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German Pages 521 [523] Year 2018
Peter Högemann, Norbert Oettinger Lydien
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Peter Högemann, Norbert Oettinger
Lydien
Ein altanatolischer Staat zwischen Griechenland und dem Vorderen Orient
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ISBN 978-3-11-043966-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-043602-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-043548-1 Library of Congress Control Number: 2018950154 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Drittelstater (Elektron). Lydien, Alyattes, Münzstätte Sardes, etwa 610–561 v. Chr., Vs Löwenkopf, SNG Tübingen 3648, Photo: Thomas Zachmann, Universität Tübingen; © Institut für Klassische Archäologie der Universität Tübingen. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
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Vorwort Die Lyder waren dasjenige Volk, in dessen unmittelbarem Kontakt die Griechen mit dem, was wir heute europäisches Denken nennen, begonnen haben. Denn einerseits lebten die Ionier und östlichen Äoler ohne trennende Gebirge oder Flüsse eng mit den Lydern zusammen und bewunderten deren verfeinerte Kultur und den Reichtum ihrer Könige, und andererseits waren es gerade diese östlichen Griechen, die mit der griechischen Philosophie und Dichtung begannen. Das dürfte kein Zufall sein, weshalb man sagen kann, dass es ohne die Lyder wahrscheinlich weder einen Homer noch eine Naturphilosophie gegeben hätte. Das „Wunder Griechenland“ wäre ohne deren Einfluss und ohne die Möglichkeiten der Förderung, die ihre Könige der griechischen Elite boten, wohl nie zu einem solchen geworden. Im Gegensatz dazu steht, dass uns von den Geburtshelfern dieser griechischen Kultur, also der Dichtung und Mythologie, aber auch der Ökonomie der Lyder fast nichts erhalten ist, weil mit dem Verlust ihrer politischen Eigenständigkeit auch das Interesse an der Tradierung ihrer Literatur erlosch. Und die bildende Kunst der Lyder können wir, soweit sie der Zerstörung entgangen ist, paradoxerweise gerade deshalb nicht greifen, weil sie mit der griechischen identisch war, also ein gemeinsames Kind der Griechen und Lyder darstellt, auch wenn wir sie heute nur als griechisch bezeichnen. Die einzige zusammenhängende Darstellung der Geschichte der Lyder, die sich erhalten hat, nämlich die des Historikers Herodot, wurde lange nach dem Untergang des Lyderreiches verfasst und überliefert fast nur das, was das griechische Publikum damals noch an Lydien interessieren konnte, nämlich dessen Rolle beim Vordringen der Perser. Denn das überraschende Auftauchen der persischen Macht in der Nachbarschaft Griechenlands, dessen Bedrohung durch sie und ihre Abwehr war das nach wie vor bewegendste politische Thema zu Herodots Zeit. Angesichts dessen mag der Versuch, die Geschichte und Kultur der Lyder zu beschreiben, einerseits als fast aussichtsloses Unternehmen erscheinen, andererseits aber wäre es für das Verständnis der Entstehung Griechenlands von großer Bedeutung, mehr über die Lyder zu wissen als das, was bis heute im Vordergrund steht, nämlich ihre Beurteilung als barbarisches Randvolk unter reichen Königen. Die beiden Verfasser dieses Buches, von entgegengesetzten Rändern des deutschen Sprachraumes stammend und ganz verschiedenen Fächern angehörend, haben sich dennoch zu einem Werk über das Reich der Lyder zusammengefunden, weil sie ein gemeinsames Anliegen einte. Es war die Überzeugung, dass es nicht genügt, sich für die Beurteilung dieses Reiches auf die literaturgehttps://doi.org/10.1515/9783110436020-001
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VI
Vorwort
schichtliche Betrachtung von Herodots lydischem Logos zu beschränken. Diese traditionelle Vorgehensweise hat ihre Wurzeln in einer Zeit, in der man von den früheren Kulturen Anatoliens noch nichts wusste. Inzwischen liegt aber die Entzifferung der hethitischen Texte bereits ein volles Jahrhundert zurück und hat daher Anspruch, in die Diskussion einbezogen zu werden. Man sollte das Gewicht inneranatolischer Tradition nicht unterschätzen. Die gegenüber der griechischen geringere ästhetische Qualität der hethitischen Literatur darf für den Historiker kein Anlass sein, einen Bogen um sie zu machen. Die späthethitischen Staaten Kleinasiens reichen bis in die Zeit des Lyderkönigs Gyges herab, so dass eine kulturelle Brücke zwischen den Hethitern samt ihren südostanatolischen Nachfolgestaaten und den ihnen auch sprachlich verwandten Lydern bestand. Eine Betrachtung der ionischen Griechen ohne Einbeziehung der Lyder wiederum würde einer Betrachtung der frühen Römer ohne die Etrusker gleichen. Während man aber über die Vorgeschichte der Etrusker keine Quellen besitzt, sind wir bei den Lydern dank der Hethiter und der späthethitischen Staaten in einer besseren Situation. Diese Chance gilt es zu nutzen. Unsere Zusammenarbeit hat sich in zahlreichen Seminaren interdisziplinären Charakters, meistens zusammen mit dem Archäologen Hartmut Matthäus, entwickelt und stand, wie wir glauben, von Anfang an unter einem guten Stern. So gibt es auch in dem Buch keine Aufteilung von Kapiteln auf die Verfasser, sondern jedes wird von beiden gleichermaßen vertreten. Nur die Landkarte stammt ausschließlich von Peter Högemann. Wer speziell an sprachlichen Kontakten zwischen Lydern und Griechen interessiert ist, sei auf den Index verwiesen. Für Anregung und förderliche Kritik danken wir den Kollegen Jan Bremmer, André Heller, Wolfgang Röllig, Stephan Schröder, Thomas Steer, Dieter Timpe, Hans-Ulrich Wiemer und Ilya Yakubovich, besonders aber Craig Melchert und Frank Starke. J. Bremmer,W. Röllig, S. Schröder und D. Timpe haben auch einzelne Kapitel während unterschiedlicher Stadien der Fertigstellung gelesen. A. Heller (Lektorat Clarior) danken wir auch dafür, dass er in sehr sorgfältiger Weise das Korrektorat übernommen hat. Ich, Peter Högemann, danke Richard Szydlak (Tübingen) für die gemeinsame Arbeit an der Karte und Robert Nawracala (Erlangen) für die Skizze der Halys-Flussdurchschreitung. Schließlich geht mein Dank an Petra Range (Tennenlohe) für Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts. Für den Inhalt sind wir natürlich alleine verantwortlich. Dem Verlag de Gruyter danken wir für die Drucklegung. Erlangen, im März 2018 Peter Högemann, Norbert Oettinger
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Abkürzungen ABC ÄHK
AHw ANET ARAB ARI I AS 5 CHD
CT CTH EA EGF FMA GGM GHI HChI HG HGIÜ IBoT IEG KAI KBo KUB LGPN
Grayson, A.K. (1975): Assyrian and Babylonian chronicles. TCS 5. Locust Valley, NY: J.J. Augustin. Edel, E. (1994): Die ägyptisch-hethitische Korrespondenz aus Boghazköi in babylonischer und hethitischer Sprache. Bd. 1: Umschrift und Übersetzungen. Abhdlg. der Rh.-Westf. Akad. d. Wiss 77. Opladen: Westdt. Verl. von Soden, W. (1959 – 1981): Akkadisches Handwörterbuch. Wiesbaden: Harrassowitz. Pritchard, J.B. (1969): Ancient Near Eastern texts relating to the Old Testament. 3. Aufl. Princeton, NJ: Princeton Univ. Press. Luckenbill, D.D. (1926): Ancient records of Assyria and Babylonia. 2 Bdd. Chicago: Univ. Press. Grayson, A.K. (1972): Assyrian royal inscriptions. Bd. 1: From the beginning to Ashur-resha-ishi I. Records of the Ancient Near East 1. Wiesbaden: Harrassowitz. Piepkorn, A.C. (1933): Historical prism inscriptions of Ashurbanipal I: Editions E, B1 – 5, D, and K. AS 5. Chicago: Univ. of Chricago Press. Güterbock, H.G./Hoffner, H.A./van den Hout, T.P.J. (Hrsg.) (1975–): The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Chicago: The Oriental Institute. Cuneiform Texts from Babylonian tablets. Laroche, É. (1971): Catalogue des textes hittites. Études et commentaires 75. Paris: Klincksieck. Knudtzon, J.A. (1915): Die El-Amarna-Tafeln. Transkribierter Text, mit Einl. u. Erl. Anm. u. Reg. 2 Bdd. VAB 2,1 u. 2. Leipzig: Hinrichs. Davies, M. (Hrsg.) (1988): Epicorum Graecorum Fragmenta. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht. Sasson, J.M. (2015): From the Mari archives. An anthology of Old Babylonian letters. Winona Lake, IN: Eisenbrauns. Müller, K. (1855 – 1861): Geographi Graeci minores. Scriptorum Graecorum bibliotheca 44; 54. Paris: Didot. Rhodes, P.J./Osborne, R. (2003): Greek historical inscriptions, 404 – 323 BC, Oxford: Oxford Univ. Press. König, F.W. (1955): Handbuch der chaldischen Inschriften. Bh. AfO 8. Graz: Weidner. Hoffner (1997). Brodersen, K./Günther, W./Schmitt, H.H. (1992 – 1999): Historische griechische Inschriften in Übersetzung. 3 Bdd. TzF 59/68/71. Darmstadt: WBG. İstanbul Arkeoloji Müzelerinde Bulunan Boğazköy Tabletleri. West, M.L. (1989 – 1992): Iambi et elegi Graeci ante Alexandrum cantati. 2 Bdd. 2. Aufl. Oxford: Clarendon. Donner, H./Röllig, W. (2002; 1973): Kanaanäische und aramäische Inschriften. Bd. 1: Texte; Bd. 2: Kommentar. 5. u. 3. Aufl. Wiesbaden: Harrassowitz. Keilschriftttexte aus Boghazköy. Keilschrifturkunden aus Boghazköy. Fraser, P.M. (1987 – 2013): A lexicon of Greek personal names. Oxford: Clarendon.
https://doi.org/10.1515/9783110436020-002
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VIII
Abkürzungen
LSJ
Liddell, H.G./Scott, R./Jones, H.S. (1996): A Greek-English lexicon. 9. Aufl. Oxford: Clarendon. LW Gusmani (1964; 1980 – 1986). Milet I 3 Kawerau, G./Rehm, A. (1914): Das Delphinion in Milet. Milet. Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen seit dem Jahre 1899. Bd. I/3. Berlin: Reimer. OGIS Dittenberger, W. (1903 – 1905): Orientis Graeci inscriptiones selectae. Supplementum sylloges inscriptionum Graecarum. Leipzig: Hinrichs. PRU IV Schaeffler, C.F.-A./Nougayrol, J. (1956): Le Palais Royal d’Ugarit. Bd. 4: Textes accadiens des archives sud (Archives internationales). Mission de Ras Shamra 9. Paris: Impr. Nationale/Klincksieck. RS Tafeln aus der Grabung in Ras Shamra. SAA II Parpola, S./Watanabe, K. (1988): Neo-Assyrian treaties and loyalty oaths. SAA II. Helsinki: Univ. Press. SAA IV Starr, I. (1990): Queries to the sungod. Divination and politics in Sargonid Assyria. SAA IV. Helsinki: Univ. Press. SAA X Parpola, S. (1993): Letters from Assyrian and Babylonian scholars. SAA X. Helsinki: Univ. Press. StV II Bengtson, H./Werner, R. (1975): Die Staatsverträge des Altertums. Bd. 2: Die Verträge der griechisch-römischen Welt von 700 bis 338 v. Chr. 2. Aufl. München: Beck. Syll. Sylloge inscriptionum Graecarum. TCL Textes Cunéiformes. Musée du Louvre, Paris. Tod Tod, M.N. (1933 – 1948): Greek historical inscriptions from the sixth century B.C. to the death of Alexander the Great in 323 B.C. 2 Bdd. Oxford: Oxford Univ. Press. TUAT Kaiser, O. u. a. (Hrsg.) (1984 – 2001): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. 4 Bdd. Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus. TUAT N.F. Freydank, H. u. a. (Hrsg.) (2004 – 2015): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge. 8 Bdd. Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus. VAB 7,2 Streck, M. (1916): Assurbanipal und die letzten assyrischen Könige bis zum Untergange Niniveh’s. Bd. 2: Texte. VAB 7,2. Leipzig: Hinrichs. VAT Tafeln in der Vorderasiatischen Abteilung der Staatlichen Museen zu Berlin. VBoT Goetze, A. (1930): Verstreute Boghazköi-Texte. Marburg: Selbstverl.
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Inhalt Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
1
Die Thronaufstiegsgeschichte des Gyges
. .
Wer waren die Lyder? 65 65 Die Lyder als historisches Phänomen Von der Prähistorie zum Staat: Schlüsselbegriffe: Volk, Sippe, Stamm, Nation 93
.
120 Das lydische Reich in Statik und Funktion Aufbau des lydischen Reiches. Vom Räuber- zum Verfassungsstaat 120 Grenzschutz und „Kolonisierung“ im Norden. Das lydisch182 milesische Bündnis in Aktion Zusammenfassung und Rekonstruktion 213
.
. . . . . . . . . .
28
217 König, Heerwesen und Verfassung Das Heerwesen als Indikator von Verfassungswirklichkeit Das Heerwesen als Antwort auf die nomadische 219 Außenwelt Das Heerwesen der Spätbronzezeit (1550 – 1150) 220 Die Eisenzeitlichen Staaten (EZ II B-C, 800 – 587 v. Chr.) Die einzelnen Waffengattungen 237 Verfassung 251 Zusammenfassung 272
217
221
Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige. Griechische Moral vs. orientalische Pragmatik 276 276 Präliminarien Gerechtigkeit und Weisheit der Könige 306 Das Schatzhaus. Die diplomatische Mission Solons 333 Lydiens Kriege im Osten. Der Untergang des lydischen Reiches 385
Schluss: Versuch, eine Epoche darzustellen
430
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X
Inhalt
Literaturverzeichnis
461
Analytisches Glossar (mit integriertem Sachindex in Auswahl) Eigennamen (Personen, Götter) Geographische und Völkernamen Sachbegriffe
498
507 509
511
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Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze Troia, Herodot und die Lyder Die Geschichte der Lyder beginnt mit einem Putsch des Gyges, des Kopfs des Mermnaden-Clans. Er hatte seine Vertrauensstellung missbraucht und seinen Herrn ermordet. Eine Unheilsgeschichte nimmt ihren Lauf. Ein Fluch wird auf das Geschlecht herabbeschworen. Zur Zeit des fünften Nachkommen des Gyges wird der Sippe der Herakliden Rache zuteil. Es wird Kroisos treffen im Symbol des Scheiterhaufens (s. Glossar). So die Deutung Herodots. Wer sind die Lyder? In Teil 2 wird in größerem Argumentationsgang festgestellt, dass die Lyder nach der Landschaft Lydien benannt sind, Lydien geht auf luwisch Luwija zurück, einen Namen der Bronzezeit. Die Lyder hießen früher, bevor sie Lydien in Besitz nahmen, Maionier. Die Maionier hatten im 2. Jt. v.Chr. wahrscheinlich in NordwestAnatolien gewohnt. Die hethitische Landschaft Masa wurde hier namengebend. Zu den lydischen Ursprungsgebieten gehörte vermutlich auch Wilusa/Troia. Bei der seit dem Jahr 2000 besonders in Tübingen heftig geführten Diskussion über das Thema „Troia und Homer“ kamen die Lyder noch nicht vor. G. Neumann hielt damals schon die Troianer für Lyder. In der Tat: Die Namen Alaksandu und Walmu, mit denen in einem hethitischen Staatsvertrag zwei Könige Wilusas (Ilion) benannt werden, wirken durch ihre Endung eher lydisch als luwisch, abgesehen von weiteren Argumenten. Nur aus griechischen Quellen wird sich eine lydische Frühgeschichte herausarbeiten lassen. Ob die Lyder ihre eigene Sage vom Troianischen Krieg besaßen, ist unbekannt. Herodot weiß nichts mehr von lydischen Troianern. Er hat überhaupt ein auffälliges Nichtverhältnis zu Homer. Homer wird kein einziges Mal im Lyder-Logos genannt, auch nicht im ersten Buch seiner Historien insgesamt. So verliert er kein Wort darüber, ob die Lyder die Ilias kannten oder über sonstige Tradition aus sagenhafter Zeit verfügten.¹ Herodot zeigt darüber hinaus wenig Interesse an Troia und der Troas. Er suchte auch den zeitlichen Anschluss an den Troianischen Krieg nicht, wollte keine bloße Nach-
Im ägyptischen Logos wird Homer viermal genannt und zweimal die Ilias zitiert (2,116; 117). Die gesamte Homergeographie Westanatoliens, vor allem aber der Troas, wird von Herodot nicht aufgegriffen. Den sog. Troerkatalog, der einen Aufmarschplan der Troianer und ihrer Verbündeten (Terminus technicus Troikos diakosmos) mitsamt ihrer Herkunftsorte bietet, vor allem im Gebiet der Meerengen, einem besonders neuralgischen Punkt (Hom. Il. 2,816 – 877), hat Herodot nicht aufgegriffen. Auf die Nord-West-Front des lydischen Reiches ist in Teil 3 A ausführlich einzugehen. https://doi.org/10.1515/9783110436020-003
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2
Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
kriegsgeschichte schreiben.² Er hatte die mächtigen Perser im Blick. Erst von ihnen ließ sich sagen, dass sie von allen anderen Beherrschern Asiens die Griechen wirklich regiert hätten (vgl. Strab. 15,3,23). In den sog. Frauenraubgeschichten, mit denen Herodot sein Werk einleitet, ist von gegenseitigen Entführungen aus Asien nach Europa und umgekehrt die Rede (Hdt. 1,2– 5). Am Schluss steht der Raub der Helena aus Sparta (Hdt. 1,1– 3). Die Perser behaupten in einem beinahe forensischen Verfahren, die Griechen seien früher gegen Asien gezogen als die Perser gegen Europa. Eine merkwürdige Feststellung. Die besondere Schwere der Schuld der Griechen wird festgestellt (Hdt. 1,4,1). Sie hätten wegen einer schönen Frau, Helena, Rache genommen (timoreein) und das Reich des Priamos zerstört (Hdt. 1,4,4).Von diesem Zeitpunkt an hätten die Perser, die „Asien“ in personam zu sein allein für sich beanspruchten, die Griechen für Feinde gehalten (Hdt. 1,5,1). Man fragt sich, ob Herodot nicht mit höherem Recht die Lyder zu Sachwaltern Asiens hätte machen und Kroisos zum Rächer hätte aufbauen müssen, der die Griechen gestraft hätte für das, was sie in Troia getan hatten. Freilich wussten sicher die Lyder von Sardes selbst nichts mehr von ihren ursprünglichen Bezügen zu Troia, und daher auch Herodot nicht. Was Herodot möglicherweise wusste, war immerhin, dass die Lyder ihr Reich „Asien“ nannten.Was er nicht wusste, ist, dass im Namen Asien eine Ableitung des hethiterzeitlichen Namens Assuwa weiterlebt. Assuwa ist eine Landschaft im nordwestlichen Kleinasien, wo wir auch die lydischen Stammlande des 2. Jt. v.Chr. vermuten. Kroisos wird also von Herodot nicht als der König von Asien und somit als legitimer Rächer eingeführt, stattdessen wird er schuldig gesprochen, als erster mit ungerechten Taten gegen die Griechen vorgegangen zu sein.³ Ironie der Geschichte? Wir kennen keine Reaktion der Lyder auf diesen Vorwurf. Unabhängig davon interessiert natürlich die Frage, wie weit die Erinnerungen der Lyder überhaupt zurückreichten.
Spätzeit des Vorderen Orients In lydischer Zeit wird die Politik des Vorderen Orients noch von Mächten bestimmt, die spätestens seit der Mittelbronzezeit (2200/2000 v.Chr. MB I/IIA) hier
Der troianische Krieg fand „höchstens 800 Jahre bis auf meine Zeit“ (Hdt. 2,145,4) statt, „Hesiod und Homer haben meiner Meinung nach etwa 400 Jahre vor mir gelebt“ (Hdt. 2,53,2). Eine Variante zum Lyder-Perser-Gegensatz, auch sie nicht leicht verständlich, gibt Strab. 15,3,23: „Von den Barbaren haben sich die Perser bei den Griechen den größten Ruhm erworben, da von allen anderen Beherrschern Asiens keiner die Griechen regiert hat, …. Die Perser waren die ersten, die über Griechen herrschten. Die Lyder hatten sie zwar regiert, waren aber nicht Herrscher ganz Asiens, sondern nur eines kleinen Teils.“
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Spätzeit des Vorderen Orients
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verwurzelt waren: Da war einmal Lydien selbst als, nach dem Ende der Hieroglyphen-Luwier, letzter Vertreter eines altanatolischen Staates, sodann das Neuassyrische sowie das Neubabylonische Reich und, nicht zu vergessen, Urartu. Dies waren die wichtigsten Repräsentanten vorderorientalischer Kultur und Zivilisation. Ägypten, obwohl strenggenommen dem Vorderen Orient nicht zugehörig, sei jedoch als Macht- und Kulturfaktor auf der syro-palästinischen Landbrücke seit dem Neuen Reich (ab ca. 1540 v.Chr.) hier dazugezählt. Nicht dem Alten Orient zuzurechnen sind dagegen zwei „Randkulturen“, denen die nähere Zukunft gehören wird, das Hochland von Iran und der Süden der balkanischen Halbinsel, auch „Griechisches Mutterland“ genannt. Persien bzw. Iran selbst gehört nicht, wie oft gesagt oder vorausgesetzt wird, zum Alten Orient. Der Alte Orient ist vielmehr nur ein Teil des achämenidischen Riesenreiches, und Griechenland ist in mykenischer Zeit zwar ein Teil des spätbronzezeitlichen Vorderen Orients gewesen, gehört aber seit der frühen Eisenzeit nur noch zum peripheren Ausstrahlungsgebiet vorderorientalischer Kultur. Griechenland ist eine neue, fremde Größe. Ohne die geniale Anverwandlung vorderorientalischer Stoffe und Motive wäre Griechenland allerdings nicht im Stande gewesen, einen zum Vorderen Orient alternativen Lebensentwurf vorzulegen. Als solcher kommt er im Solon-Kroisos-Dialog (Teil 5 C) zum ersten Mal in die Öffentlichkeit. Streitpunkt ist die Frage: Was ist „Glück“ (eudaimonia, s. Glossar)? Darüber sprachen Solon und Kroisos in Sardes. Dieses Gespräch endete mit einem Eklat (s. Glossar), man schied grußlos voneinander. Mit größerer Bestimmtheit sind die Bewohner Irans, allen voran die Meder und Perser, vom Begriff Vorderer Orient (s. Glossar) fernzuhalten. Die Meder werden in assyrischen Quellen des 8. und 7. Jh. v.Chr. noch als Stämme- oder Staatenbund ohne markante Reichsstrukturen dargestellt. Diese wurden erst in der Zeit ab ca. 650 v.Chr. ausgebildet. Ähnliches gilt für die Perser, die zwar durch den Besitz der altorientalischen Landschaft Elam⁴ in der Entwicklung von Staat und Reich und in der Modernisierung der Palastökonomie weiter vorangeschritten waren als die Meder und außerdem ein gedrilltes, an assyrischen Standards zu messendes Fußvolk besaßen. Dennoch löste der Vorstoß des persischen Heeres nach Westanatolien bei Lydern und Ioniern wegen seines fremdartigen, nicht den gewohnten altorientalischen Mustern entsprechenden Aussehens und Verhaltens eine Art Schock aus. Der Vordere Orient ist auf altem Kulturboden gewachsen; Lydien und das lydische Sardes sind auf bronzezeitlichem, luwischem Untergrund errichtet, wie
Auch Anšan, wie die Persis auf elamisch hieß, war ursprünglich von Elamern besiedelt gewesen.
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Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
wir zeigen werden. Hieraus ergibt sich die Verbindung mit dem Hethitischen. Altanatolien gehörte seit der Spätbronzezeit immer schon dem Vordere Orient an. Welche Faktoren konstituierten die vorderorientalische Staatengemeinschaft, wenn wir sie als politische und kulturelle Einheit Iran und Griechenland gegenüberstellen wollen? Als den markantesten Faktor glauben wir, die Angst der Städtebewohner vor dem Draußen benennen zu müssen, vor den unendlichen Grasländern Eurasiens, den Steppen und Wüsten Arabiens sowie den hochgelegenen Ländern Irans. Kein Mensch des Vorderen Orients hatte eine Vorstellung von deren Größe, keiner konnte voraussagen, welche Horden kimmerischer und skythischer Pferdereiter sich noch bereithalten würden, um wiederum in die vorderorientalische Staatenwelt einzufallen. Nicht ganz anders im Süden. Auch hier herrschte Angst vor demographischen Unwägbarkeiten. Denn ab ca. 700 v.Chr. geriet Nordarabien vom Euphrat bis nach Petra unter die Macht nomadischer, Dromedare reitender Protobeduinen, die sich zum Stämmebund, auf Hebräisch Ismael, arabisch Sumu’il, zusammenschlossen. Stämme trennen und versammeln sich, ein Vorgang, der sich auch in der lydischen Vorgeschichte abspielte. Die Kulturlandbewohner mauerten sich ein, am Marmara-Meer und weiter an der Südküste des Schwarzen Meeres und ebenso im östlichen Kleinasien. Auch von Babylonien aus trieb man Grenzbefestigungen in die Steppen Syriens und Arabiens hinein. Am Heerwesen wird sodann besonders deutlich, dass die Staatenwelt des Vorderen Orients in dieser Bedrohungslage immer gleichförmiger wurde. Diese Gleichförmigkeit mit Genauigkeit nachzuweisen, wäre deshalb so wichtig, weil Gleichförmigkeit zur Austauschbarkeit führt, was wiederum für eine Rekonstruktion von lydischer Staatlichkeit von größter Bedeutung wäre. Bevor wir aber unsere Methode vorführen, ist zunächst die faktische Quellenlage zu skizzieren.
Herodot. Literatur und historische Quelle? Unsere wichtigste und durch nichts zu ersetzende Quelle ist der Lyder-Logos Herodots (Hdt. 1,6 – 94).⁵ Dieser Logos ist in seiner Gesamtheit noch nie monographisch untersucht worden. Er erregte unser Interesse zunächst auch nur deshalb, weil er uns so archaisch-altertümlich erschien, obwohl er erst im 5. Jh. v.Chr., d. h. in der Zeit der tragischen Dichtung Athens wie auch der in Athen von Fritz (1967), 208 – 243 („Lydische Geschichten und Geschichte“) feiert die Geschichte von Solon und Kroisos als die schönste Novelle überhaupt. Dann sagt er aber auch und jetzt prosaischer: „Irgendein historisches Faktum“ liege den Novellen zugrunde, wo er auf Gyges verweist, der durch assyrische Quellen als historische Persönlichkeit beglaubigt werde (S. 212).
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Herodot. Literatur und historische Quelle?
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eingekehrten Sophistik, verfasst worden ist. Längst ist aufgefallen, dass der LyderLogos die meisten Orakel aufweist, fast alle aus Delphi stammend, ein Orakel aus Telmessos. Im Lyder-Logos überragt der archaische, schicksalhafte Glaube, wie er in dem fatalistischen Satz eingefangen ist: „… denn dem Kandaules sollte es nun einmal schlecht ergehen“ (Hdt. 1,8,2), die rational-aufgeklärte und selbstbestimmte Ethik des 5. Jh. v.Chr. beträchtlich, aber es ist kein Ringen und kein Kampf mit Entscheidungscharakter, sondern beides koexistiert fast spannungsfrei. Der erste Eindruck, der sich nach mehrmaligem Lesen einstellt, ist eine gewisse Düsternis, wie sie einer Unheilsgeschichte eigen ist. Dafür sprechen auch die archaischen oder archaisch anmutenden Begriffe, deren Gebrauch nicht klar erkennen lässt, ob Herodot sie noch als göttliche Mächte versteht oder ob sie schon reine Appellativa sind: Moirai, personifiziert: „Schicksalsgöttinnen“, appellativisch „Schicksal“; Ate, personifiziert „Unheilsgöttin“, appellativisch „Verblendung“, „Schuld“ und „Sünde“; schließlich Nemesis, personifiziert „Göttin der Vergeltung“, appellativisch „gerechter Unwille“, „Zorn“. Diese düsteren Mächte, die Moirai etwa sind Kinder der Nacht, finden sich in dieser Dichte nur hier, im Lyder-Logos. Nicht zuletzt die Weltanschauung (theologumenon) von einer „neidischen (phthoneron) Gottheit“, die Solon im Dialog mit Kroisos anspricht, untermauert die wohl schon früher einmal geäußerte Vermutung von einer ursprünglichen Eigenständigkeit des Lyder-Logos (zur herodoteischen Theologie s. Teil 4). Herodot war kein Sophist, dagegen schätzte er die Tragödie sehr, verkehrte mit Sophokles persönlich, wurde aber nicht zum Tragiker, auch ging es ihm nicht eigentlich um Religion und Theologie, auch nicht um Weisheit (s. Glossar) in erster Linie. Wenn es aber im Alten Testament unter den weisheitlichen Sprüchen des auf Griechisch verfassten Buches Jesus Sirach (um 175 v.Chr.) einmal heißt: „Vor dem Tode preise niemanden glücklich; denn erst an seinem Ende wird der Mensch erkannt“ (11,28), dann meint man Solon im Dialog mit Kroisos zu hören. Diesem legt Herodot fast dieselben Worte in den Mund (Hdt. 1,32). War Herodot tatsächlich ein Weisheitslehrer, dessen Lehren als Sprüche fortlebten? Dass es Herodot um die historische Wahrheit ging und er diese auch zu fassen bekam, muss in jedem Einzelfall erst einmal nachgewiesen werden. Bis vor kurzem hat man nur Herodot selbst gegen Herodot ins Feld führen können, mit geringen Aussichten, aber mit der Folge, dass die Suche nach historischer Glaubwürdigkeit im Lyder-Logos der Resignation zum Opfer gefallen ist.
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Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
Quellen. Lydisch Die genuin lydische Eigenbegrifflichkeit kann natürlich nur aus epichorischen Quellen gewonnen werden.⁶ Leider haben der Burgberg von Sardes, aber auch die lydischen Heiligtümer sowohl in der Stadt als auch im Reich bislang keine wesentlichen Mengen von Schriftdokumenten freigegeben. Zwar sind nur ca. 3 % des Stadtgebietes bisher ausgegraben, aber es schwindet die Hoffnung, größere, vor allem für Staat und Gesellschaft relevante Textfunde noch machen zu können.⁷ Nun sind wir ja nicht ganz ohne lydische Sprachdokumente, wenn sie auch überwiegend aus Grabinschriften bestehen, deren Informationsgehalt naturgemäß begrenzt ist.⁸ Immerhin hat die sprachwissenschaftliche Erschließung in letzter Zeit große Fortschritte gemacht, wodurch auch ein Vertrag in lydischer Sprache identifiziert werden konnte (s. Teil 2). Dennoch wird das Lydische (s. Glossar) selbst dann, wenn das Finderglück uns eine größere Bilingue bescheren sollte, wie es im Jahr 1973 beim Lykischen geschehen ist, doch für immer den Status einer stark fragmentarisch überlieferten Sprache behalten.⁹ Nicht gering zu achten sind allerdings die lydischen Wörter in griechischer Nebenüberlieferung, wie etwa die „lydischen“ Königstitel, kandaules und schließlich tyrannos (s. Die lydischen Inschriften werden nach Gusmani (1964) und den Ergänzungsheften (1980 – 1986) zitiert. Unsere Transkription weicht in folgenden Punkten von Gusmani ab: Wir schreiben p, š, w statt b, s, v. Das Zeichen ś behalten wir bei, um Missverständnisse zu vermeiden. Dass es in Sardes schriftliche Aufzeichnungen auf vergänglichem Material gegeben haben muss, ist klar, aber wir wissen nichts über sie. Einem Manetho, der im 4. Jh. v.Chr. eine Geschichte der Pharaonen, oder einem Berossos, der im 3. Jh. v.Chr. historische Studien über die Geschichte Babyloniens anfertigte, war das nur möglich, weil beiden schriftliche Quellen vorlagen. Ob Xanthos der Lyder ein Archiv in Sardes noch hatte konsultieren können, ist die erste Frage, ob es im 5. Jh. v.Chr. für Griechen schon Usus war, Archive zu benutzen, ist die zweite. Die maßgebliche Bearbeitung ist Gusmani (1964), 17 ff.; (1975). Die ältesten Sprachdenkmäler (Münzaufschriften) stammen vermutlich aus dem 7. Jh. v.Chr., die jüngsten aus der Zeit Artaxerxes III. Ochos (359 – 338 v.Chr.) sowie aus dem 5. u. 12. Jahr Alexanders des Großen. Fundorte sind Sardes, das Hermos- und Kaystros-Tal, aber auch die griechischen Städte Pergamon, Smyrna, Ephesos und Milet und – für uns besonders wichtig – Daskyleion (Bakir/Gusmani [1993]). Dieses könnte beim Versuch, eine vergessene Grenz- und Militärprovinz der Lyder wieder erstehen zu lassen (s. Teil 2 A), noch eine Rolle spielen. Zum Lydischen s. jetzt, wenn auch leider gerade zu dieser Sprache unzulänglich, den Überblick bei Popko (2008), 109 ff. Einen großen Fortschritt durch Sammlung und informative Darstellung neuerer Ergebnisse (auch zur Archäologie) stellt jetzt Payne/Wintjes (2016) dar. Eine einschlägige Besprechung dazu durch Melchert (2017). Die am besten verständliche unter den etwas längeren lydischen Inschriften ist die lydischaramäische Bilingue aus Sardes, eine Grabinschrift (Erstveröffentlichung 1916 durch E. Littmann, jetzt in KAI 1972³, Nr. 260; 305 – 309 [Übers. u. Komm. zu wichtigen religionsgeschichtlichen Fragen, wie z. B. zur Artemis von Ephesos und zu den Flüchen]); zur Inschrift Nr. 22 s. Teil 1 anlässlich des Namens der Mermnaden.
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Quellen. Griechisch
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Glossar), das eine kompliziertere Vorgeschichte aufweist. Sie versprechen über die lydische Verfassung einigen Aufschluss zu geben (s. Teil 3 A „Aufbau des lydischen Reiches“). Auch die Götternamen liefern Informationen. Wenn in späthethitischen (luwischen) Inschriften Götterkombinationen wie „Dunkler Gott (Marwaja‐), Nikaruha und Kubaba“ bzw. „Karhuha-, Kubaba und Santa“, in einer lydischen Inschrift aber „Śãnta-, Kufaw und Dunkler Gott (Mariwda)“ erscheinen, dann wird klar, wie stark die Lyder von der hethitisch-luwischen Tradition geprägt waren (s. Teil 2). Warum ist das Lydische nur in so geringem Umfang auf uns gekommen und warum setzt die lydische Epigraphik erst so spät ein? Die Frage, ob der Schriftgebrauch nach dem Untergang der Arzawa-Länder 1200/1100 v.Chr. in Westanatolien je außer Gebrauch gekommen ist, lässt sich nicht einfach mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Denn als Beschreibstoffe dürften mit Wachs beschichtete Holztafeln (keilschrift-luwisch gulzattar, alle Belege aus heth. Niederschriften des 13. Jh.,¹⁰ vgl. Hom. Il. 6,159, dort pinax genannt) gedient haben, ferner Bleistreifen (gr. molybdos),¹¹ Tierhäute oder Papyri (vgl. Hdt. 5,58). Das alles ist, soweit es in Westanatolien in Gebrauch war, verloren. Auch die altphrygischen Felsinschriften sind kaum vor dem 7. Jh. v.Chr. entstanden, aber einige davon sind immerhin von monumentaler Art, wie z. B. in Midasstadt. Dergleichen gab es nicht in Sardes. Man liebte nicht, oder zur betreffenden Zeit nicht mehr, die Monumentalität von Schrift, wie sie die Phryger vorgeführt hatten.
Quellen. Griechisch Im Moment stellt sich die Quellenlage so dar, als seien die griechischen Lyriker die frühesten Zeugen für griechisches Leben unter lydischer Herrschaft. Sie sind die ersten, die uns mit den Lydernamen bekannt machen. Namentlich zu nennen sind die Jambographen Archilochos von Paros (um 650 v.Chr.) und Hipponax von Ephesos (zwischen 560 und 490 v.Chr.),¹² die Elegiendichter Kallinos aus Ephesos und Mimnermos aus Kolophon/Smyrna (beide um 625 v.Chr.) und die Lieder-
Dazu grundlegend Starke (1990), 457– 464, der einen semantischen Bezug zwischen keilschrift-luwisch gulzattar und hieroglyphen-luwisch SCRIBA+ra/i, das fünfmal in KARKAMIS für das 9. Jh. v.Chr. bezeugt ist, herstellt. Gr. molybdos ‚Blei‘ ist ein Lehnwort aus dem Lydischen und zeigt den für diese Sprache charakteristischen Lautwandel von i̭ (dt. Aussprache: j) zu d, vgl. Melchert (2008). Hipponax sei „aufgewachsen in der griechisch-lydischen Genußkultur des ostionischen Kolonialraums“, so Latacz (1991), 284. Dass wir eine andere Meinung vertreten, muss nicht eigens betont werden. Hipponax bietet indigene, darunter lydische Wörter, dazu Teil 2 „Wer waren die Lyder?“.
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Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
dichterin Sappho sowie ihr Landsmann Alkaios von Mytilene auf Lesbos (beide um 600 v.Chr.). Sie sind also Zeitzeugen, wenngleich sie, vielleicht mit Ausnahme des Alkaios, an der Zeitgeschichte wenig, an der großen Politik gar nicht interessiert waren.¹³ So wundert es nicht, dass kein griechischer Lyriker die beiden großen Heerführer Alyattes und Kroisos namentlich nennt.¹⁴ Diese verhältnismäßig vielen griechischen Zeugnisse sprechen meist in Hochachtung von den Lydern und von einem überwiegend friedlichen Austausch mit ihnen, so ganz besonders die Lieder Sapphos. Das ist alles längst und des Öfteren gesagt, braucht in unserer Arbeit nicht wiederholt zu werden. Natürlich war Westanatolien keine Insel der Seligen. Wo der Kontakt eng ist, bleibt der Konflikt nicht aus. So darf das Gedicht nicht unerwähnt bleiben, das von Kämpfen der Smyrnäer gegen Gyges kündet, nämlich die sog. Smyrneïs des Mimnermos.¹⁵ Smyrna wurde später um 600 v.Chr. von Alyattes sogar zur Wüstung gemacht, seine Bewohner vertrieben, aber das lesen wir höchstens andeutungsweise in den schriftlichen, späten Quellen, es verdankt sich fast allein den Ergebnissen archäologischer Ausgrabungen. Das mag vor einem allzu harmonischen Bild warnen, grundsätzlich ändern wird es sich aber nicht. Im Gegenteil! Nun gelten in der Regel die Nachbarn als natürliche Feinde, die ferner Wohnenden dagegen werden mehr geschätzt als verachtet, und die am Rande der Welt wohnenden schließlich verklärte die griechische Ethnographie gern zu Idealvölkern.¹⁶ Die griechischen Lyriker strafen im Falle Lydiens dieses Gesetz aber Lügen. Noch Pindar (wohl 518 bis nach 446 v.Chr.), der bereits der klassischen Zeit angehört, aber ganz aus dem Geist der Archaik, und d. h. aus einer Bewunderungshaltung für die adlige Kultur heraus, seine epinikia (sc. mele = Siegeslieder/Chorlieder) dichtete, steht unter dem Eindruck lydischer Kultur und Lebensweise, die er für griechische Tyrannen/Könige als vorbildlich preist. Es ist der „Lyder Pelops“, der zum Namengeber der Peloponnes und zum Gründungsheros von Olympia wurde; ihm solle Hieron, der König von Syrakus, nacheifern und ebenfalls einen Sieg mit „vier Pferden“ sich zum Ziele setzen, was dann 468 v.Chr. Wirklichkeit wurde. Der Sieg des Pelops über Oinomaos, den König von Elis, mit dem Viergespann sei der größte Sieg, der je in Olympia er-
Wie schwierig es ist, selbst einem politischen Dichter wie Alkaios etwas Historisches abzuringen, macht die Arbeit von Page (1955), bes. 226 – 234 („Lesbos and Lydia“), deutlich. Die antiken Zeugnisse stimmen dagegen darin überein, dass Sappho eine Zeitgenossin des Alyattes war, so etwa Athen. 13,72,599c, weitere Zeugnisse Treu (1979b),109 f. IEG West (ed. altera) F14 mit F13; 13a. Die Smyrneïs als narratives lyrisches, fast episches Großgedicht sei nicht für das Symposion gedacht, sondern wurde „performed at public festivals“, so Bowie (1986), 27– 35. Riese (1875); Trüdinger (1918), 133 ff.; Timpe (1989).
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Quellen. Griechisch
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rungen wurde (Erste Olympische Ode).¹⁷ Dass Pindar ausgerechnet den Kroisos in puncto arete, hier wohl mit „Frömmigkeit“ zu übersetzen, auch noch als Vorbild dem Hieron vor Augen stellt, dürfte Herodot nicht ins Konzept gepasst haben. Oder vielleicht doch? Ist Kroisos sich immer gleich geblieben? Darauf wird zurückzukommen sein (s. unten und Teil 5). Die moderne Forschung folgt in der Beurteilung der Lyder im Wesentlichen dieser „lyrischen“ Richtung, fällt dann allerdings erstaunlicherweise, sobald sie sich an Herodot herantastet, in die alte Vorstellung zurück, als habe es eine Erbfeindschaft mit den Lydern gegeben, in der es letztendlich immer nur um die Okkupation Ioniens gegangen sei.¹⁸ Die Griechen empfanden die Lyder ja nicht nur als wichtigen Impulsgeber im materiellen Bereich; vielmehr ist es jetzt an der Zeit, auch einmal die Frage zu stellen, ob die Lyder nicht auch die Rolle des geistigen Widerparts gespielt haben könnten. Wichtig ist hier Herodot (1,94,1), der von der Gleichheit der Sitten von Griechen und Lydern spricht. Im Folgenden nennt er das Brettspiel als Exempel für eine Erfindung der Lyder. In diesem Fall kam die Übereinstimmung durch Kulturkontakt zustande. Die Griechen waren zuerst eher die Nehmenden; im 9.–7. Jh. kam es dann zur Aufholjagd und zum Gleichstand. In dieser agonalen Anspannung könnte die entscheidende Ursache für Ioniens Frühreife und Führerschaft vor allen übrigen griechischen Kulturlandschaften gelegen haben. Die Ionier nutzten diese durch Interferenz gewonnenen Fähigkeiten und bewiesen ihre Innovationsstärke und Produktionskraft auf Gebieten wie Dichtung, Philosophie und Wissenschaft, hier zunächst in Geographie und Ethnographie und einmündend in die Geschichtsschreibung. Typologisch vergleichbar ist etwa das Gebiet am mittleren Tiber um 600 v.Chr., als Etrusker, Umbrer und Latiner miteinander konkurrierend kulturelle Fortschritte erzielten, zu denen unter anderem die Erfindung des Gentilnamens, also des Nachnamens, gehört.¹⁹ Freilich gab es dort noch keine Geschichtsschreibung. Durch Besitz solcher Innovationskräfte unterscheidet sich Ionien vom übrigen Griechenland und auch von den griechischen Kolonialgebieten Unteritaliens und Siziliens. Ein Kolonialgebiet war Ionien eigentlich zu keinem Zeitpunkt. Ein überzeugendes und relevantes Thema für die Geschichtsschreibung, das Sizilien und Unteritalien und immerhin Teile Nordafrikas hätte mit einbeziehen können,
Köhnken (1974). Dazu jetzt zusammenfassend, aber auch mit eigenen Erkenntnissen aus dem neu zugewachsenen archäologisch-epigraphischen Material Ehrhardt (2005), 102– 111. Vgl. Rix (1985), 237. Möglicherweise liegt die Tatsache, dass es in Griechenland (und auch im Alten Orient) außer Herrscherhäusern noch keine Adelsgeschlechter im römischen Sinne gab, unter anderem daran, dass der Familienname noch nicht erfunden war.
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Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
sprang deshalb noch lange nicht heraus.²⁰ Themen lieferte allein der Vordere Orient nicht zuletzt wegen seiner langen Geschichte stürzender und aufsteigender Reiche, zu denen auch Lydien gehört. Der Vordere Orient bot hiermit zugleich ein Beobachtungsfeld für die Erprobung der Übertragbarkeit sozial-menschlicher Erfahrungswerte auf die Staatenwelt. Es ist die kyklos („Kreislauf“)-Theorie, nach der die menschlichen Dinge in ständiger Bewegung sind. Herodot legt diese seine Entdeckung mit Absicht Kroisos in den Mund (Hdt. 1,207,2– 3). Im Werk Herodots bilden die Lyder die Propyläen seines universalhistorischen Werkes, dem ersten seiner Art. Die Folge des durchschlagenden Erfolgs war es allerdings, dass andere historiographische Erzeugnisse zu dem gemacht wurden, was sie heute noch für uns sind, nämlich durch Stereotypen langweilig gewordene, nur von einem kleinen Kreis von Interessenten goutierte Lokalgeschichten, Produkte von Autoren, deren campanilismo (D. Timpe) wohl schon von Herodot belächelt wurde. Sie alle hat Herodot entweder zu methodisch nachbetenden Epigonen gemacht, wie einen Antiochos von Syrakus (Ende 5. Jh. v.Chr.), oder als überholte Vorläufer völlig verdrängt oder zu Fragmenten pulverisiert, wie die Lydiaka von Xanthos dem Lyder, einem älteren Zeitgenossen Herodots.²¹ Was vor allem an zeitgenössischen Quellen übrig blieb, also im Wesentlichen die epichorisch-lydischen Zeugnisse sowie die griechisch-lyrischen und die noch nicht erwähnten griechischen Fragmente der Vorsokratiker, das alles zusammengenommen reicht quantitativ, aber auch qualitativ bei weitem nicht aus, einen Gegenpol zu bilden, mit dessen Hilfe Herodot zu kontrollieren wäre.
Timpe (2007b) zeigt auf, dass der Westen bei der Lokalgeschichte blieb, während die vorderorientalischen Reiche für Herodot zum Anlass wurden, Universalgeschichte zu schreiben. Diese sei keine Addition von Lokalgeschichten, sondern ist eine eigene, aus der Lokalgeschichte nicht ableitbare Neuschöpfung. Zu den wenigen Fragmenten der Lydiaka von Xanthos dem Lyder s. Pearson (1939), 109 – 138; Pedley (1972), 2. In der Antike wurde Xanthos durchaus geschätzt. Ein Zeitgenosse Strabons, Nikolaos von Damaskos, dessen Werk leider ebenfalls weitgehend verloren ist, stützte sich in seiner Universalgeschichte unter anderem auf Xanthos als Quelle. Soweit wir es heute noch beurteilen können, berichtete Xanthos viel Mythologisches und phantastische Anekdoten wie z. B. diejenige vom König Kambles, der versehentlich im Schlaf seine eigene Frau verspeiste (FGrHist 765 F18). Andererseits wirkt sein Bericht von der Usurpation des Throns durch Gyges realistischer, wenn auch weniger eindrucksvoll als die entsprechende Novelle Herodots.
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Assurbanipal propagiert sein Bild von Lydien
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Assurbanipal propagiert sein Bild von Lydien Das sähe ganz anders aus, wenn Informanten gewonnen werden könnten, die aus der Welt des Vorderen Orients stammen würden. Ein solcher ist der hochgebildete, aber etwas überspannte assyrische König Assurbanipal (669 – 635/30 v.Chr.). Anders als die Phryger, die in Tyana in wechselhaftem Kontakt zu den Assyrern standen, wohnten die Lyder, so Assurbanipals Standpunkt, jenseits der zivilisierten, von Ninive be- und erleuchteten Welt. Diese Welt geht ins Inselhafte über, jenseits eines vom Ringstrom (bab. marratu) gebildeten Kreises gelegen, der das Zweistromland auch fürsorglich umschließt.²² Das ist assyrische Ideologie, verpackt in glänzende Rhetorik, wie sie in Assyrien eher ungewöhnlich ist, so ungewöhnlich wie dieser König selbst. Man gebärdet sich als die einzig verbliebene Ordnungsmacht der Welt, wird als solche von Gyges inständig angefleht, Lydien vom Druck der Kimmerier durch einen südöstlichen Vorstoß zu entlasten. Assurbanipal macht dann auch irgendwelche unverbindlichen Zusagen in diese Richtung, hatte in Wirklichkeit aber gar kein Interesse daran, mit einem Expeditionsheer nach Anatolien auszurücken, und tut es auch nicht. Das Schicksal Sargons II., der 705 v.Chr. auf einem Feldzug in Tabal fiel und dessen Leichnam den Feinden nicht entrissen und daher nicht in Assur in der Königsgruft beigesetzt werden konnte, war unerhört und hatte traumatisch auf Assyrien eingewirkt. Es dürfte Assurbanipal nicht gerade beflügelt haben, in Anatolien den Polizisten zu spielen und die Kimmerier zu stellen. Der eigentliche Grund war aber Ägypten, das die ungeteilte Aufmerksamkeit des Königs erforderte; erst dann würde an zweiter Stelle Elam an der Reihe sein. Gyges jedenfalls, der hart bis an die Grenze fast hündischer Unterwürfigkeit ging – so wenn er sagt, Assurbanipal sei ihm im Traum²³ erschienen, mit der Aufforderung, bei ihm solle er um Beistand gegen die Kimmerier nachsuchen –, reagierte auf die hohle Zusage aus Ninive prompt und revanchierte sich auf seine Weise. Er schickte dem Fürsten von Sais, Psammetichos I., ionische und karische Hilfstruppen, mit deren Hilfe dieser 664 v.Chr. die So stellt eine babylonische Karte aus dem 7. Jh. v.Chr. (BM 92687) die Welt graphisch in Ton eingeritzt dar, dazu Horowitz (1988). Assurbanipal wird diese Art von Karten gekannt haben. Seine Worte lesen sich jedenfalls wie die Logoi zu einer solchen Karte. Gyges wird von Herodot keines Traumes gewürdigt. Zwar hat Kroisos einmal einen Traum (1,34), aber im Vergleich zu den häufig berichteten Träumen persischer Könige ist das auffällig wenig. Den göttlichen Willen erkunden die Lyder stattdessen durch divinatio artificalis, nämlich durch systematische Orakelanfragen. Zur divinatio artificalis gehören auch die Prophetie und die Inkubation, grundsätzlich aber nicht der Traum. Dieser ereignet sich nach dem Willen der Gottheit bzw. auf natürliche Art (divinatio naturalis). Zum Thema Orakel im Lydischen ist auf die Inschrift 10, Z. 10 bei Gusmani (1964), 254 zu verweisen, wo Schürr (1997), 204 jetzt f-ak-mś-ad amu kow ciward liest und „nun aber verkünde ich es euch als Gotteswort“ übersetzt.
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Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
Assyrer aus Ägypten vertreiben und sich selbst zum Pharao machen konnte.²⁴ Assurbanipal hatte also wenig Interesse an Anatolien gezeigt, und schon gar nicht an Lydien. Dies sei „ein Landstrich jenseits des Meeres“ und nur mit dem Schiff zu erreichen, es sei in seiner durch keinen Austausch behelligten Isoliertheit la šuklulu „unterentwickelt“ geblieben.²⁵ Es lohne sich für Assyrien deshalb eigentlich nicht, eine von Gyges erbetene Allianz gegen die Kimmerier einzugehen. Eine Allianz setzte nicht nur den Friedenszustand voraus, sondern immer auch eine vergleichbare Höhe der Kultur, vor allem der Rechtskultur, sowie ganz allgemein die Befähigung zu gepflegten Formen gedanklichen Austausches.²⁶ Die Lyder sprachen aber kein Assyrisch. Andererseits gebe es in Ninive „niemanden, der seine (des Lyders) Sprache beherrschte.“ Und dies, so fügen wir hinzu, trotz der vielen Hofgelehrten, wie sie etwa von der berühmten Bibliothek in Ninive kamen. Assurbanipal will damit der assyrischen Kanzlei keinen Mangel an globaler Sprachkompetenz bescheinigen, sondern nur zu verstehen geben, dass die lydische Sprache zu unbedeutend sei, als dass sie im diplomatischen Verkehr jemals irgendeine Rolle wird spielen können. Kurzum, Lydien erfüllte nicht die Standards, die Assyrien von wirklichen Vertragspartnern verlangte. Man tut sich vielleicht etwas schwer, dieser Einschätzung zu folgen. Ganz zu Unrecht ist sie allerdings nicht ergangen. Lydien mit dem Usurpator Gyges an der Spitze stand in der Tat damals erst am Anfang seiner staatlichen und kulturellen Entwicklung.
Ideologische Weltbilder und empirische Bilder von der Welt Es ist eine lohnende Aufgabe, die geographischen und ethnographischen Vorstellungen Assurbanipals, wie sie in dem Dokument von 669 v.Chr. zum Ausdruck kommen, mit herodoteischen Konzeptionen, wie er sie für die Geschichtsschreibung ausgearbeitet hat, zu vergleichen. Die Lebendigkeit, mit der Assurbanipal Lydiens Lage, kulturelles Niveau und sprachliche Situation charakterisiert, weist
ARAB II 785 berichtet, dass Psammetichos I. militärische Hilfe von Gyges bekam. Trotz bleibender Unsicherheiten verbinden wir diese Nachricht mit der Erzählung Hdt. 2,151– 154 von den Männern in Erz, Ioniern und Karern, die Ägypten plünderten, mit denen der Pharao Freundschaft schloss. Prisma E (BM 134454) col. A13 (edd. Cogan/Tadmor [1977], 71– 76). Wir folgen hier im Wesentlichen der Interpretation von Fuchs (2010), dessen Aufsatz den bezeichnenden Untertitel „Absurde Kontakte zwischen Anatolien und Ninive“ trägt; er basiert auf einer philologischen Bearbeitung verschiedener Prismen sowie anderer Inschriften nach den strengen Maßstäben von R. Borger. Gyges wird 644 v.Chr. von den Kimmeriern besiegt: Prisma E2 BM 134454 col. A u. BM 134445 col. C u. BM 121018 col. C (edd. Cogan/Tadmor [1977] 71– 76).
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Ideologische Weltbilder und empirische Bilder von der Welt
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schon auf Skizzen voraus, die Herodot für vorpersische Kulturstaaten anfertigen wird. Wir haben es aber hier im gattungsarmen Assyrischen mit Ausnahmen zu tun. Und selbst diese führten nur zu Formen von Historiographie, nicht zur Geschichtsschreibung. Wie im Falle der Commentarii de bello Gallico Caesars stellt man sich dennoch die Frage, was bei diesem dazukommen oder fehlen müsste, damit aus Historiographie Geschichtsschreibung wird. H. Cancik hat versucht, darauf die Antwort zu geben:²⁷ Entscheidend ist und festgehalten zu werden verdient, dass Assyrien nicht zur wissenschaftlichen Geographie gelangte, und dies trotz zahlreicher Itinerarien in den assyrischen Annalen und trotz der Listen assyrischer Provinzen.²⁸ Assurbanipal ist ein regierender Großkönig, der Rechenschaft für sein Tun oder Unterlassen allein vor dem Gott Assur abzulegen hatte. Den Verlauf besonders erfolgreicher, und das heißt in erster Linie, beutereicher Kampagnen pflegten die assyrischen Könige dieser Zeit in sog. „Gottesbriefen“ niederzuschreiben. Herodot dagegen ist Privatmann, der für seine Sicht der Dinge niemandem verantwortlich war, jedenfalls glauben wir das. Das geographische Weltbild Assurbanipals hat mit der Realität, um die sich die ionischen Geographen doch wohl redlich bemühten, wenig zu tun.²⁹ Dass bei Assurbanipal andere Bedeutungsgrößen eine Rolle spielten, macht die sog. „Babylonian Map of the World“³⁰ deutlich. Im Zentrum liegt bedeutungsschwer Babylon, dazu andere Orte an Euphrat und Tigris. Dann löst sich aber auch schon die reale Welt auf, sie wird unanschaulich und völlig unmaßstäblich. Ganz anders zeigte sich die wohl wenig jüngere Weltkarte („die Oikoumene“) des Anaximander von Milet, die nach 600 v.Chr. entstanden sein muss, also in die Zeit des Alyattes und des sardischmilesischen Staatsvertrages fällt. Freilich handelt es sich auch hier noch nicht um eine naturräumlich getreue Darstellung, sondern „wir haben mit einem sehr klar konturierten geometrischen Gebilde zu rechnen“.³¹ Natürlich verfolgten auch Anaximander und seine Auftraggeber bestimmte Interessen, aber das ist doch wohl nicht mit der ideologischen Wucht vergleichbar, die auf der babylonischen
Cancik (1976), 49 f. Gegenstand sind hier die Araberkriege Assurbanipals in Prisma A. Ihre Darstellung ist, nach Cancik, eine literarisch-historiographische Höchstleistung der Assyrer. Aber es reicht nicht für das Prädikat Geschichtsschreibung. Ist der hohe Grad der Perfektionierung aber deshalb auch schon ein Garant für ebenso tiefschürfende Erkenntnisse oder auch nur für größere historische Glaubwürdigkeit? Dem ist nicht so. Ganz im Gegenteil. Die Araberkriege haben mit der Wirklichkeit weniger zu tun, als man bisher annahm. Dass die Assyrer Landschaften in fremden Ländern scharf beobachteten, erwähnt schon von Soden (1992), 151 f. Heilen (2000). CT 22 pl. 48 (BM 92687), dazu Röllig (1980 – 1983). Gehrke (1998), 177.
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Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
„Wissenschaft“ lastete.³² Im Jahr 557 v.Chr. sieht es mit Lydien anders aus. Der babylonische König Neriglissar führte eine Strafaktion gegen Kilikien (bab. Pirindu) von Syrien aus durch. Der Krieg fraß sich immer weiter die kilikische Küste entlang, bis er schließlich in Sallunē (Selinus) auf die lydische Reichsgrenze stieß, welche respektiert wurde.³³ Lydien war zu diesem Zeitpunkt ein bekannter Territorialstaat und lag nicht mehr in undefinierter Ferne.
Was wurde bislang über Lydien gesagt? A. Heuß (1973) hat eine Beschäftigung mit den Lydern, und zwar um ihrer selbst willen, für die nahe Zukunft gefordert. Das ist insofern bemerkenswert, als er sich mit Kulturen jenseits von Griechenland und Rom sonst kaum befasst, ja nachdrücklich das Fach Alte Geschichte als für sogenannte Randkulturen nicht zuständig erklärt hat. „Unsere Antike, das sind Griechenland und Rom“, soll er sinngemäß einmal gesagt haben. Dass die griechisch-römische Geschichte dadurch keineswegs auf partikulare Bedeutung reduziert werden würde, sondern weiterhin allein normativen und universalen Anspruch erheben könne und müsse, daran hielt er zeitlebens fest.³⁴ Das ist sicher eine heroische Haltung, aber wie lange ist sie noch durchzuhalten? Wichtig ist für uns hier nur der Satz, dass Lydien um seiner selbst willen zu erforschen sei und nicht von vornherein als Koeffizient der griechischen Geschichte behandelt werden dürfe. H. Gelzer (1875; 1880) und G. Radet (1893) haben bereits im 19. Jh. die Frage nach dem lydischen Staat gestellt. Eine politische Körperschaft in voller Souveränität und Autonomie war damals ein gehütetes Heiligtum, in dem das Höchste verehrt wurde, was menschliche Kultur zu schaffen imstande wäre – die Rede ist vom Staat. H. Gelzer wollte im lydischen Staat, zumindest in seinen Anfängen unter Gyges, einen „Lehensstaat“ sehen, und H. Kaletsch scheint Gelzer insoweit zu folgen, als er zumindest der lydischen Sozialordnung einen „feudalen Charakter“ beilegt.³⁵ A. Goetze, der bereits 1933 die Annalen Mursilis II. (ca. 1318 – 1290) mit deutscher Übersetzung herausgab, hielt Lydien ebenfalls für einen Feudalstaat, dessen Definition er gleich mitlieferte: „Der Staat ist ein Feudalstaat, in dem der Adel um die Königswürde streitet.“³⁶ Von solchem Streit weiß Nikolaos von Damaskos (aus Xanthos dem Lyder?) ein Lied zu singen. Den „Feudalstaat“
Agathemeros 1,1, vgl. Hdt. 4,36, s. dazu Kirk/Raven/Schofield (1994), 113 f. ABC no. 6 (Sallunē in Z. 24). Näheres findet sich bei Walter (2010). Kaletsch (1999), 538 f. Goetze (1957), 208.
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Was wurde bislang über Lydien gesagt?
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mag man für die Frühgeschichte Lydiens nicht zuletzt in Anbetracht begrifflicher Unschärfe durchgehen lassen. Der Begriff Feudalismus im strengeren Sinne dagegen wurde von der Mediävistik speziell aus hochmittelalterlichen Quellen des 12.–13. Jh. gewonnen, als der Feudalismus in Nord- und Mitteleuropa verbreitet war und seine klassische Form erhielt. Diese hat sich, wie man heute weiß, aus sehr viel einfacheren, kaum als dem Lehenswesen zugehörig erkennbaren Formen der Karolinger-Zeit des 8. Jh. entwickelt. Welche Zustandsform wollen wir nun aber in Lydien antreffen? Zusammen mit dem Begriff der „Vasallität“, die den Personenkreis einer Reichselite betraf, ist der Feudalismus mit dem zentralen Ordnungsbegriff von der „Grundherrschaft“ verwurzelt, mit der die Herrschaft des Adels über (leibeigene) Bauern gemeint ist.³⁷ Die Altorientalistik tat sich immer schwer mit diesen Begriffen, gleiches gilt für die Altanatolistik, so vornehmlich die Hethitologie.W. von Soden hielt nur die Kassiten und das hurritische Reich von Mitanni im 2. Jt. v.Chr. für Feudalherren bzw. für einen Feudalstaat.³⁸ Ganz allgemein sprechen die Forscher des Alten Orients zwar immer von „Vasallen“, meinen damit aber nicht den (fast) gleichrangigen Lehensnehmer, sondern stellen betont einseitig nur den zum Gehorsam verpflichteten Gefolgsmann heraus. Wir halten fast alle diese Begriffe in Anwendung auf Lydien für irreführend (s. Teil 1 „Gyges und seine Amtsbezeichnung tyrannos“). Einen Sonderfall in der Forschungslandschaft stellt G. Radet (1893) dar, der die erste und auch die letzte Monographie zu Lydien geschrieben hat.³⁹ Er versucht das lydische Reich begreifbar zu machen, indem er den monarchisch-autokratisch regierten Zentralstaat der Assyrer als Modell im Hintergrund aufzog. Das ist bemerkenswert und im Ansatz weiterführend, wenn auch am falschen Beispiel exemplifiziert (s. Teil 3, speziell zu Kroisos’ Verstoß gegen die Tradition). Als Radet schrieb, standen die Stromlandkulturen von Euphrat und Tigris im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Kein Mensch hatte auch nur eine Ahnung, geschweige denn eine konkrete Vorstellung, von einem altanatolischen, hethitischen Kleinasien. Die Gelehrten suchten noch bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg die „Hethiter“, deren Name nur im AT die Zeiten überdauert hatte (hittim, 1 Kön 10,29), in Nordsyrien, so etwa in Stadt und Land von Karkamis am Euphrat. Mit den eigentlichen Ausgrabungen von Karkamis seit 1914 ist der Name von D.G. Hogarth, einem Gelehrten und britischem Offizier, verbunden. Populärer
Hilsch (2012), 51 ff.; Patzold (2012). von Soden (1992), 76. Damit sind Bücher von Historikern gemeint, die den Charakter der lydischen Herrschaft untersuchen, nicht solche wie dasjenige von Payne/Wintjes (2016), das absichtsvoll den Untertitel „An introduction to the Lydians“ trägt, dem es auch vollkommen gerecht wird. Verdienstvoll ist auch sein Überblick über neuere Ergebnisse der Archäologie (S. 47– 59).
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Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
sollte der Name seines Assistenten T.E. Lawrence (von Arabien) werden, in dessen Buch „Die sieben Säulen der Weisheit“ (Titel nach Spr 9,1 aus dem Buch „Die Sprüche Salomos“)⁴⁰ auch von seiner Tätigkeit in Karkamis berichtet wird. Ein Gerücht will wissen, dass er auf dem Ruinenhügel die Ilias übersetzt haben soll. Die Legende hat ihn längst eingeholt. Hogarth (1925) nun betrachtete Lydien aus östlicher Richtung und gab sehr treffende Bemerkungen ab, die in ihrer Originalität ihrer Zeit weit voraus waren. So seine Beobachtung, dass das politische und kulturelle Gravitationszentrum von Hattusa über Gordion weiter Richtung Westen nach Sardes gewandert sei; Lydien sei „fundamentally native“;⁴¹ den Besuch Solons bei Kroisos in Sardes hält er für historisch. Er vergleicht die Feldzüge der Lyder mit den Razzien der Assyrer. Dass er mit „Razzia“ einen unzutreffenden Begriff einführt, ist entschuldbar, wenn man bedenkt, dass Hogarth, inzwischen zum Chef des „Arabischen Büros“ in Kairo avanciert, die Taktik des hit and run der Beduinen kannte. Er hatte das falsche Modell gewählt, in der Meinung, so für die Kampagnen der Assyrer drastischere Anschaulichkeit erzeugen zu können. Übrigens gab es dieses Beduinentum in assyrischer und lydischer Zeit noch gar nicht. Die „Beduinisierung Arabiens“ (Caskel [1953]) setzt nicht vor 500 v.Chr. ein. Originell ist dann aber wieder Hogarths Behauptung, dass die Lyder mitverantwortlich seien für das Aufkommen der Tyrannis in Griechenland. K. Bittel (1950) war es dann, der wie kein anderer über viele Jahre hinweg in Anatolien lebte und arbeitete und überhaupt erst einmal die eigenwillige Landesnatur bewusst in den Blick nahm, um daraus historische Schlüsse zu ziehen, so etwa, dass es in Anatolien naturgemäß keinen monolithischen Territorialstaat geben könne. So sei auch das Großreich der Hethiter nicht aus einem Guss, sondern von vielgliedriger, föderativer Art gewesen. In der Tat, und hierin liegt der tiefere Grund, warum das hethitische Großreich und seine Verfassung so schwer zu verstehen sind, wo doch nicht einmal die Reichsgrenzen eindeutig zu ziehen und die innenpolitischen Handlungen nicht oder nur schwer von den außenpolitischen zu scheiden sind, wie nicht anders das Zivilrecht vom Völkerrecht. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass uns die Hethiter wie kaum eine andere antike
Mit „Weisheit“ ist eine Person gemeint, nämlich „Frau Weisheit“, die ihr Haus auf sieben Säulen errichtet hat. Weisheitsliteratur band die vorderorientalische Welt, Israel ist nicht ausgenommen, zu einem einzigen Kulturraum zusammen, dazu in Teil 5. Diese Welt findet sich im Werk des Lawrence von Arabien wieder, gesehen mit den Augen eines nur auf sich bezogenen Menschen aus einer Zeit, die ihrerseits bereits unwiderruflich vergangen ist, wodurch das Buch zu einer wichtigen Quelle wird. Im deuterokanonischen (nicht hebräisch verfassten) Buch der Weisheit wird ein Enkomion auf „Frau Weisheit“ vorgebracht (Weish 6,22– 11,3), welches inspirierend auf Lawrence gewirkt haben muss. Hogarth (1925), 506.
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Kultur Hinweise für den Reichsaufbau in eigener Begrifflichkeit an die Hand geben. Die Frage, die anzugehen ist, muss lauten: Lebt etwas vom hethitischen Reichsaufbau bei den Lydern fort (s. Teil 2 A)? Einflussreich und wichtig ist der Archäologe J. Boardman, der wie nur wenige die Städte, Stämme und Staaten rund um das Mittelmeer in der ersten Hälfte des 1. Jt. v.Chr. kennt und ihre Geschichte und Kultur vor allem aus archäologischen Quellen heraus erarbeitet und dargestellt hat. Bescheiden, fast etwas dürftig ist, was ihm zu Lydien einfiel: Ein „Barbarenreich, so hellenisiert und aufgeklärt der Hof des Kroisos auch sein mochte“.⁴² Aber was ist ein „Barbarenreich“ und was heißt „aufgeklärt“? Unsere Frage lautet: Wo sind die „hellenisierten“ Lyder wirklich zu greifen? Ob unsere Skepsis berechtigt ist oder nicht, kann nur eine genaue Analyse des Solon-Kroisos-Dialogs ergeben. Für V. La Bua, der die italienische Forschung repräsentiert, deren Tradition sich in M. Lombardo fortsetzt,⁴³ ist Lydien von einem „stato lidio“ zu einem „stato ellenico“ geworden, und zwar „per decreto delfico“.⁴⁴ Selbst wenn das richtig wäre, bleibt doch die Frage, was unter einem „stato lidio“ zu verstehen ist. Der Leiter der Ausgrabungen von Sardes und historisch denkende Kopf der Ausgrabungs-Equipe, G.M.A. Hanfman, bekennt, dass es schwer sei, Lydien zu definieren, viel schwerer jedenfalls als Phrygien, welches eine Imitation der späthethitischen Staaten sei. Er ringt sich dann doch eine Definition ab: Alles in allem hat es den Anschein, als sei Lydien eine „mixo-barbarous“ Region an der Peripherie „of Hellenic culture“.⁴⁵ Ein Jahr später erschien J.M. Balcers „Sparda by the Bitter Sea“, der zu bedenken gibt, dass Lydien auf dem Boden der bronzezeitlichen Kultur des Reiches von Arzawa gegründet sei. Die Mermnaden hätten eine Bewegung der „revitalization“ eingeleitet, so habe Gyges Lydien „from tribal to civic life“⁴⁶ umgestaltet. Lydien sei von zwei Seiten bedrängt worden, von Ionien und von Phrygien. Alyattes und Kroisos seien als die eigentlichen Innovatoren von Staat und Gesellschaft anzusehen. Bemerkenswert ist Balcers Interesse an den landwirtschaftlichen Produktionsstätten in Lydien, von denen z. B. auch Milet versorgt wurde. Ist es nicht viel eher ein Geben und Nehmen anzunehmen, und zwar dergestalt, dass Waren auch in Richtung Milet – Sardes gingen? Wir werden diese Frage ausführlich erörtern,
Boardman [1981], 112. Talamo (1979); Lombardo (1990). La Bua (1977), 28. Hanfman (1983), bes. 98 f. Von der mesopotamischen Kultur habe Lydien nur weniges „but extremely important“ entlehnt. An immateriellen Dingen also wenig, dafür weiß Hanfman für das reale Leben vieles aufzuzählen, etwa: staatlich garantierte Währung, babylonisches Maß- und Gewichtssystem sowie babylonische Palastorganisation. Balcer (1984), 26; 41.
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Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
wenn wir die Schwarzmeerkolonisation in den Blick nehmen (s. Teil 2 B). Mit Balcer verbindet uns der Blick von Sardes aus, der bei ihm allerdings fast ausschließlich auf die Griechen fixiert ist. Wirklich zu kritisieren ist aber sein sorgloser, unkritischer, ja naiver Umgang mit den Quellen. Kurzum, das Lydien-Kapitel ist nicht aus den Quellen gearbeitet und von daher methodisch eigentlich inakzeptabel, weil unkontrollierbar; es bietet aber trotzdem einige brauchbare Anregungen und immer interessante Ideen. Seit Balcer, d. h. seit 30 Jahren, scheint die historische Forschung zu Lydien zum Stillstand gekommen zu sein. Die Fragen, die noch unbeantwortet sind, und es dürften deren nicht wenige sein, scheint man offensichtlich für unbeantwortbar zu halten. Das Ergebnis bisheriger Forschung ist jedenfalls nicht zufriedenstellend. Denn so richtig weiß bis heute kein Historiker die Frage zu beantworten, wer die Lyder eigentlich waren (s. dazu Teil 2). Die ausgewählte Literatur zum Forschungsstand, wie er hier gegeben wurde, versteht sich als repräsentativ. Eine kaum variierte, fast immer gleichbleibende Sichtweise und Fragestellung kennzeichnet ihn. Abweichende Meinungen zu den Lydern gibt es bei Hogarth und in eingeschränktem Sinne bei Balcer, aber sonst kaum. Das liegt zum Teil daran, dass man Lydien weiterhin und vornehmlich von Griechenland aus in den Blick nimmt. Lydien wird zunächst mit vorgeprägten, griechischen Kategorien aus Ethnographie und Historiographie beschrieben, was ja legitim ist, aber dann entfernt man sich vom sprachlich-begrifflichen Befund, gerät unversehens hinüber in die Sachebene und erliegt dabei leicht der Versuchung, aus Lydien einen hellenisierten Staat, ja, was speziell dessen Kultur angeht, sogar einen hellenischen Staat zu machen. Man beruft sich kurzerhand auf die bekannte Aussage Herodots, Griechen und Lyder hätten die gleichen Bräuche (nomoi), ohne in Erwägung zu ziehen, dass dieser Sachverhalt erst für Herodots eigene Zeit, d. h. für ca. 450 v.Chr., zutreffend sein könnte. Denn derselbe Herodot gibt zu erkennen, dass die Weltsicht von Griechen und Lydern verschieden ist, so wenn er Solon zu Kroisos sagen lässt: „Er (Tellos von Athen) war, nach unseren heimischen Begriffen (hos ta par′ ‘emin), glücklich vorangekommen und das glänzendste Lebensende wurde ihm zuteil“, er fand nämlich im Kampf um seine Heimat „den schönsten Tod“ (apethane kallista). Man wird lange suchen müssen, um in der Literatur des Vorderen Orients etwas Vergleichbares zum „schönen Tod“ zu finden. Beispiele für Helden-/Großtaten sind damit nicht gemeint, die gibt es auch in anderen Kulturen, und so auch im Alten Orient. Eine Heldentat, von Herodot agathoergie genannt, wie sie von Zopyros berichtet wird, der sich im Einsatz für König und Reich sogar selbst verstümmelte (Hdt. 3,154– 160) und der dafür von Dareios aufs höchste geehrt wurde (3,160,1), ist nicht griechisch, und sie erscheint uns auch im Alten Orient kaum denkbar zu sein. Das wird uns noch beschäftigen, wenn es um die Frage geht, wie der Alte Orient zu bestimmen ist und warum Iran, also Medien und Persien, nicht dazugehören, aus anderen Gründen
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Was wurde bislang über Lydien gesagt?
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aber auch Griechenland nicht dazuzählt. In Teil 4 werden wir versuchen, den tieferen Grund offenzulegen, warum Kroisos und der Athener Solon in ihrem Gespräch in Sardes an die Grenzen der Verständigung gerieten und ihre Verständigungsbereitschaft in Verstocktheit umschlug, so dass der Besuch schließlich in einem Eklat endete. Unser Fazit zum Forschungsstand im Bereich der Historie lautet daher: Er ist großenteils festgefahren und auf dem eingeschlagenen Weg auch nicht weiter voranzubringen; die Frage nach der historischen Glaubwürdigkeit griechischer Quellen wird kaum noch gestellt, nicht selten werden Geschichten apodiktisch als historisch irrelevant entwertet. So wird Kroisos’ Bündnis mit Sparta⁴⁷ kurzerhand als unglaubwürdig vom Tisch gefegt.⁴⁸ Daher erschien es zweckmäßig, das bibliographische Verzeichnis von Arbeiten zu entlasten, die unserer Meinung nach für das Thema keine Fortschritte darstellen. Es versteht sich von selbst, dass ältere Literatur nicht automatisch als veraltet und neueste nicht von vorneherein als wegweisend gelten kann. So haben etwa die meisten Kongress- und Tagungsbände sowie Ausstellungskataloge für Lydien nicht viel erbracht. Archäologische Literatur hat zwar für Sardes Bedeutung, Rückschlüsse auf die wirkliche Essenz von Staat und Reich erlaubt sie aber nicht. Hier sind vielmehr die schriftlichen Quellen und ihre Auswertung maßgeblich. Der neuere Kommentar von D. Asheri (1988; 2007) und anderen zu Herodot ist unseres Erachtens trotz mancher Verdienste im Einzelnen für den historischen Hintergrund des Lyder-Logos nicht sehr hilfreich, denn es geht ihm in traditioneller Weise um den Dichter und sein Werk, was man gerade auch anlässlich des Dialogs von Solon mit Kroisos bemerkt (Hdt. 1,32). Herodot ist aber Historiker und als solcher, oder zumindest auch als solcher, kritisch zu befragen.
Auch Payne/Wintjes (2016) gehen in ihrem Abriss der lydischen Geschichte (S. 24– 46) auf das Bündnis mit Sparta nicht ein. So bleibt bei vordergründiger Betrachtung kaum etwas von den Lydern, das für die Geschichte des frühen Griechenlands erwähnenswert wäre. Kein Wunder ist es daher, dass in einem nur neu überarbeiteten Werk von E. Stein-Hölkeskamp zum archaischen Griechenland (2015) die Lyder nur en passant erwähnt werden. Überhaupt spielt in diesem übersichtlich geschriebenen Buch der Kontakt mit dem Orient außer beim Alphabet leider keine Rolle, so als hätten Forschungen wie die vor allem von W. Burkert und M.L. West nie stattgefunden. Diese implizite Annahme der Entstehung des griechischen Geistes auf parthenogenetischem Wege, ohne Einflüsse von außen, ist nach wie vor verbreitet. Ob sie aber auch wahrscheinlich ist, ist eine andere Frage. Herodot jedenfalls gestand den Einfluss Phönikiens und Ägyptens durchaus zu. Er konnte damals noch vieles erkennen, was wir Heutigen nicht mehr herausgefunden hätten, so wie umgekehrt wir mit den heutigen Möglichkeiten vieles aus Anatolien, Syrien und Iran Stammende identifizieren können, das die griechische Kultur bereichert hat. Man muss nur bereit sein, diese Möglichkeit überhaupt zuzulassen.
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Asheri dagegen folgt Herodot, geht noch über ihn hinaus und bringt so beispielsweise die denkwürdige Geschichte von den jährlichen Einfällen des Alyattes ins milesische Gebiet (Hdt. 1,17– 19), wie wir glauben, um ihren eigentlichen Sinn. Der Schlusssatz lautet: „Ad Aliatte mancava la flotta, come a Creso“.⁴⁹ Sollte Alyattes wirklich zwölf vergebliche Einfälle gemacht haben, nur um festzustellen, dass Milet ohne Flotte nicht einzunehmen war? Die Geschichte lief vermutlich ganz anders, und ihre Beteiligten hatten andere Ziele. Das ist wichtig für das Verständnis des Aufstiegs Lydiens zur Großmacht (s. Teil 3 A Aufbau des lydischen Reiches).
Herodot. Ergänzungshypothese und Redaktionsgeschichte Herodots Werk hat sicher das Seine dazu beigetragen, dass man heute für die Rekonstruktion des lydischen Reiches und seiner Geschichte fast ausschließlich auf seine Historien angewiesen ist. Man darf vermuten, dass sie Literatur, aus älteren und jüngeren Zeiten stammend, verdrängt haben. Weniges wird es gewesen sein, noch weniger was sich (zufällig) erhielt, und das Wenige konnte weder literarisch noch vom historischen Ansatz her mit Herodot konkurrieren. Die Lydiaka Xanthos’ des Lyders hat Herodot geradezu pulverisiert und nur in wenigen kümmerlichen Fragmenten überleben lassen, als Referenzwerk fallen sie daher weitgehend aus. An die Gefahr, dass Herodot mit dem Lyder-Logos nur Fiktionales bieten wollte, wird man zwar nicht glauben. Mit großen Mängeln, gravierenden Missverständnissen und auch Umgestaltungen zugunsten der Verdeutlichung des eigenen Weltbildes wird man bei Herodot aber dennoch rechnen müssen.Wie sich Defizite beim Historischen in seinem Werk erkennen lassen, ist eine Frage des methodischen Vorgehens. Methoden-Kapitel hat man „Trockenübungen“ genannt. Die praktische Arbeit an den Quellen muss entscheiden, wie gut oder wie schlecht, ob hinreichend oder unzureichend eine Hypothese in ihrem Erklärungswert ist. Für diese Arbeit erschien es dennoch sinnvoll, die Methode anzuzeigen. Denn sie muss erklären, warum diese Arbeit über das kleine Lydien, von dem W. von Soden einmal im Seminar in Münster um das Jahr 1970 abschätzig als von einer Kultur von Geldmenschen sprach, so umfangreich ausgefallen ist. Sie muss auch klar machen, warum angebliche „Abschweifungen“ vom Thema keine unnützen Abschweifungen und sogenannte „haltlose Spekulationen“ nicht unbedingt haltlos sind. Vorgebracht werden Hypothesen, die nur durch bessere zu ersetzen sind, nicht durch bloße Skepsis.
Asheri (1988), 274 = Asheri/Lloyd/Corcella (2007), 89.
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Herodot. Ergänzungshypothese und Redaktionsgeschichte
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J.G. Droysen ist in seinen Vorlesungen zur Historik, zuerst im Jahre 1857,⁵⁰ auch auf das Problem der Heuristik eingegangen. Dort schreibt er im „Grundriss der Historik“, letztmals 1882 überarbeitet: „Die Kunst der Heuristik ist, das historische Material zu erweitern und zu ergänzen, und zwar: a) … b) … c) durch Analogie, welche unter ähnlichen Bedingungen ähnlichen Verlauf zur Aufklärung verwendet; …“.⁵¹ Ein Historiker müsse auch seine Phantasie einsetzen, nur müsse er kenntlich machen, wo das „Spiel der Phantasie“ in seiner Darstellung beginnt und wo es endet, abgegrenzt jeweils durch das „Pragmatische“.⁵² Was er mit „zu ergänzen“ meint, ist hier als Hinzufügungen zu denken, mit deren Hilfe die Stimmigkeit des von Herodot Berichteten nachprüfbar gemacht werden soll. Die sog. „Ergänzungshypothese“ gehört zu einem alttestamentlichen Forschungsgebiet, dessen Vertreter sich seit dem 18. Jh. mit der Entstehung der fünf Bücher Mose, heute meistens Pentateuch oder auch die Tora genannt, beschäftigen. Die Ergänzungshypothese erfreut sich heute wieder größter Beliebtheit, u. a. bei K. Schmid. Die zahllosen, längst nicht mehr überschaubaren Hypothesen wurden von E. Zenger auf drei Basismodelle reduziert.⁵³ Er zählt auf: das moderne „Erzählkranzmodell“ und die altehrwürdige, aber jetzt mit starken Einwänden kämpfende „Urkundenhypothese“ (= auch Wellhausen-Modell genannt). An erster Stelle nennt Zenger die schon ältere, jetzt aber revitalisierte „Ergänzungshypothese“, auch „Fortschreibungsmodell“, meistens jedoch „Grundschrifthypothese“ genannt.⁵⁴ „Grundschrift“, in letzter Zeit häufiger auch als „Quellenschrift“ in die Diskussion eingebracht, meint den Zustand, wie er vor dem Zugriff der Redaktoren anzunehmen ist. Die Redaktionsgeschichte ist heute die größte „Baustelle“ und wird das eigentlich theologische Feld alttestamentlicher Exegese bleiben. Wenn man nun das Werk Herodots künstlich und nur vorübergehend in den Zustand einer solchen Grundschrift versetzen würde, dann ließe sich analog zur Tora eine Redaktionsgeschichte denken, die zu unerwarteten Ergebnissen zu führen verspricht, wenn man den Mut hat, mit dem Methodensatz „von des Autors
Droysen (1977), 317– 385. Droysen (1882), 16. Droysen (1882), 89. Zenger/Frevel (2016b), 87– 135. An zweiter Stelle steht die Ältere und Neuere Urkundenhypothese. Diese setzt mehrere selbständige Quellenschriften voraus, die in einem redaktionsgeschichtlichen Prozess in- und miteinander zusammengeflochten wurden und so den Pentateuch ergaben. Von diesen Quellenschriften ist der Jahwist (J) inzwischen heftig umstritten, dem Elohisten (E) hat man seit längerem die Existenz abgesprochen. Die letzte der drei großen Quellenschriften, die Priesterschrift (P), wird, so hat es den Anschein, allein das Feld behaupten. An sie angegliedert sind thematisch geschlossene Erzählkomplexe, die eine historische Abfolge vor allem von Gen zu Ex vortäuschen.
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Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
letzter Hand“ „kreativ“ umzugehen. Schon der Gedanke, dass Herodots Werk einen Sinnüberschuss bereithält, der vom Autor Herodot nicht ausgesagt wurde, dem aber bei jeder Interpretation nachgespürt wird, ist Anlass, nach einem neuen Weg zu suchen. Er wird sich gar nicht als so neu erweisen. Denn wie die jüdische Schriftgelehrten (um 400 v.Chr.) in die Grundschrift eingegriffen und dem Pentateuch die heute vorliegende kanonische Form gegeben haben, in dem sie erklärende Ergänzungen und Aktualisierungen – bis hin zur Änderung der Sinnrichtung – einbrachten, so ist jetzt, freilich ohne höhere Legitimation und nur funktionstheoretisch, mit dem zur Grundschrift erklärten herodoteischen Text zu verfahren. Herodot ergänzen, heißt nicht nur ersetzen, was fehlt, meint auch erklären, Missverständnisse aufdecken, meint aber auch kontrollieren und korrigieren mit der Folge, dass vielleicht manche Erzählungen Herodots in einem neuen Licht erscheinen können. Dieser Operationsplan ist keine Anmaßung, sondern trägt der Tatsache Rechnung, dass der antike Vordere Orient uns heute besser bekannt ist, als er dem Herodot bekannt sein konnte.
Länder des Alten Orients. Was eint sie? Die schriftgelehrten Redaktoren des Pentateuch sind inspiriert und haben ein Mandat, die Grundschrift zu aktualisieren. Sie haben die Dignität der Grundschrift anzuerkennen, was in einem Gebot des Deuteronomiums zum Ausdruck kommt: „Ihr sollt nichts hinzufügen … und sollt auch nichts davon wegnehmen, …“ (Dtn 4,2, vgl. 13,1, die sog. „Kanonformel“). Wie sich das mit J.G. Droysen vereinbaren lässt, ist auch zum Teil unser Problem, das sich sicherlich auf praktischem Weg weiter entschärfen lässt. Wir stehen jetzt vor der Frage, woher denn der Stoff genommen werden soll, aus dem passende Ergänzungen zur herodoteischen „Grundschrift“ gebildet werden können. Der operative Kern unserer Methode ist der typologische Vergleich. Er gehört zur alltäglichen Argumentationsfigur, ist hier aber strenger anzuwenden. Der Raum, der mit Vorderer Orient umschrieben wird, ist seit dem 2. Jt. v.Chr. der gleiche geblieben. Traditionen, Erfahrungen aus den Umbruchszeiten (nach 1200/ 1100) sowie Gefährdungen in der Gegenwart haben Menschen zusammengeführt und, was noch wichtiger ist, auf den Gebieten der materiellen und geistigen Kultur zu Vergleichbarkeit und Austauschbarkeit untereinander geführt.Wichtig ist nun, dass Kleinasien zum Vorderen Orient gehört, und zwar spätestens seit dem Zeitpunkt, als die Assyrer vor den Toren des hethitischen Nesa Karum Kaneš (Kültepe)
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Länder des Alten Orients. Was eint sie?
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gründeten (ca. 1900 v.Chr.).⁵⁵ Für die 1200 km von Assur nach Kaneš benötigte eine der ständig verkehrenden Eselskarawanen fünf Wochen, Silber und Zinn (AN.NA) wurden verhandelt.⁵⁶ Bis Purushanda (Konya?) im Westen reichten die Handelstätigkeiten Assurs. Zum Vorderen Orient gehören außer Anatolien auch Syrien, Südarabien, Elam und die Stromlandkulturen Mesopotamiens. Streng genommen zählt Ägypten nicht dazu, aber eine aktive Eroberungspolitik der Pharaonen in Palästina und Syrien seit dem Neuen Reich im 15. Jh. v.Chr. und schließlich zuletzt Necho II. (610 – 595 v.Chr.) aus der XXVI. Dynastie, der Saitischen, raten an, das Land am Nil dem Vorderen Orient beitreten zu lassen.⁵⁷ Nun wäre es töricht, sagt L.Woolley, wollte man die landschaftlich und klimatisch stark differierenden Landschaften in ihrer extremen Sonderheit verleugnen. Der Historiker des Alten Orients müsse vielmehr die Verschiedenartigkeit der Länder hinsichtlich ihrer Sprachen und anfangs auch ihrer Kultur nachdrücklich hervorheben, denn sie sei so ausgeprägt gewesen, dass seit dem Beginn der „Uruk-Zeit“ (ab 4000 – 2350 v.Chr.)⁵⁸ die Länder in immer höherem Maße aufeinander angewiesen gewesen seien. Ein starkes Moment der Vereinheitlichung stellte dann der seit dem 2. Jt. v.Chr. fast alle Länder erfassende Gebrauch von Keilschrift und Tontafel dar. Im 1. Jt. v.Chr. entwickelten dann die dem Mittelmeer zugewandten Staaten ihre Alphabetschrift. Alle Bewohner des Alten Orients waren gezwungen, wirtschaftlich und politisch zusammenzuarbeiten und Entlehnungen technischer Errungenschaften gezielt vorzunehmen, ansonsten wäre Fortschritt und ein einigermaßen vergleichbarer Lebensstandard faktisch nicht möglich gewesen.⁵⁹ Nur der Vordere Orient in seiner Gesamtheit bot alles, was der Mensch zur Verwirklichung von Zivilisation gebraucht habe; durch Handel und Kriege (beide s. Glossar) hätte sich das Aut-
Özgüc (2002). Nashef (1987). Helck (1971). Begriff: Nissen (1999), 38 f., der von einem Interaktionsraum von dauerhafter und stabiler Kontinuität spricht. Wir wissen um die Probleme, ob außer dem Austausch (technischen) Wissens auch ein Kulturaustausch oder sogar die Übernahme fremder Kulturen denkbar ist. Wir stellen der vor allem von C. Meier und K. Raaflaub vorgebrachten These, wonach nur Wissen ausgetauscht wurde, entgegen, dass im Vorderen Orient eine tiefgreifende Kulturübernahme sehr wohl möglich war, bestes Beispiel ist Sumer und Akkad im 3. Jt. v.Chr. Von organischer Ganzheit bei äußerer Vielfalt sprach Moortgat (1982), 19. Die organische Ganzheit resultiere aus gemeinsamen Gottes- und Königsvorstellungen, so Moortgat. Auch Babylonien und Assyrien bilden im 2. u. 1. Jt. v.Chr. diese Ganzheit. Ob auch Lyder und Ionier hierher zu stellen sind, bedarf weiterer Überlegungen und Klärungen.
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Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
arkie-Problem der Einzellandschaften lösen lassen, soweit Woolley.⁶⁰ Seinen vorläufigen Abschluss fand der Prozess hin zu einer koine im 7.–6./5. Jh. v.Chr. und reichte damit bis an die Zeit des Ionischen Aufstandes (500 – 494 v.Chr.) heran.⁶¹ Was Woolley nicht in Betracht zog, ist ein Blick auf die Außenwelt des Vorderen Orients, die für uns im Mittelpunkt steht. Drei der wichtigsten Errungenschaften der Menschheit stammen aus dem Vorderen Orient und machen ihn zum einheitlichen Kulturraum: die Schrift, die Großarchitektur⁶² und schließlich das Siegel. Das ist eine Faustformel, die auf den australischen Archäologie-Theoretiker V.G. Childe zurückgeht.⁶³ Dieser hat dazu einen Zehn-Punkte-Katalog aufgestellt, dessen Verwirklichung für die Rangerhöhung einer Siedlung zur Stadt notwendig war. Lydien erfüllte alle drei genannten Bedingungen des Satzes und niemand wird daran zweifeln, dass alle Kriterien von Sardes erfüllt wurden. Die Praxis des Siegelns erfährt in der Metallprägung der Lyder, „Münzprägung“ genannt, wohl den erfolgreichsten und folgenreichsten Anwendungsfall (s. Teil 5 C „Schatzhaus“). Auf dem Gebiet der Religion und des Kultes lässt sich ebenfalls der Einheitscharakter des Vorderen Orients nachweisen: Götter werden sozusagen kompatibel; dank des interpretatio-Modells, Vorbild ist Tacitus’ interpretatio Romana (Germ. 43), spricht man heute von interpretatio Hethitica, Aegyptiaca oder Assyriaca, besonders was deren Zuständigkeitsbereich und Funktion angeht.⁶⁴ Ein schönes Beispiel, wie eine Gottheit durch mehrere Sprachen und Kulturen wandert, wobei sich nur ihr Name zu verändern scheint, ist die sumerische Ninlil, Gemahlin Enlils, des Oberhaupts des sumerischen Pantheons. Aus Ninlil wird akk. Mullitu(m), ass. Mulissu, bei
Woolley (1961), 7 f. Woolley gehörte zum Ausgrabungsteam von Karkamis. Bekannt geworden ist er vor allem als Ausgräber von al-Mina, einer Siedlung, die von einst großer, heute von fast vergessener Bedeutung für die Homerphilologie war/ist. Israel ist darin mit eingeschlossen. Dazu der sehr gut die archäologischen Befunde einbindende historische Abriss der Religionsgeschichte Israels von Berlejung (2016), 149 – 159. Sie spricht „von einer ausgeprägten Internationalisierung und Mischkultur“ (153). Zumindest „Mischkultur“ ist nach unserer Meinung kein glücklich gewählter Begriff. An Großbauten nennt Herodot das Grabmal des Alyattes (1,93). Am Artemision tritt Kroisos nicht nur als Stifter von Weihgeschenken auf, sondern er finanziert auch die meisten Säulen (Hdt. 1,92). Man nimmt heute sogar an, dass Kroisos lydische Handwerker/Künstler zum Bau geschickt habe, dazu mit Lit. Ehrhardt (2005), 109. Lyder und Ionier bauen später auch mit an dem Palast des Dareios I. in Susa DSf §7, sog. Burgbauinschrift; Ü: H. Koch, in: TUAT N.F. 6 (2011), 285 ff. Childe (1951), 114– 142. Bereits zur Zeit der altbabylonischen Dynastie (1830 – 1531 v.Chr.) gab es eine sog. „Gleichsetzungstheologie“. Eine zweispaltige, sumerisch-akkadische Götterliste wurde angelegt, die als Tafelserie AN=Anu (genannt nach dem Namen des obersten Gottes, der als erster in der Liste erscheint) wiederhergestellt werden konnte, vgl. von Soden (1992), 143 f.; 172 f.
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Länder des Alten Orients. Was eint sie?
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Herodot (1,131,2– 3) ist sie zu Mylitta umgeformt und wird dann mit Aphrodite geglichen. Weiterhin Einheit stiftend sind die Heiligtümer, konstitutiv sind das temenos und der Altar, auf dem seit dem 1. Jt. v.Chr. das für diese Zeit charakteristische Brandopfer dargebracht wurde; dieses, aus dem kanaanäischen Raum stammend, kennen wir – zusammen mit den gleich wichtigen Ritualen – am besten aus Jerusalem. Für Westanatolien ist das Brandopfer zuerst durch Homer bezeugt (z. B. Il. 1,430 – 476). Im Bereich des Altars stand das anthropomorph, seltener anikonisch gestaltete Kultbild. Dieses konnte mit Baal in den phönikischen oder mit Hadad in den aramäischen Staaten oder mit Kemosch in Moab oder auch mit Jahweh vom Berg Zion in Jerusalem (Ps 99,2)⁶⁵ angerufen werden, sie alle waren Berg- und Wettergötter, zu denen auch Zeus auf dem Ida gehört.⁶⁶ Für das lydischionische Kulturgebiet ist das Artemision von Ephesos ein kräftiges Indiz für das Zusammenleben verschiedener Nationen. Vor dem Altar stand das bis heute in seiner ikonographischen Bedeutung umrätselte Kultbild der Artemis von Ephesos.⁶⁷ Schließlich ist die wissenschaftlich betriebene Vorzeichenkunde (lat. divinatio) in ihren Grundbestandteilen überall im Vorderen Orient identisch, auch für Lydien ist sie bezeugt.⁶⁸ Der Vordere Orient ist sodann als ein geschlossener Rechtsraum anzusehen. In ihm herrschte seit der Spätbronzezeit (ca. 1450 – 1200/ 1100 v.Chr.) eine beinahe völkerrechtlich zu nennende Ordnung, die im 6. Jh. v.Chr. dann schließlich zunächst von Sparta übernommen wird. Grundlage dieser Ordnung ist der Staatsvertrag (s. Glossar). Angefangen beim Formular über Rechtsgesinnung bis hin zu einem starken Einfühlungsvermögen, so jedenfalls nach unserem Empfinden, ist er das Werk der Hethiter. Sie hatten das Charisma, diese neue Ordnung durch das gute Beispiel zu verbreiten, aber auch die Macht, diese zu garantieren. Das Institut des Staatsvertrages lebt in der Eisenzeit fort; und es kann keineswegs als gesichert gelten, dass seine Erfinder die Assyrer
Jahweh-Verehrung im Kultbild ist nicht unwahrscheinlich, aber nicht direkt bezeugt. Die deutoronomische Redaktion kennt kein Kultbild. Nicht gesagt sein soll, dass alle diese Götter von ihrem Ursprung her Wettergottheiten waren; Zeus war in seinem indogermanischen Ursprung der Gott des lichten Taghimmels gewesen, aber nicht des Gewitters, und der Gott Israels war mehr als nur ein Wettergott. Jahweh war Stammesgott, wurde aber darüber hinaus in Jerusalem zum Stadt- und Staatsgott sowie zum Gott der Davididen-Dynastie. Zu den Kultbildern Berlejung (1998); Scheer (2000). Ins 8./7.–6. Jh. v.Chr. fällt auch die „Orientalisierende Epoche“ Griechenlands und Italiens. Damit stellt sich die drängende Frage, ob ausgehend vom Vorderen Orient sich mit Hilfe einer interpretatio Graeca resp. Romana diese „Einheitsreligion“ weiter nach Westen bis Spanien ausgebreitet hat, wie Graf (2004) meint.
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Einleitung: Grundvorstellungen, Hauptprobleme, Lösungsansätze
waren, selbst als seine Verbreiter stehen sie hier zur Disposition. In Juda reflektiert besonders das Deuteronomium eine Bundes-Ordnung, die letzten Endes eine hethitische ist. Wie es um die „völkerrechtliche Ordnung“ in Lydien bestellt ist, wird in Teil 3 A „Aufbau des Lyderreiches“ Thema sein. Der Staatsvertrag, gr. symmachia, mit Milet und anderen ionischen Poleis ist auf seine mögliche Funktion zu untersuchen, Fundament der lydischen Großmachtstellung zu sein. Nach dem Zusammenbruch der bronzezeitlichen Großreiche sowie der großen kanaanäischen Stadtstaaten, wie Ugarit, haben sich aus den Trümmern oder aus der Konkursmasse der Spätbronzezeit größere bis mittelgroße Territorialstaaten herausgebildet, nämlich Lydien als mittelgroßer, gegliedert in Nationalund Städtestaat sowie Juda als kleiner, abgelegener Bergstaat auf Stammesbasis. David war zunächst „Häuptling“ des Stammes Juda, wurde aber dann Stadtkönig von Jerusalem, residierend auf dem Ophel, d.i. „the City of David“ (Kenyon [1979]), sowie seit Salomo den Tempelberg, den Zion, als nationales und dynastisches Heiligtum mit einbeziehend.⁶⁹ Den Aufbau des judäischen Staates und seiner Institutionen hat man von Ägypten abgeschaut, Tempel, Kult, Theologie und Priestertum zeigen kanaanäischen Einfluss. Gemeinsames Merkmal all dieser eisenzeitlichen Staaten ist der Palastbau, der nicht mehr mit Wirtschaftsbetrieben (das Schatzhaus ist kein solcher) kombiniert wird. In Assyrien überflügelte der Palastbau den Bau von Tempeln. Umgekehrt verhält es sich in den ionischen Staaten Samos und Ephesos sowie Didyma, wo gewaltige Heiligtümer entstanden, die Polis-Maße sprengten. Und dies im wörtlichen Sinne: Man spricht von „extra-urbanen“ Heiligtümern. Was das lydische Kernland angeht, so bleiben unsere Fragen nach der Art des Palastes unbeantwortet. Denn der Palast in Sardes, seine Größe, sein Stil und seine architektonische Gestalt (syro-anatolischer bīt-ḫilāni- oder Megaron-Typ) sind uns völlig unbekannt, und nur weniges wissen wir über die Tempel. Herodot glaubt immerhin zu wissen, dass die Göttin Kybebe eine indigene (epichorios) Gottheit war, was er wohl aus der Art, wie Opferkult und Ritual am Zentralheiligtum(?) von Dynastie und Staat vollzogen wurden, herzuleiten meinte (Hdt. 5,102,1). In Wirklichkeit war sie ursprünglich keine ererbte Gottheit, sondern stammte aus dem luwisch-hurritischen Südosten; sie war die Stadtgöttin von Karkamis am Mittleren Euphrat. Auch die Literatur ist in den Blick zu nehmen. Wie die in indo-iranischer Tradition stehende Literatur Irans, so hebt sich auch die Literatur des Vorderen
Dass eine Stadt/Siedlung zwei Namen hat, hier Jerusalem und Zion, ist nicht so häufig, vgl. aber Ilion (älter: Ilios) und Troia, und vielleicht Kadmeia und Theben. War Ilios ursprünglich der Name der Akropolis mit dem Tempel und Troia die Zivilsiedlung und das Territorium?
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Länder des Alten Orients. Was eint sie?
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Orients als eine einheitliche ab. Die mythischen Stoffe des Vorderen Orients, zu dem auch der griechische Raum beiderseits der Ägäis gehört, sind fast alle im 2. Jt. v.Chr. bereits existent. Die sog. „Dunklen Jahrhunderte“ haben nur wenig neue Mythen beigesteuert. Im 1. Jt. v.Chr. treten die großen Dichterpersönlichkeiten auf, die in redaktioneller Arbeit unter völlig neuen politischen und sozialen Bedingungen aus den bronzezeitlichen Mythen das Epos schaffen. Es sind Homer und Hesiod für den Westen und Sîn-leqe-unnīnnī, sein Name lautet übersetzt „O, Mondgott Sin, nimm mein Gebet an!“, für den keilschriftschreibenden Raum des Ostsemitischen, hier das Gilgamesch-Epos⁷⁰, dort die Ilias und die Theogonie, jedes jetzt mit einer typischen Note, wie sie National-Literatur eigen ist. Im 1. Jt. v.Chr. tauchen im Vorderen Orient die ersten Schriften mit dem Namen ihrer Autoren/Dichter auf: Hesiod um ca. 700, um 750 v.Chr. bereits in Israel die Schriftpropheten Amos und Hosea und etwas später Jesaja in Juda. Auch die Weisheit, zuerst mündlich, dann aber zu literarischen Spruchsammlungen geronnen und schließlich in Bücher gefasst, hat wohl von Ägypten, weniger von Mesopotamien ausstrahlend zur Vereinheitlichung des Vorderen Orients entscheidend beigetragen.Wie bei keiner anderen Gattung tritt so deutlich hervor, wie stark auch im Denken und Fühlen ihrer Bewohnern der Vordere Orient eine Einheit darstellt. „Hebräische Humanisten“ nannte M. Buber einmal die Weisen in Israel. Eine weisheitliche Gattung ist auch in Lydien wenigstens in ihrer Existenz bezeugt, nämlich die Fabel, die, bei Homer nicht verwendet, wohl hurritischen Ursprungs ist, sich im Osten bei Ahikar fortsetzt und im Westen zuerst bei Hesiod auftaucht sowie bei dem Fabeldichter par excellence, dem Lyder Aisopos. Mit Missverständnissen, aber auch mit ernstzunehmender Kritik an der Methode, besonders an dem zuletzt Gesagten, rechnen wir: „Was eint den Vorderen Orient?“. Wir spalten das Thema auf: Das kulturelle Zusammenwachsen war ein Prozess, bestimmt und begünstigt durch Faktoren wie Wanderungen, Deportationen, Warenaustausch („Handel“) und Krieg. Auf einer anderen Ebene liegt das politische Zusammenwachsen; dies gelang nicht immer widerstandslos, ein herrschaftlicher Wille und staatliche Macht bewirkten die Einigung. Herodot zu folgen, heißt in erster Linie die politische Geschichte der lydischen Könige nachzuzeichnen und sie nach Maßgabe strenger Kriterien zu ergänzen, wo es nötig erscheint.
In diese Richtung Schrott (2001), 16 ff.
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1 Die Thronaufstiegsgeschichte des Gyges Doch bald, in frischem Glanze, Geheimnisvoll In goldenem Rauche, blühte Schnellaufgewachsen, Mit Schritten der Sonne, Mit tausend Gipfeln duftend, Mir Asia auf, und geblendet sucht Ich eines, das ich kennete, denn ungewohnt War ich der breiten Gassen, wo herab Vom Tmolos fährt Der goldgeschmückte Paktol Und Tauros steht und Messogis Und voll von Blumen der Garten (Friedrich Hölderlin, Patmos, Tübingen 1803)
Die „Frau des Kandaules“ Die herodoteische Novelle (Hdt. 1,8 – 13), die früher auch schon einmal „Vom Weib des Kandaules“ genannt wurde, enthält sicher mehr Dichtung als geschichtliche Wahrheit. Historisch könnte es so gewesen sein, dass der nicht aus der königlichen Dynastie stammende Mermnade Gyges den König „Kandaules“ ermordete, und dass dabei die Frau des Kandaules irgendeine Rolle spielte, den Usurpator anschließend heiratete und dadurch in einem gewissen Sinne legitimierte. Literarisch eindrucksvoll ist dagegen die daraus entwickelte Geschichte von dem sonderbaren Wunsch des Kandaules, der zu seinem tragischen Ende geführt haben soll.¹ Ob sie ursprünglich von einem Lyder oder Griechen erdichtet wurde, wissen wir nicht. Vielleicht stammt sie auch von Herodot selbst, der ja auch sonst einen Sinn für effektvolle Erzählmotive hatte. Nikolaos von Damaskos,² vermutlich auf einer verlorenen Textstelle Xanthos’ des Lyders fußend, berichtet, dass sich der Mermnade Gyges in die Frau des letzten Heraklidenkönigs Sadyattes verliebt habe. Als der König davon erfuhr und Gyges deshalb töten lassen wollte,
Dass das Thema den Stoff zur Tragödie enthält, zeigt sich auch an seinem Weiterleben. Im Jahr 1854 schrieb Friedrich Hebbel die Geschichte „Gyges und sein Ring“, in der er den herodoteischen Stoff um die Idee eines Ringes (vgl. Plat. rep. 359c–360b) erweiterte, der seinen Träger unsichtbar machte und so Gyges das Betrachten der Königin ermöglichte. Im Jahr 1939 hat Alexander Zemlinsky eine Oper mit dem Titel „Der König Kandaules“ vollendet. Nic. Dam. FGrHist 90 F47,7. https://doi.org/10.1515/9783110436020-004
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Die „Frau des Kandaules“
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tötete dieser seinerseits den König und heiratete die Frau. Das klingt etwas realistischer. Wenn wir der Novelle Herodots hier dennoch einige Überlegungen widmen, so deshalb, weil Teile der von ihm erzählten Variante doch irgendetwas Wahres enthalten könnten. Herodot erzählt, dass Gyges gesehen hat, was er nicht sehen durfte: die Königin nackt. Kandaules, der lydische König, liebte seine Frau über alle Maßen und hielt sie für die schönste Frau der Welt. Er hatte zu Gyges gesagt: „Gyges, du glaubst mir anscheinend nicht … Sieh doch zu, dass du sie einmal nackt sehen kannst!“ Kandaules drängte ihn dazu, er legte ihm einen genauen Plan vor, wie Gyges ungesehen von der Frau diese genau betrachten könne, dann nämlich, wenn sie ihre Kleider vor ihm ablegte und zu ihrem Bett ginge. Es war so sehr bis ins Kleinste durchgeplant, dass der Leser bereits ahnt, dass es schiefgehen musste. Und so kam es denn auch. Die Frau, die keinen Namen trägt, sondern einfach nur die „Frau“ (gyne) heißt, bemerkte Gyges gerade in dem Moment, als er aus seinem Versteck hinter der Tür hervorkam und das Schlafzimmer verließ. Zutreffender als der Vergleich mit Klytaimnestra oder, aus der Moderne, mit Hamlets Mutter ist derjenige mit der alttestamentlichen Batseba: Die Geschichte von König David und Batseba, der Frau des Hethiters Urija, setzt so ein. „Und zur Abendzeit erhob sich David und er ging auf dem Dach des Königshauses auf und ab. Da sah er vom Dach aus eine Frau, die sich wusch. Und die Frau war von sehr schönem Aussehen“ (2 Sam 11,2). Die Schönheit der Frauen, ein Habitus, der sehr selten im Alten Testament angesprochen ist, verknüpft die beiden Erzählungen. Verführerisch schön ist Batseba, aber sie setzt ihre Schönheit nicht ein, um David zu verführen. Davon steht nichts im Text. Sie ist schön nur für sich. David schickt Boten, sie zu holen. Dadurch wird die Idylle der sich Waschenden zerstört. David nimmt Batseba geschlechtlich, ein Sohn wird gezeugt. Der Prophet Natan tritt auf. Er bezichtigt David nicht nur des Ehebruchs, sondern auch des gezielten Mordes an Batsebas Ehemann. Darauf bekennt David offen, gesündigt zu haben. Die Absolution erteilte Natan, indem er verkündete. „So sieht der Herr über deine Sünde hinweg.“ Dafür hatte David aber Buße zu leisten: Sein und der Batsebas Sohn wurde mit schwerer Krankheit geschlagen und sieben Tage später war er tot (2 Sam 10 – 12). Das ist der Anfang eines Erzählkranzes, der zur Thronbesteigung Salomos gehört. Ihn, Salomo, hatte Batseba, die inzwischen zur Königsgemahlin aufgestiegen war, dem David geboren.³ Dass sie übrigens eine Frau von Tatkraft
Der Aufstieg Salomos zum König in 2 Sam 6,9 – 20 und 1 Kön 1– 2 läuft im AT unter dem Titel „Erzählung von der Thron(nach)folge Davids“. Auf E. Meyer geht die allgemeine Wertschätzung dieses Geschichtswerkes zurück, dessen Quellenwert hoch eingeschätzt wird. Dass Donner (2008), 211 in seiner Geschichte Israels es dennoch nicht mit dem höherwertigen „Peloponnesi-
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1 Die Thronaufstiegsgeschichte des Gyges
war, wird die Erzählung von der Thronfolge Davids zeigen. Sie bringt den Spätgeborenen Salomo in einer Zeit der Anarchie, wie sie in den letzten Jahren Davids existierte, auf den Thron seines Vaters, baut mit an der Gründung der Dynastie und beendet den drohenden Staatsnotstand. R. Harder, der einem größeren Kreis bekannt wurde durch seine kleine Schrift „Eigenart der Griechen“, postum erschienen 1962 (zuerst 1949), und K. Reinhardt, der mit seiner Aufsatzsammlung „Vermächtnis der Antike“ (postum 1960) seine uns jetzt eher fremd anmutende Geisteswelt in einem ganz eigenen Aufsatzstil darbietet, haben sich mit der herodoteischen Novelle auseinandergesetzt. Dabei beschäftigten sie sich auch mit der Frage, wo ihr Ursprung zu suchen sei, den sie beide im Vorderen Orient sahen. Nur war R. Harder der Ansicht, dass der alte Stoff wegen starker herodoteischer Gestaltung nicht mehr greifbar sei,⁴ während K. Reinhardt meinte, dieser ließe sich trotz Überarbeitung in Einzelzügen sehr wohl noch erkennen. So hätte Herodot den Gyges als einen Vasallen des Kandaules dargestellt, den ein besonderes Treueverhältnis an seinen Herrn band. Da aber ein solches Treueverhältnis die Griechen nicht kennen würden, hätte Herodot hier unbeabsichtigt etwas Orientalisches stehen lassen und damit auch etwas Historisches bewahrt.⁵ Das muss man heute doch etwas differenzierter sehen. Ein Vasall ist ein Lehnsmann, der nicht ohne das Lehnswesen zu denken ist. Das Lehnswesen ist aber ein die ganze soziale Ordnung einer Gesellschaft durchdringender Ordnungsbegriff; er sollte allein dem hohen Mittelalter vorbehalten bleiben, wie S. Patzold (2012) richtig betont. Der Begriff „Vasall“ wurde freilich in der Altorientalistik für lange Zeit für fast alle Formen von Abhängigkeit verwandt.⁶ Bei den Hethitern suchte man ganz besonders nach Hinweisen auf feudale Elemente. Ob das Wort sahhan-, das zuerst in den Hethitischen Gesetzen des Alten Reiches (um/vor 1600 v.Chr.) genannt wird, und behelfsmäßig mit ‚Lehen (sdienst)‘ übersetzt wurde, wirklich das Lehenswesen meinen kann, ist mehr als
schen Krieg“ des Thukydides vergleichen wollte, geht von der falschen Vorstellung aus, man wüsste etwas Sicheres über den Quellenwert des Thukydides. Harder (1953). Reinhardt (1939); ders. (1940), 145. Heth. „Treue“ handatar pahs- ‚Treue halten‘ kommt ebenso wie ‚Treue brechen‘ (eigentl. ‚sich fehlverhalten‘) zwar häufig vor, vor allem in Staatsverträgen, hat aber kein Lehenswesen zum Hintergrund. Das Wort „Vasall“ stammt aus dem äußersten Westen der Indogermania. Postgate (1992), 252 hat dem Begriff „Vasall“ abgeschworen und wollte in Zukunft von „client kingdoms“ sprechen: „I use client rather than vasall on the firm insistence of Moses Finley to avoid feudal connotations“. Auch das kann nur eine Verlegenheitslösung sein.
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Die „Frau des Kandaules“
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fraglich.⁷ Auch die hethitischen „Landschenkungsurkunden“ verzeichnen keine Vergabe von Lehen. Wir kennen solche Landvergaben aus anderen Ländern, so vor allem aus Ägypten aus der Zeit des Neuen Reiches (vornehmlich die XVIII. Dynastie). Hier fallen besonders Landschenkungen an hochverdiente Offiziere auf. Soweit unser Überblick reicht, hat noch niemand den Feudalismus ins Spiel gebracht, und das gilt selbst für die besonders dem Militär verpflichtete XVIII. Dynastie, deren bekanntester Pharao Thutmosis III. (1458 – 1426 v.Chr.) war. Damit dürfte diese Position K. Reinhardts erledigt sein. Übrig bleibt nur noch seine Meinung, dass die Treue einem Herrn gegenüber dem Griechen fremd sei. Das ist nicht so schnell zu entkräften. Untreue Mägde etwa trifft man zwar im Haus (oikos) des Odysseus auf Ithaka an, aber zurechtgerückt wird das Bild durch den „göttlichen“ (dios) Schweinehirt Eumaios, der ein Musterfall für Treue ist (etwa Hom. Od. 14,3 – 5). Zum Treuebund und Treueversprechen (pistis) unter Gleichen neigten die Griechen dagegen weit weniger stark, stärker sind sie dafür im Einfordern von Treue.⁸ Griechisch pistis meint denn auch nicht Treue, schon gar nicht im germanischen Sinne, sondern viel nüchterner, und zwar im Sinne von „Zuverlässigkeit“. In attischen Staatsverträgen findet sich die besonders knebelnde Bestimmung, dass der Bündner den „Treueid“ (pisteis) zu schwören hatte.⁹ In der Reihenfolge der Tugenden, das wird man pauschalisierend sagen dürfen, bringen es die Griechen mit ihrer Treue nicht gerade zu Spitzenwerten. Was die lydische Treue angeht, so grenzt es ans Komische, dass ausgerechnet hinter dem Wort tyrannos, das aus lydisch *trwanna- bzw. hieroglyphen-luwisch tarrawann(i)stammt, eine Bedeutung ‚der Aufrichtige, der Loyale‘ steckte (s. unten), Treue hier also offensichtlich höher geschätzt wurde als bei den Griechen. Oben wurde R. Harder mit seiner Ansicht zitiert, dass die Frau des Kandaules eine „dämonisch stumme Aktivität“ entfaltet habe. Aber Vorsicht: Es ist ja noch nicht ausgemacht, dass wir von Herodot fehlgeleitet werden. Natürlich musste die Frau sich nackt, weil ohne schützende Hülle, in ihrer aidos (Scham) verletzt fühlen, und das ausgerechnet durch ihren zeigesüchtigen Ehemann und vor einem Untergebenen. Das musste bestraft werden, und wenn man einmal den
HG §39 A–§41 A Ü: E. von Schuler, TUAT I/1 (1982) 96 ff., der von Lehensmann und Lehensdienst spricht. Ob (heth.) sahhan-, von Starke (1990), 228 f. mit ‚Lehen(sdienst)‘ übersetzt, unserer Vorstellung von „Lehen“ entspricht und ob sahhan iss(a)- mit ‚Lehensdienst leisten‘ der am europäischen Mittelalter orientierten Begriffsbildung nahekommt, ist aufgrund der Kürze der Texte schwer zu sagen, aber nicht wahrscheinlich. Bemerkenswert kann man die Stelle Hom. Il. 6,233 finden, wo Diomedes und der Lykier Glaukos sich gegenseitige Treue zusichern (pistoo). Baltrusch (1994) 60 ff.
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1 Die Thronaufstiegsgeschichte des Gyges
hethitischen Staatsvertrag mit Hukkana von Hayasa vergleicht, dann ist das höchste Strafmaß rechtens. Bei den Hethitern mussten die „Großen“ der Majestät einen Treueid leisten, dergestalt, dass sie unverzüglich dem König Meldung darüber machten, was sich im Inneren des Palastes an Auffälligem ereignete.¹⁰ Dass entsprechende Verfehlungen in Hattusa nicht unbedingt die Todesstrafe bedeuteten, machen die Hethitischen Gesetze klar, die sich deutlich vom Codex Hammurapi, der drakonische Strafen, d. h. Todesstrafen, für sehr viele Vergehen, vorsah, im Sinne des Humanum unterschied. Die biblische Erzählung von der Thronfolge Davids ist aber ein Lehrbeispiel dafür, welche Zustände in Palast und Reich einreißen mussten, wenn das rechte Strafmaß nicht zur Anwendung kam. Richtig dämonisch wird die Frau des Kandaules dargestellt, nicht zuletzt durch die grelle, griechische Bühnenbeleuchtung, wenn sie Gyges vor die Wahl stellte, entweder den Kandaules zu töten oder selbst augenblicklich von ihrer eigenen „Schutztruppe“ (oiketai) hingerichtet zu werden.¹¹ Herodot lässt die genaueren Verhältnisse des Palastes im Dunkeln. Gyges entschied sich bekanntlich für das Leben (Hdt. 1,11– 12). R. Harder hat die zwar sonst kaum belegte passive Bedeutung von „Scham“ (aidos) richtig erkannt: Die „Frau“ war nicht schamlos, sondern wurde schamlos von Gyges betrachtet. R. Harder irrt in dem Urteil, dass Herodot hier überhaupt nichts Orientalisches bewahrt habe. Er übersieht, dass Gyges für den Fall, dass er Kandaules tötet, sie, die Königin, zur Frau bekommt und dazu die Königsherrschaft über die Lyder (Hdt. 1,11,2). Man fragt sich, welchen Status die Frau hatte, auf Grund dessen sie einem Mann wie Gyges die „Königsherrschaft über die Lyder“ antragen konnte.¹² W. Burkert hat in einem Diskussionsbeitrag einmal den Verdacht geäußert, dass die „Frau“ ursprünglich eine Göttin gewesen sei: „Die Göttin hat sich einen neuen König gewählt.“¹³ Wir haben diesen Einfall mit der Göttin zunächst aufzunehmen versucht – inspirierend war der Titel eines Buches von S. Böhme „Die nackte
Treueid I §32′ (IV 29 – 31): „Was indes betrifft, dass – da dies nämlich der Palast ist – Frauen zu euren (der Großen!) Häusern Zutritt haben usw.“. Das nimmt Bezug auf die Tatsache, dass Frauen des Königshauses stets versucht haben, auf die Politik, insbesondere auf die innerdynastischen Auseinandersetzungen Einfluss zu nehmen. Im Ausspähen nach Informationen, hier in Bezug auf die Hofdamen, kannte der Großkönig keine Grenzen. Motto aller Verträge und Treueide ist: Schützt die Majestät! Dazu Starke (1996), 167 Anm. 114. Donner (1959) weist darauf hin, dass am assyrischen Hof die Königinmutter über einen eigenen Hofstaat, Beamte sowie eine Garde verfügte. Ist es nur ein Zufall, dass im Munde der Frau von ‚König sein‘ (basileo) gesprochen wird, während Herodot die Herrschaft des Gyges als tyrannis bezeichnet und ihre Ausübung mit dem Partizip tyranneusas wiedergibt (Hdt. 1,14,1)? W. Burkert, Diskussionsbeitrag zu Lombardo (1990), 204 f.
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Die „Frau des Kandaules“
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Göttin“ –, haben dann aber den Eindruck gewonnen, dass diese geistreiche Idee eine unnötige Belastung für eine vorurteilsfreie Analyse des Textes darstellen würde. Gerade Altanatolien hat nämlich machtvolle, mythische ebenso wie historische Frauengestalten vorzuweisen, die mit klugem Rat und entschiedener Tat ihren Sitz in dieser Welt einnahmen.¹⁴ Der erste Platz in einer Frauenliste gebührte zweifellos der hethitischen Großkönigin Puduhepa. Als mitregierende Königin mit menschlichem Format hat sie vor allem durch ihre Briefe an Ramses II. und ihre Gebete an die Sonnengöttin von Arinna nach Jahrtausenden des Vergessens einen Platz unter den großen Frauengestalten gefunden. Puduhepa war die Tochter eines hurritischen Priesters aus Kizzuwatna (griechisch Kilikia Pedias). Theologisch war sie hochgebildet. Nur so konnte sie beten: „Sonnengöttin von Arinna, meine Herrin, Herrin der hethitischen Länder, Königin des Himmels und der Erde …, im Hethiterland setzest du dir den Namen Sonnengöttin von Arinna, jedoch im Lande, das du zu dem der Zeder machtest, setzest du dir den Namen Hepat. Ich aber, Puduhepa, bin deine Dienerin von Anfang an.“¹⁵ Das dürfte zu den frühesten Beispielen von sog. Gleichsetzungstheologie gehören. Die sumerisch-akkadische Götterliste AN=Anum ‚Himmelsgott‘ mit ihren vielen Gleichungen des sumerischen und babylonischen Pantheons wird etwas später datiert (12. Jh. v.Chr.?).¹⁶ Puduhepa vertraute ihre Sorgen und Nöte Briefen an, die an Ramses II. abgingen. So schreibt sie einmal zum Zeitpunkt einer Hungersnot: „Schicke Getreide, meine Länder leiden Hunger!“ Oder sie schreibt Pharao in einem geharnischten, an manchen Stellen fast verleumderischen Brief, der eine Antwort auf seine Unterstellung ist, sie verzögere absichtlich die in Aussicht ge An die These, dass es eine Form des Matriarchats speziell in Lykien gegeben habe, wie aufbauend auf Herodot und Herakleides Pontikos, zuerst J.J. Bachofen meinte, glaubt heute niemand mehr. Der Irrtum liegt bei Herodot, wenn er schreibt: „Die Lykier nennen sich nach ihren Müttern, nicht nach den Vätern“ (1,173,4– 5). Die lykischen Inschriften beweisen das Gegenteil, nämlich den Normalfall. Herodots Missverständnis kam dadurch zustande, dass adelige Lykier bei der Angabe ihrer Herkunft auch ihre Mutter nannten, und zwar deshalb, weil beim polygamen Adel der eigene Rang davon abhing, welchen Rang die Mutter gegenüber anderen Frauen des Vaters hatte. Dies wird für Anatolien deutlich aus der Stellung des LÚpahhu(wa)rsi- ‚nachgeordneter Prinz‘ im Hethitischen; vgl. Janda (1997). KUB XXI 27 col. I 1 ff. Ü: Otten (1975), 20; im historischen Kontext Högemann (1997); s. jetzt auch Siegelová (2015). Lambert (1957– 1971), 476, und zum Einstieg wie immer von Soden (1992), 144; 172 f. Der Fachbegriff für Gleichsetzungstheologie ist interpretatio, zuerst in Tacitus’ Germania (43) als interpretatio Romana, danach gebildet ist z. B. interpretatio Graeca. Eine interpretatio ist nur mit Gottheiten der vorderorientalischen Welt möglich und wurde auch historisch praktiziert, ausgeschlossen wäre eine interpretatio Indica, schwierig eine interpretatio Iranica. Letzteres geht deutlich aus Herodot 1,131 hervor (abgesehen davon, dass er irrtümlich statt Anaitis den Namen Mitra einsetzt).
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1 Die Thronaufstiegsgeschichte des Gyges
stellte Heirat mit ihrer Tochter. Dort schreibt sie in dem sehr langen Brief begründend, dass das „Schatzhaus des Landes Hattusa“ leer sei und „dass ich kein Getreide in (meinen) Ländern habe“, um „die Kolonen, das Großvieh (und) das Kleinvieh, die ich der Tochter geben werde“ (gemeint ist als Mitgift), auf dem weiten Weg nach Ägypten zu verproviantieren. Sie spricht als „Königin des Landes Hattusa“ und als besorgte Brautmutter. Denn Ramses hat viele Frauen, darunter Prinzessinnen aus Babylon und Assur, in seinem Harem herrsche Gefühlskälte, und Ramses sei hinter dem Geld her, wie Puduhepa ihm eiskalt vorwirft.¹⁷ In einem weiteren Brief an Ramses II., der auch schön zeigt, wie es in einem wirklichen Palast zugeht, der kein griechisches Bühnenhaus ist, schreibt sie: „Als ich in (mein) Haus kam, – d. h. doch wohl ein separates Gebäude, dem Palastkomplex zugehörig – da gebaren in meiner Hand die Königstöchter … und ich zog sie groß; auch jene Kinder, die ich bereits vorfand, zog ich groß und machte sie zu Generälen“ (Ü: E. Edel nach F. Starke).¹⁸ Verfassungsrechtlich wird ihre Position durch folgenden Tatbestand noch deutlicher: Neben dem Siegel ihres Mannes, des Großkönigs Hattusili III., war völlig gleichberechtigt ihr Siegel an einer Silbertafel angebracht, in die der lange Text des Friedensvertrages von 1259 v.Chr. mit Ramses II. von Ägypten eingraviert war. Für ihre Ehe mit Hattusili III. galt: „Und wir fügten uns harmonisch zueinander (handawen), und uns gab die Gottheit die Liebe des Gatten und der Gattin.“¹⁹ In Herodots Lyder-Logos spielen Frauen keine große Rolle, sie bleiben namenlos, wie schon die Frau des Kandaules, sie war eine „Königin“ (basileia) (Hdt. 1,11,1).²⁰ Dieses Verschweigen des Namens von Frauen war in Athen zu der Zeit, als sich Herodot dort aufhielt, und auch noch lange Zeit später Sitte.²¹ Die Frau des Kandaules und Königin tritt an der Seite ihres neuen Mannes, Gyges, bei Herodot nicht mehr in Erscheinung. Damit wird klar, dass Gyges die Hauptperson der ganzen Erzählung ist, und klar wird jetzt auch die literarische Form der GygesErzählung: Es ist eine sogenannte (Thron‐)Aufstiegsgeschichte. Eine solche Er-
Brief aus dem Corpus der sog. Heiratsbriefe KUB XXI 38, 10′; 17′, in: ÄHK 105, S. 216. Und Ramses erkennt den verfassungsrechtlichen Anspruch Puduhepas an, wenn er ihr schreibt: „Dir möge es sehr, sehr gut gehen, (der Großkönigin, der Königin des Landes Hatti) meiner Schwester, deinen Häusern, … deinen Truppen, deinen Pferden, deinen Wagen …“ (KBo 28.4,Vs. 7– 8, in: ÄHK 46, S. 116). KUB XXI 38, Vs. 59′, in: ÄHK 105, S. 220. CTH 81 (Apologie Hattusilis), Rs. III 2– 3 ed. Otten (1981). Königinnen sind nur im 1. Buch Herodots zu finden, meistens in Babylon und oft mit Namen. Zum Verschweigen von Frauennamen in Athen s. Schaps (1977); Bremmer (1981).
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Die „Frau des Kandaules“
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zählung, auf hohem literarischem Niveau, wird auch von König David erzählt.²² Der Vergleich scheint insofern berechtigt, als beide Erzählungen der Spätzeit des Alten Orients angehören, aus der sonst wenig dergleichen auf uns gekommen ist. David kann als Modell, auch im Sinne einer Kontrastfigur, zu Gyges dienen. Davids Aufstiegsgeschichte (1 Sam 16 – 31) vom jungen „Waffenträger“ (nōśē (ʼ ) kēlîm), über den „Dienstmann des Königs“ (‘æbæd hammælæk), nämlich Sauls, dann weiter über die Rolle des Söldnerführers im Philisterheer – endlose Frauengeschichten hatte er bereits hinter sich – bis endlich zum König von Juda und danach von Israel (in Personalunion), ist alles andere als gradlinig verlaufen. David wurde auf wundersame Weise zum Idealkönig Israels, wundersam deshalb, weil er, der viele Götter, auch Göttinnen verehrte, ausgerechnet vom strengen, monotheistischen Deuteronomisten zum Garanten der ewig währenden Treue Jahwehs gemacht wurde. Das tradierte Bild, besser Klischee, des Lyderkönigs ist dagegen das eines orientalischen Goldprotzes und Tyrannen, der sich mit Mord den Weg zum Thron gebahnt hatte. Vielleicht waren beide Könige gar nicht so sehr verschieden. Das „Vorstrafenregister“ Davids dürfte allerdings etwas länger gewesen sein. In einem Punkt jedoch unterscheiden sie sich in aller Schärfe. Urija, der „Hethiter“, sollte, so lautete der Befehl Davids, vor der belagerten Stadt Rabbat in Ammon (heute Amman) so aufgestellt werden, dass er bei einem Ausfall der Verteidiger den sicheren Tod finden würde. Und so geschah es. Das war reiner Mord, sagt Natan, der Prophet, und David gesteht ihn reumütig ein (2 Sam 12). Mord auch im Falle des Gyges, der seinen König umbrachte. Von Reue oder Buße ist hier aber nicht die Rede. Es gibt für Herodot keine höhere personale Instanz, vor der man sich als reuig und bußfertig hätte ausweisen können, wie David das vor dem Propheten Natan tat, der auch befugt war, im Namen Jahwehs Sünden zu vergeben.²³ Verstärkt wird der griechische Gehalt noch durch die redaktionelle Einbeziehung der Geschichte vom Aufstieg des Gyges unter das übergreifende Thema einer lydischen Unheilsgeschichte, die selbst die Götter nicht aufhalten können, solange, bis sie im Schicksal des Kroisos ihre Erfüllung fände. Dass es auch andere Sichtweisen gab, sowohl bei den Hethitern als auch bei Ezechiel, wodurch al-
Vgl. Frei (1993). Froehlich (2013), 189 – 193 kann in ihrer verdienstvollen, konkurrenzlosen und erhellenden Arbeit den Motiven „Strafe und Rache“ gefolgt von „Angst“ die meisten Stellen zuweisen, der „Reue“ nur verschwindet wenige, der Buße überhaupt keine. „Reue motiviert bei Herodot solche Handlungen, die ein nicht mehr zu änderndes Geschehnis zumindest symbolisch wieder gutmachen sollen“ (S. 46 f.). Der Selbstmord des Adrastos über dem Grab des Kroisos-Sohnes Atys (Hdt. 1,45) sei so ein Akt der Reue. Dass dies nichts mit der biblischen Reue zu tun hat, braucht nicht eigens betont zu werden.
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1 Die Thronaufstiegsgeschichte des Gyges
lerdings der strikte Determinismus nicht für immer außer Kraft gesetzt wurde, bringt Archilochos in griechischem Gewand zum Ausdruck (F8 D): „Von Tyche und Moira empfängt man, o Perikles, alles.“ Tyche ist „Gelingen“, so U. von Wilamowitz-Moellendorff,²⁴ „Erfolg“ so H. Fränkel;²⁵ Moira ist das Schicksal, so B. Snell.²⁶ Denn tyche ‚Erfolg‘ haben kann man nur, wenn man wenigstens versucht, die Sache, die einen betrifft, mehr und mehr in die eigene Hand zu bekommen. Die Übersetzung „Erfolg“ für tyche wird sich für die frühe Tyrannis in Lydien und Griechenland wohl als die beste empfehlen. Und erfolgreich war Gyges wirklich, jedenfalls am Reichtum gemessen. „Erfolg haben“, hebr. saleh und weitere Synonyma, kennt natürlich auch das AT und auch unsere Thronfolgegeschichte, hier allerdings ohne in den Bereich „Glück haben“, wie das tyche im Griechischen tut, zu changieren. Für moira „Schicksal“ wird es erst recht keine Parallele geben, weder im Alten Orient noch im AT, vor allem nicht, wenn das Wort im Griechischen die Bedeutung „Zufall“ annimmt.
Folgen der Usurpation Herodot berichtet (1,13,1): „Zuerst waren die Lyder empört über das von Kandaules Erlittene (pathos) und griffen zu den Waffen, aber schließlich kamen die stasiotai des Gyges und die übrigen Lyder überein, dass, falls das Orakel ihn bestätige, er König sein solle.“ Das griechische Wort stasiotai (Plural) ist von stasis abgeleitet, das zu histemi ‚ich trete auf, stelle mich‘ gehört und wörtlich ‚Das sich Hinstellen, das Auftreten, der Aufstand‘ bedeutet. In diesem Sinne sind die stasiotai des Gyges seine ‚Aufständischen‘, was ja auch den Sachverhalt trifft, denn eine Usurpation wie die seine war auch wirklich ein Aufstand gegen die bisher bestehende Regierung.²⁷ Festzuhalten ist, dass Gyges kein Einzeltäter gewesen sein kann, sondern Kopf einer kampfbereiten Gruppe. Wir können jetzt auch sagen, wer diese Gruppe vermutlich war, nämlich die *Mλimnada- (Mermnaden, dazu später), die noch in der Perserzeit eine Rolle spielten (s. unten sowie Teil 2). Sie waren ursprünglich nicht in Sardes zuhause. Nikolaos von Damaskos berichtet, dass die Mermnaden während der Herrschaft des letzten Heraklidenkönigs, Sadyattes, mit der Stadt Tyrrha belehnt wurden.²⁸
von Wilamowitz-Moellendorff (1955), 295 – 303. Fränkel (1968), 399 f. Snell (1975), 39. Auch beispielsweise in Hdt. 1,61,2 bedeutet stasiotai eindeutig ‚Aufständische‘. Nic. Dam. FGrHist 90 F47. Vgl. jetzt Payne/Wintjes (2016), 29.
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Tyrannis als charismatische Herrschaftsform
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Das älteste Zeugnis, in dem neben dem Namen Gyges das Wort Tyrannis auftaucht, ist ein Iambos des Archilochos von Paros (F9 W), und nach Meinung fast aller Interpreten dieses Iambos meint Tyrannis die Herrschaftsform des Gyges.²⁹ Nach Herodot (1,12,2) waren Archilochos und Gyges Zeitgenossen. Die Lebenszeit des Archilochos wird von H. Fränkel auf die Zeit von ca. 680 – 640, von J. Latacz ähnlich aber bis 630 v.Chr. hinunter datiert. In diese Zeitspanne fällt das Aufkommen der sog. Älteren Tyrannis (7.–6. Jh. v.Chr.).³⁰ Tyrannis ist eine normale griechische Ableitung von dem Appellativum tyrannos. Gyges war der erste König, der auch tyrannos genannt wurde (tyranneusas, Hdt. 1,14,1).Von hier erklärt es sich vielleicht, dass Herodot tyrannos und basileus (wie auch tyrannis und basileia) im Lyder-Logos synonym verwendet. Das Wort tyrannos hat keine griechische Etymologie, sondern ist eine Entlehnung aus Anatolien, wahrscheinlich direkt aus dem Lydischen (s. unten).
Tyrannis als charismatische Herrschaftsform Der Begriff Tyrannis hat tiefe Spuren in der griechischen Verfassungsgeschichte hinterlassen. Während Herodot sich zu keinem eindeutigen Urteil über die griechische Tyrannis herbeilassen wollte, haben die griechischen Staatsrechtler des 4. Jh. v.Chr. Platon und Aristoteles sie klar als Gewaltherrschaft angesprochen und aus dem Verfassungsschema gestrichen. Herodot hat keinen Anlass gesehen, das Tyrannis-Konzept des Gyges auf seinem Weg nach Griechenland zu verfolgen. Die Gleichzeitigkeit, mit der Gyges und z. B. Kypselos von Korinth die Tyrannis eingeführt haben, hat er offensichtlich nicht als verdächtig bemerkt. Da nach heutigem Wissensstand mit einer direkten Entlehnung des Wortes tyrannos aus dem Lydischen zu rechnen ist, darf man auch vermuten, dass bestimmte Züge der griechischen Tyrannis in Lydien geprägt worden sind. Weitere Verdachtsmomente in dieser Richtung werden später noch hinzukommen. Es ist allerdings nicht leicht, allein mit dem Quellenmaterial zur griechischen Tyrannis das Spezifikum
Zwar wird von Archilochos (F19 W) die Tyrannis syntaktisch nicht direkt mit Gyges verbunden, aber allein die Tatsache, dass Gyges als sehr reich an Gold bezeichnet wird, lenkt doch den Leser in diese Richtung. Denn nur Tyrannen waren sprichwörtlich goldreich. Schon in der Antike bezog man die Tyrannis direkt auf Gyges (so Euphorion FHG 3,72 F1 = F198 Lightfoot). Zu beachten ist, dass tyrannis eine griechische Ableitung von tyrannos ist, d. h. tyrannis ist ohne Entsprechung im Altanatolischen. Wenn Archilochos als erster das Wort tyrannis benutzt (so Hippias FGrHist 6 F6) und es mit Gyges in Verbindung bringt, dann hat er bei dem Begriff tyrannis ganz spezifische Phänomene von Herrschaft im Sinn. Latacz (1991), 242.
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und die Attraktivität dieser Herrschaftsform zu verstehen sowie die geistige Disponiertheit nachzuvollziehen, die Voraussetzung für ihre fast pandemische Ausbreitung war. Mit der Thronbesteigung des Gyges, der zum progonos (‚Ahnherrn‘) der Lyder wurde, wie Platon sagt (rep. 359d), begann nach Herodot eine neue Dynastie, nämlich die der Mermnaden, über Lydien zu herrschen. Die abgelöste HeraklidenSippe stellte Nikolaos von Damaskos im Buch 4 (FGrHist 90) seiner „Weltgeschichte“ (bis 4 n.Chr. reichend) vor. Haarsträubende und unappetitliche Geschichten, die angeblich aus Xanthos dem Lyder, einem älteren Zeitgenossen Herodots, übernommen sind, lassen sich kaum auf einen historischen Kern zurückführen.³¹ Wenn etwas davon wahr sein sollte, dann war diese Dynastie jedenfalls reif für die Abdankung.³² Kandaules, der letzte Heraklide auf dem Thron, hieß nach Herodot (1,7,2) mit wirklichem Namen Myrsilos. Nach Nikolaos von Damaskos hieß er dagegen Sadyattes, ein Name, den Herodot nur dem Vorgänger des Alyattes aus dem Geschlecht der Mermnaden zuweist. Kandaules ist jedenfalls in Wirklichkeit ein lydisches Apellativum der Bedeutung ‚Anführer, Herrscher‘ (s. Teil 4). Myrsilos entspricht hethitisch Mursili, dem Thronnamen dreier hethitischer Könige; der bedeutendste war Mursili II. Sein politisches Wirken in Westanatolien ist von fast ebenso nachhaltiger Wirkung gewesen wie die seines Vaters, Suppiluliuma I., in Syrien. Ebenso wie dessen Name dort in einem hieroglyphischen Herrschernamen des ersten Jahrtausends weiterlebt, halten wir es auch für keinen Zufall, dass der Name Mursili (Myrsilos) noch im 1. Jt. v.Chr, nicht nur in Lydien, dem Gebiet des früheren Arzawa, dem Mursili II. seine Macht demonstriert hatte, sondern auch im nahen Lesbos lebendig war. Dort trug ein Tyrann von Mytilene, dessen Tod der Dichter Alkaios bejubelte, diesen Namen.³³ Er dringt auch in den griechischen Mythos ein, so in den vom Pelops-Wagenrennen in Olympia. Des Pelops Vater war Tantalos, der auf dem nördlich von Bayraklı (ein Teil von Smyrna, heute: Izmir) gelegenen Berg verehrt wurde.³⁴
Zur Datierung von Xanthos dem Lyder vgl. Bremmer (2008), 239. Die Herakliden lassen sich historisch schlecht fassen, so dass Mazzarino (1947), 169 – 187 zu der Ansicht verleitet wurde, dass dieses Geschlecht ein „lavorio dei logografi“ (S. 180), also eine Erfindung der Griechen, sei. Denn die Griechen sahen nicht nur in Sparta, sondern auch in Sardes die „Rückkehr der Herakliden“ am Werk. Trotz guter Beobachtungen hat sich Mazzarinos Meinung nicht durchsetzen können. Vgl. Dale (2011). Mursili II. hat ca. 1316 v.Chr. Arzawa erobert, in die „arzawischen Länder“ zerlegt, und ihnen das Lande Mira (Ephesos) politisch vorgeordnet (F. Starke). Zu Mira gehörte das zu dieser Zeit noch nicht genannte Sardes. Der Name Myrsilos taucht später außer in Mytilene (um 600 v.Chr.) auch im Mythos bezüglich Elis/Olympia auf, nämlich im Zusammenhang mit dem Sieg des Pelops
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Tyrannis als charismatische Herrschaftsform
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Innerhalb seines Werks „Wirtschaft und Gesellschaft“ hat M. Weber in dem sehr wichtigen Kapitel IX „Soziologie der Herrschaft“ drei „Herrschaftsformen“ und deren spezifischen Funktionsweisen herausgearbeitet, darunter die „charismatische Herrschaft“ (s. Glossar).³⁵ Was damit gemeint ist, kann als bekannt vorausgesetzt werden. Ihr gilt nun unser besonderes Interesse, während die 2., die traditionale, „patrimoniale Herrschaft“ sich nur schwer nachweisen lässt, vor allem weil die Art des Wirtschaftens aus den antiken Quellen nicht klar genug hervorgeht. Für Weber, der in seinen umfangreichen herrschaftssoziologischen Studien ausdrücklich betont, Funktionsweisen, nicht Entwicklungsstufen darstellen zu wollen – de facto läuft es aber schon bei Weber auf diese hinaus –, wird die 2. Herrschaftsform am besten durch Assyrien und Ägypten repräsentiert.³⁶ Dazu kommen jetzt die Hethiter, von denen sich Weber (Kap. IX wurde in großen Teilen vor 1914 geschrieben) noch kein Bild machen konnte. Das Charisma des Herrschers war kein ruhender Besitz, besaß auch nicht den „character indelebilis“, wie er durch die sakramentale Weihe verliehen wird, ganz im Gegenteil, das Charisma hatte sich stets von neuem zu bewähren. Im offenen Kampf und vor allem im Sieg blitzte es auf. Dies als prädestiniertes Zeichen, ausgesandt von numinosen, aber auch von persönlichen Mächten, wie der Göttin Nike, deuten zu dürfen, wurde eigentlich erst bei den Nachfolgern Alexanders, den Diadochen, üblich und sogar notwendig, fehlte es ihnen doch an bodenständigen, vor allem religiösen Traditionen, aus denen sich die Legitimierung von Herrschaft nach Maßgabe eines theologischen Konzepts ableiten ließe. Nach dem Konzept vom Gottkönigtum ist der hellenistische Herrscher ein rundum wirkendes, autonomes Prinzip, das Legitimation aus sich selbst heraus entlässt. Das ist in dieser Form nicht altorientalisch.
im Wagenrennen; dieser war Bedingung, um Hippodameia, die Tochter des Königs Oinomaos, zur Frau zu gewinnen. Weber (1980), 541– 868 (Kap. IX), hier 654– 687. Das Kap. IX hat eine komplizierte, postum vielleicht sogar manipulierte Redaktionsgeschichte. Zur ganzen Diskussion jetzt Finley (1987), 107– 131, der sich als Bewunderer und Schüler Webers vorstellt, allerdings Vorbehalte gegen den Begriff „Herrschaft“ und „Herrschaftsform“ hat. Sie sei immer „legale Herrschaft“, nie habe Weber ethisch-moralische Maßstäbe angelegt. Er hätte, so M.I. Finley, auch die griechische Tyrannis, wenn er sie denn behandelt hätte, als „legal“ bezeichnet. Es ist in der Tat auffällig, dass Weber die griechische Tyrannis mit keinem Wort erwähnt. Die 3., die rationale, legale „bürokratische Herrschaft“ kommt in dem von uns behandelten Zeitraum nicht vor. Allein die Tempelverwaltungen in Babylonien im 1. Jt. v.Chr. sind noch am ehesten bürokratisch organisiert, so Jursa (2015), 62, der in der Wahl der Begriffe einen deutlichem Bezug auf M. Weber erkennen lässt.
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Bedeutung des Sieges Im Sieg kommt das Charisma des Königs zum Aufleuchten. Es gibt im Vorderen Orient keine Siegesgöttin Nike und erst recht keine Victoria. Natürlich kannte das Alte Anatolien Kriegsgötter, nämlich neben dem für vieles zuständigen Wettergott auch den luwischen Santa- (Sanda‐), der im Lydischen³⁷ und Lykischen seine Entsprechung hat (s. Teil 2.1). Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es ausgerechnet ein lydischer Weiser namens Sandanis war, also mit einem vom Kriegsgott abgeleiteten Namen, der Kroisos vom Krieg gegen die Perser abriet (Hdt. 1,71,2). Den Sieg in der Schlacht von Kadeš (1275 v.Chr.) über Ramses II. haben die Hethiter nicht in die Welt hinausposaunt, was sich von den ebenso dröhnenden wie phantasielosen Siegesmeldungen im Namen des seit ca. 900 v.Chr. zum Reichsgott avancierten Gottes Assur unterscheidet. Stattdessen interessierte es die Hethiter, herauszubekommen, warum es jeweils überhaupt zum Krieg gekommen war. Das kommt zum Ausdruck in der Präambel hethitischer Staatsverträge, die zur Vorgeschichte ausgestaltet ist, in der die historisch-politischen Voraussetzungen des Vertragsschlusses dargelegt werden. Was Kadeš betrifft, so gab es für den Hethiterkönig auch vernünftige Gründe, den Pharao nach der Schlacht nicht zu verärgern, der für seine Untertanen immer nur der Sieger sein konnte, am besten siegte er völlig auf sich allein gestellt. Um dies in extremer Weise demonstrieren zu können, scheute Ramses nicht einmal davor zurück, zu behaupten, dass seine eigenen Elite-Divisionen nicht nur unfähig seien, pünktlich in den Kampf einzutreten, sondern auch noch so treulos, ihn inmitten der Schlacht im Stich zu lassen. Einzig ihm gehöre der Sieg. Hattusili dagegen konnte diesen Sieg seines Vorgängers Muwatalli nicht auskosten, weil er gegen die hethitische Thronfolgeordnung verstoßen und den Thron usurpiert hatte. Er benötigte die unbestrittene Autorität Pharaos, um auf dessen Fürsprache hin der Isolierung zu entkommen und in dem erlauchten Kreis der „Gleichrangigen“ bleiben zu dürfen, zu denen damals sonst nur Ägypten und Babylonien gehörten. Ramses II. ließ sich dagegen als immer siegreicher Wagenfahrer mit dem gespannten Bogen bildlich im Ramesseum, seinem Totentempel in Theben (West), abbilden. Anders als im Vorderen Orient wurden bei den Griechen die Siege im Heiligtum von Olympia, dessen kultisches Zentrum der Aschenaltar und der Tempel des Zeus war, zelebriert und in der Erinnerung wachgehalten. Denn dieser heilige Bezirk (Altis), geweiht „Zeus, dem Lenker des Kriegs“, war gefüllt mit Siegesdenkmälern, bezahlt durch Kriegsbeute, oder gefüllt mit direkt erbeuteten Waffen
Eine Ableitung *Sandanni- findet sich im Namen des lydischen Weisen Sandanis (Hdt. 1,71,2).
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Bedeutung des Sieges
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und Rüstungen. Nach dem Zeugnis des Alkaios hat dieser die Schlacht um Sigeion (um 600 v.Chr.) überlebt, „(doch) seinen Schild hängten Männer aus Attika als Weihegeschenk im Glaukopion auf.“ Gemeint ist ein Tempel der Athene (F401B Voigt). Ist die kollektive Verherrlichung von Sieg und Krieg³⁸ eine „Eigenart nur der Griechen“? Musste Ramses überhaupt Charisma vorweisen? Wohl kaum! Der Sieg war vorprogrammiert. Webers „charismatische Herrschaft“ ist wohl seine bekannteste Abhandlung im Kap. IX. „Soziologie der Herrschaft“, aber auch und nicht erst seit kurzem die umstrittenste. Denn die Quellenlage, so mag man einwenden, hat sich generell seitdem verbessert, die historischen Fachwissenschaften haben neue Sichtweisen entwickelt und die exegetischen Methoden des AT haben sich seit 1970 vor allem in der Religionsgeschichte so radikal verändert, dass Bücher, die vor diesem Datum erschienen sind, heute für veraltet gehalten werden. Es lässt sich im Moment schwer abschätzen, wie stark diese Umbrüche in den braven philologischen und den hitzigen archäologischen Fächern wirklich sind und ob sie überhaupt Webers Studien speziell zur Antike in ihrem Aussagewert für hinfällig erklären können. Die Herrschaft des Gyges jedenfalls wurde nach Tyrannenart erworben und musste sich jetzt im Kampf gegen die iranischen Reitervölker der Kimmerier, Treren und Skythen bewähren. Vergleichbar damit ist das charismatische Heerkönigtum des Saul, des ersten Königs von Israel, den der Prophet Samuel, nach anfänglich schwersten Bedenken, aber in Anbetracht der Philistergefahr dann doch in Rama mit Öl salbte (der „Gesalbte“, hebr. der „Messias“), ihn küsste und sprach: „So hat dich der Herr zum Fürsten (hebr. nāgīd) über seinen Erbbesitz gesalbt“ (1 Sam 10,1). Zum vollen Königtum war unbedingt die Akklamation notwendig. Sie wurde in Mizpa im Lande Gilead vorgenommen: „Und Samuel ließ alle Stämme Israels herantreten … Und er fragte: ‚Seht ihr, wen der Herr erwählt hat?‘ … Und das ganze Volk jubelte und sie riefen: ‚Es lebe der König‘“ (1 Sam 10,24). Aber erst in Gilgal machte ihn „das ganze Volk“ zum König (1 Sam 11,15).³⁹ Die Quellengrundlage zu Saul ist eine Collage aus einstmals selbständigen Texten, die Stationen des Thronaufstiegs wirken konstruiert, Sauls Königtum wird historisch heute in Frage gestellt, lieber würde man ihn zum Häuptling und Stammesführer der Benjaminiten machen.⁴⁰ Die Tendenz, Sauls Herrschaft zu minimalisieren und die Erzählungen von David und Salomo dem Mythos vom
Freilich verzeichnet Mursili II. in seinen historiographischen Werken, den sog. Annalen, seine Siege über Arzawa ca. 1316 v.Chr. Aber da es sich um keine Rachekriege handelt, ist der Siegeston doch wohl als ein anderer wahrzunehmen. Die Texte 1 Sam 9 – 11 enthalten Spannungen, die darauf schließen lassen, dass eine geschlossene Erzählung über den Thronaufstieg Sauls nie existiert hat. Dietrich (1997), 107 f.; 156 f.
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goldenen Zeitalter zuzuweisen, ist in wesentlichen Punkten zu unterstützen. Die Inschrift aus Tel Dan, in der vom „Haus Davids“ die Rede ist, hat jetzt allerdings eine retardierende Wirkung entfaltet, in der Einsicht nämlich, dass auch für die frühe Königszeit (10. Jh. v.Chr.) die biblischen Quellen nicht nur Fiktionales bieten. Was charismatische Herrschaft nach Weber bedeutet, lässt sich Punkt für Punkt an dem Putsch des Jehu im atl. Buch der Könige demonstrieren. Israel bietet überhaupt und auch hier wieder die wichtigsten Parallelen, die zum besseren Verständnis der herodoteischen Gyges-Erzählung führen. Unbestritten gelten die „Richter“ (šōfeṭīm, von der Verbalwurzel špṭ ‚herrschen‘) in Israel, wie Gideon aus Ofra im Stammesgebiet von Manasse (Ri 6 – 8), als Charismatiker. Diese lehnten den Königstitel ab und gründeten auch keine Dynastie. Auch der glücklose Heerkönig Saul war nicht ohne charismatische Beauftragung. H. Donner geht aber noch weiter. Das Königtum im Nordreich sei insgesamt charismatisch, und sei es auch geblieben trotz angestrengter Versuche, die labile Art dieser Verfassung zu stabilisieren.⁴¹ Die Aramäer und dann die noch aggressiveren Assyrer sorgten dafür, dass es im Nordreich zu häufigen Dynastiewechseln kam, während das im historischen Abseits gelegene, stammesstaatlich verfasste Südreich die charismatische Herrschaftsform nicht praktizierte. Das Königtum im Nordreich hatte seinen Ursprung, so die Vorstellung, nicht im Himmel, sondern Macht und Herrschaft gründeten in der Akzeptanz des Volkes. Die Omriden, die bekannteste, in Baukunst und Literatur weit vor den Davididen in Juda rangierende Dynastie, stellten nur drei Herrscher, dann gab es wieder einen charismatischen Wechsel, herbeigeführt von einem gewissen Jehu. Die Königserhebung des Jehu ist wie nach einem Lehrbuch in ihrer ganzen Prozedur dokumentiert. Er ist Hauptperson in einem einst selbständigen novellistischen Geschichtswerk, das erst nachträglich Aufnahme in das sog. Deuteronomistische Geschichtswerk von ca. 560 v.Chr. fand. Es ist voller Grausamkeit und unerhörter Brutalität, und dennoch ein „Meisterwerk hebräischer Erzählkunst“ (H. Gunkel). Der Text 2 Kön 9,1– 10,27 erzählt von der „Verschwörung“ (verbale Ableitung der Wurzel qšr) des Jehu (845 – 818 v.Chr.), eines Heerbannoffiziers, gegen seinen Herrn, den König von Israel, Joram, Sohn des Ahab, aus der Dynastie der Omriden, dessen Ahnherr Omri die Stadt Samaria einst auf jungfräulichem Boden gegründet hatte.⁴² Ort des folgenden Geschehens ist das Donner (2008), 263 f. 2 Kön 9,14a steht das Verbum qsr ‚er verschwört sich‘. Öfters belegt im Sinne von „verschwörerischer Zusammenschluss einer Gruppe mit dem Ziel eines gewaltsamen Umsturzes“, dazu Würthwein (2008), wo mit erschütternden Worten versucht wird, das theologisch Unfassbare zu ertragen.
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Bedeutung des Sieges
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Feldlager der israelitischen Armee in Ramot, im efraimitischen Siedlungsgebiet des ostjordanischen Gilead gelegen. Es ist die Zeit der Aramäerkriege, als Hasael, der König von Aram-Damaskus („von den Aramäern aus Damaskus“), in Gebiete Israels sowohl im Ost- als auch im Westjordanland u. a. mit seinen Streitwagen einzufallen pflegte. Bis ans Mittelmeer drang er vor und eroberte sogar Gat, eine der fünf Fürstenstädte der Philister (2 Kön 12,18). Joram nun, der omridische König, hatte schwer verletzt das Lager von Ramot im Gilead verlassen müssen. Da kam ein namenloser Jünger des Propheten Elischa ins Feldlager, nahm Jehu etwas beiseite, designierte ihn zuerst im Namen Jahwehs und salbte ihn anschließend zum König über Israel. Dem folgte abschließend der sozusagen dritte Akt, nämlich die Akklamation, vorgenommen durch Jehus Offizierskameraden. Als diese nämlich hörten, was Jehu widerfahren war, breiteten sie ihre Gewänder vor ihm aus, dann bliesen sie den Schofar und sagten: „Jehu ist König.“ Das war 843 v.Chr.⁴³ Die eigentliche Thronfolge begann mit der Ermordung des Königs Joram und endet mit der erbarmungslosen Ausrottung aller männlichen Mitglieder der Omriden-Dynastie (2 Kön 9,1– 37), „als ob er rasend wäre“ (2 Kön 9,20). Zu einer (nachträglichen) Aberkennung des Königstitels hätte selbst folgender Umstand wohl nicht ausgereicht. Die jüngst in Tell Dan ausgegrabene, aramäisch beschriftete Basaltstele, öffentlich aufgestellt von König Hasael, die oben schon erwähnte, sog. „Haus Davids“-Inschrift von Tell Dan, in der Jehu erwähnt wird, lässt nämlich nur den inzwischen allgemein akzeptierten Schluss zu, dass dieser im Auftrag Hasaels, des aramäischen Erzfeindes, den König von Israel, seinen Herrn, getötet hat.⁴⁴ Mit dem vierten Nachkommen kam die Dynastie des Jehu an ihr unrühmliches, weil tatenloses Ende. Was ist nun charismatisch an der Herrschaft Jehus? Da ist einmal die Notsituation, hervorgerufen durch die Aramäer, da ist der Mord und die Auslöschung der Omriden-Dynastie, da ist die Verbindung mit dem „Derwisch-Orden“, hier hergestellt in Gestalt eines Propheten-Jüngers, der von den Offizierskameraden Jehus „der Verrückte“ (hammešugga‘), genannt wird. Der „Orden“ des Elija setzte auf strikte Scheidung zwischen kanaanäischer Kultur und Jahweh-Religion. Mehr noch: Der neue Mann, der die Repräsentanten des Kanaanäertums, voran die Königin Isebel und die Baalspriester, mit Stumpf und Stiel auszurotten versprach und dies auch tat, gelangte, durch Designation und Akklamation legitimiert, auf den Thron der Könige Israels.
Zum Verfassungsgeschichtlichen Donner (2008), 303 – 310, zur Einbettung in einen größeren historischen Rahmen – es ist die Zeit Salmanassars III. (858 – 824 v.Chr.) – s. Herrmann (1973), 288 – 291. Das Datum verdanken wir der Erlanger Dissertation Robker (2012). Herrn J.M. Robker danken wir für mündliche Gespräche und für das Lesen einer ersten Fassung dieses Kapitels. Diesen Schluss zieht auch Kottsieper (2001), 176.
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Von den Hethitern sind keine Thronbesteigungsrituale auf uns gekommen, sieht man einmal von dem Ritual für einen sog. Ersatzkönig (CTH 419, um 1300 v.Chr.) ab, das H.M. Kümmel übersetzt (nach KUB XXIV 5) und bearbeitet hat und das, seiner Meinung nach, in wesentlichen Teilen auch für ein normales Krönungsritual genommen werden kann.⁴⁵ Gesalbt wurde mit dem „Feinöl des Königtums“ (Vs. 19′). Wer aber salbt, lässt sich auf Grund der schlechten Texterhaltung nicht mehr sagen. Aus dem gleichen Grunde ist auch die Person oder das Gremium nicht feststellbar, das akklamiert und ausruft: „Siehe, dieser ist König“ (Vs. 20′). Man vermutet nur, dass das der panku- tat, jener königliche Sippenrat, der das Gesamtreich repräsentierte und vielleicht sogar als eine Art Kontrollorgan der Staatsverfassung fungierte. Aber letzteres ist umstritten.⁴⁶ Zu allem Überfluss ist auch die Person, die den künftigen König designiert hatte, nicht erhalten. Dass eine Gottheit im Spiel war, wird niemand mehr bezweifeln wollen, der auf das sog. Testament Hattusilis I. blickt und dieses Testament zur sinngemäßen Ergänzung des nur fragmentarisch erhaltenen Ersatzkönigrituals heranzieht. Natürlich drängt sich in diesem Testament der noch regierende König agierend in den Vordergrund und nicht die Götter, die einfach nur anwesend sind. Der König spricht denn auch die entscheidenden Worte, und zwar vor Militärs und hohen Würdenträgern: „Mursili ist jetzt mein Sohn! Ihn sollt ihr anerkennen.“⁴⁷ Das wäre der 1. Akt in einem Thronbesteigungsritual gewesen. Das hethitische Bauritual wird diesbezüglich später zur Sprache kommen. Herodot hat Spuren bewahrt, die in Lydien auf Designation durch den König immerhin noch einmal schließen lassen. Gegen Ende des Lyder-Logos geht er nämlich nochmals auf Kroisos und seine Weihegeschenke und auch darauf ein, aus welchen Kanälen sein sprichwörtlicher Reichtum sich speiste. In diesem Zusammenhang erfahren wir, dass Kroisos einen Bruder hatte, wenngleich nicht von derselben Mutter (ouk homometrios), namens Pantaleon. Dieser, der eine Ionierin zur Mutter hatte, wurde von einer gewissen Person in seiner „Kandidatur“ auf die Thronfolge massiv unterstützt. Aber jetzt kommt ein vielleicht noch auf ein Ritual zurückgehender Ausdruck in dem Satz: „Als Kroisos nach dem Willen
Kümmel (1967), 28; 43 ff. Zum panku- s. Starke (2002), 317; anders Klinger (2012), 62– 68. Angesichts des Kontrastes zum ganz anders konstituierten Perserreich neigen wir der Position Starkes zu und wenden sie, natürlich unter Vorbehalt, auch auf das Lyderreich an. Denn wirklich „nicht rechenschaftspflichtig“ (ouch hypeuthynos: Aischyl. Pers. 213, vgl. Hdt. 3,80) war nur der Perserkönig, dazu von Wilamowitz-Moellendorff (1914), 52 f. Vs. col. II 37, Ü: J. Klinger, in: TUAT N.F. Bd. 2 (2005), 143. Der designierte Thronfolger, der den hethitischen Thronnamen Mursili annahm, wurde adoptiert und ersetzte den ursprünglich vorgesehenen, leiblichen Sohn Hattusilis I.
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Bedeutung des Sieges
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seines Vaters (dontos tou patros) den Thron bestieg, … „ (Hdt. 1,92,3). Ist dieser Ausdruck ganz auf die Entscheidung des Vaters zwischen den beiden Söhnen festgelegt oder ist er im prägnanten Sinne zu deuten, nämlich als Designation? Wir halten an der Vermutung einer Designation fest. In Lydien gab es vermutlich kein „Erbcharisma“ in Webers Sinne; das Charisma haftete vielmehr an der Dynastie. Wie man die von der Gottheit vorzunehmende Designation eines jeden neuen Thronfolgers mit dem dynastischen Prinzip theologisch in Einklang bringen konnte, lässt sich am besser dokumentierten, neuassyrischen Beispiel zeigen.⁴⁸ Aber damit sind längst nicht alle Fragen gelöst. Weber sah ein Hauptproblem offensichtlich darin, wie charismatische Herrschaft, die er als außeralltägliche und persönliche Beziehung definiert, auf die Nachfolger übergehen kann. Passives Abwarten, bis ein neuer charismatisch beglaubigter Herr erschien, war politisch nicht zu verantworten – in den meisten Fällen herrschte der militärische Ausnahmezustand –, vielmehr musste durch aktives Handeln eine direkt anschließende Nachfolge ermöglicht werden. Der charismatisch Qualifizierte musste bezeichnet werden. Das konnte auf verschiedenen Wegen geschehen, so mittels Nachfolgerdesignation durch den Charismaträger selbst, oder durch die Vorstellung, dass die charismatische Qualifikation im Blut liege („Erbcharisma“), was wir ausschließen müssen. Wir wollen den Weg gehen, den Weber „rituelle Versachlichung des Charisma“ nannte, nämlich die Bezeichnung der Qualifizierten durch sakramentale Akte, wie etwa die Handauflegung oder die Salbung.⁴⁹ Priester und Könige, auch Propheten, wurden gesalbt. Es ist interessant zu sehen, welche Staaten die Salbung im 1. Jt. v.Chr. praktizierten und welche mit Sicherheit das nicht taten. Für Assyrien,⁵⁰ Babylonien und Persien liegen keine Nachrichten vor. Wenn auf die genannten Staaten zutrifft, was Weber zu den Staaten „traditionalen Charakters“ sagt, dann findet man hier die Erklärung.⁵¹ Für Israel (Nordreich)⁵² sowie Juda und Hattusa,⁵³ und zwar für das frühe, „charismatische“ Hattusa, ist die Salbung als wichtiger Rechtsakt der Krönungszere-
Cancik-Kirschbaum (1995). Weber (1922 = 1985). Müller (1937). Weber (1980), 130 – 140: „Der Herr … (ist) kraft traditional überkommener Regel bestimmt.“ So wird Saul, sozusagen das Urbild eines Charismatikers, von Samuel gesalbt 1 Sam 10,1. Dem Öl wurde reinigende Kraft im Verfahren der kontagiösen Magie zugesprochen. Die Salbung des Hauptes mit Öl ist Teil des hurritischen Reinigungsrituals itkalzi, KUB XXIX 8 Rs. III 21– 24 (14. Jh. v.Chr.), dazu Schwemer (2002a), 38.
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monie bezeugt.⁵⁴ Herodot berichtet darüber nichts; auch der dritte legitimierende Akt der Thronfolge, die Akklamation, ist bei ihm nicht ausdrücklich bezeugt. Das AT zeigt nun aber, dass die Akklamation konstitutiv war. Für Jehu haben wir sie belegen können. Und auch im Falle Sauls: Das „ganze Volk“, „alle Männer Israels“ kamen nach Gilgal und „machten Saul zum König“ über Israel (1 Sam 11,15). Herodot kannte die Akklamation nicht, es fehlte ihm die lebendige Anschauung. Denn sie wurde nur von Reichen nach Art „patrimonialer“ bzw. „traditionaler Herrschaft“ (M. Weber) praktiziert, und so weder von den Persern noch von den Makedonen gepflegt. Aber zu diesem Kreis höher entwickelter Staaten gehörte Lydien zur Zeit Gyges’ nicht. Es muss deshalb nicht unbedingt an Herodot liegen, der sie übersehen hätte, sondern vielmehr an der Tatsache, dass die Akklamation gar nicht stattgefunden hat. Wir halten an der Möglichkeit einer charismatischen Herrschaft des Gyges so lange fest, bis historisch aufgeklärt ist, warum die Akklamation ausgefallen ist (dazu s. im Folgenden).
Drohender Bürgerkrieg Wenn man dem Bericht, den Herodot von den sich überstürzenden Ereignissen in und vor dem Palast zu Sardes liefert, Schritt für Schritt folgt, kommt man zu dem Ergebnis, dass es für eine Akklamation gar keine Gelegenheit gab. Denn statt der Akklamation, die Gyges vielleicht erwartet hatte, kam es zum bewaffneten Widerstand. Hätte er seine stasiotai ‚Aufständischen‘ gegen diesen eingesetzt, so hätte das Bürgerkrieg mit ungewissem Ausgang bedeutet. Dies konnte aber im letzten Moment durch die Einigung auf ein streitschlichtendes Verfahren abgewendet werden, und zwar durch eine Anfrage beim Orakel von Delphi.⁵⁵ Wir tendieren dazu, den Bericht Herodots, angefangen vom Mord an Kandaules (ohne die Voyeursgeschichte), aber auch die ausgebliebene Akklamation sowie die Abwendung eines drohenden Bürgerkriegs für historisch zu halten. Wir wissen von Gyges nicht viel, aber dass er sehr reich war, wissen wir mit Sicherheit,
Standardwerk ist Kutsch (1963), bes. 36 ff. Die hethitischen Zeugnisse bei Kümmel (1967), bes. 44. Schlichtung eines Streites und Aussöhnung der Streitenden durch einen Schiedsrichter hat Herodot mehrfach erzählerisch in sein Werk verbaut. So sollen Alyattes und der Meder Kyaxares durch den Kilikier Syennesis und den Babylonier Labynetos gedrängt worden sein, am Verhandlungstisch einen zu beeidenden Vertrag zu Wege zu bringen (Hdt. 1,74). Labynetos entspricht formal Nabonid, gemeint ist aber Nebukadnezar; s. Asheri/Lloyd/Corcella (2007), 135. Eine ganze Liste solcher Schlichtungen hat Drexler (1972), 168 – 171 zusammengestellt.
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Woher stammt das Wort tyrannos?
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dafür bürgen Archilochos (F19 W) und Herodot, letzterer mit seiner Notiz von den sechs goldenen Mischkrügen (ionisch: kreteres), 30 Talente⁵⁶ schwer, die Gyges in Delphi aufgestellt habe. Was Herodot in Delphi sah und hörte, muss freilich nicht immer der Wahrheit entsprechen. In diesem Falle halten wir aber Herodots Zuschreibung an Gyges für historisch korrekt (s. unten). Tyrann sein heißt nach weit verbreiteter Meinung auch immer automatisch reich sein. Aristoteles (pol. 5,1311a20) sagt einschränkend, dass Reichtum (ploutos) das Endziel (to telos) der Tyrannis sei. Danach scheint es doch wohl so gewesen zu sein, dass nicht alle Tyrannen das Ziel ihres Lebens erreicht haben. Reichtum im Sinne von ploutos besaßen Periander von Korinth (reich durch Handel), Peisistratos von Athen (durch Minen-Besitz)⁵⁷ und Polykrates von Samos (durch Handel ohne Trennschärfe zur Piraterie), so dass man für das, was sie besaßen, wirklich von ploutos reden kann. Es fragt sich nun, was eigentlich das Spezifikum einer Tyrannis ist, durch das sie dem Anwärter auf eine solche, wenn auch nicht die Garantie, so doch wenigstens die Chance gibt, Reichtum zu erwerben. So gelangen wir auf eine tiefere Ebene des Phänomens Tyrannis, dessen aufdringlichstes Symptom der Reichtum ist.
Woher stammt das Wort tyrannos? Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück. (Karl Kraus)
Beim Dichter Archilochos wird zum ersten Mal das Wort tyrannis ‚Alleinherrschaft‘, später auch ‚Tyrannenherrschaft‘, erwähnt, und zwar als Herrschaftsform des Lyderkönigs Gyges. Es ist daher sinnvoll, hier diesen bis heute in seiner Herkunft umstrittenen Begriff näher zu betrachten. Da aus der Antike nichts über die Herkunft des Wortes tyrannos ‚Alleinherrscher, Tyrann‘ überliefert ist, kann dies nur mit Hilfe des Sprachenvergleichs geschehen. In den luwischen Hieroglypheninschriften des frühen 1. Jt. v.Chr. in Südostanatolien und Nordsyrien erscheint ein Begriff, der auf Grund seiner Schreibung mehrere lautliche Interpretationen zulässt.⁵⁸ Während man lange Zeit annahm, er
Die Normierung des Talents „liegt wohl die Vorstellung als schwerster noch einigermaßen bequem vom Menschen zu bewältigender Last zugrunde“ (Chantraine [1975], 502). Das Talent ist in der antiken Welt immer schwerer als 20 kg und bleibt in jedem Fall unter 40 kg. Auch die lydischen Könige waren reich auf Grund von Minen, so im Gebiet von Pergamon. Die Schreibung ist, soweit sie sich nicht auf ein Ideogramm beschränkt, tara/i-wa/i-ni-.
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habe ursprünglich ‚Richter‘ bedeutet, zur Zeit der Abfassung der Inschriften aber die Bedeutung ‚Herrscher‘ angenommen, brachte F. Pintore im Jahr 1979 einen wesentlichen Fortschritt mit seiner Annahme,⁵⁹ dass das Wort in den Inschriften in erster Linie als Adjektiv diente und nur daneben auch substantiviert erscheine. Er übersetzte ‚gerecht‘ im Sinne von ‚loyal‘ bzw. ‚der Gerechte‘ im Sinne von ‚der Loyale‘. Seine Erkenntnis wurde allerdings erst jetzt durch H.C. Melchert wirklich rezipiert.⁶⁰ So geht etwa J.D. Hawkins in seinem bahnbrechenden „Corpus of Hieroglyphic Luwian Inscriptions“ noch von tarwani- ‚ruler‘ aus und gibt das betreffende Ideogramm als IUDEX wieder.⁶¹ Melchert führte Pintores Überlegungen weiter und kam zu der lautlichen Interpretation tarrawann(i)-⁶² und dem Bedeutungsansatz ‚aufrichtig‘, substantiviert ‚der Aufrichtige‘ als Ehrentitel. Beides gebrauchen in den Inschriften Vasallen von Herrschern, Herrscher, Ehefrauen von Herrschern sowie (hochgestellte) Schreiber, um sich selbst zu charakterisieren. Die Wortbildung des Luwischen erfordert hier ein verdoppeltes n, was zum doppelten n von griechisch tyrannos gut passt. Etymologisch ist das Wort mit deutsch ‚treu‘ verwandt. Luwisch tarrawann(i)- ‚aufrichtig‘ konnte dann auch den Sinn von ‚fromm‘ annehmen. Ein Textbeispiel hierfür ist die Inschrift Sheizar §2, wo der Verfasser von sich sagt: „Auf Grund meiner Aufrichtigkeit erlebte ich (meine vollen) hundert Jahre“.⁶³ Die Götter haben den Herrscher für seine Haltung belohnt. Als Substantiv wurde dieses luwische tarrawann(i)- nicht nur ins Griechische, sondern auch in das semitische Ugaritische sowie in die Sprache der Philister entlehnt, entwickelte sich also zu einem echten Wanderwort.⁶⁴ Nach Ugarit kam es sicher deshalb, weil diese wichtige Hafenstadt im späten 2. Jt. v.Chr. an luwischsprachiges Gebiet grenzte, während die Philister sich vor ihrer Wanderung an die Küste Palästinas offenbar ebenfalls einmal in der Nähe der Luwier aufgehalten hatten.⁶⁵ Für die Übernahme des Wortes als tyrannos ins Griechische gibt
Pintore (1979). Melchert (i. Vorb. a). Wir danken H.C. Melchert dafür, dass er uns diesen Artikel, der in einer Festschrift erscheinen wird, vorab zur Verfügung gestellt hat. Hawkins (2000), I/1 372. Die Schreibung tara/i-u-na-ti ‚durch Aufrichtigkeit‘ in der Inschrift KULULU 1, §15 kann lautlich kaum anders denn als lautliches tar(r)aunnadi interpretiert werden, das aus tár(r) awannadi synkopiert ist (Hinweis von I. Yakubovich bei Melchert [i. Vorb. a]). Deshalb ist der Stamm als tárrawann(i)- anzusetzen. Er war also ebenso auf der ersten Silbe betont wie griechisch tyrannos. Lautlich ist der Text so zu interpretieren, wobei wir überwiegend I. Yakubovich folgen: A=wa ammii̭adi turwanadi 100-ni ussin pazzaha. Vgl. Yakubovich (2016), 77. Vgl. Giusfredi (2009). Vgl. die Diskussion bei Hawkins (2009).
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es nun zwei Möglichkeiten. Entweder wurde es direkt von denjenigen Griechen, die in der kilikischen Ebene siedelten, übernommen,⁶⁶ oder die Griechen entlehnten es auf dem Weg über die Lyder. Für die letztere Möglichkeit möchten wir folgende Überlegungen anführen: Im Ugaritischen und in der Sprache der Philister bedeutet das betreffende Wort ‚Prinz‘, in der letzteren außerdem auch ‚Heerführer‘. Das könnte unserer Meinung nach ein Hinweis darauf sein, dass in der politischen Praxis der luwischen Staaten vor allem Prinzen und Vasallen ihre tarrawann(i)- (‚Aufrichtigkeit‘) zu betonen pflegten. Im Griechischen dagegen bezeichnet das entsprechende Wort tyrannos nicht Prinzen oder Heerführer, sondern durch Usurpation an die Macht gekommene Alleinherrscher von nichtköniglicher Abstammung. Da das Wort tyrannis ‚Alleinherrschaft‘ zum ersten Mal bei Archilochos unter Bezug auf den Lyderkönig Gyges belegt ist, ist folgende Entwicklung denkbar: Ebenso wie Ugariter und Philister übernahmen auch die Lyder das Wort tarrawann(i)- aus dem Luwischen in der Bedeutung ‚Heerführer, Prinz‘. Gyges stammte, wie wir wissen, nicht aus der königlichen Dynastie. Er könnte also ein hoher Beamter unter dem Heraklidenkönig Kandaules (Myrsilos) gewesen sein, vielleicht auch mit militärischen Funktionen ausgestattet, und als solcher den betreffenden Titel, der aus luwisch tarrawann(i)- stammte, getragen haben. Zweifellos war Gyges der bedeutendste lydische König vor Kroisos, den die Griechen erlebten. Vermutlich fiel er ihnen nicht nur dadurch auf, dass er ein Usurpator war, der nicht aus der Herrscherdynastie selbst stammte, sondern vor allem durch seinen unkonventionellen Stil in der Wirtschaftspolitik. Er förderte nämlich, wie wir aus dem Gebaren griechischer „Tyrannen“ rückschließen können, Gewerbe und Handel und erhöhte dadurch die wirtschaftliche Ertragslage. Diese Verhaltensweisen, die den Griechen offenbar vorbildhaft erschienen, könnte zusammen mit seiner Usurpation der Herrschaft schließlich dazu geführt haben, dass man den Titel, den er trug, nun mit einer neuen Bedeutung übernahm.⁶⁷ Griechisch tyrannos bezeichnet den Ausbrecher aus dem Kreis adeliger Standesgenossen, der die regierende Königsfamilie entmachtet und verjagt, die
Vgl. dazu Hawkins (2009), 165 f., sowie Yakubovich (2002), 112. Man kann es sich etwa so vorstellen: Das Phänomen Gyges in seiner Vielschichtigkeit interessierte die Griechen. Gyges hieß bei den Lydern vermutlich meist einfach „der trwannaś“ (oder ähnlich), denn das war sein Titel vom Anfang her gewesen. Deshalb nannten ihn auch die Griechen „den Tyrannos“. Und wenn sich einer ihrer Landsleute „wie ein Gyges“ verhielt, dann nannten ihn die Griechen vereinfachend einen „Tyrannos“. So kam das Wort ins Griechische. Im Lydischen selbst, von dem wir ja außer Glossen nur relativ wenige Inschriften, meist Grabinschriften, besitzen, ist das griechisch tyrannos entsprechende Wort nicht belegt.
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Herrschaft usurpiert⁶⁸ und seine Macht auf gesellschaftliche Aufsteiger stützt, die Theognis von Megara (ca. 585 – 540 v.Chr.) sinngemäß die „Neureichen“ nannte.⁶⁹ Somit hatte der Titel tyrannos im Griechischen am Ende eine Bedeutung bekommen, die geradezu konträr zum ursprünglichen ‚der Aufrichtige‘ war. Vielleicht nennt Herodot den betreffenden König deshalb Kandaules und erwähnt dessen eigentlichen Namen Myrsilos nur nebenbei, weil die lydische Tradition nicht von einer Auseinandersetzung zwischen *Mursilis (Myrsilos) und Kukaś (Gyges), sondern zwischen „dem *kantawlaś (König)“ und „dem *trwannaś (Heerführer)“ berichtet hatte. Abschließend noch ein Wort dazu, wie man sich die lautliche Entwicklung von luwisch tarrawann(i)-, dessen erstes a betont war, zu griechisch tyrannos durch Vermittlung des Lydischen vorstellen kann: Möglicherweise wurde zunächst das zweite a im Lydischen synkopiert, so dass es schwand. Denkbar wäre, dass das nun hinter r stehende w den Vokal der vorausgehenden Silbe beeinflusste, so dass er zu u wurde. Dagegen spicht aber, dass der lydische Personenname Šrkaštu- im Griechischen als Syrgastos bzw. Syrgastor (Name des bithynischen Zeus) erscheint. Hier wird also lydisches Šrk- als griechisch Syrgwiedergegeben. Lydisch r zwischen Konsonanten hörten die Griechen also als ur, geschrieben yr, und zwar auch dann, wenn in der nächsten Silbe kein w stand. Daher vermuten wir, dass der lydische Vorgänger von griechisch týrannos als *trwannaś oder *trwanniš geschrieben wurde. Im Griechischen schwand das w regulär.⁷⁰ Mit Gyges beginnt das Herrschergeschlecht der Mermnaden. Auch für die Herkunft dieses Geschlechts ergibt sich nun mit Hilfe der Sprachwissenschaft Neues. Zwar hatte bereits W.H. Buckler⁷¹ im Jahr 1924 das in der lydischen Inschrift LW 22 mehrfach auftretende Wort mλimna- mit dem Namen der Mermnaden identifiziert, aber erst jetzt hat I. Yakubovich den inhaltlichen Nachweis dafür
Am Anfang war das Wort tyrannos im Griechischen noch nicht negativ konnotiert; vgl. Parker (1998), 153; ders. (1996). Theognis F19 – 38; 53 – 68; 101– 112; 183 – 192 W. Theognis war Elegien-Dichter wie der etwas ältere Solon. Genauer: Da die indogermanische Basis *drewH-o- ‚aufrichtig, standfest‘ lautete (vgl. dt. ‚treu‘), wurde die vor-luwische Ausgangsform *drewHéno- zunächst zu *drawánna- und dann zu *dǝrawánna- mit einem anaptyktischen Murmelvokal ǝ, der später den Akzent auf sich zog. Eine solche Entwicklung ist zum Beispiel auch beim Zahlwort ‚drei‘ im Luwischen zu beobachten. Daraus wurde dann luwisch *tǝ′rrawann(a/i)- und später durch Analogie *tǝ′rrawann(i)-, in Hierglyphenschrift tara/i-wa/i-ni- geschrieben. Nach der Entlehnung ins Lydische kann sich daraus durch Synkope *tǝ′rwann(i)- entwickelt haben, was *trwanni- oder *trwanna- geschrieben wurde. Bei Akzentverschiebung hätte die Form *trwãna- gelautet. Buckler (1924), 41.
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„Entzauberung“ der Welt
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geliefert (s. unten Teil 2). Zur formalen Seite der Entsprechung schlägt uns Craig Melchert dankenswerterweise folgendes vor: Am Wortende stehendes lydisches λ hat sich aus r entwickelt, wie sich an medialen Verbalformen zeigen lässt.⁷² Entsprechendes kann für den Inlaut vermutet werden, weshalb mλimna- aus älterem *mrimno- stammen dürfte.⁷³ Eine dazu gehörige Ableitung *mrimno-ii̭o- ‚zu *mrimno- gehörig‘ musste nach dem lydischen Lautgesetz, dem zufolge sich der Laut i̭ zu d entwickelt und das uns noch öfter begegnen wird, zu *mrimnadawerden. Dies wurde ins Griechische als Mermnadai (Μερμνάδαι, Plural) entlehnt.⁷⁴ Der Name bedeutet also ‚die zu den mλimna-Gehörigen‘ oder ‚die Abkömmlinge der mλimna‘. Diese mλimna- waren eine soziale oder ethnische Gruppe, der die Sarder in der perserzeitlichen lydischen Inschrift Nr. 22 bestimmte Rechte in Sardes einräumten (s. unten Teil 2.1).⁷⁵ Für die historische Beurteilung hat das folgende Konsequenz: Offenbar war aus der Gruppe der mλimna-, die noch zur Perserzeit in der Nähe von Sardes existierte, um das Jahr 700 herum das Geschlecht der Mermnadai (lyd. *mλimnáda‐) hervorgegangen, denn ihr Name bedeutet ‚zu den mλimna- gehörig, von den mλimna- abstammend‘. Gyges war der erste aus dieser Gruppe stammende Herrscher, und die stasiotai ‚Aufständischen‘, die ihn bei seiner Usurpation des Throns unterstützten, waren wahrscheinlich eben diese Gruppe der mλimna-.
„Entzauberung“ der Welt Reich zu sein wie Gyges, das war der Wunsch aller Griechen; wir kennen nur einen mit Namen, den dies kalt ließ: Archilochos von Paros (dazu Teil 5 3 „Schatzhaus“). Unser Interesse zielt nun auf die geistigen Antriebskräfte, die in dieser Zeit zum Zuge kamen und die besonders in der Person des Tyrannen Gestalt gewannen. Vielleicht erklärt sich auf diesem Wege auch, warum die Tyrannis von den Griechen als „Erfolgsmodell“ angenommen wurde und sich über ganz Griechenland verbreitete.
Vgl. Melchert (2006). Wahrscheinlich wird u. E. vor i stehendes r hinter bestimmten Konsonanten im Lydischen zu λ. Dabei dürfte neben lydisch *mrimnáda- eine Variante *mrmnáda- entstanden sein, in der das unbetonte i synkopiert worden ist. Sie konnte sich in griechischem Mund zu Mermnádai entwickeln, und zwar in Analogie nach mermnos, eine Falkenart.Vgl. in ganz ähnlicher Lautumgebung die ebenfalls synkopierte Form fẽnsλbid neben normalem fẽnsλibid ‚er stiftet Schaden‘. Zur Interpretation der Inschrift LW 22 s. Schürr (1997); Melchert (2006); jetzt Yakubovich (2017). Der lydische Text findet sich auch bei Gusmani (1964), 259.
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Es ist letzten Endes eine neue Sichtweise auf die Welt und der Versuch, sie sich untertan zu machen, lange Zeit mit Berufung auf das sog. Dominium terrae (Gen 1,28 P, 6. Jh. v.Chr.). Im zweckrationalen und zweckfreien Zählen, Messen und Wiegen begreift man das Charakteristikum dieser Zeit.⁷⁶ Thales sieht in der gemessenen Höhe die wirkliche Größe der Pyramiden, verschüttet aber damit auch unseren Blick dafür, dass ihre wahre Größe letztlich allein in der ihnen einmal zugedachten Bedeutung liegt. In den altägyptischen Texten werden die Pyramiden als etwas Ewiges gepriesen. Thales, der die Welt als Umwelt objektivierte, so sagt man heute, und der bereits einen Begriff von Natur (physis) hatte, den z. B. das AT nicht kennt, wird uns noch einmal begegnen, und zwar beim Vormarsch des Kroisos gegen Kappadokien, als er den Halys pietätlos umleitete (s. Teil 6 „Des Kroisos Sturz und ‚Bekehrung‘. Heroenkult“; s. Glossar). Das ist freilich nur eine Bestimmung des Thales. Seine Herkunft und Verbindung zum universalen, für Altanatolien, Mesopotamien wie für die Griechen Homer und Hesiod gleichermaßen gültigen Mythos, wird man in Zukunft stärker zu berücksichtigen haben. Schlagwörter wie aufkommende Ursachenforschung sowie Versachlichung in den Bereichen Technik, als auch das Reden „vom Mythos zum Logos“, ferner vom „Fortschritt des Bewusstseins“⁷⁷ sowie schließlich auch von der Entsolidarisierung im Sozialen, die sich nach 700 v.Chr., der sog. Orientalisierenden Epoche, bemerkbar machte, seien hier als Zeitansagen genannt. A. Heuß sah den neuen Geist vor allem in der lydischen Münzprägung und dann in der Münzprägung der Tyrannen in den entwickelteren Poleis zuerst Ioniens und dann Griechenlands am Werke.⁷⁸ Diese weitverbreitete Meinung ist praktisch gut begründet und doch so lange unbefriedigend, als der historische Hintergrund nicht sichtbar gemacht wird (dazu Teil 5 3 „Schatzhaus“).
„Er (Thales) habe sogar die (Höhe der) Pyramiden anhand ihres Schattens vermessen (ekmetresai)“ (Diog. L. 1,27). Das Zählen spielt im Dialog zwischen Solon und Kroisos eine große Rolle (Hdt. 1,30 – 32, hier 32): „… auf siebzig Jahre setze ich die Dauer des Menschenlebens. Das sind 25.200 Tage ohne die Schaltmonate. Will man jedem zweiten Jahre noch einen Schaltmonat hinzufügen …, dann betragen die Schaltmonate im Verlauf der 70 Jahre 35, und die Tage dieser Monate ergeben 1050. Von allen Tagen dieser 70 Jahre – es sind 26.250 – bringt keiner etwas, was dem anderen ganz gleicht.“ Diese Berechnungen, jetzt nur in griechischer Moral verbaut, setzen einen altorientalischen Hintergrund voraus. Snell (1975), 287 f. Heuß (1981), 14 sagt in Bezug auf das Maß- und Gewichtssystem sowie die Münzprägung: „In der modernen Phraseologie, die freilich nur unter gravierenden Vorbehalten zulässig wäre, könnte sie (sc. die Politik der Tyrannen, Zus. Vf.) als „fortschrittlich“ etiquettiert werden und dementsprechend müssten dann ihre Gegner in die Rolle von „Reaktionären“ verwiesen werden.“
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Tyrannis als Erfolgsmodell für Griechenland
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Tyrannis als Erfolgsmodell für Griechenland Der Wunsch nach Neuem, nach Modernem, nach mehr Mobilität erfasste auch den Adel Griechenlands. In Hellas, so Aristoteles (384/83 – 322 v.Chr.), habe es „in früheren Zeiten“ Könige gegeben, und er nennt Pheidon von Argos namentlich. Diese hätten die väterlichen Satzungen (ta patria) überschritten, und so seien „aus dem bereits existierenden Königtum“ die Tyrannen hervorgegangen.⁷⁹ Wichtig für uns ist die Nennung des Pheidon von Argos, den wir noch in die Zeit des Gyges oder etwas später datieren (Mitte/Ende 7. Jh. v.Chr.).⁸⁰ Wir wissen von Pheidon, dass er Maß- und Gewichtsnormen eingeführt hat, die jetzt als völlig neuartige, tyrannische Maßnahmen empfunden wurden.⁸¹ Ob Pheidon auch persönlich den Tyrannen-Titel führte, wissen wir allerdings nicht. Die mit der Adelsherrschaft verbundene oikos-Wirtschaft mit ihren spezifisch engen, sozialen Bindungen, wo alles nur auf Autarkie abgestellt war, wird nun durch ein, wenn auch bescheidenes, Mäzenatentum belebt, welches schon einmal als bescheidener Vorläufer der späteren Fürstenhöfen mancher Renaissance-Tyrannen verstanden werden konnte.⁸² Das Leitmotiv der Autarkie war „nicht kapitalistischer Gelderwerb, sondern organisierte, naturale Deckung des Bedarfs des Gutsherrn (und seiner Hausgemeinschaft).“⁸³ Das Land war längst verteilt, eine ökonomische Expansion erschien nicht gerade chancenreich zu sein, ferner waren die Mauern der sozialen Klassen kaum mehr übersteigbar, wenngleich es in Griechenland keine geschlossene Adelsgesellschaft wie in Rom gab. Zur Anschauung kommen diese griechischen oikoi in den Gutshöfen der basilees, der „Könige“, gemeint sind damit die Oberhäupter adliger oikoi, wie sie uns in den Epen Homers vorgeführt werden, allerdings hier schon in romantischer Verklärung, in deren Glanz sich ja eine dem Untergang nahe wähnende Gesellschaft auch sonst gerne
Aristot. pol. 5,1320b15 – 25. Kinzl (2000) datiert ihn in die erste Hälfte des 6. Jh. v.Chr. Theoretisch möglich ist der Zeitraum 9.–6 Jh. v.Chr. Für unsere Datierung war die Annahme entscheidend, dass der Impuls, eine Tyrannis in Argos und darüber hinaus zu errichten, von Gyges ausging, Pheidon also später zu datieren sein dürfte, wenn auch nicht viel später. Denn Neuartiges, das Erfolg zeitigt, pflegt verhältnismäßig schnell von anderen aufgegriffen zu werden. Hdt. 6,127; Ephoros von Kyme FGrHist 70 F115. Nicht an eine aristokratisch verankerte Kultur, sondern eher an den Luxus einer kleinen Schicht denkt Jaeger (1959), 301. Die Tyrannen seien „ die ersten Medizeer“ gewesen. Dieser typologische Vergleich ist angesichts der Tatsache bedenklich, dass die Medici auf die Antike zurückgriffen, während sich die griechische Tyrannis der Anregung einer zeitgleichen und dem Eigenen nicht zugehörig empfundenen Kultur verdankt, nämlich der lydischen. Weber (1980), 230, fast wortwörtlich übernommen von Finley (1979), 57– 60.
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zu zeigen pflegt.⁸⁴ Hesiod entwirft bekanntlich ein anderes, man sagt, ein realistischeres Bild. Ob dieses der Wahrheit näher kommt als das homerische, ist jedoch eine andere Frage. Wenn es in der modernen Tyrannisforschung auch zu haltlosen Übertreibungen gekommen ist, bis hin zu der krassen Ansicht, die Tyrannen hätten die Leute mit öffentlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen von der Straße geholt, um Vollbeschäftigung zu erreichen und die wirtschaftliche Produktivität zu steigern, so setzten doch die Söhne des Peisistratos von Athen (528/27– 514 v.Chr.) in der Urbanistik, Kultur- und Religionspolitik sehr wohl deutliche Akzente.⁸⁵ Es kann keine Frage sein, dass Herodot, als er das Prooimion „fabrizierte“, bei den erga megala, den „großen Taten“, von Griechen und Barbaren auch an die Tyrannen dachte.⁸⁶ Er hat das Problem der Legitimität der Tyrannis nirgendwo angeschnitten, geschweige denn abschließend behandelt.
Gyges und Kypselos von Korinth. Treffpunkt Delphi? Das führt zu der Frage, ob die lydischen Tyrannen Nachahmer in Griechenland hatten. Die Übernahme des geprägten Metalls von Seiten der griechischen Tyrannen scheint – jedenfalls auf den ersten Blick – das zu bejahen. Schwieriger ist der Nachweis von kulturellen Entlehnungen zu erbringen. Es ist bekannt, dass sich die griechischen Tyrannen gegenseitig in der Herrschaft stützten, sich gegenseitig Ratschläge zum Kampf um den Machterhalt gaben. Die Kypseliden, die eine wirkliche Dynastie bildeten, taten noch mehr: Sie kräftigten durch eheliche Verbindungen den Zusammenhalt zwischen sich und anderen griechischen Tyrannenhäusern zusätzlich. An diesem Punkt der Untersuchung drängt sich die Frage auf, ob das „Stammhaus“ der Tyrannis in Sardes mit den griechischen „Filialen“ in Kontakt stand. Kypselos von Korinth, der schon in der Art und Weise, wie er das königliche Geschlecht (basilidai) der Bakchiaden entmachtete, tyrannisches Gebaren erkennen lässt, hatte in Delphi sein eigenes, persönliches Schatzhaus. In ihm stellte
Zum oikos die klassische Darstellung von Finley (1979), 56 – 63 und jetzt vor allem die Arbeiten von Ulf (1990); Eder (2015). Fragen, ob Homer überhaupt eine reale, organisch funktionierende Welt bietet, zu welchem Zeitpunkt sein Bild zutreffend sein könnte und schließlich, ob und in welcher Form die Polis existierte, sollen hier nicht erörtert werden. Eine übersichtliche Darstellung über die Entwicklung der Tyrannis in Griechenland gibt jetzt Stein-Hölkeskamp (2015), 221– 255. Vgl. zur Diskussion Crane (1996), 56.
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Gyges und Kypselos von Korinth. Treffpunkt Delphi?
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er seinen Reichtum und seine Macht zur Schau, aber auch seine „Frömmigkeit“, die er Apollon, dem Herrn des Orakels, damit erwies. Eine Orakelstätte ist zwar kein Ort, zu dem man reinen und frommen Herzens wallfahrtete, wie auf den Zion Jerusalems. Es ging nicht um eine persönliche Gotteserfahrung und auch nicht um priesterliche Unterweisung, gleichwohl war Delphi ein Heiligtum. Es war ein volksnahes Heiligtum, keiner Dynastie zu eigen und keinem Reich zugehörig, keinen staatlichen Kontrollansprüchen unterworfen wie die Religion bzw. Heiligtümer in Rom mit ihren Priesterschaften, den sacerdotes publici, wo aber publicus nicht Öffentlichkeit signalisiert, sondern das Gegenteil, nämlich Reserviertheit der sacra publica für staatliche Repräsentanten und ihre Institutionen. Mit Babylonien wiederum, wo die Vorzeichendeutung eine lange Tradition hatte, und wo vom 8. bis 7. Jh. v.Chr. die einzelnen Omina zu Sammlungen zusammengeführt wurden, kann die Polis Delphi, in ländlicher Einsamkeit ohne Bibliothek und Palast gelegen, was Erfahrung aber auch Wissenschaftlichkeit angeht nicht mithalten. Eine langjährige Ausbildung musste der babylonische Opferschauer (akk. bārû) absolvieren, um mit der Masse der Omina, die mit mehreren Zehntausend nicht zu hoch beziffert sind, umgehen zu können. Die meisten Orakel in Babylonien haben mit Fragen der Kriegführung und der Besetzung von Beamtenstellen zu tun. Ohne zuvor mühevolle Vergleiche zwischen Delphi und Babylonien angestellt zu haben, wird man sich mit Urteilen zurückhalten müssen. Selbst mit dem „nordischen“ Dodona und mit der im Hinblick auf die Orakelpraxis dubiosen Insel Delos, sowie schließlich mit der reichen Orakelpraxis im altanatolischen Kulturraum hatte Delphi wenig zu tun. Hattusa etwa hatte keine festen, gesonderten Gebäude, nicht einmal Einbauten in Tempeln, die speziell für die Orakelpraxis eingerichtet gewesen wären, wie in Delphi im Apollon-Tempel, vielmehr waren Orakel an jedem kultisch zuvor gereinigten Ort möglich, auch unter freiem Himmel. Kurzum, Delphi war in dieser für Griechenland ziemlich frühen Zeit eine singuläre, aber bescheidene Orakelstätte, der moralische, ethische und politische Fragen fern lagen, dafür war sie populär, d. h. jeder, gleich welchen Standes, konnte hier seine Anfragen stellen. Auch Tyrannen wurden keineswegs abgewiesen, wie man lange Zeit glaubte.⁸⁷ Kann Delphi der Ort sein, wo Tyrannen nicht nur als Konkurrenten auftraten, sondern sich als „Kollegen“ respektierten und in Austausch von Ratschlägen miteinander traten?⁸⁸ Korinth, so sagt man gewöhnlich, besaß ein Schatzhaus in Delphi. Herodot (1,14) nennt sechs goldene Kratere neben anderen, nicht spezifizierten silbernen und Brandt (1998) kommt hier zurecht zu folgendem Urteil: Delphi ist nicht strikt tyrannenfeindlich. Anregend Franssen (2011), bes. 367– 394 („Historische Auswertung“). In den Heiligtümern seien die Tyrannen keine Machthaber, sondern Konkurrenten.
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goldenen Weihegeschenken, die Gyges gestiftet haben soll, und die deshalb von den Delphiern gygades ‚die Gygischen‘ genannt wurden. Sie will Herodot im Schatzhaus der Korinthier gesehen haben, und dann fügt er, sich selbst korrigierend, sogleich hinzu: „Genau genommen gehört das Schatzhaus gar nicht dem Staat (to demosion) der Korinther, sondern dem Kypselos … „. Sollten die Nachrichten historisch zutreffend und vor allem die Zuweisung der genannten Weihegeschenke an den Stifter Gyges korrekt sein – es sind ja immerhin bis auf Herodot 200 Jahre vergangen, seit die Stiftung gemacht wurde –, dann hätten wir Gyges und Kypselos sozusagen in einem Boot. Nun schreibt aber Herodot selbst, dass Weihegeschenke abgeräumt wurden und an anderen Orten wieder auftauchten (vgl. etwa Hdt. 1,92,1). Auch ist die Nachricht zu berücksichtigen, dass nach dem Ende der Kypselidenherrschaft (nach 585 v.Chr.) der Besitz von den Korinthern konfisziert wurde, wodurch Sammlungen zerrissen und namenlos zerstreut worden sein können.⁸⁹ Ziemliche Sicherheit in dieser Sache ist aber doch gegeben. Herodot, der ja in einem Falle den Wechsel der Standorte zweier riesiger Kratere des Kroisos vom abgebrannten Apollon-Tempel in das Schatzhaus der Klazomenier bzw. in die Vorhalle des Tempels genau vermerkt,⁹⁰ bleibt fest und kann sagen, dass er im Schatzhaus der Kypseliden sechs Kratere des Gyges neben vielen anderen Geschenken gesehen hat, den sprichwörtlichen „Gyges-Schatz“ (Hdt. 1,14,3). Die Zahl sechs verfestigte zudem die Überlieferung des Stifternamens und schützte auf diese Weise vor neuen, aber falschen Zuschreibungen (Hdt. 1,14,1– 3).⁹¹ Daraus lässt sich vielleicht die Annahme als wahrscheinlich ableiten, dass Gyges und Kypselos irgendwelche Vereinbarungen betreffs des Schatzhauses und seiner doppelten Nutzung getroffen haben müssen. Die These, dass es Kontakte zwischen Korinth und Sardes gab, lässt sich vielleicht zusätzlich stützen mit der Erzählung von den dreihundert jungen Männern, die Periander auf Kerkyra hatte versklaven lassen und dann an Alyattes verhandeln wollte, damit sie in Sardes verschnitten würden.Vor diesem traurigen Schicksal bewahrte sie nur das beherzte Eingreifen der Samier (Hdt. 3,48).⁹²
Zu den späten Quellen wie Nic. Dam. FGrHist 90 F60,1– 2, s. Berve (1967), 530. Passiv von metakineo ‚(ver)schieben‘ (Hdt. 1,51,2). Über die Zeitgenossenschaft beider Personen handelt Barceló (1993), 150 – 155. Ob der Bestimmungshafen dieses elendigen Transports Milet oder Ephesos war, erfahren wir leider nicht. Das aber wäre wichtig, vor allem, um über die Rolle von Ephesos als Hafen mehr zu erfahren. Noch wichtiger zu wissen wäre gewesen, wofür Alyattes dreihundert Eunuchen benötigte.
