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German Pages 306 [310] Year 2012
Christiane Wiesenfeldt Majestas Mariae
Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft -------------------------------------------herausgegeben von Albrecht Riethmüller in Verbindung mit Ludwig Finscher, Hans-Joachim Hinrichsen, Birgit Lodes und Wolfram Steinbeck Band 70
Christiane Wiesenfeldt
Majestas Mariae Studien zu marianischen Choralordinarien des 16. Jahrhunderts
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-10149-3 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2012 Satz: Mathias Brösicke, Dematon Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Printed in Germany
INHALT
Vorwort
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KAPITEL 1 Einleitung Problemstellung – Forschungsstand – Methode
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KAPITEL 2 Geschichtsbilder der polyphonen Messe 2.1. Die Idee vom Zyklus 2.2. Funktion als Beschränkung 2.3. Der emanzipierte Komponist
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KAPITEL 3 Alternative: Das Konzept des artifex divinus 3.1. Messkomposition als res sacra 3.2. Künstlerisches Leitmotiv: Reputationsgewinn 3.2.1. Historische Rückversicherung: Der Imitator 3.2.2. Funktionale Dienstbarkeit: Der „Ruhmverleiher“ 3.2.3. Künstlerische Profilbildung: Der Schöpfer
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KAPITEL 4 Maria als religiöses und künstlerisches Motiv bis 1600 4.1. Ekklesiologische Grundlagen: Mater Christi – Mater Credentium – Mater Ecclesia
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Inhalt
4.2. Medien des Marienlobs: Liturgie – Feste – Literatur – Kunst – Musik 4.3. Kirchengeschichtliche Horizonte: Maria im konfessionellen Zeitalter 4.4. Musikalische Konsequenzen: Das Zentralmotiv der mediatrix im Gloria de Beata Virgine
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KAPITEL 5 Gloria-Konzeptionen der Missa de Beata Virgine im 16. Jahrhundert 5.1. Pierre de la Rues ‚margaretische‘ Mission 5.2. Funktionalismen: Die alternatim-Konzepte Heinrich Isaacs 5.3. Profil und Tradition: Rom 5.3.1. Josquin Desprez ‚komponiert‘ Geschichte 5.3.2. Referenzielle Vielfalt bei Giovanni Pierluigi da Palestrina 5.4. Universalismus und Nationalismus: Spanien 5.4.1. Cristóbal de Morales zwischen Spanien und Rom 5.4.2. Kultur im Transfer bei Francisco Guerrero 5.5. Konfessionswirren in Aachen 5.6. Montagen in Mantua 5.7. ‚Gattungsdämmerung‘ in Portugal?
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KAPITEL 6 Perspektiven
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VERZEICHNISSE I.A I.B II. III.
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Systematisch-chronologisches Verzeichnis der Missae de Beata Virgine Weitere, einzelüberlieferte Gloriae de Beata Virgine Systematisches Quellen- und Literaturverzeichnis Personenregister mit integriertem Werkregister
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VORWORT Die vorliegende Studie entspricht bis auf wenige Korrekturen der im Oktober 2010 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eingereichten Habilitationsschrift im Fach Historische Musikwissenschaft. Literatur, die nach dem Abschluss des Verfahrens im Juni 2011 erschienen ist, konnte für die Drucklegung entsprechend nicht mehr berücksichtigt werden. Auch ist zu vermuten, dass sich in Zukunft noch weitere Marienmessen des behandelten Typs anfinden werden; noch kurz vor der Abgabe des Manuskriptes wurde die bislang unbekannte Marienmesse Thomas Stoltzers in einem Archiv in Brno / Tschechien entdeckt, sie konnte noch aufgenommen werden. Das diese die letzte ihres Typs gewesen sein soll, ist mehr als fraglich; entsprechend versteht sich das abschließende Verzeichnis als langfristig zu revidierender Zwischenstand. Eine umfangreiche Quellenstudie wie diese ist ohne die Unterstützung und den Diskurs eines Kollegenkreises kaum denkbar. Angefangen bei der Materialsuche und -bereitstellung über die Diskussion von Gattungs- und Analysefragen bis hin zu interdisziplinären Wegen in die Mariologie sowie die Kunst-, Liturgie- und Kirchengeschichte haben zahlreiche Freunde und Förderer die fünfjährigen Arbeiten begleitet, denen mein ausdrücklicher und herzlicher Dank gilt. Thematisch flankierende Kongresse, die in der Projektlaufzeit zu Komponisten wie Heinrich Isaac, Cristóbal de Morales, Josquin Desprez und Tomás Luis de Victoria veranstaltet oder als Referentin besucht wurden, sowie die jährlichen aktiven Teilnahmen an der renommierten Medieval & Renaissance Music Conference seit 2006 haben auch im internationalen Kollegenkreis immer wieder die Möglichkeit geboten, Thesen und Analysen zur ergiebigen Diskussion zu stellen und darin zu schärfen. Unter den vielen, die das Thema befruchtend und ermutigend begleitet haben, sind einige Namen besonders hervorzuheben, was mir im Folgenden zu tun eine Freude ist: Nors S. Josephsons US-amerikanische Dissertation von 1970 zur Missa de Beata Virgine bot nicht nur den Anreiz, das Thema weiter auszuschreiten. Ihr Autor, der mittlerweile in Deutschland lebt, engagierte sich zudem persönlich für die Fortführung seiner Forschungen. Seiner Aufgeschlossenheit auch gegenüber der Revidierung mancher seiner Thesen gilt mein besonderer Respekt. Gleiches gilt für meinen verehrten Doktorvater Friedhelm Krummacher (Universität Kiel) und Ludwig Finscher (Universität Heidelberg), deren inspirierende Gattungsstudien für die Historische Musikwissenschaft so nachhaltig wurden, dass sie das Potenzial zu ihrer generationenübergreifenden Flexibilisierung gleich in sich trugen. Die vorliegende Studie verdankt diesen exzellenten Arbeiten und ihren Autoren sehr viel, wenn sie auch im Falle ihres Gegenstandes die Gattungsgeschichte vorrangig in kontextueller Perspektive wahrnehmen muss und möchte. Zu den Diskutanten der ersten Stunden der Projektidee nach der Promotion gehörten zudem Siegfried Oechsle (Universität Kiel), Klaus-Jürgen Sachs (Universität Erlangen-Nürnberg)
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Vorwort
und Manuel Gervink (Hochschule für Musik Dresden): Allen dreien sei nachdrücklich für einen intensiven Austausch gedankt, der vieles erst auf das Gleis zu setzen vermochte. Die Kontakte zur Theologie gestalteten sich sodann seit Projektbeginn als durchweg gewinnbringend: Zu danken ist zunächst Wolfgang Beinert (Universität Regensburg, Katholische Theologie), der als Fachmann für Dogmatik und Dogmengeschichte kundige Beratung beisteuerte, und sodann dem Vorstand des Internationalen Mariologischen Arbeitskreises Kevelaer e.V., besonders Klaus Meise, für freundliche Vortragseinladungen und anregende Gespräche zur Marienverehrung aus frömmigkeitsgeschichtlicher Perspektive. Das Kapitel zur Marienverehrung verdankt zudem Stefan Samerski (LMU München, Katholische Theologie) wertvolle Impulse. Unter den Freunden und freundschaftlich verbundenen Kollegen sei Cristina Urchueguía (Universität Bern) für Hilfestellungen bei der Quellenbeschaffung insbesondere spanischer Provenienz herzlich gedankt, ebenso Michael Noone (Boston College, Massachusetts) und David Burn (Katholieke Universiteit Leuven) für die Versorgung mit neuen Quellen aus aller Welt, die das Spektrum der Werkgruppe bisweilen in einem beängstigenden Tempo weiteten. Jürgen Heidrich (Universität Münster), der die Studie schließlich als Habilitationsschrift annahm, stand ebenso unermüdlich für gewinnbringende Diskussionen zur Verfügung wie Ulrich Konrad (Universität Würzburg), Christian Thomas Leitmeir (University of Bangor, Wales), Birgit Lodes (Universität Wien), Laurenz Lütteken (Universität Zürich) und Oliver Huck (Universität Hamburg). Wolfgang Fuhrmann (Universität Wien) schließlich ist der schöne Einleitungssatz des ersten Kapitels zu danken, ein Satz, dessen Güte schlicht nicht zu überbieten ist und der deshalb so stehen bleiben darf und soll. Mein abschließender Dank gilt Albrecht Riethmüller (Freie Universität Berlin), der sich freundlich für die Aufnahme der Studie in die Reihe der Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft aussprach. Mein Mann Mathias hielt es nicht nur jahrelang mit einer Frau aus, die von Wallfahrtsorten, Transzendenz und Marienlyrik redete und in Archiven und Klöstern in aller Welt nach Marienmessen fahndete. Auch ließ er es sich als Grafiker nicht nehmen, das Buch bis zum Schluss zu begleiten und ihm seine professionelle Innenoptik zu verleihen. Aus diesen und vielen anderen Gründen ist ihm dieses Buch in Liebe und Dankbarkeit gewidmet.
Lübeck, im Februar 2012
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KAPITEL 1 EINLEITUNG: PROBLEMSTELLUNG – FORSCHUNGSSTAND – METHODE Keine Frau in der europäischen Musikgeschichte ist öfter und inbrünstiger besungen worden als die Jungfrau Maria. So verwundert nicht, dass die bislang als größte polyphone Messengruppe der frühen Neuzeit bekannte „Messe vom bewaffneten Mann“ (Missa L’homme armé) in der „Messe von der schönen Jungfrau“ (Missa de Beata Virgine) ein lange unterschätztes, weibliches Pendant hat. Gilt jene allerdings als Inbegriff der künstlerischen Einkomposition weltlicher Sphären (hier: Kreuzzug- und Ritter-Topos) in das Messformular, so verfolgt diese weniger das Ziel der spektakulären ästhetischen Konfrontation höfischer und liturgischer Kontexte als jenes der musikalischen Erfüllung kirchenprotokollarischer Pflichten. Marienfeste gehörten seit jeher zum festen liturgischen Kanon. Wenn sich nun – nach der geläufigen These – „die Messe als musikalisches Kunstwerk“1 im Wesentlichen erst in zyklischer Rahmung diskrepanter Sinnebenen im späten 15. Jahrhundert realisiert, ihr Gegenstand aber, das Messordinarium, mitnichten an diese Zeit und schon gar nicht an diesen Vertonungstypus gebunden ist, so ist zu fragen: Was war die Messe vor und neben „der Messe“? Diese Frage kann auf vielerlei Arten beantwortet werden, von denen hier mit den marianischen Choralordinarien der Missa de Beata Virgine ein ebenso bezugsmultipler wie großer Bestand zum Diskussionsobjekt gewählt wird. Denn trifft es zunächst einmal zu, dass die musikhistorische Bedeutung einer Gattung nicht unwesentlich von Kriterien wie ihrer Anzahl und ihren prominenten Beiträgern abhängt, so dürfen die im Verlauf dieser Studie eruierten 70 Missae de Beata Virgine der 1490er bis 1630er Jahre – zzgl. weiterer 24 einzelüberlieferter Gloriae, die mit dem Tropus Spiritus et alme das marianische Markenzeichen der Messe tragen2 –, umstandslos als signifikant bezeichnet werden. Fast alle bekannten Komponisten haben mindestens ein Werk dieser Gruppe vorgelegt, und dass ihre Statistik mühelos jene knapp 50 L’homme armé-Zyklen3 der Messengeschichte überragt, soll kaum eine Neufassung historiographisch ohnehin zweifelhafter Gattungs-Ranglisten anregen, als vielmehr deutlich machen, dass der Blick auf nur eine Linie der Messvertonung noch lange keine Rückschlüsse über deren historische Relevanz oder gar Dominanz erlaubt. Denn nicht nur numerisch ist das Bild von der polyphonen Messvertonung im 16. Jahrhundert zu korrigieren, wenn die Missae de Beata Virgine geschlossen in den 1 2 3
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Ludwig Finscher: Die Messe als musikalisches Kunstwerk, in: Neues Handbuch der Musikwissenschaft Bd. 3 /1, Laaber 1989, S. 193–276. Vgl. zu den Werken im Einzelnen Verzeichnis I. Alejandro Enrique Planchart: The Origins and Early History of „L’homme arme“, in: The Journal of Musicology 20 (2003), Nr. 3, S. 306.
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Kapitel 1
Blick rücken: Mit ihrer Orientierung am satzweise wechselnden Kirchenchoral und den liturgischen Marienfesten werden hier Formen und Funktionen akzentuiert, die man aus der Sicht des originalitätsästhetisch aus Form und Funktion ja gerade herausdrängenden „musikalischen Kunstwerks“ als konservativ bis retrospektiv, mindestens aber als künstlerisch unambitioniert begreifen müsste. (In dem Maße, wie der Kontext der Messe ihre Struktur determinierte, wäre ihre musikalische Qualität nach klassischer Sicht als zumindest eingeschränkt zu verstehen.) Angesichts der bloßen Anzahl der Missae de Beata Virgine ausgewiesener Komponisten mutet dies freilich paradox an, selbst wenn man geneigt wäre, Thrasybylos Georgiades’ mittlerweile obsolete Teilung der musikalischen Realität in Gebrauchs- und Kunstmusik zu akzeptieren. Zu hinterfragen sind also mit dem Fokus auf dieses große, bedeutsame Repertoire nicht nur generelle formale Prämissen der Messinterpretation, sondern auch ihre funktionalen Parameter, was ebenso die grundlegende kritische Diskussion gängiger Geschichtsbilder der polyphonen Messe bedingt (Kapitel 2) wie den konzeptionellen Entwurf eines angemessenen Interpretationshorizonts, der dem Gegenstand – auch und vor allem in seiner historischen Perspektive – gerecht wird (Kapitel 3). Ob diese Konzeption, die ihre Anregungen in den Nachbardisziplinen der Kunstgeschichte, Philosophie, Theologie und Literaturwissenschaft sucht, für die Gattung der polyphonen Messe per se geeignet sein mag, geht über den Horizont der vorliegenden Arbeit hinaus und ist bereits Teil ihrer Rezeption. Seitens der Messenforschung wurde bislang nur vereinzelt in die Richtung einer „ideologiefreien“ Kunstwerkbetrachtung vorgestoßen.4 Dabei war die seit den 1980er Jahren vorwiegend im angloamerikanischen Raum beheimatete Renaissancemusik-Forschung von Beginn an eher kontextuell ausgerichtet, entstanden und entstehen dort doch vielfach maßgebliche Arbeiten regional-, personal- oder epochenhistorischer Orientierung.5 Dennoch erhielten auch die Missae de Beata Virgine nur am Rande und unter Annahme einer weitaus knapperen Werkzahl Beachtung.6 Zwar galt der Rang einzelner Messen im Rahmen von Kompendien 4
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Zumindest zeichnet sich in den zunehmenden Studien zum Kontext der Musik in der Renaissance, vor allem auf institutionsgeschichtlicher Basis, ein Trendwechsel in der Betrachtung des „musikalischen Kunstwerks“ ab. Ohne hier erschöpfend alle Beiträge zu diesem Perspektivenwechsel benennen zu können, die zumal eher weniger auf die Musik denn die Kontexte eingehen, sei verwiesen auf die grundlegenden Arbeiten von Björn Tammen: Musik und Bild im Chorraum mittelalterlicher Kirchen, 1100–1500, Berlin 2000, oder Klaus Pietschmann: Kirchenmusik zwischen Tradition und Reform. Die päpstliche Kapelle und ihr Repertoire im Pontifikat Pauls III. (1534–1549), Vatikanstadt 2007. Vgl. auch die aktuell erschienene Dissertation von David Rothenberg: The Flower of Paradise: Marian Devotion and Secular Song in Medieval and Renaissance Music, New York 2011. Wissenschaftshistorisch nachhaltig wirksam hier vor allem die Studien von Lewis Lockwood (Music in Renaissance Ferrara 1400–1505. The Creation of a Musical Centre in the Fifteenth Century, Oxford 1984) und Reinhard Strohm (Music in Late Medieval Bruges, Oxford 1985, 21990). Wirksam wurden ebenso Gustave Reeses Studie Music in the Renaissance (New York 1954) oder auch – vergleichsweise neu – Leeman L. Perkins: Music in the Age of the Renaissance, New York [u. a.] 1999. Zu nennen sind hier die unpublizierte Dissertation von Nors Sigurd Josephson (The Missa de Beata Virgine of the Sixteenth Century, Diss. Berkeley 1970), der noch von ca. 40 Werken ausging, sowie seine beiden daran anknüpfenden Aufsätze (Zur Geschichte der Missa de Beata
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Einleitung
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als unbestritten7, und dies ebenfalls in deutschsprachigen Veröffentlichungen8, doch ungeklärt blieb stets, ob es sich um Sonder- oder „Problemfälle“9, also eine Ansammlung von situativ zu deutenden Unikaten, oder doch um eine irgendwie kommunizierte Gruppierung künstlerisch und gattungshistorisch ambitionierten Niveaus handelte. Nicht selten standen die Missae de Beata Virgine zudem unter Qualitätsverdacht: Ihre rituelle Provenienz legitimierte – wie schon angedeutet – die Annahme, es handele sich eher um funktionale Gebrauchs- oder gar Gelegenheitsmusik, denn um ernstzunehmende Kunstwerke ‚autonomen‘ Zuschnitts.10 Dazu trug wesentlich bei, dass ihre Anlage als Choralordinarium eben nicht jene zum Ideal der Gattung Messe postulierte Zyklusidee unter Verwendung einer gemeinsamen (zumeist „weltlichen“) Melodievorlage, sondern das Choralordinarium mit wechselnden Vorlagen bediente. Die zahlreichen Versuche der Musikforschung, in diesen formal und modal disparaten Modellen dennoch (eben versteckte) zyklische Ambitionen zu vermuten, was zum Teil zu diffusen analytischen Schlussfolgerungen führte11, sprechen für sich. Dass der kompositorische Rang der Werke sich obendrein schlecht mit dem Etikett des „bloß Zweckmäßigen“ überein bringen ließ, trat erschwerend hinzu.
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Virgine, in: KmJb 57 [1973], S. 37–43; Kanon und Parodie. Zu einigen Josquin-Nachahmungen, in: TVNM 25, 1 [1975], S. 23–32), in denen das derzeit überhaupt erreichbare Repertoire erstmals erschlossen und kommentiert verglichen wurde. Des Weiteren entstanden die ebenfalls unpublizierten Dissertationen von G. Edward Bruner (Editions and Analysis of Five Missa Beata Virgine Maria by the Spanish Composers: Morales, Guerrero, Victoria, Vivanco and Esquivel, Diss. University of Illinois, 1980) und Lawrence T. Woodruff (‚Missae de Beata Virgine‘ 1500–1520. A study of transformation from monophonic to polyphonic modality, Diss. Ann Arbor 1986), die sich jeweils editorischen bzw. musiktheoretischen Aspekten eines kleinen Teilrepertoires widmeten. Vgl. etwa ausgehend von Josquin Deprez’ fraglos bedeutendem Gattungsbeitrag Gustave Reese: The Polyphonic „Missa de Beata Virgine“ as a Genre: The Background of Josquin’s Lady Mass, in: Josquin des Prez, hrsg. von Edward E. Lowinsky, London 1976, S. 589–598. Vgl. als „Klassiker“ der deutschen Josquin-Forschung Helmuth Osthoff: Josquin Desprez, 2 Bde., Tutzing 1962, insbes. Bd. 1, S. 171–201. So Ludwig Finscher zur Missa de Beata Virgine von Josquin in: Art. Josquin Desprez, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume, zweite neubearbeitete Ausgabe hrsg. von Ludwig Finscher, Personenteil Bd. 9, Kassel 2003, Sp. 1261. Dazu zuletzt Alejandro Planchart: „In the choice of plainsong cantus firmi the liturgical purpose seems to have been paramount, in: Masses on Plainsong Cantus Firmi, in: The Josquin Companion, hrsg. von Richard Sherr, Oxford 2000, S. 89–150. Auf Friedrich Blume, der bereits 1950 die Einheit eben „außerhalb des Kunstwerks in der liturgischen Messenmelodie“ vermutete (Vorwort zur Edition der Missa de Beata Virgine [= Das Chorwerk 42], Wolfenbüttel 1950), folgten Leeman L. Perkins (1973) und Carl Dahlhaus (1979), die – unabhängig voneinander – aufgrund verwandter Binnenfinali in den Sätzen Verbindungen erkannt hatten, die sie als zyklische Realisation „unter erschwerten Bedingungen“ deuteten (Leeman L. Perkins: Mode and Structure in the Masses of Josquin, in: JAMS 26, Nr. 2 [1973], S. 189–239; Carl Dahlhaus: Miszellen zu einigen niederländischen Messen, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 63/64 [1979/80], S. 1–7), sowie 1989 Ludwig Finscher, der vermutete, Josquins Missa de Beata Virgine gäbe schlichtweg „die Idee der musikalischen Einheit der liturgischen Bestimmung“ preis (wie Anm. 1), S. 231. Vgl. dazu im Einzelnen Kap. 2.1. Die Idee vom Zyklus.
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Kapitel 1
Dabei blieb der für die Annäherung an die Werke und Werkgruppe geradezu auf der Hand liegende Zugriff über die kontextuellen Aspekte und Mechanismen der Marienverehrung, die womöglich für zahlreiche, wenn nicht sogar die meisten Reibungsflächen des Problemkreises verantwortlich zeichnet, bislang merkwürdig im Hintergrund. Immerhin verfügen die in Rede stehenden Messen über einen expliziten, bereits angedeuteten marianischen Textzusatz im Gloria, der damit zu ihrem Kernsatz avanciert und kontextübergreifende, symbolische Interpretationen geradezu herausfordert.12 Relationen zwischen Marianik und Musik sind in der Musikwissenschaft überhaupt nur in Ansätzen thematisiert worden13 – am ehesten noch vermittelt durch die Kunstgeschichte, die den bildhaften Bezug von Kompositionen oder kostbaren Musikhandschriften (etwa aus der Alamire-Werkstatt14) zu theologischen Motiven des Öfteren schon aufschlussreich akzentuiert hat.15 Der Versuch, diesen Fokus musikologisch zu schärfen, der musikhistorischen Sicht auf diese außergewöhnliche Gattung also gleichermaßen mariologische wie marianische Perspektiven zur Seite zu stellen, erhält seinen Sinn aber nicht nur in der interpretatorischen Differenzierung des frömmigkeitsgeschichtlichen Horizonts, dem sich die Werke überhaupt erst verdanken und in dem sie sich sinnstiftend verankern. Vielmehr ist die tiefe Verwurzelung der Missae de Beata Virgine in der Marianik der Zeit gleichsam ihr Profilierungsmaßstab, soll heißen: In dem Maße, in dem die Marienverehrung kirchlich legitimiert als künstlerisches Medium Profil bekam, darf man annehmen, dass auch in der musikalischen Struktur, und nicht nur im Titel der Missae de Beata Virgine marianische Profilbildungen qua Symbol ihren Platz haben. Das gilt freilich erstrecht, wenn man aus der Perspektive der ästhetischen Theologie akzeptiert, dass die Liturgie „die früheste Schicht des Symbolischen bildet“16. Und gelingt es, dieses Symbol zu identifizieren und als Voraussetzung und Gestaltungsmittel der Komposition eines Gattungsbeitrages zu legitimieren, so wäre anschließend zu fragen, inwieweit seine Strukturen mit jenen des marianischen Selbstverständnisses des 16. Jahrhundert deckungsgleich sind, 12 13
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Zudem liegt zur Frühgeschichte des Tropus eine grundlegende Arbeit vor, die herangezogen werden kann: Bernhold Schmid: Der Gloria-Tropus Spiritus et alme bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, Tutzing 1988. Publikationen wie Modell Maria: Beiträge der Ringvorlesungen Gender Studies an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, hrsg. von Beatrix Borchard [u. a.], Hamburg 2007, bieten hierzu erste themenübergreifende, hier allerdings primär an genderspezifischen Fragestellungen orientierte Ansätze zu marianischer Musik, Frömmigkeit und Darstellungsästhetik. Wissenschaftlich dagegen unergiebig erscheint Gero Vehlows allgemein gehaltene, eher theologisch ambitionierte Studie Maria in der Musik, Köln 2007, die sich um eine zusammenfassende Darstellung der einzelnen Gattungen und ihrer Aktualität bemüht. Etwa Herbert Kellman: The Treasury of Petrus Alamire. Music and Art in Flemish Court Manuscripts 1500–1535, Chicago 1999. Vgl. Bojan Buji: Josquin, Leonardo, and the „Scala Peccatorum“, in: International Review of the Aesthetics and Sociology of Music, Vol. 4, No. 2. (December 1973), S. 145–163, oder auch – in größerem Zusammenhang – Jörg Traeger: Renaissance und Religion. Die Kunst des Glaubens im Zeitalter Raphaels, München 1997. Günter Bader: Ästhetik als symbolische Theologie. Zur Ästhetik vor der Ästhetik, in: Konrad Stock, Michael Roth (Hrsg.): Glaube und Schönheit. Beiträge zur theologischen Ästhetik (= Beiträge zur Theologie und Religionsphilosophie 4), Aachen 2000, S. 81.
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Einleitung
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inwieweit also theologische Implikationen der Marianik strukturstiftend in der Musik wirksam werden. In so einem Modell wären die Marienmessen Teil des theologischen Konsenses und die marianische Akzentuierung in ihnen die sinnstiftende symbolische Formel. Um dies näher in Augenschein zu nehmen, erscheint vorerst eine Untersuchung religiöser und künstlerischer Marienmotive bis 1600 notwendig (Kapitel 4). Die Zusammenschau verfolgt trotz des voluminösen Zeitrahmens kaum den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern benennt wesentliche Stadien des Marienbildes und seiner liturgischen sowie volksfrömmigen Positionierung, auch und vor allem, um der bislang in der musikologischen Forschung eher vage formulierten These der „allgemeinen Zunahme der Marienverehrung im 15. und 16. Jahrhundert“, mit der man bislang die Ausdifferenzierung der marianischen Musikgattungen im 15. Jahrhundert begründete, ohne dies allerdings zu hinterfragen, kirchenpolitische Fakten beiseite- und entgegenzustellen. Dass die Marienverehrung sich bei genauerer Betrachtung als äußerst differenziertes und keineswegs widerspruchsfreies Feld erweist, in dem sich aus theologischen Gründen Förderung und Eindämmung stets die Waage zu halten hatten, sei zumindest schon einmal angedeutet. (In diesem Zusammenhang relativieren sich auch rasch die mindestens ebenso weit verbreiteten Ansichten, dass der Marienverehrung im Rahmen der Tridentinischen Reformen aufgrund der konfessionellen Auseinandersetzungen angeblich eine Vorrangstellung zugekommen sei, was mitnichten der Fall war.) Mit dem Rekurs auf die Urkirche kann dabei zugleich das grundlegende und für die institutionelle Identifikation der Kirche mit Maria (und damit auch den ihr gewidmeten Künsten) wesentliche Motiv der mediatrix – der Vermittlerin – herausgearbeitet werden. Dessen paradoxe theologische wie künstlerische Disposition zwischen Profilierung und Ausgleich, Antizipation und Reaktion oder auch Adaption und Differenz wurzelt nicht nur in der ebenso paradoxalen Gestalt Marias selbst – Jungfrau und Mutter, Schwester und Mutter, Mutter und Tochter, Gebärende und Geborene des Erlösers, Braut und Tochter, usw.17 –, sondern bildet seit jeher den Katalysator künstlerischer Auseinandersetzung, die von diesem Spannungsfeld zehrt und aus ihm jene Symbole generiert, die sodann marianisch kommuniziert werden können. Inwieweit der marianische Textzusatz des Gloria in der vorliegenden Messengruppe ebenfalls diese Merkmale akzentuiert, wird zu diskutieren sein, bevor das Repertoire selbst exemplarisch einer Analyse unterliegt (Kapitel 5). Jede Werkauswahl aus einem Repertoire in hier vorliegendem Umfang hinterlässt zwangsläufig ebenso viele Lücken wie sie zu schließen bemüht ist, erstrecht wenn sie sich im Dienste einer qualitativ-systematischen Geschichtsschreibung sieht, die enzyklopädische Gattungsentwürfe zu vermeiden sucht. Dabei muss die Zunahme an qualifizierenden Kriterien keineswegs eine Erleichterung sein: Versteht man Gattungsgeschichte im vorliegenden Fall als dreidimensional konstruiert aus 1. Kompositionsgeschichte des tropierten Gloria-Satzes als Signum der Messengruppe, 2. Beitrag zur marianischen Frömmigkeitsgeschichte durch 17
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Vgl. dazu Kap. 4.1. Ekklesiologische Grundlagen: Mater Christi – Mater Credentium – Mater Ecclesia, insbes. zur Mater Credentium.
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Kapitel 1
die Akzentuierung der marianischen Passagen als Symbole und 3. als durch individuelle, lokal konnotierte Kompositionen geschriebene Regionalgeschichte des 16. Jahrhunderts, so wird dies jede Auswahl umso zufälliger erscheinen lassen. Denn wer dürfte wohl behaupten, unter den zahlreichen Werken, marianischen Akzenten und musikalisch ambitionierten Regionen die ‚wichtigsten‘ und wirkmächtigsten gewählt und erkannt zu haben? Und selbst wenn die Rekonstruktion einer solchen Bedeutung für ein Werk oder gar eine Werkgruppe adäquat und überzeugend gelänge, wer wollte dafür bürgen, dass dieses Bild nicht der problematischen Quellenüberlieferung geschuldet ist, der es gefiel, eine womöglich weitaus einflussreichere Komposition heutigen Blicken zu entziehen? Gelingen kann also (in Kapitel 5) allenfalls eine punktuelle Vermessung jenes riesenhaften Gebietes der Missa de Beata Virgine, das im 15. Jahrhundert vielerorts in Europa das Messrepertoire zu prägen begann, und dessen Spuren sich noch im 17. Jahrhundert finden. Angedeutete Innovationen und Traditionen, Peripherien und Zentren, Nationalismen und Universalismen, musikalische Profile und Allgemeingüter dürfen daher nicht als gegeneinander auszuspielende, gar hierarchische Kriterien, sondern als gleichberechtigte Faktoren einer Messengeschichte begriffen werden, die eben nicht ‚geradeaus‘ oder ‚vorwärts‘ verlief, sondern vielen funktionalen, regionalen und (musik) historischen Bedingungen unterlag, die nur der Einzelfall reflektieren kann. Aus diesem Grunde verbietet sich nicht zuletzt eine Zusammenfassung, die weder der Vielfalt der Ereignisse noch der gesamten Werkgruppe gerecht zu werden vermag; daher soll abschließend nur eine knappe Perspektivisierung der Ergebnisse folgen. Denn bleibt das Tropusverfahren, also der Umgang der untersuchten Gloria-Sätze mit den marianischen Passagen auch der stete Bezugspunkt im Analytischen (was auch eine Diskussion der absichtsvoll untropierten Sätze bedingt), so bildet es weder ein qualifizierendes tertium comparationis noch den Anlass, über Prototypen und Epigonen zu spekulieren, wozu eine allein auf kompositorische Parameter konzentrierte Untersuchung gezwungen wäre. Konkrete Bezüge zwischen Konzepten im Sinne einer historischen Rückversicherung der Komponisten können daher zwar partiell aufgedeckt werden, sind aber stets mit ihren jeweiligen Kontexten abzugleichen, in denen sie entstanden und oft auch erklungen sind. Der weitgehend chronologische Ablauf der sieben Analyse-Abschnitte mutet dagegen zunächst wie ein Widerspruch an, reizt er doch scheinbar erstrecht dazu, Verbindungslinien zu ziehen, wo Datierungen es nahelegen. Dies verhindert aber einerseits die vorgenommene regionale Bündelung von Repertoire, das konkret mit einem Ort assoziiert ist – beginnend mit Habsburg-Burgund bzw. Habsburg (Kapitel 5.1 und 5.2) über Rom (Kapitel 5.3) und Spanien (Kapitel 5.4) bis Aachen (Kapitel 5.5), Mantua (Kapitel 5.6) und schließlich Portugal (Kapitel 5.7). Anderseits stehen zum Teil mehrere Dekaden zwischen den hier aufeinanderfolgenden Werken, so dass zeitliche Brückenschläge hier zu geländerfreien Konstrukten gerieten. Dass die Arbeit dennoch en gros vom späten 15. Jahrhundert bis zum 17. Jahrhundert fortschreitet, resultiert aus der Gelegenheit, dadurch Überlieferungswege der historischen Rückversicherung nachzuzeichnen, also einzubeziehen, dass manche weit kursierenden Werke – wie jene von Josquin oder Morales – späteren Generationen am betreffenden Orte zur Verfügung gestanden haben könnten. Dies erleichtert im
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Einleitung
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Einzelfall, Vermutungen über Einflüsse anzustellen, die entweder am konkreten Satz bewiesen werden können oder aufgrund einer regionalen Verbindung nahe liegen. Ausgangspunkt der Analysen bilden Überlegungen zu Pierre de la Rues ‚margaretischer‘ Mission (Kapitel 5.1). Die Nähe zum Habsburgisch-Burgundischen Hof und insbesondere seiner marienfrömmigen Herrscherin Margarete von Österreich scheint sich, wenn nicht initiierend, so doch zum Mindesten fördernd auf Pierre de la Rues großes Marienmessen-Oeuvre ausgewirkt zu haben. Inwieweit sich sein vor 1500 entstandenes Messenmodell am Beispiel des Gloria an seinem höfischen Kontext orientiert, und ob die eigentümliche Form des Satzes gar seiner symbolischen Aufgabe geschuldet ist, die Diplomatin und die Marienverehrerin Margarete zu konnotieren, steht im Mittelpunkt der Analysen. Mit einem Blick nach Wien begegnen wir sodann den kaum viel später komponierten Werken des maximilianischen „Hofkomponisten“ Heinrich Isaac (Kapitel 5.2), mit ihrem Verzicht auf das Credo und ihrer alternatim-Anlage vermutlich eher den marianischen Festen der zweiten und dritten Klasse18 bzw. dem regulären samstäglichen Ordo zuzuordnen. Weniger eine umfängliche Analyse der insgesamt womöglich sogar sechs Werke Isaacs, die hier nicht geleistet werden kann, als die Frage nach verschiedenen Modi der alternatim-Gestaltung des tropierten Gloria-Textes, die jeweils andere musikalische Konsequenzen und Ausdruckscharaktere nach sich zieht, steht hier im Vordergrund, exemplarisch aufzuzeigen an den Gloria-Vertonungen des vier- und sechsstimmigen Modells. Der folgende Abschnitt zu Rom (Kapitel 5.3) dient kaum der Fortschreibung heroengeschichtlicher Idiome, wie die Auswahl der Protagonisten Josquin Desprez und Giovanni Pierluigi da Palestrina nahelegen könnte. Zwar ist kaum zu leugnen, dass Josquins Messe in den ersten Dekaden des 16. Jahrhundert hinsichtlich Parodien und formalen Bezugnahmen konkurrenzlos bleiben sollte (so erstaunlich gering sie in ihrer Anzahl letztlich auch sind), doch frappiert weitaus mehr als dies die beinahe schon ‚historisierende‘ Qualität seiner Komposition selbst, die sich als Schmelztiegel unterschiedlichster Traditionen und Techniken bis hin zum Selbstzitat zeigt. Die hier ‚einkomponierte Geschichte‘ erhält ihre gattungshistorische Substanz und Fortschreibung nicht zuletzt in abstrakten Reflexionsmodellen späterer Generationen, die weniger auf das konkrete Substrat des Satzes als seine historische Multiperspektivität rekurrieren. Zugleich werden hier grundlegende Parameter der marianischen Tropus-Akzentuierung im römischen Raum profiliert19, Verfahren, die sich nicht zuletzt auch in Rezeptionsmustern zugereister Komponisten etwa aus Spanien belegen lassen. Als referenzielles Werkpaar römischer Prägung stehen sodann die beiden Missae de Beata Virgine Palestrinas der 1560er und 1570er Jahre im Mittelpunkt, die sowohl untereinander als auch nach außen als bezugsmulti18
Vgl. zu den marianischen Festivitäten im einzelnen Kap. 4.2. Medien des Marienlobs: Liturgie – Feste – Literatur – Kunst – Musik. 19 Diese Akzentuierungen sollten sich zudem in Italien weiter verbreiten, wie das Kapitel zusammenfassend Auskunft gibt. Im italienischen Repertoire sind zahlreiche Gattungsbeiträge noch unediert und unkommentiert geblieben, darunter bislang unbekannte Raritäten, wie die lediglich im Manuskript überlieferte Missa de Beata Virgine von ca. 1566 von Chamaterò di Negri.
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Kapitel 1
pel verstanden werden dürfen und auch hinsichtlich der marianischen Akzente eigenständige musikalische Überlegungen formulieren. Den Analysen liegen zudem grundlegende philologische sowie rezeptionshistorische Korrekturen bisheriger Fehleinschätzungen Palestrinas zugrunde. Der spanische Abschnitt (Kapitel 5.4) stellt sodann je zwei Komponisten mit je zwei Werken zur Diskussion. Cristóbal de Morales mit seiner zwischen Spanien und Rom gespannten Biographie, die nicht unwesentlichen Einfluss auf divergente nationale Deutungen und Bewertungen seiner Werke (bis heute) nehmen sollte, zeigt sich nicht nur erwartungsgemäß als spanische Identifikationsgestalt, die ihrerseits traditionelle ‚spanische‘ Gattungselemente verarbeitete und konservierte20, sondern auch als quasi ‚metanationale‘ Figur, die einen mindestens ebenso starken, bislang unerforschten Einfluss auf die römische Tradition auszuüben imstande war (wie sich nicht zuletzt an Palestrina zeigen lässt). Mit seinen marianischen Akzentsetzungen im Gloria der beiden Messen der 1540er Jahre setzte er damit eine nachhaltige rezeptionshistorische Markierung im Repertoire, der jener Josquins mindestens ebenbürtig ist. Francisco Guerrero, vermutlich Morales’ Schüler, knüpft sodann mit seiner 1566 gedruckten Missa de Beata Virgine daran an, eingebunden in ein mittlerweile gewandeltes Selbstverständnis des spanischen Komponisten, der nun nicht mehr, wie noch der Lehrer, römischer Ausbildung und Anstellung bedurfte. In guter Tradition wendet sich Guerrero jedoch noch weiter zurück und schließt konkret an jene Werke der spanischen Gattungstradition an, aus denen bereits sein Lehrer Morales wertvolle Impulse geschöpft hatte. Die musikalische Reise führt sodann nach Aachen (Kapitel 5.5), wo in den konfessionellen Wirren der 1570er Jahre geboten schien, das musikalische Portfolio der katholischen Liebfrauen-Kirche zu dokumentieren, darunter vier Missae de Beata Virgine von bislang unbekannten Regionalkomponisten. Dass diese Kompositionen womöglich im Zusammenhang mit einer gleichzeitig ausbrechenden Pestepidemie standen, die eine Sicherung des Repertoires ebenso notwendig machte wie die wiederholte Versicherung des marianischen Schutzes für die konfessionell umkämpfte Diözese, verleiht dieser einzigartigen Sammlung zusätzliche kontextuelle Bedeutung. Etwa zeitgleich plante man im norditalienischen Mantua (Kapitel 5.6) eine neue Liturgieordnung durchzusetzen, in der selbstverständlich ein Platz für das marianische Choralordinarium vorgesehen war und man mehrere Komponisten, darunter Palestrina, mit dem Arrangement passender Werke beauftragte. Die herzögliche Liturgieordnung hatte das traditionsschwere marianische Gloria zwar – als einzigen Choral des römischen Missale – unverändert übernommen, bekam aber rasch Probleme, als der Papst, vom dem man sich die Approbation der Individualliturgie erbat und dies mit diversen Zahlungen forcierte, das um sämtliche Textzusätze reduzierte, neue Missale Romanum (1570) erließ. Wie der ambitionierte Herzogshof und seine Komponisten auf die veränderten Bedingungen reagierten, was die erhaltenen Manuskripte über das umzusetzende Tropusverbot aussagen, wie man dem 20
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Wie etwa Elemente aus der frühen spanischen Kompilations-Missa de Beata Virgine, vgl. dazu im Detail Verzeichnis I. Vgl. ebenso dazu den einführenden Abschnitt in Kap. 5.4. Universalismus und Nationalismus: Spanien.
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Gloria das marianische Signet nahm, und was die Gruppe aus alternatim-Kompositionen schließlich überhaupt noch mit den ‚klassischen‘ Verfahren der römischen Vorbilder gemein hatte, kommt hier zur Sprache. Ein abschließender Blick gilt sodann dem portugiesischen Repertoire der 1620er und 1630er Jahre (Kapitel 5.7), den nachweislich letzten Missae de Beata Virgine ihrer Art. Wie in Aachen und Mantua sorgten sozialpolitische Bedingungen für ein kurz aufflammendes Interesse an der Gattung, anders als dort allerdings hatte man erst vergleichsweise spät mit einer eigenen, regionalen Musikpflege begonnen. Vermeintlich an der kulturellen Peripherie Europas gelegen und musikologisch ohnehin bis heute unterschätzt, entfalteten sich unter der Herrschaft des musikliebenden Königs Johanns IV. ein letztes Mal in Europa allerdings blühende Landschaften mit vokalpolyphoner marianischer Musik: komponiert in spanischer Tradition und doch bestrebt, sich von ihr zu lösen. Trotz Tropusverzicht, der in Fortsetzung der orthodoxen katholischen Politik auf der iberischen Halbinsel spätestens nach 1600 verpflichtend war, scheinen hier letztmalig in den Missae de Beata Virgine viele traditionelle Merkmale und Bezüge zu den zuvor analysierten Werken auf.21 Ohne dass aus der künstlerischen Behandlung der marianischen Textzusätze in den Missae de Beata Virgine Rückschlüsse auf die jeweiligen marianischen Überzeugungen der Komponisten gezogen werden können – biographische sowie entstehungsgeschichtliche Angaben zu den Werken fehlen in der Regel und wären allenfalls durch heikle Spekulationen zu ersetzen –, kann doch am Beispiel der tropierten Gloria-Sätze eine Tradition der Tropus-Akzentuierung bis hin zu seiner Kontrafaktur und schließlich Tilgung in den späten Messen verfolgt werden. Nachzuzeichnen ist dergestalt die Entwicklung der Messengruppe von ihrem traditionsschweren Beginn hin zu ihren späten, vereinzelten Ausprägungen, eine künstlerische Entwicklung, die mit der marianischen Profilierung aufs engste verkoppelt, ja man darf sagen, von ihr geradezu abhängig war, selbst dort, wo sie – aus welchen Gründen auch immer – gezwungen wurde, sie zu verleugnen.
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Die Editionen portugiesischer Musik stagnieren nach wie vor. Vgl. zum Repertoire zusammenfassend den Einführungsabschnitt von Kap. 5.7 ‚Gattungsdämmerung‘ in Portugal?
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KAPITEL 2 GESCHICHTSBILDER DER POLYPHONEN MESSE 2.1. DIE IDEE VOM ZYKLUS Die besondere Faszination, die vom Zyklusbegriff1 bis heute ausgeht, gründet im historiographischen Zeitalter der Aufklärung, insbesondere in dessen Intention, zu ordnen, zu systematisieren und damit qualifizieren zu können. Die Vorstellung einer kreisenden, einheitlichen, an ihren Beginn zurückkehrenden Form entsprach dem dort verstärkt entwickelten Bedürfnis nach Orientierung an verständlichen, geordneten, systemisch erfass- und beschreibbaren Mechanismen von Wiederholung, Verbindung und Erneuerung in einem festen zeitlichen Rahmen.2 Die dabei kaum mehr als vage Definition von Bedingungen und Mechanismen musikalischer Zyklik wurde von ihrer ästhetischen Aufwertung im frühen 19. Jahrhundert quasi rechts überholt: Demnach generierte sich zyklische Form nicht mehr allein durch einheitsbildende musikalische Mittel wie Tonart, Rhythmik, Melodie, Besetzung oder Stil, sondern durch die ästhetische Qualität ihrer zusammenhangstiftenden, bisweilen autopoietischen Maßnahmen der Charakter-, Handlungs- oder Stimmungsbildung. Das derart Selbstreferenz kultivierende und konzentrierende „Ganze“3 umgab alsbald die Aura des Autonomen, und die Produktionen der Musikgeschichte ließen sich somit leichterhand in zyklische und (noch-)nicht-zyklische Werke gliedern.4 Auf diese Weise bekam man zwar beeindruckend große und in ihrer formalen Komplexität schwer fassliche Werke wie Beethovens Sinfonien einigermaßen in den analytischen Griff. Andererseits wurde der autonom aufgeladene Zyklus in seiner zunehmenden historischen Schwere aber zum Telos der Musikgeschichte gekürt, 1
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„Zyklus“ (etymologisch: Kreis, Kreislauf; griech. kyklos = Kreis) ist kein spezifisch musikalischer Begriff und findet in den Musiktrakten des 16. Jahrhunderts wenn überhaupt, dann nur im Zusammenhang der Beschreibung von Notenköpfen oder Mensurzeichen Erwähnung. Der häufigere lateinische Begriff für diese Kreisform ist hingegen circulum, vgl. etwa Petrus Aaron: De institutione harmonica, liber secundus, Bologna 1516, oder Heinrich Glarean: Dodecachordon, Liber tertius, Basel 1547 (hier z.B. S. 202: „Hi itaque perfectum circulum cum ternario [O3] modi perfecti, ac item temporis perfecti signa exhibent. At perfectum circulum cum binario [O2] perfecti quidem modi, at imperfecti temporis esse notas“). Die Ordnungskriterien fußen dabei auf zahlreichen Prinzipien, als einflussreiches Geschichtsmodell zumal kulturhistorischer Prägnanz kann Giambattista Vicos Principj di una scienza nuova d’intorno alla commune natura delle nazioni, Neapel 1725, benannt werden (Die neue Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker, hrsg. von Erich Auerbach. Berlin [u. a.] 2000): Vico sah den stetigen historischen Fortschritt in zyklischer Weise von ‚primitiven‘ Rekursen unterbrochen. Karl Reinhold Köstlin: Musik, in: Friedrich Theodor Vischer: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen, Bd. III/2, Stuttgart 1857, S. 950 (§786ff.). Köstlin spricht von der „cyclischen Kompositionsform“, vgl. ebd., S. 951.
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und dies nicht nur in der Sinfonie um 1800, der die ästhetischen Interpretationen eigentlich galten, sondern rückblickend ebenso in der Messe um 1500. Dem teleologischen Sog dieser Messen- und Sinfoniegeschichtsschreibung zu entkommen, ist keine einfache Sache – zu hell strahlt der Nimbus der zyklischen Idee, zu unbestritten bedeutend sind ihre apostrophierten Hauptvertreter. Ebenso selten hat die Musikgeschichtsschreibung die dem Interpretationsverfahren unbeabsichtigt implizite Abqualifikation von zyklisch nicht ambitionierten Werken abschütteln können. Messen oder Sinfonien, die der Einheitsbildung weniger oder keine Aufmerksamkeit schenken, erschienen wenn nicht als suspekt, so doch als Sonderfälle oder zweitrangig, oder konnten – so sie in einen funktionalen Kontext eingebettet waren – als fremdbestimmt definiert und damit umso mehr der Kategorie der musikhistorischen ‚Nebenstrecke‘ zugeschlagen werden. Die Problematik des sinfonischen Zyklusbegriffs zu erörtern oder ihn von seinem methodisch ebenso belastenden wie eigensinnigen Zwilling Autonomie zu befreien, ist nicht Aufgabe dieser Überlegungen. Ihnen obliegt vielmehr die Offenlegung jener Probleme, die dadurch der Messengeschichte, insbesondere jener der Choralordinarien, erwachsen sind und noch erwachsen. Das zumeist unhinterfragte Aufgreifen des bedeutungsschweren Zyklusbegriffs und die Anwendung der aus der Sinfonieinterpretation entlehnten inhaltsästhetischen Einheitlichkeits-Analyse verstellen sowohl den Blick auf die musikalischen Phänomene der polyphonen Messe, die sich mitnichten im Ringen um zyklische Form erschöpfen, als auch ihrer historischen Determinanten. Die Messe verlässt im 17. Jahrhundert nicht die große Bühne der Musikhistorie, weil ihr zyklisches Telos erreicht, ausgereizt und überzüchtet wurde, sondern weil zahlreiche historische Rahmenbedingungen, die sie von Beginn an begleitet, geleitet und geformt haben, nicht mehr oder nur noch zum Teil vorhanden waren. Zu diskutieren sind also im Folgenden die Struktur des Zyklusbegriffs in der Messenforschung sowie die daraus erwachsenden Probleme für ihre Analyse und ihr Geschichtsbild. Ersetzt werden soll diese programmatische Idee des Zyklus – wie sie sich etwa in gängigen, offenbar unausrottbaren tendenziösen Formulierungen wie „the rise of the cyclic mass“5 manifestiert – durch eine um seine unzeitgemäßen Determinanten entschlackte Form des Begriffs, also durch den Versuch, den basalen formalen Zyklusbegriff für den Kontext der polyphonen Messe zu restituieren, ohne stets das inhaltsästhetische System der Sinfonie mitzudenken. Zudem ist er um die Form flankierende, mindestens gleichrangige Einflussfaktoren zu ergänzen. Angeknüpft wird damit u. a. an die kundige Untersuchung von Andrew Kirkman – „The Invention of the Cyclic Mass“6 – von 2001, die sich mit der Genese des Begriffs kritisch auseinandersetzt und deutlich machen kann, wie sehr die 5
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Vgl. den Kapiteltitel von Gareth Curtis, in: Companion to Medieval & Renaissance Music, hrsg. von Tess Knighton und David Fallows, Berkeley [u. a.] 1997, S. 154–164. Der Usus lässt sich zurückverfolgen bis zu Manfred Bukofzers berühmtem Kapitel The Origins of the Cyclic Mass, in: ders.: Studies in Medieval & Renaissance Music, New York 1950, S. 217–225. The Invention of the Cyclic Mass, in: JAMS 54 (2001), Nr. 1, S. 1–47. Auf Kirkmans Plädoyer für eine Aufwertung der kontextbasierten Analyse von Messen ist andernorts zurückzukommen; vgl. aktuell vom Autor die Studie The Cultural Life of the Early Polyphonic Mass, Cambridge 2010.
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Musikgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts mit dem Konstatieren organischer Formen die wissenschaftliche Wahrnehmung der polyphonen Messe verklärt hat und bis heute verklärt.7 Gelingen soll so die Rückbesinnung auf ‚tatsächliche‘, dem Verständnis förderliche Strukturen von Zyklus, die dem 15. und 16. Jahrhundert adäquat waren. Es gilt also zugleich, den von Johannes Tinctoris 1495 eingeführten Begriff des „cantus magnus“ um den seitens der Aufklärung akzentuierten qualitativen Begriff der musikalischen „Größe“ zu reduzieren auf seine eigentliche, nämlich quantitative Bedeutung des „großen“ (im Sinne von zeitlich „langen“) Gesangs.8 Pietro Pontios 1588 dokumentierte Lehrformel, im Gegensatz zur Motette gefalle gerade an der Messe besonders, dass „suo primo Kyrie, cioè il principio, & qllo della Gloria, & del Credo, & del Sanctus, & del primo Agnus […] siano simile“9, also die Satzanfänge „gleich“ seien, gilt wenn vermutlich nicht als erster, so doch als am häufigsten zitierter früher Beleg für die erfolgte Konsolidierung der zyklisch gedachten Messe, insbesondere der hier gemeinten Parodiemesse. Dasselbe musikalische Subjekt solle aber nicht „simili di consonantie“, also in schlichter melodischer Identität, sondern vielmehr in „diversi modi“, in verschiedenen Weisen – geteilt, ungeteilt oder transponiert –, erklingen. Das gelte im Übrigen auch, so wird der Schüler belehrt, für „vostro soggetto“10, also das selbst erdachte musikalische Sujet. „Varietas“ bleibt demnach für Pontio, bei Substanzgemeinschaft des (Ausgangs-) Materials, die vorherrschende kompositorische Prämisse, und dies noch am Ende des 16. Jahrhunderts. Hier wird hinsichtlich der Vorlagenbehandlung musiktheoretisch konkretisiert, worüber der Geistliche Bernardino Cirillo 1549 in seiner vielzitierten Kompositionskritik11 noch allgemein polemisiert und worauf der Humanist und Komponist Nicola Vicentino 1555 nur angespielt hatte.12 7
Insbesondere der nachhaltige Einfluss von August Wilhelm Ambros und seiner ‚romantischen‘ Rhetorik wird hier erhellt, vgl. ebd., S. 22ff. 8 Vgl. Johannes Tinctoris: Diffinitorium musicae, 1495, Reprint in: Scriptorum de musica medii aevi nova series a Gerbertina altera, 4 Bde., hrsg. von Edmond de Coussemaker, Paris 1864–1876, Reprint Hildesheim 1963, S. 185: „Missa est cantus magnus cui verba Kyrie, et In terra, Patrem, Sanctus et Agnus […].“ Eine weitere, von Tinctoris womöglich mitgedachte ‚große‘ Kategorie könnte die Formate der großen Chorbücher meinen, in denen die Messen notiert wurden – ebenfalls eine quantitative Größe. 9 Pietro Pontio: Ragionamento di musica, Parma 1588, S. 155. 10 Ebd., S. 156. 11 Bernardino Cirillo: Brief an Ugolino Gualteruzzi (Loreto, 16. Februar 1549), in: Lettere Volgari di Diversi Nobilissimi Huomini […], Libro Terzo, Venedig 1564, S. 114–118; englische Übersetzung zuerst von Lewis Lockwood in: Palestrina: Pope Marcellus Mass, New York 1975, S. 10–16. 12 Vicentino benannte die Möglichkeit, Messen „sopra“ Chansons, Motetten oder andere Werke zu komponieren, ohne dies genauer zu erörtern, vgl. ders.: L’antica musica ridotta alla moderna prattica, Faksimile der Ausgabe von 1555, hrsg. von Edward Lowinsky, Kassel 1959, S. 84v (fälschlich als 79v gezählt). Zuvor erhielt schon die über einen gemeinsamen cantus firmus komponierte Missa Se la face ay pale von Guillaume Du Fay Vorbildcharakter für dieses Prozedere, da verschiedene Theoretiker sie exemplarisch herausstellten, vgl. etwa Tinctoris: Proportionale musices, [ca. 1474], zit. nach: Johannis Tinctoris Opera theoretica, hrsg. von Albert Seay, 3 Bde. in 2, Rom 1975–1978), S. 50, oder Bartolomaeus Ramos de Pareja: Musica practica, tertia pars, tractatus primus, Bologna 1483, Reprint in: Publikationen der Internationalen Musikgesellschaft, Beihefte, Heft 2, Leipzig 1901, S. 90.
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Die durch Vorlagenidentität hergestellte Einheit der Messe kann im Detail, wie vielfach beschrieben und zuletzt im Handbuch der musikalischen Gattungen13 übersichtlich strukturiert worden ist, verschiedenen Verfahren zu verdanken sein, die hier nicht wiederholt zu werden brauchen. Sie reichen von melodischer Proportionsbildung, Division und Repetition hin zur Kontrastierung oder Kooperation der Vorlage mit Fremdmaterial. Die Möglichkeiten, mit melodischem (ein- oder mehrstimmigem) Vorrat zu verfahren, sind schier unendlich, wie auch die Ergebnisse kaum leicht zu gruppieren sind. Fest steht, dass allein der Vorsatz des Komponisten, den je nach Kirchenjahr, -fest oder -anlass drei, vier oder fünf vertonten Messsätzen eine gemeinsame melodische Grundlage zu geben, genügt, um der Messe das Einheits-Prädikat zu verleihen. Das gilt gleichermaßen für Motto-, Modus- oder Besetzungsidentitäten, die per se gesetzt werden und formal Einheit stiften können. Soweit herrscht Konsens in der Forschung. Probleme entstehen erst, wenn Messen dieser formalen Prämisse entsagen, so wie eben das Choralordinarium, das schlicht keine Modus- und Vorlageneinheit benötigte, um sich einer ungebrochenen Beliebtheit zu erfreuen.14 Hier sind die zahlreichen Versuche der Forschung, in diesen Werken dennoch zyklische Ambitionen zu vermuten und wo nötig, zu konstruieren15, ein beredtes Zeugnis des Unbehagens angesichts der Querständigkeit dieser Messen zu zahlenmäßig dominanten Trends ihrer Gattung.16 Das Choralordinarium des 16. Jahrhunderts bildet, fasst man diese Argumente grob zusammen, mit seiner angeblichen „Abkehr“ vom Zyklus somit das historische Retrospektiv der „noch nicht“ zyklischen Satzpaare oder Pseudo-Zyklen17 des 15. Jahrhunderts, wie etwa 13
Horst Leuchtmann, Siegfried Mauser (Hrsg.): Messe und Motette (= Handbuch der musikalischen Gattungen Bd. 9), Laaber 1998, darin Kapitel Methoden der Zyklusbildung, S. 158–188. 14 Die Messsatz-Paare, die – ebenso misslich – als zyklische ‚Vorstadien‘ verstanden wurden, seien hier ausgeklammert; dazu sei grundlegend verwiesen auf den diesbezüglich erfrischend kritischen Beitrag von Reinhard Strohm: Einheit und Funktion früher Meßzyklen, in: Festschrift Rudolf Bockholdt zum 60. Geburtstag, hrsg. von Norbert Dubowy und Sören MeyerEller, Pfaffenhofen / Ilm 1990, S. 141–160. 15 So vermuteten Leeman L. Perkins (1973) und Carl Dahlhaus (1979) zyklische Realisation „unter erschwerten Bedingungen“ (Perkins: Mode and Structure in the Masses of Josquin, in: JAMS 26 [1973], Nr. 2, S. 189–239; Dahlhaus: Miszellen zu einigen niederländischen Messen, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 63/64 [1979/80], S. 1–7). Die seltene Kunst, trotz Vorlagendifferenz kleinere satzübergreifende Motivik und Strukturen aus dem kompositorischen Akt und eben nicht aus dem Dienst an der Zyklusidee heraus zu argumentieren, beherrscht eindrucksvoll Klaus-Jürgen Sachs: Pierre de la Rues „Missa de Beata Virgine“ in ihrer copia aus varietas und similitudo, in: Analysen. Beiträge zu einer Problemgeschichte des Komponierens, hrsg. von Werner Breig, Reinhold Brinkmann und Elmar Budde, Wiesbaden [u. a.] 1984, S. 76–90. 16 Peter Ackermanns problematische Analyse von Festas „Missa de Domina nostra“ ist hier nur ein wahllos herausgegriffenes Beispiel, vgl. ders.: Zyklische Formbildung im polyphonen Choralordinarium: Constanzo Festas „Missa de Domina nostra“, in: Studien zur Musikgeschichte. Eine Festschrift für Ludwig Finscher, Kassel 1995, S. 145–152. 17 Hiermit sind einerseits Kompilationen gemeint, also nach Bedarf (und nicht zyklischer Passung) zusammengestellte Messsatz-Sammlungen, andererseits frühe Plenarmessen wie Machauts Messe de Notre Dame oder Du Fays Missa Sancti Jacobi, denen beiden zyklische Interpretation angedieh, die trotz ihrer analytischen Qualität freilich nur kleine Partien der Kompositionen, kaum aber deren Nerv oder Systemzusammenhang zu treffen vermochten. Zu Du Fay vgl. Peter Gülke: Guillaume Du Fay. Musik des 15. Jahrhunderts, Kassel [u. a.] 2003. Gülke wandte
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die Kyrie-Gloria-Satzpaare von Johannes Ciconia, die im Old-Hall-Manuskript (um 1400) überliefert sind, oder die sieben Gloria-Credo-Paare der auf 1413 bis 1420 datierbaren Handschrift Turin, denen schon früh „techniques of unification“ angedichtet wurden.18 Irgendwo zwischen diesen frühen Beispielen und den ersten Choralordinarien realisierte sich „Zyklus“, ein freilich schiefes, längst als der dringenden Revision bedürftig erkanntes19, nichtsdestotrotz historiographisch noch immer gebräuchliches ‚darwinistisches‘ Bild, das der Komplexität und Verfahrensvielfalt der Überlieferungen nicht ansatzweise gerecht zu werden vermag. Formulierungen wie „Johannes Ciconia may be an important link between these dispersed movements of the 14th century and the mass cycle of the Renaissance“20 als Teil des Messe-Artikels im New Grove von 2001 weisen, trotz berechtigter lexikalischer Abstraktion, in eben diese teleologisch besetzte Denkrichtung, die insbesondere durch die Forschungen von Heinrich Besseler und Manfred Bukofzer begründet wurde.21 Das Problem offenbart sich vollends, wenn seitens der Forschung versucht wird, die durch ein gemeinsames musikalisches Mittel gestiftete Einheit in einer Messe als Einheitlichkeit zu interpretieren, wenn also der ohnehin schon bemerkenswerte kompositorische Kunstgriff der Materialidentität bei Verfahrenskomplexität durch eine gezielte inhaltsästhetische Interpretation einheitsbildender Maßnahmen gleichsam aufgewertet und seiner beengt funktionalen, uns stets fremd bleibenden Lebenswirklichkeit des 16. Jahrhunderts ‚entrückt‘ und damit näher gebracht wer-
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sich damit gegen die landläufige Ansicht, dass es Du Fay in der Missa Sancti Jacobi nur um „Kontrastbildung“ oder „stilistische Buntheit“ gegangen sei, wie etwa der Artikel Messe in der MGG von 1997 summiert (Laurenz Lütteken, Ludwig Finscher: Messe. Mehrstimmige Messvertonungen bis 1600, in: MGG2, Sachteil Bd. 6, Sp. 192.). Der Komponist unternehme, so Gülke, vielmehr den riskanten Versuch, die Messe trotz ihrer gewaltigen Ausmaße und zahlreichen Melodie-Vorlagen mit musikalischen Mitteln zu fassen und zu vereinheitlichen. Angesichts der bei weitem überwiegenden Individualität der kontrastierenden Sätze sowie der der Plenarmesse zugrunde liegenden, bislang weitgehend ausgeklammerten liturgischen Kontexte, ist dieser Ansatz kaum geeignet, die Messe insgesamt zu erfassen und zu erklären. Ähnliches versuchte bereits David Fallows, vgl. ders.: Dufay, London 1982, insbes. S. 173. Vgl. Philipp Gossett: Techniques of Unifi cation in Early Cyclic Masses and Mass Pairs, in: JAMS 19 (1966), S. 205–231. Die angloamerikanische Renaissanceforschung hat dies mittlerweile zur Kenntnis genommen, vgl. u. a. Philip Jackson: „[…] however much one is aware of the Darwinian assumptions involved, it is hard to resist the knowledge that these led to the wonderful stream of Cycles that begin with Dufay, Domarto and Okeghem [sic!] around 1450 and continued through Josquin and Obrecht to the cycles that in so many ways dominate the music of the entire sixteenth century.“, in: Mass Polyphony, in: Companion to Medieval & Renaissance Music, hrsg. von Tess Knighton und David Fallows, Berkeley [u. a.] 1997, S. 120. Art. Mass, II. The Polyphonic mass to 1600, 5. The first half of the 15th century [Maricarmen Gomez], in: New Grove2, Oxford 2001, Bd. 16, S. 68. Heinrich Besseler: Bourdon und Fauxbourdon. Studien zum Ursprung der niederländischen Musik, Leipzig 1951, darin insbes. S. 147ff. zum Vorrang der cantus firmus-Messe mit Fremdtenor, vgl. auch ähnliche Formulierungen in ders.: Die Musik des Mittelalters und der Renaissance, Potsdam 1931; Manfred Bukofzer: Studies in Medieval and Renaissance Music, New York 1950, insbes. S. 217–310, sowie zum zyklischen Telos früher englischer Satzpaare in ders.: English Church Music of the Fifteenth Century, in: The New Oxford History of Music, London 1960, Bd. 3, insbes. S. 203.
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den soll: Die Analysen zeigen dabei – zwangsläufig, möchte man sagen – nicht selten anachronistische Züge, wenn von „Organik“22, „Apotheose“23 oder gar von dem Gegensatz „bewußte Vereinheitlichung“ vs. „schlichte Einfallsarmut“24 die Rede ist. Tradierte Formulierungen wie die folgende sind noch immer häufig anzutreffen: „[…] in den durchkomponierten Messen der Niederländer wird Einheit auf musikalisch-ästhetischer Ebene gestiftet“.25 Übertreten werden hier wie anderswo – bewusst oder nicht – die Grenzen des Einheitsbegriffs hin zur Einheitlichkeit, inspiriert durch den Wunsch, die Messe aus ihrem komplexen, fremdartigen und noch immer nicht restlos erforschten historischen Kontext herauszuheben und als davon unberührtes Kunstwerk begreifen zu können. Das Verständnis numerischer Einheit wird entsprechend durch das Verständnis prädikativer Einheit ersetzt: Das „Ganze“ (die Messe) besteht nach dieser Definition nicht mehr nur aus mehreren gleichartigen Teilen, was sie als numerische Einheit qualifiziert, sondern sie wird als unteilbare, sich nach außen hin abgrenzende (eben prädikative) Einheit begriffen, die nun ‚mehr‘ als Einheit, nämlich Einheitlichkeit bietet. Das „Ganze“ (die Messe) wandelt sich damit – so lehrt es die klassische ontologische Philosophie – vom Objekt zum Subjekt, vom Gegenstand zum Individuum. Das autopoietische System ist hier nur noch einen kleinen argumentativen Schritt entfernt.26 Gegen diese, für die Interpretation der Messe um 1500 geradezu anachronistische, nichtsdestotrotz aber nur schwer zu dispensierende Überbewertung des „Ganzen“ gegenüber dem „Einzelnen“ – die bekanntermaßen ebenso auf der Überlieferungsgeschichte des zusammenhängend notierten Ordinariums in den Quellen wie dem Umstand der häufigen Materialidentität von Messsätzen fußt – sind leicht Argumente ins Feld zu führen.27 Neben den erwähnten ‚querständigen‘ Choralordinarien, die zahlenmäßig kaum ins Gewicht fallen mögen28, aber dennoch beständig und international bedient wurden, ist zunächst der noch bis weit in das 17. Jahrhun22 23 24 25 26
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Peter Wagner: Geschichte der Messe: I. Teil: bis 1600, Leipzig 1913, Reprint Hildesheim 1963, S. 57: „Form der organisch gebauten Missa“. Horst Leuchtmann, Siegfried Mauser (Hrsg.): Messe und Motette (= Handbuch der musikalischen Gattungen Bd. 9), Laaber 1998, darin Kapitel Muster und Schablone, S. 354ff., insbes. S. 357. Vgl. Ludwig Finschers Beschreibung einer Messe von Johannes Reson, in: Die Musik des 15. und 16. Jahrhunderts (= Neues Handbuch der Musikwissenschaft Bd. 3/1), Laaber 1989, darin: Die Messe als musikalisches Kunstwerk, S. 193–276, insbes. S. 212. Therese Bruggisser-Lanker: Musik und Liturgie im Kloster St. Gallen in Spätmittelalter und Renaissance, Göttingen 2004, S. 118. Der Anachronismus betrifft hier ebenso die ästhetische ‚Stiftung‘ wie der mittlerweile längst suspendierte, falsche Begriff der „Musik der Niederländer“. Die Musikästhetik des 19. Jahrhunderts bediente sich diesen Erklärungsmodellen, die später Eingang in die Analysen fanden, vgl. etwa Köstlins Unterscheidung „cyclischer Kompositionsformen“ in a) „ein aus mehrern Sätzen bestehendes, mehrteiliges Tonstück, dessen Sätze blos Abschnitte oder Theile eines Ganzen sind“, b) „ein Tonstück mit mehrern Sätzen, die selbständige, obwohl unter einander zusammengehörige Ganze sind“ und c) „ein größeres Tonwerk, das […] Tonstücke in sich aufnehmen und ein umfassenderes Ganzes aus ihnen bilden kann“, vgl. Köstlin, Musik (wie Anm. 3), S. 951. Hier ist erneut auf die kritischen Beiträge von Strohm und Kirkman zu verweisen, vgl. Anm. 6 und 14. Hingegen nehmen bei den Messen des 16. Jahrhunderts mit marianischen Titeln und Themen die Choralordinarien etwa ein Viertel ein, vgl. Verzeichnis I.
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dert hinein nachweisbare aufführungspraktische und quellengeschichtliche Usus der Separierung von Messen in ihre Einzelteile zu nennen: Kompilationen verlieren keineswegs ihren Reiz mit der „Entdeckung“ des Zyklus – im Gegenteil: Prominente Sätze werden das gesamte 16. Jahrhundert hindurch immer wieder kombiniert mit Sätzen anderer Komponisten; es wird gestrichen, ergänzt und neu zusammengestellt in jeder nur erdenklichen Form, bis hin zu dem seltsamen Fall, dass aus alternatim-Kompositionen polyphone erstellt werden oder auch umgekehrt.29 Nicht zuletzt deshalb kann kaum ein bedeutender Komponist der Zeit für eine seiner Messen mehr geschlossene als separierte Überlieferungen behaupten – schlicht ihre als am gelungensten empfundenen Messsätze führen häufig die Statistiken der Quellenlisten an.30 Die weite Streuung von Einzelsätzen, die in unzähligen Kirchenund Hofarchiven zu finden sind, macht zudem deutlich, dass in der musikalischen Praxis vor Ort ebenso frei und vorbehaltlos kombiniert wurde, was gefiel und gebraucht wurde. Andernfalls wären derartig akribisch angelegte Konvolute freilich ebenso sinnlos, wie man auch Ottaviano Petrucci mit seiner mehrfach aufgelegten Kompilation der Fragmenta Missarum in angeblicher Verkennung kompositionsgeschichtlicher Fakten verlegerische Ignoranz vorwerfen müsste. Ein weiteres wichtiges Argument, das dem Einzelsatz gegenüber dem Ganzen Vorrang einräumen muss, ist die liturgische Praxis, der Rahmen, dem ausnahmslos alle Messen noch das gesamte 16. Jahrhundert hindurch formal eingruppiert waren. Das gilt selbstverständlich ebenso für die sog. Herrschermessen wie andere ‚weltliche‘ Messen31, deren Ereignisort selbstverständlich kein imaginärer Konzertraum, und deren Aufführung nicht als fünfteiliger ‚Zyklus‘ stattfand, sondern die stets und immer und überall mit liturgischen Handlungen kombiniert waren, sei es in den Privatgemächern des Papstes oder am Habsburger Hof. Entfiel an den Sonntagen der Advents- und Fastenzeit sowie an Allerseelen das Gloria, oder wurde die Osteroktav von Dienstag bis Samstag ohne Credo abgehalten – sowie im Übrigen die meisten Heiligenfeste des Kirchenjahres als Gedenktage dritter Klasse weder Gloria noch Credo einschlossen –, so reduzierte sich die Messe schlicht um einen oder mehrere Sätze, oder sie wurde von vornherein nur drei- bis viersätzig komponiert. Ebenso verbreitet waren die sog. „Schachtelämter“, also das sich überlappende Verlesen von Messen an zwei oder mehreren Altären in einer Kirche, in denen schon vor oder kurz nach dem Sanctus abgebrochen wurde, um Zeit zu sparen.32 Fest steht: Das Postulat zyklischer Totalität hält dem liturgischen Protokoll in 29
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Vgl. Verzeichnis I. Einer der seltsamsten Fälle im Missa de Beata Virgine-Repertoire ist etwa neben den Mantuaner Zensureingriffen aus Kap. 5.6. die neu entdeckte tschechische Manuskript-Quelle, in der Pierre de La Rues Kyrie, Gloria und Sanctus in korrumpierter alternatimFaktur mit dem Credo (ebenfalls alternatim ‚ausgedünnt‘) von Antoine Brumel kombiniert ist: Brno, Archiv mesta Brna, fond V 2 Svatojakubská knihovna, sign. 14 5, fol. 9v–17r. Ein Blick in die Kritischen Berichte etwa der New Josquin Edition ist hier besonders aufschlussreich. Der Begriff der „weltlichen Messkomposition“ ist ein ebenfalls ahistorischer Topos, der sich nichtsdestotrotz ungebrochener Beliebtheit erfreut. Korrekt wäre zu sprechen von „Messkompositionen über weltliche Themen“. Vgl. Josef Andreas Jungmann: Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, 2 Bde., Wien 1952, Bd. 1, S. 172f.
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seiner Komplexität und Variabilität schlicht nicht stand – von regionalen Bräuchen wie etwa der Münchner Hofkapelle, wo ein ‚fremdes‘ Agnus Dei problemlos um ein oder zwei Drittel gekappt werden konnte, da man stets nur eines der drei polyphon aufzuführen pflegte, einmal ganz abgesehen. Die methodische Rückbesinnung auf den Einzelsatz soll freilich nicht heißen, dass das zusammenhangstiftende Faktum der Materialidentität, so es vorhanden ist und sich offenbart, keine Rolle spielt oder an Bedeutung gegenüber den Verfahren der Einzelsätze zurückzustehen hat. Auch sind weitere konkrete musikalische Verweise zwischen den Sätzen – sei es ein immer wiederkehrendes Kontrasubjekt, eine logische Aufeinanderfolge modaler Bezüge oder seien es häufige rhythmische Implikationen, die dem Kenner verweiskräftig vor Augen stehen – nicht wegzudiskutieren. Sie sind nach wie vor wichtige Kriterien für die Analyse, die ja nicht zuletzt Aufschluss über kompositorische Verfahren und Ideenbildung geben soll, zu denen auch satzübergreifende Maßnahmen zählen dürfen und können. Wer sich allerdings klarmacht, dass die Verlaufskonzeption, wie materialsymbiotisch sie auch angelegt sein mag, immer die Individualität ihrer Teile mitdenkt, wer erwägt, dass dem Komponisten die jederzeit mögliche Werkteilung selbstverständlich und unhinterfragt vor Augen stand33, wer zudem die aufführungspraktische Trennung der Sätze im liturgischen Ablauf erinnert, der wird weit eher von einem der Einheitsbildung gegenüber offenen Einzelsatz-Konzept ausgehen müssen als von dem für sich genommen nur im großformalen Verbund verständlichen Teil eines Ganzen. Anders ausgedrückt: Ein getragen klingendes, geringstimmiges, nur verhalten melismatisch agierendes dreiteiliges Kyrie ergibt nicht erst dann einen Sinn, wenn man ihm sein (sofern vorhanden) Besetzung steigerndes, klanglich voluminöses und imitatorisch verdichtetes ‚Gegenstück‘ im dreiteiligen Agnus Dei zur Seite stellt: Das Kyrie ist weder bloßes ‚Vorstadium‘ oder eine Etappe auf dem zyklischen Weg noch eine Art ‚Kopfsatz‘-Antipode zum Finale, sondern zunächst einmal ein unabhängiger Satz mit eigener Textaussage, musikalischer Struktur und liturgischem Ort. Im beliebten Konstatieren einer sogartigen Finalität von Messkompositionen schwingt stets jene aufklärerische „per aspera ad astra“-Deutung mit34, die im Messkontext nur dann einen Sinn ergibt, wenn man sie als Umsetzung der liturgischen Botschaft mit musikalischen Mitteln liest. Die Stimmsteigerung und unbestrittene Kunsthaftigkeit der Agnus Dei-Sätze resultiert nicht aus eigenmusikalischen Prozessen im Sinne eines Beethoven’schen apotheotischen „Durchbruchs“, den es durch mehrere Sätze hindurch zu erringen gilt, also dem angeblichen Zwang zur zyklischen Einheitlichkeit oder ‚Durchbildung‘, sondern aus der musikalisch adäquaten Darstellung der sym33
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Das erklärt auch die bisweilen mit Verwunderung konstatierte Tatsache, dass die frühesten überlieferten Quellen einer Messe des 15. und 16. Jahrhundert in der Regel Einzelsätze und mitnichten die gesamte Messe sind. Offenbar spricht nichts dagegen, dass ein Komponist, wie vermutlich bei Josquins Missa de Beata Virgine geschehen, zuerst sein Credo komponiert, vgl. Kap. 5.3.1. Josquin Desprez ‚komponiert‘ Geschichte. Karl H. Wörner bezeichnete das Finale für die Sinfonik als „geistige Spannung“, ja als „Wertbegriff“. Als solcher hat er auch in die Messenanalyse Einzug gehalten, vgl. ders.: Das Zeitalter der thematischen Prozesse in der Geschichte der Musik, Regensburg 1969 (= Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts Bd. 18), S. 3.
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bolischen Erhebung der Gläubigen zu Christus als Höhepunkt der Eucharistiefeier. Inwieweit die Liturgie selbst als Zyklus verstanden werden kann und dies auch von ihren Medien einfordert, darauf sei im folgenden Kapitel näher eingegangen. Festzuhalten bleibt vorerst, dass die formale Identität der Messe mindestens ebenso als Geflecht von Einzelsätzen mit eigenen Bedingungen und Verfahren wie als Zusammenschluss ihrer Teile mit musikalischen Mitteln verstanden werden muss. Zu erinnern ist hier an die von Werner Breig für die Bach’schen Klavierzyklen eingeführte Unterscheidung von „komponierten Zyklen“ und „Aufführungszyklen“35 – die polyphone Messe erweist sich in diesem Begriffsbogen als ein Zyklus, der als Einheit gedacht sein kann (aber nicht muss), immer aber die Varianz und Spontaneität des Aufführungszyklus in sich trägt. Erst in der bewussten Differenzierung der Doppelform eines Messsatzes als offener Teil des Ganzen und eigenes geschlossenes Ganzes liegt die Möglichkeit verborgen, der Zyklusidee ihre ideologisch-teleologisch verklärte Orientierung zu nehmen und die polyphone Messe nunmehr als Produkt ihrer Zeit und Bedingungen zu begreifen. Dies ermöglicht zugleich die Suspendierung der der Sinfonieästhetik geschuldeten Einheitlichkeits-Idee in der Messe. Insbesondere die Choralordinarien, deren offenkundige Präferenz des Einzelsatzes nicht bedeuten muss, dass nicht auch dort satzübergreifende Maßnahmen existieren können und dürfen, legen dieses Umdenken nahe. Erst wenn man die Choralordinarien als selbstverständlichen Teil einer Messengeschichte begreift, die Einzelsätze, Satzpaare, Kompilationen und Messen über einen gemeinsamen c.f. nicht nur nebeneinander duldete, sondern alle diese Bereiche im 16. Jahrhundert und noch lange danach kultivierte, verliert die Gattung ihre exilantisch anmutende Sonderstellung. Dass vergleichsweise wenige Choralordinarien vorliegen, sollte kaum Anlass für Qualitätsverdacht sein, den man aus der Perspektive des teleologisch geprägten Einheitlichkeitsdenkens zu äußern verpflichtet wäre. Der umgekehrte Blickwinkel auf den einzelnen, sich durch Modus- und Vorlagenselbständigkeit profilierenden Einzelsatz, der dennoch Teil des Ganzen sein soll, zeigt vielmehr, welch ungeheurer Aufwand mit der Verwendung immer neuen Materials und dessen formalen Bedingungen im Choralordinarium betrieben worden ist, ein Aufwand, demgegenüber die Komposition einer c.f.-Messe etwa über ein monochromes, bewegungsarmes Soggetto oder Ostinato beinahe als belanglose Fingerübung erschiene, wäre diese Perspektive nicht ebenso schief. Indem die Idee des Zyklus in ihrer sinfonisch geprägten Form ad acta gelegt wird, indem also ästhetisch vorbelastete, anachronistische Begriffe wie Autonomie, Einheitlichkeit oder Selbstreferenz suspendiert werden, verliert die polyphone Messe keineswegs an historischer Relevanz oder büßt ihren wirkungsmächtigen Rang neben der Sinfonie ein. Sie bleibt der „cantus magnus“, der große, in gewaltigen Chorbüchern dokumentierte Gesang: die umfänglich und besetzungstechnisch stärkste, beliebteste und am weitesten kunstvoll ausdifferenzierte musikalische Gattung des 16. Jahrhunderts. Ihre Determinanten in außermusikalischen Belangen zu ignorieren, hieße allerdings ihr Wesen zu verkennen.
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Vgl. Breig: Bach’s Kunst der Fuge: Zur instrumentalen Bestimmung und zum Zyklus-Charakter, in: BachJb 48 (1982), S. 120.
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2.2. FUNKTION ALS BESCHRÄNKUNG Dass Funktion die Musik in ihrer freien Entfaltung und Entwicklung behindere, ja langfristig einenge, und die Lösung von funktionalen ‚Korsetts‘ entsprechend als Credo jeglicher Kunstmusik zu gelten habe, ist eine landläufige, ebenfalls der Aufklärungsästhetik entstammende Auffassung. So wie die persönliche Emanzipation des Komponisten seinem Schaffensertrag gleichsam als Mehrwert zugeschlagen wird (umgekehrt neigt man dazu, den noch auf Auftraggeber und Ämter angewiesenen Komponisten als ‚noch nicht‘ emanzipiert zu bezeichnen), so wird die Bindung an funktionale Bedingungen als historisches ‚Kreuz‘ verstanden, das die Musik schon früh zu tragen gelernt und – bei ‚glücklicher‘ Fügung – irgendwann hoffentlich abgestreift hatte. Und während der funktionale Bedarf für die Initiierung und Evolution von musikalischen Gattungen als wichtig erkannt wurde, akzentuierte man zugleich und vordringlich Entwicklungsprozesse der musikalischen Mittel, Verfahren und Formen, die die Gebrauchsbedingungen überwölbt, hinterfragt, umgangen, gewandelt und schließlich aufgekündigt hatten, um dem Kunstwerk nun neuen (eigenen) Raum zu geben. Dem unzweifelhaft Teleologischen an dieser Beobachtung ist schwerlich beizukommen. ‚Ausbruchsversuche‘ dieser Art hat beinahe jede Gattung der Musikgeschichte auf die eine oder andere Weise erfahren – unter Umständen scheinen sie ein der musikalisch ambitionierten Komposition generell inhärentes, eigendynamisches, quasi expansives Kriterium zu bilden. Womöglich ist aber auch diese Interpretation nur ein Symptom der aufklärerischen Autonomie- und Originalitäts-Idee, die in jedem Werk etwas ‚Neues‘ auf der Basis des ‚Alten‘ sehen wollte, um es (und zugleich sich selbst) der historischen Anbindung zu versichern. Das lässt sich in diesem Rahmen kaum klären. Wie dem auch sei: Nicht selten existierten nach dem ‚Bruch‘ für einige Zeit mindestens zwei Gattungssysteme nebeneinander: Werke, die die funktionale Nachfrage mehr oder weniger sorgfältig bedienten (aber unabhängig davon ‚Kunst‘ im besten Sinne sein konnten), und Werke, die der Funktion womöglich noch zuordenbar, sich in der Regel aber selbst bei größter Anstrengung nicht mehr mit dem einstigen Format übereinbringen ließen, wie etwa Beethovens Missa Solemnis oder Brahms’ Ein Deutsches Requiem. Im 15. und 16. Jahrhundert hingegen hat sich die polyphone Messkomposition allerdings zu keinem Zeitpunkt von ihrer liturgischen Funktion lösen, sie nachhaltig umformen oder sie gar suspendieren können. Das ist schlicht dem Umstand geschuldet, dass Funktion hier nicht nur die gottesdienstliche Tauglichkeit der Komposition meint, sondern ihrem musikalischen Medium zugleich seine formale Passung bis in die feinste Verästelung hinein vorschreibt: Text, rituell angemessene Länge und liturgische Position der Sätze waren fixiert und keineswegs der Interpretation des Komponisten überlassen. Nichtsdestotrotz wurden in der Forschung schon die im 15. Jahrhundert registrierten Lizenzen im Umgang mit mittelalterlichen Choralmelodien als erster Schritt zur Emanzipation gewertet, ganz zu schweigen von den darauffolgenden gattungshistorischen Ereignissen wie der Wahl weltlicher (häufig politischer) Melodievorlagen, der exquisiten Beurteilung der Gattung in Musiktheorie und Kompositionslehre, dem Einzug der Messe in private Andachtsräume oder auch ihrer distributiven Verbreitung in Personaldrucken, die überdies durch Paro-
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dietechniken explizit aufeinander Bezug nehmen konnten. All das trug, so meinte man, mehr oder weniger deutlich den Keim zunehmenden, sich ausdifferenzierenden künstlerischen Selbstbewusstseins, wenn nicht gar einer Selbsthistorisierung in sich, und man diagnostizierte – im Anschluss an Jacob Burckhardt und August Wilhelm Ambros36 – eine Evolution des Kunstwerks heraus aus seiner rein funktional-objektiven Hülle hin zu einem seine Restriktionen qua Individualität überhöhenden Subjekt; eine Evolution, die Keith Falconer einmal ebenso vorsichtig wie hilflos als „partial independence“37 bezeichnet hat. Indem die Funktion – im Fall der Messe also der Ritus – als Belastungsprobe für die künstlerische Entfaltung der polyphonen Messe und weniger als Zusammenhang, mithin Sinn stiftendes Vehikel von Form und Inhalt galt, musste sich jedes Detail, das auf eine Weitung der Traditionen deutete – Melismatisierung, Isorhythmik, Tropierung, um nur einige zu nennen –, als bemerkenswert, ja innovativ ausnehmen. Hingegen wurde der Pflege traditioneller Akzente – verbürgt etwa durch c.f.-Treue, Homophonie oder modale Ausgeglichenheit –, erstrecht wenn sie sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ereignete, nicht selten das Etikett der Stagnation angeheftet, eine Perspektive, die zum Beispiel bis heute das Verständnis von Palestrina verstellt. Die in der polyphonen Messe des 15. und 16. Jahrhunderts konstatierte, subtil sich ankündigende, bisweilen energisch ausbrechende Emanzipation des Subjekts38 wurde allerdings abstrahiert aus musikästhetischen Überlegungen, die mitnichten der Messe, sondern wiederum, wie schon jene zur Autonomie und zum Zyklus, der Sinfonie galten. Die dort beobachteten Mechanismen der Gattungsentwicklung von einer funktionalen, fremdbestimmten Opern- oder Ballettintroduktion im Barockzeitalter hin zum Inbegriff autonomer polyphoner Kunst bei Beethoven, flankiert zumal von sozialhistorischen Wandlungen von höfischer zu bürgerlicher Kunst39, haben jedoch nichts mit Bestrebungen der Messkomponisten zu tun, ihrem vorgegebenen funktionalen Rahmen ein Maximum an Kunsthaftigkeit abzugewinnen. Das Abstreifen des liturgischen Textes und Protokolls einerseits, das Heraustreten der Messe aus dem Gottesdienst andererseits waren schlicht undenkbar (und blieben als solches auch ‚unbedacht‘). Somit rückten für den Komponisten Textaussage, kontrapunktische Verfahren, Material, Metrum, Modus und Besetzung, also sämtliche musikalisch-inhärenten und semantischen Aspekte in den Vordergrund. Festzuhalten ist, dass eine Ausdifferenzierung explizit künstlerischer Mittel nur dann als Wille zur Emanzipation interpretiert werden kann, wenn man die Überwindung von Etwas angestrebt sieht, folglich einen intendierten formalen oder inhaltlichen 36 37 38 39
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Vgl. dazu Kirkman, The Invention of the Cyclic Mass sowie ausführlicher The Cultural Life of the Early Polyphonic Mass (wie Anm. 6). Keith Falconer: Ritual reflections, in: Companion to Medieval & Renaissance Music, hrsg. von Tess Knighton und David Fallows, Berkeley [u. a.] 1997, S. 70. Ein Begriff, im Sinne der Aufklärung, die ihn kultivierte, zugleich lesbar als „Emanzipation des Bürgertums“. Dabei ist erwähnenswert, dass nicht nur der historische (wiederum teleologische) Verlauf einer Gesamtemanzipation der Gattung gemeint war, sondern ebenso der sich in jedem Werk neu realisierende Befreiungsschlag. Köstlin sprach von der „Evolutionsform“ der „Sonaten- und Symphoniesätze, Ouvertüren u.s.w.“, die „geradezu die höchste Form der Composition“ bildeten, vgl. Köstlin, Musik (wie Anm. 3), S. 961.
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Umschwung nachweisen kann, der nachhaltigen Einfluss auf die Funktion zu nehmen imstande wäre. Für das Bedürfnis, funktional und formal vergleichsweise ungebunden zu komponieren, boten sich aber einerseits genügend andere Musikformen an. Andererseits gilt: Solange sich in der polyphonen Messe Form, Protokoll, textlicher Primat und Aufführungsort behaupteten, und ‚nur‘ ein stets wachsender und verfeinerter kompositorischer Anspruch konstatiert werden kann, und solange sich musikhistorisches Bewusstsein und selbstreferenzielle Bezüge der Komponisten ebenfalls primär im rein musikalischen Kriterium der Zitattechnik realisierten, kann Funktion wohl kaum als Begrenzung aufgefasst werden. Die Liturgie – rituelles Formular der christlichen compassio, des Mit- und Nach-Erlebens der Passion40 – blieb stets die Folie für das musikalische Ereignis, sie stiftete den Zusammenhang der Form, wurde aber selbst weder hinterfragt noch verzerrt. Das erklärt im Übrigen auch das offenkundige Desinteresse der Kirchenführung der Zeit an Belangen der polyphonen Messe, das von der Forschung nicht selten verwundert zur Kenntnis genommen wurde und Anlass gab, über verschollene Dokumente zu spekulieren.41 Die kunsthafte Ausdifferenzierung der Messe zu kritisieren, gab es schlicht kein Motiv, solange sie ihre formale Funktion erfüllte, und die wenigen bekannten Dokumente, die gegen profane Melodievorlagen und ihre affektgeladene (bis, so hieß es, affektierte) Vertonung polemisierten, nehmen sich vergleichsweise bescheiden aus angesichts des großen Spektrums an kreativen und intellektuell komplexen Kompositionen. Dass diese Kritiken zudem überwiegend von ideologisch engagierten Klerikern wie Bernardino Cirillo42 oder Wilhelmus Lindanus43 stammten, verwundert kaum: Sie waren Ausdruck reformatorischer Sublimation der römisch-katholischen Kirche in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts44, und kaum panische Reaktion auf eine ihr formal-funktionales Korsett abzustreifen bereite Gattung. Wenn sich überhaupt eine Akzentverlagerung in der Messkomposition abzeichnete, so war es jene zwischen Text und Musik, die sich bereits im Zusammenhang der seitens der römischen Kurie beauftragten Reformmessen Vincenzo Ruffos erkennen lässt. Hier allerdings wäre nicht nur zu fragen, inwieweit diese kirchenpolitisch restaurative Strategie tatsächlich allgemeine Trends spiegelte anstatt spektakulärer, aber letztlich einflussloser Einzelfall zu sein, sondern auch, ob die wenigen beauftragten Messen ihre musikhistorische Berühmtheit tatsächlich ihrer kompositorischen Qualität oder doch nicht vielmehr den bemerkenswerten Entstehungskontexten verdanken; im Messe-Artikel der 40
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„Frömmigkeit bedeutete im Hoch- und Spätmittelalter gerade auch die Einung mit dem ‚Christus passus‘, nämlich das emotionelle Sich-Einfühlen in die einzelnen Akte und Worte seiner Passion“, Arnold Angenendt: Liturgie im Mittelalter, in: Liturgie, Ritual, Frömmigkeit und die Dynamik symbolischer Ordnungen (= Wolfenbütteler Hefte 19), hrsg. von Helwig SchmidtGlinzer, Wiesbaden 2006, S. 39. Vgl. dazu Leuchtmann / Mauser, Messe und Motette (wie Anm. 13), S. 172–175. Wie Anm. 11. Lindanus: Panoplia Evangelica sive de Verbo Dei Evangelico, Köln 1559, Liber IV, Cap. LXXVIII, Gradus ecclesiastici explicati, S. 421. Dorthinein fügt sich auch die untergeordnete Rolle, die die Musik generell auf dem Tridentinum spielte. Vgl. dazu aktuell Christian Leitmeir: Jacobus de Kerle. Komponieren im Spannungsfeld von Kirche und Kunst, Turnhout 2009, insbes. S. 572–579, sowie Kap. 3, Anm. 51.
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Neuen MGG wird zumindest festgestellt, sie hätten immerhin den „Kunstanspruch noch nicht gänzlich aufgegeben“45. Die Anmerkungen Vincenzo Galileis aus dem Jahre 158146, dass zu diffizile kontrapunktische Passagen der Textverständlichkeit schadeten, gehören zu den ersten ernstzunehmenden musiktheoretischen Warnungen. Das setzt allerdings auch voraus, dass man Galileis primäre Intention der Restituierung antiker Musik ebenso ignoriert wie den Umstand, dass selbst absolute textliche Unkenntlichkeit die Verständlichkeit des liturgischen Protokolls zwar beeinträchtigen, seine rituelle Form samt ihrer funktionalen Handlungen aber kaum ernsthaft gefährden kann. Die absurde Vorstellung eines gegen das liturgische Protokoll, dessen Text und Ort verzweifelt ankomponierenden Musikers bietet kaum einen adäquaten Ausgangspunkt für eine Beschäftigung mit der Messkomposition der Renaissance. Interessanterweise bürgen ausgerechnet jene Autoren des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, denen man die philosophieästhetische Vorarbeit zur Interpretation emanzipatorischer Bestrebungen von Großformen verdankte, für einen weitaus differenzierteren Begriff von der Messe in ihrer funktionalen Bestimmtheit als man gemeinhin annimmt. Während protestantische Autoren wie Michael Praetorius, Johann Mattheson oder Johann Nikolaus Forkel die polyphone Messe verständlicherweise, wenngleich kaum den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis genügend, weder in ihren Stil- noch Gattungssystemen berücksichtigten47, formulierte 1847 erstmals Ferdinand Hand dezidierte Überlegungen zum Gegenstand. In seiner Aesthetik belegt die Beschreibung und ästhetische Einschätzung der Messe ganze 17 Seiten48 und birgt die differenzierteste und zugleich bemerkenswert ideologiefreie Beschäftigung der aufklärungsästhetisch argumentierenden Literatur mit dem Thema.49 Selbstverständlich gelten die meisten Überlegungen der zeitgenössischen Messkomposition und sind nicht einfach auf den Begriff von „Messe“, den sich die Ästhetik des 19. von der Messe des 16. Jahrhunderts bildete, übertragbar. Und ebenso mutet der Usus, Messsätze mit Stimmungsbildern zu kennzeichnen, heute anachronistisch und als Parallele zur ebendort entfalteten Sonatenästhetik allzu auffällig an.50 Aufschlussreich ist jedoch die Scheidung in 45 46 47 48 49
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Lütteken / Finscher, Messe (wie Anm. 17), Sp. 198. Dialogio della Musica Antica e Moderna, S. 82. Matthesons eigens entworfener „Kirchenstyl“ umfasste hingegen die protestantischen Gattungstypen von Choralgesang, Motette und Madrigal. Aesthetik der Tonkunst, Jena 1837–1841, 2 Bde., hier Bd. 2, S. 494–511. Demgegenüber nehmen sich Kommentare von Adolf Bernhard Marx wie der folgende, die Messe zähle zur Kategorie der „Musik in Verbindung mit anderen Produktionen“, zu der auch Oper, Melodram, Ballette oder Schauspiel gehören, seltsam zurückgenommen aus. Hierin zeigt sich aber zugleich der Autonomieästhetiker Marx: Der gesamten, fremdbestimmten Kategorie haftet stets die Herabwertung gegenüber autonomer Instrumentalmusik an. Funktionale Musik gilt nach Marx schlicht als trivial, vgl. Allgemeine Musiklehre: ein Hülfsbuch für Lehrer und Lernende in jedem Zweige […], Berlin 1850, S. 290. Vgl. dazu auch Wolfgang Marx: Klassifi kation und Gattungsbegriff in der Musikwissenschaft, Hildesheim 2004, insbes. S. 350 und 354. Kyrie: „Der Grundton der Gemüthsstimmung ist demuthvolle Andacht“ (S. 498), Gloria: „In Verklärung erscheinen Himmel und Erde, jener erhellt vom Glanze der göttlichen Herrlichkeit, diese beglückt durch Gottes Frieden“ (S. 500), Credo: „Der Grundzug des Ganzen ist ruhige
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gottesdienstliche, funktionale Musik einerseits und religiöse, dramatische Musik andererseits, eine Trennung, die m. W. erstmals derart konsequent vorgenommen wird. Sie macht überdies klar, dass Hand Sinfonie und Messe keineswegs als ästhetische Pendants verstand. Dieses System ermöglichte ihm vordergründig, außerkirchliche Gattungen wie das Oratorium von liturgischer Gebrauchsmusik (ohne dass dieser Begriff negativ konnotiert wäre) zu trennen, hintergründig aber, die damit wechselnde Einflussnahme des funktionalen Kontextes – Hand spricht von „Bestimmung“, nicht von „Funktion“ – zu akzentuieren. Die „Bestimmung“ der polyphonen Messe sieht Hand in der Unterordnung des Besonderen unter das Allgemeine51, um eine kollektive Stimmung zu erzeugen: „Das Wesentliche der Ceremonie, welches sich auf die Weihe und Wandelung des heiligen Leibes und Blutes bezieht, ist in dem Gesange nicht als Centralpunct hervorgehoben, vielmehr herrscht durch das Ganze jenes Gefühl der Demuth, mit welchem der hülfebedürftige Christ vor Gott erscheint und nach Versöhnung verlangt.“52 Dabei gehe das an der Liturgie teilnehmende Individuum in dem „Grundgedanken des christlichen Glaubens“ vollständig auf: „Das Gemeinsame der hier angeregten Gefühle beruht also in der geheimnißvollen Einigung mit dem Ewigen und Heiligen, welche durch die Erlösung vermittelt, durch den Glauben gesichert wird.“53 Die Musik habe zwar als Träger dieses funktionalen Bedarfs zu fungieren, gleichzeitig aber sei sie wie kein anderes Medium christlichen Glaubens geeignet, Stimmungen zu kollektivieren und in communio zu stärken. Das anagogische Moment der Musik realisiert sich hier nicht in der Anschauung, sondern in der Aktion. Darin beruht auch der Unterschied zu Hands Verständnis von religiöser Musik (etwa im Oratorium): Dort bleibt der Einzelne stets Rezipient, da er das dramatische Geschehen als Gegenüber, nicht als Beteiligter erlebt, und dies nicht nur, weil ihm der Kirchenraum fehlt. Religiöse Musik und gottesdienstliche Musik stellen in dieser Interpretation zwei vollkommen unterschiedlich funktional und rezeptiv determinierte Ereignisse dar. Inwieweit diese scharfe Trennung von ritueller Integration einerseits und Beobachtung religiöser Begebenheiten andererseits, die Hand hier vornimmt, für die Realität von Messe und Oratorium des 19. Jahrhunderts Sinn macht, steht hier nicht zur Diskussion. Für den vorliegenden Zusammenhang ist vielmehr wesentlich, dass hierin zunächst einmal ein entscheidendes Differenzkriterium zur Sinfonie liegt: Wie das religiöse Drama ist sie funktional gelöst und steht ihrem Zuhörer gegenüber. Die Messe des Gottesdienstes hingegen erhält ihren funktionalen Sinn erst in kollektiver Teilnahme an ihrem Vollzug; sie hat kein Publikum, keine Rezipienten, sondern nur Partizipienten. Begrifflichkeiten wie Autonomie, Emanzipation und Selbstreferenz verlieren im Rahmen dieser Struktur ihre Logik und Wirkungsmacht. Die polyphone Messe ist nach Hand mitnichten ein sich aus ihrem funktionalen
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Beschauung und feste Ueberzeugung“ (S. 502), Sanctus: „ehrfurchtsvolle Anbetung des Gottes der Gnade […] oder als eine Verherrlichung der höchsten Majestät“ (S. 504f.) und Agnus, „der reuigen Bitte um Vergebung“ (S. 506), jew. in: Hand, Aesthetik der Tonkunst (wie Anm. 48). Ebd., S. 510. Ebd., S. 494. Ebd.
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Referenzrahmen bzw. Bestimmung befreiendes, ihrem Publikum autonom entgegentretendes Kunstwerk, sondern medialer Teil des individuellen Nachvollzugs der christlichen Passion. Indem die Gläubigen sich in dieser Handlung vereinen – zu diesem Zweck erschienen in der frühen Neuzeit auch neue Liturgie-Erklärungen für „einfache Leute“54 –, entsteht die kirchliche Glaubensgemeinschaft, die sich in der Messe immer wieder erneuert und bestätigt. Erst durch die subjektive Teil- und Anteilnahme der Gläubigen objektiviert sich die Messe, was Hand mit der Unterordnung des Besonderen unter das Allgemeine auszudrücken versuchte.55 So erkannte er auch, dass „die Meister der alten Zeit“ in „objectiver Anschauung frei von solcher [inhaltsästhetischen] subjectiven Bestimmung“ komponierten, „[…] bevor überhaupt in der Musik das Individuelle zu größerer Gültigkeit gelangte“.56 Die funktionelle Bindung der polyphonen Messe an diesen Rahmen und Anspruch kann so gesehen kaum als eine von außen auferlegte Beschränkung aufgefasst werden, eher als ihr ureigenes, inneres, ja sie überhaupt erst bedingendes Merkmal. Karl Reinhold Köstlin, dem wesentliche Anregungen zur Ästhetik des Sinfonischen zu verdanken sind, grenzt die Sinfonie nur wenige Jahre später ebenfalls scharf von der Messe ab und lehnt sich an Hand an: „In der Messe, als dem Mittelpunkt des Cultus, treten das Göttliche und Menschliche in ihrem ganzen absoluten Unterschiede einander entgegen und ebenso als absolut sich einigende zusammen […].“57 Für ihn wird in der Messe das Spannungsfeld von objektiver Bestimmtheit („reiner Idealität“58 im Glauben) und individueller Bedeutung („subjektiver Bewegtheit“59) auskomponiert, „das religiöse Gefühl durchläuft in ihr alle Stadien des Processes, in dem es sich bewegt […]“.60 In diesen „Stadien“, dem Absolvieren des liturgischen Protokolls, liegt für Köstlin zugleich das Zyklische der Messe, die er als „Cyclus von Kirchengesängen“ betitelt, ohne dies teleologisch prozessual zu befrachten. Zyklus realisiert sich hier vielmehr im organisierten steten Wechsel von (stillen und lauten) Gebeten, (kurzen und langen) Lesungen, Segnungen, Bitten, Danksagungen, Predigt, Abendmahl, Ein- und Auszügen, rubriziert in Ordinarium, Proprium, Offizium sowie den ergänzenden Abschnitten, manche musikalisch gestaltet, manche nicht. Erst im festgelegten Protokoll der römischen Liturgie bildete sich eine zyklische Ordnung aus, in der die polyphone Messe ihren Platz und ihre Form fand, nicht als eigenständige, freie, sondern teilhabende Identität am zyklischen Ganzen.61 Die Liturgie, in der die polyphone Messe ihren Platz hat, gilt als 54
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Vgl. Bernhard Hamm: Was ist Frömmigkeitstheologie? Überlegungen zum 14. bis 16. Jahrhundert, in: Hans-Jörg Nieden, Marcel Nieden (Hrsg.): Praxis Pietatis. Beiträge zu Theologie und Frömmigkeit in der frühen Neuzeit. Festschrift Wolfgang Sommer, Stuttgart 1999, S. 9–45, insbes. S. 9. Hand, Aesthetik der Tonkunst (wie Anm. 48), S. 510. Ebd., S. 508. Köstlin, Musik (wie Anm. 3), S. 1021. Der Passus stammt aus dem Abschnitt zur Gattungslehre, Rubrik Größere Gesangswerke, S. 1016–1023. Ebd., S. 1022. Ebd. Ebd., S. 1021. Das lässt sich bei genauerer Betrachtung schon bei Tinctoris lesen, der nicht nur das Ordinarium nannte, sondern ebenfalls die dazwischenliegenden Teile des Offiziums, die alle zusammen
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Funktion als Beschränkung
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„Gemeinschaftsform“62: Allenfalls hier ist der Begriff der zyklischen Einheit gerechtfertigt, und erst hier erhält das „Ganze“ seine entschlackte, von Ideologemen weitgehend freie Gestalt. Nicht zuletzt erhalten aus dieser Perspektive die für diese Untersuchungen zentralen Choralordinarien, die aufgrund ihrer Choralbindung und -mischung stets dem abqualifizierenden Verdikt funktionaler Unterjochung anheimfielen, eine weitere ästhetische ‚Entlastung‘: Der liturgische Zyklus als gleichermaßen sinn- wie formstiftendes Einheitskriterium der polyphonen Messe lässt nirgends erkennen, dass die c.f.-Behandlung der jeweiligen Messe überhaupt relevant für ihren funktionalen Einsatz war, oder anders gesagt: Es lässt sich schlicht nicht nachweisen, dass die römisch-katholische Kirche – an welchem Ort und zu welcher Zeit auch immer – im Gottesdienst durchimitierten Messen den Vorzug vor Choralordinarien gab oder umgekehrt. Aus Sicht des alles überwölbenden liturgischen Zyklus waren die musikalischen Inhalte der Messsätze und damit die Provenienz ihrer Melodievorlagen irrelevant, wenn sie nur die adäquate Umsetzung des Textes in Musik gewährleisteten. Die Funktion legitimierte die musikalische Einheit, sie forderte sie aber nicht.
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erst den „cantus magnus“ ausmachen: „Missa est cantus magnus cui verba Kyrie, et In terra, Patrem, Sanctus et Agnus, et interdum caeterae partes a pluribus canendae supponuntur, quae ab aliis officium dicitur.“, in: Tinctoris, Diffinitorium musicae (wie Anm. 8), S. 185. Vgl. Jungmann, Missarum Sollemnia (wie Anm. 32), hier Bd. 1, Einleitung, S. 3.
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Kapitel 2.3.
2.3. DER EMANZIPIERTE KOMPONIST Ohne dem folgenden Kapitel 3 zum Topos des artifex divinus und seiner Bedeutung für das Verständnis von Komponist und Werk im 16. Jahrhundert vorzugreifen, sei als drittes und letztes hier zu thematisierendes Geschichtsbild jenes der Emanzipation des Komponisten in der frühen Neuzeit herausgegriffen. Dies erscheint deshalb notwendig, weil dieses Bild als wesentliche Stütze, wenn nicht Voraussetzung des musikalischen Kunstwerkes gilt, soll heißen: Nach landläufiger Meinung kann nur ein ‚emanzipierter‘, von funktionalen Bindungen und Ansprüchen freier Komponist ein Kunstwerk im oben bereits beschriebenen emphatischen Sinne schaffen. Will man zur Untersuchung von Messen des 16. Jahrhunderts die anachronistische Schicht dieses Bildes abstreifen, wie oben versucht, so muss der damit verbundene Schöpferbegriff ebenfalls hinterfragt werden. Der Topos der Emanzipation gilt musikhistoriographisch als besonders beliebt zur Beschreibung von in der Regel mit Einzelpersonen identifizierten, nachhaltigen Entwicklungsprozessen: Der Reihe Emanzipation der Subjektivität (bei Beethoven), Emanzipation der Dissonanz (bei Schönberg) oder auch Emanzipation des „NichtSchönen“ (bei Schreker63) ließen sich problemlos weitere Beispiele hinzufügen. Die anthropozentristische Sichtweise wurzelt wesentlich in Jacob Burckhardts Schlagworten „Entwicklung des Individuums“64 und „Erwachen der Persönlichkeit“65, die für die Renaissancezeit besagen, dort habe sich die Individualisierung als Doppelprozess der Emanzipation und Desintegration ausgeprägt, und damit die Voraussetzung für sämtliche folgenden subjektivierenden Emanzipationsprozesse gebildet.66 Entsprechend lag nahe, Frühformen von Autonomiebildungen, emphatischem Kunstwerkbegriff und modernem Künstlerbild bereits hier zu vermuten.67 Marcel Dobberstein sieht hier zumindest den Beginn einer dynamischen Entwicklung hin zum 18. Jahrhundert, wenn er schreibt: „Die Emanzipation gewann im Zeitalter der Renaissance im Übergang zur bürgerlichen Ordnung an Dynamik. Sie stand an der Wiege des Geniebegriffs und 63
Hans Joachim von Kondratowitz: Das Fremde in uns allen: Franz Schreker und die Emanzipation des „Nicht-Schönen“, in: Franz Schreker (1878–1934) zum 50. Todestag, hrsg. von Reinhard Ermen, Aachen 1984, S. 21–42. 64 Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch, hrsg. von Walter Rehm, Hamburg, Sonderausgabe 2004, Zweiter Abschnitt: Die Entwicklung des Individuums, S. 161–200. 65 Ebd., S. 162. 66 Diese Sicht regte auch die Genderforschung an, Ansätze früher weiblicher Emanzipation ebenfalls hier zu vermuten, was zumindest für Burckhardts Studie verneint werden kann. Nach ihm treten in der Renaissancezeit beide Geschlechter, zumindest jene der Oberschicht, in vielem ohnehin schon gleichberechtigt auf: „Von einer bewussten ‚Emanzipation‘ ist gar nicht die Rede, weil sich die Sache von selber verstand. Die Frau von Stande musste damals ganz wie der Mann nach einer abgeschlossenen, in jeder Hinsicht vollendeten Persönlichkeit streben.“, Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien (wie Anm. 64), S. 426f. 67 Eher selten wurde reflektiert, dass sogar die Burckhardt-Forschung mehrfach auf den inneren und äußeren Unterschied von renaissancehafter Individualisierung auf der einen und romantischer „Sturm und Drang“-Subjektivierung auf der anderen Seite hingewiesen hat. Vgl. insbes. Evert Maarten Janssen: Jacob Burckhardt und die Renaissance (= Jacob Burkhardt-Studien Erster Teil), Assen 1970, etwa S. 43–45.
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führte über die Jahrhunderte in immer stärkerem Maße zu einer künstlerischen Autonomie des einzelnen, zur Individualisierung, zur Vereinsamung […].“68 Die aktivische Prägung der Emanzipation, die bis in ihren etymologischen Ursprung von „ex manus capere“ zurückreicht69, hat dem Begriff in der Tat etwas Dynamisch-Zupackendes gegeben; rasch rücken Bilder des Entdecker- und Erfindermenschen der Renaissance in den Blick, der sich vom Alten löst, seinen Horizont weitet und zu neuen Ufern aufbricht. Das färbte freilich auch auf den Autor- und Künstlerbegriff ab, der sowohl durch die Individualisierungsbestrebungen an Profil gewann – und dies durch aufkommende Medien wie Personaldrucke nachhaltig sichern konnte –, als auch durch die wachsende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Kunsttheorie und -betrachtung zunehmend Interesse weckte. So hatten auch die konfessionellen Konflikte und Umbrüche der Zeit ihren Anteil an dem sich wandelnden Bild des Kunstschaffenden: Dass Komponisten wie Ruffo oder Vicentino von der römischen Kurie beauftragt wurden, kirchenpolitisch ‚passende‘ Werke zu komponieren sagt, wie oben angedeutet, wenig über eine sich generell verändernde Kompositionskultur, aber viel über das gewandelte Bild von Komponisten-Persönlichkeiten aus. Zu ignorieren sind schließlich ebenso wenig schon jene frühen aussagekräftigen Dokumente zum selbstbewussten Josquin, der eben komponiere wenn er wolle und nicht, wenn man es von ihm verlange70, oder zu Heinrich Isaac, dessen Habsburger Dienstverpflichtungen ihn schon 1484 als „Hainrichen ysaac Componist“ ausweisen, ein derzeit singuläres, bemerkenswertes Prädikat für einen Hofmusiker.71 Sie alle bilden dokumentarische Fixpunkte im Horizont eines ideengeschichtlichen Komponistenbildes der frühen Neuzeit, in dem die Ausprägung von Individualstilen allgemeiner Auffassung nach zu den wesentlichen Errungenschaften zählte. Inwieweit insgesamt und wo besonders diese Vorstellung, die von der für das 14. Jahrhundert konstatierten Zuordnung von Komponistennamen zu Werken ihren Ausgang nahm, als lückenhaft und methodisch problematisch zu gelten hat, wurde bereits 1974 von Ludwig Finscher72 diskutiert, anknüpfend an diesbezügliche musiktheoretische bzw. -soziologische Überlegungen von Walter Wiora (1962)73 68
Marcel Dobberstein: Die Psychologie der musikalischen Komposition: Umwelt, Person, Werkschaffen, Köln 1994, S. 43. 69 Als juristischer Begriff bezogen auf das Freigeben von Sklaven, die zuvor durch bloßes Berühren mit der Hand – „manus capere“ – zum eigenen Besitzstand erklärt worden waren, vgl. Art. Emanzipation, in: Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearb. von Elmar Seebold, Berlin 231999, S. 218f. 70 Mitgeteilt im berühmten Brief des Gian an Ercole d’Este von Ferrara vom 2. September 1502: „Dass Josquin besser komponiert [als Isaac], ist richtig, aber er komponiert, wenn er es will und nicht, wenn man es von ihm erwartet, und er verlangt 200 Dukaten als Lohn während Isaac für 120 kommen will.“, abgedruckt im italienischen Original u. a. bei: Martin Staehelin: Die Messen Heinrich Isaacs, 3 Bde., Bern [u. a.] 1977, Bd. 2, S. 56f. 71 Ebd., Bd. 3, S. 19. 72 Finscher: Die „Entstehung des Komponisten“. Zum Problem Komponisten-Individualität und Individualstil in der Musik des 14. Jahrhunderts, in: International Review of the Aesthetics and Sociology of Music 6 (1974), Nr. 1, S. 29–45. 73 Walter Wiora: Musica poetica und musikalisches Kunstwerk, in: Festschrift Karl Gustav Fellerer zum 60. Geburtstag, Regensburg 1962, S. 579–589.
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Kapitel 2.3.
und Carl Dahlhaus (1974)74. Deutlich wurde darin, dass soziologische Kontexte für das früh kompilierte Trecento-Repertoire grundlegend schwerer zu wiegen scheinen als seine emphatischen Deutungen als Dokument eines ausgeprägten Zeit- oder Zeitlichkeitsbewusstseins.75 Für die Spätphase des Trecento hingegen erkannte Finscher immerhin Anzeichen individueller Profilbildung, vor allem im Hinblick auf unterschiedliche, selbstbewusst präsentierte Bildungsniveaus der Komponisten, explizit greifbar etwa an der Textauswahl oder der anspruchsvollen Eigendichtung.76 Musikalisch ließen sich hier zudem erstmals musikalische Prägungen eruieren, die allein durch ihre quantitativ signifikante Anwendung zu „Markenzeichen“ der Komponisten avancierten; Individualität begann sich also bereits um und nach 1400, bei aller Formelhaftigkeit, schöpferisch auf mehreren Ebenen zu realisieren. Die Intention, die hinter dieser Individualisierung stand und sich primär im Benennen der Schöpfung durch den Schöpfer äußerte, wird in der Regel – und darin liegt das Problem für die Musik später begründet – mit einer bewussten Lösung von funktionalen Determinanten von Kunst assoziiert: „Ganz allgemein darf man vielleicht behaupten, daß das Bedürfnis, den Schöpfer des Kunstwerkes zu nennen, darauf schließen lässt, daß das Kunstwerk nicht mehr ausschließlich im Dienste religiöser, kultischer oder im weiteren Sinne magischer Aufgaben stehe, daß es nicht mehr allein einem Zweck diene, sondern daß sich seine Bewertung schon ein Stück weit von solcher Verknüpfung abgelöst habe.“77 Für die bildende Kunst, Architektur und Literatur sind diese Künstlernobilitierungen in zahlreichen Dokumenten präsent, etwa in Leon Battista Albertis Traktat De pictura (1435) mit der Erhebung des ökonomisch gebundenen Künstlers zum ‚freien‘ Gelehrten der artes liberales78, in den einflussreichen neuplatonischen Schriften der Medici-Akademie79 oder auch in Leonardo da Vincis eigenen informativen Aufzeichnungen80. All diesen und vielen weiteren Bewegungen inhärent ist die dem humanistischen Bildungsideal eingeprägte Vergeistigung des Künstlers, die ihn vom Handwerker zum Gelehrten, vom Ausführenden zum Erfinder und vom Menschen zum „Deus in terris“81 erhebt. Musikhistoriographisch erhielten diese Ereignisse im Nachhinein besonderes Gewicht durch die darauf aufgesattelte Theorie der Avantgarde, die ihre emanzi74
Carl Dahlhaus: Das musikalische Kunstwerk als Gegenstand der Soziologie, in: International Review of the Aesthetics and Sociology of Music 6 (1974), Nr. 1, S. 11–26. 75 Finscher, Die „Entstehung des Komponisten“ (wie Anm. 72), S. 37. 76 Ebd., S. 41. 77 Ernst Kris, Otto Kurz: Die Legende vom Künstler, Frankfurt a. M. 1995, S. 24. 78 Leon Battista Alberti: De pictura (1435), hrsg. von Jean Louis Schefer, Paris 1992, insbes. S. 208ff. 79 Insbesondere in der Philosophie Marsilio Ficinos, vgl. dazu im weiteren Kapitel 3, insbes. S. 39–42. 80 Leonardo da Vinci: [Aufzeichnungen aus dem Codex Atlanticus], in: Leonardo, The Literary Works, hrsg. von Jean Paul Richter, Bd. 1, London 31970. Vgl. dazu sowie generell zum Komplex den Art. Autor / Künstler, in: Ästhetische Grundbegriffe, hrsg. von Karlheinz Barck [u. a.], Stuttgart 2000, Bd. 1, S. 480–544, insbes. S. 507f. 81 Zum Begriff vgl. insbes. Viola Altrichter: Deus in terris. Die kurzweilige Heiligkeit des Künstlers im Cinquecento, in: Dietmar Kamper, Christoph Wulf (Hrsg.): Das Heilige – Seine Spur in der Moderne, Frankfurt a. M. 1987, S. 163.
