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German Pages 359 [360] Year 2018
Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament Band 215
Herausgegeben von Walter Dietrich Ruth Scoralick Reinhard von Bendemann Marlis Gielen Heft 15 der elften Folge
Katrin Müller
Lobe den Herrn, meine „Seele“ Eine kognitiv-linguistische Studie zur næfæš des Menschen im Alten Testament
Verlag W. Kohlhammer
Für meinen Sohn und meinen Mann.
1. Auflage 2018 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-034436-5 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-034437-2 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
Inhalt Vorwort .......................................................................................................... 9
1. Einleitung ........................................................................................... 11 2. Forschungsgeschichtlicher Überblick ...................................... 19 2.1 Die „vorkritische“ Zeit ......................................................................... 19 2.2 Das 18. und 19. Jahrhundert ................................................................. 21 2.2.1 Die Wiedergabe des Wortes im 18. Jahrhundert ...................... 21 2.2.2 Neue Zugänge Ende des 18. Jahrhunderts ............................... 27 2.2.2.1 Ziegler (1791)........................................................................... 27 2.2.2.2 Eichhorn (1793) ....................................................................... 28 2.2.3 Die Analyse bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ..................... 29 2.2.3.1 Carus’ Psychologie der Hebräer (posthum 1809) ................... 29 2.2.3.2 Das hebräisch-deutsche Handwörterbuch von Wilhelm Gesenius (1810/1812) ......................................... 31 2.2.3.3 Saalschütz (1837) ..................................................................... 34 2.2.3.4 נֶפֶשׁals Band zwischen Geist und Leib (1842–1855): Nork, Beck und Delitzsch ......................................................... 36 2.2.3.5 Weitere Studien (Ende des 19./Anfang des 20. Jhd.) ............... 41 2.2.4 Zwischenfazit ........................................................................... 43 2.3 Von den ersten Einzeluntersuchungen zu נֶפֶשׁüber Wolffs Anthropologie zu den neueren Forschungsbeiträgen ......................... 46 2.3.1 Von den ersten Einzeluntersuchungen zu נֶפֶשׁ bis zu Wolffs Anthropologie des Alten Testaments................. 46 2.3.1.1 Briggs (1897) ........................................................................... 46 2.3.1.2 Schwab (1913) .......................................................................... 48 2.3.1.3 Lichtenstein (posthum 1920) .................................................... 51 2.3.1.4 Die Eigenart israelitischen Denkens: Pedersen (1920/26) .................................................................. 54 2.3.1.5 Der Mensch als komplexer Körper: Robinson (1925) ....................................................................... 57 2.3.1.6 Eine neue (umstrittene) Grundbedeutung: Dürr (1925)–Johnson (1949) ................................................... 58 2.3.1.7 Seligsons Widerspruch (1951) ................................................. 64 2.3.1.8 Zwischenstand und offene Diskussionspunkte.......................... 71 2.3.1.9 Wolffs Anthropologie (1973) .................................................... 77
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Inhalt 2.3.2
Aufnahme von, Ergänzungen zu und Einsprüche gegen Wolffs Analyse von נֶפֶשׁ................................................. 80 2.3.2.1 Westermann (THAT), Seebass (ThWAT) und die Übersetzung ,Seele‘ ..................................................... 80 2.3.2.2 Lauhas Einspruch gegen eine Bedeutung für die Anthropologie ..................................................................... 82 2.3.3 Neuere Forschungsbeiträge ...................................................... 84 2.3.3.1 Noch einmal die Grundbedeutung und der Vergleich mit ψυχή ...................................................... 84 2.3.3.2 Verzicht auf Seele als Übersetzungsmöglichkeit? .................... 87 2.3.3.3 Michels Einspruch gegen die Bedeutung ,Leiche‘ ................... 90 2.3.3.4 Einspruch gegen die Reduktion auf vier Haupt-/Grundbegriffe ....................................................... 91 2.3.3.5 Die 18. Auflage des Wörterbuchs von Gesenius und die Neuauflage des Lexikons von Köhler/Baumgartner ................................................................ 95 2.4 Fazit ....................................................................................................... 96
3. Methodische Grundlagen ............................................................ 100 3.1 Anfragen an Wolffs Konzept des synthetischen Denkens ............... 100 3.1.1 Das synthetische Bedeutungsspektrum .................................. 101 3.1.2 Die synthetische Bedeutung der Körperteile aus kognitiv-linguistischer Sicht ............................................. 106 3.2 Wort, Begriff und Konzept ................................................................ 120
4. Die Bedeutungen des Wortes נֶפֶשׁ
......................................... 126
4.1 Kehle und Atem .................................................................................. 126 Exkurs 1: Die Wurzel im Akkadischen .................................................... 138 4.2 Gesten / körperliche Empfindungen .................................................. 141 4.3 Körperteil für Funktion....................................................................... 148 4.3.1 Verlangen und daraus abgeleitete Bedeutungen ...................... 148 4.3.2 Leben(-skraft) ......................................................................... 160 4.4 Körperteil für Person .......................................................................... 171 Exkurs 2: נֶ ֶפשׁin der althebräischen Epigraphik ....................................... 179 4.5. Leiche? ................................................................................................. 187 Exkurs 3: npš im Kontext des Totenkults und zur Bezeichnung einer Grabstele ...................................... 191 4.6 Seele? .................................................................................................... 195
Inhalt
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5. Der Mensch als – נֶפֶשׁdie næfæš des Menschen ................. 206 5.1 Vorüberlegungen................................................................................. 206 5.1.1 Die Frage nach dem Menschenkonzept des AT ....................... 206 5.1.2 Synchron oder diachron? .......................................................... 211 5.2 Der metonymische Gebrauch des Wortes נֶפֶשׁ anstelle eines Pronomens ...................................................................... 214 5.2.1 Aussagekraft und Vorgehensweise ........................................... 214 5.2.2 Die Kontexte des metonymischen Gebrauchs .......................... 216 5.2.2.1 Die næfæš und Liebe und Verlangen ....................................... 216 5.2.2.2 Die næfæš und Hass und Abscheu/Abneigung........................ 224 5.2.2.3 Die næfæš und andere Emotionen ........................................... 230 5.2.2.4 Das gefährdete/gerettete Leben – (Hilfs-)Bedürftigkeit ................................................................. 236 Exkurs 4: Die נֶפֶשׁGottes .............................................................................. 245 5.2.2.5 Die bedürftige Lebendigkeit und Kummer/Bestürzung .......... 251 5.2.3 Vergleich mit anderen Körperteilbezeichnungen ................... 252 5.2.3.1 לֵב/Herz und die Sinnesorgane ַעי ִן/Augen und אֹזֶן/Ohren ........ 252 5.2.3.2 ְכּלָיוֹת/Nieren und weitere innere Bereiche .............................. 258 5.2.3.3 רוּ ַח........................................................................................... 264 5.2.3.4 בָּשָׂ ר.......................................................................................... 268 5.2.3.5 שׂפָה ָ /Lippe, לָשׁוֹן/Zunge und פֶּה/Mund ...................................... 271 5.2.3.6 י ָד............................................................................................. 272 5.2.3.7 Fazit des Vergleichs ............................................................... 273 5.2.4 Die Metonymie in späten Texten ........................................... 273 5.3 Die נֶפֶשׁals „Teil“ des Menschen ....................................................... 280 Exkurs 5: ψυχή im Neuen Testament ....................................................... 294 5.4 Die Frage der Relevanz ...................................................................... 297 Exkurs 6: נֶפֶשׁ ַחיּ ָה........................................................................................ 301
6. Zusammenfassung ........................................................................... 305 Literatur .................................................................................................... 318 Register ..................................................................................................... 346
Vorwort Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete und leicht erweiterte Fassung meiner Arbeit „Der Mensch als נֶ ֶפשׁund die næfæš des Menschen. Das Bedeutungsspektrum des Wortes נֶ ֶפשׁund das næfæš-Konzept der alttestamentlichen Menschenvorstellungen aus kognitiv-linguistischer Perspektive“, die im Frühjahrssemester 2016 an der Theologischen Fakultät der Universität Bern als Dissertationsschrift angenommen wurde. Da in der Einleitung sowohl die Motivation als auch die Vorgehensweise detailliert dargelegt werden, möchte ich mich an dieser Stelle darauf beschränken, all denen zu danken, die am Gelingen dieser Arbeit beteiligt waren. An erster Stelle möchte ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Andreas Wagner ganz herzlich danken. Er hat nicht nur mein Interesse an der alttestamentlichen Anthropologie geweckt und mir vorgeschlagen, mich mit der næfæš im Alten Testament zu beschäftigen, sondern meine Arbeit auch exzellent betreut und mich darüber hinaus zudem immer gefördert und unterstützt. Herzlich danken möchte ich auch Frau Prof. Dr. Silvia Schroer für die Übernahme des Zweitgutachtens, die Unterstützung meiner Arbeit und ihre sehr hilfreichen Ratschläge. Ich danke Frau Dr. Christine van Eickels für das gründliche Korrekturlesen meiner Arbeit. Mein herzlicher Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Walter Dietrich und Frau Prof. Dr. Ruth Scoralick für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe BWANT, die gründliche Durchsicht meiner Arbeit und sehr gute Beratung bei der Überarbeitung für die Drucklegung. Danken möchte ich auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Meine Anstellung im DFG-Projekt „stabilitas dei“ hat mir nicht nur die Finanzierung meiner Promotion ermöglicht und mir die Gelegenheit gegeben, mich vertieft in die exegetischen Methoden des AT einzuarbeiten, sondern mir erst den Zugang zu der hier verwendeten Methodik eröffnet. Mein Dank gilt daher auch dem Institut für Theologie und Sozialethik der TU Darmstadt, bei dem dieses Projekt angesiedelt war. Vielen Dank für die guten Arbeitsbedingungen, die ich dort vorfand. Herzlich danken möchte ich auch der Theologischen Fakultät der Universität Bern, wo ich als Assistentin beste Arbeitsbedingungen und ein tolles Arbeitsklima vorfand. Besonders danke ich meiner Kollegin Nancy Rahn, die mir mit Rat und Tat beim Abschluss meiner Dissertation zur Seite stand. Von der fertigen Arbeit bis zur Publikation gibt es immer noch einiges zu tun. Danken möchte ich daher – für die sehr gute Unterstützung seitens
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Vorwort
des Kohlhammer-Verlags – Herrn Dr. Weigert, Frau Schüle und insbesondere Herrn Florian Specker, der die Drucklegung begleitet und mir bei dem technischen Problem, dass die hebräischen Wörter manchmal verdreht dargestellt und gedruckt wurden, geholfen hat. Sollten noch „verdrehte“ hebräische Wörter übrig sein, geht dies auf meine Kappe und ich bitte die Lesenden um Nachsicht. Herzlicher Dank gilt auch der Evangelischen Kirche der Pfalz (Prot. Landeskirche) für den großzügigen Zuschuss zu den Druckkosten, der das Buch erschwinglicher gemacht hat. Außerdem danke ich meinen Eltern und Schwiegereltern ganz herzlich für ihre Unterstützung. Ohne die zahlreichen Stunden, in denen sie sich um meinen kleinen Sohn gekümmert haben, wäre die Fertigstellung der Publikation in weite Ferne gerückt. Zuletzt möchte ich mich ganz besonders bei meinem Ehemann bedanken, der mich immer unterstützt und motiviert hat, und bei meinem Sohn, der mein Sonnenschein und mein ganzer Stolz ist. Ihnen beiden möchte ich dieses Buch widmen. Kaiserslautern, Mai 2018
1.
Einleitung
„Ach ja die seele [sic!]“ – „Die Seele ist uns abhandengekommen“.1 So lauten der Titel und der erste Satz eines Artikels des Alttestamentlers Thomas Krüger aus dem Jahr 2005. Anders als man vielleicht im christlichen Kontext erwarten würde, verweist aber bereits der Untertitel des Beitrags darauf, dass Krüger diesen Zustand ähnlich wie andere Alttestamentler und Alttestamentlerinnen2 keinesfalls bedauert. Er möchte vielmehr aufzeigen, wieso ein Verzicht auf das traditionelle, christliche Seelenkonzept (d. h. die unsterbliche, immaterielle Seele) ein echter Gewinn für eine biblisch fundierte, theologische Sicht auf den Menschen sein kann. Ein gewichtiges Argument ist dabei für ihn, dass es dieses in der Bibel ohnehin kaum, wenn überhaupt, gebe.3 Zwar findet man das Wort ,Seele‘ in modernen Bibelübersetzungen durchaus häufig. So ergibt z. B. eine Wortsuche für die aktuellen Fassungen der Zürcher Bibel 145 (109 im AT), der Einheitsübersetzung 172 (149 im AT, inkl. deuterokanonischer Bücher), der Lutherbibel 247 (176 im AT) und der Elberfelder Bibel sogar 432 (378 im AT) Treffer.4 Auch das Wort soul ist in englischen Übersetzungen im AT mehrfach belegt (wie z. B. 144 Mal in der New Revised Standard Version), ebenso wie âme in französischen Bibeln (z. B. 379 Mal in La Sainte Bible, Nouvelle Edition de Geneve 1979).5 Das am häufigsten mit ,Seele‘ (bzw. soul und âme) übersetzte hebräische Wort ist jeweils , das aber erstens – wie spätestens seit Wolffs Anthropologie des Alten Testaments6 deutlich ist – verschiedene Bedeutungen hat7 und zwei1 2 3 4
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Krüger, ach ja die seele, 34 (beide Zitate). Vgl. hierzu Kap. 2.3.2.1 und 2.3.3.2. Vgl. Krüger, ach ja die seele, passim. Dies gilt nicht nur für christliche Bibelübersetzungen, sondern auch für jüdische, z. B. ist in der Buber-Rosenzweig Übersetzung ,Seele ‘ 590 Mal in 538 Versen belegt. Hinzu kommen insgesamt 13 Belege der folgenden zusammengesetzten Wörter: Seelenbegehr, seelenbetrübt, seelenerbittert, Seelenfeinde, Seelenfrech, Seelengier, Seelenlust, Seelenschuld, Seelenverachteten, seelenverbittert, Seelenverbitterte, Seelenwiederbringer, Seelenzahl. Interessant ist, dass obwohl dieser Übersetzung eine „,konkordante‘ Übersetzungsmethode“ zugrunde liegt, also möglichst für „jedes hebräische Wort [...] unabhängig vom jeweiligen Sinnzusammenhang eine gleich bleibende deutsche Entsprechung verwendet“ wird (Haug, Bibelübersetzungen, 15 [beide Zitate]), nicht immer mit ,Seele‘ übersetzt wird (z. B. in Gen 2,7 mit ,Wesen‘ und in Gen 12,13 mit ,[ich] selber‘). Die hier und im Folgenden für Wortanalysen verwendete Bibelsoftware ist Accordance 10 (Version 10.4.3.2/Juli 2014). Vgl. Wolff, Anthropologie. 2010, 33–55 (Erstauflage von 1973). Diese Erkenntnis ist natürlich auch in die Bibelübersetzungen eingegangen, was sich u.a. daran zeigt, dass das Wort im AT 754 Mal belegt ist, ,Seele‘ in den Übersetzungen aber deutlich seltener vorkommt; wobei auch andere Wörter gelegentlich mit
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Einleitung
tens – wie u.a. in einigen neueren Forschungsbeiträgen, z. B. von Janowski und Rösel, betont wird – nicht die Seele (im traditionellen, christlichen Sinn) bezeichnet.8 Diese Feststellung mag im ersten Moment als reine Übersetzungsproblematik erscheinen. Sie führt aber direkt zu einer wichtigen anthropologischen Fragestellung – wie im einleitenden Satz bereits angedeutet –, denn durch die Verwendung des Wortes ,Seele‘ in biblischen Texten, wo eigentlich etwas anderes gemeint ist, wird zugleich auch eine bestimmte Menschenvorstellung in diese eingetragen und umgekehrt: Belegstellen des Wortes können damit herangezogen werden, um etwas über die Seele auszusagen, obwohl eigentlich gar nicht über diese gesprochen wird. Ein Verzicht auf die Wiedergabe mit ,Seele‘ hingegen bedingt, dass diese Belege nicht mehr so verstanden werden können. Dies bedeutet folglich – polemisch ausgedrückt – den Verlust der Seele im Alten Testament, die aber zuvor sekundär in diese Belege eingetragen wurde. Es ist daher auch nicht dem Zufall geschuldet, dass Wolffs Anthropologie des Alten Testaments, die für zahlreiche der folgenden (deutschsprachigen) Beiträge zu den alttestamentlichen Menschenvorstellungen prägend war und bis heute ein wichtiger Ansprechpartner für Forschungen zu diesem Themenkomplex bleibt, nach einer Einführung mit der Behandlung der næfæš beginnt. Der Aufbau spiegelt vielmehr die Erkenntnis wider, dass sich an dieser sehr deutlich aufzeigen lässt, dass den alttestamentlichen Schriften andere Menschenvorstellungen zugrunde liegen als wir sie heute haben bzw. als sie in der christlichen Tradition vorherrschten. Insbesondere die næfæš wurde häufig mit von außen an die Texte herangetragenen Vorstellungen gefüllt. Wolff hingegen zeigt auf, dass das AT kein dichotomisches oder trichotomisches Denken, wie es dem Christentum über das griechische Erbe vermittelt wurde, kennt und das Wort keinesfalls einfach unreflektiert mit ,Seele‘ wiedergegeben werden sollte.9 Seit der Erstauflage seiner breit rezipierten Anthropologie des Alten Testaments im Jahr 1973 sind durch neue Erkenntnisse, andere Forschungszugänge etc. Anfragen an seine Untersuchung zur næfæš gestellt worden. Zum einen betonen neuere Forschungsbeiträge gegen Wolffs Darstellung, dass auf die Übersetzung des Wortes mit ,Seele‘ ganz zu verzichten sei, weil es nie diese bezeichne, und auch die Wiedergabe mit ,Leiche‘ ist umstritten.10 Zum anderen steht besonders die von Wolff vorgenommene Beschränkung
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,Seele‘ übersetzt wurden (z. B. in allen vier genannten deutschen sowie der angeführten englischen Übersetzung in Ps 16,9 ). Vgl. Janowski, Die lebendige næfæš, passim, insb. 37–38 und Rösel, Die Geburt der Seele, 153–154 sowie Kap. 2.3.3.2 dieser Arbeit. Vgl. Wolff, Anthropologie. 2010, 33–101; Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, 8– 9; Ders., Anhang II, 384–385; Ders., Hans Walter Wolff, 80–81 und Müller/Wagner, Konzept, 225 sowie Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 12–13. Vgl. Kap. 2.3.3.2–2.3.3.3 und die dort dargestellte Literatur.
Einleitung
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auf die vier „anthropologischen Hauptbegriffe“11 (, , , ) in der Diskussion. Wolff geht davon aus, dass sich anhand dieser „die verschiedenen Aspekte und dominierenden Züge menschlichen Seins“ erklären ließen, da mit „den wesentlichen Organen zugleich kennzeichnende Fähigkeiten und Eigenarten des Menschen und damit typische Aspekte des Menschlichen ins Blickfeld treten.“12 Dagegen stellen jedoch u.a. Schroer/Staubli, Janowski, Frevel und Wagner eine solche Hierarchisierung in Frage und betonen, dass auch andere Körperteillexeme den ganzen Menschen unter einem bestimmten Aspekt bezeichnen können, so z. B. /Lippe unter dem Aspekt der Sprach- und Kommunikationsfähigkeit.13 Lauha hingegen bestreitet, dass die Verwendung des Wortes anstelle eines Pronomens, die für Wolffs Ergebnisse höchst relevant war, überhaupt eine anthropologische Aussage transportiere, weil dieses in diesem Gebrauch beliebig gegen oder austauschbar sei.14 Es bleibt daher zu untersuchen, welche Stellung die næfæš in den Menschenvorstellungen des AT hat. Ist sie tatsächlich für das Menschenbild besonders wichtig bzw. darin besonders zentral? Wird sie wirklich mit kennzeichnenden Fähigkeiten, Eigenarten und Aspekten des Menschseins verbunden? Um diese Fragen beantworten zu können, muss auch gefragt werden, wie das næfæš-Konzept überhaupt gefüllt war. Da in Ermangelung alttestamentlicher Texte, die die næfæš-Vorstellung explizit darlegen, ein Zugang zum næfæš-Konzept nur über die Ko- und Kontexte der Belege des Wortes (und ggf. einen Vergleich mit anderen Wörtern aus dem Wortfeld Körper) führen kann, verweist diese Frage unmittelbar auf die Problematik des Zusammenhangs zwischen Wort und gedanklichem Konzept. Zu untersuchen, wie man über sprachliche Aussagen, d. h. die Ko- und Kontexte der Verwendungen des Wortes überhaupt auf ein Konzept von næfæš zurückschließen kann, ist vor Beginn der eigentlichen Untersuchung daher unerlässlich. Nimmt man mit Wolff an, dass sich in den Bedeutungen der Körperteillexeme der hebräischen Sprache ein synthetisches Zusammendenken von Körperteil und Funktion zeigt, würde eine Analyse der funktionalen und abstrakten Bedeutungen einer Körperteilbezeichnung die Möglichkeit bieten, auf das zugrunde liegende Konzept zurückzufragen. Die neuere Forschung stellt aber Anfragen an diese zentrale Prämisse der Studie Wolffs.15 Daher muss zunächst die These, dass das Zusammendenken von Körperteil und zugesprochener oder tatsächlicher Funktion wirklich ein reines Charakteris11 12 13 14 15
Wolff, Anthropologie. 2010, 31. Vgl. Wolff, Anthropologie. 2010, 25.31 (1. Zitat: 25, 2. Zitat: 31). Vgl. Kap. 2.3.3.4 und die dort dargestellte Literatur der genannten Exegetinnen/Exegeten. Vgl. Kap. 2.3.2.2 und Lauha, Sprachgebrauch, 232–241. Vgl. Kap. 3.1.
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Einleitung
tikum der semitischen Sprachen oder, wie Wolff es nennt, eine der „Denkvoraussetzungen“16 ist, auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft werden.17 Zudem ist auch, da die hier vorliegende Studie mit sprachlichen und gedanklichen Einheiten sowie ihrem Zusammenhang befasst ist, die bereits von Barr geäußerte Kritik an der Vermischung von Wort und Begriff nicht außer Acht zu lassen.18 Die Wurzel der Wiedergabe des Wortes mit ,Seele‘ und damit der oben geschilderten Fehldeutung ist die griechische Übersetzung des Alten Testaments. In der LXX wird mehr als 650 Mal mit u wiedergeben. Dies führte wiederum zur lateinischen Übersetzung anima in der Vulgata und basierend darauf zur Annahme, habe die Grundbedeutung ,Seele‘, und zu der darauf aufbauenden, entsprechenden Übersetzung in deutschen Bibeln.19 Wolffs Erkenntnis, dass man die næfæš und unsere Seelenvorstellungen nicht unreflektiert gleichsetzen kann, ist aber natürlich ebenfalls nicht im völlig luftleerem Raum entstanden, sondern Teil einer langen Diskussion, in der seine Studie einen deutlichen Einschnitt, aber keinen Schlusspunkt bildet. Auf diese Forschungen kann und wird die vorliegende Studie selbstverständlich aufbauen. Daher beginnt sie mit einem forschungsgeschichtlichen Überblick (Kap. 2). In diesem wird dargestellt, wie sich die Herangehensweise an die Untersuchung der Fragen, was das Wort bedeutet, wie das næfæšKonzept gefüllt war und welche Rolle diese für die Menschenvorstellungen/ das Menschenbild des AT spielt, im Laufe der Forschungsgeschichte verändert und die Erkenntnisse entwickelt haben. Dabei wird auch herausgearbeitet, welche Ergebnisse unumstritten sind und welche noch offenen (Teil-) Fragen bzw. Desiderate der Forschung, von denen hier einige vorausblickend bereits geschildert wurden, es zu bearbeiten gilt. In diesem Überblick, der aufgrund der Fülle der Untersuchungen zu diesem Thema keine Exhaustivität beanspruchen kann, sondern zentrale Entwicklungslinien und Ergebnisse aufzeigen will, wird auch näher auf die hier nur kurz vorweg genommenen Anfragen an Wolffs Studie eingegangen. Somit ergibt sich die folgende Vorgehensweise: Nach dem forschungsgeschichtlichen Überblick und der Herausarbeitung der gerade vorab skizzierten, offenen Fragen werden in Kap. 3 die methodischen Grundlagen der vorliegenden Untersuchung erläutert. Hier wird zunächst die von Wolff geschilderte synthetische Bedeutung der Körperteil- und Organbezeichnungen 16 17
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Wolff, Anthropologie. 2010, 29. Vgl. hierzu auch die Anfrage an Wolffs Konzept bei Stenger, Körperteilbezeichnungen im Griechischen, 163–167.179–183; Steinert, Synthetische Körperauffassungen, 73–75 und Werning, Der Kopf des Beines, 105–114.140 sowie Müller/Wagner, Konzept, passim (= Vorabpublikation der Ergebnisse dieser Fragestellung). Vgl. Barr, Bibelexegese und Semantik, 205–261, bsd. 209–219. Näheres hierzu bei Rösel, Die Geburt der Seele, passim. Vgl. auch die Zusammenfassung der Studie Rösels bei Janowski, Die lebendige næfæš, 36–37.
Einleitung
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auf ihre Plausibilität hin befragt und untersucht, ob es sich dabei tatsächlich um ein Spezifikum der semitischen Sprachen handelt, weil dies auch Auswirkungen auf die Analyse von hat. Dazu werden zum einen Anfragen Wagners20 an Wolffs These thematisiert und zum anderen wird diese mit Erkenntnissen der Kognitiven Linguistik, genauer gesagt der Untersuchung konzeptueller Metonymien ins Gespräch gebracht. Dabei wird gefragt, welche Denkmechanismen der Verwendung von Körperteil- oder Organbezeichnungen anstelle ihrer Funktion oder eines Pronomens bzw. zur Bezeichnung einer Person zugrunde liegen, und gezeigt, dass dieses Sprachphänomen keine semitische Besonderheit darstellt. Zudem wird dargelegt, wie man über die Untersuchung sprachlicher Metonymien, die auf diese Denkmechanismen zurückzuführen sind, etwas über das zugrunde liegende gedankliche Konzept der jeweiligen Körperteile und Organe ermitteln kann. Außerdem wird im Methodenkapitel die Kritik Barrs an bzw. seine Warnung vor der Vermischung von Wort und Begriff diskutiert, da auch die hier vorliegende Studie mit sprachlichen und gedanklichen Einheiten sowie ihrem Zusammenhang befasst ist. Da man, um die in Kap. 3 dargestellte Methodik anwenden zu können, die verschiedenen Bedeutungen des Wortes auf ihren Zusammenhang befragen muss, folgt nach dem Methodenkapitel eine ausführliche (synchrone) Darstellung des weiten Spektrums an Bedeutungen des Wortes , sowie eine Analyse ihres Zusammenhangs (Kap. 4). Dabei werden auch die in der neueren Forschung umstrittenen Wiedergaben ,Leiche‘ und ,Seele‘ näher betrachtet und untersucht, ob – zumindest was die Übersetzung des Wortes angeht – ,Seele‘ zu Recht aus dem AT verschwunden ist. Bevor im nächsten Schritt (Kap. 5) aufbauend darauf die Rolle der næfæš in den Menschenvorstellungen des AT analysiert werden kann, muss zuerst gefragt werden, ob diese überhaupt einheitlich waren (Kap. 5.1.1). Da außerdem die Texte, die zur Analyse herangezogen werden, in sich Wachstumsschichten aufweisen und zwischen der Entstehungszeit einzelner Texte u.U. mehrere Jahrhunderte liegen können, eine linguistische Studie aber in der Regel über den gesamten relevanten Text erfolgt, muss vorab auch die Frage gestellt werden, ob und wo neben dieser synchronen Herangehensweise auch diachrone Schritte angebracht sind (Kap 5.1.2). In Kap. 5.2 wird dann mit Hilfe der Analyse sprachlicher Metonymien, denen bestimmte konzeptuelle Metonymien zugrunde liegen, untersucht, was es bedeutet, wenn der Mensch sich selbst, statt ein Pronomen bzw. Pronominalsuffix oder eine andere (suffigierte) Körperteil- oder Organbezeichnung bzw. zu wählen, als bezeichnet und was dies über das zugrunde liegende næfæš-Konzept aussagt. Im Vergleich mit anderen, ähnlich verwendeten Körperteil- und Organlexemen sowie mit wird in Kap. 5.2.3 zudem
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Vgl. Wagner, Bedeutungsspektrum, passim.
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Einleitung
gefragt, ob im metonymischen Gebrauch zur Bezeichnung der Person wirklich, wie Lauha vermutet, eine Austauschbarkeit vorliegt.21 Anschließend wird untersucht, welche Aussagen man aufbauend auf der Analyse dieses Gebrauchs über das næfæš-Konzept als Ganzes treffen kann, welchem uns bekannten Konzept dieses damit entsprechen könnte und welche Übersetzung man basierend darauf an den Stellen wählen sollte, an denen in gängigen deutschen Bibeln das Wort mit ,Seele‘ übersetzt wurde (Kap. 5.3). Basierend darauf kann dann gefragt werden, ob man die næfæš als zentraler als andere Körperbereiche/-teile für die Menschenvorstellung(en) werten kann (Kap. 5.4). Abschließend werden die Ergebnisse gebündelt (Kap. 6). Zu Beginn sollten noch einige formale/terminologische Hinweise erfolgen. 1. Die Bezeichnung Körperteil Die Bezeichnung Körperteil wird im Folgenden weit gefasst, d. h. es können damit nicht nur äußere Körperteile, wie z. B. die Hand und der Fuß, sondern auch innere Organe, wie z. B. das Herz, sowie dem Menschen zugesprochene „Teile“, wie z. B. die rûa, gemeint sein. 2. Formale Unterscheidung zwischen Wort und Konzept Da es für die vorliegende Studie, in der vom Ko- und Kontext22 des Wortgebrauchs auf zentrale Elemente im Konzept zurückgefragt wird, wichtig ist, zu unterscheiden, wann vom Konzept und wann vom Wort die Rede ist, wird næfæš in Umschrift gesetzt, wenn vom gedanklichen Konzept oder der næfæš als Teil des Menschen gesprochen wird sowie dann, wenn das Wort in einem Beleg (zunächst noch) unübersetzt bleibt. hingegen meint immer das hebräische Wort. Bei anderen Körperteillexemen wird dies entsprechend gehandhabt. Im forschungsgeschichtlichen Überblick begegnen einige Autorinnen/Autoren (z. B. Schwab), die nicht deutlich zwischen Wort und Konzept unterscheiden. Dort wird dennoch die gerade geschilderte formale Unterscheidung durchgeführt, wobei sich aufgrund der Unschärfe in den Studien auch Fälle ergeben, bei denen nicht ganz sicher zu entscheiden ist, ob der Autor/die Autorin vom Wort oder vom Konzept spricht.
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Vgl. Lauha, Sprachgebrauch, 232–241. Mit Kotext wird in dieser Arbeit der direkte sprachliche Kontext bezeichnet, d. h. die das Wort umgebenden Wörter bzw. Sätze. Mit Kontext wird dieser und der außersprachliche Kontext bzw. nur der außersprachliche Kontext bezeichnet. Wo ausgedrückt werden soll, dass entweder der Kotext alleine oder der Ko- und der weitere Kontext zusammen relevant sein können, wird im Folgenden von Ko(n)text gesprochen.
Einleitung
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3. Der Terminus sprachliche Metonymie Der Terminus sprachliche Metonymie wird in dieser Arbeit weiter gefasst als normalerweise. Er umfasst Metonymien im engeren Sinn (TeilTeil-Beziehung) ebenso wie Synekdochen (Teil-Ganzes) und Meronymien (integraler Teil-Ganzes), denn die Bezeichnung orientiert sich daran, dass diesen sprachlichen Erscheinungen eine konzeptuelle Metonymie zugrunde liegt.23 Konzeptuelle Metaphern und Metonymien werden in der Regel in Kapitälchen gesetzt. Dieser Konvention folgt diese Arbeit ebenfalls.24 4. Zum Umgang mit Kommentaren und Textkritik Aufgrund der Fülle der hier zu betrachtenden Belegstellen ist es nicht möglich, jeden Kommentar zu jeder dieser Stellen zu konsultieren. Daher wird bei Belegen, bei denen sich die Wortbedeutung bereits aus dem Kotext erschließen lässt und es auch keine sonstigen Interpretationsschwierigkeiten gibt, keine Kommentarliteratur hinzugezogen. Wo der weitere Ko(n)text betrachtet wird und bei strittigen oder schwierigen Passagen werden hingegen selbstverständlich neuere Kommentare, die ggf. repräsentativ für verschiedene Positionen ausgewählt wurden, sowie, wo es darüber hinaus notwendig oder sinnvoll ist, auch Einzelstudien konsultiert. Textkritische Probleme werden, ebenfalls aufgrund der Vielzahl der Belege, nur thematisiert – in der Regel in einer Fußnote –, wenn sie für die Übersetzbarkeit oder das Verständnis eines Verses eine signifikante Rolle spielen. (Angaben gemäß BHS – textkritischer Apparat). 5. Abkürzungen a) Allgemeine Abkürzungen richten sich nach: Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaften nach RGG4. Herausgegeben von der Redaktion der RGG4, Tübingen 2007, 293–302. b) Die verwendeten Abkürzungen der biblischen Bücher sowie die Wiedergabe biblischer Namen richten sich nach: Ökumenisches Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien. Herausgegeben von den katholischen Bischöfen Deutschlands, dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bibelgesellschaft – Evangelisches Bibelwerk. c) Die verwendeten Abkürzungen der Quellen, Reihen, Zeitschriften etc. richten sich nach: Schwertner, Siegfried M.: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG), 3., überarb. u. erw. Aufl., Berlin u.a. 2014.
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Vgl. Kap. 3.1.2. Vgl. Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, passim.
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Einleitung
d) Folgende darüber hinausgehende Abkürzungen wurden verwendet: AHw Soden, W. von: Akkadisches Handwörterbuch, 3 Bde., Wiesbaden 1965–1981. ARM Archives Royales des Mari. Paris CDA Black, J./George, A./Postgate, N.: A Concise Dictionary of Akkadian (SANTAG Arbeiten und Untersuchungen zur Keilschriftkunde 5), Wiesbaden 22000. CT Cuneiform Texts in the British Museum, London. DISO Jean, Ch.F./Hoftijzer, J.: Dictionnaire des inscriptions sémitiques de l’ouest, Leiden 1965. DULAT Olmo Lete, G. del/Sanmartín, J.: A Dictionary of the Ugaritic Language in the Alphabetic Tradition. 2 Bde. (HdO 67), Leiden/Boston 32015. 18 Gesenius Gesenius, W.: Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament. Begonnen von Rudolf Meyer, bearb. und hrsg. von Herbert Donner, 7 Bde., Berlin u.a. 1987–2012. K. Signatur des British Museum (Kuyundjik). KAHAL Dietrich, W./Arnet, S.: Konzise und aktualisierte Ausgabe des hebräischen und aramäischen Lexikons zum Alten Testament. Koehler&Baumgartner, Leiden/Boston 2013. TCL Textes Cunéiformes. Musée du Louvres, Département des Antiquités Orientales. Paris.
2.
Forschungsgeschichtlicher Überblick
Die Fragen, wie das Wort richtig zu übersetzen ist, welches gedankliche Konzept der Wortverwendung zugrunde liegt und welche Rolle dieses in den alttestamentlichen Menschenvorstellungen spielt, werden hier nicht zum ersten Mal gestellt. Die vorliegende Arbeit kann auf zahlreiche Studien zu diesem Thema aufbauen. Der folgende forschungsgeschichtliche Überblick richtet daher den Blick gezielt darauf, wie sich die Herangehensweise an die Beantwortung dieser Fragestellungen verändert und die Erkenntnisse entwickelt haben, welche Ergebnisse unumstritten sind sowie welche noch offenen Fragen bzw. Desiderate der Forschung es zu bearbeiten gilt. Aufgrund der Fülle an Untersuchungen zu kann dabei keine Exhaustivität beansprucht werden, sondern Ziel ist es, die Entwicklungslinien und zentralen Ergebnisse zu dieser Thematik herauszuarbeiten und die sich daraus ergebenden noch offenen Fragen zu formulieren. Da somit die jeweilige Herangehensweise und die Erkenntnisse im Fokus stehen, wird auch nur dort auf die von den Autorinnen und Autoren bearbeiteten Belegstellen eingegangen, wo dies zum Verständnis der Methodik, der Argumentation oder der Ergebnisse notwendig ist.
2.1
Die „vorkritische“ Zeit
In den Anfängen des Christentums spielte der griechische Text der LXX eine große Rolle, wo meist mit !u übersetzt wird. „Die Mehrzahl der ntl. Autoren benutzte“ ihn und „er wurde zur offiziellen B.[ibel] der Kirchenväter.“1 Später wurde die LXX in der lateinischen Kirche von der Vulgata2 (als Vollbibel) verdrängt. Diese setzte sich im Laufe des Frühmittelalters als einzig gültige Bibel durch und war daher Grundlage der christlichen Theologie an den Universitäten. Interesse an der Bedeutung des hebräischen Wortes oder dem der Wortverwendung zugrunde liegenden Konzept gab es sei-
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Dogniez, Art. Übersetzungen, 1490 (beide Zitate). Der Name wird allerdings erst im 16. Jahrhundert gebräuchlich. Er bedeutet „die allgemein Verbreitete“. Fischer, Text, 169. Vgl. zum Text und der Geschichte der Vulgata 169–175; Schulz-Flügel, Art. Übersetzungen, passim und zum Text und der Geschichte der LXX Fischer, Text, 115–156 sowie Ziegert/Kreuzer, Art. Septuaginta, passim; Dogniez, Art. Übersetzungen, passim und Brock, Übersetzung ins Griechische, 163–170.
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tens der christlichen Theologie in dieser Zeit nicht. In der Vulgata wird dem Sprachgebrauch der LXX folgend meist mit anima wiedergegeben.3 Erst im Humanismus fanden der hebräische Text des Alten Testaments und die hebräische Sprache erstmals wirkliches Interesse bei christlichen Gelehrten.4 Im Zuge dieses neuen Sprachstudiums wurde man sich rasch bewusst, dass ! , anima oder ,Seele‘ (jedenfalls in deren zeitgenössischer Bedeutung) nicht immer die richtige Wiedergabe des Wortes ist.5 So gibt schon der Humanist und Hebraist J. Reuchlin 1506 in seinem Wörterbuch, das als „die erste hebräische Grammatik der Neuzeit“6 gilt, ,belebter/beseelter Körper‘ und ,Mensch/Person‘ als Bedeutungen neben ,Seele‘ an. Bemerkenswert ist auch, dass er dort für das Verb statt der zu seiner Zeit üblichen Übersetzung animare/recreare die Wiedergabe refrigerare angibt, weil diese Übersetzung die wörtlichere sei und vom griechischen Gebrauch von Seele wegführe.7 1525 nennt der Hebraist und Humanist S. Münster in seinem hebräischen Wörterbuch zusätzlich noch die Übersetzungsmöglichkeit ,Wille‘ und gibt an, dass der Plural an zwei Stellen anstatt für ,Atem‘ stehe.8 Der Theologe und Hebraist J. Buxtorf erweitert diese Liste 1645 in seinem Lexikon der hebräischen Sprache erneut. Er führt neben ,Seele‘, ,Geist‘, ,Verstand (mens)‘ auch ,Leben‘, ,belebter Körper‘, ,Atem‘, ,begehrende Seele‘, ,Begierde‘ und ,Appetit‘, sowie ,Leiche‘ an.9 Allerdings dauerte es noch ein weiteres Jahrhundert – wie die ersten der unten folgenden Beispiele zeigen – bis man auch in theologischen Arbeiten wirklich zu fragen begann, ob ,Seele‘ die Grundbedeutung des Wortes sei und mit diesem dasselbe wie die christliche Seelenvorstellung bezeichnet werde. Erst die Emanzipation der Bibelwissenschaft von der kirchlichen Dogmatik, die Überwindung des orthodoxen Inspirationsdogmas und die Einsicht in die Geschichtlichkeit der biblischen Texte sowie ihrer Aussagen 3
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Vgl. Rösel, Die Geburt der Seele, passim, insb. 162–170. „Für die Wirkungsgeschichte ist nun von entscheidender Bedeutung [...], dass Hieronymus in seiner Vulgata-Übersetzung dem LXX-Sprachgebrauch fast durchgängig mit anima und Martin Luther mit ,Seele‘ gefolgt sind.“ (167–168). Vgl. auch die Zusammenfassung der Studie Rösels bei Janowski, Die lebendige næfæš, 36–37. Mir ist bewusst, dass ich hier die jüdische Auslegung ausklammere. Zwar wäre ein Überblick über deren Beschäftigung mit der næfæš und ihren Darstellungen zur Seelenfrage durchaus interessant, er kann aber hier nicht erfolgen. Auch Luther hat dies „sehr wohl gewusst, wie man an vielen Stellen seiner Auslegung alttestamentlicher Schriften sehen kann. Er hat tatsächlich fast die ganze Breite an Bedeutungen von nepheš, die wir heute kennen, erkannt und dargestellt“. Fichtner, Seele oder Leben, 306. Beutel, Aufklärung, 212. Vgl. Reuchlin, De rudimentis, Artikel 1/., 331 (in liber secundus). Vgl. Münster, Dictionarium, Artikel 1/.. Vgl. Buxtorf, Lexicon, 480. Daneben gab es im 17. Jahrhundert aber auch Wörterbücher, die nur die Übersetzung Seele (anima) anführten. Vgl. z. B. Calasio, Dictionarium, 62.
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ab dem 18. Jahrhundert führte zu einem deutlich veränderten Umgang mit diesen und einem verstärkten Interessen an den dahinter stehenden Vorstellungen (inklusive des Menschenbildes). In diese Zeit fallen bekanntlich die Anfänge der historisch-kritischen Exegese.10 Erst im Zuge der Erkenntnis, dass die damaligen und die Vorstellungen der biblischen Welt nicht deckungsgleich sind, wächst auch das Interesse der christlichen Theologen an der Bedeutung des Wortes und dem der Wortverwendung zugrunde liegenden gedanklichen Konzept. Daher setzt die Darstellung der Forschungsgeschichte hier ein.
2.2
Das 18. und 19. Jahrhundert
Die ersten Aufsätze und Monographien zu entstehen Ende des 19. Jahrhunderts. Im 18. und 19. Jahrhundert ist die Wortbedeutung aber bereits Untersuchungsgegenstand in Artikeln und Büchern zu Themen wie biblischer Psychologie, Tod und Auferstehung oder auch Seelenkult sowie in Lexika.
2.2.1 Die Wiedergabe des Wortes im 18. Jahrhundert Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wird meist mit ,Seele‘ wiedergegeben, wobei man sich aber durchaus darüber bewusst ist, dass je nach Ko(n)text auch eine andere Übersetzung nötig sein kann. Allerdings leitet man in Schriften zu Beginn des 18. Jahrhunderts diese verschiedenen Wiedergabemöglichkeiten häufig aus der Bedeutung ,Seele‘ ab,11 wie u. a. die folgenden Beispiele zeigen:12 a) 1703 versucht Menard, einer der angesehensten Hugenotten in London und Pastor an der Chapel Royal,13 die Unsterblichkeit der Seele, ihre Ver10
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Zur Geschichte der historisch-kritischen Exegese vgl. Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung, passim und zur Emanzipation der Bibelwissenschaften von der Dogmatik auch Beutel, Aufklärung, 212–215. Die von Buxtorf angeführte Bedeutung ,Atem‘ findet keine Beachtung und kommt außerhalb von Lexika erst Ende des 18. Jahrhunderts als mögliche Grundbedeutung in den Blick. Neben Buxtorf nennt aber z. B. auch Zanolini in seinem Wörterbuch diese Bedeutung und führt sie sogar als erste an. Vgl. Zanolini, Lexicon, 293. Auch Simonis nennt ,Atem‘ in seinem Lexikon als erste der möglichen Bedeutungen und ergänzt zu den bereits genannten noch ,Duft‘. Außerdem zieht er bereits das Arabische für die Erläuterung mit in Betracht. Vgl. Simonis, Lexicon, 613–614. Weitere Autoren, die sich Anfang bis Mitte des 18. Jahrhunderts mit Psychologie oder Anthropologie beschäftigten, bietet Carus, Psychologie, 13–15. Nach Heinsius ist Menard „ein französischer Prediger in London“, Heinsius u.a., Kirchenhistorie, 1030. Laut Löchers „Theologische Annales“ von 1715 war Menard
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schiedenheit vom Leib sowie ihre Immaterialität anhand von Bibelstellen zu belegen, um so die Lehre des Materialismus, dass die Seele materiell und folglich sterblich sei, zu widerlegen. Dabei wendet er sich auch gegen den Versuch, diese Annahme mit dem Argument, dass das Wort für Seele auch zur Bezeichnung des Lebens diene, aus der Bibel abzuleiten.14 Er verwendet bei seiner Gegendarstellung, wie zu Beginn des 18.Jahrhunderts üblich, einzelne Bibelstellen als dicta probantia und zieht alt- wie neutestamentliche Belege heran, wobei letztere überwiegen. Argumentiert wird nicht über die Wörter und ! , sondern Menard setzt beide gleich und führt nur die französische Übersetzung ,âme/Seele‘ an bzw. spricht von „le mot d’Ame“.15 Den Materialisten gesteht er dabei durchaus zu, dass dieses manchmal tatsächlich ,Leben‘ bedeute (z. B. Mt 2,20). Aber „ [...] cette façon de parler est trés – naturelle. Dans toutes les Langues il est ordinaire de mettre la cause pour l’effet. La cause de la vie c’est l’Ame.“ 16
Als weitere Bedeutungen nennt Menard ,Person‘ (z. B. Apg 7,14), was er als pars pro toto erklärt, sowie ,Wille und Affekte‘ (z. B. 1 Sam 18,1). Aber er hält fest, dass ,Seele‘ häufig die Substanz bezeichne, die den Menschen belebt und die das Prinzip des Lebens, der Gefühle und des Denkens sei (z. B. Luk 1,46.47 und Ps 103,1).17 Auf den möglichen Einwand, dass damit in der Schrift auch den Tieren eine Seele beigelegt werde, antwortet er, dies geschehe, weil auch diesen irgendein Lebensprinzip innewohne. Aber die Verwendung desselben Wortes bedeute noch nicht, dass damit dasselbe gemeint sei, wie s. E. die Tatsache zeigt, dass der menschliche und göttliche Geist dieselbe Bezeichnung tragen.18 b) Auch J.J. Schmidt, der nach seinem Theologiestudium in Leipzig und Halle, wo er sich durch August Hermann Francke für den Pietismus begeis-
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Prediger bei König Willhelm III, vgl. Löcher, Theologische Annales, 112. Aus diesen beiden Angaben lässt sich erschließen, dass es sich beim Autor dieser Schrift um Philippe Menard handelt. Dieser war Pastor an der „Chapel Royal, St. James“ und „one of the most distinguished of the Huguenots in England, formerly chaplain to Queen Charlotte Amelia of Denmark, and before that at the great Paris temple of Charenton“, Vigne, Huguenots, 82. Vgl. auch die Einordnung des Werks bei Carus, Psychologie, 13 und Carus, Geschichte der Psychologie, 517, wo dargelegt wird, dass sich die Schrift hauptsächlich gegen die Thesen eines Londoner Arztes namens William Coward richte. Dieser hatte 1702 in seiner Schrift „Second Thoughts Concerning Human Soul“ die These vertreten, dass die Seele in der Bibel nichts anderes sei als „das Leben der Menschen“, „dieselbe Krafft, wodurch der Mensch beweget wird“, aber keine immaterielle Substanz. Diese Kraft ende mit dem Tod. Allerdings sei sie nach der Auferstehung ebenfalls wieder da. Vgl. Walch, Philosophisches Lexicon, 2251–2252 (Zitate: 2251). Vgl. Menard, Doctrine, passim (Zitat: 17). Menard, Doctrine, 19. Vgl. Menard, Doctrine, 19–20. Vgl. Menard, Doctrine, 25–27.
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tern ließ, Prediger in Peest (Pieszcz) und Balow in Westpommern war,19 geht in seinem Biblischen Medicus20 1743 davon aus, dass im biblischen Hebräisch die Seele, die er als edelsten Teil des Menschen und als unsterbliches vom Leib völlig verschiedenes, ihm innewohnendes, aber dennoch auch ohne beihn weiterexistierendes Wesen bezeichnet,21 heiße. Aber auch zeichne die Seele.22 Das Wort werde aber auf verschiedene Weise benutzt, während immer die vernünftige Seele oder den menschlichen Geist bezeichne, auch an den Stellen, an denen Luther ,Odem‘ übersetze.23 könne dagegen neben der Seele auch „eine Person oder derselben ganze Substanz und Wesen“24 (z. B. Gen 12,5) bezeichnen. In diesem Sinne werde auch von Gottes (z. B. Jer 51,14) gesprochen. Daneben könne das Wort auch ‚jemand‘ (z. B. Num 31,28) bedeuten oder ein Personalpronomen vertreten (z. B. Jer 40,14.15). Darüber hinaus stehe es, wie auch das griechische , metonymisch für ,Leben‘ (z. B. Gen 9,5 und Joh 12,25), da dieses von der Seele abhänge sowie für Affekte und Gemütsbewegungen (z. B. Ex 23,9 und Eph 6,6), weil diese auf Regungen der Seele basierten. Außerdem werde es auch katachrestisch zur Bezeichnung des Magens bzw. des Hungers (z. B. Jes 29,8), des Leibes (Ps 105,18) und des Leichnams (z. B. Lev 19,28) verwendet, wobei Schmidt vermutet, dass hier auch die Bedeutung ,Person‘ Anwendung finden könnte.25 Zwar geht Schmidt anders als Menard zunächst auf das hebräische Wort ein und führt dabei deutlich mehr alttestamentliche Stellen an, aber auch er sieht die Bedeutung ,Seele‘ als klar gegeben an, versucht die anderen – außer ,Person‘ – aus dieser abzuleiten und differenziert in der anschließenden Darstellung des biblischen Seelenverständnisses26 ebenfalls nicht mehr zwischen AT und NT. c) Eine bereits leicht veränderte Herangehensweise findet man 1769 bei M.F. Roos in seinen „Fundamenta Psychologiae ex sacra scriptura“. Roos, ein Schüler Johann Albrecht Bengels und Vertreter des württembergischen 19 20
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Vgl. Zedler, Universal-Lexicon, 405–408 und Roloff, Geistesblitze, 157–158. Der volle Titel bietet bereits eine Zusammenfassung des Inhalts. Er lautet: Biblischer Medicus. Oder Betrachtung des Menschen, nach der Physiologie, Pathologie und Gesundheitslehre; Das ist, nach allem, was von des Menschen natürlichem Leben und Theilen seines Leibes, sodenn von dessen mancherley Zufällen, Krankheiten und Gebrechen, wie auch von Erhaltung und Wiedererlangung seiner Gesundheit, in heiliger Schrift vorkommt; Sowohl zur rechten Erkenntnis sein selbst, und Verehrung Gottes, des wahren Arzts und Erhalters der Menschen insgesamt, als auch zur gründlichen Erklärung vieler Schriftstellen insonderheit deutlich und ordentlich abgehandelt. Vgl. Schmidt, Medicus, 38, 41, 45, 48 und 49. Vgl. Schmidt, Medicus, 38. Überraschenderweise verwendet Schmidt dennoch eine Seite später die lutherische Übersetzung ,Odem‘ in Gen 2,7, vgl. Schmidt, Medicus, 40–41. Schmidt, Medicus, 39. Vgl. Schmidt, Medicus, 38–40. Vgl. Schmidt, Medicus, 41–54.
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Pietismus, der zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Schrift „Pfarrer und Dekan in Lustnau bei Tübingen“ war,27 betont, dass er „ohne eigene vorher aufgestellte und abgeschlossene Ansichten an die Schrift[...] gehen, und das ganze Lehrgebäude aus ihren richtig gefaßten Worten aufrichten“28 will.
Da die Schrift keine explizit vorgetragene Lehre über die menschliche Seele enthalte, möchte er, anhand der Aussagen über diese sowie den Geist und das Herz, eine solche erarbeiten, indem er erforscht, was die Bedeutung der Sätze und Redensarten ist.29 Allerdings hält er zu Beginn des ersten Kapitel fest, dass und ! „die Seele im engeren Sinne“30 bezeichneten, worunter er das vom Körper verschiedene Wesen, das mit ihm vereinigt und zusammen mit ihm eine Person ist, versteht. Jedoch sieht er auch mit den Wörtern und Aspekte dessen, was man Seele nenne, wiedergegeben. , ,Geist‘, werde verwendet, wenn „Seele und Leib jedes für sich in Betracht kommen“31, , wenn sie als verbunden im Blick seien. sei das Herz, das die menschliche Seele hat, wenn es als „Ursprung des sittlichen Lebens oder aller zurechnungsfähigen Handlungen erscheint“32. Roos hat also bereits erkannt, dass ,Seele‘ und keine deckungsgleichen Vorstellungen bezeichnen und sieht auch, dass das hebräische Wort noch andere Bedeutungen haben kann. In der Darstellung dieser führt er sehr viele alttestamentliche Belegstellen an. Zudem geht er auf ! , das er als Äquivalent zu sieht, in eigenen Unterkapiteln ein; betrachtet also AT und NT zunächst getrennt.33 Erst bei seiner Argumentation, dass die Seele vom Körper verschieden gedacht sei, gibt er alt- und neutestamentliche Belege an, wobei erstere aber deutlich überwiegen.34 Zu den weiteren Bedeutungen des Wortes führt Roos aus, dass Tiere und Menschen ,lebendige Seelen‘ genannt werden (z. B. Gen 1,20; 2,7). 27
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Vgl. Ehmer, Art. Roos, 647–649 (Zitat: 647). Neben wissenschaftlichen Werken verfasste er zahlreiche Erbauungsschriften, die teilweise ins Niederländische, Französische, Englische und Schwedische übersetzt wurden. Insbesondere sein „Christliches Hausbuch“, „mit biblischen Betrachtungen für Morgen und Abend eines jeden Tages“ fand eine weite Verbreitung. Vgl. Roos, Art. Roos, passim. Roos, Seelen-Lehre, 3 (alle Angaben zu Roos beziehen sich auf die deutsche Übersetzung von 1857). Vgl. Roos, Seelen-Lehre, 3–8. Er betont dort außerdem, dass die Bedeutung der Wörter nicht aus den Werken der griechischen und römischen Antike herleitbar sei. Man müsse die Schrift aus sich selbst erklären. Roos, Seelen-Lehre, 9. Vgl. dort auch sein Verständnis von „Seele im engeren Sinne“. Roos, Seelen-Lehre, 43. Vgl. für 43–88. Roos, Seelen-Lehre, 90. Vgl. für 89–175. Vgl. hierzu und für die folgende Darstellung der anderen Bedeutungen des Wortes Roos, Seelen-Lehre, 9–20. Zum NT vgl. 20–24.36–39. Vgl. Roos, Seelen-Lehre, 38–42.
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Aber deutlich häufiger sei damit der Mensch oder die Person unter dem Aspekt des Führens eines sterblichen Lebens im Blick (z. B. Gen 14,21). Auch die ehemals lebendig gewesene Person, also der Verstorbene, werde als ,Seele‘ bezeichnet (z. B. Lev 22,4). Zudem werde auch oft ,meine, deine etc. Seele‘ anstelle der Pronomen verwendet (z. B. Jer 3,11), da dies „nachdrücklicher“35 sei. Außerdem werde mit dem Wort ,Seele‘ im AT auch das Leben an sich als Abstraktum und die Gesundheit bzw. die Lebenskraft benannt (z. B. Lev 26,16) und es werde dort verwendet, wo das Leben in Gemeinschaft mit Gott im Blick sei (z. B. Ez 13,18) – im NT stehe an vergleichbaren Stellen ,Geist‘. Da das Blut im diesseitigen Leben für die Seele lebensnotwendig ist, stehe es in direkter Verbindung zu ihr und so werde gesagt, dass die Seele im Blut sei (z. B. Lev 17,11). Auffällig ist bei Roos besonders, dass er häufig davon spricht, was das Wort ,Seele‘ und nicht was bedeutet. Er scheint also ebenfalls, wenn auch nicht explizit, ,Seele (im engeren Sinn)‘ als Grundbedeutung von anzunehmen und sieht diese Bedeutung überall dort vorliegen, wo das Wort als Sitz oder zum Ausdruck einer Begierde (z. B. Hunger oder Gier), einer Abneigung (z. B. Ekel oder Überdruss), eines Wohlge- bzw. Missfallens, von Lust oder Unlust oder auch Gefühlen (z. B. Liebe) verwendet wird (z. B. 1 Sam 18,1). Dass der Seele das zugeschrieben wird, was man mit Lust tut, passe auch dazu, dass das Verb ,sich ergötzen/erquicken‘ bedeute (z. B. Ex 23,12). Auch Angst, Schmerzen, Schmach und Betrübnis, aber auch Ruhe, i.S. des in Gott gestillten Verlangens (z. B. Ps 131,2), werde ihr zugeschrieben.36 Außerdem lege die Schrift „die Benennung Seele, 2 oder ! , dem Menschen und Thieren nicht darum“ bei, „weil sie einen belebten Körper haben, sondern weil im Körper ein anderes von ihm verschiedenes Wesen wohnt, welches jedoch zum Vereintseyn mit dem Körper bestimmt ist.“37
Zusammenfassend hält er fest, dass die beiden Wörter, wenn sie ohne besondere Beziehung angewandt werden, eine Kreatur als einzelnes, lebendiges oder ehemals lebendiges Wesen bezeichnen, aber auf die menschliche Seele bezogen, diese als „lebend, begehrend, genießend und mit dem sterblichen Leibe verbunden“38 darstellen. Das „Wort Seele [habe aber] nicht mehrere auseinandergehende, sondern immer nur einen und denselben Sinn“39, in jeder Bedeutung schwingen die anderen Aspekte bzw. Nuancen immer auch mit.40
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Roos, Seelen-Lehre, 11. Vgl. für die Darstellung der Bedeutung Seele Roos, Seelen-Lehre, 24–38. Roos zeigt dort auch anhand einiger Belegstellen, dass das Wort ! im NT ebenfalls so verwendet werde. Roos, Seelen-Lehre, 38 (beide Zitate). Vgl. für den Absatz Roos, Seelen-Lehre, 9–20 und 24–38. Roos, Seelen-Lehre, 41. Roos, Seelen-Lehre, 42. Vgl. Roos, Seelen-Lehre, 38–42.
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d) Daneben gibt es in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch interessante Sonderwege, wie beispielsweise der Artikel S. Deylings, der Superintendent, Theologieprofessor und „der wichtigste Vertreter der späten lutherischen Orthodoxie“41 in Leipzig war,42 aus dem Jahr 1737 zeigt. Dieser versucht darin, die Unsterblichkeit und Immaterialität der Seele gegen zeitgenössische philosophische Strömungen zu verteidigen.43 Dafür geht er auf die Bedeutung des Ausdrucks und auf die des Wortes ein. Nach Deyling bezeichnet der Hebräer mit die vernunftbegabte und unsterbliche Seele, die dem menschlichen Geist eigen und von Gott entflammt worden sei. Daher nenne Spr 20,27 auch die ,Leuchte des Herrn‘. Etwas anderes werde hingegen mit ausgedrückt. Allein aus der Betrachtung dieses Wortes lasse sich tatsächlich nicht die Unsterblichkeit und Immaterialität der Seele belegen, denn sei gerade der unmittelbare materielle Anfang der mechanischen Bewegungen und Vorgänge in jedem Lebewesen. Gott selbst bezeichne schließlich die feineren Teile des Blutes der Tiere als (Lev 17,11), voraus man direkt folgern könne, dass „ nil aliud esse, quam liquidum nerveum, sive spiritus animales ac vitales, qui ex massa sanguinea in cerebro secreti ad nervos & musculos demittuntur, ac corpus ejusque membra in motum agunt.“44
Dies erkläre leicht, warum das Wort auch anstelle von ,Lust, Begierde und Verlangen‘ verwendet werde (z. B. Dtn 23,25). Es stehe für die körperliche Seele, also den feinsten Teil des Blutes, der aber mit dem Körper ins Grab gelegt werde, und bezeichne daher das innere und materielle Prinzip des Lebewesens, aus dessen Bewegungen das Leben und die Gemütsbewegungen entstehen. Daher könne es auch ,Leben an sich‘ bedeuten. Stellen, an denen es für den Geist oder den Sitz der Gedanken stehe (z. B. Ps 35,7 [sic! vermutlich V.9]), seien hingegen nicht wörtlich, sondern bildlich zu verstehen. Auch der Ausdruck in Gen 2,7, der mit ‚zu einer lebendigen Seele‘ wiedergegeben werde, sei lediglich eine Metonymie für das Leben des ganzen Menschen.45
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Flügel, Art. Deyling [Onlinefassung]: „Aufgrund seines Doppelamts als Professor und Superintendent konnte D. seine Anschauungen nicht nur den Studenten vom universitären Katheder verkünden, sondern auch der Leipziger Bevölkerung von der Kanzel der Nikolaikirche predigen.“ „Parallel dazu wurde er später Superintendent und Domherr in Zeitz und Meißen.“, Flügel, Art. Deyling [Onlinefassung] . Seine zahlreichen Abhandlungen zur „Kritik und Exegese des Alten und Neuen Testaments“ lassen seine Verhaftung im lutherischen Dogma erkennen und sind in der „Tendenz polemisch und apologetisch. Namentlich werden Spinoza, Peyrerius, Clericus, Simon heftig bekämpft.“ Siegfried, Art. Deyling [Onlinefassung]. Vgl. Deyling, Spiraculo Vitarum, passim. Deyling, Spiraculo Vitarum, 43. Vgl. zu diesem und dem vorherigen Abschnitt Deyling, Spiraculo Vitarum, 40–45.
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2.2.2 Neue Zugänge Ende des 18. Jahrhunderts 2.2.2.1 Ziegler (1791) Eine deutlich veränderte Herangehensweise liegt 1791 in einem Exkurs zur Entwicklung der Bedeutung von bei den Hebräern in W.C. Zieglers „Neue Übersetzung der Denksprüche Salomons“ vor. Ziegler, der neben Theologie auch Philologie studiert hat, dem Nicolaischen Aufklärerkreis nahe stand46 und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Schrift außerordentlicher Professor der Theologie in Göttingen war,47 begründet diesen Exkurs damit, dass es lehrreich sei, die Bedeutungsentwicklung eines Wortes in der Ursprache zu analysieren und so auch die Entwicklung der Vorstellungen zu beobachten.48 Für die ältesten Sprachen nimmt er an, dass die erste Bedeutung eines Wortes auf sinnliche Eindrücke zurückgehe und sich die Begriffe schneller als die Wörter vermehrten. Daher würden Dinge, für die wir sehr differenzierte Wörter haben, im AT mit einem einzigen benannt.49 Ziegler nimmt folglich nicht mehr ,Seele‘ als Grundbedeutung von an, sondern in Parallelität zum Arabischen ,Atem‘ (so in Ijob 41,13). Da dieser das wahrnehmbare Lebenszeichen schlechthin sei, erhielt das Wort s. E. die Bedeutung ,animalisches Lebensprinzip‘. Das höhere, also die Seele, heiße hingegen . Die Verbindung der næfæš mit dem Blut (z. B. Lev 17,11) erklärt er damit, dass die Lebenskraft in dessen Bewegungen erkennbar sei und mit dem Blutverlust nachlasse bzw. ende. Zudem lasse sich die Bedeutung ,Wesen‘ auch von hier aus verstehen, da sich diese Kraft in jedem Lebewesen finde. Dies mache auch verständlich, warum neben den Menschen die Tiere mit bezeichnet werden (z. B. Gen 2,7 und 1,20) und sowohl ,Leben‘ als auch ,Person‘ heißen kann. Da es für den ganzen Menschen stehen könne (z. B. Gen 46,15), könne es zudem ,toter Mensch, also Leichnam‘ (z. B. Lev 21,1) bedeuten und die Personalpronomen50 ersetzen.51 46 47
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Er „repräsentiert den gemäßigten theologischen Rationalismus des späten achtzehnten Jahrhunderts.“ Wolfes, Art. Ziegler [Onlinefassung]. „Zum Sommersemester 1792 nahm Z. eine Professur für Theologie an der Universität Rostock an“, wo er später auch Konsistorialrat wurde. Vgl. Wolfes, Art. Ziegler [Onlinefassung]. Vgl. auch Klenz, Art. Ziegler, passim. Vgl. Ziegler, Denksprüche, 392. Vgl. Ziegler, Denksprüche, 392–395. Außerdem betont er dort auch, dass im Hebräischen die Ausbildung der Sprache zusätzlich gehemmt worden sei, weil die Israeliten versuchtet hätten, sich mit dem Wortschatz der fünf Bücher Mose als das Dokument schlechthin zu begnügen und zudem ihr „enges Land, ohne Verbindung zu anderen Nationen“ (394) und der Versuch, alles Ausländische auszuschließen, nicht förderlich waren. Ziegler geht hier davon aus, dass diese anfangs im Hebräischen nicht existiert hätten, da man nur Konkreta, aber keine Abstrakta gehabt habe. Vgl. Ziegler, Denksprüche, 396. Vgl. Ziegler, Denksprüche, 395–396.
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Außerdem sei, wie bei allen alten Völkern, die tierische Seele Sitz der Affekte, weil diese den Blutdruck erhöhen bzw. vermindern und sich der Atem verstärkt oder verflacht. Daher diene das Wort 2 auch zur Bezeichnung von Affekten wie Hunger und Durst (z. B. Spr 10,3 und Jer 31,14), Zorn (z. B. Ps 27,12), Liebe/Mitleid (Ri 10,16), Begierde (Jes 56,11) sowie Wohlwollen oder Neid und bedeute zudem auch ,Wunsch‘ (Spr 21,10). Abschließend hält Ziegler fest, dass sich die Reihe der Affekte bei der Analyse der einzelnen Belegstellen sicher noch vermehren lasse und er sich auf die wichtigsten beschränkt habe.52 Ziegler lehnt also die Bedeutung ,Seele‘ (im hellenistischen Sinne) für das Wort ab und sieht ,Atem‘ als Grundbedeutung an, aus der sich die anderen, d. h. ,tierisches Lebensprinzip‘, ,Wesen‘, ,Person‘, ,Leben‘, ,Personalpronomen‘ und ,Sitz der Affekte sowie Affekte‘, entwickelt haben.53
2.2.2.2 Eichhorn (1793) 1793 erscheint J.G. Eichhorns Bearbeitung des Lexikons des J. Simonis. Eichhorn, „der große Enzyklopädist der alttestamentlichen Wissenschaft“,54 zieht häufig, mehr noch als Simonis55 das bereits getan hatte, das Arabische zu Erklärung des Wortes heran. Bereits im 17. Jahrhundert hatte die Erforschung der Philologie und Grammatik dieser und anderer semitischer Sprachen stark zugenommen und im Laufe des 18. Jahrhunderts konnte sich zudem die Erkenntnis durchsetzen, dass auch das Hebräische ein ganz „normaler“ Zweig dieses Sprachstammes ist und nicht wie vorher angenommen eine lingua sacra.56 Als erste Bedeutung nennt Eichhorn ,Hauchen/Atem‘, woraus weitere abgeleitet seien; so ,Lebewesen‘ also ,das was Atem hat, Mensch, Person und 52 53
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Vgl. Ziegler, Denksprüche, 396–397. Auch Hezel, der ein Lehrbuch der Kritik des Alten Testaments verfasste, in dem er sich neben der Textkritik u. a. mit der Schwierigkeit des Erlernens der hebräischen Sprache und der Möglichkeit der Kritik an den hebräischen Lexika beschäftigt (vgl. Hezel, Lehrbuch, passim), zeigt in der Einleitung seines Buches „Entwicklung der schweren biblischen Begriffe: Geist und Fleisch“ 1792 ein neues Verständnis für die Verschiedenheit der hebräischen und der deutschen Sprache. Er stellt fest, dass manches hebräische Wort von seinen Bedeutungen her zahlreichen deutschen entspricht und diese zudem in raschem Wechsel vorkommen. Anders als Ziegler geht er in seiner Untersuchung aber nicht von den hebräischen Wörtern aus, sondern nennt alle Bedeutungen, die ,Geist‘ im AT haben kann, sowohl im physischen als auch im psychologischen Gebrauch, wobei er unter der jeweiligen Bedeutung sowohl Belegstellen des Wortes als auch und "9l größtenteils unkommentiert anführt. Neue Erkenntnise zu liefert dieser Ansatz jedoch nicht. Vgl. Hezel, Begriffe, 3– 63. Eichhorn ist in Kraus, Geschichte der historisch kritischen Exegese ein eigenes Kapitel gewidmet, vgl. 133–151 (Zitat: 133). Vgl. Anm. 11. Vgl. Kraus, Geschichte der historisch kritischen Exegese, 80–82 und 160–162.
