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German Pages 294 [296] Year 1922
Leitfaden der
Kinderheilkunde Für S t u d i e r e n d e und Ä r z t e Von
Dr. Walter Birk
o. ö. Professor der Kinderheilkunde an der Universität Tübingen
Erster Teil
Bonn A. M a r c u s
1922
& E. W e b e r s
Dr. jur. A l b e r t Ahn
Verlag
Säuglingskrankheiten Von
Prof. Dr. Walter Birk Vorstand der TTniversitäts-KinderkHnik zu Tübingen
Fünfte und
sechste
umgearbeitete
Auflage
1 0 . - 1 7 . Tausend Mit 26 Abbildungen , im Text
Bonn
1922
A. M a r c u s & E. W e b e r s Dr. jur. Albert Ahn
Verlag
A l l e R e c h t e , b e s o n d e r s das d e r Ü b e r s e t z u n g in f r e m d e S p r a c h e n , vorbehalten. Copyright 1922 by A. Marcus 4 E. Webers Verlag in Bonn.
Druck: Otto Wigand'sche Blichdruckerex G. m. b. H., Leipzig.
Vorwort zur ersten Auflage. Dieses Buch verfolgt rein praktische Ziele: es soll dem Studenten für das Studium und dem praktischen Arzt für die Behandlung der Säuglingskrankheiten als Leitfaden dienen. Gemäß dieser Bestimmung ist die Symptomatik und die Therapie ausführlich behandelt worden, während auf die Theorie nur soweit eingegangen wurde, als es zum Verständnis gewisser Krankheitsbilder unbedingt notwendig erschien. Bei der Darstellung des Stoffes habe ich mich von den Anschauungen leiten lassen, die ich einst vor Jahren als Assistent auf Ozernys Klinik gewonnen und seitdem auch selbst immer vertreten habe. K i e l , November 1913.
Birk.
Vorwort zur zweiten Auflage. Die erste Auflage dieses Buches hatte einen unerwarteten Erfolg, schon ein halbes Jahr nach ihrem Erscheinen machte sich eine neue Auflage nötig. Auch im Auslande fand es Beachtung: im Juli 1914 erschien eine französische Übersetzung, etwas später eine amerikanische, auch eine italienische, eine russische und eine japanische waren im
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Vorwort.
Sommer 1914 in Vorbereitung, ohne daß ich aber erfahren habe, ob sie wirklich erschienen sind. Aus Anlaß des Krieges war die Herausgabe der zweiten Auflage zunächst bis zum Frieden vertagt worden. Aber je mehr sich der Krieg in die Länge zog, um so größer wurde die Nachfrage, und um so häufiger trat die Verlagsbuchhandlung an mich heran mit der Bitte, die neue Auflage schon jetzt fertigzustellen. An der in dem Buche zum Ausdruck gebrachten Lehrmeinung habe ich auch in dieser neuen Auflage nichts geändert. Dagegen habe ich alles, was seit der ersten Auflage an neuen und vor allem gesicherten Tatsachen bekannt geworden ist, eingefügt. Auch ein kurzer Abschnitt über Zwillingskinder, über die fötalen Erkrankungen sowie eine Übersicht über die neuzeitige Säuglingsfürsorge — von der der Student auf der Universität kaum etwas hört, während er in der Praxis sich darin betätigen soll — ist hinzugekommen. Überhaupt wird, wer das Buch durchblättert, bemerken, daß fast auf jeder Seite die bessernde Hand des Autors gewaltet hat. Möge der zweiten Auflage derselbe Erfolg beschieden sein, wie ihn die erste gefunden hat. K i e l , im Mai 1916.
Birk.
Vorwort zur dritten Auflage. Die vorliegende dritte Auflage weist keine wesentlichen Änderungen auf. Ihr Erscheinen fällt mit dem Zeitpunkt zusammen, da das neue Deutschland sich aufzubauen beginnt.
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Vorwort.
Möge das Buch zu seinem Teile mit dazu beitragen, daß das neue Geschlecht, das nach den unermeßlichen Opfern des 4jährigen Heldenkampfes jetzt geboren wird, auch gesund erhalten werde. T ü b i n g e n , im April 1919.
Birk.
Vorwort zur vierten Auflage. Obgleich bei der letzten Drucklegung die Auflageziffer erhöht wurde, ist das Buch schon wieder vergriffen. Ich darf wohl das als einen Beweis ansehen, daß es seiner Bestimmung gerecht wird. Die neue Auflage weist an verschiedenen Stellen Einfügungen und Ergänzungen auf, wofür — um den Umfang des Buches nicht zu vergrößern — an andern Stellen der Text knapper gefaßt wurde. Wenn man manches andere, was in den letzten Jahren veröffentlicht wurde, vermißt, so hat das darin seinen Grund, daß ich mich noch nicht überzeugen konnte, daß diese neuen Ergebnisse nun auch dauernde Errungenschaften darstellen werden. T ü b i n g e n , Weihnachten 1919.
Birk.
Vorwort zur fünften und sechsten Auflage. Von der vierten Auflage erschien im Jahre 1921 ein unveränderter Abdruck. Die vorliegende neue Auflage hat eine weitgehende Neubearbeitung erfahren. Das war notwendig, weil sich im Laufe der letzten Jahre unsere Anschauungen in manchen
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Vorwort.
wesentlichen und zum Teil grundsätzlichen Punkten gewandelt haben. Diesen neuen Ergebnissen mußte die lehrbuchmäßige Darstellung angepaßt werden, und ich hoffe, daß mir das in einer für den Studenten verständlichen Weise gelungen ist. Inzwischen ist eine portugiesische Übersetzung für die südamerikanischen Staaten herausgekommen, eine ungarische Übersetzung ist im Erscheinen. T ü b i n g e n , im Juli 1922.
Birk.
Inhaltsverzeichnis. I. A b s c h n i t t Einleitung: Ernährung des gesunden Säuglings Die natürliche Ernährung Die künstliche Ernährung Schema zur Ernährung des Säuglings Die Physiologie und Pathologie des Stillens. Stillverbot, Stillunfähigkeit, Stillhindernisse, (Brustdrüsenentzündung) Technik des Stillens Abstillen des Kindes Die Pathologie der Ernährung des Brustkindes Unterernährung Überernährung Durchfälle Verstopfung Ammenhaltnng Nahrung des Säuglings Kolostrum Frauenmilch Kuhmilch Milchzusätze Stoffwechsel und Yerdauung Die Entwicklung des Kindes im ersten Lebensjahr
Seite
1 1 2 5 7 Stillschwierigkeiten
II. A b s c h n i t t . Die Besonderheiten des neugeborenen Kindes. Physiologische Eigentümlichkeiten Physiologische Gewichtsabnahme Stuhl und Harn beim Neugeborenen Harnsäureinfarkt Der physiologische Katarrh der Haut und der Schleimhäute . . . Brustdrüsenschwellung Die physiologische Gelbsucht der Neugeborenen Die Nabelwunde
9 13 15 16 16 20 22 25 27 29 29 30 32 33 37 42
47 47 49 49 50 50 51 52
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Inhaltsverzeichnis.