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patorischen Bestrebungen, sich von Ritualen und Funktionen zu lösen, bereits in der frühen Neuzeit vorbildhaft ausgeprägt sah. Adorno spricht sogar davon, dass Kunst sich nie entfaltet hätte, ohne „ihre unvermeidliche Lossage von der Theologie, vom ungeschmälerten Anspruch auf die Wahrheit der Erlösung“82. Erst in der Renaissance habe die „Emanzipation der Kunst von der kultischen Heteronomie“ stattgefunden.83 Und auch Peter Bürger deutet „die in der Renaissance vorgenommene Bindung der Kunst an die Wissenschaft als eine erste Phase der Emanzipation vom Ritual“, die für seine Theorie der Avantgarde wesentlich ist.84 Zwar ist gegen diese Auffassung nicht selten polemisiert worden. Günter Bonheim äußerte etwa, dies würde ja bedeuten, dass die Kunst seinerzeit „mit einigem Pathos ein sinkendes Schiff“ verlassen habe.85 Der Befreiungsschlag der Musik von funktionalen Beschränkungen, die sich in der Individualisierung des humanistisch gebildeten Künstlers realisiert habe, blieb aber Tenor beinahe aller Studien zur Renaissancemusik, unabhängig davon, ob sie sich mit geistlicher oder weltlicher Musik befassten. Problematisch ist in diesem Zusammenhang nicht nur, dass die wesentlichen und aussagekräftigen Dokumente zum neuzeitlichen Künstlerbild nicht dem Komponisten, sondern dem Maler, Bildhauer, Literaten, Poeten oder Architekten galten, während die Musiktheorie ihre Idealtypen eben nicht emphatisch philosophisch oder genieästhetisch, sondern im wesentlichen immer noch handwerklich begründete: Das gilt ebenso für Heinrich Glareans Josquin-Verehrung, die auf dessen frappierender Modus- und Kontrapunkt-Beherrschung fußte, die immer wieder als Beispiel zu dienen hat, wie schon für Tinctoris, der die Vertreter der ars nova der 1420er und 1430er Jahre ebenfalls als Anwälte neuer musikalischer Verfahren (und nicht Identitäten!) verstand86, wie sogar noch für Claudio Monteverdi, dessen secconda pratica wohl kaum als genieästhetisch qualifiziertes Gegenstück zur prima pratica, sondern vielmehr als stilistische Alternative mit musikalischen Mitteln zu gelten hat. Überdies hat die Literatur- und Kunstgeschichte mittlerweile erkannt, dass der klassische Künstlertopos der Renaissance seine wesentlichen Impulse durch nachträglich verfasste, legendenbildend wirksame Viten87 und Autobiogra82
Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie (= Gesammelte Schriften 7), Frankfurt a. M. 1997, darin: Zum Begriff der Konstruktion, S. 91. 83 Ebd., S. 10. 84 Peter Bürger: Theorie der Avantgarde, Frankfurt a. M. 1974, S. 56. 85 Günther Bonheim: Versuch zu zeigen, daß Adorno mit seiner Behauptung, nach Auschwitz lasse sich kein Gedicht mehr schreiben, recht hatte, Würzburg 2002, S. 26. 86 Selbst Edward Lowinskys 1966 gezogener Vergleich zwischen den etwa gleichaltrigen Theoretikern Tinctoris und Alberti, bei denen er ähnliche geistesgeschichtliche Akzente – Aspekte der Perspektivität (die den Bildbetrachter einschließende Dreidimensionalität), antike Theorieverankerung, expressive Qualität von Kunst (das Auge bzw. das Ohr ansprechend) und das Prinzip der varietas – erkannte, widerspricht Tinctoris’ primär musikalischer Argumentation nicht, vgl. ders.: Music of the Renaissance as Viewed by Renaissance Musicians, in: The Renaissance Image of Man and the World, hrsg. von Bernard O’Kelly, Ohio 1966, S. 129–177, insbes. S. 161. 87 Für die Kunstgeschichte zentral ist hier jene von Giorgio Vasari: Le vite de’ più eccellenti pittori scultori ed architettori (1550), hrsg. von Rosanna Bettarini und Paola Barocchi, Florenz 1966. Für den berühmten kunsthistorischen Streit der Metropolen Florenz und Venedig sei
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Kapitel 2.3.
phien88 erhielt – ein Medium der Selbstinszenierung, das für die Musikgeschichte, zumindest bis 1600, bislang nicht bekannt ist. Ganz gleich aber, wie nahe der Komponist nun dem Künstlerbild der Zeit kam oder nicht, welche Schichten dieses Bildes nachträglich aufgetragen wurden oder nicht: Für den hier in Rede stehenden Messkomponisten – der schaffensästhetisch von den Komponisten weltlicher oder funktional variabler geistlicher Musik zu trennen ist, selbst wenn diese sich in einer Person vereinen –, gilt das emanzipatorisch nach funktionaler Freiheit drängende Movens nur bedingt. Erneut, wie bereits oben im Zusammenhang der Kompositionen dargelegt, muss die sinn-, form- und rahmenbildende Liturgie, in der sich die polyphone Messe verortete, nicht als ihr Antipode, sondern als ihr Symbiont gelten. Dem widerspricht zwar nicht eine personalstilistische Ausdifferenzierung der musikalischen Verfahren, die seit längerem Usus war und gleichsam emblematisch den Schöpfer der Musik hervorhob (was eine kleine eingeweihte Minderheit zur Kenntnis nehmen konnte), und dem widerspricht auch nicht, dass eine zunehmende Verfahrenskomplexität und -selbstbezüglichkeit sowie eine generelle traditionelle Schwere musikalischer Querverweise in die Messe Einzug hielt, die nicht umsonst den Nimbus der bedeutendsten musikalischen Gattung ihrer Zeit trug.89 Dass der Messkomponist dafür allerdings weder das Ritual ignorieren noch mit den ihm zugrunde liegenden, stets gültigen funktionalen Gesetzen zu hadern brauchte, sollte klar geworden sein. Ein Streit wie jener, der sich um Michelangelos „Jüngstes Gericht“ aufgrund seiner Progressivität entzündete – da es für ein theologisches Motiv ungewöhnlich viel Nacktheit zeigte und damit sogar der kunstästhetischen convenevolezza, der Angemessenheit, zuwider lief –, ist für die Musik in dieser konfrontativen Zuspitzung von Religiosität vs. Kunst weder bekannt noch denkbar. Das Konzept des artifex divinus besetzt für den Messkomponisten eine andere Realität als für den Maler, Poeten oder Architekten. Inwieweit sie für den vorliegenden Zusammenhang fruchtbar gemacht werden kann, wird sich im folgenden Kapitel erweisen.
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noch ergänzt der legendenbildend einflussreiche Traktat von Ludovico Dolce: Dialogo della Pittura intitolato l’Aretino (1557); vgl. dazu zuletzt Gudrun Rhein: Der Dialog über die Malerei. Ludovico Dolces Traktat und die Kunsttheorie des 16. Jahrhunderts, Köln [u. a.] 2008. Michel de Montaigne: Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581, übersetzt, herausgegeben und mit einem Essay versehen von Hans Stilett, Frankfurt a. M. 2002. Vgl. dazu insbes. Kap. 3.2.1. Historische Rückversicherung: Der Imitator.
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KAPITEL 3 ALTERNATIVE: DAS KONZEPT DES ARTIFEX DIVINUS 3.1. MESSKOMPOSITION ALS RES SACRA „Mehr denn je rückte die Messe im Laufe der katholischen Reform und Gegenreformation in den Mittelpunkt des religiösen Lebens der Katholiken. Für sie war die Teilnahme an der Messe mehr als eine Pflicht, sie wurde ein Bedürfnis. Ein Beweis dafür ist auch die Dringlichkeit, mit der Pfarrangehörige nach einem zweiten Priester verlangten, damit an Sonn- und Feiertagen zwei Messen stattfinden konnten: Einem Teil der Gemeindemitglieder bleibe sonst die Teilnahme versagt, weil sie die Häuser hüten müßten. Hinweis darauf sind auch die zahlreichen Stiftungen von täglichen Frühmessen, die es den in Arbeit stehenden ermöglichen sollten, vor dem Tagewerk zur heiligen Messe zu gehen.“1 Unter der Prämisse, dass die Messkompositionen des 16. Jahrhunderts keine ästhetisch um Emanzipation ringenden Gegenentwürfe zu ihrem liturgischen Rahmen darstellten, sondern diesem funktionalen Horizont ebenso semantisch wie strukturell verbunden blieben, ohne deswegen auch nur eine Nuance an künstlerischem Niveau einzubüßen, kann ihre vielbeschworene Autonomie als „Schein-Realität“2 relativiert werden. Das vielzitierte „opus perfectum et absolutum“ des Nikolaus Listenius3 ist – wie seit Längeren bekannt, wenn auch noch immer nicht überallhin vorgedrungen – mitnichten Beleg für ein Verständnis vom autonomen Messkunstwerk, sondern, worauf zuletzt Heinz von Loesch eindringlich hingewiesen hat4, „lediglich das Ergebnis einer Anwendung aristotelischer Kategorien […].“5 Wie in der religiös determinierten bildenden Kunst der Renaissance gilt für die Messkomposition der Zeit entsprechend: „‚Autonomie‘ der Kunst war immer mehr Beschwörung denn Tatsache“6. Des Weiteren gilt: „In einer Gesellschaft, deren hierarchische 1
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Marc Venard, Bernhard Vogler: Die kollektiven Formen des religiösen Lebens. II. Gottesdienste und Sakramente, in: Die Geschichte des Christentums. Religion, Geschichte, Kultur, Bd. 8: Das Zeitalter der Konfessionen 1530–1620/30, hrsg. von Marc Venard, Freiburg im Breisgau 1992, S. 978 (Abschnitt 2. Das sakramentale Leben der Katholiken, a) Die Messe). Horst Bredekamp: Autonomie und Askese, in: Michael Müller [u. a.] (Hrsg.): Autonomie der Kunst. Zur Genese und Kritik einer bürgerlichen Kategorie, Frankfurt a. M. 1972, S. 93. Nikolaus Listenius: Musica, Wittenberg 1527, Reprint der Auflage 1549, Berlin 1927. Heinz von Loesch: „Musica“ und „opus musicum“. Zur Frühgeschichte des musikalischen Werkbegriffs, in: Reinhard Kopiez (Hrsg.): Musikwissenschaft zwischen Kunst, Ästhetik und Experiment: Festschrift Helga de la Motte-Haber zum 60. Geburtstag, Würzburg 1998, S. 337–342. „Für die Geschichte des protestantischen Aristotelismus werden sie von Bedeutung bleiben, als Ursprungsdokument des klassischen Werkbegriffs können sie nicht länger gelten“, ebd., S. 342. Bredekamp, Autonomie und Askese (wie Anm. 2), S. 93.
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Kapitel 3.1.
Struktur mit der Organisation der Kirche weitgehend gegeben ist, besitzt Kunst als eine der Vermittlungsinstanzen zwischen Gott und Mensch einen deutlich definierten Standort.“7 Überdies ist die gottesdienstliche Musik klar zu unterscheiden von den in Bild-, Räum- und Sprachlichkeit sowie Material keineswegs mit ihr vergleichbaren künstlerischen Genres religiöser Malerei, Bildhauerei, Literatur oder Architektur und deren jeweiligen neuzeitlichen Progressionen, ganz abgesehen davon, dass eine Unterscheidung zwischen gottesdienstlicher Malerei und religiöser Malerei weder existierte noch Sinn machte. Auch ist zwischen den verschiedenen künstlerischen Ambitionen in Hof- und Klerikal-Kultur systematisch zu trennen: Während etwa der höfisch subventionierte Literat in weltlichem, religiös womöglich individuell lizensiertem Ambiente seine Werke entwickeln konnte und durfte, war der dem Klerus angehörende Künstler, erstrecht in Rom, in einer vollkommen anderen Situation. Weder die Prämissen noch die Ergebnisse sind hier vergleichbar.8 „Kunst“ im heutigen Begriffsbild war in Zeiten der Renaissance zudem im Wesentlichen noch ein Ereignis der Hofkultur; nicht zuletzt hier waren jene anzutreffen, die Kunst überhaupt finanzieren konnten.9 Das polyphon komponierte Messordinarium, ob am weltlichen oder Papst-Hofe, blieb hingegen fortwährend der Liturgie verpflichtet, es war „pars integrans“10 der Messfeier, ganz gleich in welcher Umgebung. Entstanden, wie so häufig, Messen an Fürstenhöfen, so spricht ihre ebenso häufige künstlerische Aufbereitung und Dokumentation in eindrucksvollen Prachtbänden mit höfischen Insignien des Besitzstandes und Mäzenatentums kaum für eine Säkularisierung der darin enthaltenen liturgischen Musik, oder anders gesagt: Die prächtige, ‚weltliche‘ Form der Überlieferung sagt kaum etwas über inhaltliche Parameter der liturgischen Musik aus. Ja, man kann resümieren, dass die liturgische, weil an das Messformular, seine Form und Semantik gebundene Musik jene neuzeitliche Kunstform repräsentiert, die am engsten am kirchlichen Ritus agierte und ihm daher am nächsten und unmittelbarsten verbunden war (auch deswegen, wie im vorangehenden Kapitel erörtert, weil eine Glaubensgemeinschaft am Vollzug der Messe teilhatte). Und geht man konform mit der Annahme, dass die Renaissancekunst den Prozess der Säkularisierung ebenso energisch vorantrieb wie sie auf den „Schwund der theologischen Substanz“11 zu reagieren trachtete, so ist die polyphone Messkomposition wohl als letztes Kunstgenre der Zeit auf diesen Zug aufgesprungen. Für den Kontext wäre hier auf die noch immer Gültigkeit besitzenden Anmerkungen Johan Huizingas zu verweisen, der den „großen Einschnitt“ in der Kunst „vielmehr zwischen Renaissance und neuere Zeit“ legte: „Der Umschwung beginnt dort, wo Kunst und Leben 7 8
Ebd., S. 91. Vgl. dazu Michael Müller: Künstlerische und materielle Produktion. Zur Autonomie der Kunst in der italienischen Renaissance, in: Ders. [u. a.] (Hrsg.): Autonomie der Kunst (wie Anm. 2), S. 9–87, insbes. S. 11. 9 Ebd. 10 Vgl. Art. Liturgische Musik, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg 1961, Bd. 6, Sp. 1103f. 11 Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit, Erweiterte Ausgabe, Frankfurt a. M. 1996, S. 119 (Erster Teil: Säkularisierung. Die Rhetorik der Verweltlichungen).
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Messkomposition als res sacra
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sich zu scheiden beginnen, wo man anfängt, die Kunst nicht mehr m i t t e n im Leben als einen edlen Teil der Lebensfreude selbst zu genießen, sondern außerhalb des Lebens als etwas hoch zu Verehrendes, denen man sich in Augenblicken der Erhebung oder Muße zuwendet. Der alte Dualismus, der Gott und Welt trennte, ist damit in einer anderen Form, als Trennung von Kunst und Leben, zurückgekehrt.“12 Die im 16. Jahrhundert (noch immer) naturgemäße Verschränkung von Messkomposition und Kirche, von gottesdienstlicher Musik und Religion verändert zugleich die Topik des Begriffs artifex divinus. Bislang, d. h. vor allem in der Kunst- und Literaturgeschichte, scheint er einerseits hauptsächlich dort Geltung zu besitzen, wo weniger funktionale Verbindlichkeit als Lockerung durchscheint; er fungiert sozusagen als Vorbote des Autonomen. (Wie wenig die zeitgenössischen Kunstästhetiken diesem rückwirkend aufgeprägten Geschichtsbild tatsächlich verpflichtet sind, wird zumindest kurz zu thematisieren sein.) Zugleich deutet der Begriff strukturell auf die latente Systemimmanenz von Kunst, die sich in der frühen Neuzeit, wenn nicht schon realisierte, so doch zumindest andeutete: Indem ein Gemälde etwa ein religiöses Motiv kunstvoll abbildet, wird die religiöse Erfahrung bei seiner Betrachtung zu einer ästhetischen – es tendiert also zur Lösung von seinem Motiv, das es kongenial vertritt und damit aus dem Bereich der Religion in jenen der Kunst überführt. Durch seine ästhetische Realisation ist das Motiv gleichsam seinem religiösen Ursprung entwachsen. Sein Ort kann nun überall sein, seine ästhetische Erfahrbarkeit kann abgekoppelt von der Religion Geltung besitzen; es kann sich von der Dokumentation zum eigenständigen, möglicherweise gar selbst religiös verehrbaren Dokument wandeln.13 Gottesdienstlicher Musik hingegen – hier nach wie vor gemeint die polyphone Messkomposition, die sich im 16. Jahrhundert niemals von ihrem liturgischen Ort entfernte – bleibt diese selbstbezügliche Wandlung, selbst wenn man sie für die Malerei und Bildende Kunst der Zeit annehmen mag, verwehrt: Durch die musikalische Umsetzung des liturgischen Textes in kunstvolle Polyphonie wird zwar ebenso ästhetische Erfahrbarkeit erzeugt, die sowohl kollektiv als auch subjektiv wirksam sein kann, als dem göttlichen ingenium des Künstlers geschuldet verstanden wird und damit, wie intendiert, auf Gott verweist. Darauf wird weiter unten zurückzukommen sein. Durch die Textgebundenheit, die penible Verortung im liturgischen Protokoll, den obligatorischen Kirchen- bzw. Andachtsraum, die versammelte Ge12 13
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Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters. Studien über Leben und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, hrsg. von Kurt Köster, Stuttgart 111975, S. 48 (Sperrung im Original). Genau hieran knüpfte die protestantische Bilderkritik an, vgl. weiter unten, insbes. Anm. 31. Die zeitgenössische Sektenkultur verurteilte hingegen den dokumentarischen ebenso wie den dokumenthaften Charakter von Kunst: „Allen Sekten ist […] die strikte Ablehnung der gesamten kirchlichen Hierarchie und Kultur gemeinsam, mitsamt Sakramenten, Zeremonien, Reliquien- und Heiligenverehrung, kirchlichen Prachtbauten, Einsatz von Musik im Gottesdienst und Bilderverwendung. Im Luxus kirchlicher Kultur fanden die Sekten den augenscheinlichen Beweis für die Deformation des Klerus und gleichzeitig ein Angriffsziel in Zeiten des Kampfes mit der römischen Kirche. Kunst ist hierin eingeschlossen; eben das wird an ihr kritisiert, was später als Bedingung ihrer ‚Befreiung‘ erscheinen wird: Lösung aus dem Zusammenhang strikter Askese.“ Bredekamp, Autonomie und Askese (wie Anm. 2), S. 95f.
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Kapitel 3.1.
meinschaft unter Anwesenheit der Geistlichkeit und schließlich den semantischen Kontext der Eucharistiefeier mit ihrem bedeutungsschweren, klar definierten Ziel des Nachvollzugs der christlichen Passion wird der in diesem Gefüge verorteten Messkomposition jedoch eher eine transzendierend-mediale, anagogische Aufgabe zuteil. Sie verfolgt weniger den Plan einer kongenialen Verselbständigung oder ästhetischen Selbstreferenz-Bildung als vielmehr jenen der Vermittlung und Intensivierung, und sie schafft zugleich eine Ebene, auf der sich der Gläubige und Gott ‚begegnen‘. „Es gibt unter den Empfindungen des katholischen Glaubens sicher keine stärkere und innigere als das Bewußtsein der unmittelbaren und wesenhaften Gegenwart Gottes in der geweihten Hostie“14, formulierte schon Huizinga. Vor diesem Hintergrund erscheinen ferner die häufig als konservativ oder gar puritanisch interpretierten musikästhetischen Äußerungen des Humanisten Erasmus von Rotterdam weit weniger querstehend zum Musikbegriff der Zeit: Seine Devise „Divina res est musica“15 fußt zwar auch auf Forderungen nach reinem (gemeint: vokalem) Wohlklang sowie nach angemessener (gemeint: professioneller) Ausführung von Kirchenmusik um 1500.16 Ebenso aber meint sie die durch geistliche Musik erzeugte Beziehung des Menschen zu Gott, wie sie sich etwa in der Aussage „Nemo cantat hominibus, Deo cantamus Psalmum nostrum“ dokumentiert.17 Musik ist demnach für Erasmus nicht nur verbindendes Medium, sondern die Ebene der Begegnung von Gott und Mensch: „Jeder, der vor Gott singt, wird auch von Gott auf seinen Anspruch hin geprüft, in christlichem Geiste zu singen. Geistliche Musik kann nur dann diesem Anspruch genügen, wenn gewährleistet ist, daß die Inspiration des Musikers und Hörers von Gott kommt; es müssen also in der Musik beide Komponenten – göttliche Inspiration und menschliche Bereitschaft zur Annahme des Evangeliums – zusammentreffen.“18 Der Übertrag des Epitheton divinus auf die Musik geht dabei zurück auf die mittelalterliche Musiktheorie, die bereits den einstimmigen Kirchengesang als cantus divinus definierte19, was sicherlich eher seiner Funktion und weniger seiner anagogischen Qualität galt. In den folgenden Jahrhunderten zeichnete sich hingegen ein Bedeutungswandel ab, angefangen bei der ersten Erwähnung göttlicher Künstler der Antike bei Ritoro D’Arezzo im Jahre 128220 bis hin zu dem Zentralwerk zur
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Huizinga, Herbst des Mittelalters (wie Anm. 12), S. 216 (hier im Abschnitt Der religiöse Gedanke und seine bildliche Gestaltung). Desiderii Erasmi Roterodami Opera Omnia, hrsg. von Joannes Clericus [Jean Leclerc], Leiden 1703ff., Reprint Hildesheim 1961ff., hier Bd. I, 1222C. Die Textverständlichkeit, die häufig als Erasmus’ zentrale Forderung gewertet wird, entsteht erst mit dem Verzicht auf Instrumente in der Kirchenmusik und der professionellen Ausführung, ist also keine primäre, sondern eine sekundäre, kausale Forderung, die keinen Anlass bietet, Erasmus als Ankläger textunverständlicher Messkompositionen zu verstehen. Desiderii Erasmi Roterodami Opera Omnia (wie Anm. 15), hier Bd. 5, 262B. Helmut Fleinghaus: Die Musikanschauung des Erasmus von Rotterdam (= Kölner Beiträge zur Musikforschung Bd. 135), Regensburg 1984, S. 22f. Index auctorum zur Musiktheorie des Mittelalters, Online-Version, vgl. http://www.lml.badw.de/ info/edition.htm (12. Januar 2012). Ritoro D’Arezzo: Composizione del Mondo (1282), hrsg. von Enrico Narducci, Rom 1854.
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Gott-Künstler-Analogie von Marsilio Ficino aus dem Jahre 147421. Dessen Überlegungen beziehen sich in erster Linie auf Maler und Bildhauer, sind aber derartig grundlegend für die Interpretation künstlerischer Äußerungen und Prozesse, dass sie schon früh allgemein aufgefasst und als Entwurf einer genreübergreifenden Kunstästhetik interpretiert wurden. Für die gottesdienstliche Musik sind sie zumindest dort partiell auswertbar, wo religiöse Kunsterfahrung qua Symbol zum Thema gemacht wird, und ergänzt um neuere symboltheoretische Überlegungen lassen sie sich durchaus für das zeitgenössische Verständnis von der musikalischen res sacra fruchtbar machen. Fundament der Idee des artifex divinus, des göttlichen Künstlers, ist die Annahme, dass der künstlerische Schöpfungsprozess Spiegelbild des göttlichen Schöpfungsprozesses ist: Der schon dem begrifflichen Fundus des Altertums entspringende Gott-Künstler bzw. Schöpfergott (deus artifex, auch creator artifex) manifestiert sich in seiner irdischen Form im Kunstschaffenden. Er wird somit zum Adressaten der admiratio creatoris, die sich von Gott auf den Künstler überträgt – die Betrachtung von Kunst wandelt sich von einer religiösen zu einer ästhetischen Erfahrung.22 Ficino brachte dies auf die knappe, vielzitierte Formel des Künstler-Verständnisses: „Homo quidam Deus, Deus in terra“. Entsprechend naheliegend ist das Verfahren, mit dem der Künstler den göttlichen Schöpfungsprozess ‚nachahmt‘: Ihm obliegt zunächst die „naturam ars imitatur“23, die Nachbildung der göttlich erschaffenden Natur mit künstlerischen Mitteln. Gemeint ist allerdings nicht die Kopie, die reine Darstellung der naturgegebenen „species“ oder „forma substantialis“24. Nach Ficino entsteht Kunst nur dann, wenn sie die Idee, den göttlichen Schöpfergedanken des zu imitierenden Objekts zum Ausdruck bringt und in kunstgemäße Formen überführt. Wird dieser Schöpfergedanke adäquat umgesetzt, d. h. auf kongenialer (wenn auch immer noch ‚nachschaffender‘) Ebene künstlerisch realisiert, so kann ein solches Kunstwerk gleichsam zu Gott zurückführen und dem Künstler, und in zweiter Linie auch seinem Betrachter, einen heilsgeschichtlichen Platz sichern. Danach zu streben sei nach Ficino überhaupt das Ideal der Kunst, wie sich nicht zuletzt auch am vollständigen Titel seiner Schrift „Platonica theologica de immortalite animorum“ dokumentiert. Kunst erhebt sich damit zur praktischen Theologie, eine weitreichende Interpretation, in deren Folge – auch aufgrund anderer Schriften – gegen Ficino 1490 sogar eine Anklage wegen Häresie vorgebracht wurde. Die identifikatorische Relation von Kunstwerk und Religion ist mit dem Schöpfungsakt hingegen nicht abgeschlossen, das Kunstwerk wird nicht einfach 21 22 23 24
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Marsilio Ficino: Platonica theologica de immortalite animorum (1474) [= Théologie Platonicienne de l‘immortalité des ames], hrsg. und übers. von Raymond Marcel, 2 Bde., Paris 1964, zum Thema Kunst insbes. Buch 13. Dazu grundlegend Ute Oehlig: Die philosophische Begründung der Kunst bei Ficino (= Beiträge zur Altertumskunde 23), Stuttgart 1992. Ficino, Platonica theologica (wie Anm. 21), Bd. I, S. 176. Ebd., Bd. II, S. 224: „Tractat (sc. homo) […] elementa, lapides, metalla plantas et animalia et in multas traducit formas atque figuras […]. Vicem gerit dei, qui omnia elementa habitat colitque omnia. Deum quoque esse constitit elementorum qui habitat colitque omnia. Deum denique omnium materiarum qui tractat omnes, vertit et format.“
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sich selbst und seiner Wirkung überlassen. Indem es – ‚Qualität‘ im obigen Sinne vorausgesetzt – durch seinen philosophisch begründeten, künstlerisch-ingeniösen Akt der Interpretation göttlicher creatio selbst zur res sacra erhoben ist, verweist das Kunstwerk auf vier Ebenen zugleich: 1. auf Gott, dessen Schöpfung und Schöpferkraft sich im künstlerischen Erzeugnis widerspiegelt, 2. auf den Künstler, dessen naturgegebene, gottgleiche Begabung als ingenium (einem Vorläufer des Geniebegriffs) verstanden wird, 3. auf den Rezipienten, der durch die Wahrnehmung der creatio, die sich phänomenologisch nachschaffend vollzieht, ebenfalls an der Schöpfung partizipiert, und schließlich 4. auf sich selbst als Kunstwerk zurück, das als res sacra nun wiederum Gott übereignet wird. Diese dedicatio von Kunst an Gott25 – sich äußernd in Widmungen, Vorworten, Spruchbändern, usw. – spielt eine zentrale Rolle in der neuzeitlichen Kunstphilosophie: „Erst dieses Vorstellungskonstrukt, daß das von Künstlerhand geschaffene Werk der göttlichen creatio selbst geschuldet ist und daher stets, nämlich im Sinne einer Rückgabe, Gott dem Herrn zu dedizieren und als sein eigener Besitz anzusehen ist, übermittelt dem Bildwerk und seiner Existenzform in verbindlicher Weise eine Dimension von Wirklichkeit, in der sich Materialität und Transzendenz, Irdisches und Himmlisches durchdringen.“26 Gottesdienstlich gebundene Musik kann freilich die sakramentaltheologischen Ebenen von Bildender Kunst, die z. B. mit der Herstellung eines formvollendeten Kruzifixes unmittelbar am Corpus-Christi-Topos teilhaben kann, weder darstellen noch erreichen. Nichtsdestotrotz bleibt sie stets Gott geweiht und dem oben genannten symbolisch-kommunikativen Bezugshorizont von Gott – Künstler – Rezipient – Kunstwerk zugewiesen. Sie ist kein externes Mittel oder bloßes sinnliches Medium theologischer Inhalte, sondern als Kunst eine ebenso der göttlichen creatio geschuldete res sacra, die die Vergegenwärtigung Gottes leistet. Dies mag, mit einem Seitenblick auf nicht-geistliche Musik, sogar noch erweitert werden: Der erste Notendruck mit Figuralmusik von Ottaviano Petrucci von 1501 (Odhecaton A) enthielt in seiner Widmung den Hinweis: „musicam vero […] sine qua non deum optimum maximum propiciamus“.27 Ganz gleich also, ließe sich resümieren, welcher Art die Musik sei – sie führe zur Erkenntnis Gottes. Dennoch wohne insbesondere geistlicher Musik die „harmonia caelestis“ inne, die – wie Eléazar Genet im Widmungstext zum dritten Band seiner kirchenmusikalischen Sammlung festhält – als „musica pia et ecclesiastica, gravis, augusta et vere digna“ jene sei, „quae solo in pretio honoreque habeatur“.28 Der Bezug von Kunst und Religion ist demnach weniger eine Zweckbeziehung – Kunst erhebt anagogisch zur Religiosität, Religiosität stiftet Kunst – als eine sich in religiöser Kunst realisierende Annäherung von Greifbarem und Un25 26 27 28
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Vgl. Klaus Krüger: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien, München 2001, insbes. Kap. Deus artifex und Artifex divinus. Werkheiligkeit und Werkidentität im Wandel, S. 161. Ebd., S. 162. Zit. nach Stanley Boorman: Ottaviano Petrucci. Catalogue Raisonne, Oxford 2006, S. 459. Raimund Redeker: Lateinische Widmungsvorreden zu Meß- und Motettendrucken der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (= Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster 6), Münster 1995, S. 355.
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greifbarem, die je nach Kunstgenre mal mehr in die eine oder die andere Richtung neigt. (Es mag unmittelbar einleuchten, dass sich eine gemalte oder plastisch ausgeführte Heiligendarstellung leichter phänomenologisch und damit symbolisch erfassen lässt als eine Motette über einen Heiligenhymnus.) Nur vor dem Hintergrund dieser existenziellen Verbindung sind jene aus der Kunstgeschichte überlieferten zahlreichen Beispiele erklärlich, in denen Künstler mit ihrem Kunstwerk derart identifiziert wurden, dass die – wenn auch begründete – Zerstörung eines fertiggestellten Werkes selbstverständlich das Todesurteil ihres Schöpfers bedeutete.29 Die Heiligkeit des Kunstwerkes überdauerte zudem nach allgemeiner Auffassung die Zeit – in diesen Kontext gehören jene Legenden, die spätere Eingriffe oder Retuschen an Kunstwerken mit ‚göttlichen‘ Strafen ahndeten.30 Dies blieb allerdings eher die Ausnahme, wie die durch äußere Einwirkungen wie Kriege, Umweltkatastrophen oder Konfessionsstreitigkeiten beschädigten, später dann wiederhergestellten Kunstwerke zeigen. Der Überzeugung von der nachhaltigen, realen Göttlichkeit dieser Kunst und ihrer Immanenzvorstellung tut dies jedoch keinen Abbruch. Erst mit dem Protestantismus und seiner Bildkritik begann ein Paradigmenwechsel, die sukzessive Trennung von Religion und Ästhetik: „Man hat darauf hingewiesen, daß in der protestantischen Intervention gegen die sakralen Ansprüche der Bilder eine der Wurzeln liegt für jenen historischen Prozeß der Kontextauflösung, der die Kunst im Zuge einer langen, durch Aufklärung und Säkularisation beschleunigten und schließlich in die Moderne führenden Entwicklung prägen sollte.“31 Die Reform der katholischen Kirche reagierte auf diese Bestrebungen mit strengeren Regularien für christliche Kunst wie die Einführung von Kontrollinstanzen oder die deutliche definitorische Unterscheidung von „imagini sacre e profane“32, nicht aber mit derselben rigorosen Trennung von Kunst und Sakralität.33 Für die Frage nach der Symbolträgerschaft von gottesdienstlicher Musik, die sich im Kontext des erwähnten Bezugshorizonts von Gott – Künstler – Rezipient – Kunstwerk realisiert, ist ein Blick auf jene von Ernst Cassirer skizzierten Kennzeichen und Mechanismen „symbolischer Prägnanz“34 von Kunst lohnend, ergänzt um die Überlegungen Niklas Luhmanns zur ‚Visualisierung‘ vom „Nichtsichtbaren“35 29 Vgl. etwa die Beispiele bei Krüger, Deus artifex und Artifex divinus (wie Anm. 25). 30 Ebd., S. 167. 31 Ebd., S. 183, mit dem Verweis auf Werner Hofmann: Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion, in: Luther und die Folgen für die Kunst (= Ausstellungskatalog Hamburg 1983/84), hrsg. von dems., München 1983, S. 23–71. 32 So titelte der Kunsttheoretiker Gabriele Paleotti: Discorso intorno alle imagini sacre e profane (1582), in: Trattati d’Arte del Cinquecento, hrsg. von Paola Barocchi, Bari 1961, Bd. 2, S. 117–509. 33 So benennt Krüger sein entsprechendes Kapitel Zweierlei Kunst, vgl. ders., Das Bild als Schleier des Unsichtbaren (wie Anm. 25), S. 181–189. 34 Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, 3 Bde., 1923–1929, Reprint Darmstadt 1977–82, insbes. Bd. II: Philosophische Mythologie und Bd. III: Phänomenologie der Erkenntnis, hier Bd. III, S. 232ff. 35 „Nichtsichtbares […] durch die Kunst sichtbar“ machen, Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 31999, S. 273.
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in der Kunst. Antrieb dieser Überlegungen ist die Frage nach der symbolischen Wirkung von gottesdienstlicher Musik, die sich im zeitgenössischen kunstästhetischen Konzept der res sacra verwirklicht, soll heißen: Gelten für die Musik dieselben, von Ficino formulierten Bezugsgrößen von creatio, res sacra und dedicatio, so bedeutet dies, dass sich Musik ihrem ‚nachschaffenden‘ Rezipienten offenbart, ihm also nicht nur Göttlichkeit vermitteln, sondern ihn daran teilhaben lassen kann, erstrecht im aktiven Vollzug der Messe.36 Und nimmt man wiederum an, dass dieser Vorgang dem Kunstschaffenden bewusst gewesen ist, so ist anzunehmen, dass sich dies ebenso unmittelbar auf das Selbstverständnis des komponierenden artifex divinus wie auf die Komposition selbst ausgewirkt haben wird.37 Für die Messe komponierte Musik war in der Regel keine nachträglich zu diesem Zweck instrumentalisierte Musik (was nicht bedeutet, dass sich diese Möglichkeit nicht generell bot, wie die Motetti Missales zeigen), sie war ihrem Kontext sozusagen ‚medial‘ verpflichtet. Diesbezüglich ist sie explizit symbolische Kunst.38 Gleichzeitig aber war sie insofern instrumentalisierbar, als ihr elementares Grundphänomen, ihre „Fähigkeit zur entlastenden Realitätsüberschreitung, zur Überhöhung und Ablenkung (die nach allgemeiner Überzeugung im Falle der Musik besonders intensiv ausfällt)“39 sie für die religiöse Sinnstiftung zu prädestinieren scheint: „Symbolisch nennen wir eine Kunst, die ihre Werke benutzt, um Unzugängliches (Unvertrautes, Unbeobachtbares) im Zugänglichen gegenwärtig sein zu lassen.“40 Nach den Mechanismen und Verfahren zu fragen, die diesem Vermittlungsakt zugrunde liegen, zählt folglich zu den vordringlichsten Aufgaben. 36
Die Teilhabe am Ritus ist dabei zentral. So formuliert Arnold Angenendt in seiner Darstellung der Liturgie im Mittelalter: „Im Ritus sollten alle mit Herz und Seele dabei sein. Dieses nunmehr innerlich zu vollziehende Geschehen betraf jeden Einzelnen, bewirkte im Vollzug communio mit Gott und den Mitmenschen, verpflichtete zu bewußtem Glauben und zu ethischer Lebensführung, nicht zuletzt auch zu Sozialverhalten, nämlich zu Armenfürsorge und Feindesliebe. Dafür bot die Liturgie das Äußerste auf, aber nicht zuerst in kultischem Aufwand, sondern vom Inneren her: als ‚thysia logike‘, als ‚geistiges Opfer‘ der Selbsthingabe im Gotteszeugnis wie in der Sozialsorge.“, Liturgie im Mittelalter, in: Liturgie, Ritual, Frömmigkeit und die Dynamik symbolischer Ordnungen (= Wolfenbütteler Hefte 19), hrsg. von Helwig Schmidt-Glinzer, Wiesbaden 2006, S. 35–78, insbes. S. 39. 37 Jörg Traeger formuliert dies für alle Renaissancekunst folgendermaßen: „Das gläubige Kunstbewußtsein verschmolz den heiligen Inhalt mit der ästhetischen Leistung des Künstlers. Was für den göttlichen Geist des Künstler galt […], erstreckte sich notwendig auch auf seine Werke.“, Jörg Traeger: Renaissance und Religion. Die Kunst des Glaubens im Zeitalter Raphaels, München 1997, S. 399. 38 Luhmann unterscheidet zwischen 1. symbolischer Kunst, 2. Kunst als Zeichen und 3. Kunst als Erprobung von Formkombinationen. Erstere sucht einen „höheren Sinn“, ihr ist Individualisierung aber unmöglich, zweitere objektiviert sich, öffnet sich ihrem Betrachter und ist der Individualisierung entsprechend offen, und die dritte Form kommuniziert bereits und schließt diesen Akt wiederum operativ ein: Ihr ist die Individualisierung absolut notwendig. Die Messkomposition gehört aufgrund ihrer unmöglichen Individualisierung zur ersten Gruppe, vgl. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft (wie Anm. 35), S. 271ff. 39 Bernd Sponheuer: Vorwort zum Themenheft „Musik im Nationalsozialismus“, in: DIE TONKUNST 3 (2009), Heft 4, S. 410. 40 Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft (wie Anm. 35), S. 273.
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Voraussetzung symbolisch-religiöser Vermittlung und Wahrnehmung ist die Annahme einer Transzendenz von Diesseits und Jenseits, die in der immanenten transzendentalen Qualität aller auf Jenseitiges verweisenden Objekte und Gegenstände ihren medialen Niederschlag findet: „Kein Ding und kein Ereignis bedeutet mehr schlechthin sich selbst, sondern es ist zum Hinweis auf ein ‚Anderes‘, ‚Jenseitiges‘ geworden.“41 Denn schließlich gilt: „Das Zeichen vertritt den abwesenden Gott, der nicht abgebildet werden darf und kann.“42 Um Göttliches nicht durch den Versuch von Identitätsbildungen zu entweihen, tragen religiöse Symbolismen nicht zuletzt deshalb stets den vermittelnden Gegensatz heilig vs. profan in sich. Zu dieser quasi vertikalen Vermittlungsebene (irdisch – jenseitig) tritt sodann die horizontale hinzu (schaffend – erkennend), denn das Gelingen dieser symbolischen Kommunikation zwischen Mensch und Gott hängt wesentlich davon ab, dass die Intention des Künstlers auch erkannt wird, dass also der religiöse Sinn sich im künstlerischen Ausdruck vermittelt. Das klingt zunächst wie ein Vorgriff auf die in der Musikgeschichte später erbittert geführte Debatte um Inhalt und Form bzw. die Vermittelbarkeit von Inhalt qua Form, führt im Kontext religiöser Sinnstiftung der Neuzeit jedoch in eine andere (weil die für spätere Diskussionen essentielle Autonomie generell ausblendende) Richtung. Erkannt und problematisiert wird vielmehr die letztlich unüberbrückbare Differenz zwischen Gott und Mensch, die auch im Kunstwerk ihren Niederschlag hat; der Vermittler bleibt Vermittler, er kann Identifikation mit Gott anstreben, aber letztlich niemals erreichen, oder anders ausgedrückt: Der erfassbare Ausdruck eines Kunstwerkes kollidiert stets mit dem unerfassbaren Sinn desselben. Was resignativ klingt, meint aber vielmehr das spannungsvolle Wesen des Religiösen, denn: „So gehört das Ineinander und Gegeneinander von ‚Sinn‘ und ‚Bild‘ zu den Wesensbedingungen des Religiösen. Könnte an Stelle dieses In- und Gegeneinander jemals das reine und völlige Gleichgewicht treten, so wäre damit auch die innere Spannung der Religion aufgehoben, auf der ihre Bedeutung als ‚symbolische Form‘ beruht.“43 Was dann entstünde, wäre – so Cassirer weiter – die Autonomieästhetik der Kunst: „Erst wenn wir von der mythischen Bildwelt und von der Welt des religiösen Sinnes auf die Sphäre der Kunst und des künstlerischen Ausdrucks herüberblicken, zeigt sich der Gegensatz, der die Entwicklung des religiösen Bewußtseins beherrscht, wenn nicht aufgehoben, so doch gewissermaßen beruhigt und beschwichtigt. Denn eben dies bezeichnet die Grundrichtung des Ästhetischen, daß hier das Bild rein a l s s o l c h e s anerkannt bleibt […].“44 Die der religiösen Sinnstiftung verpflichtete Messkomposition ereignet sich hingegen noch in jenem Spannungsfeld der Symbolizität, ihre Symbole – wie all jene religiöser Kunst – definieren sich, um eine treffende Formulierung Hans
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Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen (wie Anm. 34), Bd. II, S. 301. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit (wie Anm. 11), S. 124. Zeichen meint hier in mittelalterlicher Terminologie noch Symbol, und noch nicht die emanzipierte, kommunizierende Form im Sinne Luhmanns, vgl. ders., Die Kunst der Gesellschaft (wie Anm. 35), S. 276–279. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen (wie Anm. 34), Bd. II, S. 311. Ebd., Sperrung im Original.
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Blumenbergs aufzugreifen, durch ihre „Spannweite der Unbestimmtheit“45. Sie weisen also zugleich auf das Unbestimmte im Bestimmten hin, wie Luhmann andernorts festhielt: „Symbolisches hat es immer mit der Einheit einer Differenz zu tun, hier aber mit der Einheit einer spezifischen Differenz, nämlich der von zugänglich und unzugänglich. Mit dem Symbol wird das Unzugängliche im Zugänglichen markiert […].“46 Die sinnliche Wahrnehmung der symbolischen Markierungen vollzieht sich wiederum auf verschiedenen sensorischen Ebenen, den sog. „Objektivierungsstufen“ (angelehnt an die mittelalterliche Philosophie): sensus allegoricus, sensus anagogicus und sensus mysticus.47 Sie bezeichnen klar diversifizierbare Niveaus religiöser Kommunikationsfähigkeit. Bestenfalls scheint schließlich der „ideelle Gehalt“ des religiösen Mythos bzw. Symbols durch den bildhaften Ausdruck hindurch und erhält für den Wahrnehmenden eine gewisse „symbolische Prägnanz“, geringstenfalls wird die religiöse Allegorie oder auch das religiöse Emblem (also die symbolische Markierung) überhaupt wahrgenommen. Bereits auf dieser Ebene gilt aber: „Auch hier geht es darum, etwas dem Wesen nach Unsichtbares sichtbar zu machen, aber jetzt mit dem Bewußtsein der Äußerlichkeit, der Distanz von Zeichen und Bezeichnetem und mit Verzicht auf objektiv bewirkbare Einheit. Neben die Religion (oder auch: in sie hinein) schiebt sich dann ein Essenzenkosmos, der mit invarianten Universalien ausgestattet ist – mit Tugenden und Lastern zum Beispiel; mit Zeit und mit Glück oder Unglück. Immer muß dann aber das, was bezeichnet wird, schon bekannt sein.“48 Nimmt man aus diesen begrifflichen Überlegungen mit, dass ein religiöses Symbol in der Kunst 1. stets eine Markierung (Allegorie, Emblem, usw.) darstellt, dass 2. die symbolische Markierung, um vermittelbar zu sein, bekannte Merkmale aufweisen muss, 3. die Prägnanz des Symbols mit seinem sinnlich erfahrbaren Niveau zunimmt, den Ausdruck quasi sinnlich überwölbt, und schließlich 4. dennoch als res sacra stets gekennzeichnet bleibt von dem zwischen Bedeutung und Bild aufgespannten Horizont von Unbestimmtheit, so ergeben sich für das Kunstwerk ebenso konkrete Forderungen nach innen wie relative Freiräume nach außen. Im Ausdruck, also dem aus Material, Stil, Form, Verarbeitung, usw. kreierten Konzept, dem künstlerischen Ergebnis also, bleibt der Künstler vergleichsweise frei. (Es sei denn, er ist in einer Auftragslage an Vorgaben gebunden.) Auf der Ebene der inneren, sich im Ausdruck manifestierenden Bedeutung hingegen ist er dies keineswegs: Die biblische Botschaft, die Bedeutung und ideelle Sphäre eines „Jüngsten Gerichts“ bleibt selbst dann klar erkennbar, wenn ein Großteil der gezeichneten Personen bei Michelangelos künstlerischer Umsetzung des Themas unbekleidet sind – hier kann man sich höchstens (wie seinerzeit geschehen) um die Angemessenheit der Darstellung, die vom Wesentlichen zwar abzulenken vermag, streiten, nicht aber über ihre innere religiöse Substanz. Praktischer Hintergrund aller religiösen Symbolik und avisierten anagogischen Qualität von religiös konnotierter Kunst und mithin der Messkomposition ist selbst45 Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit (wie Anm. 11), S. 125. 46 Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft (wie Anm. 35), S. 273. 47 Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen (wie Anm. 34), Bd. II, S. 50. 48 Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft (wie Anm. 35), S. 276.
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verständlich ihre Eignung für kirchliche Belange. So notiert Cassirer: „Der höchste, der ‚anagogische‘ Sinn einer Textstelle oder eines bestimmten Geschehens ist aufgefunden, sobald es gelingt, in ihnen eine Hindeutung auf das Überirdische oder auf seine unmittelbare geschichtliche Erscheinung, auf die K i r c h e, zu finden.“49 Die Messkomposition als kirchliches Ereignis ist mit deren vermittelnden Ambitionen geradezu verwachsen, angefangen vom generellen Anspruch der Institution Kirche, als Mittlerin qua Amt aufzutreten, über die im Ritus der klerikal geleiteten Eucharistiefeier sich vollziehende Vermittlung zwischen Gott und den Gläubigen50 bis hin zum musikalischen Aspekt der vermittelnden Vertonung des Messtextes, in der sich – wie oben beschrieben – sinnlich unbestimmtes Erlebnis und künstlerisch bestimmter Ausdruck durchdringen. Nur in den künstlerischen Ausdruck, d. h. in die musikalische Sprache bzw. die Umsetzung des liturgischen Textes in polyphone Satzstrukturen nach zeitgenössischen Maßstäben der Kunstfertigkeit und Kreativität, können Symbole eingeprägt werden, Symbole, die vom Teilnehmer an der Messfeier erkannt werden müssen, um wirken und auf das Unbestimmte verweisen zu können. Entsprechend müssen in der Musik Markierungen – Allegorien, Embleme, strukturelle Kontraste, usw. – gesetzt werden, Markierungen zumal, deren möglichst allseitige Bekanntheit symbolische Prägnanz garantieren und damit idealiter sinnliche Überhöhung und religiöse Sinnstiftung erreichen können. Wie dies im künstlerischen Ausdruck umgesetzt wird, bleibt freilich dem Komponisten selbst überlassen, wenngleich zahlreiche ‚traditionelle‘ Markierungen, die sich ja immerhin in textgebundener Musik besonders deutlich greifen lassen, bereits wissenschaftliche Aufmerksamkeit gefunden haben. Zu denken wäre etwa an das stets kontrastierend (häufig blockhaft homophon, gleichsam emblematisch) gestaltete „Et incarnatus est“ im Credo, an die quasi bildhaft in der Regel in die Dreizeitigkeit wechselnde „Cum sancto spiritu“-Coda des Gloria, die die trinitarische Formel metrisch akzentuiert, oder auch die vernehmliche Besetzungssteigerung im finalen, den Messakt gewissermaßen krönenden Agnus Dei. Und zu denken wäre überdies an die reiche und noch weite Teile des 16. Jahrhunderts51 dominierende Tradition der variativen textlichen 49 50
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Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen (wie Anm. 34), Bd. II, S. 307, Sperrung im Original. In den Dokumenten des Tridentinums ist noch einmal sakramentaltheologisch fixiert worden, was stets galt: „Commune hoc quidem est sanctissimae Eucharistiae cum ceteris sacramentis, symbolum esse rei sacrae et invisibilis gratiae formam visibilem.“ Wilhelm Smets (Hrsg.): Des hochheiligen, ökumenischen und allgemeinen Concils von Trient Canones und Beschlüsse, nebst den darauf bezüglichen päpstlichen Bullen und Verordnungen und einem vollständigen Inhaltsverzeichnisse. Mit gegenüberstehendem lateinischen Texte nach den besten Ausgaben, mit besonderer Berücksichtigung der neuesten römischen Ausgabe vom Jahre 1845, Bielefeld 51858, S. 57. Hier ist, wie bereits andernorts, nochmals und nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass die textlichen Varianten mitnichten als Folge tridentinischer Konzilsbeschlüsse eingestellt wurden – es existierten schlicht keine Verbote, sondern allenfalls Reformvorschläge, die aber niemals Eingang in Dekrete fanden –, sondern sich noch bis in das 17. Jahrhundert hinein großer Beliebtheit erfreuten, gleichwohl ihr quantitativer Rückgang als Reaktion auf das neue Missale Romanum (1570) festzustellen ist. Das gilt nicht nur für den marianischen Gloriatropus Spiritus et alme, sondern ebenso für zahlreiche weitere Textzusätze, vgl. dazu u. a. von der
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Erweiterung von Messsätzen in Tropierungen, Interpolationen oder Doppeltextierungen, die den liturgischen Text differenzieren und ihm je nach kirchlicher Festivität und Region eine weitere und tiefere symbolische Ebene verleihen können: „Symbole sind nicht Stellvertretung ihrer Gegenstände, sondern Vehikel für die Vorstellung von Gegenständen.“52 Das gilt freilich auch für absichtsvolle Profanisierungen des Messtextes durch (wenn auch seltene) Implementierung von simplen, bisweilen erotischen Andeutungen wie „baisez-moi“ („küsst mich“) oder „rouges nez“ („rote Nase“).53 Ganz gleich aber, welche Mechanismen der Symbolizität im künstlerischen Ausdruck in Gang gesetzt werden: Fest steht die innere, religiöse Prägung, die Sinnstiftung der Messe. Denn im Ergebnis bleibt die Messkomposition ebenso res sacra wie Medium der religiösen Spannung, die sich zwischen ihrem erfassbaren Ausdruck und ihrem unerfassbaren Sinn realisiert. Der für den Gottesdienst komponierende artifex divinus erhält vor diesem Hintergrund ein individuelles, der Nähe zum Ritus und dem kirchlichen Ereignisort besonders verpflichtetes Profil. Bemerkenswert ist, dass sich offenbar selbst in dieser Engmaschigkeit von funktioneller Verbindlichkeit, anagogischer Verantwortlichkeit und institutioneller Verortung – eine integrative Nähe zum kirchlichen Selbstverständnis, die kaum eine andere Kunst der Zeit beanspruchen kann – ein derart enormes Maß an künstlerischer Freiheit in der Wahl der Ausdrucksmittel zeigen konnte. Hierin liegt letztlich der Grund für den zunehmenden Rang und die künstlerische Reputation des Messkomponisten, der als Schöpfer einer res sacra (und zunächst einmal nur dadurch!) legitimiert wurde, künstlerisches Selbstverständnis zu entwickeln und nach Reputationsgewinn zu streben.54 Welche verschiedenen Facetten dieses Streben ausmachten und welche Einflusskategorien diesbezüglich wesentlich wurden, sei im Folgenden zusammenfassend und thesenartig kommentiert.
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Verfasserin: „Majestas Mariae“ als musikgeschichtliches Phänomen? Einfl üsse der Marienverehrung auf die Messe des 16. Jahrhunderts, in: Archiv für Musikwissenschaft 65 (2008), Heft 2, S. 103–120. Susanne K. Langer: Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst, Mittenwald 1965, S. 69. Huizinga, Herbst des Mittelalters (wie Anm. 12), S. 221 (hier im Abschnitt Der religiöse Gedanke und seine bildliche Gestaltung). In dieser Voraussetzung wurzelt paradoxerweise zugleich das Ende der Beziehung: Erst durch die Förderung und Anerkennung religiöser Kunst, erst durch ihre Erhebung zur res sacra entstand überhaupt die Möglichkeit künstlerischen Selbstverständnisses, das nun nach Entfaltung drängen und damit – in aller Konsequenz – danach trachten konnte, auch durch andere als religiöse Inhalte künstlerische Identifikation und Legitimation zu erfahren.
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Künstlerisches Leitmotiv: Reputationsgewinn
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3.2. KÜNSTLERISCHES LEITMOTIV: REPUTATIONSGEWINN 3.2.1. Historische Rückversicherung: Der Imitator Dass Komponisten des 15. und 16. Jahrhunderts in ihren Werken nachweislich Motive, Themen, Passagen oder ganze Abschnitte aus bereits vorliegenden Kompositionen entlehnen, ist seit längerem bekannt und anhand zahlreicher konkreter Beispiele mehr oder weniger überzeugend wissenschaftlich belegt worden, sei es am Beispiel von Gattungstypologien wie der berühmten Missa L’homme armé oder sei es am Beispiel von Lehrer-Schüler-Verhältnissen. Gewertet hat man diese gemeinhin als Parodieverfahren identifizierten musikalischen Prozesse allerdings sehr unterschiedlich: Während sie – ausgehend von dem zentralen Artikel Lewis Lockwoods55 – manchen als Dokumente künstlerischen Wetteiferns oder einer Hommage galten56, rückte mit den aufschlussreichen Quellenstudien von Rob C. Wegman57 zunehmend der pädagogische Aspekt in den Vordergrund. Wegman akzentuierte die Verfahren des Studiums und der Nachahmung ‚alter‘ Meister in der zeitgenössischen Musikerausbildung und belegte deren Ähnlichkeit mit didaktischen Konzepten der Bildenden Kunst oder Literatur. Die offenkundige Beliebtheit und vielseitige Verwendung von imitatio verdankte sich daher, so Wegman, keinem abstrakten Bedürfnis nach Selbsthistorisierung qua Zitat, sondern Methoden des kompositorischen Lernprozesses. Dass sich diese Auffassungen nicht widersprechen, sondern allenfalls ergänzen – und nicht nur, wenn man bei vollausgebildeten, längst etablierten Komponisten ebenfalls noch Parodieverfahren feststellen kann –, liegt auf der Hand. Da der Begriff der imitatio musiktheoretisch seinerzeit keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielte, rückte in der Forschung alsbald der rhetorisch-literarische Definitionsrahmen in den Blick. Das erregte hingegen nicht selten Widerspruch, und Honey Meconi hat zuletzt in ihrer terminologischen Debatte unter dem provokanten Titel Does Imitatio Exist?58 noch einmal zusammengefasst, wie unvereinbar rhetorische und musikalische Verfahren von imitatio letztlich sind. Sie hält fest, dass 1. die zu imitierenden Vorbilder in der Rhetorik aus der Antike und nicht – wie in der Musik – aus den vorangegangenen ein oder zwei Generationen stammen59, dass 2. das Phänomen des musikalischen Selbstzitats („self-borrowing“) der rhetorischen 55
Lewis Lockwood: On „Parody“ as Term and Concept in 16th-Century Music, in: Aspects of Medieval and Renaissance Music: A Birthday Offering to Gustave Reese, hrsg. von Jan La Rue, New York 1966, S. 560–575. 56 Um nur die wesentlichen zu nennen, so bei Howard Mayer Brown: Emulation, Competition, and Homage: Imitation and Theories of Imitation in the Renaissance, in: JAMS 35 (1982), S. 1–48, Leeman L. Perkins: The L’Homme Arme Masses of Busnoys and Okeghem: A Comparison, in: Journal of Musicology 3 (1984), S. 363–396, und J. Peter Burkholder: Johannes Martini and the Imitation Mass of the Late Fifteenth Century, in: JAMS 38 (1985), S. 470–523. 57 Rob C. Wegman: Another „Imitation“ of Busnoys’s Missa L’Homme arme – and Some Observations on Imitatio in Renaissance Music, in: Journal of the Royal Musical Association 114 (1989), S. 189–202. 58 Honey Meconi: Does Imitatio Exist?, in: Journal of Musicology 12 (1994), S. 152–178. 59 Ebd., S. 159. Meconis Punkt 5 (S. 163), der den fehlenden restaurativen Aspekt in der musikalischen imitatio betrifft, gehört im Grunde ebenfalls zu Punkt 1: Weder im Material noch
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Idee der imitatio generell widerspricht, dass 3. gattungs- und genreübergreifende Imitationen, wie für die Musik selbstverständlich, in der Rhetorik weder sinnhaft noch gewünscht sind, und schließlich, dass 4. imitatio in den Kompositionen keineswegs jenen Rang beanspruchen kann, den sie in der Literaturproduktion der Zeit einnimmt; sie war allenfalls eine von vielen Möglichkeiten der künstlerischen Äußerung und Identitätsbildung (Nicht zuletzt wird auch dies wiederum in den fehlenden musiktheoretischen Debatten um den Begriff deutlich.)60 Der missing link zwischen den beiden Disziplinen, der sich in der frühen Neuzeit sowohl historiographisch als auch praktisch zeigt, bedeutet hingegen keine Schwächung der musikalischen Relevanz des imitatio-Modells, sondern erfordert allenfalls seine neue terminologische und wirkungsgeschichtliche Positionierung. Die zu diesem so wichtigen künstlerischen Konzept bislang vernachlässigten zwei Aspekte sind folgende: (1) Die Differenzierung des musikalischen Verfahrens-Spektrums von imitatio, das von der exakten Zitation (in der angloamerikanischen Debatte bezeichnet als „musical borrowing“) über die parodierende Variation („parodic borrowing“, hier wiederum in verschiedenen Graden) bis hin zur materialfreien Stilkopie („emulation“) reicht, steht musikologisch noch aus. Letztere („emulation“) ließe sich, worauf Meconi bereits aufmerksam machte61, zudem grob unterteilen in a) epochale (unpersonalisierte), b) personalisierte und c) gattungsspezifische Nachahmungen. In dieser materiellen Bandbreite und definitorischen Flexibilität ist imitatio in keiner anderen Kunstform der Zeit anzutreffen.62 (2) Die Intention des Komponisten zur imitatio wird zumeist aus der Perspektive der Musikgeschichte begründet, in die sich der Künstler damit gleichsam einschreibe. Dieses Bild entspricht einem ebenso ontologischen wie teleologischen Konzept von Geschichtsschreibung, die dem Allgemeinen den Vorzug vor dem Besonderen gibt. Die Intention könnte hingegen auch schlicht darauf beruhen, dass Komponisten ihren Ruhm fördern wollten, sie sich also nicht passiv in Geschichtstraditionen eingliederten (indem sie quasi präventiv einen Teil davon adaptierten), sondern sich aktiv aus dem Fundus der prominenten Kennzeichen und erfolgreichen Mechanismen bedienten, um dies für die Ausbildung der eigenen Reputation zu nutzen – ganz abgesehen davon, dass sie zumeist auf diese Weise das Komponieren erlernt hatten. Wesentlich ist hierbei, dass allgemeines Geschichtsbewusstsein und individuelle Profilbildung sich nicht widersprechen, sondern zwei Einflusssphären des zeitgenössischen Künstlerbildes benennen.63 stilistisch konnte es den Komponisten des 15. und 16. Jahrhunderts darum gehen, antike Vorbilder nachzunahmen. Er wird hier deswegen nicht noch einmal gesondert aufgenommen. 60 Warum der bis hierhin erhellende Artikel Meconis sodann mit dem Versuch, den Zeitpunkt rhetorischer imitatio und deren Ausbildungsgeschichte zu bestimmen, fortsetzt, ist ebenso unverständlich wie sein Fazit, musikalische imitatio könne dem Bedürfnis nach „unification techniques“ entgegengekommen sein, das schließlich insbesondere in Messen vorherrsche, vgl. ebd., S. 173ff. 61 Ebd., S. 164. 62 Eine exakte Zitation etwa, also eine Kopie, die in der Musik unproblematisch etwa in Form eines Soggetto- oder Mottozitats anzutreffen und umzusetzen ist, wäre in Bildender Kunst geradezu absurd. 63 Auf die Profilbildung wird weiter unten in Kap. 3.2.3. genauer eingegangen.
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Der erste Aspekt bietet allein genügend Material für eine eigene Studie und soll hier über die erwähnten Bezüge hinaus nicht näher kommentiert werden. Der zweite hingegen ist für die vorliegende These, der Komponist des 15. und 16. Jahrhunderts strebe im Wesentlichen nach Reputationsgewinn, zentral; imitatio ist in diesem Zusammenhang für den Komponisten der fraglichen Zeit nicht nur ein konkretes, ob nun aus der Rhetorik oder der zeitgenössischen Musikpädagogik entlehntes Instrument zur Anreicherung von Kompositionen mit ‚historischem‘ Material und / oder Duktus, sondern zugleich Teil eines vielschichtigen Konzepts künstlerischer Nachahmungsästhetik. In diesem vereinen sich nach derzeitiger Auffassung Aspekte von basaler Naturnachahmung (imitatio naturae), Ehrgeiz (aemulatio) und Genie (ingenium, das sich wiederum in inventio, dispositio und elocutio ausdrückt), die – bei allen unterschiedlichen Intentionen, Tendenzen und Gewichtungen – erst zusammen identitätsbildend wirken und dem Künstler auf der Basis historischer Rückversicherung einen Platz in der Geschichte zu sichern imstande sind. Und unabhängig davon, in welchem Genre und zu welchem Zweck Kunst entsteht, sind doch wiederum alle Nachahmungen zugleich lizensiert und inspiriert durch die künstlerische Reflexion des Göttlichen: „Weil nichts Neues durch menschliche Hybris in die Welt kommen soll, muß der Künstler, wenn er Neues schafft, als Instrument eines göttlichen Einflusses agieren. Als göttlich Begeisterter untersteht er Gesetzen, die für ihn allein gelten und die auch nur ihm allein offenbart werden.“64 Die Legitimation durch göttliche Inspiration macht Identitätsbildung überhaupt erst möglich. Die Nachahmung als Kunstmittel erlebte zu Beginn der frühen Neuzeit einen Wandel in ihrer Wahrnehmung und Bedeutung. Notierte Dante noch um 1300: „Daher kommt es, daß, je näher jenen [den großen Dichtern] unsere Nachahmung kommt, wir um so richtiger dichten“65, so wandte sich Petrarca in seinen Epistulae familiares (1366) bereits dagegen: Er trete vielmehr in den Pfad, „aber nicht in die Fußstapfen der Alten, er erfreue sich der Aehnlichkeit, aber nicht der Identität“66. Dennoch versteht er die Stilmischung, das Kompilieren vieler älterer Stile zu einem eigenen, als erstrebenswert: Identität und Ingenium sind hier noch immer gleichsam aus der Tradition entlehnbar. Spätestens aber bei Pietro Bembo – entzündet an der Cicero-Interpretation des späten 15. Jahrhunderts67 – lassen sich imitatio (Nachahmung) und aemulatio (Ehrgeiz) sodann als notwendige Paralleleigenschaften des erfolgreichen Künstlers (gemeint hier: Literaten) erkennen. In dem Maße, in dem die Nachahmung flankiert wird von genieästhetischen Konzepten – was sich in der Kunst, die sich zugleich vom reinen Handwerk zu trennen bemühte, weitaus deutlicher zeigte als in der 64
Eberhard Ortland: Art. Genie, in: Ästhetische Grundbegriffe (ÄGB). Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, hrsg. von Karlheinz Barck [u. a.], Bd. 2, S. 672 (Abschnitt II. Renaissance). 65 Dante Alighieri: De vulgari eloquentia (ca. 1304), hrsg. und übersetzt von Karl Ludwig Kannegießer, Leipzig 1845, Bd. 2, 4. Buch, S. 135. 66 Francesco Petrarca: Epistolae familiaris XXII, 2, hier zitiert nach Edgar Zilsel: Die Entstehung des Geniebegriffes. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der Antike und des Frühkapitalismus, Tübingen 1926, S. 213. 67 Ebd., S. 220f.
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Literatur68 –, beginnt die Fasslichkeit von imitatio zu schwinden. Gemeint sind damit nicht nur Tendenzen des späteren 16. Jahrhunderts, ein von jeglicher Tradierung abgekoppeltes Autodidaktentum hochzuschätzen, sondern das „persönliche Ideal der künstlerischen Virtuosität“69. Hier spielen zahlreiche Aspekte hinein, die nicht diskutiert werden können, fußend auf der philosophischen Erkenntnis der „Allverschiedenheit der Menschen“ nach Nicolaus von Cues, und in der Kunst einhergehend mit der Warnung vor Wiederholung, wie sie etwa Leonardo da Vinci um 1500 aussprach. Die aus dem Geniebegriff resultierenden Individualisierungstendenzen sind dabei stets grundiert vom Bedürfnis nach aemulatio, dem Streben nach Ruhm und Ehre, das sich u. a. in Rivalitäten und Parteibildungen äußerte. In den zeitgenössischen Überlegungen wird dem „Doppelideal der Natur als Vorbild und des naturwüchsigen Ingeniums als Ursprung des Kunstwerks“70 am ehesten auf dem Gebiet der literarischen Produktion auf den Grund gegangen, insbesondere in den Originalitäts-Postulaten Pietro Aretinos. Zwar ist auch hier die Distanz zum musikalischen Gegenstand offenkundig. Die „Naturkraft“71 der Kunst, die Aretino beschwört, und damit zugleich die Überwindung der reinen Darstellung fordert, wurzelt aber letztlich – und hierin liegt die enorme ästhetische Wirkungsmacht seiner spöttischen Überlegungen – in dem Bewusstsein, Tradition stiften zu können, und dies in ganz allgemeingültigem Sinne. Gemeint ist jener Prozess der Verlebendigung der Natur durch schöpferisches Genie, jenes aus dem Spannungsfeld von imitatio und ingenium gewonnene künstlerische Produkt, das nun auf seinen Schöpfer zurückweist und in diesem rekursiven Akt quasi doppelt Tradition stiftet: anknüpfend durch den nachahmenden, vorausweisend durch den schöpferischen Akt, und zusammengehalten und vermittelt durch die Künstlerpersönlichkeit. Der Übertrag der Idee auf die Musik resp. die Messkomposition gelingt mühelos: Auch hier wird die ‚Verlebendigung‘ des Ordinariums-Textes durch Klang realisiert und das rein Musikalisch-Grammatikalische durch schöpferisches Genie überwunden (und damit der Wirkungskreis des musicus in Richtung cantor verlassen72), so dass die Musik auf ihren Urheber zurückweisen und ihn in der Geschichte verankern kann. Was zunächst etwas abstrakt klingen mag, ist doch eine wesentliche Zutat des zeitgenössischen künstlerischen Strebens nach Reputationsgewinn: Identitätsbildung, die durch die göttliche Stiftung von Inspiration überhaupt erst legitimiert ist, vollzieht sich einerseits in der materiellen Auseinandersetzung mit der Tradition (folglich den bereits existierenden Kompositionen und deren Mechanismen und Verfahren), andererseits im ideellen, genialen Schöpfungsprozess. Beides, der bestimmbare materielle Zugang durch imitatio als auch die unbestimmbare Kreativität durch ingenium, dienen dazu ‚Geschichte zu schreiben‘, und dies wiederum ist die genreübergreifende Motivation aller Künste der Zeit, aller Diskussionen, Partei- und Geschmacksbildungen, aller Akademieprogramme, theoretischen Reflexionen und Debatten. 68 69 70 71 72
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Während in der Literatur die Nachahmungsästhetik das 16. Jahrhundert hindurch vorherrschend bleibt, vollzieht sich in der Kunst die allmähliche Lösung vom Eklektizismus und damit die Ablehnung der pluralistischen Nachahmung als individuelle Stilquelle. Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffes (wie Anm. 66), S. 249. Ebd., S. 248. Ebd., S. 237ff. Vgl. dazu im folgenden Kap. 3.2.3.
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3.2.2. Funktionale Dienstbarkeit: Der „Ruhmverleiher“ Zu den Gewissheiten in der frühen Neuzeit gehört, dass der Künstler in seiner funktionalen Verflechtung mit Mäzenen und Mäzenatentum vor allem als „Ruhmverleiher“73 fungiert und ihm somit im sozialen Gefüge neben der dienenden, auftragsnehmenden zugleich eine gebende, gestalterische Rolle zufällt.74 In seinem Streben nach Reputation – oder, in den Worten Jacob Burckhardts: nach „modernem Ruhm“75 – ist diese Kompetenz für den Künstler existenziell und zudem Voraussetzung für die Entwicklung eigenen Ruhmes und Nachruhmes. Für diesen Komplex lassen sich insbesondere aus der Kunstgeschichte zahlreiche Beispiele heranziehen, in denen die zugeeigneten Werke jeweils kommentiert und so sowohl ihre dedikativ persönliche Prägung als auch ihre subtile Funktionsverkettung mit dem Mäzen offengelegt werden. So argumentierte etwa der Bildhauer Benvenuto Cellini im Jahre 1543 eine die Künste darstellende Figurengruppe gegenüber seinem Mäzen und Auftraggeber Franz I. in Paris folgendermaßen: „Sie [die Figur] ist […] bestimmt, den Kriegsgott vorzustellen, diese vier übrigen Figuren stellen die Künste vor, an denen sich Ew. Majestät ergötzt und die bey Ew. Majestät alle Unterstützung finden. Diese zur rechten ist die Wissenschaft der Wissenschaften, hier ist das Sinnbild, woran man die Philosophie erkennt und alle die Eigenschaften, welche sie begleiten, die andere Figur stellt die bildenden Künste vor, nämlich Bildhauerkunst, Mahlerey und Baukunst, die dritte ist die Musik, welche sich gern zu jenen Künsten und Wissenschaften gesellt, aber die letzte, welche so angenehm und gütig aussieht, stellt die Freygebigkeit vor, weil ohne diese keines jener verwundersamen Talente ausgeübt werden kann; die Figur in der Mitte soll Ew. Majestät selbst abbilden, denn Sie sind der Kriegsgott und der einzige Tapfre in der Welt, und Eure Tapferkeit wendet Ihr gerecht und fromm zu Erhaltung Eures Ruhmes an.“76 Der König als Kriegsgott – ruhmförderndes (weltliches, zugleich antikisierendes) Identifikationsmodell eines Herrschers – und umringt von den Künsten und Wissenschaften, erhält als mahnende Beigabe die „Freygebigkeit“ an die Seite gestellt: Deutlicher kann ein „Ruhmverleiher“ wohl kaum auf die monetäre Voraussetzung der Beziehung von Mäzen und Künstler hinweisen. Ähnliche, wenn auch nicht ganz so plastische Beispiele – das wird zumindest kurz zu kommentieren sein – lassen sich auch für die Widmungsvorreden von Musikdrucken benennen.
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Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffes (wie Anm. 66), S. 115. Vgl. zuerst insbes. Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch, hrsg. von Walter Rehm, Hamburg, Sonderausgabe 2004 [zuerst 1860], S. 172–184. Dort werden als Beispiele für typische Ruhmesschriften etwa jene von Flavius Blondus [Biondo Biondi] genannt: Roma triumphans (1457–1459), oder auch die von Dante oder Petrarca in die Dichtungen eingeflochtenen Topoi der Ruhmbegier (im „Inferno“ bei Dante: „lo gran disio dell’eccellenza“), vgl. ebd., S. 173f. Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien (wie Anm. 74), S. 172. Vita di Benvenuto Cellini orefi ce e scultore Fiorentino da lui medesimo scritta […], Neapel 1728, Übersetzung von Johann Wolfgang von Goethe: Leben des Benvenuto Cellini, florentinischen Goldschmieds und Bildhauers, von ihm selbst geschrieben. Übersetzt und mit einem Anhange herausgegeben von Goethe, Tübingen 1803.
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Hintergrund dieser reziproken, sinnhaften Partizipation an Kunst war die sich allmählich wandelnde Sozialstruktur, insbesondere im Hinblick auf die monetäre Beziehung von Auftraggeber und -nehmer: In der frühen Neuzeit wurde der Künstler, der sich vom reinen ‚Handwerk‘ zunehmend abzugrenzen bemühte, nicht mehr nur für erbrachte Arbeitsleistungen entlohnt (am Gebrauchswert gemessen), sondern für einen Tauschgegenstand belohnt. Der Tausch ermöglicht einerseits dem Auftraggeber, sein Ruhm- und Repräsentationsstreben symbolisch umgesetzt zu wissen77 und weithin sichtbar zu machen, andererseits dem Künstler, die aus diesem Prozess der „Mäzenatenverherrlichung“78 resultierende Profilbildung auszubauen und ebenfalls Ruhm zu ernten. Unproblematisch war dieses eher symbolische Tauschgeschäft im Gegensatz zum ehemaligen handwerklichen Vertrag hingegen nicht: Bekannt sind zahlreiche Beispiele nicht entrichteter Zahlungen an Künstler, was zu Revolten, Verhaftungen und regelrecht legendenbildenden Martyrien Anlass gab. Generell gestaltete sich diese gegenseitige Beziehung ebenso eng wie dynamisch, und nicht selten verschoben sich die Gewichtungen: „Je größer der Ruhm des Panegyrikers war, desto größer war der Wert des von ihm verkündeten Ruhmes.“79 Das hatte zur Folge: „Man läßt den Künstler im Lichte schwimmen, um selber im Widerschein zu glänzen.“80 Dem Ruhm zu Lebzeiten (fama) tritt als mindestens ebenso wichtig der Ruhm des Nachlebens (memoria) an die Seite: Indem der Künstler als „Unsterblichkeitsverleiher“81 auftritt – eine Kompetenz, die freilich auch ins Negative (Lächerliche, Spöttische, usw.) gewendet werden kann –, entsteht mittels der Kunstwerke, erstrecht wenn mehrere aufeinander Bezug nehmen, eine wirksame und nachhaltige Gedächtnis- oder Erinnerungskultur. Wie wichtig diese insbesondere in repräsentativen, höfischen Kontexten war und welche symbolischen Aktivitäten sich stets damit verbanden, ist seit mehreren Jahren Gegenstand intensiver historischer Forschungen.82 Ebenso sind generelle Thematisierungen des Ruhmes in der Kunst – unabhängig von konkretem Mäzenatentum – zu beobachten, etwa 77 Aus den zahlreichen Beispielen der zum Zwecke der Fama beauftragten Kunstwerke, die zudem entsprechend titelten, sei verwiesen auf Andrea del Castagnos Zyklus der uomini famosi in der Villa Carducci, die sich somit „zu einem Instrument der Selbstdarstellung des Auftraggebers“ wandelten. Vgl. dazu Martina Hansmann: Andrea del Castagnos Zyklus der ‚uomini famosi‘ und ‚donne famose‘ (= Bonner Studien zur Kunstgeschichte 4), Berlin [u. a.] 1993, S. 304. 78 Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffes (wie Anm. 66), S. 142. 79 Arnold Hauser: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur (= Beck’sche Sonderausgaben 43), Stuttgart 1990, S. 347. 80 Ebd. 81 Ebd., S. 148. 82 Vgl. etwa die aktuelle Studie von Christoph Brachmann zum lothringischen Hof: Memoria – Fama – Historia. Schlachtengedenken und Identitätsstiftung am lothringischen Hof (1477–1525) nach dem Sieg über Karl den Kühnen, Berlin 2006. Hingewiesen sei zudem auf den Sonderforschungsbereich 496: Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme der Universität Münster (Förderzeitraum: 2003–2011) mit 16 Teilprojekten aus den Fächern Buchwissenschaft, Geschichtswissenschaft (Mittelalter bis 19. Jahrhundert), Kunstgeschichte, Mittellateinische Philologie, Musikwissenschaft, Rechtsgeschichte, Theologie, Volkskunde/Europäische Ethnologie und Westfälische Landesgeschichte.
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als tradierter Topos im spanischen Theater.83 Und auch die für die Ruhmesförderung zentralen Künstlerviten sind sich der allgegenwärtigen Bedeutung ihres Zentralthemas gewiss. So leitete Giorgio Vasari seine berühmten Vite von 1550 mit dem Satz ein: „Es pflegen die hervorragenden Geister in all ihren Handlungen entflammt von Sehnsucht nach Ruhm keine Mühe zu scheuen, so schwer sie auch sei, um ihre Werke zu solcher Vollkommenheit zu bringen, daß sie erstaunlich und wunderbar für alle Welt werden.“84 Auf dem Gebiet der Musik, erstrecht der Messkomposition der Zeit, ist man mit ruhmesfördernden Werken spätestens seit der Bekanntschaft mit Josquins Herrschermesse Hercules Dux Ferrariae vertraut, die allein durch die Titelung ihren individuell dedikativen Charakter offenlegt.85 Zu diesem Komplex zählen ebenso die diversen Funeral-Motetten für berühmte Komponisten – eine Sonderform der zunftinternen Nachruhm-Pflege, die noch immer einer zusammenhängenden Untersuchung harrt – wie auch, wie oben bereits beschrieben, der Prozess der imitatio, des Einschreibens von tradierten Komponenten in eigene Werke zur Sicherung des eigenen Ruhmes sowie desjenigen des ‚Spenders‘. Der fama- und memoria-Topos lässt sich aber auch weit allgemeiner fassen. Das betrifft einerseits die allegorische Figur der Fama selbst, flügeltragend mit Trompete dargestellt und so stets mit der Musik verbunden, wie sie auch auf zahlreichen Titelblättern erscheint.86 Und das meint andererseits Widmungsvorreden von Musikalien, also weniger einzelne Kompositionen als vielmehr ihre Zusammenstellung und Präsentation im Druck. Auch auf diesem Gebiet ist noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Fragen, wie nach dem Zusammenhang von Widmungsträger und Inhalt, die sich bei manchen Messdrucken (seien es Personaldrucke, seien es thematische Zusammenstellungen) geradezu aufdrängen, sind bislang nur selten thematisiert worden.87 Ja, es stellt sich 83
Vgl. insbes. Gustavo Correa: El concepto de la fama en el teatro de Cervantes, in: Hispanic Review 27 (1959), Heft 3, S. 280–302. 84 Giorgio Vasari: Le vite de’ più eccellenti pittori scultori ed architettori (1550), hrsg. von Rosanna Bettarini und Paola Barocchi, Florenz 1966, hier in der deutschen Übersetzung zitiert nach Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffes (wie Anm. 66), S. 120. 85 Welchen Kontext die Dedikation hingegen hat, wurde bislang nicht hinterfragt. Stattdessen wurde sich begnügt, auf die spruchbandartige Existenz des namensbildenden Soggettos hinzuweisen, das allein schon genüge, um die Messe als repräsentatives Politikum zu deuten. Vgl. hingegen zur Subtilität der Dedikation von der Verfasserin: Cantus versus planus. Überlegungen zu Josquins „Missa Hercules Dux Ferrariae“, in: Die Musikforschung 63 (2010), Heft 4, S. 379–389. 86 Vgl. etwa im Hinblick auf die habsburgisch-burgundischen Traditionen der Fama-Darstellung Thiemo Wind: Musical Participation in Sixteenth-Century Triumphal Entries in the Low Countries, in: TVNM 37 (1987), S. 111–169. Der Drucker Girolamo Scotto etwa bediente sich bisweilen der Fama-Figur als Logo, worauf Anton Schmid schon 1845 aufmerksam machte: „Die von Kriegstrophäen umgebene, in einer eiförmigen Umrahmung befindliche Fama, welche mit der rechten ein Horn an den Mund setzt, und mit der linken ein Schild hält, […]. Die Umrahmung hat die Inschrift ‚Fama extendere factis, est virtutis opus‘“, vgl. Anton Schmid: Ottaviano dei Petrucci da Fossombrone, der erste Erfinder des Musiknotendruckes mit beweglichen Metalltypen und seine Nachfolger im sechzehnten Jahrhundert, Wien 1845, S. 146. 87 So zeigte sich z. B., dass das erste Messenbuch, mit dem Tomás Luis de Victoria 1576 an die Öffentlichkeit trat, weniger eine ‚Personalie‘, sondern in seiner Struktur als marianische GenreSammlung (mit Marienmotetten, Magnifikats, Psalmen) dem Widmungsträger, dem Subdiakon
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überhaupt die Frage, inwieweit die oben diskutierte Überzeugung vom ‚emanzipierten‘, in jeder Hinsicht autark seine Druckwerke kompilierenden Künstlers und / oder Druckers den Blick auf jene kontextuellen Bezugs- und Einflussgrößen der Widmungs- und Finanzbedingungen verstellt hat, ja, inwieweit dadurch womöglich Werke zur Publikation und in Kombination mit anderen gelangten, die unter anderen Widmungsumständen womöglich nicht ausgewählt worden wären.88 Sieht man aber einmal von individuellen Bezugspunkten ab, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, so trägt beinahe jeder Druck in seiner Vorrede den Wunsch, zum Ruhm des Widmungsträgers beitragen zu können, denn, so argumentierte Milan Pelc kürzlich: „Das Buch selbst als ein Erzeugnis des menschlichen Verstandes und schriftstellerischer Begabung ist im Humanismus ein wichtiger Vermittler der Fama, des guten Rufes und des Ruhmes in der Gegenwart und der Zukunft.“89 Aufgrund des steigenden musikwissenschaftlichen Interesses an großen Verlagen und Druckwerkstätten des 16. Jahrhunderts fällt die Auswertung von Widmungsvorreden zunehmend leichter.90 So lassen sich etwa für die Scotto-Druckerei in Venedig zwischen 1539 bis 1572 knapp 20 Dedikationen mit deutlichem Verweis auf die ruhmstiftende Motivation des gedruckt präsentierten Inhalts nachweisen91 – allein hier wäre eine differenzierte Untersuchung nötig, ab wann, wie oft und in welcher Ausprägung der fama-Topos in Dedikationen von Musikdrucken und -manuskripten des 16. Jahrhunderts vertreten ist. Zumindest liegt mit Raimund Redekers Untersuchung von lateinischen Widmungsvorreden ein erster Überblick zu den Widmungsgepflogenheiten in Mess- und Motettendrucken der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vor.92 Hier lässt sich erkennen, dass noch zu differenzieren ist zwischen Vorreden von Druckern bzw. Herausgebern einerseits und Komponisten und späteren Erzbischof von Köln, Ernst von Bayern, angepasst war, der in seiner jesuitischen Prägung – wie auch der Komponist – der Marienthematik, erstrecht im konfessionell problematischen deutschen Westen, sehr verbunden war. Vgl. dazu im Detail von der Verfasserin: „Ad Virginem Dei Matrem Salutationes“. Victorias Marienmessen im Spannungsfeld von Kirche und Kunst, in: Im Schatten Palestrinas? – Tomas Luis de Victoria. Werk und Rezeption (= Das Goldene Zeitalter der Musik Bd. 1), hrsg. von Michael Zywietz, Genf 2012 [Dr. i. Vorb.]. 88 Vgl. dazu insbes. Kap. 2.3. Der emanzipierte Komponist. 89 Milan Pelc: Illustrium imagines (= Studies in medieval and Reformation thought 88), Leiden 2002, S. 57. Vgl. auch ebd. S. 60 mit dem Hinweis auf den Historiker Paolo Giovio, der sich an Cosimo de Medici 1552 mit der Anmerkung wandte, „er habe sich der Geschichtsschreibung vor allem deshalb gewidmet, um seinem Namen durch unsterbliche Werke ewige Fama zu verleihen.“ Vgl. zur Buchkultur zudem grundlegend: Bodo Guthmüller, Berndt Hamm, Andreas Tönnesmann (Hrsg.): Künstler und Literat: Schrift- und Buchkultur in der europäischen Renaissance (= Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 24), Wiesbaden 2006. 90 Vgl. grundlegend Elizabeth L. Eisenstein: The printing press as an agent of change, Cambridge 1980; sodann die Untersuchungen zu einzelnen Druckwerkstätten von Mary S. Lewis: Antonio Gardano, Venetian Music Printer, 1538–1569, New York 1988, Jane Bernstein: Music Printing in Renaissance Venice: The Scotto Press [1539–1572], New York 1998, und Stanley Boorman: Ottaviano Petrucci. Catalogue Raisonne, Oxford 2006. 91 Vgl. Bernstein, Music Printing in Renaissance Venice (wie Anm. 90), Auswertung der Vorreden nach dem darin enthaltenen Begriff „fama“. 92 Raimund Redeker: Lateinische Widmungsvorreden zu Meß- und Motettendrucken der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Eisenach 1995.
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andererseits. Letztere sind in der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert noch in der Minderzahl, dann erst beginnt sich das Verhältnis umzukehren. Dennoch konnte Redeker feststellen, dass „die Topologie der Komponistenwidmungen […] im allgemeinen der der Widmungen von Druckern und Herausgebern [entspricht].“93 Am Modell von Eléazar Genet bzw. Carpentras (um 1470–1548) lassen sich die persönlichen Ausprägungen von Komponistenwidmungen – hier sämtlich an Vertreter des Hauses Medici gerichtet – besonders eindrücklich zeigen. Carpentras, der offenbar vermögend genug war, um seine Drucke selbst zu finanzieren und schließlich noch eine vierbändige Monumentalausgabe seiner geistlichen Kompositionen vorzulegen, hält sich an die derzeit ‚typische‘ Widmungsstruktur: Nach der kurzen Ansprache des Widmungsträgers beginnt er mit einem Abschnitt biographischer Prägung, in dem Werdegang, Ausbildungsstand, aber auch das persönliche Befinden geschildert werden94, gefolgt von einem Abschnitt zur enthaltenen Musik und einem letzten zum Fürstenlob, in seiner Ausführlichkeit orientiert am Rang des Widmungsträgers. Die Begrifflichkeiten fama und memoria gehören geradezu zum Standardvokabular des Verlagswesens, angefangen von dem entsprechend formulierten Druckprivileg für Ottaviano Petrucci 149895 über derartig titelnde Werke wie die Madrigali de la Fama96 (1548) oder die Moteti de la Fama97 (1555) hin zur von Federigo Badoer 1557 in Venedig gegründeten kunstsinnigen Accademia della fama, die allein über 300 Druckwerke in Auftrag gab.98 Allein an dieser ergänzungsbedürftigen Zusammenschau ist erkennbar, dass die Bedeutung der Ruhmstiftung qua Musik noch keineswegs in allen ihren Facetten befragt und diskutiert worden ist. Fest steht zumindest die kaum zu unterschätzende Bedeutung der ruhmverleihenden Kompetenz des Künstlers, die selbstverständlich ebenso weltlichen wie geistlichen Oberhäuptern zugute kommen konnte – man denke allein an die zahllosen Widmungen von Messdrucken des 16. Jahrhunderts an den jeweils amtierenden Papst. Fest steht freilich auch, dass mit der zunehmenden Produktion und Verbreitung, mit wachsenden Auflagen und Druckwerkstätten und nicht zuletzt mit der Ausdifferenzierung der Produktions- und Vertriebswege das Sammeln und Schätzen von Kunstgegenständen in seiner Quantität begann, an ruhmfördernder Qualität zu verlieren. Paradoxerweise liegt eben in dieser, vorsichtig gesagt: ‚Kommerzialisierung‘ von 93 94 95
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Ebd., S. 362. Noch 1583 beginnt Tomás Luis de Victoria die Vorrede zu seinem Libri duo mit einer kurzen Schilderung seines Befindens, ähnlich wie schon Cristóbal de Morales in seinen beiden Messbüchern von 1540 resp. 1544. „Serenissimo Principe, et illustrissima Signoria siando fama celebratissima vostra serenità cum sue concessioni et privilegi invitare“. Amtsschreiben an Petrucci zur Verleihung des ersten Druckprivilegs am 25. Mai 1498, zit. nach Schmid, Ottaviano dei Petrucci da Fossombrone (wie Anm. 86), S. 10. RISM 15488 der venezianischen Scotto-Druckerei mit Werken von Manari, Viola und Rore, geführt als Nr. 72 im Katalog von Jane A. Bernstein: Music printing in Renaissance Venice: the Scotto Press, 1539–1572, Oxford 1998, S. 367. Mit Werken von Lhéritier, RISM 155515, bzw. Nr. 142 bei Bernstein, Music printing in Renaissance Venice (wie Anm. 90), S. 478f. Vgl. ebd., S. 19.
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Kapitel 3.2.
Kunst der Keim für ihre Anerkennung verborgen, mit zunehmender Erreich- und Verfügbarkeit stieg ihr Wert von Kunst als Kunst. So formulierte Huizinga: „Der Grund, sie [die Kunst] zu begehren, liegt in ihrer Bestimmung, in der Tatsache, daß sie irgendeiner Lebensform dienstbar sind […]. Die ersten Keime einer Liebe zur Kunst um ihrer selbst willen treten als Wucherungen der Kunst p r o d u k t i o n in Erscheinung: bei Fürsten und Edlen häufen sich die Kunstgegenstände zu Sammlungen; sie werden damit nutzlos, und man genießt sie als Luxus, als Kuriosität, als kostbare Teile des fürstlichen Schatzes, und daraus erst erwächst der eigentliche Kunstsinn, der sich in der Renaissance voll entfaltet.“99 Die Kunstproduktion als Teil dieses Systems partizipiert ebenso an seinem ruhmfördernden Potenzial wie sie es begründet. Die existenzielle Legitimation des artifex divinus in seiner Position zwischen institutionell-formalen Verbindlichkeiten und anagogischen Verantwortlichkeiten gewinnt durch die materielle, grundlegende Anknüpfung an die (Musik-) Geschichte via imitatio an Reputation, stets motiviert von dem Ziel und Anspruch, am florierenden System von Ruhm und Nachruhm teilzuhaben. Erst durch dieses Wechselspiel zwischen religiöser Voraussetzung, historischer Rückversicherung und funktionaler Dienstbarkeit wird es überhaupt möglich, dass der Messkomponist sein künstlerisches Profil entwickelt, als seinem Bedingungskontext zwar fortwährend verpflichteter, aber dennoch individueller Künstler.
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Huizinga, Herbst des Mittelalters (wie Anm. 12), S. 360 (hier im Abschnitt Die Kunst im Leben), Sperrung im Original.
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3.2.3. Künstlerische Profilbildung: Der Schöpfer Dass die Profilbildung des Messkomponisten der frühen Neuzeit von vielen Faktoren abhängig war, die – ganz abgesehen von individuellen Gesichtspunkten – zu zahlreich sind, um hier Erwähnung zu finden, versteht sich von selbst. Dennoch sollen ausgewählte übergreifende Aspekte der Individualisierung ebenso angesprochen werden wie die dem ruhmfördernden System der Künstlerpanegyrik zugrundeliegenden Mechanismen. Die Wahrnehmung und Bewunderung des Komponisten gestaltete sich, so wird zu zeigen sein, keineswegs über breite mediale Kanäle und geordnete Rezeptionsmuster. Sie fällt dem Gesamtbild nach sogar eher bescheiden bis schmal und zufällig aus. Die Rahmenbedingungen, unter denen ein Komponist so etwas wie ein Profil entwickeln konnte, das als ruhmadäquat galt und ihn somit zum Objekt panegyrischer Künstlerverehrung prädestinierte, machen es nötig, den der gegenwärtigen Forschung noch immer vor dem inneren Auge stehenden Künstlerbegriff zu ‚entromantisieren‘. Das Produzieren eines auctor auf dem Gebiet der Musik, Philosophie oder Literatur meint im 16. Jahrhundert etwas völlig Anderes, wie 1561 u. a. bei Julius Caesar Scaliger nachzulesen ist. Sein Terminus des „alter deus“100 bezeichnet keinen schwärmerischen, melancholisch in sich versenkten, weltabgewandten und allein schon deshalb interessanten Dichtertypus, als vielmehr ein durch göttliches ingenium gesegneten Schöpfer von Kunst, wie oben bereits beschrieben.101 Wenn sich ein Künstler partiell oder für längere Zeit von der Gesellschaft entfernte, dann kaum aus dem Bewusstsein einer unvermeidlichen, seiner genialen Begabung geschuldeten Isolation, sondern aus soziokulturellen Gründen, die die Ausdifferenzierung der Berufsstände und -bilder mit sich brachten. Auf dem Gebiet der Musik begann dies mit der klaren Verschiebung des Ansehens von musicus und cantor – ursprünglich deutlich gewichtet in einerseits ökonomisch frei agierende, nach ‚Wahrheit‘ strebende, dem Quadrivium angehörende Musiktheoretiker (musicus), und in andererseits finanziell (und z. T. noch persönlich) abhängige, zum Broterwerb schaffende Komponisten (cantor).102 Die musica practica gewann zunehmend an Ansehen, was nicht zuletzt auch die Musiktheorie zur Kenntnis nehmen musste – die Komponisten trachteten (auch finanziell) danach, sich aus dem sog. „Künstlerproletariat“103 herauszuarbeiten. Mit Frieder Rempp ist allerdings erst etwa ab der Mitte des 16. Jahrhunderts von einer „Emanzipation der Musica practica“104 zu sprechen, kei100 Julius Caesar Scaliger: Poetices libri septem. Sieben Bücher über die Dichtkunst (1561), hrsg. von Luc Deitz, Stuttgart [u. a.] 1994, hier 1. Buch, 2. Kapitel, S. 72. 101 Vgl. oben Kapitel 3.2.1. sowie zu Scaliger speziell Bernhard F. Scholz: Emblem und Emblempoetik: Historische und systematische Studien (= Allgemeine Literaturwissenschaft. Wuppertaler Schriften 3), Berlin 2003, insbes. S. 146f. 102 Frieder Rempp: Elementar- und Satzlehre von Tinctoris bis Zarlino, in: Geschichte der Musiktheorie Bd. 7: Italienische Musiktheorie im 16. und 17. Jahrhundert, hrsg. von Frieder Zaminer, Darmstadt 1989, S. 47. 103 Vgl. Viola Altrichter: Deus in terris. Die kurzweilige Heiligkeit des Künstlers im Cinquecento, in: Dietmar Kamper, Christoph Wulf (Hrsg.): Das Heilige – Seine Spur in der Moderne, Frankfurt a. M. 1987, S. 174f. 104 Ebd., S. 48.
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Kapitel 3.2.
neswegs schon vorher. Entsprechend kann man Johannes Tinctoris oft zitierte Würdigung bedeutender Komponisten, deren Tätigkeit er als „arte divina“105 beschreibt, noch nicht als Vorgriff oder gar verfrühtes Beispiel einer Künstlerpanegyrik werten. Sein 1477 belegter Terminus, wie auch die spätere Bezeichnung der „divinae musicae“106 von 1495 spiegelt vielmehr erneut jene grundlegende, erstrecht noch für das 15. Jahrhundert gültige Auffassung des Künstlers als artifex divinus. Wenn Tinctoris allerdings den Begriff der Ehre einführt – die genannten Komponisten, so notiert er, „in hac arte divina gloriantur“107 –, so darf hierin mit aller Vorsicht bereits ein Vorschein von jenem späteren, weit verbreiteten Gloria-Ideal gesehen werden, ein Ideal, das nun tendenziell eher der (weltlichen) Person und weniger dem (göttlichen) Nachschöpfer zugesprochen wurde.108 Das ausgelöste Gefühl der Verehrung des Künstlers konnte hingegen durchaus deutliche Züge des Religiösen tragen. So argumentierte Edgar Zilsel, dem eine umfassende und bis heute anerkannte Studie zur Geniereligion zu verdanken ist: „Es darf kaum bezweifelt werden, daß die Gemütsbedürfnisse, aus denen unser Geniebegriff erflossen ist, mit den r e l i g i ö s e n Bedürfnissen auf nächste verwandt sind.“109 Die Aufwertung der Künstlerpersönlichkeit äußerte sich in einem ausgeprägten „Gloriakult der Renaissance“110; es entstand für nahezu alle gesellschaftlichen Branchen das bedeutende Genre der viri illustres-Literatur. Insbesondere ausgeprägt waren die Panegyrika für Bildende Künstler und Maler (Tizian, Michelangelo, Raffael, usw.), Erfinder und Entdecker111 sowie Literaten. Komponisten hingegen tauchen in den Verzeichnissen dieses Genres nicht auf. Zwar mag ein Grund dafür 105 „[…] compositores, ut Joannes Okeghem, Joannes Regis, Anthonius Busnois, Firminus Caron, Guillermus Faugues, qui novissimis temporibus vita functos Joannem Dunstaple, Egidium Binchois, Guillermum Dufay se praeceptores habuisse in hac arte divina gloriantur.“ Johannes Tinctoris: Liber de arte contrapuncti, 1477, Liber primus, S. 77. 106 Johannes Tinctoris: Diffinitorium musicae, 1495, Reprint in: Scriptorum de musica medii aevi nova series a Gerbertina altera, 4 Bde., hrsg. von Edmond de Coussemaker, Paris 1864–1876, Reprint Hildesheim 1963, S. 177. 107 Ebd. 108 Wie sehr Tinctoris zugleich allgemeine kulturhistorische Strömungen reflektierte, diskutierte Edward Lowinsky bereits 1966. Er vergleicht Tinctoris und Alberti, und resümiert: „In conclusion I should like to suggest the strong parallel between developments in Renaissance music and Renaissance painting by comparing Tinctoris’s book on counterpoint with Alberti’s tract on painting“, Music of the Renaissance as Viewed by Renaissance Musicians, in: The Renaissance Image of Man and the World, hrsg. von Bernard O’Kelly, Ohio 1966, S. 161. Aspekte der Perspektivität (die den Bildbetrachter einschließende Dreidimensionalität), antike Theorieverankerung, expressive Qualität von Kunst (das Auge bzw. das Ohr ansprechend) und das Prinzip der varietas sieht Lowinsky bei beiden ähnlich akzentuiert. 109 Edgar Zilsel: Die Geniereligion. Ein kritischer Versuch über das moderne Persönlichkeitsideal mit einer historischen Begründung, 2 Bde., Wien [u. a.] 1918, Bd. 1. S. 3; Sperrung im Original. Vgl. zum Aufkommen des Geniebegriffs in den 1560er Jahren ebd., S. 283ff. 110 Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffes (wie Anm. 66), S. 130. Vgl. dazu aktuell Patricia Eichel-Lojkine: Le siècle des grands hommes: les recueils de vies d‘hommes illustres au XVIème siècle (= République des lettres 5), Leuven 2001, insbes. das Kapitel La construction du mythe de la gloire, S. 48–71. 111 Ein wichtiges Stichwort hier ist die sog. Kolumbus-Biographik, vgl. Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffes (wie Anm. 66), S. 134–143.
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darin liegen, dass die Intention zu Sammelbiographien oft der Gloriabezeugung einer Stadt galten, die sich ihrer Künstler, Wissenschaftler und Entdecker rühmte, wie etwa Florenz112, Padua113 oder Venedig114, um nur einige zu nennen. Die im 16. Jahrhundert in der Regel noch rastlosen Musiker, die maximal zehn Jahre an einem Ort verbrachten und oft auch nicht aus ihm stammten, eigneten sich womöglich wenig zur lokalpatriotischen Identifikation. Dennoch: Auch in stadtunabhängigen Berühmtheiten-Kompilationen wie Raphael Volateranus’ Commentarii urbani (1506), in dem in über 300 Spalten in alphabetischer Reihenfolge biblische, antike und moderne Berühmtheiten aufgelistet werden, findet sich nicht ein einziger Komponist oder Musiker – vertreten sind hingegen Ärzte, Juristen, Philosophen, Dichter, Rhetoriker, Historiker, Mathematiker, Grammatiker (Philologen) sowie diverse Mäzene und Fürsten. Unter den diversen Gruppenbiographien des 16. Jahrhunderts zu Berufsgruppen115 oder Ständen ist ebenfalls keine einzige explizit den Musikschaffenden gewidmete Publikation bekannt: „Soweit Vertreter der Artes liberales überhaupt zu den karrierefähigen Gelehrten gezählt werden, ist von den Vertretern der ‚musica‘ meist nicht die Rede.“116 Zilsel, der die Biographik des 16. Jahrhunderts mit besonderem Augenmerk auf die Kunst systematisch durchgesehen hat, liefert folgende Statistik117 (hier im originalen Wortlaut wiedergegeben): Literaten aller Arten
Politisch-kriegerische Größen
Geistliche Berühmtheiten
Aerzte, d. h. Halbliteraten
Künstler
Fechtmeister
∑
474
289
96
63
44
1
967
49%
30%
10%
6,5%
4,5%
-
100%
Keine der genannten Gruppen beinhaltet Musikschaffende, und die Rolle der (bildenden und malenden) Künstler mit gerade einmal 4,5 Prozent erscheint geradezu marginal, selbst bei aller Abstraktion der freilich nur ausgewählten und beispielhaften, zudem mittlerweile nach über 80 Jahren sicher ergänzungsbedürftigen Ergebnisse. Überdies wertete Zilsel die berühmte Porträtsammlung des Erzherzog Ferdinand von Tirol (1529–1595) aus, die um 1578 angelegt wurde und 913 Darstellungen umfasste: Hier folgen aufeinander (in den Worten Zilsels): „68% Fürstlich112 Filippo Villani: De origine civitatis Florentiae eiusque famosis civibus (1375–1390), inklusive Künstlerbiographien im zweiten Band (darin etwa der Komponist Francesco Landini). Oder auch: Ugolino Verino: De illustratione urbis Florentiae (2. Hälfte 15. Jahrhundert, gedruckt erstmals Paris 1573), allerdings ohne Nennung von Komponisten. 113 Michele Savonarola: De laudibus Patavii (1440), ohne Erwähnung von Komponisten oder Musikern. 114 Jean-Baptiste Egnace (Egnatius): De exemplis illustrium virorum Venetae civitatis atque aliarium gentium, Paris 1554, ohne Erwähnung von Komponisten oder Musikern. 115 Vgl. etwa zu Literaten Sicco Polentone: De illustribus scriptoribus latinae linguae (1433) oder Paolo Cortese: De hominibus doctis (1490). 116 Martin Kintzinger: Differenciae musicales: Musik als Wissen und Kommunikation im europäischen Spätmittelalter, in: Recht, Religion, Gesellschaft und Kultur im Wandel der Geschichte. Ferculum de cibis spiritualibus. Festschrift Dieter Scheler (= Studien zur Geschichtsforschung des Mittelalters 23), hrsg. von Iris Kwiatkowski und Michael Oberweis, Hamburg 2008, S. 367. 117 Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffes (wie Anm. 66), S. 176.
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keiten und Regenten“, „15% Adelige, Staatsmänner und Militärs“, „8,5% Päpste und geistliche Würdenträger“, „4,4% weltliche Literaten“, „1,7% Hofnarren und Mißgeburten“, „0,9% Künstler“, „0,7% Entdecker“, dann immerhin „0,4% Musiker“ (Schlusslicht diesmal: „0,2% Aerzte“).118 Mag diese Zusammenstellung im Detail ebenso kurios wirken wie selbstverständlich den weltlichen Interessen des Herzogs geschuldet sein, so ist doch auch hier eine deutliche Unterrepräsentanz der Musikschaffenden zu bemerken: Immerhin, so muss man wohl festhalten, waren überhaupt welche enthalten.119 Dieser ernüchternde Befund, der anhand des bislang unberücksichtigten Materials quantitativ, sicherlich aber kaum qualitativ zu korrigieren wäre, zeigt, dass die Position des Komponisten noch im Spannungsfeld der Erwerbs- und Lebenswelten der realen vita activa120 und idealen vita contemplativa zu verorten war.121 Unter diesen Voraussetzungen waren künstlerische Profilbildung und der Erwerb von weltlichem Ruhm und Ehre einem Komponisten zwar möglich, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie einem Michelangelo oder Raffael. Nichts aber war dem Messkomponisten der frühen Neuzeit so garantiert wie die im Konzept des artifex divinus verankerte künstlerische Reputation durch die Schöpfung einer res sacra. Motive für diesen Schöpfungsakt waren zahlreich; kaum eines war jedoch derart prominent und in seiner festlichen Varianz und regionalen Ausdehnung geradezu universal einsetzbar wie jenes des Marienlobs.
118 Ebd., Anm. 119 Edgar Zilsel notiert: „In der Renaissance ist ihre Stellung [die der Musiker] etwas schwankend: sie gehören bald zur gelehrten Geistlichkeit, bald zu den Instrumentenbauern, Sängern, Spielleuten, d. h. zu Mechanikern und Lustigmachern. Im allgemeinen Berühmtheitskult der Renaissance spielen sie keine sonderliche Rolle“, Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffes (wie Anm. 66), S. 152f. 120 Zur Schilderung des handwerklichen Lebens der vita activa der Zeit vgl. grundlegend Matteo Palmieri: Il Libro della Vita Civile (1432; gedruckt 1529), Reprint Mailand 1825. 121 Vgl. Müller, Künstlerische und materielle Produktion (wie Anm. 8), S. 43.
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KAPITEL 4 MARIA ALS RELIGIÖSES UND KÜNSTLERISCHES MOTIV BIS 1600 4.1. EKKLESIOLOGISCHE GRUNDLAGEN: MATER CHRISTI – MATER CREDENTIUM – MATER ECCLESIA Mater Christi Neben dem Titel „Jungfrau Maria“1 (Virgine Maria) gehört jener der Gottesmutter (Mater Christi, Mater Domini, später dann Mater Dei) zu den ältesten und beständigsten Bezeichnungen für Maria, theologisch früh bezeugt2 und häufig – wenn auch reduktionistisch – synonym verwendet für Gottesgebärerin (Deigenitrix, Deipara), griechisch Theotókos (θεοτόκος3). Meinte letzterer Begriff vorwiegend den unmittelbaren Geburtsakt der Menschwerdung Christi, so war die Funktion der Mater Dei eine darüber hinaus wirksame, geringstenfalls lebenslange und schließlich – je nach Stand und Entwicklung mariologischer4 Debatten – eine sogar den Tod überwindende und damit konziliarisch und dogmatisch der Fundierung bedürftige. Noch weit von diesen Kontroversen entfernt waren jene frühen Erwähnungen der Theotókos, zuerst bei Bischof Alexander von Alexandrien (312–328) in einem Rundschreiben des Jahres 3225, das zugleich als zentrales Dokument alexandrinischen Glaubensbekenntnisses6 gilt. Verwendung und terminologische 1
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Theologisch bezeugt wurde die Jungfrauenschaft Marias erstmals von Ignatius von Antiochien (um 110) im sog. Brief an die Epheser, vgl. dazu u.a. Hans von Campenhausen: Die Jungfrauengeburt in der Theologie der alten Kirche, Heidelberg 1962, insbes. S. 22, sowie zu den späteren Hauptdiskutanten Wolfgang Beinert, Heinrich Petri (Hrsg.): Handbuch der Marienkunde, Regensburg 1984, insbes. S. 100–103. Neutestamentarisch als Mutter Jesu bereits bei Markus 3,31, Matthäus 2,11.13, 12,47, 13,55, Lukas 1,60, 2,51, 8,19f. und Johannes 2,1.3.12 sowie 19,25–27. Explizit auf die Menschwerdung deutete sodann „das Wort wurde Fleisch“ aus Johannes 1,14. Vgl. zu diesem Neologismus aus den Bestandteilen Mutter (μήτηρ) und Gebärerin (Wortstamm: τόκος) sowie den daraus resultierenden Kontroversen Heiner Grote: Art. Maria / Marienfrömmigkeit II, in: Theologische Realenzyklopädie (TRE), hrsg. von Gerhard Müller, Berlin [u. a.] 1992, Bd. XXII, S. 121f. Mariologie (mariologisch) als Fachgebiet der wissenschaftlich-theologischen Marienlehre im Rahmen der katholischen Dogmatik (terminologisch gebräuchlich seit dem 17. Jahrhundert) ist nicht zu verwechseln mit der Marianik bzw. Marienverehrung (marianisch). Vgl. Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte, hrsg. von der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften, Leipzig [u. a.] 1897ff., Bd. 20, S. 15. Dieses sog. Alexandrinische Symbolum orientierte sich nach eigener Aussage am apostolischen Glaubensbekenntnis, so dass der Theotókos-Terminus vermutlich noch älter ist. Überliefert ist das Symbolum über das Rundschreiben hinaus auch in der unmittelbar darauf folgenden Synode von Antiochien (324/325), vgl. dazu insbes. Luise Abramowski: Die Synode von Antiochien
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Kapitel 4.1.
Ausdifferenzierung des Gottesmutter-Titels standen damit seit der Bibel unmittelbar in christologischen Kontexten und keineswegs etwa in Zusammenhang mit antiken ägyptischen, römischen oder griechischen Gottesmutter-Figuren.7 Marianischmariologische Kategorien und Funktionen entwickelten sich entsprechend abhängig von ur- und frühchristlichen Debatten christologischer Leitfragen zu Göttlichkeit, Menschlichkeit und hypostatischer Union. Prinzipiell orientierte sich die argumentative Bandbreite zunächst an biblischem Quellenmaterial, und obwohl die Bibelstellen quantitativ vergleichsweise gering sind, haben sie – auch und besonders für marianische Belange – enormes qualitatives Gewicht. Die Aussagen reichen hier von einer primär menschlichen und messianischen Funktion von Christus, der „die geschichtliche Vergegenwärtigung Gottes selbst als das Heil“8 sei (nach Matthäus, 1,1.21.23, 2,2.4.6, 15,16), über den Gottessohn, der als alleiniger göttlicher Heilsträger und -vermittler zu den Menschen fungiere (nach Lukas, 1,26–37, 2,11) hin zur absoluten göttlichen Unitas von Vater und Sohn (nach Johannes 10,30). Je nach Konzentration also der christologischen Identität mit Gott und Göttlichkeit veränderte sich auch das Bild von Maria, aufgespannt in einem relativ weiten Spektrum zwischen dem einflusslosen funktional-menschlichen (Deigenitrix) und dem wirkungsmächtigen, quasi-göttlichen Medium (Mater Dei)9. Vor der ersten konziliarischen Einigung im 5. Jahrhundert, die in dieser Hinsicht für einige Zeit Klarheit bringen sollte, waren der basale Deigenitrix- oder TheotókosBegriff selbst sowie seine Verwendung heftig umstritten, je nach implizierter Deutung und Kontext. „Maria war der Tempel Gottes, nicht Gott des Tempels“10, dozierte der im 4. Jahrhundert wirkende einflussreiche Kirchenlehrer Ambrosius von Mailand, wobei die darin geäußerte Rücknahme der Anerkenntnis marianischer Göttlichkeit einherging mit der später so wirksamen und noch zu erläuternden Gleichsetzung von Maria mit der Institution Kirche. Der im Verlauf dieser erregten Debatten gar als Ketzer von seiner Funktion als Erzbischof (ab 428) entbundene Nestorius von Konstantinopel unterschied hingegen zwischen einem quasi umgangssprachlichen, daher zulässigen Wortgebrauch der Theotókos und seiner ‚offiziellen‘ Verwendung und Bedeutung in mariologischen Belangen und mochte generell „[…] nicht die Jungfrau zur Göttin 324/25 und ihr Symbol, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 86 (1975), S. 356–366. Der für die Theotókos-Rezeption maßgebliche Passus lautet: „Der Sohn Gottes, der Logos, ist aus der θεοτόκος Maria geboren und Fleisch geworden“, ebd., S. 357. 7 Erwähnt sei ergänzend, dass solche Kulturtransformationen durchaus vorkamen, wie etwa die Umwidmung zahlreicher antiker und heidnischer Gottesmutter-Bildnisse und -Stätten aus offenkundig rein pragmatischen Gründen belegt. Als Beispiel gilt hier etwa die Umwidmung der griechischen Stadt Ephesos von einer Kultstätte der Göttin Artemis (römisch: Diana) zu einem Zentrum der Marienverehrung im Rahmen des Konzils (431), vgl. dazu etwa Beinert, Petri, Handbuch der Marienkunde (wie Anm. 1), S. 122. 8 Art. Gottesmutter, in: Marienlexikon, hrsg. von Remigius Bäumer und Leo Scheffczyk, 6 Bde., Erzabtei St. Ottilien 1994, Bd. 2, S. 685. 9 Einen konzisen Überblick hierzu vermittelt Marie-Joseph Nicolas: Essai de Synthèse Mariale, in: Hubert du Manoir (Hrsg.): Maria. Ètudes sur la Sainte Vierge, Paris 1949–71, 8 Bde., hier Bd. 1, S. 709–741. 10 Zitiert nach Walter Delius, Hans-Udo Rosenbaum (Hrsg.): Texte zur Geschichte der Marienverehrung und Marienverkündigung in der Alten Kirche, Berlin 21973, darin: De Spir. S. III 11.80, Nr. 30a.
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Ekklesiologische Grundlagen
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machen.“11 Gleichwohl konnten sich Nestorius’ alternative, den Aspekt der lebenslangen Mutterrolle negierende Wortschöpfungen wie „Gottesempfängerin“ (θεοδόχος) oder „Christusgebärerin“ (χριστοτόκος) nicht durchsetzen, zumal die Diskussionen schon seit längerem in jene progressivere Richtung verliefen12, die den Geburtsakt mit einer fortwährenden Mutterschaft Marias unmittelbar verbunden sah. Diskutiert wurde vielmehr, welche ‚göttliche Intensität‘ diese implizierte, was wiederum nur über die Einigung im erwähnten christologischen Dissens gelingen konnte. Das Konzil von Chalcedon (451) beglaubigte sodann erstmals offiziell den bereits auf dem vom römischen Kaiser Theodosius II. einberufenen Konzil von Ephesos (431)13 schriftlich fixierten Topos Mater Dei.14 Gleichermaßen abgelöst wie in seiner Bedeutung potenziert wurde damit der biblisch authentifizierte Begriff der Mater Christi, da die Göttlichkeit des Sohnes nun schon vor der Niederkunft (ante partum) als bestätigt angesehen wurde, Maria als Mater Dei also bereits einen Gott bzw. den Gottlogos und nicht erst einen post partum dazu ‚beförderten‘ Menschen geboren habe.15 Fundiert wurde mit diesem als Symbolum Chalcedonense in die Kirchengeschichte eingegangene Richtspruch von der hypostatischen Union jene „Menschwerdung [Gottes], d.h. die Selbstvergegenwärtigung des einzigen und absoluten Gottes in der angenommenen Menschheit Jesu als das Heil des Menschen, ohne seine Gottheit aufzuheben oder die Menschheit Jesu nur als die Bühne oder Attrappe seiner Erscheinung zu mißbrauchen.“16 Das Symbolum sollte das Marienbild nachhaltig prägen, zunächst vor allem im Hinblick auf die konsubstanzielle, nun gleichermaßen in göttlichen wie menschlichen Kontexten deutbare Rolle Marias als Mater Dei. In der Bestätigung des Gottesmutter-Titels auf dem Konzil von Konstantinopel (553), der Lateransynode (649) und dem Konzil von Toledo (675) – dort aufgenommen in den Textkorpus des Glaubensbekenntnisses – erfuhr diese Position Marias sodann ihre endgültige Fixierung und weitere Definition. 11
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Zitiert nach Friedrich Loofs: Nestoriana. Die Fragmente des Nestorius, Halle 1905, S. 353. Nestorius gehörte in seiner Leugnung der Einheit von Mensch und Gott in Christus der sog. Strömung der Antiochenischen Trennungs-Christologie an. Vgl. dazu auch Beinert, Petri, Handbuch der Marienkunde (wie Anm. 1), S. 113f. Stellvertretend kann hier Gregor von Nazianz (um 326–um 390) genannt werden, der in seiner Epistola 101 die ‚nachträgliche‘ Gottwerdung von Christus ablehnt und damit für den Status von Maria als Mater Dei (hier noch impliziert im Begriff der Theotókos) plädiert, vgl. Art. Gottesmutter, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 687. Die politischen Hintergründe des dritten ökumenischen Konzils, die von einer empfindlichen Krise des Römischen Reiches und seinen starken Tendenzen zum Synkretismus geprägt waren, müssen hier unberücksichtigt bleiben. Abweichende Äußerungen wurden ab sofort mit kirchlichem Bann belegt, wie die Akten aus Ephesos bezeugen: „Wer nicht bekennt, daß der Emmanuel wahrhaftig Gott und deshalb die heilige Jungfrau Gottesgebärerin ist (denn sie hat das Wort, das aus Gott ist und Fleisch wurde, dem Fleisch nach geboren), der sei mit dem Anathema belegt“, zit. nach: Heinrich Denziger: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, hrsg. von Peter Hünermann, Freiburg [u. a.] 371991, S. 252. Hierin zeigt sich zudem die generelle Diskrepanz christologischer zu heidnisch-mythischen Glaubensfragen, in denen die ‚Erhebung‘ oder ‚Erniedrigung‘ von Göttern und Menschen generell möglich und damit die Rolle des ‚Mediums‘, so eines benötigt wurde, vergleichsweise nebensächlich war. Man spricht in diesem Zusammenhang von Adoptianismus. Art. Gottesmutter, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 686.