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Delphi als Schiedsgericht im Streit. Keine Legitimierung!
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Delphi als Schiedsgericht im Streit. Keine Legitimierung! Noch einmal zurück nach Sardes, wo der Streit zwischen den „stasiotai des Gyges“ und den „übrigen Lydern“ zu eskalieren drohte. Beide Parteien konnten sich in letzter Minute dann doch noch dahingehend einigen, dass man Delphi befragen wolle, ob Gyges König bleiben oder die Herrschaft an die Herakliden zurückgeben werden solle. Das Orakel bestätigte Gyges, und so blieb er König von Lydien (Hdt. 1,13,2).⁹³ So überliefert es jedenfalls Herodot. Obwohl Zweifel daran berechtigt sind, dass das Orakel von Delphi wirklich einen so massiven Einfluss auf das ferne Königreich Lydien ausübte, noch dazu bereits im frühen 7. Jh. v.Chr., folgen wir hier dennoch der Darstellung Herodots, weil sie vermutlich auch wahre Elemente enthält, die auf anderem Wege nur schwer thematisiert werden könnten. Dem herodoteischenText ist nicht zu entnehmen, wie das Verfahren in Delphi überhaupt in Gang gesetzt wurde. Für Herodot und seine Leser war der Konsultant des Orakels selbstverständlich Gyges. Diesem musste es darauf ankommen, sich zum Herrn des Verfahrens zu machen. Dafür war es unerlässlich, Delphi auf seiner Seite zu wissen. Dem kam nun der Umstand entgegen, dass der Konsultant des Orakels für eine „Dienstleistung“ „Gebühren“ zahlen musste. Die Pythia konnte sich in dieser Sache nur an Gyges halten. Das Orakel im Gegenzug gab als Gegengabe das theopropion, den Bescheid, in der Form, wie es Gyges sich wünschte. Aber dieses Bestätigungsverfahren, das man nicht mit moralischen Maßstäben messen darf, diente nicht, wie man gelegentlich lesen kann, der Legitimation des Gyges, sondern der augenblicklichen Schlichtung eines Streites, um Schaden vom Staat abzuwehren. „Delphi erkannte Gyges an und so blieb er König.“ König werden konnte man nur durch Akklamation sowie Salbung oder die Überreichung von Insignien wie Thron und Krone. Von der Gesamtheit der Lyder konnte Gyges eine solche Bestätigung nicht erhalten, weil sie durch seine Usurpation politisch gespalten waren. Von Seiten Delphis ebenfalls nicht, weil es nicht in Lydien lag und außerdem eine Polis ohne Königtum war. Zudem besaß Gyges nicht den sozialen Status, um eine traditionelle Inthronisation feiern zu können. Wir hören denn auch nichts von der Überreichung von Insignien. Einzigartig und selten ist die assyrische Darstellung auf einem Bronzehelm aus dem 9. Jh. Dort halten die Gottheiten Assur und Ischtar Königsbinde und Thron bereit.⁹⁴ In Hattusa könnten
Fontenrose (1978), 122 (klassifiziert unter „questionable responses“); 300 (Q 96). Gyges soll eine weitere Anfrage gestellt haben (S. 301 [Q 97, aus Plin. nat. 7,46,151]), die sich wie eine Dublette zu Hdt. 1,30 ausnimmt: Gibt es einen Menschen, der glücklicher ist als ich? Born/Seidl (1995), 14 Abb. 22.
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die Insignien unter anderem in einem Wagen bestanden haben, denn im althethitischen Bauritual heißt es: „Mir, dem König, brachte die Throngottheit den Wagen vom Meere her, man öffnete mir das mütterliche Land und nannte mich König Labarna.“⁹⁵ (Labarna ist ein Titel.) Durch die sog. Königs- oder Messiaspsalmen spricht die göttliche Stimme: „Ich habe meinen König auf dem Zion eingesetzt“ und weiter „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt“ (Ps 2,7).⁹⁶ Von dem, was von Delphi nach Sardes, sozusagen im Originalton übertragen wurde, hören wir nur das epos, den ‚Ausspruch‘ der Pythia, im Griechischen liest man: tosonde ⁹⁷ mentoi eipe he Pythie, „so viel fügte die Pythia hinzu, dass die Herakliden zur Zeit des fünften Nachkommen des Gyges (d.i. Kroisos) Rache nehmen werden (Hdt. 1,13,2).“⁹⁸ Es ist natürlich Herodot, der sich hinter der Pythia verbirgt. Herodot hat Erfahrungen gesammelt und spricht eine allgemeine Warnung aus, gerichtet vor allem an die Griechen, nicht den gewaltsamen Weg des Gyges zu gehen. Gyges nun ging als König zunächst gestärkt aus dem Schlichtungsverfahren hervor, aber der Geschlechterfluch (s. Glossar) blieb wirksam. Das muss nun zu einer Revision der bislang vertretenen Lesart führen, dergestalt, dass der „Ausspruch“ der Pythia jetzt nicht mehr auf den Schiedsspruch des Schlichtungsverfahrens zu beziehen ist, sondern auf Hdt. 1,91,1, wo es um die Usurpation geht, vollzogen durch Mord. Herodot braucht den Tatbestand dieses Mordes für seine eine eigene Deutung der folgenden Ereignisse und muss den Eindruck vermeiden, diese Tat sei nur die Strafe für das Verhalten des Kandaules seiner Frau gegenüber gewesen. In Wirklichkeit setzte der Mord seiner Auffassung nach den Geschlechterfluch in Gang, der bis zu Kroisos fortwirkte. Das ist das Lieblingsthema Herodots: Aus kleinen Anfängen kann sich eine welthistorische „katastrophe“ entwickeln. Da sich die Vorstellung des Geschlechterfluchs gerade im Zusammenhang der Mermnaden sowie beim Geschlecht des Tantalos, der ja ebenfalls ein Lyder war (s. Teil 1) findet, hat Herodot sie möglicherweise aus Erzählungen von Lydern übernommen. Kroisos hatte den Krieg gegen Kyros wider alles Erwarten verloren. Dabei hätten die Weihgeschenke, die er vor allem im Heiligtum von Delphi deponiert hatte, doch Garanten der Siegesverheißung sein müssen, die ihrerseits ein Un-
Text bei Kellerman (1980), 11 (KUB XXIX 1, Vs. 23 – 25). Gerstenberger (2015), 77. Zum Demonstrativpronomen tosonde s. LSJ s.v. tososde, vgl. Plat. rep. 457e und vor allem symp. 202c. Wohl in einem ähnlichen Sinne gemeint wie der archaische Satz: „Denn dem Kandaules sollte es nun einmal schlecht ergehen, und zwar einfach so“ (Hdt. 1,8,2). Man sollte nicht von einer Theologie Delphis sprechen; die Verhältnisse in Delphi waren bescheidener. Zu Delphis Einfluss auf Herodot s. Schadewaldt (1965; 1975).
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Herodots Geschichtsauffassung
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terpfand des Sieges, ja dessen Antizipation zu sein pflegte. Kroisos wendet sich daher an das Orakel, er will Apollon fragen, ob es bei ihm Brauch ist, die zu betrügen, die ihm Gutes tun. Herodot nimmt das Konzept des Geschlechterfluches zu Hilfe, das vor ihm zuerst (467 v.Chr.) der Tragiker Aischylos in den „Sieben gegen Theben“ benutzte. Der Geschlechterfluch musste ersetzen, was Herodot durch rationale Ursachenforschung nicht hatte leisten können. Das war anders im Falle des Perserreiches. Dies kannte Herodot zum Teil aus eigener Anschauung, vor allem persische Dokumente, so eine Abschrift der Bisutun-Inschrift Dareios’ I., gestatteten ihm, tiefe Einsichten etwa in die religiöse Fundamentierung des Königtums zu tun.⁹⁹ Für seine Arbeit an den Persern wird Herodot als erster wirklicher Historiker gefeiert. Aus verstreuten Äußerungen in seinem Werk lässt sich Herodots Meinung zum schnellen Aufstieg der Perser auf das Äußerste zugespitzt mit ihrer Lernbereitschaft wiedergeben, ihren von Herodot prognostizierten Untergang sah er in einer negativen Form von Lernbereitschaft, der Assimilation.¹⁰⁰ Zur Erklärung des Unterganges des lydischen Reiches besaß Herodot keine ebenso geeigneten Quellen, die es ihm erlaubt hätten, durch Analyse spezifische Ursachen aufzudecken. Was Herodot als historisch festhalten will, legt er der Pythia in den Mund: Erstens hat Gyges den Kandaules, seinen Herrn, ermordet und zweitens dessen Königsamt (time)¹⁰¹ eingenommen, das ihm keineswegs zustand (Hdt. 1,91,1). Letzteres nur verdient hier Beachtung, nämlich, dass Gyges ein Usurpator sei. Ein Usurpator war er deshalb, weil er nicht erbfolgeberechtigt war und ihm außerdem die Akklamation der Gesamtheit der Lyder fehlte. Die Akklamation ist nun aber neben der vorangehenden Designation für die charismatische Herrschaft konstitutiv. Herodot konnte aus einem einfachen Grunde die Akklamation nicht nennen: Sie kam nicht zustande. Dem Orakel von Delphi bleibt als sein wesentliches Verdienst, dass es mit dazu beitrug, dass das Königtum in seiner Macht in kritischer Situation gestärkt (ekratynthe, Hdt. 1,13,1) und ein Bürgerkrieg abgewendet werden konnte.
Herodots Geschichtsauffassung Herodot war der erste Historiker und musste sich seine Ansichten daher naturgemäß aus anderen, nicht historisch geprägten Denkmodellen bilden. Er konnte Ahn (1992), 55 – 61. Hier das dreiteilige Raster der Legitimation: 1. Legitimation durch das Göttliche, 2. Legitimation durch Berufung auf die Dynastie und 3. Legitimation durch eigene Wirksamkeit. Högemann (1992), 362 f. Powell (1935), 355 s.v. „esp. kingship“.
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sich mangels direkter Vorbilder nur auf das stützen, was zu seiner Zeit an Ansichten über historische Ereignisse in anderen Literaturgattungen tradiert war, in erster Linie im Epos. Nun hatte der Ependichter Hesiod angesichts der Kriege um Troia und Theben die Deutung überliefert, dass Zeus diese Kriege deshalb entfacht habe, um die Heroen, also die Halbgötter mit einem göttlichen Elternteil oder ähnlichem Status, zu vernichten (Hes. erga 156 – 173; Hom. Il. 1,5). Wenn wir damit Herodots zentrales Erklärungsmuster vergleichen, dass ein allzu mächtig gewordener und selbstbewusster Mensch den Unwillen der Gottheit errege, wodurch sein Sturz vorprogrammiert sei, dann ist das nichts anderes als eine Weiterentwicklung der mythologisch geprägten Auffassung Hesiods ins Rationalere. Rationaler bzw. wissenschaftlicher ist Herodots Auffassung deshalb, weil sie eine gewisse Vorhersagbarkeit oder zumindest eine Deutung mancher Ereignisse im Nachhinein ermöglicht. Mit dieser Vorstellung vom Neid der Gottheit hängt ein weiteres Erklärungsmuster Herodots zusammen, nämlich die Vorstellung vom Kreislauf (kyklos). Diese Theorie entwickelte er vermutlich angesichts des Aufstiegs und Falls so vieler Reiche, von denen er Kunde erhalten hatte, nämlich denen der Troianer, Phryger, Lyder, Assyrer, Meder, Ägypter und anderer mehr. Er bekam den Eindruck, dass bei der Herrschaft im Lauf der Zeit immer wieder andere Völker zum Zug kamen, weil nämlich die Götter die Herrlichkeit bzw. Selbstherrlichkeit von Herrschern straften.
Zusammenfassung Eine Königin, die nur die „Frau“ genannt wird, und den Eindruck erweckt, sie ginge über Leichen, sodann ein schönheitsverliebter und „zeigesüchtiger“ (R. Harder) König sowie schließlich ein ängstlicher Leibwächter, dies sind die dramatis personae einer bemerkenswerten Novelle.¹⁰² Dieses Ensemble ist so grotesk, dass man sagen möchte, solche Figuren kann man nicht erfinden, wenn auch sofort das Umgekehrte ebenfalls vorstellbar wird, dass Herodot solche Charaktere erfand, um einen spezifischen Einstieg in die Tragik des Lyder-Logos zu bekommen. Wir halten zwar die Nacktheitsgeschichte selbst nicht für historisch, vermuten aber, dass bei der Usurpation des Gyges die Königin wirklich eine Rolle gespielt hat. Aber betrachten wir die Sache zunächst motivgeschichtlich. Die
Das beurteilt auch Cohen (2004) so, der die Gygesgeschichte als beispielloses Werk Herodots sieht, wohl weil auch nichtgriechische Erzähltraditionen verarbeitet sind; dies in einen größeren Rahmen gestellt und anders beleuchtet von Froehlich (2013), 119 ff.
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Zusammenfassung
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„Frau“ unterscheidet sich dadurch von Batseba in Jerusalem, dass diese erst durch die Ehe mit David Königin wird, die „Frau“ des Kandaules ist hingegen schon Königin, und Gyges ist es, der mit der Heirat einen entscheidenden Schritt in Richtung Thron des Königs von Lydien tut. Dass die „Frau“ und Königin ein Königreich vergeben kann, ist, wenn überhaupt, am ehesten für Hattusa vorstellbar, wo die Großkönigin Puduhepa neben ihrem Mann politisch eigenständig agieren konnte. Dass die Frau des Kandaules mit Weiberlist (dolo gynaikeio) Gyges zum Mord verleitet habe, ist die Deutung des Apollon Loxias bzw. Herodots (1,91,1). Der erste Eindruck ist der, dass die Klytaimnestra des Aischylos Modell stand. Denn auch hier ist Apollon Loxias im Spiel, auf ihn geht die Beurteilung zurück, dass Klytaimnestra mit Arglist (dolos) an Agamemnon gehandelt habe (Aischyl. Choeph. 556). Inwieweit ein Vergleich zwischen den beiden Frauen, der lydischen und der homerzeitlichen, aber sinnvoll ist, bleibt die Frage. Die Frau des Kandaules ist vor dem Hintergrund einer strengen altorientalischen Palastordnung zu bewerten. Danach hatte sie möglicherweise das Recht auf ihrer Seite. Herodot hielt offensichtlich eine hohe Strafe für angemessen, wenn er sagt, dass bei den Nichtgriechen es selbst für einen Mann eine große Schande sei, nackt gesehen zu werden (Hdt. 1,10,3). Dies gilt umso mehr, als die „Frau“ Königin und Herrscherin war. Kurzum, Gyges hat gesehen, was er nicht sehen durfte. Noch einmal ist hier die Macht der sardeischen Frau zu betonen, mit der sie Gyges vor die Wahl stellen konnte, zu töten oder getötet zu werden. Nun geht es in dieser Erzählung weniger um die „Frau“, von ihr hören wir dann auch nichts mehr, sondern um Gyges. Aus den geschichtlichen Büchern des AT sind die Begriffe „(Thron‐)Aufstiegsgeschichte“ und „Thron(nach)folge-Geschichte“ genommen. David und Salomo, und später Jehu, werden eigentlich nur durch die Erzählungen ihres Aufstiegs bzw. durch den Wechsel in der Herrschaft als Personen fassbar.Was sonst über Salomo als König an historischen Taten noch zu berichten gewesen wäre, fand keinen Eingang in die Überlieferung. Auch bei Gyges stehen einer langen Thronaufstiegsgeschichte nur wenige überlieferte Taten gegenüber. Was Gyges in seiner 38-jährigen Herrschaft vollbracht hat, darüber sagt Herodot fast nichts und schließt ab: Gyges habe sonst keine große Taten aufzuweisen. Kein Wort über die Kimmerier, durch die er den Schlachtentod erfuhr. Mord und Usurpation der königlichen Würde hatten zur Folge, dass Gyges nicht durch den Akt der Akklamation legitimiert wurde. Eine solche war für die charismatische Herrschaft, wie sie M. Weber begreift und das Alte Testament illustriert, aber unumgänglich. Trotz einiger Bedenken haben wir Webers Konzept übernommen, das allerdings nicht erkennen lässt, was außer der charismatischen Herrschaft sonst noch an Formen der Herrschaft in Frage käme, wenn es sich um den Start einer neuen Dynastie handelt.Weber selbst erwähnt die Tyrannis mit keinem Wort.
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Herodots eigenständiger Beitrag zur Historiographie war nicht der Geschlechterfluch, sondern die allein zukunftsweisende Vorstellung vom kyklos („Kreislauf“). Die kyklos-Theorie, die sich ihm wohl erst bei der Darstellung des Untergangs vieler Reiche, vor allem infolge der persischen Okkupation, aufdrängte, kam etwas zu spät, um noch den Lyder-Logos über Ansätze hinaus völlig durchdringen zu können. Die ebenfalls herodoteische Vorstellung, dass die Gottheit allzu begünstigte oder selbstherrliche Herrscher letztendlich strafe, kam dagegen zur Ausprägung. Die Meinung, Herodot habe einen märchenhaften Stoff als Vorlage benutzt und zu einer Novelle umgearbeitet, bleibt ebenso hypothetisch wie die Annahme, Herodot habe eine Gyges-Tragödie als Quelle herangezogen.¹⁰³ Entscheidendes zumal für eine historische Untersuchung hängt davon nicht ab. Wichtiger ist vielleicht der Hinweis, dass die Ansicht von U. Walter als Axiom nicht vertretbar ist, der meint, dass das, was Herodot sagt, vollauf genüge, nach dem, was er nicht sagt, brauche nicht gesucht zu werden.¹⁰⁴ Wir sind anderer Ansicht. Was dieser Historiker über Lydien schreibt, mag vielleicht literarisch befriedigen, historisch aber bedarf es der Analyse vor dem Hintergrund möglichst vieler weiterer Daten. Es ist möglich, Dinge zu eruieren, die Herodot nicht wusste. Gyges hatte Zugang zu den Privatgemächern der Königin. Indizien sprechen dafür, dass er eine einflussreiche Persönlichkeit am Hof war, ohne ein Hofamt zu bekleiden, und ferner, dass er sich, lydisch gesprochen, einen *trwannaś oder *trwãnaś nannte, was ein Titel war, etymologisch aber ‚loyaler (Diener)‘ bedeutete.¹⁰⁵ Man fühlt sich typologisch an die philoi „Freunde“ des Königs an den Höfen der Ptolemäer und Seleukiden erinnert. Diese sind ein Gremium von Beratern, die vom König persönlich ausgesucht wurden, und zwar aus allen Schichten und aus allen Teilen der griechischen Welt, Freie und Verbannte. Ausschlaggebend für ihre Wahl waren nur ihre Fähigkeiten, Loyalität war fast immer garantiert. Dem König, mit dem die philoi fast gleichberechtigt verkehrten, eröffneten sie neue Handlungsspielräume durch die Neutralisierung oder Ausschaltung des Einflusses der „alten Garde“. Gyges nun nutzte seine Stellung als Sprungbrett für den Staatsstreich. Die Erzählung im Buch der Könige berichtet von dem Putsch eines gewissen Jehu gegen den König von Israel. Seine Thronaufstiegsgeschichte liest sich wie die
Wir halten es mit Latte (1950) und Lesky (1972), 536 f. Eine feste Meinung haben sie zwar nicht, halten aber ein hellenistisches Gygesdrama, etwa 3. Jh. v.Chr., für wahrscheinlicher. Walter (1993), 257 f.; das Nähere bei Froehlich (2013), 15. Was die Frage des Gebrauchs des Titels tyrannos in der Anrede anbelangt, so ist im Griechischen o tyranne nur für Eros und ganz selten für Apollon bezeugt. Über den Gebrauch im Lydischen wissen wir diesbezüglich natürlich nichts.
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Zusammenfassung
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Illustration zu Webers „Die Charismatische Herrschaft“. Hauptbestandteile für eine legitime Thronbesteigung waren die Designation und die Akklamation, sehr bedeutsam, aber nicht unbedingt konstitutiv war die Salbung. Herodot, der „aufklärerisch“ den Geschlechterfluch auf seine Ursache hin untersucht hat – es musste doch der tiefe Sturz des Kroisos einen Grund haben –, kommt zu dem zweifelsfreien Schluss, dass der Urahn, Gyges, die Herrschaft als Usurpator an sich gerissen habe, nachdem er den rechtmäßigen König ermordet hatte. Vielleicht hatte diesen Schluss auch schon die seinen griechischen Quellen vorausgehende lydische Erzählung nahegelegt. Wie dem auch sei, Delphi war außerstande, Gyges die Absolution zu erteilen, und Herodot spricht auch nicht von einer solchen, wenn man ihn genau liest. Diese Orakelstätte in ihrer auch sonst bezeugten schiedsrichterlichen Funktion hat nur dafür gesorgt, dass es zu keinem Bürgerkrieg kam. Denn die Anhänger des Mermnaden (lyd. *mλimnada‐) Gyges, deren Gruppe *Mermna- (lyd. mλimna‐) hieß, waren als die ‚Aufständischen‘ (stasiotai) den Anhängern des getöteten Kandaules bereits bewaffnet gegenübergestanden. Gyges, der wohl fremd war in Sardes – laut der lydischen Inschrift LW 22 gehörten die mλimna- noch in der Perserzeit teilweise nicht zu Sardes – und schon von daher nicht erbfolgeberechtigt, blieb wahrscheinlich deshalb die Akklamation durch die Lyder der Hauptstadt versagt. Herodot kannte die Praxis der Akklamation wohl nicht mehr, und sie ist für seine Zeit denn auch nicht bezeugt, spärliche und schwache Hinweise existieren erst für die Zeit nach Alexander dem Großen bei den makedonischen Antigoniden. Der typologische Vergleich mit Jehu erst konnte das Legitimations-Defizit des Gyges aufdecken. Damit steht die Möglichkeit in Zusammenhang, dass Gyges, obwohl jetzt König geworden, bei seiner Usurpation noch unter dem Titel *trwanna- oder *trwãnabekannt geworden war, den die Griechen nun als tyrannos übernahmen, inhaltlich verbunden mit dem Bild, das sie von dem historischen Phänomen Gyges hatten. Nebenbei erklärt sich so auch, warum Herodot die Titel basileus/mounarchos und tyrannos fast unterschiedslos gebraucht. Das Phänomen der Tyrannis griff noch unter Gyges nach Griechenland hinüber, so nachweisbar zuerst nach Korinth, wo Kypselos einen Machtwechsel der Art inszenierte, als läge ihm eine technische und politologische Anleitung vor, die Gyges ihm zugeeignet hätte. In der Tat machte es Kypselos noch konsequenter, indem er die Sippe der Bakchiaden einfach ausrottete, mit der er verwandt war und die ihm wohl einst das Amt des Polemarchos – das ideale Sprungbrett zum Thron – verschafft hatte. Und Delphi wird es gutgeheißen haben. Kypselos unterhielt ein eigenes Schatzhaus in Delphi. In demselben Schatzhaus wurden auch die kostbaren Weihegeschenke des Gyges gezeigt. Wir glauben, auf diese Nachricht die These gründen zu können, dass es einen direkten Austausch zwischen beiden Tyrannen gegeben hat. Dass Tyrannen sich gegenseitig unterstützen,
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1 Die Thronaufstiegsgeschichte des Gyges
einander wie Kollegen behandelten, darüber sind wir auch sonst informiert. Ob Gyges selbst mit ionischen Tyrannen im Austausch stand, wissen wir nicht. Mit welcher milesischen „Institution“ Gyges verhandelte, als er den Milesiern die Gründung von Abydos erlaubte, ist unbekannt. Eine Tyrannis kann es jedenfalls vor Gyges nicht gegeben haben. Die ionische Tyrannis ist mit der mutterländischen nicht zu vergleichen. Eine markante Epochengrenze markiert sie nicht. Sie ist nicht so revolutionär und hasserfüllt wie die Tyrannis von Korinth, Sikyon und Athen. Die ionischen Tyrannen waren in das lydische Staatssystem integriert. In der Person des Gyges liegt bereits das Janusgesichtige vor, das dann in der griechischen Tyrannis erst richtig lebendig wird. Auf der einen Seite nahm man Gyges als inspirierenden und inspirierten Reformer wahr. Daran schloss sich die Frage an, was denn in Lydien und Griechenland überhaupt reformbedürftig war. Reformbedürftig war vor allem das leistungsfeindliche, innovationshemmende Streben nach Autarkie, der sich die oikos-Wirtschaft verschrieben und die eine sich verstärkende Bindung an die Scholle im Gefolge hatte. Vereinfacht gesprochen, befriedigte die Tyrannis zunächst den Wunsch nach Modernität. Auf der anderen Seite sah man Gyges als ein abschreckendes Beispiel eines Polarisierers. Als Anführer einer fortschrittlichen Bewegung musste er die, die sich ihm nicht anschlossen, zu „Reaktionären“ abstempeln. Gewalt bis hin zum Mord sowie Bereitschaft zu illegitimer Machtergreifung musste der einkalkulieren, der vorhaben sollte, den Weg des Gyges zu gehen. Und viele gingen ihn und fast alle wünschten, dass sie ihn gehen könnten. Denn Gyges wurde als Tyrann sehr reich, sprichwörtlich reich, wie auch der letzte König, Kroisos, sehr reich war. Nur Archilochos von Paros kümmerte weder die Tyrannis noch das viele Gold, das sie dem Gyges einbrachte. Es dürfte kaum eine weitere Dynastie in der Antike geben außer der lydischen, die so ausschließlich über den Reichtum definiert wurde und wird, den ihre „Tyrannen“ in Schatzhäusern horteten und andererseits mit vollen Händen ausgaben. Was daran richtig ist und was nicht, wird uns als Frage in weiteren Kapiteln beschäftigen.
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2 Wer waren die Lyder? Wer weiß es gewiss, wer kann es hier verkünden, woher diese Schöpfung kam? (Rigveda 10,129,6)
2.1 Die Lyder als historisches Phänomen Die meisten wichtigen Angaben über Lydien finden sich bei griechischen Historikern, allen voran Herodot. Das objektivste Bild von den Lydern kann man jedoch, wie auch in anderen Fällen, aus solchen Quellen gewinnen, deren Verfasser nicht die Absicht hatten, uns ein bestimmtes Bild von den Lydern zu vermitteln. Solche Quellen sind vor allem die epichorischen Inschriften¹ der Lyder selbst und Textstellen einiger lyrischer Dichter aus dem ionisch-anatolischen Grenzgebiet und Lesbos sowie Eigennamen und Glossen. Angesichts des geringen Umfangs, der Verstreutheit und Eigenproblematik dieser Quellen gleicht die Aufgabe einem Puzzle. Der Versuch, ein dem heutigen Stand aller Disziplinen der Forschung angemessenes Bildes von den Lydern zu entwerfen, kann daher nur in Zusammenarbeit zwischen historischen, philologischen und sprachwissenschaftlichen Disziplinen unternommen werden. Die Epoche, aus der uns Inschriften in lydischer Sprache überliefert sind, ist ungefähr die gleiche, aus der wir auch karische und lykische Inschriften besitzen. Es gibt also keinen Grund für die Annahme, die Lyder seien weniger oder in anderer Weise ein Volk bzw. eine „Ethnie“ gewesen als die Karer und Lykier, die durch gemeinsame Sprache und Sittentradition geprägte Gemeinschaften bildeten. Daran ändern auch die beiden Unterschiede nichts, die zwischen den Lydern und diesen beiden Völkern bestanden, nämlich erstens die vermutliche, etwa ein halbes Jahrtausend zurückliegende lydische Wanderung (dazu s. unten) und zweitens die Existenz eines lydischen Reiches, während die Karer und Lykier ein solches nie besaßen. Beide Umstände trafen jedoch auf die Phryger genauso zu, und dennoch waren sie eindeutig ein Volk mit eigener Sprache, die sogar, weil das Griechische als Schriftsprache im Inneren Kleinasiens selbst zur Römerzeit noch nicht so allein herrschte wie an den Rändern, bis in nachchristliche Zeit geschrieben wurde. Diese historischen Unterschiede zwischen den Lydern und ihren südlichen Nachbarn widersprechen also der Annahme, dass die Lyder ein „ganz normales Volk“ gewesen sind, in keiner Weise. Mit den Griechen verhält es sich Die Fundstellen lydischer Inschriften reichen von Daskyleion im Norden bis an die Grenze Pisidiens im Osten und Milet im Süden. https://doi.org/10.1515/9783110436020-005
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2 Wer waren die Lyder?
ähnlich wie mit den Karern und Lykiern, nur mit dem Unterschied, dass ihr Siedlungsgebiet größer war. Betrachten wir aber, um noch mehr Vergleichsmöglichkeiten zu gewinnen, noch einige andere Völker der Alten Welt. Die Römer hatten zwar, so viel wir wissen, in den letzten Jahrhunderten vor Einsetzen der ersten Inschriften ca. um das Jahr 600 ihre Wohnsitze nicht verlegt, doch hatte sich ihnen in dieser Zeit ein sprachlich fremdes Bevölkerungselement assimiliert. Es handelt sich um Sabiner, aus deren Sprache nicht nur viele Wörter der Alltagssprache, wie z. B. popina ‚Garküche‘ oder botulus ‚Wurst‘, ins Lateinische eingedrungen sind, sondern die auch die lautliche Entwicklung des Lateinischen massiv beeinflusst haben.² Das passt zum Mythos vom Raub der Sabinerinnen und zeigt wieder einmal, dass Mythen meist etwas Wahres oder zumindest symbolisierte Wahrheit enthalten. Auch wenn wir das Lydische natürlich weitaus weniger gut kennen als das Lateinische, so ist doch auch hier mit Beeinflussung durch eine andere Sprache zu rechnen, indem nämlich die Lyder bei ihrer Einwanderung nach Arzawa, dem späteren Lydien, Elemente der Sprache der dort ansässigen Luwier übernommen haben könnten. Die Germanen hatten zu der Zeit, auf die sich Tacitus bezieht, ebenso wie die Römer keine größere Wanderung hinter sich. Dieser Historiker berichtet von einem Ursprungsmythos der Germanen, dem zufolge der Stammvater der Menschen Mannus hieß und drei Söhne hatte, nach denen sich die germanischen Stämme in die Großgruppen Ingävonen, Hermionen und Istävonen gliedern (Tac. Germ. 2,2). Dies wird heute oft als kunstvoll aufgebauter, gelehrter Mythos betrachtet.³ Er ist aber durchaus einfach und entspricht typologisch dem, was man auch bei anderen Völkern findet. Und daraus, dass auch im vedischen Indien der Stammvater der Menschen Manus heißt,⁴ ergibt sich, dass wir eine aus der indogermanischen Grundsprache ererbte Vorstellung vor uns haben. Auch hier enthält der Mythos also etwas Wichtiges, nämlich eine jahrtausendealte Tradition. Die Aufspaltung in einzelne Stämme sowie Jugendbünde⁵ bildet kein Gegenargument gegen die Existenz eines gemeinsamen Germanenbegriffs, auch wenn dieser vermutlich politisch keine Rolle spielte. Allein schon auf Grund der Beobachtung, wessen Sprache man verstand und wessen nicht, mussten die Germanen naturgemäß zwischen verwandten und nicht verwandten Menschengruppen unterscheiden. Zu den letzteren gehörten Nachbarvölker wie Kelten, Balten und Slaven. Wenn man also auch aus politischer Sicht überhaupt nicht von einem germanischen Vgl. Schrijver (2005). Diskussion bei Timpe (1991). Vgl. Mayrhofer (1992– 2001), s.v. Manu-. Zu den Jugendbünden der Germanen, die aus indogermanischer Tradition stammten, vgl. u. a. McCone (1987) und jetzt Barnes (2014), speziell 123.
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2.1 Die Lyder als historisches Phänomen
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Zusammengehörigkeitsgefühl oder Volk sprechen kann – hier fühlte man sich vermutlich vor allem nur als Suebe oder Cherusker usw. –, so doch aus der Sicht von Sprache, Sitten, Religion und Mythologie.⁶ Weiterhin hatten die germanischen Stämme jeweils ihre Jungmannschaften, die unter eigenen Anführern lebten. Auch dieser Unterschied zwischen militärischem Stammesaufgebot und Jungmannschaft (Wolfsbund) entsprach bereits indogermanischer Tradition. In einer ganz besonderen Situation befanden sich in sprachlicher Hinsicht die Hethiter.Vor dem 18. Jh. v.Chr. wurde Hethitisch im Stadtstaat Nesa (Karum Kaneš) am Oberlauf des Halys und wahrscheinlich auch einigen anderen Städten gesprochen.⁷ Dann entwickelte sich Nesa durch Eroberungen zu einem Flächenstaat, in dem die Mehrzahl der Untertanen nicht hethitisch, sondern hattisch, eine nicht-indogermanische Sprache, oder luwisch sprach. Dass gerade aus dem relativ kleinen Sprachgebiet der Hethiter ein Reich hervorging und so das Hethitische als einzige anatolische Sprache den Status einer keilschriftlichen Schriftsprache erreichte, ist ebenso ein historischer Zufall, wie dass aus dem kleinen Sprachgebiet Latium innerhalb weniger Jahrhunderte ein Weltreich hervorging. Als um das Jahr 1600 die Hauptstadt nach Hattusa verlegt wurde, knüpfte man stark an die kulturelle Tradition der dort lebenden Hattier an. Zugleich aber zog die neue Metropole so viele Hethiter und Luwier an, dass die hattische Sprache in der Stadt vermutlich bald ausstarb. Im 14. und 13. Jh. gewann dann in Hattusa das Luwische gegenüber dem Hethitischen als Umgangssprache die Oberhand.⁸ Man kann also sagen, dass die Hethiter der Großreichszeit sich kulturell als Nachfolger der Hattier fühlten, aber im Alltag spätestens ab dem Ende des 14. Jh. meist luwisch sprachen, während ihre Kanzlei weiterhin hethitisch schrieb. Wenn das staatliche Zusammengehörigkeitsgefühl hier während dieser Epoche überhaupt etwas mit Sprache zu tun hatte, dann jedenfalls nicht mit der hethitischen. Für Lydien dagegen ist nicht mit derart komplizierten Verhältnissen zu rechnen, sondern eher mit normalen. Die wichtigste Komponente des lydischen Reichs war sicher das lydisch sprechende Gebiet, dessen Bewohner sich durch gemeinsame Sprache und Sitten miteinander verbunden fühlten.
Wenn ein Professor der Alten Geschichte in einer öffentlichen Vorlesung sagt: „Ich glaube nicht an die Germanen“ (so geschehen im Jahr 2016), dann liegt das auf der gleichen Ebene, als wenn man z. B. sagen würde: „Ich glaube nicht an die Slaven.“ Die germanischen Sprachen waren sich zur Römerzeit untereinander sogar noch viel ähnlicher als die slavischen heute. Vgl. Archi (2015). Dies hat Yakubovich (2010) plausibel dargestellt.
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2 Wer waren die Lyder?
Woher kamen die Lyder? Wo kamen aber diese Lyder her, und warum wurden sie auch Maionier genannt? Sie gehörten zur anatolischen Sprachgruppe. Die Uranatolier waren der erste Zweig der indogermanischen Sprachfamilie, der das gemeinsame Siedlungsgebiet der Urindogermanen, das nördlich des Schwarzen Meeres lag, verließ. Infolge des Auftretens des Hethitischen und Luwischen als zwei bereits getrennte Sprachen in den altassyrischen Handelsurkunden des frühen 2. Jt. v.Chr. muss das Uranatolische aller Wahrscheinlichkeit nach etwa in die Mitte des 3. Jt. und daher das Urindogermanische ins 4. Jt. v.Chr. datiert werden. Das Uranatolische teilte sich in Kleinasien in Hethitisch, Palaisch, Lydisch und die luwischen Sprachen auf. Zu den luwischen Sprachen gehören Karisch, Sidetisch, Pisidisch und das (eigentliche) Luwische. Das Luwische gliedert sich wiederum in Keilschrift-Luwisch, die Sprache der kilikischen Ebene (Kizzuwatna) im 16. Jh., und das HieroglyphenLuwische, das sowohl in Lehnwörtern innerhalb des Hethitischen als auch auf Siegeln und Steininschriften der Großreichszeit und der sogenannten späthethitischen Epoche nach dem Zusammenbruch des Großreichs überliefert ist. Manche dieser Staaten bestanden noch bis zur Zeit von Gyges, dem Begründer der lydischen Dynastie der Mermnaden im frühen 7. Jh. v.Chr. Während die indogermanischen Anatolier bereits vor der Mitte des 3. Jt. v.Chr. nach Kleinasien eingewandert sein dürften, siedelten die übrigen Indogermanen zu dieser Zeit noch in ihrer gemeinsamen Heimat, die wahrscheinlich die Ukraine war. Dabei entwickelten sie ihre Sprache noch gemeinsam weiter. Als sie sich später aufteilten, wanderte ein Teil von ihnen auf die Balkanhalbinsel, nämlich die Vorfahren der Griechen, Albaner, Phryger und Armenier. Am Übergang über die Meerengen wurden sie vermutlich von den Hethitern und besonders ihrem Verbündeten, dem König von Wilusa (Troia), lange Zeit gehindert. Erst nach dem Zusammenbruch des Hethiterreiches um 1200 v.Chr. konnte ein Teil dieser „sprachlich moderneren“ Indogermanen, nämlich die Phryger samt ihren Verwandten, den Armeniern, in Anatolien eindringen. Die Phryger übernahmen dann zwar, soweit wir das erkennen können, manches von der Religion der Anatolier, unterschieden sich aber doch sprachlich und kulturell sehr stark von den Lydern, in denen die anatolische Sprach- und Kulturtradition direkt weiterlebte. Sprachlich stehen die Phryger den Griechen wesentlich näher als den Lydern. Das Lydische ist also ein eigener Zweig des Anatolischen. Man kann vermuten, dass die Lyder im 2. Jt. nördlich ihrer späteren Wohnsitze saßen und erst in den sogenannten Dunklen Jahrhunderten unter dem Druck der über die Meer-
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2.1 Die Lyder als historisches Phänomen
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engen einwandernden Phryger sowie vielleicht auch der Tyrsener nach Süden auswichen.⁹ Ein erstes Indiz für eine Wanderung liefert der Name Lydiens selbst. Der ursprüngliche Name der Lyder war Maionier, wie sie auch bei Homer Meiones genannt werden. Der Name Lydien ist in lydischem Mund entstanden. Wenn man nämlich das von H.C. Melchert entwickelte generelle lydische Lautgesetz, dem zufolge der Laut i̭, der dem deutschen j entspricht, zu d wurde,¹⁰ auf den Namen Lydien anwendet, wie es P.Widmer und R.S.P. Beekes getan haben, so ergibt sich ein älteres *Luwija.¹¹ Genau dies ist der hethitische Name des Landes der Luwier, was kein Zufall sein kann. Die Maionier nannten also das Land, in das sie später einwanderten, ursprünglich Luwija, also ‚Luwierland‘, weil dort nämlich Luwier wohnten. Daraus wurde in ihrem Mund *Luwda.¹² Später wanderten sie selbst in dieses Land ein. Als sie dann von Griechen gefragt wurden, wie ihr Land heiße, antworteten sie „Luwda“. In griechischem Mund wurde das nach den griechischen Lautgesetzen und in Angleichung an andere Ländernamen zu *Lūdίa, später Lydίa. Die Bewohner des Landes nannten die Griechen entsprechend Lydoi ‚Lyder‘. Ob die Mäonier, die wir heute (wie die Griechen) Lyder nennen, sich auch selbst mit einem von *Luwda abgeleiteten Namen bezeichneten, wissen wir nicht.¹³ Die Sprachen Mäonisch und Lydisch sind also identisch.¹⁴ Dazu passt auch, dass noch der griechische, aus Milet stammende Dichter Hipponax (Ende 6. Jh. v.Chr.), bald von „mäonisch“ und bald von „lydisch“ spricht, wenn er die lydische Sprache meint, lediglich in stilistischer Hinsicht macht er (ebenso wie Sappho) möglicherweise einen Unterschied. Die inhaltliche Gleichwertigkeit legt folgendes Fragment nahe (F1– 2 Degani = F3 – 3a W): ἔβωσε Μαίης παῖδα, Κυλλήνης πάλμυν Ἑρμῆ κυνάγχα Μηιονιστί Κανδαῦλα, φωρῶν ἑταῖρε, δεῦρό μοι σκαπερδεῦσαι (ebose Maies paida, Kyllenes palmyn Herme kynanche Meionisti Kandaula, phoron hetaire, deuro moi skaperdeusai) Er schrie zum Sohne Maias, dem „König“ von Kyllene:¹⁵ „Hundewürgender Hermes, auf maionisch Kandaules, Genosse der Diebe, her zu mir zum ‚Klauen‘!“
Vgl. die Literatur bei Widmer (2004), speziell 198. Melchert (1994b). So Widmer (2004); Beekes (2004); vgl. auch schon van den Hout (2003). Im Einzelnen verlief die Entwicklung so: Aus *Luwija wurde *Luwiđa und daraus durch Synkope *Luwđa. Eine typologische Parallele für diese Möglichkeit ist die Selbstbezeichnung der Armenier, die sich selbst nach dem Land, in das sie einwanderten, Hay nannten. Das Land hatte bereits früher, nämlich zur Hethiterzeit im 14. Jh., Hayasa (Hai̭asa) geheißen. Zur gleichen Ansicht kommt jetzt auch S.H. Hawkins (2013), 178. Eine Gottheit als ‚König/Königin‘ einer Stadt zu bezeichnen, ist in Anatolien seit hethitischer bzw. hattischer Zeit üblich, wie z. B. auch lykisch χñtawati χbideñni ‚König von Kaunos‘ (TL N 320) als Name eines bestimmten Gottes zeigt.
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2 Wer waren die Lyder?
In diesem Zitat kommen gleich drei lydische Wörter vor, was zeigt, dass der Dichter mit Mäonisch hier Lydisch meinte. Da ist erstens palmys, das aus lydisch qaλmuś ‚König‘ entlehnt ist, zweitens skaperdeusai ‚stehlen, mausen‘ aus einem mit hethitisch kapert- ‚Maus‘ verwandten Wort¹⁶ und drittens kandaules. Kandaules ist sicher das am meisten diskutierte Wort der lydischen Sprache.¹⁷ Die übrigen Belege von kandaules sprechen dafür, dass es sich eigentlich um einen Titel handelt. Da der von Gyges gestürzte König Kandaules auch den Namen Myrsilos trug, kann man vermuten, dass Kandaules sein Herrschertitel war. Im Laufe der Forschungsgeschichte war angenommen worden, dass das Wort als kandaules im Sinne von (wörtlich) ‚Hunde-Würger‘ zu analysieren sei.¹⁸ Später war dies zu ‚Hunde-Beherrscher‘ modifiziert worden.¹⁹ Heute kann man jedoch mit Sicherheit sagen, dass kandaules mit keilschrift-luwisch handawad(i)- und lykisch xñtawat(i)- ‚König‘ verwandt ist.²⁰ Dies hat zuerst O. Szemerényi bemerkt, der kandaules für lydischer Herkunft erachtete.²¹ Später wandte jedoch O. Carruba ein, es müsse sich um eine Entlehnung aus dem Luwischen ins Lydische handeln, weil das anlautende h- eines uranatolischen Wortes *hantawata- in einem echt lydischen Wort lautlich geschwunden und nicht zu k- geworden wäre.²² Nun aber, wo sich herausgestellt hat, dass auch das griechische Wort kapelos ‚Kaufmann, Krämer‘ (s. Glossar) aus dem Lydischen stammt (s. Teil 5 C) und außerdem der aus älterem *huh(h)a- stammende lydische Name Kuka- (Gyges) ebenfalls anlautendes k- für anatolisches h- aufweisen, dürfte die Entwicklung von h zu lydisch k regulär sein. Somit dürfte *kandawla- (kandaules) nicht aus dem Luwischen entlehnt sein, sondern aus älterem *handawala- ‚Herrscher‘ stammen, das nur in seinem vorderen Bestandteil mit luwisch handawad(i)- übereinstimmt.²³ Die Bedeutung war ‚Herrscher‘, und die Bezeichnung hat primär nichts mit ‚Hund‘ zu tun.²⁴
Vgl. H.C. Melchert bei Oettinger (1995), 45. Das anlautende s von skaperdeusai könnte der Fortsetzer eines lydischen Präfixes (ši,iš) sein. Die Bedeutung der lydischen Verbalform kaprdokid ist noch nicht geklärt. Vgl. S.H. Hawkins (2013), bes. 167– 189. Solmsen (1897). Oettinger (1995), 41. Auch karisch kδow- gehört dazu, falls es ‚König‘ bedeutet; s. Adiego (2007), 264. Szemerényi (1969), 980 f. Carruba (2003), 154. Gegen luwische Herkunft hat sich Yakubovich (2010), 94 f. ausgesprochen. Belege zu luw. handawad(i)- bei Melchert (1993), 52. Dadurch entfällt die Vermutung, das Wort kandaules habe etwas mit dem Würfelspiel zu tun gehabt. In der indogermanischen Grundsprache war die Bezeichnung für den schlechtesten Wurf beim Würfelspiel zwar in der Tat *ḱṷon- ‚Hund‘ gewesen (vgl. lat. canis), aber im Gegensatz zum
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Unabhängig davon ist die strukturelle Ähnlichkeit von gr. kynanches ‚Hundewürger‘ und kandaules angesichts dessen, dass sie Hipponax doch offensichtlich gleichsetzt, auffällig. Vielleicht ist kandaules, das, rein lautlich betrachtet, im Lydischen theoretisch als ‚Hundebeherrscher‘ verstanden werden konnte, von Hipponax, der ja offensichtlich Lydisch verstand, in diesem Sinne volksetymologisch umgedeutet worden.²⁵ Das Vorkommen dieser drei Wörter lydischer Herkunft in Verbindung mit der Angabe meionisti ‚auf maionisch‘ legt nahe, dass mäonisch und lydisch das gleiche meinen. Wenn Hipponax an anderer Stelle statt des erwarteten Partizips *meionizousa ‚maionisch sprechend‘ (s. gleich) dann lydizousa verwendet, so kann diese Variation nur stilistische Gründe haben. Hipponax war einerseits der einzige griechische Dichter, der Zitate aus dem Lydischen als Stilmittel einsetzte, und andererseits war gerade er jemand, der amüsieren und wohl auch schockieren wollte. Deshalb kombinierte er beides, das Exotische in Form von Lydismen und das Schockierende unter anderem in Form von derb Erotischem. Das führte zu Formulierungen wie: ηὔδε δὲ λυδίζουσα‧ βασκ[……….]πυγιστί τὸν πυγεῶνα παρ[ (eude de lydizousa: bask[……….] pygisti ton pygeona par[) Sie sprach auf Lydisch: ‚Bask[………(und)] auf ‚Hinterteilisch‘: ‚Das Hinterteil…….‘ (F95 Degani).
Auf diese nur als Fragment erhaltene Stelle dürften zwei Glossen bei Hesych zurückgehen, die R. Gusmani anführt,²⁶ nämlich βασκεπικρολεα (baskepikrolea) ‚er hätte sich beinahe schnell herausbewegt‘ und βαστιζα κρόλεα (bastiza krolea) ‚bewege dich schneller!‘. Die erste Glosse stimmt in ihrem Anfang (bask) mit dem Fragment überein. Die Übersetzungen Hesychs sind vermutlich sehr ungenau. D. Schürr verweist auf den Personennamen Ζακρωρης (Zakrores) auf einer Inschrift aus Sardes und vergleicht deshalb die beiden Buchstabenfolgen bask und zakrolea dieser Glossen mit lydisch faśqν und cãqrlãν (gesprochen etwa: dakrlan), das in der poetischen lydischen Inschrift 14 erscheint, und zwar in Vers 6 bzw. 5. Er nimmt an, dass der Dichter eine lydische Formulierung gehobener Sprache in
griechischen Hermes (argeiphontes) hat lydisch kandaules keinerlei Bezug zu Würfelspiel oder Hund. Auf diese naheliegende Idee ist auch S.H. Hawkins (2013), 181 gekommen. Gusmani (1964), 273.
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seinem sexuellen Kontext parodiert.²⁷ Auch die Kultiviertheit des lydischen Hofes überzog Hipponax mit seinem Spott: βακκάρι δὲ τὰς ῥῖνας ἤλειφον…….²⁸ οἵηπερ Κροῖσος (bakkari de tas rinas eleiphon……. hoieper Kroisos) „Ich salbte mir die Nasenlöcher mit bakkaris wie Kroisos“²⁹ (F107 Degani = F104 W).
Es ist möglich, dass das Lyderbild der Griechen, soweit es ab dem späten 6. Jh. mit der Vorstellung von verweichlichtem Luxus und Sinnlichkeit assoziiert war, teilweise auf Hipponax beruht.³⁰ Frühe Eindrücke der Griechen vom lydischen Königtum haben zweifellos ihren Niederschlag in Mythen gefunden, vor allem in denen um Niobe und um den Lyder Tantalos samt seinem fluchbeladenen Geschlecht. Ausführlich behandelt die Tantaliden jetzt M. Janda,³¹ der diesen Mythenkomplex als rein griechisch (und aus dem Indogermanischen ererbt) betrachtet. Jedoch ist der Name des Tantalos selbst sehr wahrscheinlich anatolischer Herkunft.³² Unseres Erachtens zeigen die Mythen sowohl von Niobe als auch von Tantalos den großen Eindruck, den der Reichtum der lydischen Könige auf die Griechen machte und die Assoziation auslöste, dass allzu großes Glück zum Untergang führen muss. Dies kann aber auch nur der Grund für die Übernahme eines Teils dieser Mythen durch die Griechen gewesen sein und bedeutet nicht automatisch, dass sie ganz von ihnen selbst geschaffen worden sind. Der Mythos von der Bestrafung und Versteinerung Niobes durch die Göttin Leto (seit Hom. Il. 24,614– 617) hatte sicher in der mo-
Schürr (2011), 75 – 78. Auch wenn die beiden lydischen Wörter noch nicht genau verständlich sind, so ist doch Hipponax’ Absicht deutlich. Offenbar konnte der Dichter darauf rechnen, dass seine griechischen Zuhörer Kenntnisse lydischer Dichtung besaßen. Hier steht verderbtes +ἔστιν δ’+. S.H. Hawkins (2013), 157. Vorher war die Bewertung der zivilisatorischen Raffinesse Lydiens durchaus positiv gewesen; vgl. Hom. Il. 4,141– 144: „Und wie wenn eine Frau Elfenbein mit Purpur färbt, eine Meionierin oder Karerin, … doch liegt es für einen König als Prunkstück …“. Der aus Sardes stammende Dichter Alkman war für die Entstehung der griechischen Chorlyrik von Bedeutung. Vgl. auch López-Ruiz (im Druck), die zu zeigen versucht, dass Sardes für Sappho die bewunderte Metropole eines Nachbarvolkes war, das sie nicht als exotisch empfand. Jedoch machen Monarchie, stehendes Heer mit Truppenparade sowie Schatzhaus deutlich, dass es sich bei Lydien um ein vorderorientalisches Reich handelte, das sich diesbezüglich von der griechischen Welt deutlich unterschied. Nach Herodot wurde die „Verweichlichung“ der Lyder vom persischen Eroberer Kyros nach einem Aufstand auf Rat von Kroisos erzwungen (Hdt. 1,155,4). Janda (2014a) zieht den altindischen Mythos um Atri zum Vergleich heran. Vgl. zum Namen Tantalos die ähnlich gebauten hethitischen Personennamen Dandanku, Pimpira usw. sowie später in einer griechischen Inschrift aus Antiphellos in Lykien z. B. den Namen Tandasis: vgl. dazu LGPN V B s.v. Tandasis.
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numentalen späthethitischen Göttinnenfigur am Sipylos, dem Zippasla-Gebirge der Hethiter, seinen Ausgangspunkt und könnte schon bei den Lydern entstanden sein. Auch Tantalos wurde am Sipylos verehrt. Seine mythischen Nachkommen (wie Pelops) allerdings tragen griechische Namen. Es ist denkbar, dass erst bei den Griechen die Vorstellung entstand, diesem mythische König Lydiens, der unter den Menschen so hervorragte, dass er sogar Umgang mit den Göttern hatte, sei sein Glück allzu sehr zu Kopf gestiegen. Dies führte dann zu Frevel und furchtbarer Bestrafung. In gewisser Weise war Tantalos so aus griechischer Sicht ein mythischer Vorläufer und Schicksalsgenosse von Kroisos. Andererseits scheint es uns aber auffällig, dass die Vorstellung vom Geschlechterfluch im Griechischen vor allem gerade bei zwei lydischen Geschlechtern erscheint, nämlich dem des lydischen Königs Tantalos und dem des lydischen Königs Gyges, wo der Fluch erst nach mehreren Generationen wirksam wurde (s. Teil 1). Daher kann diese Vorstellung durchaus auch schon bei den Lydern selbst entstanden sein. Die Nachkommen des Tantalos hätten in diesem Fall von den Griechen neue Namen erhalten. Dergleichen kam oft vor. So stammen z. B. die Götternamen Demeter und Persephone nicht aus dem Orient, obwohl der Mythos um Persephone und Hades auf sehr früher Entlehnung von dort beruhen muss, da seine Motive im Raum von Anatolien über Syrien bis Ägypten zuhause sind. Als weitere Mythen der Griechen, die sie von den Lydern übernommen haben könnten, kommen der von Niobe und der von Arachne handelnde in Frage. Spricht bei Niobe ihre Versteinerung am lydischen Sipylosgebirge durch das Wirken der Götterfamilie Letos für eine solche Herkunft, so ist es bei Arachne, deren griechischer Name ‚Spinne‘ bedeutet, erstens ebenfalls die Lokalisierung in Lydien, nämlich in Hypaipa südlich des Tmolos. Gemäß der griechischen Überlieferung forderte Arachne in dieser Stadt die Göttin Athene zu einem Wettkampf in lydischer Webkunst heraus. Während Athene Bilder von solchen, die sich mit Göttern zu messen gewagt hatten, in ihr Bild wob, wob Arachne freizügige Darstellungen der Liebesabenteuer von Göttern hinein. Da zerriss Athene das Gewebe Arachnes, woraufhin diese versuchte, sich zu erhängen. Die Göttin aber verwandelte sie in eine Spinne, die nun, am Faden hängend, ständig webt. A. Payne und D. Sasseville weisen jetzt bei ihrer Behandlung der Dativform maλiλ des lydischen Götternamens, den die Griechen mit Athene gleichsetzten, zu Recht auf einen isoliert überlieferten Vers (Fragment PL F fr. incert. utrius auct. 17) hin, der als „Malis spann einen feinen Faden auf der Spindel, die sie hielt“ zu übersetzen ist. Die Sprachform des Verses weist auf Herkunft aus Lesbos. Sie schreiben dazu: „(Er) bewahrt offensichtlich einen lydischen Reflex dieses Mythos“;³³ unserer
Payne/Sasseville (2016), 79 f.
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Meinung nach war das Ganze ursprünglich eher ein lydischer Mythos, der von der Göttin Malis und ihrem Wettstreit mit einer Frau namens „Spinne“ handelte. Bei der Übernahme des Mythos ersetzten die Griechen dann nur die Namen, nämlich das lydische Wort für die Spinne durch ihr eigenes, arachne, und Malis durch Athene. Auf Lesbos aber, das der lydischen Kultur verbunden war, behielt man im Zusammenhang des Mythos den Götternamen Malis bei. Eine spätere, aber unverfälschte Quelle sind die Inschriften in lydischer Sprache. Leider ist ihre Zahl sehr begrenzt, und sie sind uns bisher nur in Teilen verständlich. Immerhin ist ein Vertrag in lydischer Sprache nunmehr in seinen wesentlichen Teilen durchschaubar, was weiter unten zur Sprache kommen wird. Unter den Inschriften befinden sich, wie soeben bereits erwähnt, auch poetische. Das Versmaß zeigt Ähnlichkeit mit dem Glykoneus der lesbischen Lyrik,³⁴ weshalb in Anbetracht der geographischen und auch kulturellen Nähe dieser Insel zu Lydien ein Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden kann. Die Lyder scheinen auch zum ersten Mal in der Poesiegeschichte eine konsequente Reimtechnik erfunden zu haben.³⁵
Götternamen der Lyder Die in Inschriften lydischer Sprache überlieferten Götternamen geben direkte und deshalb wertvolle Hinweise auf die kulturelle Einordnung dieses Volkes, und zwar sowohl auf das Verhältnis zu anderen anatolischen Sprachen als auch auf den Umfang von Interferenzen mit den angrenzenden Griechen. Aufschlussreich ist auch ein Vergleich der Götternamen der lydischen mit denen der lykischen Inschriften. Beide Inschriftengruppen stammen aus etwa der gleichen Epoche, nämlich hauptsächlich der Zeit der persischen Herrschaft. Wir nennen hier den Großteil der bekannten Gottheiten, streben aber keine Vollständigkeit an. Diejenigen Götternamen, die sicher oder wahrscheinlich entweder aus dem Griechischen oder in das Griechische entlehnt worden sind, werden gesondert aufgeführt. Lydische Götternamen ohne Interferenzen mit dem Griechischen:³⁶ a. Qλdãn- = gr. Apollon; s. Teil 3 1 b. Maλi̭a- (belegt Dativ maλiλ, zu heth. Malii̭a‐)³⁷ = gr. Athene Eichner (1986a), 21 mit Anm. 28; ders. (1986b; 1993), bes. 114– 127; vgl. auch West (1972; 1974). Eichner (1986a) 21. Zu lydischen Götternamen s. Gusmani (1964) s.v.; Gérard (2005), Index. Die lydische Dativform maλiλ ‚der Athene‘ ist jetzt für die lydisch-griechische Bilingue (Text 40) gesichert durch die neue Lesung von Payne/Sasseville (2016). Der lydische Text lautet: ešν
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c.
*Arma- ‚Mondgott‘ (erschließbar aus armτa- ‚zum Arma- gehörig‘, heth. Arma‐)³⁸ d. Kuwaw-/Kufaf- ‚Kybebe,³⁹ (heth. u. luw. Kubaba‐)⁴⁰ e. Mariwda- ‚Unterweltsgott‘ (vgl. luw. marwai̭a/i- ‚dunkel, unterweltlich‘)⁴¹ f. Śãnta- ‚Kriegsgott‘, viell. zusätzlich auch ‚Seuchengott‘ (luw. Santa-, lyk. Hãta‐) Der lydische Göttername Śãnta- (gesprochen Sanda‐) ist aus luwisch Santa- entlehnt worden, denn andernfalls müsste er *Śẽnta- lauten.⁴² Im Lydischen findet sich folgende Fluchformel: fak-mλ śãntaś kufaw-k mariwda-k ẽnslipp[i]d „Santa (Sanda) und Kufaw (Kubaba) und der Dunkle (Mariwda) sollen ihm Übles tun!“ (LW 4a).⁴³ Ähnliches findet sich in zwei hieroglyphen-luwischen Inschriften aus dem Zentralanatolien des 8. Jh. v.Chr., ebenfalls in Fluchformeln. Da erscheint einerseits die Abfolge: der Dunkle (Marwai̭a/i‐), Nikaruha und Kubaba (KAYSERI, Hawkins [2000], 473) und andererseits die Formel „Die Dunklen (Marwainzi) des Santa (Sanda) sollen auf sein Grabmal trampeln!“ (KULULU 2).⁴⁴ Der Vergleich macht nicht nur allgemein die Zugehörigkeit Lydiens zur hethitisch-luwischen Tradition, sondern auch speziell den Einfluss der luwischen Religion auf die lydische deutlich.
tacẽν acνil partaraś maλiλ „Diese Stele errichtete (acνil) Partara für Mali̭a“. Damit entfällt die bisherige Lesung ašνiλ ‚der Athene‘. Der lydische Stamm muss zweisilbig Mali̭a- gelautet haben, denn dreisilbiges *Maλii̭a- hätte sich zu *Maλida- und weiter zu *Maλda- entwickelt. Hätte der Stamm *Maλi- gelautet, so müsste der Dativ als *Maλλ erscheinen, wie der Dativ pλ zu pi- ‚er‘ zeigt. Zur gr. Form Malis s. S.H. Hawkins (2013), 127 f. Schürr (1997), 207 lehnt diese Deutung von lydisch armτa- ab, weil er Qλdãn- für den lydischen Namen des Mondgottes hält. Hdt. 5,102,1 nennt für Sardes ein Heiligtum epichories theou Kybebes ‚der epichorischen Gottheit Kybebe ‘, wobei er mit ‚epichorisch‘ entweder meint, dass diese Göttin besonders mit Sardes verbunden oder sie insofern ‚einheimisch‘ war, als sie im griechischen Pantheon keine Entsprechung hatte. Zur Entwicklung der Vorläuferin von Kuwaw-/Kybebe, der nordsyrischen Göttin Kubaba, die im hethitischen Reichspantheon des 13. Jh. noch keine zentrale Rolle spielte und auch in Karkamis noch nicht so populär war wie dann im frühen 1. Jt., vgl. jetzt Hutter/HutterBraunsar (2016); Hutter (2017). Altphrygisch matar kubeleja/kubelija ‚Mutter Kybele‘ (vgl. Brixhe/Lejeune [1984], 67 f.) stammt im Gegensatz zu lydisch Kufaf- nicht von Kubaba ab, sondern wurde erst von den Griechen mit dieser kontaminiert. Insofern ist die Trennung zwischen Kybele und Kybebe, die Bremmer (2008), 272 vornimmt, berechtigt. Für eine engere Verbindung plädiert Munn (2008). Melchert (2008), 153. Dazu s. Gérard (2005), 43 nach Melchert (1992), 36 f. Vgl. Gusmani (1980 – 1986), 148. Vgl. Hawkins (2000), I/2 488.
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Lydische Götternamen mit Interferenzen mit dem Griechischen: g. Artimu-, wohl entlehnt ins Griechische als Artemis;⁴⁵ s. Teil 3 1 h. Pakiwa-, wohl entlehnt ins Griechische als Bakchos, Gott des Weins; s. Teil 3 1 i. Lew-, entlehnt aus gr. Deus (dialektal) = Zeus j. Lamẽtru-, entlehnt aus gr. Demeter⁴⁶ k. *Ẽnwaλa-, aus dem wahrscheinlich gr. Enyalios entlehnt ist; s.u.
Lykische Götternamen ohne Interferenzen mit dem Griechischen:⁴⁷ a. Arκκazuma- (gr. Wiedergabe: Αρκεσιμα, ohne Entsprechung anderswo) b. Arm̃ ma- ‚Mondgott‘ (heth. und luw. Arma‐) c. Elijãna- ‚Nymphe‘ d. Hãta- ‚Kriegsgott‘ (luw. Santa‐) e. Xaxakba- (möglicherweise ein als Reiter dargestellter Gott)⁴⁸ f. Xba-, aus Hepat (hurritische Göttin) in Pddẽ-xba- ‚Orts-Hepat‘ g. Malija-, gleichgesetzt mit gr. Athene h. *Qele/i- im Adiectivum genetivale qelehe/i-, Getreidegottheit, wohl zu heth. Kal(l)ii. Trqqñt- ‚Wettergott‘ (luw. Tarhunt-, karisch Trquδ-; vgl. heth. Tarhunna‐) j. Trzzube/i- (gr. Wiedergabe: Τρωσοβιος, ohne Entsprechung anderswo) k. Iprehe/i- (= Apollon?, s. Teil 3 1) (luw. immrassa/i-, Beiname des hier.-luw. Runtii̭a‐)
Lykische Götternamen mit Interferenzen mit dem Griechischen: l. Padrita-, Pedrita-, aus gr. Aphrodite m. m. Zeus(i), aus gr. Zeus. n. *Leta- = gr. dor. Lato, jon. Leto, belegt ist das Adjektiv leθθe/i- ‚zu Leto gehörig‘⁴⁹ Zu karisch Artmi (Nominativ?) s. Adiego (2007), 356. Zum Nasalvokal von Lamẽtru- s. Oettinger (1994), 318. Vgl. zum Lykischen jeweils Melchert (2004a); Neumann/Tischler (2007). Viel Nützliches, aber teilweise auch Spekulatives enthält jetzt: Lebrun/Raimond (2015). Angesichts der Länge des Wortkörpers halten wir es für wahrscheinlich, dass lyk. Xaxakbamit dem in griechischen Inschriften aus Lykien und den östlich anschließenden Ländern bezeugten nicht-griechischen reitenden Gott Kakasbos identisch ist. Da das Hinterglied des letzteren Namens wohl lyk. esbe- ‚Pferd‘ enthält, könnte Xaxakba- aus *Xaxasba- assimiliert sein. Vgl. zu Kakasbos Lebrun/Tavernier (2010), 4 f. Aus *letehi-; s. Melchert (2004a), 35. Möglicherweise stammen der lykische und der griechische Name aus einer dritten Sprache; s. Teil 3.1.
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Wie sich bei genauerer Betrachtung der Listen zeigt, waren die diesbezüglichen Beeinflussungen zwischen Griechisch und Lydisch stärker als zwischen Griechisch und Lykisch.⁵⁰ Hervorzuheben ist, dass es sich bei einem der ins Lydische entlehnten Namen um den des obersten Gottes, nämlich des Wettergottes handelt, der natürlich ein besonderes Gewicht hat. Im Lykischen und Milyischen lautet er im Sinne des anatolischen Erbes Trqqñt- und im Karischen Trquδ-,⁵¹ im Lydischen dagegen findet sich nur das entlehnte Lew-. Zwar ist auch im Lykischen die entlehnte Form Zeus(i) überliefert, jedoch nur ein einziges Mal, während lykisch Trqqñt- und lydisch Lew- jeweils relativ zum Textbestand sehr häufig belegt sind. Es ist daher evident, dass der ehemalige oberste Gott des lydischen Pantheons durch den griechischen Wettergott Zeus ersetzt worden ist.⁵² Der ganze Befund bestätigt die Aussage Herodots, Lyder und Griechen hätten die gleichen Sitten, wenn man sie aus heutiger Sicht präzisiert: Einerseits haben die kleinasiatischen Griechen einiges von den Lydern übernommen, und andererseits sind die Lyder wesentlich stärker von den Griechen beeinflusst worden als etwa die Lykier. Es ist anzunehmen, dass dieser Einfluss schon vor der Perserzeit, aus der die meisten Inschriften stammen, gewirkt hatte, denn während der persischen Herrschaft dürfte weniger der griechische als eher der persische Einfluss auf die Lyder zugenommen haben. Letzteres zeigt sich etwa darin, dass nun im lydischen Gebiet der Doppelname Artemis Anaitis auftritt.⁵³ Der griechische Gott Enyalios war ursprünglich vermutlich ein eigenständiger Kriegsgott, weil er bereits im Mykenischen (als E-nu-wa-ri-jo) erscheint. Teilweise wurde er dann mit Ares identifiziert. Nun hat I. Yakubovich das lydische Wort ẽnwaλa- (gesprochen etwa enwali̭a‐), als „Herr“ gedeutet,⁵⁴ was er daraus folgert, dass der ẽnwaλa- in dem Vertrag LW 22 §5 – 6 (s. unten) als Repräsentant einer Gruppe von Personen auftritt, wobei er die Verantwortung für den Vertrag übernimmt.⁵⁵ Das ist eine plausible Möglichkeit. Er schlägt ferner nun vor, den grie-
Die Tatsache, dass es mehr lykische als lydische Inschriften gibt, betrifft dieses relative Verhältnis nicht. Beide Korpora sind auch insofern vergleichbar, als sie überwiegend, aber nicht nur, aus Grabinschriften bestehen. Sollte lyd. areλ ‚dem Ares‘ bedeuten (LW 11.2; vgl. Schürr [2003], 118), so wäre die Beziehung zwischen griechischer und lydischer Götterwelt noch enger. Die karische Form trquδe bei Adiego (2007), 332 ist wahrscheinlich Dativ. Zwar findet sich die für die Entlehnung ins Lydische vorauszusetzende griechische Form Deus (Δεύς) nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft des Lydischen, jedoch gehörten auch die dorischen Gebiete Kleinasiens (Halikarnassos usw.) zum lydischen Reich, so dass die Übernahme von hier aus erfolgt sein kann. Aus altpersisch Anahita, s. Heubeck (1959), 25. Yakubovich (i. Vorb.). Yakubovich (2017), 276 f.
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chischen Götternamen Enyalios als aus lydisch ẽnwaλa- ‚Herr‘ entlehnt zu betrachten, was angesichts der sozusagen vollkommenen lautlichen Übereinstimmung naheliegend erscheint.⁵⁶ Die Entwicklung des Titels „Herr“ zu einem Götternamen ist nichts Ungewöhnliches; man denke auch an italienisch Madonna, wörtlich „meine Herrin“. Auch bezeichnet Archilochos (F1 W) Enyalios explizit als „Herrn“ (anax): Eimi d’ ego therapon men Enyalioio anaktos kai Museon eraton doron epistamenos Ich bin Gefolgsmann des Herrn Enyalios und auch des lieblichen Geschenks der Musen kundig.
Unabhängig von dieser Entlehnung ins Griechische ist die Frage der Herkunft von lydisch ẽnwaλa- selbst. Yakubovich sieht darin eine teilweise Entsprechung von luwisch-hethitisch annawali- bzw. annauli- ‚gleichrangig‘.⁵⁷ Der erste Bestandteil von annawali- sei das luwische Pronomen anna- mit seiner lydischen Entsprechung ẽna- ‚jener‘.⁵⁸ Er führt annawali- bzw. annauli- auf virtuelles *en-éh2-u̯o-lo(mit anschließender i-Mutation), während er dazu tendiert, lydisch ẽnwaλa- aus *én(i)-u̯o-li̭eh2 abzuleiten, wobei es sich aber auch um eine nur oberflächliche Adaption des luwischen Wortes an das Lydische handeln könnte.⁵⁹ Die lydische
Dankenswerterweise hat uns Ilya Yakubovich sein Manuskript in der vorläufigen Ausarbeitung zur Verfügung gestellt, wobei sich kleine Details noch ändern könnten. Auch Stefan Schaffner hat uns hierzu eine mündliche Mitteilung gemacht, für die wir ihm sehr danken. Er erwägt, den Namen Enyalios innergriechisch zu erklären, und zwar als ein ursprüngliches Kompositum *(h1)enu-ṷl̥h3-ii̭o- ‚der entlang des Schlachtfeldes/der Schlacht Wirkende‘. Die zugrunde liegende Wurzel *ṷelh3 – sei die gleiche wie in deutsch Walstatt und Walküre sowie in griechisch ἑάλων (healon) ‚ich wurde überwunden‘, wobei allerdings das Adverb *(h1)enu im Griechischen sonst nicht existiert. Auch diese Erklärung ist formal einwandfrei. Yakubovich wendet jedoch ein, dass die Bedeutung ‚ich wurde überwunden‘ von ἑάλων (healon) nur metaphorisch und die eigentliche Bedeutung ‚ich wurde gefangen‘ sei. Letztere passe aber nicht gut zu einem Kriegsgott, weshalb healon und Walstatt wahrscheinlich nicht miteinander verwandt seien. Da Enyalios wegen seiner Funktion als Kriegsgott nicht zum ersteren Wort gehören dürfte, seien also seine beiden von Schaffner angenommenen Bestandteile *(h1)enu und *ṷelh3- im Griechischen sonst nicht vorhanden. Das spricht gegen diese innergriechische Erklärung des Götternamens. Eine andere Etymologie haben Kronasser (1966), 212 und, in wesentlich verbesserter Form, Starke (1997), 464 f. mit Anm. 190 – 194 vorgeschlagen, nämlich dass annawali- ursprünglich ‚von der gleichen Mutter (anna‐) stammend‘ bedeutete und sich von da aus unter den polygamen Verhältnissen des Adels zu ‚gleichrangig‘ entwickelt habe. Zu diesem Pronomen s. Melchert (1991), 139 Anm. 17. Luw. annawali- beruht nach Yakubovich (i. Vorb.), vereinfacht dargestellt, auf einer Basis *anná-wa-, die ihre endgültige Gestalt nach dem Vorbild von *hantá-wa- erhalten habe. Dieses
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Synkope in der Entwicklung von *én(i)wali̭a- zu ẽnwaλa- ist derjenigen von *kandáwala- zu *kandáwla- (kandaules) vergleichbar. Inwieweit die beiden lydischen Titel von den luwischen beeinflusst sind, kann hier nicht untersucht werden. Die Entwicklung könnte so verlaufen sein: von *én(i)walii̭a- über *énuwalii̭a(in diesem Zustand erfolgte die Entlehnung ins Griechische) und weiter zu lydisch *énwali̭a- (geschrieben ẽnwaλa‐). ⁶⁰ Yakubovich erwägt, dass ẽnwaλa- ‚Herr‘ im religiösen Bereich Epitheton des lydischen Kriegsgottes Śãnta- gewesen sein könnte, ein unter den gegebenen Umständen naheliegender Gedanke. Diese plausible Deutung von Enyalios als Lehnwort aus dem Lydischen bestätigt die Herleitung von gr. molybdos, molib(d)os ‚Blei‘, das ebenfalls schon im Mykenischen bezeugt ist, aus lydisch mariwda-.⁶¹ Der mykenische Göttername Potnija Aswija bedeutet ‚Herrin von Aswija‘, wobei letzteres eine Gegend in Lydien meint, die später zum Namen Asien wurde.Vielleicht bezog er sich auf die spätere Artemis von Ephesus, lydisch artimuś ipśimšiš ‚ephesische Artemis‘. Alle drei Namen bzw. Wörter sprechen dafür, dass der Einfluss der Lyder auf die Griechen nicht erst im ersten, sondern bereits im zweiten Jahrtausend v.Chr. begonnen hatten, also eine ganz andere historische Tiefe hatte als bisher angenommen. Noch eine weitere historische Überlegung bietet sich hier an. Wahrscheinlich stellt lydisch ẽnwaλa- ‚Herr‘ eine Anpassung des luwischen Wortes annawali‚Gleichrangiger‘ an das Lydische dar. Auch weitere lydische Herrschertitel wie kandaules und Götternamen wie Śãnta- und Arma- haben einen luwischen Hintergrund. Zum Vergleich für diese auffällige Tatsache könnte man zunächst an das Hethitische denken, das ebenfalls mehrere Herrschertitel wie z. B. labarna„Großkönig“ und tuhkanti- „Kronprinz“⁶² aus dem Luwischen übernommen hat. Bei den Hethitern ist dies erklärbar durch eine bis zur Zeit des hethitischen Herrschers Anitta im 18. Jh. v.Chr. andauernde Vorherrschaft luwischer Fürsten in Zentralanatolien. Auf einen von ihnen bezieht sich wahrscheinlich der Ausdruck „Mann von Purushanda“ im Text des Anitta (KBo 3.22 Rs. 73 – 75); auch dem König Sargon von Akkad schrieben die Hethiter bereits einen Feldzug gegen die Stadt Purushanda zu (KBo 22.6). Durch diese Vorherrschaft Purushandas könnten ebenso die luwischen Titel im Lydischen erklärt werden. Andererseits ist aber das spätere Lydien bzw. Bithynien relativ weit von dem in der Gegend des heutigen Akşehir zu lokalisierenden Purushanda entfernt. Daher kommt bei den Lydern
*hantá-wa- seinerseits stammt aus *h2ent-éh2-wo- und ist die Basis sowohl für luwisch handawat (i)- ‚König‘ als auch für lydisch *kandawla- (kandaules, s. Teil 4). Griechisch Ἐνυάλιος (Enyalios) setzt eine lydische Vorform *enuwali̭a- voraus, die eine Ableitung mit dem Suffix *-i̭a- darstellt. Melchert (2008). Rieken (2016).
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zumindest teilweise auch eine andere Erklärung in Betracht: Als sie, wie wir vermuten, in den Dunklen Jahrhunderten aus dem Raum von Bithynien nach Arzawa (Lydien) einwanderten, da waren sie zunächst den dortigen Luwiern und ihren Herrschern unterlegen oder wurden sogar deren Untertanen. Denn nur so ist es erklärbar, dass sie Herrschertitel und Götternamen der Luwier in größerem Umfang übernahmen.Wären sie als Eroberer nach Arzawa gekommen, dann hätte diese Entlehnung höchstens in umgekehrter Richtung stattfinden können.
Ein Vertrag in lydischer Sprache Man hat bisher von Seiten der Historiker nie versucht, die Lyder selbst sprechen zu lassen. In neuerer Zeit ist es aber dank den Ergebnissen der Sprachwissenschaft möglich geworden, die lydische Inschrift LW 22 als achämenidenzeitliche Übereinkunft zwischen den Bürgern der Stadt Sardes und den Mermnaden zu identifizieren. Damit wurde zugleich klar, dass die Mermnaden als Bevölkerungsgruppe noch in persischer Zeit existierten und auch politisch relevant waren. Einen großen Fortschritt stellt nun die Interpretation der Inschrift durch I. Yakubovich dar, der, aufbauend auf den Arbeiten vor allem dreier anderer Sprachwissenschaftler,⁶³ unser Verständnis dieses historischen Dokuments auch selbst wesentlich gefördert hat.⁶⁴ Ihm ist es ferner gelungen, die alte Vermutung, dass Mλimna- inhaltlich dem Namen „Mermnaden“ entspricht, zu bestätigen.⁶⁵ Wir schließen uns ihm in unserer Darstellung weitgehend an, wobei wir aber das lydische Wort aλida-, das Yakubovich mit „reform(?)“ wiedergibt, versuchsweise mit „Auswärtigenstatus/Sonderstatus“ übersetzen.⁶⁶ Sicher waren nämlich zur betreffenden Zeit auch in Westanatolien bereits Proxenie-Vereinbarungen üblich, wie wir sie später z. B. von der karisch-griechischen Bilingue von Kaunos (C.Ka 5)⁶⁷ aus der zweiten Hälfte des 4. Jh. v.Chr. kennen. Daher wählte man möglicherweise für den Vertrag zwischen Sardes und den Mermnaden ein Verfahren, das teils Proxenie-Vereinbarungen und teils Staatsverträgen ähnelte. Hinsichtlich lydisch armτa-, das Yakubovich als „prophet(?)“ interpretiert, bleiben wir näher an der
Zu nennen sind vor allem: Carruba (1969); Schürr (1997); Melchert (1997; 2004b; 2006). Yakubovich (2017). Zur genauen sprachlichen Form (gr. Mermnades entspricht lyd. *mλimnada-, gr. *Mermnaentspricht lyd. mλimna‐) s. oben Teil 1. Die Vorform von aλida- lautete entweder *áli̭ata-, was bereits früh synkopiert wurde, oder *alii̭a-. Etymologisch gehört sie sicher zu idg. *ali̭o- ‚anderer‘. Für die Möglichkeit von Synkope vgl. lyd. *laila- ‚König‘ gegenüber heth. lahhii̭ala- ‚Reisiger, *Krieger‘. Zur karischen Bilingue C.Ka 5 s. Adiego (2007), 154 ff.
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traditionellen Auffassung und verstehen es als „Priester des Mondgottes“, da wir annehmen, dass der Mondgott im Lydischen *Arma- und nicht Qλdãn- hieß (s. zu diesen lydischen Götternamen das vorausgehende Kapitel). Die Marmorstele mit der Inschrift LW 22 wurde beim Tempel der Artemis in Sardes gefunden und stammt aus dem 5. oder 4. Jh. v.Chr. Die Übersetzung, die zwar noch manches Unsichere enthält, aber in ihrer zentralen Aussage klar ist, lautet: (§1) Diese Stele haben die Einwohner von Sardes für die Mermnaden errichtet. (§2) Weiterhin haben sie ihnen vor der Herrin von Sardes (Artemis) Eide geschworen. (§3) (… ) Die Mermnaden haben (für sich) einen guten Auswärtigenstatus/Sonderstatus gebilligt, (§4) damit er auch von den Einwohnern von Sardes und den fẽntašẽna- (eine Bevölkerungsoder Berufsgruppe) anerkannt wird. (§5 – 6) (Die Einwohner von Sardes sprechen:) Was auch immer die Mermnaden in Bezug auf Sardes betrifft, so haben wir für sie einen guten Auswärtigenstatus/Sonderstatus akzeptiert, sowie auch für den Herrn (ẽnwaλa) der cidaλm-Gruppe. (§7) Keine waśtνun-Abgabe soll ihnen gehören, (§8) aber welche datroś(i)-Zahlung den sardischen Mermnaden zusteht, (§9) die haben die Diener(?) der Artemis ihnen zugebilligt, ebenso wie der Priester des Bacchus und des Mondgottes. (§10) Was (auch immer) die Mermnaden in Bezug auf Sardes betrifft, (§11) so haben die Diener(?) der Artemis sie unter Eid genommen. (§12) Und die Diener(?) der Artemis werden es zusammen mit den Tempelabgaben(?) nach bestem Gewissen einsammeln(?). (§13) Und wir werden sie ihnen nach bestem Gewissen(?) übergeben. (§14) Und wann immer die Herrin von Sardes (Artemis) sich an einen Mermnaden wenden wird (§15) und welchen Auswärtigenstatus/Sonderstatus sie verfügen wird, (§16) den wird der jeweils befolgen.
Auch wenn hier noch manches unklar bleibt, so lassen sich doch, Yakubovich folgend, einige Dinge feststellen: Die Mermnaden müssen zur Zeit der Abfassung der Inschrift in Sardes einen nicht unbedeutenden Einfluss gehabt haben, was allein schon daraus hervorgeht, dass die Einwohner der Stadt ihnen Abgaben bzw. Besitz zukommen ließen. Andererseits war dieser Einfluss nicht unbegrenzt, sondern der Tempel der Artemis in Sardes besaß gegenüber einzelnen Individuen der Gruppe der Mermnaden die Entscheidungsgewalt über Anliegen beider Parteien. Weiterhin geht aus dem Ausdruck „gegenüber den sardischen Mermnaden“ (§8) hervor, dass die Mermnaden keine bloße Untergruppierung der Sarder waren, sondern teils in dieser Stadt und teils anderswo zuhause waren. Einerseits ist klar, dass die Mermnaden unter der persischen Herrschaft nicht mehr die Herren des Landes gewesen sein können, andererseits zeigt sich hier
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aber auch, dass die Perser dieses ehemalige Herrschergeschlecht nach der Eroberung offenbar weder ausgelöscht noch aller Privilegien beraubt haben. Vor diesem Hintergrund gewinnt eine Darstellung, die bisher aus machiavellistischer Sicht als unwahrscheinlich gelten musste,⁶⁸ an Plausibilität. Gemeint ist Herodots Bericht, dass Kyros den Kroisos nach der Eroberung von Sardes am Leben gelassen und sogar in Ehren gehalten habe. So könnten den Mermnaden wichtige Funktionen verblieben sein, etwa im kultischen Bereich.⁶⁹ Im Text wird die Übereinkunft zwischen Sardes und den Mermnaden vor der Göttin Artemis abgeschlossen, die am Ende auch als höchste Autorität genannt wird. Eine schriftliche Fassung des Vertrags wurde im heiligen Bezirk, also offenbar vor der Göttin, niedergelegt. Ein entsprechendes Verfahren ist auch von hethitischen Staatsverträgen bekannt.
Lyder und Etrusker Es ist auch damit zu rechnen, dass auch die Perser das eine oder andere von den Lydern übernommen haben, auch wenn das im Einzelfall schwer nachweisbar ist. So berichtet Herodot (5,18,1 und anderswo), die Perser hätten von Städten bzw. Völkern, die sich ihrer Herrschaft beugen wollten, als Geste der Übereignung des Landes ‚Erde und Wasser‘ (gen kai hydor) gefordert, und zwar in dieser Reihenfolge. Nun findet sich in der lydisch-aramäischen Bilingue LW 1 die Abfolge kλidaλ kofuλk ‚Erde und Wasser‘ (im Dativ-Lokativ), und die aramäische Version bietet ṭyn w-myn in gleicher Reihenfolge und Bedeutung. Diese im Lydischen stabreimende und im Aramäischen den Vokal iterierende Formel erscheint in einer Abfolge aus zwei Wortpaaren im Rahmen einer Fluchformel, die im Lydischen lautet: „… dann sollen ihm die Artemis von Ephesos und die Artemis von Koloe Hof und Haus, Erde und Wasser … zugrunde richten!“⁷⁰ Das zweite darin enthaltene formelhafte Paar, lydisch ara- pira- ‚Hof und Haus‘, das ebenfalls im Dativ-Lokativ (aaraλ piraλ-k) steht,⁷¹ findet sich überraschenderweise auch im Etruskischen Italiens als ara- pera- in der Genitivabfolge araś peraś-c wieder. D.
So jetzt wieder Payne/Wintjes (2016), 43. I. Yakubovich weist als mögliche Parallele darauf hin, dass das Geschlecht der Branchiden im Apollo-Heiligtum von Didyma auch über die persische Eroberung hinaus seine priesterliche Funktion bewahren konnte, wahrscheinlich sogar schon seit karischer Zeit; vgl. Bachvarova (2016), 232 f. Dem im aramäischen Text trbṣ-h bi̭t-h entspricht. Vgl. Gusmani (1964), 250 (sowie jeweils s.v.). Diese Formel findet sich auch in der Inschrift (24), hier im Kasus Akkusativ.
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Steinbauer schreibt dazu:⁷² „ara- (Subst.) ‚Hof, unbebautes Gelände‘ (o. ä.). Etymologie: Nur in Pe 8,4 Gen. araś peraśc, das mit lyd. aara- pira-(=k) ‚in Hof und Haus‘ (durch die aramäische Parallele gesichert) eine Gleichung bildet.“ Angesichts dessen, dass lyd. pira- aus älterem *per-a- stammt, wie der Vergleich mit hethitisch per ‚Haus‘ zeigt, wird die Ähnlichkeit noch deutlicher. Die Übereinstimmung kann bei einer Formulierung von dieser Länge nicht auf Zufall beruhen. Die allgemeinere Gesamtbedeutung ‚Hof, unbebautes Gelände‘ im Etruskischen lässt vermuten, dass die beiden Bestandteile der Formel hier nicht mehr im Einzelnen verstanden wurden, ähnlich wie z. B. im Deutschen „ex und hopp!“ als Aufforderung, das Glas leerzutrinken. Man gewinnt den Eindruck einer Entlehnung von Seiten der Etrusker aus einer anderen Sprache; man vergleiche, dass ja auch „ex“ kein deutsches Wort ist. Nun gibt es im Etruskischen auch sonst einige Wörter anatolischer Herkunft. Sie könnten in der Zeit, als die in die Ägäis eingedrungenen Etrusker (Tyrsener) möglicherweise neben den Lydern wohnten (s. im Folgenden), durch diese Etrusker von den Lydern entlehnt und an ihre Verwandten in Italien weitervermittelt worden sein. Vermutlich ist auch diese Formel so von den Lydern an die Etrusker weitergegeben worden. Was nun das andere Paar, „Erde und Wasser“, betrifft, so könnte es angesichts dieser Umstände ebenfalls bereits früh als Formel in der lydischen Sprache vorhanden gewesen sein und daher nicht aus dem Aramäischen stammen, sondern umgekehrt. In diesem Fall könnte man nicht ausschließen, dass das Überreichen von „Erde und Wasser“ schon bei den Lydern als Geste der Unterwerfung existiert hatte. Dann könnten die Perser sie nach der Eroberung des Lyderreiches übernommen haben, zumindest für den Umgang mit Staaten des ägäischen Raumes, denen diese Geste bereits vertraut war.
Das Zeugnis der Historiker Kommen wir nun zu dem, was die Historiker über die Geschichte der Lyder berichten. Nach Herodot (1,7,3) war Lydos, Sohn des Atys, der Stammvater aller Lyder.⁷³ Die Nennung eines vom Völkernamen abgeleiteten Stammvaters entspricht einem üblichen griechischen Schema und beruht daher sicher nicht auf eigener Überlieferung der Lyder. Herodot schreibt, nach Erzählung der Lyder sei Manes (Gen. Sg. Mάνεω) der Vater von Atys gewesen (1,94,3), außerdem Vater von
Steinbauer (1999), 399. Auch Xanth. FGrHist 765 F16 nennt Lydos.
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Kotys (4,45,3).⁷⁴ Alle drei sind nicht-griechische Namen und könnten daher tatsächlich lydischen aitiologischen Erzählungen entstammen.⁷⁵ Den Namen Atys trug später auch wieder ein Sohn des Kroisos. Dieser scheint für den Phrygerkönig Midas postum ein Monument errichtet zu haben, was einen Hinweis darauf geben könnte, dass sich das lydische Reich als Fortsetzer des phrygischen verstand.⁷⁶ Manes ist als Personenname auch in den lydischen Inschriften bezeugt. An seiner Stelle überliefert Dionysios von Halikarnassos (1,27,1) die Variante Masnes. L. Robert nimmt an, dass die ebenfalls überlieferte Variante Masdnes älter sei.⁷⁷ Jedoch ist, da eine Lautfolge sn im Griechischen nicht möglich war, die Variante Masdnes wahrscheinlich erst in griechischem Mund zur Erleichterung der Aussprache entstanden. Zur Entwicklung von sn zu sdn vergleiche man die regulären Entwicklungen von nr zu ndr sowie von mr zu md und weiter zu mbd im Griechischen.⁷⁸ Vielleicht ist daher die Variante Masnes sprachwirklich und älter als Masdnes. Dadurch wird eine Verbindung mit keilschrift-luwisch māssan(i)- ‚Gott‘ denkbar. Für Westanatolien kann man hierfür z. B. auf karisch (graphisch) msnordś verweisen, das mit dem karischen, in griechischer Schrift überlieferten Orstnamen Μασανωραδα (Masanorada) zusammengehört. Wahrscheinlich be-
In Hdt. 4,45,3 heißt es, nach Meinung der Griechen sei Asien nach Asie, der Frau des Prometheus, benannt, nach Meinung der Lyder dagegen nach Asies, dem Sohn des Kotys, Enkel des Manes, und „nicht nach Asie, der Frau des Prometheus“. Hier stellt sich für uns ein methodisches Problem. Möglicherweise hat Herodot einen Lyder gefragt, ob die Griechen mit ihrer Meinung Recht hätten, woraufhin dieser aus Lokalpatriotismus bzw. Nationalstolz widersprach und stattdessen seinen eigenen lydischen Stammvater Manes ins Spiel brachte. Die Rückführung von jemand oder etwas auf einen Stammvater ähnlichen Namens ist nämlich ein typisch griechisches Verfahren. Ein alter lydischer Mythos liegt daher wahrscheinlich nicht vor. Dass der Name Asien in Wirklichkeit wahrscheinlich von *Aswija-, einer nahezu funktionsgleichen Ableitung vom hethiterzeitlichen Ländernamen Assuwa-, abgeleitet ist, hat mit diesem Problem nichts zu tun. Gander (2015), 447– 458, bes. 457 f. hält diese Erklärung des Namens Asie nicht für wahrscheinlich. Dabei führt er einerseits an, dass Assuwa relativ weit ins (nordwestanatolische) Inland hineingereicht habe, was aber kein echtes Gegenargument darstellt, denn jedes prosperierende Land, z. B. auch Arzawa und später Lydien, erweiterte sich ins Inland. Auch ist er der Meinung, dass sich „Asiwia“ sprachlich nicht mit Assuwa verbinden lasse. Jedoch kann mykenisch „Asiwia“ ebenso als Aswia gelesen werden, und eine Zugehörigkeitsbildung /Asw(i)ja-/ zu lautlichem /Aswa-/ ist vollkommen regulär. Zu Torrhebos, der nach Xanthos dem Lyder (FGrHist 765 F16 = Dion. Hal. ant. 1,28,2) Sohn des Atys und Bruder des Lydos war, vgl. Guizzi (2014), 35. Vgl. Munn (2008), 162. Robert (1963), 101 f., zur Diskussion Bremmer (2008), 270 f. Vgl. auch Gusmani/Polat (1999). So z. B. in *a-mrotos zu ambrotos ‚unsterblich‘, *anros zu andros ‚des Mannes‘ und *lamda zu lambda (Buchstabenname).
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deutet msn-ordś ‚Gottesverehrer‘.⁷⁹ Masnes ist also vielleicht luwischen Ursprungs, denn im Lydischen hieß ‚Gott‘ anders, nämlich ciw-. Nun ist ein Personenname der Bedeutung „Gott“ wenig wahrscheinlich. Eher liegt eine Ableitung *massanaii̭a- mit Nominativ Sg. *massanais ⁸⁰ ‚zum Gott Gehöriger, Gottesdiener‘ zugrunde.⁸¹ Dies konnte lautlich zu Masnes führen. In diesem Fall wäre Masnes ein lydischer Name von luwischer Herkunft. Weiter heißt es dort bei Herodot (1,94,5 – 7), zur Zeit des Atys habe bei den Lydern eine Hungersnot geherrscht, weshalb sich das Volk unter seinen beiden Söhnen Lydos und Tyrsenos geteilt habe. Ein Teil sei unter Führung des Tyrsenos nach Italien ausgewandert. Von ihnen stammten die Tyrsener (Etrusker) ab. Ein Teil der Aussage dieses Mythos ist nachweislich falsch, denn die Lyder sprechen eine indogermanische Sprache, die Etrusker dagegen nicht, weshalb sie verschiedenen Ursprungs sein müssen. Auch sind wir der Meinung, dass die Richtung der Wanderung der Tyrsener in Wirklichkeit umgekehrt verlaufen sein dürfte, nämlich im Rahmen der sogenannten Seevölkerbewegung aus Italien in die Ägäis.⁸² In ägyptischen Inschriften finden sich nämlich folgende Namen von Teilstämmen der Seevölker: Trš (Tyrsener), Šrdn (keilschriftlich Šerdani), offenbar Leute aus Sardinien, und Škl (keilschriftlich Šikila), also Leute aus Sizilien. Angesichts dieser Namen dürfte für jedermann einsichtig sein, dass ein Teil der Seevölker aus Italien und seinen Inseln gekommen sein muss, und dass die Et-
Zu den karischen Formen s. Adiego (2007), 385. Das Hinterglied -ord- entspricht luwisch -aradu- ‚Anhänger, Verehrer‘, dazu H.C. Melchert bei Adiego (2007), 333 Anm. 6. Hier kann nun auch der lydische Name (griechisch) Ardys angeschlossen werden. Mit Eintreten von -i- vor der Endung durch die sogenannte i-Mutation. Die Möglichkeit eines Ansatz *massanaii̭a- schlägt uns H.C. Melchert (mündlich) vor. Vgl. die ähnliche Bildung massanii̭a- im Keilschrift- und Hieroglyphen-Luwischen. Da nämlich z. B. der luwische Gottesname Tiwad- (Sonnengott) im Lydischen als theophorer Personenname Tiwdaerscheint, würde man für luwisch māssan- eher einen lydischen Stamm *masna- und nicht masne- erwarten. Vgl. Oettinger (2010). Ein wesentliches Argument für westliche Herkunft der lemnischen Etrusker ist dabei die Tatsache, dass das Etruskische sowohl mit dem Rätischen als auch dem Lemnischen verwandt ist, mit letzterem aber enger. Dies spricht dafür, dass die Etrusker schon sehr lange in Italien gewohnt hatten, so dass die Sprachen Etruskisch und Rätisch dort genug Zeit hatten, sich auseinanderzuentwickeln. Das Lemnische kann sich dagegen erst vor relativ kürzerer Zeit vom Etruskischen getrennt haben. Es ist auch nicht etwa so, dass das Rätische nur im südlichen Südtirol gesprochen wurde und so leicht als Sprache erst spät unter keltischem Druck an den Südrand der Alpen geflüchteter Etrusker interpretiert werden könnte. Vielmehr war das Rätische die Sprache der Zentralalpen schlechthin; ihre Inschriften sind auch in Nordtirol zahlreich und reichen bis an den Chiemsee in Bayern. Man erkennt dies auch leicht daran, dass die Römer gerade nicht Südtirol und das Trentino, sondern das Gebiet von Nordtirol bis zur Donau als Provinz Raetia bezeichneten.
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rusker bzw. Tyrsener von Lemnos zu ihnen gehörten (zu den Etruskern von Lemnos vergleiche man im Folgenden). Wer das Gegenteil annehmen will, muss dagegen komplizierte und daher a priori nicht wahrscheinliche Hypothesen entwerfen. Auch der Hinweis darauf, dass Aeneas und seine Leute nach Angabe von Livius aus dem zerstörten Troia nach Italien ausgewandert seien, stellt unserer Meinung nach kein echtes Argument für anatolische Herkunft der Etrusker dar. Denn Livius behauptet ja gerade nicht, dass die Vorfahren der Etrusker aus Troia gekommen seien, sondern der Römer. Außerdem hatten die Römer, wenn sie den Griechen genealogisch ebenbürtig werden wollten, gar keine andere Wahl, als an die bekannte Zeit der Heroen anzuknüpfen, also an Homer. Als Nachkommen eines Griechen konnten und wollten sie sich aber nicht bezeichnen. Die einzigen nicht-griechischen Heroen, die Homer schildert, waren Troianer, und der einzige unter ihnen, der nicht starb, war Aeneas. Insofern ist es nicht vollkommen überraschend, dass die Römer auf die Idee kamen, sich von Aeneas abzuleiten. Dennoch kann der bei Herodot überlieferte Mythos auch etwas Richtiges enthalten: Wenn die Lyder, wie wir glauben, ursprünglich weiter nördlich gewohnt hatten, nämlich an der Propontis und in Bithynien, dann waren sie in der Tat eine Zeitlang Nachbarn derjenigen Tyrsener gewesen, die sich im Rahmen der Seevölkerbewegung auf Lemnos und vermutlich auch in dessen weiterer Umgebung niedergelassen hatten. Für Lemnos sind diese Tyrsener durch mehrere Inschriften nachgewiesen. Herodot nennt sie Pelasger und bezeugt, dass bis zur Eroberung durch die Perser auch die Insel Imbros von den gleichen Pelasgern (Tyrsenern) bewohnt war (Hdt. 5,26). Auch der Ort Antandros am Fuß des Ida und nahe der lydischen Gründung Adramytteion, heute Edremit, sei pelasgisch gewesen (Hdt. 7,42). Daraus dürfte sich unserer Meinung nach die lydische Überlieferung von der ursprünglichen Zusammengehörigkeit beider Völker, die Herodot mitteilt, entwickelt haben. Wenn aber Lyder und Tyrsener lange bei einander gewohnt hatten, bevor es zur Trennung kam, dann folgt daraus, dass zwischen der Einwanderung der Tyrsener (Etrusker) in die Ägäis nahe den Meerengen und dem Verlassen des benachbarten, an die Meerengen grenzenden Raumes durch die Lyder eine längere Zeit gelegen haben muss. Falls also die Tyrsener etwa zu Beginn des 12. Jh. aus Italien gekommen wären,⁸³ was chronologisch zum Seevölkersturm passen würde, dann können die Lyder (Maionier) noch nicht zu dieser Zeit nach Süden Falls das homerische Epos vom Krieg um Troia als historischen Kern den Fall Troias nach dem Ende des Hethiterreiches enthalten sollte, der jedenfalls ein einprägsames Ereignis gewesen sein dürfte, so dürften die Bewohner der Stadt damals noch lydisch gesprochen haben. Luwisch ist weniger wahrscheinlich (s. unten). Es ist aber nicht auszuschließen, dass man in Troia kurze Zeit später, nämlich nach dem Einbruch der Seevölker, etruskisch (tyrsenisch) sprach.
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ins Land Luwija (Lydia) gewandert sein, denn sonst hätten die Tyrsener sie ja nicht mehr nahe den Meerengen angetroffen. Damit eine echte Gemeinsamkeit von Lydern und Tyrsenern zustande kommen konnte, wie sie der Mythos andeutet, wenn er von einem einheitlichen Volk spricht, brauchte es vermutlich mehrere Jahrhunderte. Das würde bedeuten, dass die Lyder nicht vor der Wende zum 1. Jt. nach Lydien ausgewandert sind. Wenn andererseits die Auswanderung erst sehr spät erfolgt wäre, hätte sie in der Überlieferung der Lyder und ihrer Nachbarn noch so deutliche Spuren hinterlassen, dass sicher auch Herodot und somit wir davon erfahren hätten. Daher ist ca. 1000 bis 800 v.Chr. der wahrscheinlichste Zeitrahmen für die vermutete lydische Wanderung. Übrigens unterscheidet Homer bei der Qualifizierung von Fremdsprachigem. Die Bewohner von Lemnos charakterisiert er als agriophonos (Od. 8,294), was am besten mit ‚fremdsprachig‘ wiederzugeben ist, die Karer dagegen – und nur bei ihnen verwendet er dieses Wort – als barabarophonos ‚stammelsprachig‘ (Il. 2,867). Heute, nach der Entzifferung des Karischen, zeigt sich, wie Recht der Dichter damit aus griechischer Sicht hatte.⁸⁴ Als ersten Herrscher der Lyder führt Herodot (1,7,2) einen gewissen Alkaios an, den Herakles mit einer Sklavin des Iardanos gezeugt habe. Diese Angabe von Herakles als Stammvater ist, wie später noch gezeigt werden soll, eine typische Sage von der Art, wie sie Griechen über benachbarte Nichtgriechen zu erzählen pflegten. Weit weniger wahrscheinlich ist, dass die Idee von Lydern selbst zur Zeit von Kroisos den Griechen gegenüber in die Welt gesetzt wurde, um etwa den Vertragsabschluss mit dem in einer Herakles-Tradition stehenden Sparta zu erleichtern. Denn man kann sicher annehmen, dass die Lyder damals, so wie alle anderen Völker der Antike auch, einen eigenen Ursprungsmythos besaßen,⁸⁵ und dass dieser nicht den griechischen Herakles enthielt. Ursprungsmythen pflegt ein Volk aber nicht kurzfristig zu wechseln. Der echte lydische Ursprungsmythos, der uns vermutlich größtenteils verlorengegangen ist, kann also keinen Bezug auf Herakles enthalten haben. Laut Herodot folgten auf Alkaios dessen Sohn Belos, nach ihm sein Sohn Ninos und darauf wieder dessen Sohn Agron, welcher der erste Herrscher aus dem Heraklidengeschlecht war, der im Sardes regierte. Insgesamt hätten die Herakli-
Um nur ein Beispiel zu geben, wie unmelodisch das Karische auf die Griechen mit ihrer vokalreichen Sprache gewirkt haben dürfte: Die Wortform ‚die Kaunier‘, gr. kaunious (Akk.Pl.), erscheint auf milyisch als xbidewñnis, auf karisch dagegen als kbdynś (Adiego [2007], 371). Zwar wurde die Konsonantengruppe in der Aussprache sicher durch anaptyktische Vokale (Murmelvokale) aufgelockert, aber es gab vermutlich nur einen einzigen vollen Vokal in den meisten Wörtern, auch längeren. Siehe Teil 2 B zum Vergleich mit einem hethitischen Ursprungsmythos.
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den 505 Jahre geherrscht bis hin zu Kandaules, den die Griechen Myrsilos nennen und dessen Vater Myrsos geheißen habe.Von diesem Namen beruhen Alkaios und Agron sicher auf griechischer Erfindung; das Gleiche könnte für Belos und Ninos gelten, deren Namen an Mesopotamisches anklingen und so offenbar einen orientalischen Eindruck vermitteln sollten, vielleicht aber auch von Lyderkönigen selbst ins Spiel gebracht worden waren in der Absicht, sich potentiellen mesopotamischen Vertragspartnern interessant zu machen (s. unten). Während Kandaules einfach ein lydisches Wort für ‚König‘ war (s. oben), war Myrsilos entweder wirklich der Name des letzten „Herakliden“, oder er wurde als typisch anatolischer,⁸⁶ aber den Griechen dennoch von Lesbos her vertrauter Name diesem Herrscher nachträglich zugeschrieben.⁸⁷ Als Vater von Myrsilos wird ein Myrsos genannt, was eine zum Namen des Sohnes passende Erfindung von Griechen sein könnte; allerdings wird der Name bei Herodot auch anderen Lydern beigelegt (so etwa in Hdt. 5,121). Jedenfalls können wir uns bei diesem Namen seiner lydischen Herkunft nicht sicher sein. Erst für das Geschlecht der Mermnaden überliefert Herodot sicher lydische und daher historisch vertrauenswürdige Namen. Die Herkunft des Namens der Mermnaden ist nun geklärt und wirft auch Licht auf ihre Herkunft und die Usurpation des Gyges (vgl. den Abschnitt „Tyrannos sprachwissenschaftlich“ in Teil 1). Kommen wir noch einmal zu den Namen von Sohn und Enkel des lydischen Stammvaters Manes, also Atys und Kotys. Dazu nehmen wir noch Adramys, den Sohn des Alyattes, nach dem Adramytteion benannt ist (s. Teil 3 B), außerdem Kadys und Ardys, die laut Nikolaos von Damaskos, der hier auf Xanthos aufbauen könnte, die Zwillingssöhne des Herakliden Adyattes waren (FGrHist 90 F44). Es handelt sich um fünf Beispiele von u-stämmigen Personennamen, wie sie auch sonst im Lydischen häufig sind; man vergleiche aus den lydischen Inschriften Namen wie Šrkaštu – (s. Teil 1) oder Tafu-. Die Produktivität zeigt sich darin, dass auch entlehnte Namen in u-Stämme überführt werden, so Aλikšãtru- aus gr. Alexandros und Lamȇtru- aus gr. Dāmātēr (jonisch Dēmētēr). Im Lydischen waren also u-stämmige Namen produktiv, im Luwischen (und Lykischen) waren sie dagegen selten geworden. Nun ist es auffällig, dass beide im hethitischen Staatsvertrag mit Alaksandu von Wilusa, dem späteren Ilios (Troia), genannten Könige von Wilusa ebenfalls u-stämmige Namen tragen, nämlich Walmu-⁸⁸ und eben Alaksandu-. Zwar ist in Troia ein hieroglyphen-luwisch beschriftetes Siegel Vgl. hethitisch Mursili. Zum Namen Myrsilos auf Lesbos s. Dale (2011). Hierbei ist der Personenname Walmu- in ähnlicher Weise vom Ortsnamen Walma- (in der Gegend des späteren Pessinus, Belege bei del Monte/Tischler [1978], 473) abgeleitet wie z. B. avestisch gaēsu- ‚lockig‘ von gaēsa- ‚Locke‘.
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gefunden worden, jedoch handelt es sich um das Siegel einer Privatperson, die natürlich auch von auswärts stammen konnte. Wilusa besaß eine Schiffsreede (epineion), an der man jeweils wartete, bis der Wind die Einfahrt in die Dardanellen erlaubte, und lag auch an einer west-östlichen Straßenverbindung. Für den Wanderweg des luwischen Siegels kommt eher letzteres in Frage. Jedenfalls kann es sich um das Siegel eines luwischen Handelsreisenden oder ein Erinnerungsstück von einer Reise handeln und reicht zum Beweis dafür, dass in Troia luwisch gesprochen wurde, nicht aus. Geographisch lag Troia in dem Gebiet, in dem wir aus anderen Gründen zur betreffenden Zeit die Wohnsitze der Lyder vermuten. Auch wenn kein Beweis möglich ist, so vermuten wir angesichts dessen doch, dass die Sprache von Troia (Wilusa) zur Hethiterzeit das Lydische war.⁸⁹ Es ist sinnvoll, sich einmal an einem klaren Beispiel zu vergewissern, welchen Grad an Richtigkeit wir bei Herodots Angaben über kleinasiatische Völker erwarten dürfen. In 1,171,5 berichtet er zuerst die Meinung der Griechen seiner Zeit, die Karer⁹⁰ seien von den Inseln aufs Festland gekommen, weiterhin aber, dass die Karer selbst dem widersprechen und sich für autochthon halten (womit sie übrigens recht hatten). Hier erweist sich also Herodot als ausgezeichnet informiert – was nicht verwundert, denn er hatte ja karische Verwandte.⁹¹ In 1,173 schreibt er
Dies hatte auch bereits Neumann (1999), 19 vermutet. Zum für Wilusa (Troia) bezeugten Göttername Appaliuna-, der wahrscheinlich aus mykenisch-griechisch *Apeli̭ōn ‚Apollon ‘ entlehnt ist (s. Teil 3 A), ist zu sagen: Es gibt ein Verhältnis, wo einem altanatolischem graphischem a ein lydisches graphisches i und ein griechisches Epsilon entspricht, so in altanatolisch Apasa- : lydisch ipśimši-‚ephesisch‘ : gr. Ephesos. Das berechtigt aber nicht zu der Annahme, dass für griechisches *Apeli̭ōn lydisches *Appiliunas (mit i der zweiten Silbe) zu erwarten wäre. Denn erstens verlief der Entlehnungsweg hier umgekehrt, nämlich vom Griechischen aus, zweitens dürfte der Lautbestand des Lydischen im 2. Jt. noch anders gewesen sein als im 1., und drittens kennen wir diesen Gott von Wilusa nur in von einem hethitischen Schreiber übermittelter Form. Der Name Appaliuna ist also kein Argument gegen die Vermutung, dass die Sprache der Troianer das Lydische war. Der hethitische Ländername Karkisa, älter Karakisa, hat vielleicht nichts mit altpersisch Karka, dem Namen der Provinz Karien, zu tun, sondern könnte aus geographischen Gründen mit dem späteren Namen des Stammes der Gergithes (Hdt. 5,122) östlich von Troia in Zusammenhang zu bringen sein; vgl. Oreshko (im Druck). Diesen noch unveröffentlichten Artikel hat uns der Verfasser dankenswerterweise vorab zur Verfügung gestellt. Für reiches Material über die Karer aus historischer Sicht vgl. Herda (2013). Kürzlich hat auch der Name von Herodots Heimatstadt Halikarnassos seine Deutung gefunden. Yakubovich (2005), 44 hat erkannt, dass das hieroglyphen-luwische Wort (CASTRUM) ha+ra/ i-na-sà (harnassa‐) ‚Festung‘ zur Deutung als *Ali-harnassa- ‚hohe Festung‘ führt. Keilschriftluwisch āla/i- bedeutet ‚hoch‘. Er erwägt als Alternative auch ‚entfernte Festung‘, doch hätte ‚entfernt‘ nur vom Zentralort Mylasa aus gemeint sein können. Halikarnassos konnte aber wegen seiner allzu großen Entfernung von dort kaum von strategischer Bedeutung für Mylasa sein.
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dann über die Lykier, dass sie ursprünglich aus Kreta eingewandert seien. Das beruht auf der (richtigen) Angabe Homers, dass zu seiner Zeit auf Kreta viele Stämme, darunter auch nicht-griechische, wohnten. Daraus schlossen die Griechen später, dass viele nicht-griechische Völker von dieser Insel stammen müssten. Hätte Herodot auch hier so direkte Quellen gehabt wie bei den Karern, dann hätte er vermutlich wieder hinzugefügt, dass auch die Lykier selbst sich für autochthon hielten (womit sie auch recht gehabt hätten).⁹² Er schreibt aber nichts dergleichen. Weiterhin lesen wir, die Lykier hätten ursprünglich Termilen geheißen, wie sie auch von ihren Nachbarn noch immer genannt würden, als aber dann Lykos, der Sohn des Pandion aus Athen, ins Land der Termilen gekommen sei, hätten sie sich allmählich nach ihm in Lykier umbenannt.Vergleichen wir das nun mit der historischen Wirklichkeit, die wir in diesem Fall kennen: Der Name der Lykier stammt vom Ländernamen Lukka;⁹³ so benannten schon die Hethiter das Land im Südwesten Kleinasiens, das allerdings Teile des späteren Karien mit umfasste. Die Griechen dürften diesen Ländernamen schon zur Hethiterzeit kennengelernt haben und behielten ihn bei. Die anatolischen Nachbarvölker verwendeten dagegen für die Bewohner speziell Lykiens den Vorläufer des Völkernamens Termilen. Weil aber Lykos im Griechischen ‚Wolf‘ bedeutetet, und weil ein Personennamen ‚Wolf‘ im Griechischen grundsätzlich denkbar war, fassten die Griechen den lykischen Stammvater Lykos, den sie automatisch aus dem Völkernamen Lykier abstrahiert hatten, als griechischen Namen auf. Daher nahmen sie an, er sei ein Grieche, speziell Athener gewesen. Richtig ist dagegen Herodots Aussage, dass die Lykier von ihren Nachbarvölkern immer noch als Termilen bezeichnet würden. Das hatte er vermutlich wiederum von seinen karischen Verwandten erfahren. Falsch ist aber seine Ansicht, sie würden sich jetzt, also zu Herodots Zeit, selbst Lykier nennen, denn wir wissen aus den lykischen Inschriften, dass sie sich selbst immer nur als trm̃ mili ‚Termilen‘ und ihr Land als trim̃ mis bezeichneten. Allein die Griechen nannten dieses Volk Lykier. Herodot hat also nie Lykier selbst befragt. Das Beispiel zeigt, dass er insgesamt zwar eine sehr gute Quelle ist, aber insofern doch an seine Grenzen stößt, als er Meinungen seiner griechischen Landsleute teilweise ungeprüft wiedergibt. Über die früheste Geschichte der Vorfahren der Lyder können die griechischen Historiker naturgemäß nichts Glaubhaftes berichten. Mit Hilfe der
Karisch und Lykisch stammen vom Uranatolischen ab, das spätestens seit der Mitte des 3. Jt. in Anatolien gesprochen wurde; seine Sprecher befanden sich also seit dieser Zeit in Anatolien. Auf Kreta sind nach Ausweis der Namen nie anatolische Sprachen gesprochen worden. Also haben die Karer und Lykier dort auch nie gewohnt. Zum Namen Lukka- vgl. Rieken (im Druck) und zur Geographie und Geschichte Yakubovich (2010), 129 – 140.
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2.1 Die Lyder als historisches Phänomen
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Sprachtypologie lassen sich aber dennoch einige Vermutungen anstellen, die hier kurz und in einfacher Form dargestellt werden sollen: Aus der nördlich des Schwarzen Meeres befindlichen Urheimat der Indogermanen wanderte im frühen 3. Jt. ein Stamm, den man Uranatolier nennt, über die Meerengen nach Kleinasien. Dort, in Westkleinasien, müssen sie auf Sprecher einer nicht-indogermanischen Sprache getroffen sein, mit denen sie dann längere Zeit in Symbiose lebten. Das lässt sich indirekt daraus schließen, dass sich das Uranatolische zu einer leicht erlernbaren Sprache entwickelte.⁹⁴ Die Typologie zeigt, dass leicht erlernbare Sprachen dann entstehen können, wenn ihre Sprecher entweder lange von einer fremden „Oberschicht“ (Superstrat) beherrscht werden, wie z. B. Englisch oder Neupersisch, oder wenn sie ihrerseits lange über eine fremde „Unterschicht“ (Substrat) geherrscht haben. Zu den letzteren Sprachen gehört das Spanische; die lateinisch sprechenden Vorfahren der Spanier waren ja lange Herren über die Iberer und Keltiberer. In solchen Symbiosen pflegt auch ein Teil des Wortschatzes der jeweils anderen Sprache übernommen zu werden. Im Fall des Uranatolischen kommt für diese andere Sprache zunächst das nicht-indogermanische Hattische in Frage, das in der ersten Hälfte des 2. Jt. für das nördliche Zentralanatolien nachgewiesen ist. Jedoch müsste man dann – trotz unserer nur begrenzten Kenntnis des Hattischen – das eine oder andere Lehnwort aus dieser Sprache im Uranatolischen finden. Man findet aber keines, woraus folgt, dass die betreffende Sprache nicht das Hattische gewesen ist. Es muss sich also um eine andere, sicher ebenfalls nicht-indogermanische Sprache gehandelt haben, die in Westkleinasien zuhause war und von der wir mangels früher Texte aus dieser Gegend sonst nichts mehr wissen.⁹⁵ Später spaltete sich das Uranatolische in mehrere Sprachen auf. Dies geschah offenbar schon vor dem Ende des 3. Jt., denn das reiche anatolische Namenmaterial der altassyrischen Handelsurkunden Kleinasiens zeigt, dass Luwisch und Hethitisch bereits um 1800 v.Chr. getrennte Sprachen waren. Aus Westkleinasien besitzen wir zwar keine frühen Quellen, aber vermutlich war auch das Lydische um diese Zeit bereits eigenständig. In Hinblick auf die Verwandtschaft steht es der luwische Gruppe, zu der auch Lykisch und Karisch gehören, näher als das Hethitische und das Palaische.
Dies zeigt sich daran, dass alle anatolischen Sprachen zum „leicht erlernbaren“ Typus gehören. Mit diesem Begriff kann man Sprachen bezeichnen, die unter anderem geringe Flexionsmorphologie aufweisen. Er muss hier, wo keine linguistische Abhandlung intendiert ist, nicht weiter erläutert werden. Man kann nicht ausschließen, dass es sich um die gleiche Sprache handelt, aus der auch der Name des Apollon stammt; s. Teil 3 A.
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Weiterleben Was das Weiterleben der lydischen Sprache und Kultur nach der persischen Eroberung betrifft, so ergibt sich ein differenziertes Bild. Die fruchtbare Gegend westlich von Sardes bis zum Unteren Mäander hin⁹⁶ war zwar groß genug, um seine Bewohner unter besonders günstigen Umständen die Herrschaft über Westanatolien erringen zu lassen – so vielleicht schon in der Zeit des Palasts von Beycesultan im Mäandertal im frühen 2. Jt. –, aber andererseits nicht groß genug, um ein solches Reich lange stabil zu halten. Und wenn es erst einmal zerschlagen war, so konnte diese Region auch wieder lange in provinziellem Zustand verharren. So war es in der Zeit von der Niederlage Arzawas gegen den Hethiterkönig Mursili II. im 14. Jh. bis zum Ende des phrygischen Reiches und dann wieder ab der persischen Eroberung bis heute, von der kurzen Episode des Reiches von Pergamon abgesehen. Andererseits war die Gegend doch attraktiv genug, um die Perser dazu zu bringen, Sardes zu ihrem Zentrum in Kleinasien zu wählen. Das führte dazu, dass zur Achämenidenzeit Priester des Artemisheiligtums von Ephesos iranische Namen trugen, und dass Artemis selbst mit der persischen Anahita gleichgesetzt wurde (s. oben). Der persische Einfluss wurde so stark, dass z. B. Xanthos der Lyder, der ja ein älterer Zeitgenosse Herodots war,⁹⁷ nicht nur über Lydisches, sondern auch viel über Iranisches in Lydien berichtet. So erwähnt er zum ersten Mal den (ursprünglich) ostiranischen religiösen Reformator Zoroaster (avestisch Zaraθuštra),⁹⁸ beschreibt den (medischen) Priesterstand der magoi („Magier“)⁹⁹ und vermutlich auch den paradeisos ‚Tiergarten‘ von Sardes.¹⁰⁰ Letzteres Wort stammt aus medisch *pari-daiza- ‚Ummauertes‘, das in avestisch pairi-daēza- eine Entsprechung hat.¹⁰¹ Man kann bekanntlich nicht zwei Herren dienen. Nachdem Sardes in Kleinasien repräsentativ für iranische Kultur und Sprache (samt der achämenidischen Schriftsprache Aramäisch) geworden war,
Im 13. Jh. v.Chr. muss Puranda, das spätere lydische Metropolis, eine bedeutende Stadt gewesen sein. Das geht unter anderem daraus hervor, dass der hethitische Chef der Schreiber, Mittannamuwa, dessen Name ‚der die Macht von Mitanni besitzt‘ bedeutet, seinen Sohn Purandamuwa ‚der die Macht von Puranda besitzt‘ nannte. Purandamuwa lebte zur Zeit des Großkönigs Muwatalli. Vgl. Fowler (1996), 64. Xanth. FGrHist 765 F31– 32. Bremmer (2008), 239 f. Klearchos (F43a = Athen. 12,11,515e) beschreibt den paradeisos, vermutlich nach Xanthos dem Lyder; s. Bremmer (2008), 40. Jungavestisch pairidaēza- stammt aber nicht etwa aus dem Medischen, wie man das gelegentlich lesen kann. Das Wort „Paradies“ ist aus dem Iranischen über das Griechische der Bibel ins Deutsche gekommen.
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2.2 Von der Prähistorie zum Staat: Schlüsselbegriffe: Volk, Sippe, Stamm, Nation
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konnte es auf die Dauer nicht zugleich Vertreter eines überregional relevanten Lydertums bleiben. So sank die lydische Sprache und Kultur zu nur noch provinzieller Bedeutung ab. Das Bürgertum von Sardes ließ sich zwar in achämenidischer Zeit noch schöne Grabsteine und auch Verwaltungstexte auf lydisch verfassen, aber bei den benachbarten Griechen beschränkte sich das Interesse am Lydischen nun weitgehend auf die Erinnerung an den reichen Kroisos und die angebliche Dekadenz seines Hofes. Dies war die Situation, die Herodot vorfand. Als Umgangssprache dagegen lebte das Lydische noch zur römischen Kaiserzeit, wie eine griechisch abgefasste Grabinschrift aus Iulia Gordus in Lydien (heute Gördüs) vom Jahr 47/48 n.Chr. bezeugt. In ihr verabschieden sich die Verwandten von einem verstorbenen Kind und geben dabei ihre Verwandtschaftsbeziehungen an, also z. B. „Menekrates (grüßt) den Bruder“ usw. Und da heißt es auch: he mamme to kambein „die Mama (grüßt) ihr Kleines“. Das Wort kambein (Akk.), das anderswo in Lydien als (gr.) kamb(i)on erscheint, repräsentiert sicher ein lydisches *kambi(a)- und ist verwandt mit hethitisch kappi- ‚klein, zart‘.¹⁰² So lange wurde also noch lydisch gesprochen. Als durch die Eroberung Alexanders Anatolien den Griechen wieder offenstand und zugleich auch deren Interesse am Orient stark zunahm, da waren es nicht mehr die Lyder, sondern die Phryger, die eine lebendige eigene Kultur aufzuweisen hatten. Sie hatten nämlich durch ihr großes Siedlungsgebiet, das außerdem weiter von der Westküste entfernt war, mehr Eigenständigkeit bewahren können. Da sie andererseits, vor allem auch in ihrer Religion, sehr viel von den Luwiern und Hethitern übernommen hatten,¹⁰³ vermittelten sie nun manches Altanatolische in teilweise weiterentwickelter Form an das hellenistische Griechenland und Rom weiter.
2.2 Von der Prähistorie zum Staat: Schlüsselbegriffe: Volk, Sippe, Stamm, Nation Ganz unprätentiös hat W. von Soden von „Völkern und Kulturen im Alten Orient“ gesprochen. Diesen seien auch die Völker Kleinasiens hinzuzuzählen, er nennt: Hattier, Luwier und Hethiter. Eine Zwischenüberschrift titelt er wie folgt: „Das Zusammenwachsen der Völker (des Alten Orients).“¹⁰⁴ Der Begriff „Volk“ steht heute teilweise in der Kritik, stattdessen spricht man oft von „Ethnie“, einem
Neumann (1961), 61. Verwandt ist auch avestisch kambišta- ‚geringster‘. Dazu beispielsweise Hutter (2006). von Soden (1992), 11– 29.
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2 Wer waren die Lyder?
Wort, das aus einem griechischen Wortstamm in unserer Zeit gebildet wurde, um eine moderne Art der Einteilung zu besitzen, die den Griechen unbekannt war. Wenn man auch der sog. Eigenbegrifflichkeit, die B. Landsberger (1926) vor langer Zeit anmahnte, mehr Geltung verschaffen möchte, als das heute der Fall ist, wird man auf moderne Begriffe, wie sie etwa von M. Weber in die Wissenschaft eingeführt wurden, nicht verzichten wollen. Dagegen stammt der Begriff „Ethnos“ aus der Antike. Das Entstehen von Ethnos ist kein Naturvorgang, der von einem Menschen beobachtet werden könnte, sondern ein Prozess in der Vorstellung von Menschen, d. h. er spielt sich ab im subjektiven Bewusstsein der Menschen von ihrer Zusammengehörigkeit aufgrund gemeinsamer Schicksale, gemeinsamer Sprache und Kultur sowie gemeinsamer Religion und einer gemeinsamen Teilhabe an der materiellen Kultur. Genealogien dienen dem spezifischen Zweck, sich die Ursprünge und Anfänge eines Volkes im Anschluss etwa an eine Theogonie nach Art einer Familiengeschichte vorzustellen, was literarisch dann die Form einer Sage bzw. eines Mythos annehmen konnte. Das genealogische Schema ist natürlich keine Erfindung Herodots. Die literarisch ausgeprägte Form der Genealogie tritt in Anatolien zuerst in der Apologie des Hethiterkönigs Hattusili III. (ca. 1265 – 1240 v.Chr.) in Erscheinung, der bezeichnenderweise ein Usurpator war, sodann folgen die späthethitischen Könige von Karkamis und Tabal (EZ II A–B, 1000 – 700 v.Chr.) im Südosten und Süden Anatoliens. Sie blickten voller Stolz auf die lange Kette ihrer Ahnen zurück. Mit dem Iliasdichter bleiben wir in Anatolien. In der Ilias (6,150 – 225) gibt der Lykier Glaukos über seine Abstammung (genee) dem Diomedes selbstbewusst Auskunft. W. Burkert (1995) hatte schon vor Jahren erkannt, dass mit dem Einbau der sardischen Herakliden-Dynastie Griechenland in den Blick genommen wird. Seine Beobachtung hat er in einem Aufsatz publiziert mit dem Titel, der ähnlich auch in dieser Arbeit zum Untertitel wurde, „Lydia between East and West“. Einen Schritt über Burkert hinaus geht man, wenn man sich fragt, ob „Griechenland“ sich nicht schärfer fassen lässt und man speziell nur Sparta in den Blick nehmen sollte. Kroisos suchte Sparta dringend für ein Militär-Bündnis zu gewinnen (Hdt. 1,69,3). Da konnte es nicht schaden, wenn man sich diesem als eng verwandt ausgab und sich als von Herakliden abstammend auswies. Und Sparta fühlte sich geehrt ob der Hochschätzung von Seiten Lydiens, liest man bei Herodot. In teilweisem Gegensatz zu Burkert erwägen wir nun zwei Möglichkeiten der Erklärung. Entweder beruht die Bezeichnung einer lydischen Dynastie als „Herakliden“ auf einem Versuch von Kroisos, sich speziell für Sparta attraktiv zu machen. Schließlich war Sparta zu dieser Zeit die führende See- und Militärmacht, auch für die östliche Ägäis, weshalb Kroisos ja auch einen Bündnisvertrag mit ihr abschloss (s. oben). Die zweite Möglichkeit ist, dass die Idee, eine lydische Herrscherdynastie habe von Herakles abgestammt, auf griechischer Erfindung beruht.
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2.2 Von der Prähistorie zum Staat: Schlüsselbegriffe: Volk, Sippe, Stamm, Nation
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Bei Erzählungen, die sozusagen die Urzeit betrafen, waren die Griechen nämlich schnell mit Herakles bei der Hand. So berichtet Herodot beispielsweise auch, dass, nach Auffassung der am Schwarzen Meer wohnenden Griechen, die Skythen von einem Stammvater Skythes abstammten, den Herakles gezeugt habe (Hdt. 4,8,1– 3). In diesem Fall würde die Erzählung, das vor den Mermnaden über Lydien herrschende Geschlecht seien die Herakliden gewesen, also weder von Kroisos noch von Herodot selbst, sondern von den griechischen Nachbarn der Lyder stammen. Nun fiel die Rückkehr der Herakliden sagenchronologisch in die Zeit unmittelbar nach Ende des Troianischen Krieges. Nicht nur der Herakliden-Name beruht, egal welche Hypothese man bevorzugt, auf relativ später Erfindung, sondern sicher auch deren lange Regierungszeit von 505 Jahren. Letzteres wird jetzt durchaus verständlich, wenn man bedenkt, dass der erste König der Herakliden, Agron, an das Ende des Troianischen Krieges positioniert werden musste, Kandaules dagegen in die historische Zeit um ca. 700 v.Chr. Nicht ganz anders ist die Erwähnung des Ninos, des Gründers von Ninive, Sohn des Belos (Hdt. 1,7,2), zu sehen. Wenn diese Liste nicht auf griechischer, sondern lydischer Komposition beruht, dann stellt die Nennung von Belos (= Marduk) und Ninos ein Bekenntnis der Zugehörigkeit zur babylonisch-assyrischen Kultur dar. Die Symmachie mit Babylonien wurde von Lydien sicher als Ehre empfohlen. Dazu passt, dass Kroisos im Bündnis mit den Babyloniern stand, wie Herodot später berichten wird (Hdt. 1,77,2– 3). Ausführlicher als Herodot behandelt Nikolaos von Damaskos, der sich vermutlich auf Xanthos stützt, die Heraklidendynastie (FGrHist 90 F44). Als ersten König nennt er Adyattes, dem seine Söhne Kadys und Ardys zunächst in gemeinsamer Regentschaft folgten, doch wurde Kadys im Zusammenhang mit einer Liebesbeziehung seiner Frau schließlich ermordet, was etwas an den Tod des letzten Herakliden nach Herodots Darstellung erinnert. Nach verschiedenen Intrigen gelangte schließlich Ardys langfristig auf den Thron und soll den Lydern ein glückliches Zeitalter beschert haben. Er soll auch bereits über ein Heer von 30.000 Reitern verfügt haben, was trotz der sicher übertriebenen Zahl doch ein Schlaglicht auf die Stellung dieser Truppengattung in der lydischen Frühzeit wirft. Als die letzten drei Könige der Herakliden nennt Nikolaos Meles, Myrsos und schließlich Sadyattes, der dem Kandaules = Myrsilos des Herodot entspricht. Als Exilorte bei politischen Intrigen erscheinen das ionische Kyme, Phrygien und sogar Babylonien.
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2 Wer waren die Lyder?
Das Buch Genesis. Sagen von nomadischen Lebensweisen Wie wir gesehen haben, schreibt Herodot in Kapitel 1,94– 96, nach Erzählung der Lyder habe unter der Herrschaft des Atys bei ihnen eine Hungersnot geherrscht, weshalb sich das Volk unter seinen beiden Söhnen Lydos und Tyrsenos geteilt habe. Ein Teil sei unter Führung des Tyrsenos nach Italien ausgewandert. Von ihnen stammten die Tyrsener (Etrusker) ab. Um diese Aussage typologisch besser einordnen zu können, empfiehlt es sich, Trennungssagen aus einem anderen Teil des Alten Orients zu vergleichen, die zeitlich vielleicht von der lydischen Sage gar nicht so weit auseinander lagen. Was für die Griechen Mythen sind, nennt man im biblischen Bereich immer noch gerne Sagen. Keine andere antike Kultur hat sich mit der Stellung ihres historischen Exponenten (Israel) innerhalb der großen Völkerwelt so ausgiebig beschäftigt und sie in geradezu archetypische Bilder großer Eindringlichkeit gegossen, wie das Volk Israel es getan hat. Das Buch Genesis beginnt mit der Urgeschichte. In ihr ist alles zusammengefasst, was im Alten Orient zu Schöpfung und Sintflut bisher in einzelnen meistens großepischen Werken getrennt vorgetragen bzw. erzählt wurde. In Griechenland ist dieser Themenbereich ebenfalls aus dem Vorderen Orient entlehnt, nur ist er hier von marginaler Bedeutung geblieben. Vollkommen zersplittert musste er, verschiedenen literarischen Werken von den Dichtern Homer bis Ovid und von dem Mythographen Apollodoros bis zu Pausanias Periegeta entnommen, von G. Schwab und der modernen Forschung erst einmal zusammengesetzt werden, bevor er als eigenständiger Mythos wieder zum Leuchten gebracht werden konnte. Die biblische „Urgeschichte“ endet mit Noah, von Noahs Nachkommenschaft stammt Abraham ab. Israel hat Abraham zu seinem Urahn erklärt (Gen 12– 25, aus sog. nichtpriesterschriftlicher Quelle). So schließt sich nahtlos an die Urzeit die Zeit der Patriarchen an. Im babylonischen Kulturkreis werden sie von der Assyriologie Heroen genannt, der bekannteste ist Gilgamesch. Ob Könige auch in Lydien heroisiert wurden, bleibt unklar, die Geschichte von Kroisos auf dem Scheiterhaufen (pyra), mit Herakles’ Selbstverbrennung auf dem Berg Oite parallelisiert, spricht aber dafür (s. Teil 6). Herakles als wandelnder Held und Kulturbringer gilt als der Heros schlechthin, besonders im Westen. In Anatolien hat Herakles keine einzige seiner berühmten zwölf Taten vollbracht. In die Patriarchen-Geschichten des Buches Genesis sind viele Elemente eines genealogischen Schemas eingebaut. Kein Fach hat sich wohl breiter und intensiver mit Begriffen wie „Volk“ oder „Stamm“, sei er nomadisch oder sesshaft, auseinandergesetzt als es die Forschungen zum Alten Testament getan haben.Von kategorialer Bedeutung für die Erklärung der komplexen Völkerwelt war das Bestreben des alten Israel, durch Trennungs- und Sammlungssagen die vielen
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Völker auf einen Urahnen zurückzuführen oder, was besonders die Sammlung zu Stämmen angeht, eine theologische Mitte zu schaffen: Israel als Volk Gottes.¹⁰⁵ Die Erzählung von Abraham und Lot (der sog. Abraham-Lot-Zyklus Gen 13,1– 13) ist eine solche Trennungssage. Das wird später, wenn Lydien näher mit dem Buch Genesis verglichen werden wird, intensiver untersucht werden müssen. Das genealogische Netzwerk Israels bringt alle Völker, sogar die Aramäer, in ein enges, nicht immer ganz spannungsfreies, verwandtschaftliches Verhältnis zu Israel, nicht aber die Kanaaniter; von diesen konnte man sich nicht deutlich genug absetzen. Jakob/Israel soll auf keinen Fall eine Kanaaniterin zur Frau nehmen, so das Gebot seines Vaters Isaak (Gen 28,1), statt dessen hat er sich auf den Weg nach Paddan-Aram zu machen, zum Bruder seiner Mutter, Laban, und er wird Lea und Rachel, die Töchter Labans, des Aramäers, heiraten (Gen 29 – 32,2). Aus dieser Verbindung werden die Ahnherrn der Stämme Israels hervorgehen – aber nicht aller zwölf Stämme, von vieren sind Sklavinnen die Mütter –, ihnen allen gilt die Verheißung des ewigen Landbesitzes; dem Ganzen liegt ein typisch genealogisches Schema zugrunde, erzählt allerdings im Modus einer Familiengeschichte. Zu den typischen Elementen dieses Schemas sind deshalb auch „Sklavinnen bzw. Mägde“ genannt. Die Herakliden in Sardes führten sich angeblich auf eine Sklavin und auf Herakles als Stammeltern zurück, wie wir schon hörten (Hdt. 1,7,4). Jakob im Hause Labans in Paddan-Aram nimmt Bilha und Silpa, die Mägde seiner beiden Frauen, geschlechtlich, und sie werden Mütter der Nordstämme Israels, wie Dan (Gen 30,1– 24). Nun zum zweiten Punkt, der Sammlung. Entscheidend für die Stämme Israels, die keinen sakralen Bund, „sondern eine politische Föderation“ (H. Donner) bildeten, war der Jahweh-Glaube. Er führte zum Gemeinbewusstsein, „Volk Jahwes“ zu sein (zuerst Ri 5,11. 13). M. Noth (1930) sprach von einer Amphiktyonie des Zwölfstämmeverbandes, eine Hypothese, wie er ausdrücklich betonte, die er aufgrund eines typologischen Vergleichs mit Griechenland gewonnen hatte, und die in der Tat vieles besser erklärte als andere, früher geäußerte Hypothesen. Sie wurde dennoch, nachdem man sie mit weiteren, unnützen Theorien überlastet hatte, schließlich als monströs gänzlich abgewiesen, und zwar einfach durch den Hinweis, dass für die wandernden, landsuchenden Stämme kein Zentralheiligtum existierte, nicht existieren konnte. Die mitgeführte Lade konnte diese Funktion nicht erfüllen.
Wichtig ist Kap. 4 („Trennung, Sammlung und Gliederung“) von Donner (2008), 52– 70.
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2 Wer waren die Lyder?
Anatolien als Städtelandschaft und Schauplatz von Wanderungen Vor diesem typologischen Hintergrund also kann die lydische Trennungssage von der Aufspaltung des Volkes in Lyder und Tyrsener betrachtet werden. Eine weitere solche Trennung dürfte sich zwischen den Lydern, die damals Maionier (Meiones) hießen, und Mysern abgespielt haben.Wir können vermuten, was am waldreichen mysischen Olympos, im fruchtbaren Bithynien und Mysien gelegen, geschah, als aus dem Balkan einwandernde Phryger Druck auf die Maionier ausübten. Eine Spaltung und Trennung dieses Großstammes ist nicht auszuschließen (vgl. Strab. 12,8,3), worauf später noch einzugehen sein wird. Die Sagen Israels haben ein nomadisches Milieu zur Voraussetzung. Mit Lydien verhält es sich natürlich anders. Echter Nomadismus war in Anatolien kein Faktor, der das natürliche und das politische Erscheinungsbild dieser Großlandschaft in der Antike entscheidend beeinflusst hätte.¹⁰⁶ Einwanderungen und Binnenwanderungen dagegen hat es hier immer wieder gegeben. Nach der Einwanderung der indogermanischen Anatolier im 3. Jt. gab es unter anderem viel später eine Bevölkerungsverschiebung durch die Verlegung der hethitischen Hauptstadt nach Hattusa unter Hattusili I. (1565 – 1540 v.Chr.), als viele Hethiter und Luwier in die neue Metropole strömten. Unter dem Schutz des hethitischen Großreichs im 14. und 13. Jh. wanderten dann zahlreiche Luwier aus Südanatolien nach Syrien ein, was sich vor allem nach den „Dunklen Jahrhunderten“ (11.–8. Jh. v.Chr.) an den sogenannten späthethitischen Staaten zeigte, die ihre Inschriften auf luwisch verfassten. Auch eine Westwanderung von Luwiern in Richtung Arzawa, dem späteren Lydien, könnte zur Großreichszeit stattgefunden haben. In scheinbarem Widerspruch zur Tatsache solcher Binnenwanderungen steht, dass Anatolien eine Städtelandschaft (s. Glossar) war, und dies nicht nur an der Küste des Ägäischen Meeres, sondern auch im Halysbogen, hier allerdings ist sie dies in ausgeprägtem Umfang nur während der Bronzezeit. Anatolien nahm sogar eine Vorreiterrolle in der Urbanistik gegenüber Griechenland ein, so z. B. im Mauerbau. Die Bedeutung der Stadt drückt sich auch in unserer Genealogie Hdt. 1,7 aus. Hier ist von Tyrannen und, beinahe synonym gebraucht, von Königen die Rede, die über Sardes thronten, sowie von Dynastien, die sich in der Herrschaft ablösten. Wie soll man sich Wanderungen von ethnischen Gruppen in Städtelandschaften vorstellen? Definierte man sich ethnisch über den Stamm oder genossenschaftlich schon über die Stadt? Etwas ausführlicher wollen wir deshalb auf ein Dokument eingehen, das zwar tausend Jahre vor Kroisos abgefasst worden ist, aber doch alle
Der ausführlichste Index findet sich im Standardwerk von Marek (2010), ein Eintrag „Nomaden/Nomadismus“ findet sich hier nicht.
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diese Anatolien betreffenden Fragen aufwirft und es daher verdient, in teilweise neuer Sicht hier einem breiteren altertumswissenschaftlichen Publikum bekannt gemacht zu werden.
Die Zalpa-Erzählung. Städterivalität im 2. Jt. v. Chr. Von den Lydern selbst ist uns keine aitiologische Erzählung überliefert, wenn man von der Erwähnung eines Stammvaters Manes bei Herodot (1,12) und der Erzählung über die Trennung von den Tyrsenern (s. oben) absieht. Daraus darf natürlich nicht gefolgert werden, dass keine solche existiert hätte. Vielmehr dürfte ursprünglich jedes Volk eine solche Ursprungserzählung besessen haben. Ein sehr früher Ursprungsmythos wurde 1970 bei Grabungen in Hattusa entdeckt, nämlich derjenige der hethitischen Bewohner der Stadt Zalpa am Schwarzen Meer. Die heute noch maßgebliche Bearbeitung stammt von H. Otten (1973), der persönlich anwesend war, als die althethitische Tafel frisch aus der Erde geborgen wurde. Die Hethiter gehören ja, wie schon gesagt, zur gleichen anatolischen Sprachfamilie wie die Lyder, weshalb durchaus die Möglichkeit besteht, dass der uns unbekannte Ursprungsmythos der Lyder dem der Hethiter von Zalpa typologisch ähnlich war. Was die historische Bedeutung dieser Erzählung angeht, so tun sich, vor allem aus einer geänderten Fragestellung heraus, neue Forschungsfelder auf.¹⁰⁷ Der Mythos von Zalpa ist uns aus dem 16. Jh. v.Chr., also aus althethitischer Zeit, überliefert.¹⁰⁸ Die Orte der Handlung sind erstens die Stadt Nesa (assyrisch Karum Kaneš, heute Kültepe) am Oberen Halys, das Zentrum der Hethiter im 18. und 17. Jh., also bevor sie Hattusa im Halysbogen zu ihrer Hauptstadt machten. Zweitens spielt die Stadt Zalpa an der Mündung des Halys eine Rolle. Die Landschaft, in der sie lag, hieß Zalpuwa. Der Mythos beginnt nach dem Bericht des Verfassers, des Königs Mursili I.¹⁰⁹, so: Auf vergleichbare Elemente in der „Danaiden-Tetralogie“ des Aischylos (in Athen um 463 v.Chr. entstanden) hat Watkins (2004), 73 – 77 aufmerksam gemacht. Auf eine respondierende Analyse der Hiketiden von gräzistischer Seite können wir nicht verweisen. Unsere Einschätzung, dass der Mythenstoff im 2. Jt. v.Chr. im Vorderen Orient verfügbar war, dieser in Teilen sogar von den Griechen abgerufen und wie ein Aggregat in einen neuen Zusammenhang – dieser meistens mit anderer Intention – verbaut werden konnte, werden wir noch zu stabilisieren versuchen (s. auch „Schluss“). Vgl. Otten (1973), 6 f. Dass ein Herrscher persönlich sich eines Mythos bediente, diesen auf seine Zeit hin auch aktualisierte, um Ungewöhnliches in verpflichtender autoritativer Form verständlich zu machen, ist wohl ein seltener Fall in der Literaturgeschichte des Vorderen Orients. Vergleichbare Einzel-
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2 Wer waren die Lyder?
Die Königin von Nesa¹¹⁰ gebar in einem einzigen Jahr 30 Söhne. Da sprach sie: „Was für eine Monstrosität habe ich geboren!“ Sie dichtete Körbe mit Fett ab,¹¹¹ legte ihre Söhne hinein und ließ sie in den Fluss. Und der Fluss brachte sie zum Meer ins Land Zalpuwa. Die Götter aber nahmen die Kinder aus dem Meer auf und zogen sie groß. Wie nun die Jahre vergingen, da gebar die Königin wieder, und zwar 30 Töchter. Die zog sie selber groß.
Der Text berichtet weiter, dass die 30 Söhne, als sie erwachsen waren, nach Nesa zogen. Die Götter gaben ihnen ein anderes Aussehen, so dass ihre Mutter sie nicht erkannte und ihnen ihre 30 Töchter zur Frau gab. Die älteren Söhne merkten nichts, nur der Jüngste erkannte, dass es die eigenen Schwestern waren, und warnte die anderen davor, sie anzurühren¹¹². Der Text bricht dann ab, und als er wenige Zeilen später wieder einsetzt, heißt es: „Am Morgen ging er (oder: gingen sie)¹¹³ nach Zalpa … „. Anschließend spricht die Sonnengottheit einen Segen über das Land Zalpuwa aus. Dann wechselt der Text abrupt in die historische Zeit, und zwar in die des Großvaters des hethitischen Königs, also des Labarna, Vorgänger von Hattusili I. Es wird berichtet, dass in dieser Zeit Feindschaft zwischen Zalpa und der althethitischen Herrscherdynastie, die ja zunächst in Nesa und dann in Hattusa residierte, entstand. Der Streit eskalierte über zwei Generationen hin bis zur Belagerung und Zerstörung Zalpas durch Hattusa zur Zeit von Mursili I. (ca. 1540 – 1530 v.Chr.). Wie bei jedem Text muss man sich auch hier zunächst fragen, zu welchem Zweck er verfasst und niedergeschrieben worden sein könnte. Wozu berichtet Mursili das alles? Unserer Meinung nach wollte er mit diesem Text eine Warnung aussprechen, etwa in dem Sinne: Seht her! Die Bewohner von Zalpa waren mit uns
elemente finden sich 2 Kön 22– 23 für Josia, König von Juda (639 – 609 v.Chr.): Josia verlas im Tempel von Jerusalem das im Tempel unter mysteriösen Umständen gefundene „Bundesbuch“, dies wohl identisch mit dem Ur-Dtn. In akkadoider Schreibung: MUNUS.LUGAL URUKA-NI-IŠ, hethitisch ausgesprochen: Nesas hassussaras. Vgl. Hoffner (1994), 230. Die besondere Rolle des jüngsten Bruders in Volksmärchen und Mythos ist bekanntlich ein allgemein verbreitetes Motiv.Vgl. für die Skythen Hdt. 4,5,4; 4,10,2.Was den Alten Orient betrifft, so hatte beispielsweise im Alten Testament Isai aus Betlehem acht Söhne, der jüngste war David. Dieser pflegte die Schafe zu hüten. Nicht beliebt bei seinen Brüdern, wird er zum Sieger über Goliat, den Philister, und kann so die Not wenden (1 Sam 17,12– 57). In dem verlorenen Teil des Textes dürfte entweder gestanden haben, dass nur der jüngste Sohn den Inzest nicht vollzog und am nächsten Morgen allein nach Zalpa ging (wo er König wurde) oder – aber dies ist weniger wahrscheinlich – dass alle Söhne den Inzest verweigerten und wieder nach Zalpa zurückkehrten. Alle anderen denkbaren Lösungsversuche wären unseres Erachtens aus typologischen Gründen unwahrscheinlich.
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verwandt.Wie wir, so stammten auch sie ursprünglich von Nesa ab. Man sieht das auch daran, dass sie unsere Sitten hatten. Ihnen war es nicht erlaubt, die eigene Schwester zu heiraten (nicht so wie z. B. bei den Pharaonen).¹¹⁴ Und deshalb hat die Sonnengottheit das Land von Zalpa und seinen König in alter Zeit auch gesegnet. Und dennoch: Als sie sich später uns gegenüber immer wieder feindlich verhielten, unsere abtrünnigen Prinzen bei sich aufnahmen und uns bis aufs Blut reizten, da haben wir sie schließlich vernichtet. Merkt euch das! Denn wenn wir sogar mit unseren Stammverwandten so verfahren sind, dann sollte sich erst recht jeder andere überlegen, ob er dem Hethiterreich gegenüber feindlich sein will. Der Mythos bezeugt also, dass die Leute von Zalpa mit denen von Nesa stammverwandt waren. Daraus folgt mit Wahrscheinlichkeit, dass sich die Einwohner oder zumindest die führende Bevölkerungsschicht von Zalpa im frühen 2. Jt. als Hethiter fühlten und möglicherweise auch hethitisch sprachen. Dem Mythos nach stammte also der (vermutliche erste) Herrscher von Zalpa vom hethitischen Königshaus in Nesa ab, wuchs aber in Zalpa auf und kehrte, nach kurzem Zwischenspiel in Nesa, endgültig nach Zalpa zurück.Wenn man eine historische Interpretation versuchen will, so könnte ein Rückwanderungsmythos, der in Wirklichkeit ein Einwanderungsmythos ist, in Frage kommen. Vergleichbar wäre dann etwa der Mythos von der Rückkehr der Herakliden in die Peloponnes. In diesem Fall würde sich der Mythos auf eine Besiedlung von Nesa durch Hethiter aus Zalpa beziehen, also eine Wanderung von Nord nach Süd. Da aber am Schwarzen Meer zu dieser Zeit überwiegend die nicht-indogermanischen Hattier wohnten, ist dies weniger wahrscheinlich. Mit Sicherheit handelt es sich um keinen Einwanderungsmythos der Anatolier insgesamt,¹¹⁵ denn jenes Ereignis dürfte schon vor der Mitte des 3. Jt. stattgefunden haben, und zwar in einer Wanderbewegung eher über die Dardanellen als von Nordosten, dem Kaukasus, her. Am wahrscheinlichsten ist unseres Erachtens, dass es sich um einen mythologisch verkleideten Bericht der Besiedlung von Zalpa durch Hethiter aus Nesa handelt.¹¹⁶
Sitten (und gerade auch sexuelle Sitten und Hochzeitsbräuche) sind für menschliche Gruppen bzw. Völker in besonderem Maß identitätsstiftend. Dies nahm Otten (1973), 64 an. Vgl. zu der Tatsache, dass die Region am Schwarzen Meer (unseres Erachtens mit Ausnahme von Zalpa selbst) im frühen 2. Jt. noch hattisch besiedelt war, Klinger (1996), 125 f. Im Gegensatz zu Klinger, dessen historische Analyse des Anitta-Textes und der Zalpa-Tafel ansonsten weitgehend plausibel erscheint, glauben wir deshalb nicht, dass gerade Zalpa zur Zeit dieser Texte „Repräsentant eines wohl hattisch zu nennenden Herrschaftsraumes“ war. Dass es dagegen in der weiteren Umgebung von Zalpa hattisch sprechende Gebiete gab, ist sehr wahrscheinlich.
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2 Wer waren die Lyder?
„Volk“: Einwohnerschaft oder königliche Sippe? Die lydische Hauptstadt Sardes hieß auf lydisch Śfar(i)-. Dieser Name findet sich in der Kasusform śfarλ in der Inschrift LW 22 (s. oben das Kapitel „Ein Vertrag in lydischer Sprache“) in den Zeilen 5 und 10. Dem entsprechend überliefert Xanthos der Lyder, der der lydischen Sprache näher stand als Herodot, den Stadtnamen korrekt als i-stämmiges Ξυαρις (Xyaris).¹¹⁷ Von Śfar(i)- abgeleitet ist śfarda- ‚Sarder‘, von dem aus die Griechen den Stadtnamen Sardes und die Perser den Satrapienamen Sparda bildeten. Im Lydischen selbst gab es außerdem noch die Weiterbildung śfardẽnt(i)- ‚sardisch, Sarder‘. Die Selbstbezeichnung der Lyder als Volk ist uns nicht überliefert. Erst recht gibt es keinen Hinweis darauf, dass sich in Sardes lediglich die herrschende Klasse als „Lyder“ bezeichnet hätte. Wahrscheinlich nannte sie sich zur Zeit der Mermnadenherrschaft einfach Mλimnabzw. *Mλimnada- „Mermnaden“. Angesichts der Doppelbezeichnung als Lyder und als Maionier durch die Griechen stellt sich aber die Frage nach der Ethnizität der Lyder. W. von Soden geht allgemein von der Existenz von Völkern im Alten Orient aus (s. oben). An anderer Stelle schreibt er dann, vielleicht etwas überraschend, dass im Alten Orient überhaupt keine Begriffe für „Volk“ existierten, sondern dieses nur in der Anschaulichkeit sozialer Lebensformen oder „politischer Körperschaften“ erfahrbar gewesen wäre, wie F. Starke dies einmal für Hattusa formuliert hat.¹¹⁸ Hier ist zu berücksichtigen, dass von Soden es mit Monarchien zu tun hatte, und dass die altorientalischen Quellen die spezifische Rolle des Volkes normalerweise nicht erkennen lassen. F. Schachermeyr¹¹⁹ hat einmal in ähnlichem Sinne geäußert, dass der Hethiter-Name nicht auf ein Volk zu beziehen sei, sondern dieser Name ausschließlich nur von Mitgliedern der königlichen Sippe getragen würde. Die Sippe hätte sich aus Bewohnern des eroberten Landes ein untertäniges Volk nachträglich nur zusammenorganisiert. Dieses hätte die Städte und Burgen für ihre Unterdrücker gebaut. Der Begriff „Volk“ ist schwierig zu definieren, doch unverzichtbar, gleichwie der mit ihm verbundene Begriff „Stamm“.¹²⁰ Der von J.G. Herder (Ende 18. Jh.) und dann von der Romantik geformte Begriff des „Volkes“ und seines lenkenden „Volksgeistes“ wird heute in dieser Form nicht mehr vertreten. Die deutsche Ro Vgl. Gusmani (1964), 201 ff.; 276. von Soden (1974), 35 f. Schachermeyr (1986), 128. Nur kurz behandelt von Weber (1980), 240 ff. in Kapitel IV „Ethnische Gemeinschaftsbeziehungen“, §3 „Stamm und Volk“ (mit Verweisen auf den Begriff „Nation“).
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2.2 Von der Prähistorie zum Staat: Schlüsselbegriffe: Volk, Sippe, Stamm, Nation
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mantik hatte eine besondere Affinität zum Baum, ihn hat C.D. Friedrich mystischmythisch ins Bild gebannt. Völker wachsen nach dieser Auffassung aus dem Boden des Ursprünglichen und Naturhaften empor bis hin zur Krone, und das sind Staat und Kultur. Das Wachsen eines Volkes, sein Blühen und Vergehen sind Metaphern, von denen man früher glaubte, dass sie auf Staat und Gesellschaft bezogen geradezu von hermeneutischer Kraft seien. Heute betont man, auch um jeder Mystifikation entgegenzutreten, den historischen Prozess, und spricht von Ethnogenese. Dieser Begriff impliziert aber ebenfalls nichts anderes als ein natürliches Wachsen und Werden, nur diesmal in griechischen Worten. Wir benutzen heute das Wort „Volk“ anstandslos, so wenn es etwa im staatlich institutionellen Rahmen auftritt. So übersetzt man auch populus Romanus nach wie vor mit „römisches Volk“. Dennoch weiß jeder, dass mit „Volk“ nicht die Bewohner Roms, sondern der eigentliche Herr, der Souverän des römischen Staates gemeint ist. Der entsprechende griechische Begriff ist demos; dieser bezeichnet zunächst das „Land“, changiert dann zwischen Land und dem darauf lebenden Bewohnern, von Herodot auch epichorioi genannt, und meint schließlich in Athen nicht das einfache Volk, sondern nur dessen repräsentativen Teil, die männliche Bürgerschaft. Diese bildete die wichtigste Institution, die Volksversammlung. Auf Chios bezeugt eine Inschrift aus der Zeit Solons und Kroisos’ (um ca. 570/60 v.Chr.) einen ‚Rat des Volkes‘ (boulen demosian, GHI 8), ein großer Schritt zur Demokratie, der „Volksherrschaft“, war damit getan. Die urbs Roma und die griechische polis sind Stadtstaaten und, was noch wichtiger ist, sie sind Republiken. Der griechische „Staat“ (polis) ist nicht ethnisch, sondern genossenschaftlich veranlagt. Herodot benutzt nur einmal im Lyder-Logos den Begriff demos (in unserer Genealogie Hdt. 1,7,3), und zwar zurecht im Sinne von Volk als den Bewohnern des Landes. Denn Herodot sagt, die Lyder würden sich nach ihrem Urahn Lydos Lyder nennen und ihr Land Lydien, was also doch wohl ethnisch gedacht ist, freilich aus griechischer Sicht. Werfen wir wieder einen Blick auf Israel. H. Donners Werk trägt den Titel „Geschichte des Volkes Israel“. Israels unvergleichbare Sonderheit liegt in dem Begriff ̒am ‚Volk‘, das nur für „Israel“ reserviert ist, alle anderen Menschen auf der Welt sind gôjīm. Das Wort ‛am lässt sich nicht leicht über die Kategorie von Sprache, Blut, Land und Nation definieren. „Israel“ ist auch nicht der Name einer Landschaft oder eines Territoriums, es widersetzt sich daher jedem Versuch einer Kartierung.¹²¹
Finkelstein (2014), 11 kartiert nur das Nordreich, das Königreich Israel mit seiner Haupt- und Residenzstadt Samaria.
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2 Wer waren die Lyder?
Die Lyder als Abstammungsgemeinschaft. Volk und Stamm Der Stamm ist ein Personenverband, auch sozialer Verband genannt. Er ist größer als eine Sippe und kleiner als das, was man Volk oder Ethnie nennt. In der Erfahrungswelt des Vorderen Orients treten verschiedene Arten von Stämmen in Erscheinung. Zu den Großverbänden zählten im 7. und 6. Jh. v.Chr. Kimmerier und Skythen. Es sind iranische Reiternomaden aus den Weiten der eurasischen Graszone. In den semi-ariden Steppen- und Wüstenzonen Syriens und Arabiens handelte es sich dagegen um Teil- oder Kleinviehnomaden, Familien und Sippen, die die höhere Organisationsform eines Stammes noch nicht erreichen konnten. Bedeutend unangenehmer für die Kulturlandbewohner als diese waren später die aramäischen und arabischen Kamelreiter. Beduinen gab es damals noch nicht. Das reiche arabische Namenmaterial, das vor allem auf assyrischen Tontafeln des 7. Jh. v.Chr. aus der Regierungszeit Assurbanipals erscheint, lässt vermuten, dass in Arabien nicht nur Listen arabischer Königinnen und Könige existierten, sondern auch Erzählungen, die Auskunft darüber hätten geben können, ob sich die Einzelstämme einem größeren Ganzen, einem Volk (Nation), zugehörig fühlten. Auch die vereinheitlichten, vergleichbaren, aus wenigen Göttern bestehenden arabischen Panthea, häufig nur von Göttertriaden astraler Natur gebildet (Hdt. 3,8,3 spricht sogar nur von einem einzigen Götterpaar Alilat = Urania und Orotalt = Dionysos bei den Arabern) –, führt zu der Annahme, dass bei den Arabern sehr wohl das Gefühl, zu einem gemeinsamen Volk zu gehören, existierte.¹²² In Griechenland und Lydien gab es keinen großflächigen Nomadismus, Wanderbewegungen dagegen sehr wohl. Hinter dem schon mehrfach vorgebrachten griechischen Mythos von der Rückkehr der Herakliden, der in verschiedenen, ziemlich späten Quellen äußerst bruchstückhaft überliefert ist, hat man als historischen Kern die dorische (Ein‐)Wanderung sehen wollen. Auf die Frage, wie diese Verbände konkret aussahen, geben die Quellen nichts Verlässliches preis. Ob die Nennung der Herakliden (Hdt. 1,7) als Reflex einer Erinnerung an die Zeit zu werten ist, als Lydisch sprechende Gruppen das Hermostal¹²³ mit Sardes in Besitz nahmen, ist nach dem, was wir gesehen haben, eher auszuschließen. Versuchen wir auch hier wieder, Israel zum Vergleich heranzuziehen: Vielleicht gehören die Berichte über den Zwölfstämmeverband Israels in diese Kategorie. Nach gelehrter Vorstellung bilden die zwölf Stämme, und nur diese
Knauf (1985), 87 f. Wahrscheinlich entspricht der Fluss Hermos dem hethiterzeitlichen Sii̭anda und der Fluss Kaïkos dem hethiterzeitlichen Seha. Vgl. Oreshko (im Druck).
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2.2 Von der Prähistorie zum Staat: Schlüsselbegriffe: Volk, Sippe, Stamm, Nation
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Stämme, das „Volk Israel“. Historisch gesehen wird dieses Zwölfstämme-Israel nie sichtbar, denn es war nicht in Ägypten, fehlte beim Bundesschluss am Sinai/ Horeb und trat bei der Landnahme auch nie militärisch in Aktion, sondern konstituierte sich erst in Kanaan; kurzum, wir haben es mit einer theologischen Konstruktion zu tun. Ähnliches gilt für die zwölf Aramäerstämme (Gen 22,20 – 24) sowie die zwölf Stämme der Ismaeliter (Gen 25,13 – 16). Nicht umsonst ist zwölf eine bekannte Symbolzahl. Wenn wir uns nun den Begriff Volk bzw. ethnos zuwenden, so finden wir das ethnische Denken auch als ein Spezifikum Israels und der Griechen – als ein auffälliges Spezifikum Griechenlands deshalb, weil im benachbarten Lydien als Mitglied der altanatolischen Kulturwelt möglicherweise andere Kriterien als ethnische maßgeblich gewesen sein könnten, zumindest für die herrschende Dynastie. Von hier aus erwächst ein potentieller Einwand dagegen, dass Hdt. 1,7 eigene Vorstellungen der Lyder wiedergibt. Denn die Genealogie ist, wie überhaupt das biologische Denken in Abstammungsgemeinschaften, für die Lyder zwar nicht generell auszuschließen, aber vielleicht nur dadurch motiviert, dass sie sich gegenüber den Griechen zu erklären hatten, so z. B. als sie sich möglicherweise gegenüber den Spartanern als Nachkommen der Herakliden zu empfehlen für nützlich erachteten. Nach Herodot jedenfalls verstanden sich die Lyder als ein Volk, nacheinander regiert von zwei (nach Nikolaos von Damaskos sogar drei) Dynastien. Größere Gruppen als nur die Angehörigen der Herrscherdynastien meint Herodot jedenfalls, wenn er anlässlich des gewaltsamen Dynastiewechsels von den Herakliden zu den Mermnaden von den ‚Aufständischen‘ (hoi … stasiotai) als den Anhängern des Gyges, im Gegensatz zu ‚den übrigen Lydern‘ (hoi loipoi Lydoi, Hdt. 1,13,2), spricht (vgl. Teil 1 zu lydisch Mλimna‐). Mit Lydoi kai hoi basilees auton ‚Lyder und ihre Könige‘ (Hdt. 1,13,2) dürfte dagegen die Totalität der Lyder als Volk gemeint sein.
Die Lyder als Sprachgemeinschaft Für die griechischen Autoren bis hin zu Aristoteles war das Phänomen eines geschichtsmächtigen, subjektiven Gemeinbewusstseins nicht relevant, man verließ nicht den empirisch feststellbaren Rahmen.¹²⁴ Die Herausarbeitung des Gemeinbewusstseins geschieht heute verstärkt in der Archäologie anhand der materiellen Kultur, während die philologischen Fächer mit dem kecken Einwand zu kämpfen haben, ihre Quellen seien durch die Wucht der Ergebnisse der Feldfor-
Etwa Römpp (2009), 45 f.; 105; 110 f.
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2 Wer waren die Lyder?
schung (external evidence) entwertet worden.¹²⁵ Die antike Ethnographie, wie sie in der Schule von Milet zuerst gelehrt wurde, so durch den logopoios – das Wort meint einfach den Prosaschreiber –, spiegelt sich am besten in den Fragmenten des Hekataios und im Werk Herodots. D. Timpe hat die Aspekte in seinem Aufsatz „Ethnologische Begriffsbildung in der Antike“ hinsichtlich eines Gemeinbewusstsein zusammengeführt: Gemeinsamkeiten in körperlichem Habitus, in Lebensform und Existenzgrundlage, in Sprache, Kultur und Religion. Und er fügt an, „ohne dass doch eines davon (etwa Abstammung oder Sprache) als zwingend notwendig und entscheidend hätte gelten oder systembedingte Priorität hätte beanspruchen können“.¹²⁶ Timpes Verdienst ist es, Begriffe wie Stamm und Volk sowie den ganzen mitteleuropäisch-kontinentalen Raum an die mediterrane Welt angeschlossen zu haben, deren Erforschung fast allein dem Phänomen der Stadt als einzigartigem Charakteristikum der Antike galt. Heute nehmen die Stämme einen festen Platz in den sog. Klassischen Altertumswissenschaften ein, und das Interesse an ihnen wächst.¹²⁷ Die von Timpe geäußerte Meinung nun, wonach Sprachgemeinschaft keine notwendige Voraussetzung für die Identitätsstiftung sei, bedarf unseres Erachtens allerdings der Diskussion. Im kleinen „attischen Credo“ (Hdt. 8,144,2) werden Blut (Abstammung), Sprache, Religion und gemeinsame Sitten als grundlegend für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Griechen aufgezählt. Wir halten diese Faktoren nicht nur für Griechen, sondern auch für menschliche Gesellschaften allgemein zutreffend, wobei wir uns bewusst sind, dass der eine oder andere dieser Faktoren in besonderen Fällen hinter andere zurücktreten kann. Dazu geben wir ausnahmsweise ein erst dem Mittelalter entstammendes Beispiel, weil es nämlich hier nur darauf ankommt, zu zeigen, dass diese Faktoren nicht erst durch das Aufkommen des Nationalismus im Gefolge der Französischen Revolution wichtig geworden sind, sondern es schon seit alter Zeit waren. Der mittelalterliche deutsche Dichter Walther von der Vogelweide (ca. 1170 – 1230) ruft, die zerrütteten politischen Verhältnisse des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation vor Augen, aus: „So wê dir, tiuschiu zunge, wie stat dîn ordenunge!“ Inhaltlich ist gemeint: „So Wehe über dich, Gebiet der deutschen
„Haben wir Philologen nun zu diesen Dingen (sc. die Homerforschung, Zus. Vf.) gar nichts mehr zu sagen?“, fragte sich schon vor Jahren Hölscher (1994), 10. Es steht aber nicht zu befürchten, dass das Alte Testament und Homer als Gegenstand der Forschung bald ausgedient haben werden. Timpe (1986), jetzt (2006a) unter das Leitwort gestellt „Begreifen des Fremden und Begegnung mit dem Norden“ sowie die „Einleitung“ in Timpe (2006b), 4 f. Wir werden auf Timpes bedeutende Schrift zur Entdeckungsgeschichte des Nordens (1989), die ihren Ausgang nicht zufällig im Schwarzen Meer nahm, später noch zu sprechen kommen.
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Sprache, wie steht es um deine Ordnung!“ Er spricht hier nicht vom „Reich“, das ja damals auch slawische und romanische Gruppen mit umfasste, sondern wandte sich an seine Sprachgenossen, denn ihnen fühlte er sich zugehörig. Und ebenso wichtig waren die gemeinsamen Sitten, wie das „Preislied“ des gleichen Dichters verdeutlicht. Es zeigt, dass der Mensch nicht erst seit dem Nationalbegriff des 19. Jh. normalerweise das eigene Volk – wir gebrauchen hier bewusst diesen Begriff – samt seinen Sitten für das beste hielt. Wir geben dazu die Strophen 3 – 5 in Ausschnitten wieder: Ich habe der Länder viel gesehen / und sah mich gerne nach den Besten um /… Und was hülfe es mir, wenn ich nicht ehrlich wäre? / Deutsche Liebenswürdigkeit (tiuschiu zuht) geht allen vor. / Von dem Po bis zum Rhein und hinwieder bis ans Ungarland / mögen wohl die Besten leben / die ich auf der Welt habe erkannt, /… Deutsche Männer sind liebenswürdig (wol gezogen) / recht wie Engel sind die Frauen geschaffen /… Hohen Wert und reine Liebe (tugent und reine minne) / wer die finden will / der komme in unser Land: Da ist viel Herrlichkeit (da ist wünne vil) / Lange möge ich leben darin!¹²⁸
Dass man die Leute des eigenen Sprachraums und die von diesen gepflegten sittlichen Traditionen höher schätzt als andere, scheint ein hapan anthropinon zu sein (vgl. Hdt. 1,86,2). Deshalb dürfen wir annehmen, dass nicht nur die Griechen, und hier denken wir besonders an Solon in seinem Dialog mit Kroisos, sondern auch die Träger der lydischen Sprache ihre Identität im Wesentlichen daraus bezogen, dass sie dieser Sprachgemeinschaft und der damit verbundenen altanatolischen Sitten- und Mythentradition angehörten.
Maionische Wanderung. Myser und Lyder Für die erst später als Lyder bezeichnete Menschengruppe postulieren wir, dass sie im 2. Jt. v.Chr. im Nordwesten Kleinasiens ansässig war, vermutlich von der Phrygia Pontica (auch Hellespontisches Phrygien genannt) und östlich bis Bithynien, dieses mit einschließend.¹²⁹ Noch Pompeius-Trogus-Justin, der sich auch hier – wie zum Teil für die phönikische Geschichte – auf gute Quellen hat stützen können, weiß, dass im Nordwesten Anatoliens die patrimonii partes der Lyder lagen (1,7,7). Der Lyder-Name taucht bei Homer gar nicht auf; er nennt die Lyder Maionier. A. Goetze hat vor vielen Jahren vorgeschlagen, den Namen gr. *Maiones, das ist der ältere Name der Lyder, mit dem Land, das die Hethiter Masa nannten,
Aus: Wehrli (1955), 231 f. Unsere Übersetzung weicht stellenweise leicht von Wehrli ab. So Starke (1997b), 449 (Karte).
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etymologisch zu verbinden.¹³⁰ Das könnte sich als weiterführend erweisen. Entweder war das -sa in Masa ein Suffix,¹³¹ und die Griechen lernten den Namen als bloßes *Mā- kennen, von wo sie dann das Ethnikon *Māiones ableiteten, oder sie lernten den Namen Masa bereits in frühmykenischer Zeit kennen, als s noch nicht zu griechischem h geworden war. Im letzteren Fall hätte sich Masa in griechischem Mund zu *Maha und dann weiter zu *Mā entwickelt, wovon *Māiones abgeleitet wurde. Ebenso wäre z. B. heth. Truisa zu *Troiha und weiter zu Troie (vgl. Troes ‚Troer‘, Pl.) geworden. Dagegen hat der Name Myser etymologisch weder etwas mit Masa noch mit den Maioniern zu tun. Die Myser sprachen angeblich mixolydion (Xanth. FGrHist 765 F8). Da es echte Mischsprachen in der Realität nicht gibt und auch nicht geben kann, weil die Grammatik stets ein System bildet, das nicht halbiert werden kann, dürfte mit mixolydion ein mit zahlreichen phrygischen Lehnwörtern angereichertes Lydisch gemeint sein. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass als Name des bithynischen Zeus bei Hesych Syrgastes bzw. Syrgastor überliefert ist. Das sind sicher griechische Wiedergaben des Namens Šrkaštu-, der in einer lydischen Inschrift bezeugt ist.¹³² Dies deutet ebenfalls auf sprachlichen Zusammenhang zwischen Mysern und Lydern. Übrigens bedeutet dieser Name des bithynischen Zeus etymologisch ‚der Erhabene‘.¹³³ Xanthos – sein Vater hieß Kandaules – hatte eine Vorliebe für außergewöhnliche Phänomene der Natur und der Sprachen. Die Feststellung eines gesprochenen mixolydion bewertete Xanthos als Indikator für einen Vorgang in der Vergangenheit, der mit der Trennung von Teilen eines Stammes zu tun hat. In Trennung und Sammlung von Stämmen und Gruppen sieht H. Donner die treibende Kraft, die seit dem Fall des Hethiterreiches die Länder und Nationen des Vorderen Orients, vor allem das vorstaatliche Israel, die Aramäer sowie protoarabischen Gruppen geprägt hat.¹³⁴ In der episodisch strukturierten Erzvätererzählung wird speziell zu Abraham Folgendes berichtet. Dieser zog einst mit seiner Herde vom Südland (d.i. Juda) herauf und kam nach Bet-El. Dort richtete er an Lot, den Sohn seines Bruders, der mit ihm das Land durchzog, folgende Worte: „Es soll kein Streit sein zwischen mir und dir, zwischen meinen Hirten und deinen Hirten, denn wir sind Brüder. So trenne dich von mir (Gen 13,8, aus dem sog. AbrahamLot-Zyklus, d.i. aus einer nichtpriesterschriftlichen Quelle)!“ Die Begründung Abrahams: Das Land sei zu klein für zwei große Herdenbesitzer (Gen 13,5). Nun
Goetze (1924), 23. So Beekes (2002), 206. Vgl. Gusmani (1964), 199. Theophore Personennamen waren in Anatolien verbreitet. Vielleicht war Šrkaštu- ein Beiname des lydischen Wettergottes. Es gehört vermutlich zu hethitisch sarku- ‚erhaben‘. Donner (2008), 52– 71.
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sind nach Herodot (1,171,6) auch die Myser und Lyder kasignetoi ‚Brüder (derselben Mutter)‘.¹³⁵ Er berichtet weiter, dass im Reich der Lyder die Myser den dritten Rang einnahmen, nämlich nach den Lydern selbst und den Phrygern (Hdt. 1,28). Und noch im Heer des Xerxes waren Lyder und Myser unter dem Kommando des Persers Artaphrenes vereinigt (Hdt. 7,74). Herodot verwendet neben kasignetoi noch ein anderes Wort, um ein genealogisches Verhältnis auszudrücken: apoikoi (immer mit folgendem Gen.Pl.), so seien die Myser apoikoi ton Lydon „Abkömmlinge der Lyder“ gewesen (Hdt. 7,74,2). Nun wird auch eine (griechische) Kolonie apoikia und der Kolonist apoikos genannt. Will Herodot den Begriff apoikos ‚Abkömmling‘ vielleicht mit Hilfe des den Griechen vertrauteren Begriffs apoikia ‚Kolonie‘ auffrischen und aufladen? Er hätte ja auch apogonoi sagen können, einen Begriff, den er selbst in die griechische Literatur eingeführt hatte und den er dann besonders häufig im Lyder-Logos verwendet. Die griechischen Kolonisten nun gründeten sozusagen in Übersee autonome Apoikien, die Trennung war staatsrechtlich endgültig, und so konnte es schon aus Gründen der räumlichen Distanz keine regulären Bündnisverpflichtungen geben, gleichwohl unterhielten die Apoikien zur „Mutterstadt“ Bindungen der Pietät. Die apoikoi waren selbstverständlich bestrebt, Schaden von der alten Heimat abzuwenden und, nach Möglichkeit und in welchen Umfang auch immer, ihrer Mutterstadt Hilfe angedeihen zu lassen, zumal wenn diese darum bitten sollte. Obwohl Herodot das Verhältnis zwischen Mysern und Lydern mit dem gleichen Begriff bezeichnet, dürfte die Bindung hier nicht ganz so gewesen sein. Dass aber Beziehungen existierten, bestätigt indirekt eine mythisch überhöhte, dramatische Erzählung, in der Folgendes berichtet wird: Solon war gerade aus Sardes abgereist, da sollte Kroisos der erste Vergeltungsschlag treffen. Boten aus Mysien kamen zum König und berichteten ihm, dass ein riesiger Eber auf dem mysischen Olymp hauste und, von dort hervorbrechend, die Felder der Myser verwüsten würde. Sie selbst seien machtlos, diese Bestie zu fangen. Sie erbitten von Kroisos den Sohn, Atys, damit dieser, mit dem Kommando über eine JägerEinheit betraut, das Tier erlegen möge (Hdt. 1,36). Die Geschichte, mit zehn Kapiteln (1,36 – 45) die längste im Lyder-Logos, geht tragisch aus. Ausgerechnet Adrastos, ein Schutzbefohlener des Königs, tötet versehentlich dessen Sohn.
Nach Herodot waren beide ihrerseits Brüder des Kar (Hdt. 1,171,6), des Stammvaters der Karer. Dass die Karer diese Position im genealogischen Netz innehaben, hat wohl mit Herodots engem verwandtschaftlichen Verhältnis zu Karien zu tun. Kroisos stammte aus einer Familie, die karische und griechische Wurzeln hatte. Das Stemma war Herodot wohl vorgegeben, nur hat er Lydien, das schon geographisch in der Mitte zwischen Mysien und Karien liegt, sozusagen dieser Mittelposition beraubt und sie Karien gegeben.
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Es ist nicht ganz auszuschließen, dass wir hier einen der Fälle vor uns haben, in denen Herodot einen Mythos, der ihm bekannt war, rationalisiert hat, wobei er vielleicht von der frühen griechischen Erzählung von Meleagros¹³⁶ und der Eberjagd inspiriert war. Denn an Stelle von Atys bietet der Kodex D die varia lectio Attys,¹³⁷ was entfernt an Attis, den Geliebten der phrygischen Göttin Kybele (matar kubeleja), anklingt, dessen Tod alljährlich in Phrygien rituell betrauert wurde. Allerdings wird Atys erst von Hermesianax (ca. 300 v.Chr.) mit Attis gleichgesetzt, so dass diese Verbindung nicht wahrscheinlich ist.¹³⁸ Die Tatsache des Todes von Kroisos’ Sohn selbst ist aber sicher historisch. Ebenso historisch ist die Beziehung zwischen Mysern und Lydern. Dafür, dass ihre Sprache ursprünglich die gleiche war, spricht das zuletzt von F. Starke zutreffend behandelte hieroglyphen-luwische Wort musaza-.¹³⁹ Eymologisch bedeutet es ‚mysisch‘, inhaltlich aber ‚lydisch‘, denn nicht die Myser, sondern nur das lydische Reich war zur betreffenden Zeit, nämlich Anfang des 7. Jh. v.Chr., bedeutend genug, um auf einer Inschrift im weit entfernten syrischen Karkamis erwähnt zu werden. Wahrscheinlich gab es also eine Epoche, in der Lyder und Myser in den orientalischen Sprachen gemeinsam als *Musa- bezeichnet wurden. Kroisos tritt in diesen Kapiteln erstmals als fürsorglicher Vater seiner beiden Kinder sowie als asylgewährender pater familias auf, während seine Rolle als königlicher Palastherrscher jetzt zurücktritt. Hatte er in priesterlicher Funktion – er war ja König und Priester – die rituelle Reinigung am Herdfeuer für den vom Tode bedrohten, mit Blut befleckten phrygischen Dynasten-Sprößling Adrastos vorgenommen, so wurde er nun durch die Tötung seines Sohnes, ausgerechnet durch den, den er zuvor entsühnt hatte, in den Zustand der Trauer versetzt. Es heißt – sehr selten werden von Herodot im Lyder-Logos genaue Zahlen genannt – zwei Jahre hätte er tatenlos verbracht, so dass es fast zu spät war, um noch die notwendigen Schritte gegen die tödliche Gefahr am Horizont der Weltgeschichte einzuleiten, die in der Person des Kyros Gestalt annahm. Auch im AT bestanden über die Trennung von Stämmen bzw.Völkern, wie die der Lyder und Myser, hinaus immer noch Bindungen. So war auch die Trennung Lots von Abraham kein radikaler Trennungsschnitt, vielmehr blieb der Geist der Bruderschaft lebendig. In Gen 14, einem der mysteriösesten Kapitel des Buches Genesis, tritt Abraham auf, jetzt allerdings als Kriegsmann, was aber mit dem Wesen des syrisch-palästinensischen Nomadismus damals ebenso wie noch bis in
Zu Meleagros vgl. Watkins (1995), 411. Vgl. Bremmer (2008), 269. Zu Recht skeptisch ist Bremmer (2008), 271 ff. Starke (1997a), bes. 383 f.
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unser frühes 20. Jh. durchaus vereinbar war. Abraham nun bietet 318 Mann auf, das ist zahlenmäßig genau so viel, wie die Zahl der Tage, an denen der Mond scheint,¹⁴⁰ hatte er doch von einem Boten gehört, dass Lot in die Hände auswärtiger Könige gefallen sei. Diese, es waren Kedorlaomer, der König von Elam, und Tidal (= Tudhalija?), König von Gojim, neben zwei weiteren, blasseren Königen, bleiben trotz intensivster Forschung in ihrer Identität rätselhaft. Die genannten Könige nun hätten sich mit Beute reich beladen vom Toten Meer aus in Richtung Damaskus abgesetzt, in ihrer Hand Lot. Abraham gelingt es, ihnen nacheilend, diesen zu befreien, und alles scheint wieder in rechter Ordnung zu sein. Der tiefere Sinn des 14. Kapitels hat sich bis heute nicht zu erkennen gegeben.¹⁴¹ Im Unterschied zu den Nomaden des Buches Genesis waren die Maionier, die späteren Lyder, Ackerbauern und Rinderzüchter. Westanatolien war schon zur Hethiterzeit wegen seiner Viehherden Ziel hethitischer Feldzüge. So ist in den Annalen Mursilis II. eine Liste erbeuteter Großtiere eingefügt, die von den ArzawaLändern nach Hattusa als Beute getrieben wurden. Der Aufenthaltsort der Maionier, nicht Ursprungsort, war Bithynien rund um den mysischen Olymp (Ulu Dağ), wasserreich und stark bewaldet. Ihr Name, Maionier, ist, wie schon gesagt, von der Landschaft Masa abgeleitet. Masa war hethitisches Einfluss- und Interessensgebiet, und zwar seit Tudhalija I. (1420 – 1400 v.Chr.), als Hattusa damit begann, gegen Arzawa Beutekriege zu führen.¹⁴² Die Zeiten änderten sich nach dem Zusammenbruch des Hethiterreiches an der Wende zum 12. Jh., als kampfgewohnte Phryger einwanderten. Es wurde schnell zu eng für zwei Völker. Als der Druck zunahm, mussten die Maionier teilweise weichen. Eine Teilgruppe blieb am mysischen Olymp zurück und nahm jetzt den Myser-Namen an. Die andere Gruppe wanderte, wie schon gesagt, in Richtung Sardes, das seit hethitischer Zeit den Namen Luwija ‚luwisches Land‘ trug, was dann in der beschriebenen Weise zu griechischem Lydia wurde. Diese Maionier siedelten nun in Lydia und konnten daher auch nach diesem Land benannt werden. Zu diesem Rekonstruktionsversuch nun die Quellen! Den Anfang macht Hdt. 1,7, die sogenannte Lyder-Genealogie. Hier erfährt man immerhin, dass eine Namenänderung vom maionischen zum lydischen demos ‚Volk‘ stattgefunden hat (Hdt. 1,7,3). Herodot lokalisiert die Myser am Mysischen Olympos, nennt sie olympienoi (Hdt. 1,74,2) und bezeichnet sie als apoikoi Diese Auflösung wird Gevirtz (1969) verdankt. Als moderne Einführung zu den Erzvätern, jetzt, political correctness übend, Erzeltern genannt, empfiehlt sich Gertz (2016b), 269 – 279. So die Karten und die chronologische Übersicht von F. Starke, in: Willinghöfer (2002), 304– 315.
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‚Abkömmlinge‘ der Lyder, was noch erkennen lässt, dass die Myser einmal ein Unterstamm der Maionier waren (Hdt. 7,74,2). Die einwandernden Phryger sind wohl ursächlich für die Trennung verantwortlich zu machen (Strab. 12,8,3). Homer lokalisiert die Maionier dann in Lydien (Il. 2,864). Von einer Trennung der Maionier von den Mysern sowie von einer Wanderung der Maionier hatte er entweder keine Kunde mehr, weil es zu weit von seiner Zeit entfernt war, oder es passte einfach nicht zum Epos, das einer festen, nicht mobilen Kulisse bedurfte. Anders als Homer, der eine statische Karte der Völker vor Augen hatte, pflegt Herodot politische Veränderungen oft durch Wanderungen und vor allem durch Zuwanderungen zu erklären. So erwähnt er denn auch die Einwanderung der Karer und Lykier nach Kleinasien, aber keine Spur von einer lydischen Wanderung (Hdt. 1,171; 172 [zu den Kauniern]; 173). Das besagt nicht viel. Aus Karien und Lykien flossen ihm auf Grund seiner Herkunft die Informationen reichlich zu. Was Lydien betraf, so war es dagegen nicht leicht, an gute Informanten heranzukommen. Und wen interessierte überhaupt noch die Sache mit dem längst untergegangenen Lyderreich so sehr, dass man sich mit aller Kraft darum bemühen sollte? Dagegen sah es in Karien und Lykien für Herodot ganz anders, viel interessanter aus. Auf die Frage, warum die Maionier später Lyder genannt wurden, kann dieser Historiker daher keine Antwort geben. Eine solche hat erst die moderne Indogermanistik gefunden, wie oben gezeigt wurde. Sie passt zu der Ansicht, dass die Lyder erst in den „Dunklen Jahrhunderten“ aus Bithynien nach Lydien eingewandert sind, wo vorher Luwier gewohnt hatten. Wer diese Ansicht vertritt, der muss sich mit der Meinung von I. Yakubovich beschäftigen. Dieser hat vor wenigen Jahren in einem Buch¹⁴³ das Verhältnis der Sprachgruppen zueinander in Anatolien behandelt, was insgesamt zweifellos einen großen Fortschritt darstellt, und dabei folgendes angenommen: Im 2. Jt. v.Chr. lebten in Westanatolien keine Luwier, sondern nur Karer und Lyder. Die Lyder seien also gar nicht gewandert, sondern längst dort ansässig gewesen, wo man sie dann im 1. Jt. antrifft. Für diese Hypothese, die der Ansicht griechischer Historiker widerspricht, führt Yakubovich folgende Argumente an. Erstens: Die hethitischen Rituale aus dem Land Arzawa, dessen Zentrum Apasa (Ephesos)¹⁴⁴ war, enthalten keine luwischen Sprüche.¹⁴⁵ Dies ist aber als argumentum e silentio nicht sehr beweiskräftig.
Yakubovich (2010), 75 – 157; s. die Rezension Oettinger (2011b). Inzwischen hat Yakubovich (2013, 108 – 121) seine Ansichten teilweise modifiziert. Janda (2014b), 72 ff. nimmt an, dass der Name Ephesos aus dem Mykenisch-Griechischen stamme und zu gr. eph-hezo ‚ich setze darauf (nämlich auf das Schiff)‘ gehöre, also eigentlich die Stelle des Abfahrens von Gütern bezeichnet habe. Jedoch erweist die hethitisch-luwische Namensform Apasa (lautlich Abasa) aus zweierlei Gründen, dass der Name Ephesos nicht griechi-
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Zweitens: Die „luwischen“ Personennamen Westanatoliens im 2. Jt. geben keinen Hinweis auf eine Westwanderung von Luwiern.¹⁴⁶ Es könne sich um protokarische Namen handeln. Da Yakubovich aber selbst zugibt, dass eine genaue lexikalische Unterscheidung zwischen proto-karischen und luwischen Eigennamen im Namenmaterial aus Arzawa nicht möglich ist,¹⁴⁷ bleibt diese Frage vorerst offen. Drittens: Als Argument für lydische Besiedlung von Arzawa zur Hethiterzeit führt er die Arzawa-Personennamen Maddunāni-, Uhha-LÚ und (aus Ortaköy) Uhha-zalma- an. Der erste kann durch Melcherts Regel erklärt werden, der zufolge sich älteres i̭ zu lydisch d entwickelt hat. Auch die beiden anderen hält er für lydisch, weil sie im Vorderglied durch „lydische Psilose“, also den Schwund von h, entstandenes Uhha- aus älterem *Huhha- ‚Großvater‘ enthalten könnten.¹⁴⁸ Der Name Maddunāni- zeigt jedoch nur, dass es zur Hethiterzeit in Westanatolien bereits Lyder gab, aber nicht, dass diese auch bereits fest in Arzawa ansässig waren. Vielmehr wohnten die Lyder, die damals Maionier hießen, im 2. Jt. vermutlich noch nördlich von Lydien, wobei aber manche maionischen Anführer ihren Aktionsradius an der Küste weit nach Süden ausdehnten. Ein Beispiel ist der am Ende des 15. Jh. lebende Madduwatta, der den Hethitern an der Westküste, aber auch bis nach Zypern hin zu Schiff agierend das Leben schwer machte. In Lydien selbst lebten damals wahrscheinlich Luwier, denn es bedeutet etymologisch ‚Luwisches (Land)‘ und ist zu seiner lautlichen Form in lydischem Mund gelangt, wie oben dargestellt wurde.¹⁴⁹ Ein zweites Argument ist, dass in einer
schen Ursprungs sein kann. Denn erstens wäre s im Griechischen in dieser Stellung geschwunden – Janda muss hier komplizierte Sonderbedingungen annehmen – und zweitens wäre mykenisches ph ins Hethitische bzw. Luwische wahrscheinlich als graphisches pp (lautlich p) übernommen worden. Der Name ist also nicht griechisch.Wäre er griechischer Herkunft, so würde er *Ephous gelautet haben und bei Entlehnung aus dem Griechischen ins Hethitische bzw. Luwische dort wohl *Appā- geschrieben worden sein. Yakubovich (2010), 101. Yakubovich (2010), 96. Yakubovich (2010), 107. Yakubovich (2010), 91 f. Doch gab es diesen Schwund wohl nie, s. Teil 5 3 (zu gr. kapelos ‚Krämer‘). Auch Yakubovich nimmt ihn inzwischen nicht mehr an. Anders Yakubovich (2010), 114 f.; 239 f. Inzwischen hat er seine Ansichten teilweise modifiziert ([2013], 108 – 123) und schreibt über die sprachliche Verbindung der Namen Luwija und Lydia ([2017], 288): „This formally acceptable etymology elicited my earlier skepticism on the grounds that the references to the country Luwiya cease to appear in the original texts after the 15th century BC (Yakubovich 2010: 113 – 115). If, however, it happens to be correct, it would represent one more argument for taking *luda- as the intrusive element in Sardis, since the language of the epichoric inscriptions, while being a member of the Anatolian group, is definitely not the direct descendent of Luwian.“
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jungen Abschrift einer althethitischen Gesetzestafel an Stelle des Ländernamens Luwija, wie er in der älteren Fassung gestanden hatte, nun der Name Arzawa erscheint. Das spricht dafür, dass sich zur Zeit des junghethitischen Abschreibers der Name Luwija vom Unteren Land nach Westen verlagert hatte und zum Synonym von Arzawa geworden war (weshalb der letztere Name auch später ausstirbt). Yakubovichs alternative Erklärung erscheint uns zu kompliziert, um witklich zu überzeugen.¹⁵⁰ Daher bleibt die Textstelle unserer Meinung nach ein Argument dafür, dass zur Hethiterzeit Luwier in westlicher Richtung in die Gegend des späteren Lydien einwanderten, genauso wie sie sich auch in südöstlicher Richtung nach Nordsyrien ausdehnten. Beides geschah wahrscheinlich unter dem Schutz des hethitischen Großreichs, dessen Hauptbevölkerung die Luwier ja darstellten. Einen weiteren Hinweis darauf, dass im späteren Lydien in der Zeit um ungefähr 1200 v.Chr. herum wirklich luwisch gesprochen worden war, dürfte jetzt die hieroglyphen-luwische Inschrift KARAKUYU-TORBALI (nahe Izmir) liefern.¹⁵¹ Ihre Schreibweise zeigt nämlich lokale Besonderheiten, die nicht auf einen unmittelbaren Einfluss des hethitischen Reiches weisen.¹⁵² Daher war ein bestimmter Dialekt des Hieroglyphen-Luwischen die Schriftsprache von Arzawa und seinem zentralen Nachfolgestaat Mira, und er könnte auch die dortige Landessprache dargestellt haben. Die Lyder wanderten wahrscheinlich erst später ein. In den Annalen Assurbanipals ist die Landschaft am Hermos als Lu-ud-di, bei Neriglissar als Lu-u-du geschrieben.¹⁵³ Dieser Begriff bekräftigt nun auch von Osten her den oben skizzierten Argumentationsgang, wonach das Reich der Mermnaden „Lydien“ genannt wurde. Die Sippe der Mermnaden unter ihrem Tyrannos Gyges muss bald nach 700 v.Chr. von Sardes aus die Herrschaft über Lydien angetreten haben. Wie groß das von Lydern beherrschte Gebiet zu veranschlagen ist, wissen wir für diesen Zeitpunkt nicht. Dass die alten lydischen Stammlande im Gebiet der Meerengen schon vor Gyges, also vor 700 v.Chr., mit dem lydischen Sardes territorial verbunden waren, ist zwar nicht beweisbar, aber auch nicht unwahrscheinlich. Denn es gibt Anzeichen dafür, dass Gyges, durch die Einfälle der Kimmerier herausgefordert, damit begann, das Gebiet der Meerengen seiner Kontrolle zu unterwerfen. Die Reichsgeschichte beginnt – jedenfalls für Herodot – mit Gyges in
„bis
Yakubovich (2010), 107 ff. Publikation durch Işık/Atıcı/Tekoğlu (2011). Vgl. Oreshko (2013). ABC no. 6,24– 25 (zum Jahr 557/6 v.Chr., 3. Jahr Neriglissars): a-di UGU mi-sir šá URU Lu-ú-du an die Grenze Lydiens“. Als Grenzpunkt wird Sallunē/Selinus, heute Selindi, angegeben.
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Sardes und endet dort auch mit der Eroberung dieser Stadt durch die Perser.¹⁵⁴ Wir vermuten, dass zu einer bestimmten Zeit die Hauptstadt von Apasa- (Ephesos) ins besser zu verteidigende Sardes verlegt worden ist. Die lydischen Inschriften aus Sardes nennen nämlich keine Gottheit dieser Stadt mit Namen, dagegen bevorzugt die Artemis von Ephesos. Also blieb das kultische Zentrum von Sardes (und Lydien) offenbar weiterhin Ephesos mit seinem Artemis-Tempel. Das Kernland Lydiens war die gleiche fruchtbare Ebene, die auch das Zentrum des spätbronzezeitlichen, luwischen Reiches von Arzawa gebildet hatte.¹⁵⁵
Religion und Kultgemeinschaft In dem von uns „Credo“ genannten Bekenntnis der Hellenen, gesprochen von den Athenern am Vorabend des Schlacht von Plataiai (479 v.Chr.), heißt es: „Dazu haben wir gleiches Blut und gleiche Sprache, die gleichen Heiligtümer und Opfer, die gleichgearteten Sitten“ (Hdt. 8,144,2). Das sei das hellenikon, das Griechentum, und es ist typisch für das Denken eines republikanischen Polisgriechen des 5. Jh. v.Chr. Aus der Sicht eines altorientalischen Herrschers dagegen wäre eine solche Aussage unpassend, denn seine Identität definierte sich innerhalb des Adels und gegenüber den Göttern. Auch gebot er normalerweise über mehrere Völker, weshalb deren „Blut“, also Abstammung, für ihn kein Zugehörigkeitskriterium darstellen konnte. Der Alte Orient betrachtet Menschengruppen als politische und soziale Einheiten, nicht als Ethnien. Bei Herodot findet sich eine Stelle, an der deutlich wird, dass Gemeinsamkeiten im Kult nicht mit Sprachgrenzen übereinstimmen müssen. Es sind wieder Erzählungen aus Karien. Das zentrale Heiligtum des Zeus Karios in Mylasa ist Karern, Mysern und Lydern gemeinsam; Stämme anderer Abkunft haben keinen Anteil, wenn sie auch die gleiche Sprache sprechen wie die Karer (Hdt. 1,171,6). Für Sardes sind uns Kult- und Festliturgien, wie sie sich in Hattusa und Israel in sog. Festkalendern vorgeschrieben finden, nicht erhalten. Nur die Archäologie hat einen seltsamen Fund in Sardes gemacht. Viele Dutzend Tongefäße wurden ausgegraben, die je eine Messerklinge und das Skelett eines Welpen enthielten. Der Ausgräber C.H. Greenewalt (1978) glaubt, dass dies die Überreste eines rituellen Mahls seien, das im Namen eines lydischen Gottes oder Heros gefeiert wurde. In
Zur Regierungszeit des Alyattes, die länger dauerte als bisher angenommen, vgl. Dale (2015). Der altanatolisch-luwische Kulturcharakter Westanatoliens, der bis 1150/1100 v.Chr. durch Inschriften bezeugt ist, wird durch immer neue hethitisch-luwische Zeugnisse weiter bestätigt, so kürzlich durch einen Fund aus dem Mäandertal; s. Günel/Herbordt (2010).
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Hattusa wird in einem Ritual ebenfalls ein „puppy“ erwähnt, und für das Artemision von Ephesos ist in einer ephesischen Inschrift aus der zweiten Hälfte des 4. Jh. v.Chr.¹⁵⁶ von einem Hundeopfer die Rede. Sollte sich eine Vergleichbarkeit der Rituale ergeben, dann würden wir hier eine anatolische kultische Tradition über die Jahrtausendgrenze hinweg verfolgen können, ähnlich wie etwa beim Kult der Göttin Kubaba/Kybebe/Kybele. Zugleich ergäbe dies ein weiteres Argument für altanatolischen Ursprung des Artemisions. Ein vermutliches Beispiel für die Wanderung hethitischer mythologischer Motive nach Lydien ist die im Griechischen überlieferte Sage, der Lyder Tantalos habe den Göttern Menschenfleisch als Mahl vorgesetzt, um ihre Allwissenheit zu erproben. Etwas Ähnliches findet sich bereits im Hethitischen.¹⁵⁷
Verstanden die Lyder Griechisch? Ab ca. 700 v.Chr. dürfte das Griechische, nicht zuletzt dank der Wirkung, die vermutlich von der Ilias auf die führenden Kreise Westanatoliens ausging, seinen Platz neben dem Lydischen, der damals alleinigen Verkehrssprache wohl ganz Westkleinasiens, eingenommen haben. Keine Auskunft hierüber gibt die Tatsache der Existenz zweier lydisch-griechischer Bilinguen aus Sardes,¹⁵⁸ zwar sind beide nicht datierbar, doch keinesfalls älter als perserzeitlich, wie überhaupt alle westanatolischen Bilinguen relativ jung sind. Die persische Okkupation Anatoliens durch Kyros und dann der Ionische Aufstand unter Dareios (ab 500 v.Chr.) waren einer Verbreitung des Griechischen in Kleinasien nicht gerade günstig, so dass erst mit Alexander dem Großen Griechisch zur unangefochtenen Verkehrssprache avancierte. In der Verwaltung des Achämenidenreichs war das in Anatolien nie gesprochene Aramäisch die Lingua franca, nicht zuletzt wegen seiner gegenüber Altpersisch und Elamisch praktischen alphabetischen Schreibweise.¹⁵⁹ Dementsprechend existiert auch eine lydisch-aramäische Bilingue. Wie stand es um die Kenntnis der griechischen Sprache bei den Lydern? Als einen indirekten Beleg können wir Nikolaos von Damaskos anführen, der einen gewissen Magnes von Smyrna erwähnt, der in Dichtung und Musik hervorgetreten sei und in einem epischen Gedicht eine Reiterschlacht gegen die Amazonen als Heldentat (aristeia) der Lyder besungen habe.¹⁶⁰ Für das hohe Alter des nicht
Collins (1990), 219 ff.; Ehrhardt (2005), 109 f. Vgl. Mouton (2004). Buckler (1924), no. 20; 40. Friedrich (1966), 91– 95. EGF s.v. Magnes (FGrHist 90 F62).
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Zusammenfassung
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erhaltenen Gedichts spricht die Beobachtung, dass in späterer Zeit, ab dem 5. Jh. v.Chr. den Lydern alles andere angedichtet wurde, nur keine Heldentaten.Wo aber hat Magnes sein Gedicht zu Gehör gebracht, in Sardes etwa? In dem Fragment des Nikolaos von Damaskos (und gleichlautend in der Suda, 10. Jh. n.Chr.) steht noch mehr über unseren Magnes. Dieser sei ein umherreisender Rhapsode gewesen. Das ist wichtig. Dass er dagegen wie ein aufgeputzter Gockel „allen Weibern der Magneten“ nachgestellt und dabei auch Erfolg gehabt habe – übrigens mit verheerenden Folgen für Magnesia am Mäander –, dürfte dem Geschmack hellenistischer Leser geschuldet, historisch aber wertlos sein. Wichtiger ist die Bemerkung, dass Magnes Umgang mit Gyges pflegte, dessen allerliebster Buhlknabe (paidika) er gewesen sein soll.¹⁶¹ Hat Gyges anlässlich seiner vielen panegyreis in Sardes, die Nikolaos von Damaskos erwähnt, den Sänger Magnes auftreten lassen, und zwar vor einer panegyris ‚Festgesellschaft‘, die Griechisch verstand? Das würde darauf hinweisen, dass die lydische Oberschicht schon sehr früh des Griechischen mächtig war.
Zusammenfassung Die weitaus wichtigste Quelle über die Lyder ist zwar Herodot, doch können heute verstreute Informationen bei einigen lyrischen Dichtern sowie lexikalische Angaben bei Hesych und die lydischen Inschriften selbst das Bild ergänzen. Die Existenz dieser Inschriften hat im Bewusstsein fast aller Altertumswissenschaftler bisher keine Rolle gespielt, und auch innerhalb der Sprachwissenschaftler ist das Lydische bis vor wenigen Jahren stiefmütterlich behandelt worden. Auch heute wirkt sich der große Aufschwung, den die Erforschung der verwandten Sprachen Hethitisch und Luwisch und ihrer Texte genommen hat, auf die lydischen Texte erst sehr zögerlich aus. Freilich ist ihre Zahl begrenzt, aber die Vergleichende Anatolistik kann ihr Verständnis dennoch fördern. Wir haben versucht, anhand von griechischen Wörtern und Glossen, die dem Lydischen zuzuschreiben sind, wenigstens Teile bestimmter Bereiche der lydischen Kultur zu erschließen. Weiter hat sich die Annahme bestätigt, dass die lydische Gruppe der Mλimna- mit dem Königsgeschlecht der Mermnaden in Zusammenhang steht. Der Sprachvergleich mit dem Hieroglyphen-Luwischen hat deutlich gemacht, dass nicht nur das griechische Wort tyrannos selbst vermutlich aus dem Lydischen übernommen worden ist, sondern sein Gehalt bei den Griechen sich aus dem Eindruck heraus entwickelt hat, den der Lyderkönig Gyges auf sie machte (s. Teil 1). So verhilft die
FGrHist 90 F62; Suid. s.v. Magnes (3.306 Adler); s. West (2011), 344– 352.