Die Pathologie dés neugeborenen Kindes. Mißbildungen Geburtsschädigungen
Seite
53 53
Asphyxie.
Geburtsverletzungen
Verletzungen des Schädelinhaltes, Lähmungen, Hämatom des Sternocleidomastoidens.
Erkrankungen des Nabels Absonderheiten der Nabelwunde Infektionen Die s e p t i s c h e n E r k r a n k u n g e n des N e u g e b o r e n e n . . . Icterus gravis Septische Durchfälle Nervöse Erscheinungen Krämpfe, Tetanusartige Zustände. Septische Blutungen Pyämische -Erscheinungen Pulmonale Erscheinungen Behandlung der Sepsis Verhütung, Behandlung. Skierödem Sklerem Blennorrhoe der Neugeborenen Pemphigus neonatorum Zwillingskinder Frühgeborene Kinder
56 62 63 63 67 69 70 72 74 75 76 77 83 83 83 84 86 86
III. A b s c h n i t t . Die Ernährungsstörungen des Säuglingsalters. Oberblick 95 Erntthrnn gsstörun gen ex alimentatione (Nährschäden). I. Milchnährschaden 96 Behandlang des Milchnälirschaaens 99 II. Mehlnährschaden 104 in. Barlowsche Krankheit 114 Ernährungsstörungen ex infectione. Art' und Bedeutung der Bakterien im Magendarmkanal des Säuglings 117 I. Toxikosen 121 Prophylaxe der Ernährungsstörungen 134 Ernährungsbehandlung 137 Medikamentöse und physikalische Behandlung 150 II. Parenterale Ernährungsstörungen 154 III. Ernährungsstörungen infolge enteraler Infektion 157 Ernährungsstörungen ex constitutione. I. Exsudative Diathese 158 II. Bachitis 172
Inhaltsverzeichnis. III. Anämie IV. Neuropathische Diathese 1. Neuropathie sens, strict 2. Spasmophilic 3. Pylorospasmus 4. Gewohnheitsgemäßes Erbrechen bei Säuglingen Ernährungsstörungen durch angeborene Fehler im B a u des Körpers. Hirschsprungsche Krankheit Angeb. Verschluß der Gallengänge örtliche Erkrankungen des Magendarmkanals außer den Ernährungsstörungen Soor, Stomatitis, Bcdnarsche Aphthen, Absonderheiten der Zunge, Zähnung, Darmgeschwüre, Invagination, Analrhagaden, Mastdarmvorfall, Leistenbrüche
XI Seite 183 187 187 190 200 207 211 215 215
IV. A b s c h n i t t . Die Krankheiten des Säuglingsalters Fötale Erkrankungen Thymusvergrößerung Chronische Infektionen. Angeborene Syphilis Tuberkulose Besonderheiten im Verlauf der akuten Infektionskrankheiten bei Säuglingen. Masern Diphtherie . "Windpocken Keuchhusten Seltenere Infektionen: Röteln, Scharlach, Typhus, Ruhr, Parotitis, Gelenkrheumatismus, Malaria, Erysipel, Meningitis pur. u. epid. Impfung Erkrankungen der Harnwege. Die Nierenbeckenentzündung Vulvovaginitis gonorrhoica Phimose, präputiale Adhäsionen, Hydrozele, Vulvitis, Balanitis, Kryptorchismus.
218 219 220 228
232 233 233 234 236 236 239 243
Herzerkrankungen im Säuglingsalter
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Erkrankungen der Luftwege Nasopharyngitis Mittelohrentzündung Nasendiphtherie Bronchitis Kapillärbronchitis Lungenentzündungen bei Säuglingen Bronchopneumonie Paravertebrale Pneumonie Kruppöse Pneumonie
246 24-7 250 251 253 254 258 258 261 262
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Inhaltsverzeichnis. Seite
Erkrankungen des Kippenfells 263 Empyem 263 Die dem Säuglingsalter eigentümlichen Störungen des Zentralnervensystems. Epilepsie 264 Hydrozephalie 266 Idiotie 267 Littlesche Krankheit 268 Myxödem und Mongolismus 269 Anhang. Mutterschutz und SäuglingsfUrsorge Sachverzeichnis
271 276
I. A b s c h n i t t .
Einleitung. „Wir bezeichnen ein neugeborenes Kind als gesund, wenn es von gesunden Eltern in mittleren Lebensjahren abstammt, ausgetragen und frei von wesentlichen Mißbildungen zur Welt kommt und imstande ist, unter dem Schutze schlechter Wärmeleiter sich auf der normalen Körpertemperatur zu erhalten." (Czerny-Keller.) Als Z e i c h e n d e r R e i f e eines Kindes gelten: Eine Länge von etwa 50 cm, ein Gewicht von rund 3250 g. Die Schädelknochen sind hart und liegen eng aneinander. Das Kopfhaar ist 3—4 cm lang. Das Wollhaar findet sich nur noch an den Schultern. Die Testikel liegen im Hodensack. Die Knorpel der Nase und des Ohrs fühlen sich knorpelartig an. Die Fingernägel sind hornartig und reichen bis zur Kuppe des Fingers. Das K ö r p e r g e w i c h t neugeborener Kinder schwankt innerhalb ziemlich großer Grenzen. Knaben sind im allgemeinen schwerer als Mädchen. Die späteren Kinder einer Mutter wiegen mehr als die Erst- und Zweitgeborenen. Die Grenzen des Geburtsgewichtes entfernen sich sowohl nach oben wie nach unten hin sehr weit' von dem obenerwähnten Durchschnittsgewicht: es gibt Kinder (Frühgeburten), die trotz eines Gewichtes von weniger als 1000 g lebensfähig sind, und es hat — wenn auch sehr selten — Kinder gegeben, die weit über 6 0 0 0 g wogen (11 500 g Crantz-Lebmacher, .11 300 g Ortega). Sie kamen allerdings — infolge der Geburtsschwierigkeiten — meist tot oder sterbend zur Welt. Uber 4000 g schwere Kinder pflegt tnan als „Riesenkinder" zu bezeichnen.
Die Ernährung des gesunden Säuglings. Die normale Ernährung eines Säuglings ist die an der Brust seiner Mutter — die n a t ü r l i c h e Ernährung. In nicht seltenen Fällen muß jedoch an die Stelle der Ernährung mit Frauenmilch die mit Kuhmilch (Ziegenmilch) treten, die sogenannte unnatürliche oder k ü n s t l i c h e Ernährung. B i r k , Ijeitfadnn der Säugflingdkrunkljeiten,
u, ß. Aufl.