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Kapitel 4.1.
Mater Credentium Maria, in der der Gottlogos physisch und geistlich (im Glauben) Mensch geworden ist, die zur Gottheit also sozusagen in einem ‚persönlichen‘ Verhältnis steht, nimmt entsprechend eine privilegierte Position, eine Art Vorbildfunktion für die übrige Menschheit als Mater Credentium (Mutter der Gläubigen) ein.17 Dies äußerte sich schon früh in betreffenden Lehrsätzen, wie etwa von Ambrosius von Mailand: „Wie in einem Bild sei euch die Jungfräulichkeit dargestellt im Leben Mariens, von dem wie von einem Spiegel der Glanz der Keuschheit und die Schönheit der Tugenden zurückstrahlt. Hier mögt ihr Beispiele für das Leben holen […]“.18 Diese Vorbildfunktion differenzierte sich in damit verbundene quasi-göttliche Rechte und Pflichten: Rechte im Sinne der gestatteten Anbetung Marias als Fürsprecherin, Mittlerin oder Gnadenbringerin, Pflichten im Zusammenhang ihrer Mitverantwortung für die heilsgeschichtliche Aufgabe. Beide Aspekte stellten Maria in eine intensive und komplexe Beziehung zu den Gläubigen, der – befördert durch ihr Menschsein, das aus der Perspektive des Bittenden auf Zugänglichkeit und Verständnis hoffen lässt – ein enormes Gewicht zukommt. Wie stark dies bisweilen zum Übergewicht tendierte, lässt sich an Grenzfällen wie Rupert von Deutz (1075/80– 1129/30) dokumentieren, der gar die – später dann selbst wieder verneinte – Frage nach der Vierfaltigkeit Gottes aufwarf.19 Der theologische Horizont, in dem sich die multifunktionale Vermittlerrolle Marias aufspannte, war wesentlich von dem vielschichtigen, aus der Annahme der hypostatischen Union hervorgegangenen Topos der Mater Dei geprägt: Eine Unzahl synchroner und paradoxer Doppelfunktionen, die sich aus der Inbezugsetzung Marias zur Trinität ergaben, bestätigten nämlich nicht nur ihre Individualität und die daraus resultierende Vormachtsstellung, sondern umfassten in ihrer Gesamtheit nahezu alle menschlichen Bedürfnisse und Lebenslagen: Jungfrau und Mutter, Schwester und Mutter, Mutter und Tochter, Gebärende und Geborene des Erlösers, Braut und Tochter, usw. In dieser spannungsvollen Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die sich in der Person Marias geradezu exemplarisch manifestierte20, lagen jene mächtigen und mystischen Impulse der Marienverehrung verborgen, die als ebenso bedeutungsschwere wie problematische Konstanten die Kirchengeschichte geprägt haben. Marias Rolle als Fürsprecherin bei Gott zählte zu den ihr schon von Justinus († um 165) zugesprochenen Kompetenzen, fußend auf der theologischen Interpretation des Ausgleichs der Sünde Evas im Paradies durch Maria: „Denn Eva emp17 18 19 20
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Zu den aus diesem Verhältnis resultierenden Marienfesten vgl. Kap. 4.2. Medien des Marienlobs: Liturgie – Feste – Literatur – Kunst – Musik. In: De Virg. II, zitiert nach: Patrologiae cursus completus, series Latinae (=PL), hrsg. von Jacques-Paul Migne, Paris 1844–1855, 221 Bde., Bd. 16, 220f. Rupert von Deutz: De divinis officiis, Kap. 13, in: Patrologiae cursus completus, series Latinae (wie Anm. 18), hier: Bd. 170, 305f. Im weiteren Sinne zählen hierzu auch die in die mittelalterlichen Hymnendichtungen eingegangenen Motive der Himmelsgöttin (Regina caeli). Die Paradoxien bildeten zudem den Stoff für zahlreiche Dichtungen, wie etwa die aus dem 13. Jahrhundert stammende, später häufig vertonte Sequenz Mater patris, nati nata, ein fünfstrophiges Akrostichon aus Maria salve, vgl. allg. zu marianischen Akrostichis den gleichlautenden Art. in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 70–72.
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fing das Wort von der Schlange, als sie Jungfrau und unberührt war, und gebar Ungehorsam und Tod. Die Jungfrau Maria hingegen empfing Glauben und Freude, als der Engel Gabriel ihr die frohe Botschaft verkündete.“21 Marias quasi rückwirkende Fürsprache für Eva galt damit als verantwortlich für die Rettung der Menschheit, was Maria nun generell befähigte, für die Gläubigen zu bitten. Dies bildete gleichsam die Grundlage jenes ‚ethischen‘, am Erlösungsprozess unmittelbar teilhabenden Marienbildes, in dem die Gläubigen zugleich Vorbild und Verantwortlichkeit erblickten. Augustinus (354–430) bezeichnete Maria in seiner Abhandlung De sancta virginitate aus dem Jahre 401 entsprechend nur deshalb als „Mutter der Glieder“, „weil sie in Liebe mitgewirkt hat, daß in der Kirche Gläubige geboren werden“.22 Die Überzeugung, dass Maria über die bloße Fürsprache hinaus als Heilsbringerin wirksam werden konnte, hängt damit unmittelbar zusammen, denn erst durch ihr vorbildhaftes Verhalten konnte sie „für sich und das gesamte Menschengeschlecht die Ursache des Heils (causa salutis)“ werden, worauf Irenäus von Lyon (177/78–um 220) schon 200 Jahre zuvor hingewiesen hatte.23 So bedeutsam Maria auch für die institutionelle Konsolidierung der Kirche sein mochte – worauf im Folgenden noch näher einzugehen ist –, so sehr trug ihr vermeintlich leichter erlangbares, weil ‚menschliches‘ Wohlwollen den Gläubigen gegenüber dazu bei, Marienglauben und Marienfrömmigkeit weniger bekenntnishaft ernst denn überschwänglich mystisch zu (er)leben. Die Notwendigkeit, dieser ständig drohenden Schieflage durch dogmatische Lehre beizukommen, ohne die (allein schon quantitativen) Vorteile des generell zum Kultus neigenden Volksglaubens zu entbehren, gestaltete sich für die Kirchenväter von Beginn an als Gratwanderung. Für die weiteren Überlegungen ist festzuhalten, dass der Lobpreis Marias, zu der schließlich auch die später zu diskutierenden Kunstwerke der Messvertonungen zählen, erst durch die im Begriff der Mater Credentium vollzogene Institutionalisierung Marias zum Leitbild christlicher Lebensführung und Glaubensbildung verbindlich wurde und seine Prägung vom jeweiligen Niveau und Bedingungsgefüge der Debatten erhielt. Mater Ecclesia Von der Mater Credentium – schon im 5. Jahrhundert explizit als „Mittlerin zwischen Gott und den Menschen“ bezeichnet, deren Aufgabe es sei, „die irdischen Dinge mit den himmlischen zu versöhnen“24 – ist es zwar nur ein kleiner terminolo21
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Justinus [der Märtyrer]: Dialog mit dem Juden Trypho, 100,5, in: Patrologiae cursus completus, series Graeca (PG), hrsg. von Jacques-Paul Migne, 161 Bde., Paris 1857–66, hier Bd. 6, 709, aufgegriffen von zahlreichen namhaften Theologen, darunter insbes. Irenäus von Lyon (177/78–um 220): Er bezeichnete Maria gar als „Anwältin“ (advocata) Evas, vgl. Beinert, Petri, Handbuch der Marienkunde (wie Anm. 1), S. 107. Im Begriff der ‚Urmutter Eva‘ liegt eine weitere Parallele zur Mater Christi, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Vgl. Texte zur Geschichte der Marienverehrung (wie Anm. 10), De S. virg. 6, Nr. 41a. Zit. nach Patrologiae cursus completus, series Graeca (wie Anm. 21), hier Bd. 7, 960. Es ist umstritten, ob die betreffende Homilie von Basileios von Seleukeia († um 459) oder Proklos von Konstantinopel († 446) stammt, vgl. dazu Beinert, Petri, Handbuch der Marienkunde (wie Anm. 1), S. 122 (pro Basileios), bzw. Adolf Kreuz: Art. Basileios, in: Lexikon für
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gischer Schritt zur Mater Ecclesia, aber einer mit umso größerer Wirkung.25 Indem die Kirche für sich in Anspruch nahm, als personifizierte mediatrix aufzutreten, adaptierte sie damit nicht nur die mariologisch fundierten Rechte und Pflichten, sondern auch Marias quasi-göttliche Instanz als gleichsam moralisch-ethische Basis ihrer Institution.26 So wenig sich das Paradox der funktionalen Gleichzeitigkeit von Klient (Maria als Mater Ecclesiae) und Anwalt (Maria als Mater Ecclesia) auflösen lässt, so unbestritten wurzelt auch dies in Marias erwähnten Eigenschaften, die immer zugleich den Gegenpart in sich tragen. Verbindendes Element – sowohl terminologisch als auch funktional – bleibt die Mutterrolle, die schließlich allen drei Ebenen Mater Dei, Mater Credentium und Mater Ecclesia zugehört. Die Konstituierung der Kirche, die neutestamentarisch zwischen der Inthronisation Jesu und seiner verkündigten Wiederkunft zu verorten ist und entsprechend keine schlichte Fortsetzung der Jüngerschaft Christi darstellt27, ist allerdings kein marianisch inspirierter Akt, sondern geht zunächst von Stiftungsidee und -willen Christi aus.28 Die durch seinen Sühnetod notwendige Neuorganisation der Gläubigen in der Phase bis zu seiner Rückkunft wird am letzten Abendmahl ausgesprochen (Matthäus 16,18f.): Simon erhält dort u. a. durch die symbolische ‚Schlüsselübergabe‘ die Vollmacht, in die Basileia als dem zukünftigen Gotteshaus der Erlösten jene einzulassen, die sich in der Kirchenphase zuvor bewährt haben (Matthäus 23,13). Auch andere Jünger bekommen derartige ‚Privilegien‘ übertragen, darunter insbesondere jene zum Erlassen der Sünden (vgl. Johannes 20,22f.); die später hierarchisch ausdifferenzierte Machtstruktur der Kirche deutet sich hier bereits an.29 Zum christologischen, der das argumentative Fundament und die inhaltliche Weisung der neuen Glaubensgemeinde stiftet30, gesellt sich der pneumatologische
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Theologie und Kirche, zweite, völlig neu bearbeitete Auflage hrsg. von Josef Höfer und Karl Rahner, Freiburg 1958, Bd. 2, Sp. 36 (pro Proklos). In den Patrologiae cursus completus, series Graeca (wie Anm. 21) firmiert der Text unter Basileios, vgl. Bd. 85, 452 A. Vgl. zu diesem Komplex in aller Ausführlichkeit Alois Müller: Ecclesia – Maria. Die Einheit Marias und der Kirche, Freiburg 1955, sowie Joseph M. Bover: Marie, L’Église et le Nouvel Israël, in: Manoir, Maria (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 659–674. Das ist selbstverständlich noch heute der Fall. Charles Kardinal Journets einführende Worte zu seinem 2005 publizierten Artikel Die Jungfrau Maria und die Kirche (in: Sedes Sapientiae. Mariologisches Jahrbuch des Internationalen Mariologischen Arbeitskreises Kevelaer e.V., hrsg. von Manfred Hauke und Johannes Stöhr, 9 [2005], Nr. 2, S. 5–36) machen dies überdeutlich: „In dem Augenblick, in dem die Kirche in ihrer vollkommenen Gestalt beginnt, ist die Jungfrau Maria die Kirche. Für alle folgenden Zeiten wird die Kirche marianisch sein oder sie wird nicht bestehen. Wenn man in Bezug auf die Jungfrau irrt, irrt man in Bezug auf die Kirche; wenn man in Bezug auf die Kirche irrt, irrt man in Bezug auf die Jungfrau.“, ebd., S. 5. Nichtsdestotrotz nehmen die 12 Jünger zahlensymbolisch das eschatologische Israel voraus, vgl. Josef Ratzinger: Art. Kirche, in: Lexikon für Theologie und Kirche (wie Anm. 24), Bd. 6, Sp. 167. Entsprechend unterscheidet sich Kirche bzw. Ecclesia (έκκλησία = „die vor Gott versammelte Gemeinde“) theologisch von Bund (Jüngerschaft Christi) und Basileia (zukünftige Gemeinschaft der Erlösten). Theologisch wird in diesem Zusammenhang bereits von „Verfassung“ gesprochen, vgl. Art. Kirche, in: Lexikon für Theologie und Kirche (wie Anm. 24), Bd. 6, Sp. 168. Biblisch u.a. bezeugt bei Johannes 17,17–21, im Rahmen des Gebetes beim letzten Abendmahl: „Heilige sie [die Jünger] in der Wahrheit; Dein Wort ist die Wahrheit. Wie Du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt. Ich heilige mich selbst für sie, damit
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Aspekt, also jener des Heiligen Geistes, mit der institutionellen Rechtfertigung. Erst der Hinweis, die Kirche sei zu Pfingsten gegründet worden31, meint nämlich den Vollzug der von Christus intendierten Gemeinschaft, oder anders ausgedrückt: Die Kirche entsteht nicht in oder während der Inkarnation des hingerichteten Messias, sondern erst durch die Ausschüttung des Heiligen Geistes über die Apostel, die damit sozusagen die Ermächtigung zur Institutionalisierung ihrer Gemeinschaft erhalten. Wie Maria wird die Urkirche also erst durch den Heiligen Geist zum Medium des Glaubens ‚berufen‘32; von hier ist der Weg nicht weit zu Begrifflichkeiten wie Amt oder Würde. Da es sich jedoch um hierarchisch differenzierte Ebenen der Gläubigen, also um eine Gruppe aus ‚mehr‘ oder ‚weniger‘ berufenen Mitgliedern handelt, repräsentiert die ecclesia oder communio sanctorum zugleich die abstrakte, ‚mütterliche‘ communio sancta als quasi übergeordnete Instanz und die communio sancti als konkrete, ‚brüderliche‘ Glaubensgemeinschaft der Verantwortlichen.33 Auch hier bestehen in der gleichzeitigen Vorbild- und Vermittlerrolle klare Parallelen zu Maria: Die communio sancti („Mitte“) fungiert für die communio sanctorum („Unten“) als Vermittler zur mit quasi-göttlichen Privilegien ausgestatteten communio sancta („Oben“), ausdifferenziert in dem hier nicht weiter zu diskutierenden, durch apostolische ‚Nachfolge‘ geprägten institutionellen Gefüge mit dem petrinischen Sonderamt des Papstes an der Spitze, ausgestattet mit allen Befugnissen der Jurisdiktion. Die ‚jungfräuliche‘ Würde der Kirche ist zuerst bei Paulus bezeugt34, christologisch tradiert sodann aber eher im Sinne der Jungfräulichkeit des gemeinsamen Glaubens als der Institution an sich.35 Als „Mutter“ wird die Kirche sodann erstmals im Brief des Paulus an die Galather bezeichnet (4,26): „Aber das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie, das ist unsre Mutter.“ Und schließlich kann das allein durch die Kirche vollzogene Sakrament der Taufe, das die Wiedergeburt Christi im neu aufgenommenen Gläubigen symbolisiert, gleichsam als ritualisierter Nachvollzug der Menschwerdung Christi gelten, die sich einst in und durch Maria ereignete. Die Intensität und Fülle der hier nur ausgewählt zitierten biblischen Zeugnisse zogen eine entsprechend üppige Interpretationskultur des Bezuges von Maria und ecclesia nach sich, die in ihren Ausprägungen und Einzelfragen hier nicht diskutiert werden kann. So verwundert es kaum, dass Fachleute die Formel Maria = ecclesia schon im 4. Jahrhundert als oratorisch und theologisch etabliert erkennen36, als Rufname explizit belegt zuerst bei Hegemonius aus Syrien, der noch vor 350 eine in griechischer Sprache verfasste, aber nur noch in der lateinischen
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auch sie geheiligt seien in der Wahrheit. Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien. […].“ Art. Kirche, in: Lexikon für Theologie und Kirche (wie Anm. 24), Bd. 6, Sp. 177. Die zahlreichen Ikonen, die Maria inmitten der Apostel beim Abendmahl zeigen, greifen diesen Zusammenhang künstlerisch auf. Art. Kirche, in: Lexikon für Theologie und Kirche (wie Anm. 24), Bd. 6, Sp. 178. Die Bezüge zu paradoxen Doppelrollen liegen auch hier wieder auf der Hand. 2. Brief an die Korinther, 11,2: „[…] ich habe Euch [die falschen Apostel] verlobt mit einem einzigen Mann, damit ich Christus eine reine Jungfrau zuführe.“ Vgl. Müller, Ecclesia – Maria (wie Anm. 25), S. 210. Ebd., S. 216.
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Übersetzung überlieferte Streitschrift des Titels Thesaurus verus vorlegte, die die Termini „virgo castissima“ und „immaculata ecclesia“ bereits selbstverständlich synonym gebraucht.37 Interessant zu beobachten ist bereits in diesem frühen Stadium die Verwischung terminologischer und funktionaler Grenzen, exemplarisch greifbar an der auf dem Konzil von Ephesos 431 verlesenen Marienpredigt, deren Autorschaft bis heute ungeklärt ist.38 Während die Idiomenkommunikation (communicatio idiomaticum)39 zum Wesen der hypostatischen Union und damit der Christologie und Mariologie gehört, liegt hier eine sogar über die identitas idiomaticum hinausweisende Konstellation vor: Maria und ecclesia werden philosophisch komplex verschränkt; viele der marianischen Anrufungen ergeben tatsächlich nur dann einen Sinn, wenn man sie durch die ekklesiologische ‚Brille‘ liest. Ohne die gesamte Predigt diskutieren zu müssen, seien die für die inhaltliche Umgewichtung relevanten griechischen Verse im Folgenden in deutscher Übersetzung wiedergegeben40: „[…] (2) ehrwürdiger Schatz der ganzen Welt, (3) unverlöschliches Licht, […] (5) Zepter der Rechtgläubigkeit, […] (11) durch dich wird die Dreifaltigkeit geheiligt, (12) durch dich wird das Kreuz ehrwürdig genannt und angebetet auf der ganzen Welt, […] (15) durch dich werden die bösen Geister in die Flucht gejagt, […] (18) durch dich ist die ganze Schöpfung, im Götzenwahn gefangen, zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt, (19) durch dich wird allen Gläubigen die heilige Taufe zuteil, (20) durch dich das Öl der Freude, (21) durch dich sind Kirchen gegründet auf der ganzen Welt, (22) durch dich werden die Völker zur Umkehr geführt. […] (24) durch dich haben die Propheten geweissagt, (25) durch dich verkünden die Apostel das Heil den Völkern, (26) durch dich werden die Toten erweckt, (27) durch dich herrschen die Könige, (28) durch die heilige Dreifaltigkeit. […]“41
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In aller Ausführlichkeit ebd., S. 131f. Die Autorschaft Kyrillos von Alexandriens (†444), seinerzeit Gegner des Nestorius und dessen Theotókos-Kritik (vgl. Anm. 11), ist mittlerweile umstritten, vgl. ebd., S. 153f. 39 Vgl. den gleichlautenden Artikel in: Lexikon für Theologie und Kirche (wie Anm. 24), Bd. 5, Sp. 607–609. 40 Zitiert nach Müller, Ecclesia – Maria (wie Anm. 25), S. 155f. Das griechische Original ebd., S. 156, Fußnote 74. 41 Den 28 Zeilen folgt ein umfänglicher Teil zu Nestorius selbst, sodann noch eine längere Schlussformel, vgl. ebd., S. 156.
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Sämtliche Zeilen dieser Marienpredigt lassen sich – im Gegensatz zu den elf weggelassenen – nicht gleichzeitig auf Maria und ecclesia beziehen (ausschließlich auf Maria bezieht sich nicht ein einziger Vers!), sondern vermitteln ihre marianische Identität erst durch das institutionelle Primat. Und selbst das scheinbare Paradox der Zeile 21, „durch dich [= ecclesia und Maria] sind Kirchen gegründet“, fußt auf der erwähnten Differenzierung in eine abstrakte, innere Gesamtkirche (communio sancta) und viele äußere Einzelkirchen bzw. -personen (communio sancti), die in der Glaubensgemeinschaft (communio sanctorum) zusammenfinden. Weitaus fundamentaler als die im Zusammenhang einstiger kirchenpolitischer Konsolidierungsbemühungen offenkundig unproblematischen Interpretationen ohne textgenetische Basis erscheint der zweimalige Verweis auf den kirchlichen bzw. marianischen Bezug zur Dreifaltigkeit: In Zeile 11 noch als dienender Akteur, der der Dreifaltigkeit zur „Heiligung“ verhilft, gerät die Kirche in der Schlusszeile 28 gleichermaßen zu ihrem Fundament, ihrer Hülle und damit ihrer Bedingung. Ecclesia und Maria oder Maria und ecclesia werden zugleich als Leib und Geist (= mater) der Dreifaltigkeit begriffen42, oder in den Worten von Alois Müller: „Maria ist für den Prediger hier nichts anderes als die lebendige konkrete Personifikation ‚der Kirche‘, jener geheimnisvollen Realität, die den Vätern so lebendig greifbar und doch wieder so unfaßbar war, weil sie eben nach natürlichen Denkkategorien eine ‚Abstraktion‘ sein sollte.“43 Die hier geäußerte, terminologisch gleichermaßen Maria wie die Institution Kirche betreffende Gleichzeitigkeit von „Konkretion“ (= Mensch) auf der einen und „Unfaßbarkeit“ oder „Abstraktion“ (= Gott)44 auf der anderen Seite hatte wider Erwarten keine hemmende oder abschwächende Wirkung. Sie stellte sich im Gegenteil als immer wieder inspirierender, weil unerschöpflicher Quell dialektischer Diskurse über die marianischen Aspekte der Institution Kirche – und dies bis weit in das 20. Jahrhundert hinein45 – heraus. Und trotz aller im Laufe der Jahrhunderte sich darauf ablagernden diskursiven Schichten scheint noch immer jene basale Kategorie des in der Antike begründeten Mater Dei-Topos, Urbild aller Vermittlung, hindurch: „Hier steht Gott, hier der Mensch. Der vereinigte Gottmensch heißt Jesus Christus. Der zu Vereinigung aufrufende und Ja sagende Mensch aber heißt Maria und heißt Kirche.“46
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Dieses Bild geht auf Tertullian (160–nach 220) zurück, einen der ersten lateinischen Kirchengelehrten überhaupt, vgl. ebd., S. 88f. Ebd., S. 157. Bei Bover im Gegensatz der „éléments métaphoriques“ und „éléments réels“, die sich in der „Mère l’Église“ vereinten „comme une personnification nuancée de métaphore“, gleichermaßen zutreffend wie weiträumig beschrieben, vgl. Marie, L’Église et le Nouvel Israël (wie Anm. 25), S. 669. Vgl. aus dem Schlusskapitel bei Müller, Ecclesia-Maria (wie Anm. 25), insbes. S. 217–239. Ebd., S. 236.
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4.2. MEDIEN DES MARIENLOBS: LITURGIE – FESTE – GEBETE – LITERATUR – KUNST – MUSIK Liturgie Marias Verbindung zur Eucharistiefeier als zentralem liturgischen Akt des katholischen Ritus erhält ihre theologische Legitimation zunächst einmal aus biblischen Kontexten, sonderlich aus dem Johannes-Evangelium. Die Schilderung des Weinwunders auf der Hochzeit zu Kana (Johannes 2,1–12) – die im Zusammenhang mit der späteren Brotvermehrung (Johannes 6) steht –, an der Maria als Gast teilnimmt, enthält durch Christus’ Mahnung an seine Mutter „Was geht’s dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ (Johannes 2,4) den Verweis auf den Kreuzestod und damit den unmittelbaren Bezug zum Messopfer. Überdies nahm Maria an der Eucharistiefeier der Urkirche in Jerusalem teil (Apostelgeschichte 1,14; 2,42). Aber auch theologisch wurde rasch der organische Zusammenhang von der Menschwerdung Christi, die sich in Maria ereignete, und der Eucharistiefeier erkannt und schriftlich fixiert.47 Zu diesem Kreis zählte bereits der einflussreiche Exeget und trinitarische Theologe Hilarius von Poitiers († 367/68), Zentralfigur der Etablierung eines christlichen Galliens, der in seinem Hauptwerk De Trinitate auf den Bezug von Menschwerdung und Abendmahl explizit hinwies.48 Er und seine Nachfolger verstanden die Eucharistie damit als Mysterium Christi49, der darin fortlebte, und somit Maria gleichsam als Stifterin (Mutter) der Eucharistie und damit Ernährerin der Gläubigen, was Andreas von Kreta (um 660–740) in einer seiner Predigten in den folgenden ‚sprechenden‘ Vergleich kleidete: „Factus est tuus uterus mensa nostra, coelesti instructa pane, ex quo si quis manducat non moritur […] Dei genitrix, qui universum alit.“50 Daran anschließende Zeugen des Mittelalters sind etwa der italienische Kirchenlehrer und Diplomat Petrus Damiani (1007–1072) oder der französische Gelehrte und Zisterzienser Adam von Perseigne († 1221). Damiani als für die Marienverehrung ohnehin wesentlich, da er neben grundlegenden Mariengebeten51 auch das wöchentliche marianische Fest an Samstagen etablierte, verstand Maria als „Weg Christi in die Zeit hinein“, weswegen auch der „Weg zu Christus über sie“ verliefe.52 Ähnliches verbarg sich hinter der häufig rezipierten Fragestellung Perseignes, der überdies ein eigenes Mariale53 hinterließ: „Quis tibi es et qualis, ubi inter manus tuas Virgo de Spirito sancto concipit, 47
Vgl. dazu zusammenfassend Art. Eucharistie und Maria, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 406–410, insbes. S. 406 rechts, sowie Art. Maria, Hl., darin: III. Maria in der Liturgie, in: Lexikon des Mittelalters, Stuttgart 1999, Bd. 6, Sp. 249f. 48 Insbes. De Trinitate 8,13, in: Patrologiae cursus completus, series Latinae (wie Anm. 18), Bd. 10, 246. 49 Zur Identität des ‚realen‘ mit dem ‚mystischen‘ Christus vgl. grundlegend Émile Mersch: Le corps mystique du Christ I, Paris 1936. 50 Zit. nach Patrologiae cursus completus, series Graeca (wie Anm. 21), hier Bd. 97, 1426. 51 Wie das Parvum Officium BMV, vgl. dazu Anm. 103 und 104. 52 Art. Petrus Damiani, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 183. 53 Vgl. dazu den Abschnitt zur Marien-Literatur sowie Anm. 126.
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cum te proferente verba mysterii illibata, visibilis oblationis substantia in divinae carnis substantiam transit?“54 Diese Haltungen fanden ihre exemplarische Formulierung sodann in der Maxime des 1981 heilig gesprochenen Symeon von Thessaloniki (nach 1350–1429): „Sie [Maria] ist die Wurzel, die Mutter, die Ursache des eucharistischen Opfers“55. Künstlerisch erfuhr dieses Bild seine Umsetzung schon in frühen Ikonen des 6. Jahrhunderts, die Marias Herz als Oblate zeigen, oder im häufigen Motiv von „Maria im Ährenkleid“56. Über diese ursächliche Beziehung hinaus ist Marias vermittelnde Funktion von den Gläubigen zu Gott die Ursache ihrer häufigen Nennung im Rahmen der Eucharistiefeier. Besonders im Hochgebet (mit Präfation und Kanon) und der Kommunion lassen sich diese Nennungen belegen, allerdings sind auch schon Spuren im Offertorium, jenem dem Hochgebet vorausgehenden Teil der Gabendarbringung und Altarbereitung, nachweisbar. So sind in nordfranzösischen Quellen aus dem 9. Jahrhundert folgende Begleitworte zum kanonisierten Gebet Suscipe, Sancta Trinitas überliefert, die auf die Interzession von Heiligen anspielen: „Suscipe, sancta Trinitas, hanc oblationem, quam tibi offerimus […] et in honorem beatae Mariae semper Virginis, et beati Joannis Baptistae, et sanctorum Apostolorum Petri et Pauli, et […] omnium Sanctorum.“57 Als den fürbittenden Heiligen zugehörig und vorstehend, wurde Maria ebenfalls schon früh selbstverständlicher Teil des Communicantes in der Messe, jenes an dritter Stelle des Kanon platzierten Hochgebets zum Heiligen-Gedächtnis. Das erste nachweisbare Communicantes ist in seiner Herkunft nicht eindeutig – vermutlich stammt es schon aus dem Pontifikat Leos I. (440–461)58: „Communicantes et memoriam venerantes, in primis gloriosae semper Virginis Mariae, Genetricis Dei et Domini nostri Jesu Christi, […].“59
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Ep. 21, zit. nach: Patrologiae cursus completus, series Latinae (wie Anm. 18), hier Bd. 211, 657AB. Aus dem Hauptwerk Symeons, dem Dialogos, hier capitulum 94, in: Patrologiae cursus completus, series Graeca (wie Anm. 21), Bd. 155, 281D. 56 Vgl. Eucharistie und Maria, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 409. 57 Zit. nach Bruno Kleinheyer: Maria in der Liturgie, in: Beinert, Petri, Handbuch der Marienkunde (wie Anm. 1), S. 410. Zum Gebet Suscipe, sancta Trinitas und seinen Ausprägungen vgl. ausführlich Josef Andreas Jungmann: Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, 2 Bde., Wien 1952, hier Bd. 2, S. 57f. 58 Vgl. Kleinheyer, Maria in der Liturgie (wie Anm. 57), S. 406. Zur Communicantes in ihren regionalen Unterschieden vgl. insbes. Jungmann, Missarum Sollemnia (wie Anm. 57), Bd. 2, S. 215f. mit Fußnote 13, der zudem eine noch frühere Entstehungszeit der betreffenden Formel vermutet. 59 Zit. aus dem Canon Romanus nach Kleinheyer, Maria in der Liturgie (wie Anm. 57), S. 406.
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Kapitel 4.2.
Marias Nennung – selbstverständlich wiederum „in primis“ – folgen hier sogar 40 Heilige, deren Rangordnung exakt festgelegt ist60; sie werden allerdings nicht mit derart zahlreichen Apostrophierungen, sondern lediglich mit den schon aus dem Suscipe, Sancta Trinitas bekannten Epitheta sancti oder beati versehen.61 Auch das vorletzte der zwölf Gebete des Kanon – das Nobis quoque peccatoribus, die Anrufung der Heiligengemeinschaft – war je nach regionaler Prägung des Ritus mit einzelnen Namensnennungen verbunden. In dem in Ägypten gepflegten koptischen Ritus etwa übernahm Maria bereits im 4. Jahrhundert eine ähnlich einleitende Funktion wie im Communicantes, adaptiert wenig später von römischer und alexandrinischer Praxis.62 Im 11. Jahrhundert wurde sodann in der römischen Messliturgie auch eine Praefatio de beata Maria Virgine eingeführt. Die Präfation, der außerordentlich wichtige erste Teil des eucharistischen Hochgebets, gliedert sich in einen einleitenden Dialog zwischen Priester und Gemeinde, die eigentliche Präfation als Danksagung und die allgemeinen Gebete Sanctus und Benedictus. Ursprünglich war die Präfation an jeweils eine bestimmte Messfeier des Kirchenjahres gebunden (es gab daher 267 Varianten), bis die päpstliche Liturgiereform Gregors I. (590–604) die Zahl drastisch reduzierte – im 16. Jahrhundert kannte man nurmehr elf Präfationen, die nun wiederholt einzusetzen waren. Für marianische Festtage konnte entsprechend nur auf eine einzige Präfation zurückgegriffen werden; Berücksichtigung erfuhr Maria hingegen auch in den Präfationen für die kirchlichen Herrenfeste zum 2. Februar (In Praesentatione Domini) und 25. März (In Annuntatione Domini) .63 Schließlich fand Maria auch Eingang in den liturgischen Abschnitt der auf das Hochgebet folgenden Kommunion, Höhepunkt der Messfeier mit Pater Noster, Brotbrechung, Friedensgruß, Agnus Dei und Abendmahl: im Rahmen des Embolismus, jener Einschaltung im Pater Noster, die seit dem 7. Jahrhundert durch die Anrufung von Heiligennamen beliebig verlängert werden konnte. Ort der Parenthese war der letzte Vers des Pater Noster, „Libera nos ab omnibus malis“, in den folgende Zeile zu Ehren Marias eindrang: „et intercedente beata et gloriosa semper Virgine Dei Genetrice Maria“64, gefolgt wiederum von den weniger ausführlich präsentierten Aposteln und Heiligen. Marianische ‚Prägung‘ erhielt eine Messe durch diese ausgewählten Textzusätze, die zumeist im Rahmen von Heiligen-Verehrungen verblieben, allerdings nur bedingt – am ehesten noch in der Präfation –, wenngleich die früh etablierten und regional breit gestreuten marianischen Titulaturen und Textparenthesen auch 60 61
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Vgl. Jungmann, Missarum Sollemnia (wie Anm. 57), Bd. 2, S. 218f., mit Namensnennungen in den verschiedenen Traditionen. In orientalischen Gebieten gab es zwar keinen Kanon, Heiligengebete mit solchen der Communicantes ähnlichen Aussagen und Strukturen existierten aber auch dort, wie etwa das syrische Anaphora Duodecim Apostolorum oder das byzantinische Chrysostomus Anaphora, vgl. Kleinheyer, Maria in der Liturgie (wie Anm. 57), S. 408. Dazu Jungmann, Missarum Sollemnia (wie Anm. 57), Bd. 2, S. 314 mit Fußnote 24. Beide Tage wurden später zu Marienfesten erklärt, vgl. dazu den folgenden Abschnitt mit den Marienfesten. Vgl. Kleinheyer, Maria in der Liturgie (wie Anm. 57), S. 410. Zu den regionalen Varianten des Embolismus vgl. Jungmann, Missarum Sollemnia (wie Anm. 57), Bd. 2, S. 352f.
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erahnen lassen, wie selbstverständlich Maria in der Messfeier von Beginn an ihren Platz fand. Eine ‚Prägung‘ der liturgischen Praxis, mündend in die Anbetung Marias, konnte sich erst im Zusammenhang der bedeutsamen Marienfeste ausbilden, flankiert von spezifischen marianischen Gebeten und Gesängen (liturgischer und ‚privater‘ Provenienz), auf die in den folgenden Kapiteln näher einzugehen ist. Feste Vor den für die Fundierung der Marienverehrung so wesentlichen Konzilen von Ephesos (431) und Chalcedon (451)65 lassen sich keine Mariengedenktage, -feste und -hochfeste nachweisen, allenfalls der in der byzantinischen Liturgie noch heute verwurzelte Gedenktag Mnémé tés Theotókou (zum Gedächtnis der Gottesgebärerin) am Tag nach Christi Geburt am 26. Dezember.66 Vergleichbare Gedenktage in zeitlicher Nähe zum christologischen Hauptfest am 25. Dezember finden sich in der frühen spanischen (18. Dezember), syrischen (26. Dezember), römischen (1. Januar, später marianisches Hochfest der Solemnitas Sancta Genitricis Mariae67), koptischen (16. Januar) oder gallischen (18. Januar68) Liturgie bis etwa 700; überhaupt wird in der Mariologie häufig darauf verwiesen, dass das älteste Marienfest im Grunde das Geburtsfest Christi sei.69 Alle diese Gedenktage entwickelten zunächst kein selbstständiges liturgisches Profil, wenn auch erste Fürbitten und marianische Gebete hier schon ihren Platz fanden. Von Beginn an nahm allerdings die Jerusalemer Ortskirche eine Sonderstellung ein: Der später im gesamten Kirchengebiet zum Hochfest der Entschlafung und Aufnahme Marias in den Himmel erklärte 15. August (In Assumptione BMV) war dort vermutlich bereits kurz vor dem Konzil von Chalcedon etabliert, das es sodann für alle Kirchen anregte. Der Umstand, dass der Westen sich noch mit allgemeinen Gedenktagen begnügte, während die Ostkirche schon spezifische Festivitäten entwickelte, die zudem in marianisch-mariologischen Fragen weitaus progressiver orientiert waren – immerhin behauptet Marias Assumptio ihre keineswegs unumstrittene quasi-göttliche Stellung –, weist auf die in der Folgezeit immer wieder anzutreffende Vorreiterrolle der Ostkirche für Marienfeste voraus. Dazu zählen insbesondere frühe Kirchbauten in und um Jerusalem zu Ehren Marias, mit denen die 65 66
Vgl. dazu oben den Abschnitt zur Mater Dei. Vgl. Kleinheyer, Maria in der Liturgie (wie Anm. 57), S. 420, sowie zusammenfassend den Art. Feste, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 464–466. 67 In römischen Liturgiebüchern zwischen 560 und 590 wird der achte Tag nach Christi Geburt, der 1. Januar, auch als Natale Sanctae Mariae bezeichnet, was die Feier eines eigenständigen Marienfestes dort, zumindest an den Titelkirchen, nahe legt, vgl. Kleinheyer, Maria in der Liturgie (wie Anm. 57), S. 421. 68 Der diesem Datum im Missale Gothicum (ca. 680 für Autun verfasst) zugeordnete MarienGedenktag bezieht sich noch auf die Entschlafung Marias (In Assumptione BMV) und wurde erst im 8. Jahrhundert der römischen Liturgie als Hochfest der Solemnitas Sancta Genitricis Mariae angepasst. 69 Vgl. Georges Frénaud: Le culte de Notre Dame dans l’ancienne liturgie latine, in: Manoir, Maria (wie Anm. 9), Bd. 6, S. 157–211, insbes. S. 209.
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Geistlichkeit biblische Orte (etwa Rastplätze auf der Reise nach Jerusalem usw.) gleichsam markierte und deren feierlich begangene Anniversarien die Basis zahlreicher Marienfeste bildeten.70 Die Gethsemani-Kirche etwa, die im 5. Jahrhundert an dem mutmaßlichen Sterbeort Marias errichtet und an einem 15. August eingeweiht wurde, soll das spätere Hochfest entsprechend angeregt haben. Schon im 7. Jahrhundert wurde es in die Liturgie der (stadt)römischen Kirche aufgenommen, von Papst Sergius I. (687–701) sodann mit einer Vigil, einem eigens abzuhaltenden marianischen Nachtgebet, sowie einer auf den Termin festgesetzten Prozession zur Stationskirche Santa Maria Maggiore mit wiederum eigenem Präsidialgebet versehen.71 Dieses zentrale marianische Hochfest entwickelte schon früh ein individuelles liturgisches Profil, wozu einige der noch im 16. Jahrhundert meistvertonten marianischen Antiphonen Alma redemptoris mater, Ave regina coelorum und Assumpta es Maria zählen. Neben den marianischen Hochfesten am 1. Januar (Solemnitas Sancta Genitricis Mariae) und 15. August (In Assumptione BMV) wird die Verkündigung an Maria mit einem dritten Hochfest am 25. März (In Annuntiatione BMV) begangen, dessen Wurzeln bis in das 6. Jahrhundert zurückreichen.72 So offenkundig sich dieses Fest kalendarisch an der Geburt Christi (Natale Domini, 25. Dezember) orientiert, so treffen hier verschiedene heilsgeschichtliche Motive zusammen: Man datierte die Erschaffung der Welt ebenso auf den 25. März wie den Kreuzigungstag Christi.73 Dieses symbolische Rückgrat verhalf dem Festtag alsbald zu einer erhobenen Position im Kirchenjahr, gesichert wiederum durch Papst Sergius I., der den 25. März (neben dem Hochfest vom 15. August und den einfachen Festen vom 2. Februar und 8. September) ebenfalls mit einer Prozession zur Stationskirche Santa Maria Maggiore ausstattete. Die Mehrdeutigkeit des Festes, das von Beginn an zudem eher christologisch denn explizit marianisch anmutete, bewirkte langfristig die Umwidmung zu jenem heute noch begangenen Herrenfest (In Annuntiatione Domini), dessen marianische Prägung allerdings in den dort verwendeten Texten und Chorälen (Audi filia, Ave Maria gratia plena oder Ecce virgo concipiet) noch immer durchscheint. Das 16. Jahrhundert kannte diesen Tag noch als spezifisch marianisches Hochfest In Annuntiatione BMV. Das gleichfalls zuerst in der Ostkirche nachweisbare Fest zum 8. September (In Navitate BMV) steht ebenfalls in Bezug zu einer im 6. Jahrhundert stattgefundenen Kirchweihe im Nordosten Jerusalems in der Nähe des vermuteten Geburtshauses Marias.74 Unklar ist hingegen der Weg dieses Festes nach Rom, für den verschiedene Varianten zur Diskussion stehen, da die gallische Liturgie (explizit: Reims) noch vor der römischen davon Notiz nahm. Immerhin lässt sich das Fest erstmals
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Vgl. Kleinheyer, Maria in der Liturgie (wie Anm. 57), S. 423. Ebd., S. 424, mit Auszügen aus dem lateinischen Original. Schriftlich bezeugt wurde es sodann auf der Synode von Trullo / Byzanz (692), vgl. Kleinheyer, Maria in der Liturgie (wie Anm. 57), S. 417. 73 Vgl. den instruktiven Überblick zum Fest von A. H. M. Scheer: Aux origines de la fète de l’Annonciation, in: Questions Liturgiques 58 (1977), S. 97–169. 74 In der Nähe des Teiches beim „alten Schaftor“ gemäß Johannes 5,2.
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zwischen 650 und 670 in Rom nachweisen75; Sergius I. schrieb auch hierfür Vigil und Prozession vor. Kalendarisch unmittelbar aus diesem Geburtsfest Marias abgeleitet wurde schließlich das Fest der unbefleckten Empfängnis Mariens (In Conceptione Immaculata BMV) am 8. Dezember, das erstmals bei Andreas von Kreta zu Beginn des 8. Jahrhunderts erwähnt wird. So wenig beide Festivitäten inhaltlich voneinander zu lösen sind, so sehr gleichen sich die überlieferten Postulate in der Betonung des Zusammenhangs der Geburtsakte Christi und Marias – wie etwa das häufig zitierte Zeugnis „Nascitur virgo ex sterili, Deus ex virgine corporaliter gignitur“ von Georgios von Nikomedeia († nach 880).76 Zwar verzögerte diese thematische Kongruenz, begleitet von grundlegenden theologischen Zweifeln an der Immaculata-These, vermutlich die Etablierung dieses Festes, das erst 1166 durch den byzantinischen Kaiser Manuel Komnenus (1143–1180) Eingang in die Statuten der Ostkirche fand und über weitere dreihundert Jahre benötigte, um 1476 über Umwege endlich auch nach Rom zu gelangen.77 Eben diese inhaltliche Verwandtschaft zum so gewichtigen Motiv der unbefleckten Empfängnis (von Anna, also Marias Mutter, und Maria selbst) war es aber, die bald für den Aufstieg dieses Festes zum vierten (und letzten) marianischen Hochfest78 neben dem 1. Januar (Solemnitas Sancta Genitricis Mariae), 25. März (In Annuntiatione Domini) und 15. August (In Assumptione BMV) sorgte, während sein Ursprung, der 8. September (In Navitate BMV), auf dem Rang eines einfachen marianischen Festes verblieb. Neben dem erwähnten Fest vom 8. September (In Navitate BMV) sind bis in das 16. Jahrhundert hinein vier weitere einfache Marienfeste belegt. Unter ihnen verfügt lediglich das Fest vom 2. Februar (In Purificatione BMV) über eine Tradition, die bis in das 4. Jahrhundert zurückreicht: Jesu Darstellung im Tempel (Lukas 2,22ff.), genau 40 Tage nach seiner Geburt, ist als Jerusalemer Fest erstmals im Reisebericht (Peregrinatio ad loca sancta) der Pilgerin Aetheria bezeugt, der spätestens auf das Jahr 418 datiert wird.79 Im 6. Jahrhundert mehren sich sodann die Nachweise des Festes in Byzanz – Kaiser Justinian I. (527–565) erklärte den Tag 534 reichsweit zum verpflichtenden Feiertag –, und für den Eingang in die römische Liturgie zeichnet schließlich Papst Theodor I. (642–649) verantwortlich, woraufhin Sergius I. (687–701), wie erwähnt, zu diesem Anlass ebenfalls Prozession und Vigil anordnete.80 75 76 77
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Kleinheyer, Maria in der Liturgie (wie Anm. 57), S. 425. Ebd. Verschiedene Quellen weisen das spätere Hochfest zuvor bereits in London (Synode von 1129), Lyon (1140; dagegen protestierte erfolglos einer der prominentesten Gegner der ImmaculataThese, Bernhard von Clairvaux) und schließlich bei den Franziskanern (ab 1263) nach. Papst Sixtus IV., der das Fest der Conceptione Immaculata BMV schließlich 1476 in Rom etablierte, gehörte ebenso dem franziskanischen Orden an. Einige der im 16. Jahrhundert beliebtesten marianischen Antiphonen sind thematisch an dieses Fest gekoppelt, darunter Benedicta es tu, Virgo Maria, Tota pulchra es und insbesondere (mit allein 45 mehrstimmigen Vertonungen zwischen 1470 und 1600) Ave Maria, gratia plena. Vgl. Art. Aetheria, in: Lexikon des Mittelalters (wie Anm. 47), Bd. 1, Sp. 191f., sowie Kleinheyer, Maria in der Liturgie (wie Anm. 57), S. 416. Im heutigen römischen Kalender firmiert dieser Tag als In Praesentatione Domini unter den Herrenfesten.
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Alle anderen drei einfachen Feste sind späteren Ursprungs und ordensintern bzw. politisch inspiriert, also weniger urchristlichen Motiven denn dem Bewusstsein für die Wirksamkeit solcher Festivitäten für Volksglauben und institutionelle Konsolidierung geschuldet. Da ist zunächst das Fest Mariae Heimsuchung (In Visitatione BMV) am 31. Mai81 zu nennen, dessen biblische Fundierung (Lukas 1,39–5682) in einem merkwürdigen Missverhältnis zu seiner vergleichsweise späten offiziellen Anerkennung steht. Erst 1263 nahmen die marianisch-mariologisch im höchsten Maße progressiv orientierten Franziskaner den Festtag in ihren Ordenskalender auf; begründet wird diese Stiftung zugleich pragmatisch mit einer ordenskalendarisch günstigen Lage des Datums. Erst nach 1379 gelangte das Fest durch die Päpste Urban IV. (1379–1389) und Bonifaz IX. (1389–1401) nach Rom, von wo aus es mit Vigil und einer eigenen Oktav – also einer Nachfeier am 8. Tag – ausgestattet alsbald umfassende Verbreitung fand. Erwähnenswert ist, dass der dem Fest zugrunde liegende biblische Lobpreis (Lukas, 1,46–55) die textliche Vorlage für das Magnificat lieferte, jene marianische Psalmodie, deren mehrstimmige Vertonungen seit Mitte des 15. Jahrhunderts zu den bedeutendsten kompositorischen Äußerungen der Marienverehrung zählten. Überhaupt keine urchristlichen Zeugen lassen sich hingegen für das Fest der Sieben Schmerzen Marias (Septem Dolorum BMV) am 15. September anführen.83 Es verdankt seinen Ursprung dem katholischen Bedürfnis nach einem Sühnetag während der kirchenoppositionellen Kriegszüge der Hussiten in Böhmen, eine Art Vorläufer der reformatorischen Bewegung um den Prediger Johannes Hus, der 1415 während des Konstanzer Konzils auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. 1423 ist der Festtag erstmals dokumentiert, während sich die Kriegshandlungen noch bis 1452 hinziehen sollten; er steht in unmittelbarem Kontext einer sich dem Motiv der Septem Dolorum84 intensiv widmenden frömmigkeitsgeschichtlichen Bewegung des 15. und 16. Jahrhunderts, die neben zahlreichen, reich illustrierten Hand- und Gebetsbüchern85 neuen Prozessions-Typen oder neu gegründeten Bruderschaften ihren Namen gab86 und schließlich in zahllosen Wunderereignissen und -bezeugun81 82
Nur im deutschen Sprachraum bis 1969 stets am 2. Juli begangen. Geschildert wird die Begegnung von Elisabeth und Maria, in deren Verlauf das Werden Johannes des Täufers (Lukas 1,5–25) und Jesus (Lukas, 1,26–38) verkündet wird, gefolgt von dialogischen Lobpreisungen beider Frauen (Lukas, 1,41–55). Die Heimsuchung gehört in der Kunstgeschichte zu den am häufigsten dargestellten Marienszenen, vgl. Art. Heimsuchung, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 3, insbes. S. 118–121. 83 Das Datum wurde erst 1727 von Benedikt XIII. fixiert, zuvor vagierte es zwischen verschiedenen Freitagen der Osterwochen. Der Termin rangiert heute nurmehr als marianischer Gedenktag (BMV Perdolentis). 84 Zu den Schmerzen im Einzelnen vgl. Art. Sieben Schmerzen Mariens, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 6, S. 157f. 85 Allein zwischen 1492 bis 1527 sind 17 illustrierte Gebetsbücher belegt, worunter das Delfter Gebetbuch von 1494 ganz ohne Text auskommt, „denn die Bilder sind die Bücher der (ungelehrten) Laien“, vgl. Art. Sieben Schmerzen Mariens, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 6, S. 157. 86 Etwa die Bruderschaft der Sieben Schmerzen Mariens in Brügge (1492, päpstlich approbiert 1495). Mit ihr in engem Zusammenhang steht Margarete von Österreich, vgl. dazu und zu Pierre de la Rue Kap. 5.1. Pierre de la Rues ‚margaretische‘ Mission.
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gen gipfeln sollte. Noch am wenigsten mariologischen Prinzipien verpflichtet ist sodann der letzte87 der für das 16. Jahrhundert relevanten marianischen Festtage Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz (BMV a rosario) vom 7. Oktober, eingeführt als Dankfeier für den Sieg der christlichen Flotte über die Osmanen bei Lepanto 1571.88 Den vier Hochfesten und fünf Festen des Kirchenjahres stehen im 16. Jahrhundert lediglich zwei marianische Gedenktage89 zur Seite: Mariae Schnee (Sancta Maria ad Nives) am 5. August und die Einführung Marias in den Tempel (In Praesentatione BMV) am 21. November. Während ersterer die römische Kirchenweihfeier für Santa Maria Maggiore90 durch Sixtus III. (432–440) – der die von Papst Liberius (352–366) erbaute römische Basilika restaurieren ließ und an einem 5. August Maria weihte – bezeichnet und auf die damalige ungewöhnliche Wetterlage anspielt, fußt der ebenso alte Gedenktag der Einführung Marias in den Tempel (In Praesentatione BMV) am 21. November kalendarisch vermutlich auf der Kirchweihe der durch Kaiser Justinian I. (527–565) errichteten Neuen Marienkirche in Jerusalem. Der Gedenktag setzte sich hingegen weitaus langsamer durch und ist vor dem 14. Jahrhundert (unter dem Pontifikat Papst Gregor XI.) in der römischen Liturgie nicht nachweisbar.91 Gebete Die marianischen Gebetsformen, die im Rahmen der genannten Festivitäten, aber auch darüber hinaus in mehr oder weniger ‚privaten‘ Kontexten Gestalt annahmen und Verwendung fanden, sind historisch und regional weitaus komplexer zu differenzieren als die Feste, so dass im Folgenden nur wesentliche Aspekte zur Sprache kommen können. Generell lässt sich der im 16. Jahrhundert nachweisbare Bestand in 1. ganz oder teilweise biblisch authentifizierte Grundgebete (Ave Maria, Magnificat, Rosenkranz, Angelus), 2. literarisch-poetische Formen wie Troparien und Hymnen aus verschiedenen Epochen, Regionen und Intentionen und schließlich 3. die liturgisch tradierten marianischen Eucharistietexte und Offizien für festgelegte Termine im Kirchenjahr gliedern. Während einzelne Typen wie die marianische 87
Von untergeordneter Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das seit dem 9. Jahrhundert unter Papst Gregor IV. (827–844) nachweisbare Marienfest zum 1. November unter dem Namen Sancta Maria ad Martyres, das unter Kaiser Ludwig dem Frommen (814–840) kurzfristig für ganz Frankreich verbindlich wurde. Alsbald wurde es zu Allerheiligen (Omnium Sanctorum), Maria also dem Kreis der Heiligen und Märtyrer subsumiert, vgl. Art. Maria / Marienfrömmigkeit II, in: Theologische Realenzyklopädie (wie Anm. 3), Bd. 22, S. 124. 88 Verbindlich wurde dieses Rosenkranzfest, das andernorts auch als Sancta Maria de Victoria gefeiert wurde, erst 1716 anlässlich des Sieges der christlichen Heere unter Prinz Eugen in Ungarn; heute rangiert es in der Liturgie ebenfalls nur noch als Gedenktag. 89 Nach 1600 begründete Gedenktage und Feste wie Maria Königin (Regina BMV) vom 22. August (seit 1954) werden hier vernachlässigt, vgl. dazu im Detail Kleinheyer, Maria in der Liturgie (wie Anm. 57), S. 429–439, u.a. mit der tabellarischen Darstellung sämtlicher Festtage. 90 Deshalb in manchen Sakramentaren als In Dedicatione Basilicae S. Mariae bezeichnet. 91 Hingegen schon im 12. Jahrhundert in England, wie eine Chronik aus Winchester dokumentiert, vgl. Kleinheyer, Maria in der Liturgie (wie Anm. 57), S. 426f.
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Eucharistie schon angesprochen wurden und die literarisch orientierten Textsorten später gesondert thematisiert werden, ist der Blick hier auf jene biblisch und liturgisch bedeutsamen Gebete zu richten, die in institutionellen, aber auch ‚privaten‘ Kontexten Anwendung finden konnten. Die dem oben erwähnten Magnificat (Marias Lobgesang oder auch Danklied) unmittelbar vorausgehende biblische Preisung Marias durch Elisabeth (Lukas 1,42–45) gilt als frühestes Dokument der Marienverehrung92: Sie resultiert dramaturgisch aus der Verkündigung Gabriels93 an Maria (Lukas 1,28) und leitet das Ave Maria, das bis heute bedeutendste Mariengebet, ein: „Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum“. Die Preisung Elisabeths wird sodann direkt angefügt (Lukas 1,42): „Benedicta tua in mulieribus, et benedictis fructus ventris tui“94. Die textgenetische und inhaltliche Verschränkung dieser beiden essentiellen biblischen Passagen (Gruß bzw. Verkündigung und Lobpreis) belegt anschaulich das der Marienanbetung seit jeher zentrale Bedürfnis nach der Akzentuierung von Marias Vorbild- und Vermittlerfunktion, die in der ‚doppelten‘ Ansprache durch den göttlichen Boten und die irdische Zeugin verschränkt werden. Nicht zuletzt deshalb zählte das Ave Maria seit dem Mittelalter zum allgemeinen Bildungs- und Kulturgut.95 Es inspirierte zahlreiche Marienlegenden und -viten, die jene durch das Gebet ausgelösten Wunder dokumentierten, fungierte seit dem 13. Jahrhundert neben dem ABC und dem Pater noster als Lektion in Lesefibeln, wurde namensgebend für religiöse Gemeinschaften und deren Bauwerke96 und regte schließlich zur poetischen Entfaltung in volkssprachlichen Akrostichis97 an. Für das 15. Jahrhundert sind sodann auch die ersten Ave Maria-Melodien nachweisbar. Die große Beliebtheit in volkshaft-kultischer Adaption sowie im zunehmend inflationär betriebenen Ablasshandel der katholischen Kirche ließ das Ave Maria im 16. Jahrhundert allerdings auch zu einem Hauptkritikpunkt der reformatorischen Bewegung werden, die seine Legitimation als Bittgebet und damit seine Gleichrangigkeit zum Pater noster und Credo grundsätzlich in Frage stellte und lediglich seinen lobpreisenden Charakter akzeptieren mochte.98 Liturgisch war das Ave Maria nach der Aufnahme in das 92
Vgl. u. a. Franz Courth: Marianische Gebetsformen, Beinert, Petri, Handbuch der Marienkunde (wie Anm. 1), S. 336–403, insbes. S. 364f. 93 Deshalb auch bezeichnet als salutatio angelica, „englischer Gruß“. 94 Der dritte Textteil, das zugefügte, nicht biblisch authentifizierte und daher im 16. Jahrhundert seitens der Humanisten kritisierte Bittgebet „Sancta Maria, Mater Dei, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae. Amen.“ wurde erst 1568 in das römische Brevier aufgenommen. In dieser Form hat es heute noch Bestand, vgl. Art. Ave Maria, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 309–317. Zu den regionalen Ausprägungen des Gebets vgl. ebd. sowie Courth, Marianische Gebetsformen (wie Anm. 92), S. 368–371. 95 Exemplarisch dokumentierbar etwa an der Nürnberger Polizeiordnung des Jahres 1476, die Ortsfremde nur dann in der Stadt betteln ließ, wenn sie nachweisen konnten, Pater noster, Ave Maria, Glaubensbekenntnis und die Zehn Gebote zu beherrschen. Vgl. ebd., S. 312. 96 Darunter die Ordensgemeinschaften der Ave-Maria-Brüder (Serviten, gegründet in Florenz um 1233) und Ave-Maria-Schwestern (Coletinnen, gegründet in Belgien von Coleta von Corbie, 1381–1447). 97 Vgl. Anm. 20. 98 So etwa Martin Luther: „Diese Worte sind Preisungen. Wenn wir sie so gebrauchen, so gebrauchen wir sie recht. Aber ich fürchte, daß es nicht so in Gebrauch ist, sondern es besteht die
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römische Brevier ab 1568 vor jeder Hore und am Schluss des Offiziums zu lesen; zuvor hatte es seinen Platz im Offertorium als Teil der Eucharistiefeier, oder es trat als variabel disponierter Psalmgesang auf. Das Magnificat sodann – als im Gegenzug umfänglicher und darüber hinaus auch literarisch anspruchsvoller Hymnus mit monologischem Charakter – nimmt textlich auf die nachfolgende lukanische Szene der Begegnung Marias mit Elisabeth99 Bezug (Lukas 1,46–55): Maria betet ob ihrer Erwählung und erkennt zudem erstmals ihre neue Rolle als institutionalisierte Mittlerin: „Beatam me dicent omnes generationes“ (Lukas 1,48).100 Ihre Funktion als Betende – in der mariologischen Fachliteratur gelegentlich hierarchisch differenziert als „Vorbeterin“101 – identifiziert sie zugleich mit den Gläubigen, als deren Urmutter sie aufgrund ihrer Erwählung angesehen wird. Wie das Ave Maria hatte das Magnificat seinen liturgischen Platz als Höhepunkt der täglichen Vesper seit jeher im Offizium, kombiniert mit wechselnden Antiphonen und der Doxologie (Gloria in excelsis deo). Im Gegensatz zum Ave Maria und Magnificat bezeichnen Rosenkranz und Angelus (auch: Engel des Herrn) zwei eher ‚private‘, textgenetisch zudem eng verwandte marianische Gebetsformen, die liturgisch trotz ihres biblischen Textgehaltes keinen festen Ort hatten, allenfalls als intensive meditative Vorbereitung o. ä. gelten durften. Entsprechend kann ihre Betrachtung hier kurz ausfallen, zumal die mariologische Fachliteratur hierzu erschöpfendes Material bietet.102 Der Rosenkranz setzt sich zusammen aus einer zahlenmäßig historisch variierenden, zumeist aber aus 150 (angelehnt an die 150 Psalmen des Psalters) Wiederholungen der Gebete Ave Maria und Pater noster, kombiniert mit unterschiedlichen Motiven aus dem Leben und Leiden Jesu. Schon im Spätmittelalter tradiert, setzte sich die endgültige Form des Psalters erst auf Initiative der Kartause St. Alban in Trier um 1400 durch, kurze Zeit später aufgegriffen und individuell variiert von Benediktinern, Dominikanern, Franziskanern und Jesuiten. Im 16. Jahrhundert erhielten der Rosenkranz wie auch der Angelus als seine Parallel- und Kurzform – hierin werden Texte zur Inkarnation, zur Passion und zur Auferstehung Christi jeweils mit drei Ave Maria kombiniert103 – verstärkte Aufmerksamkeit seitens des Klerus, nicht zuletzt aufgrund ihrer enormen Beliebtheit und Verbreitung in der Volks-
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Sitte: ich will Maria bitten um ihrer Ehre willen, daß sie für mich bitte, oder einen Rosenkranz beten, daß sie mir dieses oder jenes erlange. Ich mißbillige sieben Ave Maria nicht, wenn du nur der Ehre willen beten willst; du kannst es tun. Aber wenn du damit etwas verdienen willst, so ist das zu viel!“, zit. aus Walter Tappolet: Das Marienlob der Reformatoren, Tübingen 1962, S. 125. Vgl. Anm. 82. Als Communio noch heute Teil der Festivitäten zum 31. Mai (In Visitatione BMV). Courth, Marianische Gebetsformen (wie Anm. 92), S. 379. Vgl. Art. Rosenkranz, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 553–559 mit Literaturverzeichnis, sowie Art. Engel des Herrn (Angelus), in ebd., Bd. 2, S. 341, und schließlich erneut Courth, Marianische Gebetsformen (wie Anm. 92), S. 379–386. Nachweisbar auf der Basis einiger Vorläufer im 13. Jahrhundert in seiner heutigen Form erstmals 1560 in einem Venezianischen Katechismus, 1571 von Papst Pius V. sodann in das neue nachtridentinische Officium parvum BMV aufgenommen, vgl. Art. Engel des Herrn (Angelus), in: Marienlexikon (wie Anm. 8), S. 341.
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frömmigkeit. Gegenreformer wie Petrus Canisius (1521–1597) erkannten in dieser intensiven außeramtlichen Marienfrömmigkeit, die täglich verrichtet werden sollte, das Rückgrat der Reformationsbemühungen der Katholischen Kirche, aber auch die Gefahren, die aus dem meditativen Überschwang des Rezitierens solcher Übungen resultierten. Das Officium marianum schließlich als letzte offizielle Gebetsform marianischen Inhalts gehört zu den so genannten Zusatz- bzw. Votivoffizien, die sukzessive in die Stundenliturgie eindrangen, indem sie ihre Schemata adaptierten.104 Bis zum Pontifikat Pius V. (1566–1572) fungierte das Officium marianum als verbindliches tägliches Zusatzgebet, dann wurde es durch das Officium Sanctae Mariae in Sabbato abgelöst. Dies verband sich nun explizit mit den Stundengebeten Laudes und Vesper, die auf Psalmen vom Sonnabend (entsprechend „in Sabbato“) und auf eine festgelegte Ordnung marianischer Hymnen, Antiphonen und Gebeten zurückgriffen105, war nun allerdings nur auf bestimmte Tage fixiert. Das tägliche Officium marianum verblieb als Officium parvum BMV – außer zu obligatorischen Anlässen, die kirchenhistorisch tradiert waren106 – als selbstständiges Tagzeitengebet bei Laien, Kongregationen und Ordensgemeinschaften in Gebrauch.107 Im Fundus der verschiedenen Antiphonalien108 des ordo novus sind die prominentesten marianischen Melodien der ersten Jahrhunderthälfte erhalten geblieben, darunter Ave maris stella, Regina caeli, Sub tuum praesidium oder Da Pacem. Literatur Für einen Überblick über die im 16. Jahrhundert gebräuchlichen literarischen Formen marianischer Frömmigkeit müssen die zahlreichen frühen Ausprägungen hier vernachlässigt werden: Zu vielgestaltig sind – vor allem in der byzantinischen Marienverehrung – ihre Typen, Varianten und Gebrauchstraditionen. Troparien und Hymnen109 bilden die formalen, historisch verflochtenen Basismodelle der 104 Auf die kanonisierte Stundenliturgie bzw. das Brevier kann hier nicht näher eingegangen werden. Verwiesen sei auf die einführende theologische Fachliteratur wie den Art. Brevier, in: Lexikon für Theologie und Kirche (wie Anm. 24), Bd. 2, Sp. 679–684, oder in historischem Kontext: Joseph Pascher: Das Stundengebet der Römischen Kirche, München 1954, darin zum Officium parvum BMV insbes. S. 62, 86 und 207. 105 Daraus entwickelte sich das heute verbindliche Commune Festorum BMV, vgl. im Detail: Art. Offizium marianum, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 681f. 106 Wie etwa bei einigen Ordensgemeinschaften der Prämonstratenser oder Zisterzienser, vgl. ebd. S. 681. 107 In dieser Praxis wurzelt die Tradition des individuellen Stundenbuchs. 108 Drei Varianten enthalten das Officium Sanctae Mariae in Sabbato: Das Antiphonale Sacrosantae Romanae Ecclesiae pro diurnis Horis, das Antiphonale Monasticum und das – ordensintern beschränkte – Antiphonale ad usum sacri et canonici Ordinis Praemonstratensis. 109 Auf die komplexen Gattungs- und Begriffsgrenzen von Hymnus und Litanei kann hier nicht näher eingegangen werden. Einerseits bildet der berühmte Hymnos Akathistos (vgl. im folgenden Anm. 112, 113 und 114) ebenfalls eine Litanei, da man ihn allgemein als Bittkanon versteht; andererseits werden in der Westkirche Litaneien in der Regel als Prozessionen mit eigenen liturgischen Handlungen verstanden, vgl. Art. Litanei, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 133f.
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Mariendichtungen, die entsprechend ein Spektrum von ursprünglich akzessorischen Ergänzungen zu Psalmtexten hin zur eigenständigen poetischen Gattung mit wiederum korrespondierenden Untergattungen (Kontakia, Kanones) umfassen. Hinzu tritt mit den im 16. Jahrhundert wieder verstärkt rezipierten Marienviten, bezeichnet als Mariale, eine quasi ‚biographische‘ Literatur, die im Rückgriff auf mittelalterliche Traditionen Marienlegenden in lockerer Prosa mit theologischen Implikationen verband und sich so gleichermaßen an den gebildeten Laien wie den Kleriker richtete. Sowohl in den lyrischen als auch prosaischen Gattungen sind die Grenzen zwischen volkstümlicher und kirchlicher Inspiration sowie Verwendung fließend, was ihre Differenzierung nicht eben erleichtert. Zur Skizzierung ihrer wesentlichen Merkmale sei hier eine knappe Darstellung der bedeutendsten Gattungsvertreter ausreichend. Neben den bereits im Codex Alexandrinus110 nachweisbaren Hymnendichtungen, die sich dort bereits als außerhalb psalmodischer Rezitation etablierte Bekenntnisgesänge profilierten111, formierte sich im byzantinischen Sprachraum schon früh eine Tradition der partiell altgriechisch inspirierten Kunstlyrik, die biblische Ereignisse jenen des täglichen Lebens zur Seite stellte. Ebenso konnten theologische Streitfragen dogmatischer Provenienz zum Motiv eines marianischen Hymnus erkoren werden. Das prominenteste Beispiel dieser byzantinischen Dichtkunst112 war der sog. Hymnos Akathistos113 – sein Urheber ist unbekannt. Der noch heute in der orthodoxen Kirche verwurzelte Hymnus aus der Gattung der Kontakia114 wurde um 800 ins Lateinische übersetzt und fand in ganz Mittel- und Südeuropa Verbreitung. In dieser Festpredigt wird Maria als „himmlische Leiter, auf der Gott herniedersteigt“ oder auch als „Brücke von der Erde zum Himmelreich“ gepriesen115, generell also Marias Vermittlerfunktion und Quasi-Göttlichkeit proklamiert; diese derzeit durchaus progressive Haltung116 wurzelte in der generell pro-marianischen 110 Vgl. dazu im folgenden Kap. 4.4. Musikalische Konsequenzen: Das Zentralmotiv der mediatrix im Gloria de Beata Virgine. 111 Vgl. dazu Art. Hymnodik, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 270. 112 Die Hymnendichtung fand in Romanos Melodos (um 485–nach 555), der über 1.000 Hymnen, darunter etwa 80 mit marianischem Sujet, hinterließ, ihren wohl bedeutendsten Repräsentanten; ediert in: Romanos Melodos: Die Hymnen, übersetzt und erläutert von Johannes Koder, 2 Bde., Stuttgart 2005. 113 Er entstand nach der Befreiung von Konstantinopel nach mehrmaliger Belagerung. Zum Text vgl.: Hymnos Akathistos. Die älteste Andacht zur Gottesmutter, Griechischer Text – deutscher Text, mit Übersetzung und Einführung von Gilles Gérard Meerssemann, Freiburg / Schweiz 1958. Vgl. dazu ebenfalls Courth, Marianische Gebetsformen (wie Anm. 92), S. 378–391 (4. Das Marienlob der Hymnen). 114 Obligatorisch waren den Kontakia ca. 20 Strophen mit Refrain und Akrostichis. 115 Das eindrückliche Bild dieser Himmelsleiter oder Heilstreppe hat später zahlreiche Künstler, nicht nur des osteuropäischen Raums inspiriert und lässt sich bis weit in das 15. Jahrhundert hinein verfolgen, bis zu den Florentiner scala peccatorum-Darstellungen Filippo Lippis (Anbetung des Kindes mit Heiligen, ca. 1452), Leonardo da Vincis (Anbetung des Kindes, um 1480) oder Michelangelo Buonarottis (Madonna della Scala, 1490er Jahre). 116 Bereits das erste Kontakion aus der Serie von insgesamt 24 Strophen mit Abgesang macht die ‚weltliche‘ Konnotation des Hymnus deutlich „Dir, der für uns kämpfenden Heerführerin, bringen wir, als deine von den Übeln erlösten Diener, dankerfüllte Siegeslieder dar, o Gottesmutter.
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Neigung der Ostkirche. Die breite Interpretation und Rezeption des Hymnos Akathistos und seines ihm verwandten Repertoires ebenfalls im 16. Jahrhundert fußt unter anderem auf dieser Basis.117 Spätestens im 8. Jahrhundert begannen die Kanones die Kontakia sukzessive zu verdrängen. Anstelle der variablen Strophenform waren nun formal neun Oden (à vier Strophen), die sich eigenen formalen Bedingungen im Hinblick auf Rhythmik, Melodie und Silbenzahl fügten, vorgeschrieben: Jeweils das letzte Troparion einer Ode enthielt den Lobpreis Marias und wurde daher auch als Theotokion bezeichnet. Die bereits mehrfach erwähnten Kleriker Andreas von Kreta – sein Hauptwerk ist der Große Kanon mit insgesamt 250 Strophen – und Johannes von Damaskos (650–um 750)118 zählten zu den ersten bedeutenden griechischen Kanondichtern. Mit der ab dem 9. Jahrhundert spürbaren Reduktion der von der Ostkirche liturgisch kodifizierten Hymnen konzentrierte sich das Hymnenschaffen sodann vermehrt auf die freie poetische Dichtung sowie die gleichzeitige Komposition der zugehörigen Hymnenmelodien (Antiphonen), die zunehmend an Bedeutung und Beliebtheit gewannen. Die Marienlyrik des Westens setzte ähnlich früh mit den Hymnoden Hilarius von Poitiers119 und Ambrosius von Mailand120 ein. Im Gegensatz zu Hilarius orientierte sich die ambrosianische Poesie an achtstrophigen Volksdichtungen in jambischen Dimetern, was ihre außerordentlich umfangreiche Rezeption maßgeblich beförderte.121 Im 8. Jahrhundert knüpfte der italienische Historiker, Dichter und Theologe Paulus Diakonus (720/30–799), der u. a. das berühmte Homiliarum Karls des Großen zusammenstellte, an die Tradition an, die er zugleich um weitere poetische Mittel, vor allem auf dem Gebiet der Metrik, weitete. Sein heute noch gebräuchlicher Vesper-Hymnus Ut queant laxis, resonare fibris erreichte nicht zuletzt durch den Musiktheoretiker Guido von Arezzo historischen Nachhall, der seinen Halbzeilen die Anfangssilben entlehnte und daraus die Tonskala ut–re–mi–fa–sol– la formte. Bedeutende Vertreter der mittelalterlichen Hymnendichtung sind sodann jene mariologisch ambitionierten Gelehrten Petrus Damiani122 oder Bernhard von Clairvaux123. Zu ihrer Zeit setzte sich als dominanter Hymnentyp ein an der Form des Stabat Mater orientiertes strophiges Gebilde durch, angefüllt mit je sechs trochäischen Dimetern, davon die Vers 3 und 6 jeweils katalektisch geformt.
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Und da du unbesiegbare Macht besitzt, errette uns aus allen Gefahren, auf daß wir zu dir rufen: Freue dich, du unvermählte Braut!“, vgl. Hymnos Akathistos (wie Anm. 113). Vgl. dazu im Detail Gilles Gérard Meerssemann: Der Hymnos Akathistos im Abendland, Bd. I: Akathistos-Akoluthie und Grußhymnen, Freiburg / Schweiz 1958. Damaskos zeichnete zudem für die Zusammenstellung des Oktoechos, des nach den acht Kirchentönen geordneten liturgischen Gesangbuches, verantwortlich. Ediert wurden zahlreiche Hymnen von Kilian Kirchhoff: Hymnen der Ostkirche. Dreifaltigkeits-, Marien- und Totenhymnen, Münster 1960. Vgl. Anm. 48. Vgl. oben den Abschnitt zu Maria als Mater Christi. Vgl. Art. Hymnodik, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 272. Vgl. Anm. 51 und 52. Vgl. Anm. 77.
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Im 15. und 16. Jahrhundert werden nicht nur diese Urformen marianischer Lyrik massiv rezipiert und durch (Neu-)Editionen sowie Kommentierungen allgemein zugänglich gemacht; gleichzeitig beginnen sich verschiedene regionale Typen einer durchweg hochliterarischen, anspruchsvollen und ästhetisierenden Marienlyrik auszuprägen, die sich zugleich ‚verweltlicht‘: Sie öffnet sich politischen und gesellschaftlichen Themen und Bedürfnissen. Das reicht von der religiös verinnerlichten Lyrik der Gegenreformation (insbesondere in Frankreich) über zärtliche marianische ‚Liebeslyrik‘ spanisch-portugiesischer Provenienz hin zu jenen volkstümlichen Mariendichtungen in England, die aktuelle Geschehnisse wie Pest, Hungersnöte oder Kriege verarbeiteten.124 Die Entwicklungen korrespondieren entsprechend mit jenen oben beschriebenen Tendenzen in der Etablierung von neuen, außerbiblisch motivierten Marienfesten. Zudem werden die Grenzen zu weiteren Künsten dort fließend, wo Marienlyrik im Theater, in der Illustration oder als Kommentierung bildender Kunst Verwendung findet. Die Kumulation devotionaler Aspekte bildet die ebenso inneren wie äußeren Spektren marianischer Lyrik der Zeit.125 Aus den zahlreichen Marienviten und mariologischen Abhandlungen des 16. Jahrhunderts – einschließlich der zahlreichen Editionen und Neudrucke älterer Mariale – sei abschließend die 1577 publizierte, 800-seitige De Maria Virgine imcomparabili von Petrus Canisius herausgestellt, die erste marianische ‚Studie‘, die zwischen dogmatischer Kontroversschrift apologetischen Charakters auf der einen und einer im Berichtstil verfassten, gut lesbaren Biographik auf der anderen Seite vermittelte126. Die wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung verschiedenster Marienlegenden auf erzählerischer Basis – zumal ab der Jahrhundertmitte häufig in der jeweiligen Volkssprache verfasst – öffnete nicht nur den Zugang für viele Gläubige zu zentralen theologischen Fragen, sondern bemühte sich zugleich um eine Entmystifizierung der Materie.127 Hierin dokumentierte sich spätestens der Genre-Wechsel von einer mittelalterlichen, ehemals eher der Legende zugehörigen literarischen Gattung – die zwar niemals aus124 Vgl. Art. Lyrik, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 197–216, insbes. S. 206–215. Zu den unterschiedlichen nationalen Ausprägungen der Marienliteratur im Detail vgl. die ersten 13 Kapitel Marie dans les lettres et dans les arts, in: Manoir, Maria (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 17–340 (darin Einzeldarstellungen zu 13 Ländern). 125 Vgl. Courth, Marianische Gebetsformen (wie Anm. 92), insbes. S. 389f. 126 Zu den im 16. Jahrhundert verbreiteten Viten zählten sowohl wiederaufgelegte mittelalterliche Quellen als auch Neuschöpfungen. Von Einfluss waren – neben der erwähnten von Petrus Canisius – jene Mariale von Albertus Magnus (1193?–1280: Mariale Alberti Magni in euageliuz super: Missus est Gabriel angelus, Venetiis, Per Lazaruz de Soardis, 1504), Sancho Porta (+ 1429: Divinum ac proinde inestimabile: sed et omniumque hucusque de christifera virgine scripta sunt: praeclarissimum Mariale […], Lugdunensis, Johannis Cleyn, 1517), Bernardino de Busti (ca. 1450–1513?: Mariale eximii viri Bernardini de Busti ordinis seraphici Fráncisci […], Lugduni, opera Antonij du Ry. Ac impensis Jacobi q. Fráncisci de Giúta, 1525) und Maximus Planudes (ca. 1260–ca. 1310: Sapientissimi et disertissimi Maximi Planudis, In corporis Domini Dei nostri, Iesu Christi sepulchrum & sacrosanctae Dei Matris ac Dominae nostrae lamentationem, oratio, latina facta […], Dilingae, Sebaldus Mayer, 1559). 127 Vgl. zu den Tendenzen historisch-wissenschaftlicher Fundierung der Gegenreformation insbes. Kap. 4.3. Kirchengeschichtliche Horizonte: Maria im konfessionellen Zeitalter. Zur Geschichte der Marienleben-Tradition vgl. generell den Art. Leben, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 49–53.
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starb, aber deutlich den Rückzug antrat – hin zu einer Stilmischung aus marianischmariologischen Sujets, aufgespannt in einen pseudo-historischen textlichen Horizont, der sich wahlweise aus biblischen Szenen, Apokryphen, patristischen Erbauungsreden oder frei Erfundenem zusammensetzte. Kunst „Kaum ein Thema christlicher Ikonographie ist von solcher Breite und Intensität wie das Thema Maria.“128 Dieser Eröffnung des Kapitels Marienverehrung und Bildende Kunst im Handbuch der Marienkunde wäre allenfalls hinzuzufügen, dass zu kaum einem Medium der Marienverehrung derart viel dokumentierende und interpretierende Literatur existiert.129 Nicht zuletzt deswegen genügt für den vorliegenden Rahmen die Beschränkung auf vier wesentliche Aspekte der Auseinandersetzung mit Maria in der Renaissancekunst, die für die Nachbardisziplin der marianischen Musik von nicht unerheblicher Bedeutung sind: 1. Die generelle Ästhetisierung und Pointierung des mediatrix-Motivs130, 2. die Polaritäten heilig vs. profan, 3. das wiederentdeckte und perfektionierte Mittel der Zentralperspektive und 4. die Rezeption historischer Darstellungstypen. Dass ein solch punktueller und exemplarischer Zugriff wesentliches beiseite lassen muss, versteht sich von selbst; so müssen die zahlreichen erhellenden kunstphilosophischen und -ästhetischen Aspekte, etwa zur Architektur der Zeit, an dieser Stelle ebenso vernachlässigt werden wie die systematische Erläuterung der schier unübersehbaren Sujets sowie ihrer Stilmittel, Materialien und historischen Orte.131 Auffallend ist, dass die meisten Darstellungen Marias im 16. Jahrhundert einer jener drei fundamentalen Funktionen verpflichtet sind, die eingangs erläutert 128 Gregor Martin Lechner: Marienverehrung und Bildende Kunst, in: Beinert, Petri, Handbuch der Marienkunde (wie Anm. 1), S. 559. 129 Um nur einige, für die marianische Renaissancekunst bedeutsame Publikationen zu nennen (eine Bibliographie findet sich im erwähnten Handbuch auf den Seiten 955–984): Das Marienbild im Wandel von 1300 bis 1800. Madonnen von 1350–1800. Ausstellung zum MarianischenMariologischen Weltkongreß 1987 in Kevelaer, Würzburg1987; Herbert Haag, Joe H. Kirchberger, Dorothee Sölle, Caroline H. Ebertshäuser (Hrsg.): Maria. Kunst, Brauchtum und Religion in Bild und Text, Freiburg [u.a.] 1997, insbes. S. 242–251; Das Marienbild in Renaissance und Humanismus. Ausstellung Galerie der BASF Schwarzheide GmbH 23. November 2002 bis 19. Januar 2003. – Albrecht Dürer, Daniel Hopfer, Lucas Cranach der Ältere, Martin Schongauer, Lucas van Leyden, Andrea Mantegna, Albrecht Altdorfer, Hans Sebald Beham, Schwarzheide 2002; E.-M. Jung-Inglessis: Maria. Ihr Bild in Rom von den Katakomben bis heute, Erzabtei St. Ottilien [o. J.]. Mit zahlreichen Literaturhinweisen ausgestattet zudem der Abschnitt Ikonographisch des Artikels Maria / Marienfrömmigkeit, in: Theologische Realenzyklopädie (wie Anm. 3), Bd. 22, S. 157–161. 130 Vgl. dazu Klaus Krüger: Fenestra Coeli: Maria als mediatrix im Medium des Bildes, in: ders.: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien, München 2001, S. 46–59. 131 Hierzu zählt auch der große Komplex des sog. Ikonoklasmus, des Bildersturmes, vgl. u. a. Lechner, Marienverehrung und Bildende Kunst (wie Anm. 128), S. 561–573, sowie Art. Maria / Marienfrömmigkeit, in: Theologische Realenzyklopädie (wie Anm. 3), Bd. 22, insbes. S. 125f.
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wurden: Mater Dei, Mater Credentium oder Mater Ecclesia. Der Topos der mediatrix stellte entsprechend keine abstrakte Kategorie aus theologischen Debatten dar, sondern entfaltete seine Wirkung als basales kultur- und gesellschaftshistorisches Motiv, das von der Kunst jederzeit selbstverständlich adaptiert und interpretiert worden ist.132 Dabei lassen sich für die einzelnen Ebenen unterschiedliche Modi ausmachen: Während die Mater Dei seit byzantinischer Zeit in ihren, je nach Herkunft Theotokos oder Maestà betitelten Darstellungen meist in repräsentativer Form zentral positioniert wurde – häufig als axial-frontal thronende Königin mit Kind (Regina-Sujet)133 –, stellen die Mater Credentium-Motive Marias Rolle als Helferin, Fürsprecherin und Gnadenbringerin eher aktionistisch heraus.134 Die am weitesten verbreitete Szene nennt sich Maria Orans (die Betende), häufig in Apsiden der Kirchen anzutreffen, wo Maria zwischen den Gläubigen und dem Pantokrator in der Kuppel vermittelt. In der Darstellungstradition der Mater ecclesia sodann wird der sakrale Raum als Hintergrundfolie oder inhaltsästhetisch korrespondierendes Element einbezogen.135 Diese Tradition rekurrierte zugleich auf die in der gotischen Baukunst verwurzelte Interpretation der Kathedrale als Gotteshaus und religiöser Kosmos: Maria als ecclesia und damit Mittlerin zwischen Göttlichem und Irdischem umfasst gleichermaßen das spirituelle (cathedrale spiritualis) wie das irdische (cathedrale materialis) Element der Kathedrale.136 Nicht selten wurden heilsgeschichtliche Motive in irdische Umgebungen platziert und damit der Kontrast heilig vs. profan scharf akzentuiert. Dies gründete allerdings nicht nur auf der hohen symbolischen Strahlkraft solcher Konfrontationen, sondern auch der Ambition, die Darstellung für den Betrachter generell zu öffnen, den vermittelnden Anspruch sozusagen aus dem Bild heraus wirken zu lassen. Dies gelang ‚technisch‘ durch die Wiederbelebung und Perfektionierung der Zentralperspektive durch humanistischen Forschergeist: Der Betrachter schaut nicht mehr auf, sondern gleichsam in das Bild und wird damit Teil von ihm. In einer bedeutenden Traditionslinie der Mariendarstellungen wird dieser Kontrast noch verschärft, indem sich der Künstler in das Bild ‚hineinkomponierte‘, also am marianischen Generalmotiv der Vermittlung selbst unmittel-
132 Vgl. dazu insbesondere die erhellenden Studien Michael Baxandalls: Ursachen der Bilder. Über das historische Erklären der Kunst sowie Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien der Renaissance, beide Berlin 1990, über den Dokumentarcharakter von Bilddarstellungen, insbes. auch der marianischen Bildobjekte. 133 Als Beispiel wäre hier etwa die frühe Maestà Giottos (1267–1337) zu nennen (Florenz, Uffizien), die bereits perspektivisch denkt, und zudem in der gegenseitig aufeinander verweisenden Handhaltung der beiden zentral thronenden Hauptpersonen Maria und Jesuskind geradezu exemplarisch die verweisende Darstellungsform repräsentiert. 134 Hierzu zählt der besonders in Italien weit verbreitete Bildtypus der Sacra Conversazione, in dem Maria von Heiligen umgeben ist. 135 Wie in der als Madonna in der Kirche bezeichneten Illustration Jan van Eycks (1390–1441) um 1426 (Berlin, Staatliche Museen), die die überdimensionale Marienfigur bis zur Decke des Kirchenraumes hinaufragen lässt. 136 Nicht zuletzt deshalb waren zahlreiche Kathedralen Maria geweiht, vgl. dazu u. a. Müller, Ecclesia – Maria (wie Anm. 25).
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bar teilhatte: die Darstellungen der Legende Lukas malt die Madonna.137 Indem der Künstler als ‚Nachschöpfer‘ etwas aufgrund seiner Göttlichkeit im Grunde nicht-abbildbares, Maria, irdisch bannte, sie also seinem Betrachter vermittelte, ahmte er ebenso den Schöpfungsprozess nach wie er seine eigene zentrale Vermittlerrolle als Künstler herausstrich: Ficino bezeichnete dies bekanntermaßen als „Homo quidam Deus, Deus in terra“138, Grundlage des oben bereits ausführlich diskutierten Konzepts des artifex divinus.139 Die Zunahme an bildlich-räumlicher Perspektivierung und die Überzeugung von ihrer ästhetischen Vermittler-Kompetenz gehen im 16. Jahrhundert schließlich einher mit einer massiven Rezeption historischer Marien-Darstellungen.140 In der Kunstgeschichte spricht man mittlerweile von der sog. „Erinnerungskultur“141, die gewissermaßen genreübergreifend Bedeutung gewann. Weniger die Summe aus einzelnen retrospektiven Bemühungen zu (kirchen)politischen Zwecken ist hier gemeint – im Hinblick auf die Marienverehrung sei an die Rezeption der mittelalterlichen Marienliteratur im Zuge der Gegenreformation erinnert142 –, als vielmehr eine basale Tendenz der Kunst- und Kulturgeschichte, „die sich sowohl im Rahmen einer Formengeschichte der Kunst beschreiben als auch mit einer wachsenden Aufmerksamkeit für alte Dinge und die ‚Verschiedenheit der Zeiten‘ in Verbindung bringen läßt“143. Das schließt ebenso generelle humanistische Strömungen wie auch ‚antiquarische‘ Interessen ein, folglich im Hinblick auf die künstlerischen Resultate sowohl Neuschöpfungen mit formalem oder inhaltlichem Konnex zum historischem Vorbild als auch die Sammlung, Verwahrung und Erforschung des historischen Bestandes, die wiederum Einfluss auf die zeitgenössischen Künstler zu nehmen imstande waren. Musik Obwohl sich Musik mit marianischen Sujets und Titeln seit dem Mittelalter einer stetig steigenden Beliebtheit und Verbreitung erfreute, war die musikologische Auseinandersetzung mit ihr bislang eher am Einzelwerk in seinem regionalen und / oder entstehungsgeschichtlichen Kontext orientiert.144 Das verwundert kaum auf137 Vgl. Bettina Uppenkamp: Modell Maria. Lukas malt die Madonna, in: Modell Maria: Beiträge der Ringvorlesungen Gender Studies an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, hrsg. von Beatrix Borchard [u. a.], Hamburg 2007, S. 21–50. 138 Vgl. dazu grundlegend Kap. 3. Alternative: Das Konzept des artifex divinus, insbes. S. 43–46. 139 Vgl. zum Begriff u. a. Brigitte Scheer: Kunst und Schönheit in der Renaissance, in: dies.: Einführung in die philosophische Ästhetik, Darmstadt 1997, S. 24–37. 140 Zum ‚Historismus‘ in der Renaissance-Kunst vgl. Klaus Graf: Retrospektive Tendenzen in der bildenden Kunst vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Kritische Überlegungen aus der Perspektive des Historikers, in: Mundus in imagine. Bildersprache und Lebenswelten im Mittelalter, München 1996, S. 389–420. 141 Ebd., S. 415. 142 Vgl. oben den Abschnitt zur Marien-Literatur. 143 Graf, Retrospektive Tendenzen in der bildenden Kunst (wie Anm. 140), S. 415. 144 Entsprechend fehlen Stichworte wie „Marienverehrung“, „Marienmusik“ oder gar „Marienmesse“ in den einschlägigen Musiklexika MGG, Riemann oder New Grove.
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grund des schier unübersehbaren Spektrums an Formen und Typen, das vom gregorianischen Choral zu Rossinis Stabat Mater, vom barocken Wallfahrtslied zu Pendereckis Magnifikat oder vom musizierten Rosenkranz zu Monteverdis opulenter Vespro della beata Virgine reicht. Versuche, dieser heterogenen Ausgangssituation Herr zu werden, ohne mit der Marienverehrung ihre thematische Basis aus den Augen zu verlieren, sind entsprechend vorwiegend aus der Perspektive theologischer Forschung unternommen worden, etwa wo Überblicke in Handbüchern verlangt wurden.145 Sie erschöpfen sich in (z. T. sehr lücken- und laienhaften) Aufzählungen von Beispielen der musikalischen Hauptwerke von Machaut bis Rossini146, wobei die herausgestellten marianischen ‚Konnotationen‘ bildliche ‚Programme‘ (etwa bei Bildmotetten oder symbolisch reich illustrierten Prachthandschriften) ebenso umfassen konnten wie vertonte marianische Textmodelle (aus Bibel, Liturgie oder patristischer Tradition) oder lediglich assoziative Titelungen, falls die Identifizierung nicht ganz auf Sinnbilder und Allegorien zurückgriff. Die einzige musikwissenschaftliche Arbeit bislang147, die sich um einen gattungshistorischen Überblick der einzelnen Marienmusiken von den Anfängen bis heute bemüht, reiht sich hier ein, indem nicht von der Musik als solche, sondern von der Fragestellung ausgegangen wird, „inwieweit die Musik einen unmittelbaren Beitrag zur Bewahrung und Erneuerung des Marienbildes und -kultes leistet und spezifisch ‚marianische‘ Züge aufweist.“148 Dazu korrespondiert die Betitelung des knappen, insgesamt eher resignativen Schlusskapitels als „Marienrenaissance oder Mariendämmerung?“149 Statt einer Aufzählung der im 16. Jahrhundert vertretenen mehrstimmigen musikalischen Hauptgattungen mit marianischem Text bzw. Titel – die mit der Nennung von Messe, Motette, Magnificat und Lied150 grob umrissen sind – und ihrer einstimmigen Vorlagen aus choraler oder literarischer Tradition, sollen hier lediglich exemplarisch Berührungspunkte zwischen Marianik und Musik benannt werden, die über 145 Franz Fleckenstein: Marienverehrung in der Musik, in: Beinert, Petri, Handbuch der Marienkunde (wie Anm. 1), S. 622–663; Norbert Dufourcq: Esquisse d’une histoire de la musique en l’honneur de la Vierge, in: Manoir, Maria (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 385–400; Maria in der Musik, in: Haag [u. a.]: Maria. Kunst, Brauchtum und Religion in Bild und Text (wie Anm. 129), S. 146–161. 146 Leider erweist sich das ansonsten vorzügliche sechsbändige Marienlexikon in vielen musikalischen Fachartikeln als fehler- bis mangelhaft lektoriert. 147 Gero Vehlow: Maria in der Musik, Köln 2007. 148 Ebd., S. 13. Die Frage, ob es spezifisch ‚marianische‘ Musik gebe, wird vom Autor selbst einige Seiten darauf abschlägig beantwortet, ebd., S. 15–17. 149 Ebd., S. 203–207. Das Plädoyer mündet im Bedauern, „nach 1945 gebaute Kirchen“ sähen „wie Clubhäuser oder Vereinssäle aus“, denen die „Atmosphäre in alten Kirchen“ fehle. Das große Verdienst der Arbeit liegt im Wesentlichen in ihrem insbesondere für die gottesdienstliche Praxis geeigneten, fast 150-seitigen Registerteil mit zahlreichen marianischen Kompositionen, rubriziert nach Textvorlagen, Topoi und Festivitäten. Die Beata Virgine-Messen fehlen hier allerdings komplett. 150 Dazu zählen etwa die hier nicht weiter zu erörternden marianischen Lauden-Kompositionen, die sich etwa in einer 1563 publizierten Florentiner Laudensammlung nachweisen lassen, vgl. hierzu: Sabine Meine: „Vergine bella“ – „vergine sacra“. Weltliche Modelle für die Marienverehrung in der italienischen Renaissancemusik, in: Modell Maria (wie Anm. 137), S. 111–132.
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ihr bloßes Nebeneinander hinausweisen und ihr scheinbar hermetisches Verhältnis von Kontext (marianisch) und Form (musikalisch) zumindest partiell durchlässig wirken lassen. Problemgeschichtlich darstellen lässt sich dies an einigen musikalischen Gattungen des 15. und 16. Jahrhunderts, innerhalb derer sich ‚marianische‘ Sonderformen etabliert und vom Hauptstrang gleichsam ‚abgekoppelt‘ haben, mit zugleich bemerkenswerter Konsequenz für ihre Strukturen und Funktionen. Das betrifft zuerst die in der vorliegenden Studie zu erörternde Gruppe der Missae de Beata Virgine, die sowohl quantitativ als auch qualitativ neue Maßstäbe in der Messengeschichte setzt. Es mag Zufall sein, dass immerhin knapp 30 Prozent aller Marienmessen des 16. Jahrhunderts151 Choralordinarien sind. Bedenkt man indes, dass eine Vorliebe der liturgischen Praxis für Choralordinarien gegenüber der ‚klassischen‘ c.f.-Messe weder kirchenhistorisch noch -politisch belegt ist, dass ansonsten nur eine sehr geringe Zahl an Choralordinarien komponiert wurde – die Missae de Beata Virgine bilden wiederum ca. 80 Prozent des Gesamtbestandes –, und schließlich, dass die Choralordinarien im gesamten Messrepertoire entsprechend eine quantitativ untergeordnete Rolle spielen, so zeigt sich eine bemerkenswerte Relation von Form und Thematik, die sich in keiner anderen Messgattung der Zeit findet. Für die Ausprägung und Tradierung der Marienmesse erwies sich das Choralordinarium offenbar als optimal, sein Kernsatz, das marianisch tropierte Gloria, rechtfertigte sowohl die Wahl als auch die nachhaltige Tradierung einer Form, die man gemeinhin – wenn auch unter einseitigen historiographischen Prämissen –, gern als Sonderfall bezeichnet hat. Zwei weitere marianische Ausprägungen des 15. und 16. Jahrhunderts sind auf dem weiten Feld der motettischen Komposition zu beobachten und zogen ebenfalls jeweils eine bedeutsame Verlagerung ihrer Gattungskriterien nach sich: Die englische Marienmotette des 15. Jahrhunderts und das im 16. Jahrhundert weit verbreitete Magnificat. Erstere gilt als Vertreterin der terminologisch problematischen ‚Liedmotette‘, in der sich nach Laurenz Lütteken mit der Abkehr von der anlassgebundenen Festmotette eine „Trivialisierung“ vollzog.152 Diese äußerte sich einerseits im Funktionswandel einer nun primär liturgisch eingesetzten, wiederholt verwendbaren Musik, die in den ‚privaten‘ Raum der Andachtskultur eintrat, andererseits in der strukturellen Orientierung an dreistimmigen weltlichen Kompositionen, folglich dem Verzicht auf die exponierten, historisch ‚verlässlichen‘ Techniken der Isorhythmie und Tenorkonstruktion. Als Entree in Stundenbüchern oder privaten Chansonniers – hier mit weltlichen Werken kompiliert – erlangten diese dreistimmigen englischen ‚Marienmotetten‘ eine enorme Verbreitung.153 Diese sogar bis in den burgundischen Raum des frühen 16. Jahrhunderts hinein verfolgbare Sonderform ist allein mit dem vagen Hinweis auf eine blühende Marienverehrung 151 Ca. 70 Missae de Beata Virgine von mittlerweile etwa 250 nachweisbaren Messen marianischen Titels zwischen 1500 und 1630 ergeben 28 Prozent, vgl. Verzeichnis I. 152 Laurenz Lütteken: Art. Motette, IV. 15. und 16. Jahrhundert, in: MGG2, Sachteil Bd. 6, Sp. 513–528, hier Sp. 519. 153 Wie John Dunstables Quam pulchra es oder Walter Fryes Ave regina coelorum. Letztere wurde noch im 16. Jahrhundert als Parodievorlage für Marienmessen verwendet, etwa für Obrechts Missa Ave regina coelorum.
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kaum befriedigend zu erklären: Allzu vehement prallen sakrales Niveau der Textsorten und privatisierter Kontext aufeinander, allzu konträr stehen sich Satztechnik und Ambition der Hauptgattung und ihrer marianischen Ausprägung gegenüber. Auch hier wäre – analog zu den Marienmessen – zu überlegen, ob die vorliegende musikalische Form einer obligaten, stimmlich paritätischen Dreistimmigkeit nicht in Verbindung zu bringen ist mit ihrem funktionalen ‚Endzweck‘: Womöglich verlangte nicht die Form der Motette nach marianischen Texten, sondern die marianischen Texte verlangten nach einer geeigneten musikalischen Form, um sowohl sakral (in der Liturgie) als auch ‚privat‘ wirksam, ja überhaupt in bestem marianischen Sinn ‚vermittelbar‘ werden zu können. Und womöglich ist der erfolgreiche ‚Rückzug‘ auf das dreistimmige System – der in seiner Verbreitung bis in das 16. Jahrhundert hinein durchaus als ungewöhnlich zu gelten hat und überdies in einer Zeit stattfand, als längst vier- bis mehrstimmige Motetten dominierten – weniger der Anpassung an zeitgenössische weltliche Vorbilder als einer absichtsvollen, u. U. gar historisierenden Reduktion des motettischen Satzmodells geschuldet: interpretierbar etwa im Sinne der Erzeugung eines transparenten, archaisierenden Satzbildes, in dem die symbolische Textaussage fernab komplexer Fraktionierungen und monumentaler Dimensionierungen, wie sie der Motette seit jeher eigen waren, platziert werden kann. Das durch die Marienverehrung beförderte Eindringen marianischer Thematik in die Motette, so ließe sich thesenartig formulieren, forderte womöglich ihre innere Umstrukturierung, mündend in die Ausprägung einer eigenständigen (dabei retrospektiv wirkenden) Formvariante, die sich über Jahrzehnte hinweg erfolgreich behaupten konnte. Im Detail zwar komplexer, in der Basis aber ähnlich stellt sich der Sachverhalt im Magnificat154 dar, einer sich ebenfalls bereits im 15. Jahrhundert ausprägenden Sonderform motettischen Komponierens, die im 16. Jahrhundert zu außerordentlich großer Blüte gelangte: Von kaum einem Komponisten ist kein Magnificat überliefert – zweifelsohne erneut ein beeindruckendes Zeugnis des zeitgenössischen marianischen Devotionsbedarfs und -bedürfnisses. Formal kennzeichnete das Magnificat ein in seinem historischen Kern weitgehend invariantes Modell: die 12-malige Vertonung derselben, auf einen (frei wählbaren) Rezitationston fixierten Melodievorlage im Sinne einer ‚Variationsreihe‘. Enge Vorlagenbindung, formal parzellierte Redundanz und extreme Modusfixierung erzeugten einen, in kaum einer anderen Motettengattung zu beobachtenden Formenreichtum stilistischer und kombinatorischer Verfahren hin zu geradezu hochartifiziellen Kraftakten kompositorischer Gestaltung, die in ‚bloßer‘ Gebrauchsmusik, mit der das Magnificat vor 1600 in der Regel assoziiert wird, kaum erforderlich gewesen wären. Trotz der großen qualitativen Bandbreite der überlieferten Werke zählt ihr Großteil zweifellos zur anspruchsvollen Kunstproduktion ihrer Zeit, vermutlich nicht zuletzt deshalb, weil sich das schöpferische Ideal der varietas hier bereits auf der Ebene ihrer formalen Prämissen realisierte. Gleichsam zugespitzt wurde das Moment der varietas im Magnificat noch durch seine obligatorische alternatim-Faktur, die sich in dieser Gattung weitaus länger hielt als etwa in der mehrstimmigen Vertonung des Ordinarium Missae und 154 Zu Text und Herkunft des populären Mariengebetes vgl. oben, S. 81–83.
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Kapitel 4.2.
damit formal den – wiederum literarisch basierten – mehrstimmigen psalmodischen Vokalformen wie Hymnus oder Sequenz näherrückte, die jeher alternatim geprägt waren. Die Parzellierung in auskomponierte und choraliter bzw. organal absolvierte Versabschnitte verhinderte die der mehrteiligen Motette ansonsten vertraute Verkettung mehrerer Verse zu sog. partes, obschon die Finalität mancher Schlussverse oder die gelegentliche teilübergreifende Stimmvermehrung oder -reduktion das Bewusstsein um eine großformale Anlage zumindest erahnen lässt. Generell teilt das Magnificat mit den marianischen Choralordinarien und den ‚Marienmotetten‘ des 15. Jahrhunderts dementsprechend eine Tendenz zu traditionellen, bisweilen retrospektiv wirkenden Satztechniken, indem grundlegende formale und stilistische Errungenschaften der jeweiligen Gattung zugunsten eigener Mittel und Verfahren verworfen werden. Da ihre Texte zudem biblischer oder rituell tradierter Herkunft und einem konkreten kirchlichen Zweck, also der Bedienung der zeremoniellen Bedürfnisse in Marienmessen oder -vespern zuzuordnen sind, fielen diese Ausprägungen in der Forschung schnell der ‚Bedarfsmusik‘ zu. Qualitätskritische Urteile dieser Art, wurzelnd in der noch immer weit verbreiteten Auffassung, der musikhistorische Fortschritt sei den Vertonungen weltlicher Textmodelle vorbehalten gewesen, sind zu allen drei genannten marianischen Gattungen häufig anzutreffen. Ohne das Magnificat hier ausführlicher thematisieren zu müssen155, sei schließlich auf eine spezifische Gemeinsamkeit mit den marianischen Choralordinarien hingewiesen, die bislang unbeachtet geblieben ist: Die in Drucken und Handschriften überaus häufige Überlieferung von Einzelsätzen bis in das 17. Jahrhundert hinein. Sie korrespondiert im Hinblick auf das Magnificat mit der noch ungeklärten Praxis, Wiederholungsmodelle zu komponieren (häufig: Vers 2 = Vers 8, Vers 4 = Vers 10, Vers 6 = Vers 12156), was, wenn schon nicht auf ein Bedürfnis, so doch den Brauch schließen lässt, Einzelverse des Magnificat frei kombinieren zu können. Dem tradierten Geschichtsbild einer zyklischen Motette fügt sich dies ebenso wenig ein wie die marianischen Choralordinarien zur c.f.-Messe ihrer Zeit passen wollen: Hier liegt erneut eine außerordentlich umfangreiche und anspruchsvolle Gattung vor, der die angeblich so dominanten ‚großformalen‘ Ambitionen des 16. Jahrhunderts wenn nicht fremd, so doch zumindest nicht verpflichtend waren. Und ähnlich wie in den Messen wäre nach den formalen Vorzügen des MagnificatModells im Hinblick auf seine marianische Funktionalisierung zu fragen, anstatt seine Abweichungen auf gattungshistorischer Ebene zu akzentuieren. Denkbar ist durchaus, dass die variabel kombinierbare, alternatim präsentierte und kompositorisch dem varietas-Prinzip verpflichtete Strophenform das ihm zugrunde liegende biblische Textmodell „Beatam me dicent omnes generationes“ auswertete, das für
155 Vgl. zum Magnifikat grundlegend von der Verfasserin: Ritus als Kunst? Das Magnificat des 15. Jahrhunderts zwischen Psalmodie und Polyphonie, in: Normierung und Pluralisierung. Struktur und Funktion der Motette im 15. Jahrhundert (= troja, Jahrbuch für Renaissancemusik), hrsg. von Nicole Schwindt, Laurenz Lütteken und Jürgen Heidrich, Kassel 2011 S. 113–126. 156 Vgl. Winfried Kirsch: Art. Magnificat, in: MGG2, Sachteil Bd. 5, Sp. 1572–1579, hier Sp. 1575f.
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die Identifikation Marias mit der Institution Kirche essentiell war.157 Der Lobpreis, den Maria dort stellvertretend für die Gläubigen betet – ihnen also quasi ‚vorbetet‘ –, wechselt inhaltlich (nicht strukturell) von einem autobiographischen zu einem heilsgeschichtlichen Akzent158, also von einem Monolog zu einer alternierenden Anlage, was kompositorisch aufgegriffen wird. Die Spaltung des Textes in fassliche Einzelstrophen, in denen neuer Text mit bekannter Melodie kombiniert wird, bewirkt zudem eine Art basale Lamentations-Struktur, die durch den melodisch dominierenden Rezitationston noch beschwert wird. Innerhalb dieser Abschnitte jedoch sprach nichts gegen eine artifizielle, die vorherige Strophe möglicherweise noch überragende mehrstimmige Umsetzung des Gebetstextes: Die Notwendigkeit korrespondierender Abschnitte trat merklich hinter die Profilierung der Einzelglieder zurück, legitimiert schlicht dadurch, dass das Band zwischen ihnen – ähnlich wie in der alternatim-Messe – durch die gleich einem cantus planus durchlaufende Melodiebasis niemals abriss. Dieses enorme Spannungsfeld zwischen Teil und Ganzem, Homophonie und Polyphonie sowie formaler Fixierung und Lösung im komponierten Magnificat korrespondiert geradezu idealtypisch mit seinem textlichen Anspruch, indem formal zwischen der „höchste[n] göttliche[n] Erhabenheit des Adventus Christi“ und „äußerster menschlicher Niedrigkeit“159 vermittelt wird.
157 Vgl. dazu oben S. 69f., 73 und 83. 158 Vgl. Art. Magnifikat, in: Marienlexikon (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 235–241. 159 Ebd., S. 236.
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Kapitel 4.3.
4.3. KIRCHENGESCHICHTLICHE HORIZONTE: MARIA IM KONFESSIONELLEN ZEITALTER Dass Mariologie und Marienverehrung vorrangige Topoi der gegenreformatorischen Bemühungen bis zum Tridentinum gewesen seien, ist ebenso irrig wie die Annahme, die lutherische Bewegung hätte Maria von Beginn an verworfen und zum Skopus antikatholischer Bekenntnisse erkoren.160 Das tatsächliche äußerst differenzierungsbedürftige und komplexe Gewebe aus Förderung, Gewichtung und Positionierung Marias im konfessionellen Zeitalter ist dank intensiver Quellenstudien und Interpretationen der kontroverstheologischen Dokumente mittlerweile transparenter, wenn aufgrund seiner Materialfülle nicht eben übersichtlicher geworden.161 Nicht nur Philipp Melanchthons berühmte Lehrmeinung „Maria semper repraesentat Ecclesiam“162, der zahlreiche aussagekräftige Dokumente weiterer Reformatoren zur Seite zu stellen wären163, fordert diese Differenzierung, sondern auch die in den Tridentiner Dekreten generelle Unterrepräsentanz marianisch-mariologischer Leitfragen, nachdem der Versuch, das Immaculata-Dogma zu fixieren, endgültig gescheitert war. Die sieben grundlegenden konziliarischen Reformen betrafen zunächst ganz andere Aspekte der Glaubenspraxis und -pflege.164 Vernachlässigt werden muss hier die spannende Frage, inwieweit die Konzilsbeschlüsse angesichts der nur sehr eingeschränkten Beteiligung der Verantwortlichen an den verschiedenen Sitzungsperioden überhaupt die Situation und Ansichten der Gesamtkirche repräsentierten165, einmal ganz abgesehen von ihren internen Oppositionen und Fraktionsbildungen. Entscheidend für das Verständnis der gleichwohl unleugbaren Steigerung der Marienverehrung im 16. Jahrhundert, die sich etwa in der Pflege und Etablierung
160 Dies Faktum ist gleichwohl noch nicht allerorts in musikwissenschaftliche Fachliteratur vorgedrungen, vgl. etwa die einführenden Bemerkungen von Meine, „Vergine bella“ – „vergine sacra“ (wie Anm. 150), S. 111f. 161 Vgl. zusammenfassend den Art. Maria / Marienfrömmigkeit, in: Theologische Realenzyklopädie (wie Anm. 3), Bd. 22, insbes. S. 134–136. 162 Philippi Melanthonis Opera quae supersunt omnia, hrsg. von Carl Gottlieb Bretschneider und Heinrich Ernst Bindseil, 28 Bde. (= Corpus Reformatorum), Halle [u.a.] 1834–1860, Reprint Frankfurt a. M. 1963, hier Bd. 25, S. 152. 163 Zur durchaus differenzierten Sichtweise Martin Luthers auf Maria vgl. Art. Maria / Marienfrömmigkeit, in: Theologische Realenzyklopädie (wie Anm. 3), Bd. 22, insbes. S. 134–136, oder auch: Hilda Graef: Maria. Eine Geschichte der Lehre und Verehrung, Freiburg [u. a.] 1964, Kap. Luther, S. 322–327. Ebenso oben Anm. 98 sowie im Folgenden Anm. 194. 164 Im Zentrum standen folgende Reformen: 1. Einrichtung von Priesterseminaren, 2. Einrichtung des Hochaltars, 3. Aufbewahrungsort des Allerheiligsten im Tabernakel am Hochaltar, 4. Einführung eines geschlossenen Beichtstuhls, 5. Bestuhlung im Kirchenraum, 6. Verbot der Ämterhäufung und 7. Abschaffung der Missbräuche im Ablasswesen. Die Dekrete finden sich im lateinischen Wortlaut und deutscher Übersetzung bei: Josef Wohlmuth (Hrsg.): Dekrete der ökumenischen Konzilien, Bd. 3: Konzilien der Neuzeit, Paderborn 2002. 165 Marc Venard: Die katholische Kirche, in: Die Geschichte des Christentums. Religion, Geschichte, Kultur, Bd. 8: Das Zeitalter der Konfessionen 1530–1620/30, hrsg. von dems., S. 256f.
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von marianischen Frömmigkeitsbewegungen – wie der Devotio moderna166 oder der Marianischen Kongregation167 –, im merklichen Zustrom zu Wallfahrten oder der zunehmenden Präsenz von Marienaltären in Kirchenräumen168 äußerte, ist vielmehr die Erkenntnis ihrer existenziellen sozialgeschichtlichen Verwurzelung in der Volksreligion.169 Hier lassen sich zahlreiche Bereiche benennen, in denen die Katholische Kirche der Gegenreformation planvoll oder auch spontan katalytische Positionen bezogen hat. So ermutigte sie zur Anrufung von Heiligen, Märtyrern und Reliquien – letzteres zumeist ohne Prüfung ihrer ‚Authentizität‘ –, etablierte neue Festtage170 und förderte üppige Prozessionen, die „eine Art ‚Besitzergreifung‘ des städtischen Raums durch die geweihte Hostie, begleitet von allen ortsansässigen Gruppierungen des gesellschaftlichen Lebens […]“171 erreichten. Auch spirituelle Bereiche des Wunderglaubens und der Wunderheilungen, die hauptsächlich in Marienheiligtümern stattfanden, erfuhren dort institutionelle Unterstützung, wo in ihrer Folge umfängliche Konversionen zu erwarten waren. Dieses alles konkretisierte sich in einem durchorganisierten Ablasswesen, das erst im Rahmen des Tridentinums grundlegend reformiert wurde. Hier kam es ebenfalls – als einzige marianisch konnotierte Direktive des Konzils – zu einer Inspektion der kultisch inspirierten Reliquien und Bilder, als deren Resultat die umstrittenen Schreinmadonnen schließlich untersagt wurden.172 Abgesehen von diesen eher passiven, d. h. auf die bereits bestehenden Bedürfnisse der Volksreligion reagierenden institutionellen Maßnahmen, betraf der aktive Aspekt der katholischen Reform, der auch die Marienverehrung tangierte, hauptsächlich zwei untrennbare Konsequenzen aus der konfessionellen Konfrontation: 1. die Intensivierung der institutionellen Selbstkontrolle und 2. die sog. ‚Kirchenzucht‘ der Gläubigen. Ohne diesen essentiellen Aktivitäten, die sich ungeachtet früherer Tendenzen erst in den 1580er Jahren in Gänze entfalteten, auch nur ansatzweise gerecht werden zu können, seien einige ihrer wesentlichen Merkmale im Folgenden vorgestellt. Sie bilden den Rahmen, in den jene kontroverstheologischen Einzelaspekte und regionalen Ausprägungen punktuell einfließen können, die den kulturhistorischen Horizont der Marienmessen entscheidend mitgestaltet haben. 166 Die Devotio moderna („neue Frömmigkeit“) war eine einflussreiche Frömmigkeitsbewegung des späten Mittelalters, bei der die persönliche Innigkeit eine zentrale Rolle spielt, vgl. dazu grundlegend: Martina B. Klug: Armut und Arbeit in der Devotio moderna. Studien zum Leben der Schwestern in niederrheinischen Gemeinschaften (= Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas Bd. 15), Münster [u. a.] 2005. 167 1563 entstand in Rom die erste Marianische Kongregation, eine Art Laienbruderschaft, gegründet von dem Jesuitenpater Johann Leunis, Papst Gregor XIII. bestätigte sie 1584. 168 Vgl. dazu Susanne Mayer-Himmelheber: Bischöfliche Kunstpolitik nach dem Tridentinum: der Secunda-Roma-Anspruch Carlo Borromäus und die mailändischen Verordnungen zu Bau und Ausstattung von Kirchen, München 1984, zu den Marienaltären insbes. S. 111–119. 169 Die Erforschung der sozialen Situation der Gläubigen gehört seit Jahrzehnten zu den wichtigsten Gebieten der neuzeitlichen Religionswissenschaft, vgl. Venard, Die katholische Kirche (wie Anm. 165), S. 302 mit Fußnote 219. 170 Zu den betreffenden ‚neuen‘ Marienfesten vgl. oben S. 77–81. 171 Venard, Die katholische Kirche (wie Anm. 165), S. 304. 172 Art. Maria / Marienfrömmigkeit, in: Theologische Realenzyklopädie (wie Anm. 3), Bd. 22, S. 132.
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Mit erhöhter Aufmerksamkeit des Klerus auf die Kirchenzucht ist weniger die Einhaltung der kirchlichen Rechtsordnung als die „Verwirklichung der Gemeinschaftsordnung der Kirche, im engeren Sinne die auf Herstellung u. Wahrung dieser Ordnung zielende Tätigkeit“173 gemeint. Die den Kirchenoberen institutionell zugesicherte „hoheitliche Hirtengewalt“174 schloss über belehrende oder ermahnende Aufgaben hinaus die Möglichkeit ein, Strafen und nachhaltige Maßnahmen einzuführen, wofür im Zeitalter der Gegenreformation – abgesehen von der Restituierung der Provinzial- und Diözesansynoden175 – im Wesentlichen zwei apparative Instrumente verantwortlich zeichneten: Visitation und Inquisition. Zielte erstere auf die interne Kontrolle der Diözesen und ihrer Verantwortlichen, die sich in Fragenkatalogen, Protokollen und Examina äußerte176, so hatte die Inquisition (staatlich organisiert) im weitesten Sinne die Aufgabe, den Volksglauben zu überwachen und zu steuern. Beides wirkte sich unmittelbar auf das kirchliche Leben aus, umspannte demnach alltägliche Aspekte wie Glaubensunterricht oder die Anwesenheitspflicht beim Gottesdienst, die durch Bußgelder oder Meldungen von Ungehorsam an die Inquisition erzwungen werden konnten177, ebenso wie die Außenwirkung der Geistlichkeit, indem ihnen offiziell Mätressen, Simonie, Jagd, Handel und auch das Tragen weltlicher Kleidung untersagt wurden.178 Auch mussten ab den 1560er Jahren weltliche Pfründeninhaber das tridentinische Glaubensbekenntnis ablegen.179 Die Kontrolle der Ortskirchen schloss zudem die regelmäßige Abgabe eines Rechenschaftsberichts in Form der sog. Diözesanberichte ein. Sie waren als Relatio status dioecesis Teil der tridentinischen Verordnungen und beinhalteten allgemeine Zustandsberichte ebenso wie die Gewissensprüfung des verantwortlichen Bischofs.180 Die offensive Systematisierung der Kontrollinstanzen, die der Normierung und Profilierung der katholischen Identität dienen und sie damit nach außen nachhaltig stärken sollten, wurde begleitet von einer Publikationsflut sowohl von Kirchenordnungen181, Lehrmethoden und liturgischen Büchern (darunter das Breviarum Romanum, 1568, und das revidierte Missale Romanum, 1570) als auch wissenschaftlichen Schriften und kontroverstheologischen Polemiken, die mit den ausgegebe173 Klaus Mörsdorf: Art. Disziplin, kirchliche, in: Lexikon für Theologie und Kirche (wie Anm. 24), Bd. 3, Sp. 426–428, hier Sp. 426. 174 Ebd., Sp. 427. 175 Vgl. Venard, Die katholische Kirche (wie Anm. 165), S. 284–286. 176 Vgl. die Bibliographie aller gedruckten und ungedruckten Visitationsprotokolle in: Ernst Walter Zeeden, Hansgeorg Molitor (Hrsg.): Die Visitation im Dienst der Kirchlichen Reform, Münster 1967, S. 49–126. 177 In Spanien im Zuge der dort bereits ab den 1530er Jahren verbreiteten „katholizistischen Hysterie“ (Alain Milhou: Die iberische Halbinsel in: Die Geschichte des Christentums. Religion, Geschichte, Kultur [wie Anm. 165], S. 668) wurden schon 1536 (Synode von Toledo, erweitert 1566) Programme erlassen, nach denen Pfarrer etwa Listen zu führen und diese regelmäßig abzuliefern hatten (ebd., S. 721f.). 178 Vgl. Bernhard Vogler: Die deutschen, schweizerischen und skandinavischen Gebiete, in: Die Geschichte des Christentums. Religion, Geschichte, Kultur (wie Anm. 165), S. 419. 179 Venard, Die katholische Kirche (wie Anm. 165), S. 286. 180 Diese Rechenschaftsberichte sind in den Vatikanarchiven und Konzilskongregationen zugänglich, vgl. dazu Venard, Die katholische Kirche (wie Anm. 165), S. 282 mit Fußnote 132. 181 Wie der gedruckte Leitfaden für die Lokalkirchen, die Acta Ecclesiae Mediolanensis von 1582.