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Individuum‘. Da der Atemrhythmus sich durch verschiedene Leidenschaften und Begierden verändert, könne das Wort auch solche bezeichnen. Hier ordnet Eichhorn u. a. die Bedeutungen ,Hunger‘, ,Verlangen‘, ,Gier‘ und ,Zorn‘ ein. Als zweite Übersetzungsmöglichkeit nennt er ,Seele‘ (anima) und per Metonymie daraus die Fähigkeiten und Leidenschaften der Seele ,Wille‘, ,Verlangen‘ und ,Wunsch‘. Die dritte Bedeutung, die er anführt, ist ,Leben‘. Dabei merkt er an, dass auch im Lateinischen anima für Leben verwendet werden könne. Daneben könne das Wort als viertes aber auch für ,Leiche, für den Körper, der beseelt war‘, stehen. Als fünftes führt Eichhorn die Bedeutung ,ganzer belebter/beseelter Mensch‘ an. Dies sei eine Synekdoche. Außerdem ordnet er darunter die Verwendung des Wortes anstelle von Pronomen ein. Eine gewisse Redundanz zu den von ihm in Punkt eins angegebenen Bedeutungen lässt sich hier allerdings nicht leugnen. Als sechste und letzte Übersetzungsmöglichkeit nennt er ,Duft‘, wobei er neben dem Arabischen auch das Syrische zur Erklärung hinzuzieht.57
2.2.3 Die Analyse bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Die Etablierung der Psychologie als Wissenschaft, die wachsende Anzahl an „religiösen Dokumente[n] aus allen Zeiten und Völkern“58 sowie archäologische Funde aus dem Nahen Osten führten im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem wachsenden Interesse an der „Psychologie“ der Hebräer, religionspsychologischen sowie anthropologischen Fragestellungen und damit auch an den næfæš-Vorstellungen des AT sowie der Wortbedeutung.59 In den Lexika dieser Zeit wird diese natürlich ebenfalls thematisiert.
2.2.3.1 Carus’ Psychologie der Hebräer (posthum 1809) Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts verfasste der Philosoph und Theologe Carus, der „in seiner Philosophie von Kant’schen Grundlagen aus[ging]“ und mit seinen „Arbeiten zur Psychologie, deren System wie Geschichte“ mit zur Etablierung der Psychologie als Wissenschaft beitrug,60 ein Werk zur „Psychologie der Hebräer“. Diesem stellt er einen vorbereitenden Blick auf die 57
58 59 60
Vgl. Eichhorn/Simonis, Lexicon, 1041–1043. Zwei Jahre später baut Moser in seinem Lexikon den Artikel zu anders auf. Er nennt ,Seele oder Leben‘ als erste Bedeutung und bringt ,Atem‘ erst an 11. Stelle. Zudem ergänzt er die Bedeutungen ,Blut‘, ,Geist‘ und ,Verstand‘ sowie ,Seelenheil‘. Statt ,Duft‘ gibt er ,belebender Duft‘ an. Außerdem verzichtet er darauf, die Bedeutung ,Leidenschaften/Begierden‘ aus ,Atem‘ abzuleiten. Abschließend ergänzt er, dass diese Bedeutungen klar mit denen des entsprechenden arabischen Worts übereinstimmen, vgl. Moser, Lexicon, 456. Kraus, Geschichte der historisch kritischen Exegese, 321. Vgl. Kap. 2.2.4. sowie die dort genannte Literatur. Vgl. Richter, Art. Carus, 37 (Zitate ebenfalls: 37).
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allgemeine Kulturgeschichte des Menschen und auf die psychologischen Annahmen der Zeit vor Abraham sowie einen Überblick über wichtige psychologische Begriffe voran.61 In der Einleitung gibt er an, dass er einen historisch-hermeneutischen Zweck verfolge und betont, man müsse die Heilige Schrift mit historischer Treue behandeln.62 Er geht bei der Behandlung der für die Psychologie der Hebräer zentralen Wörter davon aus, dass die biblischen Autoren diese schon in der Volkssprache vorfanden und versucht, für „die einzelnen Namen ..., welche die Hebräer ihren Vorstellungen von Seele gegeben haben“63, deren Bedeutungsentwicklung zu verfolgen. Zunächst hält er aber fest, dass ein Nachdenken über „die Natur der Seele, als eines eigen den Menschen erfüllenden Wesens“64 erst im Kontakt mit der griechischen Philosophie beginne. Anschließend untersucht er , , , , , und . Die ersten drei Wörter sind für ihn die ältesten, die diese Anschauungen ausdrücken. Sie hätten alle die Bedeutung ,Hauch‘ als Wurzel. Carus vermutet, dass die Hebräer darin den göttlichen Hauch im Menschen und Tier sahen, der belebend wirke, den Atem bilde und dessen Entweichen den Tod bedeute. sei die älteste Bezeichnung für die Seele und bedeute ,Wind(hauch), Atem bzw. Lebenshauch/Leben‘. Es bezeichne das innere Leben des Menschen, d. h. das Gemüt und das Gefühlsvermögen, aber auch die Gesinnung und später zusätzlich den denkenden menschlichen Geist.65 Für gibt er die vom Verb , das er mit ,hauchen/blasen‘ wiedergibt, abgeleitete Grundbedeutung ,hauchender, blasender Wind‘, wie bei ! und anima auch, an. Daher bedeute es auch ,Atem‘ und bezeichne „die Kraft desselben, so fern sie im Blute besteht. Die Lebenskraft des Blutes, welche den Körper (lebendig oder gesund) erhält.“66 Da Blutverlust den Menschen stark schwächt oder sogar tötet, dachte sich, nach Carus, der Hebräer das Blut als Sitz der Lebenskraft. An den Stellen, wo Blut und in Verbindung gebracht werden, bedeute Letzteres also ,Lebenskraft‘, aber nicht ,Lebensprinzip‘. Das Wort werde außerdem für den sichtbaren Körper eines Lebewesens verwendet, auch für den eines bereits verstorbenen. Anders als Eichhorn geht Carus aber davon aus, dass das ,Belebende‘ meine und somit ,lebendiger Körper‘ heißen könne, jedoch vermutlich nie das Leben als Abstraktum bezeichne. Auf der Bedeutung ,belebter Körper‘ aufbauend, werde es auch für ,Person bzw. Individuum‘ verwendet und als Pronomen, weil das Selbst bzw. das Ich „dem Hebräer, wie allen sinnlichen Menschen immer nur
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Vgl. Carus, Psychologie, 25–49. Vgl. Carus, Psychologie, 24. Carus, Psychologie, 35. Carus, Psychologie, 36. Vgl. Carus, Psychologie, 36–38. Carus, Psychologie, 38. Gegen Ziegler hält er fest, dass der Hebräer hier wohl noch nicht die Bewegung des Blutes im Blick hatte.
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der Körper“67 war. Aus der Grundbedeutung ,Atem‘ erklärt Carus, ähnlich wie Ziegler und Eichhorn, die Bedeutung ,tierischer Instinkt‘, d. h. Hunger, Durst, Appetit etc. Daher könne auch ,Gier, Begierden und Leidenschaften sowie Wunsch oder Abscheu‘ bezeichnen. Daneben werde es auch in der Bedeutung ,Gemüt bzw. Herz‘ verwendet, denn kann als Subjekt auf Gefühle bzw. Affekte bezogen werden. Als letzten Schritt in der Entwicklung der Bedeutungen des Wortes sieht Carus die Verwendung für ,Verstand‘. Allerdings, so schränkt er ein, habe sich der Hebräer darunter „nicht eine Kraft, sondern eine Thätigkeit“68 vorgestellt.69 bedeute ,göttlicher Hauch, menschlicher Atem und atmendes Geschöpf‘ und (spät) auch ,inneres Licht‘. Wesentlich öfter bezeichne aber die menschliche Seele, d. h. die höchste Kraft des Menschen.70 Zudem hält Carus fest, dass auch Körperteilen manchmal innere Erscheinungen zugeschrieben würden, er nennt z. B. als Sitz des Lachens und des verborgenen Inneren, als eben dieses und sogar als Gedächtnis oder als Subjekt der Einsicht. Daneben bezeichne in poetischen Texten ebenfalls die „höhere innere Kraft“71. Alle Wörter hätten aber immer auch ihre Grundbedeutung behalten, die bei der höheren jeweils noch mitschwinge.72 Seine Untersuchung der s. E. nach psychologischen Ausdrücke im AT fasst Carus abschließend folgendermaßen zusammen: „$+ ist das eigentliche Wort, wodurch die Hebräer ihre Vorstellungen von Geist ausdrücken; ist theils der allgemein höhere Naturhauch theils das stärkre Athmen der Lungen, und wovon dieses als Symbol gebraucht wird. fliest inniger mit dem Körper zusammen, als die ihn gesund und kraftvoll erhaltende, oft starkbegehrende L e b e n s k r a f t , &,1. ist mehr Athem. %'$*, Hoheit der Menschkraft.“73
2.2.3.2 Das hebräisch-deutsche Handwörterbuch von Wilhelm Gesenius (1810/1812) In seinem hebräisch-deutschen Handwörterbuch führt W. Gesenius, der bei seiner bis heute bedeutenden Arbeit auf dem Gebiet der hebräischen Lexikographie und Grammatik „mit Eifer bedacht war, die hebräische Sprachforschung aus den Banden der dogmatisierenden Theologie zu befreien“ und 67 68 69 70
71 72 73
Carus, Psychologie, 40. Carus, Psychologie, 42. Vgl. Carus, Psychologie, 38–42. Es bedeute nämlich neben der Grundbedeutung auch ,Erkenntnisvermögen‘, ,Sitz der Gefühle, Affekte und Begierden‘, dann auch ,Gesinnung‘ und darauf aufbauend ,das Ich oder das Selbst‘, ,Einbildungskraft‘, ,Gedächtnis‘, ,Gewissen‘, ,Aufmerksamkeit‘, ,Urteilskraft‘, sowie ,Verstand‘ und sei sogar Sitz des Bewusstseins. Vgl. Carus, Psychologie, 43–47. Carus, Psychologie, 49. Vgl. Carus, Psychologie, 42–50. Carus, Psychologie, 49 (Hervorhebung von Carus).
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„als erster nach einer historischen Entwicklung der hebräischen Sprache“ fragte,74 181275 für 2 als erste Bedeutung ,Atem bzw. Hauch‘ an. Da man aus einfachen Naturbeobachtungen schließen könne, dass dieser das Lebensprinzip im Körper der Tiere und des Menschen sei, bedeute als zweites auch „das Leben, eigentlich, der belebende Theil, das belebende Prinzip im thierischen Körper, anima“.76 Dessen Sitz habe der Hebräer im Blut vermu74 75
76
Vgl. Kraus, Geschichte der historisch kritischen Exegese, 162 (beide Zitate ebenfalls: 162). Der erste Band erschien bereits 1810. Gesenius’ hebräisches und chaldäisches Handwörterbuch, das einen Auszug aus diesem größeren Werk darstellt, wurde, in den jeweils aktuellen Auflagen und Bearbeitungen (ab der 10. Auflage mit dem Titel „Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament“) zum Standardwörterbuch in den Hebräischkursen an vielen theologischen Fakultäten der deutschen Universitäten (Vgl. hierzu auch Kraus, Geschichte der historisch kritischen Exegese, 161–162). Daher wird die generelle Herangehensweise des Autors hier noch näher erläutert. Mit seinem zweibändigen hebräisch-deutschen Wörterbuch möchte Gesenius zum einen die Schwächen älterer Wörterbücher, z. B. im Aufbau und der Abgrenzung der Darstellung oder auch in den angegebenen Bedeutungen, ausmerzen und zum anderen basierend auf neuen umfangreichen Untersuchungen (Er gibt z. B. an, dass jeder Artikel in seinem Wörterbuch das Resultat der zweimaligen (!) Analyse aller in der Konkordanz dazu angeführten Stellen sei. Vgl. Gesenius, Wörterbuch Bd.1, S.V.) die Wortbedeutungen kurz und vor allen Dingen klar darlegen. Er erhofft sich davon, zur „Empfehlung, Erleichterung und Vervollkommnung des hebräischen Sprachstudiums beyzutragen“ (S.XXXI) und einen „nicht geringen Gewinn für das Object der Wissenschaft“ (S.III) zu bieten. Bei der Analyse der Wortbedeutungen zieht Gesenius die dem Hebräischen verwandten Sprachen u. a. das Arabische und das Syrische heran, betont jedoch auch, dass man beachten müsse, dass die hebräische Sprache einen selbstständigen Sprachgebrauch haben kann und man ihr nicht einfach Bedeutungen aus den anderen aufdrängen darf. Daneben hat er auch die Targume und die Peschita zur Untersuchung hinzugezogen sowie exegetische Schriften. Im Wörterbuch werden aber natürlich nur die Resultate oder bei zweifelhaften Stellen die Untersuchung sehr knapp dargelegt. Neben den hebräischen Wörtern und Namen umfasst das Wörterbuch auch die aramäischen Wörter aus Daniel und Esra. Für den Aufbau wählt Gesenius die alphabethische Reihenfolge, da die vor ihm häufig verwendete Ordnung nach der Etymologie problematisch sei, weil diese nicht immer eindeutig und zudem für den Anfänger zu schwierig sei. In der Erläuterung zu den einzelnen Wörtern versucht er aber, die einzelnen Bedeutungen gemäß ihrer Entwicklung zu ordnen. Dabei bietet er neben vielen Belegstellen für die Bedeutungen auch Verweise auf antike Autoren und kontemporäre und frühere Exegeten. Außerdem erläutert er zahlreiche Wortverbindungen, um aufzuzeigen, wo welche der für ein Wort genannten Bedeutungen im Bibeltext zutrifft. Er widerlegt daneben aber auch Bedeutungen, die s. E. fälschlicherweise einem Wort beigelegt wurden. Grammatikalische Anmerkungen beschränkt er auf das s. E. Notwendige. Textkritische Erkenntnisse werden nur aufgenommen, wo das Vorhandensein einer Bedeutung davon abhängt, nur durch Konjektur neu erschaffene Begriffe bleiben außen vor. Artikeln, die eine Kenntnis des hebräischen Altertums voraussetzen, wird eine kurze Beschreibung der jeweils gemeinten Sache beigelegt. Vgl. Gesenius, Wörterbuch Bd.1, S.III–XXXI. Gesenius, Wörterbuch Bd.2, 734.
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tet.77 Als dritte Bedeutung nennt Gesenius „ein lebendiges Wesen, eig. das, worin Leben () ist“.78 Hierunter fallen auch die Stellen, an denen man ,jemand‘ oder ,einer‘ übersetzen kann oder die eine Personenzahl ausdrücken und die Verbindung , in der Genitiv sei und die Übersetzung somit „jemand Todtes, eine Leiche“79 laute. Er verweist dazu auch auf die Verwendung des Wortes für das Grab bei den Rabbinern und der Wurzel im Syrischen. Als vierte Bedeutung führt er „die vernünftige Seele, das Gemüth, Herz, als Sitz des Gefühls, des Willens, der Affecten“80 und als fünfte „Wille, Wunsch, Begierde“81 an. Dabei bezeichne besonders oft den Hunger, den Appetit sowie die Msord- oder Rachlust. Mit Suffix sei oft Ersatz des Personalpronomens. Die letzte Bedeutung, ,Duft‘, schließe sich an die erste, ,Atem‘, an. Abschließend merkt Gesenius an, dass oft auf Hunger oder Durst bezogen und dann mit ,Hungriger‘ bzw. ,Durstiger‘ wiederzugeben sei.82 Gesenius führt somit zusammen mit Ziegler und Eichhorn und gegen Carus die Wiedergabe ,Leben‘ als Abstraktum und Lebensprinzip an, nimmt aber anders als jener und zusammen mit diesem die Bedeutung ,Gemüt/Herz‘ auf. Im umfangreicheren lateinischen Thesaurus von 1840, der als 2. Auflage des Handwörterbuchs gilt, bleiben die Angaben zu im Großen und Ganzen mit der 1. Auflage identisch. Jedoch wird die siebte Bedeutung ,Duft‘ unter die erste, also ,Atem‘, untergeordnet. Da das lateinische anima mehrere deutsche Wortentsprechungen hat, wird es sowohl im ersten als auch im zweiten Punkt als Bedeutung genannt. Daneben vertauscht Gesenius hier die Reihenfolge des dritten und vierten Punktes gegenüber der ersten Auflage,83 so dass nun animus vor animans genannt wird und ordnet den zuvor als eigenständige Bedeutung genannten Block ,Wille, Wunsch, Begierde‘ unter der Bedeutung ,animus‘ unter.84 77
78 79 80 81 82 83
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Zum Vergleich verweist Gesenius u. a. auf die griechische und römische Antike und auf die in Meiners Entwurf der Geschichte aller Religionen aufgeführten Seelenvorstellungen, vgl. Gesenius, Wörterbuch Bd.2, 735. Gesenius, Wörterbuch Bd.2, 735. Gesenius, Wörterbuch Bd.2, 735. Gesenius, Wörterbuch Bd.2, 735. Gesenius, Wörterbuch Bd.2, 735. Vgl. Gesenius, Wörterbuch Bd.2, 734–737. Im Großen und Ganzen dieselben Bedeutungen findet man später z. B. bei Fürst 1842, vgl. Fürst, Wörterbuch, 365–366. Dies ist auch ab der dritten Auflage des kleineren Wörterbuches der Fall, vgl. Gesenius, Handwörterbuch, 3.Aufl., 547–549. Die erste Auflage von 1815 übernimmt alle Bedeutungen von aus dem größeren, ordnet dabei aber ,Personalpronomen‘ unter der Bedeutung ,Seele‘ unter, vgl. Gesenius, Handwörterbuch, 424–425. Vgl. Gesenius, Thesaurus, 900–902. Dies ist auch ab der dritten Auflage des kleineren Wörterbuches der Fall, vgl. Gesenius, Handwörterbuch, 3.Aufl., 547–549. In den folgenden, von anderen Autoren bearbeiteten, Auflagen gibt es immer wieder kleinere Änderungen und es werden Ausdrücke und Sprachvergleiche ergänzt, so bildet z. B. in der sechsten Auflage ,Personalpronomen‘ wieder eine eigene Bedeutung,
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2.2.3.3 Saalschütz (1837) Im 19. Jahrhundert (und auch im 20.) finden sich trotzdem weiterhin Theologen, die für das Lexem die Hauptbedeutung ,Seele‘ annehmen. 85 Andere hingegen greifen bei ihren Untersuchungen auf die Erkenntnisse aus den gerade dargestellten Arbeiten zurück, führen sie weiter oder grenzen sich in einigen Punkten von ihnen ab, so z. B. J.L. Saalschütz, der Privatdozent der hebräischen Archäologie sowie Prediger und Religionslehrer in der jüdischen Gemeinde in Königsberg war.86 Im ersten seiner beiden aufeinander aufbauenden Aufsätze zur Unsterblichkeitslehre bei den Hebräern von 1837 und 1850 untersucht er die verschiedenen Bedeutungen des Wortes .87 Er konstatiert, dass , welches häufig mit Seele übersetzt werde, nur „das thierische Leben bezeichnet“88 und an keiner Stelle im AT „als Geisti-
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86 87
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,Duft‘ wird wie im Thesaurus unter der Bedeutung ,Atem‘ eingeordnet und statt ,vernünftige Seele‘ wird unter drittens ,animus, Gemüt und Herz‘ genannt, vgl. Gesenius, Handwörterbuch, 6.Aufl., 580–581. In der achten Auflage wird unter zweitens der Ausdruck ,tierische Seele‘ ersetzt und die Formulierung lautet nun „Bezeichnung desjenigen[,] was das Geschöpf (Thier wie Mensch) zu einem lebendigen Wesen macht, spec. das durch die Schöpfungsthat bedingte individuelle Leben, welches sich äußert durch den Athem: Die Seele (! , anima), als deren Träger das Blut gilt“, Gesenius, Handwörterbuch, 8.Aufl., 559. Die achtzehnte Auflage bringt deutlichere Veränderungen und wird daher in Kap. 2.3.3.5 näher betrachtet. So z. B. Beck und Delitzsch, deren Analyse in Kap. 2.2.3.4 dargestellt wird. Becherer reflektiert die gegenüber dem deutschen Wort Seele unterschiedlichen Bedeutungsinhalte gar nicht, vgl. Becherer, Unsterblichkeit, 20.33.43.47–52. Haußmann z. B. leitet andere Bedeutungen aus ,Seele‘ als pars pro toto und Ähnlichem ab, vgl. Haußmann, biblische Lehre, 32–35. Vgl. zu Saalschütz’ Leben und Werk Siegfried, Art. Saalschütz, passim. Zunächst beginnt er mit einer längeren Abhandlung darüber, warum er bei seiner Untersuchung von der Prämisse ausgeht, dass die „Grundideen der Religion und Philosophie“ (Saalschütz, Unsterblichkeitslehre 1, 16) den Menschen bereits bekannt waren, als sie noch alle zusammen in Asien lebten und von dort aus sich über die Erde verbreitet haben, wobei einige Völker auch das Wissen darüber verloren hätten und es bei anderen stark eingetrübt sei. Eine dieser Grundideen ist für ihn die Unsterblichkeit des geistigen Teiles des Menschen. Für diese lasse sich eine Eintrübung nicht nur bei zahlreichen, von ihm stark verunglimpften, Urvölkern zeigen, sondern sie könne auch in den Schriften des AT aufgezeigt werden. In diesem finde man die Degeneration vom „kindlich reinen Glauben an eine Aufnahme zu Gott, ein Hinwallen im Land der Väter, zu den Ideen der Aegyptisch-Griechischen Scheol u.s.w.“ (Unsterblichkeitslehre 1, 25), aber dennoch eine Fortdauer und später auch wieder eine positive Entwicklung des Unsterblichkeitsglaubens. Die Unsterblichkeitslehre steht nach Saalschütz in direkter Verbindung zur Vorstellung von der Seele. Daher könne man das gerade Gesagte nur richtig erkennen, wenn man die unterschiedlichen Bedeutungen von , und genau kenne und sie nicht verwechsle. Vgl. Saalschütz, Unsterblichkeitslehre 1, 3–26 und Unsterblichkeitslehre 2, 79–86 und zur Darstellung der Rückentwicklung der Unsterblichkeitslehre Saalschütz, Unsterblichkeitslehre 1, 30–38 und Saalschütz, Unsterblichkeitslehre 2, passim. Saalschütz, Unsterblichkeitslehre 1, 28 (kursiv von Saalschütz).
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ges dem Körper, als solchem, entgegengesetzt“89 wird. Explizit gegen Carus hält er fest, dass es auch nie den Verstand meine, sondern, wo dieser dies annimmt, ,Person‘ übersetzt werden solle. bedeute zunächst ,Atem‘. Allerdings meine es nur das passive Einatmen, das aktive Ausatmen oder Hauchen heiße hingegen . Daher bezeichnet jenes „auch die Fähigkeit oder Kraft zu athmen, also die sinnliche[...] Lebenskraft des Menschen“90, die mit dem Blut zusammenhängt, weil sie weniger wird oder ganz aufhört, wenn es vergossen wird. Daher benenne es wohl auch verschiedene Affekte, Leidenschaften und Begierden und körperliche Befindlichkeiten, die von außen beeinflusst werden.91 In allen diesen Bedeutungen lässt sich nach Saalschütz ein deutlich passives Element erkennen, während demgegenüber bei , das die Bedeutungen ,Wind, Luft, Geist, menschlicher Geist und Kraft Gottes‘ hat, das aktive Element vorherrsche. Die menschliche rûa könne zudem auch als dem Körper entgegengesetzt betrachtet werden und bezeichne alle aktiven Seelentätigkeiten. Der Gegensatz zwischen Körper und Geistigem sei daher dem AT genauso bekannt wie die Vergänglichkeit des ersten und der göttliche Ursprung des zweiten.92 Saalschütz nimmt somit ebenso wie Gesenius eine sinnliche Grundbedeutung (,Atem‘) an und leitet die weiteren Bedeutungen davon ab. Anders als Gesenius bedeutet nach seiner Analyse aber nicht ,vernünftige Seele‘. Auf die Bedeutung ,Leichnam oder Toter‘ und die Möglichkeit, dass es anstelle des Personalpronomens stehen kann, geht er nicht ein, vermutlich weil dies für das Ziel seiner Untersuchung keine Rolle spielt. Auch A.H. Cremer, ein „Vertreter des neueren Biblizismus, einer theologischen Richtung, die sowohl die sprachliche Eigenart der Bibel wie deren besonderen Offenbarungsgehalt betont“ und Mitbegründer der „Greifswalder Schule“,93 nennt im Artikel zu ! in seinem Lexikon der neutestamentli89 90 91
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Saalschütz, Unsterblichkeitslehre 1, 28 (kursiv von Saalschütz). Saalschütz, Unsterblichkeitslehre 1, 30 (kursiv von Saalschütz). Ähnlich sieht dies auch Engelbert 1857. Er geht davon aus, dass die tierische Seele bezeichne, welche Sitz der Begierden ist und stirbt. Auch befinde sich diese nicht als Leiter an einer bestimmten Stelle des Körpers, sondern sei das den ganzen Körper durchziehende Lebensprinzip, das daher besonders mit dem Blut verbunden werde und dessen Bezeichnung von der alle Lebewesen verbindenden Atemluft stamme. Das Wort bedeute daher auch ,Leben‘ und werde anstelle von ,Person‘ sowie des Personalpronomens gesetzt. Darin, dass die næfæš nie als den Tod überdauernd dargestellt werde, sieht Engelbert eine Abgrenzung des AT gegenüber dem Heidentum: „In der That scheint der Pentateuch, die Basis aller übrigen Bücher, diese alte feste Burg gegen Vielgötterei und Zauberei gerade diesen Gedanken der Hinfälligkeit des Menschen, die Anerkennung des Todes und die Hinweisung auf beide als Ringmauer am Ein- und Ausgange zu errichten, um gleichsam gegen allen Verkehr mit dem Aber- und Unglauben des Heidenthums sich zu verwahren, und sich diese als die beiden Rahmen zu dem Spiegelbilde der reinen Gottesidee auszuwählen.“ (49). Vgl. Engelbert, Das negative Verdienst, 43–52. Vgl. Saalschütz, Unsterblichkeitslehre 1, 28–30. Vgl. zu Cremers Leben und Werk Schrey, Art. Cremer, 409 (Zitat ebenfalls: 409).
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chen Gracität, in dem er auch die Bedeutung des Wortes im AT untersucht, wobei er Parallelen zwischen beiden aufzeigen kann,94 ,Atem‘ als eine Grundbedeutung. Daher bedeute es auch ursprünglich ,Leben‘ und sei Bezeichnung „des in jedem einzelnen Wesen befindlichen Lebens“95, d. h. also des Lebens in den Einzelwesen,96 Menschen und Tieren. Dies erkläre auch den Gebrauch für ,Individuum‘, bei der Nennung der Personenanzahl und für Tote, sowie die Verwendung von bezogen auf Gott. Allerdings sieht Cremer, anders als Gesenius, die næfæš nicht als Lebensprinzip an, sondern „als Subject des Lebens, das Lebensprincip, , I in sich tragend“97. Daher könnten die beiden Wörter und manchmal gleichbedeutend verwendet werden. Aber es bleibe „der Unterschied, daß zur Bez.[eichnung] des Individuums selbst dienen kann, nicht, weil es auch in seiner Vereinzelung nur Prinzip, nicht Form des Lebens ist.“98 Persönlichkeit komme der næfæš jedoch nur als menschliche Seele zu, wobei in dieser die Persönlichkeit auf den Geist zurückzuführen sei.99
2.2.3.4 als Band zwischen Geist und Leib (1842–1855): Nork, Beck und Delitzsch In seinem Wörterbuch bringt Fr. Nork, der neben belletristischen (v.a. satirischen) Werken auch wissenschaftliche Arbeiten, u. a. ein zweibändiges Werk zur biblischen Mythologie, verfasste,100 1842 eine neue Sichtweise in die Diskussion ein. Er sieht zwar ebenfalls die Grundbedeutung ,Hauch‘, bzw. ,Atem‘ und ,Duft‘ als gegeben an und leitet daraus die Bedeutung ,Lebensgeist‘ und ,Leben an sich‘ ab, aber vermutet nun, dass die næfæš des Menschen als Band zwischen Leib und Geist beide verbinde und beeinflusse. Sie sei zwar der des Tieres gleich, aber doch durch diese Verbindung von einer höheren Art. Da sie Körper und Geist verbinde, sei sie als dieses Band 94
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So bedeute im vorplatonischen Sprachgebrauch ebenfalls ,Hauch‘ und ,Atem‘ (des tierischen Lebens) sowie ,Leben im Einzelwesen‘ bzw. ,Individuum‘. Letzteres gelte auch für das NT. Vgl. Cremer, Wörterbuch, 539 und 542. Cremer, Wörterbuch, 540. Nach Giesebrecht ist dies auch der Grund, warum das Alte Testament sie als sterblich bezeichnen konnte, denn sie ist „im Unterschied von dem in allen Wesen gleichen Geist das individuelle Subjekt des Einzellebens“. Vgl. Giesebrecht, Berufsbegabung, 126, Anm. 1. Cremer, Wörterbuch, 541. Cremer, Wörterbuch, 541. Vgl. Cremer, Wörterbuch, 539–544. Friedrich Nork ist ein Pseudonym des Schriftstellers Friedrich Korn (Nork ist ein Anagramm des Familiennamens). Vgl. Hoche, Art. Nork, passim. Der Art. Hoches im ADB kann aber nur bedingt zur Beleuchtung des Lebens und Werkes Norks beitragen, weil er alles andere als neutral geschrieben ist. Dennoch gibt er zumindest Auskunft über die Eckdaten seines Lebens und seine Schriften. Neutraler ist die Darstellung im Jüdischen Athenäum, 175–180.
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der „Sitz des Begehrungsvermögens, sowohl der niedern“,101 d. h. der animalischen Triebe, wie z. B. des Hungers, als auch der höheren, wie z.B. der Liebe. Zudem sei sie Subjekt des Willens und als solches „Geburts- und Werkstätte der Sünde“102 . Sie ist nach Nork das „Prinzip der Selbstheit, der blossen Subjektivität, des Egoismus“103 , der den Menschen von Gott trennt. Als solches könne daher auch als Personalpronomen oder für die Person stehen.104 Die Annahme Norks wird von J.T. Beck, der in Basel und Tübingen systematische Theologie lehrte und dem schwäbischen Biblizismus nahe stand,105 in seinem Umriss der biblischen Seelenlehre aufgenommen. Für seine Erläuterungen zieht er immer auch das Neue Testament heran, wobei er und ! unreflektiert gleichzusetzen scheint. Bereits die Gliederung106 zeigt deutlich, dass für ihn die menschliche Seele bezeichnet. Daher erklärt er auch von dieser Bedeutung aus alle weiteren, z. B. stehe auch für ,Leben‘ bzw. als Subjekt, wo dieses in Gefahr ist, weil die Seele dessen Träger sei und für ,Atem‘, weil die Seele diesen im Körper wirke und in ihm existiere. Im Blut verbinde sich der nicht-sichtbare „Seelen-Odem“107 mit dem Körper und wirke von dort aus auf ihn ein. Zugleich sei die Seele aber auch „übersinnlicher, göttlicher Einwirkung theilhaftig“108 . Aus dem zweiten Schöpfungsbericht lasse sich ableiten, dass sie als etwas durch den göttlichen Hauch in den Körper hinein Geschaffenes „überirdisch geistige Lebenskraft in sinnlicher Lebensform“109 in sich vereinige. Daher sei sie der Vermittler zwischen Geist und Leib und vereinige diese zu einem Individuum.110 Die næfæš sei zudem das Selbst des Menschen.111 101 102 103 104 105 106
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Nork, Wörterbuch, 419. Nork, Wörterbuch, 419. Nork, Wörterbuch, 419. Vgl. Nork, Wörterbuch, 419. Vgl. Sentzke, Art. Beck, 703. Beck gliedert sein Buch, das sich explizit auch an Leser richtet, die keine Theologen sind, in die drei Teile „vom menschlichen Seelenleben als Näphäsch (Seele)“, „Vom menschlichen Seelenleben, wie es bestimmt wird vom Ruach (Geist)“ und „Vom menschlichen Seelenleben, wie es sich zusammenfasst in Lebh (Herz)“. Er lehnt sich damit deutlich an Roos und dessen Vorgehensweise an, den er in seinem Vorwort für seine Methodik besonders lobt. Vgl. Beck, Umriß, S.V–VII und S.XII–XIII. Beck, Umriß, 5. Beck, Umriß, 7. Beck, Umriß, 8. Vgl. hierzu auch die dritte Auflage, in der er dies pointierter wiedergibt als in der ersten: Beck, Umriß 3. Aufl, 9. Auch Haußmann sieht dies so, wobei er ebenfalls und ! unreflektiert gleichzusetzen scheint, denn er zieht bei seiner Argumentation wie Beck sowohl neu- als auch alttestamentliche Stellen heran, vgl. Haußmann, biblische Lehre, 32–35. Ebenso betont Wendt, dass die Seele, , die „Trägerin der Individualität in den lebenden Wesen“ (24) sei. Daraus leiten sich nach Wendt auch die Bedeutungen ,Person‘ und ,Ich‘ ab, ebenso wie die Zuordnung aller „natürlichen und geistigen Triebe, in denen sich ja am Ursprünglichsten das individuelle Selbst zur
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Er hält aber weiter fest, dass der Mensch nicht eine Seele habe, sondern tatsächlich Seele sei, während er den Geist habe. Dieser ist nach Beck „die innere Lebenskraft“112, die „nothwendige Lebensbedingung für das menschliche Ichleben“ und „für die Seele die tragende Trieb- und Belebungskraft“113 und nur durch ihre Vermittlung im Leib wirksam.114 Das Herz ist nach Beck „die Lebens-Mitte, welche für den Lebens-Strom [...] nach seiner geistigen und leiblichen Fülle und Kraft den Quell- und Sammel-Punkt bildet“115. Es vermittle als Organ der Seele „das Gesammt-Leben [sic!] in seinem Betrieb, Gedeihen und seiner Stärke“116 aus seinem Innern heraus und sei Träger des Bewusstseins, des Gewissens und der Gemüts- und Vernunfttätigkeit, besonders der sittlichen.117 Auch Franz Delitzsch, einer „der einflußreichsten alttestamentlichen Exegeten des 19. Jahrhunderts“ und Vertreter der lutherischen Orthodoxie, der sich anfangs gegen die historisch-kritische Forschung stellte und sich ihr nur allmählich öffnete,118 bezeichnet 1855 in seinem Buch über die biblische Psychologie119 die næfæš als „das Band zwischen Geist und Leib“ und sieht sie als „das ausgeflossene Leben“ des Lebensprinzips, das der Geist ist.120 Im
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Geltung bringt“. (25) Die Bedeutung ,Leiche‘, so vermutet er, liege daran, dass der Leichnam noch die „Züge der individuellen Persönlichkeit an sich trägt“ (26), vgl. Wendt, Fleisch und Geist, 24–28. Vgl. Beck, Umriß, 3–26. Beck, Umriß, 44. Beck, Umriß, 32 (beide Zitate). Vgl. zum Geist Beck, Umriß, 30–45. Beck, Umriß, 63. Beck, Umriß, 65. Vgl. zum Herzen Beck, Umriß, 63–111. Zu Delitzsch vgl. Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung, 230–241 (Zitat: 230). Er versucht in seinem Werk, ein System der biblischen Psychologie als eine „wissenschaftliche Darstellung der Lehre der Schrift von dem schöpfungsmässigen seelischen Bestande des Menschen und den Affectionen dieses Bestandes durch die Sünde und die Erlösung“ (10) zu entwerfen und betont, dass man eigene Spekulationen nicht in die Schrift eintragen dürfe. vgl. Delitzsch, Psychologie, 10–14. In seiner Darstellung setzt er sich auch an mehreren Stellen mit der Bedeutungsbreite des Wortes auseinander, allerdings geht er dabei immer davon aus, dass ,Seele‘ die eigentliche sei, und ! bedeutungsgleich seien und zieht an einigen Stellen auch neutestamentliche Belege mit heran. Vgl. zu Delitzsch „System der biblischen Psychologie“ auch die Darstellung des Werks im Überblick über die Forschung zu Körperbildern bei Bester, Körperbilder, 6–7. Delitzsch, Psychologie, 61 (beide Zitate). Delitzsch setzt sich in den Prolegomena seines Werkes explizit mit Becks biblischer Seelenlehre auseinander. Er hält fest, dass sie auf Roos Werk basiert und dessen Schema übernimmt. Dieses sei aber nicht geeignet, um eine biblische Psychologie zu entwerfen, weil die Begriffe in der Bibel nicht scharf getrennt seien und zudem der Geist vor der Seele da gewesen sei. Zudem sei diese Herangehensweise viel zu abstrakt, weil die Bibel nie den Menschen an sich, sondern den Menschen innerhalb der Schöpfung oder der Erlösung thematisiere.
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Paragraphen über den Schöpfungshergang121 erklärt er die Bedeutung Wesen in Gen 2,7 als Metonymie. Dort führt er an, dass sich die Bedeutung ,Person‘ daraus ergebe, dass die Seele im Menschen „das Geist und Leib vermittelnde Band seiner Persönlichkeit ist.“122 Aber sie sei nicht das Personbildende, sondern der Geist, dessen Selbstbewusstsein auch das der Seele sei. Hier zeigt sich vermutlich die zeitgenössische Hochschätzung des Geistes. Dass die næfæš dieses Band ist, erkläre auch die Bedeutung ,jemand, irgendeiner‘ oder die Verwendung in Personenzählungen und anstelle von Pronomen, während die Tatsache, dass auch ,Tier‘ bedeute (Delitzsch gibt dazu allerdings keine Belegstelle an), damit zu begründen sei, dass in diesem Wort an sich nur die Bedeutung des Selbstlebendigen liege, nicht aber die des Personlebendigen. Es bezeichne daher häufig „die Person des Menschen, aber nicht den Menschen als Person.“123 Das Verhältnis der næfæš zur rûa und dem Herzen stellt er folgendermaßen dar: „Wollen, Denken und Empfinden und alle höheren und niedrigen Thätigkeiten, in welche sich [...] geistliche Grundthätigkeiten verzweigen, werden unterschiedslos von , und prädicirt, insofern das oberste Princip, das nach der Seite der Leiblichkeit hin emanirte secundäre Princip und der inwendige Focus des dreifachen Lebens des Menschen ist, also alle drei in ihrer Weise an den höchsten und niedrigsten Thätigkeiten und Affectionen desselben theilhaben.“124
Dennoch erklärt er wenig später, dass im AT geistige Tätigkeiten an sich, wie z. B. die Wahrheitserkenntnis, fast nie als Subjekt hätten. Bei ihr sei die Begierde eher das Hauptmerkmal, woraus sich die Bedeutungen ,Begierde‘, ,Hunger‘, ,Mund‘, ,Schlund‘ etc. als Metonymie erklärten. Allerdings trenne das AT nie strikt zwischen Willen, Erkenntnis und Leidenschaf-
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Er lobt aber die Bücher Roos und Becks als die einzigen beiden Versuche, die biblische Psychologie mit exegetischen Mitteln als Wissenschaft zu betreiben. Vgl. Delitzsch, Psychologie, 8–9. Vgl. Delitzsch Psychologie, 52–63. Delitzsch, Psychologie, 69. Delitzsch, Psychologie, 116. Vgl. zu diesem Absatz Delitzsch, Psychologie, 115– 117. Delitzsch, Psychologie, 137. Delitzsch versucht neben der Annahme, dass die Seele die Emanation des Geistes und Abbild der göttlichen Doxa sei, auch die Lehre von den sieben Seelenkräften (z. B. bei Jakob Böhme zu finden, vgl. 159 Anm. 1) als schriftgemäß zu zeigen, indem er jede Seelenkraft mit einer Bedeutung des Wortes verbindet. Vgl. Delitzsch, Psychologie, 159–161. Zu Recht merkt Sperl daher an, dass Delitzsch „nicht einfach erhebt, was als biblische Anschauung vorliegt, sondern über die biblische Anschauung hinausgeht.“ Sperl, biblische Anschauung, 147. Delitzsch wird hier seiner eigenen Prämisse, dass man fremde Spekulationen nicht in die Schrift hineintragen darf, nicht wirklich gerecht, auch wenn er anmerkt, dass er nur zeigen wolle, dass die Lehre nicht schriftwidrig sei und man auf einem Weg zu ihr gelange, den die Schrift weise. Vgl. Delitzsch, Psychologie, 161.
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ten bzw. Emotionen, sondern sehe diese als Einheit.125 Die enge Verbindung der næfæš zum Blut und deren Gleichsetzung erklärt er ebenso wie die Bedeutung ,Atem‘ daraus, dass die Seele überall sei, wo körperliches Leben ist.126 Daher sage die Schrift auch, die Seele sterbe. Dies meine das Ende des leiblichen Lebens durch ihr Heraustreten aus dem Körper, ihr aus dem Geist ausgeflossenes bestehe aber weiter und insofern sei sie unsterblich. Die Bedeutung ,Leichnam‘ erkläre sich aus dem Aussehen des gerade Verstorbenen. Die Erklärung Gesenius‘ lehnt er explizit als eine ab, die „so gut wie keine sei“127, ebenso wie einen Euphemismus, der nur aufgrund des Mangels an einer besseren Herleitung als Erläuterung diene. Eine Leiche werde als bezeichnet, weil sie einen „weit unmittelbarer [sic!] seelischen Eindruck“ mache als ein Lebender, die „ganze Innerlichkeit des Menschen an der Leiche nach aussen gekehrt“128 sei, die Seele noch über dem Körper schwebe und die Beziehung zum Leib noch nicht ganz aufgehoben wurde.129 Explizit gegen Delitzsch wendet sich z. B. K.G. v. Rudloff, der betont, dass die næfæš keinesfalls die geistige Substanz sei, die man Seele nennt, sondern lediglich etwas, was man „‚animalische‘ Seele“130 nennen könne und was in etwa dem entspreche, was andere131 den Nervengeist nennen.132 Auch H.H. Wendt bestimmt das Verhältnis der næfæš zur rûa deutlich anders als Beck und Delitzsch. Beide betrachten s. E. die „geistigen Lebenskräfte“133, aber aus unterschiedlichen Gesichtspunkten, dieses in Bezug auf Gott, jenes in Abgrenzung der Individuen untereinander und gegenüber der unbelebten Welt. Ein trichotomisches Schema sieht er folglich im AT nicht vorliegen.134
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Vgl. Delitzsch, Psychologie, 155–162. Vgl. Delitzsch, Psychologie, 195–200. Delitzsch, Psychologie, 386. Delitzsch, Psychologie, 387 (beide Zitate). Vgl. zu diesem Absatz 345–388. Beck und Delitzsch nehmen somit beide an, dass ,Seele‘ bedeutet und diese das Band zwischen Leib und Geist sei. Für ihre Vorgehensweise, d. h. für die Ableitung aller Bedeutungen aus ,Seele‘, finden sich Ende des 19. Jahrhunderts noch weitere Vertreter, so z. B. Schulz, Theologie, 350–351, der aber ebenso wie Beck betont, dass der Mensch „nicht bloß eine Seele [hat]“, sondern „lebendige Seele [ist], weil ja darin das Eigenthümliche seines Seins liegt, welches ihn von der nicht animalischen Schöpfung völlig abtrennt“ (351). Rudloff, Lehre vom Menschen, 16. Die animalische Seele definiert er näher: „Nephesch ist dasjenige geistige Element des Menschen, wie aller Thiere, durch welche sie ihre materielle Leiblichkeit zu beherrschen, also die Glieder derselben willkührlich in Thätigkeit zu setzen im Stande sind.“ (16) Vgl. z. B. die dargestellte These Deylings in Kap. 2.2.1. Vgl. Rudloff, Lehre vom Menschen, 15–18 und 43. Wendt, Fleisch und Geist, 28. Vgl. Wendt, Fleisch und Geist, 26–28.
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2.2.3.5 Weitere Studien (Ende des 19./Anfang des 20. Jhd.) Gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden sich zudem, neben der dargestellten Studie von Saalschütz, mehrere Untersuchungen zur Frage nach dem Leben nach dem Tod im AT und zum Ahnenkult,135 in denen ebenfalls behandelt wird. Allerdings fügen sie dem z. B. bei Gesenius Gesagtem im Großen und Ganzen nichts Neues hinzu.136 Ihr Fokus liegt weniger auf Wortbedeutungen als auf der Frage, ob die Seele im AT als nach dem Tode fortdauernd gedacht wird, wie z. B. Fr. Schwally137 und J. Frey138 darlegen, oder nicht, wie H. Engelbert und C. Grüneisen aufzuzeigen versuchen,139 und wie sich Ahnenkult und JHWH-Glaube zueinander verhalten. Auffällig ist allerdings, dass z. B. P. Torge gleich zu Beginn seiner Abhandlung betont, dass der deutsche Sprachgebrauch der Wörter ,Seele‘ und ,Geist‘ nicht dem der hebräischen Wörter und entspreche.140 Diesbezüglich lässt sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Sensibilisierung feststellen.141 Auch B. Stade, der „[z]u den engsten Mitarbeitern Wellhausens gehörte“ und Theologieprofessor in Gießen war, betont dies in seiner Theologie des AT, „die auf der Grundlage der kritischen und entwicklungsgeschichtlichen Studien Wellhausens aufgebaut ist.“142 Darin nennt er dieselben Wortbedeutungen wie zuvor in seinem zusammen mit C. Siegfried erstellten Lexikon,
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Vgl. z. B. Schwally, Leben nach dem Tod, passim; Frey, Tod, passim; Grüneisen, Ahnenkult, passim; Torge, Seelenglaube, passim. Ebenfalls zu diesem Thema, aber ohne Analyse der Bedeutungen des Wortes : Stade, alttestamentliche Vorstellungen vom Zustand nach dem Tode, passim. Dies gilt auch für das Wörterbuch von Cassel, das neben der Grundbedeutung ,Atem/Hauch‘ folgende Wiedergabemöglichkeiten nennt: ,Leben(-skraft)‘, ,tierische Seele‘, die Sitz der Bedürfnisse und sinnlicher Empfindungen ist und die auch anstelle dieser stehen kann, und ,Person/Individuum‘, sowie ,Toter‘, vgl. Cassel, Wörterbuch, 219. Vgl. Schwally, Leben nach dem Tod, 88–90. Vgl. Frey, Tod, 18–33 und 202ff. Vgl. Engelbert, Das negative Verdienst, 43–52 und Grüneisen, Ahnenkult, 41–50. Vgl. Torge, Seelenglaube, 2–3. Es finden sich aber weiterhin auch Anfang des 20. Jahrhunderts Exegeten, die an der Gleichsetzung von und ,Seele‘ festhalten und andere Wiedergabemöglichkeiten daraus ableiten, u. a. König: Er erkennt verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten an, wobei diese aber als Metonymie, Synekdoche oder Euphemismus aus der Bedeutung Seele erklärt werden, vgl. König, Wörterbuch, 283–284. Auch in seiner Theologie setzt er ,Seele‘ und gleich, vgl. König, Theologie, 223–225: „Nach [Gen] 2,7 ist die Seele das dem Menschen eingehauchte Geistteilchen“ und „die persönliche Erscheinungsform des Geistes“, 224. Vgl. zu Stade, einer „der kraftvollsten Persönlichkeiten in der alttestamentlichen Wissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts“, sowie zu dem Aufbau und Inhalt seiner „Theologie des AT“ Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung, 283–288 (1. und 2. Zitat im Obertext: 283; Zitat in dieser Anmerkung: 287–288).
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nämlich ,Atem‘ als Grundbedeutung143, dann ,Seele‘ (aber ungleich unserem Seelenbegriff) und ,Subjekt aller Leidenschaften, Wünsche etc.‘, ,Leben‘, ,Lebewesen bzw. Person‘ und ,Personalpronomen‘.144 Er sieht das alttestamentliche Denken auch nicht als trichotomisch an, sondern gibt an, dass es zwei Dichotomien145 kenne, wobei darin eine „Anlage zu einer Trichotomie gegeben“146 sei. Zudem betont er, dass sich der griechische Gedanke der Unsterblichkeit der Seele im AT nicht finden lasse.147 Auch der zur positiven Theologie zu rechnende J. Köberle, der „nur lose der Greifswalderschule verbunden“ war,148 die vom oben angeführten Cremer149 mitbegründet wurde, betont in seiner Abhandlung über Natur und Geist nach der Auffassung des AT, dass die næfæš mit dem Tod vergehe. Außerdem widerspricht er ebenfalls einer vorschnellen Wiedergabe des Wortes mit ,Seele‘ im (zu seiner Zeit) modernen Sinn. Man könne daher auch nicht schlussfolgern, dass die Israeliten die Seele, wie z. B. Grüneisen vermutet,150 hauchförmig gedacht hätten. bedeute ursprünglich nicht einfach ,Hauch‘, sondern ,Atem‘. Dieser sei „charakteristisches Zeichen des Lebens“ und so bezeichne das Wort auch die Lebenskraft als „zu dem Körper hinzutretende Größe“, die aber dennoch substantiell sei.151 Alle weiteren Verwendungen des Wortes – die sich größtenteils mit den bisher genannten Ausführungen decken – seien daraus, teils unter Einfluss der rûa-Vorstellung, erklärbar. bezeichne die „allgemeine Lebenskraft“152 , das individuelle Leben und das, worin es sich ausdrückt (Triebe, Affekte etc.).153 „rua8 wirkt, nephesh ist Gewirktes; rua8 kommt (zunächst) von aussen in den Menschen und äussert sich in mannigfachen Wirkungen, nephesh ist nur im Menschen vorhanden und characterisiert ihn lediglich als lebendiges individuelles Wesen.“154
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Die Grundbedeutung Atem ergänzt er in Klammern um die Erläuterung, dass „eig. das Schnaufen der Nase“ gemeint sei „im Ggs. zum Hauchen des Mundes“, Siegfried/Stade, Wörterbuch, 430. Vgl. Siegfried/Stade, Wörterbuch, 430–433 und Stade, Theologie, 179–183. Auch Kautzsch geht in seiner biblischen Theologie des Alten Testaments von einem dichotomischen Denken aus. Kautzsch, Theologie, 170–174; Er fügt bei der Wortbedeutung aber nichts Neues mehr hinzu, vgl. Kautzsch, Theologie, 170–174.180–182. Den Ausdruck betrachtet er in einem Artikel näher, in dem er die Bedeutung ,Leichnam‘ u. a. gegen Schwally vertritt. Vgl. Kautzsch, nèphesch mt, passim. Stade, Theologie, 180. Vgl. Stade, Theologie, 180–185. Vgl. zu Köberle Lessing, Geschichte Bd.1, 118.348–349 (Zitat: 118). Vgl. Kap. 2.2.3.3. Vgl. Grüneisen, Ahnenkult, 37–41. Köberle, Natur und Geist, 181 (beide Zitate). Köberle, Natur und Geist, 202. Vgl. Köberle, Natur und Geist, 179–191;201–211.281–287. Köberle, Natur und Geist, 202.
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Der einzelne Mensch „hat Leben, weil es ihn [den Geist/ ] besitzt, und besitzt ihn [den Geist/ ] in der Form der nephesh“155.
Über einen Vergleich der mit diesen beiden und dem Herzen156 verbundenen Empfindungen und Tätigkeiten kommt er zu dem Schluss, dass bei „nephesh der natürliche Trieb, rua8 die beherrschende Macht und leb das innerlich entschlossene bewusste Wollen“157 im Blick sei. Allerdings bedeute dies nicht, dass das Geistige als Kompositum gedacht sei, sondern es handle sich um „einen Gegensatz der Betrachtungsweise“158 , durch den die jeweilige Eigenart der geistigen Vorgänge ausgedrückt und veranschaulicht werde. Es werde aber klar zwischen Leib und Geist unterschieden. Köberle sieht also eine Dichotomie gegeben.159
2.2.4 Zwischenfazit Seit dem Humanismus wuchsen die Kenntnisse der hebräischen Grammatik und Philologie an und es entstanden hebräische Lexika, in denen natürlich auch das sehr häufig belegte Lexem behandelt wurde. Schon Reuchlin hält fest, dass dieses nicht immer mit ,Seele‘ wiederzugeben sei und bereits Mitte des 17. Jahrhunderts werden in Buxtorfs Lexikon sieben verschiedene Bedeutungen, darunter ,Atem‘, angegeben. Daneben gab es aber auch Lexika, die nur eine Wiedergabemöglichkeit, nämlich ,Seele/anima‘ nennen, z. B. Calasios Dictonarium von 1617. Hilfreich für die weitere Untersuchung des Lexems war insbesondere der Vergleich mit der entsprechenden arabischen Wurzel. Dieser wurde möglich, weil ab dem 17. Jahrhundert die Erforschung der Philologie und Grammatik anderer semitischer Sprachen ebenfalls stark zunahm und sich im Laufe des 18. Jahrhundert die Erkenntnis durchsetzte, dass auch das Hebräische ein ganz „normaler“ Zweig dieses Sprachstammes ist und keine „lingua sacra“.160 Dies ermöglichte es Ziegler und in der Folge auch Eichhorn, Ende des 18. Jahrhunderts basierend auf dem Vergleich mit der arabischen Wurzel für ,Atem‘ als Grundbedeutung anzunehmen und die weiteren Bedeutungen aus dieser abzuleiten/zu erklären. Gesenius zog zudem noch das Syrische 155 156
157 158 159 160
Köberle, Natur und Geist, 284. Köberle geht auch auf andere für die Anthropologie wichtige „Einzelbegriffe“ ein. Er betont dabei, dass neben der næfæš und rûa auch das Herz, die Eingeweide, das Innere des Leibes, die Nieren, die Gebeine und die Leber „,Organe4 geistiger Vorgänge“ und seelischer Empfindungen (191) seien. Er untersucht zudem, wie die äusseren Körperteile mit inneren Vorgängen verbunden werden (z. B. ,harte Stirn‘ für ,Sturheit‘). Vgl. Köberle, Natur und Geist, 192–201. Köberle, Natur und Geist, 224. Köberle, Natur und Geist, 227. Vgl. Köberle, Natur und Geist, 211–228. Vgl. Kraus, Geschichte der historisch kritischen Exegese, 80–82 und 160–162.
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für sein Lexikon heran. Dieses zeichnet sich neben der hohen philologischen Kompetenz des Autors insbesondere durch die genaue Analyse aller Belegstellen aus. Es verwundert daher nicht, dass die von ihm für angegebenen Bedeutungen (,Atem/ Hauch‘, ,Leben‘, ,lebendiges Wesen‘, ,jemand‘/,einer‘, ,Leiche‘, „die vernünftige Seele, das Gemüth, Herz, als Sitz des Gefühls, des Willens, der Affecten“161 , „Wille, Wunsch, Begierde“162, ,Ersatz des Personalpronomens‘ und ,Duft‘) in der Folge von zahlreichen Exegetinnen und Exegeten aufgenommen oder diskutiert wurden. Die Frage, ob in den alttestamentlichen Texten andere Seelenvorstellungen vorliegen als sie die christliche Tradition vertritt, bzw. was die næfæš des Menschen ist, setzt nicht mit dem Humanismus, sondern Ende des 18. Jahrhundert ein. Zuvor dominiert in theologischen Studien die Annahme, bezeichne das, was man im deutschen ,Seele‘ nennt, und andere Bedeutungen, von denen man durchaus Notiz genommen hatte, seien daraus ableitbar. Daher werden zu Beginn des 18. Jahrhunderts, beim Versuch das Wesen der Seele aus der Bibel zu erklären, noch ganz selbstverständlich -Belege herangezogen. Zudem geht man davon aus, dass die alttestamentlichen und neutestamentlichen Vorstellungen deckungsgleich sind. Erst infolge der Einsicht in die Geschichtlichkeit163 neu- und alttestamentlicher Aussagen und Vorstellungen im Laufe des 18. Jahrhunderts und der Infragestellung des Inspirationsdogmas (insbesonders durch Semler164 in seiner „Abhandlung von freier Untersuchung des Canons“ von 1771) kam es zu einer veränderten Herangehensweise. Diese ist besonders deutlich an Zieglers Exkurs zur Entwicklung der Bedeutung von Ende des 18. Jahrhunderts feststellbar. Dieser möchte unabhängig von seinen Vorstellungen und ohne Hinzuziehung des NT die næfæš-Vorstellung des AT und ihre Entwicklung ermitteln. Zieglers Prämisse, aus der Bedeutungsentwicklung des Wortes könne man auch die Entwicklung der Vorstellungen dahinter ablesen, wird in folgenden Studien ebenso übernommen wie (teilweise) die dargelegten Bedeutungen und ihr Zusammenhang. Anders als nach ihm Eichhorn und Gesenius lehnt Ziegler die Übersetzung ,Seele‘ ganz ab. Die næfæš sei vielmehr eine tierische Seele, d. h. ein tierisches Lebensprinzip. Die von ihm angenommene Grundbedeutung ,Atem‘ wird im 19. Jahrhundert dann – u. a. vermittelt über die Lexika Eichhorns und Gesenius – ebenso anerkannt wie die Möglichkeit einer Ableitung der anderen Bedeutungen aus dieser. 161 162 163
164
Gesenius, Wörterbuch Bd.2, 735. Gesenius, Wörterbuch Bd.2, 735. „Die große Entdeckung der Aufklärung war die Geschichte – und zwar die Geschichte als Vergangenheit, wie sie der gegenwartsbewußte Mensch aus der Distanz sah und kritisch beurteilte.“ Kraus, Geschichte der historisch kritischen Exegese, 123. Vgl. hierzu auch die Darstellung des Geschichtsverständnisses Lessings und Herders, 123–127. Vgl. hierzu auch die Zusammenfassung seines Wirkens bei Kraus, Geschichte der historisch kritischen Exegese, 103–113 und Beutel, Aufklärung, 129–132.
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Die Einsicht, dass im AT andere Seelenvorstellungen als die im 18. und 19. Jahrhundert vorherrschenden vorliegen, führt zu einem wachsenden Interesse an der næfæš, wobei insbesondere der Zusammenhang zwischen dieser und der rûa und teilweise auch dem Herzen in den Fokus rückt und man nun betont, die Ansichten aus dem AT selbst ermitteln zu wollen. Ein weiterer Grund dafür, dass die „Psychologie“ des AT vermehrt bearbeitet wurde, war sicher auch, dass sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die „wissenschaftliche Psychologie als akademische Disziplin zu etablieren begann“.165 Auch die Religionspsychologie gewann an Bedeutung, wobei die wachsende Anzahl an „religiösen Dokumente[n] aus allen Zeiten und Völkern“, die „zu einer einschneidenden Differenzierung heraus[forderten]“, zu einer Verfeinerung der „psychologischen Methoden“ führte. Dies setzt sich Anfang des 20. Jahrhundert fort; besonders Wundts mehrbändiges Werk über „Völkerpsychologie“166 das sich u. a. mit „der Seele und den Seelenträgern“ eingehend befasst, fand bei Theologen in der Folgezeit viel Beachtung.167 Sicher spielte auch die Bekanntheit der Arbeiten Freuds eine Rolle für das anhaltende Interesse an Psychologie. In den Studien zur næfæš finden sich aber keine Anhaltspunkte für eine Aufnahme der Freudschen Thesen. Zudem führten die archäologischen Funde ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ebenfalls zu einem wachsenden Interesse an anthropologischen Fragestellungen. In den anthropologischen Studien dieser Zeit zeigt sich der vorherrschende Entwicklungsgedanke ebenso wie der Fortschrittsglaube dieser Epoche sehr deutlich.168 Dieses Interesse an der Entwicklung von Vorstellungen lässt sich auch in einigen der oben vorgestellten Werke deutlich erkennen und setzt sich zu Beginn des 20. Jahrhunders fort. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts kann man zudem ein verstärktes Interesse am Unsterblichkeitsglauben der Israeliten feststellen, wobei insbesondere die Frage danach, ob die næfæš des Menschen den Tod überdauert, diskutiert wird.169 Dabei zeigt sich z. B. bei Saalschütz’ Studien eine deutliche Abwertung der von ihm als „Urvölker“ bezeichneten Kulturen, die wohl ebenfalls dem Entwicklungsgedanken des 19. Jahrhundert entspricht.170 165 166 167 168 169
170
Angel, Entwicklung, 133. Untertitel: Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte; vgl. Wundt, Völkerpsychologie, passim. Vgl. hierzu Kraus, Geschichte der historisch kritischen Exegese, 321–324 (alle vier Zitate: 321). Vgl. Weiler, Fortschrittsidee, 93–94. Dieses Interesse an den Vorstellungen vom Leben nach dem Tod verschiedener Völker entspricht ebenfalls dem Zeitgeist, wie z. B. das berühmte zweibändige Werk Rohdes zum Seelenkult der Griechen belegt (vgl. Rohde, Psyche, passim), das Ende des 19. Jahrhunderts entsteht, und beruht sicher auch auf den nun vorliegenden „religiösen Dokumente[n] aus allen Zeiten und Völkern“ (Kraus, Geschichte der historisch kritischen Exegese, 321). Man ging nämlich von eine Entwicklung aus „die über viele Stufen von den ,Urvölkern‘ zu den ,Kulturvölkern‘ führte“. Weiler, Fortschrittsidee, 93.
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In einigen der Studien tritt daneben deutlich die Hochschätzung des Geistes Mitte des 19. Jahrhunderts zum Vorschein, die insbesondere auf Hegel zurückführbar ist.171 So sieht z. B. Delitzsch den Geist als Lebensprinzip und das Personbildende an, während die næfæš das zwischen Leib und Geist vermittelnde Band sei. Wendt hingegen bezeichnet beide, næfæš und rûa, als „geistige Lebenskräfte“172. Basierend auf der Frage der Verhältnisbestimmung beider wird vermehrt auch gefragt, ob das AT ein dichotomisches oder trichotomisches Menschenbild habe, wobei die meisten Untersuchungen zu ersterem tendieren. Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts lässt sich in vielen Studien, wenn auch nicht in allen, eine deutliche Sensibilisierung dafür, dass und nicht einfach mit ,Seele‘ und ,Geist‘ gleichsetzbar sind, erkennen.
2.3
Von den ersten Einzeluntersuchungen zu über Wolffs Anthropologie zu den neueren Forschungsbeiträgen
2.3.1 Von den ersten Einzeluntersuchungen zu bis zu Wolffs Anthropologie des Alten Testaments Ab Ende des 19. Jahrhunderts entstehen erste Einzeluntersuchungen zu . Im Folgenden wird anhand solcher Untersuchungen und auch weiterhin anhand von Anthropologien, Psychologien etc. die Entwicklung der Forschungsmeinung dargestellt. 173
2.3.1.1 Briggs (1897) In seinem Aufsatz „The Use of 1/. in the Old Testament“ von 1897 will Ch.A. Briggs ein „complete statement“174 zum Gebrauch des Wortes abgeben und sämtliche Belegstellen unter die richtige Überschrift einordnen.175
171 172 173
174 175
Vgl. zu Hegels Einfluss Kraus, Geschichte der historisch kritischen Exegese, 189– 194. Wendt, Fleisch und Geist, 28. Vgl. zum Folgenden auch den Überblick über die Forschung zu Körperbildern bei Bester, Körperbilder, 7–13, die die hier angeführten Werke von Robinson, Dhorme, Pedersen, Johnson, Oelsner, Schmidt und Wolff ebenfalls betrachtet. Briggs, Use of , 17. Vgl. Briggs, Use of , 17.
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Briggs war „einer der bedeutendsten wissenschaftlichen Theologen Nordamerikas“. Er hatte sich während seiner Studienzeit in Berlin unter dem Einfluss seines Lehrers I.A. Dorners „dem Programm einer moderaten historischen Kritik der biblischen Quellen“ geöffnet und „trug an entscheidender Stelle dazu bei, eine zwar kirchliche, aber nicht streng biblizistische und am calvinistischen Bekenntnis ausgerichtete Theologie im Rahmen der [nordamerikanischen] Universitätsausbildung heimisch zu machen.“176 In seinem Aufsatz nennt Briggs elf verschiedene Bedeutungen von und führt dann jeweils alle Stellen an, die er unter diesen einordnen würde. Dabei sind s. E. aber einige dieser elf Übersetzungsvorschläge zweifelhaft oder ganz abzulehnen. So nimmt er ,Atem‘ und ,Duft‘ als Bedeutung zwar von anderen auf, versucht aber, sie mit Hilfe der dafür ins Feld geführten Belegstellen zu widerlegen.177 Briggs nimmt somit nur zehn bzw. 8 sichere und 2 zweifelhafte Bedeutungen an:178 1. ,das, was atmet‘; ,atmende Substanz‘, ,das Seiende‘ (= yuch,, anima, ,Seele‘, ,inneres Sein des Menschen‘); 2. ,lebendiges Wesen‘ (belebt durch den Atem, den Gott ihm gibt). Der Mensch ist somit næfæš ajj h; bedeutet ,lebendiges, atmendes Wesen‘; 3. bezeichnet ein lebendiges Wesen, dessen Leben im Blut sitzt. Da ein Angriff auf das Leben, ein Angriff auf das innere Sein ist, bedeutet das Wort auch ,Leben‘; 4. Da die næfæš das Wesentliche am Menschen sei, bezeichne auch diesen selbst, ersetzte das Personal- bzw. Reflexivpronomen (besonders in poetischen und ausgeschmückten Texten) und bedeute ,Person/jemand‘, ,Personenzahl‘ (in Aufzählungen), ,tote Person‘; 5. ,Sitz des Appetits‘ (Hunger, Durst, Begierde etc.); 6. ,Sitz der Emotionen, Begierden und Leidenschaften‘; 7. In Verbindung mit Herz sei auch gelegentlich Subjekt mentaler Vorgänge; 8. zweifelhaft: Subjekt eines Willensaktes (die Belege Gen 23,8; 2 Kön 9,15; Ijob 6,7; 7,15; Jes 42,1; 66,3 könnten nach Briggs auch durch 6. erklärt werden); 9. noch zweifelhafter: Charakter (Hab 2,4 könnte nach Briggs auch unter 6., Ez 4,14 unter 4. eingeordnet werden); 10. Im deuteronomistischen Sprachgebrauch werden 2 und im Parallelismus gleichgesetzt. Dies sei, so Briggs der Grund dafür, dass die unter 7–9 genannten Bedeutungen des Wortes „erbt“. Abschließend betont Briggs, dass das Wort ,soul‘ im damals kontemporären Englisch in der Regel eine ganz andere Bedeutung habe als im 176 177
178
Vgl. Wischmeyer, Transatlantische Austauschprozesse, 13–15 (1. Zitat und 3. Zitat: 14; 2. Zitat: 15). Vgl. Briggs, Use of , 29–30. Die Ablehnung der Bedeutung ,Atem‘ wird dann bereits 1918 von Burton, der sich auf Brown/Driver/Briggs (!), Hebrew Lexicon von 1906 beruft, als Konsens bezeichnet. Vgl. Burton, Spirit, 62 (Burton stimmt auch ansonsten bzgl. der Bedeutungen des Wortes weitestgehend mit Briggs überein). Im deutschsprachigen Raum ist dies aber anders (siehe Kap. 2.3.1.2 und 2.3.1.3) und auch im englischsprachigen Raum wird die Bedeutung ,Atem‘ weiterhin angenommen, so z. B. von Robinson, vgl. Robinson, Psychology, 356. Vgl. Briggs, Use of , 17–29.