1
2
1. Abschnitt.
Wird die natürliche Ernährung nicht ganz, sondern nur teilweise — bei 1 oder 2 oder 3 Mahlzeiten — durch die künstliche ersetzt, so spricht man von Z w i e m i l c h e r n ä h r u n g . Die natürliche Ernährung führt, von seltenen Ausnahmen abgesehen, immer zu einem guten und ungestörten Gedeihen des Kindes. Auch bei künstlicher Ernährung entwickeln sich viele Kinder vortrefflich. Aber neben Erfolgen gibt es hierbei zahlreiche Mißerfolge. Deshalb muß man als Arzt darauf dringen, daß bei jedem neugeborenen Kinde möglichst die Brusternährung eingeleitet wird, auch da, wo die Mutter voraussichtlich nur kurze Zeit wird stillen können. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die spätere künstliche Ernährung in solchen Fällen sich immer viel leichter durchführen läßt, wenn das Kind wenigstens die ersten 2—3 Wochen lang Frauenmilch erhalten hat, als wenn es gleich vom ersten Tage an künstlich ernährt wurde. Sehr gute Ergebnisse zeitigt meist auch die Zwiemilchernährung. Sie leistet unter bestimmten Verhältnissen sogar mehr als die ausschließliche Brusternährung (siehe S. 166). Sie ist überall a'a angezeigt, wo die Milchmenge der Mutter nicht ganz ausreichend ist, also bei Hypogalaktie, bei Zwillingskindern, bei einseitiger Brustdrüsenentzündung u. dgl., vor allem auch da, wo die Mutter im Erwerbsleben steht und tagsüber von ihrem Kinde getrennt ist. Bei Zwiemilchernährung wird das Kind morgens und abends, möglichst auch mittags an die Brust gelegt, während es zu den übrigen Mahlzeiten die Flasche erhält. Man kann es auch so machen, daß man bei jeder Mahlzeit das Kind erst an die Brust legt und ihm hinterher noch die Flasche gibt. Letztere Methode ist empfehlenswerter, wenigstens bei jungen Kindern, da bei ihr die regelmäßige Entleerung der Brüste, die notwendige Vorbedingung für die unverminderte Absonderung der Milch, weiter stattfindet. Die größte Gefahr bei der Zwiemilchernährung ist die, daß die Kinder — sobald sie mit der Flasche Bekanntschaft gemacht haben — sehr trinkfaul an der Brust werden, und daß infolgedessen die Milchabsonderung noch geringer wird, als sie zuvor schon war. I. Die natürliche Ernährung.
Das neugeborene Kind äußert zunächst noch kein Nahrungsbedürfnis. Wenn es nach der Geburt in sein Bett gelegt wird, verfällt es gewöhnlich in einen stundenlangen Schlaf. Erwacht es einmal, so genügt es, die Windeln zu wechseln, und es schläft wieder weiter. Erst am nächsten Tage pflegt sich das erwachende Hungergefühl mit mehr oder weniger lautem Geschrei anzukündigen. — Dieses in der Mehrzahl der Fälle zu beobachtende Verhalten hat dazu geführt, daß man nach Möglichkeit b e i a l l e n n e u g e b o r e n e n K i n d e r n am e r s t e n L e b e n s t a g k e i n e N a h r u n g zuführt. Nur wo es sich um ganz außergewöhnlich unruhige Kinder handelt gibt man ihnen im Löffel etwas mit einer Saccharintablette gesüßten (Fenchel- oder schwarzen) Tee.
s
Die Ernährung des gesnnden Säuglings.
Am z w e i t e n T a g wird das Kind der Mutter angelegt. Das geschieht am besten so, daß die Mutter sich etwas auf die Seite dreht, während das Kind parallel zu ihr gelegt und sein Mund der Brustwarze genähert wird. Viele Kinder fassen sofort die Warze und saugen an, ohne die geringsten Schwierigkeiten zu machen. Bei anderen aber geht es nicht so leicht, sondern sie schreien und toben herum und sind um keinen Preis der Welt zu bewegen, die Warze zu nehmen. In diesen Fällen muß mit zielbewußter Beharrlichkeit der Versuch des Anlegens fortgesetzt und das Kind regelmäßig alle 4 Stunden angelegt werden. In den ersten Tagen sind die Nahrungsmengen noch gering, 5—10—20 g bei einer Mahlzeit, sie steigern sich aber langsam, bis dann am 3. oder 4. Tag die Milch „einschießt" und den Kindern ausreichende Nahrungsmengen zur Verfügung stehen. Überläßt man die Kinder sich selbst, so stellen sich die meisten von ihnen so ein, daß sie alle 4 Stunden Nahrung verlangen. Und so vollzieht sich denn in der Folgezeit die Ernährung des gesunden Kindes in der Weise, daß es alle 4 Stunden (morgens 6 Uhr, 10 Uhr, 2 Uhr, 6 Uhr nachmittags und 10 Uhr abends), also 5mal täglich, angelegt wird. In der Nacht erhält es, wenn irgend möglich, keine Nahrung; bis es sich gewöhnt hat, durchzuschlafen, reicht man ihm höchstens im Löffel etwas Tee. Nur ausnahmsweise bewillige man ihm eine (sechste) Nachtmahlzoit. Die Größe der einzelnen Mahlzeit bleibt im allgemeinen der Selbstbestimmung des Kindes überlassen. Normale Kinder schlafen, wenn sie satt sind, an der Brust ein. Die Trinkdauer beträgt im Mittel 20 Minuten, sie soll nie über V2 Stunde betragen. Die Brust wird abwechselnd gereicht, erst die eine, bei der nächsten Mahlzeit die andere. Bei dieser Ernährung läßt man das Kind, bis es V« J a h r alt geworden ist. Im 6. M o n a t beginnt man mit der Zufütterung. Bevor das Kind des Mittags an die Brust gelegt wird, versucht man, ihm etwas G r i e ß s u p p e mit dem Löffel beizubringen. Sobald das Kind sich daran gewöhnt hat, läßt man des Mittags die Brustmahlzeit ganz weg und gibt nur die künstliche Mahlzeitl, der man dann auch bald etwas f e i n e s G e m ü s e (Spinat, Mohrrüben usw.) hinzufügt. Demnach erhält das Kind also vom 6. Monat ab: 4mal Frauenmilch, lrnal Beikost (Suppe und Gemüse, zusammen etwa 200 g). 1*
I. Abschnitt.
400 300 200
100
9000 900
800 700
600 8500 400 300 iOO
100
8000 900
800 700
600
7500 400 300
100 100
7000 900
800 700
600
6500 400 300
200 100
6000 900
800 "00
600
5500 400 300 200 ß sind, als d)aß sie echt wären. Sie sind Wasseransatz und daher gefährlich. Denn schon bei der geringsten Infektion', oft auch ohne erkennbaren Grund, fließt das Wasser ab, und1 es wird in 2—3 Tagen die Zunahme von ebenso vielen Wochen wieder fortgeschwemmt. Nur in einem letzten Drittel der Fälle erfolgt bei Buttermilch eine gute Genesung der Kinder mit glattem Übergang zu den üblichen Milchmischungen. So ist also die Behandlung einer Ernährungsstörung mit Buttermilch keine einfache Aufgabe. So gut ihre Wirkung in den ersten Tagen der Erkrankung ist, namentlich bei KindJern mit starken Wasserverlusten, so zweifelhaft ist ihr Wert im weitern Verlauf der Behandlung.
