankfurt, Abt. 2, Nr. 4). Nachträglich aus dem Protokoll gestrichen wurde der Passus, daß Max Weber für den zu diesem Zeitpunkt dank einer Stiftung neu zu besetzenden Lehrstuhl für Soziologie aus gesundheitlichen Gründen nicht in Frage komme. Zur Besetzung dieses Lehrstuhls vgl. den Brief an Kollege N. N., nach dem 15. Dez. 1918, unten, S. 361–368. 7 Die Verknüpfung der unterschiedlichen Tätigkeitsfelder erklärt sich möglicherweise aus den Verbindungen zwischen der Familie Merton und Heinrich Simon, dem Miteigentümer und Vorsitzenden der Redaktionskonferenz der Frankfurter Zeitung. 8 Marianne Weber äußerte sich zu diesem Angebot in ihrem Antwortbrief vom 9. Dez. 1918 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) folgendermaßen: „Über die Frankfurter Möglichkeiten sprechen wir mündlich, nicht wahr? Es ist ja immer angenehm eine materielle Sicherheit im Hintergrund zu haben und eine solche Kombination ohne allzu feste Amtspflichten für Dich würde mir schon einleuchten. Aber Entscheidungen wollen wir noch hinausschieben bis man sieht[,] was der definitive Zustand sein wird.“

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sie als „Frau“ so u. so vor, jedenfalls ist sie zwar angenehm, aber etwas nüchtern und nicht ganz jung, er hat sie erst grade kennen gelernt! 9 In dem verfl. . . Telefon hast Du das nicht verstanden.10 Ich bin begierig, wie ich das Mütterchen fi nde, das einen ziemlich betrübten Brief hierher schrieb.11 Ernst12 sei ganz „hintersinnig“ und sie stehe auch unter dem Gefühl, daß etwas Schreckliches bevorstehe. Alfred scheint sie jetzt etwas mehr – per Telefon – zu informieren, – ich hatte Else gebeten, ob sie ihm das nicht sagen könnte.13 Alfred’s Entgleisung gegen Stinnes ist recht unangenehm,14 ich fürchte, er ist stark überreizt, sonst macht er ja seine Sache gut. Liebes Peterle, nun muß ich noch wieder ca 10–12 Tage ohne Dich in der kalten und mesquinen15 Welt dieses quirlenden Karnevals mit so düsterem Hintergrund herumgondeln. Hoffentlich ist es dann „Schluß“ und ich sitze in Heidelberg. Denn in Berlin wird nichts Dauerndes aus mir, diese dumme Bande kann mich doch nicht brauchen. Hier ventiliert man meine Kandidatur für die Nationalversammlung16 – aber den „Bonzen“ bin ich zu „radikal“ und vor Allem – Fremdling. Ich glaube nicht an meine Wahl, habe erklärt, daß ich für eine aussichtslose Kan-

9 Theodor Baumgarten, drittes Kind von Max Webers Vetter Fritz Baumgarten, hatte sich mit der zwei Jahre älteren, verwitweten Berta Harnisch verlobt. 10 Marianne Weber hatte Max Weber im vorausgegangenen Telefongespräch akustisch nur unzulänglich verstanden, wie sie in ihrem Brief an Max Weber vom 6. Dez. 1918 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) schrieb. 11 Der Brief ist nicht nachgewiesen. Marianne Weber befand ihrerseits in ihrem Brief an Max Weber vom 6. Dez. 1918 (wie Anm. 10): „Sie leidet offenbar stark unter seelischer Einsamkeit“. 12 Ernst Mommsen betreute seine Schwiegermutter als praktischer Arzt. 13 Ein Brief dieses Inhalts an Else Jaffé ist nicht nachgewiesen. 14 Alfred Weber hatte auf der ersten großen Parteikundgebung der DDP am 1. Dezember 1918 im Berliner Zirkus Busch als einer der Hauptredner die Industriellen Hugo Stinnes und August Thyssen fälschlicherweise der Kollaboration mit der Entente bezichtigt. Vgl. „Zur Affäre mit Stinnes und Thyssen (1918)“, in: Politische Theorie und Tagespolitik (1903– 1933) (Alfred-Weber-Gesamtausgabe, Bd. 7). – Marburg: Metropolis-Verlag 1999, S. 419– 422; außerdem Demm, Eberhard, Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 38). – Boppard am Rhein: Boldt 1990, S. 274–276, sowie die Briefe an Marianne Weber vom 13. Dez. 1918, unten, S. 357, und an Else Jaffé vom 15. Dez. 1918, unten, S. 359 f. 15 Frz. für: schäbig. 16 Max Weber sollte im Anschluß an seine begeistert aufgenommene Rede „Das neue Deutschland“, die er auf Einladung des Frankfurter „Demokratischen Vereins“ am 1. Dezember 1918 gehalten hatte (vgl. MWG I/16, S. 376–385), als Spitzenkandidat der DDP im 19. Wahlkreis Hessen-Nassau nominiert werden. Vgl. die Bandeinleitung zu MWG I/16, S. 1–45, hier S. 14 f.

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didatur, ganz hinten auf der Liste, nicht zu haben bin. Endlose Wahlreden für fremde Pisänge17 zu halten, – nein ich danke. Laß Dirs gut gehen und schreib auch Mal (Marchstr. 15)18[ .] Es umarmt Dich Dein Max

17 Im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und im Ersten Weltkrieg wiederauflebende Verballhornung des französischen Wortes „paysan“ für Bauer (vgl. Das Rheinische Wörterbuch, bearb. und hg. von Josef Müller, Band 6. – Berlin: Erika Kopp 1941, Sp. 878 f.). Auch in der westniederdeutschen Umgangssprache abwertende Bezeichnung einer Person (vgl. van Dale, Johan Hendrik, Groot woordenboek der Nederlandse taal, Band 2, 9. Aufl. – ’s Gravenhage: Martinus Nijhof 1970, S. 1525). 18 Adresse Helene Webers.

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Marianne Weber [10. Dezember 1918; Berlin] Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Datum und Ort sind aus dem Briefinhalt erschlossen: Hugo Preuß war als Staatssekretär im Reichsamt des Innern mit der Ausarbeitung der Verfassung für die neue Republik beauftragt worden. Zu seiner Beratung berief er vom 9. bis 12. Dezember 1918 einen informellen Beirat – zu dem u. a. Max Weber gehörte – nach Berlin (vgl. „Beiträge zur Verfassungsfrage anläßlich der Verhandlungen im Reichsamt des Innern vom 9. bis 12. Dezember 1918“, MWG I/16, S. 49–90). Max Weber schrieb den folgenden Brief vermutlich am zweiten („Gestern also ,Sitzung‘“) und nicht erst am vorletzten Sitzungstag („Es soll morgen schon Alles fertig sein“). Zwar weist die „Aufzeichnung über die Verhandlungen im Reichsamt des Innern über die Grundzüge des der verfassunggebenden Nationalversammlung vorzulegenden Verfassungsentwurfs, vom 9. bis 12. Dezember 1918“, ebd., S. 56–90) die Tagesordnungspunkte nicht den einzelnen Sitzungstagen zu, der von Max Weber im folgenden genannte momentane Diskussionspunkt über „Staat u. Kirche“ wurde jedoch vom Protokollumfang her zu schließen eher früh abgehandelt (ebd., S. 69 f.). Der Hinweis auf das Sitzungsende „morgen“ dürfte folglich nicht auf das tatsächliche, sondern auf ein zu Sitzungsbeginn zunächst in Aussicht genommenes Schlußdatum bezogen gewesen sein.

Liegen geblieben! Liebes Mädele,

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schnell ehe wir wieder an diese „Reichsverfassung“ gehen, ein paara Worte. Ich wohne beim Mütterchen, das ganz wohl ist, geistig frisch, auch körperlich in Ordnung. Die Fahrt hierher war unglaublich! 30 Stunden – „encore des Sardines“! wie damals.1 Sonntag Nachm[ittag] |:u. Abend:| bei Clara mit Conrad (sen.), ganz verständige Aussprache bei allen Gegensätzen. 2 Gestern also „Sitzung“. Der dicke Preuß macht seine Sache sehr gut, ist eben doch ein sehr gescheidter Kerl. Anwesend verschiedene Ministerialräte, 3 Hartmann4 – als ich ihn „Se[ine] Excellenz“ titulierte, puffte er mich in offner Sitzung – 2 Soz[ial-]Dea O: par 1 Vermutlich spielt Max Weber auf eine gemeinsame, nicht nachgewiesene Reiseerfahrung in einem überfüllten Zug an – „Wieder einmal wie Sardinen“. 2 Welchen Inhalt die Unterredung mit Clara Mommsen und deren Schwager Conrad Mommsen hatte, konnte nicht geklärt werden. 3 Vgl. die Liste der Anwesenden im Editorischen Bericht zu „Beiträge zur Verfassungsfrage anläßlich der Verhandlungen im Reichsamt des Innern“ (wie Editorische Vorbemerkung), hier S. 52. 4 Ludo Moritz Hartmann, ein langjähriger Freund von Alfred und Max Weber, nahm als Gesandter der Republik Deutschösterreich an der Kommission in Berlin teil.

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mokraten5 (1 ganz Radikaler) [ .] 6 Anschütz wird noch erwartet,7 1 Senator aus Hamburg,8 einige Herren des Auswärtigen Amtes9 u. s. w. Es soll morgen schon Alles fertig sein – so schnell ist wohl noch nie eine „Verfassung“ gemacht worden. Nun – das „Gespenstische“ der Lage liegt eben darin, daß Alles doch vielleicht „Makulatur“ wird, wahrscheinlich sogar, denn das Rad geht über die Dinge und uns Alle hinweg. Es sei denn, daß jetzt, was möglich ist, eine Diktatur Ebert’sb kommt. – Im Übrigen ist es Blödsinn, von gefährlichen Zuständen hier zu reden. Man ißt teuer, aber gut und sehr reichlich. Von „Gefahr“ ist keine Rede. Alles was darüber gesagt wird, ist Unsinn. Mach Dir gar keine Sorgen! Nur das Zurückkommen wird schwer sein, d. h. ca 4 Tage in Anspruch nehmen, wenn die Verhältnisse des Verkehrs sich so weiter verschlechtern. – Verzeih, – Schluß! Es wird über „Staat u. Kirche“ diskutiert. Ich muß mitmachen. Es küßt Dich Dein Max

b O: Evert’s 5 Möglicherweise Max Quarck (MSPD) und Joseph Herzfeld (USPD). 6 Vermutlich Joseph Herzfeld. 7 Laut „Aufzeichnung über die Verhandlungen im Reichsamt des Innern über die Grundzüge des der verfassunggebenden Nationalversammlung vozulegenden Verfassungsentwurfs, vom 9. bis 12. Dezember 1918“ (wie oben, Editorische Vorbemerkung, S. 56) war die Absage des Verfassungsrechtlers Gerhard Anschütz gleich zu Tagungsbeginn bekannt gegeben worden. 8 Carl Petersen. 9 Vermutlich Walter Simons und Kurt Riezler.

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Verlag Duncker & Humblot 12. Dezember [1918]; Charlottenburg Brief; eigenhändig VA Duncker & Humblot, Berlin Jahresdatum erschlossen aus Verlagsvermerk: „eingeg. 16. 12. 18“ sowie Briefinhalt. Zum Kontext vgl. auch die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Otto Crusius vom 24. November 1918, oben, S. 317.

Heidelberg (z. Z. Charlottenburg) 12/XII

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Herren Duncker & Humblot München Sehr geehrte Herren!

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Leider ist die Artikelserie schon (von der „Fr[ankfurter] Z[eitung]“ selbst) in Verlag genommen.1 Sonst wäre ich besonders gern auf den Vorschlag eingegangen. Hat sich die frühere Broschüre – jetzt ist sie ja antiquiert – gut verkauft?2 Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr Prof. Max Weber

1 Offensichtlich hatte der Verlag an Weber die Bitte gerichtet, die fünfteilige Artikelserie „Die Staatsform Deutschlands“ als Broschüre bei Duncker & Humblot zu publizieren. Die Serie ist erschienen unter dem Titel: Deutschlands künftige Staatsform (Zur deutschen Revolution. Flugschriften der Frankfurter Zeitung, Heft 2, Sonderabdruck aus der Frankfurter Zeitung). – Frankfurt: Verlag der Frankfurter Societäts-Druckerei 1919 (MWG I/16, S. 91– 146). 2 Laut Nachricht vom 16. Dez. 1918 (Abschrift masch.; VA Duncker & Humblot Berlin) hatte Webers Schrift „Parlament und Regierung“ „einen durchaus befriedigenden Absatz gefunden“: „Nach den bisher möglichen Feststellungen sind über 1000 Stücke fest verkauft; die Broschüre wird noch fortwährend im Buchhandel verlangt.“

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12. Dezember 1918

Gustav Radbruch [am oder nach dem 12. Dezember 1918]; Charlottenburg Brief; eigenhändig UB Heidelberg, Heid. Hs. 3716 (Nl. Gustav Radbruch) Die Datierung ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Die Verfassungsberatungen, auf die Weber sich bezieht, dauerten vom 9. bis 12. Dezember 1918.

Charlottenburg, Marchstr.a 15 bei Frau H[elene] Weber Sehr verehrter Herr Kollege! Ich habe Preuß sehr nachdrücklich auf Sie hingewiesen.1 Er schien nicht abgeneigt, für jede geeignete Aufgabe sich an Sie zu wenden.2 Indessen ist jetzt der Entwurf der Reichsverfassung im Prinzip fertig (4 Tage!) und nur „Redaktions“-Arbeit zu leisten, die von den Geheimräten des Reichsamts des Inneren geleistet wird. Ich habe geglaubt, auch dafür auf Sie verweisen zu dürfen, indessen wohl vergeblich, denn Das wollen die Herren (bes[onders] Geh. Rat Schulze, 3 übrigens ein recht ordentlicher Mann) offenbar gern selbst machen und ohne Hilfe, auch ohne unsre, der Mitberatenden, Hilfe.4 Herzliche Grüße Ihr Max Weber a O: Marchst. 1 Vermutlich während der Verfassungsberatungen in Berlin. 2 Gustav Radbruch war erst am 5. Dezember von seinem Einsatz als stellvertretender Ordonnanzoffizier an der Westfront zurückgekehrt und am 7. Dezember in Berlin eingetroffen. Eine Bitte Radbruchs um Empfehlung ist nicht nachgewiesen. Den edierten Briefen Radbruchs läßt sich ausschließlich entnehmen, daß er während seiner Rückkehr von der Front Marianne Weber in Heidelberg besucht hatte. Vgl. Gustav Radbruch. Briefe I (1898– 1918), bearb. von Günter Spendel (Gustav Radbruch Gesamtausgabe, Bd. 17). – Heidelberg: C. F. Müller 1991, S. 287 f. (Brief vom 9. Dez. 1918). 3 Alfred Schulze war Referent für Verfassungsfragen im Reichsamt des Innern (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Schulze vom 20. Dez. 1918, unten, S. 372). 4 Nach Veröffentlichung des revidierten (II.) Preußschen Verfassungsentwurfs im Januar 1919 unterstützte Gustav Radbruch diesen mit zwei Artikeln im „Vorwärts“ (vgl. Hugo Preuß. Politik und Verfassung in der Weimarer Republik, hg. von Detlef Lehnert (Hugo Preuß. Gesammelte Schriften, Bd. 4). – Tübingen: Mohr Siebeck 2008, Einleitung, S. 10). Ende Januar schrieb Radbruch dann an seinen Vater: „Staatssekretär Dr. Preuß, bei dem ich war, hat sich über diese Unterstützung sehr gefreut. Auf seine Veranlassung habe ich auch einen Sozialisierungs-Paragraphen für die Verfassung formuliert, den sich die Sozialisierungskommission jetzt zu eigen gemacht hat [. . .].“ Zit. nach: Gustav Radbruch. Briefe II (1919–1949), bearb. von Günter Spendel (Gustav Radbruch Gesamtausgabe, Bd. 18). – Heidelberg: C. F. Müller 1995, S. 14 f. (Brief vom 31. Jan. 1919).

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Hans W. Gruhle PSt 13. Dezember 1918; Charlottenburg Brief; eigenhändig Nl. Hans W. Gruhle, BSB München, Ana 612 Das Datum ist aus dem beiliegenden Briefumschlag erschlossen.

Charlottenburg Marchstr.a 15. Verehrtester Freund und Kollege,

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ich bin Weihnachten oder etwas vorher wieder zu Haus und stehe dann für Alles zur Verfügung, insbesondre auch dieser „Reform“-Bewegung.1 Wichtig wäre grade: was die Assistenten fordern. Den Privatdozenten für Popo-Standhaftigkeit Gehälter zahlen, – das geht doch nicht an! Und wie die Auslese treffen? Beteiligung an der Rektorwahl für alle seit – sagen wir – 2 Jahren Habilitierten, Vertreter in allen Fakultäts- und Senatssitzungen (wie in Wien), Erschwerung der Habilitation (inter-lokale Kommissionen dafür – wie in Italien) u. dgl. Nun, wir reden darüber. Hier ist Alles ruhig.1) Die Reichsverfassung ist – in 4 Tagen! – schon „fertig“ – „salva redactione“. 2 Aber ob sie nicht Makulatur bleibt?3 1)

Keine Rede von besondren oder gefährlichen Verhältnissen.

a O: Marchst. 1 Nach der Novemberrevolution war es an der Universität Heidelberg zur Konstituierung eines Reformausschusses der Ordinarien gekommen, der sich hauptsächlich mit der zukünftigen Stellung der Nichtordinarien beschäftigte. Die erste Sitzung des Ausschusses hatte am 8. Dezember 1918 stattgefunden; vgl. dazu Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, Notiz vom 8. Dezember 1918, S. 796. Nach Hampes Aufzeichnungen wurde die Tätigkeit des Reformausschusses am 3. Januar 1919 zu einem vorläufigen Abschluß gebracht (ebd., S. 813). Nach einer Besprechung über die Universitätsreform mit Ministerialdirektor Victor Frhr. v. Schwoerer am 18. Januar 1919 (ebd., S. 821) sowie einer Fakultätssitzung am 1. Februar 1919 (ebd., S. 826) mußte Hampe konstatieren, daß die Reformvorstellungen der Regierung wesentlich konservativer als die des Heidelberger Ausschusses waren. Dies dokumentierte sich in der neuen Universitätsverfassung für Heidelberg und Freiburg vom 21. März 1919; vgl. dazu Weisert, Hermann, Die Verfassung der Universität Heidelberg. Überblick 1386–1952 (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Jg. 1974, 2. Abhandlung). – Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag 1974, S. 114 f. 2 Lat.: Unter Vorbehalt des Wortlauts. Zu Webers Teilnahme an den Verfassungsberatungen im Reichsamt des Innern vom 9. bis 12. Dezember 1918 vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Telegramm an Hugo Preuß vom 5. Dez. 1918, oben, S. 344. 3 Zu Webers pessimistischen Prognosen bezüglich der weiteren politischen Entwicklung vgl. insbesondere seine Briefe an Otto Crusius vom 24. Nov. sowie an Marianne Weber vom 10. Dez. 1918, oben, S. 317–321 und 351 f.

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Diese „Revolution“ ist ein ekelhafter mesquiner4 Karneval! Gott besser’s! Herzliche Grüße! Max Weber

4 Frz. für: schäbig.

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Marianne Weber [13. Dezember 1918; Charlottenburg] Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Datum und Ort sind aus dem Briefinhalt erschlossen: Max Weber blieb nach Abschluß der Arbeiten der Preußschen Verfassungskommission am 12. Dezember 1918 bei Helene Weber in Charlottenburg, da er bereits am 16. Dezember 1918 zu einem von Heinrich Brückmann organisierten Wirtschaftskongreß in Berlin eingeladen war (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 29. Nov. 1918, oben, S. 329 mit Anm. 6). Bei Helene Weber hat er den folgenden Brief in Kenntnis von Alfred Webers Rücktritt als kommissarischer Parteivorsitzender der DDP am 13. Dezember 1918 geschrieben.

Liebes Peterle!

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So, die Reichsverfassung ist – im Prinzip – fertig, sehr ähnlich meinen Vorschlägen.1 Aber es ging den ganzen Tag mit sehr gescheidten Leuten heiß her, es war ein Vergnügen, Montag – Donnerstag Abend. 2 Heut zum ersten Mal schlief ich fast aus. Nun kommt dieser „Wirtschaftskongreß“. 3 Wollen sehen, was es ist. Das Mütterchen ist recht mobil eigentlich. Nur diese „Ungetrostheit“ der Wohnung, die sie gar nicht mehr merkt! Es ist erstaunlich. Die Wohnung ist sehr nett, nur die Einrichtung so entsetzlich für meine Idee – aber sie selbst ist sehr zufrieden!4 Hier ist jetzt Alles ruhig. Auf die Dauer wird ja der Putsch fast unvermeidlich, aber jetzt ist vorerst nichts zu merken. Alles geht ganz wie gewöhnlich. Nur die Art der Rückreise ist dunkel. Jeden Tag liegt es damit anders. Ev. muß ich über Nürnberg-Stuttgart fahren! Es ist schon toll! – und dauert zuweilen 2, zuweilen auch 3 Tage! je nach Art der Verbindung! Das kann gut werden! Satt werde ich hier. Nur die Fleischkarten fehlen. In der Partei steht es nicht gut. Diese törichte Stinnes-Sache hat Alfred seine Stellung gekostet und der Partei schwer geschadet. Alles gerät wieder in die Hände der alten Kerle! 5 Und das ist greulich. 1 Zu Webers Auffassung vgl. „Deutschlands künftige Staatsform“, MWG I/16, S. 91–146. 2 Vgl. dazu „Beiträge zur Verfassungsfrage anläßlich der Verhandlungen im Reichsamt des Innern“, MWG I/16, S. 49–90. 3 Vgl. dazu „Der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft“, MWG I/16, S. 396–400. 4 Helene Weber hatte ihr Haus in Charlottenburg, Marchstraße 7F, verkauft und war im September 1918 in eine Wohnung in der Marchstraße 15 umgezogen. 5 Auf seiner Sitzung am 13. Dezember 1918 nahm der Geschäftsführende Ausschuß der DDP Alfred Webers Rücktrittsangebot wegen dessen unhaltbaren Anschuldigungen gegen die Industriellen Stinnes und Thyssen an. Vgl. die Editorische Vorbemerkung und Brief

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13. Dezember 1918

Die Wahlen werden wohl sicher schon recht bald stattfi nden, früher als beabsichtigt.6 Inzwischen wird das Entente-Ultimatum kommen wegen der Arbeiter- u. Soldaten-Räte. Daß diese Schweinerei dann aufhört, ist ja gut. Aber was dann hier in Berlin passiert, weiß man noch nicht. Die Invasion ist das Wahrscheinlichste. In Eile! Herzlichste Grüße! Dein Max

an Else Jaffé vom 15. Dez. 1918, unten, S. 359. Unterschwellig war es bei der Affäre um einen Flügelkampf zwischen den alten liberalen Parteieliten aus dem Kaiserreich und dem linken Parteispektrum um Alfred Weber gegangen. Vgl. dazu den Brief an Else Jaffé vom 15. Dez. 1918, unten S. 359 f., sowie Demm, Eberhard, Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 38). – Boppard am Rhein: Boldt 1990, S. 271–277. 6 Der vom 16. bis 19. Dezember 1918 tagende Reichskongreß der Arbeiter- und Soldatenräte beschloß am 19. Dezember die Wahl zur Nationalversammlung für den 19. Januar 1919. Das Wahlgesetz hatte zuvor den 16. Februar als Wahltermin vorgesehen (Schulthess 1918, Bd. 1, S. 584–586).

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Else Jaffé [15. Dezember 1918]; o.O. Abschrift; von der Hand Else Jaffés, ohne Anrede und Schlußformel BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 51 Das Datum ist aus dem Briefinhalt erschlossen: Die im Brief erwähnte Vorstandssitzung der DDP sollte am Montag, dem 16. Dezember 1918 stattfinden (Brief Alfred Webers an Else Jaffé vom 14. Dezember 1918, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 82, Bl. 70–72). Hintergrund des folgenden Schreibens sind parteiinterne Auseinandersetzungen um Alfred Webers Rede auf der ersten großen Parteikundgebung am 1. Dezember 1918 und die darin geäußerten unhaltbaren Kollaborationsvorwürfe gegen die Industriellen Hugo Stinnes und August Thyssen. Vgl. dazu auch die Briefe an Marianne Weber vom 6. Dezember 1918, oben, S. 349, Anm. 14, und vom 13. Dezember 1918, oben, S. 357. Anrede, Grußformel und Unterschriftszeile fehlen. Es handelt sich vermutlich um einen eigens für Alfred Weber erstellten Auszug eines längeren Briefes.

c. 15. Dezember 1918

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In der Sache mit Alfred hier (Stinnes) habe ich alle Freunde Alfreds gesprochen. Im Augenblick ist – das ist das Bittere – es nach einmütiger Ansicht unvermeidlich, daß er in den Hintergrund tritt, denn das Unglück war, daß er nicht nach dem offenen Brief – dem ersten – von Stinnes fest glaubte, die Sache sei so (was ich keinen Moment glaubte) und daß deshalb seine erste Antwort so unglücklich herauskam.1 Die Gegner (Fischbeck, Friedberg) nützen das natürlich aus. Persönlich ist er durch die schöne Ritterlichkeit seiner letzten Erklärung natürlich glänzend heraus, denn Delbrück sagte mir[,] er wolle ihm schreiben – aber auch er, Solf u. alle anderen sagten, jetzt sei es richtiger sich zurück zu halten. Nun ist das scheußlich Fatale: wieder kommt grad der bekannte sog. „große Bruder“ und – wird in das Nest gesetzt, was A[lfred] (denn ohne ihn wäre die Sache nie geworden, das wissen alle) bereitet hat. Morgen ist Fraktionsvorstands [ - ] Sitzung, ich werde entweder da sein, wenn aber nicht (wegen einer anderen Sitzung) 2 durch ein Exposé für Alfred durch Dick u. Dünn eintreten, 3 so daß die jungen Leute den nötigen Rückhalt haben. Er muß vor allen Dingen (in

1 Zur publizistischen Auseinandersetzung zwischen Hugo Stinnes und Alfred Weber vgl. Weber, Alfred, Politische Theorie und Tagespolitik (1903–1933), in: Weber, Alfred, AlfredWeber-Gesamtausgabe, Bd. 7. – Marburg: Metropolis-Verlag 1997, S. 419–422. 2 Zu Max Webers Teilnahme an Heinrich Brückmanns Wirtschaftskongreß am 16. Dezember 1918 vgl. „Der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft“, MWG I/16, S. 396–400. 3 Max Weber war seit dem 28. November 1918 Mitglied des provisorischen DDP-Vorstandes. Seine Teilnahme an der Vorstandssitzung ist nicht belegt.

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15. Dezember 1918

der Pfalz) gewählt werden.4 Er scheint sonst guten Mutes, so viel ich sehe, aber die ganze Sache ist doch abscheulich dumm in ihren Folgen. Ich werde hinter den Kulissen Sr(?) a u. Comp. 5 zu verstehen geben, wie ritterlich A[lfred] seine Gewährsmänner,6 diese Feiglinge, die ihn jetzt im Stich lassen, deckt u. daß, wenn sie diese Sache weiter ausnutzen, ihnen ein ganz erbarmungsloser Kampf auf Tod u. Leben wegen anderer Dinge, die sie gemacht haben, bevorsteht, von meiner u. anderer Seite.

a Eingeklammertes Fragezeichen in der Abschrift. 4 Zu Alfred Webers letztendlich gescheiterter Kandidatur im Pfälzer Wahlkreis vgl. Demm, Eberhard, Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 38). – Boppard am Rhein: Boldt 1990, S. 278. 5 Möglicherweise Anspielung auf die oben genannten Gesprächspartner aus dem Umfeld der DDP. 6 Alfred Weber selbst nennt den Wiener Gymnasialprofessor Wilhelm Jerusalem. Vgl. „Zur Affäre mit Stinnes und Thyssen (1918)“, in: Alfred-Weber-Gesamtausgabe, Bd. 7: Politische Theorie und Tagespolitik (1903–1933). – Marburg: Metropolis-Verlag 1999, S. 421.

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Kollege N. N. [nach dem 15. Dezember 1918]; o. O. Konzept; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 3, Bl. 36–38 Das Konzept liegt in zwei verschiedenen – sehr stark voneinander abweichenden – Fassungen vor. Die beiden Konzeptfassungen sind mit Bleistift geschrieben und äußerst schwer zu entziffern. Die Datierung ist erschlossen aus dem Erlaß des preußischen Kultusministers, Konrad Haenisch, vom 15. Dezember 1918 an die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Frankfurt mit der Bitte um beschleunigte Einreichung eines Berufungsvorschlags anstelle des 1918 nach Leipzig berufenen Ludwig Pohle. Ebenso wünschte er eine Äußerung über Franz Oppenheimer, „der hier als für Frankfurt geeigneter Kandidat erscheint. Es könnte in Frage kommen, dem Genannten eine eigene Professur für Soziologie zu übertragen, wenn die Fakultät den etatmäßigen Lehrstuhl für Nationalökonomie gern mit einer anderen Kraft besetzt sähe.“ (Abschrift masch.; GStA PK, I. HA, Rep. 76a, Sekt. 5, Tit. IV, Nr. 6, Bd. 1, Bl. 193.) Die Initiative, Franz Oppenheimer für Frankfurt zu gewinnen, war von dem dort ansässigen Konsul Karl Kotzenberg ausgegangen. Schon in einem Ministerialschreiben vom 15. März 1918 an den Oberpräsidenten in Kassel in dessen Funktion als Kgl. Kommissar der Universität Frankfurt (Abschrift masch.; ebd., Bl. 163–165) war davon die Rede gewesen, daß „eine Bewegung in gewissen Frankfurter Kreisen“ bestehe, „die darauf“ hinziele, „den Berliner Privatdozenten der Nationalökonomie, Prof. Dr. Franz Oppenheimer, als Ordinarius, am liebsten für Soziologie, nach Frankfurt zu ziehen. Der Führer dieser Bewegung ist der Konsul Kotzenberg […]. Da Kotzenberg und seine Freunde darüber orientiert sind, daß eine Berufung Oppenheimer’s auf den Pohle’schen Lehrstuhl weder bei der Fakultät, noch bei der Regierung in Erwägung kommen dürfte, haben sie die Absicht, einen eigenen Lehrstuhl für Soziologie mit einem Kapital von 300 000 M zu stiften, und hoffen, dann es erreichen zu können, daß Oppenheimer auf diesen Lehrstuhl berufen wird.“ Das Zitat, ebd., Bl. 164. Auf den Ministerialerlaß vom 15. Dezember (wie oben) hat die Fakultät – nach Errichtung der Stiftung – für den neuen Soziologielehrstuhl allerdings in ihrer Berufungsliste vom 27. Dezember 1918 (ebd., Bl. 197) nicht nur Oppenheimer, sondern außerdem auch als Kandidaten in alphabetischer Reihenfolge – pari passu – Paul Barth und Othmar Spann genannt. Trotz gewisser Einwände der Fakultät – Bedenken gegen die Ausweitung der venia legendi auch auf „Allgemeine Volkswirtschaftslehre“ sowie der Errichtung eines Ordinariats anstelle eines Extraordinariats – hat das Ministerium sich quasi umgehend für Oppenheimer entschieden. Schon am 17. Januar kam es zu einer entsprechenden Vereinbarung zwischen Carl Heinrich Becker und Oppenheimer (ebd., Bl. 209). Dieser wurde zum 1. April 1919 nach Frankfurt berufen.

Konzept 1 S. g. H. C. Wenn ein wirkliches „Gutachten“ über Dr F[ranz] O[ppenheimer] von mir gewünschta würde, so müßte ich um ausgiebige Frist bitten, um alle a erwartet > gewünscht

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seine Arbeiten |:– ich habe bisher bei Weitem nicht alle gelesen –:|b gewissenhaft durchzugehen, |:die Erinnerung aufzufrischen und die Stellungnahme zu begründen.:| Diesc graded um deswillen, weil ich dem Meistene von dem [,] was ich kenne, |:sachlich:| ablehnend gegenüberstehe, fganz unbeschadetf der entschiedensten Anerkennung des |:sehr großen:| wissenschaftlichen Ernstes und |:(natürlich):| des |:tadellosen:| persönlichen Charakters O[ppenheimer]’s. Ich teile die Ansicht nicht, daß O[ppenheimer] auf gleichviel welchem der Gebiete, die er behandelt hat, |:einfach:| als „Dilettant“ zu erledigeng sei, so sicher es ist, daßh er der Gefahr, es zu werden, die über jedem so begabten |:und zugleich so universell interessierten:| Menschen schwebt, nichti immerj entzogen ist.k lZu sagen, daß er diel Elementem der ökonomischen Disziplin – die doch sein Hauptbethätigungsgebiet war und sicherlich, |:als Lehrer wie als Schriftsteller,:| bleiben wird – nicht beherrsche, halte ich fürn nicht angängig. M. E. liegt der Thatbestand vielmehr so, daßo 1) O[ppenheimer]’s Art zup denken durchaus und so stark dem „scholastischen“ Typus entspricht, daßq für uns Andere |:über viele Probleme:|r schon der Versuch einer Verständigung mit ihm fast aussichtslos, weil ins Endlose führend, erscheint. Wos wir Thatsachen |:und deren Verknüpfung:| sehent oder suchen,a sieht und sucht bseinc immerhin doch sehr bemerkenswert penetrantes Denkenb : Logik dund die Bewährung ane Gedankengebildend[.] Es ist Ihnen |:aber:|f so gut wie mir bekannt, daß erg nicht der einzige |:reichsdeutsche:| Ordinarius hdieses Typush sein würde: |:die Hegelianer der Gegenwart machen es in ihrer Art nicht anders.:|1 Ebenso: i daß dieser |:unsj fremdartige:| b 〈noch〉 c 〈umso [m]〉 d 〈desh〉 e Unsichere Lesung. f trotz > ganz unbeschadet g betrachten und abzuthun > erledigen h 〈überall er nicht selten〉 i 〈selten〉 j 〈erlegen ist.〉 k 〈Und ich bin |:ebenso:| durchaus nicht der Mein〉 l Die > Zu sagen, daß er die m 〈der Wirtschaftslehre〉 n 〈[nich]〉 o 〈er〉 p 〈Denken〉 q 〈er zugleich〉 r 〈[ein]〉 s 〈unse〉 t 〈und〉 a 〈su〉 b er > sein 〈bemerke〉 immerhin doch sehr bemerkenswert penetrantes Denken c 〈bemerke〉 d und [Beides] > und die Bewährung an 〈[Dogmen]〉 Gedankengebilden Alternative Lesung: und die Bemühung von 〈[Dogmen]〉 Gedankengebilden e 〈[Dogmen]〉 f |:nun:| > |:aber:| g 〈damit nicht allein steht und daß auch〉 h dieser Denkform > dieses Typus i 〈der〉 j 〈|:so:|〉 1 Auf wen Weber hier anspielt, ist unklar. Zwar hat es vor dem und im Ersten Weltkrieg insbesondere bei den Philosophen – so z. B. bei Wilhelm Windelband, Emil Hammacher und Siegfried Marck – eine Hegel-Renaissance gegeben, jedoch ist unter den bürgerlichen Nationalökonomen einzig auf Johann Plenge zu verweisen, der sich mit Hegel beschäftigt bzw. ihn teilweise rezipiert hat, vor allem in seinem Buch: Marx und Hegel. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1911. Zu Plenges Hegelrezeption vgl. den Artikel von

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Denktypus |:trotz desk Kardinalgebrechensl, an dem er krankt,:|m heuristisch fruchtbare Gedankengebilden zu produzieren geeignet ist, wie dies |:auch:| für |:manche Gedanken:| O[ppenheimer]’s unbedingt in Anspruch zu nehmen ist.o 2) O[ppenheimer] phat sich innerlich aufp einigeq Lieblings-Ideenr derart festgelegt, daß er sie, |:wie in einem Bann stehend,:| immer wieders bestätigt fi ndet und |:darüber:| Andres nicht sieht |:(so in seiner Bodenmonopol-Theorie) [.] 2 Auch tsolche Einseitigkeitent können zu heuristisch sehr wertvollen Gedankengebilden führen und haben bei ihmu mehrfach auch dazu geführt.v aIm Allgemeinenb freilich pflegt einec solche innere |:Einstellung:| naturgemäß, diea Unbefangenheitd für die Realitäten ezu trüben, und dasf schien mir allerdings – [,] ohne daß ich es im Augenblick im Einzelnen zu begründen vermöchteg, – k 〈|:unt:|〉 l Kardinalfehler > Kardinalgebrechens m 〈höchst achtbare > sehr respektable und vor Allem hö〉 n |:wissenschaftliche:| Resultate > Produkte > Leistungen > Gedankengebilde o 〈Ich habe einige |:wenigstens [??]:| [?] seine[r] Gedanken[reihen] da[nn] in dieser |:(heuristischen):| Funktion 〈schätzen〉 erproben und schätzen lernen, können, obwohl ich sie〉 p ist > hat sich innerlich auf q 〈praktisch〉 r 〈|:, darunter solche mit praktisch-politischem Charakter,:| ver rannt〉 s 〈fi〉 t das > solche Einseitigkeiten u 〈[hier] |:auch:|〉 v 〈|:Ebenso könne es |:ja:| den Blick für 〈die betreffenden〉 |:bestimmte:| Einzelzüge schärfen und auch das ist bei ihm mehrfach der Fall gewesen.〉 〈Gelegentlich 〈schärft〉 |:hat:| es 〈den〉 seinen Blick für bestimmte Einzelzüge der Wirklichkeit geschärft.〉 a Aber naturgemäß trübt es > Im Allgemeinen freilich pflegt eine solche innere |:Einstellung:| naturgemäß, die Nach dem Einschub folgt ein zweites „die“ im fortlaufenden Konzept. b 〈aber, naturgemäß,〉 c es > eine d 〈des Blicks〉 e getrübt. > zu trüben, [. . .] der Fall zu sein [ . ] f 〈scheint mir〉 g O: vermochte Schildt, Axel, Ein konservativer Prophet moderner nationaler Integration. Biographische Skizze des streitbaren Soziologen Johann Plenge (1874–1963), in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 35, Heft 4, 1987, S. 523–570, speziell S. 528–530. 2 Für Franz Oppenheimer lag der Schlüssel für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie die sozialen Probleme in dem durch Gewalt entstandenen Bodenmonopol des Großgrundbesitzes. Das in der gegenwärtigen kapitalistischen Epoche durch Privateigentum herrschende Bodenmonopol garantiere seinen Eigentümern gegenüber denjenigen, denen der Zugang zu Grund und Boden versperrt war („Bodensperre“), die Grundrente. Darüber hinaus war es die Macht des Bodenmonopolisten, die zu der Abwanderung großer Teile der Landbevölkerung in die geographischen Ballungsräume beigetragen und die Entstehung jener industriellen Reservearmee verursacht habe, die es dem Industriellen ermögliche, den Lohn nach Profitmaximierung zu justieren. Remedur sah Oppenheimer in der Neuverteilung von Grund und Boden bzw. in der Schaffung einer von der Gewalt des Monopols freien Wirtschaft, in welcher der Boden ein freies Gut wäre und der Besitzer durch das Fehlen von Grundrente und Kapitalprofit den reinen Arbeitsertrag erwirtschaftete. Bei dem liberalen Sozialisten Oppenheimer stand der gegen Malthus gerichtete Gedanke im Hintergrund, daß entgegen dem „Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag“ eine immer kleiner werdende Fläche durch gesellschaftliche Kooperation für eine wachsende Bevölkerung ausreichen werde.

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ihm außerordentlichh oft der Fall zu sein [.] e iUmso mehr,i alsj dieLieblingsideen |:stark:| praktisch-politisch |:gefärbt:| und z. T. utopischen Charakters sind. Wiederum wird man nicht übersehen dürfen, daß Ähnliches sich auch sonst fi ndet, |:insbesondere:| auch bei Soziologen, wenn sie in der Ausscheidung |:ihrer:| praktischen Stellungnahmenl bei Untersuchung der Realität nicht hinlänglich geschult sind. Z. B.m bein O[thmar] Spann, so verschieden |:im Übrigen:| dieser |:innerlich:| nocho stark jugendlichep Gelehrte von O[ppenheimer] ist. |:Auch er istq leidenschaftlich in Lieblings-Ideen befangen, 3 von denen er |:auch bei wissenschaftlicher Arbeit:| nicht loskommt. O[ppenheimer] denkt weit schärferr und kennt die Gedankengebilde unsrer Disziplinen m. E. weit besser als Spann.:|s Und doch stehtt Sp[ann] jetzt |:(nach meiner Ablehnung):|u 4 mit auf der Liste für Wienv und ich selbst habe wder dortigenw Fak[ultät] nicht rathenx können, ihn überhaupta nicht in Betracht zu ziehen, sondern nurb auf anderec ihmd an Reifee sek

h sehr > bei ihm außerordentlich i Dies umso stärker, > Umso mehr, j 〈manche〉 k O: dieser l [Leitideen] Ideale aus der > Stellungnahmen m 〈|:– um einen Vergl[e]ich:|〉 n 〈|:dem Soziologen:|〉 o 〈[in] freilich〉 p im Werden begriffene > jugendl iche q 〈[au]〉 r 〈als Spann, der nur〉 s 〈|:Aber gerade diese 〈De〉 größere Schärfe:|〉 t ist > steht u 〈|:der Berufung:|〉 v 〈statt mir [!] (nachdem ich abgelehnt habe)〉 > 〈(statt meiner)〉 w der > der dortigen x abrathen > rathen a 〈|:gar:|〉 b 〈d[en] – vergeblich – darzulegen gesucht, daß〉 c die sehr zahlreichen > andere d 〈wissenschaftlich〉 e 〈, Sicherheit und der Methode〉 3 Othmar Spann vertrat als Nationalökonom und Soziologe – nach einem von ihm geprägten Wort – den „Universalismus“ bzw. die Ganzheitslehre der Gesellschaft, d. h. die Betrachtung der Gesellschaft als einer organischen Gesamtheit mit deren logischem Primat vor den Individuen. Das Individuum konstituiert sich durch das Soziale, bzw. „das Einzelne“ wird „niemals begriffen [...] aus sich selbst, sondern aus dem Ganzen, das in ihm lebt“. Zitiert nach: Spann, Othmar, Universalismus, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 8, 4., gänzl. umgearb. Aufl. – Jena: Gustav Fischer 1928, S. 453-463, das Zitat, ebd., S. 462. „Nicht ‚kausale Wechselwirkung‘ Einzelner, sondern die sinnvolle Bestimmtheit des (objektiv) Geistigen, des Ganzen mit seinen Gliedern bezeichnet Weg und Inhalt der Gesellschaftslehre.“ Ders., Soziologie, ebd., Bd. 7, 4., gänzl. umgearb. Aufl. – Jena: Gustav Fischer 1928, S. 650–667, das Zitat ebd., S. 654. Spann sieht sich in seiner Ganzheitsphilosophie als Nachfolger von „Fichte, Schelling, Baader, Hegel und der Romantik“ – und deren Vorläufern in Antike (z. B. Platon) und Mittelalter (z. B. Thomas von Aquin) –, welche „die wahre, universalistische Lehre wieder eroberte[n]“. Zitiert nach: Spann, Othmar, Universalismus (wie oben), S. 461. Kritische Bemerkungen zu Spanns „Universalismus“ finden sich bei Weber in den kurz vor seinem Tode fertiggestellten „Soziologischen Grundbegriffen“, erschienen in: Ders., Wirtschaft und Gesellschaft. Teil 1: Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte (GdS, Abt. III). – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1921, S. 8 f. 4 Vgl. dazu den Brief an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 5. Juni 1918, oben, S. 179–182.

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und Nüchternheitf gvorerst wenigstens weitg überlegene Gelehrteh hinzuweisen mich verpfl ichtet gefühlt. 5 Wenn O[ppenheimer] |:uns:| zu weiti stärkerem Widerspruch reizt, so istj daran |:wohl:| gerade diesek größere,l |:und:| blendendere |:Schärfe und:| Dialektikm seines Denkens daran schuld [.] nBei O[ppenheimer] (ebenso wie wiederum bei O[thmar] Spann) hatn die soziologische Interessiertheito dem ökonomischenp Denkenq – und auf diesem liegt beir O[ppenheimer], wie gesagt, ders Hauptnachdruck – t überwiegend nicht zum Vorteil, sondern zum Nachteila bgereicht, weilb esc seine Neigung zu pointierter, schlagwortartigerd Dogmatisierung nur noch verstärkt [,] e und die Nüchternheit in der Abwägung der Tragweite eines Gesichtspunktes beeinträchtigt hat. fWas die rein soziologische Bewertung anbelangt, sof sind ihmg eine Reiheh gut pointierter einzelneri Formulierungen gelungen, mit denen sich jgerade dannj k arbeiten läßt, nur wenn sie nicht derart rücksichtslos der Realität aufgenötigt werden, wie O[ppenheimer] selbst lleider leichtl geneigt ist, das zu thun. (mEin guterm Typus einer solf 〈des Denkens〉 g weit > vorerst wenigstens weit h 〈hinweisen (leider (vergeblich) hingewiesen. Zu diesen würde ich, mit [jenen] allen Vorbehalten, auch O.〉 i noch > weit j 〈es durch〉 k [die] > diese l 〈|:verführerische:|〉 m 〈und Schä〉 n Was nun speziell O.’s spezifi sche Leistungen anlangt, nach denen sie [!] fragen, so 〈ist〉 |:hat:| m. E. |:(bei ihm:| ihn (ebenso 〈bei〉 |:wie, wiederum bei:| O. Spann) der die > Bei O[ppenheimer] [. . .] hat o 〈Arbeiten〉 p 〈sein[e]〉 q 〈|:O’s:|〉 r 〈ihm,〉 s der > O.’s > der t 〈nicht von Vorteil gewesen〉 a 〈gewesen〉 b gereicht. Und seine > gereicht, weil c sie > es d 〈Formulierungen und〉 e 〈, 〈hat〉 |:dagegen 〈die〉 ihm die:| 〈für ihn die hier〉 für das schlichte [Bearbeiten] der Thatsachen erforderliche Nüchternheit genommen hat.〉 f Rein soziologisch angesehen > Was die rein soziologische Bewertung anbelangt, so g 〈, wie ausdrücklich anerkannt werden muß,〉 h 〈|:sehr:|〉 i , [formal] durchau und m > einzelner j als Kategorien > gerade dann k 〈|:grade dann ganz 〈[leidl]〉 gut:|〉 l [gelegentlich] > leider leicht m Der > Ein guter 5 Webers Meinung über eine mögliche Berufung Othmar Spanns hat während seines Wiener Aufenthalts geschwankt: In seinem Gutachten für die Wiener Fakultät vom 2. April 1918 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 13, Bl. 27–33; MWG I/13) hat Weber ihn durchaus positiv beurteilt: „Spann ist nicht nur ein vortrefflicher Charakter und eine ungewöhnlich lebendige Persönlichkeit, sondern vor allem ein sehr ernst und leidenschaftlich strebender Forscher von reichen eigenen Ideen, soziologisch konstruktiv denkend, philosophisch geschult und weitgehend originell. Ich weiche von seinen Ansichten sehr oft stark ab, doch darf man sich bedeutendes [!] von ihm versprechen“, ebd., Bl. 29. In der von Weber erstellten Vorschlagsliste wurden Joseph A. Schumpeter an erster, Johann Plenge und Ladislaus v. Bortkiewicz unico loco an zweiter sowie Othmar Spann und Karl Diehl unico loco an dritter Stelle genannt, ebd., Bl. 30. Auch späterhin, so in seinen Briefen an Hans v. Voltelini, vor dem 6. und vom 6. Juli 1918, oben, S. 216 und 217 f., hat sich Weber für ihn ausgesprochen, eine Berufung Spanns jedoch am 15. Juli 1918 verworfen, „da dieser für eine Berufung nach Wien, ob der vor ihm liegenden Zukunft, zu schade sei“ (HHStA Wien, Nl. Friedrich v. Wieser, Tagebuch 1918/670 f.; zitiert nach: Ehrle, Max Weber und Wien, S. 65).

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chen Formulierung dürfte etwa der |:von O[ppenheimer] n geprägte und stets erneuto verwendete:| G[e]g[en]satz von „politischem“ und „ökonomischem Mittel“ sein).6 pDie Schwäche liegt auch auf diesem Gebietq darinp hier: daß O[ppenheimer jener „Fülle“s und tjenes Interesse für diet Realitäten uals solchen abgehen, welche dem Interesse anu der Erörterung logischer Gebilde die Wage halten müssena, bwenn bleibende Fortschritteb erzielt werden sollen. cSo handlichc formuliert dz. B.d einzelne Sätze in seinene (|:in verstreutenf Bemerkungeng u. in dem bekannten populären Bändchenh :|7 populär zusammengefaßten) i Thesen über deni Staat sind, soj versagt doch diese |:vornehmlich:|k aufl methnographische Daten einesm Ratzeln8 einerseits und oziemlich allgemein theoretischeno Einsichtenp andererseits aufgebautenq Konstruktionen |:schon:| gegenüberr |:den:| Problemens einer bloßen wissenschaftlichen Klassifi kation der Staatsformen völlig.

n 〈mit Recht, aber〉 o 〈einfach mit [bek]〉 p Der Fehler ist 〈[m]〉 m. E. auch > Die Schwäche liegt auch auf diesem Gebiet 〈noch〉 darin q 〈noch〉 r die > jene s 〈fehlt〉 t jener |:unbedingte:| Respekt vor den > jenes Interesse für die u fehlt, die dem Respekt vor > als solchen [. . .] an a muß > müssen b sollten |:S[inn]:| > wenn bleibende Fortschritte c etwa gut > So handlich d [, passen] > z. B. e 〈Staatslehre〉 f O: verstreut g 〈|:enthalten:|〉 h 〈zusammengefaßten〉 i Theorie von Entstehung und Wesen der > Thesen über den j 〈ganz sehr und gar unzulänglich ist, sich [der]〉 k 〈so gut wie ganz wesentlich〉 l 〈Rat〉 m 〈der〉 Ethnographische Betrachtungen Alternative Lesung: Ethnographische Beobachtungen > ethnographische Daten eines n 〈und [ohne]〉 o einerseits apriorische > ziemlich allgemein theoretischen p 〈über die〉 q 〈Theorien von Entstehung〉 r 〈sicher einer〉 s 〈einer sehr〉 6 Vgl. dazu Oppenheimer, Franz, Der Staat (Die Gesellschaft. Sammlung sozialpolitischer Monographien, hg. von Martin Buber, Bd. 15). – Frankfurt a. M.: Literarische Anstalt Rütten & Loening 1912, S. 14, mit dem Vorschlag, „die eigne Arbeit und den äquivalenten Tausch eigner gegen fremde Arbeit das ‚ökonomische Mittel‘, und die unentgoltene Aneignung fremder Arbeit das ‚politische Mittel‘ der Bedürfnisbefriedigung zu nennen“. Weber hat diese Unterscheidung positiv gewürdigt in: Wirtschaft und Gesellschaft (wie Anm. 3). So S. 32, auf welcher Weber betont, daß „namentlich Franz Oppenheimer mit Recht das ‚ökonomische‘ Mittel dem ‚politischen‘“ gegenüberstelle. „In der Tat ist es zweckmäßig, das letztere gegenüber der ‚Wirtschaft‘ zu scheiden.“ Weitere Hinweise auf Oppenheimers Unterscheidung, ebd., S. 57, 367 und S. 623. 7 Vgl. Anm. 6. 8 Oppenheimer hatte sich bei den ethnographischen Angaben in seiner Schrift über den Staat (wie Anm. 6) wesentlich auf das Werk von Friedrich Ratzel, Völkerkunde, 2 Bde., 2. Aufl. – Leipzig und Wien: Bibliographisches Institut 1894/95, gestützt.

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Konzept 2 S. g. H. C.

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Zurt Erstellung e[ines] wirkl[ichen] Gutachtens über F[ranz] O[ppenheimer] würde ich einigea Zeit bedürfen, um seine zahlreichen Arbeiten, die ich seit geraumer Zeit nicht vor Augen gehabt habe,b wieder |:unmittelbar:| auf mich wirken zu lassen. Dabei würde ich vielleichtc in die Gefahr geraten, ungerechtd zu werden, weil ich bei unumwundener Anerkennung seines Geistese, der Lauterkeit seines Wollens (und seinesf persönl[ichen] u. wissensch[aftlichen] Charakters überhaupt) und bei |:entschiedener:| Sympathie mit Manchemg von Dem, was er praktisch erstrebth, doch seine |:wissenschaftlichen:| Denkformeni jganz überwiegendj ablehnen muß [.] Eine Einzelbegründung würde, |:bei der Eigenart und dem Niveau des Mannes und:|k eine an sich lohnende, aber für mich derzeitl unmöglich |:zu leistende:|m Arbeit sein. Ich kannn, zumal Sieo eine rasche Antwort wünschen, püber seine Bewerbungp nur Folgendes sagen: Wenn man die Art der Besetzung der |:preußischen nat[ional-] ökonomischen:| Lehrstühle – bedeutender u. unbedeutender – inq letzter Zeit erwägt, so wird man unbedingt zu dem Resultat gelangen müssen: daß O[ppenheimer] r eine Berufung |:auf einen solchen:| längst |:und weit vor all diesen Mediokritäten:| verdient hätte, unbeschadet der starken Schwächen seiner Arbeit.s O[ppenheimer] ist |:m. E.:| auf ökonomischem Gebiet |:doch:| ebensowenig |:oder doch nur im gleichen Sinn:| trein summarisch alst „Dilettant“a |:zu erledigen:| wieb diec sozialist[ischen] Denker, der ist ein solcher auch durchaus nicht in gleichem Sinn wied etwa Hertzkae es |:wirklich:| war.9 Über jeden so leit Ein wi > Zur a eine längere > einige b 〈|:mir:| wieder vor Augen〉 c |:trotz persönlicher Sympathie 〈entsch〉 für ihn:| vermutlich wieder > vielleicht d 〈gegen ihn〉 e 〈und se〉 f 〈Cha〉 g nicht Wenigem > Manchem h will > erstrebt i Methode > Denkformen j und fast restlos |:als für mich unbrauchbar und:| > ganz über wiegend k 〈|:[keineswegs niedri Niv]:|〉 l 〈[wa]〉 m 〈Aufgabe〉 n 〈daher〉 o 〈[um]〉 p über ihn > über seine Bewerbung q 〈Preußen〉 r 〈die〉 s 〈[, verdient hat]〉 t ein > rein summarisch als a 〈|:abzut:|〉 b 〈manche der größten〉 c 〈bedeutendsten〉 d [ – ] weit weniger als > er ist [. . .] wie e 〈|:und seinesgleichen:|〉 9 Theodor Hertzka mit seiner Schrift: Freiland. Ein sociales Zukunftsbild. – Leipzig: Duncker & Humblot 1890, gehörte zu jener Gruppe von Schriftstellern, die in einer entschiedenen Bodenreform die Lösung der sozialen Frage erblickten. Das soziale Grundübel – das Privateigentum an Grund und Boden – sollte durch dessen Abschaffung beseitigt werden: An seine Stelle sollte die gleichberechtige Nutzung des Landes durch alle –

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denschaftlich interessierten, so ungewöhnlich begabten und schnell auffassenden f gletztlich aber an dem Betrieb der Wissenschaft als Selbstzweckh in dem Sinn, wie wir sie betreiben,i innerlich nichtj interessierten Mannf wie er es ist, schwebt |:aber allerdings:|k die Gefahr: immer wieder im Einzelfalle höchst massiv zu „dilettieren“, und ldaß er dieserm oft erlegen ist,l dürfte man von ihm in der That zu sagen berechtigt sein. Daß ern „die Elemente der ökonomischen Disziplin“ – die sein Hauptarbeitsgebiet oist und, als Lehrer wie Gelehrter, auch als „Soziologe“, voraussichtlich immer bleiben wird – o „nicht beherrsche“, pwürde ich dagegen nicht sagen. p Der Thatbestand qliegt,r wie ich glaube [,] vielmehr so,q daßs O[ppenheimer] tneigt eben dazuu weitet Perspectiven |:zu zeichnen:| ohne Das, was einer so jungen Disziplin |:wie der Soziologie:| vor Allem not thut: den |:unbedingten:| Respekt vor dena konkretenb Thatsachen einerseits und die exakte Umgrenzung der Begriffe andrerseits.c Dies darfd gewiß eben in jener Jugend der Disziplin seine Entschuldigunge fi nden. Allein es wäre Zeit, fgrade mit diesen Jugendsündeng f zu brechen. Ichh für meine Person imuß vorläufig der Ansicht sein: i daß O[ppenheimer]’s Methodej kdie soziologischek Disziplin nicht auf einel dauernd haltbare |:rein empirische:| Grundlage stellen würde,m was mich |:persönlich jedoch:| nicht abhalten könnte,n o ihm eine akademische Stellung aufrichtig zu gönnen und zu wünschen.

f und Menschen schn > 〈|:und:|〉 letztlich [. . .] Mann g 〈|:und:|〉 h 〈nicht im Sinn unsre〉 i 〈nicht〉 j 〈zu wenig〉 k 〈freilich〉 l das > daß [. . .] ist, m 〈recht〉 n 〈, wie jedoch〉 o sind > ist [. . .] wird – p kann man 〈[wie ich get]〉 m. E. nicht 〈be〉 sagen 〈m. E. zu unfreundlich〉 > würde ich dagegen nicht sagen. q dürfte vielmehr so liegen, daß > liegt, wie ich glaube vielmehr so, r 〈m. E.〉 s Abbruch des Satzes in O. t zeichnet so > neigt eben dazu 〈allerhand〉 weite u 〈allerhand〉 a 〈Thatsachen〉 b geschichtlichen > konkreten c 〈Auch fehlt ihm die innere Beziehung zum juristischen Denken〉 d kann sicherlich > darf e Alternative Lesung: Entschädigung f damit > grade mit diesen Jugendsünden g Jugend[??] > Jugendsünden h 〈bin〉 i überzeugt > muß > muß vorläufig der Ansicht sein: j 〈, soweit sie soziologisch ist –,〉 k unsre > die soziologische l 〈nur〉 m 〈Es dürfte aber bekannt sein〉 n würde, mich zu > könnte, o 〈dann〉 der Allmende vergleichbar – mit agrarischer Produktion auf Genossenschaftsbasis treten. Ziel war die Abschaffung von Grundrente, Unternehmergewinn und Kapitalzins.

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Else Jaffé [vor dem 20. Dezember 1918; Berlin] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Datum und Ort sind aus dem Briefinhalt erschlossen: Der Hinweis „Ich muß Donnerstag hier sprechen“ deutet auf die Rede über „Deutschlands Lage“ (MWG I/16, S. 401–409) hin, die Max Weber am 20. Dezember 1918 auf einer Wahlveranstaltung der DDP in Berlin gehalten hat. Aus der Angabe „Habsburger Hof“ in Berlin als Postadresse ergibt sich Max Webers Aufenthaltsort.

Geliebte Else, –

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ich schreibe noch einen Eilbrief. Ich muß Donnerstag1 hier sprechen und kann erst Freitag reisen, komme also vielleicht erst Samstag Abends an, wenn ich jene Mission übernehme. 2 Sonntag ist der Sonntag vor Weihnachten. Ich kann mir denken, wie schwer da ein Loskommen sein würde. Ist es aber doch möglich, daß wir uns einen halben Tag wenigstens sehen, dann telegrafiere doch an den „Habsburger Hof“ (Habsburger Hofa) Berlin (rechtzeitig! Telegramme brauchen jetzt Zeit). Und natürlich: wenn Du grade Lust hast! 3 Sonst keinenfalls. Dann lassen wir es auf ein ander Mal1) und ich schreibe Dir lieber mal in Ruhe. 4

1)

Du kannst ja denken, aus welchen „nationalen“ Gründen ich für München oder wenigstens Nürnberg als Ort der Nationalversammlung eintrete!4 a Wiederholung des Hotelnamens in lateinischer Schrift. 1 Max Weber irrt entweder bei der Tagesangabe, denn die Rede vom 20. Dezember 1918 fiel tatsächlich auf einen Freitag, oder diese wurde kurzfristig um einen Tag verschoben. 2 Es ist nicht sicher, ob diese Äußerung in Zusammenhang mit Kurt Hahns Treffen mit Alfred und Max Weber am Abend des 16. Dezember 1918 steht. Wenige Stunden davor hatte Alfred Weber an Else Jaffé geschrieben, es gehe wohl „um eine Mission für Max nach Bern“ (BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 82, Bl. 77–80). Tatsächlich warb Hahn im Auftrag des Prinzen Max von Baden für eine publizistische Aktion zur Richtigstellung der Kriegsschuldfrage (Alfred Weber an Else Jaffé am 17. Dez. 1918, ebd., Bl. 81–84). 3 Wie Else Jaffé an Alfred Weber am 23. Dezember 1918 (BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 79) schrieb, hatte sie Samstag oder Sonntag (zumindest telefonisch) Kontakt mit Max Weber. 4 Wegen der angespannten Lage in Berlin erhob sich die Frage nach einem sicheren Tagungsort für die Nationalversammlung. Mehrere bayerische Städte, darunter Nürnberg, hatten sich als Gastgeber angeboten. Zu Webers Meinung in dieser Frage und seinem Votum für Nürnberg vgl. auch die Briefe an Dr. N. N., am oder nach dem 24. Nov. 1918, oben, S. 322, sowie an Hugo Preuß vom 25. Dez. 1918, unten, S. 376 f.

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Denn meine letzten Briefe aus Frankf[urt] u. Charl[ottenburg] 5 waren zerstreut und nicht entfernt Antworten auf Dein bezaubernd schönes und ergreifendes letztes Liebeszeichen, das mir so teuer ist – jetzt erst vernichte ich es, ich konnte es vorher nicht über das Herz bringen. Namentlich war ja ganz oberflächlich, was ich über E[dgar] J[affé] und Dein Alltagsschicksal schrieb. Und doch: grade das – der Alltag und seine Geister – ist ja Das, was unser aller schlimmster Versucher und Feind ist. Ich weiß das. Aber Du weißt: wer Mar[ianne] ist und wie sie den Alltag zu meistern weiß. Unermeßliches danke ich ihr da, denn jedenfalls ohne sie, mit einer andren in gleicher Lage, wäre ich nicht seiner (leidlich) Herr geblieben. Und deshalb thut es mir so leid, Dir in Augenblicken der Zerstreuung oberflächlich geschrieben zu haben, weil grade Deine Größe und Schönheit im Alltag Das ist, was mich Dir für immer irgendwie ergeben macht und verbindet. Die Furchtbarkeit dieser Aufgabe – bei der Deine tiefe Güte Dein größter „Versucher“ ist – glaube mir, die ermesse ich, auch ohne alle Details, in ihrem Umfang, glaube ich, völlig. Denn ich habe viel und Schlimmes gesehen und kann aus den Abgründen des Herzens, die sich bei mir – unter so ganz andren, gradezu glänzenden, Bedingungen! – hie und da öffneten,b abschätzen, was Deine traute feine Seele täglich, täglich durchzumachen hat. Ich versuche einmal, so weit ich Das für erlaubt halten darf, Dir dies Miterleben, Jahre und Jahre hindurch, früher und jetzt, etwas glaubhafter zu machen und sage jetzt nur: Du hast einen guten Kampf mit großer Güte gekämpft.6 Du – und: die Kinder! – Ihr kommt nicht los von dem Manne.7 Das ist so. Folglich mußte er irgendwie ihnen als Vater gelten können. Das hast du fertig gebracht: er ist es in dem Ausmaß, wie es nun einmal die Lebensordnungen erzwingen. Die Gefahr ist, daß dieser gewiß nicht unwerte, aber schwache, Mann mehr – in dieser Hinsicht – sein will als ihm zu sein gegeben ist. Und da ist er auf Deine Festigkeit angewiesen, welche gleichzeitig Güte und Erbarmen ist: denn nicht immer ist das Nachgeben Das, was wirkliche Güte fordert, und man kann sich da leicht täuschen, grade eine so ganz mit Liebe durchwobene Seele wie die Deinige. – Genug! Ich weiß ja gar b 〈ermessen〉 5 Ein Brief an Else Jaffé aus Frankfurt ist nicht nachgewiesen. Bei dem genannten Brief aus Charlottenburg könnte es sich um die fragmentarische Abschrift vom 15. Dez. 1918, oben, S. 359 f., handeln. 6 Anklang an das Bibelzitat: „kämpfe den guten Kampf des Glaubens“, 1. Timotheus 6,12. 7 Edgar Jaffé.

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nicht, ob es Dir darnach ist, davon und mit mir zu reden. Aber: kann ich Dir nützen und helfen, es sei durch welche Mittel immer, moralische oder amoralische, gütige oder gewaltsame, welches immer sie seien, – Du bist es, der ich dienen werde, Das weißt Du. Ich schrieb Dir vor langen Jahren einmal: „die Vasallen der Vergangenheit haben ihren Herren oft gesagt: gnädiger Herr, du handelst unrecht oder unklug, das bedenke! aber verlangst du unsre Treue dafür, so führe uns, wir folgen dir, und ginge es in den Abgrund der Hölle“ [ .] 8 So denke ich heut und werde ich immer denken und fühlen. Laß mich reden, wie ich denke und heiße mich handeln (innerlich und äußerlich), wie Du es gebietest, Du stark und froh geliebte Herrin meines – nun ja: zuweilen wilden – Herzens. Dein M.

8 Der Brief an Else Jaffé ist nicht nachgewiesen.

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Alfred Schulze 20. Dezember 1918; BK Berlin Brief; eigenhändig BA Berlin, RdI, Nr. 16807, Bl. 69 Zur Teilnahme Max Webers an den Verfassungsberatungen vom 9. bis 12. Dezember 1918 in Berlin vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Telegramm an Hugo Preuß vom 5. Dezember 1918, oben, S. 344. Nach der Konferenz hatte Alfred Schulze, für Verfassungsfragen zuständiger Referent im Reichsamt des Innern, eine erste Fassung des Protokolls ausgearbeitet, die allen Teilnehmern am 18. Dezember zuging. Nochmals bearbeitet, diente dieses Protokoll Hugo Preuß als Grundlage seines ersten Verfassungsentwurfs, den er dem Rat der Volksbeauftragten am 3. Januar 1919 vorlegte (MWG I/16, S. 53 f.). Dem hier abgedruckten rein organisatorischen Schreiben an Schulze fügte Max Weber als Anlage zwei Entwürfe bei. Der erste formulierte Richtlinien zur Länderneugliederung, der zweite betraf Verfassungsgarantien für „Freistaaten und Gemeinden“. Beide Entwürfe, die Weber abschriftlich auch einem persönlichen Brief an Hugo Preuß, unten, S. 347, beilegte, sind abgedruckt in MWG I/16, S. 147–151 („Entwürfe für die Paragraphen 11 und 12 einer Verfassung des Deutschen Reiches“).

Hotel Habsburger Hof Berlin S. W. 11, 20/Dezember 1918 An das Reichsamt des Innern hier Herrn Geheimrat Schulze An Reise- und Aufenthaltskosten für die Teilnahme an der Reichsverfassungskommission, deren Erstattung ich mir telegraphisch vorbehalten habe und vorbehalten mußte, muß ich beanspruchen: 1. Herreise 30 Stunden = 2 Tage1 2. Verhandlungsdauer 4 Tage 3. Rückreise mindestens 30 Stunden = 2 Tage, zusammen: 4 Reisetage nebst Reisekosten, 4 Aufenthaltstage. Ich erbitte die Überweisung des entfallenden Betrags entweder an mich nach Heidelberg oder an die Diskontogesellschaft hier, Konto Prof. Max Weber, Heidelberg [.] Hochachtungsvoll Professor Max Weber 1 Schon vor Antritt seiner Berlinreise klagte Max Weber: „Bummelzug, – 2 Tagereisen!“ (Brief an Marianne Weber vom 6. Dez. 1918, oben, S. 347). Der ebenfalls eingeladene Gerhard Anschütz mußte aufgrund schlechter Verkehrsverbindungen seine Teilnahme sogar ganz absagen (Gillessen, Günther, Hugo Preuß. Studien zur Ideen- und Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik. – Berlin: Duncker & Humblot 2000, S. 106, Anm. 11).

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21. Dezember 1918

Mina Tobler [21. Dezember 1918]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist aus dem Briefinhalt und der Tagesangabe „Samstag“ erschlossen: Max Webers Hinweis auf ein beabsichtigtes Treffen mit Mina Tobler („da ich nun erst Montag Abend Dich sehen soll“) nach der Rückkehr aus Berlin, wo er zuletzt am Abend des 20. Dezember 1918 auf einer Kundgebung der DDP über „Deutschlands Lage“ redete (vgl. „Deutschlands Lage“, MWG I/16, S. 401–407), nachdem er zuvor vom 9.–12. Dezember an den vorbereitenden Verfassungsberatungen im Reichsamt des Innern teilgenommen (vgl. „Entwürfe für die Paragraphen 11 und 12 einer Verfassung des Deutschen Reiches“, ebd., S. 147–151) und am 16. Dezember vor einem Wirtschaftskongreß (vgl. „Der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft“, ebd., S. 396–398) gesprochen hatte.

Samstag Abend Liebstes Kind, –

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einen sehr schönen Gruß zu morgen muß ich doch schicken, da ich nun erst Montag Abend Dich sehen soll – und dann Mittwoch1 zusammen mit Dir einen Abend haben, wie lange nicht. Das Jahr brachte Dir viel Schweres, im Allgemeinen und – wohl auch mit mir.2 Es wäre nicht ganz einfach gewesen es zu vermeiden, es kann halt Niemand aus seiner Haut. Hoffen wir, daß die Verhältnisse des nächsten Jahres den Menschen es einmal wieder ermöglichen, frei und froh zu athmen und ohne Druck zu leben. Und vergessen wir nicht, daß ein auf Sehnsucht gestelltes Verhältnis seine eignen Gesetze der Schönheit hat, die schwer aber adlig sind, – Du freilich hast einen fast zu schweren Teil daran und bleibst immer adlig, hoffen wir, daß ich es nach Maß meiner Kräfte auch sein werde. Denke es läge eine Rose in dem Briefchen – bleibe schön und stark, für Dich und Andre, vor Allem Deinen M

1 Das war der erste Weihnachtsfeiertag. Laut Marianne Webers Brief an Helene Weber vom 29. Dez. 1918 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) verbrachte Max zwar ein arbeitsreiches Weihnachtsfest, aber dennoch habe sich „auch der Freundeskreis [. . .] um ihn gesammelt“. 2 Max Weber denkt vermutlich an die langen Abwesenheitsperioden von Heidelberg im Jahr 1918.

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Hugo Preuß 25. Dezember [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig BA Berlin, RdI, Nr. 16807, Bl. 262–263 Jahresdatum erschlossen aus dem Briefinhalt sowie dem Behördenstempel: „R.A. d. Innern 4.1.1919“. Kontext des Briefes sind die Beratungen über Grundzüge einer neuen Reichsverfassung in Berlin vom 9. bis 12. Dezember 1918 (vgl. die Editorischen Vorbemerkungen zum Telegramm an Hugo Preuß vom 5. Dezember, sowie zum Brief an Alfred Schulze vom 20. Dezember 1918, oben, S. 344 und 372). Abschriftlich beigefügt hatte Max Weber seine am 20. Dezember bereits Alfred Schulze übermittelten Entwürfe zur Länderneugliederung sowie zu Verfassungsgarantien für Länder und Gemeinden.

Heidelberg 25/XII Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Ich konnte Sie nicht mehr aufsuchen.1 Daher danke ich auf diesem Wege. Nicht nur für die Gelegenheit, die Sie mir zur Teilnahme an den Verhandlungen gaben, sondern mehr noch für die Art, wie Siea diese Verhandlungen geführt haben.2 Ohne „Vaterfreude“ – wie Sie Sich ausdrückten – an eignen Gedanken, jeder noch so heterogenen Anregung offen, und mit – ich darf |:Das:| sagen, ohne in den Verdacht der „Komplimente“ zu kommen – mit glänzender Präzision und Sachlichkeit. Das Resultat ist allerdings – wie bei „Kommissionen“ meist – ein Kompromißprodukt zwischen parlamentarischer und plebiszitärer, bundesrätlicher und staatenhausmäßiger Konstruktion. 3 Ich bin völlig sicher, daß es Sie nicht endgültig befriedigen wird.4 Ebenso – nach Rücksprache mit maßgeblichen Süddeutschen – daß der Bundesrat – so oder so – unbedingt wiederkommt, 5 Sie selbst sich dazu bekehren werden. Nie a O: sie 1 Vor seiner Abreise aus Berlin. 2 Vgl. hierzu bereits den Brief an Marianne Weber vom 10. Dez. 1918, oben, S. 351. 3 Die Optionen Staatenhaus (konstituiert nach dem Repräsentationsprinzip mit gewählten Ländervertretern) oder Bundesrat (mit ernannten Delegierten der Länder) diskutierte Weber ausführlich in „Die deutsche Staatsform. III“ (FZ, Nr. 330 vom 28. Nov. 1918, 1. Mo.Bl., S. 1; MWG I/16, S. 120–127). Ein reformierter Bundesrat stellte sich dabei für ihn aus historischen und politischen Gründen als realistischere Option dar. 4 Zur Verfassungskonzeption von Hugo Preuß vgl. Gillessen, Günther, Hugo Preuß. Studien zur Ideen- und Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik. – Berlin: Duncker & Humblot 2000 (zentrale Punkte seiner Verfassungsentwürfe (I und II) vom 3. bzw. 20. Januar 1919, ebd., S. 123–137), sowie Dreyer, Michael, Hugo Preuß (1860–1925). Biographie eines Demokraten. – Habilitationsschrift Universität Jena 2002, insbes. S. 366–451. 5 Nachgewiesen ist ein Gespräch mit dem württembergischen Minister Carl Hugo Linde-

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werden die Einzelstaaten-Regierungen sich aus der mitbeschließenden Stellung auch in der Verwaltung herausdrängen lassen.6 Man muß sie |:daher:| so neutralisieren, wie nur ein „Bundesrat“ es thut,7 so groß der Schönheitsfehler ist. Wenn aber die Anweisungs-Befugnis der Reichszentrale gegenüber den Einzelstaaten [ - ] Behörden durchgeht,8 so ist, zumal bei einem plebiszitären Präsidenten und verantwortlichen Reichskanzler, der Bundesrat auch gänzlich unschädlich.9 Formell „unitarischer“ konnte man die Verfassung nicht machen, weil dies das Mißtrauen der Entente allzu stark erregt und uns 20–30 Milliarden mehr Kosten, Pfandbesitz oder Landabtretung gekostet hätte. Da liegt ja die zentrale Schwierigkeit!10

mann, das Max Weber noch in Berlin geführt hatte. Lindemann erwähnt dies in seinem Bericht über die in Berlin erörterten wesentlichen Änderungen im Verhältnis zwischen Reich und Ländern auf der Stuttgarter Konferenz der süddeutschen Staaten am 27. und 28. Dezember 1918. Deren Vertreter lehnten grundlegende Veränderungen der bundesstaatlichen Organisationsstruktur des Reiches ab. Auf der Reichskonferenz am 25. Januar 1919 in Berlin setzten die Länder mit der Einsetzung eines vorläufigen Staatenausschusses dann nicht nur ihre Mitbestimmung bei der Ausgestaltung des Verfassungsentwurfs schon vor Zusammentreten der Nationalversammlung durch, sondern auch die Beibehaltung eines modifizierten Bundesratsmodells (Reichsrat). Vgl. Benz, Wolfgang, Süddeutschland in der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur deutschen Innenpolitik 1918–1923. – Berlin: Duncker & Humblot 1970, S. 70–73 und 99–113. 6 In „Die deutsche Staatsform. III“ führte Weber dazu aus, daß eine aktive Teilnahme an der Verwaltung aus Länderperspektive am besten durch „instruierte Regierungsvertreter und geschulte Beamten der Einzelstaaten“ ausgeübt werden könne. Ein Staatenhaus, zumal ein auf Volkswahlen beruhendes, böte dafür keinen vollen Ersatz. Vgl. FZ, Nr. 330 vom 28. Nov. 1918, 1. Mo.Bl., S. 1 (MWG I/16, S. 123). 7 Andernfalls, so Weber in „Die deutsche Staatsform. III“, FZ, Nr. 330 vom 28. Nov. 1918, 1. Mo.Bl., S. 1 (MWG I/16, S. 123 f.), würden die Regierungen der Einzelstaaten einen Anspruch auf „gesicherten Anteil an der Zentralverwaltung“ wahrscheinlich in anderer Form erheben. 8 Während der Berliner Beratungen hatte Hugo Preuß das bisherige Aufsichtsrecht des Reiches als wirkungslos bezeichnet. Als Mindestbestimmung forderte er: „Innerhalb der Zuständigkeit des Reichs sind die einzelstaatlichen Behörden verpflichtet, den Anweisungen der Reichszentralbehörden Folge zu leisten.“ In der anschließenden Diskussion wurde aber bereits Widerstand seitens der Länder gegen weitgehende Kontrollbefugnisse der Reichsbehörden befürchtet („Beiträge zur Verfassungsfrage anläßlich der Verhandlungen im Reichsamt des Innern vom 9. bis 12. Dezember 1918“, MWG I/16, S. 49–90, insbes. S. 64–68, Zitat S. 64). 9 Weber selbst sah im plebiszitär gestützten Reichspräsidenten das entscheidende unitarische Gegengewicht zu den Partikularinteressen der Länder. Zu Webers Präsidialkonzeption insgesamt: Mommsen, Max Weber3, S. 363–370. 10 Schon in Berlin hatte Weber mit Blick auf die außenpolitische Lage darauf hingewiesen, der „Aufbau der neuen Verfassung müsse möglichst wenig von juristischen, um so mehr von praktischen Erwägungen ausgehen. Deutschland stehe zur Zeit unter Fremd-

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Herrn Geh. Rat Schulze schickte ich 2 Entwürfe, 1) für die „Normativbestimmungen“, die das Reich garantieren soll,11 – 2) für die Neukonstituierung von Einzelstaaten („Teilung Preußens“ – an die ich nicht glaube!).12 Beides „salva redactione“13 sehr in Eile gemacht. Sollten Sie und sollte dieser vorzügliche Beamte es nützlich fi nden, daß ich den Versuch mache, Vorschläge für eine – in gutem Sinn – „demagogische“ Formulierung der Reichsverfassung vorzulegen, dann würde ich bitten, die jeweils fertig gestellten Teile der Redaktion mir in Abschrift per Eilbrief im strengsten Vertrauen zuzustellen.14 Natürlich nur, wenn Sie es für nützlich halten. Aber auf „Demagogie“ in der Formulierung von „Schlagworten“ verstehe ich mich etwas. Sehr dringend rate ich nochmals,15 die Konstituante unbedingt in Nürnberg (nicht Eisenach, Weimar, Kassel) tagen zu lassen.16 Die Verherrschaft. Ebenso wie die Monarchie sei ein zu großer Radikalismus infolgedessen ausgeschlossen“ (zitiert nach MWG I/16, wie Anm. 8, S. 57). 11 Zu Vorschlägen für Normativbestimmungen bezüglich der Gemeindeverfassungen hatte Preuß auf der Berliner Konferenz alle Teilnehmer explizit aufgefordert. Entsprechende Entwürfe sollten ihm baldmöglichst zugehen (MWG I/16, S. 68). Max Webers Vorschlag fand dann auch in § 12 des Preußschen Verfassungsentwurfs sichtbar Eingang (ebd., S. 149). 12 Für eine Eindämmung der verfassungsrechtlichen Hegemonie Preußens war Weber schon 1917 eingetreten (vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 192). In der FZ hatte er sich erneut für eine Beseitigung der „hegemonialen großpreußischen Struktur des Reiches“ ausgesprochen („Die deutsche Staatsform. II“, FZ, Nr. 326 vom 24. Nov. 1918, 1. Mo.Bl. S. 1, MWG I/16, S. 110 f.). Eine „Zerschlagung“ Preußens hielt er allerdings aus finanziellen, verwaltungstechnischen und politischen Gründen für unrealistisch und auch nicht für unbedingt wünschenswert (Mommsen, Max Weber3, S. 359 und 382). Für Hugo Preuß war die Beseitigung der politischen Dominanz Preußens dagegen eine Prinzipienfrage (vgl. Hugo Preuß. Politik und Verfassung in der Weimarer Republik, hg. von Detlef Lehnert (Hugo Preuß. Gesammelte Schriften, Bd. 4). – Tübingen: Mohr Siebeck 2008, Einleitung, S. 10 f.). Max Webers Entwurf eines Verfahrens zur territorialen Neugliederung des Reiches wich vom diesbezüglichen § 11 des Verfassungsentwurfs vom 3. Januar 1919 denn auch recht deutlich ab (MWG I/16, S. 147–149). Der Länderneugliederungsparagraph – und damit eine Teilung Preußens – blieb aufgrund des zähen Widerstands der Länder letztlich aber Makulatur (Mommsen, Max Weber3, S. 385). 13 Lat.: Unter Vorbehalt des Wortlauts. 14 Hierzu kam es nicht. Hugo Preuß arbeitete seinen ersten Verfassungsentwurf im engsten Kreis aus und leitete ihn, nebst Denkschrift und Protokoll der Berliner Beratungen, schon am 3. Januar dem Rat der Volksbeauftragten zu (Mommsen, Max Weber3, S. 396, und MWG I/16, S. 54). 15 Möglicherweise hatte Weber eine solche Empfehlung noch in Berlin ausgesprochen. Zumindest an Else Jaffé schrieb er aus Berlin, daß er – nicht allein aus politischen Gründen – für Nürnberg als Tagungsort eintrete (vgl. den Brief vor dem 20. Dez. 1918, oben, S. 369). 16 Offiziell berieten Regierung und Zentralrat erstmals am 31. Dezember über den Ort der Nationalversammlung, nachdem infolge der Weihnachtsunruhen die Frage der Sicherheit

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fassung kann dann um reichlich 100% „unitarischer“ ausfallen und es ist eine ganz gleichgültige Konzession an Bayern. Nürnberg ist (zollpolitisch!) unitarisch (d. h. relativ unitarisch) gestimmt und man spielt es zweckmäßig gegen München aus. Mit der Bitte umb Dank und Empfehlung an Ihre Excellenz17 Ihr sehr ergebenster Max Weber Es scheint, daß ich in Frankfurt ziemlich sicher gewählt werde.18 Ich werde dann natürlich schleunigst Fühlung mit Ihnen nehmen.

b Alternative Lesung: und in Berlin brisant wurde. Friedrich Ebert, der grundsätzlich erwog, die Nationalversammlung „mehr in das Herz Deutschlands“ zu verlegen, nannte neben Kassel, Bayreuth und Weimar auch Frankfurt, das durch die Nähe zum besetzten Gebiet aber ausschied (Miller/ Potthoff (Bearb.), Die Regierung der Volksbeauftragten, Bd. 2, Dok. 89, S. 153–170, S. 164 f.). Wie die genannten Städte wurde Nürnberg durch eine Delegation im Januar zwar besucht, aus Sicherheitsgründen allerdings ausgeschlossen. Letztlich setzte Ebert das von der Delegation favorisierte Weimar als Tagungsort der Nationalversammlung durch. Der Beschluß fiel erst am 20. Januar 1919, einen Tag nach den Wahlen zur Nationalversammlung. Vgl. Holste, Heiko, Zum Tagungsort der Deutschen Nationalversammlung 1919, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Jg. 31, 2000, H. 2, S. 223–237, insbes. S. 229– 235. 17 Bezugsperson fraglich: Eventuell handelt es sich um eine Anspielung auf Hugo Preuß’ Ehefrau Else Preuß. 18 Zur kurz darauf gescheiterten Kandidatur Max Webers im Wahlkreis 19 vgl. „Erklärung zum Scheitern der Kandidatur für die Wahlen zur Nationalversammlung im Wahlkreis 19 (Hessen-Nassau)“, MWG I/16, S. 152–156.

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Otto Crusius 26. Dezember [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 9, Bl. 8 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Erhalten hat Otto Crusius das nachfolgende, an den Brief vom 24. November (oben, S. 317–321) anschließende Schreiben Webers nicht mehr. Am Morgen des 29. Dezember verstarb er überraschend an einem Schlaganfall. Der Brief kam wenige Stunden später an (vgl. den Brief von Friedrich Crusius an Marianne Weber vom 8. September [1920], GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 9, Bl. 5).

Heidelberg, 26/XII Lieber Herr Kollege, fast wörtlich Das, was Sie sagen,1 habe ich unter teils Protest, teils stürmisch tobendem Beifall in Volksversammlungen in Frankfurt, Wiesbaden, Berlin gesagt2 und werde ich noch weiter in der Wahlcampagne

1 Nicht nachgewiesen. Die Bewertung der politischen Lage durch Otto Crusius, Mitglied der radikalnationalistischen „Deutschen Vaterlandspartei“ und Verfasser von Kriegsliedern, ergibt sich allerdings aus einem seiner letzten Briefe vom 21. Dezember 1918 an Daniela Thode. Dort beklagte er die wüste „östliche Schlammflut“, die sich über das geliebte München ergossen habe: „Wie selig wäre dieses Weihnachtsfest, auch ohne Sieg, wenn unser armes Vaterland nicht heimtückisch von einer Räuberbande überfallen wäre, während die rechten Männer und Beschützer in der Ferne standen! Alles ist beschmutzt und zertrümmert durch diesen Ausbruch eines Schlammvulkans, den unsre Regierenden gut hätten voraussehn müssen und können.“ Zit. nach: Preisendanz, Karl, Otto Crusius, in: Biographisches Jahrbuch für die Altertumswissenschaft, begründet von Conrad Bursian, hg. von A. Körte, Jg. 40, 1920. – Leipzig: O. R. Reisland 1921, S. 1–57, S. 56. 2 Bei seinen Wahlkampfreden für die DDP am 1. Dezember in Frankfurt, am 5. Dezember in Wiesbaden und am 20. Dezember in Berlin. Schon in Frankfurt unternahm er eine politische Fundamentalkritik am „bisherige[n] völlige[n] Versagen der Berliner und Münchener Leitung allen großen Aufgaben gegenüber“. Er warnte vor einem drohenden Putsch „weltfremder Illusionisten“, verurteilte das auch ökonomisch verheerend wirkende Nebeneinander- und Durcheinanderregieren der verschiedenen sozialistischen Richtungen. Mit solchem „Revolutionskarneval“ seien weder demokratische Neuordnung noch Sozialisierung zu erreichen. Im Gegenteil werde der sozialistische Glaube der Massen zerbrechen und der Weg für „neue autoritäre Gewalten, einerlei welche“, geebnet („Das neue Deutschland“, MWG I/16, S. 376–385, Zitate S. 380 f. und 382). Auch geißelte er das öffentliche WühIen in „angeblichen besonderen ,Sünden‘ Deutschlands“. Es betreibe nicht nur „schmähliche Liebedienerei beim Feind“, sondern wecke ebenso illusorische Hoffnungen wie die „militaristische Stimmungsmache des alten Regimes“ (ebd., S. 380 und 383). In seiner Berliner Rede wiederholte Weber diese Vorwürfe und bezeichnete laut Vossischer Zeitung „die Revolution als das furchtbarste Unglück, das uns nach allem anderen noch getroffen hat“. Bedeute sie doch den vollkommenen Verlust von „Würde und Ehrgefühl“ (zit. nach: „Deutschlands Lage“, MWG I/16, S. 401–409, hier S. 405 und 407).

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sagen. Auch in der „Zeitung“3 wird es gesagt werden. Daß ich das gethan habe, „kostete“ mich die Verwendung in einer wichtigen Stellung seitens der jetzigen Regierung, – was mir nur recht war (dies bitte, unter uns!).4 Aber die Lage ist: es sitzen zwei elende Burschen unter den „Volksbeauftragten“: Haase und Barth. 5 Sie legen Eberta, der ein ganz vortreffl icher Kerl ist (in seiner Art!) [,] hinterrücks völlig lahm, veranlassen die einrückenden Truppen, vor Allem ihre Offi ziere abzuhalftern,6 dann hätten sie „keinen Dienst“ mehr, und da die ordentlichen Leute nach Hause wollen, die Lumpen aber bleiben und sich füttern lassen,7 so hat Ebertb keinerlei |:organisierte:| Truppenmacht, die sicher für ihn wäre, und das heißt: für die Ordnung. Der wahnsinnige Haß auch der Soldaten gegen die jungen Bengels von „SechswochenOffi zieren“8 spielt dabei seine Rolle, auch die Angst vor einer Restaua O: Evert

b O: Evert

3 Gemeint ist wahrscheinlich die Frankfurter Zeitung. 4 Max Weber wußte, daß Conrad Haußmann ihn Anfang November für den Posten des deutschen Gesandten in Wien vorgeschlagen hatte (vgl. die Briefe an Conrad Haußmann und an Marianne Weber vom 26. Nov. 1918, oben, S. 323 und 326). Daß nach der Revolution Friedrich Ebert ihn für das Amt des Staatssekretärs im Reichsamt des Innern in Betracht gezogen hatte, ist ihm vielleicht nicht zur Kenntnis gelangt (Mommsen, Max Weber3, S. 324, Anm. 68), möglicherweise aber die Erwägung, ihm das Unterstaatssekretariat im Reichsamt des Innern anzubieten. Vgl. den Brief an Lili Schäfer, zwischen dem 29. Nov. und 4. Dez. 1918, oben, S. 331 f., Anm. 4. 5 Hugo Haase und Emil Barth, die zusammen mit Wilhelm Dittmann die USPD im Rat der Volksbeauftragten vertraten, bis es anläßlich der Berliner „Weihnachtskämpfe“ Ende Dezember zum Bruch mit den Mehrheitssozialdemokraten kam. 6 Hugo Haase hatte in der Sitzung von Kabinett und Vollzugsrat am 7. Dezember für die Entwaffnung der aktiven Offiziere plädiert. Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19, bearb. von Susanne Miller und Heinrich Potthoff (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Erste Reihe; Bd. 6), 2 Bde. – Düsseldorf: Droste 1969, Bd. 1, Dok. 44b, S. 286–298, S. 293), Emil Barth bereits seit Mitte November den Aufbau einer revolutionären Sicherheitstruppe in Berlin gefordert (Kluge, Ulrich, Soldatenräte und Revolution. Studien zur Militärpolitik in Deutschland 1918/19. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1975, S. 175). Als Barth auf dem Reichskongreß der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin am 17. Dezember auf das Erstarken der alten Militäreliten verwies, den beschleunigten Aufbau einer demokratischen Volkswehr, sofortige Demobilisierung aller heimkehrenden Truppen sowie die Entlassung der Offiziere forderte, führte dies zur offenen Konfrontation mit Friedrich Ebert (FZ, Nr. 350, 18. Dez. 1918, 2. Mo.Bl. S. 1). Am folgenden Tag schloß sich der Rätekongreß in den „Hamburger Punkten“ Barths Forderungen weitgehend an. Nur Offiziere, die erklärten, „nichts gegen die Revolution zu unternehmen“, sollten zur Sicherung der Demobilmachung im Dienst belassen werden (vgl. Die deutsche Revolution 1918–1919. Dokumente, hg. von Gerhard A. Ritter und Susanne Miller, 2. erw. und überarb. Auflage. – Hamburg: Hoffmann und Campe 1975, S. 155 f.). 7 Vgl. hierzu den Brief an Otto Crusius vom 24. Nov. 1918, oben, S. 318 (insbes. Anm. 4). 8 Sogenannte „Kriegsleutnants“, junge Fahnenjunker und Reserveoffizieraspiranten, die

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ration des alten Regimes. – Sie sehen ja, daß die jetzigen scheußlichen Ereignisse in Berlin, wo ich 2 Wochen war (Reichsverfassungs-Beratung!), diesen Thatbestand bestätigen.9 Ich fürchte, wir bekommen auf jeden Fall |:Bürgerkrieg und:| Invasion.10 Das muß dann auch durchgemacht werden, so schwer und furchtbar es ist. Denn ich glaube an die Unverwüstlichkeit dieses Deutschland und niemals habe ich es so sehr als ein Geschenk des Schicksals empfunden, ein Deutscher zu sein, als in diesen düstersten Tagen seiner Schande. Haben Sie etwas Geduld, so schwer es ist. Ihnen und Ihren Söhnen11 herzliche Erwiderungc Ihres Händedrucks Ihr Max Weber

c O: Erwiederung im Krieg in verkürzten Offizierslehrgängen ausgebildet wurden. Sie waren militärisch unerfahren und besonders verhaßt, wenn sie erfahrenen Soldaten gegenüber herablassend auftraten. 9 Weber bezieht sich auf die Berliner „Weihnachtskämpfe“, in denen der Konflikt um die Auflösung der ursprünglich als Ordnungsmacht aufgestellten Volksmarinedivision eskalierte. Als diese am 23. Dezember die Reichskanzlei vorübergehend blockierte und den Stadtkommandanten Otto Wels gefangen setzte, ließen die mehrheitssozialdemokratischen Volksbeauftragten Kriegsminister Scheüch Gardetruppen des Generalkommandos Lequis einsetzen. Erst nach schweren Kämpfen am frühen Morgen des 24. Dezember, mit an die 70 Verwundeten und Toten, konnte der Konflikt durch erneute Verhandlungen beigelegt werden (vgl. Deutscher Geschichtskalender 1918, hg. von Friedrich Purlitz, begr. von Karl Wippermann, Ergänzungsband: Die Deutsche Revolution, Bd. 1: November 1918 – Februar 1919, S. 178–185, und Kluge, Soldatenräte und Revolution (wie Anm. 6, S. 260–265). Der Militäreinsatz besiegelte nicht nur den endgültigen Bruch mit der USPD, die aus dem Rat der Volksbeauftragten ausschied; die Zusammenarbeit der Mehrheitssozialdemokraten mit dem alten Militärapparat verbitterte und radikalisierte auch Teile der revolutionären Basis. 10 Vgl. Webers Brief an Otto Crusius vom 24. Nov. 1918, oben, S. 318 (mit Anm. 4 und 5). 11 Friedrich und Otto Crusius.