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nen Zielen harmonierten. Die Verschriftlichung der gegenreformatorischen Ideen betraf entsprechend alle Gebiete des kirchlichen Lebens gleichermaßen; auch die Kunst blieb davon nicht unberührt. So entwickelte der Erzbischof und spätere Kardinal von Bologna, Gabriele Paleotti (1522–1597)182, der in seinem 1567 gegründeten Seminar Vorlesungen von Jesuiten abhalten ließ und sich um die auffallend termingenaue Visitation der Pfarreien in seiner Diözese bemühte, „Richtlinien für eine christliche Kunst“, was angesichts der Bologneser Vorreiterrolle als Kunstmetropole die Progressivität seiner Idee noch unterstreicht.183 Nichtsdestotrotz zeugte die 1582 gedruckte Abhandlung Discorso intorno alle imagini sacre e profane184 von einer enormen Sachkenntnis, gepaart mit einer vergleichsweise gemäßigten Haltung gegenüber künstlerischen Freiheiten, die der Schrift eine große Verbreitung und Anerkennung in Fachkreisen verschaffte. Sowohl hinsichtlich der Organisation als auch der Verschriftlichung gegenreformatorischer Bemühungen nahm Spanien von Beginn an eine Ausnahmestellung ein.185 Das gilt auch für die Marienverehrung, die sehr von der die spanische Volksfrömmigkeit im 16. Jahrhundert dominierenden Christozentrik profitierte. Vor allem die Ausprägung christlicher Festivitäten wirkte sich hier zielführend aus: Dass dabei Profanes, etwa Mysterienspiele oder kultische Handlungen, auf der einen und Heiliges auf der anderen Seite gleichberechtigte Geltung hatten und nicht selten zusammen aufgeführt wurden186, macht die außerordentliche Durchdringung volkshafter und kirchlicher Religiosität deutlich, die auch vor dem Eindringen heidnischer Rituale in Messfeiern nicht halt machte. Die liturgische Musik sah sich entsprechend einer ungeheuren Nachfrage gegenüber, was sich nicht zuletzt auch im signifikanten Anteil spanischer Messvertonungen am Beata Virgine-Repertoire187 dokumentiert. Maßgeblich für die katholizistische Prägung Spaniens wurde in dem Zusammenhang die von Ignatius von Loyola (1491–1556) mitbegründete Societas Jesu, der Jesuitenorden. Sein auf humanistischer Didaktik fußendes erfolgreiches 182 Paleotti war auf der Tridentiner Sitzungsperiode 1562/63 Berater der päpstlichen Legaten; sein Tagebuch zählt zu den interessantesten Dokumenten des Konzils, ediert in: Concilium Tridentinum (CT), hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Freiburg i. Br. 1901ff., 20 Bde., hier Bd. III / 1, S. 231–762. 183 Vgl. Marc Venard: Italien, in: Die Geschichte des Christentums. Religion, Geschichte, Kultur (wie Anm. 165), S. 596f. 184 1594 als De imaginibus sacris et profanis […] in Ingolstadt nochmals nachgedruckt. Von den angekündigten fünf Büchern wurden nur zwei realisiert, vgl. ebd., insbes. Fußnote 111. 185 Vgl. Milhou, Die iberische Halbinsel (wie Anm. 177), S. 723f. So hatten die spanischen Konzilsteilnehmer etwa das Immaculata-Dogma in Trient durchzusetzen versucht, waren aber damit gescheitert. In ähnlichem Maße, wenn auch etwas zeitversetzt, gelten die folgenden Punkte auch für Portugal. 186 Etwa in den Corpus genannten Prozessionen der Karwoche, die nicht selten zu Volksfesten umschlugen, oder bei den Fronleichnamsfesten auf öffentlichen Plätzen, vgl. ebd., S. 724. Vgl. an aktueller Forschung zum Komplex zudem Wolfram Nitsch, Bernhard Teuber (Hrsg.): Zwischen dem Heiligen und dem Profanen. Religion, Mythologie, Weltlichkeit in der spanischen Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit (= Hispanistisches Kolloquium 3), München 2008. 187 16 der 70 marianischen Choralordinarien stammen von spanischen Komponisten zwischen 1510 und 1613, vgl. Verzeichnis I. Sie bilden damit nach Italien (mit 21 Messen) die zweitstärkste nationale Gruppe.
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Netzwerk aus diversen Kollegien – darunter die erwähnte Marianische Kongregation in Rom188 –, das im 16. Jahrhundert Europa und Übersee überzog und ein katholisches ‚Bürgertum‘ ausbildete, war methodisch geradezu als „innovativ“ und „modern“189 zu bezeichnen. In der jesuitischen Pädagogik der Christianisierung nahm zudem die Kunst mit dem Theater einen wichtigen Platz ein, das nun nicht mehr antike Mythen, sondern nun Heiligenlegenden und Ereignisse aus der Kirchengeschichte instruktiv zu vermitteln suchte. Auch hier spielten Marienviten und -geschichten eine nicht unerhebliche Rolle, korrespondierend zu jener bereits thematisierten, wieder auflebenden Tradition der Mariale-Literatur.190 Die Intensivierung der Bindung der Gläubigen an die Kirche benötigte zum reformierten Bildungs-, Ordnungs- und Ritualwesen allerdings eine Art Gegenpol, in dem sich die Volksfrömmigkeit ungehemmt und ungestraft entladen konnte. Während den meisten gegenreformatorischen Anstrengungen klärende, ‚verwissenschaftlichende‘, ja ‚entsinnlichende‘ Motive zugrunde lagen, tat die parallel vorangetriebene Beförderung der Heiligenverehrung das genaue Gegenteil: Mystische Idealisierung, Reliquienkult und Vergötterung wurde dort billigend in Kauf genommen, wo man der Gemeinde Leitbilder ‚gelebten‘ Glaubens präsentieren und diese gleichzeitig noch demonstrativ vor dem Protestantismus, der die Verehrung der Heiligen und ihre Fürsprache generell verworfen hatte, in Schutz nehmen konnte. Trotz vereinzelter Bemühungen der Obrigkeit, dort klärend einzugreifen, wo der Überschwang zu eskalieren drohte, blieb die Heiligenverehrung das ganze 16. Jahrhundert und darüber hinaus wesentlicher Bestandteil katholischer Glaubenspraxis.191 Dies wirkte sich entsprechend auf die Marienverehrung aus, galt Maria doch seit jeher – nicht nur in den eucharistischen Offizien192 – als Vorsteherin der Heiligen, als deren Leitbild. Abgesehen davon, dass die Protestanten Maria keineswegs prinzipiell ablehnend, sondern durchaus differenziert gegenübertraten, liegt vielleicht in dieser niemals gelösten und lösbaren Verwurzelung der Marienverehrung im Volksglauben die plausibelste Erklärung für die untergeordnete Rolle verborgen, die Maria auf dem Tridentinum – gipfelnd in der Ablehnung des Immaculata-Dogmas – spielte: Kaum erschien eine allgemeine Stärkung der ohnehin florierenden Marienverehrung angezeigt193 als vielmehr ihre partielle Kanalisierung (in legitimierte und kontrollierbare religiösen Gruppierungen), Entmystifizierung (Prüfung und Verbot von unverhältnismäßigen Reliquien sowie Meidung der Immaculata-Diskussion) und 188 Wie Anm. 167. 189 Venard, Die katholische Kirche (wie Anm. 165), S. 289. Die jesuitische Pädagogik wurde 1599 im Ratio studiorum publiziert. 190 Vgl. oben S. 87f. Canisius, der Verfasser des oben erwähnten Mariale, war Jesuit und zeitweilig Lehrer an einem jesuitischen Kollegium. 191 Sie fand in der Märtyrerverehrung der Protestanten ihr propagandistisches Äquivalent, vgl. Marc Venard: Persönliche Formen des religiösen Lebens, in: Die Geschichte des Christentums. Religion, Geschichte, Kultur (wie Anm. 165), S. 1064f. 192 Vgl. dazu oben u. a. S. 84. 193 Das wäre auch den zunehmend einflussreicher werdenden humanistischen Bestrebungen und Argumenten etwa eines Erasmus zuwidergelaufen, vgl. zu seiner Kritik an einer volkshaft kultisch übersteigerten Marienverehrung u. a. Graef, Maria (wie Anm. 163), S. 318–322.
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Konsolidierung (etwa durch Förderung der Heiligenverehrung als vermittelnde ‚Zwischenebene‘). Vor diesem Hintergrund löst sich auch der offenkundige Widerspruch zwischen dem Konstatieren einer blühenden, institutionell angeblich geförderten Marienverehrung und der Diskussion um die marianischen Tropen auf dem Tridentinum, mündend in ihre Tilgung im redigierten Missale Romanum (1570): Indem das Ordinarium Missae und damit der kontroverstheologisch in höchstem Maß umstrittene194 und sensible Nukleus der katholischen Messfeier von den wenigen noch erhaltenen Textzusätzen bereinigt wurde, büßte es zwar seine ‚marianischen‘ Markierungen ein – was an der Konnotation der nun reduzierten Choräle mit marianischen Festivitäten freilich nichts änderte. Gleichzeitig aber wurde mit der Restituierung zahlreicher, z. T. noch aus dem 9. Jahrhundert stammender Antiphonen und Fürbitten zu den Marienfesten im etwa gleichzeitig publizierten Breviarum Romanum ein solider Kontrapunkt geschaffen, dessen Authentizität zudem frömmigkeitshistorisch tradiert und verbürgt war. In diesen fein austarierten Nuancen zeigt sich einmal mehr, wie außerordentlich sensibel der hierarchisch und räumlich weit verzweigte Komplex der Mater Ecclesia im Zeitalter der Reformen zu handhaben war, und dies nicht obwohl, sondern weil er eine enorm hohe symbolische Strahlkraft besaß.
194 Seit Luthers Schrift Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche (1520) wurde die Messe offiziell als „Abgötterei“ tituliert, vgl. Venard, Persönliche Formen des religiösen Lebens (wie Anm. 191), S. 974.
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Kapitel 4.4.
4.4. MUSIKALISCHE KONSEQUENZEN: DAS ZENTRALMOTIV DER MEDIATRIX IM GLORIA DE BEATA VIRGINE Für die zu untersuchende Messengruppe der Missae de Beata Virgine stellt das tropierte Gloria aus der Missa IX so etwas wie ihr marianisches Signet dar. Die Widmung der Messen an Maria wird über den allgemeinen Titel hinaus noch durch den Tropustext vertieft, indem der nun direkt an Maria gerichtete Textpassus jene ansonsten eher assoziative (da lediglich musikalisch und nicht textlich fassbare) Orientierung noch überbietet. Eine Zuordnung der Werke zu höheren marianischen Feiertagen erscheint damit nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich. Seit den ersten polyphonen Vertonungen im 14. Jahrhundert bis in das späte 16. Jahrhundert hinein fungiert das tropierte Gloria zudem als Konstante im Repertoire195, und selbst die frühen einstimmigen Überlieferungen seiner Melodie seit dem 11. Jahrhundert weisen bereits den Tropus auf.196 Vor dem Hintergrund der in den letzten Abschnitten diskutierten Marienverehrung in ihren unterschiedlichen Ausprägungen stellt sich daher weniger die Frage, ob sondern wie jene für das Marienlob zentralen religiösen Aspekte der Vermittlung (mediatrix) in diesen so bedeutenden und traditionsschweren Satztyp Eingang gefunden haben. Ausgehend vom marianischen Tropus, der für die textliche und melodische Form des Gloria konstitutiv ist, sei dieser Frage im Folgenden kurz nachgegangen. Inwieweit die Resultate für die polyphone Umsetzung relevant waren oder werden konnten, wird im Umfeld der Analysen zu prüfen sein. Seit dem 9. Jahrhundert sind insbesondere die Gloria-Sätze zu hohen kirchlichen Festivitäten mit jeweils passenden Textzusätzen versehen worden, was nicht zuletzt in der flexiblen Struktur des der hymnologischen Dichtkunst entsprungenen Textes197 gründet. Das Credo hingegen wurde seltener tropiert als doppelt oder mehrfach textiert198, während die textarmen Sätze Kyrie, Sanctus und Agnus ebenso als Tropusträger dienen konnten, alsdann aber nicht selten textlich überfrachtet und entsprechend verzerrt wirkten.199 Das literarisch anspruchsvollere Gloria führt hin195 Erst ab den späten 1570er Jahren sind mehr untropierte als tropierte Gloria IX-Sätze anzutreffen, die letzte Missa de Beata Virgine mit Tropus erscheint 1584 von Ippolito Sabino, vgl. Verzeichnis I. 196 Vgl. zur frühen Überlieferung des Gloria grundlegend Bernhold Schmid: Der Gloria-Tropus Spiritus et alme bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, Tutzing 1988. 197 Der Gloria-Text gehört zu den psalmi idiotici, den selbstgedichteten Texten, vgl. dazu wie überhaupt immer noch grundlegend Jungmann, Missarum Sollemnia (wie Anm. 57), Bd. 1, S. 446f. Weitere Erläuterungen finden sich bei Wilhelm Stapelmann: Der Hymnus Angelicus. Geschichte und Erklärung des Gloria, Heidelberg 1948, S. 20f., sowie in den Artikeln Gloria in excelsis deo im Lexikon für Theologie und Kirche, der Theologischen Real-Enzyklopädie (TRE) und der Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 198 Vgl. dazu Tadeusz Miazga: Die Melodien des einstimmigen Credo der römisch-katholischen lateinischen Kirche: eine Untersuchung der Melodien in den handschriftlichen Überlieferungen mit besonderer Berücksichtigung der polnischen Handschriften, Graz 1976. Das Credo öffnete sich eher noch Doppeltextierungen. 199 In der Gruppe der Beata-Virgine-Messen lassen sich neben der vereinzelten Verwendung des Rex virginum-Tropus im Kyrie IV und dem O Maria flos virginum-Tropus im Credo I lediglich
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gegen bis in das 16. Jahrhundert hinein mit 110 Nummern die Tropus-Listen sämtlicher Messteile (inklusive Proprium) an; einer der langlebigsten Gloria-Tropen ist eben jenes hier in Rede stehende Spiritus et alme.200 Trotz zahlreicher Textvarianten oder regionaler Texterweiterungen in Form von Tropierungen des Tropus hat sich die basale, für das Verständnis der marianischen Zeilen essentielle Struktur des Gloria Spiritus et alme kaum verändert: 1. Stichos:
Gloria in excelsis Deo. Et in terra pax hominibus bonae voluntatis.
2. Stichos:
Laudamus te. Benedicimus te. Adoramus te. Glorificamus te.
3. Stichos:
Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam.
4. Stichos:
Domine, fili unigenite, Jesu Christe. Spiritus et alme orphanorum paraclite.
5. Stichos:
Domine Deus, Agnus Dei, Filius patris. Primogenitus Mariae virginis matris. Qui tollis peccata mundi, miserere nobis.
6. Stichos:
Qui tollis peccata mundi, suscipe deprecationem nostram. Ad Mariae gloriam. Qui sedes ad dexteram patris, miserere nobis.
7. Stichos:
Quoniam tu solus sanctus, Mariam sanctificans. Tu solus Dominus, Mariam gubernans. Tu solus Altissimus, Mariam coronans.
Domine Deus, rex celestis, Deus pater omnipotens
Jesu Christe. Cum Sancto Spiritu in gloria Dei patris. Amen.
BEISPIEL 1: Textformular des „Gloria de Beata Virgine“
Die sechs Tropuszeilen (kursiv) sind sinnhaft in die Struktur ihres Primärtextes eingepasst, ja es lässt sich – Zufall oder nicht – eine Restituierung der ursprünglich zweiteiligen, jeweils mit einer trinitarischen Formel schließenden Gloria-Struktur (vgl. die Rahmen im obigen Text), und daraus folgend eine leichte Verlagerung der doxologischen Aussage erkennen. Der erste Punkt steht mit der liturgischen Urform des Gloria-Textes in Zusammenhang: Das Gloria Patri, der erste Teil mit dem Lobpreis Gottes als anfänglich eigenes Gebet, schloss nach dem 4. Stichos mit einer trinitarischen Formel, die in einigen frühen Quellen wie dem Codex Alexandrinus aus dem 5. Jahrhundert erhalten blieb. Weitere Zwischenstadien der Überlieferung eine signifikante Häufung des marianischen Sanctus-Tropus Mariae filius erkennen (in neun Messen), vgl. dazu Verzeichnis I. Dieser Tropus ist allerdings nach 1570 nicht mehr im Repertoire anzutreffen. Das Agnus ist dagegen in keiner Messe tropiert worden. 200 Vgl. hierzu Schmid, Der Gloria-Tropus Spiritus et alme bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts (wie Anm. 196), sowie allg. zur Quellenlage des tropierten Gloria Detlev Bosse: Untersuchung einstimmiger Melodien zum Gloria in excelsis deo, Regensburg 1954, ebenso Klaus Rönnau: Die Tropen zum Gloria in excelsis Deo unter besonderer Berücksichtigung des Repertoires der St. Martial-Handschriften, Wiesbaden 1967.
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Kapitel 4.4.
weisen sodann zwei trinitarische Formeln auf, in der Mitte und am Schluss.201 Durch die erste marianische Tropuszeile Spiritus et alme wird der Heilige Geist genau dort eingeflochten, wo sich die erste Schlussformel befand; der Einstieg in den marianischen Tropus könnte kaum subtiler platziert sein, passend auch deshalb, weil Maria hier thematisch durch das conceptio-Motiv eingeführt wird. Ebenso subtil erscheint die Positionierung der letzten Tropuszeile, des dritten, in den christologischen Lobpreis des zweiten Teils eingeflochtenen Halbsatzes Mariam coronans: Unmittelbar vor der schließenden trinitarischen Formel rückt Maria damit dicht an die Trinität heran, zumindest fällt ihr eine dorthinein vermittelnde Rolle zu. In der Zeile zuvor ist es Christus, der Maria krönt, die wiederum in den trinitarischen Passus hinüberleitet. Der mediatrix-Kontext ist hier deutlich ausgeprägt. So kann die Abfolge der vier schließenden Topoi (Maria – Christus – Heiliger Geist – Gott) als Rückkehr zum Ursprung gelesen werden. Überhaupt bekundet der Tropus eine ‚alte‘ und tiefe Frömmigkeit, indem er alle marianischen Attribute obendrein in eine Art ‚evolutionäre‘ Abfolge bringt: Heiliger Geist – Mutterschaft – Ehrung – Segnung – Leitung – Krönung. Die gekrönte Maria, direkt vor die schließende trinitarische Formel gesetzt, hat sukzessive ihren Rang als mediatrix erreicht, durch die Krönung wird ihr zuletzt sogar die Stellung der Himmelskönigin zugesprochen (Regina caeli), eine – wie bereits diskutiert202 – durchaus progressive Perspektive, die im Zeitalter der konfessionellen Kontroversen umso nachdrücklicher wirken musste. Trotz der Akzentuierung marianischer Topoi setzt der Tropus – gemäß seiner Aussage – zugleich auf Integration, auf Vermittlung zwischen den Ebenen des Lobpreises. Mit einem Blick auf die musikalische Überlieferung der einstimmigen GloriaMelodie203, die sich – trotz ähnlich leichter Differenzierungen wie im Text – weitgehend stabil zeigt, erweist sich die Implementierung der Tropuszeilen als ebenso vermittelt wie akzentuiert (vgl. Beispiel 2204). Vermittelt erscheinen insbesondere jene Passagen der Zeilen 4 bis 6, die an ihre jeweiligen Vorgänger melodisch zunehmend angepasst werden. Akzentuiert hingegen werden die ersten Tropuszeilen, die nicht nur aufgrund ihrer Länge mehr melodisches Material bereitstellen, sondern auch in Faktur und intervallischer Gewandtheit herausstechen. Verwiesen sei etwa auf den freien Einsatz auf g2 bei Primogenitus oder die auffällige Terzfallsequenz in der ersten Tropuszeile. Insgesamt jedoch wirkt die Choralvorlage 201 Wie die erste bekannte lateinische Fassung aus dem Antiphonale in Bangor (ca. 690), in dem die trinitarische Schlussformel am Ende bereits ergänzt, jene in der Mitte aber noch nicht getilgt worden ist. Hierauf machte bereits Schmid aufmerksam, vgl. ders., Der Gloria-Tropus Spiritus et alme (wie Anm. 196), insbes. S. 62f. Zu den hier nicht weiter relevanten Textvarianten sowie den in England üblichen Zusatztropierungen vgl. ebd., S. 53–70. 202 Vgl. S. 89. 203 Eine weitere, nach dem Initienkatalog von Bosse (vgl. Anm. 200) als Nr. 49 rubrizierte Melodie, die ebenfalls mit dem Tropus Spiritus et alme verkoppelt wurde, spielt eine untergeordnete Rolle, vgl. Schmid, Der Gloria-Tropus Spiritus et alme (wie Anm. 196), insbes. S. 25–27 und 232–235. 204 Graduale secundum morem sancte Romane ecclesie […] correctum per fratrem franciscum de Brugis […], Venedig (Lucantonio de Guinta) 1499/1500, fol. 331–355. Definiert als vermutliche Vorlage von Josquins Vertonung des Gloria aus der Missa de Beata Virgine, vgl. New Josquin Edition, Vol. 3: Masses based on Gregorian Chants, Critical Commentary, S. 108f.
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BEISPIEL 2: Melodieformular des „Gloria de Beata Virgine“
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Kapitel 4.4.
eher bewegungsarm. Kaum ein anderes Gloria weist derart viele Redundanzen insbesondere in seinen Kadenzen auf: So enden 26 von 34 Textzeilen auf d, davon 19 unmittelbar hintereinander, und selbst der Zuschnitt auf die zwischen g und d bzw. d und g pendelnde diatonische Reihe wirkt bisweilen statisch, selbst wenn der Ambitus einer Duodezime vergleichsweise weit gefasst ist.205 Vermutlich war es auch jenes schmale Profil der Vorlage, das musikalische Gestaltung und Entfaltung in einem weitaus größeren Maße anbot als eine prominente, charakteristische Melodie. Denkbar wäre damit auch, dass die redundante, zumal modal geebnete Anlage206 als besonders geeignet empfunden wurde, in ihr Differenzen und damit symbolhafte Akzente zu erzeugen, um dem marianischen Topos an entsprechender Stelle Nachdruck zu verleihen. Inwieweit dieses einstimmige Modell verpflichtend für die polyphone Umsetzung wurde, ist anhand ausgewählter Analysen zu prüfen.
205 In verschiedenen älteren Quellen ist der Ambitus sogar noch enger: Das ohnehin nur zweimalige e1 bei „deo“ (Introduktion) und „-tatis“ (aus bonae voluntatis) fehlt dort noch, so dass sich der Ambitus auf den Undezimen-Rahmen verengt, bestehend im Wesentlichen aus der zentral stehenden Oktave g1 – d1 – g2 mit jeweiligen Ganztonintervallen als Einfassung, vgl. etwa das Graduale Sarisburiense (13. Jh.), fol. 14f. 206 Die Interpretation von Nicolas Schalz, das Gloria IX habe durch seinen überaus langen Aufenthalt auf dem d (hier gleichsam ‚dominantisch‘ aufgefasst) eine spürbare finalisierende Wirkung (Schalz: „tonale Spannung“) hin zum schließenden g am Amen-Melisma erscheint weniger überzeugend, da von modernen Tonalitätsbegriffen ausgehend getragen, vgl. Nicolas Schalz: Studien zur Komposition des Gloria: musikalische Formgestaltung von der Gregorianik bis zu Monteverdi, Tutzing 1980, S. 60–65, insbes. S. 63.
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KAPITEL 5 GLORIA-KONZEPTIONEN DER MISSA DE BEATA VIRGINE IM 16. JAHRHUNDERT 5.1. PIERRE DE LA RUES ‚MARGARETISCHE‘ MISSION Die bereits 2002 von Honey Meconi aufgestellte These, der habsburgisch-burgundische Hofkomponist Pierre de la Rue spiele „a major role in generating the de beata virgine complex as a whole“1, kann paradoxerweise konkretisiert werden in: ja und nein. Ja, weil nach aktuellem Kenntnisstand die früheste zusammenhängend überlieferte Missa de Beata Virgine definitiv von la Rue stammt.2 Nein, weil seine Messkonzeption eine singuläre Vorlagen-Struktur aufweist, die mit Adam Rener nur von einem einzigen Komponisten, und das nicht einmal getreu, aufgegriffen worden ist.3 Dieser offenkundig widersprüchliche Umstand von Gründungsakt und struktureller Isolation resultiert keineswegs aus der aus römischer Perspektive scheinbar peripheren geographischen Lage des Herzogtums und seiner Kunstprodukte. Dagegen spricht nicht nur die breite Überlieferung der Messe, die in 12 verschiedenen Quellen – darunter zuerst in Rom – nachweisbar ist, sondern die dokumentierte Reisetätigkeit und Weltoffenheit der habsburgischen Kapellen generell. Ebenso wenig darf an der Qualität der Komposition gezweifelt werden, deren bemerkenswerte Satzverfahren bereits musikologische Aufmerksamkeit von kompetenter Stelle erregt haben.4 Im Gegenteil scheint la Rues Ausnahmetalent, das ihn in der Musik1
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3 4
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Vgl. Honey Meconi: Pierre de la Rue and musical life at the Habsbourg-Burgundian Court, Oxford 2002, sowie ihre weiteren verdienstvollen Forschungen zu la Rue: Style and Authenticity in the Secular Music of Pierre de la Rue, Diss. Harvard University 1986, Pierre de la Rue and Secular Music at the Court of Marguerite of Austria, in: Jaarboek van het Vlaamse Centrum voor Oude Muziek 3 (1987), S. 49–58, Free from the Crime of Venus: the Biography of Pierre de la Rue, in: Revista de musicología 16 (1993), S. 2673–2683, French Print Chansons and Pierre de la Rue. A Case Study in Authenticity, in: Music in Renaissance Cities and Courts. Studies in Honor of Lewis Lockwood, hrsg. von Jesse Ann Owens und Anthony M. Cummings, Warren 1997, S. 187–213. Vgl. im Einzelnen Verzeichnis I. Hier ist sogleich auf seltsame, neu entdeckte tschechische Manuskript-Quelle aufmerksam zu machen, in der La Rues Kyrie, Gloria und Sanctus in korrumpierter alternatim-Faktur mit dem Credo (ebenfalls alternatim ‚ausgedünnt‘) von Antoine Brumel kombiniert sind: Brno, Archiv mesta Brna, fond V 2 Svatojakubská knihovna, sign. 14 5, fol. 9v–17r. Das bislang nicht ausgewertete Manuskript stammt vermutlich aus der Jahrhundertmitte; den Hinweis darauf verdanke ich David Burn, dem an dieser Stelle herzlich zu danken ist. Vgl. zur Rezeption der Konzepte Isaacs zudem von der Verfasserin Funktion und Distanz. Heinrich Isaacs „Missae de Beata Virgine“ in ihrem rezeptionshistorischen Kontext, in: Heinrich Isaac. Musik Konzepte Sonderband, hrsg. von Ulrich Tadday, München 2010, S. 135–149. Klaus-Jürgen Sachs: Pierre de la Rues „Missa de Beata Virgine“ in ihrer copia aus varietas und similitudo, in: Analysen. Beiträge zu einer Problemgeschichte des Komponierens, hrsg. von Werner Breig, Reinhold Brinkmann und Elmar Budde, Wiesbaden [u. a.] 1984, S. 76–90.
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Kapitel 5.1.
sammlung der habsburgisch-burgundischen Kapelle quantitativ noch vor die Werke Josquin Desprez’ stellt, begünstigt zu haben, dass man seine Werke mit Vorliebe nach außen gab und offiziell machte: Sein 1503 veröffentlichtes Messenbuch – mit der Missa de Beata Virgine an prominenter erster Position – war nach dem Misse Josquin (1502) erst der zweite Personaldruck aus Petruccis Werkstatt und erlebte immerhin sechs Folgeauflagen. Zahlreiche seiner Werke wurden in den prachtvollen Handschriften der Alamire-Werkstatt zudem europaweit als Geschenk- und Widmungsgaben für Machthaber und Päpste eingesetzt. Will man bei aller Lückenhaftigkeit des Materials überhaupt nach Gründungsszenarien zur Missa de Beata Virgine fahnden, so wäre allenfalls denkbar, dass der römische Komponistenkreis um 15005 jene in der vatikanischen Sammlung vorliegende Quelle niederländischer Provenienz mit la Rues Messe6 zu Kenntnis nehmen konnte, die nach bisherigem Kenntnisstand eventuell schon vor 1500 kompiliert wurde. Das somit in den späten 1490er Jahren liegende Entstehungsdatum von la Rues Missa de Beata Virgine wäre unter Umständen auch mit einer Eintragung in den Auftragspapieren der Alamire-Werkstätten7 aus dem Jahre 1496 zu verifizieren: Dort ist bereits von der Kopie einer Missa Salve sancta parens von la Rue die Rede, ein Titel, unter dem die Messe ebenfalls kursierte.8 Dass la Rues erfolgreich exportierte Messe in Rom zur Komposition ähnlicher, wenn auch choraliter anders konzipierter Messenkonzepte anregte und womöglich gar Josquins spätere Zusammenstellung beflügelte, ist denk-, wenn auch nicht beweisbar. Sicher ist jedoch, dass das Werk in vielen formalen Belangen nicht auf die römischen Konzepte einwirkte9, angefangen bei der Choralkompilation über die Modi hin zu den Maßnahmen der Akzentuierung der marianischen Tropen im Gloria. Darauf wird im Einzelnen zurückzukommen sein. Die Messe repräsentiert vielmehr aufs deutlichste ihre jeweilige Quellendisposition: Sie ist darin stets kulturelles Exportgut und damit ebenso musikalisch wie religiös und politisch ambitioniertes Markenzeichen des Hauses Habsburg-Burgund. Die erste überlieferte Missa de Beata Virgine steht somit in unmittelbarem Bezug zu ihrem Entstehungsort und noch mehr zu dessen Regentin Margarete von Österreich, in deren Diensten sich la Rue ab 1508 offiziell befand, der er aber zuvor bereits als Komponist Philipps I. verpflichtet war. Allein hieraus mag sich ihre isoliert wirkende Gattungslage erklären. Margarete von Österreichs intensive Marienfrömmigkeit10 korrespondiert 5 6 7 8 9 10
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Vgl. zu diesem Kreis Kap. 5.3. Profil und Tradition: Rom, insbes. S. 138–142. Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina Ms. 41, fol. 73v–86. Meconi, Pierre de la Rue and musical life at the Habsbourg-Burgundian Court (wie Anm. 1), S. 104, Fußnote 109. Zum Beispiel in einem Wiener Manuskript ca. 1500–1505: Wien, ÖNB 1783, fol. 49v–60r. Vgl. zur Übersicht die Aufstellung der in der Cappella Sistina überlieferten Missae de Beata Virgine einschließlich la Rue das Kap. 5.3. Profil und Tradition: Rom, S. 138f. Zur Marienverehrung Margaretes vgl. Dagmar Eichberger: Leben mit Kunst. Wirken mit Kunst (= Burgundica V), Turnhout 2002, darin Teil 2: Marienverehrung in Mecheln und Brou, S. 207–228; Women of Distinction. Margaret of York, Margaret of Austria (= Ausstellungskatalog Mechelen, 17. September bis 18. Dezember 2005), hrsg. von Dagmar Eichberger, Leuven 2005, darin Kathryn M. Rudy: Woman’s Devotion in Mechelen, S. 231–239; Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz [u. a.] 1995, darin Der Musenhof zu Mecheln, S. 169–193.
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Pierre de la Rues ‚margaretische‘ Mission
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entsprechend nicht zufällig mit dem auffällig großem Korpus an Marienmessen im Oeuvre la Rues11: In seinem 32 Titel umfassenden Messenkatalog, der erst nach seiner Anstellung bei Hofe im Jahre 1492 entstand und daher offenbar mit den vielfältigen Aufgaben und Bedürfnissen der Grande Chapelle assoziiert ist, sind insgesamt 13 Werke marianischen Topoi gewidmet, immerhin doch mehr als ein Drittel. Unter den Messen sticht die personifizierte Missa O gloriosa Margaretha heraus. Sie ist weniger ungewöhnlich, weil der Name im Titel geführt wird, sondern weil sich hier eine existierende marianische Hymnenvorlage (O gloriosa domina) und eine existierende Herrscherfigur metaphorisch verschränken. Deutlich wird damit, dass die ausgeprägte Marienfrömmigkeit an Margaretes Hofhaltung nicht nur religiös, sondern mindestens ebenso politisch motiviert war, ihr diente die Frömmigkeit oft als Vehikel politischer Selbstinszenierung. Ergänzend sei verwiesen auf verschiedene bildnerische Darstellungen der Valois-Dynastie seit etwa 1400, die Familienangehörige in der Anbetung Marias zeigen12 – angefangen bei Philipp dem Guten über Isabella von Portugal, Karl dem Kühnen, Isabella von Bourbon hin zu Maximilian I. oder dem Neffen und Nachfolger Karl V.13 Mit letzterem ließ sich Margarete von Österreich auch gemeinsam in der Anbetung Marias darstellen. Ihre persönlichen Portraits, die sie vor und während ihrer Regentschaft beauftragte, lassen sich dabei verschiedenen Darstellungsmodi und Motivgruppen zuordnen: Sie tritt Maria gegenüber als fromme Privatperson, bittende Herrscherin oder gar als im Dialog vertrauliche, ‚weltliche‘ mediatrix auf.14 Mindestens ebenso formal breit wie marianisch progressiv gestaltet sich das Spektrum der vertonten Marienvorlagen, ja es erscheint geradezu enzyklopädisch: Neben ‚gängigen‘ Antiphonen wie Assumpta est Maria oder Ave Maria vertont la Rue marianische Choräle, Hymnen, Motetten, Sequenzen und Alleluiaverse sowie eine Magnifikat-Antiphon (vgl. die Aufstellung in Beispiel 1). Hinzu tritt mit der Missa Septem doloribus – deren Entstehung vermutlich mit der von Margarete beförderten gleichnamigen marianischen Bruderschaft in Brügge in Zusammenhang steht – eine offenbar anlassgebundene Kompilation von bislang undefinierten Vorlagen, sowie jene heute verschollene Messe über ein undefiniertes Mediatrix nostra, das erneut im Titel qua Maria die Diplomatin Margarete akzentuiert. Vollends mysteriös erscheint bis heute die letzte Missa Sancta Dei genitrix (Nr. 12), die 11
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13 14
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Vgl. für einen ersten Überblick zu la Rues Marienmessen und ihren Verbindungen zum Hause Habsburg-Burgund von der Verfasserin: „Mediatrix nostra“ – „Unsere Vermittlerin“: Marianische Topoi in Pierre de la Rues Messen für Margarete von Österreich, in: Die Habsburger und die Niederlande. Musik und Politik um 1500 (= troja, Jahrbuch für Renaissancemusik 2008/09), hrsg. von Jürgen Heidrich, Kassel 2010, S. 143–160. Eichberger, Leben mit Kunst. Wirken mit Kunst (wie Anm. 10), S. 207. Vgl. zur Portraitsammlung Margaretes zudem von ders. und Lisa Beaven: Family Members and Political Allies: The Portrait Collection of Margaret of Austria, in: The Art Bulletin 77 (1995), Heft 2, S. 225–248; siehe auch: Andrea G. Pearson: Margaret of Austria’s Devotional portrait Dipytchs, in: Woman’s Arts Journal 22 (2001), Heft 2, S. 19–24. Ebd., S. 194 (zu Maximilian), S. 44 (zu Juan de Kastilien) sowie zu beiden S. 208. Vgl. dazu im Detail Wiesenfeldt, „Mediatrix nostra“ (wie Anm. 11). Zur Tradition dieser Darstellungsformen vgl. Birgit Franke: „huisvrouw“, Ratgeberin und Regentin. Zur niederländischen Herrscherinnenikonographie des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts, in: Jahrbuch der Berliner Museen, Bd. 39 (1997), S. 23–38.
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Kapitel 5.1.
zeitlich in etwa mit Margaretes Macht-Wiedererlangung im Jahre 1518 zusammenfällt. Das der Messe zugrunde liegende, bislang unidentifizierte Ostinato aus sieben Noten könnte über die marianische Symbolzahl hinaus auch die sieben Silben des Namens „Mar-ga-ri-ta Aus-tri-a“ sowie ihres Mottos „For-tune / In-for-tune / Fort une“ andeuten. So wäre denkbar, dass es sich hier um ein „soggetto cavato“ handelt, das noch seiner Entdeckung harrt. Im chronologischen Überblick stellt sich der Bestand an Marienmessen in la Rues Schaffen folgendermaßen dar: Titel
Titel-Varianten
à
Vorlagen
Datierung (vgl. CMM)
(1)
Assumpta est Maria
De assumptione beate marie
4
Antiphon
vor 1500
(2)
De beata Virgine
De Domina Salve sancta parens Coronatum
4
5 Choräle
vor 1500–1503 [1496?]
(3)
Sub tuum presidium
In mi Quarti toni
4
Antiphon
vor 1504/05
(4)
O gloriosa domina
O gloriosa Margaretha Quatuor vocum
4
Hymnus
vor 1510
(5)
Ave Maria
-
(6)
Conceptio tua
-
5
(Magnifikat-)Antiphon
vor 1511–1515
(7)
De septem doloribus
De doloribus Marie virginis Dolores gloriose recolentes Quinque vocum de doloribus
5
diverse
vor 1512
(8)
Ave sanctissima Maria
De beata Virgine Sex Vocum Deus meus eripe me
6
eigene Motette
vor 1512
(9)
Ista est speciosa
De sanctissima virgine Maria Quinque vocum
5
Antiphon
vor 1512
O quam pulchra Pulchra es
4
Alleluiavers
vor 1513 oder 1516
(10) De Virginibus
4–5 Antiphon
vor 1511–1514
(11) Inviolata
Omnes peccaverunt
4
Sequenz
vor 1516
(12) Sancta Dei genitrix
Miserere mei Deus
4
Ostinato
vor 1521
-
-
-
-
-
Mediatrix nostra
BEISPIEL 1: Pierre de la Rues Marienmessen in chronologischer Aufstellung
Die 1503 gedruckte Missa de Beata Virgine nimmt als einziges Choralordinarium unter den Marienmessen eine Sonderstellung ein, was ihre Position im Messenbuch ebenso unterstreicht wie ihre bereits erwähnte große Verbreitung, die sie allen anderen Marienmessen voranstellt. Warum sie den Petrucci-Druck einleitet, kann – abgesehen von allgemeinen Usancen, marianische Werke als Entree zu verwenden – durchaus im Zusammenhang der Bekanntschaft la Rues mit Margarete gesehen werden, der er 1503 erstmals begegnet: Von März bis August ist er noch als Mitglied der Kapelle Philipps I. in Bourg-en-Bresse in Savoy zu Gast bei Margarete und ihrem Mann Philibert von Savoyen sowie in unmittelbarem lokalen Umfeld in Lyon nachweisbar; im Oktober geht sodann das Messbuch in den Druck. Bei einem Blick auf die Disposition des Messbuches fällt auf, dass sich viele Messen mit dem Hause Habsburg in Beziehung setzen lassen: Die Missa L’homme arme ist vermutlich gemünzt auf den Machthaber Philipp selbst, die Missa Nunca fue pena maior steht in Zusammenhang mit nationalsprachlichen Inspirationen, die von der soeben beendeten Spanien-Reise von Hofstaat und Kapelle herrühren, und die an zweiter Stelle ge-
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Pierre de la Rues ‚margaretische‘ Mission
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setzte Missa puer natus könnte sich auf Philipps Sohn Ferdinand I. beziehen, der am 10. März 1503, also nur zwei Wochen vor der Visite in Savoy, in Spanien zur Welt kam. Ganz offenbar also bildet der Liber missarum eine Art ‚musikalisches Stammbuch‘ des fürstlichen Hauses, und seine Eröffnung mit einer der soeben besuchten Schwester des Dienstherren thematisch assoziierten Missa de Beata Virgine erscheint vor diesem Hintergrund durchaus plausibel, selbst wenn die Komposition zuvor (oder doch gleichzeitig?) schon in einer in Rom verwahrten Handschrift existierte. Fest steht zudem, dass die Verbindungen la Rues mit Margarete nach der Publikation des Liber missarum enger und nachhaltig werden: Im September 1504 überraschend das zweite Mal Witwe geworden, legte Margarete ihren Witwen-Habit an und beschloss, nicht mehr zu heiraten, sondern sich zukünftig ausschließlich offiziellen und wohltätigen Aufgaben zuzuwenden. La Rue erreichte Ghent im November 1504, weitere Zahlungen an ihn aus Nijmegen, Arnheim, Brüssel usw. sind in den Folgemonaten bis zu seiner zweiten Abreise nach Spanien nachweisbar. Am 8. und 10. November 1504 ist er sogar vor Ort in Mechelen am Hofe Margaretes bezeugt. Als sein Dienstherr Philipp überraschend verstirbt, nimmt er am 18. und 19. Juli 1507 an den Begräbnisfeierlichkeiten in Mechelen teil, wo womöglich erste Überlegungen zu seiner Anstellung in Burgund formuliert wurden. Im Juni 1508 schließlich ist die erste Gehaltszahlung an la Rue am Hofe Margaretes dokumentiert, die unterdessen zur Statthalterin der Niederlande ernannt worden war; La Rue wird diese Position bis zum Jahre 1515 innehaben.15 Seine Verpflichtungen als Sänger in der Grande Chapelle am Hofe Margaretes lassen sich anhand des überlieferten État de l’Hôtel recht gut nachvollziehen.16 Wiewohl die 1497, 1500 und 1515 niedergelegten Vorschriften den gesamten Hofhaushalt meinen, nehmen jene für die Kapellmitglieder immerhin gut ein Viertel ein: Sie betreffen im Wesentlichen zahlreiche rigide Benimmregeln und Anwesenheitspflichten, darunter die aktive Teilnahme an der täglichen Messe („chacun jour“) sowie der abendlichen Vesper und Complet, die von ihnen choraliter und polyphon („à chant et deschant“) darzubieten sind, was auf einen nahezu pausenlosen Reigen polyphoner Musik bei Hofe schließen lässt. Von Kompositionspflichten oder gar -aufträgen ist freilich nicht die Rede, was weniger ihre Existenz infrage stellt als vielmehr annehmen lässt, dass diese im Austausch mit der Regentin ausgesprochen wurden – passend zur engen Verwobenheit von Obliegenheiten des Hofes und ‚seiner‘ Musik. Welche Möglichkeiten bestehen nun musikalisch, die ausgeprägte Marienfrömmigkeit der Regentin zu akzentuieren, die marianischen (und damit ‚margaretischen‘) Sujets in der Messkomposition so zu gestalten, dass eine Brücke zur Identifikation mit der in vielen Fällen sicherlich beauftragenden oder zumindest implizierten Widmungsträgerin geschlagen werden kann? Geht man davon aus, dass die Missa de Beata Virgine entstehungsgeschichtlich mit Margarete assoziiert ist, wie diskutiert, so liegt mit dem Gloria der Messe, das den ihm eigenen marianischen Tropus Spiritus et alme trägt, gleichsam die Idealform vermittelnden marianischen Komponierens vor. Und als sei dies nicht genug, verarbeitet la Rue im Satzverbund zudem als erster überhaupt den Benedictus-Tropus Mariae filius im Rahmen des Sanctus IX, worin ihm zu seinen 15 16
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Vgl. im Einzelnen die Dokumentenaufstellung und die biographische Skizze bei Meconi, Pierre de la Rue and musical life at the Habsbourg-Burgundian Court (wie Anm. 1). Vgl. dazu ebd., S. 55–58.
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Kapitel 5.1.
Lebzeiten nicht nur Heinrich Isaac in zwei seiner Marienmessen nachfolgt17, sondern auch Adam Rener und Antoine Brumel, bevor der marianische Tropus in den Aachener Codices der 1570er Jahre ein letztes Mal erscheint.18 Die marianische Konnotation der Messe ist formal entsprechend stark ausgeprägt, und es steht zu vermuten, dass der Komponist diese Akzente im Einzelnen noch verstärkt hat. Diesem Umstand und der strukturellen Disposition der Messe insgesamt gelten die folgenden Überlegungen. La Rues Gloria de Beata Virgine ist mit nur 121 Mensuren19 recht knapp gehalten, was allerdings nichts über seine formale Varianz aussagt. Der Choral wird häufig gekürzt, textlich geschichtet, syllabisch vertont oder ganz verlassen, indem der Komponist sich melodisch von ihm entfernt. Die Durchführung der Melodievorlage ist dabei äußert komprimiert, ja bisweilen kondensiert auf das Minimum ihrer Achsentöne, und die insgesamt 12 deutlichen Kadenzen20 im Satzgefüge passen nicht recht zum Bild der vorwärtsdrängenden, energetischen Kadenzvermeidung, die man nach Ludwig Finscher mit la Rue gemeinhin assoziiert.21 Bereits der Satzbeginn präsentiert sich so knapp wie möglich im pausendurchsetzen Doppelkanon (vgl. Beispiel 222).
17 18 19 20 21 22
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Hier allerdings kombiniert mit Sanctus IV, vgl. dazu Kap. 5.2. Funktionalismen: Die alternatim-Konzepte Heinrich Isaacs. Zu den Aachener Messen vgl. Kap. 5.5. Konfessionswirren in Aachen, zur Disposition der Messsätze des Repertoires im Zusammenhang Verzeichnis I. Zum Vergleich einige Gloriae vor 1525: Josquin (248 Mensuren), Beausseron (216), Brumel (197), Anchieta (249) oder Albertis (280). Auch die übrigen Sätze la Rues sind deutlich kürzer als die des Zeitgenossen Josquin (59–121–195–153–84 [la Rue] zu 108–248–247–187–126 [Josquin]). Mensuren: 8/9 (g), 24 (g), 32/33 (g), 41 (d), 47 (g), 64 (d), 72 (d), 78/79 (d), 91 (d), 107 (d), 113 (g) und 121 (g-Schluss). Ludwig Finscher: Artikel Rue, Pierre de la, in: MGG2, Personenteil, insbes. Sp. 637. Notenbeispiele entnommen aus Nigel St. John Davison (Hrsg:): Opera omnia, Pierre de la Rue (= Corpus mensurabilis musicae 97), Rom 1992; Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
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Pierre de la Rues ‚margaretische‘ Mission
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BEISPIEL 2: la Rue, „Gloria de Beata Virgine“, M. 1–14
Homophone Momente lichten die imitatorische Struktur ebenfalls gelegentlich auf, und in quasi festlichem Duktus erstrahlt das finale Amen-Melisma in trochäischem Rhythmus (vgl. Beispiel 3).
BEISPIEL 3: la Rue, „Gloria de Beata Virgine“, M. 109–121
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Kapitel 5.1.
Tatsächlich legt das Fehlen ganzer Melodiepassagen aus der Choralvorlage23 zunächst nahe, la Rue folge hier einer speziellen, womöglich regionalen Variante des Gloria IX. Die ‚neuen‘ Passagen sind allerdings zu gedrängt und unprofiliert, um als choralisch tradiert zu erscheinen, ganz abgesehen von der Überlieferungskonstanz des jahrhundertealten Chorals an sich. Vielmehr scheint die Knappheit vor allem der Verschiebung von strukturellen Schwerpunkten geschuldet zu sein: So steht eine einzige Passage seltsam formbildend im Mittelpunkt: die Tropuszeile Ad Mariae gloriam in den Mensuren 73 bis 78 (vgl. Beispiel 4).
BEISPIEL 4: la Rue, „Gloria de Beata Virgine“, M. 69–82
Spätere Vertonungen wie jene von Josquin haben dieser Tropuszeile keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, sie liegt zumeist gebettet zwischen den Choralzeilen Suscipe deprecationem nostram und Qui sedes ad dexteram patris im zweiten Teil des Gloria. La Rue hingegen separiert diese eindeutig symbolisch 23
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Freie Melodik findet sich bei „gratias agimus tibi“, „rex caelestis“, „agnus dei, filius patris“, „ad Mariae gloriam“ und „in gloria Dei patris“.
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auf ihre doppelte Widmungsaussage gemünzte Zeile gleich mehrfach: 1. wird sie durch Generalpausen von ihren umgebenden Choralzeilen abgetrennt, 2. ist sie die einzige komplette Textzeile des gesamten Gloria, die sich am vorgegebenen Melodiekorpus nicht orientiert, sondern völlig frei gestaltet ist (zumal in langen, akzentuierten Notenwerten), und 3. fungiert sie als formales Scharnier, indem sie – und das ist wahrlich ungewöhnlich – das Gloria anschließend durchtrennt: So wird das Gloria nicht bei Qui tollis, sondern eben nach dem Verklingen des Ad Mariam gloriam vor Qui sedes geteilt. Das formale Primat der Tropuszeile erreicht damit ein hohes Niveau, das lediglich in seinem Kontext begründet sein kann. Die exponierte – formal, melodisch und metrisch akzentuierte – Gestaltung der Tropuszeile, die das marianische Signet des Satzes und der gesamten Messe liefert, kann nur Resultat einer außermusikalischen Inspiration sein, die rechtfertigt, die Proportionen der Messe nach Bedarf zu variieren. Sie erhält ihren Sinn eben durch die Identifikationsgestalt Margarete von Österreich. Ihre Verbreitung verdankt die Messe zwar sicherlich primär ihrer herrscherlichen Konnotation mit Margarete, mindestens ebenso wichtig scheinen jedoch ihre kompositorischen Qualitäten gewesen zu sein. Klaus-Jürgen Sachs hat der Messe zugesprochen, mit der Vermittlung zwischen varietas und similitudo eine außergewöhnliche Balance der Satzverfahren angestrebt und erreicht zu haben: Ob daraus resümiert werden muss, dass auf diese Art Zyklus konstruiert wird, dessen Existenz – wie in Kapitel 2 diskutiert – für ein Choralordinarium obsolet ist, sei dahingestellt, ebenso, ob der von Sachs ermittelte satzübergreifende Motivfundus24 in seiner Kleingliedrigkeit überzeugt. Wichtiger ist indes, dass die Messe fraglos kontrastierende Satzverfahren erprobt, und aus deren Kombination und vor allem Kollision dynamische Spannung ebenso wie formale Differenzierung erzielt werden kann. Das beginnt im Gloria bereits in der Gestaltung der Incipits, die in den jeweils durchführenden Stimmen oft rhythmisch jeweils anders prononciert sind (vgl. exemplarisch Laudamus te, Benedicimus te in Beispiel 2 sowie Domine Deus in M. 26, Rex caelestis in M. 28f. oder Deus pater in M. 30f. in Beispiel 5).
24
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Sachs, Pierre de la Rues „Missa de Beata Virgine“ (wie Anm. 4), Tabelle S. 89.
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Kapitel 5.1.
BEISPIEL 5: la Rue, „Gloria de Beata Virgine“, M. 25–33
Kontrastierend dazu werden verschiedene homophone Inseln geschaffen (wie bei suscipe deprecationem, auszugsweise in Beispiel 4, oder bei in gloria Dei in Beispiel 3), bevor das Amen im rhythmischen Unisono vermittelnd schließt. Es wäre freilich übertrieben, wollte man diesen Schluss, gerade in dem festlichen marianischen Gloria, als Fazit der satztechnischen Vermittlung lesen, als Fingerzeig auf eine sich hier im letzten Wort musikalisch realisierende mediatrix. Ihren Reiz hat diese Überlegung allerdings und ließe sich ausweiten: Im vorangestellten Kyrie lassen sich ebenso vermittelnde Tendenzen finden: In dem quinttransponierten Satz (a-dorisch) changiert Teil A (Kyrie) zwischen den modalen Ebenen g und a mit Kadenz auf a (M. 13), wie auch Teil B (Christe) wechselnd zwischen d und e kadenziert (am Schluss gar gerückt: d–e, M. 42–44). Erst in Teil C (Kyrie) findet die modale Konsolidierung auf a statt. Abschließend bleibt festzuhalten, dass la Rues umfängliches, marianisch beinahe enzyklopädisch anmutendes Repertoire an Marienmessen, und mithin die Missa de Beata Virgine, nicht von Margarete von Österreichs Repräsentationswillen und -gestik als diplomatische mediatrix zu trennen sind. Die in zahlreichen Verhandlungen äußerst erfolgreich vermittelnde Regentin – erinnert sei nur an die wichtigsten staatspolitischen Kunstgriffe zu Zeiten la Rues: die Liga von Cambrai (1508), die Heilige Liga gegen Frankreich (1511) oder der Vertrag von Lille (1513) – bot geradezu ideale, wenn auch sehr spezielle Voraussetzungen für die Komposition identifikationsgeeigneter Musik. Wie eine 2002 erschienene Studie Margaretes Vater Maximilian I. als geschickten selbstdarstellerischen Strategen auch in seinen künstlerischen Ambitionen diskutiert und „Marketing Maximilian“ titelt25, wären weitergehende Forschungen anzuregen, inwieweit der Hofkomponist Pierre de la Rue maßgeblichen Anteil am Projekt „Marketing Margarete“ gehabt hat. Die Repräsentation staatlicher Macht via marianischer Frömmigkeitsbekundung und Identifikationskultur hat hier ihren unmittelbaren Niederschlag im Schaffen eines Komponisten und am Beispiel der Missa de Beata Virgine sogar in einem konkreten Werk selbst gefunden, ohne dabei funktionale Passung oder historisches Bewusstsein zu entbehren. Das heute als erstes Werk seiner Art überlieferte marianische Choralordinarium präsentiert sich keineswegs als musikintern ins Leben 25
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Larry Silver: Marketing Maximilian. The Visual Ideology of a Holy Roman Emperor, Princeton und Oxford 2008.
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Pierre de la Rues ‚margaretische‘ Mission
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gesetzte Werkexistenz, als selbstreferenzielles Kunstprodukt, sondern als individuelles Resultat funktionaler und – bei aller nachweisbaren Personenbezogenheit – (musik)historischer Verankerung, das nicht zuletzt der künstlerischen Profilbildung und Ruhmverleihung Vorschub leistete. Denn ganz nebenbei war das musikalische Ergebnis dieser besonderen nordwesteuropäischen Umstände so exquisit, dass ausgerechnet die italienische Musiktheorie es als mustergültig erkannte und den Zeitgenossen zur Nachahmung empfahl: Pietro Arons „Trattato della natura et cognitione di tutti gli tuoni“ von 1525 wählte neben dem Gloria auch Beispiele aus dem Sanctus und Agnus von la Rues erster Missa de Beata Virgine.26
26
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Vgl. dazu im Detail: Cristle Collins Judd: Reading Aron Reading Petrucci: The Music Examples of the ‚Trattato della natura et cignitione di tutti gli tuoni‘, in: Early Music History 14 (1995), S. 121–152.
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Kapitel 5.2.
5.2. FUNKTIONALISMEN: DIE ALTERNATIM-KONZEPTE HEINRICH ISAACS Mit dem habsburgischen Kaiserhof Maximilians I. und seiner Musik verbindet man gemeinhin repräsentative Absichten, ja eine wie auch immer geartete mediale Teilhabe an der zuvor geschilderten europapolitischen Strategie „Marketing Maximilian“. Dazu will zunächst wenig passen, dass die vier, mutmaßlich fünf, eventuell sogar sechs Missae de Beata Virgine Heinrich Isaacs1, die größtenteils für den Hof entstanden, keine Verbreitung erfuhren. Sie sind sämtlich nur in wenigen Quellen, die fünf- und sechsstimmigen Messen sogar nur in Unika des deutschsprachigen Raumes – hauptsächlich in München – überliefert.2 Keine von ihnen gelangte je in den Druck. So eng ihre Bindung an das habsburgische Haus ist – bis hin zur Auswahl der Choralvorlagen aus seinem Umfeld3 –, so sehr haftet diesen marianischen Werken etwas ‚privates‘ an, etwas eigens für die liturgischen Bedürfnisse des Hofes bzw. der kaiserlichen Privatkapelle geschaffenes. Dagegen lassen sich zahlreiche andere Messen Isaacs aus der Habsburger Zeit in italienischen und spanischen Quellen nachweisen4, so dass Maximilian sehr wohl die Schätze seiner Musikalienkammer diplomatisch zu nutzen und zu verbreiten wusste. Über seine Zurückhaltung ausgerechnet bei den Marienmessen kann freilich nur spekuliert werden: Ob sie Zeichen einer liturgischen Vereinnahmung der Werke bei Hofe war oder gar Rücksicht auf die marianisch in distributiver Hinsicht sehr aktive Tochter Margarete bedeutete5, ist unklar. Fest steht hingegen, dass das in Isaacs Messenschaffen merkliche Verhältnis von Kirchenfest und alternatim-Form (vgl. die Missae de Paschalis, de Apostolis, de Confessoribus, usw.) ebenso deutlich ausgeprägt war wie jenes von Fremdvorlage und polyphoner Ausführung, wobei letztere Gruppe im Hinblick auf die außerhabsburgische Quellenlage klar dominiert. Isaacs Messen ließen sich daher durchaus in auftragsgebundene Gebrauchswerke einerseits – gemäß dem Dienstgelöbnis Isaacs, „mit meiner kunst zu noturfft seiner kunigelichen Majestats Capelen brauchen zelassen verbunden sein“6 –, und frei vom liturgischen Kalender konzipierte Messen andererseits unterteilen, ohne dass dies eine Wertung impliziert. Wie Isaac 1
2 3
4 5 6
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Vgl. zum Werkkomplex aktuell: David J. Burn: Heinrich Isaac’s „Missae de Beata Maria Virgine“ in Context, in: Die Tonkunst 3 (2009), Heft 1, S. 27–37. Erstmals im Zusammenhang besprochen wurden die Werke von Nors Sigurd Josephson: The Missa de Beata Virgine of the Sixteenth Century, Diss. Berkeley 1970, S. 213–225. Zur Quellendisposition vgl. Verzeichnis I. Zu Isaacs Messen, ihren Choralvorlagen und Kontexten vgl. vor allem Martin Staehelin: Die Messen Heinrich Isaacs, 3 Bde., Bern und Stuttgart 1977. Des Weiteren zu Maximilian I., der Hofkapelle und Isaacs Position: Othmar Wessely: Beiträge zur Geschichte der maximilianischen Hofkapelle, in: Mitteilungen der Kommission für Musikforschung Nr. 5, Wien 1956, S. 370–388; Walter Senn: Maximilian und die Musik, in: Ausstellung Maximilian I. Innsbruck, Innsbruck 1969, S. 73–85; Louise Cuyler: The Emperor Maximilian I and Music, London [u. a.] 1973; Walter Salmen (Hrsg.): Heinrich Isaac und Paul Hofhaimer im Umfeld von Kaiser Maximilian I., Innsbruck 1997; David J. Burn: What Did Isaac Write for Constance? In: Journal of Musicology 20 (2003), S. 45–72. Vgl. Staehelin, Die Messen Heinrich Isaacs (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 82–99. Vgl. dazu Kap. 5.1. Pierre de la Rues ‚margaretische‘ Mission. Staehelin, Die Messen Heinrich Isaacs (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 46f.
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Die alternatim-Konzepte Heinrich Isaacs
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selbst, der in Florenz und Habsburg mit Lorenzo de Medici und Maximilian I. nicht nur zwei grundlegend verschiedene Herrschertypen, sondern auch deren diametrale Kulturtraditionen zwischen europäischem Süden und Norden zu bedienen hatte7, zeigen ebenso seine Messen eine Art internationale „artistic osmosis“8, zugeschnitten freilich auf die funktionalen Bedürfnisse des jeweiligen Auftraggebers. Der für Habsburg dokumentierte Gebrauch von alternatim-Formen ad organum im liturgischen Kontext9 war nicht nur tradiert, sondern erschwerte den Export der eigens darauf abgestimmten Musik erheblich. Dass Isaac mit einem Satz der Missae de Beata Virgine, den er doppelt verwandte, dennoch eine Brücke zwischen vierstimmiger polyphoner Fassung und sechsstimmiger alternatim-Form schlagen konnte, um beiden Gebieten gerecht zu werden, wird später zur Diskussion stehen. In der alternatim-Tradition der Missa de Beata Virgine nimmt Isaac zwar eine Schlüsselposition ein. Hingegen sind bereits seit dem 14. Jahrhundert einzelne Gloriae de Beata Virgine in eben diesem Format, zum Teil kombiniert mit einem Kyrie IX, überliefert.10 Insbesondere die alternatim-Gloriae aus dem Codex Las Huelgas und von Guillaume Du Fay11 zählen zu den bekannten Vertretern dieses Typs: Beide sind interessanterweise – obwohl in vollkommen unterschiedlichen Kontexten und Zeiten entstanden – zu Beginn und im Passus mit den Tropuszeilen baugleich (vgl. weiter unten Beispiel 3): Neben der Choralzeile Et in terra pax werden stets die Tropuszeilen polyphon, der Choraltext aber choraliter bzw. organal gesetzt. Du Fays Akzentuierung der Tropen besteht allerdings nicht nur in der aufgestockten Stimmzahl, sondern ebenso in der zunehmenden homophonen Struktur: Während die ersten beiden Tropuszeilen noch polyphon verziert auftreten, werden die Zeilen 3 bis 6 blockhaft gestaltet. Das schließende Mariam coronans (M. 72–79) sodann wird mit dem folgenden Jesu Christe (M. 81–85) in einem gemeinsamen homophonen Modus vom Umfeld distanziert: Dass dieser Maßnahme eine Steigerung der marianischen Aussagekraft innewohnt, indem die gekrönte Maria mit dem Beginn der trinitarischen Formel verschmolzen wird, ist offenkundig (vgl. Beispiel 112) und ein weiteres schlagendes Beispiel für die in diesem Gattungskontext besonders enge Verquickung von musikalischer Struktur und liturgischer Aussage. Du Fay bedient mit diesem Vertonungsmodus des Gloria eine Tradition, die – wie Bernhold Schmid dargelegt hat13 – in den Urgründen der Tropusgeschichte selbst liegt: Die ehemaligen Text- und Melodie-Additionen zum Choral, die dem 7
8 9 10 11 12 13
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Giovanni Zanovello: Heinrich Isaac, the Mass Misericordias Domini, and music in late fifteenth-century Florence, Diss. Princeton 2005, insbes. S. 50–99 (Chapter 2), sowie ders.: „Master Arigo Ysach, Our Brother“: New Light on Isaac in Florence, 1502–17, in: Journal of Musicology 25 (2008), S. 287–317. Zanovello, Heinrich Isaac (wie Anm. 7), S. vi. Zur Habsburger alternatim-Tradition mit organal ausgeführten Choralzeilen vgl. insbes. William P. Mahrt: The „Missae ad organum“ of Heinrich Isaac, Diss. Stanford University 1969. Vgl. im Einzelnen Verzeichnis Ib. Guillaume Dufay: Opera Omnia, hrsg. von Heinrich Besseler, in: Corpus mensurabilis musicae 1, Rom 1962, Bd. 4, S. 83f. Ebd; Abdruck mit freundlicher Genehmigung. Vgl. Bernhold Schmid: Der Gloria-Tropus Spiritus et alme bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, Tutzing 1988.
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Kapitel 5.2.
BEISPIEL 1: Du Fay, „Gloria de Beata Virgine“, M. 42–85
Kirchenfest ihre devotionale Spezifizierung gaben, waren stets die hervorgehobenen, polyphon inszenierten Parts gewesen, bevor Choral und Tropus in einheitlicher mehrstimmiger Gestaltung zusammenfanden. Das tropierte Gloria stellt allerdings einen Sonderfall dar, da es in keiner frühen Quelle ohne den Tropus auftritt. Ausgehend von einer geschlossenen Überlieferung mutet eine solcherart ‚klassische‘ Absetzung polyphoner von alternatim-Parts noch bei Du Fay zunächst eigentümlich an.14 Unabhängig aber vom Alter des Chorals und seiner ‚Urform‘ gebietet schon allein der noch immer als Addition zur Doxologie empfundene marianische Text eine entsprechend akzentuierte Behandlung. Dass Du Fay hier – nach 14
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Vgl. dazu Kap. 4.4. Musikalische Konsequenzen: Das Zentralmotiv der mediatrix im Gloria de Beata Virgine.
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Die alternatim-Konzepte Heinrich Isaacs
bisherigem Kenntnisstand als erster überhaupt – die letzten Tropuszeilen immer homophoner verdichtet, was schließlich auf den Choral übergreift, ist mehr als eine Vertonungslaune: Durch die homophone Führung der Tropuszeilen wird eine Annäherung an den Choral erreicht, eine quasi akkordische Füllung der choralischen Linie, eine Versöhnung der Gegensätze. Dass diese Annäherung Konsequenzen für die Textaussage hat, ja dies wohl geradezu intendiert, ist klar ersichtlich. Du Fay kann also, solange keine früheren Belege für diese originellen Akzentsetzungen vorliegen, durchaus als Begründer einer Vertonungstradition der Tropen im Gloria de Beata Virgine gelten, einer Tradition, die mit Einsetzen durchkomponierter Gloriae weiterhin Bestand hatte, dann aber auch als Kontrastmittel zum polyphonen Gewebe der Choralzeilen wirksam wurde.15 Durch diese Umgewichtungen in der Struktur wurden die homophonen Tropuszeilen späterer Sätze nach 1500 zu historischen Reminiszenzen ihrer ehemals akkordischen Annäherung an den Choral, während der Choral seine plane Fixierung im immer avancierteren polyphonen Gewebe möglichst zu überspielen trachtete. Invarianter Kern der Verfahren war stets das Bedürfnis der Akzentuierung der marianischen Parts. Aufgrund der ausschließlich handschriftlichen Überlieferung von Isaacs Missae de Beata Virgine ist ihre tatsächliche Anzahl noch immer unbekannt. Während vier alternatim-Messen in den Quellen durch Autorzuschreibungen gesichert sind, bleibt Isaacs Autorschaft für zwei anonyme Zyklen umstritten.16 Es handelt sich um eine drei- und eine vierstimmige, im Gegensatz zu den übrigen jeweils durchkomponierte Messe (vgl. Beispiel 217). Kyrie Anon.
Gloria
Credo
Sanctus
polyphon
à3
IX; dorisch
IX; c-mixolydisch [?]; c-lydisch IX; c-lydisch
Isaac
alternatim
à 4 (I)
IX; g-dorisch
IX; mixolydisch
Anon.
polyphon + à 4 (II) alternatim
IX; dorisch
IX; c-mixolydisch [?]; c-lydisch IX; c-lydisch
[-]
IV; hypolmixolydisch
Agnus [←]; c-lydisch IV; f-hypolydisch [←]; c-lydisch
Isaac
alternatim
à 5 (I)
IX; g-dorisch
IX; mixolydisch
[-]
29; mixolydisch
[←]; mixolydisch
Isaac
alternatim
à 5 (II)
166; g-dorisch
49; g-dorisch
[-]
IV; c-hypomixolydisch
IV; hypolydisch
Isaac
alternatim
à6
IX; dorisch
IX; c-mixolydisch [-]
29; c-mixolydisch
[←]; c-mixolydisch
BEISPIEL 2: Disposition der strittigen und authentischen „Missae de Beata Virgine“ Isaacs
15
Vgl. zu homophon gestalteten Tropuszeilen im Gloria de Beata Virgine u. a. die Vertonungen von Josquin (Kap. 5.3.1.) oder Morales (Kap. 5.4.1.), um nur die wichtigsten zu nennen. 16 Vgl. dazu ausführlich Burn, Heinrich Isaac’s „Missae de Beata Maria Virgine“ (wie Anm. 1), insbes. S. 27–32. 17 Die arabischen Ziffern bezeichnen Melodien, die nicht im römischen Missale (römische Ziffern) nachweisbar sind, und beziehen sich auf die Melodienkataloge von Margareta LandwehrMelnicki: Das einstimmige Kyrie des lateinischen Mittelalters, Regensburg 1954, Detlev Bosse: Untersuchung einstimmiger Melodien zum Gloria in excelsis deo, Regensburg 1954, Peter Josef Thannabaur: Das einstimmige Sanctus der römischen Messe in der handschriftlichen Überlieferung des 11. bis 16. Jahrhunderts, München 1962, und Martin Schildbach: Das einstimmige Agnus Dei und seine handschriftliche Überlieferung vom 10. bis zum 16. Jahrhundert, Erlangen 1967. „←“ meint den Rückbezug auf die Melodie des vorangegangenen Messsatzes.
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Kapitel 5.2.
Die dreistimmige Messe ist aufgrund der umstrittenen Zuschreibung bis heute unpubliziert geblieben18, stilistisch ist sie ebenso bereits als Isaacs wie als Senfls Komposition gewertet worden.19 Immerhin spricht für Isaac, dass im Heidelberger Kapellinventar, ein Katalog der pfälzischen Musikbibliothek Ottheinrichs20 aus dem Jahre 1544, eine „Missa ysaac: de beata virgine. 3 vocum“ gelistet ist.21 Sie gehört zu den verschollenen Manuskripten der eindrucksvollen Sammlung, von der heute überhaupt nurmehr ein einziges Buch nachgewiesen werden kann.22 Da ein Großteil der Musikalien Ottheinrichs aus Münchner Quellen kopiert wurde, und das Münchner Chorbuch 1923 eine anonyme dreistimmige Missa de Beata Virgine enthält, eingebettet in einen Propriumszyklus, liegt der Verdacht nahe, es könne sich um Isaacs Werk handeln. Erleichtert wird diese Zuschreibung keineswegs durch die zweite, ebenfalls anonyme Überlieferung der Messe in Regensburg (dieses Mal ohne Proprium) in einem um 1538 entstandenen Manuskript mit mehreren Messordinarien, dessen Provenienz allerdings ungeklärt ist.24 Aufgrund der schwierigen Lage wurde die Messe schließlich nicht für authentisch befunden.25 Diese Entscheidung zu hinterfragen ist ohne eine weitere authentifizierte Quelle freilich heikel, jedoch sei erlaubt, zu den philologischen Indizien jenen gattungsspezifischen Hinweis zu ergänzen, nach dem beide anonymen Missae de Beata Virgine im obigen Verbund eine formale Kongruenz in Choralauswahl und Modus ausprägen (vgl. Beispiel 2). Sie decken sich sogar im Detail des Benedictus-Tropus Mariae filius. Dennoch ergibt eine Überprüfung der beiden Messen keine musikalische Übereinstimmung, es handelt sich bei der vierstimmigen anonymen Messe also nicht um eine expandierte ‚Fassung‘ der dreistimmigen. Wenn diese Überlegungen auch keine Lösung bieten können: Erstaunen darf diese im gesamten Messkorpus der Gattung einzigartige formale Übereinstimmung aber schon. Die vierstimmige anonyme Missa de Beata Virgine à 4 (II), die mit der dreistimmigen ihre Formalia teilt, steht dagegen so dicht an Isaac, dass angesichts der vielen Indizien kaum eine andere Möglichkeit besteht, als sie nun endlich einmal für authentisch zu erklären.26 Bereits Jürgen Heidrich hat mit seinen kodikologi18 19 20 21 22 23 24 25 26
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Vgl. Martin Picker: Henricus Isaac: A Guide to Research, New York 1991, S. 41. Zur Diskussion vgl. Staehelin, Die Messen Heinrich Isaacs (wie Anm. 3), Bd. 3, S. 186–188 (pro Isaac), und Martin Bente: Neue Wege der Quellenkritik und die Biographie Ludwig Senfls. Ein Beitrag zur Musikgeschichte des Reformationszeitalters, Wiesbaden 1968, insbes. S. 170–171 (pro Senfl). Vgl. Jutta Lambrecht: Das ‚Heidelberger Kapellinventar‘ von 1544 (Codex Pal. Germ. 318): Edition und Kommentar, 2 Bde., Heidelberg 1987. Vgl. Staehelin, Die Messen Heinrich Isaacs (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 46; Lambrecht, Das ‚Heidelberger Kapellinventar‘ (wie Anm. 20), Bd. 1, S. 232. Zum wieder aufgefundenen Material vgl. David Hiley: Das Chorbuch Regensburg, Staatliche Bibliothek, 2° Liturg. 18 aus dem Jahre 1543: Chorbuch S im Kapell-Inventar des Pfalzgrafen Ottheinrich, 1544, in: Musik in Bayern 59 (2000), S. 11–52. München, Bayerische Staatsbibliothek 19, fol. 147v–174r. Regensburg, Proske-Bibliothek Mss. 216–219, no. 9. In der Sammlung befindet sich zudem eine Spartierung der Messe aus dem Nachlass des Musikforschers Otto Kade. Vgl. zur Regensburger Quelle zudem die Kataloge bayerischer Musiksammlungen 14/11, S. 169 [Beschreibung der Messe] und 174 [zur Spartierung Kades]. Die in Vorbereitung befindliche New Isaac Edition, deren Editorial Board im Juli 2010 in London offiziell zusammentrat, wird im Korpus der Messenedition die vierstimmige anonyme Messe als
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schen Befunden27 genügend Material für eine Zuschreibung vorgelegt und damit zugleich Martin Staehelins analytische Beobachtung gestärkt, nach der die Messe offensichtliche musikalische Verbindungen mit der zweifelsfrei authentischen Messe à 6 aufweist.28 Zwar ist die Überlieferung der vierstimmigen Messe in zwei Formvarianten eigentümlich: Die früheste Quelle um 1500 stammt aus den Jenaer Chorbüchern und enthält eine polyphone Version der Messe, während zwei weitere, allerdings wohl später kompilierte Quellen aus Wrocław und Dresden [Annaberg] – letztere fragmentarisch – dieselbe Messe in alternatim-Version vorlegen.29 Alle drei Quellen tragen keine Autorzuschreibung, und es ist letztlich unklar, welche Version der Messe zuerst vorlag, oder ob gar – wie Staehelin vermutete – der Autor der ‚vollständigen‘ Jenaer Quelle auch ein anderer gewesen sein könnte.30 Dass Isaac mindestens aber der Autor des alternatim-Gerüstes ist, belegt nicht nur jene von David Burn gründlich analysierte Wiederverwertung des Christe und Gloria im sechsstimmigen Format.31 Ähnliche Recycling-Verfahren sind aus der vierstimmigen Missa Comment peult avoir joie und der späteren Missa Wohlauff wohlauff bekannt.32 Ebenso schlägt eine musiktheoretische Quelle zu Buche: Ottmar Luscinius’ Musurgia seu praxis Musicae von 1536 verweist auf eine Missa de Beata Virgine von Isaac, die sich durch eine auffällige archaische Disposition des Superius in punktierten identischen Notenwerten auszeichne. Dies lässt sich ausschließlich in der anonymen vierstimmigen Missa de Beata Virgine beobachten. Und schließlich – als letztes Argument für Isaacs Autorschaft – sind für das Credo der anonymen Messe à 4 Konkordanzen nachweisbar.33 Wie passen die beiden Formvarianten der anonymen Messe nun zusammen? Glaubhaft klingt Burns von Isaac stammend einordnen und entsprechend editorisch behandeln. Die Verfasserin ist Mitglied des Editorial Bords und wird für den Part der Messen verantwortlich zeichnen. 27 Jürgen Heidrich: Die deutschen Chorbücher aus der Hofkapelle Friedrichs des Weisen. Ein Beitrag zur mitteldeutschen geistlichen Musikpraxis um 1500, Baden-Baden 1993, insbes. S. 193f. 28 Vgl. Staehelin, Die Messen Heinrich Isaacs (wie Anm. 3), Bd. 3, S. 139f., 184–186, sodann – ausführlicher – Burn, Heinrich Isaac’s „Missae de Beata Maria Virgine“ (wie Anm. 1). 29 Ms. um 1500: Jena, Universitätsbibliothek 33, fol. 6v–37r; Ms. ca. 1510–1518: Wroclaw, Biblioteka Uniwersytecka I F 428, fol. 66v–70r (in Partitur); Ms. ca. 1510–1530: Dresden, Sächsische LB 1 / D / 506 [nur Superius und Altus-Stimmbuch überliefert]. 30 Vgl. Staehelin, Die Messen Heinrich Isaacs (wie Anm. 3), Bd. 3, S. 185. Heidrich plädiert stattdessen dafür, dass die sowohl in Jena wie auch in Wrocław enthaltenen Propriumssätze zeitgleich konzipiert wurden, und dass Isaac wahrscheinlich der Autor beider Messpartien sei, vgl. Heidrich, Die deutschen Chorbücher aus der Hofkapelle Friedrichs des Weisen (wie Anm. 27), S. 193f. 31 Die sechsstimmige Fassung enthält zwei zusätzliche, neu komponierte Stimmen (Discantus, Vagans) im Christe und Gloria, während die anderen Sätze der Messen nur vage verbunden sind [Vgl. zu weiteren, kleinen Nachweisen Edward Lerner (Hrsg.): Isaac, Opera omnia (= Corpus Mensurabilis Musicae 65), Bd. 4, S. xvii.]. Deshalb überlegen Josephson und Staehelin, ob Sanctus und Agnus womöglich nicht von Isaac stammen könnten, vgl. Nors S. Josephson: Zur Geschichte der Missa de Beata Virgine, in: KmJb 57 (1973), S. 39; Staehelin, Die Messen Heinrich Isaacs (wie Anm. 3), Bd. 3, S. 186. 32 Vgl. Staehelin, Die Messen Heinrich Isaacs (wie Anm. 3), Bd. 3, S. 45ff; Thomas Noblitt: Contrafacta in Isaac’s „Missae Wohlauf, Gesell, von hinnen“, in: Acta Musicologica 46 (1974), S. 208–216. 33 Vgl. Karl-Erich Roediger: Die Geistlichen Musikhandschriften der Universitäts-Bibliothek Jena, Jena 1935, Nr. 89x; Martin Staehelin: Der grüne Codex der Viadrina, Wiesbaden 1971, Nr. 42.
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Kapitel 5.2.
kürzlich formuliertes Szenario34, das archaisch klingende Gloria der vierstimmigen anonymen alternatim-Messe könnte bereits in Florenz entstanden sein (1496/97), um später doppelverwertet zu werden: Einmal als Zentrum einer stimmlich expandierenden, nunmehr sechsstimmigen alternatim-Komposition für Habsburg, und einmal als Ausgangspunkt einer vierstimmigen durchkomponierten Version, die – da Maximilian bereits eine Messe à 4 (I) vorliegen hatte – an den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen versandt wurde und deshalb nur in den Jenaer Chorbüchern überliefert ist. Womöglich datiert die polyphone Version von 1497 bis 1499, da Isaac in dem Zeitraum aus Sachsen entlohnt wurde.35 Warum parallel eine alternatim-Version existierte und in weitere nah gelegene Codices Eingang fand, muss offen bleiben, zumal die sächsische Hofhaltung Friedrichs sowohl alternatim- als auch polyphone Messen sammelte und verwendete.36 In einem vorläufigen Fazit liegt also eine höchstwahrscheinlich von Isaac stammende vierstimmige Missa de Beata Virgine in zwei Fassungen vor, die sowohl formal baugleich mit der anonymen dreistimmigen, als auch musikalisch partiell identisch mit der authentischen sechsstimmigen Messe ist. Die offengelegten Bezüge zwischen den Werken lassen sich aber noch erweitern, denn auch die verbleibenden beglaubigten Messen teilen formal diverse Strukturmerkmale, die sie als homogene Gruppe ausweisen (vgl. oben Beispiel 2). Dies sind vor allem die identischen Choralvorlagen der Messen à 5 (I) und à 6, die Analogie der SanctusAgnus-Gruppe in den Messen à 4 (I) und à 5 (II) und schließlich die offensichtliche Vorliebe für marianische Tropierungen im Gloria (in allen Messen) und Sanctus (in zwei Fällen). Das tropierte Gloria bildet also – gattungsgemäß – den Kern des marianischen Choralordinariums, jenen Satz, der der marianischen Akzentuierung und Funktion verlässlich und unmittelbar Rechnung trägt. Demgemäß verwundert kaum, dass Isaacs alternatim-Vertonungen des Gloria in den beglaubigten Messen traditionell eben jene marianischen Anteile polyphon ausarbeiten, während die sie umgebenden Choralzeilen unvertont bleiben (vgl. Beispiel 3). I à 4 (I)
I à 5 (I)
I à 5 (II)
Ià6
Et in terra pax […] Laudamus te.
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
Glorificamus te. Gratias agimus tibi […].
LH à 3
x x
Benedicimus te. Adoramus te.
Dà3
x
Domine Deus, rex celestis, […]. Domine, fili unigenite, Jesu Christe.
x
Spiritus et alme […]
x
x
x
x
x
x
Domine Deus, Agnus Dei, Filius patris.
34 35
Burn, Heinrich Isaac’s „Missae de Beata Maria Virgine“ (wie Anm. 1). Vgl. Heidrich, Die Chorbücher aus der Hofkapelle Friedrichs des Weisen (wie Anm. 27), S. 281–296. 36 Das betrifft unter den Missae de Beata Virgine etwa ein anonymes vierstimmiges alternatimSatz-paar (D–Ju 35, fol. 62v–76r), sowie eine durchkomponierte Messe von Adam Rener (D– Ju 33, fol. 67v–87r).
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Primogenitus Mariae […]
I à 4 (I)
I à 5 (I)
I à 5 (II)
Ià6
Dà3
LH à 3
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x x
Qui tollis peccata mundi, miserere […]. Qui tollis peccata mundi, suscipe […].
x
Ad Mariae gloriam.
x
Qui sedes ad dexteram patris, […]. Quoniam tu solus sanctus,
x
Mariam sanctificans.
x
Tu solus Dominus, Mariam gubernans. Tu solus altissimus,
x
Mariam coronans,
x
x
x
x
x
Jesu Christe.
x
x
x
x
x
Cum Sancto Spiritu […]. Amen
BEISPIEL 3: Vertonte Textzeilen (x) im „Gloria“ von Isaac (I), Du Fay (D) und Las Huelgas (LH)
Das alternatim-Modell der Messe à 4 (I) unterscheidet sich deutlich von den drei baugleichen anderen: Es wechselt in der ersten Hälfte beinahe zeilenweise das Metrum, komponiert statt einer insgesamt vier Verschränkungen (in Beispiel 3 grau markiert) von Choral- und Tropuszeilen (letztere fett markiert) und verzichtet auf die fünfte Tropuszeile Mariam gubernans. Abgesehen von der dadurch erreichten subtilen Modifikation der doxologischen Textaussage im Sinne Du Fays sind auch kompositorisch andere Akzente gesetzt worden. Das betrifft zunächst die materielle Kopplung von Choral- und Tropusmelodien, sodann die im dreizeiligen Abschluss nun umso stärker zu fokussierende Finalität des Satzes und schließlich eine, der größeren Melodie- und Textmenge geschuldete Vielfalt der Mittel. Isaac kommt zu ganz unterschiedlichen Lösungen in den einzelnen Abschnitten, worauf noch einzugehen ist, hält aber den Satz formal zusammen durch systematische Besetzungswechsel, einen ausgeglichenen, zuweilen syllabischen Duktus und die Verlagerung rhythmischer Profilbildungen in den Schlussteil. Entsprechend wirkt der Satz homogener, formal ambitionierter und in seinem größeren Verfahrensspektrum zugleich anspruchsvoller als die übrigen Gloriae der Messengruppe, ein deutlicher Kontrast, der womöglich unterschiedlichen Aufführungskontexten geschuldet ist. Ihm soll im Folgenden mit einem Vergleich der vier- mit der sechsstimmigen Variante nachgegangen werden. Zu fragen ist dabei freilich auch, inwiefern die unterschiedlichen textlichen Akzente musikalische Konsequenzen fordern. Das sechsstimmige Gloria de Beata Virgine erhält durch die Einbettung des c.f. im Superius 2 eine von Beginn an eher inwendig ausgerichtete, kompakte Satzstruktur: Kanonanklänge und exakte Kanonisierungen finden in der Regel ebenfalls ‚innen‘ statt (zumeist mit dem Altus), während die übrigen Stimmen oft ‚ausharmonisierend‘ gestaltet sind, indem sie weniger vokal-sanglich, denn sprunghaft-harmonisch geführt werden (vgl. Beispiel 437). 37
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Notenbeispiele im Folgenden entnommen aus Edward Lerner (Hrsg.): Isaac, Opera omnia (= Corpus Mensurabilis Musicae 65), Bde. 1 und 4; Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
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Kapitel 5.2.
BEISPIEL 4: Isaac, alternatim-„Gloria de Beata Virgine“ à 6, M. 1–8
Der über dem fünfstimmigen Verbund lagernde Superius 1 ist vergleichsweise zurückhaltend organisiert: Er fällt weder durch besonders hohe Lage noch durch ausgewiesene Melismen aus dem integrativen Komplex des dicht gewebten Satzes. Hingegen liefert er dem Satzverbund unmittelbar vor dem Einsatz der ersten Tropuszeile eine ‚nachsetzende‘ Kadenz (M. 32f.) – eine nachträglich einsetzende Umspielung des Finaltones über dem Schlussakkord der übrigen Stimmen –, die für die folgenden Abschnitte zum Stilmittel erhoben wird (vgl. Beispiel 5).
BEISPIEL 5: Isaac, alternatim-„Gloria de Beata Virgine“ à 6, M. 28–33
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Mit der ersten Tropuszeile (M. 34–53) ändern sich die Verfahren merklich: So wird erstmals ein exakter Kanon (im Quartabstand und Langmensur) zwischen Superius 2 und Altus gesetzt. Gleichzeitig bilden Tenor und Bassus – bei zunächst pausierendem Quintus – sowohl gemeinsame rhythmische Profile (M. 35f.) als auch Echofolgen von Kleinstmotivik aus (M. 37–40). Das von Pausen durchsetzte, transparente Satzbild wird erst gen Ende sukzessive verdichtet, und der Superius schließt diesen bislang längsten Passus erneut mit einer ‚nachsetzenden‘ Kadenz ab (M. 50–53, vgl. Beispiel 6).
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Kapitel 5.2.
BEISPIEL 6: Isaac, alternatim-„Gloria de Beata Virgine“ à 6, M. 34–53
Während die zweite Tropuszeile (M. 54–74) sowohl in der Länge als auch in den Verfahren (kanonischer Beginn, zunehmende rhythmische Belebung, ‚nachsetzende‘ Kadenz) ähnlich dasteht, wird die weitaus knappere dritte Tropuszeile (M. 75–84) mit dem Wechsel zur Dreizeitigkeit und einem Quintkanon im Bassus um neue Mittel bereichert (die ‚nachsetzende‘ Kadenz findet sich hingegen auch hier: M. 83f.). Wie bündig die Zeile musikalisch eingerichtet ist, zeigt die dagegen über 20 Mensuren umfassende Vertonung der ebenfalls nur siebensilbigen vierten Tropuszeile Mariam sanctificans (M. 85–107, vgl. z.T. Beispiel 7).
BEISPIEL 7: Isaac, alternatim-„Gloria de Beata Virgine“ à 6, M. 85–96
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Hier kulminieren die Verfahren: Die Langmensurierung der ersten Tropuszeile wird – nun wiederum im zweizeitigen Metrum – verdoppelt und bildet gestreckt auf zehn Longen im Superius 2 den formalen Rahmen des Abschnitts. Auch die aus der ersten Tropuszeile entlehnten parallelen Rhythmusmodelle in Unterstimmenpaaren finden sich hier zuhauf (etwa M. 85–86 sowie 91–94 zwischen Altus und Bassus, M. 89f. zwischen Altus und Tenor), ja überhaupt ist der ganze Abschnitt weitaus agiler in seiner motivischen Motorik. Abschließend wird die ‚nachsetzende‘ Kadenz gar in den Quintus verlagert (M. 105–107). Nach dieser quasi Summierung musikalischer Akzente einerseits und der rhythmischen Drift andererseits tritt die fünfte Tropuszeile in wiederum dreizeitigem Metrum und deutlicher homophoner Tendenz geradezu knapp auf (M. 108–117). Die Stimmen laufen um den c.f. weitgehend parallel und syllabisch geführt durch; die ‚nachsetzende‘ Kadenz beansprucht zudem – nun verdoppelt im Superius und Quintus – die letzten vier Mensuren 114 bis 117 des Abschnitts für sich (vgl. Beispiel 8). Die sechste und letzte Tropuszeile Mariam coronans nimmt diese noëmatische Wendung zu „Ma-ri-am co-“ auf und wird als überhaupt einzige Tropuszeile mit einer Choralzeile, dem schließenden Jesu Christe, verschränkt (ab M. 127). Dabei wird die aus coronans hervorgehende rhythmische Bewegung zum Movens eines, ähnlich der ersten Choralzeilen, gemessenen und vollstimmigen Schlusses (vgl. Beispiel 8).
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Kapitel 5.2.
BEISPIEL 8: Isaac, alternatim-„Gloria de Beata Virgine“ à 6, M. 114–138
Die musikalischen Bezüge und Prozesse zwischen den im sechsstimmigen Gloria de beata Virgine komponierten Tropuszeilen sind ebenso deutlich erkennbar wie die Hinführung des gesamten Satzes zur Textzeile Mariam coronans, die zweifelsohne – wie schon bei Du Fay – den Höhepunkt in homophoner Diktion markiert (konsequent wird am Satzschluss mit der Choralzeile auch auf die ‚nachsetzende‘ Kadenz verzichtet). Alle Zusammenhänge werden trotz der alternatim-Struktur klar hergestellt; ihre formale Statik belebt sich durch diese Anknüpfungen durchaus, erstrecht, wenn man von einer kommunizierenden organalen Ausführung auszugehen hat, die den Faden der Motive und Stilmittel ebenso aufnehmen wird wie jenen der Prozesse der Verdichtung und Belebung. Das vierstimmige Gloria de Beata Virgine setzt völlig andere Schwerpunkte, was durch die Verschränkung der Tropus- mit den Choralzeilen bedingt ist. Zu Beginn wird zunächst der Kontrast gesucht: Sei es im zeilenweisen Wechsel von Zwei- und Dreizeitigkeit, sei es durch Oberstimmenlage des c.f., dem ein rhythmisch agiles, c.f.-freies Unterstimmen-Fundament entgegentritt, oder sei es ein streng kanonischer vierstimmiger Part (wieder zweizeitig: Domine fili, M. 35ff.), dem nach einer Generalpause ein knappes Noëma („Je-su“) folgt (vgl. Beispiele 9 und 10).
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BEISPIEL 9: Isaac, alternatim-„Gloria de Beata Virgine“ à 4, M. 1–7
Mit dem einkomponierten Übergang zwischen Jesu Christe und der ersten Tropuszeile Spiritus et alme wird nicht nur der Metrumwechsel zwischen den Zeilen aufrechterhalten – der Satz wechselt in Mensur 52 erneut in die Dreizeitigkeit –, sondern auch die kontrastierende Organisation der Abschnitte: Der marianische Passus wird als syllabisches Oberstimmenduo mit Vorimitation des Altus in der Oktave gestaltet und nur zur Kadenz hin aufgefüllt (vgl. Beispiel 10).
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Kapitel 5.2.
BEISPIEL 10: Isaac, alternatim-„Gloria de Beata Virgine“ à 4, M. 35–59
Wie schon in der sechsstimmigen Messe bildet die Tropuszeile 2 eine Variante der Tropuszeile 1: So bleibt das dreizeitige Metrum erhalten, statt zwei- wird nun dreistimmig (beinahe syllabisch) begonnen und ebenso vollstimmig kadenziert. Die zugleich enorme Beschränkung der in der Choralvorlage längsten Textzeile auf nur sechs Mensuren (statt 21 in der sechsstimmigen Messe) isoliert diesen Abschnitt deutlich, er wirkt eher als ausharmonisierter Choral in getragener Disposition, und keineswegs als Scharnier zum nun folgenden Prozess. Dieser setzt zu Qui tollis38 in Mensur 66 (wiederum zweizeitig) ein Verfahren in Gang, das mit der Verlagerung des c.f. in den Tenor eröffnet wird (M. 68ff.), um den angeschlossene Tropus Ad Mariae gloriam ab Mensur 82 umso heller auf dem zweigestrichenen g erstrahlen zu lassen (vgl. Beispiel 11).
38
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Dass Isaac hier bis mundi (M. 74) nicht das zweite, sondern das erste Qui tollis aus der Choralvorlage vertont hat, und erst ab suscipe umschwenkt, wird als Versehen gewertet. Ebenso wäre denkbar, dass dies nur ein weiterer Versuch ist, abschnittsübergreifend zu denken, werden doch so organale und polyphone Präsentation verlinkt. Immerhin ist Isaac dieser ‚Fehler‘ im Repertoire nicht noch einmal unterlaufen. Vgl. Staehelin, Die Messen Heinrich Isaacs (wie Anm. 2), Bd. 3, S. 137.
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BEISPIEL 11: Isaac, alternatim-„Gloria de Beata Virgine“ à 4, M. 66–90
Die Disposition erscheint als Gegenpol zum ersten kombinierten Abschnitt konzipiert (vgl. Beispiel 10): Dort war aus einer vollstimmigen kanonischen Faktur eine zweistimmige lichte Tropuspräsentation erwachsen, während hier aus einem weitmaschigen Superius-Tenor-Gerüst sukzessive auf die vierstimmige Tropuszeile zugearbeitet wird, die den Abschnitt beschließt. Der vierte Abschnitt des Gloria de Beata Virgine (M. 91–118), in dem Quoniam tu solus mit Mariam sanctificans zusammenläuft, verbleibt zwar im bestehenden alla breve, sorgt aber mit der ternären Präsentation des c.f. als cantus planus im Superius für einen metrischen Schwebezustand, zumal die erstmals deutlich imitierend gegliederten Gegenstimmen in perlenden Semiminimen-Ketten die Hebungen noch verunklaren. Bevor die Kontrasubjekte kurz auf den Superius übergreifen (M. 110f.), wirkt die Satzfaktur beinahe instrumental mit oben gelagertem Solo-Part; die Klangwirkung ist geradezu bestechend. Die Tropuszeile, die ab Mensur 112 in den Satz zunächst einstimmig eintritt, schließt dagegen in nur acht Mensuren, gleich einer Kadenzfloskel, den Passus dreistimmig ab. Es folgt der letzte und längste Abschnitt mit zwei Choralzeilen, die die letzte Tropuszeile Mariam coronans einfassen (M. 119–148, vgl. Beispiel 12).
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Kapitel 5.2.
BEISPIEL 12: Isaac, alternatim-„Gloria de Beata Virgine“ à 4, M. 119–148
Für diesen Satzschluss rückt der c.f. erstmals in den Altus, wird also wie in der sechsstimmigen Messe im Stimmenverbund eingelagert und gemäß der Vorlage des Gloria IX in den Passagen Tu solus altissimus und Mariam coronans identisch gestaltet. Um diese Mittelachse herum kreist die aus dem vorherigen Abschnitt gewonnene Sequenzmotivik, die gleichsam signalartig den Passus einleitet (Tenor, M. 119–121), durch alle Stimmen wandert und selbst den eingangs recht starren Fundamentbass sporadisch auflockert (M. 138f.). Dadurch erhält der Abschnitt eine motivische Verbundenheit und strukturelle Dichte, die gemeinsam die Parzellie-
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rung der Zeilen überspielen. Erst hier werden sämtliche kontrastierenden Parameter (Rhythmik, Motivik, Besetzung, monodische Führung des c.f.) gemildert und in einen gestisch konvergenten Schluss geführt, aus dem das Mariam coronans nicht mehr herausragt (vgl. Beispiel 12). Im Gegensatz zur sechsstimmigen Fassung führt die andere Textdisposition im vierstimmigen Gloria de Beata Virgine zu immer neuen Kombinationen von Choral und Tropus. Nicht mehr die monolithische, wenngleich einander prozessual durchaus verbundene Präsentation der marianischen Tropen wie in der sechsstimmigen Variante steht hier im Vordergrund, sondern die Verschränkung der doxologischen mit den marianischen Parts unter stets neuen Vorzeichen. Der Kontrast, der in der vierstimmigen Variante geprobt wird, resultiert dabei kaum aus der in dieser Hinsicht eher gemäßigten Choralvorlage.39 Er liegt vielmehr in der Textanlage verborgen, in dem Text, den Isaac polyphon umsetzt: sei es in der Restituierung der ehemals mittleren trinitarischen Formel durch die polyphone Kombination der ersten Tropuszeile mit dem vorangehenden Domine fili unigenite-Part, oder sei es durch die von Isaac auskomponierten Verschränkungen von Qui tollis peccata mundi, suscipe deprecationem nostram – Ad Mariae gloriam und Quoniam tu solus sanctus – Mariam sanctificans, die derart kombiniert geradezu als marianische Ansprachen anmuten, ohne freilich der Liturgie entkoppelt zu sein. Während sich also in der sechsstimmigen Messe der Kontrast zwischen Choral und Tropus stets nach außen behauptet, ganz gleich, wie subtil ein Organist über die dazwischen liegenden Choräle improvisieren mag, findet der Kontrast in der vierstimmigen Form innen statt, dort, wo er sich letztlich auch auflöst. Entsprechend wird der c.f. – aufgrund der nach außen gerichteten Kontrastierung – in der sechsstimmigen Messe in den Mittelstimmen eingelagert, während er in der nach innen gerichteten Kontrastierung im vierstimmigen Gloria zumeist an exponierter Stelle steht. Erst ganz am Schluss nähern sich die Sätze an: Sie führen den c.f. beide im Altus, umkleiden ihn mit Sequenzformeln und münden in eine mehrtaktige, ruhige Abkadenzierung. Isaacs Modelle zeigen jedes für sich nicht nur eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber dem Tropus, dessen Akzentuierungsbedarf offenliegt, sondern legen einen geradezu souveränen Umgang mit verschiedenen Modi der Kontrastierung an den Tag, was übrigens für seine gesamte Werkgruppe (inkl. der beiden umstrittenen Messen) gilt. Ihre heterogenen Besetzungen – und wo die Besetzung identisch ist, variieren stets Modi und Vorlagen – scheinen vielmehr Ausdruck eines Ehrgeizes zu sein, eine ebenso abwechslungsreiche wie anspruchsvolle Sammlung für Marienfeste vorzulegen. Es wäre spekulativ, aufgrund der Kunstfertigkeit der vierstimmigen Variante, die formal ambitionierter und kompositorisch vielseitiger wirkt, auf ihre Bevorzugung bei marianischen Hochfesten (stets ohne Credo) zu schließen, während die übrigen Werke für den häufigeren Einsatz bei samstäglichen Marienmessen ideal erscheinen. Fest steht, dass selbst im fragmentarischen Vertonungsmodell des alternatim-Verfahrens die Akzentuierung des marianischen Tropus mehr war und sein konnte als eine bloße Konzession polyphonen Kom39
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Vgl. dazu Kap. 4.4. Musikalische Konsequenzen: Das Zentralmotiv der mediatrix im Gloria de Beata Virgine.
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Kapitel 5.2.
ponierens, die schon im Codex Las Huelgas zu beobachten war. Die marianische Textaussage hatte vielmehr stets ihre Konsequenzen für die musikalische Umsetzung; sie verkomplizierte sich indes immens durch die polyphone Verschmelzung von Choral und Tropus, wie an Isaacs vierstimmigem Gloria de Beata Virgine zu verfolgen war.
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Profil und Tradition: Rom
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5.3. PROFIL UND TRADITION: ROM Ohne von einer explizit römischen Herkunft der Missa de Beata Virgine-Tradition sprechen zu können, die ob ihrer vielgestaltigen Vorgeschichte kaum allein auf einen Ort zu beziehen wäre, dürfen der Vatikan, seine Archive, seine Sänger-Komponisten und seine liturgische Autorität zusammen getrost als Hauptereignisort der marianischen Choralordinarien im 16. Jahrhundert bezeichnet werden. Welche Rolle insbesondere dem marianischen Tropus für die Identifikation der Päpste mit der für ihre Stellung und Autorität zentralen Marienverehrung zukam, bezeugt bereits Paris de’Grassi (um 1460–1528), der berühmte Zeremonienmeister der Päpste Julius II. und Leo X., in seinem De ceremoniis papalibus für das Pontifikat Nicolaus V. (1447–1455): Man habe nämlich „in oratorio palatino coram se per capellanum missa tunc forte currens de festo gloriosae virginis diceretur, ac inter hymnum angelicum recitarentur versus illi gloriosae virginis peculiares ab omnibus fere dici consueti, videlicet: spiritus, et alme orphanorum paraclite; et: primogenitus Mariae virginis matris […]“1. Die hier belegte päpstliche Verbundenheit zum tropierten Gloria de Beata Virgine, die nicht zuletzt in zahlreichen vatikanischen Musikalien fixiert wurde2, reicht weit zurück in das 15. Jahrhundert, und dass ausgerechnet dort zu Beginn des 16. Jahrhunderts mit Josquins Missa de Beata Virgine das erste ‚römische‘ Choralordinarium von Rang und Einfluss rund um das traditionsschwere Gloria versammelt wird, verwundert kaum. Dass sich die in Rom entstandenen oder von Rom inspirierten Beiträge zur Werkgruppe kaum sämtlich erfassen und in Bezug setzen lassen, dürfte einleuchten, auch weil sich die vorliegende Studie nicht als Gattungsgeschichte in hermetischen geographischen Grenzen versteht, die der Flexibilität des frühneuzeitlichen Europas kaum gerecht werden. Sie kann in ihren Exempla lediglich musikalische und kontextuelle Trends andeuten, die Komponisten und ihre Werke in ausgewählten Regionen mit besonders hoher Werkdichte beeinflusst haben. Werke, die in ihrer Zeit nachweislich hohe editorische Verbreitung, musiktheoretische und -ästhetische Anerkennung und kompositorische Rezeption gefunden haben, stehen hier ebenso zur Auswahl wie dazu kontrastierende Entwürfe, die diesen Mechanismen ausweichen oder schlicht anderen Inspirations-, Auftrags- oder Rezeptionsbedingungen unterliegen. Für den römischen Raum sind neben Josquins Zentralwerk, das ebenso Geschichte verkomponiert wie vorauskomponiert, insbesondere die Werke Palestrinas zentral. Sie bilden für viele Komponisten der zweiten Jahrhunderthälfte einen nachhaltigen Orientierungspunkt. Dem Vorwurf, anstatt den musikgeschichtlichen ‚Heroen‘ Josquin und Palestrina doch deren unbekannte Kollegen zu berücksichtigen, kann hier insofern begegnet werden, als einerseits bereits einzelne Untersuchungen zu den vatikanischen Meistern der 1510er bis 30er Jahre sowie ausgewählten, Rom mehr oder weniger eng verpflichteten Komponisten vorliegen3, 1 2 3
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Zitiert nach Guiseppe Baini: Memorie storico-critiche della vita e delle opere di Giovanni Pierluigi da Palestrina, Rom 1828, Reprint Hildesheim 1966, Bd. 1, S. 356, Anm. 432 (beginnt auf S. 355). Vgl. im Detail Verzeichnis I. Lilian P. Pruett: The Masses and Hymns of Constanzo Porta, Diss. University of North Carolina 1960; Nors S. Josephson, The Missa de Beata Virgine of the Sixteenth Century,
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Kapitel 5.3.
andererseits in den folgenden Abschnitten zu Spanien, Habsburg-Burgund oder Mantua ebenfalls mit Rom verbundene Komponisten in den Fokus rücken. An den Kompositionen, die aufs engste mit Rom verbunden sind, soll zumindest an einem Beispiel veranschaulicht werden, dass es sich mitnichten um eine geschlossene Gruppe handelt. Zwar sind – allein der lokalen Verpflichtung der meisten Beteiligten geschuldet – manche konstatierten „close stylistic ties“4 sicherlich unbestritten. Von einer homogenen, gar sämtlich Josquin nacheifernden Einheit zu sprechen ginge jedoch an den Fakten vorbei. Die zehn Messen, die z. B. in Manuskripten der Cappella Sistina bis etwa 1539 vorliegen, weisen im Gegenteil schon auf den ersten Blick zahlreiche Unterschiede auf, angefangen bereits bei den Choralvorlagen und Modi der das mixolydische Gloria IX flankierenden Sätze, wie folgende Übersicht zeigt: I-Rvat CS
datiert
Kyrie
Credo
Sanctus
Agnus
La Rue
41
vor 1500
IX; a-dorisch
IV; dorisch
IX; lydisch
XVII; lydisch
Josquin
235
1503–13
IX; g-dorisch
I; hypophrygisch
IV; g-hypomixolydisch IV; g-hypolydisch
Brumel
16
1513–21
IX; g-dorisch
I; mixolydisch
IX; lydisch
XVII; lydisch
Festa
26
1513–21
IX; c-dorisch
IV; c-dorisch
XVII; c-lydisch
XVII; c-lydisch
Dor / Beausseron6
55
1518–22
IX; g-dorisch
[-]7; lydisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
Michot
55
1518–22
IX; g-dorisch
III; c-lydisch
IV; g-hypomixolydisch IV; g-hypolydisch
Beausseron
19
nach 1536
IX; g-dorisch
[-]8; lydisch
XVII; lydisch
Morales à 5
19
nach 1536
IX; g-dorisch
I; g-dorisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
Misonne
13
1538/39
IX; g-dorisch
[-]9; lydisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
D’Argentil
13
1538/39
IX; g-dorisch
[-]10; lydisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
BEISPIEL 1: Formale Disposition der BMV-Messen im Archiv der Cappella Sistina bis 1539
Diss. Berkeley 1970, Kapitel: Eight M. de B. V. in Vatican Manuscripts, S. 191–203; ders.: Kanon und Parodie. Zu einigen Josquin-Nachahmungen, in: TVNM 1 (1975), S. 23–32; Rob van Haarlem: The Missa de Beata Virgine by Josquin used as a model for the Mass of the same name by Arcadelt, in: ebd., S. 33–37; Peter Ackermann: Zyklische Formbildung im polyphonen Choralordinarium: Constanzo Festas „Missa de Domina nostra“, in: Studien zur Musikgeschichte. Eine Festschrift für Ludwig Finscher, Kassel 1995, S. 145–152; Christian Leitmeir, Jacobus de Kerle. Komponieren im Spannungsfeld von Kirche und Kunst, Turnhout 2009, zu den Missae de Beata Virgine S. 486–602; sowie von der Verfasserin: Missa „quasi una fantasia“? Zur Inszenierung kontrapunktischer Modelle in Rodios „Missa de Beata Virgine“, in: Die Tonkunst 3 (2009), Heft 1, S. 38–50. 4 Josephson, The Missa de Beata Virgine of the Sixteenth Century (wie Anm. 3), S. 192. 5 Nur Credo und Gloria. Die ersten vollständigen vatikanischen Überlieferungen der JosquinMesse sind in CS 160 (ca. 1518/19) und CS 45 (1523/24) zu finden, abgesehen von Exemplaren des dritten Messbuches, gedruckt von Petrucci von 1514. 6 Kompilationsmesse in I-Rvat CS 55, fol. 17v–37 (Dor: Kyrie, Gloria; Beausseron: Credo, Sanctus und Agnus aus der später in CS 19 enthaltenen vollständig eigenen Missa de Beata Virgine). 7 Hier liegt keine Choralvorlage aus dem Missale, sondern die Sequenz Inviolata, integra, et casta es Maria zugrunde. 8 Wie Anm. 7. 9 Hier liegt keine Choralvorlage aus dem Missale, sondern die Antiphon Regina Coeli zugrunde. 10 Das Credo fußt hier auf der Antiphon Sub tuum presidium.
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Abgesehen von Pierre de la Rues Messe, die nicht in Rom entstand, aber dort in einer Handschrift niederländischer Provenienz bereits früh nachweisbar ist11, und Morales’ fünfstimmiger Messe, die vermutlich spanischen Ursprungs, aber in Rom rezipiert worden ist12, sind die übrigen acht Werke zwar genuin ‚römisch‘, doch einander nur lose verpflichtet. Dennoch haben sich in der musikwissenschaftlichen Forschung einige Gerüchte hartnäckig gehalten, wie jenes, Heinrich Glarean habe angeblich überliefert, Antoine Brumels Messe sei gar einem Wettbewerb mit Josquin zu verdanken. Bei einem genaueren Blick auf den betreffenden Passus der Quelle – „In quo cantu Brumel de artificio cantoribus ostendendo nihil prorsus omisit, imo intentis omnibus ingenij neruis indolis suae specimen posteris relinquere annisus est. Sed uicit longe, mea quidem sententia, Iodocus Naturae ui ac ingenii acrimonia, ac ita se gessit in hac contentione“13 – wird indes klar, dass die verbreitete Annahme, „contentio“ müsse „Wettbewerb“ heißen, wohl den betreffenden Übersetzungen und nicht der altphilologischen Realität geschuldet ist. So verwendet Peter Bohn in seiner deutschen Übersetzung von 1890 den Begriff „Wettkampfe“14, die englischen Übersetzungen zumeist das Äquivalent „contest“15. Im Zusammenhang von Glareans Josquin-Verehrung, an der sämtliche anderen beispielgebenden Komponisten chancenlos abprallen, und angesichts der glareanschen Argumentation, Brumel habe sich mit „intentis omnibus ingenii“ bemüht, werde aber dennoch mühelos von „Iodocus Naturae ui ac ingenii acrimonia“ überragt, muss das Fazit hier vielmehr lauten, dass auch Brumel in dieser wirkmächtigen Musiktheorie – wie alle anderen vor ihm – im Vergleich (contentio) scheitert und nicht in einem Wettkampf.16 Abgesehen von diesen philologischen Fakten weist allein die Disposition der musikalischen Vorlagen vielmehr auf Brumels Nähe zu la Rue, eine Neigung, die überdies auch analytisch problemlos zu verifizieren ist. Entsprechend löst sich nicht erst um 1540 mit Morales’ Kompositionen, die mit Josquin kaum mehr gemeinsam haben als ausgesuchte tradierte Tropusverfahren, eine ‚Gattung‘ von einem ihrer ‚Gründer‘. Schon wenige Jahre nach der ersten Drucklegung der Josquin-Messe (1514) sind zahlreiche individuelle Konzepte zu beobachten. Eine exemplarische Untersuchung der Missa de Beata Virgine von Andreas Michot, die Josquins Vorlagen-Konzeption rein formal am nächsten steht und schon allein deshalb als Rezeptions-, wenn nicht Parodieanwärter infrage käme, soll stellvertretend offen legen, dass selbst hier von reiner Nachahmung Josquins 11 Vgl. zu La Rue eigens das Kap. 5.1. Pierre de la Rues ‚margaretische‘ Mission. 12 Vgl. zu Morales eigens das Kap. 5.4.1. Cristóbal de Morales zwischen Spanien und Rom. 13 Henricus Glareanus: Dodekachordon, Basel 1547, Reprint New York 1967, Liber tertius, S. 366. Hervorhebung CWie. 14 Heinrich Glarean: Dodekachordon, Basel 1547, übersetzt und übertragen von Peter Bohn, in: Publikation älterer praktischer und theoretischer Musikwerke, hrsg. von der Gesellschaft für Musikforschung, Jg. 18, Bd. 16, 3. Abt., Leipzig 1890, S. 326. 15 Vgl. Oliver Strunk: Source Readings in Music History, Revised edition, Oxford 1998, S. 434. 16 Gleichwohl befassen sich noch heute Renaissance-Forscher mit der faszinierenden Idee, die Werke seien derart entstehungsgeschichtlich konnotiert und nehmen dies zum Anlass spekulativer, vergleichender Analysen, zuletzt Jesse Rodin: A ‚Laudable Competition‘? Hearing and Composing the Beata virgine Masses of Brumel and Josquin, in: TVNM 59 (2009), Heft 1, S. 3–24.
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Kapitel 5.3.
keine Rede sein kann.17 Jene Kontrasubjekte, partiellen Besetzungsverläufe oder Textbehandlungen, die mit Josquin assoziiert werden können, sind weniger das Fundament von Michots Konzept, auf dem sich ‚eigene‘ Abschnitte ablagern, als vielmehr Zutaten zu einem selbständigen Werk, dessen invarianter Kern – wie auch der seiner Nachfolger – seine außerordentliche Traditionsaffinität darstellt. Dass im Fokus dieser Traditionsaffinität aus der Perspektive der 1510er bis 30er Jahre nicht mehr die einzelnen Gloria-Sätze des 14. und 15. Jahrhunderts standen, sondern jener monumentale Kernsatz aus dem fast noch druckfrischen Choralordinarium des berühmten Amtsvorgängers, erscheint mehr als plausibel. Und geht man davon aus, dass – wie oben dargelegt – künstlerisches Reputationsstreben neben funktionaler Dienstbarkeit und künstlerischer Profilbildung generell immer auch die historische Rückversicherung bedingte, so erscheint Michots Entscheidung und die seiner Generation, dann und wann auch eine Josquin-Reverenz zu integrieren, nurmehr als zeittypische Usance und kaum als Zeichen heroischer Denkmalsetzung. Diese personalisierten Reverenzen überwiegen zudem mitnichten jene allgemeingültigen, profilierten kompositorischen Parameter, die dem tropierten Gloria IX aus seiner Vertonungsgeschichte schon vor 1500 mit auf den Weg gegeben worden waren. Andreas oder André Michot ist bislang eines der „white sheets“ unter den päpstlichen Sängerkomponisten: Bekannt sind eine Handvoll geistlicher Werke und die Tätigkeit als „cantor capellanus cappelle pontificie“18 zwischen 1513 und 1521 in Rom; weitere Informationen fehlen. Ob er tatsächlich identisch ist mit jenem „Michau[lt]“, der zum Begräbnis des französischen Königs Louis XII. (1515) als Sänger dokumentiert ist, wie John T. Brobeck 1995 überlegte, bleibt nach wie vor zu verifizieren.19 Unter seinen heute bekannten Werken ist die vierstimmige Missa de Beata Virgine neben einer Missa de Feria zweifellos das bedeutendste. Ihr tropiertes Gloria bildet 17
18 19
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Alternativ käme die womöglich zeitgleich oder kurz zuvor entstandene Missa de Beata Virgine von Vicentius Misonne in Betracht, die in sixtinischen Quellen zwar erst in den späten 1530er Jahren datiert, allerdings schon ca. 1516 vorlag, als Entree eines Manuskripts in Berlin, Staatsbibliothek Ms. 40091 (olim Z 91), fol. 1v–17r (vermutlich ehemals Rom, Santa Maria Maggiore), vgl. Census-Catalogue of Manuscript Sources of Polyphonic Music 1400–1550, 5 Bde., Neuhausen [u. a.] 1979–88, hier Bd. I, S. 53, Bd. V, S. 284; Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Kataloge der Musikabteilung, Erste Reihe: Handschriften, Bd. 13: Die Signaturengruppe Mus. ms. 40000ff., Erste Folge: Handschriften des 15.–19. Jahrhunderts in mensuraler und neuerer Notation, bearbeitet von Hans-Otto Korth und Jutta Lambrecht, München 1997, S. 184ff. In ihrem Fall liegt, obschon gelegentlich behauptet, vgl. etwa Nors Josephson: Kanon und Parodie. Zu einigen Josquin-Nachahmungen, in: TVNM 25 (1975), Heft 1, S. 23–32, insbes. S. 28, ebenso wenig eine Josquin-Parodie vor. Die dort erwähnte Analogie der Kanonbildungen im Christe ist nicht nachvollziehbar: Misonnes Christe zeichnet sich im Gegensatz zu Josquins durch Quint-, nicht Oktavkanons aus und verfolgt überdies eine andere Einsatzstrategie. Hermann-Walther Frey: Regesten zur päpstlichen Kapelle unter Leo X. und zu seiner Privatkapelle, in: Die Musikforschung 8 (1955), S. 180. John T. Brobeck: Musical Patronage in the Royal Chapel of France under Francis I (r. 1515–1547), in: JAMS 48 (1995), Nr. 2, S. 214. Womöglich verwechselt Brobeck ihn aber auch mit jenem Michault Sauvage de le Lutin, der bereits 1461/62–1469/70 Sänger an der königlichen französischen Kapelle war, vgl. Leeman L. Perkins: Musical Patronage at the Royal Court of France under Charles VII and Louis XI (1422–83), in: JAMS 37 (1984), S. 554.