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Die E r n ä h r u n g s s t ö r u n g e n des Säuglingsaltei'. lesen, Nackensteifigkeit. Der K l o p f s c h a l l braucht keine Änderung zu erfahren, was ja bei dem meist geringen Umfang der Lungenherde nicht weiter verwunderlich ist. Aber selbst da, wo die Perkussion normale Verhältnisse ergibt, hat man doch häufig beim unmittelbaren Beklopfen mit einem Finger das G-efühl, daß eine vermehrte Resistenz besteht. Durch zusammenfließende größere Herde kann eine Schallverkürzung bzw. deutliche Dämpfung hervorgerufen werden. Bei der A u s k u l t a t i o n läßt sich häufig nichts weiter feststellen, als an einer umschriebenen Stelle etwas Bronchophonie beim Husten oder Schreien der Kinder. Bei längerem Bestehen nimmt diese dann einen leicht bronchialen Hauch an. In den meisten Fällen aber besteht deutliches Bronchialatmen, entweder rein oder von feinblasigem Rasseln begleitet — ein Befund, der sich je nach der Zahl der Verdichtungen nur an einer oder an mehreren Stellen der 17*
}
V.
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IV. Abschnitt.
Lunge erheben läßt, vorzugsweise — wie schon erwähnt — in den hinteren Teilen der Unterlappen, doch auch an der Lingula und den vorderen, unteren Teilen der rechten Lunge, seltener üher dem überlappen. Ebenso wie sie gekommen, klingt auch die Bronchopneumonie allmählich wieder ab. In den meisten Fällen gibt sie eine gute Prognose — in anderen führt sie zum Tod — in vielen nimmt sie einen langdauernden Verlauf an und führt zur c h r o n i s c h e n P n e u m o n i e über, die sich oft über Wochen hin erstreckt, unterbrochen durch gelegentliche kurze, fieberhafte Verschlimmerungen. Die D i a g n o s e der Bronchopneumonie stützt sich auf den Lungenbefund. Bei chronischer Pneumonie ist an Tuberkulose (Pirquetsche Reaktion) oder an erworbene oder angeborene Bronchiektasien zu denken. Auch durch multiple Abzeßbildung, wozu die Pneumonien des Kindesalters neigen (Wabenlunge), wird ein ähnlicher Auskultationsbefund hervorgerufen. Die P r o g n o s e richtet sich nach dem Allgemeinzustand des Kindes. Wo es sich um kräftige Kinder handelt, ist sie günstig zu stellen, selbst wenn es sich um eine ausgedehnte Erkrankung handelt. Bei ernährungsgestörten, ferner bei Kindern mit Rachitis, Masern und Keuchhusten ist sie zweifelhaft zu lassen, auch dann, wenn nur geringe Veränderungen nachweisbar sind. B e h a n d l u n g : Die Hauptrolle spielt wie bei allen Lungenerkrankungen die Wasserbehandlung: Morgens und abends gibt man ein Bad mit kaltem Überguß. Bei Neigung zu Herzschwäche (bläulichen Lippen, kühlen Gliedlmaßen und kiihier Nasenspitze) wähli. man kurze (381—40° C), heiße Bäder, bei sta.rker Unruhe und hohem Fieber kühlt man das Wasser, sobald das Kind sich darin befindet, merklich ab, dehnt das Bad auch lange aus, um das Fieber herabzusetzen und den Kindern Schlaf zu verschaffen. Um das Fieber bei längerem Verlauf zu beeinflussen, gebraucht man Pyramidon, lmal 0,1 oder 0,2 oder Aspirin, solubile 3mal 0,1. In der Zwischenzeit legt man 2stündlich gewechselte kühle (18° C) — bei schwachen Kindern etwas wärmere Wickel um die Brust. Als Medikament gibt man Liq. am. anis., Senega oder Apomorfin. Man läßt außerdem die Kinder viel herumtragen. Die Nahrung wird, wenn die Kinder sie nicht von selbst größtenteils verweigern, auf die
Die Krankheiten des Säuglingsalters.
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Hälfte beschränkt und durch Tee, Himbeerwasser und dergl. ersetzt. Tritt dann nach einigen Tagen Besserung ein, fällt das Fieber ab und beginnt die Lösung auf der Brust, so kann man auch zur Beförderung der Aufsaugung Narkotika an Stelle der Expektorantien geben: Pantopon- oder Kodeinsirup 3mal V2 Teelöffel. (Im akuten Stadium der Pneumonie ist Kodein nicht angezeigt, erst wenn die gefährliche Zeit vorüber ist, soll man Gebrauch davon machen.) Nach völligem Abklingen der Lungenerscheinungen gibt man zweckmäßig noch für einige Wochen Kreosotlebertran (1%). Weicht der Verlauf von diesem eben beschriebenen Gang der Krankheit ab, so wird man auch noch zu den übrigen der sonst gebräuchlichen Hustenmittel greifen müssen: Infus, rad. Ipecac. 0,2 : 8 0 , 0 Sirup. Alth. ad 100,0 zweistündlich 1 Teelöffel,
oder
Aminon. ohiorat. 0,5 : 90,C Sirup Iiquir. ad 100,0 zweistündlich 1 Teelöffel
Bei Kreislaufstörungen usw. verfährt man, wie beim Kapitel Bronchitis beschrieben. Die Serumbehandlung weist keine Erfolge auf, ebensowenig das Optochin. Die paravertebralen Pneumonien.
Diese Art der Lungenentzündungen zeichnet sich zunächst durch ihren S i t z vor den anderen Arten von Lungenentzündungen aus. Sie finden sich in den hinteren Lungenteilen, entlang der Wirbelsäule — paravertebral — und erstrecken sich streifenförmig über alle Lungenlappen von der Spitze bis zum unteren Lungenrand (deshalb auch S t r e i f e n p n e u m o n i e n genannt). Nach den Untersuchungen von Bartenstein und Tada an der Ozernyschen Klinik entstehen sie ans Kreislaufstörungen, d. h. aus kleinen Blutungen im Lungengewebe, die zunächst nur hie und da in einzelnen Alveolengruppen auftreten, sich dann durch Zusammenfließen vergrößern und dadurch zu den mit bloßem Auge erkennbaren Hypostasen werden. Bakterien oder entzündliche Erscheinungen spielen keine Rolle bei der Entstehung. Erst sekundär kann es zur bakteriellen Infektion kommen. Schwere Erkrankungen und dauernde Rückenlage des Kindes begünstigen das Auftreten der paravertebralen Pneumonien. Sie sind daher eine fast nie vermißte Begleiterscheinung der schweren akuten Ernährungsstörungen,
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IV. Abschnitt.
Klinisch machen sie wenig Erscheinungen. Nur bei längerem Bestand hinterlassen sie bei der Perkussion ein vermehrtes Resistenzgefühl, auch etwas Schallverkürzung. Auskultatorisch findet sich öfters ein feines Knistern bei der Inspiration. Sie lassen sich nur durch den Blick diagnostizieren: Die Kinder zeigen eine bestimmte Haltung des Brustkorbes, den g e h o b e n e n T h o r a x , d. h. eine abnorme Wölbung des Brustkorbes in seinen oberen vorderen Teilen, etwa in Höhe des Überganges von Manubrium in das Corpus sterni. Die paravertebralen Pneumonien treten nie selbständig auf, sondern nur im Gefolge einer anderen Erkrankung. Demgemäß ist ihre Prognose auch von der der Grundkrankheit abhängig. Ihre Behandlung besteht in der Behebung der Kreislaufschwäche, wie sie bei der Behandlung der akuten Ernährungsstörungen angegeben ist. Die kruppöse
Pneumonie.