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Prinz Max von Baden 28. Dezember [1918]; Heidelberg Brief; eigenhändig Archiv des Hauses Baden, Salem, Nl. Prinz Max von Baden, D 4 / 1839 Das Jahresdatum ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Beigefügt hatte Max Weber, gleichfalls eigenhändig, die auch hier im Anschluß an seinen Brief abgedruckte Anlage. Bezug des Schreibens ist die Wahl zur Verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919. Aufgrund der „Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung (Reichswahlgesetz)“ vom 30. November 1918 erfolgte im Dezember 1918 die Aufstellung von Kandidatenlisten für die neu eingeteilten Wahlkreise. Im Wahlkreis 33 (Baden) waren 14 Mandate zu vergeben, entsprechende Listen hatten die Parteien bis zum 4. Januar 1919 einzureichen. Innerhalb der neu gegründeten DDP erfolgte die Kandidatenaufstellung im Wahlkreis, wozu im Vorfeld Mitgliederversammlungen durchgeführt wurden. Am 28. Dezember 1918 beschloß die Versammlung Heidelberg-Mannheim der DDP, über die Max Weber nachfolgend berichtet, im „Tannhäuser“ ihre Vorschlagsliste mit sechs Kandidaten. An Platz zwei setzte sie dabei Prinz Max von Baden. Wie das „Heidelberger Tageblatt“ vermerkte, war dem Prinzen „die Kandidatur im Namen der Partei durch Herrn Prof. Max Weber“ angetragen worden (HT, Nr. 304 vom 30. Dezember 1918, S. 2). Die „Heidelberger Zeitung“ berichtete, die „namens der hiesigen Parteileitung mitgeteilten Vorschläge fanden die lebhafte Zustimmung der Versammlung“, insbesondere die Mitteilung, „dem Prinzen Max von Baden eine Kandidatur anzutragen“ (HZ, Nr. 304 vom 30. Dezember 1918, S. 1). Beide Blätter wiesen aber darauf hin, der Beschluß stelle vorerst nur einen Antrag dar, die Annahme der Kandidatur durch den Prinzen stehe noch aus, und die endgültige Parteiliste für den Wahlkreis müsse Vorschläge aus ganz Baden berücksichtigen (HT und HZ, ebd.) Am 2. Januar 1919 notierte das „Tageblatt“ dann „mit tiefstem Bedauern“, der Prinz habe die Kandidatur abgelehnt, Gründe dafür seien noch nicht bekannt geworden (HT, Nr. 1 vom 2. Jan. 1919, S. 1). „Heidelberger Zeitung“ und „Frankfurter Zeitung“ meldeten am folgenden Tag, die Karlsruher Parteileitung habe – entgegen dem Heidelberger Vorschlag – von einer Nominierung Max von Badens abgesehen. Grund sei die Ansicht, „den früheren Reichskanzler nicht für die Interessen einer Partei in Anspruch nehmen zu dürfen“, was auch den „Wünschen des Prinzen Max“ entspreche (HZ, Nr. 2 vom 3. Jan. 1919, S. 2; FZ, Nr. 6 vom 3. Jan. 1919, 2. Mo.Bl., S. 1). Die Hintergründe lassen sich nur teilweise erhellen. Nachweislich suchte Max Weber den Prinzen Max kurz vor der Heidelberger Parteiversammlung, am „Weihnachtstag 1918“, auf (Brief Prinz Max von Badens an Kurt Hahn, „Weihnachtstag 1918“, Archiv des Hauses Baden, Salem, Nl. Prinz Max von Baden, E 3 / 1883). Über den Verlauf dieser – in Webers Brief angesprochenen – Unterredung in Baden-Baden ist Näheres aber nicht bekannt. Gleiches gilt für den weiteren Entscheidungsablauf. Dokumentiert ist hingegen, daß Prinz Max von Baden bereits vor dem Treffen mit Weber einer Kandidatur skeptisch bis ablehnend gegenüberstand. An seinen Vertrauten Kurt Hahn schrieb er: „In der Frage meiner Wahl zur Deutschen Nationalversammlung nehme ich noch immer die Haltung ein, daß ich eine solche, wenn irgend möglich vermieden sehen möchte. Ich bin absolut nicht für einen Parlamentarier geeignet, weder nach der Seite der Begabung noch des Gemüths u. Geschmacks. Ich hasse instinktiv eine Ansammlung der Menschen, die sich mit dem Wort bekämpft u. fühle mich ihr gegenüber absolut wehrlos. Außerdem ist zu gewärtigen, daß ich persönlich schweren Angriffen ausgesetzt sein werde [. . .]. Also wenn irgend vermeidbar keine Wahl.“ (Ebd.)

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Heidelberg 28. XII. Euer Großherzogliche Hoheit möchte ich mitteilen, daß die hiesige Parteiversammlung (Heidelberg – Mannheim und Umgebung) nach erstattetem Bericht einstimmig beschlossen hat, Sie der Parteileitung als Kandidaten zu präsentieren. Ich hatte berichtet: daß Ew. Großh[erzogliche] Hoheit – ebenso wie ich – die parlamentarische Monarchie an sich als die erwünschtest[e] a Staatsform, insbesondre für Baden, ansehen, daß Sie aber die von mir Ihnen vorgetragenen Gründe,1 aus denen nach der gegebenen Lage die Deutsche Konstituante zur Republik zu greifen schlechthin gezwungen sei, vollauf würdigen. (Ich darf hinzufügen – was Baden anbelangt – [,] daß die Reichsverfassung voraussichtlich den Einzelstaaten die republikanische Staatsform garantieren wird, wenigstens war dies vorgeschlagen).2 Es war unsre einmütige Ansicht, daß Ihre Zugehörigkeit zur Konstituante – die allerdings nur auf Grundlage einer eindeutigen Partei-Kandidatur möglich und auch nur bei Wirksamkeit innerhalb einer Partei ersprießlich sein könnte, wie die Dinge liegen – das Niveau der Erörterungen zunächst innerhalb der Partei, dann auch innerhalb der Konstituante, heben werde, – daß ferner dem Ausland gegenüber diese Zugehörigkeit zu Gunsten des deutschen Interesses ins Gewicht fallen könnte, – daß endlich (es blieb das unausgesprochen, wie auch ich es absichtlich in Baden-Baden nicht berührt habe) Ihre Person in der einen oder andren Weise einmal in einer Kombination in Betracht kommen könnte, für welche ein Sitz innerhalb der Konstituante, – und zwar ein Sitz innerhalb der Linken, – wünschenswerte Voraussetzung wäre. Auf die Frage, ob es für Ew. Großh[erzogliche] Hoheit wünschenswerter sei, an erster oder an zweiter Stelle nominiert zu werden, berichtete ich, daß nach meinem Eindruck Ihnen dies gleichgültig sei. Die Versammlung entschied sich für die zweite Stelle (an erster Stelle: Geh. Kom. Rat Engelhardb – Mannheim3). Dies deshalb, weil man in a Lochung. b O: Engelhardt 1 Höchstwahrscheinlich im persönlichen Gespräch am Weihnachtstag in Baden-Baden. 2 Artikel 17, Abs. 1 der WRV setzte dieses Homogenitätsprinzip mit der Vorgabe einer „freistaatlichen Verfassung“ um. 3 Emil Engelhard, Stadtrat und Handelskammerpräsident in Mannheim. Er nahm auf der endgültigen Wahlliste der DDP Platz drei ein und wurde am 19. Januar in die Nationalversammlung gewählt. Vgl. Heidelberger Zeitung, Nr. 12 vom 15. Jan. 1919, S. 6, sowie Nr. 16 vom 20. Jan. 1919, S. 1.

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der Nominierung an erster Stelle eine Demonstration für Ew. Großh[erzogliche] Hoheit |:frühere:| Reichskanzlerschaft erblicken könnte. Diese warc |:aber:| mit der, auch nach meiner Ansicht, s. Z. leider unumgänglichen Mitwirkung des Herren Abg[eordneten] Erzberger belastet,4 und ein Bekenntnis zu dieser „Volksregierung“ wünschten wir nicht abzulegen. Daneben wünschte man – und glaubte damit auch Ihren Ansichten zu entsprechen – klarzustellen, daß man die Kandidaturen nicht nach Geburt und Ansehen bestimmen wolle. Und schließlich schien als Gegensatz sowohl gegen die Sozialdemokratie wie gegen die unklar kleinbürgerlichen Tendenzen des Zentrums die Nominierung eines angesehenen und frei denkenden Unternehmers an der ersten Stelle angebracht. Die Entscheidung liegt bei der Karlsruher Gesammtleitung der Partei. – Sollten wider Erwarten und Verhoffen Sie dennoch Bedenken gegen die Kandidatur tragen, dann wäre ich sehr dankbar, wenn mir Gelegenheit gegeben würde, für die Art und Form der Begründung einer eventuellen – von mir sehr beklagten – Ablehnung5 ganz unmaßgeblich einige Bemerkungen machen zu können. Denn diese ist für die Sache, die Ew. Großherzogl[iche] Hoheit vertreten, natürlich nicht gleichgültig und bleibt der Öffentlichkeit nicht verborgen.1) Wir haben unsrerseits so gehandelt, wie es, nachdem eine glatte Annahme Ihrerseits (aus Gründen, die ich völlig verstehe) |: jetzt:| leider nicht möglich war, u. E. zu geschehen hatte. Indem ich Ew. Großherzogl[iche] Hoheit für die ausgiebige Gelegenheit zur Aussprache und die liebenswürdige Aufnahme im Kreise Ihrer Familie verbindlichst und ergebenst danke und um angelegentlichste Empfehlung an Ihre Großherzogl[iche] Hoheit6 bitten darf, verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung und sehr ergebenst Prof. Max Weber 1)

Anlage!

c ist > war 4 Matthias Erzberger war als Vertreter der Zentrumspartei im Kabinett Prinz Max von Badens Staatssekretär ohne Portefeuille und ab dem 6. November 1918 Leiter der deutschen Waffenstillstandsdelegation. 5 Eine solche Begründung bzw. offizielle Ablehnung der Kandidatur durch Max von Baden ist nicht nachgewiesen. 6 Maria Luise von Baden. Zum Besuch vgl. oben, Editorische Vorbemerkung.

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Anlage Anlage: Für den – höchst unerwünschten – Fall einer Ablehnung (die Parteileitung in Karlsruhe, Stefanienstr. 23 würde, wie ich höre, Gewicht darauf legen, bis Dienstag früh im Besitz einer solchen zu sein,7 falls sie unvermeidlich sein sollte) würde m. E. in Betracht zu ziehen sein, daß eine Desavouierung der Partei aus Gründen der Gegnerschaft gegen die republikanische Staatsform im Ausland gegen Ew. Großh[erzogliche] Hoheit |:wirken:| müßte. Wenn die von mir in Baden-Baden erwähnte Motivierung Ihnen Bedenken erregt, dann würde es vielleicht möglich sein und gestatte ich mir daher |:gänzlich unmaßgeblich:| anzuregen, einfach zu sagen: „daß Ew. Großh[erzogliche] Hoheit für den freiheitlichen Aufbau des Reiches, wie bekannt und durch die That erwiesen, die größten Sympathien hegen, aber zur Zeit außerhalb des aktiven politischen Lebens zu bleiben wünschen.“ Ich betrachte alle Angelegenheiten z. Z. unter dem Gesichtspunkt der Wirkung auf Amerika. 8 Diese glaube ich beurteilen zu können und kann behaupten: daß in erster Linie die Annahme einer demokratischen Kandidatur, falls aber diese nicht möglich sein sollte, eine Ablehnung unter ausdrücklicher Bekundung der Sympathie für die Demokratie (unter der der Amerikaner stets „Republik“ stillschweigend mit versteht) oder doch in einer Art, welche diese Frage (der Dynastie) ganz offen läßt – wie eine Erklärung im obigen Sinn – erwünscht ist. Gesichtspunkte des „Stimmenfangs“ haben selbstredend bei der ganzen Frage nicht die geringste Rolle gespielt. Bei nachträglicher Erörterung dieser Seite der Sache sind wir einmütig der Ansicht: daß sich die Wirkung Ihrer Kandidatur in dieser Hinsicht überhaupt in keiner Weise abschätzen läßt. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Max Weber

7 D.h. bis zum Morgen des 31. Dezember 1918. 8 Gemeint ist damit wohl eine positive Wirkung auf amerikanische Regierung und Öffentlichkeit hinsichtlich kommender Friedensverhandlungen.

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Ludo Moritz Hartmann 3. Januar 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig HHStA Wien, Gesandtschaftsakten Berlin, NP 1140 Mit dem nachfolgenden Schreiben reagiert Weber auf eine Nachfrage von Ludo Moritz Hartmann vom 31. Dezember 1918. Dieser hatte Weber gebeten, ein ausstehendes zusammenfassendes Gutachten über seine „Bedenken gegenüber der Regierung und den bisherigen Verlauf der Dinge“ nun doch einzusenden, damit er es „zu dem Zwecke verwerte, von dem ich Ihnen sprach“ (Brief Ludo Moritz Hartmanns an Max Weber vom 31. Dezember 1918, HHStA Wien, Nl. Hartmann, Nr. 1). Hartmann, seit dem 25. November 1918 Gesandter der Republik Deutschösterreich in Berlin, leitete Webers Gravamina am 7. Januar 1919 an Otto Bauer, den österreichischen Staatssekretär für Äußeres, weiter (vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 322 f., Anm. 65).

Heidelberg 3. I. 19 Lieber Freund,

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wir werfen der Räte-Regierung vor: 1. daß sie ausgesprochene Minderheitsherrschaft ist und sich lediglich auf Gewalt stützt, genau wie irgend eine andre militärische Diktatur, – 2. daß sie die Freiheit der Wahlen nicht garantiert. In den meisten Fällen sind die Automobile für die Räte in Anspruch genommen und werden von diesen zur Agitation benutzt,1 also zu einer „amtlichen Wahlbeeinflussung“, welche nach unsren Grundsätzen (und denen der alten Soz[ial-]Demokratie) die Wahlen ungültig macht, – 3. daß sie die Eliminierung der Offiziere durch Reserveoffi ziere, welche vor ihr |:und den Soldaten:| krochen, duldete und schließlich sanktionierte, 2 dadurch eine schmachvolle Disziplinlosigkeit, Marodieren und die Unfähigkeit herbeiführte, die Ordnung zu erhalten und z. B. den Polen entgegenzutreten,a auf rein national deutschem Gebiet, – 3 a 〈auch〉 1 Kritik an dieser Praxis wurde auch bei der Mitgliederversammlung der Heidelberger DDP Ende Dezember 1918 geübt (vgl. Heidelberger Tageblatt, Nr. 304 vom 30. Dez. 1918, S. 2). 2 Vgl. hierzu den Brief an Otto Crusius vom 26. Dez. 1918, oben, S. 379 f., sowie Webers Heidelberger Rede „Deutschlands Wiederaufrichtung“ vom Vortag (MWG I/16, S. 410–428, dort S. 417 f.). 3 Zum Kontext vgl. bereits Webers Brief an Kurt Goldstein vom 13. Nov. 1918, oben, S. 301, Anm. 9. Seither hatte sich der deutsch-polnische Konflikt zugespitzt. Die ohnehin schon erregte Presseberichterstattung über Polonisierungsbestrebungen verschärfte sich

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4. daß sie ihrer eignen Überzeugung zuwider zu feige ist, eine offne Koalition mit bürgerlichen Politikern einzugehen, statt dessen aber unsaubere Elemente (Haase, Barth) allzu lange in ihrer Mitte duldete, – 4 5. daß sie charaktervolle Leute (Solf) 5 ebenso wenig erträgt wie Wilhelm II, – 6. daß sie die Auflösung unsrer Wirtschaft geschehen ließ und läßt und ihrer eignen Überzeugung zuwider eine „Sozialisierung“ verspricht,6 von der sie weiß, daß sie jetzt, im Moment höchsten AuslandsCredit-Bedarfs, gänzlich unmöglich ist, –7 seit Weihnachten weiter, angeheizt durch (falsche) Gerüchte über eine bevorstehende Besetzung Danzigs und die Entwicklung in Posen. Dort war es anläßlich des Besuchs des polnischen Politikers Ignacy Jan Paderewski und des Einschreitens der Polizei gegen polnische Demonstranten zu einem Aufstand gekommen. In dessen Folge besetzte die geheime polnische Militärorganisation POW bis zum 8. Januar einen Großteil der Provinz Posen. Die öffentliche Meinung in Deutschland reagierte aufgebracht, die Regierung erwog zunächst sogar eine Kriegserklärung. Am 3. Januar kommentierte die FZ: „Deutschland befindet sich ungefähr im Kriegszustand mit den Polen – und merkt es nicht.“ Gegen die polnischen Versuche, vor der Friedenskonferenz territoriale Fakten zu schaffen, helfe nur „bewaffnete Gegenwehr“ (FZ, Nr. 7 vom 3. Jan. 1919, Ab.Bl., S. 1.). Die Regierung nahm, um Zeit zu gewinnen, im Januar Verhandlungen auf, parallel dazu erfolgte aber der forcierte Aufbau deutscher Freiwilligenformationen mit dem Ziel einer militärischen Rückeroberung. Vgl. Schattkowsky, Ralph, Deutschland und Polen von 1918/19 bis 1925. Deutsch-polnische Beziehungen zwischen Versailles und Locarno. – Frankfurt a. M. u. a.: Lang 1994, S. 35–40. 4 Die USPD-Volksbeauftragten Hugo Haase, Emil Barth und Wilhelm Dittmann hatten in der Nacht zum 29. Dezember die Regierung der Volksbeauftragten verlassen. Zur Kritik Webers an Haase und Barth vgl. den Brief an Otto Crusius vom 26. Dez. 1918, oben, S. 379, sowie hier Anm. 5. Auch in seiner Rede am 2. Januar in Heidelberg war Weber scharf mit Haase ins Gericht gegangen. Der anwesende Karl Hampe notierte am 2. Januar in sein Tagebuch: „Über die Schuldfrage und Ludendorff fand er gerechte mutige Worte, ebenso wie Worte der Verachtung für die Kerls um Haase, die ihre eigne Haltung bei Kriegsbeginn jetzt zu verleugnen suchten.“ Zit. nach: Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, S. 812. 5 Wilhelm Solf, Staatssekretär des Auswärtigen, hatte im Anschluß an die Kabinettssitzung vom 9. Dezember 1918, nach einem Eklat um angeblich mit Kenntnis der USPDVolksbeauftragten Barth und Haase erfolgte Geld- und Waffenlieferungen aus dem bolschewistischen Rußland, sein Entlassungsgesuch eingereicht. Es wurde am 13. Dezember durch das Kabinett angenommen (Miller/Potthoff (Bearb.), Die Regierung der Volksbeauftragten, Bd. 1, S. LXXXIV f. sowie Dok. 46, S. 300–303, und Dok. 53, S. 369, insbes. Anm. 8). 6 Der Reichskongreß der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin hatte per Beschluß vom 20. Dezember die Regierung aufgefordert, sofort mit der Sozialisierung aller hierzu reifen Industrien, insbesondere des Bergbaus, zu beginnen. In ihrem „Aufruf an das deutsche Volk“ vom 29. Dezember hatte die nunmehr rein mehrheitssozialdemokratische Regierung der Volksbeauftragten erklärt, „die Sozialisierung im Sinne des Rätekongresses in die Hand zu nehmen“. Zit. nach: Deutscher Geschichtskalender, hg. von Friedrich Purlitz. Der Europäische Krieg, Ergänzungsband: Die Deutsche Revolution, Bd. 1: November 1918–

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7. daß sie eine Auslands-Politik überhaupt nicht besitzt und treiben kann, – 8. daß sie die Reaktion durch das Gewährenlassen solcher Narren wie Adolf Hoffmann8 und derart pathologischer Naturen wie Liebknecht9 fördert und nicht nur den Sozialismus, sondern auch die Demokratie hoffnungslos für lange diskreditiert, – 9. daß sie, Alles in Allem, die gegenwärtig unvermeidliche Hilfe des Bürgertums entweder in ihrer Notwendigkeit nicht sieht, oder nicht sehen will, jedenfalls aber nur in Formen in Anspruch nimmt, die es einem aufrechten Mann unmöglich machenb, sich in ihren Dienst zu stellen. Sie wird den Bürgerkrieg nicht vermeiden können, aber – wie Kerenskij – zu spät zugreifen10 und sie wird uns politischer und ökonomischer Fremdherrschaft ausliefern, wie dies in diesem Maß nicht nötig gewesen wäre. In der Reichsverfassungsfrage sieht sie die Notwendigkeit einer starken Verwaltung, also: einer plebiszitären einheitlichen Spitze, für jede Sozialisierung zwar theoretisch ein, hat aber nicht den Mut, die Folgerungen zu ziehen, sondern fällt den ältesten Fehlern der altbürgerlichen Spießbürger-Demokratie anheim nur aus Ressentiment gegen den „gewählten Monarchen“.11 Diese Frage wird sie vollständig, 7

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b O: macht Februar 1919. – Leipzig: Felix Meiner o.J. [1919], S. 187 f.; zum Beschluß des Kongresses, ebd., S. 248–254, insbes. S. 254. 7 In seiner Rede vom Vortag führte Weber dazu aus, Deutschland trage bereits gewaltige Auslandsschulden und werde vor allem in den USA weitere große Schulden aufnehmen müssen. Kredite seien aber nur solange zu erwarten, wie das Privateigentum in Deutschland geschützt sei (vgl. „Deutschlands Wiederaufrichtung“, MWG I/16, S. 410–428, S. 426 f.) 8 Adolph Hoffmann (USPD) leitete gemeinsam mit Konrad Haenisch (MSPD) seit November 1918 das preußische Kultusministerium. Seine scharfen antikirchlichen Erlasse lösten im bürgerlichen, insbesondere katholischen, Lager eine Welle der Empörung aus. Schon vor Hoffmanns Rücktritt nach dem Ausscheiden der USPD-Volksbeauftragten wurden etliche seiner kirchen- und schulpolitischen Maßnahmen durch Haenisch abgeschwächt bzw. rückgängig gemacht. 9 Zu Webers ätzender Kritik an Karl Liebknecht vgl. auch seine Karlsruher Wahlkampfrede vom folgenden Tag. Mehrere Zeitungsberichte zitierten ihn mit der Aussage, „Liebknecht gehöre ins Irrenhaus und Rosa Luxemburg in den Zoologischen Garten“ („Deutschlands Vergangenheit und Zukunft“, MWG I/16, S. 436–446, S. 441 und 446). 10 Als Ministerpräsident der provisorischen Regierung hatte Aleksandr Kerenskij aus Furcht vor einem drohenden Militärputsch 1917 das Volk zu bewaffnetem Widerstand aufgerufen und bei den Sowjets Rückhalt gesucht. Dem zunehmenden Einfluß der Bolschewiki stand seine Regierung dann weitgehend hilflos gegenüber. 11 Gemeint ist ein durch das Volk direkt gewählter und mit großer Machtfülle ausgestatte-

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aus Doktrinarismus, verpfuschen, und damit die Zukunft des Reiches und der Sozialisierung der Wirtschaft. Mit besten Empfehlungen Ihr Max Weber

ter Reichspräsident, wie ihn Webers Präsidialkonzeption vorsah (vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 363–370).

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Mina Tobler [vor dem 10. Januar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist aus dem Briefinhalt erschlossen: Max Weber schlug Mina Tobler vor, seinen üblichen samstäglichen Besuch wegen der für den 11. Januar 1919 angesetzten Rede „Die kommende Reichsverfassung“ (vgl. MWG I/16, S. 447–449) auf den Vorabend zu verlegen.

Geliebte Judit,

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auf Deinen bezaubernden Brief wollte ich heut Abend eigentlich zu Dir kommen. Aber: „die Pfl icht“ – „Jugendgruppen“-Bildung u. s. w. – kurz: Politik. Was vermagst Du mit Deinen strahlenden Augen in den Menschen hineinzusehen! Man schämt sich ja vor diesem Bild dessen was – Du aus Einem machst, und vor Dir selbst, Du trautes „verblendetes“ Kind! Gewiß: ich war glücklich und, so weit das jetzt möglich ist, bin ich es immer dann, wenn wir so sind mit einander. Meist ist der „eiserne Heinrich“ eingekerkert.1 Dann träumt er nur. Aber zuweilen . . . Samstag muß ich bei den Studenten sprechen (5 Uhr).2 Das ging nicht anders. Darf ich Freitag 6 Uhr kommen? Sonntag – Donnerstag bin ich fort (Frankfurt – Fürth – Karlsruhe) Freitag k. W. rede ich hier,

1 Anspielung auf „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“, in: Grimm, Jakob und Wilhelm, Kinder- und Hausmärchen. Große Ausgabe, Bd. 1. – Göttingen: Dieterich 1857, S. 1–6. In diesem Märchen legt sich der treue Diener Heinrich – weil sein Herr, ein Königssohn, in einen Frosch verhext worden war – drei eiserne Ringe ums Herz, „damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge“. Diese Ringe zerbersten schließlich vor Glück, nachdem der Zauber gebrochen ist und der Königssohn die Liebe einer Königstochter gefunden hat. (Vgl. zu diesem Literaturmotiv auch die Briefe an Mina Tobler vom 19. Juli 1917, MWG II/9, S. 710–712, hier S. 711, und vom 26. März sowie 25. April 1919, unten, S. 544 f. und 589.) 2 Max Weber war von Heidelberger Studentengruppen eingeladen worden, am 11. Januar 1919 im Neuen Kollegienhaus über „Die kommende Reichsverfassung“ zu sprechen (vgl. MWG I/16, S. 447–449).

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Samstag in Sinsheim. 3 Dann endlich ist „Schluß“ und ich bin für Dich da. Ich schicke diesen Fetzen in Eile als Liebeszeichen [.] immer Dein M

3 Der Besuch in Frankfurt stand vermutlich in Zusammenhang mit dem beruflichen Angebot, mit dem die Brüder Merton Max Weber für Frankfurt interessieren wollten und das sowohl Aufgaben an der Universität und am Institut für Gemeinwohl als auch bei der Frankfurter Zeitung beinhaltete, vgl. die Briefe an Mina Tobler und Marianne Weber vom 6. Dez. 1918, oben, S. 345 und S. 347 f. Alfred Merton hatte Max Weber mit Schreiben vom 3. Januar 1919 „in nächster Zeit“ zu einem Gespräch mit ihm und seinem Bruder Richard eingeladen, „dass Ihrer Berufung hierher eine Form gegeben wird, die ihnen selbst auch genehm ist“ (Deponat Max Weber-Schäfer, BSB München). Bereits vorher hatte Ferdinand Schmidt, Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt, Max Weber zu einem Sondierungsgespräch eingeladen, allerdings dafür die Tage vom 2. bis 4. Januar 1919 vorgeschlagen (Brief Ferdinand Schmidts an Max Weber vom 28. Dez. 1918, Deponat Max Weber-Schäfer, BSB München). Für die weiteren Reisestationen sind Wahlkampfreden Max Webers am 14. Januar 1919 in Fürth über „Probleme der Neuordnung“ (vgl. MWG I/16, S. 450–457) sowie am 17. Januar 1919 in Heidelberg über „Der freie Volksstaat“ (vgl. MWG I/16, S. 458–474) nachgewiesen. Eine Rede in Sinsheim wurde zwar in der Heidelberger Zeitung, Nr. 14 vom 17. Jan. 1919, für den folgenden Tag angekündigt, doch ist sie nicht dokumentiert. In Karlsruhe plante Max Weber eventuell einen Besuch bei der dort zu Landtagssitzungen weilenden Marianne Weber (vgl. den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, unten, S. 391–393).

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Else Jaffé [vor dem 14. Januar 1919; Heidelberg] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Bei der angekündigten Rede „am Dienstag“ handelt es sich um den auf einer Veranstaltung der DVP am 14. Januar 1919 in Fürth gehaltenen Vortrag (vgl. „Probleme der Neuordnung“, MWG I/16, S. 450–457). Die daran anschließende Fahrt nach München stand in Zusammenhang mit ersten Gesprächen wegen der Münchener Professur, wie aus Else Jaffés Brief an Marianne Weber vom 12. Januar 1919 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)) hervorgeht: „Eben telephoniert mir Edgar, dass Max mit den Leuten hier wegen der Berufung verhandeln wird.“ In ihrem Brief an Alfred Weber vom 17. Januar 1919 (BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 85) sprach sie von einer „Anfrage unter der Hand, ob er käme“. Möglicherweise handelt es sich um das im Brief an Carl Heinrich Becker vom 9. Februar 1919, unten, S. 435, erwähnte informelle Gespräch mit dem bayerischen Kultusminister Johannes Hoffmann. Offiziell beschloß der bayerische Ministerrat am 18. Januar 1919, Berufungsverhandlungen mit Max Weber aufzunehmen (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Februar 1919, unten, S. 423–425). Die Ortsangabe ergibt sich ebenfalls aus dem Briefinhalt.

Liebe, –

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zuerst die „Ratifi kationsurkunde“ jenes |:neulich:| mir von Ihnen auferlegten „Gewaltfriedens“:1 § 1: ich habe zu schweigen (besitze keine Zeile mehr – wissentlich – von Ihrer Hand); die Gegenseitigkeit wurde nicht beansprucht (was Du thust ist |:– das werde ich nie verleugnen –:| immer wohlgethan), – § 2 ich habe „Anzeigepflicht“ bei anderweitigen Versuchungen oder Irrungen. Die Gegenseitigkeit wird nicht gewährt, – § 3 ich habe nur zu Ihnen gut zu sein (hier bitte ich herzlich um Großmut für die Judith, 2 d. h. für das, was ich ihr noch geben kann). Die Gegenseitigkeit ist ausdrücklich ausgeschlossen. – § 4. Wie gut ich zu Ihnen sein darf, bestimmen Sie allein. Reut Siea nachträglich Ihre Verfügung |:darüber:|, so habe ich Ungnade zu gewärtigen. – So: das Resultat ist etwab so: im „Ivanhoe“ fi ndet sich ein Hirt mit einem eisernen Ring um den Hals und der Aufschrift: |:„dieser Hirt:| gehört Cedric dem Sachsenfürsten“ [.] 3 Ich trage nun einen unsichtbaren Ring mit der a O: sie b 〈ich〉 1 Ein Brief oder anderweitiges Dokument entsprechenden Inhalts ist nicht bekannt. Möglicherweise spielt Max Weber auf eine mündliche Vorgabe Else Jaffés an, hatten sich die beiden doch auf Max Webers Rückreise von Berlin am 21. Dezember 1918 in München getroffen. Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 16. Sept. 1919, unten, S. 373 f. 2 Von Max Weber häufig benutztes Pseudonym für Mina Tobler nach einer Romanfigur aus Gottfried Kellers „Der grüne Heinrich“. 3 Max Weber hatte sich in seiner Jugendzeit für Historienromane Sir Walter Scotts begei-

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Aufschrift, daß „dieser Leinenweber4 der Freiin Else v. Richthofen gehört“, – das kommt davon, wenn man |:für:| solche wilden stolzen Raubritterstöchter den „hochverehrten Lehrer“ zu spielen versucht! Erst machen sie: den Doktor mit dem Prädikat: „sehr hübsch“5 – und dann . . . Und je übermütiger Du mich diesen Ringc nun fühlen lässest, desto fester wird er – und, was ja eigentlich eine Torheit ist Dird zu verraten (aber Du weißt es ja doch!) desto stolzer trage ich ihn. Ja – unter einer Voraussetzung: Du darfst Dich, wenn Du gut warst und Liebes sagtest oder thatest, dessen nicht nachträglich schämen. Sonst freilich fl iegt Dir der „Raubvogel“ fort in die Weite. Sondern dann |:– d. h. wenn Dich etwas in innere Bedrängnis bringt oder Dir nicht paßt –:| sagst Du eben: „ jetzt wird nicht mehr gezaubert“ oder: „das u. das ging nicht“ oder e„geht nicht mehr“e . Und wenn ich dann widerspänstig bin, – nun: bisher warst Du dann |:stets:| die stärkere, und wenn das meiner Eitelkeit hart ankommen sollte, so fand ich Das nachträglich (oder vielmehr: meist schleunigst) nur umso bezaubernder, daß es so war und äußerte jedes Mal: daß Du in der Sache wohl recht hattest. Denn das ist der einzige Stolz, den ich Dir, Liebling, gegenüber gern bewahren möchte: daß ich nicht auf Kosten der Schönheit und des Reichtums Deines Lebens etwas haben möchte – oder wenigstens (denn auch Das ist ja schon nicht wahr, ich weiß: welche Kosten Du trägst, schrieb es ja schon einmal) nicht mehr, als Dir ganz sicher dauernd recht ist und ich allenfalls von Dir annehmen darf, ohne zu freveln. Alles kann so sein wie jetzt oder wie vor 1/ 2 oder wie vor 3 / 4 Jahren6 – Du bestimmst das, c 〈spielen〉 d mir > Dir e [??] > „geht nicht mehr“ stert (vgl. die Briefe an seinen Vetter Fritz Baumgarten vom 19. Jan. und 4. Febr. 1879, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 21–23, und ebd., Bl. 24–27; MWG II/1). Vermutlich stammt seine Kenntnis des Romans „Ivanhoe“ aus dieser Zeit. Zur Gestalt des leibeigenen Schweinehirten mit dem einem Hundehalsband ähnlichen Metallring und dem eingravierten Besitznachweis „Gurth, der Sohn Beowulphs, ist der geborene Leibeigene Cedrics von Rotherwood“ vgl. Scott, Walter, Ivanhoe. – Leipzig: Insel o. J. [1911], S. 6. 4 Anspielung auf Max Webers Familiennamen und seine Abstammung von wohlhabenden Bielefelder Leinenhändlern. 5 Else v. Richthofen hatte bei Max Weber in Heidelberg studiert und 1900 promoviert. Im Brief an Anna v. Richthofen vom 22. April 1920, unten, S. 1026, erwähnt Max Weber das Prädikat „summa cum laude“ – doch ist weder das Promotionsgutachten noch die Promotionsurkunde überliefert. In der Karte an Marianne Weber vom 14. Juli 1901 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/3) hatte Max Weber allerdings nach der Lektüre der ersten Kapitel geklagt, die „Arbeit der kleinen R[ichthofen]“ habe ihn „einige sehr schlechte Nächte gekostet“ und geurteilt, „sie geht im Ganzen, Pointen sind nicht scharf, die Einleitung schwach“. 6 Gemeint sind Max Webers Treffen mit Else Jaffé auf der Hin- und Rückreise zu seinem

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denn Du verfügst über Dein Eigentum, ich aber kann Das, was Du für Dich richtig fi ndest, – denn ich bin Dir arg gut. Eben kommt Edg[ar]’s Telegramm No 2.7 Ich bin Montag Abend in Nürnberg, Hotel Viktoria (für „Zettel“1) oder andre Nachricht) und nach einer Rede (am Dienstag) 8 Mittwoch Mittag bei Grünwald9 (bis Donnerstag früh).10 Mar[ianne] reiste eben nach Karlsruhe zu ihrem Werk, Gott sei Dank noch immer am Leben trotz aller Strapatzen.11 Mit dem Münchener Vortrag12 mache ich es nach Anweisung. Hier wirst du immer willkommen sein.13 Sollte ich Dich in München sehen oder Nachricht in Nürnberg oder bei Grünwald fi nden, dann kann man das ja noch verabreden. Ist Mar[ianne] in Karlsruhe, so komme ich – was auch sie gern möchte – dorthin. – Und nun: verzeih noch das knurrige „Abreagieren“ [ – ] es ist nun geschehen, ich wills nicht mehr thun. Sei gut – wenn Du grad kannst – Deinem M. 1)

O, diesmal bekomme ich sie – die von denen Du schreibst, eventuell giebst Du sie mir, – bitte! – wenn es wahr ist, daß Du welche hast.

„Probesemester“ an der Wiener Universität. Else Jaffé erwähnt diese Beisammensein am 6. und 7. April und am 19. Juli 1918 in ihrer Korrespondenz mit Alfred Weber (Briefe Else Jaffés vom 6. April 1918, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 79, Bl. 59–62, sowie vom 22. Juli 1918, ebd., Bl. 166–169). 7 Wie aus Else Jaffés Brief an Max Weber vom 7. Jan. 1919 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)) hervorgeht, hatte Edgar Jaffé ein (erstes) Telegramm an Max Weber betreffs einer möglichen Berufung an die Universität München geschickt. 8 Am 14. Januar 1919 hielt Weber eine Wahlrede für die DVP in Bayern in Fürth. Vgl. „Probleme der Neuordnung“, MWG I/16, S. 450–457. 9 Von Max Weber bevorzugtes, nahe beim Hauptbahnhof gelegenes Hotel, Hirtenstraße 11. 10 Der Abreisetag erklärt sich aus Max Webers Wahlrede in Heidelberg am nächsten Tag, dem 17. Januar 1919. Vgl. „Der freie Volksstaat“, MWG I/16, S. 157–176. 11 Marianne Weber war am 5. Januar 1919 als Vertreterin der DDP in die badische verfassunggebende Versammlung gewählt worden. 12 Am 28. Januar 1919 hielt Max Weber in München den Vortrag „Politik als Beruf“. Vgl. MWG I/17, S. 157–252. 13 Else Jaffé hatte in ihrem Brief an Max Weber vom 7. Jan. 1919 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)) einen Besuch bei Marianne Weber um den 20. Januar 1919 erwogen. Zu ihrem sich konkretisierenden Reiseplan vgl. den Brief an Else Jaffé vom 20. Jan. 1919, unten, S. 405.

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Else Jaffé [15. Januar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Max Weber reiste im Anschluß an seine Rede am 14. Januar 1919 von Fürth nach München, um über die mögliche Berufung an die dortige Universität zu verhandeln (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Januar 1919, oben, S. 391) und um Else Jaffé zu sehen.

Liebe, – die unglaublichen Zugverhältnisse! – jetzt, nach 9 Uhr, dachte ich in München – nun was wohl? – zu haben, und sitze nun hier,1 kann erst Nachts ankommen, morgen vielleicht ein kurzes Sehen, dann wieder Warten, bis Du in H[eidelberg] bist, 2 – denn das mußt Du, Du mußt es, verstehst Du, und „richtig“ eingerichtet. Mar[ianne] wird in der Woche in Karlsruhe sein, aber Dich, Dich muß ich irgendwie dann sprechen. Und nun sitze ich hier, allein wohl, aber ganz mit Dir, mit Deinen „Zetteln“ vor mir, – ich habe gestern, ich weiß es trotz des tobenden Beifalls (dann kamen freilich Stühle – der Spartakisten – geflogen und der Kukkucka war los! –) sicher schlecht gesprochen, 3 denn woran wohl dachte ich? an die „Verfassung“? dieser Karnevals-„Republik“ etwa?4 – Du weißt es besser. – Liebe, was kannst Du Alles sprachlich ausdrücken, und wie ärmlich ist man dagegen. – Eines mußt Du über den „Reigen“5 wissen und es ist besser es hier zu sagen als wenn ich Dir in die dunklen schimmernden Augen sehe, die doch noch immer leicht „erschrecken“. Du kannst |:natürlich zu mir:| nicht sagen: „ich bin Dein“, das weiß ich jeden Aua O: Kuckuk 1 Vermutlich Nürnberg. 2 Else Jaffé wollte Marianne Weber eventuell am 20. Januar 1919 besuchen, vgl. den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 393, Anm. 13. 3 Trotz positiver Aufnahme von Max Webers Rede kam es anschließend zu Handgreiflichkeiten im Publikum. Vgl. Editorischer Bericht zu „Probleme der Neuordnung“, MWG I/16, S. 450–452, hier insbesondere S. 451. 4 Den Berichten in der Fürther und der Nordbayerischen Zeitung zufolge hatte sich Max Weber u. a. zu den Regierungsverhältnissen in Bayern und der künftigen deutschen Staatsverfassung geäußert (vgl. „Probleme der Neuordnung“, wie Anm. 1, hier S. 453– 457). 5 Möglicherweise Assoziation mit Schnitzler, Arthur, Reigen. Zehn Dialoge. – Berlin, Wien: Benjamin Harz Verlag 1914. In dieser Komödie finden sich zehn Personen zu wechselnden Liebespaaren zusammen. Vgl. auch den Brief an Else Jaffé vom 26. Aug. 1919, unten, S. 741.

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genblick und niemals würde ich der Zerstörer Deiner Schönheit und |:Deines:| Reichtums sein wollen und können. Aber Du sollst wissen: daß es bei mir mit dem „Reigen“ eine eigne Bewandtnis hat. Nicht nur in den Dingen, die jetzt in jenem „Frieden“6 |:ausgemacht sind:| und in tausend andren, gehorche ich Dir. Nein, Du „hast“ mich. In jeden Frevel und jedes Verbrechen, Else v. R[ichthofen], ginge ich mit Dir, wenn Du es je mich heißest, es ja wollen (und können) würdest, – in jeden, keinen ausgenommen. Du hast ja die große Güte und die große Ritterlichkeit, Du adlige Seele, in deren liebe Hand ich gegeben bin, – Du wirst nicht leichten Herzens mich und andre zerstören oder entstellen, so, daß Du mich dann nicht mehr lieben könntestb. Aber wenn das Leben es Dir geboten hätte und geböte, – möchte es dann nachher für mich, dem es Manches versagt und Manches geboten hat mit seiner lässigen, seltsam unsichern Hand, zu Ende sein in Schönheit. Nochmals: „Du bist mein“, das kannst Du in jedem verwegensten Sinn zu mir und von mir sagen, geliebte Gebieterin, – und Du bist die letzte, die letzte in dieser kurzen schönen Irrfahrt des irdischen Seins, – verstehst Du? – die, (wenn es Jemand je sagen konnte und ich wüßte wohl nicht recht: wer?) das |:grade:| sagen soll dürfen und können. Warum die letzte? |:nun:| weil Du es „bist“, – doch das verstehst Du nicht recht! Weil ich |:aus dunklen Jahren:| weiß – oh ja! – daß Du undc nur Du, es in Deiner Macht hast mich in Schmach und Qual zu verdammen, wenn Du willst, und jetzt: mich … – doch das sage ich nun wieder lieber von Mund zu Mund deshalb, selbst wenn Du mir nicht, in Allem und Jedem, so unendlich überlegen wärest, ich wäre Dir doch verfallen. Nochmal: „auf Tod und Leben“ geht jeder solche „Reigen“ im unendlichen Raum fernab von der Welt der Geschehnisse – und eben Das giebt ihm seine ewige Schönheit, dies frohe Lachen über die Wirrnisse und das Mißverstehen der Menschen, ihre Gebundenheiten und Pfl ichtenverschlungenheiten und was da Alles ist, – ein Lachen auch über „Tod und Leben“. – oh dieser Brief von mir!7 – wenn Du diese Zeilen von mir hast, habe ich ihn Dir, hoffe ich, schon abbitten |:dürfen und:| können, sehr, b kannst > könntest c 〈wie Du〉 6 Anspielung auf Else Jaffés „Vorgaben“ für ihre Beziehung zu Max Weber. Vgl. den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 391–393. 7 Vermutlich Anspielung auf den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 391– 393, in dem Max Weber auf Else Jaffés Vorgaben für ihre Beziehung mit einer „Ratifikationsurkunde“ antwortet.

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sehr, bis Du gut bist und dem dummen Buben thust – wie Du schriebst, einmal, – „wie den Kindern wenn man ihnen Gute Nacht sagt.“ Ich schäme mich arg, – d. h. ich wußte ja wirklich nicht, was Dir |:nun eigentlich:| recht war. – Der kleine Peter,8 der liegt bei dem Kuvert mit dem Löckchen („Willst Du die kleine Locke M[ax] geben?“ steht darauf9 – und damals ging ich aus der Stube und that, – was sonst nur Kinder thun) und bei den Heidekrautzweigend 10 – ich konnte damals, als ich jenen schlechten Brief schrieb, gar nicht davon reden.11 Warum nur schrieb ich ihn, Else? Du siehst, hier wie zuweilen sonst, vielleicht nicht Alles ganz, siehst es vielleicht zu einfach. Nicht, nein, nein, nicht – wisse das, Else Richthofen, weil ich jene „Schranke“, die Dein (und, glaub mir, mein) Verantwortungsgefühl bindet (und bei mir: die einfache „Ehre“ der Ritterlichkeit grade gegen einen „Fremden“!), weil ich die fühlte. Die ist ja immer immer da, ich schrieb ja davon und schrieb die Wahrheit, versuche es zu glauben, trautes Kind. Wenn immer Du sagst: „sieh lieber Junge das geht nicht, ich kann, darf, will das nicht, sei nicht so, sei so,“ – nun Du würdest sehen, – denn glaub mir, das nehme ich nicht leicht, und es hat mir manche Stunde gemacht, das Denken: „bringe ich sie in innere Bedrängnis?“ Unmöglich wäre es das zu ertragen – ja, indem ich das schreibe, weiß ich wieder: ewas rede iche da? täglich beschenkst Du michf aus Deineng Schmerzen und hich nehmeh es ja doch, das Geschenk Deineri großmütigen Liebe, rede Dir d Heidekrautzweiglein > Heidekrautzweigen e redest Du > rede ich f Dich > mich g ihren > Deinen h Du wie sagst > ich nehme i ihrer > Deiner 8 Ihrem Brief an Max Weber vom 29. Dez. 1918 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)) hatte Else Jaffé zwei Abbildungen ihres verstorbenen Sohnes Peter, Max Webers Patenkind, beigelegt: „Sie haben mich einmal nach dem Bild vom Peter gefragt, das ich Ihnen in Wolfr[atshausen] gezeigt – eine Zeichnung. Meine Mutter liebt sie auch so sehr, so liess ich sie auf Weihnachten photografieren. Ich wusste neulich nicht, ob das liebe, stille Gesicht in die rasche + bedrängende Gegenwart sich einfügen werde – mir ist es ja immer etwas, zu dem ich jeden Augenblick zurück kommen kann. Und so dachte ich, schauen Sie es vielleicht auch gern einmal an. Das zweite Bildchen verdanke ich eigentlich Marianne, die mir vor langem schon geraten, die letzte, verschwommene Aufnahme, die es gab, vergrössern zu lassen. Nun bin ich ganz glücklich, dass ich es noch gewagt – ich finde den ganzen Peter darin, das süsse, warme Lachen + die schalkhaft-verzagte Haltung. Er hätte wohl auch: allen Sonnenschein + alle Bäume, alles Meergetad + alle Träume an sein Herz drücken mögen – + wäre dann manchmal über sich erschrocken.“ 9 Es ist nicht bekannt, bei welcher Gelegenheit Max Weber die Locke zum Geschenk überreicht bekam. 10 Möglicherweise Hinweis auf einen Volksbrauch, der jedoch nicht nachgewiesen werden konnte. 11 Vermutlich wie Anm. 7.

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|:– sage ich mir –:| nur in Deinem Hochmut nichts ein – und dann bin ich erst recht Dir unterthan und aller Hochmut ist gewesen. Gewaltig fest und hoch ist jene „Mauer“, das glaube (oder: erprobe es) und gedankenlos und frivol wirdj sie nie und nimmer überstiegen, es ist unmöglich. Natürlich aber: Du bist viel zu stark über mich, als daß Dein Wollen nicht Alles Dir unterthan machte (auch das), – aber das kannst Du nicht wollen um Andrer und um Deinetwillen. Nur: daß Du den „Mann des schönen Augenblicks“, der „alle Träume an seine Brust drücken will“, und Deine souveräne Gewalt nicht falsch einschätzest, deshalb sage ich dies einmal, – einmal! – ganz nackt heraus. Und nur, wenn Du kannst, vertraue mir – und Dir. Du sollst es nie bereuen und Alles Schöne und Reiche behalten, was Du hast und wie Du es hast. (Über den sachlichen Inhalt des Briefs sage ich Dir, wenn Du es einmal willst, noch ein gelassenes gutes Wort, trauter Liebling). – Natürlich war ich auchk etwas hochmütig: „ich hab es übrig und kann mich verschenken, wie ich will und wie sie will – sie? was kommt darauf an? sie kann (und darf) nicht, (ob sie könnte, wenn sie dürfte, was weiß ich? |:und wozu darnach fragen?“):| – genug: ich habe nach Dem, was Du kannst und willst, in der That nicht gefragt, das ist wahr, und in eineml gewissen Sinn frage ich auch jetzt nicht darnach. „Vielleicht ist es“, dachte ich, „für sie ein Spiel mit der Schönheit und dem „Wagnis“, – was kommt für ihre Schönheit, der ich diene und der ich mich ergeben muß und will, darauf an?“ Ja in der That, mein trautes Kind, so dachte ich, und die „Einsamkeit“ – oh Du Kind, was weißt Du davon? Dasm in der That verstehst Du nicht ganz! – die „Einsamkeit“ also gab mir die Kraft, so zu fühlen und doch und grade deshalb so zu sein, wie ich war (und wie ich sein werde bis an das Ende meiner Tage, mit Dir, vielmehr: für Dich). Ich dachte (und denke): Deiner Schönheit und Kraft, Deiner göttergeschaffenen Herrlichkeit zu dienen und, ja, ihr diene ich, und die ist immer, immer da und schimmertn in jeder Geste Deines Lebens, – und wenn es schon |:freilich:| nicht wahr wäre, wollte ich mich rühmen: „ich trachte nicht nach meinem Glück“ (denn Du giebst es mir ja), – so ist es doch auch und vor Allem und alles übertönend |:dies:| wahr: „sondern ich trachte nach Schönheit, nach der Schönheit: die sie, Du, warst und sein kannst und immer, in jeder Einzelheit, bist, die Du bist“, ganz einerlei ob im Augenblick grade die betörend schöne, den Mann im ewigen bezaubernden Kampf der Gej ward > wird k wohl > auch l 〈ganz〉 m O: das n 〈in ihrem〉

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schlechter bezwingende „wilde Katze“ aus Dir spricht in der ganzen trotzigen und elastischen Pracht ihrer Glieder, – oder dieo Feinheit Deiner von der Göttin der Liebe gesegneten Seele, – oder die tiefe Güte und Verantwortlichkeit Deines Herzens. Dieser Else diene ich. Und die muß: – sie selber und „souverän“ sein, denn dazu schuf sie jene Macht, die einmal und nicht wieder so etwas auf die Erde stellte. Und wenn jener törichte Brief von mir in der That aus einer „Qual“ geschrieben war, wie Du ahnend sahest, so deshalb: Es schien damals am Abend, als schämtest Du Dich meiner, – oder eigentlich: Dessen, was Du gethan, geschrieben hattest in ewig schönen Worten, wie sie nur je eines Menschen Herz warm und froh und dankbar gemacht hatten, – und Du rechnetest so nach: „wie kam es nur, daß wir uns so anreden und so sind? bin ich – Du! – schuld?“ (und: nein, das bist du wahrlich nicht, das bin ich ganz und völlig allein, das wissen wir beide, – aber wir wissen es eben und deshalb: warum willst Du da grübeln?). Und da war die Schönheit einen Augenblick entflohen in jene Gefi lde, von wo sie niedersteigt, und mitten im Zauber Deiner Macht – begabst Du Dich ihrer. Das war es, was im Augenblick – nun ja! – ganz infam weh that – ich mußte mein Gesicht ausdruckslos machen, als Du mich nicht machen hießest, damit Du nicht sahest, was geschehen war. Liebling, – sag, wenn Dir darnach zu Mut ist: „jetzt nicht“, „jetzt nicht mehr“, „es ist jetzt ausgezaubert“ (wie Du so bezaubernd sagtest) oder: gieb mir einfach in Worten an: „das und das ist gewesen oder ist jetzt, das will ich nicht, oder: das kann ich nicht“, – mach die Probe, es wird Dich nicht gereuen. „Manches giebt uns die Zeit und nimmt’s auch“12 – ich kann das mit Fröhlichkeit, und Du wirst sehen: wir bleiben die Alten und wenn Du der schönen Stunde wieder rufst, – sie wird wieder da sein. Aber verleugne – vor Dir selbst, meine ich – Das nicht, was Du der Schönheit gabst (nicht, – |:nicht nur:|p, – mir, ich bin da nur das Gefäß des Augenblicks) und: sei nicht schwach. Nimm Dir was Du willst und haben kannst an Reichtum und Macht über das Leben, – und werde nicht schwach. Denn das kommt auch Andren, die Du lieb hast, nicht |:wirklich:| zu Gute. – q Glaub mir, ich weiß, daß |:auch:| dies Alles, was mich in ein unsicheres Dunkel stieß, aus Deinem Besten kommt, das o 〈tiefe〉

p 〈direkt〉 q 〈Und〉

12 Anklang an: „Vieles gibt uns die Zeit und nimmt’s auch, aber der Bessern / Holde Neigung sie sei ewig dir froher Besitz.“ Vgl. Goethes Werke, Bd. I, 4: Aus dem Nachlaß. – Weimar: Böhlau 1891, S. 125.

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mir heilig ist, – aus dem Verantwortlichkeitsgefühl und der Ritterlichkeit Deiner Liebe, Du wundersames Kind der Götter. Nur natürlich – im Augenblick wurde mir selbst Alles schwankend. „Habe ich ihr innerliche Bedrängnis, Schaden an jenem Gut, welches einem Andren gehört und für mich unantastbar ist, zugefügt und |:nur:| nach mir und meinem Glück getrachtet auf ihre Kosten? sie schwächer gemacht statt stärker für ihr mit tausend schweren Rätseln belastetes Leben? Durfte ich das? Wäre es nicht besser, ich wäre ihr fern geblieben oder bliebe es jetzt?“ – Aber nun sei ruhig, Liebling, es ist (oder es wird sofort, beim ersten Sehen) Alles in Ordnung sein oder kommen. Kenne nur Deine Gewalt und sei Du selbst, – ich kenne Dich von langen alten Jahren her . . . Und nun bitte – ich bitte Dich so wie Du es kannst – verzeih mir und, wenn Du kannst und es Dir grade Freude macht, dann sei lieb und mir gut. Ich weiß jetzt was es heißt: „Männer sind zum Gehorchen da“, – weiß auch: daß diese „Friedensbedingungen“13 eben einfach das sind, was sein muß, angesichts der Verantwortung die Du trägst und die es nötig macht, daß Du souverän schaltest. – Und freilich – bitte verleugne Dich nicht, sei „echt“! – daß es |:außerdem:| die wilde Katze freut, des „verehrten Lehrers“14 so Meister geworden zu sein, oh das sehe ich an dem bezaubernden Lächeln in Deinen Mundwinkeln und das laß mich nur fühlen; wenn mein Hochmut sich sträubt, – hast Du ihn erst gebrochen, dann ist man ja überschwänglich glücklich, grade wenn Du ihn auslachst: „siehst Du das geht so“ – ja wohl! – Oh, Du wirst noch manchen Strauß mit mir haben, denn von Natur bin ich halt nicht zur „Demut“ geschaffen. Aber schon das Zettelchen bei Deinem letzten Brief nach H[eidelberg] war ganz die alte Else Richthofen. – Ei der Tausend übrigens: ich „ersehne“, scheint es Dir fast, das Avancement zu jener Situation von „Otto“?15 Nun, das muß ich sagen: Du hast doch ein gewaltiges |:Herren- und:| Machtgefühl. Nein – damals, da droben, 1910 bei der letzten Unterhaltung,16 bei jenem schrecklich bösen Blick auf mich, da dachte ich, es stünde mir unmittelbar bevor, – und seit der dama13 Vgl. Max Webers „Ratifikationsurkunde“ im Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 391 f. 14 Vgl. den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 392, Anm. 5. 15 Otto Gross. 16 Max Weber irrt sich im Jahr: Er besuchte Else Jaffé vor ihrem Umzug nach München zuletzt am 10. März 1911 in der am Berghang gelegenen Jaffé-Villa. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 11. März 1911 (MWG II/7, S. 135).

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ligen blitzschnellen Überlegung: „was thue ich denn? die Geste katonischer „Überlegenheit“? oder – einfach ein dummes Gesicht, oder was sonst? – und was ich auch thue, ihren Triumph hat sie!“ – seitdem schwebte, Du furchtbare Gegnerin, immer mal wieder der Gedanke: „was thue ich, um dann nicht grade allzu dumm zu scheinen?“ und dann der andre: „nein die Kurage hat sie denn doch nicht“ – durcheinander vor meiner Eitelkeit, wenn Du grade einmal mit mir schaltest. – Auf Deine andren Fragen und die bezaubernden, bezaubernden Gardinenpredigten mündlich; – d. h. diesen Brief bekommst Du ja, nachdem wir uns sehen, ich gebe ihn Dir dann, einerlei ob wir das, was drin steht, schon beredet haben. – Und nun, – es wird Mittag – habe ich noch einen vollen Nachmittag mit Deinen „Zetteln“. Undr Das thut gut, denn Deine Schönheit ist in ihnen. Und Deinen gequälten Brief nach Empfang meines schlimmen Briefs, den ich Dir dann, wenn Du dies liesest, schon abgegeben habe, – den lese ich besonders gründlich, wieder und wieder, damit ich so etwas nicht wieder thue. Es ist ein Verbrechen, Dein Leben zu belasten, statt einfach Deiner Schönheit zu dienen. – Ja, – wenn ich Dich einmal nichts angehe, dann fl iege ich fort und dann wirst Du nie hören: „Gieb mir noch einmal Deiner Liebe süßen Ton“.17 Aber „jetzt ist es Lenz.“18 Immer Dein Max

r 〈auch〉 17 Zitatanklang an das von Thomas H. Bayly getextete und komponierte (Studenten-)Lied „Long, long ago“. In der deutschen Übersetzung von Wilhelm Weidig (1858) lautet der entsprechende Vers: „gönn mir, wie einst, deiner Lieb süßen Ton“. Vgl. Erk, Ludwig, Erks Deutscher Liederschatz. Eine Auswahl der beliebtesten Volks-, Vaterlands-, Soldaten-, Jäger-, Studenten- und Weihnachtslieder, Bd. 1. – Leipzig: Peters o. J., S. 89. 18 Variation auf den Anfang der zweiten Strophe von William Shakespeares zwölftem Sonett: „Damals war lenz und unsre liebe grün“. Vgl. Shakespeare, William, Sonnette. Umdichtung von Stefan George. – Berlin: Georg Bondi 1909, S. 108. Auf dieses Sonett hatte sich Max Weber bereits im Brief an Else Jaffé vom 12. Nov. 1918, oben, S. 298, bezogen.

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Else Jaffé [19. Januar 1919; Heidelberg] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Sonntag“ und dem Briefinhalt („Nun ist das viele Reden zu Ende“): Am 17. Januar 1919 hatte Max Weber in Heidelberg seine letzte Wahlrede – „Der freie Volksstaat“ (vgl. MWG I/16, S. 157–176) – gehalten. Die Ortsangabe ergibt sich ebenfalls aus dem Briefinhalt (Marianne Webers Anwesenheitstage „hier“, d. h. in Heidelberg).

Sonntag Mittag Liebling, –

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Nun ist das viele Reden zu Ende und es steht nun bevor – entweder: die Bücher und ein Leben in Heidelberg – oder: das Lehren und dann vielleicht, hoffentlich, ein Leben dort, ganz nah dem Mittelpunkt alles Lebens in der Schönheit – – je nachdem was der Ministerrat über mich beschließt1 (denn zu der Frankf[urter] Sache hat Mar[ianne] gar zu wenig Lust und ich wenig).2 Inzwischen telegrafierten die Studenten um den Vortrag für den 28. 3 Und da mir befohlen war, daß die Gebieterin anwesend sein wolle und ich nicht wußte, ob die Sache sich später 1 Der bayerische Ministerrat beschloß am 18. Januar 1919 auf Vorschlag von Kultusminister Johannes Hoffmann und in Abwesenheit von Kurt Eisner, Berufungsverhandlungen mit Max Weber aufzunehmen. Vgl. Bauer, Franz J. (Hg.), Die Regierung Eisner 1918/19. Ministerratsprotokolle und Dokumente (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Reihe 1, Bd. 10). – Düsseldorf: Droste 1987, S. 309 f. (Kurzprotokoll) und S. 313 (Langprotokoll). 2 Max Weber lag ein Angebot aus Frankfurt vor, das Aufgaben an der Universität, am Institut für Gemeinwohl und bei der Frankfurter Zeitung beinhaltete (vgl. dazu zuletzt den Brief an Mina Tobler, vor dem 10. Jan. 1919, oben, S. 390, Anm. 3). Entgegen der hier geäußerten Unlust hatte Max Weber in einem Telefongespräch mit seinem Bruder allerdings die Absicht geäußert, dieses Angebot anzunehmen: Max „hat dort“ – so berichtete Alfred Weber brieflich am 25. Dezember 1918 an Else Jaffé (BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 82, Bl. 104–106) – „ein Milieu, in dem er ganz verstanden wird, gleichzeitig die Frankfurter Zeitung für seine Politik zur Verfügung und“ – als weiterer Vorzug angesichts von Max Webers zu diesem Zeitpunkt aussichtsreichen Kandidatur zur Verfassunggebenden Nationalversammlung – „endlich ist er ihr Abgeordneter“. Marianne Webers dezidierte Meinung zum Frankfurter Angebot ist nicht überliefert, doch ist ihrem Brief an Max Weber vom 9. Dez. 1918 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) zumindest eine gewisse Ambivalenz zu entnehmen (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 6. Dez. 1918, oben, S. 348, Anm. 8). Für diese Vermutung spricht auch Alfred Webers im Brief vom 25. Dezember geäußerte Bitte an Else Jaffé, nichts über diese Sache an Marianne Weber zu schreiben. 3 Für den 28. Januar 1919 hatte Max Weber mit dem Freistudentischen Bund in München den Vortrag „Politik als Beruf“ (vgl. MWG I/17, S. 113–252) vereinbart.

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machen lassen werde, so telegrafierte ich4 wie geschehen in der Annahme, daß es auf die 2 Tage später wohl nicht ankäme. 5 Und die Reise von M[ünchen] nach K[arlsruhe] ist thatsächlich unbequem durch die Wagenwechsel und die Zustände auf den Umsteigebahnhöfen; es würde sich immerhin schon lohnen, den Mann mit dem unsichtbaren Ring um den Hals6 mitzunehmen, obwohl er zugestandenermaßen ungeschickt im Bedienen ist. Hoffentlich also? – – Ich zwar habe jene Zustände nur halb wie im Traum erlebt.7 Denn in all dem Qualm, Gewühl und Spektakel fuhr ich durch die Nacht und den halben Tag und die graue Landschaft mit einem Herzen, das klang wie ein voller Becher nach dem Anstoßen, voll bis zum Rande von Freude und unermeßlichem Dank für Deine Schönheit; – und etwas Sorge, denn Du warst |:zuletzt:| müde (und das müssen wir künftig vermeiden), und etwas schmerzlichem Vermissen jener bezaubernden Blätter,8 die ich Dir lassen mußte – es war mir schwer und vielleicht sehe ich sie doch noch einmal? – das erste, vom 27., ganz die souveräne Anmut der alten E[lse] v. R[ichthofen], das zweite, vom 31. – – nun ich bin ärmer (unendliche Male) als Du an Mitteln des Ausdrucks, um zu sagen, was die Frau die darin sprach, aus einem Reichtum des von Schmerz und Schönheit gesättigten Lebens heraus, mir bedeutet; – ja und dann das vom 6ten, dessen Anlaß ich Tor Dir immer wieder abbitten werde, 9 bis Du ganz gut bist – –. Ich bin heut an Möglichkeit des Aussprechens beengt und schreibe nur nochmals: sei sicher: immer wird Alles so sein wie Du es willst, und niemals soll es auf Kosten Anderer gehen, und nie wird Dich der leiseste Schatten von „Verantwortung“ treffen, und 4 Das Telegramm ist nicht nachgewiesen. 5 Max Webers Reiseüberlegungen standen in Zusammenhang mit Else Jaffés geplantem Besuch bei ihrer Mutter in Baden-Baden am Ende des Monats. Bei dieser Gelegenheit wollte sie Marianne Weber laut ihrem Brief an dieselbe vom 12. Jan. 1919 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)) am 23. oder 24. Januar 1919 in Karlsruhe treffen. 6 Auf eine Figur aus Walter Scotts Roman „Ivanhoe“ und deren Leibeigenschaft anspielend (vgl. den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 391 f.), wollte Max Weber mit diesem Bild seine Abhängigkeit von Else Jaffé beschreiben. 7 Anspielung auf Max Webers Rückfahrt von München nach Heidelberg am 16. Januar 1919 im Anschluß an ein Treffen mit Else Jaffé. 8 Ihre Briefe sowie „Zettel“ oder „Blätter“ verlangte Else Jaffé üblicherweise von Max Weber zurück. 9 Else Jaffés Brief vom 6. Jan. 1919 ist nicht überliefert, ebenso nicht ihre Briefe an Max Weber vom 27. und 31. Dez. 1918. Vermutlich hatte sie sich darin mit dessen Äußerungen zu ihrer Ehe mit Edgar Jaffé auseinandergesetzt. Vgl. dazu den Brief an Else Jaffé, vor dem 20. Dez. 1918, oben, S. 370 f.

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immer werde ich wissen, daß Du aus Schmerzen heraus mich frei beschenkst und daß ich Dir gehöre wie Dein Besitz, über den Du verfügst und den Du behältst so lange Du willst und nicht länger. Mar[ianne] ist in aller Regel Samstag Abends bis Mittwoch früh hier, den Rest der Tage in Karlsruhe.10 Fährst Du [ – ] sei es am 29. sei es am 30. [ – ] so brächte ich Dich also nach K[arlsruhe] oder aber ich stiege am Karlstor11 aus und ließe Dich weiterfahren, da ja hier die Umsteigeschwierigkeiten relativ gering sind. (Man fährt nämlich am schnellsten über Würzburg nach Karlsruhe von München aus, falls sich nicht die Dinge geändert haben werden; jetzt war es so. Aber man kann auch – nur langsamer – über Bruchsal fahren.) a – Der Vortrag am 28. wird schlecht, denn ich werde sehr Andres als den „Beruf“ eines „Politikers“12 im Kopf haben – aber ich werde Dich doch sehen? Bleib stark und schön und, wenn Du kannst, noch etwas gut Deinem wilden Knaben, den Du Dir so gründlich gebändigt hast – immer Dein M

a Klammer fehlt in O. 10 Marianne Weber war Mitglied der in Karlsruhe tagenden verfassunggebenden Landesversammlung für Baden. 11 Ehemaliger Karlstorbahnhof an der Bahnlinie von Heidelberg nach Würzburg. 12 Vgl. oben, Anm. 3.

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Else Jaffé [20. Januar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Montag“, dem Briefinhalt (d. h. dem Treffen mit Else Jaffé am 16. Januar 1919 in München) und dem Brief an Else Jaffé vom 19. Januar 1919, oben, S. 401–403.

Montag Liebe, – ich wache auf und bin bei Dir. – Nun sehe ich den kleinen Peter an, den Du mir schicktest,1 und da kommt etwas Fremdes dazwischen, das ihn mir verschleiert. Ich hatte ihn „mein Kind“ genannt – und Du sagtest: das dürfte ich nicht, es nehme ihn Dir? War das wirklich so? Vielleicht fühltest Du so zur Strafe für meine Torheit, – denn in der That hat es Momente gegeben, wo ich zwischen Dir und dem Kind schied (glaubte, es zu müssen!). Ist es das, – dann, geliebte Herrin, schau noch einmal so auf mich wie am Donnerstag früh, 2 halb mit Spott, halb mit stolzer Güte, hinab: „treuloser Knabe, ja bück Dich nur“ – und versuche zu verzeihen, wie Du es damals nicht thatest (denn nachher hast Du mich auch gründlich ins Gebet genommen), – Du bist halt zuweilen hart und auch Das liebe ich an Dir, aber könnte es hier nicht doch Vergeben geben? – Aber jenes Gefühl, aus dem das Wort kam, hatte damit nichts zu thun, sondern ist auch sonst da. Dann wird es mir vielleicht schmerzlich, aber jedenfallsa heilig sein. Und ich werde es gut verstehen, – aus meiner eignen Natur heraus. Du, Liebling, spottetest neulich über Das, was ich „Einsamkeit“ nenne (weil doch die Judit 3 u. s. w. dagewesen sei), – es war, anmutig, wie Du das thatest, aber freilich doch ein Mißverstehen, – eben jenes Nichtkennen dieses Gebietes, des Einzigen, in dem Du mir nicht überlegen bist, wie in Allem sonst. Vielleicht sage ich noch einmal etwas Dir Verständliches darüber, jetzt aber, heute, nicht. a 〈heimlich〉 1 Zu den Fotos von Max Webers verstorbenem Patensohn Peter Jaffé vgl. den Brief an Else Jaffé vom 15. Jan. 1919, oben, S. 396, Anm. 8. 2 Max Weber und Else Jaffé hatten sich am 16. Januar 1919 in München getroffen. Vgl. die Briefe an Else Jaffé vom 15. und 19. Jan. 1919, oben, S. 394 und 402. 3 Von Max Weber häufig benutztes Pseudonym für Mina Tobler nach einer Romanfigur aus Gottfried Kellers „Der grüne Heinrich“.

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Und wenn es dennoch möglich sein sollte, daß Du mir an dem Peter einen kleinen Anteil ließest – ich wäre dankbar. Was magst du jetzt tun? Ob Du wohl wirklich Deine Reise auf 29.b (oder 30.) verschieben kannst?4 und – willst? (ich nehme an, daß die Studenten |:(„Freie Studentenschaft“):| nun wirklich am 28. die Sache arrangiert haben, gemäß meinem Antwort [ - ]Telegramm. 5 Es wäre trostlos, Dich vielleicht zu verpassen und dann lange lange nicht zu sehen. Denn daß Herr Eisner auf mich „hereinfallen“ sollte, ist mir nach wie vor höchst unwahrscheinlich,6 obwohl der Kultusminister von mir weiß,7 daß ich die Übernahme eines Lehramtes natürlich mit dem Hinausgehen aus aller „Politik“ |:gesundheitlich:| erkaufen müßte, weil ich beides nicht leisten könnte. Aber sie werden es nicht thun, es bleibt also kein „Träumen“ von einem Junggesellen-Sommer in München und dann dauernder Übersiedelung. – Eben hebt der Tag an, ich schließe und antworte Dir morgen auf Deine ,Zettel‘, die ich noch auswendig weiß. Wüßte ich doch, daß sie noch existierten! Leb wohl, Liebling, für heut, immer Dein M

b 〈/30〉 4 Else Jaffé plante Ende Januar 1919 zu ihrer Mutter nach Baden-Baden zu reisen und bei dieser Gelegenheit Max Weber in Heidelberg bzw. Marianne Weber in Karlsruhe zu besuchen. (Briefe Else Jaffés an Max Weber vom 7. Jan. 1919 und an Marianne Weber vom 12. Jan. 1919, MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)). 5 Max Webers Telegramm an den Freistudentischen Bund, der seinen Vortrag „Politik als Beruf“ am 28. Januar 1919 in München organisierte, ist nicht nachgewiesen. Vgl. MWG I/17, S. 113–252. 6 Else Jaffé hatte – den Inhalt eines nicht nachgewiesenen Telegramms von Edgar Jaffé an Max Weber ergänzend – die Stimmungslage im Kabinett in ihrem Brief an Max Weber vom 7. Jan. 1919 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)) folgendermaßen beschrieben: „Kultusminister Hoffmann … möchte, da er keinen passenden S[ozial-]D[emokraten] findet – Bauer will nicht, Adler + Hilferding mögen sie hier nicht – Sie haben, da Sie zudem an erster Stelle von der Fakultät genannt sind. Eissners [!] anfänglich ablehnende Haltung hofft man umzustimmen.“ 7 Zu Max Webers nicht genau datierbarem Besuch beim bayerischen Kultusminister Johannes Hoffmann vgl. den Brief an Carl Heinrich Becker vom 9. Febr. 1919, unten, S. 435.

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Else Jaffé [22. Januar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch“ und dem Briefinhalt. Bei dem Abfassungstag handelt sich um den Mittwoch vor Max Webers Vortrag „Politik als Beruf“ am 28. Januar 1919.

Mittwoch früh Liebling, – ich wache auf und fühle den „Ring“ – Du weißt: mit der Aufschrift1 – mit seinem unwiderstehlich bezwingenden Zauber. Das wird nie schwinden, was auch geschehe, das spüre ich. Und Du – wie nanntest Du Dich – „gezähmte Siegerin“ – weißt Das auch gut. Deshalb war es doch fast |:ein:| infernalischer Kunstgriff der Evastochter, mir in jenem bezaubernden Zettel von dem „après“ und dem „Faust“ mit all seinen Träumen zu reden, von dem blonden Haar im Stübchen von Ascona2 – ja: ich spürte den „Ring“! 3 – O eben kommt Dein Brief, und Du schreibst zu meiner unbeschreiblichen Freude, daß es Dir gut geht! Aber das war Samstag – und heut ist Mittwoch! (Großer Himmel, welche Entfernungen zwischen zwei Menschen duldest Du!) Und immer muß ich mich sorgen, ob es auch gut bleibt. Denn immer, wenn die unermeßliche Freude an Deiner Schönheit mir wie ein heller Morgen von brausendem leuchtenden Meer alle Sinne zugleich öffnet und betäubt, kommt – wenn Du nicht dabei bist – auch die Verantwortung in das Blickfeld, wie eine in undurchsichtigem Schatten stehende Zypressengruppe: ob ich mich nicht auf Kosten Deines Lebens beschenken lasse? Die großmütig Schenkende bist und bleibst ja immer Du, und deshalb kann ich gegen Dich nicht hochmütig sein wie sonst. Aber die Schönheit Deines Lebens darf es nicht sein, von der Du etwas fortschenkst, was ich Dir nicht entgelten kann. – – Was magst Du Lustiges, und was magst Du, vor Allem, Ernsthaftes – wie Du schreibst – zu sagen wün1 Auf eine Figur aus Sir Walter Scotts historischem Roman „Ivanhoe“ und deren Leibeigenschaft anspielend (vgl. den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 391 f. mit Anm. 3), bezeichnete sich Max Weber als Mann mit Halsring, um mit diesem Bild sein Gefühl der Abhängigkeit von Else Jaffé zu beschreiben. 2 Vermutlich ist die in Ascona lebende Frieda Gross gemeint, eine enge Freundin von Else Jaffé, die Weber 1913 und 1914 besucht hatte. 3 Wie Anm. 1.

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schen. Hoffentlich habe ich diesmal nichts Dummes oder Unverzeihliches gesagt (oder gethan), wie das |:vor:|letzte Mal nach Deinem Brief vom 27. „Punkt: drei“.4 Und das war nicht einmal so dumm, trotz der zoologischen Klassifi kation, die es mir eintrug. Aber das wäre zu ertragen. Nur der schwerere, in seiner tiefen Schönheit mich nachträglich halb beklemmende, halb – nun, sagen wir: hellsichtig machende, Todesernst Deines Zettelsa vom 31. – nein das darf nicht dauernd auf Dir und Deinem vornehmen und doch so trauten Herzen liegen. Und ich habe die Sorge, daß Du zu stolz bist, mir zu sagen, was und wie Du zahlst. Aber, Liebling, auch die Männer mit dem Ring um den Hals hatten im Mittelalter das eine Recht: daß ihnen von ihrer Herrin ein „redliches Gericht“ zu teil wurde. In diesem Fall: das darf und soll ich ganz wissen, (soweit es mich berührt, natürlich!). „Immergrün“ wird der feurige oder blühende Dornbusch5 wohl noch lange nicht werden, geliebtes Herz: 6

heißt es bei mir – und an „reifrer Tage Gang“7 vermag ich |:wirklich:| nicht zu denken. – Wenn wirklich aus München dank der endlichen

a Briefes > Zettels 4 Möglicherweise spielt Max Weber auf einen nicht überlieferten Brief oder eine mündliche Vorgabe Else Jaffés an, worauf er mit dem als „Ratifikationsurkunde“ bezeichneten Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 391, antwortete. Darin findet sich die Passage „§ 3 ich habe nur zu Ihnen gut zu sein . . .“. 5 Dem brennenden Dornbusch, in dem sich der Engel als Gesandter Gottes Moses zeigt, kann das Feuer nichts anhaben: er bleibt grün (2. Mose, 2.3). Damit wird er zum Symbol der Gottesnähe und Erlösung, aber auch zum Sinnbild für die heilige Maria, die trotz Mutterschaft jungfräulich bleibt. 6 Die Vorlage des an dieser Stelle im Brief eingefügten Notenzitats konnte nicht identifi ziert werden. Zwar paßt die Melodie auf den Text des im folgenden erwähnten ShakespeareSonettes in der Übertragung von Stefan George (wie Anm. 7), aber bei der eher volksoder kinderliedartig anmutenden Melodie handelt es sich um kein Zitat aus einer bekannten George-Vertonung, sondern möglicherweise um eine laienhafte Komposition mit persönlichem Bezug (Auskunft von Dorothea Redepenning, Musikwissenschaftliches Seminar am Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften der Universität Heidelberg, sowie von Werner Keil, Musikwissenschaftliches Seminar der Universität Paderborn / Hochschule für Musik Detmold). 7 Zitat aus der zweiten Strophe des 102. Sonettes in: Shakespeare, William, Sonnette. Umdichtung von Stefan George. – Berlin: Georg Bondi 1909, S. 108: „Damals war lenz und unser liebe grün, / Da grüsst ich täglich sie mit meinem sang. / So schlägt die nachtigall in sommers blühn / Und schweigt den ton in reifrer tage gang.“

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Bestrebungen dieses „Schwarzen“8 etwas werden sollte – nun wer weiß? – gewiß, man wäre „verständiger“, wie Du sagst. Aber hoffentlich vor Allem in Bezug auf die Dornen, nicht auf die Rosen! Indessen vorerst glaube ich noch nichts. Unter andren Verhältnissen wäre ich ja ein politischer Cato9 gewesen, hätte gesagt: „von einer offenkundigen Minderheits-Regierung10 nie und nimmer!“ oder hätte die sehr berechtigten sanitären Bedenken gehabt; aber plötzlich bei dem Minister,11 als ich eben von solchen Sachen anfangen wollte, fühlte ich das übermütige Lächeln einer Evastochter – und vor der sank das Alles in den Staub. Mühselig hatte ich noch durch einen öffentlichen Puff gegen Eisner in dem Artikel der Frankfurter mein „Gesicht“ gewahrt.12 Donnerstag13 wäre auch dieser bescheidene Catonismus14 nicht mehr zu erschwingen gewesen: – was machst Du aus mir, Du Sklavenhalterin? Ich telegrafiere jetzt die Studenten nochmal „D“ an, ob der Vortrag stattfi ndet oder etwa nicht.15 Wenn nicht, telegrafiere ich; sonst also kann je nach Befehl am 29. früh oder gegen Abend (Übernachten in Würzburg oder: die Nacht durch?) oder am 30. früh (was ja auch in Betracht käme – gereist werden. Ich werde wohl am 26. (Sonntag)

8 Vermutlich Anspielung auf Franz Matt, den mit Max Webers Berufung befaßten Dezernenten im bayerischen Kultusministerium. Er war Mitglied der BVP, der bayerischen Schwesterpartei des Zentrums. Vgl. auch den Brief an Carl Heinrich Becker vom 9. Febr. 1919, unten, S. 435 f. 9 Der ältere Cato (Marcus Porcius Cato Censorius) ist für seine politische Beharrlichkeit bekannt geworden. 10 Die von MSPD und USPD getragene Regierung Eisner hatte in den bayerischen Landtagswahlen vom 12. Januar 1919 keine parlamentarische Mehrheit gefunden. Die MSPD war zwar mit 33% der Stimmen zweitstärkste Fraktion (nach der BVP), aber Eisners USPD erzielte lediglich einen Stimmenanteil von 2,5%. 11 Vermutlich Anspielung auf das im Brief an Carl Heinrich Becker vom 9. Febr. 1919, unten, S. 435 f., erwähnte, aber nicht datierbare Gespräch mit Johannes Hoffmann. 12 Vgl. den Artikel „Zum Thema der ‚Kriegsschuld‘“ in der FZ vom 17. Jan. 1919, in: MWG I/16, S. 177–190. 13 Anspielung auf das vorausgegangene Treffen von Else Jaffé und Max Weber am 16. Januar 1919. 14 Begriff, der von Cato d. Ä. (wie Anm. 9) abgeleitet ist. Weber benutzte diesen Begriff bereits im Brief an Frieda Gross vom 16. Mai 1914, MWG II/8, S. 668–672, hier S. 669, sowie in „Der Sinn der ‚Wertfreiheit‘ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften“, in: Logos, 7. Band, 1. Heft, 1917, S. 40–88 (MWG I/12). 15 Zur Terminvereinbarung mit dem Münchener Freistudentischen Bund vgl. Editorischer Bericht zu „Politik als Beruf“ (MWG I/17, S. 113–155, insbes. S. 117–121) sowie den Brief an Else Jaffé vom 19. Jan. 1919, oben, S. 401. Ein D-Telegramm (d. h. ein „dringendes“, höher priorisiertes und daher teureres Telegramm) ist nicht nachgewiesen.

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Abends (spät) schon bei Grünwald16 sein, falls die Züge klappen. Sonst telegrafiere ich. Leb wohl leb wohl – hoffentlich bis: bald! bis Montag! Bleib etwas gut Deinem M.

16 Von Max Weber bevorzugtes, nahe beim Hauptbahnhof gelegenes Hotel, Hirtenstraße 11.

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23. Januar 1919

Else Jaffé [23. Januar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Donnerstag“ und aus dem Hinweis auf den für Dienstag, den 28. Januar 1919, geplanten Vortrag „Politik als Beruf“.

Donnerstag früh Liebling, – wieder ein Morgen, mit Dir. – O wie freute mich was Du (am 31. XII.) auf dem Zettel schriebst: gewiß, dafür, daß etwas |:eine:| todesernste Sache ist, entscheidet die Art der |:inneren:| Bewegtheit nicht. Ob die purpurnen Wellen mit ihrer Gewalt und Herrlichkeit das Herz umdrängen und den Ausblick in die kühlere Ferne in Schönheit verdekken, – oder ob man am Ufer weithin an den Horizont des goldig glänzenden, ruhigen, tiefen Meeres schaut, – in der That, das ist einerlei für Tod und Leben, die man hier wie dort in ihrer wahren Gestalt erblikken kann, wenn man eine geliebte Hand oder ein stürmisch begehrtes Herz an sich drückt. Aber auch wenn man am Ufer sitzt und still mit einander ist – „schweigt“, gemeinsam „schweigt“ – ist es doch schön zu wissen, daß man in die strahlende Fläche hineintauchen und ihren Sturm und Drang, wenn sie sich nun zu bewegen beginnt, das Herz umbrausen lassen kann, wenn es die Stunde gibt. Vor 10 Jahren schriebst Du einmal – ich stahl damals Mar[ianne] Deine Briefe: straf mich dafür nach Deiner holden Großmut, nun ich es Dir als Vasall bekenne – also Du schriebst: „ich sage Dir, M[arianne], es giebt auch da unbegrenzte Möglichkeiten“.1 Das heißt: solche, bei denen allen der innerlich starke Mensch, mitten im Leben und vom Tod umschlungen, 2 sich selbst behaupten kann. Das ist Dein Schicksal wahr zu machen. Die Kräfte und die Schönheit dazu sind Dir gegeben von gütigen und 1 Das genaue Briefzitat aus einem undatierten, vermutlich aus dem Frühjahr (März oder April) 1908 stammenden Brief Else Jaffés an Marianne Weber (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)) lautet: „Aber das sag ich Dir, Marianne, man braucht nicht erst in Amerika gewesen zu sein, um sich Betrachtungen über ,unbegrenzte Möglichkeiten‘ hingeben zu können.“ Es steht in Zusammenhang mit Else Jaffés Bemühen, ihre von Max und Marianne Webers Vorstellungen von Ehe und Liebe abweichende, freiere Lebensweise zu erklären. 2 Anklang an das bekannte Kirchenlied „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“ aus Martin Luthers 1524 erschienenem Erfurter Enchiridion.

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starken Göttern. Ich aber – wie schriebst Du doch? „wenn man mir nur – folgt“! Nun ja, – ich schrieb Dir ja: – jenes alte Wort, das damals |:(1910):| an Deinem Ohr vorbeiging – wohl: vorbeigehen mußte. 3 – Genug heut des Plauderns. Ich bin Sonntag Abend (wenn die Anschlüsse klappen!) spät bei Grünwald.4 Dienstag ist 8 Uhr im Steinickesaal der Vortrag. 5 Wenn ich Mittwoch Vormittag noch in M[ünchen] sein könnte, |:wäre:|a das ganz bequem, aber nötig ist es nicht. Die Studenten wollten Mittwoch Abends „Diskussion“ haben, in kleinem Kreis. Wird wohl nicht gehen, denn Du wirst nicht erst am 30ten reisen wollen.6 Ist auch nicht nötig, in keiner Art! Paßt es also Mittwoch früh am besten zu fahren, so fahren wir, sei es via Bruchsal, sei es via Würzburg. Der Vortrag wird schlecht: es steckt mir Andres als dieser „Beruf“ im Kopf und Herzen. Und ich bin Dir ganz unverständig gut Immer Dein M

a ist > wäre 3 Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 20. Juni 1910 (MWG II/6, S. 567–570, hier S. 569 f.). 4 Von Max Weber bevorzugtes, nahe beim Hauptbahnhof gelegenes Hotel, Hirtenstraße 11. 5 Zum Vortrag „Politik als Beruf“, den Weber auf Einladung der Freideutschen Studentenschaft am 28. Januar 1919 gehalten hat, vgl. MWG I/17, S. 113–252. 6 Max Webers Rückreiseüberlegungen hingen mit Else Jaffés geplantem Besuch bei ihrer Mutter in Baden-Baden zusammen. Vgl. die Briefe an Else Jaffé vom 20. und 22. Jan 1919, oben, S. 405 und 408 f.

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26. Januar 1919

Else Jaffé 26. Januar [1919]; Heidelberg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Bei der Tagesangabe ist Weber offensichtlich ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen, d. h. er hat „26“ und „29“ verwechselt, denn er schrieb den folgenden Brief unmittelbar vor der für den 26. Januar 1919 geplanten Abreise nach München zum Vortrag „Politik als Beruf“ (vgl. den Brief an Else Jaffé vom 22. Januar 1919, oben, S. 408 f.). Für die Korrektur spricht auch Webers abschließender Hinweis „Also: 29. oder 30.“, d. h. die Option einer gemeinsamen Rückreise an einem der beiden Tage. Jedenfalls war Max Weber am 29. Januar 1919 noch in München und fuhr erst tags darauf nach Heidelberg zurück (vgl. den Brief an Martha Riegel vom 29. Januar 1919, unten, S. 414).

Heidelberg 26a /1 Liebe Else da kommt das Gesicht,1 von dem Sie so viel Gutes sagten, daß es eigentlich rot – wie die Pferde des „Expressionisten“ Marcb 2 – angestrichen auftreten müßte. Wenn Sie seinen „Bolschewisten“-Bart auch jetzt mißbilligen sollten, so muß ich einwenden: als Sie das letzthin einmal mündlich thaten und ich, befl issen, am nächsten Tag in stark verbesserter Auflage erschien, war der Effekt = 0!: Siec nahmen keinerlei Notiz von der, wie ich mir schmeichelte, alle möglichen Liebenswürdigkeiten verdienenden Verschönerung, sondern: „vergebens war die Kraftentfaltung der Zahn verharrt in seiner Haltung.“3 Folglich müssen Sie mit dem habituellen Zustand gerechterweise vorlieb nehmen. – Falls die Herren – p[leno] T[itulo] – Postdiebe etwa Brotkarten in dem Kouvert vermutet und es eröffnet haben sollten, werden dieselben hiermit ersucht, ihren Irrtum dadurch im Himmel und auf Erden wieder gut zu machen, daß sie es wieder schließen und der Adressatin zustellen, die aus unbegreifl ichen Gründen nun einmal „nicht vom Brot allein“ leben will, – wenn sie mich auch auf die Zumutung, sich gänza O: 29 b O: Marck oder Munch c O: sie 1 Vermutlich hatte Max Weber dem Brief ein Foto von sich beigelegt. 2 Franz Marcs 1911 entstandenes Gemälde „Weidende Pferde IV (Die roten Pferde)“. 3 Das Zitat stammt aus Busch, Wilhelm, Balduin Bählamm. Der verhinderte Dichter. – München: Bassermann 1909, S. 59. Es steht dort im Präsens.

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lich mit „Bildern“ statt dem wirklichen „Sein“ zu begnügen, nach Art der Circe zu verwandeln (wenn auch nur in ein „Schaf“) 4 Miene machte. – Sollten die p[leno] T[itulo] Herren Postdiebe diesem Ersuchen nachkommen, so sende ich Ihnen, liebe Else, die allerschönsten Grüße auf diesem Wege: Ihr Max Weber Den Brief vom 23. erhielt ich. Also: 29. oder 30. nach Ihrem Belieben. 5

4 Die Göttin Circe (Kirke) konnte Menschen in Tiere verwandeln. So verzauberte sie die Gefährten des Odysseus in Schweine. 5 Terminplanung für eine streckenweise gemeinsame Bahnreise von Max Weber und Else Jaffé nach Heidelberg bzw. Baden-Baden. Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 19. Jan. 1919, oben, S. 403.

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Martha Riegel 29. Januar 1919; München Abschrift; handschriftlich Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 8, Bl. 3

München 29. 1. 1919 Meine liebe Martha, – der Ministerialdirektor1 und der Spezialkollege2 haben mich derart – um mehr als 3 / 4 Stunden – länger festgehalten, als ich denken konnte, daß ich zu meinem herzlichen Bedauern Dich warten ließ, bis Du ungeduldig wurdest und fort gingst. Gleich darauf kam ich. Ein abscheuliches Pech. Mir um so abscheulicher weil ich nun noch wieder Deine „Liebesgaben“ vorfand! Diese Ausbeutung ist nachgerade Stil Dir gegenüber geworden und diesmal besonders beschämend! Ich muß nun in 1/ 4 Stunde wieder fort und habe abends Verabredung, fahre morgen 8 Uhr – Marianne erwartet mich – zurück. Es ist also nichts mit dem Zusammentreffen. Aber allerdings steht jetzt ziemlich fest, daß wir im Herbst d. J.s., ich vielleicht schon im Sommer – hierhera nach München kommen werden, und dann werden wir uns hoffentlich so oft sehen, wie es uns ein herzliches Bedürfnis ist und ganz zusammenwachsen. Dieser Sacheb galten diese vielen Besprechungen heut, 3 die mich um Deine Gesellschaft brachten. Marianne trug mir die herzlichsten Grüße auf. Du weißt sie ist in der badischen Nationalversammlung4 und macht dort die Gesetze unter denen ich zu leben habe – noch feministischer kann man doch nicht sein! Sie als einzige

a sicher > hierher

b Unsichere Lesung

1 Franz Matt, vgl. den Brief an denselben vom 2. Febr. 1919, unten, S. 425 f. 2 Vermutlich Walther Lotz. 3 Zu Max Webers Berufungsverhandlungen mit dem Bayerischen Ministerium für Unterricht und Kultus sowie der Universität München vgl. den Brief an Franz Matt vom 2. Febr. 1919, unten, S. 426. 4 Marianne Weber war am 5. Januar 1919 als Abgeordnete der DDP in die badische verfassunggebende Versammlung gewählt worden.