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im Messenverbund einen klaren Schwerpunkt und gemeinsam mit dem rhythmisch intrikaten fünfstimmigen Credo III einen ähnlich stimmlich expandierenden Doppelpart wie die Josquin-Messe, mit dem Unterschied, dass Michots Messe zum Sanctus wieder in die Vierstimmigkeit zurückweicht. Das historiographische Verdikt, von Michot sei „ausschließlich liturgische Gebrauchsmusik überliefert“20, erscheint vorschnell angesichts der schon in diesem Gloria zu konstatierenden Schwebe zwischen Verfahrensvarianz (wechselnde Einsatzfolgen, Josquin-Reminiszenzen, hohe KontrasubjektDichte) auf der einen, und einer gezielt um Ausgleich bemühten Struktur (Syllabik, Klauselrekurse und Stimmpaarungen) auf der anderen Seite. ‚Klassisch‘ an Michots Satz erscheint seine Tenorbezogenheit, ungewöhnlich hingegen seine Entscheidung, das Gloria homophon anstatt imitierend einzuleiten (vgl. Beispiel 221).
BEISPIEL 2: Michot, „Gloria de Beata Virgine“, M. 1–10
Während die Tendenz zu homophonen Incipits – von den 24 Textzeilen beginnen lediglich 14 in nur einer Stimme – sich deutlich von den anderen ‚römischen‘ Gloria-Vertonungen absetzt22 und dem Satz ein individuelles, klangstarkes Gepräge verleiht, sind andere Partien fremdinspiriert. Das betrifft einerseits den für ein Gloria außergewöhnlichen Tempuswechsel in die Dreizeitigkeit bei Quoniam tu solus sanctus (M. 100–125), andererseits vereinzelte Übernahmen von Stimmdispositionen.23 Beides kann als Rekurs auf den Josquin-Satz verstanden werden, ohne Michots Konzept allzu viel Fremdbestimmtheit anzudichten. Hinsichtlich der 20 21 22 23
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Rafael Köhler: Die Cappella Sistina unter den Medici-Päpsten 1513–1534. Musikpflege und Repertoire am päpstlichen Hof in Rom, Kiel 2001, S. 80. Gemäß CMM 95/1, Abdruck mit freundlicher Genehmigung. In Arcadelts Gloria setzen nur 2 von 24 Zeilen zwei- bzw. mehrstimmig ein, bei Josquin sind es 3 von 24. Hervorzuheben sind hier die punktierte Bassus-Imitation der M. 31ff. zu Domine, die syllabische Vollkadenz auf d zu caele-stis in M. 40, insbesondere aber die Gestaltung des Tenor in M. 82ff., der Josquins Altus an entsprechender Stelle M. 148ff. entspricht.
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Kapitel 5.3.
Tropusbehandlung, die in der Analyse eines Gloria de Beata Virgine stets in den Fokus rückt, bestehen allerdings deutliche Unterschiede zur Werkgruppe, ja das in vielen Gloria-Sätzen pointiert als Noëma gestaltete Tropusfinale Mariam coronans wird von Michot auf das anschließende Jesu Christe verlegt und der Höhepunkt damit sozusagen nach hinten verschoben (vgl. Beispiel 3). Der mit nur 142 Mensuren kurze, deswegen aber gestalterisch keineswegs kurz gehaltene Satz mag allein wegen seiner eher integrativen Behandlung des Tropus keinem marianischen Hochfest zugeordnet gewesen sein, indes der Zusammenhang zwischen Akzenthöhe und liturgischem Rang Spekulation bleibt. Dennoch spräche ebenso die klare Separierung der schließenden trinitarischen Formel ab Jesu Christe (M. 123, vgl. Beispiel 3) dafür, die das im Gloria de Beata Virgine vorhandene marianische Interpretationspotenzial ungenutzt lässt. Schlichte „Gebrauchsmusik“ ist der Satz deswegen noch lange nicht. Michots stilistische Eigenständigkeit und sein zurückgenommener marianischer Modus deuten im Gegenteil ebenso auf einen außerordentlich vielgestaltigen ‚römischen‘ Messbestand, der sich „neben“ Josquin offenbar problemlos entfalten konnte, wie auch auf den enormen Interpretations- und Gestaltungsradius des Gloria de Beata Virgine an sich. Josquin hatte mit seinem Werk, so viel dürfte klar geworden sein, die Tradition in eine äußerst überzeugende und erfolgreiche Form, nicht aber in ein Schulmodell gegossen. Dem folgenden Abschnitt obliegt es, diesen Satz angemessen einzuschätzen.
BEISPIEL 3: Michot, „Gloria de Beata Virgine“, M. 119–127
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5.3.1. Josquin Desprez ‚komponiert‘ Geschichte Die folgende Analyse des „perfectissimum corpus“24 ist von mehreren Ausschlusskriterien bestimmt, die sowohl dem Satzkonzept selbst als auch seiner musikwissenschaftlichen Wahrnehmung geschuldet sind. So erscheint gemäß der eingangs diskutierten Geschichtsbilder der polyphonen Messe weder eine primär auf den Nachweis zyklischer Bemühungen ausgelegte Untersuchung sinnvoll25, die nicht nur Glareans Wahrnehmung des Satzes als „corpus“ – also geschlossenes Ganzes und nicht etwa Torso einer Gesamtproportion –, sondern auch der Formkonzeption des Choralordinariums insgesamt zuwiderliefe26, noch eine deskriptiv hermetische Verlaufsanalyse, die allenfalls gefährdet ist, in Aufzählungen von kompositorisch atemberaubenden Kunstgriffen zu stranden. Vielmehr sollen hier zwei Aspekte akzentuiert werden: (1) Das Formproblem, resultierend aus dem Konflikt zwischen struktureller Geschlossenheit eines choralordinarischen Gloria („corpus“) und seiner Verankerung im Satzverbund, die sich, wenn schon nicht ‚zyklisch‘, so doch hier konkret in Korrespondenz zum (auch liturgisch) unmittelbar vorangehenden Kyrie ausprägt. Hier ist der Blick primär auf die Gestaltung des Amen-Abschnitts zu richten, da diesem – nicht nur der Wortbedeutung nach – die Funktion des ‚Schließens‘ zukommt. Zugleich weist dieser Abschnitt eine strukturelle Verbindung zum Kyrie auf und scheint damit seiner formalen Fixierung im Gloria gleichsam enthoben, oder umgekehrt: Seine Mechanismen des ‚Bilanzierens‘ oder ‚Abschließens‘ resultieren zwar aus satzinternen Materialkongruenzen und Verfahren, tragen aber womöglich zugleich das Profil prinzipieller Finalität in sich. (2) Das Problem der Tropusbehandlung, also die Frage nach einer wie auch immer gearteten kompositorisch vermittelten Markierung der entsprechenden marianischen Abschnitte zumal vor dem Hintergrund ihrer symbolischen Bedeutung. Die Thematik gestattet mehrere Zugriffe, da sowohl die einzelne Zeile in ihrem unmittelbaren choralischen Umfeld als auch die Verlaufsplanung aller sechs zu platzierenden Tropuszeilen im Ganzen, also Fragen nach Kontrasten, Brüchen, Anschlüssen und Vorgriffen im Blick zu behalten sind. Wie der Choral ist auch der marianische Tropus durch die zeilenweise wechselnde Verkettung stets Teil des jeweils anderen Text- und Melodiekorpus, ist also kompositorisch gleichsam zurück- und vorausschauend zu gestalten.27 Das klingt zwar zunächst ebenso plausibel wie einfach. Bedenkt man indes, dass im vorliegenden Fall nicht nur mehr Text (Gloria plus Tropus), 24 25 26 27
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So bezeichnet Heinrich Glarean das Gloria in: Dodekachordon, Basel 1547, Reprint New York 1967, Bd. 3, Kap. 24, S. 366. Wie etwa die Rekapitulation der satzübergreifenden Binnenfinali-Analyse von Leeman L. Perkins: Mode and Structure in the Masses of Josquin, in: JAMS 26 (1973), Nr. 2, S. 189–239. Vgl. dazu insbes. Kap. 2.1. Die Idee vom Zyklus. Satzübergreifende Satztechniken mögen nichtsdestotrotz Erwähnung finden. Zur zwischen Primärtext und Tropus vermittelnden Textstruktur vgl. Kap. 4.4. Musikalische Konsequenzen: Das Zentralmotiv der mediatrix im Gloria Spiritus et alme.
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Kapitel 5.3.
sondern auch weitaus mehr melodisches Material (tropierter Choral statt Chanson, Motto, Hymnus oder Antiphon) zu befördern ist als im Gloria einer c.f.-paraphrasierenden Messe – ganz abgesehen von der gattungshistorisch obligatorischen Signierung des marianischen Tropus, basierend auf der oben diskutierten Liturgietradition, die Tropuszeilen mehrstimmig, die Choralzeilen hingegen solistisch oder unison choraliter aufzuführen –, so wird die Gefahr einer hierarchischen ‚Reihung‘ unmittelbar ersichtlich. Entsprechend ist verstärkt auf vermittelnde Strukturen zu achten, die dem Bedürfnis nach Verankerung in einer Art formalen ‚Doppel-Identität‘ zwischen Akzentsetzung und Vermittlung nachkommen. Die Resultate zu beiden Problemkreisen sind sodann mit den Charakteristika choralordinarischen Komponierens zu konfrontieren, da sich aus der Differenzierung der Bedingungen und der von Josquin gewählten Lösungen womöglich Überlegungen perspektivieren lassen, die Ansatzpunkte für Analysen späterer, aus der möglichen Auseinandersetzung mit Josquin hervorgegangener Satzentwürfe zu liefern imstande sind. In diesem Zusammenhang sind auch jene Aspekte herauszuarbeiten, die dem Satz seine ‚historisierende‘ Anmutung verleihen. Angesichts der Problemstellung setzt die Analyse des Gloria-Satzes an seinem Ende an. Der Josquins Gloria beschließende Cum sancto spiritu-Abschnitt (M. 222–248) gehört fraglos zu den avanciertesten Passagen der gesamten Messe: Seine kompositorisch exponierte Stellung hat sogar eine separate Überlieferungstradition lediglich dieser letzten 27 Mensuren erzeugt.28 Unbestritten wird hier ein besetzungstechnischer, metrischer und melodischer Höhepunkt herausgearbeitet, dessen Kürze – nur die letzten acht Mensuren sind vollstimmig gestaltet – sich mit ungeheurer Kompressionskraft verbindet (vgl. Beispiel 429). Hier greifen mehrere Verfahrensebenen ineinander, die die locker duettierende und flächige Choralzeilen-Präsentation ab M. 222 in einen kompakten und intrikat verkeilten Schlusspunkt lenken. Die dreizeitige und daher im Kontrast zum vorangegangenen alla breve-Teil etwas tändelnd akzelerierend wirkende, jeweils in Ober- und Unterstimmenpaaren präsentierte letzte Choralzeile Cum sancto spiritu mündet nach 13 Mensuren in ihre Kadenz auf der Repercussa, deren ‚Grundton‘ d vom volltaktig einsetzenden Oberstimmenpaar zum Amen übernommen wird (M. 235–236). Die durch die kleinstmögliche Oberstimmen-Imitation im Semibrevis-Abstand nun auf eineinhalb Breven aufgespannte Repercussa rückt damit für einen Moment in den Status einer ‚Beinahe‘-Finalis im vierstimmigen Oktavklang auf; tatsächlich jedoch bildet sie das modale Scharnier zum Amen28
29
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Vgl. den Critical Commentary der New Josquin Edition, Volume 3. Masses based on Gregorian Chants I, S. 55 und 57: Folgende Quellen enthalten demnach separat den Cum sancto spirituAbschnitt: Cambrai, Médiathèque Municipale, Ms. 125–128 (olim 124), fol. 141; Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Ms. Mus. 1/E/24, fol. 57v–5; Greifswald, Universitätsbibliothek, Mss. BW 640–641 (olim Eb. 133) Nr. 1 (SB); Ulm, Schermarsche Bibliothek, Mss 237 (a–d).; dazu auch Josephson: The Missa de Beata Virgine of the Sixteenth Century (wie Anm. 3), S. 102f. Gemäß New Josquin Edition (NJE), Volume 3. Masses based on Gregorian Chants I, Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
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Teil, der in M. 236 mit der enggeführten Exposition von zwei der drei verwerteten motivischen Modelle den abschließenden Prozess in Gang setzt.
BEISPIEL 4: Josquin, „Gloria de Beata Virgine“, M. 234–248
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Kapitel 5.3.
Diese letzten 13 Mensuren (236–248) sind an satztechnischer Komplexität kaum zu überbieten, obwohl die Formation aus im Einzelnen gut zu differenzierenden rhythmischen ‚patterns‘ noch durchaus transparent anmutet, wie jene passgenau verketteten, die Anfangssilbe „A-“ auf eine Brevis dehnenden und zum Mittelstimmensegment stets auftaktig wirkenden Sequenzen in den Rahmenstimmen. Ihre Komplexität äußert sich vielmehr in internen Konflikten auf metrischer, motivischer und modaler Ebene, die – zumindest in rudimentärer Form – auch schon die Choralvorlage prägen.30 Denn entgegen bisheriger Darstellungen stellt Josquins Amen keineswegs eine frei imitierende, sich vom melodischen ‚Korsett‘ des Chorals nun endlich befreiende Passage dar31, sondern sie orientiert sich gewissenhaft an der Vorlage, deren Merkmale hier kondensiert und sodann geschichtet werden. Das lässt sich bereits am Einsatz des Oberstimmenpaares in M. 236 beobachten (vgl. Beispiel 4), dessen aus vier Breven bestehende (und damit zum 3/2-Basistakt querliegende) Struktur noch vier Mal rekapituliert wird (B/T: M. 237, A/S: M. 238, B/T: M. 239 und A/S: M. 240), unter Vertauschung der Ebenen: Motiv a liegt über Motiv b, dann umgekehrt; begonnen und geschlossen wird stets im Oktavklang, aufgespannt in ein durch die Struktur von Motiv a vorgegebenes Unterquintverhältnis. Es verwundert weder, dass Motiv a und b kombiniert die Töne 1–6 und 6–9 des Amen aus dem Choral ergeben, letzteres lediglich durch die stimmführungstechnisch notwendige Ergänzung des Durchgangs h geringfügig variiert32 (vgl. M. 237; entsprechend f in M. 236 in Beispiel 4), noch, dass die Schichtung von Quint- (Motiv a) und Quartrahmen (Motiv b) jenes schon dem Choralmelisma eigene Changieren zwischen authentischer und plagaler Modalität pointiert: Erstmals im zweiten Abschnitt (ab Qui tollis) verwendet die Choralvorlage das f, das in unakzidentierter Gestalt weder Subsemitonium ist noch sonst eine modale ‚Funktion‘ im Mixolydischen besetzt. Es wird zumal Ausgangspunkt eines Dreiklangs (Töne 7–9: f–a–c’), der mit c’ die Repercussa des plagalen Modus ansteuert, bevor im Quartgang abwärts die Finalis g erreicht ist. Die Kadenzklausel bleibt durch diese Wendung dem Modus verbunden.33 Keine andere ‚Vollkadenz‘ des als mixolydisch rubrizierten Chorals wird über diesen Quartgang ‚von oben‘ erreicht, so dass das Paradox eines ‚offenen Schlusses‘ (modale Invarianz trotz g-Finalität) durchaus das große Gewicht seiner zahlreichen d-orientierten Klauselbildungen reflektiert (26 der 34 Choralzeilen kadenzieren nach d). In Josquins Vertonung folgt der Verschränkung der Motive a und b ab M. 241 die ‚Durchführung‘ von Motiv c, jenes scheinbar ‚freie‘ Modell (vgl. Beispiel 5), 30 31
32 33
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Zur Choralvorlage des Gloria IX vgl. Kap. 4.4. Musikalische Konsequenzen: Das Zentralmotiv der mediatrix im Gloria Spiritus et alme. Vgl. Alfred Krings: Untersuchungen zu den Messen mit Choralthemen von Ockeghem bis Josquin Des Prez, Diss. Köln 1951, S. 61, Carl Dahlhaus: Studien zu den Messen Josquin des Pres, Diss. Göttingen 1952, S. 338, John H. Lovell: The Masses of Josquin des Prez, Diss. University of Michigan 1960, S. 149, und Edgar H. Sparks: Cantus fi rmus in Mass and Motet 1420–1520, Berkeley 1963, S. 370 („freely composed closing section“). Das h als Ton 10 des Amen-Melismas hier als absichtsvoll antizipiert zu bezeichnen, führte zu weit. Vgl. Verzeichnis I.
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das in vier alternativen Rhythmisierungen auftritt. Obligatorisch aber bleiben ihm die Ausdehnung auf vier Breven, die stufenweise Sequenzierung des Intervallgerüsts Quartfall / Terzanstieg, der absteigende Quartrahmen und die punktierte Semibrevis an erster (Altus, Tenor), zweiter (Superius) oder dritter (Bassus) Mensurposition. 240
241–248
Superius
236 a
237
238 b
239
b
4xc
Altus
b
a
a
4xc
Tenor
b
b
5xc
Bassus
a
a
5xc
BEISPIEL 5: Josquin, „Gloria de Beata Virgine“, Motivkomplexe Amen-Melisma
Motiv c verbindet darüber hinaus noch mehr mit seinen beiden Vorgängern: Durch die ostinate, jeweils auf einer Brevis einsetzende fünfmalige Sequenzierung im Bassus wird die Quinte d’ (M. 241) – g (M. 246) durchschritten; die gemäß Quartrahmen des Sequenzmodells erreichte Schlussnote D (M. 247) springt schließlich zurück und damit direkt in die Finalis (g in M. 248): Ein unverkennbar hypomixolydisch orientiertes Fundament (vgl. Beispiel 4), verpflichtet ebenso dem modal polarisierenden Duktus der Choralvorlage wie der Motive a und b.34 Diesem Ostinato aufgeschichtet werden im Abstand je einer Semibrevis zueinander die drei anderen sequenzierenden Stimmen mit ihren jeweils eigenständig rhythmisierten Motiv c-Varianten. Durch die Engführung der Sequenzen, die durch die ‚verschobene‘ punktierte Semibrevis rhythmisch noch verengt erscheinen, entsteht eine Akzelerationsprozess: Er kumuliert im Minima-Schlussmelisma des Superius (M. 246–248), das den Ambitus erstmals wieder zu d in den hypomixolydischen Raum hinunterleitet, also – wie der Bassus – von unten die Finalis g’ ansteuert. Pointiert wird die Superius-Kadenz noch durch eine Unterterzklausel, die die Finalwirkung des (erstmals eingesetzten) Subsemitoniums fis’ labilisiert. Die einander im Brevis-Abstand überlagernden Sequenzen in den Mittelstimmen, die im Gegensatz zu den Rahmenstimmen dem mixolydischen Ambitus verpflichtet bleiben, sorgen durch die synkopische Position der Tenor-Breven f’, e’ und d’ (M. 243–245) noch für zusätzliche metrische Unschärfe. Im Amen-Abschnitt stehen sich entsprechend melodisch beinahe karges Ausgangsmaterial und regelhafte Kombinatorik auf der einen Seite und rhythmisch-metrische sowie modale Invarianz auf der anderen Seite denkbar diametral gegenüber. Das Material des Chorals verliert in der kunstvollen Verarbeitung durch den Komponisten zwar nicht seine Charakteristik, aber die formende Kontrolle, will sagen: Material und Form treten in einen dialektischen Diskurs einer perpetuum mobile-Struktur. Erst durch die Dispensierung der formalen Schlusskraft des Materials kann der Satz quasi ‚von außen‘ geschlossen werden; bildlich gesprochen: Nicht der Choral schließt den Satz, sondern Josquin. 34
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Der Vollständigkeit halber wäre auf die fünfmalige Sequenzierung von Motiv c im Bassus hinzuweisen analog zur fünfmaligen Sequenzierung der Motivkombination a + b (vgl. Beispiel 4).
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Kapitel 5.3.
Der konstante Quartrahmen der das Gloria abkadenzierenden Sequenzmodelle, das modale Changieren im g-Raum, die Prägung ostinater Rahmenstimmen durch punktierte Semibreven bei kontrastierendem Mittelstimmenapparat und schließlich die stimmliche Kumulation gen Finalis im vierstimmigen Verbund gemahnen dabei strukturell an die Kyrie-Schlussbildung (vgl. Beispiel 6). Zwar ist die melodische Grundierung bereits in der Choralvorlage des Kyrie IX nachweisbar, wo der in sechs von neun Zeilen akzentuierte Quartgang g’–d formale Konzessionen an die Vertonung und ihre Finalität stellt. Die Analogie der strukturellen Verfahren in Josquins Kyrie und Gloria bei prinzipiell verschiedenen Ausgangsmaterialien und -situationen ist jedoch kaum als Zufall zu bezeichnen, zumal vor dem Hintergrund ihrer modalen Konstellation: Die im Rahmen eines Choralordinariums per se müßige Quinttransposition des Kyrie in den g-Raum (nun: g-dorisch35) erhält ihre kompositorisch-formale Logik erst vor dem Hintergrund des diesen Tonraum kontrastierend auslotenden und weitenden mixolydischen Gloria, insbesondere in seiner Zuspitzung im Amen-Melisma. Dies bestätigt sich mit einem Blick auf die modale Struktur der Kyrie-Finaltakte: Die zum Gloria in allen vier Stimmen nahezu identischen Schlusstöne (vgl. Beispiele 4 und 6) konkretisieren sich vor ähnlichem modalen Horizont: Wie im Gloria sind es hier die den Oktavraum d auslotenden Sequenzen ab M. 102 in den Rahmenstimmen (Superius: 4 x d’’–a’; Bassus: 2 x d’–d), die den plagalen Modus (nun des g-dorischen) formen, während Tenor und Altus den authentischen Modus beibehalten. Wie zwei modale Varianten desselben motivischen Plans, der einmal im g-dorischen, einmal im mixolydischen Ton realisiert wird, muten die Finali von Kyrie und Gloria an. Gewagt wäre nun, daraus werkgenetische Erkenntnisse gewinnen zu wollen, wenngleich das ungewöhnliche binäre, da zum ternären Metrum querstehende Moment der Gloria-Klausel in der Retrospektive auf den durchweg zweizeitigen Kyrie-Satz und sein finales Profil nachträglich strukturelle Schärfe gewinnt. Auch die Akzeleration im Gloria-Finale findet ihr Vorbild in Verfahren der motettischen Dimensionierung im Kyrie, wo schließlich die Anrufungsformel durchtrennt und in jeweils gegenläufigen Quartgängen geschichtet wird, bevor der Satz in Engführungen im Semibrevis-Abstand ausklingt (Tenor und Bassus: M. 95– 97, 99–100; Superius und Altus: M. 100–102, vgl. die Klammern in Beispiel 636). Statt der entstehungsgeschichtlichen Verweisrichtung – zu spekulieren wäre ebenso entgegengesetzt im Sinne einer durch die Vertonung des marianischen Gloria angeregten ‚Rückkopplung‘ auf Final- und Modalstruktur des Kyrie – erscheint die Existenz satzübergreifender Merkmale an sich schon bemerkenswert. Darf man hier, zunächst für das Satzpaar, mit Dahlhaus tatsächlich die Realisation von Zy-
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Dass hier zudem ein Vorgriff auf die modale Konzeption des ebenfalls changierenden CredoSatzes (mit einem Tenor secundus in vorgezeichnetem g-dorisch bei mixolydischer Basismodalität) erfolgt, sei schon einmal vorweggenommen, vgl. dazu auch Perkins, Mode and Structure (wie Anm. 25), insbes. S. 219f. (Tabelle), der die Messe insgesamt als „veritable paradigm of modal structures and relationships“ versteht (S. 239). Gemäß New Josquin Edition (NJE), Volume 3. Masses based on Gregorian Chants I, Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
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klus unter gleichsam „erschwerten Bedingungen“37 annehmen? Worin wurzelt die Notwendigkeit dieser Verkettung, die sich bereits in der Transposition der KyrieVorlage andeutete, wenn nicht im Bedürfnis des Anschlusses? Und warum besteht dieses Bedürfnis ausgerechnet bei einem formalen Solitär wie dem marianischen Gloria de Beata Virgine, dessen Merkmal der Tropierung seine ohnehin choralordinarisch versicherte Souveränität noch unterstreicht? Zur vorläufigen Beantwortung der Frage, auf die im Anschluss an die Analyse der Tropusintegration zurückzukommen sein wird, lohnt ein Seitenblick auf die grundsätzliche ‚Beweislast‘ zyklischer Disposition im vorliegenden Messengefüge, in dem das Gloria fraglos die zentrale Position einnimmt: Er darf kurz ausfallen. Tatsächlich nämlich bleiben über die großmaschige modale Planung der Satzanlage hinaus, auf die Leeman L. Perkins38 schon 1979 aufmerksam machte, die Bezüge 37 38
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Carl Dahlhaus: Miszellen zu einigen niederländischen Messen, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 63/64 (1979/80), S. 6. Vgl. Anm. 35.
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zwischen den Sätzen und ihren satztechnischen Maßnahmen wenig aussagekräftig. Denn weder die Moduskonstruktion39 noch jenes von Dahlhaus als einheitsbildend interpretierte „Prinzip der Imitation, die sich von vielfältigem Wechsel zu strenger Kanonik verfestigt“40, bieten einen adäquaten Ersatz für jenen ‚zyklischen Hörerfolg‘, der sich bei dem immer wiederkehrenden Incipit etwa der L’homme armé-Chanson in einer Messe einstellt. Dem Verzicht auf den gemeinsamen melodischen Fundus – selbst die knappen motivischen Reminiszenzen zwischen einzelnen Choralvorlagen (wie das Initium von Sanctus und Agnus XVII) bieten keine verlässliche Orientierung – können quantitative Häufungen von ‚ähnlichen‘ Kadenzen, metrisch intrikaten Gebärden oder ‚klassischen‘ Stimmpaarungen kaum etwas entgegensetzen. Das gilt erstrecht für eine quasi verfahrensgenetische Formung im Sinne Dahlhaus’, die nicht nur vor dem Hintergrund der Isolierung der Messsätze in der Liturgie analytisch erstaunlich blass anmutet.41 Soll die einzelne Choralvorlage adäquat, d. h. ihren eigenen Bedingungen gemäß vertont werden, so bildet sie für sich genommen ein selbstreferenzielles Gefüge. Nur vor diesem Hintergrund ist erklärlich, warum Kontraste zwischen den Sätzen weitaus einfacher zu lokalisieren sind als einheitsbildende Maßnahmen oder Reminiszenzen. Schon der grobe strukturelle Vergleich der textreichen, möglicherweise gleichzeitig komponierten42 Binnensätze Gloria und Credo lässt jede zyklische Vorahnung alsbald versanden: angefangen bei der Besetzung mit fünf (Credo) statt vier Stimmen (Gloria) über den Modus – ein modal vielschichtiges, laut Vorlage hypophrygisches Credo mit Finalis e und g-dorisch vorgezeichnetem Tenor secundus – bis hin zur intervallischen Akzentuierung von Terzbezügen in Klauselbildungen und Kontrasubjekten (Credo und Sanctus), die zu den ‚patterns‘ im Quartrahmen in Kyrie und Gloria klar kontrastieren. Dem wären allenfalls ihre fast identische Mensurlänge sowie ihr gemeinsamer Umschlag in die proportio tripla in den Schlussmensuren (Credo: M. 208–247; Gloria: M. 222–248) entgegenzusetzen: ein indes schwacher Zusam39
Glareans Anerkennung der Messe fußte im Wesentlichen auf seiner Bewunderung für Josquins Moduskünste, die er für die Kapitel seiner Moduslehre als vorbildlich erkannte. So strich er beim Gloria besonders die gelungene Verbindung von plagalem und authentischem Mixolydisch heraus. Zum Kyrie vgl. des Weiteren Christian Berger: Glareans äolischer Modus und das Kyrie aus Josquins „Missa de Beata Virgine“, in: Nicole Schwindt-Gross (Hrsg): Heinrich Glarean oder: Die Rettung der Musik aus dem Geist der Antike? (= troja. Trossinger Jahrbuch für Renaissancemusik 5), Kassel 2006, S. 161–176. 40 Dahlhaus, Studien (wie Anm. 31), S. 330. Die Interpretation ist überhaupt geprägt von einem synästhetischen, prozessualen Einheitsbegriff, der Josquins Zeit noch fremd war. 41 27 Jahre später distanzierte sich Dahlhaus dann auch von Blumes These, die zyklische Einheit liege eben „außerhalb des Kunstwerks in der liturgischen Messenmelodie“ (Friedrich Blume: Missa de Beata Virgine [= Das Chorwerk 42], Wolfenbüttel 1950, Vorwort: S. 2), die er 1952 noch als zutreffend zitiert hatte, vgl. Dahlhaus, Studien (wie Anm. 31), S. 330, im Vergleich zu Dahlhaus, Miszellen (wie Anm. 37), S. 5: „Die Einheit eines Ordinarium Missae ist entweder artifiziell begründet oder sie besteht überhaupt nicht.“ 42 Gloria und Credo sind gemeinsam – wenn auch von unterschiedlichen Schreibern notiert – in der frühesten heute bekannten handschriftlichen Quelle von ca. 1507 überliefert (Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina, Ms. 23, fol. 129v–139). Zur Filiation der 69 Quellen im Detail vgl. den Critical Commentary der New Josquin Edition, Volume 3. Masses based on Gregorian Chants I, 4. Evaluation of the Sources, S. 86–106.
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menhang. Am ehesten ließen sich noch zwischen Sanctus und Agnus strukturelle Synthesen aufdecken, etwa im modalen Ausloten des c-Raumes: Hier stehen sich allerdings g-hypomixolydisch mit einem auf g-dorisch (analog zum Credo) gelagerten Tenor secundus (Sanctus) und g-hypolydisch (Agnus) gegenüber, ein trotz der gemeinsamen Finalis c ungleiches Paar, das zudem durch die reduzierte Stimmenzahl im Agnus II verunklart wird: ein nicht unwesentlicher Aspekt, der im enthusiastischen Konstatieren von korrespondierenden Klauselketten gern übersehen wird. Darf man wohl voraussetzen, dass artifizielle Zyklusbildung zur Überbrückung der liturgisch bedingten Aufführungsdistanz auch subtilere (im Sinne von absichtsvoll vagen oder nur dem Kenner ersichtlichen) Varianten43 kannte, als c.f.Paraphrasierungen einer gemeinsamen Melodievorlage, so rückt mit zunehmendem Maß an großformaler Subtilität das Verbindliche der Zyklizität in den Hintergrund: Die Selbstreferenz des Einzelsatzes wird gestärkt.44 Deutlich wird also auch am musikalischen Material selbst, dass das gattungshistorische Faktum von gleichzeitiger Einzelsatz-Profilierung und großformaler Planung kein widersprüchliches oder gar Dokument paralleler Gattungsstränge ist, sondern nur verschiedene Positionen auf der Skala zwischen den Extremen der (im gesamten 16. Jahrhundert nebeneinander existierenden) Kompilationsmesse auf der einen und der c.f.-Paraphrase auf der anderen Seite markiert. Das Modell des Choralordinariums, das dem Einzelsatz formal zugewandt ist, kann durch satzübergreifende Verlaufspläne strukturiert sein, ohne es zu müssen. Umgekehrt bedeutet dies: Werden zwischen zwei Sätzen in einem Choralordinarium so offensichtliche Verweise gelegt wie zwischen den Kyrie- und Gloria-Klauseln im vorliegenden Fall von Josquins Beata Virgine-Messe, so muss das als Absicht gewertet werden, als kompositorisches Bedürfnis der Akzentsetzung – frei von ‚zyklischen Zwängen‘. Es liegt zwar nahe, die Verknüpfung der beiden Eingangssätze als Reverenz an ihre – zumal im Messverlauf einzige45 – direkte liturgische Aufeinanderfolge zu beziehen. Das bedeutete aber, eine Notwendigkeit von ‚Zyklus‘ an eben dieser exponierten Position der Aufführung zu konstatieren, was gattungsimplizit mit vielen Gegenbeispielen leicht zu widerlegen wäre. Die Gründe für das Phänomen dieser Verkettung liegen hier weitaus tiefer im Formkonzept verborgen, das im Folgenden anhand der Tropuszeilen im Gloria-Satz zu erhellen ist. Die in der Auftaktzeile Spiritus et alme orphanorum paraclite enthaltenen sowohl integrativen als auch kontrastierenden Elemente erfahren bei Josquin insgesamt eine doppelsinnige Umsetzung. Auffällig ist zunächst die strukturelle Modifikation 43
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Die Messengeschichte hat sowohl Beispiele ohne explizite ‚motivische‘ Prägung, wie etwa Ockeghems Missa Mi Mi oder Missa Prolationum, als auch zahlreiche diffus anmutende Vorlagenkumulationen vorzuweisen, deren fragmentarischer Motivcharakter einheitsbildenden Maßnahmen eher hinderlich denn dienlich erscheint. Daran ändert auch die Verschriftlichung von Musik nichts, die die Sätze wieder zusammenrückt. Hingegen sind Sanctus und Agnus mitnichten – wie Dahlhaus formuliert – Sätze, „die wiederum, wie Kyrie und Gloria, in der Liturgie miteinander zusammenhängen“ (Dahlhaus, Miszellen [wie Anm. 37], S. 7). Sie sind im Messablauf vielmehr durch den Kanon mit 12 Gebeten und Bitten, inklusive Doxologie und kleiner Elevation, und sodann noch durch den Beginn der Communio (mit Pater noster, Brotbrechung und Friedensgruß) voneinander geschieden.
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des Satzes im Vorfeld der Tropuszeile: Zu Deus Pater omnipotens (M. 60) wird die trotz aller Varianz beinahe schon statisch wirkende Oktavkanon-Struktur schließlich aufgebrochen: Die folgenden 20 Mensuren wie auch die erste Tropuszeile führen ihre Vorlagen nun im Quintkanon durch; in der Tropuszeile sinkt das Verfahren dabei in den Unterstimmenverbund ab, der ‚solistisch‘ bleibt und damit die erste – und mit 13 Mensuren zugleich bislang längste – zweistimmige Passage im Gloria bildet. Die erstmalige Verringerung des Kanonabstands auf eine Semibrevis verleiht dem Gefüge etwas gravitätisches, zumal die Parallelführung zunächst vorwiegend in archaisch klingenden Sexten verläuft. Den Kontrast erhöht noch ein deutlicher Eingriff in die Schlussgestaltung der vorangehenden Jesu Christe-Zeile, die entgegen der Vorlage auf der Repercussa eine die Finalität akzentuierende Vollkadenz auf g zugewiesen bekommt (M. 82). Die beinahe frei einsetzende Tropuszeile (M. 82,2) wird somit als ‚Signet‘ wahrgenommen, als quasi polarisierende Markierung. Die Vernetzung mit der folgenden Choralzeile Domine Deus, die den Oktavkanon (Altus, Tenor) im zweibrevigen Abstand sowie die Vierstimmigkeit restituiert, geschieht ebenso subtil wie rasch; sie benötigt keine längere Vorbereitung: Die Tropuszeilen-Durchführung im Bassus, der dem Tenor in der Unterquinte folgt, verbleibt ab der Silbe „-ra“ (M. 90) auf g (Tropuszeile: „-norum“) und verzichtet somit auf die Schlusswendung zu c (Tropuszeile: „paraclite“), wodurch der in g’’ schließende Tenor seine Unteroktave erhält: Der eingangs gewählte Quintkanon klingt folglich in der anschlussfähigen Oktave aus (M. 92). Der Satz fällt sodann kurzfristig in seine ursprüngliche Struktur weiträumiger Oktavkanonführung zurück. Nicht minder komplex profiliert sich die zweite Tropuszeile Primogenitus Marie virginis matris (M. 107–126) in ihrem Kontext, zunächst durch die enorme Ausdehnung auf 20 Mensuren, in denen ein großflächiger Quartkanon in dreibrevigem Abstand (Tenor / Superius) alsbald (M. 115) in freie ostinate Repetitionsmotivik mündet, die den gesamten ersten Gloria-Abschnitt beschließt. Die Pfundnoten im Bassus erfahren melismatische Auflockerung durch die Gegenstimmen, deren Motorik eine von ‚patterns‘ durchwirkte Schlussgruppe (vgl. insbes. M. 117–122) antreibt; alles wird schließlich von einer harmonisch intrikaten Schlusswendung mit Quintvorhalt im Altus gekrönt. Die dritte Tropuszeile Ad Mariam gloriam (M. 160–172) hat sodann tropusintern ‚fazitierende‘ Züge, indem sie das Unterstimmengerüst aus der ersten und den Quartkanon aus der zweiten Tropusdurchführung (Bassus / Tenor) mit einem nachsetzenden Quintkanon (Superius / Altus) kombiniert und durch die Verschleppung der Einsätze zwei Oktavfinali (M. 170 und 172) und damit den Anschluss zur folgenden Choralzeile Qui sedes (ab M. 173) erreicht. Neuen Bedingungen stellt sich somit die vierte Tropuszeile Mariam sanctificans (M. 188–195, vgl. Beispiel 7), die als Oktavkanon zunächst eher weniger betont daherkommt, wenn auch ihre Durchführung im Unterstimmenverbund offenbar gattungskonstitutiv ist. Josquin reduziert von Qui sedes bis Tu solus sanctus (M. 174–188) sukzessive die Stimmenzahl, ausgehend vom vierstimmigen Verbund der dritten Tropuszeile über die beiden folgenden dreistimmigen Zeilen hin zum zweistimmigen Quoniam tu solus sanctus, das überdies durch den Umschlag in die proportio tripla eine klare Abgrenzung schafft. Pünktlich zum Einsatz der
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vierten Tropuszeile werden alla breve-Takt, Vierstimmigkeit und UnterstimmenKanongerüst reorganisiert (M. 188–190). Der Oktavkanon löst sich allerdings bereits zu Mariam auf und antizipiert stattdessen in seinem sanctificans-Melisma im Tenor die folgende Choralzeile Tu solus dominus; die bereits in der Choralvorlage annähernd baugleiche fünfte Tropuszeile Mariam gubernans schließt unmittelbar an (M. 197–203). Die komponierte Analogie von Choral und Tropus ist mitnichten nur kompositorischer Kunstgriff, sie strebt hier eine Umgewichtung der Ebenen an: Der Tropus nimmt den Choral vorweg, der marianische Sekundärtext dominiert den doxologischen Primärtext (vgl. Beispiel 7).
BEISPIEL 7: Josquin, „Gloria de Beata Virgine“, M. 188–197
Die anschließende Rückkehr in die ‚Sicherheit‘ des zumal freistehenden Oktavkanons zu Tu solus altissimus (M. 204–210) kann entsprechend nur eine flüchtige Reminiszenz an den vorherigen Verlauf bergen, denn die Pointe der Tropusvertonung folgt umgehend zur sechsten und letzten Zeile Mariam coronans (M. 211–217; vgl. Beispiel 8).
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BEISPIEL 8: Josquin, „Gloria de Beata Virgine“, M. 210–221
Ihr homophones, nunmehr jeder kanonisch-kontrapunktischen Faktur enthobenes Noëma wird vom Jesu Christe, dem Auftakt der schließenden trinitarischen Formel, adaptiert, so dass der gesamte zweite Teil des Gloria im vollstimmig syllabischen Satz schließt.46 Diese Konstellation ist an Symbolik kaum zu überbieten: Die zum marianischen Tropus entwickelte musikalische Faktur vermittelt gleichsam in den Abschluss, gefolgt von der aussagekräftigen, finalen Passage, die oben diskutiert wurde. Konstatieren lässt sich rückblickend keine sukzessive Intensivierung der Kontraste zwischen Choral und Tropus, obwohl die letzte Tropuszeile durch ihre homophone Anlage fraglos die emblematisch exponierteste Vertonung erfährt. Bereits die erste Tropuszeile verfügte über ausreichend betonte formale Souveränität. Die historisch verbürgte Differenzierung zwischen Choral und Tropus wird entsprechend der Bedingungen der Vorlage nicht primär prozessual, sondern individuell variativ umgesetzt. Die Differenz äußert sich zugleich nicht in der Verschärfung der Grenzen, sondern ganz im Gegenteil in ihrer subtilen Verschleifung. Das Verdikt der Abweichung, gleichsam der geschichtlich harte, invariante Kern der Tropusgestaltung, wird stets vermittelt, d. h. zum choralischen Umfeld in Bezug gesetzt. Kontraste wirken demnach eher akzidentell; sie lösen sich spätestens in der folgenden Zeile auf. Die Mittel sind allerdings kaum beliebig zugewiesen, sondern neben der Melodievorlage auch und vor allem textlichen Aspekten verpflichtet. So lässt sich die hierarchische Umgewichtung der Zeilen Mariam sanctificans – Tu solus dominus ebenso bekenntnishaft pro Regina Caeli lesen47, wie die mit dem Jesu Christe satztechnisch identifizierte letzte marianische Anrufung Mariam coronans (mit Hinweis auf die Krönung) nun in den trinitarischen Raum tritt: Maria wird dem Trinitätskomplex sozusagen ‚einkomponiert‘. Die marianische Symbolik des Satzes, der die gattungshistorischen Bedingungen der Tropusakzentuierung für sich umnutzt, erhält durch diese Maßnahmen einen durchaus offensiven Charakter. ‚Historische‘ Techniken und Materialbedingungen werden neu interpretiert und sodann den eigenen Verfahren und Zie46
Diese charakteristische Faktur ist sowohl in früheren alternatim-Satzkonzeptionen zu finden – etwa bei Du Fay und Isaac, vgl. dazu Kap. 5.2. Funktionalismen: Die alternatim-Konzepte Heinrich Isaacs, als auch in nachfolgenden Parodiemessen, etwa in der Missa de Beata Virgine von Jacob Arcadelt. 47 Vgl. Kap. 4. Maria als religiöses und künstlerisches Motiv bis 1600, S. 89 und 104.
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len anverwandelt: Historizität und Rezeption in Reinkultur. Eingespannt in den zeitgenössischen kultur- und religionsgeschichtlichen Horizont der zumal in Rom blühenden Marienverehrung um 1500 erweist sich dieser Satz aber nicht nur als artifizielles Exponat marianischer Topoi, die ebenso komplex wie anspruchsvoll präsentiert werden. Die planvoll polarisierenden kompositorischen Mittel aus Akzentuierung vs. Integration, Antizipation vs. Reaktion und Adaption vs. Differenz bilden eben jenes zentrale Moment ab, das der Marienverehrung – nicht nur in der Kunst – seit jeher implizit war: Den Topos der mediatrix, der Mittlerin zwischen Gott und dem Menschen, dem Heiligen und dem Irdischen. Neben der vermittelnden symbolistisch-ästhetischen Akzentuierung des marianischen Tropus, die dem Gloria zugleich ein gewisses historisches ‚Gewicht‘ verleiht, erscheint als zweites charakteristisches, und womöglich als ebenso ‚historisierend‘ zu deutendes Merkmal die hohe Affinität zur Vorlage, dem Choral, bemerkenswert: Sie steht quer zur Gattungsentwicklung der Messe in ihrer Zeit, die zu knappen, zumeist noch artifiziell überformten Melodieformeln tendierte, die Räume für Interpretationen und Kontrastmodelle öffneten. Dass Josquin dem Choral bei aller Variationsfreude bis in das Schlussmelisma hinein exakt folgt, sollte hingegen nicht als ästhetische Kategorie – etwa im Sinne der Analyse von materialhafter Prädisposition und komponierter Originalität – missdeutet werden: Das Verfahren ist schlicht dem formalen Anspruch geschuldet, den gesamten tropierten Choral zu vertonen (und nicht nur seine Incipits). Diese Vorlagentreue mit Retrospektivität gleichzusetzen, wäre daher nicht nur naiv, sondern zugleich ignorant gegenüber den Konzessionen choralordinarischen Komponierens. Der Blick ist vielmehr zu richten auf das hohe Maß an mehrstimmiger Interpretation, das der einstimmigen Vorlage zukommt und eine Perspektivierung ihrer Proportionen und Potenziale erreicht. Josquins Konzept verband Vorlagentreue mit Abstraktion, sozusagen Basisnähe mit Vogelperspektive. Der ‚Eigenanteil‘ am Werk äußerte sich nicht in der Kontrastierung des zugrunde liegenden Materials, also in der Erfindung möglichst vieler ‚neuer‘ Motive und Satzglieder, sondern in der Auslotung der Vorlage selbst, ihrer inneren formalen, motivischen und modalen Spannungen, Kontraste und Analogien, und der intellektuellen Interpretation ihrer äußeren (damit auch: symbolisch-ästhetischen) Wirkungen und Bedingungen. Dass die Haftung am Choral dennoch historisierend wirkt (und seinerzeit gewirkt haben mag), ist sicherlich unbestritten, dies gehört zu den ureigensten Merkmalen des Satzes, wie sich abschließend am Blick auf einen weiteren ‚historischen‘, dieses Mal sozusagen ‚œuvreinternen‘ Aspekt dieser Messe zeigen lässt: der Rückgriff auf Material aus dem frühen Einzelsatz Gloria de Beata Virgine sowie aus dem Gloria der Missa L’ami baudichon.48 Die am 30. Juni 1505 im zweiten Messenbuch Josquins vorgelegte49 Missa L’ami baudichon gehört unbestritten zu Josquins Frühwerken, überliefert zuerst in 48
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Darauf machte erstmals Dahlhaus aufmerksam, der in seinen akribischen Untersuchungen der Vorlagen in den Josquin-Messen das Gloria IX ausschließlich in der Missa L’ami baudichon und der Missa de Beata Virgine orten konnte, vgl. Dahlhaus, Studien (wie Anm. 31), insbes. S. 30–35. Zur Mehrfachverwendung des Credo I im Messen-Œuvre Josquins vgl. ebd. Folgeauflagen: Missarum Liber secundus, Venedig 1515; dass. [erneut Petrucci] o.J.; Libri secundi Missarum Josquin, Rom 1526.
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Kapitel 5.3.
einer fragmentarischen Quelle aus dem späten 15. Jahrhundert.50 Bereits Dahlhaus erkannte in der Satzfaktur eine Neigung zur Archaik, speziell zur franko-flämischen Schule der 1450er Jahre, und summierte: „Lange, melodisch nicht an den c.f. gebundene Einleitungsduos und die Entfaltung klanglicher Schönheit ohne strenge satztechnische Bindungen erinnern an Dufay […]“.51 Das wird mittlerweile allgemein anerkannt und bestätigt52: Nach Jaap van Benthem ist gar eine Entstehungszeit um 1484 anlässlich Josquins erster Italienreise möglich53. Neben dem am 31. Oktober 150554 in den Fragmenta Missarum publizierten separaten Gloria de Beata Virgine weist die Chansonmesse L’ami baudichon in Josquins gesamtem Œuvre die einzige Vertonung des Gloria IX auf, unvollständig zwar – es handelt sich konkret um drei mehr oder weniger deutliche Choralzeilen-Durchführungen –, aber dennoch wahrnehmbar neben der primär gebrauchten Chanson bzw. deren Motivsubstrat platziert.55 Im Grunde genommen sind die Satzkonzepte von Chansonmesse und Choralordinarium nicht vergleichbar: Das Gloria IX aus der Missa L’ami baudichon ist selbstverständlich untropiert, findet zumal nicht als primärer c.f. Verwendung und tritt überhaupt nur fragmentarisch in Erscheinung. Der vierstimmige Satz ist mit 169 Mensuren um einiges kürzer als die beiden marianischen Gloriae mit 207 (Fragmenta Missarum) bzw. 248 Mensuren (MdBV), weitaus improvisatorischer in der Handhabung seiner Vorlagen – wie Dahlhaus an den freien „Einleitungsduos“56 bemerkte – und überdies in sehr transparenter, oftmals paariger Anlage komponiert. Der Mittelteil Qui tollis peccata mundi (M. 63–101) ist gar komplett als Altus-Bassus-Duo angelegt. Die Implementierung der Gloria IX-Fragmente in den Verlauf bewirkt an den entsprechenden Stellen allerdings das Pausieren der Chanson-Modelle – beide Vorlagen wechseln sich also mit freien Passagen ab, einer Kollision oder auch Kombination wird offenbar weiträumig ausgewichen. Zwar ist man geneigt, 50
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Poznan, Biblioteka Uniwersytecka im. Adama Michiewicza, Ms. 7022, vgl. dazu Jaap van Benthem: „Kommst in die ersten Kreise!“ Josquins Missa L’ami baudichon – ihre Originalgestalt und ihre Überlieferung in Petruccis Missarum Josquin Liber Secundus, in: Musik – Druck – Musikdruck. 500 Jahre Ottaviano Petrucci (= Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis XXV), hrsg. von Peter Reidemeister, Winterthur 2003, S. 77. Überliefert ist die Messe zudem in einer vatikanischen Handschrift, die zwischen 1503 und 1513 kompiliert wurde. Zur Datierung der Vaticana-Quelle vgl. Bernhard Janz: Der Fondo Capella Sistina der Biblioteca Apostolica Vaticana. Studien zur Geschichte des Bestandes (= Beiträge zur Geschichte der Kirchenmusik Bd. 8), Paderborn [u. a.] 2000, S. 266f. Diese kompilierte Handschrift mit der Messe als Nr. 6 enthält ebenfalls Josquins Gloria de Beata Virgine als Nr. 10, vgl. ebd. Dahlhaus, Studien (wie Anm. 31), S. 543. Leofranc Holford-Strevens bezeichnete die Messe in einem Kongress-Review als „[…] more like Du fay than anything of Josquin’s“, in: 500 Years of Petrucci, in: Early Music 29 (2001), S. 322–324. Rezensiert wurde das Referat van Benthems, vgl. Anm. 50. Benthem, „Kommst in die ersten Kreise!“ (wie Anm. 50), S. 76–83. Zu den Datierungen der Petrucci-Drucke vgl. Stanley Boorman: Ottaviano Petrucci. Catalogue Raisonne, Oxford 2006, S. 591 und 602. Dahlhaus stellte bereits zwei der Durchführungen fest, vgl. Anm. 31. Der jüngeren Forschung, ebenfalls van Benthem, sind diese Überlegungen entgangen, wie seine Vermutung: „Im Übrigen besteht die Möglichkeit, daß dieser Messe eine unbekannte polyphone Vorlage zugrunde liegt“ deutlich macht, Benthem, „Kommst in die ersten Kreise!“ (wie Anm. 50), S. 81. Wie Anm. 48.
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die Choralpartikel damit als Markierungen zu werten – doch sind sie nicht in ein solides Vorlagenfundament gebettet wie die Tropuszeilen im Gloria de Beata Virgine. Ihr formales Kontrastprofil bleibt vielmehr beschränkt, vage und stets der assoziativen Geste der übrigen Vertonung verpflichtet. Einheitlichkeit dominiert hier den Kontrast, was angesichts der an sich schon frappierenden Gegenüberstellung eines profan-derben Tanzliedchens57 und einem der prominentesten Gloria-Choräle überhaupt nur auf der Basis latenter Distanz zum Gegenstand gelingen kann.58 Die Reduktion der Chanson auf eine fallende Terzfigur mit Repetitionstönen in jambischem Rhythmus – augmentiert und vereinzelt diminuiert – korrespondiert daher durchaus mit der knappen Zitation der Gloria-Zeilen in den Mensuren 83 bis 96 (im Duett Qui tollis peccata mundi), 121 bis 127 (auf Superius und Altus beschränkte Durchführung zu Quoniam tu solus sanctus) und 144 bis 149 (Cum sancto spiritu). Nicht nur die Zusammenhänge des Gloria L’ami baudichon zu beiden Gloriae de Beata Virgine-Modellen offenbaren sich erst in der Rückschau, sondern auch seine Verbindung zum Choral. So legt der Cum sancto spiritu-Part (M. 144–149) aus der Chansonmesse seine choralische Prägung erst im Vergleich endgültig offen: Das dreizeitige, die Finalis c (in den Gloriae de Beata Virgine entsprechend jeweils g) umkreisende, schließlich in das Subsemitonium fallende Fünfton-Motiv mit der eröffnenden punktierten Brevis verwendete Josquin erneut – in den Fragmenta beinahe baugleich – als Eingangsimitation des Cum sancto spiritu-Abschnitts (vgl. Beispiel 959). Dem Choral entstammen lediglich die Töne 1, 4 und 5.
BEISPIEL 9a: Josquin, „Gloria L’ami baudichon“, M. 144–155 57 58 59
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Vgl. zur amourösen Textherkunft des „L’ami baudichon“ von derVerfasserin: Sakral versus profan. Zu Text und Kontext von Josquins „Missa L’ami baudichon“, in: Josquin – ein unbeschreibliches Genie? (= Komponisten und ihre Zeit), hrsg. von Michael Zywietz, Laaber 2012 [Dr. i. Vorb.]. Über philologische Aspekte hinaus ist in diesem außerordentlichen qualitativen Spektrum der Vorlagen-Kombination ebenfalls ein Argument für die Frühwerk-These zu sehen, und zwar im positiven Sinne der Experimentierfreude. Gloria aus der Missa L’ami baudichon gemäß Werken van Josquin Desprez, hrsg. von Albert Smijers, Amsterdam 1923, Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
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Kapitel 5.3.
BEISPIEL 9b: Josquin, „Gloria de Beata Virgine“ (Fragmenta), M. 178–182
BEISPIEL 9c: Josquin, „Gloria de Beata Virgine“, M. 222–229
So offenkundig die beiden anderen Bezugnahmen durch den Choral vermittelt sind, so erfahren sie ähnliche satztechnische Umsetzung: Die Bassus-Altus-Durchführungen von Qui tollis peccata mundi, suscipe deprecationem nostram im Oktavabstand sind – zumindest in der tiefen Stimme – nahezu identisch angelegt (vgl. Beispiele 10a und b). Während aber der Altus im Gloria L’ami baudichon nur latent dem Choral verpflichtet bleibt (vgl. „suscipe depreca-“), übernimmt er im späten Gloria de Beata Virgine schließlich die Führung.
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BEISPIEL 10a: Josquin, „Gloria L’ami baudichon“, M. 81–96
BEISPIEL 10b: Josquin, „Gloria de Beata Virgine“, M. 143–157
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Kapitel 5.3.
Hierzu kontrastiert – weniger in der melodischen Umsetzung denn der tenorzentrierten Stimmführung und intensiven Vorlagentreue – das frühe Gloria de Beata Virgine (Beispiel 10c).
BEISPIEL 10c: Josquin, „Gloria de Beata Virgine“ (Fragmenta), M. 81–95
Die Altus-Superius-Durchführung der Zeile Quoniam tu solus sanctus schließlich (M. 121–127) findet sich eingangs in der Tenor-Superius-Konstellation des späten Gloria de Beata Virgine wieder (vgl. Beispiele 11a und b).
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BEISPIEL 11a: Josquin, „Gloria L’ami baudichon“, M. 115–135
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Kapitel 5.3.
BEISPIEL 11b: Josquin, „Gloria de Beata Virgine“ (Messe), M. 178–193
Das frühe Gloria de Beata Virgine weicht hingegen ab: Der Superius liefert ein beinahe unverziertes Choralzitat, vom Altus knapp imitierend begleitet (vgl. Beispiel 11c).
BEISPIEL 11c: Josquin, „Gloria de Beata Virgine“ (Fragmenta), M. 129–140
Im Vergleich rücken erstaunlicherweise – bis auf die Schlussformulierung im Cum sancto spiritu – die betreffenden Passagen der Chansonmesse dichter an das späte Gloria de Beata Virgine heran, während das frühe Gloria aus den Fragmenta strukturell z. T. erheblich differiert. Alle drei aufgezeigten Bezüge zwischen Chanson-
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messe und spätem Gloria tragen neben ihrer Zweistimmigkeit60, die jeweils strukturell auf das spätere Satzkonzept Einfluss nimmt, das Merkmal der Dreizeitigkeit: Josquins Gloria L’ami baudichon ist gemäß der Chanson durchweg dem Tripeltakt zugewandt, und dies trotz binärer Mensurierung; sein spätes Gloria de Beata Virgine wechselt exakt und nur in den drei diskutierten Passagen in das tempus perfectum. Auch hierin kontrastieren die beiden marianischen Vertonungen scharf: Das frühe Gloria wechselt nur im Cum sancto spiritu-Abschnitt in die Tripla, kehrt aber sogar bereits zum Amen wieder in die zweizeitige Mensur zurück.61 Zwar ist der Umschlag in die Dreizeitigkeit in der schließenden Cum sancto spiritu-Coda kaum außergewöhnlich zu nennen, sondern im Gegenteil formales Mittel des Schließens, eingesetzt in zahlreichen Messen der Zeit.62 Die Einführung der Tripla bei Qui tollis und Quoniam, wie sie im späten Gloria de Beata Virgine stattfindet, stellt aber eine absolute Ausnahme dar, und das nicht nur im Beata Virgine-Repertoire.63 Da weder Choral noch Gattungstradition für dieses kompositorische Mittel bürgen, erscheint die Inspiration durch das eigene Vertonungsmodell in der Chansonmesse durchaus plausibel, erstrecht vor dem Hintergrund, dass eben diese beiden Zeilen Qui tollis und Quoniam hier jeweils unmittelbar einer Tropuszeile (Ad Mariae gloriam bzw. Mariam sanctificans) vorausgehen. Im Anschluss an die obige TropusAnalyse stützt der satztechnische Transfer älteren Materials – von Selbstparodie zu sprechen, ginge zu weit sowie am eigenständigen Konzept des späten Gloria de Beata Virgine vorbei – die Ergebnisse: Das Umfeld der Tropuszeilen lebt von Kontrastierungen und deren Lösungen, und zählt entsprechend zu den sensiblen Passagen im Satzgefüge des marianischen Gloria. Die Integration fremdreferenziellen Materials in Form archaisch duettierender Stimmstrukturen im Tripeltakt stellt hier eine überzeugende Variante dar. Ihre Subtilität erhält sie im Rückgriff auf ein eigenes Frühwerk, ein Rückgriff, dem man – ohne dem Sachverhalt allzu viel abzuringen – durchaus die Vokabel historistisch anheften darf. Der Sachverhalt wirft zugleich ein Schlaglicht auf die völlig unterschiedlichen Konzeptionen der beiden Gloria de Beata Virgine-Modelle, die mitnichten zwei Entwicklungsstufen derselben ‚Formidee‘ repräsentieren: Zwar sind einzelne Abschnitte des frühen Verfahrens (Noëma zu Mariam coronans – Jesu Christe, M. 167–177, oder auch die erwähnte Cum sancto-spiritu-Passage) ähnlich bis baugleich, was die Vorbildfunktion der früheren Konzeption nahelegt. Hinsichtlich Tropusakzentuierung (4 der 6 Tropuszeilen sind als Noëma gestaltet), vermittelnder 60
Fast ausschließlich zweistimmige Anlagen für die Tropuszeilen (bis auf Ad Mariae gloriam) wählte bereits Johannes Ciconia für seine vierstimmige Gloria-Vertonung. 61 Damit wird hier die im späten Gloria entwickelte Motorik gen Satzschluss, zumal durch eine Generalpause vor dem Amen in M. 194, sofort ausgebremst. 62 Sowie auch in den Gloriae de Beata Virgine von Pierre de la Rue (M. 108ff.), Constanzo Festa (M. 70ff.), Antoine Brumel (M. 178ff.), Juan Anchieta (M. 227ff.), Gaspar de Albertis (M. 250ff.), Charles d’Argentil (M. 109ff.), Jacobus Arcadelt (M. 146ff.), um nur jene vor 1550 zu benennen. 63 Lediglich das Gloria von Justinus Dor aus der kompilierten Missa de Beata Virgine (Rom, ca. 1518–22) weist an dieser Stelle einen Umschlag in die Tripla auf, was mit der Parodie-Tendenz dieser Messe zum Josquin’schen Vorbild zu tun hat. Von den Messen nach 1550 ist lediglich Giovanni Continos Gloria de Beata Virgine von 1561 zu nennen, vgl. Verzeichnis I.
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Kapitel 5.3.
Satzstruktur (es dominiert eine kadenziell parzellierte Anlage mit bisweilen langen ‚Generalpausen‘) und Stimmführungen (die unerhörte Varianz an Kanon- und Stimmführungstechniken aus dem Spätwerk sucht man hier vergeblich) steht das frühe marianische Gloria hingegen weit zurück. Legt man das Niveaugefälle zwischen später und früher Choralvertonung zugrunde, so kann – gemäß der für die Missa L’ami baudichon vorgenommenen Datierungshypothesen für die 1480er bis 1490er Jahre das im gleichen Jahr (1505) gedruckte marianische Gloria mindestens ebenso weit zurückdatiert werden.64 Sowohl hinsichtlich seiner Selbsthistorisierung – im Sinne der Rückschau auf das eigene Frühwerk – als auch seiner Verwendung messen- und liturgiegeschichtlich hochrangigen Materials erweist sich Josquins Gloria aus der Missa de Beata Virgine als vielschichtiger historisierender Spiegel, als ‚komponierte Geschichte‘. Als Choralordinarium freilich ohnehin einem traditionsschweren Formkonzept verpflichtet, schließt es einerseits an Vertonungen von Johannes Ciconia, John Dunstable und insbesondere Du Fay an – dem es etwa die Noëma-Anlage verdankt –, weist aber in seiner Interpretation der Materialbedingungen über choralordinarische Konzepte, sowohl eigener früher als auch die seiner Zeit, weit hinaus. Dazu gehört letztlich auch die formale Verklammerung der beiden Amen-Melismen von Kyrie und Gloria, die weder ‚zyklischen‘ Verpflichtungen noch Ambitionen entstammt, sondern eine Ausnahme im Konzept einer großformalen Separatistik bleibt, die durch die ab dem Credo vorherrschende Fünfstimmigkeit noch unterstrichen wird. Die subtilen satzübergreifenden Maßnahmen verleihen dem Ganzen allenfalls prädikative Bedeutung. Dass sie hingegen so deutlich auftreten, mag eher auf noch tiefer liegende historisierende Züge deuten, etwa im Hinblick auf die Frühgeschichte des Gloria de Beata Virgine, das zunächst häufig gemeinsam mit einem ‚passenden‘ Kyrie (zumeist Kyrie IX) überliefert wurde. Insbesondere im Rom der 1480er und 1490er Jahre – als die Missa L’ami baudichon und vermutlich auch das frühe Gloria de Beata Virgine entstanden – wird Josquin derartigen Satzpaaren65 zuhauf begegnet sein.66 So sehr solche inspirationsgeschichtlichen Überlegungen auf dem Niveau der Spekulation verbleiben müssen, so sehr machen sie die Mechanismen des Umdenkens deutlich, das diese außergewöhnliche, bezugsmultiple Komposition von ihrem Gegenüber einfordert.
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Die Fragmenta Missarum Petruccis haben überdies konzeptionell das Format einer ‚Sammlung‘ und weniger einer Novitäten-Schau. Allein die Cappella Sistina überliefert drei Satzpaare vor und um 1500: Anonymus [zwischen 1451 und 1464]: Ms. 5, fol. 202v–205v; Johannes Wreede [2. Hälfte 15. Jh.]: Ms. 14, fol. 6v–10r [Gloria nur im Fragment überliefert]; Anonymus [ca. 1503]: Ms. 35, fol. 23v–28r; vgl. Verzeichnis Ib. Ganz abgesehen von weiteren verbreiteten Satzpaaren, wie etwa das folgende anonyme Paar (um 1500): Jena, Universitätsbibliothek Ms. / Chorbuch 35, fol. 62v–76r, überliefert ebenfalls in München BSB Ms. 31, fol. 251v–264r.
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5.3.2. Referenzielle Vielfalt bei Giovanni Pierluigi da Palestrina Kaum ein Gerücht hat sich in der Geschichtsschreibung zu Palestrinas vierstimmiger Missa de Beata Virgine (1567) derart hartnäckig gehalten wie jenes, Palestrina habe sie ohne den Gloria-Tropus Spiritus et alme komponiert. Seit Peter Wagners Geschichte der Messe von 191367 zieht sich diese These mehr oder weniger differenziert durch Handbücher, Editionen und Studien, die sämtlich, wie Wagner, das vatikanische Exemplar des Missarum liber secundus68 heranzogen, wenn sie überhaupt Quellen bemühten. Zwar ist spätestens seit den beiden Gesamtausgaben Palestrinas69 dokumentiert, dass die Messe laut der römischen Überlieferung auf den Tropustext, nicht aber die -melodie verzichtete. Das hielt aber in den seltensten Fällen davon ab zu behaupten, es habe überhaupt keinen Tropus in Palestrinas Gloria gegeben.70 Andere Autoren sahen dies weitaus differenzierter, blieben aber gleichfalls bei der Vorstellung, Palestrina habe selbstständig oder gar auf Drängen des Verlegers den marianischen Gloria-Zusatz fallen lassen71: Der eigenartige Querstand zur späteren sechsstimmigen Missa de Beata Virgine (1570), die in allen Quellen den Tropus wieder enthält, wurde zwar bemerkt, aber nicht als unlogisch empfunden. Da auch eine aktuelle dritte Edition der Messe sich leider als unkritische Relektüre ihrer Vorgänger entpuppt72, wird die Vorstellung eines vermeintlich bereits hier kirchenkonformen Komponisten schwer auszuräumen sein. Der mit der Missa Papae Marcelli schließlich seit jeher als papsttreu etikettierte Palestrina fügt sich einfach zu gut in das Bild eines dem zensierten Missale Romanum von 1570 bereitwillig entgegenkomponierenden Wahl-Römers. Tatsächlich aber kann belegt werden, dass der Missarum liber secundus von 1567 sowohl Tropustext als auch -melodie komplett enthielt. Der Befund, der hier an einem Druckexemplar aus dem Schweizer Kloster Einsiedeln exemplifiziert werden kann, wäre sicherlich ebenso leicht an den anderen Kopien des Erstdruckes zu bestätigen, hätte man sie einer gründlichen Autopsie unterzogen anstatt die nachträglich per Hand getilgten und neutextierten Zeilen als ‚Urtext‘ aufzufassen, wie die Editoren Haberl und Casimiri dies taten (gefolgt von Luisi).73 Das Einsiedelner Exemplar ist zwar ebenso 67 68 69 70
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Bd. 1, S. 469 u. 472. Rom (apud Haeredes Valerii et Louisii Doricorum Fratrum) 1567. Missa de Beata Virgine à 4, in: Giovanni Pierluigi da Palestrina: Werke, hrsg. von Franz Xaver Haberl, Leipzig 1862–1907, Bd. IX, S. 1–20. Giovanni Pierluigi da Palestrina: Le opere complete, hrsg. von Raffaele Casimiri, Rom 1939–1987, Bd. IV, S. 1–25. So etwa bei Nors Sigurd Josephson: The Missa de Beata Virgine of the Sixteenth Century, Diss. Berkeley 1970, S. 233ff.; Bernhold Schmid: Der Gloria-Tropus Spiritus et alme bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, Tutzing 1988, S. 48; Ludwig Finscher: Die Musik des 15. und 16. Jahrhunderts (= Handbuch der musikalischen Gattungen 3,1), S. 231: „Palestrina 1567 ohne Tropen“. Vgl. Christian Thomas Leitmeir: „Ad Mariae gloriam“. Uses and Abuses of Troping in Sixteenth-Century „Missae de beata Virgine“, in: Die Tonkunst 3 (2009), Heft 1, S. 8–26, insbes. S. 11f.; ders.: Jacobus de Kerle (wie Anm. 3), insbes. S. 583ff. Edizione nazionale delle opere di Giovanni Pierluigi da Palestrina, hrsg. von Francesco Luisi, Rom 2002ff. Sie sind jedoch nicht die ersten, die die Vorlage derartig missverstanden. Vor Peter Wagner hatte bereits Fortunato Santini in seiner Abschrift des vatikanischen Drucks, die er im
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Kapitel 5.3.
‚bereinigt‘ wie die anderen der Erstauflage, so dass nach heutigem Kenntnisstand kein einziger unbearbeiteter Liber Secundus existiert. Die Korrekturen – hier nicht rasiert sondern weiß überstrichen – sind jedoch auch deshalb deutlich wahrnehmbar, weil die Neutextierung entweder fehlt oder sich unbeholfen von den Drucklettern abhebt. Zudem werden oft nur Wiederholungszeichen („ii“) für den Choraltext gesetzt – die römische Variante, so darf man annehmen, wird sich sicherlich professioneller der zu tilgenden Abschnitte angenommen haben. Als Beispiel für die in der Durchleuchtung der Seiten gut erkennbare Tropustextierung sei (a) eine Zeile aus der Altus-Stimme herausgegriffen, die bereits wieder durch die Weißung hindurchzuscheinen beginnt, sowie (b) ein Teil des Bassus, der auf der Weißung neu textiert wurde:
BEISPIEL 12a: Palestrina, „Missa de Beata Virgine à 4“, Gloria, Altus-Ausschnitt „[weiß getilgt: ‚Mariam coronans‘] – Jesu Christe“; Einsiedeln, Klosterbibliothek MW 1b
BEISPIEL 12b: Palestrina, „Missa de Beata Virgine à 4“, Gloria, Bassus-Ausschnitt „tu solus altissimus – [‚Mariam coronans‘ weiß getilgt und überschrieben] tu solus altissimus“; Einsiedeln, Klosterbibliothek MW 1b
Es ist ein leichtes, den Tropustext editorisch zu restituieren, und das für diese Zwecke geradezu ideal transparente Einsiedelner Exemplar bietet hierzu die optimale Vorlage.74 Die folgende Werkbetrachtung legt diesen Urtext daher selbstverständlich zugrunde, wodurch die leidige Diskussion um den Einfluss der Tropusverbots-Diskussion entfallen darf, da Palestrina nachweislich beide Messen mit Tropustext und -melodie komponiert hat. Dies Faktum mag weniger Palestrinas Affinität zu päpstlichen Anordnungen tangieren, über die ohnehin nur zu spekulieren wäre, als vielmehr erneut darauf aufmerksam machen, wie leidenschaftslos die die Messe betreffenden Reformüberlegungen in Italien derzeit noch umgesetzt wurden.75 Ihre radikalen Folgen, die entgegen landläufiger Ansichten aus keinem konkreten Konzilsverbot, sondern indirekt und erst allmählich aus dem um die Tropen reduzierten Reform-Missale von 1570 resultierten76, sind erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts belegbar, als zahlreiche Drucke
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19. Jahrhundert anfertigte, die Wiederholungen und Choraltextierungen akkurat notiert und unkommentiert gelassen, vgl. DMÜs-SANT Hs 2899 (Nr. 1). Christian Leitmeir hat diese melodische Faktur des Tropus bereits eruiert, vgl. Leitmeir, „Ad Mariae gloriam“ (wie Anm. 71), basierend allerdings noch auf der Annahme, der 1567erDruck sei ohne den zugehörigen Tropustext publiziert worden. Vgl. dazu die obigen Ausführungen in Kap. 3, dort insbes. Anm. 51. Vgl. dazu Kap. 3 sowie zusammenfassend Leitmeir, Jacobus de Kerle (wie Anm. 3), insbes. S. 572–579.
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überarbeitet wurden oder in Neuauflage ohne Tropus erschienen.77 Dann allerdings weisen sie bisweilen skurrile Züge auf, etwa wenn manche Werke geradezu ‚zerlegt‘ werden.78 Für die Entstehungszeit von Palestrinas zwei Choralordinarien spielt dies hingegen noch keine Rolle. Erst als er 1578/79 beauftragt wird, für die neugeschaffene Mantuaner Liturgie drei weitere Missae de Beata Virgine zu komponieren, deren Kernsatz Gloria IX zum Zwecke der Erlangung der päpstlichen Approbation nun ohne Tropustext und -melodie auszukommen hatte79, mag ihm dies als Querstand zu seinen beiden früheren Messen aufgefallen sein. Aufgrund der Auftragslage aus Mantua, in der die Choralvorlagen und ihre Disposition ebenso eindeutig benannt wurden wie der Wunsch nach alternatim-Ausführung, erübrigte sich aber auch hier eine (wie auch immer geartete) ‚konfessionelle‘ Stellungnahme des Komponisten. Wenn im Folgenden Palestrinas Gloria-Sätze zur Diskussion stehen, resultiert dies nicht nur aus der Notwendigkeit, sich den zwei tropierten Sätzen in ihrer tatsächlichen Faktur endlich einmal zuzuwenden, zumal ihre musikalische Disposition bislang kaum Beachtung fand; immerhin liegt mit der zweiten Messe eine der seltenen sechsstimmigen Vertonungen des Messentyps überhaupt vor.80 Im Zusammenhang der Vertonungstradition der Missa de Beata Virgine nehmen diese Werke überdies eine Schlüsselposition ein. Abgesehen davon, dass sie eines der wenigen prominenten Paare im römischen Bestand der Werkgruppe bilden81, was Fragen nach internen und externen Bezugnahmen ohnehin aufdrängt, weisen sie sich durch einen grundlegenden Wandel in der Choral- und Tropusbehandlung aus. Interessanterweise fügen sich die musikalischen ebenso wenig wie die philologischen Befunde Palestrinas musikhistoriographischem ‚Image‘: Mitnichten hat man es hier mit (tridentinisch) um Textverständlichkeit ringenden, stimmlich transparent realisierten Sätzen zu tun, und mitnichten sind die Choralvorlagen detailgetreu und motivisch konkurrenzlos umgesetzt worden. Ebenso wenig kann von syllabisch akkurater Diktion in konstanten Besetzungsstärken die Rede sein, und spätestens wenn neue Kontrasubjekte dominant an die Oberfläche drängen und wenn (in der sechsstimmigen Messe) plötzliche Vollkadenzen den Satzfluss empfindlich stören, muss man sich fragen, ob die bei Palestrina so häufig ins Feld geführten analytischen Kategorien 77
Im Falle Palestrinas vierstimmiger Messe etwa der 1599 posthum gedruckte Band Missarum quattuor, quinque & sex vocum, Rom (Niccolo Mutii) 1599 – als Unicum in Ljubljana Ms. 23479 erhalten, vgl. RISM A1 P 662 –, in dem, wie Christian Leitmeier gezeigt hat, der Editor Text und Melodie des Tropus entfernte und somit einen seltsamen Torso publizierte, vgl. Leitmeir, „Ad Mariae gloriam“ (wie Anm. 71). 78 Vgl. dazu eindrücklich am Beispiel Jacobus de Kerles Missae de Beata Virgine: Leitmeir, Jacobus de Kerle (wie Anm. 3). 79 Vgl. dazu im Detail Kap. 5.6. Montagen: Mantua. 80 Neben der handschriftlich überlieferten alternatim-Messe Heinrich Isaacs ist lediglich die 1563 in Venedig gedruckte Missa de Beata Virgine von Michele Varotto zu nennen: Michaelis Varoti: Missarum liber primus, Venedig (Scotto) 1563. Eine Edition der ohne Agnus überlieferten Messe fehlt bislang, Josephson legte in Corpus mensurabilis musicae 95, II zumindest eine partielle Edition des Gloria vor, vgl. dazu auch Verzeichnis I. 81 Neben Jacobus de Kerles Beiträgen von 1562 und 1582/83 sind noch die beiden italienischen Missae de Beata Virgine von Giovanni Contino zu nennen (1561, 1573). Zu Continos dritter, nach der Mantuaner Liturgie bestellten alternatim-Messe mit von ca. 1562–65 vgl. Kap. 5.6. Montagen. Mantua.
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Kapitel 5.3.
Ausgewogenheit und Texttreue überhaupt taugen. Die außerordentliche Kürze der Gloria-Sätze mit 125 (à 4) bzw. 165 (à 6) Mensuren, die insbesondere im Fall der vierstimmigen Messe deutlich den früheren ‚römischen‘ Usus durchbricht82, sowie die dadurch betroffene strukturelle Umwertung der Teile (und mithin des marianischen Tropus) sind ebenso zu bedenken. Zwar kann nicht nachgewiesen werden, dass dies mit einem veränderten liturgischen Zeitprotokoll in Zusammenhang steht, aber die unterschiedliche Länge, Besetzung und Tropusbehandlung beider Sätze sind trotz konkreter musikalischer Bezüge, die offenzulegen sein werden, nicht allein kompositorischer Selbstreferenz geschuldet, sondern stehen in einem weitaus breiteren rezeptionshistorischen Horizont, der abschließend zu diskutieren ist. Mit einem Blick zunächst auf die Disposition des vierstimmigen Gloria fällt sogleich die Oberstimmen-orientierte, in den Unterstimmen eher fragmentierte Choraldurchführung in häufig verschränkter Anlage ins Auge. Der c.f. wird im Superius fast vollständig, im Tenor als Kanonpartner weitaus lückenhafter präsentiert; gelegentlich treten der Bassus (M. 6f., 13f., 25–27, 101f., 119–125), noch seltener der Altus (16–18, 68f.) als choraltragende Stimmen in Erscheinung. Schon der Satzbeginn weist eine enorme Varianz der Stimmbeteiligungen, ihrer Einsatzreihenfolgen und -abstände83 sowie einen der Verschränkung geschuldeten Verzicht auf Textteile auf (vgl. Beispiel 1384, etwa M. 5 im Bass).
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Viele der in römischen Archiven verwahrten Gloria aus der Missa de Beata Virgine der ersten Jahrhunderthälfte sind deutlich umfangreicher, wie jene von Josquin (248 Mensuren), Beausseron (216), Brumel (197), Anchieta (249) oder Albertis (280). Dieser ‚römischen‘ Verknappungstendenz fügen sich ebenfalls die beiden Gloria Jacobus de Kerles (1562: 140; 1582/83: 143 Mensuren), vgl. die Editionen bei Leitmeir, Jacobus de Kerle (wie Anm. 3), insbes. S. 533–541, 560–568. Allein in diesen ersten 23 Mensuren werden sieben Textzeilen begonnen, im Wechsel von Tenor (M. 1), Bassus (M. 9), Superius (M. 10), Superius (M. 12), Tenor (M. 15), Tenor (M. 18) und Bassus (M. 21). Missa de Beata Virgine à 4, in: Giovanni Pierluigi da Palestrina: Werke, hrsg. von Franz Xaver Haberl, Leipzig 1862–1907, Bd. XI, Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
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BEISPIEL 13: Palestrina, „Gloria de Beata Virgine“ à 4, M. 1–23
Varianz und Dichte des Materials sorgen auch im Folgenden für eine Kompaktheit, die ihre formalen Konsequenzen hat: Zunächst einmal entfallen Binnenzäsuren, und damit auch jene für das marianische Gloria möglichen Tropuseinfassungen durch Generalpausen oder Vollkadenzen; der Tropus wird stattdessen stets dem Gesamtverlauf eingegliedert. Zudem werden großformale Zäsuren verschliffen, wie etwa jene zum dritten und letzten Gloria-Teil des Cum sancto spiritu. Der strukturellen Konsolidierung dienen stattdessen ein konstantes zweizeitiges Metrum sowie eine planvoll an- und absteigende Stimmenzahl (vgl. auch dazu Beispiel 13). Der Fluss der Stimmen bleibt stets gewahrt. Aufgrund der Konzentration der c.f.-Durchführung auf die beiden traditionellen Hauptstimmen Superius und Tenor und die lediglich verknappten Incipit-Zitationen in den beiden Nebenstimmen gewinnen Kontrasubjekte bisweilen eigenes Profil und dort, wo sie konzentriert auftreten, gar primären Status. So tritt das in M. 63 und 64 im Altus bzw. Bassus eintretende Kontrasubjekt zu Qui tollis peccata mundi als führendes Duo auf – der ihm übergelagerte c.f. im Superius (der Tenor pausiert partiell) kann diesem Oktavkanon mit pointiertem Halbtongipfel a–b–a nichts entgegensetzen. Paritätischer, aber nicht weniger spannungsvoll ist die vierte Tropuszeile Mariam sanctificans gesetzt, in der c.f.-Phasen (in S und T) von einem dominanten Terzfall-Kontrasubjekt mit anschließendem Quintsprung (in A und B) flankiert werden (vgl. Beispiel 14 mit ergänztem Tropustext).
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Kapitel 5.3.
BEISPIEL 14: Palestrina, „Gloria de Beata Virgine“ à 4, M. 87–102
Das auf wenige Takte gestauchte Amen-Melisma, das auf einen nicht unwesentlichen Teil der Choralvorlage verzichtet, fällt durch eine merkwürdige harmonische Schlussklausel auf: Zwischen der Quinte d (M. 122) und der Ultima g (M. 124f.) sind zwei Akkorde auf e und c in M. 123 eingelagert. Die im Bassus fundierte Folge d–e–c–g wirkt entsprechend seltsam gerückt, verstärkt noch durch die eine Quarte heraufschwingenden Terzparallelen in den Mittelstimmen (vgl. Beispiel 15).
BEISPIEL 15: Palestrina, „Gloria de Beata Virgine“ à 4, M. 118–125
Hinsichtlich der Tropusbehandlung erscheint Palestrinas vierstimmiges Konzept zunächst gegenüber tradierten Verfahren gleichgültig: Weder lassen sich ‚klassische‘ Akzentuierungen wie etwa das Noëma bei Mariam coronans ausmachen, noch scheinen die verwobenen Zeilen irgendeiner symbolischen Assoziation zu folgen, ja man darf zunächst annehmen, der symbolische Gehalt des Gloria de Beata Virgine sei Palestrina schlicht entgangen. Tatsächlich stellen sich die Verweise erst auf den zweiten bis dritten Blick ein – sie setzen nicht zuletzt eine intime Kenntnis älterer GloriaVertonungen voraus. Zwar mögen jene offenkundigen Akzentuierungen fehlen, die bei Josquin für Aufmerksamkeit sorgten. Latente Modulationen der zentralen Passagen lassen sich aber durchaus ausmachen, erstrecht, wenn über Josquin hinaus jene stimmlich intrikaten und zumal dem Choral gegenüber unverbindlicher auftretenden Vertonungen von Morales als tertium comparationis bemüht werden. So fällt zunächst kaum auf, dass Palestrina die erste Tropuszeile Spiritus et alme im Unterstimmengerüst (M. 40–46: T und B) aus der Choralzeile herauslaufen lässt als wäre sie eine Art zufällige Prolongation, nach nur vier ‚solistischen‘ Mensuren sogleich überwölbt vom folgenden Choralpassus. Dass der Tropus zudem im Quartkanon im Abstand einer Semibrevis gesetzt ist, trägt nicht eben dazu bei, wahrzunehmen, dass der Um-
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schlag in die tiefregistrige Zweistimmigkeit für diese Tropuszeile allzu bekannt, d. h. allen Vertonungen voran schon bei Josquin und Morales zu finden ist. Ebenso fremdreferenziell, wenn auch mindestens ebenso rasch vorbeigezogen ist die Doppelzeile Tu solus dominus – Mariam gubernans: Wie schon Josquin und Morales (à 4) setzt Palestrina die melodisch baugleichen Vorlagen in verzahnte Duos um: Tu solus dominus hier im Unterstimmen-Kanon im Abstand einer kleinen Sechste, Mariam gubernans in den beiden Oberstimmen in beinahe oktavierter Parallelführung. Palestrina dreht die Reihenfolge lediglich um: Sowohl Josquin als auch Morales hatten den Choral in den Ober-, den Tropus in den Unterstimmenverbund gesetzt. Waren und sind diese punktuellen Bezüge des Satzes zu seiner Vertonungstradition auch nur dem Kenner als solche erkennbar, so ist ihre Existenz in einem gerade einmal 125 Mensuren umfassenden Gloria der späten 1560er Jahre umso bemerkenswerter. Selbst in der knappsten Ausführung des Satzes hatten traditionsaffine Schlaglichter offenbar ihren selbstverständlichen Platz. Der Bezug zu Morales liegt dabei weitaus tiefer als nur in den ausgewählten satztechnischen Parallelen, die durch den Josquin-Bezug schon weitaus älter sind. Mit Morales teilt Palestrinas Satz insbesondere seine bruchlose, weitgehend kadenzfreie Durchformung sowie das Streben nach integrativer Tropusbehandlung, wie sie Morales’ vierstimmiges Gloria de Beata Virgine musterhaft ausprägt. Es ist geradezu undenkbar, dass Palestrina Morales’ Gloria-Sätze unbekannt waren, die beide schon 1544 in Rom gedruckt vorlagen.85 Unwahrscheinlich ist ferner, dass Palestrina die gegenläufige Konzeption der beiden Sätze von Morales entgangen sein könnte, das eine Mal (à 5) die Tropusakzentuierung sukzessive zu steigern, um ein anderes Mal (à 4) den umgekehrten Weg zu wählen.86 Da auch Palestrina nur wenig später ein weiteres choralordinarisch eingebettetes Gloria de Beata Virgine publizierte, stellen sich die Fragen nach konzeptuellen Bezügen zwischen seinen beiden Sätzen und ihren Tropusbehandlungen daher fast schon von selbst. Derart sensibilisiert für mögliche Bezüge zwischen den beiden Sätzen muss zuerst der ungewöhnliche Auftakt des sechsstimmigen Gloria auffallen: Dadurch, dass Tenor II und Bassus erst mit der zweiten Hälfte der ersten Choralzeile in Mensur 5 einsetzen, simulieren die ersten vier Mensuren eine vierstimmige Vertonung (vgl. Beispiel 16), ein Verfahren, das im Übrigen zu Beginn des zweiten Gloria-Teils zu Qui tollis (M. 82–86) erneut zur Anwendung kommt. Abgesehen von dieser besetzungstechnischen Bezugnahme, die – ginge man das Wagnis ein, Palestrina entgegen seines musikhistoriographischen Images so etwas wie Humor zuzutrauen – beinahe an eine augenzwinkernde Pointe unter Eingeweihten denken lässt, wurden sogar die stimmlichen Fakturen des vierstimmigen Vorbilds partiell adaptiert: Mühelos lässt sich der neue Choralträger Cantus II – von geringen rhythmischen Differenzierungen abgesehen – als aus dem Cantus I des Gloria à 4 hervorgegangen identifizieren (vgl. Beispiel 1687 mit 13). 85 86 87
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Ein Exemplar des Liber Secundus ist zumal im Archiv der Cappella Sistina (CS 179) erhalten. Vgl. zu den Verfahren bei Morales grundlegend Kap. 5.4.1. Cristóbal de Morales zwischen Spanien und Rom. Missa de Beata Virgine à 6, in: Giovanni Pierluigi da Palestrina: Werke, hrsg. von Franz Xaver Haberl, Bd. XII, Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
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Kapitel 5.3.
BEISPIEL 16: Palestrina, „Gloria de Beata Virgine“ à 6, M. 1–15
Ebenso klar sind die repetierenden Auftakte der beiden Altus-Stimmen verwandt, und dass der versetzt hinzutretende Bassus in beiden Sätzen ab Mensur 5 (à 6) bzw. 6 (à 4) als tiefste Stimme mit der Choralzitation in fast identischer Faktur fortsetzt, kann ebenso wenig als Zufall gelten. Diese Detailbezüge hinsichtlich Motivzitation oder Einsatzreihenfolge, einmal mehr, einmal weniger deutlich, ließen sich mühelos durch die Mensuren deklinieren, was hier unterbleiben darf. Eingefasst werden sie von grundlegenden strukturellen Parametern, die ebenso den Verfahren des vierstimmigen Gloria geschuldet sind: Da wäre zunächst die Oberstimmen-orientierte (hier gemeinsam auf Cantus II und Cantus I bezogene) Choraldurchführung zu nennen. Sie rückt den Satz noch deutlicher als seinen Vorgänger in die Nähe einer monodischen Disposition, geschuldet freilich der im sechsstimmigen Verbund weitaus schwierigeren textlichen Akzentuierung. Die häufigen Oberstimmenduos ragen oft deutlich aus dem – in den Unterstimmen dagegen eher zur homophonen Ballung neigenden – Stimmenverbund heraus. Als weitere strukturelle Anlehnung an das Gloria à 4 ist die Meidung von Binnenkadenzen zu nennen, die im sechsstimmigen Verbund ebenso die Tropuszeilen betrifft: Der formale Plan, wie in der vierstimmigen Fassung gestützt von zweizeitigem Metrum sowie planvoll oszillierender Besetzungsgestaltung, überwölbt erneut die tradiert kontrastierende Handhabung der Tropuspassagen. Ihre Eingliederung in den Formplan geschieht hier sogar weitaus rigoroser, wie die sich von der Drei- in die Sechsstimmigkeit steigernde, klimaktische Gestaltung der zweiten Tropuszeile Primogenitus zeigt (vgl. Beispiel 17).
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Profil und Tradition: Rom
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BEISPIEL 17: Palestrina, „Gloria de Beata Virgine“ à 6, M. 65–81
Bis einschließlich Mensur 81 erscheint die sechsstimmige Vertonung des Gloria de Beata Virgine demnach mehr oder weniger den Verfahren des Vorgänger-Gloria verpflichtet, quasi als eine in die Vertikale expandierende Fassung. Mit dem Beginn des zweiten Teils jedoch ab Qui tollis ändert sich das radikal. Schon auf den ersten Blick ist der Satz weitaus klarer fraktioniert: Allein elf Binnenkadenzen treten auf und separieren die in Stimmgruppen durchgeführten Zeilen selbst dort, wo Choral und Tropus überlappen (wie M. 126, 130, 134 oder 138, vgl. Beispiel 18).
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174
Kapitel 5.3.
BEISPIEL 18: Palestrina, „Gloria de Beata Virgine“ à 6, M. 122–138
An die Stelle der sukzessiv gestalteten Besetzungsdichte zuvor tritt nun die Bildung von drei- bis vierstimmigen Stimmgruppen, die die Choralzeilen tendenziell in den Oberstimmen, die Tropuszeilen eher in den Unterstimmen durchführen (M. 116–138, vgl. partiell Beispiel 18), deutlich geprägt von syllabischer Diktion mit kurzfristigen homophonen Akzenten und Vollkadenzen. Und schließlich wird in der Cum sancto spiritu-Coda in M. 147 das zweizeitige Metrum für zehn Mensuren zugunsten der Dreizeitigkeit verlassen, um sodann (M. 157–165) im alla breve-Takt vollstimmig zu schließen (vgl. Beispiel 19). Dass das Amen-Melisma dabei auf Minimen-Läufe des vierstimmigen Satzes rekurriert (vgl. rückblickend Beispiel 15), mag eher Zufall sein: In den letzten 80 Mensuren hat sich das sechsstimmige Gloria denkbar weit von seinem Vorgänger entfernt. Über Palestrinas Intention, im zweiten Teil des Gloria à 6 der Tradition der Tropus-Akzentuierung mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen, kann nur spekuliert werden. In jedem Fall unterscheidet sich das Ergebnis deutlich von jenen subtilen, nur latent und partiell kontrastierenden Setzweisen des Tropus im Gloria à 4. War dort ebenso der Bezug zur Vertonungstradition wie die marianische Akzentuierung nur Eingeweihten offenbar, und entsprechend pars integrans des gesamten (wenn auch kurzen) Satzkonzepts, so treten die Zeilen 3 bis 6 des marianischen Tropus im Gloria à 6 in fast schon allzu plastischer Diktion an das Ohr; sie treten gleichsam aus dem Satz heraus. Und wenn die vier Stimmen in M. 134–135 in der letzten Tropuszeile zu den drei Silben Ma–ri–am erstmals exakt homophon in Pfundnoten zusammentreten (vgl. Beispiel 18), verwundert nicht, dass diese drei Akkorde ein Josquin-Zitat eben dieser Stelle bilden (vgl. M. 211–213, bzw. Beispiel 8 in Kap. 5.3.1.). Plakativer kann ein Rekurs auf die ‚römische‘ Tradition wohl kaum ausfallen. Warum nun diese historisierende Wende in der zweiten Gloria-Vertonung, warum diese Offen-, ja Freilegung des marianischen Akzents? Ist sie allein mit Rekursivität zu erklären, einer absichtsvollen Rückblende auf tradierte musikalisch-symbolische Verfahren, die hier nicht abrupt, sondern zumal über den Umweg einer Selbstrezeption (‚Selbstparodie‘) geschieht, sodann zunehmend nach vorne drängt und den Satz schließlich dominiert? Denkbar wäre eine derartig selbstbezügliche
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Profil und Tradition: Rom
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BEISPIEL 19: Palestrina, „Gloria de Beata Virgine“ à 6, M. 147–165
Reflexion kompositorischer Verfahren durchaus, mündend in eine, womöglich auch noch um 1570 dem Kenner erschließbare Josquin-Reverenz. Wie schon beim vierstimmigen Gloria ist allerdings der Bezug zu Morales’ Werkpaar weitaus aufschlussreicher als jener zu Josquin. Dort, bei Morales, zeichnet sich desgleichen mit der Änderung der Stimmenzahl eine Änderung des Duktus ab, ein grundlegender Wandel insbesondere in der Tropusbehandlung: von prozessualer Inszenierung des Tropus (Morales Gloria à 5) hin zu seiner prozessualen Integration (Morales Gloria à 4). Bei Palestrina steht der Umschwung zur Tropus-Inszenierung später ebenso in Verbindung mit der Steigerung der Stimmenzahl von vier auf sechs; die größer besetzte Vertonung schließt auch hier mit einer deutlichen marianischen Deklaration. Zwar steht durch die strukturelle Anverwandlung, Dehnung und schließlich Expansion des eigenen Konzepts im sechsstimmigen Verbund Palestrinas Werkpaar auf (zunächst noch) analoger Materialbasis. Dies allerdings wird sich aber auch bei Morales’ Gloria-Sätzen zeigen lassen: Beide weisen einen nahezu baugleichen Beginn und Schluss auf, der je nach Blickwinkel Expansion oder Reduktion erkennen lässt.88 Der Wandel der Formidee wirkt bei Palestrinas Werkpaar jedoch weitaus folgenreicher, zumal er sich nicht zwischen zwei Sätzen, sondern nur innerhalb eines Satzes (Gloria à 6) vollzieht. Er bedingt zugleich einen Wandel der musikalisch-stilistischen Mittel. Denn obwohl Morales’ Gloria-Vertonungen gegensätzli88
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Vgl. Kap. 5.4.1. Cristóbal de Morales zwischen Spanien und Rom.
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Kapitel 5.3.
che Formideen repräsentieren, werden zur Umsetzung ihrer prozessualen Ambitionen ähnliche musikalisch-stilistische Mittel verwendet. Palestrina hingegen arbeitet sich aus seinem eigenen Stil erst in der zweiten Hälfte des sechsstimmigen Satzes heraus, was dann umso rascher und frappierender wirkt. So gesehen erscheint auch das Josquin-Zitat in der letzten Tropuszeile nur folgerichtig: Palestrina gibt – bevor das Gloria à 6 finaliter in seine ‚eigene‘ Stilistik zurückfällt (M. 139–165) – die musikalisch-stilistische Autorität am Kulminationspunkt seines Satzes an jene ‚Geschichte‘ ab, der er entgegenkomponiert hat. Die Beweggründe für dieses selbstbezügliche und doch kontrastierende Satzpaar mit Morales- und ebenso Josquin-Reverenzen mögen vielfältig sein. Um ihnen restlos auf die Spur zu kommen, wären weitere Analysen notwendig, die Morales’ Einflüsse auf Palestrinas Werk insgesamt betreffen; in der Berücksichtigung dieser spanischen Einflüsse steht die Renaissance-Forschung überhaupt noch an ihren Anfängen. Zu bedenken wäre zudem der Widmungszusammenhang der beiden Messbücher, in denen Palestrinas Gloria-Sätze enthalten sind: Der vierstimmige Satz erschien im, mit der Missa Papae Marcelli immerhin deutlich vatikanisch geprägten, Liber secundus, der über Umwege schließlich dem spanischen König Philipp II. dediziert wurde; der sechsstimmige Satz erschien sodann mit dem Liber tertius in einer explizit diesem König zugeeigneten Sammlung. Dass beide Bücher nach Spanien gingen, mag für das erste Gloria de Beata Virgine à 4, das voraussichtlich noch vor der nachträglichen Widmung komponiert wurde, weniger entscheidend gewesen sein als für die Entstehung der sechsstimmigen Variante drei Jahre später. Im Bewusstsein, dass sich die vierstimmige Variante bereits in Spanien befand – ebenso wie dort selbstverständlich Morales’ Kompositionen in Drucken und Abschriften nachzuweisen waren89 und noch in Gebrauch gewesen sein dürften –, konnte für die Konzeption des sechsstimmigen Gloria de Beata Virgine gleich ein ganzes Beziehungsnetz zu eigenen, aber auch zu Morales’ Werken geknüpft werden: Palestrina gewann Reputation durch kompositorische Profilierung (hier durch den Rekurs auf den eigenen früheren Satz), blieb funktional verbindlich (durch die selbstverständliche Implementierung einer Marienmesse im Druck) und versicherte sich schließlich der Tradition, in diesem Fall mit der Anbindung an einen, wenn nicht den bedeutendsten spanischen Komponisten überhaupt.
89
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Vgl. Verzeichnis I.
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Universalismus und Nationalismus: Spanien
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5.4. UNIVERSALISMUS UND NATIONALISMUS: SPANIEN Während die frühen Quellen Italiens oder Habsburgs zur Missa de Beata Virgine komplette Messvertonungen, z. T. sogar in Plenarform sind, liegen für Spanien um 1500 drei miteinander verbundene Sonderfälle vor, deren komplexe bis komplizierte Entstehungs- und Überlieferungsstruktur noch viel Klärungsbedarf in sich trägt. Es handelt sich um drei Kompilationsmessen, die in frühen Sammelhandschriften zwischen ca. 1500 und 1520 überliefert sind. An ihnen sind fünf identifizierte sowie vermutlich mehrere anonyme Komponisten beteiligt. Die Zusammenstellung der Messsätze in ganz unterschiedlichen Handschriften, die wohl in erster Linie mit praktischen Bedürfnissen in Zusammenhang stehen – selbst wenn nicht alle Gebrauchsspuren aufweisen –, zeigt einerseits auf, dass man es hier wie andernorts mit einer typischen und keineswegs rückständigen Verfahrensweise zu tun hat, Messsätze für ein liturgisches Protokoll ohne Rücksicht auf musikalische Zusammenhänge und Provenienzen zu sammeln. Den ‚zyklischen‘ Rahmen bot allein die jeweilige liturgische Bestimmung. Andererseits war offenbar nur selten eine Zuweisung an den jeweiligen Komponisten notwendig, es sei denn, der jeweilige Schreiber der Quelle zeigte sich diesbezüglich engagiert, wie in Tarazona 2/3 oder Segovia C (das allerdings wiederum so viele Zuschreibungen enthielt, dass Zweifel an der Zuverlässigkeit aufkamen). Sowohl die Kompilation ‚passender‘ Messteile als auch das Verschweigen ihrer Autorschaft ist europäischer Usus und nicht etwa ein Problem spanischer Gattungsgründung, wie die zahlreichen und im Detail anonymisierten Einzelüberlieferungen selbst der prominenten Missa de Beata VirgineSätze in Mitteleuropa zeigen. Die frühen spanischen Kompilationen – ganz unabhängig davon, ob sich der Kreis ihrer Mitwirkenden in künftigen Forschungen nun reduziert oder erweitert – kennzeichnet vielmehr ein anderes Phänomen: eine zunächst einmal genuin spanische (oder besser: iberische) Orientierung in ihrer Auswahl. Zusammen treten hier nämlich nicht einzelne Messsätze italienischer, franko-flämischer oder deutscher, sondern allein spanischer bzw. portugiesischer Komponisten. Selbst Segovia C, das ein beeindruckend großes Korpus ‚mitteleuropäischer‘ Musik des 15. Jahrhunderts enthält – und mit ihm einen weiteren Beweis, dass Spanien während der maurischen Besetzung keine kulturgeschichtlich abgeriegelte Region war, wie noch häufig zu lesen ist –, führt zunächst komplette Messen ausländischer Meister an, bevor die Einzelstücke der heimischen Produktion (z. T. anonym, z. T. nicht) folgen.1 Ob man dieses auf getrennte Wahrnehmungsebenen eigener und fremder Schaffenserträge zurückführen darf, im Sinne von Betrachtung fremder Werke als Kunst- und eigener als Gebrauchsmusik, ist allerdings mehr als fraglich. Weder sind bislang auch nur eine relevante Menge an Quellen zur frühen spanischen Messkomposition gesichtet worden, was in einem Land, das (im Gegensatz zu Portugal) keine für Struktur und Ort der Quellenarchive relevante Säkularisierung erfuhr, heute immer 1
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Cristina Urchueguía: Die mehrstimmige Messe im goldenen Jahrhundert. Überlieferung und Repertoirebildung in Quellen aus Spanien und Portugal (ca. 1490–1630) (= Würzburger musikhistorische Beiträge 25), Tutzing 2003, zu Segovia C insbes. 253–255, zu den Kompilationen de Beata Virgine S. 234–248.
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Kapitel 5.4.
noch als organisatorische Herausforderung zu gelten hat, noch sind die näheren Umstände der mittlerweile bekannten Quellen, ihre Auftraggeber, Schreiber, Vorlagen, Konkordanzen usw. derart aufgearbeitet, dass über Intentionen der Zusammenstellungen Auskunft gegeben werden kann. Der an zwei der drei Kompilationen beteiligte Juan de Anchieta (ca. 1462–1523) könnte gar als Komponist der ersten vollständigen spanischen Missa de Beata Virgine gelten, hätte sich der Schreiber von Barcelona BC 454 die Mühe gemacht, seinen Namen zu notieren.2 Die Quelle, die zwischen 1500 und 1520 zusammengestellt worden ist3, enthält ein Kyrie IV (mit dem Tropus Rex virginum) sowie ein Gloria de Beata Virgine, eingebunden in einen offenkundig marianischen Plenarzyklus.4 Dass die beiden anonym überlieferten Sätze von Anchieta stammen, ist durch zwei Konkordanzen belegt: Beide Sätze liegen in Tarazona 2/3 vor, das Gloria zudem in Segovia C (neben einem ebenfalls von Anchieta stammendem Credo), in allen Fällen jeweils mit Zuschreibung. Filiatorische Untersuchungen Cristina Urchueguías5 weisen darauf hin, dass das Gloria Anchietas einer Segovia C chronologisch vorgeordneten Quelle entstammen und daher bereits vor oder um 1495–97 entstanden sein muss. Komponierte Anchieta dort nur Kyrie und Gloria oder doch die gesamte Messe, die in Barcelona BC 454 vorliegt? Diese Frage hat zu einigen Spekulationen Anlass gegeben.6 Während ausgewiesene Philologen wie Urchueguía (2003)7 oder Kreitner (2004)8 von dem Autor-Befund und dem Szenario ausgehen, Anchieta habe zuerst jene in Segovia C überlieferten Mittelsätze Gloria und Credo komponiert (1490er) und sie später um ein passendes marianisches Kyrie ergänzt9, das zusammen mit dem Gloria in die Quelle Barcelona BC 454 einging (um 1500), stellt Emilio Ros-Fábregas im Booklet einer neuen CD-Einspielung von Anchietas Musik fest (2007): „[…] the Missa de Nostra Dona as it appears in Barcelona M. 454 is clearly an entity, and furthermore in the manuscript is was copied as the third 2
3 4 5 6 7 8 9
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Kenneth Kreitner diskutiert die Handschriften, ihre Datierungen und Konkordanzen in: The church music of fifteenth-century Spain, Woodbridge 2004, S. 80–103 (Segovia C) S. 127–139 (Barcelona BC 454), S. 140–53 (Tarazona 2/3), sowie den Sonderfall des hier verstreut publizierten Anchieta auf den Seiten 104–126. Zur Quellenlage der Kompilationsmessen im Detail vgl. Verzeichnis I. Vgl. Emilio Ros-Fábregas: The Manuscript Barcelona, Biblioteca de Catalunya, M 454: Study and Edition in the Context of the Iberian and Continental Manuscript Traditions, Diss. Univ. of New York 1992, zur Datierung Bd. 1, S. 100–114. Introitus „Salve Sancta parens“, Graduale „Benedicta et venerabilis“ mit „Virgo Dei genitrix“, Alleluia „Dulcis Mater“, Offertorium „Felix namque est“, Sanctus mit dem Tropus „Pater per omnia“, Agnus und die Communio „Beata viscera“ (vgl. unten Beispiel 1). Urchueguía, Die mehrstimmige Messe im goldenen Jahrhundert (wie Anm. 1), S. 246. Welche z. T. absurden editorischen Konsequenzen aus der unsicheren Lage gezogen wurden, erläutert Urchueguía, Die mehrstimmige Messe im goldenen Jahrhundert (wie Anm. 1), S. 236f. Ebd., Stemma S. 246. Kreitner, The church music of fifteenth-century Spain (wie Anm. 2), S. 109ff. Für das Kyrie wird entsprechend die Datierung 1497–1505 angenommnen, vgl. u. a. Kenneth Kreitner: Juan Anchieta and the rest of the world, in: Queen Isabel I of Castile: power, patronage, persona (= Colección Támesis. Serie A, Monografías 253), hrsg. von Barbara F. Weissberger, Woodbridge 2008, S. 173.
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Universalismus und Nationalismus: Spanien
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of four polyphonic Masses, the other three being by Antoine Brumel (Missa Sine nomine), Johannes Ockeghem (Missa Au travail suis) and Antoine Busnoys (Missa L’homme armé).“10 Interessanterweise macht Ros-Fábregas hier eine 180 GradWende zu seiner 15 Jahre älteren These in der Edition des Manuskripts: „There are motivic connections among some movements, but the entire Mass may not be by Anchieta“11. Beide Thesen, so konträr sie sind, weisen mit den Begrifflichkeiten „entity“ und „motivic connections“ auf eine rein zyklische Sichtweise der Messe, die mittlerweile als nicht mehr zeitgemäß und erst recht nicht als Indiz für Autorschafts-Zuweisungen gelten kann. Solange keine weiteren Konkordanzen zu den Sätzen Sanctus und Agnus sowie dem Rest der Plenarmesse nachgewiesen werden können, muss Anchietas Autorschaft der gesamten Messe schlicht offen bleiben.12 Ein ganz anderer Fall liegt mit der vermutlich etwas später kompilierten Missa de Beata Virgine vor, an der nachweislich sogar vier Komponisten beteiligt waren: Der Portugiese Pedro de Escobar (um 1470–nach 1535) verfasste das Kyrie (mit Tropus Rex virginum), Francisco da Peñalosa (um 1470–1528) Gloria de Beata Virgine und Credo, Pedro Fernández de Castilleja (ca. 1490–1574) das Sanctus und Alonso Pérez de Alva (†1504) das Agnus (vgl. die Aufstellung der Messe als Nr. 3 in Beispiel 2). Die Messe ist als Unikum in Tarazona 2/3 überliefert, weswegen die Zuschreibungen keine weiteren Zeugen vorweisen können. Angesichts der Lebens- und Wirkungsdaten der Beteiligten erscheint Robert Stevensons These unwahrscheinlich, die Messe wäre „composed cooperatively“.13 Im Kontext der Kompilationsmessen tritt hier neben Anchieta vielmehr eine weitere wichtige Figur in den Vordergrund, die an zwei der drei Kompilationsmessen beteiligt ist: der Portugiese Escobar. Unter Berücksichtigung der biographischen Fakten der Beteiligten wäre folgendes, selbstverständlich rein hypothetisches Szenario denkbar, wie die Zusammenstellung entstanden sein könnte: 1504 verstirbt Alonso Pérez de Alva in Sevilla, und die Kathedrale von Sevilla kauft nachweislich einen Teil seiner offenbar großen Sammlung liturgischer Werke „for use in the cathedral“.14 Was genau erworben wurde ist unklar, dass aber Werke des Komponisten, der von 1503 bis 1504 Kapellmeister in Sevilla gewesen war, dazugehörten, mag einleuchten. Sämtliche Werke, die bislang von de Alva bekannt sind, befinden sich in Tarazona 2/3. Dies
10 11 12
13 14
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Booklet zu Juan de Anchieta: Missa de Dona Nostra, Capilla Peñaflorida, Ministriles de Marsias, Josep Cabré, NB012 (2007); Booklet ohne Seitenangabe. Ros-Fábregas, The Manuscript Barcelona (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 135. Das gilt desgleichen für die Inspirationswege, die zu Anchietas Komposition geführt haben, eine interessante, aber bislang ebenso nebulöse Angelegenheit, da Anchieta durch seine engen Verbindungen zum habsburgisch-burgundischen Hof (1504–1515 im Dienste Johanna I. von Kastilien, davon 1506–1508 Mitglied der Habsburgisch-Burgundischen Kapelle bei Margarete von Österreich) selbstverständlich in unmittelbarer Umgebung der Missa de Beata Virgine von Pierre de La Rue nachweisbar ist. Vgl. dazu Kap. 5.1. Pierre de la Rues ‚margaretische‘ Mission bzw. Kreitner, The church music of fifteenth-century Spain (wie Anm. 2), S. 82. Robert Stevenson: Spanish Cathedral Music in the Golden Age, Berkeley 1961, S. 199. Robert Stevenson: Spanish Music in the Age of Columbus, Den Haag 1960, S. 166, mit Verweis auf die Kirchenakten Autos capitolares, hier fol. 100v (Eintrag vom 23. September 1504).
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Kapitel 5.4.
nährt den schon häufig geäußerten Verdacht15, das Manuskript könne aufgrund seines Repertoires mit Sevilla in Verbindung gestanden haben, bevor es spätestens in den 1570er Jahren nach Tarazona, seinen heutigen Aufenthaltsort, gelangte. Es ist entsprechend denkbar, dass Alvas Werke, darunter das hier wichtige Agnus IV, in Sevilla dem Schreiber von Tarazona 2/3 vorlagen, der offenbar gezielt liturgisches spanisches Material kompilierte (Dafür sprächen die kodikologischen Befunde Urchueguías, die nach Sichtung der Quelle Tarazona 2/3 zu dem Schluss kommt, es handele sich nicht um eine Gebrauchsquelle, sondern eher eine dokumentarisch zusammengestellte Sammlung.) Angenommen Alvas Werke, darunter das Agnus IV, gelangten 1504 tatsächlich in die Kathedrale von Sevilla, so bildeten sie womöglich den terminus post quem der marianischen Kompilation. Das Agnus wird – vermutlich erst 1507, als Escobar zum Magister puorum der Kathedrale aufsteigt und aus dem vorliegenden Kirchen-Material unterrichtet und Messen gestaltet –, von diesem um ein passendes Kyrie IV ergänzt. Francisco da Peñalosa16, der sich um 1505 um ein Kanonikat in Sevilla bewirbt und deswegen in diesen Jahren mehrfach vor Ort nachgewiesen ist, steuert (möglicherweise auf Anfrage oder im Zusammenhang seiner Bewerbung) die beiden Mittelsätze bei, von denen sich das marianische Gloria de Beata Virgine klar am vorhandenen Kyrie Rex virginum des Magisters Escobar orientiert. Der Rahmen einer Marienmesse wird entsprechend vorgegeben gewesen sein. Der zum Zeitpunkt dieses Szenarios noch jugendliche Schüler Escobars, Pedro Fernández de Castilleja (ca. 1490–1574), der Escobar 1514 als Kapellmeister in der Position nachfolgen wird, vervollständigt die bunte Kompilation sodann um ein Sanctus VIII. Warum er ausgerechnet diese Choralvorlage wählte und nicht etwa ein zum vorliegenden Kyrie IV (Escobar) und Agnus IV (de Alva) passendes Sanctus IV, mag mit Escobars eigenem Sanctus VIII in der anderen Kompilationsmesse (Messe Nr. 2) zusammenhängen, die aus den drei erwähnten Sätzen von Anchieta (Kyrie, Gloria und Credo) und zwei Schlussteilen von Escobar (Sanctus und Agnus, vgl. Messe Nr. 2 in Beispielen 1 und 2) ebenfalls in Tarazona 2/3 zusammengestellt wurde; womöglich hat Escobar die bereits erprobte Vorlage seinem Schüler schlicht für eine weitere Variante vorgegeben. Der terminus ante quem in dieser Hypothese ist nicht so leicht zu entwickeln: denkbar wäre spätestens die Zeit um 1514, als Escobar Sevilla verlässt und nach Portugal zurückkehrt. Welche der beiden in Tarazona 2/3 notierten Kompilationsmessen nun zuerst entstand, kann momentan nicht fixiert werden. In jedem Fall liegen beide Messen zeitlich eng beieinander und wurden später, womöglich erst in den 1520er Jahren, in Tarazona 2/3 überführt. Den Komponisten Anchieta und Escobar käme so gesehen für die frühen kompilierten Messen eine Schlüssel-, wenn nicht gar eine Vermittlerrolle zu; im Detail lässt sich dies freilich nicht beweisen. Der Übersicht halber sei die Hypothese folgendermaßen grafisch fest-
15 16
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Für Sevilla plädiert etwa Jane Morlet Hardie: The motets of Francisco de Peñalosa and their manuscript sources, Diss. University of Michigan 1983, S. 51. Peñalosa ist später für den Transfer spanischer Musik nach Rom eine wesentliche Figur, ist er doch der einzige Spanier seiner Generation, der in Rom als päpstlicher Sänger angestellt war (ab 1517–1521, evtl. etwas länger, ab 1525 wieder in Sevilla).
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Universalismus und Nationalismus: Spanien
gehalten; aus insgesamt elf Sätzen von fünf (oder mehr) Komponisten werden also drei Messen kompiliert: Zeitpunkt 1
vor / um 1495–97
2
vor / um 1495–97
Komponist de Anchieta
Satz Credo I17
Quelle(n) Segovia C, Nr. 9
Kompilation(en) Messe Nr. 2
Tarazona 2/3 Gloria de Beata Virgine
Segovia C, Nr. 10
Messe Nr. 1+2
Barcelona BC 454 Tarazona 2/3 3
ca. 1497–1505
Kyrie Rex Virginum
Barcelona BC 454
Messe Nr. 1+2
Tarazona 2/3 4
ca. 1497–1505
[Anonymus]
5
Sanctus [Vorlage?]
Barcelona BC 454
Messe Nr. 1
Agnus [Vorlage?]
Barcelona BC 454
Messe Nr. 1
5
vor 1504
de Alva
Agnus IV
Tarazona 2/3
Messe Nr. 3
6
um 1505
da Peñalosa
Gloria de Beata Virgine
Tarazona 2/3
Messe Nr. 3
Credo I
Tarazona 2/3
Messe Nr. 3
Kyrie Rex Virginum
Tarazona 2/3
Messe Nr. 3
9
Sanctus VIII
Tarazona 2/3
Messe Nr. 2
10
Agnus IX
Tarazona 2/3
Messe Nr. 2
Sanctus VIII
Tarazona 2/3
Messe Nr. 3
7 8
11
ca. 1507–14
vor 1514
de Escobar
Castilleja
BEISPIEL 1: Mutmaßliche Chronologie der frühen kompilierten „Missae de Beata Virgine“
Dass dieser auf den ersten Blick reichlich verwickelte Gattungsauftakt für die späteren Messen spanischer Komponisten so einflussreich werden konnte, mag zunächst verwundern, wird aber im Folgenden – insbesondere im Zusammenhang der beiden untersuchten Missae de Beata Virgine von Francisco Guerrero – immer wieder in den Fokus rücken. Ein weiteres wesentliches Kennzeichen spanischer Marienmessen ist das schon in den ersten drei Kompilationen standardisierte Kyrie Rex Virginum, das mit dem Gloria de Beata Virgine, trotz unterschiedlicher Choralzuordnungen in den Missae IV und IX, eine feste Allianz bildet. Der Textzusatz, den Ambros schon 1881 als „dogmatischen Excurs über die Trinität“18 bezeichnete, dehnt den Kyrietext um drei vorgelagerte Einschübe: „Rex virginum amator Deus Mariae Decus [eleyson]“ – „Christe Deus de Patre: homo natus Maria matre [eleyson]“ – „O Paraclite obumbrans corpus Mariae [eleyson]“19. In insgesamt sechs Messen der spanischen Werkgruppe wird das Kyrie IV herangezogen, davon immerhin viermal mit dem Tropus (vgl. Beispiel 2); umgekehrt ist außerhalb Spaniens keine einzige Messe mit dem marientropierten Kyrie IV nachgewiesen. Signifikant an der tropierten Melodie ist nicht nur ihre zum Gloria de Beata Virgine adäquate Traditionsschwere – sie lässt sich bis weit in das Mittelalter hinein zurückverfolgen. Ebenso prägt der 17
Die Einzelüberlieferung des Credo als Teil einer Missa sine nomine ohne marianischen Kontext in Coimbra U 12 (1540er Jahre) wird hier ignoriert, da sie für die vorliegenden Zusammenhänge keine Rolle spielt. 18 August Wilhelm Ambros: Geschichte der Musik, 5 Bde., Leipzig 21881, Bd. 3, S. 592, Anm. 1. 19 In der Tropusüberlieferung sind dies die am häufigsten ausgewählten Strophen 1, 4 und 7 von insgesamt neun Strophen, gemäß den neun Anrufungen im Kyrie eleyson.
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Kapitel 5.4.