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2 Wer waren die Lyder?
Anatolistik zu einer mehr ganzheitlichen Betrachtung der Lyder und ihrer Wechselwirkung mit den Griechen. Zur Herkunft der Lyder, die ursprünglich Maionier hießen, hat sich weiterhin ergeben, dass sie im 2. Jt. noch in der Gegend von Bithynien gewohnt haben dürften. Es gibt Grund zu der Vermutung, dass auch die Sprache Troias während der Spätbronzezeit das Lydische war. Anschließend, während der sogenannten „dunklen Jahrhunderte“, dürften die Lyder dort in Kontakt mit im Rahmen der Seevölkerbewegung aus Italien eingedrungenen Tyrsenern (Etruskern), die sich in Lemnos und Umgebung ansiedelten, gekommen sein. Unter dem Druck der vom Balkan her einwandernden Phryger teilten sie sich schließlich in Myser und Maionier auf, wobei die letzteren nach Süden in das ehemalige Land Arzawa auswanderten, das damals „Luwierland“ (Luwija) hieß. Im Mund der Lyder wurde aus Luwija schließlich entsprechend den Lautregeln dieser Sprache *Luwda, was die Griechen dann zum Ländernamen Lydia ‚Lydien‘ umgestalteten. So wissen wir, dass die Lyder sich selbst Maionier nannten, ihr (neues) Land aber wahrscheinlich *Luwda ‚Lydien‘. Ob sie sich selbst auch mit einem von *Luwda abgeleiteten Wort bezeichneten, also sozusagen als „Lyder“, wissen wir dagegen nicht. Noch der Lyriker Hipponax verwendet meionisti ‚auf maionisch‘ im Sinne von ‚auf lydisch‘. Die Beziehung der Lyder zu den in den alten Wohnsitzen verbliebenen Mysern dürfte noch bis in die Zeit von Kroisos bestanden haben, wie man indirekt aus der Erzählung über Adrastos (Hdt. 1,36 – 45) schließen kann. Vom eigenen lydischen Abstammungsmythos ist uns außer der Erwähnung des Stammvaters Manes und seines Sohnes Atys (Hdt. 1,94,3) nichts Wesentliches erhalten. Als typologisches Beispiel für anatolische Abstammungsmythen haben wir die althetitische Erzählung über die Stadt Zalpa herangezogen. Das erste lydische Königsgeschlecht waren nach Herodot die Herakliden. Abstammung von Herakles schrieben die Griechen auch anderen nicht-griechischen Völkern zu, so etwa den Skythen (Hdt. 4,8,1– 3), weshalb dies sicher nicht alter lydischer Überlieferung entspricht. Die Definition der Lyder als ein „Volk“ wollten wir nicht einfach voraussetzen, sondern sowohl eine Abgrenzung der Begriffe „Stamm“ und „Volk“ vornehmen, als auch eine Definition des letzteren Begriffs im Rahmen unseres Themas überhaupt versuchen. Dabei kamen wir mit Hilfe typologischer Vergleiche aus dem Alten Testament zu der Auffassung, dass die Maionier zunächst eher als „Stamm“ zu bezeichnen sind und erst nach ihrer Einwanderung in Lydien und Konsolidierung unter bedeutenden Herrschern, sozusagen nach ihrer HistorischWerdung, als „Volk“. Generell sind wir der Meinung, dass die im kleinen „attischen Credo“ (Hdt. 8,144,2) für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Griechen
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Zusammenfassung
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genannten Faktoren Blut (Abstammung), Sprache, Religion und gemeinsame Sitten für alle Völker und Stämme konstitutiv sind.¹⁶² Das schließt nicht aus, dass der eine oder andere dieser Faktoren in besonderen Fällen geringere Bedeutung haben kann. Historisches Subjekt der lydischen Geschichte ist allein die Mermnaden-Sippe mit dem König als monarchischer Spitze. Das ist auch das Bild, das Herodot vermittelt: eine Geschichte der Könige.
Das gilt natürlich nicht für die nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus dort entstandenen Nationen ganz gemischter Herkunft, sondern ab dem Jahr 1492 nur noch für die „Alte Welt“.
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3 Das lydische Reich in Statik und Funktion 3.1 Aufbau des lydischen Reiches. Vom Räuber- zum Verfassungsstaat Vorbemerkungen. Die Ionier Lydien war ein sogenanntes „Vielvölkerreich“. Mit dieser Aussage ist viel gesagt und wenig Spezifisches gewonnen. Dieses „Vielvölkerreich“ könnte sich jedenfalls in der „Völker-/Länderliste“ Hdt. 1,28 widerspiegeln. Die Frage, die die „Länderliste“ jedoch aufwirft, ist einmal die nach ihrer Echtheit und sodann die nach ihrem Zweck. Fragen, die unser Thema noch fundamentaler berühren, lauten etwa wie folgt: Werden hier in agglutinierender, vorwiegend geographischer Weise Länder an die Zentrallandschaft Lydien angeschlossen, oder spiegelt diese Liste eine bestimmte, charakteristische Struktur wider, die es erst rechtfertigte, von einem altanatolischen Reich zu sprechen. Dafür bietet die „Länderliste“ auf den ersten Blick aus sich heraus keine Entscheidungshilfe. Um sie richtig zu verstehen, sind Vorkenntnisse nötig, die hier erst noch zu erarbeiten waren. Aus diesem Grund wird die „Länderliste“ erst am Schluss herangezogen, und zwar zur Bestätigung von Ergebnissen, die auf anderen Wegen gewonnen wurden. Hier vorweggenommen sei nur die Beobachtung, dass die Völkerschaften der „Länderliste“ Namen tragen, wie wir sie aus der Spätbronzezeit (noch) nicht kennen. Bruchlos ging es in den „Dunklen Jahrhunderten“ nach 1200 also nicht ab, aber nicht nur Verbindungen Zerreißendes, sondern auch Kontinuität Bewahrendes ist zu verzeichnen. Zudem ist mit zu bedenken, dass sich hinter griechisch überlieferten Namen noch nicht identifizierte luwische oder hethitische Toponyme verbergen können. Ein wirkliches hermaion, ein Glücksfund also, ist es, wenn, wie jüngst geschehen, der Ländername Lydia auf ein älteres Luwija, zurückgeführt werden konnte, das zuerst in den Hethitischen Gesetzen¹ um 1600 v.Chr. genannt wird. Wir werden auf weitere Phänomene stoßen, die zeigen, wie altanatolisch-bronzezeitliches Kulturgut sich, gewissermaßen im Erdreich fest verwurzelt, bewahrt hat. Um das Reich der Lyder in seinem Entwicklungsprozess mitsamt den entscheidenden Bruchstellen ansichtig zu machen, mag es mehrere Wege geben; der folgende Weg jedenfalls sollte sich als Königsweg erweisen. Dieser Weg führt von Sardes aus zu den kleinasiatischen Griechen, zu den Ioniern vor allem und speziell zu ihrer „Hauptstadt“ Milet. An dieser polis lässt sich wie ein Pulsschlag die Hoffner (1997), Glossar; s. TUAT I/1 (E. von Schuler), 98; 100 f. https://doi.org/10.1515/9783110436020-006
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Konstitution des Reiches messen. Die Ionier wurden bislang fast ausschließlich als Teil der griechischen Geschichte behandelt, nicht selten mit der Folge, dass Ionien in wissenschaftlichen Arbeiten den Charakter eines Exkurses bekam. Näher bei Herodot liegt unsere Sichtweise. Die politisch-soziale Existenzform der Ionier war die polis; ihre Verfassung war gemeindestaatlich-genossenschaftlich, was im diplomatischen Verkehr mit monarchischen Großstaaten zu manchen Umständlichkeiten führte. Die Ionier bewohnten kein geschlossenes Territorium mit einer klar definierbaren Außengrenze. Vor allem in östlicher Richtung, den Lydern zu, existierte keine. Den Ioniern mangelte es an dem Bedürfnis nach jeder Art von politischer Konzentration. Kimmerische Razzien und lydische Kampagnen führten nicht zu Veränderungen ihrer genossenschaftlichen Verfasstheit, etwa hin zur Einführung der Monarchie, wie es zum Beispiel dem noch stammstaatlich verfassten Israel angesichts der Philistereinfälle von der Küste bis hoch ins mittelpalästinische Bergland hinein geboten erschien. Man kann von einer ionischen Städtelandschaft sprechen, diese liegt aber nicht in einem abgrenzbaren Ionien – ein Land Ionien gibt es strenggenommen gar nicht, jedenfalls noch nicht für Hekataios und Herodot –, vielmehr liegen die Städte der Ionier in Lydien bzw. in Karien. Auffällig ähnlich verhält es sich übrigens im Falle Phönikiens. Auch Phönikien lässt sich auf einer Karte nur schwerlich als zusammenhängende Landschaft eintragen. Ionier wie Phöniker zeigen andererseits eine bemerkenswerte Auffassungsgabe und eine auffällige Prädisposition zur Kooperation. Zum agonalen Prinzip, wie es sowohl bei den Olympischen Spielen als auch im maßlosen Kriegführen sich äußerte, neigten die Ionier weniger stark als die Griechen des Mutterlandes.² Unter den Olympioniken sind Ionier extrem selten genannt. Die Forschung glaubte, am herodoteischen Text Folgendes festgestellt zu haben: Anders als beim unaufhaltsamen und zielstrebigen Vorrücken der Perser seien die lydischen Feldzüge gegen die Ionier, und zwar von Gyges an, ohne greifbares Ergebnis geblieben. Nach so vielen Jahren und so vielen Kampagnen hätte man ein eindeutiges Ergebnis erwarten können. Unkoordiniert und ohne Nachdruck hätten die Lyder vieles in Angriff genommen und dann das meiste davon im Sande verlaufen lassen. Mit einer Patt-Situation habe man sich schließlich zufrieden gegeben, da auch die Griechen nicht in der Lage gewesen seien, die Lyder aus Sardes zu vertreiben. Einmal ganz abgesehen davon, dass die griechischen Einzelstaaten nicht im Besitz der dafür nötigen Machtmittel waren, stellt sich die sehr viel näherliegende Frage, ob Vertreibung überhaupt ihr Ziel war.
Howald (1948).
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Nun ist zweifellos von lydischen Feldzügen gegen die Ionier die Rede. In kurzen Notizen wird von jedem lydischen König vermerkt, gegen welche Stadt er vorgerückt sei. Ein System ist nicht zu erkennen. Was nicht sogleich auffällt, sich aber als bedeutsam erweisen könnte: Nur gegen Milet sind alle lydischen Herrscher mindestens einmal gezogen.³ Wie sind diese Feldzüge nun aber in Einklang zu bringen mit unserer These (s. Einleitung), dass das Verhältnis zwischen Lydern und Ioniern schon auf Kooperation eingestellt war? Dies muss ja nicht bedeuten, dass es immer nur friedlich gewesen wäre. Dass die Lyder so ungestört gegen die Ionier operierten konnten, hat doch nicht darin seinen Grund, dass die ionischen Staaten uneins gewesen wären und es somit „keine umfassend organisierte Lyderabwehr gegeben habe“.⁴ Die gab es zwar in der Tat nicht, der Grund muss aber ein anderer gewesen sein. Man fragt sich doch, warum die Ionier, wenn sie sich schon nicht einigen konnten, nicht die geringsten Anstalten machten, dem Anmarsch der Lyder auszuweichen, was nur heißen konnte, über das Meer Rettung auf den Inseln zu suchen. Die Milesier hätten Aufnahme etwa im befreundeten Chios finden können (vgl. Hdt. 1,18). Denn das taten die Ionier, wenn die kimmerischen Steppenreiter ins Land einfielen, sie retteten sich auf die Inseln (um 650 v.Chr.).⁵ Und dasselbe taten die Phokaier etwas später (um 540 v.Chr.), als sie vom General des Kyros, Harpagos, belagert wurden (Hdt. 1,163 – 164). Die Griechen ertrugen offensichtlich die lydischen Kampagnen leichter, wohl weil sie diese nicht als Plünderungszüge oder Razzien heimatloser Horden empfanden, deren bloßer Anblick schon Panik
Hdt. 1,14: Gyges zieht gegen Milet sowie Smyrna und erobert Kolophon; Hdt. 1,15: Ardys eroberte Priene und griff Milet an; Hdt. 1,17: Sadyattes führte Krieg gegen Milet sechs Jahre lang; Hdt. 1,16: Alyattes eroberte Smyrna und zog gegen Klazomenai und führte fünf Jahre lang den Krieg gegen Milet weiter, den er von seinem Vater Sadyattes übernommen hatte (Hdt. 1,17). Von Kroisos heißt es, dass er gegen alle ionischen und aiolischen Poleis gezogen sei (Hdt. 1,26,3, vgl. 1,6,2). Ehrhardt (2005), 103. In dieselbe Richtung zielt Meier (2009), 323, wenn er sagt: „Hätten diese sich, dem Vorschlag des Thales folgend, zusammengeschlossen, hätten sie die Angriffe vielleicht wirklich abwehren können.“ Weiter merkt er an, dass die Ionier mit den „östlichen Reichen“, die im Rücken des Lyderreiches existierten, hätten Verbindungen aufnehmen müssen. Dabei verkennt er die politische Großwetterlage, wie sie im 6. Jh. v.Chr. herrschte, und überschätzt den Gestaltungsspielraum der Ionier und vielleicht auch ihr politisches Gewicht in der damaligen Welt. Welchen Terror Lygdamis mit seinen kimmerischen Reitern in Ionien verbreitete, kann man daran ermessen, dass noch 283/82 v.Chr., also über 300 Jahre später, Lysimachos in einem Brief, darauf Bezug nehmend, schreiben konnte, dass die Ionier damals auf die Insel Samos geflüchtet seien. Der Brief ist als Inschrift erhalten (IvPriene 500, zuerst abgedruckt OGIS 13; Ü: HGIÜ II no. 309, S. 107 f.)
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auslösen musste, sondern weil die Ionier die Kampagnen eher im Rahmen gewohnter und nachvollziehbarer Machtausübung sahen. Die Ionier fühlten sich vielleicht sogar entlastet, wenn sie den Tribut an die Lyder als Schutzgeld für die Gewährung äußerer Sicherheit verbuchen konnten, auch zum Schutz gegenüber griechischen Nachbarn. Von den Thesen zu den Quellen! Den Einstieg nehmen wir, wie schon Herodot es tat, bei Kroisos. Dieser habe als erster mit dem Unrechttun gegen die Griechen begonnen, indem er sie unterworfen und steuerpflichtig gemacht habe (Hdt. 1,5 – 6, vgl. Hdt. 1,26; 28). Waren die Feldzüge eines Gyges denn kein Unrecht gewesen? Gyges war immerhin ein Usurpator! Freilich habe auch Gyges adika erga verübt, aber es gebe Unterschiede, würde Herodot uns antworten. Bei Kroisos liegt, wie zu zeigen sein wird, ein Verstoß im völkerrechtlichen Bereich vor, bei Gyges ist es eher eine Verletzung allgemeingültiger Normen. Das hindert Herodot nicht, dem Gyges ein mega ergon, ein „großes Werk“, zuzuschreiben (Hdt. 1,14,4). Die Lage Lydiens unter Gyges jedenfalls war verzweifelt. Es wird zeitweise drunter und drüber gegangen sein, mindestens einmal muss der Staatsnotstand ausgerufen worden sein.⁶ Assyrien flehte man um militärischen Beistand an, vergeblich! Gyges soll Landeskinder, Ionier und Karer, nach Ägypten verkauft haben, wohl weil er im Gegenzug vom Pharao Psammetichos I. (664– 610 v.Chr.) Bezahlung in Gold erwarten durfte.⁷ Vor diesem Hintergrund sind nun die Feldzüge des Gyges gegen die griechischen Poleis zu sehen. Seine Kriege waren private Raubkriege. Die Kimmerier veranstalteten dagegen Razzien, aber nicht nach dem arabischen Prinzip des hit and run, wie es in den Steppen und Wüsten am Rande des Fruchtbaren Halbmonds geübt wurde, vielmehr beherrschten die Kimmerier auch das offene Feld und waren sehr wohl in der Lage, Städte und Burgen zu erobern. Sie taten dies auch, so im Falle Urartus, wie wir aus urartäischen und assyrischen Quellen zuverlässig wissen. Die Ionier hatten Glück, dass es dazu bei ihnen nicht kam. Sie wussten aus Erfahrung, dass die Lyder im Allgemeinen keine Städte zu erobern und zu zerstören pflegten. Mit Alyattes um 600 v.Chr. war dann die Poliorketik wohl so weit entwickelt, dass man nun Smyrna belagern und mit Hilfe einer Rampe auch erobern konnte. Mimnermos von Kolophon erwähnte in seiner Smyrneïs schon Kämpfe zwischen den Bewohnern von Smyrna und Gyges.⁸ Smyrna liegt knapp 100 km von Sardes entfernt, eine nennenswerte logistische Leistung war das also nicht unbedingt, Spalinger (1978), der von einer Einnahme von Sardes und der Ermordung des Gyges 644 v.Chr. durch Lygdamis ausgeht, nimmt danach weitere kimmerische Angriffe auf Sardes an. An einem der Angriffe waren auch Lykier beteiligt (Strab. 13,4,8). VAB 7,2, Prisma A col. II 114– 115, dazu genommen Hdt. 2,152; vgl. Haider (1988), 170 ff. Mimnermos F14 W = Paus. 9,29,4; vgl. Dihle (1962), 269 – 275.
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wenn man sie mit der Belagerung und Eroberung von Lachisch (Tell ed-Duwer) in Juda durch Sanherib hundert Jahre zuvor vergleicht (701 v.Chr.). Die Entfernung von Ninive dorthin beträgt 800 km. Diese Kilometerzahl sei nur als Beispiel genannt für die Leistungsfähigkeit eines Heeres, das nicht nur für die Feldschlacht, sondern auch für die Belagerung einer Festung komplett gerüstet war. Die Siedlungsfläche von Lachisch beträgt 7,3 ha. Sie war durch eine hohe Mauer geschützt und durch ein modernes Sechskammertor zugänglich und gleichzeitig gesichert. Hält Smyrna, und wir können Milet gleich mit dazu nehmen, einen Vergleich mit judäischen Königsstädten wie Lachisch, Megiddo und Hazor überhaupt aus? Herodot erwähnt nur die Eroberung Smyrnas durch Alyattes als Faktum (Hdt. 1,16). Worauf er bezeichnenderweise nicht zu sprechen kommt, ist der unerhörte Vernichtungswille des Alyattes, der sich darin ausdrückte, dass er Smyrna zur Wüstung machte. Die heimatlos gewordenen Smyrnäer jedenfalls seien in die benachbarten Dörfer verjagt worden, wo sich ihre Spuren verlieren, es fand also wohl keine Deportation nach assyrischem Vorbild statt (vgl. Strab. 14,1,37).⁹ Kann man etwas Genaueres über die lydischen Feldzüge herausbekommen, vielleicht etwas über ihre Art und die Motivation, mit der sie geführt wurden? Von den Kimmeriern wird gesagt, dass sie bei ihrem Durchzug Beute (harpage) in Ionien machten. Ging es auch den Lydern um Beute? Herodot sagt nichts über ihre Motive und spricht im Zusammenhang mit den Lydern nie von Beute. Den Weg zur Lösung dieser Probleme verspricht die mit dem Namen des Alyattes verbundene Erzählung von den 11/12 Jahres-Kampagnen gegen Milet zu zeigen (Hdt. 1,17– 22). Diese Erzählung, deren Text, rein vom Literarischen her betrachtet, glatt und ohne Anstöße durchläuft, dazu noch als schön und inhaltsschwer zu beurteilen wäre, ist in Wirklichkeit ein einziger Stein des Anstoßes. So wie sie erzählt wird, kann es historisch nicht gewesen sein.
Keine Rachekriege im Vorderen Orient. Ein Typogramm der Kriege Um einen Rachekrieg, der mit der Forderung, Genugtuung zu leisten verbunden gewesen sein müsste, handelt es sich im Falle Milets nicht. Unwahrscheinlich ist die Annahme, dass die Lyder überhaupt Feldzüge aus Rache unternahmen. Rache ist dagegen das am häufigsten genannte Motiv für die griechische Praxis, den Krieg zu erklären und Genugtuung zu fordern. Die Griechen waren zwar zur ti-
Oded (1979).
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moria ‚Rache‘¹⁰ nicht veranlagt – das ist Unsinn –, aber sie empfanden in erschreckend hohem Maße Rache und Bestrafung eines Unrechts als sittliche Pflicht. Herodot schränkt den Typ Rachekrieg nun aber nicht nur als typisch auf die Griechen ein, sondern er schiebt als Hauptmotiv für seinen Plan, den Halys zu überschreiten, auch dem Kroisos den Rachegedanken unter (Hdt. 1,73). Das ist aber ein Ausnahme- oder Grenzfall. In Wirklichkeit ging es dem Kroisos um etwas ganz anderes, jedenfalls nicht um Rache, auch nicht um Ehre (time).Wir sind nach Konsultation der Lexika und Handbücher zu dem überraschenden Schluss gekommen, dass der Rachegedanke in ausgeprägter Form für das alte Anatolien und auch für den Alten Orient insgesamt, mit Einschluss Israels, ohne Bedeutung war. Nicht irre soll man sich machen lassen durch Verweise auf den sog. Heiligen oder Jahwekrieg im AT. Hier haben wir es mit theoretischen Konstruktionen deuteronomischer Theologie zu tun (G. von Rad, A. Ruffing).¹¹ Der Begriff „Heiliger Krieg“ (hieros polemos), stammt denn auch gar nicht aus dem Vorderen Orient, sondern aus Griechenland, und wurde hier für Kriege verwendet, die zum Schutz des delphischen Heiligtums im Auftrag Apollons zu führen waren (Thuk. 1,112, vgl. Aristoph. av. 556).¹²
Gab es einen „Ionischen Krieg“? Herodot nennt die Feldzüge des Alyattes gegen Milet (Hdt. 1,17– 22) einen „Krieg“ (polemos) (1,17,1). Aber mit welchem Inhalt füllt er den Begriff? Lassen sich die verschiedenen kriegerischen Handlungen der Lyder (beginnend mit Gyges, Hdt. 1,14,4) unter dem Begriff Ionikos polemos versammeln?¹³ Etwa so, wie es der Redner Lysias (um 400 v.Chr.) tat, der die regelmäßigen jährlichen Einfälle der Spartaner unter ihrem König Archidamos in attisches Gebiet im Zeitraum von 431/
Gehrke (1987). Der Begriff timoria ist erst für das 5. Jh. v.Chr. bezeugt, vor allem durch die Historiker Herodot, Thukydides und Xenophon; bei Homer fehlt er noch. „Heiliger Krieg“: von Rad (1951), s. die Kritik an diesem Konzept bei Weippert (1972); „Jahwekrieg“: Ruffing (1992). Das gilt auch für Israel. Die hierfür einschlägige Stelle Jos 10,13 steht im Kontext eines Eroberungskrieges. Das Wort nāqam ‚Rache‘ (s. Lipiński [1986]) war aber nicht das Motiv, den Krieg zu beginnen, sondern man ließ an den bereits Besiegten seinem „Hass“ freien Lauf. Das Wort nāqam hat in erster Linie mit der Blutrache zu tun, aber mit dem Ziel, diese einzudämmen, und wird nur am Rande formelhaft in kriegerischen Zusammenhängen von Gott gesagt: JHWH nahm Rache an den Ammonitern (Ri 11,36), an den Philistern (Ez 25,15 – 17). Hasserfüllte Kriege, die an Rache gemahnen, finden sich im Assyrischen, hier seien vor allem die Kriege gegen Babylonien erwähnt, ABC no. 1 = Glassner (1993; 2004) no. 17. Etwa so wie Thuk. 8,11 eine Phase des Peloponnesischen Krieges ho Ionikos polemos nennt?
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30 bis 422/21 v.Chr. als einen einzigen Krieg bestimmen zu können glaubte, den sog. „Archidamischen Krieg“? Vergleichbar mit den milesischen Feldzügen des Alyattes scheint zunächst einmal die Zahl der Einfälle zu sein. Der „Archidamische Krieg“ war ein regelgerechter Krieg, ein polemos. Denn er wurde mit einer Kriegserklärung eröffnet – diese Praxis ist schon bei Homer bezeugt (Il. 3,205 – 301) – und er endete mit einem Friedensschluss und einem förmlichen Friedensvertrag. Das war ein „öffentlicher“ Krieg nach griechischem „Kriegsrecht“.¹⁴ Dass Alyattes den Milesiern regelrecht den Krieg erklärt hätte, darüber hören wir ebenso wenig wie von Forderungen nach Wiedergutmachung. Es stellt sich doch sofort die Frage, ob die Staaten des Vorderen Orients den Brauch einer Kriegserklärung kannten und selbst, wenn ja, ob griechisches „Kriegsrecht“, wie es im 5. Jh. v.Chr. zur Zeit Herodots sich ausgebildet hatte, überhaupt die Basis sein kann, um den Charakter lydischer Kriege zu bestimmen. In diese ältere, lydische Zeit fallen nun aber die homerischen Epen. Sie kennen neben den Rachekriegen als zweite Form die Raubkriege, und diese bedurften in der Regel nicht der Kriegserklärung. Raubkriege gab es im Vorderen Orient reichlich, mit dem frühstaatlichen Stadium eines Reiches beginnend, wie es etwa das althethitische Reich unter Hattusili I. war oder Lydien unter Gyges, bis hin zu Staaten im bürokratischen Stadium, wie im Falle des Neuassyrischen Reiches. In Griechenland verquickten sich bereits in homerischer Zeit „private“ Kriege, die ihren Anführern keine Schande (aischyne), sondern im Gegenteil Ansehen (doxa) einbrachten (Thuk. 1,5,1), und „öffentliche“ Kriege miteinander, und mit wachsendem Unrechtsbewusstsein, und zwar nur bei den Griechen, werden Raubkriege insgesamt zunehmend als bedenklich eingestuft. Fraglich ist, wenn die adika erga des Kroisos nicht verharmlost werden, wenn man sie „Raubkriege“ nennt, wie sie Gyges und auch noch Alyattes betrieben hatten. In adika erga hörte man vielleicht noch die Verfehlung gegen die göttliche Macht Dike heraus, wie sie bei Bruch von Vertrag und Eid vorliegen würde. Eben dies vermuten wir für Kroisos, von dem Herodot schreibt, dass er als erster die Ionier unterjochte und damit die erste katastrophe (Hdt. 1,92,1) bewirkte. Welche Art von Krieg auch immer, die Brutalisierung in der Kriegführung ist in der Eisenzeit gewachsen, und erste Anzeichen eines totalen Krieges sind in Ost und West nicht mehr zu leugnen. Man muss nicht allein auf Assyrien verweisen. Erschreckend ähnlich sind sich Alyattes und der Spartaner Archidamos in der Taktik der verbrannten Erde; sie verwüsteten die Felder und hauten die Fruchtbäume um. Im Alten Orient und auch bei den Persern war der Krieg, der selbst die Natur mit einbezog, nicht gerechtfertigt. In Israel war er sogar verboten: „Wenn du
Wichtiger Ratgeber war uns Baltrusch (1994; 2008), s. unten.
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eine Stadt lange Zeit belagerst und gegen sie Krieg führst, … dann sollst du ihre Bäume nicht zerstören … ; du darfst davon essen, sie aber nicht fällen. Sind denn die Bäume auf dem Feld Menschen, die du belagern müsstest?“ (Dtn 20,19, um 600 v.Chr.). Kriegserklärung und Friedensvertrag lassen den „Archidamischen Krieg“ als polemos, d. h. als Krieg im prägnant klassischen Sinne, verstehen. Für einen Vergleich mit den milesischen Kriegen des Alyattes, die Herodot zwar auch als polemos bestimmt (Hdt. 1,17,1), ist der „Archidamische Krieg“ nicht geeignet. Denn dieser war kein Raubkrieg, sondern verfolgte allein politisch-strategische Ziele. Vergleichbar sind sie dann wieder in dem einen Punkt, dass sie „öffentlich“ sind und das „Kriegsmonopol“ in der Amtsgewalt des spartanischen Königs bzw. des lydischen Monarchen erfahrbar wird. Während Gyges mit seinem Gefolge noch Privatkriege führte, ist unter Alyattes die Staatlichkeit Lydiens so weit verdichtet, dass auch die Kriegführung verstaatlicht werden konnte. Herodot charakterisiert in seinem dürren Sammelbericht (1,14,4– 16,2) die einzelnen Feldzüge der lydischen Könige nicht ausreichend. Zuerst zum Sammelbericht: Die Formel lautet hier immer: esebale es (z. B. Klazomenas) ‚er fiel ein in (z. B. in Klazomenai)‘; differenzierend nur: Gyges erobert (heile) die Unterstadt (to asty) von Kolophon (Hdt. 1,14,4) und Alyattes erobert (heile) Smyrna, er erlitt aber bei Klazomenai eine schmerzliche Niederlage (Hdt. 1,16,2).¹⁵ Nichts erfahren wir über die Motive der Angreifer. Handelt es sich um isolierte Razzien oder um Kampagnen, die Bestandteil eines strategischen Plans waren? Und schließlich: Hat sich der Krieg gelohnt? Und wie steht es um die Beute? Wer nun gehofft hatte, die ausführliche Erzählung über die 11/12-maligen Kampagnen des Alyattes gegen Milet (1,17– 22,4) würde schnell aufklärend wirken, wird getäuscht werden. Die Sache wurde vielmehr noch fragwürdiger, als sie es vorher war. Ein aufwendiger typologischer Vergleich wird nötig sein, um die Erzählung Herodots in die Realität zurückzuholen. Es heißt von Alyattes: Sowie er jedes Mal von Sardes aus herangezogen kam (epelaunein) und sein Heer (eseballe ten stratien, Hdt. 1,17,1) ins Milesische (Hdt. 1,18,2) geworfen hatte, so zog er auch jedes Mal (Impf.) wieder heim (1,17,2). Dabei kann es sich nur um Kampagnen
Es fällt zunächst gar nicht auf, dass hier klipp und klar von einer Niederlage der Lyder gesprochen wird. Das kommt nur selten vor, und man fragt sich, warum die Niederlage nicht in die eine oder die andere Richtung näher ausgeführt wurde. Ein anderes Problem steckt in der Frage, ist das die „Ernte“ eines einzigen Feldzugsjahres oder ist sie auf zwei oder mehrere Jahre zu verteilen? Vor ähnlichen Problemen sieht man sich auch bei assyrischen Annalen gestellt oder bei hethitischen Tatenberichten wie den „Mannestaten des Suppiluliuma“ (CTH 40; Güterbock [1956]) über die sog. „Ein Jahr Kampagne“ des Suppiluliuma I. in Nordsyrien; der Zeitraum der hethitischen Aktivitäten in Syrien reicht von ca. 1335 – 1322 v.Chr. (Eroberung von Karkamis).
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handeln, wie sie in dieser Zeit und in dieser Typik nur der Vordere Orient, und ganz besonders Assyrien, praktizierte.
Privater Raubkrieg Von Gyges heißt es: Esebale men nyn stratien … es te Mileton kai es Smyrnen kai Kolophonos to asty heile „Nun unternahm er auch, …, einen Feldzug gegen Milet und Smyrna und eroberte die Unterstadt (asty) von Kolophon“ (1,14,4). Wenn man die schwache Konstitution Lydiens jener frühstaatlichen Zeit berücksichtigt, dann kann der Feldzug des Gyges wohl vor dem Hintergrund des „Alten Reiches“ der Hethiter gelesen werden. Das „Alte Reich“ der Hethiter war ebenfalls kein wirkliches Reich, dazu mangelte es ihm an Solidität, Größe und Dauer. In den sog. Annalen Hattusilis I. (ca. 1565 – 1540 v.Chr.) werden „in knapper, noch sehr spröder Diktion“¹⁶ Feldzüge Jahr für Jahr aufgeführt, die, wie im gesamten historiographischen Schrifttum der Hethiter ausnahmslos üblich, nicht datiert sind. Sie hatten nur das eine Ziel, nicht Länder und Städte in Besitz zu nehmen, sondern sie, wenn möglich, nach Strich und Faden auszuplündern; Beute zu machen, diese am liebsten in Form von Edelmetallen, wie sie in den Schatzkammern der reichen syrischen Tempeln verwahrt wurden. Die Grundformel lautet: „Im folgenden Jahr zog ich nach Alalha (Alalah) und zerstörte es.“ Die erweiterte Grundformel heißt so: „… dreimal trug ich den Kampf in die Stadttore in Hahha. Ich zerstörte Hahha, sein Gut aber nahm ich ihm weg und brachte es fort nach Hattusa, meiner Stadt.“ Dann werden mehrachsige Karren und ein MADNANU (‐Wagen) genannt, die Gold- und Silber(‐geräte) abtransportierten.¹⁷ Auch ganze Herden von Großtieren trieb man nach Hattusa, jetzt aber vornehmlich aus dem westanatolischen Arzawa, und dies selbst noch zu Zeiten des Großreiches, wie Mursili II. (ca. 1318 – 1290 v.Chr.) in seinen Annalen berichtet, die den Höhepunkt der hethitischen und überhaupt der vorderorientalischen Geschichtsschreibung bilden. Gold und Silber aus Syrien, Rinder aus dem Westen! Wie sich die Zeiten ändern werden, und wie Lydien zusammen mit Ionien gegenüber Syrien und Phönikien aufholen und dann schließlich an ihnen vorbeiziehen, das soll hier in seinen Ursachen aufgedeckt werden.
Klinger (2012), 36. CTH 4; Imparati/Saporetti (1965); Ü: H.M. Kümmel, in: TUAT I/5, 455 – 463 (Annalen Hattusilis I.); Melchert (1978).
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Assyrien und Phönikien als Modell und Gegenmodell zu Lydien und Ionien Mit Verweis auf die althethitische Zeit lassen sich die 11/12-jährigen Kampagnen des Sadyattes/Alyattes gegen Milet dagegen nicht erklären (Hdt. 1,17– 22,4).¹⁸ Wie unsinnig die schöne Erzählung des Herodot in Wirklichkeit ist, tritt in krassester Form erst dann zutage, wenn wir Herodot in Formen hethitischer Annalen auswalzen würden. Dann hätten wir zwölfmal die Formel: „Im folgenden Jahr zog ich gegen Milet“. Und jedes Mal dann derselbe Eintrag: „Ich verbrannte die Felder, konnte aber Milet selbst nicht erobern.“ Wenn es sich nur um schöne Literatur handelte, warum dann die vielen Zahlen? Nämlich nach sechs Jahren Wechsel in der Kriegführung von Sadyattes auf Alyattes, und dann fünf Jahre für die Kampagnen des Alyattes. In der Summe macht das elf Jahre lang Krieg = elf Kampagnen. „Im zwölften Jahr aber, …“ kommt es zur Krisis (Hdt. 1,19). Können diese Zahlen von Herodot erfunden sein? Herodot bleibt uns auf der anderen Seite die Antwort schuldig, wie man ein Heer zusammenbekam und vor allem zusammenbehielt, das 11/12 Mal gegen eine Stadt geführt wurde, ohne Aussicht, auch nur ein einziges Mal sichere Beute machen zu können (s. unten). In dieser scheinbaren Aporie kommt nun unsere Methode (s. Einleitung) mit ihrer sog. „Ergänzungshypothese“ zum Einsatz. Denn der Verdacht drängt sich uns schon seit Längerem auf, dass Herodot die lydische Taktik nicht verstanden hat. Des typologischen Vergleichens wegen ziehen wir das etwas bessere, aber auch nicht gerade gut bezeugte Verhältnis zwischen Assyrien und Phönikien heran, letzteres repräsentiert durch Tyros. Es geht also konkret um Milet und Tyros als Häfen im Herrschaftsbereich binnenländischer Großmächte, die ihre Haupt- und Residenzstädte in Sardes und Ninive hatten. Zunächst nach Assyrien! Das alte Ninive wurde im Zuge einer Neugründung 705/4 v.Chr. von Sanherib (705/4– 681 v.Chr.) zur assyrischen Hauptstadt erklärt. Seine Einwohnerzahl hat man aufgrund von Methoden von H. Frankfort und R. McC. Adams, die speziell für das Strombaugebiet Mesopotamien erarbeitet wurden, auf 75.000 bis 300.000 geschätzt.¹⁹ Wir kommentieren diese ungewöhnlich
Unter „Kampagne“ im weiteren Sinne ist jeder Feldzug zu verstehen, im engeren Sinne ist sie, anders als die Razzia, als Teil einer rationalen Strategie anzusehen, wie wir sie am anschaulichsten bei den Assyrern finden. Sie schickten sternförmig alljährlich von der Residenz aus ihre Heere zum Eintreiben der Tribute sowie zum Schutze der Grenzräume aus. Diese erlaubten von der Infrastruktur her gesehen kein Überwintern des Heeres. Wir haben die Zahlen dem Buch von Nunn (2012), 95 entnommen. Zum Vergleich: Für Hattusa als „Stadt“ (happiriya‐) rechnete Bittel (1983), 32 mit einer Zahl von 15.000 – 20.000 Einwohnern. Die ummauerte Siedlungsfläche wird mit ca. 170 ha angegeben. 23.000 – 32.000 Einwohner hat Seeher (2002), 156 auf Grund der großen Getreidesilos errechnet.
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große Schwankungsbreite nicht und geben statt dessen nur zu bedenken, dass im atl. Buche Iona von Ninive als von einer riesengroßen Stadt gesprochen wird. Ninive blieb von jetzt an „Hauptstadt“ bis zum Ende des Assyrerreiches 612 v.Chr. Die Zeit von Sanherib über Asarhaddon bis Assurbanipal wird als die Zeit der Sargoniden zu einem Epochenbegriff (705 – 631 v.Chr.), Assyrien wird zu einem Großreich.²⁰ Für einen typologischen Vergleich erschien es uns aber zweckdienlich, mit Salmanassar III. (858 – 824 v.Chr.) zu beginnen. Denn mit ihm setzen die Kampagnen gegen das „Westland“ und so auch gegen Tyros ein.²¹ Ganz planlos kann das Vorgehen nicht gewesen sein. Denn nach Tyros kommt man nicht zufällig und schon gar nicht auf ebener Bahn, sondern nur über die hohen Pässe des Libanon. Viel kürzer zwar, aber doch ähnlich in seinen Umleitungen war der Weg von Sardes nach Milet. Tyros galt in den Augen seiner Nachbarn als sehr reich, für Ezechiel reich durch den Handel (Ez 26 – 28 Gerichtsworte gegen Tyros und Sidon, aus dem Zeitraum von 593 bis 571 v.Chr., auch Tyros-Orakel genannt). Das wird in manchen Punkten zutreffend dargestellt sein. Wir sind mit dem sog. Tyros-Orakel allerdings auch schon in die Zeit Nebukadnezars geraten, was Beachtung erfordert. Das Buch Ezechiel hat den Blick auf die phönikische Existenz bis heute jedoch in einem wichtigen Punkt verstellt. Überraschend ist deshalb, dass ausgerechnet ein Römer der augusteischen Zeit, Vergil, den Reichtum der führenden Schicht von Tyros im Acker(bau) sieht (Aen. 1,343) und nicht im Handel.²² Die Bewohner von Tyros waren wehrhafte Bürger, sie lebten von den wirtschaftlichen Erträgen ihres im Weststau des Libanon gelegenen, an Winterregen reichen Ackerlandes. Natürlich waren sie auch echte „Meerschäumer“, was die Griechen nie waren, und gründeten früher als die Griechen ihre Kolonien im zentralen Mittelmeergebiet. Ägypten wird die Macht sein, die die Phöniker zur Kolonisierung des Roten Meeres aufrufen und gleichzeitig das Vorbild für Sardes abgeben wird, einen Kooperationsvertrag mit Milet zum Zweck der Schwarzmeerkolonisation einzugehen. Das ist Gegenstand von Teil 3 B „Schwarzmeerkolonisation“. Sein Ackerland machte Tyros allerdings auch vom Festland her verwundbarer und erpressbarer. Milet war
Für Kuhrt (1995), 493 beginnt mit Tiglat-Pilesar III. (744– 727) „the imperial expansion“ und „the Assyrian Empire“. Bagg (2011); Nach Kuhrt (1995), 478 ist Salmanassar III. einer der ganz großen Könige beim Übergang vom „territorial state to imperial power“. Dass ein Phöniker, gemeint ist Sychaeus, der von Pygmalion ermordete Ehemann der Dido, ditissimus agri ‚der ackerreichste‘ sein könne, kam dem Editor der Oxford-Ausgabe (OCT) der Aeneis von 1969, R.A.B. Mynors, so unwahrscheinlich vor, dass er kurzerhand agri, das die codd. bieten, in den textkritischen Apparat versenkte und eine uralte Konjektur von Huet von 1722 in den Text setzte, nämlich auri, also ‚der goldreichste‘.
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ebenfalls inselähnlich gelegen und besaß quasi festländischen Besitz, die sog. Milesia. Um Tyros Gewalt anzutun, bedurfte es einer Macht, die militärisch stark genug und mental zu allem entschlossen war. Das konnten nicht die Philister oder die Aramäer von Damaskus sein, auch nicht Israel, wohl aber war man in Ninive der Ansicht, dass Tyros schon auf bloßen assyrischen Befehle hin mit Gehorsam reagieren würde. Weit gefehlt! Die Sargoniden hatten zwar keine ganz neue, aber diesmal doch sehr viel aggressivere Herrschaftsmaxime ausgebildet, die dahingehend wirkte, dass die assyrische Macht wie ein Flächenbrand, der sich, immer neue Nahrung suchend, ausbreitete und nun erstmals auch in den Ländern kanaanäischer Kultur und Sprache, d. h. in Israel und Phönikien, leidvoll erfahren wurde. Das eigentliche Ziel der Sargoniden aber war Ägypten, das ohne phönikische Hilfe nicht zu erobern war. Die Terra ferma, das Ackerland von Tyros, nahmen die Assyrer also als Faustpfand, um die Tyrier gefügig zu machen und sie auch gefügig zu halten für das große assyrische Ziel, das sie im Besitz Ägyptens sahen. Bei kooperativem Wohlverhalten der Tyrier konnten die Assyrer die peraia, also den Festlandsockel, von Tyros vergrößern, andernfalls aber stand es in ihrer Macht, ihn zu verkleinern oder sogar ganz aufzuheben. Die Lebensweise der Phöniker veränderte sich jetzt, in neuassyrischer Zeit, sehr stark, sie verdingten sich schließlich im 7. Jh. v.Chr. als Spediteure der Meere, die im Auftrag der Assyrer, aber wohl auf eigenes Risiko ins Weite fuhren. Ob sie damit zufrieden waren, kann man wohl getrost mit „Nein“ beantworten. Aber von irgendetwas mussten sie ja schließlich leben. Was die Assyrer unter Importe verbuchten, mussten jene als Tributleistung empfinden, ja als Demütigung.War es ihnen doch auferlegt, diejenigen mit rüstungsrelevanten Rohstoffen, Metallen, vor allem Edelmetallen, zu versorgen, die ihnen Zwang antaten. War aber Zwang das richtige Mittel, um Gefolgschaft für Assyriens Zielvorstellungen zu gewinnen? Ganz ohne Zwang ging es nicht. Auf die Dosierung kam es an. Diese in zweckdienlicher Art herzustellen, setzte den Willen voraus, Erfahrungen zuzulassen sowie die Fähigkeit, die Welt in ihren Sonderheiten zu erkennen. Das hätte heißen können, der Stadt Babylon der Religion und Kultur wegen in Ehrfurcht zu begegnen, Phönikien als mitverantwortlich für das Reich zu behandeln, eine Eroberung Ägyptens als die eigenen Kräfte überdehnend einzuschätzen und die Araber mittels des Limes Arabicus draußen zu halten. Die Phönikien-Politik nahm ihren Anfang mit Salmanassar III. Von den 34 bekannten Kampagnen dieses Königs, die von Kalchu (Nimrud) in alle Himmelsrichtungen führten, wurden weit über 20 gegen Syrien gelenkt. Auf dem sog. Schwarzen Obelisken aus Kalchu/Kalah (Nimrud) spricht Salmanassar: „In meinem 21. Regierungsjahr (838 v.Chr.) überschritt ich zum 21. Male den Euphrat (in
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Richtung Damaskus).“ ²³ Er brach also jedes Mal mit seinem Heer vom sog. Arsenal auf, dem Ort der Musterung, welches innerhalb des Palastbezirkes von Kalchu lag, und überschritt dann den Euphrat. Das Procedere war erforderlich, weil das assyrische Bewegungsheer weder Marschlager noch Stand- und Winterlager kannte und auch keine Zitadellen (akk. birtu, hebr. u. aram. birah, gr. akra, bei Hdt. pyrgos) in den eroberten Städten anzulegen pflegte, mit Ausnahme von Städten an den Euphratübergängen, wie etwa Til Barsib (heute Tall Ahmar), das dann auch als Standlager diente.²⁴ Nicht anders handelten auch die Lyder, die ja wohl auch jedes Mal von Sardes aus ihre Kampagnen starteten. Standlager kannten die Lyder allerdings nicht. Salmanassar III. nun stieß auf die innovationsfreudige Staatenwelt Syriens/Palästinas – genannt seien hier nur Karkamis, Aram-Damaskus und das erst kurz vorher von Omri (882/78 – 871 v.Chr.) gegründete Samaria –, die in kaum zu definierende, vielfältige, aber insgesamt wechselhafte Abhängigkeitsverhältnisse von Assyrien gebracht wurden. Nur während der laufenden Kampagne konnten die Zugänge zu Land und Stadt in Syrien offen gehalten werden.²⁵ Denn in der Fläche ließ sich das Land ohne assyrische Garnisonen, die erst später errichtet und dann durch ein ausgebautes Straßennetz miteinander verbunden wurden, nicht dauerhaft beherrschen. Es ging Salmanassar aber auch gar nicht um die Annektierung Syriens, wie H. Tadmor längst gesehen hat.²⁶ Die Strategie, wie sie in der spezifischen Taktik der Kampagne Gestalt gewinnt, verschaffte dem König im wahrsten Sinne „schweren Tribut“, denn es waren Metalle, Edelmetalle von reinster Qualität oder bereits in Form von Halb- und Fertigprodukten, die nach Kalchu auf mitgeführten Last-
Klengel (1992), 189 f.; 196 – 200 liefert Quellenangaben und historischen Abriss zu den Syrienfeldzügen Salmanassars, Textausgabe ARAB I, S. 200 ff., §578 (zum 21. Jahr). Es ist mehr als ominös, dass sich im Palast des Statthalters von Til Barsip Reste von Wandmalereien erhalten haben; ein Bildrest zeigt „ein wohl unter assyrischer Flagge fahrendes, schwerbewaffnetes phönikisches Kriegsschiff …“ (Hrouda [1991], 348). Alle Städte, die in bronzezeitlich-kanaanitischer Tradition standen, hatten eine Mauer, so hatte auch Jerusalem eine alte Mauer (SO-Hügel = „Davidsstadt“), die, im 8./7. Jh. v.Chr. verlängert, auch den SW-Hügel (= sog. „Zionsberg“) mit umfasste. Die Gesamtbevölkerung in dieser Zeit betrug 6000 bis 8000, so bei Otto (2008), 70 f. Eine Neugründung des Omri (878 – 871 v.Chr.) ist dagegen Samaria. Nur die Palastmauer, nicht die Außenmauer ist bekannt, s. Fritz (1990), 106 ff. Was die ionischen Städte angeht, so ist generell zu sagen, dass Mauern in der griechischen Welt noch nicht zur urbanistischen Grundausstattung einer Stadt gehörten. Vor 700 v.Chr. gab es hier überhaupt keine Stadtmauern, vgl. Lang (1996), 21– 54. Phokaia besaß eine Mauer, die auf jeden Fall vorpersisch ist; zur Stadtmauer Milets s. Cobet (1997), 255 ff. Für Sardes fanden wir in der Forschungsliteratur weder eine Datierung seiner Mauern, noch eine Angabe über die Einwohnerzahl, letzteres trifft, soweit uns bekannt, wohl auch auf Milet zu. Tadmor (1975).
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wagen/-karren verfrachtet und dort eingelagert wurden. Ohne diese Metalle hätte das metallarme Assyrien nie zur Großmacht aufsteigen können. Die Bronzebeschläge dreier Tore aus Holz von je 6 m Höhe, auf die je acht Bronzebleche in getriebener und ziselierter Bearbeitung in Bänderform angenagelt waren und die u. a. Prozessionen von Tributbringern zeigen, fanden sich im Bereich eines Tempels in Imgur-Enlil (heute Balawat, ca. 40 km südöstlich von Mossul).²⁷ Ein Bildausschnitt, der für uns von grundlegender Bedeutung ist, zeigt in einem historischen Relief den König von Tyros, Ittobaal, dessen Namen wir aus der eingeritzten Inschrift erfahren. Zu sehen ist, wie er zusammen mit der Königin vor seiner Stadt stehend die Verschiffung des Tributs von der Insel auf das Festland beobachtet, in dem Augenblick, wo phönikische Prozessionsträger die Boote entladen und das erpresste Gut vor Salmanassar ausbreiten.²⁸ Die Bildgebung macht auf einen Blick deutlich, was sich als Erzählung wohl umständlich gestaltet haben würde. Salmanassar bleibt zwar in Küstennähe, setzt aber nicht auf die Insel über. Keine Soldaten stürmen die Tore und kein Belagerungsgerät ist vor der Stadtmauer aufgefahren, wie uns das auf einem Relief aus Ninive, welches die Eroberung von Lachisch, in der Schefela von Juda gelegen, durch Sanherib (701 v.Chr.) zeigt, vor Augen geführt wird. Das Tyros des Bildes ist dagegen eine Stadt im Frieden, wenn auch eine innere Anspannung nicht zu verkennen ist. Der autokratische assyrische Monarch (šarru) und der als primus inter pares stärker eingebundene Stadtkönig (phön. mlk, ass. maliku, malku) bilden keine wirkliche Bipolarität aus. Die narrativen Elemente geben vielmehr zu verstehen, dass beide Personen keineswegs als gleichberechtigt angesehen werden sollen. Die Fahrtrichtung der Boote und die Laufrichtung der Tributträger führen von Ittobaal weg und weisen auf Salmanassar hin, er ist der Herr. Aber dessen Herrschaft konnte im Falle von Tyros nicht despotisch durchgesetzt werden. Das hat der Künstler ins Visuelle umgesetzt. Der König von Tyros steht vor dem Tor seiner Stadt. Er muss nicht vor Salmanassar III. auf die Knie fallen, wie dieser es den seinerzeit herbeizitierten, tributbringenden König von Israel, Jehu, tun lässt, so dargestellt auf dem sog. Schwarzen Obelisken Salmanassars. Die Stadt Tyros, die in assyrischer Abbreviatur, d. h. zinnenbekrönte Stadtmauer mit obligatorisch eingebundenen, die Mauer überragenden Türmen, wehrhaft ins Bild kommt, weist vielleicht auf den autonomen Status des Staates hin, aber dieser war in Wirklichkeit nur in geschmälerter und prekärer Form zugelassen. Denn äußerer Friede und maßvolle Autonomie konnten immer nur durch die hochwertigsten und allein von Tyros oder Sidon zu erbringenden Tribute erkauft werden. Wir haben es mit einem Bild
Schachner (2007). Abb. bei Markoe (2003), 40.
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zu tun, das eine bestimmte, aber ebenso auch wiederkehrende historische Situation reflektiert. Ein Genrebild ist es allerdings nicht. Das narrative Bild aus Balawat und die plastische Schilderung Herodots ergänzen sich zu einem Panorama: Der Bericht Herodots muss nur um das Motiv einer alljährlichen Tributübergabe ergänzt werden, wie umgekehrt das betreffende Bronzeband den der Tributabgabe voraufgehenden Terror mit ins Bild zu nehmen hätte. Die Kampagnen lohnten sich sowohl für Assyrien als auch für Lydien, und sie mussten sich lohnen, denn nach dem Wert der Tribute bemaß sich der Triumph. Wichtiger war aber wohl der Gesichtspunkt, dass der Rechenschaftsbericht gnädige Akzeptanz von Seiten des eigentlichen Kriegsherrn, des Gottes Assur, finden musste, und diese war nur durch möglichst große Tributeinfuhr garantiert. Darum führt jeder assyrische Feldzugsbericht (Annalen) eine detaillierte Liste der Tribute nach Art und Beschaffenheit penibel auf. Ein treffliches Beispiel für assyrischen Militarismus und dem ihm inhärenten Bürokratismus bietet die Liste der erbeuteten Güter aus dem Tempel des urartäischen Staatsgottes Haldi in Muṣāṣir, einer Landschaft zwischen Urartu und Assyrien gelegen. Wenn man über die Faktizität der berichteten Kampagnen hinauskommen möchte, stößt man auf die Frage, welche Rolle die Syrienfeldzüge für die Entwicklung Assyriens gespielt haben könnten. Wir vermuten, dass Syrien und Phönikien die Starthilfe dafür leisteten, dass Assyrien auf dem Wege von einer Großmacht nun zu einem Großreich aufsteigen konnte, wenn es dies auch erst 100 Jahre später tun wird. Denn mit dem Tod Salmanassar gab es zunächst wieder einmal Wirren, Revolten und unqualifizierte Könige, die Assyrien wieder schwächeln ließen. Nun zu den Lydern. Die Assyrer haben Syrien nur als Objekt rigoroser Ausbeutung gesehen, es ausgeplündert und durch Deportationen demographisch entkernt. Man sollte aber nicht verkennen, dass sie das Straßennetz verbesserten. Natürlich profitierten auch die Lyder von ihren Feldzügen gegen die Ionier. Dennoch ist ein Unterschied festzustellen. Ionien blühte in lydischer Zeit auf, während Syrien am Ende der Assyrer-Zeit ausgebrannt sich selbst überlassen blieb.²⁹
Nordsyrien war für die folgenden Zeiten unter den Babyloniern, Persern und Alexander dem Großen ohne große Bedeutung. Erst unter den Seleukiden wird es dank gewaltiger kolonisatorischer Anstrengungen wieder zur blühenden Landschaft; vgl. Gehrke (2008), 162.
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Der Irrtum Herodots Der von den Assyrern bewirkte Terror bestand darin, dass man den Umfang des Landbesitzes von Tyros absichtlich im Unsicheren beließ. Man konnte das Staatsgebiet von Tyros auf dem Festland nach Belieben verkleinern oder kassieren. Die Lyder konnten bei Milet Entsprechendes tun. Eine sachliche Parallele findet sich in der kunstvollen, aber auch vertrackten Erzählung Herodots über den Jahr für Jahr verübten Terror des Lyderkönigs auf der Milesia, dem Landgebiet Milets. Alyattes hatte sich folgende Strategie ausgedacht: Die Fruchtbäume und Feldfrüchte sollten jedes Mal vernichtet werden, die oikemata ‚Feldscheunen (mit Saatgut und Geräten)‘ sollten dagegen unversehrt bleiben. Und jetzt die ironisch wirkende Begründung: Auf diese Weise werde es den Milesiern möglich sein, auch im folgenden Jahr erneut die Aussaat auszubringen, dies allein zum Zweck, damit die Lyder „jedes Mal“ etwas zu verwüsten hätten (Hdt. 1,17,3). Der Sinn dieser Prozedur erschließt sich leichter, wenn man das assyrisch-phönikische Verhältnis mit der herodoteischen Erzählung parallelisiert. Dem Assyrer ging es nicht um Eroberung und Zerstörung, sondern, wie besonders feinfühlig im DiplomatischPsychologischen die Balawat-Bleche zeigen (s. oben), um das Einsammeln des jährlichen Tributs. Herodot hat den richtigen Text, er denkt nur in die falsche Richtung. Denn aus dem Text geht logisch klar hervor, dass der lydische König jedes Mal Vorsorge traf für den Einmarsch des darauf folgenden Jahres. Das entspricht nicht dem Denken und Tun eines Eroberers.³⁰ Ein solcher würde gnadenlosen Spott ernten, wenn er ein elftes bzw. zwölftes Mal zur Eroberung hätte ansetzen müssen. Einem solchen Feldherrn wäre auch schon längst vorher die Truppe, die ja überall und allgemein das Recht auf Beute für sich in Anspruch nahm, von der Fahne gegangen. Der Sinn der vielen Kampagnen stellt sich aber dann ein, wenn man nachweisen kann, dass jedes Mal Kasse gemacht wurde. Dann war auch ein elftes Mal nicht zu viel. Die Anzahl der Kampagnen assyrischer Könige liegen zwar etwas unter diesem Wert, aber prinzipiell kann Herodots Nachricht als historisch gelten. Zum Abbruch der lydischen Kampagnen kommt es erst, als der lydische König eine Sünde beging. Er hatte billigend in Kauf genommen, dass beim Abbrennen der Felder Flammen auf den Tempel der Athena Assesia übergreifen könnten, was dann auch eintraf, und als daraufhin der König auch noch erkrankte, wurde dem Wahnsinn ein Ende gesetzt, so die Deutung
Der „Archidamische Krieg“ hatte nicht die Eroberung Athens zum Ziel, sondern wollte durch Terror Athen zermürben und so die Kapitulation erzwingen, von Beute und Tribut ist nur am Rande die Rede.
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Herodots. Dass Milet uneinnehmbar gewesen sei, wie er sagt, gibt sich zwar, als sei es ein resümierendes Urteil, das aufgrund der lydischen Kampagnen zustande gekommen sei, in Wirklichkeit beruht es jedoch auf der falschen Annahme, dass die Lyder mit dem Ziel angetreten seien, Milet zu erobern. Herodot hat nicht verstanden, dass es bei der Verwüstung der Gärten und Äcker um ritualisierten Terror ging, dessen Zweck es war, den Tribut abzuschöpfen. Dieser wurde in seiner Höhe vielleicht jährlich neu ausgehandelt, je nach der Größe des angerichteten oder auch nur angedrohten Schadens. Und jetzt wird vielleicht verständlich, warum jedes Jahr das Land wieder für die Zerstörung hergerichtet werden musste. Der Vorwurf, dass hier eine Überzeichnung vorliegt und der Schematismus ein gewisses Maß an Ironie offenbart, trifft nicht den historischen Kern. Der Wille des Alyattes, endlich zu einem Friedensschluss mit Milet zu kommen und den Raubkrieg als Institution abzuschaffen, hatte wahrscheinlich einen ganz anderen Grund als die vermeintliche Einsicht in die Aussichtslosigkeit, Milet jemals erobern zu können.
Der assyrische Zwangsstaat Im Unterschied zu Lydien, dessen Politik aus der quasi-tributpflichtigen Polis Milet bald ein aktives Mitglied des Reiches machen wird, ging Assyrien dazu über, die Daumenschrauben in Phönikien weiter anzuziehen. Mit Tiglat-Pilesar III. (744– 727 v.Chr.), der als erster Phönikien dem assyrischen Reich anschloss, wird die bunte Staatenwelt des assyrischen Reiches durch eine normierte, territoriale Organisationsform ersetzt. Diese ist am besten mit dem Begriff Provinz zu bestimmen.³¹ Provincia meint zunächst einmal den Zuständigkeitsbereich eines römischen Magistraten und davon ausgehend dann ein Territorium, in dem die Herrschaft in der Person des Statthalters in direkter Form ausgeübt wird, gesichert durch Garnisonen und ausgestattet mit dem Recht, Steuern zu erheben. Was die assyrische Provinz vor allem kennzeichnet, ist die Praxis, hier Arbeitskräfte in großer Zahl auszuheben (Dienstleistung ass. ilku, sowie ‚Frondienst für den König‘, dullu ša šarri), die zur Realisierung der riesigen Bauprogramme in den
Mit Tiglat-Pilesar III. wurde die politische Selbständigkeit von Kleinstaaten vor allem des syroanatolischen Raums schrittweise aufgehoben. Die drei Stufen hat Donner (2008), 327 f. herausgearbeitet und vielleicht etwas zu schematisch auf die assyrischen und atl. Berichte appliziert. Eine neue Reichskonzeption geht hervor aus Postgate (2007). Postgate versucht außerdem zu zeigen, dass trotz der vielen Inschriften, der Briefe, der Staatsverträge usw. der eigentliche Willensbildungsprozess für uns im Dunkeln bleibt. Ob man von einem assyrischen Berufsheer bzw. von einem stehenden Heer sprechen kann, ist für Postgate fraglich.
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Provinzen, vor allem jedoch in der māt Aššur, dem Kernland, eingesetzt wurden, wo der Reihe nach immer neue Residenzstädte gebaut wurden. Die Provinzialisierung, von der selbst dieses Kernland nicht ausgenommen war, wurde jetzt konsequent bis zur Linie Tyros – Damaskus und noch weiter südlich bis Samaria (722 v.Chr. zur Provinz gemacht) vorverlegt.³² Nur die phönikischen Staaten bildeten eine Ausnahme; ob man von privilegierter Partnerschaft sprechen kann, ist die Frage. Denn worin diese konkret bestehen könnte, lässt sich begrifflich nicht so leicht klären. Die Phöniker pflegten seit Jahrhunderten enge Verbindungen mit Ägypten. Gerade das aber machte sie in den Augen der Assyrer besonders interessant. Was hatten die Phöniker politisch oder auch kulturell bisher mit Assyrien oder Babylonien zu tun? Das als fremd empfundene, weit entfernte Assyrien auf der einen Seite und das traditionelle Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem nahen Ägypten auf der anderen waren nach Pflicht und Neigung für die Phöniker nicht leicht auszutarieren. Die Assyrer hatten kein Rezept zur Heilung, weil sie kein Konzept für das Problem fanden, wie man mit Staaten von zwitterhaften Status, Staaten also, die weder dem Inneren des Reiches angehörten noch außerhalb des Reiches standen, regulär umgehen sollte. Und wo sind die Grenzen, die das Innen vom Außen scheiden? E. Kornemann hat einmal von den „unsichtbaren Grenzen des römischen Kaiserreiches“³³ gesprochen. Grenzen würden unsichtbar durch die Existenz von Randstaaten, die von eigenen Königen (reges) regiert und (noch) nicht dem Reichskörper als Provinzen einverleibt waren, so Kornemann. In der Gestaltung des Verhältnisses zu den „Randstaaten“ zeigen sich bei den einzelnen Staaten des Alten Orients bemerkenswerte Unterschiede. Die Hethiter entwickelten sensible und kreative Methoden auf dem Felde des Staatsund Völkerrechts. Sie qualifizierten den „Randstaat“ zum Klientel- bzw. zum Gliedstaat (s. Glossar). An diese offenbar dazwischen nie ausgestorbene Tradition Anatoliens knüpften, wie wir sehen werden, die Lyder an, während die Assyrer mit dem Institut der Provinz eine eigenständige Tradition begründeten, aber bald die schmerzliche Erfahrung machen mussten, dass man nicht allen Staaten den Status einer Provinz überstülpen konnte, und so auch nicht den phönikischen. Was die Assyrer in Phönikien zuwege brachten, waren Improvisationen, die darin bestanden, sozusagen einen Notnagel abwechselnd durch einen anderen zu ersetzen. So versuchten sie, Tyros und Sidon gegeneinander auszuspielen, indem Asarhaddon Tyros mit Land beschenkte, das er Sidon bestrafend abnahm. Sidon war vom Vater des Asarhaddon, Sanherib, kurz zuvor noch favorisiert worden, jetzt war es Tyros. Es kam in Sidon zu einem offenen Aufstand, der mit einer
Aufbauend auf Arbeiten von Postgate (1974) Liverani (1988), jetzt auch Radner (2006 – 2008). Kornemann (1943), 323 – 338.
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Deportation geahndet wurde (677 v.Chr.). Asarhaddon vergriff sich jetzt zu Formen direkter Herrschaftskontrolle: Er errichtet eine Zwingburg, die er Kār-Aššuraḫu-iddina („Hafen des Asarhaddon“), nannte, ohne dass aber dadurch langfristig Erfolge zu verzeichnen gewesen wären, eher wird mit dem Gegenteil zu rechnen sein. Derselbe Asarhaddon konnte die Terra ferma aber auch einmal vorübergehend in eine Provinz umwandeln und so dem König von Tyros einen assyrischen Statthalter direkt vor die Nase setzen, und er tat es auch. Ein Konzept existierte nicht. Was man tat, war den Betrieb mit Notverordnungen aufrecht zu erhalten, um ein Maximum an Tributen einzutreiben. Das assyrische Reich expandierte indessen immer noch weiter, allerdings in ungesunder, hitziger Weise, jedenfalls wie wir die Quellen lesen.³⁴ Asarhaddon begann mit der Eroberung Ägyptens (671 v.Chr.), die sein Sohn Assurbanipal zu Ende führen sollte. Den Höhepunkt der gewalttätigen Expansion werten wir als Überdehnung machtpolitischer Möglichkeiten. Denn wann hatte es das je gegeben, dass die beiden alten Stromlandkulturen bei ihrer grundsätzlichen Verschiedenheit in einer Hand vereinigt waren? Hier manifestiert sich aufs deutlichste ein objektiver Strukturfehler, der aus dem Innersten assyrischer Herrschaftsvorstellungen hervorbricht. Es mangelte der assyrischen Herrschaft an Anreizen für die Reichsbevölkerung, die assyrische Sache zur eigenen zu machen. Mit anderen Worten, die starre Vorstellung darüber, dass die assyrische Herrschaft nur direkt und nicht anders auszuüben sei, hat das Gefühl von „Reichsidentität“ bei den Unterworfenen nie aufkommen lassen, und so auch nicht bei den Tyriern. Diese verdankten ihre prekäre Sonderstellung allein der Tatsache, dass sie als Überseespediteure nicht zu ersetzen waren.Wenn auch nicht direkt belegt, so liegt es doch auf der Hand, dass wegen der unerhörten Expansion Assyriens jetzt auch eine Anordnung an die Phöniker erging, das Importvolumen an Rohstoffen aus Spanien noch zu steigern und für den Nachschub der laufenden Ägyptenfeldzüge, der nur über das Meer abgewickelt werden konnte, weitere Schiffe zu stellen. In diesen Kontext ist wohl der Vertrag zwischen Asarhaddon und Baal von Tyros zu sehen, der unter dem Etikett „Handelsvertrag“ läuft. Der schlechte Erhaltungszustand des Dokuments, dem vor allem coll. I und II fehlen, lässt die Annahme zu, dass der sog. Handelsvertrag Bestandteil eines ganz anders stipulierten Vertragswerkes war. In der Forschung werden diametral entgegengesetzte Positionen eingenommen, nämlich sowohl im Sinne größerer Autonomie für Tyros als auch stärkerer Gängelung. Die einzelnen, technischen und juristischen Paragraphen lassen sich so oder so interpretieren, und zwar des-
Eine andere Sichtweise auf die Dinge hat A. Fuchs, in: Wittke/Olshausen/Szydlak (2012), 54: „Zum Zeitpunkt des Todes Assurbanipals … befand sich das Reich in einer günstigeren Lage als je zuvor, …“.
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wegen, weil der Geist nicht auszumachen ist, der das Vertragswerk diktierte. Dass Asarhaddon den tyrischen Stadtkönig ARAD-šu „seinen Diener“ nennt, wirkt vielleicht besonders befremdlich, wenn man von Altanatolien oder gar von Griechenland herkommt.³⁵ Es lässt sich nicht entscheiden, ob der Vertrag die Autonomie von Tyros garantieren und stärken, oder ob deren Untertänigkeit festgeschrieben werden sollte. Baal von Tyros war ein Typ, wie ihn zu dieser Zeit nur eine Stadt wie Tyros hervorbringen konnte. Asarhaddon seinerseits ließ große Stelen setzen; eine wurde in Sam’al/Zincirli gefunden (heute Berlin, Pergamon-Museum). Auf ihr sehen wir den Assyrer-König weit überlebensgroß (H. 3,18 m) und vor ihm in flehender Stellung Baal von Tyros und vor diesem wiederum Taharka von Äthiopien; beide haben nur ein Drittel seiner Größe und werden von ihm an einem Nasenseil gehalten. „Die Stele zeugt von einer selbst in Assyrien ungewöhnlichen Überheblichkeit und Unwahrhaftigkeit. Denn keiner von beiden war je in seine Hand gefallen.“³⁶ Baal von Tyros war in Wirklichkeit auf seinem Posten unersetzlich und deshalb nachsichtig zu behandeln. Das alles war den Tyriern natürlich bewusst, und darum schreckte sie so leicht auch keine assyrische Terrordrohung.Was die Assyrer selbst angeht, so könnte ihre harte Provinzialisierungspolitik, die jede Solidarisierung der Reichsbevölkerung mit dem Kernland verhinderte, dazu beigetragen haben, dass sie schließlich selbst von den Medern – Ummān-manda „Wer kennt diese Leute?“ nannten die Assyrer sie hochmütig – überrannt wurden. Die Eroberung von Ninive 612 v.Chr. muss entsetzlich gewesen sein, aber Mitleid empfand wohl kaum jemand, auch die Tyrier nicht. Im Gegenteil, als die Nachricht vom Fall Ninives, der Stadt der „Heillosen“, in Jerusalem eintraf, rief der Prophet Nahum dazu auf, ein Freudenfest zu feiern (Nah 2,1). Ninives Eroberung und „wie sie genau vor sich ging“, darauf wollte Herodot „in anderen Logoi“ näher eingehen (1,106,2). Wo wir sie finden können, sagt er uns nicht.³⁷ Als dagegen Sardes fiel, hören wir auffällig wenig Jubel aufkommen. Die Stimmung, selbst bei den Ioniern, die in Kroisos ihren Freiheitsberauber sahen, vielleicht bei den Griechen insgesamt, dürfte eher bedrückt gewesen sein, und nicht alle dürften ein reines Gewissen gehabt haben, am wenigsten Delphi, wenn Delphi überhaupt so etwas wie Gewissen (syneidesis) kannte. Wenn Kroisos Kyros „den Meder“ inständig darum bittet, Sardes, die altehrwürdige Stadt (polin arc-
SAA II 5 (= Borger [1956], 107 ff.), col. III 18′, Ü: R. Borger, in: TUAT 1/1– 3 (1982), 158 f. Nach Katzenstein (1997), 259 – 294 habe dieser Vertrag die Handelsfreiheit von Tyros garantiert, ganz anders Moscati (1975), 56; Markoe (2003), 45 f. Besonders hinzuweisen ist auf das Buch von Saur (2008), 107– 181 (ein starker Exkurs über die Geschichte von Tyros); 149 – 153 (zum Vertrag). Ganz traditionell bleibt Röllig (2014). von Soden (1954), 118 – 126 (Kap. 12 „Assarhaddon – Überheblichkeit und Angst“). Die schwierigen, ungelösten Fragen nach den sog. Assyrioi logoi behandelt Heller (2010), 42 ff.
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haien), nicht zur Wüstung zu machen (me anastatous) – und wir fügen hinzu –, wie die Meder es mit Ninive gemacht hatten, dann wird Kroisos nicht allein gestanden haben. Er konnte sich vielmehr mit seiner Bitte mit nicht wenigen Griechen im Geiste verbunden fühlen, besonders hätte er sich mit den Nachgeborenen einig gewusst, die gemerkt hatten, was nach den Lydern kam. Zu diesem Personenkreis zählen wir Herodot (1,155,2).
Die sardisch-milesische Symmachie Wir konnten, wie wir glauben, mit Hilfe des assyrischen Modells³⁸ eine plausiblere Deutung der lydischen Feldzüge gegen Milet aufzeigen. Es waren „öffentliche“ Raubzüge im Interesse des Staates. Lydien war unter Alyattes zur Großmacht aufgestiegen, und dies vor allem wohl dank der Importe, die milesische Schiffsherren aus Ägypten herbeischafften. Ein Teil der Waren, vor allem an Gold, ging als Tribut an die Lyder. Der genaue Betrag wurde wohl erst in Verhandlungen an Ort und Stelle am Tor von Milet festgesetzt, ausschlaggebend für die Höhe dürfte die Effizienz des dosierbaren Terrors gewesen sein. Die jährlichen Kampagnen zum Zwecke der Tributerzwingung wurden ab einem bestimmten Zeitpunkt mit dem Status eines Reiches wohl als unvereinbar empfunden. Mit der Größe des Reiches wuchs das Ansehen des lydischen Herrschers unter den Königen des Alten Orients, und die Aufgaben des Reiches verlangten stetige, verlässliche und wachsende Einkünfte. An der Tributschraube ließ sich nicht länger drehen, der aufgeführte Terror verlor mehr und mehr seinen Schrecken, der Einsatz der Mittel sowie die aufzuwendende Zeit ließen sich nicht mehr beliebig steigern. Eben diesen Weg gingen die Assyrer trotzdem bis ans Ende weiter; sie werden dadurch zum Gegenmodell der lydischen Entwicklung. Alyattes habe sich von einem Gewaltmenschen zu einem sehr besonnenen und äußerst gerechten Herrscher gewandelt, so jedenfalls Nikolaos von Damaskos (FGrHist 90 F64). Ob wir es personalisiert ausdrücken wollen oder lieber etwas sachlicher, dergestalt, dass Lydien zu einem geordneten Rechtsstaat wurde, ist letztlich unerheblich. Alyattes schloss jedenfalls im zwölften Jahr seiner Kampagnen-Strategie einen Staatsvertrag mit Milet, der ein „Kampfbündnis“ (symmachia) stipulierte. Wie es zu dem Umschwung kam, dazu will Herodot eigene Nachforschungen angestellt haben, die sich angeblich auch auf mündliche
Anders und doch ähnlich wie die Assyrer operierten die Babylonier. So soll Nebukadnezar II. wenigstens neunmal in seinen ersten 12 Regierungsjahren nach Syrien gezogen sein, dazu Vanderhooft (2003), 242.
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Quellen aus Delphi und Milet stützen würden. Es fällt auf, dass Herodot sich auch hier wieder nicht auf lydische Quellen beruft. Sein Forschungsbericht (1,20 – 22) ist also wie folgt nachzuzeichnen: Alyattes erkrankte – schon von hethitischen Herrschern hört man häufig, dass sie krank waren –,³⁹ er schickt deshalb nach Delphi, um Auskunft über die Ursache der Krankheit und damit über seine Heilung zu bekommen. Dass Alyattes seine Boten sozusagen ins westliche Ausland schickte, ist nicht ohne Parallele im Hethitischen. Die Heilung, so die Pythia, werde Alyattes solange nicht erhalten, als der abgebrannte Tempel der Athena in Assesos, in der Flur Milets gelegen, nicht wieder aufgebaut sei. Der Bericht Herodots wird archäologisch jetzt insoweit bestätigt, als die Ortslage von H. Lohmann⁴⁰ identifiziert und das Fundament eines (Athena?‐)Tempels von R. Senff freigelegt werden konnte. Mit dem Spruch aus Delphi kommt nun der Tyrann Periander von Korinth ins Spiel, der von der Orakelanfrage des Alyattes und von dem abschlägigen Bescheid an diesen erfahren hatte. Da dieser ein sehr enger Freund des Thrasybulos, des Tyrannen von Milet, war, verriet er diesem, was er gehört hatte, damit dieser vorher wisse und bedenke, was in einer solchen Lage zu tun sei. Thrasybulos, von dem gesagt wird, dass er wusste, was Alyattes tun würde, traf eine listenreiche Vorkehrung. Denn er konnte sich mit Sicherheit ausrechnen, dass Alyattes einen Herold (keryx) schicken würde, der den für den Tempelneubau unabdingbaren Waffenstillstand (spondai) aushandeln musste. Ebenso war er sich auch darüber im Klaren, dass dieser Herold einen zweiten Auftrag bekommen würde, nämlich die Versorgungslage der Stadt auszuspionieren. Und so kam es denn auch. Alyattes schickte – seine persönliche Notlage machte ihn in gewisser Weise zum Bittsteller – den Herold los, der den Wunsch des Königs überbringen sollte, einen Waffenstillstand mit Thrasybulos und den Milesiern herzustellen (Hdt. 1,21,1). Der Waffenstillstand sollte nur für die Zeit gelten, in der der Tempel der Athena wieder aufgebaut werden könne. Danach, so sind spondai definiert, würde der Krieg weitergehen.⁴¹ Dann aber kam die List zur Aufführung. Sie bestand darin, dem Herold vorzutäuschen, man schmause und
Das ist natürlich nicht medizinisch-statistisch gemeint, sondern die Erkrankung eines Herrschers zeigte untrüglich an, dass sein guter Kontakt zu den Göttern gestört war. Da aber der Herrscher mit dem Staat identisch war, bedeutete das zugleich, dass die Götter dem Staat ihre Gunst entzogen hatten. Der Staat war also in akuter Gefahr. Deshalb mussten bei jeder Erkrankung eines Herrschers sofort Orakel eingeholt werden, um den Grund für den göttlichen Zorn herauszufinden, dann zu besänftigen und so den Staat zu retten. Das galt für alle altorientalischen Könige, auch die lydischen, was aus Herodots rationalisierender Darstellung nicht mehr deutlich wird. Lohmann (2004); Senff (2007). Dazu Baltrusch (1994), 99 – 122 (zu den Frühformen der spondai).
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zeche alle Tage nur so aus dem Vollen. In Wirklichkeit nagten die Milesier am Hungertuch.Was der Herold wieder daheim dann dem Alyattes berichtete, war das genaue Gegenteil von dem, was dieser erwartet hatte. Ernüchterung war die Folge. „Wie ich erfahren habe, kam die Versöhnung aus keinem anderen Grund zustande“, urteilt Herodot (1,22,2), und zwar Versöhnung unter der Bedingung, dass sie einander (allelois) sowohl Gastfreunde (xenoi)⁴² als dann auch Bundesgenossen (symmachoi) sein wollten (Hdt. 1,22,4).⁴³ Das Reziprokpronomen alleloisi ‚einander (Bundesgenosse zu sein)‘ impliziert Gleichberechtigung. Diese ist mit dem Anspruch des Königs, Hegemon über symmachoi ‚Mitkämpfer‘ zu sein, zu vereinbaren. War diese Gleichwertigkeit nur formal gedacht? Das trifft sicherlich zu, lässt aber eine andere Ebene ausgeblendet, die in den Blick käme, wenn die Frage gestellt würde, wie die Milesier ihrerseits das neue Verhältnis zum Lyderkönig empfanden. Ziehen wir zum Vergleich die Hethiter heran. In dem Staatsvertrag Tudhalijas IV. mit Šaušgamuwa von Amurru heißt es: „Wir (das sind Leute aus Amurru) sind Klienten aus freien Stücken gewesen (assiiannas ÌR.MEŠ).“⁴⁴ Das war im Falle Milets doch etwas anders, denn kriegerische Handlungen gingen voraus. Dennoch wird man nicht von bloßem Zwang reden wollen. Viele hethitische Quellen, die das vertragliche Verhältnis zwischen dem hethtitischen Reich und den zahlreichen Gliedstaaten beleuchten, fordern von letzteren, aktive Mitverantwortung zu übernehmen für
Gastfreundschaft (xenia) heißt in unserem konkreten Falle, wenn wir besser bezeugte griechische Verhältnisse übertragen: Lyder konnten in Milet, Milesier in Sardes ansässig und in den Bereichen von Handwerk und Handel tätig werden. Das Reziprokpronomen findet sich auch in dem ältesten inschriftlich überlieferten Symmachie-Vertrag zwischen Elis und Heraia, und zwar in der Form „einander (allalois) helfen, sonst und im Krieg“ (StV II 110, Text, Übersetzung und Kommentierung von Baltrusch [1994], 9 ff.) Wirkliche Gleichstellung der Vertragspartner wird nur im paritätischen Vertrag zwischen Ramses II. und Hattusili III. mit dem akkadischen ina berišunu ausgedrückt ‚unter ihnen‘, dem ein stärkeres Reziprokverhältnis zugrunde liegt als dem Griechischen alleloisi. Zum Vertrag selbst Edel (1997), 18, §1 A lk.; 22, §3,7e, dazu im Rahmen der hethitischen Prozessordnung Haase (2003), 149. Das Adverb ina berišunu bzw. ina berini ‚unter uns‘ findet sich dagegen nicht in den „normalen“ Staatsverträgen, wie z. B. in den arzawäischen, dazu Korošec (1931), 34. Hier schlägt die hegemoniale Stellung des Großkönigs und des „Landes Hattusa“ durch. Die assyrischen Verträge kennen keine, auch keine prinzipielle Gleichrangigkeit; die Assyrer denken nicht reziprok, sondern eher reflexiv, auf sich bezogen; ihre Verträge neben den Annalen stehen im Dienst eines aggressiven Imperialismus, bei Hethitern und Griechen ist die Symmachie dagegen eher ein Beistandspakt gegen äußere Bedrohung; letzteres ist aber umstritten. Vergleichbar ist die sog. Hegemonie-Formel in den spartanischen Symmachie-Verträgen des 5. Jh. v.Chr., etwa Hdt. 6,74,1, wo Kleomenes mit dieser Formel die Arkader an sich band, und diese mussten den Eid bei dem Wasser der Styx leisten. KUB XXIII 1+ I 31– 32 (aus der Präambel/Retrospektive).
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den Großkönig und das „Land Hattusa“, und sie lassen andererseits durchblicken, dass manche Könige von Gliedstaaten dem Großkönig nicht nur Dank wussten für ihr politisches Überleben, sondern darüber hinaus fast sogar stolz waren auf ihren Klientelstatus. Was Herodot mit seinem Bericht zu Tage förderte, lässt sich nicht einfach in historische und nichthistorische Töpfe sortieren. Die Geschichte von der List ist natürlich eine Wandererzählung. Periander dagegen ist ganz sicher mit dem historischen Kern dieser Erzählung verbunden. Sein Interesse für Ionien und speziell für Milet ist auch sonst bezeugt. Selbst zu Alyattes unterhielt er persönliche Beziehungen. So soll er diesem einmal junge Männer zugeschickt haben, damit sie in Lydien verschnitten würden (Hdt. 3,48). Es geht uns generell um Fragen der Historizität, aber jetzt auch um die Frage, was an Altanatolischem sich dem herodoteischen Forschungsbericht abgewinnen lässt. Gehört der sardische Herold (keryx) zur höheren Beamtenschaft am Hof in Sardes? Was hat es mit Erweiterung durch apostolos ‚Abgesandter‘ auf sich (Hdt. 1,21,1)? Er ist kein gewöhnlicher angelos ‚Bote‘ (Hdt. 1,20), noch weniger ist er aber mit dem nāgir ēkalli ‚Palastherold‘ am assyrischen Hof zu vergleichen, der im Eponymat den dritten oder vierten Rang nach dem König einnahm, was ihn zur Statthalterschaft in den wichtigsten Provinzen berechtigte.⁴⁵ In den Kabinettslisten Davids (2 Sam 8,16 – 18; 20,23 – 26) und Salomos (1 Kön 4,2– 6) sowie im AT insgesamt kommt der Herold als Institution gar nicht vor. Für Troia werden kerykes ‚Herolde‘ im Plural erwähnt (Il. 3,245), aber während diese ein namenloses Kollektiv bilden, das für kultische Belange zuständig zu sein scheint,⁴⁶ ist der keryx Idaios mit hohen staatlichen Aufgaben betraut (Il. 7,276). Zudem muss er in einem besonderen Nahverhältnis zu Priamos gestanden haben, sonst wäre er nicht der hohen Ehre teilhaftig geworden, dessen Wagenlenker zu sein (Il. 24,325).⁴⁷ Dem lydischen
Siehe die Eponymen-Liste bei Forrer (1920), 7 f. Griechisch *kāruk-, der Vorläufer von ionisch-attisch kēryx, stammt von dem gleichen indogermanischen Wort *kārHú- ab wie auch altindisch kāru-. Letzteres bezeichnet den priesterlichen Sänger, was der erwähnten religiösen Funktion bei Homer nahekommt. Andererseits schickt zum Beispiel in einem Lied des indischen Rigveda (3,33) ein wandernder Stamm einen kāru- voraus, damit dieser für den Stamm einen ungehinderten Übergang über einen Fluss aushandelt, also nach Art eines Herolds. Die Herolde der Indogermanen waren eben noch die Priester gewesen. Dies erklärt die vielfältige Rolle von keryx in der Ilias. Wéry (1979). Dass Idaios in seiner Funktion als Wagenlenker beschrieben wird, schließt nicht aus, dass Homer auch den Titel „Wagenlenker“ für einen hohen Diplomaten am Hofe eines luwischen Staates kannte, s. folgende Anm.
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keryx, der in äußerst wichtiger Mission unterwegs ist, muss man den Rang eines Botschafters zuerkennen.⁴⁸
Spondai – Waffenstillstandsabmachungen bei Homer Herodot beschreibt die Aufeinanderfolge der einzelnen völkerrechtlichen Schritte sehr genau. So musste vor dem Symmachie-Vertrag der Freundschaftsvertrag stehen, vor diesem wiederum war als erstes ein Waffenstillstand zwischen Sardes und Milet auszuhandeln (Hdt. 1,21,1). Der älteste Waffenstillstandsvertrag in den griechischen Quellen findet sich im dritten Gesang der Ilias, der Troer-AchaierVertrag.⁴⁹ Sowohl der „Vertragstext“ als auch die den Vertragsschluss begleitenden Zeremonien werden nicht nur präzise, sondern auch vollständig dem Hörer des dritten Gesangs dargeboten.⁵⁰ Im letzten Kriegsjahr kamen die vor Troia kämpfenden Kriegsparteien überein, einen Kampf auf Leben und Tod zwischen Menelaos und Paris auszurichten; sein Ausgang sollte kriegsentscheidend sein. Die feindlichen Heere mussten zu diesem Zweck ihre Waffen beiseitelegen und gehörig auseinanderrücken. Denn in dem Zwischenraum sollte der Zweikampf, gr. monomachia ‚Einzelkampf‘, ausgerichtet werden.⁵¹ Es geht natürlich nicht darum,
In Hattusa heißt allgemein der Wagenlenker LÚKARTAPPU, der LÚKARTAPPU LÚ.SAG ist dagegen als der ‚Vorrangige‘ (heth. hantilis) deutlich abgehoben. Dieser kann aufsteigen zum Kreis der ‚Großen‘ LÚ.MEŠ GAL (akk. rabûtu). Diese gehören zur engsten Umgebung des Königs, dazu Starke (1996). Bei dem „Wagenlenker“ (hieroglyphen-luwisch zalalassa/i‐), der als Reiter in einer Reiterschlacht teilnimmt, die der Großkönig von Tabal, Wasusarma, austrägt, dürfte es sich ebenfalls um den Inhaber wohl des höchsten Hofamtes handeln; Text bei Hawkins (2000), I/2, X.12 TOPADA, 452 f. (zwischen 732– 729 v.Chr.). Der älteste Vertrag (nach StV II 101) wurde zwischen Ioniern und Aiolern (vor 700 v.Chr.) geschlossen. Er regelt die Bedingungen für eine Übergabe der aiolischen Stadt Smyrna an die Ionier (Hdt. 1,150), gehört also zu den spondai. Der Vertrag fällt in eine Zeit, als Samaria erobert wird (722) und Sanheribs Heer vor Jerusalem steht (701). Hom. Il. 3,94 (Präambel); 276 – 280 (Anrufung der Eidgötter); 281– 291 (Vertragsbestimmungen); soweit der „Vertragstext“; dazwischen geschoben die Zeremonien: 103 – 107; 292– 294 (Eidopfer) sowie 295 – 297 (Ritualhandlung) und schließlich der „Vertragstext“; abschließend 298 – 301 (zeremonieller Fluch). Auch in der Geschichte von David und Goliat geht es um einen Zweikampf (1 Sam 17, aus der sog. Aufstiegsgeschichte Davids: 1 Sam 16 – 2 Sam 5,7– 8). Goliat tritt in die Mitte zwischen beide Schlachtreihen und ruft zum Heerbann Sauls hinüber, einen Mann auszuwählen, der mit ihm kämpfen solle. Er nennt auch die Vertragsbestimmungen, aber natürlich werden keine Eidgötter angerufen. Goliat hatte „seinen Gott“ (17,43) und David beruft sich auf den „Herrn der Heerscharen“ (17,45), auch wird keine diesbezügliche Ritualhandlung vollzogen. Dergleichen ließ die deuteronomische Überarbeitung nicht zu. Denn selbst für den strengen Deuteronomisten sollte
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ob Alyattes die Ilias kannte, sondern um die Frage, ob dieses Vertragsformular dem Alyattes vertraut war, und nicht nur das, sondern ob es auch von ihm formgerecht praktiziert wurde. Um dies nachzuweisen, gehen wir noch weiter zurück in der Geschichte Anatoliens und kommen zum sog. Treueid bzw. Soldateneid, den ausländische Truppenführer, die in hethitischem Dienst standen, auf den König zu leisten hatten (Anf. 14. Jh. v.Chr.).⁵² Diese hethitischen Treueide weisen mit dem „Vertragstext“ der Ilias neben Ähnlichkeit in der Struktur ein gemeinsames, distinktives Element auf: Sie haben beide zeremonielle Flüche (Hom. Il. 3,298 – 301). Der zeremonielle Fluch, den beide Parteien, Achaier und Troer, gemeinsam sprechen, lautet: Zeus, Ruhmvollster! Größter! Und ihr anderen unsterblichen Götter! Welche von beiden als erste gegen die Eide Schaden verüben, So soll ihnen das Hirn zu Boden fließen, wie dieser Wein, Ihnen selbst und den Kindern, … (Il. 3,298 – 301; die begleitende Ritualhandlung Il. 3,295 – 297).
Der zeremonielle Fluch stammt aus prähistorischen Zeiten, als Bestandteil von Vertragsurkunden ist er eine Erfindung der Hethiter. Er erscheint auch in deren früheren Staatsverträgen, aber nicht mehr in den späteren. Jahrhunderte sollten vergehen, bis er danach für uns wieder schriftlich fassbar wird. Das früheste Zeugnis aus dem 1. Jt. (1. Hälfte 8. Jh. v.Chr.) eines Staatsvertrags mit zeremoniellen Fluch, dem sog. Analogiezauber, stammt aus dem aramäischen Raum. Mit dem Dynasten von Arpad (nordöstlich von Halab/Aleppo), namens Mati‛-Il, schloss ein gewisser Bar-Ga’ja von KTK einen Vertrag, der auf einer Stele aus Sefire erhalten ist.⁵³ Die Ausgangslage ist also folgende: Im Westen haben wir den TroerAchaier-Vertrag in Homers Ilias und im Süd-Osten den Aramäervertrag. Zu diesen beiden Zeugen kann sich ein dritter „Textzeuge“ gesellen, weil er ebenfalls zeremonielle Flüche hat, aber er ist ein Treueid und er ist beträchtlich jünger, gemeint ist die adê-Vereidigung auf die Thronfolgeregelung Asarhaddons von 672 v.Chr.⁵⁴ Gibt es für alle drei „Textzeugen“ eine gemeinsame Vorlage? Was sich sagen lässt, ist vielleicht so viel, dass man theoretisch den Archetypus in das späthethische,
das Königtum Davids als einziges unbeschadet bleiben. Er durfte als Sieger nicht mit Praktiken des Heidentums, wie es Rituale und Flüche waren, in Verbindung gebracht werden. KUB XXVI 41(+) (Eid der Ismerikäer), dazu Kempinski/Košak (1969); zu den Eiden der KaskäerVerträge s. von Schuler (1965), 109 – 112; 117– 124. Zu den zeremoniellen Flüchen, auch „Analogieriten“ genannt, s. Oettinger (1976; 2011). KAI 1,2 no. 222– 224 (Text; Komm. u. Übers.); jetzt auch O. Rössler, in: TUAT I/2 (1983), 178 – 189. Editio princeps von Wiseman (1958), dazu Rez. Borger (1961). SAA II no. 2; 6, hier nicht mehr Vassal Treaty, sondern Succession Treaty genannt.
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dann aramaisierte Milieu des syro-anatolischen Raumes ansetzt, am ehesten in Karkamis, denn Karkamis pflegte noch die hethitischen Großreichstraditionen in lebendiger Kontinuität. Das spätbronzezeitliche Karkamis ist archäologisch weitgehend noch nicht ausgegraben, weil es wegen der Nähe der syrischen Grenze bis vor kurzem in militärischem Sperrgebiet lag. Die Auffindung des Archivs könnte dazu führen, dass die vorderorientalische Geschichte dieser Zeit umgeschrieben werden müsste. Karkamis war dann in der Frühen Eisenzeit die politische und kulturelle Führungsmacht der späthethitischen Welt. Die Stadt hatte Kontakte zu fast zu allen Staaten des Alten Orients. Zu nennen sind hier nur die aramäischen Stammesstaaten, ferner Assyrien und indirekt, über die luwischen Staaten, wie etwa Hama am Oberen Orontes, auch Samaria und Jerusalem.⁵⁵ Karkamis unterhielt auch Beziehungen zu Urartu, Phönikien, Ägypten und nicht zuletzt zu Staaten und Kulturen in Kleinasien, deren Bewohner Phrygisch und „Mysisch“ (d. h. Lydisch) sprächen. An Sprachen wisse er zwölf, an Schriften beherrsche er vier, neben den luwischen Hieroglyphen die phönizische und aramäische Alphabetschrift sowie die assyrische Keilschrift, er sei in diplomatischen Missionen viel unterwegs gewesen, sein Namen habe einen guten Ruf in Ägypten und Urartu sowie bei Phrygern und Lydern. Die Rede ist von Jariri aus Karkamis.⁵⁶ Aber zurück zu den Verträgen. Man muss auf jeden Fall in Erwägung ziehen, dass Homer ein solches Vertragsabschlussverfahren, wie es im syroanatolischen Raum üblich war, kannte. Dass die spondai, wie Homer sie vorführt, aus Anatolien stammen, legen die Eidgötter nahe, die zum Vertragsschluss als Zeugen angerufen werden: Zeus vom Ida, Gaia und Helios. Das sind jedenfalls nicht die gängigen Eidgötter Griechenlands, wie man längst gesehen hat.⁵⁷ Helios ist in Anatolien prominent, in Griechenland kaum existent. Die spondai waren an keine politisch-soziale Ordnung gebunden, konnten also auch in die griechischen Gemeindestaaten (poleis) übernommen werden. Von Westanatolien aus breiteten sich die spondai mitsamt dem ganzen Vertragsabschlussverfahren über Griechenland aus, wo es dauerhaft und unverändert wirksam blieb bis in die Zeit Herodots und auch noch darüber hinaus.⁵⁸ Es fällt erst jetzt auf, dass der Iliasdichter, dessen begrenztes Thema der Rachekrieg selbst und nicht die Nach-
Singer (2006a). Karkamis erlebte seit dem 13. Jh. v.Chr. einen Zuzug von Menschen aus Zentralanatolien. Mit dem Begriff māt Ḫatti sei nach dem Untergang von Hattusa jetzt Karkamis gemeint. Die immer größer werdende Zahl aufgedeckter Parallelen zwischen Hethitern und Israeliten, die vor allem H.A. Hoffner zu danken sind, ließen sich allerdings fast nur an Quellen der hethitischen Großreichszeit dokumentieren. KARKAMIS A 15b, dazu Starke (1997). Ziebarth (1905), 2077 ff. Letzteres wurde schon von E. Baltrusch (1994), 107 vertreten.
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kriegsordnung ist, von den oben genannten völkerrechtlichen Schritten („Instituten“) nur die spondai, nicht aber die symmachia zu kennen scheint; zumindest benutzt er weder das Wort symmachia/symmachos, noch bringt er deren Inhalt zur Darstellung. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass die homerische Welt ein noch weitgehend intaktes Gefolgschaftswesen aufweist. Sappho hingegen (um 600 v.Chr.) benutzt das Wort, und zwar bittet sie die Göttin Aphrodite, beim Gewinnen der Liebe eines Mädchens ihr symmachos zu sein. Wir können vermuten, dass durch die Lyder eine reichstaatliche Diplomatie, die für uns in Westanatolien zuletzt in den Nachfolgestaten von Arzawa bis ca. 1200/1100 v.Chr. greifbar geworden war, wieder aufgenommen worden ist. Die Idee der Symmachie könnte, wie zu zeigen sein wird, dann von Lydien aus weiter nach Griechenland gewandert, aber hier zunächst nur von den größten und ambitioniertesten Stadtstaaten, zuerst von Sparta, dann von Athen und anderen poleis, in wesentlichen Punkten übernommen und verwirklicht worden sein.
Wird die Bedeutung Assyriens überschätzt? Wir haben zuletzt eine Arbeitshypothese erstellt, die darin besteht, die für den Aufbau des Lyderreiches entscheidenden Vertragsinstitute aus dem altanatolischen Horizont herzuleiten. Vorher ist aber die Meinung, Assyrien sei in dieser Sache der eigentliche Impulsgeber gewesen, als unwahrscheinlich zu erweisen. Eine besondere Hochschätzung Assyriens, die zur Überschätzung zu werden droht, ist ausgerechnet bei den Alttestamentlern zu finden; sie haben Assyrien in ihrer Vorstellung zu einer Primär-Kultur aufgebaut, die voller origineller, innovativer Ideen gedacht wird. Die Assyrer hätten sich durch eine gewisse impulsgebende, ja provozierende Kraft ausgezeichnet, die auf den Gebieten sowohl von Macht und Herrschaft als auch von Religion deutliche Irritationen und Reaktionen in der vorderorientalischen Staatenwelt hervorgerufen habe. Unbestritten bleibt ihr Verdienst um die Historiographie; aus bescheidenen Anfängen wurden die Annalen geschaffen, die Modellcharakter für alle späteren Kulturen haben sollten. Die heute häufig geäußerte Meinung, dass Assyrien eine wegweisende geistige und theologische Bereicherung und Herausforderung für Israel gewesen sei, ist dagegen skeptisch zu beurteilen. Es ist vielleicht nicht ohne Bedeutung für Religion und Theologie Assyriens, wenn man den Staatsgott Assur einmal von der Tatsache her in den Blick nimmt, dass kein genuin assyrischer Mythos, kein Epos ihn verlebendigt oder gar vermenschlicht, kein persönliches Gebet an Assur sich fand. Der Hymnos des Assurbanipal auf den Gott Assur schleppt, wie die akkadischen Hymnen allgemein, in seiner „übermäßigen Traditionsgebundenheit“ längst „überholte theologische Konstruktionen“ mit sich herum, so dass sich die
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Hymnen allgemein von den aus dem „Glauben schöpfenden dichterischen Gestaltungen“ der meisten Psalmen sehr zu ihrem Nachteil unterscheiden, so A. Falkenstein/W. von Soden.⁵⁹ Wenn H. Donner von der „assyrischen Krise der israelitischen Religion“⁶⁰ spricht und damit „das Einströmen assyrischer Kulte und Kultobjekte nach Jerusalem und Juda“⁶¹ meint, so ist etwas Wichtiges und Folgenreiches angesprochen, aber doch nicht das, was wir in der Tat etwas undifferenziert mit Kulturaustausch meinen. Wie stark Assyriens Rolle eingeschätzt wird, zeigt allein die Tatsache, dass noch in den jüngsten Arbeiten zum AT das „assyrische Zeitalter“ (8./7. Jh. v.Chr.) einen der Hauptgliederungspunkte abgibt, und zwar sowohl für eine „Geschichte des Volkes Israels“ von H. Donner (2008) als auch für eine „Literaturgeschichte des Alten Testaments“ von K. Schmid (2014). Dass diese Art zu gliedern, über bloße Konvention hinausgeht, lässt sich schön an folgendem Beispiel demonstrieren. So steht seit jüngerer Zeit⁶² der Bundesschluss im 5. Buch Mose, dem Deuteronomium, im Zentrum der atl. Forschung. Es wurde bislang als die wichtigste Quelle für die Religionsgeschichte Israels herangezogen. Die Kenntnisse über die Religion der Kulturen in den Nachbarstaaten Israels, wie z. B. Moab, haben nicht nur die Vorstellung erschüttert, es ließe sich eine spezielle und isolierte Theologie des AT auch heute noch vertreten,⁶³ sondern sie haben darüber hinaus auch die Historizität der im Deuteronomium geforderten Praxis für die frühe Zeit Israels in Zweifel gezogen. Dtn 5 – 28 ist die Tora Israels im eigentlichen Sinn des Wortes; ihr Forderungskatalog ist folgender: Kulteinheit und Kultreinheit, an der Spitze aber das Bekenntnis aus dem šemaˁyıśrāel „Höre, Israel!“ (Dtn 6,4– 9): Der einzige Herr ist Jahweh, sowie das Gebot, den Herrn zu lieben. Damit war Israel auf dem Weg zur Ausformung eines konsequenten Monotheismus. Das ist nicht vor der Perserzeit geschehen. Den Abschluss aber nun des thematischen Teils der Tora bildet eine ganze Litanei von Flüchen (Dtn 28).⁶⁴ Diese Litanei, so die heutige Forschung, sei nur durch direkte Kenntnis der Thronfolgeregelung des
Zu einem Hymnos des Assurbanipal auf Assur, in dem dieser als ausgesprochener Kriegsgott gesehen wird, s. Falkenstein/von Soden (1953), 56; 254 ff., Komm. 384– 388. Ein Gebet an Assur als Bauinschrift Sargons II. ebd. 281 f., Komm. 390. Das Gebet spricht der Tempel selbst, der für seinen Erbauer bei Assur Fürsprache einlegt. Donner (2008), 361– 370. Donner (2008), 364. Steymans (1995). Etwas schwächer in seiner Berechtigung fällt inzwischen die Kritik an Werken mit dem Titel „Griechische Religion“ aus. Allerdings findet sich kein zeremonieller Fluch. Eben diesen alle Sinne in den Bann ziehenden Fluch kennt aber, neben einfachen Flüchen, unser Vertrag zur Thronfolgeregelung.
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assyrischen Königs Asarhaddons von 672 v.Chr. denkbar. Die Thronfolgeregelung sei ein zentraler Text der theologisch und religiös unterbauten assyrischen Reichsideologie. Die Großen des Reiches, zu ihnen habe sehr wahrscheinlich auch Manasse, der König von Juda (696 – 642 v.Chr.), gehört, hätten einen Eid auf diesen Text ablegen müssen, der sie zur absoluten Loyalität gegenüber dem assyrischen König und seinem designierten Nachfolger verpflichtete. Das Deuteronomium rezipiere formal diesen Akt, sei aber von dessen Autoren dahingehend abgeändert worden, dass der Loyalitätseid nun nicht mehr auf den assyrischen König Asarhaddon, sondern demonstrativ auf Jahweh, als dem wirklichen König, abzulegen sei. Damit sei der Machtanspruch des assyrischen Königs konterkariert, und dem assyrischen Staat sei von Seiten Israels die „Säkularisation“ angekündigt worden.⁶⁵ Das ist immerhin eine in sich stimmige, plausible und theologisch interessante Rekonstruktion, die aber deshalb noch nicht historisch richtig sein muss. Die Assyrer haben auf dem Gebiet des Völkerrechts wenig Eigenständiges geleistet und, wenn man einmal von der Begabung absieht, endlose Flüche in ihren Staatsverträgen zu erfinden, kaum Neues initiiert.⁶⁶ Warum ausgerechnet das Thema Gottesliebe, welches bereits die zentrale Botschaft des Propheten Hosea (8. Jh. v.Chr.) ausmachte, auf Anregungen der assyrischen Thronfolgeregelung ihre Aufnahme im Deuteronomium gefunden haben soll, ist nicht recht einzusehen. Sollte denn die Botschaft des Propheten nicht mächtiger auf den Autor/die Autoren des Deuternomiums eingewirkt haben als die in sozusagen fiebriger Atmosphäre von Hofpropheten und Hofschreibern inspirierte und verfasste Königsideologie, mit ihrer wahnwitzigen Forderung, dass jeder Reichsangehörige den assyrischen König bzw. dessen Kronprinzen ebenso zu lieben habe wie sich selbst? Aber das ist noch nicht der eigentliche Punkt. Einwände sind folgende: Sind Texte vielleicht gegenüber dem gesprochenen Wort als allzu dominant im Denken der Alttestamentler verankert? E. Otto spricht denn auch von einem „Rezeptionsverhältnis“, welches zwischen beiden Texten bestehe, und versteht darunter das Verhältnis von Original und Übersetzung; auf dieser habe der König von Israel seinen Loyalitätseid abgelegt.⁶⁷ Als der judäische Autor des Deuteronomiums an die Arbeit ging, lag der Treueid auf Asarhaddon 50 bis 60 Jahre
So Otto (2007), 126 – 133, der neben Dtn 28 noch Dtn 13 hinzufügt. Zur Gattung allgemein s. Starke (1995). Im Wesentlichen Otto zustimmend, aber auch auf israelitisches Traditionsgut im Dtn hinweisend Schmid (2014), 73 – 108, bes. 104 ff. Zwar haben wir Hinweise auf fast 50 Vertragsabschlüsse Assyriens mit seinen Nachbarstaaten (9.–7. Jh. v.Chr.), aber davon ist nur ein gutes Dutzend so weit erhalten, dass eine formale und inhaltliche Beurteilung möglich ist. Soll dieses gute Dutzend nicht repräsentativ sein? Otto (2007), 345.
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zurück und das assyrische Reich war gewissermaßen zu einer flackernden Kerze geworden, wenn diese nicht schon ausgeblasen war. Der völlig überspannte Asarhaddon, den die Orakel ständig mit „König, fürchte dich nicht!“⁶⁸ anzureden pflegten, erscheint nur uns so bedeutsam, wohl weil seine Dokumente und Briefe in großer Zahl auf uns gekommen sind, nicht zuletzt dank seines Sohnes, der sie in seiner neuen Bibliothek aufgehoben wissen wollte.⁶⁹ Ganz abgesehen von der Frage, ob Dtn 28 die Bundestheologie Israels vollgültig wiedergibt, stellen sich noch zwei schwerwiegende Einwände ein: Wenn dieses Kapitel eine Übersetzung der Flüche des assyrischen Originals wäre, hätte der Übersetzer dann nicht auch den zeremoniellen Fluch mit übersetzen müssen, wie ihn Asarhaddons Treueid bietet? Und zweitens gilt es festzuhalten, dass der assyrische Treueid keine Segenswünsche, sondern nur Flüche bot. Dagegen hat Dtn 28 außer Flüchen auch Segenswünsche, was beides auch schon der hethitische Staatsvertrag kannte. Die starre Fixierung allein auf Assyrien lässt leicht vergessen, dass das ganze vorderorientalische Umfeld für Entlehnungen in Frage kommt, und dass die Tontafel mit dem Treueid nach alter, auf J.G. Droysen basierender historiographischer Tradition als „Überrest“ (E. Bernheim)⁷⁰ zu kategorisieren wäre, also ein Zufallsfund ist. Und weiter, dass sich Entlehnungen auch und nicht zuletzt im mündlichen Austausch ereignet haben können, einem Austausch, der sich für uns nur sehr schwer an Orte und Zeiten binden und fixieren lässt.⁷¹ Selbstverständlich ist uns M.I. Finleys methodische Bemerkung im Gedächtnis gegenwärtig, dass die bloße Postulierung von mündlicher Überlieferung als allzu bequemer Ausweg benutzt wurde, Lücken, wie sie etwa das Aussetzen von schriftlicher Überlieferung gerissen hat, kurzerhand zu überspringen. Tauchen solche Lücken auf, sollte man ehrlicherweise sagen: Was darin stand, „das wissen wir nicht.“⁷² Wir meinen
Weippert (2002). Von den ca. 2300 Briefen aus neuassyrischer Zeit stammen die meisten aus Ninive und hier von den letzten zwei oder drei Königen. Zur Qualität assyrischer Historiographie hat Cancik (1976) das Nötige in aller Deutlichkeit gesagt, und bislang hat man ihm nicht widersprochen, im Gegenteil. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Fuchs (2009), der von einer „Teleskop-Perspektive“ spricht: Nur der König kommt in den Blick, sonst fast nichts, abgesehen von den Topoi, wie etwa die panische Flucht der Feinde, dafür aber viele Zitate aus dem Gilgamesch-Epos. Bernheim (1908), der auf J.G. Droysen fußt, der allerdings unseren assyrischen Vertrag nicht so streng zu den „Überresten“, sondern zu einer mittleren Kategorie, den sog. „Denkmälern“ zählen würde, die zwischen „Überresten“ und „Quellen“ (bzw. „Tradition“ nach Bernheim) angesiedelt wird (Droysen [1977], 37– 84). Heute scheint man sich für die Dichotomie von „Überrest“ und „Tradition“ Bernheims entschieden zu haben, vgl. von Brandt (2007), 56 – 63. Koch (2008) bietet eine kurzen und verständlichen Überblick über die Forschungsdiskussion zu einem auch Griechenland berührenden Thema. Finley (1987), 16 ff.
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aber auch berücksichtigen zu müssen, dass der Raum, in dem griechische Quellen der klassischen Zeit sowie römische Zeugnisse der späten Republik/der frühen Kaiserzeit – auf sie stützt sich Finley für seinen Methodensatz – die Überlieferungsgeschichte bilden, in seiner revolutionären Dynamik zu unterscheiden ist von den vorderorientalischen Verhältnissen. Diese sind im Ganzen doch wohl stabiler und statischer, so dass sich hier Lücken etwas schadloser und risikoloser überspringen lassen. Freilich ist uns klar, dass das Verhältnis von mündlich zu schriftlich in Griechenland und Rom einerseits und im Vorderen Orient andererseits unterschiedlich zu bestimmen ist, dergestalt, dass im Vorderen Orient, solange die Keilschrift herrschte, der Drang zur schriftlichen Dokumentation auf haltbarem Material sehr viel stärker ausgeprägt war als etwa im archaischen Griechenland. Letzteres führt zu dem Schluss, dass, wenn die Schriftlichkeit im Vorderen Orient diesen Stellenwert gehabt haben sollte, dann doch auch hier wie in der Klassischen Philologie die Frage drängend wird, ob und warum die schriftliche Überlieferung ausgefallen sein könnte. Was trägt das über Assyrien Gesagte aber nun für Lydien und Ionien bei? Gab es hier wie in Israel ebenfalls eine „assyrische Krise“? Die „assyrische Krise“ besteht für die Lyder in der Enttäuschung darüber, dass sich Assurbanipal den Lydern als betörender Rhetoriker präsentierte – kein Wunder, belesen, wie er war, in Wirklichkeit aber, was Anatolien angeht, den schönen Worten keine ebensolchen Taten folgen ließ. Wenn schon ein direkter Kulturaustausch Israels mit Assyrien auf dem Gebiet des Bundesschlusses keineswegs als erwiesen gelten kann, wird man für den Bundesschluss Lydiens mit Milet erst recht kein assyrisches Vorbild postulieren. Dafür sprechen chronologische Gründe, wenn sich auch die alttestamentliche Forschung nicht auf eine absolute Chronologie verpflichten lässt. Man wird sagen dürfen, dass ungefähr zur selben Zeit, als Sardes und Milet den Vertrag schlossen, der Bundesschluss Jahwehs mit Israel zum inhaltlichen Zentrum des Deuteronomiums geworden ist. Die Geschichte unter den Mermnaden, die gut 150 Jahre (von ca. 700 – 540 v.Chr.) dauerte, lässt sich nicht unter das assyrische bzw. babylonische Zeitalter rubrizieren. Begründet die lydische Geschichte aber deshalb auch schon eine eigene Epoche?
Der hethitische Staatsvertrag bei Lydern und Griechen und der Gott Appaliunas E. Baltrusch ist nur kurz auf den lydischen Vertrag mit Milet eingegangen, von dem Herodot nur Teile der Überschrift bietet, die Zentralbegriffe xenia und symmachia (Hdt. 1,22,3). Baltrusch ging es darum, die Grundlagen und Voraussetzungen aufzuzeigen, die einem Bündnisvertrag in Griechenland vorauszugehen
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hatten. Zuerst musste der Kriegszustand beendet werden, xenia/philia „Gastfreundschaft“ sei „gewissermaßen das Minimum völkerrechtlichen Verkehrs“ gewesen. Erst auf dieser Grundlage konnte ein Vertrag über ein Bündnis, das, wie der griechische Begriff symmachia sagt, ein Kampfbündnis war, geschlossen werden.⁷³ E. Baltrusch hat zwar erkannt, dass die frühesten Verträge in Westanatolien anzusetzen sind, aber er stellt sich nicht die Frage, warum gerade hier. Im Wortlaut erhaltene Symmachie-Verträge des 6. Jh. v.Chr. gibt es allerdings nur auf dem griechischen Festland. Als der älteste wird heute allgemein der Vertrag zwischen den Eleern (aus Elis) und Heräern (aus Heraia) angesehen. Er ist auf einer Bronzetafel aus Olympia eingraviert und dürfte auf ca. 550/500 v.Chr. zu datieren sein, könnte also noch in die Zeit des Kroisos fallen.⁷⁴ Wie kann nun der auffällige Tatbestand erklärt werden, dass kein griechischer Symmachie-Vertrag vor 550 v.Chr. datiert werden kann?⁷⁵ Ein Strukturvergleich des Elis-Vertrages mit einem lydischen Vertrag ist nicht möglich, weil sich weder die lydische Version noch die griechische, die es gegeben haben muss, im Wortlaut erhalten hat. Archive haben sich weder in Sardes noch in anderen Gebieten altanatolischer Tradition wie Karkamis erhalten.⁷⁶ Eine Möglichkeit, hier weiter zu kommen, liegt in dem Vergleich mit der altanatolischen Situation des 2. Jt., nämlich den hethitischen Staatsverträgen, von denen ca. 40 teilweise gut erhaltene Beispiele aus der Zeit vom 15. bis zum 13. Jh. v.Chr. erhalten sind. G. Nenci (1981) hat schon in diese Richtung gedacht und die These aufgestellt, dass die griechische Vertragspraxis mit der hethitischen zu verknüpfen sei. Der Frage ernsthaft nachgegangen, wie Griechen noch an hethitische Errungenschaften herangekommen sein könnten, ist seitdem aber niemand. Vorweg ist Baltrusch (1994), 7 f. GHI 17 = StV II Nr. 110, vgl. Baltrusch (1994), 9 ff. Baltrusch datiert nach 572, GHI (MeiggsLewis) auf ca. 500 v.Chr. Das soll nicht heißen, dass es in Elis vorher keine zwischenstaatlichen Absprachen gegeben hätte. Sie waren deshalb wohl weit weniger stereotyp, kategorial und blockhaft ausgeprägt, weil sie mündlich zu Gehör gebracht wurden. Darauf weist das erste Wort des Vertrages hin: frátra = rhetra von ero, ‚sagen, sprechen‘. Patzek (2015), 91. Um 730 v.Chr. gibt es nur wenige Weihe- und Grabinschriften. Die Alphabetschrift löste keine Revolution der Alphabetisierung aus. Griechenland blieb wohl für lange Zeit überwiegend auf mündlichen Austausch beschränkt und das Schreiben von Briefen einer späteren Zeit vorbehalten. In Archiven pflegte man Tontafeln zu deponieren, und sie haben überdauert, so in Assyrien und Urartu(?). Leicht verderbliche bzw. kostbare Schriftträger, aus Holz/Wachs sowie die wiederverwendbaren Bleistreifen oder Bronzebleche, überdauerten die Zeiten nur in Ausnahmefällen. Die luwischen Staaten des 1. Jt. v.Chr. und auch Sardes benutzten aber weder Keilschrift noch Tontafel und hatten nicht das Glück, dass ihre Schriftträger überlebten. Während die Lyder die Schrift schon früh von den Griechen übernahmen, scheint die Technik der griechischen StelenEpigraphik erst nach dem Ende des lydischen Reiches dort übernommen worden zu sein.
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zu sagen, dass die jüngeren unter den hethitischen Staatsverträgen keine zeremoniellen Flüche aufweisen, ebenso wenig tun das die griechischen.⁷⁷ Das ist eine wichtige Beobachtung, denn darin unterscheiden sie sich von den zwei schon genannten – insgesamt sind es drei – aramäisch-assyrischen Verträgen.⁷⁸ Beginnen wir aber mit dem hethitischen Staatsvertrag.⁷⁹ Alle Staatsverträge sind, obwohl auf den ganz individuellen Fall ausgestellt, paradoxerweise in ihrer Struktur im Wesentlichen gleich aufgebaut. Sie bedienen sich einer diplomatischen Fachsprache, die in ihrer Formelhaftigkeit die Rekonstruktion eines selbst nur in Spuren erhaltenen Staatsvertrages in Grenzen erlaubt. Unseren Zwecken dienlich ist speziell ein Vertrag, der Westanatolien betrifft, einigermaßen gut erhalten ist und in den letzten Jahren einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat, nämlich derjenige zwischen dem hethitischen Großkönig Muwatalli und dem Herrscher Alaksandu von Wilusa/Troia (bald nach 1290 v.Chr.);⁸⁰ er hat einen Umfang von umgerechnet etwas mehr als fünf Teubner-Seiten. Die griechischen Verträge kommen dagegen mit einer halben Teubner-Seite aus. Das mag darin seinen Grund haben, dass der Abschluss eines griechischen Vertrages vor den zuständigen Polisinstitutionen stattfand, der Vertrag also kurz und bündig sein musste. Dazu kommt die für Griechen typische Wortverknappung, ferner waren selbst in dieser Zeit der entwickelten Polis die Verhältnisse noch überschaubar und einfach, bedurften also nicht juristisch verklausulierter Bestimmungen, und schließlich spielte die Art der Publikation eine Rolle. Weil in Griechenland alles öffentlich zu sein hatte, wurden die Bronzetäfelchen, etwa in Olympia, an Tempel und Gebäuden angenagelt und durften deshalb nicht allzu groß sein. Der hethitische Vertrag wurde dagegen nach festen Bestimmungen, die einen eigenen Paragraphen im Vertragstext forderten, im Haupttempel des Wettergottes in ei-
Dabei kennen wir sehr wohl zeremonielle Flüche aus dieser Zeit, so eine Abschrift eines 630 v.Chr. anzusetzenden Originals aus Kyrene, der sog. Siedler-Eid: GHI 5, Z. 38 – 51. Als dritter Vertrag: Assur-niraris Vertrag mit Mati‛-Il von Arpad (Mitte 8. Jh. v.Chr.), Ü: R. Borger, in: TUAT I/2 (1983), 155 ff. Die beiden anderen Verträge s. oben. Im Hethitischen heiß der Vertrag ishiul, dazu Korošec (1931), 21– 35, bes. 30 f. zur Parallelität mit lat. lex. Die Idee des Staatsvertrags wanderte von den Hethitern über Karkemis zu den Aramäern, die ihn unter dem Namen adȇ an die Assyrer weitergaben. Diese machten daraus „Treueide“ (F. Starke). Vgl. Friedrich (1930), 80 f. Eine kritische Ausgabe aller Westanatolien betreffenden Staatsverträge wäre auch von Seiten der Alten Geschichte dringend erwünscht. Eine Hilfe ist Beckman (1999), 69 – 93, no. 10 – 13, wo die bilateralen Verträge zwischen Hattusa und den vier Königen der „arzawäischen“ Länder in Übersetzung und sachlicher Kommentierung geboten werden.
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nem nicht öffentlichen Archiv niedergelegt, konnte sich also detaillierter in seinen Stipulationen entfalten.⁸¹ Im Alaksandu-Vertrag wird gesagt (Punkt 1): „Folgendermaßen … Muwatalli, Großkönig, König des Landes Hattusa …“.⁸² Mit dieser Formel ist die Präambel auch schon beendet, und sogleich beginnt der hethitische Großkönig damit (Punkt 2), die gemeinsame Geschichte bis zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu erzählen, und zwar jetzt in der ersten Person Singular. Die Präambel unseres griechischen Vertrages lautet: „Der Vertrag (fratra) zwischen den Eleern und den Heräern“. Hier ist jedenfalls auf den ersten Blick keine Entsprechung zu erkennen. Eine historische Retrospektive fehlt bei den griechischen Staatsverträgen des 6.–5. Jh. v.Chr. grundsätzlich. In Kleinasien dagegen tauchen, und das ist nun wirklich erstaunlich, um ca. 250 v.Chr. in einem Vertrag zwischen Smyrna und Magnesia am Sipylos alle längst verschollen geglaubten Elemente eines hethitischen Vertrages dann plötzlich wieder auf, und so auch eine ausführliche historische Retrospektive.⁸³ Das gibt unserer allgemeinen These, dass eine sozusagen im Boden verwahrte spätbronzezeitliche Tradition in lydischer Zeit oder noch viel später plötzlich wieder auferstehen kann, eine deutliche Bestätigung. Die Erwähnung eines weiteren lydischen Vertragsabschlusses, diesmal zwischen Kroisos und Sparta, ist endlich einmal daraufhin zu befragen, wie ein solcher Vertrag stipuliert und wie er im diplomatischen Verkehr ausgeführt worden sein könnte. Ohne Veränderung des Standpunktes weg von hin zu Sardes wird es bei dem Urteil „unhistorisch“ bleiben. Von diesem Vertrag nun besitzen wir gleichsam einen mündlich vorgetragenen Vertragsvorentwurf. Denn die Boten sagten in Sparta: „Uns schickt Kroisos, der Lyder … König. Er lässt euch dieses sagen: …“ (Hdt. 1,69). Fast ebenso übergangslos wie im Hethitischen geben die Boten dann die ihnen aufgetragenen Worte des Kroisos wieder, und wieder in der
„Da verlangte mein Vater nochmals nach der Vertragstafel (wohl aus dem Archiv)…Und nachdem man ihnen die Tafel vorgelesen hatte, sprach mein Vater daraufhin folgendermaßen zu ihnen: ‚Seit ältester Zeit sind Hattusa und Ägypten untereinander befreundet gewesen.‘“ (KBo 14.12, Taten Suppiluliumas I. col. IV 26 – 28. Ü: nach F. Starke. Dem Vertrag ging also eine große historische Retrospektive voraus. Vertrag Muwatallis mit Alaksandu von Wilusa, Ü: F. Starke, in: Latacz (2001), 133 – 139. Die hethitischen königlichen Edikte und Briefe pflegen mit der graphisch akkadisch gestalteten Formel „umma NN šarru rabû“, die, wie wir heute wissen, hethitisch gelesen wurde, zu beginnen. Dazu Güterbock (1983). Petzl (1987), 7 f.: So werden neben der Retrospektive und den Vertragsbestimmungen (= Punkt 3 des heth. Vertrages) die Eidgötter Zeus, Erde und Sonne angerufen (= Punkt 4 des heth. Vertrages) und Fluch- und Segensformeln gesprochen (= Punkt 5 des heth.Vertrages). Die genannten Eidgötter sind nicht die Eidgötter Griechenlands, vgl. Ziebarth (1905), 2077 ff., sondern Westanatoliens, wo der Vertrag geschlossen wurde.
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1. Pers.Sg.: „Ich habe gehört, dass ihr in Griechenland …“.Wie Muwatalli, gestützt auf sein Archiv, das Verhältnis zwischen Hattusa und Troia über 400 Jahre und mehr bis zu dem Punkt zurückverfolgen konnte, wo er sich eingestehen musste: „Jedoch kenne ich, da doch das Ereignis lange zurückliegt, keinen König …“ (§2 C col. I 3 – 4), hatte auch Kroisos zuvor genaue Auskünfte über Sparta eingeholt, wie wir aus Herodots berühmten Exkurs zur archaischen Geschichte Spartas wissen (Hdt. 1,65 – 68). Kroisos zog aus der Geschichte Spartas folgenden Schluss: Die Spartaner sind die stärkste Militärmacht in Hellas, um dann sagen zu können: „Ich fordere euch auf, meiner Absicht zu entsprechen, euer Freund und Bundesgenosse (symmachos) zu werden.“⁸⁴ Die Spartaner freuten sich und bekräftigten das Bündnis mit Eiden (horkia).⁸⁵ Es ist nur eine Vermutung, dass die sardischen Gesandten schriftliche Vertragsvorlagen bei sich führten, als sie nach Sparta kamen. Daneben gab es noch andere Formen diplomatischen Umgangs, wie sie etwa unter Einsatz von Dolmetschern zelebriert werden konnten. Wie man einen Vertrag aushandelt, welches Formular dazu benutzt wurde, all das wird seinen Eindruck nicht verfehlt haben, zunächst auf der Peloponnes, so in Elis mit seinem panhellenischen Heiligtum von Olympia und besonders in Sparta, das schon bald darauf (ca. 550 v.Chr.) selbst einen Vertrag mit Tegea schloss, der als Gründungsurkunde des Peloponnesischen Bundes gelten kann. Kommen wir zu Punkt 3 des Alaksandu-Vertrages: den Allianzbestimmungen. Kooperation wird gefordert: a) auf dem nichtmilitärischen Sektor, besonders auf dem Gebiet der Nachrichtendienste. So war bereits bei bloßem Verdacht auf eine Empörung dem Großkönig Meldung zu machen; Wegschauen und Gewährenlassen galt als Treuebruch. Kooperation ist sodann b) für den militärischen Bereich festgeschrieben: Fußvolk und Streitwagengespanne sind unverzüglich aufzubieten, wenn der Einsatzbefehl kommt, und zwar für Kämpfe im Nahbereich, sodann im Kerngebiet von Hattusa, schließlich an den Reichsgrenzen und sogar jenseits von ihnen, wenn es gegen Ägypten, Mitanni oder Assyrien gehen sollte (§14 A col.
Wir haben etwas weniger bittstellerisch übersetzt als die gängigen Übersetzungen, ohne die in der Tat etwas demütige Haltung des Kroisos vor Spartas Macht zu ignorieren, an die er sich aufgrund eines Götterspruchs wandte. Man fühlt sich an Gyges’ Unterwürfigkeit Assurbanipal gegenüber (s. oben) erinnert. Kroisos habe mit seiner um Hilfe nachsuchenden Haltung „östliche Denkmuster nach Griechenland hinein(ge)tragen“, urteilt Baltrusch (1994), 32 f. Anm. 160. Was konkret gemeint ist, wird nicht richtig deutlich, geht aber ungefähr in unsere Richtung. Hdt. 1,69,3. Mit horkion/horkia ‚Eid‘ kann entweder ein wesentlicher Bestandteil des Symmachie-vertrages gemeint sein, wie hier, oder der Eid steht pars pro toto für den ganzen Vertrag, so in Hdt. 1,77,1 (Symmachie des Kroisos mit Ägypten). Beachtung verdient der Satz, dass Kroisos mit Amasis schon früher ein Bündnis geschlossen habe, vor dem mit den Spartanern (Hdt. 1,77,2).
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III 3 – 15).⁸⁶ Kurz gesagt, Kooperation ist verlangt, und zwar eigenständig, ohne Aufforderung, nämlich immer dann, wenn es, das lässt sich am besten griechisch sagen, um eudaimonia, also um das Wohlergehen des gesamten Reiches, geht.⁸⁷ Wer sich nicht mit Rat und Tat einsetzt, der begeht vor den Eidgöttern Treuebruch, zur Strafe sollen „die Eidgötter ihn unablässig hetzen!“ Im Elis-Heraia-Vertrag ist ebenfalls die doppelte Kooperationsbereitschaft verlangt, allerdings in äußerster Verknappung gesagt: „Wenn irgendetwas nötig ist, sei es ein Wort, sei es eine Tat, sollen sie einander helfen, sonst und im Kriege.“ Wenn sie das nicht tun, so lautet der Sanktionsparagraph, sollen die Vertragsbrecher mit einer Geldbuße, die dem Olympischen Zeus zu entrichten wäre, bestraft werden. Was nun Punkt 4 (§20 A col. IV 1– 30) im Alaksandu-Vertrag angeht: Anrufung der göttlichen Zeugen, so hat dieser Punkt im griechischen Vertrag der archaischen und klassischen Zeit keine Entsprechung, obwohl wir von Eidschwüren immer wieder hören. Schließlich bilden ausführliche Fluch- und Segensformel den Punkt 5 (§21 A col. IV 31– 46). In unser griechischen Inschrift heißt es dagegen: „Der hier aufgezeichnete Fluch (epiaron)⁸⁸ möge den treffen, der diese Urkunde beschädigt.“ Hier hat sich die Androhung göttlicher Strafe auf den Fall der Beschädigung des Dokuments selbst verlagert, weil dies in nach-keilschriftlichen Kulturen eine Gefahr darstellte. Beim Alaksandu-Vertrag ist dagegen der letzte Punkt speziell auf die Archive des Palastes hin berechnet, wie sie die Spätbronzezeit für die Tontafel ausgebildet hatte. Dieser Paragraph fand deswegen im Griechischen keine Entsprechung, denn nach der Epoche der Keilschrift gab es für lange Zeit keine Archive mehr. Fazit: Der erste Eindruck ist zunächst wenig ermutigend. Der gewaltige Unterschied im Textumfang löst schon rein optisch starke Bedenken gegen jede Art des Vergleichs aus. Die Reihenfolge der Paragraphen ist zudem teilweise gegeneinander verschoben, einige Paragraphen bleiben überhaupt ohne Entsprechung. Nun aber die Gegenrechnung! Was stark ins Gewicht fällt, ist die auffällige Tatsache, dass der griechische Vertrag von Anfang an und, sozusagen aus dem Stand Hier klingt die sog. Hegemonie-Klausel spartanischer Verträge des 6./5. Jh. v.Chr. an: „Die (symmachoi) sollen folgen, wohin auch immer die Lakedaimonier führen …“. Denn Sparta ist der Hegemon. Das gleiche meint unser hethitischer Vertrag (§19 A col. III 73 – 75): „Dieser Wortlaut beruht indes nicht auf Gegenseitigkeit; er geht vom Lande Hattusa aus!“ Der Vertrag gibt denn auch Anweisungen, in welchen Arealen im Bündnisfall das Bundesgenossenheer von Wilusa in Bereitstellung zu gehen habe. Das können die „Inneren Länder“ oder die „Auswärtigen Länder“ sein oder auch Regionen jenseits der Reichsgrenzen. Genau das ist auch die eudaimonia des Kroisos, die er in der berühmten disputatio mit Solon von Athen in Sardes (Hdt. 1,29 – 33) entweder nicht hat erläutern können oder die jedenfalls Herodot nicht überliefert (s. Teil 4). Latte (1920), 66 ff. übersetzt mit „Fluch“, Baltrusch (1994), 10 bleibt bei „Buße“.
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heraus, ein klar gegliedertes Formular zeigt, das kaum in Elis erfunden worden sein dürfte. Ferner enthält die erste Vertragsbestimmung des Eleer-Vertrages eine Befristung auf 100 Jahre, was nichts anderes bedeutet, als dass die Heräer für immer an Elis gebunden bleiben sollten. Denn die Tatsache einer Zahlangabe trägt der Tatsache Rechnung, dass griechische Symmachie-Verträge, vom Ursprung her gedacht, grundsätzlich befristet sind, aber die Symbolzahl 100 macht ebenso unmissverständlich klar, dass sie als auf ewige Zeiten gültig gedacht waren. Der Eleer-Vertrag begründete, was ihm nicht leicht zu entnehmen ist, aber aus anderen Quellen und Überlegungen erschlossen werden kann, ein nicht paritätisches Bündnis, was zwar nicht formal juristisch sofort erkennbar, aber von der konkreten Machtlage her gesehen unbedingt gefordert ist. Was die Dauer angeht, findet sich im Alaksandu-Vertrag zwar kein eigener Paragraph, gleichwohl ist mit Sicherheit auszuschließen, dass eine Befristung ausgesprochen oder intendiert war. Denn das umfassende Anliegen dieses Vertrages ist die Einschärfung unbedingter Treue. Aber nicht nur Alaksandu war zur Treue verpflichtet, sondern Muwatalli nennt auch dessen Nachkommen und sagt mehrmals: „So halte du, Alaksandu, der Majestät die Treue und entsprechend sollen auch deine Söhne, Enkel und Urenkel den Söhnen der Majestät, den Enkeln und Urenkeln…die Treue halten!“ (§7 B col. II 5 – 14). Treue, die zeitlich befristet gewesen wäre, ist ebenso undenkbar, wie eine zeitlich terminierte Freundschaft; das liefe im Prinzip auf den Tatbestand einer kalkulierbaren Treueverweigerung hinaus, und auch die xenia/philia ‚Gastfreundschaft‘ mit Alyattes duldete sie sicher nicht. Alyattes hat in seinem Vertrag mit Milet das ältere, rein monarchische Vertragsinstitut nun aber dahingehend abgeändert, dass er eine Polis, d. h. eine Republik, unter Vertrag nahm, allerdings diese im Verein mit dem Tyrannen Thrasybulos als direktem Ansprechpartner, was den Übergang von Verträgen generell mit Polisstaaten erleichtert haben dürfte. Die Leistung dessen, der den griechischen Symmachie-Vertrag geschaffen hat, ist allein darin zu sehen, dass er diese altanatolische Einrichtung jetzt auf zwei autonome Poleis ausrichtete, und er so in seiner personalen Struktur noch weiter abgeschwächt wurde, wodurch er sachlicher und zweckgerichteter erschien.⁸⁹ Als am interessantesten könnte sich die Beistandsformel im Eleer-HeräerVertrag herausstellen, wo es heißt: Sie sollen einander beistehen, „sonst und im Krieg“. Dieser unscheinbare Satzteil hat seine Entsprechung in der weit entfalteten, doppelten Kooperationsforderung des Alaksandu-Vertrages, nämlich Be Von Treueiden verbündeter (besser: untertäniger) Poleis auf eine Führungsmacht hören wir nur aus dem Bereich des Attisch-Delischen-Seebundes; Athen hat den Symmachie-Gedanken missbraucht und damit die völkerrechtliche Ordnung verletzt; aus dem Geist der Gegenseitigkeit, sei der Ungeist der Untertänigkeit entstanden, dazu Baltrusch (1994), 89; 93 f.
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reitschaft zu zeigen, einmal um für die äußere Sicherheit zu kämpfen und zum anderen Sorge zu tragen für das Wohlergehen des Gesamtreiches. Was ist nun mit dieser methodisch komplizierten Operation für den Symmachie-Vertrag des Alyattes gewonnen? Gestützt auf eine Hypothese, dass die hethitische Vertragspraxis sich bei den Lydern fortgesetzt hat, und jetzt weiterhin auf die Annahme, dass der griechische Symmachie-Vertrag in der Nachfolge des lydischen Vertrages steht, versuchten wir, noch mehr über das Formular des lydischen Symmachie-Vertrages herauszufinden. Die hethitischen Verträge sind in vielen Abschriften meistens auf Tontafeln erhalten, nur ein hethitisches Original ist durch glückliche Umstände auf uns gekommen, und zwar eine Bronzetafel, eine rechteckige Platte von 35 zu 23,5 cm Kantenlänge, deren Gewicht 5 kg beträgt.⁹⁰ Was durch die eingehängte Kette etwas monströs erscheinen mag, wird bei näherem Studium ausgeglichen von der Bedeutung dieses Dokuments, das Zeugnis ablegt für den sensus historicus der Hethiter. Hethitische Vertragstexte waren auf Metall, sehr wichtige Staatsverträge sogar auf Silbertafeln eingraviert. Unser griechischer Vertrag hat sich auch ausgerechnet auf einem Bronzetäfelchen erhalten. Es liegt von daher nahe, auch für das lydische Vertragswesen Metall als Beschreibstoff anzunehmen, umso mehr, als ja nun Ton als Beschreibstoff ausgeschieden war. Dass die Lyder generell Metall zu bearbeiten verstanden, beweisen ihre Münzprägungen. Vertragssprachen waren wohl Lydisch und Griechisch; ionisches Griechisch war zu dieser Zeit an der anatolischen Westküste sicher bereits Verkehrssprache. Schwieriger ist es, die Präambel bzw. Überschrift für einen lydischen Vertrag zu rekonstruieren. Die Präambel gehört wesentlich zum hethitischen Staatsvertrag. Der Vertrag mit Milet war jedenfalls kein paritätischer. Ein solcher ist uns auch aus Griechenland im 6./5. Jh. v.Chr. nicht bekannt, und von den vielen hethitischen Verträgen geben sich überhaupt nur zwei als paritätisch zu erkennen, so der 1259 v.Chr. zwischen Hattusili III. und Ramses II., dem Pharao von Ägypten (1273 – 1250 v.Chr.), geschlossene.⁹¹ Nun ein wichtiger
„Am Sonntag, dem 20. Juli 1986, konnte P. Neve den überraschenden, erstmaligen Fund einer Metalltafel verbuchen“, schreibt Otten (1989), 7; Publikation: Otten (1988). Die Tafel mitsamt ihrer schweren Kette befand sich dann eine Zeit lang in Mainz. Es war ein unvergesslicher Eindruck, dieses schwere, mit Kette versehene Stück in der Hand zu halten. Edel (1997); Ü: E. Edel, in: TUAT I 2 (1982– 1985), 135– 153. Der Vertrag ist datiert 1259 v.Chr. Der Text Hattusilis III. liegt nur in ägyptisch-hieroglyphischer Übersetzung aus dem Babylonischen vor, und zwar auf einer Stele im Tempel von Karnak-Theben sowie des Ramesseums in der Totenstadt von Theben. Der Text des Ramses ist in babylonischer Fassung, d. h. auf Tontafeln aus Boğazköy, auf uns gekommen. Er ist ganz dem hethitischen Formular nachgebildet, allerdings mit bemerkenswerten Ausnahmen. Denn die völkerrechtlichen Vorstellungen Ägyptens waren völlig anders, dazu Zaccagnini (1990), 51– 54. Den zweiten, allerdings sehr viel früheren und vielleicht
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Punkt: Die frühen Verträge Griechenlands, also des 6. und 5. Jh. v.Chr., wurden nicht zwischen Monarchen geschlossen, sieht man einmal von dem KroisosSparta-Vertrag ab. Wir neigen deshalb der Formel zu, wie wir sie im AlaksanduVertrag kennenlernten; entsprechend umgebildet könnte sie etwa so gelautet haben: „Folgendermaßen Alyattes, König, König der Lyder, König über viele Völker, König (oder tyrannos) von Sardes.“ Nach der Präambel muss, jedenfalls in der griechischen Version, sogleich der Begriff symmachia gestanden haben als erste und wichtigste Vertragsbestimmung. Ein denkbarer Einwand wäre, Herodot habe nur noch vom Hörensagen gewusst, dass vor langer Zeit und nach langem Krieg einmal Friede, Freundschaft und ein Bündnis geschlossen wurde, und da habe es für ihn nahe gelegen, das zu seiner Zeit gebräuchliche Formular eines griechischen Staatsvertrages, wohl als Präambel, den Terminus technicus symmachia einzusetzen. Dem lässt sich aber nun entgegnen, dass von Alyattes berichtet wird, er habe mit einer weiteren Stadt ein Bündnis geschlossen, nämlich Freundschaft und „Kampfgenossenschaft“ (philian kai symmachian) mit Kolophon. Die Nachricht hat sich erhalten bei späten, aber von Herodot unabhängigen Autoren, nämlich Phylarchos (3. Jh. v.Chr.; FGrHist 81 F66 aus Athen. 12,31,526a) und Polyainos (2. Jh. n.Chr.; 7,2,2).⁹² Wir wissen nicht, wie die Vertragsbestimmungen lauteten, dürfen aber vermuten, dass der Bereitstellungsraum die Hermos-Ebene war. Eines scheint sicher zu sein, eine, wenn auch nur de iure zeitliche Befristung, wie sie prinzipiell die Griechen praktizierten, kannten die lydischen Symmachie-Verträge nicht. Wäre das der Fall gewesen, hätte der Lyder-König seine monarchische Stellung in einem Großreich auf Dauer nicht behaupten können.⁹³ Dann wurden die Vertragsbestimmungen beschworen. Zu diesem Zweck rief, um wieder die Hethiter zum Vergleich heranzuziehen, der Großkönig „die tausend Götter des Hethiterlandes“ – in Wirklichkeit waren es mehr – zu Eidzeugen an. Von den Göttern des Landes Wilusa auf der Gegenseite wird der in seiner Deutung umstrittene, in Anatolien sonst nicht bezeugte Gott Appaliuna- angerufen, der an den griechischen Gott Apollon erinnert. Sehen wir uns diesen Gott, der bei der umstrittenen Frage nach der Historizität des homerischen Troia eine Rolle spielt, näher an.
den überhaupt ältesten, ebenfalls paritätischen Staatsvertrag schloss Tudhalija I. (ca. 1420 – 1400 v.Chr.) mit Sunassura von Kizzuwatna (= Kilikia Pedias; s. Teil 6). Bowra (1970), 109 – 121 („Xenophanes on the luxury of Colophon“). Baltrusch (2008), 41 ff. führt zu Recht die hegemoniale Stellung Spartas (im 6. u. 5. Jh. v.Chr.) auf dieses völkerrechtliche Institut zurück und setzt davon den reichsähnlichen Aufbau des Delisch-Attischen Seebundes ab. Die Athener hätten die Symmachie zu einem reinen Unterwerfungsvertrag gemacht. Sie haben sozusagen gegen den Geist verstoßen, der ihnen mitgegeben war.
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Der Göttername Apollon, dessen dialektale Varianten auf eine ursprüngliche griechische Lautung *Apeli̭ōn weisen, ist im Mykenischen nicht sicher belegt, da die Dativform [A]-pe-rjo-n[e] ‚dem Apellon(?)‘ umstritten ist.⁹⁴ Indirekte Argumente dafür, dass der Gott dennoch dem Mykenischen angehörte, bilden aber nicht nur die Tatsache, dass sowohl seine Schwester Artemis als auch seine Mutter Leto (Lato) im Mykenischen belegt sind, sondern vor allem der bereits erwähnte Gott Appaliuna im hethitischen Staatsvertrag mit Wilusa. Auch wenn der Name hinter einer Lücke steht, so dass theoretisch vor dem anlautenden A- noch ein Konsonant gestanden haben könnte, so ist doch in Anbetracht der Länge der beiden Namen Appaliuna und Apollon die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Ähnlichkeit nicht auf Zufall beruht, sehr hoch. Deshalb rechnen auch alle Forscher aus dem Bereich der Vergleichenden Sprachwissenschaft, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, hier mit Verwandtschaft.⁹⁵ Dazu kommt, dass Apollon bei Homer eindeutig als der göttliche Beschützer von Troia agiert.⁹⁶ Die Verwandtschaft der Namen Apollon und Appaliuna ist also eine sehr wahrscheinliche Tatsache. Ferner spricht alles dafür, dass der mit dem Suffix -aabgeleitete Stamm Appaliun-a- gegenüber dem n-Stamm Apollon sekundär ist und somit die Troianer den Götternamen von Griechen der mykenischen Zeit übernommen haben.⁹⁷ Der Gott wäre dann ebenso aus Griechenland entlehnt worden wie der Name des Fürsten Alaksandu von Wilusa (vgl. Alexandros [Paris] von Ilios bei Homer).⁹⁸ Diese Entlehnung muss spätestens im frühen 13. Jh. v.Chr. geschehen sein. Was die Herkunft des Namens Apollon, dorisch Apellon, betrifft, so gibt es dazu eine große Anzahl von Theorien. Viele davon schreiben dem Namen griechische Herkunft zu, doch ist keine wirklich überzeugend⁹⁹. Am meisten akzeptiert ist unter ihnen heute die Verbindung mit dorisch apellai ‚Versammlungen‘ im Sinne von W. Burkert.¹⁰⁰ Ihr zufolge wäre der Name des Gottes erst im dorischen Dialekt entstanden und würde bedeuten: ‚der zur Versammlung ge-
Vgl. bei Aura Jorro (1985 – 1993), 113. Diskussion bei Lebrun/Raimond (2015), 87. Hier stimmen alle Indogermanisten überein; vgl. u. a. Beekes (2003); Watkins (1995), 149; García Ramón (2011), 37, Egetmeyer (2007); Yakubovich (2010), 121 f.; Blažek (2017). Dies wird auch von Graf (2009), 136 nicht bestritten. So auch Egetmeyer (2007) in seinem sehr reichhaltigen und informativen Aufsatz. Dagegen hält Beekes (2003) die Form Appaliunas gegenüber gr. Apollon für primär. Zur Stellung des Namens im Kontext der Sprache der Troianer s. Teil 2.1. Natürlich muss es sich bei beiden Fürsten nicht um die gleiche Person handeln, sondern z. B. um Großvater und Enkel, aber auch das bleibt ganz unsicher. Vgl. Oettinger (2015); die Ergebnisse werden hier in kürzerer Form wiedergegeben. Burkert (1975); Graf (2009), 138. Vorsichtiger ist García Ramón (2013), 98: „It must remain open at this point whether this god (sc. Apollon) is truly Greek or whether he has in fact come from the Near East“.
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hörige (Gott)‘. Falls apellai ‚Volksversammlung‘ zu apelaunomai ‚ich breche auf‘ gehören sollte, dann wäre *Apeli̯ōn ursprünglich der Führer der ausziehenden Jungmannschaft gewesen. Formal ist diese Erklärung möglich und semantisch eine von vielen möglichen. Gegen die Herleitung aus apellai spricht aber nicht nur das frühe Auftreten Apollons im nicht-dorischen Zypern, auf das Burkert selbst hingewiesen hat, sondern auch die besondere Verehrung der aus Leto, Artemis und Apollon bestehenden Götterfamilie in Westkleinasien, die, rein inhaltlich betrachtet, für westkleinasiatische Herkunft zu sprechen scheint. In der lykischen Inschrift TL 26 Z. 3 hat D. Schürr in plausibler Weise die Wortfolge se-Iprehi s[e-j Ertemi] ergänzt und im Sinne von ‚dem Apollon und der Artemis‘ interpretiert.¹⁰¹ Etymologisch entspricht Iprehi (genauer: Iprehe/i‐), hier Name des Apollon, dem keilschrift-luwischen Wort immrassa/i-, das wörtlich ‚zum freien Feld gehörig‘ bedeutet.¹⁰² Im Hieroglyphen-Luwischen der Großreichszeit gibt es eine ideographische Verbindung, die nach J.D. Hawkins als lautliches [immrassis Kruntii̭as] ‚zur Wildflur gehöriger Hirschgott/Schutzgott‘ zu interpretieren ist.¹⁰³ Ferner wird in einer hethitischen Bildbeschreibung der luwische Schutzgott der Wildflur, graphisch DLAMMA.LÍL, so charakterisiert: „Das Götterbild (ist) ein Rundbild eines Mannes (aus) Gold, stehend, behelmt, in der rechten Hand hält er einen Bogen (aus) Gold, in der linken Hand hält er einen Adler (aus Gold) und einen Hasen (aus) Gold … Auf einem Hirsch (aus) Gold als Gestell steht er.“¹⁰⁴ Dieses Immrassis, verkürzt aus immrassis K(u)runtii̭as, dürfte auch der Ursprung von lykisch. Iprehi sein. Somit war die Entsprechung Apollons in Lykien und Karien (Iprehi bzw. Iβ(a)rsiś) vermutlich ein jagender, also mit dem Bogen schießender Hirschgott und Herr der Wildtiere, was zum bogenschießenden Apollon der Ilias und dem Beinamen iocheaira ‚Pfeile in der Hand haltend‘ seiner Schwester Artemis, deren Symboltier ja ebenfalls der Hirsch ist, passt. Diese Funktion Apollons als Bogenschütze und Herr der Wildtiere dürfte daher ursprünglich sein. Daher sei folgende Erklärung vorgeschlagen: Wo familiäre Beziehungen zwischen Göttern bestehen, sind diese in der Überlieferung meist relativ stabil. Dies hat anlässlich anderer, indogermanischer Gottheiten G. Dunkel (1988 – 1990) erkannt. So ist zum Beispiel das aus indogermanischer Zeit ererbte junge göttliche Brüderpaar sowohl in der Mythologie Griechenlands (Dioskuren) als auch Indiens (Aśvinau) ein Zwillingspaar. Dieses Zwillingspaar führt dem Mythos nach die
Schürr (2006), 122 ff. Freundlicher Hinweis von F. Starke. Im Karischen, also ebenfalls in Westanatolien, entspricht der theophore Personenname Nom.Sg. Iβ(a)rsiś (gr. Imbrasis, Imbarsis) bei Adiego (2007), 366; 255, was die Deutung des lykischen Namens bestätigt. Hawkins (2004). von Brandenstein (1943), 15 (Vs. col. II 1– 6).
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Tochter des Sonnengottes auf seinem Wagen fort, was in Indien und Lettland überliefert ist. Ebenso wird die junge, lächelnde Liebesgöttin in Griechenland und Indien „Tochter des Himmelsgottes“ genannt.¹⁰⁵ Die Vorstellung von solchen Verwandtschaftsbeziehungen der gemeinsamen indogermanischen Zeit hat sich also zwei bzw., im Fall von Lettland, sogar fünf Jahrtausende lang nicht geändert. Deshalb ist es legitim, auch für die aus der Göttin Leto und ihren beiden Kindern Apollon und Artemis bestehende Familie in der Mythologie ein hohes Alter zu vermuten, das lange vor die Zeit, wo sie zum ersten Mal in den Quellen erscheint, zurückreichen dürfte. Dazu passt auch das Vorkommen von Artemis und Leto bereits im Mykenischen, das bisher in diesem Zusammenhang nicht beachtet worden ist. Nehmen wir, mit dieser Erkenntnis ausgestattet, die drei Gottheiten nun gemeinsam in den Blick. Für die Namen Artemis und Leto existieren keine wirklich plausiblen Vorschläge einer Erklärung aus dem Griechischen.¹⁰⁶ Damit ändert sich die Lage auch für Apollon. Denn dass ein einzelner, z. B. ein griechischer, lateinischer, altindischer oder germanischer Göttername – um nur einige indogermanische Sprachen zu nennen – in seiner Herkunft nicht plausibel erklärt werden kann, kommt zwar relativ selten vor, ist aber auch nichts ganz Ungewöhnliches.Wenn aber gleich drei zusammengehörige Namen, wie es bei Apollon, Artemis und Leto der Fall ist, nicht plausibel etymologisiert werden können, dann dürfte das kaum auf Zufall beruhen. Zunächst noch einmal zur inhaltlichen Seite: Apollo und Artemis sind aus rein funktionaler Sicht ihrer ältesten Bezeugung nach Bogenschützen, Artemis auch Herrin der Wildtiere und der Jagd, was, wie gesagt, wahrscheinlich auch für ihren Bruder gilt. Götter mit diesen Funktionen, geschweige denn als Geschwisterpaar, gab es, nach allem was wir wissen, im indogermanischen Götterhimmel nicht. Diese Gottheiten dürften also im Griechischen nicht ererbt sein. Aus rein inhaltlicher, nicht sprachlicher Sicht spricht dagegen alles für ihre Herkunft aus Westkleinasien, denn im Lykischen sind die Entsprechungen von Apollo, Artemis und Leto inschriftlich gut bezeugt und in Lydien die ersteren
In Griechenland Dios thygater, in Indien *Divás duhitár-. Peters (2002), 371 f. verbindet den Namen Artemis mit griechisch ἀρτεμής (artemes) ‚unversehrt‘. Dagegen spricht aber, dass das Wort artemes in seinen ältesten Belegen (Homer, Sappho) ‚wohlbehalten‘ in dem Sinne bedeutet, dass man von einer Reise oder aus dem Kampf gesund zurückkehrt. Die Idee, das Benennungsmotiv der Artemis sei ihre unversehrte Jungfräulichkeit, dürfte von späteren Vorstellungen, etwa im Sinne von Ovids Metamorphosen, inspiriert und für das Griechenland des 2. Jt. v.Chr. unzutreffend sein. Artemis ist, ebenso wie z. B. Athene, vor allem deshalb jungfräulich, weil die einzige Alternative ja in einer Rolle als Mutter bestanden hätte, und als solche hätte sie nicht mit Pfeil und Bogen hinter dem Wild herjagen können, ebenso wenig wie Athene Waffen tragen. Die Verbindung mit griechisch artemes ist daher nicht plausibel.
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beiden sogar von zentraler religiöser Bedeutung (s. jeweils Teil 2). In lykischen Inschriften steht Leto, was besonders auffällt, im Vordergrund: „… er ist haftbar gegenüber der Leto und ihren Kindern“, heißt es etwa am Ende der lykischgriechisch-aramäischen Trilingue von Xanthos.¹⁰⁷ Für Leto hat man mit einer Ableitung von einem rekonstruierbaren griechischen Wort *lātó- ‚verborgen‘ gerechnet, doch fungiert Leto im Mythos vor allem als Mutter ihrer beiden wichtigen Kinder, was gerade auch aus der in Lydien spielenden Niobe-Erzählung (Hom. Il. 24,602– 617) deutlich wird¹⁰⁸. Sie ist also in erster Linie eine Muttergöttin, wozu eine Etymologie im Sinne von ‚die Verborgene‘ schlecht passt.¹⁰⁹ Was die Form der Namen betrifft, so haben alle drei im Hethitischen und Luwischen, aber auch in den nicht-indogermanischen Sprachen Hattisch und Hurritisch keine Entsprechungen, was sehr auffällig ist. Es gibt, wie wir gesehen haben, auch keine wirklich plausible griechische Etymologie des Namens Apollon. Und es gibt sie auch nicht für Artemis und Leto. Dies gilt nicht nur für das Griechische, sondern auch die indogermanisch-anatolische Sprachfamilie (Hethitisch, Lydisch usw.) sowie für das Hattische, Semitische und Hurritische.¹¹⁰ Was die funktionale Seite betrifft, so wirkt diese göttliche Familie westkleinasiatisch, nicht zentralkleinasiatisch. Die bisherigen Überlegungen haben also ergeben, dass die Herkunft der zusammengehörigen Namen Leto, Apollon und Artemis unbekannt ist, während sie andererseits inhaltlich aus Westkleinasien stammen dürften. Betrachten wir ihr Auftreten im Karischen und Lykischen, die zu den indogermanisch-anatolischen Sprachen gehören. Zunächst fällt auf, dass Apollon hier andere Namen trägt, was mit der in diesen Gegenden starken Verehrung des Gottes zusammenhängen dürfte. Starke kultische Dynamik führt nämlich leicht dazu, dass Götternamen durch Epiklesen ersetzt werden; man vergleiche typologisch den Ersatz von Maria durch Madonna in Italien oder denjenigen von Rudra und Vishnu durch Shiva und
Text bei Neumann (1979), 44 ff. Aus Schmerz um ihre von Apollon und Artemis durch Pfeile getöteten Kinder wurde Niobe zu Stein. So deutete die – ursprünglich wohl lydische – Volkssage die monumentale hethiterzeitliche Felsfigur einer Göttin am Berg Sipylos bei Magnesia (heute Manisa). Peters (2002), 371 f. mit Anm. 60 schließt sich der Auffassung an, der Namen der Leto sei mit idg. *lātó- (*lah2-tó‐) ‚verborgen‘ verwandt. Eine etymologische Verbindung mit lykisch lada ‚Ehefrau‘ ist deshalb unwahrscheinlich, weil lykisch leθθe/i- ‚zur Leto gehörig‘ und laθθe/i- ‚*zur Ehefrau gehörig‘ (aus *ladahe/i‐) lautlich verschieden sind und sich außerdem das t von Leto mit dem d von lada nicht vereinbaren lässt. Blažek (2017) möchte den Namen Apollon aus hurritischem *apell(i)-o-nni- ‚der durch Pfeile Charakterisierte‘ herleiten. Im Akkadischen von Nuzi ist nämlich ein apellu ‚eine Art Pfeil‘ überliefert, das wohl aus dem Hurritischen stammt. Man würde in diesem Fall allerdings in Wilusa eher eine Form *Appaliunni- und im Griechischen ein *Apellōnis erwarten.
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Krishna in Indien. Im Karischen heißt die Entsprechung von Apollon Ntro- und im Milyischen, einer dem Lykischen eng verwandten Sprache, die auch „Lykisch B“ genannt wird, Natr(i)-.¹¹¹ Dieser Name hat keine indogermanische Etymologie. Im Lykischen (= „Lykisch A“) hieß der Gott, wie gesagt, vermutlich Iprehi, was ursprünglich ‚der zur Wildflur Gehörige‘ bedeuten dürfte. Bei karisch Ntro-, und milyisch Natr(i)-, handelt es sich wohl um einen ehemaligen Beinamen (Epitheton) dieses Gottes aus einer Zeit, als sein eigentlicher Name noch ein anderer war. Man darf vermuten, dass dieser ursprüngliche Name auch in Westkleinasien einmal *Apeli̭ōn gelautet hatte. Im Lydischen lautet sein Name vermutlich Qλdãn, was aus älterem *Kwalii̭an- ‚Heerführer‘ stammt.¹¹² Die Namen der Schwester und Mutter des *Apeli̭ōn sind dagegen bewahrt geblieben. Lydisch Artimu- und lykisch Ertemi- ‚Artemis‘ sprechen dafür, dass bei dieser Schwester Apollons der im Griechischen und Lykischen erhaltene i-Stamm das Ursprüngliche und der uStamm des Lydischen eine Neuerung ist.¹¹³ Die Namen der Artemis (und Leto) im Lykischen bzw. Lydischen können aus dem Griechischen (rück)entlehnt sein, angesichts der starken inhaltlichen Verankerung der beiden in Westkleinasien ist es aber wohl naheliegender, dass sie aus einer anderen Quelle direkt in Westkleinasien übernommen worden sind. Für das generelle Problem der Herkunft der Namen Apollon, Artemis und Leto ist diese Frage nicht entscheidend. Daher bietet sich folgende Lösung an: Die griechischen Götternamen Apollo, Artemis und Leto bilden eine alte Dreiheit, die aus inhaltlichen Gründen wahr-
Zwar erscheint in der lykischen Trilingue vom Letoon in Xanthos der Personenname Natrbbijẽmi = Apollodotos, doch dürfte dieser Name aus karisch (in griechischer Schrift) Neterbimos entlehnt sein und beweist daher nicht, dass Apollon im Lykischen selbst Natr(i)- hieß. Zu karisch Ntro- ‚Apollon‘ s. Adiego (2007), 332. Angesichts der Bedeutung von Apollon und Artemis in Westanatolien ist es wahrscheinlich, dass lyd. Qλdãn-, der mehrfach neben Artimuś genannt wird, die lydische Entsprechung Apollons ist. Er erscheint in den lydischen Inschriften stets neben Artimuś (Artemis). Heubeck (1959), 21– 24 nahm dagegen an, Qλdãn- sei der Mondgott, weil auf griechischen Inschriften Lydiens Artemis Anaitis oft mit dem griechischen Mondgott Men oder auch mit (Zeus) Sabazios zusammen auftritt. Jedoch können diese Kombinationen relativ jung und synkretistisch sein, denn Anaitis ist ja ebenfalls fremder (persischer) Herkunft und der Kult des Men sowie Sabazios dürften auf phrygischem Einfluss beruhen. Die Inschriften in lydischer Sprache gehören dagegen wohl einer konservativeren Bevölkerungsgruppe an. Auch das von Schürr (2011), 71 f. angeführte Siegel mit Mond, Flügelsonne persischer Art und zwei Löwen sowie der Beischrift Qλdãnlim ist kein Beweis dafür, dass hier der Mondgott abgebildet ist, denn es kann sich bei der Beschriftung um einen vom Gottesnamen abgeleiteten Personennamen handeln. Wenig wahrscheinlich ist, dass lydisch Artimu- im Hinterglied die Entsprechung von luwisch muwa- ‚Kraft‘ enthält. Der u-Stamm dürfte vielmehr sekundär sein, da u-Stämme im Lydischen produktiv sind (s. Teil 2). Dagegen liegt muwa- wohl z. B. im karischen (gr.) Namen Panamyes bei Adiego (2007), 336 vor, der daher ‚alle Kraft besitzend‘ bedeutet.
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scheinlich als aus Westkleinasien ins Griechische entlehnt zu betrachten ist, weshalb auch ihre Namen ursprünglich von dort stammen dürften. Sie stammen aber andererseits nicht aus einer „westanatolischen“ Sprache, weil nämlich „anatolisch“ diejenigen indogermanischen Sprachen bezeichnet, zu denen Hethitisch, Lydisch, Luwisch, Lykisch und andere gehören. Bei Apollon hat also das Griechische wahrscheinlich den alten, aus Westkleinasien stammenden Namen bewahrt, während das Lykische, Karische und Lydische ihn durch andere ersetzt haben. Abschließend stellt sich natürlich die Frage, aus welcher Sprache denn dann die griechischen Namen Apollon, Artemis und Leto stammen. Dazu kann in Ermangelung anderer Möglichkeiten nur folgendes gesagt werden: Es ist denkbar, dass diese drei Namen (und die zugehörigen Inhalte) aus einer ausgestorbenen nicht-indogermanischen Sprache Westkleinasiens entlehnt worden sind. Es wäre zirkulär, wenn man diese Möglichkeit nur deshalb ausschließen würde, weil wir von der Existenz einer solchen Sprache bisher noch nichts gewusst haben, zumal es noch mehr westkleinasiatische Gottheiten vollkommen unbekannter Herkunft gibt.¹¹⁴ Dazu könnte vielleicht auch der lydische Weingott Pakiwa- zählen, der im lydischen Adjektiv pakilli- ‚dem Pakiwa- zugehörig‘ und im Personennamen Pakiwali- bewahrt ist. Aus ihm dürften die Griechen ihren Gott Bakchos (lateinisch Bacchus) entlehnt haben, der mit dem bereits im Mykenischen bezeugten Gott Dionysos identisch ist. Das dürfte der Grund dafür sein, dass Dionysos beispielsweise in den „Bacchae“ des Tragödiendichters Euripides als lydischer Gott bezeichnet wird. Was *Apeli̭ōn betrifft, so könnte in seine Funktion der Gott *Imrassis, den die nicht-indogermanischen Westkleinasiaten von den ursprünglich benachbarten Luwiern übernommen haben dürften, in synkretistischer Weise eingeflossen sein.¹¹⁵ Weniger wahrscheinlich wäre die Annahme, dass die beiden Kinder der westkleinasiatischen Götterfamilie, Apollon und Artemis, bei der Übernahme durch die Griechen mit neuen, griechischen Namen benannt worden wären. In diesem Fall wäre nur der Name ihrer Mutter Leto nicht griechischer Herkunft. Aus dieser Sprache könnten theoretisch z. B. auch der lykische Göttername ArKKazuma und griechisch Smintheus, ein Beiname des homerischen Apollon, stammen. Im Mykenischen ist Smintheus als Personenname überliefert. In der ersten Hälfte des 2. Jt. gab es nachweislich in Nordanatolien die nicht-indogermanischen Hattier (und Kaskäer), in Ostanatolien die nicht-indogermanischen Hurriter und in Kreta die Sprecher von Linear A bzw. die Eteokreter. Es wäre daher überhaupt nicht unerwartet, wenn damals dazwischen, nämlich in einem Teil Westanatoliens, ebenfalls noch eine nicht-indogermanische Sprache existiert hätte. Dass wir dann über sie sonst nichts wüssten, wäre nicht verwunderlich, denn es gibt ja für Westanatolien keinerlei zeitgenössische Quellen. Vgl. weiter Oettinger (2015). Der luwische Schutzgott der Wildtiere, K(u)runtii̭a-, mit seinem Beinamen *Immrassis ist der Fortsetzer einer indogermanischen Gottheit und insofern ererbt.
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Inhaltlich ist die Götterfamilie jedenfalls nicht indogermanisch, was sich allein schon daran zeigt, dass der Vater normalerweise nicht genannt wird. Bei den indogermanischen Götterfamilien, die wir kennen, wird dagegen typischerweise die Mutter nicht genannt, was den patrilinearen Verhältnissen jener Kultur entspricht. Nun zurück zu den Staatsverträgen. Der griechische Vertrag kennt keine Schwurgötterlisten nach Art der Hethiter, was den Prozess zunehmender Säkularisierung Griechenlands zeigt, wie er auch sonst festzustellen ist. Die Götter werden nicht mehr als leibhaftig anwesend gedacht.Wie es sich damit in lydischer Zeit vor und nach 600 v.Chr. verhielt, wissen wir nicht so genau. Dass Kroisos und Thales (s. dazu Teil 6) der Volksreligion entwachsen waren, ist anzunehmen. Anders und doch ähnlich war es in Israel: Hier setzt sich die Zion-Tempel-Ideologie im Kampf mit den älteren lokalen familiären und sippenhaften Kulttraditionen in der Zeit nach David, der noch Polytheist war, durch.¹¹⁶ Wie die Geschichte des Geldes bis hin zur Münzprägung in Lydien einen weiten Weg von Babylonien über Zentralanatolien nahm (Teil 5 3), so entstand auch der Rationalismus der milesischen Naturphilosophen aus einem Amalgam babylonischer, altanatolischer und ionischer Elemente. Nur die Plötzlichkeit, mit der dann die Münze (s. Glossar) auftrat und der Ausspruch des Philosophen einschlug, ist es, die die Weite des Wegs und die Entwicklungszeit, die dazu nötig waren, vergessen lassen. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Theorien der Philosophen ihren Niederschlag im Formular eines Staatsvertrags gefunden haben. Mit Blick auf den Troer-Achaier-Vertrag im dritten Gesang der Ilias (3,276 – 280), wo sich die Eidgötter noch in altanatolische (lat. di indigetes) und griechische (lat. di novensides) sortieren lassen, könnte man aber zumindest vermuten, dass im SymmachieVertrag, den Alyattes wohl um 600 v.Chr. mit Milet abschloss, der Anrufung der göttlichen Zeugen noch ein eigener Paragraph gewidmet war. Die lydischen Verträge sind wie die hethitischen und griechischen immer bilateral ausgehandelt. Ausdrücklich bezeugt ist der lydische Vertragsabschluss mit Milet und Kolophon; einen besonderen, aus früher, vorgriechischer Zeit stammenden und deshalb staatsrechtlich schwer zu definierenden Status nahm Ephesos ein.¹¹⁷ Das vor der Stadt außerhalb der Stadtmauer gelegene Heiligtum
Dabei mag das Vorbild der Religion der Perser, die im frühen 1. Jt. stark monotheistische Züge trug, eine Rolle gespielt haben. Die Frage nach dem Monotheismus in Israel wird heute wieder lebhaft diskutiert. Polyain. 6,50; Ail. var. 3,26 = StV II Nr. 109, vgl. Talamo (1983), 15; 35. Die Lyder hatten ein eigenes Quartier in Ephesos, vielleicht in der Nähe des Artemisions. Das Heiligtum geht auf vorgriechische Zeit zurück und stand seit alters her den Lydern sehr nahe. Auch der Hortfund
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hat seinen altanatolischen Charakter am besten bewahren können. Neuere archäologische Forschungen haben gezeigt, dass es vor allem als Orakelstätte diente.¹¹⁸ Das Artemision ist mit keinem der griechischen Tempel, die ja nicht mehr als das prachtvolle Schutzgehäuse für das Kultbild sein wollten, zu vergleichen. Es fungierte gewissermaßen wie ein magisches Kraftwerk, das vermittels eines langen Seils (schoinios) Energie auf die Stadtmauer von Ephesos leiten konnte, diese gleichsam unter Strom setzend. Beim Anmarsch des Kroisos auf die Stadt (Hdt. 1,26,2) hatten sich die Ephesier mit diesem magischen Ritual gerüstet, einer Art Abwehrzauber.¹¹⁹ Wie die Belagerung ausging, erfahren wir nicht. Dass Herodot die Geschichte mit dem Seil erfunden hat, ist unwahrscheinlich. Von den übrigen Ioniern und jetzt auch Aiolern erfahren wir immerhin, dass ihnen gewisse Sonderrechte eingeräumt wurden, die Kyros ihnen später dann entzog (Hdt. 1,141). Unter besonderer Beobachtung der Lyder standen die östlichen Aioler, deren Schwerpunkt die Insel Lesbos war. Auf das wichtige Lesbos hatten Herrscher des Festlandes schon früher ihr Augenmerk gerichtet; die Hethiter hatten anlässlich der Erkrankung eines Großkönigs bei einer Gottheit von Lazpa- (Lesbos) um Heilung angefragt. Gegenüber von Lesbos richteten die Lyder eine Sekundogenitur ein. Was das zu bedeuten hat, wird in Teil 2 B zu eruieren sein.
Das hethitische Westanatolien Der Bundesschluss mit Milet sowie mit den anderen ionischen Stadtstaaten sollte den Lydern den Status einer Großmacht einbringen sowie Respekt und Anerkennung bei den Königen verschaffen. Die Zeiten, in denen ein Assurbanipal über die Lyder witzeln konnte, waren vorüber. Es stellt sich nun die Frage: Haben die Lyder aus eigener Idee heraus völkerrechtliche Institute im Westen Anatoliens
lydischer Elektron-„Münzen“ am Artemision spricht eher für einen lydischen als für einen griechischen Hintergrund. Aristophanes (nub. 599 – 600) berichtet, dass lydische Mädchen dem Heiligtum dienten. Wir halten Ephesus für das Kultzentrum des lydischen Reiches; s.o. 2.2. Vgl. Greaves (2013). Allerdings war die Identität des Heiligtums lydisch, nicht luwisch. Dazu Klinger (2002), der immerhin auf Wollfäden verweisen kann, mit denen dem Ritualherrn die materia peccans abgestreift wurde. Anatolische Parallelen, die dem Bericht Herodots näher kämen, fanden sich nicht. Das Tertium comparationis des folgenden Beispiels ist das Verströmen von Kraft. Dass vom Tempel Ströme lebendigen Wassers ausgehen, die das dürstende Land tränken sollen, diese Vorstellung entwickelt Ezechiel 597 v.Chr. in Babylonien im Exil für den zukünftigen Tempel (Ez 47: Tempelquelle). Die sog. Zions-Theologie versteht den Tempel als schutzgewährende Kraft für Stadt und Reich, denn im Allerheiligsten stand die „Lade des Bundes“. Auf ihr thronte „über den Kerubim“ Gott (1 Kön 6 – 8; Ps 132), s. Alt (1953).
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begründet oder hatten sie dabei Vorbilder? Das letzte Großreich, welches vor den Lydern über diesen Landstrich herrschte, war Hattusa, das erste Großreich nach den Lydern waren die Perser. Die Perser gingen keine bindenden Verträge ein, vergaben aber Privilegien, so an Milet, das den lyderzeitlichen Sonderstatus beibehalten konnte. Die Perser praktizierten generell ganz einheitliche Herrschaftsformen, direktere als die Lyder, aber elastischere als die Assyrer. Wegen dieser flächendeckenden Blockhaftigkeit kann Herodot sagen, dass Ionien unter Dareios I. in höchster Blüte stand. Die Perser relativieren damit die These von K. Bittel (s. Einleitung), dass die Landesnatur Anatoliens die Hethtiter gezwungen habe, ihre territoriale Herrschaft aufzugliedern. Das heißt ins Allgemeine gewendet: Die naturräumlichen Daten schreiben für anatolische bzw. Anatolien beherrschende Staaten hinsichtlich der zu wählenden territorialen Organisationsform nichts zwingend vor. Damit steht unserer Annahme nichts mehr im Wege, dass die Lyder zwar den geographischen Gegebenheiten Rechnung zu tragen hatten, aber doch so frei waren, die aus der Hethiterzeit in Teilen Anatoliens noch tradierten verfassungsrechtlichen Strukturen aufzugreifen und dadurch sozusagen im Westen zu späten Nachfolgern der Hethiter zu werden. Das hethitische Modell verspricht, anschaulicher zu machen, worum es Alyattes eigentlich ging, nämlich die ionischen Griechen zur Kooperation zu drängen. Mursili II. hatte ca. 1316 v.Chr. das Großreich von Arzawa erobert. Das Territorium wurde in die Teilstaaten/ Landschaften Seha (auch Seha-Flussland genannt, weil Hermos und Kaïkos hier die bestimmenden Größen waren), Mira (Süd-Ionien mit dem Kaystros-Tal) sowie Haballa (zwischen dem Hermos-Oberlauf und dem Sangarios) zerlegt. Dazu kam etwas später Wilusa (die Troas, das Gebiet der Dardanellen). Wie Wilusa durch den Alaksandu-Vertrag automatisch zum Gliedstaat des Hethitischen Reiches wurde, so waren auch Seha, Mira und Haballa mit fast gleichlautenden, bilateral geknüpften Staatsverträgen nicht zu Vasallen, sondern zu Gliedern des Großreiches geworden, dessen föderativer Charakter dadurch offenbar wird. Nun heißt es im Alaksandu-Vertrag (Übersetzung hier mit F. Starke): „Von euch aber, die ihr vier Könige innerhalb der ArzawaLänder seid (es folgen die Namen) stammt Kupanta-Kurunta der männlichen Linie nach vom König des Landes Arzawa, der weiblichen Linie nach stammt er indes vom König des Landes Hattusa.“ Auf Kupanta-Kurunta von Mira liegt die Betonung. Er ist nicht nur Spross der großköniglichen Familie des untergegangenen Reiches von Arzawa, sondern jetzt auch Inhaber der Zentrallandschaft des einstigen Arzawa, Mira mit der Hauptstadt Abasa/Ephesos. Der ganze Absatz (§17 A col. III 31– 60) gipfelt in der Aufforderung an Alaksandu: „So soll der eine für den anderen Hilfe, Beistand und offensive Kraft sein und der eine dem anderen die Treue halten!“ Die „arzawäischen Länder … bildeten … einen Verband politisch eng miteinander kooperierender Staaten, wobei Mira mit der Residenzstadt
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Apasa/Ephesos die führende Stellung einnahm …“.¹²⁰ Nun zu den Lydern! Das hethitische Modell führt zu der Annahme, dass Alyattes die Stadt Milet im Rang über die übrigen ionischen Poleis setzte, sie sozusagen in die einstige Position von Abasa/Ephesos im Lande Mira einrücken ließ. Nicht ohne Grund läuft die Schwarzmeerkolonisation unter der Überschrift:“Milesische Kolonisation“. Und bei G.M.A. Hanfman (1978) findet sich das eingängige, geometrisierte Bild von Sardes und Milet als den beiden Brennpunkten einer Ellipse, die das lydische Reich bedeuteten.
Ziel des Vertragsabschlusses C. Roebuck hat die wichtige Beobachtung gemacht, dass im Unterschied zu den griechischen Poleis des Festlandes der Handel der ostgriechischen Städte einer gemeinsamen Unternehmung („collective enterprise“) gleicht.¹²¹ Diese Beobachtung ließ sich nicht auf statistisch gewonnene Daten stützen und ist von daher auch als Beleg nicht allzu belastbar, aber sie regt doch zu der Frage an, zu welchem Zweck Alyattes die Symmachie-Verträge bilateral mit den einzelnen griechischen Poleis aushandelte. Denn dass die Verträge von Sardes ausgingen, wird man annehmen müssen, auch ohne den Alaksandu-Vertrag als Leitbild zu bemühen.¹²² Die Hypothese, die Roebucks Beobachtung erklären könnte, lautet: Zweck der lydischen Vertragspraxis war es, die ionischen Poleis davon abzubringen, dass sie gegeneinander Krieg führten, und zweitens sie stattdessen auf ein großes Ziel einzuschwören, das in der Kolonisation des Schwarzmeerraumes bestehen wird. Das Ziel sollte nicht, wie die Assyrer es taten, mit despotischen Zwangsmaßnahmen realisiert werden, sondern mit einem Vertrag, der, berechnet auf die Vertragsnehmer, wenigstens eine Spur von Freiwilligkeit erkennen und empfinden lassen sollte. Das ist hethitische Tradition, die Mursili II. 700 Jahre zuvor mit den arzawäischen Staaten in Westanatolien eingeführt hatte. Der lydische Vertrag mit Milet ist ein Kampfbündnis, griechisch gesprochen eine Sym-
Starke (1999; 2000). Die Vorrangstellung von Karkamis im Osten und Mira im Westen hat Starke (1997b) zuerst in dieser Studie vorgestellt, auch wenn Kritik an Einzelheiten berechtigt ist. Die Gleichsetzung von Apasa = Ephesos z. B. schon bei Garstang/Gurney (1959), 83 – 109; auch Gurney (1997), 136 hat die Gleichung Millawanda = Milet akzeptiert. Roebuck (1959), 134. So heißt es im Alaksandu-Vertrag (§19 A col. III 73 – 75): „Dieser Wortlaut beruht indes nicht auf Gegenseitigkeit; er geht vom Lande Hattusa aus!“ In dieser Formel „Land Hattusa“ steckt eine impersonale Staatsidee. Die einzige griechische Parallele findet sich im kretischen Dreros, wo es heißt: „Die Polis hat daher beschlossen“ GHI 2 (650 – 600 v.Chr.).
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machie. Und was war der Vertrag zwischen Hattusa und Alaksandu von Wilusa denn anderes als eine Symmachie, allerdings mit komplexeren und aufwendigeren Vertragsbestimmungen? Gegenstand waren nicht nur Sicherungsmaßnahmen zum Schutz des Reiches vor Gefahren von außerhalb, sondern auch vor Gefährdungen von innerhalb, vor allem von Seiten des Palastes. So heißt es in diesem Vertrag: „Wenn jemand im Innern (des Reiches) Empörung gegenüber der Majestät anstiftet, und ich, die Majestät, daher nach Truppen und Streitwagen an dich schreibe, so führe mir sofort Truppen und Streitwagen zu“ (§14 A col. III 3 – 15).¹²³
Milet als vorrangige Stadt der Ionier Nun gilt es die Frage zu beantworten, warum die Lyder Milet eine Vorrangstellung gewährten. Milet lag weder zentral innerhalb der ionischen Städtelandschaft, noch war die Verbindung ins Hinterland befriedigend, im Gegenteil! Der springende Punkt war der Hafen. Von ihm ausfahrend hatten die Milesier ein Netz von Beziehungen knüpfen können. So zu Ägypten, wo die Milesier, längst bevor sie zusammen mit weiteren ionischen Städten Naukratis vom Pharao angewiesen bekamen, Milesion teichos ‚Fort Miletos‘ gründeten. Es sind ferner die gewachsenen Bindungen Milets zu dem technologisch versierten Chios wie zu dem dorischen Megara, das durch seine Tochterstädte (Apoikien) die Zugänge zum Schwarzen Meer bewachte, so durch das ca. 660 v.Chr. gegründete Byzantion. Auch die Feindschaft Milets gegenüber Samos (Hdt. 5,99,1), die die Lyder sozusagen mit übernahmen, war für sie nicht ohne Wert. Samier hatten nämlich mit Unterstützung ionischer Staaten die karische Stadt Melie ausgelöscht und deren Siedlungsgebiet anteilig okkupiert.¹²⁴ Die Karer hatten aber eine besonders enge Beziehung zu den Mermnaden von Sardes. So waren es die Karer, die Gyges bei seiner Machtergreifung unterstützten.¹²⁵ Auch nahm Alyattes eine Karerin zur Frau, die Mutter des Kroisos wurde. Die Feindschaft gegenüber Samos wurde so zu einem weiteren Band zwischen Lydern und Karern. Dies alles honorierten die Lyder gegenüber Milet mit dem, was wir Vorrangstellung nannten. Die daher für
Thuk. 1,13: Die Griechen seien erst spät zu Seefahrern geworden. So habe Korinth vorher Landhandel betrieben. Noch später, erst zur Zeit des Kyros, hätten die Ionier eine starke Flotte (poly … nautikon) gehabt. Eine größere Anzahl von Trieren hätte erst nach Dareios’ Tod den Tyrannen Siziliens zur Verfügung gestanden (Thuk. 1,14). Zum Krieg gegen Melie Vitr. 4,85. Zu den genauen Hintergründen und vor allem zu den topographischen Problemen an bzw. auf der Mykale s. Lohmann (2005). Diod. 1,66,12; Plut. quaest. Graec. 45 = mor. 302a (Arselis von Mylasa unterstützt Gyges).
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den Vertrag mit Milet vorauszusetzende Freund-Feind-Klausel ist uns für die homerisch-vorstaatliche Zeit im Wortlaut des Eides nicht bezeugt, sondern erst für die spartanische Hegemonie im Peloponnesischen Bund im 5. Jh. v.Chr. belegt. Wir finden sie aber bei den Hethitern in einem Schreiben Suppiluliumas I. an Niqmaddu II., den König von Ugarit (2. Hälfte 14. Jh. v.Chr.): „Wie seit alters deine Väter mit dem Lande Hatti befreundet, aber nicht verfeindet waren, sei du, Niqmaddu, genauso ein Feind gegenüber meinem Feind und ein Freund gegenüber meinem Freund.“¹²⁶ Was hatten die Milesier konkret an Machtmitteln aufzubieten? Wie stark war ihre Flotte (s. Glossar), wie groß die Kapazität ihrer Werft und wie die Qualität ihrer Matrosen? Das wissen wir nicht. Es gab keine staatliche Flotte, sondern nur milesische Reeder, die aeinautai, die der Allgemeinheit (demos) in dringenden Fällen Schiffe zur Verfügung stellten (Plut. mor. 298c). Wenn auch nicht auszuschließen ist, dass entgegen der Meinung Herodots (1,27) die Lyder sehr wohl eigene Schiffe besaßen,¹²⁷ so ist jedoch zu fragen, ob sich ihre Aufgabe in der von Vorpostenschiffen (Thuk. 2,93,3: nautikon prophylasson) im Schutz der heimatlichen Küste erschöpfte oder ob sie operativ auch für ferner gelegene Seegebiete ausgerüstet waren. Mit welchen Stückzahlen in dieser Zeit überhaupt zu rechnen ist, kann vielleicht anhand von Thukydides deutlich gemacht werden. Er sagt (1,13,3), Ameinokles aus Korinth habe vier Schiffe – es sind sicher Trieren¹²⁸ – für
RS 17.132 (= PRU IV, S. 35 ff. Ü: F. Starke aus dem Akkadischen). In dem hethitischen Vertrag Tudhalijas IV. (ca. 1240 – 1215 v.Chr.) mit Šaušgamuwa von Amurru (Kühne/Otten [1971], 14 f.) heißt es: „Und die Könige, die mir gleichgestellt sind, der König von Ägypten, der König von Babylonien und der König von Assyrien – wenn der König von Ägypten mein, der Majestät, Freund (ist), soll er auch dir Freund sein! Wenn er aber mein, der Majestät, Feind (ist), soll er auch dir Feind sein! Und wenn der König von Babylonien mir, der Majestät, Freund (ist), soll er auch dir Freund sein! Wenn er aber mir, der Majestät, Feind (ist), soll er auch dir Feind sein! Wie der König von Assyrien (aber?) mir, der Majestät, Feind (ist), so soll er auch dir Feind sein“ (Rs. col. IV 4– 12). Für Baltrusch (1994), 17 ff. ist die Freund-Feind-Klausel aus persönlichen Nahverhältnissen in die staatliche Sphäre übertragen worden. Einen Beleg für diese These kann er nicht beibringen. Das gleiche nimmt er für die Hegemonie-Formel an: „zu folgen, wohin auch immer die Lakedaimonier führen.“ Freilich, für die Freund-Feind-Klausel in dieser lakonischen Verknappung wird man im Hethitischen nichts Entsprechendes finden, aber in der Sache ist die Formel konkret entfaltet, so etwa im Alaksandu-Vertrag. In die sog. Thalassokratien-Liste (Kastor von Rhodos FGrHist 250 T1), deren historischer Wert, nicht zuletzt deswegen, weil Lydien für die ganz frühe Zeit genannt wird, zweifelhaft ist, hat Jeffery (1976), 252 f. mit einer Konjektur eingegriffen, dergestalt, dass sie jetzt Lydien zwischen Milet und Lesbos setzt. Ob daraus historische Schlüsse für den sardisch-milesischen Vertragsabschluss gezogen werden können, und wenn ja, welche, muss hier offenbleiben. Hipponax von Ephesos (ca. 560 – 490 v.Chr.) liefert den ältesten Beleg für Trieren (F45 D).
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die Samier gebaut. Und das hält er für erwähnenswert! Die Korinther seien die ersten gewesen, die Trieren bauten, so Thukydides (1,13,2).¹²⁹ Um einen Symmachie-Vertrag, der prinzipiell auf Gleichberechtigung beruhte, überhaupt anzustreben und abzuschließen, zumal wenn er von Dauer sein sollte, mussten sich Machtmittel und Sachkompetenz beider Partner ergänzen. Und das war hier der Fall. Der Beitrag, den Lydien zum Bündnis beisteuern konnte, lag in der militärischen Sicherung der Zugangswege zum Schwarzen Meer (dazu Teil 2 2). Das stärkste Band, um getroffenen Vereinbarungen (symbasis) Dauer zu verleihen, wären natürlich Ehebande gewesen, wie sie Alyattes mit den Medern anbahnte, indem er seine Tochter, Aryenis,¹³⁰ dem medischen König Astyages zur Frau gab (Hdt. 1,74,4). Was unter den Hethitern möglich war, dass nämlich der König eines arzawäischen Klientelstaates in die großkönigliche Sippe der Hethiter einheiraten konnte, somit Mitglied des panku- und dadurch zum Hethiter wurde. Für das Lyder-Reich ist diese Praxis nicht direkt belegt.¹³¹ Natürlich gab es auch unter den Dynasten Anatoliens in dieser Zeit diplomatische Heiraten, so war etwa der Karer Pixodaros, Sohn des Maus(s)olos, mit einer Tochter des Kilikierkönigs Syennesis vermählt (Hdt. 5,118,2). Aber die Bürger der ionischen Städte waren keine Dynasten, und mit dem Stadttyrannen von Milet, Thrasybulos, wollte man von lydischer Seite wohl keine dynastische Verbindung eingehen. Die Hethiter waren da großzügiger gewesen. Suppiluliuma I. verheiratete durchaus eine großkönigliche Tochter mit Hukkana von Hayasa,¹³² dem späteren Armenien, obwohl Hukkana nicht Herrscher über dieses Land, sondern höchstens primus inter pares war. Die dynastischen Heiraten sind ein signifikantes Kennzeichen für die Integrationsbereitschaft und Integrationskraft Hattusas.¹³³
Wie das Volumen des Schiffsbaus ca. 150 Jahre später aussah, lässt das Beispiel Megaras erahnen. Als die Spartaner, unter ihnen Brasidas, im Winter 429/28 v.Chr. einen Anschlag auf den Piräus planten, kamen sie auf dem Fußweg nach Nisaia, dem Hafen von Megara; hier zogen sie 40 Schiffe aus der Werft ins Wasser und stießen in See (Thuk. 2,93). Dieser lydische Frauenname weist auf ein älteres *Arwanni-, das vielleicht aus *Arawanni-, wörtlich ‚die kleine Freie‘, synkopiert ist. Ob die Frauen des Alyattes, eine Ionierin und eine Karerin, einen dynastischen Hintergrund hatten, lässt Herodot nicht erkennen. Vgl. Friedrich (1930), 103 – 175; Beckman (1999), 26 – 34, no. 3. So heiratete Mashuiluwa, der einzig legitimierte Thronfolger in Arzawa, während seines Exils in Hattusa die Tochter Suppiluliumas I. und wurde dann von den Hethitern zum König jetzt des Gliedstaates Mira gemacht (ca. 1315 – 1307 v.Chr.).
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„Länderliste“ Hdt. 1,28 – „ Innere“ und „Auswärtige Länder“ im Hethiterreich Die sog. Länderliste Hdt. 1,28 gibt vor, die Bewohner des lydischen Reiches zur Zeit des Kroisos aufzuführen. Die Liste lässt auf den ersten Blick ein Gliederungsprinzip nur insoweit erkennen, als sich die Griechen deutlich als Gruppe von den Nichtgriechen abheben. Dahinter ist weder die Hellenen-Barbaren-Vorstellung zu vermuten – diese spielt im Lyder-Logos noch keine Rolle –, noch ist ein rein geographisches Prinzip zu postulieren. Vielmehr ist mit Überlagerungen uns nicht immer klar erkennbarer Konzeptionen zu rechnen, was man auch beim Arbeiten an achämenidischen Länderlisten schmerzhaft erfahren kann. Unsere oben angestellten Untersuchungen zur Ionien-Politik des Alyattes, die mit dem Abschluss von Symmachie-Verträgen eine Art völkerrechtliche Ordnung begründete, ließen aber bereits vermuten, dass einem typologischen Vergleich Lydiens mit Hattusa grundsätzlich nichts im Wege steht. Die Geschichte des hethitischen Großreiches lässt man mit der Etablierung hethitischer Herrschaft in Syrien (ab ca. 1335 v.Chr., ob in einem Jahr oder in vier Feldzugsjahren, lässt sich nicht mehr ermitteln) durch Suppiliuma I. beginnen. Zu den „Auswärtigen Ländern“ zählten Ugarit und Amurru (nordöstlich von Phönikien) und viele andere. Spätestens vom Augenblick seiner Herrschaft über Syrien an war der Hethiter-König in den erlesenen Kreis der Großkönige aufgenommen, gleichrangig sogar mit dem Pharao. Das Großreich nannte sich Hattusas udne, graphisch KUR URUḪA-AT-TI ‚Land von Hattusa‘. Staatsrechtlich gehörten ihm an: ‚Innere Länder‘ (anduria udne) und ‚Auswärtige Länder‘ (arahzena udne). Die ‚Inneren Länder‘ sind die Kernlandschaft, in dem die ‚Hethiter‘, graphisch LÚMEŠ URU ḪA-AT-TI, ausgesprochen: Hattusumenes,¹³⁴ die direkte Herrschaft ausübten. Zu den „Inneren Ländern“ zählen Hattusa selbst – nach 1700 v.Chr. als Hauptstadt neu gegründet und seit dem Alten Reich Ausgangspunkt der Eroberung von Städten innerhalb und außerhalb des Halysbogens, wie z. B. Ikkuwaniya (Ikonion) oder Tuwanuwa (Tyana) im sog. „Unteren Land“ – sowie das Gebiet der Städte Sarissa und Samuha (Sivas) im sog. „Oberen Land“.¹³⁵ Nur auf ihre Kern-
„Hethiter“ meint nicht die Bevölkerung, sondern „deren maßgebenden Teil, die Angehörigen der großen, … königlichen Sippe“, so dezidiert Starke (1996), 153. Die Sippe, der Clan, die Familie werden heute gerne als Ersatz für den Begriff „Volk“ benutzt. So einfach dürfen wir es uns aber nicht machen. Vgl. dazu aber Teil 2. Über das Eroberungswerk (nach 1700 v.Chr., spätestens aber unter Hattusili I. ca. 1565 – 1540 v.Chr.) berichtet zuerst die Retrospektive in der „Präambel“ (F. Starke) des Telipinu-Erlasses (CTH 19, §§1– 27). Hier wird immer wieder auf die entscheidende Rolle der Sippe angespielt. „Mit starkem Arm besiegt“ waren die Städte fest in ihrer Hand. Textausgabe: Hoffmann (1984); Ü auch: H.M. Kümmel, in: TUAT I/5 (1985), 464– 470; s. dazu Otten (1966), 112– 122. Dass die ‚Inneren
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länder gestützt hätten weder die Hethiter noch die Lyder je den Status einer Großmacht erreichen können. Dazu bedurfte es der Häfen mit Werften, einer wohlgerüsteten Flotte sowie Produktionsstätten und geräumiger Lagerhäuser. Eben dies machte die nordsyrische Hafenstadt Ugarit so wertvoll für Hattusa. Den Rang von Ugarit zu erreichen, davon war Milet damals noch meilenweit entfernt. Der Lyder Alyattes setzte aber auf die Zukunft. Mit den „Auswärtigen Ländern“ des Hethiterreichs sind also solche Länder gemeint, die durch Staatsverträge an Hattusa gebunden waren. Die „Auswärtigen Länder“ bezeichneten wir bereits als Gliedstaaten. In diesen Gliedstaaten trat der Großkönig als Hegemon des Bundes auf.¹³⁶ Die föderale Struktur des hethitischen Großreiches ist nicht etwas, was von antiken Staatsrechtlern künstlich ausgedacht wurde, sondern vollzieht sich nach Art der Emanation, sozusagen organisch, ausgehend von einer Monarchie als Spitze und ausströmend zu einer aristokratischen Verfasstheit durch die Sippe. Insofern lässt sich sagen, dass das hethitische Großreich im Reich des Alyattes eine Wiedergeburt erfährt.Während die Hethiter schon des Alten Reiches auf Syrien setzten – West-Anatolien spielte damals noch keine vergleichbare Rolle –, gingen die Lyder mit Ionien eine schicksalhafte Verbindung ein. Wir kannten bislang keine zweite Kultur aus der langen Geschichte des Alten Orients, die einen Staat mit vergleichbarem, bipolarem, ja dualem Aufbau nach Art von Hattusa besaß, und können jetzt Lydien hinzufügen. Die Hethiter benutzten den Begriff „(das ganze) Land Hattusa“, wenn sie das Gesamtreich meinten. Ihre Staatsbezeichnung war Hattusas udne ‚Land von Hattusa‘. Dass die Lyder entsprechend vom „Land Lydien“ sprachen, ist nur eine
Länder‘ auch damals schon landwirtschaftlich gesehen eher zu den Ungunst-Regionen gehörten, mag die heutige Wetterbeobachtung von Sarissa zeigen: rauhes Gebirgsklima mit durchschnittlich mehr als hundert Frosttagen im Jahr. Sarissa war eine komplette Stadt mit Keilschrift-Archiv und Wallfahrtsort der Könige, auf 1650 Meter über NN gelegen (Region Sivas), s. Müller-Karpe (2002), 177. Das Streben der hethitischen Großkönige nach der Herrschaft über Nordsyrien ist typologisch ganz dem Streben der deutschen Kaiser des Mittelalters nach der Herrschaft über Oberitalien zu vergleichen. Eine wärmere, dichter besiedelte und an alten Städten und Kultorten reiche Ergänzungslandschaft hinter den Bergen zu besitzen, war für beide ein unschätzbarer Vorteil. Als Beispiel für die Innenpolitik sei erwähnt, dass das „Innere Land“ Kalasma an einen Abarru zur Verwaltung übertragen wurde, nachdem ihn Mursili II. zum „Herrn“ ernannt und damit zum Mitglied der königlichen Sippe gemacht hatte, in: Ausführliche Annalen (CTH 61; Ende 14. Jh. v.Chr.) KBo 2.5+, col. III 24– 28. Personalunion von König und Hegemon findet sich mehrfach in der Antike, die Frage ist nur, ob auch schon vor den Lydern existierend. Frühes und wohl berühmtestes Beispiel ist Philipp II. (359 – 336 v.Chr.), König von Makedonien und Hegemon des sog. Korinthischen Bundes, s. Errington (1986), 85 ff.
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Vermutung, die aber angesichts des gleichbedeutenden assyrisch-babylonischen māt Luddu nicht unbegründet ist.¹³⁷
Vertrags- und Verfassungsbruch durch Kroisos Die in der Liste Hdt. 1,28 aufgeführten Länder bzw.Völker sind „im Laufe der Zeit“ unterworfen worden. Diese Deutung korrigiert die von Herodot ventilierte Vorstellung, dass Kroisos alleine die genannten Länder unterworfen habe, und schreibt so das Wirken des Alyattes fest.¹³⁸ Jetzt aber(!) hielt Kroisos alle Bewohner innerhalb des Halys im Status steter Untertänigkeit. Soweit unsere Paraphrase der beiden einleitenden Sätze. Das Ergebnis war eine uniforme Rechtsordnung für alle Bewohner des lydischen Reiches. Die Liste ist kein amtliches Dokument. Das beweist allein schon die Tatsache, dass es eine abweichende Aufstellung des Ephoros von Kyme gab (FGrHist 70 F162).¹³⁹ An dieser fällt auf, dass sie über Herodots Liste hinaus auch noch die Kappadokier zu den Unterworfenen rechnet. Von diesen glaubte Ephoros offensichtlich, sie würden im Inneren des Halysbogens siedeln. Dieses Gebiet wurde in Wirklichkeit in lydischer Zeit zu (Ost‐)Phrygien gerechnet. Brücken über den Halys, die Herodot erwähnt (1,75,3, dazu Teil 6), verbanden die phrygischen Großlandschaften. Dass die Lyder auch jenseits des Oberen Halys die Herrschaft ausübten, wird bezeugt durch die Nennung der untertänigen, halbmythischen Chalyber, deren Wohngebiete von den klassischen Autoren zwar an der Küste des Schwarzen Meeres hin und her geschoben werden, aber nie so weit, dass sie westlich der Halysmündung hätten gedacht werden können.¹⁴⁰ Bleiben wir deshalb bei der ältesten Liste,
Vgl. auch ABC no. 6: Neriglissars Feldzug (557 v.Chr.) nach Pirindu (d.i. Kilikia Tracheia) bis an die „Grenze von Lydien“ (mi-ṣir šá URU Lu-ú-du). An Alyattes ist offensichtlich gedacht, wenn es eingangs heißt: „im Laufe der Zeit“ (chronou de epigenomenou; Hdt. 1,28). An der Liste des Ephoros übt Strabon Kritik (14,5,23). Zu den Listen s. Asheri (1988), 280 f. Stein (1901), 33 sah sich in seinem Kommentar zu Hdt. 1,28 gezwungen, weil er die übliche Vorstellung von Kappadokien hatte, die Chalyber, die Xenophon im Gebiet östlich von Trapezunt antraf (Xen. an. 4,7,15, dazu Lendle [1995], 266 – 270), als Indiz dafür zu nehmen, dass die ganze Liste unecht und zu athetieren sei. Das Gegenteil ist richtig. Nach unserem Dafürhalten, das auf einem historisch zu differenzierenden Kappadokien-Begriff aufbaut (dazu Teil 6), ist die Liste in dieser Form zwar nicht authentisch lydisch in ihrer Mentalität, was aber nicht heißen soll, dass sie Länder/Völkerschaften aufzählen würde, die nie zum Lyderreich gehört hätten. Die Probe aufs Exempel: Herodot stellt ausdrücklich fest, dass Kilikien nicht Teil des Lyderreiches war. In der Tat. Dieses ist vielmehr im Besitz Babyloniens, wie die babylonische Chronik ABC no. 6 für 557 v.Chr. bezeugt.
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der Herodots. An erster Stelle wird Lydien genannt, das damit als das Zentrum des Reiches qualifiziert wird. Dieses Zentrum bestand in der Vorstellung Herodots allein aus der Metropole Sardes. Schon gar nicht denkt er bei Lydien an Stammlande, so wie er das für die dadurch hervorgehobene Persis der Achämeniden tut. Über Sardes und auch über ein lydisches Kernland herrschte Kroisos als König der Lyder. Die Sonderstellung Lydiens unter den zentralen Ländern war auch in der Landschaft erfahrbar. So hören wir zufällig einmal, dass eine beschriftete Säule, die Kroisos aufgestellt habe, die Grenze von Phrygien und Lydien bezeichnet habe (Hdt. 7,30). Mit Phrygien wird gleichwohl die Liste der inneren Länder im Gegen-Uhrzeiger-Sinn fortgesetzt. Phrygien nimmt die zweite Position vielleicht auch deshalb ein, weil es aufgrund freundschaftlicher Beziehungen als „königsnah“ (P. Moraw)¹⁴¹ empfunden wurde (Hdt. 1,35,4).¹⁴² Wahrscheinlich galten die Phryger auch deshalb als besonders nahe stehend, weil sich die Lyder teilweise als Erben des phrygischen Reiches betrachteten. Einer der Hinweise darauf ist das Bestattungswesen.¹⁴³ Nach den Phrygern werden die ihnen, wie Herodot noch wusste, stammverwandten Thraker aufgeführt, dann erst die karischen Nachbarn im Süden. Nach den Thrakern und vor den Karern hätte man aus rein geographischer Sicht die Aioler zu erwarten, jedoch stehen sie nach den Dorern und vor den Pamphyliern im „Griechenblock“. Der Positionierung der Karer ist besondere Beachtung zu schenken. Denn einerseits schließen die Karer im Westen den Kreis der „Inneren Länder“ ab, andererseits ziehen sie, ganz geographisch gedacht, die Ionier an sich. Damit leiten die Karer zu den Griechen über. Hier rücken die Ionier an die erste Stelle, und zwar des „Griechenblocks“; dies wohl aufgrund der überragenden Bedeutung Milets. „Der Griechenblock“ in der Abfolge Ionier, Dorier und dann, in einem Rückwärtssprung über
Eingeführt in die Mediävistik hat diesen Begriff Moraw (1976); Hinweis von Dr. M. Maser (Erlangen). Das Asyl und die Entsühnung des Sprösslings eines phrygischen Dynastengeschlechts durch Kroisos ist als Erzählung von eher griechischer Herkunft zu bestimmen, so Dreher (2006). Vor allem die Begrüßungsworte an Adrastos: „Von Freunden stammst du, zu Freunden bist du gekommen“ (Hdt. 1,35,4) sind befremdlich. Freundschaft ist ein genuin griechisches Thema, sie ist Gegenstand z. B. des platonischen Dialogs Lysis. „Hinter dem Lysis steht als Folie die Pracht und der Glanz der archaischen Adelskultur“, so Snell (1955), 117 f. Während für die Könige der Hethiter Brandbestattung üblich gewesen war, bestand der Normaltyp des indogermanischen Fürstengrabes des pontischen Steppengebietes in einem Grabhügel aus Erde, dessen Inneres eine hölzerne Grabkammer verbarg. Die Sitte, solche Kurgane zu errichten, nahmen indogermanische Völker auch in den Balkan mit, von wo aus sie die Phryger später nach Kleinasien brachten. Hier übernahmen sie die Lyder unter Ersatz der hölzernen Grabkammern durch steinerne. Zur Kurgankultur allgemein vgl. Anthony (2007).