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von der Familie und kein Mann ist da drin! 5 Lili sah ich vor ein paar Tagen, es geht nicht ganz gleichmäßig, wie es scheint im Ganzen aber doch entschieden gut nach Allem was sie sagt und was man sieht. Vielleicht schon in ein paar Wochen auf Wiedersehen! (ich werde wohl noch einmal hierher kommen) [.] Inzwischen nimm herzlichsten Dank für Deine Freundschaft – es ist arg, daß ich immer „Empfänger“ bin und daß ich Dir nicht einmal mündlich danken kann. Immer Dein Max.

5 Zu Max Webers gescheiterter Nominierung für die DDP vgl. Editorischer Bericht zu „Erklärung zum Scheitern der Kandidatur für die Wahlen zur Nationalversammlung im Wahlkreis 19 (Hessen-Nassau)“, MWG I/16, S. 152–155. Zu Alfred Webers gescheiterter Kandidatur im Pfälzer Wahlkreis der DDP vgl. Demm, Eberhard, Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 38). – Boppard am Rhein: Boldt 1990, S. 278.

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29. Januar 1919

Mina Tobler [29. Januar 1919; München] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Datum und Ort sind erschlossen aus dem Briefinhalt („so, dies wäre nun auch überstanden“): Max Weber hatte am 28. Januar 1919 auf Einladung des Freistudentischen Bundes in München über „Politik als Beruf“ gesprochen (MWG I/17, S. 113–252).

Geliebtes Herz, – so, dies wäre nun auch überstanden und ich stürze mich in Gedanken in Deine Arme, froh, nun diese doch beträchtlichen Strapazen los zu sein (es ist mehr die innere Angespanntheit, die Einen erfaßt, sobald man auf politisches Gebiet übergreift) und wieder mir (und dadurch Dir) zu gehören. Besuch war mäßig, immerhin nicht klein, „Erfolg“ ganz befriedigend, nachher Zusammensitzen, zuletzt in einem wunderbaren Atelier eines Literaten inmitten der alten Stadt und hoch über ihr auf einer Altane bis Nachts 2 Uhr.1 Vorher hatte ich nur Else J[affé] gesehen, die ja jetzt fortfährt (oder schon fort ist) 2 u. hauptsächlich von jener Affärea sprach. 3 Es wird nichts daraus werden, das steht wohl schon so ziemlich fest und damit komme ich über eine der kompliziertesten Lagen meines Lebens hinweg, die eingetreten wäre, wenn unser Glück gegen die immerhin massiven Realitäten aller Art gestanden hätte. Ich denke nur mit ziemlichem Schrecken an diese – wie ich denke überstandene – Gefahr. Denn der „große Wirkungskreis“, nun ja, – aber weit massivere Sachen kamen in Frage als das, leider, und Das belastete mich grade deshalb, weil ich Deinen souveränen Stolz in diesen Dingen kannte, wie er aus Deinen Worten und Brief so berauschend sprach und mich Dir zu Füßen warf. M[arianne] habe ich schon – für alle Fälle – weitgehend suggestiv bearbeitet. (Was übrigens Else J[affé] anlangt, so interessiert sie sich nur für die Interessen ihres Geliebten,4 daran, daß für ihn die Luft in H[eidel]b[er]g „rein“ wird, er a 〈schreibt〉 1 Julie Meyer-Frank erinnerte sich an eine an den Vortrag anschließende Diskussion in ihrer Wohnung in der Pienzenauerstraße 34, die „bis in die Morgenstunden“ dauerte. Vgl. MWG I/17, S. 123 f. mit Anm. 55. 2 Max Weber verschwieg Mina Tobler seine anstehende gemeinsame Rückreise mit Else Jaffé. Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 23. Jan. 1919, oben, S. 410 f. 3 Anspielung auf Max Webers mögliche Berufung nach München. Vgl. dazu den Brief an Franz Matt vom 2. Febr. 1919, unten, S. 423–426. 4 Alfred Weber.

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das Schwesterchen5 allein hat und dergl. Weiß Gott nicht so – wie Du, mein verblendeter Liebling, Dir die Sache denkst. Das Zusammensein war sonst nett, sie plaudert anmutig, aber man ist doch weit auseinander). Heut sehe ich noch einige „Jugend“ verschiedener Art, auch L[öwenstein], der gestern da war (blaß aussah), morgen bin ich Abends wieder in Deiner Nähe, Montag 6 1/ 4 bei Dir. Ich küsse Dich in Gedanken tausend Mal, bis ich es in Wirklichkeit ein Mal – aber ohne Unterbrechung – thun darf Dein M

5 Lili Schäfer lebte in der Odenwaldschule in Oberhambach.

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Helene Weber [31. Januar 1919]; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 280 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe und dem Briefinhalt: Max Weber hat den folgenden Brief vermutlich am Freitag nach dem erwähnten Tod von Susanna Keibel (29. Januar 1919) geschrieben. Für diese Annahme spricht des weiteren der Hinweis auf Marianne Webers erwartete Rückkehr aus Karlsruhe, wo sie als Abgeordnete vom 30. bis 31. Januar 1919 an Sitzungen der badischen Nationalversammlung teilgenommen hatte.

Liebe Mutter,

Hbg Freitag

bitte anliegendes Schreiben1 zu datieren [,] zu unterschreiben und abzusenden an die Adresse. (Testament beifügen!). Das Andre ist erledigt. Ich wurde nun auch noch nach Bonn berufen. Berlin lehnte ich ab, ebenso voraussichtlich Frankfurt. Es wird doch wohl München werden, wenn es gesundheitlich geht. 2 Marianne kommt heut Abend nach 5 Tagen Sitzungen mal wieder her, hoffentlich in guter Verfassung trotz aller Strapazen. Weißt Du, daß Frau Keibel (geb. Wehrenpfennig) sich das Leben nahm? Teilweise infolge der Behandlung durch die Franzosen mit in Erregung versetzt; – aber natürlich längst drohend! 3 (Sie hatte jetzt noch einen schweren Gelenkrheumatismus zu allem Andern). Herzliche Grüße! Euer Max 1 Der Sachverhalt konnte nicht ermittelt werden. 2 Zum Bonner Angebot vgl. den Brief an Josef Heimberger vom 12. Febr. 1919, unten, S. 449 f., und zum Angebot der Handelshochschule in Berlin vgl. den Brief an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts vom 16. Okt. 1918, oben, S. 267, mit Anm. 6. Die Offerte einer Honorarprofessur an der Universität Frankfurt am Main hielt Max Weber noch bis in den März 1919 hinein offen (Antwort der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät auf die Anfrage des Kuratoriums der Kgl. Universität Frankfurt am Main vom 3. März 1919, UA Frankfurt, Abt. 150, Nr. 231/237, Bl. 318). Vgl. zur Frankfurter Offerte auch die Briefe an Mina Tobler und Marianne Weber vom 6. Dez. 1918, oben, S. 345 und 348, sowie den Brief an Else Jaffé vom 19. Jan. 1919, oben, S. 401. Zum Münchener Angebot, den vakanten Lehrstuhl Lujo Brentanos zu übernehmen, vgl. den Brief an Franz Matt vom 2. Febr. 1919, unten, S. 426. 3 Max Weber hatte Susanna Keibel nach eigenem Bekunden „früher gut“ gekannt und wußte von einer familiären Vorbelastung (vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 21. Okt. 1887, Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/2). Sie hatte nach Kriegsende mit ihrer Familie Straßburg verlassen müssen, wo ihr Mann, der Anatom Franz Keibel, ein Kollege Max Webers aus Freiburger Tagen, zuletzt einen Lehrstuhl für Medizin innegehabt hatte.

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Else Jaffé [1. Februar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Hinweis auf das angekündigte Eintreffen des Prinzen Max von Baden („Morgen kommt der Baden-Badener Herr“) anläßlich der Gründungssitzung der „Heidelberger Vereinigung“ am 3. und 4. Februar 1919 („Montag/ Dienstag werden wir Sitzung haben“). Vgl. Editorischer Bericht zu „Diskussionsbeiträge anläßlich der Gründungssitzung der ‚Arbeitsgemeinschaft für Politik des Rechts (Heidelberger Vereinigung)‘“, MWG I/16, S. 196–201, sowie die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Redaktion der FZ vom 9. Februar 1919, unten, S. 438.

Liebling, –

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ich laufe noch ganz betäubt und betört und – nun: noch Alles Mögliche – darüber, daß Titania so schnell erwacht und den Kopf jenes Webergesellen erblickt hat, den sie im Schoß hielt1 – und das Schlimme dabei war: daß dies der natürliche, der wirkliche Kopf war, der die langen Ohren trug, – der verzaubert ist, wenigstens zuweilen, unermeßlich klüger |:oder sagen wir „menschlicher.“:| Aber wer glaubt Einem das? Zimmer 662 wird nun dauernd die unsichtbare Aufschrift tragen: „Hier logierte der größte u. s. w.“ und wenn ich je wieder hinkomme, wispert es aus allem Hausrat heraus: „Midas, Midas der Fürst . . .“, 3 – denn das wird Titania den Kissen von No 1234 wohl anvertraut haben – – – Ja, und Ludwig Klages ist wirklich doch ein kluger Graphologe, denn der Schlußpassus des Verdikts lautete ja: „nur ist irgend etwas in den In-

1 Anspielung auf den Schabernack, den Oberon seiner Frau in Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“ spielt: Der Elfenkönig träufelt der schlafenden Titania einen Zaubersaft aufs Auge und bewirkt damit, daß sie sich beim Erwachen in das nächstbeste Lebewesen verliebt. Zufällig ist das der schwatzhafte Webergesell Zettel, dem Oberons Hofnarr Puck zum Spaß einen Eselskopf verpaßt hat. Durch einen Gegenzauber wird Titania aber am Ende von der Vernarrtheit in den Esel kuriert. 2 Zimmer im Hotel Grünwald, in dem Weber anläßlich seines am 28. Januar 1919 in München gehaltenen Vortrags übernachtet hatte. Dort war auch Else Jaffé – wie sich aus dem folgenden ergibt – vor der gemeinsamen Bahnfahrt nach Heidelberg bzw. Baden-Baden (vgl. den Brief an Else Jaffé vom 23. Jan. 1919, oben, S. 411) abgestiegen. 3 König Midas versteckte die ihm von Apollo verpaßten Eselsohren unter einer phrygischen Mütze. Sein Barbier, der davon wußte, umging mit einer List das Verbot, dieses Geheimnis zu lüften: Er flüsterte die Nachricht in ein Erdloch, das er anschließend wieder zuschüttete. Die dort wachsenden Binsen verbreiteten die Nachricht schließlich mit ihrem Rauschen in alle Winde. 4 Vermutlich Else Jaffés Zimmernummer des Hotels, vgl. Anm. 2.

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stinkten in Unordnung gekommen.“5 Das ist auch wahr. Und vielleicht läßt sich Einiges zur Entschuldigung sagen. Nämlich – und nun nehme ich Deine geliebte Hand, –: Wenn Du einmal an das Viele, was Du von mir weißt, zurück denkst, – ist nicht verständlich, daß bei mir zwischen die einzelnen großen Stationen und Altäre des Rosenweges der großen Göttin,6 deren Tochter Du bist, ganz gewaltig fest fundamentierte Sperren und Verhaue eingeschaltet worden sind durch die (selbstbereiteten) Schicksale und daß riesige Schuttmassen, von zahllosen zertrümmerten Götter- (und Götzen-)bildern, im Bau liegen gebliebenen Lebensstraßen und verlassenen und verfallenen Behausungen, in denen ich Zuflucht suchte und nicht fand, sich daran angelagert und Alles so unwegsam gemacht und jeden Ausblick und Horizont versperrt hatten, daß – – nun, daß ich es ohne Selbstbetrug nicht als ein ins Gewicht fallendes „Verdienst“ in Anspruch nehmen kann, wenn auch ein gewisses Gefühl der „Verantwortung“ für Dich, Liebling, und wer Dir lieb ist (die Meinung, es könne die Schönheit, die Du Andren giebst, gestört und Du selbst belastet werden) und alle jene Empfindungen, von denen ich Dir einmal schrieb, noch einen besondren eisernen Riegel vor das verschüttete Tor gelegt hatten, – so daß kein Ausblick und kein – sagen wir: kein eingestandener – Wunsch nach jenseits reichte.a Und dann: die tiefe, immer dagewesene, nur immer tiefer gewordene Scheu (fast muß ich sagen: „Angst“, nur daß der Ausdruck falsche Klänge in sich trägt, denn diese „Angst“ ist voller unendlicher Freude) vor Dir, Du seltsam schimmernde, dem ewigen Meer der Schönheit entstiegene Herrlichkeit, – – stark und mir überlegen wie Götter den Sterblichen, und dabei in Deiner feinen Beseeltheit und – ja, wie sagt man?: „Geistigkeit“ würde so trivial-intellektuell anklingen – Deiner wissenden und adligen Freiheit wie ein zartes und doch völlig selbstsicheres Märchenwunder so unerreichbar (und fast: unnahbar) bleibend für solche beengten Wesen wie ich eines bin. Hättest Du nicht den bezaubernden Humor, – den mich ganz und gar in Trunkenheit wiegenden Spott, der all das löst und über all das hinweghilft, was ich an mir so spottwürdig „tragisch“ nehme, wenn ich töricht bin, – und wärst Du nicht die vollkommenste Tochter jenes Wesens, das da in den Loggien a Satzende defekt. 5 Das Zitat – möglicherweise aus einem von Ludwig Klages erstellten graphologischen Gutachten – konnte nicht ermittelt werden. 6 Die Göttin Aphrodite, auf deren Weg Blumen blühten, als sie nach ihrer Geburt im Meer an Land kam.

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des Vatikan vor dem etwas blöden Adam steht,7 wissend, daß es mit Dem schon fertig werden wird, – ich würde vielleicht nie auch nur für Augenblicke aus jener beklemmend schönen und doch hemmenden „Angst“ heraustreten. Du glaubst das vielleicht nicht immer. Aber jenes erste Mal – Du weißt, im Frühjahr beim Abschied – bei jenem ersten Schritt, da war eine kleine liebe Hand eines lächelnden Kindes |:„wissend“:| hinter mir und gab mir unerwarteten Mut8 – ja so war es! – und nachher die gewaltige Macht des Zaubers, – und auch der aus Qual und Sehnsucht geborenen Erregung aller Geister und Dämonen in mir. Aber das Alles war gar nicht so hemmungslos, wie es Dir scheinen mochte: „Angst“ und Scheu vor Dir waren immer dabei in allem Jubel des Herzens und der Sinne. Du verstehst: eine ehrfürchtige Angst vor Dir, vor jedem Anrühren der unglaubhaften Herrlichkeit, die aus jeder Deiner Gesten strahlt. „oh wie erschrak der Knabe“.9 Ich weiß Du lachst – und das sollst Du auch, traute Herrin. Aber es ist so und wird so bleiben, und vielleicht auch eine Schönheit sein können, – und Dein Lachen über den „Ritter“, der weder ohne Tadel noch ohne Furcht10 ist, wird ihm vielleicht mehr Mut machen und ihn wagen lassen, die Arme fester um Dich zu legen, wenn er des festgefügten Erdenkindes in der von den Göttern mit dem Schleier unnahbarer Herrlichkeiten umkleideten Märchengestalt voll inne wird: Und „brenne“ Du ihm nur auch „ins Blut“, ganz ohne Erbarmen, Du stolze Tochter des Meeres, – es geschieht ihm schon recht und er will dies |:Dein:| Eigentumsmal in der Seele schon tragen, sei es unter Schmerzen, – lieber als Dir fern sein oder so blöd bleiben, wie er es noch immer, durch Schicksal und Schuld, in einem langen Leben geworden ist. Und sei bedankt aus der Tiefe meiner Seele. Und – sei mir etwas gut!

7 Die Eva auf Raffaels Fresken in den Loggien des Vatikans. 8 Vermutlich denkt Max Weber an sein verstorbenes Patenkind Peter Jaffé, dessen Max Weber und Else Jaffé beim Wiedersehen am ersten Aprilwochenende 1918 (vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 9. und 19. April 1918, oben, S. 113 und 134, und an Mina Tobler vom 4. April 1918, oben, S. 111) intensiv gedacht hatten. 9 Verszitat aus dem Gedicht „Schön-Rohtraut“, in: Mörike, Eduard, Gedichte, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 1. – München: Callwey 1906, S. 45 f. Dessen dritte Strophe lautet in Gänze: „Einsmals sie ruhten am Eichenbaum, / Da lacht Schön-Rohtraut: / Was siehst mich an so wunniglich? / Wenn du das Herz hast, küsse mich!“ / Ach! erschrak der Knabe! / Doch denket er: mir ist’s vergunnt, / und küsset Schön-Rohtraut auf den Mund, / – Schweig’ stille, mein Herze!“ 10 Pierre Terrail, Seigneur de Bayard (1475–1524) erhielt den Beinamen „Ritter ohne Furcht und Tadel“ (frz.: „Chevalier sans peur et sans reproche“).

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– – Morgen kommt der Baden-Badener Herr, ich telefonierte eben mit Alf[red], den er auch aufsuchen wird, darüber. Montag/Dienstag werden wir „Sitzung“ haben, ein „Programm“ bringt er mit.11 Ich bin begierig. Sonntag über 8 Tage (9te) spreche ich |:voraussichtlich:| in Wien.12 Etwa Dienstag (11te) Abends bin ich in München, denke ich, benutze die Gelegenheit vielleicht, um Mittwoch dort (Polit. Club) zu sprechen,13 damit ein Grund da ist, einen Tag dort zu bleiben und – nun ja: mich schön Rothraut14 zu Füßen zu legen, falls sie da sein sollte (oder wann ist sie da? laß das doch irgendwie wissen!). Mag vielleicht der Besuch kurz ausfallen – besser als keiner ist er doch! Indessen das muß erst noch telegrafisch geordert werden. Ich gebe dann Nachricht. – Leb wohl, leb wohl, – immer und mehr als je Dein M

11 Zur Gründung der Heidelberger Vereinigung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Redaktion der Frankfurter Zeitung vom 9. Febr. 1919, unten, S. 439. 12 Es kann sich nur um einen unrealisierten Plan gehandelt haben, denn am 9. Februar 1919 war Max Weber nachweislich seiner Korrespondenz (vgl. unten, S. 435–444) in Heidelberg. 13 Der Vortragstermin verschob sich mehrmals – zuletzt auf den 13. März 1919, vgl. Editorischer Bericht zu „Student und Politik“, MWG I/16, S. 482 f. 14 Eduard Mörikes Gedicht „Schön-Rothraut“ entlehnter Kosename für Else Jaffé, vgl. oben, Anm. 9.

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Franz Matt 2. Februar 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig BayHStA München, MK 69316 Der folgende Brief sowie die anschließenden Korrespondenzen mit Franz Matt vom 6., 19. und 21. Februar, 8. und 21. März sowie 1. April 1919, unten, S. 434, 466, 474 f., 515, 535 und 563 f., mit Clemens Baeumker vom 15. März 1919, unten, S. 518 f., mit Friedrich v. Müller vom 8. Mai 1919, unten, S. 604, mit dem Bayerischen Ministerium für Unterricht und Kultus vom 24. März 1919, unten, S. 539 f., mit dem Rektorat der Universität München vom 16. Juni 1919, unten, S. 646, sowie mit Walther Lotz vom 21. Februar 1919, unten, S. 472 f., stehen in Zusammenhang mit Webers Berufung an die Universität München. Es ging hierbei um die Neubesetzung des Lehrstuhls des Nationalökonomen Lujo Brentano, der nach dessen Emeritierung ab 1. Oktober 1916 vakant war. Der zunächst als Nachfolger Brentanos vorgesehene Heinrich Herkner lehnte den Ruf am 15. Februar 1917 (BayHStA München, MK 69316) ab. Dem nachfolgenden Gutachten Brentanos vom April 1917 (ebd.) über Karl Diehl, Ludwig Pohle und Kurt Wiedenfeld als mögliche Berufungskandidaten ging ein längeres Statement über den Mann voraus, „der nach der bei den wissenschaftlichen Nationalökonomen Deutschlands vorherrschenden Meinung als der genialste aller dermaligen deutschen Nationalökonomen gilt“. Mit ihm werde „die weitaus hervorragendste wissenschaftliche Persönlichkeit auf dem Gebiete der Nationalökonomie damit für München gewonnen. Max Weber, Moritz J. Bonn und G. v. Schulze-Gaevernitz sind die einzigen Männer ersten Ranges, welche unter den mit Rücksicht auf ihr Alter in Betracht kommenden, als meine Nachfolger in Vorschlag gebracht werden können.“ Die daraufhin von der Staatswirtschaftlichen Fakultät im Mai 1917 präsentierte Berufungsliste mit Max Weber und Gerhart v. Schulze-Gaevernitz an erster sowie Moritz Julius Bonn an zweiter Stelle (UA München, Y-XVI-5, Bd. 2 – vgl. dazu den Brief an Mina Tobler vom 27. Mai 1917, MWG II/9, S. 652, Anm. 4) findet sich in den Ministerialakten nicht. Am 26. Juli 1917 wurde vom Akademischen Senat eine geänderte Berufungsliste (BayHStA München, MK 69316) – das Gutachten selbst fehlt in der Akte – eingereicht mit den pari-loco-Vorschlägen Georg v. Schanz, Gerhart v. Schulze-Gaevernitz und Max Weber, ohne daß das Ministerium vorerst zu einem definitiven Entschluß kam. Die Frankfurter Zeitung berichtete schon in einer Notiz: Die Nachfolge Lujo Brentanos, ebd., Nr. 234 vom 25. August 1917, 1. Mo.Bl., S. 3, davon, daß, obgleich „Max Weber, Bonn und Schulze-Gävernitz vorgeschlagen“ seien, es zu keiner Entscheidung gekommen sei, wobei die „Schwierigkeiten [. . .] vielleicht weniger im Ministerium selber“ lägen „als außerhalb in gewissen Strömungen, die sich bereits in der Presse bemerkbar gemacht haben und an sehr einflußreicher Stelle begünstigt werden. Die Strömungen sind dieselben, die schon gegen Brentano gerichtet waren.“ Tatsächlich stieß eine mögliche Berufung Max Webers gerade auf den Münchener Lehrstuhl in der konservativen bzw. großindustriell ausgerichteten Presse auf vehemente Kritik, so z. B. bei Wolfgang Aschenbrenner, Die volkswirtschaftlichen Lehrstühle der Universität München, in: Allgemeine Rundschau, Nr. 38 vom 22. September 1917, S. 629 f.: „Weber – Heidelberg hat in der ‚Frankfurter Zeitung‘ Aufsätze über den Parlamentarismus und das monarchische System geschrieben, die neben zutreffenden Ansichten noch über die Freisinnstheorien hinaus weiter nach links gingen. Dabei leuchtete eine ziemlich bemerkbare Selbstgefälligkeit bei schroffster Polemik gegen andere heraus“, ebd., S. 630, sowie gleichlautend im „Regensburger Anzeiger“, Nr. 434 vom 31. August 1917, und der „Augsburger Postzeitung“, Nr. 398 vom 31. August 1917: „Politische Professuren, wie sie die Schulze-Gävernitzens und Max Webers sind, möge man uns vom Leibe halten. Wir haben an der Ära Brentano genug.“ – Offensichtlich ist das Kultusmi-

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nisterium an Georg v. Schanz herangetreten, der aber am 19. November 1917 einen Ruf nach München ablehnte (BayHStA München, ebd.). Erst Anfang November 1918 wurde ein neuer Berufungsvorschlag erstellt. In dem entsprechenden Ministerialkonzept wurden dabei noch einmal die bisherigen erfolglosen Berufungsversuche rekapituliert und die Gründe genannt, die dafür sprächen, nicht die von der Fakultät vorgeschlagenen Kandidaten v. Schulze-Gaevernitz und Max Weber zu berücksichtigen, da sie nämlich wirtschaftspolitisch „mehr oder minder stark nach links gerichtet“ seien – „am meisten links“ stehe Max Weber. Weber gelte zwar als „einer der geistreichsten derzeitigen deutschen Nationalökonomen“, sei „aber in seinen wissenschaftlichen Anschauungen derart extrem und in seinem Auftreten so exzentrisch und rücksichtslos, daß er in zahlreichen Fällen auf Kongressen u. dgl. unliebsame Auftritte veranlaßte“. Da nach Ansicht des Ministeriums von Fakultät und Senat „deren gegenwärtiger Zusammensetzung“ zufolge auch zukünftig keine geeigneten Vorschläge zu erwarten seien, habe es sich veranlaßt gesehen, nach einem ihm genehmen Kandidaten selbst Ausschau zu halten und habe diesen in Adolf Weber, der in wirtschaftspolitischen Ansichten einen „gemäßigten“ Standpunkt einnehme (ebd.), gefunden. Jedoch kam der Ruf nicht zustande, da – wie das Kultusministerium zwei Jahre später im Berufungsschreiben an Adolf Weber vom 3. August 1920 wegen der Neubesetzung des Lehrstuhls von Max Weber (Abschrift; BayHStA München, MK 69325) bedauernd feststellte –„[d]urch den Ausbruch der Revolution […] die Verwirklichung dieser Absicht vereitelt“ worden war. Der weitere Berufungsverlauf ist im einzelnen aus der Akte nicht ersichtlich, da – nach einem Schreiben von Carl Heinrich Becker vom 5. November 1918 (ebd.) sowie der folgenden Aktennotiz, Edgar Jaffé betreffend – direkt anschließend das Berufungsangebot an Max Weber (Konzept; ebd.) vom 23. Januar 1919 folgt. Die Art und Weise, wie das Berufungsangebot zustande kam – ob möglicherweise Edgar Jaffé der Urheber war – ist unbekannt. Jedenfalls hat dieser am 7. Januar 1919 in einem Telegramm Weber über eine mögliche Berufung nach München informiert; vgl. dazu den Brief an Else Jaffé vom 14. Januar 1919, oben, S. 393, Anm. 7. Nach einem informellen Gespräch Webers mit dem Kultusminister Johannes Hoffmann am 15. oder 16. Januar 1919 über eine mögliche Berufungsannahme ergriff dieser die weitere Initiative auf einer Sitzung des Ministerrats am 18. Januar 1919, bei der neben ihm Edgar Jaffé unter Abwesenheit Kurt Eisners teilnahm. In der entsprechenden Protokollnotiz heißt es zu Punkt 6: „Nachfolge von Brentano. Hoffmann schlägt vor, daß mit Max Weber–Heidelberg verhandelt wird. Es wird so beschlossen. 1. Bonn, 2. Schulze-Gävernitz, Weber sind vorgeschlagen von der Fakultät“ (BayHStA München, MA 99512, Ministerratsprotokolle des Ministeriums Eisner 14. November 1918 – 25. Februar 1919). Nach dem Berufungsangebot von Johannes Hoffmann vom 23. Januar 1919 (Abschrift; BayHStA München, MK 69316) kam es zu einem ersten Berufungsgespräch Webers mit dem Dezernenten für das Hochschulwesen, Franz Matt, am 29. Januar 1919 in München, in welchem Weber seine Wünsche im Fall der etwaigen Übernahme des Lehrstuhls präsentierte. Dazu heißt es im Protokoll vom 29. Januar 1919 („Vormerkung“, ebd.): Weber „läge am besten Gesellschafts-Wissenschaft – sowohl historisch wie systematisch – und Wirtschaftsgeschichte, auch theoretische Nationalökonomie, weniger praktische Nationalökonomie, mit der er sich seit einer Reihe von Jahren nicht mehr befaßt habe. [. . .] Er würde es daher begrüßen, wenn schon jetzt für den Fall des Rücktritts des Professors von Mayr die Wiederbesetzung von dessen Professur so ins Auge gefaßt werden könnte, daß der Nachfolger v. Mayr’s praktische Nationalökonomie übertragen bekäme und er selbst Soziologie und Wirtschaftsgeschichte zugewiesen erhielte. Auch hege er den Wunsch, soweit angängig ausschließlich seiner Wissenschaft leben zu können und daher möglichst wenig an Prüfungen beteiligt zu sein. Wegen der stärkeren Inanspruchnahme durch Prüfungen u. Promotionen habe er im vorigen Jahre den Ruf nach Wien abgelehnt. Weber würde Wert darauf legen, wenn er bei der Festlegung der künftigen Verteilung der Lehraufgaben

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unter die 3 ordentlichen Professuren seitens der Fakultät Gelegenheit zur Äußerung erhielte.“ Nachdem sowohl Juristische als auch Staatswirtschaftliche Fakultät ihr Einverständnis zu Webers Anliegen, hauptsächlich über „Gesellschaftswissenschaft“ zu lehren, geäußert hatten (Briefe an den Senat vom 8. und 21. März 1919, BayHStA München, MK 69316), kam es zu einem erneuten Gespäch Webers mit dem Dezernenten Franz Matt am 12. März 1919, in dem Weber nochmals seine Bedingungen für eine Annahme des Lehrstuhls präzisierte. Einen Protest gegen Webers Berufung gab es am 26. März 1919 von seiten des Münchener Arbeiter- und Soldatenrats, wie er im Protokoll der Aktions-Ausschußsitzung folgendermaßen dokumentiert ist: „2. Niekisch: Auf der hiesigen Universität ist auf die durch Brentano leergewordene Stelle des Ordinariats für Nationalökonomie Max Weber aus Heidelberg berufen worden. Dieses Fach ist von allergrößter Bedeutung für die Zukunft. Die Studenten dieser Fakultät werden später die wichtigsten Wirtschaftsämter innehaben und von ihrem Geiste hängt sehr viel ab. Deshalb muß ein Mann an diese verantwortliche Stelle gesetzt werden, der die Gesinnung der Jugend mit sozialistischem Geist zu durchtränken versteht. Brentano hat unsre Studentenschaft vergiftet und auch Max Weber bewegt sich in bürgerlich-kapitalistischen Gedankengängen. Er ist ein Feind des Rätegedankens und ist noch kurz vor der Revolution für die Monarchie eingetreten. Hoffmann hat sich gegen seine Einberufung erklärt, während merkwürdigerweise Jaffé sich warm für Webers Einberufung eingelegt hat. Weber hat auch schon angenommen. Jetzt gibt es nur noch einen Ausweg und zwar daß von seiten des Akt[ions]-Aussch[usses] ein Protest an die Öffentlichkeit gelangt. Nach Kenntnis der Weberschen Eigenart ist anzunehmen, daß Weber daraufhin freiwillig verzichtet, nach München zu kommen. Diesen Protest haben wir schon ausgearbeitet. (folgt Verlesung des Protestes.) Toller beteuert die dem Rätegedanken feindliche Gesinnung Webers, möchte aber den Satz eingeschoben wissen ,trotz Würdigung seiner wissenschaftlichen Verdienste‘. [. . .] Toller: Es kommt auf das Ordinariat an, das darf er nicht bekommen. Aber daß er überhaupt nicht als Nationalökonom in Betracht käme, würde uns blamieren. Hagemeister: Es ist gar nicht damit gedient, daß Weber einen Weltruf besitzt. Wir müssen einen wenn auch unbedeutenden Mann haben, der aber der studentischen Jugend den sozialistischen Gedanken einprägt. […] [. . .] Der Protest wird mit dem von Toller beantragten Zusatz einstimmig angenommen.“ (Protokoll der Aktions-Ausschuß-Sitzung vom 26. März 1919, masch., BayHStA München, Arbeiter- und Soldatenrat 4, Bl. 4–6). Laut Ministerial-Verfügung vom 6. April 1919 (Abschrift; UA München, Y-XVI-5; Bd. 1) wurde Weber mit Wirkung vom 1. April 1919 „zum ordentlichen Professor der Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie“ an der Universität München ernannt.

Heidelberg 2. II. 19 Herren Ministerialdirektor Matt Hochwohlgeboren München

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Hochgeehrter Herr Ministerialdirektor, unter Bezugnahme auf die mündlich mir gewährte Unterredung1 und das inzwischen eingegangene geneigte Schreiben vom 23. I2 beehre ich mich Ew. Hochwohlgeboren nochmals meine Wünsche mitzuteilen. 1. In materieller Hinsicht würde ich annehmen, daß mir die bisherige aktive Dienstzeit von 10 Jahren angerechnet würde, – wogegen ich 2. bereit bin, für die Zeit bis zum 65. Lebensjahr auf Pension zu verzichten für den Fall eintretender Arbeitsunfähigkeit. 3. ich würde bitten, von der Anteilnahme an der Staatsprüfungspfl icht wenigstens teilweise entlastet zu werden, falls ich mit dem Normalgehalt (für 10 Jahre Dienstzeit) angestellt würde, sowie 4. unter der gleichen Voraussetzung: in dem Umfang der obligaten Lehrpfl icht etwas abweichend behandelt zu werden, so jedoch, daß die Abhaltung der großen Pfl ichtvorlesungen durch die Ordinarien gesichert ist. 5. Vor Allem würde ich, in Zusammenhang damit, Gewicht darauf legen, daß mein Lehrauftrag auf „Gesellschaftswissenschaft und Nationalökonomie“ lautet und darauf reflektieren, später ganz vorwiegend das erstere, jetzt an der Universität München ganz und gar in Verfall geratene Fach zu vertreten, die Nationalökonomie nur zur Ergänzung der beiden andren Ordinarien (derart, daß die Pfl ichtfächer stets richtig und voll besetzt sind). Ich nehme an, daß dem Hohen Ministerium die Art der Verteilung der Vorlesungen unter die künftigen 3 Ordinarien nicht entscheidend wichtig ist, wenn Vollbesetzung der Fächer für jedes Semester gewährleistet ist, und daß daher die Fakultät und die Fachkollegen diese Fragen unter sich ausmachen dürfen. Würde die Fakultät beschließen mich persönlich anzuhören, so würde ich dazu nach München zu kommen bereit sein. Mit vorzüglicher Hochachtung Ew. Hochwohlgeboren ergebenster Prof. Max Weber

1 Die Unterredung mit Franz Matt hatte am 29. Januar 1919 stattgefunden; vgl. dazu das Protokoll der Unterredung (BayHStA München, MK 69316). 2 Die Abschrift des Schreibens von Johannes Hoffmann befindet sich in: BayHStA München, MK 69316.

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Josef Heimberger 5. Februar 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig Universität Bonn, Akten der Rechts- und Staatswissenschafltichen Fakultät, Nr. 29 (Fach 3, Nr. 1) Dieser und der folgende Brief an Josef Heimberger vom 12. Februar 1919, unten, S. 449 f. (dort auch in Anm. 1), sowie die Schreiben an Carl Heinrich Becker vom 6. und 9. Februar sowie 7. März 1919, unten, S. 431–433, 435–437 und 509, stehen in Zusammenhang mit Webers möglicher Berufung auf einen Lehrstuhl für Staatslehre und Politik an der Universität Bonn. Mit diesem Berufungsvorschlag hatte sich die Juristische Fakultät der Universität Bonn am 21. Januar 1919 an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung gewandt (Abschrift masch.; Universität Bonn, Akten der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät, Nr. 75 (Fach 6, Nr. 4)): Da „die Errichtung einer Universität in Cöln“ für die Universität Bonn im allgemeinen und für die Fakultät im besonderen „eine schwere Schädigung bedeuten“ werde, schlug die Fakultät, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Kölner Neugründung zu stärken, dem Ministerium verschiedene Maßnahmen vor. Zunächst die Umwandlung der Fakultät in eine rechts- und staatswissenschaftliche, sodann die Verleihung eines Dr. rerum politicarum sowie als dritte Maßnahme die Erweiterung des Lehrangebots: „3. Zur Vervollständigung unseres Lehrgebietes bedürfen wir eines Professors für allgemeine Staatslehre und Politik. Mit Rücksicht auf die Cölner Gründung wäre es notwendig als solchen eine Kraft ersten Ranges zu berufen, und wir schlagen einstimmig und an einziger Stelle für den Lehrstuhl den ordentlichen Honorarprofessor Dr. Max Weber in Heidelberg vor. Wir bitten, ihn so rasch als möglich berufen zu wollen – ohne Rücksicht darauf, ob die Umwandlung unserer Fakultät in eine rechts- und staatswissenschaftliche sofort erfolgt oder nicht.“ Wenig später, am 2. Februar 1919, erging der Ruf an Weber durch ein Telegramm Carl Heinrich Beckers (Abschrift; GStA PK, I. HA, Rep. 76 Va, Sekt. 3, Tit. IV, Nr. 55, Bd. 7, Bl. 38 – zum Inhalt vgl. die Wiedergabe im folgenden Brief), das drei Tage später – am 6. Februar 1919 – in einem Brief Beckers an Weber näher erläutert wurde (Abschrift masch.; GStA PK, VI. HA, Nl. Carl Heinrich Becker, Nr. 4952). Becker betonte, daß man, im Falle von Webers Annahme des Rufs, diesem „in jeder Weise entgegenkommen“ werde. „Ihre Lehrverpflichtung könnte auf das Mindestmaß eingeschränkt, Ihr Lehrauftrag ganz nach Ihren Wünschen – z. B. auch nach der soziologischen Seite hin – formuliert werden. Mit der Übernahme von Prüfungen könnten Sie es ganz nach Ihren Wünschen halten und auch in finanzieller Hinsicht wären wir gern bereit, allen Ihnen sonst gemachten Angeboten mindestens gleich zu kommen.“ Trotz des verlockenden Angebots blieb Weber unschlüssig, dies umso mehr, als er sich gegenüber dem im Januar erhaltenen Ruf nach München moralisch verpflichtet fühlte. Hinzu kam seine Präferenz für München wegen der erstrebten Nähe zu Else Jaffé; vgl. dazu die gleichzeitigen Briefe an diese. Nachdem ihm das bayerische Kultusministerium und die Fakultät für seinen Wunsch, insbesondere das Fach Soziologie zu vertreten, ihr Plazet gegeben hatten und nachdem das Ministerium im März 1919 endgültig der Berufung Webers zugestimmt und dieser angenommen hatte, erklärte Weber in seinem Schreiben an Bekker vom 25. März 1919, unten, S. 541, endgültig seinen Verzicht auf eine Berufung nach Bonn.

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Heidelberg 5. II. 19 Sehr geehrter Herr Dekan! Zu meiner Überraschung erhielt ich am Sonntag den 2. II folgendes Telegramm:1 „Kultusministerium bietet Ihnen Ordinariat für Staatslehre und Politik Universität Bonn an. Lehrauftrag und Lehrverpfl ichtung nach Ihren Wünschen. Brief folgt. (gez.) Becker.“ Das angekündigte Schreiben ist, zweifellos infolge der Verkehrsverhältnisse, noch nicht eingetroffen.2 Ich bin zur Zeit mit dem Münchener Ministerium in Verhandlungen wegen eines mir angebotenen Ordinariats für Nationalökonomie und Gesellschaftswissenschaft, bei welchen ich den Wunsch geäußert habe, in erster Linie das zuletzt genannte Fach übertragen zu erhalten.3 Darüber muß die dortige Staatswissenschaftliche4 Fakultät (deren Vorschlag von der Juristischen Fakultät unterstützt worden war und der Berufung zu Grunde lag) gehört werden. Ich kann diese Verhandlungen |:jetzt:| nicht einfach abbrechen, sondern muß sie loyal zu Ende führen, nachdem sie einmal so weit gediehen sind. Es versteht sich, daß ich dabei von diesem Antrage des preußischen Ministeriums in keiner Art zur Erzielung irgend welcher Vorteile Gebrauch mache, wenn ich auch vielleicht die Thatsache, daß er gemacht worden ist, nicht zu verschweigen im stande bin (und auch schließlich zu verschweigen keinen Anlaß sehe). Was für mich nun aber für den Fall, daß dieser, preußische, Antrag praktische Bedeutung erlangen sollte – ein Fall, der sehr möglich ist und |:dann:| in wenigen Wochen spätestens eintreten würde – ausschlaggebend sein würde, ist die Frage: 1) ist die Fakultät um Vorschläge angegangen bzw., zum Mindesten, über dies Angebot befragt worden, – 2) wie hat sie sich dazu gestellt (falls dies geschehen war). 5

1 Eine Abschrift des Telegramms befindet sich im GStA PK; vgl. dazu die Angaben in der Editorischen Vorbemerkung. 2 Das Schreiben Beckers ist auf den 6. Februar 1919 datiert (Abschrift masch.; GStA PK, VI. HA, Nl. Carl Heinrich Becker, Nr. 4952). Weber antwortete hierauf am 9. Febr. 1919, unten, S. 435–437. 3 Vgl. dazu den Brief an Franz Matt vom 2. Febr. 1919, oben, S. 423–426. 4 Gemeint ist die Staatswirtschaftliche Fakultät. 5 Offensichtlich hatte Weber – da er an sich kein Staatsrechtler war – die Befürchtung, daß sein Berufungsvorschlag nicht von der Fakultät ausgegangen, sondern vom Ministerium „oktroyiert“ worden war. Diese seine Bedenken wurden wenig später zerstreut, als ihm

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Ich darf darauf hinweisen: daß doch sachliche Bedenken obwalten müßten, mich in Betracht zu ziehen. Ich kann nicht beanspruchen, Staatsrechtslehrer zu sein. Ich bin zwar |:längst:| mit sehr umfassenden, hoffentlich bald vollendeten Arbeiten über Staatslehre („Staats-Soziologie“) befaßt; 6 aber ich habe bisher doch kein Recht, mich auch nur dafür als wissenschaftlich hinlänglich |:öffentlich:| legitimiert anzusehen. Und ob diejenige Art der Behandlung der Staatsprobleme, die ich dabei anwende, in eine Juristische Fakultät gehört – ich muß |:doch wohl:| annehmen, daß es sich um die Professur des Herrn Kollegen Bergbohm handelt7 – ist doch vielleicht auch nicht selbstverständlich. Jedenfalls würde ich ohne eine noch so leise Spur von Gekränktheit erfahren: daß die Fakultät eine solche Besetzung einer ihrer Professuren nicht für sachlich richtig hält, und daraus alsbald die selbstverständlichen Konsequenzen ziehen. Mir liegt, wenn ich in ein akademisches Lehramt wieder eintrete, daran, die „Gesellschaftswissenschaft“ (Soziologie) in ihrem vollen Umkreis, vor Allem freilich die Rechts- und Staats-Soziologie, zu traktieren. Ich bilde mir |:thatsächlich:| ein, die äußerst dilettantische Art, wie diese beiden Fächer (und die Soziologie überhaupt) heute vielfach, zumal von Nicht-Juristen, aber |:gelegentlich:| auch von Juristen1), behandelt und dadurch diskreditiert worden sind, durch eine schärfere und ganz klare Scheidung juristischer und soziologischer Betrachtungsweise verdrängen zu können. Aber schließlich kann ich doch nicht beanspruchen, daß dies mir so zu sagen „auf Vorschuß“ geglaubt werde! 8

1)

Ehrlich! (trotz mancher zweifellosen Verdienste!) 8

mitgeteilt wurde, daß die Fakultät in toto seine Berufung betrieben hatte; vgl. dazu den Brief an Josef Heimberger vom 12. Febr. 1919, unten, S. 449, Anm. 1. 6 Die für den GdS-Beitrag „Wirtschaft und Gesellschaft“ vorgesehene spezielle „StaatsSoziologie“ ist wegen Webers frühem Tod nicht erschienen. Jedoch hat er noch den Abschnitt „Die Typen der Herrschaft“ in den Fahnen kontrollieren können, postum veröffentlicht im: GdS, Abt. III: Wirtschaft und Gesellschaft, Teil 1: Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1921, S. 122–176 (MWG I/23). 7 Weber nahm irrtümlich an, offenbar als Nachfolger des 1918 emeritierten Staatsrechtlers Karl Bergbohm berufen worden zu sein. 8 Weber bezieht sich in erster Linie auf das bekannte Werk von Eugen Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts. – München u. Leipzig: Duncker & Humblot 1913, ein Werk, das im Weltkrieg Anlaß zu einer längeren Kontroverse zwischen Hans Kelsen und dem Autor im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ gegeben hatte.

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Jedenfalls wäre ich äußerst dankbar, wenn ich in einer sei es noch so unverbindlichen und unvorgreifl ichen Art Ihre Auffassung und diejenige der Herren Vertreter der Publizistik erfahren, vor Allem aber darüber informiert werden könnte: ob der Weg der Befragung der Fakultät rite 9 beschritten worden ist.10 Ich behandle Ihre Antwort auf Wunsch vertraulich. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebenster Prof. Max Weber

9 Lat.: förmlich bzw. vorschriftsmäßig. 10 Vgl. dazu Anm. 5.

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Carl Heinrich Becker 6. Februar 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Carl Heinrich Becker, Nr. 4952 Der Brief steht in Zusammenhang mit der nicht zustande gekommenen Berufung Webers an die Universität Bonn; vgl. zu diesem Vorgang die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Josef Heimberger vom 5. Februar 1919, oben, S. 427.

Heidelberg 6. II. 19 Hochgeehrter Herr Geheimrat!

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Ihr gütiges Telegramm vom 2. II überraschte mich am gleichen Tage.1 Das darin angekündigte Schreiben erreichte mich bisher noch nicht. 2 Indem ich für die große Ehre dieses Angebots schon jetzt verbindlichst danke, darf ich Folgendes mitteilen. Auf Grund eines schon seit geraumer Zeit vorliegenden Vorschlags der Münchener Staatswissenschaftlichen3 Fakultät, der von den Juristen unterstützt wurde,4 ist vor Kurzem die bayrische Regierung mit mir in Verhandlungen über die Übernahme der durch Geh. Rat Brentano’s Rücktritt frei werdendena Stelle getreten. 5 Da auch die Stelle des Herrn v. Mayr frei wird, hatte ich die Bitte gestellt, mir den Lehrauftrag für Nationalökonomie und Gesellschaftswissenschaft, unter tunlichster Voranstellung des letzteren Fachs (einschließlich „Staatslehre“) zu übertragen und |:von mir:| für Nationalökonomie unter Berufung eines andren Herrenb eine mehr ergänzende, nur die Vollbesetzung aller Pfl ichtkollegien sichernde, Lehrtätigkeit zu fordern.6 Am liebsten würde ich auf Gesellschaftswissenschaft beschränkt worden sein. Es ist auf Grund der a O: werdende b 〈die〉 1 Das Telegramm mit dem Berufungsangebot findet sich als Abschrift in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 Va, Sekt. 3, Tit. IV, Nr. 55, Bd. 7, Bl. 38; zum Inhalt vgl. den Brief an Josef Heimberger vom 5. Febr. 1919, oben, S. 428. 2 Das Schreiben ist datiert auf den 6. Febr. 1919 (Abschrift masch.; GStA PK, VI. HA, Nl. Carl Heinrich Becker, Nr. 4952); den wenig später eingetroffenen Brief beantwortete Weber am 9. Febr. 1919, unten, S. 435–437. 3 Gemeint ist die Staatswirtschaftliche Fakultät. 4 Die Juristen hatten ein traditionelles Mitspracherecht bei der Berufung von nationalökonomischen Ordinarien, da der überwiegende Teil von deren Hörerschaft aus Studenten der Juristischen Fakultät bestand; vgl. dazu Brentano, Lujo, Aus meinem Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands. – Jena: Eugen Diederichs 1931, S. 167. 5 Vgl. den Brief des bayerischen Kultusministers Johannes Hoffmann an Weber vom 23. Jan. 1919 (Abschrift; BayHStA München, MK 69316). 6 Vgl. den Brief an Franz Matt vom 2. Febr. 1919, oben, S. 426.

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Verhandlung mit dem Herrn Ministerialdirektor Matt, dem Herrn Minister Hoffmann selbst7 und den Fachkollegen eine nochmalige Rückfrage an die Fakultät in Aussicht genommen und inzwischen wohlc schon erfolgt. Ich habe mündlich erklärt, auf die Stellung als „Ordinarius“ kein Gewicht zu legen. Bei diesem Stande der Verhandlungen halte ich es jetzt für loyal, ehe ich über das überaus verlockende mir von Ihnen gemachte Angebot in förmliche Verhandlungen eintrete, die Stellungnahme der Münchener Fakultät und Regierung abzuwarten. Keinenfalls werde ich, auf Ihr Angebot gestützt, neue Forderungen materieller Art stellen, ebenso nicht umgekehrt. Es ist mir sehr zweifelhaft, ob es nach den besondren Münchener Verhältnissen möglich sein wird und dem sachlichen Unterrichtsinteresse |:am besten:| entspricht, daß grade ich dorthin übernommen werde; und nur dann, wenn dies unzweifelhaft der Fall sein sollte, würde ich die Berufung dorthin annehmen. Wenn nicht, dann würde ich mit Freuden in eine Verhandlung über Ihr ehrenvolles Angebot eintreten, von dem ich inzwischen dem Herren Dekan in Bonn mit der Bitte Mitteilung machte, mich über die Ansichten der dortigen Herren Publizisten und der übrigen Fakultätsmitglieder über die – eventuell – von mir zu gewärtigende Art der lehrenden Behandlung der Staats- und Rechts-Soziologie innerhalb der Juristischen Fakultät, unvorgreifl ich und vertraulich, aufzuklären.8 Da ja eine Übersiedelung schon zum Sommer schwerlich ausführbar wäre, nehme ich an, daß der, wie ich hoffe, nicht lange Aufschub einer förmlichen Stellungnahme sachlich unschädlich ist. – Ich sehe nicht, wie ich bei dem Stande der Erörterungen in München loyaler Weise anders als in der vorgeschlagenen Art handeln kann. Denn wenn auch keine formelle Bindung vorliegt, so muß die Münchener Regierung doch immerhin annehmen, daßd, wenn die Erfüllung aller meiner Bitten thatsächlich als dem sachlichen Interesse dienlich oder mit ihm |:leicht:| vereinbar erscheint und von allen Beteiligten als leicht und unbedenklich erfüllbar angesehen würde, ich nicht wieder zurückträte. c vielleicht > wohl

d 〈ich〉

7 Die Gespräche Webers im bayerischen Kultusministerium hatten am 29. Januar 1919 stattgefunden; vgl. dazu das Ergebnisprotokoll (,Vormerkung‘) von Franz Matt vom selben Tag (BayHStA München, MK 69316). 8 Vgl. den Brief an Josef Heimberger vom 5. Febr. 1919, oben, S. 427–430.

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Inzwischen nehme ich an, daß das in Aussicht gestellte geneigte Schreiben eintreffen wird und verbleibe Euer Hochwohlgeboren in vorzüglicher Hochachtung sehr ergebenster Max Weber

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Franz Matt 6. Februar 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig BayHStA München, MK 69316 Der Brief steht in Zusammenhang mit Webers Berufung nach München als Nachfolger Lujo Brentanos. Zu Vorgeschichte und Verlauf der Berufung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Februar 1919, oben, S. 423–425.

Heidelberg 6. II. 19 Hochgeehrter Herr Ministerialdirektor! Mit Rücksicht auf die schwebenden Erörterungen halte ich es für richtig, das beifolgende vor einigen Tagen zu meiner Überraschung bei mir eingegangene Telegramm vorzulegen.1 Die angekündigte briefl iche Mitteilung ist noch nicht eingetroffen. 2 Welches auch ihr Inhalt sein mag, so werde ich jedenfalls antworten: daß ich vor Abschluß der mit Ihnen gepflogenen Verhandlungen diesem Angebot nicht näher treten könne, daß ich dasselbe im Übrigen zwar zu Ihrer Kenntnis gebracht, aus der Thatsache seines Vorliegens aber keinerlei Grund zur Stellung irgendwelcher neuen Forderungen abgeleitet habe. 3 Herren Geh. Rat Brentano, den ich hier zufällig sah, habe ich von der Angelegenheit in gleichem Sinn gesprochen und ebenfalls gesagt: daß lediglich Art und Umfang der jetzt, für die ersten Semester, zu übernehmenden obligatorischen Lehrpflicht für mich von Wichtigkeit sei [.] Mit vorzüglicher Hochachtung Ew. Hochwohlgeboren sehr ergebenster Prof. Max Weber

1 Gemeint ist das Telegramm von Carl Heinrich Becker bzw. dem preußischen Kultusministerium vom 2. Febr. 1919 mit dem Berufungsangebot nach Bonn (Abschrift; GStA PK, I. HA, Rep. 76 Va, Sekt. 3, Tit. IV, Nr. 55, Bd. 7, Bl. 38). 2 Vgl. den Brief Beckers vom 6. Febr. 1919 (Abschrift masch.; GStA PK, Nl. Carl Heinrich Becker, Nr. 4952). 3 Schon vor Erhalt von Beckers Brief vom 6. Febr. 1919 hat Weber diesen am 6. Febr. 1919, oben, S. 431–433, von seinen Berufungsverhandlungen mit München unterrichtet.

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Carl Heinrich Becker 9. Februar 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Carl Heinrich Becker, Nr. 4952 Der Brief steht in Zusammenhang mit der nicht zustande gekommenen Berufung Webers nach Bonn. Vgl. zu diesem Vorgang die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Josef Heimberger vom 5. Februar 1919, oben, S. 427.

Heidelberg 9. II. 19 Hochgeehrter Herr Geheimrat,

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ich empfi ng Ihr gütiges Schreiben,1 welches, von der überaus liebenswürdigen Form ganz abgesehen, auch sonst derart ist, daß ich vor einigen Wochen ohne jedes Besinnen und Verhandeln glatt zugegriffen hätte. Die Schwierigkeit ist jetzt, wie ich ergänzend bemerken möchte: die Fakultäten in München haben sich sehr viel Mühe gegeben, der Kultusminister (Herr Hoffmann, 2 ein sehr sachlicher Herr, früher Volksschullehrer, aber wahrlich nicht der schlechteste Inhaber dieses Amtes) mich vor Wochen zunächst privatim zu sich gebeten, weil K[urt] a Eisner, der Ministerpräsident, widerstrebte3 und er daher nur weiter konnte, wenn er im Ministerrat erklären konnte: „der kommt, wenn ihm die erforderlichen sachlichen und persönlichen Konzessionen gemacht werden“. Daraufhin habe ich, nach Darlegung der Verhältnisse und nach Feststellung, daß mir keine Verpfl ichtung auf dieses jetzige Regime angesonnen wird, gesagt: „ich werde seriös verhandeln“. Das muß ich nun auch tun, das Gegenteil wäre entschieden unrichtig; grade Sie würden es nicht billigen. Der Dezernent, Herr Min[isterial-]Dir[ektor] Matt, ein sachlicher und angenehmer Herr, aber: Centrum, wünscht mich nicht, und es können die Erörterungen jeden Augenblick so laufen, daß die Sache scheitert. Denn in Lehraufa O: R. 1 Gemeint ist der ausführliche Brief Beckers vom 6. Febr. 1919 (Abschrift masch.: GStA PK, Vl. HA, Nl. Carl Heinrich Becker, Nr. 4952) mit den Gründen für Webers Berufung nach Bonn. 2 Johannes Hoffmann (MSPD), der spätere Ministerpräsident, hatte das Amt des bayerischen Kultusministers von November 1918 bis März 1920 inne. 3 Wiederholt hatte Weber, zuletzt in seinem am 17. Januar 1919 in der FZ gedruckten Artikel „Zum Thema der ‚Kriegsschuld‘“, scharfe Kritik an der Politik inkompetenter Literaten und ihrem öffentlichen „Wühlen“ im Kriegsschuldgefühl geübt (vgl. „Zum Thema der ‚Kriegsschuld‘“, MWG I/16, S. 177–190, dort S. 178, sowie „Deutschlands künftige Staatsform“, MWG I/16, S. 91–146, dort S. 145).

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trag und Lehrpfl icht habe ich sehr bestimmte Vorbehalte gemacht4 und gesagt: ich übernehme nichts, was ich nicht, voraussichtlich, gut und sicher leisten kann. Weder für die Fakultät noch für die Regierung ist das ganz leicht zu machen. Aber ich habe das Gefühl: nicht ich darf es sein [,] der durch sein Verhalten die Sache zum Zerschlagen bringt; und richtig ist, daß der sehr exponierte Posten, wenn ich nicht hingehe, entweder an einen ungeeigneten Sozialisten oder an einen subalternen indifferenten Gelehrten zu fallen wenigstens Gefahr läuft. – Indessen trage ich kein Bedenken, in Verhandlungen über Bonn doch einzutreten. Ich schrieb, wie gesagt, dem Dekan. 5 1) Würden 4 Stunden + Seminar (oder: Übungen) obligate Lehrpfl icht genügen? – 2) würde der Lehrauftrag: „Staatslehre und Gesellschaftswissenschaft“ lauten können? – 3) würde (gelegentlich!) ein Kolleg über „Allgemeine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ auf diese Obligat-Lehrpfl icht angerechnet werden können? – Die geringe Stundenzahl hat ihren Grund darin, daß in den ersten (ca 2) Semestern diese ganz neu zu machenden Vorlesungen, sollen sie etwas taugen, eben einen ganz unverhältnismäßigen Kraftaufwand bedeuten; – nachher ist es anders. Und ich scheue Verpfl ichtungen, die ich auch nur ein oder zwei Mal nicht voll erfülle. Was wird aus Bergbohm’s staatsrechtlichen Kollegien?6 (Ich bin doch kein Staatsrechtslehrer; auch das schrieb ich dem Dekan). Was aus den Staatsprüfungen? Ich habe den Herrn auch offen geschrieben: daß mir die Frage: ob „Ordinariat“, „Extraordinariat“ oder „Lehrauftrag“, nicht entscheidend ist. Ich muß nur leidlich anständig leben können und ca 2–3000 M. für meine kriegsverwaisten Nichten und Neffen aufwenden können. Viele Bedürfnisse habe ich nicht, und Goldb zu hamstern verstand und erstrebte ich nie. Etwas Vermögen habe – richtiger, angesichts der Zustände und der Steuern: „hatte“ – ich. Ich möchte keine „Riesenkollegien“ [,] sondern strenge Fach-Vorlesungen halten, was der „Soziologie“ vor Allem not thut. – b Alternative Lesung: Geld 4 Weber hatte in seinem Gespräch mit Franz Matt vom 29. Januar 1919 darauf hingewiesen, daß ihm „am besten Gesellschafts-Wissenschaft – sowohl historisch wie systematisch – und Wirtschaftsgeschichte, auch theoretische Nationalökonomie“ liege, „weniger praktische Nationalökonomie, mit der er sich seit einer Reihe von Jahren nicht mehr beschäftigt habe“ (Gesprächsprotokoll vom 29. Januar 1919; BayHStA München, MK 69316). 5 Der Brief an den Dekan, Josef Heimberger, ist nicht nachgewiesen. 6 Weber, der irrtümlich glaubte, als Nachfolger des 1918 emeritierten Staatsrechtlers Karl

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In einer Zeit, wo eine Einschränkung des Zudrangs zu den Studien und vor Allem: den Ämtern, das Allernötigste ist, wäre die Cölner „merkantilistische“ Gründung7 gradezu ein Hohn (in Hamburg liegt das doch etwas anders!).8 Persönlich würde sie für mich den Reiz der Stelle in Bonn gewiß nicht vermindern. Aber es ist einfach ein Unsinn, grade jetzt Derartiges zu machen. Verzeihen Sie, bitte, den ausführlichen Brief. Aber diese Angelegenheit ist mir doch überaus wichtig. Ich berichte, sobald in München die Angelegenheit sich klärt [,] und wiederhole: nach Lage der Dinge muß ich dort – eventuell! – die Konsequenzen der s. Z. eingenommenen Haltung ziehen, um nicht in den berechtigten Geruch der Zweideutigkeit zu kommen. Ich habe Herrn Min[isterial-]Dir[ektor] Matt die Thatsache dieser Berufung nach Bonn mitgeteilt. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster Max Weber

Bergbohm berufen zu werden, konnte durch Beckers Antwortbrief vom 12. Febr. 1919 (Abschrift masch. GStA PK, wie Anm. 1) beruhigt werden. 7 Weber reagiert hier auf Beckers Bemerkung in dessen Brief vom 6. Febr. 1919 (Abschrift masch.; GStA PK, Vl. HA, Nl. Carl Heinrich Becker, Nr. 4952), daß nach seiner Ansicht die „höchst ungückliche Begründung einer Universität in Köln [. . .] ausschließlich in einem skrupellosen kommunalen Egoismus“ wurzele. 8 Die neu gegründete Hamburger Universität basierte auf der schon länger bestehenden „Wissenschaftlichen Stiftung“, einer Organisation, die bereits universitäre Züge aufwies.

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Redaktion der Frankfurter Zeitung 9. Februar 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig Privatbesitz Wie die spätere Korrespondenz mit der Redaktion der FZ vom 17. Februar und 20. März 1919, seine Briefe an Hermann Oncken vom 10. Februar, 21. und 25. März 1919 (unten, S. 454–458, 530–532, 445 f., 536–538 und 542 f.) und das Telegramm an Prinz Max von Baden vom 18. März 1920, unten, S. 957 f., steht das nachfolgende Schreiben Webers in direktem Zusammenhang mit seinem Engagement in der „Arbeitsgemeinschaft für Politik des Rechts“. Initiiert durch den früheren Reichskanzler Prinz Max v. Baden und dessen Vertrauten Kurt Hahn, war die Gründung dieser sogenannten „Heidelberger Vereinigung“ nur wenige Tage zuvor, am 3. und 4. Februar, im Haus von Max und Marianne Weber erfolgt. Über die Vorgeschichte ist nur wenig dokumentiert. Belegt ist allerdings, daß Max und Alfred Weber mit Kurt Hahn Mitte Dezember 1918 in Berlin eine Initiative zur Kriegsschuldfrage besprachen (vgl. den Brief an Else Jaffé, vor dem 20. Dezember 1918, oben, S. 369, Anm. 2). Die politische Brisanz der Schuldfrage trat mit Beginn der Pariser Friedenskonferenz am 18. Januar 1919 offen zu Tage. Ließ der französische Staatspräsident Raymond Poincaré bei deren feierlicher Eröffnung doch keinen Zweifel an seiner Auffassung, ausschließlich Deutschland und seine Verbündeten seien schuldig „an dem Verbrechen, das den Ausgangspunkt eines beispiellosen Verhängnisses“ bildete (zitiert nach: Schulthess 1919, Teil 2, S. 453–458, S. 453). Mit den zunächst 21 in seinem Heidelberger Haus versammelten Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft verband Weber insbesondere das Ziel, dem Vorwurf einer deutschen Alleinschuld im In- und Ausland öffentlich entgegenzutreten und damit die Position Deutschlands bei den erwarteten Friedensverhandlungen zu stärken (vgl. MWG I/16, „Diskussionsbeiträge anläßlich der Gründungssitzung der ‚Arbeitsgemeinschaft für Politik des Rechts (Heidelberger Vereinigung)‘“, S. 196–207; ebd., S. 198, die Namen der Gründungsmitglieder). Zu diesem Zweck entwickelte die Heidelberger Vereinigung ihre Publikations- und Informationstätigkeit, wobei sie im Kampf für einen „Rechtsfrieden“ vor allem persönliche Verbindungen ihrer Mitglieder ins neutrale und ‚feindliche‘ Ausland zu nutzen suchte. In den exklusiven Kreis der „Heidelberger Vereinigung“ gelangte man daher nur auf persönlichen Vorschlag. Als Unterzeichner öffentlicher Erklärungen kamen nur Personen in Frage, die in bezug auf propagandistischen Kriegseinsatz und annexionistische Forderungen auch im Ausland als gänzlich unbelastet galten (vgl. Webers Brief vom 10. Februar 1919 an Hermann Oncken, unten, S. 445 f.). Auch nachweislich existierende Kontakte zum Auswärtigen Amt blieben strikt vertraulich, um als von amtlichen Einflüssen völlig unabhängige politisch-moralische Institution anerkannt zu werden. Die Webers hier abgedrucktem Brief beigefügte, unmittelbar nach der Gründungssitzung ausgearbeitete Erklärung „Für eine Politik des Rechts“ (MWG I/16, S. 518–525) war die erste öffentliche Kundgebung der Vereinigung. Die Frankfurter Zeitung druckte sie, wie zahlreiche weitere deutsche Presseorgane, am 13. Februar ab (FZ, Nr. 117 vom 13. Febr. 1919, 1. Mo.Bl., S. 2). Zu ihren Unterzeichnern (siehe unten, Anm. 3) gehörte neben Max auch Marianne Weber.

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Heidelberg 9/II 19 Sehr geehrte Redaktion,

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anliegende Kundgebung geht heute an einigea größereb Zeitungen ab, |:zuerst aber an Sie.:| Ich darf dabei bemerken, daß die gegründete Vereinigung ihr Büro hier in Heidelberg, – voraussichtlich unter Leitung des Generals a. D. Grafen Montgelas – haben wird,1 auch dann, wenn ich, wie wahrscheinlich, von hier fortgehe, sei es nach Bonn sei es nach München, 2 und damit unvermeidlich aus aller aktiven Politik für immer ausscheide. Die Auswahl der cunterzeichnenden Personenc beruhte auf der Absicht, die bei den Entente-Regierungen (d. h. Amerika, demnächst: England) oder richtiger: |:bei:| den zur sachlichen Behandlung geneigten Ententekreisen sowohl wie in der inneren Politik moralisch (aus gleichviel welchem Grunde) „akkreditierten“ Persönlichkeiten zusammenzuschließen. 3 Es ist daher[,] |:z. B.:| für dieses Mal, der Name meines Bruders A[lfred] Weber fortgeblieben (wegen der Stinnes-Angelegenheit),4 ebenso zahlreiche andre an sich gute Namen. 5 Es wurde, auf Wunsch des Prinzen Max, erwogen, ob nicht eine Zuziehung in erster Linie eines Vertreters Ihrer Redaktion (ev. auch anderer ganz großer |:demokratischer:| Blätter) schon im Stadium dieser Beratung zweckmäßig sei, |:– vorausgesetzt daß Sie geneigt dazu gewesen wären. –:| Wenn davon abgegangen wurde (für dieses Mal a die > einige b O: größeren c Namen > unterzeichnenden Personen 1 Maximilian Graf v. Montgelas. Nach seiner Rückkehr aus der Schweiz 1918 kam er über seinen Kontakt zu Max von Baden zur Heidelberger Vereinigung. Vgl. Vogel, Detlef, Max Graf Montgelas (1860–1944). Ein Offizier im Spannungsfeld zwischen nationalen Ansprüchen und Menschlichkeit, in: Wette, Wolfram (Hg.), Pazifistische Offiziere in Deutschland 1871–1933. – Bremen: Donat 1999, S. 82–97. 2 Zum Stand der Verhandlungen mit München und Bonn vgl. die Briefe an Franz Matt vom 2. und 6. Febr. 1919, an Josef Heimberger vom 5. Febr. 1919 und an Carl Heinrich Becker vom 6. und 9. Febr. 1919, oben, S. 423–437. 3 Die Unterzeichner waren: „Moritz Bonn, Robert Bosch, Lujo Brentano, Friedrich Curtius, Hans Delbrück, Konstantin Fehrenbach, Anton Geiß, Ludwig Haas, Kurt Hahn, Konrad Haußmann, Johannes Lepsius, Hugo Lindemann, Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, Graf Max Montgelas, Frau Lina Richter, Walter Schücking, Frau Marianne Weber, Max Weber, Hans Wehberg“ (FZ, Nr. 117 vom 13. Febr. 1919, 1. Mo.Bl., S. 2). 4 Zu den ungerechtfertigten Kollaborationsvorwürfen Alfred Webers gegen die Industriellen Stinnes und Thyssen im Dezember 1918, durch die er auch seine führende Position in der DDP eingebüßt hatte, vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 6. und 13. Dez. 1918, oben, S. 349, Anm. 14, und S. 357, sowie an Else Jaffé vom 15. Dez. 1918, oben, S. 359 f. 5 Vgl. dazu Webers Erläuterung im Brief an Hermann Oncken vom 10. Febr. 1919, unten, S. 445 f.

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jedenfalls), so deshalb, weil man im Fall des Bekanntwerdens das übliche Ressentiment |:anderer, nicht Zugezogener:| nicht schon jetzt auf sich laden wollte. Die Vereinigung wird – u. A. – folgende Aufgaben auf sich nehmen: 1) Prüfung der gegenwärtig mehr als je grassierenden feindlichen „Greuel“-Propaganda,6 – 2) sachgemäße, nicht |:Völker-:|verhetzende, aber eindrucksvolle Verwertung des gewaltigen eignen Greuel-Materials,7 – 3) sachgemäße Prüfung der gegnerischen Privateigentums-Verletzungen, – 4) Vertretung des deutschen Selbstbestimmungsrechts (im Westen und, zur Zeit besonders: Osten),8 – 5) d Neuaufbau der Heeresverfassung (Miliz, Volkswehr oder wie immer sie gestaltet werden muß) auf demokratischer Basis, Propaganda dafür.9 All dies sowohl, gelegentlich, kollektiv, wie durch individuelle Äußerungen, die tunlichst nach Benehmen mit den sonst Beteiligten, deren Kreis aus der bürgerlichen und sozialistischen Linken stark erweitert werden wird, erfolgen sollen. Unbeschadet unserer Meinungsverschiedenheit über die Stellungnahme zur „Revolution“, die ich vorläufig für ziemlich groß halten möchte, und in der ich meine Ansicht nicht geändert habe, bin ich gern bereit, wenn Ihnen dies zweckmäßig erscheint, Ihnen gelegentlich persönlich über die beabsichtigten Schritte und auch über die inneren |:aktuellen:| Gründe dieses Zusammenschlusses Bericht zu ged O: 4) 6 Weber selbst hatte bei der Heidelberger Gründungssitzung, mit Bezug auf Berichte von Flüchtlingen aus dem Elsaß, darauf verwiesen, daß gegen die neuerliche „Greuelkampagne“ der Feinde etwas geschehen müsse. Französische Zeitungen überböten sich mit Schilderungen von Untaten insbesondere deutscher Offiziere in Frankreich (vgl. „Diskussionsbeiträge“, MWG I/16, S. 254–267, S. 261). Die anschließende Diskussion, ob „Widerlegungen oder Gegenangriffe am besten wirken würden“, kam zum Schluß, daß „beides nötig sein werde“. Vgl. Protokoll der Heidelberger Gründungsversammlung, Abschrift masch.; Archiv des Hauses Baden, Salem, Nl. Prinz Max von Baden, C 23 / 1785, S. 22 f. 7 Vgl. dazu, wie zur unter Punkt 3) angesprochenen Aufgabe, Webers Brief an die Redaktion der FZ vom 17. Febr. 1919, unten, S. 455 f. (Anm. 7). 8 Zu den andauernden Konflikten zwischen Deutschland und Polen vgl. die Briefe an Kurt Goldstein vom 13. Nov. 1918, oben, S. 301 (Anm. 9), sowie an Ludo Moritz Hartmann vom 3. Jan. 1919, oben, S. 385 f. (Anm. 3). Nach den Dezemberkämpfen in Posen wurden per Aufruf der Reichsregierung in größerem Maßstab Freiwilligenverbände aufgestellt. Mit dem Ziel einer Rückeroberung Posens erfolgte anschließend eine deutsche Offensivbewegung, die durch Intervention der Alliierten bei den Verhandlungen über die Verlängerung des Waffenstillstandes in Trier Mitte Februar gestoppt wurde. Vgl. Schulze, Hagen, Freikorps und Republik 1918–1920 (Militärgeschichtliche Studien, hg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 8). – Boppard a. Rh.: Harald Boldt 1969, S. 106–110. 9 Vgl. den Brief an die Redaktion der FZ vom 17. Febr. 1919, unten, S. 456, Anm. 11.

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ben.1) Künftig wird wohl wesentlich mein Bruder, Prof. Alfred Weber, die Verbindung pflegen, falls ich nicht aus irgend einem Grund doch hier bleiben sollte (sehr unwahrscheinlicher, |:aber doch möglicher,:| Weise). Ich nehme an, daß Ihnen dies angenehm ist und brauche nicht zu bemerken: daß eine „Beeinflussung“ |:der Redaktion:| zu versuchen der gebildeten Vereinigung ganz fern liegt. Was sie wünscht, ist: daß ihren Mitgliedern und ihr selbst auf Wunsch bei gegebener Gelegenheit das Wort gegeben werde. Sie nimmt an, daß dies der unabhängigen großen Presse besonders leicht fällt, wenn eine solche „Firma“ besteht, welche die Verantwortung auf sich nimmt, statt sie den Redaktionen selbst zuzuschieben. Daher diese „Gründung“. Mit vorzüglicher Hochachtung Prof. Max Weber. NB! Die mit Tinte eingetragenen Namensunterschriften sind mir telegrafi sch bzw. telefonisch nachträglich angemeldet.10 11

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speziell über die Entente-Persönlichkeiten, welche in letzter Zeit um „Wiederaufrichtungs“-Aktionen und „mehr Würde“ auf deutscher Seite ersuchten.11 10 Das dem Brief beigefügte Exemplar der Erklärung mit den nachgetragenen Namensunterschriften ist nicht überliefert (vgl. MWG I/16, S. 521 f.). 11 Ende März, während der ersten Berliner Vorberatung für die Friedensverhandlungen, führte Weber selber aus, an ihn persönlich sei – aus amerikanischen Kreisen – das „Ersuchen gelangt, diesen Schuldbekenntnissen endlich entgegenzutreten, widrigenfalls wir gewisse Konsequenzen zu gewärtigen haben“ (zitiert nach: „Zur Vorbereitung der Friedensverhandlungen“, MWG I/16, S. 254–267, S. 261). Nur abschriftlich überliefert ist zudem ein „Schreiben für Max Weber, im Namen von Noeggerath“ vom 20. Dez. 1919 (Abschrift masch.; Archiv des Hauses Baden, Salem, Nl. Prinz Max von Baden, C 12 / 1588), das ihn persönlich dazu aufforderte, an die Spitze einer im Ausland wahrnehmbaren Gruppe von Männern zu treten, „deren Führer nicht schamhaft werden, wenn sie patriotische Gesichtspunkte gelten lassen, deren soziales Gewissen aber doch so zuverlässig ist, daß sie bei den breiten Massen Gehör finden können, die aber vor allem auf dem Höhepunkt der deutschen militärischen Situation sich zum Rechtsgedanken im internationalen Leben bekannt haben.“ Es komme „vom Standpunkt des Auslands“ nicht auf die Größe der Gruppe an, vielmehr auf deren erkennbares Profil: „Von ihr gehen die Werte aus, die heute Deutschland moralisch aufrichten können, diese Gruppe müssen wir unterstützen, mit der müssen wir Fühlung nehmen. Das sind die Stimmen, für die ich mich verbürgen kann.“ Der Deutsch-Amerikaner Jacob Noeggerath war mit Kurt Hahn und Max von Baden bekannt und seit dem Kriegseintritt der USA „rechte Hand“ des für die Deutschlandberichterstattung zuständigen Attachés der amerikanischen Gesandtschaft im Haag, Alexander Kirk (Schwabe, Klaus, Deutsche Revolution und Wilson-Frieden. Die amerikanische und deutsche Friedensstrategie zwischen Ideologie und Machtpolitik 1918/19. – Düsseldorf: Droste 1971, S. 20 f.).

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Else Jaffé 9. Februar 1919; [Heidelberg] Abschrift; ohne Anrede und Schlußformel, von der Hand Else Jaffés BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 51 Gegen die Datumsangabe „9. Februar 1919“ in der Abschrift spricht zum einen, daß ein Vortrag Alfred Webers für diesen Tag nicht nachgewiesen ist, zum anderen dessen Reisepläne (Brief Alfred Webers an Else Jaffé vom 3. Febr. 1919, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 84, Bl. 69 f.). Wahrscheinlich bezieht sich Max Webers Hinweis „Alfred sprach gestern (Abend spät) … nach einer Sitzung von über 9 Stunden“ daher auf einen Redebeitrag Alfred Webers anläßlich der am Morgen des 3. Februar 1919 beginnenden Gründungssitzung der Heidelberger Vereinigung (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Redaktion der Frankfurter Zeitung vom 9. Febr. 1919, unten , S. 439). Im Brief an Else Jaffé (wie oben) erwähnt Alfred Weber keine eigene längere Wortmeldung; die Sitzung dauerte allerdings „bis beinah halb zehn“ am Abend. Die Ortsangabe ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

9. II. 1919 Alfred sprach gestern (Abend spät) vorzüglich,1 aber man merkte die Müdigkeit diesmal (d. h. ich merkte sie) und die Leute waren für ihn auch schon zu abgespannt nach einer Sitzung von über 9 Stunden mit Unterbrechung nur Mittags.2 Ja mit dem „Rat“! Es ist schwer, da etwas zu sagen. Mir scheint immer: Einfluß auf die Jugend (ganz einerlei ob wissenschaftlich oder „kulturlich“ oder politisch sei das, was ihn besonders befriedigt. Das wird, nach ein paar Monaten ganz unvermeidlicher Ermattung und Neu [ - ] Anpassung, 3 ganz sicher wiederkehren u. geht jetzt Allen so, die wieder in dem „Beruf“ stehen. Selbst wenn er müde ist, fesselt die [. . .] a und Beweglichkeit seiner Äußerungen und Gesten u. auch deren Anmut die Leute immer, wenn sie nicht zu angespannt sind. „Herbst“ [ - ] Stimmung ist im Augenblick jedes Mannes Los bei uns, glaube mir. Ich denke allerdings, daß schwere theoretische Arbeit in der Tat vielleicht jetzt sein Gehirn zu sehr martern würde, er muß da wohl wirklich das machen u. das liegen lassen, was ihm grade gemäß ist. Positiv zur Politik zu raten wage ich nicht; die Lage ist so unerhört unerfreulich, sachlich und persönlich – Über seine Eindrücke sprach ich ihn noch nicht, bin nicht sicher, ob es in den nächsten Tagen geschehen kann. a Lücke in Abschrift. 1 Vgl. die Editorische Vorbemerkung, oben. 2 Zur Gründung der Heidelberger Vereinigung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Redaktion der Frankfurter Zeitung vom 9. Febr. 1919, unten, S. 439. 3 Alfred Weber hatte zum 1. Januar 1919 seine Lehrtätigkeit an der Universität Heidelberg wieder aufgenommen, nachdem er zuletzt im „Bureau für Ostpolitik“ in Berlin mitgearbeitet hatte.

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Gustav Mittelstraß 9. Februar PSt 1919; Heidelberg Karte; eigenhändig Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446

Heidelberg 9. II Verehrtester Herr Doktor!1

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S. Z. konnte ich nicht auf Ihre (Weinheimer) Anfrage eingehen. 2 Ich kann leider auch jetzt nicht reden. 3 Aber Herr Dr Guido Leser,4 hier, Kaiserstraße, müßte eigentlich in der Lage sein, ev. Redner zu nennen. – Sehen wir Sie wohl einmal?5 Mit den allerbesten Grüßen! Ihr Max Weber

1 Nach Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, S. 916, legte Gustav Mittelstraß seine Doktorprüfung erst im Dezember 1919 ab. 2 Der Sachverhalt ist nicht nachgewiesen. Mittelstraß stammte aus Weinheim, wo er sich intensiv in der Jugendbewegung engagierte. 3 Eine Anfrage ist nicht nachgewiesen. Möglich wäre eine Einladung seitens der Akademischen Gemeinschaft Heidelberg, in der Mittelstraß vor dem Krieg bereits aktiv war, und deren Neugründung er nach seiner Heimkehr von der Front zusammen mit Moritz Morgenthal 1919 betrieb. Die Chronik der Akademischen Gemeinschaft 1919 liefert hierzu allerdings keinen Hinweis (vgl. Die Akademische Gemeinschaft Heidelberg 1909–1919. Zum zehnjährigen Bestehen der Gemeinschaft hg. von Moritz Morgenthal. – Heidelberg: o.A. 1919, S. 30–59). Webers Weitervermittlung an Guido Leser (vgl. unten, Anm. 4) könnte auch auf einen Zusammenhang mit der Gründung einer demokratischen Gruppe in der Heidelberger Studentenschaft im Februar 1919 hinweisen (vgl. Giovannini, Norbert, Zwischen Republik und Faschismus. Heidelberger Studentinnen und Studenten 1918–1945. – Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1990, S. 68–70 und 94 f.). 4 Der liberale Jurist war seit 1912 in der Heidelberger Lokalpolitik tätig. 1919 vertrat er die DDP in der verfassunggebenden badischen Landesversammlung. 5 Mittelstraß gehörte zum studentischen Bekanntenkreis Webers. Bei der Abschiedsfeier für Max Weber am 22. September hielt er eine der Festreden. Vgl. Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, S. 900 (Eintrag vom 23. Sept. 1919).

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Paul Siebeck 9. Februar PSt 1919; Heidelberg Karte; eigenhändig VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446

Heidelberg 9. II Verehrtester Freund! Ich korrespondiere noch mit Eulenburg,1 denke aber auch: man läßt Das, vielleicht bis auf 1–1 1/ 2 Bogen zusammenfassender Darstellung.2 Grünberg stelle ich telegrafisch ein Ultimatum von 14 Tagen. 3 Dann: Schluß. Es ist ein Skandal. Ev.: Fuchs.4 Herzliche Grüße Ihr Max Weber.

1 Eine entsprechende Korrespondenz ist nicht nachgewiesen. 2 Eine vorhergehende Korrespondenz Paul Siebecks mit Weber ist erstaunlicherweise nicht nachgewiesen, jedoch läßt sich der Sachverhalt aus dem Briefwechsel von Franz Eulenburg mit Siebeck eruieren. Es geht hierbei um die Publikation von Eulenburgs GdSBeitrag über Kriegswirtschaft. In seinem Brief an den Verlag vom 31. Dez. 1918 (SBPK zu Berlin, Nl. 488: VA Mohr/Siebeck, Nr. 386) hatte er u. a. Zweifel darüber geäußert, ob die Publikation über Kriegswirtschaft „noch einen Zweck“ habe, da auch das „Interesse für Kriegswirtschaft künftig außerordentlich gering sein“ werde. „Für das nächste Menschenalter sind andere Aufgaben zumal in Deutschland weit dringender. Die ursprüngliche naive Meinung eine solche ‚Kriegswirtschaft‘ gleichsam als Arsenal für die Vorbereitung auf künftige Kriege in Händen zu haben, ist durch die Entwicklung jedenfalls hinfällig geworden. Der Gedanke des ‚kriegswirtschaftlichen Generalstabes‘, der immer ein Ungedanke war, hat für die Zukunft gar keinen Sinn mehr. Mir scheint demnach, daß eine solche ‚Kriegswirtschaft‘ höchstens noch historische Bedeutung erlangen könnte, und es fragt sich, ob der Grundriß für die Aufnahme einer solchen Abhandlung geeignet ist.“ In seiner Karte an den Verlag vom 24. Jan. 1919 (ebd.) hatte Eulenburg eine möglichst rasche Stellungnahme in Sachen Kriegswirtschaft angemahnt. In seiner Antwort vom 30. Jan. 1919 (SBPK zu Berlin, Nl. 488: VA Mohr/Siebeck, Nr. 391) erklärte Siebeck, daß er sich deswegen an Max Weber gewandt habe. – Der GdS-Beitrag Eulenburgs über „Kriegswirtschaft“ ist nicht erschienen. 3 Zum Problem der Fertigstellung von Carl Grünbergs GdS-Manuskript über „Agrarverfassung“ vgl. den Brief an Paul Siebeck, vor dem 18. April 1918, oben, S. 128, Anm. 7. 4 Carl Johannes Fuchs.

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Hermann Oncken 10. Februar 1919; o.O. Abschrift; maschinenschriftlich ohne Anrede und Schlußformel, mit handschriftlichen Korrekturen von Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 8, Bl. 108 Der Brief bezieht sich auf die öffentliche Erklärung der Heidelberger „Arbeitsgemeinschaft für eine Politik des Rechts“. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Redaktion der Frankfurter Zeitung vom 9. Februar 1919, oben, S. 438, sowie MWG I/16, S. 196–207 und 518–525. Hermann Oncken hatte an der Gründungssitzung am 3. und 4. Februar im Hause Weber teilgenommen.

10. 2. 19.

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Unter der Kollektiverklärung der „Arbeitsgemeinschaft“ sind fortgeblieben1 die Namen von Fürst Hohenlohe (mögliche Bedenken auf der Linken) [,] 2 Alfred Weber (mögliche Bedenken auf der Rechten), 3 hinzugekommen Ministerpräsident Haas,4 Hans Delbrück. 5 Das Schnüffeln und ängstliche Besorgtsein wegen „Kompromittiertheit“ war sehr unangenehm und muß nun aufhören. Aber es ist wahr: wenn man einmal mit dem Blick nach feindlichen Ländern so eine Sache machte, |:dann:| mußte es ja wohl sein. Und da entscheidet dann die Tatsache der im Frieden gelungenen „Diskreditierung“, |:und:| nicht

1 „Für eine Politik des Rechts“, erschienen in der FZ, Nr. 117 vom 13. Febr. 1919, 1. Mo.Bl., S. 2 (MGW I/16, S. 523–525). Zu den Unterzeichnern vgl. den Brief an die Redaktion der FZ vom 9. Febr. 1919, oben, S. 439, Anm. 3. 2 Ernst Fürst zu Hohenlohe-Langenburg, bei der Gründungssitzung ebenfalls anwesend, konnte aufgrund früherer Positionen (in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes und als Sonderbotschafter in Konstantinopel im Jahr 1915) als Repräsentant des kaiserlichen Systems gelten. Robert Bosch hatte diese Bedenken schriftlich geäußert und darauf hingewiesen, daß gerade Sozialdemokraten, deren Mitwirkung für die Vereinigung „ganz außerordentlich wichtig sei“, ein solcher „Vertreter des alten Systems“ kaum vermittelbar sei. So der Brief Robert Boschs an Max Weber vom 5. Febr. 1919, Archiv des Hauses Baden, Salem, Nl. Prinz Max von Baden, F 4 / 1962. 3 Vgl. dazu den Brief an die Redaktion der FZ vom 9. Febr. 1919, oben, S. 439, sowie die Briefe an Marianne Weber vom 6. und 13. Dez. 1918, oben, S. 349 und 357, und an Else Jaffé vom 15. Dez. 1918, oben, S. 359 f. 4 Ludwig Haas. Der liberale Politiker war bis zur Annahme der neuen badischen Verfassung im April 1919 Innenminister der provisorischen Regierung Badens. 5 Der Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher“.

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10. Februar 1919

deren Begründetheit, die u. a. bei Ihnen,6 Gertrud Bäumer,7 F[riedrich] Naumann8 u. a.a nicht stichhaltiger ist als z. B. bei mir. Wie ich unter die „Nicht-Kompromittierten“ geraten bin, weiß ich ja selbst nicht. Aber es ist so . . .b

a O: 〈wie dies〉

b Auslassungszeichen in Abschrift.

6 Oncken hatte im Krieg die englische Politik der Vorkriegszeit vehement publizistisch angegriffen. Auch nach Kriegsende hielt er an seiner These der maßgeblichen Verantwortung Englands am Kriegsausbruch fest (vgl. den Brief an Hermann Oncken vom 25. März 1919, unten, S. 542, Anm. 2). Er war zugleich aber Gründungsmitglied des „Volksbundes für Freiheit und Vaterland“, der ab 1917 die radikalen Positionen der „Deutschen Vaterlandspartei“ bekämpfte. Vgl. Cornelißen, Christoph, Politische Historiker und deutsche Kultur. Die Schriften und Reden von Georg v. Below, Hermann Oncken und Gerhard Ritter im Ersten Weltkrieg, in: Kultur und Krieg: Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, hg. von Wolfgang J. Mommsen. – München: Oldenbourg 1996, S. 119–142, insbes. S. 123 und 127–133. 7 Als Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) hatte Bäumer im „Nationalen Frauendienst“ seit 1914 maßgeblich an der Mobilisierung der weiblichen „Heimatfront“ mitgewirkt und stand für die scharfe Obstruktionspolitik des BDF gegen eine Teilnahme deutscher Vertreterinnen am Frauenfriedenskongreß in Den Haag im April 1915. Ab 1917 engagierte aber auch sie sich im Vorstand des Volksbundes für Freiheit und Vaterland (vgl. MWG I/15, S. 770 f.). 8 Friedrich Naumann war im Krieg mit seinem „Mitteleuropa“-Konzept hervorgetreten, das bei allem Bemühen um internationalen Ausgleich als Variante imperialistischer Ambitionen Deutschlands verstanden werden konnte (Theiner, Peter, Sozialer Liberalismus und deutsche Weltpolitik. Friedrich Naumann im wilhelminischen Deutschland (1860–1919). – Baden-Baden: Nomos 1983, S. 257). Wie Max Weber hatte er sich allerdings gegen eine aggressive Annexionspolitik, die Verschärfung des U-Boot-Krieges und die reaktionären Bestrebungen der Vaterlandspartei positioniert (vgl. ebd., S. 232 f., 236–257 und S. 270 f.).

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Theodor Kappstein 11. Februar [1919]; Heidelberg Brief; eigenhändig UB Heidelberg, Heid. Hs. 1078 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Der Bezug erschließt sich aus dem überlieferten Antwortschreiben Theodor Kappsteins vom 17. Februar 1919 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Darin erneuerte der Dozent an der 1915 mit der Humboldt-Akademie vereinigten Freien Hochschule Berlin seine nachdrückliche Bitte an Max Weber, dort eine „Rede über Preußen“ zu halten. Er versuchte alle Einwände und Bedenken Webers zu zerstreuen und schloß: „Der Sohn des Berliner Stadtrats Max Weber wird das rechte Wort finden an das preußische Volk in seiner Notstunde“ (ebd.). Aktueller Anlaß war die von Hugo Preuß in seinen Verfassungsentwürfen im Zuge der geplanten Länderneugliederung vorgesehene Aufteilung Preußens. Der zweite, überarbeitete Verfassungsentwurf war am 20. Januar 1919 veröffentlicht worden. Es ist möglich, daß Weber die Rede auf Kappsteins Schreiben hin doch noch zusagte. Im Brief an Else Jaffé vom 27. Februar 1919 (unten, S. 486) erwähnt er, er plane für eine Rede am 16. März nach Berlin zu fahren. Gehalten hat Weber die Rede dann aber nicht. Noch am 15. März hielt er sich in München auf und fuhr von dort am 16. März direkt nach Heidelberg zurück (vgl. die Briefe an Mina Tobler vom 15. März und an Else Jaffé vom 18. März 1919, unten, S. 520 und 523).

Heidelberg 11/2 Hochgeehrter Herr!