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Hebräischen und somit durch diese Übersetzung der Leser schnell eine Stelle falsch interpretieren könne.179
2.3.1.2 Schwab (1913) J. Schwabs Dissertation, die nach seinen eigenen Angaben u. a. durch die in Kap. 2.2.3.5 erwähnte Studie Torges angeregt180 und 1913 veröffentlicht wurde, ist die erste Monographie, die die Bedeutung und Entwicklung des Begriffs181 als eigenständiges Thema behandelt. Auch in dieser zeigt sich das gerade erwähnte Interesse an der Entwicklung, das für das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert typisch ist. Schwab hält zunächst fest, dass es in allen Sprachen „Belege für den Vorgang der Begriffserhöhung und der Begriffserniederigung“182 gebe. Für lägen die Anfänge dieser Entwicklung aber vor den ersten Schriftzeugnissen und man könne daher nur aus den „noch vorhandenen Überresten auf die Art dieses Anfanges mehr oder minder unsichere Schlüsse ziehen.“183 Zunächst nennt Schwab die Bedeutungen, die seiner Meinung nach den eigentlichen Inhalt nicht mehr wiedergeben, weil er bereits völlig verblasst sei: Personenzahl, Pronomen und Redensarten, die nur das eine oder andere Moment der Bedeutung betonen.184 Nach Ausschluss dieser Stellen zeichnen sich laut Schwab drei Bedeutungen, die er Grundbedeutungen nennt, für ab: 1. „Subjekt oder Träger des physischen Lebens“185; Leben; 2. „Subjekt und Träger jeder Art von Wunsch und Begehren“186 ; Begierde; 3. „Träger des Lebens der Gefühle und der Affekte“.187
Den eigentlichen Bedeutungsinhalt des Wortes könne man daraus aber nicht mehr erheben. Zu fragen sei jedoch, ob man aus der Schrift erschließen könne, dass die næfæš vom Körper verschieden und substanziell sei.188 Anhaltspunkte dafür sieht er im Zusammenhang von und Atem. Zwar ließe sich 179 180 181
182 183 184 185 186 187 188
Vgl. Briggs, Use of , 30. Vgl. Schwab, Begriff, Vorwort. Wie viele andere unterscheidet er nicht immer klar zwischen Wort und Begriff. Letzteres wird später besonders von Barr an Theologen des 20. Jahrhunderts kritisiert, vgl. die Auseinandersetzung mit Kittels Wörterbuch in Barr, Bibelexegese und Semantik, 205–261, bsd. 209–219. Viele Exegeten verwenden Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts Begriff und Wort fast synonym. Daher wird auch im Forschungsüberblick die jeweilige Wortwahl beibehalten. Das Problem dahinter wird in Kap. 3 eingehender thematisiert werden. Schwab, Begriff, 1. Schwab, Begriff, 1. Vgl. Schwab, Begriff, 3–7. Schwab, Begriff, 7; dies erläutert er näher auf den Seiten 7–11. Schwab, Begriff, 11; dies erläutert er näher auf den Seiten 11 und 12. Schwab, Begriff, 12; dies erläutert er näher auf den Seiten 12–16. Vgl. Schwab, Begriff, 16–17
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nicht direkt belegen, dass ,Atem‘ heiße, aber dass die Bedeutung für Parallelbegriffe in verwandten Sprachen wie dem Assyrischen vorkomme und das entsprechende Verb dort ,aufatmen‘ heiße, ließe dies ebenso vermuten wie einige Wendungen im AT, z. B. in Jer 15,9. Schwab geht daher davon aus, dass die Erfahrung, dass das Leben endet, wenn der Mensch nicht mehr atmet, dazu führte, anzunehmen, „daß dieser unsichtbare Hauch selber das Leben sei [...] und im Inneren des Menschen sich ein Etwas,[...] vom Leibe Verschiedenes befinde, das die Tätigkeiten des Lebens verursacht“.189 Auch die Belegstellen, in denen Blut als Sitz der næfæš angenommen wird, sind laut Schwab ein Hinweis darauf. Er vermutet, dass diese Annahme aus der Beobachtung stammt, dass zu großer Blutverlust tödlich ist. Zudem könne der aus frischem Blut aufsteigende Dampf dazu geführt haben, anzunehmen, „daß auch der Lebensatem – dieses andere Zeichen des vorhanden Lebens – mit dem Blut in innigster Verbindung stehe.“190 Die næfæš sei daher als „beide Lebenserscheinungen bewirkendes und beherrschendes Wesen, also als seelisches Prinzip“191 zu verstehen. Dies bestätigen nach Schwab auch die Stellen, hinter denen die Vorstellung steht, dass sie beim Tod den Körper verlasse.192 Da auch Tiere eine næfæš haben, kann man nach Schwab folgern: Die „nefeš stellt sich dar als etwas vom Leib Verschiedenes, zu ihm Hinzugekommenes[...] sie ist also Prinzip des animalischen Lebens, der animalischen Lebenstätigkeit und Lebensäußerungen, also Lebensprinzip im animalischen Sinn.“193
Es handle sich also um einen aus der Wahrnehmung gewonnenen einfachen Seelenbegriff. Die oben genannten drei Grundbedeutungen sind für Schwab als Begriffserniedrigung zu erklären, weil nur noch einzelne Aspekte betont seien. Die næfæš sei aber nie Sitz höherer geistiger Funktionen; alle manchmal so verstandenen Stellen könnten auch auf das Leben bzw. das Begehren und auf die Gefühle gedeutet oder dadurch erklärt werden, dass als Pronomen verwendet wird.194 Außerdem geht Schwab der Frage nach, ob die Schrift etwas über den Verbleib der næfæš beim oder nach dem Tod sagt.195 Aus seiner Analyse der Stellen, die gegen ein Weiterleben der næfæš sprechen könnten196 und möglicher Belege für ein Weiterleben,197 schlussfolgert er, dass es in der Schrift 189 190 191 192 193 194 195 196 197
Schwab, Begriff, 21. Vgl. zum Vorherigen Schwab, Begriff, 19–21. Schwab, Begriff, 24. Schwab, Begriff, 24. Er nennt 2 Sam 1,9, 1 Kön 17,17ff, 2 Kön 4,32–36. Vgl. Schwab, Begriff, 24–26. Schwab, Begriff, 27–28. Vgl. Schwab, Begriff, 29–33. Vgl. zu Folgendem Schwab, Begriff, 35–55. Z.B. der Ausdruck „jmd. an schlagen“ in Gen 37,21 oder „eine erschlagen“ in Lev 24,17–18. Ijob 14,22; Ez 13,18–20 und 1 Sam 25,29.
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keine Beweise für die Vorstellung, dass die næfæš nach dem Tod weiter existiere, gebe.198 Auch der Ausdruck , der, das sei aus dem Kotext klar ersichtlich, ,Leiche‘ bedeute, ist für Schwab relativ einfach zu erklären. Man benötige weder „Deutungsversuche als Antiphrasis, Euphemismus, Metonymie“199 , noch gebe es irgendwelche schlüssigen Belege dafür, dass der Ausdruck ,Totengeist‘ bedeute. sei ganz einfach als „Jemand Toter“200 zu übersetzen, wobei ,jemand‘ bedeute. Man finde daher im AT keine Belege für ein Weiterleben der næfæš nach dem Tod. Dieses Prinzip des Lebens verlasse mit dem Tod den Körper, über alles Weitere schweige die Schrift. Schwab betrachtet auch und und geht der Frage nach, ob es im habe seiAT ein dichotomisches bzw. trichotomisches Denken gebe.201 ne Grundbedeutung ,Atem‘ nie verloren. hingegen bedeute neben bewegte ,Luft/Wind/Hauch‘, ,unsichtbare Kraft‘, ,von JHWH ausgehende Kraft‘ und ,kosmischer, lebenswirkender Geist‘. Die rûa des Menschen und des Tieres sei der Lebensgeist Gottes und immer im Menschen vorhanden, könne den Körper aber auch durch äußere Umstände oder starke Gefühle kurz verlassen, ohne dass der Mensch dadurch sterbe. Sie sei Träger von Affekten und Gemütsregungen, aber auch Subjekt höherer geistiger Funktionen und in ihr sitze die Gesinnung. Damit sei sie „ein seelisches Prinzip“202, aber nicht das, welches das Leben wirkt. Anders als bei der næfæš hätten ihre Affekte auch nicht Begehren oder Lust und Unlust als Ursache und seien auch nicht passiv, sondern die rûa scheine vielmehr aktiv tätig zu sein. Außerdem sei die
198
199 200 201 202
Anders sieht das z. B. Burton 1918 in seiner Untersuchung über Geist, Seele und Fleisch im antiken Griechisch und im Hebräischen, mit der er eine Grundlage für die Untersuchung dieser Begriffe im NT legen möchte. In seiner vergleichenden Zusammenfassung kommt er zu dem Schluss, dass in einigen wenigen Fällen auch die Seele bezeichne, die den Körper verlasse und ohne ihn weiter existiere. Diesen Gebrauch hält er für sehr früh und lange andauernd. In den meisten Fällen sei aber in der Bedeutung ,Leben‘ oder ,Seele‘ eine Qualität oder ein Charateristikum des lebenden Seienden und keine Hypostase. Die næfæš-Vorstellung habe folglich ihren Ursprung in der Feststellung, dass es etwas Lebendes im Tier und im Menschen gibt. Burton nennt dies „ghost [...] within an embodied beeing“ (73). Ausgehend davon habe sich das Wort ähnlich entwickelt wie das griechische , das ursprünglich den Geist, der beim Tod den Körper verlässt, bezeichnet habe und dann ,Leben‘ und ,Seele‘ (als Sitz verschiedenster Emotionen) bedeuten konnte. Die antiken griechischen Autoren seien sich dabei ebenso uneins über die Frage des Weiterlebens der Seele wie die biblischen und viele schrieben auch wie das AT, außer im Anthropomorphismus, wo auf Gott bezogen ist, nur Tieren und Menschen eine zu, anders als z. B. Plato und Aristoteles. Vgl. Burton, Spirit, 53–73. Für die Bedeutungen, die Burton annimmt, vgl. Anm. 177. Schwab, Begriff, 45. Schwab, Begriff, 47. Vgl. zu Folgendem Schwab, Begriff, 55–79. Schwab, Begriff, 69.
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næfæš nicht Subjekt der höheren seelischen Tätigkeiten.203 Dennoch ist damit nach Schwab kein trichotomisches Denken gegeben, denn „[...] nie beschäftigt sich die philosophische oder theologische Reflexion damit, die beiden Begriffe zu vergleichen“. „[...] niemals stehen sie klar und scharf sich abhebend nebeneinander“. „Die heiligen Bücher enthalten eben kein philosophisches System“.204
Schwabs Monografie schließt damit nahtlos an die im 19. Jahrhundert herausgearbeiteten Aussagen an, zeigt die Differenz zum griechischen Seelenbegriff auf und nimmt auch die häufig thematisierten Fragestellungen, ob die Seele weiter existiert und ob eine Dichotomie oder Trichotomie im Alten Testament zu finden ist, ausführlich auf. Zudem zeigt sich in ihr ebenfalls das für diese Epoche charakteristische Interesse an der Entwicklung der Vorstellungen.
2.3.1.3 Lichtenstein (posthum 1920) In seiner vor 1915 entstandenen, aber erst posthum 1920 veröffentlichten Dissertation205 geht der Rabbiner M. Lichtenstein einen etwas anderen Weg. Er versucht, die verschiedenen Bedeutungen des Wortes in ihrer Entwicklung darzustellen und so eine Grundlage für eine wissenschaftliche Darstellung über die alttestamentlichen Vorstellungen vom Leben nach dem Tod zu legen. Er will nach eigenen Angaben streng historisch vorgehen, nicht systematisieren und kein philosophisches System ins AT hineintragen, das es dort nicht gibt. Dabei betont er, dass das AT nicht wie griechische Werke von begrifflichem Denken geprägt sei.206 Wie Schwab geht Lichtenstein ebenfalls davon aus, dass anhand des veränderten Sprachgebrauchs auch die geistige Entwicklung Israels nachvollzo-
203
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205 206
Burton sieht dagegen diese Abgrenzung nicht so scharf gegeben: „As the seat of appetite, emotion, mentality, and moral and religious experience the usage of is closely parallel to that of .“ Aber letzteres werde fast nie für Leben verwendet. Somit lässt sich nach Burton folgende Unterscheidung tätigen: „ is physicalreligious-psychical; is psychical-vital; is physical.“ Burton, Spirit, 71 und 72. Schwab, Begriff, 77 (1. und 2. Zitat) und 79 (3. Zitat). Schwab untersucht auch den Sprachgebrauch der deuterokanonischen Schriften und stellt fest, dass in 2Mak und WeisSal eine Weiterentwicklung vorliege. Erstere zeige eine entschiedene Dichotomie von Leib und Seele, kenne /"9l nur als universell wirkenden Lebensatem und letztere nehme zudem die Unsterblichkeit der einzelnen Seele und sogar ihre Präexistenz an. Der Autor sei vermutlich bereits von platonischer Philosophie beeinflusst und bei ihm fließen die oben geschilderten Vorstellungen damit zusammen. Nach Schwab ist dies der Beginn eines Prozesses, der in der christlichen Philosophie mit der Annahme eines Körper-Seele-Dualismus und einer immateriellen Seele abschließt. Vgl. Schwab, Begriff, 79–94. Vgl. das Vorwort von Baeck zu Lichtenstein, Wort. Vgl. Lichtenstein, Wort, 2–5.
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gen werden könne.207 Dabei nimmt er für den Wortgebrauch von drei Entwicklungsstufen an (1. Leben – der Grundbedeutung relativ treu geblieben, 2. Affekt, 3. Mensch/Personalpronomen)208 und untersucht ihr Vorkommen in den Schriften, die er nach der von ihm mit Sellin209 angenommenen Chronologie in drei Gruppen teilt (1. vor den großen Geschichtswerken,210 2. in der Zeit der großen Geschichtswerke bis zu Jeremia,211 3. exilisch und nachexilisch212). Lichtenstein ist dabei sehr optimistisch, was die Möglichkeit der Bestimmung eines terminus a quo einzelner Belegstellen angeht. Auch er nimmt aus denselben Gründen wie Schwab als Grundbedeutung ,Atem‘ an und macht es sich zur Aufgabe, für die verschiedenen Bedeutungen den jeweiligen Bezug zur Grundbedeutung darzulegen.213 Er konstatiert ebenfalls, dass von der fühlbaren Luftbewegung aus zum Ausdruck für Seele wurde. „Von diesem Entwicklungsgang aus ist zu verstehen, dass als die während der Lebenszeit im Menschen ständig wirksame Kraft sich zur Bezeichnung aller aus dem Menschen heraus verständlichen Seelenkräfte und Leidenschaften herausgebildet hat.“214
Basierend auf Gen 2,7 und den Stellen, die das Blut und die næfæš zusammen denken, kommt er daneben zu dem Schluss, dass die mit letzterem verbundenen Anschauungen auf den mit ersterem verbunden Vorstellungen aufbauen, weil sich für das s. E. primitive Denken auf die Frage nach dem, was das Leben ausmacht, zunächst das Blut als Erklärung nahegelegt hätte. Die Hebräer seien mit ihrer Annahme einer Hauchseele215 zurzeit der ersten schriftlichen Quellen diesem dann bereits deutlich überlegen. An den Stellen, die die næfæš mit dem Blut in Verbindung bringen, sei es aber noch zu erkennen.216 207
208 209 210 211 212 213 214 215 216
„Jedoch die drei Radikale sind mehr als ein Wort. In ihnen spiegeln sich Vorstellungen und Anschauungen längst vergangener Zeiten wieder; das mühsame Ringen eines Volkes um die Erkenntnis von Erscheinungen, die dem Fassungsvermögen ferner liegen als die Erkenntnis konkreter Dinge“. Lichtenstein, Wort, 2. Bei der Untersuchung der einzelnen Stellen müsse man im Hinterkopf behalten, dass die Autoren der Geschichtsschreibung noch dem Denken des Volkes und dem alltäglichen Sprachgebrauch relativ nahe stehen, während die Propheten es weit überragen, aber durch ihre Schriften auch wieder auf dessen sprachliche Entwicklung Einfluss haben und es so auf eine höhere Stufe heben. Vgl. Lichtenstein, Wort, 7–8. Vgl. Lichtenstein, Wort, 8. Er bezieht sich dabei auf Sellins „Zur Einleitung ins Alte Testament“ von 1912. Vgl. Lichtenstein, Wort, 10–63. Hierzu zählen u. a. Gen 2,7; Ri 5,18 und 1 Sam 25,29; 28,21. Vgl. Lichtenstein, Wort, 64–103. Vgl. Lichtenstein, Wort, 104–149. Vgl. Lichtenstein, Wort, 31. Lichtenstein, Wort, 27–28. Zum Begriff der Hauchseele vgl. auch Hultkrantz, Seele, 1634–1635 (mit Verweis auf die Studie Arbmans, vgl. Arbman, primitive Seelenvorstellung I und II, passim). Vgl. Lichtenstein, Wort, 12–25.
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Lichtensteins Untersuchung der 1. Schicht ergibt, dass sich darin hauptsächlich die Bedeutung ,Lebenskraft/Leben‘ finden lässt, während die 2. Bedeutungsgruppe in „einige[n] wertvolle[n] Ansätzen“217 und die 3. nur in unbedeutenden vorkomme. Die Bedeutung ,Lebenskraft/Leben‘ sei der ursprünglichen am nächsten, weil sie eine Folgeerscheinung bezeichne.218 Die Bedeutung ,Affekte‘ habe sich entwickelt, weil bestimmte Gefühlslagen am Wechsel der Atemintensität zu erkennen seien.219 Daraus sei die Vorstellung entstanden, dass die næfæš Trägerin der Sehnsucht und des Begehrens sowie Triebkraft der Affekte sei. Die Beobachtung, dass sowohl „die Lebenskraft als auch die Leidenschaft [...] in dieser oder jener Lebenslage bestimmend auf den Menschen einwirken“220 kann, habe zur nächsten Entwicklungsstufe geführt, zur Bedeutung ,Person‘ bzw. zur Verwendung als Pronomen. Diese ist nach Lichtenstein in der ältesten Schicht aber nur in wenigen Ansätzen vertreten.221 Die zweite Gruppe der Schriften zeichne sich durch eine deutliche Weiterentwicklung des Sprachgebrauchs aus. als Affektbezeichnung bzw. als Trägerin der Leidenschaften und Affekte werde gleichwertig mit der ersten Bedeutungsgruppe, die aber nun oft abstrakter gebraucht sei, verwendet. Ein deutlicher Fortschritt sei es, dass die næfæš nun auch als Sitz der Stimmungen angenommen werde. Auffällig ist, dass Lichtenstein hier häufiger mit ,Seele‘ wiedergibt. Die Verwendung der dritten Bedeutung ist s. E. noch nicht richtig in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen.222 Auch in der dritten Epoche, ab dem babylonischen Exil, bleibt nach Lichtenstein, die in Gen 2,7 vorliegende, dualistische Anschauung, „der Mensch bestehe aus Körper und körperloser, luftförmiger Seele, die das Göttliche in ihm bedeute“,223 Basis des alttestamentlichen Nachdenkens über das Schicksal des Menschen und ihn selbst.224 Obwohl in der Bedeutung ,Leben‘ in der religiösen Dichtung mit einem „innerlicheren, seelischeren Klang“225 versehen und der Sprachgebrauch entschränkt werde, z. B. wo die næfæš Sitz der Ruhe wird oder ihr Erkenntniskraft zugesprochen wird, verflache der Begriff und werde zunehmend starrer gebraucht, weil er in den 217 218
219 220 221 222 223 224 225
Lichtenstein, Wort, 63. Allerdings ist damit nicht ein abstrakter Lebensbegriff gemeint. Die næfæš gehöre zu dem jeweiligen Wesen und rufe seine Lebensäußerungen hervor. Dies decke sich aber nicht wirklich mit unserem abstrakten Lebens- und noch weniger mit unserem Seelenbegriff. Vgl. Lichtenstein, Wort, 42–46. So zeige sich z. B. Angst in einer Verengung des Atems, d. h. in Atemnot, vgl. Lichtenstein, Wort, 52. Lichtenstein, Wort, 57. Vgl. Lichtenstein, Wort, 31–63. Vgl. Lichtenstein, Wort, 64–103. Lichtenstein, Wort, 106. Außerdem findet er in Ps 124,7 die Vorstellung belegt, die Seele verlasse den Körper in Vogelgestalt. Vgl. Lichtenstein, Wort, 124–125. Lichtenstein, Wort, 105.
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allgemeinen Sprachgebrauch des Volkes voll eindringe. In den gesetzlichen Texten zeige sich sogar eine völlige Erstarrung zu einem formelhaften Gebrauch. Eine Neuerung sei es, dass nun auch den Tieren zugesprochen werde, wenn man sie als lebende Wesen bezeichnen will. Außerdem nehme die Bedeutung ,Seele als Trägerin der Leidenschaften‘ nun eine weitaus größere Rolle ein. Der Sprachgebrauch sei diesbezüglich nun voll entwickelt und werde unabhängig von der eigentlichen Grundbedeutung ausgeschöpft. Wirkliche Weiterentwicklungen gebe es nicht mehr, lediglich Variationen des Bekannten. Die 3. Bedeutungsgruppe sei jetzt voll in den Sprachgebrauch eingegangen. Am deutlichsten zeige sich das Verblassen der eigentlichen Bedeutung innerhalb dieser Gruppe dort, wo einen Toten bezeichne. Bereits in der Bedeutung ‚Person in Aufzählungen‘ fehle aber jegliches Innerliche und Lebendige und „erst dieser erstarrte Begriff, der als eine Person wie eine Sache behandelt, ohne auf das Leben Wert zu legen“226 habe dazu geführt, auch eine Leiche so bezeichnen zu können. 227
2.3.1.4 Die Eigenart israelitischen Denkens: Pedersen (1920/26) Nach dem 1. Weltkrieg lässt sich in der alttestamentlichen Wissenschaft, so Kraus, „eine gesteigerte Aufmerksamkeit [...] im Hinblick auf die Eigenart Israels“ feststellen. Besonders prägnant wird dies an J. Pedersens bedeutendem Werk „Israel. Its Life and Culture“ deutlich. Pedersen, der „Professor der semitischen Philologie an der Universität Kopenhagen“ war, geht nämlich von einem eigenen israelitischen Denken aus, das dem der Naturvölker vergleichbar sei.228 Im genannten Buch untersucht er auch die israelitische Seelenvorstellung. Bereits zu Beginn des Kapitels über die Seele229 betont er, dass der Israelit andere Grundvoraussetzungen bzgl. des Lebens angenommen habe. Daher müsse man die psychischen Termini (, und ) in ihrem eigenen Kontext näher betrachten. Grundlegend für das israelitische Menschenkonzept sei der zweite Schöpfungstext. Aus diesem gehe hervor, dass der Mensch als ganzer Seele sei („Such as he is, man, in his total essence, is a soul“230 ). Diese Tatsache, die vom zur Zeit Pedersens kontemporären dualistischen Denken sehr weit entfernt liege, begegne im AT andauernd, z. B. wenn in Aufzählungen Personen als ,Seelen‘ bezeichnet werden. Zudem ge226 227 228 229
230
Lichtenstein, Wort, 148. Vgl. Lichtenstein, Wort, 104–149. Vgl. Kraus, Geschichte der historisch.kritischen Exegese, 406–408 (beide Zitate: 407). Vgl. Perdersen, Life and Culture, 99–181. Die englische Ausgabe von 1926 ist eine Übersetzung der dänischen Fassung von 1920, wobei nur geringfügige Änderungen vorgenommen wurden. Vgl. Pedersen, Life and culture, preface. Vgl. Zur folgenden Darstellung auch: Dietrich, hebräisches Denken, 46–47. Pedersen, Life and culture, 99.
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höre zum hebräischen Verständnis der Seele auch Äußeres, wie z. B. die Stimme oder der Geruch und sogar die Geschichte des jeweiligen Menschen und sein Besitz, denn die Seele ist „a totality with a peculiar stamp.“231 Daher sei die Seele gleichzeitig etwas Sichtbares und etwas Unsichtbares. Das Wort, mit dem ,Seele‘ in der Regel wiedergegeben werde, sei , aber auch und . Diese drei seien zwar nicht identisch, würden aber doch sehr ähnlich verwendet. Allerdings bezeichnen die beiden letzteren die Seele auch als „distinctive essence“232 . kann zudem zur Bezeichnung des ganzen Seins und Charakters einer Person dienen und werde oft verwendet, wo die Neigung und die Willenskraft der Seele im Blick sei, aber auch könne den Willen bezeichnen. Die Beziehung zwischen den beiden sei gerade nicht so, dass das Herz der Ort bestimmter Funktionen sei, sondern das Herz sei die Totalität der Seele als Charakter und ausführende Kraft.233 Pedersen spricht sehr oft von totalities/totality. Er nimmt an, dass für den Israeliten alles Denken auf das Erfassen von Totalitäten ziele („thinking is to grasp a totality“234). Diese Annahme leitet er aus den Seelenvorstellungen ab. Da nach Pedersen das Herz, das Denkorgan, die Seele als ausführende Kraft ist, sei das israelitische Denken völlig anders als unseres, denn es ziele immer aufs Handeln. Daher sei dieses Denken auch nicht das Lösen abstrakter Probleme, sondern das Erfassen der „principal matter, that which determines the totality“.235 Diese würde in die Seele aufgenommen und führe unmittelbar dazu, dass die Seele in eine bestimmte Richtung gelenkt werde. Die Besonderheit des Denkens zeige sich z. B. an der Grammatik der Sprache und am Fehlen eines eigenen Wortes für ,denken‘ sowie an der Art des Argumentierens. Dieses ziele nicht auf abstrakte Begründung, sondern darauf, dass die Seele des Zuhörenden die Sache selbst erfasse. Daher sei der Parallelismus membrorum die natürliche Ausdrucksweise des Israeliten („his natural manner of expression“236), denn er stelle die Totalität mit einem doppelten Akzent dar.237 Pedersens These, dass das hebräische Denken anders als das analytische auf das Erfassen der Ganzheit ziele, findet sich später ähnlich bei Johnson und Wolff (mit der Annahme eines synthetischen Denkens) (vgl. Kap. 2.3.1.6 und 2.3.1.9). Die These, dass das hebräische Denken vom griechi231
232 233 234 235 236 237
Pedersen, Life and culture, 100. An anderer Stelle im Buch schreibt Pedersen dazu noch, dass die Seele von ihrem Zentrum aus auch soweit reiche wie ihre Wirkung gehe (Vgl. Pedersen, Life and culture, 164–165) und eine Familie die Seele des Vaters sei, die im Vater zwar ihr Zentrum habe, aber im gemeinsamen Charakter und Willen der Familie agiere (Vgl. Pedersen, Life and culture, 179). Pedersen, Life and culture, 102. Vgl. Pedersen, Life and Culture, 99–106. Pedersen, Life and Culture, 108. Pedersen, Life and Culture, 108. Pedersen, Life and Culture, 123. Vgl. Pedersen, Life and culture, 106–133. Vgl. hierzu auch Koch, hebräisches Denken?, 6–9.
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schem und dem heutigen deutlich verschieden sei und sich dieser Unterschied in der Grammatik und dem Wortschatz der Sprachen zeige, wurde später besonders prägnant von Boman238 vertreten und insbesondere von Barr239 scharf kritisiert.240 Zum Verhältnis des Herzens zur næfæš hält Pedersen fest: „nephesh is the soul in the sum of its totality, such as it appears; the heart is the soul in its inner value. One may just as well say ‘that which is in your soul’ as ‘that which is in our heart’. But whereas it can be said that Jacob came into Egypt with seventy souls, it cannot be said that he came there with seventy hearts.“241
Während das Herz die ausführende Kraft der Seele sei, sei rûa die leitende, motivierende Kraft („the spirit is more particularly the motive power of the soul“), die von ihr ausgehe und auf sie wirke. Nach Pedersen existiert die Seele aber nur als verbundenes Ganzes. Wille und Tat gehören zu ihr. Das bedeutet, dass für Pedersen gilt: der Mensch ist næfæš, rûa und leb aber hat er.242 Diese Annahme, die schon von Beck vertreten wurde,243 wird in folgenden Studien häufig übernommen, aber z. B. von Barr auch kritisiert. Daraus, dass ein Wort ,Seele‘ und ,Mensch‘/,Lebewesen‘ bedeute, könne man nicht einfach schließen, dass der Mensch als Ganzer Seele sei und es sage auch nichts über die Seelenvorstellung aus.244 Pedersen erwähnt in seiner Analyse nicht, dass auch andere Bedeutungen haben kann. Er geht aber durchaus darauf ein, dass das Wort in Verbindung mit Begierde/Leidenschaften verwendet wird, und erklärt Stellen, an denen andere ,Gier oder Verlangen‘ übersetzen,245 damit, dass die Seele „content“ benötige, um agieren zu können. Dieses Benötigen von Inhalten sei die Begierde. Das Ausschütten der Seele (Jes 32,6) meine daher auch, dass diese ihrer Stärke und Fülle entleert sei. Auch die Tatsache, dass Lebensgefahr häufig durch Ausdrücke mit beschrieben werde, heiße nicht, dass das Wort in ihnen nur ,Leben‘ bedeute oder dass die beiden einfach austauschbar seien. Es sei vielmehr so, dass die Israeliten eine andere Vorstellung von Leben hatten und man könne nur unter dieser Einschränkung mit ,Leben‘ übersetzen. Es sei kein abstraktes Etwas, sondern immer bereits mit bestimmten Fähigkeiten und Kräften ausgezeichnet. Daher manifestiere es sich nur als Seele. 238 239 240 241 242 243 244 245
Vgl. Boman, Das hebräische Denken, passim. Vgl. Barr, Semantik, 15–206. Vgl. zur Auseinandersetzung mit Barrs Kritik Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 14–16. Vgl. zu Bomans Darstellung und Barrs Kritik auch Koch, hebräisches Denken?, 13– 24. Pedersen, Life and culture, 104. Vgl. Pedersen, Life and culture, 104–108 (Zitat: 104). Vgl. Beck, Umriß. 3.Aufl., 36 und Kap. 2.2.3.4. Vgl. Barr, Scope and Problems, 6–8. Z. B. Spr 23,2; Jes 56,11 und Spr 28,25. Vgl. Pedersen, Life and culture, 147.
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„The soul is life in its distinctive form; life is the strength and peculiarity formed in the soul. No wonder that the two ideas are not always kept apart in language.“246
Außerdem werde auch nicht zwischen der Seele als Manifestation des Lebens und den Lebenszeichen strikt unterschieden. Somit sei verständlich, warum der Atem die Seele sei und auch das Blut als Seele bezeichnet werden könne. Das Verhältnis zwischen Körper und Seele sei ebenfalls von den englischen Vorstellungen unterschieden. Zwar habe auch der Israelit Seele und Körper auseinanderhalten können, aber die beiden seien für ihn keine verschiedenen Seinsweisen, sondern der Körper sei die Manifestation der Seele, die aber mehr sei als dieser. Die beiden seien weit mehr als nur vereint, denn „the body is the soul in its outward form.“247 Der Israelit habe im Herzschlag die Bewegungen der Seele erkannt und auch andere innere Organe seien mit seelischen Regungen verbunden worden, wie z. B. die Nieren. Aber seelische Schwäche oder Kummer zeige sich genauso an wankenden Knien oder zitternden Händen, seelische Kraft in hellen, scheinenden Augen, Wut im Schnauben der Nase, etc. Die Seele manifestiere sich im Körper, in seiner Aktivität sehe der Israelit die Seele und daher könne ein einzelner Körperteil oder ein Organ auch für die ganze Seele, den ganzen Menschen stehen. Auch das Fleisch stehe nicht im Kontrast zur Seele, sondern sei ihre Manifestation. Wenn Seele und Körper oder Fleisch zusammen genannt werden, sei also kein Kontrast im Blick, sondern verschiedene Seiten einer Sache. Daher sei auch der tote Körper eine Seele. Der Tote sei nämlich eine ihrer Kraft beraubte Seele, die begraben ihre Ruhe finde, aber dennoch aus dem Grab heraus beschworen werde könne.248
2.3.1.5 Der Mensch als komplexer Körper: Robinson (1925) H.W. Robinson, der u. a. aufgrund seines Artikels „The Hebrew Conception of Corporate Personality“ bekannt ist,249 betont dagegen 1925 in seiner Abhandlung über die hebräische Psychologie250, dass die Wiedergabe ,Seele‘ nicht adäquat sei. sei eher das Lebensprinzip oder Leben, habe ursprünglich ,Atem‘ bedeutet, könne auch ‚selbst‘ bzw. ,Personalpronomen‘, ,Sitz der Emotionen und Begierden, inkl. des Hunger‘, und selten auch ,Bewusstsein‘ und in einer, s. E. sehr späten Verwendungsweise, merkwürdigerweise auch 246 247 248 249 250
Pedersen, Life and culture, 156. Vgl. zu diesem Absatz 146–156. Pedersen, Life and culture, 171. Vgl. zu diesem und dem vorherigen Absatz Pedersen, Life and culture, 170–181. Vgl. Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Exegese, 495 und Robinson, Corporate Personality, passim. Er betont aber: „ancient ,psychology‘ does not mean an ordered and scientific account of consiouness; it means rather that branch of anthropology which interprets the ideas held about human personality“. Robinson, Psychology, 353.
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,Leiche‘ heißen.251 Er fasst damit das vor Pedersen über die Bedeutung von Gesagte zusammen. Allerdings hält er darüber hinaus fest, dass es im AT, wie in der Vorstellungswelt anderer „primitive peoples“252, keine Unterscheidung zwischen Psychischen und Physischen gebe – eine Annahme, die er mit Pedersen teilt –, daher der Atem des Menschen als seine Seele gedacht werden könne und das Blut mit dieser „Atemseele“ identifiziert werde.253 Außerdem sei der menschliche Körper eher als „Vereinigte Staaten“ denn als „Monarchie“ zu denken, weil z. B. auch die Augen und Ohren ethische/physische Funktionen hätten, auch wenn , und die wichtigsten psychologischen Begriffe seien. Aber deren Verwendung sei nicht systematisch, sondern eher synkretistisch, so seien z. B. die Vorstellungen vom Herzen als Denkorgan und der Blutseele oder der Atemseele anfangs unabhängig voneinander gewesen.254 Ein dichotomisches oder trichotomisches Denken gibt es damit für Robinson im AT nicht, denn Körper und Geist oder Seele sind keine Gegensätze. Das altisraelitische Denken sehe den Menschen als belebten Körper, nicht als inkarnierte Seele, und sowie bezeichnen beide auf ihre Weise das menschliche Bewusstsein, das mit dem im Atem liegenden Lebensprinzip verbunden wird. Der Mensch ist im AT nach Robinson als eine Einheit, dem Körper als Komplex aus seinen einzelnen Teilen, gedacht, die ihre Lebendigkeit und ihre Tatkraft durch die „Atemseele“ erhalten, welche ohne den Körper nicht existent wäre. Dies sei auch der Grund, warum es kein eigenes Wort für den Körper gebe, es wurde einfach, so Robinson, nicht benötigt, weil dieser der Mensch sei.255
2.3.1.6 Eine neue (umstrittene) Grundbedeutung: Dürr (1925)– Johnson (1949) Eine neue These findet sich 1925 in L. Dürrs Artikel „Hebr. = akk. napištu = Gurgel, Kehle“. Nachdem neben anderen besonders H. Holma für das akkadische napištu, s. E. mit der Grundbedeutung ,Leben‘, die Bedeu251 252 253
254
255
Vgl. Robinson, Psychology, 354–358. Vgl. zur folgenden Darstellung auch Mol, Responsibility, 132–139. Robinson, Psychology, 353. Vgl. Robinson, Psychology, 353: „There is no distinction of the psychical and ethical from the physical, so that actual breath of man can be thought of as his ,soul‘, and the reek of hot blood identified with the breath-soul.” Vgl. Robinson, Psychology, 354: „flesh and bones, as well as mouth, eye, ear, hand, had a quasi-consciousness of their own. Man’s organism is in fact a ,United States‘ rather than a monarchic or imperialistic realm. The usage of psychological terms in the Old Testament is not systematic but syncretistic; a number of originally independent explanations, such as blood-sol, breath-soul, heart, &c., have been brought together by popular use […]“ und 364–366. Vgl. Robinson, Psychology, 361–362.366.
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tung ,Kehle‘ aufzeigen konnte,256 und E. Dhorme basierend darauf angenommen hat, dass 2 an einigen Stellen im AT die Kehle bzw. den Hals bezeichne,257 vertritt Dürr, dass diese Bedeutung die ursprüngliche sei.258 Dürrs These basiert also auf Erkenntnissen der assyrischen Sprachforschung, einem Teil der Assyriologie, die sich im 19. Jahrhundert entwickelte, um die „Sprachen und Kulturen der [im Zuge der Grabungen in Mesopotamien] neu entdeckten Welt“ zu erforschen und zu lehren. Diese Forschungsrichtung hatte besonders aufgrund der vom Sohn des oben erwähnten Franz Delitzsch, Friedrich Delitzsch, vorgelegten Beiträge Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts einen enormen Fortschritt gemacht.259 Dürr selbst hatte neben Philosophie und Theologie orientalische Philologie studiert und legte als Theologieprofessor einen seiner Forschungsschwerpunkte auf die orientalische Kultur- und Religionsgeschichte.260 Zum Beleg seiner These führt Dürr zunächst zahlreiche Belege an, in denen napištu zweifelsfrei mit ,Kehle‘ wiederzugeben sei. So sei z. B. kunukku napištiki in KB VI I, S.46 rev 3.6 eindeutig gleichbedeutend zu kunuk kišâdi, dem Siegel des Halses und in K 191 II 27, einem medizinischen Text, werde von Winden gesprochen, die durch den After oder die Kehle (napištu) aus dem Körper entweichen. In CT XVII 9 werde es unter den Körperteilen genannt, die für Dämonen besonders anfällig sind und zwar in der Aufzählung von oben nach unten zwischen Kopf und Brust. Auch im Ninurta Hymnus KAR 102 finde sich in der Identifikation der Körperteile eines Gottes mit anderen Göttern diese Reihenfolge. Der Ausdruck parû/purruu napištu, den man meist mit ,abschneiden des Lebens = töten‘ übersetzte, erkläre sich dann auch leichter, denn hier sei das Durchschneiden der Kehle im Blick.261 Anschließend legt er anhand einer ganzen Reihe von Belegstellen aus dem AT dar, dass ebenfalls ursprünglich ,Gurgel oder Kehle‘ bedeutet habe (z. B. Bib:Jes 5,14: Die Scheol sperrt ihre auf, Jona 2,6: Die Wasser gehen mir bis zur oder auch Jes 29,8)262 und erläutert näher, warum nur die genannte Bedeutung in Frage kommen könne, wobei er mehrmals auf
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Vgl. Holma, Körperteile, 40–41. Er nennt dort Belege für die Bedeutung Kehle, z. B. KB III (I) 142,42f. oder CT XVII 9, und verweist auf Jensen, Zimmern und Küchler, die dies auch vertreten. Die Entwicklung hin zur Bedeutung ,Leben‘ ist nach Holma leicht zu erklären, denn das Durchschneiden der Kehle ist, was „den Menschen am leichtesten tötlich [sic!] verwundet.“ Holma, Körperteile, 40. Vgl. Dhorme, noms de parties du corps, 18–19 und 92. Vgl. hierzu auch Lauha, Sprachgebrauch, 51. Vgl. zur Entstehung der Assyriologie und ihrem Einfluss auf die alttestamentliche Wissenschaft Kraus, Geschichte der historisch kritischen Exegese, 305–309 (Zitat: 305) und zur Geschichte der Archäologie 295–300. Vgl. Art. Dürr in DBETh 1, 330–331. Vgl. Dürr, Gurgel, 262–264. Vgl. Dürr, Gurgel, 264–265.
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Lichtensteins Versuche263 , diese Stellen zu deuten, eingeht.264 Dabei spielt bei seiner Argumentation auch die Beobachtung, dass נֶפֶשׁim Parallelismus mit Körperteilen wie Gaumen oder Hals stehen kann, eine Rolle. Für die Bedeutung ,Hals‘ spricht nach Dürr u. a. der Parallelismus mit Rücken in Jes 51,23 und für ,Kehle/Hals‘ die Verbindung von Schwert und נֶפֶשׁ, sowie die Formulierung ַה ֵכּה נֶפֶשׁ, die von der ursprünglichen Bedeutung ,jmd. den Hals abschlagen‘ zum Ausdruck für ,jemanden ermorden‘ geworden sei.265 Außerdem liege an den Stellen, an denen das Engwerden der næfæš als Ausdruck für Angst stehe, die „ganz sinnlich-reale Vorstellung von der Verengung der Luftwege“266 , also der Kehle vor. Summarisch nennt er als Belege dieser Bedeutung dann noch Stellen, die von Hunger/Sattsein, Durst/Durst stillen und Befriedigen der næfæš sprechen, wobei er anführt, dass z. B. bei der Sehnsucht der næfæš oft eine Übertragung ins Geistige vorliege, ebenso wie beim Bittersein.267 Abschließend hält Dürr gegen Dhorme268 fest, dass die rein körperliche Bedeutung Gurgel bzw. Kehle und dann auch Hals die ursprüngliche gewesen sein müsse, da die Entwicklung auch an anderen Stellen vom Physischen zum Geistigen gehe und nicht umgekehrt. Dass der Atem aus der Kehle kommt, erkläre auch diese Bedeutung und von ihr aus werde „ נֶפֶשׁzum Prinzip des Lebens, [...] Träger des Wünschens und Begehrens, [...] Sitz der Gefühle und Affekte“, aber nicht zum „Träger für höhere, geistige Funktionen der Seele“.269 Auch Fr. Rüsche sieht mit Berufung auf Dürr ,Kehle‘ als Grundbedeutung des Wortes נֶפֶשׁan; zu ,Atem‘ sei es dann nur ein kleiner Schritt. Ansonsten folgt er in seiner Darlegung weitgehend Lichtenstein und zieht auch Schwabs Erkenntnisse mit heran. Allerdings will er statt Lichtensteins ,Hauchseele‘ an den Stellen, an denen das Blut mit der næfæš identifiziert wird, נֶפֶשׁmit „hauchförmiger Lebenskraftstoff“270 übersetzen, um deren Stofflichkeit auszudrücken und die Identifizierungsmöglichkeit mit dem Blut 263 264 265 266 267
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Dieser vermutet z. B. in Jes 5,14 bezeichne נֶפֶשׁ,Gier‘, obwohl er andeutet, dass ,Schlund‘ hier passen würde. Vgl. Lichtenstein, Wort, 89–90. Vgl. z. B. Dürr, Gurgel, 265. Vgl. Dürr, Gurgel, 265–267. Dürr, Gurgel, 266. Vgl. Dürr, Gurgel, 266 und 268. Nach Dürr lassen sich mit der Bedeutung ,Kehle/Hals‘ auch die schwierigen Stellen Ez 24,21.25 und Jes 3,20 erklären. Im ersten Fall sind Gegenstände, die man am Hals trägt, also Schmuckstücke, gemeint und im zweiten Fall die „‚Häuschen am Halse‘, also sicher irgendwelche Amulette“ (268). Vgl. Dhorme, noms de parties du corps, 18. Er sieht die Bedeutung ,Atem‘ als die ursprüngliche an und vermutet, dass die Bedeutung ,Kehle‘ im Akkadischen „par une métonymie toute naturelle“ entstanden sei, weil die Kehle, dass Organ „par excellence“ des Atmens sei, weil sie der Atemkanal („canal de la respiration“) ist. Dürr, Gurgel, 268. Rüsche, Blut, 326.
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als flüssigem Lebenskraftstoff, i.S. eines Lebenssaftes, zu erläutern. Dabei würden zwei verschiedene Seelenvorstellungen, die der Blutseele, die älter sei, und die der Hauchseele, miteinander verbunden.271 Andere bestreiten jedoch die These Dürrs, so z. B. J.H. Becker272 und W.E. Staples. Letzterer möchte in seinem Aufsatz 1928 die Unterschiede zwischen , und darlegen, ihre Bedeutungsentwicklung über die verschiedenen Schichten des AT verfolgen und ihre Berührungspunkte aufzeigen.273 Dafür untersucht er in den von ihm jeweils einer bestimmten Zeitspanne zugeordneten Büchern274 die Belege der drei Wörter auf ihre Bedeutung und kommt, wobei auch die Verwendungsweise des Wortes napištu in älteren assyrischen und babylonischen Dokumenten als Argument dient, zu dem Schluss, dass ursprünglich ,Leben‘ und ,Wesen/Sein‘ bedeutet habe. Da Leben aus Bedürfnissen und Emotionen bestehe, sei es leicht nachvollziehbar, wieso die næfæš deren Zentrum wurde und später sogar an Wörtern und Gedanken gefallen haben kann. Auch die Bedeutung ,Individuum‘ und ,Person‘ sei aus ,Leben‘ leicht ableitbar. Aus dieser sei dann wiederum die Kombination leicht zu erläutern, sie meint einfach eine ,tote Person‘, also eine ,Leiche‘. Erst das Dtn habe die næfæš lokalisieren wollen und sie mit dem Blut in Verbindung gebracht. Ab Jeremia, besonders aber bei Ijob, sei sie dann mit dem Atem verbunden worden und bezeichne dort auch einmal diesen selbst. hingegen habe sich über die Grundbedeutung ,Wind‘ zur Bezeichnung übernatürlicher Geister entwickelt und werde erst sehr spät auch für den Atem verwendet. sei der Atem und werde bald für das Individuum, das atmet verwendet. Sehr spät könne das Wort wie für die Kraft stehen, mit der JHWH in der Welt agiert.275
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Vgl. Rüsche, Blut, 308–354. Die meisten Ähnlichkeiten zu den alttestamentlichen Vorstellungen über die næfæš gibt es nach Rüsche „mit den älteren und einfacheren griechischen Seelenvorstellungen“, wobei auch Unterschiede, besonders in den zugesprochenen Funktionen der Seele, bestünden. Vgl. Rüsche, Blut, 354–358. Vgl. Becker, nefesj, 98–101. Dieser teilt die Bedeutungen ein in: ,Leben‘ (223 Mal), ,Seele‘ = Sitz der Gefühle (247 Mal), ,Persönlichkeit/Wesen des Menschen‘ (151 Mal), ,Mensch‘ (109 Mal), ,lebendiges Wesen‘ (24 Mal). Daraus folgt s. E., dass in 82% der Fälle, die næfæš etwas ist, was der Mensch hat und in 18% der Fälle, was er ist. Vgl. Becker, nefesj, 117–118 und Lauha, Sprachgebrauch, 53–54. Vgl. Staples, Soul, 145. Er folgt dabei für den Pentateuch der Neueren Urkundenhypothese, wobei er auch Jos und Ri zu J und E rechnet, und einer am Buchinhalt orientierten Datierung der Propheten, wobei er aus dem Dtn und Jesaja die exilischen Texte ausgliedert und Jesaja 40–55 und 26–27 zusammen mit 55–60 später als die anderen jesajanischen Texte datiert. Daher nimmt er folgende Entstehungsreihenfolge an: J, E, 1 Sam – 2 Kön – Hos, Am, Mi, Jes – Hab, Dtn, Jer – Ez – Hag, Sach, Exilic Dtn, Exilic Jes und 40–55 – Joël, Mal, Jes 26–27; 55–60 – Spr – Ps – Ijob – Koh, Dan, Hld, Klgl – Esra, Neh, Chr, Jon. Vgl. Staples, Soul, passim. Vgl. Staples, Soul, 174–176.
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W. Eichrodt hingegen, der in einer Linie mit positiven Theologen wie Delitzsch steht,276 übernimmt in seiner Theologie des Alten Testaments die Grundbedeutung ,Kehle‘ und daraus übertragen ,Atem‘, sowie die Bedeutungen ,Leben/Lebenskraft‘, ,Individuum‘, ,Person (und Personalpronomen)‘ sowie ,Subjekt‘ und auch ,Bezeichnung jeglicher Art von Wunsch, Begehren und Leidenschaft als Ausdruck der Lebendigkeit und Träger von Gefühlen und Affekten geistiger Art‘, wie z. B. Freude. Er betont, dass es sich bei der næfæš aber keineswegs um einen immateriellen Doppelgänger des Menschen277 oder eine unsterbliche, präexistene Seele278 im platonischen Sinne handle, sondern um eine „unlöslich mit dem Körper verbundene Lebenspotenz“279 . Daneben untersucht Eichrodt auch die Verwendung von und sowie weiterer mit geistigen Vorgängen verbundener Körperteilbezeichnungen ( , , , , , , , ) und kommt zu dem Schluss, dass es im Denken des AT nicht um eine Theorie der geistigen Erscheinungen gehe, sondern darum, „die qualitative Verschiedenheit der seelischen Zustände möglichst anschaulich und mit Hervorhebung der damit verbunden Gefühle zu beschreiben.“280 Dabei kann sich die Person als Ganzes im Körper und jedem seiner Teile äußern.281 Allerdings sei das Personenleben dabei keineswegs, wie Eichrodt Robinson282 versteht, als locker verbundene Zentren gedacht, sondern das hebräische Denken sehe in jedem Teil das Ganze (vgl. Pedersen). Dennoch ließen sich die „psychologischen Hauptbegriffe“283 voneinander abheben, weil sie die unterschiedliche Art der geistigen Vorgänge bezeichnen, so v.a. ,das triebhafte Aktive‘, ,das bewusste geistige Agieren‘ und eher ,die von außen kommenden Impulse‘.284
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282 283 284
Vgl. Lessing, Geschichte Bd.2, 199. Wie z. B. bei Homer. Vgl. Anm. 418 und 424. Er verweist dabei darauf, dass sich Herder aufgrund der poetischen Bilder dazu habe hinreißen lassen. Vgl. Eichrodt, Theologie, 71 und Herder, Geist, 64ff. Eichrodt, Theologie, 71. Eichrodt, Theologie, 75. Eine Dichotomie oder Trichotomie schließt er somit aus. Vgl. Eichrodt, Theologie, 75–76. Auch in der 1.Hälfte des 20. Jahrhunderts finden sich Theologien, in denen weitgehend unreflektiert mit ,Seele‘ wiedergegeben wird. Exemplarisch sei hier die Theologie Prockschs, des Lehrers Eichrodts, genannt, die er 1942 fertigstellte, die aber erst posthum 1950 gedruckt wurde (Vgl. Vorwort und Vorwort des Verlags, Procksch, Theologie, S.V–VI und IX). Procksch schränkt allerdings die Bedeutung ,Seele‘ insofern ein, als er betont, dass sie vom Körper untrennbar sei, auch im Tod nicht aus ihm herausgehe. Auch der Tote habe Leib und Seele, aber keine lebendige mehr, denn der Lebensgeist sei nicht mehr vorhanden. Daher könne man in Bezug auf das AT nur von einer Dichotomie sprechen. Vgl. Procksch, Theologie, 203.459–460.502. Vgl. Kap. 2.3.1.5. Eichrodt, Theologie, 75. Vgl. Eichrodt, Theologie, 65–77. In seinem Buch zum Menschen im Alten Testament spielt diese Frage keine Rolle, da der Fokus auf die Beziehung Mensch – Gott und
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Dass Eichrodt diese Hauptbegriffe in seiner Theologie, die heilsgeschichtlich orientiert ist, behandelt, liegt in seiner methodischen Herangehensweise begründet. Er möchte die „,innere Struktur‘ der alttestamentlichen Glaubenswelt“ erfassen, indem er „die tragenden Grundbegriffe der alttestamentlichen Religion untersucht“.285 Auch A.R. Johnson übernimmt in seiner Arbeit zur Vitalität im Denken des Alten Israel 1949 die Grundbedeutung ,Kehle‘.286 Er geht ebenso wie Pedersen,287 auf dessen Spuren er – wie Robinson – „eine die primitiven Mitteilungsweisen archaischer Welt psychologisch sondierende Forschung“ betreibt,288 von der Prämisse aus, dass das israelitische Denken, wie das sogenannte primitive Denken generell, hauptsächlich durch das Erfassen der Ganzheit charakterisiert sei, somit ein synthetisches Denken sei. Phänomene würden meistens in Relation gesehen, in Beziehung zum Ganzen. Johnson vermutet, dass diese „awareness of totality“ das „Open-Sesame“289 zum Verstehen der hebräischen Sprache und des Denkens sei. Für führt er wie Dürr die Bedeutungen ,Kehle‘, ,Atem‘ und ,Leben‘ an. In Letzterem zeige sich bereits das Erfassen der Totalität, aber noch deutlicher werde dieses, wo für alle Manifestationen des Gefühlslebens stehe (z. B. Ex 23,9). Das Wort sei außerdem Subjekt zahlreicher Gefühlsregungen und Formen des Verlangens bzw. der Anziehung und könne auch den Willen bezeichnen. Da es somit für verschiedenste Ausdrucksformen des Selbst stehe, sei leicht zu verstehen, dass es mit Suffix die Person oder das Selbst bezeichne. Obwohl es oft das Personalpronomen ersetze, müsse man festhalten, dass es dabei meistens eine besondere Intensität der Gefühle ausdrücke. Daher verliere eine Übersetzung durch das Pronomen die Ausdrucksstärke des Hebräischen. Oftmals werde , insbesondere mit dem Verb &)(, auch verwendet, um „one’s ,person‘ or ,self‘ as a centre of consciousness and unit of vital power“290 zu bezeichnen. In Rechtstexten bezeichne es eine Person/jemand und in Aufzählungen werde es häufig im kollektiven Singular für Personen verwendet. Von hier sei es kein weiter Schritt mehr zur Bezeichnung einer Leiche. Das Wort sei somit ein gutes Beispiel für die semantische Polarisie-
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287 288 289 290
die Aufgaben des Menschen gelegt wird, vgl. Eichrodt, Man in the Old Testament, passim. Vgl. Lessing, Geschichte Bd.2, 198–199 (beide Zitate: 199) und Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Exegese, 423–424. Ziel dieser Arbeit ist es, eine Basis für die Untersuchung des Ausdruckes in Hab 2,4 zu legen, der laut Johnson ein die ganze Bibel durchziehendes Prinzip ist. Er will also kein vollständiges israelitisches Menschenbild darstellen und betont, dass zu fragen bleibe, ob es überhaupt eine einheitliche Konzeption gegeben habe. Vgl. Johnson, Vitality, 1. Vgl. Kap. 2.3.1.4. Vgl. Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Exegese, 495 (Zitat ebenfalls 495). Für Robinson vgl. Kap. 2.3.1.5. Johnson, Vitality, 7 (1. Zitat) und Johnson, Vitality, 7–8 (2. Zitat). Johnson, Vitality, 23.
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rung in semitischen Sprachen. Es könne das Lebensprinzip im Menschen ebenso bezeichnen wie die Leiche, aus der dieses entwichen ist.291 Der Mensch, hält Johnson fest, sei im AT als psycho-physischer Organismus, als Einheit, gedacht. Dies zeige sich auch am Gebrauch anderer Körperteillexeme, die als agierend oder mit persönlichen Qualitäten versehen dargestellt würden und parallel zu oder auch , stehen können. Daher gelte: „[…] in Israelite thought man is conceived, not so much in dual fashion as ‘body’ and ‘soul’, but synthetically as a unit of vital power or (in current terminology) a psycho-physical organism. That is to say, the various members and secretions of the body, such as the bones, the heart, the bowels, and the kidneys, as well as the flesh and the blood, can all be thought of as revealing psychical properties.“292
Nach dem Tod, der die Zerstörung des Organismus als Zentrum der Vitalkraft bedeute, löse sich die næfæš ebenfalls auf. Allerdings nimmt Johnson wie Pedersen an, dass die Lebenskraft (bei Pedersen die Seele) des Menschen nach der Anschauung des AT über den Körper hinausgehe und z. B. in dessen Besitz und Nachkommen gesehen werde.293
2.3.1.7 Seligsons Widerspruch (1951) 1951 wendet sich M. Seligson gegen die bis dato genannten Wortbedeutungen. Ziel ihrer am „Department of History and Languages“ der Universität Helsinki vorgelegten Arbeit ist es, den Ausdruck zu erläutern, der Studierenden große Mühe bereite und auf verschiedene Weise erklärt worden sei. Um diesen zu verstehen, müsse man u. a. den Unterschied zwischen und erläutern und die Wortbedeutung des letzteren detailliert darlegen.294 Im ersten Teil des Buches versucht Seligson aufzuzeigen, dass immer eine mysteriöse Kraft bezeichne und keinerlei andere Bedeutung ange291
292 293
294
Vgl. Johnson, Vitality, 7–26. Anschließend untersucht Johnson die Bedeutung und Verwendung des Wortes . Auch hier zeige sich eine Polarisierung zwischen dem physischen Gebrauch als Wind oder Atem und dem psychischen als geistige Kraft oder mentale Regungen, die teilweise auch als von außen kommend gedacht wurden. Man habe es heranziehen können, um die gesamte Spannbreite des menschlichen emotionalen, vernünftigen und willentlichen Lebens zu bezeichnen. Zudem könne es auch für den Lebensatem stehen. Vgl. Johnson, Vitality, 26–39. Johnson, Vitality, 88. Vgl. für den vorherigen Absatz und die Untersuchung der Verwendung der Körperteil-/Organbezeichnungen: Johnson, Vitality, 39–88. Vgl. Johnson, Vitality, 89. Auf diese These Pedersens verweist auch Pidoux 1951 in seiner Darlegung der hebräischen Seelenvorstellung (wobei er und ,Seele‘ gleichsetzt), vgl. Pidoux, l’homme, 10–22. Vgl. Seligson, , 19–20. Da man ältere Vorstellungen auch in jungen Texten finden könne und alte Riten häufig, wenn auch unter Umdeutung, identisch weiterbestünden, verzichtet sie auf eine Unterscheidung zwischen einzelnen Schichten im AT und betont, dass man über die vorschriftliche Denkwelt nur Hypothesen aufstellen könne.
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nommen werden müsse. Dies zeige schon ein Blick auf die Wurzel in den anderen semitischen Sprachen, denen allen die Bedeutung ,Seele‘ gemeinsam sei. Ob man diese im Atem erkannt und die Wurzel ursprünglich diesen bezeichnet habe, bleibe im Dunkeln. Klar sei aber, dass die Bedeutung ,Atem‘ in den ältesten schriftlichen Quellen nicht nachweisbar sei. Dies gelte auch für das AT: „The sense of in the Old Testament is only a ,mysterious potency‘. Even when the word seems to be used in a transferred meaning a careful study will show that it is always used in this same way: a ,potency‘. The word for this potency in the body nowadays is soul, but when is translated by this term it must not be taken in its modern sense. [...] the soul was conceived of as material.“295
Wenn man Seele als unbekanntes Prinzip des Lebens und als materiell verstehe, dann gebe es keine Stelle im AT, an der man nicht so übersetzen könne.296 Die Wiedergabe mit ,Leben‘ entspreche zwar dem modernen Verständnis, verkenne aber, dass für den Hebräer dieses auf der næfæš basiere und Lebensgefahr daher Gefahr des Lebensprinzips/der Lebenskraft sei und ihr Fehlen den Tod bedeute. Als „potency on which life depended“297 und somit als essentielles Element im Menschen sei die næfæš auch Träger von Emotionen und tierischen Instinkten. Es stimme natürlich, dass 2 sich mit Suffix auf das Selbst der Person beziehe und daher einem Pronomen entspreche. Dennoch sei eine unreflektierte Wiedergabe mit einem Pronomen nicht korrekt, es sei vielmehr sehr häufig wichtig, die eigentliche Bedeutung des Wortes mit einzubeziehen, um Missverständnisse zu vermeiden. Die næfæš sei als Lebensprinzip Träger der Emotionen und Instinkte, nicht körperlicher Tätigkeiten, auch wenn diese ein Zeichen dafür sind, dass im Körper Lebenskraft vorhanden ist. Auch die Wiedergabe des Wortes mit ‚einer/jemand‘ sei nicht korrekt, denn es könne zwar ein Individuum bezeichnen, aber als ,jemand, der im Besitz von Lebenskraft, in dem das Lebensprinzip ist‘, nicht als Einheit dieser. Die Bedeutung ,Lebensprinzip‘, „vis vitalis“,298 käme aber eigentlich dem Ausdruck zu und auf verzichtet werde nur, wo die Bedeutung klar sei. Letzteres könne ebenfalls den ganzen Terminus vertreten. Die Wiedergabe mit ‚lebendige Kreatur‘ sei als eine freie Interpretation zwar möglich, aber eigentlich stehe hier das Lebensprinzip für das ganze Wesen.299 Es gelte: „ alone means nothing else than vis, a kind of mysterious inexplicable potency.“300 295 296
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Vgl. Seligson, , 21–23 (Zitat: 22–23). Zustimmend zitiert sie Pedersens Bestimmung der Seele als „organism, which at any times centres and ranges itselfs round a point of gravity. This point of gravity is the centre of force in which action is created, and this centre must be firm and strong.“, Pedersen, Israel, 145, vgl. Seligson, , 23. Seligson, , 33. Seligson, , 40 [im Original nicht kursiv]. Hier führt Seligson erneut Pedersen an und stimmt ihm zu, dass der Mensch als ganzes Seele sei, weil diese Potenzialität den ganzen Körper erfülle und man somit
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Anschließend wendet sich Seligson der Widerlegung der These Dürrs zu, habe ursprünglich die Kehle bezeichnet. Dafür analysiert sie zentrale Texte und Wendungen, die zum Beleg dieser Bedeutung im Akkadischen und Ugaritischen herangezogen wurden, und konstatiert, dass napištu bzw. npš darin nicht ,Kehle‘ bedeuten könne und somit die Grundlage der Annahme Dürrs nichtig sei.301 Außerdem versucht sie anhand der Belege, in denen die Bedeutung ,Kehle‘ im Hebräischen angenommen wurde, aufzuzeigen, dass in allen Fällen tatsächlich ,Seele‘, im Sinne ,vis vitalis‘, die korrekte Wiedergabe sei.302 Die næfæš sei zwar materiell und Teil des Lebewesen, aber kein Körperteil. Auch sei sie nicht an den Körper gebunden, sondern könne über ihn hinaus wirken. Die Verbindung von mit dem Verb meine daher vermutlich nicht einfach ,lieben‘, sondern ‚von einer Seele bezaubert/fasziniert sein‘.303 Es gelte:
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sagen könne, dass der Körper die äußere Form der Seele ist, vgl. Seligson, , 45 und Pedersen, Israel, 171ff. Seligson, , 40; Für diesen und die vorhergehenden Abschnitte vgl. Seligson, , 23–45. Vgl. Seligson, , 46–57: In CT XVII.9, einer Aufzählung der besonders von bösen Geistern angreifbaren Körperregionen und in CT XVII.20–21, einem medizinischen Text über Körperteile, die verbunden werden müssen, seien mit napištu keine Organe/Körperteile im Blick, sondern das Wort werde verwendet, um auf die Kraft, die in Augen, Nase, Mund und Ohren wirke, zu referieren. Daher auch der Plural in CT XVII.20–21, der bei der Bedeutung ,Kehle‘ unsinnig sei, da es nur um eine Person geht. Zudem sei es unsinnig, beim Verbinden Nacken und Kehle, also Vorder- und Rückseite des Halses zu erwähnen. Auch in K191 II 27, wo es um das Entweichen eines bösen Geistes aus dem Körper geht, sei nicht die Kehle gemeint, denn Geister können nicht nur durch Körperöffnungen wie den Anus, der in diesem Text auch genannt ist, und die Kehle entweichen, sondern auf vielen Wegen. Dass napištu in allen diesen Texten immer zusammen mit Körperteilen genannt wird, spielt für Seligsons Argumentation keine Rolle. Auch der Ausdruck parû bzw parruu napišta, bedeute einfach ,jemanden das Leben abschneiden‘ oder kurz ,töten‘. ,Kehle‘ sei hier unpassend, weil man nicht nur durch das Durchschneiden der Kehle töten könne. Der Ausdruck kunuk napišti bedeute nicht ,Halssiegel‘, sondern lediglich ,Schutzzeichen‘. Außerdem sei napištu bei der Aufzählung der Körperteile in der XV. Tafel der Serie 7AR-ra = ubullu gar nicht erwähnt. Daher können es im Akkadischen nicht ,Kehle‘ bedeuten, was auch für das Ugaritische gelte. In 67:I:7 sei die Übersetzung „du sollst in die Kehle des Gottes Mots hinabsteigen“ falsch, denn hier sei npš das wollende und entscheidende Element im Körper, d. h. die Seele. Als Beispiele für ihre Argumentation seien hier Jona 2,6 und Jes 5,14 genannt. In Jona 2,6 sei die Übersetzung, die Wasser stehen mir bis zur Kehle, falsch, denn Gefahr bestehe erst, wenn diese bis zum Mund gehen und außerdem habe in Jona 2,8 klar die Bedeutung ,Seele‘. In Jes 5,14 sei mit der Scheol nicht ihre Kehle im Blick, sondern gemeint sei, dass sich die Seele als Trägerin des Appetites weit mache, um mehr Platz für Essen zu schaffen. Diese Bedeutung habe npš auch am Ende des Krt-Epos. Dabei bezieht sie sich auf die Wiedergabe durch Gordon. Vgl. Seligson, , 57–65. Vgl. zur Wiedergabe Gordons Gordon, Ugaritic Literatur, 81. Vgl. für diesen Abschnitt Seligson, , 65–69.
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„Any incomprehensible phenomenon [...] was thought the result of a ‘mysterious potency’, a vis. Different Semitic languages call these ‘spirits’ by different names. But the word used [...] in early times must be one found in all Semitic languages. NPŠ seems to be this word.“304
hingegen habe die Bedeutung ,Geist‘ erst sekundär erhalten. Ursprünglich habe es ,Wind‘ und dann ,das Atmen‘ bedeutet, während der ,Atem‘ sei.305 Abschließend erklärt Seligson, basierend auf ihren vorherigen Überlegungen, den Ausdruck . Da nicht einfach ‚einer‘ bedeuten könne, sei die häufig gegebene Erklärung ‚jemand Totes‘ hinfällig. Auch Johnsons Erläuterung, dass das Wort ein gutes Beispiel für die semantische Polarisierung in semitischen Sprachen sei, weil es das Lebensprinzip im Menschen ebenso bezeichnen könne wie die Leiche,306 sei nicht korrekt. Wo es verschiedene Bedeutungen eines hebräischen Wortes gebe, liege ihnen immer eine gemeinsame Idee zugrunde. Daher könne unmöglich das Wort für ,vis vitalis‘ auch ,Leiche‘ heißen. Hier sei es vielmehr so, dass die Kraft im Toten im Blick sei, d. h. „the disease and dead demon“307 . Besonders zeige sich dies in Num 19,11–13, wo jede andere Deutung der Kraft, d. h. von 2 , außer als Totengeist völlig ausgeschlossen sei. Der Ausdruck , stehe analog zu ; ersterer bedeute ,vis letalis‘308 , letzterer ,vis vitalis‘. An einigen anderen Stellen, wo man Leiche wiedergegeben hat, sei dagegen sogar einfach als irgendeine „potency that causes strange phenomena“ verstehbar (z. B. Num 9,6, Lev 22,4). Seligson erklärt auch den i. E. psychologischen Hintergrund hinter dem Ausdruck . Man habe Angst empfunden, weil man davon ausgegangen sei, dass der Krankheitsdämon die Seele des Toten absorbiert habe und nun neue Opfer suche,309 bzw. im Falle eines gewaltsamen Todes die Seele sich in einen bösen, nach Rache suchenden, Geist verwandle.310 Gegen Seligsons Analyse richtet sich G. Widengren in einer kurzen Rezension. Er kritisiert zunächst, dass Seligson zwar erkläre, dass Seele nicht im modernen Sinne verstanden werde dürfe, aber nicht, was dies bedeute. Anhand ihrer Widerlegung der Bedeutung ,Kehle‘ als einem Hauptteil ihrer
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Seligson, , 68. Vgl. Seligson, , 70–77. Vgl. hierzu Kap. 2.3.1.6. Seligson, , 82. Dies erklärt laut Seligson auch die Bezeichnung eines Grabmals mit npš im Syrischen, Südarabischen und Aramäischen: „When NPŠ is used for a tomb, this indicates that the place is haunted by a NPŠ, NPŠ being the vis letalis which has been confined to the tomb.“, Seligson, , 94. Diese Erklärung übernimmt sie nach eigener Angabe von Karsten, Civilization, 183, 477 und ders., Origin of Religion, 289. Vgl. Seligson, , 78–86.
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Argumentation prüft er anschließend die Verlässlichkeit der Arbeit.311 Er betont dabei, dass die Bedeutung ,Kehle‘ definitiv korrekt sei und verweist als Fazit seiner Rezension den Leser für belastbare Informationen zu auf Pedersen und Johnson.312 Auch A. Murtonens Buch „The living soul“ von 1958 ist durch die Auseinandersetzung mit Seligsons Thesen entstanden.313 Im Buch präsentiert er die Bedeutungen, die seine Analyse ergeben hat, mit Erklärungen, Beispielen und einer Statistik dazu, wie häufig jede unter den 754 Belegen vorkomme.314 Meistens, nämlich 487 Mal, bezeichne „the living and acting being of its possessor or [...] its possessor as living and acting“315, was die ursprüngliche Bedeutung sei, 127 Mal werde damit „its possessor as a mere 311
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Hier genügt es einige Beispiele darzustellen: So schreibt er z. B. zu ihrem Argument, dass der Plural in CT XVII.20–21 zeige, dass Kehle hier falsch sei, weil niemand mehrere Kehle haben könne, dass dies wohl auch für den Kopf gelte und trotzdem der Kopf u. a. in KAR 58 ebenfalls im Plural stehe, obwohl es nur um eine Person gehe. kunuk-napišti sei anders als von Seligson behauptet eindeutig parallel zu kunuk kiš di, was Siegel des Halses bedeute. Für die gegenteilige Behauptung habe Seligson keinen Beweis geliefert, lediglich betont, dass sie dies so sehe. Auch ihre Argumentation für das Ugaritische sei nicht verständlich. Zitiere man nämlich bei I*AB I 6–7 auch den zweiten Teil des Verses (...into the gullet ....), sei aufgrund der Parallelität der Verse offensichtlich, dass npš hier die Kehle bezeichne. Zudem werde im Folgenden ja explizit gesagt, dass Baal in den Rachen Mots hinabsteige. Wie Gnade und Rachen parallel stehen sollten, sei schlichtweg völlig unverständlich. Jes 5,14 und Hab 2,5 seien tatsächlich im Licht der ugaritischen Texte zu lesen. Aber nicht wie Seligson das unter Bezugnahme auf Gordons Übersetzung des Endes des KrtEpos tue. Gordons Übersetzung sei nicht korrekt, denn es sei nicht verständlich, warum dieser „npš with ‘appetit’ and not with ‘throat’“ übersetze, denn „one does not open the appetite of a person but one can open his gullet [...] Krt has been ‘dead’ but is revived by the rite of this opening of the npš.“ (99, kursiv von Widengren) Diese Stelle stütze also die Bedeutung ,Kehle‘, die auch in Jes 5,14 vorliege. Außerdem hält Widengren gegen Seligson fest, dass in Ijob 41,12–13 sehr wohl die Bedeutung ,Atem‘ nachzuweisen sei, zumal man sie mit dem Gilgameš-Epos III,111 vergleichen könne, wo der Halbsatz „dessen Atem Tod ist“, die Wiedergabe von napissu mtum sei. Zudem zeige neben den Blicken aufs Syrische und Arabische auch der Vergleich der beiden akkadischen Wörter napišu (atmen) und napištu, dass eine enge Verwandschaft nicht wegdiskutiert werden könne. Für weitere Beispiele vgl. Widengren, Review, Seligson, 98–102. Vgl. Widengren, Review Seligson, 97–102. Vgl. Murtonen, living soul, 3. Die dem Buch zugrunde liegende Studie will nach den Angaben Murtonens in erster Linie „semasiological“ sein, d. h. alle Belegstellen wurden daraufhin untersucht, welche Bedeutung in ihnen hat. Umweltsprachen werden nicht mit herangezogen und es wird auch nicht gefragt, ob Ausdrücke archaisch sind oder bildlich gesprochen wird. So kann das Wort laut Murtonen innerhalb der Gedankenwelt des AT untersucht werden, ohne fremde Konzepte hineinzutragen. Vgl. Murtonen, living soul, 7–9 (Zitat: 7). Dazu liefert er im Anhang die Zuordnung aller 754 Belege. Vgl. Murtonen, living soul, 98–100. Murtonen, living soul, 11.