öie ist bei Säuglingen selten und kommt erst gegen Ende des ersten Lebensjahres vor. Sie beginnt mit akut einsetzendem, kontinuierlich verlaufendem, hohem Fieber, das am 5. oder 7. Tage oder auch noch später kritisch bis unter rlie Norm absinkt. Befallen ist ein größerer, umschriebener Bezirk der Lunge, der aber keineswegs wie bei der typischen lobären Pneumonie einen ganzen Lungenlappen zu umfassen braucht. Vorzugsweise ist der rechte Oberlappen befallen. Von sonstigen Erscheinungen werden Krämpfe, Nackenstarre und andere zerebrale Erscheinungen beobachtet. Häufiger als man denkt, kommt es zur sog.- „zentralen" Pneumonie, bei der sich keinerlei auskultatorischer oder sonstiger Befund erheben läßt, wo aber das Röntgenbild eine dichte, sogar meist bis an das Rippenfell reichende Verdichtung anzeigt, und wo erst nach 3—4 Tagen als erstes nachweisbares Symptom Bronchialatmen in der Achselhöhle auftritt. Die Behandlung der kruppösen Pneumonie ist wie die der katarrhalischen. Ihre Prognose ist gut.
Die Krankheiten des Säuglingsalters.
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Erkrankungen des Rippenfelles. Die Pleuren werden bei Säuglingen selbständig oder im Verlauf oder nach Ablauf von Lungenerkrankungen befallen. Es finden sich fibrinöse, seröse, serofibrinöse und eitrige Pleuritiden. Die klinisch wichtigste Rolle spielen von diesen die eitrigen Rippenfellentzündungen, die E m p y e m e . Sie kommen bei Säuglingen häufiger zur Beobachtung als bei älteren Kindern. Das Empyem tritt vorzugsweise sekundär — metapneuraonisch — auf. Die Erscheinungen sind dieselben wie im späteren Alter: massive Dämpfung, vermehrtes Resistenzgefühl, zuweilen leichtes Hautödem über dem Sitz des Ergusses, abgeschwächtes oder aufgehobenes Atmen, fehlender Stimmfremitus, bei größern Ergüssen Rauchfußsches Dreieck auf der gesunden Seite, Verdrängung des Herzens, Erweiterung der befallenen Brustkorbhälfte, Verstrichensein der Zwischenrippenräume, an Stelle des abgeschwächten Atmens auch bronchialklingendes Kompressionsatmen. Bei längerem Bestehen tritt eine hochgradige Blässe der Kinder auf. öfters finden sich multiple kleinere, abgekapselte Empyeme, meistens jedoch einzelne größere, eitergefüllte Höhlen. Letztere zeigen ihren höchsten Stand nicht neben der Wirbelsaule, sondern in der hinteren Achsellinie. In dieser punktiert man auch, im 7. oder 8. Zwischenrippenraum, mit dicker kurzer Kanüle und großer, 10 ccm fassender Rekordspritze, oder mit einem dünnen Troikart. Wird Eiter nachgewiesen, so muß er unbedingt entfernt werden, nur kleinere Empyeme pflegen sich von selbst aufzusaugen. Die Entleerung des Eiters geschieht durch wiederholte, ausgiebige Punktionen oder durch Rippenresektion.
Die dem Säuglings alter eigentümlichen Störungen des Zentralnervensystems. Das augenfälligste und für den Laien alarmierendste Symptom der Erkrankungen des Zentralnervensystems im Säuglingsalter sind K r ä m p f e . Man teilt sie aus praktischen Rücksichten — wie beim Erwachsenen — ein in;
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I V . Abschnitt.
1. o r g a n i s c h e (symptomatische), d. h. mit sicheren anatomischen Veränderungen einhergehende. Dazu zählen alle diejenigen, die sich bei den verschiedenen Formen von Meningitis (seröser, eitriger, tuberkulöser) und Enzephalitis, ferner bei Hydrozephalus, hei Sklerosen und Defektbildungen des Gehirns (Porenzephalie), bei Lues und Geburtsverletzungen finden. 2. I n f u n k t i o n e l l e (idiopathische), d. h. solche, für die man keine bzw. noch keine anatomischen Grundlagen hat: a) die spasmophilen, b) die epileptischen. Außerdem werden als funktionell noch die terminalen Krämpfe sterbender Kinder und die Krämpfe bei ernährungsgestörten Säuglingen mit alimentärer Intoxikation angesehen. V o n a l l e n — organischen sowohl wie funktionellen — s i n d am h ä u f i g s t e n d i e s p a s m o p h i l e n , auf die im Kapitel „spasmophile Diathese", S. 190, ausführlich eingegangen ist. Eine zweite Eigentümlichkeit des Säuglingsalters ist die N e i g u n g zu s p a s t i s c h e n Z u s t ä n d e n der Muskulatur. W i r begegnen ihr in ihrer leichtesten Form bei der H y p e r t o n i e der Kinder mit Mehlnährschaden oder der neuropathischen Kinder mit habituellem Erbrechen. Ferner gibt es Säuglinge, die vollkommen normal erscheinen, nur diese eigentümliche R i g i d i t ä t der Muskeln aufweisen. Wenn nicht früher, so bemerkt man sie, wenn die Kinder zu laufen anfangen. Sie treten nicht mit der ganzen Sohle auf, sondern wollen immer auf den Fußspitzen laufen. Späterhin stellt s'ch häufig Strabismus ein, auch Reflexsteigerungen sind nachweisbar, und in der Schulzeit ergibt sich, daß bei einzelnen auch gewisse geistige Mängel bestehen. Diese Fälle leiten zu denjenigen über, bei welchen ausgesprochene Muskslspasmen vorhanden sind: Hydrozephalus. Mikrozephalie, Littlesche Krankheit u. a.
I. Epilepsie. Sie kommt bereits im Säuglingsalter vor, aber unverhältnismäßig viel seltener als in späteren Jahren. Die Diagnose auf Epilepsie wird man stellen müssen, wenn sieh einerseits kein Anhalt für eine organische Gehirnerkrankung erheben läßt, und anderseits die spasmophilen Erscheinungen dauernd fehlen. Aber die Epilepsie ist keineswegs bloß in diesem negativen Sinne gekennzeichnet, sondern sie weist auch bemerkenswerte positive Merkmale auf, durch die sie sich
Die Krankheiten des Säuglingsalters.