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Ich kann leider zu der beabsichtigtena Versammlung nicht kommen.1 Äußerlich nicht, weil ich sonst zu gar nichts mehr komme, infolge Überbelastung. Innerlich schwer. Denn ich bin zwar mit dem Preuß’schen „Zerlegungs“-Projekt nicht einverstanden.2 Aber ich saß in der Verfassungskommission3 und kann nicht gut jetzt öffentlich dagegen Front machen. (§ 11 des offi ziellen Entwurfs stammt (der Idee nach) von mir,4 sollte ein unschädliches „Ventil“ sein gegen die viel weitergehenden Absichten der ganz Radikalen). a 〈Zusam〉 1 Kappstein sprach in seiner Antwort an Weber von einer großen Versammlung, in der alle politischen Standpunkte vertreten und erwünscht seien (Brief Theodor Kappsteins vom 17. Febr. 1919, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). HumboldtAkademie wie Freie Hochschule Berlin, aus denen 1919 die Volkshochschule Groß-Berlin hervorging, vertraten das Konzept einer für alle Schichten offenen Volksuniversität. 2 Vgl. Webers Brief an Hugo Preuß vom 25. Dez. 1918, oben, S. 376, Anm. 12. 3 Zur Expertenkommission, die vom 9. bis 12. Dezember 1918 in Berlin tagte, vgl. MWG I/16, S. 49–90, sowie die Editorische Vorbemerkung zum Telegramm an Hugo Preuß vom 5. Dez. 1918, oben, S. 344. 4 Tatsächlich orientierte sich das in beiden Fassungen in § 11 unverändert vorgesehene

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Natürlich beklage ich denb Ruf „los von Preußen“. 5 Aber man meint ja in Wahrheit: „los von Berlin“, dem „alten“ und dem „Volksbeauftragten“- |:und „A[rbeiter]- und S[oldaten]-Räte“:|Regime. Ich würde darüber an sich sehr gern grade in Berlin etwas sagen. Aber ich habe doch Bedenken, aus den angegebenen Gründen. Die ganze Rede würde eine scharfe Abrechnung mit den A[rbeiter]- und S[oldaten]-Räten werden. Ist das opportun? Grade jetzt?6 Vielleicht ist da doch ein nicht so prononzierter und heftiger Redner mehr am Platz. Für Ihr ehrendes Vertrauen danke ich herzlich [.] Mit vorzüglicher Hochachtung Max Weber

b 〈En〉 Verfahren einer Länderneugliederung nur sehr bedingt an Max Webers „Entwürfen für die Paragraphen 11 und 12 einer Verfassung des Deutschen Reiches“ (MWG I/16, S. 147–151, dort S. 148 f. und 150 (Entwurf für § 11)). Während Weber eine Volksinitiative vorsah, schrieb Preuß das Initiativrecht den Landesregierungen bzw. regionalen Selbstverwaltungskörperschaften zu. Vgl. ebd., S. 149 f., sowie die Synopse der Preußschen Verfassungsentwürfe (I und II), in: Miller/Potthoff (Bearb.), Die Regierung der Volksbeauftragten, Bd. 2, Dok. 105a.b., S. 249–266, dort S. 251 (§ 11). 5 So öffentlich in seinen Reden in München am 4. November 1918 („Deutschlands politische Neuordnung“, MWG I/16, S. 359–369, S. 363) und in Fürth am 14. Januar 1919 („Probleme der Neuordnung“, MWG, I/16, S. 450–457, S. 453). 6 Nach der militärischen Niederschlagung der Berliner Januarunruhen blieb die innenpolitische Lage angespannt. Proteste und erste lokale Räterepubliken (Bremen) deuteten eine partielle Radikalisierung und vor allem die Verbitterung der Arbeiter- und Soldatenräte angesichts ihrer politischen Marginalisierung an; die Regierung reagierte mit dem massiven Einsatz von Freiwilligenverbänden.

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Josef Heimberger 12. Februar [1919]; Heidelberg Brief; eigenhändig Universität Bonn, Akten der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, Nr. 29 (Fach 3, Nr. 1) Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Der Brief steht in Zusammenhang mit der nicht zustande gekommenen Berufung Max Webers an die Universität Bonn; vgl. zu diesem Vorgang die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Josef Heimberger vom 5. Februar 1919, oben, S. 427.

Betrifft: Besetzung des Lehrstuhls für Staatslehre Heidelberg 12/2 5

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Hochgeehrter Herr Kollege! Ich danke Ihnen für Ihr gütiges Telegramm, vor Allem aber Ihnen und allen Herrn der Fakultät für die – ich muß sagen: – unverdient große Ehre eines solchen Vorschlags.1 Keine Minute würde ich zögern, ihm bedingungslos zu folgen, wäre ich noch ganz frei gewesen im Augenblick des Eingangs des Telegramms des Herrn Dezernenten.2 Aber ich hatte dem bayrischen Minister3 auf seinen Wunsch bestimmte auf dem Gebiet der Art der Lehrpfl icht liegende Voraussetzungen genannt, unter denen ich zu kommen grundsätzlich bereit sei und sehe keinen Weg, micha den eventuellen Folgen dieser Erklärung in loyaler Art jetzt anläßlich dieser Berufung zu entziehen. Es ist durchaus unsicher, ob jene Wünsche – im Wesentlichen: daß ich als Soziologe und nicht als Nationalökonom berufen werde – erfüllt werden können, sowohl vom Standpunkt der |:dortigen:| Fakultät wie von dem der Regierung. Wenn wirklich ja, dann muß ich mich doch als gebunden halten. Wenn nein, a 〈dies〉 1 Das Telegramm vom 12. Febr. 1919 (Abschrift; Universität Bonn, Akten der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, Nr. 29 (Fach 3, Nr. 1)) beantwortete Webers Frage an Heimberger vom 5. Febr. 1919, oben, S. 428 f., inwieweit die Mitglieder der Juristischen Fakultät mit dem Berufungsvorschlag einverstanden waren: „Ihr Brief soeben erst angelangt. Sie sind von der Fakultät aus eigener Initiative einstimmig und als Einziger vorgeschlagen. Soziologie durchaus erwünscht.“ 2 Telegramm Beckers vom 2. Febr. 1919 (Abschrift; GStA PK, I. HA, Rep. 76 Va, Sekt. 3, Tit. IV, Nr. 55, Bd. 7, Bl. 38). 3 Johannes Hoffmann.

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dann würde ich sofort die Berufung nach Bonn annehmen, ohne um äußerliche Forderungen zu markten. Aber ich bitte Sie, verstehen zu wollen, daß ich mich grade den Bayern gegenüber nicht dem Vorwurf aussetzen darf, inkorrekt ihnen gegenüber verfahren zu sein. Bei den elenden Verkehrsverhältnissen nach München und dem langsamen Arbeiten dort wird es vielleicht bis in die ersten Märztage dauern, bis ich wirklich weiß, woran ich bin und ob ich „frei“ bin. Ich schrieb entsprechend nach Berlin.4 Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster Max Weber

4 Brief an Carl Heinrich Becker vom 9. Febr. 1919, oben, S. 435–437.

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Else Jaffé [13. Februar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Donnerstag“ und dem Briefinhalt: Max Weber schickte Else Jaffé zur Rückkehr von einem längeren Besuch bei ihrer Mutter in Baden-Baden einen Willkommensgruß nach Hause. Laut Anna v. Richthofens Tagebuch (Privatbesitz) hatte sich Else Jaffé am 13. Februar 1919 abends auf die Heimfahrt gemacht.

Donnerstag Abend Liebling, –

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nur ein kurzer Gruß zum Willkommen zu Haus; – wie betrübt, daß ich jetzt nicht mit Dir in Ulm1 bin! Ein ander Mal! Ich bin noch ganz glücklich, aus Deiner Welt heimgekehrt2 und doch bei Dir: „Tannhäuser blieb in Frau Venus Berg Ewig und alle Tage“3 – und Du bist nicht Frau Venus, sondern das Kind des Schicksals und der Schönheit, eine menschliche Gebieterin, der ich ganz ergeben bin und bleiben werde. Wie groß ist Deine Macht über mich – Du wirst mich lenken, wenn ich kleinlich, eitel, selbstgefällig zu werden in Gefahr komme oder geworden bin. Sei Du da nur streng mit mir – das „Schauspielern“ liegt (glaube ich) an sich mir nicht nahe, aber ein Demagoge, der ich ja geworden bin, kann sich da nicht immer kontrollieren und gleitet vielleicht unvermerkt in so etwas hinein – und das wäre höchst übel.

1 Else Jaffé übernachtete vermutlich in Ulm, einer Umsteigestation auf dem Weg von Baden-Baden nach München. 2 Vermutlich war Max Weber jener namentlich nicht genannte Besucher von Else Jaffé, den Anna v. Richthofen in ihrem Tagebucheintrag vom 12. Februar 1919 erwähnt (Tagebuch Anna v. Richthofens, Privatbesitz). Ein weiteres Indiz für einen Besuch Max Webers in Baden-Baden ist die Erwähnung eines in „Baden“ mit Else Jaffé geführten Gesprächs im Brief an dies. vom 21. Febr. 1919, unten, S. 469. 3 Ein entsprechendes Textzitat aus Richard Wagners Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg“ ist nicht nachweisbar. Es liegt jedoch eine Anspielung auf Tannhäusers Rückkehr von seiner Pilgerfahrt nahe. Auch die Romreise hatte dem Minnesänger nicht die erhoffte Erlösung gebracht, und er sehnte sich nach der Geborgenheit im Reich der Venus, das er einst aus Überdruß verlassen hatte: „Zu dir, Frau Venus, kehr’ ich wieder, / in deiner Zauber holde Nacht; / zu deinem Hof steig’ ich darnieder, / wo nun dein Reiz mir ewig lacht!“ (3. Aufzug, 3. Auftritt).

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„Jaákob“4 ist in den Versen schön, sie sind so viel weniger gequält und breitflüssiger als z. B. die von denen v. Unruh5 und Andren. Auch im Gehalt. Nur dächte ich, daß das Paria-Schicksal doch noch einfacher, monumentaler, gegeben werden könnte, und „Edom“6 ist doch recht sentimental, und fast so schwach gegen Z[ahor] 7, wie – ich gegen Dich, und das ist doch was Andres. Ich weiß nicht, wie man nach einiger Zeit diese Produkte ansehen wird: „Mischung von stilisierten Orient-Farbena und moderner Gedankenblässe“b, wird man vielleicht denken. Aber ich las es, stehend in der III Klasse zwischen lauter Straßburger Emigranten, doch gern. – 8 Kind, nähr Dich gut! – verzeih diese schreckliche Prosa. Aber Du hast seelisch viel auf Dir und da ist das mit nichten gleichgültig. Der gequälte Zug um den Mund muß durch innere Anheizung fort – fort – fort! – Jetzt schreib ich nicht bis etwa Dienstag, 9 Liebes. Will mal anfangen, über das „Kolleg“ nachzudenken. Wie wird das gehen? Wo die Sehnsucht immer weit weit in die bayrische Hochebene fl iegt? Aber seit langem bin ich nicht so innerlich „befriedet“ von Dir gegangen, es war so schön. Hoffentlich auch bei Dir! Könnte man Dir doch wohl tun und Dich auf Händen tragen, die Alles zu glätten wüßten. Was mich anlangt – „es ist nicht eine Leidenschaft, sondern eine Krankheit, von der zu genesen aber der Tod wäre“10 – Du weißt wer das sagt und zu wem, a [Naturalismus] > Farben b Alternative Lesung: Gedenkerblässe 4 Beer-Hofmann, Richard, Jaákobs Traum. – Berlin: S. Fischer 1918. Die Adaption des biblischen Bruderzwistes zwischen Jakob und Esau war als Vorspiel zu der unvollendet gebliebenen Dramentrilogie „Die Historien von König David“ gedacht. 5 Fritz v. Unruh war 1914 mit dem verbotenen Stück „Louis Ferdinand, Prinz von Preußen“ bekannt geworden. Seine 1917 erschienene expressionistische Tragödie „Ein Geschlecht“ thematisierte die entmenschlichende Wirkung des Krieges und gilt als Fanal für ein neues, engagiertes Theater. 6 Edom ist ein anderer Name für Esau. Durch eine List der Mutter Rebekka wird ihrem Lieblingssohn Jakob der eigentlich Esau/Edom als dem Erstgeborenen zustehende, göttliche Erwählung verheißende väterliche Segen zuteil. 7 Zahor, Edoms Sklave und Überbringer der Unglücksnachricht vom Segen für Jakob, versucht straflos die Anweisungen seines Herrn zu unterlaufen, wie Anm. 4, S. 43. 8 Vermutlich spielt Max Weber auf die Heimreise von einem Besuch bei Else Jaffé in Baden-Baden am 12. Februar 1919 an. Vgl. Anm. 2. 9 Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 17. Febr. 1919, unten, S. 459–461. 10 Aus dem Kontext erweckt es den Anschein, als ob sich das Zitat auf die Briefe Goethes an Charlotte v. Stein (vgl. Anm. 11) beziehe. Es konnte allerdings nicht ermittelt werden. Der Inhalt deutet außerdem auf Die Leiden des jungen Werther, in: Goethes Werke, Bd. I, 19. – Weimar: Böhlau 1899, hin. Im Brief vom 21. August (S. 64–72) schildert der Titelheld

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und Du bist keine Weimarer Charlotte, sondern turmhoch mehr und ganz anders, und von Dir sehnt man sich nicht nach Italien fort.11 Nimm mich in Deine Arme, trautes Herz und schau so lächelnd, spöttisch und gütig, wie zuweilen, auf mich niederc. Immer Dein M Sag Alf[red] nichts von dem Warburg,12 d. h. den Namen nicht. Treffen sie sich einmal, so ist doch eine gewisse Befangenheit da. Leb wohl – leb wohl!

c Alternative Lesung: wieder seine Auseinandersetzung mit Albert, dem Verlobten der angebeteten Lotte, über die aus seelischen Ursachen resultierende „Krankheit zum Tode“. 11 Anspielung auf Goethes Beziehung zu Charlotte v. Stein. 1775 hatte Goethe die verheiratete Weimarer Hofdame kennengelernt und mit unzähligen Briefen umworben, bevor das Verhältnis durch seine Italienreise 1786 abkühlte. 12 Der Sachverhalt konnte nicht geklärt werden. Vermutlich gemeint: Max Warburg.

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Redaktion der Frankfurter Zeitung 17. Februar [1919]; Heidelberg Brief; eigenhändig Privatbesitz Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Zur „Heidelberger Vereinigung“ vgl. den Brief an die Redaktion der FZ vom 9. Februar 1919, oben, S. 438–441, sowie die Editorische Vorbemerkung dort.

Heidelberg 17. II zu Ihrem Schreiben vom 15. II Sehr geehrte Redaktion! Ich danke sehr für Aufnahme der Kundgebung.1 Auf Anregung der Vereinigung geht |:– durch Vermittlung von Scheüch2 –:| die jetzige Kundgebung des Offiziersbundes 3 zurück (von der Sie auch soeben Notiz nahmen), welche „Ausmerzung“ der schuldigen Offi ziere verlangt.4 Ich glaube [,] daß es sehr dankenswert wäre, wenn die Redaktion

1 Die Erklärung „Für eine Politik des Rechts“, die in der FZ, Nr. 117 vom 13. Febr. 1919, 1. Mo.Bl., S. 2, erschienen war (MWG I/16, S. 518–525). 2 Generalleutnant Heinrich Scheüch, der frühere preußische Kriegsminister, war bis Ende 1919 erster Vorsitzender des „Deutschen Offizier-Bundes“. 3 Der „Deutsche Offizier-Bund“, am 28. November 1918 als Interessenvertretung der Offiziere gegründet, entwickelte sich zum größten Offiziersverband der Republik. Ab den Zwanziger Jahren bekämpfte er Internationalismus und Pazifismus ebenso wie den Versailler Vertrag und die „Schuldlüge“. Vgl. Offiziersverbände 1918–1940, in: Fricke, Dieter (Hg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789–1945), Bd. 3. – Köln: Pahl-Rugenstein 1985, S. 538– 547, S. 539 f. 4 In der FZ wird diese Kundgebung im Februar 1919 nicht erwähnt. Der am 6. Februar im „Deutschen Offizierblatt“ (23. Jg., 1919, Nr. 6, S. 125 f.) mit expliziter Unterstützung des D. O. B. abgedruckte „Aufruf an die Presse aller Parteien“ warnte davor, aus falscher Kameradschaft wirkliche „Verfehlungen mit dem Mantel der Liebe“ zuzudecken. Solche müßten im Kriegsministerium angezeigt, untersucht und verfolgt werden, um einer bereits grenzenlosen „Verallgemeinerung“ und „Verhetzung“ des Offiziersstandes zu begegnen. Der nur als „Frontoffizier“ benannte Autor argumentierte: „Die rücksichtslose Verfolgung aller Vergehen wird beweisen, daß unser altes Offizierkorps im Kern gesund ist“ (ebd., Zitate S. 125; Hervorhebungen i.O.). Die genannte „Anregung“ der Heidelberger Vereinigung wurde bei deren Gründungsversammlung besprochen. Da der Offizier-Bund das berufene Organ sei, sich gegen Beschuldigungen zur Wehr zu setzen, und das dringendste Interesse daran habe, „[s]chwarze Schafe aus seinen Reihen auszustossen“, sollte dieser eine unparteiische Prüfung fordern (Protokoll der Heidelberger Gründungsversammlung, Abschrift masch.; Archiv des Hauses Baden, Salem, Nl. Prinz Max von Baden, C 23 / 1785, S. 23). Den Kontakt stellte der anwesende Freiherr von Holzing-Berstett her (vgl. unten Anm. 9).

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diese Kundgebung sympathisch begrüßte und unterstriche. 5 Denn täglich fast erscheinen in der feindlichen Presse mit Angabe von Namen, Datum, Ort, Zeugen die unglaublichsten Anschuldigungen gegen Offi ziere unsrer Armee (meist: „Plünderung“) und machen |:sehr starken:| Eindruck.6 Es wird jetzt zunächst versucht |:werden:|, der GreuelPropaganda der Feinde etwas Besseres, Wahrhafteres als bisher entgegenzustellen. Darüber (für Material pp) wird in Berlin verhandelt.a 7 a Vertikaler Strich am Rande mit der eigenhändigen Bemerkung Max Webers: Das Dahomey [ - ] Material etc. etc. soll von Lepsius, Schücking, Wehberg bearbeitet werden. 5 Eine entsprechende Stellungnahme seitens der FZ unterblieb. 6 Zur aufgebrachten Öffentlichkeit in Großbritannien und in Frankreich, wo die Zeit während und nach der Friedenskonferenz von einem regelrechten „Strom von Greuelliteratur im Stil der Kriegszeit“ begleitet wurde, vgl. Horne, John und Kramer, Alan, Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit. – Hamburg: Hamburger Edition 2004, S. 484 und 520–522. 7 Die bereits im Brief an die Redaktion der FZ vom 9. Febr. 1919, oben, S. 440, angesprochene Initiative war ebenfalls beim Heidelberger Treffen vereinbart worden. An deutschem Material, so Max von Baden, fehle es nicht: „Vielmehr sei es überwältigend, wenn man es nur zur Kenntnis der Welt bringen würde“ (Protokoll, wie Anm. 4, S. 24). Namentlich nannte er das französische Internierungslager im afrikanischen Dahomey, das bereits im Krieg in Deutschland berüchtigt war und als Symbol französischer „Grausamkeit“ gegen wehrlose Deutsche galt: Die Behandlung dort sei „etwas Unerhörtes gewesen“ (ebd.). Der Völkerrechtler Walther Schücking sollte sich das dazu verfügbare Regierungsmaterial geben lassen und einen (dem britischen Bryce-Report über deutsche Kriegsrechtsverletzungen) entsprechenden Bericht veröffentlichen (ebd.). Hans Wehberg übernahm es, „Finanzübergriffe der Entente gegen deutsches Eigentum zum Gegenstand einer Veröffentlichung“ zu machen (ebd., S. 25). Johannes Lepsius, der in Heidelberg über seine laufende Untersuchung der Armenien betreffenden deutschen Akten berichtete, die eine „nicht unbeträchtliche Entlastung Deutschlands“ ergäben, wurde von Kurt Hahn aufgefordert, aus dem „amtlichen, von ihm veröffentlichten Material einen handlichen Auszug“ zu machen, der – wie die Berichte von Schücking und Wehberg – als Broschüre publiziert werden sollte (ebd.). Als Kontaktperson im Auswärtigen Amt fungierte in der „Greuelfrage“ vor allem Friedrich v. Prittwitz und Gaffron, seit November 1918 Leiter des Referats Deutschland in der Politischen Abteilung des AA (vgl. die fragmentarische Notiz zum Treffen am 4. Februar 1919, Abschrift masch.; Archiv des Hauses Baden, Salem, Nl. Prinz Max von Baden, F 4 / 1963). Von Prittwitz informierte den Leiter der Geschäftsstelle für die Friedensverhandlungen, Johann Heinrich Graf v. Bernstorff, über Projekte der Heidelberger Vereinigung und ließ noch im Sommer 1920 der Vereinigung Material des Auswärtigen Amtes zugehen (vgl. die Schreiben an Graf von Bernstorff vom 26. März 1919, Abschrift masch. (ohne Absender); ebd., F 4 / 1962, sowie von Friedrich v. Prittwitz an Lina Richter vom 8. Juni 1920, ebd., F 4 / 1967). Auch v. Bernstorff selbst wurde erfolgreich um „Greuelmaterial“ angegangen (Brief an Graf v. Bernstorff vom 6. März 1919, Abschrift masch. (ohne Absender); ebd., F 4 / 1962), ebenso Richard Kiliani, der am 17. März seinen „lieben Freund“ Kurt Hahn bezüglich ihrer neulichen Besprechung wissen ließ, „daß das Auswärtige Amt damit einverstanden ist, wenn Ihre Arbeitsgemeinschaft in der Greuelfrage [. . .] tätig wird, um die gesteigerte Aufmerksamkeit des Auslandes in geeignet erscheinender Weise noch durch die besondere Methode zu erwecken, die in dem persönlichen privaten Eintreten unab-

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Ferner ist mit Graf Montgelas,8 Frhr. v. Holtzing, 9 Hauptmann Colin-Roß10 verhandelt worden: was man für die Schaffung einer Wehrmacht |:(propagandistisch und organisatorisch):| tun könne. Aber das steckt noch in den Anfängen.11 Ferner sollen für Entente-Commissäre, die jetzt zu erwarten sind, die geeigneten Adressen (für Information und Interviews) ermittelt und systematisch vorbereitet werden.12

hängiger, im Auslande bekannter Männer zu erblicken ist“. Material werde gerne zur Verfügung gestellt, nur gebeten, das Auswärtige Amt vor einer Veröffentlichung zu informieren (Brief Richard Kilianis, Nachrichtenabteilung des AA, vom 17. März 1919 an Kurt Hahn, ebd.). 8 General Max Graf v. Montgelas. Vgl. den Brief an die Redaktion der FZ vom 9. Febr. 1919, oben, S. 439, Anm. 1. 9 Max Freiherr v. Holzing-Berstett, bei Kriegsende Generalmajor. Er und der nachfolgend genannte Colin Ross waren bei der Heidelberger Gründungssitzung ebenfalls anwesend. 10 Oberleutnant Colin Ross. Er war Ende 1918 am Aufbau einer republikanischen Soldatenwehr in Berlin beteiligt und verfügte über Kontakte zum Auswärtigen Amt und preußischen Kriegsministerium. Vgl. Kluge, Ulrich, Soldatenräte und Revolution. Studien zur Militärpolitik in Deutschland 1918/19. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1975, S. 172 und 229–233. 11 Die Frage, wie eine „freiheitlich-demokratisch[e]“ Volkswehr zu schaffen sei, war am 4. Februar in Heidelberg ausführlich behandelt worden (Protokoll (wie Anm. 4), S. 12–22). Das alte System mit seinen reaktionären Tendenzen lehnten die Vortragenden (Montgelas, Ross und v. Holzing) ebenso ab wie einen zu großen Einfluß der Soldatenräte. Favorisiert und in seiner Ausgestaltung diskutiert wurde ein Milizsystem. Colin Ross merkte an, Milizgedanken seien eher „Zukunftsfragen“. Angesichts der inneren wie äußeren Bedrohungslage brauche man zunächst ein schlagkräftiges Söldnerheer (ebd., S. 17). Einen Beschluß vermerkt das Protokoll nicht. Montgelas regte aber an, durch Veröffentlichungen „über das künftige Volksheer das Interesse des Publikums zu decken“ (ebd., S. 20). 12 Kontakt zur britischen Diplomatie hatte Kurt Hahn über persönliche Beziehungen zu Thornely Gibson, der sich zeitweilig bei der britischen Gesandtschaft in Bern aufhielt. Gibson hatte schon Anfang Januar 1919 ein Treffen mit Hahn angeregt (vgl. die Briefe Gibsons an Kurt Hahn vom 8. Jan. und 2. Febr. 1919, Archiv des Hauses Baden, Salem, Nl. Prinz Max von Baden, F 4 / 1962). Am 17. Februar ging Gibson eine Liste mit Kurzbiographien von Gesprächspartnern zu, die neben Max und Alfred Weber auch Max von Baden, den badischen Innenminister Ludwig Haas und Carl Bosch von der BASF aufführte. Zu Max Weber hieß es: „[. . .] strongest political intellect in Germany. Besides a great demagog [!] in the good sense“ (ebd.). Ein Schreiben aus Berlin informierte Weber am 16. Februar: „Es ist von großer Wichtigkeit, daß Mr. Gibson mit Ihnen und Ihrem Bruder spricht, zu welchem Zwecke er auf seiner Reise nach der Schweiz in Heidelberg Station machen wird. Er trifft Mittwoch ein. Gibson ist (dies vertraulich, er darf nicht wissen, daß es Ihnen bekannt ist) Beauftragter des Unterstaatssekretärs Tyrrel [!] im englischen Auswärtigen Amt. [. . .] Gibson ist sehr gut informiert über die maßgebenden Strömungen in England. Man kann ganz offen mit ihm sprechen: Er betrachtet es als seine Hauptaufgabe, überzeugend in England den Nachweis führen zu können, daß Vorenthaltung von Lebensmitteln und Rohmaterial den Bolschewismus fördern“ (Schreiben an Max Weber vom 16. Febr. 1919, Abschrift masch. (ohne Absender); ebd., F 4 / 1961). Zum Treffen mit Gibson (am Freitag, dem 21. Februar) vgl. den Brief an Hermann Oncken vom 21. Febr. 1919, unten,

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Zur Zeit erwarten wir |:behufs Fortsetzung der Diskussion erst:| das Echo auf das Erscheinen der Broschüre des Prinzen Max13 (dessen Beziehungen zu Col[onel] House – indirekt – fortbestehen).14 Ich habe mich mit ihm erst nach eingehender Aussprache (über den Kaiser, Dynastien pp) eingelassen und habe es bisher nicht bedauert. Ein „Staatsmann“ ist er nicht, aber anständig. Manche Vorurteile und Gebundenheiten haben die vollend[eten] b Thatsachen beseitigt, den HohenloheBrief würde er sicher nicht mehr schreiben.15 Der Kaiser scheint mit Hochdruck gegen ihn zu arbeiten, – fürchtet offenbar, er werde „Präsident“, „Bürgerkönig“ oder so etwas. (Absoluter Unsinn, – der Prinz b Lochung. S. 476 f. Zu einem weiteren Treffen mit einer amerikanischen Kommission vgl. den Brief an Mina Tobler vom 8. März 1919, unten, S. 516 f. 13 Völkerbund und Rechtsfriede von Prinz Max von Baden. Vortrag gehalten am 3. Februar 1919 bei der Gründung der „Arbeitsgemeinschaft für Politik des Rechts“ (Heidelberger Vereinigung). – Berlin: Stilke 1919; auch erschienen unter dem Titel „Völkerbund und Rechtsfriede“ im Märzheft der Preußischen Jahrbücher, Bd. 175, 1919, S. 295–318. Der Text war eine nach ausführlicher Diskussion überarbeitete Fassung des beim Heidelberger Gründungstreffen gehaltenen Vortrages Max von Badens (MWG I/16, S. 198 f. und 519 f.). 14 „Colonel“ Edward Mandell House, bis 1919 außenpolitischer Berater Präsident Wilsons. „Indirekte Beziehungen“ liefen nachweislich über Kurt Hahn, der während seiner Tätigkeit bei der Zentralstelle für Auslandsdienst freundschaftliche Kontakte zu jungen amerikanischen Deutschlandexperten wie Christian Herter, Lithgow Osborne und William Bullitt geknüpft hatte (Friese, Peter, Kurt Hahn. Leben und Werk eines umstrittenen Pädagogen. – Bremerhaven: Boehl und Oppermann 2000, S. 52). Herter – der sich im November 1918 an der Berner Gesandtschaft aufhielt – hatte auf Empfehlung Bullitts aus dem State Department die Weisung erhalten, Hahn nach Bern kommen zu lassen, um mit ihm „über die gegenwärtige politische Lage und Methoden zur Bekämpfung der Ausbreitung des Bolschewismus zu beraten [. . .]“ (zit. nach Schwabe, Klaus, Deutsche Revolution und Wilson-Frieden. Die amerikanische und deutsche Friedensstrategie zwischen Ideologie und Machtpolitik 1918/19. – Düsseldorf: Droste 1971, S. 254). Am 2. Januar 1919 informierte Herter Hahn dann: „[T]he information you gave me about Prince M. elicited an immediate response from Col. H. which contained among other things ‚if he had succeeded, how different might have been the story of Germany‘“. Er forderte Hahn auf, ihm „anything else [you have ] to tell me“ zu schicken“ (Brief Christian Herters an Kurt Hahn vom 2. Jan. 1919, Archiv des Hauses Baden, Salem, Nl. Prinz Max von Baden, F 4 / 1960). Im März schlug wiederum Hahn Legationsrat Walter Simons im Auswärtigen Amt vor: „Kann nicht die ,Arbeitsgemeinschaft‘ durch ihre intensiven Beziehungen dazu benutzt werden, um via Bern, Kopenhagen und Holland bestimmte Informationen und Suggestionen Colonel House und den anständigen Engländern zu vermitteln?“ Namentlich nannte er (neben dem Briten Thornely Gibson, wie oben, Anm. 12) Christian Herter und den „jetzigen Geschäftsträger in Kopenhagen“, Lithgow Osborne (Schreiben Kurt Hahns an Walter Simons vom 6. März 1919, ebd., F 4 / 1962). 15 Zum Skandal um den Hohenlohe-Brief vgl. Webers Brief an Friedrich Naumann vom 12. Okt. 1918, oben, S. 263, Anm. 3.

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kann gar nichts für sich ambieren,16 schon mit Rücksicht auf den Chef seines Hauses,17 ohne sich unmöglich zu machen). Ich werde Sie auf dem Laufenden halten [.] Mit vorzüglicher Hochachtung Max Weber

16 Lat.: sich um etwas bewerben. 17 Der ehemalige Großherzog Friedrich II. von Baden, Enkel Kaiser Wilhelms I. und Cousin Wilhelms II.

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Else Jaffé [17. Februar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Montag“, Marianne Webers in ihrem Brief an Helene Weber vom 17. Februar 1919 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) erwähnten Details zum Berufungsangebot der Universität Bonn sowie aus dem Brief an Josef Heimberger vom 12. Februar 1919, oben, S. 449 f.

Montag Liebe, –

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20 000 Mka „Garantie“ bietet dies verrückte Preußenvolk für 2 Stunden Lehrpfl icht in B[onn]1 – muß ich mir nicht (multipliziere das mit 7 x 24, berücksichtige die Ferien!) bei diesem „Wert“ eine ganz und gar respektable Behandlung von Deiner Seite zu ertrotzen suchen? Ich glaube, ein weißer indischer Elefant hat nicht diesen Geldwert, und also werde ich Deiner Zoologie künftig eine eherne Stirn entgegensetzen, vielleicht gar den „verehrten Lehrer“2 wieder hervorkehren. Mar[ianne]’s Äugelchen leuchteten doch ein wenig begehrlich, und ich? – nun: in der Frühe schritten die Nebelschwaden langsam talab: „komm mit uns an den Rhein: „was Gut’s in Ruh’ zu schmausen“, 3 im Kreise der Zitelmänner4 und andrer gescheiter Leute“ – In der That – muß ich nicht etwas verzagen vor der Münchener Aufgabe? wenn es nun wieder schief ginge, was dann? – „Siehst Du, und Du hast ja oft heimlich nach „Forschungs“-Professuren Dich gesehnt, hier hast Du

a 10 000 > 20 000 1 „Aus Bonn ist ein derart glänzendes Angebot da, nur 2stündige Lehrverpflichtung, alles was man will u. 20 000 Mk garantierte Einnahmen!!“, schrieb Marianne Weber am 17. Februar 1919 an Helene Weber (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Vgl. dazu auch die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Josef Heimberger vom 5. Febr. 1919, oben, S. 427. 2 Else Jaffé hatte in Heidelberg studiert und 1900 promoviert. Vgl. den Brief an Anna v. Richthofen vom 22. April 1920, unten, S. 1025 f. mit Anm. 3. 3 Anklang an die Studierzimmerszene in Goethes „Faust“ I: Goethes Werke, Bd. I, 14: Faust. Eine Tragödie. Erster Theil. – Weimar: Böhlau 1887, S. 81. Darin wird Faust von Mephisto verlockt, ihm seine Seele zu verkaufen, unter anderem mit den Worten: „Doch guter Freund, die Zeit kommt auch heran / Wo wir was Guts in Ruhe schmausen mögen.“ 4 Ernst Zitelmann war Professor für römisches und deutsches bürgerliches Recht sowie zum Zeitpunkt des Berufungsangebots Rektor der Universität Bonn.

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sie!“ – Ja – und jenes „frühzeitige Alter“, das mir ein gescheiter Mediziner weissagte, das läge dort.5 In München aber? die späte, vielleicht doch noch nicht zu späte Jugend, sei es auf kurz sei es auf lang, und: das Wagnis. Zieht nur Euren Weg zum Rhein – ich gehe nicht mit: – „Wir wissen schon, – das sind alles Redensarten! eine mattgolden schimmernde Lorelei, bräunlichb mit braunem Löckchenhaar, – die siehst Du dort, an der Isar, im Hintergrund die Benediktenwand, glühend rotes Herbstlaub im Vordergrund, – die, nicht die Studenten, fühlst Du, wenn Du von „Jugend“ sprichst. Sieh Dich vor! wenn sie nun sagt – und das kann morgen geschehen – : geh fort, garstiger Nöck,6 in Dein Altenteil, – Titania ist aus ihrem Traum und Rausch erwacht?7 – Oder wenn sie sagt – und das kann übermorgen geschehen: – mein lieber Junge, es war ja ganz hübsch mit Dir – aber jetzt bist Du mir langweilig, ich habe Dich in meiner Macht gehabt, – jetzt darfst Du gehen? – wirst Du nicht zerbrechen, Du, der Du ihr gehörst mit Leib und Seele?“ – – Fort, fort ihr Nebel, – mag es so kommen – da liegt das „Abenteuer“ und Wagnis, das ist wahr – aber die Schönheit wird nicht sterben, die sie in mir weckte, und möge sie noch so schmerzlich sein. Und übrigens, – wer weiß? – Und ich freute mich, daß der Versucher vorüber war und ich den Münchenern geschrieben hatte: 8 ich käme unbedingt dorthin, wenn sie nur meine Lehrpfl icht nach Maß (5 Stunden) und Art (Soziol[ogie], nur ergänzend Nat[ional-]Ök[onomie]) entsprechend einrichteten, – „Geld“ aber werde keine Rolle spielen [.] Ich denke sie gehen darauf ein. Etwa vom 26.–28. werde ich dort sein, ich schreibe noch vorher genaues, es sind 1–2 Vorträge vor Studenten9 der äußere Anlaß, aber auch der Wunsch diese Sache zum Klappen zu bringen, ich werde keib [??] > bräunlich 5 Näheres konnte nicht ermittelt werden. 6 Eine Art Wassermann, dem nachgesagt wurde, junge Mädchen mit Harfenklängen in sein Unterwasserreich zu locken und zu verführen. 7 Zur Anspielung auf Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“ und die durch einen Zauber bewirkte zeitweilige Verliebtheit der Elfenkönigin Titania in einen Esel vgl. den Brief an Else Jaffé vom 1. Febr. 1919, oben, S. 419. 8 Vgl. den Brief an Franz Matt vom 2. Febr. 1919, oben, S. 426. 9 Max Weber erwähnte seine Absicht, auf Einladung des Politischen Bundes deutscher Studenten in München zu reden, erstmals im Brief an Else Jaffé vom 1. Febr. 1919, oben, S. 422. Wie der Vortrag „Abendländisches Bürgertum“ (vgl. MWG I/16, S. 557 f.), den er im Sozialwissenschaftlichen Verein der Universität München halten wollte, verschob sich der Veranstaltungstermin von „Student und Politik“ (vgl. MWG I/16, S. 482–484) mehrmals.

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nenfalls drängen, nur versuchen sie zum Entschluß zu bringen.1) Rothenb[ücher] schrieb sehr nett, Lotz nur kurz vorläufig,10 ich schickte ihm das preußische Angebot zur Kenntnis inzwischen; ebenso schrieb ich – seinerzeit – Herrn Matt.11 So und nun mag es seinen Lauf gehen, – ich denke es spült mich zu Dir ans Ufer. Sei tausendmal gegrüßt – wie mag es Dir gehen? – bedenke, daß nicht „offi zielle“ Briefe nicht später als Freitag Nachmittag eintreffen dürfen.12 Aber vielleicht hast Du inzwischen doch ein Zettelchen übrig gehabt. Bleib schön, stark, stolz und – etwas! wenn Du kannst und Dich dran freust, – – gut Deinem M 1)

auch: wegen des Sommers!

10 Nicht überliefertes Schreiben, das vermutlich Walther Lotz’ ausführlichem Brief vom 16. Febr. 1919 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) vorausgegangen ist. Vgl. den Brief an Walther Lotz vom 21. Febr. 1919, unten, S. 472 f. 11 Vgl. den Brief an Franz Matt vom 6. Febr. 1919, oben, S. 434. 12 Von Samstag bis Mittwoch hielt sich Marianne Weber üblicherweise in Heidelberg auf, die übrigen Tage widmete sie ihrer parlamentarischen Arbeit in Karlsruhe.

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Else Jaffé [18. Februar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Dienstag“ und dem Briefinhalt: Max Weber plante in der „über nächsten Woche (also wohl 3.–5. März)“ in München zu sein. Anlaß zur Reise waren die Einladungen des Politischen Bundes deutscher Studenten, über „Student und Politik“ zu reden (vgl. MWG I/16, S. 482–484), und des Sozialwissenschaftlichen Vereins der Universität München, einen Vortrag über „Abendländisches Bürgertum“ zu halten (vgl. MWG I/16, S. 557 f.). Darüber hinaus beabsichtigte Max Weber mit der Reise seine Berufung nach München voranzutreiben.

Dienstag Liebling – ich habe einen hundsschlechten Tag, – so kommen sie meist gegen das Frühjahr hier, – und da Du s. Z. auch von „Anfang März“ als der besten Zeit sprachst, schreibe ich den Jungens:1 ich sei Montag/ Dienstag/ Mittwoch der über nächsten Woche (also wohl 3.–5. März) in München. Das Gleiche werde ich Herrn Matt und den Kollegen schreiben.2 Auf die Art komme ich auch noch etwas zum Arbeiten – was nachgerade gut wäre! – Ob bei Eurem politischen Durcheinander3 dort die ganze Geschichte überhaupt sich formell in Ordnung vollzieht? ich meine die Anstellung! a 4 Fast möchte man gelegentlich zweifeln. Aber einerlei: darauf wird losgesteuert. Weich und schmeichlerisch möchte a Unsichere Lesung. 1 Ein Brief an die Organisatoren des Vortrags „Student und Politik“ ist nicht nachgewiesen. 2 Vgl. den Brief an Franz Matt vom 19. Febr. 1919, unten, S. 466, sowie an Walther Lotz vom 21. Febr. 1919, unten, S. 473. 3 Bei den bayerischen Landtagswahlen vom 12. Januar und 2. Februar 1919 hatte die USPD von Ministerpräsident Kurt Eisner eine eindeutige Niederlage erlitten. Trotzdem lehnte er Rücktrittsforderungen ab und wollte zumindest bis zur konstituierenden Sitzung des Landtags am 21. Februar 1919 im Amt bleiben. Am 13. Februar 1919 begann darüber hinaus die bayerische Landeskonferenz der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte zu tagen. Deren Debatten verdeutlichten, daß die Räte keineswegs zum Verzicht auf politische Gestaltung bereit waren; vgl. Schulthess, 1919, Teil 1, S. 67 f. Am 16. Februar 1919 demonstrierten schließlich die Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte auf der Theresienwiese für die Einführung der Räterepublik. Von dort zogen die Demonstranten durch die Stadt – an der Spitze des Zuges fuhr Ministerpräsident Eisner „mit seinen engeren Freunden“ im Auto – bis zum Deutschen Theater. Dort „nahmen Ministerpräsident Eisner, die Minister Unterleitner und Jaffé die Forderungen der Arbeiter- und Soldatenräte entgegen“ (Bayerische Staatszeitung und Bayerischer Staatsanzeiger, Nr. 47 vom 17. Febr. 1919, S. 4). 4 Die Ernennung zum Professor an der Universität München.

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sich das Rhein-Klima um Leib und Seele legen, 5 – aber die herbe Gehaltenheit des Landes und: der Isar-Lorelei und deren süße Macht, die gar nicht weich ist, aber tief beglückend wie wenn eine fremde strenge beklemmend übermächtige Gewalt plötzlich vertraulich zu uns spricht wie zu ihresgleichen im Götterreich – das ist im Rhein mit all seinem romantischen Zauberwerk nicht zu fi nden. Müßte ich |:da unten:| hingehen, ich bliebe da ein Fremder, im Hochland eingebürgert. Übrigens schrieben Lotz und Rothenbücher sehr nett und auf mich eingehend, es wird schon werden, denke ich sicher, – weil es eben werden muß! Und hoffentlich: 2 Stunden „Einführung“ im Sommer schon. Wie hält man es sonst aus? Ob meine Lorelei wohl ein Zettelchen flattern ließb von ihrem Felsenschloß? Sonst: nächste Woche, nicht wahr? etwa Montag Abend in Ludwigshöhe6 in den Kasten, daß es Mittwoch Mittag herkommt. Oder „offi ziell“, – dabei vielleicht eine „Kritik“ des Abschnittes „Erotik“ der „Zwischenbemerkung“7 – das würde sehr „lehrreich“ sein für den „verehrten Lehrer“, da zu Füßen seines Schulkindes sitzen (oder: liegen) zu dürfen. – Hoffentlich verschafft sich Edgar J[affé] auf gute Art bald ein Amt.8 Es ist Zeit, wie immer diese Krisis ausgeht.1) – Leb wohl heut. O – wie liebe ich Dich – wie drückt man das nur aus? ich muß Dich bald sehen, es wieder von Dir zu lernen. Bleib mir gut, wenn Du kannst [.] Immer, immer Dein M 1)

Dies ist andrerseits ein durchaus legitimer Grund für ihn, sich auf ein Amt zurückzuziehen. Denn diese Sache ist doch ein Skandal [,] den auch er nicht restlos mitmachen dürfte. b 〈ließ〉 5 Anspielung auf das Angebot eines Ordinariats für Staatslehre und Politik an der Universität Bonn, vgl. den Brief an Josef Heimberger vom 5. Febr. 1919, oben, S. 428. 6 Villenkolonie in Solln, damals noch ein Dorf südlich von München. Wohnort Else Jaffés. 7 Der Abschnitt über Erotik in: Weber, Max, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. (Zweiter Artikel). Zwischenbetrachtung. Stufen und Richtungen der religiösen Weltablehnung, in: AfSSp, 41. Bd., Heft 2, 1915, S. 387–421, hier S. 406–412 (MWG I/19, S. 479–522, hier S. 502–511) (hinfort: Weber, Max, Zwischenbetrachtung). 8 Edgar Jaffés Zukunft als Finanzminister war durch die politische Entwicklung (vgl. Anm. 3) in Frage gestellt.

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Else Jaffé [18. Februar 1919; Heidelberg] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Dienstag“ und dem Hinweis auf Max Webers für „Anfang übernächster Woche“ geplanten Aufenthalt in München: Die Vorträge „Abendländisches Bürgertum“ und „Student und Politik“ waren inzwischen auf den 2. bzw. 3. März 1919 terminiert (vgl. den vorausgegangenen Brief an Else Jaffé vom gleichen Tag, oben S. 462 mit Anm. 2). Die Ortsangabe ergibt sich aus dem Briefinhalt (Marianne Webers Aufenthalt „hier“, d. h. zuhause in Heidelberg, wegen der „Ferien“ der badischen Nationalversammlung).

Dienstag Abend Liebling, – wie mag es mit Dir stehen? ich hörte nichts, – wahrscheinlich infolge der Verkehrsstockung; – oder vielleicht willst Du jetzt auch nicht schreiben, und das verstehe ich gut. Denn alle Verkehrsbeziehungen sind ja unsicher, nie weiß man, wann ein Brief ankommt, wie lange er braucht, und das ist in der Tat unbehaglich. Schreib Du nur „offi ziell“,1 – vielleicht einmal, daß ich sehe, Du lebst noch und irgendwie spüre: Du bist „gut“. – Mar[ianne] wird wohl die erste Hälfte der nächsten Woche „Ferien“ haben und hier sein, jetzt ist sie wieder nach K[arlsruhe] gefahren.2 Heut war Artur S[alz] da. Daß der sich nach M[ünchen] umhabilitiert, 3 ist mir eigentlich nicht recht. Ich fi nde, dasa soll man nicht tun und dadurch jungen Leuten den Weg versperren. Ich bin persönlich ganz froh noch nicht in M[ünchen] zu sein und damit befaßt zu werden. Er ist fein und wertvoll, – aber daß die Jugend etwas von ihm haben sollte: das glaube ich nicht. Im Tonfall seiner Stimme schon liegt so etwas irgendwie „Gebrochenes“ und lag es immer. Sie4 – ja ist was Andres. – Nochmal: Edgar J[affé] sollte jetzt sich aus dieser Sache zurück-

a O: daß 1 D. h. so, daß er auch von Marianne Weber gelesen werden konnte. 2 Marianne Weber war Abgeordnete der DDP in der badischen Nationalversammlung. 3 Zu Arthur Salz’ Bemühung um eine Umhabilitierung nach München vgl. den Brief an Marianne Weber vom 5. Juli 1919, unten, S. 675, und die Editorische Vorbemerkung zum Brief an den Akademischen Senat der Universität München vom 18. Juli 1919, unten, S. 691 f. 4 Sophie (Soscha) Salz.

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ziehen. 5 Das Verhalten Eisners muß dazu Anlaß geben, denn es ist nicht mehr zu rechtfertigen,6 und es ist nicht einzusehen, warum man, aus falsch verstandener „Treue“ gegen seine Person, dem Lande gegenüber ihn „decken“ hilft. Er ist ein Demagoge ohne alles politische Gewissen. – Aber genug davon. Trauter Liebling, wie weit ist es doch zu Dir. Ob ich wohl wirklich Anfang übernächster Woche „durchdringe“ bis zu Euch dort? Nächstens geht ja wirklich nur noch die Postkutsche und man kann Sterne’sche und Jean Paul’sche Eindrücke7 haben, – aber wie soll ich denn hoffen, Deine Hände zu fassen, in die geliebten dunkel verschleierten schimmernden Augen zu schauen und an der Wärme der feinen Lippen zu vergehen? Möge der Himmel und der Verkehrsminister ein Einsehen haben! Es geht etwas besser, nur noch immer ein wenig „stumpf“. Aber ich werde Dich ja doch bald sehen. – dann ist Alles gut. Immer Dein M.

5 Zu Max Webers Kritik an Edgar Jaffés Verbleiben im Amt des Finanzministers vgl. den vorausgehenden Brief an Else Jaffé vom 18. Febr. 1919, oben, S. 463. 6 Kurt Eisner lehnte trotz der schweren Niederlage der USPD bei den Landtagswahlen vom 12. Januar und 2. Februar 1919 einen Rücktritt ab, wollte bis zum Zusammentritt des neugewählten Landtags im Amt des Ministerpräsidenten bleiben und fühlte sich weiterhin den Räten verbunden. 7 Es ist nicht bekannt, auf welche Werke von Laurence Sterne (1713–1768) und Jean Paul (1763–1825) Max Weber anspielt.

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Franz Matt 19. Februar 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig BayHStA München, MK 69316 Der Brief steht in Zusammenhang mit Webers Berufung nach München als Nachfolger von Lujo Brentano; zu Vorgeschichte und Verlauf der Berufung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Februar 1919, oben, S. 423–425.

Heidelberg 19. II. 19 Hochgeehrter Herr Ministerialdirektor! Ich werde Montag bis Mittwoch, nötigenfalls bis Donnerstag, der übernächsten Woche dort anwesend sein und möchte mir dann gestatten, Ew. Hochwohlgeboren aufzusuchen, um ev. die Angelegenheit dieser Berufung zu Ende zu erörtern, falls dies bis dahin möglich ist.1 Es wäre mir angenehm, einen neuerlichen Brief der preußischen Regierung nicht ungebührlich lange ohne defi nitive Antwort zu lassen.2 Es handelt sich ja wesentlich nur um den Lehrauftrag, den ich, wenn dies möglich scheint, bitten würde zu fassen: Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte, Nationalökonomie (ergänzend neben den andren Herren). Für „Statistik“ und auch für „Finanzwissenschaft“ bin ich kein wirklicher Fachmann. Ich würde bereit sein, gegen eine die Kosten einer Chambre-garnie-Existenz ungefähr deckende Remuneration, schon im Sommer eine kleinere Vorlesung dort zu halten, was sich nach Ansicht der Kollegen sachlich empfehlen würde. Die Herren Lotz und Rothenbücher waren mit den vorstehenden Vorschlägen sehr einverstanden. Aber es dürfen natürlich nur die sachlichen Interessen des Unterrichts maßgebend sein. Materiell würde ich mir nur die Frage gestatten: wie hoch sich die Wohnungsgeld-Entschädigung beläuft, über deren Höhe in den mir gütigst zugestellten Angaben sicha nichts fi ndet. Mit vorzüglicher Hochachtung Ew. Hochwohlgeboren sehr ergebenster Prof. Max Weber a Fehlt in O; sich sinngemäß ergänzt. 1 Das Gespräch mit Franz Matt mit einer Auflistung der Bedingungen fand erst am 12. März 1919 statt; vgl. dazu das Protokoll in: BayHStA München, MK 69316. 2 Weber stand in Verhandlungen mit der preußischen Regierung wegen der eventuellen Übernahme einer Professur für Staatslehre und Politik; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Josef Heimberger vom 5. Febr. 1919, oben, S. 427.

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Else Jaffé [21. Februar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Freitag“ und dem Briefinhalt: Max Webers Hinweis „noch 10 Tage und ich bin bei Dir“ bezieht sich auf die zwischenzeitliche Terminierung seiner Vorträge „Abendländisches Bürgertum“ und „Student und Politik“ auf den 2. bzw. 3. März 1919. Die Angabe der Tageszeit „Freitag früh“ läßt vermuten, daß Max Weber den vorliegenden Brief vor dem Brief an Else Jaffé vom selben Tag, unten, S. 470 f., geschrieben hat.

Freitag früh Du trautes Herz, –

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also so steht es. Was denkst Du nur?? Du siehst ja, Alles schütte ich vor Dir aus, auch meine „Versuchungen“, wie jenes elende Faulbett in Bonn.1 „Du gehst vor“ (!) schreibst Du süße – Törin! – An nichts als an mich denke ich doch (wenn ich ehrlich bin), indem ich zu Dir verlange, – denkst Du vielleicht . . . nun also |:meinst Du etwa:| so etwas wie „Verantwortlichkeit“ oder wie Du es nennen willst, |:für Dich:| pochte an die Schwelle meiner Seele? Ja? – Wenn ich denke, wie es ist, sein könnte, wenn nach der Arbeit, vor der Arbeit, zwischen der Arbeit – was weiß ich, wann? – in diesem Sommer |:zuweilen:| so eine kleine und doch vom Leben durchgeformte Hand mir über die Schulter griffe und dann |:die:| Augen zuhielte – wie Du alsmal tust – und die mattierte Stimme sagte so etwas woraus ich sehe: die nimmt weder diese Bücher noch vollends diesen ganzen „Schauspieler“ (oder was er sonst geworden ist) sehr ernst und tragisch, sondern will einfach jetzt eine lächelnd heitre Stunde haben! Denkst Du, 10, 15, 20 Jahre „Bücher“ wären diese Minuten wert? Du siehst ja aus meinem Brief, – dem drittletzten (oder war es der vorletzte?), daß ich nichts gegenüber Dir zurückbehalten kann, – aber auch, wie schnell solche Torheiten vorüber sind. – Und daß Du nicht etwa (fällt mir eben ein) wohl gar noch meinst: die „schlechten Tage“ (und die dann entstehenden Briefe) hingen da-

1 Anspielung auf die Vorzüge des Angebots der Universität Bonn (vgl. den Brief an Else Jaffé vom 17. Febr. 1919, oben, S. 459). Der Begriff des „Faulbetts“ als Metapher für ein bequemes Leben legt die Assoziation zu Goethes „Faust“ nahe. In der „Studierzimmerszene“ äußert der Titelheld: „Werd’ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen, / So sei es gleich um mich gethan!“ (vgl. Goethes Werke, Bd. I, 14: Faust. Eine Tragödie. Erster Theil. – Weimar: Böhlau 1887, S. 81).

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mit zusammen! Nein, das sind rein physiologische, seit langen Jahren immer kommende Frühjahrsboten, recht unschöne und manchmal deprimierende, aber schon ganz fest gewohnte. – Alle meine Fasern, mit einem Wort, hängen an München, – wärst Du nicht da, so wäre freilich die leuchtende Färbung der unvergleichlichen Stadt fort, aber auch dann wäre es im Grunde nicht anders, – bei Mar[ianne] ist es auch sehr stark (sie will nur |:mehr:| Geld – begreifl ich von der Hausfrau! – während ich darnach nur in schlechten Tagen, wenn grade die Geschwister „da“ waren, briefl ich oder persönlich, frage). Und: die Sache wird |:– totsicher –:| das sehe ich aus den Briefen, nur die Ungeduld ist bei mir nun mal stark entwickelt, aber gerade die muß man im Zaum halten. Sollte ich den Sommer in M[ünchen] noch dran geben müssen – das brächte ich im Augenblick besonders schwer über mich – nun dann müssen wir uns eben einen Grund ausdenken, weshalb ich im Spätfrühjahr oder Frühsommer (allein!) ein paara Wochen dort sein „muß“. Findet sich schon! Aber vorerst – nein es wäre doch zu enttäuschend, wenn nicht grade Das gelänge: So 3 Monate allein (mit Pfi ngstpause) dort, Dich – so oft Du Zeit und Lust hast – sehen können, ohne Hemmung – unglaublich! Also sie müßten schon sich ganz kannibalisch |:in München:| aufführen, im Min[isterium], damit diese Sache scheiterte. Die Hinausschiebung |:auf 2/3:|2 war, glaube ich besser, damit Du etwas frischer wirst. Denn das ist ja abscheulich und dumm, liebstes Geschöpf, daß Du nicht in Ordnung bist. Darüber müssen wir auch noch reden, – weißt Du: Du darfst jetzt auch mir das nicht anthun, unverständig zu leben! Ich weiß, ein Mann mit solch einem Halsring hat keine „Rechte“. 3 Aber daß ihm die Herrin „hold“ war, das konnte er im Mittelalter doch verlangen. Und dazu gehört dies, daß sie nicht Torheiten macht in ihrer Gesundheit. – Mit qualvoller Freude und unendlicher Sehnsucht lese ich die Zeilen wieder und wieder[,] die Du schreibst, – ich Tor hätte eben doch jene paarb Augenblicke unwürdigen Kleinmuts für mich behalten sollen. Was denkst Du eigentlich, wie mir in Bonn zu Mut sein würde?! Kannst Du meinen, in meinen guten Stunden – und dank Dir a O: par b O: par 2 Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 18. Febr. 1919, oben, S. 462. 3 Auf eine Figur aus Sir Walter Scotts historischem Roman „Ivanhoe“ und deren Leibeigenschaft anspielend (vgl. den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 391 f. mit Anm. 3), bezeichnete sich Max Weber als Mann mit Halsring, um mit diesem Bild sein Gefühl der Abhängigkeit von Else Jaffé zu beschreiben.

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sind sie unendlich in der Überzahl – würde ich Das überhaupt ertragen?! – O Du geliebte Herrin, ich lege den Kopf auf Deinen Schoß und bin so geborgen vor allem Kleinmut und was immer es sonst für Anfechtungen giebt. Und – schriebst Du einmal – so „verständig“ wollen wir sein? Nun ja, wenn Du die tiefe befriedete Ruhe so nennst, die das Wissen von der „Nähe“ giebt, – dann wird das so sein. Sonst – mein „Verstand“ wird nicht größer sein als bisher, fürchte ich. Liebe wilde Katze, wie liebe ich Dich. Und hoffe auf diesen Sommer. Der ist der einzige unsichere Posten in der Rechnung, – und ein wichtiger! – Eben kommt ein Engländer[,] 4 der was tun will, der Bogen ist auch grade zu Ende. Schnell ins Kuvert, daß er zu Dir fl iegt und Dich auslacht – ja!! Immer Dein M. O Liebling, ich muß den Brief noch einmal aufmachen und Dir sagen, wie schrecklich lieb ich Dich habe und Dich zu bitten (sehr zu bitten): Du plagst Dich doch nicht wegen „Bonn“ und wegen des „versteckten Sehnens“ dorthin, was Du in meinem Brief fi ndest? Das wäre ja entsetzlich, und dann dürfte ich Dir ja solche |:schwächlichen:| Stunden gar nicht „beichten“, und doch tue ich Das so gern, den Kopf an Deinen Knieen! Kannst Du denn meinen, ich sehnte mich nach so etwas? Wirklich?– o mein Herz, dann bist Du doch auch mal etwas „dumm“, zu meinem Trost. Und nun ist mir auch nicht recht, daß ich, in Erinnerung an Das, was Du in Baden sagtest, 5 diese Vorträge so lange verschoben habe.6 Es ist ja noch eine Ewigkeit bis dahin, daß man „reden“ kann! Ach wenn ich Dich doch fröhlich und stark wüßte! Nun – noch 10 Tage und ich bin bei Dir, nicht nur innerlich. Und 2 Tage später und ich bin „Münchener“ und Dein Landsmann.

4 Zum Besuch Thornely Gibsons vgl. den Brief an Hermann Oncken vom 21. Febr. 1919, unten, S. 476 f. Dieses Treffen erwähnte Max Weber außerdem in seinem Diskussionsbeitrag anläßlich der Plenarsitzung der zur Unterstützung der deutschen Friedensdelegation herangezogenen Sachverständigen am 29. März 1919 in Berlin. Vgl. dazu „Wirtschaftliche Lage und Friedensverhandlungen. Sitzung vom 29. März 1919, vormittags“, MWG I/16, S. 258–261, hier S. 261. 5 Else Jaffé und Max Weber hatten sich vermutlich am 12. Februar 1919 in Baden-Baden getroffen, vgl. den Brief an Else Jaffé vom 13. Febr. 1919, oben, S. 451, Anm. 2. 6 Max Weber hielt die Rede „Student und Politik“ schließlich am 13. März 1919 (vgl. Editorischer Bericht zu „Student und Politik“, MWG I/16, S. 482 f.) und den Vortrag „Abendländisches Bürgertum“ am 12. März 1919 (vgl. ebd., S. 557 f.)

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Else Jaffé [21. Februar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist aus dem Briefinhalt erschlossen: Mit dem erwähnten Drunter und Drüber ist nicht die Ermordung Kurt Eisners am 21. Februar 1919 (vgl. dazu den Brief an Else Jaffé vom 22. Februar 1919, unten, S. 478) gemeint, sondern der „Lotter-Putsch“ am 19. Februar 1919: Die Informationen über den Aufstand von mehreren hundert jüngst heimgekehrten Matrosen unter Anführung von Konrad Lotter, eines Mitglieds des Landessoldatenrates und des provisorischen Nationalrates, waren – wie die Heidelberger Zeitung, Nr. 43 vom 20. Februar 1919, S. 1, meldete – derart unklar, „daß man nicht recht weiß, ob es sich um einen reaktionären, regierungstreuen oder bolschewistischen Putsch handelt“. Da Weber im folgenden ebenfalls auf Else Jaffés in ihrem Brief an Max Weber vom 19. Februar 1919 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)) erwähnte Erkältung eingeht, ist – unter Annahme einer zweitägigen Beförderungsdauer – davon auszugehen, daß der vorliegende Brief am gleichen Tag verfaßt wurde wie das im folgenden ebenfalls genannte Schreiben an Walther Lotz vom 21. Februar 1919, unten, S. 472 f.

Geliebtes Herz, – nun geht bei Euch Alles drunter und drüber1 und wann wird endlich wieder Klarheit sein? In mir ruft Alles nur: „zu Dir! zu Dir!“ – jetzt und für immer, in Deine Nähe, so daß man, sei es alle 8, sei es selbst alle 14 Tage nur einmal in Deine schönen Augen sehen, an Deinen Lippen trinken kann, Deine liebe gehaltene und doch so stark innerlich bewegte und lebende Stimme hören, ein liebes, überlegenes, Wort auf die Stirnea oder die Verlassenheiten im Innern sich legen, sie fortscheuchen zu lassen, – ja das Alles, diese Möglichkeiten nahe zu wissen und erreichbar, – das täte gut! Und alle Verzagtheiten wären fort. Nun mehren sie da aber diese Dummheiten und Alles schiebt sich ins Ungewisse. Der Teufel soll diese verrückte Welt holenb, die Einem noch dazu zumutet, sich für „Politik“ zu interessieren, die doch mehr und mehr eine Angelegenheit des Narrenhauses wird. Wüßte ich nur wenigstens wie es mit Dir steht. Dein Brief und Zettel klangen aber doch recht „resigniert“ und diese „verdrängte Erkältung“ ist mir verdächtig.2 Nun auf jeden Fall komme ich in absehbarer Zeit, ich denke die a 〈im Innern〉

b Fehlt in O; holen sinngemäß ergänzt.

1 Zum Lotter-Putsch vgl. Latzin, Ellen, Lotter-Putsch, 19. Februar 1919, in: Historisches Lexikon Bayerns, http://www.historisches-lexikon-bayerns.de (9. Februar. 2010). 2 Else Jaffé schrieb am 19. Februar 1919 an Max Weber (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)), „ich bin durch eine verdrängte Erkältung in einem Zustand von abnormer Verdummung“. Ein „Zettel“, d. h. eine zwischen Max Weber und Else Jaffé aus-

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nächst kommende Woche – einerlei ob diese „Vorträge“ den Vorwand geben oder nicht – hin3 um mit den Leuten zu reden. Inzwischen werde ich Lotz und Rothenb[ücher] nochmal schreiben.4 Mar[ianne] ist glücklicherweise auch ganz für M[ünchen]. 5 Irgendwie muß es gemacht werden können. Inzwischen muß man stark sein. Denn Alles kann sich verzögern, das ist klar, da hilft alle Ungeduld des Leibes und der Seele nichts. Wenn man denkt, was uns noch, politisch und wirtschaftlich, bevorsteht, so wird man einerseits „zeitlos“ und kontemplativ, andrerseits freilich möchte man, da man nicht sinnvollc „wirken“ kann, eben – „leben“, „so lange es Tag ist“,6 – und das heißt: Dich in den Armen halten oder in Deinem Schoß liegen: Da ist „Zeitlosigkeit“ und „Leben“, – Vergessen all des Kleinlichen und Anwidernden der Umwelt und Teilhaben an allem Adel und aller Schönheit dieser Erde. Sei gesegnet, Liebe, und alle guten Geister über Dir! Immer Dein M.

c 〈handeln〉 getauschte kurze und/oder intime Notiz, ist neben dem „formalen“ Brief, in dem die Verfasserin die Anrede „Sie“ benutzt, nicht nachgewiesen. 3 Die Vorträge „Abendländisches Bürgertum“ (MWG I/16, S. 557 f.) und „Student und Politik“ (MWG I/16, S. 482–484) wurden mehrfach verschoben. Zwischenzeitlich waren sie auf den 2. bzw. 3. März 1919 terminiert. 4 Vgl. den Brief an Walther Lotz vom 21. Febr. 1919, unten S. 472 f., in dem Max Weber sein Kommen für die folgende Woche ankündigt. Ein Brief an Rothenbücher ist nicht nachgewiesen. 5 Am 9. Februar 1919 hatte Marianne Weber an Helene Weber (Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446) geschrieben: „Es wird wohl doch München werden“, und am 17. Februar 1919 berichtete sie an dieselbe (ebd.): „Else Jaffé will uns rasend gern dort haben u. sie ist ja auch für uns beide ein starker Magnet“. 6 Anklang an Johannes 9,4: „Ich muß die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, so lange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.“

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Walther Lotz 21. Februar [1919]; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 25, Bl. 95 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Der Brief steht in Zusammenhang mit Webers Berufung nach München als Nachfolger von Lujo Brentano; zu Vorgeschichte und Verlauf der Berufung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Februar 1919, oben, S. 423–425.

Heidelberg 21/2 Lieber Freund! Anliegendes Schreiben ging mir zu.1 Mir liegt nur daran: daß die „Soziologie“, um deren Pflege die Universität nicht herumkommen wird, nicht in Dilettanten-Hände gelangt, sondern – wenn ich hinkomme – in die meinigen. Von den 3 Stellen dort war ja eine (die Riehl’sche) s. Z. keine rein „nationalökonomische“ Professur. 2 Wenn die „Wirtschaftsgeschichte“ jetzt ein Sonder-Lehrauftrag wird, so ist mir das nur recht. (Bei Brentano war sie ja eins von seinen Hauptkollegien). Dann würde ich eben wünschen, daß ich für „Gesellschaftswissenschaft und Nationalökonomie“ angestellt würde. Ich meine doch, daß das sich machen lassen müßte. Sie und der noch zu Berufende sind dann in erster Linie, ich aushelfend Nationalökonomen. Aber ich wiederhole: ich bin sehr bereit, als remunerierter Honorarprofessor (oder wie man das nennen will, es ist gleichgültig) zu kom-

1 Vermutlich ein Schreiben von Franz Matt vom 18. Febr. 1919 (Abschrift; BayHStA München, MK 69316). Darin hatte Matt hinsichtlich Webers Wunsch, über Gesellschaftswissenschaft und Wirtschaftsgeschichte zu lesen, erläutert, daß diese Neuver teilung der Lehrgebiete der Nationalökonomie entweder eine „Vermehrung der ordentlichen Lehrstühle oder eine einschneidende Umstellung der Lehraufträge bei den vorhandenen Ordinariaten“ zur Folge habe. Der erstgenannte Weg sei „zur Zeit nicht gangbar, umso weniger als die Errichtung eines Extraordinariates […] für Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftsgeographie […] in naher Aussicht steh[e]“. Bliebe nur die zweite Möglichkeit: „Die Frage der Neuverteilung der Lehrgebiete sei zur Zeit der Erwägung der beteiligten Fakultäten und des Senates der Universität“ überlassen, „denen Ihrem Wunsch gemäß anheimgegeben ist, mit Ihnen Fühlung zu nehmen.“ Weitere Verhandlungen würden bis zu dieser Klärung ausgesetzt, man werde sich aber um „tunliche Beschleunigung“ bemühen, dies umso mehr, als der Ruf Webers nach Bonn in der Schwebe war. 2 Wilhelm Heinrich Riehl war 1859 auf einen Lehrstuhl für Kulturgeschichte und Statistik berufen worden.

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men, wenn man mich gänzlich auf „Soziologie“ beschränkt. Kann sein, daß dies das Richtige wäre. Freundschaftliche Grüße! Ihr Max Weber 5

Die Ereignisse verzögern, denke ich, die Erledigung. Ich stehe jederzeit zur Rücksprache mit der Fakultät und Ihnen zur Verfügung, komme, denke ich, nächste Woche, etwa am 3a.–5/IIIb, hinüber.

a 2 > 3 b O: 5/II

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Franz Matt 21. Februar [1919]; Heidelberg Brief; eigenhändig BayHStA München, MK 63316 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Der Brief steht in Zusammenhang mit Webers Berufung nach München als Nachfolger von Lujo Brentano; zu Vorgeschichte und Verlauf der Berufung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Februar 1919, oben, S. 423–425.

Heidelberg 21/2 Hochgeehrter Herr Ministerialdirektor, Euer Hochwohlgeboren geneigtes Schreibena 1 erhielt ich mit verbindlichstem Dank und möchte mir zu bemerken gestatten: Unter keinen Umständen darf natürlich nur um meinetwillen irgend eine den sachlichen Interessen des Unterrichts abträgliche Änderung getroffen werden.2 Ich nahm an, daß die Wiederaufnahme der seit langen Jahren gänzlich in Wegfall geratenen, der Sache nach „gesellschaftswissenschaftlichen“ Aufgaben, welchen dereinst die Riehl’sche Professur gedient hat, 3 vom Standpunkt der Unterrichtsinteressen aus nützlich erscheinen könnte. Für diese Zwecke stehen in Deutschland nicht allzu viele Kräfte zur Verfügung und der gegenwärtige, oft etwas überstürzte, Begehr nach „Soziologen“ bringt die Gefahr mit sich, daß in der Verlegenheit schließlich auf mehr oder minder dilettantische Persönlichkeiten gegriffen werden muß. Dies und der Umstand, daß ich seit sehr langen Jahren diesen Problemen nachgehe, veranlaßte mich zu der gestellten Bitte. Aber nur dann, wenn der dortigen Universität nach Ansicht aller berufenen Instanzen, insbesondre auch des Ministeriums, damit gedient sein sollte, könnte ich auf eine solche Regelung reflektieren. Bei demnächstiger Anwesenheit in München hoffe ich sowohl Euer Hochwohlgeboren wie die beteiligten Fachvertreter sprechen zu können, um festzustellen, ob und wie eine für die Una 〈vom〉 1 Schreiben von Franz Matt vom 18. Febr. 1919 (Abschrift; BayHStA München, MK 63316); zum Inhalt vgl. den Brief an Walther Lotz vom 21. Febr. 1919, oben, S. 472, Anm. 1. 2 Franz Matt hatte in seinem Brief vom 18. Febr. 1919 (wie Anm. 1) darauf hingewiesen, daß Webers Wünsche für sein Lehramt eine Neuverteilung der Lehraufgaben bei den nationalökonomischen Ordinariaten zur Folge habe. 3 Wilhelm Heinrich Riehl war 1859 auf einen Lehrstuhl für Kulturgeschichte und Statistik berufen worden.

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terrichtsinteressen erträgliche und nützliche Erledigung der Frage möglich ist. Die Berufung nach Bonn4 auf ein Ordinariat mit nur zweistündiger Lehrpfl icht und Entbindung von allen Prüfungen könnte ich so, wie sie mir angeboten ist, gewissenhafter Weise kaum annehmen, sondern nur in Gestalt einer „Honorarprofessur“. Euer Hochwohlgeboren in ausgezeichneter Hochachtung sehr ergebenster Max Weber

4 Zur Berufung nach Bonn vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Josef Heimberger vom 5. Febr. 1919, oben, S. 427.

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Hermann Oncken [21.] Februar 1919; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich ohne Anrede und Schlußformel, mit handschriftlichen Korrekturen von Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 8, Bl. 109–110 Die Abschrift ist irrtümlicherweise auf den 29. Februar datiert (Marianne Weber gibt im Lebensbild3, S. 659, den 19. Februar 1919 an). Die Datierung erschließt sich aus Webers Brief an Else Jaffé vom 21. Februar 1919 (Freitag früh), oben, S. 469, wonach der „Engländer“ während des Schreibens eintraf.

Heidelberg, 21.a 2. 19. . . .b Heute war wieder ein Engländer (Gibson, Marine)1 bei mir[.] Er bereist Deutschland betreffs „Versorgungsfragen“, wollte aber über allgemeine Politik reden.2 Ich sagte im wesentlichen: entweder könne man als gentleman oder als „old maids“ reden. Letzterenfalles müsse von „Schuld [“] und dergl. die Rede sein und die Sache sei für beide Teile würdelos. Ersterenfalles sei zu sagen: „we lost the match you won it, what is to be done to face the responsibility in history? [“]3 Und angesichts dieser Englands und Deutschlands allein würdigen Verhandlung müsse ich bekennen, die englischen Staatsmänner nicht zu cverstehen, ohnec eine grundstürzende Wandlung der Gesinnung bei ihnen sei alles hoffnungslos, denn Verletzung unserer Interessen könne man vergessen, Verletzung unserer Ehre aber nicht. Mit „Pfaffen“ würde ich mich nicht an einen Verhandlungstisch setzen. – Im übrigen sagte ich ihm: so lange die deutsche Regierung nicht im Besitze aller Waffena In Abschrift: 29. b Auslassungszeichen in Abschrift. c In Abschrift: verstehen, ohne > verstehen, Ohne 1 Zur Vorgeschichte des Gesprächs vgl. den Brief an die Redaktion der FZ vom 17. Febr. 1919, oben, S. 456, Anm. 12. Gibson war Sachverständiger für wirtschaftliche Fragen bei der Pariser Friedenskonferenz. Im März und April 1919 war er mit einer Delegation von Wirtschafts- und Finanzvertretern erneut in Deutschland. Vgl. Wolff, Theodor, Tagebücher 1914–1919, eingeleitet und hg. von Bernd Sösemann, 2 Bde. – Boppard: Boldt 1984, Bd. 2, S. 705 und 708 (Einträge vom 3. und 7. April 1919). 2 Gibsons Missionen dienten auch der Sondierung der deutschen politischen Verhältnisse. Anfang April traf er in Berlin den USPD-Politiker Hugo Haase und Johann Graf v. Bernstorff, am 7. April Karl Max Fürst v. Lichnowsky und Hjalmar Schacht. Gegenstand dieser Gespräche war, soweit überliefert, ebenfalls die Gefahr einer politischen Radikalisierung in Deutschland. Vgl. Wolff, Tagebücher (wie Anm. 1), sowie Schwabe, Klaus, Deutsche Revolution und Wilson-Frieden. Die amerikanische und deutsche Friedensstrategie zwischen Ideologie und Machtpolitik 1918/19. – Düsseldorf: Droste 1971, S. 596, Anm. 125, und S. 624, Anm. 132. 3 Als Zitat nicht nachgewiesen.

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vorräte sei,4 halte ich sie nicht für verhandlungsfähig. Die Stellung dieser Bedingung seitens der Alliierten würde ich sachlich verstehen, aber andere [,] die jetzt erörtert würden (Begrenzung der Wehrmacht etc.) 5 seien eine ehrenkränkende Einmischung in unsered inneren Angelegenheiten und seien ganz und gar unnütz und durch keinerlei sachliches Interesse diktiert, höchst unklug.

d In Abschrift: unseren 4 Nach Niederschlagung der Berliner Januarunruhen und dem Ende der Bremer Räterepublik kam es im Februar 1919 erneut zu Streikbewegungen, Aufständen und Unruhen. Ausführlich berichtete die Presse über „spartakistische Aktionen“ im Ruhrrevier, in Düsseldorf und Mannheim. Kurz darauf verabschiedete die Nationalversammlung nach Beratung am 25. und 27. Februar das „Gesetz über die vorläufige Reichswehr“, das auch dazu dienen sollte, dem „gegenwärtigen Chaos, das in militärischer Beziehung herrscht, ein Ende zu bereiten“ (Verhandlungen der Verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung, Stenographische Berichte, Bd. 326, 15. Sitzung vom 25. Febr. 1919, S. 295–319, Zitat S. 295). 5 Anfang Februar hatte Frankreich einen Entwurf von Entwaffnungsbestimmungen vorgelegt, der auch eine Beschränkung deutscher Truppen auf 30 Divisionen vorsah. Am 11. und 12. Februar 1919 einigten die Alliierten sich darauf, statt weitere militärische Forderungen bei den Waffenstillstandsverhandlungen zu stellen, Deutschland betreffende Abrüstungsbestimmungen durch eine gemeinsame Kommission ausarbeiten zu lassen (Schwabe, Deutsche Revolution (wie Anm. 2), S. 383–388). In der deutschen Presse waren in der Folge immer wieder Meldungen und Zahlen über militärische Beschränkungen Deutschlands zu lesen (vgl. z. B. FZ, Nr. 113 vom 12. Febr. 1919, 2. Mo.Bl., S. 1, Heidelberger Zeitung, Nr. 97 vom 13. Febr. 1919, S. 1). Die ausgearbeiteten und am 10. März dem Obersten Rat vorgelegten Bestimmungen, die eine Begrenzung der deutschen Truppenstärke auf 100 000 Mann vorsahen, wurden schließlich auch von der amerikanischen Delegation akzeptiert (Schwabe, ebd., S. 404 f.).

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Else Jaffé [22. Februar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Samstag“ und dem Briefinhalt: Ministerpräsident Kurt Eisner war am Vortag, dem 21. Februar 1919, auf dem Weg zur Eröffnung des Landtags ermordet worden, und Max Weber wollte „wohl Montag 3ten [März 1919] und je nachdem einige Tage lang vorher oder nachher“ in München sein.

Samstag morgen Elsekind, trautes, – ich bin bei Dir – oder vielmehr: ich wollte wohl, ich wäre es, – bei diesen Nachrichten; denn irgendwie wirst Du doch durch diese abscheulichen Vorgänge mit betroffen direkt oder indirekt und außerdem, wie es auch sei: Schießereien und Du in der Nähe und Edgar J[affé] doch halb durch Zufall nicht mit betroffen,1 – das Alles von hier aus nur durch die Zeitungen zu ersehen ist nicht schön. Nun ist also der „Prophet“ – etwas davon hatte er ja – den Weg des „Martyriums“ gegangen, 2 den er sicher innerlich bejaht hat, und damit fällt für E[dgar] J[affé] ein fester Punkt fort, an dem er sein – und damit, bei der unvermeidlichen Verknüpftheit, doch irgendwie auch Euer, der Kinder und dadurch Dein, – Leben angesponnen und ausgerichtet hatte. Was nun? Ich kann die Zeitungen nicht recht erwarten und wenn Du einen Zettel übrig hast, dann schreib doch an Mar[ianne] eine kurze Notiz, was mit ihm wird. 3 Ich wollte nun doch, ich wäre schon nächster Tage dort und

1 Zwei Stunden nach dem tödlichen Anschlag auf Kurt Eisner verletzte Alois Lindner, Mitglied des Münchener Revolutionären Arbeiterrats, bei einem Revancheattentat im bayerischen Landtag den Innenminister Erhard Auer schwer. Nach der Erinnerung von Ernst Müller-Meiningen (DDP) zielte der Attentäter noch auf weitere (namentlich nicht genannte) Regierungsmitglieder, die auf der Ministerbank saßen. Des weiteren erwähnt Müller-Meiningen, Edgar Jaffé habe im anschließenden Tumult laut nach einem Arzt gerufen. Vgl. Müller-Meiningen, Ernst, Aus Bayerns schwersten Tagen. Erinnerungen und Betrachtungen aus der Revolutionszeit. – Berlin: de Gruyter 1923, S. 234–237. 2 Else Jaffé hatte in ihrem Brief an Marianne Weber vom 24. Nov. 1918 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)) Kurt Eisner folgendermaßen beschrieben: „. . . kein Mensch – nur Wille + Geist – ein Astralleib sozusagen – wenn Du Dir einen Astralleib sehr garstig denkst. Wirklich ein ‚Prophet‘ – seltsam, dass es das heute gibt.“ 3 Else Jaffé berichtete an Marianne Weber wunschgemäß in einem undatierten, nach dem Briefinhalt wohl am 27. Februar 1919 geschriebenen Brief (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)): „Edgar bleibt wohl sicher in Amt + Würden + eine Kugel trifft ihn auch nicht. Er ist merkwürdig kaltblütig + äußerst vorsichtig zugleich.“

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nicht erst noch 8 Tage später. Vielleicht sehe ich zu, daß ich Freitag oder Samstag da bin; ich nahm nur an, daß die ganze Sache durch Drängen leichter verdorben werden könnte, und daß bis dahin auch das neue Ministerium fertig sein und man etwas festeren Boden unter den Füßen haben werde. Die Antwort des Herrn Matt ist nicht grade sehr entgegenkommend,4 – Senat u. Fakultät seien befaßt u. s. w., man könne „Verschiebungen“ der Lehrpfl icht zwischen den Ordinariaten schwer vornehmen etc. Ach ich wäre gern endlich sicher, ehe ich in Deine Nähe komme, Du schönes, unendlich geliebtes Kind des Schicksals. Und möglichst: im Sommer, darauf hatte ich mich ganz kindisch gefreut. Sollte sich nun das mit dem Lesen im Sommer nicht (auf anständige Art) machen lassen, dann müssen wir einen Grund ausfi ndig machen, der mich für ein paara Wochen im Frühsommer vor oder nach Pfi ngsten nach M[ünchen] führt. Denn bald, bald möchte ich die Isar, die weiten grauen Sandbänke, die Benediktenwand im fernen Stahlblau, den Wald sehen und – Deine Nähe, die mattierte goldene Stimme, Dein Lachen fühlen und hören, Deine braunen kleinen Löckchen an Nacken und Schläfen sich leise regen,b Deinen Spott über den dummen großen Buben in den Mundwinkeln zucken sehen, die ganze unermeßliche Macht Deiner Geistigkeit [,] seelischen Freiheit und Anmut über mir inne werden und der Sonne und dem Himmel danken, daß siec über so etwas wie Du bist leuchten. Ja, nur bald, bald. – Aber vielleicht ist Geduld nötig. Auf München verzichten? – nein daß mir Das zugemutet wäre kann nicht sein. Und ich Tor sollte nicht Dich mit allen schwachen Stunden plagen, wo man einmal verzagt. Erinnerst Du Dich der heiligen Jungfrau in jener „Züricher Novelle“? im Kampf mit dem Teufel?5 Nun Du bist mehr als so eine zarte Gottesmutter und wirst a O: par b 〈sehen〉 c 〈sich〉 4 Zu Max Webers Wünschen – er wollte in erster Linie für Gesellschaftswissenschaft und nur in zweiter Linie für Nationalökonomie berufen werden und außerdem seine Lehrpflicht eingeschränkt sehen – vgl. den Brief an Franz Matt vom 2. Febr. 1919, oben, S. 426, sowie Marianne Webers Brief an Helene Weber vom 17. Febr. 1919 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 5 Max Weber bezieht sich vermutlich auf Gottfried Kellers Erzählung „Die Jungfrau und der Teufel“, die jedoch nicht aus den „Züricher Novellen“ stammt, sondern zum Zyklus „Sieben Legenden“ gehört. Darin tauscht Graf Gebizzo nach einer Abmachung mit dem Teufel seine treue und schöne Frau Bertrande gegen die Zusicherung auf lebenslangen Reichtum ein. Allerdings schlüpft die Jungfrau Maria unbemerkt in Betrandes Gestalt und nimmt für ihren Schützling den Kampf mit dem Teufel auf. Sie kann den Leibhaftigen zwar nicht endgültig besiegen, ihm aber immerhin den Verzicht auf die Grafenfrau abringen. Nachdem Gebizzo seine Untreue mit dem Leben bezahlt hat, besorgt die himmlische Gön-

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mit allen Teufeln fertig. Und mich straf nur, wenn Du mich bei Dir hast, – Dein Zettelchen klang so unfroh und das habe ich wieder angerichtet. Ich habe mich geschämt. Die seidige braune kleine Locke in einem verborgenen Winkel meines Schreibtisches ist allein schon stärker als alle „Versuchungen“ des faulen Fleisches und scheucht alle Verzagtheit fort, wenn ich sie um den Finger ringle und die lieben feinen Haare einen lustigen Tanz um die Hand und die Lippen aufführen lasse. – Ich gebe Nachricht, sobald ich weiß, wann ich dort bin. Jedenfalls wohl Montag 3ten 6 und je nachdem einige Tage lang vorher oder nachher. Bleib stark, schön und etwas gut Deinem M.

nerin für Betrande zu guter Letzt einen neuen Gatten. Vgl. Keller, Gottfried, Die Jungfrau und der Teufel, in: ders., Sieben Legenden, 8. Aufl. – Stuttgart: Cotta 1913, S. 35–44. 6 Für den 3. und 4. März 1919 waren zu diesem Zeitpunkt noch die Rede „Student und Politik“ bzw. der Vortrag „Abendländisches Bürgertum“ (MWG I/16, S. 482–484 bzw. S. 557 f.) geplant.

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Else Jaffé [25. Februar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Dienstag“ und dem Briefinhalt: Durch die instabile politische Situation – am 21. Februar 1919 war der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner ermordet worden – waren Max Webers für den 3. und 4. März 1919 geplante Münchener Termine (die Rede „Student und Politik“, vgl. MWG I/16, S. 482– 484, und der Vortrag „Abendländisches Bürgertum“, vgl. MWG I/16, S. 557 f.) unsicher geworden.

Dienstag früh Liebes „braunes Glück“ –

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wieder so ein grauera Morgen, wie sie jetzt die schönen Tage der letzten Zeit abgelöst haben. Das kleine Löckchen ringelt sich durch meine Finger und spielt um meinen Mund, – wenn man die herbe Elastizität und Seidigkeit der Haare spürt und die Eigenwilligkeit, mit der sie ihr feines Spiel im Morgenlicht treiben, und dann doch die süße Weichheit fühlt, wenn man gut mit ihnen ist, so bildet man sich ein, man würde erraten, wie das vornehme Köpfchen blickt und wie es von seiner Besitzerin getragen wird, dessen Nacken sie zieren dürfen. Bei Euch sieht es mir doch noch recht verworren aus,1 Liebe. Ich fürchte, auch meine Angelegenheit2 wird dadurch nicht aus der Stelle kommen, obwohl ich jeden Morgen so wie heut mit der Frage aufwache: werde ich in ihrer Nähe leben oder – – Man ist ja so manche Tücke des Geschicks gewohnt, aber dies, einem diesen Becher bis dicht an die Lippen führen und dann so viel Hemmnisse dazwischen schicken, ist recht arg. Gestern kam ein Briefchen von Dir an Mar[ianne], 3 das ich nach K[arlsa Ein Wort nicht lesbar. 1 Anspielung auf die „Zweite Revolution“: Nach der Ermordung des amtierenden Ministerpräsidenten Kurt Eisner am 21. Februar 1919 hatte der Zentralrat der Arbeiter-, Bauernund Soldatenräte die Macht an sich gezogen und für den 25. Februar 1919 einen Rätekongreß einberufen, der über die politische Zukunft Bayerns entscheiden sollte. Entsprechend berichtete beispielsweise die FZ, Nr. 150 vom 25. Febr. 1919, 2. Mo.Bl., S. 2, über die „ungeklärte Lage“ und die schwierige Regierungsbildung in Bayern. 2 Max Webers Berufung an die Universität München. 3 Es handelt sich möglicherweise um Else Jaffés Brief an Marianne Weber vom 20. und 21. Febr. 1919 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)) mit der Nachricht von Kurt Eisners Ermordung. Darin äußerte diese auch Überlegungen zu den beiden Professurangeboten aus Bonn und München (Präferenz für Bonn aus wissenschaftlicher

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ruhe] nachschickte, wo sie nun doch schon dieser Tage ist.4 So sah ich nur die Schriftzüge auf der Adresse, – diese eigenwilligen trotzigen Ecken, durch unendliche Anmut und Rundung der Füllung in ein Symbol feiner Distanzb aufgelöst und dachte sehnsüchtig, wann ich wieder an der Reihe bin? Ich werde nun feststellen, ob die Zugverbindungen „mögliche“ sind, und wenn ja, – dann am 3. oder 4. dort in M[ünchen] zu sprechen zusagen, vielleicht sogar 2 Abende, jedenfalls aber 1–2 Tage ausschließlich der heiligen Elisabet widmen – als ich den Namen zum ersten Mal auf der Visitenkarte las! 5 und dann die Besitzerin mit hochmütig gekräuselten Lippen sagte: „ich bin doch keine Else“! 6 Ja ja: „Beruf“ – Puritanismus – u. s. w., damals war das, wo ich über solche Sachen grübelte und Du auf diesem mit diesen Vorsätzen gepflasterten Weg verdrängt warst. Aber nun, wo Du was Besseres gelernt hast, sei so gut und laß Deinem Schüler etwas zu Gute kommen aus dem Buch, das Du so „aufmerksam gelesen“ hast („oh ja!“ stand in Klammern dabei in dem Zettel) und also: diesmal wird Kolleg gehalten über die „Zwischenbemerkung“7 und ich sitze mit Zettel und Bleistift auf dem Teppich, vor jenem Sofa, bis es heißt: „An jenem Tage lasen wir nicht weiter“ (oder wie hat St[efan] George das übersetzt?) 8 (Ja, übrigens, „Francesca“ wäre einer der ganz wenigen Namen, der – der Klangfarbe nach, allenfalls ebenso gut wie Else zu Dir passen würden. Welche noch?) Und wenn dann in der Buchausgabe das Plagiat mit eingefügt b 〈gemildert und〉 Sicht gegenüber den mit München verbundenen gesellschaftlichen und privaten Vorzügen für Max und Marianne Weber). 4 Marianne Weber war Abgeordnete der DDP in der badischen Nationalversammlung. 5 Else Jaffé, deren Taufname „Elisabeth“ lautete, wurde Ende der 1890er Jahre Max Webers Studentin. 6 Möglicherweise Anspielung auf die Titelheldin aus dem Märchen „Die kluge Else“ (vgl. Grimm, Jacob und Wilhelm, Kinder- und Hausmärchen. Große Ausgabe, Bd. 1. – Göttingen: Dieterich 1857, S. 175–178). Deren Eigenheit, auf absurde Art alles in Frage zu stellen, wird von ihrer Umwelt fälschlicherweise für Klugheit gehalten und hindert sie daran, ihren Aufgaben nachzukommen. Am Ende verliert Else über der vermeintlichen Klugheit nicht nur den Verstand und ihren Ehemann, sondern wird auch aus der Gesellschaft ausgeschlossen. 7 Zu Max Webers „Zwischenbetrachtung“ als Gesprächsthema mit Else Jaffé vgl. den Brief an dies. vom 18. Febr. 1919, oben, S. 463. 8 Georges Übersetzung lautet: „Den Tag war unser Lesen aufgegeben.“ Vgl. Dante Alighieri, Göttliche Komödie. – Berlin: Georg Bondi 1912, S. 23. Das Zitat stammt aus der bekanntesten Episode der „Göttlichen Komödie“, in der Dante das Schicksal der Francesca da Rimini und ihres Schwagers Paolo schildert, die über der gemeinsamen Lektüre des Lancelot-Epos in Liebe zueinander entflammen und Ehebruch begehen, weswegen sie von ihrem Gatten bzw. seinem Bruder getötet werden.

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erscheint, – wie soll die „Fußnote“ lauten (Du weißt ja, die sind bei mir die Hauptsache) die seine Einfügung kenntlich macht? „Nach reiflicherem Studium des Thatbestandes verbessert“? oder so ähnlich? Aber wann wird dieses Kolleg stattfi nden, geliebte Lorelei? Eben schreiben die Studenten wieder wegen Vortrag am 3ten, 9 das wäre: Montag nächster Woche. Ich werde wohl hinkommen – gebe noch Nachricht – wann die Züge es ermöglichen. Das werde ich wohl heut Nachmittag feststellen können. Es ist ja vielleicht auch klug, bald mal mit all diesen Kollegen und auch mit dem Ministerium ein Wort zu reden. Es handelt sich ja wirklich nur um die Art und den Umfang der Lehrpfl icht. Die schlechten Tage letzter Woche belehrten mich aber doch, daß ich ohne Gewissenlosigkeit (gegen Mar[ianne]) die Grenzen absolut innehalten muß. Und die Frage ist, ob ich das mit Anstand kann. Darüber mündlich. Aber es ist mir ganz unvorstellbar, nicht in Zukunft in Deiner Atmosphäre zu leben, – würde man das „leben“ nennen können? Wie grenzenlos gut muß man Dir sein, für die bloße Tatsache daß es Dich auf Erden giebt, – so wie man in Italien die bloße Tatsache der eignen Existenz, des Atmens an sich, als „Wert“ empfi ndet. Stürmische Wellen und innere Stille, lachendes Blau und feine Abendfarben, die Abgründe des Menschenherzens mit ihrem Graus und ihrer Herrlichkeit und ganz souveränem Humor, Hingabe und vornehme „Haltung“, – Alles kann man bei Dir – fast hätte ich: „lernen“ gesagt, Du siehst, geliebte Herrin, wie sehr ich Dein „Schüler“ geworden bin. Du wirst freilich sagen: [„] ein fahrender Scholar, – der Casus macht mich lachen [“]10 – ja und wenn Du über mich lachst, bist Du am allerentzückendsten. Die Götter mögen Dir immer die Kraft dazu geben. Immer derselbe, immer Dein M

9 Zum Vortrag am 3. März 1919 vgl. die Editorische Vorbemerkung, oben. 10 Zitat aus Goethes „Faust“: Goethes Werke, Bd. I, 14: Faust. Eine Tragödie. Erster Theil. – Weimar: Böhlau 1887, S. 66. Wörtlich kommentiert der Titelheld in der „Studierzimmerszene“ Mephistos Auftritt mit den Worten: „Das also war des Pudels Kern! / Ein fahrender Scolast? Der Casus macht mich lachen.“

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Else Jaffé [26. Februar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch“ und aus dem Briefinhalt: Trotz der politischen Unwägbarkeiten nach der Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner am 21. Februar 1919 ging Max Weber noch davon aus, in München wie zuletzt geplant (vgl. den Brief an Else Jaffé vom 25. Februar 1919, oben, S. 481–483) am 3. und 4. März 1919 über „Abendländisches Bürgertum“ bzw. „Student und Politik“ (vgl. MWG I/16, S. 557 f.; S. 482–484) zu sprechen.