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being without further qualifications“316 bezeichnet. Daneben könne es aber auch nur einen Teil seiner sonstigen Sphäre meinen. Die Gruppe, in der den Teil des Wesens bezeichne, der für dessen Leben und Aktivität wichtig ist, sei zweigeteilt. 10 Mal sei eine „substance or object important for life“317, 69 Mal das „centre of action“318. 61 Mal bezeichne es die Inhalte der Seele, die entweder durch psychische oder materielle Faktoren ausgelöst werden. Daneben gebe es noch einige Belege, deren Zuordnung nicht klar seien und Unschärfen in der Einordnung.319 Charakteristisch für die Seele sei es zu agieren und zu leben, wobei ersteres Hauptcharakteristikum sei.320 Wo die Seele ihren Besitzer als Wesen bezeichne, sei die Aussage, die Seele sterbe, dennoch ganz natürlich. Aber die Bedeutung ,Toter‘ müsse man näher erläutern. Wichtig sei es festzuhalten, dass das AT nie von einer toten Seele spreche, sondern nur vom Tod einer Seele oder von der Seele eines Toten ( ). Laut Murtonen ist Num 19,13 hier eine zentrale Textstelle. Da dort von einem Sterbenden die Rede sei, gelte für das hebräische Denken: „Apparently the dying man, even after he had ceased to breathe, was not regarded as altogether death; […] Apparently the dying was conceived as a more or less long process during which man was still called næfæš on account of the »life« or action which took place in his corpse; perhaps even the smell departing from the corpse had some influence on the matter”.321
Man müsse bezüglich des Ausdruckes , bedenken, dass darin ,sterbend‘ bedeuten könne. Dort wo allein einen Toten bezeichne, sei es eine Abkürzung, die deshalb verstanden worden sei, weil nur das Berühren eines Sterbenden unrein mache. Man könne auch ,Körper‘ übersetzen, weil nur der Kontakt mit diesem verunreinige und, hier zitiert er Pedersen, dieser die äußere Form der Seele sei. Auch müsse man im Blick behalten, z. B. wenn vom ,Schlagen/Töten der Seele‘ die Rede sei, dass die Konzeption „the living and acting beeing of man“322 nicht zu spirituell verstanden werden dürfe, denn sie schließe immer den Körper, durch den der Mensch handelt, mit ein. Die Annahme Seligsons, dass eine mysteriöse Kraft/Potenzialität bezeichne, lehnt Murtonen folglich ab. 316 317 318 319
320
321 322
Murtonen, living soul, 14. Murtonen, living soul, 18. Murtonen, living soul, 19. Vgl. Murtonen, living soul, 7–25. In den verschiedenen Gruppen sind die gängigen Übersetzungen, wie z. B. ,Person‘, ,Wesen‘, ,Leben‘ aber auch ,Gier‘ u.Ä. eingeordnet. Vgl. zur folgenden Darstellung Murtonen, living soul, 26–56. Daher gelte auch: „the soul seems to be in connection with the way of action, not with the person; when the way of acting is changed, the acting man has become a new soul.“ Murtonen, living soul, 56. Murtonen, living soul, 29–30. Murtonen, living soul, 31.
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Auch ihrem Versuch zu zeigen, dass napišt nicht ,Kehle‘ bedeute, folgt er nicht, wobei er einige der Argumentationspunkte Widengrens aufgreift. Außerdem sieht er für die Bedeutung ,Kehle‘ in Jes 5,14 und Hab 2,5 als gegeben an. Allerdings hält er sie nicht für die ursprüngliche, weil sie nur im Akkadischen, Ugaritischen und Hebräischen vorliege, aus ihr die anderen nicht ohne Schwierigkeiten abzuleiten seien und die Wurzel in allen semitischen Sprachen die Bedeutung ,Seele, Lebensprinzip‘ habe, was beweise, dass diese sehr alt sei. Interpretiere man diese Bedeutung mit Pedersens Aussage, dass der Mensch in seiner ganzen Essenz Seele sei, als »the living and/or acting being of its possessor» or »its possessor described as living and acting»“323 (was den Körper einschließt!), könne man alle anderen Wiedergabemöglichkeiten problemlos daraus ableiten; auch ,Kehle‘, weil diese als Ort der Nahrungsaufnahme und des Atems für die Lebendigkeit sehr zentral sei.324 D. Lys greift hingegen in seiner Untersuchung zur Geschichte der Seele bei den Israeliten und ihrer Umwelt 1959 den Gedanken einer Potentialität auf. Aufbauend auf einer Analyse der Seelenvorstellung im Alten Orient und der griechischen Welt, deren Gemeinsamkeit darin liege, dass sie die Seele als „numineuse, divine, impérissable“325 sehe, untersucht er das Vorkommen und die Bedeutung von im AT, geordnet nach der Reihenfolge der Entstehung der Schriften. So könne man auch die Entwicklung der Ideen und Realitäten dahinter aufdecken, denn Sprache sei nicht nur Lexeme und Grammatik, sondern verweise auf die zugrunde liegenden Vorstellungen.326 Diese Annahme teilt er u. a. mit Ziegler.327 Lys unterteilt die Texte in die Gruppen historische, prophetische und Rechtstexte und liefert Statistiken328 zur Häufigkeit der Verwendung von in diesen, in den verschiedenen Zeitabschnitten.329 Seine Untersuchung führt ihn zu dem Ergebnis, dass bereits in den ältesten Schriften des AT mehrere Bedeutungen für zu finden seien.330 Deren gemeinsame Grundlage sei der Gedanke einer „Potentialität“, die sich im Lebendigsein und seinen verschiedenen Äußerungen zeige, die die Totalität des Lebens ausdrücken, beginnend bei der Atmung und ihrer Lokalisation in 323 324 325 326
327 328 329 330
Murtonen, living soul, 69. Vgl. Murtonen, living soul, 63–70. Lys, nèphèsh, 110. Er unterteilt in die Zeitabschnitte: 1.Vor dem Exil mit den Unterabschnitten 1.1. vor Amos, 1.2 Amos bis Josia, 1.3 von Josia bis zum Exil 2. Die Exilszeit 3. Nachexilische Zeit. Die poetischen (Ps, Hld, Klgl) und weisheitlichen Schriften sowie die Psalmen werden anschließend behandelt, vgl. Lys, nèphèsh, 111–116. Ziegler, Denksprüche, 392 und Kap. 2.2.2.1. Vgl. Lys, nèphèsh, 117–119. Vgl. Lys, nèphèsh, 9–29 und 113–117. „Leben“, „Leben und Sterben“, „Leidenschaften/Begierden und Affekt“, „Lebendigsein“, „Personalpronomen“ und auch mehrere Lokalisationen. Vgl. Lys, nèphèsh, 194–195.
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der Kehle. Das Wort könne auch das lebendige Wesen bezeichnen, habe aber keine persönlichen Qualitäten, d. h. die næfæš macht den Menschen nicht zu einem Individuum, sondern kann das lebendige Individuum, z. B. in Aufzählungen von Personen meinen. Die næfæš sei aber keine ontologische Substanz und schon gar nicht etwas Mysteriöses oder Göttliches im Menschen oder bezeichne alles Numinose wie Seligson meinte. Sie teile das Schicksal des Körpers und sei auf gewisse Weise dessen Äquivalent. Im kultischen Bereich, wenn den Leichnam bezeichne, liege der Fokus dann mehr auf der gefährlichen Potentialität des toten Wesens.331 E.W. Marter hingegen vermeidet es von einer ,Potenzialität‘ zu sprechen und versucht, anhand der Verwendung des Wortes in s. E. vorexilischen Schriften zu zeigen, dass die verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten aus einem Konzept hervorgehen, indem die Seele, die der Mensch ist, das lebendige Wesen meine, das er ist und die Seele, die er hat, als sein Leben, in allen Manifestationen dieses Lebens, aufgefasst werde. Beides bezeichne aber dasselbe aus verschiedenen Blickwinkeln: Der Mensch hat Leben und ist ein lebendiges Wesen. Wenn er stirbt, stirbt auch die Seele, die ja gerade seine Lebendigkeit bezeichnet.332 Dieses vorexilische „Seelenkonzept“, d. h. eigentlich die vorexilische Verwendung des Wortes , umfasst nach Marter: „[...] man in all his powers of mind and body, manifesting life, not in one aspect of being, but in the total self, whether appetite or emotion, reason or purpose, consciousness or conscience. It is life as it appears in man, or it is the man himself as long as he has life.“333
2.3.1.8 Zwischenstand und offene Diskussionspunkte Eine kurze Bündelung der bisherigen Erkenntnisse zum Vergleich von und ‚Seele‘ findet sich 1961 bei J. Fichtner, Professor für Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule Bethel und Dozent an der Pädagogischen Akademie Bielefeld.334 Er verteidigt die neueren Übersetzungen und Kommentare, die, basierend auf den verschiedenen Bedeutungen des Wortes , seltener Seele übersetzen, gegenüber den Bedenken E. Faschers335, dass dadurch eine Entseelung der heiligen Schrift entstehe. Fichtner betont, dass die Bibel „keine Seele im Sinn der griechischen psyche [sic!]“336 , i.S. der platonischen Seelenlehre kenne und auch keine Trichotomie. Außerdem gebe es „kein deutsches Wort, das nepheš in seiner ganzen Bedeutungsbreite wiedergeben
331 332 333 334 335 336
Vgl. Lys, nèphèsh, 194–203 und auch die kurze Zusammenfassung seiner Ergebnisse in Lys, Israelite soul, 182–183. Vgl. Marter, Soul, 97–108. Marter, Soul, 108. Vgl. zu Fichtner Art. Fichtner in DBETh 1, 419. Vgl. Fascher, Seele oder Leben, passim. Fichtner, Seele oder Leben, 305.
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könnte.“337 Basierend auf den Angaben des Lexikons von L. Köhler und W. Baumgartner338 nennt er als Grundbedeutung ,Kehle/Schlund‘339 und übertragen daraus die Bedeutung ,Gier‘ und ,Begehren‘ sowie ,Atem‘. Von dort aus sei das Wort vielleicht „zu der Bezeichnung dessen, was ,Mensch und Tier zu lebenden Wesen macht‘“340 geworden und dann wiederum zu ,Leben‘ und ,Einzelner/einer‘ sowie zum Ersatz des Pronomens. Darüber hinaus könne es auch einen Toten bezeichnen. Noch am ehesten nahe am kontemporären Gebrauch des Wortes ,Seele‘ sei es dort, wo es den „Menschen, sofern er empfindet, verlangt und auch will“341 bezeichnet.342 Gegen Fascher betont er: „Wenn moderne Übersetzungen des Alten Testaments [...] manches Vorkommen von Seele in der deutschen Bibel nicht mehr halten können und das Wort Seele ersetzen, dann sollte der Leser sich klar machen, daß dafür ein triftiger Grund vorliegt [...] es soll damit denen gedient werden, deren ,Seele nach Gottes Wort hungert‘ und die sich mühen, es zu verstehen.“343
Mitte des 20. Jahrhunderts werden neben der oben344 thematisierten Frage nach der Grundbedeutung345 auch andere Punkte weiterhin diskutiert oder stehen neu im Fokus: a) Immer noch umstritten ist die Bedeutung des Ausdrucks . O. Sanders betont in seiner Untersuchung zu Jes 10,18 gegen Seligson, dass 337 338
339
340 341 342 343 344 345
Fichtner, Seele oder Leben, 306. Vgl. Köhler/Baumgartner, Lexicon, 626–628. Es nennt als Bedeutungen: ,Kehle‘, ,Atem‘, ,lebendes Wesen‘, ,Seele‘ (ungleich dem griech. Seelenbegriff) = ,Leben‘, ,Mensch‘, ,Leute‘, ,Seele‘, ,Persönlichkeit‘, ,Sitz und Träger von Stimmungen und Leidenschaften/Emotionen/Begierden‘, ,Einzelner‘, ,Toter‘. Auch Fohrers Wörterbuch nennt diese, vgl. Fohrer, Wörterbuch, 180. In der dritten Auflage des Lexikons von Köhler/Baumgartner von 1983, die von Stamm bearbeitet wurde, wird die Bedeutung ,Persönlichkeit‘ einschränkend näher erläutert als ,ich selbst‘ und bzgl. des Ausdrucks wird sowohl ,Toter/Leichnam‘ als auch ,Toten-Seele‘ genannt, vgl. Köhler/Baumgartner/Stamm, Lexikon, 672–674. Vgl. für eine Darstellung aus dem französischsprachigen Raum zur Polysemie des Wortes und den genannten Bedeutungen Jacob, Théologie, 129–131. Z. B. Dihle hingegen sieht in seinem ThWNT Artikel zu ! ,Leben‘ und ,lebendiges Wesen‘ als Grundbedeutung von an. schließe den Atem aber mit ein. Die Bedeutung ,Kehle‘ sei hingegen auf einen „Versuch zur Konkretisierung u [sic!] Lokalisierung der Lebensäußerung an einem bestimmten, sichtbaren Ort“ zurückzuführen. Vgl. Dihle, Art. ! , 614–615 (Zitat: 615). Fichtner, Seele oder Leben, 308. Fichtner, Seele oder Leben, 308. Vgl. für diesen Abschnitt Fichtner, Seele oder Leben, 305–309. Fichtner, Seele oder Leben, 318. Vgl. Kap. 2.3.1.6 und 2.3.1.7. So betont z. B. Jacob, dass die Bedeutung ,Kehle‘ immer nur eine Ableitung sei und nie den ursprünglichen Sinn ausdrücke. ,Atem‘ sei eindeutig die Grundbedeutung des Wortes . Vgl. Jacob, Art. ! , 615. Ihm folgt u. a. Haag (mit Verweis auf Jacob), der ,Atem‘ als Grundbedeutung und ,Kehle‘ als daraus entstandene Bedeutung sieht. Vgl. Haag, Seele, 39.
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diese noch Schwierigkeiten bereite. Aber als Ergebnis aller bisherigen Untersuchungen sei festzuhalten, dass es sich bei der næfæš „um eine Lebensseele (vielleicht von Haus aus eine Organseele) handelt, die mit dem Totengeist nichts zu tun hat“346 . Auch er betont, dass das AT keinen Leib-Seele-Dualismus kenne.347 Weiterhin vertreten wird, u. a. von E. Jacob348, die bereits häufiger erwähnte These, dass die Bedeutung ,Leichnam‘ aus ,Person‘ „in ihrer äußersten Statik“349 ableitbar sei. b) Mitte der 1960er Jahre stellt man sich in der Forschung außerdem die Frage, ob die griechische Übersetzung ! nicht doch berechtigt ist, wenn man von einem anderen ! -Begriff als dem platonischen ausgeht. Damit kritisiert man u. a. die Behauptung, die Übersetzer der LXX hätten den Sinn verfälscht.350 Daher versucht N.P. Bratsiotis in seiner Studie aufzuzeigen, dass der vorplatonischen Seelenbegriff und sehr viele Parallelen in ihrer Verwendung aufweisen. Dafür untersucht er die Wortbedeutungen und die Verwendung im jeweiligen Ko(n)text. Er belegt seine Angaben an Beispielen und nennt zudem zahlreiche Verbindungen mit Verben, die die jeweilige Bedeutung ebenfalls aufzeigen. ,Kehle‘ sieht er allerdings nicht als Grundbedeutung von an, sondern ,Atem‘. Ersteres sei lediglich eine Synekdoche daraus.351 Bratsiotis schlussfolgert aus seinem Vergleich, dass es eine „dem Volksbewußtsein geläufige Bedeutung von ‚! ‘“352 gegeben habe, die sich erstaunlich mit der von im AT decke und die von den Übersetzern der LXX herangezogen wurde, um letzteres durch ersteres treu zu verdolmetschen.353
346 347 348 349 350 351
352 353
Sanders, Leib-Seele-Dualismus, 330. Vgl. Sanders, Leib-Seele-Dualismus, 329–332. Vgl. Jacob, Art. ! . B, 617–618. Jacob, Art. ! . B , 617–618. Vgl. Bratsiotis, – , 59–60. habe ebenfalls diese Grundbedeutung. Daraus erkläre sich leicht die Bedeutung ,Leben‘ bzw. ,Sitz/Trägerin des Lebens‘, die auch bei ! sehr häufig sei. Zudem lasse sich die Nähe von ! und Blut in der altgriechischen Literatur aufzeigen, z. B. bei Sophokles. Ebenso lasse sich zeigen, dass die beiden Wörter sich in der Verwendung als psychologische Termini stark ähneln, wenn man das sehr alte griechische Schrifttum betrachte. Beide könnten den Sitz oder das Zentrum der Emotionen/seelischen Zustände, des Wollens und Verlangens, des Beurteilens und der Erkenntnis bzw. des Nachdenkens und des religiösen und moralischen Empfindens bezeichnen. Zudem stünden beide anstelle des ganzen Wesens und der Person, könnten als Pronomen fungieren und als das Ich des Menschen genannt werden. Außerdem hätten beide ihre Rolle im Totenglauben, wenn auch eine sehr unterschiedliche. Vgl. Bratsiotis, – , 58–87; dort finden sich auch die jeweiligen Belege. Vgl. zu ! im Griechischen auch Dihle, Art. ! . A, 605–614 und zur Seelenvorstellung im Griechischen des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr. Dihle, Seelenvorstellung, passim. Bratsiotis, – , 89. Vgl. Bratsiotis, – , 87–89.
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Auch Lys354, dessen erste Studie zu bereits thematisiert wurde,355 beschäftigt sich mit dieser Frage. Allerdings wählt er einen anderen Blickwinkel. Er zeigt in seiner Studie anhand der Variationen im Numerus zwischen MT und LXX, den Stellen, in denen die LXX nicht die Übersetzung ! wählt und an Belegen, in denen andere Wörter ebenfalls mit ! übersetzt wurden, auf,356 dass die LXX diese ganz im Sinn der Bedeutungen des hebräischen , wie Lys sie darlegt, verwende, d. h. dass die hellenistischen Juden auch in einem neuen kulturellen Umfeld weiterhin an der alttestamentlichen Bedeutung festhielten.357 Zwar ersetze die LXX häufig die Einzahl mit Pluralsuffix durch Mehrzahl und Possessivpronomen, z. B. bei der Bedeutung ,Leben‘, um die Individualität der einzelnen Person zu betonen, während der hebräische Text eher kollektiv denke, aber zahlreiche Belege zeigten, dass auch die Konstruktion aus Einzahl plus Possessivpronomen im Plural nicht gescheut wurde. Dies schließe aus, dass die Änderungen aufgrund einer anderen ontologischen Doktrin erfolgten. Ebenso zeige auch die Änderung von Singular mit Singularsuffix in Plural mit Possessivpronomen im Plural und die Wiedergabe von ‚jede Seele‘ durch ‚alle Seelen‘, diese Tendenz der LXX.358 Die Stellen, an denen die LXX eine andere Übersetzung wählt, beruhten meist darauf, dass als ein bestimmtes Verlangen oder eine Begierde wiedergegeben werde, dass sie verschiedene Lokalisationen wähle, das ganze Wesen darunter verstehe, oder dass sie bei der Bedeutung ,Selbst‘ oder ,persönliche/indivuelle Realität‘ ! vermieden habe, um nicht an die dualistische Seele denken zu lassen. Wo die LXX das Wort verwende, passe die jeweilige Bedeutung zum Gebrauch von im AT, sogar wo es ein anderes übersetzt oder eine Hinzufügung ist. Diese Verwendung von ! sei möglich, weil das Wort in manchen seiner Bedeutungen eine Unabhängigkeit vom Dualismus aufgewiesen habe. Tatsächlich vermeide die LXX diesen bewusst, denn sie verstehe, was meine und wisse, dass Dualismus nicht zur biblischen Theologie passe.359 c) Neben diesen beiden Themen steht weiterhin der Zusammenhang zwischen , , , und in der Diskussion. W.H. Schmidt stellt ausgehend von G. von Rads Theologie und seinem Versuch, das AT „ausreden und seine Sache selbst sagen“360 zu lassen, fest, dass man dabei immer auf dasselbe Problem stoße, die Differenz zwischen Übersetzung und hebräischem 354
355 356
357 358 359 360
Bratsiotis bezieht sich bereits an einigen Stellen auf die zurzeit der Abfassung seines Artikels noch unveröffentlichte Studie von Lys, die dieser ihm vorab zur Verfügung gestellt hatte. Vgl. Bratsiotis, – , 58, Anm. 2 und öfter. Zwischen diesen beiden Studien liegt eine weitere zu , vgl. Lys, Rûach, passim. Er verwendet nach eigenen Angaben die 6. Aufl. der LXX von Rahls und gibt an, in seine Studie nur dessen Text und die dort genannten wichtigen Varianten einzubeziehen, vgl. Lys, Israelite soul, 184. Vgl. Lys, Israelite soul, passim, bsd. 182. Vgl. Lys, Israelite soul, 186–194. Vgl. Lys, Israelite soul, 194–228. V.Rad, Theologie Bd.II, 11.
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Text, besonders bei der Wahl bestimmter Wörter wie z. B. ,Seele‘ oder ,Geschichte‘. In seinem Artikel möchte er daher die Frage stellen, wie das AT „in seinen Hauptbegriffen vom Menschen“ redet, die von Rad361 nur sehr kurz thematisiert hatte. Diese sind für ihn , , , und . Für gibt er ,Kehle/Gurgel‘ als Grundbedeutung an. Die Bedeutung ,Atem‘ sei kein Ersetzen des Organs durch die Funktion oder ein Schritt vom „KonkretHandgreiflichen zum Abstrakten“,362 sondern Körperteil und Funktion werden zusammen gedacht, sind eins. Die weiteren Bedeutungen, die er nennt, sind die bereits bekannten.363 Auch das Fleisch könne den ganzen Menschen bezeichnen sowie als Ersatz eines Personalpronomens fungieren und kennzeichne ihn dabei „als ohnmächtig-schwach und sterblich“,364 sei neben Wind, Hauch und Atem auch „Sitz der Gefühle und Leidenschaften“365 und der Stimmung sowie Tätigkeiten des Verstandes. Das Herz, bei dem erneut die Entwicklung den Anfang bei einem Organ nimmt, sei besonders Sitz des Verstandes und der Einsicht, des Beurteilens, aber auch wieder der Stimmung. Die Begriffe seien einander nicht unter- bzw. übergeordnet, sondern sie „enthüllen jeweils andere Möglichkeiten und Wirklichkeiten des Menschen, zeigen ihn in verschiedener Hinsicht.“366 Da zwischen Körperteil/Organ und Funktion nicht getrennt werde, werde mit ihnen nicht ein wichtiger Teil des Menschen betrachtet, sondern, „der Aspekt bestimmt, unter dem der Mensch jeweils erscheint. […] ‹nphsch› kennzeichnet den Menschen, soweit er auf etwas aus ist, ‹ra6› soweit er Stimmungen unterworfen ist und Fähigkeiten hat, ‹lb› soweit er denkt und sich entscheidet, ‹br› soweit er ohnmächtig und hinfällig-vergänglich ist.“367
Die Bezeichnung „Synthetisches Denken“, die z. B. von Johnson oder Wolff verwendet wird,368 hält Schmidt diesbezüglich aber für irreführend, weil 361
362 363 364 365 366 367 368
Dieser thematisiert die von Schmidt als Hauptbegriffe analysierten Wörter in einem kurzen Abschnitt zur Anthropologie des AT. sei der wichtigste anthropologische Begriff. Die Grundbedeutung sei ,Kehle‘ und das Wort „bezeichnet das Vitale am Menschen im weitesten Sinn“, „das Lebendige“. Die Wiedergabe mit ,Seele‘ lehnt er ab, weil die næfæš nicht vom Leib getrennt sei, auch wenn sie unterschieden werden. Wo nicht ein Charisma bezeichnet, käme es dem „Geistigen im Menschen“ näher als . Das Herz sei „Sitz nicht nur des ganzen Empfindungslebens, sondern auch des Verstandes und des Willen.“ Daneben erwähnt er in einem Satz die Nieren als Sitz der verborgenen Empfindungen. Vgl. von Rad, Theologie Bd. 1, 157 (dort auch alle Zitate). Schmidt, Anthropologische Begriffe, 378. ,Leben‘, ,Person‘, ,Leiche‘, ,Stimmung‘, ,Wesen‘, ,Verlangen‘, ,Personalpronomen‘, ,Ich‘. Vgl. für diesen Abschnitt Schmidt, Anthropologische Begriffe, 374–381. Schmidt, Anthropologische Begriffe, 382. Schmidt, Anthropologische Begriffe, 383. Schmidt, Anthropologische Begriffe, 387. Schmidt, Anthropologische Begriffe, 387. Vgl. Johnson, Vitality, 7–9 und Wolff, Anthropologie, 23–24.
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nicht eigentlich Getrenntes (Seele, Leib, Geist) zusammengedacht werde, sondern der Ursprung in der Gemeinsamkeit läge.369 Auch wenn er die Bezeichnung „Synthetisches Denken“ ablehnt, zeigt sich darin doch, dass er wie Pedersen und Johnson von einer „Andersartigkeit“ des hebräischen Denkens ausgeht.370
369
370
Vgl. Schmidt, Anthropologische Begriffe, 382–388. Auch Jacob geht auf das Verhältnis dieser Körperbegriffe ein. Er nimmt zwar noch weitere, die er ebenso als Sitz des Lebens sieht, hinzu, u. a. Gesicht, Hand, Innereien, behandelt diese allerdings deutlich kürzer und sehr knapp. Er hält fest, dass die „Stelle des Körpers, die augenblicklich die größte Lebenskraft zeigt, [...] oft als Sitz des Lebens schlechthin angesehen“ (621) wird. Das AT sehe den Menschen aber nicht als Summe seiner Teile, sondern „die Gesamtheit kann sich vielmehr in einem Teil konzentrieren.“ (621). bezeichne den Menschen unter dem Aspekt des vegetativen Lebens, unter dem des inneren Wertes, unter dem der Schwäche und Vergänglichkeit und die rûa bewirke, dass die Organe lebendig sind und sei Ursache ihrer seelischen Funktion. Das Menschenbild des AT sei monistisch. Die Körperteilmetaphern zeigten, dass „der Mensch als ein psychisch-physisches Wesen gedacht wird, dessen Leben durch Ausdehnung oder Konzentration in allen Teilen des Körpers sich offenbaren kann.“ (628), vgl. Jacob, ! , 619–629. Eine weitere umfangreiche Arbeit, die hier noch kurz erwähnt werden sollte, ist Scharberts Untersuchung zu Fleisch, Geist und Seele im Pentateuch. Er versucht, die Verwendung der Wörter , , und in den unterschiedlichen Pentateuchquellen (Jahwist [J], Elohist [E], und ältere Sondertraditionen, Dtn, Priesterschrift [P]) zu rekonstruieren. Die Bedeutungen sieht er aufgrund zahlreicher Untersuchungen als weitgehend geklärt an, die Bedeutungsgeschichte bedürfe aber noch einer Studie. Da die Datierung der Quellen im Pentateuch relativ gesichert sei, bieten sie sich s. E. für eine solche Analyse an, deren Ergebnisse dann vielleicht auch zur Datierung unsicherer Stellen betragen könnten (Vgl. Scharbert, Fleisch, 9–15). Er kommt zum Ergebnis, dass sich trotz zahlreicher Übereinstimmungen Entwicklungen zeigen lassen. So verwende J 0 nie theologisch wertend und unterscheide die drei anderen Begriffe klar voneinander, während der Elohist und ohne Unterschied gebrauche. Zudem verwenden P und J unterschiedliche Begriffe für den Lebensatem. Wie bei P, wo das Fleisch misstrauisch und mit einer gewissen Abwertung gesehen werde, sei bei J , wo es nicht ,Wind/Hauch‘ bedeute, Sitz „des höheren Empfindungslebens, des Gemütes, der Gesinnung [...] oder es ist ein besonderes von Gott verliehenes Charisma“ (80). Dtn ersetze es als Ort der Gesinnung durch , i. d. R. gemeinsam mit dem Herzen, und verbinde das Fleisch mit Vergänglichkeit. Alle Quellen verwenden , wo es um die den Leib erfüllende Lebenskraft gehe und im Sinne von Person, aber nur Dtn und P identifizieren die næfæš mit dem Blut. Letztere sei die einzige Quelle, die das Wort genau wie ein Personalpronomen verwende, bei den anderen sei immer noch der „,Personenkern‘ des Menschen, [...] der Träger seiner wesentlichen Lebensinteressen“ (81) im Blick. Zudem denke nur sie wirklich über das Verhältnis von Leib und nichtleiblichen Bestandteilen nach. Vgl. Scharbert, Fleisch, 79–82. Vgl. Kap 2.3.1.4 und 2.3.1.6.
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2.3.1.9 Wolffs Anthropologie (1973) Wolffs Anthropologie des Alten Testaments von 1973, zu deren Veröffentlichung ihn nach eigenen Angaben von Rad ermuntert hatte,371 ist, mindestens für den deutschsprachigen Raum, epochemachend und bis heute „ein wichtiger Gesprächspartner“372 für Fragen der alttestamentlichen Anthropologie. 373 In der Einleitung betont Wolff, dass „[a]nthropologische Probleme [...] nicht unter Abblendung von Theologie, sondern nur in voller Offenheit für das Gotteszeugnis der Bibel geklärt werden“ können.374 Hierin zeigt sich Wolffs Grundgedanke, dass in den Texten des Alten Testaments ebenso wie im Neuen Testament das Kerygma laut wird. Unverkennbar ist dabei der Einfluss K. Barths, auf den in der Einleitung375 auch explizit Bezug genommen wird.376 Die Erörterungen zu den anthropologischen Hauptwörtern377 finden sich im ersten Teil des Buches,378 der neben diesen als eigene Kapitel noch die Kapitel „das Leben des Leibes“, „das Innere des Leibes“, „die Gestalt des Leibes“ und „das Wesen des Menschen“ thematisiert. Bereits die Überschriften „næpæš – der bedürftige Mensch“, „b r – der hinfällige Mensch“,
371 372
373
374 375 376 377 378
Vgl. Wolff, Anthropologie, 5–6. Janowski, Anhang II, 403. Janowski betont, dass der Ansatz Wolffs trotz möglicher Anfragen überzeugend ist und lobt, dass er, anders als seine Vorgänger, „die Frage nach einer alttestamentlichen Anthropologie umfassend gestellt“ hat (382). Außerdem habe er das dichotomische/trichotomische Denken durch eine dem AT gerecht werdende Deutung überwunden. Natürlich habe sich aber seit Wolff einiges auf dem Feld der alttestamentlichen Wissenschaft getan, was in Zukunft auch für eine Anthropologie des AT zu berücksichtigen sei. Vgl. Janowski, Anhang II, 381–386 und Janowski, Anthropologie. Grundlegung, 14–20 sowie Janowski, Hans Walter Wolff, 80.89–91. Das Buch erfuhr bis 2002 sieben Auflagen. Die 3. Auflage wurde um ein Nachwort, das auf Rezensionen und Anfragen eingeht, erweitert. Ansonsten wurden nur kleinere Korrekturen und Ergänzungen eingefügt. 2010 wurde es von Janowski mit zwei Anhängen neu herausgegeben. Dieser unterteilt im 2. Anhang seinen Überblick über die Anthropologie für die alttestamentliche Wissenschaft sachgemäß in „vor und nach Wolff“ (Vgl. Janowski, Anhang II, passim). Außerdem wurde das Buch in zahlreiche Sprachen übersetzt, u. a. ins Englische, Französische, Italienische, Spanische und Japanische. Vgl. Wolff, Anthropologie 7.Aufl., 6. Vgl. Wolff, Anthropologie, 17. Vgl. Wolff, Anthropologie, 13–18. Zu Wolff vgl. Lessing, Geschichte Bd.3, 250–252. Wolff spricht auf 21 von Hauptwörtern und auf 24 von Hauptbegriffen, meint aber in beiden Fällen wohl dasselbe. Vgl. Wolff, Anthropologie, 21–24. Wolff unterteilt seine Anthropologie in drei Hauptteile. Nach einer Einleitung, in der die Fragestellung, Vorarbeiten, Methodik und der Plan des Buches dargestellt werden, folgt zunächst ein Kapitel über „des Menschen Sein. Anthropologische Sprachlehre“, dann über „des Menschen Zeit. Biographische Anthropologie“ und „des Menschen Welt. Soziologische Biographie“.
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„rûa – der ermächtigte Mensch“ und „leb( b) – der vernünftige Mensch“379 lassen erkennen, wie Wolff die anthropologischen Hauptwörter versteht und dass er einer falschen Interpretation aufgrund der unreflektierten Wiedergabe mit ,Seele‘, ,Fleisch‘, ,Geist‘ und ,Herz‘ wehren will. Dies betont er auch in den Vorbemerkungen und hält fest, dass er eine „biblisch-anthropologische Sprachlehre“380 erarbeiten möchte, indem er die Verwendung der hebräischen Körperteilbezeichnungen des Menschen sowie seine gesamte Erscheinung untersucht, um einen Zugang zum alttestamentlichen Menschenbild zu erhalten, der dieses selbst erhebt und nicht ein dichotomisches oder trichotomisches Denken ins AT hineinträgt. Dafür seien das Verständnis zweier grundlegender Voraussetzungen des semitischen Denkens und Vorstellens nötig, der Stereometrie und des synthetischen Denkens. Erstere erfasse Sachverhalte nicht durch klar umrissene Begriffe, sondern durch die parallele Nennung mehrerer sinnverwandter Wörter. Für die Erhebung des Menschenbildes gelte daher zu beachten, dass dieses „stereometrische Denken [...] den Lebensraum des Menschen durch Nennung charakteristischer Organe“381 abstecke und damit den Menschen als Ganzen beschreibe. Unter synthetischem Denken versteht Wolff das Sprachphänomen, dass eine Körperteilbezeichnung nicht diesen selbst, sondern die ihm zugeschriebene Funktion meint, z. B. /Hand ,Macht‘. Diese beiden Aspekte müsse eine Übersetzung beachten, weil sie sonst die anthropologische Aussage falsch verstehen könne. Eine Analyse der „semantischen Weiträumigkeit der anthropologischen Hauptbegriffe“382 könne hingegen einen guten ersten Zugang zum alttestamentlichen Verständnis vom Menschen ermöglichen, weil mit ihnen „zugleich kennzeichnende Fähigkeiten und Eigenarten des Menschen und damit typische Aspekte des Menschlichen ins Blickfeld treten.“ 383 Wolff steht mit dieser Annahme in einer Traditionslinie mit Pedersen und Johnson, die ebenfalls von einem vom griechischen und modernen deutlich unterschiedenen hebräischen Denken ausgehen. Seine Untersuchung beginnt er mit . Den Streit darum, ob ,Atem‘ oder ,Kehle‘ als Grundbedeutung zu gelten hat, hält er für müßig, denn während ,Hals‘ eine sekundäre Verwendung des Wortes sei, sei die Kehle als Ort der Nahrungsaufnahme und der Atmung wohl von Anfang an mit dem Atem zusammengedacht worden. Bei der Nennung der Kehle, des Ortes der elementaren Funktionen der Lebenserhaltung, klinge oft auch die Bedürftigkeit 379
380 381 382 383
Wolff, Anthropologie, 7–8. Die Nähe zu Schmidts Darstellung sind nicht zufällig. Schmidt ist Wolffs Schüler und verweist ebenso wie Wolff auf das von Wolff in Zusammenarbeit mit ihm in Mainz gehaltene Seminar zu den anthropologischen Grundbegriffen als Anfang/Anregung der jeweiligen Arbeit. Vgl. Schmidt, Anthropologische Grundbegriffe, 376, Anm. 6 und Wolff, Anthropologie, 5–6. Wolff, Anthropologie, 23. Wolff, Anthropologie, 22. Wolff, Anthropologie, 23–24. Wolff, Anthropologie, 24. Vgl. zum gesamten Abschnitt 7–24.
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des Menschen und seine Gefährdung mit. Daher stehe dann häufig für vitales „Verlangen, Begehren, Trachten oder Sehnen“384 und werde mit Verben verbunden, die im Piel und Hitpael ,wünschen oder begehren‘ bedeuten. Von hier aus sei es nur ein kleiner Schritt zur Verwendung als „Sitz und Akt auch anderer seelischer Empfindungen und Gemütszustände“385 , z. B. Verbitterung oder Liebe und Hass. An diesen Stellen ist s. E. die Übersetzung ,Seele‘ angemessen. Sie werde aber nie das Subjekt besonderer geistiger Tätigkeiten. Dass auch ,Leben‘ bezeichne, sei für das synthetische Denken problemlos verständlich, denn die næfæš sei „das Organ der vitalen Bedürfnisse, ohne deren Stillung der Mensch nicht weiterleben kann“386 . Sie werde aber nie als vom Leib getrenntes, unsterbliches Element betrachtet und ein Nachdenken über ihr Schicksal nach dem Tod gebe es im AT nicht. Allerdings, so Wolff, gebe es zahlreiche Belegstellen, an denen der Mensch als bezeichnet werde und nicht etwas sei, was er besitze. Häufig bedeute das Wort nämlich ,Person‘, ,Individuum‘ oder auch ,Wesen‘. Dabei deute sich z. B. in Ez 13,19 eine Loslösung des Wortes vom Begriff des Lebens an. Der Fokus liege nun auf dem einzelnen Wesen, was die Möglichkeit erkläre, von einer sprechen zu können, was ,verstorbene Person‘, also ,Leiche‘ bedeute. Ebenso sei dann die Verbindung einleuchtend. Auch der Übergang zur Verwendung anstelle oder in Parallelität zu einem Pronomen sei daher leicht verständlich. Man müsse aber beachten, dass „beim pronominalen Gebrauch jeweils nach den mitschwingenden Ober- und Untertönen gefragt werden“387 müsse.388 Wolff fasst seine Untersuchung zu folgendermaßen zusammen: „Überschauen wir den weiten Zusammenhang, in dem die n. des Menschen und der Mensch als n. betrachtet werden, so sehen wir darin vor allem den Menschen als das einzelne Lebewesen gekennzeichnet, das das Leben weder aus sich selbst gewonnen hat noch erhalten kann, sondern das in vitalem Begehren auf Leben aus ist, wie das die Kehle als Organ der Nahrungsaufnahme und des Atmens und der Hals als der besonders gefährdete Körperteil verdeutlichen. Zeigt so n. vor allem den Menschen in seiner Bedürftigkeit und Begehrlichkeit, so schließt das seine emotionale Erregbarkeit und Verletzlichkeit ein.“389
betrachte hingegen den Menschen unter dem Aspekt der Körperlichkeit und der Hinfälligkeit und Schwäche.390 bezeichne ursprünglich eine Naturkraft und werde öfter in Bezug auf Gott als auf den Menschen verwendet. Das Wort könne auch ,(menschlicher) Atem‘ bedeuten. Die Nähe zu , die
384 385 386 387 388 389 390
Wolff, Anthropologie, 33. Wolff, Anthropologie, 35. Wolff, Anthropologie, 37. Wolff, Anthropologie, 46. Vgl. Wolff, Anthropologie, 25–48. Wolff, Anthropologie, 47 (kursiv im Original). Vgl. Wolff, Anthropologie, 49–56.
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sich hier zeige, sei Ausdruck der „Stereometrie synthetischen Denkens“391 , denn dabei werde ein Phänomen von verschiedenen Ausgangspunkten betrachtet. Bei werde das Organ und der Vorgang des Atmens zusammengeschaut, bei sei es der Wind, der von JHWH kommt, der den Atem bilde. Bezogen auf Gott sei die rûa vor allem Schöpfer- und Lebenskraft. Sie könne aber auch als selbstständiges Wesen zur Sprache kommen. Die rûa Gottes sei es zudem, die den Menschen mit besonderen Fähigkeiten beschenke. Bezogen auf den Menschen sei sie sein Gemüt. Wolff vermutet, man habe im Atem die Gemütsbewegungen erkannt. Hierin zeige sich zwar eine deutliche Nähe zur Verwendung des Wortes , aber die rûa sei darüber hinaus Träger des Willens, was Wolff mit der energischen Kraft, die dem Wort im Ursprung anhaftet, begründet. Ganz selten bedeute auch ,Geist‘ im heutigen Verständnis.392 Auch bei geht er von der Analyse der Belegstellen, die vom Organ sprechen, aus. Zwar sei auch im Hebräischen das Herz mit Gefühlen und Gemütszuständen verbunden und Träger des Begehrens und Verlangens, v.a. des verborgenen, aber wesentlich häufiger sei es Subjekt rationaler, intellektueller Vorgänge und umfasse dabei all das, was wir heute dem Gehirn zuweisen. Es sei auch Sitz des Willen und des Gewissens sowie Subjekt des Planens und Entschließens. Dabei sei aber zu beachten, dass es z. B. in Dtn 6,5 genannt werde, weil es die „bewußte Willenshingabe“ bezeichne, während das echte Verlangen meine.393 Wolff betont auch im Kapitel zu , dass alle anthropologischen Hauptbegriffe zwar für die ganze Person bzw. ihr Selbst stehen können, dabei aber immer ein bestimmter Aspekt des Menschen mitklinge und bewusst bleibe.394
2.3.2 Aufnahme von, Ergänzungen zu und Einsprüche gegen Wolffs Analyse von 2.3.2.1 Westermann (THAT), Seebass (ThWAT) und die Übersetzung ,Seele‘ Auch C. Westermanns Artikel im THAT führt die von Wolff aufgezeigten Wortbedeutungen an,395 wobei er für die Belegstellen, in denen er die Übersetzung ,Seele‘ (mit Einschränkung!) wählt, festhält, dass dabei immer das „intensive Ausgerichtetsein auf etwas“396 vorherrschend ist und das Verhal391 392 393 394 395 396
Wolff, Anthropologie, 59. Vgl. Wolff, Anthropologie, 57–67. Vgl. Wolff, Anthropologie, 68–95 (Zitat: 87; im Original kursiv). Vgl. Wolff, Anthropologie, 89–90. Vgl. Westermann, Art. , passim. Westermann, Art. , 84.
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ten bzw. die Emotion sehr intensiv sei. Auch die Belegstellen, in denen von Gottes und ihrer Abwendung vom Volk die Rede ist, zeigten, „daß n. nicht etwas am Menschen (bzw. Gott) oder im Menschen ist, sondern die Intensität eines Verhaltens oder Empfindens; n. ist das Ich in seiner intensiven Intentionalität.“397 H. Seebass, der in seinem Artikel zu im ThWAT die Arbeiten Schmidts, Johnsons, Westermanns und Wolff als ausgezeichnet bezeichnet, stimmt letzterem besonders darin zu, dass das Wort ein anthropologisches sei, womit gemeint ist, dass es „das Menschsein nach alt.licher Auffassung ganz grundsätzlich zu erschließen geeignet ist“398 . Seebass gibt ebenfalls die bei Wolff genannten Bedeutungen an, diskutiert manche aber. ,Hals‘ lehnt er ab, weil das Würgen der Kehle im Blick sei. Weiter schränkt er ein, dass manchmal bei der Verwendung des Wortes mit Verben des Verlangens eher „die Urteilsfähigkeit dieses Begehrens“ herausgestellt werden solle als der bloße Trieb, d. h. gemeint ist dann „die typisch menschliche Distanz, durch die man ein Verhältnis zu sich selbst haben kann“399 . In einem Exkurs, in dem er die Stellen untersucht, an denen Westermann die Bedeutung ,Seele‘ annimmt, kommt er zu dem Schluss, dass nicht diese als eine Nuance, sondern „das Sprudeln von Personalität“400 , das Ich, das Selbst gemeint sei. Wobei er aber durchaus anerkennt, dass an manchen Stellen die Übersetzung ,Seele‘ mit entsprechenden Einschränkungen möglich sei.401 Er betont auch, dass „der Mensch nicht ein vitales Selbst hat, sondern dieses ist.“402 Zur Bedeutung Leben ergänzt er, dass das im Lebewesen vorkommende Leben gemeint sei. ,Leiche‘ lehnt er als Bedeutung hingegen ab und verweist auf Michels angekündigten Artikel.403 Es sei wohl eher die entweichende Lebenskraft im Blick.404
397 398 399 400 401
402 403 404
Westermann, Art. , 92. Seebass, Art. , 537. Seebass, Art. , 542 (beide Zitate). Seebass, Art. , 544. Haag z. B. geht über dieses „möglich“ bei Seebass hinaus. Er betont, dass sich diese Übersetzung anbiete, wo als Trägerin der Begierde und des Sehnens erscheint und übersetzt in Gen 2,7 ,lebendige Seele‘. Außerdem sieht er mit Jacob ,Atem‘ als Grundbedeutung und ,Kehle‘ als daraus entstandene Bedeutung an. Ansonsten folgt er in seiner Darstellung der Bedeutungen des Wortes Wolff und Westermann, auf die er auch verweist. Vgl. Haag, Seele, 39–41. Seebass, Art. , 546. Vgl. hierzu Kap. 2.3.3.3 und Michel, næp æš als Leichnam?, passim. Vgl. Seebass, Art. , 531–552.
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2.3.2.2 Lauhas Einspruch gegen eine Bedeutung für die Anthropologie R. Lauhas Dissertation, eine strukturalsemantische Analyse der psychophysischen Lexeme405 , und , genauer gesagt ihrer Verwendung im Bereich der Emotionen, wendet sich gegen Wolffs und viele andere der bereits genannten Thesen.406 An der Methodik der älteren Untersuchungen kritisiert er insbesondere, wobei er sich an Barrs Kritik anlehnt,407 die Ableitung eines speziellen hebräischen Denkens aus lexikalischen Unterschieden und die isolierte Betrachtung einzelner Wörter zur Analyse dieses Denkens.408 Lauha beginnt seine eigene Analyse mit einem kurzen Überblick über die für die drei Wörter bisher ermittelten Bedeutungen, gefolgt von einer Frequenzanalyse, die ergibt, dass das Vorkommen der drei Wörter in der Poesie signifikant über dem Erwartungswert liegt. Er schließt daraus, dass sich ihre Verwendung auf diese und vergleichbare prophetische Texte kon-
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Er nennt die drei Lexeme psychophysische, weil sie nach gängiger Meinung sowohl die körperliche als auch die psychische Seite des Menschen bezeichnen, vgl. Lauha, Sprachgebrauch, 7. Vgl. zum Folgenden auch die Darstellung der Arbeit Lauhas bei Bester, Körperbilder, 16. Vgl. Barr, Bibelexegese und Semantik, passim. Er folgt dagegen Barrs Darstellungen in Bibelexegese und Semantik, 233–235.265 und neueren linguistischen Studien aus dem Bereich der alttestamentlichen Forschung darin, dass der Kotext immer mitbetrachtet werden müsse, weil die Bedeutung einer Aussage aus der gesamten Wortkombination/ Satz folge, und dass Wörter aus demselben Bedeutungsfeld zusammen analysiert werden müssten. Vgl. Lauha, Sprachgebrauch, 7–39. Zur Methodik seiner Untersuchung gibt er an, dass er zunächst darlegen möchte, wie das jeweilige emotionale Phänomen im AT ausgedrückt wird, d. h. welche Lexeme und Ausdrücke dafür gewählt werden (paradigmatische Ebene). Anschließend sollen die Fälle, in denen die jeweilige Emotion mit einem oder mehreren der drei untersuchten psychophysischen Lexemen verbunden wird, auf ihren Anteil am gesamten Vorkommen hin untersucht werden. Für jedes Vorkommen soll dann die Funktion des Lexems im Kotext analysiert werden (syntagmatische Ebene), wobei es auch als Funktion gesehen wird, ob ein Wort eine Bedeutung hat oder nicht. Auch die Sinnrelationen des Lexems sollen im direkten Kotext analysiert werden. Dabei fasst Lauha mit Lyons eine Bedeutungsanalyse auf als die „Analyse des Lexems im Hinblick auf Sinnrelationen“ (42, kursiv von Lauha), wie z. B. Synonymität. (Vgl. hierzu auch Lauha, Sprachgebrauch, 32. Dort bezeichnet er diese Herangehensweise, d. h. die Bestimmung der Bedeutung anhand sprachinterner Relationen ohne Beachtung außersprachlicher Bezüge als Möglichkeit eines strukturalsemantischen Ansatzes!). Er betont, dass der Vergleich der drei Lexeme, der während der Untersuchung immer im Blick bleiben soll, auf der paradigmatischen und der syntagmatischen Ebene vollzogen werde. Vgl. zur Methodik und Aufgabenstellung Lauha, Sprachgebrauch, 39–45.
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zentriere.409 Anschließend untersucht er die Wortfelder Freude, Trauer und Schmerz, Mut, Furcht, Stolz, Demut, Liebe (inkl. Gefallen haben an, verlangen nach) sowie Hass (inkl. Zorn, Wut, Abscheu).410 Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass der „Anteil der psychophysischen Lexeme an der Schilderung von Emotionen als sehr gering“411 zu veranschlagen sei. Jede Emotion könne auch ohne ein solches völlig gleichwertig ausgedrückt werden, auch eine höhere Intensität durch die zusätzliche Verwendung eines der drei Lexeme lasse sich nicht nachweisen.412 Häufig seien diese nur „wie Pronomina semantisch leere Hinweisworte, die für irgendeine im Text erwähnte Konstituente substituiert werden“413 . Das Referenzobjekt sei dabei wie bei einem Pronomen der ganze Mensch, d. h. das Lexem fungiere als Synekdoche. Die Verwendung der drei Wörter sei dabei meist aufgrund des Parallelismus membrorum oder der Metrik erklärbar. Auch in Constructus-Verbindungen füge das jeweilige psychophysische Lexem nichts Neues zur Bedeutung der Emotion hinzu, weil das Nomen regens diese zusammen mit dem Kotext bestimme. Zudem gebe es keine klaren inhaltlichen Differenzen zwischen Wendungen, die mit drei oder zwei der Lexeme vorkommen. Außerdem würden die drei Lexeme sehr ähnlich im Zusammenhang mit Verben aus den genannten Wortfeldern verwendet, manchmal sogar mit den gleichen. Lediglich für ließe sich feststellen, dass es meist mit negativen Emotionen verbunden sei. Dass die Lexeme unterschiedlich häufig mit verschiedenen Emotionen vorkommen, lasse sich nicht begründen und die emotive Schattierung sei schwer zu beurteilen. Auffällig sei aber, dass sie oft im engen Kotext parallel belegt seien. Häufig stehen sie auch mit Wörtern, die sich auf Körperteile oder den ganzen Körper beziehen, im Parallelismus membrorum, entweder als Antonyme, wobei das psychophysische Lexem das Innere des Menschen bezeichne (Gegensatz Inneres – Äußeres) oder als Paronyme,
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Daher geht er auch auf die Bedeutung des Parallelismus membrorum und der Metrik für die semantische Analyse ein. Ersterer könne dabei, weil selbst im synonymen Parallelismus membrorum die parallelen Konstituenten oft nur denselben außersprachlichen Referenten (d. h. das Bezeichnete) haben, aber nicht völlig synonym seien, nicht als Ausgangspunkt, sondern nur als Bestätigung dienen. Letzterer sei aufgrund der großen Unsicherheiten bzgl. des hebräischen Metriksystems nur dort hinzuzuziehen, wo aus dem Kontext ein klares Versmaß erkennbar sei. Vgl. Lauha, Sprachgebrauch, 64–70 und 232–233. Vgl. Lauha, Sprachgebrauch, 71–231 (Freude: 71–92; Trauer und Schmerz: 92–132; Mut: 133–136; Furcht: 136–154; Stolz: 155–163; Demut: 163–169; Liebe: 170–195; Hass: 195–231). Lauha, Sprachgebrauch, 233. Außerdem sei auffällig, dass dieselbe Emotion mit unterschiedlichen Lexemen und verschiedenen Wendungen ausgedrückt werden kann, wobei einige Verben allerdings als eine Art Hyperonym der Emotion aufzufassen seien, d. h. ihre Verwendung deckt die der anderen Stämme fast komplett ab. Vgl. Lauha, Sprachgebrauch, 233–234. Lauha, Sprachgebrauch, 235 (kursiv von Lauha).
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wobei dann beide als Synekdoche für den ganzen Menschen verwendet werden.414 Als Fazit seiner semantischen Analyse hält Lauha abschließend fest: „In diesem Stadium der Untersuchung, wo zunächst die Bedeutungsfelder der Emotionen und die Stellung der psychophysischen Lexeme in ihnen durchmustert worden sind, scheint es klar, daß $+, und ('0 nicht so deutlich definierbare Aspekte im Menschen bezeichnen, wie man angenommen hat. Auch lassen sich im Gebrauch und in der Bedeutung der Lexeme keine klaren gegenseitigen Unterschiede finden, insofern sie zur Bezeichnung von Emotionen verwendet werden.“ Ihr Vorkommen „beruht weithin auf der Verwendung verschiedener rhetorischer Figuren“. „Auch eine Anthropologie oder Psychologie des Alten Testaments sollte man nicht auf ihnen aufbauen.“415
2.3.3 Neuere Forschungsbeiträge 2.3.3.1 Noch einmal die Grundbedeutung und der Vergleich mit Viele neuere Forschungsbeiträge folgen Lauhas Argumentation nicht. So untersucht z. B. G. Rappe in seiner Darstellung der Leibschemata der Hebräischen Bibel die Verwendung eben dieser drei Wörter und spricht sich explizit gegen Lauhas Endergebnis aus.416 Zwar hätten die Lexeme Überschneidungspunkte, sie ließen sich aber schwerpunktmäßig differenzieren. bezeichne „primär die Leibesinsel Herz“, sei also stärker an die leibliche Verortung gebunden und stehe zudem mehr mit Rationalität in Verbindung, während „die leibliche Lebendigkeit und ganzheitliche Regung von Kraft“ sei und ein „Niederschlag von Atmosphären und ergreifenden Gefühlen“.417 Da Rappes Hauptinteresse aber eigentlich auf dem Vergleich mit der griechischen und ägyptischen Anschauung liegt, beschäftigt er sich besonders mit den Ergebnissen Bratsiotis’. Zwar zeige dessen Quellenmaterial tatsächlich Ähnlichkeiten zwischen der Verwendung von ! bei den frühen griechischen Dichtern sowie Homer und , aber die Differenzen zwi414 415
416 417
Vgl. Lauha, Sprachgebrauch, 232–241. Vgl. zur Darstellung der Studie Lauhas auch Dreytza, ruach, 97–100. Lauha, Sprachgebrauch, 240 und 241. Kursiv von Lauha. Dem stimmt z. B. Dreytza zu: „Wie Lauha überzeugend nachweisen konnte, sind die drei psychopysischen Lexeme $+, und ('0 im Felde der Emotionen auf der paradigmatischen Ebene weitgehend austauschbar. Sie beschreiben nicht verschiedene Aspekte der Persönlichkeit, wie man vielfach angenommen hat.“ Dreytza, ruah, 148. Er schränkt aber ein, dass sich dieses Bild deutlich ändere, wenn man den Fokus der Untersuchung auf die theologische Verwendung lege, vgl. Dreytza, ruach, 148. Vgl. Rappe, Leiberfahrung, 293–296. Rappe, Leiberfahrung, 307 (alle Zitate). Vgl. Rappe, Leiberfahrung, 304–307.
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schen den Konzepten seien nicht genug beachtet worden. Rappe nennt dazu einige Beispiele, u. a. betont er, dass bei Homer die Verbindung zwischen dem Blut und der psyché eine ganz andere sei als die zwischen dem Blut und der næfæš, denn die Seelen in der Unterwelt könnten durch Blutgenuss wieder zu Kräften kommen und seien keineswegs identisch mit dem Blut. Auch sei Ilias 1,3 eher ein Beleg für die Differenz, denn während den Leichnam bezeichnen könne, beziehe sich dort ! auf in die Unterwelt geschickte Seelen.418 Außerdem solle man bei beiden Wörter den Aspekt des Atmens nicht überbetonen. Unter Verweis auf Seligsons Arbeit betont er, „der Schwerpunkt [bei ] liege auf den ganzheitlichen Regungen der Lebendigkeit“.419 Er wirft dann einen Blick auf die Diskussion darüber, ob die Grundbedeutung ,Kehle‘ oder ,der Atmungsvorgang‘ ist und hält abschließend fest, dass man Seligsons Einwände beachten solle, denn selbst wenn das Wort ,Kehle‘ bedeute, sei nicht das Organ an sich, sondern der Regungsherd im Blick und bei ,Atem‘ nicht der einfache Vorgang, sondern die kräftige Bewegung. Seligsons Wiedergabe mit ,potency‘ hält er aber für eher ungeeignet. Man solle besser „leibliche Lebendigkeit und Vitalität“ wählen, weil „die genannten Phänomene alle mit leiblicher Kraft und Macht zusammenhängen“.420 E.R. Brotzman hingegen zeigt die Bedeutung ,Kehle‘ an Belegstellen auf. Jedoch gibt er als „basic meaning“ des Wortes – wobei er betont, keine historische Entwicklung aufzeigen zu wollen – „‚being‘ or ‚creature‘“ und als „basic idea[...] creatures that breathe“421 an. Daraus seien die anderen Bedeutungen leicht zu erklären. ,Kehle‘ und ,Atem‘ könnten aber evt. als Rückkehr zu einer in den Nachbarsprachen belegten Idee verstanden werden.422 Auch N. Kilwing beschäftigt sich mit der Frage, ob die Übersetzung des Wortes durch die LXX, wenn man die vorplatonischen Verwendung von ! betrachtet, angemessen war. Dabei zeigt er sich ebenfalls kritisch ge418
419 420 421 422
Vgl. zur Verwendung des Wortes ! bei Homer Claus, Soul, 61–68 und Jahn, Wortfeld ,Seele-Geist‘, 27–38.119–123. Jahn hält fest, dass es in 13 Belegen das Lebenprinzip oder das Leben bezeichnet, einmal eine für den Kampfeswillen zuständige Instanz im Menschen gemeint ist und in den restlichen Fällen die Trennung der ! vom Körper, ihr Weg in die Unterwelt oder ihr Ergehen in dieser (als „Vertreter des ganzen Menschen mit typisch menschlichen Eigenschaften im Hades“, 38) im Blick ist. Zur Verwendung des Wortes ! vor Platon insgesamt vgl. Claus, Soul, 61–155 und Bremmer, Concept of the Soul, passim sowie ferner auch Bremmer, Soul, 91– 94.100–105 und Bremmer, Karriere der Seele, 498–504. Claus setzt sich auch mit der breit rezipierten Studie von Rohde (Rohde, Psyche [2 Bde.]) kritisch auseinander, vgl. Claus, Soul, 1–3. Rappe, Leiberfahrung, 299. Rappe, Leiberfahrung, 304 (beide Zitate). Vgl. für diesen Absatz Rappe, Leiberfahrung, 296–304. Brotzman, Man, 406 (alle Zitate). Vgl. Brotzman, Man, 406–407.
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genüber der Bedeutung ,Kehle‘, denn die s. E. einzigen eindeutigen Belegstellen (Jes 5,14, Hab 2,5) sprächen von der unersättlichen Scheol.423 Für ,Atem‘ als Bedeutung gebe es jedoch auch nur eine einzige deutliche Belegstelle, bei der die LXX zudem ! übersetze. Allerdings scheine das Verb , das ,aufatmen‘ bedeute, doch für diese Grundbedeutung zu sprechen. Die Stoiker hätten sich die psyché ebenfalls als luftartig vorgestellt und Aristoteles berichte über Demokrit, dass er die Atmung als Schranke ansehe, die die Seelenteilchen im Körper halte. Hier gebe es folglich Parallelen. Obwohl Gen 2,7 den Schluss nahelege, dass der Mensch ist, ließen andere Belege vermuten, dass diese im Körper lokalisierbar ist, was auch im griechischen Sprachgebrauch der Fall sei. Auch wenn es Unterschiede424 gebe, habe Bratsiotis zahlreiche ältere griechische Belege finden können, in denen ! so verwendet werde.425 Zwar erfahre man über das Schicksal der næfæš nach dem Tod, anders als über das der psyché, nichts, aber dennoch seien die Ähnlichkeiten zwischen den hebräischen næfæš-Vorstellungen und den vorplatonischen, griechischen Seelenvorstellungen so groß, dass die entsprechende Wiedergabe in der LXX möglich gewesen sei.426 M. Rösel betont hingegen, dass „sich die Vorstellung vom Seelenleben in der LXX durchaus von dem unterscheidet, was die Hebräische Bibel bestimmt.“427 Aber aufgrund der Bedeutungsbreite des griechischen Wortes habe „sich die Übersetzung von durch ! weitgehend in dem vom hebräischen Denken vorgegebenen Rahmen bewegt“.428 Er zeigt aber auch Belege dafür auf, dass die LXX dichotomisches Denken ins AT eintrage und betont, dass durch die spätere Engführung auf das philosophische Verständnis und die Übersetzung von ! mit anima und daher mit ,Seele‘ im Deutschen eine deutliche Bedeutungsverschiebung entstanden sei.429 423
424
425 426 427 428 429
Außerdem haben die Übersetzer, so Kilwing, diese Bedeutung offenbar nicht gekannt, denn sonst hätten sie eine entsprechende Übersetzung wählen können. Dies gelte auch für die Wiedergabe mit ,Hals‘. Diese Stellen seien zudem problemlos als allegorisch aufzufassen. Vgl. Kilwing, Seelenverständnis, 377–381. Bei Homer sei die psyché ein während der Lebzeit unbemerkter Doppelgänger, ein Bild des Menschen, das beim Tod entweicht und im Hades eine entkräftete Existenz führt, während die næfæš im lebendigen Menschen ein zentraler Faktor sei. Außerdem geht Kilwing auch auf die Verbindung zum Blut ein. Dort befinde sich laut AT die næfæš. Ähnlichkeiten gebe es z. B. zu Empedokles’ Vorstellung, dass der entscheidende Teil der psyché im Blut sei. Vermutlich sei an etwas Flüchtiges im Blut gedacht, was die Lebenskraft enthalte und den Hadesbewohnern fehle, weswegen sie in den Erzählungen Blut trinken müssen, um wieder kräftiger zu werden. Vgl. Kilwing, Seelenverständnis, 382–392. Vgl. Kilwing, Seelenverständnis, 382–292. Vgl. Kilwing, Seelenverständnis, 392–398. Rösel, Die Geburt der Seele, 170. Rösel, Die Geburt der Seele, 168. Vgl. Rösel, Die Geburt der Seele, passim.
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2.3.3.2 Verzicht auf Seele als Übersetzungsmöglichkeit? B. Janowski430 stimmt in seiner Darlegung der Bedeutungen des Wortes Wolff weitgehend zu und betont ebenfalls, dass es „einen organischen Fixpunkt“431, die Kehle, habe. Allerdings lehnt er mit Seebass die Bedeutungen ,Hals‘ und ,Leiche‘432 ab und plädiert ebenfalls dafür, auf die Übersetzung ,Seele‘ aufgrund der Missverständlichkeit zu verzichten.433 Das AT kenne keinen Leib-Seele-Dualismus, sondern habe einen konstellativen Personenbegriff, d. h. es sieht den Menschen „als eine konstellative, d. h. aus Teilen oder Gliedern zusammengesetzte Ganzheit“ und eingebunden in „komplexe Beziehungen [Konstellationen], die dem Leben Sinn und Richtung verleihen“.434 In einem Artikel von 2013, in dem Janowski die Frage, ob ,Seele‘ bedeuten könne, eingehend thematisiert,435 betont er, dass wer den Verzicht auf die Wiedergabe mit Seele als Verlust empfinde und daher weiterhin an einigen Stellen so übersetzen wolle, zeigen müsse, „dass die Übersetzung ›Seele‹ für næpæš nicht nur Hand und Fuß hat, sondern unhintergehbar ist.“ Bis dahin empfiehlt er, ganz auf sie zu verzichten, zumal dies kein Verlust sei, sondern einen Zugewinn darstelle: „Er besteht in der Erkenntnis, dass der Begriff næpæš von seiner Grundbedeutung ,Kehle/Schlund‘ bis zu seinen Bedeutungen ,vitales Selbst‘, ,Leben(skraft)‘, ,individuelles Leben, Person‘ ein ganzes Spektrum von Aspekten umfasst, die den Menschen im Alten Israel in seiner psychosomatischen Ganzheit in den Blick zu nehmen erlauben. Diese Erkenntnis zurückzugewinnen und für die gegenwärtige Anthropologie fruchtbar zu machen, dürfte eine große Bereicherung sein.“436
Th. Krüger beschäftigt sich, im eingangs angeführten Artikel, ebenfalls mit der Frage, ob man in der theologischen Anthropologie ganz auf den Begriff der Seele verzichten sollte. Er wirft dazu zunächst einen Blick auf diesen im europäischen Kulturkreis und betont, dass andere Kulturen andere Vorstellungen haben/hatten und das europäische Konzept nicht ohne Alternative sei. Dann wendet Krüger sich im AT zu und hält fest, dass die meisten alttestamentlichen Texte keine Seelenvorstellung im europäischen Sinne kennen und auch andere Organe und sogar die Knochen seelische Funktionen übernehmen. Er untersucht auch , sowie und stellt fest, man könne das 430 431 432 433 434
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Vgl. zu Janowski auch die Darstellung bei Bester, Körperbilder, 18–19.22. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, 205 (kursiv im Original). Vgl. hierzu Kap. 2.3.2.1 und Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, 212–214. Vgl. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, 204–205. Vgl. Janowski, Anerkennung und Gegenseitigkeit, 182–185 (beide Zitate: 184). Vgl. hierzu auch Ders., Weltbild, 4–6; Ders., Anthropologie des Alten Testaments. Grundfragen, 544–550; Ders., Anthropologie. Grundlegung, 20–41; Ders., Konstellative Anthropologie, passim und Ders., Hans Walter Wolff, 108–110. Vgl. Janowski, Die lebendige næpæš, passim. Janowski, Die lebendige næpæš, 38 (beide Zitate).
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Forschungsgeschichtlicher Überblick „Verständnis des Menschen etwa als konstellativ (der Mensch ist ein Komplex verschiedener «seelischer Instanzen»), relational (für den Menschen sind vielfältige Umweltbeziehungen konstitutiv) und ganzheitlich (der Mensch existiert nur als Gefüge sämtlicher für ihn konstitutiven «seelischen» Instanzen – einschließlich seines Körpers! – und Außenbeziehungen) bezeichnen“.437
Auch das NT kenne kein griechisches Seelenkonzept, Paulus betone die Auferstehung des ganzen Menschen. Daher sei die theologische Anthropologie gut beraten, wenn sie auf dieses verzichte und so „die Einheit der Person als eine konstellative und relationale Größe“438 neu oder besser begreifen lerne.439 Auch Rösel hält am Ende seines Durchgangs durch die Bedeutungen von fest, dass das deutsche Wort Seele keine passende Wiedergabe sei und daher nicht weiter verwendet werden sollte.440 J. Dietrich stimmt zwar ebenfalls zu, dass die næfæš keine dualistische Seele sei. Er betont aber, dass ,Vitalität‘ als Bedeutung des Wortes nicht „als die ,Lebenskraft‘ eines conatus essendi“ aufzufassen sei. Die næfæš sei vielmehr „eine nach Bezogenheit drängende Vitalität, die ihre Lebenskraft gerade auch aus den Beziehungen gewinnt, in denen sie steht.“ Sie sei „,das Lebendige am Menschen‘, im Sinne der lebendigen Beziehungsfähigkeit.“441 bezeichne folglich auch den Menschen unter dem Aspekt des Verlangens nach Beziehungen und nicht nur des Bedürfens und Begehrens.442 J. van Oorschot betont, dass der Seelenbegriff als solcher inzwischen auch aus der Psychologie, Theologie und Anthropologie fast verschwunden sei oder, falls er doch verwendet wird, als „suspekt und belastet“ gelte. In seinem 2015 erschienenen Artikel zu unternimmt er daher den Versuch, durch die Analyse der unterschiedlichen Verwendungsweisen des Wortes in den verschiedenen Textsorten und Literaturwerken „Sprachfähigkeit“ zurückzugewinnen, die durch den Verzicht auf das Wort ,Seele‘ verloren gegangen sei. Dabei hält er fest, dass die Verwendung des Wortes heterogen sei und sich „nicht einfach in eine widerspruchsfreie Systematik bringen“ lasse, aber „in einem inneren Zusammenhang stehe“:443 „Lost in Translation, regain by Exegesis – wie kann das Spezifische der alttestamentlichen Rede von der 1/. für uns übersetzt werden? Dazu muss sicher [...] das Gespräch mit anderen Diziplinen theologischer und nichttheologischer Pro437 438 439 440
441 442 443
Krüger, ach ja die seele, 88. Krüger, ach ja die seele, 89. Vgl. Krüger, ach ja die seele, 83–89. Vgl. Rösel, Die Geburt der Seele, 153–154. Auch in der TRE und der RGG4, wo unter dem Stichwort Seele erläutert wird, wird die Wiedergabe mit ,Seele‘ angezweifelt. Vgl. Schöpflin, Seele II (TRE), 737–740 und Seebass, Art. Seele 2 (RGG4), 1091–1092. Dietrich, Sozialanthropologie, 227–228 (1. und 2. Zitat: 227; 3. Zitat: 228). Vgl. Dietrich, Sozialanthropologie, 227–228. Vgl. van Oorschot, Lost in Translation, 117–131 (1. und 2. Zitat: 119; 3. und 4. Zitat: 131).