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namentlich von der Spasmophilie, von der sie in der Praxis am häufigsten abzutrennen sein wird, unterscheidet: Die epileptischen Anfälle treten unterschiedslos auf, sowohl bei Brustkindern wie bei künstlich genährten Säuglingen. Sie binden sich weder an einen bestimmten Zeitraum des Säuglingsalters noch an eine bestimmte Jahreszeit. Sie befallen infolgedessen die Säuglinge bereits in den ersten 2 Lebensmonaten, in denen die spasmophilen Krämpfe bekanntlich noch nicht vorkommen, und sie treten auch im Sommer auf, wieder im Gegensatz zu den spasmophilen. Sie erfolgen, ohne daß sich eine auslösende Ursache oder eine nebenherlaufende, anderweitige Krankheit findet, wie es bei der Eklampsie der Fall zu sein pflegt. Man kann im Gegenteil öfters beobachten, daß die Krämpfe vorübergehend ausbleiben, wenn schwere anderweitige Krankheiten — Masern, Ernährungsstörungen — auftreten. Der Verlauf der epileptischen Krämpfe ist im Säuglingsalter ein doppelter: bei dem einen Teil der Kinder treten in regelmäßigen Zwischenräumen Anfälle auf. Alle Tage, oder alle Monate oder alle Vierteljahre erfolgt ein Anfall, entweder immer von gleicher Art oder mit der Zeit sich mildernd zu „kleinen Anfällen". Frühzeitig beginnt das Zurückbleiben der geistigen Entwicklung. — In dieser Weise setzt sich die Epilepsie ununterbrochen fort und fühirt die befallenen Kinder noch im Verlauf der Kindheit in die Epileptikeranstalten. Wenn die Kinder an „kleinen Anfällen" leiden, so treten dieselben manchmal gehäuft auf, bis zu 20- oder 30mal am Tage, und bestehen dann in einem kurzen Sich-Strecken des Körpers, oder in einem schnellen Seitwärtsdrehen des Kopfes für einen kurzen Augenblick, oder ähnlichen Erscheinungen. Bei einem zweiten Teil aber erfolgt nach einigen wenigen Anfällen im Säuglingsalter eine jahrelange Pause, während der die Kinder den Eindruck ganz gesunder Menschen machen. Erst in der Schulzeit oder in den Entwicklungsjahren oder noch später bricht die Epilepsie von neuem aus, um nunmehr nicht wieder zu verschwinden. Die Prognose einer Epilepsie ist also mit großer Vorsicht zu stellen. Behandlung: 4mal 0,25 Bromnatr. am Tag, oder Luminal 0,1, jeden Abend 1 Dosis, bei starker Schlafsucht setzt man jeden 2. oder 3. Tag aus,
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IV. Abschnitt.
II. Hydrozephalus.
Der Wasserkopf kommt schon angeboren vor und beruht dann auf Entwicklungsstörungen oder fötalen Entzündungen des Gehirns bzw. der Gehirnhäute. Häufiger ist der erworbene Wasserkopf, bei dessen Entstehung vor allem Geburtsschädigungen des Gehirns, in späteren Lebensmonaten wiederum Entzündungen eine Bolle spielen. Auch Rachitis und Lues sind häufig von einem gewissen, Spina bifida meist sogar von einem sehr beträchtlichen Grad von Wasserkopf begleitet. Wo man sonst keinen Anhaltspunkt für die Entstehung findet, pflegt man familiären Nervenkrankheiten, dem Alkoholismus der Eltern, der Parasyphilis u. a. eine Bedeutung beizumessen. Durch die genannten Ursachen oder ihre Folgeerscheinungen kommt es zur Reizung des Ependyms der Plex. chorioid. und zur' g e s t e i g e r t e n B i l d u n g von Zerebrospinalflüssigkeit, oder zur Verlegung der natürlichen Abflußwsge des Liquors durch den Aquaeductus Sylvii, Foramen Magendii und Luschkae (z. B. durch Verwachsungen oder Narbenbildung nach Organisation alter Blutungen) und dadurch zu einer v e r m i n d e r t e n Aufsaugung des Liquors. An letzteres muß man denken, wenn bei Hydrozephalus die Lumbalpunktion nur geringe Mengen Liquors liefert.
Der Wasserkopf ist gekennzeichnet durch die fortschreitende Vergrößerung dies Hirnschädels infolge eines Ergusses in die Gehirnhöhlen (Hydrocephalus intern.), seltener in den Raum zwischen Schädeldach und Konvexität des Gehirns (Hydrocepli. externus). Im Verhältnis zu der oft monströsen Vergrößerung des Hirnschädeds erscheint der Gesichtsschädel auffallend klein. Die Augen nehmen eine eigentümliche Stellung ein: die Regenbogenhaut verschwindet zum Teil nach unten und dafür erscheint unterm obern Augenlid das Weifie der oberen Bulbushälfte. Das geistige Verhalten der Kinder bleibt dabei nieist ungestört, auch der übrige Körper, außer dem Schädel, braucht nicht mitbeteiligt zu sein. Auffallend ist nur häufig eine starke Magerkeit der Kinder mit Wasserkopf. Bei akuter Zunahme der Ventrikelflüssigkeit kann es zu schweren krampfhaften Zuständen, zur Starre des ganzen Körpers mit Opisthotonus, überkreuzten Beinen und Händen, Reflexsteigerungen usw. kommen. Bei längerem Bestehen kommt es zur ausgedehnten Erweichung der Schädelknochen. Die Prognose ist nicht immer schlecht. Sowohl von selbst, wie auch vielleicht unter dem Einfluß der Behandlung kann es zum Stillstand und zu einer Ausheilung kommen, die
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aber natürlich immer die Vergrößerung des Schädels bestehen läßt. Trotzdem können die Kinder gute geistige Leistungen aufweisen (Helmholz, Maler Menzel). B e h a n d l u n g : L u m b a l p u n k t i o n e n , die je nach dein Waclrsen des Schädelumfangs und der Spannung der Fontanelle in kurzen Abständen bis zu 20- oder 30mal wiederholt werden müssen. Bilden sich Verwachsungen im Lumbalkanal an der Stelle der Einstiche, so bleibt noch die V e n t r i k e 1 p u n k t i o u : man sticht an der hintern obern K a n t e des Stirnbeins ein und gelangt schon in ganz geringer Tiefe in den Ventrikel. Liefert die Lumbalpunktion eine zwar unter hohem Druck stehende, aber n u r geringe Menge Liquor, so besteht die Wahrscheinlichkeit, daß der Wasserkopf seinen Grund in einer Verlegung der Abflußwege des Liquors aus den Hirnhöhlen in den Subarachnoid'ealraum hat. Hier wird man auch mit Ventrikelpunktionen keinen Dauererfolg erzielen können. Hier ist die Anzeige f ü r den B a l k e n s t i c h gegeben. III.
Idiotie.