Choral eine ungewöhnliche Ornamentik aus, die John B. Trend bereits 1928 zum Anlass nahm, den Tropus in Zusammenhang mit dem mozarabischen Ritus und damit unter den Einfluss ornamenthafter Verzierung arabischer Provenienz zu stellen.20 Inwiefern rhythmische und melodische Ornamentik womöglich generell ein Kennzeichen spanisch-arabischer Stilfusion in der Musik ist, kann hier nicht diskutiert werden, zumal die Wurzeln dieser Thematik bis in die womöglich ebenfalls rhythmisch konnotierten mittelalterlichen Neumenfunde der arabischen Besatzungszeit zurückzuverfolgen wären. Für den vorliegenden Zusammenhang ist vielmehr interessant, dass ganz unterschiedliche spanische Quellen über Jahrhunderte hinweg das marianische Kyrie Rex Virginum pflegen, vom dreistimmigen Codex Las Huelgas (1188–frühes 14. Jh.) über musiktheoretische Belege bei Juan Bermudo (1555)21 oder Luís de Villafranca (1565)22 hin zu InstrumentalKompositionen von Antonio de Cabezon (1510–1566): Tres Kyries sobre el canto llano de rex virginum (1578).23 Des Weiteren ist eine einstimmige Überlieferungstradition bis zurück zum Codex Calixtinus aus dem 12. Jahrhundert in Santiago de Compostela nachweisbar.24 Tatsächlich scheint schon angesichts der hier nur lose aneinandergereihten Fundorte und Traditionsstränge die Sichtweise zu korrigieren zu sein, der KyrieTropus könne womöglich aus England stammen.25 Zwar sind bislang die frühesten zweistimmigen Vertonungen für das 13. und 14. Jahrhundert auf den britischen Inseln belegt26, aber allein schon durch die Verwendung des Kyrie Rex virginum in Guillaume de Machauts prominenter Messe de Notre Dame wäre der Tropus ebenso für die frühe marianisch konnotierte Mehrstimmigkeit in Frankreich in Anspruch zu nehmen.27 Ergänzend sei zumindest darauf verwiesen, dass in Norditalien und John Brande Trend: Spain from the South, London 21928, S. 180. Vgl. u. a. G. Edward Bruner: Editions and Analysis of Five Missa Beata Virgine Maria by the Spanish Composers: Morales, Guerrero, Victoria, Vivanco and Esquivel, University of Illinois, 1980, S. 37. 22 Villafrancas Breve instrucción de canto llano, Sevilla 1565, die ihre Approbation von Francisco Guerrero persönlich erhielt, verzeichnet unter den „Reglas“: „Para nuestra Señora, el Christe de Rex Virginum“, vgl. dazu im Folgenden Kap. 5.4.2. Kultur im Transfer bei Francisco Guerrero. 23 In: Obras de música para tecla, arpa y vihuela, de Antonio de Cabeçon, Musico de la camara y capilla del Rey Don Philippe nuestro Señor; Recopiladas y puestas en cifra por Hernando de Cabezón su hijo, Madrid 1578, en casa de Francisco Sánchez. 24 Darunter ein erst kürzlich thematisiertes bedeutendes Graduale aus Toledo, vgl. Lorenzo F. Candelaria: The Rosary Cantoral: ritual and social design in a chantbook from early Renaissance Toledo (= Eastman studies in music 51), University Rochester Press, 2008, insbes. S. 39f., sowie im Folgenden Kap. 5.4.2. Kultur im Transfer bei Francisco Guerrero. 25 Vgl. bereits eine kurze Abhandlung im British Magazine von 1847: Antiphonary of St. Patrick’s Cathedral, Dublin, the Ancient, in: The British magazine 32 (1847), ed. by Hugh James Rose, Samuel Roffey Maitland, sowie auch Gustave Reese: Music in the Middle Ages, New York 1940, S. 393ff. 26 Vgl. aktuell Peter M. Leffers, Margaret Bent: New Sources of English Thirteenth- and Fourteenth-Century Polyphony, in: Early Music History 2. Studies in Medieval and Early Modern Music, ed. by Iain Fenlon, New York 2009, S. 273–362, insbes. S. 278–281. 27 Vgl. u. a. Elizabeth Keitel: The So-Called Cyclic Mass of Guillaume de Machaut: New Evidence for an Old Debate, in: The Musical Quarterly 78 (1982), vol. 3, S. 316; im Hinblick auf 20 21
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der heutigen Schweiz ebenso mittelalterliche Überlieferungen nachweisbar sind.28 Die frühesten einstimmen Quellen liegen aber immer noch in Spanien vor; in diesem Zusammenhang erhält die exklusive Wahl des Satzes in den spanischen Missae de Beata Virgine, und nur dort, umso mehr Gewicht. Mit einem Blick auf das Repertoire der spanischen Missae de Beata Virgine, die bis in das frühe 17. Jahrhundert hinein überliefert sind, fallen nach den diskutierten Kompilationsmessen insbesonders die vielen Werkpaare auf: Cristóbal de Morales (um 1500–1553), Bernardino de Ribera (um 1520–1570/71), Francisco Guerrero (1528–1599) und Sebastián de Vivanco (um 1551–1622) komponierten jeweils zwei Missae de Beata Virgine, eine im italienischen Repertoire lediglich bei Palestrina anzutreffende Besonderheit.29 Zudem verzichten alle nach 1570 komponierten Messen im Gloria auf den Tropus Spiritus et alme, was ebenfalls eine spezifisch spanische Eigenart ist: Von den italienischen Vertonungen ist – abgesehen vom Sonderfall der Mantuaner Liturgie30 – nur eine einzige späte Messe tropusfrei komponiert. Der Befund spiegelt die bereits diskutierte erhöhte Aufmerksamkeit Spaniens hinsichtlich gegenreformatorischer Bemühungen31, die sich hier konkret in der Berücksichtigung des mit dem neuen Missale Romanum eingeführten tropusfreien Gloria IX äußerten. In gleichem Maße betraf dies freilich auch das um den traditionsreichen Tropus Rex virginum gekürzte Kyrie IV. Für das spanische Repertoire bedeuteten diese Eingriffe in die Choralstruktur eine signifikante Wende, indem nun nur noch selten das – im Missale Romanum nun auch nicht mehr marianisch konnotierte – Kyrie IV und stattdessen das ‚römische‘ Kyrie IX vertont wurde. Ausnahmen sind die als Missa Rex Regum überlieferte Missa de Beata Virgine von Melchor Robledo (um 1520–1586)32 sowie Martín de Villanuevas (†1605) alternatim-Missa de Nuestra Señora33, die er Philipp II. widmete: zwei Messen, die mit der Reverenz an ihren König noch einmal an das tradierte spanische Kyrie IV gemahnen, nun freilich ohne Tropus (vgl. zusammenfassend Beispiel 234).
28
29 30 31 32 33 34
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das Kyrie sind Textquellen genannt, die in Frankreich bis in das 12. Jahrhundert zurückreichen. Vgl. aktuell zur Diskussion der marianischen Zugehörigkeit des tropierten Kyrie bei Machaut Anne Walters Robertson: The Mass of Guillaume de Machaut in the Cathedral of Reims, in: Plainsong in the age of polyphony (= Cambridge studies in performance practice 2), ed. by Thomas Forrest Kelly, Cambridge University Press, 1992, S. 100–177, insbes. S. 108–111. Für Norditalien (Friaul) vgl. Raffaella Camilot-Oswald: Die liturgischen Musikhandschriften aus dem mittelalterlichen Patriarchat Aquilaeia (= Monumenta monodica medii aevi 2), Kassel [u. a.], S. cv., für den heutigen Schweizer Raum vgl. Jürg Stenzl: Repertorium der liturgischen Musikhandschriften der Diözesen Sitten, Lausanne und Genf (= Veröffentlichungen der Gregorianischen Akademie zu Freiburg 1) Freiburg (Schweiz) 1972, S. 143 und 191. Vgl. im Detail Verzeichnis I. Vgl. Kap. 5.6. Montagen in Mantua. Vgl. Kap. 4.3. Kirchengeschichtliche Horizonte: Maria im konfessionellen Zeitalter. Ms.: Tarazona 4, fol. 9v–17r; ediert in: Pedro Calahorra Martinez (Hg.): Melchor Robledo Opera Polyphonica, Bd. 1: Misas – Pasiones – Motetes, Zaragoza 1986. Ebenfalls als Unicum im Ms. überliefert: New York, Hispanic Society Ms. HC: 380/861, fol. 18v–29r; ediert in: Obras Completas, hg. von José Sierra Pérez, San Lorenzo de Escorial 1997. Zu ergänzen ist die Aufstellung noch um ein fünfstimmiges Missa de Nuestra Señora-Satzpaar aus Kyrie IX und Gloria IX von Andrés de Torrentes aus den 1540er Jahren, ediert von Michael Noone: Andrés de Torrentes (c1510–1580), Spanish Polyphonist and Chapelmaster: Opera
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Kapitel 5.4.
datiert 1
de Anchieta, Anonyma35 à 4
Kyrie
vor 1505 [?] IV; dorisch
Credo [-]
Sanctus [?]; dorisch
Agnus [?]; lydisch
2
de Anchieta, de Escobar36 à 4 vor 1514 [?] IV; dorisch
I; hypophrygisch VIII; hypolydisch
IX; lydisch
3
de Escobar, da Peñalosa, Castilleja, de Alva37 à 4
vor 1514 [?] IV; dorisch
I; hypophrygisch VIII; hypolydisch
IV; hypolydisch
4
Morales à 5
nach 1536
IX; g-dorisch
I38; g-dorisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
5
Morales à 4
1540
IX; g-dorisch
I; hypophrygisch XVII; lydisch
XVII; lydisch
6
Guerrero à 4 [1]
[vor?] 1566 IV; dorisch
IV; g-dorisch
7
Ribera à 4
nach 1570
IX; g-dorisch
I; hypophrygisch XVII; lydisch
8
Ribera à 5
nach 1570
IX; g-dorisch
IV39; g-dorisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
9
Victoria à 5
1576
IX; g-dorisch
I; hypophrygisch XVII; lydisch
XVII; lydisch XVII; lydisch
VIII; hypolydisch
IX; lydisch XVII; lydisch
10
Guerrero à 4 [2]
1582
IX; dorisch
IV; g-dorisch
XVII; lydisch
11
Robledo à 4
vor 1586
IV; g-dorisch
[-]
XVII; lydisch
XVII; lydisch
12
Rimonte à 5
1604
IX; g-dorisch
I; hypophrygisch XVII; lydisch
XVII; lydisch
13
Villanueva à 4
vor 1605
IV; dorisch
I; hypophrygisch IV; hypomixolydisch
IX; lydisch
14
Vivanco à 4 [1]
1608
IX; g-dorisch
IV; g-dorisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
15
Vivanco à 4 [2]
1608
IX; g-dorisch
[-]
XVII; lydisch
XVII; lydisch
16
Esquivel Barahona à 4
1613
IX; dorisch
[-]
XVII; c-lydisch
XVII; lydisch
BEISPIEL 2: Vorlagen der „Missae de Beata Virgine“ spanischer Provenienz
Abgesehen von diesen allgemeinen Kennzeichen lassen sich zahlreiche Einzelbezüge zwischen Werken und Komponisten herstellen, die allesamt hier nicht zur Sprache kommen können. Sie reichen von institutionellen städtischen Bezügen (wie die in Sevilla, Toledo oder Zaragoza zusammenlaufenden Lehrer-SchülerBeziehungen) und internationalen Berührungspunkten (wie die mehr oder weniger eng mit Rom verbundenen Komponisten Peñalosa, Morales und Victoria) hin zu formalen (wie die Interpolation des Ave Maria im Credo) oder überlieferungsgeschichtlichen Auffälligkeiten (wie die erhöhte Anzahl an Messen in Toledo, Granada oder Tarazona). Allein hierzu ließe sich eine äußerst ertragreiche Studie anschließen. Im Folgenden können diese Aspekte allenfalls dort zur Sprache kommen, wo sie die ausgewählten Komponisten und ihre Beiträge zur Werkgruppe betreffen.
35
36 37 38 39
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Omnia, Biography and Source Study, Diss. University of Sydney 1982. Vgl. dazu Robert Stevenson: The Toledo Manuscript Polyphonic Choirbooks and some other lost or little known Flemish sources, in: FAM 29 (1973), S. 87–107. Auf die Nennung von weiteren separaten Gloria de Beata Virgine-Sätzen ohne Messkontext wird hier verzichtet. Kompilationsmesse (Anchieta: Kyrie, Gloria; Anonyma: Introitus „Salve Sancta parens“, Graduale „Benedicta et venerabilis“ mit „Virgo Dei genitrix“, Alleluia „Dulcis Mater“, Offertorium „Felix namque est“, Sanctus mit dem Tropus „Pater per omnia“, Agnus und die Communio „Beata viscera“). Zur Quellenüberlieferung in Barcelona BC 454/B und den Anchieta-Konkordanzen in Tarazona 2/3 vgl. Verzeichnis I. Kompilationsmesse (Anchieta: Kyrie, Gloria, Credo; Escobar: Sanctus und Agnus). Zur Quellenüberlieferung in Tarazona 2/3 und den Anchieta-Konkordanzen in Segovia C, Barcelona BC 454/B und Coimbra U 12 vgl. Verzeichnis I. Kompilationsmesse (Escobar: Kyrie, Peñalosa: Gloria und Credo, Fernandez de Castilleja: Sanctus, Alva: Agnus). Zur Quellenüberlieferung in Tarazona 2/3 vgl. Verzeichnis I. Eingeflochten in das Credo ist zudem das Ave Maria, vgl. Verzeichnis I. Dass., vgl. ebenfalls Verzeichnis I.
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Zur näheren Untersuchung wurden aus dem Korpus an Missae de Beata Virgine die Werke von Morales und Guerrero herausgegriffen. Zwar hätte angesichts der bislang erst in den Anfängen befindlichen spanischen Renaissanceforschung auch jeder andere Komponist herangezogen werden können.40 Doch Morales und Guerrero bieten sich als Vertreter zweier Generationen besonders an, da sie geradezu exemplarisch für das dialektische Motto des Kapitels „Universalismus und Nationalismus“ stehen. Zum einen betritt mit Morales erstmals ein international hoch geschätzter Komponist aus Spanien den Schauplatz, dessen Werke stilistisch angeblich in einem spanisch-römischen Spannungsfeld gefangen waren, das schon Zeitgenossen in Ratlosigkeit versetzte. Die bis heute andauernde Diskussion, was an den Kompositionen nun ‚spanisch‘ und was ‚römisch‘ sei, hat ihre Wahrnehmung weder erleichtert noch befördert und soll am Beispiel der beiden Missae de Beata Virgine, die desgleichen als ein solches Kontrastpaar gelten, in eine neue Richtung gelenkt werden. Von ebenso dialektisch geprägten Debatten ist die noch weitaus schmalere Forschung zu Guerrero betroffen, dem nun allerdings – eine Generation später – ein ganz anderer, genuin ‚spanischer‘ Habitus anhaftet, zumindest was seine Biographie betrifft. In seinen Werken aber manifestiert sich ebenso wie bei Morales eine europäische, aus ganz unterschiedlichen Einflüssen amalgamierte Stilistik, die zugleich (oder dennoch) als ‚spanischer‘ Exportschlager für die Neue Welt in die Geschichte einging. Die große und einflussreiche Gruppe spanischer Missae de Beata Virgine am Beispiel dieser beiden Grenzgänger zu beleuchten, verspricht nicht nur Einblicke in ein zentrales Repertoire der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zugleich sind die Werke ebenso sehr imstande, Auskunft über eine wie auch immer geartete Rezeption der frühen römischen Messen (mithin Josquin) zu geben – von der immer wie selbstverständlich ausgegangen wird –, wie auch jene späte Basis bereitzustellen, auf der einige wenige portugiesische Komponisten des frühen 17. Jahrhunderts schließlich die letzten Gattungsbeiträge formulieren werden.41
40
Tomas Luís de Victorias Missa de Beata Virgine wurde von der Verfasserin bereits andernorts eingehend diskutiert, vgl. dies.: „Ad Virginem Dei Matrem Salutationes“. Victorias Marienmessen im Spannungsfeld von Kirche und Kunst, in: Im Schatten Palestrinas? – Tomas Luis de Victoria (= Das Goldene Zeitalter der Musik 1), hrsg. von Michael Zywietz, Bremen 2012 [Dr. i. Vorb.]. 41 Vgl. Kap. 5.7. ‚Gattungsdämmerung‘ in Portugal?
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186
Kapitel 5.4.
5.4.1. Cristóbal de Morales zwischen Spanien und Rom Obwohl Cristóbal de Morales bereits kurz nach seinem Tode als „luz de España en la musica“42 galt und sich eine zugleich kompositorisch wie musiktheoretisch lückenlose Rezeption seines Oeuvres bis in das 18. Jahrhundert hinein nachweisen lässt, sind Großteile seines Schaffens und Wirkens bislang unerforscht. Daran hat auch nur wenig ändern können, dass seit den 1950er Jahren ein Teil von Morales’ Produktion in moderner Edition zugänglich ist.43 Gründe dafür sind ebenso in den wissenschaftshistorischen Trends des 19. Jahrhunderts zu suchen, in Palestrina den maßgeblichen (weil italienischen Renaissance-) Komponisten des 16. Jahrhunderts zu sehen44, als auch in Morales’ Biographie selbst: In Spanien ausgebildet, wirkte er vergleichsweise lange in Rom, was ihm nach seiner Rückkehr den Ruf des „extranjero“45, des Ausländers, einbrachte, der angeblich weniger ‚spanisch‘ komponierte als seine Landsleute. Unabhängig davon, welche Themen zu Morales bislang auf den wissenschaftlichen Prüfstand gelangt sind – und das waren nur wenige –, stets rückten diese geographischen Bezüge in den Vordergrund, sei es in biographischer Hinsicht46, sei es im Kontext von Werkbetrachtungen, die sich dem überlieferungsgeschichtlichen Faktum zu stellen hatten, dass in Morales’ Oeuvre auffällig viele Paarbildungen stilistisch divergierender Kompositionen über dieselbe Vorlage existieren.47 42 Juan Bermudo: Declaración de instrumentos musicales, Osuna 1555, fol. LXXXIV. 43 Higinio Anglés: Cristóbal de Morales. Opera Omnia I–VIII (= Monumentos de la Música espanola), Rom 1952–71. Die nur partielle Edition seines Werkes war im Jahre 2011 Anlass, ein Editorial Board einer New Morales Edition zu gründen, der neben Cristina Urchueguía, Martin Ham und Michael Noone auch die Verfasserin angehört. Die Publikation der Bände ist für CMM ab 2013ff. avisiert; Teile der Edition, insbesondere die Quellenverzeichnisse, werden online bereitgestellt. 44 Auslöser und Rückhalt dieses Trends war die aus italienisch-patriotischer Sicht verfasste Palestrina-Biographie von Guiseppe Baini: Memorie storico-critiche della vita e delle opere di Giovanni Pierluigi da Palestrina, 2 Bde., Rom 1828. Die spanische Musikwissenschaft begann erst viel zu spät, nämlich gegen Ende des 20. Jahrhunderts, diesem Trend entgegenzuarbeiten. 45 Juan Bermudo: Comiença el libro primero de la declaración de instrumentos, Osuna 1549, fol. X: „compositor extranjero“. Dagegen galt der Morales-Schüler Francisco Guerrero in selbiger Abhandlung zweifelsfrei als Spanier. 46 Etwa in der Diskussion um die vielen Positionswechsel von Morales in Spanien im Gegensatz zur zehnjährigen, dagegen geradezu konstant wirkenden Anstellung an der Cappella pontificia in Rom. Das gab Anlass zur Spekulation, Morales habe sich in Rom wohler gefühlt als in Spanien. Hingegen hat Owen Rees, gestützt auf eine Studie von Javier Suárez-Pajares, kürzlich dargelegt, dass diese häufigen Ortswechsel weniger der Frustration des Komponisten als einer spanischen Sitte des 16. Jahrhunderts geschuldet waren, langfristige Verträge weder anzubieten noch abzuschließen. Vgl. Javier Suárez-Pajares: Dinero y honor: aspectos di magisterio de capilla en la España de Francisco Guerrero, in: Políticas y prácticasmusicales en el mundo de Felipe II, hrsg. von John Griffith und dems. (= Musica Hispana, Textos, Estudios 8), Madrid 2004, S. 149–197; sowie Owen Rees: Introduction, in: Cristóbal de Morales. Sources, Influences, Reception (= Studies in Medieval & Renaissance Music 6), hrsg. von Bernadette Nelson und dems., Woodbridge 2007, S. xxiii–xxxvii, insbes. S. xxxiif. 47 Vgl. zur Werkaufstellung die bislang vollständigste Repertoireliste von Martin Ham: Worklist, in: Cristóbal de Morales. Sources, Influences, Reception (wie Anm. 46), S. 297–393, dankenswerterweise mit Incipits.
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Wie rasch ihre konträren Stil- und Formmerkmale dazu verleiten, dies primär auf unterschiedliche regionale Einflüsse zurückzuführen (die umgekehrt also aus diesen Analysen destilliert wurden), zeigt sich etwa an dem Fall des Salve ReginaMotettenpaares48: Robert Stevenson hatte noch 1994 angenommen, die beiden Salve-Motetten „belong to two different worlds, the 5 voice […] in Roman style, the alternate verse 4-voice […] in Spanish style“.49 Diese Einschätzung fußte auf den Beobachtungen, dass die vierstimmige Motette einerseits alternatim und damit korrespondierend zu anderen spanischen Salve-Vertonungen zwischen 1500 und 1520 komponiert wurde, andererseits weitgehend auf Durchimitation verzichtete, also einem – vorgeblich – archaischen Satzduktus verpflichtet war, den man mit spanischer Komposition der Zeit generell assoziierte. Die fünfstimmige Motette hingegen verwendete nicht nur eine römisch-franziskanische Vorlage des SalveHymnus, die in spanischen Quellen nicht nachweisbar ist, sondern orientierte sich in ihrer dreiteiligen Form offenkundig an Josquins gleichnamiger, ebenfalls fünfstimmiger Vertonung, bei gleichzeitiger Zunahme an imitatorischen Verfahren. Während der römische Bezug des fünfstimmigen Salve unzweifelhaft ist50, herrscht inzwischen allerdings die Auffassung vor, dass die vierstimmige Vertonung nicht vor, sondern nach der römischen Zeit (ab 1545), damit zwar in Spanien, aber zu einem späteren Zeitpunkt als die fünfstimmige Schwester entstanden ist.51 Diese Annahme stützt sich sowohl auf mittlerweile dokumentierte, hingegen im Detail noch weiter zu konkretisierende motivische Bezüge52 zu Josquins Salve-Motette, die Morales vor seinem Rom-Aufenthalt der Jahre 1535 bis 1545 noch nicht gekannt haben kann, als auch auf die alternatim-Form, die auf spanische LiturgieKonventionen und damit auf eine spanische Entstehungszeit hinweist. Fazit: Das vormals als archaisch etikettierte Frühwerk, das angeblich noch nicht dem zeitgemäßen ‚römischen‘ (oder auch: ‚europäischen‘) Standard genügte, avancierte somit quasi über Nacht zu einem reifen, ‚römische‘ Einflüsse in ‚spanischer‘ Form und Funktion nicht verleugnenden Spätwerk. Der Fall macht einerseits klar, dass stilkritische und formale Zuweisungen in den Werkpaaren ohne eingehende musikalische Analyse und Berücksichtigung ihrer gattungshistorischen Kontexte eher irreführend denn hilfreich sein können. Andererseits legt er die häufigen charakteristischen Argumentationsketten der Forschung offen, in denen dem ‚Spanischen‘ zumeist die Rolle des frühen, archaischen, provinziellen Niveaus zukommt, während das ‚Römische‘ (zumeist – auch dies höchst problematisch – allein identifiziert mit Josquin) als spät, weiterentwickelt und ‚europäisch‘ begriffen wird. Eine fatale Schlussfolgerung, die nicht nur durch das Faktum von Morales’ Rückkehr 48
Ebenso ließe sich diese Diskussion an den beiden Requiem-Kompositionen von Morales vertiefen. 49 Robert Stevenson: Booklettext zur CD Ave Maris Stella: Música de la Catedral de Sevilla dedicada a la Virgen María (ca. 1470–1550), Almaviva 1994, S. 38. 50 Dies wird zudem durch die Überlieferung der Motette in den Cappella-Sistina-Codices (I-Rvat CS 17, fol. 122v–127) gestützt. 51 Grayson Wagstaff: Spanish Traditions, Liturgical Works, in: Cristóbal de Morales. Sources, Influences, Reception (wie Anm. 46), S. 63–83, zum Salve-Regina-Paar S. 68–72. 52 Ebd., S. 71.
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Kapitel 5.4.
nach Spanien – wo sein eigentliches ‚Spätwerk‘ entstand – in Schieflage gerät, sondern insbesondere durch die bislang allenfalls vage erfassten Kriterien ‚spanischen‘ Komponierens kaum Substanz gewinnt. Die Notwendigkeit und Bedeutung von differenzierten Analysen zeigt sich erstrecht vor dem Hintergrund der bei Morales problematischen, weil im Wesentlichen auf undatierte Manuskripte gestützten Quellenlage, die nur selten exakte Auskünfte über die Entstehung und Verortung einzelner Kompositionen zu geben vermag. Die bisher in der Forschungsliteratur akzentuierten Kriterien ‚spanischen‘ Komponierens der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sind 2007 von Emilio RosFábregas in seinem instruktiven Beitrag „A Problem of Musical Mysticism and National Identity“53 zusammenfassend dargestellt und problemgeschichtlich verortet worden. Die Kriterien erweisen sich zusammenfassend als kaum geeignet für die Analyse: Von Archaik und Mystik spanischer geistlicher Renaissance-Komposition ist die Rede54, klanglich gebildet aus 1. „pseudo-imitation“55, also nur in ihren Incipits motivisch verkoppelten Stimmen, die ansonsten kaum motivische Verarbeitung erfahren, und 2. einer cantus planus-adäquaten Satzfaktur des c.f. in langen Notenwerten. Dem stünde auf ‚römischer‘ Seite das schon erwähnte Kennzeichen der intrikaten Durchimitation56 (als überhaupt höchstes stilistisches Gütezeichen polyphoner Satzkunst) gegenüber, dem zugleich aber ein kalkulierter Habitus anhaftet, der das vorgeblich komplexere (und damit als moderner gedeutete) ‚römische‘ Satzbild als „kalt“ erscheinen lässt, während der ‚spanische‘, mystisch durchwirkte Satz als „warm“ gilt.57 In dieser sensualistischen Konfusion gelang dem doppelten „extranjero“ Morales – so resümiert die spanische Forschung – die Kreation einer neuen, wenn auch immer noch aus „simplicity“ und „purity“ der Satzfaktur schöpfenden Expressivität.58 Es ist kein Wunder, dass Ros-Fábregas am Schluss seines Beitrages fordert: „There is a need for a fresh start.“59 Denn so unzweifelhaft es ist, dass Morales’ Komponieren in Italien enormen, gewiss nachhaltig prägenden Einflüssen unterlegen hat, die er nach Spanien importierte, so wenig hat die Differenz zwischen ‚vorher‘ und ‚nachher‘ allein mit dem Quantum an (kalkulierter) Imitation im Satzgefüge zu tun, die sich zumal schon in spanischen Werken um 1500 zeigen lässt. Und was vermutlich Jahre später den im Gegensatz zum franko-flämisch-stämmigen Josquin noch am ehesten ‚römischen‘ Komponisten Giovanni Pierluigi da Palestrina an Morales fasziniert haben mag, ist weniger dessen sukzessive Assimilation an Rom bzw. Josquin – was aufgrund des zweifachen Generationsabstandes von Josquin zu Morales zumal ahistorisch wäre –, als vielmehr eine über Josquin hinausweisende Satztechnik. Zukünftige Forschung wird zu 53 54 55 56 57 58 59
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Emilio Ros-Fábregas: A Problem of Musical Mysticism and National Identity, in: Cristóbal de Morales. Sources, Influences, Reception (wie Anm. 46), S. 215–233. Ebd. S. 224, aber auch schon bei Wagstaff, Spanish Traditions (wie Anm. 51), S. 63–83, insbes. S. 65 und 76. Ebd., S. 73. Ros-Fábregas, A Problem (wie Anm. 53), S. 219. Ebd., S. 230. Ebd., S. 218 und 220. Ebd., S. 233.
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klären haben, welche Essenzen Palestrina aus Morales’ Schaffen gewann, so dass es nicht nur möglich war, dass ihre Werke verwechselt wurden60, sondern vieles von dem transparenten, gemäßigt fließenden und textfreundlichen Satzbild, für das Palestrina berühmt und später auch gerügt wurde, sich schon in Morales Werken vermittelte.61 Dass beide auch partiell in Josquin ihre Inspiration fanden, ist ebenso unbestritten wie die unterschiedlichen Konsequenzen, die sie daraus zogen. Wie wenig das Merkmal der Imitation als entstehungsgeschichtlicher Bürge fungieren kann, zeigt sich auch an den hier in Rede stehenden beiden Missae de Beata Virgine von Morales zu vier und fünf Stimmen. Hier ist es das fünfstimmige, vermutlich frühere, hinsichtlich seines Entstehungsortes aber ungesicherte Werk, das Gustav Adolf Trumpff schon 1953 dem Typus der „durchimitierten Messe“62 zuschlug; entsprechend befand man noch über 50 Jahre später, sie sei eine von Morales’ „typically Roman Masses“63. Aber weder der in der vatikanischen Bibliothek nachweisbare 1544er-Druck der vierstimmigen Messe64 noch die ebenfalls dort überlieferte, zwischen 1536 und 1549 entstandene Manuskript-Kompilation mit der fünfstimmigen Messe65 geben Auskunft über Entstehungszeit und -ort der Werke, sondern sind lediglich Indikatoren für ihre römische Rezeption. Erschwerend tritt hinzu, dass beide Messen erstmals 1540 in zwei verschiedenen venezianischen Sammeldrucken und wiederum zeitgleich 1544 in zwei römischen Personaldrucken erschienen und sodann vereinzelt nachgedruckt wurden.66 Bewegung in die Entstehungsdiskussion kam erst mit der Entdeckung eines Manuskriptes in Fruili, das die fünfstimmige Messe an prominenter erster Position zeigt und offenbar in einem Zug notiert67, also nicht nachträglich aus mehreren Niederschriften kompiliert wurde. Während dieses Manuskript im RISM B (1991) die Datierung „copiées vraisemblablement vers 1520–1530 pour l’usage 60 61
62 63 64 65 66 67
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Vgl. etwa zum Beispiel der Lamentation Nun. Vigilavit jugum Martin Ham: Morales. The Canon, in: Cristóbal de Morales. Sources, Influences, Reception (wie Anm. 46), S. 272f. Vgl. dazu im Detail auch Kap. 5.3.2. Referenzielle Vielfalt bei Giovanni Pierluigi da Palestrina. Auch dies wurde von der Musikforschung schon vor Jahrzehnten an-, nicht aber weitergedacht, vgl. Gilbert Chase: The Music of Spain, New York 1941, S. 308, Fußnote 10: Zitiert wird ein Konferenz-Kommentar von Lea Southgate: „I think there would have been no Palestrina if there had been no Morales to show what could be done in church music.“ Anglés griff dies im Vorwort seiner Messenedition auf: „La música sagrada de las Misas de Morales puede considerarse, en cierta manera, como el puente entre la creación artística de Josquin de Près y de Pierluigi da Palestrina.“, in: Cristóbal de Morales. Opera Omnia Vol. I: Missarum Liber Primus (Roma, 1544), in: Monumentos de la Música espanola Bd. 11, Rom 1952, S. 12 (englisch übersetzt: „The sacred music of Morales’s Masses can be considered, to some extent, as the bridge between the artistic creation of Josquin de Près and that of Pierluigi da Palestrina“, zit. nach: Cristina Urchueguía: Editing Cristóbal de Morales’s Masses Today, in: Cristóbal de Morales. Sources, Influences, Reception [wie Anm. 46], S. 238.) Die Messen des Cristobal de Morales, in: Anuario Musical 8 (1953), S. 124. Wagstaff, Spanish Traditions (wie Anm. 51), S. 75. I-Rvat CS 179, Nr. 1. I-Rvat CS 19, fol. 66v–87 antiqua, 68v–89 moderna. Vgl. zur Druckhistorie Verzeichnis I. Cividale del Friuli, Museo Archeologico Nazionale Ms. LIII, fol. 1v–19; mit insgesamt 14 Messen von neun Komponisten.
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Kapitel 5.4.
de la cathédrale“68 erhielt, was die deutlich frühere Entstehung der fünfstimmigen Messe bedeutet hätte, revidierte Lewis Lockwood 1994 in seiner Untersuchung der Fruili-Codices und ihrer Konkordanzen69 die Rückdatierung und bestätigte den bereits 1979 im Census Catalogue enthaltenen Vorschlag der „early 1540’s“.70 Der Vorschlag fußt im Wesentlichen auf einem Wasserzeichen [Briquet #76171], das in anderen, auf die frühen 1540er Jahre datierten Dokumenten aus der Kollegiatskirche Santa Maria Assunta, der das Fruili-Manuskript zugehört, nachweisbar ist. Ausgeschlossen ist hingegen nicht, und an dieser Stelle ließe sich die Quellendiskussion wieder eröffnen, dass die Aufzeichnung bereits deutlich vor 1540 begonnen wurde, da sieben Messen des Fruili-Manuskriptes nachweislich aus einer Pariser Attaingnant-Kompilation von 1532 (RISM 15321–7) kopiert wurden72, es also denkbar wäre, dass die in der Quelle zuerst notierte Morales-Messe schon 1531/32 (oder noch früher) niedergeschrieben worden ist, je nachdem, wann der Pariser Druck dem fruilischen Schreiber zur Verfügung gestanden hat. In jedem Fall aber ist ihre Niederschrift unabhängig von den 1540er und 1544er Drucken zu sehen, da sie weder in Anordnung und Textierung noch Ligaturbildung und Notation Ähnlichkeiten zeigt. Stattdessen – wie bereits die Quellenfiliation in der Gesamtausgabe von Anglés offengelegt hat73 – weist sie zahlreiche Konkordanzen zur römischen (ab 1536 notierten) Sistina-Handschrift auf, so dass man mittlerweile davon ausgeht, dass den handschriftlichen Quellen aus Fruili und Rom ein gemeinsames – heute unbekanntes – Manuskript zugrunde gelegen haben muss, das der Komponist möglicherweise selbst vor der Drucklegung 1540 nochmals revidierte.74 Dennoch: Der Nachweis für eine frühere Entstehung der fünfstimmigen Messe ist auch dies nicht, zumal für die vierstimmige Messe vor dem Erstdruck von 1540 bislang keine Handschriften nachweisbar
68 69 70 71 72 73 74
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RISM B/IV/5 [Nanie Bridgman: Manuscrits de Musique Polyphonique XVe et XVIe Siècles. Italie, 1991], S. 112. Lewis Lockwood: Sources of Renaissance Polyphony from Cividale del Fruili. The Manuscripts 53 and 59 of the Museo Archeologico Nazionale, in: Il Saggiatore Musicale 1 (1994), Heft 2, S. 249–314. Census-Catalogue of Manuscript Sources of Polyphonic Music 1400–1550, compiled by the University of Illinois, Musicological Archives for Renaissance Manuscript Studies, Vol. I, A–J, Neuhausen-Stuttgart 1979, S. 153. C. M. Briquet: Les Filigranes. Dictionnaire historique des Marques du Papier des leur apparition vers 1282 jisqu‘en 1600, Leipzig 1923, Reprint Hilversum 1952, 4 Bde. Lockwood, Sources of Renaissance Polyphony (wie Anm. 69), Aufstellung S. 265ff. Vgl. Higinio Anglés’ Kritischen Bericht, in: Cristóbal de Morales. Opera Omnia Vol. III: Missarum Liber Secundus (Roma, 1544), in: Monumentos de la Música espanola Bd. 15, Rom 1954, S. 35–38. Im Detail vgl. Lockwood, Sources of Renaissance Polyphony (wie Anm. 69), S. 256f. Die nachträgliche Zusatztextierung des Tropus mit Choralzeilen, wie auch im späteren Toledaner Manuskript von 1546–50 [Toledo, Catedral, BC 29], spielt für die Datierungsfrage keine Rolle, vgl. dazu ebenfalls Lockwood, Sources of Renaissance Polyphony (wie Anm. 69), S. 255f. und 267, sowie Urchueguía, Die mehrstimmige Messe im goldenen Jahrhundert (wie Anm. 1), S. 263. Zu späteren, allerdings undatierten Manuskripten der fünfstimmigen BMV-Messe vgl. Verzeichnis I.
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sind.75 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die beiden Widmungen der 1544erDrucke – der Missarum liber primus an den spanisch vermählten Cosimo de Medici, der Missarum liber secundus an Papst Paul III. – ebenfalls nichts über die Herkunft der Werke aussagen, ganz abgesehen davon, dass sie schon vier Jahre zuvor im Druck vorlagen.76 Unstrittig ist hingegen, dass beide Messen kompositorisch unmittelbar aufeinander Bezug nehmen, unabhängig davon, wann und wo sie komponiert worden sind: Das Spektrum reicht hier von stilistischen Anleihen in der Gestaltung exponierter Passagen bis zur konkreten Zitation von charakteristischen Motiven, Einsatzkonstellationen oder polyphonen Abschnitten. Selbst die Vorlagen- und Moduswahl ist mit Kyrie IX (g-dorisch), tropiertem Gloria IX (mixolydisch), Credo I (g-dorisch bzw. hypophrygisch), Sanctus und Agnus XVII (jeweils lydisch) identisch, sie variiert lediglich in der Implementierung der Antiphon Ave Maria im Tenor des fünfstimmigen Credo, das damit den originalen Modus hin zum g-dorischen verlässt. Zugleich aber repräsentieren sie zwei unterschiedliche Entwürfe derselben Gattung, was sich äußerlich bereits in Umfang und Besetzung der einzelnen Sätze andeutet: à 4 (Umfang)77
à 5 (Umfang)78
à 4 (Besetzung)
à 5 (Besetzung)
Kyrie
55
75
4
5
Gloria
160
212
4
5
Patrem omnipotentem
84
87
4
5
Crucifixus
34
33
3
5
Et iterum
19
29
3
3
Et in Spiritum
75
71
4
5
Sanctus
51
54
4
5
Osanna I
34
39
5
5
Benedictus
25
42
4
3
Osanna II (bzw. I)
29
39
5
5
Agnus I
36
44
4
5
Agnus II
35
32
4
3
Agnus III
45
50
5
6
gesamt:
682
807
BEISPIEL 3: Umfang und Besetzung der „Missae de Beata Virgine“ von Morales 75
Vgl. zur Quellenlage der vierstimmigen BMV-Messe von Morales den zentralen Beitrag von Urchueguía, Editing Cristóbal de Morales’s Masses Today (wie Anm. 61), S. 235–260, insbes. S. 247f.; sowie RISM B 15 [Cristina Urchueguía (Hrsg.): Mehrstimmige Messen in Quellen aus Spanien, Portugal und Lateinamerika ca. 1490–1630. Drucke, Handschriften und verlorene Quellen, München 2005], S. 602f. 76 Zur Widmungshistorie der beiden Messenbücher und der These, dass Cosimo de Medici als Widmungsträger (nach Karl. V.) vermutlich sogar die ‚zweite Wahl‘ war, vgl. Klaus Pietschmann: A Renaissance composer writes to his patrons: Newly discovered letters from Cristóbal de Morales to Cosimo I de’ Medici and Cardinal Alessandro Farnese, in: Early music 28 (2000), Nr. 3, S. 392. 77 Taktzählung von Kyrie und Gloria nach der Referenz-Auswahledition von Urchueguía, Editing Cristóbal de Morales’s Masses Today (wie Anm. 61), S. 250–260; Taktzählung von Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus nach Anglés, Cristóbal de Morales. Opera Omnia Vol. I (wie Anm. 73). 78 Taktzählung nach Higinio Anglés, Cristóbal de Morales. Opera Omnia Vol. III (wie Anm. 73).
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Kapitel 5.4.
Die vierstimmige Messe ist nicht nur fast in jedem einzelnen Satz – signifikant sind Kyrie, Gloria und Benedictus (vgl. die grauen Kästen in den Umfangs-Spalten) – deutlich kürzer. Sie weist auch häufigere Besetzungswechsel von Drei- zur Vierzur Fünfstimmigkeit auf, so dass beide Messen – absichtsvoll oder nicht – nur im Et iterum (à 3) und im Osanna (à 5) identisch besetzt sind (vgl. die grauen Kästen in den Besetzungs-Spalten). Während die Besetzungswechsel der vierstimmigen Messe also durch sukzessive Zu- und Abnahmen gekennzeichnet sind, pendelt das fünfstimmige Konzept ab dem Credo konstant zwischen Drei- und Fünfstimmigkeit und erzeugt mit der Weitung von drei auf sechs Stimmen im Agnus III eine entsprechend verdoppelte Finalwirkung. Dass die unterschiedlichen Besetzungsstrategien für ein anderes Klangbild verantwortlich zeichnen, ist ebenso einleuchtend wie die verschiedenen dynamischen Konsequenzen, die daraus erwachsen. Allein aus diesen formalen Bedingungen lässt sich rasch ablesen, dass regionale Vorbilder, wenn überhaupt, dann nur im römischen Umfeld zu suchen sind. Keine der bekannten früheren spanischen, überdies kompilierten Missae de Beata Virgine kann für eines der beiden Modelle Pate gestanden haben (vgl. oben Beispiele 1 und 2). Sie verwenden z. T. andere Vorlagen und bleiben überdies stimmlich weitgehend der Vierstimmigkeit verbunden, ganz abgesehen davon, dass bis heute überhaupt ungeklärt ist, ob Tarazona 2/3 nun in Sevilla und damit an vermuteter Ausbildungsstätte von Morales kompiliert worden und ihm bekannt gewesen ist oder nicht. Formale Bezüge bestehen in einzelnen Aspekten dagegen zum römischen Bestand, also zu jenen in der Cappella Sistina verwahrten Messen vor 1540, die Morales als Sänger in Rom kennengelernt haben dürfte.79 Eine Übersicht, zunächst über die Besetzungsstruktur der Satzabschnitte, ist in diesem Zusammenhang hilfreich (vgl. Beispiel 4): La Rue80 Josquin Brumel Festa Dor / Beausseron Michot Beausseron Misonne D’Argentil Morales à 4 Morales à 5
Kyrie 4 4 4 4 4 4 4 4 4–3–4 4 5
Gloria 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 5
Credo 4–4–4 5–5–5 4–4–4 4–4–4 5–3–5 5–5–5 5–3–5 5–5–5 5–3–5 4–3–4 5–3–5
Sanctus 4–4–4–3–4 5–5–5–5–5 4–4–4–4–4 4–3–5–2–5 4–3–4–4–4 4–4–4–4–4 4–3–4–3–4 4–3–4–4–4 4–2–5–3–5 4–4–5–4–5 5–5–5–3–5
Agnus 4–4–4 5–2–5 4–2–4 4–2–6 4–3–4 4–5–4 4–2–5 5–2–5 4 – 5 – [-] 4–4–5 5–3–6
BEISPIEL 4: Besetzungsstrukturen der „Missae de Beata Virgine“ des Sistina-Repertoires 79
80
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Vgl. zur Disposition des Sistina-Repertoires insbes. Kap. 5.3.1. Josquin Desprez ‚komponiert‘ Geschichte. Die einzige ‚spanische‘ Quelle, aus der Morales in Rom möglicherweise gesungen haben könnte, ist ein – nur fragmentarisch überliefertes – Beata Virgine-Satzpaar von Johannes Wreede [= Juan de Urreda]: I-Rvat CS 14, fol. 6v–10r, vgl. Verzeichnis I. Die hier assoziierte Reihenfolge der neun Messen spielt für den vorliegenden Zusammenhang weniger eine Rolle als ihre nach bisherigen Datierungen angenommene Überlieferung in den Sistina-Codices vor 1540. Vgl. zu den Datierungen Kap. 5.3. Profil und Tradition: Rom, Beispiel 1, sowie Verzeichnis I.
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So lassen sich sowohl für Morales’ Ausweichen in die Dreistimmigkeit im Mittelteil des Credo Vorbilder benennen81 wie auch für die deutliche Zunahme der Besetzung von Agnus II zu III82. Und selbst die sich von der vorgeschriebenen Vier- zur Fünfstimmigkeit steigernde Osanna-Besetzung in Morales’ Missa de Beata Virgine à 4 scheint Kennzeichen des römischen Bestandes zu sein83, während für alle diese Aspekte spanische Vorbilder gänzlich fehlen. Bedenkt man indes, dass Morales ein ganz essentielles Merkmal nicht übernahm, nämlich die nach Josquins Vorbild in weiteren fünf Messen des Bestandes anzutreffende, im Kontext der zeitgenössischen Messkomposition absolut ungewöhnliche Aufstufung von Gloria (à 4) zu Credo (à 5), so verschieben sich die Bezüge erneut: Weniger konkrete Vorbilder, also Einzelwerke wie jenes von Josquin, haben Morales’ Entwürfe geprägt als vielmehr generell das offenbar genuin ‚römische‘ Verfahren der Stimmvarianz in den letzten drei Sätzen. Dies dürfte als Usus in römischen Quellen der Zeit Morales’ Interesse, erprobt sodann in zwei verschiedenen Varianten, geweckt haben. Dieser formale Befund, der in der musikalischen Analyse der Werke später noch zu vertiefen ist, scheint für die Josquin-Fixierung der Renaissanceforschung nicht ganz unerheblich zu sein, werden Josquins Leistungen doch zu häufig mit einer quasi historischen Verpflichtung zu ihrer Nachahmung assoziiert. Ein weiteres Kriterium für die Nähe von Morales’ Missae de Beata Virgine zum römischen Bestand im Allgemeinen ist sodann die Vorlagenwahl. Auch hierzu bietet sich eine Übersicht an, unter Auslassung des alle Messen betreffenden Gloria IX (vgl. Beispiel 5): Kyrie
Credo
Sanctus
Agnus
La Rue
IX; a-dorisch
IV; dorisch
IX; lydisch
XVII; lydisch
Josquin
IX; g-dorisch
I; hypophrygisch
IV; g-hypomixolydisch
IV; g-hypolydisch
Brumel
IX; g-dorisch
I; hypophrygisch
IX; lydisch
XVII; lydisch
Festa
IX; c-dorisch
IV; c-dorisch
XVII; c-lydisch
XVII; c-lydisch
Dor / Beausseron
IX; g-dorisch
[-]84; lydisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
Michot
IX; g-dorisch
III; c-lydisch
IV; g-hypomixolydisch
IV; g-hypolydisch
Beausseron
IX; g-dorisch
[-]85; lydisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
Misonne
IX; g-dorisch
[-]86; lydisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
D’Argentil
IX; g-dorisch
[-]87; lydisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
Morales à 4
IX; g-dorisch
I; hypophrygisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
Morales à 5
IX; g-dorisch
I; hypophrygisch / g-dorisch88
XVII; lydisch
XVII; lydisch
BEISPIEL 5: Vorlagendisposition der „Missae de Beata Virgine“ des Sistina-Repertoires 81 82 83 84 85 86 87 88
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Mit den Credo-Sätzen von Johannes Beausseron – erneut verwendet in der Kompilationsmesse mit Justinus Dor – und Charles D’Argentil. Hier wäre insbesondere Constanzo Festa zu nennen, aber auch schon Josquin. D’Argentil und Festa beginnen ebenso wie Morales (à 4) ihr Sanctus vierstimmig, um in den beiden Osanna-Partien je eine Stimme aufzustocken. Hier liegt motivisch die Sequenz Inviolata, integra, et casta es Maria zugrunde. Wie Anm. 84. Dem Satz liegt die Antiphon Regina Coeli zugrunde. Das Credo baisert hier auf der Antiphon Sub tuum presidium. Durch die implementierte Antiphon Ave Maria.
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Kapitel 5.4.
Morales greift somit in beiden Werken die in den Sixtinischen Quellen überwiegende, erst nach Josquin und La Rue entwickelte und schließlich die gesamte Gattung bis in das 17. Jahrhundert hinein dominierende Vorlagenkombination Kyrie IX, Gloria IX, Credo I, Sanctus und Agnus XVII auf. Ebenso ließe sich seine Implementierung einer marianischen Antiphon in das Credo als römisch inspiriert deuten, da spanische Vorbilder gänzlich fehlen.89 Auch auf dieser weiteren Ebene der Vorlagenwahl betreibt Morales also keine Josquin-Nachahmung, sondern orientiert sich am Sixtinischen Bestand en gros, der ihm als Sänger in den Jahren 1535 bis 1545 vertraut gewesen sein dürfte, und verwandelt sich dessen formale Traditionen auf eigene Art an. Nimmt man entsprechend an, dass es sich bei Morales’ Missae de Beata Virgine um zwei, wenn auch womöglich nicht in Rom komponierte, dann aber immerhin durch in Rom überlieferte Besetzungs-, Vorlagen- und Moduskonstellationen deutlich beeinflusste Werke handelt, so drängt ihre unterschiedliche Anlage umso mehr in den Vordergrund. Denn je mehr die formalen, äußeren Analogien akzentuiert werden, desto mehr erstaunt das innere stilistische Spektrum, das Morales in den Kompositionen entfaltete und damit auf ihren Bezugsort Rom reflektierte. Akzentuieren lässt sich dieser komplexe rezeptionshistorische Vorgang sonderlich am Beispiel der beiden Gloria-Sätze, die einerseits aufgrund ihrer Tropierung satztechnische Aufmerksamkeit verlangen, andererseits aber auch schon fester formaler Bestandteil der frühen spanischen Missae de Beata Virgine sind: Varianten in den kompositorischen Verfahren beider Sätze sollen vor diesem Doppelspiegel erhellt werden. Bereits 1953 machte Gustav Adolf Trumpff darauf aufmerksam, dass in Morales’ Choralmessen die Vorlage stets „Melodiesubstanz für alle Stimmen“ sei: „Alle Stimmen saugen das Thema auf, machen es gleichberechtigt, hörbar“90. Das gilt für beide Missae de Beata Virgine, deren Imitation thematischen Materials somit kaum quantitativ (was – wie dargelegt – als Signum römischer Provenienz gedeutet wurde), dafür aber qualitativ, d. h. an ihren Verfahren gemessen und unterschieden werden kann. Dabei spielt weniger – zumindest nicht zu Beginn – die flächendeckende Kontrapunktik c.f.-freier Gegenstimmen oder Mottos (wie noch oft bei Josquin) eine Rolle als die Entfaltung der varietas aus der choralischen Prägung des gesamten Satzes heraus, insbesondere in der fünfstimmigen Variante eingebunden in ebenso rhythmisch-metrisch wie formal ambitionierte Verfahren. Mit 212 Mensuren nimmt das fünfstimmige Gloria nicht nur einen ähnlich großen Umfang in Anspruch wie in Josquins Missa de Beata Virgine (dort: 248).91 Seine Eröffnung im ‚klassischen‘ c.f.-tragenden Superius-Tenor-Gerüst (M. 1–11) 89
90 91
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Morales sollte zudem der einzige spanische Komponist des 16. Jahrhunderts bleiben, der ein Credo I mit Melodieaddition komponierte. Allein Bernardino de Ribera arbeitete 1570 die Antiphon Ave Maria, gratia plena in sein Credo IV der fünfstimmigen Beata Virgine-Messe ein, vgl. die Edition des Credo-Fragments von Josephson (Hg.): Corpus mensurabilis musicae 95, II. Gustav Adolf Trumpff: Die Messen des Cristobal de Morales, in: Anuario Musical 8 (1953), S. 124. Die weiteren Gloriae de Beata Virgine aus dem römischen Kontext liegen z. T. weit darunter: La Rue: 121, Festa: 79, Misonne: 111, Michot: 142 und D’Argentil: 122 Mensuren. Allein die Gloria-Sätze von Beausseron (188), Brumel (197) und Dor (216) sind ähnlich umfangreich angelegt.
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sowie die in ein Noëma mündende homophone Anlage der letzten drei Tropuszeilen scheinen deutliche Reverenzen zu sein und wirken dort geradezu zitathaft, wo die Rhythmisierung von exponierten Choralincipits jener von Josquin auffällig gleicht.92 Was jedoch schon von Beginn an durch den Solo-Einsatz des Altus I intendiert ist – nämlich die Entfaltung der Choralabschnitte aus einem aufgestockten Mittelstimmenapparat heraus (mit zwei Altus-Stimmen und Tenor) –, wird mit der Vorimitation des Altus II in Mensur 12 offensichtlich (vgl. Beispiel 6): Im gesamten Et in terra-Abschnitt (M. 1–91) setzen stets Altus I oder Altus II mit der jeweiligen Choralzeile ein, Superius und Bassus beschließen je die Durchführungen.93
BEISPIEL 6: Morales, „Gloria de Beata Virgine“ à 5, M. 1–15 92
Vgl. das Incipit Et in terra pax (Superius, M. 2–4), den Superius-Einsatz bei Primogenitus (M. 76ff.) oder auch die extensiv verwendete finale In gloria Dei patris-Formel (ab M. 180) mit den entsprechenden Parallelstellen bei Josquin. 93 Ausnahmen bilden zwei Bassus-Einsätze zu Deus pater omnipotens (M. 44) und Domine fili unigenite (M. 49), die angesichts der 18 Altus-Auftakte allerdings kaum ins Gewicht fallen.
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Kapitel 5.4.
Die entsprechend geschichtete Anlage der Einsätze, die dem ersten Satzdrittel etwas Kompaktes verleiht und zumal nicht selten für Textüberlagerungen sorgt, wird durch zahlreiche Imitationsmodule und wechselnde Stimmpaarungen noch gesteigert; die Melodiesubstanz wird variabel rhythmisiert, augmentiert, diminuiert und nach Bedarf sequenziert (vgl. Bassus M. 32–34), ganz unabhängig von der vorrangigen Installation des Chorals im Superius. Eine kurzfristige Lockerung der Stimmdichte und c.f.-Gebundenheit entsteht erst zu Beginn der ersten Tropuszeile (M. 59ff.): Das durchführende Unterstimmengerüst im Quintkanon von Tenor und Bassus wird zwar kurzfristig durch freie Kontrapunktik kontrastiert, kann sein Josquin’sches Vorbild aber kaum leugnen.94 Dennoch überspielt der Satz bis zum ersten Abschnittsende in Mensur 91 konsequent seine Kadenzen. Im Qui tollis (M. 92–173), das durch ein charakteristisches Bassus-Motto im Quintrahmen (M. 88–90, 91–93) mit dem ersten Teil kommuniziert95, ist nicht nur eine Flexibilisierung der Einsatzreihenfolgen, sondern ebenso der allmähliche Wandel von sukzessiven zu simultanen Choraldurchführungen zu bemerken. Ziel des Verfahrenswechsels sind die Einsätze der drei letzten Tropuszeilen Mariam sanctificans (M. 135), Mariam gubernans (M. 146) und Mariam coronans (M. 159), die jeweils homophon vierstimmig (mit einer nachschlagenden Stimme), also gemäß der Vertonungstradition dieser symboltragenden Satzabschnitte kontrastierend gestaltet sind. Flankiert sind die dem angedeuteten Noëma der letzten Tropuszeile (M. 159– 161) zustrebenden drei Abschnitte von aufgelockerten Choraldurchführungen, die zumal durch Generalpausen (M. 134 und 158) und freie Melismatik den Eindruck der zunehmenden Fraktionierung des Satzes noch verstärken (vgl. Beispiel 7). Dass Morales trotz der bereits in der Choralvorlage enthaltenen Motivkongruenz der Zeilen Tu solus dominus (Choral) und Mariam gubernans (Tropus) bzw. Tu solus altissimus (Choral) und Mariam coronans (Tropus) darauf verzichtet, diese zu verbinden96 und stattdessen bei melodischer Lockerung vom Choral einer zunehmenden Partitionierung und Flexibilisierung der Satzstruktur nachgibt, zeigt eine Umwidmung von Funktion und Rang der Tropuszeilen auf: Ihrem Bedürfnis nach vermittelnder Akzentuierung wird Morales nicht punktuell oder akzidentell, sondern vielmehr prozessual gerecht, in Form einer im Satzverlauf steigenden satztechnischen Kontrastierung der Tropuszeilen zu ihrem Umfeld. In dem Maße, wie die Tropuszeilen der Homophonie entgegenstreben (vgl. Beispiele 6 und 7), lockern die Choralzeilen ihren engmaschigen, dichten Verlauf des Et in terra-Teils, bis sich beide Stränge im Höhepunkt der letzten Tropuszeile quasi diametral gegenüberstehen. Gemeinsam ist ihnen bei aller satztechnischen Differenz dabei die melodische Lösung vom Choral, gepaart mit zunehmend einflussreicher Kontrapunktik und Mottobildung. 94
Vgl. Kap. 5.3.1. Josquin Desprez ‚komponiert‘ Geschichte, insbes. S. 181. Der Umstand, dass dies zugleich die einzige Passage in Morales’ Gloria ist, in der sich eine Stimme – Altus II – nicht an der Choraldurchführung beteiligt, ist sicherlich ebenfalls dem Bedürfnis nach Transparenz an dieser bedeutsamen Nahtstelle des Satzes geschuldet. 95 Vgl. im Weiteren auch Bassus M. 133f., 139f., 156f., sowie als Variante Altus I M. 148f. 96 Vgl. die unterschiedliche rhythmisch-metrische Gestaltung des c.f.-tragenden Tenor M. 141–144 und 146–151, bzw. jene des c.f.-tragenden Altus I M. 152–158 und 161–168.
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BEISPIEL 7: Morales, „Gloria de Beata Virgine“ à 5, M. 144–160
Dieses Verfahren mündet im Cum Sancto Spiritu-Passus (M. 174–212) konsequent in die Suspendierung der Choralvorlage; ab Mensur 180 sind Choraltöne nur noch sporadisch auszumachen. Der Satz endet beinahe rauschhaft im kleingliedrigen, agilen Verbund des enggeführten in gloria-Incipits und der es umgebenden kontrapunktischen Sequenzen (vgl. Beispiel 8), sodann abrupt verengt durch eine gerade einmal vier Mensuren umfassende Amen-Klausel. Zum perlenden Gestus des Abschnitts passt die erstmals im Satz auftretende gestufte Einsatzfolge Superius – Altus I – Altus II – Tenor – Bassus (M. 174–181); die ebenfalls erstmals verwendeten
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Kapitel 5.4.
Simultaneinsätze von Superius / Altus II sowie Altus I / Bassus beim Wort Amen (M. 209 bzw. 210) sind sodann für die finale Stauung verantwortlich und bilden gleichsam den Schlusspunkt einer ungeheuren Varianz von Einsatzfolgen, in der tatsächlich kaum Wiederholungen auftreten.
BEISPIEL 8: Morales, „Gloria de Beata Virgine“ à 5, M. 174–188
Der Satzidee ist eine Finalkraft, ja ein geradezu inszenierter finaler Sog der Verfahren kaum abzusprechen; man könnte das Prinzip als Entwicklung von einem eher introvertierten Gestus in engmaschiger Choralpräsentation mit Mittelstimmenschwerpunkt hin zum extrovertierten Überschwang in flexibler, zumal weitgehend unabhängiger Vorlagen- und Stimmenhandhabung bezeichnen. Die Tropuszeilen werden dabei je archaischer gestaltet, desto mehr der sie umgebende Choral seine Funktion als formale Determinante verliert. Der marianische Tropus bildet somit letztlich eine
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Art Brennpunkt im Satzgefüge: zunächst vorausblickend, indem die erste Tropuszeile eine zum choralischen Umfeld kontrastierende freie Vertonung liefert, sodann retrospektiv, indem die immer freier gestalteten Choralzeilen von zunehmend homophonen Tropusvertonungen flankiert werden. So variabel die gattungsgemäß obligatorische Tropus-Akzentuierung hier auch erscheinen mag – ihre vermittelnde Variabilität bildet paradoxerweise die Konstante und damit den Rückhalt des Konzepts. Ganz anders gearbeitet ist hingegen das vierstimmige Gloria de Beata Virgine, wobei sowohl die Disposition des Auftaktes (M. 1–11) als auch die des Schlussteils ähnlich bis identisch zum fünfstimmigen Satz angelegt, die nun kompaktere Komposition (160 statt 212 Mensuren) also in dieselbe formale Klammer gesetzt ist: Der Beginn erscheint als eine um den Altus II reduzierte Variante bei gleicher Einsatzreihenfolge und -gestaltung (vgl. Beispiele 6 mit 997), der Schluss verwertet dasselbe punktierte in gloria-Sequenzmodell im Quartrahmen (nun augmentiert)98, und selbst die knappe Amen-Klausel ist – bei unterschiedlicher Melismatisierung – wieder anzutreffen.
97 98
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Vgl. Superius jeweils M. 1–7, Altus [I] jeweils M. 1–3, Tenor jeweils M. 4–7 und Bassus jeweils M. 5–8. Interessant ist zudem, dass beide Schluss-Segmente etwa ein Achtel des jeweiligen Satzes, also in beiden Konzepten den gleichen Rang einnehmen (19 Mensuren von 160 im Gloria à 4; 27 Mensuren von 212 im Gloria à 5).
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200
Kapitel 5.4.
BEISPIEL 9: Morales, „Gloria de Beata Virgine“ à 4, M. 1–18
Die für das fünfstimmige Gloria charakteristische rhythmisch-metrische Ausdifferenzierung erscheint im vierstimmigen Modell deutlich geglättet, und dies trotz des zweimaligen kurzen Umschlags in die Dreizeitigkeit (M. 50–53, 101–109). Parallelführungen, Syllabik und homophone Passagen einerseits, häufige Stimmpaarbildungen und die Fixierung des c.f. in Superius und Tenor andererseits sorgen für ein transparentes, damit textfreundliches und weitgehend kadenzorientiertes Gesamtbild; die erste Vollkadenz ist bereits in Mensur 11 erreicht (vgl. Beispiel 9). Die Tropuszeilen – die Higinio Anglés in seiner Erstedition der Messe von 1952 als getilgt missverstand, da er das nachträglich retuschierte Exemplar der Cappella Sistina als Vorlage verwendete99 – werden allerdings nicht prozessual ‚inszeniert‘, also zunehmend kontrastierender zu ihrem Umfeld gestaltet, sondern sie sind Glieder eines engmaschigen, weil der Knappheit der Textdurchführung geschuldeten Verfahrens. Dennoch bleibt genügend Raum zur satztechnischen Differenzierung der Tropuszeilen; hier lässt sich indes eine beinahe gegenläufige Verarbeitung zum fünfstimmigen Gloria ausmachen: Während die ersten drei Tropuszeilen satztechnisch noch klar vom Choral geschieden sind100, werden die verbleibenden drei – und dies beinahe baugleich zum Gloria von Josquin – mit ihren benachbarten Choralzeilen überblendet (vgl. Beispiel 10). Der Vollkadenz auf sanctus (M. 116) schließt sich unmittelbar die vierstimmige, imitatorisch durchwirkte vierte Zeile Mariam sanctificans an (die Bassformel zu Mariam entspricht jener Josquins), verschränkt (M. 120) mit der zweistimmigen Präsentation des Tu solus dominus in Superius und Altus, das sodann von der 99
Vgl. die kommentierte, revidierte Edition von Urchueguía, Editing Cristóbal de Morales’s Masses Today (wie Anm. 61), S. 235–262, leider – vermutlich aufgrund eines Druckfehlers – ohne die M. 73–90. Zum nachträglichen Tilgungsprozess des Tropus bei Morales, Palestrina und vor allem De Kerle vgl. Christian Thomas Leitmeir: „Ad Mariae gloriam“. Uses and Abuses of Troping in Sixteenth-Century „Missae de beata Virgine“, in: Die Tonkunst 3 (2009), Heft 1, S. 17f. Die dort gemachten Angaben zu Palestrina sind hingegen zu korrigieren: Ebenso wie Morales komponierte Palestrina beide Missae de Beata Virgine mit Tropustext und -melodie, vgl. Kap. 5.3.2. Referenzielle Vielfalt bei Giovanni Pierluigi da Palestrina. 100 Tropuszeile 1 im Tenor c.f. mit Unterstimmenkanon (M. 45ff.) und homophonem Abschnitt bei orphanorum (M. 50ff.), Tropuszeile 2 mit Superius-Tenor-Kanon und imitierenden Begleitstimmen (M. 64ff.) sowie Tropuszeile 3 als dreistimmig-syllabische, kadenzmetrisch abgetrennte Einheit (M. 96ff.).
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BEISPIEL 10: Morales, „Gloria de Beata Virgine“ à 4, M. 115–138
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Kapitel 5.4.
Unterstimmendurchführung der fünften Zeile Mariam gubernans abgelöst wird (ebenfalls wie bei Josquin). Während Josquin allerdings eine Antwort des Oberstimmenduos folgen lässt101, weicht Morales zu Tu solus altissimus sogleich in den vierstimmigen Gerüstsatz zurück und verlagert das bei Josquin bereits zu Mariam coronans erreichte vollstimmige Noëma nach hinten zum Jesu Christe (vgl. Beispiel 10)102. Daran schließt die erwähnte agile Cum sancto spiritu-Sektion an. Während im Gloria à 5 demnach die gesamte Satzanlage ebenso der variativen Einsatzgestaltung wie der Steigerung homophoner Verfahren in der letzten Tropuszeile, also der subtilen Wahrung der Tropus-Relevanz für Form und Satzstruktur verpflichtet war, verschieben sich die Akzente im Gloria à 4 deutlich: Nicht nur sind die homophonen ‚Inseln‘ bei orphanorum, Qui sedes und Jesu Christe an eher ungewöhnlichen Satzabschnitten platziert: stets am Ende oder nach den Tropen. Auch neigen die Tropuszeilen im Satzverlauf zunehmend zur Integration, bis hin zur Abgabe ihrer obligatorischen Akzentuierung an den Choral, der nun statt ihrer die Rolle des ‚Kontrastmittels‘ übernimmt. Die bei Josquin vollzogene Korrespondenz von letzter marianischer Tropuszeile und anschließendem Jesu Christe, die eine exakte Parallelsetzung der Zeilen und damit eine Interpretation der trinitarischen Formel als latent marianisch nahelegte, entfällt hier entsprechend. Bei aller satztechnischen Koppelung bleiben die Zeilen bei Morales strukturell autark. Aus marianischer Perspektive hat man es bei Morales demnach mit zwei unterschiedlichen Akzentuierungen zu tun: Die fünfstimmige Vertonung webt die marianischen Akzente in den Choralverbund ein und überwölbt sie schließlich (in doxologischer Interpretation wäre Maria damit quasi ‚göttlich‘); die vierstimmige Vertonung separiert den Tropus vom Choral und trennt die Schlusszeilen vor der trinitarischen Formel trotz ihrer korrespondierenden Melodik sogar scharf ab (Maria wird als der Trinität gegenüberstehende ‚menschliche‘ Vermittlerin akzentuiert). So erscheint die fünfstimmige Vertonung marianisch deutlich progressiver. Die Ergebnisse lassen kaum Rückschlüsse auf die Genese der Sätze zu, obwohl die stringente und dem marianischen Tropus weitaus mehr formale Relevanz zusprechende fünfstimmige Vertonung zunächst avancierter und gegenüber dem vierstimmigen Modell vollstimmiger, komplexer und nicht zuletzt auch umfangreicher dasteht, was allein ausreichen mag, um den Satz als Replik auf das Gloria à 4 unter Verwertung seiner offenbar als gelungen empfundenen Rahmenteile zu interpretieren. Das Changieren der Satztechniken hingegen, der rhythmisch-metrische, auch figurative Charakter sorgen aber zugleich für den Eindruck einer ebenso radikalen wie experimentellen Fassung, aus der durch Reduktion, Mäßigung und Kürzung der fünfstimmigen eine konzentriertere, textverständliche und im satztechnischen (nicht konzeptuellen!) noch deutlicher auf Josquin rekurrierende vierstimmige Version geschmiedet wurde. Gemeinsam bleibt beiden meisterlich gearbeiteten, daher kaum im Abstand von vielen Jahren oder gar Jahrzehnten entstandenen, sondern eindeutig dem Reifewerk zuzuschlagenden Sätzen ihre Konzentration auf die sym101 M. 200–204. 102 Darin besteht eine deutliche Ähnlichkeit zum entsprechenden Passus des Satzes von Michot (vgl. Beispiel 3 in Kap. 5.3.) und damit ein weiterer Konnex zum Cappella Sistina-Repertoire.
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bolisch bedeutsame Choralvorlage, die stets Mittelpunkt des Konzeptes bleibt, sei es melodisch oder textlich. Rückblickend auf die eingangs geäußerten Überlegungen zu spanischer oder römischer Provenienz von Morales’ Werkpaar ist eine Zuordnung der Missae de Beata Virgine nicht nur obsolet, sie wäre auch schlicht unmöglich. Beide Messen weisen einen starken, nicht selten Josquin noch übertreffenden Hang zur Imitation auf, was ebenso wenig zwangsläufig ‚römisch‘ inspiriert sein muss wie die homophonen, choralischen Passagen ‚spanisch‘ sind. Das Spiel mit Satzstrukturen und deren Kontrastierung gehört zum Gattungsprinzip der Missa de Beata Virgine per se und ist, wie gezeigt, in zahlreichen Beiträgen des Cappella Sistina-Repertoires anzutreffen, das Morales studiert haben dürfte. Bemerkens- und bedenkenswert ist zudem, dass die nachweislich spanische Vorliebe für kunstvolle alternatim-Verfahren – und dies in Motetten ebenso wie in Messen103 −, Verfahren also, denen das Prinzip strukturellen Changierens generell normativ ist, Morales’ (sogar doppelter) Wahl des Messentyps entgegengekommen sein mag. Und dies gilt möglicherweise nicht nur für ihn, sondern auch für die zahlreichen nachfolgenden spanischen Komponisten, die nach Italien die national zweitstärkste Gruppe im Repertoire bilden. Der für das ‚spanische‘ mehrstimmige Komponieren seit jeher selbstverständliche Umgang mit wechselnden Besetzungen und Stimmstrukturen ist entsprechend weder reaktionär noch provinziell, als vielmehr als wirkungsmächtige Tradition zu begreifen, deren grundsätzliche Mechanismen stets – wenn auch im 16. Jahrhundert auf andere Satzverfahren gespiegelt – einflussreich bis bestimmend bleiben sollten. Hier wäre zukünftig ein Zugriffsfeld für die bislang nur oberflächlich betriebene Analyse mehrstimmiger spanischer Renaissancemusik im Kontext ihrer europäischen Nachbarn zu sehen, da dieser Blickwinkel ebenso die Frage nach den Einflüssen ‚spanischer‘ auf zentraleuropäische Mehrstimmigkeit zulässt wie die – bislang dominierend befragte – Gegenperspektive, damit also tatsächlich einmal angemessen das spannungs- und ertragreiche Ereignisfeld „zwischen Spanien und Rom“ thematisierte.
103 Was im Übrigen auch für die spanische Missa de Beata Virgine gilt, vgl. dazu den späten (1605) gedruckten Beitrag von Martín de Villanueva.
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Kapitel 5.4.
5.4.2. Kultur im Transfer bei Francisco Guerrero Während Identitätsbildungen und Idiome auf dem Gebiet der Messkomposition also kaum in nationale Gebietsgrenzen zu fassen sind, lässt sich doch mit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts jene Phase recht klar benennen, in der zumindest die Werdegänge von in Spanien geborenen Komponisten nun als genuin spanisch aufzufassen sind. Die Biographie Francisco Guerreros (1528–1599) ist hier geradezu exemplarisch; sie unterscheidet sich entsprechend grundlegend von jener Morales’. Nicht nur wurden sämtliche seiner Anstellungsverträge in spanischen Kirchen und / oder Palästen geschlossen – wo er bereits seine Ausbildung erhalten hatte –, er komponierte auch explizit für den spanischen Markt, wie die Passio D. N. Jesu Christi secundum Matthaeum et Joannem, more hispano (Rom 1585) oder die Canciones y villanescas espirituales (Venedig 1589) zeigen. Überhaupt ist sein Beitrag zur weltlichen, nationalsprachlichen Liedkomposition im Unterschied zu den auf geistliche Musik konzentrierten Generationen zuvor immens. Insbesondere die anspruchsvolle andalusische Poesie diente ihm als Inspiration: Namen wie Gutierre de Cetina (1520–1557), Baltasar del Alcázar (1530–1606) und vor allem Lope de Vega (1562–1635) sprechen für sich. Nicht zuletzt deswegen gilt Guerrero als erster spanischer Komponist, dessen Werke als offenkundig nationale Identifikationsmodelle nicht nur fast sämtlich in die ‚Neue Welt‘ exportiert, sondern dort auch weite Verbreitung fanden.104 Guerrero war zudem ein Reisender: Seine ersten Reisen durch Spanien und Portugal absolvierte er bereits als Kapellmeister-Assistent der Kathedrale von Sevilla: So überreichte er König Sebastián von Portugal sein erstes Messenbuch, reiste 1567 nach Córdoba, um eine Berufungskommission zu leiten, oder er eskortierte 1570/71 die zukünftige Frau Philipps II. – Anna von Österreich – von Santander nach Segovia. 1581/82 besuchte Guerrero Rom, nicht wie vor ihm Peñalosa oder Morales als designierter Sänger der päpstlichen Kapelle, sondern als ein eigens für die Verhandlung mit römischen Druckwerkstätten freigestellter (nun bereits) Kapellmeister der Kathedrale von Sevilla, dem renommiertesten musikalischen Posten, den Spanien seinerzeit aufzubieten hatte. In eben dieser Eigenschaft besuchte er 1588 auch Venedig und das Heilige Land mit Jaffa, Jerusalem, Bethlehem und Damaskus. Seine Reiseabenteuer – sein Schiff wurde z. B. auf der Rückfahrt gleich zweimal von Piraten geentert, die ihn entführten und Lösegeld erpressten – legte er schließlich in seiner Publikation „Viage de Jerusalém“ (1590) nieder, die sich gut verkaufte und bis 1805 in 29 verschiedenen spanischen und portugiesischen Editionen kursierte.105 Der Umstand, dass Guerrero seine Werke, bis auf das erste Motettenbuch, nicht in Spanien, sondern sämtlich im Ausland in den Druck brachte, trübt das Bild keineswegs: Spanien verfügte erst ab 1555 über Druckereien, die Vokalmusik herstellen konnten, und Guerrero gehörte überdies zu den ersten Kunden des Druckers 104 Vgl. das Kap. XII: Difusión de la obra de Guerrero, darin: Publicaciones en el Extranjero, S. 621–628, in: Herminio González Barrionuevo: Francisco Guerrero (1528–1599). Vida y obra. La música en la Catedral de Sevilla a finales del siglo XVI, Sevilla 2000. 105 Vgl. ebd. die Edition der Viage sowie Editionschronologie auf den Seiten 731–791.
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Martín de Montesdoca in Sevilla, der seine Sacrae cantiones, vulga moteta nuncupata noch im selben Jahr herausbrachte.106 Offenbar muss Guerrero jedoch schlechte Erfahrungen mit der heimatlichen Musikalienproduktion gemacht haben. Anders ist kaum zu erklären, dass er alle weiteren Werke wiederum auswärts in den Druck gab. An dieser Entscheidung hielt er auch fest, als er aufgrund seiner hohen Verschuldungen, die die teuren ausländischen Produktionen mit sich brachten, 1591 sogar kurzfristig inhaftiert wurde.107 Angesichts des Umstandes, dass erst 1598 der erste spanische Messendruck erschien, ist Guerreros Festhalten an ausländischen, erfahrenen Druckereien gut nachvollziehbar. Die Liste an biographischen Spanien-Bezügen und -Reverenzen ließe sich beliebig fortsetzen, von Guerreros prunkvollem Portrait in der illustren Sevillaner Prominenten-Sammlung Libro de descripción de verdaderos retratos de ilustres y memorables varones108, in der er der einzige Komponist ist, bis zu seiner Berücksichtigung noch zu Lebzeiten im poetischen „Haus der Erinnerungen“ (Casa de la memoria) des Vicente Espinel: „Fue Francisco Guerrero, en cuya suma De artificio y gallardo contrapunto Con los despojos de la eterna pluma, Y el general supuesto todo junto, No se sabe que en cuanto al tiempo suma Ningún otro llegase al mismo punto, Que si en la ciencia es más que todo diestro, Es tan gran cantor como maestro.“109
Die von Espinel poetisierte Doppelformel Kunst und Kontrapunkt (artificio y contrapunto), die bei Guerrero zudem aus „ewiger Feder“ der Toten (despojos) – hier gemeint: aus der Feder der Geschichte – fließe, pointiert neben der handwerklichen und artifiziellen Hochschätzung vor allem die Verbindung zur spanischen Vergangenheit. Das ist hier kein zufälliger Hinweis; er ist mühelos um weitere Ehrenbezeugungen zu ergänzen, in denen Guerrero in einem Atemzug mit (insbesondere) Morales genannt wird.110 Hier handelt es sich zwar auch um frühe Ausprägungen national gestimmter Identitätsbildung qua Musik. Mindestens ebenso bedeutsam ist aber, dass Guerrero als historisch sensibel eingestuft wird, als Komponist mit Sinn für (spanische) Tradition – ein offenbar positives Merkmal, das es herauszustellen 106 Sevilla 1555, RISM A/I: G 4867. 107 Urchueguía, Die mehrstimmige Messe im „Goldenen Jahrhundert“ (wie Anm. 1), hier Kap. 3: Musiknotendruck: Probleme und Lösungen, S. 49–62, hier insbes. S. 50f. 108 Mit einem Gemälde von Francisco Pacheco, Sevilla 1599. 109 Sinngemäß übersetzt (CWie): „Es war Francisco Guerrero, in seiner Summe aus Künstlerschaft und verblüffendem Kontrapunkt, der mit den Toten aus ewiger Feder sprach, der von allen angenommene Höchste, man kann nicht wissen, ob in kurzer oder ferner Zeit, jemand anderes am selben Punkt ankommen wird, denn erst wer in der Wissenschaft mehr als geschickt ist, ist ein großer meisterhafter Kantor.“ Aus: Diversas rimas, Madrid, 1591. 110 Als ein Beispiel etwa die portugiesische Gedichtsammlung von Cairasco de Figueroa: […] Flos sanctorum y triumphos de sus virtudes, Lissabon 1613–15, der sogar Morales, Guerrero und Victoria in einem Atemzug nennt, Bd. 1, S. 494.
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Kapitel 5.4.
galt. Als solcher verstand sich der Komponist in der Tat auch selbst – den seiner Reisebeschreibung vorangestellten autobiographischen Ausführungen (Prologo) sind mehrere Anspielungen auf seine intensive kulturelle Spanienverbundenheit zu finden, angefangen bei dem (musikhistoriographisch folgenreichen) Ausspruch, nach dem Erlernen der kompositorischen Grundlagen bei seinem Bruder Pedro, „me valí de la doctrina del grande, y excele[n]te Maestro Christoval de Morales; el qual me encamino en la compostura de la Musica bastantamente, para poder emprender qualquier Magisterio.“111 („war ich wert des Unterrichtes beim großen, exzellenten Meister Cristóbal de Morales; welcher mich zu den Arten der rechten Musik hinleitete, um jedes beliebige Lehramt aufnehmen zu können.“) Seinen jahrzehntelangen Vorgesetzten Fernandéz de Castilleja, den er schließlich im Kapellmeisteramt beerbte, bezeichnete Guerrero im selben Passus rückblickend gar als „Maestro de los Maestros de España“112, eine nicht nur angesichts seiner in Rom 1581/82 geschlossenen Freundschaft mit Tomas Luís de Victoria aus heutiger Sicht ungewöhnlich anmutende Einschätzung. Schließlich sprechen, das sei zumindest angedeutet, auch die Widmungen vieler Drucke Guerreros eine deutliche Sprache: „A los Ilustrísimos Padres de la Iglesia Hispalense“ heißt es etwa im Liber vesperarum von 1584, das in Rom in den Druck gelangte, nachdem Guerrero von seiner Reise bereits wieder nach Spanien zurückgekehrt war.113 Im Rahmen der Traditionsaffinität von Guerrero, seiner Verbundenheit mit Spanien, insbesondere mit Sevilla, seiner reichen Musikgeschichte und deren Protagonisten114, verwundert kaum, dass auch die erste der beiden hier in Rede stehenden Missae de Beata Virgine, die 1566115 und 1582116 im Druck vorlagen, formal spanischen Einflüssen zuneigt. Sie tut dies freilich auf ganz besondere Weise, die im Folgenden darzulegen und auf ihre Bedeutung für den Gloria-Satz zu befragen ist. Am 4. Januar 1566 ließ sich Guerrero in Madrid von Anna von Österreich, die er später eskortieren sollte, eine Empfehlung ausstellen117, mit der er seinen Missarum liber primus an Sebastián I., den Thronfolger von Portugal, überreichen konnte. Zwei Tage zuvor hatte er von der Kathedrale in Sevilla fünfzig Tage Urlaub 111 Zit. nach der Edition von Barrionuevo, Francisco Guerrero (wie Anm. 104), S. 751. Ob, wo und wann der Unterricht stattfand, ist nicht belegt – zur Disposition steht lediglich eine zehnmonatige Zeitspanne vom August 1545 (Morales’ Rückkehr aus Rom) bis April 1546 (Guerreros Amtsantritt in Jaén). In dieser Zeit ist Morales, nicht aber Guerrero in Toledo nachweisbar, umgekehrt ist Morales derzeit vermutlich nicht in Sevilla gewesen, wo sich Guerrero aufhielt. Barrionuevo nimmt an, die Unterweisung könne im August 1546 stattgefunden haben, als beide nach Sevilla reisten, um jeweils ihre Familien zu besuchen (ebd., S. 61f.). In dem Fall allerdings wären Guerreros eigene Angaben in der Viage, Morales’ Unterricht hätte ihn überhaupt erst zu jenem Lehramt befähigt, das er im Alter von 18 Jahren in Jaén antrat, falsch. 112 Ebd. 113 Man nimmt an dass Victoria in Rom für seinen Kollegen die Vermittlung und Abwicklung des Druckauftrags übernahm, vgl. Barrionuevo, Francisco Guerrero (wie Anm. 104), S. 90. 114 In ausführlicher Form lässt sich dies – immer noch aktuell – nachlesen bei Robert Stevenson: Spanish Cathedral Music in the Golden Age, Berkeley 1961, zu Francisco Guerrero die Seiten 135–238. 115 Missarum liber primus, Paris (Ex Typographia Nicolai du Chemin) 1566. 116 Missarum liber secundus, Rom (Ex Typographia Dominici Basae) 1582. 117 Barrionuevo, Francisco Guerrero (wie Anm. 104), S. 82.
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erhalten, um nach Lissabon zu reisen. Anna von Österreich war die Großtante Sebastiáns, der zum Zeitpunkt des Besuches von Guerrero erst 12 Jahre alt war, dennoch aber bereits als Hoffnungsträger der spanisch-portugiesischen Allianz galt.118 Das Messbuch kann daher durchaus als politisch förderliche Geste Spaniens gen Westen gelten; inwieweit Guerrero hierzu sogar eigens beauftragt wurde, ist bislang ungeklärt. Mehrere Aspekte der Disposition des Messbuches sprechen dafür, dass die Zusammenstellung auf den designierten Monarchen zugeschnitten und womöglich eigens daraufhin komponiert worden war: angefangen bei der Missa In te Domine speravi, deren vielsagende Titelung „An Dich, Herr, glauben wir“ geradezu als Credo der politischen Dedikation gelten kann, bis hin zu dem großen Anteil von immerhin drei Marienmessen119 bei insgesamt neun Werken120, der sicherlich auch (wenn nicht sogar wesentlich) der jesuitischen Prägung Sebastiáns geschuldet ist.121 Ein weiterer möglicher Bezug zu Portugal ist in der Missa de Beata Virgine selbst auszumachen. Er ist eher formaler Natur, aber deshalb nicht weniger bedeutsam: Guerrero wählt als Vorlagen-Kombination seiner ersten Missa de Beata Virgine exakt jene bislang nur in der Kompilationsmesse von Anchieta / Escobar anzutreffende Vorlagen-Kombination: Kyrie IV – Gloria IX – Credo I – Sanctus VIII – Agnus IX (vgl. oben Beispiel 1). Der Portugiese Escobar, der in der Sevillaner Musikgeschichte um 1500 eine zentrale Rolle gespielt hatte und 1514 nach Portugal zurückgekehrt war, hatte zu der Kompilationsmesse bekanntermaßen die beiden letzten Messsätze beigetragen. Es handelt sich entsprechend um eine spanisch-portugiesische Zusammenstellung. Nimmt man die eingangs formulierte Hypothese ernst – das die Messe beherbergende Manuskript Tarazona 2/3 stehe in Verbindung zu Sevilla und sei dort noch zur Zeit Guerreros in Gebrauch gewesen, bevor es 1570 nach Tarazona gelangte –, so wäre denkbar, dass Guerrero mit 118 Sebastián I. trat erst 1568 die Thronfolge an, scheiterte aber an den ehrgeizigen Plänen, für Portugal ein großes nordafrikanisches Reich zu erobern. Sie endeten 1578 in der Schlacht von Alcazarquivir (al-Qasr al-Kabir) in Marokko, wo Sultan Muley Abd-el Malik die Portugiesen schlug; Sebastiáns Leichnam wurde nie gefunden. 119 Missa Beata Mater, Missa de Beata Virgine und Missa Sancta et immaculata virginitas. 120 Neben den erwähnten Messen sind im Missarum liber primus folgende Werke enthalten: Missa Congratulamini mihi, Missa Inter vestibulum, Missa Super flumina Babylonis, Missa Dormendo un giorno (basierend auf Philipp Verdelots fünfstimmigem Madrigal Dormendo un giorno, das in spanischen Intavolationen von Valderrabano and Cabezon vorlag) und eine Missa pro defunctis. 121 Vgl. zur Bedeutung der musikalischen Marienverehrung im Jesuiten-Orden oben Kapitel 4.3. Kirchengeschichtliche Horizonte: Maria im konfessionellen Zeitalter, insbes. S. 99f.; des Weiteren: Max Wittwer: Die Musikpflege im Jesuitenorden unter besonderer Berücksichtigung der Länder deutscher Zunge, Greifswald 1934, sowie am Beispiel der jesuitischen Kollegien in Rom: Thomas D. Culley: Jesuits and music. A study of the musicians connected with the German College in Rome during the 17th century and of their activities in Northern Europe, Rom 1970. Inwieweit schon der spanische Komponist Victoria musikalisch mit den jesuitischen Bedingungen seiner römischen Anstellung verbunden war vgl. von der Verfasserin: „Ad Virginem Dei Matrem Salutationes“. Victorias Marienmessen im Spannungsfeld von Kirche und Kunst, in: Im Schatten Palestrinas? – Tomas Luis de Victoria, hrsg. von Michael Zywietz, Genf 2012 [Dr. i. Vorb.].
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Kapitel 5.4.
seiner ungewöhnlichen Vorlagen-Kombination seinem portugiesischen Vorgänger eine formale Reverenz erweisen wollte. Tatsächlich zeigt ein Blick in die Noten, dass Guerreros Sanctus und Agnus in motivischen und formalen Details eine angesichts der ca. 60 Jahre Differenz zwischen den Entwürfen geradezu erstaunliche Nähe zu Escobar (aus der Kompilationsmesse 2) aufweisen. Das sei an einigen Beispielen verdeutlicht. Gleich der Satzbeginn des Sanctus zeigt in der Faktur von Superius (Einsatz) und Altus (punktierte Figur) über den jeweils pausierenden Unterstimmen eine gewisse Ähnlichkeit (vgl. Beispiele 11a und 11b).
BEISPIEL 11a: Escobar, Sanctus VIII aus der „Missa de Beata Virgine“, M. 1–11
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BEISPIEL 11b: Guerrero, Sanctus VIII aus der „Missa de Beata Virgine“ à 4, M. 1–14
Ebenso bildet dort wie hier jeweils der im Tenor gelagerte cantus planus, der bei Escobar in Mensur 8, bei Guerrero hingegen schon in Mensur 3 beginnt, das harmonische Maß und Gerüst des Satzes. Strukturell verwandt – sowohl in konkreter Motivik als auch in allgemeinem Gestus – ist zudem der Bassus beider Sätze, dessen sprunghafte, figurativ ambitionierte Faktur jeweils den Kontrapunkt zum plan durchlaufenden c.f. bildet. Mit dem Altus bildet er bei Guerrero eine imitative Einheit (bei Escobar koalieren figürlich Bassus und Superius). Das in beiden Kompositionen dreistimmige Pleni (bei Escobar ohne Tenor, bei Guerrero ohne Bassus) zeigt ebenfalls zu Beginn ein fast baugleiches Initium (Escobar im Altus: M. 28–34; Guerrero im Tenor: M. 27–32; vgl. Beispiele 12a und 12b).
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Kapitel 5.4.
BEISPIEL 12a: Escobar, Pleni aus der „Missa de Beata Virgine“, M. 28–40
BEISPIEL 12b: Guerrero, Pleni aus der „Missa de Beata Virgine“ à 4, M. 23–40
Im weiteren Verlauf allerdings, wie auch bei der Konzeption des folgenden Hosanna, sind die beiden Sätze denkbar unterschiedlich: Während Escobar zu einer eher aufgelichteten, getragenen und kadenzmetrisch orientierten Faktur neigt, bleibt Guerrero seiner rhythmischen Agilität und Figurendichte treu; hier lassen sich Ähnlichkeiten und Motivzitate nicht mehr ausmachen. Nahe kommen sich beide Messen zumindest kurz wieder zu Beginn des Agnus I: Guerreros Kontrasubjekte im Altus und Bassus sind offenkundig an Escobar orientiert (Bassus: M. 1–4, vgl. Beispiele 13a und 13b). Der Tenor fungiert wiederum als cantus planus-Träger, und zu Beginn der Zeile „Miserere nobis“ führen beide Komponisten die finalis-Formel der Choralzeile in vollstimmiger Imitationsanlage durch.
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BEISPIEL 13a: Escobar, Agnus I aus der „Missa de Beata Virgine“, M. 1–13
BEISPIEL 13b: Guerrero, Agnus I aus der „Missa de Beata Virgine“ à 4, M. 1–14
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Kapitel 5.4.
Wie schon im Sanctus sind die Analogien strukturell und motivisch auf Details beschränkt, und wie dort lösen sich im folgenden Passus die Bezüge rasch: Von Escobar ist lediglich ein Agnus überliefert, Guerrero hingegen steigert in seinem folgenden Agnus II die Stimmenzahl auf sechs und komponiert ein fulminantes, rhythmisch ambitioniertes Finale. Zusammengenommen können die Bezugnahmen im Sanctus und Agnus trotz aller Latenz und Punktualität überzeugen, vor allem im Bezug auf die singuläre Vorlagenwahl, die der Reverenz an einen portugiesischen, für die spanische Musikpflege zentralen Komponisten zusätzlich Gewicht verleiht. Eine größere Nähe in Duktus und Struktur wäre ohnehin kaum angemessen gewesen, ohne mit 60 Jahren Kompositionsabstand geradezu anachronistisch zu wirken. Dass es sich um keine Parodiemesse handelt, ist klar – dazu passt, dass weitere Verbindungen zu den beiden Kompilationsmessen aus Tarazona 2/3 fehlen: Weder orientiert sich Guerreros Kyrie IV auch nur latent an Anchieta122 (aus Kompilationsmessen 1+2) oder Escobar (aus Kompilationsmesse 3, vgl. die Aufstellung aus Beispiel 2), noch kann sein Sanctus VIII mit dem des Amtsvorgängers Castilleja in Verbindung gebracht werden.123 Über die Inspirationswege im Detail kann freilich nur spekuliert werden, solange aussagekräftige Dokumente fehlen. Während Sanctus und Agnus, pointiert gesagt, den ‚portugiesischen Teil‘ der ersten Missa de Beata Virgine Guerreros bilden, stellt sich das Kyrie mit dem Tropus Rex virginum als traditionsverbunden ‚spanisch‘ heraus. Hier treffen zwei Faktoren zusammen, die Guerreros späte Wahl dieser alten tropierten Vorlage begünstigt haben könnten: (1) Nachzuweisen ist ein Besuch Guerreros im Jahre 1561 in Toledo124, wo im Gegensatz zu Sevilla ein bedeutendes Chorbuch belegt ist, das die betreffende Vorlage enthält.125 Andere, mit Toledo vor 1561 in Verbindung stehende relevante Quellen126 sind etwa die Missae de Beata Virgine von Josquin127, Andrés de Torrentes128 und Morales129. Keine der Messen verfügt allerdings über den Kyrie-Tropus Rex Virginum, sondern sie wählen sämtlich das untropierte Kyrie IX. 122 Stevenson wies bereits darauf hin, dass Guerreros Kyrie-Vertonung erheblich von Anchietas abwich, vgl. Spanish Cathedral Music in the Golden Age (wie Anm. 13), S. 199–202. 123 Castillejas Sanctus VIII ist mit einer auffälligen Kanonanweisung im Superius („conversa est retrorsus usque in finis“), die ein Sechs-Ton-Motiv reiht, ebenso abweichend zu Guerrero gestaltet wie mit der rhythmisch profilierten Tenor-Stimme. Cristina Urchueguía (Bern) danke ich herzlich für die Einsicht in schwer erreichbare Kopien der Quellen aus Tarazona 2/3, um die bislang unpublizierte Kompilationsmesse 2 zu autopsieren. 124 Barrionuevo, Francisco Guerrero (wie Anm. 104), S. 81. 125 Vgl. Lorenzo F. Candelaria: The Rosary Cantoral: ritual and social design in a chantbook from early Renaissance Toledo (= Eastman studies in music 51), University Rochester Press, 2008, insbes. S. 39f. Einstimmige mittelalterliche spanische Quellen zum Kyrie rex virginum sind der Codex Calixtinus (Santiago de Compostela) und das Vollmissale aus Silos (San Domingo), vgl. Margareta Landwehr-Melnicki: Das einstimmige Kyrie des lateinischen Mittelalters, Regensburg 1954, S. 90 und 138. 126 Urchueguía, Die mehrstimmige Messe im „Goldenen Jahrhundert“ (wie Anm. 1), S. 263. 127 Toledo BC 16 [1542]. 128 Satzpaar in Toledo BC 33, fol. 69–81 [ca. 1543–45]. 129 BMV à 5: Toledo BC 29 [1546–50]; BMV à 4: Toledo BC 27 [1550].
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Der – nach eigener Auskunft – Morales-Schüler Guerrero orientiert sich in der Wahl der Vorlagen also an weitaus älterem, genuin ‚spanischen‘ Material. (2) Die in spanischer Sprache verfasste Kontrapunktlehre Breve instrucción de canto llano, die Luís de Villafranca 1565 in Sevilla drucken ließ, erhielt ihre Approbation von Francisco Guerrero persönlich, wie das Vorwort Auskunft gibt. Unter den „Reglas“ für die in Messen üblichen Choralvorlagen findet sich der Hinweis: „Para nuestra Señora, el Christe de Rex Virginum“. Erneut wird hier das seit dem Codex Las Huelgas mit Marienmessen verbundene tropierte Kyrie IV musiktheoretisch ratifiziert. Guerreros erstes Messenbuch datiert laut Vorwort vom 1. Mai 1565 in Sevilla, just auf das Jahr, in dem die von Guerrero begutachtete Musiklehre Villafrancas nochmals an die tradierten Choralvorlagen gemahnt. In den Überlegungen zu Vorbildern von Guerreros Missa de Beata Virgine von 1565 ist deutlich geworden, dass sowohl hinsichtlich des Kyrie IV als auch der beiden letzten Sätze Sanctus VIII und Agnus IX eine Rezeption von nationalen Traditionen, womöglich im Detail gar jener ersten spanisch-portugiesischen Kompilation, formale und motivische Entscheidungen beeinflusst hat. Dafür spricht umgekehrt ebenso die Ferne zu jenen Kombinationen, die der Lehrer Morales für seine beiden in ‚römischer‘ Nähe skizzierten Marienmessen verwendete. Das bedeutet freilich nicht, dass Guerrero sich von den musikalischen Gegebenheiten um 1500 grundsätzlich hat beeinflussen lassen, eine kompositorische Rezeption über die genannten Aspekte hinaus ist aufgrund der zeitlichen Distanz und Guerreros Eigenständigkeit als Komponist selbstverständlich ausgeschlossen. In dieser Hinsicht autark präsentiert sich insbesondere das zentrale Gloria de Beata Virgine.130 Über allenfalls allgemeine Anmerkungen hinaus sind Guerreros kompositorische Verfahren bislang keiner eingehenden Analyse unterzogen worden. Stevenson, Barrionuevo und Kreitner – um nur die wichtigsten zu nennen – konzentrieren sich im Wesentlichen auf philologische, überlieferungs- und institutionsgeschichtliche Aspekte; die Anmerkungen zur Musik bleiben dabei fast zwangsläufig im Hintergrund. G. Edward Bruner, der sich in seiner (unveröffentlichten) Dissertation von 1980131 der verdienstvollen Aufgabe widmete, neben einer Edition auch eine Analyse der gewählten fünf spanischen Missae de Beata Virgine von Morales, Guerrero, Victoria, Vivanco und Esquivel vorzulegen, verbleibt allenfalls auf deskriptivem Niveau, mit einem bisweilen eigentümlich skeptischen Einschlag. Formulierungen wie jene, Guerreros „melodic material“, mit dem er den c.f. umkleide, sei „restrained and conservative“132, wirken gar wie leise Zweifel des Autors an der 130 Dabei fällt zunächst eine formale Besonderheit auf. Die schon für die beiden Messen Palestrinas konstatierte deutliche Verkürzung der Gloria IX-Sätze gegenüber früheren Werken der Gattung gilt ebenso für Guerrero: Das Gloria seiner ersten Missa de Beata Virgine umfasst gerade einmal 143 Mensuren. Wie bei Palestrina dominiert als Hauptmetrum die Zweizeitigkeit. Vgl. Kap. 5.3.2. Referenzielle Vielfalt bei Giovanni Pierluigi da Palestrina. 131 G. Edward Bruner: Editions and Analysis of Five Missa Beata Virgine Maria by the Spanish Composers: Morales, Guerrero, Victoria, Vivanco and Esquivel, Diss. University of Illinois, 1980. 132 Ebd., S. 42.
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Kapitel 5.4.
Qualität des gewählten Analysegegenstands.133 Bruner kann hingegen bereits auf ein wesentliches Merkmal der Vertonung Guerreros aufmerksam machen, wenn er dessen melodische Profile als „rhythmically refreshing“134 und überhaupt einen latenten Hang zur metrischen Doppeldeutigkeit erkennt. Tatsächlich ist es zunächst der rhythmische Variantenreichtum der Stimmen, der Aufmerksamkeit auf sich zieht, sei es in Ausprägungen agiler Modellhaftigkeit, synkopischer Verzahnung oder pseudo-imitatorischer Incipits. Auswirkungen auf das Metrum haben neben einer knappen dreizeitigen Passage, auf die zurückzukommen sein wird, jene Zeilen, in denen – Zweizeitigkeit als Rahmen vorausgesetzt – ternäre Textglieder (Lau-da-mus, Gra-ti-as, glo-ri-am, usw.) in zugleich binäre und ternäre metrische Passagen gekleidet und sodann geschichtet werden. Ihren Höhepunkt erhält das metrische Changieren mit dem erwähnten dreizeitigen Passus zur ersten Tropuszeile Spiritus et alme, er bleibt singulär und allein schon deswegen besonders auffällig (vgl. Beispiel 14).
133 Womöglich erklärt dies auch die Fehlerhaftigkeit vieler Angaben, wie jene, das Gloria stehe im VIII. (statt im VII.) Ton, vgl. ebd., S. 41 und 43. 134 Ebd., S. 37.
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BEISPIEL 14: Guerrero, „Gloria de Beata Virgine“ à 4 (1), M. 38–60
Wie die erste ist auch die letzte Tropuszeile des Satzes, Mariam coronans, klar konturiert, als solle konsequent der Bogen zum ersten Tropusakzent zurückgeschlagen werden. Bemerkenswert an Guerreros Ausarbeitung ist, die beiden in der Choralvorlage identischen Zeilen Tu solus altissimus – Mariam coronans als kontrastierendes Doppel zu gestalten, ein Doppel, in dem der Tropuszeile ein Noëma auf Ma-ri-am zufällt und zudem das Privileg, die zweite von nur drei Vollkadenzen im Satz zu gestalten (vgl. Beispiel 15).
BEISPIEL 15: Guerrero, „Gloria de Beata Virgine“ à 4 (1), M. 118–135
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Kapitel 5.4.
An Auffälligkeiten tritt hinzu, dass nur in dieser Passage Tu solus altissimus – Mariam coronans der Altus als c.f.-Träger auftritt. Tenor und Superius, die sich in dieser Aufgabe bislang abwechselten, treten hier als Gegenstimmen auf. Schließlich wird die letzte Tropuszeile von dem folgenden Jesu Christe durch eine Generalpause getrennt, die gekrönte Maria also von der schließenden trinitarischen Formel des Gloria klar separiert. Hätte man annehmen können, durch die veränderte c.f.-Lage der bedeutungsschweren Doppelzeile und die singuläre satztechnische Akzentuierung Marias bei ihrem letzten Auftreten im Satz eine – Josquin ähnliche – Hinleitung in den trinitarischen Kontext vorzufinden, so wird dieser Eindruck durch die Generalpause einerseits, durch die metrisch einheitlich gestaltete Schlusssequenz andererseits rasch gemildert. Das Guerrero nicht – wie viele vor ihm – in der Cum sancto spiritu-Coda in die Dreizeitigkeit wechselt, mag u. a. auch der Absicht geschuldet sein, die trinitarische Formel möglichst einheitlich zu gestalten; hierein fügen sich auch die motivischen Adaptionen von rhythmischen Floskeln, wie etwa der gespiegelte Basslauf M. 129 und 133 (vgl. Beispiel 15). Die übrigen Tropuszeilen sind weniger pointiert umgesetzt, wenngleich immer noch abweichend zum Umfeld gestaltet worden: Primogenitus (M. 63) beschließt den ersten Satzteil, Ad Mariae gloriam (M. 96) wirkt als solistische, lediglich vom Bassus gestützte Präsentation, und Mariam sanctificans (M. 106) wird im Unterstimmentrio durchgeführt. Deutlicher aus dem Rahmen fällt lediglich Mariam gubernans, die fünfte Zeile (M. 114), Sie erweist sich bei genauerer Betrachtung als strukturelle Etappe zur erwähnten letzten Doppelzeile, indem das in der Choralvorlage ebenfalls identische Zeilenpaar Tu solus dominus – Mariam gubernans in variativ aufeinander bezogene Einzelstimmen gekleidet wird. Im Superius und Tenor sind die beiden aufeinander folgenden Passagen am ähnlichsten, aber auch Altus und Bassus weisen sich als verwandt aus (vgl. Beispiel 16).
BEISPIEL 16: Guerrero, „Gloria de Beata Virgine“ à 4 (1), M. 110–117
Guerreros Gloria de Beata Virgine von 1565 zeigt sich wie viele Vertonungen zuvor als auf die marianischen Textparts zugeschnittene Konzeption und als entsprechend sensibel für die in das Gloria eingebetteten Erweiterungen, die hörbar zu interpretieren waren. Dazu bildet das spätere Gloria von 1582 kein adäquates Vergleichsmodell, wird doch – als Geste gegenüber dem Widmungsträger Papst Gregor XIII.,
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dem Guerrero das Messbuch in Rom in einer Privataudienz überreichte – der marianische Tropus hier nicht mitkomponiert. Gregor XIII. widmete sich mit großem Eifer der systematischen Umsetzung der Tridentiner Reformideen; so durfte man von ihm erwarten, dass er die im Missale Romanum von 1570 getilgten Tropen kannte und deren kompositorische Umsetzung in einem ihm gewidmeten Messbuch der 1580er Jahre nicht gebilligt hätte. Überdies war er der Marienverehrung noch intensiver verbunden als seine Vorgänger: Kurz nach seinem Amtsantritt führte er den marianischen Festtag Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz (BMV a rosario) als Dankfeier für den Sieg der christlichen Flotte über die Osmanen bei Lepanto 1571 ein135 und ratifizierte 1584 in Rom die erste Marianische Kongregation.136 Guerrero orientierte sich der Widmung entsprechend auch nicht mehr an der früheren (‚spanischen‘) Vorlagen-Disposition, sondern wählte mit Kyrie IX – Gloria IX (ohne Tropus) – Credo IV – Sanctus XVII – Agnus XVII eine formal dem SistinaRepertoire zuneigende Folge, wie schon Morales und Victoria vor ihm, letzterer ebenfalls unter Verzicht auf den Tropus.137 Auch ohne näher auf das Gloria von 1582 eingehen zu müssen, das ob seines Tropusverzichts keine Auskunft über Verfahren und Verfahrenswechsel in der marianischen Akzentuierung geben kann, ist festzustellen, dass der Satz tatsächlich nur in dieser Formalie lizensiert ist. Faktisch wirkt er als stilistischer Komplementär zum früheren Satz: Der Sevillaner Kapellmeister Guerrero präsentiert sich dem Papst damit als reifer, stilsicherer, längst profilierter Komponist. So können selbstbewusst Eigenzitate aus dem früheren Satz verwendet (Superius: M. 10f, 15f., 43f; Altus: M. 17f.), Durchführungen von vier Textzeilen in vier Mensuren kunstfertig überlagert (M. 10–13) oder c.f.-Passagen beliebig transponiert (M. 60ff., 77ff.) oder schlicht gestrichen werden. Zusammengedrängt auf nurmehr 91 Mensuren rauscht dieses dichte Gewebe in gleichsam schwebender Metrik am Ohr des Messgängers vorbei. Geradezu virtuos wird die rhythmische Differenzierung insbesondere dort eingesetzt, wo der Satz, der seit Jahrhunderten mit seinem Tropus verbunden war, nun Klüfte in der melodischen und modalen Faktur aufweist, die kompositorisch zu überbrücken sind – zumeist übernimmt hier der Bassus den frei komponierten, stützenden Part. Die durch die Tilgung des Tropus geforderte erhöhte Aufmerksamkeit an eben diesen Nahtstellen, so ließe sich festhalten, konturiert quasi ex negativo die marianischen Akzente. Man darf davon ausgehen, dass die Vertrautheit mit dem marianischen Gloria nur wenige Jahre nach der Ausgabe des Missale Romanum noch keineswegs seiner gestutzten Variante angepasst war. Enttäuschte Erwartungen in Hörgewohnheiten können ebenso allegorisch funktionieren und damit symbolisch auf das hinwirken, was sie einst klingend äußerten: das Marienlob.
135 Vgl. dazu Kap. 4.2. Medien des Marienlobs: Liturgie – Feste – Gebete – Literatur – Kunst – Musik, S. 81. 136 Gregors Aktivitäten pro Konzil und pro Marienverehrung in den Künsten sind Thema in: Johanna Weißenberger: Römische Mariengnadenbilder 1473–1590: Neue Altäre für alte Bilder. Zur Vorgeschichte der barocken Inszenierungen, Diss. Heidelberg o.J., insbes. S. 117–121, 137, 159. 137 Zur formalen Disposition des Sistina-Repertoires vgl. Kap. 5.3. Profi l und Tradition: Rom, insbes. Beispiel 1. Vgl. zudem Verzeichnis I.
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Kapitel 5.5.
5.5. KONFESSIONSWIRREN IN AACHEN Die Aachener Begebenheiten der 1570er Jahre, in der in einer singulären Anstrengung innerhalb weniger Jahre drei voluminöse Chorbücher mit liturgischer Musik im Krönungsstift für die Liebfrauen-Kirche kompiliert worden sind, lassen sich nur noch in Umrissen nachzeichnen. Weder die Protagonisten der Musiksammlung – ihre Schreiber, Komponisten und Werke – noch die Umstände ihrer Entstehung sind erschöpfend erforscht. Auch konnten die verdienstvollen Studien und Editionen von Rudolf Pohl (1960ff.)1, der das Repertoire erstmals untersuchte und zugänglich machte2, und die um liturgische und regionalgeschichtliche Akzente erweiterte Dissertation von Eric Rice (2002)3 entscheidende Fragen bislang nicht beantworten. So ist nach wie vor unklar, warum ein weitgehend unbeachteter Komponist namens Johannes Mangon (ca. 1525–1578[?]), der laut Akten nur wenige Jahre (mit Unterbrechungen 1567 bis 1578) als „sangkmeister unser lieben frauwen Kirchen zu Ach“4 geführt wurde, die bemerkenswerte Zahl von 20 polyphonen Messen, ca. 50 Motetten5 sowie 40 bis 50 kleineren Sätzen6 (Antiphonen, Hymnen, Cantica) schaffen konnte, ohne weiteres Aufsehen zu erregen und weltweit auch nur eine einzige konkordante Spur zu hinterlassen.7 Und wäre das Schaffen auch allein mit lokalem Amt und Anspruch zu erklären, die Außenwirkung womöglich weder suchten noch entfalten konnten, so bliebe dennoch der seltsame kodikologische Befund einer weitgehend unsystematischen Zusammenstellung von vermutlich überwiegend eigenen (gelegentlich sogar datierten) und wenigen fremden Werken, die sich weder chronologisch nach Kirchenfesten noch nach sonstigen Kriterien ordnen lassen.8 Der Eindruck einer angesichts ihres Umfangs gleichsam 1
2 3 4 5 6 7 8
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Rudolf Pohl: Die Messen des Johannes Mangon, Diss. Aachen 1960; ders.: Rudolf Pohl: Musik im Dom, in: Beiträge zur Musikgeschichte der Stadt Aachen II (= Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte 125), hrsg. von Hans-Jochen Münstermann, Köln 1979, S. 25–28; ders.: Johannes Mangon. Chorbuch I. Die Messen. Kommentiert, übertragen und für die moderne Chorpraxis eingerichtet, Aachen 2000 (ebd. Editionen von den Chorbüchern II und III). Die Chorbücher sind im Stiftsarchiv des Aachener Domes überliefert (D-AAst CB I–III). Das Material entdeckte Heinrich Böckeler, vgl. Robert Eitner: Mangon, Johann, in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Leipzig 1884, Band 20, S. 193. Eric North Rice: Music and Ritual in the Collegiate Church of Saint Mary in Aachen, 1300– 1600, Diss. New York 2002. Notarielles Dokument vom Dezember 1567, vgl. im Detail Pohl, Die Messen des Johannes Mangon (wie Anm. 1), S. 11, sowie mit vom Autor unkommentiert abweichender Schreibweise („Sang-meister“) erneut bei Pohl, Musik im Dom (wie Anm. 1), S. 25. Die Angaben bzw. Zuweisungen schwanken zwischen 45 (Pohl, Die Messen des Johannes Mangon [wie Anm. 1], S. 93) und 52 Motetten (Rice, Music and Ritual [wie Anm. 3], S. 487–490). Die Angaben bzw. Zuweisungen schwanken zwischen 42 (Pohl, Die Messen des Johannes Mangon [wie Anm. 1], S. 101) und 53 kleineren Sätzen (Rice, Music and Ritual [wie Anm. 3], S. 490–492). Wolfgang Boettichers zynische Anmerkung, Mangon sei ein „Zeuge bescheidenen Könnens“, ist hier wohl kaum als Begründung ernstzunehmen, vgl. ders.: Orlando di Lasso und seine Zeit, 1532–1594: Repertoireuntersuchungen zur Musik der Spätrenaissance, Kassel 1958. Dass die Motetten – umsortiert – weite Teile des liturgischen Kalenders abdecken (Pohl, Die Messen des Johannes Mangon [wie Anm. 1], S. 93–100), steht dazu in keinem Widerspruch.
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hastigen Niederschrift, die liturgische Kalender ignoriert, legt vielmehr besondere Umstände nahe, die die Notation nicht nur forciert, sondern auch ihre besondere Systematik erzeugt haben könnten. Auffällig an den drei großen Aachener Chorbüchern, die zunächst Messen in beliebiger Reihenfolge (Chorbuch I, vgl. die Aufstellung weiter unten in Beispiel 1), sodann Motetten (Chorbuch II) und schließlich die kleinen liturgischen Gattungen (Chorbuch III) enthalten, ist zuerst ihre – an sich noch nicht ungewöhnliche – gattungsspezifische Orientierung im Großen. Sie setzt sich allerdings im Kleinen fort, indem etwa in den Chorbüchern II und III oftmals mehrere Werke eines Titels aufeinander folgen, wie etwa die 14 Salve Regina-Vertonungen in Chorbuch II9 oder jeweils mehrere Motetten zu einem Titel in Chorbuch III10. Dies wird freilich nicht konsequent durchgehalten, sondern gilt nur für Teile der Codices. Zudem ist noch nicht geklärt, wie viele Schreiber an der Kompilation überhaupt teilhatten, oder ob – wie häufig behauptet – gar Mangon selbst für große Teile der Niederschrift verantwortlich zeichnet, sie womöglich gar initiiert hat. Dies wurde bereits von Pohl damit begründet, dass die Mangon zugeschriebenen Werke in den Chorbüchern oft ein Datum (zum Teil auf den Tag genau) erhielten, die fremden hingegen nur selten, woraus er den Schluss zog, Mangon habe seine Werke eigenhändig notiert und datiert und sei – in aller Konsequenz – vermutlich 1578 gestorben, da keine Komposition nach dem Dezember 1577 erhalten ist.11 Dieses Resümee erscheint nicht nur angesichts der noch immer rudimentär ausgewerteten Schreiber-Konstellationen in den Chorbüchern fragwürdig. Überspitzt formuliert ist schon aufgrund der Unikat-Situation nicht zweifelsfrei nachweisbar, dass Mangon überhaupt eine einzige der Kompositionen verfasst hat. Für den vorliegenden Zusammenhang können Unklarheiten dieser Dimension freilich nicht ausgeräumt werden, insofern sie über die Kontextualisierung der in Chorbuch I enthaltenen vier Missae de Beata Virgine (hier unter dem Titel Missae de Domina) hinausgehen. Entsprechend ist zunächst die Gliederung des Chorbuches I zu diskutieren, die – gemeinsam mit kontextuellen Fakten – Anlass gibt, entstehungsgeschichtliche Überlegungen zur Niederschrift anzustellen. Diese sind abschließend auf die vier Aachener Marienmessen und deren ungewöhnliche Auswahl und Form zu spiegeln, für die Autorschaften und kodikologische Systematik weniger von Bedeutung sind als ihre bloße Existenz im Grenzgebiet der deutschen Konfessionskriege und am Vorabend einer der größten Pest-Epidemien, die das Bistum bis dato heimgesucht hatte.
Angesichts der insgesamt 101 notierten Motetten in Chorbuch II ergibt sich diese Vollständigkeit von selbst, ohne eigens systematisch intendiert zu sein. 9 Davon zwölf vermutlich von Mangon selbst sowie zwei von fremden Komponisten, wobei eines der fremden Werke nur fragmentarisch notiert ist, sämtliche Notate stammen allerdings vom selben Schreiber. 10 2 x Angelus Domini von Clemens non Papa: fol. 12v–22v; 2 x Ego sum panis von Franciscus de Rivulo und Mangon: fol. 82v–91r; 2 x O spes afflictis von Mangon: fol. 194v–199r; 2 x Delectare in Domino von Mangon: fol. 277v–283r. 11 Eric Rice schließt daran an, vgl. ders., Music and Ritual (wie Anm. 3), S. 421f.
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Kapitel 5.5.
Die Disposition des Chorbuches I – darunter die vier Missae de Domina an Position 1, 2, 3 und 21 – gestaltet sich wie folgt: Nr.
1 2
3 4 5 6
Datum
– 1572, 2. März
[1572?]12 1572, 21. Dezember – 1573, 17. März
fol.
Komponist
1–71
[fehlen]
72r
[unbeschrieben]
72v–92r
Chenemont
92v–93r
[unbeschrieben]
93v–108v
Mangon
109–110r
[fehlt]
110r
[unbeschrieben]
110v–123r
Mangon
123v–124r
[unbeschrieben]
124v–136r
Mangon
136v–137r
[unbeschrieben]
137v–151r
Claux
151v–152r
[unbeschrieben]
152v–163r
Mangon
163v–164r
[unbeschrieben]
à
Titel
5
Missa de Domina
4
Missa de Domina I
4
Missa de Domina super Cantum Choralem composita
4
Missa in summis festis
4
Missa sine nomine [Christi virgo dilectissima]
4
Missa Virgines prudentes
7
1570
164v–175r
Mangon
4
Missa Doulce mémoire
8
–
175v–190r
Mangon
5
Missa Susanne ung jour
9
1570, 14. Januar
190v–201r
Mangon
4
Missa Jay veu le cerf du bois saillir
10
1570
201v–211r
Mangon
4
Missa En attendant secours
11
1570
211v–222r
Mangon
4
Missa Cecilia virgo
222v–232r
Mangon
4
Missa Comme la rose
1213 1570, 30. April 13
1577, 18. April
232v–233r
Mangon
4
Kyrie paschale
14
1571, 28. März
233v–243r
Mangon
4
Missa Helas prenez pitié Madame
243v–244r
[unbeschrieben] 4
Missa Hier au matin my levay
4
Missa Susanne ung jour
4
Missa Ne abscondas me
4
Missa A demy mort
4
Missa Or combien est
4
Missa Defunctorum
4
Missa de Domina II
4
Missa Got is myn licht
15 16 17 18 19 20 21 22
1570, 30. Januar 1572, 26. September 1567, 31. Oktober 1572, 27. Juni – 1571 1573, 13. November 1573, 20. November
244v–253r
Mangon
253v–254r
[unbeschrieben]
254v–262r
Mangon
262v–263r
[unbeschrieben]
263v–272r
Mangon
272v–273r
[unbeschrieben]
273v–281r
Mangon
282
[fehlt]
283v–292r
Mangon
292v–293r
[unbeschrieben]
293v–308r
Mangon
308v–309r
[unbeschrieben]
309v–320r
Mangon
320v–321r
[unbeschrieben]
321v–329r
Mangon
BEISPIEL 1: Index des Aaachener Chorbuches I [grau: fehlende oder unbeschriebene Seiten]
Ohne Zweifel steht Johannes Mangon – ob als Schreiber, Komponist oder beides – in enger Beziehung zum Chorbuch I: 20 der 22 darin überlieferten Werke tragen 12 13
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Datierung vgl. Pohl, Johannes Mangon. Chorbuch I. Die Messen (wie Anm. 1), S. XXI. Anhand der Quelle konnte die auch von Rice (Music and Ritual [wie Anm. 3], S. 486) übernommene Datierung allerdings nicht verifiziert werden, die Messe trägt dort kein Datum. Dieser Eintrag fehlt bei Rice, Music and Ritual (wie Anm. 3), S. 487.