Mittwoch Geliebtes Herz, – kein Zettelchen oder auch kein „offi zieller“ Brief von Dir – und ich habe Sehnsucht. Aber natürlich hast Du ganz recht. Und vor Allem: Du wirst müde sein [.] Und auch außer diesem Allen: Du willst vorsichtig sein. Und so soll es sein: wie Du es tust, ist es richtig. Mar[ianne] kommt heut für 1 Tag „zu Besuch“.1 Ich fahre nun also denke ich so, daß ich Montag den 3ten früh in M[ünchen] 2 bin und kann dann bleiben, bis Du mich satt hast, – d. h. ich nehme an, daß dies bis Donnerstag etwa der Fall asein wirda , so daß ich D[onnerstag] Nacht oder Freitag früh spätestens |:zurück:| fahre. Das ist dann wohl der letzte Besuch vor der dauernden Umsiedelung gegen Ende April! Wenn es dazu kommt, wozu die Götter uns helfen mögen. Ich werde Alles tun, und wenn ich Dir von dem Locken der Morgennebel schrieb, 3 so war ich meiner schönen Zwingherrin nicht untreu und fühlte, im Gegenteil, den unsichtbaren Ring mit: „Else v. Richth[ofen]’s Eigentum“4 sehr stark und beglückend: – „Verzagtheitsanfälle“ waren es, ob es wohl „durchführbar“ sein werde (gesundheitlich) und auch ob ich Dir, so nahe, wohl „gut thäte“, Du liebes feines schicksalbelastetes Geschöpf mit Deinem so komplizierten Leben – und was so kommt, wenn es a ist > sein wird 1 Als Abgeordnete der DDP in der badischen Nationalversammlung hielt sich Marianne Weber häufig in Karlsruhe auf. 2 Zur Terminverschiebung vgl. den Brief an Else Jaffé vom 27. Febr. 1919, unten, S. 486 mit Anm. 2. 3 Anspielung auf das Angebot der Universität Bonn, vgl. den Brief an Else Jaffé vom 17. Febr. 1919, oben, S. 459. 4 Zu Max Webers bildhafter Umschreibung seines Gefühles der Abhängigkeit von Else Jaffé vgl. den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 491–493.

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Einem nicht gut ist, wie mir in diesen Tagen war. (Wenn nur das Arbeiten erst in Gang kommt, aber das wollte nicht. Und das viele Wahlreden |:und „Reden“ überhaupt:| habe ich satt, 5 es laugt den Menschen so aus, und doch mußte es bis jetzt sein. Aber nun: Schluß [.] Ich sage Alles ab, – außer den beiden Vorträgen in München.) 6 – Diesmal möchte ich aber gern wieder nach Wolfratsh[ausen]7– ist es Dir recht? Diese stille Welt gehört doch im Innersten auch zu dem Gemeinsamen und „Bindenden“, nicht? Denn diese |:damalige:| Empfi ndung von |:nach:| Weihnachten – Du weißt – ist doch fort? Ich darf doch . . .? – – Du bist da so schwer durchsichtig, geliebtes Herz . . . – Liebe, aber dein Bild von Dir muß ich auch haben, das „mit dem Hut“, wovon Du verhältnismäßig befriedigt sprachst! Ich fi nde es hier nirgends. Denn gegenüber den an sich nicht üblen Bildern hier ist jene seidige veilchenduftende Locke doch so unermeßlich lebendiger, daß ich mich von ihnen immer zu ihr flüchte, schnell schnell, wenn ich gern bei Dir sein möchte. – Ob Du mir wohl noch gut bist, und ob so gut wie dort in dem frostigen Zimmer in Baden?8 Oder wie sonst? Nun wenn ich da bin, sehe ich ja – am Telefon 12958 (so ist doch die Nummer?) Freilich kann ich Dich nicht darnach fragen, aber dann, dann, da in dem schwach möblierten Zimmer in der Heilmannstr[aße] b 9 oder auf der Causeuse10 im Hotel. – Da katechisiere ich Dich, Du liebe Wildkatze, – aber: ohne Worte! – Du holdes und herbes, gewalttätiges und unermeßlich großmütiges Kind der Erde [.] Leb wohl, bleib gut Deinem Max

b Unsichere Lesung. 5 Zu Max Webers Redetätigkeit seit November 1918 vgl. die zahlreichen „Berichte über Reden und Diskussionsbeiträge“, MWG I/16, insbes. S. 359–481. 6 Zu Max Webers Terminplanung vgl. die Editorische Vorbemerkung. 7 Else Jaffés langjähriges Feriendomizil und zeitweiliger Hauptwohnort. 8 Zu diesem Treffen, das wahrscheinlich am 12. Februar 1919 in Baden-Baden (während Else Jaffés Besuch bei ihrer Mutter) stattgefunden hat, vgl. den Brief an Else Jaffé vom 13. Febr. 1919, oben, S. 451. 9 Straße im damals noch nicht nach München eingemeindeten Solln, wo Else Jaffé wohnte. 10 Kleines Sofa.

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Else Jaffé [27. Februar 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe und dem Briefinhalt: Max Weber schrieb den folgenden Brief am Donnerstag vor der ursprünglich für den 3. März 1919 geplanten, dann aber um eine Woche verschobenen Reise nach München.

Donnerstag Geliebtes Herz, – erst gestern Dein Brief, der mich ganz durcheinander brachte: meinst Du denn, wenn Du mir sagst: „komm her“, ich könnte anders? damit ist die Sache erledigt. – Da die Studenten den Vortrag auf den 11ten 1 verschieben mußten, 2 komme ich Sonntag oder Montag (9. oder 10.) Abends nach dort, bliebe bis Freitag |:14ten :| früh jedenfalls, fahre dann nach Berlin (wo ich am Sonntag den 16ten sprechen soll) 3 mache die Sache |:aber, denke ich, vorher:| perfekt in München, wenn die es machen können. Ich trage Dir dann noch vor, was die Schwierigkeiten sind. Es lag nicht so, wie Rothenb[ücher] annimmt. Das Ministerium wollte nicht auf „Soziologie“ eingehen, sondern nur auf Nat[ional-]Ök[onomie]. Das heißt: 8–10 Stunden Kolleg! alles |:über:| Dinge [,] die mich nichts innerlich angehen! Kein Gedanke, daß ich das gesundheitlich aushielte: Aber a natürlich: auch dasa tue ich, wenn nötig, um zu kommen. Denn dann haben wir doch 1/ 2 Jahr mit einander. – Nun steht Dein Bild vor mir –, immer wenn ich allein bin, – und schaut mich unter halb geöffneten Augenlidern und mit leise geöffnetem Mund an, unendlich lieb, schicksalwissend, fast schmerzlich und doch nach Leben verlangend, stolz und rührend, – oh man fühlt sich immer so angeschaut, daß man sich zusammennimmt, und sich kaum lassen kann vor Sehnsucht und Ungeduld, diese Lippen zu fühlen und nur, nur zu thun was Du willst und sagst und gar nichts andres, und zu versuchen, Dir gut zu thun und Dich zu freuen, wie auch und wodurch a auch > natürlich: auch das 1 Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 4. März 1919, unten, S. 501. 2 Zur endgültigen Verschiebung auf den 13. März 1919 vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Else Jaffé vom 4. März 1919, unten, S. 499. 3 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Theodor Kappstein vom 11. Febr. 1919, oben, S. 447.

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auch immer. Denn traurig und sehnsüchtig siehst Du aus, schöner Liebling. – Daß es nun wieder 8 Tage länger dauert, bis ich Dich im Arm habe, Deine lieben Augen wirklich auf mir liegen und mich Dein feiner stolzer Mund „leben“ lehrt, – gleichviel wie die beiden das anfangen! – das ist hart, aber doch schwer vermeidlich. Vorher wird kaum Ordnung bei Euch sein. Aber ganz bestimmt: an mir soll diese Sache nicht scheitern, – liebste Herrin, das – nun – Du bist doch klüger als ich – das hättest Du Dir doch denken können. Man möchte ja nur die Sache gern so einrichten, daß sie auch „geht“. – Scheitern kann sie nur an irgend einem „Chaos“, was Alles umwirft. Das ist ja leider nicht ganz unmöglich, aber doch recht unwahrscheinlich, d. h. daß es diese Sache verderben sollte. Mich lockt – soweit das neben „persönlichen“ Motiven in Betracht kommt – in München grade die etwas stark „exponierte“ Lage, in politischer Hinsicht. – Jetzt davon genug, mein geliebtes Herz, – es war mir erschütternd, daß Du mich so zu Dir wünschest, – ja hast Du mich denn so lieb? das ist ja fast unmöglich, Du bist so stolz und in aller Güte fühle ich eine solche Distanz, die mich in Scheu hält, daß ich mir immer wieder erst vorhalten muß: ja, es ist wohl doch so. Und dann möchte ich, daß die Winde allen Dank und alle innere Hingegebenheit und alle – nun – demütige Anbetung zu Dir trügen und legten sie zu Deinen Füßen – spöttisch und gütig, in feiner Verbundenheit bezaubernd bis zum Betäubtsein – würdest Du darauf niedersehen. Und ich wäre glücklich, heut ist wieder so ein Tag des Westwindes, der zu Dir geht – ob Du Dich wohl geküßt fühlst? Gewiß, indem ich aufblicke – ein wenig hochmütig und skeptisch, mit hochgezogener Lippe, schaust Du auch auf Deinen ungeschlachten Buben oder „Ritter“ oder wie sonst Du das – wie sagtest Du so anmutig? – „Unterwerfungsverhältnis“ ausdrückst, – aber Du weißt halt gut, was Dir steht. Und diese Haltung steht Dir nun einmal. Wüßte ich nur den Italiener, der diesen vornehmen „Kopf mit dem Hut“ gemalt haben mußte, – es ist Einer, aber keiner der geschichtlichen – Aber Jeder der das Bildchen4 stehen sehen würde – sei beruhigt, nur ich sehe es – würde dasselbe denken. Du „braunes Glück“: die Mutter, die Alles erduldet und erlitten hat, die liebende Frau, die alle Schicksale erlebte, alles Gestrüpp in Gärten verwandelte, wissend, herb und ihr Leben von süßer Liebe durchwo4 Vermutlich spielt Max Weber auf die im Brief an Else Jaffé vom 26. Febr. 1919, oben, S. 485, erwähnte Photographie an, auf der Else Jaffé mit Hut abgebildet war.

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ben, – den Blütenkranz mit seinen Dornen im Haar, den Dir die große Göttin hineinflocht – den sieht man nicht unter dem Hut, man fühlt ihn – und nur die Evastochter fehlt in diesem Bild. Nun die wird auf andren sein. Ja freilich – das Leben wird leicht, wo Du es beschaust, Du weißt ja: „ihr glücklichen Augen . . .“5 Schau mich auch an, und nicht gar so „fragend“. Ihr wißt ja doch, wie es um mich steht – ja schreib einmal ein Zettelchen Montag Mittagb bis Dienstag Abend bin ich jedenfalls allein. Es kann ja eine kurze „offi zielle“ Mitteilung in aller Sicherheit dabei liegen. Leb wohl, leb wohl, liebstes Leben, – schon Dein Bild ändert die Beleuchtung des Zimmers – bleib mir gut und bleib selbst froh und stark Dein M

b Nachmittag > Mittag 5 Zitat aus dem Lied Lynceus des Türmers in Goethes „Faust“ II, in: Goethes Werke, Bd. I, 15: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. – Weimar: Böhlau 1888, S. 302: „Zum Sehen geboren, / Zum Schauen bestellt, / Dem Thurme geschworen / Gefällt mir die Welt. / Ich blick’ in die Ferne, / Ich seh’ in der Näh’ / Den Mond und die Sterne, / Den Wald und das Reh. / So seh’ ich in allen / Die ewige Zier, / Und wie mir’s gefallen, / Gefall’ ich auch mir. / Ihr glücklichen Augen / Was je ihr gesehn, / Es sei wie es wolle, / Es war doch so schön!“

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Else Jaffé [1. März 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Samstag früh“ und dem Briefinhalt: „Ich komme zur Fakultätssitzung Ende dieser Woche denke ich oder Anfang der kommenden“. Max Weber meint die Einladung zum Gespräch mit Vertretern der Staatswirtschaftlichen Fakultät am 10. März 1919 (vgl. den Brief an Franz Matt vom 8. März 1919, unten, S. 515).

Samstag früh Liebes, –

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ein Brief von Lotz eröffnet die sichere Aussicht – so viel ich sehe – daß eine Verständigung stattfi ndet.1 Ich komme zur Fakultätssitzung2 – Ende dieser Woche denke ich oder Anfang der kommenden. Liebste – Deine süßen verschleierten Augen blicken mich an, halb hochmütig halb spöttisch halb sehnsüchtig – was ist nun Das, was sie eigentlich meinen? Nun das wird mir der feine – auch etwas hochmütige – Mund sagen, wenn ich ihm in der Nähe sein werde. Schwer zu ertragen der Gedanke Dich in der Nähe dieses verfluchten Hexenkessels zu wissen. 3 Und die Zukunft? Wirklich etwas reichlich dunkel! Tausend Grüße! Mar[ianne] kommt heut, Dein Briefchen liegt für sie da, was mag drin stehen? Sei mir gut Dein M

1 Walther Lotz hatte in einem ausführlichen Brief an Max Weber vom 16. Februar 1919 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) dessen Wunsch, als Professor für Soziologie und Wirtschaftsgeschichte berufen zu werden, sehr begrüßt. 2 Es handelte sich um keine offizielle Fakultätssitzung (vgl. den Brief an Else Jaffé vom 7. März 1919, unten, S. 510). 3 Am Vortag, dem 28. Februar 1919, hatte der Bayerische Rätekongreß den Antrag auf Ausrufung der Räterepublik abgelehnt. Während der Beratungen waren unter anderem Max Levien und Erich Mühsam zeitweilig verhaftet worden (vgl. Schulthess 1919, Teil 1, S. 101 f.). Die Heidelberger Zeitung, Nr. 82 vom 28. Febr. 1919, S. 2, berichtete an diesem Tag unter der Überschrift „Bayerische Wirren“ allerdings noch nicht darüber, sondern erst über „Drohungen gegen Noske“, „Verhaftung neuer Geiseln“ und „Ausschreitungen in Bamberg“.

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Else Jaffé [3. März 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Montag“ und dem Briefinhalt: den Hinweisen auf die Berufung Friedrich Muckles zum Staatssekretär im bayerischen Kultusministerium, vgl. unten, Anm. 5, sowie auf die bereits im Brief an Else Jaffé vom 1. März 1919, oben, S. 489 angekündigte Reise zu einem Gespräch mit Kollegen der Staatswirtschaftlichen Fakultät nach München.

Montag Liebling, – wie groß der „Egozentrismus“ des Liebenden ist, merke ich zuweilen blitzartig. Alles in mir ist der „Pri[n]z Ludw[igs]höhe“1 zugewendet wie einem Paradies jenseits der Häßlichkeit der Welt, in das man sich flüchtet. Und weil es mir so geht, – so empfi nde ich normaler Weise nur: sie ist immer dort und mit sich zusammen, – wie gut hat sie es erst – und denke sonst an nichts: Nur plötzlich, ganz jäh, wird mir bewußt: mein Gott, dort in der Nähe, und vielleicht bedroht von diesem Treiben sitzt sie, 2 und Du bist nicht da und hilfst ihr nicht – ob man es könnte, wer weiß es denn? – und eine maßlose Angst kommt über mich. Und dann noch dieser verfl. . . Percy, 3 auf den ich so schon eifersüchtig bin – ja in der That: er hat Dich um sich oder in der Nähe fast den ganzen Tag, kann Deine linde Stimme hören, die sich Einem wie ein Sommertaga um die Sinne legt und darf Deinen Bewegungen mit den Augen folgen und sich von Dir, sicher bezaubernd, regieren und bemuttern lassen – und ich? – Und dafür vergilt dies Roß durch Citate aus dem „Stern des Bundes“4 und Kassandrageheul?5 Ich gönne ihm nicht einmal die Ohra Alternative Lesung: Sonnentag 1 Eine Villenkolonie in Solln, das damals noch ein südlich von München gelegenes Dorf war; Wohnort von Else Jaffé. 2 Zur politischen Lage in München vgl. den Brief an Else Jaffé vom 1. März 1919, oben, S. 489, Anm. 3. 3 Percy Gothein wohnte zeitweilig bei Else Jaffé. 4 George, Stefan, Der Stern des Bundes. – Berlin: Georg Bondi 1914. Der 1913 erstmals als Privatdruck erschienene Gedichtzyklus war wegen seiner Katastrophensymbolik während des Ersten Weltkrieges sehr erfolgreich. Percy Gothein war ein George-Schüler. 5 Else Jaffé schrieb an Alfred Weber am 23. Febr. 1919 (BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 85): „Gestern Abend hat dieses Kalb von Percy [. . .] nichts besseres zu tun gemeint, als mir einen bevorstehenden Zustand ohne Bahnen + Post zu schildern. … Nun, du erfährst alles, was geschieht, viel besser aus der Zeitung, der Frankfurter – denn ich höre

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feige, die er verdient und zu der Du Dich hoffentlich aufraffst: Bei kühlem Verstand sagt man sich immer wieder, daß es ja der Gipfel der Unwahrscheinlichkeit ist, daß ernste Abenteuer entstehen,1) aber schon daß Du damit doch rechnest, daß es denkbar ist, ist quälend. Ich erwarte jeden Tag Nachricht über die Fakultätsitzung, um hinzureisen, komme aber jedenfalls spätestens Montag Abend, wenn nicht früher, hin. Denn ich möchte nun auch gern klar sehen. Kollege Muckle als Staatssekretär6 – es ist schon ein Skandal! Aber sie müßten es schon darauf absehen, es mir unmöglich zu machen, – und das werden sie nicht – sonst komme ich ganz bestimmt, ich denke: zum Sommer, – wenn das irgend unter anständigem Vorwand zu machen ist, denn darauf freue ich mich natürlich schon lange. Ich mache es Alles, wie Du es mir sagst, Liebes, und werde Dir auch die Gründe, weshalb ich damals etwas verzagte – physiologische Katastrophen, die immer mal eintreten und Alles durcheinander bringen, Verantwortungsgefühl für Dich und – nach andrer Richtung (A[lfred]) und dergl. – wenn Du willst alle leichten Hauptfragen vor: kann ich es überhaupt leisten? – denn da Mar[ianne] und Lili (künftig) an mir hängen werden, müßte ich das überlegen.b Aber es macht sich schon, es macht sich schon, mein Herz. Hab etwas Geduld, daß das damals so kam, es ist nun Alles vorüber, schon lang. Dein liebes schönes Gesicht sieht mich wieder an, einerseits mit dem bezaubernden Ausdruck „pust“ mir den Staub vom Schuh“, andrerseits so rührend und rätselvoll zugleich in die Welt verlangend, – oh 6

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grade für Dich, nach der politischen Stellung Edg[ar]’s!7

b Satzkonstruktion defekt. von Edg[ar] nur sehr kurz telefonisch + er weiss auch wenig, + von Percy, der erfüllt vom Stern des Bundes ganz als Kassandra auftritt, was eine ziemlich[e] Marter ist, denn ich gehöre durchaus nicht zu der Bourgeoisie, die ,noch nicht begreift, welche Stunde geschlagen‘.“ – Kassandra besaß nach der griechischen Mythologie die Gabe, die Zukunft vorherzusagen. Ihre Warnungen vor einer drohenden Gefahr fanden aber kein Gehör. 6 Max Webers Vorbehalt gegen den in Heidelberg promovierten und habilitierten Friedrich Muckle resultierte vermutlich aus dessen Einfluß als außenpolitischer Berater von Kurt Eisner. Muckle soll dem bayerischen Ministerpräsidenten zur Veröffentlichung der bayerischen Dokumente zum Kriegsbeginn, die Deutschlands Verantwortung an der Eskalation der Julikrise 1914 betonten, geraten haben (vgl. Mitchell, Allan, Revolution in Bayern 1918/1919. – München: Beck 1967, S. 114 f.). 7 Edgar Jaffé führte sein Amt als Finanzminister nach der Ermordung von Kurt Eisner kommissarisch bis zum 17. März 1919 weiter.

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natürlich einer Isolde könntest Du gleich sein, wärst es auch. Ja wohl, geliebte Herrin, Tristan & Isolde8 – und „Romeo & Julia auf dem Dorf“9 – das waren Paare, die hatten Recht. Aber darf Jemand, wer er auch sei, Dein Leben so nehmen, mit sich, aus der Sonne heraus in sein Schattenreich? Das brächte man doch nicht leicht über sich, diese Frevel an der Schönheit dieser Erde … Im ewigen Wirbelwind mit Francesca10 zusammensein wie bei Dante, – – ja und abermals ja! – Aber was soll das Spielen damit? Das Leben und die Sonne und der, bald, bald, kommende warme Frühlingswind, grüne Matten, ferne Berge, graue Sandbänke im reißenden Fluß, Tannenspitzen und Deine verzehrend schönen warmen Lippen sind ja da, werden da sein, und noch brausen Fluten warmen Blutes durch das immer noch junge Herz in dem nicht mehr jungen Körper – – und Du, Du bist so „jung“, liebesdurchwoben Dein Leben, noch lange nicht zu Ende gelebt, noch lange lange nicht – und ich darf neben Dir gehen, immer einmal wieder, eine Stunde lang bis zu einem Ausblick, dann, nach kurzem, wieder, bald Minuten, bald Stunden, vielleicht einmal einen Tag – oh ich werde dessen nicht müde, mein angebetetes Kind! Wenn Du nur kannst. Sonst – nimm mich in die Arme und gehe mit mir in die Schattenländer, ich gehe mit Dir. Oder schicke mich fort und geh in die Sonne, ich schaue Dir nach und segne Deinen Weg in ewigem Gedenken. – Aber was rede ich da: erst einmal komme ich ja zu Dir und wir wollen von Herzen fröhlich sein, und ich will ausgelacht werden, und Du selbst, wenn Du Dich wirklich geängstet hast, Dich – ach könnte ich das doch machen: – „geborgen“ fühlen, und Alles soll gut sein in uns, für einander und für Andre. Oh, ob Du es machen kannst, daß das Leben „leicht“ wird. Leicht nur? 8 In Richard Wagners gleichnamiger Oper wünscht sich das Liebespaar Tristan und Isolde angesichts der Unmöglichkeit ihrer Vereinigung den gemeinsamen Tod als Vollendung seiner Liebe. 9 Anspielung auf Keller, Gottfried, Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung. – Stuttgart, Berlin: Cotta 1917. Die Handlung seiner Adaption des Shakespeare-Stoffes verlegte Keller in die heimatliche Schweiz des 19. Jahrhunderts: Mit ihrem Zwist treiben die Väter von Vreni und Sali ihre Familien in den Ruin. Das Liebespaar steht damit vor einer ausweglosen Situation, denn beide müssen aus wirtschaftlicher Not ihr Heimatdorf verlassen. Vor der endgültigen Trennung beschließen sie jedoch, einen letzten Tag beim Tanz auf der Kirchweih zu verbringen und diesen wie eine Hochzeit zu zelebrieren. Danach begehen sie gemeinsam Selbstmord. 10 Anspielung auf Dantes „Göttliche Komödie“: Im zweiten Kreis der Hölle peitschen Orkane die Sünder aus Liebe durch die Ewigkeit. Auch Francesca da Rimini, mit der Max Weber Else Jaffé vergleicht (vgl. den Brief an dieselbe vom 25. Febr. 1919, oben, S. 482 mit Anm. 8), büßt an diesem Ort für ihren Ehebruch.

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Gewiß das auch. Aber schwer gesättigt von unermeßlicher Schönheit, dahinschreitend wie im Tag über Blüthenmatten, todesernst und in jubelndem Lachen – es ist schwer das zu hoffen, geliebte Zauberin, – Wie unsinnig – „angstlos und kritiklos“ sagt die Frieda11 dazu – muß man Dich lieben. Sei stark, stolz, froh trotz Allem (es kommt viel dummes Zeug noch, aber für Dich nichts Schlimmes!) und gut Deinem Max

11 Vermutlich Frieda Gross, Else Jaffés Jugendfreundin.

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Else Jaffé [4. März 1919; Heidelberg] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Datum und Ort sind erschlossen aus der Tagesangabe „Dienstag“ und dem Briefinhalt: Max Weber erwähnt seinen Redebeitrag „Die wirtschaftliche Zugehörigkeit des Saargebiets zu Deutschland“ (vgl. MWG I/16, S. 233–242) auf einer Protestkundgebung der Universität Heidelberg am 1. März 1919 sowie die Fertigstellung der Druckfassung von „Politik als Beruf“ (vgl. den Brief an den Verlag Duncker & Humblot vom 5. März 1919, unten, S. 506, sowie MWG I/17, S. 131 f.).

Dienstag Deine Briefchen kamen, Liebling – nachdem ich gestern an Dich geschrieben (etwas in einem inneren Tumult: Wut, daß die Zeit der Reise noch nicht ganz feststeht1),1 Angst um Dich – eigentlich zum ersten Mal wirkliche Angst, d. h. mehr nur Deiner inneren Festigkeit gegenüber diesen Häßlichkeiten, als daß ich sonst an was Übles dächte, was da passieren könnte, – Sehnsucht und: allerhand). Und nun sitze ich wieder vor Deinem Bild, das mich zwar anschaut wie immer, aber: ich sehe diese ganz wunderbar lieben Briefe in diese Augen hinein, die Du da schriebst. Und wo Du in einem Atem schreibst: „was darf mich das angehen?“ und dann Andres, was – nun, das kann man doch schwer auf dem Papier richtig ausdrücken, was ich dazu sagen möchte. Liebes, ich will und muß Dich einfach sehen. Bis dahin darf nichts passieren. Es ist ja möglich, daß ich da blind bin, – – so war ich es auch gegenüber Deiner Angst und der ganzen Situation: es ist eine Schmach, wie sehr man doch immer |:nur an sich:| und von sich aus an Jemand wie Dich denkt! – immer als müßtest Du, wenn Du mit Dir bist, schon ebenso glücklich sein wie man es ist oder so ähnlich – kurz doch immer, als hättest Du es gut, weil Du es gut haben müßtest. – Und nun aber zu Deinen unendlich lieben Worten: – Also das mit der Scheu und Angst vor Dir, von der ich schrieb, – das solltest Du schon ganz wörtlich glauben, trautes Herz, es ist wirklich so, – warum es so ist, ich weiß es nicht. Außer daß Du nun eben „überlegen“ bist, – nun das wirst ja auch Du 1)

Aber ich komme auf jeden Fall, was auch sei, Anfang nächster Woche spätestens; daß keine Züge gehen sollten, ist doch undenkbar! a a Neben der Randbemerkung ein senkrechter Strich mit der Zusatznotiz: Siehe drittes Blatt am Schluß: ich komme bestimmt Sonntag Abend! 1 Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 3. März 1919, oben, S. 491–493.

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nicht bestreiten, – schlechthin in Allem und Jedem – gewiß, Bücher kannst Du vielleicht schlechter schreiben und Kolleg nicht so gut halten u. s. w., das versteht sich: „Fachmenschentum“2 – aber sonst ist das eben so und Du weißt: es sind |:Dir gegenüber:| keine bloßen galanten oder verliebten „Gesten“, die ich dab mache – als das einmal so war, hast Du’s Dir gleich verbeten.c Sondern es ist so: Niemand kann mir so innerlich weh tun wie Du, Niemand mich innerlich so lösen, und wenn man sich vor Dir schämt (und das tut man leicht), dann kann man das Dir sagen – und dann ist es vorbei und vergeben – das allein kann man nur so bei Dir. Und da schätze ab, was das bedeutet. Etwasd umgekehrt Entsprechendes |:oder Ähnliches, ähnlich Wichtiges:| könnte ich Dir nie bieten – eben weil Du „mehr“ bist als ich – und dann – – es kommt doch noch mancherlei dazu, so daß es schon |:(vielleicht!):| verzeihlich ist, wenn ich mich lieber nie gefragt habe: wie lieb hat sie mich wohl? sondern – glaub ich – im Ganzen wirklich mehr nach Dem, was Du mir an innerer Schönheit geweckt hast. Nicht, Du verzeihst Das? – Du bist so klug, überleg Dir, es ist verständlich – Aber freilich: ich schäme mich doch wieder, nicht herangereicht zu haben an Dein in wunderbarer Schönheit todesernstes Wesen, denn Du hast natürlich recht: ich könnte es wohl wissen . . . Und wie gut bist Du zu mir – das wenigstens weiß ich, mein Herz, und neulich, als ich das sagte, wolltest Du es nicht Wert haben. – Und nun das mit dem „Schauspieler“ und dem Fühlen „Wollen“ und = „Müssen“: liebstes Herz, ich glaube, so einfach ich mir eigentlich vorkomme, da ist die |:innere:| Situation etwas schwieriger als Du immer gegenwärtig haben kannst. Die Götter mögen uns bald viele Stunden zusammen geben, da will ich nach bestem Vermögen Dir Alles Alles auseinanderlegen, was ich selbst von mir selbst zu wissen glaube – wie viel ist das am Ende? wer weiß Das? denn „Inventur“ mache ich längst, seit Jahrzehnten; nicht wahr – und dann mich Deinem Urteil in die Hände geben, denn Du bist viel viel klüger, grade darin. Denn natürlich wird Jemandem, der in so viel Lagen „Masken“ tragen mußte und der – nun, was „Einsamkeit“ ist, das weißt nun – es ist vielleicht b 〈– bei Dir! –〉 c 〈Aber〉 d Das > Etwas 2 Max Weber sah mit dem „Vordringen des ,Rationalismus‘ der Lebensgestatlung“ die Entwicklung „zum ,Berufs-‘ und ,Fachmenschentum‘“ im Gegensatz zum „kultivierten Menschen“ verbunden (MWG I/22–4, S. 229 und 232). Am Ende von „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ steht auch die beschwörende Formel: „Fachmenschen ohne Geist, Berufsmenschen ohne Herz“. Weber, Max, GARS I, S. 204.

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das Einzige – Du wieder nicht so ganz – also so Jemandem wird gelegentlich selbst bange, ob er sich nicht über sich irrt, sich selbst ganz ehrlich sieht. Ich wäre ja ein Thor, wenn ich die einzige Gelegenheit, die mir das Leben bieten kann – mit Dir! – nicht nutzte, wenn es Dich „angeht“ (von Dir aus gesehen, meine ich, nicht so, wie Du das schreibst). Aber so wie Du die Sache jetzt siehst, kann sie doch nicht gut sein. Zu Dir. – nun da schon gar nicht; oder meinst Du, diese Beziehung wäre so gestaltet und gewandelt worden, wie ich fühlen wollte?? 2) – ! – das kannst Du nicht denken, kluges Elsekind, – womit ich jedoch die „Verantwortung“ natürlich nicht um ein Gramm leichter für mich mache, ich meine: die Verantwortung für die Schönheit Deines Lebens, die zu zerstören oder zu beschädigen eben: der Frevel wäre. Also da ist – abgesehen |:natürlich:| davon, daß ich gelegentlich, wenn grade meine körperlichen Dummheiten da sind, eben mich nicht |:adäquat:| ausdrücken kann, |:(Du fühlst Das ja):|, grade das stärkste Fühlen oft nicht – aber sonst: nein, ich glaube, Du würdest mit dem Maß des Fühlen-„Müssens“ schon recht recht zufrieden sein. Denn was mir auch geschehen ist, das geschah mir noch nie . . . ich meine: so naturereignishaft; wirklich: primanerhaft, man kann es gar nicht anders nennen, ich wenigstens nicht. Aber Du selbst sollst urteilen. – Herzenskind, Du mußt mich lehren: was ich von mir schreiben soll – obwohl ich nicht glaube, daß Du schon über Deine Qualitäten so „aufgeklärt“ bist, wie Du spöttisch meinst – Du hältst das gewiß für „ritterliche“ Formen – ? Ich bin nicht sehr gewöhnt, Persönliches zu erzählen, und daher verläuft auch das Persönliche meist ohne bewußtes

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Daß Du mir da nicht mich zu fragen suchst: „Also ,Du‘ ,wolltest‘ wohl, sie wäre anders“! Du wärst im stande, nur um Dich an meiner Verwirrtheit zu belustigen. Aber ich wäre gar nicht verwirrt: ich hatte sie mir ganz anders gedacht, das weißt Du doch – denk an meinen Brief aus Frankfurt, 3 der wirklich sehr ernst gemeint war; solche Worte brauche ich nicht leichthin. Aber die starken Dämonen und Götter der |:–Deiner!–:| Schönheit bezwangen mich: „der Handelnde ist immer gewissenlos, Gewissen hat nur der Betrachtende“.4 Und nun ist es so, und ist unverlierbar, reuelos herrlich, herrlich, herrlich – – 3 Ein Brief an Else Jaffé aus Frankfurt am Main ist nicht nachgewiesen. 4 Zum Zitat vgl. Goethes Werke, Band I, 42,2: Maximen und Reflexionen über Literatur und Ethik. – Weimar: Böhlau 1907, S. 138. Der genaue Wortlaut ist folgender: „Der Handelnde ist immer gewissenlos, es hat niemand Gewissen als der Betrachtende.“

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Erlebtwerden, – nur die „Sachen“ werden ins Bewußtsein gehoben, vom Persönlichen |:leider:| meist nur: jene „Hemmungen“, die der Körper immer wieder setzt, sobald ich regulär zu arbeiten anfange. Die haben etwas Erbitterndes, das muß ich zugeben, ich bin Dem nicht immer, ach: oft nicht, innerlich gewachsen genug, um ganz „gelassen“ zu sein, wie man es verlangen könnte. – Ich habe den Münchener Vortrag so umgestaltet, daß er druckfertig ist. („Pol[itik] als Beruf“) 5 – er war doch recht mäßig, sah ich bei Lektüre des Stenogramms, ist jetzt wenigstens passabel – dann hatte ich hier (für „Saarbrücken“) 6 zu reden, was wenig Spaß machte, man ist so „redemüde“. Einige Zeitungsartikel kamen dazu,7 – jetzt aber Schluß auch damit und: mit der ganzen Politik. Neben dem Lehramt könnte ich das körperlich einfache nicht. Trautes, mit Recht bist Du bös, daß Du nicht einfach Alles vermagst und daß man Dir damit kommt, „es gehe nicht gut“? Aber auch die Macht der Götter hat Grenzen. 20 oder 10 Jahre früher, – ja! Aber so mußt Du es hinnehmen, daß Erdenreste da sind, die – gelegentlich – sich melden. Du sollst sie gern kennen, wenn Du willst, damit Du Deinen wunderlichen Freund ganz kennst. – Halt, – ich muß zum Diktieren und stecke den Brief lieber ins Kuvert, als ihn offen lassen. Schnell schnell in Gedanken die liebe Hand geküßt, die so unendlich traut schrieb „S.S.S.q.b.s.fm“ (Sus seguro servidor que besag sus manos8 – oder halt: bei Frauen schreibt der Spanier stets: qu.b.s.p.: que besa sus pies9 – übersetze es Dir selbst!) – leb wohl leb wohl für heut immer, immer, für immer das glaubst Du doch? – Dein M e eigentlich > einfach f O: l.

g 〈le〉

5 Vgl. oben, Editorische Vorbemerkung. 6 Zu Max Webers Rede „Die wirtschaftliche Zugehörigkeit des Saargebiets zu Deutschland“ vgl. ebd. 7 Zuletzt waren folgende Zeitungsbeiträge Max Webers erschienen: „Der gebundene Privatgrundbesitz in der badischen Verfassung“, in: Karlsruher Tagblatt vom 19. Febr. 1919, 116. Jg., Nr. 50, 1. Blatt, S. 1 (MWG I/16, S. 208–213); „Der Reichspräsident“, verschiedene Fassungen in Berliner Börsen-Zeitung vom 25. Febr. 1919, 64. Jg., Nr. 93, Mo.Bl., S. 1 f.; Magdeburgische Zeitung vom 26. Febr. 1919, Nr. 151, S. 1 f.; Heidelberger Zeitung vom 27. Febr. 1919, 61. Jg., Nr. 48, S. 1 f.; Königsberger Hartungsche Zeitung vom 15. März 1919, Nr. 126, 1. Ab.Bl., S. 1 (MWG I/16, S. 214–224). 8 Spanische Höflichkeitsfloskel: „Ihr stets ergebener Diener, der Ihre Hände küßt.“ 9 Die Übersetzung der Variante zur spanischen Höflichkeitsfloskel (wie Anm. 8) lautet: „der Ihre Füße küßt“.

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Ich reiße mir die trauten Zettel vom Herzen – sie blieben doch? Meinen Brief tu fort, oder, wenn Du kannst, aber dies in ein Kuvert! und Montag früh in München10 für mich mitbringen – oder soll ich hinauskommen?

10 Else Jaffé wohnte in einer Villenkolonie in Solln, damals noch ein Dorf südlich von München.

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Else Jaffé [4. März 1919; Heidelberg] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Dienstag Nachmittag“ und dem Briefinhalt: „also ich rede 11. und 12. Abends“. Während Max Weber den Vortrag „Abendländisches Bürgertum“ (vgl. MWG I/16, S. 557 f.) tatsächlich am 12. März 1919 gehalten hat, verschob sich seine Rede über „Student und Politik“ (vgl. MWG I/16, S. 482–484) nochmals um zwei Tage auf den 13. März 1919. Der folgende Brief ist ein Nachtrag zum vorausgegangenen Brief an Else Jaffé vom selben Tag, oben, S. 494–498. Die Ortsangabe ergibt sich ebenfalls aus dem Briefinhalt und dem Bezug zum vorangegangenen Brief.

Dienstag Nachmittag O Du Liebling,

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ich machte den Brief nochmal auf – er ist teilweise dumm, wie der gestrige1 – nachdem ich Deine süßen Liebesworte noch einmal gelesen und wieder gelesen hatte. Wie gut bist Du mit mir! Ja damals in der Bahn, 2 als Du mir über das Gesicht fuhrst, – es war gleich Alles in Ordnung, und so wird es immer sein. – Ach, spürst Du jene „scheue Seele“ so selten? Sie vermag sich nicht leicht zu äußern, gar nicht sonst, außer zu Dir. Versuch doch, mir zu „glauben“. Natürlich, vieles ist Dir so sonderbar und vor Allem: Du weißt um meine vielen „Masken“ und meine Todesangst ist, ich sagte es ja wohl einmal, immer: „sie muß ja denken: hat er die gegen Andre, warum nicht – auch gegen mich eine, wieder eine andre?“ Das wäre nur ein gerechtes, nein auch etwas schmerzliches Schicksal. Aber – Du bedächtest dann doch Einiges nicht. Es tut unendlich gut, was Du über den Peter3 schreibst – grade nach dem mich noch immer bedrückenden damaligen Rätselwort: „Du nimmst ihn mir“4 – und von den Schichten der Seele. Ja, ich glaube Dir, dies und Alles Alles was Du sagst. Vielleicht verstehst Du meine Lage beim Bedenken: daß ich Dein bin mit Leib und Seele, für immer, ob fern oder nah, und das gar nicht anders wollen und fühlen könnte, 1 Vgl. den Brief an Else Jaffé vom Vortag, oben, S. 490–493. 2 Möglicherweise eine gemeinsame Bahnfahrt von München nach Heidelberg Ende Januar 1919. Zu deren Planung vgl. die Briefe an Else Jaffé vom 19. und 23. Jan. 1919, oben, S. 403 und 411. 3 Peter Jaffé, der im Alter von 7 Jahren verstorbene Sohn Else Jaffés aus ihrer Beziehung mit Otto Gross, war Max Webers Patenkind. 4 Dieser Hinweis findet sich bereits im Brief an Else Jaffé vom 20. Jan. 1919, oben, S. 404.

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möchte ich mich anstrengen wie immer – daß ich aber nicht wollen darf: Du wärest im gleichen Sinn „mein“ – der |:eignen:| Verantwortung und |:der:| Schönheit Deines Lebens wegen. Ist das nicht doch eine besondre Lage, die es verzeihen läßt, wenn ich zuweilen einfach „Angst“ habe, um Dich, Herz, um unsre Schönheit, um Alles. Aber ein liebes oder ein spöttisches Wort von Dir oder gar: Du bist leibhaftig da, – und Alles ist in Ordnung [ .] In der Regel ist es überhaupt in Ordnung und geht es sehr gut, einfach wie im Himmel, ja – denn das ist Unsinn – weit schöner: wie auf der blühenden Erde im Mai, und gelegentliche körperliche Schwierigkeiten sollte ich am besten für mich behalten, statt Dich damit zu belasten. Ich mußte ja fragen: kann ich das leisten in München. 5 Und das war nicht sicher. Es glaubt und weiß ja Niemand, auch Mar[ianne] nicht, (theoretisch: ja, aber ihre Liebe und Sehnsucht empfi ndet es nicht aktuell): daß ich immer unter der Spitze des Schwertes lebe gesundheitlich (rein physisch!). Ein ander Mal mündlich davon, wenn Du willst und es Dich nicht betrübt. Jetzt bin ich wieder so glücklich und zuversichtlich, auch wegen des Hinkommens nach M[ünchen]. Ja, die „Eva“ hab ich halt auch so arg lieb. Aber nicht wahr, Du bist, wie es Dir grad paßt. Die arme liebe kleine und doch so überlegene Raffael’sche Figur, lächelnd über den ganz erstaunt auf sie schauenden verträumten großen Buben – Du kennst doch das Bild? (Loggien, ich zitierte es wohl schon einmal).6 Ach ein „ästhetischer“ Professor7 ist der Adam nicht, der ihr, auch ihr, sich hemmungslos und jubelnd ergiebt. Nur, eine „zweite“ Jugend – und wo hatte ich je eine „erste“? – sieht halt besonders aus: „der Flieder war’s, Johannisnacht“8 – hast Du die Stelle gegenwärtig? Ach ja, jenes „Letzte“, das ich nicht weiß – und weiß, daß ich nicht weiß. Ganz still will ich warten, wieviel Du mir sagen kannst und willst, Du holdes wissendes ernstes und gütiges stolzes Leben. Immer warten ohne Ungeduld und versuchen es mir zu verdienen. Womit nur? frage ich mich. Daß Du immer die Gebende bist, 5 Max Weber fürchtete die aus der Übernahme einer Professur erwachsenden Belastungen. 6 Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 1. Febr. 1919, oben, S. 420 f. 7 Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 7. März 1918, unten, S. 512. 8 Das Zitat aus Hans Sachs’ Wahnmonolog (Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“, 3. Aufzug, 1. Szene) hatte für Max Weber eine besondere Bedeutung. Er widmete mit diesem Zitat Mina Tobler zu ihrem 34. Geburtstag am 24. Juni 1914 ein Exemplar des Romans „Der grüne Heinrich“. (Vgl. Bandeinleitung „Zur Musiksoziologie“, MWG I/14, S. 31 f., Anm. 113.)

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nehme ich einfach hin. Wäre ich nur erst bei Dir. – „Fast“ ein wenig ängstlich hätte ich gefragt: [ „ ] ob Du mich denn so lieb hast?“ O in großer „Angst“, vielmehr: Beklemmung, glückseliger Beklemmung, liebstes angebetetes Geschöpf. Ich weiß ja, ich weiß ja – was für Schmerz und Kompliziertheit hast Du für mich, um mich zu beschattena, auf Dich genommen, täglich auf den Knieen danke ich dem Schicksal und Dir dafür. Aber jedesmal neu ist die Betrübung, wenn es nun wieder da ist, daß Jemand mich so, in der Art lieb haben kann, Jemand wie Du Jemanden wie mich. Mach mich diesmal nicht traurig, mein Herz, mit Skepsis: er „will“. . . „Schauspieler“. . . u. s. w. Nein das solltest Du nicht. Und ein wenig, nein: recht sehr viel Angst um Dich ist auch dabei. Niemandem habe ich bisher reines Glück gebracht. Und Dir muß man es bringen, sonst soll man sich aufhängen, – aber ja: damit wäre nichts genutzt, – nein: man muß sich Mühe geben, es Dir nicht schwer zu machen, und das habe ich nicht genügend gethan. Und jetzt willst Du das „Schaf“ sein? – was denn, ich bin es doch (siehe: Zettelchenb vom 27. XII) 9 und Du: die Schäferin so in Watteau’s Art,10 nicht? Eben Telegramm aus München: also ich rede 11. und 12. Abends (Deutsch-Nat[ionale] Studenten am 11., Sozialwiss[enschaftlicher] Verein am 12.).11 Bin Sonntag Abend dort. Die Spartakisten werden mich schon zu Dir lassen. Nur: die Bahnen? Ach was, so lange gehen die. Und bin ich erst dort und kann nicht wieder zurück, – ein entzückender Gedanke, dann schlage ich die „Kassandra“12 tot und bin statt ihrer um Dich, immer immer um Dich,c bis Du mich fortjagst oder irgendwo zu vorsichtigem gelegentlichen Gebrauch inhaftierst.

a Alternative Lesung: beschenken b Brief > Zettelchen c 〈bist daß〉 9 Max Weber hatte Else Jaffé im Brief vom 26. Jan. 1919, oben, S. 413, mit der Göttin Circe verglichen, welche die Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt hatte, und gescherzt, sie habe aus ihm allerdings ein Schaf gemacht. Ein „Zettelchen“ vom 27. Dez. 1918 ist nicht nachgewiesen. 10 Der französische Rokokomaler Antoine Watteau verherrlichte Lebenslust und Sinnenfreude insbesondere in bukolischen Genredarstellungen. 11 Vgl. die Editorische Vorbemerkung. 12 Anspielung auf den bei Else Jaffé wohnenden Percy Gothein, vgl. den Brief an Else Jaffé vom 3. März 1919, oben, S. 490, Anm. 3.

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Du stolze schöne „Eva“ – ja mit den Klinger’schen Rätselaugen im Paradieswald – Adam schläft hinten, dieser Lulatsch!13 Weißt Du? Dein M

13 Max Weber bezieht sich auf die erste Radierung („Eva“) aus Max Klingers 1880 entstandenem Zyklus „Eva und die Zukunft“. Max Weber hatte Marianne Weber zum Abschied von Berlin 1894 fast sämtliche Radierungen des Künstlers geschenkt, diese allerdings 1906 großteils wieder verkauft. Vgl. den Brief an Helene Weber vom 17. Febr. 1906, MWG II/5, S. 36 f., hier Anm. 2.

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Richard Siebeck 4. März 1919; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich SBPK zu Berlin, Nl. 488: VA Mohr/Siebeck, Fasz. Oskar Siebeck – de Gruyter Im Dezember 1918 war es unter der Federführung von Walter de Gruyter in Berlin zu einer Konzentration bzw. Vereinigung mehrerer Verlage gekommen. Dazu hieß es in einem Rundschreiben vom April 1919 (SBPK zu Berlin, Nl. 488: VA Mohr/Siebeck, Fasz. Oskar Siebeck – de Gruyter), daß die Verlage Göschen, Guttentag, Reimer, Trübner sowie Veit & Co. „ihre Geschäfte vereinigt und unter Aufhebung der bisherigen Einzelfirmen gemeinsam mit Wirkung vom 1. Januar 1919 ab eine Kommanditgesellschaft unter der Firma: Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co [. . .] errichtet“ hätten. Oskar Siebeck hatte in zwei Briefen an seinen Vater Paul Siebeck vom 9. Februar 1919 (ebd.) Näheres über diese Neugründung mitgeteilt und über sein Gespräch mit de Gruyter berichtet, in welchem er die grundsätzliche Bereitschaft signalisierte, eventuell mit dem neuen Verlag über eine Fusion von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) in Verhandlungen zu treten. Paul Siebeck, der eher skeptisch bzw. unschlüssig war, bat daraufhin seinen Sohn Richard Siebeck, der in Heidelberg Ordinarius für Internistik war, sich dort in dieser Sache mit Max Weber ins Benehmen zu setzen. Wie Richard Siebeck seinem Vater am 18. Februar mitteilte, hatte er Max Weber endlich angetroffen: „Heute Abend war ich bei Max Weber [. . .]. Viel konnte er nicht sagen, da er die ganze Sache u. ihre Folgen nicht übersehen könne. Natürlich sei es an sich nicht wünschenswert, daß die persönlichen Verlagsgeschäfte mehr u. mehr in großen Betrieben mitregieren. Zweifellos würde es auch von den Autoren mit einem gewissen Mißtrauen aufgenommen, wenngleich er persönlich in keiner Weise sich beeinträchtigt fühlte [. . .].“ Notwendig sei für den Verleger, unbedingt für Sicherheiten zu sorgen, damit „die Freiheit im Verkehr mit den Autoren erhalten bliebe. Die Autoren dürfen nicht einen andren Ton, Chikanen in Kleinigkeiten, merken. Daß Du selbst keine große Neigung habest, verstand er vollkommen. Er meinte aber auch, Du müßtest doch die Sache mit den Gedanken an die Zukunft ansehen. Daß die Zusammenballung immer weiter geht, daß sie auch den Verlag ergreifen wird, müsse man unbedingt annehmen; das ließe sich gar nicht aufhalten. Übrigens fand er in der augenblicklichen politischen u. wirtschaftlichen Lage dagegen keine Bedenken. Nur meinte M. W. auch, wäre man der Meinung, daß die Entwicklung dahinginge, so sei es nicht gut zurückzustehen. Ganz besonders meinte er auch das, wenn man dächte, die Brüder könnten sich später unsicher fühlen, sich dann zu einem Anschluß gezwungen fühlen, oder sie wollten es haben, – dann wäre es natürlich viel besser, wenn Du selbst die Sache machtest, damit Du dem neuen Betrieb gegenüber Deine Autorität entsprechend geltend machen könntest, – u. auch den Autoren gegenüber, die zu Dir viel eher das nötige Vertrauen haben als zu den jungen Leuten, die mit großen Neuerungen kommen. [. . .] Nun zu der speziellen Lage. De Gr[uyter] kennt er nicht, weiß auch nichts über die betr[effenden] Firmen. Göschen sei früher sehr übel gewesen [. . .] – ob das vor de Gr[uyter]’s Zeit war, wie ich annehme, weiß ich nicht. – Sehr gut fände M[ax] Weber es, wenn Duncker u. Humblot mitmachte, der in den Staatswissenschaften einen sehr guten Namen habe. [. . .] Wie die Zentralisierung auf die wissenschaftliche Produktion wirke, vermöge er nicht zu sagen. [. . .] Also: man könne die Sache nicht ohne weiteres von der Hand weisen, aber man soll sie an sich herankommen lassen u. vor allem ganz unbedingt sich jede Freiheit im Verkehr mit seinen Autoren sichern. – Das ist wohl Alles.“ (Ebd.) Paul Siebecks Antwort vom 20. Februar 1919 (ebd.) sowie ein Schreiben seines Sohnes Oskar Siebeck vom 15. Februar 1919 (ebd.) mit ausführlichen Erläuterungen zu der neuen – von de Gruyter geleiteten – Verlagskonstruktion wurde Richard Siebeck mit

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dem ausdrücklichen Wunsch zugestellt, diese Max Weber zur Information bzw. zur kritischen Bewertung zugänglich zu machen. Dies geschah – und offensichtlich sind es die Schriftstücke, die Weber mit dem unten abgedruckten Brief zurückgesandt hat. Die Briefe von Paul und Oskar Siebeck enthalten einige Marginalien Webers – heute nur in der Abschrift Paul Siebecks greifbar. Im Brief Paul Siebecks an seinen Sohn Richard vom 20. Februar 1919 merkt Weber an der Stelle, an der Siebeck auf den zweiten Bericht Oskar Siebecks erklärt, in seiner „Abneigung noch bestärkt worden“ zu sein, lapidar an: „begreiflich“. Der Brief Siebecks fährt fort: „Ich kann mir gar nicht denken, daß ich persönlich zu irgend welcher Vergesellschaftung mich eigne“, dazu der Kommentar Webers: „In der That“. Des weiteren: „Vom Persönlichen abgesehen, habe ich aber auch das Bedenken, ob ein derartiges kapitalistisches Unternehmen zeitgemäß ist? Und wenn ja, was ich kaum glaube, ja, so wäre es voraussichtlich der Anfang oder Übergang zur Sozialisierung [Unterstreichung Max Webers], für die ein wissenschaftliches Verlagsgeschäft sich schwerlich eignet. Ob sie überhaupt kommen [Unterstreichung und dazugehörige Randbemerkung Max Webers: „glaube ich nicht!“] wird, steht ja noch nicht so ganz fest. Der Gedanke, die Autoren an dem Unternehmen zu beteiligen, hat mich schon gegen Ende der 80er Jahre in Freiburg lebhaft beschäftigt.“ [Randstrich sowie Randbemerkung Max Webers: „auch am Risiko? offenbar schwer möglich, damit aber nicht zu machen für die Autoren (ferner: Gelegenheits-Autoren auch?[)].“ Des weiteren: „Ich wäre Dir dankbar, wenn du es ermöglichen könntest, auch über Oskars zweiten Bericht und meinen heutigen Brief mit Max Weber zu sprechen und von ihm auch zu hören, wie er denn über die Zukunft des Kapitalismus und über die Sozialisierung denkt.“ [Randstrich und Randbemerkung Webers: „wird nicht so heiß gegessen, wie gekocht. Wo ist das Geld dazu bei den Staaten? Zeitweiser Bolschewismus wird bald zusammenbrechen[.]“] – Auch den langen Brief Oskars an Paul Siebeck vom 15. Februar 1919 (ebd.) hat Weber kommentiert. Nachdem Oskar Siebeck erläutert hatte, daß der Verlag firmenweise in vier Abteilungen mit den Schwerpunkten Rechtswissenschaft, Philologie, Naturwissenschaft und Technik gegliedert werden sollte, fügte er hinzu: „de Gruyter und Halem sprachen von der Möglichkeit, eine 5. Abteilung: Theologie zu bilden, im übrigen müßte der Mohrsche und Laupp’sche Verlag auf die Abteilungen aufgeteilt werden |:worauf ich nicht eingehe.:|.“ An dieser Stelle findet sich die Randnotiz: „Max Weber bemerkt dazu: sehr begreiflich! In der Tat eine tolle Zumutung!“ Weitere Marginalien sind auf der letzten Seite des Briefes. Zum Satz: „Über die Aufnahme von de Gruyters Namen in die neue Firma [Unterstreichung Max Webers] schrieb ich das letzte Mal“ notiert ein Randkommentar: „er allein? dann verschwänden also die alten Firmen ganz und zwar zu Gunsten eines Personen-Namens, den die Autoren nicht kennen. In der Tat der Kernpunkt! zumal für die Autoren!“ Ein letzter Kommentar findet sich gegen Ende des Briefes vom 15. Februar. Bei dem Satz Oskar Siebecks: „Für den Augenblick wird weitere Stellungnahme nicht erwartet.“ steht die Notiz: „Max Weber: Zureden kann ich keinenfalls! Abreden ist natürlich sehr verantwortlich. Aber die Firma verschwände. Das würden die Autoren nicht hinnehmen. Und bei’m ‚Austritt‘? Soll die alte Firma da dann neu erstehen?“ Die Bedenken Webers, Karl Büchers sowie Otto Baumgartens haben sicherlich Paul Siebecks Absicht bestärkt, von einer Fusion mit dem Verlag de Gruyter abzusehen. Dementsprechend schrieb Siebeck an Walter de Gruyter am 3. April 1919 (ebd.): „Auf Grund unseres Briefwechsels vom 18., 22. und 28. August 1914 hatte ich einen etwaigen Zusammenschluß Ihrer und meiner Firmen mir wesentlich anders gedacht, als die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger sich nun vollzogen hat, die die alten Firmen doch gar zu sehr in der Versenkung verschwinden macht. Da mein Sohn [Oskar Siebeck] seine Tätigkeit in Berlin wieder aufgenommen hat, ist er in der Lage, mit Ihnen sich auszusprechen, wenn ich mir auch nicht denken kann, daß damit an Ihren und meinen Entschlüssen sich noch nachträglich etwas ändert.“

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Eine Fusion kam nicht zustande, der Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) blieb ein unabhängiges Unternehmen.

Heidelberg, 4. III. 19. Sehr verehrter Herr Kollege,

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anbei der Brief mit Dank zurück.1 Zureden kann ich da nicht! Ich entnehme doch mit Recht, daß die Firmen Mohr und Laupp einfach verschwinden. Beim Austritt entstehen sie doch nicht einfach von selbst neu. Und dann: Keinerlei selbständige Verlagsverträge! Und ein fremder Name in der Firma! (de Gruyter: daß der dabei profitiert, ist ja klar, an Prestige vor allem. Aber die Andern? Ich verstehe das einfach nicht). Und nicht einmal eine selbständige Abteilung für Ihren Vater. Mir durchaus antipathisch. Aber Ihre Brüder2 müssen wissen, was sie tun. Wenn sie fi nden: ja, so kann ich Ihren Vater nicht beeinflussen wollen. Denn sie sind in Zukunft der Verlag, tragen sein Risiko. Kollegiale Grüße! Ihr Max Weber.

1 Gemeint ist der Brief von Oskar an Paul Siebeck vom 15. Febr. 1919 (SBPK zu Berlin, Nl. 488, VA Mohr/Siebeck, Fasz. Oskar Siebeck – de Gruyter); zu Webers Marginalien zu diesem Brief vgl. die Editorische Vorbemerkung. 2 Oskar und Werner Siebeck.

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Verlag Duncker & Humblot 5. PSt März 1919; Heidelberg Karte; eigenhändig VA Duncker & Humblot, Berlin Die Karte ist von Weber irrtümlich auf 5. Februar datiert. Der Poststempel trägt das Datum vom 5. März 1919.

Heidelberg 5/IIIa Sehr geehrter Herr! Gleichzeitig sende ich Korrektur No 1 von „Wissenschaft als Beruf“.1 Der Vortrag: „Politik als Beruf“2 wurde vor 4–5 Tagen Herrn Dr Immanuel Birnbaum Hiltensbergerstr. 53 dort (früher Vors[itzender] des Freist[udentischen] Bundes) geschickt, der ihn wohl an Sie weitergiebt. Ich bin Montag bis Freitagb k. W. voraussichtlich cim Hotel Grünwaldc , München. Soll die Korrektur beeilt werden, so bitte ich auch 1 Exempl. dorthin zu senden, sonst nur hierher, jedenfalls aber eines auch hierher. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Max Weber

a O: II b Donnerstag/Freitag > Freitag

c O: zweifach unterstrichen.

1 Die Korrektur des Vortrags war Weber mit Begleitschreiben des Verlags Duncker & Humblot am 3. März 1919 (Abschrift masch.; VA Duncker & Humblot, Berlin) zugesandt worden. Die Rede: Wissenschaft als Beruf (Geistige Arbeit als Beruf. Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag). – München und Leipzig: Duncker & Humblot 1919, ist Ende Juni/Anfang Juli des Jahres erschienen. Zu Entstehung und Publikationsverlauf vgl. MWG I/17, S. 49–69. 2 Webers Rede ist wie „Wissenschaft als Beruf“ zeitgleich Ende Juni/Anfang Juli 1919 erschienen: Politik als Beruf (Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag). – München und Leipzig: Duncker & Humblot 1919. Zu Entstehung und Publikationsgeschichte vgl. den Editorischen Bericht in: MWG I/17, S. 113– 137.

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Else Jaffé [6. März 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Donnerstag“ und dem Briefinhalt: Max Weber nutzte die Einladung zu einem Gespräch mit Mitgliedern der Staatswirtschaftlichen Fakultät über seine Berufung auf den Lehrstuhl Lujo Brentanos am 10. März 1919 in München (vgl. den Brief an Franz Matt vom 8. März 1919, unten, S. 515), um Else Jaffé zu besuchen.

Donnerstag Liebling –

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wieder schaut Dein Bild mich an, – dieser strenge Maßstab, vor dem ich versuche mich zu |:„behaupten“ und zu:| „bewähren“, so gut ich eben kann – und es geht schwach genug damit. So? – Du bist über Deine hervorragenden Qualitäten nur hinlänglich aufgeklärt? schriebst Du? Ach guter Gott, was weißt denn Du davon, wie triumphierend schön Du bist. Aber gut: ich schweige davon, will’s wenigstens versuchen. – Also Liebe, ich strapaziere Tel. 12958 – das ist doch die Nummer? – nicht erst, sondern fahre |:Montag:| 9 Uhr gleich zum Hörselberg,1 wenn ich nicht andre Weisung vorfi nde (und natürlich: wenn ich nicht etwa unterwegs liegen bleibe dank Eurer großartigen Regierung und Verwaltung).2 Natürlich ist mir’s auch grade so recht, Dich im Hotel zu sehen, falls Du in der Stadt sein solltest: gieb mir nur Auskunft. Und dann wollen wir vor allen Dingen froh sein. Du auch – nicht? Und ich bleibe, fi nde „Gründe“ zu bleiben, so lang Du willst (hatte an Rückfahrt Samstag gedacht). Sollte ich nicht den ganzen Sommer kommen, dann jedenfalls für Wochen, um „Seminararbeiten zu vergeben“. Aber wenn es nicht direkt unanständig wirkt, komme ich ganz, lese 2 Stunden und – was mache ich sonst wohl mit der Zeit? Du wirst schon sorgen, daß ich „leben und schauen lerne“. (Pfi ngsten bin ich dann hier). Und Alles wird gemacht, wie Du es mich machen heißest, Du braunes

1 Der Hörselberg in Thüringen mit der Venushöhle ist ein Schauplatz in Richard Wagners Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg“. Dort war der Minnesänger der Liebesgöttin erlegen. Hier Anspielung auf Else Jaffés Wohnung in Solln, damals ein Dorf südlich von München. 2 Gemeint sind die chaotischen politischen Zustände nach der Ermordung Eisners am 21. Februar 1919.

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goldenes Glück. Wie Du da so lässig zurücklehnst in den Hut hinein3 – er ist auch schön, paßt zu Deinem feinen Gesicht, der jetzige freilich ist anders, aber: auch so unglaublich wie für Dich geschaffen – und die Federn – nun ich streichle die eine, die ich ausgerupft erhielt, täglich (erst hatte ich sie tatsächlich nicht gesehen, sah, fühlte, streichelte, küßte, liebkoste nur das wunderbar zugleich feste und süße gelockte Haar: – solch ein mädchenhaftes Haar, über das doch so viel von Schönheit, Schmerz, Wissen hinweggegangen ist) a – ja so: Du bist ja „hinlänglich aufgeklärt“ . . . aber ich suche und fi nde täglich neue „Aufklärung“. – Was schrieb ich eigentlich in den letzten Zetteln? ach ja, von mir allerhand, dunkel und verworren zum Teil; – nun Dein lächelnder und unendlich lieber Blick, unter dem wird sich Alles klären und verständlich sagen und ausbreiten lassen, wenn es Dich grade „angeht“, und: ob es das tut, darnach frage ich nun schon lange lange nicht mehr, könnte es gar nicht mehr. Alles ist Dir ja eigen und ergeben, – Liebling, wie lieb habe ich Dich. Und bald sehe ich Dich, ist es zu glauben? Immer Dein M

a Klammer fehlt in O. 3 Max Weber hatte sich diese Photographie im Brief an Else Jaffé vom 26. Febr. 1919, oben, S. 485, erbeten.

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Carl Heinrich Becker 7. März 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Carl Heinrich Becker, Nr. 4952 Der Brief steht in Zusammenhang mit der nicht zustande gekommenen Berufung Webers nach Bonn; zu diesem Vorgang vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Josef Heimberger vom 5. Februar 1919, oben, S. 427.

Heidelberg 7. III. 19 Hochgeehrter Herr Geheimrat!

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Die bayrischen Zustände1 bedeuten eine ganz ungebührliche Hinauszögerung der Angelegenheit meiner Berufung und ich habe nunmehr erst Gewähr erlangt: daß sie in nächster Woche, wo ich dort sein werde, endgültig erledigt wird, 2 ich weiß nicht: in welchem Sinn. Ich werde dann sofort Mitteilung machen. Die Lage ist die: daß der Münchener Posten jetzt so exponiert ist, daß die Kollegen es wie eine Art von Felonie ansehen würden, wenn ich ohne sachlichen Grund mich ihm grade jetzt entzöge. Das Ergebnis wäre, wie die Dinge liegen: Besetzung durch einen blutigen Dilettanten aus politischen Gründen. Wenigstens das wahrscheinliche Resultat. Läge es anders, ich würde keinen Augenblick zögern, das von Ihnen so überaus generös gemachte Angebot ohne weitere Erörterung anzunehmen. Ich darf bemerken, daß, wenn es dazu kommen sollte, ich es doch richtiger fände: die Stelle als Honorarprofessur zu gestalten, falls nicht starke Gründe dafür vorhanden sind, sie zum Ordinariat zu machen. Vor Allem würde dadurch die Bergbohm’sche Stelle frei sein zu alsbaldiger Besetzung, wenn ich komme. Sonst wäre das nicht der Fall. Ich werde umgehend berichten, sobald ich eine bestimmte Stellungnahme zu meinem von Anfang an gestellten einzigen Verlangen: als Soziologe berufen zu werden, extrahiert habe. 3 Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster Max Weber 1 Zur chaotischen Lage in Bayern nach der Ermordung Kurt Eisners vgl. die Briefe an Else Jaffé vom 22. und 25. Febr. sowie vom 1. März 1919, oben, S. 478–480, 481–483 und 489. 2 Gespräch mit Franz Matt am 12. März 1919 mit einer Auflistung der Bedingungen für eine Annahme des Rufs (BayHStA München, MK 69316). 3 Die weitere Verhandlung erübrigte sich, nachdem Weber in seinem Brief an Becker vom 25. März 1919, unten, S. 541, die endgültige Annahme des Rufs nach München bestätigt hatte.

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Else Jaffé [7. März 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt (Einladung zu einem Gespräch mit Kollegen der Staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität München am 10. März 1919). Es handelt sich um zwei Briefteile (von Eduard Baumgarten mit „III 31“ und „III 33“ numeriert). Für die Zusammengehörigkeit sprechen sowohl formale als auch inhaltliche Gründe: Briefpapier, Tinte und Brieffaltung sind augenscheinlich gleich. Während bei III 31 Grußformel und Unterschrift fehlen, beginnt III 33 ohne Anrede mit der Seitennumerierung „2“. Inhaltlich beginnt III 33 genau mit dem Vorsatz, den Max Weber am Ende von III 31 verspricht, nämlich über sich selbst zu reden. Übereinstimmende Hinweise finden sich schließlich zum Entstehungsdatum: III 31 nennt als Entstehungstag „Freitag“ und enthält den Hinweis auf die „Fak[ultäts]-Sitzung“ am 10. März 1919 sowie die zwischenzeitlich am 11. März 1919 geplante, dann endgültig auf den 13. März terminierte Rede „Student und Politik“ (vgl. MWG I/16, S. 482–484). Auf III 33 finden sich dazu passend die von Weber mit dem Kommentar „Das war an Lotz! Verzeih!“ durchgestrichenen Anfangszeilen eines auf 6. März 1919 datierten, aber nicht nachgewiesenen Briefkonzeptes oder Briefes an Walther Lotz. Das Seitenende von III 31 ist mit | markiert.

Freitag Liebling, – Also: Montag Nachmittag ist Fak[ultäts]-Sitzung |:5 Uhr:|1 unter ganz günstigen Auspizien nach dem Brief von Br[entano], dessen „Genie“ Du entdeckt hast. Endlich! denn die Preußen können doch nicht ewig warten sollen.2 Um 12 schon soll ich bei L[otz] essen, kann also grade noch bei Dir eine Andacht verrichten, ehe ich da hingehe |:(falls Du nicht etwa in der Stadt bist):|. Dienstag Abend dann im Deutschnationalen St[udenten]-V[erein], 3 Mittwoch im Sozialwiss[enschaftlichen],4 Donnerstag, Freitag: frei1) ; Herrn Matt sehe ich mir wohl 5

1)

„Kolleg“ über die

„Zwischenbemerkung“5

bei Else v. R[ichtho-

fen] 1 Max Weber meint vermutlich die Einladung zu einem Gespräch mit Mitgliedern der Staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität München am 10. März 1919 (vgl. den Brief an Franz Matt vom 8. März 1919, unten, S. 515), denn eine Fakultätssitzung ist an diesem Tag nicht nachgewiesen (vgl. UA München M-III). 2 Zu Max Webers Hinhaltetaktik bezüglich des Lehrstuhlangebots der Universität Bonn vgl. den Brief an Carl Heinrich Becker vom 7. März 1919, oben, S. 509. 3 Zur Rede „Student und Politik“ hatte der Politische Bund deutscher Studenten (Bund deutsch-nationaler Studenten) eingeladen. Vgl. MWG I/16, S. 482–484. 4 Veranstalter des Vortrags „Abendländisches Bürgertum“ war der Sozialwissenschaftliche Verein der Universität München. Vgl. MWG I/16, S. 557 f. 5 Anspielung auf: Weber, Max, Zwischenbetrachtung.

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Dienstag oder Mittwoch eine Stunde an.6 Hoffentlich geht nun Alles gut. L[otz] ist so genial, es „sehr wünschenswert“ zu fi nden, daß ich im Sommer dort lese! Ja er ist wirklich so begabt, wie Du fi ndest. Er sei gesegnet! Liebling, – aber ich denke noch gar nicht so weit. Möchte selbst Alles wieder sich im Nebel auflösen, erst einmal bin ich da, bei Dir oder doch nahe bei, – denn im Münchener Wind spüre ich immer, selbst wenn es kalt ist, irgendwie Deinen warmen Atem mit. Und Du willst fröhlich mit mir sein und willst von ernsten Dingen mit mir reden und ich darf – auch Vieles in Deine lieben Hände legen. Das zu denken tut gut. – Ja meinst Du, ich hätte den Ausdruck2) Deines Gesichts vergessen, als Du das da an dem Morgen (im Zimmer 66) 7 sagtest? Du bist eben nicht nur „lieb“, sondern außerdem „gut“ zu mir, – so wie es jene „scheue Seele“, von der Du sprichst (gelt Du sagst mir noch, wenn Du sie spürst?) zu Dir ums Leben, ums Leben gern sein möchte, wenn sie nur die Kraft und Entfaltungsmöglichkeit hätte so wie die Deine. Aber, mein Herz, Du sollst so sein wie Du als Ganzes bist, nicht nur: „gut“, zu mir, auch, wenn Dir darnach ist, „bös“ (in jenem Sinn, der da wohl gemeint ist), denn Alles Alles an Dir bejahen Seele und Sinne bei mir, und das ist nur in „Gesten“ und „Formen“ die Wirkung des „roten Glases“, – ich weiß eben doch zu genau, was ich früher, vor Jahren,8 an Dir so |:bejaht und:| bewundert habe und was mich so „bezwang“: das war nicht nur das Durchfühlen Deiner „Güte“, sondern auch die unendliche „Schönheit“ und das starke „Leben“, ja: das, rein als solches, vor dem die „Kritik“ eben doch, alle Kritik, einfach verstummte und sich schämte zu existieren. 3) – Ach ja so, Du bist ja „aufgeklärt“ über Dich – Du heillos blasierte und verwöhnte Hexe Du! könnte ich doch . . ., aber schließlich – kapituliere ich ja doch sicher wieder. – Indessen: ich soll von mir reden. Versuchen wir’s! | 2)

Ausdruck ist keine Bezeichnung für etwas so Liebes! Du hast viel zu viel das Gefühl, immer „kommentiert“ und „kritisiert“ worden zu sein. Und so weit es geschah – sei mit der Buße zufrieden, in der Du mich fi ndest. | 3)

6 Das Gespräch mit Franz Matt, dem zuständigen Ministerialreferenten, fand am 12. März 1919 statt. 7 Zimmernummer im Hotel Grünwald in München, in dem Weber am 28. Januar 1919 übernachtet hatte. Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 1. Febr. 1919, oben, S. 422. 8 Gemeint ist die Zeit von 1909/10.

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Also jetzt ist aus dem „ethischen“ ein „ästhetischer“ Professor geworden? Hätte sich das der Erstere je träumen lassen? Wie ist das nur zugegangen? Weil er Dich schön fand unda dadurch in Deinen Augen das Zeugnis der ästhetischen „Reife“ erbrachte?4) Das hat er eigentlich schon in Grignano getan (von Venedig zu schweigen) 9 und Du wirst mir doch nicht einreden, daß Du das nicht wußtest und entsprechend zensuriert hättest? Und hat er die Qualifi kation für Ethik eingebüßt? Wodurch? bei allen Teufeln! Grad wenn man sehr viel davon versteht – wie Du z. B. – könnte man doch |:zu ihr:| sagen, wie die Kinder, wenn sie was nicht mögen: bä! bä! Du hast das nun mit resoluterer Ehrlichkeit (möchte ich sagen), getan als ichb, Du weißt ja warum, es wagen durfte: Oder steht das Alles vielleicht anders, bei mir wenigstens? Nun wir wollen darüber einmal reden. – Aber jetzt: der „Ästhetiker“: Das ist wohl der, der sich an jenem Schaf10 auf dem Felsen freut? Zunächst: Deine Zoologie ist ja oft des Prädikats „Summa c[um] l[aude]“ wür11

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Das ist doch kaum anzunehmen. Denn für diese Leistung bedarf es nach der Erfahrung keiner ästhetischen Sachkunde, es genügten dazu medizinische, – chirurgische oder psychiatrische – ja sogar philosophische Fachkenntnisse, und sogar der geistige Gehalt einer „Totenglocke“!11 – „Dös hätt’ i aa kunnt“ soll Kaiser Ferdinand „der Gütige“ bei der Nachricht von der Schlacht bei Königgrätz gesagt haben12 – und die Totenglocke würde das auch sagen. a 〈etwa〉

b 〈es〉

9 Auf einer gemeinsamen Adria-Reise der Ehepaare Jaffé und Weber, die nach Grignano und Venedig führte, waren sich Max Weber und Else Jaffé nach intensiven Diskussionen um deren Lebensführung, an denen zeitweise auch Marianne Weber beteiligt war, nahe gekommen. Vgl. dazu die Briefe an Marianne Weber vom 9. und 12. Okt. 1909, MWG II/6, S. 283–287. 10 Max Weber hatte Else Jaffé im Brief vom 26. Jan. 1919, oben, S. 413, mit der Göttin Circe verglichen, die ihre Gefährten in Schweine verwandelt hatte, und gescherzt, sie habe aus ihm allerdings ein Schaf gemacht. 11 Die Anspielung auf die „Totenglocke“ (vgl. auch den Brief an Else Jaffé vom 19. März 1919, unten, S. 527) konnte nicht entschlüsselt werden. 12 Über Kaiser Ferdinand I (1793–1875) – der im Volksmund „der Gütige“ hieß, aber als Epileptiker nur bedingt regierungsfähig war und nach der Revolution von 1848 abdanken mußte – kursierten zahlreiche Anekdoten. Das von Max Weber zitierte Bonmot über die Schlacht von Königgrätz (vgl. Holler, Gerd, Gerechtigkeit für Ferdinand. Österreichs gütiger Kaiser. – Wien: Amalthea 1986, S. 279) spielt auf die Niederlage Österreichs gegen Preußen am 3. Juli 1866 an, die den preußischen Führungsanspruch im Deutschen Bund besiegelte.

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dig, das gebe ich ja zu |:(No 66!13 Tunnel bei Bruchsal!14):| Aber unterschätze die meinige nicht, und bilde Dir ein: ich ließe mir eine Tochter der Aphrodite für ein „Lamm“ ausgeben! Nein, so gut sind meine Schielaugen doch noch. Aber ist das ganze Bild wohl richtig? Ist es nicht eher so, daß der vermeintliche „Ästhetiker“ im Garten der großen Göttin „zu Fall kam?“ daß |:nämlich:| er, sehr unähnlich einem Ästhetiker, ganz blind dem wunderbaren Duft von Rosen, Veilchen, Nelken nachging, um sich einige zu brechen – und weiter gar nichts, daß ihm der ewige Wind |:einer:| fernen – so wie die Sterne, die man „nicht begehrt“, freuen, – unendlichen Meeresschönheit um die Schläfen strich und die Seele weitete, er jubelnd aber blind (blind seit langen Jahren) weiter ging, immer weiter, immer nur tastend nach den unschuldigen Blumen – und plötzlich, als er sie zu greifen meinte, wurden seine Augen aufgetan, indem er über eine Rosenkette auf einen linden Rosenteppich fiel, und: als er aufschaute, lag er zu den Füßen einer bräunlichen goldigen Tochter des Hauses, – und ihre Haare waren es, die den Veilchenduft trugen, und die starken hängenden Nelken waren ihre Lippen, und Rosen waren – nun, sie selbst blühten und sie lächelte zu ihm nieder – und |:daß er das sah,:| das war seine ganze „Ästhetik“? – wie Du sie nennst? – Und sie? nun sie litt das schlimme Schicksal, das den Kindern der Götter droht, wenn sie einem Sterblichen gut werden (hoffentlich aber nicht so wie „India’s [“] Tochter)15 – getan hatte sie nichts, keinen Finger gerührt, um den blinden Mann zu sich zu ziehen, aber ihre Gewalt, ihr Duft, das Wehen des Odems ihrer Seele, das hatte ihn unbekannte Pfade zu ihr geführt, und sie war so unvorsichtig hold gewesen, dem blinden Toren die Seligkeit seiner Pilgerfahrt zu gönnen – obwohl sie nun die Schmerzen, er die Seligkeit davon hat: daß er sehend wurde. Du armes unendlich geliebtes und angebetetes Götterkind, es ist ein seltsamer Wanderer, der da, für immer, seine Heimat im warmen Glanz Deiner Liebe gesucht hat, – Du mußt ihn fortjagen, wenn er garstiger ist als Dir schien, und das ist schon möglich. Aber

13 Zimmernummer im Hotel Grünwald in München, in dem Weber am 28. Januar 1919 übernachtet hatte. Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 1. Febr. 1919, oben, S. 422. 14 Erinnerung an eine gemeinsame Reise Max Webers und Else Jaffés von München über Bruchsal nach Heidelberg bzw. Karlsruhe am 30. Januar 1919. (Zum Datum vgl. den Brief an Martha Riegel vom 29. Jan. 1919, oben, S. 414, zur Fahrtstrecke die Briefe an Else Jaffé vom 19. und 23. Jan. 1919, oben, S. 403 und S. 411 sowie zum Verlauf den Brief an Else Jaffé vom 12. Juni 1919, unten, S. 639.) 15 Der Bezug konnte nicht geklärt werden.

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schwerlich ist er ein Ästhet! Oder Einer, der fühlen kann, „wie er will“, nicht wie er muß! Ach – das Leben hat ihn da anders geführt und belehrt, wenn er so etwas je hat „ertrotzen“ wollen. Das ist lange, lange her. Oder gar so ein „cerebraler“ Liebender, der mit dem „Gehirn“ liebt? Ich hoffe doch nicht – Niemand kennt sich – aber: die liebesfeindliche Macht, die ist das „Gehirn“, als solches spüre ich es, da hat es mir manchen Streich gespielt, dieser Eisschrank – und nur das ist freilich wahr: daß ich diesen Eisschrank oft als letzte, letzte Rettung brauchte, Jahre lang, als etwas: das immerhin „rein“ war, gegen die Teufel, die mit mir ihr Spiel hatten, als ich krank war (auch vorher wohl) – und wenn eine Sehnsucht da wäre, so wäre es: c Erlösung von der Gewalt dieses „Eisheiligen“, so heilig er ist und gegen so Manches er und nur er mich schützen konnte. Es mag ein wenig dunkel klingen, aber auf dem Papier … Du wirst das Alles schon sehen, kluges Götterkind, – wenn Du willst – und ja, das ist natürlich wahr: mein Frevel ist wohl, daß ich doch nicht lassen kann nach der Gegend zu schauen, zu greifen, mich zu sehnen, wo die Klinger’sche Eva16 im Blütenteppich des Paradieses versonnen zu sichd selbst langsam erwacht – obwohl ich wissen müßte: daß diese Blumen in meiner Hand so b[ald] e welken und Eva friert. Stets wieder sage ich, unbelehrbar, der Hoffnung nach, unermeßlich geliebte Menschen „glücklich“ machen zu können – was mir wohl für immer versagt ist. (Sieh: das ist ein Stück „Einsamkeit“). Müßte ichs nicht wissen? Und doch: – ja konnte ich es lassen? Möchte ich, ich hätte es gekonnt? ich habe die letzten Wochen oft daran gegrübelt, trautes Herz, glaube mir – und immer wieder endete ich, wo ich anfi ng: zu Deinen Füßen, bittend, – Du möchtest mir doch ein wenig gut sein, so, in der Art, wie es Dir grade zu Mut ist. Leb wohl, leb wohl – Montag!17 Immer Dein M

c 〈Errettung aus〉 d ihrer > zu sich

e Lochung.

16 Max Weber spielt wie im Brief an Else Jaffé vom 4. März 1919, oben, S. 502, auf Max Klingers Radierungszyklus „Eva und die Zukunft“ an. 17 Zum bevorstehenden Besuch in München vgl. den Brief an Franz Matt vom 8. März 1919, unten, S. 515.

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Franz Matt 8. März 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig BayHStA München, MK 69316 Der Brief steht in Zusammenhang mit Webers Berufung nach München als Nachfolger von Lujo Brentano; zu Vorgeschichte und Verlauf der Berufung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Februar 1919, oben, S. 423–425.

Heidelberg 8. III. 19 Hochgeehrter Herr Ministerialdirektor!

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Auf Einladung der Fakultät werde ich Montag, 10. III, mit den Herren1 eine Besprechung haben und mir gestatten, Ihnen über das Resultat in den folgenden Tagen Bericht zu erstatten und eine Stellungnahme zu erbitten, welche eine Entschließung ermöglicht. Ich werde im Hotel Grünwald wohnen und mir eventuell telefonisch Mitteilung erbitten, wann Ihnen mein Besuch am passendsten käme.2 Mit vorzüglicher Hochachtung Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebenster Prof. Max Weber

1 Gemeint sind die Mitglieder der Staatswirtschaftlichen Fakultät Max Endres, Karl Escherich, Ludwig Fabricius, Emil Ramann, Vincenz Schüpfer, Karl Frhr. v. Tubeuf, Walther Lotz und Georg v. Mayr. 2 Der Besuch fand am 12. März 1919 statt; vgl. dazu den Brief an Mina Tobler vom 15. März 1919, unten, S. 520, Anm. 1,

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Mina Tobler [8. März 1919; Heidelberg] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Datum und Ort sind erschlossen aus dem Briefinhalt: der Ankündigung der am „Sonntag“ anstehenden Reise nach München sowie dem Hinweis „Heut war noch eine ,Konferenz‘ mit Amerikanern“, die anhand von Alfred Webers Brief an Else Jaffé vom 8. März 1919 (BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 84, Bl. 120–123) und eines Tagebucheintrags von Karl Hampe (vgl. Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, S. 843 f.) auf den 8. März 1919 datierbar ist.

L[iebe] J[udit] Also ich fahre morgen, Sonntag, bin erst Montag Vormittag in München (keine Schnellzüge), die Vorträge sind verschoben,1 so daß die Rückreise nicht sicher anzusetzen ist, ich denke vielleicht Samstag, aber es kann auch Sonntag werden. Ich schreibe von M[ünchen] aus, falls eine Entscheidung erfolgt2 und telefoniere nach Rückkehr. – Heut war noch eine „Konferenz“ mit Amerikanern im Rektoratszimmer, zwei netten Leuten, der Eine hat hier studiert (Major) der Andre ein junger ganz deutsch aussehender Hauptmann. 3 Natürlich 1 Vgl. „Abendländisches Bürgertum – Vortrag am 12. März 1919 in München“ (MWG I/16, S. 557 f.) und „Student und Politik – Rede am 13. März 1919 in München“ (MWG I/16, S. 482–484). 2 Max Weber verhandelte in München wegen der Nachfolge auf den Lehrstuhl von Lujo Brentano (vgl. den Brief an Franz Matt vom 8. März 1920, oben, S. 515). 3 Diese Konferenz ist in den Akten des Heidelberger Universitätsarchivs nicht nachgewiesen. Aber in der Heidelberger Zeitung, Nr. 56 vom 7. März 1919, S. 4, wurden die amerikanischen Besucher angekündigt und der Delegationsleiter, Major Thomas Lindsey Blayney, der 1904 bei Johannes Hoops promoviert hatte, namentlich genannt. Zum Gesprächsinhalt findet sich folgende Information in Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, S. 843 f.: „Endlich berichtete Oncken über die am Morgen stattgehabten Verhandlungen von Universitätsprofessoren mit einer amerikanischen Kommission zur Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse Deutschlands. Er kritisierte, daß schließlich Thoma einen leidenschaftlichen Ton angeschlagen habe und als Meinung Dritter angeführt habe, Wilson könne nur ein Dummkopf oder verbrecherischer Mensch sein, und daß das Volk andres wolle als Kommissionen. Das könne nur verstimmen und schaden. Max Weber habe dann in ähnlichem Ton fortgefahren, während Oncken wieder eine versöhnliche Wendung suchte. Thoma verteidigte sich: es sei seine Absicht gewesen, durch scheinbares Überkochen der Entrüstung die Amerikaner zu beeindrucken. Ich selbst mußte Oncken Recht geben in Würdigung der amerikanischen Eigenart. Zudem war der Vorsitzende ein Schüler von Hoops und sehr deutschfreundlich und bescheiden aufgetreten. Hoops hatte die Idee gehabt, die beiden Kommissionsmitglieder zu weiterer Information in unsern Abend einzuführen, hatte davon natürlich bei ablehnenden Stimmen Abstand genommen. Das war natürlich ein taktloser Einfall. Aber Anschütz regte sich über diese nationale Würdelosigkeit und darüber, daß Hoops (der abwesend war) auch geplant habe, in seiner Wohnung eine Aussprache

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verdarb mir Gothein4 wieder, durch sein Geschwafel, alle scharfen klaren Pointen, die den Leuten Eindruck gemacht hatten: nie mehr werde ich mich mit ihm zusammen zu so etwas setzen! Mein Bruder sprach sehr erregt aber sehr gut.5 Kossel auch. Oncken auch. Thoma sehr lebendig und rücksichtslos. Ich dann (zuerst und) zum Schluß. Der Präsident6 wurde nicht geschont, die Lage entsprechend düster geschildert, die Aspekte des Bolschewismus für die Jugend und die Arbeiter sehr rücksichtlos betont. Der Mann schrieb sich sehr viel auf, ich möchte wohl wissen, was er für einen Bericht schreibt. Jedenfalls möchte er etwas Vernünftiges berichten.7 Er hat schon halb Deutschland gesehen und geht nun heim. – Die Lage ist schauerlich düster, denn jeden Moment einmal kann das wieder losgehen und Wilson’s Macht ist gering. – Wie mag es stehen? Chopin? ich muß ihn das nächste Mal hören. – Es ist verdammt, nun so in sein „Schicksal“ hineinzusehen, denn das wird doch wohl München sein, nicht Bonn, 8 aber jedenfalls nicht – Heidelberg. Das ist wohl ganz klar. – Bis auf Nachricht aus M[ünchen] immer Max W. mit einigen weiteren Professoren, etwa Schubert und mir, zu vermitteln, wohl doch zu leidenschaftlich auf.“ Auf diese Konferenz bezog sich Max Weber möglicherweise in seiner Meinungsäußerung „Wirtschaftliche Lage und Friedensverhandlungen“, in: „Diskussionsbeiträge anläßlich der Beratungen im Auswärtigen Amt zur Vorbereitung der Friedensverhandlungen, 29. März und 2. April 1919“, MWG I/16, S. 254–261, insbes. S. 261, und nicht (wie dort Anm. 9 vermutet) auf den Besuch des amerikanischen Regierungsbeauftragten Arthur Conger. 4 Eberhard Gothein. 5 Alfred Weber schilderte seinerseits das Zusammentreffen im Brief an Else Jaffé vom 8. März 1919 (BA Kolbenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 84, Bl. 123) wie folgt: „Noch eins war heut: eine Kommission von Amerikanern, die über die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland unterrichtet sein wollten. – Im Rektoratszimmer eine Anzahl Kollegen zu diesem Zweck . . . Max und ich (ich aus voller Überzeugung!) haben den Leuten die kommende Weltrevolution von deutscher Seite an die Wand gemalt. . . . Es war ganz interessant: Der eine wollte dann von mir wissen, ob das einen neuen Krieg bedeuten würde. Ich habe gesagt: nein! daran denkt niemand – Aber Bomben und eine ideelle Revolution auf proletarischer Basis, die alle Civilisation vernichten wird . . .“. 6 Zu dieser Kritik am amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson vgl. Anm. 3. 7 Die Offenheit dieses informellen Gesprächs im Gegensatz zum Stil der Alliierten in öffentlichen Unterhandlungen betonte Max Weber ausdrücklich in seinem Diskussionsbeitrag anläßlich der Plenarsitzung der zur Unterstützung der deutschen Friedensdelegation herangezogenen Sachverständigen am 29. März 1919 in Berlin. Vgl. dazu „Wirtschaftliche Lage und Friedensverhandlungen. Sitzung vom 29. März 1919, vormittags“, MWG I/16, S. 258–261, hier S. 261. 8 Zum Ruf nach Bonn vgl. zuletzt den Brief an Carl Heinrich Becker vom 7. März 1919, oben, S. 509.

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Clemens Baeumker 15. März 1919; München Brief; eigenhändig UA München, E-II-694 Der Brief steht in Zusammenhang mit Webers Berufung nach München als Nachfolger von Lujo Brentano; zu Vorgeschichte und Verlauf der Berufung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Februar 1919, oben, S. 423–425.

München 15. III. 19 Euer Magnifi zenz danke ich sehr verbindlichst für Ihr sehr gefl. Schreiben. Ich habe nicht den mindesten Grund mich darüber zu beklagen, daß Hörsäle nicht für Vortragszwecke hergegeben werden,1 die doch schließlich nicht Unterrichtsinteressen dienen und habe dies daher nur selbstverständlich gefunden, bin aber sehr erfreut durch die mir höchst wertvolle freundliche Gesinnung, welche aus Ihrem freundlichen Schreiben sprach. Wenn ich bei dieser Gelegenheit eine Bitte äußern dürfte, so wäre es die: wenn möglich, die Erledigung der Angelegenheit meiner Berufung an die hiesige Hochschule, welche ja in diesen Tagen auch den Senat erneut beschäftigt haben dürfte, beschleunigt zur Erledigung bringen zu wollen, damit die Ernennung erfolgen kann, da ich vorher der preußischen Regierung keine Antwort auf deren Berufung nach Bonn ge-

1 Der Student Erich Gendreizig hatte am 16. Februar 1919 (UA München, G-III-0135/2) im Namen des Bundes deutsch-nationaler Studenten sowie des sozialwissenschaftlichen Vereins beim Rektor der Universität, Clemens Baeumker, um die Genehmigung zur Benutzung eines Hörsaals für Vorträge Max Webers nachgesucht, war aber abschlägig beschieden worden: „Rektor und Syndikus berichten. Die Hörsaalbelassung wird abgelehnt, da Eintrittsgelder erhoben, nichtimmatrikulierte Studierende eingeladen und der Gegenstand des einen Vortrages ein politischer sein soll.“ (Senatsprotokoll (Auszug) vom 25. Februar, ebd.) Auch das zweite Gesuch vom 5. März 1919 wurde abgelehnt. Weber sollte am 11. März über „Student und Politik“, einen Tag später über „Abendländisches Bürgertum“ referieren. Dazu wurde vom Rektorat zum erstgenannten Vortrag am Rand der Eingabe notiert: „In der nächsten Zeit muß von Beiträgen in der Universität, die politische Fragen behandeln oder berühren, abgesehen werden“, zum zweiten Vortrag, ebd., vermerkt: „Dürfte auch in die Politik einschlagen.“ (UA München, ebd.) Offensichtlich sah sich der Rektor dazu veranlaßt, Weber von seinem ablehnenden Bescheid Mitteilung zu machen, worauf dieser in seinem Schreiben reagierte. Die Vorträge „Abendländisches Bürgertum“ sowie „Student und Politik“ fanden daraufhin am 12. und 13. März 1919 im „Wittelsbacher Garten“, Theresienstraße 38, statt; vgl. dazu MWG I/16, S. 482–484 sowie S. 557 f.