Die Idiotie ist eigentlich keine selbständige Krankheit, sondern die Folgeerscheinung von meningitischen und enzephalitischen Prozessen, von Geburtsverletzungen des Gehirns, von Entwicklungsstörungen desselben zur Fötalzeit u. a. Sie findet sich ferner bei einzelnen Erkrankungen, die wir nach der heutigen A u f f a s s u n g , als durch Störungen in der Funktion der Drüsen mit innerer Sekretion bedingt ansehen, also bei Mongolismus, Myxödem usw. Wenn man ein Kind mit Idiotie vor sich hat, so kann man oft nicht mehr feststellen, was f ü r eine E r k r a n k u n g ursprünglich vorgelegen hat, und man muß sich h ä u f i g genug mit der Diagnose „vitium cerebri" begnügen. Die nachgebliebene Idiotie aber ist meist sehr f r ü h feststellbar: bei einem normalen Kinde sehen wir, daß es im Alter von V» J a h r anfängt, vorgehaltene Gegenstände, die U h r oder ein brennendes Streichholz, zu fixieren, und den Gegenstand, wenn er bewegt wird, mit den Augen zu verfolgen. I d i o t e n aber f i x i e r e n n i c h t , g r e i f e n auch n i c h t , wenn man ihnen etwas hinhält. Sie haben auch k e i n e G e s c h m a c k s e m p f i n d u n g . Man p r ü f t dieselbe so, daß man dem Kinde erst einen Teelöffel Saccharinlösung, dann einen Teelöffel (lproz.) Chininlösung eingibt. Das normale Kind schluckt
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wohl das Saccharin, verweigert aber energisch das Chinin. Der Idiot schluckt beides. Auch S c h m e r z e m p f i n d u n g , durch Nadelstiche oder Kneifen in die Zehen geprüft, fehlt ihnen. Gegen Ende des ersten J a h r e s fangen normale Kinder an, als erste Anfänge des Sprechens Laute von sich zu geben, die kein Weinen bedeuten. Sie lassen sich auch bereits zur bewußten Entleerung von Stuhl und Urin „abhalten". Idioten lernen erst im 3. oder 4. J a h r e s p r e c h e n und werden noch viel später s a u b e r . Die Entwickelung des G e h e n s u n d S t e h e n s ist stark verzögert. Nur die wenigsten lernen im ersten J a h r e sitzen und den Kopf halten. Sie zeigen einen abnormen, weit über das Maß des physiologischen hinausgehenden S p e i c h e l f l u ß . Viele haben eine M a k r o g l o s s i e , halten den Mund stets offen und schnarchen infolge der H y p e r t r o p h i e d e s l y m p h a t i s c h e n K a c h e n r i n g e s , die nur selten bei Idioten vermißt wird. Das mangelnde Wachstumsbestreben des Gehirns findet seinen Ausdruck in einem f r ü h z e i t i g e n S c h l u ß d e r F o n t a n e l l e . Während normalerweise sich die Fontanelle erst nach dem 1. J a h r e schließt, ist sie bei vielen Idioten schon im 6. Monat zu. Dadurch kommt es zur M i k r o z e p h a l i e (Aztekenschädel). — Ein Teil der Kinder — die sog. torpiden Idioten — führen ein stilles, ruhiges Dasein. Sie trinken gut, und da sie stets ruhig sind, werden sie nicht ü b e r f ü t t e r t , erkranken infolgedessen auch nicht, und so sind sie körperlich meist in vorzüglichem Zustand. Das Gegenteil davon bilden die a g i l e n Idioten: Kinder mit ständiger motorischer Unruhe, mit grundlosem, stundenlangem Geschrei, eine Qual f ü r die Umgebung. Bei ihnen finden sich häufig Muskelspasmen, Krampfanfälle, Strabismus. Auch die E r n ä h r u n g macht Schwierigkeiten, es ist oft unmöglich, ihnen irgend etwas anderes als Milch beizubringen. Die Diagnose der Idiotie ist bei dieser Fülle von Erscheinungen sehr leicht zu stellen. Die Prognose ist ungünstig, die Behandlung eine rein symptomatische. I V . Littlesche Krankheit.
Unter Littleseher Krankheit versteht man die hochgradige Gliederstarre der Kinder, die sich oft, jedoch nicht immer, mit einer Beeinträchtigung der geistigen Leistungs-
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fäliigkeit vei'bindet. Die Steifheit beginnt sich bald nach der Geburt zu zeigen, sie befällt vorzugsweise die Beine, namentlich die Adduktorenniuskulatur der Oberschenkel. Sie läßt sich am besten zeigen, wenn man d.as Kind in der Schwebe hält — dann überkreuzen sich die Beine. Fast regelmäßig besteht Strabismus, Reflexsteigerungen, häufig Krämpfe und Idiotie. F ü r die Herkunft der Erkrankung macht man vielfach die Littlesche Trias — die s c h w e r e — die a s p h y k t i s c h e und die zu f r ü h e Geburt verantwortlich. In der Tat erkranken nicht selten Frühgeburten an „Little", aber für alle Fälle paßt diese Ätiologie nicht. P r o g n o s e : Im späteren Alter pflegt die Gliederstarre meist besser zu werden. B e h a n d l u n g : Im Säuglingsalter beschränkt man sich auf häufige, heiße Bäder, durch welche die Spasmen etwas gebessert werden, sowie auf vorsichtiges Massieren. In späteren Jahren gehören die Kinder dem Orthopäden. V.
M y x ö d e m und
Mongolismus.
Die Formen von Idiotie, die durch S t ö r u n g e n d e r D r ü s e n m i t i n n e r e r S e k r e t i o n bedingt sind, gehen mit typischen V e r ä n d e r u n g e n d e s Ä u ß e r n der Kinder einher. Die Kinder mit angeborenem Myxödem sind an ihrem gedunsenen, stupiden Gesicht, der dicken Zunge, der Sattelnase, der trockenen, abschilfernden Haut, dem inyxödematösen Fett, dem dünnen, struppigen Haar, dem Nabelbruch, Verstopfung, der tiefen Stimme und den früher genannten Erscheinungen der Idiotie zu erkennen. Sie reagieren prompt auf Schilddrüsentabletten, von denen man selbst jungen Kindern ohne jede schädliche Nebenwirkung täglich 1 Tablette (Thyraden Knoll zu 0,1 g) verabreichen kann. Das Äußere verändert sich unter der Schilddrüsenbehandlung sichtlich, aber betreffs der geistigen Leistungsfähigkeit werden die Kinder niemals zu vollwertigen Individuen. Häufiger als Myxödem ist M o n g o 1 i s m u s. Auch hierbei findet sich die charakteristische Veränderung des äußeren Habitus: die Lidspalte ist eng, geschlitzt und steht schief, nach außen und oben divergierend. Am inneren Augenwinkel zieht das obere Lid sichelförmig über das untere hinweg (Epikanthus). Außerdem finden sich Sattelnase, Schielen,
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IV. Abschnitt.
Mißbildungen des Ohres, kurze, stumpfe Finger, häufig angeborene Mißbildungen am Herzen. Am auffallendsten f ü r die Eltern, die den abweichenden äußeren Habitus oft gar nicht bemerken, ist die außerordentliche Hypotonie der Muskulatur und die Schlaffheit der Gelenkbänder, vermöge deren die Kinder die Gelenke nach allen Richtungen hin verrenken können. Mongolen sind meist fröhlicher Stimmung, im späteren Kindesalter für die Umgebung sehr possierliche Kinder. Sie weisen immer einen gewissen Grad geistiger Schwäche auf. Die Lebensaussichten sind für die Kinder ziemlich schlecht. Sie sterben zu einem großen Teil im Laufe der Kindheit, nur wenige kommen bis in die Entwickelungsjahre. Die Behandlung — meist mit Schilddrüsentabletten — ist erfolglos.