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seinen Namen, die übrigen beiden jene der ebenfalls unbekannten, mit der seinerzeit für Aachen zuständigen Diözese Lüttich in Beziehung stehenden Komponisten Johannes Claux14 (ca. 1530–1573) und Petrus Chenemont15 (nachweisbar 1550–1560). Die ersten 71 foliae mit vermutlich fünf bis sechs weiteren Messen und womöglich, nach Sitte der Zeit, einer Eröffnungsmotette oder einem eröffnenden Einzelsatz einer Messe, sind dem Chorbuch irgendwann entnommen worden und fehlen heute. Da der Band in seiner vorliegenden Form mit einer Messe von Petrus Chenemont einsetzt, der im folgenden keine Berücksichtigung mehr findet, wäre ebenso denkbar, dass die ersten Seiten ausschließlich seinen Werken galten; Überlegungen zu ehemaligen Inhalten in diese wie in jede andere Richtung sind freilich reine Spekulation. Abgesehen von den fol. 164 bis 243, auf denen unmittelbar hintereinander sieben Messen und ein Oster-Kyrie notiert wurden, sind die übrigen Eintragungen (wie aus Beispiel 1 ersichtlich) durch Leerseiten separiert. Dennoch stammen der Notentext und seine Betitelung durchgehend von derselben Hand, die auch die Paginierung der Seiten vorgenommen hat. Entsprechend ist eine nachträgliche Umsortierung der Werke auszuschließen, das Chorbuch ist offensichtlich in einem Stück in eben dieser Disposition notiert und paginiert worden. Worauf bislang nicht aufmerksam gemacht worden ist, ist jedoch die dazu sowie auch untereinander abweichende Handschrift der Autorzuweisungen und Datierungen (in zumal abweichender Farbe). Das lässt sich bereits mit einem Vergleich der jeweils ersten Seiten der vier Messen deutlich zeigen (vgl. Beispiele 2–516). Textierung, Notenschrift, Messentitel und Stimmbezeichnungen der Mangon-Messen lassen sich – wie schon von Pohl – anhand zahlreicher charakteristischer Details relativ leicht als von einer Hand stammend verifizieren. Die bei der Chenemont-Messe abweichende lateinische Schreibung des „s“ bei „Bass[us]“ scheint hier dem knappen Platz geschuldet zu sein, stammt aber ebenso wie das übrige Notat von derselben Hand. Deutlich vom Schreibduktus abweichend sind hingegen Autornamen und Datierungen gestaltet: Während die Abweichungen von Messtext und Autornamen bei Petrus Chenemont noch eher gering sind (abgesehen vom lateinischen „s“ und der leichten Rechtsneigung der Buchstaben, vgl. Beispiel 2), erscheint der Name Johannes Mangon nicht nur in zwei verschiedenen Schreibweisen („Joannes“: Beispiel 3; „Johannes“: Beispiele 4 und 5), sondern in anderer Schrift, erkennbar sowohl an den Buchstaben (gedrucktes „a“ versus geschriebenes „a“) als auch an ihrer Neigung.
14 15 16
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Vgl. Jose Quitin: Le motet Christi virgo dilectissima de Johannes Claux, in: Bulletin de la Société Liégeoise de musicologie, Nr. 69 (1990), S. 33–34. Chénemont als Flecken in Belgien / Brabant käme als Herkunftsort von Petrus bzw. Pierre Chenemont in Frage. Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des Aachener Domarchivs; die eingeschränkte Qualität ist der mikroverfilmten Vorlage geschuldet.
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Kapitel 5.5.
BEISPIEL 2: Chenemont, „Missa de Domina“, Beginn des Kyrie (B und A)
BEISPIEL 3: Mangon, „Missa de Domina I“, Beginn des Kyrie (T und B)
BEISPIEL 4: Mangon, „Missa de Domina super cantum“, Beginn des Kyrie (T und B)
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BEISPIEL 5: Mangon, „Missa de Domina II“, Beginn des Kyrie (T und B)
Die zweite, undatierte Messe Mangons (vgl. Beispiel 4) erscheint im Schriftbild zwischen Autornamen, Messtitel und übrigem Text noch am kongruentesten, ähnlich wie die Messe Chenemonts. Die deutlichsten Abweichungen zwischen Hauptnotat und Autornennung zeigen sich allerdings bei den beiden datierten Messen (Beispiele 3 und 5); sie legen auch aufgrund der abweichenden Schreibweise des Komponistennamens nahe, dass sie nicht vom Schreiber (und ebenso wenig vom Komponisten selbst), sondern nachträglich von anderer Hand eingetragen worden sein müssen. Dies erhöht einerseits zwar den Unsicherheitsfaktor der Autorschaft Mangons in beiden Fällen, erklärt andererseits aber auch, warum in den drei Codices manche Mangon zugeschriebene Werke datiert sind und andere nicht: Offenbar war der Schreiber des Gros der Chorbücher nicht Mangon selbst, sondern jemand, der nur einen Teil der Werke einem Komponisten zuweisen konnte, was er entsprechend tat. Die übrigen Werke wurden später identifiziert und sodann – von anderer Hand oder mehreren anderen Händen17 – mit dem Namen von Mangon und einem Datum versehen. Dies erklärt auch die unsystematische Anordnung der Datierungen, die damit keine Auskunft über den Zeitpunkt der Niederschrift im Chorbuch – wie bislang vermutet –, sondern vielmehr der rückblickenden Identifikation der Werke und eventuell ihres Entstehungszeitraumes dienten. Möglicherweise teilte Mangon dies auf Anfrage selbst mit, nachdem er nicht mehr in Aachen weilte18, was die zum Teil genauen, zum Teil ungenauen Datierungen erklärte, die aus Erinnerungslücken über die Entstehung der Werke resultieren mögen. Dies erklärte auch, dass die zu den Messen mitgeteilten Daten nachweislich auf keine historischen oder zeremoniellen Ereignisse Bezug nehmen.
17
18
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Bei genauerer Sichtung des Chorbuches I sind tatsächlich sieben verschiedene Schreibweisen des Komponistennamens anzutreffen: 1. „Joannes Mangon“ (Messen Nr. 2, 10–17, 19 und 22), 2. „Ioannes Mangon“ (Messe Nr. 9), 3. „Johannes Mangon“ (Messen Nr. 3, 7 und 8), 4. „autore Ioane Mangon“ (Messe Nr. 4), 5. „Joannes Mangon“ (Messe Nr. 6), 6. „Joanes Migon“ (offensichtlicher Schreibfehler bei Messe Nr. 20) und 7. „Joẽs Mangon“ (Messe Nr. 18). Vgl. dazu weiter unten, S. 225f.
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Kapitel 5.5.
Ohne weitere Dokumente bleiben diese filiatorischen Überlegungen freilich Spekulation, hingegen dürfte deutlich geworden sein, dass weder die bloße Autornennung noch die damit verbundene Datierung über Autorschaft, Entstehung und Ordnung des Chorbuches I gesichert Auskunft geben können; sie zählen zu einer zweiten, sicherlich späteren Schicht des Notats.19 Dies macht sie hingegen nicht weniger bedeutsam: Die spätesten Datierungen in den drei Codices liegen sämtlich zwischen 1577 (Chorbuch I, III) und 1579 (Chorbuch II), wobei nur die Kompositionen Mangons und Lambertus de Montes (ebenfalls ein in Lüttich tätiger Komponist) datiert, also nachträglich zeitlich fixiert sind. Es ist daher durchaus im Rahmen des Möglichen, dass die Chorbücher sämtlich in diesen drei Jahren entstanden: Eine Kompilation aus verschiedensten Werken besonders wirksamer Lütticher und Aachener sowie ausgewählter prominenter Komponisten (wie Lasso, Clemens non Papa, Crecquillon, usw. – diese freilich sämtlich undatiert) also, die unter ungewöhnlich großem Zeitdruck entstand, unter dem man nach Gattungen sortiertes Repertoire bewahren, gleichsam in Form einer Gesamtausgabe dokumentieren und dabei möglichst akkurat authentifizieren wollte. Die liturgische Ordnung und somit zugleich eine Dokumentation der zeremoniellen Gepflogenheiten der Liebfrauen-Kirche war dabei offenbar weniger ausschlaggebend als das rasche, beinahe wahllos anmutende Zusammentragen von möglichst viel lokalem und/oder lokal gebrauchtem Repertoire. Was mag den Anstoß zu dieser groß dimensionierten Unternehmung gegeben haben? In kaum einer anderen deutschen Stadt standen sich die christlichen Religionen über mehrere Jahrzehnte hinweg derart ausdauernd kämpferisch gegenüber, dass Konfessionswechsel relativ rasch aufeinander folgten, wie in Aachen in den letzten Dekaden des 16. Jahrhunderts. Die Ambitionen der Protestanten waren davon beflügelt, mit der Diözese Aachen-Lüttich nicht nur eine der katholischen Hochburgen des Habsburger Reiches, sondern mit dem mariensymbolisch äußerst bedeutsamen Liebfrauen-Münster zugleich die Krönungsstätte der Kaiser des heiligen römischen Reiches unter ihre Protektion zu bringen und entsprechend zu reformieren. Bereits seit dem Mittelalter (seit 1349) waren die Aachener „Heiltumsfahrten“ – zuerst auch „Aachenfahrten“20 genannt – aus Anlass der alle sieben Jahre gezeigten vier großen Aachener Reliquien (Marienkleid, Windeln und Lendenschurz Jesu sowie das Enthauptungstuch Johannes des Täufers) in ganz Europa prominent, hinzu traten gezielte Pilger- und Wallfahrten allein zum Marienschrein des LiebfrauenMünsters. Schon in den 1540er und 1550er Jahren lassen sich die ersten Siedlungen und Gemeindegründungen protestantischer Provenienz in Aachen nachweisen, und 19
Belegbar ist dies u. a. konkret an der Titelseite der Missa En attendant secours an Position 10: Ein Schreiber (vermutlich jener der Noten und Stimmbezeichnungen) notierte über der Tenorstimme „Missa“, ein weiterer ergänzte rechst daneben „En attendant secours“, vgl. zu diesem sowie den anderen Beispielen der Schreibweisen zudem die Faksimiles der Titelseiten bei Pohl, Johannes Mangon. Chorbuch I. Die Messen (wie Anm. 1), S. II–XXVIII. 20 Vgl. Heinrich Schiffers: Studien zur Entstehungsgeschichte der Aachener Heiligtumsfahrt, Aachen 1925, sowie speziell zur Geschichte der Heiligtümer und ihrer Wege von bzw. nach Aachen Heinrich Joseph Floss: Geschichtliche Nachrichten über die Aachener Heiligthümer, Bonn 1855.
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1572 – zur Zeit Mangons – zählte Aachen „so viele Protestanten, daß jährlich 200 Kinder getauft wurden“.21 Nachdem bereits 1572, 1575 und 1599 zudem reformierte Synoden in Aachen abgehalten22 und durch die Unterstützung der Zünfte immer mehr Ratssitze mit Protestanten besetzt wurden, war die Reformation nicht mehr aufzuhalten: In den Jahren 1583 bis 1598 wurde Aachen protestantisch. Dem folgte prompt die Rekatholisierung der Stadt, die wiederum zu den größten Erfolgen der gegenreformatorischen Bemühungen zählte. Verantwortlich dafür zählte Ernst von Bayern (1554–1612)23, der 1581 zum Bischof von Lüttich (und damit von Aachen) geweiht wurde. Abgesehen von der von katholischer Seite her mit Besorgnis beobachteten, sukzessiv voranschreitenden Reformation hatte die Krönungsstadt Aachen in den Jahren 1576 bis 1580 mit einer der größten Pestepidemien der Zeit überhaupt zu kämpfen.24 Eine Aachener Chronik25 gibt Auskunft über die enormen Ausmaße der zu tausenden Erkrankten und Toten, die zur Anlage von Massengräbern auf dem Friedhof des Liebfrauen-Münsters zwangen und 1578 die Gründung der RochusBruderschaft beförderten. In den Jahren 1578 und 1579 wurden nicht nur der Dekan des Krönungsstiftes Robert Wachtendonck, der Johannes Mangon vermutlich aus Lüttich angeworben hatte, Opfer der Pest (er starb im Juli 157926), sondern auch zahlreiche Chorherren und Sänger aus dem Stiftskollegium. Nicht zuletzt deshalb hat man bislang angenommen, Mangon sei ebenfalls ein Opfer der Seuche geworden. Sollte Mangon aber – wie oben diskutiert – nicht mehr in Aachen gewesen sein, als die Chorbücher kompiliert wurden, so wäre er vermutlich mit dem gleichnami-
21
Heinrich Simon van Alpen: Geschichte des fränkischen Rheinufers, was es war und was es ist, Köln 1802, S. 645. 22 Art. Aachen, in: Kirchen-Lexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenschaften, hrsg. von Heinrich Joseph Wetzer, Freiburg i. Br. 1856, 12 Bde., hier Bd. 1, S. 4. Vgl. dazu auch Hermann F. Macco: Die reformatorische Bewegung während des 16. Jahrhunderts in der Reichsstadt Aachen, Aachen 1900; ders.: Zur Reformationsgeschichte Aachens während des 16. Jahrhunderts, Aachen 1907. 23 Ernst von Bayern (1554–1612) war zudem musikalisch interessiert, wie u. a. die Widmung von Tomás Luis de Victorias Liber primus missarum (1576) zeigt, darunter eine Missa de Beata Virgine. Zur Rolle von Ernst von Bayern als Kunst- und Musikmäzen im Lütticher Raum vgl. aktuell Emilie Corswarem, Katelijne Schiltz und Philippe Vendrix: Der Lütticher Erzbischof Ernst von Bayern als Musik-Mäzen (1580–1612), in: Das Erzbistum Köln in der Musikgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts (= Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte 172), hrsg. von Klaus Pietschmann, Kassel 2008, S. 311–330. Zur Missa de Beata Virgine Victorias und der Widmung an den Bischof vgl. zudem von der Verfasserin: „Ad Virginem Dei Matrem Salutationes«. Victorias Marienmessen im Spannungsfeld von Kirche und Kunst, in: Im Schatten Palestrinas? – Tomas Luis de Victoria, hrsg. von Michael Zywietz, Genf 2012 [Dr. i. Vorb.]. 24 Vgl. dazu allgemein Egon Schmitz-Clever: Pest und pestilenzialische Krankheiten in Aachen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 66/67 (1955), S. 108–168, sowie aktueller Kay Peter Jankrift: The Language of Plague and its Regional Perspectives: The Case of Medieval Germany, in: Medical History / Supplement 27 (2008), S. 53–58. 25 Vgl. Emil Pauls: Chronica manuscripta Aquensis, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 35 (1913), S. 126–153. 26 Vgl. Antoine Auda: La Musique et les Musiciens de l’Ancien Pays de Liège, Schaerbeck 1930, S. 132.
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Kapitel 5.5.
gen Sänger Jean bzw. Johannes Mangon27 identisch, der nachweislich von 1567 bis 1605 an der St. Lambertus-Kirche in Lüttich unter Vertrag stand.28 Da Lüttich und Aachen derselben Diözese angehörten und zudem nicht allzu weit auseinander lagen (ca. 50 km), steht die für die 1570er Jahre dokumentierte (zumal lückenhafte) Anstellung Mangons in Aachen dazu in keinem Widerspruch. In diesem Fall stünde sein Todesdatum nicht mit der Aachener Pest in Verbindung, was ohnehin nur gemutmaßt wurde, sondern wäre mit dem 23. September 1605 klar fixiert. Davon unabhängig erscheint es angesichts der enormen konfessionellen und epidemischen Bedrohung der Stadt und insbesondere des Krönungsstiftes des Liebfrauen-Münsters mehr als verständlich, dass eine Kompilation der vorhandenen Musikalien nach – heute wahllos erscheinenden – Kriterien zu veranlassen war. Weder konnte zum Zeitpunkt der für die Zusammenstellung des Chorbuches angenommenen Jahre 1577 bis 1579 klar sein, dass auch nur einer der Musiker und Verantwortlichen die Epidemie überleben, noch, dass nicht die bereits absehbare Reformation der Stadt und ihrer Kirchenmusik das alte Repertoire ohnehin vernichten bzw. ablehnen würde. Wenn auch vermutlich unter besonderen Umständen zusammengetragen, zeigen die drei Aachener Chorbücher ein zeremoniellmusikalisches Porträt einer konfessionell umkämpften Stadt, das in dieser Form einzigartig ist. Selbstverständlich gehörten zu diesem hastig gezeichneten Porträt verschiedene Missae de Beata Virgine, die der mariensymbolischen Stätte des Liebfrauen-Münsters in der Dokumentation einer tradierten, in den 1570er Jahren im deutschsprachigen Raum längst ausgestorbenen musikalischen Gattung ihre Reverenz erwiesen. Im Folgenden sei ein kurzer Überblick über ihre formale und musikalische Disposition gegeben (vgl. zunächst Beispiel 6). Gloria
Credo
Chenemont
73v–92r
D-AAst CB I
à 5 IX; g-dorisch
Kyrie
IX; mixolydisch
I; hypophrygisch
XVII; lydisch
Sanctus
Agnus
Mangon 1
93v–108v
à 4 IX; g-dorisch
IX; mixolydisch
I; hypophrygisch
XVII; g-lydisch XVII; g-lydisch
Mangon 2
110v–123r
à 4 XI; f-dorisch
II; f-dorisch
I; hypophrygisch
XVII; g-lydisch XVII; g-lydisch
Mangon 3
309v–320r
à 4 IX; g-dorisch
IX; mixolydisch
IV; f-dorisch
IX; lydisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
BEISPIEL 6: Formale Disposition der Aachener „Missae de Domina“ (1572/73)
Dürfen die Datierungen der drei Mangon-Messen auf die Jahre 1572 bzw. 1573 ernst genommen werden, so ist in Aachen – wie andernorts in Europa – das reformierte Missale Romanum (1570) mit den um die Tropen reduzierten Chorälen noch längst nicht tonangebend. Dass der marianische Gloria-Tropus selbstverständlich in die vermutlich erst in den späten 1570er Jahren kompilierten Chorbücher einging, fügt sich in dieses Bild. Selbst an der vordersten Frontlinie der deutschen Konfessionskriege war keineswegs eine hysterische Tropusvermeidung zu beobachten. Drei der vier Missae de Domina aus dem Chorbuch I enthalten den Tropus des Gloria IX, die Missa de Domina super cantum choralem composita (als zweite Messe Mangons) verwendet mit dem Gloria II (in festis solemnibus) eine nicht explizit ma27 28
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Vgl. zu diesem Mangon ebd. Rudolf Pohl hatte diese Möglichkeit im MGG-Artikel zu Mangon noch unbegründet ausgeschlossen, vgl. ders.: Mangon, Johannes, in: MGG1, Bd. 9, Sp. 1583f.
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rianisch zugewiesene Vorlage, die traditionell untropiert bleibt. Über den bekannten Gloria-Tropus hinaus greifen Chenemont und Mangon (in seiner ersten Missa de Domina) im Benedictus mit Mariae filius einen weiteren alten marianischen Tropus auf, der lange vor dem Gloria-Tropus aus den Messformularen verschwand und seit den 1520er Jahren in keiner einzigen Marienmesse mehr verzeichnet ist.29 Die Zusammenstellung der vier Messen erscheint geradezu bemüht, möglichst große Varianz zu dokumentieren: der fünfstimmigen, geradezu ‚klassischen‘ Choralvorlagen-Kombination Chenemonts (IX – IX – I – XVII – XVII) mit den modalen Zentren g und f folgt Mangons erste Messe über exakt dieselben Vorlagen, aber zu vier Stimmen und mit – im Werkbestand einmaliger – Transposition der lydischen Sätze aus der Missa XVII in den Tonraum g.30 Mangons Konzept unterscheidet sich aber nicht nur in Besetzung und modaler Fügung von Chenemont: Seine Tropusbehandlung im Gloria weist grundsätzlich andere Züge auf, angefangen bei dem Verzicht auf die Tropuszeile 3 (Ad Mariae gloriam) hin zu grundlegenden strukturellen Aspekten. War Chenemonts Satz noch von der tradierten Idee getragen, den Tropustext auch musikalisch zu akzentuieren bzw. herauszuheben (was im vorliegenden Fall durch simple Pausensetzung vollzogen wird), so verbleibt Mangon im vollstimmigen, imitatorisch dicht verwobenen Satzgefüge; allenfalls die erste Tropuszeile, die im dreistimmigen Oberstimmenverbund in Minimenbewegung rasch durchläuft, wäre als Abweichung zu verstehen, erschiene nicht der deutlich auf das Jesu Christe-Modul im Superius (M. 52) bezogene Anschluss im Bassus (M. 59) als quasi melodische Klammer, die den Tropus auf die Ebene eines Durchgangs zurückdrängt (vgl. die Markierung in Beispiel 731).
29
30 31
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Vgl. dazu im Detail Verzeichnis I. Der Benedictus-Tropus scheint eine explizit ‚deutsche‘ bzw. habsburgische Erscheinung zu sein, da die betreffenden Messen sämtlich von geographisch dort verorteten Komponisten stammen, wie Heinrich Isaac, Pierre de La Rue, Antoine Brumel oder Adam Rener. Alle diese Komponisten verwendeten zur Interpolation des Tropus die Choralvorlage des Sanctus IV oder (verbreiteter) Sanctus IX. Diese modale Einebnung der Messe hat allenfalls in Constanzo Festas auf c fixierter Missa de Beata Virgine aus VatS 26 einen entfernten Verwandten. Vgl. zu Festas Messe Verzeichnis I. Notenbeispiele im Folgenden entnommen aus Pohl, Johannes Mangon. Chorbuch I. Die Messen (wie Anm. 1), Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
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Kapitel 5.5.
BEISPIEL 7: Mangon, „Gloria de Domina“ à 4 (I), M. 49–66
Ebenso engmaschig und kaum vernehmbar sind die in der Choralvorlage melodisch bisweilen echoähnlichen Passagen der letzten drei Tropuszeilen gestaltet. Zwar sind auch hier die Wiederholungsmodelle in den choraltragenden Stimmen auszumachen, wie im Superius (M. 131–133: Tu solus Dominus, M. 133–135: Mariam gubernans) oder Tenor (M. 136–141: Tu solus Altissimus, M. 141–146: Mariam coronans). Zudem wird die Zeile Mariam coronans gemäß ihrer symbolischen Bedeutung mehrfach rekapituliert. Wie die vorangehenden Zeilen ist sie allerdings eingebunden in einen vollstimmigen, imitatorisch verdichteten und synkopischen Satz, der zudem kadenzfrei die Zäsur bei Cum Sancto Spiritu überspielt und in eine rhythmisch verschachtelte Amen-Klausel mündet (vgl. auszugsweise Beispiel 8).
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BEISPIEL 8: Mangon, „Gloria de Domina“ à 4 (I), M. 133–150
Mangons zweite Marienmesse verzichtet zwar auf die Implementierung der beiden Marien-Tropen in Gloria und Benedictus, bietet aber zum bisherigen Werktableau mit der Verwendung zweier f-zentrierter Eingangsätze eine neue modale Variante des Changierens zwischen g und f auf. Ihr folgt eine dritte, ebenso vierstimmige Komposition, die wiederum klassisch g-zentriert beginnt, um die letzten drei Messsätze im f-Raum zu verbringen. Diese Konstellation kann kein Zufall sein, ja sie erscheint geradezu als Konstruktion, womöglich gar als modale ‚Parodie‘ der klassischen Variante Chenemonts. Im Vergleich zum tropierten Gloria der ersten Missa de Domina kommt das der dritten Messe Mangons zunächst weitaus aufgelichteter daher: Stimmpaarungen nach bewährter polyphoner Tradition (etwa in den paarweise Wechseln der Choralzeilen Benedicimus te, Adoramus te, usw.), angedeutete Vollkadenzen (nach Jesu Christe in M. 45) oder kurz aufgeblendete homophone Sequenzen (etwa Primogenitus M. 56f., Suscipe M. 80f. oder Quoniam M. 93f.) wirken sich auf das Gefüge geradezu gliedernd aus, und spätestens bei der rhythmisch unspektakulären AmenKlausel mögen Zweifel aufkommen, ob dieses eher schlichte Stück (datiert auf November 1573) von derselben Hand stammt wie das erste (vom März 1572), oder ob es, wenn schon keinen anderen Autor, so doch wenigstens eine weitaus frühere Entstehungszeit vermuten lassen müsste. Hinzu tritt die in den anderen Aachener Marienmessen nicht nachweisbare Adaption gleichsam ‚historischer‘ Techniken am Beispiel der ersten Tropuszeile, die geradezu in Josquin’schem Tonfall im engen Unterstimmenkanon anhebt (vgl. Beispiel 9), ein Verfahren, das bereits häufig im Umgang mit dem tropierten Gloria de Beata Virgine zu beobachten war.
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Kapitel 5.5.
BEISPIEL 9: Mangon, „Gloria de Domina“ à 4 (III), M. 41–51
Umso deutlicher sich hier eine Akzentuierung der ersten marianischen Textpassage ausprägte, umso weniger lässt sich dies für die anderen Tropuszeilen (es fehlt erneut die 3. Zeile) in Anspruch nehmen, im Gegenteil: Der in der ersten Missa de Domina noch vernehmbare Echoeffekt in den choraltragenden Stimmen zu den letzten Tropuszeilen, der textsymbolisch Maria an die trinitarische Deutungsebene der Doxologie anschließt, wird hier zugunsten einer zwar pausendurchsetzten, aber insgesamt eher melodisch frei anmutenden Passage verworfen, in denen diese Bezüge nicht mehr erfahrbar sind (vgl. Beispiel 10).
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BEISPIEL 10: Mangon, „Gloria de Domina“ à 4 (III), M. 104–114
Nicht nur auf modaler, sondern auch auf struktureller Ebene prägen die vier späten Lütticher oder Aachener Missae de Domina eine eigentümliche Mischung aus formaler Varianz, Traditionspflege und im Großen und Ganzen eher unspezifischer Tropusbehandlung aus. Ob sich diese eigenwilligen Konzeptionen als tatsächlich letzte mitteleuropäische Gattungsbeiträge zur Missa de Beata Virgine ihrer regionalen Sonderstellung verdanken, der schlicht jene Kontinuität fehlte, die man für Italien oder auch Spanien in Anspruch nehmen kann, ist zwar unklar. Dass ihre Entstehung von dem dringlichen Bedürfnis nach marianischer Versicherung qua gottesdienstlicher Musik in einer Zeit gespeist war, die neben den allgegenwärtigen Konfessionswirren zudem mit Epidemien und wirtschaftlicher sowie politischer Unsicherheit zu kämpfen hatte, die weinig später in den Dreißigjährigen Krieg mündeten, dürfte aber einleuchten. Mit der Niederschrift dieser marianischen Traditionswerke, die sozusagen der Existenzangst der Aachener katholischen Musikpflege zu verdanken ist, dokumentierte man aber nicht nur das regionale Repertoire, sondern zugleich dreierlei: 1. Den Nachweis, dass gottesdienstliche Musik keine unbedeutende, beliebig austauschbare Ware war, sondern regionales Profil und damit eine Wertschöpfung erreicht hatte, die es zu bewahren und historisch zu überliefern galt. 2. Den Nachweis, dass selbst unter solchen Umständen die Vergewisserung über die Autorschaft von solcher Musik einzuholen und schriftlich zu fixieren war. Und 3. den Nachweis, dass selbst über 70 Jahre alte, von zahlreichen Komponisten gepflegte vereinzelte polyphone Techniken marianischer Tropusakzentuierung ihren Weg in jeden geographischen Winkel katholischer Musikpflege finden konnten. Hier sind längst nicht mehr die Choräle die Vehikel ihrer Vertonung, sondern die ausdifferenzierte und variable Gattungstradition, die sich aus bis dato über 70 polyphonen Gloriae de Beata Virgine entwickelt hatte.
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Kapitel 5.6.
5.6. MONTAGEN IN MANTUA Die in den 1950er Jahren in Mailand von Knud Jeppesen1 wiederentdeckten 45 Mantuaner Messen gehören zu den faszinierendsten Dokumenten eines höfischen Repräsentationswillens, der bis in die innersten Strukturen der Liturgie hineinragte. Passend zur prächtigen Basilica di Santa Barbara in Corte (1562–65), die sich der kunst- und machtsinnige Guglielmo Gonzaga (Herzog von Mantua 1550–1587) erbauen ließ, entwarf und beauftragte er eine eigene Liturgie in Form des berühmten Kyriale ad usum Ecclesie Sancte Barbare (1568) und anschließend daraus geschöpfte polyphone Musik. Wie Jeppesen und später Iain Fenlon2 diskutiert haben, war die Planung und – mit 1583 zwar spät, aber immerhin überhaupt erfolgte – päpstliche Approbation der individuellen Choräle und Festordnungen eine absolute Ausnahme; in kaum einer anderen norditalienischen Stadt hatte sich ein derart weit in das geistliche Leben hineinreichender dynastischer Anspruch formulieren und etablieren können, geschweige denn ein derart großes musikalisches Repertoire, an dem der Fürst überdies selbst mitkomponierte.3 Dass zudem mit Palestrina einer der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten beteiligt war, der mit dem Herzog brieflich über die Aufträge korrespondierte und damit wertvolle werkgenetische Hinweise gab, steigerte den wissenschaftlichen Wert des Fundes erheblich und beflügelte zentrale Studien wie Jessie Ann Owens’ Composers at Work4, um nur ein Beispiel zu nennen. Gonzagas Bemühungen, einen „model Catholic state“5 zu begründen, äußerten sich in vielfältiger Form, angefangen bei den architektonischen Lizenzen des Baus, die den tridentischen Reformvorstellungen im Kirchenbau nacheiferten6 über die enge persönliche Bindung an Rom, die sich in einer geschickten Heiratspolitik für seine Kinder ebenso ausdrückte wie in häufigen Visiten vor Ort, hin zu der Beauftragung einer eigens für Santa Barbara entwickelten Zeremonialordnung, die jener für Sankt Peter in Rom gleicht.7 Durch ihre ausgezeichnete Dokumentation lässt sich wie kaum an einem anderen Ort der 1560er bis 1580er Jahre die rituelle Organisation nachvollziehen, in der die beauftragten Kompositionen ihren Platz hatten. Wie sehr Gonzaga 1 2 3
4 5 6 7
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Knud Jeppesen: Pierluigi da Palestrina, Herzog Guglielmo Gonzaga und die neuaufgefundenen Mantovaner Messen Palestrina’s. Ein ergänzender Bericht, in: Acta Musicologica 25 (1953), Heft 4, S. 132–179. Iain Fenlon: Music and Patronage in Sixteenth-Century Mantua, 2 Bde., Cambridge 1980. Vgl. zum Musikleben in Mantua zudem Pierre Marcel Tagmann: Archivalische Studien zur Musikpflege am Dom von Mantua (1500–1627), Bern 1967. Drei der im Bestand überlieferten Messen sind mit „Serenissimi“ gekennzeichnet, eine Missa in Duplicibus majoribus (Nr. 2), eine Missa in Duplicibus minoribus (Nr. 4) sowie eine Missa in Festis Apostolorum (Nr. 3), vgl. die Aufstellung bei Jeppesen: Pierluigi da Palestrina, Herzog Guglielmo Gonzaga und die neuaufgefundenen Mantovaner Messen Palestrina’s. Ein ergänzender Bericht, in: Acta Musicologica 25 (1953), Heft 4, S. 144f. The Craft of Musical Composition 1450–1600, New York 1997. Fenlon, Music and Patronage in Sixteenth-Century Mantua (wie Anm. 2), S. 81. Wie etwa bei der Platzierung des Chores hinter dem Altar, vgl. ebd., S. 99. 1568 wurden die Constitutiones sowie die Ceremoniales Capituli S. Barbarae Mantuae fertiggestellt, die Auskunft über die seit dem Oktober 1564 in Santa Barbara abgehaltenen liturgischen Festivitäten geben, vgl. ebd., S. 102.
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an der Approbation seiner Liturgie gelegen war, lässt sich besonders eindrucksvoll an den bislang nicht untersuchten sieben Missae de Beata Virgine belegen, die zwischen 1564 und 1579 für die Santa Barbara-Liturgie entstanden. Ihre Bedeutung für das Verständnis von Gonzagas pro-römischer Haltung ist insofern immens, da der Herzog, nachdem ihm bereits drei Messen des Typs für seine Liturgie vorlagen, im Jahre 1570 auf das reformierte Missale Romanum zu reagieren hatte, in dem der GloriaTropus Spiritus et alme nun nicht mehr enthalten war. Obwohl seine Choralsammlung für Santa Barbara zumeist neu komponierte oder stark reduzierte Varianten der römischen Choräle enthielt, war ursprünglich bezeichnenderweise das traditionsreiche Gloria de Beata Virgine in die Santa Barbara-Liturgie unverändert übernommen worden, einschließlich Tropus. Die ersten herzoglichen Aufträge, Marienmessen für die Santa Barbara-Liturgie zu verfassen, sahen den Tropus entsprechend noch vor, ab 1570 hingegen waren die Anweisungen zu ändern: Palestrina etwa, der 1578/79 seine insgesamt drei Missae de Beata Virgine nach Mantua sandte, hatte – wie die Korrespondenz zeigt – Choralvorlagen ohne den Tropus erhalten. Gonzaga hingegen gedachte auch die früheren, noch tropierten Kompositionen nicht verfallen zu lassen und beauftragte ab 1570 ebenso die Revision der älteren Gloria-Sätze: Alle Passagen, die aus dem neuen Missale Romanum entfernt worden waren, ließ er auch aus den bereits vorliegenden Kompositionen entfernen. Problematisch war hierbei nicht nur die Tilgung von Passagen aus abgeschlossenen Werken, sondern auch, dass damit die ursprüngliche alternatim-Faktur aufgebrochen wurde: Der ehedem konstante Wechsel zwischen choralischer und polyphoner Ausführung war bei Tilgung der Tropuszeilen selbstverständlich nicht mehr aufrechtzuerhalten. Entsprechend ging Gonzaga einen Schritt weiter und ordnete eine Neukomposition jener Choralzeilen an, die den alternierenden Ablauf nun wieder garantieren sollten und den alten Sätzen einfach eingepasst wurden. Das liturgische Ergebnis dieser Montagen kann sich zwar einer reformatorischen Aktualität rühmen, die in der Zeit wohl Ihresgleichen sucht. Das musikalische Ergebnis war hingegen prekär, und dass nicht nur, weil die Quellen auf eine fremde, überdies oft fehlerhafte Bearbeitung schließen lassen: Spätestens ab der Hälfte jedes Gloria ist jeder musikalische Zusammenhalt aufgebrochen. Nach einem kurzem Überblick zum Mantuaner Repertoire und der Diskussion der möglichen Schlüsselfigur bei den Montagen, dem Kapellmeister von Santa Barbara Giaches de Wert (1535–1596), sei als Beispiel das Gloria aus der Missa de Beata Virgine von Giovanni Contino herausgegriffen.
Et in terra pax […] Laudamus te. Benedicimus te. Adoramus te. Glorificamus te. Gratias agimus tibi […] Domine Deus, rex celestis, […]
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–––––––––[vor 1570]–––––––– Bonvicino de Wert Contino c–p p p c c c p p p c c c p p p c c c p p p
––––––[nach 1570]–––––– Parma Palestrina (3x)8 c–p c–p c c p p c c p p c c p (à4) p
Die drei Missae de Beata Virgine Palestrinas (1578/79) weisen eine identische formale Faktur auf, was eine individuelle Aufstellung hier unnötig macht.
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Domine, fili unigenite, Jesu Christe. Spiritus et alme […] Domine Deus, Agnus Dei, Filius patris. Primogenitus Mariae […] Qui tollis peccata mundi, miserere nobis. Qui tollis peccata mundi, suscipe […] Ad Mariae gloriam. Qui sedes ad dexteram patris, […] Quoniam tu solus sanctus, Mariam sanctificans. Tu solus Dominus, Mariam gubernans. Tu solus altissimus, Mariam coronans, Jesu Christe. Cum Sancto Spiritu in gloria Dei patris. Amen
–––––––––[vor 1570]–––––––– c c c p p [getilgt] p [getilgt] c [neu:] p [neu:] p p p [getilgt] p [getilgt] c c c p p p – – – p p [getilgt] p [getilgt] c [neu:] p [neu:] p p p [getilgt] p [getilgt] c c c p p [getilgt] p [getilgt] c [neu:] p [neu:] p p p [getilgt] p [getilgt] p p p c c c p p p
––––––[nach 1570]–––––– c c – – p p (à4) – – c c p p – – c c p p – – c c – – p p – – p p c c p p
BEISPIEL 1: alternatim „Gloriae de Beata Virgine“ à 5 aus Santa Barbara9
Was die Aufstellung der insgesamt sieben Gloriae de Beata Virgine zunächst zeigt, die in den 1560er und 1570er Jahren von Gonzaga beauftragt wurden, ist die stereotype Folge von polyphon auskomponierten (p) und unkomponierten Choralzeilen (c), die unison, choraliter oder organal auszuführen waren.10 Der einzige Abschnitt in den Gloria-Sätzen, in dem zwei polyphone Passagen direkt aufeinander folgen, ist die Einleitung in die schließende trinitarische Formel Tu solus altissimus – Jesu Christe bzw. (mit Tropus) Mariam coronans – Jesu Christe. Die ersten drei, aufgrund der Berücksichtigung des Tropus vor 1570 komponierten Messsätze sind hier entsprechend ebenso stringent und identisch geformt wie die letzten vier ohne Tropus (alle hingegen verzichten auf die dritte Tropuszeile, was auf die Mantuaner Gloria-Variante selbst zurückgeht). Man darf davon ausgehen, dass die Vorgaben des Herzogs an die unterschiedlichen Komponisten eindeutig waren; im Falle Palestrinas weiß man überdies aus der Korrespondenz, dass er aus Mantua zumindest die polyphon zu komponierenden Zeilen als Vorlage erhalten hatte, da er sich – vermutlich zur Orientierung – anschließend noch die fehlenden erbat. Die zentrale Figur der Montagen scheint der Komponist Giaches de Wert zu sein. Einerseits ist er als maestro di capella (1564/65–1592) die im betreffenden Zeitraum einzige personelle Konstante in Mantua, zumal in einer Position, der die Kapellbetreuung und damit auch die Beaufsichtigung und Pflege des Repertoires oblagen. Andererseits ist aus den Quellen bekannt, dass de Wert mehrfach arrangierend eingegriffen hat.11 So lässt sich auch der Fall der betreffenden Gloriae de Beata Virgine rekonstruieren. De Werts eigene Komposition kann, muss aber nicht zuerst vorgelegen haben: 9
p = polyphon auskomponiert, c = choraliter. Grau markiert sind die Passagen, in denen nachträglich in den Notentext eingegriffen wurde. 10 Isaacs vier alternatim-Gloriae weisen keine so stereotype Anlage auf, vgl. Kap. 5.2. Funktionalismen: Die alternatim-Konzepte Heinrich Isaacs, Beispiel 3. 11 Fenlon weist u. a. auf solche Arrangements de Werts in Santa Barbara hin, vgl. Music and Patronage in Sixteenth-Century Mantua (wie Anm. 2), S. 95.
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Agostino Bonvicinos Missa in festis Beate Marie Virginis12 mag früher entstanden sein, war er doch bereits vor de Wert in Mantua ansässig und hatte 1567 zudem gehofft, diesen als Kapellmeister ablösen zu können.13 Die Rivalitäten zwischen den beiden ambitionierten Musikern sind vereinzelt dokumentiert – bis hin zum Ehebruch von Bonvicino mit de Werts Ehefrau Lucrezia Gonzaga –, und womöglich steht sogar Bonvicinos Tod im Jahre 1576 als Folge von ungeklärten Verletzungen, die er sich bei Mantuaner Karnevalsfeiern zugezogen hatte, mit den Rivalitäten in Zusammenhang. De Wert jedenfalls hielt seinen Kapellmeisterposten bis 1592 unangefochten besetzt. Dass Bonvicinos Gloria, das den marianischen Tropus vollständig enthält (vgl. die Aufstellung in Beispiel 1), keine Korrekturen aufweist, kann zudem als Hinweis dafür gelten, dass es in Mantua nach 1570 nicht mehr erklungen ist; der Rivale und verantwortliche Kapellmeister de Wert wird die Messe schlicht aus dem Repertoire ausgesondert haben. Dies lässt sich ebenso daran ablesen, dass er, wie zu zeigen sein wird, außer seiner eigenen die zweite fremde Messe des Repertoires sehr wohl bearbeitete: die Missa de Beata Virgine von Giovanni Contino. Contino, der seine letzten Lebensjahre 1568 bis 1574 in Mantua verbrachte, hatte insgesamt fünf von den heute 45 bekannten Messen für die Mantuaner Liturgie vorgelegt und gehörte offenbar zum hoch geschätzten Komponistenkreis des Herzogs. Seine Statistik wird lediglich von Palestrina (mit neun Kompositionen) und de Wert selbst (mit sechs Kompositionen) überragt. (Bonvicino und Parma haben lediglich zwei bzw. eine Messe beigetragen und waren demnach nicht derart einflussreich; sogar der Herzog komponierte drei Messen.14) Dass de Wert wohl selbst es war, der Continos Handschrift nach den reformierten Vorgaben redigierte, ergibt ein Schriftvergleich von de Werts Missa in Festis Beate Marie Virginis15 mit den Korrekturen in Continos Gloria: Sie stammen von derselben Hand, die nach Einschätzungen bisheriger philologischer Autopsien vermutlich de Wert zuzuordnen ist.16 Die Befunde in de Werts eigener Missa in Festis Beate Marie Virginis bestätigen dies: Die Handschriften des ‚Originals‘ und der später (um 1570) angebrachten Korrekturen sind identisch, wie sich an der Gestalt des G-Schlüssels, der Neigung der Notenköpfe und -hälse, der Fermaten- und Schlussstrichgestaltung und selbst der – hier auf einer rasierten Passage angebrachten – groben Notation der Zeile Domine Deus, rex celestis, filius patris (zuvor: Spiritus et alme orphanorum paraclite) zeigen lässt: Autor und Korrektor der Messe sind definitiv einund dieselbe Person (vgl. die beiden Ausschnitte aus dem Superius-Stimmbuch in den Beispielen 2 und 3). 12 13 14
Ms.: Mailand, Biblioteca del Conservatorio Guiseppe Verdi, Fondo Santa Barbara, Ms. 32. Fenlon, Music and Patronage in Sixteenth-Century Mantua (wie Anm. 2), 107f. Vgl. Jeppesen, Pierluigi da Palestrina, Herzog Guglielmo Gonzaga und die neuaufgefundenen Mantovaner Messen Palestrina’s (wie Anm. 1), S. 145. 15 Ms. Mailand, Biblioteca del Conservatorio Guiseppe Verdi, Fondo Santa Barbara Ms. 143. 16 Das Manuskript von de Werts Messe weist zudem eine Notiz von Carol McClintock auf, die die Quelle 1962 autopsierte: „Le correzioni che figurano nelle parti die questa Messa sono, probabilmento, di mano del Wert […], Milano, 23.11.1962“. Die Notiz fand Eingang in den Bibliothekskatalog: Catalogo della biblioteca. Musiche della Cappella di S. Barbara in Mantova, Mantua 1972, S. 346.
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Kapitel 5.6.
BEISPIEL 2: De Wert, „Gloria de Beata Virgine“, original: „Domine Deus, rex celestis ...“
BEISPIEL 3: De Wert, „Gloria de Beata Virgine“, korrigiert: „Domine Deus, agnus Dei ...“
Zahlreiche weitere Beispiele aus den fünf17 Stimmbüchern des Manuskripts wären diesem zur Seite zu stellen, geringfügige Varianten im Schreibduktus – wie die latente Lösung des ehemals angebundenen kleinen „s“ vom Vorgängerbuchstaben – sind dem zeitlichen Abstand zwischen Komposition (womöglich schon 1564/65) und Nachbearbeitung (um 1570) geschuldet. Die Korrekturen im Gloria von Contino, das vermutlich ebenfalls dessen autographe Niederschrift in fünf Stimmbüchern ist – jede der eingelieferten Mantuaner Marienmessen trägt eine andere Handschrift, jene von Palestrina eindeutig seine eigene –, stammen nun deutlich von de Werts Hand. Das ist freilich erst auf den zweiten Blick ersichtlich, da u. a. der abweichende G-Schlüssel im Superius (vgl. die mittleren beiden, nachträglich aufgeklebten Zeilen im Superius in Beispiel 4) eine modernere Form des alten Schlüssels (vgl. Beispiele 2, 3 mit 4) darstellt. Die gerade, recht akkurate Notenschrift de Werts ist jedoch eindeutig erkennbar; sie hebt sich deutlich von der eher ‚tropfenförmigen‘, unregelmäßigen Continos ab und weist beim alla breve-Signet den typischen Haken am Vertikalstrich auf. Das Beispiel zeigt zudem die Rigidität der Montagen ganz deutlich: Der Schluss der zweiten Tropuszeile Primogenitus Mariae virginis matris (oben links in Beispiel 4) ist ebenso rüde wie gleichgültig gestrichen (die Noten lassen sich problemlos rekonstruieren), wie der Text der Tropuszeile Nr. 6 (Mariam coronans) rasiert und durch Tu solus altissimus überschrieben worden ist (vorletzte Zeile mit 17
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Auf dem Deckblatt des Superius der Messe findet sich der handschriftliche Hinweis: „Dato che la messa sia a 6 voci (come è aver scritto nel v[b]iglietto accanto al Canto) mancherebbe la Passo del sesto; ma forse la Messa è soltanto a 5 voci: il che si conoscerà cressendo il Pezzo in partitura“; sinngemäß übersetzt (CWie): „Da die Messe für sechs Stimmen gemacht sein soll (wie eine [nicht mehr vorhandene] Notiz zum Superius andeutet) fehlt eine sechste Stimme; vielleicht ist der Satz aber nur für fünf Stimmen, was man wissen wird, wenn das Stück in Partitur gesetzt ist.“ Tatsächlich fehlt keine Stimme, die Messe wird – wie alle anderen aus der Santa Barbara-Liturgie – von Beginn an fünfstimmig gewesen sein. Eine Edition der Messe steht noch aus.
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dickerer Feder in Beispiel 4). Obendrein ist dem Korrektor ein geradezu peinlicher Fehler unterlaufen: Die neu polyphon gesetzte Choralzeile Quoniam tu solus sanctus (Überklebung in der Mitte) verwendet die Choralvorlage der ehemals von Contino komponierten, von de Wert aber überklebten Zeile Qui sedes ad dexteram patris, miserere nobis, eindeutig erkennbar an dem klassischen Quintmotiv und auch in der Folge am Gloria IX-Passus orientiert. (Derselbe Fehler wiederholt sich in den anderen Stimmbüchern.)
BEISPIEL 4: Contino, „Gloria de Beata Virgine“, 2. Teil, Superius, korrigiert von de Wert
Welche Ursachen dieser grobe Vertonungsfehler hat – Zeitmangel, Unaufmerksamkeit, absichtliche Demontage – kann nicht rekonstruiert werden; dass er wie auch die anderen Korrekturen auf den Komponisten Contino selbst zurückgeht, ist jedoch auszuschließen. Der moderne G-Schlüssel, den de Wert benutzt, lässt zudem auf eine spätere Korrekturphase als um 1570 schließen, in jedem Fall auf einen deutlichen zeitlichen Abstand zur Korrektur der eigenen Komposition. Welche musikalischen Auswirkungen diese Montagen für Continos Gloria in Gänze hatten, kann erst offen gelegt werden, wenn die ursprüngliche Faktur des Satzes rekonstruiert ist – die bislang einzige Edition der Messe18 lässt diese Sachverhalte unkommentiert und suggeriert Continos Autorschaft der Komposition wie in der Quelle vorliegend, quasi so, als hätte der Komponist später selbst noch einmal 18
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Ottavio Beretta (Hg.): Cinque messe mantovane dal fondo Santa Barbara a cinque voci, Mailand 1988, S. 41ff.
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Kapitel 5.6.
Hand angelegt. Da Contino 1574 in Mantua verstarb, ist zumal unwahrscheinlich, dass die Korrekturen vor seinem Tode stattgefunden haben; der Komponist hätte sein Werk ansonsten ebenso gut selbst und weitaus besser den neuen liturgischen Gegebenheiten anpassen können. Zuvor – und hier bietet das Repertoire noch eine weitere Perspektive in Montagenform auf – entschloss sich Contino unabhängig von herzoglichen Ambitionen und Beauftragungen, eine nun durchkomponierte, polyphone Neufassung seines Mantuaner Gloria de Beata Virgine in eine neue fünfstimmige Marienmesse zu integrieren: Sie erschien als Missa de Beata Virgine 1572 in Mailand im Druck.19 Um Continos Werkgruppe zu veranschaulichen, sei folgendes Schema dienlich: Nr. 1 à 4 1561
Nr. 2 à 5 (alternatim) vor 1570
Nr. 3 à 5 1572
gedruckt: Venedig
Manuskript: Mantua
gedruckt: Mailand
Kyrie
IX; g-dorisch
[Mantua]; mixolydisch
IX; g-dorisch
Gloria
IX; mixolydisch (tropiert)
IX; mixolydisch (tropiert) [zensiert]
IX; mixolydisch (untropiert)
Credo
I; g-hypophrygisch
[Mantua]; mixolydisch
I; g-hypophrygisch (tropiert: O Maria)
Sanctus
IX; lydisch
[Mantua]; mixolydisch
XVII; lydisch
Agnus
XVII; lydisch
[Mantua]; mixolydisch
XVII; lydisch
BEISPIEL 5: Formale Disposition von Continos drei „Missae de Beata Virgine“
Im Vergleich ist spannend zu beobachten, wie sich die Fragmente der Mantuaner alternatim-Fassung mit neu komponierten Passagen zu einem vollständigen polyphonen Gloria fügen, das nun auf den marianischen Tropus verzichtet, den die zensierte alternatim-Fassung vor 1570 noch enthalten hatte. Dass Contino 1572 den Tropus verwarf, dürfte zwar allgemein den reformorientierten Ansichten seiner letzten Wahlheimat Mantua angepasst sein, galt aber im Repertoire der 1570er Jahre in Italien, wo der Tropus nach wie vor verbreitet war, als Ausnahme. Zudem hatte Contino selbst im Jahre 1561 – vor der Mantuaner Zeit – eine vierstimmige, selbstverständlich tropierte polyphone Missa de Beata Virgine in den Druck gebracht.20 Während die anderen Sätze von Contino keinerlei Neuverwertungen enthalten, sondern sämtlich für ihren betreffenden Zusammenhang entstanden zu sein scheinen, sind die polyphonen Passagen des Mantuaner Gloria nahezu identisch in seine Mailänder Fassung eingegangen (grau hinterlegt in Beispiel 5). Dass schon der Auftakt des Satzes in beiden Fassungen deckungsgleich ist, gibt für das polyphone Gloria zugleich die Richtung vor: Hier, wie bereits in der Mantuaner Fassung, zeichnen Superius und Tenor für die c.f.-Durchführung verantwortlich und bilden Altus und Bassus ein häufig imitatorisch fundiertes Stimmpaar, während der zentral gelagerte Quintus ebenso als tonale Füllstimme wie flexibler Imitationspartner agiert. 19 20
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Missae cum quinque vocibus, liber primus, Milano (Paolo Gottardo Ponzio) 1572; ediert von Ottavio Beretta in: Monumenti musicali italiani, Bd. 20, Mailand 1997. Missarum 4 v liber primus, Venedig (Gardano) 1561; Edition von Ottavio Beretta in: Monumenti musicali italiani, Bd. 18, Mailand 1995.
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Der erste ‚Übergang‘ im Gloria, den Contino in der Mailänder Fassung zu gestalten hatte, betrifft die Zeilen Bonae voluntatis – Laudamus te. Während die Mantuaner Version auf voluntatis in einer vollstimmigen, langen g-Kadenz schließt (M. 19–21), schaltet sich in der Neufassung die Zeile Laudamus te im Quintus ein (M. 19ff.); die ehedem dort platzierte, diminuierte Textrekapitulation Bonae voluntatis wird gestrichen sowie die Unterstimmen-Finalis halbiert, um den Bassus noch in Mensur 19 mit Laudamus te den Auftakt der weiteren Einsätze gestalten zu lassen (vgl. Beispiele 621 und 722).
BEISPIEL 6: Contino, „Gloria de Beata Virgine“, Mantuaner Fassung, M. 13–21
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Cinque messe mantovane dal fondo Santa Barbara a cinque voci, Mailand 1988, Abdruck mit freundlicher Genehmigung. Monumenti musicali italiani, Bd. 20, Mailand 1997, Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
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Kapitel 5.6.
BEISPIEL 7: Contino, „Gloria de Beata Virgine“, Mailänder Fassung, M. 15–24
Zwar münden die neuen polyphonen Passagen immer wieder in das polyphone Material der Mantuaner Version ein, mit denen sie verschmolzen werden. Spätestens aber in der Finalbildung sind neue Wege zu gehen, um die ehedem unkomponierte Passage Cum Sancto Spiritu in gloria Dei patris vor dem schließenden Amen einzubinden (vgl. Beispiele 8 und 9). War das Amen in der Mantuaner Fassung eine knappe elf-mensurige, ihrer Aufgabe des Ausklingens gemäß eher ruhend strukturierte Passage gewesen (M. 116–126), so wandelt Contino seine Schlusspassage in der Mailänder Version in eine fulminante, rhythmisch agile und 44 Mensuren umfassende monumentale Coda (M. 156–199), die mit ihrer Vorgängerin nicht einmal mehr die Finalkadenz gemeinsam hat. Der Text in gloria Dei patris. Amen wird für die ‚Vollversion‘ viermal in allen fünf Stimmen durchgeführt, ab Mensur 178 wechselt Contino zudem in die Dreizeitigkeit, um den Verfahren eine finale Drift zu geben.
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BEISPIEL 8: Contino, „Gloria de Beata Virgine“, Mantuaner Fassung, M. 116–126
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Kapitel 5.6.
BEISPIEL 9: Contino, „Gloria de Beata Virgine“, Mailänder Fassung, M. 167–182
Die für das Repertoire der Missae de Beata Virgine einzigartige Möglichkeit, ein- und denselben Satz als alternatim- und polyphone Version zu untersuchen, bietet vielen weiteren Erkenntnissen Zugang, die hier nur anzudeuten sind, da sie für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang nur latent von Wichtigkeit sind. Die abweichende Schlussstruktur etwa macht deutlich, inwiefern polyphone und alternatim gestaltete Konzeptionen von ihrem kompositorischen Kontext gesteuert werden: Mögen motivische, dynamische und tonale Zusammenhänge für Choralordinarien (und nicht nur dort) im satzübergreifenden Verbund eher sekundären Rang behaupten, so sind sie in der Durchführung der Choralzeilen im einzelnen Satz selbst essenziell. Das betrifft insbesondere die Finalgestaltung, denn dass Contino von allen bereits vorliegenden polyphonen Passagen ausgerechnet auf das Amen verzichtet, ist sicherlich kein Zufall, sondern der dynamischen ‚Eigenmacht‘ der gesamten Schlussgestaltung geschuldet. Sie erzeugt eine derartige Selbstständigkeit, man könnte auch sagen: Selbstreferenzialität, die es dem Komponisten unmöglich macht, in das präexistente Amen umzuschwenken, selbst wenn – und das ist besonders bemerkenswert – das letzte Amen der neuen Fassung im ruhig ausklingenden Duktus immerhin ein wenig den Vorgänger in Erinnerung ruft (vgl. Beispiel 8 mit 10).
BEISPIEL 10: Contino, „Gloria de Beata Virgine“, Mailänder Fassung, M. 194–199
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Entscheidend scheint somit der Ansatz der jeweiligen Choralzeile zu sein: War Contino in der alternatim-Variante zu ständig neuen Ansätzen gezwungen, die sich freilich ebenfalls korrespondierend und stilistisch konvergent verhalten konnten, so musste für die polyphone Version der Fluss gewahrt bleiben, also quasi nicht stets von außen neu angesetzt, sondern von innen heraus weiter komponiert werden. Continos Entscheidung, aus den bereits existenten Abschnitten einen neuen Satz zu schmieden, kann unter solchen kompositorischen Bedingungen als erhöhte Schwierigkeit gelten, und kaum als ökonomische Arbeitsentlastung. Dass auch dieses Verfahren eine Montage darstellt, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen wie die späteren Eingriffe de Werts, erhöht den Reiz, sich mit diesem außergewöhnlichen Repertoire auch jenseits der Marienmessen unter dem Aspekt der Verortung zwischen Tradition, ‚Urtext‘ und Zensur andernorts näher zu befassen. Die marianischen Tropen im Gloria de Beata Virgine sind in Mantua jedenfalls eher Variablen denn Konstanten in einem fürstlichen Vexierspiel mit liturgischen Konventionen, das als singulär zu gelten hat.
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Kapitel 5.7.
5.7. ‚GATTUNGSDÄMMERUNG‘ IN PORTUGAL? Dass die heute, wenn überhaupt, geläufigen Renaissance-Komponisten Portugals Duarte Lobo, Manuel Cardoso und Filipe de Magalhães ihren lexikalischen Platz in der Regel in Verzeichnissen und Handbüchern zur Barockmusik finden, obwohl man ihr überliefertes Oeuvre überwiegend der ‚klassischen‘ Vokalpolyphonie zuschlagen muss, mag auf den ersten Blick verwundern. Tatsächlich aber erklärt sich dies aus den späten, aus der Perspektive der Messengeschichte gleichsam ‚verspätet‘ erscheinenden Lebens- und Wirkungszeiten der portugiesischen VokalmusikKomponisten: Geboren in den 1560er bzw. 1570er Jahren, begannen sie zum Teil erst weit nach 1600 ihre Werke zu veröffentlichen, Werke, die in Thematik und Stilistik zunächst eigentümlich retrospektiv anmuten und formale Traditionen fortsetzen, die vom Nachbarn Spanien schon längst ad acta gelegt worden waren. (Um beim Gegenstand zu bleiben: Die letzte spanische Missa Beatae Mariae in Sabbato von Juan de Esquivel Barahona erschien bereits mit deutlichem Abstand zu ihren Vorgängern 1613 im Druck1.) Die späte Blüte der portugiesischen Messkomposition, die heute trotz der verdienstvollen Forschungen von Owen Rees2 und Bernadette Nelson3, um die aktuellsten Beiträge zu nennen, nur zögerlich in das musikologische Bewusstsein dringt, hat ihre Wurzeln in vielen Faktoren des frühen 17. Jahrhunderts, begünstigt von der langsamen aber stetigen politischen und wirtschaftlichen Emanzipation von Spanien und nicht zuletzt der erfolgreichen kolonialen Expansion nach Westen. Sei es die erst im Laufe des 16. Jahrhunderts erfolgte Institutionalisierung der professionellen Musiker- und Komponisten-Ausbildung4, sei es die erst nach 1600 bestehende Möglichkeit zum lokalen Notendruck, und sei es nicht zuletzt der kunstliebende portugiesische König João bzw. Johann IV. (1604–1656), dessen grandiose Musiksammlung später dem Lissaboner Erdbeben 1755 zum Opfer fiel: In den kulturellen Zentren Évora, Coimbra und Lissabon begann sich nach 1600 eine konstante, blühende und durchaus selbstbe1
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Vgl. dazu im Detail Kap. 5.4. Universalismus und Nationalismus: Spanien sowie zu den Werken im Einzelnen Verzeichnis I. Zu Esquivel vgl. u. a. Richard Snow: The 1613 Print of Juan Esquivel Barahona, Detroit 1978; Robert Stevenson: Spanish Composers in the Age of the Armada, in: Inter-American music review 12 (1992), S. 109–112; G. Edward Bruner: Editions and Analysis of Five Missa Beata Virgine Maria by the Spanish Composers: Morales, Guerrero, Victoria, Vivanco and Esquivel, University of Illinois, 1980; Michael Brian O’Connor: The Polyphonic Compositions on Marian Texts by Juan Esquivel de Barahona: A Study of Institutional Marian Devotion in Late Renaissance Spain, Diss. Florida State University 2006. Owen L. Rees: Polyphony in Portugal c.1530 – c.1620, Sources from the Monastery of Santa Cruz, Coimbra, New York, London 1995; ders.: Adventures of Portuguese ‚Ancient Music‘ in Oxford, London and Paris: Duarte Lobo’s ‚Liber Missarum‘ and Musical Antiquarianism, 1650–1850, in: Music & Letters 86 (2005), Nr. 1, S. 42–73. Bernadette Nelson: The Leiria fragments: Vestiges of fi fteenth-century northern polyphony in Portugal, in: Revista Portuguesa de Musicología 14 [im Druck]; dies.: A Plan of the Capella Real, Lisbon, in 1649, in: Revista Portuguesa de Musicologia 8/9 (1997/98), S. 25–30. Zuvor wirkten Portugiesen in der Regel in Spanien, allen voran der wohl früheste bedeutende portugiesische Komponist von Vokalpolyphonie, Pedro de Escobar, vgl. Kap. 5.4. Universalismus und Nationalismus: Spanien, zu Escobar insbes. S. 179–181.
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‚Gattungsdämmerung‘ in Portugal?
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wusste Musikkultur zu entwickeln. Aufgrund der noch in den 1630er und 1640er Jahren schwelenden politischen Auseinandersetzungen mit dem Nachbarn Spanien stieg das Bedürfnis nach kultureller Souveränität zudem stetig: Ausbildungen, Anstellungen und Publikationen waren nun selbstverständlich in Portugal anzutreten bzw. zu veranlassen. Dass der musikalische Ertrag dieser Identifikationsphase auf dem Gebiet der Vokalpolyphonie ausgerechnet darin bestand, abgelegte Gattungen des proklamierten Erzfeindes zu reanimieren, steht dazu in keinem Widerspruch. Nicht nur sind die Grenzen zwischen Spanien und Portugal weder sozial- noch kulturhistorisch so scharf zu ziehen (man teilte neben sprachlichen und geographischen Gemeinsamkeiten auch die Erfahrung der fast 800 Jahre währenden maurischen Besetzung). Auch favorisierte Johann IV. nach Auskunft der erhaltenen Inventarlisten seiner Musikbibliothek insbesondere die Vokalpolyphonie von Josquin über Morales und Palestrina bis Victoria, die er offenbar weniger als national idiomatisierte denn als von derlei weltlichen Angelegenheiten unabhängige Kunst verstand, die selbstverständlich zum kulturellen Fundament einer modernen, ambitionierten Monarchie zählten. Von dem exzeptionellen Musikverständnis des auch gelegentlich selbst komponierenden Königs kann man sich mithilfe zweier Fachpublikationen, in denen er Palestrinas Kompositionen huldigte, ein recht konkretes Bild machen. In der Defensa de la musica moderna contra la errada opinion del Obispo Cyrilo Franco von 16495 resümiert der König unter Bezugnahme auf den exakt 100 Jahre alten, geradezu historischen Brief Bernardino Cirillos (1549)6, der über die weltliche Messkomposition sowie ihre Techniken polemisiert hatte, die Vorteile der ‚modernen‘ Musik (gemeint ist die geistliche Vokalpolyphonie). Nur fünf Jahre später folgte mit der Respuestas a las dudas que se pusieron a la missa: Panis, quem ego dabo del Palestrina7 eine noch einmal explizit Palestrina und seine Missa Panis quem ego dabo preisende Schrift. Die Förderung und Finanzierung einer eigenen ‚portugiesischen‘ Messkomposition – Johann IV. ist nicht zufällig Widmungsempfänger zahlreicher Musikdrucke – hatte an diesen ‚europäischen‘ Standard nicht nur anzuknüpfen, sondern sich explizit mit ihm auseinanderzusetzen: So verwundert nicht, dass viele Parodiemessen der Portugiesen traditionell über Vorlagen italienischer (vorwiegend: Palestrina) und spanischer Komponisten (vorwiegend: Guerrero) gearbeitet sind. Die Gruppe der Missae de Beata Virgine aus Portugal besteht nach bisherigem Kenntnisstand aus nicht einmal einer Handvoll Werken, stammt dafür aber von den drei bedeutendsten, eingangs genannten Komponisten um 1600: Lobo (latinisiert: Eduardus Lupus), Cardoso und Magalhães. Ihnen kommt neben ihrer späten 5 6
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Faksimile: Defensa de la musica moderna contra la errada opinion del Obispo Cyrilo Franco. Com prefacio, introducao e notas de Mario de Sampayo Ribeiro, o.O. [Sao Salvador] 1965. Bernardino Cirillo: Brief an Ugolino Gualteruzzi (Loreto, 16. Februar 1549), in: Lettere Volgari di Diversi Nobilissimi Huomini […], Libro Terzo, Venedig 1564, S. 114–118; englische Übersetzung von Lewis Lockwood in: Palestrina: Pope Marcellus Mass (= Norton Critical Scores), New York 1975, S. 10–16. Ediert im Faksimile: Respuestas a las dudas que se pusieron a la missa Panis quem ego dabo de Palestrina, hrsg. von Mario de Sampayo Ribeiro, Lissabon 1958.
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Kapitel 5.7.
Sonderstellung im Repertoire das Verdienst zu, ein letztes Mal geschlossen die Wesenszüge jener Gattung zu akzentuieren, auf die hier ein abschließender Blick zu werfen ist. Systematisch mag dazu zwar im Widerspruch stehen, dass alle drei Werke – wie schon die letzten acht spanischen Missae de Beata Virgine ab 15768 – ein tropusfreies Gloria IX nach Vorgabe des in Spanien und Portugal ratifizierten und immer stärker dominierenden Missale Romanum komponieren. Schließlich lassen sich derart keine Aussagen über marianische Akzentuierungen im Gloria treffen, keine Verbindungslinien zu möglichen Vorbildern und auch keine daran gemessenen Individualismen und Funktionalismen aufzeigen. Einerseits aber bietet dieses abschließende Trio die Möglichkeit, jene Merkmale aufzudecken, die sich unabhängig von den tradierten Tropuspassagen manifestiert haben. Andererseits ist zu diskutieren, ob und wie hier neue Charakteristika ausgeprägt werden, die unter dem Druck nationaler Identitätsbildung eine eigene Basis bilden sollten, eine Basis, die letztlich aber – aus welchen Gründen auch immer – keine Nachfolge(r) inspirieren konnte. Stattdessen erfreuten sich manche der portugiesischen Kompositionen einer ihren Vorgängern oft ermangelnden Popularität bis in das 19. Jahrhundert hinein. Offenbar schienen sie Kriterien von Wohlklang und Gleichmaß kultiviert zu haben, die sie für die Zeitlosigkeit qualifizierte. Duarte Lobos’ Liber Missarum von 1621 etwa, der die erste portugiesische Missa de Beata Virgine enthält, wurde 200-fach in Antwerpen gedruckt und zunächst vorwiegend in Spanien, Portugal und Lateinamerika verbreitet, wo sich noch um 1785 Abschriften finden lassen.9 Weist allein schon dies auf eine ungewöhnlich lange Lebensdauer der Musik hin, so konnte Owen Rees zudem ein Exemplar in Oxford ausfindig machen, das seit den 1650er Jahren dort inventarisiert (Bodleian Library, Mason EE. 87) und von zahlreichen Kopisten bis in die 1820er Jahre hinein als Vorlage verwendet worden ist.10 Dass die Kompositionen des Liber, allen voran die Motette Audivi vocem, der Aufklärung offenbar als Prototypen vokalpolyphonen Stils galten, zeigen insbesondere die Abschriften für die englische Academy of Ancient Music, die im 18. Jahrhundert – wie auch die Madrigal Society – Werke dieses Genres pflegte und aufführte. Dass Lobo hier gleichrangig neben Palestrina in den Programmen aufscheint, ist sicher kein Zufall und sollte aufhorchen lassen, ebenso wie die Aufnahme der Mottete in englische und französische Anthologien alter Musik, die noch Mitte des 19. Jahrhunderts im Druck erschienen.
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Die Messen von Tomás Luis de Victoria, Francisco Guerrero, Melchor Robledo, Pedro Ruimonte, Martín de Villanueva, Sebastián de Vivanco (zwei Messen) und Esquivel Barahona, vgl. im Detail Verzeichnis I. Im konkreten Fall in der Capilla Real in Granada, vgl. Rees, Adventures of Portuguese ‚Ancient Music‘ (wie Anm. 2), S. 44f. Zum Quellenstand der Portugiesen in Spanien vgl. erneut Cristina Urchueguía: Die mehrstimmige Messe im goldenen Jahrhundert. Überlieferung und Repertoirebildung in Quellen aus Spanien und Portugal (ca. 1490–1630) (= Würzburger musikhistorische Beiträge 25), Tutzing 2003. Vgl. die Aufstellung der Kopien bei Rees, Adventures of Portuguese ‚Ancient Music‘ (wie Anm. 2), S. 47f.
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‚Gattungsdämmerung‘ in Portugal?
Da zu Lobo und Cardoso bereits erste Forschungen vorliegen11, hingegen zu Filipe de Magalhães (1571–1652) lediglich eine kleine portugiesische Biographie zugänglich ist12, soll seine Missa de Beata Virgine Maria (1636) hier stellvertretend für die späten portugiesischen Beiträge im Mittelpunkt stehen, freilich mit entsprechenden Querverweisen. Zudem sind die Gemeinsamkeiten in Werdegang und Schaffen der drei Protagonisten groß: Wie schon Lobo und Cardoso wurde Magalhães an der Kathedralschule von Évora ausgebildet. Und wie jene trat er anschließend in Lissabon in den Dienst: Während Lobo als mestre da capela am Hospital Real und sodann an der Kathedrale angestellt war13 und Cardoso 1588 dem karmelitischen Konvent beitrat, wo er als Sub-Prior und mestre da capela zugleich zwei Ämter bekleidete, wirkte Magalhães ab 1602 im Chor der königlichen Kapelle in Lissabon, deren Leiter er 1623 bis 1641 wurde.14 Trotz seiner im Gegensatz zu Lobo und Cardoso weltlichen Anstellung bei Hofe oblag ihm offenbar ausschließlich die Komposition geistlicher Musik. Zumindest sind lediglich – ebenso wie von seinen Kollegen – geistliche Werke überliefert, darunter eine mehrfach nachgedruckte Choral- und Responsorien-Sammlung (1614)15, das erwähnte Messenbuch (mit einer Funeralmotette, 1636)16 sowie eine Sammlung von Marienliedern (1636)17. Eine in den Inventarlisten der Bibliothek von Johann IV. verzeichnete Sammlung Lobos aus Messen, Motetten, Psalmen und Villancicos gilt seit dem Erdbeben als verschollen; wie umfangreich sie war, ist unklar. Auch bezogen auf die formale Disposition der portugiesischen Marienmessen lassen sich zahlreiche Ähnlichkeiten festhalten. Bis auf das (nicht nur gattungsgemäß) ohnehin variable Credo verwenden alle drei Messen die inzwischen geradezu klassisch zu nennende Kombination der Choräle Kyrie IX, Gloria IX, Sanctus XVII und Agnus XVII. Modal fällt die jeweils quinttransponierte Fassung von Cardoso aus dem Rahmen, die somit als einzige der drei Messen die Tonzentren d (Kyrie, Gloria), f (Credo) und c (Sanctus, Agnus) durchmisst, während Lobo und Magalhães traditionell von g (Kyrie bis Credo) zu f (Sanctus, Agnus) schreiten (vgl. Beispiel 1). Kyrie
Gloria (ohne Tropus!)
Credo
Sanctus
Agnus
Lobo
1621
à4
IX; g-dorisch
IX; mixolydisch
I; hypophrygisch XVII; lydisch
XVII; lydisch
Cardoso
1636
à4
IX; dorisch
IX; d-mixolydisch
[?]; lydisch
XVII; c-lydisch
XVII; c-lydisch
Magalhães
1636
à4
IX; g-dorisch
IX; mixolydisch
IV; g-dorisch
XVII; lydisch
XVII; lydisch
BEISPIEL 1: Disposition der portugiesischen „Missae de Beata Virgine“ 11 12 13 14 15 16 17
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José Augusto Alegria: Frei Manuel Cardoso compositor português (1566–1650), Lissabon 1983; Armindo Borges: Duarte Lobo (156?–1646). Studien zum Leben und Schaffen des portugiesischen Komponisten (= Kölner Beiträge zur Musikforschung 132), Regensburg 1986. José Augusto Alegria: Polifonistas portugueses. Duarte Lobo, Filipe de Magalhães, Francisco Martins, Lissabon 1984. Zugleich leitete er das Seminário de Santa Bartolomeu, aus diesen zeremoniellen Ämtern gingen die zeremoniellen Publikationen Ordo amplissimus precationum caeremoniarumque funebrium (1603) bzw. Liber processionum et stationum ecclesiae olysiponensis (1607) hervor. Er übernahm zudem den Chor der örtlichen Capela da Misericórdia. Cantue ecclesiasticus commendandi animas corporaque sepeliendi defunctorum, Lissabon 1614. Missarum liber cum antiphonis dominicalibus in principio et motetto pro defunctis in fine, Lissabon 1636. Cantica Beatissimae Virginis, Lissabon 1636.
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Kapitel 5.7.
Den portugiesischen Vokalkompositionen der ersten Dekaden des 17. Jahrhunderts wird nachgesagt, progressive Harmonik, häufig gepaart mit Deklamatorik und ausdrucksintensiver, meist vollstimmiger, dichter Klangfarbe, zu pflegen. Das mögen zwar Allgemeinplätze sein, die sich historisch dem in Zentraleuropa dominierenden Satztypus der expressiven Monodie mit eher funktionalem Basssystem fügen und nebenbei als plausible Fortsetzungen derartiger Bemühungen in spanischer geistlicher Musik erscheinen. Bei aller Vorsicht vor derart verallgemeinernden Geschichtsbildern aber sind bestimmte Aspekte, die in diese Richtung deuten, nicht von der Hand zu weisen. Zu unterscheiden sind Verfahren freilich dort, wo in Lamentationen der Klagecharakter der Musik substanziell auf mehreren Ebenen zu realisieren ist, während in den vorliegenden Messen eher von einem sparsameren Gebrauch solcher Verfahren auszugehen wäre. Magalhães’ Gloria aus seiner Missa de Beata Virgine entpuppt sich auf den ersten Blick als mixtum compositum: Einerseits lassen sich durchaus textbezogene, monodische und kolorierende Passagen festmachen, andererseits bleiben Mittelstimmen und Bassus stets kontrapunktisch ausgewogen. Manches davon scheint durchaus spanischen Vorbildern entnommen, anderes wiederum darf im Gestaltungsrahmen der Gloria-Sätze als prononciert neu gelten. Eindeutig in spanischer Tradition, im konkreten Fall auf die Missae de Beata Virgine von Morales bezogen, steht zu Beginn die Entfaltung der Choralpassagen aus dem Mittelstimmenapparat heraus18: Magalhães lässt den Gloria-Choral im Altus in der Unterquinte vorimitieren, um die c.f.-Führung sodann an Superius und Tenor in Originallage abzutreten (vgl. Beispiel 219). Bis auf die Sanctus-Gruppe findet dieses Verfahren tatsächlich in jedem Satz der Messe Anwendung.
BEISPIEL 2: Magalhães, „Gloria de Beata Virgine“, M. 1–9 18 19
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Vgl. dazu Kap. 5.4.1. Cristóbal de Morales zwischen Spanien und Rom, insbes. S. 195. Filipe de Magalhães: Liber Missarum (= Portugaliae Musica 27), hrsg. von Luís Pereira Leal, Lissabon 1975, Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
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‚Gattungsdämmerung‘ in Portugal?
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Die übrige Satzstruktur erscheint zunächst gewohnt verschachtelt; Abschnittsgrenzen – bis auf die bekannte Division vor Qui tollis – werden konsequent überspielt, klare Kadenzen gemieden. Ebenso entfällt der Umschlag in die Tripla im Cum Sancto spiritu. Diese Verfahren teilt der Satz zwar mit zahlreichen anderen vor ihm. Geradezu auffallend ist jedoch die Ähnlichkeit zu Guerreros Gloria de Beata Virgine von 1566.20 Das betrifft sowohl die rhythmische Varianz der Stimmen, die in ihrer Agilität ebenso gleichberechtigt sind wie in der ‚Durchführung‘ melismatischer Formeln oder der synkopischen Verzahnung, als auch die Arbeit mit jenen pseudoimitatorischen Incipits, die für viele spanische Messsätze als konstitutiv gelten darf, bei Guerreros Satz allerdings eine besondere Ausprägung erfuhr. Die Bekanntschaft mit Guerreros Missa de Beata Virgine kann bei Magalhães wie bei seiner Komponistengeneration generell vorausgesetzt werden. Guerreros Kompositionen zählten nicht nur zu den Favoriten in der Musikbibliothek Johanns IV., sondern sein Messenbuch von 1566 war einst dem politischen Hoffnungsträger König Sebastián von Portugal dediziert worden, und enthielt überdies deutliche Reverenzen an den ersten prominenten portugiesischen Messkomponisten Pedro Escobar. So nimmt Magalhães mit Guerrero wohl nicht zufällig stilistisch auf eine Zentralfigur inner-iberisch vermittelnder Messkomposition Bezug. Wie bei Guerrero münden auch hier die dichten Stimmfolgen gelegentlich in partielle Kadenzen, abgelöst von knappen kontrapunktischen Stereotypen, bevor der gewohnt dichte Verbund pseudo-imitierender Stimmen wieder die Führung übernimmt. Eine solche Auflichtung findet sich etwa in der Zeile suscipe deprecationem (ab M. 76, vgl. Beispiel 3); als Vermittler in die Vollstimmigkeit nach der Parallelführung des Unterstimmenduos fungiert hier eine Sekundimitation (!) vom Altus zum c.f.-tragenden Superius (M. 77f.).
BEISPIEL 3: Magalhães, „Gloria de Beata Virgine“, M. 75–80
Neben den eher traditionellen Anmutungen stehen also mindestens ebenso viele neue Akzente im Vordergrund. Dazu zählt zunächst und vor allem das Primat des Superius: Einerseits ist er konsequent Träger des c.f., während der Tenor zumeist mit Altus und Bassus motivisch koaliert. Anderseits fällt seine oftmals hohe Lage bis zum a’’’ (M. 100) auf. Als Beispiele für längere freistehende Abschnitte in hoher Lage durchweg über dem c’’ können neben agimus tibi propter magnam (M. 24–28) oder miserere nobis (M. 88–90) auch die Mensuren 36 bis 38 zu rex caelestis benannt werden (vgl. auch Beispiel 4). 20
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Vgl. dazu Kap. 5.4.2. Kultur im Transfer bei Francisco Guerrero, insbes. S. 214–217.
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Kapitel 5.7.
BEISPIEL 4: Magalhães, „Gloria de Beata Virgine“, M. 33–38
Abgesehen von der Hierarchisierung der Stimmverhältnisse zugunsten eines partiell monodischen Klangkonzepts über einem kongruenten dreistimmigen Satz, der zudem in sich nicht selten intervallisch engmaschig gestaltet ist, weist das Gloria als zweite Besonderheit einen Hang zu perlenden Koloraturen auf.21 Sie als Madrigalismen zu bezeichnen, führte wohl zu weit, selbst wenn die melismatisierten Passagen in der Regel zentrale Attribute wie glorificamus (M. 19ff.) bzw. gloria (M. 111f.), Deus (M. 34f.), Jesu Christe (M. 48–50) oder altissimus (M. 100ff.) akzentuieren. Auch sind derartige Ansammlungen von Kleinstformeln keine portugiesische Erfindung, sondern finden sich partiell – und nicht nur in Kadenzpassagen – schon bei Guerrero. Dass diese in gleichsam instrumentaler Diktion über mehrere Mensuren durch alle Stimmen wandern, wie dies in Magalhães’ erster Zeile Et in terra pax geschieht (vgl. erneut oben Beispiel 2), war bislang aber nicht anzutreffen. Das gilt gleichermaßen für den kunstvollen Schlussabschnitt des Satzes: Das kolorierte gloria (ab M. 111) kontrastiert im taktweisen Wechsel mit einer punktierten gloria-Figur (M. 111, 113, 115, 118, 120), die schließlich in die Kadenz leitet (vgl. Beispiel 5).
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Das Credo ist sodann weitgehend koloraturfrei gestaltet, das fünfstimmige finale Agnus II hingegen enthält fast in jeder Mensur diese perlenden Minimenketten, die hier offenbar als Steigerungselement wirken sollen. Wird dies als Stilmittel zur Ausdrucksintensivierung verstanden, so kommt dem Gloria im Satzverbund zweifelsfrei eine erhöhte Bedeutung zu.
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‚Gattungsdämmerung‘ in Portugal?
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BEISPIEL 5: Magalhães, „Gloria de Beata Virgine“, M. 111–122
Es wäre in der Tat verfehlt, wollte man abschließend die im Jahre 1649 eigentümlich späten Bemühungen Johanns IV. um die Wertschätzung des immerhin seit über 55 Jahren verstorbenen Palestrina, den er zudem als Vertreter einer „moderna música“ betitelte, mit den ebenso verspätet anmutenden portugiesischen Missae de Beata Virgine konfrontieren. Zwar ist unbestritten, dass die Schriften des Königs, erstrecht die um 100 Jahre spätere Entgegnung auf den öffentlichen Brief Cirillos, zunächst ebenso peripher und europäisch anschlusslos anmuten wie manche unter seinem Protektorat komponierten Messen. Diese erweiterten nur latent die vokalpolyphonen Techniken der 1560er bis 1590er Jahre, während sich andernorts mit der Pflege der seconda pratica ein ganz anderer Musikdiskurs schon als beinahe ausgetragen verstehen konnte. Doch handelt es sich tatsächlich um eine selbstreferenzielle, zeitenthobene Tat der Portugiesen, und eine bloß verdämmernde Gattung an den Grenzen Europas? Wie passt diese angebliche kulturelle Weltfremdheit zu einem Königshof, dessen Bibliothek mit dem Manuskript von Orazio Vecchis L’Amfiparnaso (1597) Gründungsdokumente des italienischen Theaters enthielt? Hier wären jene Argumente in Anschlag zu bringen, die im Laufe der Untersuchungen immer wieder für die Diskussion über angebliche Haupt- und Nebenstränge der Messkomposition fruchtbar gemacht werden konnten: Ebenso wenig wie man der Messengeschichte in ihrer formalen Vielfalt mit originalitätsästhetischen Hierarchisierungen fernab ihrer liturgischen Verortung gerecht wird, und ebenso wenig wie kompositorische Bezugnahmen qualitative Rankings nach Zentrum und Peripherie erlauben, so wenig sind Zeitachsen geeignet, Wertungen über Fortschritt und Konservativismus auszusprechen, die an Anspruch und Aufgabe einer Messkomposition vorbeigehen. Die portugiesischen Messen prägen zweifellos Idiome des ‚Klassischen‘ aus und konservieren traditionelle Techniken, die in den 1560er Jahren favorisiert wurden, ebenso wie sie in anderen Aspekten – Harmonik, Koloration, Superius-Vormacht – ambitioniert anmuten, ohne freilich das liturgische Gefüge jemals zu gefährden. Was sich in diesen letzten Messen exemplarisch verbindet, ist im Urgrund der Konzeption dasselbe, was schon alle zuvor ausgemacht hat: Traditionelle Verortung im musikhistorischen Gefüge (offengelegt hier: Morales-Guerrero-Escobar-Bezug), liturgische Passung (gemäß des marianischen Standards des Ortes, in Portugal eben durch den Verzicht auf den Tropus) und künstlerische Profilbildung (durch den Entwurf und die Pflege individueller Stilmittel des jeweiligen Komponisten). Dass sich dies bereits mitten im ‚Barock-
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Kapitel 5.7.
zeitalter‘ ereignete, so schief dieser Epochenrahmen auch sein mag, macht es nicht weniger bedeutsam, und dass es Gattungen der ‚Renaissance‘ betraf, macht es keinen Deut konservativer. Weder im System Messe noch im Referenzort Portugal liegt begründet, dass mit der portugiesischen Missa de Beata Virgine ein mehr als 130 Jahre währender Gattungsstrang endgültig abriss. Das steht auf einem anderen Blatt der Musikgeschichte.
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KAPITEL 6 PERSPEKTIVEN So wenig es möglich ist, den breitgefächerten Überlegungen eine Conclusio anzuschließen, so anregend ist es, sie abschließend punktuell als Impulsgeber zukünftiger Forschung zu diskutieren, sich also zu fragen, was diese Missae de Beata Virgine mit dem Geschichtsbild von „der Messe“ der Frühen Neuzeit zu tun imstande sind und zu tun imstande sein sollten. Dabei geht es keineswegs um besserwisserische Anmerkungen zum Forschungsstand, sondern vielmehr darum, exemplarische Prozesse und Mechanismen des Repertoires pointiert zu resümieren, um nachfolgenden Studien zu Messrepertoires der Frühen Neuzeit einige Anregungen zu geben. Dass die Forschung schon rein quantitativ der „neuen“ Gattung einen keineswegs abseitigen Platz im System der Messengeschichte zuerkennen muss, ist wohl unvermeidlich.1 Aber auch qualitativ hat diese größte Messgattung ihrer Zeit nun ein Wörtchen mitzureden – immerhin erfordern ihre Parameter, interpretatorische Sammelrubriken und Wertemodelle künftig klarer zu differenzieren. So gibt es weder nur ein Komponistenbild noch nur eine Messe der Frühen Neuzeit – die res sacra der Gott dedizierten Messe, die ästhetisch-zweckgeleitete artifex divinusPosition ihres Schöpfers und die Urtext-Verweigerung des Werkes selbst sind nur die wesentlichen drei Punkte eines Interpretationsspektrums von „der Messe“, das in seiner facettenreichen Gänze überhaupt erst noch auszuschreiten ist. Die Missae de Beata Virgine reagieren musikalisch zum Beispiel ganz explizit auf textuelle Komponenten ihrer Choräle; sie interpretieren ihren Text, insbesondere dort, wo er Ergänzungen zum Basistext des Rituals enthält, wie eben den Marientropus. Die gesamte Satzstruktur ganz gleich welches Marienglorias ist diesem Akzentuierungsbedürfnis zugeneigt und sei es im gegensätzlichen Sinne der absichtsvollen Nicht-Akzentuierung, also der Integration der marianischen Passagen in den doxologischen Primärtext. Wie dies zu geschehen hat, kann, muss aber nicht zwangsläufig mit Entscheidungen anderer Komponisten kongruieren: Auch hier lässt sich ein handwerkliches Spektrum von bewusster und plakativer, gleichsam emblematischer Nachahmung über Mischformen der Adaption und Emanzipation hin zu historisch ‚ignoranten’, inwendigen Konzepten erkennen, ohne dass die eine der anderen Version vorzuziehen wäre. So vielgestaltig die Interpretationsfläche 1
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Gleichzeitig sind Werke aus dem Raster gefallen, die bislang einstimmig als Marienmessen des Typs rubriziert wurden, wie etwa Guillaume de Machauts (1300/05–1377), Heinrich Fincks (1444/45–1527) oder Gregor Aichingers (1564–1628) Kompositionen. Ist erstere eine marianische Plenarmesse ohne tropiertes Gloria IX und letztere eine Marienmesse mit bislang undefinierten Vorlagen, so bildet Fincks Missa eine 3-stimmige, frei paraphrasierende Komposition mit zudem problematischer Quellenlage, vgl. dazu von der Verfasserin: Choralordinarium ohne Choral? Heinrich Fincks seltsame Missa de Beata Virgine und die Musikforschung um 1900, in: Die Musiktheorie Heft 2 (2012) (im Druck).
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Kapitel 6
der zeitgenössischen Marienverehrung je nach Ort und Anlass sein konnte, so vielgestaltig waren die Lösungen der Akzentuierungsverfahren im Gloria-Satz, stets eingedenk der zahlreichen Möglichkeiten, auch über die Tropierungen hinaus zeitund ortsübergreifende Anklänge an vormalige Satzkonzepte aufscheinen zu lassen, wie dies in den späten portugiesischen Messen zu beobachten war. Eine ebenso große Dynamik ließ sich in der jeweiligen Kontextrezeption der Messen beobachten; sie fügen sich rituellen Modellen und Ansprüchen je nach Bedürfnis und Ort. Ihre kreative, ja bisweilen radikale und kompromisslose Anpassungsfähigkeit war – je nach Auftrag, individuellem Anliegen oder offiziellem Anlass – dabei ebenso innovativ wie sich in der choraliter formulierten Thematik der Marienverehrung eine ungebrochene Attraktivität als übergeordnetes Movens verfestigte. So konnte dieser Typus zugleich artifiziell und rituell beglaubigter Marienmessen auf einer von Glaubensentwicklungen und -bestrebungen quasi abgekoppelten Ebene dann letztlich doch imstande sein, eine werkbezügliche Tradition zu erzeugen, die zwar in ihren formalen Randgebieten variabel blieb, in ihrem valenten Kern (Gloria) aber stets invariant und somit lange Zeit stabil, bis Liturgiereformen im späten 16. Jahrhundert diesen Kern angriffen und langsam aber sicher porös werden ließen. Historischer Kommunikant der Messe war somit weniger ihre großformale Idee (die der liturgischen Realität ohnehin fremd war) oder gar ihre aemulative Verkettung zu einem zeitenthobenen „Reigen von Meisterwerken“, sondern ihr emblematisches Siegel in Form des symbolischen Marienglorias: Modell anagogischer Einkomposition par excellence und ungebrochenes, identifikatorisches Medium katholischen Selbst- und Machtverständnisses zugleich. Indem das Gloria noch lange seiner liturgisch ab 1570 vorgegebenen Tropustilgung gegenüber unempfindlich bis störrisch blieb, zeigt es zugleich, dass großformale historische Prozesse, wie eben die tridentinischen Reformen, sich nicht zwangsläufig auf alle Bereiche der Musik gleichermaßen ausgewirkt haben müssen. Bis sich ein derart schwer zu manövrierendes, historisch mehrfach und tief verankertes Ritual wie das der Marienmesse in seiner tropusreduzierten Variante europaweit durchsetzen konnte, mussten zwangsläufig Jahrzehnte vergehen. Dies hinderte komponierende Zensoren freilich nicht daran, unter bestimmten Umständen – wie etwa im reformwütigen Mantua – mit einer beispiellosen Rücksichtslosigkeit gegenüber tropierten Gloria-Sätzen aufzutreten. Allenfalls der bizarre Dilettantismus in der Umsetzung der Retuschen mag darauf schließen lassen, dass man sich der Ermangelung ihrer musikalischen und anagogischen Sinnhaftigkeit durchaus bewusst war. Die Ausdifferenzierung individueller Mechanismen der Identifikations-, Kommunikations- und Überlieferungsstrategien dieser Werke in Form der Konstituierung einer Einzelsatz-Konstante mit dem Gloria IX in allen Messen verschiebt nicht nur den Blick vom gesamten Werk auf den Einzelsatz. Sie macht vielmehr auf eine beabsichtigte Variabilität im Messformular aufmerksam, die durchaus kein Einzel- oder Sonderfall darstellt. Die Traditionsaffinität des Marienglorias – in einem Spektrum von zunftinterner Nachruhmpflege zwischen Komponisten, satzbezogenen Verfahrenskonstanten (wie eben der Akzentuierung) und Selbstbezüglichkeit der Eigentraditionsbildung – bildete dabei die Konstante, ihr roter Faden blieb der Choral als Traditionsträger. Mit nur wenigen Ausnahmen zeigen diese
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Marienmessen einen choralaffinen Zug und eine Auslotung dessen formaler, modaler und korrespondierender Parameter: weitere Textadditionen, die Flankierungen mit Melodiezusätzen anderer Provenienz oder auch die langfristige Lösung vom Choral verboten sich indes. Der starke Materialbezug schien allerdings kein Problem darzustellen: Choralvorlage, Thematik und Traditionsschwere des Satzes boten genügend strukturelle, theologische und historische Orientierungen, um sich ihnen interpretierend immer wieder neu anzunehmen. In dem Maße, wie sich die Bandbreite der Rückbezüglichkeiten im Musikalischen und Substanziellen vervielfachen, tritt die Wirkung einzelner Vorbilder in den Hintergrund. Bedeutsam erscheint für das vorliegende Messkorpus – und in ähnlicher Form mag das für andere Werkgruppen gelten –, dass von einem JosquinZentralismus, von der die Frühe Neuzeit-Forschung lange geprägt war (und in Teilen der angloamerikanischen Forschung immer noch ist), keine Rede sein kann. Zwar besticht Josquins Mariengloria durch eine außergewöhnliche Vielfalt und Komplexität der Verfahren, die fraglos Anregungen zur Nachahmung boten. Auch darf Rom als Ort seines Wirkens und liturgischer Vormachtstellung gleichermaßen nicht außer Acht gelassen werden, ein Ort, dessen Organisationen als Multiplikatoren und Strategen gleichermaßen zu wirken imstande waren, wenn die Förderung und Distribution von religiöser Kunst zur Diskussion stand. Dass aber insbesondere bei den frühen römischen Marienglorias, und erstrecht bei den späteren Konzepten, keine oder nur abgeschwächte Josquin-Reverenzen zu eruieren waren, sollte aufhorchen und lange allzu wirkmächtige Mechanismen der Heroengeschichtsschreibung überdenken lassen. Sie überschatten zudem andere, mindestens gleichwertige Einflüsse bedeutender Werke, wie jener von Cristóbal de Morales, um nur ein Beispiel zu nennen, und verkennen nicht zuletzt das Bestreben nach Individualisierung und Profilbildung der Komponisten, die mit monolithischen Vorstellungen von einem jahrzehntelang alles überragenden „Beethoven der Renaissance“ nur schwer überein zu bringen sind. Wenn Johann Ott, seines Zeichens Nürnberger Musikverleger, schon 1537 formulierte: „Alle erkennen in Josquin leicht den berühmtesten Heros […], weil er etwas wahrhaft Göttliches und Unnachahmliches hat“2, so wäre dies für die Zeitgenossen weniger als Aufforderung zur sklavischen Nachahmung zu verstehen – er ist eben „unnachahmlich“ –, denn als beispielgebendes Vorbild, dem der von allen Künstlern angestrebte „göttliche“ Reputationsgewinn eines artifex divinus gelungen sei. Die Variabilität in der formalen Anlage einer Missa de Beata Virgine (abgesehen von ihrer Gloria-Konstante) stellt ebenfalls kein Problem dar, sofern man die Suspendierung einer für die Gattung Messe insgesamt ohnehin obsoleten UrtextIdee akzeptiert. Eine zeitenthobene Werkgestalt einer Messe gibt es nicht. So kann man bei manchen Missae de Beata Virgine zum Teil nicht einmal sagen, ob sie zuerst alternatim oder polyphon komponiert waren, oder ob die polyphone Variante möglicherweise Modelle der alternatim-Aufführung mitdachte. Wenn Giovanni Contino aus einem älteren vierstimmigen alternatim-Satz ein sechstimmiges polyphones Mariengloria komponiert, kann man diesen Verfahren einiges ablauschen; 2
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Aus dem Vorwort zum Novum et insigne Opus Musicum […], Nürnberg 1537.
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ebenso, wenn Heinrich Isaac – in umgekehrter Reihenfolge – eine sechsstimmige alternatim-Form und ein vierstimmiges polyphones Mariengloria parallelisiert, ohne sich die Mühe zu machen, die charakteristischen Incipits zu verunklaren: Die Originalität einer Messkomposition zeigte sich eben nicht im originären Material, sondern in der Kunst seiner Verarbeitung (eine für „einen Beethoven“ erneut schwer zu akzeptierende Vorstellung). Die in Brno / Tschechien verwahrte Quelle3 der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts etwa, die neben der Marienmesse auch andere Messtypen enthält, kombiniert Messsätze aus zwei prominenten polyphonen Missae de Beata Virgine von Pierre de la Rue und Antoine Brumel, die sie zugleich alternatim durch Kadenzzusätze umformt, zu einer Hybridmesse (das Gloria darin stammte von La Rue). Sie kann indes nur dem als Kuriosum erscheinen, der die Geschlossenheit von Messen eines Komponisten als Voraussetzung für deren Werkgeltung begreift. Dass weniger die mit einem Schöpfer assoziierte Vollständigkeit einer Messe Bedeutung hatte, sondern das sich in anderen Kriterienkatalogen äußernde Werkganze einer Marienmesse, die um ihre Gloria-Konstante einzelne Choralsätze beliebig sammeln konnte, ohne deswegen an systematischer Substanz, liturgischer Qualifizierung oder anagogischer Qualität einzubüßen, muss auch erst einmal eingesehen werden. Diese Einsicht ‚erlaubte’ es spanischen Komponisten schon um 1500, ihre Einzelsätze zu den ersten drei spanischen Kompilations-Marienmessen zusammenzustellen, Werke, die noch über ein halbes Jahrhundert später Francisco Guerrero zu Rückbezügen anregten, deren Kombinatorik also kaum als störend, sondern vielmehr als inspirierend empfunden worden sein muss. Kunsthaftigkeit aus Vollständigkeit abzuleiten, und Fragmente entsprechend als ästhetische Deduktion zu begreifen, sind Interpretationsmodelle, die mit zeitgenössischen Realitäten der Messkomposition nur selten kongruent sind. Wie bei allen anderen Messen der Zeit sind auch für die Missae de Beata Virgine zuerst oft Einzelsätze und keine geschlossenen Kompositionen überliefert, die lokalgeschichtlichen und rituellen Gepflogenheiten kirchenkalendarisch vorgegebener Reduktionen oder Schachtelämter spiegeln sich hier philologisch allzu deutlich wider. Fällt die Urtext-Kategorie, so ließe sich weiterdenken, so fällt auch die ‚klassische’ Edition von Urtexten: Kein auch noch so sorgfältig edierter Band einer Messedition kann auch nur annäherungsweise andeuten, dass die Messe formal variabel, kontextuell kommunikativ, lokal inspiriert und andere Kunstwerke (wie auch den Kirchenraum) sowie theologische Absichten interpretierend in sich einschließend zu verstehen ist. Nicht einmal die edierte Gestalt ist zuverlässig – weder in ihrer Stimmlichkeit (bis hin zur Unklarheit, wie die Messe aufgeführt wurde, d. h. erklungen ist), noch in ihrer Satzfolge, die das variable liturgische Protokoll als Konstante suggeriert, das es für mehrfach einsetzbare Messen im Kirchenjahr freilich nicht ist. Für dieses philologische Problem des „Urtext im Kontext“ ist noch keine Lösung gefunden. Es mag sein, dass im Zuge der fortschreitenden technischen Möglichkeiten interdisziplinäre, also Liturgie-, Kirchen-, Kunst- und Dogmengeschichte gleichermaßen berücksichtigende Editions-Tools imstande sein werden, eine Messe editorisch multiperspektivisch und variabel in Form, Örtlichkeit und 3
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Brno, Archiv mesta Brna, fond V 2 Svatojakubská knihovna, sign. 14 5, fol. 9v–17r.
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Klanggestalt abzubilden, also das richtige Maß an Kompromiss zwischen editorischer Entscheidung und Werkrealität zu finden. Grundlage solch weit reichender Interpretationen zur Überlieferung, Komponisten- oder Werkcharakteren bzw. Editionsprozessen sind freilich gründliche Quellenforschungen, deren Notwendigkeit im Zeitalter zunehmender Digitalisierungen kaum nachlässt, im Gegenteil. Nur die Quelle selbst kann in ihrer Disposition Auskunft über liturgische und rituelle Gepflogenheiten, nachträgliche Eingriffe sowie paratextuelle Komponenten (Widmungen, Zitationen, Interpolationen, etc.) geben, die viele ältere Editionen oder Studien nicht bieten können. Wer sich daher allein auf Informationen zweiter oder dritter Hand verlässt, ist nicht selten verlassen. Wie ausdauernd sich Missverständnisse zu Marienmessen halten konnten, weil Editoren über Generationen hinweg retuschierte Quellen aus der Cappella Sistina verwendeten – etwa in den Editionen der Werke von Morales oder Giovanni Pierluigi da Palestrina – darf schon verwundern, mehr noch, wenn nachträgliche Retuschen umstandslos als Komponisten-intendierte ‚Bearbeitungen’ interpretiert wurden, obwohl dazu jegliche dokumentarische Evidenz fehlte. Die Arglosigkeit, mit der häufig nachträgliche Zuschreibungen in den Quellen als vertrauenswürdig rubriziert wurden – etwa bei den Aachener Marienmessen oder bei der angeblichen Missa de Beata Virgine von Heinrich Finck –, ohne die Schreiber- und Lagendisposition einer dezidierten Untersuchung zu unterziehen, sollte zukünftig umso mehr Ansporn zur Prüfung philologischer Fakten sein, erstrecht, wenn zugehörige Ausgaben – wie etwa der Mantuaner Marienmessen – die retuschierten, verunstalteten Manuskripte unkommentiert edieren und somit Inkonsistenz und mindere Qualität suggerieren, wo tatsächlich die gewandelten Kontexte nachträglich auf ihre Werke übergriffen. Wie fruchtbar bei einer so kommunikativen Gattung wie der Messe die interdisziplinäre Perspektive ist, zeigte sich insbesondere bei den Marienmessen. Ohne den theologischen Diskurs über die mediatrix-Kompetenz Marias und die zeitgleich in Kunst und Literatur aufgegriffenen Interpretationsmodelle des Topos hätte das Mariengloria in der Analyse kaum seine emblematisch-symbolische Gestalt offenlegen und auf Kommunikationsebenen verweisen können, die dem puren „Meisterwerk-Diskurs“ längst entwachsen sind. Kontextfreie Analyse hätte hier allenfalls die Oberfläche von Mechanismen berührt, die ihre Inspirationen wesentlich in anderen als musikalischen Ebenen finden. Aufzudecken sind diese in Gänze freilich nicht, solange Egodokumente über Schaffensprozesse nicht überliefert sind; umso mehr verpflichtet gerade dies zur breiteren Perspektive als der reinen Werkanalyse. Für viele weitere Messgattungen und -formen bietet sich dieser übergreifende Interpretationsansatz ebenfalls an, sei es das Requiem, das neben Funeralaspekten und individueller Totenklage liturgischer Varianz und Reform unterworfen war, oder sei es die alternatim-Messe, der gleichfalls das Verdikt der Gebrauchsmusik anhaftet, die aber nicht nur ebenso variativ wie die Marienmesse gestaltet zu sein, sondern ebenso flexibel auf wechselnde rituelle Bedürfnisse zu reagieren hat (eine Studie etwa zum alternatim-Profil und -Wandel am Habsburger Hof um 1500 erschiene hier lohnend). Ein weiterer Punkt, der in vielen Aspekten noch seiner Auf-
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Kapitel 6
arbeitung harrt4, ist die theatrale, performative Komponente von Messkompositionen, die auf rituelle Bewegungsabläufe und Inszenierungsabsichten reagieren und diese in ihre Struktur und Ausdruckskomponenten einschließen. Auch die Marienmessen positionierten sich zwischen inszenatorischen und integrativen Absichten in der Präsentation ihrer marianischen Textzusätze im Gloria, indem sie die „Majestas Mariae“ im Kontext der christologischen Aussagen der Doxologie mehr oder weniger profilierten. Inwiefern dies gar performativ begleitet wurde – etwa durch Bewegungen oder Zeichengebung bei der nicht selten homophon ertönenden Zeile „Ad Mariam gloriam“ –, und welche Kunstwerke des jeweiligen Kirchenraumes, in dem sie erklangen, die anagogische Qualität der Musik durch Ansehung szenischer Äquivalenzen noch steigerten, oder auch welche Lesungen aus Marienviten die Messfeier jeweils marianisch komplettierten: All dies bleibt vorerst offen und darf neugierig machen.
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Im Anschluss an die aufschlussreiche, hierin vorbildhafte Studie von Jörg Bölling: Das Papstzeremoniell der Renaissance. Texte – Musik – Performanz (= Tradition – Reform – Innovation 12) Frankfurt a. M. [u. a.] 2006.
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VERZEICHNISSE Nachstehend werden sämtliche im Verlauf dieser Studien eruierten 70 Missae de Beata Virgine (Verzeichnis I.A) in systematisch-chronologischer Folge nach Komponist aufgeführt, gefolgt von weiteren, einzelüberlieferten Gloriae de Beata Virgine (Verzeichnis I.B). Im Fall von Kompilationsmessen sind Mehrfacheinträge vorgenommen worden, um das Auffinden einzelner Komponisten nach Alphabet zu erleichtern; anonyme Beiträge werden unter dem Eintrag „Anonymus / Anonymina“ an entsprechender alphabetischer Position gelistet und nicht durchnummeriert, um Verwechslungen mit fixierten Anonyma in der Musikforschung zu vermeiden. Zur Identifikation der Messen werden dazu BMV-Nummern eingeführt. Die Messen werden, soweit möglich, datiert. Angegeben werden zudem neben der Besetzung der Messe ihre Modi, ggf. Tropierungen und Finali der Einzelsätze – orientiert an der jeweiligen Choralvorlage und evtl. Transposition – sowie ihre Quellen und verfügbaren Editionen. Das Gloria IX enthält dabei – sofern nicht anders angegeben – immer den Tropus Spiritus et alme. Standortnachweise zeitgenössischer Drucke sind nicht sämtlich verzeichnet, hier wäre auf das RISM (Répertoire International des Sources Musicales) zu verweisen. Hingegen werden insbesondere zu den nicht näher in der Studie behandelten Werken weiterführende Literaturangaben im Fußnotenapparat ergänzt. Das angeschlossene Literaturverzeichnis (Verzeichnis II.) umfasst in systematischer Ordnung nach Themenkreisen die mehrfach eingesetzte und zitierte Quellen- und Fachliteratur der Studie. Weitergehende Hinweise zu den einzelnen Themengebieten sind den zahlreichen Angaben in den jeweiligen Fußnotenapparaten der Kapitel zu entnehmen. Verzeichnis III. bietet ein Personenregister mit integriertem Werkregister, das die Kapitel 1 bis 6 inklusive Fußnoten erschließt.
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I.A SYSTEMATISCH-CHRONOLOGISCHES VERZEICHNIS DER MISSAE DE BEATA VIRGINE ·BMV 1· Albertis, Gasparo de (um 1480–1560) Missa de Beata Virgine (1524) Besetzung: SATB [Credo: SAATTB, Agnus III: SSATTBB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo IV; dorisch (d) Sanctus / Benedictus IX; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms.: Bergamo, Santa Maria Maggiore 1207D, fol. 70v–81r; Gary Towne (Hrsg.): Gasparis de Albertis, Opera omnia (= Corpus mensurabilis musicae 105), Rom 1999 ·BMV 2· Alva, Alonso Pérez de (†1504); Escobar, Pedro de (um 1470–nach 1535); Peñalosa, Francisco da (1470–1525); Castilleja, Fernández de (ca. 1490–1574) Missa de Beata Virgine [kompiliert] (vor 1514) Besetzung: SATB Kyrie IV [tropiert: Rex virginum]; dorisch (d) – de Escobar Gloria IX; mixolydisch (g) – da Peñalosa Credo I; hypophrygisch (e) – da Peñalosa Sanctus / Benedictus VIII; hypolydisch (f) – de Castilleja Agnus IV; hypolydisch (f) – de Alva Quellen, Editionen: Ms.: Tarazona, Archivo Catedral 2/3, fol. 200v–209r ·BMV 3· Anchieta, Juan de (1462–1523); Anonyma Missa de Nostra Dona [kompiliert; ohne Credo] (vor 1505) Besetzung: SATB Kyrie IV [tropiert: Rex virginum]; dorisch (d) – Anchieta Gloria IX; c-mixolydisch (c) – Anchieta Sanctus / Benedictus [undef.]; dorisch (d) – Anonym Agnus [undef.]; lydisch (f) – Anonym Quellen, Editionen: Ms. [Kyrie, Gloria als anonym] ca. 1500–1520: Barcelona, Biblioteca de Catalunya 454, fol. 38v–48; Gloria ediert in: Cristina Urchueguía: Die mehrstimmige Messe im „Goldenen Jahrhundert“. Überlieferung und Repertoirebildung in Quellen aus Spanien und Portugal (ca. 1490–1630), Würzburg 2003 ·BMV 4· Anchieta, Juan de; Escobar, Pedro de (um 1470–nach 1535): Missa de Nuestra Señora [kompiliert] (vor 1514) Besetzung: SATB Kyrie IV [tropiert: Rex virginum]; dorisch (d) – Anchieta Gloria IX; c-mixolydisch (c) – Anchieta Credo I; hypophrygisch (e) – Anchieta Sanctus / Benedictus VIII [tropiert: Pater per omnia]; hypolydisch (f) – Escobar Agnus IX; lydisch (f) – Escobar Quellen, Editionen: Ms. [Gloria, Credo], ca. 1495–1497: Segovia, Archivo Catedral C, fol. 63v–67r; Ms. ca. 1510: Tarazona, Archivo Catedral 2/3, fol. 209v–217r; Ms. [Kyrie, Gloria] ca.
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1500–1520: Barcelona, Biblioteca de Catalunya 454, fol. 38v–41v; Ms [Credo als anonym], ca. 1540er Jahre: Coimbra U 12, fol. 22v, 24v–27; Higinio Anglés (Hrsg.): La musica en la Corte de de los Reyes Catolicos (= Monumentos de la música española 1), Madrid 1941 [·BMV 3·] Anonyma; Anchieta, Juan de Missa de Nostra Dona [kompiliert; ohne Credo] (vor 1505) Besetzung: SATB Kyrie IV [tropiert: Rex virginum]; dorisch (d) – Anchieta Gloria IX; c-mixolydisch (c) – Anchieta Sanctus / Benedictus [undef.]; dorisch (d) – Anonym Agnus [undef.]; lydisch (f) – Anonym Quellen, Editionen: Ms. [Kyrie, Gloria als anonym] ca. 1500–1520: Barcelona, Biblioteca de Catalunya 454, fol. 38v–48; Gloria ediert in: Cristina Urchueguía: Die mehrstimmige Messe im „Goldenen Jahrhundert“. Überlieferung und Repertoirebildung in Quellen aus Spanien und Portugal (ca. 1490–1630), Würzburg 2003 ·BMV 5· Anonymus [Isaac?] Missa de Beata Virgine (ca. 1500) Besetzung: SATB Kyrie IX; dorisch (d) Gloria IX; c-mixolydisch (c) Credo [undef.]; c-lydisch (c) Sanctus / Benedictus IX [Benedictus tropiert: Mariae filius]; c-lydisch (c) Agnus [basierend auf tropiertem Sanctus IX]; c-lydisch (c) Quellen, Editionen: Ms. um 1500: Jena, Universitätsbibliothek 33, fol. 6v–37r; Ms. ca. 1510– 1518: Wroclaw, Biblioteka Uniwersytecka I F 428, fol. 66v–70r (in Partitur); Ms. ca. 1510–1530: Dresden, Sächsische LB 1 / D / 506, Ms. stammt aus Annaberg [nur Superius und Altus-Stimmbuch überliefert]; Nors. S. Josephson (Hrsg.): [nur Kyrie-Gloria]: Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 2), Neuhausen-Stuttgart 1982 ·BMV 6· Anonymus Missa de Beata Virgine [alternatim; ohne Credo] (vor 1521) Besetzung: SATB Kyrie [undef.]; ionisch (c) Gloria IX; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus IX [Benedictus tropiert: Mariae filius]; lydisch (f) Agnus [basierend auf tropiertem Sanctus IX]; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms.: St. Gallen, Stiftsbibliothek 542, pag. 656–721 ·BMV 7· Anonymus [Isaac?1] Missa de Beata Virgine (vor 1538) Besetzung: SAT Kyrie IX; dorisch (d) Gloria IX; c-mixolydisch (c) 1
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Ursprünglich Heinrich Isaac zugeschrieben, dann aber wegen Zweifel aus der Gesamtausgabe getilgt; vgl. Kataloge bayerischer Musiksammlungen 14/11, hrsg. von der Bayerischen Staatsbibliothek, München 2004, S. 169.
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Credo [undef.]; c-lydisch (c) Sanctus / Benedictus IX [Benedictus tropiert: Mariae filius]; c-lydisch (c) Agnus [basierend auf tropiertem Sanctus IX]; c-lydisch (c) Quellen, Editionen: Ms. um 1538: Regensburg, Proske-Bibliothek 216–219, no. 9 [beil. eine Spartierung der Messe aus dem Nachlass des Musikforschers Otto Kade]; Ms. vor 1544: München, Bayerische Staatsbibliothek 19, fol. 147v–174r ·BMV 8· Anonymus Missa de Beata Virgine (ca. 1540–1560) Besetzung: SAQTB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; a-hypophrygisch (d) Sanctus / Benedictus IV; hypomixolydisch (g) Agnus IV; g-hypolydisch (c) Quellen, Editionen: Ms.: Piacenza, Archivio del Duomo / Archivio Vecchio 9 [Bassus-Stimmbuch nicht überliefert]; Exzerpt in: Nors. S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 2), Neuhausen-Stuttgart 1982 ·BMV 9· Anonymus Missa de Beata Virgine (vor 1544) Besetzung: TTAB Kyrie IX; dorisch (d) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Liber quartus missarum […] cum paribus vocibus, Venedig (Gardano) 1544 ·BMV 10· Anonymus Missa de Beata Virgine (vor 1600) Besetzung: SATB Kyrie [undef.]; dorisch (d) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [undef.]; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus [undef.]; mixolydisch (g) Agnus [undef.]; mixolydisch (g) Quellen, Editionen: Ms. [1658]: Mailand, Biblioteca del Conservatorio „Guiseppe Verdi“, Fondo Santa Barbara 153, fol. 1r–9r2
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Vgl. Catalogo della biblioteca. Musiche della Cappella di S. Barbara in Mantova, Mantua 1972, S. 31–35: Die Messe stammt aus einer Sammlung mit Anonyma, darunter eine Messe „Jacquet de manuas“. Daraus wurde irrtümlich geschlossen, die BMV-Messe können ebenfalls von Jacquet sein, vgl. Anne-Marie Bautier-Regnier: Jachet de Mantoue (Jacobus Collebaudi) v. 1500–1559. Contribution a l’ètude du probleme des Jachet au XVIe s., in: Revue Belge de Musicologie IV (1952), Heft 2–3, S. 101–119, insbes. S. 112.
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·BMV 11· Arcadelt, Jacob (um 1505–1568) Missa ad De Beata Virgine (ca. 1539–1551)3 Besetzung: SATB [Credo, Agnus II: SSATB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms.: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 155, Nr. 1; Missa tres, Paris (Roy et Ballard) 1557; Albert Seay (Hrsg.): Jacobi Arcadelt, Opera omnia (= Corpus mensurabilis musicae 31), Rom 1965 ·BMV 12· d’Argentille, Charles (fl. 1528–1556) Missa de Beata Virgine (ca. 1528–1536) Besetzung: SATB [Credo, Agnus II: SSATB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [über: Sub tuum praesidium]; lydisch (f) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. um 1538-1539: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina Ms. 13, fol. 20v-38r; Nors S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 1), Neuhausen-Stuttgart 1982 ·BMV 13· Beausseron / Bonnevin, Johannes (um 1475–1542) Missa de Beata Maria (ca. 1514–1542) Besetzung: SATB [Credo: SAATB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [über: Inviolata]; lydisch (f) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. nach 1536: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 19, fol. 3v–24r; Nors S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 1), Neuhausen-Stuttgart 1982 ·BMV 14· Beausseron, Johannes; Dor, Justinus Missa de Beata Virgine [kompiliert] (ca. 1518–1522) Besetzung: SATB [Credo: SAATB] Kyrie IX; g-dorisch (g) – Dor Gloria IX; mixolydisch (g) – Dor Credo [über: Inviolata]; lydisch (f) – Beausseron Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) – Beausseron Agnus XVII; lydisch (f) – Beausseron Quellen, Editionen: Ms. zwischen 1518 und 1522: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 55, 3
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Vgl. zum Werk und seinem Parodiecharakter Rob van Haarlem: The Missa de Beata Virgine by Josquin used as a model for the Mass of the same name by Arcadelt, in: TVNM 25/1 (1975), S. 33–37.