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die Ionier hinweg, die Aioler, gefolgt von den Pamphyliern, steht in gesonderter Position und ist nach dem politischen Gewicht gegliedert.¹⁴⁴ Wir kennen solche Listen aus altanatolischer Tradition nicht. Listen hat zwar die Ilias, so für das Herrschaftsgebiet des Agamemnon (2,569 – 580) sowie des Nestor (2,591– 602), aber diese lassen sich mit unserer Liste nicht überzeugend verbinden. Die Liste ist die früheste, wichtigste und geradezu die unsterbliche Form einer Wissenschaft, die von enzyklopädischer Art war. Sie entstammt dem mesopotamischen Kulturraum, verbreitete sich dann mit der Perserherrschaft speziell als Länderliste und kommt so schließlich bei den Griechen an.¹⁴⁵ Die Perser pflegten in solchen Länderlisten die untertänige Reichsbevölkerung aufzuzählen, und sie werden Herodot ihr Schema an die Hand gegeben haben, mit dem dieser die ihm überkommenen Informationen, d. h. Ländernamen des Kroisos-Reiches, darstellen konnte. Hat Herodot in der Wahl eines persischen Formulars dem Kroisos Affinität zu persischen Herrschaftsvorstellungen anlasten wollen? Die Perser setzten allein auf Untertänigkeit, sie kannten keine Symmachie-Verträge. Wurde Untertänigkeit nicht auch von Kroisos angestrebt und wenigstens zum Teil auch verwirklicht? Die Achämeniden leiteten ihre Listen nach der Selbstvorstellung: „Es kündet Dareios der König“, mit einem legitimierenden Satz ein: „Durch den Willen Auramazdas bin ich König. Auramazda hat mir die Herrschaft verliehen.“ Einen Gottesbezug weist unsere Liste nicht auf. Das deckt sich mit Beobachtungen des Lyder-Logos insgesamt. Nirgendwo findet sich auch nur eine Spur von politischer Theologie, von Schutzgottheiten für Dynastie und Reich hören wir nichts. Allerdings überliefert dergleichen Herodot auch für die Achämeniden nicht, obwohl deren Inschriften voll davon sind. Sehr wahrscheinlich hat Herodot den Gottesbezug systematisch und bewusst weggelassen. Die in unserer Liste aufgezählten Völker bzw. Länder „hielt Kroisos in Untertänigkeit“, wörtlicher: „hielt er, nachdem er sie unterworfen hatte“ (hyp’ heouto eiche katastrepsamenos ho Kroisos). Eine genaue Rechtsordnung ist daraus nicht einfach zu erschließen.¹⁴⁶ Herodot ist mindestens fünfmal auf das Verhältnis des Kroisos zu den kleinasiatischen Griechen eingegangen. So behauptet Herodot an einer wichtigen Stelle, die Person zu kennen, von der er mit Sicherheit wisse, dass sie mit dem „Unrechttun“ (adika erga) gegen die Griechen begann (Hdt. 1,5,3), nämlich Kroisos. Dieser habe die Griechen, die Bundesgenossen waren, unter-
Eine andere Reihenfolge findet sich Hdt. 1,6,2: „Er unterwarf Ionier, Aioler und Dorier …“. Calmeyer (1982; 1983), der die Linie bis Apg 2,5 – 11 (Das Pfingstwunder in Jerusalem) auszieht. Hdt. 1,28. Gr. eiche katastrepsamenos „hielt, nachdem er unterworfen hatte“, meint eindeutig den Zustand, der sich aus der Unterwerfung ergab. Miller (1963), 84 denkt bei katastrepsamenos an einen Vorgang der Provinzialisierung und nicht an militärische Eroberung.
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worfen und zur Steuerzahlung verpflichtet (Hdt. 1,6,2; 1,27,2; vgl. 1,26,3). Das Wort phoros ‚Steuer‘, das Herodot hier benutzt, sonst aber für die Herrschaft der Perser reserviert, ist das Bindewort, das unsere Liste und die sog. Satrapienliste des persischen Reiches (Hdt. 3,89 – 96) in Eins sehen lässt. Wer Steuern zahlen muss, ist unfrei, vor Kroisos waren die Griechen „frei“ (Hdt. 1,6,3). Kroisos steht laut Herodot für die erste katastrophe (Unterwerfung) Ioniens (Hdt. 1,92,1; 6,32), für die zweite ist Kyros verantwortlich (vgl. Hdt. 6,32), beim dritten Mal ist an Dareios gedacht, als durch die Niederschlagung des sog. Ionischen Aufstands 494 v.Chr. die Ionier wiederum „unterjocht wurden“ (katedoulothesan, Hdt. 6,32). Nun hat Herodot mit seiner Gleichsetzung lydisch-kroiseischer mit persischen Eroberungskriegen sicherlich bestimmte Interessen verfolgt, die sich schon bei der Wahl für ein persisches Formular angedeutet findet: Kroisos’ Herrschaft ist ein Vorspiel oder die Antizipation von „Knechtschaft“ (doulosyne) gewesen, die dann endgültig mit den Persern gekommen sei. Herodot revidiert dieses Urteil nicht, präzisiert und relativiert es aber, wenn er viele Kapitel später die schöne Geschichte erzählt, wie Kyros in Sardes den Boten der Ionier und Aioler eine (äsopische) „Fabel“ (logos) von den Fischen vorträgt und ihnen eine Lehre erteilt. Sie lässt sich mit den Worten eines inzwischen weitverbreitenden Ausspruches wiedergeben: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Die Ionier standen dem Kroisos nämlich bis zum Schluss treu zur Seite, wussten oder ahnten sie doch, dass es geradezu ein Privileg war, dem Kroisos „untertänig“ (kathekoos) zu sein. Deshalb verzweifelten sie auch nicht, und gaben die Hoffnung nicht auf, ihren bisherigen Status doch auch unter Kyros noch wahren zu können und nicht douloi ‚Sklaven‘ der Perser werden zu müssen. Die Belegstellen zeigen, dass es Herodot nicht gelungen ist, seine Vorlagen vollständig zu harmonisieren. Das scheint er selbst einzugestehen, wenn er sagt (Hdt. 1,26,3), dass Kroisos für seine planmäßigen Eroberungen „immer andere Gründe“ (alloisi allas aitias) vorbrachte, manchmal sogar nur „faule“ Ausreden (phaula) von sich gab.
Zusammenfassung Nur durch ein Zusammenspiel mit den Ioniern hat Lydien zu einem Großreich aufsteigen können. Die Forschung machte die Feldzüge der Lyder zum Kern der lydischen Geschichte. Man blieb dabei in den Bahnen des griechischen Kriegsrechts und klebte am Text Herodots. Dieser nun hielt sich an Homer, dessen Epos vom Troianischen Krieg ihm als Modell vor Augen stand. Diesen hat er korrekt als typischen Rachekrieg mit all seinen Bestandteilen aus der Ilias herausgearbeitet (Hdt. 1,3). Das Problem war nur, dass Herodot in seinen Quellen weder ein Rachemotiv bei den Lydern fand noch eine Wiedergutmachungsforderung und
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schließlich auch nichts von einer Kriegserklärung und einem Friedensschluss hörte oder las, wie sie für einen Rachekrieg in seiner regelgerechten, klassischen Form des polemos konstitutiv war. Das zeigt wiederum, dass Lydien eben kein griechisches, sondern ein vorderorientalisches Reich war. Der Vordere Orient nämlich kennt Rache als Handlungsmotiv kaum oder gar nicht. In Griechenland dagegen war der Rachekrieg fast die alleinige Kriegsform. Die Forschung folgte Herodot und deutete die Feldzüge der Lyder so, als sei ihr Zweck die Stadteroberung gewesen. Ausgerechnet die Erzählung von Alyattes’ Kampagnen, die dieser ein dutzendmal gegen Milet lenkte, machte dann klar, dass wir es mit regelmäßigen Kampagnen zu tun haben, die wir zu den „Raubkriegen“ zählten. „Raubkriege“ erfolgten ohne Ankündigung und sind von daher von einem regelgerechten „Krieg“ (polemos) zu unterscheiden. Ausführende können Stämme sein oder Staaten; diese unterteilt in Gemeindestaaten und Monarchien. Gemeindestaaten sind die griechischen poleis und die römische Republik. Hier spricht die moderne Forschung von „Privatkriegen“ patrizischer Geschlechter. Diese „Privatkriege“ hätten sich zum „öffentlichen Krieg“ als Ausdruck eines staatlichen „Kriegsmonopols“ fortentwickelt.¹⁴⁷ Bei Übertragung dieses Schemas auf unsere Materie ergeben sich jedoch Abgrenzungsprobleme. Lassen sich z. B. die phönikischen Staaten nicht auch oder wenigstens teilweise als Gemeindestaaten verstehen? Und ist Lydien im Vergleich mit dem durch und durch bürokratischen Assyrien nicht eine charismatische Monarchie, die in ihrer Frühzeit „Raubkriege“ gegen ionische Städte noch ganz im Stile von „Privatkriegen“ mit Gefolgschaft führen konnte? In einem aufwendigen Verfahren haben wir einen typologischen Vergleich zwischen Assyrien und Tyros auf der einen und Sardes und Milet auf der anderen Seite angestellt. Der Raubkrieg bestand im Beutemachen, dann auch im Einsammeln von Tributen. Das geschah regelmäßig: „Einundzwanzigmal habe ich den Euphrat überschritten“, sagt Salmanassar III. Das ist freilich ein Extremwert. Mit relativ hohen Zahlen an Kampagnen lassen sich aber auch die anderen assyrischen und babylonischen Könige vernehmen. Dann werden die Zielgebiete genannt, genauso wie Herodot das tut. Die elf bis zwölfmaligen Kampagnen gegen Milet können durchaus jeweils der Abschluss oder auch der Beginn einer erfolgreichen Jahres-Kampagne durch ganz Ionien gewesen sein. In Tyros erfolgt die Übergabe des Tributs vor den Augen des assyrischen Königs, der auf der festländischen Seite steht, hinter ihm seine Leibwache, bestehend aus Schwertträgern; so im entscheidenden Moment festgehalten auf den Bronzeblechen von Balawat. Ohne den Aufmarsch des Heeres käme das Kassa-Verfahren nicht zu dem
Timpe (1990), dessen Aufsatz sich als Ergänzung zu Mommsen (1887), 61 ff. versteht.
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gewünschten Ergebnis. Von einer Stadteroberung oder auch nur von einem Sturmangriff auf die Stadt ist dagegen weder im Falle von Tyros noch von Milet die Rede. Warum erwähnt Herodot die Tributübergabe nicht?¹⁴⁸ Ohne Aussicht auf Beute würde sich kein antikes Heer je in Bewegung setzen, und schon gar nicht elf bis zwölfmal, wenn jedes Mal erfolglos. Den Fehler, der leicht in die Irre führen konnte, ist wohl darin zu sehen, dass Herodot sich eine Übergabe des Tributs nur durch Eroberung und Zerstörung vorstellen konnte. Der typologische Vergleich zwischen Milet und Tyros erwies sich als fruchtbar, auch im Herausfinden, wo die Parallelität ihr Ende findet. Die Phöniker blieben zwar auch im 7. Jh. v.Chr. vom assyrischen Provinzstatus verschont, gerieten aber eher in eine noch schlimmere Situation. Das ist jedenfalls unsere Sichtweise. Konzeptionslosigkeit, die darin zum Ausdruck kommt, dass man z. B. Tyros Ländereien zuerkannte, welche man Sidon zuvor genommen hatte oder umgekehrt, untergrub sowohl die Gerechtigkeit des Einzelnen als auch die Gerechtigkeit politischer Institutionen. Gefragt oder ungefragt wurden die Phöniker zusätzlich mit dem Auftrag belastet, assyrische Truppen an Bord zu nehmen und diese nach Ägypten überzusetzen, und dies nicht nur einmal. Drei Anläufe waren nötig (674, 671 und 667 v.Chr.), bevor Assurbanipal zuletzt das ägyptische Theben in Besitz nehmen konnte, aber nur für wenige Jahre. Man kann Assyrien auf dem Höhepunkt seiner Macht sehen, und hat damit nicht einmal ganz Unrecht, man kann freilich auch eine Überforderung seiner logistischen Infrastruktur annehmen und eine Überdehnung der natürlichen (ganz zu schweigen von ideologischen) Grenzlinien. Dazu kam das viel schwerer wiegende Unvermögen, gegenüber den Phönikern und anderen Populationen auch nur den Eindruck von politischer Hochschätzung und so etwas wie ein Wir-Gefühl aufkommen zu lassen. Ein schärferes Bild vom Unvermögen der Assyrer,Völker auf ein gemeinsames Ziel hin zu lenken und zu leiten, zeigte sich, wenn man das Verhältnis zwischen Hattusa und Ugarit untersuchen und mit dem Assyriens zu Phönikien vergleichen würde. Der assyrische Staatsvertrag, soweit die wenigen noch einigermaßen erhaltenen Exemplare ein Urteil überhaupt zulassen, ist aus anderem Holz geschnitzt, besser: in eine überlebensfähige Tontafel gedrückt. Er ist eine einseitige Loyalitätserklärung für den assyrischen König, in der Praxis kam er einem Unterwerfungsvertrag gleich und wurde auch so verstanden. Er wäre für Ugarit völlig
Herodot weiß sehr wohl um das Beutemachen, so dem der persischen Soldateska des Kyros in Sardes (1,88). Die Erzählung lässt außerdem erkennen, dass hier ein Raubkrieg gemeint ist, der zwar staatlich-öffentlich ist, aber auch noch Spuren des Privatkrieges aufweist. Alle Schätze von Sardes „gehören dir“ (ta sa, 1,88,3), belehrt Kroisos den Kyros.
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ungeeignet gewesen.¹⁴⁹ Zwar spricht auch der hethitische Vertrag ständig von Treue, aber zur Treue bekennen sich hier beide Vertragspartner; es geht also um Begriffe, die in Gegenseitigkeit gelebt werden müssen.¹⁵⁰ Nun zu den Lydern! Alyattes schloss einen Freundschaftsvertrag mit Milet und Kolophon und wohl auch weiteren ionischen poleis und krönte sie mit einem Waffenbündnis (symmachia). Herodot nennt den Staatsvertrag mit Milet symmachia. Mit symmachia bezeichnen wir auch den Staatsvertrag, den Hattusa mit Wilusa/Troia schloss, und zwar hauptsächlich wegen der von Hattusa eingeforderten und zugesicherten, gegenseitigen Beistandsverpflichtungen. Durch die Überlegung, dass Staatsverträge nicht immer auf neuer Erfindung beruhen müssen, zumal wenn sie in derselben Gegend wieder auftreten, kommt man den Lydern auf die Spur. Wichtig ist hier die Beobachtung, dass in dem von H. Bengtson besorgten Standardwerk zu den griechischen Staatsverträgen (StV II)¹⁵¹ die ältesten Vertragsabschlüsse in griechischer Sprache die sind, die zwischen Lydien und Ionien ausgefertigt wurden. Sowohl Assyrer als auch Lyder sind damit als Erfinder des Staatsvertrags so gut wie ausgeschieden. Viel näher liegt jetzt die Annahme, dass die völkerrechtlich relevanten Einrichtungen, wie der Staatsvertrag, als Ableitungen aus hethitischen Einrichtungen anzusehen sind, die im sog. Späthethitischen, den luwischen Staaten Südostanatoliens und Nordsyriens, überlebt hatten. Über Lydien kam der Symmachie-Vertrag dann nach Griechenland, und zwar nach Sparta; dies vielleicht anlässlich des Bundesschlusses zwischen Kroisos und den Lakedaimoniern. Diese bauten mit diesem Vertragswerk ab 550 v.Chr. ihren Peloponnesischen Bund auf. In der Mitte zwischen dem hethitischen Staatsvertrag und dem spartanischen Symmachie-Vertrag steht der lydische Staatsvertrag. In Spiegelung dieser beiden Verträge haben wir Teile des lydischen Vertrages, vor allem die Präambel mit der historischen Retrospektive („Wie kam es überhaupt zum Krieg? Wie zum Frieden?“), zu rekonstruieren versucht. Wenn man um die Formelhaftigkeit weiß und sich eingelesen hat, dann lassen sich vereinzelt Satzteile sogar noch bei Herodot finden, so im sog. Botenspruch. Dass das hethitische Erbe im Westen Anatoliens gegenwärtig blieb, zeigt ein noch späterer Vertrag, der ca. 250 v.Chr. zwischen Smyrna und Magnesia am Sipylos geschlossen wurde. Mit den Staatsverträgen änderte sich der Aufbau des hethitischen und des lydischen Reiches.
Die aussagekräftigsten Verträge finden sich in dem schmalen Band SAA II; Parpola (1987) bietet weitere Texte. So heißt es im Alaksandu-Vertrag: „Du, Alaksandu, halte der Majestät huldvoll die Treue … Und wie ich, die Majestät, dir, Alaksandu, in förderlicher Weise … die Treue gehalten habe, dir zu Hilfe gekommen bin und deinetwegen den Feind geschlagen habe, …“ (§6a A col. I 62′-63′). Der erste Band (StV I) zu den altorientalischen Staatsverträgen ist nie erschienen.
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Durch die Politik Mursilis II. (ca. 1318 – 1290 v.Chr.), der Arzawa besiegte und die Arzawa-Länder zu Gliedstaaten Hattusas machte, kam ein föderatives, bundesstaatliches Element in die Verfassung Hattusas. Diesem Vorbild folgte Alyattes, indem er Staatsverträge, nachweislich so genannt, mit Milet, Kolophon und Ephesos schloss, und auch mit den ionischen, aber in aiolischer Umgebung liegenden, Orten wie z. B. Phokaia, das Lampsakos an den Dardanellen gegründet hatte. Damit ist das große Ziel angedeutet, das die lydische Politik durch den Symmachie-Vertrag mit Milet, der für sie wichtigsten griechischen Stadt, anpeilte, nämlich den Durchbruch durch die Meerengen und die Kolonisierung des Schwarzen Meeres.
3.2 Grenzschutz und „Kolonisierung“ im Norden. Das lydisch-milesische Bündnis in Aktion Delphi. Heiligtum, Wallfahrtsort und Ort der Präsentation Herodot hat richtig gesehen, dass die Politik der altorientalischen Staaten und Ägyptens sich im 7. und 6. Jh. v.Chr. auf das Rote Meer und vor allem auf die Ägäis hin auszurichten begann. O. Seel hat Delphi zum richtungsweisenden Leuchtturm für Lydien stilisiert.¹⁵² W. Schadewaldt übersteigerte Delphi dann zu einem Bergheiligtum, von dem her Kroisos die Botschaft von der wahren Humanität vernommen habe. So mag Kroisos den weisheitlichen Satz gekannt haben, der jede politisch-gestalterische Aktivität hemmen musste, der Satz: Gedenke Mensch, dass es in Menschendingen keine Sicherheit gibt!¹⁵³ Der Kreislauf (kyklos) sorgt dafür, dass nicht immer dieselben Menschen glücklich bzw. unglücklich sind. Wir glauben nicht, dass dies das Credo Lydiens war. Der Lyderglaube bewahrte eine andere, nicht einfach nur ältere, keinesfalls aber konservierte Kultur. Fortschreibung von Literatur und Gesetz verdrängte nicht das Frühere; vielmehr blieb dies neben dem Jetzigen, Gültigen geschrieben bestehen, so in den Hethitischen Gesetzen, wo dem, was früher (karu) galt, das jetzt (kinun) Gültige bei-
Seel (1956), 40. Schadewaldt (1975), 32. Alles, was Schadewaldt (1963; 1975) sagt, ist tief gefühlt und gut gedacht, und es ist bewahrenswertes Dokument des deutschen Humanismus. Aber echte Religion und wahre Theologie ist das nicht, und wir bezweifeln, dass der historische Kroisos mit der angeblichen Botschaft Delphis in der Interpretation Schadewaldts etwas hätte anfangen können. Es ist zudem sehr die Frage, ob die im Solon-Kroisos-Dialog gehäuft ausgesprochenen Weisheiten alle in Delphi ihren Ursprung haben.
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gesellt wird. Dem Grundsatz: Nichts hinzufügen – nichts wegnehmen, blieb der Vordere Orient treu (vgl. Dtn 13,1). Delphi war bereits in den Tagen des Alyattes ein volkstümlicher, keinesfalls ein nur andächtiger Ort, sondern Ort eines inzwischen weithin bekannten Orakels, und Austragungsort sportlicher und musischer Agone; an Festtagen, so zum Festtag der Theophanie, mag es Messen und Jahrmärkte auf der halos ‚Festwiese‘ gegeben haben (d.i. eine „circular piazza“, so LSJ s.v. II 5). Von festen kultischen Geboten (ta nomizomena) spricht Herodot (1,43). Zulassungsbeschränkungen für das Heiligtum in irgendeiner Art und Weise, etwa des Standes oder des Reichtums, gab es nicht. Ethische Anforderungen an den Besucher stellte dagegen, um zum Vergleich wieder Israel in den Blick zu nehmen, der Tempel in Jerusalem. Ps 24, der zu den ältesten vorexilischen Psalmen überhaupt gehört, ist ein Wallfahrtslied und ein Kulthymnos: „Wer darf hinaufziehen zum Berg des Herrn … (3)“ „Wer reine Hände hat und ein lauteres Herz … (4)“. Hier wird auf die innere Einstellung abgehoben, wie sie beim Einzug in den Tempel verlangt wurde. Orakel wurden sicherlich auch in den Tempeln Israels erteilt. Mit der Kultzentralisation auf Jerusalem kam aber bald das Verbot: „Zauber (hebr. nhs) wirkt nicht in Jakob/ und kein Orakel (hebr. qsm) in Israel“ (Num 23,23). Strenge Reinheitsvorschriften herrschten auch bei den Hethitern im 2. Jt. v.Chr., wie wir sie aus den sog. PalastInstruktionen kennen.¹⁵⁴ Wie das Leben an Heiligtümern und Tempeln wirklich aussah, darüber hört man aus Jerusalem am meisten, besonders aus dem Ezechiel-Buch, fast nichts dagegen liest man bei Homer und Herodot über die Heiligtümer Griechenlands; griechische Tempel haben weder Eigennamen, wie Esangila, Tempel des Marduk in Babylon, oder Ekur, Tempel des Enlil in Nippur, und viele andere, noch verkünden Hymnen ihre Ehrwürdigkeit. In Delphi nun stellte Kroisos seinen Reichtum aus. Unter den Besuchern waren viele aus den dorischen Staaten der Peloponnes. Das war keine Propagandaveranstaltung, vielmehr bewies Kroisos ganz unverstellt seine Frömmigkeit, auch in griechischen Augen (Pind. P 1,94). Schon sein Vater, Alyattes, hatte ein kostbares Weihegeschenk gestiftet, das, um den griechischen Geschmack zu
Vorschriften für Diener des Königs (CTH 265), col. II 20–III 2: „Dazu aber sollt ihr Küchenbediensteten allesamt … für des Königs Seele einen Eid leisten, indem ihr einen Becher aus Ton mit Wasser füllt, ihn vor dem Sonnengott ausgießt und so sagt: ‚Wer eine Verunreinigung verübt und dem König verdorbenes Wasser gibt, dessen Seele sollt ihr, o Götter, wie Wasser ausgießen‘“ (Ü: E. von Schuler, in: TUAT I/1 [1982], 124). Bemerkenswert ist der sog. Zeremonielle Fluch im Troer-Achäer-Vertrag: „Denen fließe das Hirn zu Boden wie dieser Wein hier, …“ (Hom. Il. 3,300). In seiner Ost-West-Drift erreicht er schließlich Thera/Santorin (630/20 v.Chr., Kyrene): „Wer nicht bei diesen Eidbestimmungen bleibe, sondern sie übertrete, solle so zerschmelzen und zerrinnen wie die (sc. wächsernen) Figuren …“ (GHI 5, 46 – 48; Ü: HGIÜ I no. 5, S. 6).
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treffen, der Handwerker, heute Künstler genannt, Glaukos von Chios geschaffen hatte (Hdt. 1,25, 2). Gleiches tat auch Kroisos. Er ließ ebenfalls einen silbernen Mischkrug (krater) anfertigen, diesmal von Theodoros von Samos (Hdt. 1,51,3). Das Silber kam aus Bergwerken in Lydien. Alyattes stiftete nur in Silber, mit Kroisos verbindet man gewöhnlich, was Weihegeschenke angeht, Gold (Hdt. 1,50 – 51). Aus Gold hat früher schon Gyges seine Weihegeschenke (anathemata) gestiftet (Hdt. 1,14,1). Übergehen wir zunächst die Frage, woher das Gold kommt, und stellen uns dem Problem, warum dem Kroisos das Gold so wichtig wurde? Bezahlt wurde doch im Vorderen Orient mit Silber. Gold diente ausschließlich der Ausschmückung von Tempeln und Palästen sowie der Thesaurierung in Schatzhäusern. Man sandte Bettelbriefe nach Ägypten in der Amarna-Zeit (14. Jh. v.Chr.), so schreibt ohne Scham der König Assur-uballit I. von Assyrien an Echnaton: „Der König von Hanigalbat (d.i. Mitanni) hat zwanzig Talente Gold bekommen. Nun, ich bin ranggleich mit dem König von Mitanni, gleichwohl schickst du mir nur (soundso viel) Gold, und das ist nicht einmal genug, um die Hin- und Rückfahrt meiner Boten zu bezahlen“ (EA 16).¹⁵⁵ Assur-uballit wollte damit seinen im Bau befindlichen Palast ausschmücken (EA 15). Reichtum, nicht Geld machte den Herrscher aus. Reichtum zur Schau zu stellen, dafür nutzte auch Kroisos das Gold. Es ging ihm damals wohl nicht zuletzt um die Gewinnung von griechischen Bundesgenossen, also um Kämpfer, am liebsten Spartiaten. In der Vulgata war Kroisos früher schon mit (dubiosen?) Finanztransaktionen befasst, auch im Zusammenhang mit Rekrutierungen (vgl. Ail. var. 4,27). Rekrutierung ist ein anderes Thema.
Militärische Einsatzgebiete Als militärische Einsatzgebiete waren sowohl im Norden das Gebiet der Meerengen ausgewiesen als auch und besonders dringlich der Osten, wo man die Gefahr aus den iranischen Ländern im kilikisch-euphratischen Kappadokien abzufangen gedachte. Kappadokien trug in der Bronzezeit den Namen Kizzuwatna, eine nach Religion, Kult und Kultur luwisch-hurritisch geprägte Landschaft, die seit 1450/1440 zu Mitanni gehörte und dann auf der Grundlage eines fast paritätischen Staatsvertrages, den Tudhalija I. (ca. 1420 – 1400 v.Chr.) mit Sunassura, dem König von Kizzuwatna, geschlossen hatte, zum ersten
S. auch den Brief Assur-uballits ARI I, LXXIII 11, 316.
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Gliedstaat des hethitischen Reiches wurde.¹⁵⁶ Nach dem Tod Sunassuras wurde Kizzuwatna dann den „Inneren Ländern“ Hattusas zugerechnet.¹⁵⁷ Die Spuren dieser Zeit haben sich lange erhalten. C. Marek sieht in dem Tempelstaat von Komana und anderen Orten, die Kappadokien zu einem religiösen Zentrum Anatoliens noch in römischer Zeit machten, zu Recht die Kontinuität seit der Hethiterzeit gewahrt.¹⁵⁸ Der Nord-Westen war lydisches Stammland. Der Süd-Osten aber war für Völker, die einmal einen Fuß nach Zentralanatolien gesetzt hatten, immer das gelobte Land. Das war für Hethiter, Luwier und Phryger so gewesen und würde später bei den Galatern ebenso sein, und anderes ist daher auch für die Lyder nicht zu erwarten.Vielleicht hatten sie sogar einen Mythos, dem zufolge sie zurückkehren würden nach Syrien/Assyrien. Entsprechend der lydischen Frühgeschichte Herodots (1,7) war der erste König von Sardes, Agron, ein Sohn des Ninos, des Gründers von Ninive, ferner war er Enkel des Belos, „Herr“, d.i. Marduk, ursprünglich Stadtgott von Babylon, dann die wichtigste Gottheit für das gesamte Zweistromland, das Herodot „Assyrien“ nennt.¹⁵⁹ Die realpolitischen Motive des Kroisos beim Blick nach Süd-Osten kommen später zur Sprache (Teil 5).
„Milesische Kolonisation“. Dienst für das Reich Den Lydern waren beide Grenzräume gleich wichtig, teils aus denselben, teils auch aus anderen, weiteren Gründen. Alyattes sah sich vor die Aufgabe gestellt, im Nordwesten Aufgaben defensiver Sicherheitspolitik und offensiver Kolonialpolitik miteinander zu verbinden. Der Symmachie-Vertrag, den er mit Milet geschlossen hatte (um 600 v.Chr.), war im Kern ein Kampfbündnis. Es sollte im Norden an den Grenzen zwischen Asien und Europa bald seinen Erfüllungsort finden, Lyder und Ionier im gemeinsamen Streben um ein großes Ziel vereinen. Das ist unsere These, denn als Hypothese genommen kann sie einige Auffällig KBo 1.5 (Ende 15. Jh.; ed. Weidner [1923], 89 – 111), hier fälschlich Muwatalli statt Tudhalija I. Kizzuwatna ist für Hattusa wichtig, weil die Hethiter von hier den südöstlich geprägten Teil ihrer Ritualliteratur bezogen oder im Gepäck der hurritischen Priestertochter Puduhepa, der besten Repräsentantin hurritischer Kultur, geliefert bekamen. Vgl. dazu auch Teil 6 (Kappadokien). Für die Gliedstaaten, die dann Suppiluliuma I. in Syrien und Mursili im Westen im 14. Jh. v.Chr. einrichten werden, blieb dagegen der Status unverändert und endgültig. Eine Provinzialisierung, wie im Falle Kizzuwatnas, fand nicht mehr statt. Die Könige Assyriens blieben bei der Provinzialisierung von Vasallen-Ländern; auch Kroisos wollte die Milesier nach Herodot den Status von Untertanen aufdrücken. Marek (2010), 630, der weitere geistige/heilige Plätze, wie z. B. Olba, nennt. Heller (2010), 47.
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keiten besser erklären als das, was bislang in der Forschung vorgetragen wurde. Die wenigen Quellen, die auf Aktivitäten im Norden im fraglichen Zeitraum hätten schließen lassen, waren nicht auffällig genug, um ein sardisch-milesisches Konzept postulieren zu können. Hinreichend deutlich erschienen der Forschung immerhin die versprengten Nachrichten, um daraus eine „Milesische Kolonisation“ zu machen und sie anzuhängen an die große griechische Kolonisation des 8. und 7. Jh. v.Chr. (s. Glossar) vor allem Unteritaliens und Siziliens. Letzteres ist wegen des zeitlichen Abstandes aber nur eine These, denn sie kann nicht zweifelsfrei die milesische Verspätung im Rennen um den Besitz von Kolonien erklären. Methodisch ist sogar einzuwenden, dass eine Vergleichbarkeit von Milet mit irgendeiner anderen griechischen Metropolis, sei es Chalkis oder Rhodos, nicht gegeben ist. Ein typologischer Vergleich kann in unserem Fall nur fruchtbar werden, wenn Land- und Seemacht ins Spiel kommen und die Landmacht im Hinterland eine Großmacht ist. Eine wirkliche Parallele ist deshalb das saitische Ägypten unter dem Pharao Necho II. (610 – 595 v.Chr.), der in Kooperation mit dem phönikischen Tyros Schiffe ins Rote Meer entsandte.Was die Phöniker an die Ägypter so stark band, ist, über eine gewisse innere Affinität hinaus, die Tatsache, dass die Phöniker die Formel hätten sprechen können, denselben Freund und – mit besonderer Genugtuung – denselben Feind zu haben. Dieser Feind war Nebukadnezar II. von Babylon, den sie als direkten Nachfolger der verhassten Assyrer ansahen. Wie berechtigt das war, zeigte sich, als Nebukadnezar Jerusalem eroberte (zum ersten Mal? 585 v.Chr.) und dann gleich zur Belagerung von Tyros schritt.¹⁶⁰ Diese soll nach dem Zeugnis des Menander von Ephesos dreizehn Jahre gedauert haben. Für eine Zerstörung 572 von Tyros tritt Ez 26,7– 28,19 ein.¹⁶¹ Necho hat ganz neue Perspektiven für die ägyptische Politik eröffnet. Er schuf die erste ständig einsatzbereite, „königliche Flotte“ und vollständig verstaatlichte Flotte der Geschichte. Er ließ modernste phönikische Trieren bauen, die an den Küsten des Mittelmeeres stationiert, aber auch an Stützpunkte am Roten Meer verlegt wurden (Hdt. 2,158 – 159). Die Länder des Roten Meeres waren seit den Punt-Fahrten (Somalia?) der Pharaonen des Alten Reiches immer wieder einmal Zielgebiet ägyptischer Expeditionen gewesen. Jetzt sollte mit Hilfe der Phöniker dieser Raum erschlossen werden, wohl weniger um Siedlungskolonien zu gründen, als vielmehr um Kopfstationen anzulegen für Expeditionen ins Hinterland mit dem Ziel, Gewürze und Aromata sowie Drogen, aber auch Elfenbein (elephas)
Heller (2010), 162. Berlejung (2016), 158 spricht von einem (Friedens‐)“Abkommen“.
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zu gewinnen.¹⁶² Besonders musste den Ägyptern daran gelegen sein, die Weihrauchstraße, die im nördlichen Verlauf (Moab/Edom) dem Zugriff Nebukadnezars ausgesetzt war, abzuschneiden und den Weihrauch von seinem südarabischen Ursprungsland über das Rote Meer direkt nach Ägypten zu verfrachten, nach dem später Leukos Limen oder Berenike genannten Häfen, so folgend der Flugrichtung des mythischen Vogels Phoinix von Arabien nach Ägypten (Hdt. 2,73). Soweit unsere Vermutungen über Aktionen und Pläne in einem Raum, der der strikten Geheimhaltung unterlag und dessen Betreten durch Unbefugte man mittels gezielter Fehlinformationen oder Warnhinweise, etwa vor geflügelten Schlangen, verhindern wollte.¹⁶³ Mit Erfolg. Leider bringen auch die Berichte über die von Salomo ausgesandten Phoiniker in das Goldland Ofir keine Klärung, eher trugen und tragen sie zur Verunklarung bei (1 Kön 9,26 – 28).¹⁶⁴ Den Milesiern in Ägypten nun dürfte das, was Necho ins Werk setzte, nicht verborgen geblieben sein, und sie werden, wieder zu Hause angekommen, von den grenzenlosen Möglichkeiten berichtet haben, die zu verwirklichen nur durch ein Zusammenspiel von pharaonischer Macht und phönikischer Seegeltung möglich wurden. Chancen für äußerst gewinnbringende Unternehmungen ständen in Aussicht.¹⁶⁵
Die „Sekundogenitur“ Adramytteion Um die These von einer sardisch-milesischen Kooperation, die schon zur Zeit Herodots in Vergessenheit geraten war, zu untermauern, sind alle Aktivitäten zu Dass Necho mit dem Bau des „Suez-Kanals“ begann, dort Trieren stationierte und Phöniker aussandte, um Afrika zu umfahren, was diesen tatsächlich auch gelang (Hdt. 4,42), dürfte trotz staatlicher ägyptischer Geheimhaltung in Seefahrerkreisen, wie sie die Milesiern mit anderen Griechen in Naukratis bildeten, kolportiert worden sein. Die gelehrte Welt hielt die Berichte für erfunden und gab sie nicht weiter. Zu den Schiffstypen, die Herodot manchmal undiffenziert „Fahrzeuge“ (ploia) nennt, s. Lloyd (1972), 276 – 279. Davon abweichend, und zwar nicht nur hinsichtlich der Datierung, sondern auch was die Frage angeht, ob Phöniker oder Griechen die ersten Trieren bauten, vgl. Basch (1977), 6 ff. Willeitner (2013), 40 f. Im europäischen Norden sind es die Gold hütenden Greifen und die einäuigen Arimaspen, von denen Aristeas von Prokonnesos in seinen Arimaspea epea berichtet, Hdt. 4,13. Gehört zu dem heute historisch besonders umstrittenen Themenblock „Salomos Reichtum und Weisheit“ 1 Kön 9,25 – 10,29, als Geschichtsquelle wird das Buch „Geschichte Salomos“ angegeben (1 Kön 11,41), dem insgesamt reine Panegyrik unterstellt wird. Sagenhaft ist auch Ofir, das in Südarabien oder in einem Land am Horn von Afrika gesucht wird. Psammetichos I. (664– 610 v.Chr.) soll als erster Ägypten für Griechen und Phöniker geöffnet haben (Diod. 1,66 – 67). Seit ca. 620 v.Chr. ist nach dem heutigen Stand der Vasenchronologie Naukratis von Griechen besiedelt; vgl. Möller (2015).
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verzeichnen, die sich ab 600 v.Chr. im Gebiet der Meerengen ereignet haben. Die Vorarbeiten fingen an, als die Lyder in Adramytteion (heute: Edremit) einen Statthalter (archon) einsetzten; nur einer wird namentlich genannt, und zwar Kroisos (FGrHist 90 F65). Wo sind die Brennpunkte im nordwestlichen Großraum des lydischen Reiches? Auf den ersten Blick hat man nicht den Eindruck, als läge Adramytteion in einer Landschaft, wo der Wind der Weltgeschichte besonders stark wehen würde, eher fühlt man sich in eine ruhige, der Wetterseite abgewandte Provinz versetzt. Bei näherem Hinsehen könnte sich das Bild aber ändern. Immerhin führten Straßen von hier über das Ida-Gebirge nach Troia und weiter die Küste entlang bis nach Kyzikos. Auf ihr wird 100 Jahre später Xerxes von Sardes kommend zum Hellespont ziehen. Andere Straßen führten ins mysische Binnenland und nach Pergamon. Nur wenig nördlich von Adramytteion liegt Antandros, das für seine Wälder auf dem Ida und für die Verarbeitung des dort geschlagenen Holzes zu Schiffbauholz berühmt war. Das Holz vom Ida konnte sich qualitätsmäßig mit dem Thrakiens messen. Als Hafen von überregionaler Bedeutung ist das ebenfalls benachbarte Kyme anzusehen. Die Phryger hatten seinerzeit den Hafen als Handelshafen nutzen wollen, strebten dies zumindest an. In den Jahren um 750/20 v.Chr. muss hier ein Schiffsherr Handel getrieben haben. Sein Name ist unbekannt, seine Identität aber steht zweifelsfrei fest, weil sein Sohn, Hesiod, (aiol.) Aisiodos ‚glückliche Fahrt habend‘, die Erinnerung an ihn, den Vater, festgehalten hat. Dieser hatte es nicht zu Reichtum gebracht, vielmehr geriet die Familie in große Armut, schließlich kehrte sie in ihre alte Heimat nach Boiotien zurück. Ist aber sein kärgliches Leben als Handelsvertreter repräsentativ auch für die Bauern der Aiolis? Der Boden sei besser als in Ionien, doch das Klima nicht gleich gut, so Herodot (1,149). Bauern sind die Aioler. Leider wissen über deren soziale Lage nichts. Über Kimmerier bzw. über die mit ihnen assoziierten Trerer, die sich in Antandros eingenistet hatten (Steph. Byz. s.v.), lässt sich nicht viel sagen.¹⁶⁶ Wie lange sie in der Aiolis hausten, weiß man nicht.Wir wissen auch nicht, ob Kroisos schon vor Ort war, als deren Vertreibung begann, wohl aber, dass Kroisos den Auftrag hatte, kriegsdiensttaugliche Populationen anzuwerben. Mit dem Begriff Söldner sollte man in Anatolien in dieser frühen Zeit sehr sparsam umgehen. Söldnersein wäre wohl auch für einen Aioler um 600 v.Chr. eine schwer vorstellbare Daseinsform gewesen. Die Aioler waren deshalb nicht wehrunfähig. Die aiolischen Bauern sind mit der Milesischen Kolonisation des SchwarzmeerGebietes indirekt zu verbinden. Stichwort: Durchbruch und Sicherung der Wasserstraße, die vom Hellespont zum Schwarzen Meer führt. Ob sie als Wehrbauern
Weitere Quellenangaben bei Kaletsch (1958), 37 ff.
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in und um Troia angesiedelt wurden, wird noch zu prüfen sein. Die Aioler von Mytilene haben Sestos auf der thrakischen Chersones als Kolonie neugegründet.¹⁶⁷ Zunächst ist zu fragen, ob Kroisos noch andere Aufgabe zu erledigen hatte. Adramytteion liegt direkt gegenüber der Insel Lesbos, auf der sich die quasiHauptstadt Mytilene befand, der Hauptort der östlichen Aioler. In Mytilene herrschte in diesen Jahren ein permanenter Bürgerkrieg, dessen Ausgang den Lydern nicht gleichgültig war. Mit Lauschangriffen horchten sie sozusagen in das gebeutelte Mytilene hinein. Was sie hörten, lässt sich den Stasiotika des Alkaios heute noch entnehmen. Seine zum Kampf gegen die Tyrannis des Myrsilos (Alk. F332 Voigt/L.-P.) aufhetzenden Lieder, die Alkaios zwar nicht öffentlich, sondern beim Symposion seiner Hetairie vortrug, drangen gleichwohl nach draußen und kamen den Lydern zu Ohren, und sie fanden offensichtlich Gefallen daran. Sie unterstützten jedenfalls die Bewegung und überwiesen der alkaiischen Bürgerkriegspartei eine ansehnliche Spende. Dass das Geld angekommen ist, dafür haben wir eine Spendenquittung, die den Spender, die Lydoi, und auch den genauen Betrag nennt, nämlich 2000 Statere (Alk. F69 Voigt/L.-P.).¹⁶⁸ Aber in Mytilene herrschte nicht nur permanente Bürgerkriegsstimmung und Bürgerkrieg, sondern Lesbos war in dieser Zeit um 600 v.Chr. auch außenpolitisch immer wieder in Kämpfe mit Athen verwickelt, in denen es um das „Achilleische Land“ (Alk. F469 Voigt/L.-P.) und den Besitz von Sigeion ging.¹⁶⁹ Solon soll die Athener überredet haben, auch gleich noch die Thrakische Chersones gegenüber mit zu okkupieren (Diog. L. 1,47– 48), was dann der Athener Miltiades d.Ä., um dem Tyrannen Peisistratos aus dem Wege zu gehen, in die Tat umsetzen sollte (ca. 560 v.Chr.). Die Absichten und Anstalten, die Athen ab 600 v.Chr. in der Troas verfolgte, waren also scharf zu beobachten. Welches Verhältnis Sardes zu Athen in Zukunft einzunehmen gedachte, nachdem diese schließlich in Sigeion siegreich waren, dazu schweigen unsere Quellen. Sigeion hatte sich in jenen Jahren zu einer wichtigen „Bunkerstation“ für Schiffe, Getreide-Schiffe vor allem, entwickelt, die sich vor einer windwidrigen Fahrt durch die Meerengen mit Kurs auf das Schwarze Meer scheuten und hier abwartend vorübergehend Station machten. Die Siche-
Sestos (Hom. Il. 2,836 [Troerkatalog]). Isaac (1986), 161; 195 f.; Boardman (1981), 284– 288, sieht den südlichen Teil des Hellesponts in den Händen der Ostgriechen. Dann kamen die Megarer; sie mussten sich mehr nach Norden wenden und gründeten Byzantion. Nach Thuk. 4,52,2 entsprachen 2000 Statere dem Freikaufwert einer ganzen Stadt; dazu Page (1955), 226 ff. Zusammenstellung der von Alkaios abhängigen Quellen zu Sigeion (Hdt., Diog., Strab.), zu Fragen der Chronologie und zur Exegese von Hdt. 5,94, s. Page (1955), 152– 161.
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rung des Seeweges war nicht nur für Athen lebensnotwendig, sondern bekam jetzt auch für die Lyder Priorität.
Die hethitische Sekundogenitur Karkamis¹⁷⁰ Wenn man nach einem Modell sucht, das die blasse, notizhafte Funktionsbeschreibung des Prinzen Kroisos als archon von Adramytteion mit Anschaulichkeit erfüllt, muss man es in Nordsyrien suchen. Ein zu großer Schuh, in den die Lyder hätten treten müssen, wäre das hethitische Karkamis in Syrien am Mittleren Euphrat gewesen. Hier hatten die Hethiter eine innovative Meisterleistung vollbracht. Diese besteht in der territorialen Raumgestaltung und in der Einführung völkerrechtlicher Normen. Schöpfer dieser Ordnung war Suppiluliuma I., der mit dieser Tat zum Gründer des hethitischen Großreiches wurde. Die Hethiter haben in Ausübung ihrer Herrschaft Formen politischer Dezentralisierung erfunden oder entwickelt, die dem natürlichen Umstand Rechnung trugen, dass der Großkönig nicht allgegenwärtig und allzuständig sein konnte. Der König als oberster Priester war Zelebrant von Kult- und Festliturgien und hatte in dieser Funktion kultische Verpflichtungen in Hattusa wahrzunehmen, der „Stadt der 1000 Götter“. Damit nicht genug, hatte er die Götterfeste in den vielen Kultorten der „Inneren Länder“ abzuhalten, Wallfahrten sozusagen. Die Erfüllung des kultisch Gebotenen war zeitlich unaufschiebbar, aufschiebbar waren dagegen die Klärung politischer Belange sowie die Terminierung der Feldzüge. Um nur ein Beispiel für die physischen Kraftanstrengungen zu geben, die ein Großkönig aufbringen musste, sei auf die Stadt Sarissa im „Oberen Land“ östlich von Hattusa gelegen, hingewiesen. Aus einer dort in einem kleinen Archiv geborgenen Tontafel geht hervor, dass der König anlässlich des anstehenden Frühjahrsfestes wiederum in der Pflicht stand hinauf, zum Heiligtum des Wettergottes von Sarissa zu pilgern, weit im Nordosten. Der König war also für viele Wochen des Jahres gebunden und unabkömmlich. Das Problem musste sich zuspitzen, als Suppiluliuma das Reich in Syrien dauerhaft zu verankern gedachte. Der Großkönig konnte in diesem riesigen Raum nicht mehr omnipräsent sein, er bedurfte der Vertretung. Es war vorauszusehen, dass Syrien als natürliche Versorgungs- und Ergänzungslandschaft (s. Glossar) für das aufstrebende Hattusa, das an vielerlei Dingen Mangel litt, immer wichtiger Dieser Abschnitt wird in wesentlichen Punkten und Akzenten F. Starke verdankt, der in Tischvorlagen den Teilnehmern, zu ihnen gehörten u. a. zeitweise H. Cancik, H. Niehr, F. Quack und D. Schwemer, seiner vielen Hauptseminare, Kolloquien und Vorlesungen in Tübingen in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts mit einschlägigen Texten mitsamt der hierfür notwendigen Präparationen versorgte. Hierfür sei ihm auch an dieser Stelle ausdrücklich gedankt.
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werden musste, vor allem als Lieferant von Getreide für die wachsende Bevölkerung der Hauptstadt. Syrien war nie ein Raum für Reichsgründungen; zu lastend war der Druck aus den größeren angrenzenden Räumen Mesopotamien, Ägypten und Anatolien. Nur den Indoiraniern, die mit neuer Kriegstechnik – wohl moderneren Streitwagen – und einer neuen Ideologie, die für uns nur in der Adelsklasse der marii̭annu sowie in Personennamen greifbar wird, ein Reich auf hurritischem Boden gründeten, gelang es eine Zeitlang, dies zu ändern. Die Hethiter hatten in der Zeit ihres Alten Reiches Raubzüge nach Nordsyrien durchgeführt. Die Gründung des mitannischen Staates dort hatte dem dann einen Riegel vorgeschoben. Als Mitanni wieder schwächer wurde, drang zunächst Ägypten von Süden her vor. Schließlich gelang dem Hethiter Suppiluliuma I. der militärische Durchbruch. Er eroberte zunächst Alalah und weitere Staaten, wechselte dann aber die Form, indem er etwa auf ausdrücklichen Wunsch Niqmaddus II. hin in das von anderen syrischen Staaten hart bedrängte Ugarit eingriff (PRU IV, S. 35 ff.) oder z. B. das Gesuch Amurrus annahm, sich von Ägypten lossagen und auf die Seite Hattusas übertreten zu wollen.¹⁷¹ Die Eigenexistenz der syrischen Staaten, von denen hier nur Ugarit und Amurru genannt seien, wurde nicht aufgehoben, aber gewandelt, hin zu Gliedstaaten des hethitischen Reiches durch bilateral ausgehandelte Staatsverträge, wie hundert Jahre zuvor schon bei Kizzuwatna. Der Staatsvertrag war kein freibleibendes Angebot, aber auch kein Diktat. Irgendwo dazwischen hat ihn der politische Genius der Hethiter gesetzt. Natürlich spürten die Syrer den Druck solcher Verträge, aber die Zustimmung war allgemein und überwog. Dies wohl deshalb, weil in den letzten Jahren der Amarna-Zeit die allgemeine Unsicherheit alles andere als gebannt war, jetzt aber in den Verträgen Beistands- und Kooperationsverpflichtungen niedergelegt wurden, die Abhilfe versprachen, politische Aufwertung, sichere Thronfolge und sogar Prestige mit sich bringen konnten. 1332 v.Chr, im Todesjahr Tutanchamuns, griff Suppiluliuma zuletzt die zum Reich von Mitanni gehörende Stadt und Festung Karkamis am Euphrat an und eroberte sie, raubte die Edelmetalle und überstellte 3330 NAM.RA-Leute ‚Deportierte‘ (de facto: ‚zu Deportierende‘) dem großköniglichen Palast von Hattusa. Er entvölkerte die Stadt völlig, zerstörte sie aber nicht, vielmehr traf er Anstalten, sie zum militärischen und administrativen Zentrum aller hethitischen Gebiete südlich des Tauros zu machen. Dies diente nicht nur der Entlastung des Großkönigs seiner kultischen Verpflichtungen im Kernland, sondern speziell für das Heer war auch die Tatsache wichtig, dass Syrien von Hattusa durch den schneereichen
Das Verhältnis zwischen Suppiluliuma und Aziru von Amurru ist gut dokumentiert durch Briefe aus Amarna und Verträge aus Hattusa, s. Klengel (1992), 160 ff.
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Tauros mehrere Monate im Jahr abgeschnitten war, während man in Karkamis vor Ort war. Es gibt ja keine markantere Naturgrenze im Vorderen Orient als den Tauros und seine Fortsetzer. Trotzdem war der Tauros selbst vor dem Mittelalter nie eine politisch bedeutsame Grenze. Verteidigt werden konnte das anatolische Hochland gegen Angriffe aus dem Südosten nur, wenn man im Besitz Syriens und hier ganz besonders, wenn man im Besitz einer Festung war, die den Hauptübergang über den Euphrat kontrollierte. So fiel Suppiluliumas Wahl auf Karkamis. Diese Stadt ist sozusagen der Schlussstein einer eleganten Bogenstellung, die dem ganzen Vertragswerk seinen Halt gab. Ihren besonderen Status glaubte man mit dem Begriff Sekundogenitur umschrieben zu haben.¹⁷² Der Begriff ist formal richtig gewählt, weil Suppiluliuma I. hier in der Tat seinen Zweitgeborenen zum König einsetzte, und zwar „based upon an agreement“.¹⁷³ Der König von Karkamis nahm nach dem Großkönig und dem Kronprinzen entsprechend den dritten Rang in der Reichshierarchie ein. Die auf akkadisch geschriebenen Briefe, die sich in Ugarit erhalten haben, lassen die Bindungen zwischen dem Großkönig und dem König von Karkamis noch besser erahnen. Noch ein weiterer Punkt wird in den Briefen deutlich, nämlich dass die Einzelstaaten untereinander Frieden zu halten und einander Beistand zu leisten hatten. Und das taten sie auch. In einem Schreiben des Landesherrn von Alalah, einem weiteren syrischer Gliedstaat der Hethiter, an den König von Ugarit heißt es: „Du bist mein Grenznachbar (bēl tahumiia). Sei du mir gewogen! Auch ich werde dir gegenüber gewogen sein.“¹⁷⁴ Dem hohen Rang von Karkamis entsprechend kam auch ein zweiter Punkt zur Sprache. Es waren die hoheitlichen Rechte, die vom Großreich abgeleitet, jetzt von Karkamis gegenüber den Gliedstaaten wahrgenommen wurden, so z. B. das Visitationsrecht. So erfährt man aus einem Brief aus Karkamis an den König von Ugarit (ca. 1230 v.Chr.) etwas über eine karkamisäische Inspektion der Einsatzbereitschaft von Fußtruppen und Streitwagen, die Ugarit als Gliedstaat vertragsgemäß im Bündnisfall den Hethitern bereitzustellen hatte.¹⁷⁵ Der militärische Aspekt ist allen Aktionen, die von Karkamis ausgehen, unverkennbar zu entnehmen oder wenigstens in ihnen zu spüren. Denn hier wurde Hattusa wehrhaft
Babylon wird man kaum als Sekundogenitur der Assyrer bezeichnen wollen. Zwar hat Sanherib (704– 681 v.Chr.) den Kronprinzen zum König von Babylon eingesetzt, aber dieser Versuch, einer von vielen mit wechselnden Arrangements, dauerte nur sechs Jahre, s. Kuhrt (1995), 583. Klengel (1992), 121 zu KUB XIX 27 = CTH 50. RS 20.03 (= Ugaritica V 26, akkadisch). Vgl. dazu das gut aufbereitete ugaritische Material bei Klengel (1992), 145 (zum Brief RS 17.289). Neues zu den Verpflichtungen Ugarits gegenüber den Hethitern findet sich jetzt bei Singer (2006b).
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gegen Mitanni, weiter im Osten gegen Assyrien und im Süden gegen Ägypten. Der syrische Staatenverband handelte in der Praxis wie eine selbstragende Konstruktion, aber in Wirklichkeit blieb er nicht nur staatstheoretisch Teil des „ganzen Landes Hattusa“ (Hattusas utniyas humandas). Denn die Könige und Prinzen der Gliedstaaten bildeten zusammen mit den Mitgliedern der großköniglichen Sippe (ishes ‚Herren‘) die Gemeinschaft des Gesamtreiches (panku-). Zu den Befugnissen des Königs von Karkamis gehörte nicht zuletzt die Beobachtung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs. So hören wir von Handelsgesprächen mit Assyrien und den phönikischen Hafenstädten, die zum ägyptischen Herrschaftsbereich gehörten.¹⁷⁶ Karkamis überstand den Untergang von Hattusa und Ugarit um 1200 – 1100 v.Chr. und konnte die Traditionen des hethitischen Großreiches fortsetzen. So konnte es altes Wissen den eisenzeitlichen neuen Staaten sozusagen als Aufbauhilfe zur Verfügung stellen, wie etwa letztendlich den Aramäern und Hebräern den Staatsvertrag zwischen Israel und seinem Gott („Bundestheologie“) und eben den Lydern unter anderem die Einrichtung der Sekundogenitur. Als ein Lehrling der Lyder wiederum erwies sich Periander von Korinth. Er setzte seinen Sohn Nikolaos über die fruchtbare Insel Kerkyra (Korfu) ein, Station auf dem Wege nach Italien und Sizilien mit guter Verbindung zum Zeusheiligtum von Dodona (Nic. Dam. FGrHist 90 F59, vgl. Hdt. 3,48 – 49, hier Lykophron genannt). Periander stand in direktem Kontakt mit Alyattes (s. Teil 1 „Gyges“), der hier Pate gestanden haben dürfte. Wenn man nur auf die Städte Karkamis auf der einen und Adramytteion auf der anderen Seite schaut, dann sieht man zunächst nichts Vergleichbares. Die Größenverhältnisse machen einen Vergleich auf den ersten Blick schwierig. Erst wenn man den Blick schärft, erkennt man den wesentlichen Punkt des typologischen Vergleichs, nämlich den Königssohn in der Stellung eines Statthalters oder Vizekönigs. Der direkte Vergleich mit der Spätbronzezeit, in der hier eine Großlandschaft politisch-völkerrechtlich gestaltet wurde, ist deshalb nicht möglich, weil uns für Lydien die verlebendigenden Briefe fehlen, die der betreffenden hethitischen Epoche Farbe verleihen. Bei Herodot ist Dareios überhaupt der erste, der Briefe schreibt. Man wird sagen müssen, dass die Verhältnisse in Lydien und Ionien bescheidener waren. Um 600 v.Chr. war Milet noch kein Ugarit, aber es war auf dem Weg dorthin. Dem Ort Adramytteion, der erst von Alyattes gegründet und nach dessen Sohn Adramys benannt wurde,¹⁷⁷ fehlte wohl alles, was eine Resi-
Faist (2001), 133 ff. Stauber (1996), 127– 153, bes. 129 f. Gründer der Stadt und ihr Namengeber, vgl. Steph. Byz. s.v. Adramyteion. Ferner findet man in Stauber (1996) alles zur Geschichte und vor allem auch zu
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denz ausmachte, nahm aber eine vergleichbare Funktion wie Karkamis wahr: die Sicherung der Nordwestgrenze. Die Sicherung war die Voraussetzung dafür, dass der Vorstoß ins Schwarze Meer überhaupt in Angriff genommen werden konnte. Es stellt sich nun die Frage, welche Ziele mit dem Symmachie-Vertrag zwischen Sardes und Milet (darüber Teil 3 A schon ausführlich) verfolgt wurden. Eine zeitliche Befristung kennen die hethitischen Verträge nicht, die griechischen Symmachie-Verträge ebenfalls nicht.¹⁷⁸ Der hethitische Vertrag benannte die möglichen Einsatzgebiete innerhalb und außerhalb der Reichsgrenzen, der griechische Vertrag kennt das nicht. Das soll heißen, der Vertrag konnte solange nicht als erfüllt gelten, als der lydische Vertragsherr seine Ziele für noch nicht erreicht erklärt hatte. Die hellespontische Region ist das erste und wichtigste Einsatzgebiet der Allianz. Wanderungsbewegungen zu allen Zeiten, jetzt der (West‐)Kimmerier, mit denen die Treren vergesellschaftet waren, hinter ihnen bedrohlich nachdrängend die Skythen, machten die Troas und das angrenzende Mysien im 7. Jh. v.Chr. zu einem ungemütlichen Wetterwinkel. Hier sind die Landschaften, die die Lyder vermutlich als ihr Stammland ansahen. Die Errichtung eines militärischen Abfangschirmes in diesem Gebiet hatte für sie deshalb Priorität.¹⁷⁹ Der wichtigste Pfeiler dieses Schutzdaches war Daskyleion, das wohl von Gyges gegründet oder neugegründet worden ist, und zwar, wenn vom perserzeitlichen Daskyleion aus Rückschlüsse erlaubt sind, eher als Festung denn als Stadt. Zum lydischen Gründer passt, dass der Name anatolisch ist. Er ist abgeleitet vom in hethitischen Texten belegten Personennamen Taskuli- bzw. Taskuili-; auch Tasku-wanni- ist belegt.¹⁸⁰ Im benachbarten Zeleia legten die Lyder Gärten und Wildparks an, wie
den schwierigen topographischen Fragen dieser mysisch-lydisch-aiolischen Austauschlandschaft. Dass selbst beim Tod des Vertragsherrn die Bündnisverpflichtungen unter seinem Nachfolger andauerten, zeigt die spätere Geschichte Milets. Kyros hatte mit dieser Stadt einen Vertrag (horkion) unter den gleichen Bedingungen geschlossen wie Alyattes (Hdt. 1,141,1; 169). Dieser Vertrag verpflichtete Milet, jetzt nach 40 Jahren und mehr, zur Teilnahme an Dareios’ Skythenzug 513 v.Chr. und der Expedition gegen Naxos 500 v.Chr., s. dazu Berve (1967), 579 f. Auch die Hethiter dürften bemüht gewesen sein, die Dardanellen als Einfallstor nach Anatolien unter Kontrolle zu halten. So erklärt sich wahrscheinlich die besondere Stellung, die Wilusa/Troia (Hisarlik) in der Westpolitik der Hethiter einnahm. Mit seinem König Alaksandu schloss Muwatalli II. (ca. 1290 – 1272 v.Chr.) einen Staatsvertrag (Ü: F. Starke, in: Latacz [2001], 133 – 139). Wir stützen uns, was Wilusa und die geographische und politische Situation Westkleinasiens im 14. und 13. Jh. v.Chr. insgesamt angeht, auf die zeitgleichen und unabhängig voneinander gewonnenen Erkenntnisse von Hawkins (1998); Starke (1997; 2001b). Hierzu Laroche (1966), 180.
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wir sie von den Assyrern und schon vom frühhethitischen König Anitta kennen.¹⁸¹ Gärten jedenfalls sind ein ernstzunehmender Hinweis dafür, dass hier Sammelstellen des Heeres eingerichtet werden sollten. Denn das Wasser der Tiergärten (altiranisch *pari-daiza-, wovon gr. paradeisos, dt. Paradies) erlaubte das Zusammenziehen mehrerer und größerer Truppeneinheiten. Dem Gyges und seinen Lydern sollten alle diese Sicherheitsmaßnahmen letzten Endes nichts nützen. Er ist im Kampf gegen die zum dritten Male einfallenden Kimmerier 644 v.Chr. gefallen.
War Troia eine aiolische Polis? Die Lyder begannen also auch mit einer Neukolonisierung der Troas, und zwar unter Einsatz der Aioler, wie wir glauben. D. Hertel hat nun nochmals seine These wiederholt, dass Ilios/Ilion/Troia schon ab dem 11. Jh. v.Chr. von den Aiolern besiedelt worden sei.¹⁸² Dagegen sprechen jetzt, wie es scheint, selbst die Keramikbefunde, denen Hertel die Hauptlast von Chronologie und ethnischer Deutung aufzubürden pflegt.¹⁸³ Dass die Aioler auch noch den Namen Ilios aus dem Mutterland mitgebracht hätten, wie er annimmt, ist jetzt erst recht ganz unwahrscheinlich, und wäre in Westanatolien auch ohne jede Parallele. Sind denn die Namen der zwölf alten aiolischen Städte (gerechnet mit Einschluss Smyrnas), die Herodot namentlich aufzählt (Hdt. 1,149), nicht größtenteils kleinasiatisch? Gewiss, zweifellos griechisch ist Neon Teichos, wahrscheinlich haben wir es hier aber mit einer Neubenennung einer wohl älteren, kleinasiatischen Siedlung zu tun; Kyme ist schwieriger zuzuordnen, da Kyme als Toponym sowohl auf dem westionischen Euboia als auch hier in der Aiolis bezeugt ist. Aber welches Kyme das ältere und damit Mutterstadt war, über diese Frage besteht in der Forschung
In Zeleia hatte Pandaros, der Lykier und Sohn des Lykaon, seinen „Palast“ (domoi) und sein „Arsenal“ (megara, Hom. Il. 5,191– 200). In diesem Arsenal parkten elf Streitwagen, „funkelnagelneue“ (neoteuchees). Diese kann nicht der Dorfschmied hergestellt haben, sondern sie setzen einen fürstlichen Rüstungsbetrieb assyrischen Zuschnitts voraus. Um die Pferde zu schonen – er ist ein typischer Pferdenarr (s. Teil 3) –, macht Pandaros sich zu Fuß auf den Weg, allein mit dem Bogen, mit dem er dann auch nur Unfug macht. Homer liefert das Bild einer Kriegerkarikatur, der keinen Platz im troischen Bündnerheer fand, weil es keine reguläre Abteilung von Bogenschützen zu Fuß gab. Denn Bogenschützen waren nur die Wagenfahrer. In welche Zeit gehört diese Geschichte? Dass Streitwagen Küstenstreifen schützen, ist nicht neu; das kennen wir aus Pylos, vermuten es für Ugarit, vielleicht auch für Amurru. Passt das aber auch in die lydische Zeit? Zuerst Hertel (2001), jetzt ders. (2008). So urteilt in schroffer Form Ruppenstein (2009).
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kein Konsens.¹⁸⁴ J. Boardman hat die Gründung der aiolischen Kolonien, und dazu zählt er auch Troia, in die zweite Hälfte des 8. Jh. v.Chr. bzw. bis dicht heran an 700 v.Chr. datiert. ¹⁸⁵ Nun kennt Herodot Aioler zwar in der Landschaft Ilias (5,94,2; 5,122,2), hier wird auch die Troas genannt (vgl. bes. 5,26), aber er zählt Troia nicht in der Liste der zwölf aiolischen Städte (polies hai archaiai) auf. War Troia überhaupt eine Polis? Strabon weiß zu berichten, dass der Athena-Tempel in lydischer Zeit errichtet, ja dass die Stadt von den Lydern gegründet worden sei (13,1,42). Anaximenes von Lampsakos (4. Jh. v.Chr.) behauptet sogar, dass den Lydern die ganze Troas untertan gewesen sei, womit er unserer Meinung nach Recht haben könnte (s. Teil 2), und dies habe Gyges vollbracht (FGrHist 72 F26). So erst wird eine Stelle bei Strabon verständlich, die besagt, dass Gyges den Milesiern erlaubt habe, Abydos an den Dardanellen zu gründen (13,1,22). Dies ist eine wichtige Stelle; sie wird häufig zitiert, aber bislang wurde kein Versuch unternommen, sie in einen größeren Rahmen zu stellen. Wenn E. Meyer Recht hat bzw. wieder Recht bekommen wird, und die neuen Keramik-Datierungen Ruppensteins Bestand haben sollten, dann sind vor der Lyderzeit, d. h. vor 700 v.Chr., überhaupt keine „griechischen Kolonien in der Troade“ nachweisbar,¹⁸⁶ Homer jedenfalls nennt keine. Hat es so etwas wie ein landschaftlich übergreifendes Konzept der Lyder für die Kolonisierung Nordwest-Anatoliens nach der Vertreibung der Kimmerier durch Alyattes gegeben? Wir wollen nicht dogmatisch argumentieren, wohl wissend, dass die Welt sehr viel bunter ist und war, und alles auch mit konzeptionslosen Lydern sich zu einander gefügt haben könnte. Eine Beantwortung der Frage, ob die lydische Sekundogenitur von Adramytteion schon vor Kroisos besetzt war, ist wichtig, um einen möglichst frühen Termin für die aiolische Kolonisation der Troas zu gewinnen.¹⁸⁷ Freilich mit aiolischem Nachzug ist auch noch in der Zeit des Kroisos zu rechnen. Welche Funktionen waren dieser aiolischen Ansiedlung zugedacht? Dazu ist noch einmal auf die Gründung von Abydos zurückzukommen, das die Milesier auf Zuweisung des Gyges zu ihrer Kolonie machten. Abydos gegenüber liegt die Thrakische Chersones. Sie wird heimgesucht von thrakischen Apsinthiern, schrecklichen Menschen, denen Herodot
Für das kleinasiatische Kyme spricht, dass die Stadt, wie so viele Küstenstädte Kleinasiens, von einer Amazone gleichen Namens gegründet sein soll (Mela 1,90). Boardman (1981), 98 f. Meyer (1877), 80; von Wilamowitz (1916), 379 – 395 (1. Beilage: Die Athena von Ilion) hat den Bau des Athena-Tempels von Troia Kroisos zugeschrieben; er geht allerdings nicht speziell auf die Aioler ein, spricht aber von „Asiaten“ als Mitbewohnern Troias. Beloch (1912), I 1, 255 Anm. 4 möchte die aiolische Kolonisation „kaum viel früher“ als die milesische Kolonie Abydos ansetzen, die er auf 680 – 660 datiert.
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nachsagt, sie würden Menschenopfer darbringen (Hdt. 9,119,1). Als der schon erwähnte Athener Miltiades d.Ä. sich in den Jahren nach 560 v.Chr. auf der Chersones ein „attisches Sonderreich“ gründete – er war Kroisos’ Freund –, befestigte er die Landenge (isthmos) der Halbinsel mit einer Mauer, um den Plünderungen der Apsinthier in seinem „Machtbereich“ (H. Berve) zu wehren (Hdt. 6,36,2). Troia allein erfüllte zwar nicht die Funktion einer Sperrmauer, aber mit weiteren Gründungen wurde es zu einem Netzwerk, in dem sich, so unsere Deutung, thrakische Beutezüge verfangen sollten. Zu den Thrakern gleich! Der erste, der nach Gyges literarisch wieder mit der Troas in Verbindung gebracht wird, ist Kroisos. Leider erfahren wir auch aus seiner Zeit nur durch Splitter in späteren Quellen: So lesen wir einmal, dass er direkt in die politischen Angelegenheiten der Stadt Lampsakos hinein regierte, indem er ein Machtwort gesprochen haben soll (Hdt. 6,37). Da Lampsakos auf der thrakischen Chersonesos, also der europäischen Seite der Meerengen lag, zeigt es jedenfalls ein Interesse des Lyderkönigs an diesen europäischen Landschaften. Völlig aus dem Zusammenhang gerissen erfahren wir dann, dass Kroisos aus einer Stadt irgendwo in der Troas, namens Sidene, einen Tyrannen namens Glaukias vertrieben habe, so jedenfalls wird berichtet. Was aber Strabon dann noch zu Sidene mitteilt, ist interessant: Kroisos habe die Stadt zerstört und einen Fluch auf sie herabbeschworen, auf ewig unbewohnt zu bleiben (Strab. 13,1,42). Sidene konnte denn auch bis heute nicht mit einer Ruinenstätte im fraglichen Gebiet identifiziert werden. Die Praxis aber erinnert an ein Ritual, welches zuerst Anitta, Großkönig von Nesa (ass. Karum Kaneš, heute Kültepe), im 18. Jh. v.Chr. an der eroberten Stadt Hattusa vollzog. Nachdem er die Stadt der Hattier zerstört hatte, säte er den Platz mit Kresse ein. Dass der verwaiste Siedlungsplatz nach weit über hundert Jahren jetzt unter dem Namen Hattusa als Hauptstadt des hethitischen Alten Reiches wieder erstand, sahen vielleicht schon die Zeitgenossen als denkwürdiges Geschehen an. Die hethitische Bürokratie verfügte in junghethitischer Zeit sogar über eine Art Gebrauchsanweisung für die Verfluchung eroberter Städte.¹⁸⁸ Und zwar opferte der König zunächst den Göttern der zerstörten Stadt und bat sie, aus der Stadt fortzuziehen, also eine evocatio. Dann übergab er die Siedlungsfläche, nach einer Anrufung, den beiden Stieren (Zugtieren) des Wettergottes, Serri und Hurri, zur ewigen Weide. „Und wer (die Stadt) wieder besiedelt, … der soll dem Wettergott, meinem Herrn, ein Gegner sein.“ Nun soll das eroberte Troia ebenfalls verflucht worden sein, und zwar von Agamemnon (Strab. 13,1,42). Der Iliasdichter hat das nicht, er hat überhaupt die bedingungslose Kapitulation Troias mit ihren Exzessen, die Dramendichter und Vasenmaler mit all ihren Scheußlichkeiten
Es handelt sich um das Ritual CTH 423 (KUB VII 60 usw.).
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auszumalen sich nicht genug sein ließen, überhaupt nicht besungen. Das könnte seiner inneren Grundhaltung widersprochen haben, die auf einen Ausgleich zwischen Altanatoliern und balkanisch-griechischen Neuankömmlingen bedacht war. Die Tatsache, dass die milesischen Städte am Hellespontos und der Propontis zu den allerersten Staaten gehörten, die Münzen prägten, zeugt von einem frischen Wind in dieser Region, von einem politischen Gestaltungwillen für eine Landschaft, die im Norden an einen Weltteil grenzte, der noch in prähistorischem Dämmerlicht verharrte. Die Münzen aus Kyzikos sind die ältesten, die wir kennen, nur die aus einem Hortfund unter dem Artemision von Ephesos stammenden sind früher (um 630 v.Chr., s. Teil 5 C).¹⁸⁹ Schon bald nach 600 v.Chr. wurde Kyzikos gegründet, und mit der Koloniegründung setzte sogleich die Elektronprägung ein.¹⁹⁰ Dass es Elektronmünzen waren, weist auf eine enge Bindung an Lydien hin, so dass man hier lydisches Engagement annehmen darf.¹⁹¹ Diese Elektronprägungen waren vom 6.–4. Jh. überall verbreitet und so auch im Schwarzmeerraum bis hinauf nach Olbia und Odessa, so dass schon vermutet wurde, die Elektronstatere seien bis ins 5. Jh. v.Chr. hinein das „ausländische Geld“ schlechthin (E. Schönert-Geiss [1971]) im nördlichen Schwarzmeergebiet gewesen. Goldstatere, „Kyzikenoi“ genannt, werden mehrfach noch in Xenophons Anabasis um 400 erwähnt, die als Sold an die Soldaten des griechischen Heeres ausgezahlt wurden (Xen. an. 5,6,19 – 21; 7,2,35 – 38).¹⁹² Dass Soldzahlungen das primäre Motiv der Lyder für die „Erfindung“ der Elektronmünzen gewesen sein sollen, lässt sich hieraus aber auf keinen Fall ableiten, und zwar aus dem einfachen Grund, dass griechische Söldner in größerer Zahl vor dem 5. Jh. v.Chr. gar nicht in Erscheinung treten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Lydien am Güterimport partizipieren konnte, der vielleicht über Kyzikos als dem wichtigsten Flottenstützpunkt für den Norden abgewickelt wurde. Von Kyzikos ging zudem eine direkte Überlandstraße via Daskyleion nach Sardes. Begünstigt wurde die Verbreitung wohl dadurch, dass den Kyzikenoi, aufgrund ihres Geprägtseins, das sie zu Kreditgeld
Karwiese (2008). Über die Problematik der Elektronprägung – ca. 4000 Stücke sind bekannt, fast alle stammen aus dem Kunsthandel –, was Datierung und Zuweisung an bestimmte Münzprägestätten angeht, darüber wird C. Drosihn in ihrer Tübinger Dissertation handeln; Vorankündigung dies. (2008). Carradice (1995), 19 – 30; immer noch nützlich Greenwell (London 1887); jetzt aber Mildenberg (1993/1994). Auch Samos und Phokaia prägen seit 600 v.Chr. Elektronmünzen, s. Bodenstedt (1981), 46 ff. Die Münzprägungen steigen unter Kroisos stark an. Eine Übersicht bietet R.-Alföldi (1982), 278 ff. Ein Kyzikenos (stater) entsprach in dieser Zeit dem Wert von 25 Drachmen oder einem Dareikos (stater) und galt als Monatssold eines einfachen Soldaten, so Lendle (1995), 433.
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des lydischen Staates machte, das hierfür notwendige Vertrauen entgegengebracht wurde. Der Geldumlauf fand dort seine Grenzen, wo das Vertrauen in den lydischen Staat verebbte. Die Prägung war notwendig, weil bei den Elektronmünzen die natürliche Legierung schwankte oder mit manipulierten Legierungen, was den Gold- und Silbergehalt angeht, gerechnet werden musste. Man muss sich die Frage stellen, ob angesichts der wachsenden Menge von Elektronmünzen nicht mit einer künstlichen Herstellung gerechnet werden muss.
Die Schwarzmeerkolonisation (ab ca. 600 v. Chr.) Nach der Gründung von Kyzikos ging alles sehr schnell. Denn schon bald um 600 v.Chr. errichten die Milesier bereits ihre erste Dauersiedlung, einen Handelsplatz (emporion) im nördlichsten Teil des Schwarzen Meeres, nämlich auf der (Halb‐) Insel Berezan, im Mündungsgebiet von Hypanis (Bug) und Borysthenes (Dnjepr) gelegen. Die Funktion des emporion ging später auf das Festland über, und zwar auf die Polis Olbia.¹⁹³ Eine Unterscheidung von Stadt (polis) und emporion lässt sich kaum noch halten, denn zu oft schon sind sie als Synonyme aufgefallen. Auf der Grundlage hauptsächlich archäologischer Forschungen hier zunächst ein theoretisches Kolonisationsschema des Schwarzen Meeres! Die erste Phase gilt der Nordküste mit einem einigermaßen friedlichen Hinterland, dann tritt mit Phase zwei, nicht unbedingt zeitlich gemeint, die Westküste in den Blick. Sie unterscheidet sich von Phase 1, dass es die Griechen hier mit abweisenden, ja äußerst feindseligen Thrakern zu tun bekamen. Wie der genaue Gründungsakt einer milesischen Apoikie vor sich ging, darüber weiß man nichts. So kann man auch nicht die Frage beantworten, ob der Vorgang aus lauter Einzelunternehmungen privater Hand bestand oder ob irgendeine staatliche Leitungskompetenz die Vorgänge kontrollierte und vielleicht für Rechtssicherheit sorgte. Die milesischen Kolonien wurden aus Gründen der Landgewinnung und dann auch des Warenexports gegründet, und dies nicht vor dem Datum 600 v.Chr. Denn zuvor mussten die milesischen Städte vor allem an der Propontis eingerichtet und zugerüstet gewesen sein. Das geschah um 650 v.Chr. Ohne landgestützte Militärbasen kann man sich einen Durchbruch mit
Berezan wird mit dem emporion der Borysthenitai (Hdt. 4,17,1) identifziert. Die Keramik wird in die Zeit nach 630 v.Chr. datiert, Gräber dagegen lassen sich erst ab 550 v.Chr. nachweisen, so Solovyov (2010). Berezan wurde schon in der zweiten Hälfte des 7. Jh. v.Chr. gegründet, aber erst ab 600 v.Chr. darf man mit einer dauerhafteren griechischen Ansiedlung rechnen, vgl. Boardman (1998).
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Schiffen ins Schwarze Meer nur schwer vorstellen.¹⁹⁴ Der Schutz der schmalen Seewegspassage des Bosporus von der Landseite her war Aufgabe der Lyder zusammen mit den milesischen Städten, die auf lydische Zustimmung hin gegründet wurden. Kann man sich Pandaros als Chef einer lydischen Streitwagenabteilung an der Küste der Propontis vorstellen? In der dritten Phase kommt es mit Kroisos zu einer Änderung der Richtung. Ziel ist Kolchis, das heutige Georgien, im Osten des Pontos, und es kommt auch noch zu einer Änderung dessen, was man vornehmlich importieren wollte; es geht ab jetzt weniger um Land für Siedler und nicht um Handel mit deren Naturprodukten als vielmehr um Gold. An der Sicherung des langen Seewegs kommt die lydische Rolle in dem mit Milet geschlossenen Symmachie-Vertrag vielleicht etwas deutlicher zum Ausdruck. Berezan war eine Handelsstation; der Siedlungstyp, angelegt auf einer vorgelagerten Insel, spricht hier eine deutliche Sprache. Darauf, dass lydische Schreibkultur noch auf Berezan lebendig war, gibt ein in ionischem Griechisch abgefasster Brief indirekte Hinweise, der von einem griechischen „Geschäftsmann“ aus der Zeit um 500 v.Chr. auf einer Bleitafel erhalten ist.¹⁹⁵ Schon das griechische Wort für Blei (molybdos) ist ein Lehnwort aus dem Lydischen.¹⁹⁶ Die Praxis, Bleistreifen zu beschriften, ist im Vorderen Orient gut bezeugt. In Griechenland dagegen war Blei vorwiegend als Fluchtafeln (defixiones) in Gebrauch, aber nicht vor dem 5. Jh. v.Chr. Zu klären, was Handel ist, gehört wohl zu den methodisch schwierigsten Problemen der antiken Welt. Schon die Frage, mit welchen Waren eigentlich gehandelt und womit bezahlt wurde, ist in den meisten Fällen kaum zu beantworten. Dass Münzen lydischer Prägungsart vereinzelt immer wieder einmal im Schwarzmeergebiet auftauchen, ist jedenfalls kein Beweis dafür, dass es einen wirklichen Handel auf Währungsebene gegeben hat. Handel hat etwas mit Kultur zu tun. Hier geht es mehr um Warenbeschaffung. Eine unpersönlich-technische Bezeichnung wäre Waren-Import. Sie käme auch den ungleichen Kultur- und Machtverhältnissen besser entgegen. Der Begriff Gelegenheitshandel hat auch seine Berechtigung, insofern er sich als Handel zwischen festen Partnern abspielt; er korrigiert die Vorstellung von ununterbrochenen Warenströmen auf Transportautobahnen. Die Meeresarchäologie hat mehrere spätbronzezeitliche Schiffwracks bekannt gemacht, aber bis jetzt kein einziges homerzeitliches Schiff an der Boardman (1981), 285. Alles Nähere zu der sehr gut erhaltenen Inschrift bei Austin/Vidal-Naquet (1984), 199 ff. (III.41). Vgl. Melchert (2008) (zu lydisch mariwda‐). Vielleicht war der Gebrauch solcher bleiernen Schreibtafeln überhaupt der Grund für die Entlehnung des Wortes durch die Griechen.
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Südküste der Türkei oder in der Ägäis. In der Spätbronzezeit wird der Handel vom Palast gesteuert, was es erlaubt, von einem Staatshandel zu sprechen. Für das 1. Jt. v.Chr. fällt es schwer zu definieren, ob Staatshandel oder Privathandel vorliegt. Nicht zutreffend wäre es, wollte man den Handel in jedem Fall auf den Aspekt des Geschenkeaustausches innerhalb der Elite reduzieren. Erschwerend für eine Definition kommt hinzu, dass für das frühe 1. Jt. v.Chr. zwar viele Staatsverträge bekannt sind, die aber, soweit ihr Erhaltungszustand eine Aussage erlaubt, keine Handelsbestimmungen enthalten. Handelsbeziehungen müssen natürlich nicht immer durch Staatsverträge geregelt sein; solche waren vielleicht nur für den Fernhandel üblich. Hierhin gehört der assyrische Vertrag mit Baal von Tyros (s. Teil 3 A). Etwas besser sieht es für das 2. Jt. v.Chr. aus. Im Hethitischen kennen wir Staatsverträge, die auch Handelsbestimmungen enthielten.¹⁹⁷ Ergiebiger sind vor allem die ugaritischen Briefe, so z. B. diejenigen, welche von einem Metallhandel zwischen Hattusa und Mykene berichten, mit dessen Abwicklung Ugarit, eine Handelsstadt, die zusätzlich über eine beachtliche Metallindustrie verfügte, beauftragt wurde.¹⁹⁸ Erst für das 4. Jh. v.Chr. finden wir in den Symmachie-Verträgen des griechischen Festlandes den Handel betreffende Vertragsbedingungen.¹⁹⁹ Kyzikos, wie schon Abydos, aber auch die anderen milesischen Gründungen an den Meerengen (s. auch unten) sind zunächst als Bollwerke zur potentiellen Abwehr landsuchender Populationen aus dem eurasischen Steppenraum zu betrachten. Wie real diese Gefahr wirklich war und wie sehr sie sich nur nach dem Eindruck der Kimmeriereinfälle in den Köpfen der Menschen festgesetzt hatte, können wir nicht beurteilen. Die milesischen Kolonien, und hier ist besonders Kyzikos zu nennen, sind nun auch einmal als Ausgangsbasen für das Schwarze Meer schärfer in den Blick zu nehmen. Die Vorstellung über den Norden, die der antike, mediterrane Mensch zeitlebens kultivierte, hat zuerst Homer genährt: „Und das Schiff kam zu den Grenzen des Ozeans, wo demos und polis der kimmerischen Männer sind. In Dunst und Wolken sind sie eingehüllt; niemals schaut auf sie die leuchtende Sonne, … sondern böse Nacht ist über die Sterblichen gebreitet.“ (Od. 11,14– 16; 19). Herodot war dann schon wesentlich besser über die Völker nördlich des Schwarzen Meeres informiert (Hdt. 4,1– 117), aber von noch
So im Šaušgamuwa-Vertrag (nach 1250 v.Chr.): Kühne/Otten (1971), col. IV 14– 18. Dagegen Fehlanzeige in den Verträgen mit den Arzawa-Ländern. Deshalb sollte man der nördlichen Ägäis in der Spätbronzezeit keine überdimensionierte handelspolitische Bedeutung zumessen. Das mykenische Milet fungierte in dieser Zeit nur vorübergehend als Handelshafen der Hethiter, wie dann der Lyder. Singer (2011b). Womit die Mykener allerdings bezahlten, darüber wollte Singer nicht spekulieren. Austin/Vidal-Naquet (1984), 96.
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weiter nördlich liegenden Gebieten wusste auch er nichts außer Sagenhaftem in Erfahrung zu bringen. Behindert wurden in lydischer Zeit die Fahrten ins Schwarze Meer durch die Thraker. Sie siedelten links und rechts der Schiffspassage und versperrten wie ein Riegel das Tor zum Schwarzen Meer. Nun wurden sie zu direkten Nachbarn, und zwar zunächst der griechischen Pflanzstädte Megaras, die beiderseits des Bosporus gegründet worden waren.²⁰⁰ Nicht nur der europäische Küstenabschnitt, sondern auch die Landschaft Bithynien, die ihren Ausgang von der Byzantion²⁰¹ gegenüberliegenden Seite des Bosporos, Kalchedon, nimmt und sich dann in östlicher Richtung am Schwarzen Meer entlang zieht, wurde zunehmend von Thrakern in Besitz genommen. Der eigentliche Architekt und Baumeister der nordwestlichen Militärprovinz ist der Sieger über die Kimmerier und Hegemon der sardisch-milesisischen Symmachie, Alyattes. Er gründete eine Stadt, wohl eher eine Festung, in diesem bedrohten Reichsteil, und gab ihr den Namen Alyatta (Steph. Byz. s.v.).²⁰² Dass die Milesier ihrerseits ihren militärischen Verpflichtungen nachkamen, dafür ist eine Inschrift Beleg, die, wenn sie denn historisch sein sollte, explizit von einer Heeresexpedition Milets „zu den Plätzen an Dardanellen und Marmara-Meer“ (kata ton Hellesponton kai ten Propontida) spricht; angeführt sei sie gewesen vom Gott Apollon von Didyma (Milet I 3 no. 155).²⁰³ Was diesen Apollon des karischen Heiligtums Didyma angeht, so ist er für die lydische Zeit als Person weder im Bild ansichtig, noch im Ritual sowie im Kult greifbar. Auch sein Heiligtum mit der Orakelstätte bleibt in dieser Zeit, um 600 v.Chr., in seiner ganzen Monumentalität ohne wirkliche Anschauung. Vielleicht ist es nicht ganz unwichtig zu bemerken, dass Alyattes’ Frau, Kroisos’ Mutter, Karerin war. Aufschlussreicher ist jedoch
Timpe (2000). Byzantion war megarisch, aber Megara war seit dem Lelantinischen Krieg mit Milet freundschaftlich verbunden, wie Murray (1982), 99 erschlossen hat. Eine Identifizierung von Alyatta ist bisher nicht gelungen. Damit schließt sich, jedenfalls geographisch, der Bogen von Städtegründungen mit dynastischer Namengebung, angefangen vom Zweistromland des 2. Jt. v.Chr. hinüber in das Neuassyrische Reich – hier haben wir KarAššur-aḫu-iddina „Hafen des Asarhaddon“ (um 670 v.Chr.) in Teil 2 A kennengelernt – und weiter über Urartu – hier Rusahinili „(König) Rusa-Stätten“ – sowie die späthethitischen Staaten – hier Azatiwataja (Karatepe) um 730 v.Chr., benannt nach Azatiwata, Regent oder König von Adana –, ferner über die Stadt des Gordios in Phrygien, jetzt über lydisches Alyatta und schließlich ankommend in Makedonien, wo Philipp II. 356 v.Chr. Philippoi „Philipp und seine Leute“ (Gschnitzer [1987], der längst eine Ost-Westwanderung gesehen hat) gründet. Es handelt sich um ein Dekret von Apollonia am Rhyndakos (Mitte des 2. Jh. v.Chr.), das vielleicht in etwas zu romantischer Art und Weise auf die milesische Gründungszeit zurückzublicken vorgibt. Zu diesem Zwecke habe man „(alte) Geschichtsbücher“ zu Rate gezogen.
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gewiss die Nachricht, dass Kroisos ebenso wertvolle Weihegaben nach Didyma stiftete wie nach Delphi. Dass das karische Didyma beim Test, den Kroisos veranstaltete, um die Zuverlässigkeit der verschiedenen Orakel zu erproben, durchfiel, dürfte auf das Konto Herodots gehen. Die Gründe mögen seinem Konkurrenzdenken zwischen Delphi, dessen Prophet er ist, und Didyma geschuldet sein; man weiß es nicht. Wir dürfen stattdessen von einer guten und konstruktiven Dreiecksbeziehung zwischen Sardes, Milet und Didyma ausgehen und fragen uns, ob das Orakel, um sehr hoch zu greifen, nicht die geistige Schirmherrschaft über die Allianz von Sardes und Milet ausübte.²⁰⁴ Erst mit dem Untergang des Lyderreiches und nach der Unterwerfung der Karer durch den medischen General des Kyros, Harpagos, dessen Helfer die den Lydern bis zuletzt vertragstreu gebliebenen Ionier waren (Hdt. 1,171; 174), dürfte Didyma zu Milet gekommen sein.²⁰⁵ Letzten Endes ausschlaggebend für den gemeinsamen Aufbau einer Militärprovinz im Gebiet der Meerengen dürften also die hoch ambitionierten Kolonisationspläne im Schwarzmeergebiet gewesen sein. Die Milesische Kolonisation fasst man spätestens seit J. Beloch als den letzten Akt der großen griechischen Kolonisationsbewegung auf, die systematisch fortschreitend das gesamte Mittelmeergebiet im Zeitraum von 750 – 550 v.Chr. erfasst hätte.²⁰⁶ Das ist ein schematisierendes Konstrukt. Diesem zufolge gehörte die Koloniegründung von Pithekussai (Ischia) durch Chalkis/Eretria an den Anfang und die Gründungen der Städte am Schwarzen Meer durch Milet an den Schluss ein- und derselben großen Bewegung, nur zeitlich versetzt. Aber schon der Begriff „Kolonisierung“, der für das Schwarze Meer im Wortsinne zutrifft, passt so nicht für das zentrale Mittelmeergebiet. Es hätte ferner auffallen und berücksichtigt werden müssen, dass etwa Korinth eine autonome Polis war, Milet hingegen als Bündner und Mitglied des lydischen Reiches handelte. Herodot und Thukydides sahen denn auch die Koloniegründungen im Mittelmeer als isolierte Einzelvorgänge, die eine oder mehrere namentlich genannte poleis vollzogen hätten. Bei den Gründungen an den Küsten des Schwarzen Meeres bleibt Milet als Mutterstadt (metropolis) in der Regel ungenannt und lässt sich nur aufgrund archäologischer und epigraphischer Indizien erschließen.²⁰⁷ Dass Herodot von einer Milesischen Kolonisation nichts mehr gewusst haben soll, mag man nicht glauben. F. Jacoby konnte mit einiger
Parke (1985), 10 f. Herda (2006), 447 ff. nimmt – ohne Erwähnung der Lyder – das 7. und dann wieder die 2. Hälfte des 6. Jh. v.Chr. als Datum dafür an, dass Didyma milesisch geworden sei. Beloch (1912), 229 – 264, Wir erfahren lediglich, dass Istria von Abkömmlingen der Milesier bewohnt wird (Hdt. 2,33,4), oder wir lesen, dass die Borystheniten von sich sagten, sie seien Milesier (Hdt. 4,78,3).
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Sicherheit nachweisen, dass Herodot den Hekataios von Milet zur Vorlage hatte. So habe Herodot in seiner scharfen Polemik gegen die ionische Karte (Hdt. 4,36 – 38), in der er auch den Pontos erwähnt, mit Hekataios’ Material gewirtschaftet.²⁰⁸ Teils mit Verwunderung, teils mit Bewunderung reagiert die Forschung auf die Nachricht, dass Milet als Mutterstadt (genetrix) 90 Städte (urbes) hier gegründet haben soll (Plin. n.h. 5,31,112). Und wenn es auch nur knapp fünfzig Niederlassungen gewesen sein sollen, die die Archäologie nachgewiesen zu haben glaubt, ändert das doch nichts an der ungewöhnlichen Leistung. An Versuchen hat es nicht gefehlt, diese hohen Zahlen zu erklären.²⁰⁹ Hier ein neuer Versuch. Die Milesische Kolonisation des eigentlichen Schwarzmeerraumes, die die Gründung etwa von Abydos voraussetzt, beginnt zeitlich mit dem Abschluss und Inkrafttretens eines Friedens- und dann eines Symmachie-Vertrages. Dieser wurde wahrscheinlich vor der Schlacht gegen die Meder, die im Jahr „585“ stattfand, geschlossen. Man käme so für den Beginn der Kolonisation ungefähr auf das Jahr 600. Freilich ist der Spielraum groß und ebenso groß die Versuchung, Datierungen zum Zwecke der Synchronisierung passend zu machen. In unserem Falle hieße das, ein historisches Ereignis einem archäologischen Befund anzupassen, in der Hauptsache Keramik, die als das früheste Datum der Pflanzstädte ebenfalls das Jahr 600 ergibt.²¹⁰ Was nun könnte die Milesier zu diesem Unternehmen motiviert haben? Natürlich war ihr Vorteil, dass sie sich im Rücken einer Auffanglinie sicher sein konnten, die Rückendeckung versprach. Die Korinther, die schon etwas früher das Schwarzmeergebiet besuchten, hatten sich an den Küsten nicht halten können, und dies ist wohl damit zu erklären, dass sie außerstande gewesen waren, das Gebiet der Meerengen aus eigener Kraft zu sichern. Das hatte sich jetzt geändert. Risiken blieben, und hinausfahren mussten die Milesier schon selbst. Man sollte hier aber auch hier nicht übertreiben, so als hätten die Milesier nur einen offenen
FGrHist 1 F196 – 200 (mit Komm. F. Jacoby S. 354). Herodot hat im Skythenlogos zur Grenze zwischen den einzelnen Populationen ausschließlich Flüsse gemacht, acht an der Zahl (Hdt. 4,47– 58). Auch hier wird man an milesische Vorlagen (periploi) denken müssen, die den Sprung in die Literatur nicht schafften und untergegangen sind. Viele Autoren, an erster Stelle Hekataios, die sich mit der Grenze zwischen Europa und Asien beschäftigten, haben sich solcher Quellen bedient. Herodot beteiligt sich an der Diskussion über die Kontinentsgrenzen kaum oder nur indirekt. Die Siedlungen seien eben klein und Milet sehr groß gewesen, außerdem hätten sie Karer mitgenommen, so Ehrhardt (1983), 251 f., der die Lyder überhaupt nicht erwähnt. So Boardman (1981), 265 ff., und so auch ein Großteil ukrainischer und russischer Forschungen, die sich jetzt bei Povalahev (2008) referiert finden. Povalahev selbst baut felsenfest auf Boardman (zuletzt 1998) und dessen Keramikdatierungen.
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und leeren Horizont vor sich gesehen. Was versprachen sie sich von dieser Fahrt? Der Norden war besonders waldreich. Die milesischen Schiffseigner wünschten sich, dass man quantitativ mehr und möglichst noch besseres, aber nicht teures Holz schlagen möge. Gepriesen für ihre mit hohem Gras bewachsenen Weideflächen und fruchtbaren Saatfelder waren die Ufer des Borysthenes (Dnjepr), aber wirklich berühmt war der Fluss für seine großen Fische, die sich, weil arm an Gräten, zum Einsalzen gut eigneten. Man nannte diese Fische Antakaier (Hdt. 4,53,3). Sie landeten auf dem Fischmarkt von Milet.²¹¹ Der Norden war reich an Getreide, Silber und Gold und nicht zuletzt reich an Menschen, an denen es dem Vorderen Orient stets mangelte.²¹² Das Hauptproblem, vor dem die Milesier standen, lag darin, genügend geeignete Leute zur Bemannung der Schiffe zu bekommen. Durch Quellen gesichert ist die Teilnahme von Phokaiern und Karern, diese z. B. aus Halikarnassos, der Geburtsstadt Herodots.²¹³ So gut wie sicher ist, dass auch Chier mit an Bord waren (vgl. Hdt. 1,18,3). Der Norden hielt Gefahren bereit, real abzuschätzende – die ersten Kolonien legten die Milesier auf vorgelagerten Inseln oder Halbinseln an –, aber auch Gefahren, die man sich in seiner Phantasie ausmalte. Diese waren vielleicht angeregt durch Berichte von Reisenden, die wie Aristeas selbst, in der Skythike unterwegs waren und hier vom Hörensagen etwas über die märchenhaften Nordvölker, wie die Menschenfresser (androphagoi) oder die einäugigen Arimaspen, erfahren haben wollten. Die Nordküste stellte sich dann als ungefährlich dar, seine Bewohner waren friedlich; die griechisch-skythische Synthese, die hier entsteht, kann Herodot später nicht genug rühmen. Ganz anders erging es denen, die es mit Thrakern zu tun bekamen (unsere Phase 2). Wo der Siris fließt (Unteritalien), da wären sie wohl liebend gern hingefahren, so auch schon Archilochos (F21– 22 W), Söldner und Jambendichter von Paros (spätestens 650 v.Chr.). Stattdessen verschlug es ihn nach Thasos, „der dreimal verdammten Stadt“ (F228 W). „Die oizys („der Abschaum“, Treu [1979a]) aus ganz Hellas, so kamen wir auf (der Insel) Thasos zusammen“ (F102 W). Aus diesem „Menschenmaterial“ hat er eine Art Polizeitruppe gebildet, mit der er an der Thasos gegenüber liegenden thrakischen Küste einen ihn persönlich demoralisierenden Buschkrieg führte, gegen die Thraker, „diese Hunde“ (F93a W). Wenn aber schon Thasos, das ja immerhin eine ägäische Insel ist – aber im Norden auch heute noch einen balkanischen Eindruck macht –, als nicht begehrenswert er Bekannt ist die Fischhändler-Szene der Lipari-Vase aus Cefalù, Sizilien (Museo Mandralisca). Strab. 1,2,39, dazu immer noch Röhlig (1933). In mehreren Arbeiten zum Handel, allerdings in nachlydischer Zeit, ist D. Braund in den letzten Jahren hervorgetreten, so hat er einen Sammelband zusammen mit S.D. Kryzhitski herausgegeben (Braund/Kryzhitski [2007]). Die näheren Angaben bei Marek (2010), 174.
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scheint, wer wollte dann freiwillig noch weiter nach Norden, ans Schwarze Meer, gehen. Dieses nannten die Griechen euphemistisch-volksetymologisch das „Gastliche Meer“, auch wenn sie das Gegenteil meinten, und an dessen Gestaden die unzivilisiertesten Völker hausten, wie später Herodot sagen wird. Archilochos weiß denn auch von einem grässlichen Schiffsuntergang auf diesem Meer zu dichten, und in einem anderen Gedicht wünscht er einem Verräter, schiffbrüchig an die Küste von Salmydessos gespült und „aufs freundlichste“ in Empfang genommen zu werden von den Thrakern, von denen er zu berichten hatte, dass sie bis auf einen Haarschopf am ganzen Kopf kahlgeschoren waren (akrokomoi).²¹⁴ Keine tröstliche Botschaft für die, die sich mit dem Gedanken trugen, ob sie sich der Bewegung anschließen oder lieber Abstand davon nehmen sollten. Es ging die Rede, dass nicht einmal die Esel das Klima in diesen nördlichen Breiten vertrügen. Vieles sollte sich zwar schon auf der Reise als Gerücht erweisen, aber sehr gefährlich war die von Thrakern bewohnte Westküste des Schwarzen Meeres, und lang war sie es für die, die an die Nordküste wollten. Aber selbst wenn die küstennahen Steppenräume des Nordpontos zu dieser Zeit weitgehend entvölkert waren, wie jedenfalls N. Povalahev meint, so würde sich nichts daran ändern, dass eine diffuse Ungewissheit die Ausfahrenden beschlichen haben muss, ob denn die verbliebenen Bewohner der einzelnen Küstenstriche feindlich oder freundlich seien und ob sie gar für ein gemeinsames Tun aufgeschlossen sein würden oder nicht.²¹⁵ Archilochos führt uns die Rolle des Kriegers vor Augen. Er hatte bei der Kolonisierung Händlern und Bauern beizustehen, sogar ihnen bei der Landnahme schutzgewährend voranzugehen. Eine Frage, die leider unbeantwortet bleiben wird, lautet denn auch, was die Milesier veranlasste, ihre schöne Stadt zu verlassen. Dass der Mensch Heimweh kennt, gehört zu seiner Natur. Herodot weiß eine diesbezügliche Begebenheit aus Phokaia zu berichten. Die Bewohner dieser Stadt seien wie geplant in die Boote gestiegen, als die Eroberung durch die Perser, die der schon genannte Harpagos befehligte, unmittelbar bevorstand. Als es dann wirklich für die Phokaier nach Korsika gehen sollte – für immer –, befiel mehr als die Hälfte der Bürger ein so „jämmerliches Heimweh“ (pothos te kai oiktos), dass sie sogar – und darauf legt Herodot die Betonung – ungeachtet ihres feierlichen Schwures wieder nach Phokaia zurückfuhren (Hdt. 1,165,3); Heimweh nicht als sentimentales Gefühl, sondern als ernstzunehmende Krankheit.
Von M. West Hipponax (F115 W), von Latacz (1991), 268 f. aber Archilochos zugesprochen. Povalahev (2008), 246 ff. kommt deshalb zu dem Schluss, dass zuerst landsuchende Bauern und dann erst Händler den Nordpontos aufgesucht hätten.
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Kroisos’ Sicherung des Seeweges in die Kolchis (Phase 3) Außer Milet waren noch andere griechische Mutterstädte an Koloniegründungen im Schwarzmeergebiet beteiligt. An erster Stelle sei hier nochmals an das dorische Megara zu erinnern. Megara hat bekanntlich am Bosporos zwei Tochterstädte gegründet, nämlich zuerst Kalchedon und dann Byzantion. Letzteres wurde, weil zunächst die Thrakergefahr hier besonders groß erschien, erst im zweiten Anlauf gegründet, und dies scheinbar ohne jede Unterstützung durch eine Großmacht, jedenfalls ist davon in den Quellen direkt nichts zu lesen. Megaras Kolonien wären aus eigener Kraft in dieser exponierten Lage wohl kaum zu halten gewesen, wenn nicht die Beziehungen zwischen Megara und Milet seit dem Lelantinischen Krieg (vor 700 v.Chr.?) so gut gewesen wären. Mehr noch, man kann einen Hinweis dafür finden, um jetzt sogar eine regelrechte Kooperation der sardisch-milesischen Allianz mit Megara in Betracht ziehen zu können.²¹⁶ Es ist bekannt, dass ca. 550 v.Chr. Herakleia Pontika von Leuten aus Megara gegründet oder neugegründet wurde, also in der lydischen Sicherheitszone zu liegen kam, die jetzt um ca. 550 v.Chr. durch Apoikien Milets, wie Sinope und Trapezus, weiter in Richtung der Kolchis ausgebaut wurde. Megara könnte wohl kaum seine Apoikie in die Linie der südlichen Pontosstädte ohne Zustimmung der Lyder eingereiht haben, vielmehr wird jetzt die Annahme wahrscheinlich, dass die Ansiedlung dorischer Siedler aus Megara auf Kroisos’ ausdrücklichen Wunsch hin geschah. Gestärkt wird diese These wiederum durch die Völkerliste Herodots (1,28), wonach die angestammten thrakischstämmigen Bewohner des städtischen Umlandes, die Mariandyner, von Kroisos unterworfen und dann von Megara in einer helotenähnlichen Stellung gehalten wurden. Östlich von Sinope haben die Milesier, vielleicht verstärkt durch Phokaier, die Kolonie Amisos (heute Samsun) gegründet, die eine gute, seit der Bronzezeit bestehende Verkehrsanbindung in Richtung Alaca Höyük und weiter Hattusa besaß, dann ging es weiter auf der Königsstraße.²¹⁷ Die Unterwerfung der küstennahen Populationen durch Kroisos (Hdt. 1,28) sowie die auffällige Reihung der Kolonien an der Südküste dienten wohl dem Zweck, den Schiffen, die vermutlich nahe der Küste fuhren, eine landgestützte Sicherheitsgarantie auf ihrer Route in die Kolchis zu eröffnen. Warum in die Kolchis? Darüber zum Schluss!
Jeffery (1976), 211 geht in diese Richtung, allerdings ohne Lydien ins Spiel zu bringen. So P. Frei, in: Marek (2010), 172 ff.; hier auch Verweis auf die Sesamos. Die Kolonie ist von Milet und von Leuten aus Halikarnassos gegründet worden. Darauf weise der Name einer Phyle namens Halikarnassis hin.
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Seemännische Bravourleistungen Die Leistung der Milesier ist von der Forschung gerühmt worden. Zwar ist die Koloniegründung der Euboier auf der weit entfernten Insel Pithekoussai (Ischia) um 750 v.Chr. eine seemännische Leistung ersten Ranges, aber es gilt zu beachten, dass sie einen Seeraum befuhren, der politisch ein wesentlich ruhigeres Fahrwasser darstellte als der Raum um die Propontis, wo die Kimmerier durchgezogen waren und tyrsenische Seeräuber sowie vor allem wilde Thraker sich drängten. Der Westen vermittelt eher den Eindruck eines gewaltlosen Übergangs von der Spätbronzezeit zur Frühen Eisenzeit, obwohl auch Italien sich in dieser Zeit (Frühe Eisenzeit) ganz neu formierte. Sizilien und Unteritalien wurden denn auch in diesen Jahrhunderten der Übergangszeit zwar nicht übermäßig häufig, aber doch wohl regelmäßig von Griechen angesteuert. Davon zeugen Küstenplätze mit gehäuft auftretender mykenischer Keramik, die auf feste Siedlungen schließen lassen, wie etwa Scoglio del Tonno bei Tarent, Lipari oder Vivara im Golf von Neapel.²¹⁸ Noch weiter als die Euboier seien die Phokäer gefahren, die als erste weite Seefahrten unternommen hätten (Hdt. 1,163,1). Aber hier vertraut Herodot doch wohl zu stark zweifelhaften Quellen; die Forschung ist sogar noch weiter gegangen, indem sie aus Herodots Angabe ein ganzes phokäisches Seereich herausspinnen wollte.²¹⁹ Das geht natürlich viel zu weit.²²⁰ Mit den Milesiern gleichziehen können nur die tyrischen Phöniker, die ein Kolonisationsprogramm im andalusischen Südspanien und selbst in Portugal sowie in Nordafrika bis über Marokko hinaus verwirklichten. Tyrer und Milesier drangen in Länder vor, von denen die vorderorientalischen Höfe keine Notiz zu nehmen schienen, und man fragt sich verwundert, warum auch die griechische Kulturwelt keine Informationen über die Kolonien am Schwarzen Meeres bezogen hat, die zumindest einen ersten Kenntnisstand hätten begründen können. Die wenigen und zudem wenig aussagekräftigen Fragmente des Hekataios von Milet ergeben jedenfalls kein Bild, das diesen Anforderungen genügen könnte (FGrHist 1 F196 – 216). Pseudo-Skylax (4. Jh. v.Chr.?) hat in seinem Periplous des Mittelmeeres den Pontos und Kleinasien nicht im Hinblick auf Städtegründungen abgestellt, er nennt sie nur hellenis ‚Griechenbereich‘. Vielmehr interessierten ihn die Völker, darunter auch Fabelvölker (Ps.-Skymn. GGM 1 = Shipley [2011], 66 – 92/–102). Vergessen herrschte und herrscht stattdessen bis heute vor.²²¹ Man könnte meinen, es handle sich bei der Kolonisation im Schwarzen Meer um eine geheime Kommando-Sache. Kein Ka
van Wijngaarden (2002), 249 – 259. So Langlotz (1963) und auch noch Murray (1982), 139 f. So zu Recht Morel (1975), 889 – 892. Dazu Timpe (1989), 318 f.
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pitän der milesischen Schwarzmeerflotte wird je mit Namen genannt, sondern alles bleibt anonym. Kein Roteiro, kein Logbuch ist aus dieser Zeit auf uns gekommen; es mag sie gegeben haben, einen Eingang in die Literatur haben sie aber nicht gefunden. Nicht einmal Spuren davon lassen sich über das Schwarze Meer in der späteren Periplous-Literatur finden; allerdings ist diese sozusagen Kontinent-Umsegelungs-Literatur insgesamt nur sehr fragmentarisch erhalten, zu wenig, um an repräsentative und verlässliche Ergebnisse zu kommen. Ihre Autoren waren Menippos aus Pergamon (1. Jh. v.Chr.) und der zweite, das Werk des Menippos benutzend, Arrianos aus Nikomedia (etwa 95 – 175 n.Chr.) Selbst von den Phönikern, die um 600 v.Chr. Afrika umrundeten und damit die größte seemännische Leistung der Antike vollbrachten, ist nicht einmal der Name des Befehlshabers der Flotte bekannt, nur ihr oberster Auftraggeber, der Pharao Necho, wird genannt. Kurios bleibt, dass der lydische König und Auftraggeber der Milesischen Kolonisation, die zur ungefähr gleichen Zeit anläuft, ebenfalls nicht genannt wird.²²² Ist von diesen phönikischen Expeditionen im Indischen und Atlantischen Ozean irgendwelches Material auf die sog. Babylonische Weltkarte oder die milesische Karte des Anaximander übertragen worden, oder was hat Eingang gefunden in die Erläuterungen (logoi), die Hekataios zu milesischen Karten schrieb? Fast jeder kennt heute noch Vasco da Gama, der 1497 von Lissabon aus ums Südkap Afrikas herum Calicut in Indien erreichte. Aber Vasco da Gama hatte auch die allerneueste Errungenschaft auf dem Gebiet der Segelschifffahrt zur Verfügung, die Karavelle. Sie durchfurchte nicht mehr das Wasser, sondern durchschnitt es. Kurzum, die Portugiesen eröffneten den Seeweg nach Indien und ebenso hemmungslos das Feuer, sollten im Arabischen Meer Konkurrenten aufkreuzen. Die Portugiesen besaßen die besten Sammlungen von Seekarten. Sie wurden aber gehütet wie die Kronjuwelen. Kein Unbefugter hatte Zugang zur Kartographie, wo immer die neuesten Daten heimkehrender Kapitäne kartiert wurden. Eine strenge Geheimhaltung, vor allem was die Flotte betraf, war den Portugiesen wichtig. Denn Portugal lebte von der Flotte und von dem, was diese an Aromata aus Indien nach Lissabon heimbrachte. Diese „Abschweifung“ ist nötig gewesen, um einen typologischen Vergleich mit den Phönikern anstellen zu können. Denn die Geheimhaltung war sicherlich ein Grund, wenn auch nicht der einzige, warum der enorme Erkenntniszuwachs der Phöniker im Bereich der Geographie im Vorderen Orient nicht ankam, sieht man vielleicht vom Alten
Immerhin ist der Name des punischen Seefahrers Hanno, der um ca. 500 v.Chr. von Gades aus Afrika zu umfahren versuchte, in einem Periplus in griechischer Übersetzung (GGM 1,1– 14) überliefert, vgl. Huß (1990), 39 – 44.
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Testament einmal ab, wo etwa das sog. Tyros-Orakel des Ezechiel-Buches (Ez 26 – 28) einen gewissen Nachhall zu geben scheint. Festzuhalten ist, dass es auch den Phönikern wie den Portugiesen nicht zuletzt um Gewürze und Aromata und auch um Gold ging.²²³ Auch Milet war eine Hochburg der Geographie und sogar ihre Geburtsstadt, jedenfalls insoweit sie hier wissenschaftlich-empirisch betrieben wurde. Anaximander von Milet soll als erster eine Karte der Oikumene gezeichnet haben, sie war allerdings noch stark von geometrischen und symmetrischen Gesetzen und Harmonieempfindungen abhängig und dazu einem mythischen Weltbild verpflichtet. Er soll Leiter einer Kolonisationsexpedition nach Apollonia (am Schwarzen Meer?) gewesen sein (vgl. Ail. var. 3,17 = DK 12 A 3). Wann, wie und ob überhaupt der Schwarzmeerraum in der frühen Kartographie dargestellt wurde, lässt sich nicht sagen. Geheimhaltung ist auch hier mit verantwortlich zu machen.
Das Gold des Kroisos Wir erwähnten unter den Produkten, die Milet aus dem Schwarzmeergebiet zu beziehen trachtete, auch das Gold. Der Reichtum der Lyder besteht in den Augen Herodots vor allem in Gold, das Alyattes als erster neben dem Silber in Münzform ausprägte, aber auch als Weihegaben, die Kroisos dem Apollon von Delphi sowie dem Apollon von Didyma in generöser Weise stiftete. Darunter waren solche aus purem Gold, was schon in der Antike die Menschen am meisten faszinierte. Der sprichwörtliche Reichtum der Lyder – Archilochos nennt Gyges einen Goldprotz (F19 W) – kommt in einem volkstümlichen Schwank über das Gold des Kroisos zum Ausdruck, den Herodot (6, 125,2– 5) erzählt. Ein attischer Alkmeonidenspross gab hier eine tragikomische Figur ab. Dieser Reichtum gründete wohl kaum überwiegend auf dem Goldstaub oder -sand (psegma chrysou) aus dem Fluss Paktolos, wie Herodot (5,101,2, vgl. 1,93,1) erzählt. Mit dem Gold des Paktolos verhält es sich wohl eher wie mit dem Rheingold,²²⁴ das unbestreitbar auch einmal einen realen Hintergrund hatte, aber längst zum Stoff für Sagen oder Märchen abgesunken war, die man sich so erzählte und dabei immer wunderbarer aus-
Die Nachrichten über die Küstenländer des „Roten Meeres (= Indischen Ozeans)“, einsetzend mit Agatharchides von Knidos (200 – 120 v.Chr.) über den Persischen Golf (Phot. cod. 250), strömten recht eigentlich aber erst in der frühen Kaiserzeit auf den Tisch der gelehrten Welt. In welcher Masse das geschah, zeigt Huntingford (1980) in seiner Übersetzung und vor allem in seiner realkundlichen Auswertung des aus dem 1. Jh. n.Chr. stammenden, anonymen „Periplus of the Erythraean Sea“. Dazu Norden (1922), 230 ff.
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gestaltete. Ist es denn vorstellbar, dass dem Großkönig von Arzawa, Tarhuntaradu, der sich vom Pharao Amenophis III. Gold schenken ließ (vor ca. 1350 v.Chr. = Beginn der Amarnazeit), verborgen geblieben sein sollte, dass vom Paktolos, der 90 km von seiner Residenz Abasa/Ephesos entfernt floss, der Goldstaub, in der Antigone des Sophokles mit elektron „Silbergold aus Sardes“ (1038) wiedergegeben, in großen Mengen nur so herangespült würde? Betrachten wir in diesem Zusammenhang einmal die berühmte Geschichte, die erzählt, wie der Tyrann von Milet, Aristagoras, 500 v.Chr. den König von Sparta, Kleomenes, aufsuchte, um ein dringliches politisches Gespräch zu führen (Hdt. 5,49 – 51). Mit sich führte er als schweres Gepäck eine eherne Weltkarte allerneuester Produktion und bester milesischer Tradition verpflichtet, denn sie verzeichnete bereits die persische Königsstraße, die noch nicht lange in Betrieb gewesen sein kann (Hdt. 5,52). An dieser aufgereiht nennt Aristagoras nun die Völker. Nach den Ioniern kämen die Lyder. Diese bewohnten ein fruchtbares Land und sie seien sehr reich an Silber (Hdt. 5,49,5 polyargyrotatoi, nur hier!). Der Leser, der noch das erste Buch Herodots und hier die Kapitel 14; 50; 93 in Erinnerung hat, hätte auch hier Gold erwartet. Dem ist aber nicht so. Dass Lydien reich an Silber war und nicht ausschließlich an Gold, wird durch andere Quellen unterstützt. So heißt es in einer Schrift, die dem Aristoteles zugeschrieben wird: „In den lydischen Bergwerken (en tois … metallois) in der Gegend von Pergamon, die schon Kroisos eingerichtet hatte, …“ (Arist. mir. 52 = 834a), kann nur der Abbau von Edelmetallen, also Silber und Gold, gemeint sein. Nicht anders wird es in Astyra bei Abydos gewesen sein, deren Minen schon Priamos ausgebeutet habe (Strab. 13,1,23; 14,5,28), und zwar, wie es Priamos als König standesgemäß zukommt, kam nur Gold in Frage. Von Gold aus dem Paktolos aber sprechen diese späten Quellen nicht. Dass Herodot sozusagen der Erfinder dieser Geschichte ist, wird man nicht glauben.²²⁵ Eher glaubhaft ist, dass Herodot hier einer bewussten Fehlinformation aufgesessen ist, die die Lyder einst lanciert hatten, um eine falsche Fährte zu legen. Die Forschung ist dieser Fährte gefolgt und ist über Herodot noch hinausgegangen, indem sie den gesamten Reichtum der Lyder dem vom Tmolos herabfließenden Paktolos zutraut. Es stellt sich jetzt ganz anders dar. Vermutlich kam schon zur Zeit des Gyges, und noch bis in die Zeit des Alyattes hinein, reines Gold bester Qualität aus Ägypten.²²⁶ Unter Alyattes, ganz besonders aber unter Kroisos, kam es dann zur Hdt. 5,101,2. Herodot behauptet, Äthiopien besäße „viel Gold“ (3,114,1). Gleich darauf sagt Herodot, der Norden Europas hätte „bei weitem das meiste Gold“ (3,116,2). Schon Tarhuntaradu von Arzawa bekam Gold von Amenophis III. (1390 – 1352 v.Chr.) wohl im Gegenzug für die Überstellung von Kaskäern, EA 31 = VBoT 1, Ü: J. Klinger, in: TUAT N.F. 3 (2006), 194 f.
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Neuorientierung. Von nun an sollte vor allem Gold aus dem Schwarzen Meer bezogen werden. ²²⁷ Das Gold hatte eine lange Reise vor sich. Denn der ursprüngliche Ausgangspunkt war der Ural oder gar die Altai-Region, von wo auch die Skythen ihr Gold bezogen und später die makedonisch-griechischen Herrscher des baktrischen Reiches.²²⁸ Prähistorikern ist durch Funde bekannt, dass mit Hilfe der großen Ströme Russlands schon früh auf Booten Waren transportiert wurden, mit einer Überlandverbindung an der Stelle der größten Annäherung von Wolga und Don. Die Griechen hatten keine genauen geographischen Vorstellungen von diesen Regionen, wussten aber immerhin, dass es hoch im „Norden Europas offenbar weitaus das meiste Gold gibt“ (Hdt. 1,116,2). Greifen würden es hüten, das die Arimaspen zu rauben trachteten.²²⁹ Die Kopfstation des Überlandweges vom Ural könnte zunächst die Insel Berezan gewesen sein, dann Olbia.²³⁰ Erst für die Zeit um 550 v.Chr., das heißt seit Kroisos, wurde dann der Seeweg entlang der Südküste des Schwarzen Meeres verlagert. Indizien dafür sind neben den milesischen und megarischen Kolonien auch die auffällig vielen, von Kroisos unterworfenen Völkerschaften, die in der „Völkerliste“ Hdt. 1,28 in allerdings gestörter Reihung für diese Küste aufgezählt werden. Alles zielt auf Phasis als Bestimmungshafen in der sagenberühmten Kolchis. Phasis wird mit dem georgischen Poti identifiziert, was aber keineswegs als gesichert gelten kann. Wenn wir uns auch nicht von der Argonauten-Sage und dem „goldenen Vlies“ trügerisch blenden lassen wollen, so schüchtern uns umgekehrt die Einwände von G.R. Tsetskhladze, der wohl zurecht mythenhistorisch begründeten Übertreibungen entgegentreten will, auch nicht ein, es seien bislang keine Spuren von Goldverarbeitung in der Kolchis gefunden worden. Das Gold muss ja nicht hier, sondern konnte auch andernorts verarbeitet worden sein. Dass man es allerdings bis ins „Industrie-Revier“ am Paktolos nach Sardes transportierte, wo archäologisch nachweisbar Gold verarbeitet wurde, ist weniger plausibel. Als Zwischenstation kommt Phasis in Frage, das zwar als polis nicht vor dem 4. Jh. v.Chr. be-
Eine Ausnahme macht nur Schwertheim (2005), 32 und jetzt auch P. Frei, in: Marek (2010) 152 f.: Kroisos habe sich mit Hilfe der Milesier das Gold aus dem Schwarzen Meer beschafft. Parzinger (2007); Tarn (1951), 109: „The Siberian expedition“. Aristeas von Prokonnesos FGrHist 35 F5, Arimaspeia-Epos nach 600 v.Chr., dazu Timpe (1989), 318 und jetzt von ihm ausgeweitet (2007a), 3 – 8. Ganz ähnliche fabelhafte Vorstellungen aus etwa der gleichen Gegend gibt es schon viel früher in den jungavestischen (ostiranischen) Texten aus dem 8./7. Jh. v.Chr. Hier wohnen am Oberlauf des mythischen Stromes Raŋhā (= Wolga?) kopflose Menschen (avestisch asara- für *asāra-?), vgl. Humbach (1960), 45 f. Vielleicht schöpften die Griechen hier aus iranischen Quellen, was für den Schwarzmeerraum nicht ganz ungewöhnlich wäre. Die zahlreichen Elektronmünzen in Olbia, s. Frolova/Smekalova/Djukov (2007), bleiben ohne Datierung auch ohne historische Ausdeutung.
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Zusammenfassung und Rekonstruktion
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zeugt ist,²³¹ aber vielleicht als Handelsplatz (emporion) früher gegründet wurde, und wo das Gold auf Schiffe verladen wurde.²³² Unsere geringe Kenntnis darüber, wo sich das Wissen über Herkunft und Weg des Goldes speicherte, und ob und warum dieses Wissen verloren ging, hat wohl seinen Grund auch hier in der Geheimhaltung.²³³
Zusammenfassung und Rekonstruktion Ziel dieses Teils (3 2) war es, den Nachweis zu führen, dass hinter der milesischen Kolonisation das Reich der Lyder stand. Um 600 v.Chr. ist Milet die führende Macht des Hellenentums in Kleinasien, die „Hauptstadt“ Ioniens und eine Metropole im Vorderen Orient. Waren aus fast allen Gebieten des Mittelmeerraumes, jetzt mit Einschluss des Schwarzen Meeres, treffen in Milet ein. Man könnte eine ebenso lange Liste von Produkten erstellen, wie sie vergleichsweise das alttestamentarische Buch Ezechiel für Tyros bietet, im sog. Tyros-Orakel (Ez 26 – 28), das zu Ez 25 – 32, den Drohworten gegen Fremdvölker gehört, und das wohl in die Zeit Nebukadnezars zu datieren ist, d. h. nach 600 v.Chr., also zeitgleich mit dem eigentlichen Aufstieg Milets. Diese Stadt besaß schon einige Jahre vor dem gewaltsamen Tod des Gyges (644 v.Chr.) eine Stadtmauer. Und sie muss schon eine ziemlich reiche Stadt gewesen sein, als Alyattes kurz vor 600 v.Chr. mit seinen alljährlichen Kampagnen begann, ihr den Tribut abzutrotzen. Dann wurde das Verhältnis zwischen Sardes und Milet über die notwendige Zwischenstufe des Friedensvertrages zur Symmachie, zum „Kampfbündnis“, hin aufgewertet. Aus Strabon ist einiges über die Aktivitäten der Lyder in Troia und der Troas zusammengekommen, so die kurze Notiz, dass Gyges den Milesiern Abydos zur An-
Ehrhardt (1984) zieht grundsätzlich in Zweifel, dass es vor der Gründung einer Apoikie als Polis jemals ein wirkliches emporion gegeben hat. Folglich sei Phasis, das erst bei Pseudo-Skylax im 4. Jh. v.Chr. als Polis qualifiziert wird, vor dem 4. Jh. v.Chr. nicht existent. Das ist vielleicht etwas zu dogmatisch gedacht. Ausführlich diskutiert werden die Begriffe emporion, polis und apoikia von Povalahev (2008), 113 ff. N. Ehrhardt wird hier überhaupt nicht erwähnt, die Lyder nicht mit einbezogen. Tsetskhladze (1998), 7 ff.; 57 f. Ähnlich ist es wohl im Fall der Bernsteinstraße (Plin. n.h. 37,11,45, vielleicht schon bei Hdt. 4,33 – 35). Erst in der frühen Kaiser- und Okkupationszeit war der Verlauf des Handelsweges bekannt. Auch dürfte der genaue Verlauf der Weihrauchstraße erst Plinius bekannt geworden sein. Die Kenntnis von ihr war erst wirklich in den Machtzentren angekommen, als sie Plinius der Ältere (23 – 79 n.Chr.) in seinen „Zettelkasten“ aufgenommen und im 12. Buch seiner „Naturgeschichte“ im Sachgebiet Botanik untergebracht hatte, wo die südarabischen Aromata genannt werden.
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siedlung zugewiesen habe. Der Kooperationsgedanke weitete sich aus bis hin zu der Vermutung, dass die ganze sog. Milesische Kolonisation auf Zuweisung durch die Lyder basieren könnte. Man war nicht gut beraten, als man die sog. Milesische Kolonisation einfach an die große griechische Kolonisation anhing, so als sei sie deren Abschluss. Man muss offen bleiben, um andere, vielleicht bessere Hypothesen zu finden. Ägypten bot sich als Parallele an. Necho II., Pharao der XXVI. Dynastie, hat um 600 v.Chr. den Befehl gegeben, Trieren am „nördlichen Meer“, d.i. das Mittelmeer, sowie am „Arabischen Golf (als einem der Teilgewässer des Roten Meeres) am Roten Meer“ zu bauen.²³⁴ Im Zusammenhang mit dem Flottenbau steht der Bau des antiken Suezkanals, den allerdings erst Dareios vollenden sollte (Hdt. 2,158). Die Milesier, die sich in Ägypten aufhielten, meldeten nach Hause, was in Ägypten vor sich ging. Das könnte die Begründer des lydischmilesischen Bündnisses zu einem ähnlichen Vorgehen inspiriert haben. Der Vorteil dieser Hypothese liegt darin, dass Ägypten und Lydien aufgrund ihrer monarchischen Verfassung und die ihnen zugeordneten Städte Tyros und Milet aufgrund ihres nicht unabhängigen Status, zusammen genommen ein viel größeres Maß an Vergleichbarkeit bieten, als das der Fall wäre, wenn z. B. das autonome Chalkis oder Rhodos mit Milet verglichen würden. Ein direktes Zeugnis für eine sardisch-milesische Kooperation haben wir nicht. Nur verstärkte Aktivitäten von Lydern und Griechen an der Südküste des Pontos mit Einschluss der Meerengen, der einzigen Durchfahrt in das Schwarze Meer, lassen sich feststellen. Als ein zentraler Ausgangspunkt dieser Initiativen zur Öffnung der Seestraße und für ihre ungehinderte Passage bot sich die Sekundogenitur von Adramytteion an, der Amtsitz eines lydischen Prinzen mitten in der Aiolis (ab ca. 600 v.Chr.) Zu seinen hoheitlich abgeleiteten Befugnissen könnte es gehört haben, Aioler anzuwerben, die in der Troas und auch in Troia selbst als Wehrbauern angesiedelt werden sollten. Was eine klassische, voll ausgebildete Sekundogenitur ist, lässt sich für die Antike am besten anhand des Beispiels des hethitischen Vizekönigtums Karkamis aufzeigen. Aufgrund der guten Quellenlage, vor allem der Briefe, ließe sich eine Liste von Befugnissen zusammenstellen. Auch für Adramytteion könnte man einige Befugnisse ableiten, aber sie bleiben spekulativ. Die Übereinstimmung zwischen Karkamis und Adramytteion ist dennoch ausreichend für den Nachweis, dass die Lyder auch hier in
In der Zeit vor Alexander, als der Persische Golf noch unbekannt bzw. noch keinen Eingang in die Köpfe der milesischen Kartographen gefunden hatte, war mit dem „Roten Meer“ neben dem „Arabischen Golf“ der Golf von Aden einschließlich des Horns von Afrika sowie der Golf von Oman gemeint, und so auch und zuerst bei Herodot. Damit wird das Operationsgebiet, das alte Land Punt, für die Flotte nicht nur größer, sondern überhaupt erst lohnend.
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Zusammenfassung und Rekonstruktion
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der altanatolischen Tradition standen und sie auch an Periander von Korinth, der mit Hilfe seiner Söhne ein Seereich aufbaute, weitergaben. Im Sicherungssystem der Meerengen nahm das milesische Kyzikos sozusagen als Heimathafen der Schwarzmeerflotte die wichtigste Rolle ein. Die Kolonisierung des Schwarzen Meeres (pontos, euxeinos pontos) diente vor allem dem Landgewinn und der Beschaffung von Getreide und Fischen. Drei Gebiete der Kolonisierung lassen sich schematisch bestimmen: 1. Der Nordpontos mit der ältesten Gründung Berezan; als sich dann die Skythen als lernbereit und zur Kooperation befähigt zeigten, kam es zur Gründung von Olbia. Der Name, der ‚die reiche (Stadt)‘ bedeutet, spricht für sich. 2. Das westliche Pontosufer unterschied sich vom Nordpontos in einem Punkt grundlegend: Die Bewohner waren Thraker, die sich den Kolonisten feindlich zeigten und einer Kooperation ablehnend gegenüberstanden. Es ist erstaunlich, mit welcher Konsequenz und über wie lange Zeit hinweg sich hier ein Volkscharakter einheitlich präsentiert.²³⁵ Die Thraker machten den Griechen, gelinde gesagt, Probleme. 3. Ein drittes Gebiet kommt erst mit Kroisos um 550 v.Chr. in den Fokus: die Kolchis. Es geht jetzt fast nur noch um das Gold, das die Könige lieben, weil es nur ihnen zukommt. Phasis (heute Poti?) wurde zum Bestimmungshafen für Schiffe aus Milet, die hier an der Kopfstation einer aus dem Goldland Ural/ Altai heranführenden Verkehrsverbindung anlegten, um das Gold an Bord zu nehmen, vielleicht nach Art von Nacht-und-Nebel-Aktionen. Mancher Goldhandel mag auch die Ströme Wolga und Don als oft einzige „gangbare“ Verkehrswege genutzt haben. Gold war keinesfalls gleichbedeutend mit Geldbesitz in unserem Sinne, sondern bedeutete Reichtum, den man präsentieren konnte, so durch Weihestücke in Delphi. Lydien besaß von Haus aus Silber, aber wenig Gold. Alyattes stiftete denn auch Weihegeschenke aus Silber. Das Gold des Paktolos ist ebenso ein Gegenstand der Sage wie das Rheingold im Nibelungen-Epos, beides mit einem kleinen historischen Kern. Vermutlich liegt eine gezielte Fehlinformation vor, der die Forschung noch heute weitgehend aufsitzt. Um den weiten Seeweg entlang der Südküste des Pontos zu sichern, unterwarf Kroisos deren Bewohner, die überwiegend thrakischer Herkunft waren (Hdt. 1,28). Bei der Rekonstruktion der Zusammenhänge kann man sich nur an Auffälligkeiten halten, denn die schriftlichen Quellen sind ahnungslos, was natürlich nicht heißt, dass sie bedeutungslos wären. Auffällig ist z. B., wie sich die Leute von Megara in die Phalanx der schon
Zur Diskussion um die Begriffe „Volk“ und „Stamm“ s. Teil 2.
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bestehenden milesischen Kolonien geradezu hineinzwängen. Die Nachricht, dass Kroisos die Mariandyner, das sind die Umwohner von Herakleia am Pontos, unterwarf, die dann zu Heloten der megarischen Stadt wurden, lässt es nicht ausgeschlossen erscheinen, dass auch die Ansiedlung ihrer Bewohner das Werk des Kroisos war. Wie die Länder des Weihrauchs und die Weihrauchstraße wegen strenger Geheimhaltung erst spät, eigentlich abschließend erst am Anfang des vorigen Jahrhunderts bekannt bzw. bekannt gemacht wurden, so ist es auch hier. Das würde die Tatsache erklären, warum die sog. Milesische Kolonisation schon zur Zeit Herodots fast ganz in Vergessenheit geraten war, und ferner, warum die Rolle der Lyder völlig der Memoria entfallen war.
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4 König, Heerwesen und Verfassung¹ Reiterheere mögen die einen, andere Fußvolk, wieder andere halten eine Menge von Schiffen auf der dunklen Erde für das Schönste, ich aber das, was man liebt. … Kypris hat mich an Anaktoria erinnert, die nicht da ist. … von der wollte ich ihren leichten Schritt lieber sehen und das helle Leuchten von ihrem Antlitz als der Lyder Streitwagen und in voller Rüstung Kämpfer zu Fuß. (Sappho F16 Voigt/L.-P., Ü: in Anlehnung an Treu [1979b])
4.1 Das Heerwesen als Indikator von Verfassungswirklichkeit Lydien war ein anerkanntes Mitglied der altorientalischen Staatenwelt. Wir haben in der Einleitung von einer kulturellen Gemeinsamkeit (koine) dieser Staatenwelt gesprochen. Diese koine ist der Grund, auf dem unsere ganze Arbeit methodisch aufgebaut ist. Das soll sich nun auch beim Thema „König, Heerwesen und Verfassung“ bewähren. Freilich, von Verfassung zu sprechen wirkt zunächst befremdlich. Es gibt doch keine Republiken im Vorderen Orient, sondern nur Monarchien. Werden alle Monarchien deshalb aber auch schon hinsichtlich der Verfassungswirklichkeit monarchisch regiert? Man wusste sehr wohl in lydischer Zeit zwischen einem autokratischen šarru ‚König‘ von Assyrien/Babylonien und einem mlk ‚König‘ von Tyros zu unterscheiden, der als Priesterkönig nur wenig abgehoben war von seinen Standesgenossen.² Das Ezechiel-Buch spricht nicht selten von dem „Fürsten“, wenn der König von Juda gemeint ist. Man hat sich in der Forschung der letzten Jahre angewöhnt, bei für uns nur in geringen Umfang greifbaren Reichsgebilden, wie dem Phryger- und Mederreich, aber auch bei quantitativ besser, aber historisch keineswegs glaubwürdiger bezeugten Reichen, wie im Falle Israels zur Zeit Sauls und selbst noch Davids, den Begriff „König“ durch „Häuptling“ (chieftain) bzw. das „Reich“ durch „Häuptlingsherrschaft“ (chiefdom) zu ersetzen. Ob das die Lösung sein kann, bleibt abzuwarten. Die Quellen sprechen nun einmal in der Regel von Königen, und einen Unterschied zwischen Stammesverfasstheit und Reichsver-
In neueren Arbeiten zu Hethitern, Assyrern und Babyloniern, die sich nicht nur an ein breiteres Publikum wenden, wie etwa Klinger (2012); Cancik-Kirschbaum (2015); Jursa (2015), ist mit keinem Wort vom Heerwesen der jeweiligen Reiche die Rede. Zum phönikischen Königtum Ameling (1993), 67 f. https://doi.org/10.1515/9783110436020-007
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4 König, Heerwesen und Verfassung
fassung wusste der Alte Orient sehr wohl zu treffen, und zwar sehr viel früher als man bisher dachte. Der Hethiterkönig Mursili II. nahm diesen Unterschied nicht nur wahr, sondern fasste ihn auch in Begriffe. Die Hethiter wussten, dass ihre in den pontischen Bergen lebenden Feinde, die Kaskäer, kein Königtum kannten. Denn als Mursili dann um 1330 v.Chr. bei einem Feldzug auf einen gewissen Pihhuniya traf, der sich anderes verhielt, berichtete er, dass es sonst zwar bei den Kaskäern „die Herrschaft eines Einzelnen nicht gab“, dass aber „besagter Pihhuniya nach Art des Königtums (ŠA LUGAL-UTTI iwar = heth. hassueznannas iwar)“ herrschte.³ Dies erinnert an den Vertrag Suppiluliumas I. mit Hukkana von Hayasa (Armenien), der auch höchstens ein primus inter pares, aber kein wirklicher Herrscher war. Außerhalb solcher gebirgigen Zonen dominierten zur Hethiterzeit in Anatolien die Städte mit ihrem bäuerlichen Umland. In der Frühen Eisenzeit war das dann anders. Wir werden deshalb nicht nur Städten und Staaten, sondern auch den Stämmen eine nicht minder große Rolle zuerkennen. Das Heerwesen (s. Glossar) hat gegenüber anderen Organen und Institutionen des Staates den Vorteil, dass es sehr anschaulich ist. Wehrtechnische und wehrorganisatorische Fragen sind denn hier auch ein zentrales Thema. Auf diesem baut sich aber ein zweites, das Hauptthema auf. A. Heuß hat 1943 einen fundamentalen Satz zu Karthago gesagt. Er dürfte aber für alle antiken Staaten mehr oder weniger von zentraler Bedeutung sein. Heuß sagt: „Das zentrale Problem des karthagischen Staatslebens ist sein Verhältnis zum Militärwesen“.⁴ Heuß stellte klar, dass das Heerwesen der Karthager nicht als ein Sonderbereich neben dem Staate existierte, sondern weist auf die Anfänge zurück, nicht anders als in Rom. Auch hier war die Volksversammlung ursprünglich einmal die Heeresversammlung gewesen. Können wir auch für das lydische Heerwesen behaupten, dass es kein Staat im Staate war, dass es nicht in Händen landfremder Söldner lag, weil angeblich die Lyder wie die Karthager, die einen als Geldmenschen und die anderen als reiche Kaufherren, nie eine militärische Laufbahn zu absolvieren gehabt hätten? Ausgehend vom Heerwesen besteht unser vordringliches Ziel darin, die lydische Verfassung schärfer in den Blick zu bekommen. Schützenhilfe müssen dabei die übrigen Staaten des Vorderen Orients geben, die wir als im Prinzip mit Lydien gleich strukturiert erkannt haben, wenn auch im Einzelnen bald mehr und bald weniger. Denn wir benötigen, um unsere Methode von den „Ergänzungshypothesen“ (s. Einleitung) praktizieren zu können, einen Zuwachs an Quellen von möglichst vielen Staaten des Vorderen Orients. Denn nur so können wir ein
Zehnjahresannalen 7. Jahr (KBo 3.4 Rs. III 73 – 75), Ü: nach Goetze (1933), 89. Heuß (1943), 114.
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4.2 Das Heerwesen als Antwort auf die nomadische Außenwelt
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ziemlich zuverlässiges, repräsentatives Modell bauen, nach dessen Bild und Rahmen wir die wenigen lydischen Mosaiksteine erst richtig setzen können. Folgende Fragen stellten sich ein, hier in Folge einmal aufgeführt: 1.) Lässt sich ein Standardtypus des vorderorientalischen Heeres herausarbeiten? 2.) Gibt es Unterschiede zum Heerwesen des 2. Jt. v.Chr.? Wenn ja, welche? 3.) Warum wurde eine Reform des Heerwesens notwendig? 4.) Welche Staaten haben die Modernisierung eingeleitet? 5.) Hat die Reiterei liberalisierend auf das Königtum eingewirkt oder zum monarchischen Absolutismus geführt? 6.) Gab es ein griechisches Söldnerheer der Lyder? 7.) Ist der intensivierte Grenzschutz Zeichen einer als global empfundenen Bedrohung des altorientalischen Binnenraumes? Ist sich der Vordere Orient selbst genug und schottet sich ab? Er besitzt zwar die für das Heerwesen notwendigen Produktionsmittel, ist er aber auch innovativ auf den Gebieten der Kriegstaktik?
4.2 Das Heerwesen als Antwort auf die nomadische Außenwelt Wir können davon ausgehen, dass das eisenzeitliche Heer des Alten Orients sich als ein komplexer, schöpferisch durchdachter Organismus darstellte, der eine zweitausendjährige Geschichte in entwickelter Staatlichkeit durchlaufen hat. Die Spätbronzezeit hat in der Militärgeschichte besonders markante Maßstäbe gesetzt. Wir haben dann aber seit dem 9., vor allem aber im 8. Jh. v.Chr. von einem umstürzenden Wandel auszugehen. Um herauszubekommen, was zu diesem Wandel geführt hat, ist es nötig, die vorderorientalischen Einzelstaaten im Hinblick darauf kurz vorzustellen. Dieser polyzentrischen Staatenwelt, die ohne eine allseits akzeptierte Vormacht war, war nach dem Untergang der spätbronzezeitlichen Großreiche ein bescheidener Anfang beschieden. Im Vergleich mit den Kulturleistungen der Spätbronzezeit muss noch auf längere Zeit alles, was unter Verfassung, Recht und Diplomatie begriffen wird, als bescheiden gelten. Die (Spät‐)Folgen des Untergangs der spätbronzezeitlichen Reiche machten sich noch einmal verstärkt bemerkbar. Populationen von der weiteren oder näheren Peripherie setzten sich in Bewegung. Beute reizte die einen (Kimmerier, Skythen, Araber), neue Wohnsitze suchten die anderen (Phryger und Aramäer sowie – im Sinne von kleinräumigen Binnenwanderungen – Lyder und Israeliten). Nicht viele Epochen der antiken Geschichte dürfte es geben, in denen so viele Hauptstädte zu Fall kamen wie in unserem kurzen Untersuchungszeitraum, wenn auch nicht allein durch eindringende Stämme: Tušpa (Urartu), Ninive, Jerusalem, Sardes, Babylon wurden innerhalb von nur 80 Jahren erobert. Ihr Schicksal war Anregung für Herodot, die Kyklos-Lehre zu entwickeln (s. Teil 5 C „Schatzhaus“).
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4 König, Heerwesen und Verfassung
Die Anforderungen an das Militärwesen variierten freilich von Staat zu Staat. Aufgrund unserer These von der koine der vorderorientalischen Staatenwelt setzen wir einmal voraus, dass die Anforderungen nahe beieinander lagen, so dass ein Standardtypus im Heerwesen aller Staaten des Vorderen Orient postuliert werden kann. Er existierte nie in reiner, sondern immer nur in abgewandelter Form. Abwandlungen können darin ihren Grund haben, dass jedes Heerwesen alte Traditionen zu bewahren pflegt und Residuen einstmals realer, auch ideologischer Tatbestände Eingang in das reformierte Heerwesen finden, und das war in der Eisenzeit nicht anders. Dieser Punkt ist besonders im Hinblick auf die Streitwagen zu beachten.
4.3 Das Heerwesen der Spätbronzezeit (1550 – 1150) In den keilschriftlichen Quellen der Spätbronzezeit wird die Heeresmacht der führenden Staaten, Hattusa, Ägypten, Assyrien und Mitanni, nur mit dem asyndetisch konstruierten Begriffspaar in Form der Sumerogramme ERÍNMEŠ ANŠE.KUR.RAMEŠ ‚Fußtruppen (und) Streitwagen‘ wiedergegeben. Höchstes Prestige im Kreis der Gleichen zu erlangen, die sich mit „mein Bruder“ anredeten, garantierten nicht zuletzt die Pferde bzw. die Streitwagen. Bei der Begrüßung, wie sie in der internationalen Korrespondenz der Großkönige gepflegt wurde, begann der Briefschreiber mit einer Formel (der sog. el-Amarna-Formel) wie folgt: „… bei deinem Bruder PN ist alles gut. Meinem Haus, meinen Frauen (und) meinen Kindern, den Truppen (und) Pferden, den Großen geht es gut.“ Dann, mit Abstand, kommt das „Land“ an die Reihe, um das es natürlich auch gut steht. Mit der gleichen Formel, jetzt nur an den Briefempfänger gerichtet, wird die Hoffnung geäußert, dass es auch seinem „Bruder, seinem Haus usw.“ gut gehen möge, erst dann wird übergeleitet zu dem konkreten Anliegen des Briefschreibers.⁵ Ein Liebhaber der Pferde ohnegleichen – Pferdenarren waren sie alle –, war der Pharao Amenophis II. (XVIII. Dynastie, 1428 – 1397 v.Chr.⁶). Schon in seiner Jugend begann er damit, das Wesen der Pferde zu studieren, sie für die Wagenfahrt zu gymnastizieren und sich in ihre Psyche zu vertiefen (Sphinx-Stele, ANET 244 f.). Es war eine hoch zivilisierte, verfeinerte, adelige Welt, die sich aber nur um sich selbst zu drehen schien, bis dann nach gravierenden Auflösungserscheinungen, Hagenbuchner (1989), 49 ff.: „Die Amarna-Formel.“ Einen Reflex dieser Tierliebe sehen wir in der Erzählung über Pandaros, seine Streitwagen und seine über alles geliebten Pferde, die ihn Bündnisverpflichtungen hintanstellen ließen. Ohne Streitwagen, nur als Einzelkämpfer ohne Kader, ist er eine Witzfigur (Hom. Il. 5,192– 205). Zu Pandaros s. auch unten. Datierung nach von Beckerath (1997), 111.
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4.4 Die Eisenzeitlichen Staaten (EZ II B-C, 800 – 587 v. Chr.)
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was die Verfasstheit der Großreiche im Inneren anging – in Hattusa spaltete sich die großkönigliche Sippe und mit ihr das Reich –, das Unheil unerwartet von außen, nämlich vom Mittelmeer her, hereinbrach. Was waren die Anforderungen, die ein spätbronzezeitliches Heer zu erfüllen hatte? Die Blütezeit des Streitwagens war das 13. Jh. v.Chr. Die Streitwagencorps schlugen die Schlachten und entschieden die Kriege. So geschehen in der berühmten Schlacht bei Kadeš (Tell Nebi Mend) am Orontes (1275 v.Chr.), die zwischen Muwattalli von Hattusa und Ramses II. von Ägypten ausgetragen wurde. In dieser Schlacht ließen die Hethiter ägyptischen Angaben zufolge in einer ersten Angriffswelle 2500 Streitwagen auf die orientierungslosen und völlig überraschten Ägypter los.Von den drei ägyptischen „Divisionen“ war eine noch auf dem Weg, eine andere noch im rückwärtigen Lager. Ramses, vom ganzen Heer im Stich gelassen, so heißt es in dem „Gedicht“, raste mit dem Streitwagen – „er mit sich allein und kein anderer war bei ihm“ – auf den Feind los und habe so im letzten Moment den Sieg herausgefahren.⁷ Nach Abschluss eines paritätischen Staatsvertrages 1259 v.Chr. – 16 Jahre dauerte es, bis die Zeit für diesen Vertragsabschluss reif war – sollte sich eine lange Friedenszeit anschließen, die nicht einfach Abwesenheit von Krieg bedeutete, sondern schöpferisch gestaltet wurde durch eine enge hethitisch-ägyptische Kooperation, vor allem zwischen den Herrscherhäusern, die fast privaten Charakter annahm. Die Schlacht ist wegen des hohen Einsatzes von Kriegsgerät nicht typisch für die Kriege der Zeit; typisch ist dieser Krieg aber insofern, als er in geschliffener diplomatischer und juristischer Kunst zu einem vertraglichen Abschluss geführt werden konnte. Er gipfelte im Akt der Verbrüderung, an dem besonders dem Hethiter gelegen war. Bruderstaaten bildeten den sog. „Club der großen Vier“:⁸ Ägypten, Babylonien, Hattusa und Mitanni. Diese Großreiche decken genau den Großraum ab, den wir den „Alten Orient“ nennen. Der Raum zeichnet sich durch völkerrechtliche Strukturen sowie durch die Geltung von „Benimmregeln“ aus.
4.4 Die Eisenzeitlichen Staaten (EZ II B-C, 800 – 587 v. Chr.) Die späthethitischen und aramäischen Staaten sowie die ionischen Städte Die Zeit nach der Umbruchphase um 1200 v.Chr. ist vor allem in Syrien, Anatolien und Griechenland deutlich von der spätbronzezeitlichen zu unterscheiden. An-
Gardiner (1965), 288 – 292. Das „Gedicht“, auch Poema genannt, ist auch deshalb wichtig, weil darin anatolische Landschaften wie Arzawa, Masa, Kizzuwatna und Lukka erwähnt werden. Cancik-Kirschbaum (2002), 285.
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4 König, Heerwesen und Verfassung
stelle der großen Haupt- bzw. Residenzstädte, die aufgegeben wurden oder nur eine bescheidene Nachbesiedlung erfuhren, beherrschte zumindest in der Frühen Eisenzeit die dörfliche Siedlungsweise das Bild. Dank sehr intensiver archäologischer Forschungen hat besonders Griechenland und Israel (hier die Zeit der sog. Landnahme) an Farbe gewonnen, während speziell in Westanatolien für die Übergangszeit von der hethitischen zur lydischen Herrschaft – mit Ausnahme vielleicht des ägäischen Küstenstreifens – noch viel zu tun bleibt. In EZ IB (1150 – 1000 v.Chr.), nachdem die Großreiche entweder untergegangen oder geschwächt auf ihr Kernland zusammengeschrumpft waren, wie Assyrien, kommt es zu Einwanderungen in den Vorderen Orient wie auch zu Binnenwanderungen innerhalb der Länder. Über die Binnenwanderung der Lyder wurde schon in Teil 2 gehandelt. Nach Abschluss dieser Wanderungen entstanden im syro-anatolischen Raum ganz neue politische Einheiten, die wir Großstadtstaaten nennen. Ihre politische Blütezeit erreichten sie in Eisenzeit IIB (900 – 700 v.Chr.). Besonders stark vertreten sind diese Staaten in Nordsyrien, im kanaanäischen Kulturgebiet, also Phönikien und Palästina/Israel sowie schließlich in den griechischen poleis des ägäischen Küstenstreifens, den wir „Ionien“ nennen. In Auswahl seien erwähnt die aramäischen Stadtstaaten (principalities, so A. Kuhrt) Sam’al (Zincirli)⁹ und vor allem Aram-Damaskus sowie die späthethitischen (luwischen) Staaten am Euphrat, nämlich Malitia/Malatya (gr. Melitene) und besonders Karkamis sowie im Norden das bis an den Halys reichende Tabal. Die späthethitischen Staaten Syro-Anatoliens standen in wechselseitigem Austausch mit Urartäern, Assyrern und Aramäern. Sie zeichnen sich durch eine produktive Mischkultur aus, die auf die Baugeschichte (das bīt-ḫilāni als Baukomplex aus dem luwischen Gebiet des Amanos wird von den Assyrern übernommen), sodann auf die Militärgeschichte (dazu s. unten „Reiterei“), vor allem aber auf die Religionsgeschichte des Vorderen Orients und Griechenlands großen Einfluss genommen hat. So kommt eine wichtige Göttin der Lyder, Kufaw- (gr. Kybebe), letztlich aus Karkamis, wo sie als Stadtgottheit unter dem Namen Kubaba verehrt wurde.¹⁰ Die Luwier hatten sich im Gefolge der hethitischen Eroberung Syriens dorthin ausgedehnt. In der Not-
In den assyrischen Quellen finden sich aramäische Staaten, deren Namen mit einem Syntagma bīt + Eigenname, wie Bīt-Adini, gebildet werden, wodurch der Bezug dieser Staaten zur gründenden Königsdynastie ersichtlich wird. In Palästina haben wir diese Bezeichnung nicht, vgl. Aram-Damaskus und Hamath. Aber auch Formeln wie „Haus meines Vaters“ byt aby, s. etwa KAI Nr. 216,7 et passim, sind belegt. Davon zu unterscheiden ist die phrygische matar kubeleja, die mit ihrem Geliebten Attis verbunden wird. Diese phrygische Muttergöttin sei von den Lydern übernommen worden, so nach Roller (2006), bes. 128; anders Berndt-Ersöz (2013), 154. S. jetzt Teil 2.
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4.4 Die Eisenzeitlichen Staaten (EZ II B-C, 800 – 587 v. Chr.)
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zeit, die am Ende des 13. Jh. in Zentralanatolien herrschte, dürfte sich dies noch verstärkt haben.¹¹ Die Aramäer kamen in der Zeit von ca. 1100 – 900 v.Chr. aus den Wüstensteppengebieten Syriens und Arabiens, zogen beiderseits des Euphrats nach Obermesopotamien und Syrien und gründeten dort ihre Staaten. J.D. Hawkins nennt die luwischen und aramäischen Staaten „Kleinkönigreiche“. Die – fast nur durch die Bibel bezeugte – bekannteste aramäische Staatsbildung ist Aram-Damaskus. Denn es heißt in der sog. „Denkschrift“ Jesajas (aus der zweiten Periode seines öffentlichen Wirkens 734– 732 v.Chr., Jes 7,8): „Denn das Haupt (roš) von Aram (d.i. die Gesamtheit der Aramäer) ist Damaskus, und das Haupt von Damaskus ist Rezin.“ Es mag ungewöhnlich erscheinen, wenn wir die ionischen Stadtstaaten hier sogleich anschließen. Aber auch die Bewohner der ionischen Stadtstaaten sind Einwanderer. Erst im Vergleich mit den aramäischen und ganz besonders den späthethitischen Staaten, die durch Stein- und Felsinschriften in ihrer eigenen Sprache zu uns sprechen, wenn auch leider nicht mehr durch ergiebigere keilschriftliche Archive, wird deutlich, wie wenig wir über die ionischen Poleis eigentlich wissen. Über die vorlydische Zeit bieten die späten griechischen Quellen nur Mythologisches, so über Aussendung aus der alten Heimat durch König Kodros von Athen sowie ferner Städtegründungen im anatolischen Gastland. Die späthethitischen Staaten pflegten dagegen schon wieder die Historiographie, wie H. Cancik gezeigt hat.¹² Ist es ein Zufall, dass erst mit den Lydern die ionischen Poleis aus dem Dunkel ans Licht der Geschichte treten und beginnen, in für uns greifbarer Form geschichtlich zu wirken und bald auch Geschichtswerke zu schreiben? Nur auf die Keramik gestützt wird man den genauen Zeitpunkt nicht zuverlässig ermitteln können, wann aus altanatolischen Städten, in denen seit dem 10./9. Jh. v.Chr. über mehrere Jahrhunderte hinweg Auswanderer aus dem griechischen Mutterland landeten und zunächst Zuflucht fanden, durch Ausbildung von Institutionen ionische Poleis wurden. Diese ionischen Städte unterschieden sich von den späthethitischen und aramäischen Stadtstaaten jedenfalls bald durch ihre republikanische Verfassung, die das Königtum, bis auf verbleibende ehrwürdige Zeremonien, verdrängt hatte. In Ephesos existierten noch in späterer Zeit die basilidai, die ‚Königlichen‘. Gemeinsam scheint dagegen zu sein, dass beide, Aramäer und Ionier, stärker zu Kooperation als zur Konfrontation neigten, die Aramäer gegenüber Assyrien, die Ionier gegenüber dem lydischen
„Ein Leben auf des Messers Schneide“, so Schachner (2011), 33 zu den Lebensbedingungen in Zentralanatolien. Vgl. den Überblick Cancik (2002).
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4 König, Heerwesen und Verfassung
Nachbarn. Das hat von vornherein jede Form von Reichsbildung als Staatsziel schon im Ansatz ausgeschlossen. Gemeinsam haben die lydisch-ionische und die assyrisch-aramäische Symbiose den Effekt, dass sich die Sprachen der Einwanderer gegenüber den angestammten Sprachen, hier dem Assyrischen und Lydischen, behaupteten und diese auf lange Sicht sogar verdrängten.
Israel und Juda Zu den „Kleinkönigreichen“ ist nun auch „Israel“ zu zählen, von den Assyrern, wohl weil es ein Land „Israel“ im geographisch bestimmbaren Sinne nie gegeben hat), Sāmerīna „Samaria“ genannt. Man spricht heute auch vom „Nordreich“ sowie das zunächst ganz im Schatten „Israels“ stehende Südreich „Juda“. Dieses bestand nur aus Jerusalem und dem Stammesgebiet von Juda, hoch in den Bergen und am Rande der Wüste. Der Prophet Ezechiel (die tiefste Zäsur in seinem Leben ist 586 v.Chr. der Fall Jerusalems) unterscheidet die Könige Ägyptens und Babyloniens von den Kleinkönigen, die er nur „Fürsten“ nennt, so die „Fürsten Israels“. Nun könnte man meinen, die Quellenlage für die beiden israelitischen Staaten sei hier besonders gut. Aber weit gefehlt. In gewisser Hinsicht steht es nicht viel besser als mit dem Lyder-Logos Herodots. Die Bücher Josua bis 2 Könige, also Israel in der Zeit von der Landnahme in Kanaan bis zum babylonischen Exil, sind das Werk deuteronomischer Geschichtsschreiber und Redaktoren, die aus den Annalen der Könige von Israel, oder aus novellistischen Geschichtserzählungen über die Kriege gegen Aram-Damaskus (1 Kön 20,1– 43; 22,1– 38), eine durchgängige Geschichte Israels formten. Die Kriege Israels mit dem aramäischen Damaskus sind ein Lehrbeispiel für die regionalen Konflikte, wie sie in dieser hohen Zahl für die Spätbronzezeit so nicht feststellbar sind. Denn in dieser Zeit (14.–13. Jh. v.Chr.) agierten nur die vier Großreiche als die eigentlichen Handlungssubjekte, die ein Auge darauf hatten, dass kein Unwürdiger sich die „Bruderschaft“ mit den Großkönigen anmaßte. Israel wird auch weiterhin für den Vergleich wichtig bleiben.
Die Phryger In Zentralanatolien entsteht mit der (Neu‐) Gründung von Gordion vor 800 v.Chr. das politische Oberzentrum der Phryger, 100 Jahre früher als man noch vor kur-
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4.4 Die Eisenzeitlichen Staaten (EZ II B-C, 800 – 587 v. Chr.)
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zem zu wissen glaubte.¹³ Das Datum 800 lässt nun zum ersten Mal einen Brückenschlag in die östliche und südöstliche Staatenwelt zu, die auch wehrtechnisch gesehen ganz neue Bahnen ging. Da ist zu nennen: Assyrien unter TiglatPilesar III. (745 – 726 v.Chr.) und unter Sargon II. (722– 705 v.Chr.), dann Urartu unter Rusa I. und schließlich das späthethitische Tabal unter Wasusarma. Alle drei genannten Könige waren Zeitgenossen und außerdem große Reformer bzw. Neugründer ihrer Staaten. Zu ihnen gehört jetzt auch Midas („II“.)¹⁴ von Phrygien (Hdt. 1,14,2), den Sargon II. Mita von Muski nennt. Anders als die Urartäer übernahmen die Phryger aber nicht mehr die Tontafel samt Keilschrift, weil deren Zeit mit dem Jahr 1200 westlich des Euphrat bereits abgelaufen war. Dieser Midas orientierte sich auch sonst, nach gescheiterten Versuchen der Phryger, nach Nordsyrien vorzudringen, als erster Herrscher in Anatolien nicht mehr nur nach Osten, sondern nahm Kontakt zur griechischen Welt auf. In seiner Person finden wir sozusagen den Brückenschlag von Zentral- nach Westanatolien und selbst ins griechische Mutterland. Vermutlich waren die Verbindungen aber schon älter. E. van Dongen vertritt jetzt die Auffassung, die Phryger und Griechen hätten die Alphabetschrift etwa gleichzeitig, aber im Prinzip unabhängig voneinander in Kilikien übernommen, und zwar frühestens in der 2. Hälfte des 9. Jh. v.Chr. Das erscheint, insbesondere angesichts der sich verdichtenden Hinweise auf Anwesenheit von Griechen in der kilikischen Ebene, plausibel. Dabei seien die Phryger von den hieroglyphenluwisch-phönikischen Bilinguen dazu inspiriert worden, ihrerseits auch Felsinschriften in Alphabetschrift zu verfassen. Die Griechen hätten die Schrift dagegen anders, nämlich nur zur Beschriftung kleiner Objekte (Besitzerinschriften), benutzt. Archäologische Argumente sprechen dafür, dass der Kontakt der Phryger mit der anatolischen Westküste vor dem 8. Jh. gering war.¹⁵ Wie die westphrygischen Gebiete um Midas-Stadt mit dem gordischen Phrygien und dieses mit dem ostphrygischen Gebiet im inneren Halysbogen verbunden waren, lässt sich bisher nicht erkennen. Vom Heerwesen der Phryger kennen wir nur die „Pferdekrieger“ (hippomachai, Hom. Il. 10,431), lanzenführende Reiter, die den Schluss zulassen, dass Phrygien damals gute Pferdeweiden besaß.¹⁶
Rose/Darbyshire (2011), 155. Midas („II.“), wenn wir den Grabherrn des sog. Midasgrabes Tumulus MM Midas („I.“) nennen dürfen, der ca. 740 v.Chr. gestorben sein muss. van Dongen (2013) (freundlicher Hinweis von H. Eichner). Zur Lyderzeit, also nach dem Ende des phrygischen Reiches, scheinen sich manche Phryger in einer ungünstigen Situation befunden zu haben. So wird berichtet, dass Phryger nach Milet als Sklaven zum Kornmahlen verkauft wurden (Hippon. F38 Degani = F27 W).
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4 König, Heerwesen und Verfassung
Von den oben genannten Kleinkönigtümern und Großstadtstaaten, die alle als schriftführend und überhaupt als produktiv und innovativ gelten können, wie Israel, Aram-Damaskus, Karkamis und Tabal, erfahren wir aus den Quellen nur sehr wenig über deren Heerwesen, aber immerhin doch so viel, dass wir schon jetzt sagen können: Es gab einen Standardtypus von einem ordentlichen Heer.
Das Neuassyrische Reich Nun sind die Großreiche an der Reihe. Dass sie erst jetzt genannt werden, hat u. a. mit den wachsenden Anforderungen des Heerwesens an sie zu tun. Denn nicht nur der Binnenraum ist anspruchsvoll im Hinblick auf die Streitkräfte, sondern die teilweise riesigen Grenzregionen gegenüber dem „Barbarikum“ fallen in den Aufgabenbereich der Großmächte. Drei Großräume sind es: erstens das Osttigrisgebiet, zweitens das Schwarzmeergebiet und drittens Nordarabien. Das einzige wirkliche Großreich dieser Zeit ist das Neuassyrische Reich, dessen Herrscher die aggressive Politik eines Tukulti-Ninurta I. (1233 – 1197 v.Chr.) aus mittelassyrischer Zeit nach längeren oder kürzeren Phasen eines „Auf und Ab“ – eine Formulierung, die typisch für den Vorderen Orient ist – fortführten. Während Tukulti-Ninurta I. die Hethiter in der siegreichen Schlacht von Nihirija das Fürchten lehrte, werden Tiglat-Pilesar III. (745 – 726 v.Chr.) und Sargon II. (722– 705 v.Chr.), die Assyrien zur Weltmacht führten, zu Eroberern der späthethitischen Staaten wie Karkamis. Deren Staatsgebiet wurde in den Status von Provinzen überführt. Eine Ausnahme machte zunächst Tabal, das erst später flüchtig assyrisch wurde. Tabal, das ist das assyrische Bīt-Burūtaš, wurde durch eine hundert Kilometer lange Mauer, etwas südlich des heutigen Kayseri, gesichert und zur Nordprovinz des assyrischen Reiches gemacht.¹⁷ Assurbanipal operierte vornehmlich in Arabien und hätte den Siegestitel „Arabicus“ verdient. Was er dort vollbrachte, hat er schriftlich im Prisma A niedergelegt und, damit nicht genug, für einen größeren Kreis auf großen Reliefplatten sichtbar gemacht, schonungslos. M. Weippert (1973) hat geographische Namen aus Prisma A als Punkte mit einer Linie verbinden und nachweisen können, dass diese Linie den Verlauf eines einstmals existierenden Annäherungshindernisses wiedergibt. M. Weippert drückt sich allerdings verständlicher aus, wenn er von der Vorwegnahme des römischen „Limes Syriacus“ spricht.¹⁸
Das ist allerdings nur eine Vermutung von Müller-Karpe (2009a; b). Weippert (1973), 67 „Organisation des Syrischen Limes in neuassyrischer Zeit“.
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4.4 Die Eisenzeitlichen Staaten (EZ II B-C, 800 – 587 v. Chr.)
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Tiglat-Pilesars Reformen von Staat und Heerwesen gingen Hand in Hand und bedingten einander. So ist ein Grund für die flächendeckende Einrichtung von Provinzen, standardisiert in Größe und Ausstattung, wohl darin zu sehen, dass man Aushebungsbezirke für das assyrische Heer schaffen wollte. Die Zahl der Posten im Reichsdienst, in den Provinzen und im Heer wuchs dadurch stark an, und sie wurden immer stärker von Aramäern eingenommen, die mit ihrer Sprache das Assyrische an den Rand drängten, auch wenn es sich als Schriftsprache, zusammen mit der Keilschrift, genauso lange hielt wie das Reich selbst. Typologisch entspricht das genau dem Schicksal des Hethitischen, das als Umgangssprache schon vor dem Ende des Reiches ebenfalls vom Luwischen verdrängt worden war, aber als Schriftsprache erst beim Zusammenbruch dieses Reiches zusammen mit der Keilschrift von der Bildfläche verschwand.¹⁹ Assyrien wurde zu einem bürokratischen Staat im Sinne M. Webers. Der entscheidende Schritt TiglatPilesars war es nun, dass er die Posten mit Personen besetzte, die sein uneingeschränktes Vertrauen besaßen. Das bedeutete, dass die bis dahin für hohe Ämter prädestinierten Kandidaten aus aristokratischen Familien der assyrischen Metropolen nicht mehr ohne weiteres zum Zuge kamen, so auf begehrte Statthalterposten oder auch ranghohe Stellen im Heer. Ein solches Heer, das sich allein dem Willen des Herrschers verdankt und ihm deshalb in Ergebenheit und Anhänglichkeit dient, hat man als den Anfang einer Entwicklung zum sog. stehenden Heer angesehen (so R. Labat).²⁰ Fraglos gilt, dass ohne dieses Heer das in alle vier Himmelsrichtungen expandierende Reich, das man erst von diesem Zeitpunkt an das „Neuassyrische Reich“ nennen sollte, nicht hätte entstehen können. Es war keine hohle Phrase, wenn sich Tiglat-Pilesar „König der vier Weltgegenden“ nannte. So nimmt es nicht wunder, dass man schon die Meinung vertreten hat, dass Tiglat-Pilesars so erfolgreiches Heer auf das Heerwesen aller Staaten des Vorderen Orient eingewirkt haben muss.Waffentechnisch im beisteuernden Sinne sicherlich. Das Heer der Assyrer wird durch reichliche schriftliche und viele archäologische Quellen als ein voll ausdifferenziertes System greifbar, so dass es angesichts dessen paradox erscheint, dass dennoch keine Entscheidung darüber möglich ist, ob es sich um ein stehendes Heer handelte oder nicht. Die literarische Gattungsarmut Assyriens verhindert zudem jedes Urteil darüber, welche Stellung das Heerwesen innerhalb der verfassungsmäßigen Institutionen hatte. Gut zu verfolgen ist dagegen, wie der Militarismus (seit Tiglat-Pilesar III.) einen Moloch
Zum allmählichen Ersatz des Hethitischen als Umgangssprache durch das Luwische während des hethitischen Großreichs s. Yakubovich (2010), 303 – 410. Labat (1967), 55 f.
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4 König, Heerwesen und Verfassung
gebar, der den Staat völlig auffraß und umkrempelte. Die flächendeckende Provinzialisierung zum Zweck effektiver Steuererhebung führte zu einem monolithischen Einheitsstaat mit klarem Instanzenweg. Die Residenzen am Tigris, vor allem Kalchu und Ninive, sind für die assyrischen Heere Ausgangspunkte für Unternehmungen nach Nordosten. Dreh- und Angelpunkt ist der Urmia-See; auf dem Weg dorthin liegt das Heiligtum des urartäischen Reichsgottes Haldi. Über den 3000 m. hohen Pass Kelišin steigt man zum Urmia-See hinunter. Auf der Passhöhe fand sich eine Stele mit einer urartäisch-assyrischen Bilingue aus dem 9. Jh. v.Chr.²¹ Im 8. Jh. kam es zu Kriegen zwischen Urartu und Assyrien. Tiglat-Pilesar III. und Sargon II. zeichneten sich in diesen Kämpfe aus; letzterer plünderte Muṣāṣir, das Reichsheiligtum von Urartu. Während sich Urartu und Assyrien bekämpften, formierte sich Medien allmählich zum Staat, teilweise aus assyrischen Provinzen heraus, die auf medischem Gebiet errichtet worden waren. Ziel des medischen Staates war naturgemäß die Ausdehnung ins fruchtbarere Mesopotamien.
Die Chaldäer/das Chaldäische (Neubabylonische) Reich Zunächst sind die Chaldäer im Süden des Zweistromlandes, welches Hekataios von Milet²² nach 550 v.Chr. in ganzer Länge „Assyrien“ nannte, in die Untersuchung einzubeziehen. Im Unterschied zu den Arabern trafen die Chaldäer auf eine für die spätere Reichsbildung förderliche und formende, geistige Macht, nämlich auf Babylon. Die Chaldäer sind mit den Aramäern verwandt, ihre Schriftsprache ist aber das Akkadische. Über Babylon ging denn auch der Weg ihres steilen Aufstiegs. Nun kam es aber, dass diese Stadt, Stadt des Gottes Marduk, auch für den Assyrer Tiglat-Pileser III. von großer Bedeutung wurde. Ein Besteigen des Throns von Babylon wurde für den Assyrer die höchste Form der Legitimierung seiner wohl als etwas zu nackt empfundenen Herrschaft eines „Königs von Assyrien“. Denn der Weltherrschaftsgedanke hing nun einmal an Marduk und Babylon. 729 – 727 v.Chr. ist Tiglat-Pilesar III. dann schließlich in den Besitz dieses Doppelkönigtums gekommen. Die Assyrer versuchten, mit der Einrichtung der Personalunion sowie einer Art von Sekundogenitur, die direkte Herrschaft über Babylon in Form einer Provinz pietätvoll zu vermeiden. Das war die Stunde von Marduk-apla-iddina (in 2 Kön 20,12 Merodach-Baladan genannt). Dieser war Šēḫ des mächtigsten Chaldäerstammes, der Bīt-Iakīn aus dem „Meerland“ (māt tâmti).
Benedict (1961). Von F. Jacoby (FGrHist 1) aus Hdt. 4,36 – 44, bes. 4,39, erschlossen (S. 362 f.).
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Die Assyrer nannten die Stammesführer aramaisierend ra’sānu, ‚Häuptlinge‘.²³ Er hielt sich ebenfalls für würdig, die höheren Weihen zu empfangen, und machte den Assyrern den Thron streitig. Merodach-Baladan bestieg den Thron Babylons 721, die Assyrer sprachen von Usurpation. König blieb er bis 710 v.Chr. Dann musste er vor den Assyrern fliehen, versteckte sich im Marschenland im Süden Babyloniens, blieb dort unentdeckt und konnte schließlich noch ein zweites Mal 704 v.Chr. „die Hand Marduks ergreifen“.²⁴ Hundert Jahre später ist es wieder ein Chaldäer, Nabu-apla-uṣur (625 – 605 v.Chr., im AT Nabupolassar), der „als Sohn eines Niemand“, wie er sich nannte, nicht nur den Thron Babylons in Besitz nahm, sondern eine Dynastie gründete und die Grundlagen legte, auf denen sein Sohn Nebukadnezar II. das „Neubabylonische“ oder auch das „Chaldäische“ Großreich genannt, aufbauen wird. Dieses Reich wird sozusagen den Platz Assyriens in der altorientalischen Staatenwelt einnehmen. In den Waffenstillstandsverhandlungen von „585“ zwischen Alyattes und den Medern ist Babylonien den Lydern zugeneigt. Kroisos schloss denn auch in den letzten Tagen seiner Herrschaft sogar einen Symmachie-Vertrag mit Babylon. Die Chaldäer pflegten auf Tontafeln zu schreiben und hielten insofern an der akkadischen Schriftsprache fest. Historiographische Ambitionen besaßen sie nicht, d. h. vor allem verfassten sie keine Annalen, womit die Assyrer immerhin bis heute den Anschein erwecken konnten, sie besäßen einen sensus historicus. Das Militärische blieb außen vor. Immerhin hören wir in der babylonischen Chronik ABC no. 5, dass Nebukadnezar 599 v.Chr. sein Heer in madbari ‚in die Wüste‘ entsandt habe, wo es die bewegliche Habe, die Großtiere und die Götterbilder zahlreicher Araber raubte (ABC no. 5, Rs. 9 – 10). Die Forschung hat sich damit begnügt, dieses Reich quasi als Rechtsnachfolger des assyrischen Reiches und diesem in allem als gleichförmig zu verstehen. Wie wir schon an anderer Stelle festgestellt haben, ist dem aber nicht so. Wir hielten damals fest, dass die durch Eroberungen gewonnenen Städte und Staaten zu unverbundenen Außenbesitzungen wurden, von einer Provinzordnung mag man gar nicht sprechen, die sich selbst überlassen blieben, wofür das im Buch Jeremia (etwa Jer 25,18) entworfene Bild vom entvölkerten Juda sich am stärksten bei Lesern und Hörern eingeprägt hat. Die Überlieferung im Jer 39 – 43 und 2 Kön bieten bei aller Differenz untereinander ein etwas positiveres Bild. Die Tektonik von tragenden und nichtragenden Teilen, von Zentrum und Peripherie, wird durch die Quellen eher verschleiert als wirklich transparent zur Anschauung gebracht. Daran wird man mit
Edzard (1964). Merodach-Baladan stand in diplomatischen Kontakt mit Hiskia von Juda. Er wird uns wieder begegnen, wenn wir das Schatzhaus des Kroisos in Sardes behandeln (Teil 5 C).
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guten Gründen aber festhalten: Babylon als Welthauptstadt des Vorderen Orients, Sitz der Astrologie und Astronomie betreibenden Chaldäer, ist zugleich der Wasserkopf des Reiches. Man hört immer wieder von Aktivitäten von Nebukadnezar II im Osttigrisraum, aber Verlässliches ist nicht darunter.²⁵ Durch das Diyālā-Tal, das von Ekbatana herunterkommt, stieß Kyros ungebremst nach Opis hinunter. Xenophon sieht um 400 v.Chr. noch die „Medische Mauer“ und beschreibt sie.²⁶ Dieses Bodendenkmal war nicht auf das Diyālā-Tal ausgerichtet. Das Versäumnis der Babylonier, im Jahr 539 die Stadtmauern nicht zu bemannen, obwohl ihre Metropole in unmittelbarer Nähe zu iranischen Ländern lag, erscheint unbegreiflich.
Der östliche Grenzraum: Urartu Besonders beeindruckend, was Städtebau und Grenzschutz angeht, sind die Urartäer. König Rusa II., der zur Zeit Sanheribs von Assyrien (705 – 681 v.Chr.) über Urartu herrschte, gehört in den Kreis der großen Städtegründer der Antike. Das Reich von Urartu bestand aus lauter kantonal isolierten Siedlungskammern, die allein durch Städte bzw. Burgen ihren territorialen Zusammenhalt fanden. Genannt seien hier nur die Städte, (urart.) Teisebai URU, d. h. „Stadt des Wettergottes“ (heute armenisch Karmir-blur, nördlich des Ararat, südliche Peripherie von Eriwan), und (urart.) Rusai URU.TUR, d. h. „Kleine Stadt des Rusa“ (heute Bastam, gelegen auf iranisch-aserbaidschanischem Gebiet).²⁷ In Schach gehalten werden sollten hier die Kimmerier und die Skythen. Diese waren gefährlich, gefährlicher wurden die Assyrer. Seit Tiglat-Pilesar III. wurden die Kämpfe auf beiden Seiten mit modernsten Heeren ausgefochten. Der Beute wegen wurde billigend in Kauf genommen, dass der entsetzliche Zustand, in den sie die urartäischen Festungsstädte versetzt hatten, es den Urartäern nicht mehr erlaubte, die Kimmerier abzuwehren. Kimmerier und Skythen strömten jetzt wie durch ein offenes Tor von Iranisch-Kurdistan aus in die Länder des Vorderen Orients ein. Die Strafe folgte den Assyrern auf dem Fuß, denn die Vernichtung Urartus bedeutete eine Stärkung der Meder. So drangen nur kurze Zeit nach dem Kimmeriereinfall in Urartu die Meder in Assyrien ein: 614 fällt Assur, 612 Ninive, nur kurze Zeit also nach dem Untergang
Die letzte maßgebliche Publikation ist Adams (1965). Lendle (1996), 111– 114. von Schuler (1970; 1972).
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Urartus.²⁸ Gut 50 Jahre später gewannen die Perser unter Kyros die Herrschaft im Mederreich. Innerhalb weniger Jahre brachte dieser die Länder des Alten Orients unter seine Gewalt, Lydien war nur der Anfang. Anaximander aus Milet war 64 Jahre alt, als Sardes fiel. Als er sah, wie dadurch den Ioniern sozusagen der Boden unter den Füßen entzogen wurde, und sie glaubten, ins Bodenlose fallen zu müssen, hätte er sie mit der Stabilität der Erde als ganzer trösten können und hat es vielleicht auch getan. Allerdings nicht so, wie in Israel der Psalmist nach Gesetzen der Verskunst betet, sondern in der prosaischen Begrifflichkeit eines ionischen physikos. Denn er soll gesagt haben, die Erde „ruhe (menein) aufgrund ihres Gleichgewichts (homoiotes).“²⁹ Wohin solle sie denn auch fallen, habe sie doch zu allem den gleichen Abstand. Anaximanders Zeitgenosse, den wir Deutero-Jesaja (IIJes: Jes 40 – 66) nennen können, sieht die Eroberung, so von Babylon, als Befreiungstat: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott, redet Jerusalem zu Herzen …“. Kyros wird als der „Gesalbte Jahwehs“ ausgerufen, als der Messias (45,1), der die Babylonische Gefangenschaft beenden wird.³⁰ An Kyros scheiden sich also die Geister. Der Weg Ioniens bzw. Griechenlands führte seitdem von der altorientalischen Gemeinsamkeit (koine) weg und wurde nationaler, während Israel sein nationales Königtum aufgab und sich gewissermaßen als Mitglied eines ökumenischen Weltreichs einschrieb. Was wir für Israel mit dem missverständlichen Schlagwort „Monotheismus“ bezeichnen, und von dem mancher fest glaubt, er sei in der Theologie eines Deutero-Jesaja (Jes 45,5 und dazu Dtn 6,4) gedacht worden, ist eher mit der realen Anschauung des persischen Großkönigs als Weltenherrschers in Verbindung zu bringen. Auch mag die Religion der Perser selbst, die ja als ursprünglichen Kern den de facto-Monotheismus Zarathustras enthielt, einen Einfluss ausgeübt haben.
Es bleibt möglich, dass Urartu nach dem Kimmerier-Sturm weiter existierte, da vielleicht erst Kyros 547 v.Chr. Urartu zerstörte, bevor er Sardes eroberte (ABC no. 7 col. II 15 – 18); diese Annahme stützt sich im Wesentlichen auf die Kollation der Nabonid-Chronik durch Oelsner (1999/ 2000), 378 ff. (zustimmend Rollinger [2008]; Heller [2010], 198 – 205), wo statt Lydiens der Name Urartu genannt sein könnte. Allerdings wird neuerdings doch wieder die Lesung Lydien favorisiert (Payne/Wintjes [2016], 14 mit Anm. 6). Aristot. cael. 295b11. Als „Ausdruck religiöser Gewissheit“ glaubte schon Hölscher (1968), 85 Anm. 244 die Kosmologie des Anaximander deuten zu können. Jahweh, der den Großkönig nach israelitischer Vorstellung ab- und einsetzt, wie es ihm beliebt, avanciert damit selbst zum alleinigen Herrscher der Welt, zum Kosmokrator, Eph 6,11.
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Das Schwarzmeergebiet als Grenzraum Wie die Urartäer die kaukasischen Engstellen und Pässe durch Festungen überwachten, so mussten die Grenzen des lydischen Reiches am Hellespont und Bosporus, und auch die Südküste des Schwarzen Meer ständig beobachtet, die Gebiete an den Meerengen sogar militärisch gesichert werden. Ein Bündel von Maßnahmen haben wir in Teil 3 A zusammengestellt, von denen wir glauben, dass sie im Dienst der militärischen Sicherung standen. An der nördlichen Küstengrenze Anatoliens endete die Welt der altorientalischen Oikumene. Wenn man sich klar machen will, als wie fremd diese Welt im Bereich der lydischen Grenzmark und den Gebieten weiter nördlich davon empfunden wurde, kann man den ekstatischen Seher Aristeas von Prokonessos, einen Zeitgenossen des Kroisos, als Beispiel heranziehen. Die wissenschaftliche Entdeckungsgeschichte Mittel- und Nordeuropas setzte ein mit seinem „Arimaspen-Epos“, das er wohl auf Prokonessos schrieb, einer vor Kyzikos gelegenen Insel, wo zu dieser Zeit die milesische Schwarzmeerflotte ihren Hauptstützpunkt hatte. Herodot kannte das Werk noch und erzählt daraus folgendes: Die Seele des Aristeas habe die Fähigkeit besessen, den Leib zu verlassen und „als sein anderes Ich, sichtbar an fernen Orten“ zu erscheinen.³¹ So sei er auch „von Phoibos ergriffen“ (Hdt. 4,13,1) bis hart an die Grenze zum Land der einäugigen Arimaspen gekommen, die das Gold hüteten, und er habe, so Herodot weiter, in seinem Epos auch über die Stammeswelt des Nordens berichtet. In einem mechanistischen Modell fasst er ein historisches Phänomen, das in die Zeit des Gyges gehört, aber auch noch für Kroisos aktuell ist: Stämme geraten in Bewegung. Nach Aristeas verlasse ein Stamm, fliehend vor einem anderen, sein Land. Nach dem System angestoßener Billardkugeln lässt Aristeas zuletzt die Kimmerier in Bewegung geraten. Diese seien von den Skythen vertrieben worden (Hdt. 4,13,2). Auf diesem Wissenstand der Kroisos-Zeit bleiben selbst Hekataios, aber auch Aischylos und Pindar stehen. Weitere Forschungen waren nach dem Untergang des Lyderreiches offensichtlich nicht mehr möglich. Die milesischen Kolonien meldeten sich nicht mehr. Nur Herodot war es noch einmal vergönnt, unter so bislang noch nicht gegebenen, danach auch nicht wiederkehrenden, besonders glücklichen Umständen in Olbia Erkundigungen über das Land nördlich des Schwarzen Meeres einzuziehen. Das Ergebnis hat er in seinem Skythenlogos vorgelegt (Hdt. 4,17– 58).³²
Rohde (1961), II 92 nach Hdt. 4,13 – 16. Timpe (1989), 318 f.
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Ganz besonders Kroisos hat sich also zur Aufgabe gemacht, den Küstengrenzraum im Norden zu kontrollieren und zu schützen. Wie das konkret aussah, glauben wir an der tragischen, zunächst gar nicht einschlägig erscheinenden Erzählung von Atys und Adrastos zeigen zu können. Dieser Erzählung, die bislang nur wegen ihrer Parallelen zur Ödipus-Geschichte des Sophokles Aufmerksamkeit erregt hat,³³ ist durch die Dramatisierung des sagenhaften Stoffes der reale Kern fast abhandengekommen. Soviel lässt sich aus historischer Perspektive jedoch noch rekonstruieren: Da kommt ein Hilferuf aus dem mysischen Grenzraum. Ein gewaltiges Untier verwüste die Felder am Mysischen Olymp. Die Myser könnten es aus eigener Kraft nicht bezwingen, sagen die Boten. Kroisos stellte daraufhin eine „task-force“ zusammen (gr. logades ‚ausgewählte Mannschaft‘), vertraute sie dem Kommando des Kronprinzen Atys an und sandte diesen zusammen mit der lydischen Streitmacht aus. Dazu kam noch die ganze Hundemeute (Hdt. 1,36 – 37). Was hier die Jagd auf ein bösartiges Untier ist, kann ein anderes Mal zu einem Feldzug gegen einen eindringenden Feind führen. K. Meuli (1954) hat auf die enge Verbindung von Jagd, die ja meistens in Grenzräumen abgehalten wird, und Krieg hingewiesen. Was uns beides zusammen sehen lässt, ist, dass die Hundemeute, die Herodot in unserer Geschichte für die Jagd erwähnt, ihre Entsprechung findet in den Hunden, die die Reiterei des Alyattes im Kampf gegen die Kimmerier bei sich gehabt haben soll (Polyain. 7,2,1).³⁴
Der Grenzraum gegenüber Arabien Arabien wird automatisch mit dem Nomadentum assoziiert. Herodot, dem wir den Begriff nomades verdanken, schreibt, die Skythen seien in ihrer Mehrzahl nomades. Diejenigen Nomaden, die mit ihren Herden am südlichen Rande des Fruchtbaren Halbmonds entlangzogen, um den notwendigen materiellen Austausch mit den Bewohnern des Kulturlandes zu besorgen, werden leider immer noch fälschlicherweise „Halbnomaden“ genannt. Sie kennt Herodot nicht. In der „Urgeschichte“ (Gen 1– 11) werden die jeweils beiden Hälften ihrer Tätigkeit auf zwei volle Personen verteilt: Abel ist Schafhirt, also der „Halbnomade“, Kain ist Ackerbauer und steht daher für die andere Hälfte (Gen 4,1– 16). Eine andere Art von Nomaden als die reinen Kleinviehzüchter sind die Kamelnomaden Arabiens,
Manuwald (2012), 30: „… und in vielem der Ödipus-Geschichte parallel ist die Geschichte von Kroisos’ Sohn Atys und von Adrastos“. Dasselbe Motiv findet sich, nur unter dem Aspekt der Solidarität zwischen Bruderstämmen, im Verhältnis zwischen Mysern und Lydern wieder (kasignetoi, Teil 2).
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die wir mit einem Kunstausdruck „Protobeduinen“ (W. Dostal) nennen.³⁵ Eine wichtige Stelle für die arabischen Kamelnomaden ist Ri 6 – 8. Hier ist die Rede von den Midianitern, die mit ihren Razzien aus der Tiefe des nordarabischen Steppenlandes, ja sogar aus der Wüstensteppe, heraus, wasserlose Räume durchquerend über den Jordan setzten und Angst und Schrecken in Israel verbreiteten. Mit Beute beladen verschwanden sie ebenso schnell, wie sie gekommen waren, und wie vom Erdboden verschluckt blieben sie, jedenfalls bis zum nächsten Mal, wenn sie wieder auftauchten.³⁶ Damit, dass die Midianiter der deuteronomischen Chronologie gemäß in die „Seevölkerzeit“ um 1100 v.Chr. hinaufzudatieren wären, lässt sich das, was im Text über ihre Taktik des hit and run und andere spezifische Fähigkeiten zu lesen ist, chronologisch nicht gut vereinbaren. Wir schlagen daher für ihre Datierung das 9./8. Jh. vor, und zwar ist dies der Zeitpunkt, der zeitlich noch vor der Heeresreform Tiglat-Pilesars III. liegt. Denn in ihm sehen wir den „Erfinder“ bzw. „Miterfinder“ des militärischen Standardtypus. Die assyrische Reiterei wurde sogleich von ihm gegen die Araber eingesetzt. Ein Relief aus dem Palast Assurbanipals in Ninive (heute London, British Museum) zeigt Assyrer, die den auf ihren Dromedaren fliehenden Arabern nachsetzten und, wie auf der Bildstandlinie liegende Leichen dokumentieren, diese auch getötet haben. Über diese hinweg rollen jetzt gnadenlos die nachfolgenden Streitwagen, springen die Reiter und marschiert das Fußvolk, letzteres entweder mit Lanzen oder mit dem Bogen bewaffnet. Als Eindruck, den der antike und moderne Betrachter gewinnt, drängt sich geradezu auf, dass es Absicht der Assyrer war, bei dieser Gelegenheit ihr Heer in seinen drei Gattungen vorzuführen. Wir haben sozusagen das ‚königliche Heer‘ kiṣir šarrūti im Bild. Ob sich so die arabische Bedrohung eingrenzen ließe, wusste zunächst niemand. Assyrien versuchte die Lebensgrundlage der Araber zu zerstören, indem ihnen die Dromedare genommen und sie von den Brunnen vertrieben wurden; Ägypten (zur arabischen Bedrohung Hdt. 2,141) und auch Juda setzten auf eine Politik der Eindämmung durch Grenzfestungen. Auch die Könige Jerusalems bauten an Grenzbefestigungen, und zwar im Negeb, gegen den Sinai gerichtet. Hier streiften proto-nabatäische arabische Nomaden, und man wusste: „in der Wüste im Angesicht des Schwertes“ (Threni 5,9) ging alles nur unter Einsatz des eigenen Lebens ab, wie es denn in dem Klagelied aus exilischer Zeit (6. Jh. v.Chr.) weiter zu lesen steht. Ältere Siedlungen wurden deshalb hier zu „Festungen“ (V. Fritz) ausgebaut, nur Arad sei erwähnt, Högemann (1985), 33 ff. Dostal (1959); Knauf (1983). Eine Paraphrase Ri 6 – 8 gibt Noth (1954), 148 – 151. Zu Midian s. vor allem Knauf (1988); Parr (1997): „In the present state of research, all further attempts to reconstruct the history of Midian must remain speculative“.
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und dies nicht so sehr wegen seines altertümlichen Jahweh-Tempels³⁷ als vielmehr seiner vielen, in althebräischer Sprache beschrifteten Ostraka (bald nach 600 v.Chr.).³⁸ Arad war zudem ein „Versorgungszentrum“, das auch für die genaue Lebensmittelzuteilung an die umliegenden „Forts“ (J. Renz) zuständig war. Interessant ist nun, dass die Ostraka Kittäer erwähnen, die in den „Forts“ Dienst leisteten. In einem Fall ist die Besatzungstärke mit 38 Kittäern angegeben. Kittäer meint nicht ein bestimmtes Ethnos, sondern ist ursprünglich eine hebräische Bezeichnung für die Bewohner von Kition auf Zypern und der anatolischen Südküste bis in die Ägäis hinein. In der Zeit unserer Arad-Ostraka ist der Kittäer kein griechischer Hoplit, wie er z. B. in Xenophons Anabasis agiert. Dieser marschiert, kampiert oder steht in der Schlachtreihe, der Kittäer ist dagegen ein Grenzsoldat mit dem Vorteil der Magazinverpflegung. Die Weihrauchstraße, die südlich von Arad und Beeršeba nach Gaza verläuft, mit einer Abzweigung nach Jerusalem, liegt also mitten im Streifgebiet arabischer Nomaden.³⁹ Jerusalems rasanter Aufstieg zur Großstadt wurde nicht zuletzt dem Gewürzhandel verdankt, hing also von der störungsfreien Durchgängigkeit der Weihrauchstraße ab.
Arad und Troia Milet, der Außenhandelshafen des lydischen Reiches, hätte nach 600 v.Chr. theoretisch die direkte Verbindung zwischen dem Schwarzmeergebiet und Ägypten herstellen können. Dass allerdings Waren, die vom Schwarzen Meer stammen, in Ägypten nachgewiesen worden wären, ist uns nicht bekannt. Naukratis war die Anlaufhafen für milesische Schiffe, die hier die Aromata aufnahmen, nachdem sie von Gaza nach Ägypten weiter verfrachtet worden waren. Erwähnungen etwa von Datteln und Weihrauch finden sich in der griechischen
Eine Mazzebe (oder zwei) sowie eine als Aschera gedeutete Figurine zeigen, dass noch um 600 v.Chr. mit einer polytheistischen Kultpraxis zu rechnen ist. Von Kultzentralisation auf Jerusalem ist hier, wie etwas später in Elephantine, ebenfalls nicht die Rede (genannt „Polyjahwismus“); „unreformiert“ pflegte J. Wellhausen in solchen Fällen zu sagen. Aharoni (1981) und Fritz (1990), 120 – 124. Maßgebliche Bearbeitung der zahlreichen AradOstraka wird Renz (1995), 347– 403 verdankt. Der Begriff Nomade, gr. nomas, Pl. nomades, findet sich zuerst bei Choirilos von Samos (5. Jh. v.Chr.) in seinem historischen Epos Barbarika sowie bei seinem Zeitgenossen Herodot, hier von den Skythen (1,15, LSJ s.v. pastoral tribes ‚Hirtenvölker‘) und von einigen persischen Stämmen gesagt (1,125,4). Die Nomaden, die an den Rändern des Fruchtbaren Halbmonds streiften, sind inzwischen zum Gegenstand einer Spezialwissenschaft aufgerückt. Wichtig bleibt Knauf (1985).
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Welt zuerst in den Liedern Sapphos. Auf den großen Altären der riesigen ionischen Heiligtümer, vor allem des Artemisions von Ephesus, an dem lydische Mädchen dienten, wird der Weihrauch als Opfer aufgestiegen sein. Der Reichtum Lydiens und Ioniens beruht auf den milesischen Seewegen sowohl nach Ägypten als auch ins Schwarze Meer. Jetzt kommen noch einmal Troia und das judäische Arad ins Spiel. Es ist nicht auszuschließen, dass auch Troia VIII zur „Festungsstadt“ ausgebaut wurde. Der Burgberg hat ca. 2 ha gemessen, war also noch kleiner als die „Stadt Davids“.⁴⁰ Was die Fläche angeht, dürfte Troia mit Arad ungefähr gleichziehen, hinsichtlich der Befestigungen aber wird es nur wenige Städte gegeben haben, die sich mit Troia hätten messen können. Troia VIII besäße aber die passende Größe für den Fall, dass die Festung zum Schutz der Wohnsiedlung der Kolonisten eingerichtet worden sein sollte, also das ägyptische Modell vom Söldner-Kolonisten Pate gestanden hätte. Eine weitere Parallele ist denkbar: Wie die Söldner von Psammetichos die Grenzfestungsstadt Daphne⁴¹ am Pelusischen Nilarm gegen Arabien angewiesen bekamen, so könnten auch vom lydischen König Aioler in der Festung Troia angesiedelt worden sein. Welchen Personen-Status die Aioler dabei zuerkannt bekamen, ob als Bundesgenossen, Stammes-Aufgebote oder gar Deportierte, wird sich wohl nie klären lassen. Wie im Fall von Babylon selbst zeigt sich die unprofessionelle babylonische Politik Nabonids auch bei Arabien. Er eliminierte die palästinensischen Pufferstaaten wie Juda und die transjordanischen wie Moab und Edom mit der Folge, dass arabische Stämme aus dem Hedschas zum ersten Mal in Gaza an das Mittelmeer vorstießen. Am Ende dieser Skizze der einzelnen Staaten des Vorderen Orients in ihren Grenzen bzw. hinter ihren Grenzräumen kann nun der Frage nachgegangen werden, wie die Teilstreitkräfte (gr. telea) des vorderorientalischen Heeres zu bestimmen sind, welche Staaten an ihrer Erfindung und Entwicklung beteiligt gewesen sein könnten und welche speziellen Aufgaben den einzelnen Gattungen zugedacht war.
Was Jerusalem und Troia gemeinsam haben, ist, dass diese auch Ilios hieß, jene noch den Namen Zion trug. Hdt. 2,30; 107, dazu Boardman (1981), 156 ff. Daphne/ai, hebr. Tachpanches (Jer 43,7– 44,30), heute Tell Defenne.
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4.5 Die einzelnen Waffengattungen
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4.5 Die einzelnen Waffengattungen Streitwagen (harmata, Sappho F16,19 Voigt/L.-P.) Die Lyder hatten Streitwagen (gr. harmata). Das bezeugt Sappho, die von ca. 630/ 25 bis nach 590 v.Chr. auf Lesbos lebte, in einem Lied. Es ist nur eine Vermutung, dass die Streitwagen bei einer Militärparade in Sardes auffuhren, wo Sappho (und bald darauf wohl auch Solon) sie sah. Sie hatte ja indirekte Kontakte zu den höheren Kreisen der lydischen Gesellschaft, so etwa durch Arignota, die damals ein Mädchen im „Pensionat“ auf Lesbos war und dann nach Lydien verheiratet wurde: „Nun aber ragt sie hervor unter den lydischen Frauen“ (F96 Voigt). Paraden von Streitwagen, dazwischen mit Reitern, sind in der Bildkunst des 1. Jt. v.Chr. öfter zu sehen, etwa auf einem Bronzegürtel aus Urartu (jetzt in München, um ca. 800 v.Chr.).⁴² In der Erwähnung der Streitwagen und dann der Fußkämpfer gibt sie sozusagen die spätbronzezeitliche Formel ERÍNMEŠ ANŠE.KUR.RAMEŠ wieder, nur in umgekehrter Reihenfolge. Ist denn der Streitwagen noch so wichtig? Die Frage, ob die Streitwagen als primäre Waffengattung noch zu großen Feldschlachten auf offener Ebene und in geschlossener Formation auffuhren, wie dies in der Spätbronzezeit (SB I–SB IIB = 1600/1550 – 1200/1100 v.Chr.) der Fall war, oder ob es sich um ein Prestige-Fahrzeug handelt, das nur noch als Symbol einer längst vergangenen Zeit aus der Remise geholt wurde, ist nicht leicht zu beantworten. Zwischen diesen beiden Extremen lassen sich berechtigterweise aber auch mittlere Positionen denken. Unbestreitbar ist nur, dass die große Zeit der Streitwagen vorbei war. In den Kämpfen des Alyattes und des Kroisos gegen Meder bzw. Perser kamen die Streitwagen nicht zum Einsatz, jedenfalls sagt Herodot nichts darüber.⁴³ Herodot, das sei allerdings mit bedacht, gilt in militärischen Dingen als kaum interessiert und wenig kompetent; er war kein Polybios. Sein Interesse für Heeresstärken, sieht man einmal von wenigen Zahlen zum Xerxes-Heer in Doriskos/ Thrakien ab (Hdt. 7,61– 80), sowie für Logistik und Topographie war begrenzt; umso mehr liebte er die Kriegslisten und andere Kuriositäten, wie wir noch sehen werden. Bleiben wir in der Zeit des Alyattes und wenden uns zum Vergleich wieder Israel zu. In Israel ist der Streitwagen (mærkābāh) verbreitet (z. B. 2 Kön 9,27; 10,15). In Juda ist er für Josia (639 – 609 v.Chr.) bezeugt, allerdings nur als Gefährt Bildnachweis bei Matthiae (1999), 131. Welchen Wert etwa die römischen/kaiserzeitlichen Quellen haben, wie z. B. aus dem 3. Jh. n.Chr. Philostr. iun. im. 1,17: harmatites ‚using chariots‘, von den Lydern gesagt, ist schwierig zu ermessen.
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des Königs (nur 2 Chron 35,20 – 24). Auf ihm fuhr er in die Schlacht gegen Pharao Necho II., auf einem zweiten Wagen wurde er tot schon bald von der Walstatt (bei Megiddo am Rande der Jesreel-Ebene) geborgen und nach Jerusalem überführt. Ob sich dies so zugetragen hat oder nicht – 2 Kön weiß davon nichts –, ist für unser Thema nicht direkt relevant. Bleiben wir bei dem, was in der Chronik über diese Lichtgestalt der deuteronomischen Bewegung geschrieben steht. Die Ägypter hatten in eben dieser Zeit des Josia, wie im Jeremiabuch zu lesen ist (Jer 46,9), Streitwagen wohl noch in größerer Zahl. Aber selbst das war doch sehr bescheiden selbst im Vergleich zum frühen Israel. So setzte in der Schlacht von Qarqar (853 v.Chr.) Ahab, der König von Israel (871– 852 v.Chr.), eingebunden in eine Koalition von zwölf syrischen, hauptsächlich aramäischen Staaten, noch einmal 2000 Streitwagen ein, zusammen mit 10.000 Fußsoldaten gegen den Assyrer Salmanassar III. (859 – 824 v.Chr.). Das verkündet jedenfalls der siegreiche assyrische König in seiner berühmten Inschrift von Kurkh (bei Diyarbakir) stolz, wohl, was die Zahl der Streitwagen angeht, übertreibend.⁴⁴ Interessant und nicht unwichtig ist die Beobachtung, dass viele Staaten immer noch Streitwagen, nur wenige bereits Reiter aufboten, und für die Geschichte Arabiens sowie des Fruchtbaren Halbmonds ist die Bemerkung bedeutsam, dass „Gindibu, der Araber“ 1000 Kamele der syrischen Allianz in die Schlacht von Qarqar zugeführt habe.⁴⁵ Das muss bedacht werden, wenn wir die Nachricht bewerten wollen, dass Kyros in der Schlacht gegen Kroisos vor den Toren von Sardes Kamele in die erste Reihe gestellt habe. Die Zahl 1000 ist allerdings als „symbolische Zahl“ (so M. Weippert) zu verstehen. Auf die Zeit Jerobeams II. (787– 747 v.Chr.), König des Nordreiches, ist wohl 1.Kön 9,19 zu beziehen, wo es anachronistisch heißt, Salomo habe „Städte für die Wagen und Städte für die ‚Reiterei ‘ (haparašim)“ gebaut.⁴⁶ Vermutlich handelt es sich aber gar nicht um Pferde-Ställe, sondern um Magazin-Gebäude für Ausrüstung und Verpflegung. Als Elisa, Prophetenschüler des Elia, d. h. ein „Derwisch“ wie dieser, im Sterben lag, kam Joas, der König von Israel (802– 787 v.Chr.), zu Sog. Kurkh-Monolith, ed. G. Smith, in: Rawlinson (1870), Tf. 7– 8, col. II 79 – 102; Ü: R. Borger, in: TUAT I/4, 360 ff. Die Steleninschrift von Tell Dan (um 835 v.Chr., gefunden 1993), wohl von Hasael eerrichtet, Herrscher von Aram-Damaskus, berichtet von einem Krieg gegen eine Koalition von Königen, von denen der König von Israel und der König „des Hauses Davids“ (d.i. Juda) namentlich genannt werden, die 2000 Streitwagen und 2000 Reiter aufzubieten hätten, so nach der Rekonstruktion von Biran/Naveh (1995); Kottsieper (1998), 478 zu den Stückzahlen. Das sind Protobeduinen, die auf einem hohen „Kissensattel“ auf den Dromedaren sitzen. Ein bronzener Dromedarreiter (aus dem 7. Jh. v.Chr., Höhe 8 cm) auf einem Kissensattel fand sich in Rhodos (jetzt London), Abb. 56 in: Boardman (1981), 81. Die Datierung beruht auf Nachuntersuchungen in Megiddo (1998 – 2002), die Ergebnisse kurz zusammengefasst von Finkelstein/Silberman (2006), 146 – 150.