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venienz gesucht werden. Und Bemühungen, wie man das zurückgewinnen kann, was wir mit der Vorstellung der Seele verloren haben, gibt es. Alttestamentlich wäre dazu [...] einzubringen: das ist der Mensch aussagbar als nucleus, als vitaler Kern, als elementare Potenzialität“444
R.C. Steiner hingegegen plädiert in seinem 2015 erschienen Buch „Disembodied Souls“ aufgrund der Verwendung der Wurzel auf der KatumuwaStele445 für eine Revision der These, dass nicht ,Seele‘/soul bedeute.446 „It has long been accepted by most scholars that ,the Hebrew could not conceive of a disembodied ‘; however, if that is true, he must have been oblivious to beliefs and practices found all over the ancient Near East. The Katumuwa inscription, on a stele recently excavated at Zincirli (ancient Samal), points up the need for a reassessment. In it, Katumuwa exhibits a belief in the existence of disembodied souls by mentioning the presence of his = in the stele.“447
Basierend auf diesem neuen Beleg, der zeige, dass eine den Körper verlassende Seele bezeichnen könne, versucht er insbesondere an Ez 13,17–21 zu zeigen, dass dies für im AT ebenfalls gelte. Seine Untersuchung, in die er u. a. auch rabbinische Quellen miteinbezieht, führt ihn zur These, dass die næfæš zwar ein Teil der Person, aber nicht des Körpers sei, diesen folglich verlassen könne und „considerable freedom of movement“448 besitze. Außerdem schlussfolgert er, basierend auf seiner Untersuchung der rûaVorstellungen des AT, unter Einbeziehung rabbinischer Vorstellungen und im Vergleich mit dem ägyptischen Ba, dass die næfæš aus zwei Teilen bestehe, die nach dem Tod getrennt werden.449 „The consists of two components: (1) the , a bodily component located in the blood (Lev 17:11), and (b) the , a spiritual component bestowed by God (Num 16:22; Qoh 12:7) […] After death, when the leaves the body, the components remain physically connected for a year, but they pull in opposite directions – the toward the body and the toward heaven.“450
Zwar entstamme diese Erklärung rabbinischer Literatur, aber sie werde, so Steiner, von archäologischen Quellen ebenso gestützt wie von den Vorstellungen in den Nachbarkulturen.451 Bereits 1974 hatte H.W.F. Saggs insbesondere für Ez 13,17–21 vertreten, dass hier den Körper verlassende Seelen bezeichnet werden. Der sumerische Text „Inanas Abstieg in die Unterwelt“ und ein Zauberspruch in Maqlû 182
444 445 446 447 448 449 450 451
Van Oorschot, Lost in Translation, 131. Näheres zu dieser Stele s. Exkurs 3. Vgl. Steiner, Disembodied Souls, 1–22.124–127. Steiner, Disembodied Souls, 124. Steinert, Disembodied Souls, 125. Vgl. Steiner, Disembodied Souls, 23–127. Steiner, Disembodied Souls, 125–126. Vgl. Steiner, Disembodied Souls, 126–127.
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zeigten, dass es diese Vorstellung in der Umwelt des AT für napištû gegeben habe.452 Anders sehen das z. B. M. Greenberg und K.-Fr. Pohlmann in ihren Kommentaren. Sie geben beide in Ez 13,17–21 mit ,Menschen/Personen‘ wieder.453
2.3.3.3 Michels Einspruch gegen die Bedeutung ,Leiche‘ D. Michel setzt sich mit der Bedeutung ,Leiche‘, die für und von Wolff angenommen wurde, auseinander. Er betont, dass es für einen Semantiker doch höchst verwunderlich sei, dass ein Wort sowohl ,Leben‘ als auch ,Leichnam‘ bedeuten solle und untersucht daher den Ausdruck . Zunächst hält er fest, dass es sich um eine Genitivverbindung handle, wie der entsprechende Plural und die Tatsache, dass feminin ist, zeigen. Gemeint sei also sicher nicht ,tote Seele‘, sondern , eines Toten‘. Zudem stammen alle Stellen, an denen man oder evt. mit Leiche wiedergeben könne, aus der Kultgesetzgebung und somit liege höchstens „die Entwicklung einer Spezialsprache“ und keine „allgemeine Bedeutungsentwicklung“454 vor. Darüber hinaus gehe es bis auf einen Fall immer um den Tatbestand der Verunreinigung durch diese ( ) . Allerdings müsse sie nicht unbedingt berührt werden, um verunreinigend zu wirken, wie z. B. Num 6,9 zeige, und aus Num 19,14–15 gehe hervor, dass auch offene Gefäße verunreinigt werden können. Daraus folge, dass man dachte, die næfæš wolle sich nach dem Tod ein neues „Gefäß“ suchen. Es drehe sich somit hier um die Lebenskraft, „die beim Sterben entweicht und die vor dem Hinabsteigen in die Scheol danach trachtet, sich einen neuen Wohnplatz zu suchen. Sie wirkt verunreinigend.“455 ( ) die Bedeutung ,Leiche‘ zuzusprechen, sei somit unbegründet.456 Auch Janowski setzt sich mit dieser Bedeutung auseinander. Während er 2006 Michel darin noch zustimmt, dass an allen Stellen, die als Belege für sie angegeben wurden, die Lebenskraft, die beim Tode entweicht, im Blick sei,457 betont er in einem Artikel über næfæš von 2013, dass Michels Deutung schwierig sei. In Num 19, der zentralen Belegstelle in Michels Argu-
452 453 454 455 456
457
Vgl. Saggs, External Souls, passim. Vgl. Greenberg, Ezechiel 1–20, 270 und Pohlmann, Hesekiel 1–19, 180–182. Michel, næp æš als Leichnam?, 82 (beide Zitate). Michel, næp æš als Leichnam?, 84. Vgl. Michel, næp æš als Leichnam?, 81–84. Probleme mache lediglich noch Lev 19,28. Das Einritzen der Haut für eine beziehe sich aber sicher nicht auf eine Leiche, sondern wohl auf einen Totengeist. Es handle sich vermutlich um einen alten Totenbrauch, über den man aber nichts Näheres mehr sagen könne, vgl. Michel, næp æš als Leichnam?, 83–84. Vgl. Janowski, Konfliktgespräche, 212–214.
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mentation, erscheine nämlich der Terminus gar nicht. Besser solle man daher in diesem Ausdruck als ,Person/jemand‘ verstehen.458
2.3.3.4 Einspruch gegen die Reduktion auf vier Haupt-/Grundbegriffe In ihrem breit rezipierten Buch über die Körpersymbolik der Bibel, mit dem sie der langen Tradition der Leibfeindlichkeit im Christentum das biblische Zeugnis entgegensetzen wollen, um Leiblichkeit auf dieser Basis wiederentdecken zu können und auch der Abwertung der Weiblichkeit entgegenzutreten,459 verabschieden S. Schroer und Th. Staubli die Unterscheidung zwischen vier ‚Hauptbegriffen‘ der Anthropologie und anderen.460 Sie untersuchen z. B. die Bedeutung der Bauchgegend, der Augen und der Haare genauso ausführlich und umfangreich und in einem eigenen Kapitel wie 461 und .462 Zwar beginnen sie nach einer ausführlichen Einleitung zu Aspek458 459 460
461
462
Vgl. Janowski, lebendige næpæš, 18–20. Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, S.XIII–XIV und 1–19. In ihrer Einleitung gehen sie auch auf Wolffs Anthropologie ein. Sie loben, dass er ein klares Zeichen gegen die christliche Leibfeindlichkeit setze, haben aber auch einige Kritikpunkte, mit denen sie jedoch, das wird betont, nicht Wolffs Verdienste schmälern wollen. Es wird kritisiert, dass er die Symbolik der Augen nicht ausreichend beachte, weil er das Hören als wichtiger im AT ansehe, und die Gebärmutter völlig außen vor gelassen habe, obwohl sie für die Gottesmetaphorik sehr wichtig sei, weil sein Interesse der männlichen Existenz gelte. Außerdem halte er bzgl. der Sexualität an antikanaanäischen Klischees fest. Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 12–13. Vgl. zur Kritik Schroers und Staublis auch Janowski, Anhang II, 383–384, Anm. 43. Vgl. zur Kritik an Wolff und der Beschränkung auf die vier „Hauptbegriffe“ auch Kiesow, Suche nach dem Menschen, 31–34. Außerdem setzen sich Schroer und Staubli mit der Kritik Barrs an der Analyse von Begriffen zur Erhebung des Denkens auseinander und betonen, dass man durchaus aus fehlenden Begriffen oder besonders stark ausdifferenzierten semantischen Feldern, Rückschlüsse auf die Vorstellungen ziehen könne. Daher biete eine Begriffsanalyse auch Zugang zum Denken. Natürlich gehe es dabei nicht um eine bloße Systematisierung, sondern bei diesen Untersuchungen sei immer der Kontext zu beachten. Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 12–16. Vgl. zu Schroer/Staublis Körpersymbolik auch die kurze Darstellung des Buchs bei Bester, Körperbilder, 18. Für legen sie ähnlich wie Wolff dar, dass neben dem Herzen auch das Innere des Menschen und seine Gemütslage gemeint sein kann, am häufigsten aber, wie im gesamten Alten Orient, das Herz als Sitz des Verstandes, der Vernunft erscheint, als Ort des Nachdenkens und auch des Gewissens. Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 33–44. Kurz zuvor hatte Ogushi in der Festschrift für Wolff bereits mit Blick auf die Rolle des Herzens betont, dass nicht nur das Herz allein als Denkzentrum und Sitz verschiedener Emotionen erscheine, sondern ebenso die Eingeweide und auch die Augen (u. a. als Sitz des Begehrens). Vgl Ogushi, Herz, passim. Natürlich wird auch diese Rolle der Eingeweide in Wolffs Anthropologie betrachtet. Allerdings subsu-
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ten der theologischen Anthropologie und der biblischen Leibspiritualität463 ihre Analyse mit diesen beiden Wörtern, aber eine deutliche Hierarchisierung wie bei Wolff drückt dies wohl nicht aus, zumal und 464 erst im letzten Kapitel und gemeinsam behandelt werden. Schroer und Staubli folgen Wolff aber in der Betonung der Bedeutung des stereometrischen und synthetischen Denkens. Sie zeigen darüber hinaus auf, dass sich dieses auch in der Kunst findet.465 Bei der Analyse der Verwendungsweise des Wortes betonen sie, dass sich daran besonders deutlich die „sakramentale Verwurzelung des AbstraktBedeutungsvollen im Konkret-Körperlichen“466 zeigen lasse, denn das Wort bezeichne sowohl das Organ, die Kehle, als auch zugleich deren Fähig- und Tätigkeiten, eine für das synthetische Denken typische Kombination. Als der Engpass, in dem sich Atem, Nahrungsaufnahme und auch Spracherzeugung konzentrieren, sei die næfæš „Symbol des bedürftigen, begehrenden Menschen. Sie stehe für den élan vital, jene Kraft, die ihn zu einem nach Leben lechzenden Wesen macht.“467 Im Folgenden zeigen Schroer und Staubli anhand von Belegstellen verschiedene Verwendungsweisen des Wortes auf (,Atem‘, ,Leben‘, ,(Lebe-)Wesen‘, ,Person‘) und erläutern, wie die Bedeutung ,Seele‘ zu verstehen ist. Neben dem Verlangen nach Nahrung und Atem symbolisiere die næfæš auch die gesamte Bedürftigkeit des Menschen und seine Ausrichtung auf Beziehungen und ebenso das umfassende innere Verlangen, was sie so wichtig im Gottesbezug mache. Zudem werde sie mit zahlreichen seelischen Empfindungen verbunden.468 Der Weg von der Bedeutung ,Kehle‘ zu ,Seele‘ sei also nicht so weit, wie es scheint. Abschlie-
463 464
465 466 467 468
miert er die Eingeweide unter das Kapitel „das Innere des Leibes“, während er als eine der vier „Grunddimensionen“ des menschlichen Seins in einem eigenen Kapitel mit dem Titel „lb(b) – der vernünftige Mensch“ untersucht. Die Augen werden im Kapitel „das Wesen des Menschen“ kurz erwähnt (allerdings wirklich äußert knapp, weil Wolff für das AT eine Vormachtstellung des Hörens attestiert). Vgl. Wolff, Anthropologie, 68–95.102–106.116–123. Vgl. zur Kritik an der unzureichenden Behandlung der Augensymbolik Anm. 460. Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 1–32. Sie zeigen auf, dass das Fleisch „Symbol gottgewollter Menschlichkeit und Ausdruck des Lebens“ (168) ist, aber auch der Vergänglichkeit und Schwäche des Menschen. Für , dessen Bedeutung mit ,Wind‘, ,Lebens-‘, ,Schöpfer-‘ und ,Gotteskraft‘ angegeben wird, legen sie dar, dass erst die rûa den Menschen lebendig mache und ihn antreibe, aber auch unfassbar für den Menschen bleibe wie der Wind, den man nur spüren, aber nicht begreifen kann. Sie betonen, dass das AT allerdings auch die böse rûa kenne, die den Menschen gegen dessen Willen negativ beeinflusse. Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 161–173. Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 19–23. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 45. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 46. Schroer und Staubli zeigen aber im nächsten Kapitel auch, dass ebenso andere Körperbegriffe (Nieren, Leber, Mutterschoß) in enger Beziehung zu solchen seelischen Regungen stehen. Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 55–68.
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ßend betonen Schroer und Staubli, dass das AT keine Aufspaltung des Menschen in Leib und Seele kennt. Die næfæš vergehe mit dem Sterben genauso wie der Leib.469 In ihrem Buch „Menschenbilder der Bibel“ legen sie – basierend auf den von Hasenfratz am Beispiel Ägyptens beschriebenen Seelentypen470 – zudem dar, dass die næfæš zwischen einer Vitalseele und einer Ichseele changiere und „in beide Richtungen akzentuiert werden“ könne.471 Auch Ch. Frevel und O. Wischmeyer betonen in ihrem Buch über das Menschsein aus der Sicht des AT und des NT472 , dass der Mensch nicht Körper habe, sondern sei und der Geist nicht diesem gegenüberstehe, sondern vielmehr komplementär zu ihm sei. Leibfeindlichkeit sei daher der Bibel fremd. Sie unterstreichen ebenfalls die Zusammenschau von Körperteil und Funktion bzw. Emotion im biblischen Hebräisch. Die Verbindung zur Emotionalität zeige sich zwar besonders deutlich bei den „Hauptbegriffen Kehle, Herz und Geist“473, würde man sich aber nur auf diese konzentrieren, käme dies einer Verkürzung gleich. In der folgenden Untersuchung werden daher auch andere Körperteile, die mit Emotionalität verbunden werden, betrachtet, wenn auch unter der Überschrift „Von Herzneurosen und hörenden Herzen“474 . Den Sinnen ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Die bei Wolff genannten Bedeutungen für werden beibehalten, nur Leiche wird nicht erwähnt.475 Auch wird betont, dass wenn mit ,Seele‘ übersetzt wird, nicht das heutige Seelenverständnis eingetragen werden dürfe. Die Vitalität des Menschen gehe aber dennoch über die bloße Körperlichkeit hinaus. „næfæš bezeichnet quasi das personale Prinzip des Menschseins, sowohl im Sinne des gründenden Anfangs als auch des dauerhaften Bestimmt-seins.“476 Ebenso betont Janowski, auch wenn er ebenfalls mit Wolff weiterhin von anthropologischen Grundbegriffen spricht, dass viele Körperteile die Person als Ganzes unter bestimmten Aspekten bezeichnen. Der Mensch werde dabei als ein psychosomatisches und in sich differenziertes sowie komplexes Gan-
469 470 471 472 473 474 475
476
Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 45–54. Näheres hierzu s. Kap. 5.3. Vgl. Schroer/Staubli, Menschenbilder, 120–127 (Zitat: 125). Vgl. zu diesem Buch auch die kurze Darstellung bei Bester, Körperbilder, 21. Frevel/Wischmeyer, Menschsein, 29. Frevel/Wischmeyer, Menschsein, 32. An anderer Stelle gibt Frevel zu bedenken, dass es nicht das eine Menschenbild im AT gebe, sondern bei der Erhebung der alttestamentlichen Aussagen zum Menschen auch Ambivalenzen und Widersprüche blieben. Auch die næfæš und andere Körperbegriffe gingen nicht völlig „in der Rede von der Ganzheitlichkeit, der Vitalität oder der konstellativen Person“ (36) auf. Es gebe durchaus ein paar Texte, die an ein dualistisch oder trichotomisch gefärbtes Konzept heranreichten. Vgl. Frevel, Frage nach dem Menschen, 35–37. Frevel/Wischmeyer, Menschsein, 30. Vgl. zu diesem Abschnitt Frevel/Wischmeyer, Menschsein, 26–38.
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zes gesehen, als ein „Kompositum seiner Glieder und Organe und deren spezifischen Lebensfunktionen“.477 Auch Fr. Crüsemann betont in seinem kurzen Beitrag zu Seele und Leib im AT, dass fast alle Organe im AT mit seelischen Vorgängen verbunden werden und Leibliches und Seelisches untrennbar seien. Auch die Sinnesorgane, das Gesicht und sogar die Extremitäten spiegelten seelische Vorgänge. „Man kann so die Seele als die Innenseite des Leibes in seiner ganzen Erstreckung ansehen, diesen als die Außenseite der Seele.“478 Die rûa sei die belebende Kraft, die den ganzen Körper lebendig mache und beseele. Dass das Wort auch für Gemütsbewegungen verwendet werde, zeige, dass das körperliche Leben und die seelischen Kräfte dem Menschen von außen geschenkt werden.479 Besonders deutlich spricht sich A. Wagner in seinem Artikel „Wider die Reduktion des Lebendigen“ gegen die Beschränkung auf vier Grundbegriffe aus, die aus dem Wunsch nach Vergleichbarkeit mit dem griechischen Denken entstanden sei, auch wenn die Hinzunahme von diese Logik bereits durchbreche. Zwar führe eine Analyse der Belege, in denen zwei oder mehrere der sogenannten Grundbegriffe im Parallelismus membrorum erscheinen, zu dem Schluss, dass sie darin jeweils einen bestimmten Aspekt bzw. eine Facette des Menschseins ausdrücken,480 aber dies gelte gerade nicht nur für diese, sondern z. B. ebenso für , , , - , und . Auch diese Wörter erscheinen, so Wagner, in „Stellvertretungsformulierungen für das ich [sic!]“481 . Die Häufigkeit des Vorkommens der Wörter könne eine Reduktion auf die Grundbegriffe nicht legitimieren, weil z. B. oder öfter als mancher dieser vier belegt seien. Zudem sei der Aspekt des Menschseins, den diese Wörter ausdrücken, d. h. die Handlungs-, die Erkenntnis- oder die Sprach- bzw. Kommunikationsfähigkeit, sehr zentral. Es gebe daher keine Hierarchie der Körperbegriffe im AT, der Mensch werde mit diesen „in einer
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478 479
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Janowski, Anthropologie. Grundlegung, 25 (kursiv im Original). Vgl. für diesen Absatz Janowski, Anthropologie. Grundlegung, 14–27 und Janowski, Konstellative Anthropologie, 64–68. Crüsemann, Außenwelt der Innenwelt, 32. Vgl. Crüsemann, Außenwelt der Innenwelt, 30–32. Ebenso betont Müller in ihrem kurzen Beitrag zur Seele im AT die Untrennbarkeit von Leiblichem und Seelischem und die Verbindung zahlreicher Organe mit seelischen Vorgängen. Vgl. Müller, Seele, passim. Vgl. Wagner, Wider die Reduktion, 185–195. Damit wendet er sich auch explizit gegen Lauhas These, , und seien austauschbar (vgl. Kap. 2.3.2.2). Der Verdacht könne zwar aufgrund von parallelen Aussagen aufkommen, aber Wagner zeigt anhand einer Analyse solcher Vorkommen, dass diese Wörter darin nicht völlig synonym sind, sondern verschiedene Aspekte des Menschseins bezeichnen. Vgl. Wagner, Wider die Reduktion, 183–187.195–196. Wagner, Wider die Reduktion, 198 (Kursiv im Original).
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Vielzahl von Aspekten“482 betrachtet, ohne dass es eine einheitliche Vorstellung über den Menschen oder einen Personenbegriff aufweise.483
2.3.3.5 Die 18. Auflage des Wörterbuchs von Gesenius und die Neuauflage des Lexikon von Köhler/Baumgartner Zum Abschluss des forschungsgeschichtlichen Überblicks sollen der Vollständigkeit halber noch die beiden aktuellsten hebräisch-deutschen Wörterbücher betrachtet werden: In der 18. Auflage des Wörterbuches Gesenius’, einer mehrbändigen, also deutlich erweiterten Bearbeitung der 17. Auflage, werden folgende Bedeutungen für angegeben:484 1. ,Kehle485, Gurgel und Rachen‘, 2. ,Hals‘, 3. ,Hauch und Atem‘, 4. ,Gier, Begierde, Verlangen (Mord- und Rachlust, Hunger, Appetit, Brunst, Eifer, Begehren, Interesse)‘, 5. ,Bezeichnung dessen, „was Menschen u. Tiere z. Lebewesen macht“486 , was man meist mit Seele bezeichnet, aber eigentlich eher Lebenskraft, Leben, Lebewesen‘, 6. ,Seele, Gemüt, Gefühl, animus (also Trägerin der Emotionen)‘, 7. ,Person‘, hier wird auch eingeordnet als ,Seele eines Toten/ jemand Totes = ein Toter‘, 8. wird in Selbstaufforderungen verwendet, 9. mit Suffix zur Umschreibung eines Pronomens – zu in Bezug auf Gott hält das Wörterbuch fest, dass hier die Punkte 5, 6 oder 9 als Übersetzungsmöglichkeiten dominierten. Damit decken sich die Angaben größtenteils mit denen der aktualisierten Neuauflage des Wörterbuches von Köhler/Baumgartner von 2013. Aller482 483
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Wagner, Wider die Reduktion, 198. Vgl. Wagner, Wider die Reduktion, 183–199. Interessant ist hierzu auch die Studie von Ulrike Steinert, die sich mit dem Personenkonzept im Akkadischen beschäftigt und zu dem Schluss kommt, dass „menschliche Personen als komplexe Wesen aus multiplen Bestandteilen betrachtet wurden und diese Konzeption als ‚pluralistisch‘ und ‚holistisch‘ zugleich bezeichnet“ (514) werden kann. In ihrer Studie vergleicht sie napištu und miteinander, wobei sich deutliche Parallelen, aber auch Unterschiede zeigen. So umspannen beide nach Steinert ein breites Spektrum von ,Kehle‘ über ,Atem‘ hin zu ,Leben‘ und ,Person‘, jedoch wird ersteres nur selten in Bezug auf Begierde, Gefühle oder seelische Tätigkeiten genannt und ist somit auch nicht Sitz des Selbst (was sie mit Seebass für annimmt). Sie betont daher, dass etymologisch eng verwandte Wörter nicht bedeutungsgleich sein müssen. Vgl. Steinert, Aspekte des Menschseins, bsd. 272–274 und 511–534. Vgl. Gesenius18 Bd.4, sub , 834–836. Demgegenüber betont Fredericks im New International Dictionary, dass die Grundbedeutung, was der Vergleich mit dem Ugaritischen und Akkadischen zeige, ,Atmen‘ sei, woraus er auch die anderen Bedeutungen ableitet. Nur in wenigen Belegen sei „an Akk. rendering, ,throat‘“485 zu finden. Ansonsten nennt er dieselben Bedeutungen wie Gesenius, betont aber auch, dass das Wort kaum die Seele im Vollsinn meine, wohl aber manchmal die innere Person bezeichne. erklärt er aus der Bedeutung ,Person‘ als ,tote Person, also ein Toter‘. Vgl. Fredericks, Art. , 133–134. Gesenius18 Bd.4, sub , 834.
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dings ordnen diese die Wiedergabe mit einem Pronomen, als ‚selbst‘ und als ‚jeder, der‘ unter die Bedeutung ,Persönlichkeit‘ unter, trennen die Bedeutung ,lebendiges Wesen‘ und ,Leben‘ in zwei Punkte und führen ‚TotenSeele, Toter, Leichnam‘ als eigenen an.487
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Fazit
Wie der Durchgang durch die Forschungsgeschichte der letzten drei Jahrhunderte gezeigt hat, war die Frage danach, was bedeutet und ob das Wort die Seele (im griechischen/platonischen Sinn) bzw. eine psychische Komponente bezeichnet, bis zu Wolffs Anthropologie des Alten Testaments Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Ab Ende des 18. Jahrhundert gab es auch außerhalb von Lexika erstes Interesse daran, die unterschiedlichen Bedeutungen zu erheben und zu verstehen, wie diese mit der, aufgrund der Übersetzung mit ! in der LXX und anima in der Vulgata, angenommenen Grundbedeutung ,Seele‘ zusammenhängen, wobei diese Wiedergabe bereits mit Einschränkungen versehen wurde. Zunehmend wurde als Resultat des Vergleichs mit dem Arabischen ,Atem‘ als Grundbedeutung genannt. Allerdings gab es demgegenüber auch in Studien den Versuch, die Grundbedeutung des Wortes mit ,Seele‘ zu bestimmen und alle davon abweichenden, im Ko(n)text nicht anders möglichen Wiedergaben daraus abzuleiten. Im 20. Jahrhundert folgte, unter Einbeziehung nun vorliegender akkadischer und ugaritischer Quellen, die noch lange umstrittene These, dass ,Kehle‘ die ursprüngliche Bedeutung des Wortes sei und man aus dieser die anderen wie ,Atem‘ ,Verlangen‘, ,Gier‘, ,Leben/Lebensskraft‘, ,Seele(?)‘, ,Mensch/Person‘ und ,Wesen‘ ableiten könne. Die Frage nach den Wortbedeutungen ist mit der Untersuchung des gedanklichen Konzeptes eng verwoben. So versucht bereits Ziegler 1791 aus den Bedeutungen die næfæš-Vorstellung zu erheben. Die Frage nach dem dem Wortgebrauch zugrunde liegenden Seele- bzw. später næfæš-Konzept zieht sich wie ein roter Faden durch die Studien des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Interesse an der Entwicklung der Vorstellung, das bereits mit Ziegler beginnt, lässt allerdings nach dem ersten Weltkrieg etwas nach. Seit Pedersens und Robinsons Studien liegt der Fokus stärker auf der Betonung der Andersartigkeit der hebräischen Menschenvorstellung (und teilweise des Denkens). Diese vertreten auch besonders prägnant die in der folgenden Zeit oft zu findende These, dass der Mensch næfæš nicht habe, sondern sei, die u. a. durch ihre Aufnahme in Seebass’ Artikel zu im ThWAT breit rezipiert wurde. 487
Vgl. KAHAL, 359. Damit hat sich gegenüber Köhler/Baumgartner/Stamm, Lexikon Bd.3, 672–674 kaum etwas verändert.
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Bereits im 18. Jahrhundert ist auch die Beziehung zu anderen „psychologischen Begriffen/Wörtern“ im Fokus der Forschung. Dabei wird zunehmend klarer, dass eine Gleichsetzung dieser mit dem Geist, der Seele und dem Verstand nicht einfach möglich ist. Auch die Beschäftigung mit den letztendlich größtenteils verneinten Fragen, ob die næfæš im AT als unsterblich sowie vom Körper verschieden gedacht sei und ob das AT ein dichotomisches oder trichotomisches Denken kenne, die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehäuft thematisiert wurden, trug zu der Erkenntnis bei, dass eine einfache Gleichsetzung der næfæš mit der Vorstellung einer unsterblichen und vom Körper klar verschiedenen Seele definitiv nicht möglich ist. Es zeichnen sich damit also zwei Hauptuntersuchungsstränge ab, die aber eng mit einander verwoben sind. Zum einen die Frage nach der richtigen Übersetzung des hebräischen Wortes , zum anderen die Frage nach dem næfæš-Konzept und der Rolle der næfæš in den/für die Menschenvorstellungen des AT. Daneben wurde ab Mitte der 1960er Jahre auch untersucht, ob die griechische Übersetzung nicht doch berechtigt ist, wenn man von einem anderen -Begriff als dem platonischen ausgeht. Dabei wurde aufgezeigt, dass „sich die Übersetzung von durch weitgehend in dem vom hebräischen Denken vorgegebenen Rahmen bewegt“,488 es jedoch auch Belege dafür gibt, dass die LXX dichotomisches Denken ins AT einträgt. Aber erst durch die spätere Engführung auf das philosophische Verständnis, die Übersetzung von mit anima und folglich mit ,Seele‘ im Deutschen ist eine deutliche Bedeutungsverschiebung entstanden. Wolff nimmt in seiner Anthropologie des Alten Testaments die beiden Hauptuntersuchungsstränge auf, wobei er allerdings nicht das næfæš-Konzept als solches erheben will, sondern nach dem Menschenkonzept des AT fragt. Dass sein Werk einen deutlichen Einschnitt in der intensiven Beschäftigung mit darstellt, sieht man bereits daran, dass danach nur noch wenige größere Studien folgen und Wolffs Analyse von zahlreichen Exegeten und Exegetinnen sowie in den beiden THAT und ThWAT Artikeln zu von Westermann bzw. Seebass größtenteils übernommen werden. Nach Wolffs Werk ist weitgehend anerkannt, dass das AT kein dichotomisches oder trichotomisches Denken kennt489 und das Wort keinesfalls einfach unreflektiert mit ,Seele‘ wiedergegeben werden sollte. Wolff zeigt zudem auf, dass es nichts Ungewöhnliches im Hebräischen ist, dass ein Wort einen konkreten Körperteil ebenso wie eine abstrakte Größe bezeichnen kann. Mit der Annahme, darin zeige sich ein spezifisch semitisches Denken, von Wolff als synthetisch bezeichnet, steht er in einer Traditionslinie mit Pedersen und Johnson. Besonders prägnant wird die These eines hebräischen Denkens, das sich vom griechischen klar unterscheide, von Boman dargelegt. 488 489
Rösel, Die Geburt der Seele, 168. Vgl. Bester, Körperbilder, 12.
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Barr hingegen kritisiert die Annahme eines spezifisch hebräischen Denkens basierend auf grammatikalischen und lexikalischen Besonderheiten. Auch den Bedeutungen des Wortes liegt nach Wolff dieses synthetische Denken zugrunde. Aus der Grundbedeutung des Wortes, die er mit ,Kehle‘ und ,Atem‘ bestimmt, ließen sich die anderen Bedeutungen (,Hals‘, ,Begehren‘, ,Seele [im Sinn von Sitz der Empfindungen, Bedürfnisse und Wünsche]‘, ,Leben(skraft), ,Person‘, ,tote Person = Leiche‘ und ,Lebewesen‘ sowie die Verwendung anstelle eines Pronomens) erklären, da „die Kehle als Organ der Nahrungsaufnahme und des Atmens“ auch mit dem Begehren und der Lebenskraft zusammengedacht werde. Dies habe auch zur Bedeutung ,Person‘ und ,Lebewesen‘ geführt. Daher zeige den Menschen als „bedürftigen, nach Leben trachtenden“.490 ist damit für Wolff ein anthropologischer Hauptbegriff, der – zusammen mit den anderen drei Hauptbegriffen , und – die „kennzeichnenden Fähigkeiten und Eigenarten des Menschen und damit die typischen Aspekte“491 des alttestamentlichen Menschenbildes aufzeigt. Nach Wolffs Werk bleiben die beiden Untersuchungsstränge weiter bestehen, so wird zum einen in manchen neueren Forschungsbeiträgen die Übersetzung ,Seele‘ gänzlich abgelehnt, und die Wiedergabe ,Leiche‘ ist umstritten. In der Diskussion steht zum anderen aber auch die Rolle der næfæš in den Vorstellungen des AT. Die von Wolff vorgenommene Beschränkung auf vier anthropologische Hauptbegriffe (, , , )492 wird angezweifelt. Schroer/Staubli, Janowski, Frevel und Wagner zeigen u. a., dass auch andere Körperteilbezeichnungen die ganze Person vertreten können und stellen damit eine Hierarchisierung in Frage.493 Lauha wiederum bestreitet, dass diese Verwendung von überhaupt eine anthropologische Aussage transportiere, weil das Wort in diesem Gebrauch (zumindest bezogen auf Emotionen) beliebig durch oder austauschbar sei.494 Es bleibt daher zu untersuchen, welche Stellung die næfæš in den Menschenvorstellungen des AT hat. Ist sie tatsächlich für das Menschenbild besonders wichtig bzw. darin besonders zentral? Wird sie wirklich mit kennzeichnenden Fähigkeiten, Eigenarten und Aspekten des Menschseins verbunden? Um diese Fragen beantworten zu können, muss danach gefragt werden, wie das næfæš-Konzept überhaupt gefüllt war. Da in Ermangelung alttestamentlicher Texte, die die næfæš-Vorstellungen explizit darlegen, ein Zugang zu diesen nur über die Belege des Wortes und ihre Ko(n)texte (sowie ggf. einen Vergleich mit anderen Wörtern 490 491 492 493 494
Wolff, Anthropologie. 2010, 54 (beide Zitate). Wolff, Anthropologie. 2010, 31. Wolff nennt diese anthropologische Hauptbegriffe, vgl. Wolff, Anthropologie. 2010, 31–101. Vgl. Kap. 2.3.3.4. Vgl. Kap. 2.3.2.2.
Forschungsgeschichtlicher Überblick
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aus dem Wortfeld Körper) führen kann, führt diese Frage unmittelbar zur Problemstellung, ob man von den Bedeutungen und den Ko(n)texten der Verwendungen des Wortes überhaupt auf ein Konzept der næfæš zurückschließen kann, insbesondere da die neuere Forschung Anfragen an Wolffs Konzept der synthetischen Bedeutung von Körperteilwörtern als spezifisch semitische Denkvoraussetzung stellt.495 Daher ist es angebracht, methodisch fundiert zu überprüfen, ob dieses Zusammendenken von Körperteil und zugesprochener oder tatsächlicher Funktion wirklich ein reines Charakteristikum der semitischen Sprachen oder, wie Wolff es nennt, eine der „Denkvoraussetzungen“496 ist. Darauf aufbauend muss eine Methode gefunden werden, die es ermöglicht, von den Ko(n)texten des Wortgebrauchs auf das zugrunde liegende Konzept zurückzufragen. Aus diesen Frage- und Problemstellungen ergibt sich die in der Einleitung bereits ausführlich geschilderte Vorgehensweise, die daher hier nur noch einmal kurz skizziert wird. In Kap. 3 werden die methodischen Grundlagen gelegt. In Kap. 4 werden die Wortbedeutungen und ihr Zusammenhang dargestellt, denn um die in Kap. 3 darzustellende Methode der Untersuchung konzeptueller Metonymien überhaupt anwenden zu können, muss zunächst untersucht werden, ob sich die Bedeutungen des Wortes auf metonymische Verwendungen und Bedeutungserweiterungen zurückführen lassen. Dabei wird auch auf die nach Wolff weiter umstrittenen Bedeutungen ,Seele‘ und ,Leiche‘ eingegangen. Aufbauend darauf wird in Kap.5 das næfæšKonzept untersucht und gefragt, ob die næfæš wichtiger für die Menschenvorstellungen des AT als andere Körperbereiche/-teile ist. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst.
495 496
Vgl. Kap. 3.1.1 und 3.1.2 und die dort in Anm. 19 genannte Literatur Wolff, Anthropologie. 2010, 29.
3.
Methodische Grundlagen
3.1
Anfragen an Wolffs Konzept des synthetischen Denkens
Wolffs Anthropologie des Alten Testaments war für die neueren Untersuchungen zur næfæš in den alttestamentlichen Menschenvorstellungen prägend. Zahlreiche Exegetinnen und Exegeten folgen ihm in vielen Teilen seiner Ausführungen zur næfæš im AT und übernehmen dabei auch explizit oder implizit eine zugrunde liegende Prämisse.1 Die Vorgehensweise Wolffs und damit auch seine Annahme, dass man über die Verwendung der „anthropologischen Hauptbegriffe“ und ihre verschiedenen Bedeutungen auf das Menschenbild des AT zurückfragen könne, beruht nämlich auf der These, dass die synthetische Körperauffassung, d. h. das Zusammendenken eines Körperteils mit seiner ihm zugeschriebenen Funktion, eine der „semitischen Vorstellungs- und Denkvoraussetzungen“ sei.2 Was genau Wolff darunter versteht, erläutert er folgendermaßen: „So setzt das stereometrische Denken zugleich eine Zusammenschau der Glieder und Organe des menschlichen Leibes mit ihren Fähigkeiten und Tätigkeiten voraus. Es ist das synthetische Denken, das mit der Nennung eines Körperteils dessen Funktion meint. Ruft der Prophet aus (Jes 52,7): Wie schön sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten!, so meint er nicht deren graziöse Gestalt, sondern ihre hurtige Bewegung: Wie schön ist, dass der Bote über die Berge heraneilt! Füße sagt der Hebräer, aber er denkt an das sprunghafte Nahen. In Ri 7,2 kommt der befürchtete Selbstruhm Israels in dem Satz zur Sprache: Meine Hand hat mit geholfen. Gemeint ist natürlich das eigene Zupacken, die eigene Kraft.“3
Wolff sieht also eine Besonderheit der semitischen Sprachen und damit auch des semitischen Denkens darin, dass eine Körperteilbezeichnung häufig für dessen Funktion und durchaus auch für ein Abstraktum (z. B. Macht) steht. Das stereometrisch4-synthetische Denken stellt er dem heutigen analytischen und differenzierten gegenüber und proklamiert eine grundlegende Verschiedenheit, die insbesondere beim Übersetzen beachtet werden müsse, weil sonst Fehler im Verstehen entstünden. Er sieht also nicht nur eine Differenz zwischen den beiden Sprachen, sondern auch einen historischen Graben zwischen dem heutigen Denken und dem damaligen. Zugleich nimmt er 1 2 3 4
Vgl. Kap. 2.3.2.1 und 2.3.3.2. Vgl. Wolff, Anthropologie. 2010, 29–31 (Zitat: 29). Wolff, Anthropologie. 2010, 31. Wolff versteht darunter das Darstellen von Sachverhalten durch die Nennung sinnähnlicher Ausdrücke. Vgl. Wolff, Anthropologie. 2010, 30.
Methodische Grundlagen
101
dabei implizit an, dass man basierend auf diesem Zusammendenken über den Wortgebrauch auf das gedankliche Konzept schließen kann.5 Doch daran gab es tiefgreifende Kritik. Zum einen bestreitet Barr, dass sich das hebräische Denken vom heutigen so deutlich unterscheide sowie insbesondere, dass sich dieser Unterschied an Grammatik und Semantik zeigen ließe, und kritisiert eine zu direkte Verbindung von Wortbedeutungsanalyse und gedanklichem Konzept.6 Zum anderen versucht Lauha zu widerlegen, dass man aus der Verwendung der Lexeme , und und deren Ko(n)texte eine anthropologische Aussage ableiten könne,7 wie das Wolff in den ersten Kapiteln seiner Arbeit vollzieht. Zudem stellt Wagner Anfragen an die Annahme einer synthetischen Körperauffassung.8 Die Frage, ob Wolffs Prämisse korrekt ist und man basierend darauf von den Ko(n)texten des Wortgebrauchs auf ein zugrunde liegendes Konzept schließen darf, ist für die hier vorliegende Untersuchung aus zwei Gründen von höchster Relevanz. Zum einen ist Wolffs Anthropologie, wie dargelegt, ein zentrales Werk, wenn man nach der næfæš des Menschen fragt. Zum anderen ist das erklärte Ziel der hier vorliegenden Studie ja gerade, von den alttestamentlichen Belegen ausgehend das næfæš-Konzept, das diesen zugrunde liegt, zu analysieren. Daher müssen im Folgenden zunächst zum einen die Anfragen an Wolffs Annahme auf ihre Plausibilität hin überprüft werden und zum anderen basierend darauf dargelegt werden, wie man methodisch fundiert vom Wortgebrauch und seinen Ko(n)texten auf das zugrunde liegende gedankliche Konzept schließen kann.
3.1.1 Das synthetische Bedeutungsspektrum Eine Anfrage an Wolffs Konzept lehnt dieses nicht im Ganzen ab, sondern stellt eine Modifikation dar. Wagner9 erkennt zwar an, dass Wolff „eine Eigenart sowohl der hebräischen Anthropologie wie auch der hebräischen Sprache aufgedeckt“10 hat, untersucht aber u. a., ob eine Unterteilung in körperliche und funktionale/abstrakte Bedeutungen nicht zu kurz greift, weil sich die Bedeutungsbereiche noch weiter unterteilen ließen. Außerdem analysiert er ihr Verhältnis und fragt, ob nicht von einem Präsentsein aller Bedeutungen in der Wortform auszugehen sei. Zwar bleibt dabei das Wesentli5 6
7 8 9 10
Vgl. Wolff, Anthropologie. 2010, 29–31. Vgl. Barr, Semantik, passim. Schroer und Staubli setzen sich mit dieser Kritik Barrs ebenfalls auseinander Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 12–16 und Kap. 2, Anm. 460. Vgl. Lauha, Sprachgebrach, passim und die Darstellung der Arbeit in Kap. 2.3.2.2. Vgl. Wagner, Bedeutungsspektrum, passim und Kap. 3.1.1. Vgl. Wagner, Bedeutungsspektrum, passim; Wagner, Gottes Körper, 110–134; Wagner, Körperteil, 2. Wagner, Bedeutungsspektrum, 2.
102
Methodische Grundlagen
che der These Wolffs, die Verbindung von Körperteil und Funktion, erhalten, das Sprachphänomen wird aber detaillierter untersucht bzw. dargestellt. Wagner sieht neben den beiden genannten noch einen weiteren, den gestischen, Bedeutungsaspekt, und betont, dass diese drei nicht immer klar getrennt seien, sondern ineinander übergehen bzw. zusammen präsent sein können, wie z. B. bei : „yd umfasst die Bandbreite vom Körperlichen über das Gestische bis zum Abstrakt-Funktionalen, und das mit Übergangszonen. Es ist daher am sinnvollsten, von einem Bedeutungsspektrum zu sprechen“. „Die Nachbarbedeutungen des Bereichs aus dem Spektrum, der gerade im Vordergrund steht, bleiben im Bedeutungsraum als Nachbarbezirke enthalten, schwingen sozusagen mit. Ein Bezirk tritt bei einer konkreten Anwendung als dominanter Bezirk auf, die anderen treten zurück, verschwinden aber nicht ganz, sondern stehen im Hintergrund. Damit liegt also immer auch eine gewisse ‚Zusammenschau‘, etwas ‚Synthetisches‘ vor. Eine Trennung in konkret und abstrakt legt sich von daher nicht sehr nahe.“11
Diese Zusammenschau könne man im Deutschen allerdings nicht immer deckungsgleich wiedergegeben, denn ggf. finde sich kein deutsches Äquivalent, das ebenfalls alle diese Aspekte bezeichnen kann. Welche Übersetzung man jeweils zu wählen hat, d. h. auf welches Wort als Wiedergabe man sich festlegt, entscheidet, so Wagner, der Ko(n)text, denn an ihm kann man erkennen, welcher Bereich der Bedeutung gerade der dominanteste ist.12 Außerdem, so hält Wagner fest, werden einige Körperteillexeme, nicht nur die von Wolff als Hauptbegriffe angesehenen, auch zur Bezeichnung der Person als solche verwendet, wobei damit ein bestimmter Aspekt des Personseins betont werde, was die deutsche Wiedergabe mit einem Pronomen nicht abbilde.13 Die folgenden Belege der als Beispiele ausgewählten Körperteilbezeichnungen und zeigen auf, was unter dem synthetischen Bedeutungsspektrum zu verstehen ist, und bestätigen Wagners Beobachtungen:
11 12 13
Wagner, Bedeutungsspektrum, 10 (1. Zitat) und 11 (2. Zitat). Vgl. Wagner, Bedeutungsspektrum, passim und zur Darstellung des Artikels auch Müller, Körperteilbezeichnungen in der althebräischen Epigraphik, 13–14. Vgl. Wagner, Wider die Reduktion, 196–199 und Ders., Körperbegriffe, 292–317.
Methodische Grundlagen
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1. :14 Gen 38,28 Und während der Geburt streckte einer die Hand heraus und die Hebamme nahm sie und band einen roten Faden um seine Hand und sprach: Dieser ist zuerst heraus gekommen.
Mi 7,16
' " & $! $ # % $ ( $ Die Heiden werden es sehen und sich schämen mit/trotz all ihrer Macht. Sie werden die Hand auf den Mund legen. Ihre Ohren werden taub sein.
Gen 14,22–23 " $ ! #
22
Aber Abram sprach zum König von Sodom: Ich erhebe meine Hand zu JHWH, dem höchsten Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, 23Wenn ich von allem, was dein ist, vom Faden bis zum Schuhriemen, etwas nehme, … Damit du nicht sagst: Ich habe Abram reich gemacht.
Jos 8,18–20 % ! # $ " %" % ! " ! !
18
Und JHWH sprach zu Josua: Strecke die Lanze, die du in deiner Hand hast, aus gegen Ai. Fürwahr, ich will es in deine Hand geben = in deine Verfügungsgewalt. Und Josua streckte die Lanze, die er in seiner Hand hatte, gegen die Stadt aus. 19 Und der Hinterhalt brach rasch auf aus seinem Versteck und sie liefen, nachdem er seine Hand ausgestreckt hatte, und kamen in die Stadt und nahmen sie ein und eilten und steckten die Stadt in Brand.20 Da drehten sich die Männer von Ai um und schauten, und siehe, der Rauch der Stadt stieg auf zum Himmel, und es war nicht in ihren Händen = es stand nicht in ihrer Macht zu fliehen, weder hierhin noch dorthin, denn das Volk, das zur Wüste floh, kehrte sich um gegen die Verfolger. 14
Vgl. Wagner, Art. Hand, passim (Lit.!) und Ders., Gottes Körper, 111–116. Dort findet man auch für weitere äußere Körperteile entsprechende Beispiele. Für weitere Beispiele vgl. auch die Artikel Arm und Kopf von Wagner und Finger, Hüften, Lippen und Zunge von Müller. Vgl. zu auch van der Woude, Art. jd, passim; Ackroyd, Art. , passim; Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 123–144 und Wolff, Anthropologie. 2010, 114–115.
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Methodische Grundlagen
Ri 6,1 ! Und die Israeliten taten, was böse war in den Augen JHWH. Da gab JHWH sie in die Hand Midians, sieben Jahre lang.
In der ersten Belegstelle, Gen 38,22, ist die Hand als Körperteil im Blick. Die Hebamme bindet den Faden um die Hand des Neugeborenen. Im letzten Beleg, Ri 6,1, hingegen ist mit der ,Hand‘ die ,(Verfügungs-)Gewalt‘ gemeint. bezeichnet hier also eine abstrakte Größe. Beide Male steht im Hebräischen das gleiche Wort. In Gen 14,22 und Mi 7,14 ist jeweils Teil einer Geste. Der Körperteil spielt dabei durchaus eine wichtige Rolle und wird auch mit bezeichnet, der Aussagesinn wird aber durch die genannte Geste als Ganzes vermittelt. Es bleibt im Kotext von Gen 14,22 sogar unklar, ob die Geste tatsächlich ausgeführt wird oder das Schwören im Sprechakt vollzogen wird, während die Geste nur genannt wird. Besonders interessant ist Jos 8,18–20, denn hier findet man in nur drei Versen das Wort in den verschiedenen Bedeutungsaspekten verwendet: Der Körperteil, der die Lanze hält, der Körperteil im Ausstrecken als Angriffsbefehl (d. h. als Geste), die Verfügungsgewalt und die Macht/das Vermögen werden jeweils mit bezeichnet. kann auch für die Person als Ganzes stehen, wie der folgende Beleg zeigt, wobei allerdings die Bedeutung zwischen ,meine Kraft‘ und ,ich‘ changiert:15 Ri 7,2b ... damit sich Israel nicht gegen mich rühme: Meine Hand (= ich / meine Kraft) hat mich gerettet.
2. 16 Ri 7,5 % && ! $ & " # % "" ! "! Und er führte das Volk hinunter zum Wasser. Und JHWH sprach zu Gideon: Jeden, der mit seiner Zunge Wasser aufleckt, wie ein Hund leckt, den stelle einzeln; und jeden, der sich hinkniet, um zu trinken.
15 16
Vgl. Wagner, Wider die Reduktion, 197. Vgl. Müller, Art. Zunge (AT), passim (Lit!) und Kedar-Kopfstein, Art. , passim sowie Wolff, Anthropologie. 2010, 127.
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Jes 57,4a Über wen wollt ihr spotten? Gegen wen wollt ihr den Mund aufreißen und die Zunge herausstrecken?
Spr 12,18 Ein Schwätzer ist wie Durchbohrungen eines Schwertes; aber die Zunge der Weisen ist Heilung.
Dtn 28,49b … ein Volk, dessen Zunge = Sprache du (noch) nicht gehört hast.
In der ersten Belegstelle, Ri 7,5, ist wieder der Körperteil als solcher im Blick, während in Spr 12,18 die Rede und im letzten Beleg, Dtn 28,49b, die Sprache, also ein Abstraktum mit demselben Wort, , bezeichnet wird. In Jes 57,4 ist die Zunge Teil einer Geste. Der Körperteil spielt auch hier wieder eine Rolle, der Aussagesinn steckt aber erneut in der genannten Geste. Desweiteren kann auch für die Person als Ganzes stehen, wie der folgende Beleg zeigt:17 Ps 51,16 % " $ ! $ # Befrei mich von Blutschuld, Gott, Gott meines Heils, dann wird meine Zunge (= ich) deine Gerechtigkeit preisen.
Genau wie in Ri 7,2 referiert das suffigierte Körperteilwort auf den jeweiligen Sprechenden. Ein Übersetzung mit dem Personalpronomen ,ich‘ ist in beiden Fällen ohne Veränderung des Referenten (= des außersprachlich Bezeichneten) möglich. Allerdings wird im Hebräischen jeweils ein bestimmter Aspekt des Sprechenden betont,18 d.h. dieser wird unter einem ganz bestimmten Blickwinkel betrachtet, seiner Kraft bzw. seiner Sprachfähigkeit/Stimme, was in der Wiedergabe ,ich‘ nicht mehr enthalten wäre.
17 18
Vgl. Wagner, Wider die Reduktion, 197. Vgl. hierzu Kap. 3.1.2.
106
Methodische Grundlagen
3.1.2 Die synthetische Bedeutung der Körperteile aus kognitiv-linguistischer Sicht Neben der Anfrage Wagners an das Konzept Wolffs gibt es seitens der Kognitiven Linguistik noch eine weitere, wesentlich tiefgreifendere Kritik. Deren Erkenntnisse aus der Erforschung konzeptueller Strukturen lassen nämlich daran zweifeln, dass die „synthetische Bedeutung“ der Körperteillexeme ein Spezifikum des biblischen Hebräisch bzw. alter semitischer Sprachen ist und ihr ein besonderes Denken zugrunde liegt.19 Bei der Kognitiven Linguistik handelt es sich um einen relativ jungen Zweig der Sprachwissenschaft, der sich im Zuge der ab Mitte der Siebzigerjahre entstehenden Kognitionswissenschaft entwickelte.20 Sie ist allerdings kein „bestimmtes Teilgebiet der Linguistik oder Psycholinguistik, sondern ein umfassender Forschungsansatz [...] eine auf mentalistischen Prämissen basierende Forschungsrichtung, die sich als diejenige Disziplin innerhalb der Kognitiven Wissenschaft versteht, welche sich mit Sprache als einem bestimmten Teil der Kognition beschäftigt. Sprache wird dabei also als eine spezifische Leistung des menschlichen Geistes und als ein in das gesamte Kognitionssystem integriertes Kenntnissystem aufgefasst. Über die Analyse dieses Kenntnissystems erhalten wir somit einen Zugang zur Erforschung des menschlichen Geistes.“21
Die deutsche Gesellschaft für Kognitive Linguistik definiert sie folgendermaßen: „Die Kognitive Linguistik wendet sich gegen eine modulare Auffassung der Sprachfähigkeit, d. h. gegen die Hypothese, dass die Sprache – insbesondere die Syntax – ein autonomes System bilde, das mittels eines spezialisierten angeborenen Moduls erworben werde und nach eigenen Regeln und Prinzipien funktioniere. Stattdessen nimmt die Kognitive Linguistik an, dass die Sprachfähigkeit auf allgemeine kognitive und perzeptuelle Fähigkeiten zurückzuführen ist und zumindest teilweise durch sie motiviert ist. Theoretische und methodologische Grundannahmen der Kognitiven Linguistik sind unter anderem:
19
20 21
Diese Kritik am Konzept Wolffs äußerten m.W. zuerst Stenger, Steinert und Werning in den Studien aus dem Tagungsband „Synthetische Körperauffassungen im AT und seinen Nachbarkulturen“ hg. von Müller/Wagner, die sich in erster Linie mit dem Sprachphänomen im Griechischen, Akkadischen und Ägyptischen befassen. Vgl. Stenger, Körperteilbezeichnungen im Griechischen, 163–167.179–183; Steinert, Synthetische Körperauffassungen, 73–75 und Werning, Der Kopf des Beines, 105– 114.140 sowie die Diskussion über deren Ergebnisse bei Müller/Wagner, Konzept, passim und auch Müller, synthetische Körperauffassung, passim, wo jeweils ein Ausschnitt/eine Zusammenfassung der hier folgenden Überlegungen vorab publiziert wurde. Vgl. Baldauf, Metapher, 29–31. Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, 40–41.
Methodische Grundlagen
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Die Sprache ist ein Zeichensystem, d. h. ein symbolisches System, in dem Formen und Bedeutungen sowohl auf lexikalischer Ebene als auch auf der Ebene grammatischer Konstruktionen konventionell gepaart sind. Die Untersuchung sprachlicher Bedeutungen (Semantik) ist äquivalent mit der von konzeptuellen Strukturen. Bedeutungen werden weitgehend geprägt durch Bildschemata, konzeptuelle Metaphern, konzeptuelle Metonymien und Konzeptualisierungen durch „Verschmelzungen“ (conceptual blends). Bedeutungen sind zu einem großen Teil in der menschlichen Erfahrung verankert (embodiment) und kulturell bestimmt. Der Spracherwerb erfolgt auf der Grundlage genereller kognitiver Fähigkeiten. Die Annahme eines spezifischen angeborenen Erwerbsmechanismus (Universalgrammatik) ist nicht notwendig. Sprachliche Beschreibungen und Erklärungen sollten nicht (nur) auf Introspektion, sondern auf authentischem Sprachgebrauch basieren (usage-based).“ 22
Ein Forschungsschwerpunkt innerhalb der Kognitiven Linguistik liegt auf der Analyse konzeptueller Strukturen.23 Unter Konzeptualisierungen sind mit Schwarz, basierend auf Langacker, einem der wichtigsten Vertreter der Kognitiven Linguistik in ihren Anfängen, „mentale Prozesse, die Informationen aus verschiedenen Bereichen menschlicher Erfahrung aufeinander beziehen“24 zu verstehen, also „die Verarbeitung der Welt durch den Menschen“, „die Konzeptbildung in Abhängigkeit von der Funktion des Menschen und seiner Interaktion mit seinem Umfeld.“ Diese verfestigt sich nach ihrer Etablierung zu einer „kognitiven Routine.“ 25 Konzeptualisierungen basieren zum einen auf „perception and bodily experience“, sind aber zum anderen auch abhängig vom soziokulturellen Umfeld, da sie auch auf der Interaktion mit der Umwelt beruhen, d. h., sie können zwischen Kulturen differieren.26 22
23 24
25 26
http://www.dgkl-gcla.de/dgkl.html (Zugriff am 01.07. 2013). Es muss aber beachtet werden, dass diese Definition den holistischen Ansatz der Kognitiven Linguistik im Blick hat, eine modulare Auffassung existiert ebenfalls. Näheres hierzu z. B. bei Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, 15–56 (zur modularen Auffassung 48–53; zur holistischen 53–56 und zur Herkunft und Entstehung der Kognitiven Linguistik als Zweig der Sprachwissenschaft 15–48) und bei Baldauf, Metapher, 29–31. Im Folgenden werde ich mich der holistischen Auffassung anschließen, da aus deren Erkenntnissen die Anfrage an Wolff erwächst. Es sollte hier aber angemerkt werden, dass es derzeit für die Kognitive Linguistik keine „verbindliche und einheitliche Definition oder Eingrenzung“ (Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, 41) gibt und auch verschiedene Fachtermini zur Bezeichnung derselben Sache verwendet werden können. Wichtige Vertreter sind z. B. Lakoff, Johnson und Kövecses. Vgl. für wichtige Titel dieser Personen Anm. 30 in diesem Kapitel. Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, 55. Vgl. dazu auch Langacker, Foundations of Cognitive Grammar, 97–146 und Cognitive Grammar, 28–32. Einen guten ersten Zugang zu seinen Theorien bietet seine 2008 erschienene Basic Introduction, vgl. Langacker, Cognitive Grammar. Baldauf, Metapher, 35 (alle drei Zitate). Vgl. Langacker, Cognitive Grammar, 28–29 (Zitat: 28) und Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, 56.
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Bei der Untersuchung der konzeptuellen Strukturen wird – wie in der Definition der deutschen Gesellschaft für Kognitive Linguistik betont ist – davon ausgegangen, dass Sprache kein „autonomes Subsystem, sondern eher [...] ein Epiphänomen der Kognition“27 ist, d. h. diese Mechanismen liegen nicht nur der Sprache zugrunde, sondern sind Strukturen des menschlichen Denkens. Ihre Untersuchung ermöglicht also „einen Zugang zur Funktionsweise des menschlichen Geistes.“28 Während Metonymien gerne als rein literarisch/rhetorisch interessante Stilmittel bezeichnet wurden und ihr Bezug zum Denken des Menschen bzw. ihre Funktionsweise im Denken des Menschen nicht untersucht wurde,29 betrachtet die Kognitive Linguistik diese, wie auch Metaphern,30 daher aus einem anderen Blickwinkel. Metonymien sind „nicht nur ein Mittel der Poetik oder der Rhetorik“31. „Genausowenig sind sie nur eine rein sprachliche Angelegenheit. Metonymische Konzepte … sind Bestandteile unseres normalen, alltäglichen Denkens, Handelns und Sprechens.“32
Daher wird gefragt, welche „Denkmechanismen“ der sprachlichen Verwendung von Metonymien zugrunde liegen.33 Sprachliche Metonymien34 spiegeln nämlich die konzeptuellen wider, d. h.
27 28
29
30
31 32
Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, 53. Vgl. zu diesem und dem folgenden Absatz Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, 53–56.59–76 (Zitat: 75); Baldauf, Metapher, 29–37. Zur Konzeptualisierung vgl. insbesondere Langacker, Cognitive Grammar, 27–53. Vgl. den Überblick bei Bierwiaczonek, Metonymy, 3–5. Dasselbe sagt Bucholz über die Metaphern im Vorwort zu Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, 7–8. Vgl. auch Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, 11. Metonymien werden in Lakoff/Johnsons für die Metaphernanalyse grundlegendem und zentralem Buch „Leben in Metaphern“ nur relativ knapp (vgl. Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, 46–51), in anderen Publikationen aus dem Bereich der Kognitiven Linguistik aber vertieft behandelt. Vgl. hierzu insbesondere Benczes u. a., Defining Metonymie; Dirven/Pörings, Metaphor and Metonymie; Panther/Radden, Metonymy in Language and Thought und Bierwiaczonek, Metonymy. Zur Metaphernanalyse vgl. auch Kövecses, The Language of Love; Kövecses, Metaphors of Anger, Pride and Love; Kövecses, Metaphor and Emotion; Kövecses, Metaphor. A Practical Introduction; und zu ihrer Anwendung auf das biblische Hebräisch z. B. Wagner, Gefühl, Emotion und Affekt in der Sprachanalyse des Hebräischen. Vier Studien, insbesondere 49–100; Wagner, Emotionen in alttestamentlicher und verwandter Literatur, passim; van Wolde, Sentiments as Culturally Constructed Emotions; Müller, Zur kognitiven Konzeption von Liebe im Hebräischen, passim; Szlos, Body Part as Metaphor, passim. Der Sammelband „Cognitive Linguistic Explorations in Biblical Studies“ enthält daneben auch Artikel, in denen andere Methoden aus dem Bereich der Kognitiven Linguistik auf biblische Texte angewendet werden, vgl. Howe/Green, Cognitive Linguistic, passim. Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, 48. Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, 48.
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„Sie sind Beispiele für bestimmte allgemeine metonymische Konzepte, nach denen wir unsere Gedanken und Handlungen organisieren. Durch metonymische Konzepte können wir eine Sache mittels ihrer Beziehung zu einer anderen konzeptualisieren.“35
Grundlegend für deren Analyse ist ein neues Bedeutungsverständnis. Entgegen der klassischen „wörterbuchartigen Definition lexikalischer Bedeutung“36 vertritt Langacker ein „enzyklopädisches Bedeutungsverständnis“37. Diese Definition von Bedeutung versucht der Rolle des kulturellen bzw. alltäglichen Wissens und des Kontextes auf die Konstitution von Bedeutung gerecht zu werden. Das Wissen über ein Wort besteht demnach nicht nur aus einem wörterbuchartigen, sondern auch aus einem enzyklopädischen Eintrag kulturellen Wissens, d. h. „alle sprachlich relevanten Ausschnitte“38 dessen, was man über das Konzept, das durch die Nennung des Wortes abgerufen wird, weiß, gehören zur Bedeutung.39 Unter Konzepten werden hier mit Schwarz „die elementaren Einheiten unserer strukturellen Kognition“, d. h. „die Bausteine unseres Kognitionssystems“, die „die ökonomische Speicherung und Verarbeitung subjektiver Erfahrungseinheiten durch die Einteilung der Informationen in Klassen nach bestimmten Merkmalen“ ermöglichen, verstanden. Sie entstehen „durch mentale Operationen, die von den individuellen Objektexemplaren abstrahieren und nur deren gemeinsame Merkmale extrahieren“.40 Natürlich wird nicht das ganze Wissen über ein Konzept durch ein Wort direkt adressiert, sondern es gibt zentrales Wissen, dass meist angesprochen wird und weniger zentrales, d. h. peripheres Wissen, dass nur durch bestimmte Ko(n)texte angesteuert wird. Das folgende Beispiel kann das verdeutlichen: Zeigt jemand auf eine Katze und ruft aus „Oh, was für eine niedliche Katze“, so wird im Konzept ,Katze‘ zentrales Wissen abgerufen, nämlich dass es sich um ein pelziges Haustier mit vier Pfoten handelt etc.
33
34 35 36 37 38 39
40
Vgl. hierzu insbesondere die Beiträge in Benczes u. a., Defining Metonymie; Dirven/Pörings, Metaphor and Metonymie und Panther/Radden, Metonymy in Language and Thought. Zur Definition des Terminus Metonymie s. Einleitung. Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, 50. Baldauf, Metapher, 38. Baldauf, Metapher, 38. Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, 113. Vgl. zu den folgenden Absätzen, die das neue Bedeutungsverständnis und kognitive Domänen erläutern Langacker, Cognitive Grammar, 31–54; Langacker, Foundations of Cognitive Grammar, 56–213 und zur Darstellung Baldauf, Metapher, 37–40.63–65 und Croft, Domains, 162–174 sowie auch Shead, Radical Frame Semantics, 39–53. Zu Konzepten und Bedeutung vgl. auch Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, 108–126. Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, 108 (alle drei Zitate).
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Methodische Grundlagen Sagt aber jemand nach einem heftigen Niesen gequält, „Ah, diese Katze“, so wird zusätzlich auch abgerufen, dass Katzenhaare starke Allergien verursachen können. Im ersten Beispiel wird dies nicht sofort mitgedacht (es sei denn der/die Hörende ist selbst stark allergisch – dann wird dieses Wissen für sie/ihn zu zentralem Wissen).41
Diese Möglichkeit, dass unterschiedliche Elemente eines Konzeptes durch verschiedene Ko(n)texte abgerufen werden können, erklärt auch, warum Wortbedeutungen stark ko(n)textsensibel sind.42 Konzepte sind keine vollständig abgeschlossenen und voneinander getrennten Entitäten. Das Verständnis der meisten Konzepte setzt bereits Wissen voraus. Da z. B. im Konzept ,Katze‘ ,Haustier‘ bzw. ,Tier‘ zentrale Elemente sind, versteht man das Konzept nur, wenn auch diese Konzepte bekannt sind, die aber ihrerseits auch wieder andere, z. B. ,Lebewesen‘, voraussetzen, usw. Den meisten Konzepten liegt also ein komplexes enzyklopädisches Wissensnetzwerk zugrunde. Dieses „für die Konstitution von Bedeutung relevante enzyklopädische Wissen wird in Form von“43 sogenannten kognitiven Domänen repräsentiert. Unter einer kognitiven Domäne versteht man „einen aus Weltwissen, Vorwissen und Präsuppositionen bestehenden Bezugsrahmen, vor dessen Hintergrund die Bedeutung eines Konzeptes oder sprachlichen Ausdrucks zustande kommt“44. Als base domain bezeichnet man dabei eine Domäne, die durch das Konzept direkt adressiert wird. Bei dem Beispiel des Konzeptes ,Katze‘ wäre also die Domäne ,(Haus-)Tier‘ eine base domain. Da es aber häufig mehrere Domänen gibt, die direkt vorausgesetzt sind, z. B. beim Konzept ,Messer‘ die Domäne ,Besteck‘ ebenso wie ,schneiden‘, bezeichnet man die Kombination aller gleichzeitig vorausgesetzten Domänen als Domänenmatrix. Als primary domains bezeichnet man Domänen, die innerhalb der Domänenmatrix besonders zentral sind, d. h. das Wissen enthalten, dass für das Verständnis des Konzepts besonders zentral ist. Bei ,Messer‘ ist z. B. ,schneiden‘ eine primary domain. Wichtig für das richtige Verständnis der Methodik ist es auch, den Unterschied zwischen konzeptuellen Metonymien und den sprachlichen Metonymien, die diese widerspiegeln, zu verstehen, den man am einfachsten an einem Beispiel45 verdeutlichen kann: In der Aussage „Ich benötige dringend eine helfende Hand“ ist helfende Hand eine sprachliche Metonymie; helfende Hand steht für einen tatkräftigen Helfer. Dass wir diese problemlos verstehen können, liegt u. a. daran, dass wir über die konzeptuelle Metonymie, 41 42 43 44 45
Dieses Beispiel und das des Messers sind Baldauf, Metapher, 38–40 entnommen. Vgl. Paradis, Metonymization, 61–62. Baldauf, Metapher, 38. Baldauf, Metapher, 38. Vgl. Langacker, Cognitive Grammar, 43–54; Langacker, Foundations of Cognitive Grammar, 147–182. Vgl. hierzu auch die Beispiele in Pörings/Schmitz, Sprache und Sprachwissenschaft, 44–45.
Methodische Grundlagen
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d. h. den Denkmechanismus KÖRPERTEIL FÜR PERSON verfügen. Genauso ist dies bei der Aussage „Es gibt etliche gute Köpfe an der Universität“.46 „Entscheidend ist dabei nicht, daß wir einfach einen Teil (den Kopf) benutzen, der für das Ganze (den Menschen) steht, sondern daß wir ein bestimmtes Merkmal des Menschen herausgreifen, nämlich seine Intelligenz, die wir mit dem Kopf assoziieren.“47
Das heißt, der gewählte Körperteil ist nicht beliebig, sondern die Wahl ist abhängig von unserem „Wissen“ über diesen, d. h. auch von unseren Erfahrungen und kulturell tradierten Zusprechungen, und davon, welchen Aspekt wir betonen wollen. Dies liegt darin begründet, wie die Metonymie KÖRPERTEIL FÜR PERSON „funktioniert“. Bei einer Metonymie wird ein Konzept (target) über die Nennung eines anderen (source), das aber Teil der Domänenmatrix48 des ersten ist, adressiert. Dabei findet ein als Domänenhighlighting bezeichneter Shift statt, der eine in der wörtlichen Bedeutung nicht primäre (Sub-)Domäne zu einer zentralen49 macht. Bei der konzeptuellen Metonymie KÖRPERTEIL FÜR PERSON ist das Domänenhighlighting eher „subtle and sensitive to the semantics of the associated words“50. Da Körperteile das Ganze, d. h. den Körper und die Person als base domains haben, erscheint zunächst kein solcher Domänenshift vorzuliegen. Aber alle Körperteile haben unterschiedliche Domänenmatrizen zugrunde liegen, da sie nur mit bestimmten Funktionen assoziiert werden. Es wird somit doch eine nicht so zentrale Subdomäne innerhalb der Domänenmatrix hervorgehoben, um einen bestimmten Bedeutungsaspekt zu betonen.51 Dabei wird ein Element des eigentlich bezeichneten Konzeptes (target), d. h. Person, durch die Nennung eines Konzeptes (source) aus derselben Domäne(-nmatrix), in dem dieses Element zentral ist hervorgehoben („highlighted“) und damit die Bedeutung eingeschränkt bzw. der Fokus geändert.52 46 47 48
49 50 51 52
Dieses Beispiel stammt aus Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, 47. Vgl. zur Darstellung und Bewertung des Beispiels Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, 46–48. Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, 47. Bencesz plädiert dafür, besser den Terminus domain network zu verwenden, um die Verlinkung der Domänen untereinander zu betonen. Domänenmatrix ist aber der gängigere Fachbegriff. Vgl. Benczes, Domain, passim. Wobei natürlich die eigentliche primäre Domäne in den Hintergrund tritt („backgroundet“). Vgl. Benczes, Domain, 205–206. Croft, Domains, 181. „.. the choice of source … constrains the way in which the target is activated.“ Barcelona, Metaphor and Metonymy, 225. Vgl. zu domain highlighting Croft, Domains, 177–203; Barcelona, Metonymy, 11–15 und Barcelona, Metaphor and Metonymy, 211–217, der sich explizit mit Croft auseinandersetzt, und zur (nicht-willkürlichen) Wahl des Körperteils insbesondere Croft, Domains, 181 und ferner auch Barcelona, Metonymy, 13 („The choice of the source …. is important as the perspective imposed by it constrains the way in which the target is viewed“). Vgl. auch Benczes, Domain, 197–200 mit Verweis auf Radden/Kövecses, Theory of Metonymy, 21 und Kövecses/Radden, Metonymy, passim.