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ben kann und ich sie ungern noch länger warten lasse. Mit verbindlichstem Dank und in vorzüglicher Hochachtung Euer Magnifi zenz sehr ergebenster Prof. Max Weber

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Mina Tobler [15. März 1919]; BK München Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt: Max Weber schrieb den Brief am Vortag seiner Abreise aus München („Ich fahre morgen, Sonntag . . .“). Dort hatte er sich zu Vorträgen am 12. und 13. März 1919 (vgl. „Abendländisches Bürgertum“, MWG I/16, S. 557 f., und „Student und Politik“, MWG I/16, S. 482–484) aufgehalten. Außerdem hatte er noch einmal wegen der Nachfolge auf den Lehrstuhl von Lujo Brentano an der Universität München verhandelt.

Hotel Grünwald, München München, den 1919 Liebe Judit, – Dein Brief, schwer von Schönheit und Schmerzen, kam mitten in diesen Umtrieb hier wie aus einem immer weiter in die Ferne rückenden Garten der Schönheit in den Alltag. Die Entscheidung ist inzwischen gefallen; ich habe die Berufung angenommen1 und es müßte grade an reinen Zufälligkeiten oder einer neuen Revolte, die Alles umstürzt, scheitern, wenn sie nicht endgültig wäre. Mir blieb keine Wahl nach der Art der Bedingungen und dem Entgegenkommen der Kollegen, welches weiter nicht gehen konnte als es ging. Trotz Allem bleibt es aber dabei, daß dies ein Akt tiefer Resignation – auch abgesehen von unser beider Beziehung – ist, und der Druck, unter dem man liegt, will und wird nicht leicht weichen. Es muß – auch rein vom Standpunkt des „Gelehrten“ aus – so viel geopfert werden, daß nur ein sehr fester Entschluß: nun in diese Sache hineinzuspringen, so wie sie ist, drüber hinweghilft, auch rein in dieser Hinsicht. Ich werde nicht vermeiden können, schon zum Sommer herzugehen, weiß nur noch nicht, ob ich vielleicht es ermögliche, nur einige Wochen hier zu sein – was etwas schwierig ist, aber versucht werden wird – oder gleich ganz (excl. Pfi ngsten). Denn sehr schwierig liegt die Frage meiner fachlichen Belastung: da muß ein fernerer Gelehrter berufen werden (nachdem die Stelle frei

1 Franz Matt, der zuständige Ministerialreferent, hielt in einer Aktennotiz („Vormerkung“) vom 12. März 1919 (BayHStA, MK 69316) als Ergebnis eines Gespräches mit Max Weber vom gleichen Tag fest, dieser sei unter den „angegebenen Bedingungen“ zur Annahme des Rufes bereit.

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sein wird, die noch da ist), 2 und wenn sie da den falschen berufen, dann kann das für meine künftige Inanspruchnahme und Tätigkeit die übelsten Folgen haben: es droht ja stets die Oktroyierung von einem reinen Dilettanten, der Alles verderben würde. Nach langem Hin und Her habe ich schließlich gar nicht anders gekonnt, als mich zur Anzeige einer kleinen Vorlesung bereit erklären, wenn es gewünscht würde. 3 Und das wird wohl sicher geschehen. – Du schreibst von einem Entschluß, der mich Dir „nimmt“. O – ich will hier nicht die „üblichen“ Wendungen brauchen, – aber das ist allerdings so: daß Du, Deine Schönheit und tiefe Gewalt, Dein goldener Himmel dort droben4 mit all Dem was äußerlich, innerlich vor Allem, zu ihm gehörte, die unersetzbar und unausschöpfbar einzige Vornehmheit und Herrlichkeit Deiner Liebe, – daß das mir freilich nicht „genommen“, aber in solche sehnsuchtsverzehrende Ferne gerückt wird, – ich weiß noch nicht, wie das ist und wirkt auf die Lebensgeister, wenn das kommt, schieb’ es mir immer noch zurück, bis es da ist. Denn so belastet ich in diesen Jahren war, und mehr als durch Alles Andre durch den Gedanken an unser Schicksal, – nun es war doch immer das Wissen davon da, jederzeit in dies starke brausende herrliche Bad von Schönheit und Liebe tauchen zu können, was Du, unvergleichliches Kind, mir bereitetest. Das wird nun nicht mehr so sein. Mein Leben war immer ein Leben der Sehnsucht und wird es immer sein. Aber hier war etwas, was doch noch etwas ganz Andres, gar nie Erlebtes in sich barg, Sehnsucht und Erfüllung zugleich und so nah, so nah, auch innerlich – selbst wenn ich schwieg und Du auch. Nun wird das auf die Zeiten der „Feste“ geschoben, von denen jenes Sonett spricht, 5 und ich weiß noch nicht, wie ich mich damit abfi nde. Natürlich: gekommen wäre diese Trennung jetzt, und Bonn6 liegt noch mehr aus dem Wege, inner2 Es handelt sich vermutlich um die im Brief an Carl Heinrich Becker vom 6. Febr. 1919 oben, S. 431, erwähnte Besetzung des Lehrstuhls von Georg v. Mayr. 3 Zu Max Webers Ankündigung des Kollegs „Die allgemeinen Kategorien der Gesellschaftswissenschaft“ vgl. den Brief an das Rektorat der Universität München vom 16. Juni 1919, unten, S. 646. 4 Umschreibung für Mina Toblers Dachgeschoßwohnung in der Heidelberger Bismarckstraße 17. 5 Vermutlich meinte Weber folgende Strophe aus Shakespeare, William, Sonnette. Umdichtung von Stefan George. – Berlin: Georg Bondi 1909, S. 58 (Nr. LII): „Feste sind drum so einzig und so hehr/ Weil dünn-gesezt sie langes jahr durchschneiden/ Wie edle Steine, seltner wiederkehr,/ Und wie die hauptjuwelen an geschmeiden.“ 6 Zum Berufungsangebot aus Bonn vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Josef Heimberger vom 5. Febr. 1919, oben, S. 427.

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lich und äußerlich, – aber das ändert nichts an dem Bedrückenden: es ist nicht so, daß ich empfände: nun, das lange Gefürchtete ist nun da, jetzt wird damit gerechnet und neu aufgebaut, – sondern ich gehe innerlich etwas Ungewissem und Dunklen entgegen, ohne Deine Nähe – denn es ist und war doch etwas Andres, Dich dann körperlich „fühlen“ zu können, wenn man von Sehnsucht gefüllt war bis oben, – auch wenn wir kein Wort wechselten. O – diese Jahre der Schönheit sind unverloren und unverlierbar, unverlierbar ist auch das Wissen darum, daß Du da bist, daß ich an Dich denken darf als an etwas, was zu mir gehört hat und doch auch weiter nicht von mir gehen will (nicht wahr?) und an eine wunderbare Seele, stark, stolz und herrlich, in der ich geborgen war und bin, die ich „etwas angehe“, der ich mich ergeben konnte und kann. („Dank“ ist da einfach ein zu ärmliches Wort, Liebes, – es ist weit – weit mehr, was man empfi ndet, wenn man an Dich denkt von hier, aus der Ferne, das spüre ich mit elementarer Macht [.]) Abera doch darf ich mich nicht täuschen: Trennung ist Trennung, die „Alltagsnähe“, die doch der Möglichkeit nach bestand, ist nun nicht mehr da. Und das wird die ungeheure Lücke sein. Und in Deinem Leben, – ach, liebstes Herz, ich weiß, was ich, indem ich mir mein Glück von Dir schenken ließ, großmütig, verschwenderisch, stolz bis zum Übermaß wie Du es thatest, – ich weiß, was ich damit an Verantwortung auf mich lud, wußte es immer, weiß und fühle es jetzt mehr als je noch, – habe es diese letzten 2 1/2 Jahre als steten Druck auf mir gefühlt, der mir den Mund verschloß. Und nicht nur sehnsüchtig werde ich die Arme nach Dir ausstrecken von hier, sondern auch voll tiefer Trauer darum, Dir Schmerz anzutun, Dein Leben so zu belasten, wie ich es that und jetzt thue. Das – das weiß ich vor Allem noch nicht, wie ich es vor mir selbst ertrage. Es gehört auch zu jenen Dingen, die dunkel und rätselhaft vor mir stehen, – denn „leicht“ ist meine Art nicht, wenn es sich um das innere Schicksal geliebter Menschen handelt. Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen bald, bald liebes, geliebtes Herz, dem ich so weh thue und schon that. Ich fahre morgen, Sonntag, telefoniere Mittwoch an. Immer Dein M.

a Wiederholung des Wortes Aber auf der folgenden Briefseite.

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Else Jaffé [18. März 1919; Heidelberg] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Datum und Ort sind erschlossen aus dem Briefinhalt: Max Weber war am Sonntag, dem 16. März 1919, von München nach Heidelberg zurückgekommen.

Dienstag Nacht Elsekind, Du trauter Liebling, –

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nun bin ich zwei Tage hier und |:drei Tage:| fort von Dir. Als ich durch das alte Nest |:hier:| mit dem Koffer in der Hand schlenderte, |:(1 Uhr Nachts):| fühlte ich mich schon als Fremdling, der die alte Heimat wehmütig wiedersieht, nach Jahren, – und jetzt ist sie wieder gewohnter Boden und München ganz unwirklich, mit der einen Ausnahme: – Du. Wie gut warst Du zu mir und wie unermeßlich lieb muß ich Dich haben, und – wie viel sorge ich mich um Dich. Du goldiges Kind der Götter, zum Lachen und zur Lebensfreude geboren, welcher Todesernst hat über Deinem Leben gewaltet und wie sehr habe ich die unendlichen Wirrsale, in die das Schicksal Dich verstrickt hat, noch vermehrt, statt, wie ich so sehnsüchtig hoffte, einmal im Leben in das Dasein eines andren Menschen nur Schönheit und Freude zu tragen. Du weißt ja nun so ziemlich, welch ein seltsam zerklüftetes, an der Erde haftendes und doch in manchen Wurzeln durchschnittenes halbbarbarisches „Grauli“1 Du Dir hast so nahe kommen lassen, indem Du ihm erlaubtest, sich an Deine Kniee zu schmiegen und Dir am Herzen zu liegen. Ob seine Lebensströme je frei fl ießen, ob ewige Sehnsucht ihm – und damit Dir! – beschieden ist, wer weiß es? O auf dieser langen Fahrt habe ich mir allen Selbstbetrug über die Schwere der Verantwortung, die ich auf mich lud, als ich, übermächtiger Schönheit hingegeben, die Hände und Augen zu Deiner Herrlichkeit aufhob, fortgescheucht. Du deutetest an: daß ein anderer Dir teurer Mensch leiden könnte: – und das ist schlimm genug schon an sich. Es darf einfach nicht sein, und da schone mich nicht, mein Liebling; aufs Wort tue ich, 1 Der Dialektausdruck „âle Grauli“ für einen häßlichen, finsteren, närrischen Menschen hat sich in der Metzer Sage vom Drachen Grauli erhalten. Die Annahme liegt nahe, daß die in Metz aufgewachsene Else Jaffé Sage und Idiom gekannt und davon diesen Kosenamen für Max Weber abgeleitet hat. Zum Grauli-Brauchtum in Metz vgl. La Fontaine, Edmond de, Luxemburger Sitten und Bräuche, 2. Aufl. – Luxembourg: Krippler-Muller 1985, S. 63.

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lasse ich, was Du gebietest, und bleibe Dein, so sicher wie ich es jetzt bin. Aber Du deutetest auch an: daß eine andre Liebe in Dir Schaden leiden könnte – und das ist schlimmer. 2 Deshalb, weil ich – das ist mir ganz klar – Dir nie, nie ersetzen könnte, was sie Dir giebt. Du weißt es selbst, und ich töricht verwegener Mensch hätte es mir schlechterdings sagen müssen, daß ich diese Gefahr heraufbeschwor. Aber ich Thor redete mir ein: es sei ja genug, daß ich nicht danach fragte, wem außer mir Deine goldene Sonne lächelte und wie viel von ihren Strahlen auf mich fielen, wenn ich sie nur anschauen, anbeten, Rosen auf ihren Weg streuen, – zu Dir gut und lieb sein durfte, so wie mein Herz es vermag, – und merkte nicht, daß ich eben doch „das Meine suchte“, und auf Deine Kosten, die Du mich mit Schmerzen beschenkt hast und beschenkst, stolz und herba mir vortragend, was es Dich kostet. Und ich sagte mir wieder und wieder „schlechter Kerl Du“ – und wieder und wieder übertönte Alles der Rausch und die Schönheit, die Du in mir wecktest, und das Wissen: daß Du mir Schicksal warst, bist und sein wirst. Aber auf Deine Kosten? auf Kosten Deines Glücks? Alles, Alles in mir rebelliert dagegen1) und tausendmal will ich es ertragen, wenn Du mich wieder verbannst, wenn ich nur Dir ganz ergeben bleiben darf auch am Gestade der Vergessenheit, jederzeit, für alle Zeit Deines Rufs gewärtig, wenn ich Dir in etwas innerlich helfen kann. Es giebt nun nichts – wohlverstanden: nichts mehr, was mir den schönen unsichtbaren „Ring“3 abnehmen könnte, das sollst Du wissen und dar-

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Fühle doch die völlige Verschiedenheit der Menschen, denen Du jedem in andrer – in so grundverschiedener Art – gut bist, meide jede „Vergleichung“, freue Dich an Dem, was Jeder in seiner Art Dir giebt, und grade er Dir geben kann – ach was rede ich da Alles, Du sagst Dir das Alles selbst – nur man möchte eben um jeden Preis: es müßte gehen, ohne Opfer an Schönheit und ohne Leiden des Andren. Und – zum Donnerwetter! – es geht auch! – ja wirklich? – – ich will nie daran rühren, liebstes Leben, nur tief innerlich wünschen und hoffen: „ja“ – Genug davon!

a Alternative Lesung: hart 2 Gemeint ist Alfred Weber, mit dem Else Jaffé seit 1910 eng verbunden war. 3 Zu Max Webers bildhafter Umschreibung seiner emotionalen Abhängigkeit vgl. den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 391–393.

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nach handeln. Mach die Probe und erlege mir auf, was immer Deiner Schönheit und Ruhe dient und Deinem Glück. Du hast mich ja so verwöhnt, liebstes Leben! – Und daß ich nicht lüge: ich kann ja nicht zurücknehmen oder bereuen oder verneinen, was ich that, so wahr ich Alles das auch empfi nde, todesernst empfi nde, was ich da geschrieben habe. In leuchtender Reinheit stehen die Stunden vor mir, in allen Einzelheiten, diese Nacht, wo ich Dein fast wurde, der strahlende Morgen an der Isar, Deine Hand in meiner im „Tannhäuser“,4 die Autofahrt – – die andren Tage bis zum Samstag und zum Abschied aus Deiner warmen Gegenwart, – all Das, was Du mir sagtest aus der Tiefe Deines Lebensreichtums, auch Dein bezaubernder Zorn dort an der Bank: – oh laß Deine „Teufel“ mich gründlich plagen, ich liebe sie so! – aber vor Allem: daß ich in 6 Wochen wieder zu Dir komme, und ganz und gar – diese Ewigkeit erscheint mir kurz gegen diese Aussicht. Ja, trautes braunes Glück, und weil das so ist bitte ich Dich doch noch um Einiges: mir ist dies Wohnen bei Soscha5 doch unheimlich: wann oder wie oft werde ich Dich da sehen? Zum mindesten wäre es schwer, so gelegentlich „auf einen Sprung“ bei mir vorzusprechen, und grade das wäre so bezaubernd! Hast Du vielleicht doch einmal eine Stunde Zeit, im „Gartenheim“6 oder irgend einer Pension der Gegend nicht zu weit jenseits der Ludwigstraße (von Dir aus gerechnet – diesseits, zu Dir hin, kann sie liegen wo sie will, auch in Thalkirchen oder der Isarthalbahnhofsgegend! – nachzufragen, ob zwei (oder ein) Zimmer zu haben sind? ich zahle wenn nötig schon vom 1. April an Miete. Jede Bude ist mir recht, ich arbeite ja doch auf dem Seminar, nicht zu Hause, in der Regel wenigstens und jedenfalls an allen Tagen, wo Du nicht in Aussicht stehen kannst. Ob 6 Treppen hoch oder im Keller ist ganz einerlei, wenn nur Du bequem zu mir kannst und man dann etwas ungestört ist. Nimm sie nur gleich fest. Ich schicke die Antwort an die Soscha dann hinaus. – Willst Du, Liebes? Ich bin, ich weiß es, arg unverschämt. Und noch ist ja die offi zielle Nachricht nicht da,7 so daß ich 4 Richard Wagners Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg“ wurde am 11. März 1919 im Münchener Nationaltheater aufgeführt. 5 Sophie (Soscha) Salz hatte Max Weber für die erste Zeit in München ein Zimmer in ihrer Wohnung angeboten, um einer von Amtswegen angeordneten Einquartierung (vgl. Anm. 8) zuvorzukommen (vgl. Else Jaffés Brief an Marianne Weber Ende März 1919, MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)). 6 In der Schwabinger Pension Gartenheim, Ludwigstraße 22a, hatte Max Weber schon früher gewohnt. 7 Zum Ablauf der Berufungsverhandlungen vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Febr. 1919, oben, S. 423–425.

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den Antrag wegen des Kommens noch nicht stellen konnte. Aber am „Kolleg“-Arbeiten bin ich schon! Alle Politik ist jetzt zu Ende. Ob man wirklich Edgar J[affé] seine Wohnung nimmt?8 Wahrhaftig schoß mir durch den Kopf: ob ich ihm ein Zimmer abnehmen sollte, um ihm das Behalten in Deinem Interesse zu ermöglichen. Aber das geht A[lfred]’s wegen doch nicht, selbst wenn E[dgar] es tun wollte. Aber daß Du mit ihm zusammenziehst, 9 auch nur zeitweise, das geht A[lfred]’s wegen auch nicht. Man muß ihm sagen: daß die Leute es ihm sehr schwer verdenken würden und: Dir auch (einerlei ob das so ist! – was ich bezweifle, aber es muß verhindert werden, in Euer beider, der Kinder10 und A[lfred]’s Interesse!). – Hat übrigens Mar[ianne] Dir das Geld zurückgeschickt?11 (250 Mk., ich werde sie noch fragen, sonst schicke ich bsie bzwb den Rest). Leb wohl, geliebte Herrin. Du hast mir das „Folgen“ noch mal eingeschärft: o sei sicher, ich gehorche aufs Wort, wie Du mich es damals versprechen machtest, als ich mich ergeben mußte.12 Und Du weißt ja, wie Dein Unwille oder Deine Mißbilligung mich zu bedingungsloser Kapitulation nötigt, wenn ich je unfolgsam sein sollte. Laß Du mich nur Deine Macht fühlen – grenzenlos wie sie ist – bei jeder Gelegenheit, ihre Schönheit macht mich ja nur glücklich und Dich? Du schöne Eva, o Dich freut sie auch, denn Du weißt, wie gut sie Dir steht. Wie sagtest Du doch: „als ich das erste (!) Mal einen Mann in dieser Situation . . .“? Ob es die „göttliche Weltordnung“ ist oder nicht – ja sie ist es, weil Du ein Götterkind bist – jedenfalls bejahe ich sie auch innerlich, weil Alles für Dich – und mich – ja nur so geht. Denn wärest Du nicht die stärkere, wie solltest Du mit der Lage fertig werden? – Und bleib Deinem Untertan hold und gut, – etwas gut! Ja? Dein M. b es oder > sie bzw 8 Zur Bekämpfung der Wohnungsnot bestand Meldepflicht für größere Wohnungen, um ggf. Zwangseinquartierungen anzuordnen. Vgl. Rudloff, Wilfried, Die Wohlfahrtsstadt. Kommunale Ernährungs-, Fürsorge- und Wohnungspolitik am Beispiel Münchens 1910– 1933 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 63), 2 Bde. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998, S. 413 f. 9 Nach einem 1910 getroffenen Arrangement lebten Else und Edgar Jaffé in getrennten Wohnungen. 10 Friedel, Marianne und Hans Jaffé. 11 Der Sachverhalt konnte nicht geklärt werden. 12 Zu dieser Anspielung vgl. den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 391– 393.

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Else Jaffé [19. März 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch“ und dem Briefinhalt: Im folgenden bittet Max Weber darum, Edgar Jaffé aus den laufenden Berufungsverhandlungen, dem Grund seines Aufenthalts in der vorausgegangenen Woche in München (vgl. den Brief an Franz Matt vom 8. März 1919, oben, S. 515), herauszuhalten. Edgar Jaffé hatte sein Amt als provisorischer Finanzminister am 17. März 1919 niedergelegt (Personalakte Edgar Jaffé, BayHStA, MF 77269). Es ist jedoch davon auszugehen, daß Max Weber davon erst mit Verzögerung erfuhr.

Mittwoch Liebes, –

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Dein Zettelchen von Montag – ich gehe doch wieder herum wie im Traum und Rausch: Ist das denn möglich, daß dies hinreißend stolze und nach dem Leben verlangende schöne Gesicht da vor mir in Fröhlichkeit umgegossen ist, weil ich vielleicht, hoffentlich – nein sicher hinkomme? Liebes, goldiger Liebling, – Du machst mich wirklich eitel und ganz größenwahnsinnig (großer Gott! wie sehr mag ich’s ohnehin sein, ohne es so zu spüren, aber: diesmal weiß ich’s!!) – ich muß mir alle 5 Minuten vorsagen: „bedenke: Min Marriagea hat „todesernst“ und unter Thränen und Seufzen die „Totenglocke“ geliebt, – sie hat die „Totenglocke“, die Toten-Glockeb geliebt [“] – !!1 aber das nützt nichts, denn schließlich – die arme Min Marriagec – Du aber, Du! wird es Dir gelingen, mich so kurz zu halten, daß ich nicht schließlich etwas zum Malvolio2 würde – und das wäre doch für Dich hart auf dem Gewissen zu haben. Liebling, die schweren und ernsten Töne aus der Tiefe Deiner feinen adligen Seele gehen noch wie ein Orgelpunkt mit der Melodie des Tages neben mir. Du willst mir immer nicht Alles glauben, aber nicht wahr, das glaubst und siehst Du: diese wirkliche Ehrfurcht und Scheu a Unsichere Lesung. b O: zweifach unterstrichen. c Unsichere Lesung. 1 Die Anspielung auf die „Totenglocke“ (vgl. den Brief an Else Jaffé vom 7. März 1919, oben, S. 512) konnte nicht entschlüsselt werden. 2 Figur aus Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“. Der „puritanisch“ sittenstrenge Haushofmeister Malvolio fällt auf einen fingierten Liebesbrief der von ihm angehimmelten Gräfin Olivia herein und bemüht sich, deren vorgebliche Wünsche zu erfüllen – mit dem Resultat, daß er sich lächerlich macht.

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vor diesem – ja man muß eben sagen: „Heiligen“ in Dir (denn: „göttlich“ im verwegensten Sinn des Wortes ist noch Anderes, viel Anderes in Dir und an Dir!) Da sind in Dir Dinge, zu denen ich nur von der „Distanz“ aus – weiter Distanz, Distanz von unten nach oben, es ist eben so – die Hände erhebe, oder, ja, wirklich wie ein Kind der schönen Mutter oder der reifen älteren Schwester (vor vielen Jahren schrieb ich so etwas einmal halb im Scherz halb im Ernst an Dich, Du weißt es nicht mehr) 3 mit Augen [,] Ohren und allen inneren Fähigkeiten lauscht, wenn sie es von ganz „letzten“ Dingen etwas lehrt. Und sieh: es geht aus Deinem Schweigen in mein Schweigen, – Schweigen ist etwas |:sehr:| anderes als nur: Nicht-davon-Reden! So schön so Manches! Sieh, deshalb mußt Du auch nicht vom „Bedürfnis einer Frau zu gehorchen“ reden, liebstes Götterkind – wenn ich nach St[efan] George „nun tu ich Alles . . .“4 empfi nde. Deine innere absolute Überlegenheit wurde mir für immer deutlich, als ich in Fürth-Nürnberg jenen „Zettel“d – Antwort auf meine unverzeihlich gequälte, dennoch irgendwie „unechte“ Reaktion von damals5 – Du weißt – in Händen hatte und nicht nur: mich schämte, sondern es nicht aushielt, bis ich das Dir würde sagen können. (Und sonst – nun: als „Tochter der Eva“ – ja, das ist wiederum ein andres Blatt, und da – lache Du nur, das tut mir so arg gut, Du bezaubernde „Freiin“6 – ich fühle: den Ring7). Und nun – darf ich einmal dreist sein und um etwas bitten – weil Du so lieb mir etwas sagtest? Sieh doch in der gleichzeitig geschickten Korrektur einmal S [.] 6 8 die angestrichene Stelle an; – im Zusammenhang der Seiten vorher und nachher. Ich würde sie, unbefangen, stehen lassen, auch aus d O: Brief > Zettel 3 Ein Brief entsprechenden Inhalts ist nicht nachgewiesen. 4 Zitat aus George, Stefan, Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod, 5. Aufl. – Berlin: Georg Bondi 1912, S. 16. Der vollständige Vers lautet: „Nun tu ich alles was der engel will.“ 5 Anspielung auf den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 393, in dem Max Weber einen „,Zettel‘ oder andre Nachricht“ nach Nürnberg erbeten hatte. Dort übernachtete er vor der am 14. Januar 1919 in Fürth gehaltenen Rede „Probleme der Neuordnung“ (MWG I/16, S. 450–457). 6 Else Jaffé war eine geborene Freiin v. Richthofen. 7 Zu Max Webers bildhafter Umschreibung seines Gefühls der Abhängigkeit von Else Jaffé vgl. den Brief an dies., vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 391 f. mit Anm. 3. 8 Gemeint ist der Korrekturbogen zur „Zwischenbemerkung“, die Max Weber für die Veröffentlichung des 1. Bandes der Aufsätze zur Religionssoziologie überarbeitete und über die er mit Else Jaffé gesprochen hatte; vgl. die Briefe an dies. vom 18. und 25. Febr. 1919, oben, S. 463 und 482. Die Seitenzahl konnte nicht verifiziert werden.

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Zweckmäßigkeit. Aber sag mir dann doch mündlich: ob hier zu streichen ist. Denn Du hast mich da argwöhnisch gegen mich gemacht, – weiß nicht, wie weit mit Recht, aber bei Deiner Totsicherheit in so Sachen ist ein Irrtum Deinerseits das weit Unwahrscheinlichere. Und – sei gesegnet, mehr noch, oh weit mehr noch als Sonett 52 ausdrückt,9 das jetzt wieder zu klingen anfängt. Denn in ein paare Tagen – – Laß Edgar J[affé] jetzt besser aus meinen Sachen draußen! Es ist besser (warum? mündlich – oder auch hier: weißt Du, es kann sein, daß da Verhandlungen wegen des Gehaltes sehr nötig sind zwischen den beiden Ministerien10 – und da geht es nicht, nicht wahr, daß er „interveniert“. Nicht? –) f Schöne Herrin – o wie lieb ich Dich! Alles tu ich wie Du willst und sagst. Bleib froh – daß Du nicht so „dürr“, selbst wie eine Kassandra,11 wirst, – denk: wenn man Dich nun nicht mehr möchte? wie wäre das wohl? – also tug Butter in Deinen Magen! – (sei nicht bös über den Zynismus!) – bleib wie Du bist, auch zu Deinem M

e O: par f Klammer fehlt in O. g 〈nicht〉 9 Vers aus dem 52. Sonett, in: Shakespeare, William, Sonnette. Umdichtung von Stefan George. – Berlin: Georg Bondi 1909, S. 58. Dessen Schlußstrophe lautet: „Gesegnet bist du; dessen wert, wenn offen/ Zum jubel anlässt, wenn verdeckt zum hoffen.“ 10 Es ging dabei vermutlich um Max Webers finanzielle Wünsche (Anrechnung seiner Dienstzeit als Professor in Berlin, Freiburg i.Br. und Heidelberg sowie die Anhebung des Grenzbetrags, ab dem er die Kollegiengelder mit der Universität teilen mußte). (Vgl. insbesondere den „Vorvermerk“ vom 12. März 1919, BayHStA MK 69316.) 11 Zu Kassandra vgl. den Brief an Else Jaffé vom 3. März 1919, oben, S. 490 f. mit Anm. S. 5.

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Redaktion der Frankfurter Zeitung 20. März 1919; Heidelberg Brief; maschinenschriftlich mit eigenhändigen Korrekturen und Zusätzen Max Webers Privatbesitz Nachfolgendes Begleitschreiben richtete Max Weber zusammen mit seinem offenen Brief „Die Untersuchung der Schuldfrage“ an die Redaktion der Frankfurter Zeitung (MWG I/16, S. 225–232). Die FZ druckte den Artikel in Nr. 218 vom 22. März 1919, 1. Mo.Bl., S. 1. Zu Kontext und Überlieferung des Textes, in dem Weber erneut eine „unparteiische“ Untersuchung aller Vorgänge und Verantwortlichkeiten vor und bei Kriegsbeginn forderte, vgl. MWG I/16, S. 225–229. Hintergründe und Entstehungsgeschichte seines offenen Briefes erläuterte Weber nochmals ausführlicher in seinem Schreiben an Hermann Oncken vom 21. März 1919, unten, S. 536–538.

|:Vertraulich!:| Heidelberg, den 20. März 1919. Sehr geehrte Redaktion! Das anliegende Anschreiben möchte ich Sie bitten, mit tunlichster Beschleunigung so zu veröffentlichen, daß es etwas in die Augen fällt.1 Es entspringt, wie ich vertraulicha bemerke, einer Anregung des Prinzen Max von Baden und ist mit anderen Mitgliedern der Heidelberger Vereinigung, darunter General Graf Montgelas, eingehend besprochen worden.2 Die amtliche Antwort der Entente auf die Anregung deutscherseits, eine neutrale Kommission über die Schuldfrage einzusetzen, 3 ist in radikal ablehnendem Sinne ausgefallen.b 4 Der Verlauf der a Unterstreichung eigenhändig. b Eigenhändige Randbemerkung Max Webers: 1) „This point needs no answer, because it is long since established, that the German Government is responsible for the outbreak of the war.“ 1 Der Abdruck des Briefes erfolgte im 1. Mo.Bl. der FZ gut sichtbar auf S. 1. 2 Dazu näher die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Hermann Oncken vom 21. März 1919, unten, S. 536. 3 Die „Anregung“ war in der deutschen Note vom 28. November 1918 an die Regierungen Frankreichs, Englands, der USA, Italiens und Belgiens erfolgt. Sie schlug vor, eine neutrale Kommission zur Untersuchung der Schuldfrage einzuberufen, der alle am Krieg beteiligten Mächte ihr gesamtes Urkundenmaterial zur Verfügung stellen sollten. Vgl. Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945, Serie A: 1918–1925, Bd. I, Nr. 46, S. 71 f. 4 In einer am 7. März 1919 durch die schweizerische Regierung übermittelten britischen Note hieß es: „[. . .] His Majesty’s Government are of opinion that it is unnecessary that any reply should be returned to the German proposal, as, in the opinion of the Allied Governments, the responsability of Germany for the war has long since been established.“ Zitiert nach: Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945, Serie A: 1918–1925, Bd. I, Nr. 46, S. 71 f., hier S. 72, Anm. 3.

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jetzigen Berner Verhandlungenc[,] 5 denen ja Herr Redakteur Guttmannd beigewohnt hate,6 läßt einen solchen Schritt gerade von anderer als unabhängiger sozialdemokratischer Seite7 nach Meinung gut unterrichteter Herren, welche über Beziehungen zur Gegenseite verfügen,8 ratsam erscheinen. Daß der Brief nur von einem Einzelnen und gerade von mir geschrieben wird, beruht auf einer Reihe verwickelter Überlegungen. Von Seiten des Prinzen Max geschrieben würde er im gegenwärtigen Moment als ein unschöner Vorstoß gegen den Kaiser aufgefaßt werden können. Der Vereinigung gehören Minister an, welche sich nicht beteiligen würden.9 Von einer kleinen Anzahl von Mitgliedern unterschrieben, würde er aber den Eindruck des Nichteinverständnisses der Übrigen machen. Die Fassung beruht darauf, daß dem Auswärtigen Amt jede Art der Behandlung dieser Anregung offen gehalten werden muß je nach Änderung der Situation.10 Insbesondere muß auch die Anregung als der Vorschlag aufgefaßt werden können, eine Kommission unter Beteiligungf neutraler Persönlichkeiten einzusetzen.11 Andererseits ist es nicht ratsam, dies auszusprechen, da sich der Versuch vielleicht schon wegen der grenzenlosen Feigheit der Neutralen c O: Verhandlung d O: Gutmann; nachträgliche Korrektur von Marianne Weber mit Buntstift: Gutmann > Guttmann e ist > hat f Beteiligten > Beteiligung 5 Auf Einladung neutraler Friedens- und Völkerbundsvereine hatte vom 6. bis 14. März 1919 in Bern eine internationale Konferenz getagt. Sie diskutierte Probleme des Friedens und den durch Präsident Wilson am 14. Februar der Pariser Friedenskonferenz vorgelegten Vorentwurf einer Völkerbundsverfassung (MWG I/16, S. 226, sowie Schulthess 1919, Teil 2, S. 200–202). 6 Bernhard Guttmann, politischer Redakteur der Frankfurter Zeitung. Seine Teilnahme ist in einem der Konferenzberichte (FZ, Nr. 190 vom 12. März 1919, 1. Mo.Bl., S. 3) dokumentiert. Die Berner Konferenz ist nicht erwähnt in: Guttmann, Bernhard, Schattenriß einer Generation 1888–1919. – Stuttgart: Koehler 1950. 7 Weber bezieht sich hier auf die Vorgänge während der Völkerbundskonferenz. Vgl. dazu den Brief an Hermann Oncken vom 21. März 1919, unten, S. 537, dort insbes. Anm. 5. 8 So der in Bern anwesende Lujo Brentano. Er berichtete am 22. März 1919 Johann Heinrich Graf v. Bernstorff, dem Leiter der Geschäftsstelle für die Friedensverhandlungen, über seine Gespräche mit englischen Delegierten in Bern, die Deutschland dringend dazu rieten, die „maßlosen Bedingungen, welche die Entente ihm stellen werde“, zurückzuweisen. Der Brief ist abgedruckt in: Bernstorff, Johann Heinrich Graf v., Erinnerungen und Briefe. – Zürich: Polygraphischer Verlag 1936, S. 190. 9 Namentlich die Minister Ludwig Haas und Carl Hugo Lindemann. Vgl. den Brief an Hermann Oncken vom 21. März 1919, unten, S. 537. 10 Vgl. hierzu den Brief an Hermann Oncken vom 21. März 1919, unten, S. 538 (Anm. 9). 11 Dies entsprach dem Vorschlag Max von Badens, den er in seinem Artikel „Völkerbund und Rechtsfriede“ (in den Preußischen Jahrbüchern, Bd. 175, Heft 3 (März 1919), S. 295– 320, dort insbes. S. 310–313) öffentlich vorgetragen hatte.

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als undankbar erweist und dann [,] daß, was vielleicht zustande kommt, eine unabhängige deutsche Kommission, nicht als gegenüber der Anregung minderwertig erscheinen darf. Eine parlamentarischeg Untersuchungskommission einzusetzen wäre in diesem besonderen Fall sicherlich kein zweckmäßiger Weg.12 Alle Erörterungen würden dann sofort unter rein parteipolitische Gesichtspunkte geraten. Mir persönlich erscheint eine Kommission aus möglichst unabhängigen und politisch ungebundenen, dabei aber in politischen Dingen, insbesondere der letzten Jahre [,] möglichst erfahrenen Persönlichkeiten des In- und Auslandes, natürlich unter Beteiligung pazifistischer Kreise, das allein Richtige. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster hMax Weberh

g parlamentaristische > parlamentarische h Unterzeichnung eigenhändig. 12 Nach Aufgabe der zu diesem Zeitpunkt im Kabinett diskutierten, von Justizminister Otto Landsberg am 12. März 1919 eingebrachten Gesetzesvorlage über die Errichtung eines deutschen Staatsgerichtshofs zur Klärung der Schuldfrage kam es im August 1919 doch zu einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß, dessen 1. Unterausschuß insbesondere die Frage der Verantwortung für den Kriegsausbruch behandeln sollte. Dazu: Heinemann, Ulrich, Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1983, insbes. S. 22–24 und 155 f.

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Else Jaffé [20. März 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Erwähnung des „grade“ abgeschickten Briefes an die Redaktion der Frankfurter Zeitung vom 20. März 1919, oben, S. 530–532.

Du liebes Götterkind,

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nehmen wir das Leben nun so, wie es in seinen seltsamen Pfaden die Menschen führt und meistern wir es – welches wilde Dornengestrüpp hast Du schon verstanden mit Deinem Zauberstab in einen blühenden Garten zu verwandeln! Um das Entscheidende noch einmal zu berühren: scheide die beiden Beziehungen1 und wisse weiter, Dich an jeder zu freuen. Und wie sie sich in den Weg treten wollen, da scheuche immer das „Grauli“2 in das Dickicht, und knurrt es einmal, dann brauche Deine grenzenlose Macht. – Du lässest Dich ja Gott sei Dank nicht einschüchtern – siehe Deinen Brief damals hierher (den beigelegten Zettel: „ja, so will ich es, bitte: Antwort“ nach meinen dummen Widerspenstigkeitena) – und hast Du mich und meine Ohren erst in Greifnähe Deiner Hände in München, dann – was soll ich denn dann noch machen? |:was:| anders als Dir blind „folgen“? wie es damals sofort geschah und immer, auch wenn ich Jahre verstoßen werden müßte, wieder geschehen würde. Ich kann das – „vorzüglich weil ich muß“! Ich liege ja ganz offen vor Dir da jetzt, wenigstens so weit ich selbst von mir weiß, und das bindet ja ganz unlöslich. Laß mich das nur |:immer drastisch:| fühlen, wie mächtig Du bist in Deiner Herrlichkeit, dann knurre ich nicht einmal. Also ich habe noch keine Nachricht vom Ministerium, werde sie jetzt telegrafisch mahnen, 3 denn es ist ungezogen, wo doch Alles in Ordnung ist. In München werde ich im Sommer das Kolleg entweder Montag u. Donnerstag (etwa 6–7?) legen, oder Montag allein von 6–8, außerdem, da Du Samstag/Sonntag meist am stärksten gebunden zu sein a O: Widerspänstigkeiten 1 Hinweis auf die Beziehungen von Else Jaffé zu Alfred und Max Weber. Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 18. März 1919, oben, S. 524. 2 Möglicherweise Anspielung auf einen sagenhaften Drachen, dem Max Weber den gleichlautenden Kosenamen verdankt. Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 18. März 1919, oben, S. 523 mit Anm. 1. 3 Vgl. das Telegramm an Franz Matt vom 21. März 1919, unten, S. 535.

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sagtest, Sprechstunde, ev. „Kolloquium“, Samstag Vormittag und Montag Vormittag, – so daß ich Dienstag, Mittwoch, Freitag, oder eventuell Dienstag bis Freitag, ganz frei bin für Arbeit und … nun für was wohl? Wenn man es so macht, könnte ich fast sogar bei der Soscha wohnen,4 Telefon haben, auch im Seminar, wo ich doch täglich Vormittags |:(oder besser Nachmittags?):| sein werde, schlimmstenfalls bleibt man die Nacht, ausgerüstet mit Seife, Kamm und Zahnbürste, die man immer bei sich trägt, im Hotel Grünwald5 (oder sonst wo). Aber ein brauchbares Zimmer nahe der Universität (im Seminar habe ich auch ein Sonderzimmer) wäre natürlich wohl doch vorzuziehen. Der Soscha und der Cläre6 schrieb ich. Mar[ianne] kommt, denke ich, umb den 1. IV. einmal nach dort, Wohnungen ansehen – es wird haltc nicht viel sein. Mir geht es etwas besser, die Kolleg-Arbeit fängt an. Dazwischen Beratungen mit dem Prinzen bzw. dessen Vertretern (wegen Hindenburgs Brief und über die „Schuld“-Fragen.7 Ein Brief an die „Fr[ankfurter] Z[eitung]“ ging grade ab).8 Ich schreibe bald, wann ich nächste Woche allein bin (für einen kleinen „Zettel“ neben dem Brief, wenn Du viel Zeit hast!). Sonst nichts zu berichten. Bleib stolz, schön, stark, mir – wenn’s geht – ein wenig gut und freue Dich der Sonne und des Vorfrühlingswindes, wie Dein in seinem – wie sagtest Du so anmutig? – „Unterwerfungsverhältnis“ doch sehr glücklicher Grauli

b gegen > um c O: halb 4 Zu Max Webers Überlegungen, zunächst bei Sophie (Soscha) Salz zu wohnen, vgl. den Brief an Else Jaffé vom 18. März 1919, oben, S. 525. 5 Von Max Weber bevorzugtes, nahe beim Hauptbahnhof gelegenes Hotel, Hirtenstraße 11. 6 Briefe an Sophie Salz und Cläre Schmid-Romberg sind nicht nachgewiesen. Vermutlich bezogen sie sich auf Max Webers Suche nach einer Unterkunft in München und auch auf Sophie Salz’ Zimmerangebot (vgl. den Brief an Else Jaffé vom 18. März 1919, oben, S. 525). 7 Gemeint sind Max von Baden und vermutlich insbesondere Max Graf v. Montgelas. Vgl. den Brief an die Redaktion der FZ vom 20. März 1919, oben, S. 530 f., sowie den Editorischen Bericht zu „Die Untersuchung der Schuldfrage“, MWG I/16, S. 225–229, insbes. S. 227 f. 8 Vgl. den Brief an die Redaktion der FZ vom 20. März 1919, oben, S. 530–532.

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Franz Matt 21. März 1919; Heidelberg Telegramm BayHStA München, MK 69316 Das Telegramm steht in Zusammenhang mit Webers Berufung nach München als Nachfolger von Lujo Brentano; zu Vorgeschichte und Verlauf der Berufung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Februar 1919, oben, S. 423–425.

= euer hochwohlgeboren bitte ich nunmehr ergebenst um endgueltige entscheidung = prof max weber +

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Hermann Oncken 21. März 1919; o.O. Abschrift; maschinenschriftlich ohne Anrede und Schlußformel, mit handschriftlichen Korrekturen von Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 8, Bl. 117–118 Der nachfolgende Brief bezieht sich auf Max Webers Artikel „Die Untersuchung der Schuldfrage“ (MWG I/16, S. 225–232), den er am Vortag der Redaktion der Frankfurter Zeitung mit der Bitte um Abdruck zugesandt hatte (vgl. den Brief an die Redaktion der FZ vom 20. März 1919, oben, S. 530–532), und beleuchtet dessen Hintergründe: Den Anlaß bildete eine während der vom 6. bis 14. März 1919 in Bern tagenden Völkerbundskonferenz (ebd., Anm. 5) durch die Mehrheit der deutschen Delegation verfaßte Resolution zur Kriegsschuldfrage (vgl. unten, Anm. 5). Max Graf v. Montgelas, der zusammen mit weiteren Mitgliedern der Heidelberger Vereinigung (Lujo Brentano, Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Walther Schücking und Hans Wehberg) an der Konferenz teilgenommen hatte, wies daher am 19. März in einem Rundschreiben die Vereinigung darauf hin, wie wichtig die Forderung nach Veröffentlichung aller deutschen Akten zum Kriegsausbruch sei. Außenpolitisch könne „weitestgehende Offenheit“ nur vorteilhaft wirken. Deutschland gelte auch in den meisten neutralen Staaten ohnehin als allein verantwortlich für den Kriegsausbruch. Seine „moralische Stellung in der Welt“ könne also nicht schlechter werden, „selbst wenn noch nicht bekannte belastende Dokumente vorhanden sein sollten [. . .]“. Innenpolitisch werde, wie die in Bern abgegebene öffentliche Erklärung der deutschen Konferenzteilnehmer beweise, die Forderung nach Öffnung der Archive immer lauter. Er habe die Erklärung bekämpft und abgelehnt, da sie „als ein zuweitgehendes einseitiges Schuldbekenntnis von deutscher Seite aufgefaßt werden kann un[d] weil eine öffentliche Aufforderung falls ihr die Regierung nicht Folge leistet, nach außen wie nach innen schädlich wirken muß“. Grundsätzlich sei aber zu bedenken, daß die Forderung nach „rückhaltloser Wahrheit“ mit der Zeit so mächtig werde, daß ihr doch entsprochen werden müsse. Dann wäre es fatal, wenn die Regierung zur Veröffentlichung „von radikaler Seite gedrängt werden würde“, statt sie rechtzeitig selbst zu veranlassen (Schreiben Max Graf v. Montgelas an die Mitglieder der Heidelberger Vereinigung vom 19. März 1919, BA Koblenz, Nl. Hans Wehberg, Bd. 27).

21. 3. 19. Vor Absendung des auf Anregung des Prinzen Max zufolge von Nachrichten, die Montgelasa brachte – geschickten Briefes an die Frankfurter Zeitung war abgemacht, daß er den hiesigen Mitgliedern der „Heidelberger Vereinigung“ zu Korrekturen vorgelegt werden solle. Herr Hahn1 – der Vertraute des Prinzen – suchte daher Montgelasb wie meia In Abschrift: Montegelas b In Abschrift: Montegelas 1 Kurt Hahn, der innerhalb der Heidelberger Vereinigung eine zentrale Stellung einnahm. Als persönlicher Berater Max von Badens und durch seine früheren Tätigkeiten im Auswärtigen Amt verfügte er zu diesem über gute Beziehungen: so zu Legationsrat Walter Simons (mit dem er während der Kanzlerschaft Max von Badens zusammengearbeitet hatte) und auch zu Ulrich Graf v. Brockdorff-Rantzau (MWG I/16, S. 197, sowie Angress, Werner T., Kurt Hahn und Max M. Warburg als Berater des Prinzen Max von Baden vor und während

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nen Bruder2 per Auto auf. Es rächte sich nun aber, daß Ihr Name aus den bekannten Rücksichten nicht mit unter dem Aufruf stand, 3 denn es wurde infolgedessen versäumt, den Brief auch Ihnen vorzulegen, obwohl ich natürlich das größte Interesse an Ihrem Urteil gehabt hätte. Die Absendung erfolgte, 1.c weil in Bern 8d deutsche Abgeordnete (zur „Völkerbundkonferenz“) eeinen höchst unerwünschtene , Deutschlands „Schuld“ als res iudicata4 behandelnden Appell über die Aktenpublikation an Deutschland erlassen hatten. 5 – 2. Die englische Regierung auf das deutsche amtliche Angebot (Einsetzung einer neutralen Kommission) 6 antwortete, „this point needs no answer because it is long since established, that the german government is responsible for the outbreak of the war“.7 Es schien nötig, ihn nur von Einem ausgehen zu lassen, nicht von der Vereinigung, weil die Minister |:(Haas und Lindemann):|8 ihn doch nicht gut unterzeichnen konnten, jede Nichtc Fehlt in Abschrift. d 26 % > 8

e In Abschrift: eine höchst unerwünschte

seiner Amtszeit als Reichskanzler, in: Grüttner, Michael (Hg.), Geschichte und Emanzipation. Festschrift für Reinhard Rürup. – Frankfurt a. M. und New York: Campus 1999, S. 233– 257, insbes. S. 235 f. und 252). Im Krieg hatte er zudem persönliche Kontakte zu jüngeren amerikanischen und britischen Diplomaten aufgebaut (vgl. den Brief an die Redaktion der FZ vom 17. Febr. 1919, oben, S. 456 f., Anm. 12 und 14). 2 Alfred Weber, dessen redaktionelle Mitarbeit in seiner Korrespondenz allerdings nicht dokumentiert ist. Vgl. Demm, Eberhard, Ein Liberaler im Kaiserreich. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 38). – Boppard am Rhein: Boldt 1990, S. 288. 3 Vgl. hierzu Webers Brief an Hermann Oncken vom 10. Febr. 1919, oben, S. 445 f. 4 Im juristischen Sinne ein als rechtskräftig anerkanntes Urteil. 5 Als im Verlauf der Berner Konferenz auch die Kriegsschuldfrage zur Sprache kam, verabschiedete die der USPD nahestehende Mehrheit der deutschen Delegation eine Resolution, in der es u. a. hieß: „[. . .] Es liegt im Interesse des deutschen Volkes wie des zu begründenden Völkerbundes, die Frage der Schuld an der Entfesselung und Verlängerung des Weltkrieges vor einem deutschen Tribunal unter Vorlegung sämtlicher in den deutschen Archiven befindlichen Dokumente zu untersuchen und die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen.“ Vgl. „Erklärung der deutschen Völkerbundsdeligierten [!] in Bern. (Beschlossen mit 26 gegen 8 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen)“, Anlage zum Brief von Max Graf v. Montgelas an die Mitglieder der Heidelberger Vereinigung vom 19. März 1919 (wie oben, Editorische Vorbemerkung). 6 Vgl. Anm. 3 zum Brief an die Redaktion der FZ vom 20. März 1919, oben, S. 530. 7 Zur Ablehnung vom 7. März 1919 vgl. den Brief an die Redaktion der FZ vom 20. März 1919, oben, S. 530, Anm. 4. 8 Ludwig Haas (DDP), Gründungsmitglied und späterer Geschäftsführer der Heidelberger Vereinigung, war von November 1918 bis Anfang April 1919 badischer Innenminister. Karl Hugo Lindemann (MSPD), ebenfalls Gründungsmitglied, war seit November 1918 zunächst Arbeitsminister, von März bis November 1919 Innenminister in Württemberg. Die Erklärung der Heidelberger Vereinigung „Für eine Politik des Rechts“ hatten beide Minister mitunterzeichnet (FZ, Nr. 117 vom 13. Febr. 1919, 1. Mo.Bl., S. 2).

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beteiligung aber mißdeutbar war. Das Auswärtige Amt wurde gleichzeitig von der Absendung benachrichtigt. Es scheint, daß ihnen der Brief sehr willkommen ist, nach der Art der Aufnahme der Mitteilung.9 Natürlich mußte und muß jede Art von Anschein einer „Kollusion“10 streng vermieden werden, daher selbst dies nur vertraulich.

9 Weder die genannte Benachrichtigung noch die positive Reaktion des Auswärtigen Amtes auf Webers offenen Brief sind im PA AA überliefert („Die Untersuchung der Schuldfrage“, MWG I/16, S. 229, Anm. 15). Im Nachlaß von Walter Simons (BA Koblenz, N 1504), der 1919 in Kontakt mit der Heidelberger Vereinigung und Max Weber persönlich stand (vgl. „Zum Thema der ‚Kriegsschuld‘“, MWG I/16, S. 177) und als Direktor der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes direkt mit juristischen Fragen für die Vorbereitung der Friedensverhandlungen befaßt war, fand sich zu diesem Sachverhalt ebenso wenig ein Hinweis wie im Schriftverkehr der Heidelberger Vereinigung im Nachlaß Max von Badens (Archiv des Hauses Baden, Salem, Nl. Prinz Max von Baden). Die Vermittlung lief in diesem Fall möglicherweise direkt über Kurt Hahn, der im Frühjahr 1919 mehrfach zu Gesprächen im Auswärtigen Amt war und im März 1919 auch direkten Kontakt zu Ulrich Graf v. Brockdorf-Rantzau hatte (Scheidemann, Christiane, Ulrich Graf v. Brockdorff-Rantzau (1869–1928). Eine politische Biographie. – Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang 1998, S. 406, 409 und S. 414–417). 10 Im ökonomischen Sinne eine unstatthafte Koordination bzw. Absprache verschiedener Unternehmen.

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24. März 1919

Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 24. März 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig BayHStA München, MK 69316 Im nachfolgenden Brief thematisiert Max Weber erstmals seine Funktion als Sachverständiger für die Friedensverhandlungen. Zwischen dem 21. und 25. März 1919 wurde nach längerer Vorbereitung durch die Berliner „Geschäftsstelle für die Friedensverhandlungen“ eine große Zahl ausgewählter Sachverständiger nach Berlin eingeladen, um an vorbereitenden Beratungen teilzunehmen (vgl. den Editorischen Bericht zu „Diskussionsbeiträge anläßlich der Beratungen im Auswärtigen Amt zur Vorbereitung der Friedensverhandlungen, 29. März und 2. April 1919“, MWG I/16, S. 254–257, sowie ebd., Einleitung, S. 24–31). Schon seit Februar waren im Auswärtigen Amt Listen externer Experten zusammengestellt worden, welche die deutsche Friedensdelegation während der Friedensverhandlungen direkt vor Ort beraten („Liste A“) oder sich in Deutschland zur Verfügung halten sollten („Liste B“). In der Kabinettssitzung vom 18. März war Max Weber, zusammen mit Friedrich Aereboe, Moritz Julius Bonn und Lujo Brentano, noch auf die „Liste A“ jenes engeren Expertenkreises gesetzt worden, der die Friedensdelegation begleiten sollte. Neben Vertretern gesellschaftlicher Institutionen und Interessengruppen sollten dadurch Intellektuelle einbezogen werden, „welche die Wiederanknüpfung internationaler Beziehungen jeder Art erleichterten, als Köpfe von Weltruf, das Reich würdig repräsentierten und eine unwürdige Behandlung erschwerten“ (zit. nach: Das Kabinett Scheidemann. 13. Februar bis 20. Juni 1919, bearb. von Hagen Schulze (Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik). – Boppard a. Rh.: Harald Boldt 1971 (hinfort: Schulze (Bearb.), Das Kabinett Scheidemann), Dok. 16, S. 64 f.). Weber selbst hat von seiner Berufung zum „Experten“ in die für Wirtschafts- und Handelsfragen zuständige Kommission am 22. März nachmittags durch ein Telegramm des Außenministers Ulrich v. Brockdorff-Rantzau Kenntnis erhalten. Am gleichen Tag schon wurde sein Name, mit denen aller Delegationsmitglieder und der zu ihrer Begleitung vorgesehenen Experten, veröffentlicht (FZ, Nr. 219 vom 22. März 1919, 2. Mo.Bl., S. 1). Nicht nur über ein regelrechtes Gedränge von Sachverständigen äußerte Weber sich seit dieser Berufung mehrfach negativ, insbesondere seine eigene Teilnahme bezeichnete er wiederholt als nutzlos und gänzlich überflüssig (vgl. seine Briefe an Hermann Oncken vom 25., an Marianne Weber vom 30. März, und insbes. an Johann Heinrich Graf v. Bernstorff vom 1. Mai 1919, unten, S. 542, 551 f. und 596–599). Dessen ungeachtet war er schon wenige Tage später auf der Reise über Weimar nach Berlin, um dort an den Berliner Vorberatungen teilzunehmen.

Heidelberg 24. III. 19 Dem Bayrischen Ministerium des Kultus und Unterrichts

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überreiche ich anliegendes Telegramm des Herren Reichsministers des Auswärtigen.1 Ich konnte nicht wohl anders, als mich zur Verfügung 1 Ulrich Graf v. Brockdorff-Rantzau, als Reichsminister des Auswärtigen zugleich Leiter der deutschen Friedensdelegation. Das am 22. März 1919, um 11.50 Uhr, in Berlin aufgegebene Originaltelegramm hatte Weber beigelegt. Es lautet: „Ich waere ihnen zu besonde-

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stellen, habe jedoch bemerkt, daß ich am 1. V. ein Lehramt in München anzutreten habe und nur im Fall wirklich offenbar sehr erheblicher Dienste, die ich etwa leisten könnte, geneigt sei, mit nach Paris zu fahren, da ich weder die Eitelkeit noch die Neugierde besitze, eine nicht absolut notwendige Teilnahme an diesen Verhandlungen den Lehrpfl ichten voranzustellen. Immerhin ist es, da ich Beziehungen nach Amerika und England habe, denkbar, daß ich nützlich sein könnte, und unter Bezugnahme auf die Herren Ministerialdirektor Matt s. Z. mündlich dargelegten sonstigen Gründe bitte ich daher: 1) mich von pünktlichem Beginn der Vorlesungen zu entbinden für den Fall, daß ich bei den Friedensverhandlungen festgehalten würde, – 2) mir in jedem Fall zu gestatten: nur eine kleinere Vorlesung im Sommer zu halten. Da alle Pfl ichtfächer besetzt sind, dürfte für dieses Semester diese Bitte unbedenklich sein, zu der ich schon durch die Kürze der verbleibenden Zeit unbedingt genötigt bin. Hochachtungsvoll Prof. Max Weber (Heidelberg) An das Ministerium des Innern f. Kultus u. Unterricht z. H. Herrn Ministerialdirektor Matt Hochwohlgeboren

rem dank verpflichtet, wenn sie sich der aufgabe unterziehen wollten, bei den vorlaeufigen und endgueltigen friedensverhandlungen am orte der verhandlungen als sachverstaendiger mitzuwirken sowie fuer die vorbereitungen der verhandlungen hier jederzejt zur verfuegung zu stehen. ich darf um tunlichst sofortige aeuszerung bitten und bejahendenfalls an einer, Freitag, den 28. d. m. vormittags 10 uhr in der geschaeftsstelle des auswaertigen amts für die friedensverhandlungen behrenstr. 21, anberaumten besprechung tejlzunehmen, in der über die hauptsaechlichsten fragen, die vorauszichtlich bei den friedensverhandlungen zur sprache kommen, referate erstattet werden = der reichsminister des aeuszeren brockdorff-rantzau.“ (BayHStA München, MK 69316)

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Carl Heinrich Becker 25. März 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Carl Heinrich Becker, Nr. 4952 Der Brief enthält Webers Ablehnung seiner Berufung an die Universität Bonn; vgl. zu diesem Vorgang die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Josef Heimberger vom 5. Februar 1919, oben, S. 427.

Heidelberg 25. III. 19 Hochgeehrter Herr Geheimrat!

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Ich habe die Berufung nach München – nachdem endlich die durch die revolutionären Ereignisse gestörte Regierung1 Antwort gab – angenommen und ehrenhalber annehmen müssen, obwohl ich mit den schwersten sanitären und sonstigen Bedenken dorthin gehe. Ich war moralisch – wie ich s. Z. schrieb – gebunden und konnte nicht auf Grund anderweitiger, mir mehr zusagender, Möglichkeiten zurücktreten, obwohl ich mit der Chance rechne, diesen dortigen Anforderungen nicht gewachsen zu sein oder durch die Parteien – revolutionäre oder, später, reaktionäre, bei Seite geschoben und zum Rücktritt gezwungen zu werden. Der Posten ist sehr exponiert und eben deshalb würden auch Sie selbst im gleichen Fall nicht anders gehandelt haben. Sonst wäre in jeder Hinsicht die Bonner Stelle für mich das allein Erstrebenswerte gewesen, und auch dort hätte ich nützlich sein können. Ich kann gar nicht genug danken, daß die preußische Regierung, insbesondre Sie, an mich gedacht haben und daß mir ein so vornehmes Angebot gemacht wurde und bitte um Erlaubnis, dieser Tage noch persönlich und mündlich dafür danken zu dürfen. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebenster Max Weber

1 Seit der Ermordung Kurt Eisners und der Sprengung des gewählten Landtages am 21. Februar 1919 herrschte in Bayern noch immer ein Machtvakuum, in dem Parlamentarisches System und Rätesystem konkurrierten. Zwar hatte der am 17./18. März wieder einberufene Bayerische Landtag eine Regierung von SPD, USPD und Bauernbund unter Ministerpräsident Johannes Hoffmann (SPD) bestätigt (Schulthess 1919, Teil 1, S. 124–126), doch blieb die Lage instabil.

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Hermann Oncken 25. März 1919; o.O. Abschrift; maschinenschriftlich ohne Anrede und Schlußformel, mit handschriftlichen Korrekturen von Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 8, Bl. 114

25. 3. 19 Das Auswärtige Amt hat [,] wie wir hören, die Anregung sehr willkommen geheißen und verfolgt sie.1 Über „Schuldfragen“ bin ich natürlich ganz Ihrer Ansicht, 2 zur Friedensdelegation gehe ich sehr ungern, habe sofort geschrieben, daß ich per 1. Mai mein Amt antrete und nicht eitel und neugierig genug sei, um als Statist in Paris oder Berlin zu sitzen, 3 denke bald zurück zu sein. Denn was soll ich dort?4 Nach München gehe ich sehr ungern, wäre lieber nach Bonn gegangen und am liebsten hier geblieben, was mir aber pekuniär unmöglich war. 5 München ist sehr exponiert (jetzt: „Unabhängige“ später: „Zen-

1 Sehr wahrscheinlich bezieht Max Weber sich nochmals auf den seinen offenen Brief „Die Untersuchung der Schuldfrage“ betreffenden Kontakt zum Auswärtigen Amt. Vgl. hierzu die Briefe an die Redaktion der FZ vom 20. März sowie an Hermann Oncken vom 21. März 1919, oben, S. 538 (insbes. Anm. 9). 2 Hermann Oncken vertrat öffentlich die Überzeugung, trotz aller unbestreitbaren „Mißgriffe und falschen Rechnungen unserer Diplomatie“ bleibe die „Tatsache der entscheidenden Verschuldungen unserer Gegner trotz allem bestehen [. . .]“. Vgl. Oncken, Hermann, „Die inneren Ursachen der Revolution“, in: Annalen für Soziale Politik und Gesetzgebung, Bd. 6, 1918/19, Heft 3/4, S. 228–261, S. 230. Im Dezember 1918 hatte er eine „Kundgebung Heidelberger Professoren“ initiiert, die im Januar in der Heidelberger Presse abgedruckt wurde. Sie forderte, daß dem „planlosen Treiben Einhalt geboten werde, einseitig Dokumente der Öffentlichkeit preiszugeben, welche möglicherweise die deutsche Politik in selbstmörderischer Weise belasten könnten“. Die „Feinde“ würden ihre Akten zum Kriegsausbruch niemals veröffentlichen und deutsche Schuldbekenntnisse nur zur Rechtfertigung der eigenen „Erbarmungslosigkeit“ nutzen. Es sollten daher statt dessen „von unserer Seite die Beweise für den überragenden Schuldanteil unserer Feinde unausgesetzt öffentlich zur Geltung gebracht werden [. . .]“ (Heidelberger Zeitung, Nr. 6 vom 8. Jan. 1919, S. 4). Max Weber gehörte nicht zu den Unterzeichnern des Aufrufs. 3 Vgl. dazu Webers Mitteilung an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 24. März 1919, oben, S. 539 f. 4 Zu Webers erheblichen Vorbehalten gegenüber seiner Rolle als Sachverständiger für die deutsche Friedensdelegation vgl. die Editorischen Vorbemerkungen zum Brief an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 24. März, oben, S. 539, und zum Brief an Johann Heinrich v. Bernstorff vom 1. Mai 1919, unten, S. 596 f., sowie seine Briefe an Marianne Weber vom 30. März und an Mina Tobler und Marianne Weber 31. März 1919, unten, S. 551 f., 558 und 561 f. 5 Nach längeren Verhandlungen und Überwindung erheblicher Schwierigkeiten aufgrund

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trum“) [ .] 6 Daher war es Ehrenpunkt, dorthin zu gehen. Ob ich es leisten kann, ist mir sehr fraglich, es muß eben versucht werden. Sonst gehe ich in eine Redaktion oder dergleichen. – Bezüglich des Friedens ist in Berlin offenbar die Stimmung für Ablehnung auf jede Gefahr. Das ist auch meine Ansicht.

der politischen Lage in München hatte Max Weber den Ruf an die dortige Universität im März schließlich angenommen. 6 Gemeint ist die politische Radikalisierung in München im Februar und März 1919 (vgl. Merz, Johannes, Auf dem Weg zur Räterepublik. Staatskrise und Regierungsbildung in Bayern nach dem Tode Eisners (Februar/März 1919), in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Bd. 66, Heft 2, 2003, S. 541–564, S. 547). Zu Webers Kritik an separatistischen Tendenzen im bayerischen „Zentrum“ vgl. die Briefe an Hermann Oncken vom 8. Nov. 1918, oben, S. 291 f., an Else Jaffé vom 15. Nov. 1918, oben, S. 304 (Anm. 3), sowie an Marianne Weber vom 28. Juni 1919, unten, S. 666.

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Mina Tobler [26. März 1919]; Weimar Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Ortsangabe „Weimar“ und der Tagesangabe „Mittwoch“ sowie dem Brief an Marianne Weber vom 28. März 1919, unten, S. 549 f. Max Weber machte auf dem Weg nach Berlin Station in Weimar. Nach Berlin war er eingeladen, um an der Plenarsitzung der Sachverständigenkommission zur Vorbereitung der Friedensverhandlungen teilzunehmen (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 24. März 1919, oben, S. 539).

Weimar, Mittwoch Liebste Judit, – ich blieb hier hängen, komme erst Nachts nach Berlin, und nun schnell einen Gruß und Dank für Deinen schönen vornehmen Brief: ja auch ich liebe jetzt, von ganzem Herzen, einen „Menschen der schön und traurig ist“. Du bist viel zu schonend gegen mich. „Härte“ nennst Du, was meine blöde und karge Natur ist. Von früher Jugend an war mir der Spruch von dem „trotzigen und verzagten“ Herzen so eindrucksvoll. Nie „konnte“ ich, wenn mir darnach am stärksten zu Mute war, gleich, jetzt, da und dann wo es Andren gut gethan hätte, sagen, ja nur durch Gebärden fühlen lassen, wie es mit mir stand. Wenn ich an die vielen Schmerzen denke, die ich geliebten und mich liebenden Menschen dadurch angethan habe – o es ist ein langes Register versäumter schöner Stunden und hinterlassener Wunden. Gestern war mir „sehr übel“ zu Mute, – Goethe sagte das, als er von Friederike ging,1 aber: das war eine gründlich andre Situation! – es war wieder einer von den Reifen des „Eisernen Heinrich“ da, 2 mein trautes Kind, wie immer,

1 Johann Wolfgang v. Goethe schildert den Abschied von seiner elsässischen Jugendliebe Friederike Brion mit den Worten: „Als ich ihr die Hand noch vom Pferde reichte, standen ihr die Thränen in den Augen, und mir war sehr übel zu Muthe.“ Vgl. Goethes Werke, Bd. I, 28: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Dritter Theil. – Weimar: Böhlau 1890, S. 83. 2 Max Weber spielt auf eine Märchenfigur aus „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“, in: Grimm, Jakob und Wilhelm, Kinder- und Hausmärchen. Große Ausgabe, Bd. 1. – Göttingen: Dieterich 1857, S. 1–6, an. Vgl. den Brief an Mina Tobler, vor dem 10. Jan. 1919, oben, S. 389 mit Anm. 1.

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wenn etwas Schönes mir genommen wird oder werden soll, und dann erstarren meine Gesten zu eisiger Steifheit. Mit jener unendlich vornehmen, adligen Liebe, mit der Du mich beschenkt hast, hast Du das – glaube mir: dies weiß ich besser als Du ahnst – wieder und wieder getragen, und es ist schmerzlich, daß Du es auch in dieser (wenn auch nur als Zwischenstation bedeutsamen) Abschiedsstunde zu tragen hattest, teure schöne Freude meiner Seele. Auch ich hatte mir das so gänzlich anders vorgestellt und immer wieder „den Kopf in den Sand gesteckt“ und es zurückgeschoben, daß – wenn auch nicht jetzt, so doch in absehbarer Zeit – eine solche äußere Schranke dasteht: der Raum! – d. h. ich hatte das intellektuell gewußt, aber nicht gefühlt, nicht fühlen wollen – und nun war es betäubend nahe. Gewiß: all das Teure: von dem Geschirr, den Ringen angefangen, bis zu dem Klavier und den drei Stübchen, werde ich (spätestens Pfi ngsten) wiedersehen, aber dann als „Gast“, der eine ihm auf 10 Jahre etwa hinaus nur immer gastweise zugängliche Heimat seines Herzens besucht – und das wurde mir erst klar als der Zug abfuhr, ehe ich Deinen Brief las, der es dann ganz ganz deutlich machte. Ich hatte nicht den Mut gehabt das ganz zu sehen und nur der seit 2 1/ 2 Jahren lastende dumpfe Druck des Vorgefühls war lastend und jede Freiheit der Geste und des Wortes abschneidend da – bis Du fort warst, trautes Glück. Ich bin eben nur „gelöst“, wenn ich froh bin und froh mache – und das letztere ist mir fast ganz versagt mein Leben lang. Ja – wenn ich an Dich denken werde und wenn ich Dich sehen werde, im Vorgefühl und wenn Du kommst (oder umgekehrt), dann wird die Freude da sein und mir Worte geben, aber bei der Trennung – grade wo sie da sein sollten – nicht, das weiß ich. – Ach ich fühle, teures Kind, daß ich Dir das Herz nur schwer mache – und grade Dir, die Du zur Freude, Dir selbst und den Menschen, geschaffen bist. Verzeih! ist das Erste vorüber und auch das Gedenken daran, wie unzulänglich ich grade jetzt zuletzt war, so gelingt mir wohl ein besseres, vielleicht auch schöneres, hoffentlich etwas froheres: für Dich froheres, Wort der Liebe. Jetzt ist nur Trennung, Sehnsucht, Qual der Verantwortung, so viel Glück und Schönheit auf Kosten Deines Reichtums sich haben schenken zu lassen, lebendig und die neue Hoffnungsstimmung noch nicht gefunden. Sie muß kommen, – ich schreibe Dir dieser Tage einmal rein sachlich von mir und Dem was um mich vorgeht, vielleicht thut es uns beiden wohl: zunächst einfach das Wissen vom ewigen – ja „ewigen“ – Zusammenbleiben und -Gehören und vielleicht spricht sich dann das Unverlierbare allmälig verständlicher aus. (Ich

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fahre gleich nachher weiter, spreche hier Naumann u. Genossen). 3 Laß mich nichts sagen als: Dank, Dank! – es giebt ja kein Wort für Das, was da ist. Dein M.

3 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 28. März 1919, unten, S. 549.

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Else Jaffé [27. März 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Für die nachträgliche Datierung von dritter Hand auf 25. März 1919 gibt es keine weiteren Anhaltspunkte. Sie wurde anhand der Tagesangabe „Donnerstag Abend“ korrigiert. Grußformel und Unterschrift fehlen.

Donnerstag Abend Elsekind, trautes braunes Glück Du, –

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ich schaue in die Augen Deines Bildes, diese rätselvoll weit und sehnsüchtig in die Welt schauenden dunklen Sterne – und denke daran, wie Deine jetzigen Augen so beschattet und oft unfreudig, angestrengt oder innerlich belastet, zuweilen glanzlos, blicken, und in aller unermeßlichen Zärtlichkeit ergreift mich, mitten im Jubel, Dir eigen sein zu dürfen, die Sorge. Liebes Herz, noch einmal: nichts, gar nichts ist im stande, mich Dir zu entfremden; ich habe das Gefühl, Dich oft entsetzlich zu belasten und anzustrengen. Auf mein Wort, mein Kind: was immer Du beschließt, ich bleibe Dir, wie ich bin. Denke: sieben Jahre der Verstoßenheit hatten es nicht fertig gebracht, Dich aus meinem Leben zu streichen oder an Bedeutsamkeit schwinden zu lassen, denn – die Wahrheit zu sagen: hättest Du damals (Oktober 16) nur ein liebes Wort gesagt1 – „geh her, sei gut“ – es wäre sofort kein Halten und keine „Haltung“ gewesen, Du warst nur zu stolz und herb dazu (und auch Das liebe ich ja so an Dir!). Nachher, nun ja, da stellte ich mich „à la Tell“ ein: so jederzeit vom Nachen springen zu können2 – ich wußte ja nicht. . . Aber das hätte ja nichts geholfen: sobald Du wieder gewinkt hättest, war ich wieder bei Dir und wie immer. Und so bleibt es. Du weißt: Du kannst mir jeden Verzicht, jede Entfernung, Distanz, Schweigen, „Mich-Verbergen“ zumuten, jetzt gilt nichts mehr von Dem, was 1 Nachdem Max Weber im Frühjahr 1911 den Kontakt mit Else Jaffé abgebrochen hatte, waren sich beide erstmals anläßlich seines Vortrags am 27. Oktober 1916 in München wieder begegnet. „Gefroren“ habe Max Weber auf das Wiedersehen reagiert, berichtete Else Jaffé damals an Alfred Weber. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Else Jaffé vom 30. Okt. 1917, MWG II/9, S. 802 f., hier S. 802. 2 Anspielung auf Wilhelm Tell, dem es nach seiner Verhaftung durch den kaiserlichen Vogt Gessler gelungen sein soll, sich auf dem Transport über den Vierwaldstätter See durch einen Sprung vom Boot ans Ufer zu retten. Der Sage nach nutzte der Schweizer Freiheitsheld die Chance zur Flucht, als seine Gegner wegen eines Gewittersturmes auf seine Steuerkünste angewiesen waren und ihn deshalb von den Fesseln befreit hatten.

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ich über das „Fortfl iegen“ des „Raubvogels“ schrieb: 3 d. h. er fl iegt fort, aber ein unsichtbares Kettchen, befestigt an jenem „Ring“,4 bleibt in Deiner Hand und jederzeit kannst Du ihn zu Deinen Füßen wieder heranziehen, – er kann nichts dagegen machen, will nichts dagegen machen, wird es nie wollen. Denn unauslöschlich ist die Dankbarkeit an das Schicksal dafür, daß es so sein durfte wie es war, und solche Briefe wie der zu Weihnachten5 1) – nun das hast Du mir ganz gründlich und für immer abgewöhnt, auch jeden Schatten von etwas Ähnlichem. Ich sage das nicht leichthin, stelle mich auf die Probe, ich bin meiner ganz sicher. Nicht weil ich an sich „anders“ wäre als Andre, aber – Du weißt ja – das Schicksal hat mich in vielem anders „erzogen“: dafür hat es mich halt in Vielem arg „verpfuscht“. Es ist doch nicht für Jeden und Jede, solche „Sehnsuchts“-Schönheit und solche Beziehungen, über denen – Du schriebst es so schön – „Trennung“ geschrieben steht. Welche Verantwortungen für Menschen, die ich liebte, habe ich schon auf mich geladen! und noch eine so wie dies Mal. Und die Sehnsucht meines Herzens war: ein Mal nur Freude, ein wenig Freude, in ein Leben voll Schönheit, auch meinerseits hineinzutragen. Statt dessen . . .! 1)

oder damals im vorigen Oktober nach Deinem Kommen hierher6

3 Vgl. den Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 392. 4 Wie eine Romanfigur aus Sir Walter Scotts „Ivanhoe“ trage er einen unsichtbaren Halsreif mit der Besitzangabe, „daß ‚dieser Leinenweber der Freiin Else v. Richthofen gehört‘“, schrieb Max Weber im Brief an Else Jaffé, vor dem 14. Jan. 1919, wie Anm. 3. 5 Der Brief ist nicht nachgewiesen. 6 Ein Zusammentreffen von Else Jaffé und Max Weber im Oktober 1918 ist nicht nachgewiesen.

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Marianne Weber [28. März 1919]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Freitag“, dem Briefinhalt und dem Brief an Mina Tobler vom 26. März 1919, oben, S. 544. Max Weber machte in Weimar Station auf dem Weg nach Berlin. Dorthin war er von der „Geschäftsstelle für die Friedensverhandlungen“ zu Sitzungen der Sachverständigenkommission eingeladen. (Vgl. Editorischer Bericht zu „Diskussionsbeiträge anläßlich der Beratungen im Auswärtigen Amt zur Vorbereitung der Friedensverhandlungen, 29. März und 2. April 1919“, MWG I/16, S. 254–257, sowie die Editorische Vorbemerkung zum Brief an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 24. März 1919, oben, S. 539.) Max Weber nutzte seinen widrigen Verkehrsbedingungen geschuldeten Aufenthalt, um die Rede von Ministerpräsident Philipp Scheidemann zu den erwarteten Härten des Friedensvertrages, der Kriegsschuldfrage und zur Einrichtung eines Staatsgerichtshofes anzuhören. Außerdem führte er am Tagungsort der Nationalversammlung politische Gespräche.

Freitag Marchstr. 15 Liebes Mädele,

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ich blieb in Weimar infolge Zugverspätung, sprach Naumann, David, Heile, Gert[rud] Bäumer, M[arie] Baum1 und viele Andre. Besonders auch über die Frage der „Ablehnung“ des Friedens, die jedenfalls nur erfolgen dürfe, wenn sie nicht als „Geste“ gemeint sei, sondern im Ernst, und daher nur nach Erwägung aller Folgen. Naumann ist pessimistisch: nach dem I. V. sei nichts mehr zu essen da, also könne man gar nicht. Andre – Dernburg u. s. w. – sind andrer Ansicht. Dann hörte ich, neben Frau Hartmann (Wien) sitzend, die erbärmlich schlechte Rede Scheidemanns. 2 (Posen und Eitelkeit, ganz hohle Pathetik). – In Berlin fand ich trotz Telegramms keinerlei Unterkunft in keinem Hotel, pilgerte also nach Charlottenburg zu Clara, 3 die mich zur Mutter brachte, wo ich bleiben konnte. Gestern wollte ich die Leute des Aus[wärtigen] Amtes sprechen, sie sind aber in Weimar und ich konn-

1 Die Genannten waren als Mitglieder der Verfassunggebenden Nationalversammlung mit den Friedensfragen befaßt. 2 Vgl. die Rede von Ministerpräsident Philipp Scheidemann in der 29. Sitzung der Verfassunggebenden Nationalversammlung am 26. März 1919, in: Verhandlungen des Reichstags, Bd. 327: Von der 27. Sitzung am 13. März 1919 bis zur 52. Sitzung am 9. Juli 1919. – Berlin: Norddeutsche Bundesdruckerei und Verlags-Anstalt 1919, S. 807–809. 3 Clara Mommsen.

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te nur den Cultusministeriums-Becker4 und die drei Müllers sprechen.5 (Wolfgang feiert Freitag in Salzuflena seine Hochzeit,6 Mittwoch Vorfeier im Familienkreis in Örlinghausen. Dann ziehen sie zunächst zu Georg’s7 nach Zehlendorf ins Haus.) b Heut soll also die Sache8 losgehen – d. h. m. W. sind BrockdorffRantzauc und Simons auch heut noch nicht da. Otto B[aumgarten] in Paris zu denken (ich sah ihn gestern) ist doch grotesk, 9 es geht eigentlich wirklich nicht an! Ich verstehe diese Zusammensetzung überhaupt nicht. Außer Otto B[aumgarten] nur drei Münchener Professoren: Brentano, Bonn, ich (alles Nicht-Bayern, daher auch nicht als „Bayern“-Vertreter zu rechnen) als Vertreter des „Geistes“. Das ist sehr ungeschickt.10 – Die Mutter sieht gut aus und ist sehr lebendig, eigentlich besser als das letzte Mal ist der Eindruck. Doch ich muß fort, addio, Liebes, es küßt Dich Dein Max

a O: Salzufeln b Klammer fehlt in O. c O: Brockdorf Rantzau 4 Carl Heinrich Becker hatte als Referent des preußischen Kultusministeriums Max Weber das Bonner Lehrstuhlangebot unterbreitet (vgl. den Brief an Josef Heimberger vom 5. Febr. 1919, oben, S. 428). Max Weber hatte deshalb in den darauffolgenden Wochen mehrfach mit Becker korrespondiert (vgl. die Briefe an Carl Heinrich Becker vom 6. und 9. Febr. sowie vom 7. März 1919, oben, S. 431–433, 435–437 und S. 509). Im Brief an Becker vom 25. März 1919, oben, S. 541, hatte ihn Max Weber zuletzt über seine Entscheidung für München informiert, zugleich aber noch um die Möglichkeit zum persönlichen Dank gebeten. 5 Die Brüder Wolfgang und Georg Müller und dessen Frau. 6 Wolfgang Müller und Elisabeth Huxholl. 7 Georg und Lili Müller. 8 Vgl. die Editorische Vorbemerkung. 9 Otto Baumgarten war o. Professor für Theologie in Kiel und als Vertreter der evangelischen Kirche zum Sachverständigen der Liste A (wie sein Vetter Max Weber) berufen worden. Vgl. das Protokoll der Kabinettsitzung vom 18. März 1919, in: Schulze (Bearb.), Das Kabinett Scheidemann, S. 64 f. Zur Liste A vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 24. März 1919, oben, S. 539. 10 Max Weber äußerte seine Kritik an der Zusammensetzung der Friedensdelegation auch in der Sitzung der Expertenrunde am 29. März 1919, vgl. „Diskussionsbeiträge anläßlich der Beratungen im Auswärtigen Amt zur Vorbereitung der Friedensverhandlungen, 29. März und 2. April 1919“, MWG I/16, S. 254–267, S. 260.

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Marianne Weber [30. März 1919; Charlottenburg] Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Datum und Ort sind erschlossen aus der Tagesangabe „Sonntag“ und dem Briefinhalt („Hier war gestern erst die erste ‚Sitzung‘“). Max Weber nahm am 29. März und 2. April 1919 an Beratungen im Auswärtigen Amt zur Vorbereitung der Friedensverhandlungen teil. Im folgenden bezieht sich Max Weber zunächst jedoch auf Marianne Webers Brief vom 28. März 1919 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) mit der Nachricht von der erfolgreichen Suche nach einer Wohnung in München.

Sonntag Liebes Mädele,

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das ist recht! der Glücksfall ist ja wirklich sehr groß und ich zweifle nicht, daß Else mit ihrem Telegramm recht hatte.1 Mir grauste vor nichts so sehr wie vor der Wohnungsfrage und ihrer Lösung. Denn da bist Du so stark betroffen und ich fürchtete, daß keinerlei Lösung zu fi nden sein werde, die für Dich befriedigend wäre. 4000 M. incl. Heizung ist nicht viel, sondern – fürchte ich – sehr wenig bei 7 Zimmern. Mir ist ein Stein vom Herzen. – Hier war gestern erst die erste „Sitzung“. Ein gänzlich zweckloses nichtiges Gebahren: lange „Referate“ über die Lage der Probleme, die (meist) wenig Neues sagten, fast keine Debatte (bei 2 Punkten griff ich ein2) a, aber alles blieb „akademisch“, keinerlei Gewähr dafür, daß man nicht in die Luft redet. So ist das völlig nutzlos und ich halte mich für durchaus überflüssig, habe das auch mit Schärfe betont.3 Mittwoch ist die zweite – letzte! – Sitzung mit dem Rest der Referate. Mir konnte Niemand Aufschluß geben, wozu wir eigentlich hier sind. Ich gehe da-

a Klammer fehlt in O. 1 Else Jaffés Telegramm bezog sich laut Marianne Webers Brief an Max Weber vom 28. März 1919 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) auf eine Wohnung, die diese für das Ehepaar Weber in München am Kufsteiner Platz gefunden hatte. 2 Überliefert sind Äußerungen Max Webers über „Wirtschaftliche Lage und Friedensverhandlungen“, MWG I/16, S. 258–261, und „Zur Frage der Grenzsperre für polnische Arbeiter“, ebd., S. 262–265. 3 Vgl. dazu Max Webers protokollierte Äußerung zu „Wirtschaftliche Lage und Friedensverhandlungen. Sitzung vom 29. März 1919, vormittags“, MWG I/16, S. 258–261, hier S. 260.

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her morgen zu Graf Bernstorff4 – der vorsitzt – und frage ihn, bleibe bis Mittwoch hier, scheide dann aber aus und gehe nicht mit nach Paris, 5 wenn nicht ganz schlüssige Antworten gegeben werden können. Das ist rein Statistenrolle. Es ist wahrscheinlich (aber nicht sicher), daß schon am 10./11. ca. die Reise nach Paris angetreten wird und das soll dann den ganzen Sommer dauern! (vielleicht!). Fällt mir nicht ein! Der Mutter geht es gut. Clara6 auch und ihren Kindern (Conrad ist bei Hindenburg7), Helenchen8 hat das Abiturium gemacht. Zu erzählen ist nichts. Das Wetter ist häßlich, bei der Mutter die bekannte „Ungetrostheit“, die sie nicht empfi ndet. Artur9 sah ich auch, er macht einen guten Eindruck, kann man sagen (Valborg10 bleibt noch in Norwegen). Mit Georg11 (der jetzt langsam „abbaut“ u. nach Örlinghausen zurück will) und Wolfgang12 war ich zwei Mal zusammen. Einmal mit Otto13 u. Brentano, einmal mit Becker vom Kultusministerium (dort wird Tröltsch jetzt Unterstaatssekretär, neben seiner Professur).14 Die ganze Sache hier ödet maßlos. Innerpolitisch und nach außen sieht es nicht rosig aus. Morgen mehr! Es küßt Dich herzlich Dein Max

4 Zu dem Treffen mit Graf v. Bernstorff vgl. die Briefe an Else Jaffé, Mina Tobler und Marianne Weber vom 31. März 1919, unten, S. 555, 558 und 561 f. 5 Zu Max Webers Berufung unter die Sachverständigen für die Friedensverhandlungen vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 24. März 1919, oben, S. 539. 6 Clara Mommsen. 7 Conrad Mommsen, Clara Mommsens ältester Sohn, war Adjudant bei Hindenburg (vgl. Rebenich, Stefan, Die Mommsens, in: Reinhardt, Volker (Hg.), Deutsche Familien. Historische Portraits von Bismarck bis Weizsäcker, 2. Aufl. – München: Beck 2005, S. 147–179, S. 161). 8 Helene Mommsen. 9 Arthur Weber. 10 Valborg Weber, die Frau von Max Webers Bruder Arthur, stammte aus Norwegen. 11 Georg Müller. 12 Wolfgang Müller. 13 Otto Baumgarten. 14 Ernst Troeltsch war seit dem Sommersemester 1915 Lehrstuhlinhaber für Philosophie an der Berliner Universität.

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Also werde ich diesen berühmten „parlamentarischen Abend“15 nicht mitmachen? Denn vor Samstag früh werde ich kaum dort sein, vielleicht erst Abends. Ich möchte nochmal in Weimar kurz bleiben, wenn möglich.

15 Es handelt sich vermutlich um die abendliche Begrüßungsfeier anläßlich der von Marianne Weber in ihren beiden Briefen vom 28. März 1919 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) angekündigten Landesversammlung der DDP in Karlsruhe am 30. März 1919. Vgl. den Bericht in: Heidelberger Zeitung, Nr. 76 vom 31. März 1919, S. 2.

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Else Jaffé [31. März 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Montag“ und dem Briefinhalt: Die Ankündigung von Max Webers Teilnahme an den kommenden Friedensverhandlungen („Nächste Woche, vielleicht übernächste, geht es . . . nach Paris“) sowie eines kurzen Aufenthalts „diese Woche“ in München (vgl. zur Datierung auch den Brief an Franz Matt vom 1. April 1919, unten, S. 563).

Montag Trautes Elsekind, – nun hast Du uns wohnlich untergebracht1 – o das ist sehr wichtig, denn für Mar[ianne] war ja das die Lebensfrage und daß ich ihr ev. solch eine Wohnung wie die von Cläre2 zumuten müßte – so garstig und trist – das war mir ein schwerer Stein des Anstoßes. Hab tausend Dank! Und dann: Deine „Zettel“. Ich kann mich nicht endgültig von ihnen trennen, möcht manchmal in München mich daran erfrischen, deshalb schicke ich sie wieder mit. Wie schön bist Du wieder – ganz zum Verrücktmachen bezaubernd – in Deinem süßen und stolzen Humor – denn denk nur nicht, daß ich nicht merkte, daß Du wieder viel zu hochmütig bist, um zu gestehen, daß Du [’] s eben doch schwer mit mir hast (aber hoffentlich ist die Gesammtlage doch nicht so wie auf dem Bild auf dem Kanapé!) – in diesem adligen Humor bist Du wirklich die alte Else in ihrer Souveränität, der man (ich wenigstens) gar nicht anders als untertan sein kann. Und wenn wirklich das „Fazit“ stimmt und wenn wirklich Du so „herzlos“ bist, mich aus diesem Grund auslachen zu können, dann bin ich unendlich glücklich. Und hoffentlich mußt Du nicht immer so „wach“ und „zerdacht“ sein aus – „Verantwortung“?? die verbitte ich mir sehr entschieden, weißt Du, ich sagte Dir ja schon mal was darüber. Das fehlte grade noch. Und damit ich nicht zu übermütig werde, fügst Du zwischen das „Alles Alles sagen können“ ein „fast“ ein. Natürlich bin ich maßlos darauf aus, daß dieses „fast“ auch

1 Else Jaffé hatte am Kufsteiner Platz 1 eine Wohnung für Max und Marianne Weber gefunden. (Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 30. März 1919, oben, S. 551, ausführlichere Informationen finden sich in Else Jaffés Brief an Marianne Weber, vor dem 31. März 1919, (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)). 2 Cläre Schmid-Romberg.

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noch schwindet1) und werde arg folgsam sein, bis es einmal so ist, – vielleicht! Aber „vorsichtig“ solltest Du nicht sein, Du vertrautes Herz, mit mir. Natürlich, ich bin oft dumm – wer lernt denn bei Euch Frauen aus, und gar: bei Dir? Aber schadet das denn nun? Ich sag’s ja dann und bin so glücklich, gestraft und belehrt und – verspottet zu werden, weil Du dann so unbeschreiblich anmutig bist; niemand kann das so wie Du. Ja – „Stuttgart“ hast Du wieder mal abgebrochen3 – „dumm“ wird’s wohl nicht gewesen sein, was Du sagen wolltest, aber vielleicht: lustiga. Aber der Gedanke, der Dir dann kam: „unser Sommer ist fort“, der ist Gott sei Dank nicht richtig. Nächste Woche, vielleicht übernächste, geht es für 2–3 Wochen nach Paris, länger nicht, ich habe mit dem Grafen B[ernstorff] gesprochen4 und gesagt: nachher täte ich nicht mehr mit, es ist auch nicht nötig sachlich, denn wir sollen nur sagen: „Annehmen“ oder: „Ablehnen“, als Gutachter für die Abstimmung der Nat[ional-]Vers[ammlung]. Mündlich mehr, mein Herz – denn ich komme jetzt diese Woche nach München für einen Tag, 5 die Wohnung ansehen und den Dekan sprechen u. s. w. und – nun was wohl vor Allem? den „Grauli“6 in jede Dir erwünschte Nähe Deiner ebenso zierlichen wie unwiderstehlich mächtigen Arme und Hände zu bringen. Denn immerhin: 3–4 Wochen dauert es dann wieder bis ich wirklich da bin in M[ünchen]. Dann aber sollst Du auch Deine „Teufel“ alle auf mich loslassen. Bin ich denn wirklich so ein Tor, daß ich sie liebe? Denk doch: 1) sollte ich denn nicht doch ein wenig, ein klein wenig eitel auf sie sein? (Ich weiß es nicht, bestreite es mir selbst, aber ich bin mir da etwas verdächtig zuweilen.) b Aber vor Allem: 2) Du bist „dabei“ so gar nicht sentimental, sondern nur: zornig, und das gefällt 1)

Natürlich nur 1) mit Ausnahme Dessen, was als Andren gehörig für mich immer unantastbar bleibt, – 2) der Möglichkeit nach! nicht daß es geschieht, daß es zu guter Stunde geschehen kann, das ist’s.

a Alternative Lesung: lästig b Klammer fehlt in O. 3 Der Sachverhalt konnte nicht geklärt werden. 4 Vgl. die Briefe an Mina Tobler und Marianne Weber vom gleichen Tag, unten, S. 558 und S. 561 f. 5 Im Brief an Franz Matt vom 1. April 1919, unten, S. 563, kündigte Max Weber sein Kommen für den 4. April 1919 an. 6 Zu Max Webers möglicherweise auf einen sagenhaften Drachen aus Metz anspielenden Kosenamen vgl. den Brief an Else Jaffé vom 18. März 1919, oben, S. 523 mit Anm. 1.