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4.5 Die einzelnen Waffengattungen
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ihm, weinte und sprach: „Mein Vater, mein Vater! Wagen Israels und seine Lenker“ (2 Kön 13,14).⁴⁷ Die Bedeutung des Wagenfahrens scheint auch in der Folgezeit kaum abzunehmen. Die Aufgaben nahmen eher noch zu. Denn die Streitwagen dienten jetzt auch als Aufklärer, Nachrichtenübermittler und Feldjäger, besonders seit TiglatPilesar III. (745 – 727 v.Chr.).⁴⁸ Ab Mitte 7. Jh. v.Chr. sinkt dann aber ihre Zahl. Für kleinere Staaten, wie das in den Bergen gelegene Juda, lohnte sich ihr Unterhalt nicht mehr, nur als Staatskarossen überlebten sie. Allein die Großmächte Mesopotamiens setzten Streitwagen in den Ebenen Syriens und Palästinas weiterhin ein. Im Jahr 600/599 v.Chr., so steht es in der babylonischen Chronik Nr. 5 geschrieben, blieb Nebukadnezar in Babylon. Er musste seine gišnarkabāti meš ‚Streitwagen‘, und zwar ‚viele‘ (mādūtu), reparieren und seiner Reiterei Ruhe gönnen. Denn im Jahr zuvor, d.i. 601/600 v.Chr., war er gegen Ägypten gezogen, und da sei es zu einer schweren und für beide Seiten verlustreichen Schlacht gekommen.⁴⁹ Lässt sich erraten, warum von Nebukadnezar nur Streitwagen und Reiterei, aber kein Fußvolk eingesetzt wurde? Folgende Überlegungen könnten dafür bestimmend gewesen sein: der weite Anmarschweg, die fortgeschrittene Jahreszeit, der Umstand, dass es für Streitwagen noch „gespurte“ Fahrbahnen aus der Spätbronzezeit gab sowie die Einschätzung, dass ein traditioneller Feind wie Ägypten auch eine regelgerechte, offene Feldschlacht nach bronzezeitlichem Ritual annehmen würde. Nun zurück zu den Lydern. Wir sind ja im Jahr 600 v.Chr. angekommen, also ungefähr zu der Zeit, als Sappho ihr Lied verfasste. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der Streitwagen nur als Parade- und Prestigewaffe vorgezeigt wurde oder nur als Fahrzeug des Königs oder Gotteswagen diente. Anatolien war altes Wagenfahrerland. Wie die Eroberungen, die zur Bildung des lydischen Reiches führten, im Einzelnen vor sich gingen, wissen wir nicht. Hilft hier vielleicht der Hinweis weiter, dass auf einer Reliefplatte aus Persepolis die lydische Gesandtschaft zusammen mit einem Streitwagen dargestellt ist?⁵⁰ Ist er zum Attribut geworden, an dem die Lyder zweifelsfrei erkannt werden wollten oder sollten? Haben die Lyder ihrem großköniglichen, persischen Herrn, dessen Herrschaft nach eigenem Bekunden auf die Mitarbeit seiner untertänigen Nationen angewiesen
Sekundär übertragen auf Elia 2 Kön 2,12. Die Kraft des Propheten, die sich wohl in magischen Handlungen in den Kriegen gegen Aram-Damaskus entlud, ist stark wie eine Streitmacht, vgl. Würthwein (1984). Zu den „Kriegspropheten“ gerechnet von Blenkinsopp (1998), 45 – 67. So Mayer (1995); vgl. Dalley (1985). In diese Zeit gehört Jes 5,28, dem ersten Kehrversgedicht (Jes 5,25 – 29/30), über die assyrischen Wagen, die so schnell sind wie der Sturmwind. ABC no. 5 Rs. 6 – 8. Walser (1966); Nagel (1966), 62.
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4 König, Heerwesen und Verfassung
war, Wünsche hinsichtlich der ikonographischen Gestaltung der Reliefplatten äußern können? Man wird das bejahen. Ob die Darstellung auf einer altanatolischen Königsideologie vom Wagen basierte oder nicht, der Streitwagen ist eine Realität im lydischen Heer gewesen und in diesem Sinne Sinnbild des Königtums.⁵¹
„Kämpfer zu Fuß“ (Sappho F16,19 – 20 Voigt/L.-P.) Wichtiger als die Streitwagen und die Wagenfahrer, die, wenn sie überhaupt noch als elitäre Klasse in Erscheinung getreten sein sollten, jedenfalls nicht mehr die frühere Bedeutung hatten, müssen neben der Reiterei die Fußtruppen gewesen sein. Unter den Fußtruppen des Kroisos dienten viele Söldner (Hdt. 1,77,4), wohl in der Hauptsache Griechen. So die bisherige Meinung. Freilich hatten die Lyder auch eigene Fußtruppen. Herodot leitet den Bericht über die Feldzüge gegen Milet ein, indem er sehr liebevoll im Detail erzählt, wie Alyattes mit seinem Heer unter dem Klange von Syringen und Harfen sowie einer hohen und einer tiefen „Flöte“ (Oboenarten) in das Land der Milesier einrückte Vielleicht lässt sich eine Traditionslinie von den Lydern über die Phryger bis zurück zu den Hethitern verfolgen. Ob der hethitische Text CTH 414 hier einschlägig ist, wo es heißt: „Zu mir, dem König, hat die Throngottheit vom Meer her die Regierung und den Wagen gebracht“, muss offenbleiben. Denn bei diesem Wagen, heth. hulukanni-, handelt es sich um einen vierrädrigen (s. CHD L-N 168a); vgl. Starke (1979), 77. Mit dem ‚Wagen‘, früher mit ‚Kutsche‘ übersetzt, fuhr der König sitzend zwischen Palast und Kultstätten (hin und her?); andere Texte kennen ein Umsteigen des Königs von einem Wagentyp auf den anderen; gesammelt findet sich das Material zu den Wagen bei Otten (1971). Von König Rusa I. von Urartu (ca. 730 – 714/3 v.Chr.) weiß Sargon II. zu berichten, dass jener eine Statue im Tempel des Haldi in Muṣāṣir mit folgender Inschrift geweiht hätte: „Mit zwei Pferden und einem Streitwagen, hat er (sc. Rusa) das Königtum von Urartu in seine Hand genommen“ (TCL 3 1,404). Anders wiederum steht es mit dem Wagen des Gordios, den man Alexander dem Großen 333 v.Chr. auf dem Burgberg von Gordion vorführte, und der durch Seile, die mit dem berühmten „gordischen Knoten“ zusammengehalten wurden, irgendwie in seiner Lenkung blockiert war. Er ist nicht nur spät bezeugt (Arr. an. 2,3,1– 8 u. a., dazu Frei [1972]) und in eine mysteriöse Aura gehüllt, sondern der Wagen lässt sich auch nur über schwache Linien mit der Königsideologie der Phryger, die wir ja kaum kennen, geschweige denn mit einer theoretisch denkbaren allgemeinen altanatolischen Königsideologie, etwa der Hethiter, in Verbindung bringen. Schließlich ließe sich der mythische Heros Pelops hier anführen. Sein Vater war Tantalos, „eine düstere, der Götterwelt nahestehende Figur“ (Kirk [1982], 93 u. ö.); Tantalos hatte mehrere Söhne, darunter den Daskylos (Taskuli‐), den Namengeber von Daskyleion, einer Stadt der lydischen Frühgeschichte. Bei Pindar wird Pelops zum Lyder; er gewinnt mit seinem Wagensieg in Olympia das Königtum und wird Stammvater – hier ist die Mythographie allerdings schwankend – der Atriden, Hermes hat ihm das Szepter übergeben, welches später sein Enkel Agamemnon führen wird (Hom. Il. 2,104– 105).
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(Hdt. 1,17,1). Man könnte vielleicht einwenden, dass mit der Harfe keine Marschmusik hervorzubringen und überhaupt das Marschieren bei gleichzeitigem Harfenspiel nur schwer vorstellbar ist. Was legt uns Herodot hier vor? Parallelen finden sich weder bei ihm selbst noch in der Ilias⁵² noch überhaupt in der Literatur der Griechen und Römer.⁵³ Nicht über die Ausrüstung und die Bewaffnung macht Herodot Angaben, wie man vielleicht erwarteten würde, sondern es wirkt, als wolle er andeuten, welche Rolle die Musik für Lydien spielte, so dass selbst das Militär sich zu ihrem Botschafter macht.⁵⁴ In der altorientalischen Literatur fand sich ebenfalls keine Parallele. Denkbar ist ein Missverständnis Herodots. Nicht beim Angriff auf feindliches Territorium ließ man Marschmusik erklingen, sondern bei siegreicher Heimkehr in die Stadt, beim introitus, ertönte Freudenmusik. So heißt es in einer Prismeninschrift Assurbanipals: „mit Musikern, die Musik machten, betrat ich Ninive, und mit Freuden.“⁵⁵ Hat Herodot in seiner Einschätzung, dass Alyattes in Milet nie Erfolg hatte und er von daher auch nicht mit Musik in seine Stadt zum adventus hereingeholt werden konnte, die Erzählung, so wie wir sie heute lesen (Hdt. 1,17), umgebogen, einfach, weil ihm etwas über lydische Musik im Zusammenhang mit dem Heerwesen zu Ohren kam und ihm an der Verlebendigung durch Fremdes gerade in der Umgebung von stereotypen, chronikartigen Informationen gelegen war? Wir können hier nur Vermutungen anstellen. Dass das lydische Heer belagerungstechnisch auf der Höhe der Zeit war, haben wir am Beispiel Smyrnas gezeigt. Maßstäbe in dieser Technik setzten sicherlich die Assyrer, und sie vermitteln bis heute den Eindruck, sie seien ihre eigentlichen Erfinder. Mit Sicherheit lässt sich so viel sagen, dass sie dies mit unerhörter Perfektion ins Werk gesetzt haben. Vor allem die Sargoniden, beginnend mit Sanherib (705 – 681 v.Chr.), taten sich hier hervor. In vielen plastischen und sehr realistischen Darstellungen wurde der sowieso immer schon verängs-
Die Ilias kennt keine Militärmusik. Syringen und ‚Flöten‘ (auloi) werden nur im späten zehnten Gesang genannt und da machen sie auch nur Lärm (enope: Il. 10,13). Eine Ausnahme scheinen nur die Spartaner zu machen, die Flötenspieler im Heer kannten, Thuk. 5,70. Thukydides behauptet, dass die Musikbegleitung nicht der Götter wegen geschehe, sondern schlicht und einfach Marschmusik sei. Ein Doppelaulos-Bläser wohl eines spartanischen Heeres ist auf der berühmten, protokorinthischen Chigikanne (Rom,Villa Giulia) zu sehen, die auf ca. 640 v.Chr. datiert wird, also lyderzeitlich ist, dazu Simon (1976), 48 ff. In der sog. Völkerliste (Hdt. 7,61– 98) heißt es, dass die Lyder fast die gleichen Waffen trügen wie die Griechen (Hdt. 7,74). Das muss aber für die lydische Zeit noch nicht zutreffend gewesen sein. AS 5,72, B col.VI 55 – 56 (Ü: Heller [2010], 378). Auch die Überführung der Lade nach Jerusalem (2 Sam 6) passt vielleicht hierher: David tanzt, in den Händen eine Harfe haltend,vor der Lade her, auch dies eine Art introitus.
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tigte, ausländische Besucher Ninives mit dem Thema einer systematischen und erfolgreichen Städteeroberung auf sehr unangenehme Art und Weise konfrontiert. Schlusslicht in dieser Technik war das Heer der Lakedaimonier, das im 6. Jh. v.Chr. Sparta zwar zur stärksten Militärmacht auf der Peloponnes und darüber hinaus machte,⁵⁶ aber deren Hopliten (s. Glossar) für die Eroberung größerer Städte oder gar felsiger Akropolen noch im 5. Jh. v.Chr. nicht oder nur schlecht ausgebildet waren. Ihre wahre Bestimmung lag dagegen in der offenen Feldschlacht. Für die Wahl des Bündnispartners, die nach sorgsamen Recherchen, welche Kroisos über die athenische⁵⁷ und spartanische Verfassung angestellt hatte, auf Sparta fiel, waren denn auch dessen Hopliten ausschlaggebend (Hdt. 1,69 – 70). Es gab nichts Gleichwertiges an Kampfkraft, nicht in Griechenland, und schon gar nicht im gesamten Vorderen Orient. Man kannte die gepanzerten Griechen, die seit dem 7. Jh. v.Chr. als Söldner im Vorderen Orient auftauchten. Herodot schildert, welchen Eindruck sie auf einen Ägypter machten: „Als sie (sc. Ionier und Karer) in ihren ehernen Rüstungen an Land stiegen, lief ein Ägypter zu Psammetichos … und meldete ihm, eherne Männer seien vom Meer her gekommen … Der Bote hatte bisher noch keine erzgepanzerten Krieger gesehen“ (Hdt. 2,152,4– 5). Angst und Schrecken verbreiteten sie, wie die Erzählung von David und Goliat lehrt. Die Handlung spielt zur Zeit der Philisterkriege, die der unglückliche König Saul von
Auf diesem Gebiet waren die Assyrer sicherlich führend. In mehr als einer Hinsicht ist die Eroberung der Stadt Lachisch (Tell ed-Duwer) durch Sanherib 701 v.Chr. hier von Interesse. Lachisch, eine Stadt auf Rang 2 im Königreich Juda, nach Jerusalem, wurde, wie 100 Jahre später Smyrna durch Alyattes, mit Hilfe einer Rampe erobert, dazu Fritz (1990), 84– 95. Einzigartig nicht nur für Assyrien ist die bildliche Darstellung einer Belagerung von Lachisch aus Ninive (London, British Museum). Der Raum 36 in Ninive war rundherum mit Alabaster-Reliefs ausgestattet, d. h. die Ereignisse vom Anmarsch des Heeres bis zum Abtransport der Beute sind fortlaufend lesbar. Eine Beischrift erläutert die gesamte Darstellung: „Sanherib, König der Welt, König von Assur, saß auf einem Thron – die Beute von Lachisch zog an ihm vorbei“, nach Orthmann (1976), 322, Abb. 230 – 231; 233a; b. Dargestellt sind Bogenschützen und Lanzenträger als Fußvolk, Belagerungsmaschinen und das Zelt des Königs mitsamt seinem Streitwagen. Das Buch Micha, das in Mi 1– 3 authentisches Micha-Gut aus der Zeit um 700 v.Chr. bietet, droht Juda den selbstverschuldeten Untergang Jerusalems an, Lachisch ist nur der Anfang: „Spanne die Pferde vor den Wagen, Bewohnerin von Lachisch! Das war der Anfang der Sünde für die Tochter Zion, …“ (Mi 1,9 – 16, hier 13). Das Beutemachen allein konnte in Assyrien den Feldzug rechtfertigen. Lastwagen, die das Heer begleiten und das Beutegut abtransportieren, findet man in vielen Darstellungen zur assyrischen Kriegsgeschichte. Von Beute (gr. leia) ist bei der Eroberung Smyrnas nicht die Rede, überhaupt kommt im ganzen Lyder-Logos das Beutemachen (leizesthai) nicht vor. Aber auch eine (geschichtstheologische) Deutung über den tieferen Sinn von Städte-Eroberungen, wie sie Micha liefert, findet sich in unseren Quellen zu Lydien und Ionien nicht, wohl aber zur Eroberung von Sardes durch Kyros (s. Teil 6). Die Athener würden von Peisistratos beherrscht und lebten zerstreut, so Hdt. 1,59.
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4.5 Die einzelnen Waffengattungen
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Israel um1000 v.Chr. führte. Auf dem Kopf trägt Goliat der Schilderung nach einen bronzenen Helm, der ein Relikt der ausgehenden „Seevölker-Zeit“ sein könnte. Die übrigen Rüstungsteile, ganz besonders signifikant sind hier die Beinschienen, sprechen aber entschieden dafür, dass dieses Ungeheuer, aus welcher Traditionsschicht es auch stammen mag, jetzt als griechischer Gepanzerter und Söldner von den Bewohnern Jerusalems um 600 v.Chr. erkannt werden sollte und auch wohl erkannt wurde (1 Sam 17,4– 7).⁵⁸ Saul will David vom ungleichen und aussichtslosen Kampf abhalten und sagt zu ihm: „Du bist ein Junge, er aber (sc. Goliat) ist ein Krieger von Jugend auf“ (1 Sam 17,33). Im zweiten Halbsatz findet sich die Erklärung für die Überlegenheit von Berufssoldaten gegenüber Milizionären. Zurück zu den Lydern! Man fragt sich, wo denn genau, wenn der Bündnisfall eintreten sollte, die spartanische Hoplitenphalanx zur Unterstützung des lydischen Heeres ihren Platz hätte einnehmen sollen. Kroisos musste vor allem seine Fußtruppen verstärken, und zwar was Zahl und Qualität anging. Denn er wird erkannt haben, allerdings zu spät, dass das Heer des großen Kyros weder dem Standardtypus des Vorderen Orients entsprach, noch einer Horde von kimmerischen Reitern glich. Über Reiterei verfügte Kyros fraglos auch, aber schlachtentscheidende Bedeutung sollte nach seinen Plänen wohl eher den Fußtruppen zufallen. Und so kam es dann auch. Denn Kyros hatte kampferprobte Fußtruppen; dass gerade die Perser, nicht aber ihre Hilfsvölker tapfere Soldaten waren, hebt Herodot immer wieder hervor (Hdt. 9, 68 und anderswo).⁵⁹ Die Probe aufs Exempel, dass die Spartaner den lydischen Sieg erstritten hätten, konnten sie nicht liefern. Ihr Bündnisaufgebot kam in Kleinasien überhaupt nicht zum Einsatz. Als nämlich wider alles Erwarten vorzeitig der Bündnisfall eintrat, konnte es nicht mehr rechtzeitig gegen den bereits auf Sardes vorrückenden Kyros eingesetzt werden (Hdt. 1,83).
So Finkelstein/Silberman (2006), 159 – 177. Nach ihrer Meinung wäre zu erwägen, ob der Name Goliat etymologisch mit dem lydischen Namen Alyattes identisch sein könnte. Dies verbinden sie mit der These, dass die Saiten-Pharaonen seit Psammetichos I. von den Königen Lydiens mit griechischen Kämpfern versorgt wurden. Jedoch stammt Alyattes aus *Walweta und hat lautlich mit Goliat wenig Ähnlichkeit, so dass eine Identität ausgeschlossen erscheint. Die schriftliche Verwaltung war in Persepolis und Susa in der Hand von Elamern. Ob die Perser sich von Vertretern dieses von ihnen unterworfenen Volkes auch in militärischen Dingen beraten ließen, ist dagegen fraglich. Die Beleglage ist dünn; es gibt immerhin jetzt eine Stelle einer babylonische Chronik (ABC no. 7 col. III 24– 28, zum Jahr 537 v.Chr.?), die nach neuer Lesart (nach Kollationen von A.R. George), Kyros in ursprünglich elamischer – die im Laufe der Zeit aber als die typisch persische angesehen wurde – Tracht und Bewaffnung(?) zeigt. Alles Nähere jetzt bei Heller (2010), 252– 257.
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4 König, Heerwesen und Verfassung
Die Reiterei (hippeon stroton, Sappho F16,1 Voigt/L.-P.) Ob Sappho hier auf die Lyder Bezug nimmt, ist nicht zu entscheiden, aber sehr wohl möglich. Daneben nennt sie auch Fußvolk.⁶⁰ Man darf davon ausgehen, dass Alyattes eine Reiterabteilung besaß. Diese war als Teilstreitkraft in das Heer integriert, ebenso wie wir auch sonst das zeitgenössische vorderorientalische Heer für dreiteilig halten. Nikolaos von Damaskos (FGrHist 90 F44,10) berichtet, dass schon im 8. Jh. v.Chr. der lydische Heraklidenkönig Ardys eine Heerschau über 30.000 Reiter abgehalten habe. Auch wenn diese Zahl weit übertrieben sein dürfte, so sagt der Bericht doch etwas über den Stellenwert der Kavallerie im lydischen Reich aus. Wichtig ist die Aussage Herodots, dass damals, also zu Kroisos’ Zeit, kein Volk (ethnos) in Asien tapferer und wehrhafter – nicht gemeint ist numerisch stärker – war als das lydische. Sie kämpften zu Pferde, führten mächtige Lanzen und waren geschickte Reiter (Hdt. 1,79,3). Die Perser waren nicht tapferer als die Lyder. Und wie Herodot zu erkennen gibt, sollen sie nur dank einer Kriegslist den Sieg davongetragen haben. Von ihr werden wir gleich hören. Selbstverständlich muss schon das hethitische Heer Reiter gehabt haben. Sie waren Späher und im Kurierdienst tätig. Davon ist aber die reguläre Heeres-Reiterei deutlich zu unterscheiden. Diese ist ein Phänomen des 1. Jt. v.Chr. Bereits im 9. Jh. v.Chr. ist sie in Anatolien in Ansätzen fassbar; sie entwickelte sich dann zur regulären Reiterei. Man hat immer und zuerst an Assyrien als ihrem Ursprungsland gedacht. TiglatPilesar III. (745 – 727 v.Chr.), dem großen Reformer des assyrischen Staates – er kann als der wirkliche „Erfinder“ der Provinz als territorialer Organisationsform gelten, und erst nach seiner Provinzreform kann man vom Neuassyrischen Reich sprechen –, wäre schon a priori eine Heeresreform zuzutrauen. Diese hätte sich aber auch von selbst ergeben. Denn Heeresreform und Provinzreform bedingten einander. Die Reiterei nun wurde eine Teilstreitkraft im gegliederten Heerwesen aller Staaten des Alten Orients. Die erste Erwähnung eines gegliederten Heeres findet sich – nach homerischen Vorstufen – bei Herodot (1,103), wonach der Mederkönig Kyaxares die „asiatischen Kontingente in Abteilungen einteilte und (die verschiedenen Waffengattungen), Lanzenträger, Bogenschützen und Reiter, für sich stellte, während bis dahin alle bunt durcheinander gestanden hatten.“ „Viele Sapphos Lied beginnt mit einer Präambel. Zu dieser Kunstform s. Bundy (1962), bes. 1– 13, vor allem zu Pind. O. 1,1– 8. Zu Sappho hier Fränkel (1968), 591 f.: „Eleganter als eine Aufzählung von beliebiger Länge ist die Repräsentation einer Totalität durch eine Dreiheit von konkreten Einzeldingen.“ Bei Sappho ist das Höchste für den Menschen etwas ganz Subjektives, nämlich das, „was einer liebt“.
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4.5 Die einzelnen Waffengattungen
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Völker verstehen das Reiten, aber nicht alle haben eine Reiterei“ (Hdt. 7,84). Es ist durchaus glaubhaft, dass die Entstehung regulärer Reiterheere nördlich des Fruchtbaren Halbmonds stattfand. Zu Recht nennt Herodot keine Streitwagen. Das erklärt sich damit, dass Medien nicht zum Alten Orient gehörte und daher auch keine bronzezeitlichen Streitwagentraditionen besaß. Hier konnte sich Neues ungehindert entwickeln. Nun lässt sich das assyrische Heerwesen schon aufgrund seiner besseren Bezeugung bequemer mit dem schon erwähnten Standardtypus in Verbindung bringen als das Heerwesen jeder anderen Nation des Alten Orients. Das muss aber nichts bedeuten. Mit anderen Worten: Assyrien muss nicht das Original erfunden haben, von dem Lydien, Tabal, Juda und andere dann ihre Kopien gemacht hätten. Denn Tiglat-Pilesar III. hat mindestens einen Mitbewerber im Streit darum, wer als protos heuretes des modernen Heerwesens zu gelten hat: Rusa I. von Urartu (ca. 730 – 714 v.Chr.), des Assyrers politischer und militärischer Erzrivale. Auch Rusa hat wichtige Reformen, darunter eine Provinzreform durchgesetzt, die zur Stärkung des königlichen Machtanspruches geführt haben dürfte. Nun haben wir selbst für Assyrien nicht genügend Quellen zur Verfügung, die ein Statistiker braucht, um einen solchen Standardtypus modellhaft konstruieren zu können. Vor allem die dafür nötigen Zahlen zur Heeresstärke insgesamt wie auch zu den einzelnen Truppengattungen können nicht abgerufen werden. Dennoch wird es möglich sein, gravierende Abweichungen vom Standard- bzw. Idealtypus festzustellen. Dies wird schon bei folgender berühmten Kampagne der Fall sein: Sargon II. führt 714 v.Chr. persönlich das Heer aus seinem Quartier in Kalchu (Nimrud) gegen die Urartäer. Dieses Heer bestand aus allen Abteilungen: Reiterei, Streitwagen und Bogenschützen, dazu kamen Sturmpioniere und schließlich der Troß mit Kamelen und Eseln.⁶¹ Sargon hat dann auf dem Rückmarsch mit einer EliteEinheit von 1000 Reitern einen gewagten Zug gegen das weit abseits der Heerstraßen gelegene, hinsichtlich des Reichtums Delphi wohl kaum nachstehende Heiligtum des urartäischen Staatsgottes Haldi in Muṣāṣir unternommen. Das übrige Heer hatte er zuvor die Heimreise nach Assyrien antreten lassen.⁶² Die
Sargon legte den Aufmarsch und das Itinerar seines Heeres in einem Gottesbrief an Assur nieder. Die im Louvre aufbewahrte Tontafel (TCL 3 1) ist der ausführlichste Bericht über eine assyrische Militärexpedition, s. Mayer (1983). Wer jedoch glaubt, dass bei aller Ausführlichkeit etwas von der inneren Struktur oder von der Verankerung des Heerwesens in der monarchischen Verfassung preisgegeben würde, wird enttäuscht. Wie das assyrische Heerwesen wirklich funktionierte, wissen wir nicht. Dies nur als Beispiel dafür, dass einzelne ‚Waffengattungen‘, gr. tele, telea (Pl.), auch für sich operieren konnten, s. Fagan (2010). Muṣāṣir wird am Oberlauf des Großen Zab gesucht, sozusagen im damaligen Niemandsland zwischen Assyrien und Urartu; s. Follet (1957).
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4 König, Heerwesen und Verfassung
besondere Eignung der Reiterei ist darin zu sehen, einen handstreichartig geplanten Angriff über eine größere Distanz hinweg wirkungsvoll durchführen zu können. Die numerische Größe der Reiterei und ihre spezielle Eignung zum Detachement fallen besonders auf. Die Zahl 1000 ist wieder symbolisch zu verstehen, und zwar im Sinne einer unerhört großen Zahl.⁶³ Die Reiterei wird also dominant. Sie sprengt sozusagen das Normengefüge des Standardtypus. Vom berittenen Späher und Kurier über Zwischenstufen unter Salmanassar III. im 9. Jh. v.Chr. wurde die Reiterei jetzt zur Teilstreitkraft des königlichen Heeres (kiṣir šarrūti).⁶⁴ Damit nicht genug. Wenn die Reiterei auch im Gesamtsystem eingebunden blieb, so bahnte sich doch mit Sargon ein Sonderverhältnis zwischen Reiterei und Herrscher an. Die Reiterei rekrutierte sich aus den zu eben dieser Zeit gegründeten Provinzen, vielleicht aus den Provinzen Syriens und Palästinas, in denen Deportierte angesiedelt waren, vielleicht aber auch aus dem Gebiet, das noch bei Ptolemaios „Syro-Media“ heißt (6,2,6) und zu welcher die medische Provinz Parsua gehörte. Hat die Rangerhöhung der Reiterei dahingehend gewirkt, dass die Monarchie in Assyrien erst jetzt einen absolutistischen, ja man kann sagen despotischen Charakter annahm? Doch kehren wir erst einmal zu den Lydern zurück. Wichtig ist zunächst die Feststellung, dass die lydische Reiterei der persischen weit überlegen war. Doch dann kam der Schock. Kyros habe nämlich plötzlich, beim Anblick der lydischen Reiterei erschrocken, seine Kamele von den rückwärtigen Positionen in die erste Reihe vorgezogen, was ihm sein Wesir Harpagos geraten haben soll.⁶⁵ Pferde könnten nämlich, so erzählt Herodot weiter, den Anblick und Geruch von Kamelen nicht ertragen. So hätten auch hier die Pferde der Lyder im Anritt augenblicklich kehrtgemacht. Dadurch seien die lydischen Reiter genötigt worden, von ihren Pferden abzuspringen und zu Fuß weiter zu kämpfen. Das konnte nicht gut ausgehen.⁶⁶ Dass Dromedare zum
Mit 1000 Reitern will Agesilaos, König von Sparta (444/3 – 360/59 v.Chr.), in seinem Krieg gegen Persien (396 – 394 v.Chr.) Streifzüge bis ins Innere Kleinasiens veranstaltet haben (Xen. hell. 3,4,2– 4.). Ein Einzelreiter dürfte auf dem späthethitischen Orthostatenrelief von Sam’al (Zincirli) aus dem 10. Jh. v.Chr. (heute Vorderasiatisches Museum Berlin) dargestellt sein, vermutlich einst am südlichen Stadttor angebracht. Das Pferd ist nicht gesattelt, ohne Steigbügel, wenn auch mit angelegtem Zaumzeug, trotzdem ungeeignet für den Reiterkampf, dazu Orthmann (1971), 60 ff. Tafel 66e. Hdt. 1,80, vgl. Xen. Cyr. 6,2,8. Die Behauptung, dass Pferde Kamele im wahrsten Sinne des Wortes nicht riechen könnten, wird noch einmal wiederholt: Xerxes zählt und ordnet in der thrakischen Ebene von Doriskos sein Heer. Zuerst das Fußvolk, dann die Reiter und ganz zum Schluss die arabischen Kamelreiter. Dies mit der Begründung, Pferde ertrügen Kamele nicht (Hdt. 7,87).
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4.5 Die einzelnen Waffengattungen
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Transport von Getreide und Gerätschaften, wie Herodot sagt, im Tross mitgeführt wurden, ist mehr als glaubhaft. Assyrische Zeugnisse von Transport-Dromedaren bekräftigen denn auch das, was Herodot sagt. Schwieriger mit dem, was wir heute über Kamelreiterei zu wissen glauben, zu vereinbaren ist die Vorstellung, man könne aus Transporttieren im Handumdrehen Reittiere, reif für den Heereseinsatz, machen. Hier wird der Historiker wohl beide Augen zudrücken müssen. Herodot, der Kriegslisten auch sonst liebte, konnte sich offenbar anders als durch eine List die Niederlage des Kroisos nicht erklären. Der Wirklichkeit kommt man näher mit der Annahme, dass das lydische Heerwesen mit seiner (zu) starken Akzentsetzung auf die Reiterei einem Kyros nur deshalb nicht gewachsen war, weil dieser sich unkonventionell, d. h. für die altorientalische Praxis ungewohnt gerüstet hatte, also einen straton allothroon, ein „fremdländisches Heer“ (Hdt. 1,78,3), befehligte.⁶⁷ In der lydischen Reitertruppe nun dienten neben Lydern auch Angehörige des ionischen Adels, so etwa aus Kolophon (Polyain. 7,2,2). Ihr Ruf war weit verbreitet, ja wurde später sprichwörtlich. Wo immer die kolophonische Reiterei auch eingesetzt wurde, sie entschied die Schlacht (Strab. 14,1,28). Die vielen pferdegestaltigen Votivgaben im Heraion von Samos stammen von diesem ionischen (und lydischen?) Reiteradel. Darstellungen von Reitern sind in der griechischen Kunst noch um 700 v.Chr. sehr selten. Umso wertvoller, vielleicht auch wertvoll für unsere These von der exzeptionellen Rolle der Reiterei, ist daher ein Fund aus Sardes. Von einer zertrümmerten Terrakotta-Statue ließ sich immerhin noch so viel zusammensetzen, dass Kopf und Brust eines wohl sitzenden lydischen Reiters deutlich zu erkennen sind. Er trägt eine rote Kappe aus Filz oder Leder, ein rotes mit Riemen befestigtes Wams, über das ein leichter Kettenpanzer gezogen ist, und er trägt einen Bart, merkwürdig, weil unterhalb des Kinns getragen.⁶⁸ Eine geometrische Amphore von der ionischen Insel Paros zeigt uns jetzt sogar eine Abteilung von Reitern, die Schild und Lanze tragen bzw. die Lanze schon zum Wurf erhoben haben. Die Pferde haben weder Sättel noch Steigbügel. Die Füße der Reiter baumeln also in der Luft.⁶⁹ Das gleiche Bild liefern die assyrischen Reliefs aus derselben Zeit.⁷⁰ Allerdings wurde im Assyrischen dem Kampfreiter ein Hilfsreiter beigegeben, dessen Aufgabe es war, die Zügel des
Payne/Wintjes (2016), 38 – 43, vermuten einen teilweise anderen Verlauf des lydisch-persischen Krieges. Sie folgen Polyainos (7,8), der Hinweise darauf gibt, dass Kroisos zwar zunächst siegreich geblieben, in einer zweiten, ebenfalls noch in Kappadokien geschlagenen Schlacht aber dann unterlegen sei. Das soll besser erklären, warum er sich nach Lydien zurückziehen musste. Hanfman (1972), 144 f. mit Abb. Eine eingehende Untersuchung des Stückes steht aus. P.N. Zapheiropoulou, in: ArchEph 2000, 200 f. Mayer (1978).
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4 König, Heerwesen und Verfassung
Hauptkämpfers zu halten, damit dieser die Hände zum Bogenschuss oder zum Lanzenstoß frei hatte. Trotzdem! Wie man ohne Sattel und Steigbügel überhaupt auch nur eine Lanze schleudern konnte – vom Reiten einer Attacke kann erst in der Neuzeit die Rede sein –, bleibt wohl für immer ein Geheimnis dieser ReiterAkrobaten. Ob wir in den apokalyptischen Reitern im Buch Ezechiel (Ez 38 – 39, vgl. Offenbarung 20,8 – 9), die mit Pfeil und Bogen, aber auch mit Schild und Schwert ausgerüstet sind, Lyder sehen dürfen, ist schwer zu erraten. Es handelt sich um eine Textcollage zum Thema endzeitlicher Ansturm einer nördlichen Macht. „Der Feind aus dem Norden“ ist alter Traditionsstoff, der zuletzt von den Propheten Jes 10,17 und Jer 4– 6, dann durch Ezechiel und schließlich durch dessen Schule (ab 550 v.Chr.) noch einmal abschließend aktualisiert und angepasst wurde.⁷¹ Es ist nicht so sehr die Frage, ob der Anführer dieses Reiterheeres, der „Großfürst von Meschech (= Phrygien) und Tubal (= Tabal)“ (Ez 39,1), Gog, tatsächlich den Lyderkönig Gyges meint oder nicht.⁷² Denn der Name Gog/Gyges muss nicht in jedem Falle individuell sein, sondern kann auch als Appellativum verstanden werden, nämlich als Titel für jeden lydischen, ja sogar für jeden altanatolischen Herrscher.⁷³ Theoretisch wäre auch der Phrygerkönig Midas denkbar. Aber dessen Zeit war längst vorbei. Bleiben wir bei den Lydern. Das Bild von Gog ist verworren. Soviel ist klar. Gog ist ein Reiterkrieger an der Spitze eines Reiterheeres, aus vielen Völkern gebildet. Ihm wird geweissagt: „Und du wirst heraufziehen wie das Unwetter“ (Ez 38,9). Eine reale Bedrohung Jerusalems durch die Lyder hat es nie gegeben. Kroisos hat aber mit seinem Vorhaben, Kappadokien zu okkupieren, immerhin der Ezechiel-Schule eine Vorlage geliefert, die ins Endzeitliche verlängert werden konnte. Nicht ganz unwichtig ist die Frage, was mit Kappadokien, dessen ältere Lautform in altpersich Katpatuka vorliegt, gemeint ist. Denn wenn das gleiche Land gemeint sein sollte, das zur Hethiterzeit Kizzuwatna geheißen hatte, eine südlich vom Oberen Halys gelegene Großlandschaft, könnte die Sache doch noch auf Kroisos zulaufen (dazu Teil 6). Kroisos verlor aber Kappadokien gleich wieder, und bald darauf sein ganzes Reich. Der Endredaktor von Ez 38 – 39 schaltete möglicherweise daraufhin um, indem er aus einer Gerichtsverkündigung über Israel eine Heilsankündigung machte, und zwar
Hossfeld (2016). Im Jahr 573/72 v.Chr. (Ez 40,1) stellt Ezechiel seine Tätigkeit ein. Erst danach kann die Schule mit der Redaktion begonnen haben. Gyges bedeutet etymologisch „Großvater“ (vgl. lyk. xuga- ‚Großvater‘). In den altanatolischen Sprachen war es ganz üblich, Verwandschaftsbezeichnungen auch als Individualnamen zu verwenden. Individualnamen können aber immer zu Titeln werden, wie z. B. lat Caesar. In dieser Sache immer noch zu konsultieren ist der klassische Ezechiel-Kommentar von Zimmerli (1979), 921– 975, bes. 952 zu Ez 39,4.
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4.5 Die einzelnen Waffengattungen
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nur durch Anfügung eines Epilogs (Ez 29,25 – 29). So könnte es gewesen sein, aber auch anderes lässt sich denken. Die lydisch-ionische Reiterei dürfte viele Anregungen anderer Nationen des Vorderen Orients aufgenommen haben, so etwa die für die Herstellung des zum militärischen Reiten notwendigen Pferdegeschirrs. Dass die Assyrer allerdings die tierquälerische Kandare erfunden, so J. Boardman,⁷⁴ und verbreitet hätten, ist durch nichts zu erweisen, wenn sie denn überhaupt antiken und nicht vielmehr erst neuzeitlichen Ursprungs ist, als man die Kavallerie Attacken reiten hieß. Assyrien ist sicherlich als eine Lehrmeisterin unter anderen zu denken, doch ist unklar, in welchem Maße neben dem späthethitischen „Großkönigtum“ Tabal (s. unten) vornehmlich die Urartäer zur Entwicklung der regulären Reiterei ihren spezifischen Beitrag geliefert haben. Urartu ist allerdings vermutlich nicht deswegen von Bedeutung, weil es in konfliktreichen Kontakten zu iranischen Reitervölkern wie den Kimmeriern und Skythen stand, auch wenn wir nicht wissen können, ob sie von diesen Impulse zur Ausbildung der Reiterei empfangen haben oder nicht.⁷⁵ Entscheidend dürften diese Impulse aber wohl nicht gewesen sein. Jedenfalls aber mussten die Urartäer lernen, wie den Steppenreitern wirksam zu begegnen war, nämlich indem sie eine exzellente Reiterei aufbauten und diese zusammen – und darauf kommt es an – mit anderen Teilstreitkräften, selbst die Streitwagen sind nicht auszuschließen, operieren ließ.⁷⁶ Von Urartu aus ließe sich auf jeden Fall ein Technologietransfer über Tabal, Tyana und Gordion nach Sardes ebenso problemlos erklären wie von Assyrien aus.⁷⁷
Die Reiterschlacht des Wasusarma von Tabal Kommen wir nun zu Tabal, einer Landschaft südlich des Oberen Halys, in Richtung Karkamis gelegen. Hier ist die hieroglyphen-luwische Felsinschrift von
Boardman (1981), 79 ff. Wir wissen allerdings aus babylonischen Quellen, dass unter Nebukadnezar II. Pferd und Reiter die „kimmerische“, d. h. wohl skythische, Bewaffnung trugen, vgl. CT 22,105. Eine urartäische Bronzegravierung aus dem Ruinenhügel von Karmir-Blur (südlicher Stadtrand von Eriwan) zeigt diese Waffenkombination; Abb. bei Wiesner (1963), 109. Hier konnten Bronzeköcher und Pferdeschmuck mit Inschriften urartäischer Könige geborgen werden. Alyattes soll Skythen, die den Medern entkamen, als hiketai ‚Schutzflehende‘ bei sich aufgenommen haben.Was hätten die Lyder von ihnen lernen können? Vermutlich nicht viel. Die lydischen Reiter hielten Lanzen, die skythischen den Bogen (Hdt. 1,73). Über die politischen Beziehungen Urartus zur Zeit des Midas von Phrygien s. Salvini (1995), 100 f.; Starke (2001a), der nicht so sehr Kimmerier und Skythen als vielmehr Urartu und das luwische Tabal als maßgeblich für die Entwicklung zur Reiterei ansieht.
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4 König, Heerwesen und Verfassung
Topada von großer Bedeutung.⁷⁸ Sie beginnt wie folgt: (§1) „Wasusarma, Großkönig, Held, Sohn Tuwatis,…“. Wasusarma regierte ca. 740 – 730 v.Chr. In der langen Inschrift geht es im narrativen Teil (§§3 – 30) um einen großen Reiterkrieg. Gegner sind „der (Mann) von Parzuta“ und seine acht verbündeten Könige. Wasusarma spricht nicht ohne Stolz (§19): „Meine königliche Reiterei aber, die Erste unter den Ersten …“. Ihr sei der Sieg zu danken Das Fußvolk des Gegners wird nur einmal erwähnt, das eigene überhaupt nicht. Da der Krieg drei Jahre dauerte, waren Fußsoldaten aber unabdingbar beteiligt, wo aber Fußvolk aufmarschiert, kann der Streitwagen nicht fehlen, auch wenn der Prozess seiner Ablösung in Kleinasien weiter fortgeschritten erscheint als in Assyrien. Schon hier sei auf die Reiterkriege des Alyattes und des Kroisos hingewiesen, die teilweise in der gleichen Gegend ausgetragen wurden (s. Teil 6). Bei Homer sehen wir sozusagen eine transitorische Augenblicksaufnahme: In der Ilias (10,431) werden die Phryger schon hippomachoi ‚Pferdekampfreiter‘(vgl. PN Il. 12,189) genannt,⁷⁹ während die doch weiter im Westen wohnenden Maioner (Lyder) und Paionier noch als hippokorystai ‚mit Pferdewagen gerüstet‘ bezeichnet werden..⁸⁰ Das kann entweder im Sinne eines echten Nebeneinanders beider Waffensysteme interpretiert werden oder so, dass Homer die Phryger, die in Wirklichkeit erst nach dem Troianischen Krieg auftraten und daher bereits ein Reiterheer hatten, nachträglich in sein spätbronzezeitliches und daher von Streitwagen geprägtes Gemälde eingefügt hat. Jedenfalls ist die Reiterei bei aller Dominanz keine Allzweckwaffe geworden. Zur Eroberung von Städten war sie ebenso ungeeignet wie schon früher der Streitwagen. Dafür war die Reiterei beherrschend in der Ebene, überraschend schnell, um einen Überraschungsangriff zu führen und beweglich genug, um in Notfällen auch Grenzen in unwegsamem Gelände wenigstens provisorisch abriegeln zu können.
Hawkins (2000), I/2, Inscr. X Tabal 12. TOPADA (S. 452 ff.), jetzt neu bearbeitet und kommentiert von F. Starke, in: Ehringhaus/Starke (2014), 33 – 40. Maßgeblich, aber folgenlos blieben die beiden Beiträge von Cancik (2002), und zwar einmal zur hethitischen und dann zur luwischen Historiographie, beide Beiträge haben den Untertitel: „Geschichtsschreibung vor den Griechen“. Wie schwierig es ist, beim griechischen Hippomachos zwischen Wagenkämpfer und Reiterkrieger zu unterscheiden, zeigt Plath (1994), 280 f. Hom. Il. 2,1; 24,677, als Epitheton in Il. 16,287; 21,205. Seit 713 v.Chr. stand Midas in direktem Kontakt mit Tabal und Urartu; s. Salvini (1995), 98 f. Midas könnte also die Reiterei in Phrygien begründet haben.
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4.6 Verfassung
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4.6 Verfassung Wir stellten fest, dass die Reiterei den Kern altorientalischer Heere der Zeit und so auch des lydischen ausmachte. Aristoteles, der eine innere Gesetzmäßigkeit zwischen Heeresmacht und Staatsverfassung aufgedeckt zu haben glaubte, verknüpfte die Reiterei mit der oligarchischen Verfassung, der „ersten Verfassung nach der Königszeit“ in Hellas. Denn die Pferdezucht war kostspielig, nur wenige konnten sich so etwas leisten, nämlich nur die gnorimoi, die Adligen; diese aber herrschten, weil die Städte noch schwach waren. „Als diese aber wuchsen und die Schwerbewaffneten (hoplitai) sich mehr geltend machten“, kam es zur Ablösung der Adelsherrschaft durch die Demokratie.⁸¹ Einmal abgesehen davon, dass Aristoteles hier als generalisierender Staatstheoretiker spricht, dem außerdem ein verständnisvolles Interesse für die vorderorientalische Monarchie nicht gegeben war, stellt sich die Frage, ob wir auch ohne Aristoteles zu dem Ergebnis gekommen wären, dass die Reiterei der monarchischen Verfassung Lydiens ein oligarchisches Element beimischte? Wir müssen bekennen, dass wir erst durch Aristoteles Zusammenhänge erkannten, die dann wegweisend für den Fortgang der Arbeit geworden sind. So gab Aristoteles den Anstoß, die Reiterei nicht nur unter dem Aspekt der Verfassung in den Blick zu nehmen, sondern auch zu fragen, ob sein „Gesetz“ Gültigkeit auch über Griechenland hinaus habe. Nun lässt sich aber, was Lydien angeht, eine oligarchisch-monarchische Mischverfassung aus den wenigen Quellen zur lydischen Reiterei nicht einfach herleiten. Archäologische Daten, die wirtschaftsgeographisch ausgewertet werden könnten, fehlen. Die Relation von Dörfern zu Städten oder das Verhältnis von Landwirtschaft zur Viehzucht bleiben unbestimmbar, von Herrensitzen lydischer Großer lesen wir nichts.⁸² Namen von Oberen der Reiterei wie überhaupt von Inhabern hoher Ämter, wie wir sie in der schon erwähnten Topada-Inschrift sogleich kennenlernen werden, fehlen in Lydien. Es stellte sich dann beim Experimentieren heraus, dass die Anwendung des aristotelischen Gesetzes auf Assyrien völlig versagen würde. Es gibt folglich kein aristotelisches Gesetz, sondern nur eine Hypothese, die bestimmte Tatbestände in Griechenland, aber vielleicht auch noch in Lydien erklären kann. Die Vergleichbarkeit beider Länder liegt denn auch einmal in der Ähnlichkeit des Natur- und Aristot. pol. 4,1289b35 – 40; 4,1297b17– 28. Die beiden Stellen müssen zusammengeführt werden, denn sie ergänzen sich gegenseitig und dienen so dem besseren Verständnis der Sache, um die es Aristoteles geht. Interessant ist Herodot, der sagt (4,46,3), dass nicht die vom Ackerbau lebenden, sondern die viehzuchttreibenden Skythen die bogenschießenden Reiterheere (hippotoxotai) stellten.
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4 König, Heerwesen und Verfassung
Lebensraums, in Klima, Niederschlagsmenge sowie im ganzen morphologischem Bau der Landschaft. Man kann Anatolien mit guten geographischen Argumenten als eine „Halbinsel Südeuropas“ (E. Wirth)⁸³ ansehen. Abweichend von Griechenland ist vielleicht nur die größere Zahl von Flüssen, die aber hier wie dort für die Schifffahrt nicht genutzt werden konnten. Furten und Fähren – Brücken waren seltener – lassen die Flüsse in Anatolien eher als Verkehrshindernisse erscheinen. Auch die tief ins Land einschneidenden Buchten sind in diesem Sinne zu nennen. Das lydische Heer benötigte mehr als fünf Tage, um die Wegstrecke Sardes – Milet hinter sich zu bringen. Denn einen direkten Weg gab es nicht. Wenn man die kleinräumig tief zerschnittenen Einzellandschaften Lydiens mit den großen Ebenen Syriens und Mesopotamiens vergleicht, die sich bis in das metropolitane Assyrien hinein erstrecken, so wird der Unterschied klar. Die Kleinlandschaften Lydiens ließen den Aufbau eines großflächigen Territorialstaates nur schwer zu, dagegen beförderten die Tiefländer Mesopotamiens, die Ackerebenen Syriens sowie die syrischen Steppengebiete im Übergang nach Arabien eher den rational und effizient geführten Einheitsstaat. Dieser Staat hat in der flächendeckenden Provinzordnung Tiglat-Pilesars III. und der damit verbundenen Deportationspraxis, die, etwas salopp gesagt, dem Auffüllen neugegründeter Provinzen diente, seinen gültigen Ausdruck gefunden. Autokratisches Königtum, Provinzordnung und Reiterei sind in Assyrien aufeinander bezogen und bedingen sich anscheinend gegenseitig. Die naturräumlichen Daten lassen sich nun mit einem anderen Phänomen verbinden. Griechenland und Lydien hatten sozusagen ein schwaches Königtum als ererbt zu eigen. Wir sagten schon, dass das Ethnikon „Lydos“ zwar sehr wohl das Mitglied einer Sprach- und Kultgemeinschaft bezeichnet, aber im engeren politischen Sinne auch den Angehörigen der Sippe (genos) der Mermnaden gemeint haben könnte. Es kann auch von einem „Haus (der Mermnaden)“ (oikia), die Rede sein, was von fern an das aramäische und hebräische bit bzw. bet erinnert (Hdt. 1,25,2). Von Kroisos wird die Sippenzugehörigkeit ausdrücklich vermerkt (Hdt. 1,6,1). Und an einer anderen Stelle sagt Herodot sehr deutlich, dass die Macht in Händen der Mermnaden lag (Hdt. 1,7,1). Die königliche Sippe tritt bei Herodot als Handlungssubjekt kaum in Erscheinung, schon gar nicht in konkreten Personen, allzu sehr ist unser Historiker auf den König fixiert. Etwas anderes, als dass ein König herrscht, und zwar in absoluter Weise, hat Herodot zeitlebens nie erfahren. Die hieroglyphen-luwischen Inschriften von Karkamis und Topada kannte er natürlich nicht. So musste für Herodot die Geschichte der Könige mit der lydischen Reichsgeschichte identisch werden.
Wirth (1981), 225 f.
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4.6 Verfassung
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Wie soll man sich das Verhältnis zwischen König und Sippe in Lydien institutionell geordnet vorstellen? Da Lydien sprachlich und religiös (s. Teil 2) in altanatolischer Tradition stand, ist es legitim, mit dieser Möglichkeit auch hinsichtlich der Verfassung zu rechnen. Blicken wir daher nach Hattusa. Nach Auffassung von F. Starke besitzen wir mit dem sog. Erlass oder Dekret des Königs Telipinu (um 1500 v.Chr.) in Wirklichkeit eine schriftliche Verfassungsurkunde,⁸⁴ die der königlichen Sippe (pankur), welche im politischen Organ des pankusichtbar wird, verfassungsmäßigen Rang zuerkannte und ein Mitspracherecht in entscheidenden Fragen einräumte.⁸⁵ Das sei der spezifische und einmalige Beitrag der Hethiter zur Verfassungsgeschichte der Antike und weit darüber hinaus. Wir möchten aber nun noch einen Schritt weiter gehen. Bereits das hurritische „Epos der Freilassung“, das sprachlich aus dem 17. Jh. v.Chr. stammt⁸⁶ und um das Jahr 1400 mit einer hethitischen Übersetzung versehen wurde, berichtet nämlich davon, dass Meki, der König („Stern“) der mächtigen Stadt Ebla in Nordsyrien sich gegen seine Ratsversammlung nicht durchsetzen kann. Das zeigt die bedeutende Stellung dieser Versammlung in der Verfassung von Ebla, die ihre Beschlüsse auch gegen den Willen des Herrschers – Monarch wäre hier das falsche Wort – durchsetzen kann. Meki möchte nämlich eine Gefangenenschar freilassen, aber die Ratsversammlung unter Führung des „gewaltigen Redners Zazalla“ entscheidet sich dagegen, und zwar mit dem Argument, dass man ja dann keine Diener mehr haben würde: „Gesetzt den Fall, wir lassen jene fort, wer wird uns aber zu essen geben? Mundschenken (sind) sie uns einerseits, andererseits geben sie uns das Geschirr heraus. Köche (sind) sie uns“ (KBo 32.15 col. II 26′–28′, Neu [1996], 293). Und an den König ergeht die wenig respektvolle Aufforderung: „Wenn dir die Freilassung aber [am Herzen liegt], dann lass zuerst deinen Sklaven, deine Sklavin frei! Deinen Sohn gib weg!“ (KBo
KBo 3.1 col. I u. II (Präambel). Die Verfassung wurde unter Telipinu um 1500 v.Chr. schriftlich fixiert. Neun Exemplare in hethitischer und zwei in akkadischer Sprache sind aus dem 13. Jh. v.Chr. überliefert, was bedeutet, dass sie bis zum Ende des Reiches gültig blieb. Im Schlusssatz der Präambel (KBo 3.1 col. II 40 – 42) wird versucht, die königliche Sippe zu definieren: „Wer immer nach mir König werden wird, seine Brüder, seine Söhne, seine Schwäger, die Leute seiner Familie und ihr Anhang sollen vereint sein!“ Zur Telipinu-Verfassung s. Starke (2002); Klinger (2012), 87 bezeichnet den hethitischen König dagegen als „uneingeschränkt in seiner Macht“, räumt allerdings dem panku- großen Einfluss ein. Herausgekommen ist aber schließlich ein standardisiertes Reich, aufgerichtet an mesopotamischen Formen von Herrschaft, Gesellschaft und Kultur. Über die stark divergierenden Meinungen von Starke („Telipinu-Verfassung“) und Klinger („Telipinu-Erlass“) ist die Diskussion in der Fachwissenschaft noch gar nicht in Gang gekommen. Bearbeitet von Neu (1996), dort S. 2 zur Datierung.
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4 König, Heerwesen und Verfassung
32.15 col. III 3 – 5, Neu [1996], 295).⁸⁷ Die ältesten entsprechenden Dokumente der Hethiter sind über ein Jahrhundert jünger. Es waren also vermutlich die Hurriter Nordsyriens, von denen die Hethiter das Modell der durch die Ratsversammlung eingeschränkten Macht des Königs übernommen haben.⁸⁸ Bleiben wir im Alten Orient und richten unseren Blick zunächst auf die Religion. Deutlich sichtbar wird der Unterschied zwischen Altanatolien und dem übrigen Vorderen Orient, wenn wir auf die Rolle der Götter achten. Im Vorderen Orient sind König und Gott eng aufeinander bezogen. Man spricht sogar – noch abstrakter und allgemeiner – von einer Handlungseinheit des Königs mit dem Nationalgott. Im Falle Hattusas und auch der späthethitischen Staaten (Tabal), denen wir jetzt auch Lydien in gewisser Hinsicht hinzuzählen dürfen, tritt der König anders vor seinen Gott als im übrigen Alten Orient. Natürlich wird man in Anbetracht der vielen Quellen, die ja nicht einem Glaubensbekenntnis, einem Katechismus oder einem dogmatischen Handbuch entnommen werden können, sondern auf konkrete Situationen der Vergangenheit antworten, deren Hintergründe wir oft gar nicht mehr verstehen, jede positive Aussage mit einem Gegenbeleg konterkarieren können. So mag folgender Satz inhaltlich gar nicht so weit von Aussagen im Assyrischen entfernt sein, und doch klingt er atmosphärisch anders: „Der labarna, der König, soll den Göttern genehm sein! Das Land gehört allein dem Wettergott; die Heerschar des Himmels und der Erde gehört allein dem Wettergott. Doch er hat den labarna, den König, zum Verwalter (maniiahhatalla‐) gemacht und ihm das ganze Land Hattusa gegeben“ (IBoT 1.30 Vs. 2– 5, Ü: F. Starke). Der Gesamtsinn der Überlieferung lässt sich aber wohl auf folgende Faustformel bringen: Im altanatolischen Kulturkreis ist der König aufgrund eigener Leistung mit Hilfe der Götter (gr. meta + Genitiv) zu dem geworden, was er ist. Im Zweistromland ist er dagegen allein durch den Willen des Gottes (gr. dia + Akkusativ) zum König bestimmt und bestellt. Es genügt zu erwähnen, dass in Assyrien der König Oberster Priester des Gottes Assur ist. Ob es im Hethitischen ein sakrales Königtum gab, muss wegen begrifflicher Unschärfe offen bleiben. Deutlich wird die Vorstellung vom König als Hirte in der althethitischen Aussage „Das Land Hattusa aber soll in der Hand des Labarna (König) und der Tawananna (Königin) ausgedehnt weiden!“⁸⁹
Der Wettergott droht, falls die Gefangenen nicht freigelassen werden, Ebla die völlige Vernichtung an (Text bei Neu [1996], 383). Dazu kam es dann auch; es handelte sich um die zweite und endgültige Zerstörung von Ebla; die erste war schon um 2150 v.Chr. erfolgt. Die mythologischen Parallelen zum Mythos von der Zerstörung Troias sind beachtlich. Vgl. aus dem Hethitischen die Omenaussage KBo 10.7 col. III 11– 12: „Den König werden seine Großen am Ort der Versammlung (tuliyas pedi) stürzen.“ Text bei Starke (1977), 62.
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4.6 Verfassung
255
Wir haben aber schon im Zusammenhang mit dem Aufbau des Lyderreiches (Teil 3 A) herausgearbeitet, dass der lydische König, hierin vielleicht dem König von Juda vergleichbar, unserer Meinung nach kein absoluter Herrscher war. Um die Vielgestaltigkeit des Alten Orients aufzuzeigen, wie sie sich z. B. in politischen Konzepten niederschlug, ist kurz auf Israel einzugehen, weil nur so auch das Lydische Kontur gewinnen kann.Vergleichbar mit Lydien sind dort am ehesten die naturräumlichen Daten. Die Wurzeln des Königtums waren dagegen in beiden Kulturen ganz unterschiedlich. Der König von Juda war kein unangefochtener Herrscher, von Gottesgnadentum kann keine Rede sein. So sollte der König die Tora lesen, die ihm – jedenfalls in der Auslegung durch die Priester – zu verstehen gab, dass ein Königtum in der Verfassung eigentlich gar nicht vorgesehen ist. Nun hat man zu Recht eingewandt, die Forderung nach einer engen Bindung des Königs an die Tora sei nur Bestandteil eines Verfassungsentwurfs prophetischer „Reformatoren“ (J. Wellhausen), d. h. sola scriptura, sei nur als Konzept für den Weg hin zur Theokratie gewesen. In der Tat. Entscheidend ist aber doch wohl allein schon, dass es eine „Jahweh-Allein-Bewegung“ gab, die zwar nicht antimonarchisch war – dergleichen gab es nirgendwo im Vorderen Orient, auch nicht in Israel –, aber doch glaubte, den König in gewisse Schranken weisen und ihn auf eine bestimmte religionspolitische Richtung verbindlich festlegen zu müssen. Dies geschah, indem man den König auf das neue „Grundgesetz“, auf das (Ur)Deuteronomium, einen Eid schwören lassen wollte, einen Eid, wie Israel ihn von den hethtitischen Staatsverträgen her durch luwische Vermittlung (von Karkamis, über Hamath nach Jerusalem) kannte. Wir wissen nicht, wie stark die deuteronomische Bewegung war, aber ihren Anhängern war es genug, dem Palast bereits hinlänglich deutlich gemacht zu haben, was ihm in Zukunft noch alles ins Haus stehen würde. Zurück zu den Lydern. Begriffe für Erwählung, Berufung, Weihe und Legitimierung durch die Gottheit, oder für Zeremonien wie Krönung und Salbung im Heiligtum, wie sie dem sakralen Königtum zukommen, tauchen im Lyder-Logos gar nicht auf. Man fragt sich, ob Herodot, der nichts von dem, was sich im Tempel an wiederkehrenden Festtagen abzuspielen pflegte, berichtet, wohl weil seine Quellen dazu nichts boten, dennoch trotz aller Verkürzung in der Tendenz etwas Charakteristisches unwissentlich und absichtslos getroffen hat. War Kroisos, der jedenfalls, wenn es nach den Quellen ginge, nie ein Heiligtum betreten hätte, ein aufgeklärter Herrscher über einen säkularen Staat? Mit Sicherheit nicht. Wie ist aber dann sein Verhältnis zu den Göttern? Der Schützer des Königtums war in Lydien ursprünglich sicher, wie in Altanatolien auch sonst, der Wettergott *Tarhunt- gewesen. Er ist bei den Lydern durch Lew-, eine Dialektform des griechischen Zeus, ersetzt worden (s. Teil 2). Wir lesen bei Herodot von Kroisos’ schicksalhafter Beziehung zu Apollon, den Kroisos als Gott der Griechen bezeichnet und
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4 König, Heerwesen und Verfassung
am meisten von allen Göttern geehrt habe (Hdt. 1,90,2). Diese Aussage kann sich nur speziell auf den Apollon von Delphi beziehen, denn nach Ausweis der lydischen Inschriften waren Artemis und Apollon in Lydien zentrale Gottheiten (s. Teil 3 A), so dass Kroisos Apollon an sich nie als griechischen Gott bezeichnet haben kann, allerdings aus Herodots Sicht durchaus. Dagegen stand möglicherweise der König der Lyder als Kriegführer unter dem besonderen Schutz des lydischen Apollon (s. unten zum Titel qaλmu- [palmys]). Dass Kroisos sich nach Herodot den delphischen Apollon als einen individualisierten, personalen, in Maßen auch geschichtsmächtigen Gott vorstellte, wird durch nichts deutlicher als im Vorwurf an ihn, ob es bei ihm Brauch sei, die zu betrügen, die ihm Gutes tun (Hdt. 1,90,2).⁹⁰ Es ist bekannt, dass die Religion des Alten Orients, und wir nehmen das Alte Testament davon nicht aus, den Freiheitsbegriff an sich nicht kannte, dennoch kann man sagen, dass es graduelle Unterschiede im Handlungsspielraum gibt, und dass der hethitische König ein eigenverantwortliches Handlungssubjekt und keine bloße Marionette in Händen der Götter war. In dieser Freiheit, wenn es denn ein Begriff und ein Konzept im Alten Orient für Freiheit gab, ist seine Freimütigkeit begründet. Ein Beleg dafür, wie die Götter direkt angegangen werden, ist die Inschrift des „Großkönigs“ von Tabal, Wasusarma, der in seiner Inschrift von Topada die Götter als Helfer in der Schlacht nicht zuletzt deshalb erwähnt, um sogleich seine Zukunftserwartungen an sie anzumelden. Dies tut er in Form eines Vertrages, wohl weil dieser die Götter im Eid zur Selbstbindung zwingt, so in unserem Fall in der Absicht, dass sie weiterhin dem Wasusarma Unterstützung gewähren (§§31– 38).⁹¹ Den umgekehrten Fall treffen wir in Israel an: Hier ist es Jahweh, der die Initiative ergreift. Er gewährt seinen Bund, „verpflichtet sich selbst und nimmt diejenigen in die Pflicht, denen er seinen Bund (berīt) auferlegt hatte“ (Ex 19; Dtn 7).⁹² Der Vertragsherr ist in beiden Fällen der Wettergott.⁹³ Ein autokratischer Herrscher ist Wasusarma nicht. Wie in Hattusa ist es die Sippe, die den König kontrolliert. Die „königliche Reiterei“ und der „Große der Reiterei“ hätten entscheidenden Anteil am Sieg gehabt, gesteht der Großkönig ein (§18). Und noch einmal, jetzt beide
Eine Parallele für einen Rechtsstreit mit Gott ist eine Stelle aus den „Konfessionen Jeremias“: „Wie ein trügerischer Bach, so bist du für mich, Wasser, auf das kein Verlass ist“ (Jer 15,18). Auch Zeichenhandlungen sind zu beachten (Jer 13;16;18); Kroisos schickt Ketten an das delphische Heiligtum (Hdt. 1,90,3). So nach F. Starke, in: Ehringhaus/Starke (2014), 33 – 40, der vor allem den Vertragscharakter herausgearbeitet hat. Gertz (1998). Jahweh ist natürlich, überlieferungsgeschichtlich bedingt, mehr als nur ein Wettergott, vgl. Müller (2008).
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4.6 Verfassung
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zusammen: der „Großkönig“ und der „Große der Reiterei“, hätten gemeinsam den letzten Angriff des Gegners siegreich abgewehrt. Deutlicher kann ein Zusammenspiel von König und Reiterei kaum zum Ausdruck gebracht werden. Die Reiterei repräsentiert zwar nicht direkt die Sippe, sondern, wenn wir das hethitische Großreichsmodell auf die bescheidenen Verhältnisse von Tabal anwenden wollen, dazwischen geschaltet ist das Verfassungsorgan, der panku-, gebildet in der Hauptsache aus Mitgliedern der königlichen Sippe. Aus dem panku- steigen die „Großen“/die „Vorrangigen“, so etwa der „Große der Reiterei“, in die Regierung auf und nehmen in der Reiterei die wichtigsten Positionen ein. Mit einer ähnlichen Grundstruktur wie in Hattusa und jetzt Tabal haben wir wohl auch in Sardes zu rechnen.
Lydische Königstitel Die lydische Königsideologie bleibt für uns weitgehend im Dunkeln. Nur wenige kleine Mosaiksteine versprechen, den ideologischen Überbau etwas mehr ins Licht zu rücken. Drei oder vier lydische Königstitel – meistens aus der griechischen Nebenüberlieferung –, erwiesen sich nämlich als Reste des Überbaus. Jenseits von griechischer Verfassungsterminologie (wie monarchia, oligarchia) ist mit ihnen bei dem Thema „Heer und Verfassung“ vielleicht ein Stückchen weiter zu kommen. Hier nun die Titel: Lydisch qaλmuś (Nominativ Singular; die deutsche Aussprache wäre: qualmus) mit Variante qaλmλuś, das der Lyriker Hipponax von Ephesos als griechisch palmys wiedergibt (F 1/2 Degani = 3 W). Etymologisch ist der Wortstamm qaλmuaus älterem *kwala-muwa- ‚Heeresmacht besitzend‘ ableitbar. Im Luwischen entspricht ihm kuwala-muwa-.⁹⁴ Das Wort lailas (λαίλας) wird von Hesych mit „ho tyrannos hypo Lydon“ „der Tyrannos/Herrscher/König bei den Lydern“ glossiert.⁹⁵ Im Lydischen dürfte der Nominativ Singular *lailaś gelautet haben. Etymologisch entspricht hethitisch lahhii̭alas. ⁹⁶ Der hethitische Stamm lahhii̭ala- ist von lahhii̭a- ‚zu Felde ziehen‘ abgeleitet und dieses wiederum von
Das Vorderglied enthält ku(wa)la(n)- ‚Armee, Heer(lager)‘, das im Keilschrift-Luwischen und Hieroglyphen-Luwischen belegt ist; Beispiele bei Starke (1990), 234– 237. Vgl. auch Gusmani (1964), 275. Hesych(ios) aus Alexandreia (5. oder 6. Jh. n.Chr.) hat ältere lexikalische Sammlungen ausgewertet. Der Schwund des h, genauer h2, vor altem i̭ entspricht den uranatolischen Lautgesetzen. Im Hethitischen ist das h hier restituiert; s. Oettinger (in Vorb.).
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4 König, Heerwesen und Verfassung
lahha- ‚Feldzug‘. Lahhii̭ala- ist ein echt hethitisches Wort und bedeutet meistens ‚Reisender‘, ursprünglich aber ‚Reisiger‘, ‚Krieger‘, so noch in der Anrede an den hethitischen König (s. unten). Im Lydischen könnte es sich, der Glosse zufolge, um eine Bezeichnung für denjenigen handeln, der die Herrschaft erst durch militärische Gewalt an sich gebracht hat. Somit entspricht griechisch tyrannos funktional lydisch *lailaś und nur formal lydisch trwannaś, dem vermutlichen Beinamen des Gyges (Kukaś; s. Teil 3.1). Das nur im Griechischen überlieferte kandaules gibt ein lydisches Wort wieder, das ein Herrschertitel war. Während man bisher annahm, dass es aus keilschrift-luwisch handawad(i)- ‚Anführer, Herrscher‘ entlehnt sei‘,⁹⁷ ist nun besser ein echt lydisches Wort *kandawla- anzunehmen; vgl. Teil 5 3 (zu gr. kapelos) und Teil 2. Es handelt sich um eine Ableitung von hant- ‚Vorderseite, Front‘ mit dem Suffix dem sozial distinktiven Suffix -wa-;⁹⁸ *handa-wa- bedeutet also ‚der an der Spitze Stehende‘. Andere Ableitungen von hant- sind hethitisch hantezzii̭a- und luwisch hantili- ‚erster, vorderster‘; letzteres bedeutet im Plural ‚Vorrangige‘. Ob sich lydisch *kandawla- (kandaules) und luwisch handawad(i)- ursprünglich auf Militärisches bezogen oder nicht, lässt sich nicht sicher entscheiden. Vielleicht existierte im Lydischen auch noch ein Titel mit Nom.Sg. *trwannaś oder *trwanniš, dessen Existenz wegen hieroglyphen-luwisch tarrawann(i)-, wörtlich ‚der Aufrichtige‘, vermutet werden kann. Es ist möglich, dass es ursprünglich ein Ehrentitel von Heerführern war. Aus diesem lydischen *t(u)rwanna- könnten die Griechen ihr Wort tyrannos ‚Tyrann, Alleinherrscher‘ entlehnt haben; s. insgesamt Teil 3.1. Natürlich wäre es willkommen, wenn diese Titel in einer Form überliefert wären, die eine Bedeutungsdifferenzierung auf synchroner Ebene erlauben würde. Das ist aber nur bei lailas der Fall. Ansonsten bleibt nur die Bedeutungsbestimmung mittels Etymologie. Diese enthält natürlich ein gewisses Maß an Unsicherheit, weil sich theoretisch die Bedeutungen zwischen den Zeiten, in denen die Wörter geprägt wurden, und der Epoche des lydischen Reiches verschoben haben können. Normalerweise pflegen sich Bedeutungen aber nicht sehr schnell zu ändern, so dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Wörter zumindest Teile ihrer ursprünglichen Bedeutungen noch behalten haben. Alle drei oder vier aufgeführten Königstitel scheinen ein kriegerisches Benennungsmotiv oder zumindest zeitweise eine kriegerische Funktion gehabt zu haben. Das mag für den, der die Vorstellung von der „lydischen Genusskultur“ (so J. Latcaz) im Auge hat (s. Teil 4.1), überraschend klingen. Besonders signifikant
Vgl. zur Frage der Entlehnung auch Melchert (2003), 198. Rieken/Sasseville (2014), 308 f.
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4.6 Verfassung
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könnte der Titel lailas/lahhii̭alas sein. Mit lahhii̭ala- wird nämlich der hethitische König Tudhalija II. (ca. 1375 – 1355 v.Chr.) in seiner Funktion als Anführer von Feldzügen angesprochen. Er berichtet: „Als ich, Tudhalija, aus Assuwa heimkam, sagten die Hethiter zu mir: ‚Du, Majestät, unser Herr, bist ein lahhii̭ala-, zur Rechtsprechung bist du nicht imstande‘.“⁹⁹ Wörtlich ist lahhii̭ala- ein ‚zu Felde Ziehender‘, wozu auch die Abstammung des Wortes von hethitisch lahha„Feldzug“ passt.¹⁰⁰ Lahha- ist mit griechisch laos ‚Kriegsvolk‘ etymologisch verwandt im normalen Sinne, was bedeutet, dass die Basis beider Wörter aus dem Indogermanischen ererbt ist. Das Wort laos zeigt also, dass die ursprüngliche Bedeutung der Wortsippe auch in Griechenland im Kriegerischen lag. Lydisch *laila- ist entweder ein genuin lydisches Wort oder wurde früh aus dem Hethitischen entlehnt. Lahhii̭ala- ist ein genuin hethitisches Wort. Es wäre denkbar, dass es zur Zeit der intensivsten hethitischen Feldzüge in Westanatolien, also im 14. oder 13. Jh. v.Chr., direkt aus dem Hethitischen in die lydische Sprache gelangt ist. Möglicherweise war es gerade der Feldzug Tudhalijas gegen das westanatolische Land Assuwa, den er hier erwähnt, bei dem die Lyder das Wort kennenlernten.¹⁰¹ Dies erinnert daran, dass gerade die Namen der beiden Herrscher der hethitischen Großreichszeit, die im Westen besonders aktiv waren, sich später in Westanatolien fortgesetzt finden, nämlich Mursili als „griechisch“ Myrsilos in Lydien und Lesbos und Muwatalli in Karien als „griechisch“ Motylos, der mythische Gründer der karischen Stadt Samylia.¹⁰² Die Übernahme des hethitischen Wortes schließt natürlich nicht aus, dass die Lyder bereits in prähistorischer Zeit, ohne dass sie noch den Begriff lahhii̭ala- besaßen, eine diesem ungefähr entsprechende Vorstellung vom Kriegerkönig hatten.
KUB XIII 9 + XL 62 I 6 – 8 (sprachlich mittelhethitisch): dUTU-ŠI=wa anzel BELINI LÚlahhii̭alas zik nu=wa=ssan hannesnanni hannauwanzi UL tarratta. H.G. Güterbock und H.A. Hoffner, in: CHD, L–N p. 10 übersetzen „you were unable(?)“, aber die Form UL tarratta ist eindeutig Präsens (Medium) und bedeutet „du kannst nicht“. Zu heth. lahha- ‚Feldzug‘ vergleiche man folgende junghethitische Textstelle: KUB XXV 12 col. IV 9 – 13: man LUGAL-us lahhaz zeni URUArinnaz ANA EZEN nuntarrii̭ashas URUHattusi uizzi „Wenn der König von einem Feldzug von (der Stadt) Arinna her in (die Stadt Hattusa) zum Fest der Pünktlichkeit kommt.“ Die Stelle ist typisch, weil die beiden wichtigsten Aufgaben des hethitischen Königs die (erfolgreiche) Kriegführung und die dennoch rechtzeitige Abhaltung der Opferfeste waren. Erst dann folgte die Rechtsprechung. Wie wichtig die Pünktlichkeit bei den Festen war, sieht man am Namen des kurz nach dem Feldzug abzuhaltenden Festes, nämlich eben EZEN nuntarrii̭ashas ‚Fest der Pünktlichkeit‘, ein häufig belegter Begriff. Von Assuwa ist *Aswii̭a abgeleitet, von dem das griechische Wort Asia ‚Asien‘ stammt. Vgl. Adiego (2007), 336. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass der Mythos bis in die Zeit des Auftretens des Großkönigs Muwatalli selbst zurückreicht.
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4 König, Heerwesen und Verfassung
Hattusa – eine konstitutionelle Monarchie? Wir erwähnten bereits, dass Hattusa ein für die historische Zeit vergleichsweise schwaches Königtum besaß, ein Phänomen, das es mit Griechenland teilt. Falls dieses Charakteristikum nicht aus dem Königtum hurritischer Stadtstaaten übernommen worden sein sollte, so könnte es noch aus einer Zeit herrühren, als der König inmitten seiner Sippe, weit abgeschieden von städtischer Kultur und staatlicher Ordnung, wie sie im Vorderen Orient bereits existierte, ohne Schrift und Bürokratie und ohne verfasstes Heerwesen, nicht über die entsprechenden Machtmittel verfügte, um eine Position gewinnen zu können, wie sie für die angehenden Herrscher des Zweistromlandes, denen die zur autokratischen Herrschaftsausübung geeigneten Machtmittel zur Verfügung standen, immer schon als Ziel vorgezeichnet war. Dann brachten die Raubzüge der Herrscher Hattusili I. und Mursili I., die einmal sogar bis Babylon (1531 v.Chr.), vor allem aber nach Syrien führten, reiche Beute nach Hattusa heim, darunter erlesene Kostbarkeiten aus syrischen Heiligtümern. Dadurch bot sich diesen hethitischen Königen und ihren Nachfolgern die Chance, an realer Macht hinzuzugewinnen. In dieser Situation hat aber augenscheinlich die königliche Sippe (panku‐) eingegriffen mit dem Bemühen, die Tradition, den patrios nomos, zu bewahren bzw. wiederherzustellen. Denn es kam noch die Gefahr hinzu, dass der Hethiterkönig in Syrien auf ägyptisches Herrschaftsgebiet traf und an einem absolutistischen Königtum nach Art eines Ahmose (1540 – 1517 v.Chr., Beginn des Neuen Reiches, Gründer der XVIII. Dynastie) und vor allem aber eines Thutmosis’ I. (1496 – 1483/82 v.Chr.) Geschmack gewinnen könnte. Und tatsächlich kam es nach diesen Raubzügen zur sukzessiven Ermordung mehrerer Könige bzw. Kronprinzen, ein Zeichen für den Kampf um die gewachsene Macht in Hattusa.¹⁰³ Diese kritische Situation war es, auf die das sog. Edikt des Telipinu von ca. 1500 v.Chr. explizit reagierte. In Folge dieses Edikts blieb der Großkönig zwar der Chef des Hauses, aber jetzt gewann neben ihm die Sippe der ishes ‚Herren‘, deren inneren Kreis ‚die Großen‘ (sallaes) bildeten, die später ‚die Vorrangigen‘ (hantilies), das sind die Prinzen,¹⁰⁴ genannt wurden, an Macht. Sie bekam nämlich ein Mitspracherecht, und zwar in verbriefter Form. Der König stand nun im Wettstreit und manchmal sogar im Widerstreit mit seiner
Dabei waren luwische Emporkömmlinge im Spiel, s. Yakubovich (2010), 248 – 253. Die Vorrangigen tragen Titel, wie „Großer der Leibgardisten“, „Großer der Wagenlenker“, „Großer der Streitwagenkämpfer“ und viele, auch ganz zivile Titel hohen Ranges, s. hierzu Starke (1996). Dass die Titel nicht den faktischen Kompetenzbereich angeben, sondern dass prinzipiell jeder Vorrangige mit jedem Amt betraut werden kann, selbst einem militärischen, versteht sich von selbst.
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4.6 Verfassung
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Sippe,¹⁰⁵ und er tat gut daran, letzteres tunlichst zu vermeiden und stattdessen immer wieder um Loyalität und Solidarität des panku- zu werben, etwa durch Offenlegung gehegter Pläne und Absichten.¹⁰⁶ Zwar konnte dieser wohl kaum eine offizielle Amtsenthebung eines regierenden Königs vornehmen, aber er wäre praktisch regierungsunfähig und das ganze Reich im äußersten Notstand gewesen, wenn der panku- seine von den „Gründungsvätern“ konstruktiver gedachte Zusammenarbeit dauerhaft destruktiv boykottiert hätte.¹⁰⁷ Nur als richtungsweisenden Begriff gemeint, darf man vielleicht von einer konstitutionellen Monarchie sprechen. Mit Suppiluliuma I. lässt man die hethitische Großreichszeit beginnen (ab ca. 1350 v.Chr.). Das Reich wuchs, und zwar durch Expansion sowohl im Südosten in den syro-anatolischen als auch im Westen in den arzawäischen Raum hinein. Die Königreiche dieser Landschaften wurden aber nicht in den Status von Provinzen überführt, wie es später die Assyrer zu tun pflegten, sondern sie wurden als Gliedstaaten zu einem integrativen Bestandteil des „Landes Hattusa“. Die Könige dieser Gliedstaaten – Karkamis hatte einen hethitischen Kronprinzen zum König – waren ebenfalls im panku- als Vollmitglieder präsent. Die Rolle des Großkönigs ist jetzt die eines primus inter pares, jedenfalls der Tendenz nach.
Von den eingesetzten Mitteln gehörte auch die Zauberei unter den Sippenmitgliedern, §50 der Telipinu-Verfassung. Vgl. Hoffmann (1984). Vor jeglicher Gefährdung von König wie auch vom „Körper des Königs“ (= Staat) hat sich der König durch sog. „Instruktionen“, besser „Treueide“, zu schützen versucht, die vornehmlich die „Vorrangigen“ leisten mussten; bekannt und erhalten sind die Treueide, die anlässlich des Regierungsantritts Tudhalijas IV. ca. 1240 v.Chr. verfasst wurden, s. dazu Starke (1996), 163 ff. Hinzu kamen die sog. „Dienstanweisungen“ oder „Vorschriften“ für Diener des Königs s. etwa KUB XIII 3, dazu Otten/Rüster (1977), 53 f., Nr. 43. Ü: E. von Schuler, in: TUAT I/1 (1982), 24 f. Vgl. auch Oettinger (1976). Auch Kroisos war zur Offenlegung seiner Pläne durch einen verfahrenstechnischen Umstand genötigt, und zwar in Delphi. Er musste ja seine Absichten in die Form einer Anfrage bringen, damit sie an die Pythia gerichtet werden konnte. „Kroisos gab den Auftrag, die Orakel zu befragen, ob er gegen die Perser zu Felde ziehen sollte“ (Hdt. 1,53,1). Allein die Tatsache, dass er das, was er sich in den Kopf gesetzt hatte und sich auch nicht durch das Orakel hätte ausreden lassen, jetzt in Worte fassen und diese an eine Institution ausrichten musste, entfaltete für ihn am bitteren Tag der Eroberung von Sardes ihre heilsame Wirkung. Er war in der Lage, seine Schuld zu akzeptieren. Nur auf dieser psychologischen Funktionsebene war der Vergleich zwischen einem hethitischen König und Kroisos gedacht. Denn der panku- ist kein Orakel, sondern ein Verfassungsorgan. Cancik (1993).
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4 König, Heerwesen und Verfassung
Kroisos setzt sich über den patrios nomos hinweg Nun wieder zu den Lydern. Auch im Lyderreich lassen sich, wie wir glauben, noch zwei Schalen der Verfassung erkennen. Einmal die äußere Schale: Der König als Bündnispartner der Ionier und anderer Griechen, wie vor allem der Spartaner sowie der Ägypter und Babylonier, wäre also, dem Schema zufolge, als primus inter pares anzusprechen. Zugleich, und das wäre die innere Schale, ist der König Chef der Mermnaden-Sippe. In dem theoretisch postulierbaren Verfassungsorgan, dessen Namen wir nicht kennen, das aber dem hethitischen panku- entsprechen würde, sitzen die Mitglieder der königlichen Sippe, die „Großen“.¹⁰⁸ Wenn Herodot sagt, dass die Macht in den Händen der Mermnaden lag, dann könnte das ungefähr dem entsprechen, was der Hethiter im Sinn hatte, wenn er sagte, dass der panku- das „ganze Land Hattusa“ (Hattusas udne human) repräsentiere. Für diese innere Schale möchten wir trotz der Gefahr, hier dem Systemzwang folgend eine Überzeichnung der realen Zustände zu betreiben, doch auch die Bezeichnung „konstitutionelle Monarchie“ erwägen. Ein Richtungswechsel trat mit Kroisos ein, und wieder spielt das Heerwesen eine Rolle. Kroisos förderte in extremer Weise, d. h. auf Kosten des Fußvolks, die Reiterei. Er wollte ja nicht wie sein Vater, Alyattes, mit Fußvolk Milet belagern, sondern mit der Reiterei sich den Persern entgegenwerfen. Kroisos machte die Reiterei zur Stütze seiner persönlichen Herrschaft, was vermutlich bedeutet, dass er die Macht der Sippe in seinem Sinne regulierte, indem er nur Leute seines Vertrauens in das Gremium, das dem hethitischen panku- entsprochen haben könnte, beförderte.¹⁰⁹ In diesem Fall hätte er einen Bruch der Verfassung, des lydischen patrios nomos, vorgenommen. Vieles von dem hatte Tiglat-Pilesar III. bereits vorexerziert. Auf ihn ist hier noch einmal ausdrücklich hinzuweisen. Kroisos ließ sich nun gleichzeitig als Gastgeber von sophoi, von „weisen Männern“, feiern. Mit der Liebe zum Pferd – das ist bronzezeitliches, auch altanatolisches Erbe – und mit der Liebe zur Weisheit pflegte Kroisos eine Form des Regierens, die als „aufgeklärte Despotie“ zu bezeichnen wäre, wenn man „Aufgeklärtsein“ nicht im Sinne des 18. Jh. fasst. Unter diesen Weisen war auch Solon. Diesem zeigte Kroisos nicht nur sein Schatzhaus, sondern auch seine ganze Heeresmacht, wohl als Parade in Szene gesetzt (Diod. 9 F4 Cohen-Skalli; aus Ephoros von Kyme). Nun lebte der König nicht nur im Palast, schon gar nicht, um sich von Verfassungsjuristen an die Leine legen zu lassen. Diese bekleideten auch die höchsten Ämter, so Kroisos die Sekundogenitur von Adramytteion und Atys, der Sohn des Kroisos, der das lydische Heer anführte (Hdt. 1,34). Sie gehören in diesen Kreis der „Großen“. Inwieweit die Thronfolgekämpfe zwischen den Söhnen des Alyattes, Kroisos und Pantaleon (Hdt. 1,92), hier hereinspielen, muss offen bleiben.
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4.6 Verfassung
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Das Reich zu erhalten, zu erweitern sowie seinen Reichtum zu mehren, vor allem aber den Erhalt der königlichen Sippe zu sichern, das war Staatsziel und der Auftrag der obersten Götter, des Wettergottes und der Sonnengöttin, an den König und die königliche Sippe von Hattusa. Ähnliches ist für Lydien vorauszusetzen. Das bedeutete, Kriege zu führen, und es ist liegt nahe, ja geradezu in der Natur der Sache, dass der König für die Dauer eines Feldzuges die uneingeschränkte Befehlsgewalt innehatte. Dafür können wir auf die lydischen Königstitel *lailaś und *trwannaś verweisen. Die Etymologie dieser Titel deutet eine charismatische Herrschaft an, wie wir sie schon in der Aufstiegsgeschichte des Gyges am Werk gesehen haben (s. Teil 1 u. unten). Mit dem Bild des „apokalyptischen“ Reiters Gog von Magog hat das Ezechiel-Buch dem Kroisos ein entsetzliches Gesicht gegeben. So tritt er uns auch im syro-anatolischen Kappadokien als gnadenloser Eroberer vor Augen, der die Einwohner von Pteria „in die Sklaverei verkaufte“¹¹⁰ und die Bewohner des Landes, „Syrioi“ genannt, aus ihren Dörfern verschleppte (Hdt. 1,76,2 anastatous, von anhistamai ‚aus dem Boden reißen‘). Grenzüberschreitungen sind im Zusammenhang mit Kroisos immer wieder festzustellen. So erwähnt Herodot in einer seiner Einlassungen anekdotischen Charakters, Kroisos habe beabsichtigt, eine Flotte zu bauen (Hdt. 1,27). Wie historisch belastbar diese Nachricht ist, wissen wir freilich nicht, was wir aber wissen, ist, dass Kroisos ein solches Vorhaben durchaus zuzutrauen gewesen wäre, und auch, dass in der altanatolischen Geschichte niemals vorher eine solche Absicht geäußert worden war. Zwar wollten alle Mächte „das Meer zu Grenzen“ haben (vgl. Telipinu-Erlass §3),¹¹¹ und Hethitern und Lydern gelang dies auch. Für die Hethiter war aber ein griechischer Angreifer ihrer Westküste, der sich vor ihrem Heer auf die Inseln zurückzog, mangels eigener Flotte nicht greifbar, und für die Vorgänger von Kroisos war es ebenso. Kroisos dagegen dürfte Abhilfe geplant haben – dass es dazu nicht mehr kam, ist dem Lauf der Weltgeschichte zuzuschreiben.
Griechische Söldner in lydischer Zeit? Das Thema Söldner kann in einem militärhistorischen Beitrag nicht fehlen. Dass es hier in Ausführlichkeit behandelt wird, hat seinen Grund in der Zurückweisung Gr. andrapodizein „sell the free man of a conquered place into slavery“ (so LSJ s.v., vgl. Thuk. 1,98), das Verbum ist vor Herodot nicht bezeugt. Es ist bei der Übersetzung zu berücksichtigen, dass es im Alten Orient keine echte Sklaverei gab, jedenfalls nicht im griechischen Sinne und schon gar nicht in römischem Ausmaße. Vgl. Hoffmann (1984), 13.
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4 König, Heerwesen und Verfassung
einer weitverbreiteten, beinahe ans Absurde grenzenden Vorstellung, Söldner seien alle, die Kriegsdienste meistens im „Ausland“ verrichteten, und außerdem seien sie als Kulturvermittler zwischen dem Vorderen Orient und Griechenland zu würdigen. Grundlegend für die Bestimmung, wer als Söldner zu gelten hat, ist nicht ein Status, sondern eine bestimmte soziale Lebensform, die man nicht freiwillig wählt, sondern die vom Überlebenwollen diktiert wird. Und auch das gehört zum Söldnertum, dass nicht ein Einzelner der Aussichtslosigkeit zu entfliehen versucht, sondern sich Gruppen bilden. Zu einer Massenbewegung kam es in Griechenland nach Ende des Peloponnesischen Krieges nach 404 v.Chr. Xenophon in seiner Anabasis zählt landsmannschaftlich geordnete Kontingente auf, die sich in der Ebene von Sardes 401 v.Chr. sammelten. Einer antiken Gesellschaft, deren Mitglieder sich den Luxus erlauben, soviel essen zu können, wieviel sie wollen (nach Hdt. 1,71,2),¹¹² unterstellte Herodot, verweichlicht zu sein. Daraus erwuchs das Klischee, eine solche Gesellschaft müsse Sklaven für Arbeiten im Hause und Söldner für Kriege draußen besessen haben. Seien doch die Lyder, und nicht nur sie, sondern fast alle Staaten des Vorderen Orients, außerordentlich reich.¹¹³ Dass die Lyder die Münze erfanden, könne dann nur noch einen Grund gehabt haben, nämlich um Söldner anzuwerben (s. aber Teil 5 3). Wir stellten dann, selbst nicht wenig überrascht, fest, dass Herodot weder der Sklaverei noch dem Söldnertum in seinem Gesamtwerk große Erwähnung tut.Vielleicht hat er mit seiner Einschätzung recht, dass für den Zeitraum vom 8./7. bis 6. Jh. v.Chr., den er wie kein anderer kannte und bearbeitet hat, die Söldner höchstens eine marginale Rolle spielten. In den altorientalischen Quellen fanden sich überhaupt keine Hinweise, die uns zwingen würden, ein Söldnertum oder gar eine Söldnerarmee anzunehmen, mit einer zeitweisen Ausnahme Ägyptens. Und in Ägypten wusste auch Herodot von griechischen und karischen Hilfsvölkern (Hdt. 2,152,5; 3,11, s. Teil 1 „Gyges“).
In diesem für die ethnologische Theoriebildung wichtigen Kapitel Herodots spricht der weise Lyder Sandanis den zur Heerfahrt gegen die Perser sich rüstenden Kroisos mit mahnenden Worten an: „König, du rüstest einen Zug gegen Leute, die nicht essen, wieviel sie wollen, sondern wieviel sie haben …“. Dazu Timpe (1986), 27. Timpe sieht in Hdt. 1,71 (u. anderen Stellen vor allem aus dem Skythenlogos) eine Herodot zu verdankende Bereicherung der bisherigen Ethnologie. Worin der erste Anlass der Vorstellung vom Reichtum der Lyder gelegen haben mag, lässt sich nicht mehr feststellen. Als einer der Verfasser in den sechziger Jahren durch die Gegend der lydischen Hügelgräber fuhr, da betonte der (türkische) Fahrer immer wieder, wie reich die Bauern hier seien („çok çok zengin“). Die Erde des lydischen Kernlandes scheint also sehr fruchtbar zu sein.
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4.6 Verfassung
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Herodot benutzt das zu seiner Zeit, etwa von Thukydides, gebrauchte Wort misthophoroi (Pl.) nicht, auch nicht xenoi, wie Xenophon in der Anabasis (Xen. an. 1,1,10), sondern greift stattdessen – aber auch hierfür liefert er nur sehr wenige Belege –, ein Wort auf, das schon für das Mykenische gebucht ist, nämlich (alphabetgriechisches) epikouros,¹¹⁴ was bei Homer noch den „Bundesgenossen“ der Troer meint (Il. 3,456). Söldner, vor allem Ionier und Karer sowie Bewohner aus den kypro-ägäischen Küstengebieten, welche die Assyrer zu den Jamnaja „Ioniern“ zählten und die Israeliten Kittäer nannten (Gen 10,4; Jes 23,1, nach der Stadt Kition/Kittion auf Zypern) kamen an den Nil und wurden hier in den aktiven Heeresdienst genommen. Wir greifen sie eigentlich nur in ihren Garnisonen an den drei Einlasspforten Ägyptens, wo sie Aufgaben des Grenzschutzes wahrnahmen, aber auch von hier startende Expeditionen der Pharaonen begleiteten. Die berühmteste Garnison war die Nilinsel Elephantine im Süden.¹¹⁵ Weiter nilaufwärts liegt bzw. lag einmal Abu Simbel. Man weiß um die vielen Inschriften in Ägypten von Griechen, Karern und Römern sowie von modernen Touristen, nicht selten sind sie belanglos. In Abu Simbel ist das anders. Hier haben mit deutlichem Selbstbewusstsein griechische Spezialeinheiten eine Inschrift auf das Bein – es ist das linke Bein – einer Kolossal-Statue Ramses’ II. vor dem Tempel von Abu Simbel in Nubien (gr. Aithiopía) gesetzt. Es war ihre Art, auf die überwältigenden Eindrücke, wie sie nur Ägypten mit seinen Denkmälern bietet, zu reagieren. 1224 v.Chr. ist Ramses II. gestorben. Er war also genau 633 Jahre tot, als die Griechen im Jahr 591 v.Chr. hierher gelangten.¹¹⁶ Nun zur Inschrift. Der Pharao Psammetichos II., so steht da zu lesen, sei nach Elephantine gekommen. Das war 591 v.Chr., wie französische Ägyptologen aufgrund ihrer spezifischen Quellen errechnen konnten. In Pharaos Auftrag seien von hier zwei getrennte Abteilungen, eine aus „Fremdsprachigen“ (alloglossoi) unter Potasimto, darunter logischerweise Griechen, die andere Abteilung aus Ägyptern bestehend unter dem Kommando eines gewissen Amasis (nicht der spätere Pharao!), gestartet. Sie seien losgesegelt und soweit flussaufwärts ge-
PY An 657.1 e-pi-ko-wo: Oberbegriff für Anführer verschiedener Truppengattungen, die als Küstenwache des Reiches von Pylos Dienst taten. Wenn Herodot die richtigen Söldner meint, sagt er epikouros misthotos (Hdt. 3,45,3 nur diese Stelle, auf Polykrates bezogen). Rohrmoser (2014). Kann man sich vorstellen, dass die griechischen Söldner, die sog. Zehntausend der Anabasis des jüngeren Kyros von 401 v.Chr., auf Bild und Felsinschrift Hattusilis III., eines wichtigen Vertragspartners Ramses’ II., ein vergleichbares Signet gesetzt hätten? In der Anabasis des Xenophon wird nicht einmal Kroisos erwähnt, der nur 150 Jahre zuvor ebenfalls von Sardes aus, damals aber gegen den großen Kyros, zu Felde gezogen war. Das Interesse von Söldnern ist sehr begrenzt.
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4 König, Heerwesen und Verfassung
fahren, wie der Fluss dies zugelassen habe.¹¹⁷ Die Inschrift lässt nicht den Verdacht aufkommen, dass der ägyptischen Führung die Kontrolle entglitten wäre. Ganz im Gegenteil. Man gewinnt den Eindruck, dass die Griechen mit Stolz erfüllt waren über das, was sie gemeinsam mit den Ägyptern erreicht hatten. Ein guter Schuss Patriotismus glauben wir, ist dieser Inschrift beigegeben, aber keine Spur von Nationalismus. Wie alles auch ganz anders ausgehen konnte, dafür liefern uns erst Quellen aus persischer Zeit einschlägiges Material. Das Zusammentreffen von Griechen und Persern brachte Probleme mit sich, die der Alte Orient bis dahin nicht kannte: die starke Betonung des Nationalen sowie bei den Persern der Verweis auf ihr Ariertum.¹¹⁸ Der Begriff arya-, mit dem die miteinander verwandten Völker der Iranier und Inder sich selbst bezeichneten, bedeutet wörtlich „die Gastfreundlichen“. Konkret war das Ariertum dann durch die Gemeinsamkeit der indoiranischen (arischen) Dialekte bzw. Sprachen sowie gemeinsame Abstammung definiert. Zu diesen arische Sprachen sprechenden Völkern zu gehören, war Anlass zum Stolz, wie die altpersischen, avestischen und altindischen Texte zeigen. Normalerweise kamen die Bewohner von Ländern, die weit über 1000 km voneinander entfernt wohnten, so wie Griechenland und die Persis, nicht miteinander in engen politischen Kontakt. Bei Griechen und Persern war dies aber plötzlich geschehen, was zur Folge hatte, dass man sich gegenseitig in den meisten Fällen als außerordentlich fremd und im weitesten Sinne unverständlich empfand. Aufschlussreich für diese griechische und persische Sonderheit ist die Schrift Xenophons Anabasis, in der historisch ephemere, aber kulturgeschichtlich denkwürdige Ereignisse der Jahre 401– 400 v.Chr. dargestellt werden. Kyros d.J., karanos („Oberbefehlshaber“) über ein Gebiet fast in Grenzen des ehemals lydischen Reiches, sammelte in Sardes ein Söldnerheer (xenoi) aus Griechen, um zusammen mit seinen Persern (600 Reiter) gegen seinen eigenen Bruder und zugleich regierenden Großkönig zu Felde zu ziehen, der den Thronnamen Artaxerxes II. Mnemon (404– 359/8 v.Chr.) trug. Das Unternehmen stand von Anfang an unter keinem günstigen Stern. Beim Abmarsch von Sardes wurde der Wille der Götter nicht erkundet, ihr Segen nicht erbeten, keine Opfer ihnen dargebracht. Nichts geschieht zwischen Griechen und Persern gemeinsam. In Theologie, Religion und Kult waren die Unterschiede unüberbrückbar. So waren den Persern
GHI 7. Homaimos ‚blutsverwandt‘, kommt in der Anabasis zwar nicht vor, wohl aber bei Herodot (1,151,2; 8,144,2,; vgl. 5,49,3), den Xenophon als literarisches Vorbild nimmt. Bei den Persern ist auf die starke Betonung der Könige auf ihr Ariertum zu verweisen. Die Arier sind keine Sippe wie die Gruppe der hethitischen Hattusumenes, die das genaue Gegenteil von homogener Ethnizität darstellten.
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4.6 Verfassung
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Brandopfer (s. Glossar) nicht erlaubt – Zarathustra hatte die blutigen Opfer abgeschafft –, während der gesamte Vordere Orient und auch die Griechen spätestens seit der frühen Eisenzeit die Praxis des Brandopfers pflegten. Der griechische Verband brachte daher auch seine Opfer abseits von den Persern für sich gesondert dar.¹¹⁹ Kyros d.J. machte nicht einmal den Versuch, zu mehr Gemeinsamkeit zu kommen, wollte es vielleicht auch gar nicht, statt dessen benutzte er die Griechen, um seine Perser als unkriegerisch bloßzustellen; vornehmlich ging es ihm darum, sie einzuschüchtern, nur damit sie bei der Stange blieben. Denn er brauchte sie als Unterpfand des ideologischen Anspruchs wegen, für die persische Sache zu kämpfen. Bei der Lektüre des ersten Buches gewinnt man fast den Eindruck, als führe die Anabasis durch geschichtsloses Land. Städte, Land und Leute kommen kaum in den Blick. Stattdessen langweiliges Lagerleben sowie Heeresversammlungen nach demokratischem Ritual. Mussten doch die Strategen, die kein überkommenes Amt bekleideten, in ihrer Führerschaft legitimiert werden. Die Griechen glaubten sich nicht durch die Götter zu diesem Feldzug berufen und ihnen rechenschaftspflichtig zu sein; sie hatten eine Aufgabe zu erledigen, das war ihr Job, mehr nicht. Darüber hinaus scheinen sie sich nur für Märkte und für die „Kantine“ (O. Lendle),¹²⁰ die von Lydern betrieben wurde, interessiert zu haben.¹²¹ Durch Verschleierung des wahren Kriegsziels aber sowie durch Engpässe bei den Soldzahlungen fühlte Kyros sich nicht imstande, mit Entschiedenheit und Offenheit vor einer griechischen Heeresversammlung sich zu erklären, nicht zuletzt im Hinblick darauf, wie er sich eine griechisch-persische Kooperation bei drohender Feindberührung vorstellte. Als diese sich plötzlich bei Kunaxa einstellte, erwartet und dann doch unverhofft, gab es keine feste Schlachtordnung, sondern nur ein Chaos. Kyros setzte wohl in einem Akt der Verzweiflung zu einer direkten Attacke auf den Großkönig an, aber nicht dieser, sondern Kyros fällt. Mit seinem Tod war die Schlacht schon verloren, bevor sie für die Griechen richtig begonnen hatte. Die Gründe für das Scheitern der Expedition mögen vielfältig sein, im Widerstreit der beiden Nationen sehen wir den eigentlichen Grund. Bei der Lektüre der Anabasis, die sehr eingängig ist, die beschreibt, wie sich ein rein praktisch orientierter Mensch in der Welt verhält, und die nicht einmal den Versuch macht, eine Wahrheit hinter den Erscheinungen zu suchen, haben wir zu
Popp (1957), 39 – 57 zu den blutigen ‚Opfern‘ (sphagia) beim Auszug und vor der Schlacht. Lendle (1995), 107; 155 u. ö. Das Interesse für Land und Leute wuchs erst mit dem Rückzug, der durch Armenien ans Schwarze Meer führte. Hier hat Xenophon in lebendiger Anschaulichkeit, die ihresgleichen in der ethnographischen Literatur der Antike sucht, kulturgeschichtlich wertvolle Beobachtungen verarbeitet.
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4 König, Heerwesen und Verfassung
bedenken, dass Xenophon unsere einzige Quelle ist. Er schreibt für Griechen, für Athener und Spartaner, ihnen erklärt er sich rechtfertigend. Er sieht nicht, dass mit den Söldnern ein Denken wirksam wurde, das der Vordere Orient bislang nicht kannte, nämlich den Nationalismus. Der Sieg über die Perser 480 v.Chr. und dann der langjährige Peloponnesische Krieg (bis 404 v.Chr.) haben den Weg dazu gebahnt. So kann Klearchos, der strategos des größten griechischen Kontingents, eine Meuterei der Söldner beenden, indem er am Schluss seiner Rede sagt – von Xenophon dramatisch in Szene gesetzt –, er wäre bereit, dem Kyros die Freundschaft zu entziehen und die Partei der Griechen zu ergreifen. „Niemals wird jemand sagen, dass ich die Griechen verraten und die Freundschaft mit den Barbaren vorgezogen hätte“ (Xen. an. 1,3,5). Klearchos verschweigt, dass die Aufkündigung der Freundschaft den Verrat an Kyros implizierte. Im Folgenden stellt sich heraus, dass nichts ernst gemeint, sondern alles nur inszeniert war, in der Absicht, seinen Soldaten ein schlechtes Gewissen einzureden. Aber allein schon die Tatsache, dass man die Freundschaft auf sophistische Weise zur Disposition stellen konnte, spricht für die Unwilligkeit, dauerhafte Bindungen einzugehen und sie auch dann einzuhalten, wenn sich ein Nutzen nicht mehr erkennen ließ. Als ihr Surrogat stellt sich in der Anabasis der Nationalismus ein. Um zum nächsten Kapitel überzuleiten, ist es notwendig, die Inschrift von Abu Simbel mit Xenophons Anabasis zu vergleichen. Das kann nur im Hinblick auf die Söldner geschehen, da beide Quellen schon vom Umfang her nicht vergleichbar sind, so dass weitere Kontrastierungen gar nicht möglich wären. Auffällig ist schon die Anzahl der beteiligten Kämpfer hier und da, die extrem weit auseinander liegt. Sodann sei ein Blick auf die Anführer gelenkt. Da ist auf der einen Seite Klearchos, ein Spartiate, der den See- und Landkrieg gleichermaßen beherrschte, ein schroffer, harscher Krieger, der von Jugend an den Kampf gewohnt war und sich jetzt, als man die Athener im sog. Dreißigjährigen Krieg 404 v.Chr. besiegt hatte, als Söldner in einer windigen Sache verdingte, als Stratege aufrückte und eine militärische Großeinheit von Söldnern befehligte. Ganz anders war die Situation 200 Jahre zuvor in Abu Simbel. Der griechische Verfasser der Inschrift lässt literarische Bildung vermuten. Er trägt einen ägyptischen Namen, Psammetichos, wohl nach dem Pharao, der als erster griechische Kämpfer ins Land geholt hatte, Psammetichos I. (664– 610 v.Chr.).Von nationalistischem Geist ist nichts zu spüren. Die Bindung der Kämpfer an den Herrscher ist enger, das Interesse am Land und seiner Geschichte größer. Entstammen die Söldner des Klearchos einer anderen sozialen Schicht als die des Psammetichos?
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4.6 Verfassung
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Kroisos und sein stratos xeinikos – ein griechisches Söldnerheer? Zurück zu den Lydern. An zwei Beispielen haben wir zwei verschiedene Typen von griechischen Kämpfern kennengelernt.Welcher davon stand Kroisos zu Diensten? Wo und wie sich die lydische Reiterei zum Feldzug versammelte und mit dem Fußvolk vereinigte, wissen wir nicht. Von Fußvolk ist zunächst auch gar nicht die Rede. In der fürchterlichen Schlacht, wie Herodot sich ausdrückt (1,76,4), die im Gebiet von Pteria gegen die Perser geschlagen wurde (s. Teil 6), hielten die Lyder stand, und das trotz persischer Überzahl. Kroisos war sogar des Glaubens, das Heer des Kyros so sehr geschwächt zu haben, dass er sich entschloss, den stratos xeinikos, von dessen Existenz wir erst hier hören, aufzulösen und wegzuschicken.¹²² So überliefert es jedenfalls Herodot. Dass nach Abschluss einer Kampagne Teile des Heeres entlassen wurden, haben wir im Falle von Sargons UrartuFeldzug gesehen, kam also offenbar öfter vor. Und wäre auch hier normalerweise geboten. Denn Kyros würde sich so schnell nicht wieder blicken lassen, und außerdem konnte man zu Frühlingsbeginn mit der Ankunft des spartanischen Heeres in Sardes rechnen, so wird Kroisos gedacht haben. Kyros war aber nicht vorauszuberechnen. Er zog seine eigenen Schlüsse aus dem Verlauf der Schlacht. Nachdem er glaubte, einen unerwartet großen Erfolg errungen zu haben, mochte er sich mit einem Unentschieden nicht mehr zufrieden geben. Er kam zu dem Schluss, schnell gegen Sardes zu ziehen, bevor die Streitmacht (dynamis) der Lyder sich ein zweites Mal versammelt haben würde (Hdt. 1,79,1). Dass die xeinoi im Heer des Kroisos Griechen waren, wird nicht gesagt. Ein griechisches Söldnerheer nach Art der xenophontischen Anabasis von Zentralanatolien aus in seine Heimat zu entlassen, solange der Feind im Land stand, wäre nicht nur unvernünftig, sondern für die ohnehin geschwächten Lyder ein nicht abzuschätzendes Risiko gewesen. Denn wer garantierte, dass diese Söldner friedlich durch Lydien marschierten? Dass griechische Söldner von Kroisos in Dienst genommen wurden, als von Iran her dunkle Wolken aufzogen, ist nicht ganz auszuschließen, wenn auch nur durch späte, nicht immer vertrauenswürdige Quellen bezeugt.¹²³ Eine Söldnerarmee, wie sie 150 Jahre später der jüngere Kyros besaß, ist aber, wie wir glauben, nicht in Betracht zu ziehen.¹²⁴
Nicht das ganze Heer wurde entlassen, sondern nur „quantum eius (exercitus) erat mercenarium“, so gibt Stein (1901), 96 die Stelle Hdt. 1,77,4 in seinem Kommentar wieder. Der stratos xeinikos (Hdt. 1,77,4), den Kroisos nach der Schlacht bei Pteria entlässt, wird häufig mit „Söldnerheer“ übersetzt; vorsichtiger LSJ s.v. „but usu. of hired troops“. Herodot spricht an anderer Stelle auch von einem stratos allothroos ‚fremdländisch‘, „speaking a strange tongue, foreign“ (LSJ s.v.). Es kommt nur zweimal vor. Einmal gebucht für das persische (Hdt. 1,78,3) und das andere Mal für das ägyptische Heer (Hdt. 3,11,1). Perser gehören nicht zum
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4 König, Heerwesen und Verfassung
Die faszinierende Wirkung des Orients auf die griechische Jugend Mit dem 7./6. Jh. v.Chr. tauchen griechische Söldner im Vorderen Orient vereinzelt auf. Ihre Bedeutung speziell für unser Thema erledigt sich aber nicht durch ihre geringe Zahl. Im Vorderen Orient war der Mangel an Menschen ein strukturelles Problem. In Griechenland besteht die Krise nun aber keineswegs darin, dass hier im genauen Gegenteil Überbevölkerung zu verzeichnen sei, sondern eine Ursache für das Söldnertum liegt hier im politischen und sozialen Bereich, und sieht in Athen anders aus als auf Paros oder Lesbos. Die Polis bot einen alternativlosen, fast allein auf die Landwirtschaft abgestellten „Arbeitsmarkt“, und selbst dieser war alles andere als krisenfest (s. Teil 5 B „Dialog zwischen Solon und Kroisos“). Armut gab es in Griechenland immer, von Hungersnöten (ho limos, he peina) hören wir in der Zeit der Lyder aber nichts. Die Insel Thera bleibt eine von wenigen Ausnahmen (GHI 5, Z. 23 – 51). Die Staatenwelt des Vorderen Orient wird man, wie wir schon sagten, als reich bezeichnen können. Der Reichtum wurde zur Schau gestellt, so von Kroisos in Delphi, einerseits um die Gottheit zu ehren, auch in der Hoffnung, durch die Weihegeschenke deren Wohlwollen auch für die Zukunft gesichert zu haben, und andererseits wohl auch in der berechnenden Absicht, wehrfähige Leute zu gewinnen. Aber wer kam in dieser frühen Zeit in Kontakt mit Delphi und über Delphi mit Sardes? Wir haben Grund zur Annahme, dass die Söldner des Xenophon von 401 v.Chr. aus eher niedrigen sozialen Schichten entstammten, viele kamen aus den Kantonen Arkadiens, sie traten landsmannschaftlich organisiert und geschlossen ihren Dienst an und machten ihren Job, ganz gleich, wo ihr Einsatzgebiet und wer ihr Dienstherr sein mochte. Anderer Herkunft waren die Söldner des 7. und 6. Jh. v.Chr., die eher Individualisten waren, wie der Lyriker Archilochos von Paros (s. Teil 2)¹²⁵ oder Antimenidas aus adligem Hause in Mytilene auf Lesbos, Bruder des Liederdichters Alkaios und sozusagen Nachbar der Sappho, und wie schließlich auch die entdeckerfreudigen Söldner auf dem Nil, die sich in Abu Alten Orient (s. Einleitung), ihr Heer wurde als fremdländisch empfunden. Das ägyptische Heer ist zwar genauso strukturiert wie die übrigen Heere des Vordere Orient, aber für die Griechen war Ägypten insgesamt eine Märchenwelt, und so konnte auch das Heerwesen nicht von dieser Welt sein. Nic. Dam. FGrHist 90 F65: Kroisos kauft griechische Söldner; Ephoros von Kyme FGrHist 70 F58 (aus Diod. 9 F4 Cohen-Skalli): Kroisos besitzt megalas dynameis, Polyain. 7,22: Kroisos rüstete lydische Elitekämpfer mit griechischen Waffen (hoplois) aus, sowie schließlich Plut. mor 302 A. Wenn Archilochos von sich selbst sagt: „Man nennt mich epikouros, so als wäre ich ein Karer“ (F40 D), dann klingt das allerdings eher abwertend. Man wird also schon für die Mitte des 7. Jh. v.Chr. zumindest grundsätzlich mit der Existenz karischer und griechischer Söldner bzw. Landsknechte rechnen müssen.
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4.6 Verfassung
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Simbel verewigt haben. Diese suchten Abenteuer zu bestehen, junge Männer, die glaubten, das Söldnerdasein sozusagen mit einer Bildungsreise kombinieren zu können. Dass der Vordere Orient gerade in dieser Zeit seine Spätblüte erlebte, hat die Forschung besonders an Babylonien und Ägypten aufzuzeigen versucht. So spricht F.K. Kienitz von der „Saitischen Renaissance“.¹²⁶ Eine gewisse Megalomanie spricht nicht nur aus den Palastbauten Assyriens in Kalchu und Ninive, sondern auch aus der weiteren urbanistischen Ausgestaltung der Städte. Babylon wurde damals, jedenfalls nach Aussage griechischer Autoren, zur größten Stadt der Welt.¹²⁷ Die Bevölkerungskonzentration auf Babylon ging allerdings zu Lasten der Provinzen, die diesen Moloch durch Güter und Menschen aufrechterhalten mussten. Aber auch in Ägypten wurde gebaut, so die neue Residenz von Sais im Schwemmland des Nildeltas. Die Nilfluten haben die Zeugnisse der altägyptischen Kultur zu großen Teilen zugedeckt, so dass wir auch über die Hauptstadt der Saiten, wie über die Bauten früherer Dynastien, leider nur sehr wenig wissen.¹²⁸ In Ionien begann oder vollendete man in der Zeit des Kroisos gewaltige Tempel mit aufwendiger, doppelter (dipteros) Säulenstellung – der sog. Säulenwald ist wohl von griechischen Ägyptenheimkehrern inspiriert –, so in Ephesos und Didyma, beide Tempel nach dem Vorbild des Rhoikos-Tempels im Heraion auf Samos. Vom lydischen Sardes haben die Archäologen bisher kein auch nur einigermaßen anschauliches Bild gewinnen können, was sich neuerdings allerdings könnte. Von Palastbauten, Heiligtümern oder von steinernen, repräsentativen Stadthäusern ist bisher leider fast nichts oder gar nichts bekannt. Nur der sehr imposante Grabtumulus des Alyattes (Hdt. 1,93) erlaubt vielleicht den Schluss, dass ein so reicher Dynast auch seine Residenzstadt mit Großbauten geschmückt haben wird. Leider ist uns vor Herodot kein Bericht eines Griechen über Sardes überliefert. Auch der Jamben-Dichter Hipponax von Ephesos sagt über die Stadt nichts. Eines seiner Gedichte, in dem er offensichtlich den typischen Stil von „Reiseführern“ (J. Latacz) parodiert, hat eine Grabanlage zum Thema. Aufgezählt werden die Gräber lydischer Könige und Dynasten, darunter der tymbos des Attales (Alyattes?, F7 Degani = F42 W). Und wenn dann Herodot
Kienitz (1967), 256. Er spricht auch vom „Janusgesicht“ Ägyptens dieser Zeit (S. 262 ff.), weil der Blick sowohl in die alte Geschichte der Pharaonen als auch jetzt in die Ägäis, nämlich nach Ionien/Lydien, gerichtet war. Um sich eine Vorstellung von Dimension dieser Stadt zu machen, sei hier nur die äußere Stadtmauer genannt, die mit 18 km der Aurelianischen Mauer in Rom aus dem 3. Jh. n.Chr. genau gleichkommt. Kolb (1995), 663: „knapp 19 km“. Ausgrabungen im Deltagebiet sind deshalb selten erfolgreich gewesen. Zu den Ausnahmen gehört Naukratis.
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auch noch Lydien insgesamt nur wenige thomata ‚Wunderdinge‘ zuschreiben kann¹²⁹, versteht man, warum wir auch mit keiner griechischen Söldnerarmee rechnen können. Lydien bot eben keine Alternative zu Ägypten oder Babylonien.¹³⁰ So ist der Begriff stratos xeinikos wohl am ehesten im Sinne von „Hilfstruppen“ (lat. auxilia) zu deuten; vermutlich war es ein Milizheer, bestehend aus Aufgeboten der nicht dem lydischen Kernland angehörenden Teile des Reiches.
4.7 Zusammenfassung Was den geographischen Raum der eisenzeitlichen Staatenwelt nach 1200/1100 v.Chr. angeht, so ist der Vordere Orient in seinen Ausmaßen dem der Spätbronzezeit fast gleich geblieben. Was noch verwunderlicher ist: In demselben Raum bildet sich wieder eine kulturelle und politische Einheit heraus. Sie gründete sich einerseits auf geschichtliche Erfahrungen, die seine Bewohner miteinander teilten, und die Macht gemeinsamer Traditionen, die bis in die Bronzezeit zurückreichten, sowie andererseits auf die gegenwärtige Bedrohungslage, die von den Grenzen ausging. Das alles führte zur Bildung einer Staatengemeinschaft, eines koinon. Wir haben eine Typologie vorderorientalischer Staaten erstellt: den Stadtstaat (Milet und Karkamis), den kleineren Territorialstaat (Israel, Aram-Damaskus), den größeren Territorialstaat (Lydien, Urartu) sowie die Großreiche (Assyrien und Babylonien). Es gab, was nicht überrascht, Kriege innerhalb dieses Zirkels. Signifikanter für die Zeit sind die Grenzräume, die meistens ohne lebendigen Austausch blieben. Einige Staaten blickten auf die Spätbronzezeit als das goldene, andere als das heroische Zeitalter zurück. Die Pharaonen der SaitenDynastie glaubten, es den kriegerischen Pharaonen des Neuen Reiches gleichtun zu müssen, Nebukadnezar wetteiferte mit Hammurapi, dem König von Babylon, auf dem Gebiet der Gesetzgebung, und Karkamis übernahm direkt die großreichshethitische Nomenklatur, seine Könige stellen sich als Großkönige vor.
Immerhin erwähnt Herodot an anderer Stelle zwei hethitische Felsreliefs in Lydien, die seiner Meinung nach vom Pharao Sesostris stammen sollen (2,106,2– 4). Er erkannte richtig, dass es sich um Hieroglyphen handelte; allerdings waren es luwische. Offenbar hat er auch „im syrischen Palästina“ noch aufrecht stehende späthethitische, d. h. hieroglyphen-luwische, Stelen gesehen. Denn er schreibt von gynaikos aidoia ‚weiblichen Schamteilen‘ auf diesen Stelen (2,106,1 unter Bezug auf 2,102,5), bei denen es sich um nichts anderes handeln dürfte als das hieroglyphen-luwische Silbenzeichen HA, das sehr häufig vorkommt und einen Kreis darstellt, der in der Mitte durch einen senkrechten Strich geteilt wird. Damit fällt die Behauptung, die Lyder hätten das Münzgeld erfunden, um vor allem griechische Söldner anzuwerben (s. Teil 5.3).
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4.7 Zusammenfassung
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Woran aber orientierte sich Lydien? Diese schwierige Frage müssen wir im Moment noch offen lassen. Jede Definition des lydischen Staates, die das Heerwesen nicht mit einbezieht, muss ungefestigt und beliebig erscheinen. Ein Bild des lydischen Heeres in seiner militärischen, politischen und verfassungsmäßigen Bedeutung lässt sich aber nicht gewinnen, bevor man sich eine Vorstellung vom Heerwesen der vorderorientalischen Staaten insgesamt erarbeitet hat. Das Heer der Spätbronzezeit gliederte sich in Fußsoldaten und Streitwagenkämpfer. Hattusa, Ägypten, Mitanni und Assyrien, also alle Großreiche dieser Epoche, hatten denselben Heerestyp. Die „ritterliche“ Kriegführung war Ausdruck einer wagenfahrenden Palastelite, in Mitanni wurde sie marii̭annu genannt. Unsere Untersuchungen zu den Staaten der Frühen Eisenzeit kamen zum Ergebnis, dass auch hier die Heere aller Staaten des Vorderen Orients sich auf einen Standardtypus zurückführen ließen. Das Heer wurde jetzt dreigliedrig. Hinzugekommen ist die Reiterei, und zwar als Teilstreitkraft. Auch in der Spätbronzezeit hatte es Pferdereiter gegeben, aber keine Reiterei im Sinne einer Kavallerie. Der Streitwagen setzt eine bestimmte Infrastruktur voraus, wie sie im Neubabylonischen Reich des Nebukadnezar 601/600 v.Chr. offenbar noch existierte, jedenfalls hören wir einmal von einem Streitwageneinsatz in Kooperation mit der Reiterei. Man hat teilweise angenommen, dass für kleinere Staaten das Zweigespann mit dem Wagen zu kostspielig war. Dafür konnte man zwei Reiter ausrüsten, so wurde argumentiert. Das ist eine vielleicht zu simple Rechnung, weil sie den ideologischen Überbau unberücksichtigt lässt. Für Lydien haben wir keine Nachrichten über die militärische Verwendung von Streitwagen. Der Wagen allgemein ist im Anatolien dieser Zeit eher ein Symbol für königliche Herrschaft, er prädestinierte zum Akt der Inbesitznahme des Königtums, legitimierte seinen dauerhaften Besitz, so der berühmte Wagen mit dem gordischen Knoten. Die Reiterei errang bald eine dominierende Rolle in Heer und Staat. Dieser neue Heerestyp dürfte in dem Länderdreieck, das von Assyrien, Urartu und der späthethitisch luwischen Staatenwelt gebildet wird, entwickelt worden sein und wurde über Tabal und Phrygien den Lydern bekannt. Wer was im Einzelnen beisteuerte, ließ sich nicht mehr eruieren. Von vornherein war damit klar, dass die eurasischen Reiterhorden, wie die der Kimmerier und Skythen, auf direktem Weg nur einen geringen innovativen Einfluss auf die Reiterei des Vorderen Orients genommen haben können. Viel näher liegt die Annahme, dass Staaten wie Urartu in der Abwehr dieser Steppenreiter lernten, die Entwicklung einer entsprechenden, also berittenen Abwehrtechnik voranzutreiben. Die Reiterei war u. a. notwendig geworden, weil sich rundherum und auch zwischen den einzelnen Nationen der Staatengemeinschaft große, meistens schwer zugängliche Grenz- und Ruheräume gebildet hatten, die von der Reiterei zusammen mit dem Fußvolk
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besser kontrolliert werden konnten als mit dem für unebenes Gelände weniger geeigneten Streitwagen. Unsere Untersuchungen zeigten sodann, dass die größten Abweichungen vom altorientalischen Standardtypus bei allen Staaten in der unterschiedlichen Wertschätzung der Reiterei zu finden sind. Unter Kroisos scheint diese Waffengattung unter Vernachlässigung des Fußvolkes sogar aus dem Heeresverbund herausgelöst worden zu sein. Den Kampf zu Fuß überließ er einem „Heer von Fremdstämmigen“, einem stratos xeinikos. Das sollte im Hinblick auf das mit vorderorientalischen Standards nicht zu messende Heer des Kyros katastrophale Folgen haben. Wir sind der Ansicht, dass es sich beim stratos xeinikos hier um keine griechische Söldnerarmee handelt, sondern um ein auxiliares Aufgebot anatolischer Populationen. Griechische Söldner finden sich im 7. und 6. Jh. v.Chr. nämlich in eher geringer Zahl und wenn, dann hauptsächlich in Ägypten, wo sie gegen die „Asiaten“ und Libyer Dienst taten. Sie gehören einer höheren sozialen Schicht an als die Söldner, etwa aus Arkadien, die später Xenophon in seiner Anabasis beschreibt. Die Bewaffnung und Rüstung der Infanterie ist möglicherweise seit assyrischer Zeit wehrtechnisch nicht entscheidend weiterentwickelt worden. In Griechenland rüstete sich der aufsteigende, teilweise reiche demos zum Kampf gegen die Aristokratie. Die Hopliten siegten im Kampf gegen die adligen Reiter. Hopliten waren Gepanzerte, und zwar vom Helm bis zu den Beinschienen. Sie kämpften zwar in geschlossener Formation, aber keineswegs immer in geschlossener Schlachtordnung. Die Phalanx gehört erst in die Zeit kurz vor dem Peloponnesischen Krieg (431– 404 v.Chr.). Das bedeutet, dass die Hopliten sich auch in ein nichtgriechisches Heer einreihen konnten. Kroisos war wohl einer der ersten, der in Griechenland militärischen Beistand suchte. Seine Wahl fiel auf Sparta, mit dem er ein Bündnis einging. Es diente allein dem Zweck, im letzten Moment noch eine Kurskorrektur vorzunehmen und Gepanzerte zu Fuß seiner Reiterei beizugeben. Dazu kam es aber nicht mehr. Der Rückschluss vom Heerwesen auf die Verfassung lässt sich für Lydien nicht an Institutionen, wie etwa bei den Hethitern, anhand des panku- (Gemeinschaft des Reiches) oder an der „Reichsversammlung“ (tulii̭a‐) verfolgen. Wir können, weil Herodot die Verfassungsorgane des lydischen Reiches und ihre Funktionen nicht kennt, nur an seinen Aussagen über die Herrscher ablesen, wie die Verfassung im Einzelfall zu definieren ist. Unsere persönliche Vermutung ist die folgende: Gyges war ein charismatischer tyrannos, ein dux mehr als ein rex; er zog mit seinem Gefolge (lat. comitatus) vermutlich zu eher vorstaatlichen/privaten Raubkriegen aus. Dann kam Alyattes, mit dessen Person wir das dreigliedrige Heerwesen verbinden; Spannungen auf der einen Seite zwischen den Streitwa-
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4.7 Zusammenfassung
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genfahrern, die vielleicht noch auf spätbronzezeitliche Traditionen pochten,¹³¹ und der jungen Reiterei auf der anderen Seite, müssen austariert gewesen sein. Ohne Harmonie im Heer hätte Alyattes die Kimmerier nicht aus Kleinasien vertreiben können. Wie schwer es selbst einem Großreich wie Assyrien fiel, die Kimmerier auch nur abzuwehren, lehren die assyrischen Annalen über die Kämpfe im Gebiet des heutigen Aserbeidschan. Schließlich kam Kroisos, der mit der föderalen Ionien-Politik brach und die lydische Verfassung zumindest nicht sonderlich achtete, vielmehr Rückhalt im Heer suchte. Er verhielt sich wie einer, der, in alten und nicht hinterfragten Traditionen erzogen, diesen entwachsen zu sein und keine Rücksicht nehmen zu müssen glaubte. Das Landheer pflegt konservativ zu denken und die Streitwagenfahrer, die über reichen Grundbesitz mit repräsentativem Wohnhaus und Remise verfügt haben dürften,¹³² konnten sich vermutlich noch weniger mit revolutionären Veränderungen anfreunden. Anders war es bei der Reiterei. Sie klammerte sich nicht an Traditionen, versprach dafür aber, gerüstet und bereit zu sein, wenn die Aufgabe hieß, Kappadokien bis ans Meer von Kilikien und bis Karkamis im Sturm zu erobern (s. Teil 6). Die Reiterei hatte noch eine andere, vielleicht sogar viel wichtigere Funktion. Sie kann darin bestanden haben, der königlichen Sippe, die möglicherweise die Macht des Herrschers einschränkte, die Kontrolle über das Heerwesen nach und nach zu entziehen. Die Frage steht im Raum, ob Kroisos ein aufgeklärter Despot oder einfach nur ein eigensüchtiger Tyrann war.
Die Streitwagenaristokratie der marii̭annu, deren Ideologie bei den Indo-Ariern des MitanniReiches im 15. Jh. v.Chr. aufkam und unter Amenophis II. (1426 – 1400 v.Chr.), einem grausamen Eroberer und „Pferdeflüsterer“, ganz besonders in Ägypten wirksam war, während sie in Hattusa verhaltener aufgenommen wurde, lebt in ihrer Mentalität vielleicht bis in die lydische Zeit fort. Wie jemand, den die Hethiter einen „Großen der Wagenfahrer“ genannt haben würden, situiert war, schildert Homer, wenn er den Palast und die Hallen des Lykaon erwähnt, des Vaters des Pandaros in Zeleia (Il. 5,192– 200).
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige. Griechische Moral vs. orientalische Pragmatik 5.1 Präliminarien Chronologie Das Gespräch des Athener Staatsmanns Solon mit dem Lyderkönig Kroisos hat nach kombinierten Berechnungen „553 v.Chr.“ in Sardes stattgefunden.¹ Das wäre also geraume Zeit vor dem Untergang des lydischen Reiches, den man heute allgemein und nur mit größerer Toleranz in die 540iger Jahre ansetzt. Die Datierung „553 v.Chr.“ gibt Herodots Vorstellung wieder, der, und darauf weist H. Strasburger immer wieder hin, weder auf eine Ärenzählung noch auf unsere (arabischen) Zahlen zurückgreifen konnte, was das chronologische Arbeiten ungemein erleichtert hätte. Wichtig an diesem bedeutsamen Aufsatz ist, dass es Strasburger zu zeigen gelingt, dass Herodot sich ernsthaft mit der Chronologie auseinandersetzte, ja deren Begründer ist. Das las man bei Eduard Meyer,² U. von Wilamowitz-Moellendorff ³ und H. Fränkel⁴ noch ganz anders, denn ihnen zufolge hätten Herodot chronologischen Fragen nicht im Geringsten interessiert, er sei ohne Zeitgefühl gewesen (so Fränkel). Diese Meinung wird heute kaum mehr geteilt.⁵ Es scheint vielmehr so, als habe sich Strasburger auf ganzer Linie durchgesetzt. Mit Hilfe eines „chronologischen Systems“ habe Herodot „… aus dem Chaos von Greisengeschwätz den Kosmos der Geschichte geschaffen“, so seine Formulierung.⁶ Das ist nicht die Mentalität eines Chronographen, der mit fixen Zahlen spielt oder der nur antiquarische Fragen verfolgt, sondern die des
So Asheri/Lloyd/Corcella (2007), 165. Die Zahl 553 wurde gewonnen aus einer Kombination von Hdt. 1,46,1, wo der Sieg des Kyros über Astyages (Hdt. 1,123 – 129) auf die zweijährige Trauerzeit des Kroisos bezogen wird, mit der „Nabonid-Chronik“ ABC no. 7 col. II 1– 4, wonach sich der Sieg auf das Jahr 550 v.Chr. errechnen lässt. Meyer (1892), bes. 185. von Wilamowitz-Moellendorf (1926), 220 f. Fränkel (1960), 85 (zuerst 1924). Eine Ausnahme macht etwa den Boer (1967). An Strasburger (1956) schließt sich eng Fehling (1985) an, der sich auf den Kernsatz von Strasburger beruft: Herodot gibt nicht, was er nicht hat, aber Fehling bleibt nicht konsequent, sondern spricht ständig von herodoteischen Konstruktionen. Auf Lydien kommt Fehling nur kurz zu sprechen (S. 93 – 97). https://doi.org/10.1515/9783110436020-008
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5.1 Präliminarien
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Historikers, der beides eben nicht tut. Zum Ethos des Historikers gehört, was Strasburger in den schlichten Satz fasste: „… er (Herodot) gibt nicht, was er nicht hat“.⁷ Der Unterschied zu einem Dichter oder Literaten dürfte kaum deutlicher auszusprechen sein. Mit der neuen Zahl „553“ ergäbe sich eine lange Zeitspanne zwischen dem Archontenjahr Solons, vom traditionellen Datum 594/3 v.Chr. an gerechnet, bis zum Datum des Besuchs bei Kroisos im Jahr „553“.⁸ Dass Solon nach seiner Gesetzgebung außer Landes ging, sagt der Text (Hdt. 1,29,2), und er sagt noch etwas: Zehn Jahre wollte Solon von Athen fernbleiben. Die Zahl zehn war seit indogermanischer Zeit eine Symbolzahl und ist daher wohl nicht wörtlich zu nehmen. Es kann aber auch sein, dass Solon innerhalb dieses Zeitraumes, wenn er denn als real genommen wird, zuerst in Ägypten war und erst Jahre später nach Sardes reiste.⁹ Freilich, auch mit der Datierung jetzt auf „553“ bleibt Solon ein alter Mann, als er zu Kroisos nach Sardes kam.¹⁰ Mit dem Alter Solons hat es seine besondere Bewandtnis. Er selbst wurde nicht nur alt, er sah auch, wie sonst keiner seiner dichtenden Zeitgenossen, das Alter als eine schöpferische Phase des Lebens, in der er sich noch etwas zutraute: „… doch werd’ ich alt nicht, ohne dass ich ständig vieles lern’…“ (Sol. F18 W). Die Forschung zog sich meistens auf die Position zurück, es sei wegen nicht restlos zu klärender chronologischer Probleme besser, die Nachricht von einem Zusammentreffen beider Männer als unhistorisch zu deklarieren. Allenfalls hält man sich, wenn das Zeitfenster zu klein, d. h. zu eng ist, wie das in unserer Geschichte tatsächlich der Fall ist, mit einem „possible but non probable“¹¹ vor einer Entscheidung zurück. Wir wollen hier aber den Versuch wagen, diesen Dialog als historisch real anzusehen und die sich aus ihm ergebenden Konsequenzen zu untersuchen.
Strasburger (1956), 146; das Datum 553 findet sich bei Strasburger nicht. Der einzige Fixpunkt im Werk Herodots sei das Jahr 480 v.Chr., Xerxes’ Übergang über den Hellespont (S. 135 f.; 153 f.), ebenso rechnet mit diesem Zeitpunkt auch Xanthos der Lyder (FGrHist 765 F32). Für das Archonten-Jahr 594/93 v.Chr. hat sich die Forschung auf die komplizierten Berechnungen von Sumner (1961), 49 – 54 gestützt; es gibt aber auch Einwände gegen 594/93, so etwa von M. Miller, die mehrere Arbeiten vor allem zur Chronologie Herodots verfasst hat, etwa Miller (1963), 83 ff. Die ganze Diskussion zusammengefasst findet sich bei Rhodes (1981), 118 – 121. Aristoteles weiß nur von einer Ägypten-Reise (kat’ emporian hama kai theorian), also zu Zwecken des Handels und zugleich der „Theorie“ (Ath. pol. 11,1). Dass mit theoria keine Bildungsreise gemeint sein kann, legt emporia nahe. Handelsgeschäfte in Ägypten unterstanden strenger Aufsicht – Naukratis war Konzessionshafen –, was besagt, dass theoria eine politische Mission meint. Positiv für eine in der Forschung meistens bestrittene Zeitgenossenschaft von Solon mit Amasis und Kroisos tritt Strasburger (1956), 159 ein. Rhodes (1981), 169.
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
Sprachliche Verständigung Sprachliche Verständigungsprobleme kann es beim Gespräch zwischen Kroisos und Solon kaum gegeben haben. Zwei- oder sogar Mehrsprachigkeit sowie die Beherrschung verschiedener Schriftsysteme sind ein Kennzeichen der altorientalischen Geisteskultur. Der Dolmetscher, targumannu, wie er in den babylonischen Texten genannt wird, wurde nicht selten nur deshalb herbeigezogen, um einem protokollarischen Vertragsabschluss hoheitliches Gepränge zu geben. Nun haben wir den Bericht Assurbanipals, dass eine lydische Gesandtschaft, die von Gyges in Bündnisangelegenheiten nach Assyrien auf den Weg gebracht wurde, in kluger Vorausschau einen Dolmetscher mit sich führte. Zum Glück, muss man sagen. Denn Assurbanipal bekennt: „(Trotz der zahllosen) Sprachen im Osten wie im Westen, die Assur in meine Hand gegeben hat, gab es niemanden, der dessen Sprache beherrschte, so fremdartig war sie, dass man die Worte nicht verstehen konnte.“¹² Natürlich war nicht jeder Reisende in diplomatischer Mission in der Lage des Prinzregenten Jariri aus Karkamis (8. Jh. v.Chr.), der von sich behauptet: „auch verstand ich zwölf Sprachen“, worunter Phrygisch und Lydisch eigens genannt werden. Dass Griechisch nicht dazu zählt, ist für die Zeit aufschlussreich. Ein solches Sprachgenie konnte natürlich problemloser den Vorderen Orient bereisen als ein Festlandgrieche, wie Solon aus Athen, das hätte tun können, da jener auf keinen Dolmetscher angewiesen war.¹³ Homer sagt, dass die Bundesgenossen der Troer verschiedene Sprachen sprächen (Il. 2,804); von einem Dolmetscher ist in der Ilias hier und an keiner anderen Stelle die Rede.¹⁴ Anders in einem der „homerischen“ Hymnen: Ihm zufolge hatte die „phrygische“ Aphrodite keinen Dolmetscher, sie beherrschte neben dem Phrygischen auch die Sprache der Troer, die sie eine troische trophos ‚Amme‘ gelehrt hatte (Hom. h. Aphr. 113 – 116).¹⁵ Im Westen Kleinasiens gab es verschiedene Sprachen, die alle – mit Ausnahme des Griechischen und Phrygischen – vom gemeinsamen Uranatolischen abstammten, aber trotzdem eine Verständigung ihrer Sprecher untereinander meistens nicht mehr erlaubten. Aber nicht hierin ist der Grund für ein Erstarken
Borger (1996), 182; 218 Prisma E Stück 16, Z. 9 – 12; jetzt auch Fuchs (2010), 411. Starke (1997a); Neu (1995) mit besonderer Berücksichtigung der Hurriter und Hethiter. Zweioder mehrsprachige Personen kommen in der Ilias nicht vor; dass in Anatolien aber mehrere Sprachen gesprochen wurden, macht Hom. Il. 2,803 – 804; 4,438 deutlich, vgl. auch Lukian. ver. hist. 2,20. Gelb (1968); zu akk. ta/urgumannu(m) ‚Dolmetscher‘ s. AHw 1329. Der Hymnus (frühes 7. Jh. v.Chr.) ist der älteste Beleg für Zweisprachigkeit in der griechischen Literatur.
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des Griechischen zu sehen, sondern darin, dass das Griechische spätestens ab ca. 600 v.Chr. auf Grund von Bündnisverträgen Lydiens mit ionischen Städten sowie aufgrund einer Aufgabenteilung beim Handel mit Ägypten oder bei der gemeinsam betriebenen, sog. Milesischen Kolonisation, bei der lydischen Elite Eingang fand, so dass diese vermutlich zweisprachig wurde. Das machte die Dolmetscher überflüssig. Solche werden auch gar nicht erwähnt. Der hermeneus ‚Dolmetscher‘ wurde aber augenblicklich nötig, als eine fremde, zuvor noch nie in Anatolien gehörte Sprache nach Westanatolien vordrang. Das war erst mit dem Altpersischen gegeben. So lässt Kyros den Kroisos, der hoch auf dem Scheiterhaufen gestanden haben soll und dreimal in die Stille „Solon!“ rief, durch den Dolmetscher fragen, wen er da anrufe (Hdt. 1,86,3 – 4).¹⁶ Dass Herodot bis zu diesem Zeitpunkt keine Dolmetscher in Kleinasien hat auftreten lassen, sondern eine wirkliche Sprachbarriere erst mit den Persern gegeben sieht, ist historisch plausibel und legt daher die Annahme nahe, dass er sich auf gute Quellen stützen konnte.¹⁷ Denn in der Zeit Herodots, als jeder um die andauernden Sprachprobleme mit dem Persischen wusste, wäre eine ausdrückliche Erwähnung des Dolmetschers nicht mehr nötig gewesen. Einer Verständigung zwischen Solon und Kroisos stand also von sprachlicher Seite nichts entgegen. Der Festlandsgrieche Solon konnte sicher kein Lydisch, aber von Kroisos dürfen wir umgekehrt annehmen, dass er die griechische Sprache beherrschte, und zwar in demselben ionischen Dialekt, in dem auch die solonischen Elegien gedichtet sind. Man unterhielt sich in der Sprache der Ionier, die die Lyder zu Nachbarn, Partnern und zu Herren hatten.Wir haben guten Grund zur Annahme, dass schon der Urahn des Kroisos, Gyges, Griechisch verstand, vielleicht sogar die epische Sprache Homers goutierte. Wir stützen uns für diese These auf Nikolaos von Damaskos, der allerdings auf den nicht über alle Zweifel erhabenen Xanthos den Lyder zurückzugehen scheint. Nikolaos nun erwähnt einen gewissen Magnes von Smyrna, der in Dichtung und Musik hervorgetreten
Natürlich räumen wir ein, was S. Schröder dankenswerter Weise uns brieflich (25. 2. 2012) zu bedenken gab, dass Herodot literarisch-dramaturgische Ziele verfolgte, dergestalt, dass eine direkte Gesprächs-Konfrontation zwischen Sieger und Besiegtem ungeschickt gewesen wäre und deshalb ein Element der Verzögerung eingebaut wurde. Durch dieses konnte sich die Lage so zuspitzen, dass ein Eingreifen Apollos notwendig wurde. Daraus folgt aber nicht, dass keine historischen Schlüsse über die Sprachverhältnisse möglich sind. Die anderen Belege für hermeneus bei Herodot unterstützen unsere These. So ist der Austausch zwischen Griechen und Ägyptern nur mit Hilfe von Dolmetschern möglich (Hdt. 2,125; 154; 164), nicht aber der zwischen Ioniern und Lydern, auch nicht in anderen Quellen.
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sei. Dieser habe in einem epischen Gedicht den Sieg in einer Reiterschlacht gegen die Amazonen als Heldentat (aristeia) des Gyges besungen.¹⁸
‚Weise‘, sophoi, im Dialog mit Kroisos Weitere Beispiele „interkultureller“ Dialoge sind aus der Epoche des lydischen Reiches nicht leicht zu finden. Zu nennen sind hier aber immerhin die Sieben Weisen, die plötzlich in der ersten Hälfte des 6. Jh. v.Chr. die Bühne betreten und ebenso plötzlich, wie sie gekommen waren, auch wieder verschwinden werden. Welche Lücke im Sozialgefüge der griechischen Welt die Weisen schlossen, als sie kamen, und wer sie schließen wird, wenn sie gegangen, darüber kann man nur spekulieren. Sie verlieren jedenfalls plötzlich ihre Aktualität. Salopp formuliert: Solon hatte keinen Nachfolger, stattdessen kam die Tyrannis des Peisistratos. Ob der Untergang des Lyderreiches und die mit den Persern aufkommende neue Art der Herrschaft, die einen neuen Typ des ionischen Tyrannen mit anderen Bedürfnissen hervorbrachte, zur Erklärung für das Verschwinden der sophoi ausreicht, darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen. Das Betätigungsfeld der Sieben lässt sich nicht leicht umreißen. Hat man sie früher für weise Männer gehalten, die wie Salomo kluge paroimiai ‚Sprüche‘ äußerten, so will man sie heute fast nur noch mit sozialen und politischen Dingen befasst sehen: In media re publica esse versatos (Cic. rep. 1,7,12). In Zukunft wird die Forschung wohl eine ausgeglichenere Bilanz von sowohl weisheitlich-philosophischen Themen als auch praktisch-politischen Ambitionen für die Sieben Weisen anerkennen müssen. Da sie größtenteils aus Kleinasien stammten und dem Lyderreich oder dessen weiterem Herrschafts- und Einflussbereich angehörten, wie etwa Pittakos von Mytilene auf Lesbos, konnte man sie auch als Gäste des Kroisos in Sardes zwanglos auftreten lassen; unser ältestes Zeugnis ist der Lyder-Logos Herodots, von dem alle späteren Berichte über solche Gastmähler abhängig zu sein scheinen. Genannt sei hier Diodor (9,25 – 27), der wohl Ephoros von Kyme (vor 340 v.Chr.) ausschrieb. Die genannte Stelle ist wichtig auch in der Hinsicht, dass sie nicht nur anschaulich macht, wie sehr das literarische Niveau an Höhe verliert, sondern auch, was an historischer Substanz übrigblieb, nämlich fast nichts. „Vor lauter Moral werden die Weisen recht knotig und finden sich mit dem Leser zusammen in dem satten Gefühl: Dem (sc. Kroisos) haben wir es aber gegeben.“¹⁹ Die Amazonen als antianeirai ‚die männergleichen‘ werden, als sie in Lykien einfielen, von Bellerophontes zurückgeschlagen (Hom. Il. 3,189; 6,186). Die Erwähnung des Epos findet sich in Nic. Dam. FGrHist 90 F62 = EGF s.v. Magnes. Diod. 9,27; Snell (1971), 97.
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Dass dieser hier eher hilflos wirkende Kroisos nicht um seinen Verstand fürchtete und seine Gäste nicht vorzeitig als Fundamentalisten vor die Tür setzte, wie dies der herodoteische Kroisos noch tat, zeigt, wie sehr dieser schon bald nach Herodot an Statur verloren hat. Dieser Kroisos kann nur noch höhnisch lachen, so als sei er irregeworden über die Ausführungen, etwa seines Dialogpartners Anacharsis. Dass der Skythe auch noch das Thema gründlich verfehlte, sei als formales Defizit erst gar nicht in die Bewertung mit eingerechnet (Diod. 9,26). Diese Entwicklung, die einem Dialog zwischen Europa und Asien abträglich war, hat Herodot nicht intendiert, gleichwohl aber angestoßen, sie nimmt von ihm ihren Ausgang. Wir wollen im Folgenden zwei Beispiele aus anderen Teilen des Vorderen Orients heranziehen, die unsere herodoteische Version des Solon-Kroisos-Dialogs noch schärfer beleuchten könnten. Wir sprachen schon über die Zwei- oder Mehrsprachigkeit. Natürlich ist eine solche Befähigung teilweise auf die Eliten eines Palastes beschränkt gewesen, so in Sardes und nicht anders in Jerusalem. Unter den Landesbewohnern, selbst unter dem Landadel ‘am hā’āræṣ von Juda, aber auch unter den Jerusalemitern dürften zweisprachige Personen eher selten zu finden gewesen sein. Das macht eine Begebenheit des Jahres 701 v.Chr. deutlich. Sie ist zugleich ein Zeugnis für einen illusionslosen Dialog, vielleicht vergleichbar nur mit dem thukydeischen Melier-Dialog (Thuk. 5,85 – 113), und es ist ein Dokument oktroyierter Religionspolitik,²⁰ wie wir sie für das alte Anatolien, für Hethiter und Lyder, nicht kennen, aber auch aus anderen Teilen des Vorderen Orients bisher so noch nicht erlebt haben. Ein sehr hoher assyrischer Beamter, mit dem Titel rab šaqê ‚Obermundschenk (des Königs)‘ – er war Inhaber einer bedeutenden Statthalterschaft in Assyrien, die zum Eponymat (Rang 3 oder 4 nach dem König) berechtigte –, belagerte Jerusalem im Auftrag Sanheribs, der selbst an der Spitze des Hauptheeres in der Küstenebene und der Schefala operierte, mit einem großen militärischen Detachement (2 Kön 18 – 20; Jes 36 – 37). Ziel war die
Nach der Belagerung Jerusalems kommt es zur Einrichtung assyrischer Kulte in ganz Juda. Im Tempel von Jerusalem werden von den Assyrern kultische Geräte und vielleicht sogar ein Altar installiert, und zwar vor dem Allerheiligsten mit der Lade, das dadurch unsichtbar geworden sein dürfte. Es liegt nahe, aber sicher ist es nicht, dass der Altar dem Assur, dem assyrischen Reichsgott, und der Ischtar, der Herrin der Liebe und der Schlacht, geweiht war; beide waren die höchsten göttlichen Repräsentanten des Neuassyrischen Großreiches. Von der Einführung eines verbindlichen, assyrischen Reichskultes durch assyrische Religionsbeamte, sollte man allerdings nicht mehr sprechen. Zu alldem grundlegend Spieckermann (1982). Donner (2008), 361– 370 spricht von einer Krise der „israelitischen Religion“. Ein ganz anderes Bild zeichnet Lanfranchi (1999), 137 „… ganz im Gegenteil, sie (sc. die Assyrer) waren sehr tolerant … und nahmen sogar fremde Götter in ihre eigenen größeren Tempel auf.“
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kampflose Übergabe der Stadt.²¹ Er trat nun an die Stadtmauer heran und ließ mit lauter Stimme dem König Hiskia ausrichten, dass dessen Bündnis mit den wenig vertrauenswürdigen, aus Erfahrung immer wieder enttäuschenden Ägyptern ihn nicht würde schützen können, und selbst das Vertrauen auf den Herrn, seinen Gott, wird sich letzten Endes als töricht erweisen. Denn aus der Hand des Königs von Assur habe bisher keiner der Götter der verschiedenen Nationen sein Land retten können. Als sie ihn so laut reden hörten, da riefen die Palastgroßen,²² unter ihnen Schebna, der Schreiber,²³ dem rab šaqê zu: „Sprich doch Aramäisch (aramyt) mit deinen Dienern, die verstehen es, und sprich doch nicht Judäisch (yhwdyt) vor dem Volk auf der Mauer!“²⁴ Uns kommt es hier auf die Mehrsprachigkeit Schebnas, des Schreibers, und des rab šaqê an. Letzterer konnte also neben Assyrisch auch Aramäisch, das bald die lingua franca des gesamten Vorderen Orients werden sollte und, was ihm als besondere Leistung anerkannt werden muss, dass er sich in einer nur lokal verbreiteten und auf dem Rückzug befindlichen Sprache verständlich machen konnte, dem Hebräischen.²⁵ Ein sehr viel früheres Beispiel stammt aus Hattusa. Einen staatenübergreifenden Dialog hat Hattusa mit einer anderen, älteren Kulturmacht geführt, nämlich Ägypten. Dieser Dialog zwischen zwei Herrscherpaaren, die sich als gleichberechtigt und ebenbürtig mit „mein Bruder“ resp. „meine Schwester“ anredeten und die zwei gleichrangige Mächte repräsentieren, fand nicht mündlich, sondern brieflich statt. Aus dem Corpus, das in der maßgeblichen Edition
Den schreckenerregenden Eindruck, den ein assyrisches Heer ausübte und auch als Terror inszenierte, hat Jesaja schrecklich schön in Worte gefasst (Jes 5,26 – 29); dagegen verblasst selbst der Aufsatz von von Soden (1963). Rüterswörden (1985). Hohe Beamte sind Teilhaber an der Macht, keine Bürokraten. Schmid (2004). Jes 36; 2 Kön 18,13 – 37; von Soden (1972). Der Melier-Dialog (Thuk. 5,85 – 113) zeigt überraschende Parallelen zu den Übergabe-Verhandlungen in Jerusalem. Die Führer der Melier richten es so ein, dass die athenischen Gesandten nicht vor dem ‚Volk‘ (plethos), sondern nur vor dem ‚Adelsrat‘ (oligoi) reden konnten. Gleich in formaler Hinsicht scheint ferner auch dies zu sein, dass den Meliern wie den Jerusalemitern auch die letzte Hoffnung geraubt wird, Rettung von Sparta resp. Ägypten erwarten zu dürfen. Die Athener bringen to theion ‚das Göttliche, die Gottheit‘ ins Spiel; und zwar anstelle der Athena, der Stadt- und Kriegsgöttin. Das theion ist ein kraft- und seelenloses Prinzip, ein numen, welches den Athenern der perikleischen Zeit, denen der Atheist Thukydides seine Stimme leiht, als total verfügbar propagiert wurde. Das theion ist immer auf Seiten des Stärkeren, und das waren die Athener. Wird dem rab šaqê bzw. dem assyrischen König als dem Stärkeren nicht der gleiche Ungeist von den atl. Autoren zugeschrieben, der auch hier zur Verfügbarkeit über Jahweh verleitet? Auffällig ist, dass der eigene, assyrische Gott Assur nicht einmal erwähnt wird. Grundlegend für Mehrsprachigkeit in der Antike und für Schreibertätigkeit, die in Jerusalem sehr spät, nicht weit vor 700 v.Chr., einsetzt, ist Carr (2005), bes. 156 ff.
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ÄHK von E. Edel 112 Briefe zählt, ist hier der Brief 105 von Interesse.Verfasserin ist Puduhepa, die Königin von Hattusa und der Adressat Pharao Ramses II. In diesem sehr langen Brief in hethitischer Sprache werden auch hochpolitische Themen angesprochen, darunter das Thema Babylonien. Sie schreibt: „Wenn du sagst: ‚Der König des Landes Babylon ist kein Großkönig‘, so weiß mein Bruder nicht, in welchem Aufstieg sich das Land Babylon befindet.“²⁶ Solche Beispiele, konkret und doch von hoher Abstraktionskraft im Politischen, finden sich weder in Babylonien²⁷ noch zu irgendeiner Zeit in Assyrien, vielleicht im mykenezeitlichen Theben,²⁸ mit Sicherheit aber dann erst wieder in den Gedichten Solons.
Wie redete der König ein republikanisches Staatsoberhaupt an? Statusunterschiede An Themen, wie sie Puduhepa und Ramses 700 Jahre früher traktierten, hätte Kroisos vermutlich Geschmack gefunden. Ob man ihn allerdings in Hattusa überhaupt hätte zu Wort kommen lassen, wenn er damals schon gelebt hätte, wäre von seinem politischen Gewicht abhängig gewesen. Das Risiko, nicht als gleichrangig akzeptiert, sondern beschämt zu werden, nahm etwa der König Adadnerari I. von Assyrien (1295 – 1264 v.Chr.) in Kauf, der in einem Brief wohl deutlich zu verstehen gab, dass er jetzt, nach einer gewonnenen Schlacht, als Gleicher unter Gleichen endlich anerkannt zu werden wünscht. In einem geharnischten Brief aus Hattusa, wohl von Muwattalli II., bekam er zu hören, er erlaube sich eine unverschämte Anmaßung: „Mit der Waffe hast du gesiegt, doch bist du ein Großkönig geworden?! … Weshalb schreibst du mir also von Bruderschaft? Du und ich, sind
KUB XXI 38 Vs. 55′–56′ (= ÄHK Nr. 105, Bd. 1, 216 – 223; Bd. 2, Komm. 340 f.); zum Brief 105 s. auch Helck (1963), der hier eine eindringliche Interpretation vorlegt. An einen interkulturellen Austausch zwischen Ioniern sowie Lydern und Judäern um den König Jojachin von Juda, letztere im Exil in Babylonien, darf man wohl denken. In den Rationenlisten aus dem Palast von Babylon (Zeitraum von 586 – 570 v.Chr., nur teilweise publiziert Weidner [1939], eine vollständige Publikation bereitet J. Marzahn vor) werden zwei Lyder mit Namen genannt, nämlich Marma’ und Zabiriya, so gelesen von Weippert (2010), 426 f. Nr. 265. F. Starke plant die Neubearbeitung eines Briefes, den ein König von Ahhijawa an Hattusili II. geschrieben hat (KUB XXVI 91). Zuerst bearbeitet, aber in seiner wirklichen Bedeutung nicht erkannt wurde er von Sommer (1932), 268 – 274. Ganz anders und in vielem zutreffender hatte bereits Forrer (1928), 55 die Bedeutung dieses Briefes einer wohl (boiotisch) thebanischen Kanzlei, die vielleicht mehrsprachig war, beurteilt. Gegenstand des Briefes sind die zwischen Ahhijawa (= Teil Griechenlands) und Hattusa strittigen Besitzansprüche auf Inseln im Nahbereich von Wilusa/ Troia, wohl auf Imbros, Lemnos und Tenedos.
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wir etwa aus einer Mutter geboren?“²⁹ Die Argumentation des Hethiters sei ein Meisterwerk politischer Rhetorik.³⁰ Wie sich dagegen die Könige, die zur Zeit von Kroisos’ Kollegen im königlichen Amt waren, gegenseitig anredeten, darüber wissen wir so gut wie nichts. Herodot erwähnt zwar Briefe (byblion, grammata) in seinem Werk, aber nur Briefe von Persern – Griechen schreiben offensichtlich keine Briefe –,³¹ vor allem von Dareios, die allerdings an Funktionäre gerichtet sind. Interessanter ist nur ein Brief aus Ägypten, der an den Tyrannen von Samos adressiert war. Der Brief zeigte folgende Anrede: „Amasis spricht zu Polykrates Folgendes: …“ (so jedenfalls nach Hdt. 3,40,1). Kürzer geht es nicht. Wie sich die Könige bei einer persönlichen Begegnung anredeten, wissen wir auch nicht.³² Gipfeltreffen von Monarchen kamen fast nie zustande, obwohl sie nicht selten vereinbart und intensiv vorbereitet wurden. So wurde zwar von Ramses II. (in seinem 21. Jahr, d.i. 1269 v.Chr.) in einem Brief an Hattusili III. folgender Wunsch ausgesprochen: „Einer möge zum anderen kommen und einer möge dem anderen ins Antlitz schauen“, und: Die Götter sollen veranlassen, „dass mein Bruder seinen Bruder sieht.“ Es blieb ein (un)frommer Wunsch, dem Hattusili ohne Prestigeverlust nicht entsprechen konnte. Denn selbstverständlich erwartete Ramses, dass der Hethiterkönig sich auf den Weg nach Memphis machte.³³ Den Solon jedenfalls soll Kroisos mit den Worten begrüßt haben: „Gastfreund aus Athen“ (xeine Athenaie, Hdt. 1,30,2). Er nennt ihn nicht beim Namen, was vor dem Hintergrund der griechischen Praxis auffällig ist. Ob diese Anrede Kroisos tatsächlich über die Lippen kam, kann nicht einfach erraten werden. Jedenfalls legt Herodot die gleiche Anrede den persischen Großkönigen Dareios und Xerxes in den Mund, und zwar in Situationen, wo sie sich wohlwollend gegenüber angesehenen Fremden äußern, so z. B. gegenüber dem Tyrannen von Lesbos, Koes (Hdt. 4,97,2). In der Ilias (6,119 – 236) wird das Aufeinandertreffen eines Griechen und eines Lykiers erzählt, nämlich des Diomedes und Glaukos. Diomedes nennt
KUB XXIII 102 col. I 3 – 15. Cancik-Kirschbaum (2002), 285 hier auch die Begründung, warum sie als Meisterwerk zu qualifizieren ist. Zu Syrien und Israel Lindenberger (1994). Ob sich die Könige in lydischer Zeit überhaupt einmal „von Angesicht zu Angesicht“ gesprochen haben, ist mehr als fraglich. Kann man sich vorstellen, dass Nebukadnezar zu den Friedensverhandlungen des Jahres „585“ (Hdt. 1,74,3) nach Anatolien gereist wäre, um dort Alyattes zu treffen? KBo 28.1, 21′; 19′ (= ÄHK Nr. 4, Bd. 1, 22 ff.). Ein geglücktes Beispiel mit Bild ist die Zusammenkunft von Salmanassar III. von Assyrien mit dem König von Babylon Marduk-zakir-šumi (ca. 850 v.Chr.) zum Abschluss eines Staatsvertrags, der mit Handschlag besiegelt wird, s. Mallowan (1966), 447; vgl. auch die Erneuerung des Bündnisses mit Salmanassars Sohn, Šamši-Adad V., in SAA II no. 1.
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Glaukos „meinen Gastfreund von den Vätern her“, und sie tauschen Geschenke aus (Il. 6,215 – 218). Hier agieren zwei Adlige, die sich vom sozialen Status her als gleichrangig anerkannten. In unserer Novelle stehen sich aber ein Monarch, der auf die Wahrung seines Status besonderen Wert legen musste, und ein Bürger gegenüber, ein Bürger der Polis Athen, der als Staatsmann in besonderer Mission unterwegs war (s. unten). Ist die Anrede an Solon nur noch eine Formel in abgeflachter Bedeutung, als eine façon de parler, oder hat die Anrede des Kroisos noch etwas mehr Gehalt? Liegt deshalb nicht die Annahme nahe, dass Kroisos mit der Anrede, sozusagen in actu, dem Solon den Status eines Gastfreundes zusprach, als besondere Ehrerweisung?³⁴ Die Annahme, dass die Anrede des Kroisos schon etwas Besonderes ist, lässt sich mit einer Beobachtung an der AdrastosGeschichte stützen. Adrastos war ein Phryger aus königlichem Geschlecht. Als dieser des Mordes beschuldigt wurde, flüchtete er an den sardischen Hof, um sich entsühnen zu lassen. Er wird von Kroisos nur mit Onthrope „O, Mensch“ angesprochen (Hdt. 1,35,3), „also in a derogatory sense“ ³⁵ (vgl. Hdt. 1,84,4; 3,63,1; 8,125,2). Die Anrede war fast paternal und gönnerhaft „lieber Kroisos“ (o Kroise, Hdt. 1,32,1). Geschenke, wie sie einem orientalischen Weisheitslehrer obligatorisch zukamen, brachte Solon offenbar nicht mit (vgl. demgegenüber die Königin von Saba bei Salomo, 1 Kön 10).
Herodot traditionell und innovativ. Glück, Neid und die Unbeständigkeit Im Gegenzug zur vorherrschenden Meinung, nach der Herodot Schöpfer der Solon-Kroisos-Novelle ist, schließen wir uns hier der These an, dass Herodot sowohl auf eine ihm vorliegende Grundschrift, von der Forschung Lydiaka genannt, sowie auf Stoffe zurückgriff, die aus Erzählungen bestanden, in die sehr kurze Gespräche mitteilender oder auch belehrender Art eingelassen waren, wie sie im Vorderen Orient schon eine lange Tradition hatten.³⁶ F. Jacoby (1916) postulierte Als der Skythe Anacharis zu Solon nach Athen kam, sagte jener, er käme als ein Fremdling. Auf Solons Einwand hin, dass Gastfreundschaft, zu Hause, d. h. schon von der Heimat her anzuknüpfen sei, erwiderte dieser scharfsinnig: „Nun gut, da du zu Hause bist, so mache du mit mir Gastfreundschaft“ (Plut. Sol. 5). Um von einem König als Gastfreund anerkannt zu werden, bedurfte es großer Vorleistungen, z. B. in Form von chremata ‚Geld(zahlungen)‘, und selbst dann wurde die Gastfreundschaft als ‚Ehrengabe‘ (Pl. gerea), sozusagen als Privileg, verliehen, dazu Hdt. 7,29, aus der Geschichte von Xerxes und dem reichen Lyder Pythios (s. Teil 5 C). Asheri/Lloyd/Corcella (2007), 105. Nicht mehr als ein erster Schritt in die Materie kann sein Hermann (1957). Eine systematische und analytische Auflistung der einzelnen Gattungen und ihrer Traditionen im Vorderen Orient, gewonnen am Alten Testament, findet sich in der „Einleitung in das AT“ von Sellin/Fohrer (1965),
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als Vorlage Herodots griechische und lydische Lydiaka.³⁷ Von durchgehenden Quellenschriften, wie sie die alttestamentliche Forschung zum Pentateuch in der sog. Priesterschrift (um ca. 550 v.Chr.) besitzt, kann man im Falle des Lyder-Logos gerechterweise nicht ausgehen. Das wäre schon rein äußerlich, vom Quantitativen her gesehen, unangebracht. O. Regenbogen (1930) sieht in delphischen Erzählungen, die von Herodot metaphysisch vertieft worden seien, sowie in volkstümlichen Erzählungen, d. h. in „Volksbüchern“ und in Legenden, die sich um die Sieben Weisen gebildet hätten und zu denen Solon schon früh gerechnet wurde, die Vorlagen Herodots. Er spricht von der Mannigfaltigkeit der in unserem Dialog vorliegenden Schichten. B. Snell nimmt ebenfalls mit Berufung auf Regenbogen an, dass Herodot Vorlagen benutzte, in denen noch das alte Motiv von den Göttern, die für Hybris straften, lebendig war.³⁸ Jacoby nahm an, dass solche Lydiaka zwar existierten, aber deshalb nichts davon auf uns gekommen sei, weil Herodot sie alle verdrängt habe. Nun gibt es wohl einen Punkt, der die zwei SchichtenTheorie stützen könnte. In Teil 5.3 („Schatzhaus“) wird darauf zu achten sein, ob eine ältere Schicht, in der Solon als Politiker und Staatsmann auftrat und die stärker auf die sardeisch-athenischen Beziehungen abhoben hat, von einer die jüngeren Quelle bzw. Herodot selbst überlagert wurde, die Solon jetzt zum Ethiker und reinen Weisheitslehrer machte. Das Gespräch in Sardes ist der früheste Gedankenaustausch zwischen einem „Europäer“ und einem vorderorientalischen König, jedenfalls soweit wir Kunde haben. Es endete in Missstimmung, um nicht zu sagen mit einem Eklat. Das scheint eher die Ausnahme bei vorderorientalischen Dialogen gewesen zu sein, besonders dann, wenn ein König Gesprächspartner war.Vor allem der Eklat dürfte der Grund gewesen sein, warum überhaupt noch Kenntnisse von einem Gespräch bis auf Herodot gekommen sind. Der Grund, warum es zum Dissens kam, dürfte schon in der Antike verschieden benannt worden sein. Herodot sieht ihn jedenfalls darin, dass Kroisos von Solon wissen wollte, ob er, Solon, den „Glücklichsten aller Menschen“ kennen würde. Dieser nennt daraufhin Tellos und dann, wenig passend, aber für die Zuweisung an Herodot entscheidend, Kleobis und Biton. Sehr schön tritt der Historiker Herodot hervor, wenn er den Solon sagen lässt, dass Tellos „nach heimischen“, d. h. attischen, Begriffen glücklich war (Hdt. 1,30,4),
54– 108. Als die wichtigsten Gattungen werden hier genannt: die belehrenden (etwa Orakel), die mitteilenden (Gespräche und Reden), die erzählenden (besonders Mythos, Novelle) und die berichtenden Gattungen (Listen, Chroniken, Annalen). Vgl. auch die althethitische Palastchronik aus dem 16. Jh. v.Chr. (CTH 8). Jacoby nimmt an, dass schon vor Herodot die lydische Tradition durch griechische Novellen oder griechische Tendenzerzählungen verdrängt worden sei. Regenbogen (1930), 3 ff.; Snell (1975), 147 f.
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also eine subjektive Note in dieses insgesamt eher die Standpunkte wahrende Gespräch einbringt. Kroisos nun hatte erwartet, dass nur er allein als der Glücklichste hätte genannt werden müssen. Dass das Gespräch, wenn es stattgefunden hat, sich in Wirklichkeit um einen solchen Wettbewerb drehte, halten wir kaum für möglich.³⁹ Viel näher liegt die Annahme, dass Herodot als Redaktor hier stark eingegriffen hat. Er will folgendes sagen: Ein Mensch darf nur postum glücklich gepriesen werden. Denn wer schon vor der Zeit meint, im Zustand der eudaimonia⁴⁰ zu sein und sich über die Menschen erhebt, der muss der drohenden Gefahr gewärtig sein, Neid (phthonos)⁴¹ zu erregen, der dann den Zorn von Seiten der Gottheit (ek theou nemesis)⁴² nach sich ziehen musste. Der Begriff phthonos ist für Solon nicht bezeugt, sondern entstammt in diesem Zusammenhang wohl erst der historiographischen, neuen Konzeption Herodots. Dieser tut dann noch ein weiteres, denn er bringt phthonos mit der Vorstellung in Verbindung, die Kroisos später als Ratgeber des Kyros diesem in Zentralasien angeblich zu bedenken gab, dass es nämlich einen „Kreislauf (kyklos) der menschlichen Dinge gäbe“. Nicht kann es den einen immer gut gehen und den anderen schlecht (Hdt. 1,207,2).⁴³ Es ist gut denkbar, dass Herodot als erster diese theologoumena in einer noch ganz dem archaischen Denken verpflichteten, wenig systematisierten und stringenten
Mit der Nennung der Namen Kleobis und Biton wird nun endgültig ein Ranking aus der Geschichte. Warum die unpassende Geschichte von Kleobis und Biton überhaupt hier erzählt wird, ist ein ungelöstes Problem. Herodot dachte vielleicht an seinen letzten Besuch in Delphi zurück, wo er die Statuengruppe der beiden Argiver sah (heute im delphischen Museum). Eudaimonia wird häufig mit ‚Glück‘ oder jetzt auch mit ‚Wohlbefinden‘ übersetzt. Die griechischen Quellen, vor allem der archaischen Zeit, meinen etwas Fundamentaleres. S. Schröder, mit dem wir intensiv vor allem den schrittweisen Argumentationsgang Solons in Hdt. 1,32,4– 9, zwar nicht ohne Widerstreit, der aus unterschiedlicher Denkweise und abweichender thematischer Grundeinstellung resultiert, Punkt für Punkt durchexerzierten, schlägt für eudaimonia die Übersetzung ‚gelingendes und gelungenes Dasein‘ vor. Das ist wenig griffig, trifft aber viel besser den Sinn. Hdt. 1,32,1: „das Göttliche ist insgesamt neidisch (phthoneron) und in Unruhe versetzend (tarachodes)“. Neid (phthonos, phthoneros), in LXX nie vom Gott Israels gebraucht, taucht zuerst in den deuterokanonischen Schriften auf (1 Makk 8,16; 14,10). Romm (1998), 59 – 76 („The downfall of greatness“), wo er auf phthonos und tisis ‚Buße‘ eingeht. Hdt. 1,34,1; LSJ s.v. „later, of the wrath of the gods“. Der Begriff nemesis (zugeteiltes Schicksal) wird nicht von den homerischen Göttern gesagt, sondern erscheint zuerst bei Hesiod, und zwar personifiziert (erga 200). Man nennt nemesis und auch aidos lieber „(göttliche) Mächte“. Beide kommen bei Herodot nur einmal, und zwar im Lyder-Logos, vor. Hdt. 1,5,4: Hier schließt der Gedanke von der Unbeständigkeit menschlicher eudaimonia (= kyklos) direkt an den Satz an, dass unter den von ihm besuchten Städten (astea, bezugnehmend auf Hom. Od. 1,3) früher einige groß waren, die klein geworden sind (und umgekehrt). Außer Städten bzw. Stadtstaaten haben wir aber auch Reiche mit hinzuzudenken.
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Argumentationskette eingebracht hat. Hdt. 1,32 muss nach Art des Schleifengangs aufgelöst werden. Der Schleifengang ist eine Erfindung Solons (F13,8 – 32 W, sog. Musenelegie), vollendet und endend bei Pindar (P. 9).⁴⁴ Ist damit aber auch schon gesagt, dass Hdt. 1,32 von Solon stammt? Hilfreich könnte eine genaue Interpretation der Geschichte von Polykrates und Amasis (Hdt. 3,40 – 44) werden. Sicher ist alles von Herodot stark redaktionell überarbeitet. Entscheidend wurde die Einführung des Kyklos-Gedankens. Ihm liegt aber eine Erfahrung zugrunde, die Solon noch nicht gemacht haben kann. Erst Herodot selbst konnte den ihm vorausgehenden Zeitraum von etwa hundert Jahren, der vom Aufstieg und Niedergang so vieler Staaten und Reiche, zuletzt auch vom Niedergang des Perserreiches, geprägt war, beobachten und daraus seine Schlüsse ziehen. Solon dagegen konnte zu seiner Zeit diesen weiten historischen Blick in die Tiefe des vorderorientalischen Raumes noch gar nicht haben. Erst der Aufstieg des Perserreiches, der einherging mit dem Untergang vieler Staaten und Reiche, öffnete Herodot die Augen, was ihn schließlich zur Herausbildung des phthonos- und des kyklos-Gedankens führte. Wenn auch Solon den phthonos-Gedanken in dieser Form wohl noch nicht kannte – er findet sich auch bei anderen Lyrikern mit Einschluss Pindars nicht –, so lebt doch archaisches Denken über die Grundfragen menschlichen Daseins, wie es etwa in der „Musen-Elegie“ Solons (F1 G.-P. = F13 W) bewahrt ist, auch in unserer Novelle weiter.⁴⁵ Es ist auffällig und scheint im Hinblick auf die altorientalische Literatur sich als eine Sonderheit des Griechentums herauszustellen, wie stark hier der Gedanke von der Unstetigkeit des menschlichen Lebensglücks entwickelt wird. Noch tragischer und determinierter ist die Geschichte nun durch die Einfügung des phthonos-kyklos-Gedankens geworden. Der herodoteische Solon hat denn auch vorhersagen können, wie es dem Kroisos ergehen werde (Hdt. 1,86,5); eine Prophezeiung ex eventu, wie sich herausstellt. Der historische Solon dagegen hatte im Reichtum sicher zunächst einmal etwas Positives gesehen; sicherer aber kann man das Ziel, ein olbios (‚Glücklicher‘) zu werden, erreichen, wenn es ohne Reichtum möglich ist. Denn das Ansammeln von Schätzen macht süchtig und hindert daran, Maß zu halten. Das gefüllte Schatzhaus des Kroisos sah Solon als symptomatisch für den momentanen Zustand des Königs an. Dieses grenzenlose, ja rücksichtslose Streben nach dem Geld, wie Solon es deutete, allerdings aus
Fränkel (1968), 594 mit weiteren Belegstellen. Vergleichbar sind die schroffen Umschläge vom Glück zum Unglück, und manchmal auch von Unglück in Glück, aber auch viel Unterschiedliches. So spielt der ‚Segen‘ (olbos) von den Göttern, dann der ‚gute Ruf‘ (doxa agathe), und schließlich ‚Reichtum‘ (chremata) für Solon eine Rolle.Wir beziehen uns hier auf Fränkel (1968), 615 (Index A [systematisch] „Glück und Unglück“), der auf Grund seiner gewählten Epochengrenze leider nicht auf Herodot eingehen konnte.
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völliger Unkenntnis der Hintergründe, sei aber etwas ethisch Verwerfliches, weil es egoistisch sei und die eunomia, d. h. die soziale und moralische Ordnung von Staat und Gesellschaft, zerrütten müsse. Dike („das Recht“), die Tochter des Zeus, wird „gewisslich“ (pantos) früher oder später die Strafe an dem Sünder vollstrecken (Sol. F4,10 – 16 W). Sie trifft den, dem sie vorherbestimmt ist, wie aus heiterem Himmel, wird äußerlich vollzogen, ohne dass dieser persönlich mit seinem Fehlverhalten nachträglich noch einmal konfrontiert wird und den Tun-ErgehenZusammenhang erkennen kann, wie ihn das AT und die Weisheit des Alten Orients überhaupt lehrt.
Über die Authentizität dessen, was gesagt wurde Wie verlässlich ist überhaupt das, was Herodot über den Inhalt des Gesprächs in seinen Vorlagen fand? Außer den aktiv am Gespräch beteiligten beiden Männern waren wahrscheinlich keine weiteren Personen anwesend, denn es wurden auch politische Geheimverhandlungen geführt. Wer hat das Gespräch gehört und wer sorgte für die Weitergabe über drei Generationen hinweg bis auf Herodot? Die Frage nach der Authentizität, „nach der wörtlichen Genauigkeit“ von gehaltenen Reden (logoi), wird von Thukydides im sog. Methodensatz (1,22) eigens thematisiert.⁴⁶ Kannte Herodot diesen Satz und muss er an diesem gemessen werden? Das wird davon abhängen, wann Thukydides das Methodenkapitel geschrieben hat, später als Herodot, gleichzeitig oder vielleicht sogar früher. Für unsere rekonstruierend arbeitende Darstellung ist der Methodensatz auf jeden Fall anzuwenden. Wenn man auch nicht annehmen muss, dass Kroisos und Solon im stillen Kämmerlein Geheimverhandlungen führten, so ist doch der vorderorientalische Palast kein Ort, wo Öffentlichkeit institutionalisiert war. So weiß man im Falle Assyriens nicht einmal, wie politische Willensbildung vor sich ging, Entscheidungsprozesse in Gang gesetzt und konkret umgesetzt wurden, so N. Postgate (2007b). Und dies trotz vieler Inschriften auf Stelen und auf Fels und trotz Hunderter von Briefen (8.–7. Jh. v.Chr.), darunter viele, die von assyrischen Statthaltern grenznaher Militärprovinzen geschrieben wurden. Das erscheint paradox, lässt sich aber vielleicht von der Gattungsart der Dokumente her erklären. Sie gehören zu den berichtenden Gattungen, sie sind verlautbarend, anordnend, Gehorsam erzwingend und stark objektgebunden, was bedeutet, dass sie ihre
Das Werk Herodots kennt direkte Reden vor allem in den Büchern 7– 9, viel seltener sind sie in den vorangehenden Büchern. Herodot bevorzugte es, möglichst zeitnahe Erzählungen mit begleitenden, direkten Reden zu bieten.
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Aktualität einbüßten, sobald ihr Zweck erfüllt war. Diese Dokumente hatten natürlich keine mündliche Überlieferungsphase, sie waren auch nicht im Bewusstsein der Bewohner Ninives verwurzelt, sondern liefen auf dem Amtsweg an ihnen vorbei und gingen endgültig mit dem Untergang der Stadt verloren, für zweieinhalb Jahrtausende jedenfalls, bis 1839 A.H. Layard sich aufmachte, Ninive zu suchen; als er den Platz gefunden hatte, folgten ihm die Ausgräber. Ähnlich und doch ganz anders war es im hethitischen Reich gewesen. Freilich war auch hier die sog. Öffentlichkeit begrenzt, und zwar auf die Reichselite. An Zahl war diese aber unerhört groß, und sie machte sich, anders als in Assyrien, von der Verfassung legitimiert rege bemerkbar an Orten und Plätzen der Stadt, nicht zuletzt mit Einsatz von Schrift und Literatur, auch apologetischer Natur. Wie H. Cancik (1993) und F. Starke (2002) herausgearbeitet haben, fassen wir hier eine Regierung, die vom Großkönig und den „Großen“/„Vorrangigen“ gebildet wurde, sie bestimmten die Politik. Aber bevor diese umgesetzt wurde, mussten die ins Auge gefassten Entscheidungen vor Institutionen vertreten und begründet werden.Von diesen war der panku- ‚die Gemeinschaft (des Reiches)‘ die wichtigste. In ihr waren alle Mitglieder der riesigen königlichen Sippe (ishes ‚Herren‘) vertreten, dazu gehörten auch die Könige der vielen Gliedstaaten, wie etwa Wilusa/Troia, und alle Eingeheirateten. Der panku- kontrollierte sogar die Regierung. Es ist die Art dieser Verfassung, die etwas freisetzte, was der Anfang politischen und pragmatischen Denkens genannt werden kann. Die Assyrer ließen dem weit weniger Raum. Umso bedauerlicher ist es, dass wir im Falle Hattusas nicht genau wissen, wie groß und bedeutsam der Einfluss von erzählenden, wie Sage und Legende, sowie von weisheitlich-belehrenden Gattungen wie der hurritischhethitischen Bilingue war.⁴⁷ Denn anders als amtliche Dokumente hätten etwa Lehrerzählungen weiterleben können, weil sie über den Tag hinaus eine unüberholbare Gültigkeit besaßen und ihr Sinnpotential unerschöpflich war. Die Frage ist nur, für wen? Denn mit dem Untergang von Hattusa verschwanden auch die Hethiter und mit ihnen die mündlich kolportierten Palastgeschichten. Nur in Südostanatolien und Syrien lebte ein Teil der hethitischen Reichstradition direkt weiter. Dass dabei die hethitische Sprache verschwand und nur noch die luwische in Gebrauch war, stellte kein Hindernis dar, denn auch in Hattusa war die Umgangssprache im 13. Jh. v.Chr. bereits nur noch luwisch gewesen. Wesentlich für die Tradition war das Fortbestehen der hethitischen Hieroglyphenschrift, die auch schon zur Großreichszeit nur für die luwische Sprache verwendet worden war, so dass sich hier nichts änderte. Von Südostanatolien aus dürfte dann manches zu den Lydern gelangt sein, anderes an mündlicher Tradition hatten die Luwier und
Bearbeitung der Bilingue bei Neu (1996).
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Lyder Westanatoliens selbst aus der Spätbronzezeit bewahrt, was sich aber nur in günstigen Einzelfällen, wie z. B. beim Königstitel lailas als vermutlicher Entlehnung aus hethitisch lahhii̭alas ‚Reisiger‘, wahrscheinlich machen lässt. Was nun die Geschichte Lydiens selbst betrifft, so ist zu bedenken, dass die Lyder Seite an Seite jahrhundertelang mit den Ioniern zusammenlebten und von diesen geschätzt wurden. Dadurch hatten sich Lydiaka bis zu Herodot hinüberretten können, wenn auch mit der Tendenz eines zunehmenden Verlustes historischer Authentizität, nicht zuletzt aufgrund der Transformierung des erzählten solonzeitlichen Stoffes in eine völlig neue Gattung, nämlich die der Novelle.⁴⁸ Günstiger stellt sich die Situation im Falle Israels/Judas dar. Bücher gab es allerdings hier auch nur am Tempel und am Palast in Jerusalem. Aus der jüdischen Militärkolonie auf der Nilinsel Elephantine, auf der vielleicht schon seit der Eroberung von Samaria 720 v.Chr. durch die Assyrer Israeliten Fuß gefasst hatten und einen Jahweh-Tempel unterhielten, wurde bislang kein einziges biblisches Buch geborgen. In Jerusalem dagegen gab es Schulen. Vielleicht übertreibt man, wenn man verallgemeinernd sagt: Die gesamte Literatur des Vorderen Orients mit Einschluss Israels ist als Schulliteratur entstanden. Die Tora/der Pentateuch liegt vor 400 v.Chr. als Buch vor, also in persischer Zeit, in der auch Herodot die SolonKroisos-Geschichte verfasste. Von besonderem Interesse sind natürlich die historiographischen Teile des Alten Testaments, besonders die Bücher Samuel und Könige.⁴⁹ Es gibt hier in unserem Zusammenhang interessierende Nachrichten, für deren Glaubwürdigkeit sich Propheten verbürgten, wie Jeremia (seine Berufung 626 v.Chr.) in den letzten Jahren und Tagen Jerusalems (597– 586 v.Chr.).⁵⁰ Er klagt und wird zum Ankläger. Angeklagt werden der König (Jer 21– 23), sowie die Priester und die sog. Heilspropheten. Nicht immer ist zu erkennen, was konkret gemeint ist, so wenn Jeremia Jerusalem als eine Prostituierte zeichnet und sie der Hurerei bezichtigt: „Auf jedem Hügel und unter jedem grünen Baum liegst du als Hure“ (Jer 2,19 – 22). Das ist eine Metapher für eine verfehlte Bündnispolitik, welche als Schaukelei zwischen Ägypten und Babylonien im Bündnis hin und her
Wie die atl. Forschung hierüber denkt, macht der Titel eines Buches von W. Dietrich (1989) deutlich. Er lautet: „Die Josephserzählung als Novelle und Geschichtsschreibung“. Sie wird datiert in die Zeit nach 722 v.Chr., aber noch in vorpersische Zeit, als die Nilinsel Elephantine eine jüdische Kolonie wurde (Gertz [2016b], 284). Kratz (2000). Im AT finden sich neben Erzählungen natürlich auch andere Gattungen, zu nennen wären hier Gesetzeskorpora (besonders der Dekalog), Weisheitsworte und Prophetensprüche. Das corpus propheticum ist noch nie – soweit uns bekannt – auf unsere Frage hin, wie arbeitete die Regierung am Hofe und was wurde dort geredet, untersucht worden.
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pendelte.⁵¹ Wer für die Übertragung vom Palast in Sardes in die Öffentlichkeit verantwortlich war, ist schwer zu sagen. Wie es in Jerusalem um Bündnispolitik ging, so auch in Sardes. Trotz Geheimhaltung und Unwissenheit Herodots soll der Versuch unternommen werden, jenseits vom Weisheitlichen etwas mehr Licht in das Gespräch zwischen Solon und Kroisos zu bringen. Was für Jerusalem die Propheten waren, könnten für Sardes die sophoi ‚Weisen‘ gewesen sein, die bei Kroisos zu Gast waren, Solon selbst nämlich und viele andere, nicht zu vergessen Thales von Milet, der den König auf dessen kappadokischen Feldzug begleitete (s. Teil 6).⁵² Und man muss sich klarmachen, dass Jeremia und Solon Zeitgenossen sind. Die sophoi sind als Kandidaten auf jeden Fall in den Blick zu nehmen und zu behalten.
Äußere Formen des Dialogs Monographisch wurde das Thema zuerst – dem voraus geht die ganz anders dimensionierte, immer schon als epochal empfundene „Einleitung“ F. Schleiermachers (zuerst 1804) zu den klassischen, philosophischen Dialogen Platons,⁵³ – von R. Hirzel (1895) behandelt.⁵⁴ Bemerkenswert ist folgende These: Der Vordere Orient (Hirzel spricht pauschal von „Semiten“ als deren Bewohnern) wie auch Iran (außerhalb des Avesta) kannten keine Dialoge als literarische Gattung, und es überrascht daher nicht, dass sie auch das Drama und die Philosophie nicht besaßen. Dialoge sind aber gerade in den alttestamentlichen Geschichtswerken sehr häufig. Der Dialog beginnt mit Grußformeln, wie „der Friede sei mit Dir“, der Höherstehende redet den Niedrigeren mit bloßem Namen an, dieser aber jenen mit „mein Vater“ (Gen 48,18), oder mit „mein Herr“: „Auf mich, mein Herr, komme, was unser Gespräch Unangenehmes oder Nachteiliges bringen könnte!“
Maier (2003). Engels (2010) geht auf die Probleme von Historizität und Authentizität mit keinem Wort ein, sondern hält sich an den Wortlaut der Texte, wie sie sich vor allem in Legenden späterer Zeit finden. Abgedruckt in: Gaiser (1969), 1– 32. Der Solon-Kroisos-Dialog zeigt Ähnlichkeiten mit den platonischen Dialogen, die eigentlich Monologe sind. Sokrates ist der dialektikos, der Gesprächsführer, der die „Erklärung des Seins und Wesens eines jeden fasst“ (rep. 534b), der die Diskussion mit dem Dialogpartner nicht nötig hat; der Dialogpartner gehört zu den ‚Lernenden‘ (manthanontes), er kann nur bestätigen, allenfalls nachfragen, aber nicht nachhaken. Sokrates ist der ‚Wissende‘ (eidos), der die Ideenerkenntnis erreicht hat, so im Phaidros (276a; 278c), vgl. Szlezák (1993), 139 – 147. Hirzel (1895), bes. 2– 67 („Wesen und Ursprung des Dialogs“), hier ist auch Herodot einmal mit einbezogen.
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In den vorderorientalischen und ägyptischen Dialogen sind Fragen des Ranges und der Würde nicht nur Phrasen höfischen Stils, sondern Ausdruck der Akzeptanz gottgesetzter Ordnung. In gleichbleibend formelhaften Wendungen geht es dann weiter mit „und jetzt“, „wohlan“, oder „höre“. Das ganze Gespräch wird nicht selten beendet – zustimmend oder unwillig – durch ein „schon gut“ oder „genug“ (Gen 45,28), bei guter Atmosphäre mit einem Abschiedsgruß, sonst wortlos.⁵⁵ Auch hier fallen Parallelen zum Solon-Kroisos-Dialog auf, freilich noch stärker die Unterschiede, so Solons mangelnder Respekt gegenüber dem König. Der platonische Sokrates kennt im Gespräch zwar auch keine Gleichrangigkeit, er steuert das Gespräch dahin, wohin er es wünscht, allerdings wird die Schroffheit eines Solon abgemildert durch Formen von Urbanität, wie sie eben nur Platon zu eigen war.
Ein „garstiger Graben“ (nach G.E. Lessing) Ein Graben oder ein kaum zu übersteigendes, schwer zu umgehendes Gebirge trennt die historischen Personen des Dialogs von denen der herodoteischen Fassung. Dieser wurde zuerst behandelt von F. Hellmann (1934), der Herodot kaum oder gar nicht als Historiker, sondern als Theologen sieht, und der lyrisch schöne und eingängige Stellen aus dem AT zitiert, wie sie vor allem der lyrische Deutero-Jesaja (IIJes) bietet, z. B. Jes 55,7.Wichtig ist Hellmanns Versuch, die Frage zu beantworten, ob bereits die Hellenen-Barbaren-Ideologie Einfluss auf unsere Novelle genommen hat oder nicht. Sein Urteil lautet, dass ein solcher Einfluss festzustellen sei. Der heutige Stand sagt, dass Solon die Hellenen-BarbarenIdeologie noch nicht gekannt haben kann, und dass daher auch die Ideologie von der Europa–Asien-Dichotomie sein Denken noch nicht bestimmte. Asien war noch kein Kontinent, der unbegrenzbar gewesen wäre, sondern noch im Wesentlichen gleichbedeutend mit dem lydischen Reich, dessen Grenzen irgendwo am Halys verliefen, also mit „Klein-Asien“. Die Konzeption von Europa und Asien als zwei Kontinenten stammt begrifflich von Hekataios von Milet (vor 500 v.Chr.). Die Barbarisierung von Nichtgriechen und der Gegensatz Europa-Asien ist jedoch erst die direkte Folge des griechischen Sieges über die Perser. So wurden auch die Lyder gleichsam über Nacht für Herodot und für alle Autoren, die ihm folgten, zu Barbaren. Die Auswirkungen der Perserkriege auf die Griechen darf man sich nicht weniger stark und weniger bedeutsam für alle Zukunft vorstellen, als das, was das Babylonische Exil (gôlāh) – natürlich unter anderen Vorzeichen – in
Wir folgen hier wieder Sellin/Fohrer (1965), 87 f.
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Babylonien bei den Israeliten bewirkte, die bis hin zum vorübergehend drohenden Identitätsverlust führte. Trotz dieses markanten Hiats tut man sich schwer, Vorexilisches von Nachexilischem zu trennen, und so entsprechend auch in Griechenland. Denn man muss bedenken, dass Solons Gedichte zwar für die vorpersische Zeit eine ausgezeichnete Quelle sind. Dass er aber verschiedene Gewährsleute befragt hätte, um die Wahrheit herauszufinden, dafür gibt es keine Anzeichen.
Kroisos’ Genusssucht. Ein Klischee wie aus Tausendundeiner Nacht? Herodot stellt deutlich heraus, dass Griechen (gemeint sind die Ionier) und Lyder kaum etwas, jedenfalls nichts Fundamentales, voneinander trennen würde. Das ist für seine Zeit sicherlich zutreffend, ob das aber auch schon für die Zeit des Kroisos gilt, ist weniger wahrscheinlich.⁵⁶ Dennoch dürfte der Grad der Angleichung schon in lydischer Zeit nicht unerheblich gewesen sein. ⁵⁷ So hielt es die Forschung für angebracht, wenn auch zaghaft, mit Begriffen griechischer Anthropologie zu arbeiten.⁵⁸ Herodot bezieht ja nicht nur Griechen und Lyder in seine Überlegungen mit ein, sondern er lässt Solon sagen, dass diese seine Worte an „die ganze Menschheit“, und d. h. doch wohl auch an „die eine Menschheit“ gerichtet seien, besonders Worte der Warnung, gerichtet an die, die sich glücklich (olbioi) glaubten (Hdt. 1,86,5). In unserer Novelle (Hdt. 1,29 – 33) sind die Begriffe versammelt, die Glück bzw. den Glücklichen (olbos/olbios, eudaimonia) und Reichtum bzw. den Reichen So sagt Herodot, dass sich die diaita tes zoes, der „way of life“ (Powell [1938], 87), seit Kyros völlig geändert habe (1,157,2). Das wird besonders spürbar, wenn immer wieder versucht wird, griechische und lydische Kunst voneinander zu trennen, so zuletzt Zimmermann (2014). Hdt. 1,94,1: Lyder und Griechen hätten ähnliche nomoi. Von „griechischer Anthropologie“ spricht Marg (1953), 1111. Nach dieser Anthropologie wusste Kroisos nicht den Unterschied abzuwägen von Mensch und Gott, Schein und Sein, Anmaßung und Wirklichkeit, bis ihn schließlich die „Wahrheit“ mit voller Wucht traf. Die „Wahrheit“, die vor allem den richtigen Umgang mit der „Gottheit“ lehrt, nämlich an sie „schlicht und ehrfürchtig“ heranzutreten und ihr schon gar keine „Vorwürfe“ zu machen, denn durch solche werde offenbar, dass „der eigentliche Respekt vor der höheren Macht fehlt“ (S. 1106). Mit dem Alten Orient und dem historischen Kroisos jedenfalls hat das nichts zu tun. Da hören wir ganz andere Töne, so wenn Kroisos mit dem Gott rechtet. Das hat aber schon eine lange Tradition im Vorderen Orient. So weist Gilgamesch das Ansinnen der Göttin Ischtar zurück, ihr Liebhaber zu werden. Denn ihren bisherigen Liebhabern sei es nicht gut bekommen (6. Tafel), und Jeremia sucht den Rechtsstreit mit Jahweh, den er sogar der Täuschung bezichtigt. Speziell zur atl. Anthropologie, auch als erster Einstieg in die Anthropologie allgemein geeignet, s. van Oorschot (2010).
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(ploutos, plousios, Verb plouteein) bezeichnen. Nicht genannt werden auffälligerweise chremata, was sonst meistens mit ‚Geld‘ übersetzt wird.⁵⁹ Alle die soeben genannten Begriffe finden sich bereits in den Elegien Solons oder lassen sich doch zumindest mit den solonischen Reformen innerlich in Einklang bringen, so der Begriff eudaimonia (1,32,1), der fast synonym mit Solons olbos ‚Segen‘, ‚Gedeihen‘ ist. ‚Geld‘, ‚Besitz‘ (chremata) wurde vom historischen Solon in keiner Weise gering geschätzte, sondern vielmehr als die condicio humana begriffen (Sol. F13,7 W). Von ‚Luxus‘ (tryphe), ‚Prunk‘ (habrosyne = habrotes), ‚Üppigkeit‘ (chlide),⁶⁰ ‚Sattheit‘ (koros; welches zu Hochmut führt, Sol. F24 W), ‚Überfluss‘ (pleonexia) oder ‚Putzsucht‘ (anopheleai) findet sich dagegen bei Herodot im Lyder-Logos keine Spur.⁶¹ Auch von einem Streben nach Profit (kerdea) oder Geldgier (chrematistike) ist bei ihm nicht die Rede. Letzteres würde man heute nicht mehr der klassischen Ökonomie, sondern der Finanzwirtschaft, den Banken und Börsen, zuweisen. Alle modernen Arten von Vermögensbildung waren Lydern und Griechen noch fremd, sie haben in Griechenland allenfalls im 4. Jh. v.Chr. eine, wenn auch nur eine marginale Bedeutung gehabt. Solches „Geld-Machen“ (chrematistike) hat Aristoteles als widernatürlich, weil zu maß- und grenzenloser Gier reizend, gebrandmarkt.⁶² Außer dieser chrematistike wurden fast alle anderen oben genannten Begriffe im 7./6. Jh. v.Chr. noch völlig anstandslos gebraucht, so etwa von Sappho der Begriff habrosyne, und Solon hält – mit Einschränkungen – das „Profitstreben“ (to kerdos/ta kerdea) für legitim.⁶³ Erst im „aufgeklärten“ 5. und 4. Jh. v.Chr., als „der naive Glaube weicht, stellt sich die Gesinnungsmoral ein.“⁶⁴ So auch im Bereich von Reichtum und Geld. Von dieser Moral bleibt die Solon-Kroisos-Novelle noch weitgehend verschont, und überhaupt scheint He-
Nur einmal, als Kroisos auf dem Scheiterhaufen steht, lässt Herodot ihn von chremata sprechen (1,86,4). Der Begriff findet sich indes schon um 600 v.Chr. bei Alk. F360 L.-P., hier als Ausspruch des Spartaners Aristodamos: „chremata ‚money‘ (LSJ s.v.) – Geld macht den Mann!“ Herodot bringt dann Peisistratos mit chremata ‚Geld‘ in Beziehung (Hdt. 1,61; 62; 64), und viele weitere Belegstellen. Nur einmal, und zwar für einen griechischen Lebemann aus Sybaris, von Herodot in diesem Sinne gebraucht (Hdt. 6,127,1). Das mit den beiden letzten Begriffen Bezeichnete hätten die Griechen von den Lydern gelernt, behauptet jedenfalls Xenophanes von Kolophon um 565 – 470 v.Chr. (F3 DK). Dazu ein sehr gelehrter Aufsatz aus der Feder von M.I. Finley (1974), der eine einzige Hommage an K. Polanyi ist. Sappho F96 Voigt/L.-P. (so jedenfalls die Angabe LSJ). Ob das mit habrotes ‚Zartheit‘ zusammengesetzte Adjektiv habrodiaitoi von Aischylos als Ausdruck lydischer Verweichlichung zu verstehen ist oder nicht, darüber macht sich Garvie (2009), 62 f. Gedanken, s. dort auch den Kommentar zu Aischyl. Pers. 41– 42. Zu kerdos/kerdea Sol. F1 G.-P./F4 W („Musen-Elegie“). So grundsätzlich van der Leeuw (1956), 434 (nach L. Lévy-Bruhl).
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rodot Begriffe, die zu seiner Zeit anstößig geworden sind, wie habrotes ‚Verweichlichung‘, von vornherein zu vermeiden. Dieser lexikalische Befund trägt zur Entlastung des Kroisos nicht unerheblich bei: Kroisos hatte zwar ein für Griechen auffälliges Verhältnis zum Reichtum, aber Verlangen nach Genuss war das nicht, und so sah auch Herodot dieses nicht. Die Frage, worin denn die eudaimonia des Kroisos bestanden habe, soll im folgenden Kapitel beantwortet werden. Man muss in Erwägung ziehen, ob das gefüllte Schatzhaus wirklich die Basis seiner eudaimonia war, und weiter, ob er sich wirklich für den glücklichsten, reichsten (olbiotatos) aller Menschen hielt (Hdt. 1,30,2). Dies liest sich eher wie aus einem Märchen aus Tausendundeine Nacht, das mit dem echten Vorderen Orient allerdings weniger gemein hat, als man glaubt. Dieses Selbstbewusstsein des herodoteischen Kroisos, das dem delphischen „Erkenne dich selbst“ direkt entgegengesetzt ist, eröffnet den Spielraum, um Kroisos’ Schicksal zu besiegeln. Aber der Untergang des lydischen Reiches war nicht nur durch das Schicksal (moira) vorherbestimmt, sondern auch Strafe für persönliches, rational nachvollziehbares Fehlverhalten (Doppelmotivierung). Dass die Strafe gerecht war, ist jedenfalls die Meinung von Solon, Delphi und auch von Herodot. Wie diese Konstellation von Gleichgesinnten zustande kam, wird erst richtig erkennbar, wenn die Erzählung von Kroisos auf dem Scheiterhaufen analysiert wird (Hdt. 1,86 – 92,1, s. Teil 6).
Seneca: De vita beata. Sozialpflichtigkeit von Reichtum Die Bewegung der christlichen und westlichen Ethik in Richtung hin zum Universalen hat im Stoizismus eine wichtige Etappe zwischen Platon/Aristoteles und der Moderne einnehmen können.⁶⁵ Das Thema Glück hat in der Antike erst relativ spät seine monographische Behandlung gefunden, und zwar zuerst in dem moralphilosophischen Traktat „De vita beata“ des römischen Stoikers Seneca (das Werk entstand 58/59 n.Chr.).⁶⁶ So der Begriff dikaiosyne/iustitia, s. dazu Long/Sedley (2000), 440 – 460. Eine Schrift „peri olbou“ bzw. „peri eudaimonias“ gibt es nicht. Aristoteles verfasste immerhin in seiner Nikomachischen Ethik (10,6 – 9 [1176a30 – 1179a32]) eine wichtige Abhandlung über die eudaimonia. Dies sei das Ziel allen menschlichen Tuns. Diese Glückseligkeit sei nun aber nicht Untätigkeit, sondern das gerade Gegenteil davon. Sofern der Glückselige ein Mensch sei und mit vielen zusammenlebe, wird er, etwa in Notlagen, diesen mit tugendhaften Werken begegnen. Dazu bedarf es auch der materiellen Güter. Aber die vollkommene Glückseligkeit bestehe nicht in äußeren Handlungen aller Art, sondern sei eine betrachtende Tätigkeit, wie sie die Götter ausübten, die der äußeren Güter deshalb überhaupt nicht bedürften (1178b5 – 15). Aristoteles kommt dann direkt auf Solon zu sprechen. Dieser habe auf die Frage, wer glückselig sei, richtig geantwortet: Diejenigen seien es, die mit äußeren Gütern mäßig bedacht, die schönsten Taten verrichtet
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Seneca war sehr reich: Er könne, so bekennt er, seinen Reichtum aber auch loslassen. Aber warum solle er ihn loslassen? Seine Begründung: Kann ein reicher Philosoph denn nicht mehr für die Armen tun als ein armer? Die Legitimierung seines Reichtums ist, ohne dass Senecas Anliegen sich darin erschöpfen würde, ein Kernthema dieser Schrift. Senecas Redefigur erscheint uns Heutigen zwar moralisch wenig überzeugend und auch nicht allzu tiefgründig gedacht, aber die Ansicht Senecas kann Anlass sein zu der Frage, was denn Kroisos mit seinem ganzen Reichtum machte. Hier geht es um den großen und sehr großen Reichtum (ploutos), wie er ein Schatzhaus voraussetzt. „Gerechtigkeit“ ist eine „neue Tugend“, die sich aus der älteren, personifizierten Dike entwickelt (R. Hirzel). Dike, Tochter des Zeus, ihre Schwester ist Eunomia (Hes. theog. 903), ist nach Hesiod und Solon von zentraler Bedeutung für die Schaffung eines geschützten Rechtsraumes der frühen Polis in ihren schweren Umbruchphasen des 7. Jh. v.Chr. (Hes. erga 256 – 285). „Gerechtigkeit“ ist nach Platons Definition das Streben, dass jeder das Seine erhält.⁶⁷ Der Begriff „Gerechtigkeit“ findet sich zuerst bei dem jüngeren Zeitgenossen Solons, Theognis (etwa 585 bis nach 540 v.Chr.); der Begriff taucht aber in Herodots ganzem Lyder-Logos nicht ein einziges Mal auf. Er erfährt in Platons Politeia („Der Staat“) seine erste monographische Behandlung; sie ist eine auf das Gemeinwesen, speziell auf die Polis bezogene Tugend, und zwar die wichtigste (rep. 434d–445e). Wie sich aber Gerechtigkeit und Glück zueinander verhalten, soll in der Zusammenfassung zu Teil 5 3 erörtert werden. Ausgehend von der Gyges-Parabel Platons (rep. 359d–360b) demonstriert Sokrates, dass das Glück durch gerechtes Tun nicht geschmälert wird, der Gerechte mitnichten ein unglückliches Leben führt, sondern dass gerade Gegenteil der Fall sei. Gerechtigkeit heiße nun einmal nichts anderes als „das Seinige tun“ (rep. 433a). Um das Seinige aber tun zu können, ist eine sorgfältige Erziehung vor allem der Wächter und, an oberster Stelle, der Regenten (sog. Philosophenherrschaft) zur Gerechtigkeit notwendig. Von ihr hängt nicht nur ihr persönliches Wohlergehen ab, sondern, was als viel wichtiger intendiert ist, die eudaimonia des Gesamtstaates.⁶⁸ Solon machte sich stark für eine moralische Verpflichtung des Bürgers zur Teilhabe an den Angelegenheiten ihrer Polis, während die Individualethik im
und besonnen gelebt hätten (1179a10 – 13). Das kommt in etwa dem nahe, was Herodot über Tellos von Athen sagt (1,30). Aristoteles lehnt sich aber nicht an Herodot an, sondern dürfte sich auf ein uns nicht überliefertes Gedicht Solons stützen, so Gigon (1975), 373. Aber was Herodot über Tellos sagt, macht nicht die ganze Solon-Kroisos-Novelle aus. Aufs Ganze wird man sagen dürfen, dass der Begriff eudaimonia bei Aristoteles dynamischer ist als beim herodoteischen Solon. So Snell (1975),163, hier auch ein Versuch, dike von dikaiosyne zu unterscheiden. Kersting (2006), 57– 82; 263 – 303. Dass man einem Staat eudaimonia zusprechen kann, dafür steht Herodot, der etwa Sparta eudaimonia zuschreibt, Hdt. 7,220.