Anhang.
Mutterschutz und Säuglingsfürsorge. Die Entwicklung der Säuglingsfürsorge hat den Weg genomtaen, daß sie von der u r s p r ü n g l i c h e n v ö l l i g e n R e c h t l o s i g k e i t des Kindes, die im Altertum und in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt in der Unsitte der Kindesaussetzung ihren Ausdruck fand, zunächst fortschritt zu der Anerkennung des R e c h t e s d e s K i n d e s a u f s e i n L e b e n . Das geschah durch das Christentum und führte zur Einrichtung der mittelalterlichen Findelhäuser (Trier, Mailand, 787). Einen weiteren Fortschritt stellt die Umwandlung der Findelhäuser in Anstalten dar, die mit dem Kind a u c h d i e M u t t e r aufnahmen, und zwar zu dem Zweck, daß diese ihr Kind stille (Kaiser Josef II. von Österreich). So entwickelte sich langsam ein R e c h t d e s K i n d e s a u f s e i n e M u t t e r . Die Neuzeit endlich gab dein Kinde durch die Einführung des Vormundschaftswesens usw. auch bestimmte Rechte g e g e n ü b e r seinem Vater.
Weshalb unter den heutigen Verhältnissen die Fürsorge für bedürftige Mütter und Kinder notwendig ist, ergibt sieh aus Abb. 26. Man sieht, wie seit Jahren die Geburtziffer des deutschen Volkes in ständigem Absinken begriffen ist. Die Gründe dafür sind verschiedener Art: Lockerung der Sitten, Übergang zum Ein- und Zweikindersystem, Abnahme der Eheschließungen, Zunahme der Abtreibungen, gesteigerter Gebrauch von empfängnisverhütenden Mitteln usw. Wohl haben die Fortschritte der ärztlichen Kunst gleichzeitig ein Sinken der Sterbeziffer herbeigeführt, aber der Abfall der Geburtenkurve ist steiler als der der Sterblichkeitskurve. Ins Ungeheure sind die Verluste an Volkskraft d u r c h d e n K r i e g gestiegen. Und daß n a ch dem Kriege eine dauernde Besserung eintreten sollte, ist angesichts der allgemeinen Notlage und der weiter sinkenden Volksmoral sehr unwahrscheinlich. So muß denn eine erhöhte Fürsorge einsetzen, um wenigstens diejenigen Kinder, die geboren sind, am Leben zu erhalten und zum Gedeihen zu bringen. Die Träger dieser Fürsorge müssen die Ärzte sein, bei denen nicht nur die prak-
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Anhang.
tische Ausübung der Fürsorge liegen muß, sondern die auch noch danach streben - müssen, die F ü h r u n g in diesen Dingen in die Hand zu bekommen. Die bisherigen Einrichtungen für Mutterschutz und Säuglingsfürsorge sind teils von der öffentlichen Wohltätigkeit, teils von den Städten und Gemeinden geschaffen. Zum Teil ist auch bereits eine staatliche Regelung erfolgt (Württ. Jugendamtgesetz), oder sie steht bevor (Reichsjugendwohlfahrtsgesetz).
Das Württembergische Jugendamtgesetz schreibt vor, daß in allen größeren Städten und in den einzelnen Oberämtern J u g e n d ä m t e r errichtet werden, die für werdende Mütter, Kinder und Jugendliche bis zu 18 Jahren zuständig sind. Ihnen liegt die Schaffung von Einrichtungen des Mutterschutzes, der Säuglings- und Kleinkinderpflege (Beratungsstellen, Milchküchen, Krippen, Kleinkinderschulen usw.), ferner die Fürsorge für die Schulkinder außerhalb des Unterrichts und für die nicht schulfähigen Kinder (Taube, Blinde, Hilfsschüler, Verwahrloste), weiter die Pflege und der Schutz der schulentlassenen Jugend (Kinos 1) ob. Sie übernehmen ferner die Geschäft» des Genieindevvaisenrats, die Aufsicht über Kost- und Pflegekinder, die Berufsvormundschaften, die Fürsorgeerziehung usw. Die Leitung des Jugendamtes hat die „ J u g e n d k o m m i s s i o n " , die aus zwölf Personen besteht, wovon mindestens 1 / 4 Frauen sein müssen, und zu
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Kurzer Abriß der Säuglingsfürsorge
der von Amts wegen der Oberamtsarzt, ein Richter und ein Lehrer gehören müssen. Die Geschäfte führt ein Geschäftsführer, dem eine Bezirksfürsorgerin beigegeben ist.
Von der größten Bedeutung ist zurzeit die den Frauen f ü r d i e E n t b i n d u n g gewährte Geldunterstützung: Eine Frau erhält, wenn sie im J a h r vor ihrer Niederkunft mindestens 6 Wochen hindurch auf Grund der Reichsversicherungsordnung oder bei einer knappschaftlichen Krankenkasse versichert war, oder wenn sie Ehefrau, Tochter, Stief- oder Pilegetocher eines Versicherten ist', ferner wenn ihr eigenes oder ihres Ehemanns Einkommen im J a h r vor der Entbindung ein bestimmtes, den Teuerungsverhältnissen entsprechendes Existenzminimum nicht erreicht hat, eine W o c h e n h i l f e , die besteht in: 1. Einem einmaligen Beitrag zu den Kosten der Entbindung in Höhe von 250 Mk. 2. Einem W o c h e n g e l d in Höhe des Krankengeldes, jedoch mindestens 8 Mk. täglich, einschließlich der Sonn- und Feiertage, für 10 Wochen, von denen 4 in die Zeit vor und 6 in die Zeit nach der Entbindung fallen. 3. Eine Beihilfe bis zu dem Betrag von 250 Mk. für Hebammendienste und ärztliche Behandlung, falls solche bei Schwangerschaftsbeschwerden erforderlich werden. 4. Ein S t i l l g e l d : in Höhe von 8 Mk. täglich, einschließlich der Sonn- und Feiertage bis zum Ablauf der 12. Woche nach der Niederkunft, vorausgesetzt, daß die Wöchnerin das Neugeborene stillt. Die Höhe dieser Geldbeträge ist je nach dem Stand der Mark wechselnd.
Dem Mutterschutz dienen ferner E n t b i n d u n g s - und W ö c h n e r i n n e n h e i m e , die von den Städten oder von der öffentlichen Wohltätigkeit unterhalten werden und neben den Frauenkliniken und Hebammen^ehranstalten den bedürftigen Frauen für Entbindung und Wochenbett zur Verfügung stehen. Die aus diesen Anstalten entlassenen, nicht selten obdachlosen oder weiterer Pflege bedürftigen Mütter finden in M ü t t e r h e i m e n mit ihren Kindern Unterkommen. Verheirateten Frauen steht an manchen Orten die „Hauspfle