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mir so daran, und ich werde dabei lernen, diesen Zorn zu erbitten, und nicht mehr solche maßlose Angst und Verzweiflung durchzumachen, wie damals da oben unter dem Baum nahe der Isar-Brücke, wo Du fortliefst und ich dachte, sie hat mich als „Barbaren“ und plumpen „Boche“7 satt und Alles ist aus. Angst werde ich schon haben – damit Du nicht denkst: „wart’ nur“! – aber grade bei dem Zornc ganz sicher sein, daß ich ihn verscheuche (im Gegensatz zu sonstigem Mißgefallen an mir), – denn: die Teufel sind die Toren in diesem Fall und nicht ich, und sie haben nicht die Spur „recht“: so „treu“ wie ich . . . – oh, dafür ist gesorgt! das werden sie schon spüren. Denn das Schwere, was ich über Dein Leben bringe, diese „Trennung“, – ja die ist kein Gegenstand möglichen Teufelszorns, sondern was Andres. O ich will versuchen es Dir zu entgelten so wie ich es kann, so wie es ein armer Grauli einer königlichen Natur vergelten kann, ärmlich aber mit Allem was ich Menschen bieten kann – könnte ich nur glauben, es reichte aus nur eine Stunde Deines stolzen schönen Lebens reicher und fröhlicher zu machen. Aber das zu glauben fällt mir schwer – wo ist mein massiver Trotz und Hochmut geblieben, seit ich Dir so nahe war und mich an Dir messen mußte? Oh nichts ist davon geblieben, und ich bin glücklich in meiner neuen Demut, weil sie „wahrhaftig“ ist und mich mein Maß richtiger sehen lehrte, und alle alle Eitelkeit (ja wirklich: alle? – Ja! wir wollen sehen, ob die Else da nicht doch noch zu tun fi ndet) in nichts schwand, in Schönheit und Hingabe sich auflöste. – Du schöne Gebieterin, meinst Du, ich lebte mit Dir gern nur so „im Geist“ aus der Entfernung? Wahr ist nur: das Schicksal hat mich so sehr an die „Sehnsucht“ und die „Trennung“ als nahezu normale Formen des „Haben!“ gewöhnt und bei Dir speziell war die „Unerreichbarkeit“ so fester Bestandteil alles Gedenkens, daß ich leichter als Andre da hineingleite – aber auch das ist „bezahlt“ (in Pauschalrechnung für das ganze Leben, denke ich wohl). Aber Freitag früh – Du kommst – oh da öffnen sich innere Schleusen . . . Leb wohl! leb wohl Dein M.

c Teufeln > Zorn 7 Frz. Die abwertende Bezeichnung für Deutsche benutzt Max Weber hier mit einem persönlichen Hintersinn, denn Else Jaffé war in Lothringen geboren.

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Also: ich telegrafi ere, wenn ich bei Grünwald (wie üblich) 8 bin, voraussichtlich Donnerstag zur Nacht, je nach den Zügen, fahr dann Samstag früh weiter, (denk ich vorläufig). Jedenfalls komm ich hin, u. A. auch um meine Bude (bei Soscha?9 – Du scheinst das zu meinen – oder im Gartenheim?)10 festzulegen. Die Studenten müssen ja dann gekündigt haben, soweit sie im Sommer fort gehen, und ich denke, man findet etwas. Leb wohl, leb wohl, Du schönes Traumkind!

8 Von Max Weber bevorzugtes, nahe beim Hauptbahnhof gelegenes Hotel, Hirtenstraße 11. 9 Zum Zimmerangebot von Sophie (Soscha) Salz vgl. Else Jaffés Brief an Marianne Weber vom 31. März 1919, wie Anm. 1. 10 In der Pension „Gartenheim“, Ludwigstraße 22a, hatte Max Weber schon im August 1912 gewohnt.

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Mina Tobler [31. März 1919; Berlin] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Montag“ und aus den Parallelen zum Brief an Marianne Weber vom 31. März 1919, unten, S. 561 f. Die Ortsangabe ergibt sich ebenfalls aus dem Briefinhalt („hier waren nur langweilige Sitzungen“).

Montag Liebe Judit! Ich denke Ende d. W. wieder in H[eidel]b[er]g1 zu sein, in der nächsten Woche geht es dann wohl nach Paris. Ich war eigentlich entschlossen, nicht mit hinzugehen. 2 Denn hier waren nur langweilige Sitzungen3 von 50 Personen, in denen lange Referate vorgelesen wurden – Dutzende! – je 3 / 4 Stunden und länger, dann machte dieser oder jener eine ganz kurze Bemerkung (einige Male auch ich) und dann ging es weiter. Das hatte keinen Zweck, und ich verwahrte mich schließlich sehr nachdrücklich gegen die Art der Zusammensetzung der Delegation der „Gutachter“ insbesondre dagegen, daß nur wir 5 Professoren (3 aus München!) 4 zugezogen seien. Heut war ich bei Graf Bernstorff, der die Sitzung leitete und sprach mit ihm. Aus Dem, was er sagte, war zu ersehen, daß wir gedacht waren als die Instanz, welche gutachtlich |:über:| die von der Nat[ional-] Versammlung zu entscheidende Frage zu hören sind: „Annehmen oder Ablehnen“?5 Das Ganze werde jetzt nur 1–2 Wochen in Paris in Anspruch nehmen. Unter diesen Umständen habe ich zugesagt, mitzugehen. Das wird wohl Mitte k. W. gesche1 Max Weber plante im Anschluß an seine Berlinreise zunächst einen Kurzaufenthalt in München vom 4. bis 6. April 1919, vgl. die Briefe vom 31. März 1919 an Else Jaffé, oben, S. 555, und an Marianne Weber, unten, S. 561, sowie an Franz Matt vom 1. April 1919, unten, S. 563. 2 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 30. März 1919, oben, S. 551. 3 Vgl. dazu „Diskussionsbeiträge anläßlich der Beratungen im Auswärtigen Amt zur Vorbereitung der Friedensverhandlungen, 29. März und 2. April 1919“, MWG I/16, S. 254– 267. 4 Lujo Brentano, Moritz Julius Bonn und Max Weber. Zu Max Webers Kritik an der Zusammensetzung der Delegation vgl. seine Äußerung anläßlich der Beratungen im Auswärtigen Amt zur Vorbereitung der Friedensverhandlungen über „Wirtschaftliche Lage und Friedensverhandlungen. Sitzung vom 29. März 1919, vormittags“, MWG I/16, S. 258–261, hier S. 260. 5 Anspielung auf die umstrittene Frage der Annahme oder Ablehnung des Friedensvertrags.

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hen,6 von da an wäre ich also in Paris und bliebe da bis Anfang Mai, ginge dann direkt nach München. Wir sehen uns also – wenn nichts Unerwartetes geschieht – Anfang k. W. noch einmal, dann erst: Pfi ngsten wieder. Mein liebes Herz, diese ganze Sache: daß wir so hastig, kaum mit einem inneren Händedruck, für längere Zeit getrennt werden, ist etwas Schreckliches, belastend, quälend und unfroh; es fällt so schwer, diese Form des Resignierens auf Schönheit – eben weil es ein Resignieren auf Schönheit, nicht nur auf „Glück“, ist – zu vollbringen, ohne sehr erbittert zu werden auf das Geschick. Und Du, liebes, hast das schwerere, unendlich belastetere Teil: denn ich bin wenigstens irgendwie in etwas „Neuem“, in einem „Betrieb“, und mag man auch hundert Mal so fühlen: „ach ich bin des Treibens müde“,7 – es „treibt“ doch irgendwie und man kommt nicht so sehr zu sich, um ganz zu ermessen (im Gefühl), was man Alles genommen bekommt. Das habe ich die 2 1/ 2 Jahre seither ganz ebenso stark gefühlt wie jetzt, und daher mein ganzes Verhalten in all der Zeit, – und daher auch jetzt dieses „Nichtreden“, was Dich so belastet, teures Kind. (Abgesehen von meiner allgemeinen „Gehemmtheit“, die nun einmal mit meinem Leben verknüpft ist seit langen Zeiten und es dem Zufall anheimstellt, wann ich „gelöst“ bin). Das Mütterchen merkt auch wieder sehr, daß mit mir „nichts los“ ist, – und so alle Menschen. Du, Liebling, aber natürlich am meisten von allen, weil wir eben jetzt einander örtlich fern gerückt werden. Mein liebstes Judit-Kind,8 Du hast mit jedem Wort recht, was Du sagst und – was Du nicht sagst. Aber da liegen eben meine „Schranken“, unter denen Du oft gelitten hast, ich weiß das ja. Das Schicksal gebe uns zunächst wenigstens noch eine gute Stunde – und dann Pfi ngsten eine Anzahl! – und dann später immer wieder welche! Jetzt ist „Ebbe“ des Ausdrücken-Könnens, und hier zumal ist die Luft so unerfreulich und deprimiert: der Friede wird schlecht. Und wir bekommen noch den Bürgerkrieg und höchst üble Experimente. Zumal in Bayern. Aber wohl überall. Es ist schwer erträglich, daß gar kein Ende abzuse6 Tatsächlich fuhr Max Weber erst Mitte Mai nach Versailles. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 19. Mai 1919, unten, S. 621. 7 Zitat aus Goethes Gedicht „Wandrers Nachtlied“, in: Goethes Werke, Bd. I, 1: Lieder. – Weimar: Böhlau 1887, S. 98. Der Vers lautet im Kontext: „Ach ich bin des Treibens müde! / Was soll all der Schmerz und Lust? / Süßer Friede, / Komm, ach komm in meine Brust!“ 8 Kosename für Mina Tobler nach einer Romanfigur aus Gottfried Kellers Roman „Der Grüne Heinrich“.

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hen ist und gar keine Grenze des Tiefstandes Deutschlands: dasselbe, was man eben all die letzten Jahre durch fühlte. – Du liebe Zeit: dieser Zettel macht Dich auch nicht heiterer, mein Herz. Vielleicht sollte ich ihn nicht schreiben. Aber ich wollte wenigstens sagen: wie es ist. Und so ist es derzeit. Es wird schon wieder anders werden und wenn ich Dich sehe, kann ich Dir hoffentlich ein andres Gesicht, das wahre, zeigen, – traurig zwar, aber doch fähig, von Herzen zu sprechen. Jetzt ist Alles Eis und Schnee drinnen – wie draußen auch, denn hier ist es kalt und häßlich. Bleib mir inzwischen gut, wenn Du kannst, wie es Dir immer bleiben wird Dein M.

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Marianne Weber [31. März 1919; Berlin] Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Datum und Ort sind erschlossen aus der Tagesangabe „Montag“ und dem Briefinhalt: Max Weber hatte seinen Rückreiseplan geändert. Er hatte sich zur Fahrt von Berlin über München nach Heidelberg entschlossen, um in München die letzten Berufungsformalien und die Wohnungsfrage zu klären. (Vgl. zur Datierung und zum Zweck von Max Webers kurzfristiger Münchenreise die Briefe an Else Jaffé vom 31. März 1919, oben, S. 554 f., sowie an Franz Matt vom 1. April 1919, unten, S. 563.)

Montag Liebes Peterle,

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eben kommt Dein Brief mit Einlagen. Ich fahre daraufhin, statt über Nürnberg |:direkt,:| über München zurück und bleibe einen Tag dort. Denn die Lizenz1 bekomme ich nur dort und nur auf Grund einer Bescheinigung des Ministeriums, daß ich ernannt bin. Aber das Ministerium hat nochmal formelle Schwierigkeiten gemacht (Art der Kolleggeldteilung), 2 was wirklich ein Skandal ist, und das läßt sich nur dort erledigen. Mithin bleibt kaum ein andrer Weg. Dann schließe ich gleich den Kontrakt ab, denn auch mir ist der Gedanke scheußlich, daß man die Wohnung doch noch verlieren könnte. Ich werde also Freitag in München sein, Samstag Nachts in Heidelberg. Hier sprach ich heute Graf Bernstorff (Brockdorff-Rantzau ist noch nicht da), den Vorsitzenden unsres Kollegiums. 3 Zweck der Sache ist: 1 Die damalige Wohnungsbewirtschaftung setzte zur Anmietung einer Wohnung einen Bezugsschein voraus. 2 Mit Schreiben vom 27. März 1919 hatte Franz Matt mitgeteilt, daß die von Max Weber gewünschte Anhebung der Betragsgrenze von 6000 auf 7600 Mark, ab der die Kolleggelder zur Hälfte an den Universitätsfonds abzutreten seien, laut Verordnung vom 21. Nov. 1908 nicht statthaft sei, und angefragt, ob sich Max Weber „mit der Einhaltung der allgemein üblichen Grenze auch in Ihrem Falle“ abfinden könne (Abschrift des Schreibens von Franz Matt an Max Weber vom 27. März 1919, BayHStA München, MK 69316). Da Max Weber aber „bei seiner heutigen Anwesenheit“, d. h. am 4. April 1919, gegenüber Franz Matt erklärte, „er lege großen Wert darauf, ein Gesamteinkommen von 20 000 M an Gehalt und Kollegiengeld annähernd sichergestellt zu sehen, das dann dem gleichkäme das ihm [. . .] bei dem Rufe nach Bonn zugesichert worden sei“, wurde ihm mit Bezug auf einen Präzedenzfall tatsächlich die Anhebung auf 7500 Mark zugesichert und entsprechend im Ernennungserlaß festgeschrieben (Randnotiz Franz Matts zur Abschrift der Mitteilung an den Senat der Universität München vom 6. April 1919 betreffs der Ernennung Max Webers zum ordentlichen Professor, ebd.). 3 Max Weber nahm in Berlin als Sachverständiger an den Beratungen zur Vorbereitung

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daß wir ein Gutachten über die Bedingungen abgeben: „annehmen oder ablehnen“?4 – sobald sie bekannt sind. Dafür sind ca 2–3 Wochen in Paris (Versailles) vorgesehen. Das kann ich ja mitmachen, dann aber habe ich genug und gehe zurück, nehmea auch an den „defi nitiven“ Verhandlungen nicht teil. Denn da gehöre ich nicht hin. Möglich ist aber, daß die Entente überhaupt sagt: „nicht mehr als 20 Leute“, – und dann gehe ich gar nicht erst hin. Denn die ganze Sache ist überhaupt ziemlich stumpfsinnig. Und man wird „Sündenbock“ für den schlechten Frieden. Wozu? – Die Art der Zusammensetzung der „Gutachter“ – rein parteipolitisch! – ist ein schwerer Fehler und wird sich rächen. Stinnes z. B. hätte unbedingt dazu gehört, wurde aber abgelehnt. 5 Anfangs sollten wir 12 Leute sein, dann wurden es 37. Welch ein Unsinn! Wie gesagt: ich denke es kommt noch eine „Reduktion“ der Zahl. Hier ist häßlicher Winter, Schnee, Kälte, Ungetrostheit. Man sehnt sich fort. Mittwoch Abend wird die Sache fertig sein. – Wie kommt es nur, daß Du meine Karte aus Weimar 6 nicht erhieltst? Mein Brief von Freitagb 7 konnte ja noch nicht in Deinen Händen sein, ist es aber wohl jetzt. Ebenso schrieb ich gestern. Freitag – in Salzuflenc – ist die Hochzeit von Wolfgang und Elisabeth Huxholl, wozu man telegrafieren muß.8 Laß Dirs gut gehen, Liebling, es küßt und umarmt Dich Dein Max

a 〈aber〉

b Samstag > Freitag

c O: Salzufeln

der Friedensverhandlungen teil. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 24. März 1919, oben, S. 539. 4 Gemeint ist der Friedensvertrag von Versailles. 5 Hugo Stinnes, einer der wirtschaftlich und politisch einflußreichsten deutschen Industriellen, war mit weiteren Vertretern von Industrie und Gewerkschaften zunächst auf die „Liste A“ der Sachverständigen gesetzt worden. Am 18. März 1919 hatte das Kabinett aber seinen Ausschluß „aus politischen Gründen trotz der allgemein anerkannten sachlichen Bedeutung“ durchgesetzt (zit. nach: Schulze (Bearb.), Das Kabinett Scheidemann, Dok. 16 (Kabinettssitzung vom 18. März 1919), S. 64 f.). Stinnes hatte während des Krieges weitreichende ökonomische und territoriale Kriegsziele vertreten. 6 Die Karte scheint tatsächlich verloren gegangen zu sein, denn aus Weimar ist nur der Brief an Mina Tobler vom 26. März 1919, oben, S. 544–546, nachgewiesen. 7 Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 28. März 1919, oben, S. 549 f. 8 Ein Glückwunschtelegramm von Max (und Marianne) Weber an Wolfgang Müller und Elisabeth Huxholl ist nicht nachgewiesen.

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Franz Matt 1. April [1919]; Berlin Brief; eigenhändig BayHStA München, MK 69316 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Der Brief steht in Zusammenhang mit Webers Berufung nach München als Nachfolger von Lujo Brentano; zu Vorgeschichte und Verlauf der Berufung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Februar 1919, oben, S. 423–425.

z. Z. Berlin 1. IV. Hochgeehrter Herr Ministerialdirektor,

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Ihr gefl. Schreiben erreichte mich hier. Ich werde aus andren Gründen (Wohnungsmiete) am Freitag [,] den 4. IV., in München (Hotel Grünwald) sein und mir dann gestatten vorzusprechen. Der Zwischenfall ist mir, wie vielleicht verständlich, nicht angenehm, da immer erneut die Angelegenheit sich hinauszieht und ich infolge dessen nicht disponieren kann. Insbesondre muß ich die Lizenz zum Mieten einer Wohnung haben und erhalte sie nur gegen Bescheinigung, daß ich angestellt bin oder werde. Da ich nach Paris muß,1 muß dies jetzt entschieden werden, sonst kann ich in die Lage kommen, keine Wohnung zu fi nden bzw. die mir reservierte zu verlieren. In der Sache selbst können die Ziffern Brentano’s für mich nichts beweisen, da ich keine großen |:„Pfl icht“- und:| Anfänger-Vorlesungen, sondern strenge Fachkollegien halten will, – eben darauf beruht mein ganzes Verhalten in dieser Angelegenheit2 und ich kann nicht fi nden, daß ich Überforderungen stellte, verglichen mit den Angeboten für die Bonner Stelle. Schwierigkeiten zu bereiten liegt mir fern und gern werde ich versuchen, Euer Hochwohlgeboren Alles zu erleichtern. Nur würde ich bitten: 1 Zu Webers Funktion als Sachverständiger der deutschen Friedensdelegation vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 24. März 1919, oben, S. 539; zur diesbezüglich jüngsten Entwicklung vom Vortag die Briefe an Else Jaffé, Mina Tobler und Marianne Weber vom 31. März 1919, oben, S. 555, 558 f. und 561 f. Nach einer persönlichen Unterredung mit Johann Heinrich Graf v. Bernstorff, dem Leiter der Geschäftsstelle für die Friedensverhandlungen, hatte sich Max Weber bereit erklärt, die deutsche Friedensdelegation zumindest für zwei Wochen nach Paris zu begleiten. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an dens. vom 1. Mai 1919, unten, S. 596 f. 2 Vgl. hierzu den Brief an Marianne Weber vom 31. März 1919, oben, S. 561, insbes. Anm. 2.

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1. daß dann jetzt die Angelegenheit defi nitiv, positiv oder negativ, erledigt wird [,] 2. daß ich in den Besitz einera für die Lizenz erforderlichen – gleichviel wie lautenden – kurzen Notiz oder Bescheinigung von Ihnen gesetzt werde, damit ich mieten kann. Sonst könnte ich nunmehr wirklich nicht länger mich gebunden halten. Mit vorzüglicher Hochachtung Professor Max Weber

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Ordinarius wurde ich per 1. X. 94. Rücktritt per 1. X. 03 [ .]

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Else Jaffé [9. April 1919; Heidelberg] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch früh“ und dem Briefinhalt: Am 7. April 1919 war von Vertretern des Zentralrats und des Revolutionären Arbeiterrats München – ohne Beteiligung der Mehrheitssozialisten und Kommunisten – die „Räterepublik Baiern“ ausgerufen worden. Edgar Jaffé hatte das angebotene Amt eines Volksbeauftragten für Volkswirtschaft noch am gleichen Tag abgelehnt (vgl. Schulthess 1919, Teil 1, S. 162). Als am 8. April 1919 die Räteregierung mit der Bewaffnung des Proletariats begann und die nach Bamberg geflohene Regierung Hoffmann ihrerseits eine Lebensmittelsperre über jene Städte verhängte, die sich wie München der Räterepublik angeschlossen hatten, spitzte sich die Lage weiter zu. Angesichts dieser Situation bedauerte Max Weber im folgenden Brief seine Abreise aus München am 6. April 1919 und kündigte Else Jaffé den Besuch von Alfred Weber an (dazu dessen Briefe an Else Jaffé vom 6., 8. und 10. April 1919, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 5, Bl. 183–190), der sie unterstützen bzw. in Sicherheit bringen wollte. Die Ortsangabe ergibt sich ebenfalls aus dem Briefinhalt („Marianne . . . finden Sie hier . . .“).

Mittwoch früh Liebe Else, –

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ich telefonierte mit Alfred wegen Ihrer1 und denke, er ist nun schon bald unterwegs. Wie mag es bei Ihnen stehen? Es scheint der Bürgerkrieg vor der Tür, und vielleicht ist es besser, daß jetzt Alles zum Austrag kommt und man weiß, woran man künftig ist. Aber daß der Streik nicht ein oder zwei Tage früher kam, 2 ist in der Tat eine ausgesuchte Tücke: vielleicht hätte ich Ihnen ja doch irgend etwas helfen können? Ich hoffe sehr, daß Edgar „rechtzeitig“ Vernunft annimmt und aus dieser ganz und gar verfahrenen Sache, die ja Niemand, rechts und links, mitmacht, ausscheidet. 3 1 Alfred Weber hatte Else Jaffé am 6. April 1919 (BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 84, Bl. 183 f.) angekündigt, Max Weber nach dessen abends erwarteter Rückkehr aus München sofort anzurufen. 2 Die Heidelberger Zeitung, Nr. 84 vom 9. April 1919, S. 1, meldete einen am Vortag einsetzenden „Bürgerstreik“ in München, der sich gegen „den Terror der Kommunisten“ wendete und den Handel in der Innenstadt lahmlegte. 3 Auf einer der zahlreichen Massenversammlungen, die der Ausrufung der Räterepublik am 7. April 1919 vorausgingen, hatte Edgar Jaffé am 4. April 1919 im Löwenbräu-Keller eine Rede über „Die Arbeiterhochschule, ein Vermächtnis Kurt Eisners“ gehalten (vgl. Bayerische Staatszeitung, Nr. 91 vom 6. April 1919, S. 6). Das ihm angebotene Amt eines Volksbeauftragten für Wirtschaft lehnte er jedoch ab (vgl. oben, Editorische Vorbemerkung), worauf Else Jaffé am 8. April 1919 an Marianne Weber (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)) berichtete: Er „will nicht mittun“.

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Ob und wann – ja auch: wo? – Sie dieser Zettel wohl erreicht? Er soll Ihnen zugleich noch danken. Denn Sie haben doch wohl mit dem, was Sie über „Nähe“ sagten – sie war da und das Gedenken bleibt immer, auch in weiter Ferne. Auch an dem wunderschönen Ausdruck von freier und froher Lebensbejahung, der von Ihrem Gesicht strahlte, als ich Sie ins Zimmer kommen sah.4 Mit Freude im Herzen – Freude an Ihnen – fuhr ich durch das silbrige Grau des Vorfrühlings – denn unterwegs war es so wie damals |:vor einem Jahr:| auf dem Wege vom Friedhof an der Isar hinter Wolfratshausen. 5 Ob Sie wohl die Kinder schon nach Schondorf gebracht haben, d. h. die Söhne?6 Und vor Allem auch: sich selbst? denn irgend so etwas ist doch das Richtige, auch: ihm, Edgar, gegenüber. So lange er Sie in erreichbarer Nähe hat, bemerkt er nicht, daß er durch seine Torheiten einfach Alles auf das Spiel setzt, – und zu beeinflussen vermag ihn jetzt, in dieser Konfusion, doch Niemand, man baut auf Flugsand: dieses „Räte“-System ist ja schließlich die Transposition seines alten Lieblingsgedankens („organische berufsständische Vertretung“) ins Radikale und die „Gemeinwirtschaft“ hat ihn auch lange begeistert, Unklarheit und – Neurath kamen dazu,7 – ich kann ihn nicht so „verwerfen“, als „Überläufer“, wie Andre. Nur hoffnungslos konfus ist er und planlos wird er getrieben. – Indessen nichts weiter jetzt: es brennt Einem ja der Gedanke auf die Nägel: wie es um Sie steht? ob irgend

4 Else Jaffé hatte Max Weber am 4. oder 5. April 1919 vermutlich im Hotel Grünwald besucht. Zu Max Webers Aufenthalt in München vgl. den Brief an Franz Matt vom 1. April 1919, oben, S. 563. 5 Zum Treffen von Max Weber und Else Jaffé am ersten Aprilwochenende 1918 und ihrem Gespräch über den verstorbenen Peter Jaffé vgl. den Brief an Marianne Weber vom 19. April 1918, oben, S. 134. Einen gemeinsamen Besuch am Grab seines Patensohnes erwähnt Max Weber darin allerdings nicht. 6 Vermutlich Anspielung auf das Landheim Schondorf, ein Internat am Ammersee, das Friedel Jaffé von 1914 bis zum 3. September 1918 besucht hatte und in das er am 15. Mai 1919 bis zum Abitur zurückkehrte (schriftliche Auskunft der „Stiftung Landheim Schondorf am Ammersee“ vom 26. Mai 2009). 7 Die Idee einer ethisch fundierten Nationalökonomie vertritt Edgar Jaffé in folgenden Aufsätzen: Jaffé, Edgar, Die Vertretung der Arbeiterinteressen im neuen Deutschland, in: Thimme, Friedrich und Legien, Carl (Hg.), Die Arbeiterschaft im neuen Deutschland. – Leipzig: Hirzel 1915, S. 98–114, und ders., Der treibende Faktor in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, in: AfSSp, Jg. 40, 1915, S. 3–29. Gemeinsam mit dem bayerischen Handelsminister Josef Simon hatte Edgar Jaffé die Berufung Otto Neuraths, des Verfechters der Vollsozialisierung, zum Leiter des am 27. März 1919 eingerichteten Zentralwirtschaftsamtes betrieben (vgl. Johannes Merz, Sozialisierungspläne, 1918/19, in: Historisches Lexikon Bayerns, http://www.historisches-lexikon-bayerns.de (25. März 2011)).

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etwas, auch draußen in Ludwigshöhe,8 geschehen ist? ob Sie etwa hierher kommen? 9 oder nach Baden gehen?10 oder nach Schondorf? – Ich muß wieder mal nach Berlin (zur Mutter, March-Str. 15), fahre Samstag.11 Ob eine Postkarte von Ihnen dahin durchdringen würde? und wann man sich wohl einmal wiedersieht? Denn vielleicht muß ich von Berlin gleich nach Versailles,12 und vielleicht dauert dort die Sache bis Mitte Mai oder sogar noch etwas länger; und erst dann komme ich nach M[ünchen]. Denn daß sie mich einfach „absägen“, das glaube ich eben doch nicht, richte mich vielmehr nach wie vor darauf ein und – freue mich!13 (Schon meldete sich der erste Seminarteilnehmer hier.) Aber freilich: jetzt gäbe es in M[ünchen] andre Dinge um daran zu denken und ich fühle mich qualvoll hilflos hier in der Ferne. – Und nun nehmen Sie Dank, nicht nur für Wohnung14 und was Sie Alles für Mar[ianne] und mich getan haben, sondern für all das Andre, das Sie ja wissen und das ich nicht mehr vergesse; – es war Lenz.15 –

8 Zum damals noch nicht nach München eingemeindeten Solln gehörende Villenkolonie, in der Else Jaffé wohnte. 9 Else Jaffé beabsichtigte, „Anfang der kommenden Woche“ nach Heidelberg zu reisen (Brief an Marianne Weber vom 8. April 1919, MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)). 10 Baden-Baden war der Wohnort Anna v. Richthofens, der Mutter von Else Jaffé. 11 Die angekündigte Reise stand vermutlich im Zusammenhang mit Max Webers Berufung zum Sachverständigen der deutschen Friedensdelegation, und er wollte – da Hotelzimmer damals schwierig zu bekommen waren – wie schon bei seinem vorausgegangenen Aufenthalt bei Helene Weber unterkommen (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 28. März 1919, oben, S. 549). Vermutlich verschob sich diese Reise aber dann zunächst (vgl. den Brief an die Redaktion der Frankfurter Zeitung vom 14. April 1919, unten, S. 572, in dem Max Weber die verhinderte Durchreise durch Frankfurt auf dem Weg nach Berlin erwähnt) und fand schließlich (wie im Brief an Mina Tobler vom 18. April 1919, unten, S. 575, beschrieben) wegen der Sperrungen des Eisenbahnverkehrs gar nicht statt. 12 Anspielung auf Max Webers bevorstehende Reise als Sachverständiger der Friedensdelegation nach Versailles. 13 Zu Max Webers Berufung an die Universität München mit Wirkung vom 1. April 1919 vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Febr. 1919, oben, S. 423–425. 14 Else Jaffé hatte Max und Marianne Weber eine Wohnung am Kufsteiner Platz 1 in München vermittelt. Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 30. März 1919, oben, S. 551. 15 Sinngemäß zitiert aus Shakespeare, William, Sonnette. Umdichtung von Stefan George. – Berlin: Georg Bondi 1909, S. 108. Der Vers aus dem 102. Sonett lautet wörtlich: „Damals war lenz und unsre liebe grün“.

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Marianne fährt heut nochmal nach Karlsruhe, kommt aber dann für mehrere Wochen her.16 Sie fi nden Sie hier, falls Sie kommen sollten, und sie könnte Sie auch logieren, da ich ja nicht da bin. Bis auf mehr – immer Ihr M.

16 Marianne Weber war Abgeordnete der DDP zunächst in der badischen Nationalversammlung, dann – nachdem die Verfassung am 13. April 1919 per Volksentscheid angenommen wurde – im badischen Landtag. Dieser trat am 10. und 11. April 1919 zur 21. bzw. 22. öffentlichen Sitzung zusammen. Danach tagte er erst wieder am 7. Mai 1919.

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Hans Ehrenberg 10. April 1919; Heidelberg Abschrift; maschinenschriftlich mit handschriftlichen Korrekturen von Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 8, Bl. 119–120 Hintergrund des Briefes ist Hans Ehrenbergs öffentliches Bekenntnis zu Religion, Sozialismus und Revolution. Kurz zuvor zum außerordentlichen Professor für Philosophie in Heidelberg ernannt, hatte sich Ehrenberg nach jahrelanger innerer Auseinandersetzung und unter dem Eindruck des Krieges dazu entschlossen, sein Leben wissenschaftlich ganz der Theologie und praktisch einem aktiven Christentum zu widmen (vgl. Hans Ehrenberg. Autobiographie eines deutschen Pfarrers, mit Selbstzeugnissen und einer Dokumentation seiner Amtsentlassung, bearb. und eingeleitet von Günter Brakelmann (Schriften der Hans-Ehrenberg-Gesellschaft, Bd. 5). – Waltrop: Spenner 1999, S. 157 f.). Nach seiner Demobilisierung trat er für einen religiösen Sozialismus ein und bekannte sich am 15. Januar 1919 auf einer Wahlveranstaltung der Heidelberger MSPD erstmals offen zu dieser Partei, der er im Oktober 1918 beigetreten war. Er verteidigte die Revolution und plädierte für eine umsichtige Sozialisierung (vgl. Brakelmann, Günter, Hans Ehrenberg. Ein judenchristliches Schicksal in Deutschland, 2 Bde., Bd. 1: Leben, Denken und Wirken 1883–1932 (Schriften der Hans-Ehrenberg-Gesellschaft, Bd. 3). – Waltrop: Spenner 1997, S. 78–81). Bei Webers Heidelberger Rede vom 17. Januar 1919 hatte Ehrenberg ihm, laut Zeitungsbericht, in der Diskussion zwar in vielen Punkten zugestimmt, allerdings scharf darin widersprochen, „[. . .] daß die Revolution, weil sie im Kriege gekommen, ein Unglück sei“. Sie sei „nicht nur ein fait accompli, sondern der Boden für die Zukunft“ (zitiert nach: „Der freie Volksstaat. Rede am 17. Januar 1919 in Heidelberg“, MWG I/16, S. 458–474, S. 471 f.).

Heidelberg, den 10.4.19 Sehr verehrter Herr Kollege!

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Ich gestehe nicht den gleichen Eindruck zu haben wie Sie, auch weder zu wissen [,] welchen Eindruck Sie mir – nach Ihrer Ansicht – nicht gemacht haben noch in welchen Ihnen fremden „Möglichkeiten“ ich Sie Ihrer Ansicht nach zu Unrecht gesehen habe, noch endlich zu wissen: warum die Beziehung zwischen uns „peinlich“ oder gar unmoralisch werden müßte.1 Auch sehe ich nicht ein [,] welche Schranke der „Selbstdarstellung“ Ihnen der, in unserem Alter, doch völlig irrelevante Altersunterschied auferlegen würde. Da muß irgend ein ganz massives Mißverständnis obwalten – ob ich oder Sie oder wir Beide daran schuld sind, weiß ich nicht, ist ja auch nicht das Wichtige. – Sie betrachten das

1 Hans Ehrenberg gehörte schon in den Vorkriegsjahren zum Heidelberger Bekanntenkreis von Max und Marianne Weber. Vgl. Webers Briefe vom 28. März, 3. April, 3. und 4. Mai 1913 an Marianne Weber, MWG II/8, S. 152 f., 167, 222 f. und S. 224 f. Sein Brief, auf den Weber hier antwortet, ist nicht nachgewiesen.

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Hervortreten gerade bei einem Überzeugungswechsel oder „Neudurchbruch“ als Pfl icht, ich als nicht ratsam. Bei diesem Gegensatz der Ansichten wird es wohl bleiben. Ich würde jedem noch so nahe stehenden Menschen und sei es der eigene Bruder, ganz dasselbe sagen. Aber ich kann Ihren Standpunkt unmöglich „widerlegen“. – Mit „Normen“, sittlichen oder anderen, hat das ja doch nichts zu tun. Ich sehe natürlich in der Fortsetzung unserer Beziehungen keinerlei „Versuchungen“, weder für mich noch für Sie. Am allerwenigsten eine solche zur „Lieblosigkeit“. Sollte es Ihnen, wie ich fast hoffen möchte, jetzt oder bald oder erst später eben so gehen, so schlage ich vor es einmal auf den Versuch ankommen zu lassen, ob es nicht doch geht. Wir sind sehr verschieden, Sie sind durch Kriegserlebnisse stark ins „Grüblerische“ (ohne negativen Wertaccent gemeint!) gedrängt worden, 2 ich sehne mich nach Schlichtheit und massiver Erfassung der Realitäten, nicht wie Sie nach deren Durchdringung mit der „Idee“, die ich für jetzt (leider!) als „Luxus“ von „niedrigem Grenznutzen“ ansehen muß. Das mag es bedingen, daß ich Sie leicht verletze, auch wo es mir ganz fern liegt an die Möglichkeit zu denken. Quält Sie das? dann darf ich Sie nicht hernötigen wollen. Aber natürlich würde mich freuen [,] wenn Sie es ertrügen. Daß ich in dieser „Revolution“ zu der Zeit und in der Art, wie und wann und von wem sie gemacht wurde, einen dummen und frivolen Karneval sehe3 und Sie eine „Idee“ darin fi nden zu können hoffen, an die man glauben darf, ist gewiß ein starker Gegensatz – und ich gebe zu, daß Sie dabei der Verletzlichere sein dürften, denn der Vertreter einer im verzerrten Gewande auftretenden Idee ist stets im Nachteil. Schließlich aber – mit dem „Menschlichen“ hat es eigentlich 2 Ehrenberg war bei Kriegsbeginn Soldat geworden und hatte bis 1917 an der Westfront gekämpft. Die Erfahrung des Krieges hatte er in seiner Artikelserie „Zur Ausdeutung des Krieges“ (erschienen von Herbst 1916 bis März 1917 im Heidelberger Tageblatt) intensiv reflektiert, 1918 in 13 Leitartikeln in der Vossischen Zeitung auch zu aktuellen militärischpolitischen Fragen Stellung bezogen (vgl. Brakelmann, Ein judenchristliches Schicksal (wie oben, Editorische Vorbemerkung), S. 50 und 56–73). Gegen den Annexionismus der „Deutschen Vaterlandspartei“ eingestellt, blieb Ehrenberg bis Oktober 1918 doch vom Sinn des Krieges überzeugt und entwarf das Ideal eines „Kriegsteilnehmerstaates“ (ebd., S. 70). Die kritische Auseinandersetzung mit seinen eigenen Standpunkten führte ihn dann zur MSPD (ebd., S. 78, sowie S. 73–75). 3 Vgl. dazu Max Webers Wahlkampfreden: „Das neue Deutschland“ vom 1. Dezember 1918 in Frankfurt (MWG I/16, S. 376–385), die Berliner Rede „Deutschlands Lage“ am 20. Dezember 1918 (MWG I/16, S. 401–409) sowie hier die Briefe an Else Jaffé vom 12. Nov., an Mina Tobler und Marianne Weber vom 4. Dez., an Hans W. Gruhle vom 13. Dez. 1918, sowie an Else Jaffé vom 15. Jan. 1919, oben, S. 296, 337 f., 340, 356 und 394.

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nichts zu tun; alles in allem: ich verstehe Ihren Brief nicht wirklich,4 werde mich freuen [,] wenn Sie – vielleicht eben deshalb – anders handeln als Sie jetzt wollten oder zu sollen meinten, werde Ihnen nicht grollen [,] wenn Sie meinen jetzt dabei bleiben zu sollen (was mir wirklich leid täte), werde Ihre liebe Frau5 stets gern hier sehen und stets gern von Ihnen direkt oder indirekt hören. Denn über meine Gesinnung hatten Sie m. E. keinen Anlaß in Zweifel zu sein. Jedenfalls aber schlage ich vor, das Ganze möglichst unkünstlich und einfach zu behandeln. Die verschiedenen „Erklärungen“ kannte ich doch schon, außer der über Ihr „Bekenntnis“.6 Ihr Auftreten in der Sonntagsversammlung7 habe ich allerdings auch anders aufgefaßt als es gemeint war: daß Sie „Demokrat“ sozialistischer Prägung seien habe ich nicht annehmen können, sehe es erst jetzt. Kollegiale Empfehlung. In bekannter Hochschätzung, Ihr Max Weber.

4 Vgl. Anm. 1. 5 Elsa Anna Ehrenberg, geb. Zimmermann. 6 Ehrenberg hatte im Frühjahr 1919, auch im Heidelberger Tageblatt, verschiedene Stellungnahmen politisch-religiösen Inhalts publiziert (vgl. u. a. „Fremdherrschaft und Sozialismus“, in: Freies Deutschland. Sozialistische Wochenschrift für Politik und Kultur, 1. Jg., 1919, Heft 4, S. 43 f., „Über Kulturrevolution“, in: Volksstimme Mannheim vom 5. Febr. 1919, „Zur Verfassungsfrage in der Universität“, in: Heidelberger Tageblatt, Nr. 34 vom 13. Febr. 1919, S. 2). Der Hinweis auf Ehrenbergs „Bekenntnis“ dürfte sich auf dessen Vortrag zu „Religion und Sozialismus“ am 23. März 1919 im Neuen Kollegienhaus in Heidelberg beziehen. Ehrenberg hatte dort dem „Bekenntnis den höchsten Wert bei[gelegt], der Kraft der Erkenntnis und der Überzeugung, die zum Bekennen gehören und die die Härten des Herzens zerbrechen: Sozialismus und Religion. So sei man auf dem richtigen Wege, dem Weg zum wahren Leben.“ So der Vortragsbericht „Sozialismus und Religion“, in: Heidelberger Zeitung, Nr. 71 vom 25. März 1919, S. 4. 7 Auf welche Sonntagsversammlung sich Weber bezieht, ist nicht definitiv zu klären. Ehrenbergs Vortrag „Sozialismus und Religion“ vom 23. März (wie Anm. 6) fand an einem Sonntag statt. Bereits am 23. Februar 1919 (ebenfalls einem Sonntag) hatte Ehrenberg, anläßlich eines ausgefallenen Vortrages von Erich Mühsam, in einer öffentlichen Versammlung zur Rätefrage gesprochen (vgl. „Kommunistenversammlung in Heidelberg“, in: HZ, Nr. 46 vom 24. Febr. 1919, S. 2).

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Redaktion der Frankfurter Zeitung 14. April [1919]; Heidelberg Brief; eigenhändig Privatbesitz Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Offenbar reagiert Max Weber auf eine nicht überlieferte Anfrage der Frankfurter Zeitung, einen Beitrag über die Rätefrage zu verfassen. Bereits in der letzten Märzwoche druckte die FZ die Artikelserie „Der Ruf nach den Räten“ von Arthur Feiler (vgl. FZ, Nr. 221, 228 und 234 vom 23., 26. und 28. März 1919, jeweils 1. Mo.Bl.). Ebenfalls Ende März erschien der im Brief angesprochene Artikel des Marburger Philosophen und Pädagogen Paul Natorp, „Ein Weg der Rettung“ (FZ, Nr. 240 vom 30. März 1919, 1. Mo.Bl., S. 1 f.). Hintergrund der öffentlichen Rätedebatte bildete die Auseinandersetzung um eine Verankerung von Arbeiter- bzw. Wirtschaftsräten in der Reichsverfassung, die auch auf dem vom 8. bis 14. April in Berlin tagenden zweiten Kongreß der Arbeiter-, Bauern und Soldatenräte Deutschlands erneut gefordert und diskutiert wurde. Erst in Reaktion auf die Streikbewegungen des Frühjahrs 1919 wurde die in den Regierungsentwürfen zunächst überhaupt nicht rezipierte Räteidee als Zugeständnis an die streikenden Arbeiter in die Verfassungskonzeption aufgenommen, im Anschluß Schritt für Schritt aber wieder ausgehöhlt (vgl. Schulze (Bearb.), Das Kabinett Scheidemann, S. XLIII).

Heidelberg 14/4 Sehr geehrte Redaktion! Ich bitte die verzögerte Antwort zu entschuldigen. Ich hatte gehofft, heute oder morgen |:Nachmittag und:| Abend durch Frankfurt zu kommen auf dem Wege zu einer Friedensdelegations-Sitzung,1 und dann eine persönliche Rücksprache haben zu können. Ohne solche möchte ich nicht gern meinerseits über das Räte-Problem und was damit zusammenhängt schreiben. (Der Natorp’sche Artikel2 lag übrigens Ih-

1 Zu Webers Tätigkeit als Sachverständiger für die Friedensverhandlungen vgl. die Editorischen Vorbemerkungen zu den Schreiben an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 24. März 1919, oben, S. 539, sowie an Johann Heinrich v. Bernstorff vom 1. Mai 1919, unten, S. 596 f. Wie sein Brief an Mina Tobler vom 18. April 1919, unten, S. 575, nahelegt, scheiterte die Reise an Kommunikations- und Verkehrsschwierigkeiten. 2 Natorp schlug in „Ein Weg der Rettung“ (wie Editorische Vorbemerkung) eine Verknüpfung von Parlamentarismus und Rätesystem vor. Am parlamentarischen System kritisierte er vor allem die – durch nur vorgeblich „allgemeinen Sachverstand“ begründete – Vorherrschaft der Parteien und ihrer Apparate. Ergänzend zu den parlamentarischen Körperschaften schlug Natorp daher die Bildung von Sachverständigenräten vor, die von unten nach oben, bis hin zu einem „Zentralrat der Wirtschaft“ und einem solchen der „Geistespflege“, erfolgen müsse. Sie sollten aufgrund ihrer „Autorität des Sachverstandes“ beratend wirken und damit ein Korrektiv zu den Parteien bilden. Die Frage der Räte war für ihn eine existentielle Entscheidung zwischen „Vernunft und Untergang“.

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rem Brief nicht bei und da ich damals – bis Mitte l.a W. – ständig unterwegs war3 ist er mir auch s. Z. entgangen). Ich bin in manchen Punkten noch nicht zu abschließenden Ansichten gelangt, vor Allem kenne ich die Interna der Bewegung zu wenig. Daß ihre jetzige Wendung gradezu erzreaktionär ist, wirtschaftlich angesehen,4 ist ja klar. Daß jede derartige Bewegung, wenn erfolgreich, die Gefahr der „Dilettantisierung“ der Wirtschaft bedeutet, ist auch klar. Außerdem: „das Recht auf Arbeit“5 in gesteigerter Form – dem Effekt nach. Beides können wir uns nicht leisten. Der Creditbedarf für die Retablierung + inzwischen unbezahlbare Ernährung6 wird auf 55 Milliarden geschätzt: Auslandskredit, der einer von „Räten“ beeinflußten Regierung oder von Räten

a O: k. 3 Max Weber war um den 25./26. März über Weimar nach Berlin gereist und hatte dort am 29. März und 2. April an den vorbereitenden Beratungen für die Friedensverhandlungen teilgenommen. Von Berlin fuhr er direkt nach München (vgl. seinen Brief an Marianne Weber vom 31. März 1919, oben, S. 561) und kehrte erst am 6. April nach Heidelberg zurück. 4 Der Berliner Rätekongreß hatte – gegen das viel weitergehende Konzept der USPD – den Antrag der MSPD-Delegierten Julius Kaliski, Max Cohen und Franz Büchel angenommen, der die Bildung gewählter branchenbezogener (paritätisch besetzter) „Produktionsräte“, von der Betriebs- bis zur Reichsebene, vorsah. Sie sollten, ebenfalls auf allen politischen Ebenen, Delegierte in eine neben der gewählten „Volkskammer“ bestehende zweite „Kammer der Arbeit“ entsenden. Beide Kammern bildeten danach gleichberechtigt die Legislative, wobei den Kammern der Arbeit in wirtschaftspolitischen Fragen nicht nur ein Initiativrecht, sondern auch Vorrang bei der Beratung von Wirtschaftsgesetzen zukommen sollte. Vgl. Schulthess 1919, Teil 1, S. 168–172, S. 170. 5 Weber bezieht sich auf den in Artikel 163 der WRV übernommenen Grundsatz eines (eingeschränkten) Rechts und einer „sittlichen Pflicht“ zur Arbeit, der die Basis des späteren Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung war. Die Forderung nach – in der Regierungsvorlage vom 21. Februar 1919 nicht vorgesehenen – sozialen Grundrechten erhoben Ende März im Verfassungsausschuß der Nationalversammlung nicht nur Sozialdemokraten, sondern auch Friedrich Naumann als Berichterstatter für den Abschnitt Grundrechte. Vgl. Die deutsche Reichsverfassung vom 11. August 1919 (Deutscher Geschichtskalender, hg. von Friedrich Purlitz, Der Europäische Krieg in aktenmäßiger Darstellung, Ergänzungsband). – Leipzig o.J., insbes. S. 185–187, S. 236 und 347, sowie Eichenhofer, Eberhard, Soziale Grundrechte – verläßliche Grundrechte?, in: Ders. (Hg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung. Was ist geblieben? – Tübingen: Mohr Siebeck 1999, S. 207–230, S. 211–213. 6 Aufgrund der akuten Ernährungskrise in Deutschland war in den Abkommen von Trier vom 17. Januar und Brüssel vom 14. März 1919 mit den alliierten und assoziierten Regierungen die Lieferung von Nahrungsmitteln (auch aus dem neutralen Ausland) vereinbart worden. Deutschland sollte diese teils über Sachlieferungen, teils aber auch mit Gold sowie mit Krediten neutraler Staaten finanzieren. Vgl. Schulze (Bearb.), Das Kabinett Scheidemann, Dok. 14b, S. 50–60, dort S. 50 f. (insbes. Anm. 3), sowie Dok. 23, S. 100–105, dort S. 101, Anm. 2 und 3.

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beherrschten Wirtschaft nie gegeben wird.7 Ich fürchte also, daß – einerlei nach welchen Zwischen-Convulsionen – von diesen Dingen wirtschaftlich nichts bleiben wird, politisch aber: erzreaktionäre „berufsständische“ Kammern,8 sobald die Bauern Waffen haben. Indessen das sind ja bloß die Elemente des Problems. Ich hoffe bald durch Frankfurt zu kommen und dann dort vorzusprechen, gebe vorher Nachricht. Den Artikel aber, den ich gestern und heute vorbereitete, habe ich lieber nicht fertig geschrieben. – Mit vorzüglicher Hochachtung Max Weber

7 Diesen Punkt betonte Weber bereits zu Beginn des Jahres 1919 im Vortrag „Deutschlands Wiederaufrichtung“, MWG I/16, S. 410–428, S. 426 f., sowie im Brief an Ludo Moritz Hartmann vom 3. Jan. 1919, oben, S. 386 f. (mit Anm. 7). 8 Nicht nur wirtschaftlich, auch politisch blieb die Idee der Wirtschaftsräte, wie sie in Art. 165 der WRV Eingang fand, folgenlos. Zwar wurde am 4. Januar 1920 ein „Reichswirtschaftsrat“ (ohne Vetorecht) errichtet, er erlangte jedoch nie praktische politische Bedeutung. Vgl. Winkler, Heinrich August, Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, durchgeseh. Aufl. – München: Beck 1998, S. 102 f.

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Mina Tobler [18. April 1919; Heidelberg] Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Kar-Freitag“. Dieser Feiertag fiel auf den 18. April 1919. Die Ortsangabe ergibt sich ebenfalls aus dem Briefinhalt („an diesem letzten Samstag, den ich (vielleicht) hier bin . . .“).

Kar-Freitag. Liebe Judit

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Morgen ist – wäre! – Ihr heiliger Tag1 und es trifft sich, daß ich an diesem letzten Samstag, den ich (vielleicht) hier bin, an den leeren goldenen Himmel2 zu denken habe und nicht weiß, wie es seiner Insassin wohl fern, fern von hier gehen mag! 3 Noch ist nichts entschieden darüber, ob und wann wir gehen, ob nach Versailles, ob nach Berlin u. s. w. Die Telegramme des Amts kommen stets zu spät und ich konnte zu keiner Sitzung hin,4 jetzt aber wird nachgerade der gesammte Eisenbahnverkehr gesperrt und es ist fraglich, wie man es überhaupt machen sollte, hinzufahren. Ich denke, am 25ten geht wohl der Reichsminister allein nach Paris, oder allenfalls mit den 3 Collegen seiner Delegation, 5 dann erst wird man überlegen, ob man uns „beruft“.6 Ich gestehe der

1 Max Weber besuchte Mina Tobler üblicherweise samstags und sprach deshalb öfters vom „Sabbat“. 2 Umschreibung für Mina Toblers Dachgeschoßwohnung in der Heidelberger Bismarckstraße 17. 3 Wie sich aus dem folgenden ergibt, hielt sich Mina Tobler in ihrer Heimatstadt Zürich auf. 4 Gemeint sind vermutlich weitere Sitzungen im Auswärtigen Amt (vgl. den Brief an Else Jaffé vom 9. April 1919, oben, S. 567 mit Anm. 11). 5 Am 18. April 1919 wurde Deutschland aufgefordert, bevollmächtigte Delegierte nach Versailles zu entsenden. Die deutsche Delegation, die schließlich am 28. April 1919 abreiste und am folgenden Tag in Versailles eintraf, umfaßte aber eine größere als die von Weber vermutete Anzahl von Personen: Neben dem Außenminister Ulrich Graf v. Brockdorff-Rantzau als Leiter der Delegation waren die Hauptbevollmächtigten: Reichsjustizminister Otto Landsberg, Reichspostminister Johannes Giesberts, der Präsident der preußischen Landesversammlung Robert Leinert sowie Walther Schücking und Carl Melchior. Vgl. Schulthess, 1919, Teil 2, S. 518–520. 6 Max Weber meint hier wohl die Sachverständigen der „Liste A“, die die deutsche Friedensdelegation vor Ort in Versailles unterstützen sollten. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 24. März 1919, oben, S. 539.

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ganzen Sache recht müde zu sein, auch eigentlich sicher, daß ich nicht wirklich nützlich sein könne. – Inzwischen geht an unsrem neuen „Wohnort“ Alles drunter und drüber7 und es ist kein Ende abzusehen, denn eine einmal wirklich von Aufständischen besetzte Stadt wiederzunehmen kann nach den Erfahrungen in Berlin Kämpfe von Wochen erfordern, wenn nicht Zufälle helfen. Das Schlimmste wäre ein neuer „Kompromiß“, bei dem die alte Sache alsbald wieder von Neuem losginge: erst Geschwätz, Pressedemagogie, dann Aufstand. Dann müßte man wirklich fragen: soll man hingehen? oder doch nach Bonn?8 – mehr als dies „steht“ mir die Lehrtätigkeit im Winter d. J. „bevor“: das große Kolleg, das ich nicht umgehen kann. Doch – was hilft es, es muß gemacht werden. Hier jubelt der Frühling in allen Farben und man möchte: man wäre innerlich jung und vor Allem – unbelastet. Ich bin unendlich gespannt, wie man nach einem Jahr, von jetzt an, wohl lebt und empfi ndet, in jeder Hinsicht. Denn so absolut voller Rätsel hat einen das Leben noch nie angesehen, seit 20 Jahren wenigstens nicht. – Ja, und nun denke ich Abends und in der Frühe, wenn die Sonne weckt, an diese sieben Jahre9 und ihre tiefe Schönheit – nun: man hat sie eben doch gehabt und das ist nicht zu verlieren. aSie habena sie mir, unter Schmerzen, geschenkt – und ich vergesse nicht, nichts und Niemand, keine Stunde, die etwas bedeutete und keinen Gegenstand, der etwas sagte, – wenn ich auch jetzt mit Stummheit geschlagen bin. Es ist jetzt nicht die Zeit davon zu sprechen, – ich denke es geht bald einmal besser, wenn ich klar sehe, was – wenigstens zunächst – aus meinem Leben wird und irgendwie fühle was es noch, außer Arbeit und Gedenken, bringen kann. Gut daß das Gedenken da ist, besser aber, daß es eben nicht nur Gea Du hast > Sie haben 7 Am 7. April 1919 war in München zunächst die erste Räterepublik unter Führung von Ernst Toller, Gustav Landauer und Erich Mühsam ausgerufen worden. Die Regierung von Johannes Hoffmann war daraufhin am 7. April 1919 nach Bamberg geflohen. Nach einem Putschversuch der Hoffmann-treuen republikanischen Schutztruppe am 13. April 1919 hatten die im Hofbräuhaus tagenden Betriebs- und Soldatenräte unter dem Vorsitz Eugen Levinés die zweite – kommunistische – Räterepublik proklamiert. 8 Max Weber hatte das Lehrstuhlangebot der Universität Bonn bereits im Brief an den zuständigen Referenten im preußischen Kultusministerium Carl Heinrich Becker vom 25. März 1919, oben, S. 541, abgelehnt. 9 Die Freundschaft von Max Weber und Mina Tobler hatte 1911 begonnen und sich seit 1912 intensiviert. Vgl. Lepsius, M. Rainer, Mina Tobler, die Freundin Max Webers, in: Meurer, Bärbel (Hg.), Marianne Weber. Beiträge zu Werk und Person. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 2004, S. 77–89.

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denken ist, sondern: lebendiges Gut, nur immer wieder unter dieser elenden Eiskruste, die diese Lage um einen herumlegt. Aber langsam wird das anders, namentlich mit vollendeten Thatsachen, – die ja Alles noch immer nicht sind! Wie mag es in Zürich sein? Ob wohl die wunderbaren Farben und das zugleich Liebliche und – dahinter – Heroische der unvergeßlichen Veduten (d. h. der Ausdruck paßt ja nicht! ist viel zu „spielerisch“) Ihnen so tut, wie immer? Ich möchte wohl, ich wäre jetzt dort – wie in jenem Frühling (13)10 und man wandelte die alten grünen Pfade, der Erinnerung, der Gemeinschaft und des bleibenden Wissens um eine Schönheit, die stärker ist, sein wird als das was jetzt auf uns allen liegt. Ich gedenke Ihrer und jener Tage Ihr M. W.

10 Max Weber hatte – auf dem Weg nach Ascona – Mina Tobler am 23. März 1913 in Zürich besucht und bei dieser Gelegenheit mit ihr die Arbeiten des für lichtdurchflutete Landschaftsbilder bekannten Malers Ferdinand Hodler in Züricher Museen angeschaut (vgl. die Karten an Marianne Weber vom 25. und 26. März 1913, MWG II/8, S. 146–148). Möglicherweise mischt sich unter Max Webers Erinnerung auch sein folgender Zürichaufenthalt im April 1914. Damals war er mit Mina Tobler zur Insel Ufenau im Zürichsee gefahren und hatte Marianne Weber im Brief vom 9. April 1914 (MWG II/8, S. 605–607) von seinen Landschaftseindrücken vorgeschwärmt.

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Else Jaffé [22. April 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Für die Richtigkeit der nachträglichen Datierung von dritter Hand auf 22. April 1919 sprechen inhaltliche Anhaltspunkte und die Tagesangabe „Dienstag“: Die Unsicherheit der beruflichen Zukunft und der Ärger über die zerschlagene Hoffnung auf einen gemeinsamen Sommer mit Else Jaffé in München („die Karte [. . .], auf die ich Alles, alle Zukunft, setzte, dieser Sommer, durch dies verfl. . . Pack in Stücke geschlagen“) deuten auf die Zeit der Räterepublik zwischen dem 7. April und 2. Mai 1919 hin. Else Jaffé war mit ihrer Familie zeitweilig zu ihrer Mutter nach Baden-Baden geflohen. Der Brief enthält keine Anrede.

Dienstag „Denn ich, die Else, Deine Herrin, bin eine starke eifrige Herrin“ – oh – und wie liebt man Dich, wenn Du so sagst: „Nun, ich werde Dich schon wieder. . .!“ ja wohl: wie damals Mitte Januar in Zimmer 821 in M[ünchen]! – aber das konnte doch |:da:| am Neckar nicht gut geschehen? „Du bist ein Anderer, scheinst mit einem Auge so zuzuschauen“ – ! – – wie bezaubernd zornig Du das sagtest, und Du hast ja recht – nur hattest Du am Morgen mich nicht früh am Fenster stehen sehen können und warten: kommt sie denn nicht vielleicht jetzt, jetzt –, und bleibt dann bei mir? – und kannst auch schwer denken, so richtig realisieren, wie es ist, wenn man weiß |:– oder fragt::| – ja passest Du ihr hier in ihren „inneren Haushalt“? und – nach diesen Wochen – die unvermeidlichen, von mir selbst bejahten, Hemmungen jeder freien Minute zu zweit, in solch einem Stübchen oder weit im Wald, wie dort, im Wege stehen.1) Das ist schon wahr: Verzagtheit hat es gege1)

Denk auch: was ich Alles innerlich nicht aufkommen lassen darf, hier im Haus, – um nicht in Ungeduld auszubrechen: „warum stehe ich nicht allein“? – und das gäbe doch Häßlichkeiten, – nicht?

1 Zimmer im Hotel Grünwald, das Weber am 15./16. Januar 1919 bewohnt hatte.

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ben, 2) zumal nachdem das, was nun das Einzige, die Karte war, auf die ich Alles, alle Zukunft, setzte, dieser Sommer, durch dies verfl. . . Pack in Stücke geschlagen wurde. Denn nachher – bin ich Dein, so sehr wie Jemand eines Andren sein kann, oder sagen wir: wie ich es sein kann, nach dem kargen Ausmaß meiner Natur gegenüber Deiner unsterblichen Herrlichkeit, – aber in der Zeit wirklich erzwungener scharfer Arbeit sitzt mir Jemand am Hals und drosselt mich – und dann streckt |:eben:| auch ein liebender Gott die Zunge heraus, statt andrer „Gesten“, wenn das so ist! Wirst Du denn immer so lieb sein wie heut2 und sagen: „warte, ich werde Dich schon wieder . . .“? und wirst Du mich auch wieder? – nämlich ganz einfach in Deine Gewalt zwingen, so daß ich nur „den Ring“ spüre |:am Hals:|3 und nicht das Drosseln durch die furchtbare Frohn? und nicht dann „das Steuer herumwerfen“? – „… da kniete ich und badete mein Antlitz in den Rosen“4 so ähnlich heißt es ja wohl, aber gleichviel, Du – – ach wenn Du doch einfach wüßtest, wie gut ich Dir bin und wie verzagt zuweilen über mich, – ob Dir je genug sein kann, was ich gebe, auch wenn ich mehr gebe als ich habe – nämlich auch noch Alles, was ich von Dir habe und nur von Dir, und als Leihgut fühle, Du stolzes großmütiges Herz. 5

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Natürlich! es hat sie auch heut gegeben, während wir da zusammensaßen und das Alles so beredet wurde, – und da saßest Du, Du, die ich zuletzt – nun o gesehen, gehabt, geküßt und geherzt hatte – – ja nun in dem Zimmer mit den Rosen5 und dann noch näher. Das ist doch ein Unterschied der Situation, ich lerne das ja, Du traute Herrin, aber so selbstsicher wie Du bin ich noch nicht – fast lache ich, wenn ich denke, daß ich einmal Dich mahnen müßte (oder zu müssen glaubte): „souverän“ zu sein. 2 Zeitpunkt und Ort dieses Treffens sind nicht bekannt. Else Jaffé verließ München gemeinsam mit Alfred Weber, der eigens am oder in den Tagen nach dem 13. April 1919 sie abzuholen gekommen war (Briefe Alfred Webers an Else Jaffé vom 8. und 10. April 1920, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bd. 84, Bl. 185–186 bzw. Bl. 188–190), und traf am 26. April 1919 zusammen mit ihren Kindern Marianne und Hans in Baden-Baden ein (Tagebuch Anna v. Richthofens, Privatbesitz). 3 Zu Max Webers bildhafter Umschreibung seines Gefühles der Abhängigkeit von Else Jaffé vgl. den Brief an dies., vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 391–393. 4 Abwandlung des Zitats „Da kniet auch ER · ich badete beglückt / Mein ganzes antlitz in den frischen rosen.“ In: George, Stefan, Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod, 5. Aufl. – Berlin: Georg Bondi 1912, S. 14. 5 Anspielung auf Zimmer 20 im Hotel Grünwald, vgl. den Brief an Else Jaffé vom 23. April 1919, unten, S. 587.

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Nach Bonn gehen!! 6 – nun mein Gott, wenn wirklich klar ist: es ist nichts, d. h. ich werde nur ruiniert, habe nichts von Dir, vor Allem: Du bist völlig unsicher als M[ünchen]er Brennpunkt, – ja nun dann, da will ich nicht unbedingt „nein“ sagen. Aber jeder Schimmer von Hoffnung: daß doch die Sache in M[ünchen] wird – dann fort mit dieser quälenden Möglichkeit, die doch einfach: Verzicht bedeutet, Leben – weil man eben lebt, wie so lange Jahre – man kann es ja, ich kenne es gut genug! die Götter wissen es! Was ich jetzt zunächst vom Schicksal fordere, sind ein paara Wochen, im Juni, bei M[ünchen], bei Dir – so oft Du es haben kannst und willst, ohne Arbeitsbelastung, einmalb, seit 5 Jahren, ohne den drosselnden Zwang. Hilf mir dazu, meine unendlich geliebte Gebieterin – und sei gut und versteh mich – schau so spöttisch, stolz und gut auf mich nieder – wie damals – und: verzeih, daß ich nicht anders bin als die Parzen michc angesponnen haben7 – Rosen, Rosen gabst Du mir von betäubendem Duft, und Du kennst jene „Krankheit, von der ich nie genesen möchte“, auch wenn ich eine Maske drüber trage. Sei gut und lieb – so wie Deine süßen, verzehrend schönen Zeilen, die ich wieder beilege. Dein – o nur Dein M.

a O: par b O: zweifach unterstrichen c 〈geschaffen und〉 6 Zum Ruf nach Bonn vgl. den Brief an Mina Tobler vom 18. April 1919, oben, S. 576. 7 Die drei Schicksalsgöttinnen nach der römischen Mythologie: Die erste spinnt den Schicksalsfaden des Menschen, die zweite bemißt ihn und die dritte schneidet ihn ab.

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Else Jaffé [22. April 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Für die nachträgliche Datierung von dritter Hand auf 22. April 1919 spricht der inhaltliche Zusammenhang mit dem vorausgegangenen Brief an Else Jaffé, oben, S. 578–580.

Nachts

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Ich bin allein, geliebtes Elsekind, – und lese Deine lieben Zeilen und Zettel noch einmal – und küsse sie und bitte Dich, mir ein wenig gut zu sein, wenn Du das zu so einem Grauli1 kannst. Und wenn ich Dir nicht recht bin künftig, immer so zu sein, wie heut, ganz hart und kurz angebunden und streng – – bis ich Dich so, so sehr, so demütig bitte wie ich jetzt tue: „ein menschliches Wort! oder ein guter Blick!“ Sieh, Du sollst mit mir keine „Geduld“ haben, – nur „zweifeln“, ach nein, das solltest Du nicht. Meinst Du, nach den Rosen. . .?2 Natürlich, ich muß Dir beichten:1) ich habe „gezweifelt“, das wird |:vielleicht:| immer wieder geschehen, nie werde ich glauben, daß Jemand wie Du, mein Herz, Jemanden wie micha so lieb haben kann – wie ich es denn erlebe. Aber sieh: etwas andres ist doch die beiderseitige Situation, wenn Du sie Dir einmal so recht vor Augen führst. Immer wieder sage ich mir, ob ich will oder nicht: ja: für mich gilt: „que la vie peut souffler dessus chaque jour sans l’éteindre“, 3 – denn jene 7 Jahre4 (ach: was weißt Du davon und sollst Du davon wissen?) waren mehr als ein noch so langes bloßesb 1)

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mit der Stirn am Boden tue ich es, wissend: Du hast mir schon viel, viel verziehen – ach nicht wahr? auch dies. Denke: es ist ja menschlich, daß es mir so kommt. Strafe mich – aber vergieb dann auch, obwohl es das Einzige ist, wo ich nicht sagen kann: ich tue es nie wieder! a O: ich b 〈indifferentes〉 1 Zu Max Webers möglicherweise auf einen sagenhaften Drachen anspielenden Kosenamen vgl. den Brief an Else Jaffé vom 18. März 1919, oben, S. 523 mit Anm. 1. 2 Vgl. den vorausgegangenen Brief an Else Jaffé vom gleichen Tag, oben, S. 579, Anm. 4. 3 Zitat aus Gide, André, La Porte étroite. Roman. – Paris: Mercure de France 1913, S. 245. Jérôme erklärt an dieser Stelle des Romans Juliette, weshalb es ihm unmöglich sei, die unerfüllte Liebe zu deren verstorbener Schwester Alissa zu vergessen. In ihrem Brief an Marianne Weber vom 28. April 1919 hatte Else Jaffé angekündigt (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)), das Gide-Buch zu schicken, über das sie und Max unterschiedlicher Meinung seien. 4 Der Kontakt zwischen Max Weber und Else Jaffé war in den Jahren von 1911 bis 1917 abgebrochen gewesen.

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„Leben“! – erst |:fast zwei Jahre:| nach jenem Deinem schlimmen Brief von 1910 5 habe ich – ja das war eigen: ich möcht’ es diesmal nicht so im Einzelnen sagen, weil ich nicht gern Jemand |:auch in seiner Art:| Liebes ganz preisgebe2) – nun Du weißt ja so etwa: was? 1912 getan.6 Und doch änderte sich nichts, rein nichts, Isolde (nicht zwar „Blondhaar“, nein die „bräunliche“ Isolde!) blieb da, auch als Isolde Weißhand |:Tristan’s Hand:|7 faßte, immer, immer brandete wieder ihr Zorn an mein Herz von fern, immer behielt „Wolfratshausen“8 so einen seltsam magischen, dunklen Klang, der mir noch in den Ohren ist – erst 1914 damals in Ascona9 – nun – ich hatte da ganz ebenso wie 1911c in Ammerland10 am Starnberger See im Stillen das „Wunderbare“ erwartet, – in Ascona nämlich: daß Dein „Instinkt“ Dir etwas sagen würde und ich nachher ein menschliches Wort hörte,11 – und als nichts kam, da – der Krieg kam auch – ging Alles in mir zu – aber: ich vergaß Dich nicht! Ach Liebe, es wäre so viel zu sagen. Und jetzt, meinst Du … ??! 2)

Ich tue es ja doch einmal, in einer guten Stunde, wenn Du in Liebe hörst, denn Dir kann (und muß) ich Alles sagen – ohne Gegenseitigkeit! das weißt Du, hast es auch geschrieben („fast“ Alles!) und so soll es sein.

c 1910 > 1911 5 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Marianne Weber vom 17. Jan. 1910, MWG II/6, S. 367. 6 Gemeint ist Mina Tobler, mit der Weber Ende 1912 eine Liebesbeziehung eingegangen war. 7 Gottfried von Straßburgs Romanfassung der Sage von Tristan und Isolde endet nicht mit deren gemeinsamem Liebestod, sondern mit Tristans Flucht von König Markes Hof und dem Versuch, die dort zurückgelassene Geliebte durch die Heirat mit deren Namenskusine Isolde Weißhand (so genannt wegen ihrer schönen weißen Hände) zu vergessen. Aber die Absicht scheitert und er kann die Ehe nicht vollziehen. 8 Else Jaffé war 1911 nach Wolfratshausen gezogen. 9 Während Max Webers Aufenthalt in Ascona im Frühjahr 1914 kam Else Jaffé auf Besuch zu ihrer Freundin Frieda Gross. Weber wollte ein Zusammentreffen vermeiden und hatte daher mit Frieda Gross verabredet, „daß ich unsichtbar auf meinem Zimmer bleibe und E[lse] gesagt wird: ich sei fort“. Vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 4. April 1914 und 10. April 1914 (MWG II/8, S. 592 f., hier S. 592, sowie S. 608 f.). 10 1911 verbrachten Max und Marianne Weber die 2. Septemberwoche in Ambach am Starnberger See. Nördlich davon liegt Ammerland, von wo aus Wolfratshausen, der damalige Wohnort von Else Jaffé, leicht erreichbar war. 11 Im Brief an Marianne Weber vom 10. April 1914 (MWG II/8, S. 608 f.), formulierte Max Weber nach Else Jaffés Besuch in Ascona (vgl. Anm. 8) explizit seine Enttäuschung über eine seit Jahren ausbleibende Erklärung und Entschuldigung.

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und bedenkst nicht: Du sagtest einmal: „Du bist ja so durchsichtig“ – und wenn ich, wie ich doch muß, „undurchsichtig“ bin (denkst Du, das ginge so anstrengungslos?), dann bin ich es auch für Dich?? – welch ein Triumph des „Schauspielers“, denn das habe ich noch nie gekonnt. – Ach nein, es ist mehr die „Einsamkeit“: Du so wenig wie Andre können ja sehen, wie es in einem so gehemmten und doch „auf dem andren Ufer“12 stehenden Menschen aussieht, so klug Du bist, schöner Liebling, auch Du siehst nur Deine Lage, nicht meine, hier – mit Dir – doch sehr besondre. 3) Aber so, so wie Du dann bist in Deinem Zorn und wie Du heut warst, so liebe ich Dich unbeschreiblich – und denke immer: ich erbitte Dich wieder und Du bist dann geneigt, mich anzuhören und sagen zu lassen . . . und ganz einfach Dein Knie zu küssen, bis Du lieb bist, wie bisher noch jedesmal — Ach und nun: laß mich jener Rosen gedenken und jener Nähe, – ich empfand eine feine schuldlos reine Märchenblütenpracht dabei und empfi nde sie jetzt und wohl bis an das Ende meiner Tage, mag das Leben darüber wehen mit Sturm und Wetter – nie vergehen jene Stunden einer Ruhe in einer vorbehaltlosen Gemeinschaft, die da gestiftet wurde, möchte sie sich so selbst nie wiederholen, wenn Du wirklich „Dein Steuer herumwirfst“ – denn immer werde ich denken, fühlen, hoffen, wissen (zu wissen felsenfest glauben): sie ruft Dich wieder, wenn es ihr wieder darnach ist, und immer, immer werde ich da sein, so wie ich war, – denn ich habe Dich nicht, – „die Sterne hat man nicht“, aber Du hast mich, wie der Stern den Men13

Schau, deshalb gab ich Dir den Brief der Judit:13 kann Deine Liebe über solche „undurchsichtigen“ gehemmten Lagen und Stunden, bei mir fortd? Nun, diesmal konntest Du es halt nicht. Wirst Du es künftig können, mein Liebling? – denn in Zeiten der drosselnden Arbeit – es weiß ja Niemand, wie mir dann ist – da kommt das oft! Willst Du einmal versuchen, mir etwas zu glauben? – Ach nein, tu es nicht, sondern: „plage“ mich, es tut mir und der Liebe ja so gut! Aber dann glaube wieder! 3)

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d Zu erwarten wäre: fortdauern 12 Vgl. den Brief an Mina Tobler vom 15. Juni 1918, oben, S. 195. Dort heißt es, „,das andere Ufer‘ mit seiner gewissen Einsamkeit gegenüber allen Gesunden, auch den Nächststehenden, ist mir ja vertraut“. Ähnlich auch im Brief an Mina Tobler vom 11. Juli 1918, oben, S. 219. 13 Pseudonym für Mina Tobler nach einer Romanfigur aus Gottfried Kellers Roman „Der Grüne Heinrich“.

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schen hat, dessen Schicksal er ist. – Mir ist nicht gegeben, Alles auszudrücken was in mir ist und was ich fühle. So, liebes, angebetetes braunes Glück, – nun lies das und mach Dich tüchtig über Deinen Grauli lustig, je weniger „tragisch“ Du ihn nimmst mit all seiner Pathetik (mag sie ihm noch so ernst sein und echt), desto unsinniger muß er Dich lieb haben und desto leichter wird ihm zu Mut. Und: München wird ja doch? Also. S.S.S.q.b.s.p.14 – ja so bleibt’s halt! und ist gut so. Laß Dich so küssen, wie in dem Zimmer mit den Rosen15 Dein Grauli

14 Abkürzung einer spanischen Ergebenheitsfloskel, auf Deutsch: Ihr stets ergebener Diener, der Ihre Füße küßt. 15 Anspielung auf ein Zimmer im Hotel Grünwald, vgl. den Brief an Else Jaffé vom 23. April 1919, unten, S. 587, Anm. 4.

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Else Jaffé [23. April 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt, der Tagesangabe „Mittwoch Nachmittag“ und dem Zusammenhang mit den Briefen an Else Jaffé vom 22. April 1919 – „Dienstag“ und „Nachts“ –, oben, S. 578–580 und 581–584: Max Weber bezieht sich auf „die dummen Zettel von gestern (resp. heut früh)“.

Mittwoch Nachmittag Liebling,

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schnell will ich Dir sagen: wie ich Dich liebe. Denn die dummen Zettel von gestern (resp. heut früh) waren ja so rechte Buben-Produkte und Du hast gewiß über die Dir wohlbekannte Pathetik Deines törichten Grauli1 gelacht. Aber Du hattest mich halt in Angst gejagt, und heut hast Du mich so glücklich gemacht. Wie Du das machst – und wie Du es auch wieder machst, daß ich bei Deinem Kommen weiß: geböte sie Dir jetzt das Dümmste, Dich für immer von aller Welt und – wichtiger – Dir selbst Dich lächerlich Machende, – nun: Du tätest es eben, wenn sie trotz alles Bettelns u. Bittens darauf bestünde, – ja wie Du das machst weiß ich nicht. Nur wußte ich, da in den Rosen, 2 als das zierliche bräunliche Köpfchen sich an mir versteckte: das kann sie, und sie kann es maßlos, ganz unglaublich, weh tun, wenn es ihr grade darnach ist, Dich bis zur Vernichtung demütigen, wenn ihr die Laune darnach steht, – und jetzt – – jetzt paßt es ihr, Dich bis zur Unsinnigkeit mit zartem, feinem, duftendem Glück innerlich blühen, vor Zärtlichkeit und aller Liebe schier zerspringen zu lassen, – oh ich weiß schon, weshalb ich gern beklemmend selige Angst vor Dir habe und Dir blind gehorche. Aber versteh auch: kein Mensch, auch die Nächsten nicht, sieht und fühlt die maßlose Qual der Arbeit, von der ich doch nicht lassen kann, ohne zu verderben. Aber es ist eine Technik der ständigen Überlistung der eignen unglaublichen Zustände, die allen Atem benimmt, und die

1 Zu Max Webers Kosenamen vgl. den Brief an Else Jaffé vom 18. März 1919, oben, S. 523 mit Anm. 1. 2 Vgl. die Briefe an Else Jaffé vom 22. April 1919, oben, S. 581, und 7. Mai 1919, unten, S. 602 f.

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– seit jener gründlichen „Verkorksung“ – in ständiger Feindschaft ausgerechnet mit der Körperlichkeit lebt: es ist dann immer jene „Spaltung“ da, die das quellende Leben zu einem tückischen Todfeind des Geistigen macht. Es fällt mir nicht ein hier larmoyant das „Schicksal“ anzuklagen, – aber es ist in der Tat grade dies keine Kleinigkeit und eine Quelle der „Entmutigung“ nicht nur an der „Kraft“, sondern – verstehst Du – am „Leben“ selbst, das nun mit tausend Mitteln und Giften, von Opium bis Kokain, niedergeknüppelt werden muß in der Gestalt, wie es sich da regt. Das ist das eigentlich Strapazante. Und dann: daß man eben so einen winzigen Bruchteil von Allem, was sich innerlich gestaltet, nur auf das Papier bringt. Denn wenn ich „rezipiere“ oder kontemplativ innerlich die Gedanken kommen lasse, strömt Alles – nun, ob es viel oder wenig oder wertvoll oder wertlos ist, einerlei: – es strömt in Fülle – und dann beginnt jener Kampf, es für das Papier zu „fassen“ (oder gar für einen Lehr-Kurs) und das ist die wirklich – für mich – fast nicht zu duldende „Qual“, die man doch wohl am „Stil“ merken könnte. Und dann „kann“ ich zuweilen menschlich nicht, bin ganz unergiebig: wirst Du das wohl ertragen und nicht an mir irre werden, meinen: „ich schaue mit einem Auge zu“?? – Aber versteh, wie gut mir Deine so unsentimentale Art tut. Andre schmollen oder trauern dann wohl, wenn man ihnen nicht grad giebt, was sie (mit Recht) erwarten, – Du wirst zornig und – nun ja: prügelst Einen, plagst Einen, machst Einen bitten und sich blamiert fühlen – das wirkt so stark und hat so kraftvollen Duft gesunder Erde – und hilft. Gewiß, es hilft auch einmal Deine feine traute Hand auf Stirn und Augen und – ja Vieles Vieles was Du süße Zauberin und nur Du kannst. Aber grade auch jene herbe harte Art – oh und wie bezaubernd steht sie Dir?! Nein – die Etappenstraße von Bonn bis M[ünchen] war, ist, bleibt eine ganz schreckliche Perspektive und darf nicht sein. 3 Was auch aus mir wird nachher, einige holde Wochen müssen diesen Sommer sich gestalten, wenn wirklich es nicht „Monate“ werden sollten. Ach was, und M[ünchen] wird ja. Aber diese Abgründe gelegentlicher Verzagtheit versteht nur, wer die Zustände bei richtiger Kollegvorarbeit – bei Schulcollegs, nicht: bei

3 Zum Kontext der Berufung an die Universität München vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Febr. 1919, oben, S. 423–425; zum Ruf nach Bonn vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Josef Heimberger vom 5. Febr. 1919, oben, S. 427.

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reinen Spezialsachen! – innerlich sehen könnte: es ist nicht Furcht vor etwas, es ist der dann bestehende Gegenwartszustand der Vergiftung aller Lebensquellen, ich glaube nicht, daß ich da besonders weich mit mir bin. Tue Alles, liebstes braunes Glück, schick mich fort, „schinde“ mich gründlich wie Du irgend kannst (ich bleibe doch und erst recht unter Deiner Gewalt) – nur denk nie, nie: er ist „fortgegangen“, wenn der Grauli auch noch so stumpf und aus ist – wie es in Arbeitszeiten sein wird. Nein, das tu nicht! Quält er Dich, so plage mich, ganz gründlich und ernstlich, – es ist das richtigste Mittel – denn es ist so „echt“. Ach – könntest Du das Meer von Dank sehen, das in mir brandet und Dir die Füße netzen möchte für Deine Rosen – nicht nur die in jenem Zimmer 20,4 sondern auch auf jener Bank – und noch viel weiter zurück, für jede Stunde und Minute, die Du dies seltsam zerrissene, gespaltene, in vielem wirklich verdorbene Leben in eine Einheit unbedingter Hingabe zusammenfügtest – Augenblicke die nie vergehen so lang etwas in mir lebt. Du unendlich gütiger und dabei doch herber, trotziger, so stark lebender Liebling, – wie ich Dir danke und ergeben bin mit jeder Faser – Dein Grauli

4 Zimmer im Hotel Grünwald. Vgl. auch die Briefe an Else Jaffé, wie Anm. 2.

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Mina Tobler [25. April 1919]; Heidelberg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Freitag“ und dem Briefinhalt: „Heut sollen in Berlin die 6 Delegierten ‚erster Garnitur‘ gewählt werden“, d. h. jene die Friedensdelegation sofort begleitenden Wirtschaftsexperten. Deren Entsendung hatte das Reichskabinett auf Bitte von Außenminister Ulrich Graf v. Brockdorff-Rantzau in seiner Sitzung vom 23. April 1919 prinzipiell zugestimmt, die Auswahl jedoch „den Sachverständigen selbst“ überlassen (vgl. das Protokoll der Kabinettssitzung vom 23. April 1919, in: Schulze (Bearb.), Das Kabinett Scheidemann, S. 207 f.). Eine vorläufige Liste der deutschen Delegation in Versailles (offizielle Liste des Auswärtigen Amtes mit Stand vom 1. Mai 1919) führt, neben mehr als 30 durch die Ministerien gestellten Delegationsmitgliedern, noch weitere 15 Sachverständige auf (vgl. Luckau, Alma, The German Delegation at the Paris Peace Conference. – New York: Columbia University Press 1941, S. 188–190). Max Weber reiste erst am 15. Mai 1919 (aber auf ausdrücklichen Wunsch des Delegationsleiters Graf v. Brockdorff-Rantzau) nach Versailles (vgl. Editorischer Bericht zu „Bemerkungen zum Bericht der Kommission der alliierten und assoziierten Regierungen über die Verantwortlichkeiten der Urheber des Krieges“, MWG I/16, S. 298– 323, hier S. 303, sowie den Brief an Johann Heinrich Graf v. Bernstorff vom 1. Mai 1919, unten, S. 597 f.).

Heidelberg, Freitag Liebe Judit Morgen ist wieder Ihr Sabbat1 und nach dem „Umtrieb“ der letzten Tage schicke ich einen herzlichen Gruß. Ob ich dieser Tage nach Berlin und weiter nach Versailles gehe, steht noch nicht fest. Heut sollen in Berlin die 6 Delegierten „erster Garnitur“ gewählt werden, aber es ging keinerlei Zug und der Versuch, ein Flugzeug zu bekommen, scheiterte im letzten Moment. Ich glaube infolgedessen sicher nicht, daß ich bei diesen 6 Koryphäen sein werde, – falls doch, so müßte ich Montag per Flugzeug oder – bequemer – per Extra-Lokomotive den Anschluß erreichen. Wahrscheinlich aber fahre ich erst mit der Garnitur No 2, wenn – was kaum sehr wahrscheinlich – diese überhaupt hinkommt. Nun, mir ist es einerlei. Wenn nicht, warte ich hier, bis das Münchener Narrenhaus in Ordnung ist. Dort hat Fredi (!) die Organisation der Universität in die Hand genommen, Alles was Beine hat, abgesetzt und die neue Lehrfreiheit proklamiert.2 In Konkurrenz mit ihm „arbeitet“ 1 Am Samstag (Sabbat) besuchte Max Weber üblicherweise Mina Tobler. 2 Friedrich Alfred (Fredi) Schmid Noerr hatte zum engeren Freundeskreis von Max und Marianne Weber in Heidelberg gehört. Seit 1917 lebte er in München. Nach der Revolution sympathisierte er mit einer Gruppe sozialistischer Akademiker und setzte sich in der Zeit

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Herr Muckle. 3 Es ist gradezu ein Schweinezustand diese ganze Geschichte, ich denke aber, es ist bald zu Ende. Der Vorteil wäre die Chance Sie vielleicht doch noch kurz zu sehen. Wir wollen nicht zu fest darauf bauen, aber wenigstens möglich ist es. Sonst: Pfi ngsten. Ihre liebe Karte kam von Berlin hierher, sie sagt wenig darüber, wie es denn geht? Ach – ich kann es ja denken. Ich suche zu arbeiten, so gut es will, – und es will eigentlich nicht, sondern geht nur mit starker Anspannung und dem üblichen „eisernen Reif“.4 Wie aber mag es mit Ihrer Musik stehen? – Hier ist das Leben äußerlich eigentlich „beengter“ als je. Keinerlei Schnellzugs-, zuweilen gar kein Bahnverkehr, die Eßvorräte so jämmerlich wie je, für den Winter die Aussicht auf nur ein Drittel (!) der vorjährigen Kohlen – in München wird man voraussichtlich im Winter ganz und gar haarsträubende Kälte erdulden. Dabei eine doch nachgerade ganz entsetzliche Verrohung der Bevölkerung überall, an 1000 kleinen Zügen zu spüren, die sich besser mündlich erzählen, ein greuliches Ressentiment vor Allem und eine widerliche Schlampigkeit in Allem, die Lebensführung vor Allem eingeschlossen. Jetzt erst kommen die furchtbaren Folgen der Kriegsjahre zum Ausdruck und wir gehen vorerst noch immer „nach unten“. Man muß

der ersten Räterepublik für die Revolutionierung der Münchener Universität ein. Dort referierte er am 8. April 1919 auf Einladung des Revolutionären Hochschulrates (vgl. unten, Anm. 3) vor einer allgemeinen Studentenversammlung über „Die neue Hochschulverfassung“. Wie Else Jaffé am 11. April 1919 an Max Weber berichtete (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)), hatte Schmid Noerr „einen Reformplan entwickelt, von der Volkshochschule bis zur Führerschule“. (Der Wortlaut dieses „Aktionsprogramms zur Revolutionierung der Hochschulen in: Gerstl, Max, Die Münchener Räte-Republik (Die politischen Zeitfragen). – München: Verlag der Politischen Zeitfragen 1919, S. 24 f.) Zu Schmid Noerrs hochschulpolitischen Aktivitäten vgl. auch den Brief an Heinrich Rickert vom 18. Juli 1919, unten, S. 694–696. 3 Friedrich Muckle vertrat den Rat geistiger Arbeiter im Zentralrat der bayerischen Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte. In der Nacht vom 6. auf den 7. April 1919 erkannte er den mit der Gruppe sozialistischer Akademiker konkurrierenden Studentenrat als Vertretung der Studentenschaft der Universität an und übertrug diesem anstelle des Senats die Verwaltung der Universität. (Seligmann, Michael, Aufstand der Räte. Die erste bayerische Räterepublik vom 7. April 1919, 2 Bde., Neuaufl. – Grafenau-Döffingen: Trotzdem-Verlag 1998, Bd. 2, S. 587, Anm. 30.) Muckles Anordnung hob Gustav Landauer als Volkskommissar für Volksaufklärung jedoch bereits am 7. April 1919 auf, indem er stattdessen einen Revolutionären Hochschulrat mit dem Aufbau einer sozialistischen Hochschule beauftragte. (Gerstl, Max, Die Münchener Räte-Republik (Die politischen Zeitfragen). – München: Verlag der Politischen Zeitfragen 1919, S. 23). 4 Anspielung auf die Märchenfigur des eisernen Heinrichs, der sich aus Leid Eisenringe ums Herz legt. Vgl. den Brief an Mina Tobler, vor dem 10. Jan. 1919, oben, S. 389 mit Anm. 1.

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25. April 1919

schon, wie ich, eine eiserne Zuversicht auf kommende Zeiten haben, um nicht diese Existenz satt zu haben, d. h. das Interesse an den Menschen zu verlieren, – jetzt im Augenblick hat man noch immer den dumpfen Druck kommender Häßlichkeiten auf sich. Allein was diese Schweinebande aus München gemacht haben mag – Schlösser, Pinakotheken, Theater u. s. w. – ist schwer vorstellbar und mir graut davor. – Ob jetzt der Frieden kommt, – wer weiß denn Das? Die Andren sind ja vorläufig noch irrsinnig, die Franzosen schlimmer als das. Ich will der Schweiz wünschen, daß sie vor unsren Tollheiten bewahrt wird oder schnell damit fertig wird, 5 was ich nach der Art des durch keinen Krieg verdorbenen Menschentums6 dort annehme. Aber Sorgen werden Sie dort auch haben. – Persönliches schreibe ich heut nicht, es ist auch nicht viel zu schreiben, außer – Dem was Sie ja wissen und fühlen. Viel denke ich Abends an die lange Reihe schöner Stunden und Tage in all den Jahren, man hat sie doch immerhin gehabt und bei der Wahl: ob man die Schmerzen, sie so, in der schönen Selbstverständlichkeit, nun nicht mehr hat, in Kauf nehmen will oder wünschen sollte, man hätte diese nun beschnittene Schönheit lieber nie gekostet, – nun da bin ich sehr klar. Fast möchte ich hoffen, Sie auch. Weiteres von Berlin – oder von Versailles, dann vielleicht schon hierher. Wann kommen Sie? Tausend gute und liebe Gedanken und Wünsche, auf Wiedersehen oder Wiederhören – meinen Brief7 haben Sie doch gehabt? Immer Ihr M. W.

5 Wahrscheinlich bezieht sich Max Weber auf die Nachricht von einer Militärrevolte in St. Gallen. Diese war durch das Urteil im „Generalstreikprozeß“ ausgelöst worden (vgl. die Meldung in der Heidelberger Zeitung, Nr. 94 vom 23. April 1919, S. 3). In der Schweiz war Mitte November 1918 ein landesweiter Streik ausgebrochen, der aber durch Maßnahmen des Bundesrates nach einigen Tagen zum Erliegen gekommen war. Gegen Tausende von Streikteilnehmern wurden deswegen Verfahren eingeleitet, und im Hauptprozeß hatte ein Militärgericht am 10. April 1919 Haftstrafen gegen mehrere Organisatoren verhängt (Schulthess 1919, Teil 2, S. 202). 6 1647 hatte die Eidgenossenschaft angesichts der Verwüstungen des „Dreißigjährigen Krieges“ die „immerwährende bewaffnete Neutralität“ beschlossen. 7 Vgl. den Brief an Mina Tobler vom 18. April 1919, oben, S. 575–577.

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Paul Honigsheim 26. April [1919]; Heidelberg Brief; eigenhändig Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Bezug: Brief von Paul Honigsheim an Max Weber vom 23. April 1919 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446), in welchem er darüber berichtete, daß er seit dem ersten Tage der Revolution politisch tätig gewesen sei: „Da mich im Sennelager, wo ich fast vier Kriegsjahre verbracht habe, sozusagen jeder Mensch kannte, wurde ich ohne mein Zutun in den Soldatenrat gewählt, dort zweiter Vorsitzender, dann fünf Wochen lang Mitglied des engeren Ausschusses des General-Soldatenrats des 7. Armeekorps in Münster und glaube, in diesen Stellungen meinen Mann gestanden und in einem Geiste gearbeitet zu haben, der auch Ihren Anschauungen nicht widerspricht. Insbesondere habe ich mich für die Beilegung des Streiks im westfälischen Industriegebiet, für den Grenzschutz Ost und, nicht ohne die größten persönlichen Anfeindungen und Gefahren, für die Bildung von Freiwilligen-Formationen für die Regierung betätigt. Da ich in dieser Beziehung und insbesondere im Verkehr und im Kampfe mit den Unabhängigen Erfolge gehabt hatte, kam ich dann durch persönliche Beziehungen als Beauftragter des Reichsministeriums für wirtschaftliche Mobilmachung nach Leipzig.“ Da diese Tätigkeit infolge der Auflösung des Ministeriums am 1. Juni – spätestens am 1. Juli – 1919 zu Ende gehe, habe er sich nach einer anderen politischen Stellung umgesehen, sei aber ohne Erfolg gewesen. „Insbesondre hatte ich mit der Möglichkeit gerechnet, durch Geheimrat Troeltsch, den ich verschiedentlich in Berlin während des letzten halben Jahres sah, und der ja jetzt Unterstaatssekretär ist, irgendwo untergebracht zu werden, doch ist es gekommen, wie es im allgemeinen Geheimrat Walter Goetz und Geheimrat Meinecke vorausgesagt hatten. Troeltsch ist wohl einer der glänzendsten politischen Redner und Schriftsteller, aber die eigentliche Initiative des Staatsmannes ist ihm weniger gegeben. Und so hat er auch jetzt nichts für mich unternommen. Unter diesen Umständen glaube ich, berechtigt zu sein, vorläufig die Politik wieder in den Hintergrund zu stellen, und zunächst einmal meine alten HabilitationsPläne wieder aufzugreifen.“ Wie Honigsheim weiter schrieb, wolle er sich über „Das historische Denken im französischen Absolutismus“ oder „Der Sinn für das Irrationale im französischen 17. und 18. Jahrhundert“ habilitieren. Durch das „gütige […] Interesse“, das Weber an Honigsheims wissenschaftlichem Fortkommen vor dem Kriege gezeigt habe, und „durch die herzliche Aufnahme“ bei seinem letzten Aufenthalt in Heidelberg sehe er sich dazu ermutigt, sich mit zwei Bitten an Weber zu wenden: den Fragen nach einem geeigneten Habilitationsort sowie Publikationsorten. Die angesprochenen Pläne und die von Weber im Brief erörterten Möglichkeiten erübrigten sich jedoch dadurch, daß Honigsheim im selben Jahr eine Assistenzstelle an der neugegründeten Universität Köln erhielt, wo er sich 1920 für Philosophie und Soziologie habilitierte.