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
Griechentum auffällig stark ist, geradezu naturhaft ausgebildet zu sein scheint. Die Hinwendung zur Sozialethik muss hingegen erst anerzogen werden. So wenn Solon mit beschwörenden Worten darüber aufklärt, dass zwar die Götter, voran die Schutzgöttin der Stadt, Athene, das Ihrige schon tun werden, dass aber die Bürger für die Wiederherstellung der guten Ordnung (eunomia), selbst verantwortlich sind, was nur Gemeinsinn zu schaffen vermag (Sol. F4 W). Interessant ist die theologische Konstruktion, für die sich keine vorderorientalische Parallele finden ließ. Soll man von einer (politischen) Theologie des Solon reden? Man redet ja umstandslos von Theologie(n) bei den Griechen, so etwa bei Hesiod oder Aischylos und ganz besonders betreffs Delphi. ⁶⁹ Zur Gerechtigkeit nach Platon gehört auch die Respektierung des Ranges, des Standes und der Würde einer Person. Kroisos sagt entrüstet zu Solon, dem Republikaner: „…, dass du mich nicht einmal Privatleuten gleich erachtest?“ (Hdt. 1,32,1).⁷⁰ Dem Gespräch Solons mit Kroisos, wie es Herodot darbietet, fehlt jeder ausdrückliche Bezug auf das Gemeinwesen, d. h. auf Staat und – noch wichtiger – auf das Reich.
W. Schadewaldt spricht ausdrücklich von einer Theologie Delphis und sogar von einer „universalistischen Religion“, deren Inhalt und Botschaft in der neuen Idee des Humanen bestehe. Das Humanum habe mit dem Anerkennen der Zerbrechlichkeit des Glücks und mit der Besinnung des Menschen auf seine Hinfälligkeit und Sterblichkeit zu tun. Jede Art von Demonstration, auch von Frömmigkeit, sei mit der Lehre Delphis unvereinbar, sei in Wahrheit Überheblichkeit, so Schadewaldt (1965; 1975, 9 – 36). Soll das lateinische Wort Humanum die im Griechischen weitgehend fehlenden Begriffe Mitleid und Erbarmen ersetzen? Und ob man von einer delphischen Theologie sprechen kann, wie die atl. Forschung von einer Theologie des AT spricht, erscheint ohne Abstützung auf eine geoffenbarte Heilige Schrift, ohne Palast und Tempel, ohne Priesterschaft, ohne Bibliothek und Schreiberschule mehr als fraglich. Nicht weniger bedenklich, vielleicht auch nur missverständlich, ist der Satz, Delphi sei die „bedeutendste religiöse Institution“ der Griechen, so von Dodds (1970), 31. Der historische Kroisos und der historische Solon dürften auf jeden Fall weit weniger mit Delphi zu tun gehabt haben als Herodot, der Kroisos im Angesicht des Flammentods ein Schuldbekenntnis auf Solon und Delphi ablegen lässt, glauben machen will (s. Teil 6 „Des Kroisos Sturz und ‚Bekehrung‘. Heroenkult“). Dabei ist der Rangstreit schon in der Ilias fast allgegenwärtig. Im Rangstreit zwischen Agamemnon und Achilleus, dem bekanntesten Beispiel, spricht Nestor dem skeptouchos basileus (sc. Agamemnon), welchem Zeus kydos ‚Macht‘, auch Glück gab, nicht nur eine gleichartige, sondern eine vorrangige Ehre (time) zu (Hom. Il. 1,277– 284; s. Burkert [1998], 118 f.). Andeutungen und Ansätze eines durchaus erkannten Rangunterschiedes, der allerdings folgenlos für den Gesprächsablaut war, macht Solon gegenüber Kroisos, wenn er sagt: „Mir erscheinst du … ein König über viele Menschen zu sein“ (Hdt. 1,32,5).
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5.1 Präliminarien
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Interpretation von Hdt. 1,32: der Weg zur Glückseligkeit Den Gedankengang des zentralen Kapitels nachzuzeichnen ist schwierig, weshalb hier nur die Ergebnisse der Analyse von Hdt. 1,32 gegeben werden.⁷¹ „Das Göttliche“ (to theion) ist „neidisch“. Das bekannte Motto meden agan „nichts allzu sehr“, das Solon zugesprochen wird und inschriftlich im Tempel des Apollon zu Delphi angebracht war (Plat. Prot. 343a), trifft den Kern seiner weisheitlichen Theologie,⁷² die Herodot zu vertreten scheint und verbreitet hat.⁷³ Das ganze Leben auskömmlich zu bestehen, ist wichtig, aber noch nicht entscheidend, denn erst wer es auch noch auf glückliche Weise beschließen kann, der steigt vom eutyches, ‚dem vom Schicksal Begünstigten‘, zum ‚Glückseligen‘ (olbios) auf. Man muss in jedem Fall auf das Ende sehen.⁷⁴ Schließlich zum Abschluss des Kapitels der Satz, der direkt auf Kroisos zielt und als düstere Vorankündigung gelesen werden kann: Der Gott zeigte das Glück (olbos) schon vielen und stürzte sie dann in die tiefste Tiefe. Mit dem täuschenden Gott, der als Rückwendung auf die neidische Gottheit am Beginn des Kapitels verstanden werden könnte, schließt
Der ephemeros-Gedanke, also die Vorstellung von der schnellen Vergänglichkeit menschlichen Erfolgs, wurde zuerst von Fränkel (1968) aus frühen griechischen Quellen herausgearbeitet; ephemeros deshalb, weil der Mensch „dem Tag unterstellt und seinem Wechsel preisgegeben ist“ (S. 149). Bei Herodot findet sich das Wort ephemeros nicht; soll das heißen, dass ihm die Vorstellung davon fehlte? Das ephemeros-Konzept findet sich bei Pindar in äußerster Verdichtung und lapidarer Wucht, so die Anschauung von der menschlichen Natur als einem Schatten (Pind. P. 8,95, aufgeführt 446 v.Chr. auf Aigina). Der Argumentationsgang Hdt. 1,32, der keineswegs unklar ist, wie oft behauptet wurde (so Regenbogen [1930], 13), sondern nur unserem Denken fremd geworden ist, stellt sich im Grundgerüst so dar: 1,32,4: Der Mensch ist ganz Zufall, symphore. Das ist die 1. Stufe. Die 2. und 3. Stufe (1,32,5 – 7): Dem Superreichen ist der olbos ‚Glück‘ nicht garantiert, während sein Gegenpol, der Nichtreiche, der nur für den einzelnen Tag das Nötigste hat, sich immerhin als eutyches, als ‚vom Glück begünstigt‘ fühlen darf. Er bedarf eigentlich gar nicht des Reichtums. Wenn diesem auch noch ein gutes Ende (teleutesei) beschieden sein wird, dann ist er der gesuchte Glückliche (olbios), die 4. Stufe (1,32,8 – 9). Die Lage des Menschen (lat. condicio humana), die sich daraus ergibt, ist folgende: Der Mensch kann im Leben nicht Gutes erwarten. Wer das meiste von dem besitzt, dessen er bedarf, und so sein Leben glücklich beschließen kann, der hat alles Erreichbare bekommen. Regenbogen (1930), 10 spricht von „Weltweisheit“, die im Namen des delphischen Apoll verkündet wurde. Obwohl Herodot Historiker war, wird in der neueren Literatur sein Lyder-Logos bzw. das Gespräch zwischen Solon und Kroisos meist nicht historisch, sondern nur literaturgeschichtlich und ästhetisch interpretiert. So etwa bei Pelling (2006), 159 f.; Mills (2014); Flower (1991), 66 – 69; Shapiro (1996), 355. Im Brief des Amasis an Polykrates ist sowohl vom Neid der Gottheit die Rede als auch davon, dass es keinen Menschen gebe, der nicht zuletzt ein kläglichen Ende nahm, wenn er vorher in allem Glück hatte (Hdt. 3,40,3).
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
sich der Kreis. Das alles ist griechisches Konzept, das Herodot aus solonzeitlichen Vorstellungen über menschliche Verantwortung in Verbindung mit überwältigendem Neuem geschaffen hat, wie es seit und durch die Perserkriege in die Welt kam. Ob diese abstrakten, numinösen Mächte (ho theos bzw. to theion), die neidisch, ja sogar dem Menschen trügerisch etwas vorgaukeln, um ihn dann zu vernichten, sowie die Hinweise auf tyche und symphore zu einer dem Menschen wirklich glückverheißenden, ihn aufklärenden und selbstbewusst machenden „Theologie“ zusammengeführt werden sollten?⁷⁵ Einem vorderorientalischen Menschen wären solche Götter, die keinen Kult, keine Opfer und keinen Tempel besaßen, auch nicht als Schutzgötter dem Einzelnen dienten, eher wie böse Dämonen vorgekommen.⁷⁶ Die im Dialog gestellte Frage also, wer der Glücklichste sei, ist von daher gesehen unhistorisch, denn sie gehört nicht zu den Fragen, die man an einen vorderorientalischen König richtete (s. Teil 5 2). Ein solcher tritt nur in Wettstreit mit anderen, ranggleichen Königen, und zwar um Macht und Herrschaft und natürlich auch um Reichtum. Das homerische Motto, „immer der Beste zu sein“ (aien aristeuein, Hom. Il. 6,208), wird dem Lykier-Fürsten Glaukos in den Mund gelegt. Ähnliches bekunden die Urartäer. Diese haben zwar ihre sprachlichen und kulturellen Wurzeln im Hurritischen des 2. Jt. v.Chr., ihr Reich ist vom Typus her aber eisenzeitlich und daher dem von Hurritern bevölkerten Reich von Mitanni (hethitisch Mittanna‐) nicht mehr vergleichbar. Die urartäischen Herrscher nannten sich zuerst, wie erst später dann die Perser: „König der Könige“, was so viel heißt wie: Die Könige, die vor mir waren, kann man vergessen. Der urartäische König Sarduri I. (832 v.Chr.) nennt sich in einer Inschrift am Fuß des Van-Felsens, der die Hauptstadt Tuspa trug, „König, der seinesgleichen nicht hat“.⁷⁷ Das mögen Traditionsausläufer Altbabyloniens sein. Denn Gilgamesch, der König von Uruk, trug den Titel: „Herausragend über die Könige“.⁷⁸
Für Snell (1975), 145 – 149 sind die Götter nicht zornig, dem Wort phthonos fehle das Moment der Missgunst und des Neides, die Götter verwehrten den Menschen nur das allzu Große. Wobei der Unterschied ist, dass böse Dämonen im Alten Orient durch Opferrituale besänftigt werden konnten, wie eine überreiche keilschriftliche Literatur zeigt, während aus der Erzählung über Polykrates hervorgeht, dass Herodots Dämonen durch kein Opfer zu besänftigen waren. Der Titel „König der Könige“ ist vielleicht mesopotamischen Ursprungs, Urartu übernimmt ihn und von hier entlehnen ihn die Perser, so Wiesehöfer (1994), 53 f.; Kuhrt (1995), 56; Wilhelm (1986), 101. Miyakawa (2002) bringt jetzt aber Argumente dafür bei, dass die Formulierung indoiranischen Ursprungs ist. Tafel 1,23 nach George (2003).
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Zusammenfassung und Überleitung zu Teil 5 B u. 5 C Dies ist das erste Mal, dass ein Dialog zweier prominenter Persönlichkeiten sozusagen über die Ägäis hinweg stattfand. Herodot und mit ihm auch die moderne Forschung haben daraus einen Ost-West-Dialog gemacht. Solon würde Europa repräsentieren, Kroisos Asien. Der Dialog fand „553 v.Chr.“ statt. Historisch gesehen aber gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine Dichotomie der Welt in zwei Kontinente. Das ist der „garstige Graben“, der Herodot von der solonischen Zeit trennt, den zu überspringen jedoch hier versucht werden soll. Damit soll nicht bestritten werden, dass auch zu Solons Zeiten große Unterschiede zwischen Griechenland, das sich im 1. Jt. v.Chr. fast ganz neu konstituierte, und den Staaten des Vorderen Orients, die das Erbe spätbronzezeitlicher Hochkultur noch in sich bewahrt hatten, bestanden. Der Sieg Athens über die Perser führte dann aber zu einem griechischen Überlegenheitsgefühl, demzufolge die gesamte übrige Welt als von „Barbaren“ bewohnt betrachtet wurde. Homer hatte das Wort barbaros dagegen noch auf die Sprache der Karer beschränkt (s. Teil 2 „Wer waren die Lyder“). Für Solon war Kroisos ein Lyder, Tyrannos der hochangesehenen Stadt Sardes, für Herodot dagegen war der Lyder bereits ein Barbar. Kroisos war 35 Jahre alt, als er an die Herrschaft kam (Hdt. 1,26,1). Im Jahr „553 v.Chr.“ stand er auf dem Höhepunkt seiner Macht, während Solon in großer Sorge war, Peisistratos könne sich in Athen zum Tyrannen aufschwingen, so dass er um den Weiterbestand seines Werkes als Gesetzgeber fürchten musste. Es ging dann doch wider Erwarten alles gut aus. Schon bald wurde Solon als Vorbereiter der Demokratie gefeiert, nicht von Herodot, sondern von Aristoteles.⁷⁹ Athen war zu Solons Lebzeiten noch binnenländisch orientiert, ohne den Hafenort Piräus, besaß weder Flotte noch Kolonien und verfügte demnach über wenig Auslandserfahrung. So erging es Solon in Sardes, „wie einem Manne aus dem Binnenlande, der zum ersten Male an die Küste kommt und das Meer sieht“, spottet Plutarch und hatte doch Recht (Sol. 27). Die Frage wird sein, ob Solon seinen Besuch bei Kroisos auch dazu benutzen wollte, um mit lydischer Hilfe eine Flotte zu bauen, sowie auch um mit ihm zu vertraglichen Regelungen hinsichtlich der Meerengen zu kommen (Sigeion, s. Teil 5 C). Die Zeit drängte für Athen in seiner Abhängigkeit vom Schwarzen Meer. Kroisos wurde als sonderbarer Nachbar wahrgenommen, jenseits der Ägäis, auffallend reich und mächtig, der bereits die Entwicklung auf ein stehendes Heer hin vollzog, wie es im mittelmeerischen Gebiet nicht existierte. Solon gehörte zum Kreis der „Weisen“, die Kroisos um sich scharte. Der Begriff dialogos ‚Gespräch‘ taucht bei Herodot gar nicht auf, sondern wird vielmehr
Der Staat der Athener (um 330/325 v.Chr.), übersetzt und hrsg. von Dreher (1993).
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
zuerst von Platon (Prot. 335d) benutzt. Die Berechtigung, von einem Dialog zu sprechen, ist damit begründet, dass der herodoteische Dialog einige Elemente des platonischen vorweg nimmt. In beiden Fällen gibt einen Gesprächsführer (dialektikos) und einen Dialogpartner, den Schüler. Kroisos ist eindeutig der Schüler und er wird von Solon auch so behandelt. Das Thema ist die eudaimonia – das „Glück“. Was der herodoteische Solon unter einem glücklichen Leben versteht, macht die Kurzbiographie des Tellos von Athen klar (Hdt. 1,30). Dieser Tellos wird als einziger Mensch im Gesamtwerk Herodots mit der Bewertung, den Stand der „Glückseligkeit“ erlangt zu haben, ausgezeichnet.⁸⁰ Nicht Reichtum hat ihn zu diesem Ehrenprädikat verholfen, sondern die ‚Tüchtigkeit‘ (arete). Arete ist in erster Linie und in seiner Grundbedeutung die kriegerische Leistung. Diese findet ihre klassische Ehrung im Epitaphios des Perikles/Thukydides. Die arete in der Rede des Perikles zeigt aber auch den Bedeutungswandel; das Wort meint jetzt auch Erfolg im Politischen, Leidenschaft für das Schöne und Beachtung der Moral.⁸¹ Der Schwung einer idealen Perspektive, erst recht einer utopischen Zielsetzung, fehlt bei Herodot. Nach welchen freudlosen Prinzipien man sein ganzes Leben fristen muss, um als Rentner und Greis olbios ‚Glücklicher‘ genannt zu werden, ist seinem Kapitel Hdt. 1,32 zu entnehmen. Wie lähmend die in diesem Kapitel versammelten, pessimistischen Weisheiten sind, mag etwa die Empfehlung Solons verdeutlichen, auf Reichtum am besten ganz zu verzichten und sich mit dem Notwendigsten zu begnügen. Man spürt schon hier, wie sich die Hand des Königs gewissermaßen in der Tasche zusammenballte, als Solon nicht den geringsten Versuch unternahm, einen Statusunterschied zwischen einem athenischen Rentner und einem regierenden Herrscher zuzugeben. Freilich musste sich der herodoteische Solon durch die Frage provoziert fühlen, ob er einen Glücklicheren kennen würde als ihn, den König. Man mache sich doch für einen Moment einmal die Dreistigkeit des Kroisos klar. Er erwartete von Solon die höchste Weihen, von Solon, dessen Heimat Athen war, das älteste Land Ioniens, d. h. die Mutterstadt der ionischen Städte, die Kroisos alle der Reihe nach erobern und berauben wollte; Ephesos machte den Anfang (Hdt. 1,26,2). Nun liegt aber der Verdacht nahe, dass Herodot den Erwartungen seiner Leser entgegenkam und deren Geschmack bedienen wollte, etwas von einem sagenhaft reichen Barbaren auf dem Königsthron zu hören. Das schloss die Gefahr ein, und Herodot erlag ihr, dass der ganze Dialog rein nach griechischem Geschmack aufgezogen werden Eudaimonia bezogen auf Personen ist viermal gebucht; alle vier Belege, davon sind nur zwei signifikant, stammen aus dem Lyder-Logos; das unterstreicht wieder einmal die Sonderstellung dieses Logos. Thuk. 2,34– 46 (Epitaphion); Fränkel (1968), 612– 615 (Index A); auf das Utopische setzt Gaiser (1975), bes. 22 den Akzent.
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5.1 Präliminarien
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musste. Der Wettstreit zwischen Tellos und Kroisos darüber, wer der wahre olbiotatos ‚der Glückseligste‘ ist, hat die Forschung zu recht schon immer als eine typisch griechische Inszenierung erkannt, aber deshalb zu Unrecht den ganzen Dialog als unhistorisch verworfen. Dass Kroisos sehr reich war, ist historisch unbestritten. Die Tugendlehre Platons (s. unten; s. Glossar) hat aber zur Klarheit darüber geführt, dass Reichtum nicht selbst das Glück (eudaimonia), sondern nur die Ermöglichung zur Erlangung der für die eudaimonia notwendigen Tugend ist. Ganz abwegig wäre die Vorstellung, dass Kroisos vor seinen Kollegen im königlichen Amt sich als der olbiotatos hätte bezeichnen können. Man kehrte seinen Reichtum nicht ganz so protzig hervor, aber üppige Beutelisten altorientalischer Feldzugsberichte legimitierten nicht nur den Feldzug in den Augen der Götter, sondern natürlich auch vor den Untertanen, und ließen darüber hinaus sehr wohl den Reichtum abschätzend erahnen. Auch wofür man den Reichtum verwandte – und darüber dürfte man besonders gern gesprochen haben –, wird erklärt z. B. in Babylonien durch Tempelbauinschriften.Von daher ist es unwahrscheinlich, dass die altorientalischen Herrscher ihr Glück (eudaimonia) im Genießen des Reichtums sahen. Wie es in Wirklichkeit war, wird Thema von Teil 5 B sein. Nun zu der Frage: Warum musste Kroisos eigentlich im Wettbewerb um das höchste Glück gegen Tellos verlieren? Die Antwort ist ganz einfach, aber nicht ganz einfach zu begründen: Tellos ist ein Athener. Die Zeiten haben sich nach Solon grundlegend geändert. Das trifft vor allem auf Athen zu. Tyrannen gab es hier und in anderen Städten des Mutterlandes schon längst nicht mehr. Die Macht der älteren Tyrannis im Mutterland war 510 v.Chr. mit dem Peisistratiden Hippias beendet. Die Nachkommen waren ohne gestalterische Kraft und blieben ohne faszinierende Ausstrahlung. Der demos hatte sie gebändigt. Dennoch überzeugte die Versicherung, die Tyrannengefahr sei damit gebannt, die Menschen nicht. Die Rede des Perikles auf die Gefallenen des ersten Kriegsjahres 431/30 v.Chr. des Peloponnesischen Krieges (s. auch oben und unten) zeichnet den Aufstieg Athens ins Unbegrenzte, der im Sieg dieser Stadt über die Perser begründet ist.⁸² Die Tüchtigkeit (arete) des Tyrtaios lebt als kriegerische Leistung weiter in der herodoteischen Figur eines Tellos und in den thukydeischen Soldaten des Peloponnesischen Krieges. Kurze Zeit später setzt Herodot seine Erfindung vom Wettbewerb um das größte Glück, und den Zuschlag konnte daher nur ein Tellos bekommen. Noch ein anderer Gedanke ist hier einzubeziehen. Kroisos’ Schicksal war der Scheiterhaufen. Er rechtete nicht nur mit dem griechischen Gott, sondern hatte sich zu dem blasphemischen Anspruch verstiegen, er sei der Allerglück-
Gaiser (1975), 65 – 79 (Vergleich Herodot-Thukydides). Vergleichbarer ist das Superioritätsbewusstsein der Athener. Athen als „die hohe Schule Griechenlands“ (Thuk. 2,41).
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
lichste (olbiotatos) auf Erden. Er entging dem Feuertod nur knapp. Und nicht nur das, er wurde unter die Heroen versetzt, denn olbioi sind nur sie (vgl. Hes. erga 171). Dafür hatte er seine, aus Herodots Sicht irrigen Ansichten widerrufen müssen (s. Teil 6). Der athenische Staat maßte sich an, die ‚Schule‘ (paideusis) von Hellas zu sein (Thuk. 2,41). Ohne auf diesen großen Anspruch des Perikles hier näher einzugehen, trifft das für die Ethik und hier insbesondere die Tugendlehre tatsächlich zu. An großen Namen von Rechts- und Staatslehrern, denen das Fach Ethik bereits seit Ende des 5. Jh. v.Chr. zugeordnet erscheint, seien hier nur Platon und besonders Aristoteles genannt. Sie geben in ihren Werken ausreichende Anhaltspunkte dafür, um den Begriff eudaimonia ‚Glück‘ präzisieren zu können. Sie haben nämlich nicht nur das Kroisosbild späterer Zeit beeinflusst, sondern in ihren Aussagen auch Gültiges aus der Solon- und Kroisoszeit aufbewahrt und diesen Stoff vor allem mit neuen Begriffen tiefer durchdrungen. Freilich blieb die Barbaren-Topik bestimmend. Die Nikomachische, die älteste wissenschaftliche Ethik Europas, mit der Aristoteles gegen Platon die Ethik aus der „Welt ewiger Wesenheiten“⁸³ herauslöste und der Praxis zuwies, besagte, dass „Glück“ nicht mehr als ein euphorischer Augenblickszustand, sondern als ein langes gedeihliches Leben gedacht war.⁸⁴ Den Zustand der eudaimonia erreichte man nur durch arete, womit ‚Gutsein‘ oder ‚Vortrefflichkeit‘ gemeint ist. Das war ganz im Sinne Solons weitergedacht. Hilfreich für das Aufspüren neuer Zugänge zum herodoteischen Text – Herodots Werk lässt keine Tugendlehre erkennen – war uns Platons System der vier Kardinaltugenden mit Gerechtigkeit (dikaiosyne) und Besonnenheit (sophrosyne) als Spitzentugenden. Herodot nennt zwar viermal den Begriff dikaiosyne, aber nicht im Lyder-Logos, sondern bei den Medern, und auch hier nicht im Sinne einer spezifischen Tugend; sophrosyne ‚Besonnenheit‘ kennt er überhaupt nicht. Platon fasst den Begriff sophrosyne neu, jetzt im Sinne von „Selbstbeherrschung“. „Selbstbeherrschung“ verbindet sich bei ihm mit dem Begriff „Gerechtigkeit“. So ergibt sich: Der Einzelne erreicht den Zustand der eudaimonia durch gerechten Sinn und Selbstbeherrschung. Die Frage stellt sich jetzt, ob die fehlende „Selbstbeherrschung“ des Kroisos sich im suchthaften Ansammeln von Reichtum oder nicht viel eher in politisch-militärischen Aggressionen ihren Ausdruck fand. Aristoteles hat die Kardinaltugenden Platons durch viele andere Tugenden ergänzt, die Gerechtigkeit behält aber ihren Platz. Die eudaimonia und die „Tugenden“ bleiben weiter Einzelpersonen zugeordnet. Eine Spur von erwachendem
Lesky (1971), 634. Zu den Begriffen eudaimonia und arete s. Barnes (1992), 123 ff.
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Sozialempfinden mag man darin sehen, dass der Einzelne in seiner Sorge um die eigene eudaimonia den Kreis seiner Freunde in diese Sorge mit einschloss. Die Bücher 8 und 9 der Niomachischen Ethik sind der Freundschaft (philia) gewidmet. Wie weit Aristoteles den Kreis der Freunde auch ziehen mochte, und er hat ihn ständig erweitert (eth. Nic. 8,1 [1155a3 – 5]), von einer Bewegung, die ein Fenster ins Sozialpolitische aufgestoßen hätte, wird man dennoch kaum sprechen können. Schon in der erwähnten Staatsrede des Perikles in Athen wurde der ärmeren Bürger kaum gedacht, und J. Bleicken fügt hinzu: „Eine Sozialpolitik hat es danach (gemeint ist: nach Auskunft der Quellen) in Athen nicht gegeben.“ Er kann das selbst kaum glauben.⁸⁵ Zur Frage, wieweit Sozialpolitik überhaupt in den Blick kommt, muss man weiter zurückgehen zu Solon und damit in die Zeit des historischen Kroisos. Hier sind Ansätze einer solchen Politik zu fassen. Solon hat sozial-analytische Studien mit teilweise schockierenden Ergebnissen in seine etwas überfrachteten Gedichte eingelagert. Aber hat er sich wirklich um die Armen gekümmert, hat er Mitleid (eleos) oder Erbarmen (oiktos) gezeigt? Ihm gibt der verschuldete Bauernstand, der die von ihm geschaffene Rechtsstaatlichkeit (eunomia) des Gesamtstaates in Frage stellte sowie sein eigenes bürgerliches Leben, das er aus Furcht vor Kriminalität hinter „des Hofes Tore“ (Sol. F4,27 W Eunomia-Elegie) verbrachte, Anlass zur Sorge. Eleos zeigten nur die Heroen vor Troia füreinander, und auch dies nur bei Ranggleichheit. Im Athen klassischer Zeit konnte man Erbarmen (oiktos) sogar zu den drei besonders staatsgefährdenden Untugenden zählen, so in der Rede des Atheners Kleon in der Mytilene-Affäre von 427 v.Chr. (Thuk. 2,40). Anders sah es bei den Hethitern bereits ein Jahrtausend früher aus. Hier findet sich soziales Empfinden beispielsweise im althethitischen Text des Pimpira (KBo 3.23 col. I 5 – 8): „Kümmere dich um den Kranken! Wenn er unter Hitze leidet, dann bringe ihn zur Kühlung, wenn er unter Kühle leidet, dann zur Hitze!“ In einer im 16. Jh. v.Chr. beschriebenen Tafel wendet sich ein Prinz an Würdenträger (KBo 22.1 Vs. 16 – 29): „Ihr habt eure Arbeiter unterdrückt. Achtet ihr so das Wort meines Vaters?“ … Wenn der Vater zur Versammlung ruft, dann wird er euch für die Untaten zur Rechenschaft ziehen, nicht eure Proviantträger, (mit den Worten): „Ständig unterdrückt ihr eure Proviantträger und gebt dem König Grund zu Zornausbrüchen! Du bist (auch nur) ein Arbeiter, und jener ist ein Arbeiter. Wenn ihr jetzt ins Land hinausgeht, dann sollt ihr das Blut des armen Mannes nicht suchen!“ Ihr befragt nicht eure Proviantträger, sondern betreibt die Rechtsangelegenheit des reichen Mannes (LÚhappinandas isteni). Du gehst in sein Haus, isst und trinkst, und er beschenkt dich reichlich. Dem Armen aber nimmst du das Seine, seine
Bleicken (1995), 375 f.
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Rechtsangelegenheit untersuchst du dennoch nicht. Habt ihr so das Wort meines Vaters umgangen?⁸⁶
Später findet sich solches Gedankengut auch in Israel. So brachte im Buch Amos (4,1– 2) der Prophet (um 750 v.Chr.) in einem Gerichtswort über Samaria den Mut auf, der Oberschicht die Leviten zu lesen: Hört dieses Wort, ihr Kühe des Baschan, die ihr auf dem Berg von Samaria seid, die ihr den Hilflosen Gewalt antut, die ihr die Armen unterdrückt, die ihr zu ihren Herren sagt: Her damit wir wollen saufen! Bei seiner Heiligkeit hat Gott der Herr geschworen; seht, es kommen Tage über euch, …
5.2 Gerechtigkeit und Weisheit der Könige Die wahre eudaimonia und die Erziehung zum idealen Herrscher Warum unterlag Kroisos dem damals längst verstorbenen, unbekannten Tellos aus Athen? Tellos war ein Patriot, Kroisos ein Barbar. Das ist attischer Zeitgeist. Eine theologische Argumentation, etwas versteckt, tritt hinzu: „Meine eudaimonie wird von dir so völlig als nichts gerechnet“, sagt Kroisos, nachdem er im solonischen Spektakel ausgeschieden war (Hdt. 1,32,1). Worin Kroisos seine eigene Entsprechung dessen, was im Griechischen eudaimonie hieß, sah, wissen wir nicht. Herodot (1,86,5 – 6) lässt Kyros sagen, dass die eudaimonie des Kroisos ehemals ebenso groß gewesen sei wie seine eigene. Aus den altorientalischen Quellen geht hervor, dass die Entsprechung dessen, was die Griechen eudaimonie nannten, in orientalischer Sicht am ehesten im Königtum selbst und nicht im Reichtum gelegen hat. Man kann sich hierzu die Gebete Davids vor Augen halten, die die Freude über die Erwählung (behar) zum König über Israel thematisieren: „Denn der Geist des Herrn durchdrang ihn und ruhte von nun an auf seinem Haupte“ (vgl. 1 Sam 16,1– 13). Die Frage, warum Tellos Sieger blieb, ist so zu beantworten: Der herodoteische Solon wusste bereits im Voraus, worauf T. Krischer (1964) schon hingewiesen hat, dass Kroisos seinen königlichen Status werde verlieren müssen, und zwar durch den Neid der Götter. Dieser konnte jederzeit
Vgl. Archi (1979).
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5.2 Gerechtigkeit und Weisheit der Könige
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eintreten, wenn es einem Menschen zu gut ging. Daraus folgt: Reichtum ist nicht eudaimonie, sondern macht sie im Gegenteil zunichte. Kroisos konnte deshalb in keiner Weise mit Tellos konkurrieren, der sozusagen im Endspurt siegte. Der ideale Herrscher musste ein gerechter Herrscher sein. Kroisos, der mit einem Mann wie Thales Umgang pflegte, konnte unserer Meinung nach kein gerechter Herrscher im Alten Orient sein. Thales hatte nämlich eine aus Sicht des Vorderen Orients merkwürdige Vorstellung von den Göttern. Der ganze Kosmos sei voll von Göttern (sehr zaghaft in der Zuschreibung an Thales: Aristot. an. 1,5 [411a7]). Selbst in Steinen findet sich göttliches Leben. Solchen Göttern konnte man eigentlich nicht opfern. Kein Ritual wäre ihnen angemessen gewesen, kein Gebet erreichte sie, kein Hymnus konnte sie erfreuen. Die Umleitung des Halys durch Thales (s. Teil 6) demonstriert stattdessen, dass die Gottheiten, hier Flussgottheiten, für den Menschen beherrschbar waren. Andererseits war Kroisos aber sicher auf den idealen und tugendhaften altorientalischen Herrscher hin erzogen worden. Der Codex Hammurapi und das Gilgamesch-Epos dürften auch in Lydien direkt oder indirekt Unterrichtsstoff für den Prinzen gewesen sein.
Der Codex Hammurapi Der Codex Hammurapi ist das Werk eines Mannes, der die drückende Last einer Weltordnung, die nach Meinung von T. Jacobsen⁸⁷ in kosmische Strukturen fest verfugt war, abmildern wollte. Hammurapi, der den Bedürfnissen der Menschen seiner Zeit entgegenkommen wollte, baute eine Tugendlehre in sein Gesetzeswerk ein. Von einem religiös begründeten Verantwortungsgefühl für das Wohlergehen aller Untertanen, besonders der sozial schwachen wie der Witwen und Waisen, sei Hammurapi ergriffen gewesen, meint W. von Soden.⁸⁸ Er spricht von einem patriarchalen Absolutismus. Hammurapi war der sechste Spross der ersten Dynastie von Babylon. Er entstammte einer westsemitisch-amurritischen Zuwandererfamilie. Im Codex Hammurapi sind die einzelnen Gesetze in 282 Paragraphen zusammengefasst. Nachdem die alttestamentliche Forschung Mose heute nicht mehr als Gesetzgeber („Die Zehn Gebote“) im historischen Sinne betrachtet, kann Hammurapi als bekanntester Gesetzgeber der Geschichte gelten.⁸⁹ Hammurapi bekennt feierlich, dass er dazu da sei, „Gerechtigkeit im Lande sichtbar zu machen“ (col. I 32– 34), er
Jacobsen (1954), 136 f. von Soden (1985), 60 f. Smend (1995); Otto (2007).
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sei der „König der Gerechtigkeit“, und am Schluss des Prologs fasst er sein Wirken in den Satz: „für das Wohlsein der Menschen sorgte ich gut“ (col. IV 24).⁹⁰ ‚Gerechtigkeit‘ heißt mī/ēšarum und wird bei Göttern und Menschen gebraucht (AHw 659 f.). Der Codex Hammurapi (vor 1750 v.Chr.) gilt als die Magna Charta des altorientalischen Königtums. Das konnte nicht zuletzt deshalb geschehen, weil der Codex Hammurapi in vielen Abschriften auf Tontafeln weit verbreitet war. Seinem Vorbild folgte um 1500 v.Chr. der hethitische König Telipinu mit seiner Gesetzessammlung, womit die Tradition auch für Anatolien eröffnet war.⁹¹ Auch für Israel wird durch das sog. Bundesbuch (Ex 20,22– 23,33), das kasuistische Rechtssatzreihen bietet und zu den ältesten Rechtstexten im Pentateuch gehört (8./7. Jh. v.Chr.), immer noch eine Bekanntschaft mit dem Codex Hammurapi anzunehmen sein.⁹² Die Rechtsprechung ist dort bis weit in die Königszeit hinein nichtstaatlich organisiert. Erst der Reformkönig Josia (639 – 609 v.Chr.) setzte professionelle Richter ein, bis dahin aber lag die Torgerichtsbarkeit in Händen von Laien.⁹³ Dass das „vor den Toren befindliche Gericht der Lyder“ (proastion ton Lydon, Hdt. 5,12,2) in Sardes als Hinweis auf ein Torgericht gelesen werden kann, ist angesichts dessen, dass in Hattusa Übeltäter „zum Tor der Könige“ traten, durchaus möglich. Ob Lydien insgesamt Teil hatte an der altorientalischen Rechtskultur, wissen wir nicht, vermuten es aber. Die Forschung hat die Ethik Platons, wie sie in klassischer Form im „Staat“ zu finden ist, auch die Ethiken des Aristoteles, entschiedener aber noch die stoische Ethik Ciceros zum Maßstab genommen und das vermeintlich gestörte Verhalten von Kroisos daran gemessen. Nach der klassischen Lehre wird das Glück allein Aber auch und vor allem im Epilog col. XLIX 13, vgl. XLVII 87; XLVIII 7; passim, nach der maßgeblichen Übersetzung von R. Borger, in: TUAT I/1 (1982), 39 – 80 und, gefälliger lesbar, von Eilers (1932 [2009]). Schon im 3. Jt. erhoben viele Könige den Anspruch, Recht und Gerechtigkeit gefördert zu haben, so Saggs (1975), 295 ff.Wenn der Name Sargon mit šarru ukīn ‚der König schafft (Gerechtigkeit)‘ von Cancik-Kirschbaum (2015), 67 richtig gedeutet ist, dann sind wir mit dem Gründer des Reiches von Akkadê, nämlich Sargon I., in der Zeit um 2330 v.Chr. angekommen. Der Assyrer Sargon II. (722– 705 v.Chr.) hat nach mehr als 1500 Jahren diesen Namen als Thronnamen gewählt. Die assyrischen Könige trugen den Titel „König der Gerechtigkeit“. Vgl. Hoffner (1997). Telipinu war vermutlich überhaupt der König, der die für die Hethiter so typische Bürokratie einführte. Die Dokumente der ihm vorausgehenden Könige sprechen eine andere, impulsivere Sprache. Wright (2009). In Israel ist die Rechtsprechung im Tor ein Thema des Buches Ruth (4,1– 17, perserzeitlich, wohl 5. Jh. v.Chr., sozusagen ein anonymer Konkurrent Herodots in Sachen „weisheitliche Novelle“). Boas, dessen Name ‚in ihm ist Kraft‘ bedeutet – sprechende Personennamen sind auch die anderen, so Ruth (‚Freundin‘) –, der über Landbesitz verfügt und Wehrfähigkeit besitzt, also freier Bürger Betlehems ist, nimmt das Rederecht in der Rechtsversammlung für sich in Anspruch. Vgl. Köhler (1953), 143 – 171.
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durch die „Tugend“ (arete, virtus) konstituiert.⁹⁴ Es ist in die Überlegungen einzubeziehen, dass mit Platon die griechische Philosophie zum zweiten Mal ganz neu beginnt. Die Naturphilosophie Ioniens war an ihr vorläufiges Ende gekommen. Die Ethik rückt ins Zentrum der Philosophie. Wie kann sittliches Verhalten vom Menschen gefordert werden, „obwohl es noch kein Gewissen (syneidesis) gab und keinen Dekalog.“⁹⁵ Ein Problem der griechischen Ethik war, dass man die Begriffe „gut“ und „schlecht“ nicht begründen konnte. Ganz anders in Israel. Die Tora und die Propheten sagten, was Israel zu tun habe. Der Dekalog/Die Zehn Gebote⁹⁶ – sie lassen sich an zehn Fingern abzählen – sind nicht nur die berühmteste Rechtssatzreihe des AT, sondern auch im Vorderen Orient sowie der antiken Welt überhaupt ohne Parallele. Die griechische Ethik zielte vielleicht schon mit den Gesetzen Solons auf das Universale, wurde aber im Vorderen Orient vermutlich als griechisch nationalisiert empfunden. Die Zehn Gebote können wegen des Ersten Gebotes – nur dieses ist typisch jüdisch – nicht vor dem 7. Jh. v.Chr. entstanden sein, fallen also vermutlich ungefähr in die Zeit der Gesetzgebung Solons.⁹⁷ Platon als Staatstheoretiker und Schöpfer der klassischen Lehre von den vier Kardinaltugenden wird hier eingeführt, weil er durch Geradlinigkeit größere Klarheit in die windungsreichen archaischen Argumentationsweisen (besonders in Hdt. 1,32; s. unten) zu bringen verspricht. Ob aber Platon Anregungen dazu bietet, die richtigen Fragen zu stellen, die dann erfolgversprechender an Herodot zu stellen wären, ist fraglich. Dazu gleich ein Beispiel. Es wurde bereits gesagt, dass Platon aus der Urtugend (arete) die vier berühmten Tugenden hervorgehen ließ und zu den vier Kardinaltugenden zusammenstellte. So die vorherrschende Meinung. An deren Spitze rückte er die Gerechtigkeit, ihr folgt die sophrosyne. ⁹⁸ Es ist nun interessant zu sehen, dass Platon das „Glück“ (eudaimonia), auf die Gerechtigkeit und vielleicht stärker noch auf die sophrosyne bezieht; „Besonnenheit“ ist dafür die Standardübersetzung, bei Platon wird daraus „Selbstkontrolle“,
Plat. def. 412d; Aristot. eth. Nic. 1,2 (1095a14– 20); Cic. Tusc. 5,40 – 41; 81– 82. Die einschlägigen Texte mit Kommentierung zur Stoa finden sich in dem meisterhaften Werk von Long/Sedley (2000), 470 – 479 („Das Ziel und Glück“). Grundlegend ist Forschner (1993), 45 – 79.Vgl. zu gr. arete und aristos jetzt Janda (2014b), 160 – 186. Fränkel (1968), 611. Die Zehn Gebote sind zweimal, nur minimal voneinander abweichend überliefert. Einmal in Ex 20,2– 17, vorgelagert der am Sinai versammelten Gesetzesmaterie, sowie das andere Mal in Dtn 5,6 – 21 (Erinnerung an die Gesetze vom Berge Horeb). Gertz (2016b), 230 ff.; Köckert (2007). Plat. rep. 427d–434d. Die Gerechtigkeit ist die Tugend aller Tugenden, Aristot. eth. Nic. 5,3 (1129b30). Allgemein Kosman (2007).
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„Selbstbeherrschung“.⁹⁹ In den Lydiaka, die Herodot als Vorlage dienten, hat der historische Solon dem Kroisos mangelnde Selbstbeherrschung, was das suchthafte Streben nach Reichtum angeht, und eine falsche Lebensweise bescheinigt, die darin bestanden habe, die eudaimonia im tugendfreien Reichtum zu sehen.¹⁰⁰ Die moderne Forschung folgte hierin der herodoteischen Vorlage.¹⁰¹ In die Lydiaka hinein spricht dann Herodot als Redaktor die bedeutungsvollen Worte, die Bekenntnischarakter haben: „Aber ich will den Mann nennen, von dem ich genau weiß, dass er mit ungerechten Taten gegen die Griechen begann.“¹⁰² Er führte nicht nur ungerechte Kriege gegen die ionischen Städte, sondern zettelte einen ungerechten Krieg gegen die Perser an (so jedenfalls Hdt. 1,130,3) und verlor diesen. Die Götter hätten ihn zum „Knecht“ (doulos) des Kyros gemacht (Hdt. 1,89,1).¹⁰³ Gerechtigkeit ist eine herrscherliche Tugend. Sie zu verwirklichen, bedarf gewaltiger Anstrengung und setzt Reichtum voraus. Zwar ist im Codex Hammurapi vom Reichtum an sich nicht ausdrücklich die Rede, wohl aber ist Reichtum vorauszusetzen, wenn man auch nur an die königliche Aufsichtspflicht für die Tempel und die Götterversorgung denkt, für die Tempel, die in großer Zahl alle mit ihren Eigennamen und Epitheta genannt sind und denen man Hymnen dichtete. Sophrosyne wird von Schwartz (1951), 55 mit „Heilbehalten der Sinne“ wiedergegeben, die keine hybris (‚Hochmut‘) aufkommen lässt. Sie gehe dem „orientalischen Herrscher“ ab, ebenso die „schlichte Einfalt“, so Snell (1971), 45. Über die innere Bezogenheit von „Besonnenheit“ und „Gerechtigkeit“ hat Kersting (2006), 158 sich geäußert. Ob der Eklat, der historisch ist, und mit dem der Dialog sein vorzeitiges Ende fand, schon in der Grundschrift verzeichnet war, daran scheint kein Weg vorbeizugehen. Zu untersuchen wäre (s. Teil 5.3), ob der Eklat Folge davon war, dass Solon leise Zweifel über die Rechtmäßigkeit des Reichtums geäußert haben könnte. Kroisos war kein Sardanapal, d.i. Assurbanipal (669 – 631/27 v.Chr.), der an seinem Grab in Tarsos in Kilikien eine Inschrift angebracht haben soll, in der er aufforderte, das Leben zu genießen (Choirilos von Samos FGrHist 696, s. Heller [2010], 142 ff.). Kroisos war kein Genießer, der mit Geld um sich warf, sondern eher ein Schatzhausbildner, der bis zu einem gewissen Grad einem Systemzwang ausgesetzt war, alle Schätze horten zu müssen, wollte er ein bestimmtes Zeichen setzen (dazu Teil 5 C). Von daher gesehen war Kroisos ein Gegenpol zu Sardanapal. Man könnte im Abschlusskapitel der Frauenraubgeschichten Herodots (1,5) eine stilistische Anlehnung an Homer vermuten. „Den Mann nenne mir, Muse,…“, heißt es Od. 1,1. Sein Name wird nicht sogleich genannt, sondern erst 46 Verse später erscheint er als „Odysseus“; wohl allen Hörern und jedem Leser damals wie heute wird das Fehlen des Namens zunächst gar nicht aufgefallen sein. Auch Kroisos’ Name konnte aus denselben Gründen fehlen wie in Od. 1,1, ohne dass der Leser etwas vermisst hätte; die namentliche Nennung erfolgt Hdt. 1,6,1. Dies nur als ein Hinweis darauf, dass es andere, mit Sicherheit ältere Quellen über Kroisos gab. Das Wort doulos ‚Diener, Sklave‘ kommt nur einmal im Lyder-Logos vor, und zwar wohl nicht zufällig in Bezug auf den Perserkönig, der so ganz anders als die vorderorientalischen Herrscher und anders vor allem als die altanatolischen Könige war.
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Der Aufbau und die Sicherung des altbabylonischen Großreiches,¹⁰⁴ ja bereits die militärischen Eroberungen bis an den Persischen Golf, vor allem aber in Richtung Nordwesten, bis zum äußersten Punkt altbabylonischer Kultur, vor dem nordwestsemitisch-kanaanäischen Kulturraum gelegen, nämlich Mari (Tell Hariri), dem Knotenpunkt internationaler Fernstraßen, im 34. Jahr seiner Herrschaft (1762 v.Chr. nach der sog. mittleren Chronologie), ist überhaupt nur durch ein Netz von Allianzen möglich gewesen. „Allein ist kein König stark. 10 oder 15 Könige folgen Hammurapi von Babylon“, heißt es in einem Brief.¹⁰⁵ Das alles setzt einen beträchtlichen Reichtum voraus. So verschieden das babylonische Mesopotamien und das lydische Kleinasien auch sind, ebenso verschieden sind die beiden Herrscher im Gedenken der Nachwelt bis heute geblieben. Was beide aber als historische Personen eint, ist das hohe Amt. In rund 150 altbabylonischen Briefen – das 2. Jt. v.Chr. ist ein Zeitalter der Korrespondenzen – bringen sie „des Königs Sorge um sein Land“ zur Sprache.¹⁰⁶ Hammurapi hat sein Amt als Beauftragung durch die Gottheit verstanden: „(Ich), der durch Enlil berufene Hirte“ (col. I 50 – 53). Ob er seiner Berufung treu geblieben ist und sie in einem Maße verinnerlichte, dass er die schwere Last tragen konnte, die ihm zugemutet wurde, wäre eine Frage, die an sein Inneres, an sein Gewissen zu richten wäre, an ein „Gewissen“ (gr. syneidesis) das man sich erst sehr viel später machte, vor allem natürlich im Neuen Testament. Hammurapi hat jedenfalls dafür gesorgt, dass dieses Bild vom Gerechten und vom guten Hirten die Zeiten bis heute überdauert hat. Auf keinem Gebiet fällt der Unterschied zu Griechenland so krass aus wie auf dem der Solidarität, die Griechenland nicht kennt. Witwen und Waisen sind hier kein Thema.
Staatsaufgaben Die Klärung der Aufgaben eines vorderorientalischen Herrschers wäre die Voraussetzung für den Versuch, einmal die Frage nach dem lydischen Staatsziel zu stellen und, wenn das überhaupt möglich sein sollte, auch zu beantworten. Hier fehlt es an Vorarbeiten. Das hethitische Staatsziel hat F. Starke aus verschiedenen historischen Quellengattungen herauszuarbeiten versucht.¹⁰⁷ Als Ergebnis
Hammurapi bezeichnet sich in col. II 2– 4 als „der Erstürmer der vier Weltenden (kibrāt erbettim)“. Nach Sargon I. von Akkadê wird wieder der Gedanke der Weltherrschaft wach. FMA 82; Ü: Jursa (2015), 19. Klengel (1991), 137 ff. Quellengattungen nach einer Tischvorlage F. Starkes: Politisches Testament Hattusilis I. (16. Jh. v.Chr.), Militärverordnung Tudhalijas I. (Ende 15. Jh. v.Chr.), Treueid der königlichen Sippe und
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zeichnet sich ab, dass dem panku-, der ‚Gemeinschaft (des Reiches)‘,¹⁰⁸ sowie den Generälen der Fußtruppen, der Streitwagen und der Grenzmarken, den Prinzen des Landes Hattusa, aber auch den Königen der Gliedstaaten („Vasallenstaaten“), Interesse, Einsatz und Mitverantwortung für Reich und Dynastie zukamen. Dies wurde ihnen nicht nur im Stil der Staatsräson anbefohlen, sondern auch gewissermaßen emotional ans Herz gelegt. So heißt es etwa in den Staatsverträgen, wo der „Vasall“ angesprochen wird: „Wie dir deine Person, deine Ehefrauen, deine Kinder und dein Land wichtig sind, so auch die Person des Königs, die Prinzen und das Land Hattusa.“¹⁰⁹ Wir fügen ergänzend hinzu, und zwar an die erste Stelle der Staatsziele setzend: „Schützt die Majestät!“¹¹⁰ Es gibt wohl nur wenige Dokumente aus der Antike, in denen sowohl in kompakterer als auch reflektierterer Form das Ethos eines Herrschers zum Ausdruck kommt als im Codex Hammurapi. Das Bild vom babylonischen König, wie es sich für uns auf der Gesetzesstele aus Susa (jetzt im Louvre) erhalten hat, verbreitete sich durch für uns heute nicht mehr nachvollziehbare Kanäle im Vorderen Orient. Es bestimmte mehr oder weniger stark, ja indirekt selbst in Auflehnung gegen dieses Bild – wie in Israel –, über die Jahrhunderte bis in die Zeit der Perser die Rolle, die ein König im Vorderen Orient auszufüllen hatte. Aus dem sehr umfangreichen Prolog und dem noch längeren Epilog lassen sich drei klassische Kernbereiche königlicher Tätigkeit herausarbeiten: 1. Der Dienst an den Göttern, der im hymnischen Preisen ihres Namens sowie in der Sorge um ihre Tempel besteht. 2. Die Ausübung von Recht und Gerechtigkeit im Inneren, denn Hammurapi ist Gesetzgeber und höchster Richter, wie es dem „König der Gerechtigkeit“ (šar mēšarim) auch ansteht, und schließlich: 3. Die Garantie der Sicherheit des Volkes nach außen, was Eroberungen, auch großen Stils, nicht ausschließt. Nicht für alle diese Aufgabenfelder, die sich eigentlich jeder gute Herrscher angelegen lassen sein musste, lässt sich ein Tätigsein des Kroisos gleichmäßig aus unseren griechischen Quellen erschließen. Immerhin wissen wir, dass der heroTreueid der Vorrangigen beim Regierungsantritt Tudhalijas (III. bzw. üblicherweise) IV. (ca. 1240 v.Chr.) und Staatsverträge (s. unten). Bestehend aus allen Mitgliedern der königlichen Sippe. Zu den ishes ‚Herren‘ zählten auch die Könige der Glied-(„Vasallen“‐)Staaten, wie etwa Alaksandu von Wilusa (Troia). Sie waren die eigentlichen Hattusumenes ‚Hethiter‘, die auch die Funktion der Einhaltung der Verfassung wahrnahmen. So im Staatsvertrag Suppiluliumas I. mit Aziru von Amurru (KBo 10.12[+] col. I 5 – 7) und im Staatsvertrag Mursili II. mit Niqmepa von Ugarit (RS 17.338+ 5 – 7; Ende 14. Jh. v.Chr.). Diese Aufforderung, die einem Befehl und einer Mahnung gleichkommt, findet sich in Instruktionen, etwa an Palastbedienstete, aber auch in Staatsverträgen mit Königen der Gliedstaaten, so etwa mit Alaksandu von Wilusa/Troia.
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doteische Kyros von Kroisos als von einem gottgefälligen (theophiles) und braven Mann spricht (1,87,2).¹¹¹ Und in der Tat wissen wir auch dank archäologischer und epigraphischer Quellen, dass Kroisos am Bau des Artemisions, des sog. KroisosTempels, von Ephesos entscheidend beteiligt war und sich auch die Ausstattung verschiedener Tempel, etwa mit goldenen Kultbildern, angelegen sein ließ (Hdt. 1,92).¹¹² Selbst die großen Stiftungen an das Orakelheiligtum von Delphi sind zunächst einmal Ausdruck der Frömmigkeit, so sieht es auch Kyros im Referat Herodots, und ebenso Bakchylides. Um denselben Vorgang als Bestechung zu denunzieren, wie es Delphi wohl tat, dazu mussten schon bestimmte Umstände, auch Defizite hinzutreten, die etwa mit mangelnder Weltläufigkeit, vor allem bei den Festlandsgriechen, zusammenhängen.Was nun die Religionspolitik der Lyder angeht, so kann vielleicht die Übernahme des griechischen Zeus (Lew‐) an Stelle des alten anatolischen Wettergottes *Tarhunt- als ein Zeichen der Öffnung den Ioniern gegenüber verstanden werden, das die lydischen Herrscher setzten (s. Teil 2).¹¹³ Für das zweite Gebiet, der Rechtsprechung, fehlen uns die direkten Zeugnisse. Ein zugegebenermaßen wenig aussagekräftiges Indiz, das zudem mit einer unklaren Raumvorstellung im Urbanistischen belastet ist, sei dennoch genannt. So gab es in Sardes ein „proastion der Lyder“,¹¹⁴ wo etwa 50 Jahre nach Kroisos der Perserkönig Dareios öffentlich Platz zu nehmen pflegte, d. h. doch wohl um Recht zu sprechen (Hdt. 5,12,2). Unsere daraus resultierende Annahme, dass bereits die Lyderkönige hier Recht sprachen, dürfte deshalb, zumal angesichts der bereits erwähnten Parallele im Hethitischen, nicht als allzu weit her-
Herodot sagt es genauer: Ein Regenwunder des Apollon habe Kyros zu dieser Erkenntnis verholfen. Das Schicksal (nemesis) ist an sein Ziel gekommen; Kroisos hat die Schuld eingelöst (Verbum ekpimplemi, erst für Euripides und Herodot bezeugt), die Unheilsgeschichte ist vorüber. Eng ist die Parallele zu Jojachin von Juda, wie es vom Deuteronomistischen Geschichtswerk (2 Kön 25,27– 30) dargestellt wird: Es gibt Hoffnung, dass nicht alles vorbei ist. Kroisos wird von der ephesischen Priesterschaft legitimiert (Nic. Dam. FGrHist 90 F65). Kroisos’ Inschriften an Säulen des Artemisions, s. Syll. III 6 = Tod I 6. Zum Kroisos-Tempel s. Bammer (1990). Weitere religionspolitische Maßnahmen lassen sich nicht wahrscheinlich machen. So ist etwa die Verbreitung des Kybele-Kultes in der hellenistischen und römischen Welt nicht auf die Lyder, sondern die Phryger zurückzuführen (s. Teil 2). Die Gleichung proastion = suburb (so LSJ s.v.) „draußen vor der Stadt“ trifft kaum den Sinn; näher liegt die Annahme, dass beim proastion an eine Mauerbastion mit einen erhöhten Sitz mit Blick auf die Unterstadt gedacht ist, von dem herunter Recht gesprochen wurde. Ob dieser Sitz im Bereich des Tores, und zwar der inneren Mauer, lag, welches zum Palast führte, lässt sich am Text nicht direkt festmachen, vgl. aber Hdt. 4,78,3 zum proastion der Borystheniten. Auch Memphis (3,14,1), Susa (3,84,3) und Samos (3,142,1) hatten ein proastion.
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geholt erscheinen.¹¹⁵ Über die lydischen Rechtssatzungen wissen wir nichts, auch für die ionischen Städte sind keine Gesetzgeber überliefert. Das ist kein Zufall. Denn anders als Unteritalien und Sizilien war Westanatolien kein Kolonialgebiet, das erst mythologisch durch den Kulturbringer Herakles hätte präpariert werden müssen, sondern ein auch völkerrechtlich längst vor der sog. Ionischen Kolonisation ausgestalteter Raum.¹¹⁶ Von den späthethitischen Staaten der Luwier ist bisher keine Erwähnung von Gesetzen bekannt, was am Gattungstyp ihrer Inschriften liegt. Für Lydien könnte man Nebukadnezar II. (604 – 562 v.Chr.) ins Spiel bringen, der mit Alyattes seit „585“ v.Chr. in diplomatischem Kontakt stand. Von Nebukadnezar wissen wir, dass er die Grundgedanken des Codex Hammurapi hinsichtlich der Fürsorgepflicht des gerechten Herrschers – er nennt sich wie Hammurapi ebenfalls „König der Gerechtigkeit“ – bis in den Wortlaut hinein in seine Inschriften übernommen hat.¹¹⁷ Das hat G. Ries in seiner breit angelegten Studie deutlich gemacht.¹¹⁸ Freilich können wir nicht beweisen, dass die Lyder eine direkte Rezeption des babylonischen Rechts betrieben. Immerhin steht aber außer Frage, dass das babylonische Rechtsdenken im 1. Jt. v.Chr. den Kreis wieder ausfüllte, den die Keilschrift schreibenden Kulturen im 2. Jt. v.Chr. geographisch gezogen hatten. Es überschritt diesen Kreis allerdings nicht – eine Ausnahme macht vielleicht Urartu – und dehnte sich weder nach Griechenland noch nach Iran aus.¹¹⁹ Zugehörig zum Kreis war aber Israel. Im Deuteronomium 5 – 28 weist das eigentliche „Buch der Tora“ (sēpær hattôrāh; 622 v.Chr. oder 560 v.Chr.?) in seiner Struktur enge Parallelen zum Codex Hammurapi und hethitischen Vassallenverträgen auf.¹²⁰ Das könnte für Lydien folgendes bedeuten: Wie im Falle Israels, so dürfen auch für das Lydien des 1. Jt. v.Chr., das ebenfalls ohne Keilschrift und Kenntnis der babylonischen Sprache war, Entlehnungen auf dem Gebiet von Recht und Gerechtigkeit nicht von vornherein für undenkbar erklärt werden. Ähnlich steht es mit der Annahme eines inneranatolischen Rechtsaustausches. So haben wir zwar die hethitischen Gesetze (erste Fassung um 1600
Die mediale Form von ion. prokatizo; das pro- zeigt an, dass ein Sitzen „an hervorgehobener Stelle“, gemeint ist. Zum Tor allgemein, s. Otto (1995). Zu Herakles im griechischen Mutterland und im Westen s. Lane Fox (2011), 238 ff. Lambert (1965); der Text soll sich eher auf Nabonid beziehen, so Schaudig (2001), 579 f. (P1). Ries (1983), 67 ff.; 70 zur Felsinschrift vom Wadi Brisa (col.VIII 26: „Nebukadnezar, der König der Gerechtigkeit, bin ich“). Im 2. Jt. v.Chr. dagegen bezeichnen die Begriffe Vorderer Orient/Alter Orient einen historischen Kulturraum, der durch Keilschrift und Tontafel definiert ist, so Krebernik (2012), 9. Der so definierte Kulturraum schrumpfte allerdings im 1. Jt. v.Chr. von den Rändern her ein. Braulik (2016), 157 ff.
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v.Chr.),¹²¹ die allerdings ohne das babylonische Vorbild hinsichtlich Schrift und Beschreibstoff nicht denkbar wären, was ihnen aber wesentlich fehlt, sind Vorspann und Epilog, die das Selbstverständnis des königlichen Gesetzgebers hätten offenlegen können. Das Selbstverständnis wäre deshalb erst einmal aus anderem, sehr disparatem hethitischen Quellenmaterial zu gewinnen. Das ist zwar inzwischen weitgehend erfolgt, seine Auswertung führte aber unter Assyriologen und Hethitologen, und zwar quer durch die beiden Fächer zu völlig konträren Schlussfolgerungen. Wir sehen jedenfalls hinter den hethitischen Gesetzen einen anderen, weniger autokratischen König stehen, als es Hammurapi war. Der hethitische König hat sich hinsichtlich seiner Machtfülle selbst Bindungen auferlegt, und zwar durch eine schriftliche Staatsverfassung, die mit dem Namen des hethitischen Königs Telipinu (um 1500 v.Chr.) in Verbindung gebracht wird und die vielleicht die älteste schriftliche Verfassung der Weltgeschichte ist. Der König erklärte sich hier hinsichtlich seiner Amtsführung für rechenschaftspflichtig gegenüber dem panku-, der ‚Gemeinschaft (des Reiches)‘,¹²² d. h. der Sippe der Hethiter.¹²³ Selbstverständlich bestand die Zielvorgabe auch für Telipinu darin, dass der König, jetzt aber zusammen mit der Sippe, im Auftrag der Götter das Land zu erhalten und zu erweitern sowie seinen Reichtum zu mehren hatte. Dass auch die hethitischen Gesetze Ausdruck eines anderen, „humaneren“ Geistes sind, hat man immer gesehen. So ist z. B. die Todesstrafe, die im Codex Hammurapi häufig genannt wird, hier nur noch vereinzelt vorgesehen, vielmehr wird die persönliche Wiedergutmachung eines angerichteten Schadens über das Prinzip der bloßen Vergeltung gestellt. Ebendies bestimmt auch den Geist der Rechtskultur Israels, wie B. Janowski (2013) in mehreren Arbeiten zur alttestamentlichen Anthropologie herausgearbeitet hat. Freilich wissen wir nicht, ob und inwieweit der Codex Hammurapi die gleichzeitige Rechtswirklichkeit widerspiegelt oder ob eine nur theoretische Gesetzeskonstruktion vorliegt.
Die Rolle der Götter In Mesopotamien pflegten die Könige ihre Politik in starkem Maß mit dem Willen der Götter zu begründen. In der hethitischen Geschichtsschreibung geschieht dies nur gelegentlich. So übergibt beispielsweise im Text des Anitta ein Gott die Stadt Die letzte Ausgabe der hethitischen Gesetze wurde von Hoffner (1997) besorgt. Hoffner bekennt freimütig, von der Rechtskultur des Vorderen Orients und seinen Traditionen wenig zu verstehen. Ü. E. von Schuler, in: TUAT I/1 (1982), 96 – 123. Der panku- repräsentiert „das ganze Land Hattusa“ (Hattusas udne human). Das ist die Sicht von Starke (2002), die er bisher nur skizziert hat.
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Hattusa, so dass der König sie erobern kann, und Mursili II. berichtet, der Wettergott habe auf dem Feldzug gegen Arzawa seinem Gegner einen Blitz vor die Füße geschleudert, so dass er außer Gefecht gesetzt wurde, aber insgesamt spielen die Götter in Kriegsberichten eine geringe Rolle. Eine Ausnahme ist naturgemäß die Apologie Hattusilis III., ein Propagandatext, mit dem dieser Herrscher seine Usurpation des Throns durch den besonderen Willen der Göttin Ischtar rechtfertigt.¹²⁴ Ihre göttliche Fügung (para handandatar) habe seit seiner Kindheit über ihm gewaltet und ihn auserwählt. Ein anderes Bild bietet dann die griechische Geschichtsschreibung. Bei Herodot und Thukydides herrscht ein modernes, pragmatisches Denken vor, das zwar ein Mitwirken der Götter zulässt, aber sie weder als Verursacher geschichtlicher Prozesse begreift, noch sie als alleinige Lenker der Geschichte versteht. Was die Natur der Götter selbst betrifft, so erscheinen sie in der hethitischen Mythologie als zwar leicht zu Zorn erregbar, aber insgesamt doch dem gemeinsamen Ziel verpflichtet, ihre Herrschaft über die Welt und damit auch das Wohlergehen der Menschheit zu bewahren. Dies ist auch die Sicht der an sie gerichteten Gebete. In der Schilderung des Troianischen Krieges durch Homer werden die Götter als Übermenschen dargestellt, die ihren Impulsen auch dann folgen, wenn sie für Menschen unheilvoll sind. Freilich ist dies vor dem Hintergrund zu sehen, dass es der Wille (Dios boule: Il. 1,15)¹²⁵ des obersten Gottes Zeus war, die Heroen, also die von göttlichen Vätern abstammenden Übermenschen, mittels des Troianischen und des Thebanischen Krieges auszutilgen, wie Hesiod im sog. Weltaltermythos (erga 106 – 203) als Zeit des vierten Geschlechts der Heroen, d. h. der Halbgötter, ausführt (erga 156 – 173). In ähnlichem Sinne wird in der alttestamentlichen Genesis (6,1– 4) berichtet, aus der Verbindung von Göttersöhnen mit Menschenfrauen seien tyrannische Herrscher hervorgegangen. Daran schließt der Bericht von der Sintflut unmittelbar an, so dass man den Eindruck gewinnen kann, es seien diese Söhne der Göttersöhne gewesen, zu deren Austilgung die Flut ursprünglich bestimmt gewesen sei.¹²⁶ In diesem Fall wäre ein aus Mesopotamien stammender Flutmythos, der auf die Vernichtung der Menschheit insgesamt abgezielt hatte, im Alten Testament an einen ostmittelmeerischen
Text bei Otten (1981). von Wilamowitz-Moellendorff (1916), 246. „Es waren zu der Zeit Riesen auf Erden, denn da die Göttersöhne zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus (gewalttätige) Männer, berühmte Heroen der Vorzeit. Da aber der Herr sah, dass die Bosheit der Menschen groß war auf Erden …, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte … und er sprach: ‚Ich will die Menschen, die ich gemacht habe, vertilgen von der Erde …‘“ (Gen 6,4– 7). Die Erzählung ist wohl spät von einem Redaktor eingefügt und dient dazu, die Sintflut als ultima ratio zu erweisen.
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Mythos von der Vernichtung der Halbgötter (Heroen) durch den obersten Gott adaptiert worden. Hymnen und Gebete zeichnen ein positiveres Bild von den Göttern als Epen, sowohl in Mesopotamien als auch in Griechenland. Herodot dagegen betrachtet die Götter als neidisch, insbesondere gegenüber den Reichen und Mächtigen. Auch sind sie nicht allmächtig, denn über ihnen steht das Schicksal, lässt die Pythia Kroisos ausrichten (Hdt. 1,91,1). Anders ist das Bild von Jahweh, das das Alte Testament zeichnet. Von ihm wird nicht gesagt, dass er neidisch wäre, er ist vielmehr eifersüchtig als Gott „seines Volkes Israel“.¹²⁷ Man kann mit Gott rechten, wie dies bis an die Grenze zur Blasphemie Jeremia tut und das Ijob-Buch, wo Gott selbst Dialog-Partner ist.¹²⁸ Über das Verhältnis der Lyder zu ihren Göttern können wir nur Vermutungen anstellen. Einerseits war zur Zeit des Kroisos seit den Hethitern ein Dreivierteljahrtausend vergangen, und auch die Nähe der Griechen kann nicht ohne Wirkung auf seine religiöse Einstellung geblieben sein. Andererseits sind ihre Götternamen noch teilweise die direkten Fortsetzer der auch bei den Hethitern und Luwiern in der Spätbronzezeit verehrten (s. Teil 2), weshalb von einer gewissen Kontinuität auszugehen ist. Wir vermuten eine eher nüchterne Beziehung nach hethitischer Art, d. h. noch nüchterner als dies im Vorderen Orient sowieso schon Praxis war. Denn die Götter unterscheiden sich durch nichts von den Menschen, sie sind nur stärker, wobei stärker auch ethisch zu verstehen ist. So konnte ein Hethiter rhetorisch fragen: „Ist denn der Sinn von Menschen und Göttern verschieden? Nein! … Ihr Sinn ist ein und derselbe.“¹²⁹ Die Götter waren weder transzendent fern noch persönlich nahe, weder dem Volk noch dem Einzelnen. Rituelle Richtigkeit, nicht ethische Gerechtigkeit beherrschte das Tun und Denken der bronzezeitlichen Priester und ihrer Kultgemeinde. Daher ist es, wie schon vorher bei den Gesetzen, auch bei der Religion nicht einfach, eine Brücke von der Bronzezeit ins 1 .Jt. v.Chr. nach Lydien zu schlagen. Was wir aber haben, sind Taten des Kroisos in der Außen- und Sicherheitspolitik: Wie sich Hammurapi ausdrücklich einmal als „Krieger“ tituliert (col. II 32) und sein Eroberungswerk den Göttern empfiehlt, besonders im Prolog, so ist auch Kroisos den Darstellungen Herodots zufolge ein Eroberer, dem es allerdings ganz entschieden an religiöser Fundamentierung mangelte, jedenfalls nach dem, was
Dass Jahweh in akuter Situation zornig werden kann, sei nicht Ausdruck despotischer Willkür, sondern eine Funktion seiner Geschichtsmächtigkeit, so B. Janowski (gegen J. Assmann) auf einem Studientag in Nürnberg 10. 3. 2012. Janowski verweist auf einen Aufsatz von Tück (2008). Perlitt (2004), 43 datiert Habakuk ins 4. Jh. v.Chr. KUB XIII 4 col. I 21 (CTH 264), Ü: J. Klinger, in: TUAT Erg.lfg. (2001), 74.
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Herodot zu berichten weiß. Man könnte meinen, Herodot sähe in Kroisos im Geist schon den hellenistischen Herrscher in all seiner religiösen Aufgeklärtheit, einen Herrscher, der nur Machthaber war und weiter nichts. Kurz ist hier der Weg zu Platon. In dessen „Gastmahl“ lässt er Diotima sagen: „Denn der Gott verkehrt nicht (meignytai) mit den Menschen“ (Plat. symp. 203a).
Lydia eudaimon. Allegorien des Kyklos Was sich Herodots knapp gehaltenen Angaben über die Taten der lydischen Könige noch entnehmen lässt, reicht immerhin aus, zu behaupten, dass Lydien in den Tagen des Alyattes auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. In seinem Bemühen, den Staat nach dem Sieg über die Kimmerier und nach der Eroberung Phrygiens auf neue Grundlagen zu stellen, war dieser König auf gutem Weg. Ebenso erfolgreich bemühte er sich dem Reich in der Staatenwelt des Vorderen Orients sowie Griechenlands einen seinem Rang entsprechenden Platz zu verschaffen. Der Bündnisvertrag mit Milet brachte Ruhe in die ionische Staatenwelt, die Schwarzmeer-Kolonisation begann reiche Frucht zu tragen. Für die Bewohner des Reiches wurde die Sicherheitsfrage allerdings mehr und mehr zum drängendsten Problem, weil die Situation an der Ostgrenze instabil war. Herodot hat die Beobachtung der Instabilität von Herrschaften und Reichen gemacht, so von allem anhand der Schicksale Lydiens, Ioniens und auch Persiens, und dann als praedictio ex eventu auf seinen Lyder-Logos angewendet. Deutlich genug ist auch die Mahnung des Kroisos, die er dem Kyros erteilte, als dieser in den Kampf gegen die Massageten und ihre Königin Tomyris zog: „… lerne zuerst, dass es einen Kreislauf (kyklos) der menschlichen Dinge gibt; er ist in dauernder Bewegung und lässt nicht zu, dass immer dieselben glücklich sind“ (Hdt. 1,207,2). Fortunae rota volvitur wird es im Mittelalter in den Carmina Burana heißen. Nun war Kyros schon hundert Jahre tot, als Herodot sein Konzept entwickelte. Das alles ist also Legende. Wohin gehört sie? Doch wohl zur Weisheitslehre (s. Teil 5.3). Nicht nur Individuen sind an das drehende Rad gekettet, sondern auch Städte (astea), die Herodot besucht hatte, gehorchten dem Gesetz des Kyklos (Hdt. 1,5,3 – 4). Man wüsste gern, an welche Städte er denkt, an Ninive, an Gordion oder an poleis in Griechenland? Das Rad wird in Bewegung gehalten durch die unverständigen Barbaren, die wie Kroisos „gedankenlos optimistisch“ (A.W. Gomme)¹³⁰ nicht bedenken, dass die Gottheit phthoneros ‚neidisch‘ und tarachodes ‚unberechenbar, launisch‘ ist, so Solon zu Kroisos (Hdt. 1,32,1).
Gomme (1954), 109 (= [1982], 242).
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Griechische Bewunderer des Kroisos Die moderne Forschung hat nicht nur die ethische Position Solons, d. h. Herodots, vertreten, sondern sich auch dessen Anmaßung zu eigen gemacht, die Mehrheit der Athener, von den Griechen ganz zu schweigen, hätte geschlossen hinter ihm gestanden. Ist dies schon erfahrungsgemäß undenkbar, so macht Solon ja selbst auf die prekäre Situation aufmerksam, verursacht u. a. durch eben seine Reformen. Der historische Solon hielt den Reichtum des Kroisos zumindest für fragwürdig. Den historischen Kroisos wird der Gedanke versöhnt haben, dass die übrige griechische Welt seine Würde achtete. Die Griechen hielten ihn in der Tat für den glücklichsten aller lebenden Menschen und behielten ihn so in Erinnerung. Für Wenige war er das Vorbild, welches sogar zur Nachahmung gereizt haben dürfte; naturgemäß kommen hierfür nur die Mitglieder des griechischen Adels in Betracht.¹³¹ Eines ihrer Mitglieder, der für uns zwar namenlos bleibt, der aber dennoch ein wenig von seiner Identität preisgibt, ist bekannt. Denn er hatte einen Sohn mit dem bezeichnenden Namen „Kroisos“. Als dieser von dem „ungestümen Ares“ unter den promachoi, d. h. in vorderster Linie kämpfend, dahingerafft wurde, hat der Vater dessen Grab mit einem überlebensgroßen Kouros geehrt. Das war 530/20 v.Chr.¹³² Der Vater dieses griechischen Kroisos war vielleicht noch ein Zeitgenosse von Kroisos und Solon gewesen und dürfte, wie schon lange vermutet worden ist, der Familie der Alkmeoniden angehört haben.¹³³ Die Alkmeoniden waren aber keine Freunde Solons. Eines ihrer Mitglieder, namens Alkmeon, soll den lydischen Gesandten, die im Namen des Kroisos Göttersprüche in Delphi einholen sollten, irgendeine, nicht näher bezeichnete Unterstützung gewährt haben. Kroisos ließ Alkmeon im Gegenzug nach Sardes kommen und stellte ihm so viel Gold als Geschenk in Aussicht, wieviel er auf einmal wegtragen könne. Dieser habe, als er schon voll bepackt war, sich daraufhin sogar noch den Mund mit Gold vollgestopft. Als Kroisos ihn sah, wie er über und über mit Gold beladen sich mühsam aus dem Schatzhaus schleppte, musste er lachen und schenkte ihm noch anderes, nicht weniger als dieses (Hdt. 6,125). Herodot schließt
Bakchyl. epin. 3,61– 66. Hier wird dem Kroisos als eusebeia ‚Frömmigkeit‘ angerechnet, dass er einst das Wertvollste nach Delphi gesandt habe, was er hatte, jetzt aber sei Hieron von Syrakus gepriesen dafür, dass er – dem Vorbild Kroisos folgend – seinen Reichtum ebenfalls dafür verwandt habe, Gold dem Apollon zu stiften, und zwar mehr als andere Menschen gestiftet hätten. Auch Theopomp (FGrHist 115 F193) sagt, dass die Herrscher von Syrakus, die Deinomeniden (ab 480 v.Chr.), versuchten, die lydischen Könige nachzuahmen. Großformatige Abbildungen bei Lullies (1960), Abb. 58 – 61, Text und Inschrift S. 47 f. So Fuchs (1969), 34 f.
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die Geschichte kommentarlos mit den Worten ab: „Alkmeon konnte sich nun ein Viergespann leisten und siegte in Olympia“. Herodot wollte das Verhalten des Alkmeon, aber auch das Lachen des Kroisos nicht kommentieren. Das Bild, das Kroisos sich von den Athenern machte, dürfte nach dem Besuch von Solon und Alkmeon den Wunsch, weitere Einladungen auszusprechen, gebremst haben. Nun hat auch die große Zahl der Bewunderer des Kroisos wohl kaum erkannt, worin die eudaimonia des lydischen Königs denn nun wirklich bestanden haben soll. Die meisten begnügten sich mit dem äußeren Schein; und auch die Forschung ließ sich von demselben Irrlicht leiten. Wie leicht sich die Athener auch allgemein blenden ließen, zeigt die Geschichte von Peisistratos, der sich von einer als Athena verkleideten, hochgewachsenen Frau, namens Phye, auf die Akropolis fahren ließ. Herolde sandte man voraus und ließ ausrufen: Nehmt Peisistratos freudig auf, denn Athena selbst führt ihn in ihre Burg (akropolis) zurück. Alle Athener glaubten das, beteten die Frau an und nahmen Peisistratos als Tyrannen wieder auf. Und Herodot vergisst nicht zu bemerken, dass dies ausgerechnet den Athenern unterlaufen sei, die doch die klügsten Griechen sein sollen (Hdt. 1,60). Soweit die Athener. Für die Anderen, Griechen wie Nichtgriechen, die die Meinung des Bakchylides (epin. 3 = 20 D) teilten und tiefer sahen, war die große Freigiebigkeit des lydischen Königs, die dieser gegenüber Delphi und dem Gott Apollon walten ließ, Ausdruck von ungeheuchelter Frömmigkeit.
Das Gilgamesch-Epos Das Gilgamesch-Epos und die Ilias erfüllen den gleichen Zweck. Homer lässt vor dem Hintergrund einer heroischen Welt in der Person Hektors die Ethik der Polis anklingen. Die adeligen Werte wie time, die zur Ehrsucht, und arete (ursprünglich nur die kriegerische Tüchtigkeit), die zur Gewalttätigkeit neigte, mussten gezähmt werden, weil sie der gemeinsamen Sache schaden konnten, wie das Beispiel des Achilleus zeigt. Das Erziehungsprogramm schuf dann Solon. Über der Polis schwebte die Tyrannengefahr, und die Geldgier der Neureichen höhlte das bürgerliche Ethos aus. Die Entsolidarisierung, die Kluft zwischen Arm und Reich, das Problem so vieler Epochen, war auch ein Merkmal der Zeit Solons. Sein Gedicht eunomia ‚Wohlordnung‘ ist Zeugnis für das Bemühen, die Polis-Ethik einzupflanzen. Die Situation in Lydien ist vergleichbar, wenn auch erst auf den zweiten Blick. Der Putsch und die Machtergreifung des Gyges legten den Grund für eine Kluft zwischen Dynastie und Volk. Eine Entfremdung wird mit Kroisos manifest, der Umgang mit dem Naturphilosophen Thales pflegte. Liberalismus, Relativismus und Individualismus dürften dafür verantwortlich gewesen sein. Eine Neube-
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sinnung und Neuorientierung auf die Aufgaben eines vorderorientalischen Herrschers stellt das Epos von Gilgamesch dar. Dieses Epos ist für das 2. Jt. v.Chr. durch drei akkadische Fragmente (15./14. u. 13. Jh. v.Chr.) und eine hethitische Übersetzung (wohl aus dem Hurritischen) für Hattusa bezeugt. Fragmente des Epos aus der Bibliothek Assurbanipals in Ninive, aber auch aus anderen Städten des Zweistromlandes bis hinauf nach Sultantepe (bei Urfa) in der heutigen Südosttürkei dokumentieren die Präsenz des Epos aber auch für das 1. Jt. Wie und wo das Epos in dieser Zeit vorgetragen oder gelesen wurde, ist nicht feststellbar.¹³⁴ Reflexe im Alten Testament wie Gen 6 – 8, die die ursprünglich aus dem akkadischen Atraḫasis-Epos stammende und dann auch ins Gilgamesch-Epos übernommene Sintfluterzählung enthalten, sowie Bezüge in den hieroglyphen-luwischen Texten aus dem syro-anatolischen Raum legen aber eine fast ungebrochene literaturgeschichtliche Wirksamkeit des akkadischen Epos nahe. Eine so lange Wirksamkeit und Verbreitung dieses Stoffes lässt vermuten, dass er sozusagen alle Winkel der altorientalischen Welt durchdrungen hat. Für den Westen Anatoliens käme der Ilias-Dichter Homer indirekt als Zeuge in Frage (um 750/700 v.Chr.). Von ihm kann heute mit einiger Sicherheit behauptet werden, dass er zumindest auf indirektem Weg von Themen des Gilgamesch-Epos gehört haben muss, denn viele Motive in seinem Werk werden heute als Entlehnungen aus diesem Universalität beanspruchenden Epos identifiziert. Gilgamesch nun, der „umfassende Weisheit erwarb in jeglichen Dingen“, war der halbmythische König von Uruk, der seit dem 3. Jt. v.Chr. in der sumerischen und akkadischen Literatur erscheint.¹³⁵ Von einem heldenhaften Kriegerkönig und Kulturheros in früheren Fassungen des Epos wird Gilgamesch in der kanonisierten jungbabylonischen Version des 11. Jh. v.Chr. zu einem Herrscher, der letztendlich Weisheit erlangt. Auf der Suche nach dem ewigen Leben gelangte er bis an das Ende der Welt und drang darüber hinaus als einziger Mensch in Bereiche vor, die unter, über und jenseits der begehbaren Welt lagen (Tafel 1). Zum „Vorbild der Könige“ (W. Sallaberger) wurde Gilgamesch aber erst dadurch, dass
So Sallaberger (2013), 103. Zitat Tafel 1,4. Die „kanonische“ Fassung des Gilgamesch-Epos, dessen kritische Edition von A.R. George (2003) besorgt wurde und auf der die derzeit maßgebliche deutsche Übersetzung von Maul (2008) fußt, ist in jungbabylonischem Akkadisch verfasst und stammt, redaktionsgeschichtlich betrachtet, aus dem 11. Jh. v.Chr. Das schriftliche Verbreitungsgebiet umfasste im 2., aber auch im 1. Jt. v.Chr. den gesamten keilschriftlichen Kulturraum einschließlich Hattusa im Norden und Megiddo im Süden; die Kenntnis des epischen Stoffes reichte aber viel weiter. Dass es auch in Sardes bekannt war, hat schon G.M.A. Hanfman angenommen. Das Gilgamesch-Epos gehört zwar nicht zur Weisheitsliteratur im engeren Sinne, kann aber durchaus weisheitlich gelesen und Gilgamesch als der Weise verstanden werden, so Sallaberger (2013), 73; 101 ff.
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er schließlich einsehen musste, auch nur ein sterblicher Mensch zu sein. Nur ein sterblicher Mensch zu sein, ist die Offenbarung, die auch ergeht, als Kroisos auf dem Scheiterhaufen steht und die Lehren Solons rekapituliert (s. Teil 6). Der springende Punkt, auf den das Epos zuzulaufen scheint, ist darin zu sehen, dass Gilgamesch, nachdem er das Ziel, das ewige Leben zu erlangen, als unerreichbar erfahren hatte, nicht der Resignation verfiel und das weitere irdische Leben für unmaßgeblich hielt, sondern dass dieser einstmals ausschweifende König sich zu bescheiden lernt. Er erkennt jetzt seine einzige und wahre Bestimmung darin, nach Uruk zurückzukehren und sein Leben einzig und allein der lange Zeit vernachlässigten Ausübung der Königsherrschaft zu widmen, zum Schutz der Stadt und ihrer Bewohner (Tafel 11,323 – 328).¹³⁶ In dieser Bescheidung auf das, was einem König zukommt, in der Erfüllung seiner Pflicht also, liegt seine Gerechtigkeit. Diese Einsicht ist seine Weisheit. Eine solche Weisheit wird nun aber nicht im stillen Kämmerlein gepflegt, sondern muss sich aktivieren lassen durch die Verpflichtung, Gerechtigkeit zu üben. Denn ihr Aktionsfeld sind Stadt und Reich. Das, was ein gerechter König zu tun oder zu lassen hatte, hat das Gilgamesch-Epos zwar nicht expressis verbis ausgeführt, was aber auch gar nicht nötig war, weil der gebildete Hörer es ohnehin wusste. Aus Andeutungen heraus lassen sich aber aus dem Gilgamesch-Epos vielleicht einige politische Aufgaben ableiten. Ein Beispiel ergibt sich aus dem Epitheton zu Uruk, der stark ummauerten Stadt des Gilgamesch, es lautet: „die hürdenumhegte Stadt“. Das Bild wird gleich noch ergänzt durch die Hirtenmetapher. Diese archetypischen Bilder stehen für Schutz und Geborgenheit und Fürsorge des Königs für die ihm anvertrauten Menschen, von denen die Witwen und Waisen die unter diesem Aspekt markanteste Gruppe bilden. Im Alten Testament ist die Gerechtigkeit expressis verbis auf die Armen, und hier vor allem und immer wieder auf die Witwen und Waisen bezogen.
Weisheitsliteratur. Das Buch Ijob (Hijob) Das Gilgamesch-Epos in seiner jungbabylonischen Version kann man also weisheitlich nennen. Wir haben aber auch unsere Solon-Kroisos-Novelle bewusst weisheitlich genannt und sie doch gleichzeitig für historisch orientiert gehalten. Zur Erhärtung dieser Aussagen sei unsere Novelle an ungefähr zeitgleiche Werke der Weisheit herangeführt. Der Begriff Weisheitsliteratur verdankt sich der Bibelwissenschaft, die sich am intensivsten sich mit der Weisheit auseinander ge-
Dazu der Kommentar von Maul (2008), 190 f.
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setzt hat.¹³⁷ Grundständig gehören zur alttestamentlichen Weisheitsliteratur: 1. die Sprüche, 2. die Unterweisung und 3. der Dialog. Während die Sprüche sowohl dem Bereich von Familien oder Sippen („Sippenweisheit“) als auch der Welt des Hofes und der Schreiberschulen („Schulweisheit“) entstammen, dürften die Dialoge allein der „Schulweisheit“ zuzuweisen sein. „Schulweisheit“ in Israel lebt von der Weisheit Ägyptens. Mesopotamien, Syrien und Anatolien spielen hier, wenn man von der Tierfabel absieht, eine geringere Rolle. Ein Problem stellt Ionien bzw. Griechenland mit seinen Sieben Weisen dar, zu denen Solon gehörte (dazu s. Teil 5 C). Dass Lydien für eine ganz besondere Weisheitsgattung steht, nämlich die Fabel, wird noch zur Sprache kommen. Im Alten Testament bildet das Buch Ijob einen Höhepunkt hebräischer, ja universaler Weisheit. Es soll hier nur unter bestimmten Punkten mit unserem Solon-Kroisos-Dialog verglichen werden. Das Buch Ijob kennt keinen Verfassernamen, Ijob ist keine historische Gestalt, sein Name ist etymologisch unableitbar und der Ort des Gesprächs liegt im Osten bzw. im urzeitlichen Land Uz, irgendwo und nirgendwo im Ostjordanland, alles ist fiktiv.¹³⁸ Eine nachträgliche Theologisierung im Sinne des Jahwismus ist nur sehr schwach der Grundschrift aufgetragen worden. Die Buchwerdung wird heute in den Zeitraum vom 5.–3. Jh. v.Chr. gesetzt. Der bzw. die Verfasser geben im sog. Prolog zu erkennen, dass der Dialog fiktiv zu verstehen sei. Der wohl zeitgleiche Herodot nennt dagegen in unserer Novelle bekannte Personen, sehr prominente sogar, nämlich Solon und Kroisos, und das Gespräch fand nicht irgendwo statt, sondern in Sardes. Es gibt inhaltliche Übereinstimmungen mit Ijob, aber auch viel Trennendes. Der Vergleich macht aber unmissverständlich klar, dass erstens unser Solon-Kroisos-Dialog genau genommen kein echter Dialog ist, vielmehr bietet Herodot eine viel einfachere Form, nämlich die einer weisheitlichen Lehrerzählung. Ein echter Dialog kommt aber deshalb nicht zustande, weil Kroisos sein eigenes eudaimonia-Konzept, also seine Vorstellung von Glück, gar nicht einbringt. Zweitens wird klar, dass Herodots Novelle wegen der Nennung realer Namen etwas Historisches zugrunde liegen dürfte. Was wir mit Weisheitsliteratur bezeichnen, hat nicht nur mit abstrakt ethischen Fragen zu tun, sondern es wurden in ihr auch praktische Themen behandelt, und zwar Themen, die weniger am Individuum als vielmehr am gemeinschaftlichen Miteinander orientiert sind, also Politik und Verfassung¹³⁹ sowie Genannt sei hier nur von Rad (2013). Zum Buch Ijob Witte (2016), 432– 445. So sieht Solon (F4 W = 3 D) die Verwirklichung ordentlicher Gesetzgebung (eunomia) in Athen als eine gemeinschaftliche Verpflichtung an, vor allem in der sog. Staatselegie.
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Reichtum und Herrschaft betrafen. Ein Beispiel solcher Weisheitsliteratur bei Herodot ist der Dialog des Perserkönigs Xerxes mit seinem Onkel Artabanos am Hellespont (481/80 v.Chr.). Zunächst wird hier über das menschliche Leben diskutiert – auch vom neidischen Gott ist wieder die Rede (Hdt. 7,46,4) –, aber dann, als Artabanos immer Trübsinnigeres von sich gab, greift Xerxes lenkend ein: „Lass uns dieses Gespräch … lieber abbrechen …, denn wir haben wichtige Aufgaben in Händen“ (Hdt. 7,47,1). Und dann geht das Gespräch andere Wege, zunächst zu Fragen des Feldzugs, dann vertieft zu Fragen nach der persischen Herrschaftsmaxime, so etwa von der grenzenlosen Expansion des Reiches. Ein solcher Themenwechsel, weg von der reinen Lehre hin zur Besprechung praktischer Probleme dürfte auch in Sardes beim Dialog von Solon und Kroisos auf der Agenda gestanden haben. Nur hat Herodot diese Agenda nicht. Solon, der in seinem langen Leben bisher weitgehend nur Ackerbürgergemeinden kennengelernt hatte – das trifft teilweise selbst noch auf die archaische Großpolis Athen mit ihrem hochqualifizierten Handwerkerstand zu –, dieser Solon wurde nun im hohen Alter mit einem Staatstyp konfrontiert, der sich durch eine monarchisch-erbcharismatische und fast schon bürokratisch zu nennende Verfasstheit auszeichnete. Das war inkommensurabel mit dem, was er bisher kannte.¹⁴⁰ Dazu kam die diplomatische Vernetzung des Lyderreiches mit Ländern, Städten und Reichen, mit deren Namen er wenig verband, deren Lage er vielleicht nicht einmal zu benennen gewusst hätte. Denn wir müssen uns klar machen, dass wir in der Zeit noch vor Hekataios von Milet und vor den Persern sind, Weltkarten und die dazugehörigen Erklärungen (logoi) also noch gar nicht zur Verfügung standen. Von attischen Kapitänen hätte Solon wenig lernen können, weil sie die Küsten des östlichen Mittelmeers nicht befuhren, auch Söldner, die bei ihrer Rückkehr aus dem Vorderen Orient irgendwelche Auskünfte hätten geben können, wie ein Antimenidas aus Mytilene (Alk. F350 Voigt/L.-P.), sind für Athen nicht bekannt. Unwissenheit über den Vorderen Orient und seine Staatenwelt sind nicht nur bei Solon festzustellen, sondern auch bei drei weiteren berühmten Athenern, nämlich bei Xenophon und Platon sowie bei Aristoteles, dieser allerdings war nur Wahlathener. Die genannten Personen, Platon und Aristoteles waren Staatsrechtler, Xenophon war Historiker, scheinen blind gewesen zu sein für das Phänomen Großreich. Jedenfalls haben sie nichts oder fast nichts Erhellendes über die doch stark von der Polis abweichende Staatsform der Monarchie geschrieben. Das ist umso erstaunlicher, als sie mit den Persern sozusagen Seite an Seite lebten. Aristoteles ist sogar vorübergehend Untertan des Großkönigs gewesen, zu der Zeit nämlich, als er Gast des Hermeias war, des Tyrannen von
Wie der Bildungsgang Solons im Einzelnen war, wissen wir nicht.
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Atarneus, welches gegenüber von Lesbos lag (zwischen 348/7– 345 v.Chr.). Den Vogel aber schießt Xenophon ab, der bis vor die Tore Babylons kam, um dann einen staatsrechtlich und sozialwissenschaftlich wenig relevanten Ertrag abzuliefern. Dafür kann er etwas Anderes, überspitzt gesagt: Er kann uns aber natürlich sagen, dass ein kretischer Bogenschütze nicht so weit schoss wie ein persischer (Xen. an. 3,3,7).¹⁴¹ Und Xenophon wusste genau, was der Leser seiner Zeit hören wollte. Dagegen hatte Sappho zu ihrer Zeit durchaus Sinn für das Andersartige gehabt, so auch für die feine Welt Lydiens. Aufgrund dieser athenischen Unkenntnis Solons, so vermuten wir, gelang es Kroisos nicht, seine Vorstellung von Glück (eudaimonia) klar zu machen. Dieses Glück hatte zwar mit dem Schatzhaus zu tun, aber dieses diente nicht in erster Linie dazu, dem König individualistische Wünsche zu erfüllen, sondern war ganz im Gegenteil vornehmlich dazu gedacht, Mittel bereit zu halten, um gemeinnützige Zwecke in Stadt und Reich zu verwirklichen. Was Kroisos expressis verbis gesagt hat, ist auf dem Überlieferungsweg, bevor es Herodot überhaupt erreichte, als unverständlich herausgefallen. Spätestens als Kroisos beobachtete, wie wenig Aufmerksamkeit Solon seinen protestierenden Zwischenrufen entgegenbrachte, und als er dann noch die Respektlosigkeit hinsichtlich seines königlichen Status bemerkte, muss er sich die Frage gestellt haben, ob er den richtigen Gesprächspartner eingeladen hatte. Der Eklat schien vorprogrammiert und trat dann auch ein. Denn Solon redete nicht so, wie es dem König gefallen hätte, sagt Herodot. Kroisos sagt aber nichts, was sein Missfallen begründet hätte, er behält seine Gedanken für sich. Nachdem der Gast aber gegangen war, platzte es aus ihm heraus: dieser Solon muss ein karta amathes sein. Nicht gemeint sein kann ‚einfältig‘ (haplous), oder ‚dumm‘ (moros), auch nicht ‚von Sinnen‘ (aphron), oder ‚unerfahren‘, ‚unwissend‘ (apeiros), alles Adjektive, die (bis auf apeiros) nicht zum Wortschatz Herodots gehören, amathes dagegen ist zuerst bei Herodot belegt. Durch karta wird das amathes noch verstärkt. Die Bedeutung von amathes wird bei LSJ,¹⁴² das unsere Stelle als erste anführt, mit „ignorant, stupid“ wiedergegeben. Der Beleg an dritter Stelle stammt ebenfalls aus Herodot. Hier heißt es: von allen Ländern seien die Völker (ethnea) am Schwarzen Meer, mit Ausnahme der Skythen, am unkultiviertesten (amathestata, Hdt. 4,46,1). Herodot denkt hier an die Thraker, von deren abscheulichen Sitten wir in den Gedichten des Archilochos (s. oben) schon gehört haben, und dieser war schon einiges gewohnt. Von Solon, der Attika als „ältestes Land Ioniens“ preist (F4 D), eine Verbindungslinie hin zu den Schwarzmeer-Thrakern zu
In diesem Sinne Momigliano (1979), 157. An zweiter Stelle Demokr. DK 68 B 169, bei Demokrit auch adokimos.
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ziehen, die als Strandpiraten ein Schrecken ausgerechnet der das Schwarze Meer befahrenden Ionier waren, eine solche Verbindungslinie mit assoziativen Folgen nur wegen eines gemeinsamen Wortes zu ziehen, wäre natürlich ungerechtfertigt. Ganz ohne Sinn wäre sie allerdings nun auch wieder nicht, denn karta amathes, ‚sehr unwissend/ungebildet‘ mit der Thraker-Assoziation „dumpf und dumm“, ist und bleibt ein Urteil, das über einen Gast und Dialogpartner von dieser Dignität gebildet, sich nicht so leicht ein zweites Mal in den antiken Quellen finden lassen dürfte.¹⁴³ Dieses Urteil ist wohl kaum erst von Herodot erfunden worden, der ja eher bestrebt war, Positiva und Negativa vorderorientalischer Herrscher, wie sie ihm in verschiedenen Vorlagen überliefert waren, in eine einigermaßen ausgeglichene Bilanz zu bringen. Das lässt sich deutlich an seiner Schilderung der Perserkönige festmachen. Der historische Kroisos dürfte also wirklich zu diesem Urteil über Solon gelangt sein, und dass er es tat, muss einen schwerer wiegenden Grund gehabt haben. Was Kroisos nun wirklich in Rage brachte, war nicht die Inkompetenz Solons allein, sondern vermutlich dessen Unterstellung, dass sein Schatzhaus Reichtümer beherberge, die aus einem pathologischen Suchtverhalten heraus zusammengerafft wären, das sogar vor Raub und Plünderung nicht zurückschrecken würde. Solon dachte bei Raub natürlich an die ionischen Städte, deren Metropolis, wie er einmal sagt, Athen sei, seine Heimatstadt. Was zunächst seine Heimatstadt anbelangt, so sah Solon in der Besitzgier die Ursache der schweren Krise, in die Athen geraten war. Denn es ging den „neuen Reichen“ nicht darum, durch Reichtum „dem adligen Lebensstil in adäquater Weise“ nachkommen zu können, sondern das dem Geld Nachjagen zum Selbstzweck zu machen.¹⁴⁴ Solon glaubte, dieses Verhalten auch bei Kroisos feststellen zu können. Und er diagnostizierte aus attischer Erfahrung, dass Sardes und sein König in der Krise steckten. Diesen Verdacht behielt er aber wohl bei sich und wird sich mit Andeutungen gegenüber Kroisos begnügt haben. Das aber genügte, Kroisos hatte verstanden. Für ihn war es eine Unterstellung, die aus Unkenntnis der Regeln seiner Welt, der Staaten des Vorderen Orients, resultierte. Nur noch eine Spur des Themas vom ungerechten Reichtum findet sich bei Herodot. So sagt er in einem auch methodisch sehr bedeutsamen Satz, der nur von einem Historiker kommen konnte: „Aber ich will den Mann nennen, von dem ich sicher weiß, dass er mit ungerechten Taten gegen die Griechen begann“ (1,5,3). Und gleich weiter: Kroisos sei der erste Barbarenkönig gewesen, der die Griechen in Asien gegen geschlossene Verträge unterjochte, um ihnen Tribute abzupressen (1,6,2; 27,1). In der sog.
Etwa Plat. apol. 22e, hier von Handwerkern gesagt, die ihre handwerkliche Kompetenz auf andere Bereiche übertragen zu können glaubten. Stein-Hölkeskamp (1989), 129 mit Verweis auf Pind. P. 6,46 – 47; N. 1,31– 33.
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5.2 Gerechtigkeit und Weisheit der Könige
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Musen-Elegie hören wir Solons Mahnung: „Besitz (chremata) begehr’ ich zwar zu haben, aber ungerecht erworben will ich ihn nicht: Die Strafe (dike) folgt in jedem Falle nach!“ (Sol. 1,7– 8, Ü: J. Latacz).¹⁴⁵ „Nach Solons Abreise traf den Kroisos denn auch von Gott furchtbare Vergeltung (nemesis megale), und dies allein, weil er geglaubt hatte, er sei der glücklichste aller Menschen“ (Hdt. 1,34). Letzteres konnte von Delphi nachträglich nur so gedeutet werden: Kroisos fürchtete nicht den Neid der Götter, er setzte sich sogar den Göttern gleich, die allein glückselig sind. Deshalb traf ihn die nemesis. Es ist besonders der nemesis-Gedanke, der Herodot als einen noch in der „shameculture“¹⁴⁶ verwurzelten Menschen ausweist, mit dem dieser seine Solon-KroisosGeschichte versiegelt (1,34).¹⁴⁷ Das alles ist delphische bzw. herodoteische „Theologie“.¹⁴⁸ Was lange nachwirkt, ist der Eindruck von archaischer Wucht, der durch den Begriff nemesis (ursprünglich) „berechtigter Unwille“ (E.R. Dodds), „öffentliche Missbilligung“,¹⁴⁹ (hier) „Strafe“ oder „Vergeltung“, auch heute immer noch hervorgerufen wird.
Der König als Hirte. Der König als Vater Um zu verstehen, was es für Kroisos bedeutet haben dürfte, dass sein Glück (eudaimonia) von Solon so gering geschätzt wurde, dass sie noch unter dem der Privatleute zu stehen kam (Hdt. 1,32,1), müssen wir versuchen, die historische Gestalt dieses Königs noch schärfer herauszuarbeiten. Um die Provokation begreifen zu können, scheint es geraten, das Königtum einmal in die Bilderwelt des Vorderen Orients hineinzustellen. Die Frage lautet: Unter welches Sinn- oder Leitbild haben sich die Lyderkönige gestellt, welches Bild von sich wollten sie den Bewohnern ihres Reiches vermitteln? Bei der Antwort kann es nur um eine An-
Snell (1965), 90. Doods (1951), 28 – 63 (Kap. 2: „From shame-culture to guilt-culture“). Konstan (2003), 83. Es handelt sich um ein enges, scheinbar automatisch wirkendes Verfahren ohne soziale Interaktion der beteiligten Personen. Anders ist es im AT und besonders in den Psalmen (Ps 13; 116; 119), wo es Jahweh anheimgestellt ist, den Tun-Ergehens-Zusammenhang in Kraft zu setzen oder nicht. Zur Vergeltung im Rahmen des Konzepts von einer „konnektiven Gerechtigkeit“ s. Janowski (2005). Dodds (1951), 26 Anm. 109 („public disapproval“). Nach Hes. theog. 224 ist Nemesis ein Kind der Nyx ‚Nacht‘, umschrieben als „entrüstete Missbilligung einer Verletzung der Normen des Wohlverhaltens“ von H. Fränkel (1968), 611; in Hes. erga 200 wird aidos (d.i. „Respekt vor Normen und Grenzen“, Fränkel [1968], 611) als positiver Gegenbegriff zu nemesis genannt; beide Begriffe stehen für ein „Instinktives Rechtsgefühl“ (so Fränkel [1968], 611).
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
näherung gehen, aber schon der Weg dorthin bietet einige Überraschungen. Das Bild vom König als Hirten stammt aus dem Zweistromland. Was an Metaphorischem in ihm angelegt ist, hat zwar nicht als erster, wohl aber am vielgestaltigsten Hammurapi in seinen Gesetzen, dem Codex Hammurapi, entfaltet.¹⁵⁰ Hammurapi entspricht dort nicht unserem christlichen Bild vom „guten Hirten“.¹⁵¹ Der „Hirte“ ist denn auch ein monarchischer, fast harscher Titel, der das rechte Leitungsamt des Königs zum Ausdruck bringt, der „Sorge trägt für das Wohlergehen seiner Leute“ (col. XLVIII 93 – 94) und der Rechtschutz gewährt, etwa „um der Waise und der Witwe zu ihrem Recht zu verhelfen“ (col. XLVII 61– 62). Das Hirtenamt schließt das Erobern von Städten und Reichen nicht aus, und ein Eroberer war Hammurapi von hohen Graden, sondern es scheint den belegten Titel „Krieger“ geradezu mit zu umfassen. Das wird besonders deutlich bei dem assyrischen König Assurbanipal (669 – 631/27 v.Chr.), der einen modern anmutenden Vernichtungskrieg gegen die Araber führte. Denn er verbrannte ihre „Steppenhäuser“ (Zelte) und beraubte sie ihrer Herden, die ihr ein und alles waren. Dieser König gedenkt nun in einem sog. Gottesbrief an Assur: „Assur, der das Hirtenamt über Assyrien mir verliehen hat.“¹⁵² Das Bild vom Hirten hat im Gilgamesch-Epos seine literarische Vollendung gefunden. Auf der 1. Tafel wird dem Leser Gilgamesch, wie folgt, vorgestellt in vorwurfsvollen Ton: „Er ist doch Hirte von Uruk, der hürdenumhegten Stadt“ (71; 87; 89).¹⁵³ Der junge König Gilgamesch war dieser Rolle nicht gerecht geworden. Er führte ein liederliches Leben und wurde schließlich den Menschen zur Plage. Erst auf seinen Reisen wird er zum Weisen: „Gilgamesch, der die Tiefe sah, die Hirtenamt und Hirte, akk. rē’ûtum und rē’û, hebr. ro’h, ist in Babylonien für die Gottheit, meistens für Schamasch, den Sonnengott, und für den Monarchen reserviert. Hammurapi ist „der Hirte der Leute“ (CH, col. III 45), „Ich, der heilbringende Hirte, dessen Stab gerecht ist“ (col. XLVII 42– 45), „für die Schwarzköpfigen (Sumerer), … deren Hirtentum Marduk mir gegeben hat“ (col. XLVII 10 – 14). In Israel ist überraschenderweise die Hirtenmetaphorik nur sehr zögerlich rezipiert worden, was Wallis (1993) mit der schwachen verfassungsrechtlichen und theologischen Verankerung des Königtums erklärt. Auch in Griechenland ist der basileus viel zu unbedeutend für dieses dem Hofstil entstammende Bild vom Hirten. Die hethitischen Könige tragen den Hirtentitel LÚ SIPAD nicht, nur der Sonnengott ist Hirte. Aber der König, der sich „Meine Sonne“ nennt, partizipiert am Königtum der Sonne, auch insoweit als sie Hirte ist. Der Herrscherstab (Lituus), hethitisch GIŠkalmus, der aus Babylonien kommen dürfte, lässt wenig Zweifel an dessen Hirtenamt. Dazu Beckman (1988). Selbst das sonst völlig anders geartete Ägypten – dies im Kosmischen und Irdischen, hinsichtlich Weltbild und Wertordnung – sieht im Pharao den Hirten. So gehört zu dessen frühesten Insignien der Krummstab des Hirten. Der „gute Hirte“ ist ein Bild erst der neutestamentlichen und frühjüdischen Literaturen. Gottesbrief an Assur (VAT 5600+), bearbeitet von Weippert (1973), 75; 81. Ganz wörtlich übersetzt müsste es heißen:“Uruk, die (Schaf‐)Hürde“, dazu Maul (2008), 154 zu Tf. 1,11.
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Grundfeste des Landes“ (Tafel 1,3), so kehrte er nach Uruk zurück und stellte sich jetzt endlich seiner herrscherlichen Aufgabe, den Menschen in seiner Stadt Schutz und Sicherheit zu bieten, sie einer Hürde gleich zu machen. Das Bild vom Hirten blieb in seinem Ursprungsland Mesopotamien dominant, verbreitete sich in andere Landschaften aber nicht in dem Maße, wie man aufgrund der bislang allgemein angenommenen „Weltgeltung“ des Gilgamesch-Epos zunächst erwarten könnte. Natürlich ist das Bild vom Hirten auch im Nordreich Israel angekommen: So ist es Jahweh, der sein Volk hütet (sehr früh ist Hos 4,16; Mi 7,14; Ps 23,1), Ähnliches wird von den irdischen Königen Israels ausgesagt, so von David (2 Sam 5,2; 7,7). In Phönikien¹⁵⁴ dagegen, aber auch in Anatolien, und zwar sowohl bei den Hethitern als auch in den luwischen Staaten und den Urartäern, gewann das Hirtenbild nie große Bedeutung.¹⁵⁵ Für Lydien ist erwartungsgemäß nichts dergleichen bezeugt, denn ein solcher Titel kann naturgemäß nur in Texten mit poetischer Komponente vorkommen. Herodot aber schreibt Prosa, und die metrischen unter den lydischen Inschriften sind Grabstelen und behandeln daher andere Themen. Bei Homer taucht der Titel dagegen auf; hier werden sowohl der Lykier Glaukos als auch der Achäer Agamemnon „Hirte der Völker“ genannt.¹⁵⁶ Dieses Ergebnis mag auf den ersten Blick, was Lydien betrifft, mager sein, ist aber doch, wie wir glauben, schon allein deswegen von Nutzen, als es zur Vorsicht mahnt, das Zweistromland, was Reichweite und Intensität seines Kultureinflusses angeht, nicht zu überschätzen. Die Einheit des Vorderen Orients besteht eben nicht in Vereinheitlichung. Schon Phönikien wird kaum von der babylonischen Ausstrahlung erreicht und Israel erst sehr spät (Babylonisches Exil, 6. Jh. v.Chr.). Für die Übernahme der Keilschrift kam Israel bereits zu spät, aber auch bestimmende Elemente aus Religion und Theologie wurden hier nicht direkt aus Babylonien übernommen. Israel scheint vielmehr stark in seiner näheren Umge-
Phönikien ist in Luftlinie selbstverständlich näher bei Babylonien gelegen als Lydien, aber geographisch gesehen von der Landseite her wegen des steilen Hochgebirges sehr viel schwerer zugänglich, als man gemeinhin denkt. Phönikien ist keine babylonische Kolonie oder Kulturprovinz, das betont im Hinblick auf die Religion Bonnet (2010). Bei Jer 23,1– 8 bestellt Jahweh neue Hirten, die sein Volk weiden werden. Zu Glaukos (Hom. Il. 6,214), zu Agamemnon (Hom. Il. 2,243) verlieren die Kommentare von G.S. Kirk u. J. Latacz kein Wort; nomeus ‚Hirte‘ (vgl. Hom. Il. 17,65) ist kein Hoheitstitel. Einen Hinweis auf mögliches indogermanisches Alter der Vorstellung vom König als Hirten könnte als Quelle einer frühen idg. Sprache die Strophe 10,95,11 des altindischen Rigveda geben, wo die Nymphe Urvaśī den König Puruvavas auffordert, nicht länger ihr nachzustreben, sondern sich auf seine eigentliche Aufgabe zu besinnen: „Du bist ja eigentlich geboren zum Hüter-Amt.“ Go-pā bedeutet hier „Hirte“, wörtlich „Rinder-Hüter“, vgl. Hoffmann (1967), 204. Der indische Rigveda stammt aus dem späten 2. Jt. v.Chr.
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
bung, dem westsemitisch-kanaanäischen und luwischen Syrien bzw. Palästina zu wurzeln. Mit Ebla hatte sich hier im 3. Jt. v.Chr. eine eigenständige Kultur gebildet, die nicht nur zeitlich dem klassischen Babylonien vorangeschritten war. In dieser Kulturlandschaft, die früher und enger als Babylonien mit Anatolien verbunden war, ist die Metapher vom Hirten offensichtlich nicht bestimmend gewesen. Ergiebiger für Lydien ist das Bild vom Herrscher als Vater, das von der Bezeichnung männlicher Gottheiten als Vater nicht zu trennen ist. Hier teilt sich der Alte Orient deutlich in indogermanische und nicht-indogermanische Gebiete. Zu den ersteren rechnen wir nicht den (obwohl indogermanischen) Iran, weil er unserer Meinung nach in der ersten Hälfte des 1. Jt. noch mehr zu Indien als zum Vorderen Orient gehört,¹⁵⁷ sondern Anatolien. Im semitischen Kulturkreis, jedenfalls, wenn wir für ihn den Codex Hammurapi, das Gilgamesch-Epos und die alttestamentlichen Quellen einmal als repräsentativ betrachten, spielt diese Vorstellung keine große Rolle. Für die Sprecher der indogermanischen Grundsprache dagegen, die wahrscheinlich um 3000 v.Chr. in der Ukraine wohnten, war der „Vater Himmel“, bei Homer griechisch Zeus pater, altindisch dyaus pitar, lateinisch Ju-piter, die wichtigste Gottheit.¹⁵⁸ Hier ist „Vater“ eindeutig im Sinne von „Vater der Menschen“ gemeint, was aber eher metaphorisch als genetisch gedacht gewesen sein dürfte. In Anatolien musste sich diese Vorstellung deshalb ändern, weil das alte indogermanische Wort für den Himmelsgott dort zum normalen Appellativum „Gott“ geworden war (hethitisch siu-, lydisch ciw‐). So wurde hier die Vorstellung vom göttlichen Vater auf andere Götter übertragen, weshalb wir im Palaischen den Vokativ dTarupapami (Taru papa-mi)¹⁵⁹ ‚Wettergott, mein Vater!‘ und im Keilschrift-Luwischen tatis dTiwaz ‚Vater Sonnengott!‘¹⁶⁰ finden. Die lydischen, karischen und lykischen Inschriften Westanatoliens liefern hier erwartungsgemäß nichts, weil sie keine Gebete enthalten. Für zwischenmenschliche Beziehungen wird der Begriff Vater, wie heute noch im Orient, auch im Alten Anatolien gerne gebraucht. So schreibt schon Anitta im 18. Jh. v.Chr., dass sein Vater Pithana die Stadt Nesa eroberte, ihren Einwohnern aber nichts Böses tat, sondern „sie zu Vätern und Müttern machte“. Für das hieroglyphenluwische Gebiet im südöstlichen Anatolien besitzen wir ein epigraphisches
Im Iran hat sich durch Zarathustras in der Tendenz monotheistische Reform (ca. 900 v.Chr.) eine eigene Auffassung von der Vaterschaft Gottes entwickelt. So wird Ahura Mazda nicht als Vater der Menschen, sondern als „Vater der Wahrheit“ (Yasna 44.3; 47.2), „Vater des guten Denkens“ (Yasna 31.8) und „heiliger Vater des Geistes“ (Yasna 47.3) im Sinne von „Vater des Heiligen Geistes“ bezeichnet; vgl. Humbach (1991), 115 – 195. Vgl. West (2007). Ferner sei auf das Erscheinen Jackson/Oettinger (i. Vorb.) verwiesen. Carruba (1970), 64. Puhvel (1984), 226.
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5.2 Gerechtigkeit und Weisheit der Könige
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Zeugnis des späthethischen Königs Azatiwada von Azatiwataja (Karatepe) in Kilikien, der etwa zeitgleich mit Homer (750/700 v.Chr.) lebte. In seiner luwischphönikischen Bilingue rühmt er sich: „und jeder König machte mich zu seinem Vater wegen meiner Gerechtigkeit und Weisheit“, zwei Begriffe, die von zentraler Bedeutung sind.¹⁶¹ Metaphorisch wird auch Kroisos „Vater“ genannt, und zwar von Kyros, den Herodot auf jeden Fall verständiger und verständnisvoller gegenüber Kroisos agieren lässt als den Solon, was bislang noch gar nicht bemerkt worden ist. Nur deshalb konnte Kroisos als Fürsprecher sowohl für die „altehrwürdige Stadt“ Sardes als auch für sein besiegtes Volk bei Kyros eintreten. Darüber berichtet Herodot sehr ausführlich. Am Schluss des Lyder-Logos lässt Herodot den Kyros dann deutlich aussprechen, was einen wirklichen Herrscher ausmacht. Kroisos hatte, als er noch König war, für seine beiden leiblichen Söhne wie eine Mutter gesorgt, und er liebte seine Söhne. Als der jüngere Sohn, Atys, bei einem Jagdunfall ums Leben kam, verbrachte Kroisos zwei Jahre in tiefer Trauer und er gab sie erst auf, als der Kriegslärm aus Iran nicht mehr zu überhören war und er zu der Erkenntnis gelangte, dass der persische Landhunger mit der Einverleibung Mediens wohl nicht gestillt sein würde (Hdt. 1,46). Vor diesem gefesselten Kroisos bekennt der siegreiche Kyros: „Du warst den Lydern mehr als ein Vater“ (Hdt. 1,155,2). Seinen Untertanen durch Gerechtigkeit und Weisheit ein Vater zu sein, darin könnte die von Kroisos erstrebte eudaimonia gelegen haben.
Zusammenfassung Das Problem, das es zu lösen galt, besteht in Bestimmung dessen, was Kroisos unter „seiner eudaimonia“ verstand. Herodot gibt ihm keine Gelegenheit, es zu sagen. Für das Griechenland der „neuen Reichen“, wie es Theognis von Megara ausdrückt (ca. 585–nach 540 v.Chr.), der in einigen Punkten ein etwas jüngerer Geistesverwandter Solons war, und damit Leute meinte, denen Geld alles bedeutete, konnte eudaimonia nur im Reichtum bestehen.¹⁶² Aber Griechenland ist nicht Lydien. Die Frage nach der eudaimonia des Kroisos war deshalb im Kontext der vorderorientalischen Königsideologie anzugehen. Eine Vorstellung davon lässt sich nicht allein aus Herodot entwickeln. Das Eigentliche können nur die vorderorientalischen Quellen leisten. Dazu musste methodisch aber erst einmal der Nachweis erbracht werden, dass Lydien zum Vorderen Orient gehörte. In der Hawkins (2000), I/1 KARATEPE 1 §XVIII 85 – 94, S. 51; die phönikische Version ist hier gleichlautend (W. Röllig, in: Çambel [1999]). In Solons Kritik am ungerecht erworbenen Reichtum stimmt dann Platon ein, vgl. Gaiser (1989).
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Tat, Lydien ist auf keilschriftführendem Boden entstanden, dem luwischen Reich von Arzawa, ähnlich wie Israel auf dem Boden des bronzezeitlichen Kanaan. Und wie die hebräische Sprache kanaanäisch ist, so die lydische anatolisch. Wie in Israel ist gerade wegen der sprachlichen Kontinuität auch in Lydien mit einer Revitalisierung älterer, hier altanatolischer Traditionen zu rechnen. Aber eisenzeitliche Neuerungen treten nun hinzu.Wir haben aus den Bereichen Religion und Staat einige wenige Beobachtungen einmal zusammengestellt, die Tradition und Neuerung in ihrem Verhältnis aufzeigen sollen. Die Beobachtungen reichten aus, um zu einer überraschenden Feststellung zu kommen: Wie im 2. Jt., so hat sich auch im 1. Jt. v.Chr. die kulturelle Einheit des Vorderen Orients erhalten bzw. neu gebildet, und dies trotz der neuen Aufteilung in einen keilschriftlich-östlichen und einen alphabetschriftlich-südlichen und -westlichen Kulturkreis. Fern bleibt Griechenland. Als wichtigste Quelle zur Königsideologie ist der Codex Hammurapi zu betrachten. Hammurapi nannte sich „König der Gerechtigkeit“. Dieser hohe Anspruch schlägt sich in bestimmten Staatsaufgaben nieder, die sich auch für Kroisos aus vereinzelten Andeutungen bei Herodot noch einigermaßen eruieren lassen: Sorge um die Heiligtümer, Rechtsprechung im Tor und Schutzgewährung vor Übeltätern im Inneren und vor Feinden von außen. Gerecht zu sein ist nicht so sehr selbstverwirklichte Tugendhaftigkeit, sondern kommt wohl eher dem nahe, was Untersuchungen am Alten Testament zum Begriffsfeld „Gerechtigkeit“ erbracht haben. Hier sind es vor allem die Begriffe ṣædæq, sedāqāh, die von der Septuaginta (LXX) mit griechisch dikaiosyne ‚Gerechtigkeit‘ wiedergegeben werden. Für das AT jedenfalls konnte gezeigt werden, dass sdq ‚Gerechtigkeit‘ ein Relationsbegriff ist, der das Verhältnis zwischen zwei Parteien angibt, hier vornehmlich zwischen König und Jahweh, d. h. der König ist gerecht, weil Gott ihn gerecht macht.¹⁶³ Das zweite Dokument, das Richtschnur für die Königsideologie des Vorderen Orients war, ist das Gilgamesch-Epos. Die Weisheit führte Gilgamesch zur Einsicht, dass nicht die Suche nach dem eigenen Glück, hier nach dem ewigen Leben, sondern die Übernahme des „Hirtenamtes“ für die Stadt Uruk seine wahre und verpflichtende Bestimmung sei. Schon in den Rechtsbüchern sumerischer Zeit, wie dem des Urnammu von Ur (2111– 2094 v.Chr.), titulieren sich die Könige als Hirten. Der sumerische König als Hirte ist fernzuhalten von dem „guten Hirten“ der jüdischen und christlichen Literatur. Bei Herodot kommt „Hirte“ als Hoheitstitel überhaupt nicht vor. Nur das Herrscheramt des Kroisos ist indirekt angesprochen in dem Satz des Solon: „Denn du bist gewiss sehr reich und ein König über viele Menschen“. Dieser Satz dürfte nicht von Herodot selbst stammen, sondern bereits der älteren „Quellenschrift“ ange-
Johnson (1989).
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5.3 Das Schatzhaus. Die diplomatische Mission Solons
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hört haben. In der Herrschaft, die Reichtum voraussetzt und die Gerechtigkeit – etwa gegenüber Witwen und Waisen – durchsetzen kann, fassen wir das Glück (eudaimonia) eines vorderorientalischen Herrschers. Ein Vergleich mit den Dialogen im alttestamentlich Buch Ijob (Hiob), das den Höhepunkt der antiken Weisheitsliteratur darstellt, macht klar, dass Herodot keinen Dialog bietet, sondern ein Lehrgespräch, dessen Thema allein von Solon durchgeführt wird, und zwar thematisch eng begrenzt. Historisch gesehen dürfte es dagegen bei dem Treffen auch um Politik gegangen sein (dazu Teil 5 3). Zwar hätte Kroisos auch ein rein weisheitliches Thema wohl anstandslos in Kauf genommen – er liebte vielmehr die Weisheit –, aber die Weisheit Solons regt ihn auf, und es kommt sogar zum Eklat. Die moderne Forschung bis heute formuliert in unkritischer Einmütigkeit: Kroisos habe die Lehre nicht verstanden, die Solon ihm erteilt habe, dass nämlich nur vom Lebensende her, wie dieses beschlossen wird, zu definieren sei, ob jemand glücklich (olbios) sei oder nicht.¹⁶⁴ Das Kriterium vom Lebensende ist aber gar nicht solonisch, sondern gehört zur jüngeren „Quellenschrift“ und in die herodoteische Endredaktion (s. Teil 5 1). Wenn das richtig ist, dann muss Solons Beurteilung durch Kroisos, die wir für historisch halten, nämlich er sei karta amathes, „ein großer Dummkopf“, auf etwas anderes zurückgehen. Warum sollte nur Kroisos nichts verstanden haben von dem, was Solon ihn lehrte, gerechterweise hätte man schon längst einräumen müssen, dass auch der historische Solon Defizite beim Verständnis seines Gegenübers gehabt haben könnte. Und in der Tat, das Schatzhaus wird es zur Evidenz bringen, dass Solon als Festlandsgrieche kein Experte für den Vorderen Orient war und vielleicht auch nicht sein konnte und, schlimmer, ihm auch das dafür nötige Verständnis für diesen abging, wie übrigens vielen Athenern, auch noch nach ihm: wie Xenophon, Platon oder Aristoteles. Der wirkliche Eklat kam aber erst, als Solon das Schatzhaus als Hort ungerecht erworbener Reichtümer deutete und dies gegenüber Kroisos wohl auch andeutete. Man schied grußlos voneinander.
5.3 Das Schatzhaus. Die diplomatische Mission Solons Sardes und die Weisheitsliteratur Herodot hat den Stoff seiner berühmtesten „Novellen“ nach dem historischen Kroisos gebildet. Nur Polykrates von Samos und Xerxes kommen in Glück und Untergang dem tragischen Kroisos literarisch gleich. Warum war und ist die Ge-
So jetzt wieder Dewald (2011).
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
schichte von Solon und Kroisos so berühmt? Nach W. Schadewaldt zeigt hier die delphische Theologie von der Begrenztheit und Endlichkeit des Menschen Wirkung, wie dies in den Sprüchen der Sieben Weisen deutlich zum Ausdruck komme.¹⁶⁵ Näher steht uns K. von Fritz: „Die Solon-Kroisos-Geschichte wäre nicht so unerschöpflich reich, wenn nicht in gewisser Weise diese unvereinbaren Lebensauffassungen … darin verarbeitet wären.“¹⁶⁶ In den beiden Teilen 5.1 und 5.2 wurden Vorarbeiten geleistet, die die Entwicklung zur Diskussion des Schatzhauses als Zielpunkt ermöglichen sollten. Beim Schatzhaus (s. Glossar) laufen alle Fäden zusammen. Wir haben die Solon-Kroisos-Geschichte, wenn auch mit Einschränkungen, als „Novelle“ klassifiziert und, jetzt genauer, als „weisheitliche Novelle“ definiert. Denn sie will ja Leitbilder entwerfen, die für die Lebenspraxis des Lesers bestimmend werden sollen.¹⁶⁷ Diese didaktische Funktion ist für die Weisheitsliteratur wesentlich. Solche Weisheitsliteratur im Sinne einer literarischen Gattung kennen wir sehr gut aus Ägypten und Israel, für Hattusa ist sie nicht direkt bezeugt, nur sehr schwach für Assyrien; einiges haben die Griechen beigetragen. Dass diese die Weisheit schätzten, sie allerdings nur in verschiedene literarische Großgattungen eingefügt haben, wie etwa Hesiod die Fabel von Habicht und Nachtigall in sein Sach-Epos „Werke und Tage“ (erga 202– 212), steht außer Frage. Hier sei angemerkt, dass in der Weisheitsliteratur des nahöstlichen Raums die Fabel eine große Rolle spielt. Die ersten uns bekannten Anfänge der Fabel sind erst vor wenigen Jahrzehnten entdeckt worden. Es handelt sich um den spektakulären Grabungsfund eines zahlreiche Tontafeln umfassenden Textes aus Hattusa, der einen hurritischen Text samt mittelhetitischer Übersetzung enthält.¹⁶⁸ Die Tafeln selbst sind um 1400 v.Chr. zu datieren, die inhaltliche Komposition des hurritischen Textes dürfte nach der Zerstörung der Stadt Ebla im nordsyrischen Raum entstanden sein, ist also in das 17. Jh. zu datieren. Sie stammt somit aus einer Zeit, die noch vor der Gründung des Mitanni-Reiches in Nordsyrien und Obermesopotamien lag. Der hurritische Text kam wohl durch Kulturtransfer im Zusammenhang mit hethitischen Eroberungszügen nach Hattusa. Da sich in den Kolophonen mehrerer Tafeln der hethitische Terminus para tarnumas ‚der Freilassung‘ (Gen.) findet, hat E. Neu den Text „Epos der Freilassung genannt“. Er sah
Schadewaldt (1962 [= 1982]), 193. von Fritz (1958), 32 (geäußert in einer Diskussionsrunde 1956 zu einem Vortrag von K. Latte). Zenger (1992), 22– 25 ist schon in seinem Kommentar zum atl. Buch Rut zu dieser Definition gelangt. Neu (1996) spricht von „Parabeln“.
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5.3 Das Schatzhaus. Die diplomatische Mission Solons
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Parallelen zum Jobeljahr des Alten Testaments (Lev 25).¹⁶⁹ Hier ein Beispiel für diese Parabeln bzw. Fabeln in sinngemäß verkürzter Wiedergabe: Ein Kupfergießer goss einen Becher, sich zum Ruhm. … Das törichte Kupfer aber verfluchte den, der es gegossen hatte: „Wenn doch ihm, der mich gegossen hat, die Hand zerbrechen möge …!“ Als das der Kupfergießer hörte, zog Kränkung in sein Herz: „Warum verflucht mich das Kupfer, das ich gegossen habe? Zerschlagen soll den Becher der Wettergott! …“ Es ist aber kein Becher, sondern ein Mensch, ein Sohn, der heranwuchs und zu Ansehen gelangte und dann seinen Vater nicht mehr ansah. Da haben ihn die Götter seines Vaters für immer verflucht.¹⁷⁰
Von Nordsyrien aus ist die Gattung der Fabel später nach Israel und auch nach Mesopotamien (s. unten zu Achiqar) gewandert. Auch wenn wir keine eigenständige Parabel- oder Fabelliteratur der Hethiter kennen, so ist doch zu vermuten, dass sie in mündlicher Form auch in Anatolien Verbreitung gefunden hat, denn sie wurde offenbar später in Lydien gepflegt. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Griechen die Erfindung der Fabel einem Lyder zuschrieben, nämlich dem Aisopos (Äsop). Von Lydien war es nur noch ein kleiner Schritt hin zu den Griechen, zuerst zu den Griechen Westanatoliens, namentlich zum Iliasdichter.¹⁷¹ Man fragt sich, warum unsere Solon-Geschichte noch nie explizit mit Weisheitsliteratur in Verbindung gebracht wurde, geschweige denn, dass man der generellen Frage nachgegangen wäre, ob Herodots Erzählung in eine rein griechische Weisheitstradition zu stellen ist, oder ob Herodot formal und inhaltlich auf entlehnte Muster des Vorderen Orients oder Ägyptens zurückgriff, diese sozusagen nur gräzisiert hat.¹⁷² Wir können vorerst nur versuchen, weisheitliche Elemente, wie sie Herodot in unserer Novelle einsetzt, herauszulösen. Die einfachste literarische Grundform der Weisheit sind die Sprüche. Zu nennen sind hier die
Neu (1996), 9. Vgl. Neu (1996), 81 ff. Nagy (1990), 314– 338, der auch auf 2 Kön 14,9 verweist; hier wird eine Fabel erzählt, und auch diese hat wieder einen Rahmen, der allerdings von einer umrätselten Geschichte gebildet wird, in die die Könige von Israel und Juda verwickelt sind. Nagy begrenzt den ainos zu sehr auf die (dialogische) Fabel; er klassifiziert aber nicht die Solon-Kroisos-Geschichte, obwohl er Kroisos und Solon häufig erwähnt. Wichtig auch die zwar späte, aber über gute, gelehrte Traditionen verfügende Nachricht bei Kallim. 194,7 Pf., dass die Griechen die Tierfabel von den Lydern entlehnt hätten. Dazu auch Treu (1979a), 230 – 238 („Die Fabel von Adler und Fuchs“, Aisop. 1 Hausrath). Zu den Parallelen zwischen dem „Epos der Freilassung“ und der Ilias, vor allem im 1. Gesang, s. Bachvarova (2005). Snell (1971), 45 spricht zwar von „den Lehren des delphischen Apoll“, der „die schlichte Einfalt“ rühme, aber er macht nicht deutlich, wo der „Sitz im Leben“ für diese „delphischen Lehren“ anzunehmen ist.
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Sprüche der Sieben Weisen, zu ihnen gehörte Solon.¹⁷³ Einen anderen Weisen (gr. sophos, ass. apkallu, ummannu), der etwas älter als Solon ist, nämlich Achiqar (Tob 1,22 Achiachar,¹⁷⁴ aram. Ahuqar), haben wir bereits erwähnt. Achiqar war am Hofe Sanheribs und Asarhaddons von Assyrien als „Siegelbewahrer“ und als „königlicher Rat“ tätig.¹⁷⁵ So will es jedenfalls die Rahmengeschichte. Eine solche war in der Weisheitsliteratur fast allgemein üblich. Die Rahmengeschichte des Achiqar¹⁷⁶ ist wie die Sprüche in aramäischer Sprache verfasst.¹⁷⁷ Nur wenige Sprüche, deren Themen ein städtisch-höfisches Milieu verraten, seien hier zitiert, um die Nähe zur solonischen „Lehre“ zu verdeutlichen: „Die Stadt (aram. qryt) der Frevler gerät am Tag des Windes ins Wanken, und in Stürmen neigen sich ihre Tore“,¹⁷⁸ oder ganz nahe der Thematik unserer Geschichte: „Nicht sage der Reiche: Durch meinen Reichtum bin ich herrlich.“¹⁷⁹ Dagegen dürfte folgender Spruch wohl kaum Solon zu Herzen gegangen sein: „Nicht lösche das Wort des Königs, heiß möge es deinem Herzen sein.“¹⁸⁰ Eher hätte er wohl dem königskritischen Alten Testament zugestimmt. Solon liebte vielmehr ein Leben, das ihm tüchtige Kinder schenkte, in dem er Freude hatte mit seinem Pferd und an der Jagd mit Hunden und abends an Gästen aus der Ferne. Das ist Ausdruck altadligen Standesbewusstseins, das in der Zeit Solons bereits in Auflösung begriffen war. Nicht im Sinne Solons wäre folgender alttestamentlicher Spruch gewesen: „Besser ein Armer, der rechtschaffen wandelt, als einer, der krumme Wege geht und reich ist“ (Spr 28,6). Armut, wie sie in der Geschichte vom „Armen Mann aus Nippur“ (akkadische Tafel aus Sultantepe, 7. Jh. v.Chr.)¹⁸¹ wehklagend und zugleich über das geldgierige und korrupte Stadtoberhaupt von Nippur moralisch triumphierend vorgetragen wird, ist ein weisheitliches Thema, das in Babylonien ebenso wie in Griechenland
Althoff/Zeller (2006). Engel (2016), der nicht nur die Spiegelung der Achiqar-Legende im AT aufzeigt, sondern auch versucht, an den historischen Achiqar heranzukommen, mit reichen Angaben der Literatur. Vgl. allgemein Kuhrt (1995), 524 f. Zu den Hofgelehrten insgesamt Parpola (1983), xiv–xvi (Parpola [1970/1983] auch als SAA X publiziert, dort xiii–xxiv). Die Papyri kommen aus der deutschen Ausgrabung von Elephantine und werden ins 5. Jh. v.Chr. datiert. I. Kottsieper, der ihre Neubearbeitung vorbereitet und die wohl verlässlichste Übersetzung (1991) bereits in TUAT III/2 vorgelegt hat, datiert die Sprüche ins 8./7. Jh. v.Chr. Oettinger (1992). Col. VII 10 (Kottsieper [1991]). Bezeichnend ist der Parallelismus membrorum, wie ihn auch die Weisheit Israels kennt, vgl. Spr 26,27. Col. XV (Kottsieper [1991]). Col. X 6 (Kottsieper [1991]). Gurney (1956), 150 Vs. 1– 13.
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5.3 Das Schatzhaus. Die diplomatische Mission Solons
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jetzt seinen literarischen Ort bekommt. Einen Schritt weiter kommt man zu Hipponax von Ephesos (zwischen 560 – 490 v.Chr.), der in die Rolle eines „Bettelpoeten“ (W. Nestle)¹⁸² schlüpft und das Entstehen einer neuen Armutsschicht aufdeckt, vor der Solon gewarnt hatte. Weisheitssprüche entstammen, so eine verbreitete These, der Schreiberschule und könnten Schülern und Beamten am Palast zur Unterweisung in Sprache, Kultur und Recht gedient haben.¹⁸³ Nun lässt sich auch unsere Novelle leicht von einer Rahmenerzählung ablösen, in der nun nicht mehr Hiskia und Jesaja in Jerusalem agieren, sondern Solon und Kroisos in Sardes. Fraglich bleibt, ob die „Rahmengeschichte“ bei Herodot homogener mit den Weisheitssprüchen verbunden ist als in den vorderorientalischen Texten. Den Anspruch, HistorischSoziales im Blick zu haben, erheben aber beide, Herodot und auch, wenn auch mit einem aus heutiger Sicht geringeren Reflexionsgrad, der unbekannte Autor und Redaktor, der die lose verfugte Sammlung von Achiqar-Sprüchen besorgte.¹⁸⁴ Eine mehrgliedrige, nur in Einzelschritten nachvollziehbare Weisheitslehre, lautet schlicht: Lebe dein ganzes Leben bescheiden, gut und gerecht; halte dich zu keinem Zeitpunkt für glückselig, denn die Gottheit ist neidisch; glückselig (olbios) ist nur der, dessen Leben auch bis zum Tode glücklich anhält (Hdt, 1,32). Enthalten in dieser Definition ist die solonische Grundhaltung und eine tiefgreifende, konzeptionelle Überarbeitung durch Herodot in der Geistigkeit des 5. Jh. v.Chr.¹⁸⁵ Wie eng das geistige Band zwischen Solon und Herodot ist, der sicherlich die Elegien des Solon kannte, darüber gibt es keine Untersuchungen. Eine geistige Identität beider Männer kann jedenfalls nicht angenommen werden, denn zwischen ihnen liegt die eigentliche Wasserscheide der griechischen Geschichte, der Tod des Kroisos, die Eroberung Ioniens durch Kyros, der Ionische Aufstand unter
Nestle (1961), 50. Sæbø (2012), 13; 336 zu Spr 28,6. Neben Spruchsammlungen treten auch Dialoge bzw. Streitgespräche hinzu, so zuerst in der sumerischen Literatur, dann im Babylonischen. Dazu grundlegend Lambert (1960), bes. 150 ff. (eine moderne constitutio textus ist ein Desiderat); im Griechischen lässt sich die gnomische Tradition bis auf Hesiods Erga (um 700 v.Chr.) zurückführen, später kommen die sog. Gnomologischen Sammlungen hinzu, die Phokylidea und vor allem die Theognidea. Diese Sammlungen haben aber nicht den gleich hohen Rang, wie ihn die alttestamentlichen Bücher der Spruchweisheit behaupten. Das ephemeros-Konzept Pindars, das Herodot gekannt haben muss, aber nicht rezipierte, meint ja nicht, dass der Mensch ephemer, ein Tagwesen sei. Es meint auch nicht, dass das Leben zu kurz sei, sondern im Gegenteil, es sei zu lang, um es durchgängig auch nur auf gleicher Höhe stabil halten zu können, denn kein Tag sei wie der andere, so Fränkel (1946 [1960]). Bei Pindar ist hier die gleiche griechische Grundbefindlichkeit greifbar, wie wir sie schon von Solon her kannten, nämlich die Unbeständigkeit der menschlichen Existenz.
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Dareios und vor allem die siegreichen Perserkriege, die besonders in Athen zu vorher ungekannten Überlegenheitsgefühlen führten. Das alles trennte Solon von Herodot. Eine zelotische zugespitzte Ideologisierung und Dämonisierung der Perser setzte allerdings erst nach Aischylos und Herodot im 4. Jh. v.Chr. richtig ein. Der Barbarenbegriff wurde jetzt verschärft und die Ideologie der Eigenständigkeit und Überlegenheit des Griechentums erst jetzt bewusst herausgestellt: grenzenloser Reichtum, lydische Hybris und Dekadenz werden nun griechischen Ordnungsvorstellungen scharf entgegengesetzt. Solon hatte dagegen sozialpolitische Analysen angestellt, den Zustand des attischen Gemeinwesens diagnostiziert und mit Reformen unter persönlichen Einsatz einen gerechten Ausgleich der Interessen herbeigeführt, aus der eine neue stabile Staatsordnung, die sog. eunomia, erwachsen konnte. Methodisch ebenso streng gingen in Israel die Propheten vor, die ja keine Hellseher waren, sondern scharfe Beobachter von Institutionen, aber auch Anwälte sozial benachteiligter Personen, der Armen, Witwen und Waisen. Delphis ursprüngliche Rolle zur Zeit der Sieben Weisen und Solons ist nicht leicht zu erraten. Die Idee, Delphi sei die Denkfabrik und moralische Instanz des archaischen Griechenland gewesen, wie sie vor allem W. Schadewaldt (1965; 1975) mit seinem delphischen Humanitätsgedanken entwickelt hat, verliert heute zunehmend an Rückhalt. Von einer Wissenskompetenz Delphis kann nur bedingt die Rede sein. Zwar hatte Delphi erheblichen Einfluss auf die Pythagoräer in Kroton in Unteritalien und so auf deren Weisheitsvorstellung, die besonders in der Erfindung des Begriffs philosophos zum Ausdruck kommt, was aber den Vorderen Orient angeht, so war Wissen und Kompetenz Delphis sehr begrenzt.¹⁸⁶ Delphis Anteil an dem Untergang des Lyderreiches wird uns noch beschäftigen (s. Teil 6). Nun ist aber Herodots Novelle eine weisheitliche Unterredung zweier Männer. Darin unterscheidet sie sich grundsätzlich von der Spruchsammlung des Achiqar. Mit dem Begriff der sog. Lehrrede bzw. Lehrerzählung, den die hier methodisch anderen Philologien weit voranschreitende alttestamentliche Weisheitsforschung eingeführt hat, kommen wir noch näher an den springenden Punkt unserer Geschichte heran. Lehrerzählungen können im AT in Form von Fabeln, Legenden oder Novellen auftreten.¹⁸⁷ Eine Lehrerzählung pflegt – nach E. Zenger¹⁸⁸ – an ein
Platon hat den Begriff philosophia wohl von dem Pythagoräer Kebes aus Theben übernommen, der über Unteritalien nach Athen kam und ein Schüler des Sokrates wurde. Kebes wurde deshalb verewigt als Dialogpartner des Sokrates in Platons Dialog Phaidon (entstanden zwischen 387/367 v.Chr.). Dem Begriff philosophia gibt Platon den speziellen Sinn „Streben nach Weisheit“. Sellin (1979), 341 f.; Zenger/Frevel (2016c), 415. Zenger/Frevel (2016c), 415.
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5.3 Das Schatzhaus. Die diplomatische Mission Solons
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einzelnes Ereignis anzuknüpfen und daraus eine universale Lebensweisheit zu entwickeln. Im Mittelpunkt stehen eine Idealgestalt und eine negativ konnotierte Kontrastfigur, die beide im Gespräch, dem sog. Streitgespräch, begriffen vorgeführt werden. Die atl. Bücher Ijob (5.–3. Jh. v.Chr.) und Rut, aber auch das romanhafte Buch Tobit, in dem übrigens Achiqar namentlich genannt ist, ließen sich als Beispiele für eine solche Lehrerzählung anführen. Das Buch Ijob unterscheidet sich von den anderen Lehrreden/Lehrerzählungen durch die Dialoge (Ijob 3 – 27). Wie das Buch Ijob eine Rahmengeschichte („Prolog“ und „Epilog“ genannt) aufweist, so hat auch unsere Erzählung, wie schon gesagt, einen Rahmen, nämlich Solons Besuch bei Kroisos in Sardes. Mit der Schatzhausführung sind Rahmengeschichte und Lehrerzählung dann aber stark miteinander verklammert worden, stärker jedenfalls als der Redaktor des Buches Ijob dies konnte oder wollte. Ijob hat es mit drei Dialogpartnern zu tun, Solon nur mit einem. Mit der Gattung der literarischen Lehrerzählung verfolgte Herodot allerdings weniger ein pädagogisches Konzept, leitend für ihn war vielmehr die Absicht, über Kroisos den Stab zu brechen. Die Parallelen bleiben trotzdem eng und zahlreich. Nur in einem Punkte fällt unsere Geschichte aus dem gattungsgemäßen Rahmen, dergestalt, dass nämlich ein „Schüler“ seinen Lehrer der Weisheit für vollkommen unverständig gehalten hätte.
Was ist ein Schatzhaus? In der alttestamentlichen Weisheitsliteratur ist Reichtum ein zentrales Thema. In den Sprüchen Salomos ist sie eine Gabe Gottes, und dieser ist auch gemeint im nachfolgenden Zitat, auch wenn die Weisheit in Person spricht: „Denen, die mich lieben, verschaffe ich Besitz, und ihre Schatzkammern fülle ich“ (Spr 8,21). Salomo dichtete 3000 solcher Sprüche, so heißt es jedenfalls in 1 Kön 12. Er soll ein Schatzhaus besessen sowie einen international besetzten Harem unterhalten haben. Denn er war sehr reich, alles floss ihm zu, von den Enden der Erde, von Tarsis (gr. Tartessos?) und Saba. So baute er den Tempel, prächtig und kostbar, wie es breit ausgeführt wird 1 Kön 6 – 7, in Wirklichkeit wäre jede Dorfkirche größer gewesen, so H. Donner.¹⁸⁹ Salomo galt und gilt immer noch als der weise und gerechte König par excellence. „Und Jahweh liebte ihn“, deshalb habe der Prophet Natan ihm den Namen Jedidja „Liebling Jahwehs“ gegeben (2 Sam 12,24– 25). Salomo war wohl sein Thronname; in ihm steckt das Element šalom ‚Wohlfahrt, Friede‘, das sein Regierungsprogramm ausdrücken könnte. Wenn sich auch nur
Donner (2008), 250.
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weniges als historisch sichern lässt, so lässt sich doch eines schon jetzt deutlich sagen: Wie sein Weg zum Thron, der über Leichen ging, eine unverdiente Gnade war, so wurde auch Salomos Reichtum letztlich als eine unverdiente Gabe Gottes verstanden. Kroisos wird wie Salomo als reich beschrieben, aber auch als fromm und von Gott geliebt (theophiles, Hdt. 1,87,2). Das rückt beide in gewisser Weise zusammen. Und in der Schatzhausfrage werden Jerusalem und Sardes noch näher zusammenrücken. Nach gängiger Vorstellung gehört zu jedem orientalischen Palast ein Schatzhaus, nicht aber unbedingt ein Harem. Wir betonen das, weil beide Institutionen zusammen genommen einem bestimmten Zweck dienten, dem Prestige des Herrschers aufzuhelfen. In Sardes haben wir beides.¹⁹⁰ Der vorderorientalische Palast des 1. Jt. v.Chr. beherbergte keine Wirtschaftsgebäude, wie sie das 2. Jt. v.Chr. gekannt hatte. Das Schatzhaus hat denn auch mit Palastwirtschaft nur wenig zu tun. Es war offensichtlich kein eigenständiger Bau, sondern scheint in ein Konglomerat von Palastgebäuden verbaut gewesen zu sein.¹⁹¹ Ein solches archäologisch nachzuweisen, ist deshalb bislang auch nur sehr selten geglückt, jedenfalls weder in Hattusa, noch Troia, Jerusalem, Ekbatana, schon gar nicht beim legendären Schatzhaus des Pharao Rhampsinitos (Hdt. 2,121– 124), und auch nicht in Sardes. Die Schatzhäuser von Ekbatana und Sardes werden von Herodot erwähnt und jeweils thesauroi genannt. Der Plural könnte seine Berechtigung darin gehabt haben, dass verschiedene Räume als Schatzkammern dienten. Das Schatzhaus im engeren Sinne dürfte sich zuerst bei den Hethitern von Scheunen, Speichern und Vorratskammern räumlich abgesondert haben. Am bedeutendsten war das É NA4KIŠIB ‚Siegelhaus‘ in Hattusa. Auf dieses und die Praxis des Siegelns wird zurückzukommen sein. Die Unterschiede zu den lydischen Verhältnissen dürften dennoch groß gewesen sein. Mit den Schatzhäusern der Griechen, die als isolierte Baukörper aufgereiht die „Heilige Straße“ in Delphi säumten (ab Ende des 6. Jh. v.Chr.), ist das lydische Schatzhaus immerhin noch insoweit vergleichbar, als dieses ebenfalls nicht der Bevorratung diente, sondern demonstrativen Charakter hatte. Mit Sardes vergleichbar dürfte Jerusalem sein. Für das Schatzhaus oder die Schatzkammer kennt das Hebräische mehrere Begriffe. Das Schatzhaus des Hiskia (725 – 697 v.Chr.) heißt bêt nekôt (ass. bīt nakkamti). Es unterteilte sich wohl in mehrere Schatzkammern, bêt ’ôṣōrōt genannt.¹⁹² Auf Hiskia und sein Schatzhaus wird noch zurückzukommen sein. Solche Schatzkam-
Zum Harem Ail. var. 3,26; Polyain. 6,50. Ta basileia, der Palast (Hdt. 1,30), häufig im Plural, wohl weil er viele Einzelgebäude, darunter das Schatzhaus, umfasste. Jes 39,2 = 2 Kön 20,13.
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mern befanden sich sowohl „im Haus Jahweh“, d. h. im Tempel, als auch „im Haus des Königs“, hier des Joas (840 – 801 v.Chr.).¹⁹³ Im Gilgamesch-Epos kann der Eanna, d. h. „Haus des Himmels“, Haupttempel von Uruk, auch einfach das „Schatzhaus“ (Tafel 1,12) genannt werden. Weiterführend für unser Thema wäre das sogenannte Libanon-Waldhaus, das Salomo zusammen mit seinen Palastbauten errichtet haben soll.¹⁹⁴ Leider ließ sich nichts davon bis heute archäologisch nachweisen. Dem Salomo „in all seiner Pracht“ droht überhaupt und besonders von archäologischer Seite Ungemach. Er sei durch Legenden-Bildung erst zu dem geworden, der er nie war, ist in einem Bestseller von I. Finkelstein und N.A. Silberman (2006) zu lesen, die vorgeben, damit die „archäologische Wahrheit“ präsentiert zu haben. Die Alttestamentler tun sich offensichtlich schwer, Stellung zu beziehen und gegebenenfalls mit ihrer, dem Text verpflichteten, vielleicht anderen „Wahrheit“ herauszukommen. Viele Alttestamentler scheinen indessen sogar die „archäologische Wahrheit“ zu akzeptieren,¹⁹⁵ weil sie evidenter erscheint. Dass das Meinungsbild der atl. Wissenschaft zurzeit so divergent ist, hat wohl mit dem spezifischen Charakter ihrer Quellen zu tun, die nicht auktorial verantwortet, sondern als anonyme Traditionsliteratur zu definieren sind. Dieser pflegte man mit verschiedenen exegetischen Methoden beizukommen, darunter der altehrwürdigen Literaturkritik und Formgeschichte. In letzter Zeit nun steht die redaktionsgeschichtliche Methode, die in den älteren Einleitungen zum AT nach der Formgeschichte das Schlusslicht der exegetischen Operationsanleitungen bildete, hoch im Kurs. Aus stupiden Redaktoren sind jetzt theologische Lehrer geworden, denen das sinnentscheidende, kanonisierte Wort zukommt. Als konsensfähig scheint sich bei den Alttestamentlern allenfalls die Meinung herauszubilden, dass David und Salomo für die Zeit erster staatlicher Anfänge stehen und keineswegs schon als Höhepunkt der politischen, theologisch-religiösen und kulturellen Entwicklung Israels aufgefasst werden dürfen.¹⁹⁶ Die Schriftkultur war zu ihrer Zeit noch gar nicht in Jerusalem angekommen, so D.M. Carr.¹⁹⁷ Eine Bibliothek ist am Tempel von Je 2 Kön 12,19. 1 Kön 7,2– 5. Fast nichts kann Weippert (1988), 475 über das Libanonhaus sagen. Eine Ausnahme macht Blum (2000). Vgl. Otto (2008), 49, der zunächst schwankt zwischen maximalistischen und minimalistischen Positionen, sich aber dann unausgesprochen den archäologischen Minimalisten anschließt. Auf die Gefahr, dass, weil man Großbauten aus der Eisenzeit IIA nicht findet, Archäologen die Bedeutung des davidisch-salomonischen Staates unterschätzen, weist, ohne auf I. Finkelstein oder A. Mazar ausdrücklich einzugehen, Dietrich (1997), 112 ff. hin. Carr (2005), 116 – 133. Kaum aufgefallen ist bislang, dass die Schriftlichkeit in Israel und Ionien (Homer) zu ungefähr der gleichen Zeit einsetzt, um oder etwas vor 700 v.Chr. Das ist für Israel in Anbetracht der Nähe zu Phönikien ein ziemlich spätes Datum.
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rusalem erst für die Makkabäerzeit bezeugt. Ist für diese Zeit ein Palastbau mit Schatzhaus in Größe und Ausstattung, wie sie von 1 Kön 7 angegeben wird, überhaupt denkbar? Wohl kaum, aber so ganz sicher sind wir uns dann auch wieder nicht.¹⁹⁸ In diesem Schatzhaus soll Salomo, und das ist nun wichtig, 200 große (je 7 kg schwere) und 300 kleinere Schilde, alle aus legiertem Gold und alle je von gleichem Gewicht, gehortet haben.¹⁹⁹ Dass man Schilde in bestimmten Häusern oder gesonderten Räumen, sog. Waffenkammern oder Arsenalen, lagerte, dafür ließen sich Belege, vor allem aus Assyrien, anführen. Als ēkal māšarti ‚Haus/Palast der Überwachung‘ werden seit dem 8. Jh. v.Chr. die Gebäude des Palastes bezeichnet, in denen Beute und Tribute gelagert, aber auch Waffen deponiert wurden.²⁰⁰ Das leitet assoziativ gleich über zu einem ganz besonderen Waffenhaus, gelegen sozusagen an der Peripherie des Vorderen Orients, nämlich dem in Mytilene auf Lesbos. Alkaios nennt es ein ‚großes Haus‘ (megas domos), dessen Inventar er peinlich genau aufzählt, wie es Sargon II. (722– 705 v.Chr.) bei der Plünderung des Tempelschatzhauses von Muṣāṣir 714 v.Chr. noch extremer, ja peinlich bürokratisch tut.²⁰¹ Dazu später. Im Waffenhaus des Alkaios nun werden u. a. die stapelweise geschichteten Schilde (aspides) genannt (Alk. F140 Voigt). Alkaios treibt seine Hetairie (Klub, Partei) kräftig an in der Absicht, ihre Mitglieder Unsicher macht nämlich die Nachricht 1 Kön 14,25 – 28, dass der Pharao Schoschenk I. (945 – 924 v.Chr.) das Libanon-Waldhaus geplündert habe; die Nachricht kann also mit Ereignissen der ägyptischen Geschichte korreliert werden, wodurch Salomos Schatzhaus wieder an Historizität gewinnt. In der sog. Schoschenk-Liste (Wilson [2005], 60 – 65; 101– 133), die von einem Palästinafeldzug berichtet, wird Jerusalem allerdings nicht genannt. Dietrich (1997), 120; 134, der den Quellen im Allgemeinen ein vielleicht zu hohes Maß an Glaubwürdigkeit zutraut, geht auf das Schatzhaus Salomos gar nicht ein. 1 Kön 10,14– 17.Wir verstehen die Stelle so, dass die Schilde und nicht etwa nur das Gold, mit dem sie verziert wurden, aus dem Schatzhaus stammten, so schon Würthwein (1977), 123 f., der eine „amtliche Quelle“ aus salomonischer Zeit annimmt. So auch der Kommentar zur Parallelstelle 2 Chr 9,15 – 16 von Japhet (2003), 124 f. Dazu Matthiae (1999), 38 f. Hier wird das „Fort Salmanassar“ besprochen, das Salmanassar III. auf einer hohen Terrasse über der Stadt Kalchu (Nimrud) errichtete, und das ēkal māšarti genannt wurde. Es diente auch als Sammelplatz der Truppen, die von hier zu den alljährlichen Feldzugskampagnen aufbrachen. Salvini (1995), 94 ff. Muṣāṣir, nicht sicher lokalisiert, aber irgendwo am Oberlauf des Großen Zab (s. Teil 4) zwischen dem assyrischen Kernland und dem Urmia-See gelegen, war Tempel und Schatzhaus des Gottes Haldi, des urartäischen Reichsgottes. Die Darstellung des Tempels auf einem Relief aus dem Palast von Dūr-Šarrukīn ‚Sargonsstadt‘ (Chorsabad) existiert allerdings heute nur noch in einer Nachzeichnung (Botta/Flandin [1849], Tf. 142). Denn das Relief ist beim Abtransport im Tigris versunken. Nur ein Eckstück hat sich erhalten (heute im Louvre), es zeigt zwei Schreiber, die nach Diktat eines auf einem Stuhl sitzenden, d. h. doch wohl höheren Finanzbeamten, ein Inventar der Beutestücke zusammenstellen; einer beschreibt eine Lederrolle wohl auf Aramäisch, der andere eine Tontafel, d. h. auf Assyrisch.
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endlich zum Losschlagen gegen den Tyrannen von Mytilene zu bewegen. Zu diesem Zweck weist er demonstrativ auf das mit Waffen prall gefüllte Zeughaus hin, und geradezu beschwörend scheint er es darauf anzulegen, letzte Hemmschwellen seiner Aufständischen (stasiotai) auszuräumen. Die Sichtweise, dass in dem Lied kein langweiliges Inventarverzeichnis heruntergeleiert wird, sondern ein flammender Appell zum Kampf wirkungsvoll und raffiniert zum Vortrag kommt, wird J. Latacz verdankt.²⁰² Diese Wirkung mag das Waffenhaus des Alkaios auf den Betrachter wirklich gehabt haben, und das geschah mit Berechnung. Hat auch Kroisos auf den Appellcharakter seines Schatzhauses gesetzt? Das ist die beherrschende Frage dieses Kapitels.
Was wurde im Schatzhaus aufbewahrt? Nun zu den Beständen eines Schatzhauses. Im Falle der salomonischen Schilde handelt es sich nun aber nicht um eine reale Bewaffnung, auch nicht um Prunkwaffen, wie E. Würthwein meint, sondern um die Thesaurierung von prämonetären Geräten, die präzis zählbaren, herrlichen Reichtum (hebr. kābôd)²⁰³ vor Augen führen sollten.²⁰⁴ Der Reichtum wurde in so abstrakter Form geboten, dass der Gebrauchswert der Schilde fast keine Rolle mehr spielt. Dass Schilde auch sonst ohne praktischen Nutzen Verwendung fanden, so etwa als Weihgaben gedacht und gestiftet wurden, hören wir im Zusammenhang mit Kroisos. Dieser hat große, goldene Schilde dem Apollon in Theben und der Athena in Delphi geweiht (Hdt. 1,52; 92,1). Ein anderer Punkt ist hier vielleicht von größerem Interesse, nämlich der Effekt, der offenbar durch die Gleichförmigkeit der Schilde im Schatzhaus des Salomo erzielt werden sollte. Das erinnert an die unendliche Zahl von fast standardisierten Kesseln und Dreifüßen aus Bronze in den griechischen Heiligtümern von Delphi und Olympia im 8. Jh. v.Chr., die von N. Himmelmann (1969) als „Gerätegeld“ bezeichnet wurden. Wir bleiben beim Begriff „Gerätegeld“, fügen ihm aber den der prämonetären Metallprägung hinzu. Was damit bezweckt ist, wird an folgendem Beispiel aus der „Geldgeschichte“ klar. Im syro-anatolischen Raum liegt Sam’al (heute Zincirli), und zwar am östlichen Passausgang des Amanos-Gebirges. Hier herrschte seit dem 9. Jh. v.Chr. eine aramäische Dynastie, die phönikisch und aramäisch schrieb, inhaltlich aber Latacz (1991), 370 ff. Das Lied sei eine Kampfparänese. Jes 61,6; Hos 10,5. Das Münzgeld, der Šekel, verbreitet sich erst im 5. Jh. v.Chr. in der Provinz Jehud, so Oeming (1995). Ägypten benutzte bis zur XXX. Dynastie, also vor Nektanebos I. (380 – 363 v.Chr.), überhaupt keine geprägten und normierten Metalle.
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auch hierogyphen-luwische Traditionen fortsetzte, so in ihren luwischen Thronnamen, wie z. B. Kulamu aus luw. *Kulamuwa (vor 800 v.Chr.).²⁰⁵ In Zincirli fanden sich kleine Silberbarren, alle im Gewicht von ca. 500 g.²⁰⁶ Als Innovation kommt hier dazu, dass den Silberbarren ein Eigentumsvermerk in aramäischer Sprache eingeritzt wurde, der z. B. lautet: „Eigentum von Bar-Rakib, Sohn des Panammu“.²⁰⁷ Dass die „Münzen“ der Lyder nicht nur gleichförmig und -gewichtig sind, sondern ebenfalls eine Art „Eigentumsvermerk“ aufweisen, sei hier schon erwähnt. Das Schatzhaus, so unsere These, diente dem Zweck, Reichtum sichtbar, vor allem aber schneller zählbar zu machen, da jetzt nicht mehr jedes Stück eigens gewogen werden musste. Es genügte theoretisch ein Blick, um den Wert der Einlagerungen zu erfassen und in Zahlen zu benennen. Das ist für eine Schatzhausführung von grundlegender Bedeutung. Ein Schatzhausbesucher war Solon von Athen. Wir dürfen von vornherein ausschließen, dass er von antiquarischen Interessen nach Art eines Pausanias Periegeta geleitet wurde und als Museumsbesucher oder Antiquitätenhändler nach Sardes kam, denn diese Begriffe gab es damals noch nicht. Solon konnte im Schatzhaus nur die Maßlosigkeit des orientalischen Königs sehen, Reichtum ins Unbegrenzte vermehren zu wollen. Er übertrug damit aber soziale Probleme Athens auf das lydische Sardes. Den Athenern hatte er zu bedenken gegeben, dass man nicht die Götter für den drohenden Bürgerkrieg verantwortlich machen könne: Pallas Athene, Tochter des Zeus, hält als Aufseherin (episkopos) schützend ihre Hände über die Stadt, vielmehr sind es die astoi (astos ‚der gemeine Mann‘), die gewillt sind, von Geldgier übermannt, im Unverstand die große Stadt zu stürzen (Sol. F4 W). Solon war also kein Pausanias, der Städte des griechischen Mutterlandes²⁰⁸ besuchte und sie beschrieb, als seien sie unbewohnt. Menschen trifft man jedenfalls bei Pausanias nicht an. Anders, und doch nicht ganz anders, ist es bei Herodot, der zwar keine Kunstlandschaften zu beschreiben beabsichtigte, auch Architektur nur auf das Sparsamste anzeichnet, so den Palast, nicht aber das
KAI Nr. 24 phön. Klmw; zum Historischen s. Hawkins (1982); Tropper (1999); Sader (1987), 172– 184; Younger Jr. (2016), 373 – 423. Die deutschen Ausgräber nannten die Barren „Silberkuchen“, vgl. von Luschan (1943), 119 ff.; Abbildungen bei Klengel (1979), nach S. 224. Tropper (1993), B8 – 10. Bar-Rakib ist N. pr. pers. und heißt ‚Sohn des Streitwagenfahrers‘. Mit Panammu (aus luw. *Panammuwa) ist Panammuwa II. (um 730 v.Chr.) gemeint. Zur Geschichte der Könige von Sam’al und ihrer Verkettung mit der assyrischen Geschichte s. H. Donner, in: KAI Bd. 2, 214– 236, bes. Nr. 214– 215. Pausanias (Mitte des 2. Jh. n.Chr.) stammte wohl aus Ionien. Von Kleinasien kannte er besonders gut Lydien; er hat dieses Land bewandert.
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Schatzhaus. Er lässt aber immerhin Palastbedienstete auftreten und bringt dann die dramatis personae, Solon und Kroisos, als Hauptdarsteller auf die Bühne. Das Bild von Solon als dem Weisheitslehrer, das uns Herodot zeichnet, sei hier durch das vom praktisch und nützlich denkenden Weisen (sophos) ergänzt, der der historische Solon auch war. Wie der babylonische apkallu und der hebräische ḥākām ist auch der sophos ein Mann, der sich auf die Kunst des Nützlichen versteht, zunächst auf das Handwerkliche bezogen, wie z. B. auf die Vasenkunst.²⁰⁹ Im Zusammenhang mit dem Schatzhaus kommt zunächst der Praktiker in den Blick. Solon dürfen wir ein besonderes Interesse für technische Verfahren, vor allem innovativer Art, zuschreiben. Ein Besuch des lydischen Schatzhauses muss ihm deshalb besonders lohnend erschienen sein, konnte er doch damit rechnen, Einblicke in die allerneuesten Methoden der Metallprägung zu gewinnen. Metallen galten denn auch schon vorher seine persönlichen Interessen. Er hätte sich ja mit ta metra ‚Maßen‘ und ta stathma ‚Gewichten‘ sowie mit to nomisma ‚Münzen‘ beschäftigt, wie Aristoteles meint.²¹⁰ Es sei hier eingefügt, dass Anatolien auch auf diesem Gebiet etwas beizutragen hatte, was Gewichte angeht, die „Mine von Karkamis“,²¹¹ die für das Neuassyrische Reich besonders stark bezeugt ist, und was Längenmaße betrifft, die „Elle des Königs“ (Alk. F350 Voigt/L.-P.), die in Griechenland selbstverständlich nur pechys demosios ‚Polis-Elle‘ heißen konnte.²¹² In die erste Reihe der Geschichte der Maßsysteme sollten dann die verspäteten Lyder mit ihrer Metallprägung, dem sog. Münzgeld, vorgestoßen.
Reichtum als Thema der Weisheit Auffällig ist nun, dass „am dritten oder vierten Tag“²¹³ nach Solons gastfreundlicher Aufnahme Kroisos, der knapp 45 Jahre²¹⁴ alt gewesen sein könnte, gegen-
Gladigow (1965). Damit soll er jedenfalls in Athen befasst gewesen sein, so Aristot. Ath. pol. 10; Plut. Sol. 15; zu dem ganzen Komplex Hitzl (1996), 147 f., vgl. auch Rhodes (1975). Finkelstein (1957). Burkert (1996), der aufzeigt, dass sie ihren Ursprung wohl in Mesopotamien hatte. Ließe sich die kulturelle Einheit des Vorderen Orients auch an einem gemeinsamen oder wenigstens kompatiblen Maß- und Gewichtssystem aufzeigen? Warum die Frist so genau nach Tagen berechnet wird, ist nicht leicht zu erklären. Eine Parallele, die aber die Sache nicht einfacher macht, findet sich Hdt. 3,42 (Ring des Polykrates): „Am 5. oder 6. Tag danach“ fing ein Fischer einen großen, schönen Fisch …“ Vielleicht ist es nur eine Stileigentümlichkeit der Novelle. Das ist freilich eine grobe Schätzung, ausgehend von Herodot (1,26,1), der sagt, Kroisos sei 35 Jahre alt gewesen, als er die Herrschaft antrat.
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über dem schätzungsweise 30 Jahre älteren Solon plötzlich den Palastherrscher herauskehrte, indem er den Palastbediensteten das Gebot auftrug (keleusantos Kroisou), den Staatsgast aus Athen durch das Schatzhaus zu führen (Hdt. 1,30,1). Die Form keleusantos hat etwas Autokratisch-Befehlsmäßiges, ja Insistierendes an sich, kurzum, es ist nicht als spontane Privatveranstaltung gedacht, sondern offensichtlich als Programmpunkt eines Staatsbesuchs fest eingeplant und als solcher auch zu absolvieren. In Muße, wie Herodot sagt, konnte Solon die Gegenstände im Schatzhaus genauestens betrachten. Was er aber konkret im Schatzhaus betrachtete, wird nicht gesagt. Danach kam es zu einem Gedankenaustausch beider Männer, und zwar ganz allgemein über den Reichtum. Reichtum ist ja ein zentraler Punkt auch der alttestamentlichen der Weisheitsliteratur. Dass an den Höfen des Vorderen Orients besonders von den Königen die Weisheit gepflegt wurde, entspricht so ganz unserer Vorstellung vom Orient. Unsere Vorstellung von königlicher Weisheit wird bis auf den heutigen Tag nicht zuletzt durch die Bibel genährt. Israel hat in der Tat eine umfangreiche „Weisheitsliteratur“.²¹⁵ Ihre Verfasser waren angeblich Könige. So galt David als der Dichter vieler Psalmen und Salomo als Verfertiger der Sprüche.²¹⁶ Die Psalmen tragen Überschriften, denen heute große Bedeutung zugesprochen wird. Sie sind leider weitgehend unverständlich. Dass wir es hier, was die Autorschaft Davids und Salomos angeht, mit einer späten frommen Legende zu tun haben, versteht sich von selbst.
Der Begriff „Weisheitsliteratur“ kommt aus der Bibelwissenschaft; er bezieht sich auf eine bestimmte Gruppe von Schriften, die großenteils in nachexilischer Zeit entstanden sind, die aber, wenn wir uns hier einmal auf das Buch der Psalmen konzentrieren, erst um 200 v.Chr. ihren Abschluss fanden und kanonisch wurden. Den Begriff „Weisheitsliteratur“ hat die Assyriologie übernommen. Eine funktionale Klassifikation hat Foster (1996) für die babylonische Literatur vorgelegt. Was bislang als weisheitliche Zeugnisse gesehen wurde, versammelt Foster jetzt im Wesentlichen unter „didaktische Literatur“. Für „didaktische Literatur“ spricht sich jetzt vehement Jursa (2015), 116 aus. In Wirklichkeit ist es so, dass die ältesten Teilsammlungen unseres heutigen Psalterion auf zwei Davidspsalter zurückgehen, die als abgeschlossene Kompositionen vorlagen, nämlich 3 – 41 und 51– 72, Die sprichwörtliche Weisheit Salomos ist Legende. Die Stelle 1 Kön 5,9 – 14 zeigt nicht den historischen Salomo, sondern zeichnet das Idealbild eines Weisen (um 600 v.Chr.?). Dass aber auch historisch besser bezeugte Könige den Anspruch erhoben, Weisheitslehrer zu sein, und zwar die weisesten, ist für die assyrischen Könige bezeugt, dazu Alster (2008). Diese Vorstellung vom weisen König ist literarisch grundgelegt im Gilgamesch-Epos. Gilgamesch wird von einem Tyrannen zum weisen König von Uruk (dazu Maul [2008], Tf. 11; Komm. 183 – 191). An ausgesprochener Weisheitsliteratur sei nur das große Gedicht eines babylonischen Ijob erwähnt (um 1100 v.Chr.), der von Marduk schließlich Rettung aus großer Vereinsamung erfährt, genannt wird es nach der Anfangszeile: Ludlul bēl nēmeqi „Ich will preisen den Herrn der Weisheit“ (dazu Foster [1996]; Ü: W. von Soden, in: TUAT III/1 [1990], 110 – 135).
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„Der Psalter ist als Gebets- und Meditationsbuch entstanden“ (E. Zenger) und die Sprüche Salomos im Buch der Sprichwörter haben ihren Ursprung, wie im impulsgebenden Ägypten etwa die Lehre des Amenemope (12. Jh. v.Chr.), in der Unterweisung der königlichen Beamten. Später, nach einer komplizierten Redaktionsgeschichte, sind sie, so nimmt man an, zum Buch für die Unterweisung der Jugend der Jerusalemer Oberschicht in frühhellenistischer Zeit geworden.²¹⁷ Von daher wundert es nicht, dass fast alle Belege für hebr. æwîl, welches wörtlich ‚dick‘ bedeutet, aber „Dummkopf“ meint, aus diesem Buch stammen und immer den Schüler meinen, nie den Lehrer (Spr. 1,7; 10,14. 21 et passim).²¹⁸ Die Weisheitsliteratur Israels hebt sich in einigen Punkten von der standardisierten Weisheit des Vorderen Orients ab, der wichtigste Punkt ist die nachträgliche, allerdings nur leichten theologisierende Überarbeitung im Sinne des Jahwismus. Nationalisiert wurde sie aber offensichtlich nie. Das Nomen gentile jisraeli (vor allem im Buch Levitikus) kommt jedenfalls nicht vor, es ist immer der „Mensch“ (adam), der in den Tun-Ergehen-Zusammenhang gestellt wird, was im AT aber nie zum Automatismus wurde, wie im Griechischen. Jahweh ist Herr der Geschichte, und kein Schicksal (gr. moira) steht über ihm. Ein Salomo musste aber nicht belehrt werden, wie Kroisos durch Solon belehrt werden musste, jedenfalls Herodots Meinung nach, denn Salomos „Weisheit war größer als die Weisheit aller Bewohner des Ostens und als alle Weisheit Ägyptens“ (1 Kön 5,10). In Wirklichkeit ließen sich die Könige sehr wohl beraten. Sie wandten sich dazu an die (Hof‐) Propheten, dann auch an die Schriftpropheten (8.–6. Jh. v.Chr.), die mit den griechischen Weisen (sophoi) nicht ganz unvergleichbar sind. Nur sind die Propheten eine Institution, die rund 400 Jahre die Geschichte Israels mitbestimmte, während es bei den griechischen Weisen nur etwa 50 Jahren waren, in denen sie mit Rat und Tat auch Nichtgriechen beiseitestanden. In Israel bzw. Juda kam es oft zu tumultuarischen Beratungen zwischen den Königen und den Propheten. Die Gespräche gingen dabei keineswegs schon um Fragen von Kulteinheit und Kultreinheit, Bilderlosigkeit oder um Fragen theologischer Rechtgläubigkeit (Stichwort: Monotheismus), denn diese wurden erst mit der deuteronomistischen Bewegung im 6. Jh. v.Chr. virulent. Vielmehr drehten sie sich fast immer um Krieg und Frieden sowie insbesondere um die Bündnispolitik.²¹⁹ So 734 v.Chr., als Jesaja
Zum Sprüchebuch Witte (2016), 445 – 458. Hebr. ḥākām ist das Gegenteil von Dummkopf; ursprünglich mit sophos zu vergleichen, nämlich der Kundige, der Sachverstand hat, der die richtigen Mittel weiß, dann aber auch als Bezeichnung für einen erfahrenen Berater des Königs (Jes 5,21). Themen wie Kultusreinheit und Kultuseinheit (nur in Jerusalem darf Jahweh verehrt werden) kommen erst mit der deuteronomistischen Theologie und Redaktion in nachexilischer Zeit auf, die wohl – das ist allerdings sehr umstritten – die Bücher der Geschichte ebenso erfasst wie die
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dem judäischen König Achas den Rat gibt, keiner antiassyrischen Koalition beizutreten: „Fasse dich, und bewahre die Ruhe! Fürchte dich nicht!“ Und dann das folgt das große Wort, mit dem Jesaja noch öfter den Königen und ihre weltklugen Ratgeber auf die Nerven ging: „Glaubt ihr nicht, dann bleibt ihr nicht!“ (Jes 7,9). Bis 701 v.Chr. hat Jesaja die Politik Jerusalems mit gestaltet. Seine Ratschläge gründeten auf genaue Beobachtungen der politischen Staatenwelt Ägyptens und Assyriens. Erwähnt sei nur, wie Jesaja bis in die Einzelheiten hinein die Technik und Kampfespraxis des assyrischen Heeres beschreibt (Jes 5,26 – 29). Jesaja hat den nüchternen Blick eines sophos. Hundert Jahre später (um ca. 600 v.Chr.) kommt es in Jerusalem wieder zu Konflikten bis hin zu Anschlägen auf das Leben, gedacht ist an die Passion des Jeremia, der in Opposition zu dem König Jojakim sowie dem letzten König von Juda, Zedekia, stand.²²⁰ Der Vorwurf der Hurerei und des Ehebruchs, gerichtet an die Eliten des Staates, sind im Alten Orient und auch noch bei Jeremia (etwa Jer 2,19 – 25 von 587/86 v.Chr.) geläufige Metaphern für die Wahl des falschen Bündnispartners, welchem sich die Tochter Zion hingegeben habe.²²¹
Kroisos hält sich für den Allerglücklichsten Ein Staat immer am Rande der physischen und psychischen Existenz, das war Juda, aber das war auch Lydien, sieht man einmal von einer kurzen Blütezeit im Übergang von Alyattes zu Kroisos ab, die sich aber schon bald als allzu kurze Verschnaufpause herausstellen sollte. Israel und Lydien lagen beide auf häufig von Stämmen und Großmächten frequentierten Landbrücken, eine ungünstige geographische Situation. Im Falle von Israel drängten die Ägypter von Süden und die Assyrer und Babylonier von Norden, in Lydien die Kimmerier von Nordosten und die Meder bzw. Perser von Osten her auf Durchlass. Es wäre undenkbar, dass ein König wie Hiskia den Propheten Jesaja oder später ein König Jojakim oder Zedekia den Propheten Jeremia gefragt hätte, ob sie ihn für den Allerglücklichsten hielten. So etwas liest man in den Geschichten von Tausendundeine Nacht. Dass
Bücher der Prophetie. An der Einstellung zu Fragen des Kultus entschied sich, ob ein König gut und gerecht war, wie, ein Ausnahmefall, Josia (2 Kön 23,24– 28), oder, was der Regelfall war, ob „er Böses tat in den Augen Jahwehs“. Die Geschichte Israels und Judas wird von daher als Unheilsgeschichte verstanden. Jer 21– 24; 34– 38. Die sog. „Konfessionen Jeremias“ (Jer 11– 20) als dem leidenden Gottesknecht (nach Jes 52,13 – 53,12) sind zwar nicht biographisch auf den historischen Jeremia hin zu lesen (so Schmid [2016], 358), was aber nicht heißt, dass sie realitätsfern oder legendär sind. Schmid (2016), 345.
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die atl. Salomo-Erzählungen hier so nahe an die Geschichten von Tausendundeine Nacht heranrücken, hat damit zu tun, dass man bei Salomo noch am ehesten sich eine Diskussions-Runde über das Thema: „Wer ist der schönste, der weiseste?“ vorstellen kann. Wie tief Salomo in die Legende eingetaucht ist, zeigt beispielsweise folgende Stelle: „Selbst Salomo war in all seiner Pracht (en pase he doxe) nicht gekleidet wie eine von ihnen (sc. den Lilien auf dem Felde)“ (Mt 6,29). Die Propheten Israels wären für ein Ranking-Verfahren, wie es Herodot mit der Frage: „Wer ist der glücklichste“ inszeniert, die falsche Adresse gewesen. In Wirklichkeit waren die großen Schriftpropheten des 8./7. Jh. v.Chr. dazu beauftragt, das kommende Gericht für Israel zu verkünden.²²² Auch für die vorderorientalische Königsideologie insgesamt ist das Thema, ob und zu welchem Zeitpunkt man sich glückselig preisen darf, in seiner individualisierenden irdischprofanen Herausgehobenheit nicht denkbar. Man denke nur an Sargon II., in dessen (halbfertiger?) Residenz Dūr-Šarrukīn (Chorsabad) schon die Terror ankündigenden Reliefs angebracht waren, so die Darstellung von der Plünderung des urartäischen Tempels von Muṣāṣir durch assyrische Soldaten oder davon, wie Sargon persönlich einen vor ihm in die Knie gesunkenen Vasallen blendet, um ihn seiner Untreue wegen zu bestrafen.²²³ Wenn dies auch kaum der Wirklichkeit entsprochen haben dürfte, so war doch die Atmosphäre nicht danach, um weisheitliches Gespräch über den Reichtum zu führen.²²⁴ Nun war der lydische König gemäß seiner altanatolischen Tradition zwar weit weniger autokratisch als der assyrische König. Dennoch war Kroisos, wenn er auch mit griechischen sophoi Umgang pflegte, kein Musterbeispiel für Liberalität. Man war reich, legte aber den Kontostand nicht offen, außer bei besonderen politischen Anlässen. Nacheinander nun, so Herodot, kamen die sophistai aus Griechenland nach Sardes, das damals vor Reichtum blühte. Die Begrüßung Solons durch Kroisos mit „Gastfreund aus Athen“, wie sie Herodot berichtet, steht im Kontrast zu den reichen altorientalischen Grußformeln der Spätbronzezeit,²²⁵ ebenso wenig wird von
Die Verkündigung des Gerichts als zentrales Thema hat M. Oeming den für sicher als vorexilisch gehaltenen Sprüche aus den Büchern der Propheten abgewonnen (nach Tischvorlage eines Studientages in Nürnberg 2008 im Caritas Pirckheimer-Haus). Vgl. Oeming (2010). Orthmann (1985), 321, Abb. 226. Wenn man SAA X mit dem Titel „Letters from Assyrian and Babylonian Scholars“ auch nur überfliegt, wird bereits deutlich, dass die „scholars“ nicht zu den weisen und gelehrten Männern gehören, wie wir sie heute verstehen. Man vergleiche die Begrüßungsformel in einem Brief Ramses’ II. an den hethitischen Großkönig Hattusili III. (KUB III 28), wo einleitend ausführliche persönliche Wohlergehenswünsche geäußert werden. Der Text fährt dann fort: „Deinen Truppen möge es gut gehen und innerhalb aller deiner Länder möge es sehr, sehr gut gehen“ (Vs. 12– 13). So pflegten Monarchen sich damals auszutauschen. Wie im 1. Jt. lydische Könige an Kollegen schrieben und wie sie stan-
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Segenswünschen beim Abschied berichtet.²²⁶ Insgesamt heißt es nur, dass Solon gastlich aufgenommen wurde.
Solon in politischer Mission in Ägypten und auf Zypern(?) Für zehn Jahre hätte Solon die Stadt Athen sich selbst überlassen, behauptet Herodot. Ob sich diese Zahl für eine realistische Biographie Solons verwenden lässt, bleibt unsicher, denn es kann sich bei der Zahl zehn ebenso um eine aus indogermanischer Zeit ererbte Symbolzahl handeln²²⁷ wie um einen literarischen Topos, der aus mündlicher oder schriftlicher Tradition stammt.²²⁸ So wurde Troia im zehnten Jahr erobert und Odysseus benötigte ebenso viele Jahre für seine Heimreise; oder um ein wirkliches, kroisoszeitliches Beispiel heranzuziehen: Zehn Jahre war Nabonid, der letzte neubabylonische König, von Babylon abwesend, um in der nordarabischen Wüstenoase Tema zu residieren (bis ca 543/42 v.Chr.).²²⁹ Es wurde bereits gesagt, dass sich für Solon die Gelegenheit, eine Schatzhausführung zu bekommen, nicht geboten hätte, wenn er ein einfacher Privatmann gewesen wäre. Ob der Status eines Gastfreundes dafür ausreichend war, lässt sich kaum mit Sicherheit beantworten. Deshalb stellt sich die Frage, in welcher Funktion Solon die Reise nach Ägypten und dann nach Sardes unternahm. Er sei ein „Tourist, sightseeing“ gewesen, so H. Drexler.²³⁰ Nun berichtet uns Diodor (Buch 9), dass alle Weisen (sophoi) Reisen unternommen hätten, fast immer ohne Angabe ihrer Intention. Andererseits passt Tourismus nicht gut in das Bild, welches man von der archaischen Zeit sonst hat (7./6. Jh. v.Chr.). Entscheidend für das Verständnis ist ein Doppelsatz Herodots (1,30,2), den er Kroisos in den Mund legt, als dieser sich an Solon wendet. Im ersten Satz ist nur allgemein von dessen Reisen (gr. planes) und von seiner sophia, d. h. von der bewiesenen Verständigkeit in praktischen Dingen, die Rede. Dem zweiten Satz, der durch ein hos ‚wie‘, angeschlossen wird, ist das Motiv seiner Reisen und sein innerer Antrieb zu entnehmen. Er lautet: „Wie du aus Liebe zur Weisheit (philosopheon) in viele
desmäßig unter ihnen stehende Gäste in Wirklichkeit mündlich begrüßten, darüber wissen wir natürlich nichts. Jungbluth (2011) hat aus den atl. Quellen ein Hofzeremoniell erarbeitet, das allerdings den Umgang mit Untergebenen regelte und vielleicht nur bedingt für Staatsmänner gelten kann. Vgl. Miyakawa (1999); Oettinger (2008a). Wenig trägt dazu bei Markianos (1974). Dazu jetzt detailliert Heller (2010), 180 – 187. Drexler (1972), 25 f.
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Länder (wörtlich: zu viel Erde) der ‚Anschauung‘ (theoria) wegen gelangt bist.“ ²³¹ Das Wort theoria ist dreimal bei Herodot bezeugt, und zwar ausschließlich für Solons Reisetätigkeit (Hdt. 1,29; 30,1. 2). Das Wort ist überhaupt zum ersten Mal bei Herodot belegt und von theoros abgeleitet, was eigentlich den ‚Zuschauer‘ bezeichnet und schriftlich ab der zweiten Hälfte des 5. Jh. v.Chr. belegt ist (nach B. Snell). Das Wort theoros wiederum gehört zum Verbum theaomai ‚betrachte, sehe‘. Die Idee, theoria von theos ‚Gott‘ abzuleiten und mit „Gottesschau“ zu übersetzen, wie dies früher einmal von Vertretern der Sprachwissenschaft erwogen worden war, ist heute sprachwissenschaftlich und religionshistorisch nicht mehr haltbar.²³² LSJ gibt für theoria an: I. ambassy, mission und II. viewing, beholding. In beiden Fällen sind Orte des Sehens gemeint, das Theater oder die Wettkampfstätten (etwa Olympia). Damit erledigt sich die von uns zunächst für Hdt. 1,30,1 erwogene Übersetzung: „Solon ging außer Landes einer politischen Mission wegen“. Dennoch sind wir der Ansicht, dass eben dies – historisch gesehen – gemeint war: die historische Mission. W. Schadewaldt meint, Solon habe „eine Art zweckfreier Bildungsreise“ unternommen; dies habe er getan „als Freund des Wissens“ (philosopheon). Herodot (1,30,2) ist die früheste Belegstelle für philosophein. Ein philosophos sei der, der theoretisches, zweckfreies Wissen sich aneignet.²³³ Das ist nicht platonisch, wie Schadewaldt zu Recht hervorhebt, aber auch nicht solonisch, wie derselbe meint, es ist überhaupt nicht mutterländisch-griechisch. Der Begriff philosophein/philosophos stammt ursprünglich aus dem ostionischen Bereich und findet dann in Kroton in Unteritalien seine konkrete inhaltliche Bestimmung. Pythagoras sei als erster als Philosoph bezeichnet worden (Cic. Tusc. 5,3,9). Das war zur Perserzeit, als unter Dareios I. das Reisen zu Forschungszwecken die Dimension von Weltreisen annahm. Namen wie Hekataios von Milet und Skylax von Karyanda sowie Herodot selbst sind damit zu verbinden. Nicht zu vergessen sind die Phöniker, die im Auftrag Pharaos um ca. 600 v.Chr. Afrika umrundeten, also zu eben der Zeit, als Solon sich auf das Archontat vorbereitete. Das sind wirkliche Forschungsreisen; die Reisen eines Solon nach Ägypten und Sardes sind damit nicht zu vergleichen, denn Lydien und in gewisser Weise auch Ägypten waren seit mykenischer Zeit den Griechen bekannt. Eine gewisse Unsicherheit, wie die Reise des Solon zu qualifizieren ist, offenbart Herodot (1,29,1). Er schränkt theoria ein durch ein kata und prophasin, also: kata theories prophasin „unter dem Vorwand, die Welt sehen zu wollen“. Der Text geht weiter: „Damit er (Solon) nicht gezwungen werden könne, eines seiner Perfekt epelelythas von eperchomai, gebucht bei LSJ s.v. III „to go over or on a space, to traverse“. Theoria ist Anschauung, nicht Weltanschauung, so Ehrenberg (1965), 15. Schadewaldt (1978), 12 f.; Horn (2013), 25 f.
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Gesetze aufzuheben, die er den Athenern auf deren Anraten hin gegeben hatte.“ Das scheint eine psychologisierende Deutung späterer Zeit zu sein. In Wirklichkeit wusste man schon im 5. Jh. v.Chr. nichts Genaueres mehr, warum sich der alte Herr (vgl. Aristot. Ath. pol. 14,2) damals noch auf Reisen begeben hatte. Was ist von Herodot intendiert, wenn Kroisos Solon als den Mann anspricht, der viel Land durchquert habe aus Liebe zur Weisheit (philosopheon) (Hdt. 1,30,2)? Was zunächst als orientalische Höflichkeit erscheinen könnte, die bekanntlich zu Übertreibungen neigt, zeigt sich dann aber als Konstrukt Herodots. Denn tatsächlich gibt Herodot nur zwei Reisen Solons an; die erste zu Amasis nach Ägypten und die zweite jetzt zu Kroisos nach Sardes (Hdt. 1,30,1). Das war eigentlich methodisch und statistisch zu wenig, um die Frage beantworten zu können, ob es auf der Welt einen glücklicheren Menschen als Kroisos gebe. Zunächst also zu Ägypten. Aristoteles setzt emporia ‚Handel‘ als Motiv der theoria voran (Aristot. Ath. pol. 11,1).²³⁴ Als Zweck Handel anzunehmen, ist entschieden realistischer für die archaische Zeit als bloßen Tourismus. Wenn man nicht annehmen will, dass Solon sozusagen mit einem „Bauchladen“ nach Ägypten ging, kann es nur um eine bestimmte Art des Handels gehen, natürlich den, den Aristoteles naukleria ‚Seehandel‘ nennt (Aristot. pol. 1258b22). Nun wurde der griechische Überseehandel in Ägypten, konzentriert auf den Konzessionshafen Naukratis, gerade von Amasis streng kontrolliert, so dass ohne Einschaltung staatlicher Stellen Handelsgeschäfte von nicht eingetragenen Personen oder Körperschaften/Korporationen (Hellenion: Hdt. 2,178,2) kaum denkbar sind. So kommen wir zu dem natürlich spekulativen Schluss, dass die Mission Solons in Ägypten darin bestanden haben könnte, Chancen für den Abschluss eines Handelsabkommens auszuloten. Dass Solon in Ägypten war, und zwar zur Zeit des Pharao Amasis (570 – 526 v.Chr.), lässt sich mit größerer Sicherheit behaupten (Hdt. 1,30). Nicht ohne Grund konnte Herodot sagen, dass alles, was in Ägypten passiere, die Griechen sofort wüssten (2,154,4). Wir können darauf vertrauen, dass seine athenischen Leser es Herodot nicht hätten durchgehen lassen, wenn er Unwahres über Solon mitgeteilt hätte.Warum A.B. Lloyd in seinem Kommentar zu Herodots Ägypten-Logos (2. Buch „Euterpe“) zwar gegen einen Ägypten-Aufenthalt des Weisen (sophos) Thales von Milet keine Einwände erhebt, für seinen
Gr. ion. emporie ‚Handel‘ kommt bei Herodot nur einmal vor, und zwar ebenfalls im Zusammenhang mit Ägypten (Hdt. 3,139,1). Plutarch behauptet, Solon sei selbst Kaufmann gewesen (Sol. 2), und er sagt, man habe auch indirekt aus dem derben Ton seiner Gedichte darauf zurückgeschlossen (Sol. 3,1). Plutarch hatte bekanntlich ein Gespür für Humanität ebenso wie für inhumanes, tyrannisches Reden. Ferner soll Solon im Exportgeschäft tätig gewesen sein, so habe er den Export von Öl und damit den Olivenanbau gefördert (Sol. 24,1). Solon war nicht unvermögend, aber als reich bezeichnen ihn die Quellen nicht.
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sophos-Kollegen Solon dagegen diese klipp und klar ablehnt, ist so leicht nicht zu erklären. Lloyd hat sich wohl sozusagen durch ein Mitbringsel, welches Solon angeblich aus Ägypten bei sich führte, dazu verleiten lassen, kurzerhand den ganzen Besuch für unhistorisch zu erklären. Mit Mitbringsel ist der nomos argias gemeint, das Gesetz gegen Arbeitsscheue, das noch zu Zeiten Herodots in Athen in Geltung gewesen sei (Hdt. 2,177,2).²³⁵ Der nomos argias mag man in dieselbe oder eine ähnliche Kategorie einordnen, in die auch die Aussage Herodots gehört, Herakles stamme aus Ägypten; in Griechenland sei er nur alt geworden. Dass Solon Amasis persönlich aufsuchte, ist dagegen so unglaublich nicht. Amasis wurde griechenfreundlich genannt (philhellen, Hdt. 2,178,1). Als z. B. die Delphier nach Ägypten kamen, um Spenden für den Tempelneubau (Apollon-Tempel V, nach G. Gruben)²³⁶ zu erbitten – der Vorgängerbau war 548 v.Chr. abgebrannt –, soll Amasis ihnen 1000 Talente Alaun geschenkt haben (Hdt. 2,180,2). Aber auch im Persönlichen – nur von Amasis kann man sagen, dass er als Pharao auch ein homo privatus ²³⁷ war – schätzte er die Griechen, wenn wir uns nicht täuschen. So war jedenfalls Polykrates von Samos sein Freund (philos) und sein Gastfreund (xenos, Hdt. 3,40; vgl. Hdt. 2,182,1) Es ist nun gerade Amasis gewesen, der der ägyptischen Politik nach fast einem Jahrtausend eine andere Zielrichtung verordnete. Die Syrien/Palästina- und Mesopotamien-Politik, wie sie die Pharaonen seit der XVIII. Dynastie (15.–14. Jh. v.Chr., d. h. mit Beginn des Neuen Reiches, aber auch noch Schoschenk I. aus der XXII. Dynastie [945 – 924 v.Chr.]) mit gewaltigen Anstrengungen, aber kaum bilanzierbaren Ergebnissen betrieben hatten, wurde nun durch die Hinwendung zur Ägäis, vor allem zu Milesiern und Lydern, ersetzt. Diese verfügten nämlich jetzt durch die Kolonisation des Schwarzmeergebietes über alles, dessen Ägypten bedurfte: Holz, Silber und Gold, aber auch Nahrungsmittel wie etwa Trockenfische vom Hellespont, und schließlich Menschen. Man liegt wohl nicht ganz falsch, in diesem Konzept, falls es zutrifft, die Vorzeichnung ptolemäischer Reichspolitik zu sehen. Was auch immer Solon an Informationen aus Ägypten mitgebracht haben mag, alles dürfte den Lyderkönig interessiert haben. Am meisten natürlich, was die politische Solidität Ägyptens nach dem Militärputsch des Amasis im Inneren anbelangte, oder auch darüber etwas zu erfahren, wie sich Amasis die weitere ägäische Politik vorstellte, und nicht zuletzt, ob man im Bündnisfall sich auf die Ernsthaftigkeit der Ägypter verlassen könne (vgl. Hdt. 1,77 zu den Bündnissen Lydiens nach 550 v.Chr. mit Ägypten und Babylonien). Denn es ist in Erwägung zu
Lloyd (1975), 54 ff. Gruben (1966), 69 – 77. So soll Amasis gerne ägyptischen kolobi-Wein getrunken haben, s. Spiegelberg (1914), 2,6.
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ziehen, dass Amasis mit der ägyptischen Hochseeflotte Zypern in Besitz genommen hatte (Hdt. 2,182,2). Das gegenüberliegende Festland ist das später so genannte „Rauhe Kilikien“,²³⁸ babylonisch URUPirindu. Als Passlandschaft von hoher strategischer Bedeutung stellt sie den Übergang zwischen den Tiefländern des Arabischen Schildes und dem anatolischen Hochland her. Sie befand sich in diesen Jahren in einem politisch gärenden Zustand.²³⁹ Wir sind uns klar darüber, dass wir Solon damit eine Weite des Blicks zuschreiben, den er als Festlandsgrieche wohl kaum in dem Maße besaß, jedenfalls nicht in dem Maße, wie ihn mehr als 100 Jahre später dann Perikles besitzen wird. Dessen ungeachtet setzte mit Solon nun auch Athen seinen Fuß in diesen Weltteil. Athen hatte auf kulturellliterarischem Gebiet bislang nichts vorzuweisen. Solon sollte der erste sein, der ihm eine Stimme gab, wenn sie auch, dem von ihm gewählten Versmaß angepasst, mehr ionisch als attisch klang.²⁴⁰ Jedenfalls war sicher Naukratis die Anlaufstelle Solons in Ägypten, von wo er sich zu gegebener Zeit auch wieder eingeschifft haben wird, um die Reise nach Sardes fortzusetzen, wenn er denn wirklich Ägypten und Sardes auf ein und derselben Fahrt besucht haben sollte. Die weitere Route seiner Seereise (periplous) ist größtenteils rekonstruiert, aber nicht haltlos spekulativ. Die Fahrt führte unter der phönikischen Küste nach Tyros, dann nach Sidon, beide Staaten gehörten nominell zum babylonischen Reich, votierten aber politisch längst wieder für Ägypten, weiter dann nach Zypern, das ägyptisch war. Für Soloi auf Zypern ist Solons Aufenthalt beim König Philokypros bezeugt (Hdt. 5,113,2); diesen spricht Solon in einer Elegie mit einem Segensgruß direkt an. In dieser Elegie, die Plutarch bewahrt hat, bekundet Solon auch seinen Stolz über die erbaute Stadt Soloi (Plut. Sol. 26). Solon habe den König nämlich überredet, die Burgsiedlung von der Höhe weg in die Ebene zu verlagern und in eine Polis zu verwandeln „und ihr mit der angenehmeren Lage auch eine größere Entfaltung zu geben.“ Letzteres klingt in der Art der Formulierung eher hellenistisch als archaisch, was allerdings täuschen kann. Nur trägt die neue Stadt nicht, wie Plutarch fälschlich meint, ihren Namen Soloi nach Solon, sondern er war schon älter, auf assyrisch lautete er Sillu. Gleich im Anschluss an die Geschichte von Soloi, wo Solon seine sophia „Weltklugheit“ unter Beweis stellen konnte, bringt Plutarch die Begegnung mit Kroisos (Sol. 27). Von Soloi aus ist es in der Tat nur ein Sprung
Kilikia Tracheia und Kilikia Pedias werden zuerst von Strabo (14,5,1) als Einzellandschaften genannt. Vgl. dazu Teil 6. Ob Solon auch Näheres über Nabonid, der nach 550 v.Chr. ebenfalls Bundesgenosse der Lyder wurde (Hdt. 1,77,2), in Erfahrung bringen konnte, wissen wir nicht. Dazu Edel (1978). Inhaltlich unterscheidet er sich von den Ioniern. Nach Jaeger (1959), 187 ff. bezog Solon seine Bildung aus Ionien. Dafür spricht einiges, anderes wieder nicht.
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hinüber nach Selinus, babylonisch Sallunē (heute Selindi), wo für das Jahr 557 v.Chr. die Grenze zwischen dem babylonischen Reich und Lydien, URULu-ú-du, bezeugt ist.²⁴¹ Von hier aus ging die Küstenfahrt weiter nach Rhodos, von wo aus Richtung Samos gesteuert wurde – in den Hauptheiligtümern beider Inseln will Herodot noch die anathemata des Amasis gesehen haben (2,182) –, kurz vor Samos drehte das Schiff dann nach Steuerbord ab und nahm Kurs auf den lydischen Vertragshafen Milet.²⁴² Das wichtigste, was die Ägypten-Mission Solons erbracht haben dürfte, ist, dass etwas Licht in die Pläne fiel, die Amasis in der Ägäis verfolgte. Vielleicht konnte Solon dem Kroisos auch signalisieren, dass, falls im kilikisch-kappadokischen Raum die Dinge außer Kontrolle zu geraten drohten, Zypern an der Seite Lydiens stehen würde (vgl. Xen. Kyr. 6,2,10). Die beiden letzten Punkte hätten, wenn es denn historisch ist, Kroisos wohl am meisten interessiert. Wir sind uns dessen bewusst, dass unsere Darstellung hier zu sehr auf Solon hin konzentriert ist, und dass der Lyderkönig noch über ganz andere, zuverlässigere Kanäle verfügte.
Sondierungen in Sardes zwecks eines Bündnisvertrages Nun zur zweiten Reise des Solon, nämlich zu Kroisos. In dem berühmten Dialog zwischen beiden Männern hat Solon seine weisheitliche Lehre vorgetragen, die Kroisos, der für weisheitliche Themen empfänglich war, auch hätte goutieren können, wenn Solon nicht dogmatische Strenge an den Tag gelegt hätte. Dogmatik und Glaubensbekenntnisse verträgt die Weisheit nicht, die universal ist. Plutarch scheint das Problem klar erkannt zu haben, wenn er Solon zu Kroisos sagen lässt, dass die Gottheit den Griechen nur eine ‚bürgerliche‘ (demotike) und keine ‚königliche‘ (basilike) Weisheit hat zu teil werden lassen (Plut. Sol. 27). Das Urteil Plutarchs über die königliche Weisheit trifft auf den Vorderen Orient wohl insgesamt zu. Israel jedenfalls, das im 7. Jh. v.Chr. eine eigene Weisheitsliteratur hervorbringt – wohl nicht zufällig zusammen mit den Anfängen der Rechtsliteratur –, hat bis in diese Zeit hinein die Volksweisheit zwar noch gepflegt, wie einige Psalmen und Proverbia nahelegen, aber die Weisheit wird, generell gesagt,
ABC no. 6,24– 25; s. Heller (2010), 197. Nach 550 v.Chr. muss es zwischen Nabonid und Kroisos zum Bündnis gekommen sein. Denn solange Medien existierte (bis 550 v.Chr.), konnte Lydien, das mit Medien durch Heirat verbunden war, wohl kaum ein Bündnis mit Babylonien eingehen. Darauf machte schon Lambert (1964), 104 f. aufmerksam. In Hdt. 1,78,2 wird gesagt, dass Kroisos Boten zu Schiff zu den Telmessiern geschickt habe. Das war derselbe Streckenabschnitt, den kurz zuvor Solon abgefahren ist, wenn unsere Rekonstruktion stimmen sollte.