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Verzeichnisse fol. 17v–37; Nors S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 1), Neuhausen-Stuttgart 1982
·BMV 15· Bonvicino, Agostino (†1576) Missa in festis Beate Marie Virginis [alternatim] (ca. 1560–1570) Besetzung: SAQTB [Agnus: SSAQTBB] Kyrie [Mantua]; mixolydisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [Mantua]; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus [Mantua; ähnlich Sanctus IV]; mixolydisch (g) Agnus [Mantua]; mixolydisch (g) Quellen, Editionen: Ms.: Mailand, Biblioteca del Conservatorio „Guiseppe Verdi“, Fondo Santa Barbara, Ms. 32 ·BMV 16· Brumel, Antoine (um 1460–1513) Missa de Beata Virgine (vor 1513)4 Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus IX [Benedictus tropiert: Mariae filius]; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. [Credo]: Bologna, Archivio Musicale di S. Petronio A. XXXI, fol. 25v–28; Ms. zwischen 1513 und 1521: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 16, fol. 1v–20; Ms. [Credo] in korrumpierter alternatim-Faktur: Brno, Archiv mesta Brna, fond V 2 Svatojakubská knihovna, sign. 14 5, fol. 9v–17r, kombiniert mit Kyrie, Gloria und Sanctus (alternatim) von Pierre de La Rue; Liber quindecim Missarum electarum quae per excellentissimos musicos fuerunt, Rom (Antico) 1516; Henry Expert (Hrsg.): Les Maitres Musiciens de la Renaissance Francaise, Bd. VIII, Paris 1898; Barton Hudson (Hrsg.): Antonii Brumel, Opera omnia (= Corpus mensurabilis musicae 5), Rom 1970 ·BMV 17· Cardoso, Manuel (1566–1656) Missa de Beata Virgine (vor 1636) Besetzung: SATB Kyrie IX; dorisch (d) Gloria IX [untropiert]; d-mixolydisch (d) Credo [undef.]; lydisch (f) Sanctus / Benedictus XVII; c-lydisch (c) Agnus XVII; c-lydisch (c) Quellen, Editionen: Liber tertius missarum, Lissabon (Craesbeck) 1636; José Augusto Alegria (Hrsg.): Liber tertius missarum (= Portugaliae Musica XXII), Lissabon 1973 [·BMV 2·] Castilleja, Fernández de; Alva, Alonso Pérez de; Escobar, Pedro de; Peñalosa, Francisco da Missa de Beata Virgine [kompiliert] (vor 1514) Besetzung: SATB 4
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Vgl. zur Diskussion der Messe Lawrence T. Woodruff: „Missae de Beata Virgine“ 1500–1520. A study of transformation from monophonic to polyphonic modality, Diss. Ann Arbor 1986.
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Kyrie IV [tropiert: Rex virginum]; dorisch (d) – de Escobar Gloria IX; mixolydisch (g) – da Peñalosa Credo I; hypophrygisch (e) – da Peñalosa Sanctus / Benedictus VIII; hypolydisch (f) – de Castilleja Agnus IV; hypolydisch (f) – de Alva Quellen, Editionen: Ms.: Tarazona, Archivo Catedral 2/3, fol. 200v–209r ·BMV 18· Chamaterò di Negri, Ippolito (um 1535/40–nach 1592) Missa de Beata Virgine (1566) Besetzung: SAQTB [Agnus: SSAQTB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [über: Ave maris stella]; g-dorisch (g) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms.: Treviso, Biblioteca Capitolare del Duomo 16, fol. 73v–83 ·BMV 19· Chenemont, Pierre / Petrus Missa de Beata Virgine (ca. 1570–1578) Besetzung: SAQTB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus XVII [Benedictus tropiert: Mariae filius]; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. [1570er]: Aachen, Domarchiv, Chorbuch I, fol. 73v–92r ·BMV 20· Clereau, Pierre (fl. 1539–1567) Missa de Beata Virgine (vor 1557) Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; g-hypophrygisch (c) Sanctus / Benedictus [undef.]; g-dorisch (g) Agnus [undef.]; lydisch (f) Quellen, Editionen: Missa cum quatuor vocibus ad imitationem Missae Virginis mariae […], Paris (Du Chemin) 1557 ·BMV 21· Contino, Giovanni (um 1513–1574) Missa de Beata Virgine (vor 1561) Besetzung: SATB [Agnus II: SAATB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; g-hypophrygisch (c) Sanctus / Benedictus IX; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Missarum 4 v liber primus, Venedig (Gardano) 1561; Ottavio Beretta (Hrsg.): Missarum quatuor vocum. Liber primus (1561) (= Monumenti musicali italiani 18), Mailand 1995
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·BMV 22· Contino, Giovanni Missa de Beata Virgine [alternatim] (ca. 1562–1565) Besetzung: SAQTB Kyrie [Mantua5]; mixolydisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [Mantua]; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus [Mantua; ähnlich Sanctus IV]; mixolydisch (g) Agnus [Mantua]; mixolydisch (g) Quellen, Editionen: Ms. des 16. Jh.: Mailand, Conservatorio „Guiseppe Verdi“, Fondo Santa Barbara 42; Ottavio Beretta (Hrsg.): Cinque messe mantovane dal fondo Santa Barbara a cinque voci, Mailand 1988 ·BMV 23· Contino, Giovanni Missa de Beata Virgine (vor 1572) Besetzung: SAQTB [Agnus II: SAQTBB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Credo I [tropiert: O Maria, flos virginum]; d-hypophrygisch (g) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Missae cum quinque vocibus, liber primus, Milano (Paolo Gottardo Ponzio) 1572; Ottavio Beretta (Hrsg.): Missae cum quinque vocibus, liber primus (= Monumenti musicali italiani 20), Mailand 1997 ·BMV 24· Desprez, Josquin (1450–1521) Missa de Beata Virgine (ca. 1503–1510)6 Besetzung: SATB [ab Credo: SATTB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus IV; g-hypomixolydisch (c) Agnus IV; g-hypolydisch (c) Quellen, Editionen7: Ms. [Credo] um 1500–1510: Basel, Universitätsbibliothek F VI 26h, fol. 6 a/b; Ms. [Credo, Gloria] ca. 1503–1513: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 23, fol. 129v–132 bzw. 135v–139; Ms. [Credo] 1513–1521: Modena, Archivio Capitolare IV, fol. 92v–95; Ms. ca. 1518/19: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 160, fol. 33–48; Missarum Josquin Liber Tertius, Fossombrone 1514; Liber quindecim Missarum electarum quae per excellentissimos musicos fuerunt, Rom (Antico) 1516; Willem Elders (Hrsg.): New Josquin Edition, Volume 3. Masses based on Gregorian Chants I, Utrecht 2003
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Gemeint sind die eigens in Mantua verfassten Choräle für die Santa Barbara-Liturgie. Vgl. zur Josquin-Messe insbes. Gustave Reese: The Polyphonic „Missa de Beata Virgine“ as a Genre: The Background of Josquin’s Lady Mass, in: Josquin des Prez, hrsg. von Edward E. Lowinsky, London 1976, S. 589–598; ebenso: Nors S. Josephson: Kanon und Parodie. Zu einigen Josquin-Nachahmungen, in: TVNM 25/1 (1975), S. 23–32. Eine vollständige Auflistung sämtlicher Teil- und Vollüberlieferungen sowie der verschiedenen Editionen findet sich im Critical Commentary der New Josquin Edition, Volume 3. Masses based on Gregorian Chants I. Entsprechend werden hier nur die wichtigsten frühen Quellen zu Josquins Lebzeiten sowie die aktuelle Edition in der NJE gelistet.
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[·BMV 14·] Dor, Justinus; Beausseron, Johannes Missa de Beata Virgine [kompiliert] (ca. 1518 bis 1522) Besetzung: SATB [Credo: SAATB] Kyrie IX; g-dorisch (g) – Dor Gloria IX; mixolydisch (g) – Dor Credo [über: Inviolata]; lydisch (f) – Beausseron Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) – Beausseron Agnus XVII; lydisch (f) – Beausseron Quellen, Editionen: Ms. zwischen 1518 und 1522: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 55, fol. 17v–37; Nors S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 1), Neuhausen-Stuttgart 1982 ·BMV 25· Ducis, Benedictus (um 1490–1544) Missa de Beata Virgine (1532) Besetzung: SATB Kyrie [Mel. 1668]; dorisch (d) Gloria [Mel. 499]; dorisch (d) Credo IV; dorisch (d) Sanctus / Benedictus [Mel. 19510]; dorisch (d) Agnus [undef.]; dorisch (d) Quellen, Editionen: Ms. um 1550: Klosterneuburg, Österreich, Augustiner Chorherrenstift, Stiftsbibliothek, Sign. CCI 70, Liber Choralis, fol. 264v–285 (Ms. verschollen, verzeichnet in Neuburger Kapell-Inventar, in: Heidelberg UB, Cod. Pal. German. 318); Hans Albrecht (Hrsg.), Graz 1959 (= Musik alter Meister Heft 11) [·BMV 4·] Escobar, Pedro de; Anchieta, Juan de Missa de Nuestra Señora [kompiliert] (vor 1514) Besetzung: SATB Kyrie IV [tropiert: Rex virginum]; dorisch (d) – Anchieta Gloria IX; c-mixolydisch (c) – Anchieta Credo I; hypophrygisch (e) – Anchieta Sanctus / Benedictus VIII [tropiert: Pater per omnia]; hypolydisch (f) – Escobar Agnus IX; lydisch (f) – Escobar Quellen, Editionen: Ms. [Gloria, Credo], ca. 1495–1497: Segovia, Archivo Catedral C, fol. 63v–67r; Ms. ca. 1510: Tarazona, Archivo Catedral 2/3, fol. 209v–217r; Ms. [Kyrie, Gloria] ca. 1500– 1520: Barcelona, Biblioteca de Catalunya 454, fol. 38v–41v; Ms [Credo als anonym], ca. 1540er Jahre: Coimbra U 12, fol. 22v, 24v–27; Higinio Anglés (Hrsg.): La musica en la Corte de de los Reyes Catolicos (= Monumentos de la música española 1), Madrid 1941
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Zu den Kyrie-Melodien vgl. Margareta Landwehr-Melnicki: Das einstimmige Kyrie des lateinischen Mittelalters, Regensburg 1954. Arabische Nummerierung der nicht im Missale Romanum enthaltenen Melodievorlagen gemäß Detlev Bosse: Untersuchung einstimmiger Melodien zum Gloria in excelsis deo, Regensburg 1954. Nummer nach Peter Josef Thannabaur: Das einstimmige Sanctus der römischen Messe in der handschriftlichen Überlieferung des 11. bis 16. Jahrhunderts, München 1962.
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[·BMV 2·] Escobar, Pedro de; Peñalosa, Francisco da; Castilleja, Fernández de; Alva, Alonso Pérez de Missa de Beata Virgine [kompiliert] (vor 1514) Besetzung: SATB Kyrie IV [tropiert: Rex virginum]; dorisch (d) – de Escobar Gloria IX; mixolydisch (g) – da Peñalosa Credo I; hypophrygisch (e) – da Peñalosa Sanctus / Benedictus VIII; hypolydisch (f) – de Castilleja Agnus IV; hypolydisch (f) – de Alva Quellen, Editionen: Ms.: Tarazona, Archivo Catedral 2/3, fol. 200v–209r ·BMV 26· Esquivel Barahona, Juan de (um 1560–nach 1613) Missa Beatae Mariae in Sabbato [ohne Credo] (vor 1613) Besetzung: SATB Kyrie IX; dorisch (d) Gloria IX [untropiert]; d-mixolydisch (d) Sanctus / Benedictus XVII; c-lydisch (c) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ioannis Esquivel, Civitatensis […] et missarum, Tomus Secundus, Salamanca (Francisco de Cae Tesa) 161311; G. Edward Bruner: Editions and Analysis of Five Missa Beata Virgine Maria by the Spanish Composers: Morales, Guerrero, Victoria, Vivanco and Esquivel, Diss. University of Illinois, 1980 ·BMV 27· Festa, Costanzo (um 1480–1545) Missa de Domina Nostra (ca. 1513–1521)12 Besetzung: SATB [Agnus III: SAATBB) Kyrie IX; c-dorisch (c) Gloria IX; c-mixolydisch (c) Credo IV; c-dorisch (c) Sanctus / Benedictus XVII; c-lydisch (c) Agnus XVII; c-lydisch (c) Quellen, Editionen: Ms. um 1513–1521: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 26, fol. 1v–12; Alexander Main (Hrsg.): Costanzo Festa Opera Omnia. I: Missae; Fragmenta missarum (= Corpus mensurabilis musicae 25, I), Neuhausen-Stuttgart 1972 ·BMV 28· Guerrero, Francisco (1528–1599) Missa de Beata Virgine (vor 1566) Besetzung: SATB [Agnus II: SSATB] Kyrie IV [tropiert: Rex virginum]; dorisch (d) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo IV; g-dorisch (g) Sanctus / Benedictus VIII; hypolydisch (f) Agnus IX; lydisch (f) 11 12
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Vgl. zur Quelle explizit Richard Snow: The 1613 Print of Juan Esquivel Barahona, Detroit 1978. Vgl. Peter Ackermann: Zyklische Formbildung im polyphonen Choralordinarium: Constanzo Festas „Missa de Domina nostra“, in: Studien zur Musikgeschichte. Eine Festschrift für Ludwig Finscher, Kassel 1995, S. 145–152.
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Quellen, Editionen: Ms. [Benedictus] ca. 1550–1575: Granada, Archivo Manuel de Falla 975; Missarum liber primus, Paris (Ex Typographia Nicolai du Chemin) 1566; José Maria Llorens (Hrsg.): Missarum Liber Primus (= Monumentos de la música espanola 38), Barcelona 1982; G. Edward Bruner: Editions and Analysis of Five Missa Beata Virgine Maria by the Spanish Composers: Morales, Guerrero, Victoria, Vivanco and Esquivel, Diss. University of Illinois 1980 ·BMV 29· Guerrero, Francisco Missa de Beata Virgine (vor 1582) Besetzung: SATB Kyrie IX; dorisch (d) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Credo IV; g-dorisch ohne b (g) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. nach 1582: Toledo, Biblioteca Capitular de la Catedral, fol. 84v–100r; Ms. nach 1720: Granada, Capilla Real 6 (anonym) in vier Stimmbüchern (ohne Benedictus und Agnus), Superius fol. 19–27, Altus fol. 19–26, Tenor fol. 18–26 und Bassus fol. 18–25; Missarum liber secundus, Rom (Ex Typographia Dominici Basae) 1582; [fehlerhafte] Edition in: Alexander Main (Hrsg.): Costanzo Festa. The Masses and Motets, Diss. New York University 1960; angeblich seien die Tropne nicht lesbar.)Karl H. Müller–Lancé (Hrsg.): Francisco Guerrero. Opera Omnia, Bd. V (= Monumentos de la música espanola 43), Barcelona 1986 ·BMV 30· Isaac, Heinrich (um 1450–1517) Missa de Beata Virgine [alternatim; ohne Credo] (vor 1517) Besetzung: SATBB Kyrie IX; dorisch (d) Gloria IX; c-mixolydisch (c) Sanctus / Benedictus [Mel. 2913]; c-mixolydisch (c) Agnus [über: Sanctus]; c-mixolydisch (c) Quellen, Editionen: Ms. ca. 1520: München, Bayerische Staatsbibliothek 3, fol. 65v–92r; Martin Staehelin: Heinrich Isaac. Messen, aus dem Nachlass von Hermann Birtner herausgegeben, revidiert und ergänzt (= Musikalische Denkmäler VII), Mainz 1970; Edward R. Lerner (Hrsg): Henrici Isaac, Opera omnia (= Corpus mensurabilis musicae 65, 2), Rom 1974 ·BMV 31· Isaac, Heinrich Missa de Beata Virgine [alternatim; ohne Credo] (vor 1517) Besetzung: SSATBB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus IV [Benedictus tropiert: Mariae filius]; hypomixolydisch (g) Agnus IV; g-hypolydisch (c) Quellen, Editionen: Ms. nach 1523: München, Bayerische Staatsbibliothek 31, fol. 251v–272r; Martin Staehelin: Heinrich Isaac. Messen, aus dem Nachlass von Hermann Birtner herausgegeben, revidiert und ergänzt (= Musikalische Denkmäler VII), Mainz 1970; Edward R. Lerner (Hrsg): Henrici Isaac, Opera omnia (= Corpus mensurabilis musicae 65, 1), Rom 1974
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Wie Anm. 10.
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·BMV 32· Isaac, Heinrich Missa de Beata Virgine [alternatim; ohne Credo] (vor 1517) Besetzung: SATBB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus [Mel. 2914]; mixolydisch (g) Agnus [über: Sanctus]; mixolydisch (g) Quellen, Editionen: Ms. ca. 1520: München, BSB Bayerische Staatsbibliothek 3, fol. 92v–118r; Martin Staehelin: Heinrich Isaac. Messen, aus dem Nachlass von Hermann Birtner herausgegeben, revidiert und ergänzt (= Musikalische Denkmäler VII), Mainz 1970; Edward R. Lerner (Hrsg): Henrici Isaac, Opera omnia (= Corpus mensurabilis musicae 65, 1), Rom 1974 ·BMV 33· Isaac, Heinrich Missa de Beata Virgine [alternatim; ohne Credo] (vor 1517) Besetzung: SATB Kyrie [Mel. 16615]; g-dorisch (g) Gloria [Mel. 4916]; g-dorisch (g) Sanctus / Benedictus IV [Benedictus tropiert: Mariae filius]; c-hypomixolydisch (f) Agnus IV; hypolydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. ca. 1535: Wien, Österreichische Nationalbibliothek 18745, fol. 66–69, 73–77, 66–69, 59–62; Ms. ca. 1555: München, Bayerische Staatsbibliothek 47, fol. 110–127; Martin Staehelin: Heinrich Isaac. Messen, aus dem Nachlass von Hermann Birtner herausgegeben, revidiert und ergänzt (= Musikalische Denkmäler VII), Mainz 1970; Edward R. Lerner (Hrsg): Henrici Isaac, Opera omnia (= Corpus mensurabilis musicae 65, 4), Rom 1974 ·BMV 34· Kerle, Jacobus de (um 1532–1591) Missa de Beata Virgine (vor 1562) Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [undef., tropiert: Sancta Maria]; g-dorisch (g) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Sex missae suavissimis modulationibus refertae partim quatuor partim quinque vocencinendae I, Venedig (Gardano) 1562; Sex Missae (= Trésor musicale, musique religieuse 25), hrsg. von Robert Julien van Maldeghem mit hinzukomponierter Orgelstimme, Brüssel 1889, Reprint Vaduz, Liechtenstein 1965; auszugsweise: Christian Thomas Leitmeir: Jacobus de Kerle (1531/32–1591). Komponieren im Spannungsfeld von Kirche und Kunst, Turnhout 2009
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Wie Anm. 10. Wie Anm. 8. Wie Anm. 9.
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·BMV 35· Kerle, Jacobus de Missa de Beata Virgine (vor 1582/83) Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Credo IV; dorisch (d) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Quatuor Missae, Antwerpen (Plantin) 1582/83; auszugsweise: Christian Thomas Leitmeir: Jacobus de Kerle (1531/32–1591). Komponieren im Spannungsfeld von Kirche und Kunst, Turnhout 2009 ·BMV 36· Lobo, Duarte [Eduardus Lupus oder Lupi] (um 1565–1646) Missa de Beata Virgine (vor 1621) Besetzung: SATB [Agnus II: SAQTB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus: überprüfen! Quellen, Editionen: Liber missarum IV, V, VI et VII v, Antwerpen (Plantin) 162117 ·BMV 37· Magalhães, Filipe de (um 1565–1646) Missa de Beata Virgine Maria (vor 1636) Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Credo IV; g-dorisch (g) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Missarum liber cum antiphonis dominicalibus in principio et motetto pro defunctis in fine, Lissabon (Lourenco Craesbeeck) 1636; Luís Pereira Leal (Hrsg.): Missarum liber cum antiphonis dominicalibus in principio et motetto pro defunctis in fine (= Portugaliae Musica 27), Lissabon 1975 ·BMV 38· Maillard, Jean (um 1538–1570) Missa ad imitationem missae Virginis Mariae (vor 1557) Besetzung: SAQTB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus IV; hypomixolydisch (g) Agnus IV; hypolydisch (f) Quellen, Editionen: Missa ad imitationem missae Virginis Mariae [...], Paris (A. le Roy et R. Ballard) 1557; Raymond H. Rosenstock: Jean Maillard, The Masses, Ottawa 1997 17
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Trotz mehrfacher Ankündigungen ist die Neuedition in der Reihe Composição polifónica de Duarte Lobo, transcritas em partitura por Manuel Joaquim, Lissabon 1945ff., nicht erschienen. Nachweisbar sind lediglich die Bände 1 (Magnificats) und 2 (Werke zu 4, 5 und 8 Stimmen).
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·BMV 39· Manchicourt, Pierre de (um 1510–1562) Missa de Domina Virgine Maria (ca. 1560) Besetzung: SATTB [Agnus II: SSATTB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo IV; dorisch (d) Sanctus / Benedictus IX; lydisch (f) Agnus XVII; c-lydisch (c) Quellen, Editionen: Ms.: Montpellier, Bibliotheque de l’Université 772; Ms. ca. 1560: Monserrat (Barcelona), Biblioteca del Monasterio 772; John D. Wicks (Hrsg.): Pierre de Manchicourt, Opera Omnia (= Corpus mensurabilis musica 55), Rom 1971 ·BMV 40· Mangon, Johannes (um 1525–1605[?]) Missa de Domina (1572) Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus XVII [Benedictus tropiert: Mariae filius]; g-lydisch (g) Agnus XVII; g-lydisch (g) Quellen, Editionen: Ms. späte 1570er: Aachen, Domarchiv, Chorbuch I, fol. 93v–108v; Rudolf Pohl: Chorbuch I. Die Messen des Johannes Mangon, Aachen 2000 ·BMV 41· Mangon, Johannes Missa de Domina super cantum choralem composita (1572) Besetzung: SATB Kyrie XI; f-dorisch (f) Gloria II; f-dorisch (f) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus XVII; g-lydisch (g) Agnus XVII; g-lydisch (g) Quellen, Editionen: Ms. späte 1570er: Aachen, Domarchiv, Chorbuch I, fol. 110v–123r; Rudolf Pohl: Chorbuch I. Die Messen des Johannes Mangon, Aachen 2000 ·BMV 42· Mangon, Johannes Missa de Domina (1573) Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo IV; f-dorisch mit b, es, as (f) Sanctus / Benedictus IX; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. späte 1570er: Aachen, Domarchiv, Chorbuch I, fol. 232r–243r; Rudolf Pohl: Chorbuch I. Die Messen des Johannes Mangon, Aachen 2000
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·BMV 43· Michot, Andrea / André (fl. 1513–1522) Missa de Beata Virgine (ca. 1518 bis 1522)18 Besetzung: SATB [Credo, Agnus II: SATTB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo III [tropiert: Visibilium omnium]; c-lydisch (c) Sanctus / Benedictus IV; g-hypomixolydisch (c) Agnus IV; g-hypolydisch (c) Quellen, Editionen: Ms. zwischen 1518 und 1522: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 55, fol. 1v–17; Nors. S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 2), Neuhausen-Stuttgart 1982 ·BMV 44· Misonne, Vincentius (um 1490–1550) Missa de Beata Virgine (ca. 1516) Besetzung: SATB [Credo: SATTB, Agnus: SSATB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [über: Regina Caeli]; lydisch (f) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. ca. 1516: Berlin, Staatsbibliothek 40091 (olim Z 91), fol. 1v–17r (vermutlich ehemals Rom, Santa Maria Maggiore); Ms. um 1538–1539: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 13, fol. 3v–20r; Nors. S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 1), Neuhausen-Stuttgart 1982 ·BMV 45· Morales, Cristóbal de (um 1500–1553) Missa de Beata Virgine (nach 1536) Besetzung: SAATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I [auch über: Ave Maria]; hypophrygisch / g-dorisch (g) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. nach 1536: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 19, fol. 66v–87 antiqua, 68v–89 moderna; Ms. frühe 1540er Jahre: Cividale del Friuli, Museo Archeologico Nazionale LIII, fol. 1v–19; Ms.: Madrid, Biblioteca Casa Ducal de Medinaceli 607, pag. 342– 383; Ms. 1546–1550: Toledo, Biblioteca Capitular de la Catedral 29, fol. 31–65; Ms.: Leiden, Stedelijk Museum in de Lakenhal 1440 (olim C); Ms.: Reggio Emilia, Archivio de Capitolare de S. Prospero 18; Ms.: Rostock, Bibliothek der Wilhelm-Pieck-Universität Mus. Saec. XVI40 (1–5); Ms.: Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, MS Musica, Folio I 28; Ms.: Treviso, Biblioteca Capitolar de la Catedral Metropolitana B. 29, Nr. 10; Quinque missae Moralis Hispani ac jacheti musici [...], Lib. primus 5 v, Venedig (G. Scotto) 1540, 1543, 1547, 1565; Missarum Liber Secundus, Rom (per Valerium Doricum et Ludovicum fratres) 1544, 1552; Higinio Anglés (Hrsg.): Cristóbal de Morales. Opera Omnia (= Monumentos de la Música espanola 15), Rom 1954
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Vgl. zur Messe insbes. Nors S. Josephson: Zur Geschichte der Missa de Beata Virgine, in: KmJb 57 (1973), S. 37–43.
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·BMV 46· Morales, Cristóbal de Missa de Beata Virgine (vor 1540) Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. ca. 1550: Toledo, Biblioteca Capitular de la Catedral 27; Ms. [Kyrie und Sanctus fragmentarisch, Gloria] ca. 1550–1575: Guadalupe, Monasterio de Guadalupe, Archivo Musical 1/2, fol. 136v–150r; Ms. 6. März 1564: Treviso, Biblioteca Capitolare del Duomo 9, fol. 11v–24; Ms.: Madrid, Biblioteca Medinaceli 607, pag. 676–695; Ms.: Madrid, Biblioteca Municipal 6832, Nr. 68; Exellentissimi musici Moralis Hispani, Gomberti ac Jacheti cum 4 v missae, Lib. I, Venedig (G. Scotto) 1540, 1580; Missarum Liber Primus, Rom (per Valerium Doricum et Ludovicum fratres) 1544; Higinio Anglés (Hrsg.): Cristóbal de Morales. Opera Omnia (= Monumentos de la Música española 11), Rom 1952; G. Edward Bruner: Editions and Analysis of Five Missa Beata Virgine Maria by the Spanish Composers: Morales, Guerrero, Victoria, Vivanco and Esquivel, Diss. University of Illinois 1980 ·BMV 47· Palestrina, Giovanni Pierluigi da (um 1525–1594) Missa de Beata Virgine (vor 1567) Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Missarum liber secundus, Rom (apud Haeredes Valerii et Louisii Doricorum Fratrum) 1567; Franz Xaver Haberl (Hrsg.): Giovanni Pierluigi da Palestrina: Werke, Leipzig 1862–1907, Bd. 9; Raffaele Casimiri (Hrsg.): Giovanni Pierluigi da Palestrina: Le opere complete, hrsg. von Raffaele Casimiri, Rom 1939–1987, Bd. 4 ·BMV 48· Palestrina, Giovanni Pierluigi da Missa de Beata Virgine (vor 1570) Besetzung: SSATTB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Missarum liber tertia, Rom (apud Haeredes Valerii et Louisii Doricorum Fratrum) 1570; Franz Xaver Haberl (Hrsg.): Giovanni Pierluigi da Palestrina: Werke, Leipzig 1862–1907, Bd. 12; Raffaele Casimiri (Hrsg.): Giovanni Pierluigi da Palestrina: Le opere complete, Rom 1939–1987, Bd. 6
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·BMV 49· Palestrina, Giovanni Pierluigi da Missa de Beata Marie Virginis [alternatim] (1578/79) Besetzung: SAQTB Kyrie [Mantua19]; mixolydisch (g) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Credo [Mantua20]; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus [Mantua21; ähnlich Sanctus IV]; mixolydisch (g) Agnus [Mantua22]; mixolydisch (g) Quellen, Editionen: Ms.: Mailand, Biblioteca del Conservatorio „Guiseppe Verdi“, Fondo Santa Barbara 164, fol. 44v–65; Raffaele Casimiri (Hrsg.): Giovanni Pierluigi da Palestrina: Le opere complete, Rom 1939–1987, Bd. 28 ·BMV 50· Palestrina, Giovanni Pierluigi da Missa de Beata Marie Virginis [alternatim] (1578/79) Besetzung: SAQTB Kyrie [Mantua23]; mixolydisch (g) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Credo [Mantua24]; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus [Mantua25; ähnlich Sanctus IV]; mixolydisch (g) Agnus [Mantua26]; mixolydisch (g) Quellen, Editionen: Ms.: Mailand, Biblioteca del Conservatorio „Guiseppe Verdi“, Fondo Santa Barbara 164, fol. 66v–83; Raffaele Casimiri (Hrsg.): Giovanni Pierluigi da Palestrina: Le opere complete, Rom 1939–1987, Bd. 28 ·BMV 51· Palestrina, Giovanni Pierluigi da Missa de Beata Marie Virginis [alternatim] (1578/79) Besetzung: SAQTB Kyrie [Mantua27]; mixolydisch (g) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Credo [Mantua28]; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus [Mantua29; ähnlich Sanctus IV]; mixolydisch (g) Agnus [Mantua30]; mixolydisch (g) Quellen, Editionen: Ms.: Mailand, Biblioteca del Conservatorio „Guiseppe Verdi“, Fondo Santa Barbara 164, fol. 84v–102; Raffaele Casimiri (Hrsg.): Giovanni Pierluigi da Palestrina: Le opere complete, Rom 1939–1987, Bd. 28
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
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Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5.
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·BMV 52· Parma, Nicola (fl. 1575–1613) Missa de Beata Virgine [alternatim] (ca. 1575) Besetzung: SAQTB Kyrie [Mantua31]; mixolydisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [Mantua32]; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus [Mantua33; ähnlich Sanctus IV]; mixolydisch (g) Agnus [Mantua34]; mixolydisch (g) Quellen, Editionen: Ms.: Mailand, Biblioteca del Conservatorio „Guiseppe Verdi“, Fondo Santa Barbara 123 [·BMV 2·] Peñalosa, Francisco da; Castilleja, Fernández de; Alva, Alonso Pérez de; Escobar, Pedro de Missa de Beata Virgine [kompiliert] (vor 1514) Besetzung: SATB Kyrie IV [tropiert: Rex virginum]; dorisch (d) – de Escobar Gloria IX; mixolydisch (g) – da Peñalosa Credo I; hypophrygisch (e) – da Peñalosa Sanctus / Benedictus VIII; hypolydisch (f) – de Castilleja Agnus IV; hypolydisch (f) – de Alva Quellen, Editionen: Ms.: Tarazona, Archivo Catedral 2/3, fol. 200v–209 ·BMV 53· Porta, Costanzo (1528/29–1601) Missa de Beata Virgine (1578) Besetzung: SATB Kyrie IX; a-dorisch (a) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [undef.]; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus XVII; g-lydisch (g) Agnus XVII; g-lydisch (g) Quellen, Editionen: Missarum liber primus, Venedig (Angelum Laudanum) 1578; Siro Cisilino (Hrsg.): Costanzo Porta. Opera Omnia 8, Padua 1969 ·BMV 54· Rener, Adam (fl. 1485–1520) Missa de Beata Virgine (ca. 1507–1520)35 Besetzung: SATB [Pleni: SAATB] Kyrie IX; a-dorisch (a) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [undef.]; g-dorisch (g) Sanctus / Benedictus IX [Benedictus tropiert: Mariae filius]; lydisch (f) Agnus [basierend auf tropiertem Sanctus IX]; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. nach 1500: Jena, Universitätsbibliothek 33, fol. 67v–87; Opus decem missarum quatuor voci, Wittenberg (Rhau) 1541 31 32 33 34 35
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Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Vgl. zu Reners Messe insbes. Jürgen Kindermann: Die Messen Adam Reners. Ein Beitrag zur Musikgeschichte des frühen 16. Jahrhunderts, Diss. Kiel 1962, S. 167–199.
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·BMV 55· Ribe(i)ra, Bernardino de (um 1520–1570/71) Missa de Beata Virgine (vor 1570) Besetzung: SATB [Agnus II: SAQTB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. nach 1570 [Kyrie, Agnus nur fragmentarisch]: Toledo, Biblioteca Capitular de la Catedral 6, fol. 2v–28 ·BMV 56· Ribe(i)ra, Bernardino de Missa de Beata Virgine (vor 1570) Besetzung: SAQTB [Agnus II: SSAQTB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo IV [auch über: Ave Maria]; g-dorisch (g) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. nach 1570 [Kyrie, Gloria, Credo, Agnus II nur fragmentarisch]: Toledo, Biblioteca Capitular de la Catedral 6, fol. 30v–60; Credo in Nors. S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 2), Neuhausen-Stuttgart 1982 ·BMV 57· R(u)imonte, Pedro (1565–1627) Missa de Beata Virgine (vor 1604) Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e); erste Hälfte quinttransponiert Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Missae sex 4, 5 et 6 vocum auctor Pedro Rimonte Magistro Musicae Cappellae et Cubiculi suarum celsitudinum, Antwerpen (Pierre Phalèse) 1604; Pedro Calahorra Martinez (Hrsg.): Missae sex 4, 5 et 6 vocum […], Zaragoza 1982 ·BMV 58· Robledo, Melchor (um 1520–1586) Missa de Beata Virgine [ohne Credo] (vor 1586) Besetzung: SATB Kyrie IV; g-dorisch (g) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. [Gloria, Sanctus, Agnus nur fragmentarisch]: Tarazona, Archivo Catedral 4, fol. 9v–17r; Pedro Calahorra Martinez (Hrsg.): Melchor Robledo. Opera Polyphonica, Bd. 1, Zaragoza 1986
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·BMV 59· Rodio, Rocco (um 1530–nach 1615) Missa de Beata Virgine [ohne Credo] (vor 1562)36 Besetzung: SAQTB [aber auch 3- und 4-st. zu singen: „plurium facierum“] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Missarum decem liber I, Rom (Valerio Dorico) 1562, Neapel 1580; Giovanni Domenico Dinaccio (Hrsg.): Rocco Rodio e la Messa „De Beata Virgine“ (1562), Mascalucia 2008 ·BMV 60· Romarin, Mathieu [Mateo Romero] (ca. 1575–1647) Missa de Beata Virgine Sobre o cato chao (vor 1649) Besetzung: SAQTB Kyrie: zerstört Gloria: zerstört Credo: zerstört Sanctus / Benedictus: zerstört Agnus: zerstört Quellen, Editionen: Ms. von 1649 aus der Sammlung João IV., Kapsel 32, Nr. 766, erhalten lediglich das Inventar [zerstört beim Lissabonner Erdbeben 1755] ·BMV 61· Rue, Pierre de la (um 1460–1518) Missa de Beata Virgine (um 1500) Besetzung: SATB Kyrie IX; a-dorisch (a) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo IV; dorisch (d) Sanctus / Benedictus IX [Benedictus tropiert: Mariae filius]; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen37: Ms. Ende 15. Jahrhundert: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 41, fol. 73v–86; Ms. 1500–1505 als „Missa Salve sancta parens“: Wien, Österreichische Nationalbibliothek 1783, fol. 49v–60; Ms. 1500–1505: Jena Universitäts- und Landesbibliothek 22, fol. 18v–29; Ms. 1508–1534: Subiaco, Abbazia di Santa Scolastica, Biblioteca Statale 248, fol. 38r–73; Ms. [Credo] zwischen 1512 und 1534: Antwerpen, Museum Plantin-Moretus, Bibliotheek B 948 IV; Ms. [Credo] 1513–1521: Modena, Archivio Capitolare IV, fol. 32v–34; Ms. [Kyrie, Gloria, Sanctus] in korrumpierter alternatim-Faktur: Brno, Archiv mesta Brna, fond V 2 Svatojakubská knihovna, sign. 14 5, fol. 9v–17r, kombiniert mit Credo (alternatim) von Antoine Brumel; Misse Petri de la Rue, Venedig (Petrucci) 1503; Nigel St. John Davison (Hrsg:): Opera omnia, Pierre de la Rue (= Corpus mensurabilis musicae 97), Rom 1992
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Vgl. dazu von der Verfasserin: Missa „quasi una fantasia“? Zur Inszenierung kontrapunktischer Modelle in Rodios „Missa de Beata Virgine“, in: Die Tonkunst 3 (2009), Heft 1, S. 38– 50. Vgl. die ausführliche Quellenaufstellung bei Honey Meconi: Pierre de la Rue and musical life at the Habsbourg-Burgundian Court, Oxford 2002. Entsprechend sind hier lediglich die frühen Quellen zu Lebzeiten la Rues sowie neue Funde gelistet.
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·BMV 62· Sabino, Ippolito (um 1550–1593) Missa de Beata Virgine (vor 1584) Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo IV; g-dorisch (g) Sanctus / Benedictus IX; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Liber missarum secundus quatuor vocum, Venedig (Vincenti e Amadino) 1584 [nur Superius-, Altus- und Bassus-Stimmbücher erhalten] ·BMV 63· Stoltzer, Thomas (um 1470–1526) Missa de Beata Virgine [alternatim] (vor 1526) Besetzung: SATB Kyrie [undef.]; g-dorisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [undef.]; ionisch (c) Sanctus / Benedictus IX [Benedictus tropiert: Mariae filius]; c-lydisch (c) Agnus [basierend auf tropiertem Sanctus IX]; c-lydisch (c) Quellen, Editionen: Ms. 1550: Brno, Archiv mesta Brna, fond V 2 Svatojakubská knihovna, sign. 15/4, fol. 296v–300r (Credo zitiert den Cantus aus BMV 5) ·BMV 64· Tivoli [Tiburtino], Giuliano Buonaugurio da (um 1510–1569) Missa de Beata Virgine (vor 1549) Besetzung: CTB Kyrie IX; dorisch (d) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo IV; dorisch (d) Sanctus / Benedictus XVII; c-lydisch (c) Agnus XVII; c-lydisch (c) Quellen, Editionen: Musica diversa a tre voci, Venedig (Scotto) 1549; Knut Jeppesen (Hrsg.): Italia sacra musica 2, Kopenhagen 1962 ·BMV 65· Varotto, Michele (um 1540–um 1599) Missa de Beata Virgine [ohne Agnus] (1563) Besetzung: SAATTB Kyrie IX; dorisch (d) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Michaelis Varoti, Missarum liber primus 1, Venedig (Scotto) 1563; Gloria z.T. ediert in Nors. S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 2), Neuhausen-Stuttgart 1982
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·BMV 66· Victoria, Tomás Luis de (1548–1611) Missa de Beata Virgine (vor 1576) Besetzung: SATTB [Agnus II: SSAATTB] Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms. von 1577: Toledo, Biblioteca Capitular de la Catedral 30; Liber primus qui missas, psalmos, magnifi cat, ad virginem dei matrem salutationes, Venedig (Angelum Gardanum) 1576; Liber Secundus, Rom (Ex typographia Dominici Basae) 1583; Felipe Pedrell (Hrsg.): Tomás Luis de Victoria. Missarum liber primus (= Monumentos de la Música Española 25), Rom 1965; G. Edward Bruner: Editions and Analysis of Five Missa Beata Virgine Maria by the Spanish Composers: Morales, Guerrero, Victoria, Vivanco and Esquivel, Diss. University of Illinois 1980 ·BMV 67· Villanueva, Martín de (†1605) Missa de Nuestra Senora [alternatim] (vor 1605) Besetzung: SATB Kyrie IV; dorisch (d) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Credo I; hypophrygisch (e) Sanctus / Benedictus IV; hypomixolydisch (g) Agnus IX; lydisch (f) Quellen, Editionen: Ms.: New York, Hispanic Society HC: 380/861, fol. 18v–29r; José Sierra Pérez (Hrsg.): Martín de Villanueva. Obras Completas, San Lorenzo de Escorial 1997 ·BMV 68· Vivanco, Sebastián de (um 1551–1622) Missa in Festo Beata Maria Virgine (vor 1608) Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Credo IV; g-dorisch (g) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Liber Missarum, Salamanca (A. Tabernelius) 1608; Edition in: Enrique Alberto Arias: The masses of Sebastián de Vivanco, Diss. New York University 1967 ·BMV 69· Vivanco, Sebastián de Missa de Beata Virgine in Sabbato [ohne Credo] (vor 1608) Besetzung: SATB Kyrie IX; g-dorisch (g) Gloria IX [untropiert]; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus XVII; lydisch (f) Agnus XVII; lydisch (f) Quellen, Editionen: Liber Missarum, Salamanca (A. Tabernelius) 1608; Enrique Alberto Arias (Hrsg.): Sebastián Vivanco. Three Masses (= Recent Researches in the Music of the Renaissance 31), Madison / Wisconsin 1978
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·BMV 70· Wert, Giaches / Jaches de (1535–1596) Missa in Festis Beate Marie Virginis [alternatim] (vor 1570) Besetzung: SAQTB Kyrie [Mantua38]; mixolydisch (g) Gloria IX; mixolydisch (g) Credo [Mantua39]; mixolydisch (g) Sanctus / Benedictus [Mantua40; ähnlich Sanctus IV]; mixolydisch (g) Agnus [Mantua41]; mixolydisch (g) Quellen, Editionen: Ms.: Mailand, Biblioteca del Conservatorio „Guiseppe Verdi“, Fondo Santa Barbara 143
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Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5. Wie Anm. 5.
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I.B WEITERE, EINZELÜBERLIEFERTE GLORIAE DE BEATA VIRGINE Anonymus Besetzung: SAT [alternatim] (vor 1400) Quellen, Editionen: Faksimile und Edition: El codex musical de Las Huelgas, hrsg. von Higinio Angles, Barcelona 1931, S. 11f. Anonymus Besetzung: SAT (vor 1400)42 Quellen, Editionen: Ms.: Utrecht, Universiteitsbibliotek 6 E 37, fol. 1Ar–1Av [Tenor unvollständig] Anonymus Besetzung: 3 aus 1: SAT (vor 1400)43 Quellen, Editionen: Ms.: Ivrea, Biblioteca Capitolare 115, fol. 50–51; Fourteenth-Century Mass Music in France (= Corpus Mensurabilis Musicae 29), hrsg. von Hanna Stäblein-Harder, Rome 1962; French Sacred Music (= Polyphonic Music of the Fourteenth Century 29A), hrsg. von Giulio Cattin, Francesco Facchin, Monaco 1992 Anonymus Besetzung: SAT (vor 1400)44 Quellen, Editionen: Ms.: Durham, Dean and Chapter Muniments, Communar’s Cartulary (Prior’s Kitchen), fol. flyleaf r&v; English Music for Masses and Offices, Part 1 (= Polyphonic Music of the Fourteenth Century 16), hrsg. von Frank Ll. Harrison, Ernest H. Sanders und Peter M. Lefferts, Monaco 198345 Anonymus Besetzung: SAT (vor 1400) Quellen, Editionen: Ms.: Oxford, Bodleian Library, Bodley 384, no. 1, i; English Music for Masses and Offi ces, Part 1 (= Polyphonic Music of the Fourteenth Century 16), hrsg. von Frank Ll. Harrison, Ernest H. Sanders und Peter M. Lefferts, Monaco 198346 Anonymus Besetzung: SAT (vor 1400) Quellen, Editionen: Ms.: Oxford, Bodleian Library, Bodley 384, number 3, iii-iii v [nur als Fragment 42
Vgl. Gilbert Reaney: New Sources of Ars Nova Music, in: Musica Disciplina 19 (1965), S. 61; Peter M. Lefferts: The motet in England in the 14th century, in: Current Musicology 28 (1979): S. 55–75. 43 Vgl. Ursula Günther: Sinnbezüge zwischen Text und Musik in Ars nova und Ars subtilior, in: Musik und Text in der Mehrstimmigkeit des 14. und 15. Jahrhunderts, hrsg. von ders. und Ludwig Finscher, Kassel 1984, S. 229–268. 44 Vgl. Roger Bowers: Cambridge, Fitzwilliam Museum, MS 47–1980, in: New sources of English thirteenth- and fourteenth-century polyphony, compiled by Peter M. Lefferts and Margaret Bent, in: Early Music History 2 (1982), S. 293, Fußnote 35. 45 Des Weiteren folgende Faksimile-Ausgaben: William J. Summers: A new source of medieval English polyphonic music in: Music and Letters 58 (1977), S. 403–414; Margaret Bent: A preliminary assessment of the independence of English Trecento notations, in: L’Ars nova italiana del Trecento IV, Certaldo 1975, 1978, S. 65–82; English Fourteenth-Century Polyphony: Facsimile Edition of Sources Notated in Score (= Münchner Editionen zur Musikgeschichte 4), hrsg. von William J. Summers, Tutzing 1983, pl. 40–41. 46 Faksimile in: English Fourteenth-Century Polyphony (wie Anm. 45), pl. 148.
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erhalten]; English Music for Masses and Offices, Part 1 (= Polyphonic Music of the Fourteenth Centur 16), hrsg. von Frank Ll. Harrison, Ernest H. Sanders und Peter M. Lefferts, Monaco 1983 Anonymus Besetzung: SAT (vor 1400) Quellen, Editionen: Ms.: Oxford, Bodleian Library, Bodley 384, no. 4, ii; English Music for Masses and Offi ces, Part 1 (= Polyphonic Music of the Fourteenth Century 16), hrsg. von Frank Ll. Harrison, Ernest H. Sanders und Peter M. Lefferts, Monaco 198347 Anonymus Besetzung: SATB (vor 1492) Quellen, Editionen: Ms. 1484 bis 1492: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 51, fol. 176v– 178; Nors. S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 2), Neuhausen-Stuttgart 1982 Anonymus Besetzung: SATB (vor 1500) Quellen, Editionen: Ms. 2. Hälfte 15. Jh.: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 14, fol. 10v–11; Nors. S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 2), Neuhausen-Stuttgart 1982 Anonymus Besetzung: SATB [alternatim] (ca. 1500); gemeinsam überliefert mit Kyrie IX Quellen, Editionen: Ms. ca. 1500: Jena, Universitätsbibliothek 35, fol. 62v–76; Ms.: München Bayersiceh Staatsbibliothek 31, fol. 251v–264r Anonymus Besetzung: SATB (vor 1503); gemeinsam überliefert mit Kyrie IX Quellen, Editionen: Ms. vor 1503: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 35, fol. 23v–28; Ms.: Verona, Biblioteca Capitolare 761, fol. 1v–7; Nors. S. Josephson (Hrsg.): Early SixteenthCentury Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 2), Neuhausen-Stuttgart 1982 Anonymus Besetzung: SATB [alternatim] (ca. 1510–1518); gemeinsam überliefert mit Kyrie IX48 Quellen, Editionen: Ms. ca. 1510–1518: Wroclaw, Biblioteka Uniwersytecka I F 428, fol. 102v–106r (in Partitur); Nors. S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 2), Neuhausen-Stuttgart 1982 Ciconia, Johannes (um 1335–1412) Besetzung: 3 aus 2: SAT (vor 1400)49 Quellen, Editionen: Ms.: Oxford, Bodleian Library, MS Canonici Miscellaneous 213, fol. 101v–102; Polyphonia Sacra: A Continental Miscellany of the Fifteenth Century, hrsg. von 47 48 49
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Faksimile ebd., pl. 149. Vgl. dazu Martin Staehelin: Der gründe Codex der Viadrina, Wiesbaden 1971, S. 40f. Vgl. explizit dazu: Werner Korte: Studien zur Geschichte der Musik in Italien im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts (= Münsterische Beiträge zur Musikwissenschaft 6), Kassel 1933, S. 46–47, 49; Leonard Ellinwood: The Fourteenth Century in Italy, in: The New Oxford History of Music. III. Ars Nova and the Renaissance, hrsg. von Dom Anselm Hughes und Gerald Abraham, London 1960, S. 73f.; Ursula Günther: Sinnbezüge zwischen Text und Musik in Ars nova und Ars subtilior, in: Musik und Text in der Mehrstimmigkeit des 14. und 15. Jahrhunderts, hrsg. von ders. und Ludwig Finscher, Kassel 1984, S. 229–268.
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Verzeichnisse Charles van den Borren, Nashdom Abbey [u. a.] 1932; The Works of Johannes Ciconia (= Polyphonic Music of the Fourteenth Century 24), hrsg. von Margaret Bent und Anne Hallmark, Monaco 198550
Ciconia, Johannes Besetzung: 3 oder 4 aus 2: SATB (vor 1400)51 Quellen, Editionen: Ms.: Bologna, Civico Museo Bibliografico Musicale Q 15, fol. 2v–4; The Works of Johannes Ciconia (= Polyphonic Music of the Fourteenth Century 24), hrsg. von Margaret Bent und Anne Hallmark, Monaco 198552 Desprez, Josquin (1450–1521) Besetzung: SATB (vor 1505) Quellen, Editionen: Ms. ca. 1516 bis 1521: Florenz, Biblioteca Nazionale II.I.232, fol. 124–128; Fragmenta Missarum, Petrucci (Venedig) 1505; NA: New Josquin Edition 13, Mass Movements, hrsg. von Barton Hudson, Utrecht 1999 Du Fay, Guillaume (um 1400–1474) Besetzung: SAT [alternatim] (vor 1459) Quellen, Editionen: Ms.: München, Bayerische Staatsbibliothek 14274 (olim Mus. ms. 3232a = Codex St. Emmeram), fol. 109; Guillaume Dufay: Opera Omnia, hrsg. von Heinrich Besseler (= Corpus mensurabilis musicae 1), Rom 1962, Bd. 4, S. 83–84; Codex St. Emmeram. Clm 14274 der Bayerische Staatsbibliothek München. Faksimile, hrsg. von der Bayerische Staatsbibliothek und Lorenz Welker mit einem Kommentar von Ian Rumbold und Peter Wright. Einführung von Martin Staehelin (= Elementa Musicae 2), Wiesbaden 2006 Engardus / Egardus, Johannes Besetzung: SAT (vor 1400) Quellen, Editionen: Ms.: Padua, Biblioteca Universitaria 1225, no. 1 [Contratenor, Tenor], Biblioteca Universitaria 1475, no. 4 [Contratenor, Tenor Fragment.]; Ms.: Utrecht, Universiteitsbibliotheek 1846, 6 E 37, fol. Av; Italian Sacred and Ceremonial Music (= Polyphonic Music of the Fourteenth Centur 13), hrsg. von Kurt von Fischer und F. Alberto Gallo, Monaco 198753 Perixon [spanischer Komponist] Besetzung: SATB (1543)54 Quellen, Editionen: Ms. ca. 1543 bis 1545: Toledo, Catedral, Archivo y Biblioteca Capitulares 33, fol. 77r–81 Perugia, Matteo de [?] Besetzung: 4 aus 2: SATB (vor 1400) Quellen, Editionen: Ms.: Modena, Biblioteca Estense e Universitaria a.M.5.24 (Latino 568; olim IV.D.5), fol. 3v–4; Die mittelalterliche Mehrstimmigkeit (= Das Musikwerk 9), hrsg. von 50
Außerdem in: Suzanne Clercx: Johannes Ciconia: Un musicien liégois et son temps, 2 Bde., Brüssel 1960, Bd. 2, S. 113. 51 Vgl. Anm. 49 sowie Virginia Newes: The relationship of text to imitative technique in 14th century polyphony, in: Musik und Text in der Mehrstimmigkeit des 14. und 15. Jahrhunderts, hrsg. von Ursula Günther und Ludwig Finscher, Kassel 1984, S. 121–154. 52 Außerdem in Clercx, Johannes Ciconia (wie Anm. 50), S. 92. 53 Faksimiles in: Bernhold Schmid: Zur Rekonstruktion einer Gloria-Motette von Engardus in den Paduaner Fragmenten, in: Die Musikforschung 38 (1985), S. 196. 54 Dazu: Robert Stevenson: The Toledo Manuscript Polyphonic Choirbooks and some other lost or little known Flemish sources, in: FAM 29 (1973), S. 87–107.
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Heinrich Husmann, Köln 1954; Fabio Fano: Le origini e il primo maestro di cappella: Matteo da Perugia, in: La cappella musicale del duomo di Milano (= Instituzioni e monumenti dell’arte musicale italiana 1), Mailand 1956; Italian Sacred and Ceremonial Music (= Polyphonic Music of the Fourteenth Century 13), hrsg. von Kurt von Fischer und F. Alberto Gallo, Monaco 198755 Pycard / Picard (spätes 14. / frühes 15. Jahrhundert) Besetzung: 4 aus 2: SATB (vor 1400) Quellen, Editionen: Ms.: London: British Library 57950 (olim Old Hall, Library of St. Edmund’s College), fol. 23v–24; The Old Hall Manuscript (= Plainsong and Medieval Music Society 1), hrsg. von Alexander Ramsbotham, vervollst. von H. B. Collins und Dom Anselm Hughes, 3 Bde., Nashdom Abbey [u. a.] 1933–1938; The Old Hall Manuscript (= Corpus Mensurabilis Musicae 46), hrsg. von Andrew Hughes und Margaret Bent, 3 Bde., Rom 1973, Bd. 1 Queldryk (spätes 14. / frühes 15. Jahrhundert) Besetzung: 4 aus 2: SATB (vor 1400) Quellen, Editionen: Ms.: London, British Library 57950 (olim Old Hall, Library of St. Edmund’s College), fol. 25v–26; The Old Hall Manuscript (= Plainsong and Medieval Music Society 1), hrsg. von Alexander Ramsbotham, vervollst. von H. B. Collins und Dom Anselm Hughes, 3 Bde., Nashdom Abbey [u. a.] 1933–1938; The Old Hall Manuscript (= Corpus Mensurabilis Musicae 46), hrsg. von Andrew Hughes und Margaret Bent, 3 Bde., Rom 1973, Bd. 1 de Stockem, Johannes (ca. 1445–1487 oder 1501) Besetzung: SATB (vor 1501) Quellen, Editionen: Fragmenta Missarum, Venedig (Petrucci) 1505; Nors. S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 2), Neuhausen-Stuttgart 1982 Torrentes, Andrés de (um 1510–1580) Besetzung: SAQTB (1543); gemeinsam überliefert mit Kyrie IX Quellen, Editionen: Ms.: Toledo Biblioteca Capitolare 33, fol. 69–81; Edition in: Michael Noone: Andrés de Torrentes (c1510–1580), Spanish Polyphonist and Chapelmaster: Opera Omnia, Biography and Source Study, Diss. University of Sydney 1982 Wreede, Johannes [Juan de Urreda] (1451–um 1482) Besetzung: SATB (vor 1482); gemeinsam überliefert mit Kyrie IX Quellen, Editionen: Ms.: Rom, Biblioteca Vaticana, Cappella Sistina 14, fol. 6v–10 [Gloria nur fragment. überliefert]; Nors. S. Josephson (Hrsg.): Early Sixteenth-Century Sacred Music from the Papal Chapel (= Corpus mensurabilis musicae 95, 2), Neuhausen-Stuttgart 1982
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Wie Anm. 51 sowie Virginia Newes: Chace, caccia, fuga: the convergence of French and Italian traditions, in: Musica Disciplina 41 (1987), S. 27–57, hier S. 56; Irmgard Lerch: Messkompositionen mit kanonischen Stimmen – eine internationale Erscheinung?, in: ebd., S. 59–73.
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II. SYSTEMATISCHES QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS A. Maria, Marienverehrung (Auswahl) Bäumer, Remigius und Scheffczyk, Leo (Hrsg.): Marienlexikon, 6 Bde., Erzabtei St. Ottilien 1994 Beinert, Wolfgang und Petri, Heinrich (Hrsg.): Handbuch der Marienkunde, Regensburg 1984 Das Marienbild im Wandel von 1300 bis 1800. Madonnen von 1350 – 1800. Ausstellung zum Marianischen-Mariologischen Weltkongreß 1987 in Kevelaer, Würzburg 1987 Delius, Walter: Geschichte der Marienverehrung, München 1963 _Ders. und Rosenbaum, Hans-Udo (Hrsg.): Texte zur Geschichte der Marienverehrung und Marienverkündigung in der Alten Kirche, Berlin 21973 Graef, Hilda: Maria. Eine Geschichte der Lehre und Verehrung, Freiburg [u. a.] 1964 Haag, Herbert und Kirchberger, Joe H. [u. a.] (Hrsg.): Maria. Kunst, Brauchtum und Religion in Bild und Text, Freiburg [u. a.] 1997 Manoir, Hubert du (Hrsg.): Maria. Ètudes sur la Sainte Vierge, 5 Bde., Paris 1949ff. Müller, Alois: Ecclesia – Maria. Die Einheit Marias und der Kirche, Freiburg 1955 Schmitz, Eugen: Das Madonnen=Ideal in der Tonkunst (= Die Musik. Sammlung illustrierter Einzeldarstellungen, begründet und bis Band 32 hrsg. von Richard Strauss 36), Leipzig 1918 Weißenberger, Johanna: Römische Mariengnadenbilder 1473–1590: Neue Altäre für alte Bilder. Zur Vorgeschichte der barocken Inszenierungen, Diss. Heidelberg o.J.: http://archiv.ub.uni-heidelberg. de/volltextserver/volltexte/2007/7623/pdf/Dissertation.pdf (Zugriff am 2. Januar 2012)
B. Liturgie, Frömmigkeitsgeschichte (Auswahl) Angenendt, Arnold: Liturgie im Mittelalter, in: Liturgie, Ritual, Frömmigkeit und die Dynamik symbolischer Ordnungen (= Wolfenbütteler Hefte 19), hrsg. von Helwig Schmidt-Glinzer, Wiesbaden 2006, S. 35–78 Bosse, Detlev: Untersuchung einstimmiger Melodien zum Gloria in excelsis deo, Regensburg 1954 Concilium Tridentinum (CT), Monumentalausgabe, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Freiburg i. Br., 1901ff. Iserloh, Ernst: Messe als Repraesentatio Passionis in der Diskussion des Konzils von Trient während der Sitzungsperiode in Bologna 1547, in: Liturgie: Gestalt und Vollzug, hrsg. von W. Dürig, München 1963, S. 138–146 Jungmann, Josef Andreas: Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, 2 Bde., Wien 1952 Kabis, Mary Elise: The Marian Tropes, in: The Catholic Choirmaster 38 (1952), S. 149–153, 179f. Landwehr-Melnicki, Margareta: Das einstimmige Kyrie des lateinischen Mittelalters, Regensburg 1954 Miazga, Tadeusz: Die Melodien des einstimmigen Credo der römisch-katholischen lateinischen Kirche: eine Untersuchung der Melodien in den handschriftlichen Überlieferungen mit besonderer Berücksichtigung der polnischen Handschriften, Graz 1976 Migne, Jacques-Paul (Hrsg.): Patrologiae cursus completus, series Graeca (= PG), 161 Bde., Paris 1857–66 _Ders. (Hrsg.): Patrologiae cursus completus, series Latinae (= PL), 221 Bde., Paris 1844–1855 Rönnau, Klaus: Die Tropen zum Gloria in excelsis Deo unter besonderer Berücksichtigung des Repertoires der St. Martial-Handschriften, Wiesbaden 1967 Schalz, Nicolas: Studien zur Komposition des Gloria: musikalische Formgestaltung von der Gregorianik bis zu Monteverdi, Tutzing 1980 Schildbach, Martin: Das einstimmige Agnus Dei und seine handschriftliche Überlieferung vom 10. bis zum 16. Jahrhundert, Diss. Erlangen 1967
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Schmid, Bernhold: Der Gloria-Tropus Spiritus et alme bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, Tutzing 1988 Smets, Wilhelm (Hrsg.): Des hochheiligen, ökumenischen und allgemeinen Concils von Trient Canones und Beschlüsse, nebst den darauf bezüglichen päpstlichen Bullen und Verordnungen und einem vollständigen Inhaltsverzeichnisse. Mit gegenüberstehendem lateinischen Texte nach den besten Ausgaben, mit besonderer Berücksichtigung der neuesten römischen Ausgabe vom Jahre 1845, Bielefeld 51858 Stapelmann,Wilhelm: Der Hymnus Angelicus. Geschichte und Erklärung des Gloria, Heidelberg 1948 Thannabaur, Peter Josef: Das einstimmige Sanctus der römischen Messe in der handschriftlichen Überlieferung des 11. bis 16. Jahrhunderts, München 1962 Zeeden, Ernst Walter und Molitor, Hansgeorg (Hrsg.): Die Visitation im Dienst der Kirchlichen Reform, Münster 1967
C. Kultur-, Geistesgeschichte der Renaissance (Auswahl; inkl. Symbol und Geniebegriff) Bader, Günter: Ästhetik als symbolische Theologie. Zur Ästhetik vor der Ästhetik, in: Konrad Stock / Michael Roth (Hrsg.): Glaube und Schönheit. Beiträge zur theologischen Ästhetik (= Beiträge zur Theologie und Religionsphilosophie 4), Aachen 2000, S. 69–109 Blumenberg, Hans: Die Legitimität der Neuzeit, Erweiterte Ausgabe, Frankfurt a. M. 1996, insbes. Erster Teil: Säkularisierung. Die Rhetorik der Verweltlichungen. Bredekamp, Horst: Autonomie und Askese, in: Michael Müller [u. a.] (Hrsg.): Autonomie der Kunst. Zur Genese und Kritik einer bürgerlichen Kategorie, Frankfurt a. M. 1972, S. 88–172 Burckhardt, Jacob: Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch, hrsg. von Walter Rehm, Hamburg, Sonderausgabe 2004 Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen, 3 Bde., 1923–1929, Reprint Darmstadt 1977–82 Chapeaurouge, Donat de: Einführung in die Geschichte der christlichen Symbole, Darmstadt 31991 Eisenstein, Elizabeth L.: The printing press as an agent of change, 2 Bde. in 1, Cambridge 1980 Ficino, Marsilio: Platonica theologica de immortalite animorum (1474) (= Théologie Platonicienne de l’immortalité des ames), hrsg. und übers. von Raymond Marcel, 2 Bde., Paris 1964 Graf, Klaus: Retrospektive Tendenzen in der bildenden Kunst vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Kritische Überlegungen aus der Perspektive des Historikers, in: Mundus in imagine. Bildersprache und Lebenswelten im Mittelalter, München 1996, S. 389–420 Guthmüller, Bodo und Hamm, Berndt [u. a.] (Hrsg.): Künstler und Literat: Schrift- und Buchkultur in der europäischen Renaissance (= Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 24), Wiesbaden 2006 Huizinga, Johan: Herbst des Mittelalters. Studien über Leben und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, hrsg. von Kurt Köster, Stuttgart 111975 Krüger, Klaus: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien, München 2001 Langer, Susanne K.: Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst, Mittenwald 1965 Löcher, Kurt (Hrsg.): Retrospektive Tendenzen in Kunst, Musik und Theologie um 1600 (= Pirckheimer Jahrbuch 6), Nürnberg 1991 Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 31999 Lurker, Manfred: Wörterbuch der Symbolik, Stuttgart 1991 Müller, Michael: (Hrsg.): Autonomie der Kunst. Zur Genese und Kritik einer bürgerlichen Kategorie, Frankfurt a. M. 1972 Reinhardt, Volker: Die Renaissance in Italien. Geschichte und Kultur, München 2002
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Scheer, Brigitte: Einführung in die philosophische Ästhetik, Darmstadt 1997 Traeger, Jörg: Renaissance und Religion. Die Kunst des Glaubens im Zeitalter Raphaels, München 1997 Trillitzsch, Winfried: Der deutsche Renaissancehumanismus, Leipzig 1981 Zilsel, Edgar: Die Geniereligion. Ein kritischer Versuch über das moderne Persönlichkeitsideal mit einer historischen Begründung, 2 Bde., Wien [u. a.] 1918 _Ders.: Die Entstehung des Geniebegriffs. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der Antike und des Frühkapitalismus, Tübingen 1926
D. Musik- und Messengeschichte des späten 15. und 16. Jahrhunderts (Auswahl; inkl. Zyklus) Ambros, August Wilhelm: Geschichte der Musik, 5 Bde., Leipzig 21881 Cahn, Peter: Zur Vorgeschichte des „Opus perfectum et absolutum“ in der Musikauffassung um 1500, in: Zeichen und Struktur in der Musik der Renaissance. Ein Symposion aus Anlaß der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung Münster (Westfalen) 1987, hrsg. von Klaus Hortschansky, Kassel [u. a.] 1989, S. 11–26 Chew, Geoffrey: The Early Cyclic Mass as an Expression of Royal and Papal Supremacy, in: Music & Letters 53 (1972), Nr. 2, S. 254–269 Elders, Willem: Composers of the Low Countries, Oxford 1991 Finscher, Ludwig (Hrsg.): Die Musik des 15. und 16. Jahrhunderts (= Neues Handbuch der Musikwissenschaft 3/1), Laaber 1989 Gossett, Philipp: Techniques of Unifi cation in Early Cyclic Masses and Mass Pairs, in: Journal of the American Musicological Society 19 (1966), S. 205–231 Kirkman, Andrew: The Transmission of English Mass Cycles in the Mid to Late Fifteenth Century: A Case Study, in: Music & Letters 75 (1994), Nr. 2, S. 180–199 _Ders.: The Invention of the Cyclic Mass, in: Journal of the American Musicological Society 54 (2001), Nr. 1, S. 1–47 _Ders.: The Cultural Life of the Early Polyphonic Mass, Cambridge 2010 Knighton, Tess und Fallows, David (Hrsg.): Companion to Medieval and Renaissance Music, Berkeley [u. a.] 1992 Leuchtmann, Horst und Mauser, Siegfried (Hrsg.): Messe und Motette (= Handbuch der musikalischen Gattungen 9), Laaber 2005 Loesch, Heinz von: „Musica“ und „opus musicum“. Zur Frühgeschichte des musikalischen Werkbegriffs, in: Reinhard Kopiez (Hrsg.): Musikwissenschaft zwischen Kunst, Ästhetik und Experiment: Festschrift Helga de la Motte-Haber zum 60. Geburtstag, Würzburg 1998, S. 337–342 Meconi, Honey: Does Imitatio Exist?, in: Journal of Musicology 12 (1994), S. 152–178 Perkins, Leeman L.: Music in the Age of the Renaissance, New York [u. a.] 1999 Reese, Gustave: Music in the Renaissance, New York 1954 Sparks, Edgar: Cantus firmus in Mass and Motet 1420–1520, Berkeley 1963 Strohm, Reinhard: Einheit und Funktion früher Meßzyklen, in: Festschrift Rudolf Bockholdt zum 60. Geburtstag, hrsg. von Norbert Dubowy und Sören Meyer-Eller, 1990, S. 141–160
E. Quellen, Quellensammlungen und Verzeichnisse (Auswahl) Blackburn, Bonnie und Lowinsky, Edward [u. a.] (Hrsg.): Correspondence of Renaissance Musicians, Oxford 1991 Boorman, Stanley: Petrucci’s Type-setters and the process of Stemmatics, in: Formen und Probleme der Überlieferung mehrstimmiger Musik im Zeitalter Josquins Desprez (= Quellenstudien zur Musik der Renaissance I), hrsg. von Ludwig Finscher, München 1981, S. 245–280
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_Ders.: Ottaviano Petrucci. Catalogue Raisonne, Oxford 2006 Heidrich, Jürgen: Die deutschen Chorbücher aus der Hofkapelle Friedrich des Weisen. Ein Beitrag zur mitteldeutschen geistlichen Musikpraxis um 1500, Baden-Baden 1993 Janz, Bernhard: Der Fondo Capella Sistina der Biblioteca Apostolica Vaticana. Studien zur Geschichte des Bestandes (= Beiträge zur Geschichte der Kirchenmusik 8), Paderborn [u. a.] 2000 Kellman, Herbert: The Treasury of Petrus Alamire. Music and Art in Flemish Court Manuscripts 1500–1535, Chicago 1999 Lewis, Mary S.: Antonio Gardano, Venetian Music Printer, 1538–1569, New York 1988 Llorens, Joseph M.: Capellae Sixtinae Codices, musicis notis instructi sive manu scripti sive paelo excussi, Città del Vaticano 1960 López-Calo, J. : El Archivo de música della Capilla Real de Granada, in: Anuario musical 13 (1958), S. 106–228 MacDonald, Mark P.: Ferdinand Columbus: Renaissance Collector (1488–1539), London 2005 Rees, Owen: Polyphony in Portugal c. 1530 – c. 1620, Sources from the Monastery of Santa Cruz, Coimbra, New York 1995 Schellert, Peter und Verena: Die Messe in der Musik. Komponisten – Werke – Literatur. Ein Lexikon, 3 Bde., Arlesheim 1999 Stevenson, Robert: La Música en la Catedral de Sevilla 1478–1606. Documentos para su estudio, Madrid 1985 Strunk, Oliver (Hrsg.): Source Readings in Music History, Revised Edition, New York [u. a.] 1998 Urchueguía, Cristina: Die mehrstimmige Messe im goldenen Jahrhundert. Überlieferung und Repertoirebildung in Quellen aus Spanien und Portugal (ca. 1490–1630) (= Würzburger musikhistorische Beiträge 25), Tutzing 2003
F. Musikgeschichte einzelner Städte, Regionen (Auswahl) Bernstein, Jane: Music Printing in Renaissance Venice: The Scotto Press [1539–1572], New York 1998 Fenlon, Iain: Music and Patronage in Sixteenth-Century Mantua, 2 Bde., Cambridge 1980 Köhler, Rafael: Die Cappella Sistina unter den Medici-Päpsten 1513–1534. Musikpflege und Repertoire am päpstlichen Hof in Rom, Kiel 2001 Kreitner, Kenneth: The church music of fifteenth-century Spain, Woodbridge 2004 Lockwood, Lewis: Music in Renaissance Ferrara 1400–1505. The Creation of a Musical Centre in the Fifteenth Century, Oxford 1984 Marxer, Otto: Zur spätmittelalterlichen Choralgeschichte St. Gallens, 1908 Luper, Albert T.: Portuguese Polyphony in the Sixteenth and Early Seventeenth Centuries, in: Journal of the American Musicological Society 3 (1950), Nr. 2, S. 93–112 Reynolds, Christopher A.: Papal Patronage and the Music of St. Peters 1380–1513, Berkeley 1995 Rice, Eric North: Music and Ritual in the Collegiate Church of Saint Mary in Aachen, 1300–1600, Diss. New York 2002 Sherr, Richard (Hrsg.): Papal Music and Musicians in Medieval and Renaissance Rome, Oxford 1998 Silver, Larry: Marketing Maximilian. The Visual Ideology of a Holy Roman Emperor, Princeton [u. a.] 2008 Stevenson, Robert: Spanish Music in the Age of Columbus, Den Haag 1960 _Ders.: Spanish Cathedral Music in the Golden Age, Berkeley 1961 Strohm, Reinhard: Music in Late Medieval Bruges, Oxford 1985, 21990 Tagmann, Pierre Marcel: Archivalische Studien zur Musikpflege am Dom von Mantua (1500–1627), Bern 1967
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G. Einzelne Komponisten (Fokus: Missa de Beata Virgine) Ackermann, Peter: Zyklische Formbildung im polyphonen Choralordinarium: Constanzo Festas „Missa de Domina nostra“, in: Studien zur Musikgeschichte. Eine Festschrift für Ludwig Finscher, Kassel 1995, S. 145–152 Agustino, Samuel Rubio: Cristóbal de Morales. Estudio critico de su polifinia, Madrid 1969 Alegria, José Augusto: Frei Manuel Cardoso, compositor portugues (1566–1650), Lissabon 1983 _Ders.: Polifonistas portugueses, Lissabon 1984 Arias, Enrique Alberto: The masses of Sebastián de Vivanco, Diss. Northwestern University 1971 Barrionuevo, Herminio González: Francisco Guerrero (1528–1599). Vida y obra. La música en la Catedral de Sevilla a finales del siglo XVI, Sevilla 2000 Berger, Christian: Glareans äolischer Modus und das Kyrie aus Josquins „Missa de Beata Virgine“, in: Nicole Schwindt-Gross (Hrsg): Heinrich Glarean oder: Die Rettung der Musik aus dem Geist der Antike? (= Trossinger Jahrbuch für Renaissancemusik 5), Kassel 2006, S. 161–176 Borges, Armindo: Duarte Lobo (156?–1646). Studien zum Leben und Schaffen des portugiesischen Komponisten, Regensburg 1986 Bruner, G. Edward: Editions and Analysis of Five Missa Beata Virgine Maria by the Spanish Composers: Morales, Guerrero, Victoria, Vivanco and Esquivel, University of Illinois, 1980 Burn, David J.: Heinrich Isaac’s „Missae de Beata Maria Virgine“ in Context, in: Die Tonkunst 3 (2009), Heft 1, S. 27–37 Canellas López, Ángel: Melchor Robledo y su epoca, in: Revista Aragonesa de Musicologia IV, 1–2 (= Congresso internacional La Música española del Renacimiento, Zaragoza, 1986), S. 31–36 Dahlhaus, Carl: Miszellen zu einigen niederländischen Messen, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 63/64 (1979/80), S. 1–7 Haarlem, Rob van: The Missa de Beata Virgine by Josquin used as a model for the Mass of the same name by Arcadelt, in: TVNM 25/1 (1975), S. 33–37 Jeppesen, Knud: Pierluigi da Palestrina, Herzog Guglielmo Gonzaga und die neuaufgefundenen Mantovaner Messen Palestrina’s. Ein ergänzender Bericht, in: Acta Musicologica 25 (1953), Heft 4, S. 132–179 Josephson, Nors Sigurd: The Missa de Beata Virgine of the Sixteenth Century, Diss. Berkeley 1970 _Ders.: Kanon und Parodie. Zu einigen Josquin-Nachahmungen, in: TVNM 25/1 (1975), S. 23–32 _Ders.: Zur Geschichte der Missa de Beata Virgine, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 57 (1973), S. 37–43 Kindermann, Jürgen: Die Messen Adam Reners. Ein Beitrag zur Musikgeschichte des frühen 16. Jahrhunderts, Diss. Kiel 1962 Leitmeir, Christian Thomas: „Ad Mariae gloriam“. Uses and Abuses of Troping in SixteenthCentury „Missae de beata Virgine“, in: Die Tonkunst 3 (2009), Heft 1, S. 8–26 _Ders.: Jacobus de Kerle. Komponieren im Spannungsfeld von Kirche und Kunst, Turnhout 2009 Main, Alexander: Constanzo Festa. The Masses and Motets, Diss. New York University 1960 Meconi, Honey: Pierre de la Rue and musical life at the Habsbourg-Burgundian Court, Oxford 2002 Noone, Michael: Andrés de Torrentes (c1510–1580), Spanish Polyphonist and Chapelmaster: Opera Omnia, Biography and Source Study, Diss. University of Sydney 1982: http://hdl. handle.net/2123/2247 (Zugriff am 2. Januar 2012) O’Connor, Michael Brian: The Polyphonic Compositions on Marian Texts by Juan Esquivel de Barahona: A Study of Institutional Marian Devotion in Late Renaissance Spain, Diss. Florida State University 2006 Osthoff, Helmuth: Josquin Desprez, 2 Bde., Tutzing 1962 Planchart, Alejandro Enrique: Masses on Plainsong Cantus Firmi, in: The Josquin Companion, hrsg. von Richard Sherr, Oxford 2000, S. 89–150 Pohl, Rudolf: Die Messen des Johannes Mangon, Diss. Aachen 1960 Pruett, Lilian P.: The Masses and Hymns of Constanzo Porta, Diss. University of North Carolina 1960
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Rees, Owen: „Adventures of Portuguese Ancient Music“ in Oxford, London, and Paris: Duarte Lobo’s „Liber Missarum“ and Musical Antiquarianism, 1650–1850, in: Music & Letters 86 (2005), Nr. 1, S. 42–73 Rees, Owen und Nelson, Bernadette (Hrsg.): Cristóbal de Morales. Sources, Influences, Reception (= Studies in Medieval & Renaissance Music 6), Woodbridge 2007 Reese, Gustave: The Polyphonic „Missa de Beata Virgine“ as a Genre: The Background of Josquin’s Lady Mass, in: Josquin des Prez, hrsg. von Edward E. Lowinsky, London 1976, S. 589–598 Rosenstock, Raymond Hugh: Jean Maillard (fl. 1538–1572): French Renaissance Composer, Diss. Columbia University New York 1981 Sachs, Klaus-Jürgen: Pierre de la Rues „Missa de Beata Virgine“ in ihrer copia aus varietas und similitudo, in: Analysen. Beiträge zu einer Problemgeschichte des Komponierens, hrsg. von Werner Breig, Reinhold Brinkmann und Elmar Budde, Wiesbaden [u. a.] 1984, S. 76–90 Saunders Mc Farland, Alison: Cristóbal de Morales and the Imitation of the Past: Music for the Mass in Sixteenth-Century Rome, Diss. Univ. of Santa Barbara 1999 Shalley, Regis V.: A Comparative Study of Compositional Techniques in Selected Paraphrase Masses of Cristóbal de Morales and Tomás Luis de Victoria, Diss. University of Cincinnati 1972 Sherr, Richard: The Relationship between a Vatican Source of the Gloria of Josquin’s Missa de Beata Virgine and Petrucci’s Print, in: Angelo Pompilio [u. a.] (Hrsg.): Atti del XIV Congresso della Societá Internazionale di Musicologia (Bologna, 1990), Bd. 2, S. 266–271 Snow, Richard: The 1613 Print of Juan Esquivel Barahona, Detroit 1978 Staehelin, Martin: Der grüne Codex der Viadrina, Wiesbaden 1971 _Ders.: Die Messen Heinrich Isaacs, 3 Bde., Bern und Stuttgart 1977 Stevenson, Robert: Josquin in the Music of Spain and Portugal, in: Josquin des Prez, hrsg. von Edward E. Lowinsky, London 1976, S. 217–246 Trumpff, Gustav Adolf: Die Messen des Cristóbal de Morales, in: Anuario Musical 8 (1953), S. 93–152 Wiesenfeldt, Christiane: „Majestas Mariae“ als musikgeschichtliches Phänomen? Einflüsse der Marienverehrung auf die Messe des 16. Jahrhunderts, in: Archiv für Musikwissenschaft 65 (2008), Heft 2, S. 103–120 _Dies.: Missa „quasi una fantasia“? Zur Inszenierung kontrapunktischer Modelle in Rodios „Missa de Beata Virgine“, in: Die Tonkunst 3 (2009), Heft 1, S. 38–50 _Dies.: „Ad Mariae gloriam“. Marienlob in den Messvertonungen des 16. Jahrhunderts, in: Sedes Sapientiae. Jahrbuch des Mariologischen Arbeitskreises Kevelaer 13 (2009), Nr. 1, S. 107–124 _Dies.: Funktion und Distanz. Heinrich Isaacs „Missae de Beata Virgine“ in ihrem rezeptionshistorischen Kontext, in: Heinrich Isaac. musik konzepte Sonderband, hrsg. von Ulrich Tadday, München (edition text + kritik) 2010, S. 135–149 _Dies.: „Mediatrix nostra“ – „Unsere Vermittlerin“: Marianische Topoi in Pierre de la Rues Messen für Margarete von Österreich, in: Die Habsburger und die Niederlande. Musik und Politik um 1500 (= troja, Jahrbuch für Renaissancemusik 2008/2009), hg. von Jürgen Heidrich, Kassel (Bärenreiter) 2010, S. 143–160 _Dies.: „Ad Virginem Dei Matrem Salutationes“. Victorias Marienmessen im Spannungsfeld von Kirche und Kunst, in: Im Schatten Palestrinas? – Tomas Luis de Victoria (= Das Goldene Zeitalter der Musik 1), hrsg. von Michael Zywietz, Genf 2012 [Dr. i. Vorb.] Woodruff, Lawrence T.: „Missae de Beata Virgine“ 1500–1520. A study of transformation from monophonic to polyphonic modality, Diss. Ann Arbor 1986
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III. PERSONENREGISTER MIT INTEGRIERTEM WERKREGISTER erstellt von Sabine Feinen
Aaron, Petrus: 18 Abramowski, Luise: 65 Ackermann, Peter: 21, 138 Adorno, Theodor W.: 37 Aetheria (Pilgerin): 79 Aichinger, Gregor: 253 Alamire, Petrus: 12, 108 Alberti, Leon Battista: 36–37, 62 Albertis, Gaspar de: 112, 163, 168 Alcázar, Baltasar de: 204 Alegria, José Augusto: 247 Alexandrien, Alexander von: 65 Alexandrien, Kyrillos von: 72 Alighieri, Dante: 53, 55 Alpen, Heinrich Simon von: 225 Altdorfer, Albrecht: 88 Altrichter, Viola: 36, 61 Alva, Alonso Pérez de: 179–181, 184 Missa de Beata Virgine (Kompilation): 184 Ambros, August Wilhelm: 20, 28, 181 Anchieta, Juan de: 112, 163, 168, 178–181, 184, 207, 212 Missa de Beata Virgine (Kompilation): 178, 184 Angenendt, Arnold: 29, 46 Anglés, Higinio: 186, 189–191, 200 Antiochien, Ignatius von: 65 Arcadelt, Jacob: 138, 154, 163 Missa ad De Beata Virgine: 154 Aretino, Pietro: 54 Arezzo, Guido von: 86 Aron, Pietro: 117 Auda, Antoine: 225 Auerbach, Erich: 18 Augustinus (Kirchenvater): 69 Bach, Johann Sebastian: 26 Bader, Günter: 12 Badoer, Federigo: 59 Baini, Guiseppe: 137, 186 Barck, Karlheinz: 36, 53 Barocchi, Paola: 37, 45, 57 Barrionuevo, Herminio González: 204, 206, 212–213 Basileios von Seleukeia, Homilie von: 69 Bäumer, Remigius: 66 Baxandalls, Michael: 89 Bayern, Ernst von: 58, 225 Beausseron, Johannes: 112, 138, 168, 192–194 Missa de Beata Maria (Kompilation): 112, 138, 168, 192–193 Missa de Beata Virgine: 138, 192–194
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Beaven, Lisa: 109 Beethoven, Ludwig van: 18, 25, 27–28, 34, 255–256 Missa Solemnis: 27 Beham, Hans Sebald: 88 Beinert, Wolfgang: 8, 65–67, 69, 75, 82, 88, 91 Bembo, Pietro: 53 Bent, Margaret: 182 Bente, Martin: 122 Benthem, Jaap van: 156 Beretta, Ottavio: 237–238 Berger, Christian: 150 Bermudo, Juan: 182, 186 Bernstein, Jane A.: 58–59 Besseler, Heinrich: 22, 119 Bettarini, Rosanna: 37, 57 Binchois, Gilles: 62 Bindseil, Heinrich Ernst: 96 Biondi, Biondo: 55 Blondus, Flavius: 55 Blume, Friedrich: 11, 150 Blumenberg, Hans: 40, 47–48 Böckeler, Heinrich: 218 Bockholdt, Rudolf: 21 Boetticher, Wolfgang: 218 Bohn, Peter: 139 Bölling, Jörg: 258 Bondone, Giotto di: 89 Bonheim, Günter: 37 Bonvicino, Agostino: 233, 235 Missa in festis Beate Marie Virginis: 235 Boorman, Stanley: 44, 58, 156 Borchard, Beatrix: 12, 90 Borges, Armindo: 247 Borromäus, Carlo: 97 Bosse, Detlev: 103–104, 121 Bourbon, Isabella von: 109 Bover, Joseph M.: 70, 73 Brachmann, Christoph: 56 Brahms, Johannes: 27 Ein deutsches Requiem: 27 Bredekamp, Horst: 39, 41 Breig, Werner: 21, 26, 107 Bretschneider, Carl Gottlieb: 96 Bridgman, Nanie: 190 Brinkmann, Reinhold: 21, 107 Briquet, C. M.: 190 Brobeck, John T.: 140 Bruggisser-Lanker, Therese: 23 Brumel, Antoine: 24, 107, 112, 138–139, 163, 168, 179, 192–194, 227, 256 Missa de Beata Virgine: 139, 256 Missa Sine nomine: 179 Bruner, G. Edward: 11, 182, 213–214, 244 Budde, Elmar: 21, 107
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Buji, Bojan: 12 Bukofzer, Manfred: 19, 22 Burckhardt, Jacob: 28, 34, 55 Bürger, Peter: 37 Burkholder, J. Peter: 51 Burn, David J.: 8, 107, 118, 121, 123–124 Busnoys, Antoine: 51, 62, 179 Missa L’homme armé: 51, 179 Busti, Bernardino de: 87 Cabezon, Antonio de: 182 Calahorra Martinez, Pedro: 183 Camilot-Oswald, Raffaella: 183 Campenhausen, Hans von: 65 Candelaria, Lorenzo F.: 182, 212 Canisius, Petrus: 84, 87, 100 Cardoso, Manuel: 244–245, 247 Missa de Beata Virgine: 247 Caron, Firminus: 62 Casimiri, Raffaele: 165 Cassirer, Ernst: 45, 47–49 Castagnos, Andrea de: 56 Castilleja, Pedro Fernández de: 179–181, 184, 206, 212 Missa de Beata Virgine: 184 Cellini, Benvenuto: 55 Cetina, Gutierre de: 204 Chamaterò de Negri, Ippolito: 15 Missa de Beata Virgine: 15 Charles VII.: 140 Chase, Gilbert: 189 Chenemont, Petrus: 220–223, 226–227, 229 Missa de Domina: 220, 222, 226 Cicero, Marcus Tullius: 53 Ciconia, Johannes: 22, 163–164 Cirillo, Bernardino: 20, 29, 245, 251 Clairvaux, Bernhard von: 79, 86 Claux, Johannes: 220–221 Missa sine nomine (Christi virgo dilectissima): 220 Clericus, Johannes: 42 Cleyn, Johannis: 87 Collins Judd, Cristle: 117 Contino, Giovanni: 163, 167, 233, 235–243, 255 Missa de Beata Virgine à 4: 167, 238 Missa de Beata Virgine à 5: 167, 238–242 Missa de Beata Virgine à 5 (alternatim): 233, 235–242 Corbie, Coleta von: 82 Correa, Gustavo: 57 Corswarem, Emilie: 225 Cortese, Paolo: 63 Courth, Franz: 82–83, 85, 87 Coussemaker, Edmond de: 20, 62 Cranach, Lukas (der Ältere): 88 Crecquillon: 224 Cues, Nicolaus von: 54
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Culley, Thomas D.: 207 Cummings, Anthony M.: 107 Curtis, Gareth: 19 Cuyler, Louise: 118 D’Arezzo, Ritoro: 42 D’Argentil, Charles: 138, 163, 192–194 Da Vinci, Leonardo: 12, 36, 54, 85 Dahlhaus, Carl: 11, 21, 36, 146, 148–151, 155–156 Damaskos, Johannes von: 86 Damiani, Petrus: 74, 86 De’Grassi, Paris: 137 Deitz, Luc: 61 Delius, Walter: 66 Denziger, Heinrich: 67 Desprez, Josquin: 7, 11–12, 14–16, 21–22, 24–25, 35, 37, 57, 104, 108, 112, 114, 121, 137–164, 168, 170–171, 174–176, 185, 187–189, 192–196, 200, 202–203, 212, 216, 229, 245, 255 Missa de Beata Virgine: 11, 25, 104, 108, 137–139, 150–151, 155, 164, 194, 212 Missa Hercules Dux Ferrariae: 57 Missa L’ami baudichon: 155–164 Deutz, Rupert von: 68 Diakonus, Paulus: 86 Dobberstein, Marcel: 34–35 Dolce, Ludovico: 38 Domarto, Petrus de: 22 Dor, Justinus: 138, 163, 192–194 Missa de Beata Virgine (Kompilation): 163 Du Fay, Guillaume: 20–22, 62, 119–121, 125, 130, 154, 156, 164 Missa Sancti Jacobi: 21–22 Missa Se la face ay pale: 20 Dubowy, Norbert: 21 Dufourcq, Norbert: 91 Dunstable, John: 62, 92, 164 Quam pulchra es: 92 Dürer, Albrecht: 88 Ebertshäuser, Caroline H.: 88 Egnace, Jean-Baptiste: 63 Eichberger, Dagmar: 108–109 Eichel-Lojkine, Patricia: 62 Eisenstein, Elizabeth L.: 58 Eitner, Robert: 218 Ermen, Reinhard: 34 Escobar, Pedro de: 179–181, 184, 207–212, 244, 249, 251 Missae de Beata Virgine (Kompilationen): 179–181, 184, 208–211 Espinel, Vicente: 205 Esquivel Barahona, Juan de: 11, 182, 184, 213, 244 Missa Beatae Mariae in Sabbato: 11, 184, 213, 244 Este, Ercole de: 35 Eycks, Jan van: 89 Falconer, Keith: 28 Fallows, David: 19, 22, 28 Farnese, Alessandro: 191 Faugues, Guillermus: 62 Fellerer, Karl Gustav: 35
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Verzeichnisse
Fenlon, Iain: 182, 232, 234–235 Ferdinand I.: 111 Festa, Constanzo: 21, 138, 163, 192–194, 227 Missa de Domina nostra: 21, 138, 227 Ficino, Marsilio: 36, 43, 46, 90 Figueroa, Cairasco de: 205 Finck, Heinrich: 253, 257 Missa de Beata Virgine: 253, 257 Finscher, Ludwig: 7, 9, 11, 21–23, 30, 35–36, 112, 138, 165 Fleckenstein, Franz: 91 Fleinghaus, Helmut: 42 Floss, Heinrich Joseph: 224 Forkel, Johann Nikolaus: 30 Forrest Kelly, Thomas: 183 Francis I.: 140 Franco, Cyrilo: 245 Franke, Birgit: 109 Franz I.: 55 Frénaud, Georges: 77 Frey, Hermann-Walther: 140 Friedrich der Weise: 123–124 Frye, Walter: 92 Ave regina coelorum: 92 Fuhrmann, Wolfgang: 8 Galilei, Vincenzo: 30 Gardano, Antonio: 58 Genet, Eléazar: 44, 59 Georgiades, Thrasybylos: 10 Gervink, Manuel: 8 Giovio, Paolo: 58 Glarean, Heinrich: 18, 37, 139, 143, 150 Goethe, Johann Wolfgang von: 55 Gomez, Maricarmen: 22 Gonzaga, Guglielmo: 232–235 Gonzaga, Lucrezia: 235 Gossett, Philipp: 22 Graef, Hilda: 96, 100 Graf, Klaus: 90 Griffith, John: 186 Grote, Heiner: 65 Gualteruzzi, Ugolino: 20, 245 Guerrero, Francisco: 11, 16, 181–186, 204–217, 244–246, 249–251, 256 Missa Congratulamini mihi: 207 Missa de Beata Virgine à 4 (I): 11, 16, 181, 183–184, 206–216, 249 Missa de Beata Virgine à 4 (II): 181, 183–184, 206, 216–217 Missa Dormendo un giorno: 207 Missa In te Domine speravi: 207 Missa Inter vestibulum: 207 Missa pro defunctis: 207 Missa Super flumina Babylonis: 207 Guerrero, Pedro: 206 Guinta, Lucantonio de: 104 Gülke, Peter: 21–22
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Guthmüller, Bodo: 58 Haag, Herbert: 88, 91 Haarlem, Rob van: 138 Haberl, Franz Xaver: 165, 168, 171 Ham, Martin: 186, 189 Hamm, Berndt: 58 Hamm, Bernhard: 32 Hand, Ferdinand: 30–32 Hansmann, Martina: 56 Hauke, Manfred: 70 Hauser, Arnold: 56 Hegemonius aus Syrien: 71 Heidrich, Jürgen: 8, 94, 109, 122–124 Hiley, David: 122 Höfer, Josef: 70 Hofhaimer, Paul: 118 Hofmann, Werner: 45 Holford-Strevens, Leofranc: 156 Hopfer, Daniel: 88 Huck, Oliver: 8 Huizinga, Johan: 40–42, 50, 60 Hünermann, Peter: 67 Hus, Johannes: 80 Isaac, Heinrich: 7, 15, 35, 107, 112, 118–119, 121–136, 154, 167, 227, 234, 256 Missa Comment peult avoir joie: 123 Missa de Beata Virgine à 3 (Autorschaft unklar): 121–122 Missa de Beata Virgine à 4 (I): 107, 118–119, 121, 123–125 Missa de Beata Virgine à 4 (II) (Autorschaft unklar): 107, 118–119, 121–124 Missa de Beata Virgine à 5 (I): 107, 118–119, 121, 123–125 Missa de Beata Virgine à 5 (II): 107, 118–119, 121, 123–125 Missa de Beata Virgine à 6: 107, 118–119, 121, 123–124 Missa Misericordias Domini: 119 Missa Wohlauff wohlauff: 123 Jackson, Philip: 22 Jankrift, Kay Peter: 225 Janssen, Evert Maarten: 34 Janz, Bernhard: 156 Jeppesen, Knut: 232, 235 Johann IV.: 17, 244–245, 247, 249, 251 Josephson, Nors Sigurd: 7, 10, 118, 123, 137–138, 140, 144, 165, 167, 194 Journet, Charles: 70 Jung-Inglessis, Eva-Maria: 88 Jungmann, Josef Andreas: 24, 33, 75–76, 102 Justinian I.: 79, 81 Justinus der Märtyrer: 68–69 Kade, Otto: 122 Kamper, Dietmar: 36, 61 Kannegießer, Karl Ludwig: 53 Karl der Große: 86 Karl der Kühne: 109 Karl V.: 109, 191 Kastilien, Isabel I. von: 178
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Kastilien, Johann I. von: 109 Kastilien, Johanna I. von: 179 Keitel, Elizabeth: 182 Kellman, Herbert: 12 Kerle, Jacobus de: 29, 138, 165–168, 200 Missae de Beata Virgine: 167 Kintzinger, Martin: 63 Kirchberger, Joe H.: 88 Kirchhoff, Kilian: 86 Kirkman, Andrew: 19, 23, 28 Kirsch, Winfried: 94 Kleinheyer, Bruno: 75–79, 81 Klug, Martina B.: 97 Kluge, Friedrich: 35 Knighton, Tess: 19, 22, 28 Koder, Johannes: 85 Köhler, Rafael: 141 Komnenus, Manuel: 79 Kondratowitz, Hans Joachim von: 34 Konrad, Ulrich: 8 Konstantinopel, Nestorius von: 66–67, 72 Konstantinopel, Proklos von: 69 Kopiez, Reinhard: 39 Korth, Hans-Otto: 140 Köster, Kurt: 41 Köstlin, Karl Reinhold: 18, 23, 28, 32 Kreitner, Kenneth: 178–179, 213 Kreta, Andrea von: 74, 79, 86 Kreuz, Adolf: 69 Krings, Alfred: 146 Kris, Ernst: 36 Krüger, Klaus: 44–45, 88 Krummacher, Friedhelm: 7 Kühnen, Karl den: 56 Kurz, Otto: 36 Kwiatkowski, Iris: 63 La Rue, Jan: 51 Lambrecht, Jutta: 122, 140 Landini, Francesco: 63 Landwehr-Melnicki, Margareta: 121, 212 Langer, Susanne K.: 50 Lasso, Orlando di: 218, 224 Lechner, Gregor Martin: 88 Leclerc, Jean: 42 Leffers, Peter M.: 182 Leitmeir, Christian Thomas: 8, 29, 138, 165–168, 200 Lerner, Edward: 123, 125 Leuchtmann, Horst: 21, 23, 29 Leunis, Johann: 97 Lewis, Mary S.: 58 Leyden, Lucas van: 88 Lhéritier, Jean: 59 Lindanus, Wilhelmus: 29
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Lippi, Filippo: 85 Listenius, Nikolaus: 39 Lobo, Duarte: 244–247 Audivi vocem: 246 Missa de Beata Virgine: 246–247 Lockwood, Lewis: 10, 20, 51, 107, 190, 245 Lodes, Birgit: 8 Loesch, Heinz von: 39 Loofs, Friedrich: 67 Louis XI.: 140 Louis XII.: 140 Lovell, John H.: 146 Lowinsky, Edward E.: 11, 20, 37, 62 Loyola, Ignatius von: 99 Ludwig der Fromme: 81 Luhmann, Niklas: 45–48 Luisi, Francesco: 165 Luscinius, Ottmar: 123 Luther, Martin: 45, 82, 96, 101 Lütteken, Laurenz: 8, 22, 30, 92, 94 Lyon, Irenäus von: 69 Macco, Hermann F.: 225 Machaut, Guillaume de: 21, 91, 182–183, 253 Messe de Notre Dame: 21, 182 Magalhães, Filipe de: 244–245, 247–251 Missa de Beata Virgine Maria: 247–248 Magnus, Albertus: 87 Mahrt, William P.: 119 Mailand, Ambrosius von: 66, 68, 86 Manari, Francesco: 59 Mangon, Johannes: 218–231 Delectare in Domino: 219 Ego sum panis: 219 Kyrie paschale: 220 Missa A demy mort: 220 Missa Cecilia virgo: 220 Missa Comme la rose: 220 Missa de Domina I: 220, 222, 226–227, 229–230 Missa de Domina II: 220, 223, 226, 229 Missa de Domina super Cantum Choralem composita: 220, 222, 226 Missa Defunctorum: 220 Missa Doulce mémoire: 220 Missa En attendant secours: 220, 224 Missa Got is myn licht: 220 Missa Helas prenez pitié Madame: 220 Missa Hier au matin my levay: 220 Missa in summis festis: 220 Missa Jay veu le cerf du bois saillir: 220 Missa Ne abscondas me: 220 Missa Or combien est: 220 Missa Susanne ung jour: 220 Missa Susanne ung jour: 220 Missa Virgines prudentes: 220 O spes afflictis: 219
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Manoir, Hubert du: 66, 70, 77, 87, 91 Mantegna, Andrea: 88 Marcel, Raymond: 43 Martini, Johannes: 51 Martins, Francisco: 247 Marx, Adolf Bernhard: 30 Marx, Wolfgang: 30 Mattheson, Johann: 30 Mauser, Siegfried: 21, 23, 29 Maximilian I.: 109, 116, 118–119, 124 Mayer Brown, Howard: 51 Mayer, Sebaldus: 87 Mayer-Himmelheber, Susanne: 97 McClintock, Carol: 235 Meconi, Honey: 51–52, 107–108, 111 Medici, Cosimo de: 58, 191 Medici, Lorenzo de: 119 Meerssemann, Gilles Gérard: 85–86 Meine, Sabine: 91, 96 Meise, Klaus: 8 Melanchthon, Philipp: 96 Melodos, Romanos: 85 Mersch, Émile: 74 Meyer-Eller, Sören: 21 Michelangelo Buonarotti: 38, 48, 62, 64, 85 Michot, Andreas: 138–142, 192–194, 202 Missa de Beata Virgine: 139–140 Missa de Feria: 140 Migne, Jacques-Paul: 68–69 Milhou, Alain: 98–99 Misonne, Vicentius: 138, 140, 192–194 Missa de Beata Virgine: 140 Mizaga, Tadeusz: 102 Molitor, Hansgeorg: 98 Montaigne, Michel de: 38 Montes, Lambertus de: 224 Montesdoca, Martín: 205 Monteverdi, Claudio: 37, 91 Vespro della beata Virgine: 91 Morales, Cristóbal de: 7, 11, 14, 16, 59, 121, 138–139, 170–171, 175–176, 182–198, 200–206, 212–213, 217, 244–245, 248, 251, 255, 257 Missa de Beata Virgine à 4: 183–185, 189, 191–194, 200, 203, 212, 213, 248 Missa de Beata Virgine à 5: 183–185, 189, 191–194, 200, 203, 212, 248 Salve Regina: 187 Morlet Hardie, Jane: 180 Mörsdorf, Klaus: 98 Motte-Haber, Helga de la: 39 Müller, Alois: 70–73, 89 Müller, Gerhard: 65 Müller, Michael: 39–40, 64 Münstermann, Hans-Jochen: 218 Narducci, Enrico: 42 Nazianz, Gregor von: 67
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Verzeichnisse
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Negri, Chamaterò de: 15 Nelson, Bernadette: 186, 244 Nicolas, Marie-Joseph: 66 Nieden, Hans-Jörg: 32 Nieden, Marcel: 32 Nikomedeia, Georgios von: 79 Nitsch, Wolfram: 99 Noblitt, Thomas: 123 Noone, Michael: 8, 183, 186 O’Connor, Michael Brian: 244 O’Kelly, Bernard: 37, 62 Oberweis, Michael: 63 Obrecht, Jacob: 22, 92 Missa Ave regina coelorum: 92 Ockeghem, Johannes: 22, 51, 62, 146, 151, 179 Missa Au travail suis: 179 Missa L’homme armé: 51 Missa Mi Mi: 151 Missa Prolationum: 151 Oechsle, Siegfried: 7 Oehlig, Ute: 43 Ortland, Eberhard: 53 Österreich, Anna von: 204, 206–207 Österreich, Margarete von: 15, 80, 107–111, 115–116, 118, 179 Osthoff, Helmuth: 11 Ott, Johann: 255 Ottheinrich von der Pfalz: 122 Owens, Jesse Ann: 107, 232 Pacheco, Francisco: 205 Paleotti, Gabriele: 45, 99 Palestrina, Giovanni Pierluigi da: 15–16, 20, 28, 58, 137, 165–176, 183, 185–186, 188–189, 200, 207, 213, 225, 232–236, 245–246, 251, 257 Missa de Beata Virgine à 4: 15, 165–168, 200, 233 Missa de Beata Virgine à 6: 15, 165, 167, 171, 200, 233 Missa Panis quem ego dabo: 245 Missa Papae Marcelli: 165, 176 Palmieri, Matteo: 64 Papa, Clemens non: 219, 224 Angelus Domini: 219 Papst Benedikt XIII.: 80 Papst Bonifaz IX.: 80 Papst Georg I.: 76 Papst Gregor IV.: 81 Papst Gregor XI.: 81 Papst Gregor XIII.: 97, 216–217 Papst Julius II.: 137 Papst Leo I.: 75 Papst Leo X.: 137, 140 Papst Liberius: 81 Papst Marcellus: 20, 245 Papst Nicolaus V.: 137 Papst Paul III.: 10, 191 Papst Pius V.: 83–84
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Papst Sergius I.: 78–79 Papst Sixtus III.: 81 Papst Sixtus IV.: 79 Papst Theodor I.: 79 Papst Urban IV.: 80 Pareira Leal, Luís: 248 Pareja, Bartolomaeus Ramos de: 20 Parma, Nicola: 233, 235 Pascher, Josef: 84 Pauls, Emil: 225 Pearson, Andrea G.: 109 Pelc, Milan: 58 Peñalosa, Francisco da: 179–181, 184, 204 Missa de Beata Virgine (Kompilation): 179–181, 184 Penderecki, Krzysztof: 91 Magnifikat: 91 Perkins, Leeman L.: 10–11, 21, 51, 140, 143, 148–149 Perseigne, Adam von: 74 Petrarca, Francesco: 53, 55 Petri, Heinrich: 65–67, 69, 75, 82, 88, 91 Petrucci, Ottaviano: 24, 44, 57–59, 108, 110, 117, 138, 155–156, 164 Philipp der Gute: 109 Philipp I.: 108, 110–111 Philipp II.: 176, 183, 186, 204 Picker, Martin: 122 Pietschmann, Klaus: 10, 191, 225 Planchart, Alejandro Enrique: 9, 11 Planudes, Maximus: 87 Pohl, Rudolf: 218–221, 224, 226–227 Poitiers, Hilarius von: 74, 86 Polentone, Sicco: 63 Pontio, Pietro: 20 Ponzio, Paolo Gottardo: 238 Porta, Costanzo: 137 Porta, Sancho: 87 Portugal, Isabella von: 109 Portugal, Sebastián I. von: 204, 206–207, 249 Praetorius, Michael: 30 Prinz Eugen in Ungarn: 81 Pruett, Lilian P.: 137 Quitin, Jose: 221 Rahner, Karl: 70 Raphael (Raffaello Sanzio da Urbino): 12, 46, 62, 64 Ratzinger, Josef: 70 Redeker, Raimund: 44, 58–59 Rees, Owen L.: 186, 244, 246 Reese, Gustave: 10–11, 51, 182 Regis, Joannes: 62 Rehm, Walter: 34, 55 Reidemeister, Peter: 156 Rempp, Frieder: 61 Rener, Adam: 107, 112, 124, 227 Reson, Johannes: 23
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Rhein, Gudrun: 38 Ribera, Bernardino de: 183–184, 194 Missa de Beata Virgine à 4: 183–184 Missa de Beata Virgine à 5: 183–184 Rice, Eric North: 218–220 Richter, Jean Paul: 36 Riemann, Hugo: 90 Riethmüller, Albrecht: 8 Rimonte, Pedro: 184 Missa de Beata Virgine: 184 Rivulo, Franciscus de: 219 Ego sum panis: 219 Robledo, Melchor: 183–184, 246 Missa de Beata Virgine: 183–184 Rodin, Jesse: 139 Rodio, Rocco: 138 Missa de Beata Virgine: 138 Roediger, Karl-Erich: 123 Roffey Maitland, Samuel: 182 Rönnau, Klaus: 103 Rore, Cyprian de: 59 Rose, Hugh James: 182 Rosenbaum, Hans-Udo: 66 Ros-Fábregas, Emilio: 178–179, 188 Rossini, Gioachino: 91 Stabat Mater: 91 Roth, Michael: 12 Rothenberg, David: 10 Rotterdam, Erasmus von: 42, 100 Rudy, Kathryn M.: 108 Rue, Pierre de la: 15, 21, 24, 80, 107–118, 138–139, 163, 179, 192–194, 227, 256 Missa Assumpta est Maria: 110 Missa Ave Maria: 110 Missa Ave sanctissmia Maria: 110 Missa Conceptio tua: 110 Missa de Beata Virgine: 21, 107–108, 110–111, 115–117, 179, 256 Missa de septem doloribus: 110 Missa de Virginibus: 110 Missa inviolata: 110 Missa Ista est speciosa: 110 Missa L’homme armé: 110 Missa Mediatrix nostra: 109–110 Missa Nunca fue pena maior: 110 Missa O gloriosa domina: 110 Missa O gloriosa Margaretha: 109 Missa puer natus: 111 Missa Salve sancta parens: 108 Missa Sancta Dei genitrix: 109–110 Missa Septem doloribus: 109 Missa Sub tuum presidium: 110 Ruffo, Vincenzo: 29, 35 Ruimonte, Pedro: 246 Sabino, Ippolito: 102 Missa de Beata Virgine: 102
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Sachs, Klaus-Jürgen: 7, 21, 107, 115 Salmen, Walter: 118 Samerski, Stefan: 8 Sampayo Ribeiro, Mario de: 245 Santini, Fortunato: 165 Sauvage de le Lutin, Michault: 140 Savonarola, Michele: 63 Savoyen, Philibert von: 110 Scaliger, Julis Caesar: 61 Schalz, Nicolas: 106 Scheer, A. H. M.: 78 Scheer, Brigitte: 90 Schefer, Jean Louis: 36 Scheffczyk, Leo: 66 Scheler, Dieter: 63 Schiffers, Heinrich: 224 Schildbach, Martin: 121 Schiltz, Katelijne: 225 Schmid, Anton: 57, 59 Schmid, Bernhold: 12, 102–104, 119, 165 Schmidt-Glinzer, Helwig: 29, 46 Schmitz-Clever, Egon: 225 Scholz, Bernhard F.: 61 Schönberg, Arnold: 34 Schongauer, Martin: 88 Schreker, Franz: 34 Schwindt, Nicole: 94, 150 Scotto, Girolamo: 57–59 Seay, Albert: 20 Seebold, Elmar: 35 Senfl, Ludwig: 122 Senn, Walter: 118 Sherr, Richard: 11 Sierra Pérez, José: 183 Silver, Larry: 116 Smets, Wilhelm: 49 Smijers, Albert: 157 Snow, Richard: 244 Sölle, Dorothee: 88 Sommer, Wolfgang: 32 Southgate, Lea: 189 Sparks, Edgar H.: 146 Sponheuer, Bernd: 46 St. John Davison, Nigel: 112 Staehelin, Martin: 35, 118, 122–123, 132 Stapelmann, Wilhelm: 102 Stenzl, Jürg: 183 Stevenson, Robert: 179, 184, 187, 206, 212–213, 244 Stilett, Hans: 38 Stock, Konrad: 12 Stöhr, Johannes: 70 Stolzer, Thomas: 7 Strohm, Reinhard: 10, 21, 23
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Strunk, Oliver: 139 Suárez-Pajares, Javier: 186 Sultan Muley Abd-el Malik: 207 Tadday, Ulrich: 107 Tagmann, Pierre Marcel: 232 Tammen, Björn: 10 Tamusino, Ursula: 108 Tappolet, Walter: 83 Tertullian: 73 Teuber, Bernhard: 99 Thannabaur, Peter Josef: 121 Theodosius II.: 67 Thessaloniki, Symeon von: 75 Tinctoris, Johannes: 20, 32–33, 37, 61–62 Tirol, Ferdinand von: 63 Tizian: 62 Tönnesmann, Andreas: 58 Torrentes, Andrés de: 183, 212 Traeger, Jörg: 12, 46 Trend, John Brande: 182 Trumpff, Gustav Adolf: 189, 194 Trypho: 69 Uppenkamp, Bettina: 90–91 Urchueguía, Cristina: 8, 177–178, 180, 186, 189–191, 200, 205, 212, 246 Varotto, Michele: 167 Missa de Beata Virgine: 167 Vasari, Giorgio: 37, 57 Vecci, Orazio: 251 Vega, Lope de: 204 Vehlow, Gero: 12, 91 Venard, Marc: 39, 96–101 Vendrix, Philippe: 225 Verdelot, Philipp: 207 Dormendo un giorno: 207 Verdi, Guiseppe: 235 Verino, Ugolino: 63 Vicentino, Nicola: 20, 35 Vico, Giambattista: 18 Victoria, Tomás Luis de: 7, 11, 57–59, 182, 184–185, 205–207, 213, 217, 225, 244–246 Missa de Beata Virgine: 11, 184–185, 213, 225, 244 Villafranca, Luís de: 182, 213 Villani, Filippo: 63 Villanueva, Martín de: 183–184, 203, 246 Missa de Nuestra Señora: 183–184 Viola, Francesco dalla: 59 Vischer, Friedrich Theodor: 18 Vivanco, Sebastián de: 11, 182–184, 213, 244, 246 Missa de Beata Virgine à 4 (I): 11, 183–184, 213, 244 Missa de Beata Virgine à 4 (II): 11, 183–184, 213, 244 Vogler, Bernhard: 39, 98 Volateranus, Raphael: 63 Wachtendonck, Robert: 225 Wagner, Peter: 23, 165
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Verzeichnisse
Wagstaff, Grayson: 187–189 Walters Robertson, Anne: 183 Wegman, Rob C.: 51 Weissberger, Barbara F.: 178 Weißenberger, Johanna: 217 Wert, Giaches de: 233–237, 243 Missa in Festis Beate Marie Virginis: 235 Wessely, Othmar: 118 Wetzer, Heinrich Joseph: 225 Wind, Thiemo: 57 Wiora, Walter: 35 Wittwer, Max: 207 Wohlmuth, Josef: 96 Woodruff, Lawrence T.: 11 Wörner, Karl H.: 25 Wreede, Johannes: 164, 192 Wulf, Christoph: 36, 61 York, Margaret of: 108 Zaminer, Frieder: 61 Zanovello, Giovanni: 119 Zarlino, Gioseffo: 61 Zeeden, Ernst Walter: 98 Zilsel, Edgar: 53–57, 62–64 Zywietz, Michael: 58, 157, 185, 207, 225
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A RC H I V F Ü R M U S I K W I S S E N S C H A F T
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BEIHEFTE
Herausgegeben von Albrecht Riethmüller in Verbindung mit Ludwig Finscher, Hans-Joachim Hinrichsen, Birgit Lodes und Wolfram Steinbeck. Franz Steiner Verlag
ISSN 0570–6769
39. Wolfgang Sandberger Das Bach-Bild Philipp Spittas Ein Beitrag zur Geschichte der BachRezeption im 19. Jahrhundert 1997. 323 S., geb. ISBN 978-3-515-07008-7 40. Andreas Jacob Studien zu Kompositionsart und Kompositionsbegriff in Bachs Klavierübungen 1997. 306 S. mit 41 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07105-9 41. Peter Revers Das Fremde und das Vertraute Studien zur musiktheoretischen und musikdramatischen Ostasienrezeption 1997. 335 S., geb. ISBN 978-3-515-07133-4 42. Lydia Jeschke Prometeo Geschichtskonzeptionen in Luigi Nonos Hörtragödie 1997. 287 S. mit 41 Abb., geb. ISBN 978-3-515-07157-1 43. Thomas Eickhoff Politische Dimensionen einer Komponisten-Biographie im 20. Jahrhundert Gottfried von Einem 1998. 360 S. mit 1 Frontispiz und 4 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07169-5 44. Dieter Torkewitz Das älteste Dokument zur Entstehung der abendländischen Mehrstimmigkeit Eine Handschrift aus Werden an der Ruhr: Das Düsseldorfer Fragment 1999. 131 S. und 8 Farbtaf., geb. ISBN 978-3-515-07407-4 45. Albrecht Riethmüller (Hg.) Bruckner-Probleme Internationales Kolloquium vom 7.–9. Oktober 1996 in Berlin 1999. 277 S. mit 4 Abb. und 48 Notenbeisp., geb.
ISBN 978-3-515-07496-1 46. Hans-Joachim Hinrichsen Musikalische Interpretation Hans von Bülow 1999. 562 S. mit 70 Notenbeisp. und 10 Taf., geb. ISBN 978-3-515-07514-3 47. Frank Hentschel Sinnlichkeit und Vernunft in der mittelalterlichen Musiktheorie Strategien der Konsonanzwertung und der Gegenstand der musica sonora um 1300 2000. 368 S., geb. ISBN 978-3-515-07716-2 48. Hartmut Hein Beethovens Klavierkonzerte Gattungsnorm und individuelle Konzeption 2001. 432 S. mit 70 Notenbeisp. und 47 Abb., geb. ISBN 978-3-515-07764-2 49. Emmanuela Kohlhaas Musik und Sprache im Gregorianischen Gesang 2001. 381 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07876-2 50. Christian Thorau Semantisierte Sinnlichkeit Studien zu Rezeption und Zeichenstruktur der Leitmotivtechnik Richard Wagners 2003. 296 S. mit zahlr. Notenbeisp. und Abb., geb. ISBN 978-3-515-07942-4 51. Christian Utz Neue Musik und Interkulturalität Von John Cage bis Tan Dun 2002. 533 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07964-5 52. Michael Klaper Die Musikgeschichte der Abtei Reichenau im 10. und 11. Jahrhundert Ein Versuch 2003. 323 S. und 19 Taf., geb. ISBN 978-3-515-08212-3 53. Oliver Vogel Der romantische Weg im Frühwerk von Hector Berlioz
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2003. 385 S. mit 102 Notenbeisp. und 1 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08336-7 Michael Custodis Die soziale Isolation der neuen Musik Zum Kölner Musikleben nach 1945 2004. 256 S., geb. ISBN 978-3-515-08375-8 Marcus Chr. Lippe Rossinis opere serie Zur musikalisch-dramatischen Konzeption 2005. 369 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-08586-6 Federico Celestini Die Unordnung der Dinge Das musikalische Groteske in der Wiener Moderne (1885–1914) 2006. 294 S. mit 86 Notenbeisp. und 9 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08712-5 Arnold Jacobshagen Opera semiseria Gattungskonvergenz und Kulturtransfer im Musiktheater 2005. 319 S., geb. ISBN 978-3-515-08701-x Arne Stollberg Ohr und Auge – Klang und Form Facetten einer musikästhetischen Dichotomie bei Johann Gottfried Herder, Richard Wagner und Franz Schreker 2006. 307 S. mit 27 Notenbeisp. und 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08868-7 Michael Fend Cherubinis Pariser Opern (1788–1803) 2007. 408 S. mit 2 Notenbeisp. und CD-ROM, geb. ISBN 978-3-515-08906-7 Gregor Herzfeld Zeit als Prozess und Epiphanie in der experimentellen amerikanischen Musik Charles Ives bis La Monte Young 2007. 365 S. mit 60 Notenbeisp. und 13 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09033-9 Ivana Rentsch Anklänge an die Avantgarde Bohuslav Martinůs Opern der Zwischenkriegszeit
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2007. 289 S. mit 63 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-08960-9 Frank Hentschel Die „Wittener Tage für neue Kammermusik“ Über Geschichte und Historiografie aktueller Musik 2007. 277 S. mit 6 Notenbeisp. und 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09109-1 Simon Obert Musikalische Kürze zu Beginn des 20. Jahrhunderts 2008. 307 S. mit 37 Notenbeisp. und 1 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09153-4 Isabel Kraft Einstimmigkeit um 1500 Der Chansonnier Paris, BnF f. fr. 12744 2009. 348 S. mit zahlr. Notenbeisp., 71 Abb. und CD-ROM, geb. ISBN 978-3-515-08391-1 Frédéric Döhl „… that old barbershop sound“ Die Entstehung einer Tradition amerikanischer A-cappella-Musik 2009. 294 S. mit 46 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-09354-5 Ulrich Linke Der französische Liederzyklus von 1866 bis 1914 Entwicklungen und Strukturen 2010. 311 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-09679-9 Irene Kletschke Klangbilder Walt Disneys „Fantasia“ (1940) 2011. 205 S., geb. ISBN 978-3-515-09828-1 Rebecca Wolf Friedrich Kaufmanns Trompeterautomat Ein musikalisches Experiment um 1810 2011. 242 S. mit 33 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09381-1 Kordula Knaus Männer als Ammen – Frauen als Liebhaber Cross-gender Casting in der Oper 1600–1800 2011. 261 S. mit 5 Abb. und 34 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-09908-0
Die Geschichte der musikalischen Marienverehrung ist so alt wie das Christentum selbst. Mit ihr verbanden sich Ansprüche aus der Volksfrömmigkeit ebenso wie aus der Institution Kirche: eine spannende und spannungsvolle Mischung, die Komponisten über Jahrhunderte inspirierte. Auch in die Messe hielt die Marienverehrung symbolisch Einzug. Sie schlug sich nieder in den Missae de Beata Virgine, die sämtlich ein marianisches Loblied inte-
grieren und musikalisch ausgestalten. Diese Tradition hielt sich über 130 Jahre in Europa, beflügelt von theologischen Debatten, reformatorischen Bemühungen und regionalen Bedürfnissen der Marienverehrung. Mit ihrer ungewöhnlichen Struktur und Symbolizität zwingen diese 70 Werke dabei auch zur Neujustierung fixierter Vorstellungen von ‚der Messe‘ der frühen Neuzeit.
www.steiner-verlag.de
ISBN 978-3-515-10149-3