Heidelberg 26/IV Sehr geehrter Herr Honigsheim! Vielen Dank für Ihren Brief. Ich gehe – vielleicht! – für länger nach Versailles und bin dann zunächst außer stande, etwas zu tun.

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26. April 1919

1. Habilitation: Halle leuchtet mir sehr ein.1 In München sitzt schon Hellmann fest und vor Allem: ich kenne dort Niemand, bin noch nicht dort und ganz neu (Marcks kennen Sie ja selbst).2 Hier ist Oncken allein maßgebend und ein rein sachlicher Mensch; er würde nur zunächst die Arbeit zu sehen wünschen, vorher sich nicht erklären. Es sind etwas viel Dozenten da (sehr untüchtige meist!). 3 Tröltsch könnte immerhin in Halle etwas für Sie tun. 2. Aufsätze: 4 Was für die „Frankf[urter] Zeitung“ geeignet ist – also: Aktuelles oder für das Feuilleton Geeignetes – senden Sie an „Dr Heinrich Simon, Frankf[urter] Zeitung“, den Herausgeber, mit Berufung auf meine Ermutigung dazu, was für das „Archiv“ geeignet ist, also streng Wissenschaftliches, an Prof. Dr E[mil] Lederer, Keplerstr.a 28, hier[,] b den Sie ja kennen. Ich selbst, wie gesagt, kann jetzt für geraume Zeit (Versailles, dann Kollegvorbereitung für München) nichts lesen, täte es sonst sehr gern, aber es geht einfach nicht. 5

a O: Keplerst. b Lochung. 1 Über die Universität Halle hatte Honigsheim in seinem Brief vom 23. April 1919 (Bestand Max Weber-Schäfer, wie Editorische Vorbemerkung) vermerkt, daß diese ihm für eine Habilitation „in mehrfacher Hinsicht sehr zweckmäßig“ erscheine: „[E]s ist eine große Universität mit relativ wenig historischen Privatdozenten.“ 2 Honigsheim hatte ausdrücklich in seinem Schreiben (wie Anm. 1) auch München genannt, da er außer Weber „und Erich Marcks noch einige andere kenne (Erich Becher, Bäumcker [!] usw.“. 3 Dazu Honigsheim in seiner Antwort vom 30. April 1919 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446): „In Heidelberg sind allerdings reichlich viel Privatdozenten, auch zieht mich, nachdem Sie und Troeltsch von dort fort sein werden, nicht mehr viel dorthin. Meine Beziehungen zu Oncken sind ja auch eigentlich immer nur äußerlich gewesen. Immerhin könnte ich ja, wenn es anderwärts nichts wird, mich später an ihn wenden, aber nur, wenn die Arbeit fertig ist, da man ja mit seinem sonderbaren Charakter rechnen muß.“ 4 In seinem Brief vom 23. April 1919 (wie Anm. 1) hatte Honigsheim davon berichtet, daß er diverse Aufsätze fertiggestellt habe, „ohne mir viel Kopfzerbrechen über ihre Unterbringung in Zeitschriften zu machen, da Troeltsch mir seinerzeit gesagt hatte, ich sollte nur alles, was ich produzierte, einfach an ihn schicken und er würde für das weitere schon sorgen. Leider hat er jetzt, wo er mit anderen Arbeiten überbürdet ist, auch in dieser Hinsicht für mich versagt.“ 5 Honigsheim hatte in seinem Brief vom 23. April 1919 (wie Anm. 1) den Wunsch geäußert, Weber diverse von ihm fertiggestellte Artikel zuzusenden: „Einige von ihnen enthalten übrigens soziologische Beobachtungen über gewisse Seiten Frankreichs, die fast unbekannt sind und deren Unkenntnis viel zur falschen Beurteilung dieses Landes beigetragen hat, und die eine Arbeit knüpft direkt an die von Ihnen aufgeworfene Problem-Stellung, religiöse Ethik und kapitalistischer Geist, an und wird, wie ich glaube, Sie sicher interessieren.“

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3. Ev. Redakteur-Stelle: jetzt ist die „Frankf[urter] Zeitung“, die einzige zu der ich Beziehung habe, besetzt. Künftig vielleicht in Betracht kommend. Meine Frau und ich grüßen Sie herzlich und wünschen Ihnen das Allerbeste, es freut mich, daß Sie sich aktiv hielten und produktiv fühlen. Mit bestem Gruß stets Ihr Max Weber

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30. April 1919

Else Jaffé [30. April 1919]; o.O Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch Mittag“ und aus dem Bezug zu Else Jaffés Brief an Marianne Weber vom 28. April 1919 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)). Darin hatte Else Jaffé um Max Webers telegrafische Fürsprache bei der Frankfurter Zeitung gebeten: Er sollte die Veröffentlichung eines Artikels von Alfred Weber zum aktuellen politischen Geschehen erreichen.

Mittwoch Mittag Liebling, – Dein Brief an Mar[ianne] Gott sei Dank, Du scheinst ja endlich in Ruhe und Frieden und – in einer „Mastkur“. Sie ist nötig, – nochmals! – damit Du zierliches Wunder nicht so zart bist. Du ängstest Dich, wenn ich „wild“ werde oder daß ich „wild“ werden könnte – obwohl Du ja weißt: ein Wort von Dir bändigt mich; ich habe vor Deiner „Wildheit“ gar keine Angst, wenn sie nicht in zu argen Zorn gegen mich ausläuft: davor freilich, aber nachträglich, wenn Du dann wieder gut bist (und schon während Du zornig bist, nur dann: mit gemischten Gefühlen) bin ich bezaubert von Dir, denn grade dies Naturhafte in Dir ist ina seiner Ungebrochenheit und dabei doch Feinheit halber und weil es so unendlich wahrhaftig ist, so wunderschön (ja: ich nehme die blauen Flecken mit in Kauf!). Aber wie soll Dein Leib soviel Leidenschaft und Intensität nur ertragen, wenn er so ätherisch wird, wie Du ihn dressierst? – Herz, Dein Wunsch mit dem Telegramm: liebend gern hätte ich das gemacht. Nur: ich stehe ja sehr gespannt z.Z. mit der „Fr[ankfurter] Z[eitung]“,1 lehne ihr meinerseits alle Mitarbeit ab (grade kürzlich wieder). 2 Trotzdem ginge es gewiß. Aber: ich glaube, sie lehnen dann vielleicht doch ab und schreiben an A[lfred] irgend etwas, aus dem hervorgeht, daß ich da interveniert bin. Bist du sicher, daß ihn das nicht a Fehlt in O; in sinngemäß ergänzt. 1 Dezidiert führte Max Weber in seinem Brief an die Redaktion der Frankfurter Zeitung vom 9. Febr. 1919, oben, S. 441, Differenzen „über die Stellungnahme zur ‚Revolution‘“ an. 2 Zu Max Webers Ablehnung, einen Beitrag über die Auswirkungen des Rätesystems auf die Wirtschaft zu schreiben, vgl. den Brief an die Redaktion der Frankfurter Zeitung vom 14. April 1919, oben, S. 572–574.

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ärgert, – dann soll es künftig in jedem Fall, blindlings versteht sich, geschehen. Diesmal habe ich Mar[ianne] gebeten Dir das vorzutragen undb werde es erst tun, wenn Du dennoch dabei bleibst bzw. wenn A[lfred] etwa damit einverstanden ist – was Dein Brief nicht ersehen ließ und mir nicht völlig sicher war. Bitte entscheide.3 Ach ja, komme wieder hierher in die Nähe, bis sich die Lage in M[ünchen] „klärt?“4 Dann gehen wir gleich zusammen da hin. – Nach Ver[sailles] gehe ich ja nicht, 5 habe gar nichts mehr dafür getan, will nicht zu den Geschaftlhubern gehören, die sich überall herandrängen; wollen sie was von mir, mögen sie mich rufen; vor Allem: den Sommer lasse ich mir nicht verderben, so lange noch ein Hoffnungsschimmer auf ihn besteht. – Ich werde gleich unterbrechen. Leb wohl leb wohl, Du süße Else, Du Plage meiner Nächte, Du Freude meiner Tage, Du wildes und gütiges, zorniges und holdes, naturalistisches und feines,c realistisches und |:von:| unendlicher Poesie umwobenes, todernstes und göttlich leichtes, starkes und zartes Geschöpf, das ich – ja nun: – einfach anbete, wie der Hellene die Aphrodite – – sei mir gut, bleib mir gut, gieb mir Rosen Rosen Rosen und den Veilchenduft Deines Haars Dein M

b 〈erst ja〉 c 〈[nächtli]〉 oder 〈[mächti]〉 3 „Die Frankf[urter Zeitung] hat schon negativ geantwortet, so ist die Sache erledigt“, schrieb Else Jaffé am 2. Mai 1919 an Marianne Weber (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)). 4 Wegen der politischen Unruhen in München befand sich Else Jaffé mit Familie bei ihrer Mutter, Anna v. Richthofen, in Baden-Baden. Doch beabsichtigte sie laut ihrem Brief an Marianne Weber vom 28. April 1919 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)), „in etwa 14 Tagen wieder in oder bei Heidelberg“ zu sein, „denn Mama sind wir auf die Dauer etwas zu viel“. 5 Vgl. den Brief an Johann Heinrich Graf v. Bernstorff vom 1. Mai 1919, unten, S. 597– 599.

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Johann Heinrich Graf von Bernstorff 1. Mai 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig PA AA Berlin, Geschäftsstelle für die Friedensverhandlungen, Bd. 10 Der hier abgedruckte Brief ist in zwei Fassungen überliefert. Als erste Fassung liegt ein eigenhändiges Konzept vor, welches sich im GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 28, Bl. 9, befindet. Daneben existiert das Originalschreiben bzw. die Ausfertigung in: PA AA, Geschäftsstelle für die Friedensverhandlungen, Bd. 10. Das Konzept wird im folgenden als A gekennzeichnet. Zum Abdruck kommt die Fassung B. Webers Schreiben an den Leiter der Berliner „Geschäftsstelle für die Friedensverhandlungen“ bezieht sich erneut auf seine Beraterfunktion für die deutsche Friedensdelegation (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 24. März, oben, S. 539). Seit der im März erfolgten Einladung, als Sachverständiger zu wirken, hatte Weber nicht nur den Sinn großer Expertengremien, sondern auch seine eigene Berufung immer wieder angezweifelt. Nach der ersten Berliner Vorberatung am 29. März hatte er eigentlich den Entschluß gefaßt, seine Mitwirkung zu beenden. Erst aufgrund eines persönlichen Gesprächs mit Graf v. Bernstorff war er zur weiteren Teilnahme bereit und auch dazu, die deutsche Delegation zur Friedenskonferenz zu begleiten. Seinerzeit rechnete Weber allerdings noch mit einem baldigen Verhandlungsbeginn (vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 30. und 31. März, sowie an Else Jaffé und Mina Tobler vom 31. März 1919, oben, S. 552, 561 f., 555 und 558 f.). Eine Einladung an die deutsche Delegation war zwischenzeitlich, am 18. April, erfolgt. Am 28. April reiste sie über Spa nach Versailles (Schulthess 1919, Teil 2, S. 518–520). Wie Webers nachstehende Antwort auf v. Bernstorffs offizielle Einladung zur Teilnahme an den Friedensverhandlungen zeigt, waren seine grundsätzlichen Zweifel auch Anfang Mai nicht ausgeräumt (vgl. auch seinen Brief an Else Jaffé vom 30. April 1919, oben, S. 595). Wohl vor allem aufgrund des Drängens seiner politischen Freunde erklärte er sich letztlich doch dazu bereit, die Einladung anzunehmen (MWG I/16, Einleitung, S. 25 f., sowie „Bemerkungen zum Bericht der Kommission der alliierten und assoziierten Regierungen über die Verantwortlichkeiten der Urheber des Krieges“, ebd., Editorischer Bericht, S. 298–323, S. 303). Zunächst reiste Weber in der 2. Maiwoche nach Berlin. Nach der extrem demütigend empfundenen Übergabe des Vertragstextes an die deutsche Friedensdelegation am 7. Mai war sicher, daß es die erhofften mündlichen Verhandlungen nicht geben werde. Stattdessen wurde der deutschen Seite eine Frist für schriftliche Stellungnahmen eingeräumt. Sofort wurden daher in Berlin Arbeitskommissionen gebildet, die der Versailler Delegation zu den einzelnen Sachkomplexen des Vertrages zuarbeiten sollten (Editorischer Bericht zu „Gegen die Abtretung deutscher Gebiete im Osten“, MWG I/16, S. 285–288). Am 13. Mai nahm Weber an der Sitzung der Arbeitskommission „Untergruppe ID Polen, Ost- und Westpreußen“ in Berlin teil (ebd., S. 286 f.). Bereits am folgenden Tag berichtete er von dort über seine nun unmittelbar bevorstehende Abreise nach Versailles, „um bei der ,Schuld‘-Frage mitzutun“ (Brief an Else Jaffé vom 14. Mai 1919, unten, S. 610). Am 13. Mai hatte Außenminister Ulrich Graf v. Brockdorff-Rantzau der Berliner „Geschäftsstelle“ mitgeteilt: „Ich beabsichtige, den von der Entente in der Note zur Schuldfrage erbetenen Kommissionsbericht durch eine ad hoc hier zusammentretende deutsche Kommission beantworten zu lassen.“ Vorgesehen für die Kommission waren Max Weber, Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Hans Delbrück und Max Graf v. Montgelas. Die Erwiderung sei fast fertig, es komme darauf an, „[. . .] den Wert unseres Materials durch die Autorität dieser Herrn zu erhöhen“. Er bat, die Einladung so zu gestalten, daß keine Absage erfolge (zit. nach MWG I/16, S. 305). Am 15. Mai fuhr Weber nach Versailles, von wo er am 28. Mai 1919 zutiefst

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enttäuscht und erschöpft zurückkehrte (vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 30. Mai, an Mina Tobler vom 1. Juni und an Else Jaffé vom 12. Juni 1919, unten, S. 626 f., 631 f. und 640). a Heidelberg

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Hochgeehrter Herr Graf,

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ich erhielt Ihr liebenswürdiges Telegramm (No 850) von gestern. Mit verbindlichstem Dank für die Einladung darf ich ergebenstb bemerken: daß mein gleichc in der ersten Sitzung, an der dteilzunehmen ich die Ehre hatted , geäußerter starkere Zweifel: f ob denng grade meine Teilnahmeh ein dringliches und daher ianderweiten Pfl ichteni voranzustellendes sachlichesj Bedürfnis sei,1 durch den weiteren Verlauf nur bestärktk worden istl mund ichm daher die schonn damals von Ihnen, durchaus mit Recht,o nahegelegten Konsequenzen pziehen möchtep . 2 Gegenüberq der allgemeinen, reitlen und vielgeschäftigenr Neigung: s überallt u„mit dabei“u sein zu müssen, vmit welcher unsre „Revolution“a uns beschenkt hat,v scheint es richtig,b sichc in jedemd Fall die Frage vorzulegen: eob eine fsachlicher Anlaß dazu wirklichf gbesteht. Dasg wäre nur hzu beurteilen, h wenn mir – gleichviel welche – konkreten Leistungen ipolitischer oder fachlicher Arti abverlangt a Fehlt in A. b A: doch > ergebenst c A: |:gleich:| d A: ich teilnahm > ich teilnehmen durfte > teilzunehmen ich die Ehre hatte, e A: |:starker:| f A: Zweifel, g A: |:denn:| h 〈an diesen Erörterungen〉 i A: meinen wissenschaftlichen Arbeiten > anderweiten Pfl ichten j A: |:sachliches:| k A: bestädigt > bestärkt l A, B: sind m A: Ich möchte > und ich n Fehlt in A. o A: 〈mir〉 p A: ziehen. > ziehen |:und:| > ziehen möchte. q A: Denn bei > Gegenüber r A: |:Eitelkeits-:| > |:eitlen und vielgeschäftigen:| s A: Neigung, t A: überall > überall u A: mit dabei v A: |:〈unter〉 |:mit:| welcher 〈diese〉 |:unsre:| 〈Regierungspraxis des gegenwärtigen Regimes in |:ganz:| unerträglicher Art leidet〉 sog. Revolution uns 〈bescheert〉 |:beschenkt:| hat,:| a A: sog. Revolution b A: mir nachgerade an der Zeit, daß Jeder > richtig, c A: 〈fragt〉 d A: 〈solchen〉 e A: ob denn 〈man〉 irgend ein[e] f A: solche objektive Dringlichkeit > sachlicher Anlaß dazu wirklich g A: besteht, und das > besteht. Das h A: der Fall > zu beurteilen, i A: |:politischer oder fachlicher Art:| 1 Wörtlich sagte Weber während der vorbereitenden Berliner Sitzung am 29. März 1919: „Ich fühle mich in dieser Delegation vollkommen deplaciert. [. . .] Ich möchte auch wünschen, daß wir in absehbarer Zeit erfahren, was eigentlich von uns erwartet wird. Eine wirkliche Sachkunde auf den Detailgebieten, um die es sich bei den Friedensverhandlungen handeln wird, kann ich z. B. für mich nicht beanspruchen.“ Zitiert nach: „Diskussionsbeiträge anläßlich der Beratungen im Auswärtigen Amt zur Vorbereitung der Friedensverhandlungen, 29. März und 2. April 1919“, MWG I/16, S. 254–267, S. 260. 2 Vermutlich bezieht Weber sich auf das mit v. Bernstorff Ende März in Berlin geführte Gespräch (vgl. oben, Editorische Vorbemerkung).

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würden, jbei denen die Möglichkeit beständej , daß Andre sie nicht k ebenso gutl merledigen als ichm . Dan Prinz Max v. Baden, owie ich höreo , sich für eine Zuziehung meiner Personp zu den Pariser Verhandlungen qinteressiert hat,q r 3 möchte ich sausdrücklich auchs bemerken: daß tin Versaillest m. E. schon weitu mehr als azu viela Personenb anwesend sind,4 darunter aberc erfreulicher Weise deinige wirklichd hervorragende Fachleutee, – f wie Herr Warburg, 5 Herr Melchior6 und andre auch in Berlin s. Z. anwesend gewesene Herren,f mit denen ich ang Fachkundeh nichti konkurrieren

j A: von denen ich glauben 〈dürfte〉 |:könnte:| > bei denen die Möglichkeit bestände k A: 〈mindestens〉 l In A folgt: oder besser m A: als ich erledigen werden > erledigen als ich n Absatz fehlt in A. o A: 〈mir mitteilt, daß〉 mitteilen läßt, daß er > wie ich höre p A: 〈[au]〉 q A: interessieren soll > interessiert hat, r In A folgt: so s A: |:ausdrücklich auch:| t A: dort > in Versailles u A: |:weit:| a A: zuviel b A: Persönlichkeiten c A: |:aber:| d A: ganz > wenigstens einige wirklich > eine Anzahl wirklich e A: |:wissenschaftliche:| Sachverständige > Fachleute f A: , daß ich > – wie Herr Warburg 〈und〉, Herr Melchior und |:manche:| Andre |:auch in Berlin anwesend gewesene:| Herren – g A: 〈|:wirtschaftlicher:|〉 h A: 〈in keiner Hinsicht〉 i A: |:〈gewiß〉 nicht:| 3 Dies mit Nachdruck: in einem Telegramm an v. Bernstorff vom 28. April 1919 (vgl. den Editorischen Bericht zu „Bemerkungen zum Bericht der Kommission der alliierten und assoziierten Regierungen über die Verantwortlichkeiten der Urheber des Krieges“, MWG I/16, S. 298–323, S. 303, insbes. Anm. 23) sowie in einem Telegramm an Graf v. Brockdorff-Rantzau (Abschr. masch. (o.D.); Archiv des Hauses Baden, Salem, Nl. Prinz Max von Baden, D 4 / 1832): „[I]ch möchte die auch von anderer Seite an Sie herangebrachte Anregung auf das Wärmste unterstützen Professor Max Weber nach Paris mitzunehmen. Ich halte ihn unter anderem für besonders geeignet später die in Paris gefassten Entschlüsse mit seiner grossen rednerischen und publizistischen Kraft vor dem deutschen Volk zu vertreten. Prinz Max von Baden.“ 4 Am 1. Mai 1919 gehörten der deutschen Delegation in Versailles außer den sechs Hauptbevollmächtigten mehr als 30 Ministerialvertreter und 15 Sachverständige an; zusätzlich 13 Delegationssekretäre, 4 Übersetzer(innen) und 19 Pressevertreter. Vgl. die Aufstellung des Auswärtigen Amtes, abgedruckt als Dok. 17 bei: Luckau, Alma, The German Delegation at the Paris Peace Conference, Nachdruck der Ausgabe von 1941. – New York: Fertig 1971, S. 188–190. 5 Der Bankier Max Warburg, der bereits die kaiserliche Regierung beraten hatte, gehörte der deutschen Delegation als Experte in der Kommission für finanzpolitische Fragen an. 6 Carl Melchior, seit 1917 Teilhaber Warburgs, fungierte bereits in Brest-Litowsk sowie bei den Waffenstillstandsverhandlungen als Finanzsachverständiger. In Versailles war er einer der sechs Hauptbevollmächtigten der deutschen Delegation und diente der Regierung auch nach Unterzeichnung des Friedensvertrages als Berater in Reparationsfragen.

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könntej. Wenn ich über die Frage,k was, wann und wie gewisse Dinge eventuelll politisch – öffentlich oder gegebenenfalls privatim – zu sagen wären, gewisse, übrigens schwerlich eigenartige, Ansichten hatte undm habe, so werden diese Fragen, wenn erst einmal „Verhandlungen“n beginnen, erledigto sein undp schon deshalb würde es sich schwerlich rechtfertigen lassen, deshalb nach Parisq zu fahren, umso weniger, als grade diese Dinge dem leitenden Staatsmann vorzubehalten sind,r sder allseitiges Vertrauen genießts[ .] t Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebenster Max Webert

j A: 〈〈und daß ich nicht glaube, daß〉 Ich hatte 〈lediglich〉 meinerseits zwar über 〈das〉 |:Manches:|, was eventuell politisch zu sagen – und: |:wann und:| wie es, 〈zu〉 |:je nachdem,:| öffentlich oder |:(gegebnenfalls):| privatim, zu sagen sein würde 〈wäre〉 |:gewisse:| 〈bestimmte〉, |:übrigens schwerlich besonders eigenartige,:| Ansichten. 〈die aber jetzt〉 |: Deshalb aber nach Paris zu fahren würde sich kaum rechtfertigen, zumal diese Fragen:|, wenn 〈in〉 erst |:einmal:| in Verhandlungen eingetreten worden sein wird, überholt sein werden. 〈Deshalb〉〉 k Komma fehlt in A. l A: ev. m A: u. n A: Verhandlungen o A: erledigt p A: u. q A: P. r A: sind. s Fehlt in A. t Fehlt in A.

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Else Jaffé [4. Mai 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt (Else Jaffés bevorstehendem Besuch in Heidelberg) und der Tagesangabe „Sonntag früh“.

Sonntag früh Traute Else, – nein, ich war Dir treu, obwohl ich 3 Tage schwieg1 – einmal weil ich unter Tag hart arbeitete, dann aber weil ich Marie Donadieu2 erst zu Ende lesen wollte, Abends. Ja – ich hatte sie doch ganz vergessen seit damals in Ascona. 3 Die fabelhafte Schönheit der Sprache entgeht mir hie und da oder wirkt nicht voll, weil mein Wortschatz nicht mehr ausreicht und man die Größe des Kunstwerkes doch nur voll inne wird, wenn man nicht Vokabeln nachschlägt. Zur Sache aber: an ungezählten Stellen habe ich angemerkt, was ich fein und wahr fand, „virtuosenhaft“ wahr, möchte man sagen, denn gewisse Dinge sind beinahe wahrer gesagt als sie wirklich wahr sind. Glänzend ist alles Sinnliche behandelt. Aber Du verstehst: wenn man an der Else hängt, ist diese Marie doch halt eine Stümperin1), ohne Geist nicht nur sondern auch ohne Seele, und man müßte ein seelisches Experiment, wie es hier be-

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nicht eine so dumme Gans, wie die Tannhäuser-Venus (oh erinnerst Du? es war doch schön, aber am schönsten doch im Auto nachher!),4 nein, da steht sie freilich drüber, aber doch – – man ist gegen „solche“ Frauen grade ungerecht, wenn Du Eine „hast“. 1 Max Webers letzter nachgewiesener Brief an Else Jaffé datiert vom 30. April 1919, oben, S. 594 f. 2 Philippe, Charles-Louis, Marie Donadieu. – Paris: Fasquelle o. J. [1904]. In der Geschichte der von zwei befreundeten Männern begehrten Marie verzichtet einer der beiden Liebhaber, Jean Bousset, bewußt auf die Erfüllung seiner Liebe: Nachdem er Marie während der reisebedingten Abwesenheit seines Freundes für sich gewonnen hatte, verliert er sie nach dessen Rückkehr wieder und weist schließlich aus tieferer Einsicht Maries Angebot zurück, zu ihm zurückzukommen. 3 Zu Max Webers erstmaliger Lektüre des Romans während eines Ascona-Aufenthalts vgl. die Karte an Marianne Weber vom 12. April 1913 (MWG II/8, S. 177) sowie die Karte und den Brief vom 14. April 1913 (ebd., S. 180 f.). 4 Anspielung auf eine gemeinsam besuchte Aufführung der Wagner-Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg“. Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 18. März 1919, oben, S. 525.

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absichtigt ist, doch eben am „höchsten“ Typus „Weib“ machen, nicht an einem Typus „Weibchen“ – dem sie doch angehört. Nur deshalb fällt ja das Experiment glaubhafter Weise so aus, wie es geschieht, und also beweist es nichts für den großen Prozeß zwischen den verschiedenen Arten der Abenteuer und der Sachlichkeiten des Lebens. Aber fabelhaft wahr ist ja, was dazu beigetragen wird. Jean – nun, in einem Ensemble von Leidenschaften dieses Grades und Ranges wirkt natürlich die Sehnsucht nach „Reisen“ (mir in ihrer Psychologie recht wohl vertraut) statt nach der Frau etwas spießig, fi ndest Du nicht. Und alles Andre, was in Betracht käme, ist nicht gesagt oder ganz unbestimmt gelassen. Abera da bei mir z. B. die Sache ja umgekehrt lag: die „Sachen“ waren das, was im Fenster stand und dem „Leben“ das Licht sperrte, so ist mir vielleicht diese Wendung der Konkurrenz der Mächte nicht so leibhaftig, so unbedingt wahr sie ist. Sie äußert sich bei mir halt in ganz andrer Konstellation: Sache – Satan – Schönheit in dreieckiger Kampffront gegeneinander. Davon ein ander Mal (wenn es Dir paßt). – Mündlich müssen wir noch Manches bereden, auch: was Dich an dem Buch gepackt hat? – Aber: wann kommst Du? wann?5 Und ob wohl mal ein Frühlings-Vormittag (oder Nachmittag) frei ist, in den Wald zu gehen zu zweit? Mittwoch z. B. wo ich wohl allein bin? – Schöner Liebling, ich fühle den Ring, den starken, unzerbrechlichen, beglückenden Ring.6 Immer Dein M

a Und > Aber 5 Else Jaffé hatte erstmals im Brief an Marianne Weber vom 28. April 1919 ihren Besuch in Heidelberg angekündigt (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)), das genaue Datum aber bis zu ihrem Brief an Marianne Weber vom 6. Mai 1919 (ebd.) offengelassen. 6 Zu Max Webers bildhafter Umschreibung seines Gefühles der Abhängigkeit von Else Jaffé vgl. den Brief an dies., vor dem 14. Jan. 1919, oben, S. 391 f., Anm. 3.

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Else Jaffé [7. Mai 1919]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch“ und aus dem Briefinhalt: Max Weber macht Vorschläge für Else Jaffés bevorstehenden Besuch in Heidelberg. Nach dem Tagebuch Anna v. Richthofens (Privatbesitz) reiste Else Jaffé am Freitag, dem 9. Mai 1919, mit ihren Söhnen von Baden-Baden nach Heidelberg.

Mittwoch Liebling, – Dua hast nun meinen Brief nach dem „Schiff“1 nicht bekommen, da Du erst Freitag kommst. 2 Mit dem Sehen wird es dann schwierig, falls du nicht Samstag Nachmittag1) frei hättest, oder Abend – was recht unwahrscheinlich ist – da bin ich voraussichtlich frei, d. h. wenn M[arianne] nach Oberhambach3 fahren sollte. Heut u. morgen früh wäre ich auch frei gewesen, Freitag, nicht. Nun, warten wir es ab. Ob ich von München etwas höre und hinfahre nächste Wocheb oder wann, weiß ich auch nicht. Eigentlich müßte ich mal hintelegrafieren oder -schreiben, weiß nur nicht ob nach München oder nach Bamberg.4 Weiß Gott was da eigentlich vorgeht an der Universität, Fredy und Muckle dürften ja ausgeschaltet sein, 5 aber wer denn nun eigentlich da am Ruder sitzt, weiß ja Niemand. – Ja, nochmal: es ist wirklich so – wie Marie 1)

in den Wald gehen ist freilich weder dann noch Sonntag schön – „plenty of peasantry“ überall. a 〈bist〉 b 〈wie〉 1 Hotel „Schwarzes Schiff“ in Heidelberg. 2 Else Jaffé hatte ihren Besuch in mehreren Briefen an Marianne Weber angekündigt und am 28. April 1919 (MWA, Universität Heidelberg (Fotokopien der Originale)) zuerst noch vage vom Eintreffen „in etwa 14 Tagen“ gesprochen. Am 6. Mai 1919 avisierte sie ihre Ankunft schließlich für Freitag, den 9. Mai 1919 (ebd.). 3 Lili Schäfer lebte mit ihren Kindern in der Odenwaldschule in Oberhambach bei Heppenheim. 4 Max Weber wußte nicht, ob die Regierung Hoffmann bereits aus Bamberg, wohin sie sich wegen der revolutionären Ereignisse zurückgezogen hatte, nach München zurückgekehrt war. 5 Zu Friedrich Alfred (Fredi) Schmid Noerrs und Friedrich Muckles hochschulpolitischen Aktivitäten während der Rätezeit vgl. den Brief an Mina Tobler vom 25. April 1919, oben, S. 588 f., Anm. 2 und 3.

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Don[adieu] lehrt6 und Du auch, Liebling – daß solche Rosen, wie Grünwald No 20,7 eine Nähe und Gemeinschaft irgendwie stiften, die sonst nicht zu gewinnen ist, – irgend etwas „Letztes“ in dieser Hinsicht. – Aber irgendwie muß der Sommer noch eine Zeit spenden, Juni vielleicht, wo Rosen und Veilchen blühen. Denn die eigentliche Arbeitsperiode ist |:bei mir doch:| ein starker Kampf nachc jenen „Fronten“, die Du kennst, und dann ist eben doch Alles anders und irgendwie gehemmter und verspreizt. – Letzter Tage war mit mir nicht viel los, jetzt etwas mehr, bis du kommst hoffentlich noch mehr. Ich nehme an, daß es Dir, mein Herz, recht gut geht, ich meine es könnte schon und sollte auch, hoffe Dich also mit runden Backen und – strahlenden Augen (ja?) zu sehen, – fast, fast so, wie damals, damals. Sei mir gut Dein M

c [mit] > nach 6 Anspielung auf den Roman „Marie Donadieu“ von Charles-Louis Philippe, den Max Weber gerade erst wieder gelesen hatte. Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 4. Mai 1919, oben, S. 600. 7 Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 23. April 1919, oben, S. 587.

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Friedrich von Müller 8. Mai 1919; Heidelberg Brief; eigenhändig UA München, E-II-694 Der Brief steht in Zusammenhang mit Webers Berufung nach München als Nachfolger von Lujo Brentano; zu Vorgeschichte und Verlauf der Berufung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Matt vom 2. Februar 1919, oben, S. 423–425.

Heidelberg 8. Mai 1919 Euer Magnifi zenz danke ich unter ergebenster Rücksendung der nach Vorschrift ausgefüllten Papiere verbindlichst für Ihre freundliche Mitteilung und liebenswürdigen Wünsche und werde nach München übersiedeln, sobald die Aufnahme der Vorlesungen in greifbare Nähe rückt. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Professor Max Weber

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Erich Ludendorff 14. Mai 1919; Berlin Abschrift; maschinenschriftlich mit eigenhändigen Korrekturen und Zusätzen Max Webers PA AA Berlin, Deutsche Friedensdelegation Versailles, Pol. 7a, Bd. 1, Bl. 19– 22 Kurz vor seiner Abreise von Berlin nach Versailles richtete Max Weber nachfolgenden persönlichen Brief an Erich Ludendorff. Anlaß waren die in den Artikeln 227–230 des Versailler Vertrages formulierten, völkerrechtlich außergewöhnlichen Auslieferungsforderungen wegen Kriegsverbrechen, insbesondere die in Artikel 227 geforderte Auslieferung Wilhelms II. zur Aburteilung durch ein alliiertes Tribunal. Marianne Weber zufolge war Weber „außer sich“, sah darin „die teuflische Absicht, die Ehre einer großen Nation zu vernichten“ (Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 662). Über sein Schreiben an Ludendorff informierte Weber direkt anschließend Friedrich Naumann und Hans Delbrück (vgl. die Briefe vom 15. Mai 1919, unten, S. 616 f. und 619 f.) und brachte seinen Brief am 22. Mai in Versailles auch Außenminister v. Brockdorff-Rantzau zur Kenntnis (vgl. „Eine Unterredung mit Erich Ludendorff am 30. Mai 1919“, MWG I/16, S. 545–553, S. 545). Die Antwort Ludendorffs ist nicht überliefert, nach Marianne Weber war sie kurz und ablehnend. Daß sie ihn nach seiner Rückkehr aus Versailles noch nicht erreicht hatte, habe Weber dazu veranlaßt, „dem Mann Aug’ in Auge zu sehen und seinen Standpunkt mündlich darzulegen“ (Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 663 f.). Das persönliche Gespräch Webers mit Ludendorff am 30. Mai (MWG I/16, S. 545–553) vermittelte Weber nach seiner späteren Darstellung „den Eindruck eines ganzen Kerls und enormen Könners, aber auch den einer kompakten Unbelehrbarkeit“ (so Karl Hampes Bericht über Webers diesbezügliche Ausführungen bei seiner Abschiedsfeier in Heidelberg am 22. September 1919, in: Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, S. 901 (Eintrag vom 23. September 1919)). Ludendorff äußerte sich über den Kontakt mit Weber später noch weit weniger freundlich. Als Eduard Baumgarten sich 1921 im Auftrag Marianne Webers bemühte, Webers Brief an Ludendorff zurückzuerhalten, bekam er zur Antwort: „Ich kann mich an einen solchen Brief nicht erinnern. Hätte ich ihn je besessen, so hätte ich ihn sicherlich nicht bis heute verwahrt. Ich lege keinen Wert auf die Bekanntschaft mit Prof. Weber. Prof. Weber war mir mehrmals als Vaterlandsverräter gemeldet gewesen“ (zitiert nach: „Eine Unterredung mit Erich Ludendorff am 30. Mai 1919“, MWG I/16, S. 546, Anm. 8).

Berlin, den 14. Mai 1919. Euer Exzellenz

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beehre ich mich vor der Abreise nach Versailles vorzutragen: Artikel 227 u. ff. der Friedensbedingungen der Gegner sehena die Auslieferung des Kaisers und aller für angebliche Verletzungen des Völkerrechts Verantwortlichen an die Gegner zur Aburteilung vor.1 a sehe > sehen 1 Artikel 227 des Versailler Vertrages sah eine Aburteilung Wilhelms II. wegen „schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge“ vor. Die

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Deutschland ist zurzeit ohnmächtig, irgendjemand gegen Gewaltmaßregeln dauernd zu schützen. Angesichts dessen würde ich es für richtig halten, wenn zunächst Euer Exzellenz, dann aber, wie dies zweifellos geschehen würde, nach Ihrem Beispiel die sämtlichen Herren des früheren General- und Admiralstabes und die früheren Führer der großen Heeresgruppen sich sofort persönlich durch Gestellung bei den amerikanischen Grenzposten2 in die Kriegsgefangenschaft der Gegner begeben würden. Gleichzeitig wäre von Ihnen natürlich eine schriftliche Erklärung zu überreichen, welche ungefähr besagen könnte: daß der Monarch von Ihnen bei allen Schritten, die in Betracht kamen, maßgeblich und ausschlaggebend beraten worden ist; ferner daß Sie für alle Ihnen unterstellten befehlshabenden Offi ziere, welche lediglich Ihre Anordnungen ausführten, durchaus bestreiten, daß abgesehen von stets möglichen Einzel-Mißgriffen irgend welche nicht als Repressalien oder absolute Kriegsnotwendigkeit gerechtfertigten Maßregeln3 angeordnet worden sind, daß Sie nichtsdestoweniger angesichts

Artikel 228–230 beinhalteten die alliierte Befugnis, alle wegen Vergehen gegen die „Gesetze und Gebräuche des Krieges angeklagten Personen vor ihre Militärgerichte zu ziehen“ (Der Vertrag von Versailles. Amtlicher Text der Entente und amtliche deutsche Übertragung. Auf Grund der endgültigen, neu durchgesehenen amtlichen Revision, Im Auftrage des Auswärtigen Amtes. – Berlin: Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte 1924, S. 104 f.). Diese einseitigen Bestimmungen, die in Deutschland einen Sturm der Empörung hervorriefen, blieben nicht nur für Wilhelm II., sondern insgesamt ohne weitreichende Folgen. Zwar wurden im Februar 1920 der deutschen Regierung Auslieferungslisten mit über 800 Namen (u. a. die von Hindenburg, Ludendorff, Falkenhayn, Bethmann Hollweg, Tirpitz, Capelle) überstellt, die deutsche Seite erreichte aber, daß gegen beschuldigte Militärpersonen (nicht gegen die militärische und politische Führung) in Deutschland ermittelt werden sollte. Die schließlich siebzehn vom Reichsgericht Leipzig ab 1921 durchgeführten Verfahren endeten mit milden Strafen oder Freispruch. Vgl. Hankel, Gerd, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg. – Hamburg: Hamburger Edition 2003, S. 23–73 und 97–104, sowie Horne, John und Kramer, Alan, Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit. – Hamburg: Hamburger Edition 2004, S. 506–520. 2 Entsprechend den Waffenstillstandsbedingungen besetzten die Amerikaner linksrheinisch eine Zone im Raum Trier/Koblenz und den Brückenkopf Koblenz. 3 Repressalien, d. h. Maßnahmen, die den Gegner zur Aufgabe einer völkerrechtswidrigen Kriegshandlung zwingen sollten, waren nach zeitgenössischem Kriegsrecht generell nicht verboten. Der Begriff der Kriegsnotwendigkeit bezeichnete den durch die Haager Landkriegsordnung 1899/1907 nicht beschränkten Bereich durch militärische Erfordernisse begründeter Kriegsgewalt. Der Terminus der absoluten Kriegsnotwendigkeit konnte nach zeitgenössischer deutscher Rechtsauffassung sogar eine zulässige Abweichung vom kodifizierten Kriegsrecht legitimieren – sofern sie im Fall äußerster Not erfolgte. Vgl. Hinz, Uta, Gefangen im Großen Krieg. Kriegsgefangenschaft in Deutschland 1914–1921. – Essen: Klartext 2006, S. 56 und 58–65.

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des für die Feinde entehrenden Auslieferungsverlangens,b sich diesen zur Verfügung stellen, mit dem Anheimstellen, ganz nach Belieben mit Ihnen zu verfahren,c und daß Sie nur das Eine voraussetzen zu dürfen glauben, daß es dem gegnerischen soldatischen Ehrgefühl widerspreche, Sie sowie das im Kriege deutschen Gefangenen in Frankreich widerfahren sei, der Neugierde und den gemeinen Insulten des Pöbels auszusetzend 4 und daß im Fall eines gerichtlichen Verfahrens eine gänzlich freie, sachlich unbeschränkte Verteidigung in öffentlicher Verhandlung zugebilligt werde. Nicht die mögliche Wirkung auf die Feinde, die allerdings in Italien, vielleicht auch England und Amerika in Betracht kommt, veranlaßt mich zu diesem Ratschlag, sondern die ganz unzweifelhafte Wirkung im Inland. Soll das ruhmvolle deutsche Heer und der deutsche Generalstab jemals wieder auferstehen, so ist dieser Schritt nötig. Den Feinden der Armee wird dadurch das Argument, dem gegenüber man trotz seiner Torheit ohnmächtig ist, aus der Hand genommen: Das Volk büßt für die Taten der Führer, die ihrerseits den Feinden entzogen sind. Geschieht der Schritt, so liegt auf der Hand, was man ihnene entgegenhalten, und wie man die von mir stets rücksichtslos an den Pranger gestellte Entwaffnung der Armee durch die Revolution5 f (in diesem Augenblick) f kritisieren kann. Es ist nicht gleichgültig [,] ob man sagen kann: Die Führer halten jetzt rachsüchtigen Feinden für euch den Kopf hin. Die Rückwirkung auf das Schicksal des Kaisers halte ich für vielleicht nicht ganz gering. Ich bin freilich der Ansicht, daß auch dem Monarchen der gleiche Schritt von seinen Freunden anzuraten wäre, der ihn sicherlich keinem traurigeren, jedenfalls aber einem würdigeren Lose entgegenführen würde, als die Existenz eines mühsam der g„Strafe“g entronnenen hFlüchtb Komma eigenhändig. c Komma eigenhändig. d ausgesetzt werden > auszusetzen e Ihnen > ihnen f Klammern eigenhändig. g Anführungszeichen eigenhändig. h Flüchtlings es wäre und auch eine Möglichkeit zu Gunsten der Dynastie könnte dadurch nur gewinnen, an der ich > Flüchtlings. Es wäre . . . woran ich 4 Meldungen über verbale oder tätliche Ausschreitungen gegen deutsche Kriegsgefangene in Frankreich kursierten vor allem in den ersten Kriegsmonaten in der deutschen Presse. Vgl. Hinz, Gefangen im Großen Krieg (wie Anm. 3), S. 188. 5 So öffentlich in seinen Reden am 20. Dezember 1918 in Berlin („Deutschlands Lage“, MWG I/16, S. 401–409, S. 405), am 2. Januar 1919 in Heidelberg („Deutschlands Wiederaufrichtung“, MWG I/16, S. 410–428, S. 417) sowie am 3. Januar 1919 in Karlsruhe („Deutschlands Vergangenheit und Zukunft“, MWG I/16, S. 436–446, S. 441).

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lings.6 Es wäre auch zu Gunsten der Dynastie, die dadurch nur gewinnen könnte, woran ichh insofern interessiert bin, als ich auch nach der Revolution die streng parlamentarische Monarchie öffentlich als i„stärkste Staatsform“i bezeichnet habe. Ich glaube also, der Schrittj wäre k (schlicht und untheatralisch getan, wie es Ihrer Natur, soweit ich urteilen darf, entspricht) k der letzte und ein wichtiger Dienst, den Sie dem Lande,l der Dynastie, dem Offi zier-Corps und Ihrem eigenen auch mir bei aller politischen Gegnerschaft7 nicht gleichgültigen Andenken leisten könnten. Daß Euer Exzellenz den Schritt nicht scheuen, versteht sich nach den 4 Jahren, welche Sie durchgemacht haben, von selbst. Der Staatsgerichtshof, den Sie angerufen haben,8 leistet für den gleichen Zweck garnichts. Eine strafrechtliche Verfolgung ließe sich nicht einmal theoretisch rechtfertigen. Eine Verurteilung könnte nur politische Gründe haben und nur auf politischen Argumentenm begründet werden,n und wäre oeine Schandeo für Deutschland. Der vorauszusehende Freispruch aber würde den Massen ebenfalls als politisch (nationalistisch) motiviert erscheinen, die Lage nicht entlasten, sondern vergiften, Kritik hervorrufen, jedenfalls aber Ihrem Andenken nichts hinzufügen und demp Offi zier-Armee-Corps und der Armee nichts qnützen. Undq es scheint doch richtig, die Gegner vor die peinliche Frage zu stellen, i Anführungszeichen eigenhändig. j Schritte > Schritt k Klammern eigenhändig; schließende Klammer ersetzt Komma. l Komma eigenhändig. m Irrtümern > Argumente [!] n Komma eigenhändig. o ein Schaden > eine Schande p den > dem q nützen und > nützen. Und 6 Noch vom Großen Hauptquartier im belgischen Spa aus war Wilhelm II. im November 1918 ins neutrale Holland geflüchtet. Im Februar 1920 lehnten die Niederlande seine Auslieferung endgültig ab. Vgl. Hankel, Leipziger Prozesse (wie Anm. 1), S. 74–87. 7 Zur Kritik Webers an Ludendorff vgl. z. B. seinen Brief an Hans Ehrenberg vom 16. Juli 1917 (MWG II/9, S. 707–709) sowie seine scharfe Abrechnung am 2. Januar 1919 in Heidelberg („Deutschlands Wiederaufrichtung“, MWG I/16, S. 410–428, S. 417). 8 In seiner Regierungserklärung vom 13. Februar 1919 hatte Philipp Scheidemann Ludendorff einen „genialen Hazardeur“ genannt, woraufhin Ludendorff die Einrichtung eines Staatsgerichtshofes forderte, um die Vorwürfe gegen ihn zu prüfen. Gleichzeitig lehnte der General in einem offenen Brief jede Verantwortung für das Waffenstillstandsersuchen ab, lastete diese der Regierung Max von Baden an. Diese Kontroverse bildet den innenpolitischen Hintergrund für den am 12. März 1919 durch Reichsjustizminister Otto Landsberg im Kabinett eingebrachten Gesetzentwurf über die Errichtung eines Staatsgerichtshof zur Untersuchung der Vorgänge vor und während des Krieges, aus dem der Untersuchungsausschuß der Verfassunggebenden Nationalversammlung und des Reichstages hervorging. Vgl. Heinemann, Ulrich, Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1983, S. 22 f.

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die Gesamtheit der ersten Männer Deutschlands, – ich nehme an, daß der Herr Generalfeldmarschall von Hindenburg sich mit Bezugnahme auf sein hohes Alter nur erbietet, auf Ladung zu erscheinen, daß aber abgesehen von den führenden Generälen die Herren von Tirpitz, 9 von Capelle10 und von Bethmann-Hollwegr 11 den gleichen Schritt Ihnen nachtun werden, – sichs vor einent von ihnen selbst zusammengesetzten Gerichtshof zu stellen. – Wie immer Sie sich zu diesem Ratschlag stellen, hochgeehrter Herr General, die Gesinnung bezüglich Ihrer Person, die ich, wie gesagt, trotz aller politischen Gegnerschaft hege, werden Sie, wie ich hoffe, nicht verkennen. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener u (Prof. Max Weber Heidelberg) u Seine Exzellenz Herrn General-Quartiermeister General von Ludendorff.

r Bethmannn-Holweg > Bethmann-Hollweg s Fehlt in Abschrift; sich sinngemäß ergänzt. t ein > einen u Klammern und Unterzeichnung eigenhändig. 9 Admiral Alfred v. Tirpitz, bis März 1916 Staatssekretär des Reichsmarineamtes, maßgeblich verantwortlich für die Flottenrüstungspolitik vor 1914 und für den U-Boot-Krieg bis 1916. 10 Admiral Eduard v. Capelle, Mitarbeiter und 1916 direkter Nachfolger von Tirpitz im Reichsmarineamt. 11 Theobald v. Bethmann Hollweg, bis 1917 Reichskanzler.

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Else Jaffé [14. Mai 1919]; BK Berlin Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch“ und dem Briefinhalt: Max Weber hatte am 13. und 14. Mai 1919 an einer Sitzung der „Untergruppe ID Polen, Ostund Westpreußen“, die zur sachlichen Unterstützung der deutschen Friedensdelegation im preußischen Ministerium des Innern zusammengekommen war, teilgenommen (vgl. Editorischer Bericht zu „Gegen die Abtretung deutscher Gebiete im Osten“, MWG I/16, S. 285–288). Er verfaßte den folgenden Brief am Vortag seiner Abreise zur Friedenskonferenz nach Versailles (15. Mai 1919), nachdem er zuvor bereits an Erich Ludendorff (wie im folgenden erwähnt), oben, S. 605–609, geschrieben hatte.

Hotel Habsburger Hof Berlin S. W. 11, 191 Mittwoch Liebes Elsekind, – heut Nacht oder morgen fahre ich nach V[ersailles], um bei der „Schuld“-Frage mitzutun.1 An Ludendorff habe ich geschrieben, 2 der Brief geht heut noch ab. Daß diese Leute nicht von selbst thun, was recht ist! Und Jeder sagt hier: sie tun es überhaupt nicht. Nun, das will ich nicht hoffen, es wäre ihr moralisches Ende. Ich habe L[udendorff] sehr herzlich geschrieben [ .] Ob Ihr wohla wirklich zurückfahrt?3 Ob dieser Zettel Dich erreicht? Ich bin immer bei Dir, Abends und wenn irgend der Kopf frei ist. „Und Gottes Segen über Dich, Du meines Herzens Freude“4. . . . Jetzt also komme ich nicht nach M[ünchen], es ist unsicher, ob vor Pfi ngsten, aber jedenfalls nachher gleich, sei es zum Semester, sei es zum Ausruhen, – lieber: Letzteres. Aber jedenfalls, a O: voll 1 Zu Max Webers Abreise nach Versailles auf ein dringendes Telegramm des deutschen Delegationsleiters in Versailles, Ulrich Graf v. Brockdorff-Rantzau, vgl. Einleitung, MWG I/16, S. 1–45, hier S. 27, sowie die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Johann Heinrich Graf v. Bernstorff vom 1. Mai 1919, oben, S. 596 f. 2 Wie oben, Editorische Vorbemerkung. 3 Else Jaffé hatte Ende April 1919 mit ihrer Familie München wegen der revolutionären Unruhen verlassen. Sie war zunächst bei ihrer Mutter in Baden-Baden untergekommen, am 9. Mai 1919 aber mit ihren Söhnen nach Heidelberg weitergereist. Von dort kehrte sie am 16. oder 17. Mai 1919 nach München zurück (Else Jaffé am 19. Mai 1919 an Marianne Weber, MWA, Universität Heidelberg (Fotokopie des Originals)). 4 Zitatanklang an „Zärtliche Liebe“ von K. F. Herrosee, vertont von Ludwig van Beethoven. Die dritte Strophe lautet: „Drum Gottes Segen über dir,/ Du, meines Lebens Freude./ Gott schütze dich, erhalt dich mir,/ Schütz und erhalt uns beide.“

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jedenfalls. Denn ich sehne mich sehr, Du kannst es denken. Hoffentlich kann ich von V[ersailles] aus schreiben. Lang bleibe ich nicht dort, gehe dann die kurze Zeit bis Pfi ngsten entweder zur Mutter – es steht nicht gut mit ihr, höre ich hier – oder 5–6 Tage zu Lili zum Abschied,5 sie bat sehr. Aber hoffentlich auch dann vorher kurz nach München, um „Quartier zu machen“. Sei gesegnet, du braunes Glück, bleib stolz, stark, froh und – wenn Du kannst – gut Deinem Grauli6

5 Wahrscheinlich beabsichtigte Weber vor seiner Übersiedlung nach München nochmals seine in der Odenwaldschule in Oberhambach lebende Schwester Lili Schäfer zu besuchen. 6 Zu Max Webers Kosenamen vgl. den Brief an Else Jaffé vom 18. März 1919, oben, S. 523 mit Anm. 1.

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Clara Mommsen [14. Mai 1919]; BK Berlin Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 23, Bl. 42 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Mittwoch“, dem Briefinhalt (Max Webers bevorstehende Abreise nach Versailles) sowie den Briefen an Erich Ludendorff, Else Jaffé und Mina Tobler vom selben Tag, oben, S. 605, 610 und unten S. 614.

Hotel Habsburger Hof Berlin S.W. 11, Mittwoch 1919a Liebe Clara, ich fahre – gestern Abend gekommen1 – soeben nach Versailles auf dringendes Ersuchen.2 Wozu? weiß ich nicht, verspreche mir und der Sache nichts davon. Aber man thut es halt. Vorher habe ich Ludendorff noch einen briefl ichen Rath gegeben.3 Er, Tirpitz, Capelle, Bethmann pp. müssen – angesichts des Auslieferungsbegehrens der Feinde – wissen, was sie jetzt, sofort, zu thun haben. Nur dann kann das Offi ziercorps einmal ruhmvoll auferstehen, wenn sie den Feinden, freiwillig, den „Kopf hinhalten“. Abwarten, was sie thun! – Mama geht es, höre ich, – oder ging es hier – doch ernstlich schlecht. Gern hätte ich Ernst darüber gehört, überhaupt Euch, auch Artur – grüße ihn sehr! – gern gesprochen. Aber es ging zu hastig. Bezüglich des Friedens bin ich ganz im Dunklen. Der Osten kann und soll zu den Waffen greifen und der Reichsregierung den Gehorsam verweigern: „zwingt uns, wenn Ihr könnt“.4 Aber für das Andre hilft a O: 1918 1 Tatsächlich muß Max Weber bereits am 12. Mai 1919 in Berlin eingetroffen sein, denn am 13. und 14. Mai 1919 nahm er an der Arbeitssitzung der Kommission für Ostfragen teil. Vgl. Einleitung, MWG I/16, S. 1–45, hier S. 26. 2 Ein dringliches Telegramm des deutschen Delegationsleiters, Ulrich Graf v. BrockdorffRantzau, bewirkte Max Webers Abreise nach Versailles. Vgl. Einleitung, MWG I/16, S. 1– 45, hier S. 27. 3 Vgl. den Brief an Erich Ludendorff vom 14. Mai 1919, oben, S. 605–609. 4 Nach Bekanntwerden der Friedensbedingungen kam es in den östlichen Reichsteilen zu massiven Protesten. Auch arbeiteten höhere Militärkreise im Mai und Juni 1919 an Plänen für einen militärischen Aufstand im Osten, sollte die Reichsregierung die Friedensbedingungen annehmen. Die in diesem Zusammenhang erwogene (vorübergehende) Abtrennung der östlichen Provinzen vom Reich unterstützte auch der preußische Kriegsminister Walther Reinhardt. Die Vorbereitungen für eine „Erhebung“ im Osten liefen noch bis zum 22. Juni 1919. Sie wurden schließlich eingestellt wegen Hindenburgs Weigerung, sich an die Spitze des Aufstandes zu stellen. Vgl. Schulze, Hagen, Freikorps und Republik

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das ja gar nichts. Wenn sie einmarschieren – gut! – aber sie nehmen höchstens Baden und das Westfälische Industriegebiet, das Andre setzen sie unter Blockade. Und dann – bittet die Regierung Haase-Barth um Frieden! 5 Bayern fällt ab. Was ist dann gewonnen? Nun, wir müssen sehen, aber es ist leichter zu sagen: „ablehnen“b – was ich natürlich auch sage – als zu sehen wie wir dann mit Ehren bestehen und den Bestand des Reiches retten. Herzliche Grüße Euer Max

b 〈als〉 1918–1920 (Militärgeschichtliche Studien, Bd. 8). – Boppard am Rhein: Boldt 1969, S. 111– 125. 5 Die USPD-Politiker Hugo Haase und Emil Barth, deren Partei als einzige eine bedingungslose Annahme der Friedensbedingungen befürwortete. Wie bereits zur Jahreswende 1918/19 (vgl. den Brief an Otto Crusius vom 26. Dez. 1918, oben, S. 379 f.) befürchtete Max Weber im Fall einer Ablehnung der Friedensbedingungen einen alliierten Einmarsch, eine innenpolitische Radikalisierung und den Zerfall des Reiches (vgl. Mommsen, Max Weber3, S. 344).

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Mina Tobler [14. Mai 1919]; BK Berlin Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus dem Briefinhalt (d. h. der bevorstehenden Abreise nach Versailles) sowie den Briefen an Else Jaffé und an Clara Mommsen vom 14. Mai 1919, oben, S. 610 und 612.

Hotel Habsburger Hof Berlin S.W. 11, 191 Liebe Judit, Ich fahre heut oder morgen nach V[ersailles], sehe Dich also vorerst nicht, bis Pfi ngsten. Was ich in V[ersailles] soll – Beteiligung an der „Schuld“-Frage, scheint es – steht nicht fest.1 Hier lauter dumme Sitzungen, 2 ohne Ergebnis. Diese ganze Lage ist viel furchtbarer als man irgend denken konnte, je mehr man den Vertrag studiert. Es ist so etwas doch nicht dagewesen und die Westschweizer3 sind elende Schufte. Ich weiß noch nicht, wann ich nach M[ünchen] gehe, aber jedenfalls mindestens einen Teil des Sommers. Alles hängt ja auch von dem Verlauf der ganzen Sache in V[ersailles] ab. Alles ist für Nicht-Unterzeich-

1 Max Weber war die Aufgabe zugedacht, zur Frage der Kriegsschuld Stellung zu nehmen. Vgl. dazu Einleitung, MWG I/16, S. 1–45, hier S. 24 ff., sowie den Brief an Friedrich Naumann vom 15. Mai 1919, unten, S. 616. 2 Nachgewiesen ist für den 13. Mai 1919 Max Webers Teilnahme an der ersten Sitzung der vom preußischen Ministerium des Innern einberufenen „Kommission zur Beratung der militärisch-politischen Bestimmungen, Gruppe Ostfragen ID Polen/Westpreußen“. Deren Aufgabe war es, die im alliierten Friedensvertragsentwurf enthaltenen Forderungen nach Abtretung deutscher Gebiete im Osten zu prüfen. Vgl. Einleitung, MWG I/16, S. 1–45, hier S. 26. 3 Möglicherweise bezieht sich Max Webers Zorn auf den aus Genf stammenden Gustave Ador. Dieser Schweizer Bundesrat verhandelte im April und Mai 1919 über die Modalitäten eines Beitritts seines Landes zum Völkerbund, dessen Sitz in Genf sein sollte. Vgl. Bonjour, Edgar, Geschichte der schweizerischen Neutralität, Bd. 2. – Basel: Helbing & Lichtenhahn 1967, S. 743 und 752–757. In einer Sitzung des Schweizer Bundesrats hatte Ador – wie die FZ, Nr. 335 vom 7. Mai 1919, Ab.Bl., S. 1, berichtete – die Ansicht vertreten, „daß die Alliierten den Interessen der Schweiz in weitgehendem Maße Rechnung tragen und ihren Wünschen wohlwollendes Interesse entgegenbringen werden. Ador wies darauf hin, daß die internationalen Verträge der Schweiz sich gut in den Rahmen des Völkerbundes einfügen würden und glaubt, daß es der Schweiz möglich sei, dem Völkerbund beizutreten“.

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nen.4 Die Ostmark wird zu den Waffen greifen (die sie hat) und der Reichsregierung den Gehorsam verweigerna, wenn sie unterschreibt.5 Das ist das einzig wirksame Mittel für den Osten – aber sonst? Ich sehe keinen Weg. Oh – es sieht in der Welt anders aus als in dem goldenen Himmel.6 Die Mutter soll recht schwach sein, ich fürchte, das Ende beginnt langsam. Das Alles ist recht hart und schwer. Bleibe mir gut, mein Kind, Dein M

a O: weigern 4 Noch am 12. Mai 1919 hatten Regierung und Nationalversammlung bei einer feierlichen Kundgebung in der Aula der Berliner Universität die Unannehmbarkeit der alliierten Friedensbedingungen beschworen. Vgl. Schulthess, 1919, Teil 1, S. 208–215. 5 Zur Möglichkeit eines militärischen Aufstandes der Ostprovinzen für den Fall der Annahme der Friedensbedingungen vgl. den Brief an Clara Mommsen vom 14. Mai 1919, oben, S. 612 f., Anm. 4. 6 Umschreibung für Mina Toblers Dachgeschoßwohnung in der Heidelberger Bismarckstraße 17.

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Friedrich Naumann 15. Mai [1919]; Berlin Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 8, Bl. 101 Das Jahresdatum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Zum Kontext, den alliierten Auslieferungsforderungen in den Artikeln 227–230 des Versailler Vertrages, vgl. den Brief an Erich Ludendorff vom 14. Mai 1919, oben, S. 605– 609. Nach der Darstellung bei Theodor Heuss (Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit. – Stuttgart und Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1937, S. 636–638) leitete Friedrich Naumann Webers Brief in Abschrift an den ehemaligen Reichskanzler Theobald v. Bethmann Hollweg weiter. In einem Begleitschreiben äußerte Naumann zwar die Überzeugung, die alliierten Auslieferungsartikel seien so empörend, daß sie für sich genommen für das deutsche Volk nie annehmbar seien. Er brachte aber dennoch Zweifel an der absoluten Unnachgiebigkeit der deutschen Parteien zum Ausdruck – wegen der bei einer Ablehnung des Vertrages oder einzelner Artikel zu befürchtenden „schweren Verwicklungen“. Angesichts dieser Lage müsse jede Möglichkeit ins Auge gefaßt werden, und keinesfalls dürfe „der Fall eintreten, wo sich im eigenen Volke Auslieferungsgedanken regen“ (zitiert nach ebd., S. 637). Naumann schloß, er wage nicht zu entscheiden, ob der ehemalige Reichskanzler überhaupt unter die Auslieferungsforderungen falle. Auch sei er erschüttert, „daß ich überhaupt der Übersender eines derartigen Briefes zu sein genötigt bin. Ich tue es aber aus Pflichtgefühl und ohne dabei irgendeinen Rat zu geben“ (zitiert nach ebd., S. 638).

z. Z. Berlin 15/V Lieber Freund!

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Ich habe heute,1 ehe ich nach Versailles abreise (wegen der „Schuld“Frage, wie ich höre) 2 an General Ludendorff einen ausführlichen Brief mit dem Ratschlag geschrieben: sich sofort in amerikanische Kriegsgefangenschaft zu begeben, mit der Erklärung: „alle angeblichen Völkerrechtsbrüche, wegen derera die ‚Auslieferung‘ des Kaisers und Anderer begehrt werde, habe – militärisch – er zu verantworten, man möge also mit ihm machen was man zu thun wagen werde.“ Entscheidend ist die innerpolitische Wirkung: die Führer müssenb „den Kopf hinhala O: deren b O: zweifach unterstrichen. 1 Webers Angabe, er habe „heute“ an Ludendorff geschrieben, läßt sich nicht definitv klären. Möglicherweise schrieb er den Brief an Naumann in der Nacht vom 14. zum 15. Mai 1919. 2 Am 13. Mai hatte Delegationsführer v. Brockdorff-Rantzau Max Weber (wie auch Hans Delbrück, Max Graf v. Montgelas und Albrecht Mendelssohn Bartholdy) telegraphisch nach Versailles bestellt, um an der deutschen Gegendarstellung zum alliierten Kommissionsbericht über die Kriegsschuldfrage mitzuarbeiten. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Johann Heinrich Graf v. Bernstorff vom 1. Mai 1919, oben, S. 596 f.

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ten“, das allein macht Eindruck bei den Massen (in der Zukunft, an die ich allein denke). Soll jemals der Generalstab und das Offi ziercorps auferstehen, dann ist dieser Schritt ganz unumgänglich, sein Unterlassen ein schweres, nie gut zu machendes Odium. Sonst heißt es stets: „wir büßen für siec“. Natürlich sollte der Kaiser das Gleiche tun. St. Helena3 – und wer denkt an so etwas?? – wäre besser als eine Flucht4 vor einer „Strafe“, auch für die Hohenzollern-Dynastie. Aber vor Allem für den Kaiser müssen die Andren es thun. Thut es Ludendorff, so thut es Tirpitz, Capelle, 5 Falkenhayn6 , Hoffmann,7 der ganze General- und Admiralstab auch. Aber: auch Herr v. Bethmann-Hollweg 8 sollte es thun. Sicher wird grade er ganz rein dastehen. Um so besser für uns. Mit Hochgenuß würde ich, als alter Advokat, ihn mit „verteidigen“ vor dem „Gericht“ der Feinde. Nur so ist innerpolitische Sanierung möglich, nicht durch „Denkwürdigkeiten“.9 Wir stehen vor dem Auslieferungs-Verlangen (Art 227 ff der „Bedingungen“).10 Wir sind ohnmächtig. Alle, die den U-Boot-Krieg gedeckt haben, müssen m. E. den Schritt thun. Für ihr eignes Andenken. Wollen Sie nicht Herrn v. B[ethmann] Mitteilung machen? Soll es gesche-

c Sie > sie 3 Anspielung auf die britische Insel St. Helena, auf die Napoleon Bonaparte nach seiner endgültigen Niederlage 1815 lebenslang verbannt wurde. 4 Vgl. Anm. 6 zum Brief an Erich Ludendorff vom 14. Mai 1919, oben, S. 608. 5 Vgl. den Brief an Erich Ludendorff vom 14. Mai 1919, oben, S. 609, Anm. 9 und 10. 6 Erich v. Falkenhayn, Generalstabschef von September 1914 bis August 1916, der auch für einen uneingeschränkten U-Boot-Krieg eingetreten war. 7 General Max Hoffmann, seit 1916 Stabschef beim Oberbefehlshaber Ost. Seine „Faustschlagrede“ in Brest-Litowsk wurde sprichwörtlich für die unnachgiebige Haltung der Heeresleitung bei den Friedensverhandlungen mit Rußland. 8 Theobald v. Bethmann Hollweg war als Reichskanzler 1909 bis 1917 nicht nur zentraler Entscheidungsträger in der Julikrise 1914, im Januar 1917 beugte er sich zudem dem Druck der Heeresleitung in der Frage des uneingeschränkten U-Boot-Krieges. 9 Möglicherweise eine Anspielung auf Bethmann Hollwegs „Betrachtungen zum Weltkriege“. Laut Theobald v. Bethmann Hollweg, Betrachtungen zum Weltkriege, Erster Teil: Vor dem Kriege / Zweiter Teil: Während des Krieges, hg. von Jost Dülffer. – Essen: Hobbing 1989, S. 19 und 39, erschien deren erster Band im Erstdruck im Mai/Juni 1919; im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel ist er aber erstmals am 27. Juni 1919 (Nr. 132, S. 5718) aufgeführt. 10 Vgl. hierzu Anm. 1 zum Brief an Erich Ludendorff vom 14. Mai 1919, oben, S. 605 f.

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hen, dann sofortd. Alle, die ich sprach, sind darin einig, daß dies allein ein wertvoller, uns gewaltig entlastender und rehabilitierender Schritt wäre.11 Herzliche Grüße! Ihr Max Weber

d O: zweifach unterstrichen. 11 Am 20. Mai richtete Bethmann Hollweg tatsächlich ein Telegramm an den Reichsminister des Auswärtigen und bat darin, den alliierten und assoziierten Mächten seine Bereitschaft zur Selbstauslieferung zur Kenntnis zu bringen. Ministerpräsident Scheidemann beantwortete noch am gleichen Tag Bethmanns Schreiben abschlägig, da die Reichsregierung es grundsätzlich ablehne, Deutsche einem „von den feindlichen Mächten eingesetzten Gerichtshof zu überliefern“. Zit. nach: Schulze (Bearb.), Das Kabinett Scheidemann, Dok. 80 (Sitzung vom 20. Mai 1919), S. 357 mit Anm. 7. Am 25. Juni wiederholte Bethmann in einem Schreiben an den Vorsitzenden der Friedenskonferenz, Georges Clemenceau, sein Angebot, sich als hauptverantwortlicher Politiker an Stelle des Kaisers auszuliefern. Dieses wurde von den Alliierten ebenso abgelehnt wie ein entsprechendes Angebot Paul v. Hindenburgs vom 3. Juli 1919 (Schulthess 1919, Teil 1, S. 268).

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Hans Delbrück 15. Mai 1919; BK Berlin Brief; eigenhändig SBPK zu Berlin, Nl. Hans Delbrück, Fasz. Max Weber Die einleitende Formulierung „ehe ich nach Versailles fuhr“ legt nahe, daß Max Weber nachfolgenden Brief auf dem Weg zur deutschen Friedensdelegation – auf dem Briefpapier des Hotels Habsburger Hof – verfaßte. Zum Kontext, den alliierten Auslieferungsforderungen in Artikel 227–230 des Versailler Vertrages, vgl. die Briefe an Erich Ludendorff vom 14. und an Friedrich Naumann vom 15. Mai 1919, oben S. 605–609 und 616–618.

Hotel Habsburger Hof Berlin S.W. 11, den 15. 5.1919 Sehr verehrter Herr Kollege,

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ehe ich nach Versailles fuhr, habe ich Ludendorff in sehr herzlicher Form gebeten: sich jetzt sofort |:bei:| den amerikanischen Grenzposten in amerikanische Gefangenschaft zu begeben mit der Erklärung an die Feinde: „er habe den Kaiser beraten, er sei verantwortlich, man möge – vorbehaltlich Schutz gegen Neugier und Insulte des Pöbels – gegen ihn verfahren wie man es glaube verantworten zu können.“ Nur dann könne das Offi ziercorps und der Generalstab künftig einmal im Herzen der Nationa auferstehen, nur dann die Redensart: „wir büßen für die Führer, die ihrerseits nicht ‚den Kopf hinhalten [‘] “, gänzlich vernichtet werden. Ich sei der Ansicht, daß Tirpitz, Capelle,1 die großen Armeeführer alle seinem Beispiel folgen würden. Er leiste dem Lande, der Dynastie, dem Offi ziercorps und seinem Andenken nur so den |:letzten:| entscheidenden Dienst, den er noch leisten könne. – Ich stehe mit dieser Ansicht nicht allein. – Naumann bat ich, Bethmann-Hollweg das Gleiche zu raten.2 Auch der Kaiser täte besser, ein „Elba“, selbst ein „St Helena“ zu riskieren, 3 als ein ruhmloses Ende als ein der „Strafe“ entronnener Flüchtling.4 Auch: im Interesse derb Dynastie – denn ich bleibe Anhänger der – streng parlamentarischen demokratischen Monarchie. – Wir können sie nicht schützen, also gebietet die Ehre den a 〈Ar〉 b 〈Demo〉 1 Vgl. den Brief an Erich Ludendorff vom 14. Mai 1919, oben, S. 609, Anm. 9 und 10. 2 Im Brief an Friedrich Naumann vom 15. Mai 1919, oben, S. 617 f. 3 Nach den Siegen der europäischen Koalition wurde Napoleon Bonaparte zunächst nach Elba verbannt, nach seiner Rückkehr und erneuten Niederlage 1815 auf die kleine Atlantikinsel St. Helena. 4 Vgl. den Brief an Erich Ludendorff vom 14. Mai 1919, oben, S. 608, Anm. 6.

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Schritt. Bei den Feinden verspreche ich mir (im Augenblick) nicht allzu viel davon, – aber: im Inland. Und darauf kommt Alles an. Bedingungslos sollte der Schritt geschehen. Könnten Sie nicht denen, die Sie kennen |:bzw. die Ihnen zugänglich sind, direkt oder indirekt:|, auch dazu raten? Der „Staatsgerichthof“5 ist für Ludendorff pp. reinste Farce. Natürlich wird er freigesprochen – ist es a priori – aber: was nutzt ihm und dem Offi ziercorps das? Die Linke und die Massen sagen: „aus nationalistischen Motiven“, „die großen Diebe . . .“ u. s. w. und dagegen kann man nichts machen. – In Verehrung Ihr Max Weber

5 Vgl. den Brief an Erich Ludendorff vom 14. Mai 1919, oben, S. 608, Anm. 8.

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Marianne Weber [19.] PSt Mai 1919; Versailles Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Der Poststempel weist den 20. Mai 1919 aus, aus der Tagesangabe „Montag“ ergibt sich der 19. Mai 1919 als Abfassungstag.

Versailles Hotel Vatel Montag Liebes Mädele, 5

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nach 2 Nächten und 1 Tag, übrigens so weit ganz bequem, kam ich Freitag hier früh an. Per Auto durch Paris, die Boulevards entlang, durch den Arc de Triomphe, Bois de Boulogne, St Cloud, hierher in diese Vergeltung.1 Man hat Raum im Park spazieren zu gehen, aber unbehagliche Zimmer und keinerlei ordentliche Räume, am wenigsten zum Schreiben. Morgen kommt H. Delbrück, übermorgen Montgelas, dann soll die „Schuld“-Note redigiert werden, deretwegen man mich hergeholt hat. 2 Vorher habe ich noch einige Verbesserungsvorschläge zur Ost-Note gemacht, 3 hoffentlich mit Erfolg. Jedenfalls mache ich bei der Schuld-Note nicht mit, wenn da Würdelosigkeiten beabsichtigt oder zugelassen werden. Vorgestern aß ich bei Brockdorff mit Simons zusammen. Br[ockdorff] macht einen guten Eindruck, ich bin gespannt, ob er auch fest ist. 1 Die Umstände der Unterbringung der deutschen Delegationsmitglieder und Sachverständigen in Versailles erhellen die Briefe des Generalkommissars der deutschen Delegation, Walter Simons, an seine Frau. Abgedruckt bei Luckau, Alma, The German Delegation at the Paris Peace Conference. – New York: Columbia University Press 1941, S. 115–134. 2 Zum Hintergrund der sog. Vierer- oder Professorendenkschrift, an der neben Max Weber die im Brief genannten Hans Delbrück, Max Graf v. Montgelas sowie Albrecht Mendelssohn Bartholdy mitwirkten, vgl. Editorischer Bericht zu „Bemerkungen zum Bericht der Kommission der alliierten und assoziierten Regierungen über die Verantwortlichkeiten der Urheber des Krieges“, MWG I/16, S. 298–323. 3 Max Weber war am 16. Mai 1919, noch am Tag seiner Ankunft in Versailles, zu den Beratungen der Delegierten und Sachverständigen über die „Ostfragen“ hinzugezogen worden. Die von diesen erarbeitete Note war als Antwort auf die im Vertragsentwurf der Siegermächte enthaltenen Forderungen nach umfangreichen deutschen Gebietsabtretungen gedacht. Da sich die Reichsregierung und die Friedensdelegation aber über den Inhalt der Note uneinig blieben und daher von einer Übergabe an die Siegermächte abgesehen wurde, sind Max Webers „Vorschläge zur Fassung der ‚Ost-Note‘, 16./17. Mai 1919“ (vgl. MWG I/16, S. 559–561), nicht im Wortlaut überliefert.

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Die Zersplitterung der Arbeit ist hier sehr groß und das Geschick im Redigieren sehr gering. Die Stimmung ist recht gedrückt. Die wirtschaftlichen Bedingungen sind, je näher man sie ansieht, desto mehr so furchtbar und so raffi niert, daß wenn sie auch nur zu 1/ 2 angenommen werden, man in der That nur in ein fi nsteres Loch sieht ohne allen noch so fernen Lichtblick. Was zu erreichen ist, ist sehr unsicher. Regierung und Delegation sind zur Ablehnung entschlossen, falls in den territorialen Fragen und in entscheidenden wirtschaftlichen Dingen nichts erreicht wird. – Daß übrigens in Bayern wieder mit den Arbeiterräten Unsinn getrieben wird und sie gesetzlich verankert werden,4 ist ein Skandal, man hätte wirklich Lust, die Sache den Leuten vor die Füße zu werfen. – Ich war 2 Tage durch fürchterlichen Katarrh außer Betrieb gesetzt, half mir durch starke Alcoholmengen (1 L Wein pro Tag, dazu noch Liköre, Kaffee pp), von denen ich nie geglaubt hätte, daß ich sie noch vertrüge. Aber der Zustand war nicht schön. „Billig“ ist es hier nicht. Zigarren, Kaffee, Schokolade, Bier, Wein kosten so viel Francs wie bei uns Mark Papier! Sollte man das glauben? Wie mag es Dir gehen, Liebste? Hoffentlich besser als wie ich fortging! Hat das Mittel geholfen? Ach wie sehr möchte ich das wünschen! Wie lange ich hier bleibe, weiß ich nicht. Wohl bis 22ten ca. Je nachdem fahre ich dann gleich nach Heidelberg oder gleich nach München oder erst nach Berlin. Es ist recht unbehaglich, so gar nicht zu wissen, was aus dem Sommer wird. Nun, es wird sich ja fi nden. – Verpflegung ist hier nicht üppig, aber gut; die Menschen, von denen man etwas hat, sieht man dagegen nur mit Mühe, denn Alles hat immer „zu thun“. Es umarmt Dich Dein Max.

4 Ministerpräsident Johannes Hoffmann hatte laut Bayerischer Staatszeitung, Nr. 124 vom 17. Mai 1919, S. 1, einen „Gesetzentwurf zur Regelung der Frage der Arbeiter- und Bauernräte“ angekündigt.

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Deutsche Friedensdelegation 21. Mai 1919; Versailles Brief; eigenhändig PA AA Berlin, Deutsche Friedensdelegation Versailles, Pol. 13, Bd. 2 Parallel zur Ausarbeitung der Denkschrift zur Kriegsschuldfrage (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 19. Mai 1919, oben, S. 621) wurde Max Weber in Versailles auch in die Beratungen über die deutsche Stellungnahme zu den Friedensbedingungen einbezogen. Diese „Zusammenfassende Stellungnahme“ zu dem am 7. Mai übergebenen Vertragstext sollte grundsätzlich dessen Unvereinbarkeit mit dem Notenwechsel im Vorfeld des Waffenstillstands darlegen, zugleich die völkerrechtliche Unrechtmäßigkeit wie praktische Unerfüllbarkeit einzelner Bestimmungen nachweisen (vgl. Editorischer Bericht zu „Entwurf zur Mantelnote zu der ,Zusammenfassenden Stellungnahme der Deutschen Friedensdelegation zu den Friedensbedingungen‘ vom 26. Mai 1919“, MWG I/16, S. 562–567). Belastet wurde die Arbeit an diesem zentralen Dokument durch schwerwiegende strategische Differenzen zwischen Delegation und Berliner Regierung. Erstere verfolgte das Ziel, durch Zugeständnisse doch noch Verhandlungen über Einzelbestimmungen des Vertragsentwurfs zu erreichen. Das Kabinett dagegen hielt die seitens der Delegation vorgeschlagenen Zugeständnisse (vgl. unten Anm. 3 und 5) mehrheitlich für unvertretbar (MWG I/16, ebd., S. 562 f.). Als ein Treffen des Delegationsleiters v. Brockdorff-Rantzau mit Reichsfinanzminister Bernhard Dernburg am 18. Mai keine Einigung erzielte, sandte die Delegation am 20. Mai ein scharfes Telegramm an Reichspräsident und Regierung. Darin bat sie „dringend“, den Standpunkt der Delegation anzunehmen. Andernfalls könne sie keinerlei Verantwortung übernehmen „[f]ür die Folgen, die eintreten würden, wenn die Verhandlungen hier scheitern, weil wir nicht befugt wären, die Zugeständnisse zu machen, die nach Deutschlands gegenwärtiger Lage unvermeidlich sind“ (zit. nach dem Telegrammtext vom 19./20. Mai, wie unten (Anm. 1), S. 56). Erst ein weiteres Treffen von Delegations- und Kabinettsvertretern am 23. Mai in Spa brachte eine gewisse Einigung (MWG I/16, ebd., S. 563 f.). Auf die im zitierten Telegramm ausgeführten finanziellen und militärischen Konzessionen bezieht sich Max Webers förmlicher Einspruch. Wie weitere Sachverständige hatte er am 21. Mai Einsicht in das Dokument erhalten und noch am selben Tag seinen Protest formuliert (ebd., S. 564 f.). Ungeachtet seiner entschiedenen Distanzierung wurde er im Anschluß nicht nur in eben jene Redaktionskommission berufen, die nach Beschluß vom 21. Mai für die „Zusammenfassende Stellungnahme“ eine knappe und möglichst wirkungsvolle Mantelnote ausarbeiten sollte. Er wurde darüber hinaus bei der wahrscheinlich am 26. Mai stattgehabten Kommissionsitzung damit betraut, einen von zwei alternativen Entwürfen für die Mantelnote auszuarbeiten. Webers nicht überlieferter, nach eigener Aussage sehr scharf gehaltener Entwurf (vgl. den Brief an Marianne Weber vom 30. Mai 1919, unten, S. 626) blieb letztlich aber ebenso unberücksichtigt wie der zweite Entwurf von Moritz Julius Bonn. Der endgültige Text der Mantelnote zur „Zusammenfassenden Stellungnahme“ basierte auf einem dritten, unter Walther Schükkings Leitung ausgearbeiteten Entwurf (MWG I/16, S. 565 f.). Letzterer wurde, nach abschließender Beratung in der Delegationssitzung vom 28. Mai, zusammen mit den deutschen Gegenvorschlägen den Alliierten am 29. Mai übergeben (endgültiger Notentext abgedruckt bei: Schwabe, Klaus (Hg.), Quellen zum Friedensschluß von Versailles (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit – Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 30). – Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1997, Dok. 110, S. 278– 283).

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Versailles 21/V 19 An die Friedensdelegation. Die aufl iegende Depesche nach Berlin1 entspricht den gestrigen Erörterungen2 insofern nicht, als 1) 60 Milliarden – 20 i. J. 1926, Rest nur in sehr langen unverzinslichen Raten – als Maximum bezeichnet wurden, falls eine bestimmte Summe genannt würde (unter schweren Bedenken vieler von uns) – 3 2) absolute Vorbedingung |:dafür:| das Fehlen jeder Knebelung der Wirtschaft, die Erstattung allen Privateigentums, die Rückgabe der entscheidenden Kolonien sein sollte, – 4 1 Vgl. Telegramm des Reichsministers des Auswärtigen von Brockdorff-Rantzau an das Auswärtige Amt (Paxkonferenz) vom 19. Mai 1919 (abgesandt am 20. Mai), in: Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945, Serie A: 1918–1925, Bd. 2: 7. Mai bis 31. Dezember 1919. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1984, Dok. 31, S. 54–56. 2 Die Teilnahme Webers an einer Sitzung am 20. Mai ist nicht dokumentiert. 3 Der Passus bezieht sich auf die vor allem von Carl Melchior und Max Warburg vertretene Strategie, durch Akzeptanz einer Reparationssumme von bis zu 100 Mrd. Mark Verhandlungen mit den Alliierten zu erreichen (vgl. Krüger, Peter, Deutschland und die Reparationen 1918/19. Die Genesis des Reparationsproblems in Deutschland zwischen Waffenstillstand und Versailler Friedensschluß. – Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1973, S. 187–191). Im Telegramm nach Berlin hieß es, man müsse praktische Vorschläge machen, die es den Alliierten erlaubten, darauf einzugehen. Dazu gehöre, bestimmte Ziffern zu nennen, die als „Höchstmaß“ in den Vertrag aufzunehmen seien: Die im Friedensentwurf genannten Summen von zwanzig, vierzig und eventuell weiteren vierzig Milliarden Mark müßten den Ausgangspunkt bilden, um dann durch „Änderung der Verzinsungsund Tilgungsbedingungen“ erträgliche Jahresbelastungen zu erreichen (Telegramm Brockdorff-Rantzaus vom 19./20. Mai 1919 (wie Anm. 1), S. 55). Gerade die Frage der Zahlungsfristen sowie der Verzinsung wurde auch beim Treffen von Delegation und Kabinettsmitgliedern am 23. Mai diskutiert (vgl. Krüger, Deutschland und die Reparationen, S. 199– 202). Die endgültige „Zusammenfassende Stellungnahme“ formulierte dann das Angebot, spätestens am 1. Mai 1926 20 Mrd. Goldmark zu zahlen, über den Rest der festgestellten Schadenssumme „Schuldurkunden auszufertigen und vom 1. Mai 1927 jährliche Abzahlungen darauf in zinsfreien Raten zu leisten [. . .]“. Allerdings solle die festzustellende Gesamtschadenslast 100 Milliarden Goldmark keinesfalls überschreiten (vgl. Die Gegenvorschläge der deutschen Regierung zu den Friedensbedingungen. Vollständiger amtlicher Text. – Berlin: Reimar Hobbing 1919, S. 61). Die Raten sollten einem bestimmten Prozentsatz der deutschen Staatseinnahmen entsprechen und in den ersten zehn Jahren 1 Mrd. in Gold nicht übersteigen (ebd., Mantelnote, S. 94). 4 Diese Vorbedingung(en) sind in der Depesche (wie oben, Anm. 1) nicht erwähnt. Sie beziehen sich auf die im alliierten Vertragstext enthaltenen Wirtschafts- und Handelsbeschränkungen (einschließlich der Bestimmungen über deutsches Privatvermögen im Ausland) sowie den geforderten Verzicht auf alle deutschen Kolonien (Art. 119). Die „Zusammenfassende Stellungnahme“ protestierte dann nachdrücklich gegen die diskriminierenden wirtschaftlichen Beschränkungen (vgl. Gegenvorschläge der deutschen Regierung

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3) den Gegnern gesagt werden sollte: alsa absolute Vorbedingung die Zulassung einer wirklichen Armee (Schweizer Miliz-System) von weit höherer Ziffer (genannt wurden 250 000 Mann) 5 angegeben wurde,b da sonst nicht die geringste Garantie für die Möglichkeit einer solchen „Auspressung“ Deutschlands gegeben sei. Gegen diese Fassung erhebe ich entschieden Einspruch, um nicht indirekt mit verantwortlich zu sein. Hochachtungsvoll Prof. Max Weber

a Alternative Lesung: daß b Defekte Satzkonstruktion. (wie Anm. 3), S. 49–54 und 72–75) und forderte, Deutschland müsse seine „wirtschaftliche Bewegungsfreiheit nach innen und außen“ zurückerhalten (ebd., Mantelnote, S. 94). Kritisiert wurde auch die im Vertrag vorgesehene Liquidation deutschen Privateigentums im Ausland (ebd., S. 52). Bezüglich der Kolonien erklärte die „Stellungnahme“ die Bereitschaft, diese sämtlich der Verwaltung des Völkerbundes zu unterstellen, wenn Deutschland als deren Mandatar anerkannt werde (ebd., Mantelnote, S. 94). 5 Im Telegramm hieß es, einer Herabsetzung der deutschen Heeresstärke auf 100 000 Mann sei grundsätzlich zuzustimmen, wenn der Völkerbund die deutschen Grenzen gewährleiste. Allerdings sei „für einen bestimmten Zeitraum im Hinblick auf die starke Erschütterung der inneren Ordnung Deutschlands eine höhere Jahresziffer zu beanspruchen“. Zitiert nach: Telegramm Brockdorff-Rantzaus vom 19./20. Mai 1919 (wie Anm. 1), S. 56. In der „Zusammenfassenden Stellungnahme“ blieb es bei der so formulierten Selbstbeschränkung. Als Voraussetzung hierfür und für die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht wurde eine sofortige gleichberechtigte Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund genannt, außerdem die Aussicht auf baldige allgemeine Rüstungsbeschränkungen (vgl. Gegenvorschläge der deutschen Regierung (wie Anm. 3), S. 22 f. und 93 f. (Mantelnote)).

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Marianne Weber [30. Mai 1919]; Berlin Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Freitag“ und im Zusammenhang mit dem Brief an Mina Tobler vom 1. Juni 1919, unten, S. 631 f.

Habsb[urger] Hof Freitag Liebstes Mädele, so – nun fahre ich morgen nach München (ja Du lachst natürlich, ich weiß es schon!), – um 1) Kollegfrage 2) Gehaltsüberweisungen zu regeln 3) a Pensionszimmer zu nehmen 4) b für die Zeit von etwa dem 10–20 Juni einen ganz stillen Winkel, ohne Kollegen, Freundinnen, Bücher u. s. w. zu suchen, wo ich mich hinlege und alle Viere von mir strecke.1 Montag Abend denke ich nach Heidelberg abzufahren, spätestens Dienstag früh. Mit der „Politik“ ist jetzt „Schluß“. – Oh es war scheußlich in Versailles. Um nichts hat man mich gefragt (d. h. maßgeblich gefragt) und zuletzt stellte man dann doch die Zumutung: „jetzt schreiben Sie die Einleitung zu diesem Entwurf“. 2 Ich habe das so gethan, daß ich wußte: das nehmen sie nicht. Denn wie kann man, wenn man nicht weiß, wie diese z. T. unglaublichen Anerbietungen (100 Milliarden! Heeres-Auflösung!) entstanden sind und – – 3 Stunden Frist erhält??3 – Und wie soll ich dem Grafen Brockdorff auf seine Frage: „was soll geschehen“? antworten, wenn er mir nicht sagen kann, was das Kabinett für den Fall der Ablehnung eigentlich vorbereia O: 2) b O: 3) 1 Max Weber mietete sich für einige Tage in der „Kornmühle“ in Wolfratshausen ein. Vgl. den Brief an Else Jaffé vom 12. Juni 1919, unten, S. 641. 2 Max Weber bezieht sich hier auf seine Aufgabe, für die „Zusammenfassende Stellungnahme der Deutschen Friedensdelegation zu den Friedensbedingungen“ einen Entwurf der Mantelnote zu verfassen. Vgl. MWG I/16, S. 562–567, sowie seinen Brief an die Deutsche Friedensdelegation vom 21. Mai 1919, oben, S. 623–625, insbes. die Editorische Vorbemerkung. Max Webers Entwurf ist nicht überliefert (vgl. MWG I/16, S. 566). 3 Vgl. hierzu den Brief an die deutsche Friedensdelegation vom 21. Mai 1919, oben, S. 623–625, sowie MWG I/16, S. 562–567.

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30. Mai 1919

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tet hat? Ob es fest bleiben wird? Dieser zarte weiche Mensch, ohne Arbeitskraft, ohne feste Faust, ohne Schlagfertigkeit, wie soll der Erzberger4 gegenüber aufkommen? Ich konnte einfach nicht schreiben, denn man war den ganzen Tag in (sterilem!) „Betrieb“ in der „Schuld“Frage. Das entstandene Dokument5 ist sehr „mäßig“, ich stehe sehr ungern darunter. – Ich werde im Sommer in München nur „Anleitung zu wissensch[aftlichem] Arbeiten“ ankündigen und vielleicht 1 Stunde „Publikum“.6 Lesen muß ich, da jeder Vorwand fehlt, es zu unterlassen. – Es sei denn, wir werden „besetzt“.7 Es umarmt Dich Dein Max

4 Matthias Erzberger (Zentrum) war als Reichminister ohne Portefeuille im Kabinett Scheidemann verantwortlich für alle Waffenstillstandsfragen. Er befürwortete im Gegensatz zu Außenminister Ulrich Graf v. Brockdorff-Rantzau die Annahme des Versailler Vertrages. Vgl. Schulze (Bearb.), Das Kabinett Scheidemann, S. LIX. 5 Gemeint sind die „Bemerkungen zum Bericht der Kommission der alliierten und assoziierten Regierungen über die Verantwortlichkeiten der Urheber des Krieges“, MWG I/16, S. 324–351. Zur Entstehungsgeschichte vgl. den Editorischen Bericht, ebd., S. 299–323. 6 Zu Max Webers Veranstaltungsangebot im Sommerhalbjahr 1919 vgl. den Brief an Marianne Weber vom 16. Juni 1919, unten, S. 647. 7 Die Ablehnung des Friedensvertrags hätte die Wiederherstellung des Kriegszustandes und die Gefahr eines alliierten Einmarsches in Deutschland bedeutet. Für diesen Fall erörterte das Kabinett am 28. Mai 1919 Maßnahmen. Vgl. Schulze (Bearb.), Das Kabinett Scheidemann, S. LIX f., sowie Dok. 89, S. 385–390, hier S. 386 f. Zur erwarteten Besetzung Süddeutschlands, ebd., Dok. 96, S. 410 f.