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Methodische Grundlagen
Daher ist es auch möglich, über die Verwendung solcher Metonymien auf dieses Konzept, d. h. diese Subdomäne bzw. deren zentrale Elemente, zurückzufragen. Dieses Analyseverfahren wird im Folgenden bei der Frage nach der Rolle der næfæš in den alttestamentlichen Menschenvorstellungen angewendet und dort noch näher erläutert werden.53 Neben dieser konzeptuellen Metonymie ist auch KÖRPERTEIL FÜR FUNK54 TION, wie u. a. die drei folgenden Beispiele zeigen, für das Deutsche anhand von Sprachbeispielen leicht nachweisbar: Da man den Versicherungsträgern nicht zumuten kann, zu entscheiden (und es ihnen auch nicht erlauben sollte), an welchen Ausgaben gespart werden kann, werden diese den Krankenhäusern und Ärzten in Zukunft einfach weniger Geld zur Verfügung stellen. Es liegt in der Hand der Betroffenen (auch der Patienten), weniger Geld sinnvoll auszugeben … (Die Zeit, 24.06.1999) (Hand für Macht/Verfügungsgewalt) Das soll so was wie sehr stark, sehr beeindruckend bedeuten. Weil Felix dieses Wort durch den Kopf geht, weiß er nicht mehr, was denn nun wieder burschikos gewesen ist. Er erzählt den beiden einige Klatschgeschichten aus dem Nightlife. (Dückers, Tanja, Spielzone, Berlin: Aufbau-Taschenbuch-Verl. 2002 [1999], S. 129 ) (Kopf für Denken) … Zum Glück hatte dieser den Rat seines Vaters im Ohr, der ihm eingeschärft hatte: »Hagel, wenn der Hagel kommt – und er kommt immer –, dann zieh das Wams aus, und leg es wie ein Kissen unter den Hut ...« (Widmer, Das Buch des Vaters, Zürich: Diogenes 2004, S. 22) (Ohr für Erinnerung)
Desweiteren ist ebenso die von Wagner für das Hebräische aufgezeigte gestische Bedeutung im Deutschen nicht selten, d. h. auch hier werden Gesten genannt, wo die Geste eigentlich für die dahinterstehende Aussage steht: Wir sollten nicht in erster Linie und vor allem Probleme sehen, sondern die Chance. Wir dürfen jetzt nicht die Hände in den Schoß legen und warten, was da kommt. Es kommt wenig in Bewegung, wenn wir nicht selbst zupacken. (De Maizière, Lothar, Ansprache zum Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 30.06.1990, 30.06.1990 ) Hat er ihn nicht nach seinem ersten Roman für die Öffentlichkeit entdeckt? Und seitdem, hat er nicht seine Hand über ihn gehalten? Der Kritiker fühlt sich dann wie ein Fußballtrainer, dessen Kritik dem Zwecke dient, seinen Schützling zu noch besseren Leistungen anzustacheln. (Schwanitz, Dietrich, Bildung, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 440)
53 54
Vgl. Kap. 5.2 dieser Arbeit. Die Belege sind dem Digitalen Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (DWDS) der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften entnommen, welches unter http://www.dwds.de (Zugriff am 15.09.13) abrufbar ist. Die Seitenzählung ist ebenfalls von dort übernommen. Das Wörterbuch liefert noch zahlreiche weitere Sprachbeispiele dieser Art.
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Ob er eine Mark kriege, er müsse dringendst im Krankenhaus anrufen. Beide schüttelten den Kopf. »Laß dir was Intelligenteres einfallen«, sagte Jochen. (Degenhardt, Franz Josef, Für ewig und drei Tage, Berlin: Aufbau-Verl. 1999, S. 183)
Auch für das Englische lassen sich problemlos solche, tatsächlich verwendete Sprachbeispiele aufführen: KÖRPERTEIL FÜR PERSON: All hands on deck!55
KÖRPERTEIL FÜR FUNKTION: Friends, Romans, countrymen. Lend me your ears! (Ohr für Gehör)56 He has a good hand. (Hand für Geschick) They have good eyes. (Auge für Sehvermögen)57
Auch gestische Bedeutungen sind etwas Alltägliches: ,To bite one’s tongue‘ für schweigen 58 ,to shake hands‘ für sich vertragen
Dies bedeutet also, dass die Tatsache, dass ein Körperteillexem nicht nur diesen bezeichnen kann, sondern auch in Gesten vorkommt, für die Funktion des Körperteils bzw. die ihm zugesprochene Funktion und ein dazu passendes Abstraktum stehen kann, kein Spezifikum der semitischen Sprachen ist, sondern auch in modernen Sprachen zu finden ist.59 Dies ist trotz aller zeitlicher und kultureller Differenz und der Annahme möglicher kultureller Verschiedenheit von Konzeptualisierungen weniger überraschend als man auf den ersten Blick vermuten mag. Eine der Grundannahmen der Kognitiven Linguistik ist nämlich, dass unser Denken „is [...] grounded in perception and bodily experience“60 und für konzeptuelle Metonymien gilt, dass sie meist „direkte physische oder kausale Assoziationen“61 55 56 57 58
59
60
61
Dieses Beispiel stammt aus Oxford Dictionaries (online): http://www.oxforddic tionaries.com/definition/english/all+hands+on+deck___1 (Zugriff am 31.10.13). Shakespeare, Julius Cäsar, Act 3, Scene 2, Line 73. Dieses Beispiel und das folgende stammen aus Barcelona, Metaphor and Metonymy, 266. Dort findet man auch weitere Beispiele dieser Art. Diese beiden Beispiele und weitere dieser Art findet man problemlos über gängige online Wörterbücher des Englischen, z. B. http://dict.leo.org/ (Zugriff am: 31.10.2013). Dies zeigen z. B. auch die folgenden Studien auf: Siahaan, Metaphorische Konzepte im Deutschen und im Indonesischen, passim und Ni, Metaphern und Metonymien in deutschen und chinesischen Somatismen, passim. Vgl. hierzu auch Werning, Der Kopf des Beines, 108. Langacker, Cognitive Grammar, 28. Vgl. hierzu auch die Definition von Kognitiver Linguistik am Anfang dieses Unterkapitels und Schwarz, Einführung in die Kognitive Linguistik, 56. Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, 51.
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Methodische Grundlagen
abbilden. Die mögliche Verbindung von Körperteil und einer Funktion bzw. von Körperteil und Person entstammt der direkten körperlichen Erfahrung/Wahrnehmung. Zudem ist ein Körperteil deutlich einfacher „begreifbar“ als abstrakte Dinge oder die Person als Ganzes. Dies erklärt, dass die gerade geschilderten konzeptuellen Metonymien kulturübergreifend zu finden sind.62 Auch wir verfügen also über diese konzeptuellen Metonymien. Probleme bereitet uns allerdings u. U. die Konzeption der Körperteile selbst, genauer die ihnen zugesprochenen Funktionen, die nicht immer mit unseren identisch sind. Insbesondere die den inneren Organen zugesprochenen Funktionen können zwischen Kulturen differieren, weil sie sich, anders als manche Funktionen der äußeren Körperteile, in der Regel nicht einfach unmittelbar aus interkulturell gleichen Erfahrungen/Beobachtungen ergeben (die Hand packt zu etc.).63 Aber auch äußere Körperteile können kulturell unterschiedlich konzeptualisiert sein.64 Als Beispiel sei hier noch einmal auf den folgenden Satz verwiesen: „Es gibt etliche gute Köpfe an der Universität“. Wie oben bereits geschildert, ist die Wahl des Körperteils abhängig von unserem Konzept desselben. Kopf wird bei uns mit Verstand und Intelligenz in Verbindung gebracht. Eine Analyse der hebräischen Texte zeigt jedoch, dass dies dort anders ist. Der Kopf wird nicht mit Intelligenz verbunden, der Körperteil ist anders konzeptualisiert.65 Die sprachliche Metonymie wäre trotz selber zugrunde liegender konzeptueller Metonymie somit für einen Israeliten der biblischen Zeit unverständlich, wenn nicht weitere Informationen durch den Ko(n)text hinzukommen. Die sprachliche Ausformung der besprochenen konzeptuellen Metonymien kann folglich interkulturell verschieden sein und ob ein Körperteillexem überhaupt funktional verwendet wird, hängt ebenfalls von der Relevanz des Körperteils bzw. der diesem zugesprochenen Bedeutung in den kulturell geprägten Vorstellungen ab. Wenn also auch im Deutschen Körperteilbezeichnungen ebenso wie im Hebräischen für die ihnen zugesprochenen Funktionen und für die Person unter einem bestimmten Blickwinkel stehen können und lediglich die Funktionen/Blickwinkel ggf. andere sind, hat Wolff dann gänzlich Unrecht mit seiner Feststellung und der Unterschied liegt lediglich in den verwendeten Körperteillexemen? 62 63
64
65
Dies muss aber nicht für alle konzeptuellen Metonymien gelten, vgl. Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, 50–52. Z.B. ist das Herz im Hebräischen mit dem Denken verbunden, was im Deutschen eher nicht der Fall ist. Vgl. hierzu z. B. Wolff, Anthropologie. 2010, 75–101; Krüger, Herz, 103–118; Stolz, Art. , 861–867; Fabry, Art. , 425–448; Janowski, Herz, 15–23 und Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 33–44. Vgl. hierzu auch Wagner, Gottes Körper, 92–94. „Die Funktionsbedeutung der Körperteile ist geschichtlich bedingt; nicht in jedem Fall können wir die Bedeutung sofort erschließen“ (93). Vgl. Wagner, Gottes Körper, 121–123; Wagner, Art. Kopf, passim; Beuken, Art. , 271–282; Müller, Art. rš, 702–715; Wolff, Anthropologie. 2010, 115.
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Dies trifft m. E. so nicht zu, denn in der Tat bereitet eine nicht zu kleine Anzahl an Übersetzungen mit der äquivalenten Körperteilbezeichnung dem Leser/der Leserin Verständnisprobleme, teilweise sogar trotz ähnlicher Konzeption des Körperteils, z. B. ist Hand bei uns auch mit Macht (jmd. in der Hand haben) verbunden, aber der folgende Satz ist trotzdem schwer verständlich: Spr 18,21 Tod und Leben sind in der Hand der Zunge, und die sie lieben, werden ihre Früchte essen.
Gemeint ist mit ,Hand der Zunge‘ die Macht der Rede.66 Ähnlich wird das Wort ,Zunge‘ im folgendem deutschen Beispiel verwendet. Statt ,Hand‘ steht hier allerdings ,Macht‘. Sie setzen sich gemeinsam an einen Tisch, nicht jeder für sich wie im Hotel. Über den Brötchen tauschen sie sich aus, wenn auch mit gedämpfter Stimme, denn im Kloster steht der Zunge Macht unter Generalverdacht. Ein Student ist von Donnerstag bis Dienstag hier, um seine Magisterarbeit fortzuschreiben; zu Hause ist er zwischen Frau und Kind steckengeblieben. (Die Zeit, 05.03.2008, Nr. 11)67
Die Schwierigkeit, die wir bei der Wiedergabe solcher Passagen wie in Spr 18,21 haben, liegt m. E., neben der anderen Konzeptualisierung mancher Körperteile (z. B. ist die Nase bei uns nicht mit der Emotion Zorn verbunden)68, darin begründet, dass wir in diesem Fall und in vielen anderen Ko(n)texten zu Abstrakta greifen. Es lassen sich zwar auch im Deutschen ganz problemlos Sprachbeispiele für konzeptuelle Metonymien der genannten Art finden, aber es bleibt dennoch auffällig, dass diese im Althebräischen weit häufiger vorkommen (im Deutschen bezeichnet hingegen ein Körperteillexem in den meisten Fällen wirklich den entsprechenden Körperteil)69 und auch außerhalb von Alltagssprache sowie Poesie Körperteillexeme anstelle von Funktionen/Abstrakta, z. B. in Rechtstexten und Befehlen, gehäuft auftreten, wo wir diese im Deutschen eher vermeiden würden.70 Dies gilt nicht
66 67 68 69 70
Vgl. Wagner, Gottes Körper, 116; Wagner, Hand, 1.2; Müller, Zunge, 2.3 und Wolff, Anthropologie. 2010, 114. DWDS (Zugriff am 13.10.13). Vgl. Johnson, Art. , 379 und Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 76–77 sowie Wagner, Körper Gottes, 128–129; Sauer, Art. af, 220–224. Dies zeigen die Belege im DWDS. Vgl. z. B. Gen 10,5.20.31, Dtn 2,24; 28,49, Jos 8,20, Ez 3,6; 22,6; Dan 11,15, Neh 13,24.
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nur für den biblischen Text, sondern z. B. auch für den folgenden Beleg aus der hebräischen Epigraphik71: [...] und ihr sollt nehmen Männer] aus Arad 5 und aus Qn[ ..][..] und schickt sie nach Rmat Neg[eb in die Ha]nd (= ) des Malkyhû, des Sohnes des Qerabûr, damit er sie übergibt in die Hand des Elyš des Sohnes des Yirmeyhû in Rmat Negeb, damit der Stadt nicht etwas zustößt … (Ausschnitt aus dem Text auf einem Ostrakon aus Arad, vermutlich 6. Jahrhundert v. Chr.) 72
Der Befehl, um den es in diesem Text geht, d. h. die Übersendung von Männern in die Befehlsgewalt eines anderen Befehlshabers, lautet wörtlich „Übergib sie in die Hand des…“. Zwar verstehen wir nach kurzem Nachdenken, dass die Hand hier für die Befehlsgewalt steht, würden aber im Deutschen m. E. eher ein anderes Wort, genauer gesagt ein Abstraktum, wählen. Daher empfinden wir diese Verwendung des Körperteilwortes als andersartig. Dass Körperteilwörter im hebräischen Sprachgebrauch gehäuft für funktional-abstrakte Aspekte stehen, ist daher tatsächlich etwas, was ihn vom deutschen unterscheidet und vermuten lässt, dass die genannten Metonymien viel stärker etabliert waren als bei uns,73 d. h. ihr metonymischer Charakter musste „bei einem Kommunikationsakt typischerweise nicht oder nur schwach aktiviert werden“74. So ist z. B. im gerade betrachteten Beleg davon auszugehen, dass das Wort in diesem Kontext von Lesenden/Hörenden relativ direkt mit der Bedeutung ,Befehlsgewalt‘ verbunden wurde. Solche stark etablierte Metonymien finden in der Regel Eingang in Wörterbücher als neue Bedeutungen, d. h. sie konstruieren lexematische Polysemie. Für z. B. nennen KAHAL ,Gewalt‘ und Gesenius18 ,Macht‘ als eigene Bedeutung.75 „Lexematische Polysemie entsteht, so gesehen, zu einem wichtigen Teil durch die Zusammenschau von Primärbedeutung und mehr oder minder stark etablierter metonymischen und metaphorischen Bedeutungen.“76 Dabei muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass, v.a. in sehr späten Schriften, diese Metonymien so etabliert sind, dass sie gar nicht mehr als solche verarbeitet/wahrgenommen wurden und tatsächlich nur die abstrakte Bedeutung „gehört“ wurde. Auch diese sehr stark etablierten Metonymien können
71 72 73
74 75 76
Näheres zu diesem Ostrakon s. Exkurs 2. Für weitere Belege siehe Müller, Körperteilbezeichnungen in der althebräischen Epigraphik, passim. Quelle: Renz, Inschriften Teil 1, 391–393. Übersetzung ebenfalls nach Renz. Evt. wurden sie von manchen Lesenden/Hörenden sogar ganz schlafend, d. h. ohne gedankliche Verbindung mit dem Körperteil verarbeitet. Dies ist aber anhand der textlichen Quellen kaum zu klären. Zur Frage nach der Etablierung von Metonymien und der schlafenden Verarbeitung, vgl. auch Kap. 5.2.1 und Werning, Der Kopf des Beines, 111–114 (Lit!). Werning, Der Kopf des Beines, 113. Vgl. KAHAL, sub , 204 und Gesenius18, sub , 439. Werning, Der Kopf des Beines, 114.
Methodische Grundlagen
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aber, anders als historische/tote Metonymien77, trotzdem jederzeit auch wach verarbeitet und auf ihren metonymischen Charakter hin untersucht werden.78 Da die Bedeutung ,Hand‘ weiterhin hatte, ist davon auszugehen, dass auf eine entsprechende Nachfrage hin der Empfänger des oben angeführten Befehls das Wort auch mit dieser verbunden hätte, selbst wenn er dieses zunächst nur mit der Bedeutung ,Befehlsgewalt‘ gefüllt hätte.79 Nachprüfbar ist dies aber natürlich nicht. Wo die Annahme Wagners, dass der Körperteil „mitgehört“ wurde,80 noch zutrifft und wo die Metonymie ganz schlafend verarbeitet wurde, kann oft nicht sicher bestimmt werden.81 Metonymische und metaphorische Verwendung von Wörtern ist also eine der möglichen Strategien, um den Wortschatz zu erweitern. Man spricht dann von einer metonymischen/metaphorischen Bedeutungserweiterung. Diese bietet sich insbesondere dann an, wenn etwas bezeichnet werden soll, für das es in der jeweiligen Sprache noch kein Wort gibt und überall dort, wo (partielle) Synonyme bzw. Referenzidentität von Wörtern benötigt werden.82 Dies ist nun aber gerade beim Parallelismus membrorum der Fall. Ziel des Parallelismus membrorum ist es „eine Sache durch das Anführen zweier Aussagen zu beleuchten, wobei die parallelen Aussagen zusammen die eine Sache besser, schärfer, reichhaltiger zum Ausdruck bringen als eine Aussage allein.“83 Sachverhalte werden also „bi- bzw. multiperspektiv dargeboten“, wodurch eine „hohe Plastizität der Aussage“ erreicht wird. Eine solche Plastizität erreicht man aber nicht, wenn die Glieder in ihrer Aussage vollständig deckungsgleich sind oder man dieselben Wörter wiederholt. Obwohl die Bezeichnung synonymer Parallelismus anderes vermuten lässt, gilt somit auch für diesen, dass die Glieder dazu dienen, „zwei Aspekte einer Sache“ zu beschreiben und damit diese als ganze besser zu erfassen.84 Daher kommen im Parallelismus membrorum häufiger Wörter zum Einsatz, die denselben außersprachlichen Referenten haben, aber nicht völlig synonym sind,85 77 78 79 80 81 82 83 84
85
D.h. Wörter, die nur durch diachrone Forschung als Metonymien aufgezeigt werden. Vgl. Werning, Der Kopf des Beines, 112–113. Vgl. Werning, Der Kopf des Beines, 113–114. Werning adaptiert die Terminologie aus der Metaphernanalyse von Müller. Vgl. Müller, Metaphors, 62–209. Da das Wort die Bedeutung ,Hand‘ noch hat, bleibt die Metonymie vermutlich transparent. Vgl. zur Transparenz Müller, Metaphors, 200–201. Vgl. Wagner, Bedeutungsspektrum, 11 und Kap. 3.1.1. Vgl. Werning, Der Kopf des Beines, 113. Zur Frage nach der Etablierung von Metonymien und der schlafenden Verarbeitung, vgl. auch Kap. 5.2.1. Vgl. Bierwiaczonek, Metonymy, 56–57 und 267–268 und zu Synonymität und Referenzidentität Schwarz-Friesel/Chur, Semantik, 60–62. Wagner, Wider die Reduktion, 188. Wagner, Parallelismus, 188 (alle drei Zitate). Vgl. zur ,Funktion‘ des Parallelismus membrorum Wagner, Parallelismus, passim (Lit!) und ferner auch Weber, Poesie, 3.1 und 4.1.2. Vgl. Lauha, Sprachgebrauch, 68–69.
118
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wodurch unterschiedliche Bedeutungsaspekte/-nuancen eingebracht werden.86 Durch die metonymische Verwendung eines Körperteillexems für eine Funktion kann eine solche Bedeutungsüberschneidung eigentlich nicht bedeutungsgleicher Wörter „erzeugt“ werden, wie z. B. im folgenden Beleg, wo Mund und Worte parallel stehen: Ps 55,22 c b a 87 Sein Mund (= seine Rede) ist glatter als Butterworte und (doch) ist Krieg in seinem Herzen; Seine Worte sind weicher als Öl und sie sind (doch) gezückte Schwerter.
Außerdem können Körperteillexeme als Metonymien für die Person, wie oben dargelegt, bestimmte Aspekte im Konzept ,Mensch‘ betonen und den Blickwinkel auf diesen verengen, d. h. durch diese kann z. B. der Betende in einem Psalm aus zwei leicht variierenden Perspektiven betrachtet werden. Sie eignen sich folglich ebenfalls hervorragend für die Verwendung in Parallelismen, wie z. B. in Ps 92,12.88 Ps 92,12 89 Und mein Auge (= ich unter dem Aspekt des Sehvermögens/der visuellen Wahrnehmung) blickt auf meine Verfolger, auf die, die sich gegen mich erheben, und von den Übeltätern hören meine Ohren (= ich unter dem Aspekt des Hörvermögens/der akustischen Wahrnehmung).
Die häufige Verwendung des Parallelismus membrorum im AT könnte also einer der Gründe dafür sein, warum der metonymische Gebrauch von Körperteilwörtern bzw. die Bedeutungserweiterung der Körperteillexeme so stark ausgeprägt ist.90
86 87
88 89
90
Völlige Synonymie gibt es im Wortschatz sowieso nur äußerst selten. Vgl. SchwarzFriesel/Chur, Semantik, 60–61. a: Lies: . Vgl. Seybold, Psalmen, 222. b: Das Hapaxlegomenon bedeutet vermutlich ,Butterworte‘, vgl. Hossfeld, Ps 55 (Hossfeld/Zenger, Psalmen 51–100. HThKAT), 96. c: Hier liegt vermutlich eine Haplographie vor. Lies daher: . Vgl. Seybold, Psalmen, 222. Vgl. zu diesem Beispiel auch Wagner, Wider die Reduktion, 198. Eigentlich: ,auf meine Auflauerer‘. Das Nomen ist vermutlich „ableitbar von ›blicken, auflauern‹“. Eine Änderung in ist daher nicht nötig. Vgl. Zenger, Ps 92 (Hossfeld/Zenger, Psalmen 51–100. HThKAT), 629 (Zitat ebenfalls: 629). Anders z. B. Seybold, Psalmen, 365. Dies gilt auch für andere Sprachen, die den Parallelismus membrorum als poetisches Mittel kennen, z.B. für das Ugaritische, Ägyptische und Hetitische. Vgl. Görke, Kör-
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Da die jeweilige Wortbedeutung durch den Kontext bestimmt wird (oder auch bewusst changierend gelassen wird), ist eine metonymische Verwendung einer Körperteilbezeichnung bzw. eine Bedeutungserweiterung durch einen metonymischen Gebrauch in der Ausgangssprache völlig unproblematisch. Bei einer Übersetzung ist es aber oft aufgrund der gerade geschilderten Unterschiede nicht möglich, einfach die entsprechende Körperteilbezeichnung einzusetzen. Dann muss die/der Übersetzende entscheiden, welches Wort (Körperteilbezeichnung, ggf. auch eine andere als das Äquivalent zur hebräischen,91 oder Funktionsbezeichnung/Abstraktum) im Deutschen dem
91
perauffassung; Martin, synthetische Körperauffassung und Werning, ,Kopf des Beines‘, jeweils passim sowie auch Wagner, Parallelismus, 21. Der Parallelismus membrorum dient dazu, „eine Ganzheit durch die Darbietung von Teilen zu erschließen“ (Wagner, Parallelismus, 22). Damit ist er zugleich Ausdruck einer bestimmten Art, die Welt zu erfassen (vgl. Wagner, Parallelismus, 25–26), die für die altägyptische, altorientalische und alttestamentliche Welt typisch ist: „das Ganze [wird] durch überschaubare, sinnvoll ausgegrenzte und parataktisch in die Fläche gesetzte Teile (Aspekte)“ (Brunner-Traut, Aspektive, 474) erfasst, wobei „die Würdigung der Teile, also der einzelnen ,Aspekte‘, den Vorrang hat vor dem die Perspektive kennzeichnenden Überblick des Ganzen“ (Brunner-Traut, Frühformen, 11). Für diese Art der Welterfassung hat Brunner-Traut den Begriff „Aspektive“ geprägt. Sie zeigt sich besonders in der (ägyptischen) Kunst im Vergleich mit der späteren perspektivischen Darstellungsweise. Brunner-Traut weist dieses Phänomen aber auch in anderen Bereichen wie z. B. der Mathematik, der Religion, des Menschenbildes (vgl. auch Brunner-Traut, Körper, 25–34) oder eben auch der Poesie nach. Vgl. Brunner-Traut, Frühformen, passim und Wagner, Parallelismus, 22–26. Etwas problematisch ist an ihrem Ansatz allerdings die implizite Abwertung dieser Art der Welterfassung gegenüber der griechischen und der heutigen, insbesondere da sie diese mit der von Kindern und psychisch Kranken vergleicht und versucht, die Unterschiede durch eine Entwicklung der Hirntätigkeit zu erklären (vgl. BrunnerTraut, Frühformen, 155–164). Auf eine solche Art der Abwertung sollte m. E. verzichtet werden und lediglich die Andersartigkeit der Art der Welterfassung festgestellt werden. Zurecht betont Stadler gegen Brunner-Traut, dass die Fähigkeit „Gesamtphänomene in Einzelaspekte zu analysieren“ ebenfalls eine analytische Begabung zeigt und die Ägypter zu ebenso hohen Einsichten gebracht hat wie die Griechen (Stadler, Weiser, 21). Vgl. Stadler, Weiser, 19–21 und Janowski, Der „ganze Mensch“, 13 Anm. 19. Die stark ausgeprägte metonymische Verwendung von Körperteilen für Funktionen bzw. Abstrakta und zur Bezeichnung von Personen ist vermutlich durch die von Brunner-Traut dargestellte andere Art der Welterfassung, die im Parallelismus membrorum einen Ausdruck findet, mitbedingt. Allerdings wird auch im Altgriechischen häufiger zu metonymisch verwendeten Körperteilen gegriffen als in modernen westlichen Sprachen (vgl. Stenger, Körperteilbezeichnungen im Griechischen, passim und Müller/Wagner, Konzept, 235–238), was davor warnen sollte, dies als einzig mögliche Erklärung für eine hohe Dichte dieses Sprachphänomens zu sehen. Z.B. findet man in der revidierten Fassung der Lutherbibel von 1984 manchmal ,Herz‘, wo im Hebräischen nicht , sondern ein anderer Körperteil genannt wird, z. B. 1 Sam 18,1.
120
Methodische Grundlagen
Sinn der Aussage am besten gerecht wird. Dies hatten auch Wolff und Wagner betont.92 So ergeben sich die verschiedenen Wiedergabemöglichkeiten, die wir auch in den Wörterbüchern finden. Sie reichen bei vielen Körperteillexemen von rein körperlichen über gestische und funktionale bis hin zu abstrakten Bedeutungen.93 Dies berechtigt m. E. dazu, auch weiterhin mit Wagner und basierend auf Wolff von einem synthetischen Bedeutungsspektrum zu sprechen, auch wenn die Besonderheit nicht in den zugrunde liegenden Denkstrukturen liegt. Auch die Bezeichnung ,metonymisches Bedeutungsspektrum‘ wäre basierend auf dem gerade Dargelegten passend.
3.2
Wort, Begriff und Konzept
Nachdem im vorherigen Unterkapitel der Terminus Konzept eingeführt und definiert wurde, sollte nun noch eine weitere terminologische Klärung erfolgen. Im forschungsgeschichtlichen Überblick war bereits häufig von ,Wort‘ und ,Begriff ‘ die Rede, wobei deutlich wurde, dass manche Autorinnen und Autoren diese beiden Wörter nicht wirklich voneinander unterscheiden. So spricht z. B. Wolff sowohl von anthropologischen Hauptwörtern als auch von Hauptbegriffen zur Bezeichnung derselben Sache.94 Barr kritisierte in seiner Publikation zu Bibelexegese und moderner Semantik eine solche Vermischung von ,Wort‘ und ,Begriff ‘ und die synonyme Verwendung beider scharf.95 Dabei ist seine Kritik u. a. durch die ersten Bände des ThWNT motiviert. „Nun ergeben sich sofort gewisse Schwierigkeiten. Die Arbeit des Wörterbuchs soll auf dem Gebiete der ‚Begriffsgeschichte‘ geschehen, aber das Wörterbuch selbst ist eine Aufstellung von Wörtern. Der Aufbau des Werkes bringt also gleich das schwierige Problem des Verhältnisses von Wort und Begriff ans Tageslicht.“ „Die Verfasser des Theologischen Wörterbuchs sagen ,Begriff, wenn sie die Spracheinheit meinen, die üblicherweise ,Wort genannt wird. Das gilt auch von modernen Dogmatikern […].“96
92 93 94 95
96
Vgl. Wolff, Anthropologie. 2010, 30–31 und Wagner, Gottes Körper, 110–111. Vgl. hierzu die bei Wagner dargestellten Körperteilwörter und ihre Bedeutungen, Wagner, Gottes Körper, 110–134. Vgl. Wolff, Anthropologie. 2010, 29–30. Vgl. zur folgenden Darstellung der Problematik Müller/Wagner, Konzept, 230–231. Vgl. Barr, Bibelexegese und Semantik, 207–246. Eine Zusammenfassung der Kritik Barrs an der Wortforschung im AT findet sich bei Rüterswörden, Art. Wortforschung 1, 333. Barr, Bibelexegese und Semantik, 208.210 (1. Zitat: 208; 2. Zitat: 210).
Methodische Grundlagen
121
Barrs Kritik aus dem Jahr 1965 ist keineswegs veraltet. Auch heute ist die Vermischung von Wort und Begriff weiterhin ein Kritikpunkt, der u. a. von Linguisten geäußert wird, allerdings nicht nur gegenüber Exegeten. So betont z. B. der Linguist Heinz Vater: „Seit einigen Jahren werden Wort und Begriff in deutschen Medien [...] zunehmend häufiger verwechselt. [...] Diese Verwechslung von Wort und Begriff findet man auch im akademischen Bereich – in Referaten von Studenten … wie in Büchern von Professoren .., sogar im geisteswissenschaftlichen Bereich, wo Wort und Begriff doch zum täglichen Brot gehören.“97
Es ist somit angeraten, noch einmal darzustellen, wo die Unterschiede liegen und wieso eine Vermischung beider ein methodisches Risiko bergen kann. Bei einem Wort handelt es sich, vereinfacht gesagt, um eine sprachliche Einheit, genauer gesagt um „die kleinste (atomare) Einheit der Syntax“ und zugleich „die größte (maximale) Einheit der Morphologie“.98 Auch Wortfolgen, die eine Bedeutung transportieren, z. B. rote Bete, sind als sprachliche Einheiten keine Begriffe. Hier empfiehlt es sich, von Ausdrücken zu sprechen. Ein Begriff hingegen ist, ebenfalls stark vereinfacht gesagt, eine mentale Einheit.99 Als Bezeichnung für die „kleinste Einheit des Denkens“100 ist 97 98 99
Vater, Referenzlinguistik, 21. Vater, Referenzlinguistik, 22 (beide Zitate). Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts (www.dwds. de) nennt folgende Etymologie und Definition (Zugriff am 29.10.13): „Begriff m., mhd. begrif ist zu begreifen im Sinne von ‘umfassen, enthalten’ gebildet und bedeutet ‘Umfang, Bezirk, Umfang und Inhalt einer Vorstellung’, ferner ‘Zusammenfassung, kurzer Auszug’. Begriff kommt durch die philosophischen Aufklärer Wolff und Thomasius allgemein in Gebrauch; Begriff und Vorstellung werden in der philosophischen Terminologie bald gegeneinander abgegrenzt, so daß Begriff die heute vorherrschende Bedeutung ‘wesentliche Merkmale einer Sache oder einer Gruppe von Erscheinungen, die zu einer gedanklichen Einheit zusammengefaßt sind’ erhält“ (kursiv im Original). Diese gedankliche Einheit bezeichnet man heute häufig als Konzept, vgl. Kap. 3.1.2. Vgl. zu Definition des Begriffs auch die Definition bei Prechtl, Art. Begriff, 65–66; Stolzenberg, Art. Begriff, 1214–1215; Siegwart, Art. Begriff, 148–149 und in Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 2., 564–565 sowie bei Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe Bd.1., 125–133. Dort findet man auch einen Abriss über die Geschichte des philosophischen Gebrauchs von der Antike (insbesondere Aristoteles), über die Scholastik, die frühe Neuzeit (u. a. Descartes, Hegel, Fichte und Kant) bis zum Ende des 19. Jahrhunderts (u. a. Schleiermacher und Nietzsche). Hierzu wäre noch Frege zu ergänzen: Vgl. die von G. Patzig herausgegebene Aufsatzsammlung: Frege, Funktion, Begriff, Bedeutung, 1–60 – sowie Kaufmann, Art. Begriff, 313–325 (Lit!), der zusätzlich auch neuere Philosophen (z. B. Wittgenstein) betrachtet und die historisch-systematische Betrachtung in Kann, Art. Begriff, 326– 348. Da Begriff einer der Grundtermini der Philosophie ist, ließe sich diese Liste durch fast beliebig viele Lexika zur Philosophie erweitern. Vgl. ferner auch die Artikel zu Nominalismus und Realismus – deren unterschiedliche Auffassung über das Wesen der Begriffe im Rahmen dieser Untersuchung nicht thematisiert werden muss – z. B. in Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe Bd.2, 215–217 sowie Bd.
122
Methodische Grundlagen
er gleichbedeutend mit „Konzept“ in der oben angeführten Definition.101 Der Begriff der Seele ist also die durch das Wort Seele adressierte gedankliche Einheit. Im gerade angeführten Satz ist ,Seele‘ aber natürlich auch beide Male ein Wort, d. h. eine sprachliche Einheit. Die Tatsache, dass ,Begriff‘ im Deutschen vermehrt anstelle von ,Wort‘102 verwendet wird, so dass man schon von einer Bedeutungserweiterung des Wortes Begriff sprechen könnte, ist im Alltag eher unproblematisch. Linguisten mögen sich darüber ärgern, ändern werden sie diese Weiterentwicklung der Sprache aber vermutlich nicht, denn sie führt in der Regel nicht zu Verständigungsschwierigkeiten.103 Die synonyme Verwendung der Wörter Wort und Begriff zur Bezeichnung der kleinsten syntaktischen Einheit im wissenschaftlichen, insbesondere im geisteswissenschaftlichen Kontext, kann hingegen mit einem methodischen Risiko verbunden sein, dessen man sich bewusst sein sollte. Neben den Problemen, die terminologische Vermischungen für linguistische Analysen aufwerfen können,104 könnte diese Verwechslung nämlich u. a. Konsequenzen für die Vorgehensweise bei der Analyse der Vorstellungen, die hinter Texten stehen, haben; dies gilt insbesondere für die Analyse fremdsprachlicher Texte. Eine Gefahr bei einer Gleichsetzung von ,Wort‘ und ,Begriff ‘ besteht darin, dass man die Bedeutung einer sprachlichen Einheit und das gedankliche Konzept, das durch sie adressiert wird, zu unreflektiert gleichsetzt bzw. nicht strikt trennt und dies zu einer Gleichsetzung einer Wortbedeutungsanalyse mit einer Begriffsanalyse führt. Wie oben dargelegt, wird aber immer nur ein (vom Kontext bestimmter) Ausschnitt aus dem gedanklichen Konzept bei der Nennung eines Wortes abgerufen. Diese Gefahr lässt sich am besten an einem Beispiel erläutern. Angenommen man wolle, weil keine Abhandlungen mit klar umrissenen Begriffsdefinitionen im AT zu finden sind, den damaligen Begriff der Liebe aus den alttestamentlichen Texten erheben. Die Gleichsetzung von Wortbedeutung und Begriffsinhalt könnte dann zu der fälschlichen Annahme führen, dass man, wenn man die unterschiedlichen deutschen Wiedergabemöglichkeiten
100 101
102 103 104
1., 732 und die Darstellung des Universalienstreits z. B. in Kann, Art. Begriff, 326– 348. Vater, Referenzlinguistik, 23. Vater vermutet, dass die vom Englischen beeinflusste Verwendung von Konzept in psychologischen Abhandlungen aus dem deutschsprachigen Raum mit verantwortlich für die falsche Verwendung von Begriff sei. Vgl. Vater, Referenzlinguistik, 25. Vgl. zu diesem Abschnitt Vater, Referenzlinguistik, 21–25 und Stock, Begriffe und semantische Relationen, 402–405, insbesondere Abb. 1. sowie Pörings/Schmitz, Sprache und Sprachwissenschaft, 22–33. Vater führt mehrere eindrückliche Beispiele auf, vgl. Vater, Referenzlinguistik, 21– 25. Vgl. auch Rey, Art. Begriffe, 52. Die bei Vater genannten Beispielsätze/-aussagen sind z. B. problemlos verstehbar. vgl. Vater, Referenzlinguistik, 21–25 Vgl. hierzu Vater, Referenzlinguistik, 21–25.
Methodische Grundlagen
123
des Wortes erhöbe, dessen Bedeutung von ,mögen‘ bis hin zu ,leidenschaftlichem lieben‘ reicht,105 bereits wisse, wie der Begriff der Liebe im Hebräischen als Ganzer gefüllt ist, also dass für den Hebräer die Liebe die Freude am Essen bestimmter Speisen ebenso wie das Lieben der Partnerin/des Partners und Gottes gewesen sei. Eine bloße Untersuchung dessen, was ein Wort, das mit ,Liebe‘/,lieben‘ übersetzt werden kann, noch als Wortäquivalente im Deutschen hat, bildet aber natürlich keinesfalls alle Vorstellungen über die Liebe ab. So wird damit z. B. nicht erfasst, dass Liebe im AT oft als Begründung einer Handlung dient (vgl. z. B. Gen 29,18; 1 Sam 18,3 oder Spr 13,24).106 Barr betont daher zu Recht, dass es falsch ist, anzunehmen, „…die Aufstellung von Wortäquivalenten sei selbst schon eine zureichende Anleitung zum Verständnis der Gedanken jener Menschen, die die Wörter gebraucht haben. Dazu hat man den Kontext so weitgehend wie möglich zu lesen.“107
Eigentlich sinntransportierend sind nämlich immer die jeweiligen Sätze und die größeren Textabschnitte,108 d. h. bezogen auf das gerade angeführte Beispiel der Satz und auch der gesamte Ko(n)text der mit ausgedrückten Aussage über das Lieben. Aber auch eine Untersuchung aller so über die Liebe transportierten Aussagen, wäre keineswegs ausreichend, weil es mehrere Wörter gibt, die ,lieben‘ ausdrücken.109 Allerdings würde sie durchaus bereits Anhaltspunkte zum Verstehen des dahinterstehenden Begriffs liefern. Eine Untersuchung der Ko(n)texte der Verwendung aller Wörter aus dem gesamten Wortfeld Liebe, wäre folglich noch aussagekräftiger. Dennoch bestünde selbst hier noch die Möglichkeit, dass der Begriff noch nicht vollständig erfasst ist, denn auf Begriffe kann man durchaus referieren, ohne das Wort, das den Begriff bezeichnet, zu nennen.110 Da man also über Liebe sprechen kann, ohne das Wort Liebe zu verwenden, wäre, um den alttestamentlichen Liebesbegriff umfänglich zu ermitteln, in Ermangelung entsprechender alttestamentlicher Abhandlungen und Definitionen eine Analyse aller Texte nötig, die von der Liebe handeln oder diese als Hintergrund haben. 105 106 107 108
109 110
Vgl. KAHAL, sub , 11. Vgl. zur Liebe als Handlungsgrund Müller, Lieben, 234–235 und Wallis, Art. , 112–116. Barr, Bibelexegese und Semantik, 215. Vgl. Barr, Bibelexegese und Semantik, 215–219 und 262–263. Barr betont (262): „Der Satz (und natürlich die noch größere literarische Einheit, etwa eine vollständige Rede oder ein Gedicht) ist der sprachliche Träger der gewöhnlichen theologischen Aussage, nicht das Wort (die lexikalische Einheit) oder die morphologische und syntaktische Einheit.“ Vgl. hierzu z. B. die Auflistung des Wortfeldes Liebe bei Lauha, Sprachgebrauch, 170–171. Vgl. Vater, Referenzlinguistik, 24.
124
Methodische Grundlagen
Wie das Beispiel des Begriffes Liebe verdeutlicht hat, kann man eine Wortbedeutungsanalyse also nicht mit einer Begriffsanalyse gleichsetzen. Das durch das Wort adressierte Konzept kann man zudem nicht durch eine lexikalische Auflistung der deutschen Äquivalente voll erfassen. Wie oben dargelegt, sind Wortbedeutungen nur Ausschnitte aus dem adressierten Konzept.111 Eine Analyse der Ko(n)texte der Verwendung der entsprechenden Wörter und der sprachlichen Metonymien und Metaphern lässt aber, wie ebenfalls oben erläutert, deutliche Rückschlüsse auf den gedanklichen Begriff zu. Eine umfassende und abschließende Begriffsanalyse von abstrakten Begriffen, wie z. B. Liebe, kann allerdings nur über eine Untersuchung der gesamten Aussagen, die diesen Begriff im Hintergrund haben, erfolgen.112 Des Weiteren ist noch zu beachten, dass das Fehlen von Wörtern zum Bezeichnen einer Sache noch nichts über das Fehlen des Begriffes aussagt.113 Wie Schroer/Staubli aber zu Recht in ihrer Auseinandersetzung mit Barrs Kritik betonen, lässt es durchaus Rückschlüsse auf dessen Bedeutung für den Kulturkreis zu!114 Auch bei der Untersuchung des Wortes ist der Unterschied zwischen Wort- und Begriffsanalyse zu beachten, wie einige Beispiele im forschungsgeschichtlichen Überblick zeigen. Aus der Annahme, bezeichne an manchen Stellen die Seele, darf jedenfalls keinesfalls abgeleitet werden, dass man durch Sammeln aller deutschen Wiedergabemöglichkeiten des Wortes und ihrer Datierung den hebräischen Seelenbegriff und seine Entwicklung erheben könne.115 Außerdem kann eine Bedeutungsanalyse alleine natürlich nicht das gesamte næfæš-Konzept erfassen. „Somit ist also Vorsicht bei der Erhebung von Begriffsinhalten aus fremdsprachlichen Texten geboten. Man sollte methodisch klar unterscheiden, ob man gerade die unterschiedlichen Bedeutungen eines fremdsprachigen Wortes erhebt, ob man versucht über Kontexte des Gebrauchs des Wortes, Rückschlüsse auf den zugrunde liegenden Begriff zu ziehen, oder man eine umfassende, vergleichende Begriffsanalyse anhand des gesamten Textbestandes durchführt.“116
111 112
113
114 115
116
Vgl. Kap. 3.1.2. Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 12–16. Vgl. zu Darstellung der Risiken einer Verwechslung von Wort und Begriff in diesem Unterkapitel und weitere Beispiele einer solchen Barr, Bibelexegese und Semantik, 207–246. Es kann auch Begriffe geben, für die (noch) kein Wort zur Verfügung steht, vgl. Vater, Referenzlinguistik, 24–25. Vgl. auch Pörings/Schmitz, Sprache und Sprachwissenschaft, 23. Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 12–16. So versucht z. B. Marter aus der vorexilischen Verwendung des Wortes den vorexilischen Seelenbegriff zu erheben, vgl. Marter, Soul, 97–108 und Kap. 2.3.1.7 und Schwab aus der Wortbedeutungsentwicklung die Entwicklung des gesamten Begriffes, vgl. Schwab, Begriff, passim und Kap. 2.3.1.2. Müller/Wagner, Konzept, 231.
Methodische Grundlagen
125
Da Begriff und Wort heute so häufig gleichgesetzt werden, für die vorliegende Studie jedoch eine klare Trennung zwischen sprachlichen und gedanklichen Einheiten nötig ist, wird im Weiteren, um dies bereits in der Wortwahl deutlich zu machen, von Wörtern und Konzepten gesprochen und das aufgrund seiner heutigen Verwendung missverständliche Wort ,Begriff ‘, außer wenn von Fachbegriffen die Rede ist, vermieden.
4.
Die Bedeutungen des Wortes
verfügt über ein breites Bedeutungsspektrum.1 Dies bei Körperteilbezeichnungen – und auch zahlreichen anderen Wörtern – an sich nichts Ungewöhnliches2 und bereitet Sprechenden wie Hörenden in der Muttersprache – anders als den Übersetzenden – in der Regel keine Probleme, denn anhand des Ko(n)textes ist die jeweilige Bedeutung(-snuance) zumeist problemlos zu ermitteln. Allerdings kann durch den Ko(n)text auch ein Changieren zwischen zwei Bedeutungen eines Wortes (bewusst) evoziert werden.3 Daran wird deutlich, dass die jeweilige Bedeutung des Wortes im Satz ko(n)textsensibel ist.4 Im Folgenden wird daher anhand des Ko(n)textes der Belege des Wortes darzustellen sein, welche Bedeutungen es im AT haben kann. Dabei wird zugleich analysiert, wie die einzelnen Bedeutungen zusammenhängen und untersucht, ob sie sich – wie bei anderen Körperteillexemen auch – auf konzeptuelle Metonymien oder Metaphern (z. B. aufgrund von Gestaltähnlichkeit) bzw. auf diesen beruhende Bedeutungserweiterungen zurückführen lassen.5
4.1
Kehle und Atem
Die Frage, ob das Wort die Kehle bezeichnet, ist seit 1925 rege diskutiert worden. Für das Akkadische napištu, den Ausgangspunkt der Diskussion um diese Bedeutung im Hebräischen,6 wird die Bedeutung ,Kehle‘ inzwischen
1
2 3 4 5
6
Wie der forschungsgeschichtliche Überblick schon zeigte. Vgl. insb. Kap. 2.4. Die im Forschungsstand besprochene Literatur und ihre Ergebnisse werden im Folgenden vorausgesetzt, d. h. nur wo direkt auf diese Bezug genommen oder daraus zitiert wird, wird auf diese noch einmal explizit verwiesen. Vgl. Kap. 3. D. h. es erfolgt keine völlige Disambiguierung durch den Kontext. Vgl. Schneider, Polysemie, 108. Vgl. Schneider, Polysemie, 101–110.141; Schwarz-Friesel/Chur, Semantik, 30–32 und Krüger, Herz, 105. Metonymische Bedeutungserweiterung ist dabei nicht mit Bedeutungsentwicklung gleichzusetzen. Die einzelnen Bedeutungen des Wortes werden im Folgenden dargestellt und daraufhin untersucht, wie sie sich zueinander verhalten, nicht wann sie entstanden sind. Es handelt sich also um eine synchrone, den Wortgebrauch im gesamten Kanon überblickende Analyse. Vgl. Kap. 2.3.1.6.
Die Bedeutungen des Wortes
127
längst in den gängigen Wörterbüchern angeführt.7 Allerdings ist sie eher selten belegt. So hält Steinert für napištu bzgl. der Bedeutung ,Kehle‘ (sowohl vom Menschen als auch vom Tier) fest: „Obgleich das Wort napištu zumeist in der Bedeutung ,Leben, Lebenskraft‘ gebraucht wird, ist die semantische Ebene als Körperteil ,Kehle, Hals‘ in Handlungen wie dem Berühren der Kehle (beim Eid) und dem Durchschneiden der Kehle greifbar.“8
U.a. in den folgenden Passagen wird die Kehle mit napištu bezeichnet:9 ina A.MEŠ u3 GIŠ.I3 it-mu-u2 u2-lap-pi-tum nap-ša2-a-ti Sie leisten den Eid bei Wasser und Öl, sie berühren (ihre) Kehlen. (Enuma Eliš VI 98)10 alikma ša DN nap-ša-tuš puruma Geh und schneide die Kehle Tiamats durch. (Enuma Eliš IV 31).
Ebenso in dem folgenden medizinischen Text: ...U]R NAB ša-ru itanašaš kar-[šu] irru sairuti ku-u-[s]u [... ... šum-ma šaru ina KU lu-i šum-ma gi-ša-tu ina nap-šá-ti lišíi ... ...] Wind schmerzt Bau[ch], die Eingeweide Käl[t]e [... ... sei es, dass der Wind durch den After entweicht, sei es, dass er Rülpse durch die Kehle hinauslässt. (Küchler Beitr.11 II 21.27)
Auch für das Hebräische lässt sich an mehreren Belegstellen aufzeigen, dass das Wort die Kehle bezeichnen kann, auch wenn hier ebenfalls, wie bei
7
8 9 10 11
Vgl. CAD N/1, sub napištu, 296.303–304, CDA, sub napištu, 239 und AHw II, sub napištu, 739. Auch im Ugaritischen ist die Bedeutung ,Kehle‘ für npš belegt. npš kann auch ,Appetit‘ und ,Gier‘ bedeuten sowie ,Vitalität/Lebenskraft‘; außerdem auch ,Atem‘, ,Lebensgeist‘ und ,Kraft‘. Vgl. DULAT 2, sub npš, 627–629 sowie die Darstellung der Bedeutungen bei Kühn, Totengedenken, 121–122. Steinert, Synthetische Körperauffassungen, 92. Vgl. auch Steinert, Aspekte des Menschseins, 274–275. Vgl. CAD N/1, sub napištu, 303–304 (dort findet man auch weitere Belege dieser Bedeutung) und Steinert, Aspekte des Menschseins, 274–275. Quellen: Talon, The Standard Babylonian Creation Myth Enma Eliš und Lambert, Enuma Elisch. = Küchler, Beiträge zur Kenntnis der Assyrisch-babylonischen Medizin, 6–7. Dieser übersetzt jedoch napištu mit ,Atem‘. Das Buch ist 1901 erschienen. Erst 1911 brachte Holma die Bedeutung ,Kehle‘ für das akkadische Wort in die Diskussion ein (vgl. Holma, Körperteile, 40–41 und Kap 2.3.1.6 dieser Arbeit). Da im ersten Versteil auch eine Körperöffnung genannt wird, ist diese Wiedergabe hier wesentlich plausibler als ,Atem‘.
128
Die Bedeutungen des Wortes
einigen anderen hebräischen Körperteilbezeichnungen,12 diese rein körperliche Bedeutung eher selten vorkommt: Jes 5,14 ! !$ " !$ ! " ! $ Deshalb weitet die Scheol ihre Kehle (næfæš) und sperrt ihren Mund auf ohne Grenze, so dass seine13 Erhabenheit und sein Getümmel und sein Lärm und wer darin frohlockt hinabfahren.
Bereits aufgrund der Verwendung im synthetischen Parallelismus membrorum mit einem Körperteil, Mund (), liegt es hier nahe, ebenfalls als etwas Körperliches zu verstehen. Aber auch das Bild an sich lässt keinen Zweifel daran. Hier ist ein Körperteil bzw. Organ im Blick, das am Verschlingen beteiligt ist.14 Aus dem Wissen um die Bedeutung der Wurzel im Akkadischen und dem Kotext kann man schließen, dass dieses Organ die Kehle ist. Die Scheol wird in Jes 5,14 also personifiziert dargestellt, als ein Wesen, das sein Maul aufsperrt und seine Kehle weitet, um alles und jeden – ähnlich einer Riesenschlange – zu verschlingen. bezeichnet folglich hier die Kehle.15 Ebenso ist z.B. in Ps 69,2 der Körperteil im Blick: Ps 69,2–4
! # ! " ! $ 12 13
14 15
So z. B. beim Herzen und den Lippen, vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 33–40 und Müller, Art. Lippen, passim. Der Bezugspunkt der Suffixe in V.14b kann im Kotext nur das Volk (V.13) sein. Man würde folglich maskuline Suffixe erwarten, wie in den Targumen (dort im Plural). 1QJesa hat allerdings ebenfalls die Lesart des MT, was für ihre Ursprünglichkeit spricht. Evt. liegt hier eine redaktionelle Umstellung des Verses vor und Bezugspunkt war ursprünglich die Stadt Jerusalem, wie es Williamsons, Isaiah 1–5, 360– 361.374–375 vorschlägt. Im aktuellen Kotext ist es aber sinnvoll, dass man wie Beuken die eigentlich femininen Suffixe „der Klarheit wegen als masc. übersetzt“, da sie sich auf das Volk (V.13) beziehen, vgl. Beuken, Jesaja 1–12, 143 (Zitat ebenfalls: 143). Anders aber z. B. Blenkinsopp, nach dem sich im aktuellen Kotext das Suffix nur auf die Scheol beziehen könne. Allerdings sei es gut möglich, dass es sich um „a syntactically inappropriate gloss“ handle. Vgl. Blenkinsopp, Isaiah 1–39, 210–211 (Zitat: 211). Vgl. Bester, Körperbilder, 236–237. So z. B. auch Williamson (throat), vgl. Williamson, Isaiah 1–5, 356 und zum gesamten Vers auch 373–375 sowie Beuken, Jesaja 1–12, 142 (Rachen).150–151 und Blenkinsopp, Isaiah 1–39, 209 (gullet). 214 sowie Killian, Jesaja 1–12, 43 (Einheitsübersetzung: Rachen).
Die Bedeutungen des Wortes
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2
Hilf mir, Gott! Fürwahr, Wasser geht mir bis an die Kehle (næfæš). 3Ich versinke in tiefem Schlamm und da ist kein fester Boden; ich bin in tiefes Wasser geraten, und die Flut spült mich weg. 4Ich bin müde vom Schreien, mein Rachen ist heiser. Meine Augen sind verschmachtet vom Warten auf meinen Gott.
In dieser Leidensschilderung wird eine als akut und lebensbedrohlich empfundene Gefahrensituation mit dem Bild des drohenden Ertrinkens dargestellt. Vers 3 schildert, dass es nicht mehr lange dauert, bis die Flut den Betenden wegspült. Außerdem wird gesagt, dass er in tiefe Wasser geraten sei. Diese Aussage erklärt die Bedeutung des Wortes in Vers 2b. ,Wasser geht mir bis an die næfæš‘ bedeutet ,Wasser geht mir bis an die Kehle‘, d. h. der Betende steht kurz vorm Ertrinken. Diese Aussage dient also dazu, die Gefahrensituation als sehr akut darzustellen. Selbstverständlich heißt das nicht, dass hier die beklagte Situation tatsächlich die eines Ertrinkenden ist. Das drohende Ertrinken steht vielmehr bildlich für die prekäre Lage des Betenden.16 Der Halbvers ,Das Wasser geht mir bis an die Kehle (næfæš)‘ entspricht also in etwa der Redewendung ,Das Wasser steht mir bis zum Hals‘. Beide Aussagen dienen dazu, eine Situation als akut gefährlich zu zeichnen, wobei die erstere der beiden innerhalb des Bildes des Ertrinkens verwendet wird,17 während die letztere sich im deutschen Sprachgebrauch von diesem gelöst hat. Auch an anderen Stellen ist mit die Kehle nicht als innerer, sondern als der entsprechende äußere Halsbereich im Blick:18 Ps 105,18 Sie pressten seine Füsse in Fesseln, in Eisen kam seine Kehle/Hals (næfæš).
Ps 44,26 Fürwahr/Denn in den Staub gebeugt ist unsere Kehle/unser Hals (næfæš), am Boden klebt unser Bauch.
16
17 18
Vgl. hierzu z. B. Seybold, Psalmen (der allerdings nicht ,Kehle‘, sondern ,Hals‘ übersetzt), 265.268; Zenger, Ps 69 (Hossfeld/Zenger, Psalmen II. NEB), 400– 401.404 sowie ders., Ps 69 (Hossfeld/Zenger, Psalmen 51–100. HThKAT), 259.269– 270; Deissler, Psalmen, 265.268 (ebenfalls Hals statt Kehle) und zur Bedeutung des Wortes in Ps 69,2 auch Bester, Körperbilder, 237. Vgl. auch Jona 2,6 (im Kotext: Kopf) und Ps 124,4.5. Dass das Wort ,Kehle‘ auch den vorderen, äußeren Halsbereich bezeichnen kann, findet man auch im Deutschen, z. B. im Satz ,Er hielt mir ein Messer an die Kehle‘.
130
Die Bedeutungen des Wortes
Jer 4,10 ! Und ich sprach: Ach, Herr, JHWH, wahrlich hast du dieses Volk und Jerusalem sehr getäuscht, als du sagtest: „Es wird Frieden für euch geben“, obwohl sich das Schwert der Kehle (næfæš) nähert!
In Num 11,6 wird von der Kehle des Volkes (kollektiver Singular!) unter Verwendung des Wortes gesprochen: Num 11,5–6 & " ( ' # ! $ %
5
Wir erinnern uns an die Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, an die Gurken und Wassermelonen und den Lauch und die Zwiebeln und den Knoblauch. 6 Und nun ist unsere Kehle (næfæš) vertrocknet, nichts als Manna (vor) unseren Augen.
steht hier erneut in einem Parallelismus membrorum mit einem Körperteil, den Augen. Aus dem Kotext geht hervor,19 dass der Mangel an gutem und abwechslungsreichem Essen beklagt wird. Es gibt nur Manna20 während der Wanderung durch die Wüste, keine abwechslungsreiche und saftige Ernährung, wie die mit den genannten Nahrungsmitteln, die den Israeliten in Ägypten in ausreichender Menge zur Verfügung standen. Die Kehle als „Engpaß“21, durch den die Nahrung hindurch geht, wird daher bildlich als vertrocknet beschrieben, um diesen Mangel zu betonen. Gelegentlich findet man allerdings hier auch die Übersetzung „wir verschmachten“,22 wobei als Personalpronomenersatz gedeutet wird. Da bezogen auf Pflanzen in der Bedeutung ,eingehend‘ bzw. ,vertrocknend‘ verwendet werden kann,23 ist diese Wiedergabe möglich. Allerdings ist es laut Kotext keinesfalls so, dass die Israeliten in der Gefahr des Verhungerns oder Verdurstens stehen, sie sind lediglich des immer gleichen Mannas über19
20
21 22 23
Vgl. zu Num 11 Scharbert, Numeri, 46–51; Staubli, Levitikus Numeri, 241–247; Seebass, Numeri 10,11–22,1, 20–56; Levine, Numbers, 319–328 (V.6 ,our throats’); Schmidt, Numeri, 17–28 (V.6 ,unsere Kehle‘). Die Beschreibung des Mannas in den folgenden Versen, die häufig als späterer Einschub gewertet wird, dient vermutlich dazu zu zeigen, dass die Israeliten ohne Grund unzufrieden waren, weil Manna wie Ölkuchen, also wie eine Delikatesse, schmecke. Vgl. Scharbert, Numeri, 47; Staubli, Levitikus Numeri, 243; Seebass, Numeri 10,11– 22,1, 47–48; Levine, Numeri, 322. Zum Manna vgl. auch Maiberger, Manna, passim und Schmidt, Manna, passim (Lit!). Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 46. Vgl. z. B. die Übersetzung der Zürcher Bibel. Vgl. z. B. Jes 15,6; 19,7; Jer 12,4; Joel 1,10 und Ps 129,6.
Die Bedeutungen des Wortes
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drüssig. Das ist es auch, was durch die Nennung der anderen Lebensmittel betont werden soll. Natürlich steht die trockene Kehle hier aber bildlich für einen ernährungstechnischen Mangel, der die ganze Person betrifft. Auch an anderen Belegstellen wird deutlich, dass die Kehle bei der Nahrungsaufnahme eine Rolle spielt. Jes 32,6 Fürwahr, ein Tor redet Törichtes, und sein Herz richtet Unheil an: Gottloshandeln, Falsches über JHWH reden, die Kehle (næfæš) des Hungrigen leer lassen, und dem Durstigen den Trank verweigern.
Aufgrund der Parallelität der Aussage ,die næfæš des Hungrigen leer lassen‘ zum Verweigern eines Getränks für einen Durstigen wird deren Sinn deutlich: Der Hungrige erhält keine Speise.24 Die Kehle ist hier als Körperteil, der an der Nahrungsaufnahme beteiligt ist, im Blick. Ähnlich ist es in Spr 6,30, wo das Füllen der Kehle Ziel des Stehlens aus Hunger ist. Spr 6,30
Man verachtet einen Dieb nicht, wenn er (nur) stiehlt, um seine Kehle (næfæš) zu füllen, weil er hungert.25
Der Kotext spricht hier dagegen, als ,Gier‘ zu übersetzen, wie z.B. Sæbø in seinem Kommentar.26 Motivation des Stehlens ist laut Spr 6,30bß nämlich kein übersteigertes Verlangen, sondern Hunger.27 Zudem spricht das verwendete Verb , das im Piel ,anfüllen/füllen mit‘ sowie ,erfüllen, ausführen‘28 bedeutet, dafür, dass hier die Kehle bezeichnet. Anders als das Verlangen oder die Gier kann man die Kehle nämlich wirklich füllen. Zudem ist sie an der Nahrungsaufnahme beteiligt. Wie ,die Kehle des Hungrigen leer lassen‘ in Jes 32,6 das Verweigern von Speise für den Hungrigen bezeichnet, meint das Gegenteil, d. h. ,die Kehle füllen‘, hier ,etwas essen‘, was man frei 24
25
26 27 28
Vgl. zur Beschreibung des Toren in Jes 32,6 Beuken, Jes 28–39, 233–234. Dieser gibt hier ebenfalls mit ,Kehle‘ wieder (vgl. 222); Blenkinsopp, Isaiah 1–39, 431 und Killian, Jesaja 13–39, 186. Im Vergleich mit V.27 und 28 verstehen z. B. Fuhs und Sæbø diesen Vers als Frage. Als Frage würde aber der Kontrast zwischen dem nachvollziehbarem Vergehen, das trotzdem zur Strafe führt (V.31), und dem wirklich verachtenswerten Vergehen (Ehebruch) (V.32–35) abgeschwächt. Vgl. Fox, Proverbs 1–9, 234. Waltke verweist darauf, dass in V.30, anders als in V.27, ein Interrogativmarker fehlt. Vgl. Waltke, Proverbs 1–15, 349. Vgl. Sæbø, Sprüche, 101. Vgl. Fuhs, Sprichwörter, 57. Vgl. KAHAL, sub , 297.
132
Die Bedeutungen des Wortes
mit ,Hunger/Verlangen stillen‘29 übersetzen könnte. Im deutschen Sprachgebrauch würden wir in Jes 32,6 und Spr 6,30 wohl eher den Bauch anstelle der Kehle nennen,30 und tatsächlich kann auch parallel zu diesem stehen, wenn es um Sättigung geht: Ez 7,19 $ # " ! $ " ! ! ! Ihr Silber werden sie auf die Gassen werfen und ihr Gold wird zu Unreinheit, ihr Gold und ihr Silber kann sie nicht retten am Tag der Wut JHWHs, ihre Kehle (næfæš) wird nicht satt und ihr Bauch nicht gefüllt – Fürwahr, es war der Anstoss ihrer Verschuldung.
Spr 13,25 Der Gerechte kann zur Sättigung seiner Kehle essen, aber der Bauch des Frevlers muss entbehren.
In beiden Fällen changiert zwar die Bedeutung leicht zwischen der Kehle, einer ihrer „Funktionen“ (Hunger; [KÖRPERTEIL FÜR FUNKTION])31, und ihrem „Besitzer“/ihrer „Besitzerin“ [KÖRPERTEIL FÜR PERSON];32 die Parallelität zum Füllen des Bauches zeigt aber, dass die körperliche Bedeutung im Vordergrund bleibt. Der Kehle wurde anscheinend auch eine Beteiligung am Mögen bzw. Verabscheuen von Nahrungsmitteln zugesprochen, wie Num 21,5 zeigt. Allerdings ist dabei bereits metonymisch für den ganzen Menschen verwendet.33 Diese „Aufgabenzuweisung“ an die Kehle, d. h. die Verbindung mit der Nahrungsaufnahme und die Beteiligung am Mögen und Verabscheuen von
29 30 31 32
33
So z. B. Waltke, Proverbs 1–15, 349 (,satisfy his appetite‘) und Fuhs, Sprichwörter, 57 (EÜ: ,sein Verlangen zu stillen‘). Im Englischen auch und so wählt Fox, Proverbs 1–9, 228 hier die Übersetzung ,fill his belly‘. Vgl. hierzu Kap. 4.3. Vgl. hierzu Kap. 4.4. So übersetzt z. B. Pohlmann …in Ez 7,19 mit ,sich selber können sie nicht sättigen‘, Pohlmann, Hesekiel 1–19, 113 und Greenberg gibt die Stelle mit ,Sie werden ihren Hunger nicht stillen‘/,They shall not satiesfy their hunger‘ wieder, vgl. Greenberg, Ezechiel 1–20, 170 und Ders., Ez 1–20, 144. Sæbo z. B. übersetzt in Spr 13,25 ,bis er satt ist‘, vgl. Sæbo, Sprüche, 193 und Fox ,till his appetit is sated‘, vgl. Fox, Proverbs 10–31, 571; ähnlich Waltke, Proverbs 1–15, 550 (,to the satisfying of his appetite‘). Vgl. zu Num 21,5 die Analyse der Stelle in Kap. 5.2.2.2.
Die Bedeutungen des Wortes
133
Speisen, erklärt vermutlich die Bedeutung Verlangen/Hunger/Gier [KÖRPER34 TEIL FÜR FUNKTION]. An vielen Stellen ist auch nicht ganz eindeutig aus dem Kotext erschließbar, ob diese oder eher die körperliche Bedeutung dominiert, z.B.: Spr 16,26 Die Kehle des Arbeiters arbeitet für ihn, ja sein Mund treibt ihn an.
Die Kehle und der Mund sind hier jeweils als an der Nahrungsaufnahme und damit am Verlangen nach Nahrung, also am Hunger, beteiligt im Blick. Dabei „verschwinden“ die konkreten Körperteile noch nicht völlig hinter der funktionalen Aussage, sondern sind, dies zeigt die Parallelität von ,Kehle‘ und ,Mund‘, durchaus als solche im Blick. Sinn der Aussage ist aber, dass der Hunger bzw. die Versorgung mit Lebensnotwendigem der Hauptgrund für den Fleiß eines Arbeiters ist.35 Da also sowohl die Kehle als am Nahrungsaufnahmeprozess beteiligtes Organ als auch das Verlangen nach Nahrung bzw. den Hunger bezeichnen kann, ist es wenig verwunderlich, dass /:;, wörtlich: ,die næfæš unterdrücken“, fasten bedeutet36: 34 35 36
Vgl. hierzu Kap. 4.3. Vgl. zu Spr 16,26 Fox, Proverbs 10–31, 621; Fuhs, Sprichwörter, 114; Sæbo, Sprüche, 229 und Waltke, Proverbs 15–31, 31–32. Vgl. Lev 16,29.31 Lev 23,27.29.32, Num 29,7, Num 30,14, Jes 58,3.5, Ps 35,13. Vgl. hierzu die Erläuterung des Terminus bei Staubli, Darbringung der näfäsch, 314. Interessant ist auch die Verwendung des Wortes in Jes 58,10:
' & " ") !# % %$ ( # "# Und (wenn) du dem Hungrigen deine næfæš hingibst und die næfæš, die Unterdrückte, sättigst, dann wird in der Dunkelheit dein Licht aufgehen und deine Dunkelheit wird wie der Mittag. Sowohl in Jes 58,5, wo vom Fasten gesprochen wird, als auch in V.11, wo vom Sättigen die Rede ist, kann mit ,Kehle‘ wiedergegeben werden, wobei in V.11 diese metonymisch für die angeredete Person selbst steht. Auch im zweiten Vorkommen des Wortes in V.10 steht die unterdrückte Kehle metonymisch für eine hungernde Person [KÖRPERTEIL FÜR PERSON]. Der erste Teil des Verses bietet hingegen Verstehensprobleme. Eine Korrektur des MT in statt basierend auf der Peschitta und einigen Handschriften ist aufgrund der Tatsache, dass die LXX das Wort offensichtlich in ihrer Vorlage hatte und es sich bei der Variante der Peschitta um eine Vereinfachung handelt, abzulehnen. Es liegt hier vielmehr eine bewusste Wahl des gleichen Wortes vor, um „die Entsprechung zwischen Spende und Bedürftigkeit des Spendenempfängers“ (Staubli, Darbringung der näfäsch, 319) besonders zu betonen. Vgl. Staubli, Darbringung der näfäsch, passim. In Jes 58,10 wird also auf zwei verschiedene Weisen metonymisch verwendet, um diese Entsprechung zu betonen. Im zweiten Vorkommen steht der Körperteil für die Person, im ersten steht entweder als Organ der Nahrungsaufnahme für ,Nahrung‘ oder als zentral mit der Lebendigkeit verbundenes Organ (vgl. Kap. 5.2.2.4) für die Lebensgrundlage ,Nahrung‘. Auch das akkadische napišt kann die
134
Die Bedeutungen des Wortes
Lev 23,27 ! # # Jedoch ist am Zehnten dieses siebten Monats Jom Kippur. Da soll eine heilige Versammlung stattfinden und ihr sollt fasten (wörtl.: eure Kehlen unterdrücken) und ein Feueropfer für JHWH darbringen.
Auch im Folgenden ist die Nahrungsaufnahme im Blick: Jer 31,23–25
So spricht JHWH Zebaot, der Gott Israels: Dieses Wort wird man wieder sagen im Land Juda und in seinen Städten, wenn ich ihr Geschick wende: JHWH segne dich, Weide der Gerechtigkeit, heiliger Berg. Und Juda und all seine Städte werden gemeinsam darin wohnen, die Landarbeiter und die mit der Herde ziehen. Fürwahr, ich gebe zu trinken der erschöpften Kehle, und die verschmachtende Kehle fülle ich.