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höfisch, wie das typische Benimmregeln zu erkennen geben. Die Zöglinge werden durch die Weisheitsliteratur auf ihre kommende Rolle vorbereitet.²⁴³ Ob allerdings der Unterschied zwischen beiden Weisheitsformen, den Plutarch erkannt hat, die Ursache des Eklats beim Dialog zwischen Kroisos und Solon war, muss man bezweifeln. Bevor man grußlos in Sardes auseinander ging, müssen andere Faktoren den Geist des weisheitlichen Gesprächs zerstört haben. In dem Dialog Solons mit Kroisos, wie Herodot ihn darbietet, kommen politische Themen überhaupt nicht zur Sprache. Mag sein, dass Herodot die Ebene der Ethik von der politischen bewusst trennen wollte, um den klaren Sieg Solons im moralischen Diskursteil nicht zu verdunkeln, mag sein, dass er darüber nichts mehr in Erfahrung bringen konnte, was eher unwahrscheinlich ist. Der Vortrag Solons über den „schönen Tod“ von Menschen, die bescheiden, gerecht und fromm allein auf dieses Ziel hin gelebt haben und nun glückselig zu nennen sind, ließ den Dialogpartner Kroisos verstummen.Wo es um Tod und Sterben geht, wird alles Irdische unwesentlich, und so auch das Schatzhaus, zu dessen Berechtigung Kroisos schweigt. Herodot hat nur den Schlussstein eines ansonsten in der Erinnerung weitgehend längst verblassten Gesprächs gerettet, die Tatsache des Eklats. Kroisos ließ daraufhin den Solon grußlos von sich gehen. So hatte man Kroisos im Kreise der sophoi noch nie erlebt. Der Anlass für das undiplomatische und ungehörige Verhalten des Kroisos, der Hausherr und Gastgeber war, lag unserer Meinung nach nicht so sehr in der Enttäuschung über Solons Rede, als vielmehr in dessen Unterstellung, die Bestände des Schatzhauses bestünden aus geraubtem Gut. Man könnte in der Tat auf den Bericht in Hdt. 1,92 verweisen, dass zur Zeit, als die Thronfolge nach Alyattes anstand, Kroisos eine nur allgemein als Feind bezeichnete Person unter Anwendung kriegerischer Gewalt ihres Vermögens beraubte und dieses in das Schatzhaus transferierte mit der Begründung, diese Person habe Pantaleon unterstützt, des Kroisos Halbbruder und Konkurrenten. Als Kroisos König war, ließ er den Feind martern und ermorden. Welches Reich könne noch bestehen vor einem so strengen und weltfremden Richter? Solon wollte aber nicht Richter sein, sondern Patron aller Ionier, auch derer, die im Ausland lebten, in Lydien. „Mich schmerzt es, wenn ich zu Boden gebeugt, ältestes ionisches Land dich nun erblicke …“ (F 4,1– 3 W). Und er betont immer wieder, dass Geldgier und tyrannisches Auftreten des adligen Mannes schuld seien an Athens misslicher Lage. Vielleicht hat er zu Kroisos etwa so gesprochen: „Du bist dieser Mann, der die Ionier immer ärmer, sich selbst aber immer reicher macht und, wie ich jetzt erfahre, Anstalten macht, sie völlig zu unterwerfen.“ Soweit unsere hypothetische Darlegung, die nur das Faktum er-
Dazu Schmid (2014), 80.
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klären will, nämlich den Eklat. Das war das Ende einer Beziehung. Wie aber war der Anfang, und was die Motivation Solons, die Einladung anzunehmen? Herodot berichtet, dass Kroisos Nachforschungen (historein) darüber angestellt habe soll, wer von den Griechen die mächtigsten seien. Diese wollte er sich zu Freunden machen (Hdt. 1,56,1). Bislang scheint man davon ausgegangen zu sein, dass eine lydische Experten-Gesandtschaft auf das griechische Festland abging, die dort die diesbezüglichen Untersuchungen anstellen sollte. Das sagt Herodot aber gar nicht. Es wird wohl viel eher so gewesen sein, dass in Sardes selbst die Nachforschungen angestellt wurden, indem man Einladungen aussprach, wie im Falle Solons. Es zeigte sich, dass Athen und Sparta weit über die übrigen griechischen Staaten hervorragten. Aus dem berühmten Exkurs, den Herodot in den Lyder-Logos „einschiebt“ (Hdt. 1,56 – 68), geht hervor, dass zuerst Athen auf seinen Zustand hin evaluiert wurde. Bemängelt wurde im Ergebnis die Zerrissenheit der attischen Bürgerschaft infolge der Tyrannis des Peisistratos.²⁴⁴ Was der wirkliche Grund war, der zum Scheitern führte, wissen wir nicht, vermuten aber, dass Solon im Gespräch mit Kroisos keine überzeugende Figur machte, zu rigoros in Fragen der Moral, zu dogmatisch in seinen Ansichten, zu unerfahren in der großen internationalen Politik, dazu völlig unbelehrbar und überhaupt zu respektlos gegenüber gesalbten Häuptern. Viel Gutes wird Solon seinerseits in Athen über die Lyder gewiss nicht verbreitet haben. Das wissen wir aber nicht.Wir können hier nur festhalten, dass Sparta der Vorzug gewährt wurde, in Verhandlungen mit Lydien einzutreten. Sparta empfahl sich offenbar aus lydischer Sicht als der mächtigste Staat von Hellas. Um 550 v.Chr. hatte es einen rigorosen Wechsel seiner Verfassung vorgenommen, die zum Hoplitenstaat führen sollte. Die neue Verfassung wurde dem legendären Lykurgos (historisch vielleicht eine Person des 9. Jh. v.Chr.) zugeschrieben, der dies mit einer von Delphi empfangenen oder sanktionierten Verfassungsurkunde, der sog. Großen Rhetra, ins Werk gesetzt habe.²⁴⁵ Sparta war im 6. Jh. v.Chr. noch keine ausschließlich auf die Peloponnesos fixierte Landmacht, wenngleich der Aufbau des Peloponnesischen Bundes gerade in diese Zeit der Reformen um 550 v.Chr. seinen Anfang nimmt. Es unterhielt zur Zeit des Kroisos eine Flotte, die zwar nicht ständig seegängig war, wie später die attische, die aber immerhin kurzfristig einsatzbereit gemacht werden und Soldaten in einer dem Bündnisfall entsprechend großen Zahl an Bord
Das „formal political credo“ (Harvey [1966], 255) des demokratischen Athen lautete: Erst nach Vertreibung der Tyrannen sei Athen stark geworden. Mit der Wahrheit muss das nichts zu tun haben (Hdt. 5,78). Die Forschung setzte ein mit Ehrenberg (1925) und geht bis heute unvermindert weiter; s. den Sammelband Luther/Meier/Thommen (2006) mit Aufsätzen von L. Thommen und K.-W. Welwei, sowie Thommen (2003).
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nehmen konnte (vgl. Hdt. 1,83). Hauptgrund für die Wahl Spartas mag gewesen sein, dass der Blick des lydischen Königs mehr und mehr auf Kappadokien gezogen und ihm bewusst wurde, dass sein Heerwesen, der lydischen Verfassungsund Sozialordnung entsprechend, hauptsächlich auf die Reiterei ausgelegt war. Assyrer, Babylonier sowie die saitischen Pharaonen griffen in diesen Jahren dagegen wieder verstärkt auf Bodentruppen zurück, in Ägypten nicht nur zum Schutz seiner Grenzen. Ihm kann auch nicht verborgen geblieben sein, dass Kyros über gut gedrillte Fußsoldaten verfügte. Was Kroisos dringend brauchte, waren Gepanzerte nach Art eines Goliat,²⁴⁶ wie sie in höchster Qualität nur Sparta in seinen Hopliten besaß. Von dort erbat Kroisos denn auch ein Kampfbündnis (symmachia), dessen Hegemon er ohne Zweifel war.²⁴⁷ Die Hethiter haben ein Beispiel dafür geliefert, wie man ein Großreich auf dem Fundament bilateraler Bündnisverträge errichten kann. Nach Abschluss von Vorverhandlungen schickte Kroisos Bevollmächtigte nach Sparta. Und diese schworen Eide zu Gastfreundschaft und zu Bundesgenossenschaft (Hdt. 1,69 – 70,1).²⁴⁸ Nach herodoteischer Abfolge hatte Kroisos bei seinen Nachforschungen, welcher griechische Staat der mächtigste sei, zuerst auf Athen gesetzt. Solon und Peisistratos waren die Schlüsselfiguren der athenischen Politik jener Jahre, beide miteinander eng verwandt.²⁴⁹ Von Kontakten zwischen beiden Männern ist nur andeutungsweise bei späteren Autoren die Rede, so erfahren wir etwa aus Plutarch, dass Peisistratos am meisten Gehör dem Solon zu geben schien, allerdings erst nach Abschluss von dessen Reise (Plut. Sol. 29). In einem Briefroman über die Sieben Weisen (wohl noch aus hellenistischer Zeit) wird sowohl ihre Feindschaft als auch ihre Versöhnungsbereitschaft herausgestellt (Diog. L. 1,53; 64). Ohne in dieser Sache Sicherheit zu gewinnen, fragt man sich: Könnte Kroisos versucht haben, im Gespräch mit Solon dieses auf Peisistratos und dessen Ägäis-Politik,
Der Riese Goliat (1 Sam 17,49) sei kein bronzezeitlicher Recke der Philister aus der „Seevölkerzeit“ gewesen, sondern ein griechischer Söldner des 7. Jh. v.Chr. in ägyptischen Diensten und in homerische Rüstung gesteckt, so Finkelstein/Silberman (2006), 174– 177 (eine „Homerische Schlacht“). Dagegen hat Singer (2013), 20 in plausibler Weise eingewendet, dass es schon im mykenischen Griechenland solche voll gerüsteten „Goliats“ gegeben habe, wofür er auf den Fund von Dendra in der Argolis verweist. Für weitgehende Historizität dessen, wenn auch mit einer ganz andren Sichtweise, tritt nun Leloux (2014) ein. Baltrusch (1994), 8; 32. Legendär ist das Gastmahl der Sieben Weisen mit Kroisos (Diod. 9,25 – 27) für Snell (1971), 44– 61; vgl. Fehling (1985). Dass es ein Zusammentreffen des Kroisos selbst mit dem Skythen Anacharsis (Diod. 9,26) gegeben haben muss, ist nicht zu bezweifeln, wenn man die Schwarzmeer-Kolonisation der Lyder und den Basishafen Kyzikos, wo sich Anacharsis längere Zeit aufhielt, in den Blick nimmt.
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vor allem im Bereich der Meerengen, einem neuralgischen Punkt des lydischen Reiches, hinzulenken? Durch seine spektakulären Flottenbaupläne zeigt Kroisos doch an, dass auch er in der Ägäis Interessen verfolgte. Athen, das keine nennenswerte staatliche Flotte unterhielt – vielleicht fuhr nur das berühmte AvisoSchiff namens Paralos unter athenischer Flagge –, war auf die Schiffe angewiesen, über die allein die adligen Häuser Athens verfügten. Inwieweit Solon bzw. Peisistratos private Boote verstaatlichen konnten, ist schwer zu sagen. Die Inbesitznahme der Insel Salamis, an der Solon und Peisistratos, jeder seiner Position entsprechend, aber beide mit patriotischer Begeisterung beteiligt waren, setzte allerdings die Verfügungsgewalt des Staates über diese Boote voraus. Die maritimen Aktivitäten setzten sich fort mit der Entsendung Miltiades’ d.Ä. auf die Thrakische Chersones (561/0 v.Chr.), die nur dank guter Beziehungen zu Kroisos und dessen Interventionsbereitschaft gegen die Thraker gehalten werden konnte (Hdt. 6,37), ferner durch die rituelle Reinigung von Delos durch Peisistratos, des Weiteren durch die Rückführung des Tyrannen Lygdamis nach Naxos sowie schließlich durch Bestrebungen, Sigeion (nördlich von Troia, unmittelbar an der Einfahrt in den Hellesponts gelegen) zu erwerben bzw. von Mytilene²⁵⁰ zurückzuerobern. Dies alles zusammengenommen darf nicht zu der Annahme verleiten, damit seien die Grund- und Eckbausteine für ein künftiges Seereich gelegt worden; Athen war damals noch nicht einmal Herr im Saronischen Golf, den noch Pindar Dorieus pontos, einen dorischen Meeresteil, nennt (paian. 6,123 Bowra). Es ist für diese spätarchaische Zeit nur schwer vorstellbar, dass selbst ein Kopf wie Peisistratos auch nur ein ägäisches Konzept hätte entwerfen können.²⁵¹ Ein solches setzt doch wohl Erfahrungen voraus, wie sie erst in und seit den Perserkriegen gemacht werden konnten. Wenn man die vereinzelten Operationen der Athener deswegen auch nicht mit der attischen Seebundpolitik knapp 100 Jahre später vergleichen kann, so mag es doch für ein Gespräch zwischen Solon und Kroisos zwecks Aufnahme von Bündnisverhandlungen an Gründen und Anlässen nicht gefehlt haben. Beide Parteien hätten Nutzen aus dem Bündnis ziehen können. Kroisos musste der kräftezehrenden Schwarzmeer-Kolonisation wegen, die zum überwiegenden Teil auf den Schultern Milets und Ioniens lastete, neue griechische Verbündete hinzugewinnen, von denen man im Voraus annehmen konnte, dass sie besonders mit Milet gut ko-
In einem der Kämpfe um Sigeion hat Alkaios seine Wehr verloren: „Im Glaukopion (= ein Athena-Tempel in Athen) hängten als Weihung sie auf Männer aus Attika“ (F401 Voigt). Nicht mehr haltbar ist die gegen Berve (1937) gerichtete Meinung, die sich wie folgt zusammenfassen lässt: Der Machtwille des Peisistratos habe Athen „auf die Bahn der Expansion gedrängt“. „Seine überseeische Politik“ sei untrennbar mit dem Aufschwung des Handels und mit der Ausbreitung der Münzgeldwirtschaft verbunden, so Bengtson (1977), 137.
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operieren würden. Daran ließen die Athener als Verwandte der Ionier offenbar keinen Zweifel aufkommen. Was Kroisos aber vor allem dazu bewogen haben dürfte, Athen in das lydische Bündnissystem einzubinden, war wohl die Erkenntnis, dass Athen eine „archaische Großpolis“ (K.-W. Welwei) zu werden drohte, die in steigendem Maße dauerhaft versorgt werden musste. Da wären Konflikte vorstellbar gewesen. Ob Athen bereits Ziele zur „Schaffung eines einheitlichen Machtkomplexes“ im Bereich der Meerengen verfolgte, wie das V. Ehrenberg annahm, bleibt weiterhin eher unwahrscheinlich.²⁵² Die Ägäis und ihre Inseln als einen Tagesordnungspunkt für den Besuch des Solon zu postulieren, ist natürlich vorerst nicht mehr als eine Möglichkeit.
Schatzhausführung in Jerusalem Die Aufgabe wird es deshalb sein, den Nachweis dafür zu liefern, dass das Schatzhaus wirklich im Rahmen von Diplomatie und Bündnispolitik zu sehen ist. Aus der griechischen Literatur ist uns kein weiteres Beispiel einer Schatzhausführung bekannt. Sollte Herodot die ganze Geschichte vom Schatzhaus eigens für unsere Novelle erfunden haben? Die ägyptischen und assyrisch-babylonischen Quellen ergeben hier nichts, wohl aber die hethitischen. In dem schon erwähnten Brief Puduhepas (ÄHK Nr. 105), der zu einer Gruppe von Briefen gehört, die mit den umständlichen Hochzeitsvorbereitungen für ihre älteste Tochter befasst sind, schreibt sie dem Pharao Ramses II., dem Bräutigam, der auf die Mitgift zu schielen schien: „Wie du, mein Bruder, das Siegelhaus des Landes Hattusa kennst (zu kennen glaubst), kenne ich es nicht, denn das Schatzhaus ist ein abgebranntes Haus“.²⁵³ Dass Ramses nicht selbst das Schatzhaus in Augenschein genommen hatte, sondern sich von seinem Gesandten darüber informieren lassen hatte, versteht sich. Die Gier nach Edelmetallen – deutliche Beispiele für Bettelbriefe um Gold bietet die Amarna-Korrespondenz (ca. 1400 – 1300 v.Chr.) – offenbart die stark eingeschränkte Autarkie der Einzelstaaten. Kein Land besitzt alles, was es braucht; vielmehr hat es das eine und entbehrt das andere, so auch der Mensch,
Ehrenberg (1965, zuerst 1939), 230, der sich hier kritisch mit H. Berve auseinandersetzt, der von privaten Eroberungsunternehmungen adliger attischer Häuser ausgeht, hat natürlich als Endzustand vor allem die Zeit um 513 v.Chr. im Sinn, die Zeit der Peisistratiden, als Lemnos und Imbros noch dazu erobert wurden. Vielleicht spricht man besser von „Entfaltung“ statt „Schaffung“. KUB XXI 38 Vs. 10′ = ÄHK Nr. 105 (S. 216 – 217) und Komm. ÄHK Bd. 2 (S. 328 f.) zum É KUR URU HATTI (É = É NA4KIŠIB ‚Siegelhaus‘), s. auch Starke (1990), 459 Anm. 1670.
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sagt Solon zu Kroisos, geradezu in Form eines typischen Weisheitsspruches (Hdt. 1,32,8).²⁵⁴ Entsprechend verlief die Geschichte im Vorderen Orient. Zwar war auch hier kein Reich, kein Staat für sich genommen autark, aber der Vordere Orient als Ganzes bot alles, was der Mensch zur Verwirklichung einer Zivilisation brauchte. Das geschah seit dem 15. Jh. v.Chr. mehr und mehr auf Grundlage von Staatsverträgen. Dadurch wurde der Vordere Orient nicht nur ein Raum des Güterund Kulturaustausches, sondern vielleicht sogar zu einem einzigen Rechtsraum, was die Stabilität der spätbronzezeitlichen Staatenwelt erklären könnte. An dem Drang nach Gold und Silber hat sich auch in der Eisenzeit nichts geändert. Hier soll versucht werden, das lydische Schatzhaus, das schon von Herodot eher als funktionsloses Zubehör eines orientalischen Palastes gesehen und deshalb auch von der modernen Forschung nicht weiter beachtet wurde, in den Vollzug staatlicher Handlungen einzubetten. Eine unsere These stützende Parallele findet sich im Buch des Propheten Jesaja (dem sog. Assyrischen Zyklus entnommen, Jes 36 – 39): Damals (gemeint ist das Jahr 710 oder 705/4 v.Chr.) sandte Merodach-Baladan (= bab. Marduk-apla-iddina II.), der König von Babel (gr. Babylon), einen Brief und Geschenke an (den König) Hiskia, da er gehört hatte, dass er krank und nun wieder genesen sei. Hiskia freute sich darüber und zeigte dem Gesandten sein Schatzhaus, das Silber und das Gold, den Balsam, das beste Öl und sein ganzes Waffenlager und alle anderen Schätze, die er besaß. Danach kam der Prophet Jesaja zu König Hiskia und fragte ihn: „Woher kamen diese Männer? … Was haben die Männer in deinem Hause gesehen?“ Hiskia antwortete: „Sie haben alles gesehen. Es gibt nichts in meinen Schatzkammern, das ich ihnen nicht gezeigt hätte.“ Da sagte Jesaja zu Hiskia: „Höre das Wort des Herrn: Siehe, es kommen Tage, an denen man alles, was in deinem Hause ist, alles, was deine Väter bis zum heutigen Tage angesammelt haben, nach Babel bringt, spricht der Herr.“ „… von deinen Söhnen wird man einige nehmen, und sie werden Eunuchen sein im Palast des Königs von Babel …“ (2 Kön 20,12– 19 = Jes 39,1– 8).²⁵⁵
Nach dem Jahr 722 hatte sich das Stadtgebiet des durch Weihrauchhandel reich gewordenen Jerusalems in Folge der Aufnahme von Flüchtlingen verdoppelt. Die Erzählung ist nicht aus einem Guss, sondern Ergebnis von Aktualisierungen einer Grundschrift und deren redaktioneller Überarbeitung. Diese beginnt mit dem Satz: „Siehe es kommen Tage …“ (Jes 39,6), und reflektiert eine historische Situation gut 100 Jahre später, wie sie in Jerusalem herrschte, bevor sich Nebuk-
Gr. autarkes ‚unabhängig‘, das Herodot für Staat und Einzelperson hier benutzt, kommt wohl nicht zufällig in LXX zuerst und vor allem im Sprüchebuch, und auch sonst nur in weisheitlicher Literatur vor. Jes 39 = 2 Kön 20,12– 19.
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adnezar dann zur endgültigen Eroberung der Stadt, zur Plünderung des Tempels und zur Exilierung der Bewohner entschloss (587 v.Chr.).²⁵⁶ Die Historizität der Grundschrift vom Besuch einer babylonischen Delegation in Jerusalem (2 Kön 20,12– 13 = Jes 39,1– 3) ist nie direkt bestritten worden; man hält die Existenz des Schatzhauses vielmehr für selbstverständlich. Als geschichtlicher Hintergrund ist zu vermuten, dass Merodach-Baladan wieder einmal mit einer assyrischen Militär-Offensive gegen Babylon rechnete. Er begab sich deshalb eiligst auf die Suche nach potenten Bundesgenossen, um eine antiassyrische Allianz zu schmieden, mit der er eine zweite, jetzt auch syro-palästinische Front aufbauen wollte. Aber das steht so nicht im masoretischen Text, auch nicht in LXX, sondern erst bei Flavius Josephus, der pass- und sachgerecht die Lücke im alttestamentlichen Text wieder geschlossen hat (Ios. ant. 10,30). Josephus wusste also noch, dass Schatzhausführungen im Dienst der hohen Diplomatie standen. Das stützt unsere These, dass auch die Schatzhausführung von Sardes im Zusammenhang mit Bündnisverhandlungen zu sehen ist. Hiskia nun konnte, nach dem Jesaja-Text, über Generationen hinweg akkumulierten Reichtum den Gesandten vor Augen führen. Hier gibt es wieder eine deutliche Parallele zu Kroisos. Dieser schenkte Delphi sowohl, was ihm oikeia ‚zu eigen‘ war als auch das, was „aus väterlichem Nachlass“ kam, nämlich ‚die Erstlingsgabe‘ (aparche), das sind besonders erlesene Stücke (Hdt. 1,92,2). Hiskia nun erreichte offenbar sein Ziel. Der Babylonier, von dem alle Initiative ausging und dem deshalb die Rolle eines Hegemon zukam, nahm den König von Juda als symmachos ‚Mitstreiter‘ und philos ‚Freund‘ in ein vertragliches Verhältnis auf. All das sind termini technici, die wir dem gängigen Formular des griechischen Staatsvertrages entnommen haben, halten sie aber für nicht unpassend. Der babylonische König, der hier Baladas geschrieben wird, bekam zum Dank auch noch wertvolle Steine und vor allem Gold zum Geschenk zugeleitet.²⁵⁷ Wofür? Hoffte Hiskia, im Bündnis mit Babylon dem assyrischen Druck auf die Länder der südlichen syro-palästinischen Landbrücke, die nach Ägypten hinüber leitete, besser widerstehen zu können? Wir wissen leider nicht, was er sich von dieser Allianz konkret versprochen hat. Die
Hardmeier (1990), 454 f.; 457, nach dem die zeitliche Abfolge von Jes 36 – 39 geradezu auf den Kopf gestellt ist. Der Schatzhausbesuch gehöre historisch vor die Belagerung Jerusalems 701 v.Chr. (Jes 36 – 37). Aber das sind Fragen an den Endredaktor des Großjesaja-Buches, um die Überleitung zu „Deutero-Jesaja“ mit der Schatzhausgeschichte wirkungsvoller, vielleicht dramatischer, gestalten zu können. Das berührt nicht das Problem der Historizität. Ähnliche Kompositionsprinzipien, die Fragen nach der Chronologie vorübergehend außer Kraft setzen, kommen etwa auch in den assyrischen Annalen zur Geltung. Von Geschenken, die für Baladas bestimmt sind, weiß der masoretische Text allerdings nichts.
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ganze Geschichte endete schließlich 701 v.Chr. für Juda in einer Katastrophe, und die Bewohner Jerusalems konnten noch einmal vom Glück reden, dass Sanherib aus hier nicht zu erörternden Gründen die Belagerung der Stadt abbrechen und deshalb von der Deportation Abstand nehmen musste, die nach assyrischer Doktrin jetzt eigentlich fällig gewesen wäre. Dieser zog also ab, allerdings, nicht ohne sich vorher alles Silber und Gold der Schatzhäuser aushändigen zu lassen (2 Kön 18,13 – 16). Auf die Assyrer hatte das Schatzhaus in Jerusalem, dessen reiche Füllung ihnen längst zu Ohren gekommen sein dürfte, also eine ganz andere Wirkung ausgeübt, als dies ursprünglich wohl einmal intendiert war. An bildlichen Darstellungen – generell gab es nur wenige, und unter ihnen wenige erfreuliche Themenkreise – in den Palästen von Kalchu (Nimrud) und Dūr-Šarrukīn (Horsabad), die den Abtransport der Beute mit aller Liebe zum Detail beschreiben, konnten die Könige nicht genug bekommen. Anstatt sein Abschreckungspotential zu entfalten, fachte das Schatzhaus umgekehrt die unstillbare Gier der Assyrer nach Beute an, die vor allem in Form von Edelmetallen gesucht wurde. Der Militärapparat Assyriens stand ganz im Dienst der Beschaffungspolitik dieses Raubstaates. Das Schatzhaus des Kroisos übte wohl ebenfalls diese keinesfalls beabsichtigte, geradezu magische Anziehungskraft aus, jetzt auf die Perser, die ohne feine Lebensart (habron) und ohne irgendwelchen Reichtum (agathon) wären (Hdt. 1,71). Aber im Unterschied zu Sanherib, der doch wohl die Beute aus Jerusalem in geschlossener Form in die assyrischen Schatzhäuser transferierte, ließ Kyros seine Soldaten in das sardische Schatzhaus zum Beutemachen eindringen, jedenfalls bis zu dem Augenblick, als Kroisos dem Perserkönig klarmachte, dass es notwendig sei, entschlossenen gegen die Plünderer vorzugehen, denn anders könne man jene nicht bezeichnen (Hdt. 1,88 – 89). Hier mag Überzeichnung im Spiele sein. So hat Kyros etwas früher die medischen Schätze von Ekbatana geplündert, Gold und Silber, wie wir aus der Nabonid-Chronik erfahren. Dennoch ist anzunehmen, dass Kyros zu diesem Zeitpunkt seiner Herrschaft auch sonst wenig über die gültigen Spielregeln des Vorderen Orient wusste, so war ihm ja auch die guerre en forme fremd, wie die Art seiner Kriegführung gezeigt hatte. Ebenso wenig war ihm vielleicht auch der Wert eines Schatzhauses bewusst, auch nicht, dass ein reicher Herrscher sich mit dessen Hilfe starke Bundesgenossen leisten konnte.
Das Schatzhaus und die Erfindung der Münze durch die Lyder Die Münzprägung ist keine ad hoc-Erfindung, um Bedürfnisse des praktischen Lebens zu befriedigen, sondern als das Ergebnis eines Jahrhunderte dauernden Prozesses anzusehen, der auch nicht gradlinig verlief, ältere Formen nicht ver-
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drängte, nicht einmal unbedingt mit ihnen konkurrieren musste, der aber nachweisbar im Vorderen Orient entscheidende Stationen durchlaufen musste bis hin zu den Lydern.²⁵⁸ Die meisten modernen Arbeiten, die nach den Motiven der Lyder bei der Erfindung der Münze fragen, nehmen ihren Ausgang von den Griechen und ihrer Art, Metallprägungen zu verwenden. Das ist eine Blickrichtung, die von einem späteren auf einen früheren Verwendungszweck schließen will, was methodisch bedenklich ist. Denn wer kann ausschließen, dass die Intention der Griechen eine andere war als die der Lyder? Hier dagegen sollen die Lyder einmal strikt als Endpunkt einer langen vorderorientalischen „Geldgeschichte“ in den Blick genommen werden,²⁵⁹ und zwar nicht so sehr auf die technische Seite der Münzprägung fixiert, als vielmehr auf die kulturgeschichtlichen Aspekte konzentriert. Die Münzprägung setzt, wie gesagt, eine lange, wenig zielgesteuerte Entwicklung voraus. Die Erfindung, Metall zu prägen, ist zwar gewaltig in ihren Auswirkungen, muss aber nicht unbedingt als revolutionär in ihren dahinter stehenden Intentionen angesehen werden. Denn nur wenn ein Quantum Zufall im Spiel zugelassen wird, erklärt sich, warum Babylonien mit seiner über Jahrhunderte hin praktizierten Geldwirtschaft nie zur Münzprägung gelangte, und warum Assyrien zwar kurz davor zu stehen schien, aber den letzten kleinen Schritt nicht vollzog. Man spricht heute allgemein und geläufig von der Münzprägung, die die Lyder erfunden hätten. Wir werden sehen, dass es vielleicht korrekter wäre, von Metallprägung statt von Münzprägung zu sprechen, und auch nicht von spontaner Erfindung, sondern von einer, die einen über längere Zeit erreichten, hohen Entwicklungsstand zur Voraussetzung hatte. In einem solchen Prozess nun spielte, wie wir zeigen wollen, das Schatzhaus eine Rolle, vielleicht sogar die entscheidende. Zunächst stellt sich die Frage, in welchen Traditionen genauer das lydische Schatzhaus zu sehen ist. Eine Vorratskammer (thalamos patros) trifft man im 10./ 9. Jh. v.Chr. (nach M.I. Finley) im großbäuerlichen Wohnhaus des Odysseus auf Ithaka an. Ihre Beschreibung weckt beim Leser den Eindruck, als handle es sich um einen Kolonialwarenladen, so gefüllt war sie mit gemischten Beständen; an erster Stelle genannt wird natürlich Gold und, besonders betont, Eisen, dann aber
Umfassend ist Bogaert (1976) zu Ägypten, Babylonien und Israel, Chantraine (1967) zu Griechenland und Rom. Grundlegend im Methodischen ist Renger (1995), der auf K. Polanyi aufbaut, die Geldgeschichte Mesopotamiens bis zu den Seleukiden darstellt und das Geld in vier Geldfunktionen, darunter „Tauschmittel“ und „Tauschvermittler“, gliedert und diese jeweils definiert sowie Palast und Tempel als „institutionelle Haushalte“ fasst. Im RlA finden sich unter den Lemmata „Maße und Gewichte“, „Metalle“, „Siegel“, „Silber“ eine Menge Angaben von ganz unterschiedlichem Wert, die in ihrer wenig systematischen Präsentation nur zu einem Bruchteil in diesem Kapitel verarbeitet werden konnten.
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neben Kleidern und Waffen auch Öl, Wein und Gerste (Od. 2,337– 356; 21,8 – 62). Das ist eine andere Welt, in eine solche führte man keine Besucher. Der Eindruck von Rückständigkeit kommt aber nur dann auf, wenn man die Vorratskammer mit den Schatzhäusern der Hethiter vergleicht, wo Buchungsvorgänge beim Eingang von Abgaben, so z. B. aus der Stadt Ankuwa,²⁶⁰ nämlich Stoffe und Textilien, unter Anweisung der Königin zunächst schnell, vielleicht flüchtig, auf Holztafeln (gulzattar) vorgenommen wurden, bis sie dann in Form von Inventaren auf Tontafeln verewigt wurden.²⁶¹ Das altorientalische, königliche Schatzhaus des 1. Jt. v.Chr. bewahrte zwar auch weiterhin gemischte Bestände auf, aber die Metalle dürften seinen eigentlichen Reichtum ausgemacht haben. Im Gilgamesch-Epos haben wir einen vollständigen Bestandskatalog des Eanna-Tempels von Uruk. Einleitend heißt es: „… erhob sich Gilgamesch und trat ein in sein Schatzhaus. Er erbrach dessen Siegel, er nahm (zuerst) den Schmuck in Augenschein …“ (Tafel 8,92– 132). Dann ist in vielen Variationen von Gold und von goldverzierten Geräten die Rede, darunter Prunkwaffen, so von einer Keule. In dem Tempel des urartäischen Reichsgottes Haldi zu Muṣāṣir, dessen Schatzkammer Sargon II. 714 v.Chr. ausräumte und das erbeutete Gut Stück für Stück in Inventarlisten eintragen ließ (TCL 3 1,368 – 404),²⁶² waren folgende Gegenstände thesauriert gewesen (in Auswahl): „Schilde aus Gold, aus deren Innerem Köpfe wilder Löwen hervorkommen“, eine große Anzahl silberner Waffen, darunter wieder Schilde, ein goldenes Schwert, dann Geräte aus Silber und reinem Gold, wie z. B. Kessel und Ständer. Interessant ist dann die Nennung von „393 Silberschalen, schweren und leichten, Erzeugnisse aus Assyrien, Urartu und Ḫabḫu“ (Z. 383). Das mag, wenngleich in viel kleinerem Maßstab, auch auf das homerische Troia des Königs Priamos zutreffen, von dem z. B. gesagt wird, dass seine Schatzkammer (thalamos) „zahlreiche Glanzstücke“ (glenea polla, Hom. Il. 24,192) umfasste. Hier werden außer Edelmetallen noch Gewänder und Mäntel genannt, allerdings keine Naturalien wie auf Ithaka (Hom. Il. 24,229 – 230). Das Kulturgefälle zwischen Westanatolien und dem griechischen Festland ist offenkundig. Aber nicht nur der König, sondern auch andere Troianer horteten ihre Schätze. So sagt ein gewisser Adrastos, dass viele ‚Kleinodien‘ (keimelia) im Hause seines Vaters lägen: Erz, Gold und gutgeschmiedetes Eisen
Heute Alişar, an der Straße von Hattusa nach Nesa gelegen. Letzten Endes führte diese Straße weiter nach Karkamis; s. die Karte in Teil 6. IBoT I 31, s. Košak (1982), 4 ff.; erläutert werden diese Vorgänge durch die Behandlung bei Starke (1990), §271 zum Wort gulzattar/gulzattn-* (S. 457– 461). Weidner (1937/1939); vgl. Salvini (1995), 96 f.
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(Hom. Il. 6,45 – 47).²⁶³ Ihr Gebrauchswert ist nicht zu unterschätzen. Aber in erster Linie sollten sie zum Ausdruck bringen, welches Prestige sein Besitzer genoss, und dass dieser sich anbot, Bindungen mit noch mächtigeren Standesgenossen einzugehen. Interessant ist nun aber vor allem die Nachricht, dass Priamos neben kostbaren Gewändern „ganze 10 Talente von Gold abwog“ (Hom. Il. 24,232) und der Schatzkammer (ek thalamou, 24,275) entnahm, gedacht als Lösegeld für Achilleus (24,232). Ein episema ‚Eigentumsvermerk‘, sei es durch Ritzung, sei es durch Prägung, scheinen diese Goldstücke/Goldbarren nicht bekommen zu haben.²⁶⁴ Man sollte die Verhältnisse in Westanatolien nach dem Untergang Hattusas nicht primitiv nennen, nur weil Gold immer noch gewogen wurde. Denn auch in Babylonien wurden Metallstücke oder -drähte, die allerdings noch keine reine Geldfunktion hatten und fast ausschließlich aus Silber waren – Gold ist meistens Schatzgold –, immer noch, wie seit Jahrhunderten, gewogen. Für die Reinheit des Hacksilbers bürgte hier allein der gute Name. Diese Art von Geld zirkulierte denn auch nur im Kreis derer, die sich persönlich kannten, so z. B. unter den „Bürgern“ Babylons. Denn Geld war Vertrauenssache und blieb es lange Zeit. Sollte der Geltungsbereich über diesen Kreis hinaus erweitert werden, musste eine Körperschaft, hier die Stadt, als urbs moneta, in Aktion treten. Durch einen Eigentumsvermerk garantierte sie Gewicht und Reinheit des Metallstücks. Das war in Westanatolien erst mit der Elektronprägung durch die Lyder um 630 v.Chr. gegeben.²⁶⁵ Wenn also vor den Lydern noch keine Metalle geprägt wurden, dann stellt sich die Frage, ob vielleicht in der mit der Metallprägung verwandten, aber sehr viel älteren Siegelpraxis die Erklärung dafür liegt, warum die Lyder etwas taten, auf das die Assyrer noch nicht gekommen waren. Es ist also zu untersuchen, ob sich zwischen der Praxis des Siegelns, die bis in prähistorische Zeiten zurückreicht, und dem neuartigen Prägen ein Zusammenhang herstellen lässt.²⁶⁶ Wir
Zu keimelia vgl. den anregenden Aufsatz von Fischer (1973), bes. 446 f.; anders und nicht weniger anregend jetzt auch Janda (2014b), 497– 512. Nicht anders dachte man sich die Besitztümer (ktemata) im Palast (en domois) aufbewahrt, so im ägyptischen Theben (Hom. Il. 9,382; vgl. Od. 4,127). Einen Unterschied zwischen Troia und Theben auf der einen Seite und den „Häusern“= Palast des Odysseus mit seinen Schätzen (Od. 15,11) in Ithaka auf der anderen macht Homer hier offensichtlich nicht. Von den domoi des Alyattes in Sardes, in denen die ktemata einst gelagert waren, spricht ganz unspezifisch Bakchyl. epin. 3,40 – 41 (‚Siegeslied‘ auf Hieron von Syrakus [468 v.Chr.]). So wurden durch die Prägung dem Gewichtsverlust etwa durch Abfeilen in betrügerischer Absicht gewisse Grenzen gesetzt, so von Soden (1992), 116 ff. Sehr bescheiden, fast als sei es nebensächlich oder längst bekannt, bringt P. Frei, in: Marek (2010), 158 f. Siegel und Münze miteinander in Verbindung.
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verweisen in dieser Sache bereits hier auf ein 1995 in Troia gefundenes Siegel mit hieroglyphen-luwischer Schrift, das in die Zeit vor 1100 v.Chr. datiert wird, und somit als Zeugnis für ein hohes Maß an Staatlichkeit in Anatolien selbst noch nach dem Untergang des Hethiterreiches gelten kann.²⁶⁷ Stellen wir aber die das Siegel und die Praxis des Siegelns betreffenden Fragen noch einmal zurück und wenden uns zunächst den leitenden Motiven zu. Diese haben die Forschung immer am meisten interessiert. Eine Lösung dieser Frage steht noch aus. Herodot berichtet an der entscheidenden Stelle (1,94,1) folgendes: Πρῶτοι δὲ ἀνθρώπων τῶν ἡμεῖς ἴδμεν νόμισμα χρυσοῦ καὶ ἀργύρου κοψάμενοι ἐχρήσαντο, πρῶτοι δὲ καὶ κάπηλοι ἐγένοντο (Protoi de anthropon ton hemeis idmen nomisma chrysou kai argyrou kopsamenoi echresanto, protoi de kai kapeloi egenonto). Als die ersten der Menschen, von denen wir wissen, haben sie (sc. die Lyder) nomisma („staatliche Münzen“)²⁶⁸ aus Gold und Silber geprägt und in Gebrauch genommen, als erste sind sie auch Kleinhändler (kapeloi) gewesen.
Dazu ist zunächst zu sagen, dass es natürlich auch schon vor der Erfindung des Münzgeldes durch die Lyder Kaufleute gab. Aber in dem Moment, als sie das Geld erfunden hatten, entstand zwangsläufig ein neuer Typ von Kaufleuten, der nicht mehr große Mengen von Tauschwaren mitführen musste, sondern mobil war. Und wirklich bezeichnet kapelos im Gegensatz zum ab Homer bezeugten Wort emporos ‚Kaufmann‘ gerade den Kleinhändler, also den mobilen Krämer, wie man ihn noch heute im Orient überall findet. So hat es auch Herodot gemeint; die Wiedergabe durch „Händler“ in den meisten Übersetzungen ist also unzutreffend. Zusammen mit sachlichen Neuerungen werden bekanntlich oft auch deren Bezeichnungen entlehnt. Wenden wir uns daher zunächst kurz dem Wort selbst zu. Wer anatolische Sprachen kennt, der wird, wenn er ein mit kap- beginnendes Wort mit der Bedeutung ‚Händler‘ sieht, sofort an die altanatolische Wurzel hap- ‚Handel treiben‘ denken, wie sie z. B. in hethitisch hāppar ‚Kauf(preis)‘ vorliegt. Deshalb dürfte kapelos ein Lehnwort aus dem Lydischen sein. Diese Feststellung ist natürlich auch für die Geschichte des Handels im archaischen Griechenland von Bedeutung. Hawkins/Easton (1996). Ein zweites Siegel wurde auf dem Bademgediği Tepe gefunden; der antike Ort hieß heth. Puranda; publiziert wurde das Siegel von Schachner/Meriç (2000). Puranda wurde 1316/15 v.Chr. von Mursili II. im Zuge der Feldzüge gegen das Land Arzawa erobert. Diese werden beschrieben in den „Ausführlichen Annalen“ und in den „Zehnjahr-Annalen“, s. Goetze (1933), 62 ff. Die Bezeichnung nomisma wird von Aristoteles damit begründet, dass die zugehörige Sache nicht in der Natur vorkommt, sondern Konvention ist und vom Staat festgelegt wurde (eth. Nic. 5,8 [1133a29 – 30]).
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Zur formalen Seite des hinter kapelos verborgenen lydischen Wortes sei hier nur angemerkt, dass es sich gerade deshalb, weil eine Neuerfindung der Lyder im Spiel ist, um ein echtes lydisches Wort handeln dürfte.²⁶⁹ Es ist also nicht etwa aus dem Luwischen ins Lydische entlehnt worden. Da das Wort andererseits mit hethitisch hāppar ‚Kauf(preis)‘ verwandt ist, zeigt es, dass der lydische Laut k aus älterem h stammen kann.²⁷⁰ Auch der Name Kuka- (Gyges), der aus älterem *huh (h)a- stammt, bestätigt dies.²⁷¹ Die Gründe dafür, warum wir den Namen kuka- für echt lydisch und nicht aus dem Karischen oder Luwischen übernommen halten, sind an anderer Stelle dargelegt.²⁷² Deshalb ist auch kandaules ‚Herrscher‘ (s. Teil 1) wahrscheinlich echt lydisch und nicht aus dem Luwischen entlehnt. Man kann für das Lydische also die Wörter *kapala- ‚Krämer‘ und *kandawla- ‚Herrscher‘ voraussetzen.²⁷³ Die starke Verbreitung der lydisch *kapala- zugrunde liegenden Wurzel in den anatolischen Sprachen zeigen unter anderem auch die hethitischen Wörter happirii̭a- ‚Stadt, Stadtsiedlung‘, happinant- ‚reich‘ und happirii̭a- ‚Handel treiben‘ sowie lykisch epirije- ‚verkaufen‘²⁷⁴ und wahrscheinlich auch epri-‚aushändigen‘. Was die inhaltliche Seite betrifft,²⁷⁵ so hat die moderne Forschung zunächst an Kaufleute, Krämer im städtischen Bazar von Sardes, dann an Betreiber von Karawansereien und Karawanen²⁷⁶ gedacht, also an Fernkaufleute,²⁷⁷ kürzlich hat
Furnée (1972), 257 verglich kapelos bereits etymologisch mit heth. hāppar, wies das Wort aber dennoch einer vorgriechischen Substratsprache Griechenlands zu. Beekes (2010), 638 lehnt diese Etymologie implizit ab, weil er für kapelos de facto nicht-indogermanische Herkunft annimmt. Wahrscheinlich lautete das Wort im Lydischen *hapala- ‚Händler‘ und ist von einem thematischen Stamm *hapa- ‚Handel‘ mittels des Nomina agentis bildenden Suffixes -ala- abgeleitet (als Rekonstrukt ergibt sich: *h3op-o- + é-leh2). Zum Suffix vgl. Sasseville (2014/2015). Etymologisch ist die Wurzel mit lateinisch opus ‚Werk‘ verwandt. Zu lyd. Kuka- (= Gyges) s. Dale (2015). Oettinger (i. Vorb.), §4. Vgl. auch bereits Heubeck (1990), der sich in einer Rezension zu Gusmani (1986) skeptisch gegenüber der allgemein verbreiteten Ansicht, dass h2 und h3 im Anlaut des Lydischen schwinden, geäußert hatte. Nur im Luwischen und Lykischen ist das Wort als hūhabzw. xuga- in lautgesetzlicher Form erhalten; im Hethitischen (huhha‐), Lydischen (kuka‐), Karischen (quq) und Griechischen (Gyges) haben sich jeweils die beiden Konsonanten aneinander angeglichen. Als Appellativum bedeutet das Wort „Großvater“. Vgl. insgesamt Oettinger (i. Vorb.); dort wird auch die Göttin Hipte behandelt. Vgl. Melchert (1994a), 72 bzw. 98; ders. (2004a), 15 sowie Neumann/Tischler (2007), 60 f. Dass die Beurteilung der kapelos betreffenden Herodotstelle durch rein innergriechische Überlegungen nicht wesentlich gefördert werden kann, zeigt der Versuch Paradiso (2012), bes. 132– 137. Zu den Straßen durch Anatolien nach Syrien s. Radet (1893),158 f. et passim (leider meistens ohne Nennung der Quellen, was sich leicht erklären lässt: Es gibt keine!); vgl. Cavaignac (1956). Zu Gold und Geld der Lyder s. den Exkurs von Radet (1893), 155 – 169.
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man in ihnen sogar Bankiers sehen wollen.²⁷⁸ Die sprachlichen Argumente (kapelos) haben nun ergeben, dass es sich zunächst um mobile Kleinkaufleute gehandelt haben muss. Die Lyder haben also wirklich die Münze und damit das Geld im eigentlichen Sinne erfunden und auch in Umlauf gebracht, was man aus der Sicht dessen, was von ihrem Erbe bis heute Bestand hat, als ihre größte Leistung ansehen muss. Hinsichtlich der Datierung haben numismatisch-historische Arbeiten, insbesondere von R.A. Wallace (2006) und A. Dale (2015), neuerdings nachgewiesen, dass der Gebrauch von Münzen als Geld unter dem Lyderkönig Alyattes begonnen hat. Unter den frühesten Münzen findet sich nämlich die Aufschrift WALWET als Abkürzung des lydischen Namens *Walweta- (Alyattes). Sie zeigt, dass hier der König Alyattes den Wert des Geldes garantierte, die Münzen also für den Umlauf und nicht nur für die Aufbewahrung in königlichen Depots bestimmt waren. Damit sind frühere diesbezügliche Ansichten heute überholt. Unserer Vermutung nach ist auch das Bild des Löwen, das auch viele der nach Alyattes geprägten lydischen und milesischen Münzen ziert, auf Alyattes, der das Geld in die Welt setzte, bezogen. Sein Name *Walwe-ta- ist nämlich wahrscheinlich vom lydischen Wort für den Löwen, dessen Entsprechung im verwandten Luwischen als walwa/ierhalten ist, abgeleitet. Ebenso könnte übrigens unserer Meinung nach auch der Name von Alyattes’ Vorgänger Sadyattes (Hdt. 1,16) von der Bezeichnung eines Raubtiers abgeleitet sein. Er könnte nämlich auf lydischem *Sadweta- beruhen und von einem Wort *sadw(a)- abgeleitet sein. Als dessen Vorform kommt nach den Lautgesetzen des Lydischen ein Wort *sai̭u- in Frage. Im Hethitischen steht der Tiername sai̭u- in der Umgebung des Wortes für ‚Löwe‘.²⁷⁹ Eine Forschungsrichtung glaubt, dass nicht der Handel, sondern die Besoldung von Söldnern der Grund dafür gewesen sei, handliche, unverwüstliche Metallstücke zu prägen. Hierzu ist anzumerken, dass zuletzt, d. h. um 600 v.Chr., sowohl Nebukadnezar II.²⁸⁰ als auch die Pharaonen der XXVI. (saitischen) Dynastie unternehmungslustige Männer, die man meist missverständlich als Söldner bezeichnet, anwarben und ihrem Militär eingliederten; sie kamen vornehm-
Nenci (1990b), 301 ff. Das Wort kapelos wird meistens mit ‚Händler‘ oder ‚Krämer‘ übersetzt; s. Descat (1991), dessen These, dass die Lyder mit dem Geldwechsel zu staatlich verordneten Wechselkursen Geschäfte vor allem mit den Griechen gemacht hätten, erweckt den Eindruck, als habe er die finanzpolitischen Praktiken eines Ostblockstaates des 20. Jh. vor Augen. Hethitisch sāi̭u- „an animal?“: (CHD Š/1, 21). In der dem Wort vorausgehenden Zeile steht UR.MAḪ ‚Löwe‘, so dass sai̭u- ebenfalls die Bezeichnung eines Raubtiers sein könnte. Zur Entwicklung von i̭ zu lydisch d s. Melchert (1994b). Bedeutsam ist hier der Küstenort Meẓad Ḥashavyehu, dazu Eph’al (1983).
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lich aus Westkleinasien, in der Hauptsache waren sie ionischer und karischer Herkunft, also hochgeschätzte Untertanen bzw. Reichsangehörige. Diese können nicht mit Münzgeld besoldet worden sein, einfach deshalb, weil bis auf die Zeit der XXX. Dynastie in Ägypten keine Metalle geprägt wurden. Ein Beispiel für einen solchen Einzelkämpfer ist der Bruder des Alkaios, Antimenidas, aus Mytilene auf Lesbos. Dieser wurde wegen seiner Verdienste zum Schutz Babyloniens mit einem Prachtschwert, dessen Griff aus Elfenbein in Gold gefasst war, ausgezeichnet und belohnt (F350 Voigt/L.-P.). Mit denselben Materialien wie das Schwert des Lesbiers sind die Lanze und die Keule veredelt, die im Schatzhaus des Gilgamesch aufbewahrt werden und jetzt als Grabbeigaben für Enkidu ausersehen sind (Tafel 8,121– 124). Das führt uns zu der Annahme, dass das Schwert des Antimenidas aus dem Schatzhaus des Nebukadnezar in Babylon stammen könnte. Wir hören natürlich hier und auch sonst nirgendwo etwas von Soldzahlungen in Form von Münzen.²⁸¹ Die Besoldung mit Münzen hatte wohl Kroisos, dem wir schon mehrfach als Traditionsbrecher begegnet sind, für den lydischgriechischen Raum beiderseits der Ägäis geplant. Er wollte aber vermutlich keine Söldner, sondern die Unterstützung ganzer Staaten kaufen. Erst im 5./4. Jh. v.Chr. sollte das Söldnertum im großen Stil gängige Praxis werden. Die Belohnung fremder Kämpfer, die nicht lebenslänglich dienen wollten, spielte für die Lyder nur eine marginale Rolle und sollte nicht dazu verleiten, hierin die eigentliche Triebfeder für die Entwicklung des Münzgeldes zu sehen. Anders dürfte es sich beim Handel verhalten. Dass die Lyder erstmals in der Geschichte hierfür Geld verwendet haben, bedeutet natürlich nicht, dass sie ein überwiegend aus Händlern bestehendes Volk gewesen wären. Man kann die Phöniker vergleichen, die weithin als Händlervolk gelten, aber dennoch nicht überwiegend aus Kaufleuten, sondern wehrhaften Bürgern ihrer Städte bestanden, die auch Land bestellten.²⁸² Soweit sie Bootsbesitzer waren, betrieben sie auch Handel, wie dies nicht anders auch die Aigineten und Korinthier taten. Zu diesem Zeitpunkt (8./7. Jh. v.Chr.) waren die Phöniker allerdings bereits zu Fernhändlern aufgestiegen, viele von ihnen fanden als Spediteure im Auftrag der Assyrer ihr Auskommen, und zwar zu Wasser wie auch zu Lande, hier nämlich als Karawanenbetreiber zwischen Persischem Golf und dem Mittelmeer. Die Phöniker mussten lesen und schreiben können, um eine erträgliche, d. h. privilegierte Stellung in einem Meer von nivellierten Provinzen des assyrischen Territorialstaates einnehmen zu können. Die Buchungsvorgänge, die zunächst im Stück Die Söldnertheorie vertrat etwa Cook (1958); auch Payne/Wintjes (2016), 39 rechnen mit Söldnern aus dem griechischen Mutterland im Heer des Kroisos. Das hat sich bis zu Verg. Aen. 1,343 durchgehalten, wenn Sychaeus, der Gatte der Dido, als ditissimus agri Phoenicum, also der ackerreichste Phöniker, bezeichnet wird.
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gutverkehr, d. h. von Hafen zu Hafen, anfielen, müssen später im Fernverkehr in leicht verderblichen Kladden verzeichnet gewesen sein, deren Text wegen der Buchstabenform schreibtechnisch nicht auf Tontafeln übertragen werden konnte. Der Handel nicht nur der Lyder, sondern auch der Phöniker, auch wenn diese wenigstens einige Ostraka hinterlassen haben, sowie vieler anderer Staaten und Reiche, wie etwa Hattusa,²⁸³ ist aus diesem Grund der am schlechtesten dokumentierte Tätigkeitsbereich der vorderorientalischen Staaten. Auch eine vergleichende Untersuchung über die wirkliche Rolle des Schreibens beim Handel sowie die Tiefe der Durchdringung der Gesellschaft mit Schrift generell ist kaum möglich.²⁸⁴ Schreiben und Rechnen waren also auf jeden Fall für die Leute von Tyros wichtig, dagegen kam es ihnen nicht in den Sinn, ihre Handelsgeschäfte durch Münzgeld rationalisieren zu wollen. Festzuhalten ist hier nur folgendes: Nach unzähligen Arbeiten zu Münzprägung und Geldwirtschaft im Alten Orient steht heute fest, dass Herodot Recht hat:²⁸⁵ Die Lyder sind die Erfinder der Münzen und nicht, wie jüngst wieder einmal erwogen, die Assyrer.²⁸⁶ Frühe lydische Münzen sind aus Elektron gefertigt.²⁸⁷ Eine Münze mit der Aufschrift KUKALIM „(Ich bin) mir (-im) des Gyges“, wohl einem Rückverweis auf den Dynastiegründer Gyges, ergab eine Grabung im Jahr 1994 in Ephesos in einer Schicht, die auf 630 – 615
Aus dem Hethitischen kennen wir vor allem den Kaufmanns-Text KBo 12.42. Die Stelle col. III 1– 16 (Watkins [1979], 281) lautet: „Fülle (und) Überfluss halten wir bereit: Menschen führen wir reichlich mit; Großvieh (und) Kleinvieh, Pferde, Maultiere, Esel treiben wir reichlich. Auch Getreide (und) Wein halten wir reichlich bereit; auch Güter: Gold, Silber, Lapislazuli, Karneol, ‚Babylon-Stein‘, Bergkristall („DU8.ŠU-Stein“), Eisen, Kupfer, Zinn. Was auch immer an Gütern üblich ist, das halten wir reichlich bereit.“ Vgl. jetzt auch zahlreiche Artikel in dem von T. Howe herausgegebenen Band (2015). Wie groß die Dokumentationswut der Assyrer war, machen die vielen Bände (bis 2003 waren es 18) der „State Archives of Assyria“ (SAA, Helsinki) deutlich. Leider lassen sich Dokumente zum Handel auch hier schwer finden. Phönikien betreffend sind wir immerhin im Besitz eines Staatsvertrages zwischen Asarhaddon und Ba’al von Tyros (ca. 676 v.Chr.), der eigentlich ein Diktat ist und aus dem seiner Schroffheit wegen zitiert sei. In dem stark beschädigten Text, der zuletzt übersetzt und kommentiert wurde von Weippert (2010), 342 f., heißt es in Rs. col. III 6′: „Wenn der Kommissar (ass. qēpu), den ich über dich gesetzt habe…“; III 13′: „Und einen Brief, den ich dir sende, öffne nicht ohne Kommissar! Wenn er nicht da ist, warte, bis er kommt!“ Einen Vergleich zwischen den Staaten des Vorderen Orients und Griechenlands ermöglicht das Werk von Carr (2005). Auffällig ist, wie wenig wir über Griechenlands und Israels Schul-und Bildungssysteme wissen. Zur altorientalischen Geldgeschichte Renger (1995), der sich die Thesen K. Polanyis, wonach es weder einen Markt noch ein Profitstreben in der Antike gegeben habe, zu eigen macht. Fundamental entgegengesetzt argumentiert Powell (1999); vgl. ganz allgemein Howgego (2000). Radner (2002). Karwiese (1995).
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v.Chr. datiert wird. Dadurch verschiebt sich die Datierung des wichtigen Münzfundes im Artemision von Ephesos auf die Zeit vor 630 v.Chr.²⁸⁸ Dieser Fund im Artemision alleine wäre, ohne die übrigen Argumente, noch kein Beleg für Gebrauch im Handel, denn er könnte auch durch Thesaurierung erklärt werden generell die Funktion von Schatzhäusern haben konnten. So ist der Tempel der Athena Parthenos auf der Akropolis von Athen zur Zeit des Perikles als Schatzkammer Athens in Funktion, aber auch das ältere Burgheiligtum, Erechtheion, mit der der Athena Polias geweihten Stätte, diente diesem Zweck. Hier wurden etwa die aparchai „Erstlingsgaben“, gemeint ist ein Sechzigstel vom „Tribut“ der Bundesgenossen, zu harmlos wäre die Übersetzung „Steuer“, der Göttin geweiht.²⁸⁹ In seiner zweiten Rede vom Sommer 431 v.Chr., dem ersten Jahr des Peloponnesischen Krieges, äußerte sich Perikles schnörkellos wie folgt: „Und zur Hauptsache entscheide im Krieg Einsicht (gnome) und ein Überschuss an Geld“ (Thuk. 2,13,2). Der Höchststand in diesem Jahr: An gemünztem Silber hätten „nur 300 Talente auf 10.000 gefehlt“ (Thuk. 2,13,3).²⁹⁰ Wo liegt der Unterschied zum lydischen Schatzhaus? Doch wohl nicht darin, dass Kroisos von Amts wegen Tyrannos war, Perikles aber nur de facto. Der Münzhortfund vom Artemision in Ephesos hat wohl nichts damit zu tun, dass Kroisos Söldner aus Ephesos gekauft habe.²⁹¹ Vielmehr dürfte der Hort als geschlossene Weihegabe der Artemis von Ephesos gestiftet worden sein. Andererseits wird man ein so renommiertes Heiligtum, wie es das Artemision war, immer zugleich eine Bank nennen dürfen. Von Banken im eigentlichen Sinne kann in Griechenland nicht vor dem 4. Jh. v.Chr. gesprochen werden. In Babylonien dagegen spricht man in der Forschung von Bankhäusern und Bankiersfamlien, so das „Bankhaus“ der Familie Egibi im 7. Jh. v.Chr. mit grenzüber-
Vgl. zu dieser Datierung Dale (2015), bes. 159, der auch zeigen konnte, dass Alyattes schon zu dieser Zeit geherrscht haben dürfte, also eine lange Regierungszeit aufwies (ältere Diskussion bei Wallace [1987]) Vgl. jetzt auch Kerschner (2017) 56 – 61. Ungelöst ist das Problem, wie sich Elektron als Legierung zu den reinen Silberprägungen verhält. Man kann nur hoffen, dass die Türkei die Fortsetzung der österreichischen Grabungen in Ephesos bald genehmigt. Nesselhauf (1933), 2; 108. Aufgrund des Kontostandes von 431 v.Chr., der aus mehreren angegebenen Einzelposten sich zusammensetzt, konnte Kagan (2003), 60 – 63, errechnen, dass Perikles noch drei Jahre den Krieg hätte finanzieren können, s. auch Samons (1993). Kerschner (1997) datiert die Elektronprägungen in das letzte Drittel des 7. Jh. v.Chr., vgl. Karwiese (2001). Price (1989) meint (unter Verweis auf Wallace [1987]) keine Abnutzungsspuren feststellen zu können, was für unsere Annahme sprechen würde. Dass Kroisos ionische Söldner aus Ephesos in Dienst genommen habe, lässt sich nicht verifizieren und findet sich nur bei Nikolaos von Damaskos (FGrHist 90 F65).
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schreitenden Transaktionen.²⁹² Neben ihrem Kerngeschäft, der Kreditvergabe, bedienten sie noch andere Geschäftsbereiche. Für die Tempelbank in Ephesos kommt das Geschäft mit „Depositen“ in Betracht, die für immer oder vorübergehend hier eingelagert werden konnten, also auch mit hochwertigen, geprägten Metallen. Als ein eher ungewöhnliches Depositum hat Heraklit von Ephesos sein Buch „im Heiligtum der Artemis niedergelegt“ (Diog. L. 9,6). Freilich gab es in Ephesos immer schon reiche Männer, Kronprinzen zumal und reiche Tyrannen, die ihr Geld an einem mit der modernen Schweiz vergleichbaren, internationalen Bankenplatz vor Zugriff und Einsichtnahme in Verwahrung und Sicherheit wissen wollten. So trat in Ephesos ein gewisser Pythagoras (um 600 v.Chr.) in Erscheinung, von dem man sagte, dass sein immenser Reichtum klein zu nennen sei im Vergleich zu seiner um vieles größeren Bösartigkeit (Baton von Sinope FGrHist 268 F3). Seine Schandtaten kennen wir, erfahren aber nichts darüber, ob und wie er seine „Bankgeschäfte“ tätigte. Dasselbe gilt auch für Kroisos, der mit seinen Einlagen den Weg zum Thron finanzierte (vgl. Hdt. 1,92,2). In der römischen Kaiserzeit hatte das Artemision den Ruf, die „Bank von Asien“ zu sein (Ail. var. F48; 49; 88).²⁹³ Im Schatzhaus von Sardes wurden also „Münzen“ gehortet oder thesauriert. Hier konnten sie dann vermutlich auch von Solon als metrologischem Fachmann inspiziert und bewundert werden.²⁹⁴ Überhaupt dürfte er sich für die Neuerungen der Metropole Sardes, die auch im Schatzhaus ihren Niederschlag fanden, interessiert haben. Verallgemeinernd lässt sich mit U. Hölscher sagen: Nicht die „geheime Offenbarung“ wollten die frühen Griechen aus dem Alten Orient vernehmen, sondern seine „technische Nüchternheit“ beeindruckte sie.²⁹⁵ Trotz seiner überspitzten Aussage sei der Satz hier angeführt, weil er geeignet ist, falschen Mystifizierungen vorzubeugen.Was also Solon möglicherweise betrachtete, waren
Krecher (1970). Deutlicher tritt die Funktion des Artemision als Deposit-Bank in der Zeit Xenophons um 400 v.Chr. in Erscheinung (Xen. an. 5,3,5 – 6) Vgl. Hdt. 1,30. Hölscher (1968), 80 f. Ideologisch eingefärbt ist der Bannspruch Hölschers gegen „die Priester“, die alles Wissen im Vorderen Orient monopolisiert hätten. Der „Priester“ ist ein konstruierter Antipode zu den Aufklärern der westlichen Freiheitsgeschichte und allen, die meinen, sie bedienten sich nur ihres aufgeklärten Verstandes. Kümmel (1979), 147; Brinkman (1983), 232: „the term priest as such does not seem to exist in Akkadian“. Heller (2010), 113 f. fasst seine Beobachtungen so zusammen, dass in Assyrien und Babylonien wenig Priester auftauchen, dagegen viel Kultpersonal. Anders waren die Verhältnisse in Israel, wo ganze Priesterschaften existierten. Bei den Hethitern weist allein schon das außerordentlich häufige Vorkommen von LÚ SANGA (sankunni‐) ‚Priester‘ (Pecchioli Daddi [1982], 343 – 386) darauf hin, dass eine Priesterschaft existierte.
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Münzen, die bislang in keinem Schatzhaus der Welt in dieser Gleichförmigkeit und Reinheit zu sehen waren. Sie dienten hier vermutlich dem Zweck, puren Reichtum aufzeigen, und zwar in so abstrakter Form, dass er, in die Hand genommen, augenblicklich zu Geld werden konnte.²⁹⁶ Den Münzen aufgeprägt ist das Siegel des Eigentümers, nämlich des lydischen Königs, als Garantie für den Wert des Geldes. Die künstlerische Gestaltung des Münzbildes gehört der lydischionischen Kultur an; eine Trennung beider ist, wie auch sonst in der bildenden Kunst, nicht möglich. Wir kennen einen griechischen Fachmann, der sich auf Gold- und Silberarbeiten verstand, mit Namen Theodoros von Samos. Dieser hat zwei riesige krateres ‚Mischkrüge‘ hergestellt, die Kroisos nach Delphi stiftete, wo sie Herodot sah und mit höchstem Lob bedachte (Hdt. 1,51,2 – 3). Die Ionier stürzten sich geradezu auf solche spektakulären Aufträge, wie sie nur ein Monarch vergeben konnte, nicht aber die angestammte Polis mit ihren, was die Vergabe von Großaufträgen angeht, eher beschränkt denkenden Institutionen und entsprechend begrenzten Haushaltsmitteln. Durch die Prägung konnte Metall zum „Kreditgeld des Staates“ (F. Hultsch [1882]) gemacht werden.²⁹⁷ Dies hatte Alyattes, der Vorgänger von Kroisos, erkannt. Die Einführung der Münzen hatte entscheidenden Anteil an der Transformation von Reichtum zu Geld, wodurch Alyattes und nach ihm Kroisos mit einer altorientalischen Tradition brachen, wenn auch nicht so radikal, dass die Mentalität des Schatzhausbildners und die prägende Kraft des Schatzhauses verloren ging. Der Handel Lydiens und Ioniens wusste die Münzen wegen ihrer universalen Geldfunktion sofort zu schätzen, vor allem die Silberprägungen. Denn im Vorderen Orient war seit Jahrtausenden neben der Gerste in erster Linie Silber als Wertmesser und als Tauschvermittler verwendet worden. Silber war Stoff und Ware, die gegen andere Ware eingetauscht wurde.²⁹⁸ So wurde Silber (akk. kaspum, hebr. kesef) im Babylonischen zum Synonym für Geld.²⁹⁹ Wie noch zu zeigen sein wird, ist die Münze aber nicht der Fortsetzer des babylonischen Gebrauchs von Silber. Ihre Erfindung schuf in Verbindung mit der praktischen Alphabetschrift, die erstmals eine relativ breite Alphabetisierung ermöglichte, die Voraussetzung dafür, dass es Händlern möglich war, zu Geschäftsleuten zu werden, indem sie über das laufende Betriebskapital hinaus privates Kapital ansammeln konnten.
Liverani (1990), 223. P. Frei, in: Marek (2010), 158 f. nennt die Elektronprägung einen Akt staatlicher „Garantie“. Smith (1989) rechnet das Elektron nicht zu den eigentlichen Münzprägungen in Gold und Silber. Das Elektron gehöre in den Kontext „of gift exchange among aristocrats“ (S. 212). Immer noch heranzuziehen ist Weidauer (1975). Das hat schon Aristoteles gesehen (pol. 1256b26 – 1257b39); dazu Finley (1974). Noch immer wichtig ist Eilers (1957).
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Der Weg der Entstehung des Geldes Dass die Lyder darauf kamen, Metalle zu prägen, liegt zum Teil darin begründet, dass sie die Praxis des Siegelns bereits kannten. Das ist der entscheidende Punkt. Damit kommen wir nochmals auf das Siegel zurück. Nach Meinung von V.G. Childe in seinem Buch „Man makes himself“ (1951), die allgemein akzeptiert ist, ist das Siegeln neben der Großarchitektur und der Schrift eines der größten Vermächtnisse des altorientalisch-bürokratischen Staates an die Menschheit.³⁰⁰ Die Assyrer haben die Siegelkunst im 19./18. Jh. in Anatolien heimisch gemacht.³⁰¹ Von ihnen übernahmen die Hethiter das runde Stempelsiegel.³⁰² Mit der hethitischen Siegelkunst kam also nichts Neues in die Welt. Die Frage ist nur, ob die Hethiter diese aus Mesopotamien entlehnte Siegelpraxis weiter entwickelten.³⁰³ Interesse beansprucht in dieser Sache eine Tontafel aus Ugarit, auf der ein Staatsvertrag Suppiluliumas I. von Hattusa mit Niqmaddu II. von Ugarit aus dem 14. Jh. verzeichnet und auf der ein Siegel eingedrückt ist, das den hethitischen Großkönig zusammen mit der Tawananna, der Königin, zeigt. Die Tawananna war Königin eigenen Rechts und nicht kasuell, weil sie Frau eines Königs war, d. h. sie blieb Königin auch dann noch, wenn der König starb.³⁰⁴ Hattusa siegelte staatliche Dokumente, wie das lydische Sardes staatliche Münzen prägte. Gibt es hier einen genetischen Zusammenhang? Ein Novum ist zunächst einmal in der Tatsache zu sehen, dass das Siegel auf der hethitischen Tontafel die Königin zusammen mit ihrem Gemahl zeigt. Eine spätere Tawananna, nämlich Puduhepa, die Gattin Hattusilis III. (ca. 1265 – 1240), besaß sogar ihr eigenes Siegel.³⁰⁵
Gibson/Biggs (1977); Westenholz (1993). P. Pfälzner hat in seinem Vortrag „Bürokratie und Individuum im Alten Orient: Betrachtungen zur Entstehung und Funktion des Siegels“ vom 15.12. 1995 in Tübingen überzeugend nachgewiesen, dass in der Persis schon im 4. Jt. v.Chr. Türen, Säcke und Körbe in Privathäusern versiegelt waren. Der Vortrag gipfelte in dem Bonmot, der bürokratische Staat sei ohne Erfindungsgabe, er übernehme nur, was „privatwirtschaftlich“ bereits erfunden sei, rationalisiere allerdings den Siegelvorgang. Vor Pfälzner am gleichen Ort hielt S. Herbordt-von Wickede ihren Vortrag: „Altorientalische Archive und Siegelpraxis“. Sie ging besonders auf die Situation von Hattusa ein und stellte heraus, dass nicht nur König und Königin siegelten, sondern auch Prinzen und Beamte ihr Siegel führten; gesiegelt wurden vor allem Landschenkungsurkunden. Teissier (1994); Mora (1990). Güterbock (1939); einen Überblick über die umfangreiche Literatur zum heth. Siegelwesen bieten Souček/Siegelová (1996), Bd. 3, 316 – 338. Neve (1992). PRU IV, S. 32 ff. Dazu Klengel (1992), 109; zu den Siegeln Otten (1995). Otten (1993), Abb. 3; 4.
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
Nun sind aber die lydischen Münzen nicht aus Ton, sondern aus Metall. Ob aber auch Metalle im Alten Orient geprägt wurden, darüber wissen wir nichts. Es gibt vielleicht nur eine Ausnahme: Hattusa. Von zwei Silbertafeln, auf denen der Text eines bilateralen Staatsvertrages, der 1259 v.Chr. geschlossen wurde, eingraviert war, soll dem Exemplar, das für den Pharao Ramses II. bestimmt war, das großkönigliche Siegel von Hattusili III. und das Siegel der schon erwähnten Puduhepa aufgeprägt gewesen sein, so die hieroglyphen-ägyptische Inschrift des Tempels von Karnak, jedenfalls wie E. Edel sie verstanden hat.³⁰⁶ Andere Ägyptologen glauben, in der Inschrift sei vielmehr davon die Rede, dass an der hethitischen Silbertafel die üblichen Siegelplaketten des Königspaares befestigt gewesen seien. Diese hätten dann wohl aus Ton oder Wachs bestanden.³⁰⁷ Da beide Silbertafeln sich nicht erhalten haben und eine Entscheidung von ägyptologischer Seite nicht möglich erscheint, muss die Sache bis auf weiteres auf sich beruhen. Wir können also, jedenfalls was die Technik angeht, die lydische Münzprägung zurzeit nicht direkt auf hethitische Metallsiegelungen zurückführen. Trotzdem erscheint der Weg über das Siegel erfolgversprechend. Das in Troia gefundene bronzene Knopfsiegel ist ein deutliches Indiz dafür, dass es in Westanatolien eine noch in hethitisch-luwischer Tradition stehende Siegelpraxis gab, die dann in phrygischen und lydischen Siegeln des 1. Jt. v.Chr. weitergeführt worden sein dürfte. Wenn Homer die Praxis des Siegelns nicht erwähnt, so beruht das entweder auf den Beschränkungen der von ihm behandelten epischen Inhalte oder darauf, dass nach Aussagen der Archäologie gerade in dieser Zeit im gesamten Vorderen Orient, nach der Zahl der gefundenen Siegel zu urteilen, das Siegeln vorübergehend zurückgegangen sein soll. Der oben schon erwähnte Theodoros von Samos, der Auftragsarbeiten für Kroisos erledigte, soll auch einen äußerst kunstvollen ‚Siegelring‘ (sphregis) gefertigt haben, der im Besitz des Tyrannen von Samos war, der sog. Ring des Polykrates (Hdt. 3,41– 43). Aus diesem Beleg darf man folgern, dass das Siegel in ganz Westanatolien vermutlich seit der Spätbronzezeit bis zur Zeit des Kroisos bzw. des Polykrates in Gebrauch war. Auch die „späthethitischen“ Staaten Südostanatoliens können die Tradition bewahrt und wieder nach Westen weitergegeben haben. Ein solches Szenario ist die Bedingung für die Möglichkeit, eine, zugegeben, schmale Brücke vom Siegeln hinüber zur Münzprägung schlagen zu können. Dass die Brücke aber tragfähig ist, dafür sorgen zwei Beobachtungen, die sozusagen dann als zusätzliche Stützpfeiler dienen: Siegel und Münze sind beide
Edel (1997), 82 f.; 103 f. Breyer (2000).
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5.3 Das Schatzhaus. Die diplomatische Mission Solons
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aus Metall und von runder Form, handlich und robust, und beide tragen immer noch Aufschriften in anatolischen Sprachen.³⁰⁸ Kommen wir zum Schluss auf die eigentliche Triebfeder der lydischen Erfindung zu sprechen. Wir erinnern uns an die Goldschilde Salomos, die ohne Gebrauchswert in ihrer Gleichförmigkeit Reichtum darstellten, der sich schnell und bequem, d. h. ohne Waage, errechnen ließ. Dem Schatzhausbesucher war so die Möglichkeit gegeben, wenigstens im Überschlag die Gleichung aufzulösen: „So viel Gold! – Wie viel Streitwagen?“. Gold ist ein „Wertmesser“, der den Wert einer Sache vergleichbar macht (J. Renger). Vielleicht kann man sagen, Gold ist eine Rechnungseinheit, mit der in Ägypten nicht nur in der 2. Hälfte des 2. Jt. v.Chr., dem Höhepunkt der Goldwährung, sondern auch noch in der frühen Eisenzeit gearbeitet wurde, in Ägypten nämlich, das auf Salomo auch sonst eine Vorbildfunktion ausübte. Gold ist jedenfalls nicht, schon gar nicht in nennenswerter Menge, in den Wirtschaftskreislauf geflossen. Das Gold diente, so paradox das klingen mag, ebenfalls der Abschreckung. Sie sollte im Anfang wohl nur dies bezwecken, dass der Ernstfall, der einhergehen müsste mit der Umwidmung gehorteten Goldes in flüssiges Geld, erst gar nicht eintrat. Mit den Lydern erreichte der Reichtum seine abstrakteste Form. Im Gegenzug dazu, und das klingt zunächst wenig einleuchtend, stieg der Stoff- oder Warenwert des geprägten Metalls, d. h. der Gebrauchswert, aufs höchste an. Das geprägte Metall konnte so zwei Richtungen nehmen. Ein Teil blieb im Schatzhaus, während ein anderer als Verkehrsgeld diente. Wir sagten bereits, dass Solon im Schatzhaus des Kroisos Gold- und Silberprägungen in Augenschein genommen haben könnte. Das ist eine Annahme, die sich so direkt bei Herodot nicht findet. Sie findet aber eine Stütze in einer anderen denkwürdigen Erzählung Herodots. In ihr wird berichtet, wie Xerxes in Kelainai, nicht weit entfernt von der lydischen Grenze, auf den sehr reichen Lyder Pythios, Sohn des Atys, trifft (482/81 v.Chr.). Dieser Atys könnte ein direkter Nachfahre unseres Kroisos gewesen sein. Und noch eine Verbindung zu Kroisos stellt sich ein: Pythios besaß Minen und ein Schatzhaus.³⁰⁹ Xerxes nun fragte ihn, wieviel Geld er besitze. Der sagte: „König, ich weiß es und werde es dir genau aufzählen (atrekeos katalexo). Als ich erfuhr, dass du zum Griechischen Meer hinabziehst, habe ich es genau festgestellt, weil ich dir zum Krieg Geld geben wollte. Ich fand beim Nachrechnen (heuron logizomenos), dass ich
Boehmer (1985) zu den phrygischen und lydischen Siegeln. Plut. mor. 262d20 – 263c18. Dazu Evans (1988).
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
an Silber zweitausend Talente habe, an Gold aber vierhundert Zehntausende Dareikische Statere weniger siebentausend (in Zahlen: 3.993.000). Das schenke ich dir.“³¹⁰
Die Geschichte sollte für Pythios nicht glücklich ausgehen. Denn Xerxes verlangte mehr als materiellen Einsatz, er verlangte das persönliche Opfer, die totale Gefolgschaft, und so bezeichnet er Pythios als seinen Sklaven (doulos; Hdt. 7,39,1). Das ist ein Machtwort und Befehlston, wie wir ihn aus Lydien nicht kennen. Das Schatzhaus des Pythios verstärkt nun unsere Annahme, dass mit dem lydischen Schatzhaus ein Schlusspunkt im rationalen Bemühen des Schatzbildners erreicht wurde, Reichtum auf Punkt und Komma genau zählbar zu machen. Damit wird die Meinung des Nationalökonomen G. Schmölders hinfällig, der im Horten von Gold und Silber den „Midaswahn“ am Werke sah.³¹¹ Dieser Wahn habe in der Verwechslung von Geld mit Reichtum bestanden.Wie wir jetzt sagen können, liegt aber gar keine Verwechslung vor. Denn es ging den lydischen Königen und Schatzbildnern dezidiert primär um Reichtum, nicht um Geld. Freilich ist in ein und demselben Augenblick die Geldfunktion erkannt worden. Die Erfindung des Geldes durch die Lyder war beides, sowohl der konsequente Endpunkt der Präsentation von Reichtum im Schatzhaus altorientalischer Art als auch der Beginn einer neuen, staatlichen Geldgarantie für den Handel. Ein ehemals statischer Zustand verwandelte sich dadurch in einen dynamischen. Dadurch erscheint Lydien hier in einem wichtigen Detail genauso, wie dieses Land in unserem Buch auch insgesamt aufgefasst wird, nämlich als in einem doppelten Kontext stehend: Es hat seinen Platz zwischen dem Orient und Griechenland. In der Ägäis entstand ein neuer Wirtschafts- und Handelsraum, der sich dann ins Schwarzmeergebiet ausweitete. Vermutlich wurden die großen Münzen erstmals eingesetzt, um Darlehen für den Schiffsbau zu finanzieren. Eine wichtige Rolle spielt hier Kyzikos, das als Ausrüstungshafen der milesischen Flotte am Ende des 7. Jh. eine große Zahl von Elektronmünzen in den Handel brachte. Die kleinen Münzen dienten dem mobilen Kleinhandel. Die Wirtschaft wurde durch die Erfindung der Münze mittels einer gewissermaßen staatlichen Kreditanstalt, deren Kreditgeber Alyattes/Walwetas hieß, auf eine neue ökonomische Basis gestellt. Lydien, durch Geschichte und Kultur dem Alten Orient verbunden, verlagerte den
Hdt. 7,28 – 29. Das genaue Herzählen (katalegein) und das Rechnen empfanden wir bereits in Solons Umrechnung von 70 Lebensjahren in Lebenstage als bemerkenswert (s. oben). Es ist die (ionische) Freude am Sehen und Aufzählen, das wir als Kennzeichen der griechischen Archaik an vielen Stellen auch im Werk Herodots feststellen können. Stichwort: die griechische Katalogdichtung, die auf Musenwissen gründet, und die sog. babylonische Liste, die in und für die Schule angelegt wurde; von „erwachender Wissenschaft“ spricht van der Waerden (1966). Schmölders (1962), 15 f.
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Zusammenfassung
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Schwerpunkt der Interessen Anatoliens erstmals ans Mittelmeer und erhielt dadurch einen janusköpfigen Charakter.
Zusammenfassung Sardes, das bedeutete für die Griechen nicht nur Haute Couture, exquisite Parfums und Cremes (myron), das aber auch. Sardes war also eine gepflegte Metropole, auch Paris des Ostens genannt.War Lydien für die Griechen des 7./6. Jh. aber schon typisch orientalisch oder einfach nur lydisch? Einen Eindruck vermitteln die griechischen Lyriker, vor allem Sappho.³¹² Die Bandbreite ihrer Lydien betreffenden Themen ist allerdings sehr gering, und so kommen sie auch nicht auf das literarische Leben der Stadt zu sprechen, das es zweifellos gab. Zwei den Griechen bekannt gewordene Dichter sollen aus Sardes stammen, nämlich Alkman, der dann in Sparta seine dorischen Chorlieder dichtete (nach 650 v.Chr.),³¹³ sowie Aisopos (Äsop), der Fabeldichter (6. Jh. v.Chr.), der natürlich ebenfalls griechisch schrieb – sonst wäre ja von seinen Werken nichts erhalten. Sardes war zwar bis zur Zeit Alexanders sicher nicht zweisprachig, aber Griechisch wurde zweifellos vielfach verstanden, und wer von lydischer Abkunft war und als Dichter außerhalb von Sardes berühmt werden wollte, der musste auf Griechisch dichten. Die Fabel gehört zur Weisheitsliteratur. Es liegt nahe anzunehmen, dass auch andere Formen von Weisheit in Sardes gepflegt wurden. Unsere Kroisos-SolonNovelle ist eine komplexe Komposition. Wir haben eine Rahmengeschichte, die unseres Erachtens historisch ist: Solons Besuch in Sardes. Die Chronologie ist dabei mehr ein technisches Detailproblem, und seine (positive) Lösung erledigt noch nicht die eigentlich historische Frage nach dem Zweck der Reise Solons, dem Inhalt des Dialogs und seinem Ergebnis. Herodot, der bereits die perserzeitlichen Möglichkeiten des Reisens vor Augen hatte, dachte an eine private Bildungsreise des Solon, wie dies auch die moderne Forschung tut. In dieser Arbeit dagegen wurde einmal der Frage nachgegangen, ob Solon nicht auch in staatlicher Mission unterwegs gewesen sein könnte. Sollte sich letzteres bewahrheiten, bekäme auch die festgefahrene Frage nach der Chronologie, der Lebenszeit beider Männer einen neuen positiven Schwung, und zwar am ehesten in die historische Richtung.
Aus López-Ruiz (im Druck) geht hervor, dass Sardes für Sappho zwar eine wegen ihrer Lebensart bewunderte Metropole eines Nachbarvolkes war, aber keineswegs eine andere, orientalische Welt. Wir lassen diese Frage offen. Die „unglaublich leichte Eleganz“ seiner Poesie sei beredtes Zeugnis für seine Herkunft aus Sardes, so Latacz (1991), 324.
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
In die Rahmengeschichte von Solons Besuch bei Kroisos wurde von Herodot eine Weisheitslehre eingefügt, die einem solonischen Grundgedanken mit einer konzeptionellen Überarbeitung durch Herodot – vor allem durch seine Auffassungen vom Neid der Götter und vom Kreislauf (kyklos) der menschlichen Dinge – ihre Existenz verdankt. Der archaisch gewundene Gedankengang mit seinen vielen nur spärlich verketteten Einzelaspekten (besonders Hdt. 1,32) dürfte dem Redaktor Herodot nicht leicht aus der Feder geflossen sein. Bin ich nicht der glücklichste aller Menschen, lässt er Kroisos fragen. Das ist unhistorisch und entschieden griechisch gedacht. Wir vermuten in der Existenz des Schatzhauses den entscheidenden Zugang zum tieferen Verständnis des lydischen Staates. Solon hat diesen Zugang nicht gefunden. Weil er die eigentliche Funktion eines vorderorientalischen Schatzhauses nicht verstand,³¹⁴ konnte er auch den Staat der Lyder als ganzen nicht begreifen, noch auch ihn gerecht bewerten. Er war für Solon ein Symbol des Geldmenschentums, wie sich W. von Soden im Seminar in Münster einmal ausdrückte. Dieses Fehlurteil, das ganz in den Bahnen Solons verläuft, beruht darauf, dass das Schatzhaus in seiner wahren Funktion nicht berücksichtigt und damit die fundamentale Unterscheidung zwischen Reichtum und Geld verfehlt wurde. Herodot benutzt im Lyder-Logos den Begriff eudaimonia „Glückszustand“. Wie erreicht man ihn aber? Herodot ist Historiker und nicht Philosoph, weshalb er kein geschlossenes System dafür vorlegt, wie eudaimonia zu erreichen ist. Deutlich macht er nur, dass die Entscheidung, ob ein Mensch eudaimon war, erst am Ende von dessen Leben festgestellt werden kann. Wir nehmen nun an, dass sich die Vorstellung von eudaimonia in dem Jahrhundert zwischen Herodot und Aristoteles nicht grundsätzlich geändert hat. Aristoteles ist der erste, der ein Konzept von Ethik mit eingeschlossener Tugendlehre in seiner Schrift Nikomachische Ethik vorlegt (vgl. 1,6 und 5,3 über eudaimonia). Er sagt, wie der Weg zur eudaimonia führt. Die vollkommenste Tugend, die alle anderen in sich begreift und Voraussetzung für die eudaimonia ist, ist die Gerechtigkeit (dikaiosyne). Sie ist die Tugend schlechthin und ersetzt den Begriff arete. Aristoteles führt in 1,6 den Begriff ergon (‚Werk, Tat‘) ein. Das ergon macht die Tugend sichtbar.Welches ergon verwirklicht die Tugend des Kroisos unserer Meinung nach? Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich beim ergon nicht um die individuelle Tat handeln muss, sondern durch die Königsideologie dem Herrscher automatisch zukommen kann. Wenn wir annehmen, dass die Tugend des Kroisos auf der Gerechtigkeit beruhte, dann hätte das im Vorderen Orient eine Stütze. Das wichtigste Zeugnis ist
Morenz (1969), bes. 26 ff. hat den Begriff „Prestigewirtschaft“, allerdings für das Alte Ägypten, eingeführt. Das Schatzhaus sei Ort einer économie ostentatoire.
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Zusammenfassung
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dort der Codex Hammurapi. Šar mīšari ‚König der Gerechtigkeit‘ war ein Titel dieses Herrschers. Der Titel lebte weiter bis mindestens in die Zeit von Nebukadnezar II. Davon ist der hebräische Begriff mēšārîm beeinflusst. Ebenso nehmen wir an, dass von Babylonien aus das eisenzeitliche Karkamis beeinflusst wurde, wo der Begriff als Herrschertugend ebenfalls erscheint. Von hier aus ergibt sich eine Brücke zu Theognis von Megara,³¹⁵ einem Zeitgenossen Solons.Vermutlich ist der Begriff der dikaiosyne als Herrschertugend in Griechenland und bei Aristoteles nicht unabhängig von dieser Entwicklung im Vorderen Orient. Während im Alten Orient das Streben nach Reichtum mit zur Ausübung der Gerechtigkeit und damit der Tugend des Herrschers gehörte, ist für Solon/Herodot der Reichtum des Herrschers ein Zeichen von Ungerechtigkeit und damit von Untugend. Herodot hatte von Solon die Kritik an neureichen Geldmenschen seiner Zeit, nämlich des 6. Jh., übernommen und wendete sie auf Kroisos an. Diese Moralisierung lehnt Aristoteles ab (eth. Nic. 1,9; 10,9), wo es um die Nützlichkeit materiellen Besitzes für die Ausübung von dikaiosyne geht. In 1,4 wird der Gelderwerb chrematistes bios genannt. Das Schatzhaus des Kroisos ist aus historischer Sicht nur ein Mittel zur Verwirklichung der dikaiosyne und nicht ein um seiner selbst willen erstrebenswertes Gut. Wie das Beispiel aus Jerusalem deutlich macht, gehörte die Schatzhausführung im Orient zur Diplomatie, hatte also Ritualcharakter. Es kann dabei der private/kommerzielle oder der staatlich-öffentliche Bereich im Vordergrund stehen. Statt Bündnisverhandlungen anzustreben, suggeriert Solon im Sinne eines normativen Verständnisses von Gerechtigkeit, der Inhalt von Kroisos’ Schatzhaus sei Raubgut. Für den Überlieferer Herodot selbst ist Gerechtigkeit dann mit Moral identisch; er macht aus Kroisos den glücklichsten Menschen, der als gottgleich der Hybris verfallen und daher dem Untergang geweiht ist.³¹⁶ Das geprägte Metall in der bis heute gängigen Form der Münze dürfte seinen Geburtsort im Schatzhaus von Sardes gehabt haben. Die Prägung von Elektronmünzen, denen bald Gold- und Silbermünzen folgten, begann unter dem Lyderkönig Alyattes um 630 v.Chr., der seine Münzen teilweise auch mit seinem eigenen Namen, *Walweta-, beschriftete. Auch das Bild des Löwen, das auch viele der nach Alyattes geprägten lydischen und milesischen Münzen ziert, dürfte auf die lydische Benennung *Walweta- dieses Herrschers, die vom Wort für den Löwen (luw. walwa/i‐) abgeleitet ist, anspielen.
Thgn. F147 W. Unmoralisch ist dagegen Luk 16,9: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon!“ Das griechische Wort mamonas stammt aus dem Aramäischen.
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
Wir haben zunächst das Schatzhaus des Salomo und das des Bar-Rakib in Sam’al (Zincirli) genauer betrachtet. Sodann wurde eine gedachte Entwicklungslinie, ebenfalls wieder von Osten, von Jerusalem über den syro-anatolischen Raum nach Sardes gezogen. Eine Evolution von Stufe zu Stufe, zielgerichtet hin zur Münze, hat es nicht gegeben. Die lydische Metallprägung wurde unserer Meinung nach nicht von Bedürfnissen der Streitkräfte, Stichwort: Söldneranwerbung, gesteuert, sondern diente zunächst dazu, staatlichen Reichtum leicht einsetzbar zu machen, was konsequenterweise den Einsatz im Handel nach sich zog. Zwar war Handel natürlich auch schon vorher und ohne Münzgeld möglich gewesen, das historische Verdienst der Lyder bestand aber darin, Münzen zu prägen, in Umlauf zu bringen und dadurch dem Handel eine ganz neue Dimension zu verleihen. Sie ermöglichten erstmals die Entstehung mobiler Kleinhändler (Krämer), was dadurch bestätigt wird, dass der früheste Beleg des griechischen Wortes kapelos ‚Krämer‘, das eindeutig anatolischen Ursprungs ist, gerade bei Herodot auftritt, und zwar dort, wo die Erfindung des Geldes durch die Lyder behandelt wird. Die Münze ist das ausgereifteste Produkt auf dem Gebiet der Metallprägungen, nämlich ein durch staatliches Siegel garantiertes, handliches, kaum zerstörbares oder zu manipulierendes Metallstück von hoher Wertkonzentration. Da alle Stücke gleich in Form und Gewicht waren, ließ sich die Summe auf Punkt und Komma schnell errechnen. Das wurde zuerst für die Schatzhausführung und dann auch für den Handel wichtig. Die Erfindung der Münze war im Endeffekt eine geniale Abstraktion von Reichtum, durch die man paradoxerweise den höchsten Gebrauchswert erzielte, an welchem es beispielsweise den zahllosen Schilden Salomos vollkommen mangelte. Diesen Gebrauchswert der im sardischen Schatzhaus gehorteten Metallstücke zu erkennen, war das Verdienst des Alyattes. So war die Erfindung des Geldes durch die Lyder zweierlei, sowohl der konsequente Endpunkt der Präsentation von Reichtum im Schatzhaus altorientalischer Art als auch der Beginn einer neuen, staatlichen Geldgarantie für den Handel. Dies gab der Ökonomie der Ägäis und ihrer Ausdehnung ins Schwarzmeergebiet neue Impulse. Große Mengen verschiedener Münzen im Schatzhaus zu sehen, dürfte auch Solon interessiert haben, zumal er in Athen mit Maßen und Gewichten befasst gewesen war. Im Zentrum seiner Begegnung mit Kroisos muss aber die Unterredung gestanden haben. Sie wurde und wird auch heute noch von der Klassischen Philologie als Höhepunkt des Lyder-Logos verstanden. Er macht die fundamentalen, gleichwohl legitimen Unterschiede im Denken zwischen dem lydischen König Kroisos und dem Athener Solon deutlich. Erst Herodot wird aus Kroisos den Typus eines orientalischen Herrschers machen. Viel behandelt ist der nicht ganz einfache Satz Hdt. 1,30,2. Es spricht Kroisos in direkter Rede. Schwierigkeiten bereitet uns der zweite Satzteil mit dem finiten
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Zusammenfassung
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Verbum: „Du hast der theoria wegen viele Länder der Welt durchquert“. In theoria hat man den Forschungsaspekt sehen wollen und von Forschungsreisen gesprochen, jetzt häufiger mit „Bildungsreisen“ (so W. Schadewaldt und von den jüngeren Arbeiten etwa M. Dreher³¹⁷) wiedergegeben. Lässt Herodot hier nur einen Orientalen sprechen, der mit überschießender Freundlichkeit seinen Gast als welterfahren und als äußerst kompetent in Fragen des Wissens (philosopheon = ‚Freund des Wissens‘) loben wollte? Das Wort philosopheon kommt bei Herodot nur einmal vor, und dies dürfte der älteste Beleg überhaupt sein. Das Partizip philosopheon stammt wie die ganze von philosopheo abgeleitete Wortfamilie aus der Zeit nach Kroisos und ist so griechisch gedacht, dass jedenfalls der lydische Ton nicht (mehr) vernehmbar wird. Herodot scheint tatsächlich an eine Durchquerung der Welt im Stil einer „Bildungsreise“ gedacht zu haben bzw. hat sich selbst eine solche ausgedacht. Solon musste von Herodot mit Welterfahrung ausgestattet werden, um die Frage des Kroisos sinnvoll beantworten zu können, ob er schon einmal einem Menschen begegnet sei, der glücklicher sei, als er (sc. Kroisos) selbst. Die Frage ist ebenfalls ganz aus griechischen Denken heraus entworfen, stammt also auch nicht aus Lydien oder dem Vorderen Orient insgesamt und ist damit als nicht historisch zurückzuweisen. Von der „Reise durch viel Land“ bleiben bei Herodot de facto auch nur zwei Reisen übrig, nach Ägypten und zu Kroisos nach Sardes. Auf diese Frage hin entwickelte Solon seine große Weisheitslehre. Sie endete im Eklat, und der wiederum dürfte historisch sein. Denn ein Eklat der Art, dass ein Gastgeber und Hausherr grußlos seinen Gast entlässt, war nach Auskunft der älteren Quellen zur Geschichte der Sieben Weisen noch nie vorgekommen und im Orient eigentlich undenkbar. Er könnte den folgenden Grund gehabt haben: Dem Lehrvortrag Solons, der völlig losgelöst von Zeit und Raum den „schönen Tod“ zum Thema hatte, fehlt es an praktischem Rat und politischer Relevanz. Der Bericht Herodots ist nicht mehr als eine Annäherung, wenn überhaupt, an den Sinn des Gesprächs, wie es die beiden Männer geführt haben müssen, wenn es einer bestimmten Situation entsprochen haben soll. Der Eklat erklärt sich jedenfalls nicht hinreichend aus der Rede des Solon. Das Schatzhaus und die Schatzhausführung sollte deshalb noch einmal genauer in den Blick genommen werden. Die Erzählung von der Schatzhausführung des Königs Hiskia von Juda für eine hochrangige babylonische Gesandtschaft in Jerusalem (704 v.Chr.) ist eine Bestätigung für unsere Annahme, dass eine enge Verzahnung von Schatzhausführung und Vorgesprächen zwecks Einleitung eines Bundesschlussverfahrens besteht, also ein Politikum vorliegt. Solon, so vermuten wir, kommt einer Einla-
Dreher (1993) zu Kap. 11.
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5 Das Schatzhaus und die Eudaimonie der Könige.
dung des Kroisos nach und reiste in staatlicher Mission nach Sardes. Es geht darum, die Politik in der Ägäis und dem Hellespont (Sigeion und der Zugang zum Schwarzen Meer) für die Zukunft abzusprechen. Was die Pläne des Peisistratos hierzu waren, das musste Kroisos interessieren. Der Eklat, der diesen Gedankenaustausch beendete, lässt sich vielleicht so erklären. Solon hat in seinen Elegien die sozialen Gründe für den Niedergang Athens analytisch untersucht. Den Hauptgrund sieht er in der grenzenlosen Erwerbsgier und dem tyrannischen Auftreten von Seiten der Mitglieder des Adels. Beide Phänomene sah er nun verkörpert in der Person des Kroisos. In der derben Sprache eines „Sozialarbeiters“ und zugleich im Bewusstsein, ein Bewohner der ältesten Stadt der ionischen Welt zu sein, glaubte er sich berechtigt, Vater und Anwalt aller Ionier zu sein, und bezichtigte, wie es seine Art gewesen sein muss, direkt und gerade heraus den Kroisos, er würde in seinem Schatzhaus ungerecht erworbenes Gut horten, ohne Unterlass, bis es über randvoll gefüllt sei. Dieses hätte er den ionischen Städten geraubt, die er zuvor widerrechtlich unterworfen und ihrer Autonomie beraubt habe, die mit Alyattes vertraglich ausgehandelt worden war. „Aber ich will den Mann nennen, von dem ich sicher weiß, dass er mit den Feindseligkeiten gegen die Griechen begann“, sagt Herodot gleich am Eingang des Lyder-Logos. Wenn auch die Einschätzung des Kroisos als eines Tyrannen richtig ist – eine nemesis megale ‚eine große Vergeltung‘ wird schon bald Kroisos treffen –, so verfehlte der herodoteische Solon mit seinem stark moralisierenden Urteil doch bei weitem die wahre Funktion des Schatzhauses im Zeichensystem vorderorientalischer Diplomatie.
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6 Lydiens Kriege im Osten. Der Untergang des lydischen Reiches … gemäß der Notwendigkeit, denn sie schaffen einander Ausgleich und zahlen Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der Ordnung der Zeit.¹ (Anaximander von Milet)
Kämpfe in Kappadokien. Das Jahr „585 v. Chr.“ Die Erinnerung an den großen Krieg, den Alyattes gegen die Meder führte, und der im 6. Schlachtenjahr anlässlich einer Sonnenfinsternis beendet werden musste, findet sich zuerst bei Herodot (Hdt. 1,74). Die vorderorientalischen Quellen erwähnen diese Ereignisse nicht. Die Quellenlage ist denkbar schlecht. Selbst die babylonischen Chroniken fallen zwischen 594 und 558 v.Chr. völlig und ersatzlos aus. Der Abzug der Assyrer aus ihrer in Anatolien gelegenen Provinz Tabal ab 705 v.Chr. sollte Folgen haben, die zunächst in ihren Ausmaßen nicht zu erkennen waren. Neue Landschaftsnamen kommen auf, die bis in die byzantinische Zeit Geltung besitzen werden: Kappadokien, Syrien und Kilikien. Die Assyrer verursachten ein politisches Machtvakuum, das die Urartäer nicht ausfüllen wollten und die Phryger unter Midas sowie danach die Lyder unter Gyges nicht ausfüllen konnten. Dieses politische Niemandsland für Lydien zu erobern und vor dem Zugriff der Meder und dann der Perser zu sichern, war das Ziel der Lyder-Könige Alyattes und Kroisos. Ihr eigentliches Motiv war, den für jede anatolische Macht unerlässlichen Anschluss an Syrien zu gewinnen. Dies war den Hethitern gelungen, wodurch sie ein anerkanntes Großreich wurden, den Phrygern misslang es, daher waren und blieben sie eine anatolische Macht von geringer Konsistenz und Festigkeit, die sich dem Kartographen in Formlosigkeit darbietet, ein Gebilde ohne erkennbares urbanes Zentrum, Peripherie und Grenzen. Dagegen war Medien im Vergleich ein Zentralstaat. Nachrichten über Zentralanatolien sind im 1. Jt. v.Chr. selten und fallen für die lydische Zeit fast ganz aus. Dafür kommen Nachrichten zum ersten Mal aus dem griechischen Westkleinasien. Von dort, von Milet, stammt Thales, ein Weiser (sophos) aus der Gruppe der Sieben Weisen, die traditionell dem Kreis um Kroisos zugerechnet werden, und zugleich der früheste Vertreter der erst später „NaturPhilosophie“ genannten Richtung. Dieser habe den Ioniern eine Sonnenfinsternis Textherstellung aus Simpl. in phys. 24,17 = DK 12 A 9; Ü: C. Rapp. https://doi.org/10.1515/9783110436020-009
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6 Lydiens Kriege im Osten. Der Untergang des lydischen Reiches
vorhergesagt, die nach Herodot zum Anlass genommen wurde, einen sofortigen Waffenstillstand auszurufen. Die Vorhersage kündet den Anbruch einer neuen Zeit an. Man stelle sich einmal vor: Da rechnet ein Mensch ein Datum aus und verkündigt sogleich, dass zu diesem Datum die Sonne – eine Hochgottheit, die im Vorderen Orient beim Abschluss von Staatsverträgen die Verlässlichkeit der Eide überwacht – sich verdunkeln wird, und die Sonne nur noch den Vollzug zu tätigen hat.² Thales wird in den ältesten griechischen Quellen der Ausspruch (paroimia) zugeschrieben: „Erkenne dich selbst“, d. h. du bist ein Mensch, nicht Gott. Die Griechen sahen keinen Widerspruch zwischen diesem Wort und der Tat des Thales. Die Sonnenfinsternis muss total gewesen sein. Denn es heißt bei Herodot, plötzlich wurde aus Tag Nacht. Man errechnete für das südliche Zentralanatolien als frühestes für Alyattes mögliches Datum einer Sonnenfinsternis die Zahl 585, das späteste, historisch noch vertretbare Datum, gibt man mit 557 v.Chr. an. Dass solche Vorhersagen gemacht werden konnten, hielt die Antike offensichtlich für möglich. Die moderne Forschung ist skeptischer. Wohl erst in hellenistischer Zeit seien die Chaldäer von Babylon zu Vorhersagen befähigt gewesen.³ Wir haben dem Jahr „585 v.Chr.“, d. h. nach Abschluss des Staatsvertrages mit Milet und kurz nach Anlaufen der Schwarzmeerkolonisation, den Vorzug gegeben, denn es passt gut in den Verlauf der vorderorientalischen Geschichte. An dem Waffenstillstandsabkommen zwischen Lydern und Medern war auch ein babylonischer König maßgeblich beteiligt. Seinen Namen gibt Herodot mit Labynetos wieder. Man hat ihn mit Nebukadnezar, aber auch mit Nabonid (556 – 539 v.Chr.) in Verbindung bringen wollen. Sprachlich kommt als Entsprechung von Labynetos nur Nabonid in Frage, aber es kann eine Namensverwechslung vorliegen, denn für Nebukadnezar sprechen die stärkeren historischen Argumente, wie A. Heller nach nochmaliger gründlicher Untersuchung zeigen konnte.⁴ Der Syennesis von Kilikien, der neben Labynetos als Schlichter tätig war, trägt keinen Individualnamen, sondern einen luwischen Herrschertitel,⁵ der nur wie ein Eigennamen verwendet
Wie die Entgöttlichung der großen Himmels- und Naturgottheiten dann voranschreitet, ist auch dem ansonsten ganz anders gearteten Schöpfungsbericht Gen 1,14– 17 (P, 515 v.Chr, nach Gründung des 2. Tempels Endredaktion als Quellenschrift) zu entnehmen: die Sonne und der Mond werden nur noch als „Lichter“ bezeichnet. Sie sollen den Tag von der Nacht scheiden und Zeichen sein, für Festzeiten, für Tage und Jahre, vor allem haben sie die Funktion, den Sabbat anzuzeigen. Thales glaubte zwar an die Götter, so soll er gesagt haben, „dass alles von Göttern voll sei“ (DK 11 A 22 aus Aristot. an. 1,5 [411a8 – 9]). Wenn Aristoteles die Meinung von Thales richtig getroffen haben sollte, dann ist dieser als ein Entmythologisierer des antiken Götterglaubens und als Pantheist zu beurteilen. Burkert (2013) hält eine Vorhersage für unmöglich. Heller (2010), 45 f. Aus luwisch *zuwanassa/i-, was von *zuwan- ‚Hund‘ abgeleitet ist.
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Kämpfe in Kappadokien. Das Jahr „585 v. Chr.“
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wurde, genauso wie das schon im Falle des lydischen Kandaules gezeigt werden konnte. So lässt sich nicht einmal mit Sicherheit sagen, der wievielte Syennesis er denn ist, der hier als solcher zum ersten Mal in der Geschichte auftaucht. Er kann Vorgänger gehabt haben, wenn auch nicht sehr viele, denn die Zeitspanne ist sehr eng, wie noch zu zeigen sein wird. Wo fand die Schlacht eigentlich statt? Die Antwort wird lauten: im Gebiet von Caesarea/Kayseri und Nevşehir in Kappadokien am Südufer des Halys an der Straße in Richtung Melitene. Die zweite Frage, die sich stellt, betrifft die Ausrüstungen der beiden Heere. Und schließlich die dritte Frage: Was haben die Skythen damit zu tun? Die Skythen waren, wie man dank der Sprachwissenschaft heute weiß, ein Volk von iranischer Sprache, dessen Streifgebiet den gesamten Alten Orient im Norden abschloss. Aus dieser Steppenregion heraus unternahmen sie Streifzüge in Richtung Süden. Gelegentlich mögen auch Gruppen, die sich ähnlich verhielten, fälschlich als Skythen bezeichnet worden sein. Herodot vermengt sie mit dem Krieg in Kappadokien. Er berichtet von „skythischen Nomaden“, die der Meder-König Kyaxares in Dienst genommen habe, damit sie die medische Jugend die skythische Sprache lehrten sowie mit der Kunst des Bogenschießens – sicher nach skythischer Art vom Pferderücken aus – vertraut machten. Nun sollte die Sache mit den Skythen gravierende Folgen haben. Den Eliten hoch entwickelter, historisch reflektierender Kulturen war immer klar, dass hinter dem vordergründigen Anlass zu einer kriegerischen Auseinandersetzung in bestimmten Fällen auch noch ein eigentlicher Grund stehen kann. In diesem Fall bestand er im Anwachsen der Macht der iranischen Völker, deren Exponenten, nach Kimmeriern und Skythen, nun die Meder wurden. Die drohende Gefahr, in der der Vordere Orient schwebte, erkannte Alyattes und entschied sich für Krieg. Äußerer Anlass war, dass die Skythen den medischen „Schuldienst“ quittiert und sich aus dem Staube gemacht hatten. Sie suchten schließlich in Sardes um Asyl nach. Der Grund, warum die Skythen flüchteten, soll darin bestanden haben, dass sie von Kyaxares in ungewöhnlich harschem Ton beschuldigt worden seien, ihm einmal von der Jagd nichts mitgebracht zu haben. Darüber erbittert sollen die Skythen in barbarischer Weise einen jungen Meder, der an dem Schulungsprogramm teilgenommen hatte, nach Art des Wildbrets zubereitet und dem König zum Essen vorgesetzt haben. Das ist ein Motiv, das den Mythen Anatoliens entlehnt zu sein scheint: Man blicke nur auf den lydischen König Tantalos, der auf dem Sipylos einst so ein grässliches Mahl veranstaltete. Freilich wirkt die Sache mit dem Wildbret weit hergeholt und konstruiert. In ihr blitzt aber etwas von Herodots typischer Erzählfreude auf, mit der er historisch komplexe Verwicklungen auf persönliche Querelen zurückzuführen pflegte. Die Skythen sind der Anlass, dass es zum Krieg kam, als Alyattes sich weigerte, dem Verlangen der Meder nachzukommen, die Flüchtlinge auszuliefern. Jeder hethitische Staats-
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vertrag, soweit sein Erhaltungszustand eine Nachprüfung erlaubt, besitzt eine Vertragsklausel, die die Rückgabe bzw. Austausch von Flüchtlingen regelt. Herodot liefert hier einen veritablen Kriegsgrund, eingebettet in eine hübsche Geschichte. Der Lyder wird sich bei den Skythen über die Stärke der Meder, über die politisch-soziale Konstitution ihres Reiches sowie über ihre Waffengattungen informiert haben, auch darüber, ob im medischen Heer skythische Einheiten dienten. Denn die lydischen Reiter hatten Lanzen, die Skythen den Bogen. Dass Alyattes sich über Abwehrtechniken mit unseren Skythen austauschte, liegt nahe. Skythen halten sich also in Medien auf (Hdt. 1,103,3). Nach dem Zusammenbruch des urartäischen Reiches mit seinen das Kernland abschirmenden Festungen (um 630/625 v.Chr.?), drang ein Haufe (gr. ile, so Hdt. 1,73,3) von skythischen Reitern fast ungehindert dann auch in Anatolien ein.⁶ Nun kurz zu Frage zwei, der Ausrüstung der Heere der Lyder und Meder. Das lydische Heerwesen war dreigliedrig, wie im Vorderen Orient allgemein üblich. Die Reiterei ist eine Teilstreitkraft des Heeres, das neben Fußvolk auch noch Streitwagen mit sich führte. Das Reiten selbst ist alt, das Reiten in einem Heeresverband aus Teilstreitkräften dagegen neu. Dass der Meder Kyaxares die Reiterei als selbständige Teilstreitkraft (gr. telos, so Hdt. 1,103,1), neben den Waffengattungen Lanzenträger und Bogenschützen in einem dreifach gegliederten Heer nicht von den Skythen übernommen haben kann, zumindest nicht unverändert, ist klar. Freilich hat das medische Heer gegenüber einem vorderorientalischen Heer die Bogenschützen als Besonderheit. Vielleicht ist diese Einheit als Antwort auf die skythischen Reiterkrieger zu verstehen. Das Heerwesen ist der wichtigste Indikator für die staatliche Verfasstheit Mediens. Dass das Heer der Lyder für den kappadokischen Kriegsschauplatz andere Akzente aufgesetzt bekommen haben muss als für das ionische Einsatzgebiet, bedarf keiner näheren Ausführung. Die wachsende Dominanz der Reiterei bis hin zu ihrer Alleingeltung unter Kroisos hatte ihre Gründe. Ein Grund dürfte die kappadokische Landschaft gewesen sein. Die älteste Reiterschlacht der Geschichte, von der wir jetzt wissen, wurde in Zentral-Anatolien ausgetragen. Die Reiterei wurde damals schlachtentscheidend. In der hieroglyphen-luwischen Inschrift von TOPADA (zwischen 738 – 730 v.Chr.) hören wir von einer Reiterschlacht des Wassusarma, des Großkönigs von Tabal, gegen acht „Könige“ im Territorium einer Stadt namens Parzuta. Die Reiterei wird als „königliche Reiterei“ bezeichnet und damit vor dem Fußvolk, das kaum erwähnt wird, deutlich herausgehoben.
Vaggione (1973). Dass die Skythen Syrien und Palästina bis Askalon durchzogen hätten, finde sich nur bei Hdt. 2,157 und sei deshalb wohl weniger historisch als vielmehr ideologisch zu nehmen, so Donner (2008), 372.
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Das medische Reich
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Die Kämpfe zogen sich fast über drei Jahre hin. Die Inschrift ist nicht nur ein frühes Beispiel für den hohen Stand und die Kontinuität altanatolisch-hethitischer Historiographie in der Eisenzeit, sondern sie dürfte auch das früheste Zeugnis von einer Reiterschlacht in der Antike sein.⁷ Tabal ist pferdereich (vgl. Hdt. 3,90: später Zentrum der persischen Reiterei),⁸ und eine ideale Landschaft für Reiterschlachten. In einer solchen Landschaft, so unsere These, traf Alyattes auf den Mederkönig Astyages, der inzwischen Kyaxares’ Nachfolger auf dem medischen Thron geworden war. Der Krieg des Alyattes dauerte doppelt so lange wie der des Wassusarma 150 Jahre zuvor. Jetzt kommt dieses so reformierte Heer sozusagen an seinen Geburtsort zurück, von den gelehrigen Randmächten des Vorderen Orients, Lydien und Medien, in die Schlacht geführt und erprobt.
Das medische Reich Die Meder geben große Rätsel auf. Nicht ein einziges Wort ihrer Sprache ist uns direkt überliefert. Herodot stellt sie uns als geeinte Nation vor, die ungefähr zeitgleich mit dem Staat des Gyges entstanden sei (Hdt. 1,95 – 106). Die assyrischen Quellen bieten das genaue Gegenteil, von nationaler Einigung keine Spur, stattdessen beschreiben sie Medien aus einer großen Zahl von Kleinkönigtümern bestehend.⁹ Die Forschung ist heute geneigt, den assyrischen Nachrichten zu folgen.¹⁰ Nun haben gerade neuere assyriologische Arbeiten die Frage aufgeworfen, welche Interessen verfolgten eigentlich die Assyrer etwa mit ihren An Hawkins (2000) I/2 X.12 TOPADA, S. 452 ff. Topada, wie viele alte Namen, sucht man auf neueren Karten vergeblich. Die Felsinschrift befindet sich etwa halbwegs auf der Linie Konya – Kayseri, genauer im Gebiet von Nevşehir. Unsere Bewertung stützt sich auf F. Starke, der uns Einblick in sein Manuskript gewährte. Herodot sagt, dass Kilikien Quartier der persischen Reiterei sei. Damit kann nur Großkilikien gemeint sein, das erst unter Kyros II. bis an die Euphrat-Grenze (ouros) gegen Armenien (Hdt. 5,52,3) bei Meliddu (Malatya) erweitert wurde. Es deckt damit große Teile des Gebietes ab, welches die Meder Katpatuka (Kappadokien) genannt hatten. Die altpersischen Inschriften nennen nur den Begriff Katpatuka für diese Großlandschaft, da sie nur Provinzen auflisten. Kilikien als Teil dieser Provinz wird daher nicht erwähnt. Sehr skeptisch einem medischen Einheitsstaat gegenüber ist Sancisi-Weerdenburg (1994); ihr folgt Briant (2002), 24– 28. Unentschieden scheint Kuhrt (1995), 652– 658. Wir bleiben bei unserer Meinung (Högemann [1992], 96 – 106), ergänzen sie aber nun durch Argumente aus dem Bereich der Indoiranistik. Die Historiographie des Zweistromlandes ist alles andere als objektiv, vielmehr wurde sie vielfach nach ideologischen Gesichtspunkten fabriziert; dazu kamen „Lobpreisungen“ (eulogiai), auch „Schönrednerei“, so etwa Glassner (2004), darin vor allem „The Future of the Past“ (3 – 33; aber auch 48 – 51).
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nalen? Sie wollen uns nicht informieren, wie es war, sondern glorifizieren, wie es dem Herrscher gefällt. Sie verfolgen ihre eigene Wahrheit, wie auch das Alte Testament¹¹ und Herodot je für sich ihre eigene Wahrheit zu besitzen beanspruchen. Die alte Frage nach der „Glaubwürdigkeit“, einem etwas verstaubten Begriff, ist im Grunde naiv. Es kann nur eine Konvergenz zur Wahrheit geben. Für Herodots Einschätzung des medischen Reiches sprechen eine Anzahl von (auf lautlichem Weg feststellbaren) Lehnwörtern aus dem Medischen¹² im Altpersischen und vor allem deren Bedeutungssphäre. Zu ihnen gehört die Formel: Auramazdā utā aniyāha bagāha ‚Ahuramazda und die anderen Götter‘ (auf echt altpersisch hieße es *aniyaiy bagaiy), vispa-zana ‚alle Stämme umfassend‘ (dagegen ap. *visa-dana‐) usw., ferner medische Personennamen adliger Perser wie Vištāspa- (gr. Hystaspes) und Aspacanah-. Wahrscheinlich ist das dem altpersischen Adjektiv uvaspa- ‚mit guten Pferden versehen‘ zugrundeliegende medische *hu-aspa- Bestandteil der offiziellen Titulatur des Mederreiches gewesen, wie R. Schmitt annimmt.¹³ Die Lehnwörter sprechen dafür, dass der Zeit der Herrschaft der Perser (Achämeniden) in Iran eine Epoche vorausging, in der die Meder ihnen kulturell und organisatorisch überlegen waren – kurzum, dass im späten 7. Jh. v.Chr. ein medisches Reich wirklich existierte. Die assyrischen Quellen dieses Jahrhunderts scheinen dagegen ein anachronistisches Mederbild zu tradieren, das aus der Zeit der ersten Kontakte im 9. Jh. v.Chr. stammt, als die Meder vielleicht wirklich noch als Kleingruppen auftraten und die Assyrer sie Ummānmanda¹⁴ nannten, was seit Alters eine Feindgruppe unbekannter Nationalität bezeichnet hatte und sinngemäß etwa meint: „Wer kennt diese Leute?“ Was für Herodots Sicht vom medischen Reich am entschiedensten spricht, ist die Heeresreform des Kyaxeres, auf die Herodot sachkundig eingeht (Hdt. 1,103,1): Lanzenträger, Bogenschützen und Reiterei, die früher in gemischten Haufen gekämpft hätten, seien jetzt in getrennt operierende Waffengattungen (gr. kata telea) überführt worden. Wenn es stimmt, dass die Wehrverfassung Auskunft gibt über die Verfasstheit einer Gemeinschaft gibt, dann ist Medien ein Staat. Und wenn Herodot davon spricht, dass Leute, die „in Asien (wohnen)“ in dieses Wehrsystem eingegliedert wurden, dann ist die medische Nation nicht zuletzt auch eine Prägung durch das Heerwesen. Auch wenn das medische Heer wohl nicht unbedingt
Dass das AT dem historischen Ablauf näher stehen kann als die assyrischen Annalen, zeigt z. B. Evans (2009), 141– 150. Auch im Griechischen gibt es Lehnwörter aus dem Medischen, wie z. B. paradeisos ‚Tiergarten‘ aus medisch *paridaiza-; vgl. avestisch pairi.daēza-. Wäre das Wort aus dem Altpersischen entlehnt, so würde es *paradeidos lauten. Schmitt (1989), 88 f. Zu Ummān-manda s. AHw s.v. 1413.
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Geophysikalische Daten. Flussgrenzen und Flussgötter
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fünf Jahre ununterbrochen in Anatolien kämpfte und kampierte, so ist doch die Tatsache bedeutsam, dass es offenbar über längere Zeiträume irgendwie zusammengehalten worden sein muss. Das setzt ein militärisches Führungsamt und einen politischen Willen voraus, der es vermochte, ein Heer in eher unwirtlicher Landschaft ohne Aussicht auf große Beute auf eine einmal gefällte Grundsatzentscheidung einzuschwören, d. h. den Stellungskrieg durchzustehen. Mit diesem reformierten Heer, das dem Typus eines vorderorientalischen Heeres in wesentlichen Punkten entspricht, kämpfte Kyaxares siegreich gegen das assyrische Ninive (612 v.Chr.). „Er gewann ganz Asien oberhalb des Halys für sich“ (Hdt. 1,103,2, vgl. Hdt. 1,130,1). Daraus folgern wir, dass Kyaxares in Maliddu (Melitene) einmarschierte.
Geophysikalische Daten. Flussgrenzen und Flussgötter Auf welchem Wege kamen die Meder nach Anatolien? Man hat früher vom „Eurasischen Geleise“ (G. Ipsen) gesprochen, welches der Länge nach zwischen den beiden Küstengebirgen im Norden und Süden durch Anatolien verlaufen und dieses mit dem Balkan auf der einen und mit dem iranischen Hochland auf der anderen Seite verbunden hätte, so dass Anatolien also als „Brückenlandschaft“ (A. Goetze) fungiere. Hethiter, Phryger und die Perser unter Kyros II. hätten dieses Gleis befahren, wenn auch nicht auf ganzer Länge. Der Begriff „Eurasisches Geleise“ ist veraltet und der Begriff „Brückenlandschaft“ steht heute in der Kritik. Es gibt viele Wege und Straßen von Osten nach Westen, allerdings nur wenige in Nord-Süd-Richtung. Die wichtigste von wenigen Abzweigungen aus dem sog. Geleise heraus ging nach Süden, nach Mazaka/Caesarea (Kayseri), dem wichtigsten Straßenknotenpunkt Zentralanatoliens, von wo u. a. die Straßen nach Kilikien und nach Syrien am Mittleren Euphrat ihren Ausgang nahmen.¹⁵ Den Begriff „Brückenlandschaft“ lehnen wir nicht grundsätzlich ab. Er muss aber mit dem Hinweis versehen werden, dass Anatolien kein Transitland war, sondern ein Land mit belebenden und zu Neuerungen anregenden Straßen, ein Land also mit einer Hochkultur, die unverwechselbar und eigenständig war, freilich immer nur im Rahmen des vorderorientalischen „Hochkulturkreises“ (H. Castritius). Der Halys war als Grenzmarkierung in der an Landmarken ansonsten armen Gegend Zentralanatoliens von einiger Bedeutung. Hier sei zunächst auf die
Hild (1977) konnte, wenn auch für eine viel spätere Zeit, aufgrund der besseren archäologischen Fundlage Karten und Diagramme von vielen Straßen und Brücken, u. a. über den Halys, erstellen, aber auch die Hindernisse, z. B. Salzsee und Berge, erkennbar machen.
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theologische und rituell magische Konzeption eingegangen, die einen Fluss wehrhaft macht.¹⁶ Platon, der sich auf die Begriffe Polytheismus und Monotheismus¹⁷ – beide entstammen nichtgriechischem Denken – hinsichtlich der Religion nicht festlegen lässt, sagt im 10. Buch seiner Politeia: „… den Fluss, der eine Gottheit ist“ (ton potamon, theon onta, rep. 391b). In Thessalien ist der Spercheios ein Gott und entsprechend wird er durch Opfer kultisch verehrt (Hom. Il. 23,146). In Anatolien scheint der Flussgott eine ganz besondere Rolle gespielt zu haben, und zwar vom bronzeitlichen Euphrat (heth. Mala) im Osten¹⁸ bis in den äußersten Westen Anatoliens zur Zeit der Dunklen Jahrhunderte, wo dem Skamandros etwas seiner Göttlichkeit Hohnsprechendes widerfuhr. Der Skamandros, ein Sohn des Zeus, mit Kult in Troia, geehrt mit Stier- und Pferdeopfern, ist sozusagen als Grenzfluss anzusehen, und zwar zwischen zwei Poleis, nämlich Troia und dem griechischen Schiffslager, also griechischem Rechtsverständnis entsprechend. Am Fluss, ja sogar im Flussbett selbst schlachtete Achilleus die Troer der Reihe nach ab. Der Skamandros seinerseits, von Leichen angefüllt, versuchte Achilleus in aufwallendem Wasser zu ertränken. Nur mit knapper Not, und weil er ein sehr guter Läufer war, konnte er der Gefahr des ihm nachflutenden Skamandros entrinnen.¹⁹ Der Skamandros steigt sozusagen aus seinem Bett aus. Auch der Halys hatte die für die Menschen ungute Angewohnheit, sein Flussbett zu verlassen und zu verändern. Ihn stellt in einem hethitischen Ritual der Wettergott des Himmels unter Eid, dies in Zukunft zu unterlassen.²⁰ Der Mensch tat gut daran, den Fluss mit Gebet und Opfer zu ehren und ihn freundlich zu stimmen. Denn Flüsse müssen nun einmal überquert werden. Wer respektvoll mit den Flussgöttern umging und die traditionellen Rituale einhielt, konnte nach geglückter Überquerung grenzenlosen Ruhm erwerben. Es gibt in der Antike wohl nur wenige andere Kulturleistungen, die höher geschätzt wurden als der Brückenbau und alles, was mit wasserwirtschaftlichen Dingen befasst war (vgl. die detaillierte Beschreibung des „antiken Suezkanals“ des Necho, Hdt. 2,156). Und für den Herrscher war es ruhmvoll, auf Brücken den Euphrat
Nissinen (2014) fasst Flussüberquerungen zusammen „as acts of royal skill and divine will“. Vgl. den Konferenzband Pongratz-Leisten (2011). Der Flussgott war erzürnt wegen Vernachlässigung des Opferdienstes. Man pflegte diese Götter durch ein eigenes Ritual zu besänftigen, vgl. CTH 378,2 §3 (A Vs. 6′–12′), dazu Singer (2002), No. 11, S. 57– 61. Der Flusskampf, der weit über die Hälfte des 21. Gesangs der Ilias einnimmt, gliedert sich in zwei Teile (in 1– 232 ist Achilleus handelndes Subjekt, in 233 – 384 fällt diese Rolle dem Skamandros zu). Haas (1970); Högemann/Oettinger (2006). Hier schon der Hinweis, dass im lydisch-karischen Raum luwischer Untergrund existierte und bis in die römische Kaiserzeit produktiv blieb.
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Neue Landschaftsnamen: Kappadokien, Kilikien und Syrien
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zusammen mit seinem Heer trockenen Fußes überquert zu haben.²¹ Damit bekommt die Frage, was denn Thales eigentlich am Halys trieb, eine besondere Bedeutung. Auch die technische Vorgehensweise wird dann zur Sprache kommen. Die Halysgrenze hätte auf jeden Fall durch Festungsstädte gesichert werden müssen, wie das die Urartäer vormachten, die solche Festungen ja nicht nur gegenüber Assyrien und am Oberen Euphrat mit Blick gegen Anatolien, sondern auch im Gebiet der transkaukasischen Flüße Kara und Araxes zum Schutz vor Kimmeriern und Skythen anlegten. Die Urartäer waren wahre Meister im Stadtund Festungsbau, der in seiner Art genuin urartäisch, d. h. ohne Vorbild ist, und von Rusa II. (ca. 685 – 645 v.Chr., Zeit Asarhaddons und Assurbanipals von Assyrien) beschleunigt betrieben wurde. Er gründete Karmir-blur, Bastam und Toprakkale, seine Residenz Tušpa (heute Van) kommt eher einer Festung gleich als einem Palast.²² Die Lyder kannten zwar Festungsbauten, so käme Daskyleion durchaus in Frage, allerdings nur, wenn sich nachweisen ließe, dass die Perser ihren Satrapensitz dort in genauer Nachfolge des lyderzeitlichen Vorgängerbaues errichteten. In Zentralanatolien war es jedoch ungleich schwerer, Festungsstädte im Boden zu verankern als in Urartu, wo sich diese an das gebirgige Gelände anpassen mussten und konnten. Nur im Falle Gordions haben sich sichtbare Reste lydischer Architektur erhalten, die zu einem Befestigungswerk gehört haben können. Ein zureichendes Bild lässt sich aber auch hier kaum gewinnen.
Neue Landschaftsnamen: Kappadokien, Kilikien und Syrien Wenn wir auf die Frage zurückkommen, auf welchem Weg die Meder nach Anatolien gelangt sein könnten, fällt der Euphratübergang bei Karkamis als Kandidat
Aufschlussreich ist hier die hethitische Legende vom Feldzug Sargons I. von Akkadê (2340 – 2284 v.Chr.) nach Purushanda (KBo 20.6). Es heißt dort: „Und er (sc. Sarrukinas/Sargon) opferte dem heiligen Fluss Aranzah einen Stier und sieben Schafe. Den Brücken (der Brücke? ar-mi-iz-zi) aber opferte er zwei Widder … Sarrukinas überschritt den Fluss und forderte die Befehlshaber des Heeres zum Überschreiten auf“ (I 14′–20′, Ü: Otten [1983], 433), s. dazu Güterbock (1969). Hattusili I. nimmt um ca. 1650 v.Chr., anlässlich seiner Feldzüge in Syrien, in den Schluss seines Berichts eine historische Reminiszenz auf (CTH 4), indem er seine Euphratüberquerung mit der Sargons I. vergleicht; s. von Schuler (1987– 90), 69. Hier sei schon auf Kroisos verwiesen, der am Halys in ionisch-säkularisierter Zwecksetzung Thales von Milet damit beauftragte, Vorkehrungen zu treffen, den Fluss für das Heer passierbar zu machen. Vgl. auch allgemein zu Flussüberquerungen Rollinger (2013). Zwei Namen sind hier zu nennen W. Kleiss und S. Kroll. Sie sind vor allem mit der Stadt/ Festung Bastam verbunden; vgl. Kleiss (1982); Kroll (1984).
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wohl aus. Denn hier hatten die Ägypter von 609 – 606 v.Chr. ihr militärisches Hauptquartier, ihnen folgten 605 v.Chr. die Babylonier in der Belegung, die zunächst für Anatolien allerdings kein militärisches Interesse zeigten. Das Verhältnis Nabopolassars von Babylon zu dem Meder Kyaxares, seinem ehemaligen Bundesgenossen im Kampf um Ninive (612 v.Chr.), hat sich jedoch innerhalb weniger Jahre merklich abgekühlt.²³ Nur ein weiter nördlich gelegener Flussabschnitt kommt deshalb als Übergangsstelle in Frage, und hier ist der westeuphratische Raum mit Malitiya (gr. Melitene, heute Malatya) die erste Wahl: Malitiya, der Name ist spätbronzezeitlich belegt, und Kummaha (Kommagene) sind späthethitische Staaten. Als Brückenkopf ist die ehemals urartäische Festung Tumiski auf der Ostseite des Euphrat in den Blick zu nehmen. Sarduri II. von Urartu (756–ca. 730 v.Chr.) stieß hier auf den Euphrat und sagte: „Ich betete zu Haldi, meinem Herrn, zum Wettergott, zum Sonnengott, zu den Göttern von Biainili (d.i.Urartu). Es erhörten mich die Götter, sie öffneten mir den Weg, …“ (Ü: Salvini [1995], 68). Ziel des Feldzuges war Malitiya.²⁴ Wie wichtig für Kroisos die Eroberung Kappadokiens war, lässt sich erst richtig ermessen, wenn man nicht nur Kappadokien in seinen Grenzen, sondern auch die Nachbarlandschaften Kilikien und Syrien mit in den Blick nimmt. Die drei Landschaften werden bei Homer nicht genannt (wohl aber Kilikes ‚Kilikier‘ mit problematischer Einordnung); innerhalb der griechischen Literatur werden sie erst bei Herodot erwähnt, doch sind ihre Namen viel älter. Das Datum 705 v.Chr. scheint uns hier wesentlich. In diesem Jahr gaben die Assyrer ihre nördlichste, zur Grenzfestung ausgebaute Provinz Tabal mit ihren Zentren Mazaka und Tyana auf. Vorher hatten sie vermutlich das Vordringen der Phryger in die kilikische Ebene noch stoppen können, nun aber blieb die Gegend sich selbst überlassen. So kamen Kimmerier, ein iranisches Volk von nördlich des Schwarzen Meeres, unter ihrem Anführer Dugdamme, dessen Namen vielleicht nur irrtümlich mit dem karischen Lygdamis gleichgesetzt wurde, bis zur Kilikischen Pforte. Erst dort konnten sie im letzten Moment am Einfall in die Küstenebene gehindert werden. Die Kilikier, die um 705 noch beiderseits des Halys beim heutigen Kayseri siedelten, fühlten sich vermutlich nach dem Abzug der Assyrer nicht mehr sicher; ein Teil von ihnen zog in die später von Strabon Kilikia Pedias genannte Landschaft, wo Reste der assyrischen Kappadokien-Armee mit der Provinz Que eine Art Auffangstellung bildeten. Die entscheidende Folge des assyrischen Rückzugs war wohl das Auftreten der Meder in Kappadokien. Nachdem sich Stämme dieses
So auch Joannès (1995). Felsinschrift HChI Nr. 104. Die Inschrift bei Izoğlu befindet sich heute unter Wasser des aufgestauten Sees von Karakaya.
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Neue Landschaftsnamen: Kappadokien, Kilikien und Syrien
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iranischen Volkes vorher schon lange Zeit in den westiranischen Gebirgen aufgehalten hatten, versuchten sie nun, zum Mittelmeer vorzudringen, was eine Gefährdung des altorientalischen Staatensystems darstellte. Allerdings sind die Meder in Zentralanatolien schlecht dokumentiert. Ob die Festung Pteria, der am stärksten befestigte Ort dieser Gegend, wie Herodot sagt, ein iranischer Dynastensitz von der Art war, wie sie aus achämenidischer Zeit neuerdings in Anatolien ausgegraben werden, lässt sich nicht entscheiden. Die Meder waren vielleicht die natürlichen Verbündeten der Kilikier, die sich unter dem Syennesis zur Gründung eines Seereiches von Selinus, der späteren Grenze des lydischen Reichs, bis zum Amanos-Gebirge, der Grenze zu Syrien, aufmachten. Nur als Küstenlandschaft haben die seefahrenden Griechen Kilikien wahrgenommen. Die Vereinigung beider Kilikien, des Rauen mit dem Ebenen, fällt in die Zeit des Perserkönigs Kyros, der das Herrschaftsgebiet des Syennesis zu einem „satrapal kingdom“ umwandelte und bis an den Oberen Euphrat in Armenien mit weiterem Landbesitz ausstattete. Die kilikische Ebene hieß noch in hellenistischer Zeit „Kappadokisches Kilikien“. Schwieriger steht es mit Syrien. Das Neubabylonische Reich bestand aus Babylonien und Assyrien. Die Perser benutzten für ihre Obermesopotamien und Syrien umfassende Satrapie traditionsbewusst weiterhin den Namen Athura, während der westliche Teil dieses Gebietes bei der dort lebenden Bevölkerung sicher bereits Sura hieß, was die Griechen zu Syria umgestalteten. In politischer Hinsicht war Nabonid, der Herrscher des Neubabylonischen Reiches, sicher ein Verbündeter der Lyder, doch blieb dieses Bündnis ohne Wirkung. Den Bewohnern Mesopotamiens war wenig an Anatolien gelegen, weshalb es nicht zu einer militärischen Unterstützung Lydiens kam. Während eine große Zahl von Ländernamen Anatoliens bereits im 2. Jt. bekannt gewesen war, erscheinen im 1. Jt. in Zentralanatolien drei neue, nämlich Kappadokien (altpersisch Katpatuka), Kilikien und Syrien, deren Ursprung bis vor wenigen Jahren unbekannt war und die uns im Folgenden näher beschäftigen sollen. Sie treten in griechischer Überlieferung auf. Syrien lässt sich nur aus griechischem Schrifttum heraus wenigstens ansatzweise in seinen Grenzen bestimmen. Als abgegrenzter, vermessener Großraum wird es von Strabon vorgestellt (Strab. 16,2,1– 3). Im Nordwesten grenzt Syrien an Kilikien;²⁵ und die Distanz vom Meer (gemeint ist der Golf von Issos) bis zur Brücke am Euphrat, gedacht ist wohl an Zeugma, betrage vierzehnhundert Stadien, so Strabon. Zeugma liegt etwas nördlich von Karkamis. Daraus folgt, dass Karkamis zu Syrien gehörte.
Nach Hdt. 3,91,1 liegt die Hafenstadt Poseideion „an den Grenzen (Plural) zwischen Kilikien und Syrien“. Als Landmarke grenzt das Amanos-Gebirge Kilikien von Syrien ab (vgl. Strab. 16,2,1– 3).
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Die Perser teilten das Gebiet in die beiden Satrapien Athura und Katpatuka ein. An Stelle von Athura, also Assyrien, sagten die Griechen Syria. Darauf bezieht sich Herodot (7, 63) wenn er anlässlich des Heereszugs des Xerxes nach Griechenland schreibt: „Die Assyrer … hießen bei den Griechen Syrer, bei den Barbaren aber Assyrer.“ Anlass dieser sprachlichen Differenzierung war, wie wir heute wissen, die Sprache der Luwier. In den hieroglyphen-luwischen Inschriften KARKAMIS A 6 §6 und ÇINEKÖY §6 erscheint statt der erwarteten Stammform Asura- ‚Assyrien‘ die Form Sura-. Dies zeigt, dass Asura- in dieser Sprache zu dieser Zeit zu Sura- geworden war, und zwar durch sprachliche Aphärese. Diese Aphärese wirkte im Luwischen schon früh, wie der in einem Text der hethitischen Großreichszeit auftretende Griechenname Tawagalawa- zeigt, der aus mykenisch *Etewoklewes (später: Eteokles) stammt und an Stelle des zu erwartenden *Attawagalawa- Aphärese zeigt. Die Hethiter haben den Namen also durch luwische Vermittlung kennengelernt. Ebenso bezeichnen die Hethiter Griechenland als Ahhiyawa, während bei den Hieroglyphen-Luwiern später das (ehemalige) griechische Siedlungsgebiet um Adana als Hiyawa mit Aphärese erscheint. Diese lautliche Eigenschaft des Luwischen findet sich nur bei fremden Namen und Appellativen und beruht darauf, dass in solchen Fremdwörtern unbetontes anlautendes a- auftrat, in echt luwischen Wörtern aber nicht.²⁶ Geschrieben ist dieses Sura- mit dem Hieroglyphenzeichen SU1, das die Form eines umgekehrten Warndreiecks hat. In der Inschrift KARKAMIS A 15b, 4 §18 dagegen rühmt sich der Herrscher Jariri, sowohl in der Schrift von Zura- als auch in der von Asuraschreiben zu können. Da jedoch ein Teil der Forscher das Zeichen ZU traditionell als SU3 liest, kam es zu dem Missverständnis, als sei mit dem Land Sura- in KARKAMIS A 6 und ÇINEKÖY das gleiche gemeint wie mit (der Schrift von) Zurain KARKAMIS A 15b. Jedoch meint letzteres die Schrift von Tyros,²⁷ also die aramäische Buchstabenschrift, während das dort darauf folgende Asura- das gleiche meint wie das Sura- der beiden anderen Inschriften, nämlich (hier die Schrift von) Assyrien. Aber zurück zum Assyrernamen selbst: Die Griechen nun
S. Melchert (2010); auch auf seinen Aufsatz „The Anatolian Hieroglyphic Signs L 41, L 172 and L 319 = L 416“, der in einer Festschrift erscheinen wird und den er uns dankenswerterweise vorab bekannt gemacht hat, sei hingewiesen (Melchert [i. Vorb. b]). Der Vorgang ist also teilweise der Entwicklung von fremden Namen mit unbetonten ersten Silben im Deutschen vergleichbar, wenn z. B. aus Johannes Hans und aus Elisabeth Liese wird. Die Frage vergleichbarer Phänomene anderswo, z. B. im Lydischen, diskutiert Yakubovich (2005), 75 – 80. Auch hieroglyphen-luwisch wa/ i-na-ha ‚hinweg‘, das Yakubovich (2012), 326 mit hethitisch awan arha identifiziert hat, beruht auf sprachwirklicher Aphärese, indem /áwan árha/ ins Luwische univerbiert als *awanáhha entlehnt wurde und dann /wanáhha/ ergab; vgl. Melchert (2013), 307. Insofern richtig, wenn auch noch ohne Differenzierung, Starke (1997a), 382– 385.
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Neue Landschaftsnamen: Kappadokien, Kilikien und Syrien
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hörten diesen Namen in zweierlei Form, nämlich von den Luwiern Kleinasiens und Syriens als Sura- und von allen übrigen Völkern in der ursprünglichen Lautung Asura. Infolge der sich durch den Zusammenbruch Assyriens ändernden politischen Verhältnisse entstand bei ihnen der Eindruck, Sura und Assura seien zwei inhaltlich verschiedene Begriffe, indem nämlich Sura das westlichere um Karkamis und Aleppo und Asura des östlichere, von den Medern zerstörte Gebiet um Assur und Ninive bezeichne. Der Grund war wohl, dass die Luwier, die ja „Sura“ sagten, im Westen und nicht im Osten des Gebietes wohnten.²⁸ Die Griechen formten diesen neuen Ländernamen Sura- zu Syria um, ebenso wie z. B. Hilaka zu Kilikia (s. im Folgenden) oder den lydischen Ländernamen *Luwda zu Lydia. Somit war erstmals ein gemeinsamer Name für das Gebiet zwischen Tauros, Amanos, Euphrat und Palästina entstanden, nämlich Syria.Vorher hatte man hier zunächst nur die einzelnen Stadtstaaten aufzählen können, und dann war das Gebiet einfach nur der Westen Assyriens gewesen. Infolge des glücklichen Zufalls dieses Missverständnisses der Griechen können auch wir Heutigen zwischen Syrien und dem alten Assyrien in Obermesopotamien sprachlich differenzieren.²⁹ Während sich also die Entstehung des Namens Syrien in die luwische Zeit im weitesten Sinne datieren lässt, ist die Lage beim altpersischen Provinznamen Katpatuka ‚Kappadokien‘, der erstmals bei Darius in der Inschrift von Bisutun um 518 v.Chr. bezeugt ist, etwas anders. Eine plausible Erklärung hat jetzt I. Yakubovich vorgelegt. Man muss zwei Schritte unterscheiden: Zunächst wurde ein hethitischer Ausdruck *katta peda- ‚untere Lokalität‘, der die kilikische Ebene im Gegensatz zum Hochland bezeichnete, an die luwische Sprache dieser Ebene als Name *Katt(a)padda- assimiliert. Dies muss spätestens am Ende der Hethiterzeit um 1200 v.Chr. erfolgt sein. Im Iranischen wurde davon mittels des Deminutivsuffixes -uka- die Bildung Katpatuka-, wörtlich etwa ‚Katpat-(Länd)chen‘, abgeleitet.³⁰ Daraus folgt, dass Katpatuka im 2. Jt. noch die kilikische Ebene bezeichnet hatte. Die Wortbildung Katpatuka selbst dürfte durch die Meder im Zuge ihrer Ausdehnung nach Westen erfolgt sein, also wahrscheinlich im 7. Jh. v.Chr. Nun kommen wir zur ursprünglichen Lokalisierung des Namens Kilikien, die nicht einfach ist. Bald nach 600 v.Chr. taucht der Name Kilikien im Griechischen auf. Der entsprechende hieroglyphen-luwische bzw. assyrische Name Hilaka/ Hilakku, der den Zusammenbruch des assyrischen Reiches überlebte, bezeich-
Vgl. auch die Diskussion bei Rollinger (2006); Yakubovich (2015), 40. Wie praktisch solche sekundären Differenzierungen sein können, zeigt beispielsweise das deutsche Wortpaar „Inder“ und „Indianer“. Im Gegensatz zur Situation im Englischen, wo beide Völker „Indians“ heißen, kommt es hier nie zu Verwechslungen. Ähnlich Yakubovich (2014); zum iranischen Suffix -uka- vgl. avestisch apǝrǝnāiiuka- ‚minderjährig‘.
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nete die Gegend am Oberen Halys. Das neue Kilikien dagegen ist die Landschaft am Mittelmeer, der Herrschaftsbereich einer Dynastie, deren Oberhaupt den Titel Syennesis trug. Dieses nördliche Hilaka ist in seiner Größe kaum zu bestimmen. Ob es von Tabal zu trennen oder mit ihm (teilweise) zu identifizieren ist, stellt ein ungelöstes Problem dar.³¹ E. Forrer nennt als Zentrum von Hilaka die Gegend von Mazaka.³² Auch Tuhana/Tyana wurde schon vorgeschlagen. Wir hören einmal von „21 befestigten Städten mitsamt ihren umliegenden Ortschaften“ im Raum Mazaka.³³ Vor die Frage gestellt, wie das nördliche und das südliche Kilikien, also Hilaka/Hilakku und Kilikia, denn eigentlich zusammenhängen, wird man zu der Annahme geführt, dass mit Hilaka die Stammlande der Kilikier bezeichnet sind, mit griechisch Kilikia dagegen – nach Umsiedlung eines Teils der Bewohner von Hilaka – die neue Heimat der Kilikier bezeichnet wurde. Die Wanderbewegung in Richtung Meer ist bemerkenswert, aber für Anatolien nicht gerade ungewöhnlich. Nachdem sich gezeigt hatte, dass der Phryger Midas das Kimmerierproblem nicht lösen konnte, sondern selbst für die kappadokischen Länder zum Problem wurde, und als dann auch noch um 705 v.Chr. die Assyrer ihre Provinz Tabal verließen und sich abzeichnete, dass auch vom Lyder Gyges nur eine Fortsetzung der schwankenden Bündnispolitik eines Midas zu erwarten sei, brachen die Kilikier aus dem Raum des heutigen Kayseri aus auf und nahmen nach und nach das ganze nachmalige Kilikien in Besitz (Hdt. 9,107). Erst kurz vor 600 errichteten sie eine Herrschaft unter Syennesis. Dieser muss eine machtvolle Persönlichkeit
Was wir wissen, ist, dass Salmanassar III. (858 – 824 v.Chr.) 836 v.Chr. als erster Assyrer Tabal (= Bīt-Burūtaš?) eroberte und tabalische Könige tributpflichtig machte, die teilweise noch hethitische Traditionen pflegten; s. Aro (2011– 2013), die Tabal ins heutige Vilayet Nevşehir setzt. Auf dem Bergrücken der Kulmaç Dağlari wurde auf 100 km Länge Mauerwerk festgestellt, das in die assyrische Zeit gehören könnte (s. Müller-Karpe [2009a; 2009b]), als Mauer gerichtet vielleicht gegen Phryger und Armenier. Erst in den Quellen der letzten babylonischen Könige Neriglissar und Nabonid (556 – 539 v.Chr.) kommt die kilikische Küste in den Blick, und zwar Landschaften, leider ohne Namen der Bewohner. Dabei heißt (māt) Pirindu der westliche und (māt) Ḫumē der östliche Teil. Durchgesetzt hat sich nur griechisches Kilikia, und zwar mit der bemerkenswerten Wirkung, dass bis heute nicht einmal auch nur die Frage gestellt worden ist, wie denn die Kilikier sich selbst und auch ihr Land bezeichnet haben. Wenn von Steph. Byz. s.v. Soloi Hekataios (FGrHist 1 F268) korrekt wiedergegeben ist, dann wird erst in der Zeit des Kyros oder Dareios der Name Kilikia, und zwar als der einer ungeteilten Landschaft am Mittelmeer, für die Griechen gebräuchlich. Forrer (1920), 76: „Hilakku ist die Landschaft Kilikia, die noch in römischer Zeit ein Bezirk von Kappadokien war“. Eine ähnliche Meinung vertrat schon Marquart (1905), 100 f. Borger (1956), Nin. A III, 1,52, s. auch Hawkins (1972– 1975), 402. Als hätte die Stelle Herodot gekannt, wenn er von der befestigten Stadt Pteria und den im Umkreis benachbarten Dörfern spricht. Letztere nennt er hai perioikides (Hdt. 1,76,2, LSJ s.v.: „pecul. fem. of períoikos“, nur noch Hdt. 9,115, hier für Dörfer von Sestos gebraucht).
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Neue Landschaftsnamen: Kappadokien, Kilikien und Syrien
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gewesen sein, denn anders ist es nicht zu erklären, dass er neben dem Babylonier Nebukadnezar als Teilnehmer an der Waffenstillstandskommission von „585 v.Chr.“ eingeladen wurde. Meder und Lyder waren um 600 v.Chr. sozusagen neue Faktoren im Machtgefüge und wurden daher von Babyloniern und Kilikiern als Gefahr für die Ordnung empfunden. Dabei fürchteten die Babylonier natürlich eher die Meder, die ihrem eigenen Gebiet näherlagen, während den Kilikiern die Lyder im Nacken saßen. Die Grenze verlief laut Herodot (1,28) westlich des Halys. Um das zu verstehen, muss Herodots Auffassung vom Verlauf des Halys geklärt werden. Damit wiederum ist auch unsere These von der Wanderung der Kilikier zu verbinden, von der sonst keine antike Quelle berichtet. Für beide Probleme ist eine Analyse von Hdt. 1,72 notwendig. Der Halys zeigt bei Herodot zwei völlig verschiedene Stromverläufe und wird dennoch für ein und denselben Fluss gehalten.³⁴ Der „erste“ Stromverlauf beschreibt einen Halys, der aus dem Gebirge Armeniens kommt.³⁵ Er fließt durch „(das Land) der Kilikier“ und wendet sich dann nach Norden dem Pontos zu. Da Herodot zwar durch die Überlieferung von einem nördlichen, binnenländischen Kilikien wusste, es aber nicht aus eigener Anschauung kannte, und da die seefahrenden Griechen seiner Zeit nur ein mittelmeerisches Küstenland Kilikien kannten, suchte er einen Kompromiss aus beiden Informationen. Deshalb nahm er statt des gekrümmten Laufs des Halys einen geraden nord-südlichen Verlauf an und war so gezwungen, den Oberlauf dieses Flusses nahe an die Südküste Anatoliens zu verlegen. Das ist kartographisch nicht darstellbar und geographisch auch nicht vorstellbar. Für uns ist dieses Konstrukt Herodots Anlass zu der Hypothese, dass eine Wanderung der Kilikier von der Gegend von Kayseri aus in die kilikische Ebene stattgefunden hatte, was eben auch zur Wanderung des Namens und der Verwirrung bei Herodot geführt hat. Das macht verständlich, warum nach der Vorstellung Herodots das Lyderreich an ein Kilikien grenzte, das westlich des Halys lag. Diese Wanderung blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Griechentum in Kilikien. Die Dynastie des Muksas (phönikisch MPŠ) in der hierglyphenluwischphönikischen Bilingue vom Karatepe war schon vor längerer Zeit mit dem Städtegründer Mopsos der griechischen Überlieferung in Verbindung gebracht wor-
Herodot gibt einmal den Halys als Süd-Nordstrich wieder (Hdt. 1,72,3), und diese Angabe hängt er mit dem überleitenden Pronominaladverb houtos ‚so, auf diese Weise‘ (frei übersetzt: „um es mit anderen Worten zu sagen“) an die völlig andere Beschreibung des Halys mit seiner typischen und charakteristischen Richtungsänderung an (Hdt. 1,72,2). Gemeint ist Armenia minor (heute die Region von Sivas), die im 8./7. Jh. v.Chr. wahrscheinlich schon von Armeniern besiedelt war.
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Abb. 1: Süd- und Südostanatolien sowie Norrdsyrien (15.–7./.6. Jh. v. Chr.) Brought to you by | University of Warwick Authenticated Download Date | 9/16/18 6:43 PM
Kroisos und Delphi
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den.³⁶ In neuerer Zeit hat man vorgeschlagen, die mythologische Gestalt des Mopsos als historische zu verstehen, und zwar als Anführer von Griechen (heth. Ahhii̭awa), der im 11. Jh. v.Chr. im Zuge der Seevölkerbewegung in die kilikische Ebene zog und dort eine griechische Herrschaft und Dynastie errichtete.³⁷ Der Name Ahhii̭awa überlebte dort in der hieroglyphen-luwischen Form Hii̭awa (Hiyawa) bis zum Ende des 7. Jh. v.Chr., die griechische Sprache jedoch nicht. Unsere Annahme einer zwischenzeitlichen Einwanderung von Kilikiern in diese Ebene passt nun gut zu diesem Befund, denn sie hätte sicher dazu beigetragen, das Luwiertum sprachlich zu verstärken und dadurch das Griechentum zu verdrängen. Was mit Kappadokien genau gemeint ist, lässt sich nur anhand der griechischen Quellen, vornehmlich anhand des Kroisosfeldzugs im Osten, erschließen. Infolge dessen ist Kappadokien eine Landschaft südlich des Oberen Halys. Als sich der persisch-medische Gegensatz in Iran verschärfte, dürften die Meder vor dem Jahr 550 Kappadokien verlassen haben. Ungefähr zur gleichen Zeit dürfte die babylonische Provinz Ḫumē (Kilikia Pedias) aufgegeben worden sein. Damit brach die babylonische Anatolienpolitik ab; geliebt hatten sie dieses Land sowieso nie. Kroisos wird über die kappadokischen Gebiete gut Bescheid gewusst haben und befürchtete einen Vorstoß der Perser als Nachfolger der Meder. Wusste aber auch das Orakel von Delphi über diese ferne Gegend Bescheid?
Kroisos und Delphi Opfer, Gebet und Orakel sind die drei Säulen vorderasiatischer Religion. Der Krieg im Osten wurde von Kroisos sorgfältig vorbereitet. Viele Orakelstätten, genau genommen verteilten sie sich auf alle drei Kontinente (Hdt. 4,42, zuerst bei Pind. P. 9,8), wurden zunächst, bevor die eigentliche Orakelanfrage gestellt wurde, einem strengen Test unterzogen. Nur das Orakel von Delphi erwies sich als untrüglich (apseudes), vom Heiligtum des Amphiaraos wird, etwas dunkel, gesagt „dass er (Kroisos) nur glaubte (von dort) ein untrügliches manteion (‚Orakelspruch‘) zu besitzen“ (Hdt. 1,49). An beide Orakel ließ Kroisos die gleichlautende Frage stellen, ob er gegen die Perser zu Felde ziehen solle, und beide Orakel, Delphi und das des Amphiaraos, gaben die gleichlautende Antwort, er werde, wenn er gegen die Perser ziehe, ein großes Reich zerstören (Hdt. 1,53). Mit dieser, wie man glaubte, unverhüllten „Siegesverheißung“ gestärkt zieht Kroisos in den Krieg. Gab es denn
KAI II, Nr. 26, S. 41. Oettinger (2008b).
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keine warnenden Gegenstimmen? Das Orakel von Delphi und vielleicht alle griechischen Orakel sind so konstruiert, dass sie kein ergebnisoffenes Beratungsgespräch anboten – man fertigte z. B. keine fachkundigen Expertisen an und zog diese zu Rate –, vielmehr konnte man – zumal bei einem königlichen Konsultanten – davon ausgehen, dass er genau wusste, was er wollte. Vielleicht duldete er die Einschränkung, dass der festgesetzte Zeitpunkt für die Unternehmung nicht günstig sei und weitere Vorhersagen abgewartet werden sollten oder was sonst an je nach Situation gebotenen Ausflüchte existiert haben mag. So sagt Herodot, dass Kroisos, nachdem er vom Scheiterhaufen herabgestiegem war, dem Kyros alle seine Pläne geschildert, die Antworten der Orakel (Pl.) mitgeteilt und auf die Weihgeschenke verwiesen habe. Kroisos hatte also alles selbst geplant. Darum war sein Vorwurf an Delphi, dass „der Gott der Griechen (sic!)“ ihn zum Feldzug angetrieben habe (Hdt. 1,87,3, wiederholt Hdt. 1,90,3) eine Unterstellung. Wenn also Kroisos schon vorher weiß, was er will, warum befragt er dann überhaupt noch das Orakel? G. van der Leeuw stellt nochmals klar: „Der Befrager will nicht wissen, was sich ereignen wird, er will wissen, dass geschehen wird, was er sich wünscht, …“.³⁸ Ein zweckrationaler Grund, ein Orakel zu befragen, lässt sich nicht leicht finden. Es konnte aber jedenfalls nicht schaden, wenn Kroisos seinen im Inneren gehegten Willen einmal explizit machte, indem er ihn in Worte fasste, und zwar vor einer unabhängigen Institution. Beispiele aus Israel liefern wieder einen aufklärenden sowie einen bestätigenden und vor allem kontrastierenden Hintergrund. In Israel gab weder ein festes Orakelheiligtum noch eine Pythia, die auf Anfragen hätte Antwort geben können, stattdessen hatte man die Propheten, die fest in die Struktur des Tempels eingebunden waren und den Priestern und Schriftgelehrten unterstanden (vgl. Am 7,10 – 13 am Reichstempel von Bet El). Die Könige des Nordreiches in Samaria hörten liebend gerne auf eine andere Art von Propheten, den sog. Hof- oder Heilspropheten. „Sag Gutes an!“, mit diesen Worten pflegten die Könige diese auf ihre Pflicht hinzuweisen. Ahab, der König von Israel, versammelte etwa 400 Propheten (nebiim) um sich und stellte ihnen die Frage: „Soll ich in die Schlacht ziehen gegen Ramot-Gilead oder soll ich es nicht tun?“ (1 Kön 22, hier 22,13; 22,6).³⁹ Ihre Antwort war, wie erwartet, „Ja: Zieh hinauf, damit der Herr es in die Hand des Königs gibt!“ Damit wäre auch diesmal das Verfahren zu Ende gewesen. Zufällig ergab es sich, dass unser Ahab vom König von Juda, namens Josaphat, der um 860 v.Chr. in Samaria zum Abschluss eines Bündnisses als Staatsgast weilte, gedrängt
van der Leeuw (1956), 429 (nach Lévy-Bruhl). Ob es wirklich der berühmte Ahab war, der Mann der tyrischen Prinzessin Isebel, ist umstritten, s. Miller (1966).
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Kroisos und Delphi
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wurde, eine Gegenprobe zu machen. So ließ Ahab den Michajehu kommen, der als notorischer „Unheilsprophet“ bekannt war. Als dieser auf dieselbe Frage nicht dasselbe antwortete, sondern wie folgt prophezeite: „Ganz Israel sah ich auf den Bergen zerstreut, wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (22,17), warf Ahab ihn in den Kerker. Ahab aber wird schon bald im Kampf gegen die Aramäer fallen (852 v.Chr.). Zu den markantesten „Unheilspropheten“ gehört sicherlich Jeremia, dessen Unheilsworte über Jerusalem sich auch erst als wahr offenbaren sollten, als die Stadt bereits gefallen war, nämlich im Jahr 586 v.Chr. (Jer 37,11– 40,6).⁴⁰ Damit ist ein weiterer Propheten-Typ ins Blickfeld geraten, der traditionell Schriftprophet genannt wird und deren erster Amos war. Sein Auftrag war die Ankündigung des Unheils, nicht des Heils, für Israel. Das sah in Assyrien ähnlich und doch ganz anders aus. In der Zeit der Sargoniden Asarhaddon (681– 669 v.Chr.) und Assurbanipal (669 – 631/27 v.Chr.) traten auch in Assyrien Propheten auf, die mit den sog. Heilspropheten Israels durchaus zu vergleichen sind. Ein verstärktes Sicherheitsbedürfnis der damaligen Zeit führte dazu, unablässig die Orakel zu befragen. Denn als das Vertrauen in die überlieferten Kulte nachließ und dadurch die Angst vor kommenden Katastrophen, die im Äußeren vor allem in die Kimmerier, im Inneren in den Dynastiewechsel und in die Thronfolge projiziert wurden, den König zu übermannen drohten, da wandte sich Asarhaddon direkt an Schamasch, den Sonnengott,⁴¹ immer wieder und immer besorgter. 200 seiner Anfragen haben sich erhalten. Sie alle beginnen mit der Formel: „Schamasch, großer Herr, beantworte mir mit einem zuverlässigen ‚Ja‘, was ich dich frage!“.⁴² An Antworten/Prophezeiungen sind wiederum ca. 30 Tontafeln auf uns gekommen, in denen immer wieder der Satz vorkommt: „Fürchte dich nicht!“ Es handelt sich ausschließlich um Heilsprophetien zugunsten des Königs, dem sie langes Leben und Fortbestand seiner Dynastie zusagen.⁴³ Auch Kroisos erwartete von den Orakeln wohl nichts anderes. Kroisos hätte sich durch nichts von seinen Plänen abbringen lassen, auch nicht in Gesprächen im Kreis seiner vertrauten Weisen (sophoi). Auf den Rat des Backhaus/Meyer (2016). Im großen Hymnus an Schamasch (vermutlich Ende des 2. Jt. v.Chr.) heißt es: „Es jauchzen dir zu die Lebenden allesamt; Schamasch, nach deinem Licht sehnt sich das Universum“ (Ü: W. von Soden, in: Falkenstein/von Soden [1953], B 4, 44– 46, S. 242). In diesem Hymnus erwarten die Götter den Aufgang von Schamasch. Denn ohne Licht können die Götter nichts tun. SAA IV, Nr. 18. SAA IX; Anerkennung, aber auch deutliche Kritik an Parpolas Arbeit kommt von Weippert (1988); vor allem Parpolas Bestreben, die Unterschiede zwischen Assyrien und Israel einzuebnen, sowie dessen Versuch, Asarhaddon zum Messias im alttestamentlich-jüdischen Sinn zu machen, wird von Weippert kritisiert und entschieden zurückgewiesen. Dass es nur in Israel „Unheilspropheten“ gegeben habe, darauf verweist Nissinen (1993).
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weisen Lyders Sandanis, nicht gegen die Perser zu ziehen, geht er denn auch gar nicht mehr ein. Die Befragung in Delphi geschah durch Boten. Fraglich ist, ob das Orakel überhaupt den Spielraum und vor allem die sachliche Kompetenz gehabt hätte, individuell zu antworten, wenn Kroisos persönlich anwesend gewesen wäre. Das System in Delphi war einstufig, auf eine Frage gab es eine Antwort, mehr nicht. Das delphische Orakel antwortete auf die Frage: „Was soll ich tun?“ Entsprechend lässt Kroisos anfragen: „Soll ich gegen die Perser zu Felde ziehen?“ Das Orakelwesen der Hethiter dagegen hatte mehrere Techniken gekannt, die miteinander kombiniert und so geschaltet werden konnten, dass selbst eine Überprüfung von Orakelantworten möglich wurde. Die Hethiter entwickelten darüber hinaus die Technik der mehrstufigen Orakelanfragen, die sie für die Ursachenforschung einsetzten. Die Frage aller Fragen war, warum ist die Gottheit zornig, so dass sie Erkrankungen oder ganze Seuchen zulässt oder sogar persönlich herbeiführt. Dieser spezifisch hethitische Orakeltyp findet sich wieder im 1. Gesang der Ilias.⁴⁴ Kalchas, der mantis ‚Seher‘, stellt mehrere Anfragen nach dem Grund des Zorns des Apollon von Chryse,⁴⁵ der an Appaliunas von Wilusa (Ilios), Vertragsgott im Staatsvertrag des Alaksandu mit dem Hethiterkönig Muwatalli, erinnert. Appaliunas wird als Eidzeuge für den Vertrag an zweiter Stelle nach dem „Wettergott des Heeres“ genannt (§20 A IV 1– 3). Apollon hatte die Pest über das Lager der Griechen gebracht und hörte damit nicht eher wieder auf, als bis die wahre Ursache herausgefragt und durch Sühnopfer behoben war. Heraus kam schließlich, dass Agamemnon den Priester des Apollon, Chryses, beleidigt und ihm Gewalt angedroht hatte, falls er sich noch einmal im Griechenlager zeigen sollte. Im Alten Testament kommt in Jos 7 ebenfalls dieser hethitische Orakeltyp zur Anwendung. Daran ist nichts Auffälliges, spricht doch das Josua-Buch mehrmals von den Hethitern. So gleich zu Beginn, der Herr spricht zu Josua: „… euer Gebiet soll reichen bis zum großen Strom, dem Euphrat, mit dem ganzen Land der Hethiter“ (Jos 1,4). Mit Hethiter sind die Späthethiter gemeint, also die in hethitischer Tradition stehenden Hieroglyphen-Luwier, die als kulturelle Vermittler auch nach Westen bis zu Homer hin anzusehen sind. Die Alttestamentler ohne Ausnahme, einseitig fixiert auf den mesopotamischen Kulturraum, haben die Besonderheit des Orakels gar nicht bemerkt und übergehen es, so selbst A. Knauf
Vgl. zum altanatolischen Hintergrund dieses Orakels bei Homer Högemann/Oettinger (2008). Hom. Il. 1,64– 67; 93 – 95. Die erste Anfrage lautet: „Bemängelt Apollon ein Gelübde?“ „Nein!“; zweite Anfrage: „Bemängelt Apollon ein Großopfer? Nein!“ Das Durchfragen kürzt Homer verständlicherweise ab. Die letzte Anfrage lautete: „Ist es des Priesters wegen, den Agamemnon nicht geehrt hat?“ „Ja!“
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Kroisos und Delphi
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in seinem neuen Josua-Kommentar (2008); und dies offensichtlich aus dem einfachen Grund, weil sich keine bequeme Anschlussmöglichkeit an das Zweistromland fand, andere aber gar nicht gesucht wurden. W.G. Lambert stellt nur nüchtern fest, dass im Vergleich zur babylonischen Praxis die „Hittite oracle questions are entirely different.“⁴⁶ Von Hattusa und der spätbronzezeitlichen Welt, nicht vom Alten Testament herkommend, hat dagegen Itamar Singer in wenigen Aufsätzen auf die literarischen Parallelen zwischen Hattusa und der Bibel aufmerksam gemacht. Das Mehrstufenorakel ist in der Tat ein hethitisches Produkt, es entwickelte sich zu einem „universalen Aufklärungsinstrument“.⁴⁷ Seine Entlehnung nach Israel macht besonders Jos 7 deutlich. Denn hier wird es sozusagen von der Religionspolizei Israels zur Strafverfolgung eingesetzt, genauer, um denjenigen ausfindig zu machen, der einen Teil der Beute der Stadt Ai, die als Banngut deklariert war, für sich abzweigte und in der Erde vergrub. Der Täter wurde in einem Anfrage-Marathon von offenbar längerer Dauer überführt und anschließend bestraft, worauf sich der Zorn Jahwehs wieder legte.⁴⁸ Bei Herodot haben wir diesen Orakeltyp, der ja in seiner vom Formular gelösten, in freier Literatur übersetzten Form nicht immer leicht zu erkennen ist, (noch) nicht entdecken können. Zurück zu Kroisos und Delphi! Das Orakel ist eine Größe eigener Art, unvergleichlich und doch nicht isoliert in der Welt der vorderorientalischen Vorzeichenwissenschaft. Zu den Besonderheiten Delphis ist das Stationäre zu rechnen, der feste Ort am Tempel, der einen eigenen, speziell für Orakel eingerichteten Raum aufweist. Der lydische Bote nun brachte, wie nicht anders zu erwarten war, eine vom König gewünschte Rückmeldung auf seine Anfrage des Inhalts: „Ob er gegen die Perser zu Felde ziehen solle“. „Ja, das solle er tun“ (Hdt. 1,53). Auf eine affirmative, bestätigende Antwort hatte Kroisos sogar ein Anrecht, denn er hatte unermessliche Mengen an Gold und Silber an die Orakelstätten gestiftet. Dass es irgendwo eine oppositionelle Orakelstätte gegeben hätte, die dem Willen des Königs entgegen getreten wäre und einmal „Nein!“ gesagt hätte, darüber lesen wir nichts. Anders im Alten Testament, wo die Schriftpropheten aufgrund ihrer Be-
Lambert (2007), 7. Die Orakelanfragen waren schriftlich einzureichen an die babylonischen Orakelgötter Schamasch (Sonnengott) und Adad (Wettergott). Schwemer (2002b), 140 f. Ein unbekannter Israelit hatte bei der Eroberung von Ai kostbare Beutestücke beiseite geschafft. Nun musste Stamm für Stamm vortreten, „bestimmt“ wurde der Stamm Juda (hebr. lakad, eigentlich ‚gefangen nehmen‘ von Personen u. ‚einnehmen‘ von Städten, im niph. passive Bedeutung). Dann wurden die Sippen des Stammes Juda durchgefragt, wenn die Sippe „bestimmt“ war, musste Haus für Haus vortreten, war dieses „bestimmt“, soll Mann für Mann hervortreten. „Und den, der so überführt wird, soll man verbrennen“ (Jos 7,14– 15; 16 – 18).
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rufung Opposition waren, und zwar vom standesgemäß vornehmen Jesaja bis hin zum radikalen Micha, beide Zeitgenossen Homers. Das Ende des Kroisos wird von Herodot nicht mit seinen grausamen Eroberungen begründet – moralisch denkt Delphi nicht –, sondern in einem religionshistorisch bedeutsamen Text (Hdt. 1,90 – 91) auf den Geschlechterfluch zurückgeführt, d. h. in einen generationenübergreifenden Tun-ErgehensZusammenhang gebracht. Bedeutsam ist dieser Traktat, weil er zeigt, dass archaische Vorstellungen von der Unentrinnbarkeit der einmal von der moira, der unpersönlichen Schicksalsmacht, verhängten deterministischen Bestimmungen, noch im 5. Jh. lebendig waren.⁴⁹
Ostphrygien – Landschaft im inneren Halysbogen Entgegen immer noch weit verbreiteter Meinung gehörten die Landschaften des Inneren Halysbogens zur Zeit von Kroisos noch nicht zu Kappadokien. Bewohnt waren sie von den Matienoi, einem Volk, über das man sonst nichts weiß, und von „kappadokischen Syrern“ (Hdt. 1,72, dazu gleich), in Wirklichkeit aber wohl eher von Phrygern. F. Prayon hat auf einer Karte seiner Tübinger Habilitationsschrift die Landschaften im Halysbogen „Ost-Phrygien“ genannt.⁵⁰ Der Name Katpatuka wurde vermutlich erst von Kyros im Zuge der Westexpansion sozusagen über den Oberen Halys gezogen, seine Ausdehnung in Richtung Ägäis reichte bis zur Grenze von Śfard(a)/Sardes, d. h. Lydien. Dieses Ost-Phrygien wäre für sich genommen wohl kein lohnendes Ziel gewesen, um einen Feldzug zu unternehmen, für dessen Rechtfertigung so viel Gold in die Heiligtümer und Orakelstätten geflossen war. Es hatte dennoch Sinn, wenn Kroisos mit Heeresmacht die Länder im Osten durchzog und Glanz verbreitete (Stichwort „Reisetätigkeit von Königen im Vorderen Orient“). Das Land sah damals wohl nicht sehr viel anders aus als am Ende der Spätbronzezeit, wies kleine Weiler und Dörfer, aber nur wenige Städte
Hdt. 1,8,2 bietet die magische Religionsstufe in klassischer Form: „Denn es musste dem Kandaules nun einmal übel ergehen.“ Herodot erkennt darin „weder einen äußerlichen Zufall noch eine Folge von Charaktereigenschaften. Vielmehr „musste es so sein“, urteilt Dodds (1970), 17– 37 („Von der Schamkultur zur Schuldkultur“), hier 29 f. Prayon (1987); auch Wittke (2014), 762 will ganz zum Schluss ihrer historisch-archäologisch fundierten Studie zu Pteria nicht ganz ausschließen, dass erst Kyros das Innere des Halysbogens Katpatuka hinzufügte. Es ist kein Wunder, dass sowohl für R. Rollinger als auch A.-M. Wittke die Halysgrenze, wenn man sie in der Höhe von Ankara ansetzt, nur noch eine Erfindung sein kann. Das Orakel, so brüchig es ansonsten auch sein mag, trügt, nach unserer Erfahrung, nicht bei geographischen Namen.
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auf.⁵¹ Hier bestand für Kroisos die letzte Möglichkeit, Hilfstruppen an sich zu ziehen. Die Route durch Ostphrygien wurde vielleicht auch deswegen gewählt, um nicht bei einer südlichen Route über Ikonion durch die Kilikische Pforte das Risiko einzugehen, dass sich die Reiterei wegen der räumlichen Enge nicht zum Gefecht entfalten könnte. Wie konnte Kroisos ferner wissen, wie sich der Syennesis von Kilikien im medisch-lydischen Spannungsverhältnis, das ihm verschiedene Optionen ermöglichte, verhalten würde? Die Zeit drängte, Kroisos musste den Mittleren Euphrat erreichen, bevor Kyros mit dem Übersetzen seines Heeres bei Karkamis begann.
Der Obere Halys und die lydische Reichsgrenze Der Abmarsch des Kroisos aus Sardes hatte sich durch die vielen Orakelbefragungen bereits verzögert, und sein Anmarsch auf Kappadokien gestaltete sich wohl zeitraubender als geplant. Als Kroisos an den Halys kam, führte er das Heer hinüber. Es ist auffällig, wie ausführlich Herodot seine Leser über die Flussüberquerung unterrichtet (Hdt. 1,75). Er selbst glaube, dass es schon Brücken gegeben habe. Nach „vorherrschender Meinung“ (pollos logos) der Griechen aber hätten zu dieser Zeit noch keine Brücken dort existiert, stattdessen habe Thales die notwendigen Voraussetzungen für ein Durchschreiten des Halys geschaffen. Beide haben wohl Recht, Herodot und die Griechen, dann nämlich, wenn man einen zweimaligen Halysübergang annimmt. Und zwar einmal von Sardes via Gordion über die Brücken am Unteren Halys in Richtung des ehemaligen Hattusa; dort dann einen Schwenk von 90° nach Süden vollziehend auf Mazaka (das Gebiet von Kayseri) vorrückend unter nochmaliger Überschreitung des Halys. Herodot kam nur deshalb mit einem einzigen Übergang aus, weil er sich den Halys graphisch-geometrisierend als Strich vorstellte, der von Süd nach Nord, sozusagen von Meer zu Meer, die Völkerschaften zur Linken und Rechten lassend, quer über den Isthmos (auchen) verlief (Hdt. 1,72,3). Daraus folgte für ihn, dass man den Fluss auf einem Marsch nach Südosten nur einmal überqueren musste, und zwar auf den besagten Brücken. Das Wasser des Flusses müsste nach dieser Konzeption von Süden, also von rechts, heranströmen. Das tut es auch mit Sicherheit. Bei der unserer Meinung nach ersten Überschreitung des Halys, also Richtung Osten, gab es wirklich eine Brücke. Grenze war der Halys aber noch nicht dort, sondern Schachner (2011), 33 – 40 hier das lesenswerte Kap. III mit der Überschrift „Ein Leben auf des Messers Schneide“. Nicht einmal Hattusa, das nur von bäuerlichen Siedlungen umgeben war, nicht von Städten, wie in Syrien, konnte sich selbst ernähren. Die Phryger zogen sehr schnell die Konsequenz und machten Gordion im Westen zu ihrer Residenz- und vielleicht auch Hauptstadt.
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erst am Oberlauf, wo Kroisos ihn zum zweiten Mal überschritt. Denn der König hatte sich nach Süden gewandt. Als er nun aus nördlicher Richtung auf den Halys stieß, kam dessen Wasser also von links herangeströmt, denn der Fluss kommt in dieser Gegend von Osten, aus den Armenischen Bergen. Das sagt Herodot ja auch (Hdt. 1,72). Um den Fluss hier überschreiten zu können, musste er von Thales präpariert werden.⁵² Die vielen Brücken der byzantinischen Zeit lassen darauf schließen, dass der Halys dort, an seinem Oberlauf, bereits ein richtiger Fluss und nicht nur ein Bach war.⁵³ Dass es zu Kroisos’ Zeit dort keine Brücken gab, spricht für einen damals verkehrsarmen Raum, am ehesten für einen Grenzraum. Man darf sich fragen, ob der Obere Halys diejenige Grenze bildete, die „585 v.Chr.“ auf der Waffenstillstandskonferenz festgelegt worden war. Was die technische Leistung angeht, so liest man bei Herodot, dass der Fluss zuerst nur zur Linken des lydischen Heeres strömte, dann aber, nach Aushebung des „mondförmigen“ (menoeides) Grabens, auch „zur Rechten (geflossen sei)“. Der Halys mäandriert nicht, muss aber an fraglicher Stelle eine Schleife ohne Prallhang gebildet haben. Der Scheitelpunkt dieser natürlichen Flussschleife wies wie ein Kompass nach Süden. „Völkerrechtlich“ betrachtet überschritt Kroisos nicht nur den Fluss, sondern zugleich auch eine bindende Grenze, die vielleicht inzwischen sogar durch einen Friedensvertrag staatsrechtlich aufgewertet worden war. Die Frage nach der Schuld am bzw. Ursache des Krieges, die den Hethitern ansatzweise und nach diesen den Griechen und den Römern völlig vertraut war, erfuhr in Ciceros Theorie vom bellum iustum ihren Höhepunkt; die Frage wurde meistens im Interesse Roms beantwortet. Bellum iustum meinte nicht den gerechten oder humanen Krieg, sondern den regelgerechten. Die vorderorientalischen Mächte hatten keine Konzepte dieser Art ausgebildet, was nicht bedeutet, dass sie ganz ohne Konzept gewesen wären. Thales nun war vertraut mit den Ingenieurswissenschaften. So wird er Grenzstreitfälle gekannt haben, die der Mäander für seine Heimatstadt Milet sowie für andere Flussanrainer, etwa Priene und Myus, regelmäßig heraufzube Drohend und gewalttätig sind die Lyder gegenüber Flüssen nicht gewesen. Krasse Gegenbeispiele dafür bieten die Perser. Nur verwiesen sei hier auf Herodots Bericht vom Versuch einer Überquerung des Gyndes (Diyālā), eines sehr bedeutsamen Nebenflusses des Tigris, durch Kyros auf seinem Marsch nach Babylon (539 v.Chr.). Der Gyndes komme aus den „matienischen Bergen“, er sei nur mit Hilfe von Booten zu überqueren. Aber da geschieht ein Unglück: Eines der heiligen weißen Rosse habe versucht, den Fluss zu durchqueren, aber der Fluss verschlang es; Kyros, erzürnt ob dieses Frevels, droht dem Fluss, „ihn so schwach zu machen, dass ihn hinfort sogar Frauen … ohne sich ihr Knie nass zu machen, würden durchschreiten können“ (Hdt. 1,189,1). Parallelen zum Halysgeschehen sind erkennbar, aber eher von äußerlicher Art. Die Perser dagegen unterwerfen auch die Natur ihrem imperialen Anspruch. Vgl. Hild (1977), Karte 11.
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schwören pflegte, dann nämlich, wenn die Bewohner dieser Städte eine Flussschleife mittels eines künstlichen Grabens haben trockenfallen lassen und das so landfest gewordene Gebiet für sich okkupierten.⁵⁴ Die Lyder, die den Mäander nur zu gut kannten, und ihr König Kroisos, der gern mit weisen und klugen, d. h. nicht zuletzt mit technisch begabten, Personen Umgang pflegte, übertrugen ihre Erfahrungen nun auf den Halys.⁵⁵ Kroisos hat also auf seinem Zug zweimal den Halys überschritten, und das an ganz unterschiedlichen Flussabschnitten. Zum ersten Mal tat er das auf Brücken, wie Herodot zu Recht annahm.⁵⁶ Für die zweite Überschreitung dagegen, am Oberen Halys, bedurfte es der Hilfe des Thales, weil der Fluss hier ohne Brücken war.⁵⁷ Wenn hier je eine Brücke existiert haben sollte, so wurde sie bereits nach Abschluss des Krieges gegen die Meder „585 v.Chr.“ abgebrochen. Erst mit dem zweiten Flussübergang überschritt Kroisos eine völkerrechtlich festgesetzte Grenze und begann damit förmlich den Krieg gegen Kyros II., der nur darauf gewartet haben mag, Kroisos als Provokateur den Vortritt zu lassen. Nun gilt es, nur den Spuren des Kroisos zu folgen. Eine Landschaft südlich des Oberen Halys wird nun von Herodot beschrieben, und zwar nicht als Idylle. Der Krieg pflegt Landschaften zu enthüllen, so als zöge dieser den Vorhang wie vor einer Bühne auf. So ist es auch hier, wenn auch nur für einen Augenblick und nur einen Spalt weit, aber immerhin. Ein seltener Blick ins Innere Anatoliens! Die Lyder dringen „in die sogenannte Pteria von Kappadokien“ ein. Kappadokien bestand danach offenbar aus mehreren Einzellandschaften. Kroisos tritt als Städtezerstörer ins Bild, er erobert Pteria, das als überaus stark befestigte Stadt (polis) auffällig hervorgehoben wird. Seine genaue geographische Lage versucht Herodot seinen Lesern zwar mit Fleiß deutlich zu machen, aber seine Angaben
Vgl. Högemann/Oettinger (2006). Die Ableitung des Euphrats für die Zeit während des Brückenbaues in der Innenstadt von Babylon schreibt Herodot der sagenhaften Königin Nitokris zu, die angeblich zur Zeit der Meder lebte. Diese sollten daran gehindert werden, den babylonischen Handel auszuspionieren oder Babylon anzugreifen (1,185 – 186). Die Bauten, die Nitokris zugeordnet werden, vor allem der Brückenbau, sind historisch für Nebukadnezar bezeugt, der sich hinter der Nitokris zu verbergen scheint. Dazu die ergebnisoffenen Überlegungen bei Heller (2010), 45 ff. Dass Thales zuvor in Babylon in der Flussbautechnik ausgebildet worden war, ist eher unwahrscheinlich. Wohl aber dürfte der Mäander nach starken Winterregen für Milet ähnliche Probleme bereitet haben wie der Euphrat für Babylon, so dass auch in Milet die Ausbildung zum Flussbaumeister möglich war. Brücken können auch Symbol für einen lebendigen Einheitsgedanken sein, abgebrochene Brücken(teile) stehen dagegen eher für Verzicht und Resignation. Dührsen (2013) hält Thales’ Flussumleitung für eine Legende (S. 255), sieht aber hier das Wasser des Halys in kosmisch-theogonischer Funktion, was aus altorientalischer Tradition stamme (S. 250 – 255) und ein vorreflexives Niveau zeige (S. 257).
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Abb 2: Umleitung des Halys durch Thales von Milet
reichen bislang nicht aus, den Namen in der Landschaft zweifelsfrei zu identifizieren. Einer Lokalisierung von Pteria auf dem Kerkenes Dağ,⁵⁸ wie sie immer wieder einmal vorgeschlagen wird, können wir nicht zustimmen. Einmal wegen der geographischen Lage dieses Berges im Halysbogen, wie wir nun erwarten müssen, südlich seines Oberlaufs, und zum andern deshalb, weil mit einem Reiterheer eine Bergfestung wohl nur sehr mühevoll und vor allem zeitraubend zu
Der Kerkenes Dağ wurde 1931 und 1932 von K. Bittel begangen; er fand nichts, was auf Hethitisches oder Lyderzeitliches und Klassisches hingewiesen hätte, schloss sich der Deutung als kimmerisch an, und verwarf die Meinung von S. Przeworski von 1929, dass eben diese Bergsiedlung Pteria sei (s. Bittel [1942], 55 f.). Jetzt wird vom Ausgräber G. Summers der Kerkenes Dağ wieder mit Pteria geglichen; Näheres bei Rollinger (2003), hier auch die archäologische Literatur. Nach Wittke (2014) gehört die Bergfeste in den gordisch-phrygischen Kulturhorizont.
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bezwingen gewesen wäre.⁵⁹ Wir bleiben deshalb weiterhin im Raum von Mazaka, einer bedeutsamen Landschaft für die Frühgeschichte des hethitischen Reiches. Denn hier, nahe dem hoch aufragenden Vulkankegel Erciyes Dağ, der bei den Hethiter Askasepa (‚Tor-Genius‘)⁶⁰ und bei den Luwiern Harharaya geheißen hatte, war die Stadt Nesa und bei ihr der wichtigste karum ‚Handelsplatz‘ der Assyrer zu Beginn des 2. Jt. gelegen, der Karum Kaneš.⁶¹ Bald darauf nahm Kroisos die Pteria benachbarten Siedlungen (perioikides) in Besitz, nachdem er zuvor deren Felder verwüstet hatte. Schließlich verkaufte er die hier siedelnden Kappadoker, die, wie Herodot sagt, von den Griechen „Syrioi“ genannt würden und die er ausdrücklich als unschuldig bezeichnet, in die Sklaverei (Hdt. 1,76). Vermutlich wurden die mit dem Terminus technicus perioikides bezeichneten Siedlungen von Luwiern bewohnt, die im vorausgehenden Jahrhundert von Assyrern beherrscht worden waren.⁶² Kroisos verhängte also das Kriegsrecht und machte in extremer Weise von ihm Gebrauch, indem er sich nicht einmal mehr scheute, die Taktik der verbrannten Erde anzuwenden. Nichts zeigt deutlicher, wie hoch Kroisos die Gefahr einschätzte, in die er durch Kyros geraten zu sein glaubte, und mit Recht. Sicher rückte er aber nicht blind gegen einen sehenden Feind vor. Wir wissen allerdings wenig über die Rolle von Fernaufklärung in dieser Zeit. Kroisos, so unsere Rekonstruktion, strebte wahrscheinlich Karkamis am Euphrat an, denn hier lag der wichtigste Übergang. Kyros muss aber vorher bereits unbehelligt auf dem westlichen Euphratufer gelandet sein. Er pflegte nämlich ein Marschtempo vorzulegen, wie es im förmlichen, fast behäbig-bürgerlich anmutenden Kulturraum des Vorderen Orients dieser Zeit unbekannt war. Noch im „pterieischen Land“ stießen denn auch die beiden Gegner vermutlich aufeinander. Es kam zu einer „fürchterlichen Schlacht“ (mache kartere), wie Herodot sagt (Hdt. 1,76).⁶³ Der Kampf endete unentschieden, was für die Lyder vielleicht eine eher zu positive
Ob mit Reiterei und Streitwagen Städte hätten erobert werden können oder, grundsätzlicher, ob das die neuen Möglichkeiten, die die Reiterei eröffnete, nicht hätte konterkarieren müssen, darüber handelt Nadali (2010). Askasepa erscheint als Schwurgottheit bereits in einem Vertrag aus Karum Kaneš zwischen assyrischen Kaufleuten und dem „Großkönig von Kaneš“, wahrscheinlich Anitta.Vgl. den Text bei Günbattı (2004) (dankenswerter Hinweis von F. Starke). So schon vorgeschlagen in Högemann (1992), 112. Dass diese Luwier „Syrioi“ genannt wurden, mag damit zusammenhängen, dass ihr Periökenstatus auf die Assyrer zurückging. Nicht auszuschließen ist aber auch, dass die Assyrer hier direkt aus Syrien stammende Menschengruppen angesiedelt hatten, die vielleicht ebenfalls luwisch sprachen. Die fürchterlichste Schlacht, die je Barbaren einander sich geliefert hätten, sei aber die des Kyros gegen Tomyris gewesen, die die Herrschaft über die Massageten innehatte, so Herodot (1,214).
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Note ist. So ging man jedenfalls auseinander, die Lyder wohl etwas betreten. Ein Friedensvertrag wurde nicht geschlossen. Der Kampf war aus, der Krieg würde aber weitergehen, weil die Kriegsursache nicht ausgeräumt werden konnte, ein Waffenstillstand war eingetreten, aber nur de facto, denn er wurde weder förmlich ausgerufen, noch wurden die obligatorischen Sicherheitsgarantien ausgesprochen, die von beiden Hauptkriegführern hätten beeidet werden müssen. Herodot greift angesichts der nach altorientalischen Maßstäben unkonventionellen Kriegführung der Perser eine sogenannte summarische Behauptung aus der Barbaren-Topik auf, nämlich dass die Perser, bevor sie die Lyder unterworfen hatten, weder feinere Bildung (habron ouden) noch sonst irgendwelche Vorzüge (agathon) besessen hätten (Hdt. 1,71). Das wirkte sich, auf Kyros und sein Heer bezogen, so aus: Schon früh im folgenden Jahr konnten die Perser die Kampfhandlungen wieder aufnehmen; und diesmal noch viel zeitiger als es Kroisos, obwohl er nun ja nicht mehr ganz ohne Erfahrung war, überhaupt für möglich gehalten hatte. Denn Kyros überwinterte gegen alle antike Kriegspraxis mit seinem an Strapazen gewöhnten Heer im Feindesland, in Zentralanatolien. Kroisos dagegen hatte sein Auxilien-Heer vollständig entlassen und sich selbst nach Sardes verfügt. Dort sollte ihn Kyros noch ein weiteres Mal böse überraschen. Denn er würde vor Sardes stehen, und zwar so zeitig im Jahr, dass es den lydischen Bundesgenossen, allen voran Sparta, deren Männer schon fast die anatolische Küste im Blick gehabt hätten, aussichtslos erschien, sich noch rechtzeitig in der Hermos-Ebene vor der Stadt einfinden zu können. Denn die Sammlung der Streitkräfte war mit Kroisos erst auf Frühlingsbeginn verabredet worden, und darauf hatte man sich auch in Sparta eingestellt (Hdt. 1,77). Diese Planung, die, wie vieles andere, Ausdruck eines eingeübten, ja eingeschliffenen Comments von Kulturstaaten war, dürfte in den Augen des Kyros nichts als ein alter Zopf gewesen sein. Er jedenfalls, der diese Umständlichkeiten seiner Gegner ins Kalkül gezogen hatte, rückte unversehens in Lydien ein und „war damit dem Kroisos in eigener Person Bote des Geschehenen“, wie sich Herodot prägnant ausdrückt (1,79). Das Heer des Kyros wird von Herodot allothroos ‚fremdländisch‘ genannt (Hdt. 1,78,3). Der Begriff wird nur noch einmal, und zwar für das Heer des Kambyses, benutzt, mit dem dieser 525 v.Chr. Ägypten eroberte (Hdt. 3,11,1) und bezeichnet den Kulturschock, den der Anblick des Heeres eines über 1000 km entfernt lebenden Volkes notwendigerweise auslösen musste. Erst mit der Heeresreform des Dareios wird sich ein mehr vorderorientalischer Anblick des persischen Heeres einstellen. Das Feldlager des Kyros vor Sardes muss jedenfalls einen Eindruck gemacht haben, wie man ihn sich für ein „morgenländisches Heer“ (eoos stratos, Hdt. 7,157,1 zur Armee des Xerxes) vorstellen mag.
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Syrien. Straßen und Handel
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Syrien. Straßen und Handel Der eigentliche Grund für den Feldzug der Lyder war aber nicht gewesen, Kappadokien um seiner selbst willen zu besitzen. Denn es hatte nicht mehr die Bedeutung wie in althethitischer Zeit, als es mit zu den städtereichsten Landschaften des Vorderen Orients gehört hatte. Schon zur Hethiterzeit war die Inbesitznahme des Landes Kizzuwatna, der kilikischen Ebene, zunächst ein rein militärisch motivierter Brückenschlag nach Syrien gewesen, das damals noch keinen übergreifenden Landschaftsbegriff besaß. Der Name Syrien taucht zunächst nur bei den Griechen und erst später, nach dem Untergang Assyriens um 612/610 v.Chr., auf (s. oben). Das Kizzuwatna der Spätbronzezeit war vor allem eine kulturelle Austauschlandschaft, aus der in althethitischer Zeit (16. und frühes 15. Jh.) Rituale bezogen wurden, deren Herkunft unter anderem an eingelagerten Sprüchen in luwischer und hurritischer Sprache erkennbar war.⁶⁴ Über Kizzuwatna dürfte auch das inhaltlich aus dem 17. Jh. stammende sogenannte „Epos der Freilassung“ nach Hattusa gelangt sein, das unter anderem die Zerstörung von Ebla zum Inhalt hat und dessen hurritischem Text die Hethiter eine mittelhethitische Übersetzung beifügten.⁶⁵ Wie schon den Hethitern, so ging es auch Kroisos wohl darum, von Kappadokien aus in die Nähe der syrischen Ebene sowie der phönikischen Küste und des Neubabylonischen Reiches zu gelangen. Syrien gehört zu den wenigen Ländern im Vorderen Orient, wo Regenfeldbau möglich ist. Es war von daher als wichtige Ergänzungslandschaft wie geschaffen für die Strombaukulturen Ägyptens und Mesopotamiens mit ihrer einseitigen und höchst eingeschränkten Palette an Agrikulturprodukten, und in einem noch viel fundamentaleren Sinne gilt das für Anatolien, das nicht selten von Hungersnöten heimgesucht wurde. Mit Syrien in Beziehung zu treten, war das Bestreben aller spätbronzezeitlichen Großreiche des Vorderen Orients. Ein weiterer Grund dafür liegt im Folgenden: In Syrien kreuzten sich wichtige Verkehrswege, an denen sich sehr früh Handelsplätze gebildet hatten, die wir namentlich zuerst in den Archiven von Ebla um 2400 v.Chr. bezeugt finden. Hier gab es nicht nur traditionelle, weit über die Grenzen Syriens hinaus hoch geschätzte Handwerksbetriebe, sondern auch, um es etwas modernistisch zu sagen, richtige Manufakturen, so z. B. in Ugarit. Ein dichtes, lebendiges Bild liefern uns die keilschriftlichen Quellen des
Siehe Melchert (2003), bes. 174, dessen Lokalisierung Kizzuwatnas etwas abweicht von F. Starke, in: Willinghöfer (2002), Karte S. 306 f. Vgl. Neu (1996); der Text ist auch für die Homerforschung von Bedeutung.
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14. und 13. Jh. v.Chr. aus Hattusa und Ugarit.⁶⁶ Dieser Abschnitt der Spätbronzezeit war die klassische Zeit Syriens. Schon sehr viel knapper wird dann die Quellenlage für die neuassyrische Epoche (9.–7. Jh. v.Chr.), gar nicht erst zu reden von der neubabylonischen Zeit. Schon hier sei die Frage gestellt, ob die in der Tat aggressive Unterwerfungspolitik der Assyrer und ihr folgend der Babylonier, die einherging mit rücksichtsloser Ausplünderung, vor allem aber mit Deportationen, die syrischen Landschaften wirtschaftlich ruiniert und kulturell entkernt hat. In persischer Zeit spielt Syrien jedenfalls eine auffällig geringe Rolle. Vorher, unter assyrischer Herrschaft, hatten die Mitglieder der Reichselite ihre syrischen Provinzen gleichsam wie Erbhöfe bewirtschaftet. Für eine Negativ-Berichterstattung haben die gattungsarmen assyrischen Quellen selber mehr als hinreichend gesorgt, vor allem durch die Feldzugsberichte, die Annalen. In diesem militärischen Verlautbarungsorgan ließen sich positive Nachrichten wie etwa darüber, dass der Handel durch den Bau von Straßen und Straßenposten sicherer und das Handelsnetz dichter geworden ist, nicht verbreiten. Sie gingen im dröhnenden Wortschwall der Siegesmeldungen im Verein mit Bekanntgabe der Beute unter, die in Listen verzeichnet waren, und zwar auf aramäisch und assyrisch,⁶⁷ wie z. B. die Beuteliste des von Sargon II. 714 v.Chr. geplünderten Haldi-Tempels in Muṣāṣir. Militarismus und Bürokratismus sind wie die zwei Seiten einer Münze. Für die babylonische Zeit kommen nicht einmal negative Nachrichten aus Syrien. Vor allem Nachrichten über den Fernhandel wären für unser Thema bedeutsam gewesen. Eine wichtige Oase in Nordarabien war Tema, unter Nabonid Residenzstadt des babylonischen Reiches. Nach Tema kamen Gesandte aus allen Teilen der Welt, so auch aus Ägypten, allerdings mit Ausnahme Lydiens, was ein Zufall der Überlieferung sein könnte. Eine ziemlich frühe Erwähnung einer Karawane findet sich in der alttestamentlichen Josefsgeschichte, wo es heißt: „… da war eine Karawane von Ismaelitern (Proto-Arabern?), die aus Gilead (nördlich des heutigen Amman) herüberkam. Ihre Kamele waren mit Tragakant, Mastix und Ladanum beladen, damit waren sie unterwegs nach Ägypten hinab“ (Gen 37,25). Die Karawane nimmt Josef mit und verkauft ihn dort. Diese durch S. Freud und T. Mann allgemein bekannte Erzählung lässt sich nach A. Knauf ⁶⁸ nicht sicher datieren, habe aber wohl am ehesten einen perserzeitlichen Hintergrund, also 6./5. Jh.
Hier und im Folgenden wurde auf das sehr nützliche Buch von Klengel (1992) zugegriffen, das sich nicht zuletzt dadurch auszeichnet, dass jeder Epoche eine Liste der Quellen vorangestellt wird. Mehrere Schreiber sind auf neuassyrischen Reliefs zu sehen. Eine Darstellung von Schreibern der Keilschrift (assyrisch) und der Alphabetschrift (aramäisch) stammt aus Dūr Šarrukīn (Chorsabad) und befindet sich heute im Louvre (Nougayrol [1960]). Knauf (1985), 48 ff.
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Syrien. Straßen und Handel
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v.Chr. Ohne die staatlich und privat betriebenen Kamel-Karawanen hätte die Weihrauchstraße, die eine Länge von 2000 km hat, wegen des großen Abstandes zwischen den einzelnen Oasen gar nicht in Betrieb genommen werden können. Folglich hätte es keinen Weihrauch aus Südarabien und auch keine sonstigen Aromata geben können, die aus Indien kommend an bestimmten Küstenpunkten des Persischen Golfs zwischengelagert wurden, um von dort von phönikischen Karawanenbetreibern nach Babylon und weiter durch Syrien bis an die Küste Phönikiens verfrachtet zu werden.⁶⁹ So konnte Herodot der Meinung sein, die Phöniker stammten ursprünglich vom „Roten Meer“ (Persischen Golf). Und weiter sagt Herodot – und jetzt ist ganz deutlich die babylonische Zeit (um 600 v.Chr.) gemeint –, dass die Phöniker „ägyptische und assyrische (d. h. babylonische) Waren“ über das Mittelmeer beförderten (Hdt. 1,1). Mit dieser Welt, deren Einzellandschaften über Syrien miteinander verbunden waren, in Kontakt zu treten, war wohl das unausgesprochene Ziel des lydischen Kappadokien-Feldzuges. Was lässt sich über die Straßen Syriens sagen? Was das Straßennetz angeht, ist die Zahl der Quellen sehr klein, groß dagegen der Raum ihrer Streuung. Erst in ihrem Zusammenspiel lässt sich die Infrastruktur Syriens einigermaßen erschließen. So können wir die Marschstationen der Heere Nebukadnezars II. und Nechos II. zur Grundlage eines Straßennetzes machen, dessen Hauptlinien, von Babylon bzw. Ägypten ausgehend, sich in Syrien kreuzen.⁷⁰ Besonders gut sind die Wege Nechos II. (610 – 595 v.Chr.) beschrieben, von Ägypten einmal gegen Ḫarrān via Kadytis/Gaza (Hdt. 2,159,2) und weiter nach Megiddo, wo der religionshistorisch gesehen bedeutendste König Israels, Josia von Juda,⁷¹ sich Pharao Necho in den Weg stellte und im Kampf fiel (609 v.Chr.). Das zweite Mal führte Necho der Weg nach Karkamis, Ägyptens Festung zur Beherrschung Syriens, wo es 605 v.Chr. zur Schlacht kam. Der Sieg der Babylonier dort begründete deren eher prekäre Herrschaft über Nordsyrien und Palästina (Jer 46,2– 12), prekär deswegen, weil Ägypten nicht erobert werden konnte. Die Anmarschwege Nebukadnezars nahmen ihren Ausgang von Babylon und verliefen den Euphrat aufwärts nach Karkamis und von dort entweder weiter nach Phönikien oder in Richtung Norden, nach Kilikien. Das Straßensystem war im Wesentlichen intakt geblieben, man übernahm die assyrischen Trassen. Der Verlauf der Straßen lässt sich leicht ablesen oder rekonstruieren, umso leichter als viele Landschaften durch inselhafte Besiedlung, Brunnen und Oasen immer nur
Dornisch (1993/1994). Quellen-Grundlage ist die „Chronik Wiseman“, jetzt ABC no. 5. 2 Kön 23,29; 2 Chron 35,20 – 23, vgl. Ios. ant. 10,74– 81; Hdt. 2,159; dazu Herrmann (1973), 333 – 340.
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6 Lydiens Kriege im Osten. Der Untergang des lydischen Reiches
denselben, seit Jahrhunderten begangenen Weg bereithielten. Bemerkenswert sind die Bestrebungen Nebukadnezars und seiner Nachfolger, den Handel im und mit dem Persischen Golf – hier sind die Inseln Failaka und Dilmun (heute Bahrain) zu nennen – wieder in Gang zu bringen.⁷² Sehr wahrscheinlich wird sich eines Tages aus der unüberschaubaren, ständig größer werdenden Menge an neubabylonischen Wirtschaftsurkunden, soweit in ihnen die Herkunftsorte der gehandelten Waren angegeben werden, ein Wegenetz nach Art eines Puzzle zusammenstecken lassen, das sowohl den Persischen Golf als auch Anatolien miteinander verbindet. Vielleicht lassen sich auf diesem Felde der Nebenüberlieferung auch weitere altanatolische Personennamen gewinnen. Aber das „bleibt eine Aufgabe für die Zukunft“, wie ein ausgewiesener Kenner babylonischer Wirtschaftsurkunden sagt.⁷³ Im Moment jedenfalls bliebe es reine Spekulation, wollte man behaupten, dass Handelsinteressen, wie etwa der Import südarabischer Aromata die Lyder dazu motiviert hätten, die Nähe von Ḫumē (= Kilikia des Syennesis) zu suchen.⁷⁴ Dass jedenfalls der Handel mit Luxus- und Prestigegütern einen Staat unermesslich reich machen konnte, zeigt Babylon, die erste wirklich moderne Metropole der nachbronzezeitlichen Geschichte. Es müssen gewaltige Investitionen für die völlige Neugestaltung Babylons als Residenzstadt und religiöser Metropole getätigt worden sein, Mittel, die nicht nur aus Steuereinnahmen aus den Provinzen, sondern wohl auch und nicht zuletzt durch Gewinne im Handel gedeckt wurden. Hier kann man nun wirklich einmal von Handel sprechen und vielleicht sogar von einem Güter produzierenden Gewerbe. Nebukadnezar gehört mit Hadrian und Herodes wohl zu den größten Bauherren des Altertums, wenn man solche inflationär benutzten Steigerungsformen überhaupt noch verwenden mag. Für Herodot jedenfalls ist Babylon, das er nie gesehen hat, die orientalische Stadt schlechthin. An seinem Bild haben die antiken Autoren immer festgehalten und nichts Entscheidendes mehr daran geändert, auch die Historiker des Alexanderzuges nicht; es war inzwischen sozusagen kanonisch geworden. Wir können Babylon wohl mit keiner anderen Stadt vergleichen, natürlich auch mit Sardes nicht, selbst wenn Herodot mit der Angabe nicht Recht haben kann, die Häuser von Sardes seien mit Schilf gedeckt gewesen. Das kann höchstens für arme Viertel gegolten haben. Was uns zu Sardes fehlt und einen wirklichen Vergleich erst möglich machen würde, wären Beschreibungen der Stadt, der Tempel und des Palastes, wie wir sie für Babylon vor allem aus genuin babylonischen Quellen
Dazu Potts (1990), Bd. 1, 348 ff. Jursa (2015), 47. Klengel (1979); wertvoll, vor allem methodisch, ist immer noch Oppenheim (1967).