Diese Verse sind Teil einer Ankündigung zukünftigen Heils.37 Das Füllen/ Tränken der Kehle steht darin bildlich für das Ende der Not. Hier changiert, insbesondere bei der ersten Nennung, die Bedeutung zwischen dem konkreten Körperteil und der ganzen Person, die zu trinken erhält und gesättigt wird. Daneben steht auch mit einem weiteren körperlichen Vorgang, nämlich dem Atmen in Verbindung. Dabei changiert die Bedeutung aber meist zwischen dem Organ der Atmung und der Person bzw. im dritten Beleg dem Tier, selbst. Jer 15,9a
38
37
38
Lebensgrundlage bezeichnen (vgl. Exkurs 1 sowie Hurowitz, Forgotten Meaning, passim). Die zweite metonymische Verwendung spricht allerdings eher für die erste Verbindung, d. h. dafür, dass die Kehle als Organ der Nahrungsaufnahme hier metonymisch für Nahrung steht. Vgl. zu Jer 31,23–26 Fischer, Jeremia 21–52, 165–168; Lundbom, Jeremiah 21–36, 453–459; Schreiner, Jeremia 25,15–52,34, 186 und Schmidt, Jeremia 21–52, 139– 141. Qere: . Lundbom vermutet, dass das Ketib-Qere hier die Tatsache wiederspiegelt, dass sowohl maskulin als auch feminin sein kann, vgl. Lundbom, Jeremiah 1– 20, 729.
Die Bedeutungen des Wortes
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Verwelkt ist sie, die sieben gebar; ihre Kehle (næfæš) atmet schwer/keucht. Untergegangen ist ihre Sonne, als es noch Tag war; sie ist zuschanden geworden und beschämt.
Ijob 31,38–40 " ! " ! 38
Wenn mein Boden gegen mich aufgeschrie und seine Furchen zusammen weinten. 39Wenn ich seinen Ertrag, ohne zu bezahlen, gegessen habe und die Kehle (næfæš) seiner Besitzer zum Keuchen brachte, 40so sollen statt Weizen Dornen hervorkommen und anstelle von Gerste Unkraut! Zu Ende sind die Worte Ijobs.
Jer 2,23b–24 ! b
a 39 23b Eine leichtfüssige Kamelstute, die ihre Wege verdreht [bist du]. 24 Eine Wildeselin, gewöhnt an die Wüste, im Verlangen ihrer næfæš schnappt sie nach Luft. Ihre Brunst, wer kann sie hemmen? Wer immer sie sucht, braucht sich nicht anzustrengen, in ihrer Brunstzeit findet man sie.
Besonders im letzten Beleg ist aber nicht zu entscheiden, ob hier wirklich den Körperteil bezeichnet oder nicht eher metonymisch für das ganze Tier steht [KÖRPERTEIL FÜR TIER], wobei dieses als Vergleich für das Verhalten Israels dient. Die Wiedergabe ,in ihrer Gier/ihrem Verlangen‘ passt sehr gut
39
a: Die ersten Worte des Verses stellen den Übersetzenden vor Schwierigkeiten, da sie maskulin sind, im Weiteren aber ein weibliches Tier Bezugspunkt der Aussagen ist. Viele Handschriften lesen statt ,, also (männlicher) Wildesel, was zu der folgenden maskulinen Verbform passt. Schreiner vermutet, dass dieser aus Jer 14 in den Vers übernommen wurde, weil dort auch von dessen Keuchen gesprochen wird. Der folgende Versteil beziehe sich damit wieder auf die Kamelstute. (vgl. Schreiner, Jeremia 1,–25,14, 22). Dies würde den Wechsel von maskuliner zu femininer Form erklären. Auch die vorgeschlagene Konjektur ( /,die ausbricht in die Wüste‘), die Schmidt in seinem Kommentar präferiert (Schmidt, Jeremia 1–20, 87), löst das Genus-Problem. Die Aussagen beziehen sich dann weiterhin auf die Kamelstute. Allerdings passt das im folgenden geschilderte Verhalten nach Fischer, Lundbom und Hermann besser zu einer Eselin in der Brunstzeit als zu einer Kamelstute, da „nur männliche Kamele ›heiß‹ werden“, die Wildeselin hingegen tatsächlich unbändig und schnüffelnd nach dem männlichen Tier sucht. Daher ist anzunehmen, dass hier die Wildeselin bezeichnet und die folgende Verbform feminin zu lesen ist. Vgl. Fischer, Jeremia 1–25, 168 (Zitat ebenfalls: 168); Lundbom, Jeremiah 1–20, 281–282 und Hermann, Jeremia, 101.144. b: Hier ist aufgrund der feminen Formen im Folgenden (d. h. das Qere) zu lesen, vgl. Lundbom, Jeremiah 1–20, 279 und Hermann, Jeremia, 101.
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Die Bedeutungen des Wortes
zum Kontext, d. h. zur Brunstzeit (wörtl. ,in ihrem Monat‘).40 Dennoch erscheint hier als Subjekt des Atmens, was auch im Fall des metonymischen Gebrauchs dafür spricht,41 dass die næfæš gedanklich eng mit der Atmung verbunden wurde. kann zudem auch, jedoch eher selten, den Atem selbst bezeichnen. Ijob 41,13 Sein Atem entzündet Kohlen, eine Flamme schießt (eigentlich: geht) aus seinem Maul heraus.
Hier ist trotz der Nennung des Mauls des Leviatans nicht mit ,Kehle‘, sondern mit ,Atem‘ wiederzugeben, weil das Entflammen eine heiße, bewegliche Substanz voraussetzt. Gen 35,18–19 18
Und es geschah beim Hinausgehen ihrer næfæš – denn sie lag im Sterben – da nannte sie ihn Ben-Oni, aber sein Vater nannte ihn Benjamin. 19Und Rahel starb und wurde am Weg nach Efrata – das ist Betlehem – begraben.
Vor diesen beiden Versen wird berichtet, dass Rahel, Jakobs Frau, auf dem Weg zwischen Bet-El und Efrata ihr Kind gebärt, es dabei schwere Komplikationen gibt und die Hebamme ihr sagt, dass sie einen Sohn gebiert (Gen 35,16–17). Kurz bevor sie stirbt, gibt sie ihrem Sohn noch einen Namen, der jedoch vom Vater geändert wird.42 Direkt danach stirbt Rahel und wird be-
40 41 42
Vgl. Fischer, Jeremia 1–25, 168. Wie in Kap. 3.1.2 dargelegt. Nach einer gängigen Deutung (vgl. für Beispiele Schäfer-Bossert, Männern die Macht, 119–120) erfolgt diese Umbenennung aufgrund der angenommenen negativen Bedeutung des Namens (Sohn meines Unheils/meiner Trauer). Anders sieht dies aber Schäfer-Bossert. Er deutet Ben-Oni als „Sohn meiner Lebenskraft, meiner machtvollen Fähigkeit, Leben hervorzubringen“; leitet den Namen also von (Zeugungskraft) statt wie üblich von (Unheil) oder /:+ (trauern) her. Damit stellt die Namensänderung durch Jakob keine völlige Umdeutung dar, sondern eher eine Variation des Namens (,Sohn der Rechten‘ meint im übertragenen Sinne ,Sohn der Stärke, der Kraft‘). Dennoch drückt der Namen, den Rahel wählt, anders als der neue Name auch die traurige, „blanke Realität [aus]: Alle Lebenskraft Rahels ist in dieses Kind geflossen, und daran stirbt sie. Auch das kommt im Namen Sohn meiner Lebenskraft zum Ausdruck“. Vgl. Schäfer-Bossert, passim (1. und 3. Zitat: 122, 2. Zitat: 121).
Die Bedeutungen des Wortes
137
graben.43 Die Namensgebung erfolgt somit im letzten Moment, in dem es noch möglich ist, d. h. mit dem letzten Atemzug. Das Herausgehen der bezeichnet hier also das Versiegen der Atmung, wobei der Übergang zur Bedeutung ,Leben(-skraft)‘44 fließend ist, denn jenes bedingt auch das Ende dieser. Wie im Forschungsstand dargelegt, wurde oft darüber diskutiert, ob ,Kehle‘ oder ,Atem‘ die Grundbedeutung des Wortes ist.45 Für ,Atem‘ könnte sprechen, dass das Verb ,aufatmen/sich erholen‘ bedeutet:46 Ex 23,12 $ # $! # Sechs Tage sollst du deine Arbeit verrichten und am siebten Tag sollst du ruhen, damit dein Rind und dein Esel ausruhen und der Sohn deiner Magd und der Fremde aufatmen/ausruhen können.
Ex 31,17 Zwischen mir und den Israeliten ist er (der Regenbogen) ein Zeichen für immer. Fürwahr, in sechs Tagen machte JHWH Himmel und Erde und am siebten Tag ruhte er und erholte sich.
2 Sam 16,14 ! #" Und der König und das ganze Volk, das bei ihm war, kam ermüdet an, und ruhte dort aus.
Aber zum einen ist das Verb nur dreimal im AT belegt und bedeutet ja gerade nicht einfach ,atmen‘, sondern nach einer Anstrengung ,aufatmen/ausruhen‘. Zum anderen kann aufgrund der gerade betrachteten Belegstellen festgehalten werden, dass im durch das Wort adressierten gedanklichen Konzept der damaligen Sprechenden/Schreibenden/Lesenden sowohl das Element der Nahrungsaufnahme als auch das des Atemvorganges enthalten war und Subjekt von beidem sein konnte. In Sprachen findet man oft eine metonymische Bedeutungserweiterung von der Körperteilbezeichnung zum Bezeich43
44 45 46
Vgl. zu Gen 35,16–20 Soggin, Genesis, 413–416, der allerdings hier mit Leben wiedergibt; Scharbert, Genesis 12–50, 232 (EÜ: ,Während ihr das Leben entfloh‘) und Seebass, Vätererzählungen II, 450–453. Vgl. Kap. 4.3.2. Vgl. Kap. 2.3.1.6–8 und 2.3.3.1. So z. B. auch Akk. nap šu = ,(auf-)atmen‘, ,erholen‘ vgl. CAD N/1, sub nap šu, 288.
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Die Bedeutungen des Wortes
nen von Funktionen hin. Dies spricht daher nicht für den Atem, sondern für die Kehle als Ausgangspunkt – auch wenn es im Rahmen einer synchronen Bedeutungsanalyse natürlich schwierig ist, ein endgültiges Urteil über die Grundbedeutung eines Wortes zu bilden. Zudem wird inzwischen auch für das Akkadische napištu ,Kehle‘ als eine der Grundbedeutungen angesehen,47 wobei mit Grundbedeutung nicht die am häufigsten belegte Bedeutung gemeint ist, sondern die, aus der die anderen ableitbar sind. Die Kehle wurde aber sehr eng mit zwei „der elementaren Lebensbedürfnisse“48, Nahrungsaufnahme und Atmung, zusammengedacht. Wie oben dargelegt, ist diese gedankliche Verbindung von (als in der jeweiligen Kultur wichtig angesehenen) Körperteilen und Funktionen eine Universalie des menschlichen Denkens, die Art der zugesprochenen Funktionen kann allerdings interkulturell verschieden sein.49
Exkurs 1: Die Wurzel im Akkadischen Da bereits eine Bedeutung von napištu betrachtet wurde, sollen hier kurz die weiteren skizziert werden. Allerdings soll damit nicht ausgedrückt werden, dass diese alle auch für das hebräische Pendant zutreffen müssen. Wie Steinert, die die wesentliche Darstellung der Bedeutungen des Wortes napištu in ihrer 2012 erschienenen Dissertation vorgelegt hat, in ihrem Vergleich von napištu und zu Recht betont, sind nämlich durchaus auch „etymologisch nah verwandten Termini in ihrem Bedeutungs- und Vorstellungsgehalt nicht deckungsgleich“50. Ein Blick auf napištu kann folglich zwar helfen, bisher unbekannte Wortbedeutungen von , wie dies im Fall der Bedeutung ,Kehle‘ geschehen ist, aufzudecken bzw. unklare Belegstellen zu verstehen, aber nicht alle Verwendungsweisen von napištu müssen zwangsläufig auch bei zu finden sein und vice versa.51 napištu52 (Ideogramm: ZI) kann, wie oben dargelegt, die Kehle53 bezeichnen. Wie eng diese mit der Atmung zusammengedacht wurde, zeigt der 47 48 49 50 51 52
53
Vgl. Exkurs 1; Steinert, Aspekte des Menschseins, 271; Kühn, Totengedenken, 119 und von Soden, Wörter für Leben und Tod, 4; AHw II, 738. Wolff, Anthropologie. 2010, 38. Vgl. auch Bester, Körperbilder, 236–237. Vgl. hierzu Kap. 3.1.2 dieser Arbeit. Steinert, Aspekte des Menschseins, 274. Ähnlich auch Barr, Semantik, 160–161. Vgl. hierzu Steinerts Vergleich zwischen napištu und in Steinert, Aspekte des Menschseins, 272–274 und ferner auch Steinert, Zwei Drittel Gott, 75. Vgl. für die folgende Darstellung der Bedeutungen des Wortes napištu Steinert, Aspekte des Menschseins, 271–293. Daneben auch CAD N/1, sub napištu, 296–304; AHw II, sub napištu, 738 und Kühn, Totengedenken, 119–121 sowie Ebeling, Glossar, 160 und Tawil, Akkadian, 244–246. Und vermutlich davon übertragen auch eine Öffnung, z. B. na-ap-ša-at martim/Öffnung/Eingang der Galle (Goetze, Omen Texts, 31 ix 20), vgl. CAD N/1, sub napištu, 304.
Die Bedeutungen des Wortes
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Ausdruck ,š r napišti/Wind der Kehle‘54, der den Atem bezeichnet. Außerdem kann napištu ebenso wie auch den Atem/die Atemzüge bzw. den Lebenshauch bezeichnen: a gigri2(gir5-gir5)-de2 i-i-ib-bu-[in-ni] zi-gû10 ma-da-lugud2-da ik-te-ru na-pi[š-ti] Man drückte mich unter Wasser, so dass mein Atem (napištu) kurz wurde. (zweisprachiges Sprichwort auf einer Tafel aus der Bibliothek des Assurbanipal)55 mi-is-sa3-am dIš8-tar2 u2-u[l] a-ri-ik ba-la-u3-um ... i-na ša-ri-im ki-ma i-u2-ri-im na-pi2-iš-ti ša-a-at Warum, Ištar, soll das Leben nicht länger währen? ... Im Wind fliegt mein Lebenshauch (napištu) davon wie ein Vogel! 56 (altbabylonischer Ištar-Hymnus)
Sehr häufig hat napištu die Bedeutung Leben/Lebenskraft57 bzw. Vitalität: d
Girra ZI-šu2-nu GIM A.MEŠ lit-[bu-u]k Möge Girra ihr Leben/ihre Lebenskraft wie Wasser ausgießen.58
e-lu ana na-piš-ti-šu2 im-mer ni-qe2-e i-ba-il-šu Der Mann wird für sein Leben ein Opferschaf benötigen. (Auszug aus dem Erra-Epos)59 di-i-nu šá ZImeš 60 Prozess auf Leben (und Tod)
Zudem kann napištu auch die Lebensgrundlage, den Lebensunterhalt/Lebensmittel bezeichnen: 54 55 56
57
58
59
60
Z.B. in Labat, Traité akkadien, 56: 32–33. K. 4347+16161, Lambert, Babylonian Wisdom Literature, 245 iv 46–47. Groneberg, Lob der Ištar, 109–120, Z.77.80. Vgl. auch Dietrich, Dichotomie, 31–32, der das Entweichen des Lebensatems hier als Entweichen der Seele interpretiert. Steinert hält dazu einschränkend fest, dass es legitim sei napištu hier als Vitalseele zu verstehen, vgl. Steinert, Aspekte des Menschseins, 276. Janowski hingegen betont mit Verweis auf Strecks Analyse, dass das Bild des Vogels für Vergänglichkeit stehe. Das Leben entschwinde wie ein Vogel, könne also nicht festgehalten werden. Vgl. Janowski, lebendige næpæš, 17–18 und Streck, Ištar Bagdad, 304–308. „Im Unterschied zum Leben in seinem Verlauf, in seiner Dauer, das durch das Lexem bal u bezeichnet und ausgedrückt wird, zielt napištu auf die wirkende Lebenskraft [...] also genauerhin auf die Vitalität des Lebens bzw. die Lebenskraft im Angesicht der Vergänglichkeit des Lebens.“ Kühn, Totengedenken, 120. Lambert, An Incantation of the Maqlû-Type, 289: 12. Diese Wendung basiert nach Steinert auf der Vorstellung, dass das Blut als Sitz der Lebenskraft angesehen wurde und „beim Opfer die Kehle des Tieres durchgeschnitten und dieses ausgeblutet wurde“, Steinert, Aspekte des Menschseins, 283. Cagni, Erra, Tafel IIIa Z.22. Dahinter steht, so Steinert, die „Vorstellung des Ersatzes [...] Ein Lebewesen wird hingegeben, um das Leben der betroffenen Person zu erhalten“. Steinert, Aspekte des Menschseins, 282–283. Keiser, Letters and Contracts, 43,22. Vgl. Ebelin, Glossar, 160.
140
Die Bedeutungen des Wortes áš-šum eqlim ša Tukulti-Sin-i-lu-ni a-we-lu-ú na-pi-iš-ta-am ul išû Bezüglich des Felds des Tukulti-Sin-ilûni: 61 Die Männer haben keine (andere) Lebensgrundlage.
Manchmal changiert die Bedeutung zwischen dem Leben einer Person und der Person selbst bzw. napištu steht metonymisch für die Person: nap-šá-ti-ni ana bêli-ni paq-da 62 Unser Leben ist / wir sind unserem Herrn anvertraut. 63
šu-ul-li-im na-pi2-iš-ti i-ib-bi UZU.UZU-ia Schütze mein Leben/mich, halte mein Fleisch/mich gesund!
napištu kann also auch ein Personalpronomen vertreten: ina giš-par-ri ša2 la na-par-šu-di li-di-ku-nu a-a u2-še-i nap-šat-kun Möge er euch in einer Falle niederwerfen, aus der es kein Entfliehen gibt und euch (nap-šat-kun) nicht entkommen lassen!64
und den Menschen/Personen oder Lebewesen bezeichnen: šarrum napišta[m] ašr num idk 65 Der König tötete dort ein Leben/Lebewesen/jemanden. (ARM 2,18 Z. 33) 1 lim 1 me 19 LU2.ERIN2.MEŠ KALAG.MEŠ 5 lim šu2-nu ZI.MEŠ ina UGU a-e-iš 66 1119 körperlich kräftige Männer, insgesamt waren es 5000 Personen ... 67
mim-ma i-šu-[ú e-e-en]-ši NUMUN ZI.MEŠ ka-la-ma Ich belud es mit allem, was ich besaß an allen Arten von Lebewesen. (Gilgameš XI,83)
Zudem kann es als Reflexivpronomen verwendet werden: kaspam tarâm na-pá-áš-ta-kà taziar 68 Du liebst Geld, doch hasst dich selbst. (TCL 4 5:9)
napištu kann auch (ganz selten) das Selbst/Ich bezeichnen, was aber nur in ganz wenigen Texten zu finden ist: ib2-si ši-u10 zi-ir-ra ša3?(-)[...] : ma-i na-piš-ti i-ta-šu-uš lib3-ba? [...]
61 62 63 64 65 66 67 68
Driver, Letters of the First Babylonian Dynastie, 12: 35, Z.5–6. Keiser, Letters and Contracts, 49,21. Vgl. Ebelin, Glossar, 160. Langdon, Die neubabylonischen Königsinschriften, 78 No.1 iii 46. Parpola/Watanabe, Neo-Assyrian Treaties, 58: 650–651. Durand, Documents epistolaires du palais de Mari, 215–216: Nr. 84. Parpola, Correspondence of Sargon II, 14, Nr. 11, Z. 2–3. Parpola, Epic of Gilgamesh, 110, Taf.XI, Z.83. CAD N/1, sub napištu, 301 und Larsen, Your Money or your Life, 214.
Die Bedeutungen des Wortes
141
Es ist genug. Mein napištu/ich/mein Selbst ist erstickt/deprimiert, [das ] 69 He[rz...]
Es wird jedoch „nicht mit Verben verwendet, die Emotionen wie Zorn, Angst, Freude oder Verlangen/Begehren ausdrücken. Das Akkadische verbindet diese Emotionen mit den Wörtern für den Körper und das ,Leibesinnere, Herz‘, welches gewöhnlich das Zentrum des Selbst, des Bewußtseins und der Empfindungen bildet“70. ------------------------------------ Exkurs Ende ----------------------------------------
4.2
Gesten / körperliche Empfindungen
Da das Wort als Bezeichnung eines Körperteils/Organs ,Kehle‘ bedeutet, kommt es erwartungsgemäß anders als andere Körperteillexeme wie z.B. /Hand71 selten in Gesten vor. Dies ist bei diesem Körperteil im deutschen Sprachgebrauch nicht viel anders.72 Eine Ausnahme könnte eventuell der Ausdruck ;?4/;?: sein. Ez 23,17–1873 " !
! 17
Und die Babylonier kamen zu ihr für das Lager der Liebschaft und machten sie unrein mit ihrer Hurerei und sie wurde an ihnen unrein und dann wandte sie ihre næfæš von ihnen ab. 18Als sie ihre Hurerei offen zeigte und ihre Scham entblößte, da wandte ich (Subjekt: JHWH) meine næfæš von ihr ab, wie ich meine næfæš von ihrer Schwester abgewandt hatte.
Das Verb ;?4 ist im Qal nur in Gen 32,26 ohne als Subjekt belegt. Dort bedeutet es ,verrenken/verdrehen‘,74 bezeichnet also eine ruckartige Drehbewegung. bedeutet auch (übertragen) ,vorderer, äußerer Bereich des Hal69 70 71 72
73 74
K. 3135+ Rs. 17f., Maul, Herzberuhigungsklagen, 313 nr. 78, 17–18 und Jaques, vocabulaire des sentiments, 225. Steinert, Aspekte des Menschseins, 292. Vgl. Kap. 3.1.1. und 3.1.2. Allerdings gibt es z. B. die im folgenden Beleg genannte Geste: „Chemluth gab mir Zeichen. Mit dem Finger schnitt er sich symbolisch die Kehle durch, um mir zu bedeuten, daß ich langsam Schluß machen sollte...“ Moers, Walter: Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär, Frankfurt a.M 1999, 568 (Zitat und Seitenzählung nach DWDS, Zugriff am 31.01.14). Vgl. auch Jer 6,8. Vgl. KAHAL, sub ;?4, 224 und Greenberg, Ezechiel 21–37, 118, der allerdings ,auseinanderfallen‘ als Grundbedeutung angibt.
142
Die Bedeutungen des Wortes
ses‘.75 Ein Wegdrehen des vorderen Halsbereichs könnte ebenso wie das gleichzeitig stattfindende Zudrehen das Rückens/Nackens Desinteresse und Abneigung signalisieren.76 Es wäre daher möglich, dass hinter dem Ausdruck /, der nach KAHAL ,sich (ruckartig) von jmd. abwenden‘ bedeutet,77 ursprünglich eine Geste stand, die Abneigung/Desinteresse signalisiert und die versprachlicht wurde, um eben diese Haltung auszudrücken. Jedoch könnte es ebenso das Verlangen bzw. die Zuneigung sein, die hier von jemandem abgewendet wird,78 denn kann auch ,Verlangen‘ bedeuten.79 Da zudem das suffigierte Wort häufig metonymisch für die Person unter dem Aspekt des Verlangens steht [KÖRPERTEIL FÜR PERSON],80 ist es auch möglich, dass diesem Ausdruck ein solcher metonymischer Gebrauch des Wortes zugrunde liegt. Dass bis auf einen Beleg alle (Ez 23,17.18.22.28) im Kontext von Liebschaften und Hurerei als Bild für Israels Abfall von JHWH stehen81 und der einzige andere in Jer 6,8, wo wie in Ez 23,18 von Gottes næfæš die Rede ist, die Gewalttaten Jerusalems als Grund des Abwendens nennt, spricht eher gegen eine versprachlichte, allgemeine Geste für Desinteresse und für eine der beiden anderen Herleitungen. Welche von beiden zutrifft, ist allerdings schwer zu entscheiden, weil nur Nuancen zwischen ,sein Verlangen/seine Zuneigung (ruckartig) abwenden‘ und ,seine næfæš (ruckartig) abwenden‘ liegen, da metonymisch für die Person unter dem Aspekt des Verlangens/Begehrens stehen kann. Da allerdings Jer 6,8a parallel zum Versteil Jer 6,8b ist, wo Gott selbst als Subjekt erscheint, ist davon auszugehen, dass dieser auch dort außersprachlicher Referent, d. h. das Bezeichnete, ist und folglich metonymisch für diesen steht.
75 76 77 78 79 80
81
Ähnlich wie wir im Deutschen ,Kehle‘ für diesen benutzen können, z. B. in Ausdrücken wie „das Messer an die Kehle halten“. Vgl. Jer 18,17; 32,33 und 2 Chr 29,6. Vgl. KAHAL, sub , 224 und sub , 363. So ordnet z.B Seebass die Belegstellen in Ez 23 unter der Bedeutung ,Verlangen‘ unter, vgl. Seebass, Art. , 540. Vgl. zu dieser Bedeutung Kap. 4.3.1. Wie in Kap. 5.2.2.1 gezeigt werden wird. So ist z. B. für Westermann, Art. , 91 hier die Wiedergabe mit ,ich‘ möglich, wobei die Aussage intensiviere. Pohlmann und Greenberg im AnchorbibleKommentar greifen hier zu ,meine Seele‘/,my soul‘ als Übersetzung; vermutlich um die Metonymie nachzuahmen. Vgl. Pohlmann, Hesekiel 20–48, 337 und Greenberg, Ez 21–37, 471–472. Näheres dazu, warum man ,Seele‘ als Übersetzung vermeiden sollte, in Kap. 4.6. Dies macht Greenberg im HThKAT. Dort gibt er den Ausdruck frei mit ,sich vor jmd. ekeln‘ wieder, vermerkt aber, dass er wörtlich ,ihre Seele verrenkte sich vor ihnen‘ bedeute, vgl. Greenberg, Ezechiel 21–37, 100–101.118. Vgl. zu Ez 23 Greenberg, Ezechiel 21–37, 99–132; Ders., Ez 21–37, 471–494; Pohlmann, Hesekiel 20–48, 336–349; Fuhs, Ezeichiel 1–24, 120–127.
Die Bedeutungen des Wortes
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Jer 6,8 ! ' ' ! " % $ ! & % ! # # Lass dich warnen, Jerusalem, dass sich meine næfæš nicht von dir ruckartig abwende, dass ich dich nicht zur Einöde mache, (zu) einem nicht bewohnten Land.
Beim folgenden Ausdruck könnte evtl. ein körperlicher Aspekt zu seiner Bedeutung geführt haben: Hos 4,8
Sie essen die Sünde meines Volkes und nach der Schuld heben sie ihre næfæš.
Diese Anklage richtet sich gegen Priester, die – so die Aussage in V.6 – die Weisungen Gottes vergessen haben. V.7 ergänzt dazu, dass es immer mehr Priester gebe, die immer mehr sündigten. V.8 konkretisiert, worin ihre Schuld besteht. Die Priester haben kein Interesse am gottgefälligen Leben der Israeliten, sie streben vielmehr nach der „Vermehrung kultischer Aktivitäten bei Opferfesten“, weil ihnen ein Anteil von den Opfern zusteht.82 Sie wollen also, dass das Volk opfert, nicht dass es sich richtig verhält, denn von diesen Opfern ernähren sie sich (,sie essen die Sünde meines Volkes‘) und nach diesen ,hebt () sich ihre næfæš‘, d. h. hier also sinngemäß ,nach diesen gieren sie‘/,diese wollen sie‘. Es wäre daher durchaus möglich, dass hinter der Bedeutung dieses Ausdrucks „das begehrliche Ausstrecken des Halses“83 nach einer Speise, die man will, steht. Allerdings könnte hier ebenso die Bedeutung ,Verlangen‘84 zur Verwendung des Wortes in diesem Ausdruck geführt haben. ,Sein Verlangen auf etwas richten‘ bedeutet nämlich ebenfalls ,sich nach etwas sehnen‘/,etwas begehren‘. Zudem bezeichnet der Ausdruck in den übrigen acht Belegen85 nicht das Verlangen nach Le82 83 84 85
Vgl. Jeremias, Hosea, 67 (Zitat ebenfalls: 67). Vgl. zu Hos 4,6–8 auch Bons, Hosea, 72–74; Birch, Hosea and Amos, 51–52; Dearman, Hosea, 158–161. Wolff, Anthropologie. 2010, 42. Vgl. zur Diskussion dieses Ausdrucks 41–42. Vgl. zur Bedeutung ,Verlangen‘ Kap. 4.3.1. Anders Barré, der in Ps 21,1, 86,3 und 143,8 den Ausdruck mit Verweis auf akkadisch napišta (w)ab lu und sumerisch zi túm/tùm als ,to flee for protection to‘ versteht. Mit unpersonalem Objekt bedeute er ,verlangen/sehnen‘, aber nicht mir personalem. In keinem der Kotexte sei von Verlangen die Rede, in allen dreien aber von Flucht. Vgl. Barré, Mesopotamian Light, passim. Allerdings ist in Ps 25,2–3 das Hoffen und Vertrauen auf Gott und in Ps 143,8 die Aufforderung formuliert, die Gnade hören zu lassen. Dies drückt beides Sehnsucht aus. Das Zufluchtsuchen wird dagegen in Ps 25 erst in V.20 thematisiert. In Ps 143,9 wird die Flucht zu Gott zwar thematisiert, aber in 143,6 steht das Dürsten der næfæš eindeutig für Sehnsucht. Auch das Rufen nach Gott und die Bitte, den Betenden zu erfreuen, in Ps 86,2 sprechen dafür, dass der Ausdruck die Sehnsucht des Betenden bezeichnet. Es gibt daher m. E. keinen Grund, eine von den anderen Belegen abweichende Bedeutung des geprägten Ausdrucks anzunehmen.
144
Die Bedeutungen des Wortes
bensmitteln, sondern nach anderen Dingen, z.B. nach der Rückkehr ins Heimatland in Jer 22,27; wobei man allerdings in Dtn 24,15 den Lohn durchaus mit der Möglichkeit, sich zu ernähren, gleichsetzen könnte. 86 Dtn 24,15 $ ! $ $ # $$ Gib ihm an diesem Tag seinen Lohn und lass die Sonne darüber nicht untergehen, denn er ist arm und sehnt sich (noe nafšô) danach, dass er nicht JHWH anrufe gegen dich und es Sünde werde für dich.
Jer 22,27 ! Und in das Land, in das zurückzukehren sie sich sehnen (mena im nafšm), dorthin werden sie nicht zurückkehren.
Ps 24,3–5 87 3
Wer darf hinauf zum Berg JHWHs ziehen und wer an der Stätte seiner Heiligkeit stehen? 4Der unschuldige Hände hat und ein reines Herz, das sich nicht nach Nichtigem sehnt (nh nafšô) und nicht falsch schwört. Er wird Segen von JHWH empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seiner Hilfe.
In der letztgenannten Belegstelle ist /Herz Subjekt des Ausdruckes . Die Frage, wer zum Berg JHWHs ziehen darf, macht zwar deutlich, dass hier Personen mit bestimmten Eigenschaften, nämlich unschuldig in Tat und Denken/Wollen zu sein, bezeichnet werden,88 außersprachliches Subjekt also die ganze Person ist. Dennoch wäre aber die Koppelung von als Subjekt und eigenartig, wenn damit das Ausstrecken des Halses bezeichnet würde. Wahrscheinlicher ist, dass in diesem Ausdruck vom Schreibenden und Lesenden mit der Bedeutung ,Verlangen‘ verbunden wurde 86 87
88
McConville betont z. B., dass der Tagelöhner immer am Rande des Überlebens stehe. Seinen Tageslohn benötigt er zum Überleben. Vgl. McConville, Deuteronomy, 362. Hier ist mit einem hebräischen Fragment aus der Kairoer Geniza, zahlreichen Handschriften und Versionen ein Suffix der 3.Person Singular zu lesen ( ), weil ansonsten kein Bezugsnomen im Kontext ermittelbar wäre und die anderen Belege der Wendung eine „Kongruenz von Subjekt des Verbes und Personalsuffix“ (Hossfeld, Ps 24 [Hossfeld/Zenger, Psalmen I.NEB, 159) aufweisen. Vgl. auch Seybold, Psalmen, 103. Das Paar bezeichnet zusammen also „die Vollkommenheit in äußerer Tat und innerer Gesinnung“. Hossfeld, Ps 24 (Hossfeld/Zenger, Psalmen I.NEB), 160. Vgl. auch Seybold, Psalmen, 105 und Oeming, Psalm 1–41, 158.
Die Bedeutungen des Wortes
145
oder der gesamte Ausdruck ohne Beachtung der Einzelelemente als ,sich sehnen/verlangen nach etw.‘ verstanden wurde. Daneben gibt es Ausdrücke, deren Bedeutung recht sicher auf körperliche Empfindungen zurückführbar ist.89 Hld 5,6 Und ich öffnete meinem Geliebten, aber mein Geliebter war weggegangen, meine næfæš ging aus, weil er sich abgewandt hat,90 ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht, ich rief ihn, aber er antwortete nicht.
Die Liebende, die ihrem Freund vor der Tür nicht gleich aufgemacht hat (V.2–4), stellt nach dem Öffnen fest, dass er bereits weggegangen ist. Ihre erste Reaktion darauf wird mit +>4 ausgedrückt. Müller interpretiert dies als Ausdruck einer negativen Gefühlslage und übersetzt „Mein Herz zerrann“.91 Snaith vermutet mit Verweis auf Gen 35,18, dass der Ausdruck mit „I almost died/collapsed in a faint“92 treffend wiederzugeben sei. Bühlmann sieht das ähnlich. Hier werde ausgedrückt, dass das Mädchen außer sich ist. „Dieser Ausdruck bedeutet ein totales Schwinden der Lebenskraft.“93 Anders interpretiert ihn Zakovitch. Die Sprecherin verweise hier auf ihre Reaktion beim Hören der Worte des Freundes zurück, weil sie bedauere, ihm nicht gleich geöffnet zu haben. „Als sie ihn reden hörte, war sie so überwältigt von Verlangen nach ihm, dass sie nicht mehr wusste, was sie tat“. Der Ausdruck bezeichne also eine „tiefe Gemütsbewegung, d. h. Sehnsucht und Verlangen“.94 Da hier jedoch das Weggehen des Geliebten thematisiert wird, der zum letzten Mal in V.2 mit der Frau gesprochen hat, ist es m. E. plausibler anzunehmen, dass der große Schreck darüber, dass der Geliebte weggegangen ist (@,. I/sich abwenden statt @,. II/reden), ausgedrückt wird.95 Schließlich macht sich die junge Frau danach sofort, mitten in der Nacht, auf die Suche nach ihm. Vermutlich meint ,Ausgehen der næfæš‘ hier also das Stocken des 89
90 91 92 93 94 95
Wie z. B. im Deutschen der Ausdruck ,die Kehle zuschnüren‘: „,Nur die Frau, sie schien mir etwas verwirrt...‘ Horrath hatte geantwortet: ,Sie erwartet ein Kind.‘ Wiederum hatte es ihm die Kehle zugeschnürt. Von mir, von mir... Diese zwei Worte hatten in seinem Gehirn getrommelt.“ Neutsch, Erik, Spur der Steine, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verl. 1964, 31.12.1964 (Zitat und Seitenzahl nach DWDS, Zugriff am 31.01.14). @,. I/sich abwenden passt besser zum Kotext als @,. II/reden, vgl. Keel, Hohelied, 174.183 und KAHAL, sub @,., 109–110. Müller, Das Hohelied, 53 und zu Hld 5,2–8 vgl. 53–57. Snaith, Song of Songs, 75. Bühlmann, Hohelied, 63. Ähnlich Keel, Hohelied, 183. Zakovitch, Hohelied, 213–214 (1. Zitat: 217–218; 2. Zitat: 217). So z. B. auch Schwienhorst-Schönberger, Hohelied, 129.
146
Die Bedeutungen des Wortes
Atems in einer Schrecksituation. Eine gewisse Nähe zum Versiegen der Atmung (Gen 35,18)96 ist dabei gegeben. Auch in 1 Kön 10,4–5 ist das Stocken des Atems im Blick, wobei der Atem hier allerdings mit bezeichnet wird und es um großes Erstaunen geht: 1 Kön 10,4–5
Und als die Königin Sabas die ganze Weisheit Salomos sah und das Haus, das er erbaut hatte, und die Speisen auf seinem Tisch und die Plätze seiner Diener und die Aufwartung seiner Diener und ihre Gewänder und seine Mundschenke und sein Brandopfer, das er im Haus JHWHs darbrachte, da war keine rua mehr in ihr.
In umgangssprachlichem Deutsch würde man vermutlich entsprechend sagen: Der Königin Sabas blieb angesichts der Weisheit und des Reichtums Salomos die Luft weg.97 Auch der folgende Ausdruck kann sowohl mit (Num 21,4; Ri 10,16 (von Gott); 16,16; Sach 11,8) als auch (Mi 2,7 (von Gott); Ijob 21,4) gebildet werden: / @>? (II, qal = kurz sein). Er bedeutet ,ungeduldig/verdrossen werden‘.98 Num 21,4 " %$ # ( ) ! & " % &' 4
Da brachen sie auf vom Berg Hor in Richtung Schilfmeer, um das Land Edom zu umgehen. Und die næfæš des Volks wurde kurz auf dem Weg = das Volk wurde ungeduldig/verdrossen.
Ijob 21,4 Richte ich meine Klage an einen Menschen? Und warum sollte meine rûa nicht kurz werden = ich nicht ungeduldig/verdrossen sein?
Dass die beiden Varianten in diesen Versen bedeutungsgleich sind,99 spricht dafür, dass hinter den beiden Ausdrücken jeweils das ,Kurzwerden des At96 97 98 99
Vgl. Snaith, Song of Songs, 75. Vgl. zu Ähnlichkeiten zwischen und zur Bezeichnung der Atemluft/des Atems Wolff, Anthropologie. 2010, 65–67. Aus dem Ugaritischen ist diese Wendung ebenfalls bekannt. Vgl. Groß, Richter, 578–579, der auf KTU 1,40, 22.31–32 verweist. Wobei in Ex 6,9 wohl eher an die Verzagtheit als an Verdrossenheit gedacht ist und der Ausdruck aufgrund des Kontext eine etwas andere Bedeutung erhält. Vgl. hierzu auch Wolff, Anthropologie. 2010, 71.
Die Bedeutungen des Wortes
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mens‘ als körperliche Reaktion auf die bezeichnete Emotion der Ungeduld bzw. des Unmuts steht, denn beide Wörter, sowohl als auch , können die Bedeutung Atem haben.100 Einmal ist auch der gegenteilige Ausdruck ( hif = ,lang machen‘/,lang sein‘)101 belegt. Ijob 6,11 Was ist meine Kraft, dass ich ausharre, und was ist mein Ende, dass ich meine næfæš lang mache = mich gedulde?
Auch für den Ausdruck , der viermal im AT vorkommt (Gen 42,21, Ps 31,8; 143,11, Spr 21,23), nahm u. a. Dürr an, dass er auf eine „ganz sinnliche-reale Vorstellung von der Verengung der Luftwege“102 zurückgehe. Gen 42,21
! Sie sagten zueinander: Ja, schuldig sind wir an unserem Bruder, dass wir die Enge/Angst seiner næfæš gesehen haben, als er uns um Erbarmen anflehte. Aber wir haben nicht gehört. Darum ist diese Angst über uns gekommen.
Ebach betont ebenfalls, dass hinter diesem Ausdruck für Angst die Enge der Kehle als körperliche Empfindung stehe.103 Auch er geht also davon aus, dass der Ausdruck mit dem deutschen ,Zugeschnürtsein der Kehle‘ korrespondiert. Soggin dagegen gibt den ganzen Ausdruck mit ,wie er Angst hatte‘ wieder.104 Anders als beim vorherigen Ausdruck, in dem das Verb @>? alleine nicht die Bedeutung ,ungeduldig sein‘ hat, hat nämlich das Nomen regens in der Konstruktus-Verbindung bereits alleine die Bedeutung Angst/Not. Dies zeigt neben der Verwendung des Wortes in Gen 42,21b z.B. auch der folgende Beleg: Ijob 27,9
Wird Gott sein Schreien erhören, wenn die Angst über ihn kommt?
100
101 102 103 104
Vgl. zu dieser Bedeutung des Wortes Kap. 4.1 und des Wortes KAHAL, sub , 531; Albertz/Westermann, Art. , 729; Tengström, Art. , 394–400 sowie Wolff, Anthropologie. 2010, 65–67. Vgl. KAHAL, sub , 46–47. Dürr, Gurgel, 266. Vgl. Ebach, Genesis 37–50, 294. Vgl. Soggin, Genesis, 484.
148
Die Bedeutungen des Wortes נֶפֶשׁ
Zudem ist das Verb צררgerade nicht mit נֶפֶשׁals Subjekt in der Bedeutung ,Angst haben‘ belegt, sondern in der Regel liegt die folgende Konstruktion vor, wenn ,Angst haben/bedrängt sein‘ bezeichnet wird: Verb + ְל+ Suffix oder Name. Gen 32,8a ַויּ ִָירא יַעֲק ֹב ְמא ֹד ַויֵּצֶר לוֹ Und Jakob fürchtete sich sehr und es wurde ihm bang.
Außerdem kann die נֶפֶשׁauch aus der Not ( )צ ָָרהerlöst werden. 1 Kön 1,29 שׁי ִמכָּל־צ ָָרה׃ ִ שׁר־פָּדָ ה ֶאת־נַ ְפ ֶ שּׁבַע ַה ֶמּלְֶך וַיּ ֹא ַמר חַי־י ְהוָה ֲא ָ ִ ַויּ Und der König schwor: So wahr JHWH lebt, der mich (meine næfæš) aus aller Not erlöst hat.
Zudem wird auch einmal von der Not ( )צ ָָרהdes Herzens ( ) ֵל ָבבgesprochen (Ps 25,17). Dies alles spricht eher dagegen, dass das Zugeschnürtsein der Kehle hinter diesem Ausdruck steht. Es ist wahrscheinlicher, dass נֶפֶשׁin Gen 42,21a auf die Person referiert ( = צ ַָרת נַפְשׁוֹ,seine Angst‘), also eine Metonymie darstellt. Die Metonymie betont dabei, dass der Mensch unter dem Aspekt der gefährdeten Lebendigkeit betrachtet wird, wie in Kap 5.2.2.4 gezeigt und näher erläutert werden wird. Soggins Übersetzung des Ausdrucks צ ַָרת נֶפֶשׁist somit zwar keine wörtliche, aber sie trifft den Aussagesinn gut. Die Einheitsübersetzung wählt die Wiedergabe ,wie er sich um sein Leben ängstigte‘ und betont so den Aspekt der gefährdeten Lebendigkeit.105 Auch diese, ebenfalls nicht wörtliche Übersetzung trifft den Sinn des Ausdrucks.
4.3
Körperteil für Funktion
4.3.1 Verlangen und daraus abgeleitete Bedeutungen Die Bedeutung des Wortes נֶפֶשׁkann zwischen der Kehle als Körperteil und einer ihr zugesprochenen Funktion, dem Verlangen nach/Verabscheuen von Lebensmitteln sowie Hunger, changieren. Im folgenden Beleg ist ebenfalls der Hunger bzw. die Lust auf Essen im Blick:
105
Vgl. Scharbert, Genesis 12–50, 263.
Die Bedeutungen des Wortes
149
Dtn 23,25
$ # # $ ! " # Ja, kommst du in den Weinberg deines Nächsten, so darfst du Trauben essen gemäß deiner næfæš, bis du satt bist, aber in dein Gefäß gebe nichts.
Der Zusatz ,bis du satt bist‘ macht deutlich, was hier bedeutet: Wenn man Hunger oder Lust auf die Trauben hat, darf man davon vor Ort essen, bis dieser/diese gestillt ist. Das Mitnehmen von Trauben darüber hinaus ist aber untersagt. kann im Kontext von Sättigung auch eng mit Gier in Verbindung stehen: Jes 56,11a Und die Hunde sind (wörtl.:) Starke der næfæš, sie kennen keine Sättigung.
In Jes 56,9–12 werden die Hirten/Wächter des Volkes mit Hunden verglichen, die nicht satt werden, d. h. immer mehr fressen wollen. Ebenso kennen die Hirten nur ihr eigenes Gewinnstreben. Ihrer eigentlichen Aufgabe gehen sie aber nicht nach.106 Dies macht deutlich, was hier bedeutet. Der Ausdruck bezeichnet eine stark ausgeprägte Gier: ,Und die Hunde sind besonders gierig‘, könnte man folglich sinngemäß übersetzen. Auch im folgenden Beleg ist die Gier im Blick, wenn von gesprochen wird: Spr 23, 1–3
" ! " 1
Fürwahr, wenn du dich setzt, um mit einem Herrscher zu essen, wisse genau, wen du vor dir hast 2Und setze ein Messer an deine Kehle, wenn du ein Besitzer der næfæš bist 3Verlange nicht nach den feinen Speisen, denn sie sind Brot der Lügen.
In Spr 23,2 steht parallel zu einem anderen Wort, das ebenfalls die Kehle bezeichnet: 107 Hier spielt der Verfasser der drei Verse also mit der partiellen Synonymität der beiden Wörter. Anders als bei liegt aber bei der Fokus nicht auf der Bezeichnung des Körperteils, sondern auf seiner ihm zugesprochenen Funktion als an der Nahrungsaufnahme beteiligtem Organ: 106 107
Vgl. zu Jes 56,9–12 Blenkinsopp, Isaiah 56–66, 143–148; Zapff, Jesaja 56–66, 359– 360 und Fohrer, Jesaja 40–66, 191–193. Allerdings handelt es sich um ein Hapaxlegomena, vgl. Waltke, Proverbs 15–31, 239 Anm. 6.
150
Die Bedeutungen des Wortes
dem Hunger oder der Gier/dem Verlangen nach Nahrung, wie der folgende Vers, der mit beginnt, zeigt. Man kann den zweiten Halbvers also folgendermaßen wiedergeben: ,wenn du gierig bist/besonders hungrig bist‘. 108 Im folgenden Vers dominiert ebenfalls die abstrakte Bedeutung, auch wenn die Parallelität zu den Augen, die hier als Sinnesorgane eng mit der Erkenntnis (des Guten, das vor Augen liegt,) verknüpft werden,109 vermuten lässt, dass die körperliche Bedeutung ähnlich wie im gerade betrachteten Beleg nicht ganz dahinter verschwindet:110 Koh 6,9 " "" ! # Besser das Sehen der Augen als das Umherschweifen des Verlanges (næfæš), (aber) sogar dies ist Nichtiges und Greifen nach Wind.
An anderen Stellen verschwindet die körperliche Komponente stärker hinter einer abstrakten Bedeutung, insbesondere dort, wo nicht mehr – auch nicht übertragen – von der Nahrungsaufnahme gesprochen wird. Ps 41,2–3 (ähnlich auch Ps 27,12) ! " b
a 111 2
Wohl dem, der sich des Schwachen annimmt, am Tag des Unheils wird JHWH ihn erretten. 3JHWH wird ihn bewahren und am Leben erhalten und er wird glücklich gepriesen werden im Land. Und gib ihn nicht der næfæš seiner Feinde preis.
Im Kotext der Aussage ,und gib ihn nicht in die næfæš der Feinde/der næfæš der Feinde preis‘ steht die Verheißung, dass JHWH das Leben dessen, der sich um die Schwachen kümmert, rettet und beschützt. Auch der letzte Teil des Verses 3 drückt folglich Schutz aus. Daher könnte man durchaus an eine Wiedergabe des Wortes mit Rachen denken, wie z.B. Seybold in seinem
108
109
110 111
Vgl. Fuhs, Sprichwörter, 146; Sæbø, Sprüche, 286; Waltke, Proverbs 15–31, 239 und Fox, Proverbs 10–31, 720, der betont, dass es hier um eine Charaktereigenschaft, nicht um einmaligen, starken Hunger gehe. Vgl. zur Verbindung der Augen mit Sehen und Erkenntnis Kap. 5.2.3.1. und zu Koh 6,9 Köhlmoos, Kohelet, 161; Schellenberg, Kohelet, 105–106; und Krüger, Kohelet, 224.241. Zur Verwendung des Wortes in Koh insgesamt vgl. Schoors, Preacher, 218–220. a: Lies mit vielen Handschriften und dem Qere . Vgl. auch LXX, Peschitta und Targume. b: LXX, Peschitta und Hieronymus (Psalterium iuxta Hebraeos) lesen hier 3.Person, korrigieren also den abrupten Wechsel von der 3. zur 2. Person und von Aussage zu Aufforderung. Dies ist aber vermutlich eine Korrektur, die diese Schwierigkeit beheben möchte. Vgl. Hossfeld, Ps 41 (Hossfeld/Zenger, Psalmen I.NEB), 261.
Die Bedeutungen des Wortes
151
Kommentar.112 Deutsche Lesende würden dann sicher den Rachen der Feinde mit ,verschlingen‘ in Verbindung bringen, ähnlich wie in Jes 5,14. Allerdings liegt hier m. E. der Fokus weniger auf dem Verschlingen, d. h. Vertilgen, sondern darauf, dass die Feinde mit dem Betroffenen verfahren können, wie sie wollen, d. h. der Betende ihrem Verlangen/ihrer Gier preisgegeben wird. Interessant ist, dass in der LXX V.3b mit ,J& (P%& I(%$R K$R/in die Hände seiner Feinde‘ wiedergegeben ist.113 Damit ist also in der LXX in dieser Aussage die Macht/Verfügungsgewalt, für die die Hand steht, betont.114 Im Deutschen – wie wohl auch im Griechischen – verbinden wir die Kehle bzw. den Rachen nicht ganz so direkt mit Gier; auch wenn wir durchaus Ausdrücke wie ,jemand Geld in den Rachen werfen‘, ,den Hals nicht voll bekommen‘ oder ,in den Rachen stopfen‘ kennen. Daher wäre eine Wiedergabe mit einem dieser Wörter hier nicht ganz eindeutig und sollte besser mit ,Verlangen/Gier‘ übersetzt werden.115 In Ez 16,27 wird ganz ähnlich verwendet. Ez 16,27 ) % (" & )$ ! ) # "$ ! ( !' ! % Und siehe, ich streckte meine Hand gegen dich aus und kürzte deinen Anteil. Und ich gab dich der Gier (næfæš) derer hin, die dich hassen, der Töchter der Philister, die sich vor deinem unzüchtigen Weg schämen.
Hinter der an den Beispielen aufgezeigten Bedeutung(-serweiterung) steht die oben thematisierte konzeptuelle Metonymie KÖRPERTEIL FÜR FUNKTION. Über diese konzeptuelle Metonymie konnte bei Nennung des Wortes auch Verlangen/Gier/Begehren als Bedeutung abgerufen werden. Dies liegt vermutlich daran, dass die Kehle, wie die obigen Textbeispiele zu dieser Wortbedeutung erahnen lassen, eng mit dem Verlangen nach bzw. dem Ekel vor Speisen verbunden wurde, d. h. dass eine der funktionalen Komponenten im durch das Wort bezeichneten gedanklichen Konzept „Verlangen/Abscheu (nach/von Nahrungsmitteln)“ war. Diese Komponente ist dann auch auf andere Objekte bezogen worden.
112 113
114 115
Vgl. Seybold, Psalmen, 170. In Ps 27,12 gibt die LXX dagegen wie üblich mit yuch, wieder: mh. paradw|/j me eivj yuca.j qlibo,ntwn me. Vgl. zur Bedeutung ,Macht‘ bzw. ,Gewalt‘ des Wortes Gesenius18 Bd. 2, sub , 438 und KAHAL, sub , 204. So z. B. die Wiedergabe Deisslers ,[er gibt] ihn nicht der Gier seiner Feinde preis‘, Deissler, Psalmen, 171 ([] von Deissler selbst) und die Erläuterung Hossfelds („JHWH bewahrt den Armen vor der Gier seiner Feinde“), Hossfeld, Ps 41 (Hossfeld/Zenger, Psalmen I.NEB), 262.
152
Die Bedeutungen des Wortes
In Ps 41,3 und Ez 16,27 ist die Wiedergabe mit ,Verlangen‘ oder ,Gier‘ sicher treffender als die mit ,Kehle‘. Die Übersetzung mit ,Kehle‘ wäre für uns ohne weitere Erklärung sogar unverständlich, da die Kehle bei uns nicht ganz so zentral mit dem Verlangen verbunden ist und der Kotext, anders als bei den oben angeführten Belegen, diese Verbindung auch nicht unmittelbar erschließt, weil es nicht um Nahrungsaufnahme oder Atmung geht. Dies gilt noch wesentlich deutlicher für den folgenden Beleg. Dtn 21,11–14 ... " # ! " Und siehst du unter den Gefangenen eine Frau, schön von Gestalt, und hängst an ihr und nimmst [sie] dir zur Frau, ... Danach magst du zu ihr eingehen und sie heiraten, so daß sie dir zur Frau wird. Und es soll geschehen, wenn/falls du kein Gefallen an ihr hast, so schicke sie gemäß ihrer næfæš weg, aber verkaufe sie keinesfalls gegen Geld (und) versklave sie nicht, die du erniedrigst hast.
Die Gefangene, die zur Frau genommen wurde, darf bei späterem Nichtgefallen nicht verkauft oder als Sklavin behalten werden, sondern muss gemäß ihrer næfæš freigelassen werden.116 Dass hier nicht die Kehle als reines Körperteil bezeichnet sein kann, ist offensichtlich. bezeichnet vielmehr den Wunsch der betroffenen Frau, der zu beachten ist.117 Diese Bedeutung erläutert auch den zweimal im AT zu findenden Ausdruck
( ) . Gen 23,7–9
# ! " ! 7
Da stand Abraham auf und warf sich nieder vor dem Volk des Landes, vor den Hetitern. 8Und er redete mit ihnen: Wenn eure næfæš da ist, dass ich meine Tote [seine Frau Sara, vgl. V.2] hinaustrage und begrabe, so hört mich an und bittet 116
117
Näheres zu dieser Bestimmung und dem Heiraten einer Kriegsgefangen vgl. Rose, 5.Mose Teilband I, 232–236; Braulik, Deuteronomium II, 154–155; McConville, Deuteronomy, 329–330; Rütersworden, Deuteronomium, 138 und Bechmann, kriegsgefangene Frau, passim. Die Frage, ob die damaligen Lesenden oder der Schreibende überhaupt noch die Bedeutung ,Kehle‘ „mitdachten“ oder ob die Metonymie so etabliert war, dass sie nicht mehr als solche verarbeitet wurde, ist schwer zu beantworten. Die völlige Loslösung vom „Aufgabenbereich“ der Kehle, lasst dies allerdings vermuten.
Die Bedeutungen des Wortes
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für mich Efron, den Sohn Zohars, 9dass er mir gebe die Höhle in Machpela, die ihm gehört, die am Ende seines Ackers liegt; er gebe sie mir zum vollen Preis zum Grabbesitz unter euch.
2 Kön 9,15 &# $ " "$ % $ & ! % & ! $ # # ' ( " Und Joram der König war zurückgekehrt, um sich in Jesreel heilen zu lassen von den Wunden, die ihm die Aramäer geschlagen hatten, als er mit Hasaël, dem König von Aram, kämpfte. Und Jehu sprach: Wenn eure næfæš da ist, dann soll niemand aus der Stadt herausgehen, um hinzugehen und es [die Pläne Jehus, vgl. V.14] in Jesreel anzusagen.
In beiden Erzählungen ist der Ausdruck Teil einer wörtlichen Anrede an mehrere Personen. An ihn anschließend folgt eine Bitte bzw. eine Forderung. Abraham möchte eine Grabstätte für seine verstorbene Frau erwerben; Jehu möchte verhindern, dass seine Verschwörungspläne verraten werden. Beide sind dafür auf die Unterstützung bzw. das Wohlwollen der Angesprochenen ( ) /,Wenn eure angewiesen.118 Die Einleitung ihres Vorschlags
næfæš da ist‘, bedeutet folglich: ,wenn es euch recht ist/wenn ihr wollt‘. Das Wort kann aber auch mehr als nur ein bestimmtes Verlangen bzw. einen Wunsch bezeichnen. Ex 23,9 $ & % " ' '# ! Und einen Fremdling (ger119 ) sollst du nicht unterdrücken, denn ihr kennt die næfæš des Fremden, denn Fremde ward ihr in Ägypten.
Ex 23,9 zielt ebenso wie das sehr ähnlich formulierte Gesetz in Ex 22,20 „auf die Verhinderung der aktiven Bedrückung vor allem im wirtschaftlichen und rechtlichen Bereich durch Menschen, die dem Fremdling im Sozialgefüge übergeordnet sind“120 . Begründet wird diese Forderung durch die Erinnerung an die eigene Vergangenheit. Da das Volk Israel selbst erfahren habe, was es bedeutet ein abhängiger Fremder zu sein, kenne es „die næfæš des Fremden“.121 bezeichnet hier folglich nicht ein einzelnes Bedürfnis/Ver118
119
120 121
Vgl. zu Gen 23,7–9 Seebass, Vätererzählungen II, 224.228–229; Soggin, Genesis, 315–318 sowie Scharbert, Genesis 12–50, 171 und zu 2 Kön 9,11–15; Fritz, zweite Buch der Könige, 51–52; Sweeney, Kings, 333–334; Werlitz, Könige, 240. Zur rechtlichen Stellung der /Fremdlinge, Schutzbürger vgl. Zehnder, Art. Fremder (AT), Lit! Und zum Fremden in den israelitischen Gesetzestexten van Houten, Alien, passim. Zehnder, Art. Fremder, 3.1.2. Vgl. zur Begründung der Forderung Scharbert, Exodus, 96 (EÜ: freie Wiedergabe: ,wie es dem Fremden zumute ist‘); Dohmen, Exodus, 186 (Wiedergabe von mit ,Wesen‘); Bruckner, Exodus, 217 (Wiedergabe von mit ,feelings‘) sowie Fischer/Markl, Exodus, 256–257 (Wiedergabe von mit ,Kehle‘).
154
Die Bedeutungen des Wortes
langen oder einen bestimmten Wunsch, sondern die Gesamtheit der Bedürfnisse und Nöte des Fremden. Diese Bedeutung lässt sich auf eine metonymische Bedeutungserweiterungskette zurückführen: Kehle < Verlangen/Begierde < Bedürfnisse/Nöte (aus unerfüllten Bedürfnissen) (PARS PRO TOTO). Im folgenden Beleg liegt eine ähnliche Bedeutungserweiterung vor. 1 Sam 1,15 # ! #
Aber Hanna antwortete und sprach: Nein, mein Herr, ich bin eine verzweifelte Frau und ich habe keinen Wein und berauschende Getränke getrunken, sondern meine næfæš vor JHWH hingeschüttet.122
Dieser Vers ist Teil eines Gesprächs zwischen Eli und Hanna. Hanna betet weinend im Tempel und verspricht, wenn Gott ihre Kinderlosigkeit beendet und ihr einen Sohn schenkt, diesen als Priester an den Tempel zu schicken. Eli hält die verzweifelte Frau aufgrund ihrer Art zu beten für betrunken und weist sie scharf zurecht. Daraufhin verteidigt sich Hanna mit dem genannten Vers. Sie erklärt, dass sie nicht betrunken, sondern verzweifelt (eine harte rua habend) sei und vor Gott ihre næfæš hingeschüttet habe.123 Eine Wiedergabe des Ausdruckes mit ,seine Kehle ausschütten‘ träfe im Deutschen natürlich nicht den Sinn. Aus dem geschilderten Gebetsinhalt geht nämlich hervor, dass hier funktional zu verstehen ist und auch nicht nur den einen einzelnen Wunsch, nämlich schwanger zu werden und einen Sohn zu gebären, sondern vielmehr auch den Kummer und die Haltung Hannas umfasst. Die Sorgen und den dringenden Kinderwunsch, die Hanna beschäftigen, bringt sie im Gebet vor Gott, was mit Hinschütten ausgedrückt wird. Die interpretierende Übersetzung ,ich habe mein Herz ausgeschüttet‘, die u. a. in der Lutherbibel (1984) gewählt wurde, trifft daher den Sinn ganz gut, denn für uns ist das Herz ja der „Behälter“ und der Sitz der Gefühle. 124
122
123 124
Ähnlich Klgl 2,12, wo vom Ausschütten der næfæš der Kinder in der Schoß der Mütter im Kontext der Klage über ihren großen Hunger die Rede ist. Zwar spräche für die Bedeutung ,die Lebenskraft ausgießen‘, so z. B. Bester, Körperbilder, 172– 174, das genannte Verschmachten wie Verwundete, aber dagegen spricht die Verwendung des Verbes (Hitp.) statt dem für diesen Ausdruck üblichen /@; sowie der Kontext des Klagens bei ihren Müttern, zum dem das Ausschütten des Kummers in deren Schoß besser passt. Vgl. hierzu auch Salters, Lamentations, 150–151. In Ps 42,5 und Ijob 30,16 ist der Ausdruck ebenfalls belegt. Dort allerdings mit der Präposition mit Suffix 1. P. Singular. Diese Verwendungsweise wird in Kap. 5.3 näher betrachtet. Vgl. zu 1 Sam 1,9–15 Dietrich, 1Samuel 1–12, 43–50; Caquot/Robert, Samuel, 39– 40; Auld, Samuel, 28–29 und Schroer, Samuelbücher, 42–43. Vgl. Müller, Lieben, 225 sowie für sprachliche Belege, die diese Vorstellung zum Ausdruck bringen 224–225; Wagner, Eifern, 82–83; Ders., Hass, 63–64 und Kap. 5
Die Bedeutungen des Wortes
155
Das Hinschütten des Kummers/der Klage vor JHWH kann natürlich auch mit und einem Wort ( ) das primär die Klage/den Kummer (einmal auch den Lob) bezeichnet, ausgedrückt werden.125 Ps 102,1 Gebet eines Elenden, wenn er verzagt und vor JHWH seinen Kummer hinschüttet.
An anderer Stelle steht das Hinschütten der næfæš ebenso wie der entsprechende Ausdruck im Akkadischen und Ugaritischen126 für Todesgefahr. Dabei wird aber ein anderes Verb verwendet, nämlich /@; statt .127 Interessant ist, dass auch vom Ausschütten () des ,( ) gesprochen wird: Ps 62,9
"# " $ "! Vertraut auf ihn (= Gott) alle Zeit, Volk, schüttet vor ihm euer Herz hin, Gott ist unserer Zuflucht – Sela.
Bei Ps 62 handelt es sich um einen Vertrauenspsalm. Seybold vermutet, dass es sich um ein erst sekundär zu einem gebetshaften Psalm erweitertes „Dokument der Auseinandersetzung eines ins Heiligtumsasyl gelangten Verfolgten mit seinen Verfolgern handelt, die er der falschen Anklage“128 beschuldigt. Jedoch bildet die Vorstellung des Asyls am Heiligtum „nur ein[en] Aspekt der hier vorliegenden Metaphernmischung“129. Der erste Teil des Psalms endet in V.8 damit, dass der Betende sein Vertrauen auf Gott ausdrückt. In V.9 beginnt der zweite Teil des Psalms, der stark weisheitlich geprägt ist. Nun wendet sich der Betende an die Zuhörenden und fordert diese auf, ihrerseits auf Gott zu vertrauen. Auf diese Aufforderung folgt in 9aß eine zweite. Die Angesprochenen sollen ihr Herz vor Gott hinschütten.130 Das Hinschütten des Herzens vor Gott steht folglich für das Vorbringen der
125 126 127 128 129 130
Anm. 231–233. Auch im Englischen findet sich diese Vorstellung, vgl. Kövesces, Metaphors of Anger, Pride and Love, 83. Vgl. KAHAL, sub , 565. Vgl. CAD N/1, sub napištu, 299 und DULAT 2, sub npš, 628 sowie Exkurs 1 und die zur Bedeutungsdarstellung angegebene Literatur. Näheres dazu in Kap. 4.3.2 Seybold, Psalmen, 244. Zenger, Ps 62 (Hossfeld/Zenger, Psalmen 51–100.HThKAT), 181. Vgl. Zenger, Ps 62 (Hossfeld/Zenger, Psalmen I.NEB), 373–376; Seybold, Psalmen, 243–246; Fohrer, Psalmen, 193–197 (der Ps 62 allerdings unter die Klagelieder einordnet, aber das Vertrauen dennoch als im Vordergrund stehend ansieht); Vette, Ps 62 (Oeming/Vette, Psalm 42–89), 127–132.
156
Die Bedeutungen des Wortes
eigenen Nöte und Anliegen. Das Herz bezeichnet hier also nicht das Organ an sich, sondern – über die ihm zugesprochene Funktion des Denkens131 – die (unausgesprochenen) Anliegen und Nöte der Personen. Dies ist natürlich recht nah an der Bedeutung von in 1 Sam 1,15, aber durch die Nennung des Herzens wird der Aspekt der Rationalität deutlicher betont, zumal es in Ps 62,5 für die Gedanken steht. Noch ähnlicher ist der Ausdruck ,das Herz hinschütten‘ in Klgl 2,19 der Verwendungsweise des Ausdruckes ,die næfæš hinschütten‘ in 1 Sam 1,15.132 Hier steht er im Rahmen einer Klageaufforderung. wird in diesem Vers in der Bedeutung ,Leben‘ verwendet wird. Klgl 2,19 " ! # a b b 133 Steh auf, klage in der Nacht, am Anfang der Nachtwachen, schütte hin wie Wasser dein Herz (leb) vor dem Angesicht des Herrn. Erhebe zu ihm deine Hände um des Lebens (die næfæš) deiner Kinder willen, [die vor Hunger schwach werden an allen Straßenenden].
Angesprochen ist hier laut V.18 die Stadtmauer der Tochter Zion, die als Metonymie für das personifizierte Zion „unter dem Aspekt des Schutzes, den sie ihrer Bevölkerung und besonders den Kindern nicht mehr bieten kann“134 , steht. Parallel zum ,Hinschütten des Herzens‘ ist die Klage in der Nacht und das Handerheben, also Flehen, um das Leben der Kinder genannt. Das Erheben der Hände zu Gott, das dabei gefordert wird, ist ein typischer Gebetsgestus, der nicht nur im AT belegt ist, sondern auch aus der Umwelt des AT
131
132 133
134
Vgl. zur Bedeutungsbreite des Wortes Krüger, Herz, 91–106 (bzw. 103–118 im Sammelband von Wagner, Anthropologische Aufbrüche); Wolff, Anthropologie. 2010, 75–101, Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 33–40; Janowski, Herz, 6–40; Stolz, Art. , passim und Fabry, Art. , 420–449. Vgl. zu in 1 Sam 1,15; Ps 62,9 und Klgl 2,19 auch Bester, Körperbilder, 167– 168. a: Lies mit vielen Handschriften und dem Qere: ; b–b: Dieser Teil des Verses ist eventuell eine Glosse, die erläutert, wieso es nötig ist, um das Leben der Kinder zu flehen. Näheres hierzu bei Salters, Lamentations, 174–175; Kraus, Klagelieder, 38 und Berges, Klagelieder, 129. Berges, Klagelieder, 162.
Die Bedeutungen des Wortes
157
bekannt ist.135 Das ,Hinschütten des Herzens‘ bezeichnet also das Vorbringen der Sorgen und Rettungshoffnung/-wünsche vor Gott.136 Dass es bei Funktionszuschreibungen von Körperteilen Überschneidungen geben kann, ist nicht ungewöhnlich. Bei einigen Körperteilen verwundert dies wenig, z.B. ist es direkt einleuchtend, dass sowohl die Lippen als auch die Zunge mit dem Sprechen in Verbindung gebracht werden. Bei anderen ist es für uns hingegen schwieriger nachzuvollziehen, dass sie sich in den ihnen zugesprochenen Funktionen berühren. Das Herz und die Kehle haben in unserem Denken kaum Berührungspunkte. Am ehesten berühren sie sich vermutlich darin, dass ihre Verwundung tödliche Folgen hat. Bei den Funktionszuschreibungen im Hebräischen scheinen sie sich aber auch im Bereich des Verlangens bzw. Voluntativen137 zu berühren. Dies führt – über unerfülltes Verlangen/Wollen zu Kummer und Not – dazu, dass beide Lexeme in dem gerade betrachteten Ausdruck vorkommen können.138 Allerdings steht dabei nicht für die Kehle als Körperteil, sondern hat eine (über eine metonymische Bedeutungserweiterungskette erhaltene) andere Bedeutung [Kehle < Verlangen < Bedürfnisse < Bereich im Menschen, der für Kummer (aus unerfüllten Bedürfnissen) zuständig ist]. Wie diese jedoch am treffendsten ins Deutsche zu übersetzen ist, mit ,Seele‘, ,Selbst‘, ,Inneres‘, oder ,innerer Bereich der für die Emotionen zuständig ist‘/,Gemüt‘, kann hier noch nicht entschieden werden. Die Frage wird aber später erneut zu thematisieren sein. Fünf Verse vor der oben besprochenen Stelle, 1 Sam 1,15, wird Hannas Verzweiflung folgendermaßen ausgedrückt: 1 Sam 1,10 Und sie war bitterer næfæš und betete zu JHWH und weinte sehr.