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Syrien. Straßen und Handel
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besitzen. Was uns fehlt, sind ferner Dörfer im Nahbereich von Sardes, eventuell (Turm‐)Gehöfte mit Stallungen, wie sie W. Radt und H. Lohmann in Karien aufgedeckt haben; auch wissen wir nichts über die Art der Landwirtschaft. Babylon dürfte die einzige Stadt sein, die schon jetzt zu erkennen gibt, wie eine Metropole mit ihrem Umland kommunizierte. Wichtiger wären Informationen über das Verhältnis zwischen der Stadt mit Agora und der Residenz. Die Frage stellt sich, warum Milet seine Teilnahme am Feldzug des Kroisos verweigerte.⁷⁵ Denkbar wäre, dass der eventuelle Versuch der Lyder, durch Eroberungen im Südosten Anschluss an das von Babylon geknüpfte Handelsnetz zu bekommen, nicht Milets Interessen entsprach. Syrien war aber nicht nur Kreuzungspunkt des Fernhandels, sondern vor allem auch immer wieder Ziel der umgebenden Großmächte. So hatten sich im Halbkreis um Syrien herum ab ca. 1500 v.Chr. verschiedene Staaten in Stellung gebracht, die alle das Großkönigtum besaßen oder für sich beanspruchten. Folgende Staaten lassen sich aufzählen, und zwar im Gegenuhrzeigersinn: 1. das Hethiterreich, 2. das Neue Reich Ägyptens, das schon mit der XVIII. Dynastie beginnend, d. h. bereits ab ca. 1540 v.Chr. seine ganze außenpolitische Macht in Syrien zur Entfaltung gebracht hatte und schließlich 3. das Reich Mitanni. Nachdem Mitanni als Vormacht Syriens ab ca. 1335 v.Chr. durch die Hethiter ausgeschaltet war, vertrat Assyrien die mesopotamische Partei. Kriege gab es reichlich, aber viel bemerkenswerter sind die langen Friedenszeiten, so zuerst der Friede zwischen Ägypten und Mitanni, der fast ein halbes Jahrhundert andauerte (von ca. 1380 – 1335 v.Chr.). Nicht kürzer war die Friedenszeit, die sich nach der Schlacht von Kadeš (1275 v.Chr.) und einem daraus resultierenden Friedensvertrag zwischen Hattusili II. („III.“) und Ramses II. von 1259 v.Chr. auftat und durch zwei dynastische Heiraten belebt und verstetigt wurde. Diese stabile, historisch klar konturierte, in ihren Motiven rational eruierbare Syrienpolitik spätbronzezeitlicher Großreiche fand im 1. Jt. nur teilweise eine Fortsetzung.Wenn wir uns jetzt einmal auf die anatolischen Mächte beschränken, so ist eher der Eindruck von einem konzeptionslosen Drängen in Richtung Syrien vorherrschend. Das ist aber nur unser erster Eindruck. Denn die anatolischen Staaten standen unter dem gleichen geopolitischen Gesetz, dem schon die Hethiter in der Einsicht folgten, dass ohne Zugang nach Syrien in Anatolien selbst keine prosperierende Reichsentwicklung möglich war. Dazu kam der Wunsch nach geistiger Überhöhung faktischer Macht. Der Zug über den Tauros scheint uns daher typologisch mit dem Zug deutscher Könige seit Karl dem Großen und dann vor allem der Kaiser des Hohen Mittelalters über die Alpen nach Italien ver-
Diog. L. 1,25.
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gleichbar zu sein. Wie das Italien des Mittelalters, so war das altorientalische Syrien reich an Traditionen und Symbolen, Menschen und Städten; Syrien war zur Zeit von Kroisos auf bronzezeitlich-hethitischem, Italien zur Zeit von Karl dem Großen auf antik-römischem Kulturboden ruhend.⁷⁶
„Großfürst Gog aus Magog“ Die alttestamentliche Erzählung von Gog ist monströs-nervös-fiebrig im Stil, fast schon die noch ferne Apokalyptik vorwegnehmend. Ezechiel, der Prophet der Exilszeit und selbst im Exil lebend,⁷⁷ hatte die Vision, dass eine anatolische Stämmekoalition unter Führung des „Großfürsten Gog aus Magog“, auch „Großfürst von Meschech und Tubal (= ass. Tabal)“ genannt, in die syrisch-palästinische Arena hinabgestiegen sei und nun bereits Jerusalem in Bedrängnis brächte (Ez 38 – 39). Eine historische Frage ist die, ob unser Gyges oder ein anderer anatolischer König, gemeint ist. Um sie zu beantworten, muss man von dem Namen Gog ausgehen, dessen Träger als Anführer von apokalyptischen Reitern durch die beiden Ezechiel-Kapitel geistert, die man eine „Textcollage“ genannt hat.⁷⁸ Dass die Kapitel trotz ihrer endzeitlichen und ahistorischen Sehweise einen historischen Kern haben könnten, wird von den alttestamentlichen Kommentatoren und Exegeten immer wieder einmal erwogen. Für W. Zimmerli, der den methodischen Grundstein für eine neue, moderne Exegese der Prophetenbücher legte, ist Gog (= ass. Guggu) kein anderer als Gyges.⁷⁹ Wenn man das für kurzschlüssig hält, dann entscheidet sich alles an der weiteren Frage, ob Gog/Gyges ein Eigenname oder ein Appellativum zur Bezeichnung eines altanatolischen Herrschers ist, und zwar theoretisch schon ab der Spätbronzezeit. Man könnte an einen eisenzeitlichen Herrschertitel denken, wobei der persönlichen Name des Herrschers Midas, Alyattes oder Kroisos gelautet haben könnte. Aus historischen Gründen scheint Gyges weniger in Frage zu kommen, andererseits sollte man aber Auch die Phryger suchten nach Syrien vorzudringen. Eine interessante Gestalt in diesem Bemühen ist der Phryger Midas, in den assyrischen Quellen Mita von Muški genannt (Ende 8. Jh. v.Chr.). Uns ist sehr wohl bewusst, dass biographische Daten sich kaum aus dem Buch Ezechiel herauslesen lassen. Dass der historische Ezechiel aber überhaupt nicht mehr greifbar sein soll, so Pohlmann (2008), widerstreitet den Erfahrungen, die man mit antiken Texten im Allgemeinen bisher gemacht hat. Hossfeld (2016), 608. Grundlegend und unüberholt ist Zimmerli (1979); Lang (1981) hält zwar Gog = Gyges für möglich, aber nicht für bewiesen. Etwas positiv-entschlossener äußert sich Pohlmann (2008), 115 ff.
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Anerkennung durch den König von Babylon
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das Gewicht der Namensentsprechung Gyges-Gog nicht unterschätzen. Das, was Gog nach Ezechiel ins Werk setzen wird, ist jedenfalls eine phantastische Übersteigerung lydischer Pläne.
Anerkennung durch den König von Babylon Es ging den Lydern wohl nicht um die Eroberung wesentlicher Teile Syriens. Das hätte auch zu einem offenen Konflikt mit Babylon geführt. Nur vermuten lässt sich folgendes: Die Lyder wünschten am Fruchtbaren Halbmond Flagge zu zeigen und mit dem Neubabylonischen Reich in direkte Beziehungen zu treten. Anspruch auf Gleichrangigkeit wollten sie zwar wohl (noch) nicht erheben, aber auf politische Anerkennung durch eine Kulturnation mit uralter Tradition dürften sie gehofft haben. Ob der Abschluss eines Symmachievertrages zwischen Nabonid und Kroisos von den Lydern als sozusagen Ritterschlag empfunden wurde, wissen wir natürlich nicht. Von „Bruderschaft“, wie sie 650 Jahre zuvor in dem hethitischägyptischen Friedensvertrag stipuliert wurde, wird man nicht ausgehen können. Was wir aber mit Sicherheit sagen können, ist dies: Sie hatten beide denselben Feind: den Perser.Welche Wertschätzung die Babylonier bei den Lydern genossen, ist den Quellen nicht zu entnehmen. Nur ein indirekter Hinweis lässt sich vielleicht herausarbeiten. Dafür ziehen wir ein „Lied“ des Alkaios heran, das die Rückkehr seines Bruders Antimenidas „von den Enden der Erde“, gemeint ist Babylonien, feiert (F165 W).Von Alkaios hörten wir schon, dass er von den Lydern bestochen wurde, um lydische Interessen mit seinen eigenen zu verbinden und diese in einem Bürgerkrieg gegen den Tyrannen in Mytilene durchzufechten.⁸⁰ Mit seinem schon erwähnten Lied nun hat Alkaios dem Stolz seines Bruders Antemenidas, der unter der Standarte des babylonischen Königs gedient hatte und, nun daheim in Mytilene, ein kostbares „Mitbringsel“ vorzeigen konnte, ein literarisches Denkmal setzen wollen, gewiss nicht ohne Neckerei. Das „Mitbringsel“ war ein Schwert, das sein Bruder wohl als Geschenk für besondere Tapferkeit erhalten hatte. Von einem siegreichen Kampf gegen einen wahren Goliat spricht das Gedicht (vgl. auch Strab. 13,2,3). Antimenidas war stolz sowohl auf seinen militärischen Einsatz für die Babylonier, aber auch ebenso stolz auf die Anerkennung durch die Babylonier, und diesen Stolz dürfte Alkaios mit seinem Bruder geteilt haben. Wer nicht selbst Tyrann werden konnte, aber auch nicht von einem Tyrannen beherrscht werden wollte und überhaupt einmal der engen griechi-
Nach Herodot (1,27) pflegte Pittakos, Tyrann oder Aisymnet von Mytilene, einen Gedankenaustauch mit Kroisos über dessen Flottenbaupläne.
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schen Poliswelt zu entkommen trachtete, die außer Politik, Bürgerkriegen und ständiger Bereitschaft zum Kampf mit benachbarten Städten keine anderen, vor allem keine wirtschaftlich einträglichen Betätigungsfelder für einen jungen Adligen bot, wer stattdessen die Welt sehen wollte, mit dieser Welt aber nicht unbedingt die Länder des Schwarzen Meeres meinte, wer also die wirkliche Fremde sehen wollte, der trat beim babylonischen König in Dienst. Dass die griechische Polis aufgrund ihrer spezifischen Wertevorstellung und -vermittlung, nämlich Erziehung in Sachen Tüchtigkeit (arete) und Ehre (time) neben Karien die besten Kämpfer der damaligen Welt hervorbrachte, war den östlichen Potentaten längst bekannt, und so auch dem Nebukadnezar. Um aber an diese Kämpfer heranzukommen, bedurfte es der Vermittlung eines befreundeten Staates im Herkunftsgebiet des potentiellen Kämpfers. Auch was Verpflegung und Transport angeht, waren Vereinbarungen zwischen den betroffenen Reichen zu treffen. Die Feldzüge des Alyattes und Kroisos dienten zunächst einmal dem Ziel, einen Notstand zu beheben, also Meder und Perser von Kappadokien fernzuhalten. Sie erweiterten sich aber dann bald dahingehend, Kappadokien zu okkupieren, um den Kontakt mit Kilikien und Syrien herzustellen. Syrien aufzuwerten wäre auch im Interesse der Babylonier gewesen. Abgesehen davon, einen starken Bundegenossen in der Nähe zu wissen, war Ersatz für die untergegangene Hafenstadt Ugarit zu schaffen. Die wirtschaftlichen Aktivitäten hatten sich von dort nach Süden verlagert, nach Phönikien, das in der Bronzezeit nur eine bescheidene Rolle gespielt hatte. Phönikien tendierte traditionell stark nach Ägypten, das seinerseits den Babyloniern nur eine nominelle, bestenfalls eine prekäre Herrschaft über die phönikischen Städte einzuräumen beliebte. Trotzdem benutzte Nebukadnezar dieselben Verhaltensmuster weiter wie vorher die Assyrer, und ebenso wenig überzeugend. Er operierte mit seinem Heer auch in Moab und Edom, vielleicht um an die Weihrauchstraße heranzukommen, und marschierte schließlich auch auf die ägyptische Grenze zu, ohne dass sich aus alledem ein klares Konzept für uns erkennen ließe. Einen Ersatz für das abweisende Ägypten zu gewinnen, dafür hätte sich vielleicht Lydien angeboten. Eine Verbindungslinie zwischen dem Persischen Golf und dem aufstrebenden Ägäischen Raum zu konzipieren, das wäre einem Mann wie Nebukadnezar, der in der inzwischen steril gewordenen Geisteswelt der altbabylonischen Zeit lebte, wohl kaum zuzutrauen gewesen. Eine solche, den ganzen Vorderen Orient durchschneidende Verbindung schufen erst in imperialer Manier die Perser.
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Des Kroisos Sturz und „Bekehrung“. Heroenkult
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Des Kroisos Sturz und „Bekehrung“. Heroenkult Der Feldzug nach Kappadokien war von Kroisos als reiner Okkupationsfeldzug geplant und wurde als solcher auch begonnen, musste dann aber spätestens, als man Anstalten traf, den Halys ein zweites Mal zu überqueren, in einen Präventivkrieg umformuliert worden sein (Hdt. 1,46). Dieser ging bei Pteria aber eher unglücklich für die Lyder aus und nahm schließlich im Frühjahr des folgenden Jahres vor den Toren von Sardes die Qualität einer alles entscheidenden Abwehrschlacht an. Kroisos verliert die Schlacht und bekanntlich den Thron. Das bedeutete automatisch den Untergang des lydischen Reiches. Denn dieses Reich, wie fast alle Reiche und Staaten des Vorderen Orients, besaß keine abstützenden Institutionen wie etwa einen Senat römischer Art, der geschäftsführend dafür sorgte, dass das Reich auch ohne amtierenden Kaiser hätte weitergehen können. Eine Thronnachfolgeregelung hat Lydien wohl ebenfalls nicht erlassen. Die Situation in Jerusalem eignet sich hier nicht zum typologischen Vergleich. Denn dort gab es eine Priesterschaft, an deren Spitze der König stand, d.i. das sog. Priesterkönigtum der kanaanäischen Welt. Als das königliche Element mit dem Untergang Jerusalems (587/6 v.Chr.) zu verschwinden hatte und dieses auch nach dem Ende des Babylonischen Exils von den Persern nicht wieder restituiert wurde, da trat an die Stelle des Priesterkönigs der Hohepriester hervor, das geistliche Oberhaupt eines Tempelstaates (515 v.Chr.). Wir kennen zwar Priester in Lydien, aber keine Priesterschaft/-klassen,⁸¹ wie die hochgestellten Zadokiden (mit kanaanäischen Hintergrund?) oder die Leviten, Priester ohne höhere Weihen in Jerusalem. Sardes wurde einem Mann namens Tabalos unterstellt.⁸² Mit dem Abtransport des lydischen Goldes wurde dagegen ausgerechnet ein Lyder, Paktyas, beauftragt, und dies in einer Gegend, wo das Söldnerwesen sich zu regen begann. Kyros selbst hatte diese Anordnungen getroffen. Das war kein sehr durchdachter Auftrag, wie sich schon bald herausstellen sollte. Die Stunden unmittelbar nach der Eroberung von Sardes werden überhaupt sehr ausführlich geschildert (Hdt. 1,84– 92; 141– 156). Herodot entwirft ein gewaltiges Gemälde, aber ist es auch historisch? Das Motiv des Scheiterhaufens (pyra), der für Kroisos errichtet wird, ist natürlich verdächtig. Zwar ist er für die indo-iranische Pferdereiterkultur der Ukraine und Russlands bezeugt und kann
Alex. Aet. F9,2 bakelas = ep. 8,2: makelas; LSJ s.v. „kind of priest in Lydia“. Dieser Tabalos wird als „persischer Mann bezeichnet“ (Hdt. 1,153,3). Es fällt auf, dass die beteiligten Personen häufig ethnisch bestimmt werden, so Paktyas als „lydischer Mann“ (Hdt. 1,153,3), wieder ein anderer als „medischer Mann“. Der Name Tabalos erinnert an den Namen des späthethitischen Staates Tabal. Anders Schmitt (2011), 355 (Nr. 325), der an eine Ableitung vom lydischen Ortsnamen Tabala denkt.
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durch skythische Gruppen im Heer des Kyros bekannt gewesen sein, aber auf solchen Scheiterhaufen wurden hoch geehrte Tote verbrannt. Und damit sie auch im Jenseits nicht auf die gewohnte Dienerschaft verzichten mussten, verbrannte man sie, die ihren Herrn einst dienten, gleich mit. Zweimal sieben junge Männer sollten denn auch mit Kroisos zusammen einem schrecklichen Tod überantwortet werden. Das Problem an der ganzen Geschichte ist nur, dass hier kein toter König geehrt, sondern ein feindlicher mit dem Tode bestraft werden soll. Die Kremation selbst war in Westanatolien schon längst vor Kyros bekannt. Zeugnis dafür ist die Ilias.⁸³ So werden die Pesttoten im Lager der Griechen auf Scheiterhaufen (pyrai) verbrannt (Hom. Il. 1,52). Nicht viel näher an unserem Thema ist die Verbrennung von Hektor (Il. 24,776 – 804) und besonders die des toten Patroklos (Il. 23, 110b– 225). Bemerkenswert ist hier die Notiz, dass Patroklos zusammen mit Kriegsgefangenen, also keinen Dienern, verbrannt wurde.⁸⁴ Vor allem aber ist eines zu bedenken: Bei den Persern war das Feuer heilig. Und dementsprechend schreibt auch Herodot: Die Perser erbauen keine Altäre und zünden auch kein Feuer beim Opfer an (Hdt. 1,132,1). Der Weg zur Lösung unseres Problems läuft daher auf den griechischen Mythos von Herakles zu. Dieser hatte sich hoch auf dem Berg Oite⁸⁵ auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen und wurde nach seiner Himmelfahrt ein Gott unter den Olympiern. Aber Herakles ist eine Ausnahmegestalt. Das älteste Zeugnis zu Kroisos auf dem Scheiterhaufen ist zwar auch das schönste, aber historisch das unzuverlässigste. Es wird dem Vasenmaler Myson verdankt, der gut 40 Jahre (ca. 500/490 v.Chr.) nach dem Fall von Sardes ein Bild auf eine Bauchamphora (heute im Louvre) setzte.⁸⁶ Man sieht einen König auf dem Thron sitzend, der Thron ist nochmals erhöht durch den Scheiterhaufen. Das ist kein Kriegsgefangener, der von Kyros und seinen persischen Soldaten herbeigezerrt worden wäre, um dem Feuer überantwortet zu werden, sondern das Bild soll einen heroisch-tragischen Eindruck vermitteln. Kroisos will, solange er noch nicht den Persern ausgeliefert ist, den Tod der Schmach vorziehen. Er ist allein, ganz bei sich. Nur ein Diener, der den griechischen Namen Euthymos trägt, ist da, der die Stille noch fühlbarer macht. Er entzündet mit zwei Fackeln den Scheiterhaufen, während der König aus der Phiale roten Wein spendet. Vom Scheiterhaufen bis zur Phiale sind fast alle Dinge sozusagen als Requisiten für die Aufführung eines griechischen Heroisierungsrituals anzusehen.
Auffällig häufig ist pyra im LSJ s.v. für Sophokles gebucht. Spektakulär und bekannt ist die Geschichte von dem indischen Gymnosophisten Kalanos, der von sich aus den Feuertod suchte (Arr. an. 7,3,1– 6). Apollodor. 2,7,7. Auffällig ist, dass in den einschlägigen Dramen von Sophokles und Euripides nichts von einem Scheiterhaufen berichtet wird. Simon (1976), Abb. 133, Komm. S. 107 f.
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Des Kroisos Sturz und „Bekehrung“. Heroenkult
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Nur mit dem Unterschied, dass hier eine historische Gestalt, die des Kroisos, ins Bild gesetzt wurde. Das Bild des Vasenmalers Myson wird durch den Lyriker Bakchylides, unsere zweitälteste Quelle, vertont. Dieser hat in einem „Siegeslied“ von 468 v.Chr. (ep. 3) hervorgehoben, dass Kroisos den Tod auf dem Scheiterhaufen der Knechtschaft (doulosyna) vorgezogen habe. Bakchylides fügt ein zweites Motiv hinzu, den Regenguss, der Kroisos vor dem Feuertod errettet. Zeus sandte eine schwarze Wolke, die das Feuer löschte. Auch in diesem Gedicht findet sich keine Spur von Kyros und den Persern. Kroisos wird vielmehr unbehelligt von weltlicher Macht in das Land der Hyperboreer hinübergeleitet, und zwar vom delischen Apollon. Den göttlichen Regen übernimmt Herodot als Motiv für seine Zwecke. Die Nachricht vom Regenwunder soll, das ist nicht unwichtig, auf Erzählungen der Lyder zurückgehen, die, vielleicht von einem gewissen Schmerz heraus, ihren letzten König gerechtfertigt erscheinen lassen wollten (Hdt. 1,87,1). Wenn Kyros nur sekundär mit dem Scheiterhaufen verbunden sein sollte, dann muss man auch für das Regenwunder-Motiv die richtigen Konsequenzen ziehen. Eine solche könnte darin bestehen, dass Herodot mit dem Regenwunder dahingehend wirken wollte, dass auch der „Heide“ Kyros bekennen musste: Kroisos ist von der Gottheit geliebt und dazu ein braver Mann (Hdt. 1,87,2). Kaum ausgesprochen löste Kyros dem Kroisos auch schon die Fesseln, ließ ihn in seiner Nähe Platz nehmen und hielt ihn in „hoher Achtung“ (polle promethie, Hdt. 1,88,1). Das positive Bild des Kyros, das ihn als lernenden Staatsmann zeigt, ist nun wieder mit Sicherheit als historisch anzusehen. Denn ähnliche Nachrichten kommen aus Babylon, wo die Stimmen sich zwar nicht einheitlich positiv zu Kyros äußern, so bleibt der Makel der Fremdherrschaft, aber doch noch so viel erkennen lassen, dass Kyros im Gegensatz zur Gewaltherrschaft der Assyrer die Traditionen dieser Stadt in Praxis und Ideologie weiterzuführen vorbildlich in Angriff genommen hat. Kyros kam also nicht als Rächer, sondern als Staunender und als ein interessierter Zuhörer, was Solon nicht war. Und so habe Kyros auch den letzten König von Babylon, Nabonid, nachdem er diesen in offener Feldschlacht geschlagen hatte, freundlich aufgenommen, als dieser sich ergab (539 v.Chr.). Schon vorher (550 v.Chr.) hatte er Astyages, den besiegten König von Medien, nicht ermorden lassen, obwohl dieser ihm von Geburt an nach dem Leben trachtete, so in einer von drei legendären Kindheitsgeschichten des Kyros, die Herodot erzählt.⁸⁷ Es ist daher durchaus möglich, dass Kyros auch Kroisos am Leben ließ.⁸⁸ In der Na-
Zu Astyages s. Hdt. 1,123 – 129, ABC no. 7 col. II 1– 4; zu Nabonid Berossos FGrHist 680 F9a (aus Ios. Ap. 153), bestätigt durch die sog. Dynastische Prophetie, dazu Heller (2010), 213; 219; 429 ff. Payne/Wintjes (2016), 43 vermuten, dass Kyros Kroisos töten ließ, und zwar um Aufständen der Lyder vorzubeugen. Das ist konsequent machiavellistisch gedacht. Ein Gegenargument bildet
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bonid-Chronik wird zum 9. Jahr Nabonids ein nicht namentlich genannter König erwähnt, der von Kyros attackiert worden ist. Die entscheidende Verbalform idūk (von GAZ = dâku) kann nun aber sowohl ‚er besiegte‘ als auch ‚er tötete‘ (den König) bedeuten.⁸⁹ Es ist sozusagen das einzige Zeugnis aus dem Vorderen Orient, das von offizieller Seite zum Untergang des lydischen Reiches ausgestellt worden ist. Die Stelle der Nabonid-Chronik (9. Jahr Nabonids, das ist 547) bezieht sich sicher auf Kroisos; ob er aber nur besiegt oder getötet wurde, geht aus ihr nicht hervor. Auf Grund von Kyros’ Verhalten anderen besiegten Herrschern gegenüber vermuten wir, dass er nicht getötet wurde. Als Kroisos auf dem Scheiterhaufen stand, zu dem er, dem Bericht Herodots zufolge, von Kyros mit persischen Soldaten geführt worden war – von einem Sitzen auf dem Thron ist nicht die Rede –, beschwor er gleichsam den Geist Solons durch den dreimaligen Ausruf von dessen Namen. Denn Kroisos seien die Worte Solons eingefallen, die dieser ihm aufgrund „göttlicher Eingebung“ (syn theo) damals bei seinem Besuch in Sardes gesagt habe: „Keiner der Lebenden ist glücklich“ (Hdt. 1,86,3). Und dann verkündet Kroisos, jetzt akustisch auch für Kyros vernehmbar, dass Solon damals den ganzen Reichtum, wie er im Schatzhaus gehortet in Sardes lag, verachtet habe. Kroisos, der zum Bekenner auf dem Scheiterhaufen wird, der überliefert, was er selbst empfangen hat, kommt dem Gebot Solons nach, Menschen „auf der ganzen Welt“ (es hapan to anthropinon) zu Jüngern zu machen (Hdt. 1,86,5).⁹⁰ Als ersten hat Kroisos (nach Herodot) den Kyros dazu ausersehen. Und dieser scheint dem nicht ganz abgeneigt gewesen zu sein; er machte jedenfalls einen Kernsatz Solons (nach Herodot) quasi als Erkennungsmelodie sich zu eigen, indem er ausspricht: „Nichts im Menschenleben hat Bestand“. „Und Kroisos bemerkte die Sinnesänderung des Persers, wie die Lyder erzählen“ (Hdt. 1,87,1). Indirekt bestätigt wird die Richtigkeit der solonischen „Lehre“ durch den Regenguss des Apollon. Das war dem Kyros jedenfalls Bestätigung genug, um sagen zu können, Kroisos sei ein frommer und tüchtiger Mann. Kaum etwas an dieser Geschichte des Herodot ist also historisch. Die Bekehrung zu Solon, die der herodoteische Kroisos in einer Wendung um 180° vollzieht, hat für ihn die Funktion, den prominentesten Kritiker der solonischen Ethik von einst jetzt zu deren überzeugendstem Verkünder zu machen. Diese
aber die Tatsache, dass Kyros jedenfalls gegenüber der Sippe der Mermnaden Gnade walten ließ; s. oben in Teil 2 „Ein Vertrag in lydischer Sprache“. ABC no. 7 col. II 17. In letzten Jahren scheint es eine leichte Tendenz zu geben, dâku mit „töten“ zu übersetzen, so etwa Burkert (1985). Neue Quellen und zwingende Gründe für diese oder jene Übersetzung gibt es nicht. Vgl. Christ (1994), 189 – 193.
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Ethik, die in Teil 5 entwickelt wurde, war bürgerlich, polisspezifisch und in einem hohen Maß individualistisch. Im monarchisch verfassten Vorderen Orient aber war sie nicht zu praktizieren. Und auch Kyros konnte, bei aller Lernwilligkeit, diesen Gegensatz von Polis und Imperium nicht aufheben. Die Polarität von Tempel und Agora einer griechischen Polis musste ihm fremd bleiben. Für die Agora, wo sich der Bürgerstatus am deutlichsten manifestierte (Hdt. 5,101), hat Kyros jedenfalls nur Verachtung übrig (Hdt. 1,153). Nach der Rechtfertigung Solons bedurfte aus Herodots Sicht noch eine andere griechische Institution der Entlastung. Man vergisst ja beinahe, dass es eigentlich um Kroisos und Kyros und einen großen Krieg geht, einen Krieg, der pragmatisch auf Kriegsursache und Kriegsschuld hin zu untersuchen gewesen wäre, aber nein, Herodot lässt alles um die Griechen und ihre nachträgliche Rechtfertigung kreisen. Dadurch verliert Kroisos an altanatolischer Statur, er wird immer hellenischer. Nun zu Delphi. Nach Herodot glaubte Kroisos Grund genug zu haben, um mit Apollon, den er jetzt auf einmal den „Gott der Griechen“ nennt, zu rechten. Seinen Wunsch trägt er dem Kyros vor, untertänigst um dessen Einwilligung nachsuchend. Kyros sagte: „Alles, was du erbittest, wirst du von mir gewährt erhalten.“ Daraufhin schickte Kroisos einige Lyder nach Delphi, den Gott zu fragen, ob er sich denn nicht schäme, durch seine Sprüche, Kroisos zum Feldzug veranlasst zu haben gegen einen ungleich stärkeren Perser. Zurückgekehrt berichten sie in einer Art Botenformel,⁹¹ was die Pythia gesagt habe. Sie habe den Geschlechterfluch angesprochen, den auch ein Gott nicht aus der Welt schaffen könne, und über die Verlängerung der Lebensfrist, die Delphi erwirkt, sowie über den rettenden Regenguss, den Apollon geschickt habe. Dann kommt das eigentliche Thema: der verlorene Krieg. Kroisos sei selber schuld an seiner Situation. Er hätte nachfragen müssen, welches Reich er zerstören würde. Das hat A. Heuß⁹² zu Recht einen pfäffischen Argumentationsstil genannt (s. Einleitung). Das Nachfragen ist in Delphi nicht Brauch. Kroisos hätte ja sowieso schon dreimal angefragt; er hätte das Orakel im Übermaß benutzt (Hdt. 1,55,1). Die Frage, ob ein mehrstufiges Fragen Kroisos vor der Niederlage hätte bewahren können, darf sich nicht von der Vorstellung leiten lassen, hier käme ein durch und durch transparentes Verfahren zum Einsatz, sondern man hat davon auszugehen, dass die Antworten mit etwas menschlicher Nachhilfe, allerdings von sehr erfahrenen und geachteten Personen, zustande gekommen sind. Dass die Pythia den Fall Kroisos überhaupt von neuem aufrollen lässt, ist ungewöhnlich für die delphische Ora-
kōh āmar Jhwh „so spricht der Herr“ ist die alttestamentliche Botenformel, mit der z. B. ein Prophet die nachfolgende Aussage als Gottes eigene Rede einleitet und autorisiert. Heuß (1973).
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kelpraxis und beweist einmal mehr, dass das Schicksal des lydischen Königs ungewöhnlich hohe Wellen geschlagen haben muss. So ungeschickt Delphi auch agiert haben mag, und wie sehr Herodot auch darum bemüht war, dem beschädigten Ansehen Delphis nach Kräften aufzuhelfen, der Hauptvorwurf aber, Delphi habe Kroisos zum Feldzug verführt, ist eine bösartige Unterstellung und – nebenbei – ein peinliches Eingeständnis seines eigenen Mangels an Selbstbewusstsein. Schließlich musste Kroisos bekennen, dass er selbst Schuld trage (hamartas, zuerst hier belegt) und nicht der Gott (Hdt. 1,91,6). Wenn wir auch hier wieder Israel zum Vergleich heranziehen, so erfährt noch ein anderer entmachteter König in diesen Jahren Gnade und Ehrenrettung. Es ist der König von Juda, Jojachin, der im Exil in Babylon lebte, vom Palast versorgt wurde und im Jahr 562 v.Chr. vom babylonischen König sogar das Recht erhielt, am Hofe speisen zu dürfen (2 Kön 25,27– 30; Jer 52). Dies ist ein Ereignis, das wohl als „Silberstreif am Horizont“⁹³ von den Exilierten gedeutet werden sollte: Die Geschichte des JahwehVolkes ist vielleicht doch noch nicht zu Ende.⁹⁴ Eine solche theologisch fundamentierte Hoffnung konnte weder der lydische König hegen, noch die lydische Nation in Hoffnung verwandeln. Die Geschichte Lydiens ist unwiderruflich an ihr Ende gekommen.
Zusammenfassung Kroisos wollte Kappadokien erobern, bevor es Kyros in seinen Besitz bringen würde. Man muss dem Zug des Kroisos nur folgen, um herauszufinden, wo dieses Kappadokien liegt. Die markanteste Orientierungsmarke ist der Halys. Herodot lässt Kroisos auf der Straße Gordion – Ankyra marschieren und dann auf den dort existierenden Brücken den Halys überqueren. Dann sei man schon in Kappadokien, so Herodot. Das stimmt allerdings erst für die Zeit Herodots. Zu Kroisos’ Zeit war man nach der Überquerung in Ostphrygien angekommen. Kroisos drehte sich bald um 90° direkt nach Süden und stieß nochmals auf den Halys, der nun von links aus Armenien heranströmte. Das ist der Schlüssel zum geographischen Verständnis des ganzen Feldzuges. Der Obere Halys wurde „585 v.Chr.“, als anlässlich der Sonnenfinsternis ein Kampfende, aber kein Kriegsende stattfand, zur Grenze zwischen dem medischen und dem lydischem Reich des Alyattes festgesetzt. Dies geschah auf einer Konferenz kriegführender sowie benachbarter, Donner (2008), 407. Die Bundestheologie des Deuteronomiums und der deuteronomischen Literatur wird in dieser Zeit auf die Hoffnung hin ausgerichtet, dass Jahweh treu zu seinem Bund mit seinem Volk steht, während des Exils und über das Exil hinaus, s. Gertz (2016b), 307.
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kriegsschlichtender Staaten, letztere hießen Kilikien und Babylonien. Eine heiß umkämpfte oder auch nur bewachte Grenze war das nicht, denn medische Präsenz ist ebenso wenig nachweisbar wie lydische. Das sollte sich jetzt durch den bekundeten Landhunger des Kroisos und den Anspruch des Kyros, Erbe des medischen Reiches zu sein, grundlegend ändern. Das Übel begann für die Lyder mit der Grenzüberschreitung, die durch die Umleitung des Halys durch Thales erleichtert wurde. Sein Verhältnis zu Kroisos ist leider nicht genauer zu bestimmen. Thales war im Heerlager. Ganz offensichtlich hatte er das Wohlwollen des Königs gefunden, das Solon nicht besaß. Beide Männer gehörten dem Kreis der Sieben Weisen an. Thales, der diesen Kreis anführte, war wie Solon Bürger einer griechischen Polis. Wenn Thales als Phöniker bezeichnet wird, so ist das vielleicht nicht als ethnische Bestimmung zu lesen, sondern meint die Person, die eine auffällige Affinität zu „Phönikien“ erkennen ließ, d. h. zum östlichen Mittelmeer, wozu auch luwische Staaten gehörten.Wenn Thales sagt, dass der Ursprung und Endziel von allem das Wasser sei (Hippol. haer. 1,1), dann setzt das gewisse Kenntnisse babylonischer und ägyptischer Kosmogonien und Theogonien voraus, die ihm im östlichen Mittelmeer zu Ohren gekommen sein dürften. Zu beachten ist auch, dass nach der Eroberung Jerusalems 586 v.Chr. Palästina bis an die Grenze Ägyptens babylonisch war. Auch in Israel kommt es zur Einflussnahme babylonischer Gelehrsamkeit in puncto Kosmologie (vgl. Gen 1,2 „… und Finsternis lag auf der Urflut“, d.i. hebr. tehôm, babylonisch Tiamat). Eine Stelle bei Homer bezeugt nun, dass irgendwo aufgenommene Elemente aus babylonischen Kosmogonien schon vor Thales nach Ionien gelangt sind. Es heißt in der Ilias, „Okeanos ist der Ursprung (genesis) der Götter“ (Il. 14,201; 302). Das alles ist längst gesagt und immer als hypothetisch behandelt worden. Und hypothetisch geht es auch hier weiter, wenn wir versuchen, Thales in sein ionisch-lydisches Umfeld zurückzuholen.⁹⁵ In Sardes könnten ihm aus mündlicher Tradition allgemeine Kenntnisse etwa über den Inhalt des Gilgamesch-Epos vermittelt worden sein.⁹⁶ Denn in Epen eingeschlossen sind die Mythen über die Entstehung der Welt. Thales war wahrscheinlich ein Grieche, allerdings ein Bewohner eines Mitgliedslandes der vorderorientalischen Staatengemeinschaft. Die literarische Bildung war Kroisos und Thales wenigstens teilweise gemeinsam. Man hat Thales einen Aufklärer und Kroisos einen aufgeklärten Despoten genannt, zu Recht. Das genealogische Denken, das Götter- und Menschenwelt durch Zeugung hervorgehen ließ und ordnete, wird aufgegeben. „Die mythologischen Vorstellungen werden bei Thales physika Zurückhaltend sind Mansfeld/Primavesi (2015). Sie schließen nicht aus, dass es sich nur zufällig gerade um Milet handelte. Vgl. S. Maul in einem Zeitungsinterview in der SZ vom 14. 2. 2015: Die griechische Epik ist in dem Kulturhorizont, der vom Mittelmeer bis zum Zagros-Gebirge reicht, anzusiedeln.
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6 Lydiens Kriege im Osten. Der Untergang des lydischen Reiches
lisch“ (U. Hölscher). Demnach muss alles Seiende natürliche Ursachen haben. In dieser Einstellung kommen Kroisos und Thales an den Halys. Sie ehren diesen nicht mit Opfer und Gebet, wie es das Ritual vorsah – ein solches ist in hethitischer Zeit für den Halys bezeugt –, sondern Thales steigt ins Flussbett und bereitet die Umleitung vor.Wasser hielt er zwar grundsätzlich für beseelt und „er glaubte, dass alles voller Götter sei.“ Die Augenzeugen sahen aber nicht auf die innere Gedankenwelt des Thales, die Materialismus und Atheismus wohl eher ausschloss, sondern mit all ihren Sinnen konnten sie sein emanzipiertes Denken nur als eine Misshandlung des von ihnen personal verehrten Flussgottes sehen. Das kann ja nicht gut ausgehen mit Kroisos und den Lydern, werden diejenigen gedacht haben, die damals dabei waren. Herodot scheint das Problem nicht mehr zu berühren. Es ist für einen Griechen erledigt, und so bleibt nur die Bewunderung für die Ingenieursleistung des Thales übrig. Der mysteriöse Tod Sargons II. 705 v.Chr. in der Provinz Tabal, fern von Assur, wurde Anlass für den Abzug der Assyrer aus Anatolien. Der Name Tabal verschwindet nach nur kurzer Aktualität. Für hundert Jahre gibt es keinen neuen Landschaftsnamen als Ersatz. Midas und Gyges haben es nicht an Versuchen fehlen lassen, in diesen Raum einzudringen, wurden aber vorzeitig von den Kimmeriern aus dem Leben abberufen. In diesem einst Tabal genannten Land, das jetzt Katpatuka hieß und in Mazaka (Kayseri) sein Zentrum hatte, müssen die Kämpfe des Alyattes gegen die Meder stattgefunden haben, denn sonst wäre es schwierig zu erklären, warum die Herrscher Babyloniens und vor allem Kilikiens Schiedsrichter werden konnten. Es lag an ihrer geographischen Nähe. Beantwortet werden musste auch die Frage, warum die Meder nach Anatolien vordringen konnten. Die Urartäer im Osten, geschwächt noch von der großen Schlacht von 714 v.Chr. gegen die Assyrer unter Sargon II., waren in der Folgezeit kaum noch in der Lage sich der Kimmerier und Skythen zu erwehren. Ein ähnliches Bild ergab sich bei den Assyrern. Trotz anhaltender Attacken iranischer Reiterkrieger auf beide Reiche rissen Assyrer und Urartäer sich gegenseitig in den Untergang. Die Bastionen im Osten der vorderorientalischen Staatenwelt waren damit gefallen. So konnten die Meder ungehindert durch die zum Teil geschleiften Festungsstädte hindurch in den vorderorientalischen Binnenraum eindringen. Die Meder waren nicht einfach nur iranische Reiterkrieger, vielmehr gründeten sie ein Reich und organisierten sich als Staatsvolk. Nach dem Sieg über den assyrischen Reststaat stießen sie bald an den Oberen Euphrat vor, überquerten diesen und zogen weiter westwärts, dem südlichen Ufer des Oberen Halys folgend. Dieser Teil Kleinasiens wurde zu dieser Zeit von seinen anatolischen Einwohnern *Katapata ‚unteres Land‘ genannt, was die Meder zu Katpatuka (Kappadokien) umformten. In derselben Zeit kurz vor 600 v.Chr. kamen im Griechischen die Landschaftsnamen Syrien und Kilikien auf, weshalb sich ein Bild dieser Länder auch nur
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aus griechischen Quellen gewinnen lässt. Die Kilikier sind vermutlich aus dem südlichen Halysgebiet um Mazaka abgewandert und haben sich am Mittelmeer niedergelassen. Kilikia, wie es die Griechen nannten, wird zum Herrschaftsgebiet des Syennesis; dieser wird von den Medern protegiert. Syrien hat seinen nördlichsten Punkt in Karkamis am Mittleren Euphrat. Das Gebiet und die Stadt unterstanden der Herrschaft des Nebukadnezar von Babylon, mit dem Kroisos im Bündnis stand. Das Auftreten von Kyros in Mesopotamien veränderte die Situation gründlich. Der kappadokische Feldzug des Kroisos zielte vermutlich jetzt auf Karkamis, einst Hauptstadt der späthethitischen Welt. Karkamis sollte neben Kilikien möglicherweise als strategischer und ideologischer Baustein eines kleinasiatischen Reiches dienen, insofern gewissermaßen eine Renaissance des Hethiterreichs begründen. Es glückte nicht. Denn vermutlich über eben dieses Karkamis war Kyros in Kappadokien eingedrungen und eilte nun Kroisos entgegen. Das war der Anfang. Am Ende steht, nach Herodots Darstellung, Kroisos auf dem Scheiterhaufen. Dass er dort auf einem Thron gesessen hätte, ist bis heute verbreitete Ansicht. Die Macht des Vasenbildes des Myson wirkt so stark, dass es gar nicht auffällt, dass bei Herodot darüber nichts steht. Der Scheiterhaufen ist nicht historisch, der Thron erst recht nicht, vielmehr haben hier Elemente aus griechischen Heroen-Legenden Eingang in Herodots Darstellung gefunden. Geistige Wegbereiter waren die Chorlyriker Pindar und vor allem Bakchylides (ca. 515 – 451 v.Chr.). So ist z. B. die Rettung vor dem Feuertod durch einen Regenguss ein Motiv, das sich schon bei Bakchylides findet. Herodot setzt stattdessen die Begnadigung durch Kyros ein, der Kroisos als gottesfürchtigen Mann schätzten gelernt hat. Inwieweit die griechische Heroisierung lydische Elemente in sich aufgenommen hat, ist unbekannt. Kyros war also kein rachsüchtiger Herrscher, sondern sein positives Bild bei Herodot ist historisch. Den Vorwurf des Kroisos, das Orakel von Delphi habe ihn zum Krieg gegen die Perser angestiftet, weist die Pythia zu Recht als Verleumdung zurück. Delphi war aber nach seinem Verständnis keine rechenschaftspflichtige Beratungsstelle im Behördenstatus. Und auch darin hat die Pythia Recht, dass die Verantwortung für den verlorenen Krieg allein Kroisos zu tragen habe. Die Frage nach den Kriegsursachen existierte im Vorderen Orient noch nicht, sieht man einmal von ersten Ansätzen bei den Hethitern ab. Die Frage nach der Kriegsschuld, der Cicero in seinem Konzept vom bellum iustum (wörtlich: gerechter Krieg) die klassische Form gab, kannte der Vordere Orient ebenfalls noch nicht. Bellum iustum meinte auch nicht den gerechten Krieg im heutigen Sinne und schon gar nicht den humanen Krieg, sondern den dem Ritual entsprechenden regelgerechten Krieg. Dieser ist regelgerecht, wenn er mit der (förmlichen) Kriegserklärung beginnt. Kroisos führte in Kappadokien einen Raubkrieg, der freilich im Unterschied zum Rachekrieg ohne Kriegserklärung seinen Lauf nehmen konnte.
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Schluss: Versuch, eine Epoche darzustellen Bei der Arbeit an diesem Buch ist uns eine Reihe von Gründen dafür klar geworden, die Eroberung von Sardes und Babylon durch die Perser als das Ende des Alten Orients zu definieren und die vorausgehende Zeit als ein eigenes Zeitalter oder besser eine eigene Epoche zu betrachten. Es ist die letzte von drei Epochen des Alten Orients; die vorletzte war die Spätbronzezeit gewesen. Für viele hat der Begriff Epoche seinen guten Sinn eingebüßt, wie sich an der insbesondere von Seiten französischer Gelehrter angestoßenen Diskussion um die Abgrenzung zwischen Mittelalter und Neuzeit beziehungsweise, im Bereich der Kunst, zwischen Mittelalter und Renaissance zeigt. Für uns soll „Epoche“ nicht mehr als nur ein Funktionswort sein, dessen Kompetenz zudem eingeschränkt werden muss. Zur Epoche gehört die Grenzziehung, die Periodisierung der dahinfließenden Zeit. Ob Herodot bereits einen Epochenbegriff kannte, sei dahingestellt.Vielleicht sollte man ihn erst den Gelehrten der großen Universitäten und Akademien besonders Frankreichs seit dem 17. Jh. zuschreiben.Wie dem auch sei, der Begriff Epoche tut, wenn man sich mit Staaten und deren Wirkungsbereichen in Diplomatie und Krieg oder ganz allgemein in Gesellschaft und Wirtschaft beschäftigt, immer noch die besten Dienste. Moderne Autoren bringen stattdessen gerne Begriffe wie Zwischenzeit oder Transformation ins Spiel. Bei Transformation besteht aber die Gefahr, dass der Begriff als Passepartout eingesetzt wird, und zwar um den Übergang von der Geschichte des Vorderen Orients zur Perserzeit und weiter bis zur Seleukidenzeit als fließendes Kontinuum darzustellen. Nun gibt es zwar zwischen den Epochen auch Verbindendes, aber dennoch lassen sich Einschnitte, anschließende konsolidierte Phasen und neuerliche Einschnitte erkennen, die unserer Meinung dazu berechtigen, vom Anfang und Ende einer Epoche zu sprechen. Im Fall des späten Alten Orients ist der Staat die Grundlage der Betrachtung. Der Anfang der uns hier interessierenden Epoche ist das Wiedererwachen oder die Neuentstehung von Staaten nach den Dunklen Jahrhunderten, während das Ende klar durch den Untergang dieser ganzen Staatenwelt markiert wird. Was den Anfang betrifft, so macht es Schwierigkeiten, für die frühe Eisenzeit, und zwar für deren Beginn (12./11.–9. Jh. v.Chr.), eine sinnenfällige Zäsur zu finden, die auch von den Zeitgenossen als solche empfunden wurde. An den Inschriften vor allem der Assyrer kann man heute noch den Stolz spüren, der über die sprunghaft anwachsenden Operationsziele bei immer größeren Entfernungen empfunden wurde. Der Vordere Orient nahm Gestalt an infolge der assyrischen Expansion in alle Himmelsrichtungen. Die Feldzüge, an denen sich dann auch bald Urartu beteiligte, haben das Bewusstsein der Menschen dafür geschärft, in https://doi.org/10.1515/9783110436020-010
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einer feindlichen Umwelt zu leben. Das Raumempfinden, das im Antagonismus von Drinnen (= Städte, Kulturland) und Draußen (= Grasland, Steppe und Wüste) bestand, ist als wesentlich herauszustellen. Dieses Raumempfinden ist typisch für die Bewohner des Vorderen Orients. Anfänglich (im 3. und 2. Jt. v.Chr.) war dieses Empfinden und Erleben auf die Staaten des Zweistromlandes begrenzt gewesen. In der uns interessierenden Epoche aber, dem 1. Jt. v.Chr., nahm die Intensität der Begegnungen an den Grenzen zu, der Raum war nicht mehr vermessbar, seine Tiefe nicht mehr auslotbar. Die Umgebung des Schwarzen Meeres etwa wurde zu einer Art Albtraumzone, weil nun aus ihren ausgedehnten Flusslandschaften heraus jederzeit berittene Völkerschaften von nicht abschätzbarer Zahl erwartet werden mussten. Ähnliches galt für den Südrand des Fruchtbaren Halbmonds. In diesem Sinne lassen wir unsere Epoche mit dem Auftauchen nomadischer Aramäer (Ende 10. Jh. v.Chr.) beginnen. Ihr Ende soll sie mit dem Einbruch der Perser finden, einem stammesstaatlich organisierten Volk, das zwar überwiegend bereits Ackerbau trieb, teilweise aber, der Landesnatur entsprechend, nomadisch war. Die Aramäer stehen hier exemplarisch für alle (Wander‐)Gruppen, die entweder zur traditionellen Landnahme von außen oder, wie in Israel, zum politisch-sozialen Umsturz der Verhältnisse im Kulturland selbst bereit waren. Assyrien machte damals (10.– 9. Jh. v.Chr.) eine Schwächephase durch. Im Anblick des Anmarsches der feindlichen Aramäer aus Steppe und Wüste besann es sich nun aber seiner noch verbliebenen Kräfte und stellte sich den Aramäern zum Kampf. Das sich so neu konsolidierende Assyrien, das fast zeitgleich entstehende Urartu und vermutlich auch Karkamis und andere luwische Stadtstaaten, von denen wir jedoch aus dieser Zeit wenig Quellen besitzen, legten den Grundstein für unsere Epoche. Sie ist charakterisiert einerseits durch Abwehr nach außen (Bau von Burgen und Kastellen in Urartu) und andererseits Eindämmung im Inneren, wie im Falle der Aramäer. Der kriegerische König Assurnasirpal II. (884– 858 v.Chr.) konnte dann die Grenzen Assyriens von dem auf ein stadtstaatliches Maß zusammengeschrumpften Territorium in alle vier Himmelsrichtungen vorwärts tragen, im Westen bis an den Euphrat. Die Übergänge schützte er mit festen Standlagern, z. B. etwa im aramäischen Gebiet von Bīt-Adini, und bahnte so seinem Sohn, Salmanassar III. (858 – 824 v.Chr.), über den Euphrat hinweg den Weg nach dem westlichen Syrien. Dies tat er nach eigenem Bekunden mehr als zwei Dutzend Mal. Kriegsbeute und Tribute, diese vor allem den Phönikiern abgepresst, machten ihn selbst und auch seine Dynastie reich: Salmanassar weckte die Lebensgeister der Städte Tyros und Sidon, wenn auch in der rauen Form eines gegen sie geführten privaten Raubkriegs. Er wurde als Beschützer vor den Aramäern aus Damaskus gefeiert. Nicht anders sah es der König von Israel, Jehu. Dieser warf sich vor Salmanassar nieder in fußfälliger Verehrung und brachte reichen Tribut mit. Lieber wollte er Untertan der Assyrer werden, man könnte
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auch sagen, um Schutzhaft bittend, als sich der realen Gefahr eines aramäischen Angriffs auszusetzen. Staatsverträge sind wenige auf uns gekommen. Einen Staatsvertrag schloss der Assyrer mit dem König von Babylon, per Handschlag, wie das bekannte Relief zeigt. Der König von Babylon, Marduk-zakir-sumi, trug den Gott Marduk im Namen. Marduk ist der Name des Götterkönigs von Babylon, der Hauptstadt des Vorderen Orients, so sah es jedenfalls Salmanassar – und vielleicht auch die Könige Lydiens. In der Genealogie der Lyder (Hdt. 1,7,1– 2) ist der erste HeraklidenKönig ein Sohn von Ninos, dem Begründer des Assyrischen Reiches, und Enkel von Belos, dem König von Babylon. Die Verfasser der Genealogie, seien es Lyder oder Griechen gewesen, sahen also das Verhältnis Assyriens zu Lydien als VaterSohn-Beziehung. Die babylonisch-assyrische Kultur blieb für Lydien immer verbindlich. Nichts Geringeres besagt diese Genealogie. Rund hundert Jahre nach Salmanassar schuf Tiglat-Pilesar III. das assyrische Großreich. Dieser Mann, ein schroffer Militär, richtete Provinzen ein, die Steuern aufzubringen hatten, mit denen vorzugsweise das Heerwesen finanziert wurde. Assyrien hat seine eigene assyrische Version eines modernen Heeres herausgebracht, zusammengesetzt aus Streitwagen, Fußvolk und jetzt auch noch Reiterei. Dieser Standardtyp des Heeres wurde vermutlich über einen längeren Zeitraum in der Interaktion zwischen Assyrern und luwischen Staaten entwickelt; in Frage kommt auf luwischer Seite Karkamis im Land Sura „Syrien“ sowie Tabal, das Gebiet, in dessen Zentrum das heutige Kayseri liegt (später: Kappadokien), sowie auch Que, später unter dem Namen Kilikia Pedias geläufig. Nicht nur die Kilikia Pedias war bekannt für ihre Pferdezucht, sondern vor allem, und das schon in hethitischer Zeit, die Gegend von Harsamna nahe Karkamis.¹ Die Entwicklung regulärer Reitertruppen entstand hier nicht nach dem Vorbild der Skythen, wohl aber durch die Notwendigkeit des Abwehrkampfs gegen diese. Wie ist nun der steile Aufstieg Lydiens zu einer führenden Militärmacht des Vorderen Orients in nur wenigen Jahrzehnten zu erklären? Gyges verlor sein Leben in den Kämpfen mit den Kimmeriern, iranischen Reiternomaden. Aber schon Alyattes konnte diese besiegen und aus Kleinasien vertreiben. Er muss den neuen Heerestyp offenbar ohne lange Erprobungsphase in Dienst genommen haben. Hypothetisch geht es nun weiter: Das lydische Reich war, auch wenn es sich vermutlich als Erbe des phrygischen empfand, doch innerhalb des Alten Orients insofern eine verspätete Nation. Phrygien hatte als Reich neuer Einwanderer aus dem Balkan nicht wirklich zum Alten Orient gehört. Lydien aber baute auf den Erfahrungen der luwischen Staaten, Assyriens und nicht zuletzt Urartus auf und
Literatur bei Haas (1994), 88 f.
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fand so Anschluss an diese kulturell fortgeschritteneren Staaten. Aus dieser Hypothese ergibt sich nun die entsprechende Formel: gleiche Epoche, gleicher Kulturraum mit gleichen Erfahrungen, gleiche Probleme, gleiche Lösungen. Auf diesen Gleichungen baut unsere ganze Methode auf, Herodot zu vervollständigen. Es folgt eine weitere hypothetische Rekonstruktion: Die Armee des Kyros sei als eine Probe aufs Exempel herangezogen. Persien war kein Mitglied des Vorderen Orients und hatte zunächst nur durch die von ihm unterworfenen, ehemals elamischen Länder Elam und Anšan (Persis) Kontakt mit dem Kulturland. Sein Heer siegte dann über den städtereichen Westen, verlor aber in den Steppen Zentralasiens den Kampf gegen die Massageten, ein den Skythen verwandtes Reitervolk. Die Erklärung dafür bestünde darin, dass die Reiterei der Perser keine besondere Bedeutung besaß, sondern ihre Stärke vor allem in der Infanterie, nicht zuletzt auch den Bogenschützen, bestand. Jedenfalls lesen wir von Pferdereiterei des Kyros bei Herodot nichts. Den befremdlichen Eindruck, den dessen Heer vor Sardes machte – niemand hätte ein solches Heer je gesehen, erklärt Herodot in seiner Erzählung –, könnte teilweise auf dem Anblick von Kamelreitern beruht haben. Es waren vielleicht baktrische Kamele, die den persischen Scharen einen besonders fremdartigen, nomadischen Charakter verliehen. Die Gründe, die zum Untergang dieser Epoche führten, sind vielfältig, wie immer, wenn das Thema auf den Untergang zu sprechen kommt. Das Epochenende ist durch die Eroberung von Sardes und vor allem von Babylon markiert. Schwierig ist schon die Aufdeckung der wahren Gründe und Ursachen, fast unbeantwortbar die Frage, ob man von Schuld sprechen kann. Nach Herodot, der sich hier vermutlich im Einklang mit einer griechischen Tradition befand, bezeichnete die Pythia Kroisos als schuldig (aitios, Hdt. 1,91,1) am Untergang des lydischen Reiches. Wie die Lyder selbst darüber dachten, wissen wir nicht. Was Mesopotamien betrifft, so war Nabonid der letzte neubabylonische König von Babylon. Ihm geben moderne Autoren die Schuld, dass Kyros die Stadt fast kampflos in Besitz nehmen konnte. Von einer solchen Schuld steht nichts in den babylonischen Quellen. Auf den babylonischen Thron konnte man nur der gelangen, das ist eine Eigentümlichkeit Babylons, der die Erwählung durch Marduk, am besten durch große Zeichen bestätigt, nachweisen konnte. Die Eroberung Babylons 539 v.Chr. war das denkbar stärkste solcher Zeichen. Sie war zugleich ein Zeichen dafür, dass Nabonid nicht mehr im Stande der Gnade war. Er resignierte deshalb und überließ alles kampflos dem Perser. Ein Perser, ein Fremder, wird König in Babylon. Damit war die Geschichte des Vorderen Orients an ihr Ende gekommen. Das wird noch übertroffen durch Deutero-Jesaja: „So spricht der Herr zu seinem Gesalbten, zu Kyros, den ich bei seiner Rechten ergriffen habe.“ (Jes 45,1). Diese Aussage ist so ungeheuerlich, dass die Zeitgenossen geglaubt haben dürften, in einem Tollhaus zu leben. Was für ein Epochen-
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wechsel! Deutero-Jesaja (Jes 40 – 55) war der geistige Wegbereiter für einen neuen Exodos, der Exodus des Mose war nun ohne Aktualität, diesmal ging der Exodus von Babylon zurück zum Zion, hinaus aus der Resignation. Der Tempel wurde in Jerusalem unter Dareios I. in den Jahren 520 – 515 v.Chr. errichtet. Damit begann die Zeit des zweiten Tempels, für Judentum und Christentum die wichtigste Zeit für die innere Sammlung. Deutero-Jesaja wendet sich nicht mehr an Könige, sondern an das Volk, Jakob/Israel genannt. Es gibt keine Könige mehr im Vorderen Orient, mit Ausnahme des „Königs von Babylon“, und der hieß nun Kyros. Deutero-Jesaja verkündet das Heil auf ewig. Dass eine neue Epoche angebrochen ist, wird klar ausgesprochen in Jes 43,18 – 19: „Denkt nicht an das, was vormals war, kümmert euch nicht darum. Seht, ich schaffe Neues.“ Das ist Sprache der Schöpfungstheologie, wie sie für die Erschaffung des Himmels und der Erde ausgebildet worden war, jetzt aber auf die Geschichte ausgeweitet wird. Wie die Situation im Westen war, in Sardes und in den Städten Ioniens, darüber schweigen die Quellen. Nur ein Fragment aus einem Gedicht des Xenophanes von Kolophon (F13 G.-P. = 22 DK) lässt noch schwach erkennen, dass die persische Eroberung Ioniens noch in der Zeit Xenophanes’ als eine Epochengrenze im Sinne der Datierung wahrgenommen wurde, und zwar von Einheimischen wie von Fremden: „Wer bist du … woher kommst du, mein Bester? Wie alt warst du, als damals der Meder hierher kam?“ Bis heute ist es üblich, das lydische Reich nicht als eigene Größe zu behandeln, sondern es als Phänomen der östlichen Peripherie Griechenlands zu betrachten, als Grenznachbarn griechischen Kolonialgebietes. Daher bewegt sich die Beurteilung seiner Kultur zwischen den Prädikaten proto-hellenistisch-aufgeklärt und despotisch-dekadent-barbarisch hin und her. Dies liegt daran, dass die wichtigste Quelle über Lydien der griechische Historiker Herodot ist, und man bisher nicht ernsthaft genug nach Wegen gesucht hat, diese Quelle für Lydien kritisch und sachkundig zu befragen. So mussten meist der Geschmack oder der common sense zu Instanzen der Urteilsfindung gemacht werden, mit dem Ergebnis, dass oft Herodots Berichte vorschnell als ahistorisch ausgeschieden wurden. Um das, was an ihm historisch ist, zu retten, ist ein tiefergehender Ansatz nötig. Um das Hauptziel dieser Arbeit überhaupt zu erreichen, Herodots tatsächlichen Wissensstand zu ermitteln, seine historische Zuverlässigkeit zu überprüfen und die Verbindlichkeit der Zielrichtung seines Lyder-Logos zu eruieren, musste zunächst einmal ein unabhängiger, sozusagen ein archimedischer Standpunkt gewonnen werden, von dem aus Herodot, der alle übrigen antiken Quellen verdrängt oder von sich abhängig gemacht hat, überhaupt gewürdigt werden konnte. Der robusten direkten Art an Herodot heranzugehen, ging immer, wenn es auch nicht immer von uns gesagt wurde, die Achtung vor der Dignität des ersten His-
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torikers und seines Werkes voran. Die oben aufgeführten, teilweise widerstreitenden Beurteilungen lydischer Herrscher – auf der Skala von barbarisch bis aufgeklärt-despotisch – lassen sich in der Tat an dem ersten und letzten Mermnaden-Herrscher festmachen. In einer barbarisch-dämonischen Atmosphäre spielt sich der Mord an Kandaules in der Thronaufstiegsgeschichte des Gyges ab, moderner muss hingegen Kroisos gesehen werden, so etwa, weil er den Naturphilosophen Thales von Milet sozusagen für die lydischen Genie-Truppen engagierte und auf den entscheidenden Feldzug nach Kappadokien mitnahm. Nun ist Kroisos, nach dem wie er bei Herodot erscheint, eine komplexe Persönlichkeit. Im Gespräch mit Solon ist er ein anderer als im Gespräch mit Kyros, was sich ja vielleicht auch durch die Umstände erklären ließe, aber eben nicht ganz. Viele Urteile der Forschung sind auf eine ästhetisch-humanistische Grundeinstellung zurückzuführen, die sich heute häufig mit einem bekannten Satz aus der (pseudo‐)platonischen Epinomis, d. h. „Anhang zu den Gesetzen“, zu legitimieren versucht: „Was immer die Griechen von den Barbaren übernehmen, arbeiten sie in schönerer Weise aus“ (epin. 987d, Ü: W. Burkert). Das ist das persönliche Geschmacksurteil eines Atheners aus weit entfernter, spätklassischer Zeit. Das platonische „in schönerer Weise“, wobei „schöner“ oft auch noch mit „besser“ übersetzt wird, führt dazu, dass das, was der Vordere Orient an Griechenland weiterreichte, entwertet wurde, sogar als einer unterlegenen Kultur entstammend diffamiert wurde. Es ist denn auch wenig herausgekommen aus Arbeiten, die den platonischen Satz affirmativ vor sich hertrugen und die altorientalischen Quellen wie bloßen Rohstoff nach Benutzung sofort wieder ausschieden. Die Quellen müssen stattdessen erst einmal und grundsätzlich für gleichwertig erachtet werden, bevor man sie miteinander in ein Verhältnis gegenseitiger Beleuchtung setzen will. Vor allem auf dem Feld der Historiographie sollte man keine Scheu haben, die sogenannten „Klassiker“ einer Überprüfung zu unterziehen, seien Zeugnisse des Vorderen Orients auch noch so prosaisch und so gar nicht nach unserem Geschmack stilisiert. Vielleicht lässt sich eine Lösung des Problems dadurch erreichen, dass man das platonische „in schönerer Weise“ durch „in anderer Weise“ ersetzt: „Was immer die Griechen (in früheren Zeiten) von den Barbaren übernahmen, arbeiteten sie in anderer, nämlich griechischer, Weise aus.“² Der Lyder-Logos (Hdt. 1,5 – 94) wurde als ganzer in den Blick genommen. In zwei Arbeitshypothesen lässt sich die hier verfolgte Strategie fassen. Die erste ist Die Kulturabhängigkeit von literarischem Geschmack muss man sich immer wieder bewusst machen. So empfinden beispielsweise auch heutige Inder die Darstellung von Geschichten aus dem Panchatantra (3.–6. Jh. n.Chr.) schöner als diejenige ihrer Entsprechungen bei Boccaccio (14. Jh. n.Chr.), zu dem sie über vorderorientalische Vermittlung gelangt sind.
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vielen Historikern und Gräzisten in ihrer Bedeutung kaum bewusst. Sie besteht darin, dass die Sprache der Lyder durch (größtenteils perserzeitliche) Inschriften immerhin so gut überliefert ist, dass an ihrer Zugehörigkeit zur hethitischen bzw. anatolischen Sprachfamilie in der Forschung seit über 70 Jahren keinerlei Zweifel mehr besteht. Sprachverwandtschaft bedeutet aber auch kulturelle Verwandtschaft. Wie die italienische Kultur der Neuzeit nach zwei Jahrtausenden der sprachverwandten römischen immer noch ähnlicher ist als z. B. die skandinavische, und wie die Dichtung der deutschen Romantik mit der sprachverwandten mittelhochdeutschen nach 700 Jahren immer noch viel mehr Vergleiche zulässt als z. B. mit der spanischen, so war mit Sicherheit auch die lydische Kultur nach 600 Jahren der sprachverwandten hethitischen noch relativ ähnlich. Daraus bezieht unsere erste Hypothese ihre Berechtigung, die da lautet: Es ist legitim, zur Erklärung des lydischen Reiches versuchsweise das Reich der Hethiter durch typologische Vergleiche heranzuziehen. Hier ist ein deutlicher Unterschied gegenüber den Phrygern zu machen. Diese sind erst in den „dunklen Jahrhunderten“ nach Kleinasien eingewandert und gehören nicht der anatolischen Sprachfamilie an. Sie sind dem Lyderreich zwar räumlich und zeitlich näher als die Hethiter und Luwier, haben aber nur durch Entlehnungen am gemeinsamen anatolischen Erbe des 2. Jt. teil. Die zweite Arbeitshypothese, die wir unseren Überlegungen zugrunde gelegt haben, besteht in der Erkenntnis der Zugehörigkeit Lydiens zum Alten Orient. „Alter Orient“ meint im heute geläufigen Verständnis eher den semitischsprachigen Teil des Vorderen Orients.³ In Wirklichkeit aber gehört Kleinasien wegen seiner Teilhabe an der gleichen Kultur seit dem früheren 2. Jt. v.Chr. mit dazu, und es gibt keinen Grund zur Annahme, dies habe für das Lydien des 7. und 6. Jh. keine Berechtigung mehr. Daher besagt unsere zweite Hypothese, dass auch die Einzelstaaten des Alten Orients insgesamt zum Vergleich herangezogen werden dürfen, wenn sich herausstellen sollte – und es hat sich herausgestellt –, dass sie alle denselben Aufbau und die gleichen politischen Ziele bei ähnlichen Wertvorstellungen verfolgten. Zunächst ist auf eine eher mechanistische Vorstellung einzugehen, die besagt, dass, je näher die betreffende vorderorientalische Teilkultur zeitlich und räumlich den Grenzen des lydischen Reiches lag, umso größer der Grad ihres Austausches gewesen sein müsste. Diese Faustregel, die alle Evidenz zunächst einmal für sich hat, ist allein noch nicht ausschlaggebend. Denn zeitliche Nähe meint nicht absolute Gleichzeitigkeit, sondern einen Zeitraum, „Vorderer Orient“ ist hier nicht nur geographisch, sondern vor allem im Sinne von „Alter Orient“ benutzt. Die Bezeichnung „Vorderasien“ wird von Geographen bevorzugt und umfasst meistens auch die iranische Welt, die kulturell zumindest bis zur Mitte des 1. Jt. nicht zum Vorderen Orient gehört.
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beginnend mit dem Tag, von dem ab man sich einer bestimmten Staatengemeinschaft zugehörig fühlt und zu ihrem Bestand beiträgt, bis zum Aufhören staatlicher Existenz. Das soll nicht heißen, dass der Binnenraum ein Haus des Friedens gewesen sei. Die Staatengemeinschaft hatte längst existiert, bevor die Lyder sich ihr anschlossen. Der Zeitpunkt des Eintritts ist also verschieden, der Zeitpunkt des politischen Machtverlustes jedoch allen Staaten des Alten Orients gemeinsam. Das Zusammenstehen in einer vorderorientalischen Solidargemeinschaft ist weniger in den naturräumlichen Ungunstfaktoren mit ihrer gleichwohl bestimmenden Kraft zu sehen, denn die sind von Land zu Land sehr verschieden, als vielmehr in einem nicht ganz deutlich artikulierten Gefühl der Unsicherheit. Dieses wird immer wieder von der in Bewegung geratenen Peripherie ausgelöst: iranische Reiterkrieger, wie Kimmerier und Skythen, im Norden, die Araber im Süden und die iranischen Stämme der Meder und Perser im Osten. Man mauert sich in Städten ein, man mauert sich von ganzen Landschaften ab. Wie räumlich weit und dicht gespannt etwa Kimmerier und Skythen ihren nördlichen Halbkreis um die vorderorientalischeStaatenwelt geschlagen haben (vgl. Jer 1,14; 4,7), machen drei Stellen bei Herodot deutlich. Man muss sie zusammen betrachten, um ein Panorama der vorderorientalischen Großlandschaften zu bekommen. Der Kreis erlaubt eine von H. Strasburger besonders bewunderte Synchronisation um ca. 630 v.Chr.; zum Kreis gehören: der Lyder-König Ardys (Hdt. 1,15), der Meder Kyaxares (Hdt. 1,103) und, den südlichen Bogen schützend, der Pharao Psammetichos (Hdt. 1,105,1). Räumliche Nähe meint nicht nur den unmittelbaren Grenzkontakt. Israel grenzt nicht direkt an Lydien, begleitet aber zeitlich enger und in größerer kultureller Parallelität die lydische Geschichte als das räumlich sehr viel näherliegende Lykien oder Phrygien, wobei natürlich auch die Art und Menge der erhaltenen Quellen eine Rolle spielt. Kulturelle Parallelen mit Israel sollen nun nicht heißen, dass etwa Herodot die Bibel gelesen hätte. Denn in die Kalkulation einzubeziehen ist ja nicht nur die Bibel, sondern auch das Quellenmaterial, dessen Verlust wir beklagen, so vor allem den beinahe totalen Verlust der Literatur der späthethitisch-luwischen sowie der aramäischen Staaten. Das ist zwar nur ein argumentum e silentio, es sei aber trotzdem hier nochmals angesprochen. Die Geschichte des Vorderen Orients muss unvollständig bleiben, weil wir über die Kultur dieser beiden Völker insgesamt aus deren eigenen Quellen (noch) zu wenig wissen. Wir wissen aber, dass sie, also der lydisch-ionische Raum einerseits und Israel andererseits, zwei der städtereichsten und innovativsten Teile des gesamten Vorderen Orient darstellten. Die mythischen Stoffe bildeten sich im 3./2. Jt. v.Chr. im Vorderen Orient sowie der Ägäis heraus, aber erst im 1. Jt. v.Chr. sind die allen Nationen gemeinsame Stoffe durch Redaktoren, die in Wahrheit als Dichter anzusprechen sind, zur
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charakteristischen Literatur einzelner Kulturlandschaften geworden: so zur babylonischen durch das Gilgamesch-Epos, auf ähnliche Weise zur ionischen durch die Ilias, so auch zur hebräischen durch die Tora (Endfassung um 400 v.Chr.). Sie haben den Status von Klassikern. Hierhin gehört auch Herodot, der es dem Leser überlässt, ob er den Lyder-Logos als Prosa oder Poesie lesen und verstehen will, Aristoteles lässt beides gelten. Prosa kommt um ca. 600 v.Chr. in Griechenland auf, der Vordere Orient kannte sie immer schon. Die Unterscheidung zwischen auktorial verantworteter Literatur bei den Griechen und sog. Traditionsliteratur, zu ihr gehört das Alte Testament und hier vor allem die Tora, bleibt bestehen. Man sprach im Sinne J.G. Herders bei Traditionsliteratur auch gern von „gewachsener“ Literatur. Heute wird die biologische Metapher vom „Wachsen“ durch die Formel „redaktionelle Hinzufügungen von Seiten eines Autors“ ersetzt. Das ist eine Annäherung, der Unterschied bleibt dennoch groß. Ganz krass gesagt: Traditionsliteratur kann man (ver)fälschen, indem man das tut, was die sog. Kanonformel ausdrücklich verbietet, „du sollst nichts weglassen“ und „du sollst nichts hinzufügen“ (Dtn 4,2; 13,1, vgl. Jer 26,2). Die Kanonisierung der hebräischen Bibel ist kein naturgemäßer, sondern ein historischer Prozess ständiger Fortschreibung geblieben, der nicht durch das Machtwort eines Gremiums vom Schreibtisch aus für beendet erklärt wurde. Und doch muss zu einem uns unbekannten Zeitpunkt die sog. Kanonformel gegriffen haben. „Die Tora ist Ausgangspunkt und qualitativer Kern des atl. Kanons als Offenbarung Gottes, …“.⁴ Entsprechend war es beim altiranischen Avesta. Herodot zu verfälschen, ist unmöglich, seine Historien sind abgeschlossen. Dennoch lädt gerade der strenge Kanon dazu ein, kreativ mit ihm umzugehen. Unsere Methode, die „Ergänzungshypothese“, kommt dem ein wenig nahe. Sie fügt hinzu und nimmt weg, und schreibt so in gewisser Weise Herodot fort, ohne allerdings den herodoteischen Text selbst verändern zu wollen. R.A. Segal hat mit Berufung auf den Literaturwissenschaftler N. Frye (1912– 1991) behauptet, dass die Literatur in allen ihren Gattungen vom Mythos abzuleiten sei.⁵ Greift man den Begriff Gattungen auf, dann führt das in unserem speziellen Falle zu der These, dass die Literatur in den einzelnen Staaten des Vorderen Orients sich durch vergleichbare literarische Gattungen auszeichnet. Bestes Beispiel sind Israel und Griechenland. Der Grund, so muss man wohl folgern, ist darin zu sehen, dass schon die Mythen vergleichbar waren. Herodot zapfte den gemeinsamen Mythenvorrat an, ohne ihn irgendwo allegorisierend zu verwenden. Er lässt durch die Vorschaltung der Frauenraubge-
Dohmen (1995), 57. Segal (2007), 110 – 124 („Mythos und Literatur“); N. Frye spricht von Archetypen.
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schichten (s. Glossar) – diese mit dem Raub der Helena und mit der Eroberung Troias im Zentrum –, die Zeitenwende und Epochengrenze deutlich hervortreten, die er zwischen seiner Zeit (es eme) und Homer samt dessen vom Epos imaginiertem Zeitraum aufrichten möchte. Herodot konkurriert mit dem Iliasdichter und erklärt den Quellenwert der Ilias disqualifizierend für nicht nachprüfbar.⁶ Und hier steht dann der wuchtige Satz: „Was mich betrifft, so will ich nicht entscheiden, ob es so oder irgendwie anders (sc. mit dem Frauenraub) gewesen ist; von wem ich es aber selber weiß, dass er als erster mit dem Unrechttun gegen die Griechen begonnen hat, den will ich deutlich kennzeichnen, …“. Nicht mit Namen wird er genannt, aber gemeint ist Kroisos (Hdt. 1,5,3). In der Sache, um die es hier geht, sprengt Herodot aber nicht den Rahmen, den der Vordere Orient gezogen hat. Der Glaube Israels wurde durch Redaktoren ständig, und nicht nur an der Oberfläche, modernisiert und aktualisiert. Man stieg aus der Tradition grundsätzlich nicht aus, sondern ließ das Überkommene stehen und setzte das Neue nur daneben. Am frühesten ist dieses Denken ganz prosaisch in den hethitischen Gesetzen (16. Jh. v.Chr.) bezeugt: „Wenn jemand einem freien Menschen … einen Zahn schiefschlägt, gab man früher eine Mine Silber. Und jetzt gibt man zwanzig Šeqel“ (HG §7 A. Ü: nach E. von Schuler, in: TUAT I/1 [1982], 99).⁷ Dann auch im Buch Rut 4,7 (Rechtsprechung im Tor): „Und dies machte man früher in Israel immer so … (jetzt aber).“ Auch Herodot lässt das Alte in gewisser Weise (absichtlich) stehen: Troia bleibt, und er setzt das Neue als Überbietung hinzu: den Aufstieg der Perser und ihrer den Weg vorzeichnenden Vorläufer, der Lyder. Der Drang zur Verschriftlichung und das Entstehen echter Literatur, zwar nicht so sehr im Sinne von gehüteter Nationalliteratur, sondern eher Literatur im grenzüberschreitenden Diskurs, sind ein Markenzeichen des Vorderen Orients. Man muss sich nur einmal auf den benachbarten indo-iranischen Sprach- und Kulturraum einlassen, um vor diesem Hintergrund die vorderorientalische Kultur als Einheit zu begreifen. Im indo-iranischen Kulturraum wurde die Tradition ab dem späten 2. bzw. (in Iran) ab dem Beginn des 1. Jt. v.Chr. mit Hilfe hochentwickelter Rezitationstechniken – stabiler in der Worttreue als der Hexamter – mündlich weitergeben; langfristig tradiert wurde hier nur religiöse Literatur, und zwar durch die Priester. Die Verschriftung setzte erst Jahrtausende nach der Abfassung ein. Außerhalb dieser Tradition stehend bilden die altpersischen Inschriften, deren früheste und originellste die Bisutun-Inschrift von Dareios I. ist, fertiggestellt 518 v.Chr., einen interessanten Kompromiss. Hier stellen sich die
Leumann (1950), 304– 307 zu Homerismen des Wortschatzes; dieser geht aus der Dichtung in die Prosa über. Vgl. Hoffner (1997), 22.
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Achämeniden nämlich als altorientalische Herrscher dar und verwenden deshalb auch das Medium der Keilschrift. Die darin enthaltenen Tatenberichte lehnen sich an Mesopotamisches an, die Ethik der Texte ist dagegen traditionell indo-iranisch. Wie fremd Iran dem Alten Orient war, wird auch klar, wenn man sich den Feuertempel in Nūš-i Jān (Ekbatana, heute Hamadan) vor Augen führt. Gegenüber der Fremdheit dieser Anlage erscheint selbst der Brandopferaltar vor dem Tempel in Jerusalem mit dem Heiligtum in Chryse (an der Küste südlich von Troia), wo eine Hekatombe als Sühnopfer dem Apollon vor dessen Tempel dargebracht wird (Hom. Il. 1,430 – 476), noch eng vergleichbar.⁸ Im indo-iranischen Raum ist nämlich das Feuer selbst heilig und darf durch Opferbrand nicht verunreinigt werden, eine dem Vorderen Orient fremde Vorstellung. Durch die Einheitlichkeit des Vorderen Orients und die Austauschbarkeit von Strukturen von Religion und Kultus der vorderorientalischen Staaten untereinander, so ihrer Gottheiten und Rituale, die sogar eine interpretatio Graeca ermöglichten, ferner von Institutionen, so dem Heerwesen und den diplomatischen und völkerrechtlichen Traditionen sowie schließlich von literarischen Gattungen (wie z. B. der Epik oder Weisheitsliteratur), wird es nun möglich, Herodot durch Vergleiche mit Staaten begutachten zu können, die durch mehr und vor allem durch authentische Zeugnisse ausgezeichnet sind. Als Herodot den sog. LyderLogos verfasste, lagen die dort vorgetragenen Begebenheiten gut 200 Jahre zurück. Herodot arbeitete nicht als Zeitzeuge wie Thukydides und war auch nie Soldat gewesen wie dieser, und schon gar nicht war er ein Söldner wie Xenophon, der für Wahrheit hielt, was er im Vordergründigen fand. Das ist handgreiflicher Empirismus, keine Spur von Tiefgründigkeit, wie z. B. der Gedanke, dass die Wahrheit (nach Heraklit) nicht offen zu Tage liegt. Fast bis Babylon war Xenophon 401/400 v.Chr. gekommen, aber fast nichts Wissenswertes über Religion, Kultur und Geschichte Mesopotamiens brachte er mit nach Hause. Das ist typisch für die griechischen Söldner, die geradezu als eine Massenbewegung erst um 435/30 v.Chr. in Erscheinung traten. Es hat unserer Meinung nach in lydischer Zeit noch keine Söldnerheere gegeben, und dem entsprechend hat auch die lydische Münzprägung nichts mit der Bezahlung von Söldnern zu tun. Der Gegensatz zwischen Herodot und Xenophon könnte größer nicht sein. Nur staunen kann man, was Herodot im Gegensatz zu Xenophon von seinem Aufenthalt bei den Skythen im sog. Skythen-Logos (Hdt. 4,5 – 82; 4,99 – 117) berichten konnte, fernab vom Schlachtenlärm, den Xenophon zu suchen schien. Nie vorher und auch nie später war die Konstellation in Kleinasien und dem europäischen Teil des Pontos
Zum Feuertempel, der erst 1974 ausgegraben wurde, s. Orthmann (1976), Abb. 315; datiert wird er ins 8./7 .Jh. v.Chr.
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so günstig gewesen, als in dem Augenblick, den Herodot sich zum Aufenthalt in Olbia, einer milesischen Gründung, gewählt hatte (448 v.Chr.). Die Kolonisten nun, die die sog. Milesische Kolonisation ins Werk setzten, sind um 600 v.Chr. in einen noch weitgehend prähistorischen Raum eingedrungen. Dahin war ihnen kein Herakles als hellenischer Kulturbringer vorangegangen. Sie waren verständlicherweise als Siedler wenig dazu befähigt oder fühlten sich nicht gedrängt, Erkenntnisse, die Land und Leute betrafen, der sozusagen „Geographischen Gesellschaft zu Milet“ mitzuteilen. In der kartographischen Abteilung Milets unter Leitung des Hekataios kam verwertbares Material jedenfalls nicht an; der Pontos blieb und bleibt im Dunkel. In Teil 3 2 „Schwarzmeerkolonisation“ wird die Annahme begründet, dass es sich bei dieser Kolonisation um ein lydisch-milesisches Partnerschaftsunternehmen handelte, und zwar auf der Grundlage eines zuvor geschlossenen Vertrages, den Herodot unter der Einrichtung „Symmachievertrag“ buchte. Der Symmachie-Vertrag war, prägnant verstanden, ein Kampfbündnis. Er war die gängige Vertragseinrichtung der Griechen in klassischer Zeit. So wie Hiram von Tyros und Salomo ein „Bündnis“ (berît) schlossen, das sicherlich mehr enthielt, als nur Handelsfragen und Fragen der Warenbeschaffung (Zedernholz und Gold) für den Tempelbau in Jerusalem zu erörtern (1 Kön 5,16), ebenso wird umgekehrt das Kampfbündnis (symmachia) zwischen Alyattes und Milet mit Sicherheit Stipulationen zum Warenverkehr enthalten haben. Es ist nur als ein Versuch zu verstehen, wenn in dieser Arbeit der lydische Staatsvertrag in seiner formalen Struktur anhand des hethitischen Vorbilds, das im Südosten Kleinasiens überlebt haben kann, rekonstruiert wird. Es ging den Lydern um viel Gold, und darüber, von wo es bezogen wurde, wurde Geheimhaltung vereinbart. Man streute die Gerüchte, das Gold im nördlichen Europa werde durch Greifen bewacht und durch einäugige Arimaspen verwahrt, das Goldene Vlies in der Kolchis im Osten an der Grenze zwischen Asien und Europa gar durch einen Drachen gehütet. In Wirklichkeit wurde hier das von den nördlichen Flüssen kommende Gold in Nacht- und Nebelaktionen an Bord milesischer Schiffe genommen. Das angeblich aus dem Paktolos in Lydien selbst gewonnene Gold ist wohl weitgehend ein Märchen, sein Zweck war die bewusste Irreführung durch Ablenkung von der wirklichen Fund- bzw. Schiffsverladungsstelle. Die südarabischen Staaten an der Weihrauchstraße und am Horn von Afrika pflegten in dieser Zeit eine vergleichbare Geheimhaltung, und sie bewährte sich noch zu einer Zeit, als Augustus den Präfekten von Ägypten, Aelius Gallus, 25/24 v.Chr. beauftragte, Südarabien zu unterwerfen. Die legio X Fretensis irrte, angeblich weil schlecht beraten (Strab. 16,4,23 – 25 spricht sogar von Verrat), ein halbes Jahr durch Arabien, erreichte schließlich Marib, war aber durch Wassermangel und Strapazen in ihrem Mannschaftsstand so stark dezimiert, dass man eine Belagerung nicht einmal versuchte. Die Römer haben es nicht noch einmal
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probiert und in Zukunft auf feste Stützpunkte römischer Herrschaft am Indischen Ozean verzichtet. Der Lyder-Logos Herodots ist anders zu behandeln als der medische, der ganz eng mit dem persischen Logos verschlungen ist und jenen fortsetzt. Er wirkt nicht nur archaischer, sondern ist es auch, nicht zuletzt durch die vielen Orakel, durch die uns Heutigen dämonisch erscheinende Frau des Kandaules, ferner durch drei historiographische Konzepte: 1. durch den alten Geschlechterfluch, 2. durch das herodoteische Konzept vom „Kreislauf (kyklos) der menschlichen Dinge“ und schließlich 3. durch die ebenfalls auf Herodot zurückgehende Vorstellung vom „Neid der Götter“ (phthonos). Dazu kommt die nur hier auftauchende aidos ‚Scham‘, desgleichen die von Hesiod personifizierte nemesis, die sich inzwischen ganz zur Bedeutung „Rache“ entwickelt hatte. Am Ende stand nicht die Bestrafung durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen, sondern das Eintreffen des Geschlechterfluchs. Kyros hatte vermutlich zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, Kroisos zu töten.Vor allem aber ist ausgeschlossen, dass die Perser, die wegen der Reinhaltung des heiligen Feuers selbst das tierische Brandopfer nicht praktizierten, Menschen verbrannt hätten. Hat es in der Antike überhaupt Feuerverbrennung als Sühne etwa für Kapitalverbrechen gegeben? Man darf es bezweifeln. Fernzuhalten ist hiervon die Leichenverbrennung etwa von gefallenen Helden, so in der Ilias im 23. Gesang (1– 256), wo die Bestattung des Patroklos besungen wird. Die Vase des Myson zeigt Kroisos auf dem Scheiterhaufen. Wir interpretieren dieses Bild des Kroisos als Heroenbildnis. Mit dem Heroenkult begegnen wir einem für das Griechentum ganz einzigartigen „Seelencult“ (E. Rohde),⁹ der vor allem im griechischen Mutterland an Erinnerungsorten aus mykenischer Zeit zelebriert wurde. Herakles ist der Prototyp des Heroen; mit ihm kann sich kein Sterblicher messen. Einen größeren Kreis von Heroen bilden die Kämpfer vor Troia und Theben, von denen Hesiod in seinem Weltaltermythos als dem vierten Geschlecht spricht. Von diesen Helden sind die zahllosen Heroen der Eisenzeit zu unterscheiden, obwohl man versucht hat, sie an das vierte Geschlecht anzugleichen. Das hat sich aber nicht durchgesetzt. Siegeslieder von Pindar oder Bakchylides auf Olympioniken hatten bereits heroisierende Wirkung, und ähnlich auch im Fall von Kroisos. Dazu kamen das Motiv des Scheiterhaufens und das Regenwunder, das nach Herodot der Apollon von Delphi bewirkte. Kroisos wurde wahrscheinlich deshalb nicht nur von den Lydern, sondern auch von der griechischen Bevölkerung heroisiert, weil der Kontrast zwischen seinem mächtigen Wirken und seinem jähen Sturz einen tiefen Eindruck auf sie gemacht hatte. Dieser Eindruck dokumentiert sich auch darin, dass vornehme Griechen ihre
Rohde (1961), 146 f.; Kirk (1982), 139 – 212.
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Söhne Kroisos nennen konnten. Die ganze Geschichte Hdt. 1,86 – 92 ist eine grandiose Inszenierung einer Versammlung von Menschen im Feuerschein des Scheiterhaufens. Die Rollen sind international besetzt: Perser, Lyder und Griechen, die Griechen sind angerufen und im Geiste dabei, so Solon, oder per Botenspruch der Konferenz zugeschaltet, so Delphi. Die entscheidende Rolle spielt Solon. In Erinnerung an dessen Worte kommt es zum „Damaskus-Erlebnis“, das Kroisos vom unbeugsamen Widerstreiter (Hdt. 1,33) zum Bekenner der solonischen Lehre macht. Es ist nicht leicht, eine Parallele für diese Art von Konversion im griechischen Schrifttum aus der Zeit vor Herodot zu finden. An den moralischen Sätzen Solons findet selbst der Perser Kyros Bedenkenswertes und Vorbildliches für das eigene Leben, das dann doch einen ganz anderen Weg nehmen sollte. Durch Kyros, so die Absicht Herodots, wird die solonische Ethik für universal erklärt. Kroisos stand, er thronte nicht, auf dem Scheiterhaufen und rief in höchster Lebensgefahr den Apollon von Delphi an. Dieser erhörte ihn, und es kam zum Wolkenbruch, der Kroisos rettete. Diese Theophanie ist die Bestätigung für die Richtigkeit der Bekehrung des Kroisos und führt Kyros zum Bekenntnis, dass Kroisos ‚von Gott geliebt‘ (theophiles) sei. Diese Konversion setzt das Konzept einer Dichotomie zwischen Griechentum und Orient voraus, die vor den „Persern“ des Aischylos (472 v.Chr.) nicht relevant war, also für die Zeit von Solon und Kroisos noch nicht existent. Die Geschichte der Lyder wird bei Herodot von Anfang an als Unheilsgeschichte vorgeführt. Ihr roter Faden ist der Geschlechterfluch, der auch vom Gott Apollon nicht abgewendet werden konnte. Literarisch bindet der Geschlechterfluch den Lyder-Logos zusammen und simuliert Bewegung und Zielgerichtetheit. Der Sturz des Kroisos kann nur durch eine Verfehlung des Urahnen begründet werden: Blutschuld. Die Vorstellung von einer generationenübergreifenden Strafe ist alt und kann in Lydien beheimatet gewesen sein. Auch das Geschlecht des Tantalos, nach griechischer Überlieferung ein König, der vom Sipylos aus über Lydien geherrscht hatte, hatte nämlich einen solchen Fluch auf sich gezogen. Vorstufen finden sich schon bei den Hethitern. Ein Beispiel, in dem allerdings nicht Blutschuld, sondern Eidbruch vorliegt, enthält das Pestgebet Mursilis II. an den Wettergott (um 1300 v.Chr.). Sinngemäß besagt eine Stelle daraus (KUB XIV 8) folgendes: „Mein Vater, Suppiluliuma, hat gesündigt, … sein Heer brachte die Seuche aus Syrien nach Hattusa, … sie wütet nun seit zwanzig Jahren, … die Strafe der Gottheit trifft nun mich.“ Die alte Vorstellung geht auch im syrisch-palästinischen Raum nicht unter, sie taucht vielmehr später in Israel wieder auf (Ex 20,5: „… der die Schuld der Väter heimsucht an den Söhnen“). Für Ezechiel, den Philosophen unter den Propheten (Levinson [2012]) wird der Determinismus zur Frage nach der Gerechtigkeit. Ezechiel, der 597 v.Chr. nach Babylon deportiert wurde, unterläuft den geoffen-
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barten Determinismus der Tora und legt in Ez 18,1– 5 sein Konzept von der individuellen Vergeltung des Sünders vor: Jeder ist für sein Tun selbst verantwortlich. Es ist zu betonen, dass es sich um theologische Vorstellungen, nicht um strafrechtliche Neuerungen der Gesetzgebung handelt. Verbinden lässt sich dies mit der spezifischen Lehre Israels bzw. des Judentums von Umkehr oder Buße. In Herodots Lyder-Logos geht es um Blutschuld, nicht Eidbruch. Blutschuld ahnden aber die hethitischen Götter sofort.¹⁰ Hier hat sich seit der hethitischen Zeit etwas geändert. Denn damals hatten die Götter nur den Eidbruch mit generationenübergreifenden Strafen verfolgt, so im Pestgebet Mursilis.¹¹ Als historisch festzuhalten ist nur, dass Herodot den Lydern eine uralte Anschauung von Strafe und Fluch zuschreibt, wie sie auch Solon in der sog. Musenelegie (F13 W) vertritt. Solon war Archont in Athen („594 v.Chr.“). Das war etwa zu derselben Zeit, als Ezechiel begann, die Juden in Babylonien zu lehren, dem Wahngedanken vom Determinismus, der bleiern auf der gola ‚Exulantenschaft‘ lastete, abzuschwören und Schritte in eine neue Zukunft zu tun, ohne das belastete und belastende Königtum, allerdings auch ohne Tempel. Der Dialog zwischen Solon und Kroisos wurde in Forschung und Unterricht als geistige Mitte des Lyder-Logos, ja des herodoteischen Gesamtwerkes gesehen. In der Tat, er ist es auch, aber in einem ganz anderen Sinne, als man bisher glaubte. Es kommt in Wirklichkeit gar kein Dialog zustande, sondern ein überlanger Monolog; griechische Vorstellungen über die eudaimonia, das „wahre Glück“, beherrschen das Feld, individualistische Konzepte, die aber nach Solon bzw. Herodot universale Gültigkeit beanspruchen: es hapan anthropinon (Hdt. 1,86,5). Kroisos wird dagegen keine Möglichkeit eingeräumt, darzulegen, worin für ihn das Glück (eudaimonia) eines Herrschers besteht. Herodot lässt suggestiv den Eindruck des gefüllten Schatzhauses auf den unkundigen Leser wirken. Zeichen oder Zeichenhandlungen sind ohne deutendes Wort vieldeutig; man vergleiche diesbezüglich aus dem AT Jer 13, 16, 19 und 32. Kroisos sagt in dem uns vorliegenden Text an keiner Stelle ein Wort darüber, in welchem Verhältnis seine eudaimonia „sein Glück“ zum Reichtum des Schatzhauses steht. Für die Griechen war die Sache klar: Wo der Schatz ist, da wird auch sein Herz sein, um es biblisch auszudrücken. In Wirklichkeit hat sich Kroisos nur nicht erklären können. Er hätte das Schatzhaus in seinen komplexen Bezügen deutlich machen müssen, vielleicht hatte er es versucht. Eine Schatzhausführung Aus dem Erlass Telipinus um 1500 v.Chr. (s. Hoffmann [1984]),Vs. col. I 63 – 68: „Als Hantili alt geworden war und im Sterben lag, da tötete Zidanta (den Piseni), den Sohn des Hantili … Und Zidanta wurde König. Da forderten die Götter (Vergeltung für) das Blut des Piseni, und sie machten ihm seinen Sohn Ammuna zum Feind, so dass er Zidanta, seinen Vater, tötete …“. Zur „Vererbung“ von Schuld aus Eidbruch Goetze/Pedersen (1934).
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ohne erschließende Worte zum Sinn und Zweck des Ganzen führt zu Mehrdeutigkeiten oder, wie im Falle Solons, zu falschen Eindeutigkeiten. Solon unterstellte dem Kroisos, dieser setze sein Vertrauen in den Besitz. Aus dem Aramäischen stammt das Wort Mammon, dieser wird dann im Neuen Testament ethisch disqualifiziert als ungerechter Mammon (vgl. Luk 16,9), so auch von Solon als Raubgut angesehen; geraubt von den Ioniern, als deren Patron er sich begriff. Die Schatzhausführung ist aber eine Art Zeichenhandlung, wie sie vor allem auch die Propheten des Alten Testaments pflegten. Herodot kennt das Phänomen der Zeichenhandlung grundsätzlich schon, was folgende Begebenheit zeigt: Kroisos schickt die Fesseln (pedai), die Kyros ihm beim Besteigen des Scheiterhaufens anlegen und nach der Begnadigung wieder abnehmen ließ, nach Delphi. Die lydischen Boten sollen die Fesseln auf die Schwelle des Tempels legen und den Gott fragen, ob er sich nicht schäme, Kroisos in den Glaube versetzt zu haben, er könne die Macht des Kyros vernichten, von der ihm (sc. dem Apollon) dies jetzt als Erstlingsgabe zuteilwerde, wobei sie „mit dem Finger auf die Fesseln hinweisen sollten“ (deiknyntas tas pedas, Hdt. 1,90,4). Solon, erst recht Herodot und seine Zeitgenossen, verstanden aber speziell das vorderorientalische Zeichensystem nicht bzw. nicht mehr. So entging ihnen, dass das Schatzhaus eine spezifisch diplomatisch-politische Funktion auszufüllen hatte. Sollte Solon selbstverantwortlich zeichnen für das, was nach dem Bericht Herodots bei der Konferenz gesagt oder nicht gesagt wurde, dann wäre das nicht zu entschuldigen. Denn Solon hätte noch wissen können, dass ein Schatzhaus keine mit Schätzen angefüllte Räuberhöhle ist, sondern eine Institution, die der König nutzte, um eine Herrschaft in Gerechtigkeit aufzurichten, wie es der Alte Orient vorschrieb. Bündnisfähigkeit war zu demonstrieren, ein Vorzeigesystem, zu dem auch das Arsenal und die Militärparade gehörten. Schatzhaus und Militärparade hat Solon zu sehen bekommen. Die Unterredung mit Kroisos endete im Dissens, angestrebte Bündnisverhandlungen wurden nicht weiterverfolgt. Das Schatzhaus hatte nicht den Zweck, persönliches Glück zu garantieren, der König lebte nicht einen Individualismus aus, wie er in Griechenland mit den Tyrannen aufkommt, sondern er sollte sich dem Auftrag der Götter verpflichtet fühlen, Gerechtigkeit gegenüber den Untertanen walten zu lassen. Es ist wie im Gilgamesch-Epos, wo am Schluss der König zur Einsicht kommt, er habe nicht nach persönlicher Unsterblichkeit zu suchen, sondern seiner Pflicht als König nachzukommen, einzig und allein für das Wohl der Stadt und seiner Bewohner zu sorgen. Gilgamesch ist als Erbauer der Stadtmauer von Uruk in ehrenhafter Erinnerung geblieben, Kroisos dagegen nur als der reiche Krösus. Ob er jenen ideologischen Ansprüchen gerecht wurde, lässt sich bezweifeln.
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Erst in der Epoche EZ IIA/B (900 – 700 v.Chr.), als auch die sog. Ionische Kolonisation sich langsam als schöpferische Kraft nicht im Geiste des Widerstreits, sondern der Kooperation ankündigte, stiegen die Lyder zur beherrschenden Macht auf. Aufgrund einer lydischen Inschrift wissen wir heute, dass nicht nur das Lydische noch zur Perserzeit die Sprache Lydiens war, sondern dass auch die Gruppe der *Mermna (lydisch Mλimna‐), aus der die Dynastie der Mermnaden (lydisch *Mλimnada‐) hervorgegangen war, die persische Eroberung überlebt hatte und Macht besaß. Ferner ist klar geworden, dass die Lyder selbst ein Volk im üblichen Sinne waren und nicht etwa nur die Angehörigen eine Dynastie. Der Übergang vom Status eines Einzelvolks zum mehrere Völker (Lyder, Karer und andere Populationen) umfassenden Reich erfolgte vielleicht erst unter Gyges, und auch dann nur allmählich (nach 700 v.Chr.). Historisches Handlungssubjekt aber war damals nicht das Volk (= die Ethnie), sondern die königliche Sippe; von dieser tritt im Lyder-Logos nur der König in Erscheinung. Er zog noch mit dem Gefolge seines „Hauses“ (oikia, vgl. Hdt. 1,25,2) gegen die ionischen Städte, allen voran gegen Milet, nicht in der Absicht, sie zu erobern, sondern um Beute zu machen. Lyder und Ionier waren einander nie Erbfeinde, vielmehr hatten sie einen gemeinsamen wirklichen Feind: die iranisch-kimmerischen Reiterkrieger. Diese waren den Lydern und Griechen, wie früher auch schon den Phrygern, weit überlegen, die wohl einzelne, den Fußkämpfern beigegebene Reiter kannten, aber damals noch keine wirkliche Reiterei besaßen, gemeint im Sinne von gr. telos, also von einer Teilstreitkraft des Heeres, jedenfalls keine Reiterei, die den Blitzattacken von Reitervölkern der Steppe gewachsen war. Gyges war kein Feind der Griechen, empfahl sich den Milesiern vielmehr als Patron und Protektor, wies ihnen Abydos am Hellespont als Siedlungsplatz zu und führte vielleicht als erster, so die These, die griechischen Aioler über das Ida-Gebirge, um sie in und um Troia als Wehrbauern (Kleruchen) anzusiedeln (Troia VIII). Gyges gilt als reich an Gold, das wohl nur teilweise aus Lydien selbst stammte. Die Milesier besorgten ihm Gold aus Ägypten. Später hat Kroisos es vermutlich aus der Kolchis am Schwarzen Meer bezogen. Die Maßnahmen, die Gyges zum Schutz und zur Überwachung der Meerengen einsetzte, hielten die Kimmerier nicht davon ab, ein weiteres Mal in Lydien einzufallen. Gyges fällt in der Schlacht (644 v.Chr.). Das ist das einzige absolute Datum der lydischen Geschichte; es wird einem Synchronismus mit einem Dokument Assurbanipals verdankt. Neugründer des lydischen Reiches wird Alyattes. Die Kooperation mit den ionischen Staaten ging unter ihm nicht nur weiter, sondern erhielt eine völlig neue völkerrechtliche Grundordnung, hergestellt durch den Staatsvertrag in hethitischer Tradition. Die sog. Milesische Kolonisation (ab 600 v.Chr.) des Schwarzen Meeres nimmt vom Marmarameer und dem an seiner Küste gegründeten Kyzikos ihren Ausgang. Fast fünfzig Apoikien sind heute als
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milesische Gründungen archäologisch nachgewiesen. Modell kann deshalb nicht die große griechische Kolonisation Italiens und Siziliens gewesen sein, die im 8. Jh. v.Chr. einsetzte und damals lange zurücklag, sondern eigentlich nur die phönikische Kolonisation des „Roten Meeres“. Bei dieser ist sowohl an den Golf von Aden als auch an das Seegebiet am Horn von Afrika gedacht, die kurz vor 600 v.Chr. vom Pharao Necho II. in Auftrag gegeben wurde. Sie machte die Umrundung Afrikas möglich, die größte seemännische Leistung in der Antike. Eine besondere Art von Religion, Ritual und Kult sind, neben der schon behandelten Schriftlichkeit, ein weiteres verbindendes Element, das die vorderorientalischen Staaten eint und in ihren Institutionen annähernd austauschbar macht. Die Göttin Kybebe, ursprünglich als Kubaba die luwische Stadtgöttin von Karkamis, wurde auch in Sardes verehrt; ihr lydischer Name war kuwaw-/kufaw. ¹² Im feierlichen Gebetsstil ruft der Chor, bestehend aus Männern von der Insel Lemnos – die Insel spielt im lydisch-etruskischen Dialog der Sprachwissenschaftler eine große Rolle –, in Sophokles’ Philoktet (409 v.Chr.) sie als mater potnia an, als die „Heilige Mutter“ (K. Reinhardt), die zwei Verse zuvor (Soph. Phil. 391) sogar „Mutter des Zeus“ genannt wird.¹³ Dass die Götternamen der Lyder einiges über die Kulturgeschichte Westkleinasiens auszusagen vermögen und auch enge Beziehungen zur griechischen Religion zeigen, wurde oben in Teil 2 dieser Arbeit deutlich. Nicht im Vergleich mit den Lydern, sondern erst mit den Persern und ihrer ganz anderen Opfer- und Gebetspraxis fällt es den Griechen wie Schuppen von den Augen, dass trotz aller Sonderheiten griechischer Kulturlandschaften aufs Wesentliche gedacht alle Hellenen eine einzige Religionsgemeinschaft bildeten. Von Interesse für unsere These von der Kontinuität in Altanatolien könnte das Hundeopfer werden. Zunächst fand man in Sardes, in den sog. „residential and commercial districts“ (C.H. Greenewalt), in vier einhenkeligen Krügen jeweils das Skelett eines Hundes, zusammen mit Utensilien, wie sie beim „ritual dinner“ Verwendung fanden. Archäologisch fassbare Reste eines Hunde-Opfers fanden sich jetzt, nach Aussagen des österreichischen Grabungsteams, auch im Artemision in Ephesos. Auch bei Homer, der ja vermutlich in Nachbarschaft der Lyder lebte, findet sich das Hundeopfer (Il. 23,173 f.).¹⁴ Das älteste schriftliche Dokument
Gérard (2005), 33 Anm. 99. Nicht die Griechen, wohl aber von Wilamowitz-Moellendorff findet: „Wirklich anstößig ist uns das Gebet an die asiatische Göttermutter, …“, zitiert von Reinhardt (1943), 282. Dass die Muttergöttin (d.i. Kybebe) von Sardes gemeint ist, geht aus der Nennung des Flusses Paktolos (Soph. Phil. 394) hervor. Charon von Lampsakos gleicht sie mit Aphrodite (FGrHist 262 F5). Eine Verbindung zum homerischen Aphroditehymnus stellt Graf (1985), 111 her. Vgl. Haas (1994), 88.
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für ein solches Opfer stammt aus Hattusa. Sollte am Artemision wirklich ein Hundeopfer durchgeführt worden sein, so ließe sich ein weiteres Indiz auch für den altanatolischen Charakter dieses Heiligtums gewinnen, wo Artemis von Mädchen der Lyder verehrt wurde (Aristoph. nub. 599 – 600). Wir vermuten, dass Ephesos, die ehemalige Hauptstadt von Arzawa, immer noch das Kultzentrum von Sardes war. Man kann heute einigermaßen sicher sein, dass Herodot schriftliche Vorlagen benutzt hat. Ob er Märchen vor sich hatte, wie W. Aly (1921) glaubte, und diese in Novellen transformierte, wie W. Burkert für die Erzählung von der „Frau“ des Kandaules meint, muss hier offenbleiben. Vieles spricht aber dafür, dass dem Herodot eine Gyges-Tragödie zur Hand war. In der Tat, schon der Palast des Gyges ähnelt in seiner Darstellung einem flachen Bühnenbild. Ganz anders der Eindruck, den die Thronfolgegeschichte Davids vom Palast in Jerusalem vermittelt. Hier werden Toreinfahrt und Räumlichkeiten genannt, hier brodelt die Gerüchteküche, und aus Hofgeschichten, aus Klatsch und Tratsch und aus wenig Aktenmaterial wird Geschichtsschreibung.¹⁵ Als eine weitere Vorlage Herodots neben der Tragödie kommen die Elegien Solons in Frage. Herodot neigt dem Solon zu. Das wird ganz deutlich im Bekenntnis des Kroisos zu ihm im Angesicht des Todes (s. Teil 6). Ob Herodot hier Gesprächskollagen zwischen zwei Personen fabrizierte, von denen noch dazu eine der beiden gar nicht mehr am Leben gewesen sein könnte, in dieser Frage wird man wohl vorsichtiger und differenzierter urteilen müssen. Wenn Herodot die Sieben Weisen in Unterredung mit Kroisos eintreten lässt, dann ist, da deren genaue Lebensdaten wie die des Kroisos nicht feststehen, nach Indizien zu suchen, die eine Begegnung wenigstens wahrscheinlich machen können. In der Person des „Weisen“ (sophos) tritt der Grieche als Person zum ersten Mal aus dem Halbdunkel mythischer Zeit in das Licht der Geschichte. Was Solon betrifft, so glauben wir einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit für eine historische Begegnung mit Kroisos in Sardes erzielt zu haben (s. Teil 5 1–3). Dass Herodot in seinem Lyder-Logos eine bloße Fiktion liefert, wird man nicht im Ernst glauben wollen. So konnten vor allem zum Namen der Mermnaden und zu den griechischen Wörtern tyrannos ‚Alleinherrscher‘ und kapelos ‚Kaufmann‘ sowie Götternamen, wie z. B. Enyalios und Bakchos, im Zusammenhang mit der lydischen Sprache neue Ergebnisse erzielt oder aus neuester Forschung genannt werden, die Herodot bestätigen. Das sind kleine und doch insofern nicht ganz unwichtige Zuwächse, als wir aus diesen zufällig erhaltenen Resten erahnen können, was alles an Kulturbeziehungen einmal bestanden hat. Ihnen stehen
Etwa Häusl (1993).
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erhebliche Mängel im historischen Wissensstand gegenüber, und sie sind sogar noch gewachsen. Die Frage ist nur, mit welcher Einstellung man diesen Mängeln begegnet. Stieß man in einer von Herodots Erzählungen auf Unstimmigkeiten oder gar auf schwere Defizite, dann wurde hier nicht gleich der radikale Schluss gezogen, die Erzählung sei als ganze unhistorisch, sondern es wurde die Frage gestellt, wie es denn statt dessen in Wirklichkeit gewesen sein könnte. Man muss vom Text retten, was sich retten lässt. Das bekannte Wort vom geknickten Rohr und dem glimmenden Docht, der nicht gelöscht wird, hat uns bestimmt. Denn vieles wissen wir zwar besser als Herodot, aber ohne ihn wüssten wir gar nichts. Man kann die Dignität Herodots wahren, auch wenn man mit der Kritik nicht hinter dem Berg hält. So muss man an Herodots kritischem Verstand zweifeln, wenn er den König Alyattes als einen ausgemachten Dummkopf vorführt. Wenn man die schöne Erzählung liest, und weil sie so schön ist und sich sprachlich so glatt ohne lexikalische und grammatische Probleme erschließt, überliest man schnell, was sich in Milet in den Jahren kurz vor 600 v.Chr. tatsächlich ereignete, und mehr noch, was sich nicht ereignete (Hdt. 1,17– 19). Alyattes zieht elf- bzw. zwölfmal gegen diese Stadt, immer erfolglos. Im zwölften Jahr kommt es zum Brand des Tempels der Athena Assesia im milesischen Land. Die Folge war, dass der König krank wurde und dadurch der Feldzug des dreizehnten Jahres ausfallen musste. Will er denn immer noch nicht begreifen, dass eine Belagerung zwecklos ist? Sieht man genauer hin, dann stellt man fest, dass von Belagerungen in der ganzen Erzählung überhaupt nicht die Rede ist, sondern nur vom Verbrennen der Getreidefelder. Erst Herodot hat ohne erklärenden Zusatz den Begriff epedre (von ephedra) ‚Belagerung‘, der übrigens vor Herodot nicht bezeugt ist – d. h. Homer kennt ihn nicht –, einfach in die ihm vorliegende Erzählung eingeschleust. Man weiß seit langem, dass Herodot mit Taktik und Strategie persischer und griechischer Kriegführung auf Kriegsfuß stand. Dass es mit seinen Kenntnissen über lydische Kriegführung besser bestellt gewesen sein sollte, wird man schwerlich glauben, eher schlechter. Die zwölf Kriegsjahre zu halbieren oder zu sagen, die Zahl elf sei typisch für die Übertreibungssucht Herodots, hieße aus einer unwahrscheinlichen Geschichte eine nur angeblich plausiblere zu machen. Man entfernt sich durch ein solches Verfahren nur weiter vom Lösungsansatz, denn es werden gerade die hohen Zahlen sein, die den Weg weisen, der zur Lösung führt. Damit stellt sich die Frage, wie man methodisch an Herodot herantreten kann. Kurz gefasst, besteht unsere Methode zur Überprüfung seiner Aussagen in der Anwendung des typologischen Vergleichs. Ein solcher hat zur Voraussetzung, dass nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden, d. h. auf das Thema bezogen, Lydien ist, insoweit er ein vorderorientalischer Staat ist, generell mit anderen Staaten des Vorderen Orients zu vergleichen, nicht jedoch mit Kulturen anderer
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Zeiten oder anderer Weltteile. Ein konkretes Beispiel: Ein Heerwesen, dessen Bestimmung es war, den Kampf gegen Stämme zu bestehen, wird in allen Staaten bestimmte Waffengattungen zu vergleichbaren Einheiten zusammenführen. Das führt dahin, dass man Herodot kontrollieren kann und ihn auch korrigieren könnte, vor allem dann, wenn Herodot in seinen Aussagen von der Mehrheit der Quellen zu anderen Staaten des Vorderen Orients abweicht. Auf das Heerwesen sei nochmals im funktionalen System der Austauschbarkeit, bei der die vorderorientalische Staatenwelt sozusagen die Funktion eines „Ersatzteillagers“ hat, kurz eingegangen. In den für den Vorderen Orient einschlägigen und zahlreichen Taschenbüchern der Beck-Reihe-Wissen aus den letzten Jahren wird das Heerwesen nicht einmal erwähnt, weder bei den Hethitern, noch selbst bei den Assyrern. Herodot selbst hat sich für das Heerwesen auch nicht sonderlich interessiert. Nachlässigkeiten sind deshalb nicht ausgeschlossen, schlimmer noch, man gewinnt kein Bild von den Streitkräften und deren Verzahnung mit der „Regierung“. Ein solches Bild wäre aber wichtig, um legitime Rückschlüsse auf die Verfassung anstellen zu können. Die Untersuchungen aller Staaten brachten folgendes ans Licht: Alle Staaten des Alten Orients hatten Fußsoldaten und Streitwagen als Waffengattungen aus der Spätbronzezeit übernommen und führten diese jetzt weiter, auch Lydien gehörte nach einem Zeugnis Sapphos dazu. Bereits im 8. Jh. v.Chr. ist die Reiterei in den Staaten des Vorderen Orients bezeugt, aber erst durch Assurbanipal und dann durch Kroisos wurde die Reiterei zur königlichen Waffe. Streitwagen und Fußvolk wurden in ihrer Bedeutung marginalisiert, ein autokratisch-aufgeklärtes Königtum korrespondierte mit dieser Militärreform. Dies war für Lydien eine verhängnisvolle Entwicklung. Kroisos wurde abhängig von überseeischen, griechischen Polisstaaten, die in den extrem kostspieligen Status von symmachoi ‚Mitkämpfern‘ gehoben werden mussten, damit sie ihre Gepanzerten, die Hopliten, zur Verfügung stellten. Die Quittung dafür stellte bald Kyros der Große, der Perser, aus, der bei aller militär-technischen Bedürftigkeit über ein robusteres Heerwesen verfügte, das auch einen zentralanatolischen Winter überstehen konnte. So kam es, dass er, falls Herodot Recht hat, zu einem unüblichen Zeitpunkt vor Sardes stand, als die Heeresmacht der mit Kroisos verbündeten Spartaner noch auf der Überfahrt war. Was ist denn nun ein altorientalischer Staat? Die Griechen des 5. und 4. Jh. v.Chr. – der Orient musste in ihrem Bewusstsein erst zum einheitlichen Block werden – sahen die monarchische Verfassung für den Vorderen Orient als den Normalfall an. Kein Staat des Vorderen Orients beschritt den Weg zur Demokratie, auch nicht im sumerischen Mesopotamien Mesopotamien etwa zur „primitiven
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Demokratie“. Wenn T. Jacobsen¹⁶ von dieser sagt, dass alle wichtigen Entschlüsse aus einer allgemeinen Versammlung der Bürger hervorgingen, dann ist diese Demokratie nicht primitiv, sondern fast attisch zu benennen. Mit dem Begriff monarchia, der erst für die lydische Zeit um 600 v.Chr., und zwar in größter Nähe zu Lydien, nämlich für Alkaios aus Mytilene auf Lesbos bezeugt ist (F22,25 D), antwortet man auf die typische Frage eines Griechen: Wie ist die Verteilung der Macht im Staat geregelt, verfügt über sie ein Einzelner oder eine Gruppe? Die „Tyrannis“ ist noch früher bezeugt, nämlich bei Archilochos um 650 v.Chr., auch früher als die eunomia Solons (F3,32 D). Erst im 5. Jh. v.Chr. entwickelten sich im Dualismus zwischen Athen und Sparta die Verfassungsbegriffe demokratia und oligarchia. Es entstanden die der jeweiligen Verfassung adäquaten Institutionen, die Rechtssicherheit herzustellen und Gerechtigkeit zu garantieren versprachen. Damit wurde die Rolle eines Herrschers, der Vergünstigungen gewähren oder sie verweigern konnte, weitgehend überflüssig. Griechenland hatte der Herrschaft eines Einzelnen ein für alle Mal abgeschworen. Damit musste jeder Versuch für den Tyrannen, die Tyrannis „königlicher zu machen“, wie Aristoteles in den Politica (pol. 5) einmal formuliert, erfolglos bleiben. Die Verfügungsgewalt des Menschen über den Staat ist einzig und allein ein griechisches Phänomen. Was dagegen den altorientalischen Staat angeht, so muss man andere Fragen stellen als im Falle einer griechischen Polis. Man hatte sich hier ganz auf die Person des Königs (in Hattusa auch der Königin) einzustellen. Im Vorderen Orient ist der Herrscher Abkömmling oder besonderer Schutzbefohlener der mächtigsten Gottheit. Die Gottheit ist es, die die Könige in das Stellvertreteramt beruft. Die letzte Verfügungsgewalt über das Land behält laut theologischen Bekenntnisses allein die Gottheit. Das Verhältnis des Königs zu seinem Gott ist verschieden, sowohl in theologischer Konstruktion als auch in persönlicher Intensität. Die Sohnschaft des Pharaos führt zu einem anderen, innigeren Verhältnis zur Gottheit, als es der König von Hattusa zum Wettergott haben konnte. Der Hethiter, der die politische Welt mit völkerrechtlichen Verträgen (beinahe im römischen Sinne) zu ordnen pflegte, hatte auch zur Gottheit ein eher vertraglich geregeltes Verhältnis. Als Vergleich kann das hethitische Bauritual herhalten, wo der König zur Throngottheit spricht: „Werde nicht mein Gefolgsmann, werde nicht mein Sippenmitglied, sei mein Gefährte, (nur) mein Gefährte! … Du komm nicht in mein Haus, ich aber werde nicht in dein Haus kommen!“ (KUB XXIX 1 col. I 11– 20). Freilich kam es in vielen Fällen zu Überhöhungen des Königtums. In diesem Zusammenhang ist auf die Königs- und Zionspsalmen Judas hinzuweisen, die ein
Jacobsen (1954), 164 f.
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„Echo“ (D.M. Carr)¹⁷ ägyptischer und mesopotamischer Königstheologie seien. Ein ägyptisches „Echo“ ist etwa Ps 110,1: „Von David. Ein Psalm. Spruch des Herrn an meinen Herrn: ‚Setze dich zu meiner Rechten bis ich hinlege deine Feinde als Schemel deiner Füße …‘.“ In Wirklichkeit wurde das Stadtkönigtum Jerusalems zur Zeit Davids und Salomos teilweise von einer städtisch-kanaanäischen, priesterlichen Elite gestützt, und wurde im Hinterland nur vom Stamm Juda getragen; die staatlichen Institutionen sind ägyptischen Vorbildern geschuldet. Das Königtum wurde dann mehr und mehr priesterlichen Bestimmungen unterworfen, die in persischer Zeit zur schriftlichen Tora versammelt wurden. Das Deuteronomistische Geschichtswerk sah im Königtum die Ursache für den Untergang des Südreiches. In Lydien war es nicht, wie im Alten Testament, die Sünde des Abfalls vom Jahweh-Glauben, die zum Ende des Königtums führte, sondern die Mordtat des ersten Königs der neuen Dynastie, des Gyges, war es, die dieser Dynastie schließlich zu einem von keiner Macht zu bremsenden Verhängnis werden sollte. Der König ist fast überall als oberster Priester eingebunden in den Jahresablauf der religiösen Feste. Rituale, nicht vom Adel dominierte Institutionen wie in Griechenland, versprachen u. a. auch Stabilität und Schutz vor Despotie und Barbarei. Große Unterschiede zwischen Hethitern und Assyrern bezeugen ihre jeweiligen Annalen. Nicht dass der hethitische König Mursili II. den Anteil der Götter am Sieg über Arzawa unerwähnt ließe, ganz im Gegenteil, aber die Götter sind doch nur Mitwirkende. Das setzt sich bei Thukydides verstärkt fort: meta ton theon „mit Hilfe der Götter“ seien die Perser besiegt worden. Der Vorwurf, er sei ein Atheist, ließ nicht lange auf sich warten. In Hattusa und später in Athen sind die Götter keine geschichtsmächtigen Handlungsträger, wie Jahweh es ist, der selbst als der einzig wahre König von Israel gepriesen wird. Der Assyrer-König ist im vollen Gegensatz zum Hethiter ein bloßer Befehlsempfänger des Reichsgottes Assur. Dieser Reichsgott bleibt dabei seltsam blass, er ist kein Schöpfergott, kein Gott der Verehrung; ihm ist unseres Wissens nur ein einziger Hymnos und kein einziges Gebet gewidmet. Fragen an die Könige des Vorderen Orients lauteten etwa so: Ist der Herrscher gerecht? Ehrt er die Götter und steht in ihrer Gnade? Garantiert er die Wohlfahrt des Landes? Wo der „Kosmos als Staat“ (T. Jacobsen) und die Macht des Himmels die Erde fest umschloss, musste der Gehorsam, wie in Mesopotamien, zur höchsten Tugend werden. Dann kommen aber auch im Zweistromland kritische Anfragen auf, so in dem Ludlul bēl nēmeqi „Ich will den Herrn der Weisheit preisen“ genannten „Klagepsalm“ (W. von Soden) eines hohen Beamten um
Carr (2013), 88 – 94 („Echos“).
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ca. 1100 v.Chr. Zweifel an der Gerechtigkeit der Götter kommen denen, die ohne schwere Schuld an schweren Krankheiten oder an sozialer Ausgrenzung leiden. Es geht nicht gerecht auf dieser Welt zu. Der Kosmos-Gedanke wird erschüttert, wenn auch der „Psalm“ mit einem Lob auf Marduk ausklingt. Dem babylonischen „Psalm“ von 480 Versen entspricht das spätere Buch Ijob (Hijob). Man forderte Gerechtigkeit als Rechtsanspruch, nicht als Privileg. Vor diesem Hintergrund ist vielleicht zu verstehen, wenn sich die großen königlichen Gesetzgeber wie Hammurapi und viel später Nebukadnezar II. von Babylon „König der Gerechtigkeit“ nannten. Auch Solon war ein Nomothet. In einem Gedicht zieht er Bilanz (F5 W). Er habe mit starkem Schild dem Volk und den Mächtigen standgehalten, „dass nicht mit unrechter Macht einer den anderen bedrückt“ (v. 6, Ü: E. Preime [1945]). Das Wort „Gerechtigkeit“ fällt zwar nicht, durchwirkt aber das ganze Gedicht. Der Unterschied zum zeitgleichen Nebukadnezar II. ist darin zu sehen, dass dieser von Marduk den göttlichen Auftrag dazu erhielt, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, während Solon kraft eines (außerordentlichen) Amtes, nämlich des Schiedsrichters (diallaktes), damit beauftragt wurde. Ergiebiger ist Herodot, zumindest indirekt, hinsichtlich des lydischen Beitrags zur griechischen Verfassungstheorie, was nämlich die Tyrannis anbelangt. Das Wort Tyrannis wurde von Archilochos von Paros in einem fragmentarisch erhaltenen Lied auf die Herrschaftsform des Gyges bezogen (s. Teil 1). Heute lässt sich zeigen, dass dies nicht auf Zufall beruht. Es war längst vermutet worden, dass das Wort tyrannos nicht griechischen, sondern fremden Ursprungs sein müsse. Die Griechen hätten das Wort aber nicht von den Lydern entlehnt, sondern es sei ihnen in ihrer eigenen Sprache, die auch noch viele andere Lehnworte enthält, seit langem geläufig gewesen. Das ist der Forschungsstand, wie er bei H. Berve in seinem Buch über die Tyrannis von 1967 zu finden ist. Nach einem wenig beachteten, aber wichtigen Aufsatz von F. Pintore von 1979, in dem die richtige Lösung angebahnt wurde, hat sie jetzt H.C. Melchert weiterentwickelt: Tyrannos geht auf ein hieroglyphen-luwisches Wort tarrawann(i)- ‚aufrichtig‘, als Ehrentitel ‚der Aufrichtige‘, zurück. Wir halten es für möglich, dass dieses Wort über das Lydische ins Griechische gewandert ist, und zwar im Zusammenhang mit der Person des durch Usurpation an die Macht gelangten Lyderkönigs Gyges. Der Aufgabenbereich des Gyges als eines tyrannos am Hofe des „Königs“ (= lyd. *kandawla- „Kandaules“), der den altanatolischen Namen „Myrsilos“ (vgl. heth. Mursilis) trug, lässt sich freilich nicht mehr genau ermitteln. Immerhin gibt es nun ein indirektes Indiz dafür, dass er ein Heerführer gewesen sein könnte. Dass er ein modernes, vor allem wehrhaftes Lydien schaffen wollte und dies nur durch Entmachtung der alten Dynastie zu erreichen glaubte, darf man wohl annehmen. Eine gewisse rationale Energie, wie sie sein „Nachahmer“ Periander von Korinth an den Tag legte, kann man vielleicht auch auf Gyges zurück übertragen.
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Kriminelle Energie, auch das gehört zum Überleben eines Tyrannen, zeigt die Durchführung des Putsches in Sardes selbst. Änderungen im Bereich der Metrologie, wie später bei Pheidon von Argos, oder des Handels (z. B. das Aufkommen des Karawanenhandels in dieser Zeit, wie von H. Klengel [1979] und speziell für Lydien von G. Radet [1892] ausgeführt) und der Finanzen sind zu vermuten. Nun treten in lydischer Zeit nicht nur Tyrannen auf, sondern plötzlich auch die sophoi, die ‚Weisen‘. Es stellt sich die Frage, ob Periander als tyrannos oder als sophos für den neuen Kurs, den Korinth fährt, verantwortlich zu machen ist. Solon jedenfalls ist sophos und beschäftigt sich mit Metrologie. Man beginnt auf einmal zu zählen, wiegen und messen, und verkörpert so den neuen Geist. „Fortschritt gibt es überall dort, wo der Mensch einen messbaren Zweck erreichen kann, wie Schnelligkeit, Kraftersparnis, …“.¹⁸ Sophoi sind in Kroisos’ Dienst, so z. B. Thales von Milet, und sie sind seine Besucher in Sardes, nur einer von vielen war Solon von Athen. Die Aussichten, in diese Bereiche etwas mehr Licht zu bringen, sind nach den Überraschungen, die Anatolien nicht nur für die Archäologie, sondern auch auf dem Gebiet der Indogermanischen Sprachwissenschaft immer wieder bietet, gar nicht so schlecht, im Gegenteil. Die Bezeichnung tyrannos nun behielt Gyges vermutlich auch bei, nachdem er den letzten „König“, Kandaules, ermordet, dessen „Frau“ (gyne) geheiratet und von ihr die Herrschaft über Lydien übertragen bekommen hatte. W. Burkert hat in ihr eine ehemalige Göttin sehen wollen. Das Recht der „Frau“, ein Königreich als Morgengabe vermachen zu können, lässt sich aber viel besser im Rahmen hethitischer Verfassungsorgane verdeutlichen. An Puduhepa (13. Jh. v.Chr.) kann man viele Befugnisse einer Großkönigin von Hattusa festmachen: Sie ist oberste Priesterin, nimmt an der Reichsversammlung teil, siegelt Staatsurkunden, empfängt Gesandte, führt ihre eigene diplomatische Korrespondenz, so z. B. mit keinem Geringeren als Ramses II. Wie die troische Andromache in der Ilias dem Hektor einen Rat gibt, wie er dem Achilleus im Kampf entgegen treten müsse (Hom. Il. 6,407– 465) oder wie die Artemisia aus Halikarnassos der persischen Admiralität im Beisein des Xerxes eine Lehrstunde im Fach Kriegführung zur See erteilt, so Puduhepa, die Ramses II. mit den Worten angeht: „Mein Bruder irrt“, wenn er sagt, die politische Macht Babyloniens sei im Sinken begriffen. Das Gegenteil ist vielmehr richtig. Die „Frau“ des Kandaules – was auch immer ihr historischer Hintergrund gewesen sein mag, denn die Überlieferungen differieren hier erheblich – fesselt den Leser so nachhaltig, dass er ihren Abgang von der Bühne kaum bemerkt; sie spielt in dem Stück keine Rolle mehr. Der wahre Kern der Erzählung wird erst jetzt
Snell (1962), 57.
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erkennbar. Es ist eine Aufstiegsgeschichte, wie sie das Alte Testament für Saul und David sowie Salomo und besonders erhellend für Jehu erzählt. Ein Charakteristikum dieser Gattung ist, ganz besonders deutlich bei Gyges und Salomo, dass einer literarisch kunstvoll ausgestalteten, sehr ausführlichen Aufstiegserzählung keine ihr entsprechenden Mannestaten folgen, die er als König dann vollbracht hätte. Die Tyrannis des Gyges soll hier als „charismatische Herrschaft“ im Sinne M. Webers verstanden werden. Das ist nicht ohne Vorbehalte gesagt. Im Gegenteil: Dass das Typologische nicht immer zur Wirklichkeit passte, hatte M.Weber bereits selbst gesehen. Ob seine Zusatzlehre vom „Idealtypus“ Verbesserungen brachte oder noch bringen wird, wird sich zeigen. Dass dem Gyges ein Legitimationselement fehlt, wird erst sichtbar, wenn man der atl. Erzählung von Jehu den herodoteischen Bericht zur Seite stellt, von jenem Jehu, der als Offizier im Feldlager in Ramot-Gilead, am sog. Königsweg von Moab nach Aram-Damaskus gelegen, stationiert war und von einem Prophetenjünger aus der Schule Elischas zum König von Israel ausgerufen wurde. Hier sind wie in einem Lehrbuch die Stationen genannt, die nach M. Weber für die charismatische Herrschaft typisch sind: Erwählung, Salbung und Akklamation (2 Kön 9). Alle Elemente sind für Altanatolien ziemlich gut bezeugt mit Ausnahme der Akklamation, was auf Zufall beruhen dürfte. Die Mordtat an Kandaules und die Usurpation des lydischen Thrones haben das Bild des tyrannos verdunkelt mit der Folge, dass man trotz imponierender Leistungen auf dem Gebiet von Wirtschafts-, Sozial- und Technologiereformen den tyrannos doch in erster Linie mit dem Gewaltherrscher assoziieren musste. Die ambivalenten Lebensbilder vieler griechischer Tyrannen, in denen Gutes mit Bösem sich (fast) die Waage hält, finden sich vor allem bei Herodot. Sein Periander von Korinth ist dafür ein Musterbeispiel. Dieser vereinigte in sich den Weisen (sophos) mit dem entarteten tyrannos. Er ist der erste Tyrann in Griechenland, der gut bezeugte Kontakte mit Milet und vor allem mit Alyattes pflegte. Nichts widerstrebt der Annahme, Gegenargumente gab es bis heute keine, dass mit dem Begriff tyrannos auch die damit verbundene Herrschaftspraxis direkt aus Lydien von den Griechen entlehnt wurde. Weil Milet die wichtigste Stadt nach Sardes war, ist noch einmal auf sie zurück zu kommen. V. von Graeve¹⁹ setzt den Aufstieg Milets ins 7. Jh. v.Chr., um 640/30 v.Chr. hätte Milet bereits eine Stadtmauer besessen. Man neigt schnell zu der Annahme, dass die milesische und vielleicht die ionischen Stadtbefestigungen
V. von Graeve war Leiter des Bochumer Grabungsteams in Milet, dessen Ergebnisse in regelmäßiger Reihenfolge im Archäologischen Anzeiger publiziert worden sind.
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insgesamt zur Abwehr der Lyder gedacht gewesen seien. Was wir aber über Milet sagten, dass es den Lydern um Tribute ging und nicht um das Erobern von Städten, wäre auch hier zu berücksichtigen. Das Beispiel Phokaia liegt zwar etwas anders, rät aber auch zur Vorsicht. Diese ionische Stadt, in aiolischer Landschaft, errichtete ihre Mauern erst mit dem Beginn der persischen Okkupation der Westküste. Bis dahin vertrauten die Phokäer wohl der lydischen Schutzmacht in der nahegelegenen Sekundogenitur Adramytteion. Es bleibt allerdings die böse Geschichte von der Zerstörung Smyrnas, die von den Lydern zur Wüstung gemacht wurde. Milet war auf dem Weg, ein neues Ugarit zu werden, aber dieses konnte nur in Bindung an eine Großmacht geschehen, früher für Ugarit die hethitische, jetzt für Milet die lydische. Die Ausgrabungen des archaischen Aphrodite-Heiligtums auf dem Zeytıntepe außerhalb der Mauern lassen den Schluss zu, dass der Höhepunkt Milets ins 6. Jh. v.Chr. zu setzen ist. Güter aus allen damaligen Weltgegenden müssen in jener Zeit in die Stadt gelangt sein. Das ist die Zeit des Alyattes. Kroisos’ Feldzug nach Kappadokien hatte mehrere Motive. Ein Motiv war die Nähe zum Neubabylonischen Reich, mit dem man im Bündnis stand. Als Grenzpunkt käme das syrische Karkamis in Frage, von hier führten Straßen u. a. bis an den Persischen Golf, den Nebukadnezar kolonisiert hatte. Es kann nur eine These sein, dass Kroisos die Bildung einer politischen Achse vom Persischen Golf bis an die Ägäis vorschwebte. Dareios I. setzte diese Idee später auf andere Weise in die Tat um, was zur Folge hatte, dass Milet seine höchste Blüte unter Dareios erlebte (Hdt. 5,28), allerdings nur für kurze Zeit. Das folgende Beispiel zeigt, dass die Methode des typologischen Vergleichs (Ergänzungshypothese) innerhalb der Staaten des Vorderen Orients zu neuen und plausibleren Interpretationen führen kann. Kommen wir deshalb noch einmal auf Milet zurück. Der Lyderkönig Alyattes attackierte mit seinem Landheer zwölf Jahre hindurch Jahr für Jahr die Milesia, das Landgebiet von Milet. Ob er auch andere griechische Poleis gleich mit ins Programm nahm, wird nicht gesagt, ist aber sehr wahrscheinlich, wenn man sich nämlich von entsprechenden Kampagnen der Assyrer inspirieren lässt. Eine fast gleich hohe Zahl von Feldzügen werden von Salmanassar III. (858 – 824 v.Chr.) über den Euphrat hinweg nach Syrien (hauptsächlich wohl noch mit Fußtruppen) und dann von Nebukadnezar II. (nach dem Untergang Jerusalems 587/6 v.Chr.) gegen Tyros berichtet. Ein typologischer Vergleich Tyros – Milet ergibt: Beide sind florierende Seestädte und daher von entscheidender Bedeutung für imperiale Landmächte mit deren expandierenden (Rüstungs‐)Betrieben. Die Assyrien-Tyros-Beziehung erfüllt somit alle Bedingungen, nicht zuletzt aufgrund einer etwas besseren Bezeugung, um für uns die Funktion eines Modells übernehmen zu können. Die schweren bronzenen Beschläge, die an das hölzerne Tor des Palastes Salmanassars III. (858 – 824 v.Chr.) in Imgur-Enlil (heute Balawat) angenagelt waren, und in die Szenen kriegerischer
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Tüchtigkeit der Assyrer eingraviert sind, macht die Strategie der Assyrer synoptisch auf einen Blick klar. Der assyrische Großkönig belagert und erobert die Inselstadt Tyros nicht, ja er betritt die Insel überhaupt nicht, sondern bezieht Position auf dem Festland und lässt Schätze und Waren vor sich bringen. König und Königin von Tyros stehen wie gebannt vor ihrem Palast, keine Mauerbrecher sind zu sehen und keine Sturmleiter ist angelegt, die Stadt bleibt heil. Herodot kannte diese Art von Kriegführung nicht mehr, die alljährlich als Kampagne veranstaltet wird zum Zweck, den Tribut einzutreiben; für die Razzia der iranischen Reitervölker findet sich bei ihm auch kein Begriff. Zu Raubkriegen kam es in Griechenland nur in homerischer Zeit, in der Forschung auch „Privat-Kriege“ genannt. Herodot weiß nichts mehr von Raubkriegen. Sein Krieg schlechthin ist der Rachekrieg, den wiederum der Vordere Orient nicht kennt. Urbild des Krieges ist für Herodot der Troianische Krieg, der regelgerecht erklärt wird, Genugtuung fordert, mit der Eroberung und Zerstörung seine Rache befriedigt und normalerweise mit dem Friedensschluss endet. Das nennen die Griechen einen polemos, einen regelgerechten Krieg. Keine Spur davon ist im Vorderen Orient und daher auch nicht z. B. in Israel zu finden. Man denke nur, wie wenig reflektiert in Bezug auf Legitimation und Motivation Davids Heer das Land der Ammoniter durchzieht, deren feste Stadt Rabbat (heute Amman) nach langer Belagerung einnimmt und reiche Beute wegführt (2 Sam 12,26 – 31). Es war ja die Zeit der Jahreswende, „da die Könige in den Krieg zu ziehen pflegen, …“ (2 Sam 11,1). Schaut man genauer hin, dann gibt Herodot überhaupt kein Motiv für die Feldzüge des Alyattes gegen Milet an. Der Grund ist, dass er in der Erzählung, die ihm vorlag, kein Rachemotiv fand; eine Kampagne zum Zwecke der Tributeintreibung gehörte dagegen nicht zum Erfahrungshorizont Herodots. Seine Einfügung des Begriffs epedre ‚Belagerung‘ hängt somit in der Luft. Es gab keinen Mauersturm, sondern nur den Terror, den man an Bäumen und Getreidefeldern ausließ, um die Stadt zu nötigen, den Tribut zu entrichten. Die Mauer erfüllte den Zweck, den Lydern ins Bewusstsein zu heben, dass bei ihrem Durchbrechen eine neue politisch unkontrollierbare Situation eintreten und aus einer zwar spannungsreichen Partnerschaft offene Feindschaft werden könnte. Über den Terror berichtet Herodot historisch getreu, und der Tribut selbst ist nur deshalb in Vergessenheit geraten, weil im Kopf des Erzählers sich die Erfolglosigkeit beherrschend festgesetzt hatte: Milet konnte nicht erobert werden, also durfte es keine Beute geben. Das alles erklärt sich, wenn wir annehmen, dass Herodot eine kundige Vorlage besaß, die er dann „verschlimmbesserte“. Eines jedenfalls gibt Herodot zu verstehen, dass dieses aufwendige, zeitraubende Verfahren der Steuereintreibung Lydern und Milesiern nicht mehr zeitgemäß erschien. Alyattes war nicht nur ein großer Krieger und Eroberer, so unterwarf er Phrygien (App. Rom. 1,7), machte es aber nicht zur Provinz. In diesem Sinne lässt sich vielleicht
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Aischyl. Pers. 770 interpretieren, wo es gleichberechtigt um das ‚Volk‘ (laos) der Lyder und der Phryger geht. Er war aber auch ein großer Reformer, was sich auch daran zeigt, dass unter seiner Herrschaft das Geld, die Münze, erfunden wurde. Er ging nicht den mörderischen Weg der Assyrer, alles der direkten Herrschaft zu unterwerfen und da, wo das nicht möglich war, wie in Tyros, prinzipienlos und rücksichtslos mit Notverordnungen und aus purem Eigennutz zu herrschen, sondern nahm mit seinen Symmachie-Verträgen föderative Elemente in den Reichsaufbau auf. Das führte zu dem Ergebnis, dass Westanatolien zum zweiten Mal eine völkerrechtliche Ordnung erhielt. Das erste Mal lag bereits lange zurück. Es war unter Mursili II. um 1300 v.Chr. gewesen. Einen solchen Eindruck hatte dieser hethitische Großkönig, der Westanatolien politisch umgestaltete, in diesem Raum hinterlassen, dass man noch sechs bis sieben Jahrhunderte später im lydischen Raum und auch im benachbarten Lesbos Söhne nach ihm benannte, so auch denjenigen Lyderkönig Myrsilos, den wir unter dem Herrschertitel Kandaules kennen. Mursili II. nun nutzte die in Syrien und bestimmten Gebieten Anatoliens bereits vielfach bewährte Einrichtung des Staatsvertrages auch in Westanatolien. Der Westen war sozusagen die Rückseite des Hethiterreichs. Alyattes machte jetzt umgekehrt die Ägäis-Küste zur Stirnseite, wodurch sich zum ersten Mal eine anatolische Macht nach Westen orientierte. Die Länder- bzw. Völkerliste des Lyderreichs (Hdt. 1,28) ist eine nach geographischen und politischen Gesichtspunkten geordnete Konstruktion und ein genaues Abbild eines altanatolischen Reiches, wie es in vollständiger Form das Hethiterreich repräsentiert hatte. Unverwechselbares Erkennungszeichen war sein zweigeteilter Aufbau gewesen: Die „Inneren“ und die „Auswärtigen Länder.“ Letztere sind im Gegensatz zu den „Inneren Ländern“ autonom; sie leben nach eigenen Gesetzen, dies wird garantiert durch die Einrichtung des Staatsvertrags, welcher allein durch Eid und Opfer rechtskräftig wird. Die schriftliche Urkunde ist dagegen nur wichtig als Beleg, der sorgsam in einem streng gehüteten Archiv aufbewahrt wurde. Der Kern des Hethiterreichs wurde umgeben und geschützt durch die „Auswärtigen Länder“ sowohl im syro-anatolischen Raum als auch im arzawäischen Westen. Dem Lyderreich fehlte dagegen noch die „Rückseite“. Dem grenzenlosen Raum im Osten und Südosten Grenzen zu setzen, das war Kroisos’ Aufgabe, die ihm Alyattes zu tun übriggelassen hatte. Kroisos war allerdings nicht Vollender der politischen Konzeption des Alyattes von einem föderativen Reich, sondern ein autokratischer Herrscher, der die autonome Stellung der Ionier aufzuheben und einen territorialen Einheitsstaat nach assyrischem Vorbild aufzubauen bestrebt war. Weder der Halys noch das Gebirge des Tauros, sondern nur der Euphrat hatte sich zur Zeit des hethitischen Großreichs und auch der „späthethitischen“ Staaten über Jahrhunderte als wirksame natürliche Grenze bewährt und wird es auch
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Jahrhunderte später noch, unter den Römern, wieder tun. Mit Kappadokien, wohin Kroisos sein lydisches Reiterheer zusammen mit anatolischem Fußvolk führte, sind alle Probleme genannt, die die wahren lydischen Kriegsziele bis heute verschleiert haben. Herodot ging in seinem geographischen Verständnis von der perserzeitlichen Provinz Katpatuka aus und kannte auch den Verlauf der „Königsstraße“. Für ihn war klar, dass man von Ankyra kommend an den Halys gelangt, da über die Brücke geht und am anderen Ufer bereits in Kappadokien ist. Zur Zeit des Kroisos aber kam man dort nach Ostphrygien. Um sozusagen ins damalige Kappadokien zu kommen, musste er die Straße Ankyra – Hattusa in Höhe Hattusas verlassen, sich nach Süden wenden und nochmals den Halys überqueren. Denn mit Kappadokien ist zu dieser Zeit der späthethitisch-luwische Kulturraum gemeint, der vom altehrwürdigen Nesa (ass. Karum Kaneš, heute Kültepe) und dem benachbarten Mazaka (Kayseri) im Norden bis Karkamis am Euphrat im Süden reicht. Katpatuka (Kappadokien) ist nicht der einzige Landschaftsname, der um 600 v.Chr. in dieser Region neu aufkommt, das gleiche gilt vielmehr auch für Syrien, Kilikien und Armenien, wobei die Gründe für das Auftreten, soweit wir die erkennen können, unterschiedlich sind, aber überall auf starke politische Veränderungen hinweisen. Der Staatsvertrag ist auf diplomatischem Gebiet die wichtigste und folgenreichste Schöpfung der Hethiter. Das Formular und die völkerrechtliche Praxis überlebten wohl in den „späthethitischen“ Staaten, vor allem in Karkamis, die schwierige Übergangsphase zwischen Bronzezeit und Eisenzeit. Der Staatsvertrag verbreitete sich jetzt von hier nach Südosten zu den Aramäern und Assyrern und in Richtung Süden nach Israel („Bundestheologie“). In der Ost-West-Drift gelangte er vermutlich auch nach Lydien und erreichte von dort aus schließlich Griechenland. Nach Herodot hat man ihn den Symmachie-Vertrag genannt. Er wird durch den Abschluss eines lydisch-spartanischen Bündnisvertrages unter Kroisos (ca. 550 v.Chr.) zuerst den Lakedaimoniern bekannt. Der Vertrag machte Sparta zum Hegemon des Ruhe und Ordnung stiftenden Peloponnesischen Bundes, Athen wurde dagegen durch das gleiche Vertragsinstitut nach gutem Beginn beim Aufbau der Symmachie gegen die Perser im Laufe der Zeit durch Veränderung, oft nur durch Präzisierung der Vertragsklauseln, zum Tyrann über den attisch-delischen Seebund. Höhepunkt und Abschluss des Lyder-Logos ist die Szene mit Kroisos auf dem Scheiterhaufen (Hdt. 1,86 – 1,88,1). Drei Themen lassen sich aus dem verschränkten Bericht über das Ende der Herrschaft des Kroisos (Kroisou arche, Hdt. 1,92,1) herauslösen. Alle drei haben vor allem mit Griechischem, weniger mit Lydischem zu tun. Nur Weniges davon ist historisch. 1. der Geschlechterfluch (s. oben). Das „Geschick“ (moira) erfüllte sich binnen vorherbestimmter Frist in der fünften Generation automatisch; Kroisos fällt in die
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Hände des siegreichen Perserkönigs Kyros. 2. die Bekehrung des Kroisos zur Weltsicht Solons und dessen moralischen Grundsätzen. Dies ist wenig glaubhaft, sondern dürfte vielmehr auf einer Überhöhung des historischen Solon durch Herodot beruhen (s. oben); ein gewecktes Interesse bei Kyros an solonischer Moral bleibt folgenlos; dagegen ist die Ehrung und Wertschätzung des Kroisos durch Kyros wohl historisch. 3. Kroisos wirft dem „Gott der Griechen“ vor, er habe ihn dazu verleitet, den Krieg gegen die Perser zu eröffnen. Dies muss, soweit wir die antike Orakelpraxis überblicken, als eine bloße Unterstellung bewertet werden. In Wirklichkeit war der Krieg allein der feste Wille des Königs gewesen. Das Orakel interessiert sich normalerweise nicht für die Nutzanwendung, garantiert weder den Erfolg noch haftet es bei Misserfolg. Kroisos muss schließlich eingestehen, dass nicht der Gott, sondern er selbst schuld an seiner Lage hat (Hdt. 1,91,6) und die Folgen seines Angriffskrieges (Hdt. 1,130,3) nun auch selbst ausbaden muss. Das dritte Thema ist dasjenige, das am meisten historischen Gehalt haben könnte. Es war unsere Absicht, eine Epoche zu beschreiben, nicht eine Zwischenzeit, schon gar nicht im Sinne der Ägyptologie. Eine echte Zwischenzeit wären beispielsweise die „Dunklen Jahrhunderte“ ab dem Einfall der Seevölker. Auch den Begriff „Vorpersische Zeit“ halten wir für die von uns behandelte Epoche nicht angemessen. Unsere Epoche ist das letzte Drama einer Trilogie altorientalischer Großreiche. Nachdem durch das Altbabylonische Reich Hammurapis zum ersten Mal der gesamte Alte Orient als politischer Raum sichtbar geworden war, erfolgte der erste kulturelle Absturz durch die kassitische Eroberung Babyloniens. Das zweite Drama war die Implosion des Hethiterreichs zur Zeit der Seevölkerbewegung, das angrenzende Gebiete mitriss. Als sich dann nach den Dunklen Jahrhunderten im westlichen Vorderen Orient zum ersten Mal wieder eine Hochkultur aufgebaut hatte, fiel sie den Persern zum Opfer. Wie empfanden die Betroffenen den Einbruch der Perser in den vorderorientalischen Kulturraum? Wir hören zwei Stimmen, eine ionische und eine hebräische. Die ionische ist Xenophanes von Kolophon (um 565 – 470). Sie fragt: „Und wie alt warst Du damals, als der Meder kam?“ (F13 G.-P. = F22 D.-K.). Das Fragment beschwört negative Erfahrungen, die man mit den Archämeniden inzwischen gemacht hatte. Für Jerusalem spricht Deutero-Jesaia (43,19) in der Terminologie göttlichen Schöpfungshandelns: „Und seht, ich mache Neues.“ Für Israel war der Beginn der Perserherrschaft eine Befreiung.
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Analytisches Glossar (mit integriertem Sachindex in Auswahl) Brandopfer und Eid. Sie sind die Hauptbestandteile eines Vertragsabschlussverfahrens im Vorderen Orient und auch, dort sogar besser bezeugt, in Griechenland. Dass die Perser die Einrichtung des Staatsvertrags nicht kannten und auch nicht übernahmen, erklärt sich vielleicht zum Teil aus dem besonderen Verhältnis der Perser zum Feuer und damit auch zum Opfer bei Vertragsabschlüssen. Der iranische Feuerkult im sog. Feuertempel ist Ausdruck des Glaubens von der Heiligkeit des Feuers (s. auch Heroisierung). Charismatische Herrschaft. Eine solche Herrschaft muss nicht notwendigerweise legalisiert sein, aber sie muss sicht- und hörbar legitimiert werden. „Du bist König in Israel“, lautete der Ruf der Kommandeure im Feldlager an Jehu. Parallelen finden sich im Makedonischen Reich. Dagegen war die Herrschaft des Gyges nach dem Zeugnis Herodots weder legalisiert noch legitimiert (s. Tyrannos). Eklat in Sardes. Dass ein König durch Weggang den Dialog mit einem geladenen Gast abrupt beendet hätte, wie es Kroisos mit Solon tat, ließ sich in den Quellen sonst nicht finden. Es muss etwas vorgefallenen sein, das als fast bösartig, auf jeden Fall als ungehörig empfunden wurde. Aus Unkenntnis davon, wie sich der vorderorientalische Staat in seiner irdischen Existenz finanzierte und vor den Göttern legitimierte, gab Solon dem bereits verärgerten Kroisos zu verstehen, dass dieser ungerechten Reichtum horte. Als eine neue Aristokratie in Athen daran ging, den fest angelegten Besitz der Großfamilie homerischen Typs zu mobilisieren und in der neuen Polis zu Geld zu machen, als der „ungerechte Mammon“ alles Trachten beherrschte und sich zum sittlich degenerierten Adel auch noch die Neureichen gesellten, die auch vor Gewalt nicht zurückschreckten, da sah Solon den Staat in Gefahr. Als er nun zu erkennen glaubte, dass auch Kroisos zu dem Typ Leute gehörte, die er in Athen bekämpfte, da gab er dem König in seiner undiplomatischen Art zu verstehen, dieser würde die Ionier allein deshalb bekriegen, um seine Habgier zu befriedigen. Enyalios. Dieser Kriegsgott der Griechen, der teilweise mit Ares zusammengefallen ist, findet sich bereits in den mykenischen Texten des zweiten Jahrtausends. Er stammt aller Wahrscheinlichkeit nach aus lydisch ẽnwaλaś, gesprochen etwa /enwali̭as/, was ‚Herr‘ bedeutet. Bereits im Mykenischen ist auch das griechische Wort molybdos ‚Blei‘ überliefert, das ebenfalls aus dem Lydischen stammt. Der mykenische Göttername Potnija Aswija bedeutet ‚Herrin von Aswija‘, wobei letzteres eine Gegend in Lydien meint, die später zum Namen Asien wurde. Die Griechen verehrten also schon zu jener Zeit eine aus Westanatolien stammende Göttin. Alle drei Begriffe zusammen führen zu einem unerwarteten Ergebnis, nämlich dass es offenbar bereits in mykenischer Zeit einen kulturellen Einfluss der Lyder auf die Griechen gab. Ergänzungslandschaft. 1. Ägypten und dem Zweistromland fehlte es naturgemäß an Regenfeldbauprodukten, wie sie vor allem der Norden Syriens bot, nämlich Wein und Gerste. Syrien war gewissermaßen der Viktualienmarkt des Vorderen Orients. Nicht zufällig verehrte man hier die Wettergötter, d. h. Regengötter, Baal bzw. Hadad. Noch etwas anderes kommt hinzu. Seit der späten Bronzezeit und jetzt in ähnlicher Staatenkonstellation und von ähnlicher Intention geleitet wurde Syrien zwar nicht wieder zum Schauplatz gewaltiger Schlachten wie in der Bronzezeit, aber es war doch immer https://doi.org/10.1515/9783110436020-012
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noch verlockend, diese Gegend, die zwischen den Machtzentren lag und deren Beherrschung Prestigegewinn versprach, zu erobern. Erfolg war selten gegeben, was auch der Phryger Midas und später der Lyder Kroisos erfahren mussten. 2. Für Lydien und Ionien war das Schwarzmeergebiet erst einmal zu erforschen, bevor es dann zur Ergänzungslandschaft wurde. Es waren nicht zuletzt die Seefische, vor allem die eingesalzenen Thunfische von der Nordküste des Schwarzen Meeres, die die Grundnahrungsmittel in Milet und Sardes ergänzten. Eudaimonia/Glück. Für die große Mehrheit der Griechen war Kroisos ein Glückspilz, sein Reichtum wurde nur von ganz wenigen gering geachtet. Zu diesen gehörte Herodots Solon. Er wollte nicht begreifen, daß ein vorderorientalischer König kein normaler Mensch ist. Mit Tellos, der mit sich und seinem kleinem Glück zufrieden war, wenn nur der Glückzustand schwankungsfrei blieb, konnte Kroisos, der König über viele Menschen war, nicht konkurrieren, jedenfalls nach den Spielregeln, die Solon vorgab. Tellos hatte sich ein Leben lang auf einen schönen Tod vorbereiten können, Kroisos dagegen hätte die Herrschaft niederlegen müssen, um in Bedürfnislosigkeit zu leben. Kroisos sagte mit keinem Wort, worin seine eudaimonia bestehen würde, aber Andeutungen sind bei Herodot stehen geblieben, die auf die Königsherrschaft zielten. Solon als eingefleischter Demokrat hatte kein Interesse daran, außer der bürgerlichen eudaimonia eines Tellos auch noch eine monarchische des Kroisos zu akzeptieren. Kroisos ist nicht durch ein Gremium oder durch Wahl zum höchsten Amt aufgestiegen wie Solon zum Amt des Schiedsrichters, sondern ihm wurde die höchste Ehre zu teil, von den Göttern zum Herrscher bestellt worden zu sei. Mit Werken der Gerechtigkeit war auf ihre Gnadengabe zu antworten, wie das Hammurapi tat, der sich König der Gerechtigkeit nannte. Gerechtigkeit ist nicht gleich philanthropia „Menschenfreundlichkeit“, wie sie am besten im Schutz von Witwen und Waisen zum Ausdruck kommt, sondern schließt jede Sentimentalität aus, wofür derselbe Hammurapi Zeugnis ablegt, der ständige Heereszüge zur Grenzsicherung unternahm, so wie er auch verpflichtet war, Grenzen zu erweitern. Das setzt Reichtum voraus. Im Buch der Könige lobt Jahweh Salomo, weil er von Gott Weisheit erbeten habe, statt um ein langes Leben, großen Reichtum und den Tod der Feinde zu bitten, wie es fast alle täten. Das kommt der Realität näher. Natürlich liebten die Könige den Reichtum. Auf ihre Pflichten festgenagelt werden konnten sie dann, wenn sie ihr Herrschaftsamt missbrauchten. Dass Kroisos tatsächlich in der Königsherrschaft seine eudaimonia begründet sah, lässt sich vielleicht durch ein Siegeslied Pindars auf König Arkesilaos IV. von Kyrene (P. 5,12 – 15) stützen. Pindar legt diesem Siegeslied das ideale Grundmuster vorderorientalischer Religion zu Grunde. Dort ist von einer „gottverliehenen dynamis“ (Macht) die Rede und von dem König, der in Gerechtigkeit wandelte, umgeben von „viel Glückseligkeit“ (polys olbos). Man liest es wie einen Königspsalm. An zweiter Stelle wird dann aber oft der Reichtum genannt, manchmal sogar als zweite Eudaimonie ausgewiesen (vgl. Bakchyl. epin. 3,10 [Siegeslied auf Hieron von Syrakus 468 v. Chr.]) Und stark musste ein solcher Herrscher sein. Denn nur ein starker König kann ein gerechter König sein (vgl. Sap 12,16, deuterokanonisch und unter dem Einfluss platonischer und stoischer Gerechtigkeitskonzepte stehend). Flotte. Eine F. passte gut zu einer extrem autokratisch verfassten Herrschaftsform, wie sie zuerst Dareios ins Leben rief. Die persische Flotte unterstand nur dem Herrscher selbst, ohne Verknüpfung mit den alten Traditionseliten in der Persis. Nichts unterscheidet Persien von allen vorderorientalischen Staaten so sehr wie der taktische Einsatz von Heer
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und Flotte gemeinsam. Durch seine Landmacht habe Dareios das Reich bis zu den Skythen ausgedehnt, mit seinen Schiffen aber auf das Meer und die Inseln, so dass kein Mensch mehr an Widerstand dachte (Plat. Mx. 240a). Das ist aus heutiger Sicht ein grenzenloser Imperialismus, wie ihn Lydien, ja nicht einmal die Assyrer und auch sonst kein Staat des Vorderen Orients hätte praktizieren oder auch nur denken können. Milet/Sardes besaßen keine eigenen staatlichen Kriegsschiffe, schon der Plan zum Bau von solchen wurde dem Kroisos ausgeredet. Der Grund für diesen sozusagen blinden Flecken im Gesichtsfeld der Lyder und Ionier lag in der falschen Einschätzung, es gebe keine Feinde, weder Sparta noch Athen, die in der Lage gewesen wären, Westanatolien mit einer Flotte zu attackieren. Wer dachte schon an die Perser? Kyros kam ja noch auf dem Landweg heranmarschiert. Erst die Athener hielten den Siegeslauf der Perser auf, und es war maßgeblich der Athener Themistokles, der „Erfinder“ des Piräus, der dies ins Werk setzte. Dieser Hafen nahm die Trieren auf, die gemäß dem Flottenbauprogramm auf 200 Einheiten ausgelegt war. Wie viele davon tatsächlich an den Staat abgeliefert wurden, lässt sich wegen der schlechten Quellenlage nicht sagen. Die Perser waren durch das von ihnen entwickelte Herrschaftsmittel der Kriegsflotte zu Lehrern der Athener geworden, und es waren ausgerechnet ihre Schüler, welche die persische Flotte aus der Ägäis auf Dauer verbannen sollten. Mit den Persern, das bestätigt sich auch hier, beginnt eine neue Epoche, die mit dem Alten Orient nicht mehr viel tun hat. Und man muss erst zu den Portugiesen kommen, um zu ermessen, was hier geschehen ist. Die Portugiesen werden deshalb hier erwähnt, weil sie mit den Spaniern bei der Flotte einen Entwicklungsprung vollzogen, der, wie wir glauben, vergleichbar dem persischen ist, nämlich ein Sprung in eine neue Epoche, hier in die frühe Neuzeit. Frauenraubgeschichten. Herodot bezieht sich hier auf die rein griechische Idee, durch die Entführung der schönen Frauen Europa bzw. Helena sei ein dauerhafter Konflikt zwischen Asien und Europa entstanden. Nach seiner Darstellung maßte später Persien sich an, der Sprecher ganz Asiens zu sein. Diese Rolle wird also nicht (dem von Persien unterworfenen) Lydien zugeschrieben. Dieses Land wird hier von Herodot übergangen mit der Begründung, Lydien mache nur einen kleinen Teil Asiens aus. Dass die Lyder aber vielleicht den bronzezeitlichen Namen Asien, der für die Perser ohne Bedeutung war, für ihr Reich weiter führten und möglicherweise sogar einmal über Troia geherrscht hatten, war vergessen. Geschlechterfluch. Herodot stellt die Geschichte des lydischen Herrschergeschlechts der Mermnaden ab der Usurpation des Throns durch Gyges als Unheilsgeschichte dar. Ihr roter Faden ist der Geschlechterfluch, der auch vom Gott Apollon nicht abgewendet werden konnte. Literarisch bindet der Geschlechterfluch den Lyder-Logos zusammen und simuliert Bewegung und Zielgerichtetheit. Der Sturz des Kroisos war so gewaltig, dass er nur durch eine Verfehlung des Urahnen begründet werden kann. Die Vorstellung von einer generationenübergreifenden Strafe könnte in Lydien selbst ihren Ursprung haben, denn auch das Geschlecht des Tantalos, das nach griechischer Überlieferung vom Sipylos aus über Lydien geherrscht hatte, hatte einen solchen Fluch auf sich gezogen. Vorstufen finden sich schon bei den Hethitern, nämlich im Pestgebet des Königs Mursilis II. Sinngemäß besagt eine Stelle daraus (KUB XIV 8) folgendes: „Mein Vater, Suppiluliuma, hat gesündigt, … sein Heer brachte die Seuche aus Syrien nach Hattusa, … sie wütet nun seit zwanzig Jahren, … die Strafe der Gottheit trifft nun mich.“ Diese Vorstellung findet
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sich auch im Alten Testament (Ex 20,5: „… der die Schuld der Väter heimsucht an den Söhnen“). Gliedstaat. Ein G. ist im Reich der Hethiter (nach F. Starke) weder eine Satrapie noch eine Provinz, aber auch kein Vasallenstaat, denn es gibt weder die dafür obligatorische Grundherrschaft noch auch eine diesem entsprechende Lehensvergabe, die vom Lehensnehmer als Ausdruck der Huld zu verstehen wäre. Es handelt sich stattdessen beim Hethiterreich um einen föderierten Staat, dessen Teilherrscher durch Abkunft oder Heirat mit der großköniglichen Sippe in Hattusa verbunden waren. Durch Staatsverträge waren sie zur Mitarbeit an den gemeinsamen Aufgaben des Reiches verpflichtet, wobei als vordringliches Staatsziel der Schutz der Person des Großkönigs galt. Die Maxime, die für die Außenpolitik – soweit sie von der Innenpolitik überhaupt getrennt werden konnte – galt, lässt sich am besten lakonisch, d. h. in der Sprache der Spartaner, die in der Vertragspolitik indirekt in hethitischer Tradition standen, wiedergeben: denselben Freund und denselben Feind haben. Dazu kam die sog. Hegemonieklausel: sich führen lassen, wohin der Hauptkämpfer (Hegemon, in diesem Fall: Sparta) führt. Handel/Handelsstädte. H. bildet in der Antike nie die ausschließliche Lebensgrundlage, sondern nur eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Komponente, die z. B. in Ägina größer war als in Kolophon. Wir unterscheiden hier nur den Handel mit Stückgut von dem Import-Handel von Massengut. Fast zeitlos ist der Handel, wie ihn Herodot (1,1) in eine schöne Geschichte vom Raub der Königstochter Io kleidete. Als Quelle nennt er die Perser. Io also wurde geraubt durch phönikische Händler. Die Phoiniker pflegten von einer Anlegestelle zur anderen zu fahren, breiteten jedesmal ihre Waren, die Herodot aus (As)syrien und Ägypten stammend bezeichnet, am Strand aus, verkauften, raubten nebenbei gegebenenfalls auch Menschen, und fuhren dann weiter, nicht ohne vorher einen Termin auszumachen, wann sie wiederkommen wollten. Im 8./7. Jh. v. Chr. mutierte dieser Handel in Phoinikien zum Import von Massengut zur Befriedigung steigender Bedürfnisse, wie sie vor allem im rohstoffarmen Assyrien das Heerwesen anmeldete. Erschwert wird die Frage nach dem Handel allgemein durch das Fehlen spezifischer und vertraglich präziser Handelsverträge. Solche erscheinen erst in hellenistischer Zeit. Herodot nennt den lydischen Händler kapelos (s. unten). Aristoteles, der sich fast pflichtgemäß vorgenommen hatte, alle Wissensgebiete zu bearbeiten, auch wenn sie ihm nicht zusagten, wie etwa die Rhetorik, berührte in seiner politike skizzenhaft auch den Handel, und zwar in Beziehung gesetzt sowohl zur jeweiligen staatlichen Verfassung, wobei das orientalische Königtum in allen seinen Staatsschriften ausgeklammert blieb, als auch zu den verschiedenen Berufen. Was die Kaufleute angeht, unterscheidet er den emporos, den Grosskaufmann, vom kapelos, dem Kleinkaufmann (vgl. Aristot. pol. 1290b39 – 1291b10). Heerwesen. Die wohl wichtigste Truppengattung im ausdifferenzierten und in seiner Dreigliedrigkeit standardisierten Heerwesen des Vorderen Orients ist seit dem 8. Jh. die Reiterei. Ihr Vorbild waren vermutlich nicht die iranischen Reitervölker, auch wenn sie als Reaktion auf deren Angriffe entwickelt worden ist. Die lydische Reiterei zeigte allerdings schon bald die Tendenz, sich aus dem System des Zusammenwirkens der Heeresgattungen zu verabschieden und als schnelle Elitetruppe vor allem die Grenzen zu schützen. Sie galt als unbesiegbar. Die Ionier stellten ihre Reiterei unter die Fahne der Lyder. In Ionien ereigneten sich im Vergleich zum zeitgleichen griechischen Mutterland deutlich weniger Kriege (s. Singor [2009]). Der Grund dafür wird im Eingreifen der Lyder
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zu suchen sein, die sich darum sorgten, ionische Bürgerkriege könnten den Verlust des wirtschaftlichen und vielleicht auch des militärisch stärksten Reichsteil mit sich bringen, was der besonders unter Kroisos angestrebten Leistungssteigerung der milesischen Kolonien widersprochen hätte. Die Idee, die Lyder hätten die Ionier mit Gewalt daran gehindert, weiter in Anatolien vorzudringen, ist dagegen nicht plausibel. Eher waren sie wohl an einer Ausbreitung dieser ihrer dynamischsten Untertanengruppe interessiert. Heroen, Heroenverehrung, Heroisierung. Es konnte nicht restlos geklärt werden, welchen religiösen Status Herakles bei den Griechen hatte. Zwar kann er den Heroen zugerechnet werden, bleibt aber unter ihnen eine Ausnahmegestalt. Die weithin als kanonisch eingestuften Heroen finden sich dagegen bei Homer und Hesiod genannt. Nach dem Ratschluss des Zeus fielen sie im Kampf vor Troia und Theben. Sie sind nun entrückt auf Bergeshöhen oder Inseln. Man hat versucht, von diesen „kanonischen“ Heroen die große Zahl derjenigen Heroen zu trennen, die bei mykenischen Gräbern oder Bauten mit Opfern verehrt wurden. Eine allzu große Trennschärfe sollte man aber nicht in die Quellen hineintragen, zumal sich der Begriff Heros nicht genau definieren lässt. Festzuhalten ist nur, dass Homer keine Heroenverehrung zu kennen scheint. Auffällig ist, dass sie auch für Kleinasien nicht sicher nachgewiesen werden konnte (dazu jetzt Edelmann [2007], 103 – 112). Offen bleibt die bislang nicht diskutierte Frage, ob eine Heroisierung auch bei nichtgriechischen, anatolischen Dynasten stattfinden konnte, deren erster dann Kroisos wäre. Das Vasenbild des Myson wird selten gedeutet, aber umso häufiger zur Illustrierung von Herodots Text abgebildet. Beide stimmen aber nicht zusammen. Herodot hat ein eindrucksvolles Stimmungsbild geschaffen: Unter dreimaligem Schreien des Namens Solon in die Stille hinein geschieht die Anrufung Solons. Es erinnert an die Passionsgeschichte des Neuen Testaments. Die Lehre Solons wird von Kroisos in wesentlichen Zügen laut rekapituliert, so dass sie auch die Umstehenden hören können, auch Kyros selbst, dem sie durch einen Dolmetscher zu Gehör gebracht wird. In Wirklichkeit handelt es sich hier um ein Lehrstück attischer Erziehungsmoral. Kyros nennt Kroisos daraufhin einen „königlichen Menschen“ und garantiert ihm damit wenigstens den Erhalt eines Teils seiner Identität. Auf der Vase des Myson dagegen wirkt das Bild des auf dem Scheiterhaufen thronenden Kroisos wie ein Heroisierungs-Ritual. Feierlichkeit, Ruhe und Würde drückt es aus. Der König erscheint, allein mit seinem Diener, bereits entrückt. Hopliten. H. sind gepanzerte Soldaten. Sie kämpften zunächst als Einzelkämpfer Mann gegen Mann, umgeben von Leichtbewaffneten; erst in den Kämpfen griechischer Staaten des 5. Jh. v. Chr. um die Hegemonie in Griechenland begann man, sie auch in der Phalanx kämpfen zu lassen. Kapelos (κάπηλος). Dieses griechische Wort steht im Gegensatz zum traditionellen Wort emporos (ἔμπορος) ‚Kaufmann‘. Sein ältestes Vorkommen ist Herodot, 1,94,1: „Als die ersten Menschen, von denen wir wissen, haben die Lyder staatliche Münzen aus Gold und Silber geprägt und in Gebrauch genommen, auch sind sie als erste kapeloi (Kleinhändler, Krämer) gewesen.“ Das ist so zu verstehen: In dem Moment, als Lyder die Münze erfunden hatten, entstand natürlich als neuer Typ von Kaufleuten der Kleinhändler, der nicht mehr große Mengen vor Tauschwaren mitführen musste, so wie das zum Beispiel noch im hethitischen Text KBo 12.42 col. III 1 – 16 geschildert wird, sondern mobil war. Da zusammen mit Neuerungen oft auch deren Bezeichnungen entlehnt werden, dürfte
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kapelos ein Lehnwort aus dem Lydischen sein und aus lydisch *kapala- ‚Händler‘ stammen. Dieses ist etymologisch verwandt mit hethitisch hāppar ‚Kaufpreis‘. Kolonisierung. Hier ist die K. von großen Meerlandschaften gemeint, und zwar fast zeitgleich um 600 v. Chr., so 1.) Das Rote Meer durch Necho, 2.) durch Nebukadnezar der Persische Golf mit den Inseln (gr.) Teredon und vor allem mit Dilmun (Bahrain, gr. Tyros), wo Aromata aus Südarabien und Indien abholfertig zwischengelagert wurden, und schließlich 3.) das Schwarze Meer, wo, wahrscheinlich unter Federführung der Lyder, die Ionier die Last der Kolonisierung trugen. Namen von Seefahrern sind hier gar nicht und Namen von Forschern nur selten bekannt, aber immerhin fällt der Name des Anaximander von Milet. Allerdings dürfte selbst die Weltkarte, die man ihm zuschreibt, für den Schwarz-Meer-Raum nichts Substantielles geboten haben. Wie in Südarabien der Weihrauch, so sollten beim Schwarzen Meer wohl Informationen über die wahre Herkunft des Goldes unter Verschluss bleiben. Kriege. a) privater und staatlicher Raubkrieg war eine im Alten Orient übliche Praxis, wobei die Frage der Kriegsschuld und entsprechenden Wiedergutmachung keine grundsätzliche Rolle spielte. Diese aber sah b) der Rachekrieg vor; er ist typisch griechisch (polemos); sein Modell ist der Troianische Krieg. Es gibt im Vorderen Orient zwar mythische Stadteroberungsgeschichten, die aber nicht als Rachekriege zwischen Menschen aufgefasst werden. Lydisch. Die Sprache der Lyder gehört zu unserer indogermanischen Sprachfamilie. So ist z. B. das lydische Wort afara- ‚Nachkomme‘ mit der englischen Präposition after ‚nach‘ und deutsch „After“, das ursprünglich den hinteren Körperteil bezeichnete, verwandt. Innerhalb dieser Sprachfamilie gehört das Lydische zu den anatolischen Sprachen, zu denen weiterhin Hethitisch, Luwisch, Lykisch und andere zählen. Das Lydische ist uns nur aus Münzaufschriften, perserzeitlichen Inschriften auf Stein und Tongefäßen sowie aus Lehnwörtern im Griechischen bekannt. Münze. Die M. ist ein Metallstück von meist runder Form, von teilweise hoher Wertkonzentration und fast unzerstörbar. Erfunden wurde sie in Lydien unter dem König Alyattes. Ursprünglich wohl als Hortgeld für das Schatzhaus bestimmt, wurde sie ab einem bestimmten Zeitpunkt nach außen geleitet und so zum Zahlungsmittel, d. h. zu Geld. Anders als beim Wertmesser Hacksilber, das nur im Kreis von einander Vertrauenden gehandelt wurde, reichte die Gültigkeit der Münze dank ihrer Prägung mit Bild und Aufschrift so weit wie das Ansehen ihres Prägeherrn, in diesem Fall des lydischen Königs. Es war Kreditgeld des Staates. Die moderne Geldwirtschaft hat ihren Ursprung ganz wesentlich im sich herausbildenden lydisch-griechischen Verkehrsraum. Schatzhausführung. Wenn Kroisos dem Solon so, wie Herodot es berichtet, sein Schatzhaus zeigen ließ, dann hatte das symbolische Bedeutung, allerdings in zeichenhafter Mehrdeutigkeit. Zeichenhandlung als literarische Figur ist zuerst als typisch für den Propheten Jeremia erkannt worden. Kroisos hätte sich dazu äußern müssen, welche Rolle der aufgehäufte Reichtum, den Solon in seinen Einzelstücken genau betrachtete, spielen sollte. Die erklärenden Worte fielen aber nicht. Die Funktion des Schatzhauses hätte im Kontext der vorderorientalischen Diplomatie eingebettet erklärt werden müssen. Es hätte dargelegt werden müssen, dass es nicht einfach die Privatschatulle des Königs sei, an deren Inhalt er sich nach Lust bediente. Es ist vielmehr und zugleich Hort und Präsentationsort staatlicher Machtmittel. Es soll abschreckend auf potentielle Feinde und anziehend auf potentielle Verbündete wirken; zu Letzteren rechnete man anfangs wohl
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auch Solon. Neben weisheitlichen Themen, die über alle Grenzen hinweg gleiches Interesse beanspruchten, wurde vermutlich auch die Kolonisation des Schwarzen Meeres angesprochen, jetzt aber in kleinerem Kreis. Man brauchte dafür nicht nur den ideologischen Rückhalt Athens, der Mutterstadt der Ionier und Solons Heimatstadt, sondern man wünschte sich wohl vor allem auch Siedler. Solon schrieb seine Elegien in attischer Sprache, aber mit starker Anlehnung an das Ionische. Persönlich soll er aber ein derbes Attisch gesprochen haben. Dass Solons Bildungsweg, über den wir so gut wie nichts wissen, über Ionien führte, lässt sich nicht ausschließen. Für Herodot ist Solon kein radikalisierter Reformer, der dem demos eingeflüstert hätte, dass ihm in Wahrheit die Herrschaft gehöre, ebenso wird seine Schiedsrichter-Rolle in Athen, für die er heroische Töne in seinen Elegien anschlägt, rundweg verschwiegen. Im Gegensatz zu Aristoteles in der Athenaion Politeia ist Solon für Herodot zum athenischen Botschafter im Dienst nahöstlicher Außenpolitik der Republik Athen bestellt. Scheiterhaufen. Wenn Herodot berichtet, Kyros habe für Kroisos einen Scheiterhaufen errichten lassen, so kann das nicht der Realität entsprechen, denn das Feuer war den Persern heilig und wäre von ihnen niemals für einen solchen Zweck entweiht worden. Nach Herodot habe das Eingreifen des Apollon von Delphi in Form eines Regengusses den Scheiterhaufen gelöscht. Dieses Wunder habe Kyros zu einer positiven Einschätzung des Kroisos bewogen. Er nahm ihn als „königlichen Menschen von Rat und Tat“ (Hdt. 1,90,1) in seinen Stab auf. Auf der Amphora des Myson ist ebenfalls keine realistische oder gar eine historische Szene dargestellt, denn es war unmöglich, auf einem Scheiterhaufen einen Thron zu besteigen, sondern man stand dort aufrecht und war gefesselt, so wie etwa Johannes Hus in Konstanz 1415 (ein früheres Beispiel haben wir nicht gefunden), oder am Boden liegend, ebenfalls gefesselt, wie Kroisos bei Herodot. Der Historiker muss zwar von Scheiterhaufen gewusst haben, was aus seiner Erwähnung eines der Details, wie der Fesselung des Opfers, hervorgeht, er hat aber vermutlich nie selbst jemanden auf einem solchen Scheiterhaufen brennen sehen. Beim gegenwärtigen Stand der Forschung müssen wir davon ausgehen, dass es sich um eine Erfindung Herodots handelt, der Delphi ins rechte Licht rücken wollte. Staatsverträge a) spondai, d. h. Waffenstillstandsvereinbarungen, b) Symmachie-Verträge, d. h. Kampfbündnis-Verträge. Der Symmachie-Vertrag wurde im Hethiterreich entwickelt und kam vermutlich über Karkamis sowohl nach Israel und Assyrien als auch nach Lydien und Ionien, daher auch zu Homer. Von Lydien aus dürfte er durch die Vertragspolitik des Kroisos schließlich auch Sparta erreicht haben. Städtelandschaften oder Städte-Netzwerke im Vorderen Orient. 1.) das späthethitische (= spätluwische) Netzwerk am syrischen Euphrat mit Karkamis als Zentrum, das möglicherweise die Entwicklung der Militärtechnik voranbrachte (s. Heerwesen) und dazu noch von größter geostrategischer Bedeutung war. Es verbindet die wichtigsten Regionen von drei Großreichen miteinander. Als der Perserkönig Kyros in den Besitz von Karkamis gelangt war, von wo aus er im Jahr „547“ sich dem Vormarsch des Kroisos entgegenstellte, konnte er die vorderorientalische Staatenwelt gewissermaßen in den Würgegriff nehmen. Zuerst nahm Kyros Lydien in Besitz, dann eroberte er Syrien/Koile Syrien und Palästina bis Gaza hinab (so Platon im Menexenos) später auch Ägypten, und zwar durch seinen Sohn Kambyses, der die von Kyros gewiesene Richtung nur verlängerte. Erst musste die Duldung der Araber erkauft werden, um den Durchmarsch durch den wasserlosen Norden der Sinaihalbinsel zu meistern, denn die Perser besaßen zu diesem Zeitpunkt noch keine
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Flotte. Babylonien fiel dem Kyros wie eine reife Frucht in den Schoss; es war ja nun abgeschnitten von Syrien-Phoinikien sowie von Kilikien, von wo es bisher Eisen bezogen hatte – kurz: es war zum Rumpfstaat geworden. An seiner Situation verzweifelnd überließ Nabonid 539 v. Chr. Babylon fast kampflos dem Perser (zur Frage, was Kyros unmittelbar nach der Eroberung von Sardes tat, s. Högemann [1992], 270 – 277). 2.) Die zweite Städtelandschaft, parallel bzw. nach der späthethitischen, war seit ca. 1000 v. Chr. Phoinikien. Mit guten Gründen glaubt man, dass Phoinikien das alte Ugarit in Kultur, Waren-Produktion und Handel fortsetzt, wenn auch, das muss gesagt werden, nach einer langen zeitlichen Lücke. Der Kult des Wettergottes Baal bestand weiter. Aber Baal wurde vermutlich nicht mehr die Herrschaft über alle operativen Bereiche des Staates zugeschrieben. So vertraute man neue Stadtgründungen in „Übersee“ eher dem Gott Melqart, d. h. dem ‚König der Stadt‘ (erst seit 800 v. Chr. für Tyros bezeugt), an. Melqart war dem Herakles darin gleich, dass er als Kulturheros fungierte. Im Laufe der Zeit geriet Phönikien mit Lydien/Ionien in eine Art Wettstreit, und es schien nur noch eine Frage der Zeit, wann Phoinikien von Ionien sogar überholt werden würde, hätten nicht die Perser dann die Milesier entmachtet. 3.) Damit kommen wir zur letzten unserer Städtelandschaften. Die Milesier, die sich einige Verdienste um Persien erworben zu haben glaubten, hofften darauf, dass die Achämeniden ihnen einen vertraglich gesicherten autonomen Gestaltungsraum zuweisen würden. Dazu verstand sich aber der autokratische Dareios nicht. Seit die Perser 513 v. Chr. auch noch Thrakien mitsamt den Meerengen beherrschten, hatten die Ionier keine auswärtigen Bezugsquellen und Absatzmärkte mehr und waren gewissermaßen ohne Arbeit. Im Vertrauen auf das persische Straßennetz, das auf vorzüglichen Trassen vorpersischer/lydischer Zeit basierte und einen schnellen Waren-Transport über weite Distanzen garantierte, glaubten die Perser auf griechische Zwischenhändler nicht mehr angewiesen zu sein. Auch das karkamisäische Land am Oberen Euphrat wurde durch Verlegung des Verlaufes der Königsstraße, die den Euphrat jetzt nördlicher überquerte, ins Abseits gedrängt. Kein Reich vor den Persern war wirtschaftlich autark gewesen, ansonsten hätte sich der geschlossene vorderorientalische Kultur- und Verkehrsraum, der auf vertraglicher Basis der Mitgliedsstaaten basierte, gar nicht bilden müssen und können. Entscheidend war aber etwas anderes. Dareios plante, die Eroberungspolitik in Europa fortzusetzen. Er wagte es jedoch nicht, die Loyalität der Ionier über Gebühr zu belasten. Die Phoiniker dagegen überlebten u. a. als Schiffsbauer und Matrosen vor allem bei der basilikos stolos, der königlichen Marine. So war es letztlich am ehesten die phönikische Städtelandschaft, die von der persischen Herrschaft profitierte. Tugendlehre. Begründet von Platon und Aristoteles und einwirkend auf die Mittlere Stoa eines Panaitios bis zu den Tusculanen Ciceros, kommt in ihr zum Ausdruck, dass der Mensch allein auf sich gestellt durch Tugendhaftigkeit direkt auf sein Glück zusteuern kann, das für die Stoiker darin besteht, „gemäß der Natur zu leben“. Tyrannos. In den luwischen Hieroglypheninschriften des frühen 1. Jt. in Südostanatolien und Nordsyrien erscheint ein Begriff tarrawann(i)- mit der Bedeutung ‚aufrichtig‘. Als Substantiv bedeutete es ‚der Aufrichtige‘ und fungierte als Ehrentitel. Die Bewohner von Ugarit sowie die Philister entlehnten das Wort aus dem Luwischen; bei ihnen bedeutete es dann ‚Prinz‘ bzw. ‚Heerführer‘. Die Griechen übernahmen das Wort ebenfalls, und zwar in der Form tyrannos. Hier erscheint der Begriff aber nicht als Bezeichnung von Prinzen oder Heerführern, sondern für durch Usurpation an die Macht gekommene Alleinherrscher aus nicht-königlichem Geschlecht. Das Wort tyrannis ‚Alleinherrschaft‘ kommt zum ersten Mal
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beim Dichter Archilochos unter Bezug auf den Lyderkönig Gyges vor. Möglicherweise hat sich der Begriff tyrannos erst bei den Griechen aus ‚Heerführer, Prinz‘ zu ‚Usurpator‘ entwickelt, und zwar wegen der Person des Lyderkönigs Gyges. Dieser war selbst nicht-königlicher Abkunft und diente unter dem Lyderkönig Kandaules (Myrsilos), wahrscheinlich als hoher Beamter, vielleicht auch mit militärischen Funktionen ausgestattet. Als solcher könnte er den betreffenden Titel, der aus luwisch tarrawann(i)stammte, getragen haben. Zweifellos war Gyges der bedeutendste lydische König vor Kroisos, den die Griechen erlebten. Vermutlich fiel er ihnen nicht nur dadurch auf, dass er ein Usurpator war, der nicht aus der Herrscherdynastie selbst stammte, sondern vor allem durch seinen unkonventionellen Stil in der Wirtschaftspolitik. Er förderte nämlich, wie wir aus dem Gebaren griechischer „Tyrannen“ rückschließen können, Gewerbe und Handel und erhöhte dadurch die wirtschaftliche Ertragslage. Diese Verhaltensweisen, die den Griechen offenbar vorbildhaft erschienen, könnten zusammen mit seiner Usurpation der Herrschaft schließlich dazu geführt haben, dass man den Titel, den er trug, nun mit einer neuen Bedeutung übernahm. Die Griechen haben das luwische Wort also möglicherweise über die Vermittlung des Lydischen entlehnt, wo es *trwannaś (oder *trwanniš) gelautet haben dürfte. Griechisch tyrannos bezeichnet den Ausbrecher aus dem Kreis adeliger Standesgenossen, der die regierende Königsfamilie entmachtet, die Herrschaft usurpiert und dessen Macht auf neuen gesellschaftlichen Schichten und Gewerbetreibenden beruht. Vorderer Orient. Hier wird versucht, den Vorderen Orient in der Zeit zwischen dem Seevölkersturm und der Eroberung Lydiens durch die Perser als eine Epoche verstehen, die in räumlicher und zeitlicher Abgrenzung von der Umgebung eine gewisse Einheit darstellt. Sie hat eine 500 Jahre währende Geschichte vorzuweisen und erlebt um 600 v. Chr. eine Spätblüte. Träger ist eine Gemeinschaft souveräner, im politischen Aufbau sowie von Religion und Gesittung her betrachtet fast identischer Staaten, die in Gefährdung durch nomadische Stämme ein Heerwesen von jeweils ähnlicher Differenziertheit aufgebaut haben, durch das sie einander auch zu Hilfe kommen konnten. Mit Hilfe dieser Grundannahme glauben wir in der Lage zu sein, Herodots Überlieferung teilweise neu zu interpretieren, zu ergänzen und stellenweise auch inhaltlich zu korrigieren. Das Ende der Epoche kommt mit den Persern, sie sind viel mehr Zerstörer als Bewahrer des Vorderen Orients im Sinne unseres Verständnisses. Auch die Einheit der Religionen in Kult, Ritual und Bekenntnis wird in persischer Zeit, Ende des 5. Jh. v. Chr., durch den in Israel aufkommenden Monotheismus „gestört“. Weisheit. W. garantiert Verständigung über nationale Grenzen hinweg, selbst Israel konnte sich hier beteiligen, weil Weisheit von der Religion nicht berührt wurde. Dass auch Sardes von diesem gesamt-altorientalischen Gesprächsthema berührt wurde, beweisen die weisheitlichen Tierfabeln des Lyders Äsop. Auch das Thema, das Solon bei seinem Besuch in Sardes vorbringt, ist genuin weisheitlich und würde bei allen Königen des Vorderen Orients auf großes Interesse gestoßen sein. Solon hatte Recht, wenn er Universalität für seine Thesen behauptete, nur tat er dies allzu strikt und rigoros. Es ging nicht um das sogenannte letzte Stündlein selbst, sondern darum, ein ganzes Leben so bescheiden zu gestalten, dass das Glück auch im Angesicht des Todes nicht weichen konnte. Wer sich dagegen bereits zu Lebzeiten als den Allerglücklichsten – diese Superlativ-Bildung ist typisch griechisch – bezeichnete, erregte den Zorn der Götter, die allein die allerglücklichsten sind.
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Eigennamen (Personen, Götter) Achiqar 336 Ahab 238, 402 f. Aischylos 59, 61, 99, 232, 295, 298, 338, 443 Aisopos 27, 335, 379 Alkaios 8, 38, 41, 189, 270, 342, 359, 370, 419, 451 Alkman 379 Alyattes (Etymologie) 243, 369, 378, 381 Anahita 77, 92 Anaitis 33, 164 Anaximander 13, 209 f., 231 Aphrodite 25, 76, 147, 278, 447, 456 Apollon 55, 59, 62, 74, 76, 125, 202, 255 f., 313, 343, 424 f., 443, 445 Apollon Loxias 61 Apollon gen. „Gott der Griechen“ 255 Apollon Smintheus 165 Apollon-Tempel (Delphi) 353 Apollon von Chryse 404, 440 Apollon von Delos 423 Apollon von Delphi 210, 256, 299, 319 f., 442 Apollon von Didyma 210 Appaliuna 89, 159 f., 404 Arachne 73 Archilochos 7, 36 f., 64, 78, 205 f., 210, 270, 325, 451, 453 Ardys (Etymologie) 85 Aristoteles 37, 47, 53, 105, 211, 251, 277, 295 f., 301, 304, 308, 324, 333, 345, 352, 367, 374, 380 f., 386, 438, 451 Artemis 81, 256 Artemis Anaitis 77, 92, 164 Artemis (Etymologie) 162 Artemis von Ephesos 6, 25, 82, 115, 372, 448 Artemis von Koloe 82 „Herrin“ von Sardes (Artemis) 81 f. Aryenis 172 Asarhaddon 137 – 139, 149 – 150 Assur 13, 40, 57, 134, 147 f., 245, 254, 278, 281, 328, 452
Assurbanipal 11 – 14, 234 Athena 320, 343 Athena Assesia 135, 141, 449 Athena Parthenos 372 Athena Polias 372 Baal von Tyros 138, 139 Baal 25, 43 Bakchylides 313, 320, 423, 429, 442 Enyalios 77, 79, 448 Euripides 165, 313, 422 Ezechiel 35, 130, 167, 183, 210, 213, 217, 224, 248, 263, 418, 443 Gog aus Magog 418 Gyges (Etymologie) 50, 70, 258, 368 Haldi 134, 228, 240, 245, 342, 365, 394, 414 Hammurapi 272, 328, 332, 453, 460 Hekataios 106, 121, 204, 208 f., 228, 232, 293, 324, 351, 398, 441 Hesiod 2, 27, 52, 54, 60, 188, 287, 297, 316, 334, 337, 442 Hipponax 7, 118, 171, 206, 257, 271, 337 Ischtar 57, 281, 294, 316 Jahweh 25, 35, 43, 97, 148, 151, 231, 255 f., 282, 291, 294, 317, 327, 329, 339, 341, 347, 405, 426, 452 Jariri von Karkamis 146, 278, 396 Josia 100, 237 f., 308, 348, 415 Kallinos 7 Kubaba 7, 26, 75, 116, 222, 447 Kuka- (lyd.) (Etymologie) 70, 368 KUKALIM (lyd.) 371 Kybebe siehe Kubaba 26 Kybele siehe matar kubeleja 93 Labynetos 46, 386 Leto 72 f., 76 Leto (Etymologie) 163 Magnes (von Smyrna) 116, 279 matar kubeleja 75, 93, 110, 222 Mimnermos 7, 123 Moirai 5 Nabonid 46, 236, 314, 350, 354, 386, 395, 398, 414, 419, 423, 433
https://doi.org/10.1515/9783110436020-013
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Eigennamen (Personen, Götter)
Nebukadnezar II. 130, 186 f., 229, 239, 272, 369 f., 381, 415 f., 420, 429, 453, 456 Nemesis 5, 327, 442 Neriglissar 14, 114, 398 Nikolaos von Damaskos 10, 14, 28, 36, 38, 88, 95, 105, 116, 140, 244, 279, 372 Niobe 72 f. Pindar 8, 232, 240, 288, 299, 337, 359, 429, 442 Platon 37 f., 292 f., 308 f., 318, 324, 331, 333, 338, 392 Pythia 57 – 59, 141, 261, 317, 402, 425, 429 Qλdãn- (lyd.) 74 f., 81, 164 Ramses II. 40 158, 221, 265 Rusa II. 393 Salmanassar III. 130 – 133 Sanherib 129 192, 363 Santa- (luw.) 7, 40, 75 f.
Śãnta- (lyd.) 7, 75, 79 Sappho 8, 72, 147, 162, 244, 270, 295, 325, 379, 450 Sarduri 300, 394 Sargon II. 225 – 228, 245, 308 Schamasch 328, 403, 405 Seneca 296 f. Sophokles 5, 211, 233, 422, 447 Telipinu (heth. König) 308, 315 Tantalos 38, 58, 72 f., 116, 240, 387, 443 Theognis 50, 297, 331, 381 Tiglat-Pilesar III. 130, 136, 239, 244 f., 252, 262, 432 Wasusarma 250, 388 Xanthos der Lyder 6, 10, 14, 20, 28, 38, 84, 88, 92, 95, 102, 108, 277, 279 Xenophon 125, 175, 198, 230, 235, 324, 333, 373, 440
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Geographische und Völkernamen Abydos 64, 196, 201, 204, 211, 213, 446 Adana 202, 396 Adramytteion 86, 88, 196, 214, 262, 456 Alalah 128, 191 f. Aleppo 145 Amanos 222, 343, 395, 397 Ankyra 426, 459 Apollon-Tempel (Delphi) 55 f. Arad 234 – 236 Aram-Damaskus 43, 132, 238 f., 272, 455 Armenien siehe Hayasa 172 Artemision 24 f., 92, 116, 167, 198, 236, 313, 372 f., 447 Arzawa 7, 17, 38, 41, 66, 80, 84, 92, 98, 128, 147, 168, 172, 182, 201, 211, 221, 316, 332, 367, 452 Assyrien, Assur 11, 23, 34, 230, 242, 282, 397, 428 Assuwa 2, 84, 259 Asura- (Assyrien) siehe Syria (Begriffsentstehung) 396 Athura 395 f. Azatiwataja 202, 331 Babylon 361 – 363, 416 – 432 Berezan (emporion der Borystheniten) 199 f., 203, 212, 215, 313 Bīt-Burūtaš 226, 398 Borysthenes 199, 205 Daskyleion 6, 65, 194, 198, 240, 393 Didyma 26, 82, 202 f., 271 Dodona siehe Orakelstätten 55 Dūr-Šarrukīn 342, 349, 363 Ebla 334 f. Ebla 243 Ephesos 6, 26, 38, 56, 89, 112, 182, 186, 211, 223, 271, 302, 371 f. Erciyes (Berg bei Kayseri) 411 Euphrat 131, 192, 392, 404 Gaza 235 f., 415 Gordion 16, 224, 240, 249, 318, 393, 407, 426
Halys 52, 67, 98 f., 125, 173, 175, 222, 225, 248 f., 293, 307, 387, 421, 426 – 428, 458 Hayasa 69, 172, 218 Hazor 124 Heraion von Samos 247, 271 Hermos 6, 104, 114, 159, 168, 412 Hilaka 397 Hilakku siehe Hilaka 397 Hiyawa 396, 401 Hypanis 199 Jerusalem 236 Juda 26 f., 35, 42, 45, 100, 108, 124, 133, 148, 217, 224, 229, 245, 255, 281, 283, 291, 313, 335, 347 f., 362, 383, 402, 405, 415, 426, 451 f. Kadeš (Schlacht von) 40, 221, 417 Kappadokien 52, 175, 184, 247 f., 263, 275, 358, 420 f., 426, 428 f., 435, 456, 459 Karkamis 15, 24, 26, 75, 94, 110, 127, 132, 146, 152, 169, 214, 222, 226, 249, 252, 255, 261, 272, 275, 345, 365, 381, 407, 411, 415, 447, 456, 459 Karum Kaneš 22, 67, 99, 197, 411, 459 Kilikia siehe Hilaka 397 Kilikia Pedias 33, 159, 354, 394, 401 Kilikia Tracheia siehe Pirindu 175 Kilikia Tracheia 354 Kilikien 14, 175, 225, 275, 310, 331, 354, 407, 415 f., 420, 427 f., 459 Kizzuwatna 33, 68, 159, 184 f., 191, 221, 248, 413 Kolchis 200, 207, 212, 215, 441, 446 Kyme 95, 188, 195 f. Kyzikos 188, 215, 232, 358, 378, 446 Lachisch 124, 133, 242 Lampsakos 182, 196 f. Lesbos 8, 38, 65, 88, 167, 171, 189, 237, 259, 270, 280, 284, 325, 342, 370, 451, 458 Mäander 92, 115, 117, 408 f. Masa 1, 107, 111, 221 Mazaka 391, 394, 398, 407, 411, 428 f., 459
https://doi.org/10.1515/9783110436020-014
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Geographische und Völkernamen
Megara 170, 172, 202, 207, 215 Megiddo 124, 238, 321, 415 Melitene 222, 387, 391, 394 Mira 38, 114, 168 f., 172 Mitanni 15, 92, 155, 184, 191, 220, 273, 275, 300, 334, 417 Muṣāṣir 134, 228, 240, 245, 342, 349, 365, 414 Naukratis 170, 187, 235, 271, 277, 352, 354 Nesa siehe Karum Kaneš 22 Ninive 11, 95, 124, 129, 131, 133, 139 f., 150, 185, 219, 228, 230, 234, 241 f., 271, 290, 318, 321, 391, 394, 397 Olbia 198 f., 212, 215, 232, 441 Orakelstätten – Dodona 55, 193 – Heiligtum des Amphiaraos 401 – Telmessos 5 Orakel als Aufklärungsmittel 405 Golf 210, 214, 370, 415 ff. Paktolos 441, 447 Persischer Phasis 212, 215 Phokaia 132, 182, 198, 206, 456 Phrygien 17, 95, 107, 110, 175 f., 202, 225, 248, 273, 318, 406, 432, 437, 457 Pirindu 14, 175, 354, 398 Pteria 263, 269, 395, 398, 406, 409 f., 421 Puranda 92, 367 Purushanda 23, 393 Que 394 Rotes Meer 186 Sallunē 14, 114, 355 Salmydessos 206 Sam’al 139, 222, 246, 343 f., 382
Samaria 42, 103, 132, 137, 144, 146, 224, 291, 306, 402 Schwarzes Meer Seha 104, 168 Selinus siehe Sallunē 14 Sidon 130, 133, 137, 180, 354 Skamandros 392 Smyrna 6, 8, 38, 122, 144, 154, 181, 195, 241 f., 456 Soloi 354 Sparta 2, 19, 25, 38, 87, 94, 105, 125 f., 147, 172, 181, 241 – 243, 262, 268, 274, 282, 295, 297, 357, 379, 412, 451, 459 Sura- siehe Syria (Begriffsentstehung) 395 Syrien als Wunschziel 417 f. Syria (Begriffsentstehung) 395 – 397 Tabal 11, 94, 144, 222, 225 f., 273, 385, 418, 421, 428 Tauros 191, 249, 397, 417, 458 Tema 350, 414 Tyros 179 f., 186, 213 f., 354, 371, 396, 441, 456, 458 Ugarit 26, 48, 171, 173 f., 180, 191 – 193, 201, 312, 375, 413, 420, 456 Ḫumē 398, 401, 416 Urartu 3, 123, 134, 146, 152, 202, 219, 237, 240, 245, 249 f., 269, 272 f., 300, 314 – 231, 365, 393 f. Xanthos (Trilingue von) 163 f. Vorderer Orient 22 – 27 Zalpa 118 Zincirli siehe Sam’al 139 Zura- siehe Syria (Begriffsentstehung) 396
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Sachbegriffe aidos 31 f., 287, 327, 442 arete 9, 302 – 304, 309, 320, 380, 420 Charismatische Herrschaft 59, 61, 263, 455 Codex Hammurapi 32, 381 dikaiosyne 296 f., 304, 332, 380 f. Deuteronomistische Bewegung 255 Elektron 167, 198 f., 212, 366, 371, 374, 378, 381 ephemeros-Konzept 299, 337 Erde und Wasser 82 f. Ergänzungshypothese 21, 129, 438, 456 Ergänzungslandschaft 174, 190, 413 eudaimonia 3, 156, 287, 320, 323, 325, 327, 331, 333, 380, 444 Fabel 334 f. Frauenraubgeschichten 2, 310, 439 Geschlechterfluch 73, 406, 425, 442 f., 459 Gliedstaat 137, 142, 168, 172, 174, 182, 185, 191 f., 261, 290, 312 Hirte (König als) 254, 311, 322 ishes (heth.) 193, 260, 290, 312 kandaules 6, 50, 70, 79, 258, 368, 453 Kanonformel 22, 438 kapelos 70, 258, 367 – 369, 382, 448 Kreislauf-Theorie siehe kyklos 10 Kontinuität Ephesos-Sardes 115 kyklos 10, 60, 62, 182, 287 f., 318, 380, 442 lailas (lyd.) 6, 257 – 259, 263, 291 Löwe als Münzbild 369 Militär – Hopliten 235, 242 f., 274, 357 f., 450 – Reiterei 219, 222, 233 f., 256 f., 262, 266, 269, 273 – 275, 358, 390, 407, 410 f., 433, 446, 450 – Streitwagen 43, 155, 170, 191 f., 195, 200, 220 f., 234, 245, 249 f., 260, 273 – 275, 312, 344, 377, 388, 411, 450
moira 36, 296, 347, 406, 459 nemesis 327, 384 nemesis 287, 313, 327, 442 panku- (heth.) 44, 172, 193, 253, 274, 290, 312, 315 Pentateuch (Tora) 220, 291 philosophein 351 philosophia 338 philosophos 338, 351 phthonos 287 f., 300, 442 Regenwunder 313, 423, 442 Schatzhausführung 339, 344, 350, 360, 362, 381 – 384, 445 Scheiterhaufen 1, 96, 279, 295 f., 303, 322, 402, 429, 442, 445, 459 Sieben Weise 262, 280, 286, 292, 301, 323, 334, 336, 338, 358, 383, 385, 427, 448 sophrosyne 304, 309 symmachia 26, 140, 147, 151, 159, 181, 358, 441 Symmachie-Vertrag 142, 144, 166, 177, 181 f., 185, 194, 229, 441, 458 f. tarrawann(i)- (hier.-luw.) 31, 48 – 50, 258, 453 time 59, 125, 298, 320, 420 trwanna/i- (lyd.) 31, 49 f., 50, 63, 258, 263 Tugendlehre 380 tyche 36, 300 typologischer Vergleich 430 – 460 passim tyrannos 6, 15, 31, 37, 62 f., 117, 159, 258, 274, 448, 453, 455 Tyros-Orakel 130, 210, 213 Unheilsgeschichte 1, 5, 35, 313, 348, 443 Weisheitsliteratur 16, 324, 336, 339, 346 f., 355, 379, 440
https://doi.org/10.1515/9783110436020-015
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