Aus dem Kotext, d. h. aus der geschilderten Kinderlosigkeit Hannas und den daraus folgenden Kränkungen durch die andere Frau ihres Mannes sowie dem folgenden Gebetsinhalt, dem innigen Flehen um ein Kind, lässt sich
135
136 137 138
Vgl. Wagner, Hand, 1.1. Aus dem mesopotamischen Raum sind sogenannte „Handerhebungsgebete“ erhalten, in denen eine Person ihre Not vor einer Gottheit beklagt, die diesen Namen tragen, weil sie mit „KA.INIM.MA ŠU.IL2.LA2 dX.KAM/“ unterschrieben sind. Vgl. Zgoll, Kunst des Betens, 21–23 und (insb.) zum Vergleich dieser Handerhebungsgebete mit den biblischen Klageliedern Zernecke, Vain Flattery, passim und Zernecke, Gott und Mensch in Klagegebeten, passim. Vgl. zu Klgl 2,19 Salters, Lamentations, 172–175; Kraus, Klagelieder, 48; Berges, Klagelieder, 162–164. Vgl. zur Willensfunktion des Herzen die in Anm. 131 genannte Literatur. Vgl. hierzu den Vergleich der Lexeme in Kap. 5.2.3.1.
158
Die Bedeutungen des Wortes
schließen, dass /,bittere næfæš‘ die Verzweiflung und Bitterkeit Hannas über ihre Lage ausdrückt.139 Die Verbindung des Adjektives (1) (bitter, vgl. z.B. Ex 15,23)140 mit næfæš ist noch in 10 weiteren Versen belegt. Auch im folgenden Beleg ist damit bittere Trauer bezeichnet. Ez 27,31 ! Und deinetwegen scheren sie sich eine Glatze und gürten Trauergewänder um, und weinen um dich mit bitterer næfæš bittere Tränen.
Allerdings kann die Verbindung der beiden Wörter auch zum Ausdruck von Verbitterung verwendet werden. 2 Sam 17,8
% & # & " % ! ' ' # $ !"
Und Huschai sagte: Du weißt, dein Vater und seine Männer, fürwahr, sind Helden und bitterer næfæš sind sie wie eine der Jungen beraubte Bärin auf freiem Feld. Und dein Vater ist ein Krieger und er hält keine Nachtruhe mit dem Volk.
Auch mit dem Verb @@8 wird verbunden, was ebenfalls aus Trauer resultierende Verbitterung ausdrückt: 1 Sam 30, 3–6
! # #" # " ! $ ! 141 $ " " $ ! " # 3
Als David und die Männer in die Stadt kamen, sieh, da war sie im Feuer verbrannt und ihre Frauen und Söhne und Töchter gefangen weggeführt. 4Da erhoben David und das Volk, das bei ihm war, ihre Stimmen und weinten bis in ihnen keine Kraft mehr zum Weinen war. 5Auch die beiden Frauen Davids waren gefangen weggeführt worden, Ahinoam, die Jesreelitin, und Abigajil, die Frau Nabals, die Karmelitin. 6Und David geriet in Bedrängnis, denn das Volk besprach ihn zu steinigen, denn bitter war die næfæš des ganzen Volkes, eines jeden wegen seiner Söhne und Töchter. Aber David stärkte sich bei JHWH, seinem Gott.
139 140 141
Vgl. Dietrich, 1Samuel 1–12, 43–50, bes. 43 und zum Kotext auch die weitere in Anm. 123 zu 1 Sam 1,9–15 genannte Literatur. Vgl. KAHAL, sub I, 320. Lies mit vielen Handschriften und dem Qere: .
Die Bedeutungen des Wortes
159
Es bleibt nun aber zu fragen, was in dieser Verbindung bezeichnet. Möglich wäre, dass eine körperliche Empfindung hinter diesem Ausdruck steht, also dass ein bitteres Empfinden in der Kehle zur Bezeichnung einer Emotion wurde.142 Im Deutschen können wir auch sagen, dass jemandem eine Angelegenheit sauer aufgestoßen ist und damit die Enttäuschung und den Ärger einer Person ausdrücken. Hier ist die körperliche Empfindung, die genannt wird, um eine Emotion auszudrücken, also ebenfalls die eines saueren/bitteren Gefühls/Geschmacks (durch den Magensaft in der Speiseröhre, d. h.) in der Kehle. Gegen diese Deutung spricht aber zum einen, dass im engen erzählerischen Zusammenhang zu 1 Sam 1,10, in 1 Sam 1,15a, das ,Ausschütten der næfæš‘ für das Vorbringen des Kummers steht und somit wohl auch in Vers 10 eher an eine mit dem Kummer in Verbindung gebrachte (innere?) Größe gedacht sein dürfte. Zum anderen spricht dagegen, dass Bittersein auch ohne die Erwähnung der næfæš mit demselben Verb bezeichnet werden kann. Rut 1,20–21a
! ! 20
Und sie sagte zu ihnen: Nennt mich nicht Noomi, nennt mich Mara, denn Schaddai hat mich sehr bitter gemacht. 21aIch ging mit Fülle und JHWH ließ mich leer wiederkehren.
Zudem spricht die Verwendung des Ausdrucks ,bitterer næfæš sein‘ in Spr 14,10 gegen eine Herleitung aus dem bitteren Geschmack in der Kehle. Spr 14,10
Ein Herz (leb) kennt die Bitterkeit seiner næfæš und in seine Freude mischt sich kein Fremder (ein).
Der Ausdruck steht hier antithetisch parallel zur Freude. Beides, Freude und Bitterkeit der næfæš, sind Objekte, Subjekt des Satzes ist das Herz. Dies spricht dagegen, hier als Bezeichnung des Körperteils Kehle zu verstehen. Das Herz ist ebenfalls nicht primär als Organ im Blick, sondern in seiner ihm zugesprochenen Funktion als Sitz der Gedanken und auch der inneren Selbsterkenntnis. Die Gesamtaussage des Verses ist also, dass nur man selbst den eigenen Kummer voll erfassen kann, er anderen ebenso wie das positive Gefühl nur bedingt mitteilbar und zugänglich ist.143
142 143
So z. B. Dürr, Gurgel, 266. Vgl. auch Dietrich, Samuel 1, 43. Vgl. Fuhs, Sprichwörter, 99; Fox, Proverbs 10–31, 576; Waltke, Proverbs 1–15, 590 und Sæbø, Sprüche, 205.
160
Die Bedeutungen des Wortes
Aber wie genau sollte man in Belegen wie 1 Sam 1,15 nun übersetzen, mit Seele, Gemüt oder Innerem? Die endgültige Beantwortung dieser Frage muss erneut noch etwas verschoben werden, denn dafür sind weitergehende Analysen nötig, die in Kap. 5 erfolgen. Die umstrittene Wiedergabe ,Seele‘ wird aber bereits am Ende dieses Kapitels noch einmal thematisiert. hat also über eine metonymische Bedeutungserweiterung die Bedeutungen ,Hunger‘, ,Verlangen‘ bzw. ,Gier‘ [Kehle < Verlangen]. Über eine weitere metonymische Bedeutungserweiterung folgt daraus auch die Verwendung für die Bedürfnisse und den (aus unerfüllten Bedürfnissen folgenden) Kummer sowie die gerade an 1 Sam 1,15 dargelegte Verwendung. In diesem Unterkapitel wäre eigentlich auch noch die bekannte Formel „mit ganzem leb(ab)/Herzen und ganzer næfæš“ (z.B. Dtn 6,5) zu erörtern. Da aber auch die Frage, was darin bedeutet, erst nach den folgenden, weiteren Untersuchungen zu den zentralen Elementen des Konzeptes beantwortet werden kann, wird ihre Erörterung ebenfalls erst in Kap. 5.3 erfolgen. Hier ist nun als nächstes eine weitere und sehr breit belegte funktionalabstrakte Bedeutung des Wortes zu betrachten.
4.3.2 Leben(-skraft) kann ,Atem‘ bedeuten. Dabei ist aber, wie der folgende Beleg verdeutlicht, der Übergang zur Bedeutung Lebenskraft fließend: 1 Kön 17,21–22
21
Dann beugte er [Elija] sich dreimal über das Kind und rief zu JHWH und sagte: JHWH, mein Gott, lass doch die næfæš dieses Kindes in sein Inneres zurückkehren! 22Und JHWH erhörte die Stimme Elijas, und die næfæš des Kindes kehrte in sein Inneres zurück, und es lebte.
Interessant für die Wortbedeutung ist der weitere Kotext, denn in diesem wird vom Tod des Kindes der Witwe, bei der Elija zu Gast war und das Elija hier wiederbelebt, mit den folgenden Worten berichtet: 1 Kön 17,17
17
Und nach diesen Begebenheiten wurde der Sohn der Frau, der Hausherrin, krank, und seine Krankheit wurde immer schwerer, bis kein Atem (nešmh) mehr in ihm verblieb.
Die Bedeutungen des Wortes
161
Die Wiederbelebung des Kindes, dessen Tod144 als Verschwinden des Atems beschrieben wird, erfolgt hier durch das Wiederkommen der . Es liegt daher nahe anzunehmen, dass dieses Wort hier ebenso auf die Atmung referiert. Allerdings lässt das Wechseln des Wortes doch die Vermutung zu, dass nicht nur das Wiedereinsetzen des Atems, sondern auch das Zurückkehren der Lebenskraft ausgedrückt werden soll, d. h. dass die Bedeutung des Wortes hier zwischen ,Atem‘ und ,Lebenskraft‘ changiert. Die Folge des Zurückkommens der ist ja gerade die Wiederbelebung des Kindes.145 In Jona 4,3 bezeichnet ebenfalls etwas, ohne das ein Mensch stirbt. Zudem ist es hier explizit etwas, das Gott den Menschen wegnehmen kann. Jona 4,3
Und nun JHWH, nimm doch meine næfæš von mir, denn mein Tod ist besser als mein Leben.
Die Aussage des Verses, insbesondere des letzten Halbverses, lässt keinen Zweifel daran, dass es um einen Todeswunsch geht146 und kein Weiterexistieren eines Teils des Menschen nach dem Tod im Blick ist. Gemeint ist also nicht die Seele, sondern die Lebenskraft/Lebendigkeit. Im folgenden Beleg steht die gegenteilige Aussage für ein (ungewolltes) Andauern des Lebens. 2 Sam 1,9 ! & $ $ " # Da sagte er zu ihm: Tritt doch zu mir und töte mich, denn ein Schwächeanfall hat mich ergriffen. Fürwahr, meine Lebenskraft (næfæš) ist noch ganz in mir.
Auch in Ps 141,8 bezeichnet etwas, das man verlieren kann: 144
145
146
Folgt man Sweeney, ist in der Erzählung der Junge nicht wirklich tot, sondern es handelt sich „nur“ um eine Heilung. ,Es war kein Atem mehr in ihm‘, beschreibe lediglich die Schwere der Krankheit; vgl. Sweeney, Kings, 215. Nach Thiel muss offen bleiben, ob ,es war kein Atem mehr in ihm‘ den Tod des Jungen oder nur eine Ohnmacht/Scheintod bezeichnet; vgl. Thiel, Könige, 70. Fritz betont dagegen, dass es sich im Erzählzusammenhang nur um eine echte Totenerweckung handeln könne; vgl. Fritz, erste Buch der Könige, 166. Cogan versteht den Vorgang als Wiederbelebung; vgl. Cogan, 1 Kings, 432. Tatsächlich sprechen die Reaktion der Mutter und Elijas (s. V.18 und 20) sowie die Folge seines Handelns (,und er lebte‘) eher dafür, dass hier die Wiederbelebung des Sohnes im Blick ist. Vgl. zu 1 Kön 17,17–22 Thiel, Könige, 69–77; Fritz, erste Buch der Könige, 165– 166; Sweeney, Kings, 214–216; Cogan, 1 Kings, 432–433 und Werlitz, Könige, 166– 168. Vgl. z. B. Jeremias, Joel, Obadja, Jona, Micha, 108; Deissler, Zwölf Propheten II, 163–164 und Sasson, Jonah, 283–286, der auch andere Todeswünsche im AT anführt und ihre Gründe darlegt.
162
Die Bedeutungen des Wortes
Ps 141,8–9 147 8
Fürwahr, auf dich, JHWH, mein Herr, (richte ich) meine Augen, bei dir suche ich Zuflucht, schütte meine næfæš nicht weg. 9Behüte mich vor den Bügeln (wörtl.: Händen) des Klappnetzes, das sie mir legten, und den Stellhölzern der Übeltäter.
Die Bitte an Gott steht im Kontext einer Gefahrenschilderung. Die Feinde des Psalmbetenden, in der Endgestalt des Psalmes ist dies David, werden bildhaft als Jäger, die Schlingen und Fallen zum Fangen der Beute auslegen, dargestellt. Die Bitte bezieht sich folglich auf die Bewahrung des Lebens. Aber wie ist sie zu übersetzen? Hossfeld betont, dass durch die doppelte Bedeutung des Wortes , nämlich ausleeren oder bloßlegen, und die Polysemie des Wortes zwei Übersetzungen möglich wären: „›lege meine Kehle nicht bloß‹ oder ›gieße mein Leben nicht aus‹“148. Im ersten Fall wäre die Kehle als besonders verwundbarer Körperteil im Blick, ähnlich wie im oben angeführten Ausdruck ,das Schwert nähert sich der Kehle‘ (Jer 4,10); im zweiten Fall das Ausgießen der Lebenskraft als Bild für die Preisgabe des Lebens des Betenden. Beide Wiedergabemöglichkeiten sind im Kotext plausibel. Dies zeigt erneut wie eng der Körperteil mit dem Leben verbunden sein kann. Evt. könnte ein Changieren der Aussage sogar bewusst gewollt sein. Dass allerdings auch im Akkadischen der Ausdruck ,Ausschütten (tbk) der napišt wie Wasser‘ für das Beenden des Lebens belegt ist,149 spricht m. E. doch eher für die zweite Deutung. Eine sinngemäße deutsche Übersetzung des Ausdrucks ist aber in beiden Fällen ,gib mich nicht dem Tod preis/ bewahre mein Leben‘. Für die ebenfalls in der Literatur zu findende Übersetzung ,gieße meine Seele nicht aus‘150 , d. h. die Wiedergabe des Wortes mit ,Seele‘, gibt es hier jedoch erneut keinen Anhaltspunkt. Der Betende bittet in diesen Versen aufgrund einer als bedrohlich empfundenen Lage um diesseitige/innerweltliche Lebensrettung und nicht um die Erhaltung eines den Körper überdauernden Elements. 147
148
149 150
LXX und eine Handschrift weichen hier von MT ab. Statt bieten diese die Variante bzw. die altgriechische Entsprechung , d. h. sie haben anders als MT hier eine Präposition vor dem Objekt. Zwar könnte MT durch eine Haplographie entstanden sein, aber wahrscheinlicher ist, dass die genannte, wenig bezeugte Variante durch eine Verbesserung des Textes bzw. Anpassung an den üblichen Textgebrauch entstanden ist. MT ist daher beizubehalten. Anders z. B. Kraus, Psalmen 60–150, 1108. Hossfeld, Ps 141 (Hossfeld/Zenger, Psalmen 101–150.HThKAT), 745 (zur Auslegung des Psalms vgl. 742–752 und Hossfeld, Ps 141 [Psalmen I.NEB, 853–856]). Vgl. auch Deissler, Psalmen, 545 („Gieße mein Leben nicht hin“). Vgl. CAD/N1, sub napišt, 299 und Steinert, Aspekte des Menschseins, 283. So z. B. Seybold, Psalmen, 523 und Kraus, Psalmen 60–150, 1107.
Die Bedeutungen des Wortes נֶפֶשׁ
163
Die Verbindung der Worte נֶפֶשׁund ערהliegt auch in Jes 53,12 vor.151 Jes 53,12 שׁר ֶהע ֱָרה ַל ָמּוֶת נַפְשׁוֹ ְו ֶאת־ ֶ שׁלָל תַּ חַת ֲא ָ ָלכֵן ֲא ַחלֶּק־לוֹ ב ַָרבִּים ְו ֶאת־עֲצוּ ִמים י ְ ַחלֵּק שׁעִים י ַ ְפגִּיעַ׃ ְ ֹ שׂא ְולַפּ ָ ְָא־רבִּים נ ַ שׁעִים נִ ְמנָה וְהוּא ֵחט ְ ֹפּ Darum gebe ich ihm Anteil unter den Großen und mit den Mächtigen wird er Beute teilen, dafür, dass er seine næfæš weggeschüttet hat zum Tod und sich zu Verbrechern zählen ließ, und er trug die Sünde vieler und für Verbrecher trat er ein.
Auch hier steht der Ausdruck für die Gefährdung des Lebens. Der Gottesknecht wird als jemand beschrieben, der sich unschuldig verurteilen lässt und dabei den Tod in Kauf nimmt.152 ( ערה נֶפֶשׁhier: Hif.) bezeichnet in diesem Vers somit das Opfern des eigenen Lebens.153 Im folgenden Beleg wird נֶפֶשׁmit dem Blut gleichgesetzt: Dtn 12,23 שׂר׃ ָ ַרק ֲחזַק ְל ִבלְתִּ י ֲאכ ֹל הַדָּ ם כִּי הַדָּ ם הוּא ַהנָּפֶשׁ וְֹלא־ת ֹאכַל ַהנֶּפֶשׁ עִם־ ַה ָבּ Nur halte fest daran, kein Blut zu essen, denn dieses Blut ist die næfæš und du sollst die næfæš nicht mit dem Fleisch verzehren.
Erstmals (in kanonischer Sicht gesehen) begegnet diese Forderung in: Gen 9,4 שׂר ְבּנַפְשׁוֹ דָ מוֹ ֹלא ת ֹאכֵלוּ׃ ָ אְַך־ ָבּ Nur Fleisch mit seiner næfæš, seinem Blut, sollt ihr nicht essen.
Gen 9,4 ist Teil der priesterschriftlichen Sintfluterzählung, genauer gesagt, der Neuordnung der Verhältnisse nach dem Ende der Flut. In Gen 9,3 wird die in Gen 1,29 geregelte Speiseordnung, die nur Pflanzen als Speise vorsah, um die Erlaubnis, tierisches Fleisch zu essen, erweitert.154 Allerdings gibt es eine Einschränkung, denn das Blut darf nicht mitverzehrt werden. Dabei wird נֶפֶשׁebenso wie in Dtn 12,23 mit dem Blut gleichgesetzt. Oberflächlich 151 152
153
154
Vgl. zu diesem Ausdruck in Ps 141,8 und Jes 53,12 auch Bester, Körperbilder, 174– 175. Vgl. Berges, Jesaja 49–54, 275–276; Blenkinsopp, Isaiah 44–50, 349.354–355; Goldingay/Payne, Isaiah 40–55 II, 329–330; Baltzer, Deutero-Jesaja, 535–543 und Zapff, Jesaja 40–55, 229–330. Interessant ist, dass נֶפֶשׁauch mit einem weiteren Verb, das ausschütten bedeuten kann, nämlich שׁפְךvorkommt. Diese Verbindung wurde bereits unter 4.3.1 anhand der Belegstelle 1 Sam 1,15 thematisiert und hat eine völlig andere Bedeutung. Vgl. Kap. 4.3.1. Vgl. zu Gen 9,4 Soggin, Genesis, 152–153; Schüle, Urgeschichte, 128–133 und Zimmerli, 1. Mose 1–11, 326–331.
164
Die Bedeutungen des Wortes
betrachtet verbietet Gen 9,4 einfach das Essen ungeschächteter Tiere, d. h. der Vers gebietet es, das Tier ausbluten zu lassen, bevor das Fleisch verwendet/verarbeitet wird. „Als urgeschichtlicher, d. h. mit Wesensaussagen arbeitender Text hat die Aussage jedoch eine tiefere Bedeutung“.155 Er zeigt auf, dass die næfæš der Tiere (und des Menschen, s. Gen 9,5) nicht in der Verfügungsgewalt des Menschen steht.156 In Lev 17,10–14 wird der Blutgenuss mit dem Verweis darauf untersagt, dass im Blut lokalisiert sei. Über die beiden gerade betrachteten Belege hinaus wird ausgeführt, dass das Blut für eine ganz bestimme Nutzung vorgesehen ist: Lev 17,11
# " $ & ! % ' "! ! $ 11
Denn die næfæš des Fleisches ist im Blut und ich (Gott) gebe sie euch für den Altar zum Lösen/Entsühnen eurer nafšot, denn das Blut ist es, das durch die næfæš Sühne erwirkt.
In diesem Vers wird die sühnende Wirkung des Blutes auf darin vorhandene zurückgeführt. Diese dient dazu, des Menschen zu entsühnen bzw. auszulösen. „Durch Schuld verwirktes Leben“ wird im Sühneritual „von der verdienten Strafe freigekauft.“157 bedeutet folglich hier und in den beiden gerade betrachteten Belegen Dtn 12,23 und Gen 9,4 jeweils Leben bzw. Lebenskraft.158 „Opferblut sühnt diesem Text zufolge durch das ihm innewohnende Leben des Opfertieres.“159 Auch in der folgenden, mehrfach belegten Wendung ist mit die Lebenskraft bezeichnet. 155 156 157
158
159
Brandscheidt, Art. Blutrache, 2.1. Vgl. Brandscheidt, Art. Blutrache, 2.1. und Zimmerli, 1 Mose 1–11, 326–330. Gerstenberger, Leviticus, 221 (beide Zitate). Vgl. zur Belegstelle 214–215 und 218 sowie 220–223. Auch Milgrom deutet diesen Vers so: „the life blood of an Israelite’s meat must be offered on the altar to ransom his life“. Nach Milgrom liegt die hier zu sühnende Schuld im Töten des Tieres, vgl. Milgrom, Exodus, 17–22, 1472–1475 (Zitat: 1473; kursiv von Milgrom). Anders versteht Hieke Lev 17,11, der ein solches „fast magisches Verständnis“ ablehnt und vermutet, dass nur eine Materie, die Leben enthält, als zur „Kommunikation mit dem lebendigen Gott“ tauglich angesehen werde konnte, vgl. Hieke, Levitikus 16–27, 636 und zur Belegstelle 614–615 und 630– 636. Staubli betont, dass das Tier der Sühnepreis sei, aber nicht „anstelle des schuldigen Menschen dargebracht“ werde, vgl. Staubli, Levitikus Numeri, 147 (Zitat ebenfalls: 147). Vgl. zur Deutung der Rolle des Blutes in Sühneritualen auch Eberhart, Sühne (AT), 2.1.2 und zur Diskussion um die Bedeutung des Blutes Hartenstein, Bedeutung des Blutes, passim, bsd. 133–137. Die Vorstellung, dass im Blut (Lebens-)Kraft ist, ist auch für andere antike Kulturen belegt. Vgl. hierzu die Beispiele bei Zimmerli, 1. Mose 1–11, 328 und Seebass, Urgeschichte, 224. Eberhardt, Art. Sühne, 2.1.2.
Die Bedeutungen des Wortes
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Rut 4,15
" ! 160 Und er wird für dich einer sein, der deine næfæš zurückbringt und dich im Alter versorgt, denn deine Schwiegertochter, die dich liebt, hat ihn geboren, die für dich mehr wert ist als sieben Söhne.
Angesprochen ist hier Noomi. Der Sohn ihrer Schwiegertochter Rut und Boas’, deren Lösers, wird als einer, der ,ihre næfæš zurückführen ( im Hifil) wird‘ bezeichnet. In der Lutherbibel von 1984 wird dieser Ausdruck mit ,der wird dich erquicken‘ übersetzt. Ein ,Zurückbringen der Lebenskraft‘ wie im oben besprochenen Fall des reglosen Sohnes der Witwe ist hier nicht im Blick, denn Noomi lebt ja noch. Allerdings war ihre Versorgung aufgrund des Todes all ihrer Söhne ernsthaft gefährdet. Nun hat sie im Sohn Boas’, der als Nachkomme ihres Sohnes gezählt wird, jemanden, der die Aufgabe der „konkreten materiellen Versorgung Naomis“161 übernimmt, somit ihr Weiterleben sichert bzw. ,ihre Lebenskraft zurückbringt/sie am Leben erhält‘, ihre Gefährdungssituation damit beendet und ihr eine Zukunftsperspektive eröffnet.162 In Ps 19,8 und 23,3 ist Gott es, der die næfæš zurückführt, d. h. am Leben erhält bzw. die Lebenskraft wieder stärkt (in 23,3 Polel statt Hifil).163 Auch im folgenden Beleg bedeutet der Ausdruck ,am Leben erhalten‘. Klgl 1,11 a # " ! 164 Ihr ganzes Volk seufzt, sie suchen nach Brot, sie geben ihren Schmuck für Nahrung, um ihre næfæš/Lebenskraft zurückzuführen = sich am Leben zu erhalten.165 Sieh, JHWH, und schau her. Fürwahr, ich bin wertlos.
160
161 162 163
164 165
Der Codex Leningradensis bietet hier eine grammatikalisch falsche Verbform: . Zahlreiche Handschriften und mehrere Editionen des hebräischen Alten Testaments lesen hingegen die korrekte Form . Aufgrund dieser breiten Bezeugung ist daher nicht von einer Korrektur seitens dieser Textzeugen, sondern von einem Fehler im Codex Leningradensis auszugehen und somit zu lesen. Köhlmoos, Ruth, 81. Vgl. zu Rut 4,13–17 Frevel, Rut, 145–156, Köhlmoos, Ruth, 80–84; Scharbert, Rut, 27 und Fischer, Rut, 249–258. Vgl. zu diesem Ausdruck und einem potentiellen Gegenstück in Mari Safren, Restoreth my Soul, 265–271. Qere (MT): . So auch zahlreiche Handschriften. Vgl. zur Textkritik Salters, Lamentations. Diese Wiedergabe ist auch in neueren Kommentaren gängig. Z.B. Salters ( Lamentation, 34) übersetzt den Ausdruck ebenso (to keep themselves alive) und verweist auf die vergleichbaren Aussagen in V.16 und 19. Auch Berges (Klagelieder, 87) übersetzt ,am Leben bleiben‘. Kraus wählt zwar die Übersetzung ,Leben gewinnen‘,
166
Die Bedeutungen des Wortes
Im folgenden, sehr bekannten Beleg, der sogenannten Talionsformel, zeigt sich, wie eng der Körperteil Kehle auch direkt mit dem (gefährdeten) Leben zusammengedacht werden kann: Ex 21,23–24 Aber wenn Schaden entsteht, gib næfæš für næfæš; Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß.
In der Reihung der Körperteile Auge, Zahn, Hand und Fuß ist es wahrscheinlich, dass die körperliche Bedeutung ,Kehle‘ vom Schreibenden und Lesenden bzw. Hörenden im Hintergrund mitgedacht wurde. Im Vordergrund steht hier aber die Bedeutung Leben [KÖRPERTEIL FÜR FUNKTION]; fordert man nämlich die Kehle eines Menschen/Tieres, so fordert man sicher sein Leben. Ob /,Leben für Leben‘ in Ex 21,23–24 aber bedeutet, dass man einen Menschen, der getötet hat, mit dem Tod bestrafen soll, oder ob eher an eine Ausgleichszahlung gedacht ist, ist umstritten. In Lev 24,18, wo die Tötung eines Nutztieres, das einem anderen gehört, thematisiert wird, und sich die Formel auf das Leben von Tieren bezieht, ist aber sicher, wie explizit im Kotext gesagt wird, an den Ersatz des Tieres gedacht.166 Dass für das gefährdete Leben steht, begegnet im AT häufig. Breit belegt ist z.B. die Wendung 167, wörtlich: die næfæš suchen:
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nennt aber ebenfalls ,die Lebenskraft zurückführen‘ als wörtliche Wiedergabe. Vgl. Kraus, Klagelieder, 21.30–31. Vgl. Propp, Exodus 19–40, 225–226. Dieser interpretiert ,Leben für Leben‘ folgendermaßen. Wenn im in Ex 21,22 geschilderten Fall – eine schwangere Frau wird bei einem Handgemenge streitender Männer verletzt – die Frau zu Tode kommt, sehe diese Rechtsvorschrift ein Todesurteil vor. Dies falle nicht unter die „Unfallregelung“ in Ex 21,13, da hier keine echter Unfall, sondern die ungewollte Folge von Feindschaft thematisiert werde. Anders z. B. Grünwaldt, der ,Leben für Leben‘ im Sinne einer Ausgleichszahlung auffasst, u. a. weil sonst ein Widerspruch zu Ex 21,13 gegeben sei. Vgl. Grünwaldt, Art. Recht, 4. Fischer/Markl beziehen Ex 21,23–25 nicht auf den Fall der Frau, sondern sehen darin allgemeine Bestimmungen für vergleichbare Vorkommnisse. Diese seien wohl wörtlich verstanden worden, wie die Parallele in Lev 24,20 nahelege, in späterer Rechtspraxis aber auf Ersatzleistungen bezogen worden. Vgl. Fischer/Markl, Exodus, 250. Dohmen betont, dass der Fall zeige, dass „das Talionsprinzip eindeutig in den Kontext von Schadensersatz hineingehört und dessen Angemessenheit beim Ausgleich regelt“. Es gehe also nicht um Vergeltung. Da aber bei bleibenden, schweren körperlichen Verletzungen oder gar Tod kein Ersatz mehr möglich ist, sei nur noch die negative Entsprechung als Ausgleich angemessen. Vgl. Dohmen, Exodus 19–24, 165 (Zitat ebenfalls: 165) mit Verweis auf Schenker, Versöhnung, 54. Siehe Ex 4,19, 1 Sam 20,1; 22,23; 23,15; 25,29, 2 Sam 4,8; 16,11, 1 Kön 19,10.14, Jer 4,30; 11,21; 19,7.9; 21,7; 22,25; 34,20–21; 38,16; 44,30; 46,26; 49,37, Ps 35,4;
Die Bedeutungen des Wortes
167
Ex 4,19 !" " " % $ % " #
Und JHWH sprach zu Mose in Midian: Geh, kehre um nach Ägypten, denn alle Männer, die deine næfæš suchten = dir nach dem Leben trachteten, sind gestorben.
1 Kön 19,10 $ # " # $ & ( ! ' ' % ! Und er (Elija) sprach: Ich habe sehr geeifert für JHWH, den Gott Zebaot, denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen, sie haben deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert erschlagen und ich alleine bin übriggeblieben und sie suchen meine næfæš = trachten mir nach dem Leben, um es zu nehmen.
Einmal wird die Wendung jedoch in einem positiven Sinn verwendet: Spr 29,10
Männer der Blutschuld hassen den Schuldlosen, aber die Aufrichtigen suchen seine næfæš.
In dieser Gegenüberstellung des Verhaltens zweier Gruppen steht das Verhalten der Aufrichtigen antithetisch zu dem der Blutschuldigen. Somit kann im zweiten Halbvers nur ein für den Unschuldigen positives Verhalten im Blick sein. Die Bedeutung von weicht hier also vom normalen, gerade dargestellten Gebrauch (Tötungsabsicht) deutlich ab; gemeint ist hier, dass die Aufrichtigen das Leben des Unschuldigen fördern/schützen. In Est 7,7 wird die Kombination des Verbes mit als Objekt um eine Präposition erweitert, was die Bedeutung natürlich ebenfalls verändert: Est 7,7 " & % & $ # ! %
38,13; 40,15; 54,5; 63,10; 70,3; 86,14. Einmal, in Koh 7,28, ist Subjekt des Verbes : ! & # $ ! " " % ( " Was ich (meine næfæš) immerzu suchte (bqš), aber ich nicht fand: Einen Mann unter tausend fand ich, aber eine Frau unter diesen allen fand ich nicht. Hier fungiert als Metonymie für die eigentlich handelnde Person (KÖRPERTEIL FÜR PERSON). Siehe dazu Kap. 4.4.
168
Die Bedeutungen des Wortes Und der König erhob sich in seiner Wut von der Weintafel (und ging) in den Garten des Palastes, aber Haman blieb, um um seine næfæš (= sein Leben) zu bitten/ersuchen bei Ester, der Königin, denn er sah dass das Unglück gegen ihn vom König beschlossen war.
Auch im folgenden Beleg bezeichnet das gefährdete Leben eines Menschens: Ri 12,2–3 %# ! # $ "
2
Und Jiftach sprach zu ihnen: Ich hatte einen schweren Streit (wörtl.: ein Mann des Streites war ich), ich und mein Volk, mit den Ammonitern und habe euch gerufen, aber ihr habt mich nicht aus ihrer Hand gerettet. 3 Da sah ich, dass du keine Hilfe bist, und legte meine næfæš in meine Handfläche und zog gegen die Ammoriter und JHWH gab sie in meine Hand. Und weshalb zieht ihr hinauf zu mir an diesem Tag/heute, um mit mir zu kämpfen?
Die Verse 2–3 stellen Jiftachs Antwort auf den Vorwurf des Aufgebots der Efraimiter dar, er habe sie beim Kriegszug übergangen und sei ohne sie in den Krieg gezogen. Sie drohen ihm daher, sein Haus zu verbrennen.168 Er rechtfertig sich ihnen gegenüber damit, dass er sie gerufen habe, sie ihn aber nicht aus der Gewalt (Hand) der Ammoniter gerettet haben und auch keine Hilfe gewesen seien. Daher habe er ,seine næfæš in seine Handfläche gelegt‘ und sei ohne die Efraimiter gegen die Ammoniter gezogen. Der Ausdruck steht also für das Riskieren des eigenen Lebens (so auch in 1 Sam 19,5; 28,21 und Ijob 13,14). Hinter diesem bildhaften Ausdruck steht wohl die Vorstellung, dass etwas „in der offenen Hand schutzlos und leicht angreifbar“ ist.169 In 2 Sam 23,17a geht es ebenfalls um das Riskieren des Lebens. 2 Sam 23,17a # " !
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Groß merkt zu Recht an, dass dies ein kleines Ziel für ein ganzes Stammesheer ist. Butler verweist darauf, dass auch die ganze Familie und nicht das Haus gemeint sein könnte. Vgl. Groß, Richter, 611 und Butler, Judges, 293–294. Vgl. zu Ri 12,1–7 Groß, Richter, 611–615; Görg, Richter, 69–70 und Butler, Judges, 293–297. Vgl. Fohrer, Hiob, 250 (Zitat ebenfalls: 250) und Gradl, Hiob, 145. Demgegenüber steht das Einwicklen, also sicher Verbergen des Lebens für Schutz (1 Sam 25,29). Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik, 48.
Die Bedeutungen des Wortes
169
Und er sagte: Das sei fern von mir, JHWH, dies zu tun. Ist es nicht (quasi) das Blut der Männer, die mit ihren nafšôt hingegangen sind? Darum wollte er es nicht trinken.
Dieser Halbvers ist Teil einer Erzählung über drei Helden Davids. Diese dringen in das Lager der Philister ein, um Davids Bitte nach Wasser aus dem Brunnen vor dem Tor Betlehems zu erfüllen, was ein lebensgefährliches Unternehmen ist. David verwendet das Wasser jedoch als Trankopfer, statt es zu trinken, obwohl in 2 Sam 23,15 sein Durst als Auslöser der Heldentat geschildert wird. Seine Begründung dafür ist, dass es wie das Blut dieser Helden sei. Blut darf nicht verzehrt werden, sondern dient als Opfer (vgl. z.B. Lev 17,10). Das Wasser gilt David als Blut der Helden, weil sie für dieses ihr Leben riskiert haben. Der Ausdruck ,mit seiner næfæš‘ hingehen bedeutet hier also ,unter Lebensgefahr‘.170 Man kann aber im Gegensatz dazu auch ,um seine næfæš laufen‘. 1 Kön 19,3 ! " Und als er (das) sah, machte er sich auf und lief um sein Leben (nafšô) und kam nach Beerscheba, das zu Juda gehört, und ließ seinen Diener dort.
In den beiden diesem Vers vorangehenden Versen wird davon berichtet, dass die Königin Isebel Elija eine Todesdrohung über einen Boten zukommen lässt.171 Aus diesem Kotext ist direkt ersichtlich, dass Elija weggeht, um einem brutalen Tod zu entgehen. ,Um seiner næfæš willen zu gehen‘, bedeutet also ,zu gehen, um sein Leben zu retten‘. Im Kontext von Rettung bezeichnet im AT – wie in Est 7,7 und Spr 29,10 – ebenfalls häufig das Leben einer Person. Jer 39,18 # ( % " " ' ! $ & & % Fürwahr, ich werde dich gewiss retten und durch das Schwert wirst du nicht fallen, sondern deine næfæš (= dein Leben) wird deine Beute sein, denn du hast auf mich vertraut. Spruch JHWHs.
Diese Zusage JHWHs gilt laut V.16 dem Kuschiten Ebed-Melech, der nach 38,7–13 Jeremia das Leben gerettet hat. Sie folgt auf eine Unheilsansage an Jerusalem und die Zusage, dass Ebed-Melech nicht in die Gewalt der von ihm gefürchteten Männer fallen wird (Jer 39,16–17). Der Grund dieser Zusa170
171
Vgl. zu 2 Sam 23,13–17 Hentschel, 2 Samuel, 103; Auld, Samuel, 599–600; Schroer, Samuelbücher, 195; Stoebe, Samuelis, 500–503 und Caquot/Robert, Samuel, 622– 623. Vgl. zu 1 Kön 19,1–3 Thiel, Könige, 240–247; Fritz, erste Buch der Könige, 174– 176; Sweeney, Kings, 230–231 und Werlitz, Könige, 175–176.
170
Die Bedeutungen des Wortes
ge, das Gottvertrauen Ebed-Melechs, wird erst am Ende von V.18 genannt. V.18a verspricht ihm, dass er gerettet und V.18a, dass er nicht durch das Schwert fallen, d. h. nicht gewaltsam getötet wird. V.18b ist zwar eine inhaltliche Fortführung, aber anders als V.18a nicht als Negation einer negativen Aussage, sondern als positive Aussage gestaltet. ,Seine næfæš als Beute erhalten‘ ist also das Gegenteil von ,getötet werden‘ und bedeutet somit ,sein Leben als Beute zu erhalten‘, d. h. ,am Leben bleiben‘.172 Oft ist jedoch, wie in Gen 32,31, nicht klar zu entscheiden, ob das Leben einer Person oder diese selbst (unter dem Aspekt der Lebendigkeit) bezeichnet wird.173 Dies ist wenig verwunderlich, denn auch im Deutschen kann man fast völlig synonym davon sprechen, dass jemand sich selbst oder sein Leben gerettet hat, wenn der Kontext der Aussage eine lebensbedrohliche Situation ist. Dann kann nämlich das Leben einer Person metonymisch für diese unter dem Aspekt der gefährdeten Lebendigkeit stehen. Die konzeptuelle Metonymie KÖRPERTEIL FÜR PERSON „funktioniert“ nicht nur bei Körperteilen und Organen, sondern auch bei anderen „Teilen/Elementen“ des Menschen wie z.B. im Deutschen mit Geist, Leben oder Seele.174 Gen 32,31 " " " #!
172
173 174
Vgl. zu Jer 39,15–18 Schmidt, Jeremia 21–52, 230–231 (Dieser übersetzt den Ausdruck ,deine næfæš als Beute erhalten‘ ebenfalls mit ,dein Leben als Beute erhalten‘); Fischer, Jeremia 21–52, 348.359–360 (,dein Leben wird dir zur Beute sein‘); Schreiner, Jeremia 25,15–52,34, 220 und Lundbom, Jeremiah 37–52, 96–105 (,and your life will be your booty‘). Vgl. hierzu auch Kap. 4.4 und Kap. 5.2.2.4. Z.B. könnte man in den folgenden Beispielen aus dem DWDS (Zugriff am 07.11.14) die Audrücke ,sein/ihr Leben retten‘ und ,sich selbst retten‘ austauschen und würde den Gesamtsinn nicht verändern: „Und als die Russen nach Berlin kamen und die Stadt schon besetzt war, warfen zwei fünfzehnjährige Hitlerjungen ihre restlichen Handgranaten aus dem Fenster, und das Haus Frobenstraße 13 wurde mit Panzerkanonen zusammengeschossen. Mein Großvater überlebte und rettete sich aus dem brennenden, einstürzenden Haus. Mit einer zerrissenen Hose und angesengten Hausschuhen an den Füßen lief er nach Zehlendorf, viele Stunden lang, und suchte die Wohnung, in der ich zuletzt in Untermiete gewohnt hatte.“ Aus: Knef, Hildegard, Der geschenkte Gaul, Wien: Molden 1970, S. 14. „Als nämlich die Franzosen, ohne Warnung und ohne Angabe von Gründen, vorübergehend den Kanal plötzlich sperrten und die ganze alte Wassermenge wieder für kurze Zeit durch den Rhein ablaufen ließen. Damals kam das Wasser wie eine Sturzflut durch das Tal herab, ein Fischer ertrank, einige andere konnten nur mit Mühe und Not ihr Leben retten. Tags darauf war das Wasser wieder fort.“ Aus: Die Zeit, 24.07.1952, Nr. 30.
Die Bedeutungen des Wortes נֶפֶשׁ
171
Und Jakob nannte die Stelle Penuel. Fürwahr ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und meine næfæš wurde gerettet.
Dieser Vers ist Teil der Erzählung von Jakobs nächtlichem Kampf am Jabbok. Er folgt darin auf den Segen am Ende des Kampfes. Der zweite Teil des Verses ist als wörtliche Rede Jakobs gestaltet, der erkennt, dass Gott selbst sein Gegenüber war und er (dennoch) den Kampf, wenn auch mit einer Verletzung (vgl. V.32), überlebt hat.175 Dieses Überleben ist hier mit ,meine næfæš wurde gerettet ( ‘)נצלausgedrückt. Den hier dargelegten Bedeutungen ,Lebenskraft‘ und ,Leben‘ liegt ebenfalls eine metonymische Bedeutungserweiterung(-skette) zugrunde: Kehle (Organ des Atmens und der Nahrungsaufnahme) < Lebenskraft [KÖRPERTEIL FÜR FUNKTION] < Leben. Wie oben an Ex 21,23–24 gezeigt wurde, konnte die Kehle als leicht letal verwundbares Organ auch direkt mit dem Leben zusammengedacht werden (Kehle < Leben [KÖRPERTEIL FÜR FUNKTION]). Allerdings handelt es sich, wie die Belege zeigen, meist nicht um das Leben an sich, sondern um das Leben, das jemandem (Mensch/Tier) eigen ist, d. h. wie Janowski es treffend formuliert hat, um „das individuelle Leben“ bzw. „das in den Individuen [...] enthaltene Leben“.176
4.4
Körperteil für Person
Der hier darzustellenden Bedeutung ,Person/Mensch‘ bzw. der pronominalen Verwendung des (suffigierten) Wortes נֶפֶשׁliegt jeweils die oben skizzierte konzeptuelle Metonymie KÖRPERTEIL FÜR PERSON/MENSCH zugrunde. Diese betont, sofern sie nicht zu stark etabliert ist, bestimmte Aspekte des Menschseins bzw. bestimmt den Fokus, mit dem auf den Menschen/die Person geblickt wird.177 In diesem Kapitel wird aber zunächst nur die Möglichkeit, mit dem (suffigierten) Wort נֶפֶשׁauf eine Person bzw. einen Menschen (und ein Lebewesen) zu referieren, aufgezeigt. Ob diese Verwendung des Wortes den Sprechenden, Schreibenden und Hörenden noch als Metonymie erkennbar war und welche Aspekte des Menschseins ggf. betont werden, wird aufbauend darauf in Kap. 5 untersucht. 175
176 177
Vgl. zu Gen 32,23–33 Scharbert, Genesis 12–50, 221–223; Soggin, Genesis, 396– 400 sowie Seebass, Vätererzählungen II, 392–404 (Letzterer versteht allerdings den letzten Halbsatz nicht als adversativen, sondern als konsekutiven Nebensatz. „Wenn Jakob Gott von Angesicht zu Angesicht hat schauen und bestehen dürfen, dann wird seine näpäš in jeder Hinsicht gerettet sein, auch vor Esau.“, 397). Janowski, Konfliktgespräche, 205 (beide Zitate). Vgl. auch Bester, Körperbilder, 238–239. Vgl. hierzu Kap. 3.1.2 und 5.1.2.
172
Die Bedeutungen des Wortes
Manchmal changiert die Bedeutung des Wortes zwischen der Kehle und deren „Besitzer(in)“. Ez 4,14 ! # $
! ! " # Und ich sprach: Ach Herr, JHWH, Siehe meine næfæš ist nie unrein geworden und Aas oder Fleisch von einem zerrissenen Tier habe ich nicht gegessen von meiner Kindheit an bis jetzt, und in meinen Mund kam kein unreines Fleisch.
Der Kotext des Wortes macht deutlich, dass es hier um Verunreinigung durch unreine Speisen geht. Ezechiel betont, dass er nie solche zu sich genommen hat. Der Mund und die Kehle sind folglich als Körperteile, die an der Nahrungsaufnahme beteiligt sind, genannt. Allerdings soll hier durch die Nennung dieser Körperteile nicht ausgesagt werden, dass nur diese beiden rein geblieben sind, sondern die ganze Person. Eine Unreinheit einzelner Körperteile findet man im AT nicht. Der Mensch ist immer als ganzer von Unreinheit betroffen.178 ,Meine Kehle‘ ist somit eine Metonymie zur Bezeichnung der ganzen Person. Der Ausdruck ,in den Mund kommen‘ in V.14b bezeichnet dagegen den Vorgang des Essen und ist vermutlich aus stilistischen Gründen gewählt worden, weil das Verb 65+/,essen‘ bereits in V.14b verwendet wurde. Koh 6,2–3 $# " % (" $& ( $ " ! ( ' " " ! !$ " !$# !$
" ! " " 2
Ein Mann, dem Gott Reichtum, Vermögen und Ehre gibt und dem nichts für seine næfæš fehlt, von allem, was er sich wünscht, aber Gott erlaubt ihm nicht davon zu essen, sondern ein fremder Mann isst es – dies ist Nichtiges und ein schlimmes Leiden ist es. 3Wenn ein Mann hundert Kinder zeugte und viele Jahre lebte und sehr alt würde, aber seine næfæš sich nicht sättigen könnte am Guten – und sogar wenn das Grab noch nicht (gekommen) wäre – sage ich: Besser als er hat es eine Fehlgeburt.
Hier steht im Kontext von Essen und Sättigung. In V.2 wäre eine Übersetzung mit ,Kehle‘ möglich, wenn man bedenkt, dass sie manchmal dort genannt wird, wo wir eher ,Bauch‘ schreiben würden. Allerdings käme ebenso eine Wiedergabe mit ,Hunger‘ oder ,Verlangen‘ in Frage [KÖRPERTEIL FÜR FUNKTION]. Im folgenden Vers ist jedoch der eigentliche außersprachliche Referent des Sättigens die genannte Person selbst. ,Seine næfæš/seine Kehle‘ steht also für die Person und spiegelt somit sprachlich die konzeptuel178
Vgl. zu Reinheit und Unreinheit im AT Ego, Art. Reinheit, passim (Lit!).
Die Bedeutungen des Wortes
173
le Metonymie KÖRPERTEIL FÜR PERSON wider. Eine freie Wiedergabe mit ,sich‘ würde den Sinn der Aussage daher treffen. Auch im folgenden Beleg kann næfæš + Suffix mit einem Pronomen wiedergegeben werden: Ijob 6,6–7 ! 179 Isst man (etwa) Fades ohne Salz, ist da Geschmack am Schleim des Eibisch180 . Meine næfæš weigert sich (sie) anzurühren, sie sind wie verdorbenes Brot (wörtl: Krankheit des Brotes).
Im Kontext der Nahrungsaufnahme bzw. der Ablehnung von Nahrungsmitteln scheint eine Wiedergabe des Wortes mit ,Kehle‘ zunächst plausibel.181 Das Verb 9+8 bedeutet allerdings im Piel ,sich weigern (zu)‘ (vgl. z.B. Ex 4,23). Das Verb, das die verweigerte Handlung bezeichnet, steht im Infinitiv und wird häufig mit der Präposition angeschlossen.182 In Ijob 6,7 wird folglich mit dem Verb ;-: die Handlung bezeichnet, die vom Subjekt des Satzes, , verweigert wird. ;-: bedeutet im Qal ,berühren/mit Gewalt berühren/schlagen‘ (z.B. in Lev 5,2; Jos 9,19) und ,reichen bis‘ (z.B. Jes 16,8).183 Eine wörtliche Übersetzung des Halbverses würde folglich ,meine Kehle weigert sich anzurühren‘ lauten. Da die Kehle als Körperteil aber 179
180
181 182 183
MT: ,diese sind wie Krankheit meines Brotes‘ ergibt keinen Sinn. Vermutlich wurde versehentlich das 4 am Ende des vorletzten Wortes zusätzlich an das letzte angefügt. Lies daher: . So auch Groß, Ijob, 30. Dem Konjekturvorschlag, der in den Apparat der BHS aufgenommen wurde, zu folgen, ergibt m. E. auch keine befriedigendere Lösung. Liest man statt /8/ /8/1 (Qal, 3.P.fem Sing. von 7/1), muss man zusätzlich 4.5 statt 40.5 lesen und dieses gleichbedeutend zu in 39,35 verstehen, um einen sinnvollen Satz zu erhalten, oder die Korrektur ’6(,) vornehmen. Unabhängig davon, welchem der drei Vorschläge man folgt, wird aber aus dem Kotext deutlich, dass die Aussage betonen soll, dass Ijob nichts zu sich nehmen will. Vgl. zu den beiden genannten Konjekturvorschlägen und dem Verständnis des Verses im Kotext Horst, Hiob, 94.103. Dieser Ausdruck ist schwer zu übersetzen, denn es ist nicht ganz sicher, was der hebräische Ausdruck bedeutet. „Die jüdische Überlieferung von T bis Saadja denkt an Eiweiß und Dotter bzw. an den ,Saft des Dotters‘“ (Horst, Hiob, 103). Gray vermutet, dass Eiweiß die bekanntere Flüssigkeit gewesen sei und plädiert daher für diese Wiedergabe (vgl. Gray, Job, 171–172). Pope nimmt eine Verwandtschaft zum arabischen alm an, das einen weichen Käse bezeichnet, und übersetzt daher ,cream cheese‘ (vgl. Pope, 51). Mit alten Übersetzungen ist aber eher an eine Pflanze zu denken, wahrscheinlich den Eibisch, „der gegen 37 % Pflanzenschleim enthält“ und gegen Atemwegserkrankungen eingesetzt wurde. Vgl. Horst, Hiob, 103 (Zitat ebenfalls: 103). So z. B. Ebach, Hiob. Teil 1, 69. Vgl. KAHAL, sub 9+8, 275–276. Vgl. KAHAL, sub ;-:, 339.
174
Die Bedeutungen des Wortes
nichts verweigern kann und auch nichts aktiv anrühren, muss hier eine übertragene Verwendung oder eine andere Bedeutung vorliegen.184 Möglich wäre, dass für das Verlangen nach Essen/den Appetit steht185 oder ein Element im Menschen, das für diesen zuständig ist, bezeichnet. Aber auch in diesem Fall, wäre ein (ganz) wörtliches Verständnis nicht möglich, denn auch diese können nichts berühren. Da zudem in der Mehrheit der Belege des Verbes 9+8 das sprachliche Subjekt ein Mensch ist,186 ist davon auszugehen, dass der außersprachliche Referent des Ausdruckes in Ijob 6,7 der Sprecher, also Ijob ist. Das suffigierte Körperteillexem steht hier erneut metonymisch für diesen. Daher kann sinngemäß mit einem Personalpronomen übersetzt werden. 187 Die Bedeutung des Wortes kann zwischen dem Körperteil, der Funktion und der Person changieren: Ps 78,18
Und sie versuchten Gott mit ihren Herzen (= Gedanken/Wünschen), indem sie Essen für ihre (= des Volkes; kollektiv) næfæš forderten.
Dieser Vers ist ein Teil eines Rückblicks auf den Auszug aus Ägypten und die Wüstenwanderung. In den Versen 15–17 und 19–20 wird ausgeführt, dass obwohl Gott den Israeliten in der Wüste bereits Wasser gegeben hat, sie dennoch daran zweifeln, dass er sie auch mit Brot und Fleisch versorgen . kann.188 V.18b berichtet, dass sie in dieser Situation Essen forderten
Da die Kehle im AT mehrfach mit der Nahrungsaufnahme verbunden wird und auch parallel zu ,Bauch‘ stehen kann, könnte man hier durchaus ,für ihre Kehle‘ übersetzen. Da aber auch ,Hunger‘/,Verlangen‘ bedeuten kann, käme ebenso diese Wiedergabe in Frage (,zum Stillen ihres Hungers, ihres Verlangens‘).189 Jedoch sind die Israeliten als Subjekt des Forderns genannt. Daher ist es am wahrscheinlichsten, dass hier die Kehle als Organ der Nahrungsaufnahme metonymisch für die (hungrige) Person selbst steht und da-
184 185 186 187 188
189
Dies gilt auch für Ps 77,3, wo noch einmal Subjekt des Verbes 9+8 ist. Vgl. zu dieser Belegstelle Kap. 5.2.3.3. So z. B. Pope, Job, 51. Gray gibt in seinem Kommentar an, dass hier „,myself‘ or ,my appetit‘ or even ,my throat‘“ bedeuten könne; Gray, Job, 172. Vgl. Gen 37,35; Ex 4,23, 16,18; Num 22,14; Dtn 25,7; 1 Sam 28,23; 2 Sam 2,23; 1 Kön 20,35, 2 Kön 5,16; Jes 1,20; Jer 9,5; Hos 11,5; Ps 78,10; Est 1,12 u.ö. Vgl. z. B. Gross, Ijob, 30. Vgl. zu Ps 78 Seybold, Psalmen, 303–313; Hossfeld, Ps 78 (Hossfeld/Zenger, Psalmen 51–100. HThKAT), 414–443 und Ps 78 (Hossfeld/Zenger, Psalmen I.NEB), 438–449 (Beide übersetzen zwar mit ,Leben‘, Seybold führt aber in seinem Kommentar an, dass es der Hunger ist, der zum Murren führt.) sowie Vette, Ps 78 (Oeming/Vette, Psalmen 42–89), 202–211. So u. a. Deissler, Psalmen, 299.
Die Bedeutungen des Wortes
175
mit ausgedrückt werden soll, dass die Israeliten das Essen für sich selbst verlangten. Allerdings bezeichnet das suffigierte Wort bei weitem nicht nur im Kontext der Nahrungsaufnahme den Menschen bzw. referiert auf diesen wie ein Personal- oder Reflexivpronomen. Häufig changiert die Bedeutung von auch zwischen dem Leben und der lebenden Person: Jos 23,11 ! Und achtet um eurer nafšôt willen sehr darauf, JHWH, euren Gott, zu lieben
Im Kotext dieser Ermahnung an die Israeliten, in Jos 23,13b, steht die Drohung, dass diese im Falle einer Übertretung der Regel vom Erdboden vertilgt werden. Wer Gott nicht liebe und entsprechend handele, d. h. sich mit den Kanaanitern verschwägere/einlasse, werde also mit dem Leben bezahlen. Daher ist es durchaus plausibel, hier mit ,Leben‘ zu übersetzen. Allerdings ist , wenn man die vorhergehenden Verse betrachtet, ebensogut sinngemäß mit ,um eurer selbst willen‘ wiedergebbar, da das Einhalten der Ermahnung dem Menschen als ganzem zugutekommt, weil Gott dann weiterhin handeln wird, wie in den vorherigen Versen erläutert (V.9–10), nämlich zugunsten der Israeliten gegen andere Völker.190 Auch in den folgenden Versen legt sich die (freie) Übersetzung ,sich (selbst)‘191 nahe: Num 30,3–5
# # ! #
! # " ! 3 Ein Mann, der ein Gelüde ablegt für JHWH oder einen Eid schwört, eine Verpflichtung auf seine næfæš zu legen, soll sein Wort nicht brechen, dass er alles, was aus seinem Mund hervorgegegangen ist (auch) tue. 4Und eine Frau, die ein Gelüde ablegt für JHWH und sich eine Verpflichtung auferlegt im Hause ihres Vaters, während sie ledig ist 5und ihr Vater hört ihren Schwur und die Verpflichtung, die sie ihrer næfæš auferlegt hat, und ihr Vater schweigt dazu, dann gilt jeder Schwur, und jede Verpflichtung, die sie ihrer næfæš auferlegt hat, gilt.
Diese Rechtssätze unterscheiden bzgl. der Verbindlichkeit eines Gelübdes für JHWH bzw. einer beeideten Selbstverpflichtung zwischen Männern und 190
191
Vgl. zum Jos 23,1–16 Fritz, Josua, 227–232 (Dieser übersetzt hier , um eures Daseins willen‘); Görg, Josua, 103–105 (EÜ: ,um eures Lebens willen‘); Knauf, Josua, 187–191 (‘bei eurem Leben‘). So übersetzt z. B. Schmidt, Numeri, 181.
176
Die Bedeutungen des Wortes
Frauen.192 Bei Männern gelten diese generell. Bei ledigen Frauen kann der Vater diese hingegen noch, sobald er davon erfährt, aufheben; bei verheirateten Frauen hat der Ehemann dieses Recht. Die Frau lädt dann wegen der Nichteinhaltung keine Schuld auf sich. Schweigt der Vater bzw. Ehemann, so gilt der Schwur. Hindert er seine Tochter/Frau erst später daran, ihr Gelübde zu halten, trägt er ihre Schuld (V.7–9; 11–16). Schwüre von Witwen oder geschiedenen Frauen hingegen sind immer gültig (V.10).193 Interessant für die Frage, was das Wort in den Versen 3 und 5 bedeutet, ist aber nicht diese Unterscheidung zwischen Mann und Frau beim Schwören, sondern die unterschiedliche Formulierung in V.4 und 5, wo es um die Selbstverpflichtung der Frau geht: V.4 V.5
Beide Formulierungen bezeichnen denselben außersprachlichen Vorgang. Daran besteht aufgrund des Kotextes kein Zweifel. Im zweiten Fall (V.5) wird die Verpflichtung der Frau jedoch näher bestimmt durch den Zusatz /wörtl.: ,den sie auf ihre næfæš band‘ (ähnlich auch V.3 mit dem Mann als Subjekt). In diesem Vers ist nun nicht mehr die Frau selbst Subjekt, sondern ihr Vater, dessen Entscheidungsgewalt über die Gültigkeit der Gelübde seiner Tochter thematisiert wird. Dabei dient die Näherbestimmung dieser Schwüre als solche, die sie ihrer næfæš auferlegt hat, folglich dazu, zu zeigen, dass nicht der Vater, sondern die Tochter sich diese selbst auferlegt hat. Hinter dieser Verwendung des Wortes in dieser Bestimmung könnte vielleicht ein aus der Umwelt des AT bekanntes Schwurritual stehen. Man fasste sich beim Eid an die Kehle.194 Dies drückte vermutlich aus, dass man beim Bruch des Eides mit dem Leben bezahlen würde.195 Der Ausdruck ,bei seiner næfæš schwören ()‘ ist im AT jedoch nur von Gott belegt. Zudem schwört auch nur er bei sich selbst (z.B. Gen 22,16) oder seinem Leben („so wahr ich lebe“, z.B. Ez 18,3). Menschen schwören hingegen nicht bei ihrer næfæš oder ihrem Leben, sondern bei ihrem Gott/oder dessen Leben, sowie 192 193
194
195
Zum Unterschied zwischen Schwur und Gelüdbe vgl. Klein, Selbstverpflichtung, 168–175. Vgl. Seebass, Numeri, 276–282; Schmidt, Numeri, 181–183; Scharbert, Numeri, 120–121 und Staubli, Levitikus Numeri, 325–328. Zum Eid und zu Gelübden im AT vgl. Seebass, Eid, passim; Steymans, Art. Eid, passim; Flury, Eid/Schwur, passim; Preuß, Gelübde, passim. Vgl. Klein, Selbstverpflichtung, 81 und Steinert, Menschsein, 275: Z. B. Enuma eliš VI 98: ina A.MEŠ u3 GIŠ.I3 it-mu-u2 u2-lap-pi-tum nap-ša2-a-ti Sie leisten den Eid bei Wasser und Öl, sie berühren (ihre) Kehlen. Vgl. Shalom, Amos, 213 Anm. 1 und Klein, Selbstverpflichtung, 81–83.
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beim Leben des Eidnehmers bzw. der Lebendigkeit der næfæš des Eidnehmers.196 2 Kön 4,30 " # # $ ! % & Und die Mutter des Jungen sagte: So wahr JHWH lebt und so wahr deine næfæš lebt, wenn ich von dir lasse, ... Und er brach auf und ging hinter ihr her.
In Num 30,3.5 ist es daher wahrscheinlicher, dass die Art des Eides – es handelt sich wohl um ein „Enthaltungsgelübde“197 – zur Verwendung des Wortes geführt hat, da die næfæš eng mit dem Verlangen verbunden wurde.198 Diese steht hier – und auch im gerade angeführten Beispiel – erneut für die betreffende Person selbst [KÖRPERTEIL FÜR PERSON]. kann in Num 30,3.5 somit sinngemäß mit ,sich selbst‘ wiedergegeben werden. Auch in Selbstaufforderungen kann das Wort begegnen. Ps 146,1–2
1
Lobet JH, lobe, meine næfæš, JHWH. 2Ich will JHWH loben in meinem Leben, ich will für meinen Gott singen, solange ich bin.
Auf den „für die Hallel-Psalmen typischen Aufruf zum Lobpreis“199 , folgt hier die Aufforderung ,Lobe, meine næfæš‘.200 Wie das Lobgelübde in V.2 zeigt, ist jedoch eigentlich der Betende Subjekt des Lobens. Die zweite Auf196
197 198 199 200
Horst erklärt dies folgendermaßen. „In geläufiger Formel beruft man ihr [Gottheit] »Leben« beim E.[id], aber auch das des Königs oder des E.nehmers, doch nie das eigene. Nur Gott schwört bei sich selbst und seinem Leben. Mit solcher Invokation sollte ursprünglich wohl das E. Wort durch den Kontakt mit der fremden Lebenssphäre in seiner Lebenskraft gestärkt werden.“ Horst, Art. Eid, 350. Evt. ist aber etwas anderes im Blick und „das Leben Gottes oder eines Hochgestellten [steht] für die Macht E.bruch zu bestrafen.“ Steymans, Art. Eid, 1123. Klein nimmt dagegen an, dass die Formel mit ,so wahr JHWH lebt‘ nicht richtig wiedergeben wird, sondern mit ,JHWH lebt‘. Es handle sich um „eine Beschwörungsformel, die nicht an Schwüre gebunden ist.“ Weiter betont er, dass die Formel in Schwüren dazu diene, „ein segensreiches Wirken“ Gottes zu erreichen, „da der Schwörende ja das Vorhaben in die Tat umsetzen will. Freilich ist durch die Anbindung an die Sphäre von Leben und Tod ein Ausbleiben der Schwurerfüllung identisch mit dem Ausbleiben des Segens, was dann indirekt zum Fluch wird.“ Vgl. Klein, Selbstverpflichtung, 295– 316 (alle Zitate: 315). Schmidt, Numeri, 182. Was in Kap. 5.2.2.1 gezeigt wird. Seybold, Psalmen, 536. Dadurch ist ein intertextueller Bezug zu Ps 103 und 104 gegeben, „die wie Ps 146 das gütige Weltkönigtum JHWHs hymnisch feiern“; Zenger, Ps 146 (Hossfeld/Zenger, Psalmen 101–150.HThKAT), 816.
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forderung in V.1 stellt also eine Selbstaufforderung dar, mit der der Betende „den Lobruf auf sich selbst und den Vortrag seines Psalms bezieht“.201 ist also erneut eine Metonymie.202 Häufig ist (das suffigierte Wort) auch „einfach“ parallel zu einem Objektsuffix, wie z.B. im folgenden Beleg: Jes 43,3–4 ! ! & % $ & & " & & & # & ! 3
Fürwahr, ich bin JHWH, dein Gott, der Heilige Israels, dein Retter, ich habe Ägypten, Kusch und Seba als Lösegeld für dich gegeben. 4Weil du kostbar bist in meinen Augen und geehrt und ich dich liebe, gebe ich Menschen an deiner Stelle und Völker anstelle deiner næfæš.
steht hier im synonymen Parallelismus mit an deiner Stelle/ und bezieht sich folglich auf denselben außersprachlichen Referenten. kann somit ohne Änderung des Bezugspunktes mit ,an deiner Stelle/für dich‘ wiedergegeben werden.203 Allerdings ist es Ziel des Parallelismus membrorum eine Sache aus mehreren, leicht variierenden Blickwinkeln zu beleuchten.204 Daher kann davon ausgegangen werden, dass nicht nur die Vermeidung der Wiederholung der suffigierten Form Grund des Wechsels zu war, sondern das Wort hier gewählt wurde, weil die næfæš eng mit der (zu rettenden) Lebendigkeit des Menschen verbunden wurde.205 Häufig erscheint auch im Kontext bestimmter Emotionen oder Regungen als Subjekt.206 Die Angst/Not der næfæš wurde bereits angesprochen. Dies ist aber nicht der einzige emotionale Zustand bzw. die einzige Regung, in dessen/deren Kontext das Wort die Person bezeichnet. Näheres zu den Emotionen/Regungen, mit denen die næfæš verbunden wird, folgt in Kap. 5.2.2. Hier genügt daher zunächst ein Beispiel: 1 Sam 2,16
201 202
203 204 205 206 207
a 207
c b
Seybold, Psalmen, 536. Vgl. zu Ps 146,1–2 auch Zenger, Ps 146 (Hossfeld/Zenger, Psalmen 101–150.HThKAT), 816–817. Die Frage, ob dabei die Kehle aufgrund ihrer lautbildenden Funktion als Metonymie gewählt wurde oder es andere Gründe dafür gibt, wird am Ende des Kapitels 5.2.2.3 thematisiert und hier daher noch übersprungen. So auch Berges, Jesaja 40–48, 250. Anders z. B. Baltzer, Deutero-Jesaja, 207 (,Leben‘). Vgl. Wagner, Parallelismus membrorum, 15–16. Was in 5.2.2.4 gezeigt wird. Ähnlich wie andere Körperteillexeme, vgl. Kap. 5.2.2.1–5.2.2.3 und 5.2.3. a: Obwohl LXX mit 4QSama übereinstimmend von MT abweicht ( / ), spricht für MT, dass es sich um die kürzere Lesart handelt und zudem
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Und sagte der Mann zu ihm: „Räuchere gewiss als erstes das Fett und nimm dir dann nach dem Verlangen deiner næfæš“, antwortete er: „Nein, denn jetzt (gleich) gib (es) mir und wenn nicht, nehme ich (es) mit Gewalt.“
Der Sinn der Aussage des Mannes wäre auch mit der Wiedergabe ,nimm dir nach deinem (eigenen) Verlangen‘ getroffen. Die metonymische Verwendung des suffigierten Wortes anstelle des Suffixes der 2. Person Singular am vorherigen Nomen beruht vermutlich auf der Verbindung von Kehle und Nahrungsaufnahme.208
Exkurs 2: in der althebräischen Epigraphik Da zu den hebräischen Texten des Alten Testaments zeitgenössische, althebräische Epigraphik existiert, wäre eine Bedeutungsanalyse, die diese Funde nicht miteinbezieht, zu einseitig auf eine Quelle beschränkt und somit unvollständig. Daher soll in diesem Exkurs die Verwendung des Wortes in der althebräischen Epigraphik untersucht werden. In den bisherigen Funden ist es allerdings nur einmal belegt – in der Dialektvariante .209 Bei diesem Beleg handelt es sich um ein Ostrakon, das in Arad gefunden wurde und aufgrund Schrift, Fundumständen und Briefinhalt ins 6.Jahrhundert v. Chr. datiert werden kann.210 Die Vorderseite ist schlecht erhalten, der Text auf der Rückseite ist besser lesbar.
208 209
210
die Variante von LXX und 4QSama eine Verstärkung darstellt. Vgl. Hutzli, Hanna und Samuel, 105; anders aber z. B. Dietrich, Samuel 1, 112. b: Qere: . Auch 4QSama und LXX bieten diese Lesart. Daher ist das Qere zu lesen. Inhaltlich wären beide Varianten möglich. Vgl. hierzu und zu den weiteren, hier nicht erörterten textkritischen Anmerkungen zu diesem Vers Hutzli, Hanna und Samuel, 104–106; Dietrich, Samuel 1, 112. c: fehlt in 4QSama. Allerdings liegt damit eine Anpassung an den Fortgang der Erzählung, die gegenüber MT deutlich erweitert ist und schildert, dass das Fleisch genommen wird, vor; vgl. Hutzli, Hanna und Samuel, 105–106. Dietrich, Samuel 1, 112 vermutet, dass die Weglassung dazu dient, einen Anklang an die Schwurformel zu vermeiden. Näheres hierzu in Kap. 5. Diese Angabe folgt den beiden Konkordanzen Davies sowie, weil diese nur die Publikationen bis 2000 abdeckt, der Dokumentation neuer althebräischer Textfunde durch Renz in den Bänden der ZAH ab 1999 (Vgl. Davies, Ancient Hebrew Inscriptions Vol. 1, Davies, Ancient Hebrew Inscriptions Vol. 2 und Renz, Dokumentation neuer Texte, ZAH 12.13.14.15/16, jeweils passim). Vgl. zur Dialektvariante die Darstellung der Diskussion um die Herkunft/Erklärung dieser Schreibweise bei Steiner, Disembodied Souls, 137–139 (Lit!). Näheres zu den Gründen der Datierung Renz, Inschriften Teil 1, 389–393.
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Die Bedeutungen des Wortes Vorderseite (Wiedergabe nach Renz):
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